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Full text of "Die Gegenwart. Wochenschrift Für Literatur, Kunst Und Öffentliches Leben 58.1900 Indiana"

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Über dieses Buch 

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2Bod)ettfd)rift 

für 

Xitcraiur, Hunji mtb öfßntltdjBö Xebm 


$erau§gegeben 


öon 


^^.cop^iC JJoffing. 


©iebeitunbfttnfeigfter 93attb. 
(9h. 1—26.) 



Berlin 1900. 
SSertag bcr ©egenroart. 


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SiebettttttMttttfaigftct SBattfi. 


1. l&Dlimäje unb rerijfBnjippmrrf) afüirfj* JÄutTä^t. 


L ©eite 

$eutfd)lanb im jmanjigften Sa^unbctt. bon ©buarb bon 

§atimann .. 1 

Sie befampfung bcr QingocS. bon ÄarlSBalcfer . . . . 83 

3ur englifdjen befdjlagnabme beutfdjer Sdjiffe. bon granj 

©i&enbarbt..84 

Sad coloniale „Sdjarlacbfieber". bon ©uftab SReinetfe . . 49 

Sie 3ufunft ©übafrifad. bon 2boma§Öcnfcbau . . . 65 

f ©olonialjjolitifdje gragen. bon ©b. SSiecf.81 

eine ©ontinentalunion. bon ©b. Siebter.. . 97 

SBürttembergifdje barteiberbältniffe. bon [Rubolfßraufc . . 100 
Sie neue SEBaarenbQudfteuer. bonOttogreiberrn bon boenigf 129 
Bosnien unter öfterreidjifdjer bertoaltung. bon gr. ©untram 

Sdjultbeifj. 181 

gnteroention unb ©efiibldpolitif. bon Otto Urnfrib . . . . 145 
Sie bereinigten Staaten, %apan unb bie [Philippinen. bon Ex- 

pertus.161 

Ser 2fadfteUungdf<bnnnbel. bon Otto greiberrn oon boentgf 177 
Unsere bolfdbertreter unb bad grauenftubium. bon tRid^arb 

SBulcfoto . . ...198 

öanbeldpolitif unb Sßeltmadjt. bon 21. £>uman.209 

[Rufrlanb in Elften, bon Sp. SlSmuffcn.225 

Sie lex $einje unb bic bilbenben fünfte, bon ©uftab ©ber* 

lein 230 

Sie bobenreform in ben ©olonien. bon ©uftab Slroerboncf . 241 

2lüerlei Socialreformen, bon ©. [R. ©bell.257 

©rtedjenlanb feit bem Äriege. bon Qofefbecfmann . . . 273 
Sad Sdjicffal ber lex f)einge. bon [RidjarÖ SSulcforo ... 321 
Sie [Regelung bed Sludberfaufdroefend. bon Otto greiberrn 

bon boentgf .. 369 

Seutfcblanbd fiinftige $anbeldpolttif. bon $urt [ßaul 9Robr . 401 

2 . IBaJunotlJienl'tfiapittfje«] Mebtnntftfjes unb (EedjntJtfjes. 

Sie Xedjnif an ber S^^nbertmenbe. bon SStlbelmberbroro 8 

©leftricität birect aud SBärme. bon ©uftab ©aft.51 

2er är$tlid)e [Rotbftanb. bon Slipbond gulb ...... 148 

©ntlarbte Spirttiften. bon [Rubolf Äleinpaul.150 

Sad 3 a ^ enoer ^ tn % ber ©efcblecbter. bon ©buarbbon^art* 

mann. 211 

bon ber Sübpolar*©jpebition. bon ©eorg bon • •, • 227 

Sie SSärme unb bie SRaffenattraction. bon ©uftab $. ©(jft . 291 
SRealgpmnaftum unb SDfebicinftubium. bon ©. $nape . 4 . . 372 

Unbenufcte fRaturfräfte. bon ©uftab £>. ©aft.373 

Sad fReidjdfeudbengefep. bon Slipbond gulb ..385 

Äalted fiid^t. bon ©uftab §. ©aft.403 

3. Bermifdjte JRuffä^e. 

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29eltauSfteHung unb gubelja^r. bon SRarcud San bau . . . 4 

^anb= unb 9ttafdjinenarbeit. bon b^uISrnft.17 

p Ser ^reiöfad im lebten 3abrbunbert. bon 9?. ©prfin ... 19 

|Sle Officiere unb ber 2ll!oljol. bon SS. bobe. 20 

|$ie ©noeiterung ber Unfaflfürforge. bon benno $>ilfe . . . 35 

jjjfft ba$ burenbeer eine SRilfy? bon Hoplites 67 

pne Slfabemie für Socialroiffenfdjaften. -bon SSK bobe ... 84 

Bad lehrt und ber burenfrieg? bon Hoplites.113 

»eutfdje bolfdtradjten. bon bert^olb Süefftebt.115 

■er galt SSetngart. bon [Ricbarb SSulcforo 163 


©eite 


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©ine [Reform ber bolfdfcbute. bon 2Raj -äRat).166 

Sie bfpdjologie in ber focialen gorfdjung. bon ßarl SRoepel 179 

blacat unb [Reclame. bon ©mil bitter .196 

Ärupp unb Stumm, bon gran§ ©ifeen^arbt ..... 212 
2lud bem 2lrbeiterleben in [Rufelanb. bon Äarl 9loe^el 243. 260 
$>ad ©e^eimnife ber gro&en b^ rani ^ Oon ©i$efj. bon ßubtoig 

S)ein5arb ..267 

3ur beru^igung bed focialen ©etoiffend. bon Äarl $oefcel . 289 
S)er Sanudfopf einer 2ludftanbdclaufel in ben bauöerträgen. bon 

benno £ilfe .. 305 

Stad preufjifdje Qa^unbert. bon Herbert gif^er . . . . 306 

Sehren aud bem burenfrieg. bon Germanicus.337 

£)fe SBobltbätigfeit im mobernen Sehen, bon $arl9?oejzel 338. 355 
S)ie borbtlbung ber Officiere bed beutfc&en ^eered. bon grei« 

banf. 353 

bolfdljodjfdjuffarfe unb ^ocbfdjulttabagoglf. sß on 3Ray 2Raty . . 361 
S)ie grauenbemegung unb bie S)ienftbotenfrage. bon ©lija 

S^enbaeufer. 371 

Ueberfefcung ber jübifd^cn ©ebeimfdbriften. bon Xljomad . - . 388 
SHe ^ünftler-Siebelung in S)armftabt. bon SBilljelm bobe . 893 
©in englifdjer ^ritifer ©otted. bon 9Rarcudßanbau . . . 406 


4. ©ebitfjfe, BooeHen, Jeuifleton«. 


3um Antritt bed neuen Safjrbunbertd. bon SStlbelm genfen 10 

Qn ber 9?eujabrdnacbt. bon 2 inton 2 fdjed}ott>. 12 

SSeibnacbtdibblle am dRobberriocr 1899. bon SSHIbelm Qenfen' 22 

©in fcblecbted ©nb r . bon ©. SSürtbmann.26 

S)er SSertoolf. bon ^llejanber bubif(btf<bcio. 43 

S)er Streif in ber Sd^ule. bon ©mile 3*>la ...... 58 

©ine begegnung. bon ©bgarSlllanbo*.75. 91 

©in ganj fleiner [Roman, bon SS. ©arfd)in.108 

2 lm ^aiferbenfmal; bon 3ubani9lbO'.123 

£>er [Rebner. bon Slnton Sfdjedjon) .*.140 

S)er ©affenljöuer. bon 9Rarf2main.155 

S>ie befebrung. bon ©ut) be ÜRaupaffant.170 

Uebereilung. bon [Robbty 3oned . ..188 

Sammelnmtb. bon 9Rarf2main . ... . 204 

beim brofeffor ber ©rabbologie. bon Äarl baull . . . ; 220 

S)er SSurm. bon [Rubt)arb Äi^ling.234 

2ie Uniform, bon 9lnton2fcbecbom.253 

$obed Spiel, bon Souid ©ouperud 268. 283. 299. 316. 

332. 345. 362. 381 

©ine [Reifebilb aud bem ruffifdjen Sitauen. bon Sofef Stulln 395 
Cum infamia. bon ©ugen gordmann.409 


Slud ber ^auptftabt. bon Caliban: 9Ränner bed oergangenen 
gabrbunbertd 13. S)ie [Rotbbelfer 28. 2)ie Stummen bed 
Seraild 44. S)ie oorübergebenbe ©rfebeinung 77. S)er ftarfe 
Bermel 94. S)er SSonnegand ©nbe 109. SSilbelm ber gauft 
156. Unfere liebe grau Oon 2Rilo 189. börlamentdbämmes 
rung 205. $>ie abfteigenbe Sinie 221. S)ie gnteroention 235. 
S)ie 3«funft auf bem SSaffer 270. börfen=3bbtt 285. 
©ala^Oper 301. Star heilige $rieg 364. S)ie rotbe gauft 412. 

— bon Simon b. 3 .: bolitifdjer gafeping 59. bon btimten 
unb braunen 124. Ser ftarfe 9Rann 333. Ser hungrige 
9Rann 396. 


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SU c ß i ft e r. 


©ette 

AuS ber #auptftabt. ©on ©rin$ ©ogelfrei: glotten*Agitation 
254. S)er jüngfte &racp 317. SBilpclmS ©afaüen 347. 

— ©on Mile8 non gloriosus: Aucp eine glottenbebatte 141. 

— ©on Nemo: Sölbner unb Solbaten 171. 


5. Itferariftpe J&uffäpe* 
a. GffapS. 

*S)ic ©pifobe 3^[en. ©on Artpur ©olbfepmibt.23 

*Änut $amfun. ©on Otto Stoefjl.37 

2Bar Spafefpeare in Stallen? ©on gr. SBilp. Alt mann . . 55 

Sdjillcrbiogtappien. ©on £arl ©gon Sanbpop.72 

S)ie ©pilofoppie im neunzehnten Saprpunbert. ©on ©buarbbon 

#artmann. 86 

f Srte Sapanifdpe ßiteratur. ©on Gpr. ©apprip. 88 

j ©ebolution bcr ßprif. ©on $anö ßeufc. 102 

©ine poHänblftpe Dpm #rügers©iograppie. ©on 9KayA. ©efeU 

fdjap.105 

Sttepfipe ber grauenfeinb. ©on fteinriep 2Kepers©enfet) . . 117 
Sur ©efdjtcpte bcr djriftlicpen Religion. ©on ©buarbbon£art* 

mann. 133 

Stpleiermacper unb bie mobeme Religion. ©on §einri<p9tteper:= 

©enfep.184 

^ ftunft unb SRoral. ©on A. v. H.• . . 198 

^ ©abriele b’Annunzio unb fein ncucftc§ SBerf. ©on 9ttarcu$ 

Sanbau. 202 

AuÄ gannp Semalb '8 Xagebucp. ©on Jpeoppil 8 oüing . . 215 
SacpäuS auf allen Älrcpmeipen. ©on Robert 2Balbmüller= 

5>uboc.232 

$>a 8 ©mig*2Beiblicpe. ©on 9R. Xrepmann.248 

3ur Sdjopenpauersßiteratur. ©on 3. 9Ä. bonSe&ut* • • • 263 
$>a 8 junge Sttäbtpen in ber ßiteratur. ©on granj ©reef . . 277 

3u ^eger 6 ßeben. ©on Dtto SMrffen.292 

- Social=Aeftpettf. ©on Äarl SRoepel.314 

©ine ©manctptrte. ©on $arl 3<V9uf<p . . . . ■ — . . 823 
-Xolftoi '8 Stellung jur Jhtnfl. ©on ©Hipelm ©obe . . . . 829 

©in „beutfdjer ©olboni". ©on Gurt^einricp.343 

-®to(pträgli(pe3 $u Xolftoi '6 „ Auferftepung ©on §einricp 

2Reper*©enfep.390 

J ©in fatpolifeper Gr$äpler. ©on Martin ©reif.408 

b. ©üpne unb ©üpnenfritif. 

Speaterftattftif ..15 

©on jmei $ofburgf<paufpielern. ©on Otto Stübben . ... 39 

3ungfranfreidj auf ber ©üpne. ©on A. ©runnemann. . . 53 

©rlnnerungen an ©iiparb Steerfcpmann. ©on $atparina 3 UeU 

mann.. . 152 

©rmete Sftobelli im ßefftngsXpcater.191 

Au 3 ber SBiener £peatergef(pi(pte. ©on ©buarb bon ©am* 

berg.. * .. 281. 296. 

XaÜepranb als bramatifdjer Stoff, ©on ©ottlieb $)aum 357. 377 
©üdblid auf bie fcpeaterfaifon.413 


5>ramattfcpe Aufführungen: Otto ßangmann 2Bme (ß’Arronge) 15. 
Ster Stugenbpof (Sfomronnef) 30. Ster ©telgeprüfte (©teper- 
görfter) 30. S)a8 beutfepe 3aprpunbert (Weimar) 45. ßorb 
Ouef (©inero) 46. ^ie Sterne bon SKayim (gepbeau) 46. 
Steö ©ärcnfell (^abelburg) 79. gaftnaebt Oaffe) 79. S)er 
golbene ^äfig (©bMWO 7 9- ©thlwl unb 3 öu (^auptmann) 
95. 3«9cnb bon heute (©rnft) 125. S)ie brei Xöd^ter be$ 
§errn S)upont (©rieuy) 126. S)a8 taufenbjährige Dieicp 
(§albe) 143. £>er Athtet (©ahr) 144. S)er Gifenjahn (ßauff) 
159. greilitht (©eide) 173. ©in Ateltergehelmnife (Verfall) 
174. SBenn mir lobten ermaepen Öbfen) 190. SHe ^oepter 
beö ©ra6mu6 (SBübenbrucp) 190. ©ebatter S:ob (lönig) 237. 
SDer Äönig bon ©om (^forbten) 286. Ontel S^oni {ftaxU 


€><tie 

meiS) 318. S(pmarmgeifter (SBeitbrecpt) 319. ßuigi GafareHi 
(Scpmibt) 350. Äönig ^arleün (fiotpar) 350. Stanbpafte 
Siebe (tfrufe) 414. gremblinge (^ßepolb) 414. 


6 . BUtenbe Mnpe. 

©ergangene unb jutünftige Äunft. ©ou ©uftab ©berlein . . 11 

3urp unb Seceffton. ©on 3« korben.29 

$unbert 3beutfeper Äunft. ©on Anton bon ©etner . 68 

Sur Submig Änau^AuSftennng. ©on 3* korben.110 

S)enhnal ober Stenhnünje? ©on SBlIpelm ©obe ..... 121 

©eforrn ber ©ilbpaueret ©on ©milbonSpbom.13b 

©in einfamer 3Raler. ©on 3- korben.172 

Aubrep ©earb4Iep r ber ®7aler ber Sünbe. ©on ©ubolf Älein 180 
3 ur ©eform ber ©Ubhaueret. ©on ©einpolb ©ega«, ©uftab 

©berlein, 3Jlay Jünger.218 

©egen ba$ 3Jtäcenatenthum. ©on ©buarb bon ©iaper ... 218 

S)ie Seceffton in SBien. ©on OttoStoepI.245 

Auguft ©ei(penöperger unb bie äunfi. ©on Submig tfolping 310 
S)ie franjöftftpe Malerei auf ber ©arifer SBeltauSftellung. ©on 

A. ©runnemann.327 

©on ben großen ©erliner Sommer *Äunftau8ftettungen. ©on 3- 

korben. 335. 349. 398 

2)ie auSIänbifcpen Äünftler auf ber SBeltauSfiellung. ©on 
A. ©runnemann.404 

7. Mupfu 

Gdctle ©huutinabe. ©on ^ebmig bon grieblaenber*Abe( . 24 

Opemftatifti!.61 

©uccini unb feine neue Oper „Xo3ca\ ©on ©mil 3Rauerhbf 135 
SRellie 3)telba unb ber ©oloraturgefang. ©on ^ebmigbongriebs 

Iaenber=Abel.168 

£>an8 ©fipner unb ©i(parb Straufc. 206 

Oberon^ Seben4f(picffale. ©on SBUpelm ^leefelb .... 342 
S)ie ©etge afö moberneS Soloinftrument. ©on #ebmig bon 
grieblaenbersAbel.Ö75 


Opern unb Operetten: Äönig S)roffelbart (Äulenfampff) 61. dlaU 
bolb (©erfer) 61. 9Mni(pe (fteuberger) 62. S)er ©ärenhäuter 
(SRenbelSfopn) 157. Äain (b'Albert) 158. S)er ©ärenpäuter 
(S. SBagner) 206. SXe ^eiratpSluftigen (3Reper=§eßmtinb) 

223. 

8. Bottjen. 

©ilp 238. ©ifepoff 415. ©obe 47. ©op*©b 81. Junger 367. 
©ber$ 127. Girier 175. gebern228. greife 238. gucp«239. ©au«e31. 
©emmel 174. ©pftrom 867. £eibenftam. 867. ©effe 303. $off« 31. 
§ucp 288. ®ülf4berein 367. 3ucobom«fi 127. Knauer 175. fiöfter 174. 
Äreuper 415. Äürfcpner 308. Sienparb 819. ßobe 399. SRaffon 68 . 
2Jtaurel80. 3Jteper351. ÜWultatuli 238. 9?orbenfban415. Oertmannl75. 
©enjler 127. ©er! 803. ^eterfen 159. ©iper 286. ©ofepinger 159. 286. 
©iemann 127. Salomon 63. Stpiff 239. Stplippenbacp 68. Stpmibt 223. 
Scpnebermann 63. £poma$ 207. Unolb 174. 166, SBattner 127. 
SBebetinb 175. SBerdmeifler 351. Sabel 63. 3ola 228. 

9. Bflfm Briefe unb JUtfroorteru 
BiotpmalS bie w beliebtefte beutfepe Scpriftftellerin". ©on ©l^putb 
5Buldom 47. ßorb fßalmerfton über bie militäriftpe Scproätpe ©ng«= 
Ianb4. ©on Äarl SBalder 62. ©buarb b. ^artmann unb bie „2ime$*. 
©on Dr. Gar! ©eter§ 126. ©eorg ©üepner unb feine ©rüber, ©on 
Alejc ©ü(pner 143. „3)er Uebermenftp" unb ba4 „©migsA&eiblitpe*. 
©on ©rof. ©aul ^eim 174. 9?ocpmal3 bie beliriftpen S)tcpter. ©on 
9ü(parb Scpmibt-Gabani6 207. Scplupmort jur ©eform ber ©Ub^ 
pauerei. ©on G. ©eUrner 287. 9tocp einmal ber „Uebermenftp". 
©on Auguft Äörte 350. gannp ßemalb unb bie grauenbemegung. 
©on Sparte Stritt 389. 3 u t S)ienftbotenfrage. ©on Älara ßep' 
mann 414. 


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’gSerCht, ben 6. gkmuar 1900. 


29. Jahrgang. 
Band 57. 


J» i." 


Pie #egemunrt 

2öoc^eufc^rift für Siteratur, tunft unb öffentliche^ geben. 


^emusgegeßen tum £o£tfng. 


Jenen fmmaleiür erfdietnt etne pmnn. 

#11 bestehen bntdh alle ©w$f)anbIunQen unb ^ofittmter. 


Setlag bei Oegenmart in Berlin W, 57. 


Iterteltnwim 4 flü 50 Vf- «ne monier 60 #f. 

Snferate jebet Utt pro 3 gehaltene fctttseüe 80 


®eutfd)Ianb im gnmngtgften Qa^unbert. SSon (Sbuarb t>on §artmann. — SBeltauSftellung unb Qubelja^r. ®on SKatcuS 
C CI Sanbau. — $ie Xeajnlf an ber 3aWunbertiuenbe. SSon 3ngenieur AHIffelntSöerbrotö. — Siteratur unb ftnuft. ftum 
Antritt beS neuen 3<djtfjunbert3._ 33on 3SiI§eIm^3cnfen.—^ergangene unb^gufünftige Jhinft. SBon^rofeffor ©uftab @bers 


lein. — §euU(eton. 3n bei* 9?eujaljr8na<j£)t. 2$on Anton Sfcbedjoro. — Au$ ber $auptftabt. 
3a^r§unbert8. Son Caliban. — $>ramatifcf)e Aufführungen. — Angeigen. 


Dinner be$ vergangenen 


5Deutfd)lanb im jwflttjujflett 3a^ri)tinbert. 

§8on (Ebnarb non Fjartmann. 


SEBir (Deutfdjen leben ber Hoffnung, baff unfer Sßater* 
Ianb neben ben (Bereinigten «Staaten, Nufelanb unb ©nglanb 
fict) bie Stellung als uierte Söeltgrojsmacht werbe erringen 
unb behaupten fönnen; eS ift aber eine feljr ernfte grage, 
ob biefe Hoffnung nicht auf ißuforifdjen (BorauSfehungen ru|t. 
SBenn ber beutfdje (Boben nicht mehr als 42 SNißionen er« 
nähren tann unb fcfjon jefct 14 Millionen öon eingeführten 
Nahrungsmitteln (eben muffen, fo mürbe bie ©infuhr öon 
Nahrungsmitteln fich öeröieifachen muffen, menn bie (Be* 
DölferungSjunahme im bisherigen (Berhältnifj meiter gehen fofl. 
SBomit foß aber biefe ©infuhr begaf|lt merben? (Doch nur mit 
Snbuftriijprobucten, beren (Berfäuflichfeit baöon abhängt, baff 
wir einen ermeiterten, aufnahmewißigen 3lbfaftmarft finben. 
SEBo aber fott biefer SNarft hertotnmen, menn Die Strömung 
ber 3eit bahin geht, unS fogar bie bisherigen SNärfte immer 
mehr gu öerfchltefeett, menn bie brei größeren SBeltgrofjmächte 
fnh als brei gcfchloffene SßirthfchaftSgebiete conftituiren unb 
ihre Uebermacht auch für ben SEettbemerb um bie noch übrig 
bleibenben (£f)eile ber ©rbe rüdfid)tS(oS auSbeuten, menn Nufj* 
lanb Norb* unb SNittelafien, bie (Bereinigten Staaten Süb« 
unb aWittelamerifa, ©nglanb Sübafien, Sluftralien unb einen 
großen (Dheil öon Slfrifa für fich mit (Befdjlag belegt? SEBoher 
foflen bie eingufüljrenben Nahrungsmittel genommen merben, 
wenn bie jefcigen (BegugSqucßett burch ben (BeöölferungSguwachS 
an ber ©rgeugungöfteßc öerfiegt finb unb bie eiferfüd)tigen 
Nebenbuhler unS burch ©etreibeauöfuhrgöfle auShungem woflen? 
Unb rooher foß bann bie Snbufirte bie tropifchen unb fub= 
tropifchen Nohftoffe nehmen, bie fie gur ©rgeugung ihrer 
SBaaren braucht unb ohne bie ihre 9J?afd)inen gum Stiflftanb 
unb ihre Arbeiter gum feungertobe öerurtheilt finb? SBäre 
eS nicht bie fchmerfte (Däufcf)ung, gu glauben, baff bie beutfchen 
©olonien in Ülfrifa, in ©hina unb in ber Sübfee auch nur 
annähernb auSreichen fönnten, bie nötigen Nahrungsmittel 
unb gabrifationSrohftoffe für ein ©roffmachtSöolf gu liefern, 
ober baff bie ©ngtänber, Nuffen unb Slmeritaner unS gut» 
toiflig im (8efi$ biefer ©olonien laffen mürben, fobalb fie auch 
nur annähernb biefem 3töecfe entfprächen? SBirb ba nicht 
(Deutfcfjlanb genöthigt fein, entroeber mie granfreid) auf roeitere 
SBolSöermehrung gu öergid)ten, ober feinen Ueberfcfju^ als 
©ulturbünger an engtifd) rebenbe ober flaöifche Staaten ab* 
gugeben, mie eS ihn in ber (BölferWanberung an romanifche 


Staaten üerloren hot? SEBirb eS nicht ebeiifo mie ffranfreiefj 
unb Cefterreich gum SNittelftaat herobfinfen unb genöthigt 
fein, befcheiben ein befcfjaulidjeS SEßinfelbafein ju führen, etma 
mie je^t bie ffunbinaöifchen Sänber? 

(Die griebenSträumer unb §umanitätSgläubigen merben 
folche Sdhred6ilbet öerlachen; mer aber nüchtern bie Sehren 
ber ©efdjichte beherzigt, mirb bie ©röfee unb Nähe biefer ©e* 
fahren ju mürbigeit miffen. SBenn baS SNittelalter haupt» 
fäihlich Sel)nSfriege führte unb mit ber überfpannten (ßh an= 
taftif ber Sreujjüge fd)lo|, njenn im 17. Sahrhunbert bie 
NeligionSfrtege, im 18. bie ©abinetSfriege um ©rbfolge» 
ftreitigfeiten, im 19. bie (Bolföfriege auf ©runb beS Natio« 
natitätSprincipS öorherrfchten, fo jeigt fchon baS ©nbe biefeS 
SahrhunbertS, bafe mir in eine (ßeriobe eintreten, mo bie Kriege 
um ©olonialbefih unb (panbelsintereffen geführt mertüCuhb 
bafe babei an bie Steße biplomatifcher Nänfe unb iftfMonaler 
(Naffeninftincte bie rüdfidjtSlofe (Brutalität eine#' corrnpten 
SobberthumS getreten ift, meldjeS bie (eitenben Staatsmänner 
in fein Sntereffe ju jiehen unb bie öffentlidbe SNeinuifg burc) 
feine (ßreffe ju fabrijiren öerfteht. (Drifft tau gar bie^Nadjj^' 
folcher (Börfenfpieler mit bem ©Epanfionarielv unb beh‘®r* 
oberungSfucht ber (Beöölferung jufammei ' ban\ DcrhhJjt bie 
Stimme ber ©eredftigfeit, (Bifligfeit, Niiifchlidjfeit, ruhigen 
(Bernunft unb meitblicfenben ÜJ?äßigung ungehört, unb ber 
Starte ftür^t fid) räuberifd) auf ben SdinÄWttgJber auf ben, 
ben er für fd)roach hält unb ungeftraft auSpluMIffn ju fönnen 
glaubt. (DiefeS Schicffal, öom Stärferen beraubt ju merben, 
fteljt unweigerlich Q ß en Ä'leinftaaten unb ÜWittelftaaten beöor, 
menn fie noch im (Befifc öon ©olonien finb, meldje bie ^>ab* 
gier öon UBettgrojjmächten reifen. (Bei biefem ungenirten 
3ugteifen hat Nufelanb noch ftets ben §o<hmuth beS afiatifd)en 
(Defpoten, ?lmerifa baS Nombiethurn beS projjigen ©mpor* 
föihmlingS, ©nglanb bie Scheinheiligfeit beS frömmelnben 
§eud)lerS, granfreid) bie ©rimaffen beS fanfaron unb poltron 
jur Schau getragen, unb fie merben aud) mohl ferner ihren’ 
©emohnheiten treu bleiben. 

SBenn Deutfdjlanb, obmohl gu Sanbe eine europäifche 
®ro§mad)t, hoch gut Sec ein Äleinftaat bleibt, fo merben 
früher ober fpäter feine ©olonien biefem Schicffal aßer kleinen 
nid)t entgehen, fobalb ihr (Befift für ©nglanb ober Sämerifa 
münfchenSroerth erfcheint. (Denn beibe Staaten finb für unS 
unangreifbar, nnb unfere ©olonien fönnen mir gegen fie nicht 
öertheibigen, fo lange ihre flotte ber unferigen überlegen ift 
. unb mir bloß auf unfere eigene Straft angemiefen finb. Nufj* 


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2 


Nr. 1. 


Die (Sttgenwart. 


3 / 


lanb bagegen, beffen ©renje unserem Angriff offen liegt, wirb 
bei feiner Kolonialpolitif immer ju einer gewiffen Nüdficßt 
gegen ®eutfcßlanb genötigt fein. Wie feßr Wir unS aueß 
anftrengen, fo fönnen wir bod) nid)t hoffen, eine Kriegsflotte 
31 t erlangen, bie allein ber englifdjen ober ber fünftigen ameri» 
fanifcfjen geWacßfen wäre, weil beibe Sänber reicßet unb 
günftiger gelegen finb, größere Küftenentwidelung ßaben nnb 
nicht genötigt finb, ißre Kräfte auf eine glotte U1, b ein 
großes Sanbßeer ju jerfplittern. 

Der biebere greifinn finbet, baß ber beutfeße ^anbel ficß 
ganz woßl babei befunben ßat, als er Don ben ©rofgnäcßten 
nur bittweife gebulbet würbe unb fid) allerlei gußtritte ge» 
fallen taffen mußte; er ßätte es für beffer gehalten, biefen 
3uftanb jn DereWigen, als ficß eine Keine Kriegsflotte unb 
(Kolonien jujulegen, welche bod) nur unbefcßüßbare Angriffs» 
objecte unb oerwunbbare fünfte barbieten. (Ir uergißt nur, 
baß er bann aud) bie ftaatlicße gerriffenßeit unb SDßnmacßt 
©eutfcßlanbS ßätte Derewigen muffen, welche bie ©orauSfcßung 
für bie gnäbigc ®ulbung beS beutfdjen ^anbelS bilbeten. (Sr 
Dergißt ferner, baß felbft beigortbauer ber ftaatlidjen gerriffen» 
ßeit unb Dßnmacßt biefe Deräcßtlicße 2)ulbung ein (Snbe ge» 
nommen ßätte, fobalb ber beutfeße Hanbel fid) als gefäfjrlidfer 
Nebenbuhler entpuppte, unb baß ber bisherige gortbeftanb 
beffetben naeß biefer (Snthüllung boch auSfcßliefeltd) bem 9ln« 
fehen «DeutfdßlanbS als europäifdjer ©roßinadjt unb feiner, wenn 
auch Keinen Kriegsflotte ju banfen ift. (SS ift immerhin ein 
Unterfdjieb, ob ein Sßolf freiwillig auS bebientenhaftem Klein« * 
mutß auf feine WeltfteEung unb feine ganze 3 u f u,l f t üer= 
jit^tet, ober ob eS WenigftenS ben ©erfueß mad)t, zu retten, 
waS eS 311 retten bermag, mag immerhin ber ©erfueß miß« 
tingen. ©rabe bie neuerliche Stnerfennung ber mannigjadjeu 
lleberlegenßeit beS ®eutfdjen bureß feine (Soncurrenten, bie 
an bie ©teile ber früheren ©eringfcßäjjung getreten ift, follte 
unS bie 3 utoer ficßt geben, baß ber Wettbewerb für uns feines« 
wegS auSficßtSloS ift, wenn wir nur unfere ganzen Kräfte 
einfeßen. 

©eutfeßlanb fann Don feinem eigenen ©oben erßeblicß 
mehr N?enfd)en ernähren als jeßt. gunäcßft harren noeß be« 
beutenbe Deblänbereieit (ÜJfoore unb §aiben) ber (Sultibirung; 
ber Dbft* unb ©emüfebau, bie SNileßwirtßfcßaft, bie'©efliiget« 
jueßt unb bie Hodjfeefifcßcrci ift nod) einer bebeutenben 
Steigerung .fähig unb ber bereits in Senußung genommene 
©oben fann bei capitalintenfioerer unb arbeitsintenfioerer ©e« 
wirthfeßaftung Diel höhere (Srträgc bringen, ©egenwärtig feßlt 
nur baS Kapital Ju eingreifenben ?lme(iorationen, weil ber 
£>ßp£»rt)efencrebif fiii unprobuctiDe .gwede (Srbtßeilung, Neft* 
faufgclbcr unb Kottfolibirung perföntießer ©cßulben) bereits 
iiberanftrengti ift; cienfo feßlcn im Dften bie ÜtrbeitSfräfte 
ju arbeitSintenfioere/©cwirtßfcßaftung, weil ein SNißoerßältniß 
jwifeßen ©rpß» unb Klcinbefiß b.efteßt. ©obalb ber £>ßpo= 
tßefencrcbit etuf-SIlmeliorationcn eingefeßränft wirb unb bie 
Wieberanfiebelung Don Säuern einen genügenben Umfang 
erreicht, müffen beibe Uebclftänbe feßwinben.*) Wenn bie 
bicßlofe 2 anbwirtßfd)aft mit bloßer SNineralbünguitg unb 
fßflanjenbiingung bureßbringt unb ftatt ber ©obcnprobucte 
©ieß unb gefrorenes gleifd) eingefüßrt wirb, fo fönnen Don 
bemfelben ©oben, ber jeßt ber ©ießjud)t bient, Diel meßr 
SNenfcßen leben. $)ie Kßemie ßat baS Problem ber ©pirituS« 
bereitung auS ©flanjenfafern (Holzabfäflen, ©troß u. bcrgl.) 
bereits gelöft unb ift naße baran, aud) baS ber ßudergewinnung 
auS foteßen billigen Noßftoffen zu (Öfen; fobalb bie ©pirituS* 
unb ßuderinbuftrie feine Nüben unb Kartoffeln meßr braueßt, 
Wirb wicberunt eine große ©obenflädje für bie Srnäßrung 
Don SJfcnfdjenjuwacßS Dcrfügbar. $)ie Snbuftrie ber (Siweiß* 
ftoffe, bie auS tßierifdjen Abfällen ober pflanzlichen Materialien 
gewonnen Werben, ftedt jeßt noeß in ißren Anfängen, Wirb 


*) 3Sg(. meine „Socialen Kernfragen" D I. „Tic SSobenfrage", 
D II. „Die SBcuölfermigifragc". 3. 440—571. 340—.ICO. 


aber in Kurzem ber ©olfSernäßrung neue Hilfsquellen et« 
öffnen unb bie (Sinfußr Don (Siweißnaßrung jum (Srfaß felbft« , 
gezogenen ©ießeS feßr erleichtern. 9Wan braueßt -nicht erft 
an etwaige fünftige fpntßetifcßc NaßrungSmittelprobuction aus 
Koßle, Waffcr unb atmofpßärifeßem ©tidftoff zu benfen, um 
fieß zu überzeugen, baß in ßunbert Saßren eine (Srnäßrung 
größerer SNenfcßenmaffen als ßeute Don bemfelben ©oben 
möglich fein wirb. 

Wäßrenb bie beutfdje 9luSfußr in ben leßten üKenfcßen« 
altern ißrer abfoluten ©röße naeß beftänbig geftiegen ift, ift 
fieißrer relatiDen ©röße naeß gefallen; b. ß. ein immer fteinerer 
‘Jßeil unferer nationalen ©robuction wirb auSgefüßrt, ein 
immer größerer Ußeit wirb im Sntanbe Derbraucßt. diejenige 
Sinfußr, bie Wir mit auSgefüßrten ©robucten bejahten, ift 
abfolut genommen im Waffen, aber relatiü im Slbneßmen 
(uon 100 auf einige 70 ©rocent), weit biejenige Sinfußr, bie 
wir mit ben (Srträgen üon Kapitalien auSlänbifcßer Anlage 
bezahlen, immer meßr jugenommen ßat (bon 0 auf einige 
20 ©roccnt). (SS läßt fid) ein 3 u ftonb benfen, in welcßem 
bet größte Xßeil ber Sinfußr bureß auSlänbifcße 3inSgutßaben 
unb ©ewinnantßeile beglichen wirb unb nur ein geringer 
©ebarf für 9luSfußr übrig bleibt. Snimerßin wäre cS irrtßümlicß, 
barauS, baß bie 9(uSfußr unter Umftänben entbeßrlicß werben 
fann, barauf ju fdjlicßcn, baß aueß bie Sinfußr eS werben 
fönne; bielmeßr bleibt eine wadjfcnbc Sinfußr üon NaßrungS* 
mittein unb Noßftoffen ttncittbeßrlicß unb bamit bleibt aueß 
ber 3 1DC iffl befteßen, wie wir unS beim joOpolitifcßcn 9lb* 
feßluß ber bvei erften Weltgroßmädjte bie ©ejugSquellen für 
bie uuentbeßrlicße Sinfußr unb ben Ülbfaßmarft für einen 
Ußcil unferer Snbuftrieprobucte fießern foBen. 

?ln Solonialprobucten werben bie bereits in unferem 
Scfiß befinblid)en Kolonien mit ber 3 e >( boeß feßon eine ganj 
beträdjtlidje Menge liefern fönnen; cbenfo werben fie unferen 
©ebarf an ©ieß, gleifcß unb tßierifeßen ©robucten jum 
guten 'Jßcil beefen fönnen. SS ift nießt auSgefcßloffen, baß 
wir biefen Kolonialbefiß bei giinftiger ©elegenßeit in ebenfo 
frieb(id)er Weife erweitern, wie Wir ißn erlangt ßaben. WaS 
wir auS eigenen Kolonien cinfüßren, fönnen wir aueß mit 
eigenen Snbuftrieprobucten bezahlen; um biefen ©etrag muß 
fid) alfo ber ©ebarf naeß frembftaatlicßen Ütbfaßmärften Der« 
minbetn. Smmerßin ift jujugeben, baß bie Kolonien, bie wir 
befißen unb etwa noeß ju erwerben ßoffeit bürfen, in feiner 
Weife auSrcicßen, um ein gefcßtoffeneS WirtßfdjaftSgebiet ßer* 
fteEen ju fönnen. Namentlich feßlt in ißnen eine auSreicßenbe 
©etreibcerzeugung, unb ba baS europäifeße Nüßlanb, Norb* 
amerifa, Sgppten unb Oftinbien in 10 bis 20 Saßren nießt 
meßr in ber Sage fein werben, erßebtidje ©etreibeüberfcßiiffc 
abzugeben, fo müffen wir unS üot aüen Gingen naeß neuen 
KornbezugSqueBen umfeßen. ©olcße bürften in erfter Neiße 
in ©übamerifa, ber afiatifdjen Jürfei unb ©übfibirien ju 
fudjen fein. SS finb in biefen Weiten Sanbftricßen noeß 
©obenfcßäße z i > heben, bie für ben 3 ultia ^ ber Kultur« 
menfcßßeit auf meßr als ein Saßrßunbert auSreidjen bürften, 
unb auf weiter ßinauS braueßen wir unS woßl nießt ben Kopf 
mit ©orgen z» zerbreeßen. ®ic grage ift nur: wer biefe 
©obenfcßäße ßeben wirb. 

Sn ©übamerifa mifeßt fid) italienifcße, fpanifdße, beutfeße 
unb polnifcße 9luSwanberung auf baS ©untefte; afle biefe 
9(uSwanberer Derlieren nießt wie in Norbamerifa ißre Natio« 
nalität, fonbern bewaßren fie, unb namentlidj bie Stalieucr 
’ unb ©ölen fließen fid) in gefcßloffenen ©ruppen anzufiebeln. 
®ic beutfd)cn Sinfieblcr überwogen bis 1860 bafelbft bie 
©limine ber nicßtbeutfd)en, Derfeßwinben aber feitbem meßr 
unb meßr gegen bie leideren, weil bie beutfeße 9luSwanberung 
in ben lebten Sctßrzeßnten bureß bie giinftige Konjunctur in 
ber Heimatß überhaupt inS ©toden geratßen ift. Wenn aber 
bie ©eDölferungsfpanuung-Weiter junimmt, fo ift aueß wieber 
eine glutß in ber beutfeßen SluSwanberung bei finfenber 
inbuftrieBer Konjunctur zu erwarten, unb eS ift nießt unwaßr» 


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Nr. 1. 


Die Gbegenwart 


3 




fcpeinticp, bap ficf) bann aucp nacp ©übamerifa ein ftärferer 
«Strom ergiept. ©S fie^t faft fo auS, als rooßte ficf) in ©üb» 
amerifa ein neues ©Ijftem Don Nationalftaaten bilben, äpnlicp 
roie in ©uropa, unb eS ift roopl anjunepmen, bap barunter 
aucp beutle ©ebiete niept fehlen werben, unb bap bicfe aucp 
opne jebe ftaatSredjtlicpe gufammengepörigfeit mit beut SNutter» 
tanbe bodj gern engere £>anbelSbejiepungen mit ipm unter» 
palten, werben. 

©ine größere A6gabe beutfcper VolfSbeftanbtpeile nach 
Sübftbirien wäre fepr ju bebauern. ®ie ©efdjicpte ber beutfdjen 
©olonifation in Nuplanb jeigt, bap Nücfroanberung ober 
Untergang fdjlieplicp immer baS ©nbe ift für. biejcnigen, 
welche nicf)t gemißt finb, in bie ruffifcpe Nationalität auf» 
jilgepen. dagegen bietet bie afiatifdje Uiirfci in ber Nidjtung 
t^ep - tyeutfcpeit ©ifenbapnen eine treffliche ©elegenpeit für 
beutfcpe Aderbaucolonien, bie nach Voflenbung beS VapunepeS 
fchmerlich unbenupt bleiben mirb. ©eutfd)lanb hot im 19. Sapr« 
hundert über 5 SNißionen AuSWanberer abgegeben; bemnach 
würbe eS im 20. Saprpunbert über 12 1 /,, SNißionen abgeben 
fönnen, ohne feine Vermehrung auf baS 3 roe > l,n b€inhalbfachc 
ju beeinträchtigen, ©rcijepn SNißionen ©oloniftcn tönnen 
aber fcpon etwas liefern für ben Vebarf beS SNutterlanbeS, 
wenn fie fich auf geeignetem Voben anfiebeln. 

SGBerben aber bie brei erften SBeltgropmäcpte ein folcpeS 
Vorgehen ©eutfcplanbS butben unb feinen Ipaitbel ungeftört 
laffen? 2J?it ben Vereinigten Staaten haben mir faum eine 
Sntereffencoßifion ju fürsten, ©oüten folche in ber ©iibfec 
eintreten, fo metben fie fiel; ebcufo gut frieblicp beilegen laffen, 
wie ber ©treit um ©antoa. Sn ©uropa unb Afrifa haben 
bie Vereinigten ©taaten feine Sntereffen waprjunepmen, in 
Afien befchränfen fich biefelben auf bie Dftfüfte, mo ohnehin 
fchon öier SNäcpte barauf angemiefen finb, fid) mit einander 
ju oertragen. Nur menn 5)cutfcplanb Derfudjcn faßte, in 
Amerifa ftaatSrecptlicp feften gup ju faffen, fönnte fid) barauS 
ein ernftiieher ©onflict mit ben Vereinigten ©taaten ent» 
micfeln. Sm Uebrigcn fönnen mir eher barauf red)ncit, im 
gafl eines ©treiteS mit ©nglanb an ben Vereinigten ©taaten 
einen Nüdpalt als einen ©egner jit finben. 

NuplanbS Sntcreffenfphäre ift auf Dfteuropa unb Norb» 
afien befchränft, bas feinem VetpätigungSbrange ein uuge» 
heureS gelb eröffnet. ©S mürbe au ber ©übfüfte beS feproarjen 
NfeereS, in Armenien unb Verfielt feinen ©oncurrcnten bul» 
ben; aber ben {üblichen Xpeil ÄlcinafienS, ©prien unb SNefo» 
potamien fann cS rupig ber roirtpfcpaftlicpen Ausbeutung 
Anbeter überlaffen, um feine jhäftc oot afljugroper 3er= 
fplitterung ju roahren. ©ofltc cS aber beutfepen SebenS» 
intereffen in ben Sßeg treten auch ba, mo fie bie {einigen 
niept freujen, fo muh eS beffen eingebenf bleiben, baff cS 
einem Sanbangriff beS beutfepen NacpbarS offen liegt unb 
nidjt mie ©nglanb unb Amerifa burep SNeere unb Cceanc 
oon ipm getrennt ift. Se ftärfer 2)eutfcpfanb jur @ee mirb, 
befto mertpoofler mirb feine VunbeSgenoffenfcpaft für Nup« 
lanb gegen ©nglanb unb befto weniger mirb Nuplanb barait 
benfen, ipm ben unentbehrlichen Antpeil an Aderbaucolonien 
ju oerfagen. 

®er einjige ©egner, ben unfere ©olonialauSbepnung unb 
unfer ßolonialpanbel ju fürepten pat, ift fonaep ©nglanb. 
Nun ift aber junäepft bie grage, ob ©nglanb ben ©ntfeplup, 
fiep ben beutfepen ßoncurrenten grünblid) bom £>alfe ju 
jepaffen, reeptj^tig fapt, fo lange fein labiles ©leidjgeroicpt als 
5Beltgropmacpt noep beftept. SBenu eS baS tput, fo biirfen 
mir barauf reepnen, bah int gegebenen gaße bie geittbe unfereS 
©egnerS unfere VunbeSgcnoffen fein werben, unb baS um fo 
fieperer, je gröber bie ©eemaept ift, bie mir aflein fepon gegen 
©nglanb einjufepen paben. ®iefe geinbe ©nglanbS finb Nup« 
lanb unb granfreiep. ©elingt 'c$, bie franjöfifcp»ruffifcp« 
beutfdje SEriegSflotte ber englifepen gleich ju madpen, fo mirb 
©nglanb fiep roopl hüten, biefen ®reibunb perauSjuforbern, 
ba felbft fein ©ieg gur ©ee ben fieperen Verluft SnbienS in 


folcpem gaße niept auSgleicpen fönnte. ©o bürfen mir benn 
auep bie SNipgunft ©nglanbS mit rupigen Vlicfen betrachten, 
menn mir nur fortfapren, unfere Nüftung jur ©ee ju Der« 
ftärfen, roo^u mir ja auf bem beften SBege finb. 

©S bleibt baS Vebenfen beftepen, bah ®eutfcplanb mit 
unjureiepenben eigenen ßolonien unb angemiefen auf bie er« 
gänjenbe 3 u f u P r aus ©iibamerifa unb ber afiatifepen Sürfei 
fiep boep in einer fepr prefären Sage befinben mürbe im 
Vergleich mit ben brei erften SBeltgrohmädjten, beren jebe 
anS eigenem ©olonialbefip ipren ganjen Vebarf ju beefen 
oermag. ©iefer Uebelftanb ift jugugeben; er mup aber pin« 
genommen werben als eine golge ber 3erftücfclung ®eutfcp« 
lanbS, bie eS ju fpät übermunben pat, um bei ber Speilung 
ber ©rbe einen feiner ©röpe entfpredpenben Antpeil ju er» 
langen. Aber mir bürfen barum niept oerjagen. ©epon 
mepren fiep bie Anzeichen, bap ben abgefprengten ©liebem 
beS ehemaligen NeicpeS in ber fcpuplofen ©elbftänbigfeit iprer 
fleinftaatlidjen ©jiftenj bange mirb, unb bap fie fid) mit bem 
©ebanfen einet politifepen unb mirtpfcpaftlicpen Anlepnung 
an bie beutfepe ©ropmaept befepäftigen. 

Nacpbem bie tpöriepte AnnejionSfurcpt ber 70er Sapre 
in £>oßanb gemiepen ift, pat man bort mit ©epreden mapr« 
genommen, wie furjen ^Srocep Amerifa mit ben fpanifepen 
ßolonien gemalt pat, unb mie liebreiep unb milbe ©nglanb 
gegen bie ftammDermanbten ©laubenSgenoffen in ©übafrifa 
Dorgept. SNan roeip ganj genau, bap man bie poflänbifepen 
ßolonien gegen ben räuberifdjen ©riff einer SBeltgropmacpt 
noep Weniger ju fepüpen üermag als ©panien bie feinigen. 
®er ®ortmunb»©mScana(, ber in Sfurjem ju einem Npein* 

| ©mScanal Derooßftänbigt Werben Wirb, unb leicpt für bie 
gröpten gaprjeuge benupbar gemaept werben fann, füprt ben 
|)oßänbcrn oor Augen, mie leicpt ®eutfcplanb feinen Npein» 
ocrfep'r nad) ber @mS ablenfen unb burep 3°öfcpranfen Don 
ber Npeinmünbung abfepneiben fann, womit bann §oflanb 
bie |)auptqueße feines SBoplftanbeS abgegraben Wäre, ©ben 
fo gut roeip man, bap bie Kräfte eines SleinftaateS niept aus» 
reiepen, um fo bebeutenbe ßolonien wie Sana unb bie 
Nacpbarinfeln uoß auSjunüpen, bap eS bafür beS guffuffeö 
oon ßapital unb ArbeitSfräften aus einem gröperen Vor« 
ratpsbepälter bebürfte. Afle jene ©efapren liepen fiep ab« 
roenben unb aße biefe Vortpeile fiep erlangen, Wenn §oßanb 
ein ©cpup» unb Urupbünbnip unb eine 3°öeinigung mit 
3 oflparlament oon ®eutfd)lanb naepfu^te, alfo in ein äpn» 
licpeS Verpättnip jum Neicpe träte, mie bie fübbeutfepett 
©taaten Doitl866—1870 jum Norbbeutfcpen Vunbe. ®eutfcp« 
lanb mirb fid)erlicp Nid)tS tpun, ipm folcpen ©ittf^lup auf» 
Subrängen, fonbern fann abmarten, bis er fiep Don felbft 
burd) bie Sogif ber Spatfadjen in ben köpfen ber fioflänber 
Vapn brid)t. S)ap burep folipcn 3 u fammenfcplup bie ©rop» 
madjtfteßung ®eutfcplanbS ebenfo gewinnen mürbe mie feine 
©eegeltung unb fein coloniales SSirtpfcpaftSgebiet, ift un« 
jmeifelpaft; aber ein fid) felbft genügendes SBirtpfcpaftSgebiet 
mürbe aud) bamit noep nid)t erreicht werben. 

®ie gröpte europäifepe grage beS näcpften SaprpunbertS 
bietet, nacpbem bie europäifepe Uürfei auf ein SNinimum re« 
bucirt ift, Defterreicp bar. ©S giebt VP ailt aften, bie eS für 
®eutfcplanbS Aufgabe palten, Oefterrekp«Ungarn unb baS 
türfifepe Neicp beiber ©rbtpeile mit ben ©cpwerte ju erobern, 
unb baöei Dergeffen, bap eS weit fcpwerer ift, ju erpalten unb 
ju oermalten als ju erobern, unb bap Dom Vöpmerroalb bis 
jum fepmarjen SNeere ju einer mepr als fporabifepen ßolo« 
nifation gegenwärtig gar fein V^ a P mepr ift. ©d)on be« 
fdpeibener ift ber fleine Ueberreft bereinftigen „©ropbeutfepen", 
bie btit AuSfdplup ber $)eutfcpöfterreicper Dom neuen ®eutfcpen 
Neicpe niept uerfepmerjen fönnen unb üerlangen, bap ®eutfcp= 
lanb Defterreicp mit ©eWalt jertrümmern unb bie epemalS 
jum beutfepen Vnnbe gehörigen V r °öinjen erobern foße. 
Sie weifen barauf pin, bap mir opne einen SNittelmeerpafen 
feine geograppifepe VafiS für bie mirtpfd)aftlid)e ©rfcpliepung 


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A 



4 


Die Gegenwart. 


Nr. 1. 


Sleinafieng unb Sprieng fjabcn. ©ie Oerfennen aber, bajj 
e8 eine Sluglieferung ber beutfehen Politif an Nom wäre, 
»nenn ein neuer fathotifdfjer Sunbegftaat in bag Sfteic^ unb 
eine weitere ftarfe ©ruppe fatholifcfjer Slbgeorbneter in ben 
Neidjgtag einzöge. SGSir fjaben an ber jegigen Sentrumg* 
herrfehaft im Neidjötag unb in Papern einen genßgenben 
Porgefcljmacf beffen, wag wir bann p erwarten hätten, ©o 
lange nidjt ®eutfehöfterreich ein paritätifdher ©taat wirb, fo 
lange bie „Sog oon Nom"*Bewegung nicht wenigfteng bie 
größere $älfte feiner Petoohner oon bem Sinflufe ber römi* 
fdjen priefter befreit, fo lange üerbietet ung unfere ©elbft* 
erhaltunggpftidht, $)eutfdföfterreicf) in bie beutfefje 9?etc^SOer* 
faffung alg gleich berecffeigteg ®lieb aufpnehmen, fo lange 
lann immer nur oon einer loferen Perbinbung mit ihr bie 
Nebe fein. 

3u einer folgen bebarf eg aber buregaug nicht noth* 
Wenbig eineg firiegeg. ©dhon Pigmard hatte gewünfeht, bag 
Pünbnifj jwifdhen S)eutfcf|lanb unb Defterreich ber ©anction 
ber Parlamente ju unterbreiten unb womöglich oerfaffungg* 
mäfjig feftjulegen. ®er beutfeh*öfterreichifehe poft» unb 
JelegraphenOerbanb zeigt, bafj eine engere wirthfefjaftliche 
Perbinbung auch °h ne ftaatliche ©erfchmeljung möglich ift. 
SBir fönnen nicht ahnen, Wie rafeh unb big ju welchem 
fünfte bie centrifugalen Senbenjen in Defterreid) führen 
Werben, wann ber ©uatigmug in Sßerfonalunion unb biefe in 
©ecunbogenitur ober in Spaltung ber ®pnaftie umfchlagen 
wirb, ob nicht ein Pürgerfrieg unter ben Nationalitäten fehon 
halb nach bem Jobe beg jegigen Äaiferg augbrechen wirb, 
unb welche neuen Pilbungen aug einem foldjen heröorgehen 
mögen. SEBir fötjnen nur wünfehen, bafj eine öfterreic^ifcfje 
Sataftrophe, falls fie unabWenbbar ift, nid)t fo halb eintreten 
möge, bamit wir big bahin noch mehr ßeit unb Nithe haben, 
unfere Äraft ju fammeln unb ung in bie Neichgüerfaffung 
einzuleben. 

®g fann ja fein, bafj bie ehemalg pm ©eutfdjen Punbe 
gehörigen weftlichen $h e ‘f e Defterreidjg fich in friedlicher Slug» 
einanberfegung Oon ben öfttidjen trennen unb bann eine 
engere ftaatgrechtliche Perbinbung mit bem®eutfef)en SReiche nach* 
fud)en; eg fann aber auch fein, bafe biefe $h e ü e fich nad) beenbetem 
Pürgetfriege alg felbftänbigeg ©taatgwefen conftituiren unb 
Stnfehlufj bei ung fuchen. gür folche gäHe fönnen wir ung 
nicht oerfagen, muffen oietmehr bereit fein, einen etwaigen 
Pranb im Nachbarhaufe rafcher löfchen p Reifen. 2)urd) 
ein oerfaffunggmäfjigeg Schuh* unb Jrugbünbnifj mit ®eutfcf)= 
öfterreidh, burch Sintritt beffelben in ben beutfehen ßoQoerein 
unb burd) eine SNilitär» unb 3Jiarine»Sonoention würben wir 
für ben §anbel mit bem Dftufer beg SNittelmeerg biefelben 
Portheile erlangen Wie burd) OöIIige Sinoerleibung; bagegen 
Würben wir allen ben ©chwierigfeiten entgehen, bie mit ber 
festeren oerfnüpft wären. Sin freunbfehaftlicheg Punbegoer* 
hältnife mit Ungarn würbe um fo fixerer fortbeftehen, je 
grünblicher bie Sinflfiffe ber weftlichen Nei^ghälfte auf Un* 
garn befeitigt wären. 

®afj 2)eutfehlanb in engerer ftaatgre^tli^er 3ufammen* 
gehörigfeit mit Jpollanb unb ®eutfchöfterreid) erft red)t eine 
©rojjmadjt barfteUen Würbe, bürfte in ben Nacffearftaaten 
fo Wenig bezweifelt werben, bafj bie Neigung energifd) fjeroor* 
treten Wirb, eine folche bebenflidje SNacljterweiterung p Oer* 
hinbern. £)b biefer SBunfdj aber fich in friegerifche Jhoten 
umfegt, bag wirb hoch noch fehr baoon abhängen, welche 
militärifehe ©tärfe ®eutfdf)lanb in jenem ßeitpunft im 23er* 
Ijältnifj ju bet feiner Nachbarn aufpweifen haben wirb. ®ag 
Königreich preufjen hot big jegt Perioben oon einigen fünfzig 
Sahten für fein Singreifen in bie ©efdjidjte innegehalten: 
1704, 1756, 1813, 1866. 3 toe i fnappe SNenfdjenalter haben 
ftetg genügt p einer Polfgoermehrung unb Äraftanfammlung, 
bie eg neuen, größeren Aufgaben gegenüber leiftunggfähig 
machte. Stwa um bag 3ai)t 1920 würbe biefe Periobe 
Wicberum p Snbe fein. ®eutfd)tanb wirb bann etwa bie 


hoppelte Sinwohnerpfd hoben wie 1870 bei Peginn beg 
franjöfifchen Ätiegeg unb fein SBoljtftanb wirb in noch 
rafeherer progreffion gemachten fein. Sg bürfte bann wohl 
in ber Sage fein, etwaige Sinfprüdje ber Nachbarn gegen bag 
©elbftbeftimmunggrecht ber beutfehen Stämme mit Nachbrwcf 
pritefpweifen. 2)efjholb bürfen wir aber auch feinegfaHS 
über bem Slugbau ber Srieggftotte bie Pflege beg Sanbljeerg 
unb feinen gortfdjritt nach HRaafjgabe ber Polfgoermehrung 
aug ben Slugen oerlieren. 

Solche Pünbniffe unb Singlieberungen ber 3ufunft mögen 
geeignet fein, auch folche ©emüther ju beruhigen, bie an ein 
fortoauernbeg Slnwachfen ber 58eoölferungggiffer im nächften 
Sahrtjunbert nicht p glauben wagen; fie werben aber faum 
augreidjen, bie ©eforgniffe p jerftreuen, bah ®eutfchlanbg 
Solonialgebiet auch bann noch nidht augreidhenb fein würbe, 
um ein fich felbfe genügenbeg, gefd)loffeneg SGBirthfchaftggebiet 
barfteUen p fönnen. ®iefe Slufgabe fann in ber 5£h Q t nur 
burch «inen mitteleuropäifd)en 3oHöerein gelöft werben, ber 
aüfjer S)eutfchlanb unb ^jotlanb auch Sranfreich unb ©elgien 
mit ihren Sotonien umfaffen müfete.*) Se mehr fich bie brei 
erften SBeltgrofcmächte in ihrem aEßirthfdhaftggebiet abfchliefeen, 
befto bringenber wirb ber hanbelgpoiitifche 3 u fammenfehfufj 
ber oier continentalen Norbfeeftaaten im Sntereffe ihrer ©elbft* 
erhaltung. ®er 3 u fl ber 3eit geht nun einmal auf 93e= 
feitigung ber fleinli^en 3°ilf c h ra nfen p ©unften grofjer 
3ollgebiete; ber reactionäre SBiberftanb ber particulariftifdjen 
Sntereffen Wirb fich hier ebenfo Oot ber Sogif ber hatfachen 
beugen müffen, wie in Sepg auf bie politif^e Slgglomeration 
unb bag Wa^fenbe Uebergewicht ber grojjen Perfehrgfprachen 
über bie fleinen Nationalfprachen. granfreich, SBelgieit, ^»oQanb, 
®eutfchlanb, ®eutfdhöfterrreidh unb bie ©dhweij fteljen fich in 
wirthfchaftlicher §inficf)t fo nahe, bafj fie feinen oemünftigen 
wirtschaftlichen ©runb mehr haben, ihre ©renjen burch 3ö^ c 
gegen einanber abpfperren. Sn finanzieller §inficht aber 
würben fie allen Siebenten pm Srofc butdj Pertheilung ber 
gemeinfamen 3 0 H üere ' nge * nna h nie n nicht oerlieren, fonbern 
gewinnen, gerabe fo wie bie beutfehen SHeinftaaten ber einft 
burdh Slnfehlufj an ben pteufeifchen 3oßoerein gewonnen haben. 
Sin folcher mitteleuropäifSer 3olli>erein wäre zugleich bie 
befte Porbereitung auf eine 3 c it, wo ein bebenflicheg lieber» 
gewicht Nufclanbg bie ©elbftänbigfeit ber europäifchen Staaten 
in ©efaljt bringen fönnte, wenn fie nicht burdh Sinigfeit er* 
fegen, wag ihnen an natürlichen HRachtgrunblagen fehlt. ®er 
3oHoerein wäre zugleich ber fjriebengbunb, ber ben euro» 
päifchen Sulturoölfern bie Pürgfehaft gewährte, ihren grofjen 
Slufgaben in frieblichem SBettbewerb ungeftört burch Äriegg* 
gefahren nachgehen zu fönnen. 


WeltansfieUtmg unb Jubeljahr. 

S8on HTarcus £anbau. 

®ag erfte Saht beg zwanzigften Sahthunbertg — ich 
rechne nämlid) bag neue Sahrhunbert oon bem ‘Jage an, ba 
bie 3iffe r Sicht iu ber Sahregzahl ber Neun plag macht — 
bag erfte Saht hot, wie Sanug, zwei ©efichter: eg zeigt mit 
ber SBeltaugfteDung in parig unb ben bort erfcheinenben 
mobernften Srfinbungen nach ber 3 u funft, währenb bag 
Subiläum in Nom in bie fernfte, Sahrtaufenbe zählenbe Per* 
gangenheit zurüefweift. Sch betone „SBelt" bei SlugfteHung, 
ben beftimmten Slrtifel bei Subiläum. Nachbem wir fo Oiele 
prioate unb locale Subitäen, Subitäen oon Pfarrern unb 
©dja ufpielern, oon profefforen unb Slmtgbienern, Such* 


*) SSflt. ntetn 53ud): „gwei Qafirpjiite beitif(f)er tgotteif unb bie 
gegenroäinge SSeltlage", @. 133—135, 400 - 401. 


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Nr. 1. 


Die (Gegenwart. 


5 


mauern unb ©udjßattern, Oon Äretßi unb Sßtetßi, oon ber 
©rünbung ÄräßroinfctS unb bet ©infüßrung bet ©aöbeleudj* 
tung in ©cßilbburg jc. gefeiert haben, füllen wir unS wirtlich 
gehoben, baS Subiläum kat exochen mitjuerleben ©ö ift 
baS Jubiläum, auf beffen Saturn mit nicht etft burd) ge« 
fällige geitungäcorrefponbenten, flute greunbe beS SflmtSüor« 
ftanbeS X. ober beS ©rofefforS 9). aufmerffam gemalt gu 
werben brauchen. Unb eS ift audj baS einzige Subiläum, 
baS ben geiernben meßr ©ortßeil bringt als bem ©efeierten. 

Slber baS ©räbifat Wett gebüßrt nic^t bem römifcßen 
Subiläum, fonbern ber fßarifer Stuäfteflung. Ser ©apft 
füßlt fid) nur als Oberhaupt aller ©ßriften, unb im Subei« 
faßr ruft er nur bie Äätßolifen ju ben ©räbern ber 9Ipoftel« 
fürften, nur ißnen öffnet bie römifche Äircße it)re ©naben« 
fcßäße. Sie „Exposition universelle de 1900“ toenbet fiel) 
a 6 er an bie gange Welt. ©aftlid) öffnet fie bie Sßore ißrer 
Sßaläfte ben Reiben unb Seßern, ben SRoßammebanern unb 
©ubbßiften, ben ©treßrern beS ©onfuciuS unb ©raßma fo 
gut wie ben frömmften ©Triften unb Suben. Unb baju 
öeranftaltet fie nocß einen internationalen ©ongreß für 
SletigionSgefcßichte, in bem bie ^Religionen beS alten ©gtjpten, 
©ffßrienö unb ©ßatbäaS fo gut ißre befonbere ©ection haben. 
Wie baS Gßriftentßum. ©djeiterßaufenwürbiger ©pnfretiS* 
muS! Sn 3iom wirb fo etwas nicht paffiren, wenn ficb 
nidjt ein paar ©erwegene finben, um am 16. gebruar ben 
breibunbertften SaßreStag ber ©erbrennung ©iorbano ©runo’S 
gu feiern. ©ariS baut Sticfengebäube für feine Stuöfteüung, 
Slom bat für fein Subeljabr feit Saßrßunberten bie ©eterS« 
ftreße fertig, ©S braucht nur bie feit 75 Sohren oermauerte 
Porta santa geöffnet ju werben, fobalb ber ©apft mit feinem 
golbenen Jammer baran fchlägt. 

©iet ju [eben unb ju bewunbern ift in ©ariS unb in 
Slom. Sie Ville lumiere beut willig all ihre Schäle bar, 
labet bie gremben gu ihrer ©efießtigung ein. ©ine Sidjtftabt 
nennt aud) ©apft Seo XIII. in feiner baS Subiläum oet« 
fünbenben ©utte „Properante ad exitum saeculo“, bie ewige 
©tobt, wo „baS Sicht ber biwmtifcben Sehre, heilig unb un« 
berieft, gehütet wirb unb oon wo eS, wie auS feiner oor« 
nebmften Duelle weithin über alle Sanbe ficb Verbreiten foH". 
3lber er ermahnt bie jum Subiläum Äommenben, baS für 
biefe ßeit nicht paffenbe ©efeßauen gerftreuenber unb weit« 
lieber Singe auf baS Sleußerfte ju bekrönten ober gang ju 
unterlaffen. Stießt bie herrlichen Slefte antifer ftunft, nid)t 
bie Senfmäler ber Saiferftabt follen fie auffudjen — nur 
bie oier ©afitifen ber heiligen ©etruS unb ©autuS, @t. So« 
ßanneS im Sateran unb ©t. SRaria SRaggiore, füllen fie an 
gehn Sagen minbeftenS ein SRal täglich mit Slnbac^t befuchen 
unb bafelbft für bie ©rböbung ber Äirdje, StuSrottung ber 
Srrlehren, für bie ©intracht unter ben fatbolifcben gürften 
(alfo nicht für ben grieben gwifdjen ©nglanb unb ben Suren) 
unb für baS Woßl beö cbriftlidjen Sollet beten. 51 ber, 
woßtgemerft, „wer oom römifdjen ©lauben abweicht, ber 
trennt fich oon GßriftuS felbft", helfet eS in ber ©title. 
Stußerbem bebarf eS noch für „alle ©ßriftengläubigen beiberlei 
©efdjlecßtS" ber wahrhaften Sieue unb beS ©mpfangeS ber 
heiligen ©aframente ber ©uße unb beS Slltarö, um ben „Ooll« 
fommenen Slbtafe aller ©iinbenftrafen, ©ergebung itnb ©er« 
geißung" 51 t erlangen. Sa bieS für baö ganje Sahr oon 
äBeihnadjten 1899 bi§ Weihnachten 1900 gilt, fo fann Seber« 
mann etwa biö jum itächften fRoüember in aller ^erjenöruhe 
fünbigen unb mit jiemlicher ©icherheit barauf rechnen, burch 
eine Meine fRomfahrt fid) oollftänbig reinjuwafchen. 

Sitliger alö nach SRom wirb wohl eine Steife nad) ißariö 
nicht ju ftehen lommen, unb bei ber SluöfteQung mu§ man 
noch aufeerbem ©intrittögelb bejahten. 3 U Ifrnen wirb freilich 
in ißariö oiel mehr fein alö in fRom, befonberö wenn man 
fich an Oom ißapfte Oorgefthriebene ©efd)ränfung hält, 
©agte bod) Oon bet ^>auptftabt granfreidjö fd^ort oor gwei« 
hunbert Saljren bie Sanbgräfin ©lifabeth Sorothca oon 


Reffen: „e§ fei fein Ort in ber Welt, ba Sugenb unb Saftet 
in größerer Sßcrfection ju finben, unb ba einer, oon wejj 
©onbition er auch fei, mehr profitiren fönne." Unb hoch 
fühlt fich ber Seutfdje unb ber ©nglänber bort frember alö 
in bem, befonberö in früheren 3 e iten, recht finfteren fRom. 
Se^t wirb bem frommen ißilger bort noch ©rbauung unb 
reichliches ©eelenheil geboten. Wirb eS ba nidjt ber Wett« 
ftabt an ber ©eine ben Slang ablaufen, bie größere, wenn 
nicht bie reichere SRenge ber gremben an fich reißen? @3 
jießt ja ben Slorblänbet feit Sal)ttaufenben nach Statten, 
nach Sfom: feit ben Sagen, ba bie Simbern mit Weib unb 
Äinb über bie 5ltpen jogen, burch baS gange ÜRittefafter hin« 
burch, — bis gu ben mobernen ^odjgeitreifenben, bie mit 
ihrem breißigtägigen Slunbreifebillet Slom in acht ober gar 
in fünf Sagen „abmaeßen". 

©0 neigt fid) in pecuniärer ©ejietjung anf^einenb bie 
Wagfdjale gu ©unften fRomS, Wenn wir nur bie Sleifefoften 
in ©etradit giehen, unb in ber SubiläümSbuUe ift ja oon 
fonftigen Soften nicht bie Siebe. 91 ber ber ißapft begießt fidß 
barin auf baS ©eifpiel feiner ©orgänger, unb für bie meiften 
berfetöen waren ja bie Subiläen ßuuptfächttch SRittel, ißre 
Weltßerrfchaft gu ftärfen, ihre unb ber Slömer ©infünfte gu 
Oermehren. Unb ebenfo finb bie §ebung ber Weltftellung 
beS eigenen SanbeS, baS oiete ©elb, baS bie gremben in’S 
Sattb bringen unb. Wie jeßt in granfteieß, innerpolitifcße 
©erhältniffe bie §auptmotioe gur ©eranftattung oon Welt« 
auSftellungen. „^ebung oon Snbuftrie unb Sunft" ßeißt eS 
freilich in bem einen, „bie Heilmittel ber Sircße gegen bie 
Sranfßeiten ber ©eele anguwenben" in bem anberen ©rogramm. 

Sie WeltauSftellungen finb noch feßr jung, bie erfte 
fanb 1851 in Sonbon ftatt, unb mit biefer begannen eigentlich 
erft bie ÜRebenjwede fid) ßeroorjubrängen. Sie früheren par« 
tieUen SluSftellungen ßatten rein nur bie Hebung Oon Sn* 
buftrie ober Äunft jum 3>oed. Unb eS ift bie teßtere, welcße 
überhaupt ben 9lnftoß gu ben SluSftellungen gegeben ßat. 
Statienifdje SRaler ßaben einjelne ©emälbe feßon im fecß« 
geßnten Saßrßunbert auSgefteüt, bie erfte SunftauSftellung 
würbe 1673 in ißaris, bie erfte SnbuftrieauSftellung erft 
1756 in Sonbon öeranftaltet. ©tets aber war eS bie Sluf* 
gäbe ber SluSftettungen, baS Sleuefte, baS SRobcrnfte gur Sin« 
frißauung gu bringen. Sie fogenannten retrofpectioen unb 
ßiftorifeßen 5luSfteCungen finb eine ßöcßft moberne ©rfinbung. 

Sem gegenüber ßaben bie römifeßen lircßlicßen Subiläen 
feßon baS refpectable Stlter Oon fecßsßunbert Saßren erreießt 
unb finb, obwoßl man eS Hießt gern eingefteßt, nur bie gort* 
felgung einer oiel älteren Snftitution. Sn ber Sßat reicht 
ihre Würget tief in baS antif ßeibnifdje Slom ßinein, unb 
nur ben Slamen ßaben fie oon bem altjübifdjen Sobeljaßr 
ober HuHjaßr, wie eS in ber ©ibetüberfeßung Sutßer’S ßeißt. 
©S giebt feinen größeren ©egenfaß, als ben jwifdjen bem 
päpftlicßen Subeljaßr unb bem bibtifdßen ©rlaßjaßt mit feiner 
agrarfocialen Senbenj; nießts ift bem päpftlicßen Subeljaßr 
ähnlicher, als bie ©äcularfeier im ßeibnifeßen Slom. Unb 
Wäßrenb bie weltlichen 5tu3ftetlungen mit ber 3 e 't fort« 
feßritten, ift baS Subiläum feinem urfprünglicßen ©ßarafter 
treu geblieben. Wie fo maneßer ßeibnifeße Sempel SlomS 
gur gfirdje umgeWanbelt, fo mancßeS päpfttidje ©ebäube aus 
©teinen antifer ©anwerfe errießtet würbe, fo erfeßeint baS 
„große Subiläum", baS „heilige Saßt" als mittelalterlicher 
©au auS antifen Werfftücfen in unferer ©egenwart, gleich« 
geitig mit ber allermobernftcn 5IuSfteHung an ber ©cßwelle 
beS neuen SaßrßunbertS. 

Sie auS Subäa gefommenc Sleligion ift erft gur weit* 
beßerrfeßenben Sleligion geworben, als ber römifeße Smperator 
fieß gu ißr befannte unb ber ©ifcßof oon Slom baS ©rbe 
ber ©äfaren antrat. Sanfbar ßat bie Sircße bafür ftets bie 
©röße unb baS Wettrecßt SlomS anerfannt, bie ©tabt beS 
SlomuluS als gur H au Ptftabt beS ©ßriftentßumS präbeftinirt 
erflärt. „Hier ßat ©ßriftuS ben ©iß feines SleidjeS errießtet, 


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6 


Die tötgtnwart. 


Nr. 1. 


feier fod nacfe feiner 9lnorbnung ber Kferon feines Sted« 
üertreterS für alle 3 e * ten ftefjen, hier fall, fo feat er gewodt, 
baS Sicfet ber feintmlifcfeen Sefere feeilig unb unüerlefet gehütet 
Werben," Reifet eS in ber SubiläumSbude Papft Seo’S XIII. 
Kie Zfircfee betrachtete freilich baS t>eibrtifd^e römifefee SReicf) 
als bloß irbifche Hpacfet, als dRittel, um bie 2luSbreitung 
beS KferiftentfeumS ju bcförbern, aber bie (Römer, fo fef»r fie 
and) ihre ^crrfcfeaft auf URacfet unb Kroberung grünbeten 
— Tu regere imperio populus, Romane memento — 
Wollten aud) auf bie tperrfdjaft über bie ©eifter nicht oer« 
jichten. @ie oerlangten, bafe bie Unterworfenen ihre oer« 
götterten $aifcr anbeten foHten unb nahmen bie fremben 
©öfter tit ihren Kienft. „Dignus Roma locus, quo Deus 
omnis eat“ fang Doib unb „bie ©öfter fjabett ftetS bie 
Sieben tpügel geliebt" §oraj. (Rom muffe ftetS bie gröfete 
unb mäcfetigfte, oon ben ©öttern geliebtefte Stabt fein unb 
alle ©öltet ihr bienen unb Tribut zafeleit. Selbft in ben 
3eiten beS Verfalls unb ber dRacfetlofigfeit hat fie auf ihre 
2 lnfprücfee nicht üer$icf)tet, unb noch iw achten Saferfeunbert 
wieberholtc man bie Prophezeiung: „Solange baS Koloffeunt 
fteht, Wirb (Rom ftehen, wenn baS Koloffeum einftiirzt, fällt 
(Rom, unb wenn (Rom fällt, geht bie 2Belt ju ©runbe." 

So erfcheint in allen Scjiefjungen baS päpftlidjc (Rom 
als Krbe unb gortfefeer beS feeibnifdjen faiferlichen. Kie 
^errfefeaft über Sanb unb Seutc entwifchte ihm manchmal, 
aber nicht bie über bie ©eifter unb bie Seutel. „(Rom hat 
nie Oon ber Arbeit, fonbern ftetS oon (Raub, 2llmofen unb 
Sporteln gelebt," fagte ber italienifcfee ©eiehrte Settembrini, 
unb am Knbe beS üorigen Saferfeunberts berechnete ein beut« 
fefeer publicift, bafj oon Keutfcfelanb allein oon 1500—1789 
für Konfirmationen, KiSpenfationen, paHien, Slnnaten, 3n« 
bulgenjen u. bergf. 120 üRillionen ©ulben nad) (Rom ge« 
gangen feien. Sn biefer (Rechnung fehlen bie Pilgerfahrten, 
bie fchon im frühen URittelalter begonnen hatten unb oiel 
©elb nach 9lom brachten. KS war eine Steuer, bie baS 
d)riftlid)e Kuropa fich willig auferlegtc, benn eS war bod) 
etwas fehr ©equemeS, fich burch eine (Romreife, ©ebet in ben 
römifchen Äirdjen, an ben ©räbern ber 9lpoftel unb ©elb» 
fpenben oon allen Sünben z u reinigen. 91 ber im zwölften 
unb breizefenten Saferfeunbert hatten bie&reuzzüge bieSchaaren 
ber Pilger oon (Rom abgeleitet, währeitb wieber ber ©erfefer 
mit ben äRofeammebanern im Orient, bie oollftänbigc 2oS» 
löfung beS bhzantinifchen (ReidjeS oon (Rom unb bie in SBeft» 
europa fich auSbreitenben feßerifdjen Selten, fowohl baS 
SRacfetgebict ber Kurie über bie ©eifter einfcfjränften, als 
ihre Kiitfiinfte oermiuberten. 

_ 9Rit bem Jade oon 9fcre, beS lefeten Sollwerts ber 
Khriften in paläftina (1291), war auch ein Koncurrent 
(RomS gefallen. Kie Pilgerzüge tonnten wieber nad) (Rom 
geleitet, bie £>errfd)aft über bie ©eifter wieber geftärft werben. 
©cibeS tonnte burd) eine neue großartige ©eranftaltung, burd) 
ein Scfeaufpicl, wie eS nur (Rom zu infeeniren wufete, erreidjt 
werben. 3Ber weife, wenn man fefeon bamals oon 2tuS« 
ftellungcn gewufet hätte, man würbe oicUeicfet eine foldje üer» 
anftaltet, baS Koloffeum jum 2 (uSfteUuiig 5 pa(aft gemacht 
haben. Unb in ber Kfeat würbe aud) oor feefesifeunbert 
Saferen ausgeftellt, wie wir halb fefeeu werben. 9lber bie 
römifefee ft'ircfee ift eine geiitbin üon Steuerungen; felbft wenn 
fie etwas ganz SRoieS cinfüfert, beruft fie fid) gern auf eine 
alte SOrabition, eine alte Sitte. (Run war ja freilich baS 
SBadfaferen nach (Rom etwas 9!lteS, aber eS ging langfam 
unb unregelmäfeig, bie ©oben floffen feit einiget 3 eit fpäriid). 
KaS füfelte bie Kurie unb oiellcidjt noefe mefer füfelten eS 
bie (Römer. 3Bie arm war jefet bie Oon ben 5efeben ber 
grofeen 2lbelSfamilien zerrüttete Stabt, im Vergleich mit bem 
gewerbfleifeigen glorettz, mit beit grofeen Seeftäbten ©enua 
unb ©enebig. 2lber arbeiten, fiefe müfeen unb plagen, baS 
mar nicht nach bem ©efefemaef ber Quiriten, oor fecfeS Safer« 
fennberten ebenfowenig als oor zwanzig. Segionen unb pro» 


confulen auSfenbeu, um ©öltet ju unterwerfen unb Tribut 
511 erfeeben, tonnte man auch nicht. 

21 ber man hatte bie Krabition, bie feeibnifdje unb bie 
djriftlicfee: bie incfer als ein fealbeS Safertaufenb alten Pilger« 
faferten unb bie angeblich in ben erften 3dt en ber (Republit 
entftanbenen, oon 2luguftuS im S- 17 0 . Kfer. erneuerten 
Ludi saeculares. Sie waren julcfet im Safere 1000 ber 
Krbauuug ber Stabt oon bem, wie man glaubt, fefeon cferift« 
licfeen Zlaifcr Pfeilipp mit adern feeibnifefeen KeremonieU ge« 
feiert worben. Kine bunflc Sunbe baoon mag fiefe roofel 
burd) baS ganze URittelalter erfealten feaben, unb wie (Rien 3 i 
ein fealbeS Saferfeunbert fpäter feine (Reform an bie Krabition 
ber römifefeen (Republit anfnüpfte, fo mag audfe Papft SBoni« 
faciuS VIII. im Safere 1300, als er zum erften 3Rale baS 
9lb(afejafer oon Sßeifen achten 1299 bis bafein 1300 oerfünbete, 
an bie Ludi saeculares gebaefet feaben. Sn feiner barauf 
beziiglidjeu ©ude ooin 22. fjebruar 1300 fagte er freilich 
nid)ts baoon; aber and) nichts 00 m jübifefeen Krlafejafer, wie 
beim aud) ber Scame Subiläum erft fünfzig Safere fpäter 
auftaud)te, als bie 3 ro ifd)enzeit oon einem Krlafejafer zum 
anberen oon feunbert auf fünfzig Safere rebucirt würbe. 

2 )er gelefertc fromme Senebictiner Xofti, ber ©iograpfe 
SonifaciuS VIII., lobt ifen fefer ob biefer zur Hebung ber 
finfenben 2J?acfet beS papfttfeumS eingefüferten „frommen 
unb großartigen Snftitution, beren (Rufern biefem Papfte 
allein gebüfere", ba feine $unbc eines früheren SubiläumS 
ejeiftire unb fie bie oornefemfte Stfeat feiner (Regierung fei. 
Kin 3 e ' t 9 eno lf e < Karbinal StefaneScfei, berichtet aber, eS 
habe fid) zu Knbe beS Saferes 1299 tn (Rom baS ©erficht 
ucvbreitet, bafe ade feunbert Safere ein Oodfommener 91 blaß 
burd) ©efuefe ber PeterStircfee zu erlangen fei unb befefealb 
habe aud) zu (Reujafer 1300 ein ungeheurer 3 l, brang zur 
ftirefee begonnen. KS fanb fiefe auefe ein ©reis oon 107 
Saferen, ber angab, im Safere 1200 mit feinem ©ater nah 
(Rom gefommen zu fein, um ber Snbulgenz tfeeitfeaftig zu 
werben, 1111 b äfenlicfee ©reife mit gutem ©ebäd)titife foden ftefe 
and) in granfreid) gefunben feaben. (Run nafem fiefe auefe 
ber Papft ber Sacfec an unb erliefe nach ©eratfeung mit ben 
Karbinäleit bie bereits erwäfente ©ude. 

Tue feeibnifdje römifefee Säcularfeier fanb niefet regel« 
mäfeig ade feunbert Safere ftatt, fonbern halb nad) 110 ober 
119, ja in ben fpätcrcit 3 e i tct R fdjoit nah 40 ober 50 Saferen. 
?lufangS war cS ©rauh, wenn man bie ©eneration, Welche 
an einer foldjen J-eier tfeeilgenommen featte, fh°n auSgeftorben 
glaubte, bie fibtjdinifhen ©üher zu (Ratfee zu Z' c l en unb 
barnad) ben lermin für bie nädjfte 3 e * et Z u beftimmen. 
Kann zogen bie 9IuSrufer burh ganz Stalien, um mit ber 
formet Convenite ad ludos spectandos, quos nec spectavit 
quisquam nec spectaturus est, bie übrigens, Wenn bie freier 
frijon nah vierzig Saferen wieberfeolt würbe, etwas läherlih 
flong, nad) (Rom eiitjulabeit. Ker Papft z°9 flott ber 
Sibfeden bie Karbinäle zu (Ratfec, unb weit beffer als bie 
2luSrufcr biente ifem bie ©eiftlidjfcit. Sn jeber Pfarre wurbe 
bie ©ulle oerfiinbet, unb beffere (Reclame als 3 c ttungSartifel 
nnb piatate für bie 9luSftedungcn tonnten bie in ader (Belt 
fecrumzicfeenbeit ©cttelmöncfee für baS Subiläum mähen. 

Säcularfeier unb Subiläum featten ifer feftftefeenbeS, im 
Saufe ber Saferfeunberte nur wenig geänberteS Programm. 
Kic Reiben fannten feinen 9lbtafe, ifere geier war Kant für 
(Bofelftanb beS Staats, ©itte um 2lbwefer Oon Unglüd 
unb ferneres SBofefwoden ber ©öttcr für ©olf unb Staat: 
„Alme sol“, feeifet eS in ^orazenS prahtoodem Carmen 
saeculare, „possis nihil urbe Roma Visere majus.“ Unb 
2lpodo wirb befonberS gebeten, (Rom unb Satium immer 
mefer zu beglüden. 3 l, erft waren bie unterirbifefeen ©öfter, 
fpäter 2lpodo unb Kiana bie oorzüglihften protectoren 
ber Säcularfeier unb ifenen wurbe am meiften gefeulbigt. 
2 lber man oergafe babei auh niht ber anberen ©ötter. Sn 
ähnlicher SBeiJe ftedte ©onifaciuS VIII. juerft nur ben ©efuefe 


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Nr. 1. 


Die föegentoan. 


i 


ber ^ßcterS* unb ber )ßaulsfird)c an breifeig 'Engen für Siömer, 
an ffinfgefen für grembe gur Sebingung beS AblaffeS. ©bötet 
tarnen nof bie Sateranfirfe unb Santa ÜJfarta SJfaggiore 
bagu. Auf feob ber )ßapft in feinet 8uüe feeroor, bafe 
häufigerer Sefuf (alfo längerer Aufenthalt in Siom) baS 
Serbienft ber tilget oergröfeere unb ben Ablag itod) mirf* 
famer mache, dagegen tonnte Manchem felbft ber fleifeigfte 
Stirfenbefuf nicht Ijelfen. Sou ber SSofeltfeat beS ©naben* 
jafereS feat Sßapft SonifaciuS ben König griebrif non Sici* 
lien, bie gamilie ©otonna unb ihre Anhänger, alle, bie mit 
©aracenen ftanbel treiben, fomie feine unb ber Kirf e geinbe 
gänzlich auSgeff (offen. 

SBie jebe moberne Aufteilung, fo hatte auch baS Subi* 
läum toom Safere 1300 feinen „©lou". @8 mar baS fogc* 
nannte ©fmcifetuf ber heiligen Seronifa, baS ben pilgern 
in ber SßeterSfircfje gegeigt mürbe. Sei fpäteren Subiläen 
mürbe eS nur jeben Sonntag, bie Häupter ber Apoftel jeben 
Samftag, alle anberen Reliquien täglif auSgeftellt. 

So mar alfo baS Subiläum auch mit einer Aufteilung 
öerbunben, unb eS ift fein SBunber, bafe eS glängenberen ©r* 
folg hotte, al§ alle unfere mobernen Aufteilungen. 'Ser ßu* 
brang oon gremben nach 9iont war ffon im Safere 1300 
ein ungeheurer unb mürbe noch bei manchen ber fpäteren 
Subiläen übertroffen. ®ie 3 a fel ber Pilger foll beim elften 
Subiläum ftf auf gmei ÜJiillionen belaufen hoben, unb ber 
©feronift Sitlani maft bie faum glaublkfee Angabe, bafe 
gu SBefnaften 1349/50 fid) gmiff en einer 5D(illion unb 
1 200 000 grembe in SRom befanbeit. Sei folchem Aubrange 
unb ba auf ©reife unb Kittber fid) unter ben pilgern bc= 
fanben, ift eg, begreiflich, bafe UnglüdSfäHe faft bei jebem 
Jubiläum oortamen. SonifaciuS VIII. hotte Setanlaffung 
getroffen, bafe auf ber ©ngelSbriide bie nad) ber Sch¬ 
ürfe 3iefeenben refts, bie ßurütffehrenben auf bet anberen 
©eite gehen füllten. ©ieS ffeint bie eingige 3Jiafercgel gur 
Erhaltung einiger Orbnung gemefen gu fein, unb fie mufe 
bamalg als eine gang neue ©rfinbung gegolten hoben, ba 
©ante fie in feiner ©öttlifen Komöbie (f)öHe, ©efattg 18) 
beff reibt, ©rofebem mürben mieberholt SWänner unb grauen 
tm ©ebränge gertreten, unb ber ©feronift Sentura oon Afti 
ergäbt, er felbft fei mehrmals in großer ©efahr, erbrüdt gu 
merben, gemefen. SefonberS arg mar eS in ber Kirfe bei 
AuSftellung bes „Sf meifetucfeeS", mo faft jebeSmal einige 
SJienffen erbrüdt mürben, ©inmal (am 19. ©ccember 1450) 
hatte ber Sßapft eine Segenfpenbung in ber SeterSlirfe an= 
getünbigt unb bann mieber abfagen laffeit. ©ieS üerurfad)te 
gmiff en ben §in* unb 3urüdgel)cnben auf ber ©ngelSbriide eine 
folcfee Sermirrung, bafe bei gmeifeunbert SJienff en baS ßeben 
oetloren, feilS erbrüdt, theils in ben ©iber geftürgt mürben, 
©iefem ungeheueren grembenguflufe entfpraf baS finatt* 
gieße ©rgebnife ber Subiläen. ^eutgutage finb bie Seran* 
ftatter oon AuSfteHungen froh, ®enu fie ohne ©eficit burf= 
tommen, für ben )ßapft unb bie Siömer ging in einem ©r* 
lafejahre ein mahrer ©olbregen nieber. @§ mar gmar oon 
ben pilgern fein ©intrittSgelb mie bei AuSftellungen gn gahlen 
unb auf fein bestimmtes Dpfer mar oorgeffrieben, aber eS 
galt als felbftoerftänblif, bafe Seber etmaS fpenben merbe, 
unb fo geffah eS auf. ©ag unb Siaf t ftanben gmei ©eift= 
life mit Siefen an ben Altären, eingig unb allein bamit 
beffäftigt, baS bargebrafte ©elb gufammenguffarren. Unb 
obmoht ©arbinal StefaneSf i flagte, bafe nur Atme fpenbeten, 
mährenb bie Könige bem £errn feine ©aben mehr braf ten, 
fo fam bof, mie ein (SEjronift beriftet, im Sah re 1300 eine 
unenbtife SDienge ©elbeS in ben päpftlifen Sfafe unb „alle 
Siömer mürben reif". 2Sar bof baS ©ebränge bei ben 
SBirtfeSfeäufern — eS gab beren im Safere 1450 über taufenb 
— fo ftarf, bafe fefer Siete felbft bei ber ftrengften Kälte 
im greien übernaf ten mußten. ®a bie SSirtfee feine geit 
hatten, abgurefnen, legten bie gremben baS ©elb für bie 
erhaltenen SJebenSmittel auf ben ©iff unb gogen fort, ©>afe 


bie guten Siömer bie greife gang tüftig erfeöfeten, crgäfelt 
ber ©feronift SJiatteo Sillani, ber gang genau bie gegafelten 
greife angiebt. Sieben ben SBirtfeen maf ten bie ©elbroef Sler, 
bie Scrfertiger oon Abbilbungen beS SfmeifetufeS unb, 
mäferenb ber S^ft, bie Apotfeefer bie beften ©effäfte. ©fließ* 
lif mürben faft alle Siömer mäferenb OeS SubiläumSjafereS 
gu SBirtfeen. 

Unb ein folfer ©olbregen foHte nur einmal in feunbert 
Saferen niebergefeen? ©8 füllte Generationen geben, bie eines 
folfen £jeilS nif t tfeeilfeaftig merben fonnten? ©)a8 fonnten 
bie frommen Siömer nift ertragen. Sie ffidten bafeer im 
Safere 1343 eine ©efanbtffaft an ben in Aoignon refibirenben 
Sapft ©lernenS VI., um ifen gu bitten, ben ßeitraum gmiff en 
gmei Subiläen auf fünfgig Safere gu rebuciren. Unb nun 
erinnerte fif ber gute ißapft, bafe ja baS Subeljafer naf ber 
Sibel alle fünfgig Safere ftattfinben follte. „©rliefe bie 
mofaifd)e ©efefegebung bie irbiff en Sf ulben fo erlaffen mie 
bie ©ünbffulben", fagte er, unb beleidigte bie Sitte ber 
Siömer. Sie maften gute ©effäfte, unb auf bie Gurie 
fam bamatS unb fpäter nift gu ©faben. SlifolauS V. 
fonnte auS bem ©rträgnife beS SubiläumS große Sauten 
beftreiten unb feinterlegte nof 100 000 ©otbgulben bei ber 
Sanf ber SDlebki. So mürbe benn im Safere 1475 bie 
Snteroalle auf fünfunbgmangig Safere rebucirt, mie ja auf 
jefet bie AuSftellungen immer häufiger roerbett. ©benfo mürbe 
fpäter baS SJfiniinum beS SfirfenbefufS oon breifeig, be* 
giefeungSroeife fünfgefen iEagen auf groangig unb gefen rebucirt. 
ÜJlan fann bemttaf feine ©üttben in Sioin in üiet fürgerer 
ßeit loSmerben, als gut grünblicfeen Sefiftigung ber SBelt* 
auSftellung in ijßatiS erforberlif ift. 

2 Ber jefet biefe oerfäumt, barf hoffen, in fünf ober gefen 
Saferen eine SBeltauSfteöung in Serliit, Sonbon ober irgenb 
einer anberen ÜBeltftabt befufen gu fönnen; baS Subiläum 
fann nur in Siom ftattfinben unb eS ift nift gu ermarten, 
bafe eins oot bem Safere 1925 ftattfinben merbe. 28er jefet 
baS fiinfgigfte Safer überff ritten feat, ber feat roenig ©feancen 
ein gmeiteS feeiligeS Safer gu erleben. Sa, felbft oiel Süngere 
fönnen barauf nift refnen, giebt eS bof jefet nur menige 
©reife, als beren üornefemfter Seine Jpeiligfeit Seo XIII. 
felbft erffeint, melfe ein folfeS Subiläum erlebt haben. 
®aS Se|te feat näntlif im Safere 1825 ftattgefunben, bie 
Oon 1850 unb 1875 unterblieben auS potitiffen Siüdftften. 
Slur eitte ftiUe geier feat in lefeterem Safere ftattgefunben. 

Slad) ber Sefefeung SiomS burd) bie Staliener moUte 
ber „©efangene im Satican" im Safere 1875 fein feierlifeS 
Subiläum featteu. Unb ift benn jefet Siom nift mefer bie 
§auptftabt StalienS? refibirt bort nift mefer König ^uimbert? 
Aber man füfelt fid) tro^bem im Satican oiel ftärfer, als 
oor fünfunbgmangig Saferen, unb man erneuert bie Anfprüf e 
Oon ©regor VII., Snnoceng III. unb ber Säpfte ber $ät ber 
©egenreformation; ja, man fönnte fagen, auf bie beS antifen 
SiomS, ber feeibniffen Gäfaren. 3 e ig* un ^ bie AuSftellung 
bie ficfetbaren gortff ritte oon Snbuftrie unb Kunft, fo mafent 
uns baS Subiläum an bie oielleif t nof größeren gortff ritte, 
melfe KlerifatiSiuuS unb UltramontaniSmuS im lefeten Siertel* 
jaferfeunbert gemaft feaben. 

©ie AuSftellung, bie gortfd)ritte ber lefeten Safere oor 
Augen brittgenb, meift auf ein unenblifeS gortff reiten ber 
gangen SJienfffeeit fein, baS Subiläum, an bie Sergangenfeeit 
anfnüpfenb, oertritt baS ftarre geftfealten am Alten. Sn 
bem „feinem ©nbe gueilenben Saferfeunbert", mie eS im Gin* 
gange ber päpftlifen Süße feeifet, ftefeen gmei ißrincipien 
einanber gegenüber: baS ber gufunft unb baS ber Sergangen* 
feeit. 28em mirb ber Sieg gufatten? UnS ift um ben 2luS* 
gang nift bange. 


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8 


Die <&c§ettt»art 


Nr. 1. 


Die SrdjniR ott kr 3al)rl)tinkrtwetik. 

Soit Sngenieuv HMIfjelm Serbroro. 

®a8 19. Sahrfjunbett, ein jweiteS „gectalter ^ et ®nt* 
bedungen unb ©rfanbungen", hat bie 25?ett mit einer $odj» 
fluth tec^nifcfjer unb inbuftriefler Umwälpngen ubcrftfjüttet, 
Welche p über6ieten nicht feiert fein Wirb. ©rfanbungen wie 
bie ©ifenbaljn, bie bie Sänber ganzer Sclttfjeilc commerciefl 
unb inbuftrieß gleidjgeftattet unb iE)re ©eoölferung unerhört 
burd) einanber gerüttelt tjat, erfdjöpfen ifjre fRoße nidjt in 
einem Sahrhunbert unb werben wohl unabläffig auSgebaut, 
aber nid)t leicht burdj anbete, größere tierbrängt. ©ie ®ampf» 
fdjifffa^rt, bie jWifchen ben einzelnen Selttheilen biefelbe 
innige ©erbinbung herbeipfüf)ren berufen ift, geigt ficf) bis 
jeßt fo wenig alterSfdjWacf), baß it»re ©lanjjeit erft fegt mit 
ber ©infiiljrung ber fdpeflen unb fturmfidjern jRiefenbampfer, 
in beten ©au ®cutfd)lanb jebe anbere ©eemadjt überflügelt 
hat, p fommen fcfjeint. ®a aber bie ©leltricität Weber im 
betriebe ber großen Socomotioen für bie gernjüge, noch im 
©djiffSbetrieb nach ben ©rfahrungen ber lebten Sal)re AuS» 
fad)t tjat, ben ®ampffeffel p öerbrängen, fo wirb baS 20. Safjr* 
ijunbert tooljl noch ebenfo unter bem „geidjen beS ®ampfeS“ 
fielen, wie baS abgelaufene. Stuf einem ©ebiete aflerbingS 
mirb bie ©teinfohle einen ftarfen ©oncurrenten finben, of)ne 
baff man beßhalb eine Abnahme ihres ©erbraucßS ober 
wenigftenS eine erhebliche ©infeßränfung ber bisherigen ©er» 
braudjSjunafjme p ermarten hat, bie ja fowoßf in hhgienifeßem 
Sntereffe ber ©egenwart, als im öfonomifeßen ber 3 u funft 
liegen Würbe. Sd) benfe hier an bie pneßmenbe ©erwenbung 
beS fließenben SafferS, oor allem ber ©tromfdjneHen, Saffer» 
fäfle, ©ebirgSflüffe unb Söäcfje, bie man neuerbingS wißig 
als bie „toei|e ©teinfoßle" ber ©egenwart bezeichnet h at » 
eine Neuerung, bie neben anberen guten folgen auef) biejenige 
haben wirb, etwas pr ®ecentralifation ber Snbuftrie bei» 
ptragen. Senn ber gegenwärtig unoerfennbare 3 U 9> W* 
©tätten beS inbuftrieflen ©roßbetriebS aus bem Scicfjbitb 
ber großen «Stabte p entfernen unb jwifdjen ©tabt unb 
Sanb im Aflgemeinen unb inbuftrieUer unb lanbwirthfehaft* 
lieber Arbeiterbeoölferung im ©efonberen überall jene Woßl» 
tßätige Mifcßung unb Secßfclbepßung b e Tbeijufübren, bie 
jeßt ben Seften S)eutfcßlanb8 fo oortbeilßaft oom Often unter» 
fdjeibet, — wenn biefer rooßlthätigc 3 l *g, begünftigt burd) 
bie AnjießungSfraft ber ©ebirgSwäffer auf bie Snbuftrie, im 
20 . Sahrßunbert allgemein unb entfeßieben pm AuSbrud 
fäme, fo wäre baS eine ber frudjtbarften Umwälpngen, welche 
bie Snbuftrie noch irgenb fönnte burchpmacßen ßa6en. @8 
wäre fogar p bebauern, wenn eine oortßeilßafte Söfung ber 
gegenwärtig noch immer febwierigen grage, ro ' e berartige 
gleicßfam in ber Silbniß geborene Ä'räfte auf weite ©nt» 
fernungen oerpflanjt werben tonnen, biefem 3 u 9 e entgegen» 
roirfenb pr ©eltung täme. dagegen bürfen wir eS, wieber 
im ©inne einer gleichmäßigeren ©eoölferungSoertßeilung über 
©tabt unb Sanb, über fruchtbaren unb unfrudjtbnren ©oben, 
freubig begrüben, baß noch weitere gactoren aus bem ©ebiet 
ber jEechnif biefem nationalötonomifeben 3 u f un f tö f , ilbe ä ur 
©erwirflicßung oerbelfen wollen. $>aßin gehören bie Auf» 
ftauung ber gewöhnlich geringfügigen, jeitweilig gefährlichen 
SBilbbäche unfercr SRittelgebirge ju bauernben, technisch nujj» 
baren SBaffermengen, bie 2luSbeutung ber Torfmoore in gorm 
oon ©nergiequeßen für große, an Drt unb ©teile beheimatete 
Snbuftricanlagen, bie motorifche 2tu8nujjung beS SBechfelS 
bon ©bbe unb gluth unb einige ©robleme geringerer Sichtig» 
teit, bie baS 19. Snh r ^ un krt an feinem Schluffe noch auf» 
gefteüt, ja theilweife not ber tedjnifcben Söfung entgegen» 
geführt hat, bie eS aber ju turj war, aud) noch Ä ur sollen 
9leife unb jur allgemeinen praftifdjen ©erwirtlichung ju 
bringen. 

@8 feheint überhaupt, wenigftenS auf einige 3eü h' nau§ « 
baS ©djidfal beS 20. SahrhunbertS werben ju fotlen, bie 


große Sbeen jum botlen 2luSleben ju geftatten, bie fein ©or» 
gänger noch oor feinem .fjinfcfjeiben, man möchte fagen juleßt 
in überftürjenber Sile, aufgeworfen unb tljeilweiS jur erften 
2 lu8führung gebracht hat. ®ie ©leftrodhemie unb ©leftro» 
metallurgie, fcheinen fie unS audh bereits ©roßeS geleiftet 
p haben, ftchen hoch ohne 3>seif«l erft am ©eginn ihrer 
9RolIe unb finb oicüeidjt beftintmt, jwei ber größten Snbuftrie» 
gebiete, bie djemifchen ©ewerbe unb baS §üttenwefen, oon 
©runb auS umjugcftalten, unb bap bebürfen fie noch e * net 
technifchen ©utwidlung unb einer intenfioen ©eifteSarbeit, bie 
Sahrjehnte füllen wirb. Sie eleftrifdje ©ifenbahn, im ©rincip 
aßen anbern ©tjftemen überlegen unb ihrer in ben ©täbten 
bereits £>err, bebarf ebenfaßs, um jebem ©inwanb gewachfen 
ju fein, noch wandjer wichtigen technifchen ©erbeffernng, 
beoor fie namentlich geeignet ift, ben Stteinbahnoerlehr auf 
bem Sanbe, in ben Tropen unb ©olonien, für ben fie prä» 
beftinirt feheint, ohne ©törung unb mit entfdjieöenen öfo» 
nomiften ©ortheilen p übernehmen. ®ie eleftrifche iEele» 
graphie ohne pfammenljängenbe Seitung ift eine ©rfinbung, 
bie, obwohl fie üoflfommen gelöft p fein feheint, bodj ihrer 
AuSgeftaltung unb praftifchen ©erwerthung noch 9 an S in’S 
neue Sahrhunbert fallen wirb, benn fdjon in wenigen Sahr» 
jehnten bürften bie heutigen @inrid)tungen ber brahttofen 
gernfchreiblunft mit ben bann gebräuchlichen Apparaten nicht 
mehr Aehnlidjfeit befaßen, als mit bem erften unbeholfenen 
SD?orfe«Älopfer ber ©chnellfcßreiber ber ©egenwart. 

Sie Photographie, bie oon fdjattenhaften 9lnfängen in 
jwei SRcnfchenaltern pr Xrodenplatte, pr SRomentaufnahmc 
unb pr ooßenbeten Siebergabe lebenber ©orgänge fach ent» 
midelt hat, muß freilich ihre leßte unb fdjönfte Aufgabe, bie 
SReprobuction in natürlichen garben, bem 20. Sahrhunbert 
überlaffen, aber auch fa e h at bemfelben nicht aflein feine 
Slufgabe oorgejeießnet, fonbern bereits einige tüchtige ©djritte 
pr Söfung berfelben gemacht. ®em fchönen unb ber Sßatur 
wenigftenS recht nahe lommenben ©reifarbenbrurf hat fach in 
ber ncueften, oon Soll) hetrührenben ©rfinbung biefeS ©e- 
bicteS, bem S)reifarben»9 f iegatiü in einer Platte, ein weiterer 
fchäßbarer ©rfolg hi n ä u 9 e faOt. ®ie fogenannte SRöntgen» 
Photographie, bie unfer Sahrhao^ett als eine feiner Werth» 
ooflften ©rrungenfahaften, wenn man fo fagen barf, noch 
glüdlich öor 'Xh ore ^f«htafe in’S iErodene gebracht h Q t, Wirb 
hoffentlich nicht baS ©efchid fo oieler anberer ©ntbedungen 
auf bem ©ebiete mebicinifcßer ober ihnen oerwanbter gort» 
fdjritte theilen, nach einer lurpn, mehr in Sort unb ©Ub, 
als in ber Sirflichfeit erlebten ©poche glänjenber ©rfolgc 
in’S fRidjtS ber Serthlofagfcit jurüdpfinfen. Natürlich 
rebe ich h' er nur mit ©epg auf praltifche ©rfolge, ba übet 
bie hohe wiffenfchaftlidje ©ebeutung ber ©ntb.edung nur eine 
SReinung herrfaht- 

©o ließe fach nodh eine lange, lange Peihe oon ©rfin» 
bungen unb ©ntbedungen aufphlen, mittelft berer baS 19. 
bem 20. Sahrhunbert ben ©ußnt ober wenigftenS feine größere 
Hälfte oorweggenommen hat. ©elbft baS naljep berüchtigte 
©ebiet ber Suftfchifffahrt, biefeS unglüdliche Problem, baS, 
wenn wir baoon einen ©rfolg für ben ©erfeßr unb nicht 
nur für bie 3n>ede ber Meteorologie, beS MilitärwefenS unb 
ber ©enfation oerlangen, nicht leben unb nicht fterben fann, 
felbft baS gehört in biefen gufammentjang. ®enn mag baS 
Problem ber Suftfahifffaljrt als ©erlehrSmittel nach hunbert 
oergeblichen ©erfuchen unb blutigen Opfern gelöft werben, 
wie eS wifl, fo wirb fach hoch ber Seg, auf bem bieS ge» 
fdjehen, in ben Oerfcf)icbenen Anfäßen beS 19. SahrhunbertS 
jebenfaflS oorgejeichnet finben. Ob bie hödjfa unwahrfchein« 
liehe ©erwirflichung beS lenfbaren, b. h- auch 9 e 9 C11 bie Suft» 
ftrömung faeuernben SaflonS gelingt, auf welche feit ber 
Snfcenirung ber geppelin’fchen ©erfueße wieber fo große $off< 
nungen gefeßt werben, ob bem perfönlicßen Äunfaflug, bem 
Silientfjal unb Oicfe 2lnbere pm Opfer gefaßen finb, ob ber 
großen 2>ampf» ober eleftricitätsbefdjwingten glugmafd)inc 

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Nr. 1.. 


Die ©egetnoart 


9 


bie ßöfung ber märchenhaften Aufgabe gelingt, fo werben eS 
tDaßrfcßeinlicb meßr gortfcßritte ber ©ejchidlicßfett unb 
TRedjanif fein, als große tecßnifcße Sbeen, oon benen bie 
weitere Sntwidlung ber glugtecßnif obßängt. Troßbem würbe 
biefe Aufgabe, wirflid) gelöft, zweifellos bie größte Srfin* 
bungStßat beS 20. SaßrßunbertS bebeuten, benn bie non ißrtr 
SBerwirfücßung nach fid) gezogenen Umwälzungen fönnten 
benjenigen im befolge ber Stfenbaßn nid)t nacßfteßen, ja 
würben fie bieHeidjt nod) weit übertreffen. Dßne unS in bie 
gräfjtidjen ^ßfjarttoftcn äWajim'fcßer fliegenber ©atterien unb 
Suft»©anzerfd)iffe ju oertiefen, tönnen wir bod) nid)t über» 
feßen, baß ein tragfä^tgcö, juoerläffigcö unb bem SBitfen 
feinet ßenferS unbebingt geßorcßenbeS ßuftfcßiff baS ßanbeS» 
öertßeibigungSwcfen unb ben ftrieg ber 3ufunft grenzenlos 
öeränbern würbe. Tie ©egriffe 9tufflärung, ©lodabe, ©e= 
lagerung, Sernirung u. 91. müßten tßeils oon ©runb auS 
umgeftaltet, tßeils woßl gar gef trieben werben, unb bie Unter» 
febiebe eines Sanb» unb ©cefriegeS würben oerfeßwinben oor 
bemjenigen ^trjifc^ert bem Äriege ber ©egenwart auf bem 
ßanbe unb SBaffer, unb bem ber ßufunft, ber baS febranfen» 
lofe Slement ber ßuft ju fjülfe nehmen würbe. 

9lber wirb nicht auch baS 20. Saßrßunbert feine eigenen, 
großen, eS fennjeidbnenben Srfinbungen unb Umwälzungen 
haben, oon benen bie frühere geit nichts ahnte unb wußte? 
3Wan muß fid) beS ©organgeS einer großen technifchen 
Steuerung, wie fie hier gemeint finb, überhaupt erinnern, um 
fich barüber flar zu werben, baß „ungeahnte" Srfinbungen 
recht feiten finb, unter benen beS größten ©tilS aber faft 
gar nicht oorfommen. Umwälzungen wie bie Sifenbaßn, baS 
Tampffcßiff, bie Telegraphie, werfen ihre ©chatten jaßrzeßnte* 
lang, ja zuweilen ein Saßrßunbert oorauS. Tie Tampf* 
mafeßine ift länger als 100 Sabre „erfunben". Sftenfcßen* 
alter hinburch hat f* e Dot SBatt bie Tecßnifer befchäftigt, unb 
SBatt felbft bilbete auS ihr zunäcßft ein plumpes, gefräßiges 
Ungeheuer, baS mit unferen heutigen Tampfmafcßinen wenig 
$tßnlicßfeit hatte. ®ie Sbee ber Sifenbaßn ift nicht fertig 
auS ©tephenfon’S Äopfe entfprungen, — hnnbert gute ®e= 
banlen, hnnbert Heine unb große Srfinbungen, hnnbert ©eifter 
unb lange 3 e < ten mußten fich bereinigen, um bie Steuerung 
jutoege zn bringen, bie ben ©erfehr beS SSaßrßunbertS be» 
ßerrfeßen foflte. ©o werben auch bie ©roßtßaten beS näcßften 
SSaßtßunbertS entftehen, unb barauf allein beruht bie EDfög» 
lichfeit, einige oon ihnen oorher anbeuten zu fönnen. 

2BaS baS ©ebiet ber Sleftricität betrifft, beten SBunber 
bie beS TampfeS ablöfen z« follen fcheinen, fo finb bie fehn* 
lichft erwarteten Srfoige, bie unS baS 19. Saßrßunbert ber» 
fagt hot, bie birefte Erzeugung ber Sleftricität unb baS 
„falte Sicht", ©eibe werben ohne 3weifcl e iueS TageS 
erreicht werben. Tie Erzeugung großer SleftricitätSmcngen 
ohne bie ©ermittelung ber Tßnamomafdjine unb ben Umweg 
über bie mechanifche 9lrbeitSleiftung weift uns zurücf auf 
bie urfprünglidjcn chemifdjen unb tßermifchen SBege zur Sr» 
Zeugung galoanifdjer Sleftricität, ober anftatt foftfpieliger 
SWetaöe ift cS jeßt bie Äoßle, bie in ftiOer chemijchet 9lrbeit, 
nicht mehr umgefeßt in bie Slafticität beS TampfeS, bie 
Snergie beS eleftrifcßen ©tromeS liefern foQ. Tie 9lufgabe 
ift zweifellos feine leichte, fonft wäre fie bei ber großen 
SWenge oon 9lrbeit, bie fchon in unferem Saßrßunbert barauf 
oerwanbt ift, bereits gelöft, aber man fann faunt baran 
Zweifeln, baß fie bennod) gelöft Werben wirb. Tie Um» 
wätzung, welche baburcf) im ^auSßalt ber Snbuftrie herbor» 
gerufen werben mag, ift feßwer ooUftänbig zu fc^itbern. 9lm 
wenigften würben oon einer folchen Steuerung biejenigen 
SleftricitätSanlagen berührt werben, bie ihre Snergie nicht 
auS bem Tampfe, fonbern auS ben Turbinenwerfen ber 
Ströme, Äatarafte unb ©äeße fchöpfen. 9llle Tampffeffel» 
unb ©fafeßinenan lagen jur SleftricitätSerzeugung bagegen 
würben bem einfacheren, öfonomifcheren ©roceß ber 3 u funft 
Weichen, ber auf djemifeßem SBege aus bet rohen ober ge» 


mahlenen ©teinfohle bie gefchmeibigfte unb nüßlidjfte Snergie» 
form ßeroorbringt, bie bem äWenfcßen je geboten würbe, ©o 
Werben bie beiben gewaltigften 3™eige ber Snbuftrie, Shemie 
unb Sleftrotechnif, ein neues unb innigeres ©ünbniß ein» 
gehen unb fich gegenfeitig noch mehr als heute befruchten. 
Taufenb raueßfpeienbe Schlote würben aufhören, bie 9ltmoS* 
phäre nicht allein für ben SD?enfd)en, fonbern in noch höherem 
©rabe für bie Pflanzenwelt zu oergiften, unb felbft eine 
ungeheure 9luSbeßnung in ber ©erwenbung ber Sleftricität 
überhaupt müßte bie gotge eines folchen gortfcßritteS fein. 
Schon jeßt werben bie heröorragenben Sigenfcßafteit beS elcf» 
trifeßen ©tromeS bei ber ©ertßeilung unb ©ermittelung 
mechanifchcr 9lrbeit fo feßr geflößt, baß Taufenbe oon 
gabrifen, £unbcrte oon §afenbezirfen, SBerften, ©adßöfen, 
Speichern u. bgl. bie Sleftricität anftatt beS TampfeS zum 
©iafd)inenantrieb benußen, obwohl fie fie felbft erft auf bem 
Umwege ber Srzeuguug burd) Tampfmafcßinen ßeroorbtingen 
müffen. SBie aÖgeniein müßte biefer ©ebraudj beS eleftrifcßen 
©tromeS werben, wenn man jenes Umweges nicht mehr be» 
bürfte, fonbern bie gewünfeßte Äraft birefter noch, als bisher 
nur ben roßen Tampf, auS ber ©teinfoßle ßeroorbringen 
fönnte! 2Bie ooUftänbig müßte bie Sleftricität Dom ßütten* 
unb SBalzwerfSbetriebe ©efiß ergreifen, wenn gleichzeitig bie 
eleftrifcße Srfd)melzung ober eleftrolptifche TarfteUung, bie 
fieß üi ber ^erfteUung beS 9l(uininiumS, ÄupferS, 3*°^ 
bereits ©aßn gebrochen ßot, fieß fämmtlicßer ÜJietaUe bemäcß» 
tigt t)aben wirb! Unb felbft bem eleftrifcßen Sifenbaßn» 
betriebe bürften auS ber bireften Srzeugung ber Sleftricität 
wichtige ©ortßeile erwaeßfen. 

TaS fogenannte falte ßießt ift bie anbere große 9luf= 
gäbe, welcße bie Sleftrotecßnif ber ©egenwart ungelöft an 
bie ber 3 u £unft oerweift. ©inb eS nießt fdjon ber gort» 
fdßritte auf bem ©ebiet ber ©eleucßtung z« Diele? ®aS, 
Petroleum, eleftrifcßeS ©lüß» unb ©ogeulicßt, baS ©aSglüß» 
ließt unb feine Soncurrenz, bie ©egeneratiolampe, jeßt auch 
noeß öaS neue eleftrifcße ßießt oon 9luer unb bie 9ternft» 
ßampe, baS ift nur eine 9luSwaßl auS ben Srfotgen ber ©e» 
leucßtungStecßnif beS 19. SußrßunbertS. Troßbem ift nicht 
baran zu zweifeln, baß aud) baS leßte, größte Problem biefer 
©ießtung, bie Srzeugung oon ßicßtftrahlen oßne glekßzeitige 
ÜBärmeprobuction, nießt rußen wirb, beoor eS gelöft ift. SS 
ift ja meßt z« leugnen, baß bie ©emüßungen oon TeSla, 
Sbifon, SDtoore u. 9t. — eS ift auffaüenb unb nießt eben ein 
günftigeS 3”^ en / baß biefer 3weig faft auSfcßließlicß oon 
amerifanifeßen Technifern unb pßhfifern cultioirt wirb — 
Zu gewiffen TageSerfolgen bereits geführt haben. Taß fid) 
burd) außerorbentlicß ßoeßgefpannte'Sleftricität oon ungeheurer 
rapiber SBecßfel» refp. UnterbrecßungSzaßl eigentßümlicße ßießt» 
wogen, bem Tageslichte ähnlicher als ben befannten fünft» 
ließen ßießtarten, oßne ober faft oßne meßbare 28ärme» 
feßwingungen erzeugen taffen, muß woßl zugegeben werben; 
fottte eS ba nießt auch gelingen, ber teeßnifeßen ©cßwierig» 
feiten ^>err zu werben, mit benen bie Srzeugung unb ©e» 
ßanblung biefer merfmürbigen eleftrifcßen ©ibrationen nod) 
fämpft? Unb ber Srfolg biefer langen ßiebeSmüße? 9?un, 
er Würbe oieüeicßt größer auSfaÜen, als man bem bereits 
Dorßanbeuen fReicßtßum an ©eleucßtungSmitteln gegenüber 
glaubt. 3ntmer oorauSgefeßt, baß fid) bie tßeoretifiße Oefo» 
nomie beS TeSla* ober 2Roore*ßicßteS gegenüber bem ge* 
Wößnlicßen eleftrifcßen ßießte aud) in bet ©rajiS bewaßrßeitete. 
Tann möcßte eS baßin fomnten, baß zum ©peifen einer 
ßampe ein galoanifcßeS Slement ober eine Trodenzefle auS* 
reießenb wäre, unb bie grage ber Tecentralifation beS elef» 
trifeßen ßicßteS wäre gelöft. Tie bequemfte, reinlicßfte, effect* 
ooQ-fte unb bann oietleicßt obenbrein billigfte ßicßtqueüe ber 
SBelt wäre oom ©etriebe unb ben ßeituitgen ber Sentral» 
ftation unabhängig, wäre frei, tragbar, überall anmenbbar 
wie eine Petroleumlampe unb erlöfte unS boeß befinitio oon 
ber unerträglichen Tßrannei beS amerifanifdßen SonfortiumS, 


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10 


Nr. 1. 


Die Gegenwart. 


bag heute ben Sßetroleumpreig beg SBeltmarftg unumfdjräjtft 
bictirt. 216er eg ift gu fürcßten, baß, tt»ie bet ber Suftfc£)iff= 
fahrt, auch hier nocß mancßeg lange Saßrgeßnt üergefjen wirb, 
beoor bie Stufgabe gelöft ift, unb bann — bann werben 
Wieber anbere xöünfche, anbere Slufgaben am Snbe beg mit 
fo biet äRüße gurüdgelegten SBegeg emportaudjen unb ebenfo 
unerbittlich, ebenfo ungeftüm ifjrc Erfüllung ßeifcßen. 

SBetdjeg werben bie auffäK’igften Veränderungen fein, 
bie bag tecßnifcße Sieben beg 20 . Saßrßunbertg äußerlicß in 
unferem Treiben ßeroorrufen wirb? kennen wir ißrer wenig» 
fteng eine SReitje. ÜReßr unb meßr, wie bag gaßrrab ben 
jReiter unb SBanberer, fo berbrängt bann bag Slntomobil, 
bet 9Rotorwagen bag 3 ugpferb aug ben Straßen ber Stäbte 
unb beg platten Sanbeg. 'Die Vertreibung beg fßferbeg bon 
ben (Schienenwegen ber SRittel» unb ©roßftäbte ift naßegu 
b öden bet, bie 3°^ ber eleftrifc^ert Vaßncn wirb gegenüber 
ben fßferbebaßnen fo übermächtig, wie ihre öfonomifeßen Sr* 
folge bie Sener erbrüden. 3 eßt beginnt ber Slccumulator 
ben Dmnibug, bie Drofcßfe gu erobern, ben ©efcßäftSwagen; 
ben V»ftberfef)r ift er wenigfteng in ben ©roßftäbten im Ve= 
griff, ebenfaÜg gu üerfdjlingen. Sg nußt nidjtg, fid) biefer 
Sntwidelung entgegenguftemmen; über ben Vefcßluß quer» 
föpfiger Stabtberwaltungen, um bie ber 3 e 'tgeift im Vogen 
herumgegangen ift, ftatt fie mit feinem ^lügelfcßlage gu 
ftreifen, gehen Ded)nit unb ßößere Snftangcn lächelnb gut 
Dagegorbnung über. So fehen mir bag SfSferb oerfeßwinben 
auf ber gangen Sinie, unb wenn jeßt noch bie 3ntereffen ber 
Sanbegoertßeibigung feine Sßflege unb 3 uc ^) t forbern, fo ift 
nicht gu oerfennen, baß 5Rab unb SRotorwagen, baß bie fRiefcn» 
traft ber Dedjnif im Vergleich mit ber armfeligen SRugfet» 
traft beg ©efcßöpfg auch h' et ben Sieg gu erringen be» 
ginnen. 

Slucß bag Sifenbaßnwefen wirb manche Slenbetung über 
fich ergehen laffen müffen. 3 U bet (S)efcE)Winbigteitgcrt)öt)uiig 
aller, ja fetbft ber ©ütergüge auf ben großen Sinien, bie im 
Sntereffe ber Verfeßrgbewältigung ebenfo wie in demjenigen 
einer ötonomifchen Slugitußung beg rollenden unb liegenden 
ÜRaterialg nicht länger aufgußalten ift, wirb fich ber eifrige 
Slugbau ad’ ber Heineren unb tleinften Sinien über bag 
platte Sanb, jeneg engmafeßige SReß ber blanfen ©leife ge» 
feilen, denen fcßließlicß feine fleine Stabt, fein größereg 
Dorf mehr entgeht. Unb wie taufenb unerfdjöpfticße gütt» 
hörnet, werben alle biefe flehten, nad) heutigen Vegtiffen 
aug ber Sinöbe fommenben 3 u l ,r i n 9 er in bie großen 33er* 
fehtgabern eine güde oon Saften unb Schößen augfeßütten, 
bie felbft ben weitfichtigften SRationalöfonomen in Srftaunen 
feßen wirb. 

©efteigerte Sd^nelligteit in allen tedjnifdjen ^Betrieben, 
bag wirb eine ber Ipauptbeoifen beg 20 . Saßrßunbertg fein. 
3Bie ber Delcgrapß in immer größerem Umfange tiom ge» 
Wößnlicßen Schreib» gum Scßnelltelegrapßen wirb, ber jeßt 
nach bem ißolIaf*Viräg*St)ftem bag Ipunbertfacße beg SRorfe» 
feßreiberg leiftet, wie bie SRafdjinen unb SRedjanigmen ber 
gabrifen, bie Dampf» unb Dßnamomafcßinen, bie SBerfgeug* 
mafcßinen, §ämmer unb ißreffen, Voßrer unb fRietmafdjinen 
mit immer ungeftümerer ©ile ißr lauteg SBerf oollenben, wie 
ein Srieggfcßiff, ein ^anbelgbampfer in ber halben 3 eit gegen 
früher üotlcnbct, eine Socomotioe in wenigen Dagen gleidjfam 
aug bem fRidjtg gefeßaffen wirb, fo brängt eg im gangen Um» 
fang ber Decßnit unb 3 nbuftrie gäßrenb, unaufhaltfam nach 
ber äußerften, angefpannteften Seiftung. 


- 


Literatur unb 


3nra Antritt i»e« neue« 3ahrhtttti>ertß. 

SSie fdjön, o 2Renfcß, mit Deinem ißalmenwebel 
Vom §aag fteßft Du am Singanggtßor 
Deg gwangigften Saßrßunbertg; ebel* 

Utib reießgefeßmüdt wie nie guoor. 

Sluf welchen 2Bunber»Vlütßenflor 
Vlidft Du gurüd, für ©eift unb Seib, 

Sluf SBagner unb Sifgt, auf SRießfcße unb Äneipp. 

3n SBörigßofen unb Vaßreutß 
$aft Du Dir ©öttertempel gebaut, 

Drin überläuft eg Dir bie §aut 
SDZit Schauern ber Srha 6 enßeit. 

©g meßrt fid) Dir oon Saßr gu 3aßr 
fRinggum bie ^oßenpriefterfeßaar: 

Die ftniee beugft Du auf ben Stemel 

SSor £>auptmann unb §albe, Scßlaf unb Deßtnel; 

Vift Du fein ftumpfer Votofube, 

Vlidft Du mit Slnbacßt auf Sttinger unb Ußbe; 

Du näßrft Dicß an bem Sßeigßeitgbrobe 
Unb Slunftgebäd Oon SRutßer unb Dßobe 
Unb ried)ft, oont tiefften ©emütß oerbaut, 

Sluf ber Vüßne Sinbeln unb Sauerfraut. 

Dn fießft bie Sbelften ber SRation 
Smpfangen ben ßöcßftoerbienten Soßn, 

3 u ißnen erblüßn für ben 3 u looftgftaat 
Den neueften Slbel auf bem fRab, 

Die großen Vanfierg* unb Vörfenmagnaten, 

Die SReßger» unb Vrauer»Slriftofraten; 

2Ber ein Vcrbienft erwarb an Von’, 

Drägt’g auf ber Vruft unb a(g §err oon, 

Unb wen nießt Drben unb Ditel ehrt, 

3eigt, baß er ^ßlebcjer oßite SS3ertß. 

3 u wanfen nießt im rechten §alt, 

^>aft Du, o 2Rcnfd), ben Staatganwalt; 

Du ßaft bag ßöcßfte Vei^ggericßt, 

Dag unfeßlbareg Urtßeil fprießt. 

Sg forgen für Deine Sittlicßfeit 
3 um minbeften fünfgigtaufenb V a fi° retl 
Unb ßalten ben 3 u g an g ä um Senfeitg bereit 
Dir an eben fo oielen Äircßentßoren. 

Sg regiert mit Unoerborbenßeit 
Dag beutfeße fReidß ber treue Vauer; 

Veftellt ißm feine frommen Veratßer, 

Unb läcßelnb bagu, wie SRannafdjauer 
©iebt feinen Segen ber heilige Vater. 

SBie flein, o SRenfcß, mit Deinem fargen ß^eige 
Sin jeneg oorigen Saßrßunbertg SReige 
Stanbft Du in Deiner Slermlicßfeit! 

SRit ißrer fläglid) engen Seibegßürbe 

9Rit ißrem Stammeln oon Vernunft unb SBürbe 

Unb ©eiftegauffdjwung befferer 3 e *t. 

Srft unfer §eer, mit flingenbem Spiel 
Sntgegen gießt’g folcß ßoßem 3^1- 
Unb wie’g begeiftert unb bewunbert 
Sinrüdt in’g gwangigfte Saßrßunbert, 

Dedt ißm ben fRüden alg Soutien 
Der Sßrenboctor Sßamberlain. 

„greut eud) ber eßrenOoUen Stufe, 

SBorauf bie ßoße Drbnung eud) gefteKt! 

3 n bie erßabene ©eifterwelt 

Seib ißr ber SRenfcßßeit erfte Stufe." 

tPtlßelm 3enfen. 


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Nr. 1. 


Die Oßegetnoart 


11 


Vergangene unb zukünftige &unft. 

SSoit ^rofefjor <5uflar <£berlem* 

2 Wag ein Sßeifer, ein gorfcper ober ein Äünftler an ber 
Saprpunbertwenbe ftepen, ftill ^irta bfdja uenb oont ©ipfel beS 
Erlebten unb ©rbadjten feiner ßeit, in jebem 2Iuge wirb fid) 
bie unabfepbar im grauen Nebel ber Vergangenheit oor ihm 
(iegenbc ©bene anders jurüdfpiegeln. Do cp SlUen gemeinfani 
ergeben fiep auS bein ©rbenftaube einjelne große ©reigniffe 
unb Dpaten als leud)tcnbe geuer, bte aud) fernen Saßr* 
hunberten ben 28eg toeifen, als SRarffteine ber ©efcpicpte, bte 
ficf» mächtig ber ©wigfeit entgegenreden. 

Die Straße ber Äunft burcpjiept in unbegreiflichen 
Sßinbungen, über Jpöpen unb Siefen bie unenblicpe gerne; 
fie ift in ihren erfteit Decennien burdjfurdpt Don ben aus» 
getretenen Srrpfaben fcpablonenpafter, feelenlofer 2lnfcpauung 
unb Nacpapmung gtiec^ifc^er Äunft. Obwohl bie oornepmften 
©eifter, ein SBinfelmann, ©arftenS, Seffing, Scpinfel unb 
©oethe, Stufen ju ben erhabenften Äunftwerfen, bie je oon 
Sftenfcpenpanb gefchaffen, in bett gclS ihrer 3 e ^ f«±»lugen, über* 
wucherte bod) ’baS Vpitifterium ber Viebermeierjeit, welkes 
in einer gewiffcn Nüchternheit beS ©mpireftils fc^on feine 
©chatten ootauSwarf, ben flar oorgejeidjneten SBSeg jur £öpe. 
SNüpfam waitb fich bann bie Äunft burcp bie SSilbniß ber 
Nomantif, oerjweifelt faft unb traftloS fcpleppte fie fich burct) 
bie folgenben 3 c ^ cn ber Neaction, um eublid), am ©nbe beS 
Saprp'unbertS, einem ungezügelten Dilettantismus, bem mirrften 
üJipfticiSmuS, einer erfünftelten Naioetät unb bem gefeß* unb 
regeltofeften ©paoS ber ®egenwart*Shinftanfcpauung jum Opfer 
ju fallen. 

aBoQte man nun unferem entfchwunbenen Saprpunbert 
einen ©tempel aufbrüdcn, fo müßte man eS oornepmlicf) baS 
mufifalifdje heiße«- ®ie Nfufif, bie Vad) erfdjöpft ju haben 
fdjien, hat unS noch üiele unfterbliche Sßerfe befct»ieben. Die 
^>anb lann eS füpn nieberfchreiben, baß bie Schöpfungen oon 
Veetpoüen, SDiojart, Nichatb SBagner unb VrapmS ewig finb, 
unzerbrechlichen ©ranitfäulen gleichen, bie, umfloffen uom 
SNorgenroth ber Neuheit, ftolj baS ©ebäube ber Äunft trägem 
Die SNufi! ift bie freiefte unb gebunbenfte ber fünfte, bie 
©ngfte unb Snternationalfte, fie ift weicp wie SBacpS unb 
hart wie ein gelS, fie fniet als Sflaüin oor ihrem lieber* 
winber unb ftept unantaftbar in göttlicher Roheit not bem 
Unwürbigett. Sie wirb üon Äinberpänben bcjroungen unb 
oon ihrem Nteifter aller geffetn entlebigt. Der auSgebilbetfte 
©inn unferer Nation ift barum jeßt ber mufifalifdje. ÜJJit 
Seidptigteit finb bie perlen aus ber UeberfüHe beS ©ntftepenben 
ju fiepten; pier ift faum ein Schtoanfen möglich. Der ©runb, 
baß fid) bie übrigen Stünfte, bie Didjtlunft, Nfalerei, Vilb* 
ßauerei unb 2lrcpitectur im 19. Saprpunbert nicht auf biefe 
£öpe gefchwungen, ift barin ju fudjeu, baß ihnen im ©oncert 
ber gormen ber Sontrapunct, ber ©enetalbaß fehlt. 

Stußer ©oethe’S „gauft" hat bie Dichtlunft biefeS Saßt 5 
hunbertS fein fraglos ewiges SBert gefchaffen. ©r reiht fich 
würbig ben größten Vücpern, ber Vibel, ber Sliabe unb 
Dbßffee, ber ©öttlichen Äomöbie unb ©hafefpeare’S Schöpfungen 
an. 3war will eS fdjeinen, baß einjelne Sterne am Äunft* 
himmet pellet leudpteten, baß eine 2lnjapl bidpterifdper ©r= 
jeugniffe biefer punbert Sapte, etwa biejenigen Schillers unb 
Seffing’S, fpäter eines ©onrab gerbinanb Nieper, ©ottfrieb 
5feHer, juleßt Nießfdpe’S, bie ©igenfchaften befaßen, als J?öpe* 
puntte unferS ÄönnenS in baS ©rau ber ©wigfeit hinüber* 
juragen, — jebocp 3 foe 'f e l befchleichen wieber unb wieber 
bie Seele beS gorfdjenben. ©injelne ©ebichte ©oethe’S fiepen 
als OoDenbete NZufter ba: 

„Sütteft wieber SBufcf) unb Jf)al — StiU mit 9Zebelg(anj, 

Söfeft eublid) aud) einmal —Weine Seele ganj." 

Siegt nidpt um biefeS einfache Sieb an ben 2Nonb ein 
unfagbar beftridenbeS Seucpten, baS nicht oon biefer 23ett ift 
unb fein milbeS Sicht noep in fernere feiten fenben fönnte? 


SebeS 2Berf, weldpeS baS SDlat beS ©wigeit an ber Stirne 
trägt, ift ein Stüd Saprpunbertfeele. Nidpt aHetn pat eS 
ben Nero feiner 3 e *t getroffen, ipm wopnt aud) bie gäpigfeit 
inne, jeber neuen ©eneration neu geboren ju werben. Sieg* 
paft burcpleudptet feine innere ©cpönpeit bie ©rbfrufte, welcpe 
^llitäglicpfeit, Unoerftanb unb SBlinbpeit ber fort unb fort 
wedpfelnben Slnfcpauungen barum gebilbet patte. SlUeS ©egen* 
wärtige ftept auf ben Niefenfdpultern ber Vergangenheit. Die 
Äunftform, bie ©ebanfenwelt, bie ißoefie beS gauft ift beßpalb 
niept allein Nefultat beS ©oetpe’fdjen ©eniuS, auS ben perr* 
liehen ©troppen fepaut unS feine 3 e it, antife Äunft unb 
©pafefpeare’fcpe ©röße entgegen. 

9Benn bie Dichtung ber jepigen 3eit glaubt opne ctaffifdpe 
©efeplicpfeit, opne bie ©runbpfeiter ber Vergangenheit, in ber 
Suft fcpwebenb, allein burdj Naioetät unb ©infalt jur SBeiSpeit 
ju gelangen, fo irrt fie fiep gewaltig. Nur bie ©infidpt, baß 
in allen fünften ©efepmäßigfeit unb Orbnung perrfepen 
muffen, baß biefel6e Straft, bie Sterne unb Sßelten nadp oor* 
gefdpriebenen Vapnen am §imntel jiepen läßt, aud) DauernbeS 
im £irn beS ÄiinftlerS erfepafft, fann unS oom gänjlitpen 
Verfall retten. 

©ine fept merlmürbige SQuftration pierju ift ber 2luf* 
unb Niebergang ber Najarener. ©ine Heine Schaar podp* 
begabter Äünftter patte fiep in Nom im Slofter ©ant Sfiboro 
jufammengefunben, um mit ipren Veftrebungen bem anti* 
rcligiöfen ©eift ber, oon ben ©ncpclopäbiften auSgepenb, bie 
©rruption ber franjöfifcpen Neoolution geboren patte, ein 
©egengemiept ju bilben. 3Nit ©iotto einfepenb, glaubten fie 
eine gänjlidp neue Äunftanf^auung gewaltfam fepaffen ju 
fönnen. Durch bie fctaoifdpe Nacpapmung einer wiHtürlidp 
perauSgeriffenen ©poepe, beraufept oom SfatpoliciSmuS, auf* 
gegangen in ben Slnfdpauungen beS heiligen granjiScuS üon 
Slffifi, pafften fie bamalS fepon im prärafaelitifcpen Stil ber 
Slntife gleicpgefommen ju fein. Sie gebaepten baburep wieber 
auf bie gewaltige Jpöpe rafaelifdper unb micpelangeleSler Äunft 
gelangen ju fönuen. 21 ber ipren Veftrebungen feplte bie 
VafiS, fie begriffen nidpt, baß fepon bie Vorgänger biefer 
großen SNeifter ipre Schöpfungen auf ber ülntife aufgebaut 
patten. Die gefammte Ä'unft gleidpt einem Soratlengebirge, 
baS in unabfepbarer Verjweigung, taufenbfältig üeräftet unb 
gefügt, troßig auS bem SNeereSgrunbe auffteigt. Die 3 e > ten 
umbraufen eS in mächtigen SBogen, Vranbungen umtofen 
eS. £>ier reißt ein Ssaprpunbert einen Dpeil ab, bort baut 
baS folgenbe einen neuen gelSblod. 2lber fidper wirb baS* 
jenige Stüd Äunftgefdpidpte in NidptS pinabfinfen, wetcpeS 
fcpled)t gefügt opne ben ewigen Äitt ernfter, claffifcper ©tubien, 
nur mit ber SBillfür roper Natur bem ©anjen angebaut 
würbe. 

Die Veftrebungen ber Najarener, bie noep in ©artonS, 
greSfen unb ©ntwürfen erpalten finb, einen fo popen unb 
weltabgewanbten ©eift fie and) belunben, paben fidp bennodp 
oon unferem DenEen unb ©mpfinben bereits loSgelöft. Seiber 
oerpinberte ber wirtpfcpaftlidpe Niebergang DeutfcplanbS, burd) 
bie greipeitSfriege peroorgerufen, bie 2luSfüprung ihrer Sßerfe; 
bie greSfenentwürfe blieben ungemalt unb ipre ©artonS üer* 
ftaubten. Droßbem pebt in ipnen bie $?unft großen Stils 
noep einmal, — baS teßte SNal, ipr gigantifcpeS |>aupt empor, 
um bann für baS 19. Saprpunbert ganj ju entfdpwinben. 

Der Vitbnerei aber ermucpS aus ben Kämpfen mit bem 
Sorfen Seben unb ©ntfaltung. Naudp unb Nietfcpel paben ipren 
monumentalen Sßerfen leiber eine burdp Dporwalbfen’S feidpt 
antififirenbe Äuuft ftarf beeinflußte ^ßppfionomie gegeben. 
SJJilitärifdpe SiegeSbenEmale, Statuen im ©oftüm beS 3opfeS 
unb bet Viebermeierjeit, geftatteten eS ipnen nidpt, fiep an 
bem NaturqueH aller Äunftfdpönpeit, ber nadten menfeptidpen 
©eftalt, ju beraufepen. 

Seit ©tiecpenlanbS Vlütpe burdpirrt bie Ä'unft, tief* 
OerpüHt, 2lpaS0eruS gleicpenb, Norb unb ©üb. 2luS unferen 
©emälben ift fie unoerpüHt faft ganj entwiepen. 3n ber 


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12 


Nr. 1. 


Die Gegenwart 


©laftif fü^rt fie in nadtet ©Sönpeit ein fümmerlkpeS 
©alonleben. Die 2lrSiteftur nimmt if)re ©eftalt nur ganj 
ober pal6 oerpüUt auf als @d)mucf ber ©tebeftale. 

ÜRaS bem SRiebergang ber ©ornetiu3*©Sule entwidelte 
fid) in Düffelborf eine auf fein gefistetem IRaturftubiunt 
berupenbe unb burd) franjöfifcfje SDRattec^nif bereicherte 5Rid)= 
tung, wäprenb in ERütiSen burcp ©iloti ber ERalerei bie garbe 
Wteber erobert tourbe. ©injtg ber bem Srrfinn berfadene Ditatt 
SRetpel ergebt fid) im größten Stil auS biefer 3^1 unb ift 
unS noS feeltfcp, teSnifS unb menfd)(id) eng betbttnbett. 

SRit. ber ©eburt unb bem 3Bad)fen beS ©inpeitgebanfenS 
in Deulßplanb raufet auS ein frifdjeS (Bepen butS bie 
Äunft unfereä ©aterlanbeS. 2lÜeS ©roße, baS burd) bicfe 
3 ufammenfSweifeung erwaSte, gut ©ntfaltung gelangte 
unb ©eftalt gewann, ftept ttoS lebenbig ba. ©eit ben 
perrliSett Stampfen unb Siegen 1870 — 71 ift eS wie 
eine Stunftfturmflutp über DeutfSlaitb peretngebroSeii. 21(3 
ob baS jurüdgebrängte Seben ber größeren (pälfte beS 
19.SaprpunbertS nun urtaufpaltfum fich ©apn bredjen möSte, 
als ob bie aufgefpeidjerte Straft, bie unfi^tbar gefangen ge* 
paltene ©Sönpeit, nun noS ant ©nbe unferer 3 e tt ade 
geffeln brechen möSte. (Die (Bogen fommen befruStenb unb 
jerftörenb baperge$ogen. 

21(3 ©egaS in ber SBifbnerei feine erften lebenSpeiß 
putfierenben ©ruppen unb ©tatuen, au3 (Rom peimgelepit, 
fd)uf, — a(3 ©ödltn bie farbenfatten, ebenfalls ber Spät* 
renaiffance entnommenen adegorifdjen SRotioc brachte, in 
benen ba3 (RaufSen ber ©irten, ba8 ©Sweigen be3 SBalbeS, 
bie ©oefie ber über mofigeS ©eftein riefefnbcn Duelle 
unb bie tiefe, lebenbige ©laue beS EReereS munberbat 
uns berührte, ging grenjenlofeS Staunen burd) bie ©pt* 
(ifterfeeten. Unb nun begann unter ben Sungen ein 
WilbeS Sagen naS Originalität, nacf) einer eigenen ©pp* 
fiognomie. Donatedo, ben lang Oergeffenen großen gloren* 
tiner, ftedte man nun als ©orbilb für bie ©ilbnerei ptu. 
©oticeüi mürbe in DeutfSlanb mobern. ©ebeutenbe Talente 
bilbeten fiS ju ©pecialitäten auS. Seber begabte ober audj 
unbegabte junge Stünftler fdjuf ftcJ) einen ©til ober min* 
beftenS ein ©tilSen. Die 2lrd)iteltur glieberte unb fSmüdte 
ipre ©auten halb nad) jener, halb naS biefer ©Sule; am 
meiften ©rfolg patten bie ©Söpfungen, weldje feiner ad* 
gemein befannten SRicptung anjufügen waren. Die Ärttif 
oerfünbete ber ftaunenben (Belt, baß ber einzig richtige SEBeg 
jur ÜRatur gefunben, unb man einem gänjlkp neuen ©til 
auf ber ©pur fei. ©rft leife, bann laut tönte e3 bis 
jum Ueberbruß auS aden Stunftpofaunen, baß fSon ERidet, 
ERanet unb ©ourbet bie (Ratur enbgiltig entbedt patten unb 
man ipnen nur ju folgen braudje, um fie beim ©d)opf ju 
faffen. Dieter fingen an feffelloS ju ppantafiren, ipr §irn 
glich einem ppotograppifepen 2lugenblid3apparat, ber baS 
lebenbigfte 2eben fijiren wodte. ©in feliger Daumel, ber 
SBapn fdjritt burd) bie gefammte Stunftwelt, baß man baS 
po^enbe, taufenbgeftaltige, farbenfprüpenbe Dafein, bie aden 
©ölfern oder 3 e den ein ©epeimniß gebliebene ÜRatur, in 
jeber iprer gormen, iprer färben unb ©eftalten nun opne 
©ebenfen, opne ERaaß, opne geile ober Stlärung, unb opne 
©ilbung auf bie ©üpne, in ein ©entälbe ober eine ©tatue 
gwingen fönnc, fo baß barauS mit ßeidjtigfeit ein oodenbeteS 
Stunftwerf mürbe. Die ©ergangenpeit, welcpe man in aden 
Stilen, in ipren garben unb gormen, Stünftlern unb EReifiern 
inSgepcim ängftlicp copirte, leugnete bie Sugenb öffentlich ab. 
©Seinbar neue garbenprobleme, bie früpere Saprpunberte 
längft gefunben, würben auSgegtaben. ©benfo frueptbar wie 
naiu fcpmelgte bie ©ilbnerei in ber ©pät* unb grüprenaif* 
fance. Die 2lrSiteftur fam ganj aus bem ^ȊuSSen unb 
gelaugte, naSbem fie ade ERöglicpfeiten burSfoftet, bei ben 
©canbinaoiern, Snbern unb Sapanern glüdliS an- SBenige 
2Rcifter ber legten Decennien werben fiS in golge biefeS 
IRangcle an flarcr ©parafteriftif bauernb bepaupten; einige 


Stünftler aber fdjeinen ben Sorbeerjmeig bcS ©wigen noS 
errungen ju paben, bieS finb OornepmliS ©ödlin unb SöegaS. 

^nbere SRamen ju nennen, wäre fiSetliS öerfrüpt, benn 
biefe Äämpfenben finb noS S« fepr im S em ifS en ©roceß 
ipreS (BerbenS begriffen, ju ftarf umbrobelt öon ben Dämpfen 
fie umftreitenber moberner Stritif, um ipre SRangftedung für 
bie 3 u fnnft peute fSon feftfteden ju bürfen. 

Die Äunft beS 19. SaptpunbertS flingt auS in einem 
ERonftreconcert, in bem fein Snftrument, welSeS jemals, fo 
lange eS eine $unftgefSiS*e giebt, gut ober fSleSt gefpielt 
Würbe, feplt. ©etäubt baoon fliept bie ERenfdppeit in baS 
grüpliSt beS 20. SaprpunbertS. Unentweipt, in überirbifSem 
©lang beS jtt ©rpoffenben, liegt eS oor unS, feine gotbenen 
Dpore finb weit geöffnet. SBirb baS lebenbe StünftlergefSl«pt 
ade Srrtpümer, ade ©Sloden unb betten, mit welcpen eS 
beloben ift, in wirrem (Boden unb in unjulängliSeut können 
mit pinübertragen? SBirb eS mit ber Äinberfeele bie SBeiS* 
heit beS 2llterS oerbinben fönnen? (Berben feine güpret 
ipm lepren, baß nur ein ©ott eine (Belt aus bem 9?iStS 
erfSaffen fann? Daß 2ldeS, wie im SBeltad, fo in ber 
Stunft unumftößliSeä ©efeft, eiferne golgeriStigfeit ift? Daß 
fSon ber SBide jum ©efep ein ju fSaffenbeS Stunftwerf 
abelt, eS in eine pöpere ©cpönpeits* unb ©eifteSfppäre rüdt? 

Die beutfSe Stünftlerfcpaar möge nur ernft woden, unb 
fie pat eine Stunft, bie ipre ©belften in bie erfte (Reipe ber 
©treiter für ©Sönpeit unb EBaprpeit rüdt. 2lde ©tätten 
finb bereitet, unabfepbareS ERaterial liegt burdhftdptig ba, bie 
5Rife minft mit bem golbenen SorbeerreiS! — f)iuan! — 




^rcutlTcfon. 

- Wathbrud beeboten. 

3tt kr ÖcnjaptsnaSt- 

SSon 2lnton Cfd^e^otp. 

tft bie junge $od)ter beö alten (^ut^befi^erS unb 

Generals a. 5). gan$e8 ©innen unb ^rac^ten gebt auf eine batb= 
mögücbfte §eirat^ r unb je$t in ber ^euja^nac^t fifct fie nac^ rufftf^er 
SSolf^fttte üor bem buri ^mei Äerjen erfaßten ©pieget, um barin jur 
2ftitternad)t3ftunbe ben Qufünftigen ju erbtiefen, ber fie im neuen 3a&re 
jum SUtar führen mirb. Sftegloä roie eine Sitbfäule, bla& f miibe unb 
abgefpannt, ftarrt fie auf bie ©piegefflädje; ^tuter ihrem bilden fteijt 
noch ein jroeiter ©pieget, unb nun fcheint eS, al§ ob au$ einem enb^ 
tofen ®ang ein liebliche^ 3tnttip f oon einer hoppelten Sfteihe brennenber 
Äerjen beleuchtet, ihr entgegenbüefte. Sßom langen £inftarren auf bie 
unbegrenzte gerne fieht fie jule^t 3llle§ mie burd) einen grauen ©djieier, 
unb bann fdjeint mieber SlUeS in ein roogenbeS, braujenbeS, oon SBli^en 
beleuchtetes ifteer ju oerfinfen. 

©ieht man biefe ftarren Stugen unb ben halb offenen SJlunb, fo 
roeifr man nicht, ma^t ober träumt baS tDläbdhen; ba^ e3 aber jeßt 
etioaS Ungemöhnliche^ erblidt, ift untoertennbar. Sßerfiihrerif^e Slugen 
lächeln ihr entgegen, oom mogenben grauen ^intergrunb heben fich bie 
Sinien eine§ ÄopfeS ab, eine§ bärtigen 9Kännergefid)teS. 5)a8 mufe ber 
ihr Dom ©d)icf)al Seftimmte fein, ber ©egenftanb ihres ©ebnend unb 
£offen3, ba^ ®lürf ihre« fiebenS, ihr ®efd)icf, ihre ßufunft, ihr (Srbem 
bafein. ^lußer ihm ift nid)t8 al« ginfternife unb Seere für fie, mie auf 
jenem grauen £intergrunb. Unb im 2lnbltcf biefer fanft lädjelnben, 
herrlichen 3Ü9 e Derfunfen, empfinbet fie eine füge SBonne, eine um 
befchreibliche Suft. ©ie hört feine ©timme, lebt mit ihm unter einem 
$ad), ihr ganzes bafein bisher entfehminbet, um fleh unauflöslich mit 
ihm za bereinen. deutlich unb in allen Einzelheiten fieht ^ellp, mie 
bie Monate unb 3®hre Dor ihren ©innen bahtneilen unb ihr öebett 
fleh geftaltet. 

Eine Shräne quillt au8 ihrem ?luge; bem unfägltdjen Wonnegefühl 
folgt bie Empfinbung eines quälenben ©djmerze$. 5)a« Räbchen fieht 
hinter bem lieblichen gauber etroaS UngeheuerlidheÄ, einen graufamen 
4rug. günf bis fech§ Qahre ziehen über ben grauen §intergrunb. 
3§r ©atte ift noch immer fchön unb flug unb fein fanfteS Sädjeln ent- 
ZÜrfenb, aber fie hat fleh baran gemöhnt. 9?ur roenn fie ihn z« öer-' 
lieren fürchten mu|, empfinbet fte noch ba$ Elüd in feinem öefip. Sfi 
er abmefenb, ift fie unglüdlidj, hoch in feiner Eegemoart fühlt fie fi^ 
Zmar beruhigt, allein baS frühere Wonnegefühl hat fie nicht mehr. 5>er 
graue ^intergrunb zeigt ihr, bafj bie 9?atur fie frech betrog, unb bat, 


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n* 




Nr. 1. 


Sie $egeit»art 


13 


wäre er fogar ein ©ngel ober bte SeiShett felbft, in ihm bodj nicht aüeS 
©lüd enthalten ift. Tie Harmonie beS 3 lüc i^ an fl e ^ befriebigt fie nicht 
mehr, fie erfepnt noch etwas anbereS, baS wahre Seben, nnb baS menbet 
ftd) non ihr ab unb witt fiep mit ihrem SBunbe nicht oereinigen, 
fotibern geht feine eigenen Sege. ©ie fanb in ihm nicht baS erfepnte 
3beal r beS SebenS Neiz ift ihr Oerfagt, fie fühlt nur noch Ungemach, 
Öitterfeit unb Saft beS TafeinS. 

©in 33ilb nach bem anbern sieht über ben grauen §intergrunb. 
9hm fieht fie fiep in einer falten Sinternacht, wie fie an baS genfter 
beS SBezirfSarzteS flopft. 3m 3iwern beS fpaufeS ift eS ftodbuhfel, 
ringsum ^crxfc^t lautiofe ©tltte, nur burch baS ©eheul eines alten, 
heiferen §unbeS unterbrochen. 

„Um £>immelSwitten öffnet! $ülfe, $ülfe!" ftöhnt Neüt). ©nb= 
lieh fnarrt bie Thür, unb ein Ttenftmäb4en erfcheint. „3ft ber §err 
Toctor ju #auS?" 

„©r fdjläft," ffüfiext bie SWagb, als ob fte ihn $u Weden fürchtete, 
„©r ift eben erft zurüdgefeprt... man barf ihn nicht ftören!" Neüp 
achtet ber Sorte nicht, ftöfjt bie Wienerin weg unb bringt wie wapn= 
finnig in bie Sopnuna. ©nblt4, nachbem fte mehrere finftere Sommer 
burcheilt, erreicht fie beS ToctorS ©cplafzimmer. ©r liegt angefleibet 
auf feinem Pette. Nur ben Nod pat er abgeworfen: er ift wach unb 
haucht in bie erftanten §änbe. ©in trübes Nachtlicht oerbreitet einen 
Tämmerfdjetn. Neüt) ftnft wortlos auf einen ©tupl unb fcplucpzt bitter* 
lieh, unb ihr ganzer Körper zittert. 

„SÄein Ntann ift Iran!! Äommen (Sie gleich!" ftöhnt fte enblich. 
Ter 9lrjt richtet ftch langfam auf, ftüpt ben Äopf auf bie #anb unb 
blidt ben ©inbringling mit fcplaftrunfenen äugen fchweigenb an. 

„9Rein Ntann ift franf!" ächzt Neüt) unb will ihr (Schlurften 
unterbrüefen. „Um ©otteSwiÜen, fommen (Sic mit. .. fcpneÜ, fcpneÜ!" 

„ 0 h-" ftöhnt ber 5lrjt unb paud)t in bie §änbe. 

„kommen ©ie flinf! auf ber- ©teile! ©onft.. . fonft... eS ift 
fürchterlich! .. ." Tie angftgequälte Neüp will athemloS unb ihre 
Tpränen surücfbrängenb bem Toctor baS plöplidje ©rfranfen ihres 
SRanneS unb ihre eigene fchrecfliche Sage begreiflich machen, ©ie leibet 
unenbiid) — ber Slr^t aber ftarrt fte an, paud)t in feine §änbe unb 
rührt ftch nicht Oom gled. 

„34 fomme morgen $u 3 bnen" • • • bringt er enblich perüor. 

„Unmöglich!" fchreit Neüp in Slngft. „Ntein Niann pat b«n 
TpppuS — id) weife eS... ©ie müffen fofort mit!" 

„34 hin eben erft nach ©aufe gurücf.. . brei Tage im ©pibemie* 
bewirf ... bin tobtmübe unb felbft fchwer hanf. ©S ift mir unmöglich! 
Sin felbft inficirt — ba fehen ©ie!" ©r fdjiebt ihr baS Thermometer 
bin. „Nieine Temperatur nahe an 40 ©rab ... id) tann jept abfolut 
nicht... ©ntfcpulbigen ©ie... ich muh mich wieber pinlegen." Unb 
et fmtt auf fein Äiffen jurüd. 

„Elber ich P e h e cm, Toctor!" ftöhnt Neüp oerjweifelt. „34 
befchwöre ©ie, Reifen ©ie mir um ©otteSwtüen! Nehmen ©ie ftch 
gitfammen unb fahren ©ie mit mir ... 34 bo^k, waS ©ie oerlangen, 
Toctor!" 

„©ott, ©ie fehen hoch, bah 14 ni 4 t tann!" 

Nettp fpringt auf unb raft in pöcbfter Aufregung im 3'mmer 
herum, ©ie will bem Slrjt ertlären, ihm begreiflich machen .. . Sühte 
er nur, wie lieb ihr ber ©atle ift, waS eS für ein Unglüd wäre, er würbe 
gernih alle ©rmübung unb feine eigene $ranfpeit oergefjen . . . aber 
fte ftnbet feine Sorte. 

„fahren ©ie zum Kreisarzt!" flüftert ber Toctor. 

„Unmöglich! ©r wohnt fünfunbjwanjig Serft oon hier, unb bie 
3eit brängt. 9luch tonnen bie !ßferbe nicht mehr ben Seg machen. 
33on unS hierher ftnb oierjig Serft! Nein, unmöglich! kommen ©ie, 
T>octor; erbarmen ©ie ftch meiner!" 

„©ie wiffen nicht, waS ©ie Oon mir oerlangen! 34 liege felbft im 
gieber ... Ntein $opf glüht!... begreifen ©ie baS nicht? 34 fcmn 
nicht! ©eben ©ie!" 

„©ie müffen mit mir! ©ie bürfen eS mir nicht abfdjlagen! TaS 
wäre gemein! Ter 9Ir$t muh ft4 für feinen Nächsten auf opfern unb 
©ie ... ©ie weigern fief)! So ift 3h« N?enfchli4feit, 3^« ©tanbeS* 
ehre? 34 werbe ©ie oerflagen!" 

Neüt) fühlt, bah fte ihn beleibigt, bah fte unbefonnen h^nbelt, aber 
um ihren Niann gu retten, ift fie MeS im ©tanbe. SaS ftnb ihr noch 
Sogif, Tact, Ntitleib! 9ÜS einige Antwort ergreift ber Toctor ein ©laS 
Saffer unb trinft eS gierig auS. 5lber Netlp fährt fort, ihn abermals 
angupehen unb an fein 9J?itIeib gu appeütren. ©nblich giebt ber Toctor 
nad). Sangfam erhebt er p4, «dt unb ftredt ftch unb fieht fi4 tm4 
feinem Nod um. „£>ier ift er!" ruft Neüt) unb hilft ihm beim 
fleiben. „©o ... nun fommen ©ie! 34 werbe ©ie glängenb honoriren, 
S^ttcti ewig bantbar fein!" 

Slber wel4« fRein! £aum hat ber arjt ben Norf angejogen, ba 
finit er wieber auf fein SBctt ^urüd. Neüt) muh ihn aufriepten unb in r S 
SSorjjimmet fcpleppen. Tort wäprt eS wieber lange, MS er mit ihrer 
£ülfe ^elg unb Ueberfchupe angejogen hat. ©chliehli4 tann er bie 
Nfü$e nicht pnben. ©nblich finb fie SBeibe im Sagen, ginfternih überaü 
. .. man pept bie £>anb nicht üor ben äugen. Ter Sinb brauft ihnen 
eifig entgegen. Ter Sagen fommt auf ben holperigen, gefrorenen Sanb= 
wegen nur langfam oorwärtS. Ter 5httfdjer muh oft abfieigen, um ben 
Seg 511 fnepen. Neüt) unb ber $lr$t ftjjen fchweigenb ba unb fühlen 
Weber bie 51 ölte, noch bie ©töhe beS SagenS. 


„©0 treibe hoch bie Sßferbe an! ©cpnett, oorwärtS!" ruft Neüp 
bem Ihitfcher gu. ©nblicp gegen fünf Upr NtorgenS fommen bie ab» 
gehegten ^ferbe an ben $of. Tort tft ber Siehbrünnep, f)kt bie (Stätte 
unb ©epeunen .. . Neflp ift in ihrem Taheim. 

„Sarten ©ie ein wenig, ©err Toctor, icp geh' öorauS," fagt pe 
unb läfjt ihn im ©aft^immer auf'S ©oppa nieberfipen. „©rwärmen 
©ie fiep, icp wiü fehen, waS er macht..." gurüdtebrenb, pnbet pe 
ben Toctor auf bem ©oppa Itegenb. ©r laflt unoerftänblicpe Sorte. 

„Sitte, fommen ©ie, §err Toctor. . . Toctor!" 

„SaS? .. . gragen ©ie bie fNagb ..." 

„Um ©otteSwtüen . .. waS ift mit 3hnen?" 

„3n ber ©i^ung fagten pe ... Slaffom meinte ... Ser ba? ... 
SaS giebt'S? ..." 

Neüp pept ju iprem ©4«d, bah ber Toctor pebert, — ganj wie 1 
ipr Ntonn. SaS tpun? 

„3nm ftreiSarjt!" ruft pe furj entfcploPen. Unb bie gaprt gept 
nun wieber in bie pnftere Nacht hinaus, über bie gefrorene, holperige 
Sanbftrafje, bem eipgen ©turmwtnb entgegen, ©ie leibet an ©eele unb 
Seib, unb bte unbarmherzige Natur pat mit ipr fein Sttleib, noch gönnt 
pe ipr täufepenbe 3Unponen. %ein, nein, lieber ewig eine alte Sungfer 
bleiben, als no4 einmal eine folcpe Na4t erleben! ... 

©in anbereS 93ilb. 

Neüp pept nun auf bem grauen $tntergrunbe, wie ihr Sann mit 
©elbforgen fäntpft. ©r foü für bie ©chulben auf iprem ©ute 3i n f en 
bezahlen. 93eibe zermattern pdt in f4lafIofen Nächten ipr ©eptm, um 
einen 5luSweg z« pnben, bem ©ericptSooüzieher zu entgehen. 

Unb jefct pept pe ipre JHnber ... ©ie ift in fteter &ngft 00 t ©epar^ 
la4, Tiphtperie unb anbern tobbringenben Äranfpeiten. Senn pe fi4 
Oon ben Äinbem trennen muh, füplt pe jebeSmal £>öüenqualen, fogar 
üor ben ©cpulzeugnipen ängftigt fie fiep. 93ei ber geringften ©rfältung 
eines iprer kleinen zittert pe für fein Seben. 

Tann erblidt pe auf bem grauen $intergrunbe ben Tob. ©ie ift 
barauf üovbereitet. ©S ift ja natürli4, bah eines oon ben ©atten zu* 
erft fterben unb baS Ueberlebenbe ben grauenooüen 9lct ber ©eerbigung 
burepmaepen muh- NeÜp pept im ©eift ihren SNann fterben. Ntit 
aüen qualooüen (Einzelheiten baS für4terlicpe ©reignijj an ipren 
äugen üorüber. Ter ©arg, bie brennenben Äerzen, bie ©eiftlUpfeit, fo« 
gar baS $ämntern beS ©aratifd)lerS — NicptS wirb ipr erfpart. 

„Sozu baS aüeS? Tie ©pe ... baS ganze Seben ... waS foü 
eS? SaS pat eS für einen Swed, welchen ©inn, wekpeS 8^1?" fragt 
pe unb ftarrt bem tobten ©atten in'S antlip. 3pr ganzes epeU4eS 
Seben fepeint ipr nun eine pnnlofe Tragifomöbie, wie ein unnüfeS SBor= 
wort zum unerbittlichen ©cplupact beS TobeS.- 

^lö^licp ein ©eräufep. ©S ift etwas gefaÜen. Nettp f4ridt 
fammen, jpringt auf unb öffnet bie äugen, ©in ©piegel liegt zu ipren 
güfjen, ber anbere ftept noch aufrecht Oor ipr. ©ie blidt hinein unb 
fepaut ipr bleiches, üerweinteS ©efidjt. Ter graue ftintergrunb ift üer^ 
fcpwunben. „Selcp ? ein grauenhafter NeujaprStraum!" flüftert pe unb 
atpmet erleichtert auf. Tann gept pe zur Nupe. TaS eifrige ©innen 
unb Trachten nach bem erhofften ©peglüd ift ipr zum ©fei geworben, 
auf wie lange? .. . armeS Nienf4enperz! . .. 


|lu$ bet ^auptflabt. 


Ütanner be« »ergangenen 3abri)nnberta. 

©in Heiner ^lutarcp. 

auf aüerpöcpften öefepl ift inzwifepen baS zwanzigfte Sapi'punbert 
angebrochen. Sir finb wieber einmal früher als ©pronoS aufgeftanben. 
©ornopl unfere ©eieprten wie bie weltlichen unb geiftlicpen autoritäten 
paben fiep mit bem liebenSmürbigen fleinen Ne4enfepler einoerftanben 
erflärt; nur ein Ntedlenburger ©onfiftorium unb ein Äaffeler ©cput 
meifter wagten baS öanner ber gronbe z u entfalten. Ter ^pilolog 
unterwarf p4 inbeffen noch rechtzeitig unb führte zu feiner ©ntfcpuU 
bigung ben ^auptmann oon Äapernaum in'S gelb, einen biblifcpen 
gelben, bem hoffentlich au4 baS Ntedlenburger ©onpftorium ben ©e= 
porjam nicht oerweigern wirb, gügt eS fiep ebenfaüS no4 in le^ter 
©tunbe, fo giebt eS im Sanbe feinen Stberfpru4 ntepr gegen einen 
Zwar unleugbaren, aber obrigfeitlicpen Srrtpum, unb waS unfer matpe= 
matifcpeS können an anfepen oerliert, baS gewinnen wir auf ber anbern 
©eite burd) unerhört glänzenbe Tocumentirung ber beutfepen ©inigfeit. 
Ntögen wir auep in taufenb unwichtigen gragen oon Parteiungen zer= 
riffen fein, in ber grage ber 3ohrpunbert=Senbe fiepen wir zufanimen 
wte ein 9Kann. Sir fönnen heute, ©ottlob, mit Nupe unb ber Sapr* 
peit gemäjj faaen, bafe unS ein Saprpunbert Oon ©iSmard trennt. aüer= 
bingS pat eS Seute gegeben, bie baS fepon oor zwei unb no4 mepr 3opren 
behaupteten. 

£>aben wir fomit baS Tpor burepfepritten, baS zwei 3ritalter f4eibet 
unb oerbinbet — man geftatte unS, einftweilen im ©til ber Neujahrs^ 
Seitartifel zu bleiben —, fo brängt fiep unS bie Pfli4t auf, bie Bilanz 


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14 


Die <ftegeo®art. 


Nr. 1. 


beS versoffenen 3öp*punbert3 ju stepen, epe mir bem eben begonnenen 
baS $mroffop fteßen. AuS ben ©eficptSsügen ber Männer, in benen fiep 
bie Vergangenheit verförpert, fönnen mir unS baS 93ilb sufünftiger 
©rößen conftruiten. Die cparafteriftifchen Umriffe ber Heroen, beren 
Wupnt bie leßte ©ocpe beS alten SohrpunbertS erfüllte, bringen ©eftalt 
unb Klarheit auch in bie mogenben Webel beS mit poper obrigfettlicper 
©rlaubniß foeben gans neu eröffneten ©äculumS. 

* 

Wocp fein ©taatSfecretär beS Aeußern pat un$ fo viel fcpöneS 
©elb gefoftet, aber bie Weben, bie er rebet, finb munberfam. gut großen 
gufelsAuSVerfaufe, ben Spanien vor Kudern su bebeutenb peraufgefeßten 
greifen Vornapm, blieb er ber WJeiftbietenbe, unb ein fo fluger Mann 
mie Auguft ©cperl traute ihm erft unlängft toieber bie fünfunbsmanstg* 
miflionenfache lleberjahluttg ber Aracmüfte ©oa su. Aber bie Weben, 
bie ber $err ©taatSfecretär rebet, finb munberfam ©ie funfein von 
Silbern, bie entmeber ©emeiitpläße an ber ©onne ober geifitgeS 
©tgentpum beS erften KanslerS ftnb, unb ein ebenfo gemütvoller 
toie pointenlofer #umor leiht ihnen noch befonbere ©iirse. ©cpabe, 
baß mit nieblichen Wad)tifcps0päßen feine ernfthafte ©eltpolitif su machen 
ift. Deutfcplanb mußte, fürs nacpbem ber ©taatSfecretär eine befonberS 
mißige, bilberreiche unb gut gefprocpene Webe gehalten hatte, fcpmeigenb 
ben ©amoafdjimpf hinnehmen, unb Deutfcplanb empfing bie 3nfel auS 
©nglanbS §anb, nicht meil bet ©taatSfecretär abermals im WeicpStag 
allerlei Kursmeil Vorgetragen hatte, fonbern meil mir unS su ber Weife 
nach ©tubfor verftanben. Kein 3)veifel baran, bie güße ber Drinfs 
aelber, bie ©aliSburp unb ber fionboner ^rocurift beS §errn ©ecil 
WpobeS für unS bereit halten, ift ebenfomenig erfchöpft mie bie gapl 
ber unS von ihnen sugebadjten Soyerftöße. Domning ©treet rneiß feine 
Anmutp in baS ©eben sw legen. Wegeimäßig bemüthigt eS ben ©e= 
feßenften, unb fein Afliirter muß ihm gleichseitig als ©tiefelfnecht bienen. 
3n ber beutfepen Diplomatenfpracpe nennt man berartige Wrißpaitbhtngen 
„©epeintverträge". Die beutfepe Diplomatie nimmt jebeS gafepoba pin, 
menn ipr nur bie föftlicpe greunbfepaft ©nglanbS erhalten bleibt, greis 
ließ haben eben erft ©ronje am Wfobberfluffe unb ©cpalf Surger am 
Dugela fehr anfcpaulicp gezeigt, maS biefe greunbfepaft mertp ift unb 
mie unmeife unfere pocpmoplmeife Diplomatie mar, als fie mit fröhlicher 
3uverftcßt alle CbbS auf poftmenbenben Sieg gopn Suü'S legte. Die 
©runblage unferer gansen DranSoaal=$olitif ift grunbfalfcp unb mußte 
eS fein, meil bie Wfaßaebenben in Sertin gefcplafen patten. Unb bamit 
unfere ^Blamage t>or ©uropa unb Afrifa ben §öpepuitft erreiche, ließ 
bie verbünbete mißige ©roßmama beutfepe WeicpSpoftbampfer aufpeben 
unb nach Durban fcpleppen. Aber bafür finb bie Weben unferS ©taat3= 
fecretärS munberfam. 

Auch baS gefällige Arrangement feiner fleinen ©rfolge oerbient 
aUeS £ob. 9Wan benft gar niept an bie baaren Millionen, bie fie beit 
©taatSfäcfel foften; man fiept nur baS flacfernbe Wotpfeuer, baS fte um- 
ftraplt. Unfer TOnifter beS AuSmärtigen meiß fiep feinen ^ßlaß an ber 
Dpeaterfonne sw fiepern. ©ie reisenb mar niept ber ©amoa=©cpers ins 
feenirt! Die Wfißpanblung beS beutfepen Kreuzers im §afen oon Apia, 
bie SBefcpießung beutfeper Vflansungen mit englifcpeit unb amerifamfepen 
©ranateu Vernichteten jebe Hoffnung, baß unfere Diplomatie fiep sur 
Sertpeibigung unferer verbrieften Wechte aufraffen ober fie gar geltenb 
macpeit mürbe. Dann nahm bie giufterniß smifepen ben ©ouliffen itocp 
SW. Der ©olonialratp erflärte mit großer Wfeprpeit, bie ©rmerbttng 
©amoaS burep Deutfdjlanb nid)t befürmorten su fönnen. Damit fepien 
bie Swfelgruppe enbgültig verloren. Unb nun brad) plößliep in greüem 
©lause bie ©onne burcp'S fepmarse ©emölf, eine ©onne von fo fiegpafter 
Äraft, mie fie nur gans gemiegte Wequifiteure swr Verfügung pabeit. 
Wun serfiatterten plöplicp bie ©epatten ber Wacpt, unb baS palmen* 
umfränste ©ilanb mar unfer! 9Öenn bie gefd)icfte mise-en-scene ber 
Diplomaten unb ber Sortrag beS WUnifterS ©liicf machte, bann müßte 
unferm ©taatSfecretär beS Sleußern vor ber ©ötter Weibe grauen. 

©in ©uteS pat bie amiifante Wfeiningerei boep: mir bürfen popen, 
baß fiep auep ber ©epeimvertrag mit ©nglanb als ein reisenber ftnalls 
bonbon ermeifen unb uitS bunte gafdnngS=Ueberrafd)ungen bringen mirb. 
©erabe Von ben gwbiScretionen beS fifett Wuguft ©cperl, bie ber ftaatS* 
ntännifepen ©infiept unb ©emanbtpeit unferer Wtaßgebenbcn baS©terbes 
Wtteft auSfteöen, mirb fiep in leucptenber ©cpönpeit abpeben, maS fie 
mirflicp erreicht haben. Dpite biefen graugrauen ^intergrunb, ben bie 
Sefcplagnapme beS „SunbeSratp" noch troftlofer macht, näpnten fiep ihre 
eublicpen ©rfolge Vießeid)t ungemein armfelig auS: jeßt aber, mo alle 
5BeIt baS ©cplimmfte ermattet, fann alle 3öelt nur itocp angenepnt ents 
täufept merben. 

Söer mill nod) in Wbrebe fteßen, baß bie Dpeaterfunft bie .^unft 
beS neuen 3 a P l hwnbertS ift? DeS neuen 3 a P r PwnbertS, mie mir eS 
verftepen? 

* 

DaS preußifepe CberVermaltungS=©eri(pt pat feine ©^iftens=Serecps 
tigung auch für baS smansigfte ©äculunt ermiefen. ©eine Ünentbeprlicps 
feit ftept feft. 9ftan feße nur ben gaß, eS märe nicht auf ben ©ebanfen 
gefommen, ber SausSotisei politifdje Sefugniffe 3usufprecpen unb ipr su 
geftatten, fimple Saumerfe, gegen bie teepnifep WicptS einsitmenben ift, 
auS ©riinben von Wuno Wdptunbviersig s u verbieten — maS pätte bann 
ber jeßige Dberbürgermeifter von Serlin anfangen foßen? 


Der jeßige Dberbürgermeifter Von Serltn ift baS felbfts 
ermäplte .J)aupt einer SWißionenbevölferung, beren SWännerftols vor 
Königsthronen mepr als fprtcpmöttltcp ift. WZan erinnere fiep nur, baß 
freifinnige Wfitglieber beS ^Berliner ©tabtparlamenteS einft ipren ©öpnen 
verboten, an einer ftubentifcpen^uIbigungSfeiertpeilsunehmen, bie bem alten 
Kaifer galt; baß ber Serliner SJiagiftrat 3öpre lang bem gürften SiSs 
marcf, bem Weubegrünber ber preußifepen Monarchie, mit rafßnirt auSs 
geflügelten ©teuerplacfereien ben Slufentpalt in ber £>awptftabt su vercleln 
fuepte. Dielen guten Wepublifanern, bie eS ftols verfepmäpten, fiep auch nur 
Sernunft= s JWonarcpiften su nennen, troß ber in bem ©orte üegenben, in 
iprem befonberen gafle freilich beplacirten ©cpmeicpelei, biefen Aufrechten 
begegnet eS, baß ipr ©ommunepapft anbertpalb 3wpre lang bie faiferlicpe 
Seftätigung niept erpält. 3w» fcplintmer noch — überhaupt feine SWits 
tpeilung erpält. ©te Doggenburg martete er, bis baS genfter flang, 
anbertpalb 3öpre pinburep, unb anbertpalb 3 Q h^ e pinburep flang eS 
niept. Dem Wionarcpen ftept verfaffungSmäßig baS Wecpt su, bie Se= 
ftätigung su Verfagen, unb felbft ber llnentroegte mirb bieS Wecpt ans 
erfennen. Dagegen mußten bie aufgeflärten, freiheitlichen unb frei= 
finnigen ©tabträtpe, mußte ber aufgeflärte, freiheitliche unb freiftitnige 
Wtagiftrat eS als eine fepmere Seleibigung betrachten, baß £err Von ber 
Wecfc nid)t einmal einen ©runb für bie befremblicpe Sersögerung ber 
©ntfepeibung ansugeben für nötpig pielt. Droßbem magten meber bie ©tabts 
verorbneten nod) ber üKagiftrat, auch nur su muefen. §err Kirfcpner, 
ipr felbftermäplteS, unbeftätigteS ^aupt, empfing barhaupt, im ftrijnten= 
ben Wegen, ben von ber 3enifalemfaprt peimfeprenben föniglicpen £>errn. 
Die aufgeflärte, freiheitliche unb freisinnige Sßreffe baepte fo menig mie 
bie fiiprenben Wfänner baran, ftdp su entrüften. Unb ipre ©ißblättlein 
machten fiep gar über ben unglüdfeligen Sürgermeifter luftig, ©potteten 
iprer felbft unb mußten niept mie. 

Die Dragifomöbie beS unbeftätigten OberbürgermeifterS von Serlin 
ift bie Dragifomöbie beS verfommenen pauptftäbtifepen SiberaliSmuS. 
Da roßt fein Dröpflein rotpen SluteS ntepr in ben greifenpaft verfallen 
Abern, ba lobert fein gunfen beS männlichen gorneS mepr unb beS 
felbftbemußten ©toIseS, mie er bie Säter befeelte. griebfertig bietet man 
naep ber erften Dprfeige, bie man erhalten pat, auep bie linfe ©ange 
bar, unb je länger man im Süßerpemb frierenb auf bem ©cploßpofe 
ftept, befto untertpäniger geberbet man fiep in bpsuntinifcp verfcpnörfeiten 
©eburtStagSabreffen. Witr niept auftoßen, nur um £>immelSmiflen niept 
anftoßen! ©cpeint’S Wotp su tpun, bann faßen ben Aufgeflärten, ben 
greipeitlicpen unb greifinnigen fogar fepmülftig = peudplerifcpe grömmlers 
pprafen ein, unb fie nehmen ben berben Wippenftoß, ben ber Dberceres 
monienmeifter ihnen falt läcpelnb Verfeßt, als eine ©epiefung ©otteS pin. 

DaS ift bie entfepteben liberale Partei, bie baS ©rößeresDeutfcplanb 
regieren miß unb beßpalb bie neue glotte bauen hilft; baS finb bie 
liberalen Wiänner ber 3ufunft. .. 

* 

Der ©taatSanmalt ruft mit fdjmungvoflem 95atpoS auS, jtpänb= 
lieper unb gefährlicher als Waub unb Wtorb unb Diebftapl fei bie ©r= 
preffung; man müffe, fofte eS, maS eS moße, ben WeVolverjournaliSmuS 
ermürgen unb ein unb für aße Wfal ein abftprecfenbeS öeifpiel ftatuiren. 
©rgriß'en laufept baS publicum, unb bie ^Berliner 93örfen= unb ^anbelSs 
3eitungen fpeitben ^eifaß . . . ©aS ift baS? ©ie fpenben SBeifafl, nun 
eS einem ber gerifjeiten ©cplauberger an ben Kragen $ept, bie ftep 
Wubliciften nennen unb bie fepmußigen ©efepäfte ber £mcpfinans beforgen, 
bie mit gtoei- ober breipunbert Wtarf Monatsgehalt prächtige SSiflen 
bauen unb als Wtiflionäre felig verenben? Der SournaliSmuS, ben 
man mit feltenlaugen, fetten 3nferaten besaplt, bamit er fepmeige, unb 
ben man am ©rtrage ungeheuerlicher ©aunereien betpeiligt, bannt er fte 
überfdimäuglicp lobpreife unb bie ©irnpel auf ben fieint locfe — biefer 
aße ^Brunnen vergiftenbe 3^urnaliSmuS fißt auf ber Anflagebanf, unb 
bie ©örfenpreffe ruft bonnerub 95ravo? 

Ad) nein — nur ein Siümpcpen, ein armer bummer Deufel ift 
eingefangen unb 3U anbertpalb 3 a P r ^u ©efängitiß verurtpeilt morben. 
£>crr 3^fid)im ©eplfen, ber ehemalige WeicpSglöcfner, beffen paßgefepmoßene 
9MSmardbefcpimpfungen ben vornehmen Vlättern mie ben vornehmen 
Wolitiferit ber Wefibens einftmalS ©onnefpeife maren, patte naep feiner 
Amneftirung mit feparfem s ^licf einen für feine Strategie fepr geeig= 
rieten berliner Sorort auSfinbig gemacht. ^)ier grünbete er, unbe= 
fümmert um baS Werbot, ©urft unb Käfe in bebrucfteS Rapier eins 
Stimidelit, etliche 3 e tff c P r iften unb befäntpfte barin auf feine grißenpafte 
©eife ben SafiliSfen ber ©orritption. Wfan fann fiep auS ben ©ericptSs 
Verpanblungen fein 93ilb Von ber ©cpulb ober Unfcpulb beS jebenfaüS 
fepr unmobernen WfaitneS ntaepen. ©emiß fepeint, baß er felbft 9Hes 
ntanben um ©elb anging, fonbern baß bie '-Berfucper su ipm in ? S £auS 
fameit unb beit in füntmerlicpcn Scrpältniffen öebenben anföberten. 
©r verbiß fiep in ben ©iberpafen, mie folcpe Dölpel fiep verbeißen, 
junger tput mep, unb einen neuen Ansug braudjte er auep — fo ließ 
er ab von bem Kampfe gegen bie ©orruption, bie ipm ^pofeit unb Wocf 
annteffen ließ unb feiner grau baS erforberlicpe ©irtpfcpaftSgelb eins 
pänbigte. ©r rnarb bafür von WecptSmegeit su anbertpalb 3&pren © e ' 
fängitiß Verbammt. Db in bem beroußteit Vorort feitbem abgesogene 
Dugenb graffirt, ob bie bortigen ©rebit= unb gutmobilien=S8erfepr§« 
hänfen eine ©efprecpitng iprer ©epcitnniffe meniger su fdjetten haben 
unb bie Anbeter ber ASppalri©Öttin uid)t mepr im Dentpel fnieit, baS 
AßeS ift an ©ericptSfteße unerörtert geblieben. 


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Nr. 1. 


Ute <8> eg eit »au. 


15 


Xie empörte öffentliche Meinung, an iprer ©pipe bte Meprzapl 
ber Aörfen* unb §anbelSzeitungen, pat ben ertappten IRevoloermann 
getpeert unb gefebert, gelpncpt unb aufeerbem ber Aeracptung aller ans 
ftänbigen Elemente überliefert. granz Moor ift mit iRecpt entrüftet. 
©r pat ftep nie mit töleinigfeiten abgegeben, roie ber jammervolle $Reid)S= 
glödner, bem vor Qapren ber s Jtiefe AiSmard nicht zu grofe unb un= 
angreifbar bünfte unb ben bie 9?emeftS nun über ein paar jmeifelpafte 
Stuergs^fiftenjen ftolpern liefe. ©r oerbient fein ©cpidfal, benn er pafet 
in feiner Qurücfgebliebenpeit, mit feiner plumpen unb auf fümmerlicpen 
SRaub gerichteten Xaftif nicht in baS vorgefeprittene, grofe angelegte neue 
3aprpunbert. Caliban. 


Dramatiftfye Äuffüljningen. 

Xpeaterftatiftif. — „Otto Sangmann 28roe." ©cpaufpiel von Abolpp 
S'Arronge. (Ägl. ©cpaufpielpauS.) 

©troaS Xpeaterftatiftif 511 m 3aprpunbertmecpfel ift nicht ohne 
SReiz, unb fo mögen unS benn bie naep Aenzenberg „beroeifenben* 
3aplen fagen, roer peute ber Liebling beS beutfepen AolfeS ift, foroeit 
eS menigftenS baS Xpeater befuept. 3Ber Vor punbert Qapren bie grage 
naep bem meiftaufgefiiprten beutfepen Xrantatifer unterfuept hätte, märe 
opne Qroeifel zu bem ©rgebnife gelangt: ftopebtte, bann naep ipm 3 fflanb, 
felbftverftänblicp neben ben granzofen, bie auep bei Sebzeiten unferer 
(Ilaffifer bie beutfepe Aüpne beperrfepten. Aon unferen ©rofeen mar 
roopl — aber ein gutes ©tüd pinter ben beiben Mataboren — ©epilier 
mit feinen Sugenbftiiden ber meiftgefpielte; nael) ipm Sefftng mit 
„ s )iatpan* unb „Minna Von Anvnpeim"; ©oetpe, ber im Stfoman 
pBertper) einen SBelterfolg errungen, mürbe verpältnifemäfeig feiten 
aufgefüprt; am beliebteften maren mopl „©lavigo" unb „©tefla", meil 
fie bem bürgerlichen 3 eitgefcpmad befjer entfpraepen, als ber fvafts 
genialifepe ,,©öp". Unb patte man vor fünfzig fahren mieber naep 
bem Siebltng ber beutfdien Xpeaterbefuepcr gefragt, bie allroiffenbe 
©tatiftif pätte ficperlicp geantmortet: Sparlotte AivcpsAfeiffer unb ©cribe. 
5Bie eS peute befteKt ift, entnepmen mir einem ftatiftifepen SRüdbltd auf 
baS Xpeaterjapr 1898/99: unter 30 795 Aufführungen beS QapreS — 
Oper, Operette, ©aßet niept mitgeredmet — entfallen auf OScar 
Alumentpal'S brantatifepe Xicptungen 3076 (in ^Sorten: breitaufenb^ 
fiebrig unb fecpS!), bavon allein auf baS „53eifee Aöfel" runb 1700 Aors 
fteüungen. 9?äcpft biefem unfterblicpen SBerf patte fiep ber „©cplaf= 
ivagencontroleur" mit 769 ber pöcpften AuffüprungSzapl zu erfreuen. 
Xann folgen „guprmann ^enfdjel" mit 716, „§ofgunft" von Xrotpa 
mit 642, baS „©rbe" von Apilippi mit 610 (in Berlin burcpgefaüen), 
„Auf ber ©onnenfeite" mit 506, „Soja" mit 409 Aufführungen. 3n 
ber Autorenftatiftif folgt auf Alumentpal: ©erpart |>auptmann *(1294 
mal, unb *roar naep bem „guprmann ^enfcpel" bie „Aerfunfene ©lode" 
mit 220 , ber „Aiberpelz" mit 192 Aufführungen); bemnäepft ©epilier 
(1102), ©ubermann (998), ©cpöntpan (971), Mofer (914, meifienS 
nur in ber „^rovinj"), ©pafefpeare (788), ^pilippi (719), S’Av= 
rouge (589), gulba (569), ©arbou (472), Anzengruber (336), ©oetpe 
(326), Airep=Pfeiffer (294), 3bfen (269), Scffing (231), XrnnaS (202), 
©cribe (128). Einbau, Subliner, Aofe, SBilbranbt tommen faum 
noep in Aetracpt. Unter ber ©efamnttjapl von 30 795 befanben fiep 
nur 4733 Aitffitprungen frembfpracpiger Aterfe, movon 3162 auf frans 
jöfifepe ©tücte fommeit, bie benmaep im SiurS Vorübergcpenb niept 
mepr fo poep ftepen mie früper. Xen SRecorb pat, mie gejagt, Alumen= 
tpal, aber eS fallen, roaS ber ©tatiftiter überfiebt, verfrijiebene fepr 
bittere Xropfen ABerntutp in feinen ©iegerpofal. Aon ben 3076 Auf= 
füprungen mufe er bie Xantiemen von 2926 Aorfteflungen 51 t feinem 
tiefften ©cpmerze mit feinem Mitarbeiter ftabelburg tpeilen. XaS 
©eplimmfte aber: eS finb fogenannte formte ©rfolge. Xie Aorftel= 
lungen entfallen in ber föauptmaffe auf baS 2effingsXpeater, beffen 
©igentpümer unb (menn auep niept mepr nomineller) Seiler Alumentpal 
noep peute ift. ©in fepr meifeS $arifer Xpeatergefep verbietet jebent 
Xirector, ein eigenes ©tüd auf feiner eigenen Söiipne zu fpielen, momit 
Verptnbert mirb, bafe ber Autors Xirector feine Macproerte auf Äoften 
feiner bramatijepen Soncurrenten pouffirt. XaS mar unb ift aber ge= 
rabe 93lumentpars befannter ©efdjäftStniff. 3nt Seffing*Xpeater merben 
auep feine abgefpielteften ober burcpgefaüenften ©tücfe mit Olemalt auf 
bem (©pielplan erpalten, — fogar vor ganz °& er halb leeren Käufern; 
fo fpart man boep menigftenS bie Xantiemen unb fpiegelt ben ^rovinz^ 
birectoren einen jum Anlauf animirenben Äi affenerfolg vor. grembe 
©türfe aber merben nur mibermiHig angenommen ober gar verbaüpovnt 
(„©ertrub Antiefe") unb Verfcproinben fofort, um toicber bem lieben iiau$= 
clafftfer ^Pla^ z u utaepen. XaS rächt fiep natürlich, benn fo ftiefmütter= 
lieh bepanbelte Antoren merben fiep in ber ßrolge püten, ipre Novitäten 
biefem Xpeater $u geben. 3 U & en Abtrünnigen gepört auep ©uber= 
mann, ben Slumentpal mit ber jßadjtübergabe'an beffen Manager 9?eu= 
mann=^ofcr, unb burep bie SulnläiimSauffüprung ber ,,©pre w , fomie 
ein fepmeicpelpafteS geuitteton mieber z« geminnen fuept. XaS mirb 


aber nicptS an ber Xpatfacpe änbern, bafe nur noep Anfänger ober 
von allen anberen Xirectoren zmrüdgemiefene gflanuferipte ipren 2Beg 
imS SBIitmentpaU Xpeater finben. Unb verfagt bann fein ©aifonftürf, 
mie bie überall abgelepnte erfte gortfefeung ber feplau erbaepten IRöfels 
Xrilogie ober Xetralogie, bie breiactige Oebe „AIS ich mieberfam", bann 
ift baS §auS auep mit fämmtliepen Xurner= unb ßeglerverelnen ©erlinS, 
benen 5 « palben ©affenpreifen vorgejpielt mirb, niept mepr $u füllen. 
Xer fepönfte SRecorb beS ftatiftifep beglaubigten „Stebling beS s $ublicuntS" 
Pat alfo für ben Kenner ber S3erpältniffe eine fepr bebenlliepe Äeprfeite, 
unb gerabe fein Xriumpp als meiftgefpielter Xrantatifer ift Alumen= 
tpal'S SSerberben. 9hept viel anberS liegen bie Xinge bei ^auptmann, 
beffen ©rfolge fiep faft ganz au f berliner Xeutfepe Xpeater be* 
fdiränfen, bem er niept nur als Autor, fonbern auep als Antpeilpaber 
ober fo ähnlich jjapeftept. ©ine tiefer bliefenbe ©tatiftil mürbe baper als 
beliebteften Xrantatifer gernife eper ©ubermann proclamiren, ber auep 
in ben Seips unb SSolfSbibliotpefen (neben ber ©fcpftrutp) ber melftver= 
langte Autor ift, unb zmar obgleich feine lepten ©tüefe, von 93erlin ab» 
gefepen, mepr ober ntittber alle verfugten. Xer ©rfolg in ber SReitpSs 
pauptftabt ift eben entfepeibenb. ©in berliner Mißerfolg tann burep 
©affetterfolge in ©ien, Hamburg, Müncpen, granffurt, Seipzig k. niept 
mepr mett gemaept merben. Xie DieicpSpauptftabt ift peute auep bie 
beutfepe Xpeaterpauptftabt, mie fie fepou jept ber gröfete Äunftmarft ift 
unb trop Müncpen unaufpaltfam bie beutfepe ftunftftabt mirb. 

Xer Aefiper beS Xeutfcpen XpeaterS pat eS längft niept mepr nötpig, 
unb boep bidptet er immer noep gemütpvolle ©epaufptele. Xafe ipn ber 
©eift bazu treibt, ift faum anzutiepmen, menigftenS verrätp fein an* 
geblicp neues XBerf feine ©pur von ©eift. ©0 bleibt benn nur bie 
Annapme übrig, bafe ber alte S'Atronge auS Sangermeile ©tücfe fepreibt, 
maS allerbingS fein fcpötteS Sicpt auf feine Angepörigen mirft. ©ie 
foüten für beffere Unterpaltung beS gamilienoberpaupteS 6orgj tragen 
unb ipn gar niept erft auf trübe ©ebanfen fommen laffen. ASie märe 
eS, menn fein ©opn §anS unb fein greunb Subliner, bie ja beibe au<p % 
bid)ten, ein für allemal ipre jßoefies^ureauftunben bent Xauerfcat mit' 
Abolpp S'Arronge mibmeten? Xabutcp märe niept nur bem alten £>errn 
geholfen, fonbern auep mir fönnten, von brei Xramatifem ober boep Von 
ipren ©cpöpfungen befreit, pörbar aufatpmen! 

Abolpp S'Arronge füüt müfeige ©tunben mit ber SRieberfdjrift 
feiner gefamntelten 3Serfe auS unb vertreibt fiep fo bie Sangemeile, bt= 
benft aber niept, bafe er biefelbe Sangemeile anberen Seilten zutreibt. 
Unterm verföpuetiben ©influfe reichlich genoffenen ^SfefferfuepenS moüten 
bie maeferen Abonnenten beS ©cpaufpielpaufeS nidpt öirect grob merben 
unb antmorteten ntitleibvoü ben 3if4 crn mit S3cifallrufen. Xennocp 
verpeplten fie unter einattber ipre Unzufriebenpeit niept. ©ie alle patten 
bteS ©tüd fepon öfter irgenbroo gefepen, unb eS mar ipnen bamalS frifdjer, 
natürlicher, ipafeiger vorgelommen. ©0 eine grau, roie Sangmann'S 
SBittme, giebt eS ja gar niept. Xiefe Xame, bie eitel, genufefüeptig 
unb aufeerbem gnpaberin eines altberüpmten MoberoaarenpaufeS ift, pat 
trop tprer faufmännifcpeit S3ergangenpeit feine Apnung Von ber Aebeus 
tung eines ©ecpfelS, unb ungeadjtet ber bringenben Bitten beS ^rocuriften 
roiö fte tpren iReft an baarem ©elbe zum Anfauf einer SStfla in Akmnfee, 
ftatt zur Aezaplttng eines mieptigen AccepteS verroenben. Xafe fie unter 
folcpen Umftänben ber ©oncurrenz 3®ertpeim'S erliegen mufe, ift niept 
roeiter verrounberltcp. Xie girma Ctto Sangmann Sroe. liquibirt, unb 
ber gefaöfücptigen alten ©epacptel roäre eS verteufelt fcplecpt ergangen, 
roenn fte niept einen ©ngel von Xocptcr gepabt pätte, eine ebenfo fluge 
mie liebenSmürbige Xocpter. XieS Muftermäbel evnäprt bie verarmte 
gamilie glänzeub burep Älavierftunbeit unb ftenograppifepe Arbeiten. 
Subliner lofte bie fociale Stage burep ©rünbung Von gortbilbungS* 
fcpulen, S'Arrottge rnaept bie ©aepe mit ÄlaviersUnterriept. Xropbem 
fipen Aetbe immer noch nicht im SReicpStage. XaS gute unb fromme 
Xorepen mirb am ©nbe für ipre Xugenb föftlicp belopttt, fie friegt 
nämlicp grip Aorftel, ben guten unb frommen ^ortierfnaben. Ueber= 
paupt bie SÖorftel’S! An benen pätte fid) Dtto Sangmann 23me. ein 
Aetfpiel nepmen foüen. AJie bie Xurteltauben leben fie ntiteinanber, 
arm, aber eprlicp unb glüdliep, unb ber liebe ©ott zeigt fiep für ipre 
Xugenb erfenntlid), inbem er ipnen bemufeten grip zum ©opne gab. 
Xamit aber Wiemanb von ben ^ßerfonen beS XpeaterzettelS Anlafe pabe, 
unzufrieben mit bem Autor zu fein, verpeiratpet ber mtlbpevzige $oet 
Xorcpen'S tpöriepte ©cpmefter glordjeit am ©nbe rafcp noep mit einem 
fteinreiepen Aaron, unb Mama ziept zu bem abligen ©cpmiegerfopne. 
Xcnn ba fie fiep felbft im lepten Acte nicht gebeffert pat, fonntc ber 
Autor fie für bie parabiefifepe ©eligfeit ber Portierloge niept für reif 
erflären, fo leib eS ipm aud) tpat. 

©onft genügte baS Xrama allen geregten Attfprüepen ber gereepten 
.liammmaeper. ©eine rüprfdtge Areite, fein mäfferiger ^untor, bie lln= 
ntögliddeit aller, aber auep aller AorauSfepungen, bie tpöriepte ©pa= 
rafteriftif unb baS greuliche Xeutjd) beS XialogeS fiepern bem Aerfaffer 
einen ©prenplap unter ben Xicptern ber lepten beiben SBoepen beS neun= 
Zepnten 3a^tputtbertS. 


- Xi** - 


* 


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1 iGg; {Q£>: S9; ’G£>i Q£» i 


. *K ei! TJT . M* * M; ’Ä: 'Ä; ;Ä v TJ’ 


Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer. 


Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Ejrankheitserscheinungen. 
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch 
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre 
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von ®/ 4 1 75 Pf. in 
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Beildorf (Rhein). Dr. Carbach & Cie. 


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97igra SRorbau OUtbicr fetten» 
fofer ©altsfmrp ©tenfieinlcj 
©imon ©pencet ©pielbagni 
©taitlet) ©toeefer ©trittbberg 
©uttner ©Mlbenbrud) XBenier 
Bola u. P. «. 

Dcrlag ber tfegemuart, 


Urteil 


Nahrungs-Eiweiss 


1 Kilo Tr opon hat den gleichen Ernährungswert wie 5 Kilo 
bestes Rindfleisch oder 180—200 Eier. Tropon setzt 
Bich im Körper unmittelbar in Blut und Muskelsubstanz um, 
ohne Fett zu bilden. Tropon hat daher bei regelmässigem 
Genuss eine bedeutende Zunahme der Kräfte bei 
Gesunden und Kranken zur Folge und kann allen Speisen 
unbeschadet ihres Eigengeschmacks zugemischt werden. 
Bei dem äusserst niedrigen Preise von Tropon ist dessen 
Anschaffung einem jeden ermöglicht (80) 

Zu beziehen darob Apotheken und Drogengesohäfte* 

Tropon-Werke, Mülheim-Rhein. 


Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift¬ 
stellers sind zu Gunsten der Hinterbliebenen 
folg. Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden¬ 
preises in schönen, geb. Ex. zu verkaufen: 
Brockhaus’ Conversationslexikon. Neueste 
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände 
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei 
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬ 
gabe 80 M. — Hch. Kurz: Geschichte der 
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. v. 
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild- 
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder- 
bde. 50 M. — Lacroix, Les arts au Moyen- 
Age; Directoire Consulat Empire, 2 Lieb- 
hbde. 30 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬ 
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde. 
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner 
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl. 
Text m. deutsch. Erklärungen v. Delius, 
Hfb. 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel 
(Pfeilstücker) Lwbd. 10 M. — Bestellungen 
pr. Nachnahme durch Vermittlung der 
Expedition der „Gegenwart^ in 
Berlin W. 57. 


Um ntifcr Säger ju räumen, bieten mir unfcrcu Abonnenten eine giinftige 
(Gelegenheit jnr ®erooUftänbiguug ber Collection. So meit ber 2$orratb reidjt, 
liefern mir bie Jahrgänge 1872—1892 ä 6 SW. (ftatt 18 SW.), ^olbjabrb* 
Öiinbe a 3 SW. (ftatt 9 SW.). (Gebunbene Jahrgänge ä 8 Uli. 

©erlag Der ©egenumrt in ©erlin W, 57. 


Abonnement 


Mit dieser Nummer beginnt das I. Quartal der „Gegenwart“. Die¬ 
jenigen unserer geehrten Leser, deren Abonnement abgelaufen, bitten wir um so¬ 
fortige Erneuerung, damit die regelmässige Zusendung nicht unterbrochen wird. 
Bei verspäteter Bestellung können oft nur unvollständige Exemplare nachgeliefert 
werden. Alle Buchhandlungen, Postanstalten und Zeitungsexpeditionen 
nehmen Abonnements zum Preise von 4 Mk. 50 Pf. entgegen. Im Weltpost¬ 
verein 5 Mk. 25 Pf. 


I. Quartal 1900 


Bl Verlag der Gegenwart in Berlin W, 57, 


zum 56. Bande der „Gegenwart“, 

zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwe 
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und ver 
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden i 
Buchhandlungen entgegengenommen. 


Bestellungen auf die 


«erannuonUdjfr Wcbacteur: Dr. IpeopljU Bölling tn ©erltn. »tebaetton unb (Sjpebttton: ©erltn W., SRanfteinftrafce 7. S)nttf oon fceffr & öccfer tn ßetpitg- 


























M 2 . 


^SerCrn, Öen 18. Januar 1900.. 


29. Jahrgang. 
Band 57. 


pic dcpmmnt 

Sßwhenfdirift für Siteratur, Straft unb öffentliches Selten. 


Jtcransgegeßen Dort ‘gQeopQtt ^offtng. 


feien Smmabenb erfdjetnt ttot fnaraer. 

•{u bcjle^en burdj ade Su^banblungen unb ^oftämter. 


©erlag her (Segentrart tn ©erlin W, 57. 


SUrtiimtiD 4 *. 50 »f. «tat pvmer 50 «f. 

Snferate lebet «rt *to 3 gehaltene qßetttjette 80 $f. 


£>ank unb 9Rafdjincnarbett. @tn focialer AuSblicf. ©on ©aul @rnft. — S)er ^retöfatl im lebten Saljr&unbert. ©on 92. ©tjrfin. 

(jn /» /•/ — 5>ie Offtctere unb ber Alfoljol. ©on Dr. 28. ©obe (28eimar). — 5Öei^nacf)t§ibplIe am SftobberttüeT 1899. ©on SBilfjelm 

iMtM F Senfen. — $)ie föpifobe SMeu. ©in furjer ©pilog. ©on Arthur ® olbfcfjmibt. — (5^ctle (S^aminabe. ©on $ebiüig 

C> V** *• öon grteblaenber=AbeI. — $euUteton. ©in ftf)led)te3 @nb\ ©on ©. SSürt^mann. — Ah$ Der £>auj)tftabt. $ie 

92otfföeIfer. ©on Caliban. — 3urt) unb ©eceffion. ©on 3- 92orben. — $>ramatifif)e Aufführungen. — 92otijen. — Anzeigen. 


Ijonii- ttttb Ütafdiinenorbeit. 

(Sin focialer SluSfOitf. 

Son paul <£rnft. 

Sie Slmeritaner finb fetir fleißige ^atiftifer. ÜRit uit= 
gebrochenem SRuthe unb großer tpartnäengfeit machen fie [ich 
baran, bie fchtnicrigften unb Derwitfettften focialen Probleme 
ftatiftifch ju ergrünben. Sehr oft gehen fie freilich habet 
üb«r bie ©renjen hinaus, bie ber ftatiftifdfen SRethobc gc= 
jogen finb; eö macht Dielleicht oft ben ©nbrurf ju jtigeub» 
lic|er Segeifterung für eine frifch gemouneite ©inficht, waS 
man bauott oft lieft; aber auch bei Derfet)lten Serfitdjen bleibt 
boch noch genug übrig, was ber ernfteften ^Betrachtung wertl) 
ift. SaS arbeitSftatiftifdhe 9lntt 511 2Baf£)ington f)ot foeben 
eine jweibänbige Unterfuchung hetauögegeben auf ©runb eines 
Auftrages bcS SoitgreffeS, baS Serhältnifs jwifchen £)aitb« 
unb 9J?afd)ineuarbeit ju erforfchen, ihren Giitflufj auf bie 
'ißrobuctionSfofteii, ihre relatiDe ißrobuction^fraft, bie 9frbeitS» 
foften in beiben gälten, ben Gittflnfj auf bie Söhne in 55otgc 
ber burch bie 2Rafd)ineit ermöglichten grauen» utib Sinber» 
arbeit, unb enblicf) ob SRangel ober Ueberflufj an 9(rbeitS» 
fräften bie ©inführung ber üRafdjinen beförbert. Sie beiben 
lebten gtagett liefen fid) nicht beantworten anf ftatiftifcEjem 
SÖege, ba hier ä u oiei oerfdjiebenartigc fid) freujenbe, h ctn » 
menbe unb beförbernbe gactoren in grage fommen, bereit 
relatiüe Sebeutuitg fich nicht sahlenrnäfig feftftcUen läßt. 
9fuf bie anberen grageit finb 9lntworten gegeben auf ©runb 
Don eiugehenben ©rhebungeit in allen möglichen Snbuftrien. 
©8 ift anjunchmen, baff biefe itidjt alle im ©injelneti ganj 
einwurfsfreie fRcfultate erjeugt haben, unb man tann beßhalb 
nicht auf bet einzelnen 3 Q ht beftehen; ittbeffen gewinnt wan 
boch einen fehr fdjönen ©efammtcinbritd, eine fd)nelle lieber» 
ficht über ein fonft ganj unüberfidjtlichcS ©ebict. Sou biefem 
©efichtSpunft aus muff man auch hie im golgenbctt repro» 
bueixten Eingaben au§ ber Unterfuchung Derftchen. 

SBenn eS j. S. in ber „9(epfclprobuction" £)cißt in einer 
©cgenüberfteQung ber „.ftanbprobuction" auö beit Sahreti 
1869/71 unb ber „SÖZafdpncnprobuction" 1893/95 (für 1 9lcre): 
„SSerfchiebenartige Dperationen" 17 refp. 20; „oerfthiebene 9(r» 
beiter“ (bie jufammenarbeiten miiffcn) 37 refp. 125; SlrbeitS» 
ftunben 1240 unb 40 ÜWinuteit vejp. 870 ©tunben 24 ü)li» 
nuten; Äoften ber Arbeit 193,4934 Xoll. refp. 111,6334 ®oQ., 
fo oetbhtben webet bie merlwiivbigeit SH'ucLjtfjeilc nub Minuten, j 
noch bie fahlen überhaupt. 91 bet offenbar hat man in ben , 


fiiufunbjwangig iahten aflerhanb arbeitöDerbilligenbe SUethoben 
unb 3Berljeuge eingeführt, unb e§ ift erreicht, baß bie Arbeit 
heute ungefähr nur noch bie §älfte Don bent foftet, wa 8 fie 
früher loftete. 3)as fUefultat ift, baf auf bem europäifchen 
lülarlte plößlidt) amerüaitifche 9lepfel erfdheinen. Unfere 
Agrarier, Welche fidh einbitbeu, baf bie Sltnerifaner uu§ 
lebigtich burch natürliche iöorjüge überlegen finb, fönnen fich 
ba fagen, baß wir boch hie Ülepfel billiger liefern fönnten; 
benii wie uiel fonft faft wcrthlofer SBoben fönnte mit Dbft» 
bäumen bepflanzt werben; unfere Söhne finb billiger; unb 
wir hohen nicht bie in biefem gatle boch nichtigen STranö» 
portfoften ju tragen. 91 ber bie 9lmeri!aner finb un$ über» 
legen in ber intelligenten Seitung ber wirthfchaftli^en Sthätig» 
feit. 93 ei unS würbe boch Dliemanb baran benfen, bei einer 
berartigen Unterfuchung auch bie „9lepfelprobuction" mit hin» 
ein^uäiehen, benn nid)t nur mit fünfunb^wanjig Sohren, 
fonbern feit ÜJJenfchengebenfen werben folcfie ®inge immer in 
ber gleichen 9Seife abgethan, unb ein SO?ann glaubt fdhon 
weit mit bet ßeit fortgefchritten ju fein, wenn er etwa bie 
2 Burje(fcheibe be$ SBaunteS umgräbt unb bie fRaupennefter 
abfengt. fRach h cutc form man überall bei unS bie ^peu» 
ernte oor fid) gehen fehen, wie fie Dor Sahrhunberten ftatt» 
fanb, unb wenn etwa einmal ein amerifanifcher fieuwenber 
in Setrieb ift, fo gilt ba§ fchon alö etwaö Sefonbere«. 
©öentueD beneibet ber ©utäbefißer fogar ben Äned)t, ber auf 
bem ^euwenber bequem fißen fann, ftatt bafe er fonft mit 
ben ÜJlägben im (Schweife feines 9(ngefid)tö rechen muffte. 
Sie 9lmerifaner erzählen un§, baff für 1 9lcre bei ber £eu* 
ernte erforbcrlich waren 1860 unb 1894: 35 ©tunben unb 
30 SRinuten refp. 11 ©tunben 34 ÜRinuten unb bafe bie 
9lrbeit$foften 3,0606 Soll, unb 1,2849 Soll, betrugen. Sei 
unä finb bie SrobuctionSfoften geftiegen in golge ber ge» 
ftiegenen Söhne, bort finb fie gefallen. fRefultat: eö wirb 
|tcu äufammengepreit uttb in Schiffen nach ®utopa gebraut; 
ein 9lrtifel, wie §eu! 

©twaö über bie wahren Urfadjen ber lanbwirthfcßaftlicßen 
©onciirrenj ber Ser. Staaten fann man erfahren, Wenn man 
bie Bahlen über bie SBeijeitprobuction burdjfieht. ^)ier hot 
ja bie amerifanifche ©ntwicfelung ganj unüberfehbare golgen 
für bie wirthfchaftlichen unb politifchen Scrhältniffc ©uropaö 
gehabt. Sie Boh^ en gelten hier für 20 Sufhel, bie als ©rtrag 
Don 1 9lcre genommen werben, unb e§ finb bie Satire 
1829/30 unb 1895/96 gegeniibergeftellt. waren nöthig 
Derfdjiebennrtige SRanipnfationen: früher 8, heute 5; hier hot 


» 


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18 


Die O&egenwart 


? 

\ 



alfo bie SRafdjine Bereits üereinfacßenb gewirft, inbem ber» 
feßiebene £>ajjtierungen jufammengejogen finb. grüner war 
nötßig: 1 . iß flögen, 2 . Säen, 8 . Gggen, 4. 3 Dfät»en, Sinben, 
3ufammenftetlen; in bie ©eßeune faßten, 5. ©refdjen unb 
baS ©troß in ©iemen Bringen, 6. SBorfeln, 7. ©djaufetn 
unb Ginfaden. Ipeute Brauet man nur: 1 . ißflügen, 2 . ©äen, 
3. Gggett, 4. 9Rä|en, ©refeßen unb Ginfaden, waS burd) eine 
comBinirte 3Räß= unb ©refdjmafdjine beforgt wirb, 5. ben 
Seijen in ben ©peußer fahren, grüner waren 4 üerfdjiebene 
Arbeiter nötßig, ßeute 10 : ber SDiann, ber fräßet mit Dcßfen 
pflügte, Wirb burd) einen 2Rann erfeßt, ber mit ißferben 
pflügt; an ©teile beS SRanneS, ber früher mit ber $>anb 
fäte, treten jeßt jwei 2Rann bei ber ©ämafdjine; beSgleicßen 
Beim Gggen Beute jwei 9Rann mit ißferben ftatt früher ein 
9Rann mit Ocßfen; bie comBinirte 3Räß= unb ©refdjmafdjine 
erforbert Oiet ÜRamt unb ißferbe. ÜRan fießt bie ©enbenj, 
an ©teile ber oereinjelten SIrBeit bie 3 u f Q wmenarbeit 3 U 
feßen. grüner erforberte bie SlrBeit 64 ©tunben, Beute brei 
unb foftete 8,7 ©oll., Beute °> 7 - 9Ran uergleid^e, weldjer 
ber Beiben gefdjilberten 3lrten felbft auf größeren Gütern 
unferer ütrbeitSWeife in ©eutfeßlanb äBjnlic^er ift. Ganj 
gleicBgiltig ift eS babei, ob manefje ber gefefjilberten 9lrbeitS= 
metBoben auS irgenb welcBen Grünben bei unS nicBt prafti* 
fabet finb: bie ©ßatfaeße bleibt, baß burcB eine große Ser* 
einfacBung ber Ülrbeit unb Slnwenbung oon 2Rafd)inerie 
bort bie ißrobuctionStoften niebriger werben als Bei unS. 

§ätte baS ar 6 eitSftatiftifcBe ?lmt bie leßte aufgegebene grage 
Beantworten fönnen, fo würben wir einen ©cfjlüffel erBalten 
für bie Urfadjen, auS beneit ficB bie mafd)inelle ißrobuction 
gegenüber ber §anbarbeit entwidelt Bat. GS war ber ÜRanget 
an 9lrbeitSfräften, refpectioe bie ßoße Gntloßnung berfelben. 
Sei unS moeßte lange 3 £ ü ßinburd) in golge ber niebrigen 
Sößrte immer nocB bie §anbarbcit Billiger fein; bann fam 
aber ber ißunlt, wo fie bocß tBeurer würbe; unb nun feBlte 
bet intelligente, ßocßbejaßlte U1, b juoerläffige Slrbeiterftamm, 
bem man bie complicirten 2Rafd)inen in bie £>anb geben 
tonnte. ©cBon ßinter bie ©ämafeßine muß man bei unS 
tpofmeifter ober Verwalter ßergeßen laffen, wenn man nidjt 
will, baß im fperbft lange SReiBen leerfteBen; für bie 8 e* 
bienung fo feßwieriger 9Rafcßtnen wie bie amerifanifdjeu 
Grntemafdjinen feBlt eS ein fad) an Seuten bei unS. ©ie 
SImerifaner finben feine Arbeiter für baS Serßaden unb Set* 
jießen ber 5Rü6en, weil bie Arbeit ju ftumpffinnig ift; Wir 
finben feine Seute für bie Sntelligenj erforbernben Arbeiten, 
©o fontmt bie SRotßlage unferer Sanbwirtßfdjaft fdjließlicß 
auf fociale Grünbe jurüd unb wirb eine Analogie jener all» 
gemeinen GrfcBeinung beS 3utüdbleibenS unb SerfümmcrnS 
ßanbarbeitenber Seoölferungen gegen äRafcßinenarbeitenbe, 
Wie ber ^»anbweber gegen bie 2Rafcßincnmeber: aud) wenn bie 
gabrif oor iBrem §aufe fteßt, fönnen fie nicßt in iBr arbeiten, 
weil fie meßt weBr bie nötßigen gäßigfeiten aufwenben fönnen. 

Unb wie unfere gegenwärtige 3 £ <t fuß baburcB auSjeidjnet, 
baß alle früBeren ©enbenjen ficB im größten SRaßftabe wicber« 
Boten, fo fteBen wir eben im begriff, biefe GrfcBeinung aus 
bem Serßältniß einzelner SeöölferungSfategorien innerBalb 
ber Sßölter übertragen ju feBen auf baS SSerE)ältnifj ber Sölfer 
unter einanber. Dber ift eS nicBt Har, baß biefer tiefe Unter» 
feßieb in ber Sanbbebölferung aucB einen Unterfcßieb im 
GefammtBabituS ber beiben Nationen auSmadjen muß? ©aff 
baS amerifanifdBe Solf ju Bötjcrer 9(rt ficB entwideln 
Wirb, baS beutfeße jurüdgeßen? GeBen wir Oon ber Sanb* 
Wirtßfdjaft jur Snbuftrie über, fo finben wir nidjt meBr bie 
großen UnterfcBiebe jWifcBen amerifanifdjen unb beutfcBen 
®erBältniffen; in mancBen Snbuftrieen finb entfdjieben wir 
überlegen, in mancBen fteBen wir gfeicB mit ben ?(merifanern; 
unjWeifelBaft aber beBaupten bie 9Imerifaner aucB B' er ben 
SSorrang. GS ift ja burcBauS nicBt immer gefagt, bafe bie 
BöBere wirtBf^aftlicBe Gntwidlung fociat oorteill)after fein 
muff. SWeBnten wir bie föetftelluna oon ©tiefeln. GS Werben 


Bier bie SaBre 1859 unb 1895 öerglicBen. ©ie §anb macBte 
83 Operationen, bie SÜfafdjine 122; eS waren früBer nötBig 
jwei öerfd)iebene Arbeiter, B £ ut £ müffen eS 123 fein; bafüt 
ift bie 3aBl ber 9trbeitSftunben für 100 ißacit oon 14S6 
auf 154 B«runtergegangen, unb bie ÜIrbeitSfoften oon 
408 , / 9 ©oU. auf 35‘/ s ©oll. Sei unS wirb aucB B eute tooBl ber 
gröfete ©B e ^ ber ©cBüB £ burd) ^anbwerfer BergefteQt, wäßrenb 
in ben bereinigten ©taaten faum nocB ein BßubwerfSmafjiger 
©djuBmacBer, aufeer für bie oberften 3 £ B'daufenb, eyiftircn 
wirb. Slber wenn auf bem ©orfe ein SÖfann ein |)äuScBen 
Bat unb ein paar SDforgen 9lder, unb öieüeidjt bie §älfte 
feiner 3 e <t oerwenbet, ben anbern Seuten im ©orfe ©tiefe! 
unb ©djuBe ju macBen unb ju fliden, unb bie anbete $älfte 
auf feinem fjelbe arbeitet, fo ift baS fidjer eine gefünbere 
GrfdBeinnng, unb eine für baS gefammte bolfSleben Wertf)* 
ooflere Gi'iftenj, als ein nocB f° 9 ut bejaBIter Slrbeiter in 
einer fjabrif, ber in einer engen SBoBnung mit fcBtecBter Suft 
woBnt, burcB ben rafdjen Gang ber 2J?af^ine ge|e|t ift unb 
in beftänbiger Aufregung unb UnruBe lebt: unb bie Ääufet 
fteBen ficB ojoBI eben fo gut, wenn fie i^re ©djuBe oon 
iBrem fjreunb bejieBen, bem fie üieHeidjt baS Seber oom 
eigenen SieB geliefert Boben, aud) wenn feine ©tiefet nocB 
einmal fo tfjeuer finb, wie wenn jener gabrifarbeiter für fie 
arbeiten Würbe: benn fie acBten meljr auf baS Getaufte unb 
finb einer forgfältigen ^Reparatur fidler; oBneBin Würbe ja 
ber 3ojifcB £ nBanbel bie SEBaare bocB feBt oertBeuem, unb, ba 
er ftetS bie ©enbenj B at » bie SBaaren ju üerfdjledjtern ju 
Gunften bet SiHigfeit unb beS äußeren ©cBeinS, fo wäre fic 
oieüei^t aucB nut B°t& f° B a ^bar. 

Sn ben Ser. Staaten giebt eS nicBt bie alten perfönlidjen 
SejieBungen ber Seoölferung unter einanber, unb beftBalb geBt 
auc| ber Heinfte wirtBfcBaftlicBe Sorgang leicBt in bem großen 
wirtBfcBaftlid)cn Kreislauf auf. SBäBrenb bei unS nocB auf Weite, 
abfeBbare 3 £ it £ n eine große SRenge WirtBfc^aftlic^er Gjiftenjcn 
oorBanben finb, wcldBe nid)t in SerüBtung fommen mit bem 
großen WirtBfdjaftlicBeH Seben unb feinen GrfcBütterungen 
taum auSgefe^t finb, ift bort alle Ära ft ber SRenfdjen ju« 
fammengefaßt, lebt iRiemanb abfeitS. ©o lange man nur bie 
materiellen Ütefultate biefer 3nftänbe betrautet, unb baS muß 
man, fobalb ißre ißrobucte benen ber anbern gegenüberfteBen 
unb auf ißren ißreiS einwirfen, Weil baburcB j° bie Gjiftenj 
beS SerfertigerS tief beeinflußt Wirb, !ann eS feine fjrage 
fein, baß wir mit unfrer größern wirtBfd)aftlicBen 3 cr= 
fplitterung weit nacBfleßen. Ganj anberS wirb aber bae 
Silb, fobalb man fragt, Wetcße 3uftänbe bie größere GewäBr 
innerer ©tabilität gegenüber mögti^en Ärifen bieten, unb 06 
unter allen Umftänben gefteigerte SebenSßattung unb intefli* 
genter geleitete Slrbeit für bie bauernben Sntereffen einer 
Nation fo WertBooll finb, falls fie burcB gefteigerte 9lbBängig< 
feit ber Gjiftenj unb gefteigerte UnruBe ber Se 6 enSfüßruitg 
erlauft werben. Slmerifa Bat einen großen ©tamm oon um 
abhängigen, woBlßabenben, gebilbeten unb babei felbft ar» 
beitenben garmerit, unb wirb in biefen immer eine fReferoc 
für feine SotfSfraft Ba^en; bie übrige SeOölferung aber 
feßeint bocB nicht fo ganj ein aucB fünftigeS Geheißen beS 
SolfeS ju garantiren. 

Unfere SEßünfcße unb bie SReinungen über baS, WaS bem 
Solt als Ganjem unb für fünftige 3 £ iten nüpfieß ift, fönnen 
auf bie Gntwidelung nidßt einwirfen; benn baS ift ein §aupt= 
merfmal unferer Gegenwart, baß fie immer nur an ben 
Slugenblid unb an ben Ginjelnen benft; aueß ba, wo fie 
focial empfinbet, ßat fie ja nicht ben SolfSjufammenBang im 
Singe, fonbern nur bie Sntereffen einjelner benacßtBeiligter 
©djießten ber Seöölferung. 3 n ben Sereinigten ©taaten 
treten biefe ©enbenjen am ftärfften B ££ Oor, unb in ißnen ift 
bamit aud) ber ßöcßfte ®rab moberner wirtßfcBaftlicBer Gnt* 
Widetung überhaupt erreicht. GS ift ein eigentBümlicßeS Ge» 
füßl, baS einen befcßleidjt, wenn man in ben Sänben ber 
Unterfucßung blättert, ©ie erbenflidjften ©inge finb ßier be» 


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Nr. 2. 


Ute (Jbegenwan. 


19 


trachtet: ©djacbteln, Stob, SBagen, Söpferwaaren, Upten, 
Slnjüge — auch b' et finb bie Arbeitslosen auf 1 / 8 gefallen 
— unb fo fort. UeberaH ift bk ÜRafcpine an bie ©teile bet 
£>anb getteten; in beit nteiften füllen feinen fiep bie 2öpne 
etpöbt ju paben, fo bafe junt Seifpiel bei Slumentöpfen bie 
StrbeitSfoften geftiegen finb, trogbem bie ArbcitSjeit Don 3‘/ s 
anf 2 ©tunben fiel; unb in gor niept abjufcpäljenbeT SBeife 
pat fiel) bie SDiaffe bet erzeugten ©egenftänbe Dermeprt. ®S 
fdjeint, bafe baS Sbeat fetoft berjenigen erreicht ift, hielte bie 
SlUeribeatiftifcpften ju fein fepienen: 5Rid)t nur eine unge* 
peure Sermeprung beS fReidjtpumS b Q t ftattgefunben, fonbern 
eS paben auch bie atbeitenben ©laffen einen Antpeil an bein 
Sluffcpwung gehabt; biefer wirb ja wopl niept fo grofe ge* 
toefen fein, wie berjenige bet pöperen ©taffen; aber, Wie beute 
bie gefeUfdjaftlicbe Seitung bet STrbeit ift, wenn man bie 
großen ©ewinne bet höheren ©taffen an bie Arbeitenben Der* 
teilte, fo !äme bodt) für Seben nur ein wertplofer geringer 
<Sap, ber in feinem Serpältnife fiept ju ber fonftigen Steigerung. 

Aber wetten ©inn t>at benn biefe ganje ©ntwide* 
tung? Sie ©egenwart f|at gaitj Dergeffen, bafe wir boep 
niept leben, um ju arbeiten, fonbern wir arbeiten bodt), um 
ju leben. SSeldjen SRupen puben benn bie ÜRenfdjen baDon, 
bafe fie ^eute jwei paar @d)uhe jährlich Derbraucpen fönnen 
unb früher nur ein paar? Um bkfen ©ffect ju erreichen, 
paben fie ifjre frühere fRupe unb Unabpängigfcit aufgegeben 
unb fief) Seber in baS wilbe ©etriebe ber SBettprobuction be* 
geben, baS SRiemanb beperrfebt, SRiemanb aud) nur überfielt. 
Sie 3Renfd)en oon früher überfallen nur ifjr Sorf; aber fie 
Ratten SRupe unb ©icf)erf)eit; bie Don beute fe^en in 2Birf* 
liepfeit audp nid^t mehr, unb machen fidb nur einen Wüften 
Sunft Dor, unb fie buben feine SRupe, fonbern müffen ihre 
SRetDen immer bis auf beit lebten punft anfpannett, um niept 
Don Anbern Derbrängt ju werben; unb and) bann noch leben 
fie in beftänbiger Unfidjerpeit, benn bie ihnen unDerftänbtidben 
Sötäcpte ber SBeltmirtbfdjaft buben ipr ©efebief in ber £>anb; 
unb wäbrenb fidb W« SRenfcpen früher abhängig glaubten Don 
einem gütigen ©ott, ber immer AHeS jum Seften führte, finb 
fie beute abhängig Don einem falten unb erbarmungSlofen 
3ufammenbang ber Singe: Don 3öflen irgenb welcher Sauber, 
beren SRamen fie faum fennen, Don Stiegen in ben entlegen* 
ften ©egenben, Don Ueberprobuction unb ßaplungSftodungen 
auf ©ebieten, mit benen fie nicht bie geringfte Serüprung 
haben. Unb waS buben bie SBenigen erlangt, bie nun ganj 
oben ftehen auf ber focialen Seiter? ©ie buben fabelhafte 
SReidjtbümer; aber bie ©enufefäpigfeit ber SIRenfcpett ift be* 
greujter, als bie gäpigfeit beS ©elbeS, fidb aufjufjäufen. ©ie 
fönnten Alles faufen, wenn fie wollten; aber wer AHeS hat, 
ber but iRicbtS, benn erft burdh baS Sewufetfein, baff man 
baS ©ine niept but, but man baS Anbere. Sebiglidp auf ©inS 
fommt ungeheurer Sefifj pinauS: auf 3Rad)t. Aber um Don 
ber SKadpt etwas ju haben, muff man frei fein, fie auSüben 
ju fönnen. 2Rit befangenem ©eift fann man finntofe Ser* 
fdpwenbung treiben, propenpafte ffefte geben unb frembe Sor* 
nebmbeit naebäffen: wer fidb perfönlicb äufeern will, muff 
nicht mit ben unaufhörlichen Sorgen beS SefipeS beloben 
fein, ihn immer Dertbeibigen unb bermebren müffen, nie einen 
ruhigen Augenblid buben. SBenn bie alten ©fjriften baS SReicf) 
beS Anticpriften auSgemalt hätten, Don bem fie ppilofoppirten, 
fo hätten fie DieHeicpt gefagt, bah eS bie SfRenfcpen burdj 
einen trü^erifepen ©dbein bienbet, bah fie fiep einbilben, gliirf* 
lieb ju fein, wäbrenb fie clcnb finb, frei ju fein, wäprenb fie 
©claüen finb, baff fie ein SRittei beS SebenS für einen 3'oecf 
halten, unb am ©nbe fo betrogen finb, Wie Semanb, ber ein 
©urrogat lauft für ben wirflicben ©toff. Sann würben fie 
baS wahre Sitb unfercr $eit gegeben buben. 


Der JJreisfall im lebten Jabrbnnkrt. 

SSon Zt. Svcftn. 

Ser fociale ißeffimiSmuS, welchen bie Sourgeoifie burd) 
bie 9lnerfennung ber ÜRalthuS’fcben Sehre Don ber Ueber* 
Dötfernng unb baS Proletariat bureb baS ©dhwören auf bie 
abfolute SerelenbungStbeorie hegten unb jum Sbeil noch je^t 
hegen, Derliert immer mehr an Soben. Sie Sehre Don SRattbuS 
hat fief) als eine SBahnibee berauSgeftellt, benn nicht nur bafe 
ber SBoblftunb burd) eine Sermebrung ber SeDölfetung nicht 
Derringcrt Wirb, fonbern im ©egentbeil eine ßunahme ber 
©eoölferung ift überall mit einer gunalfme beS 3Reid)thumS 
ibentifd), iubem bei ber gegenwärtigen fortgefdhrittenen Sedbnif 
unb capitaliftifdhen ©efeUfcbaftSorbnung ber SRenfcb Weniger 
Derbraucht, als er betftellt. Sie fatfeben Propbejeiungen Don 
SRaltfiuS loaren o6erfläd)liche ©rwägungen, für weldje im 
©runbe genommen feine ßeit wirtliche ?lnbaltSpunfte geboten 
hat. Sagegen traf bie abfolute SeretenbungStbeorie für be* 
ftimmte ßeitperioben ber capitaliftifd)en ©ntwidelung ju, weldhe 
als llcbergangSperioben auS einer Sedbnif in bie anbere ober 
auch als Srifejeiten charafterifirt finb. 3m Allgemeinen but 
bie mobernc fßrobuction bie Senbenj, ben abfoluten ■ SBofil* 
ftanb aller ©laffen ju fteigern. gatfd) ift aber jweifelloS 
ber ©eblufe, ber auS ber ©infi^t in biefe Sbatfadhe mehr* 
fach gejogen wirb, baff biefe SGBoblftanhSjunabme jur focialen 
Sefriebigung führt. Sie Sefriebigung ift bereits eine pfpebo* 
togifdje Kategorie unb £)ängt' nidjt allein Dom materiellen 
SBohlftanb ab, fonbern Don ber ©efammtbeit ber pfpcbifdjen 
unb etpifdjen gactoren, weldhe baS Seben bebingen. Set ab* 
folute Sßoljlftanb ber arbeitenben SeDölferung ift Don ber 
Sobnböbe unb bem preiSniDeau für bie notbwenbigen Ser* 
brauchSartifel abhängig, greilicb müffen auch bie ArbeitS* 
gelegenbeit, ber bbgienifdk 3 u f tan ^-' t>k birecte unb inbirecte 
©teuerlaft bei ber Seurtbeilung beS SolfSWoblftanbeS mit 
in Setracbt gejogen werben; allein fie fpieten, Derglidjen mit 
ben obenerwähnten Jfpauptfactoren, bei ber SBoblftanbSfdhäpung 
nur eine untergeorbnete 9iolIe. UebrigenS ftebt bie ArbeitS* 
gelegen heit auf bem ©ontinent ©uropaS im gleichen Serbältnifj 
jur Sohnhöhe; nimmt bei größeren Söhnen ju, um bei ge* 
ringeren Söhnen fid) ju Derminbern. 3n ©nglanb unb in 
ben Sereinigten Staaten AmerifaS bagegen ift ArbeitSlofig* 
feit eine beinahe ftänbige ©rfdbeinung in ben Sßintermonaten, 
welche in faft allen Arbeitsberufen auftritt. Sagegen ift ber 
mangelhafte ©efunbbeitSjuftanb ber arbeitenben 9Raffen, welcher 
in Dielen fällen ben ©harafter djronifdber Äranfbeit an fiep 
hat, eine groffe wirtbfcbaftlidbe ßalamität. Welche nidpt feiten 
bie fonftigen giinftigen gactoren compenfirt. 

Safe bie Arbeitslöhne im Saufe beS SahrpunbertS unb 
namentlid) ber lebten Seceitnicn niept unerpeblicb geftiegen 
finb, unb jwar auf bem flachen Sanbe fowopt als in ben 
©täbten, ift befannt. SBeniger befannt ift aber bie Spat* 
fache, bafe audj bie preife für bie notbwenbigften Serbrau^S* 
artifel im fortwäprenben ©infen begriffen finb, fo bafe ber 
SReallopn, b. b- ber Sopn in fRüdficpt auf feine Kauffähig* 
feit nodp mepr geftiegen ift, als ber ÜRominallopn. Unb 
merfwürbiger SBeife ift biefer fRüdfaü ber Preife in ben 
lepten Saprjebnten niept nur für bie Snbuftrieerjeugniffe, 
fonbern ebenfo auep für bie SanbrnirtpfcpaftSprobucte ju con* 
ftatiren. SBenn nun bie naiüe ©rfaprungSweiSbeit Don bem 
fabelpaft billigen Seben in ber guten alten $eit fpriept, fo 
ift pier in ben meiften fällen bie Sebürfnifelofigfeit unb bie 
billige Arbeit in ben früheren einfacheren Serpältniffen mit 
billigen SebenSpreifen Dcrwedpfelt, wäprenb anbererfeitS bie 
©rinnerunglanbrnirthfcpaftlicbeArtifel fiyirt, bie unter mangel* 
paften SerfeprSDerpältniffcn noep fein ©egeitftanb beS nationalen 
ober internationalen SWarfteS waren unb an mandjen Orten 
wirflidp niebrig im Preife ftanben. Sic ftatiftifdpen ©rpebungen 
bagegen über bie PreiSfcpwanfungen ergeben ein fepr bebeutenoeS 
©infen ber preife, namentlich in ben lebten fünf Sabrjepnten. 


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20 


Die (Segenwart 


Nr. 2. 


Um mit ben lanbwirthfchaftlichen Sßrobucten ju beginnen, 
geftaltete fid^ bie SßreiS»erfd)iebung im Hamburger §anbcl 
folgenbermafeen: 50 SEilogramm SSeijen fofteten in ben Sahren 
1847—50: 9,7 5D?arf, 1891—95 nur 6,7 SD?!.; bei SRoggen 
waren bie enlfpredfenben 3*ff ern 6,1 : 6,2; bei ©erfte 8,2: 
4,9; bei £>afer 5,6: 5,9; bei S£atg 41,1: 28,8; bei ©clfntalj 
46,6: 38,4. Sw Sahre 1896 waren bie Sßreife bei allen 
biefen 2lrti!eln noch niebriger, alS^im Satjrfiinft 1891—95. 
©e£t man ben burcf)fd)nittlidjen SßreiS aller erwähnten Sßaaren 
für ben ßeitabfdjnitt 1847—70 gleich 100, fo ift ber burd)* 
fd)nittliche SBeijenpreiS für 1891—95 im procentualen ©er* 
hältnife 61, ber SRoggenpreiS 77, ber ©erftenpreis 59, ber 
Käferpreis 80, ber SjßreiS für 'Saig 61, für ©dEjmalj 70. 
§ier ift ein SßteiSfaQ »on mehr als 1 / 3 ju beobachten. Ser 
burchfehnittliche SßreiS für SButter geftaltete fid) in ben Sagten 
1847—70 unb 1886—90 wie 100 ju 87. Ser SßreiS für 
©etreibe fteht am ©nbe beS 3ahrf)unberts eher niebriger, 
als in ben erften Sahrjeljnten beS SahrljunbertS. Sa* 
gegen war im preufeifdjen ©taat baS gteifd) bis juni Satire 
1870 billiger als je^t; eS hat fid) aber feit jener ßeit auch 
nicht »erneuert, fonbern behauptet ungefähr baffetbc SRioeau. 
@o foftete ein SRetercentner SRinbfleifd) im Surchfchnitt in 
ben Sahren 1821—30: 46 SD?!.; 1851—60: 70 SD?!.; 1871 
bis 1875: 114 ,SD?!.; 1881 — 85: 118 SD?!.; 1886 — 90 : 
117 SD?!. Sn ben 90er Sahren ftieg alterbingS ber SßreiS 
bis 124 unb 126 SD?ar! pro SD?etercentner. 

ÜluSführtiche unb fritifdj »erarbeitete Säten giebt bie 
englifdje ©tatifti! über ben SßreiSfaU. Ser ©tatiftifer 21. 
©auerbed unterfudjte ben SßreiSftanb für 45 2lrtifei in ben 
lebten brei Sahrjehnten in Sonbon, wobei er bie Sßreife für 
baS Sahrjehnt 1867 — 77 = 100 fe(jte. gür bie ©cgeta* 
bilien unb befonberS für baS ©etreibe fanten bie Sßreife im 
©erhältnife ju 100 für 1878—87 auf 79, für 1888 — 97 
auf 62. gür thierifcfje SRahrungSmittel ergab fid) in ben 
brei Sahrjehnten ein ©erhältnife Don 100 ju 95 unb 81, 
für Koloniatwaaren »on 100 ju 76 unb 66. Sie SRafjrungS* 
mittel überhaupt fanten in ben lebten brei Sahrjcljnten im 
©erhältnife oon 100 ju 84 unb 70. SaS SßreiSberhältnife ber 
SDfineralien war 100, 73, 70; baS ber Segtilwaaren 100, 71, 
59; baS bet »crfdjiebenen anbeten ©egenftänbe, wie fieber, Saig, 
Del, ©oba, SRitrate, ©aufeotj, Snbigo, gellere., 100, 81, 66. 
©ämmtliche »on biefer ©tatifti! berüdficfetigten 2lrtifel fanfen 
im SßreiS in ben lebten brei Saljrjehnten im 9?ert)ältnife »on 
100 ju 79 unb 67. Sie Sßreife gingen fomit für alle bie* 
jenigen SBaaren, welche als ©ebraudjSartifel am meiften für 
ben Konfum ber Scbölferuug in SSetrad^t tommen, um */ 4 
bis 1 / 8 jurüd, unb jwar fielen fie in ©nglanb tiefer als in 
ben übrigen Sänbern. 

Sie Sßreife für Snbuftrieerjeugniffe finb üiel erheblicher 
aefunten, als bie für lanbwirthf^aftliche 2lrtifel. ©o ge* 
ftaltete fid) ber SßollpreiS auf bem berliner SSotlmarfte 
für ben Kentner (50 Silo) mittelfeine ©Solle in SD?arf 
folgenbermafeen: 1875—79: 169/179; 1890—94: 111/129; 
1895: 111/124. ©erabeju erftaunlicfj ift aber ber SßreiS* 
niebergang für 3«der in ben lebten Sahrjehnten. Ser SßreiS 
für einen Soppelcentner (100 Silo) SRohjuder auf bem Sßlajje 
SD?agbeburg fanf »on 64 SD?arf in ben Sahren 1877—80 
auf 30 5D?ar! in ben Sahren 1891 — 95 unb 21 SD?arf im 
Satire 1895, um im Sahre 1896 auf 23 1 /«, SD?arf wiebetum 
ju fteigen. ©beitfo finb bie ©pirituSpreife fehr erheblich 
gefunten. 

Sft aber bie Sauffähigfeit beS ©elbeS in 2lttwenbung 
auf bie ©erbraud)3artifei geftiegen, fo hat fie fid) anberer* 
feitS infofern berringert, als bie ©SohnungSpreife im fiaufe 
beS SahrhunbcrtS ungeheuer in bie §öl)e gegangen finb. 
$ohe SIRicthSpreife fallen aber mit ihrer ganjen Söudft auf 
bie arbeitenbe ©e»öl!erung, Welche für gewöhnlich 1 / 4 bis '/ 3 
ihres ©intommenS für beit SD?iethjinS »erwenbet. 2lud) ift 
eS eine befannte Shatfadje, bafj bie SD?icthe für Heinere 


SSohnungen »erhältnifemäfeig h»h er ift, als für größere 
SBohnungen. Ser Sßrocentfa£, welchen ber 5D?ieti)SpreiS »om 
©intommen auSmad)t, ift im 2lßgemeinen um fo Heiner, je 
größer baS ©intommen ift. Sie Steigerung ber SRiethSpreife 
in SBerlin »eranfchaulicht folgenbe tabeUarifc^e 3ufammen* 
fteßung: 


©o^nungen in öerlin 1 mit einem 3Riet^jin8 bi$ 

1815 1891 

300 SKarf toarett 

89 °/ 0 

49,9 °/ 0 

300—600 rr 

7,6 °/ 0 

26,3 ®/ 0 

600—900 w 

2,0 °/ 0 

M °/o 

900—1200 „ 

0,7 °/ 0 

4,7 °/ 0 

1500 „ „ 

0,4 °/ 0 

7,4 °/o- 


Ser burd)fchttittliche!2Rieth3preiS einer ©Sofenung war in 
©erlin 1815 : 117 SD?f., 1830 : 255 SD?!., 1873 : 513 5D?t, 
1892:674 SD?f. Ser SIRiethSpreiS ift bemnach im fortwährenben 
©teigen begriffen unb »erringevt bie 2Bot)tftanbSjunahme ber 
arbeitenben i 5D?affen, welche fich aus bem SßreiSniebergang für 
©erbraud)3arti!el ergiebt. Siefe Steigerung erflärt fid) aber 
theilS burd) bie ©erbefferungen bet ©Bohnungen unb ihn 
bequemere ©inridfeung, ttjeilS burch bie ungeheure Steigerung 
beS 5D?iethSjinfeS in golge toergröfeerter Nachfrage. Sie 
jweite Urfacfje ift hier jweifelloS »on Weit größerer Söitfung, 
fo ba| bie 3 un °h me beS SD?iethSpreifeS eine wirthfd)aftlid) 
negatioe ©rfdfeinung ift, inbem fie ben SReallohn ber arbeitenben 
©ebölferung »erringert. 

Ser D?iebergang ber Sßreife unb bie Steigerung ber 
2lrbeitSlöhne, bie trog ber Steigerung beS 5D?iethSjinfeS boch 
jWeifeKoS ben ©Soljlftanb ber arbeitenben SD?affen erhöhen, 
finb eine # gfänjenbe ©Überlegung ber peffimiftifchen Sh 0 ^ 
ber ©ourgeoifie fowoht als auch beS SßroletariatS, ber lieber* 
uölferungStheorie als auch ber ©erelenbungStljeorie. ©on 
einer abfoluten ©erelenbung tann nicht mefr im ©rnft We 
SRebe fein. Safe ber Wirthfd)aftlid)e Unterfchieb jwifchett kn 
focialen ©faffen tro^bem Wächft, ift inbeffen nicht stabet 
wafer, benn oon bem wirtfefchaftlichen Sluffcfewung jiehen bit 
höheren focialen Klaffen einen gröfeeren ©ortheil, als bie 
nieberen. Sie Sejeidjnung: relatioe ©erelenbungStheorie für 
biefe Shatfache ift aber nur noch ein temporäres haften an 
ber bereits überlebten Sf)eorie überhaupt. Safe ber Klaffen* 
tampf unb bie fociale ©d)öpfungStraft wegen ber abfoluten 
SßJohlftanbSjunahme erlahmen foÜten, ift eine logifd) nicht ju 
rechtfertigenbe SBehauptung, benn SBohlftanbSjunahme unb 
fociale Söefriebigung finb nicht ibentifd): erftere ift eine 
öfonomifche, ledere eine pft)d)ologifd)e Kategorie. 


Die ©freiere unb ber Alkohol. 

S5on Dr. JP. 23obe (3Seimar). 

SBenn innerhalb eines 3af)teS jwei penfionirte Dfficien, 
unabhängig »oneinanber, 2luffäj^e über bie ©efährlicfefeit bet 
2(lfoholgeträn!e für Den Dfftcierftanb berfaffen unb unter 
ihren ftameraben ju »erbreiten fuchen, fo hat baS was ju 
bebeuten. Senn fo leicht bertraut ein beutfd)er Offener bie 
SD?ängel unb SD?afel feiner greife bem Srud nicht an; 
l’honneur de l’armee ift nid)t blofe in granfreidh ein ©egen* 
ftanb beS ©ötjenbienfteS. 

Ser eine ©erfaffer ift ber 3nfanterie*§auptmann SSü* 
heim Ucberhorft, feine Schrift „2lmethhfea" ift bei Sienleu 
infieipjig erfdjicnen; ber2lnbere ift ein ungenannter Kabatterie» 
offecier, fein .'peft über „Sie Srinlfetten im §eere" ift aß 
„2lnfpra(he an bie DffecierSfrauen" burd) D. 23. SQöhmert in 
SreSben junt Srud gegeben unb »on biefem ju bejiehen, ein* 
jelne ©jemplare unentgeltlich, ©eibe haben offenbar eine 
pcrfönlkfee 2lbneigung gegen bie geiftigen ©ctränfe, weil fie 


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Nr. 2. 


Die Gegenwart. 


21 


felbet barunter gelitten fabelt; jebod) mären fic feine Printer, 
fonft mürben fie weniger offen reben. ©er Gaöallerift fdjreibt, 
baß er ftets ein gewifjeS Gefühl für bie Gefahren beS ÜllfoholS 
|atte, „unb beßljalb War id) mäßig, fo biel als eS bie 
gefellfdjafttidje Sitte erlaubte". ®a haben mir fdjon 
beS Rubels Sern. ®ie gefeHfhaftlid)e Sitte ber Officieröfreife 
erlaubt eben bie SÜRäßigfeit nur in mäßigfter 9lnwenbung. 
Unb fo erfranfte benn auch unfer GabaÜerift troß feiner 
SWäßigfeit fd)on als Bierziger an einem Rlagenfatarrh, ben 
er namentlich) bem 9llfol)ol jufc^reibt unb ben er erft nad) 
Zehnjähriger ftrenger ©iät unb liebeboller pflege über* 
munben hat. 

6 r behauptet, Wie ber Snfanterift Ueberhorft, baß baS 
befannte unb bocf) immer wieber erfhredenbe fd)tietle 93er* 
brauchtmerben bielet Dfficiere fetjr mit ißten ©rinffitten ju* 
fammenhänge. Ueberhorft meint: „Sn ber Blühe ber Straft 
tritt ber junge Rfann in baS DfficiercorpS ein, unb oft ift 
er fc^on als §auptmann berfd)liffen. ©ann fcßreibt man eS 
natürlich auf Gonto beS ju anftrengenben ©ienfteS. Sft eS 
tool)l bie SEBahrheit? Shtoertid)! ©er ®ienft mit feiner heil* 
famen Bewegung in frifher Suft hat ben BerfeuhungSproceß 
beS Körpers nid)t herbeigeführt — pflegen bod) Sieferbe* 
officiere eine fedjSWödjige Hebung gern eine Babecur ju nennen 
— er hat ben Verfall fogar nod) aufget)atten. ©er Berberb 
ber Säfte unb Strafte ift in ben Störper l)ineingebrad)t morben 
burd) ben SllfoholiSmuS unb anbereS ©ift für ein blühenbeS 
2e6en". ©er GabaHerift fährt fort: „Slber ber Genuß geiftiger 
©etränfe jerftört nicf)t nur bie ©efunbtjeit beS Körpers, fon* 
bern führt aud) jum Spiel, ju SEBetten, jum Berfdjroenben; 
er ift faft immer bie Urfadje jum Streit unb ©uell unb 
lodert namentlich bie ©iSciplin." 

Sinn haben mir fcl)t eljrenwertf)e unb erfahrene Officiere 
aufrichtig behaupten hören, bie Unmäßigfeit fei im Dfficier* 
corpS außerorbentlih feiten. Sin Artillerie=Oberft unferer 
äBefanntfd)aft urtheilt: „Sn einzelnen fßerioben, namentlich 
nach ben großen Kriegen, mag hier unb ba ju biel getrunfen 
morben fein, aber eS mürbe bem auch mieber gefteuert, ober 
öfelmefjr, eS regulirte fid) bon felbft. Rah meiner 30 jährigen 
Erfahrung fann ein einigermaßen felbftftänbiger Gharafter 
fich jebe Eigenart bewahren, bie mit ben allgemeinen mili* 
tärifdjen fßrincipien nicht im SEBiberfprud) fteßt. ©iefe 
Eßrincipien berlangen burd)auS nicht eine fßflegung bet ©rinf* 
gewohnheiten. 2)?an fann fich nicht principiett bon ben 
famerabfchaftlid)en Bereinigungen unb fjeftlic^fcitert aus* 
fließen, aber man fann an ihnen theilneßmen unb fich öa= 
bei baS SDZaß beS ©tinfenS borbehalten." 

So urtheilt ein Seber nach feinen perföntichen Sr* 
fahrungen. Unfer GabaHerift geht bon feinen Erinnerungen 
auS, bie freilich anberS Hingen. „Snt Saßte 1859 trat ich 
als Sunfer in ein pteußifdjeS Regiment ein. 3 U tiefer 3 e <* 
toar eS in einigen SScabronS Sitte, baß ber Sunfer einen 
folgen SchnapSüorrath ju ben SScabronS*Sjercieren brachte, 
baß er für fämmtliche Dfficiere genügte. SS mürbe aber eine 
@hte barein gefegt, baß baS Duantum nid)t nur groß, fon* 
bern auch möglid)ft ftarf mar. So entfinne ich mich, baß 
bon einzelnen Sunfem zuweilen Eau de Cologne ober SBein* 
geift unter ben Sognaf gegoffen mürbe. 91 IS ich unbewußt 
einmal einen Schlurf bon biefer 5Dfifd)ung nahm, burhfufjr 
eS mid) rote ein eleftrifdjer Schlag, unb ich mar noch einige 
Stunben nachher noch ganj benebelt babon. ©iefer Säjerz 
fanb aßgemeinen Beifall. — SEBäßrenb beS SEBaffenftiUftanbeS 
nah bem bänifcßen gelbjuge machte ein preußifher Artillerie* 
^rauptmann bie SEBette, 14 läge lang jeben ‘Sag 14 g-lafdjen 
Borbeauj ju trinfen. Sr gewann bie SBette unb mürbe 
wegen btefeS Erfolges bon bielen jungen Officieren als §elb 
angefehen; feine Seiftung trug biel jur ÜRachahntung bei, er 
ftarb jeboh einige Sahre fpäter in ber Blüthe ber Sahre am 
Delirinm tremens. — Sin höherer fübbeutfcßer Dfficier tranf 
bei Gelegenheit einer Befichtigung in fR. im Sahre 1881 etwa 


10 glafchen SBein (Bowle) roäljrenb beS ®inerS; nahher 
menigftenS 10 ®laS nerfhiebene Siföre unb gleich darauf im 
Saufe weniger Stunben etwa ein ®ußenb ®faS Bier. AH* 
gemein mürbe auh biefe Seiftung als Brabonrftürf bewunbert. 
— Bei einem SaoaHerie* Sjercieren in ben fiebriger Sahren 
mürben bei bem 3merfeffen bon ben anmefenben 120 Officieren 
mehr als 500 glafdjen 3Bein unb ungezählte gäffer Bier 
an einem fRahmittage getrunfen. — fRoch biele ähnliche 
Beifpiele fönnte ich angeben; wer bem Officierftanbe nahe 
ftefjt, Wirb jebocß felbft oon foldjen ®rinfgelagen unb feinen 
folgen jur Genüge gehört hoben." Ueberhorft fpticf)t aud) 
bon ber fhmählihen EJIahlommenfhaft bieler Dfficiere. SGBir 
mähten fragen: woher fommt eS, baß bie Unterofficiere nah 
ihrer GefihtSfarbe unb Bewegung einen biel gefünberen 
Sinbrurf mähen als bie Seutnantö? ©ocß toohl babon, baß 
ihnen ju einem gleih unhhgicnifhen Seben 3 e >t unb SO?ittel 
niht zur Berfügung ftehen. 

SBihtiger als 9lnflagen finb BefferungSborfhtäge. Beibe 
Berfaffer fommen auf biefelben ÜJfittel ber 9lbhütfe. 9!acf) 
Ueberhorft müßten bie Dfficiere unb SDIannfhaften in ber 
GefunbheitSlehre beffer unterrichtet werben, wobei baS Sapitel 
bom 9llfof)ol befonberS auSführlih Z 11 behanbcln fei. gür 
ben Sehrplan ber Sabettenfhulen wirb baS Gleiche berlangt. 
®ie Srziehung ber Sabetten müßte mehr eine ttiffenfhaftltdj* 
innerliche, als eine militarifh*äußerlid)e fein. ®ie Santinen 
biirften feinen ShnapS führen, bie SafinoS feine Sifßre, 
fhwere SBeine unb englifhe Biere. Alfoholfrcie Getränte 
müßten an beiben Stellen biel mehr gepflegt werben. ®aS 
auf Bon nehmen follte bei geiftigen Getränten nur in ge* 
•ringem SDfaße geftattet fein, ber Dberft follte baS Safino 
baf)in überwachen, baß wenig getrunfen wirb. ®en Officieren 
müßte mehr wiffenfhaftlihe Befdjäftigung geboten werben, 
bamit fie niht in ber Ginförmigfeit beS SafernenhofeS unb 
beS StoppeladerS oberflächlich merben unb im Sommiß er* 
ftirfen. 

®iefeS le|te ©henta führt ber SabaHerift gut auS. 
„®ie aBerthfhöhung beS 9llfoholS zeigt fi<h gewöhnlih bort 
am meiften, wo Genußempfinbungen eblerer Art unb geiftige 
3erftreuungen fehlen. Se mehr ein TOenfh eine höhere Stufe 
ber Bilbung erreiht h at - Sntereffe an geiftiger ©Ijötigfeit 
nimmt unb ber Arbeitstrieb entmidelt ift, um fo mehr wirb 
baS Bebürfniß, fiel) burd) 9ll£ol)olgenuß z u entfhäbigen, 
fdjroinben. So ift eS erflärlih, baß jüngere Dfßciere in 
Keinen Garnifonen, wo fie nur wenig geiftige Slnregung unb 
fonftige Unterhaltung hoben, häufig bie Abenbe in ber Kneipe 
Zubringen. Sn öier Regimentern, benen ih angehörte, ift eS 
nur fetten »orgefommen; baß ein Borgefeßter ober ein Kamerab 
einen Bortrag wiffenfhaftlidjer Art hielt ober baß wir 
jüngeren Dfficiere eine 9lnregung geiftiger Art gehabt hätten. 
Ueber bie Gefahren, weihe baS übermäßige ©rinfen mit fid) 
bringt, ift nicht ein einziges ÜJIal ein Bortrag gehalten 
worben; auh entfinne icf) mich, baß, wenn ältere Dfficiere 
baöor warnten, bieS nur im Scherz gefd)ehen ift. Sn jebem 
Regiment ift minbeftenS ein Dfficier, ber wirflicf) wiffen* 
fhaftliheS Sntereffe hat unb ber ein guter Rebner ift. 9Wan 
follte biefen Borträge holten laffen unb ißm möglihft bie 
9BaI)l beS ®h ema § überlaffen. Sft baS geiftige Rioeau im 
DfficiercorpS beffer geworben, fo wirb aud) bie Unluft zu 
foiefjen BortragSabenben fhroinben unb bie regelmäßige 
SSinterarbeit niht meßr eine Saft für itjn fein wie bisher." 

Sehr gut wirb ber Ginwanb abgewehrt, baß ber Dfficier 
burd) ben ©ienft zu feßr abgefpannt werbe, um fid) baneben 
nod) geiftig z u befhäftigen. „GS giebt befanntlid) üiele 
Arbeiter, bie nah einer zehn* bis zroötfftünbigcn anftrengenben 
©ageSarbeit am 9lbenb zroei bis brei Stunben in ben Sefe* 
hatten burh geiftige Arbeit fid) befhäftigen ober öffentliche 
Borträge mit anhören, fich on ©iScuffionen in Bereinen leb* 
haft betheiligen unb fid) auf biefe ©Seife ein oft erftaunlid)eS 
SBifien aneignen. SBarum follte eS alfo ein Dfficier nkl)t 


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22 


Die (5 eg ein» (tri 


Nr. 2. 


Eönnen, her burdg ben S)ienft bocf) weit weniger angeftrcngt 
ift alg ein Arbeiter?" 

Unfere beiben Dfficiere reben feiber niegt oon ber Slb* 
fonberung igreg ©tanbeg Oom ©ioil; eine fotcfje Saftenbilbung 
Eann natürlich niegt geizige DtegfamEeit, weiten ©eficgtgfteig 
unb Oietfeitige SilDung geroorrufen. SBeibc SSerfaffer Elagen 
bagegen über bie ©efeüigteit ber „©efellfcgaft", bie ja an bie 
Dfficiere bie gödgften Slnforberungeu ftellt unb bie einen 
gggienifdgen ©garaEter beEanntlicg niegt trägt. 2)fan lägt ba 
reidglicg oft einanber leben, wägrenb man einanber bie Sebeng* 
Eraft fcgwädgt. S)er ©aOatlerift fügrt fegt richtig aug, bag 
bie in Skutfcglanb übliche Trennung beiber ©efcglecgter an 
bem 93erberb unferer ©efeüigfeit eine ^auptfcgulb trägt, Herren 
unb S)anten gaben fcglieglicg nur noeg eine fegt geringe geiftige 
©emeinfegaft nüteinanber, fo bag fie wogl noeg miteinanber 
effen, trinEen, flirten unb ber SRebifance fidg ergeben Eönnen, 
aber Eeine wirElicg oornegme, feingeiftige ©efelligEeit gaben. 
Sei gut unb gleicg gebilbeten HRenfcgen würbe bag bloge 
ßufammenfein Vergnügen geroorbringen unb ber ütlEogol 
ganj überftüffig fein. S)ag aug biefem 93itbiuiggfegler oiele 
unbefriebigenbe ©gen gerüorgegen unb baraug wieber ®runE 
unb Sneipenleben, fei nur geftreift. 

©in mutgigeg Stuftreten ©injelner oetlangen beibe Slutoren. 
©in abftinenter Dfficier erfegeint bem ©inen freilieg noeg ein 
Unbing, ©dgreiber biefeg gat ben tarnen eineg actiüen 
Württembergifcgen Dfficierg gegört, ber bie gänjlicge ülbftinenj 
burcgfügrt, unb ein 99ruber oon ©ergart <pauptmann fotl fie 
alg fReferbe*Dfficier burdggefegt gaben. Dberftleutnant 
0 . Snobetgborff mugte freilieg abgegen, weit er aug guten 
©rünben jeben tropfen beg für ign giftigen ©etränteg eer= 
fegmägte, unb fo ift er nur bei ber Slrrnee beg 93fauen 
Sreujeg ©eneral geworben. §ier wollen wir bie grage ber 
totalen Stbftinenj niegt erörtern; ein fRecgt, alfogotifege ©e= 
tränte gu oerweigern, follte Seher gaben, fefbft ein Dfficier. 
Unb wer alg Dfficier biefe Slbftineng ein Sagt lang burdg* 
fügrt, Oerbient bag ©iferne Sreu$, benn er gat eine groge 
STapferteit oor bem geinbe bewiefen, einen focialen ÜJhitg, 
ber wegen feinet ©eltengeit befonbere ©gre oerbient. 

S)ocg bie Ipauptfacge ift oortäufig Ülufflärung ber Dfficiere 
über bie gggieniftge unb patriotifege ©eite ber Sttfogolfrage. 
Unb baju gaben beibe SSerfaffer bag Sgrige getgan. ®g wirb 
boeg manegem Sefer }u benten geben, wenn er in ber S)regbner 
Slnfpracge lieft, bag bag Sielüertragenfönnen, wag geute noeg 
fo bemunbert wirb, im ©runbe megr ein Regler alg eine 
©tärte ift. „ÜRacg ben ^Begriffen, bie wir Skutfdgen oom 
Xrinfen gaben, gilt eg alg ein ßeiegen oon Eörperlicger Sraft, 
oiel trinEen ju Eönnen. S)ie ÜBertgung ber ©onftitutiong» 
traft naeg ber Quantität altogotifcger ©etränEe ift aber Eeine 
riegtige, benn bie gägigteit oiel ju trinEen ift weniger ein 
ßeidgen oon Straft, alg ein 93eweig ber ©ewögnung an 
SUEogol. Scg eittfinne mieg, bag icg alg gägnricg mit oielen 
anberen S'ameraben Wöcgentlicg ein big jWei 9Ral jufammen 
tarn, um Oiel ju trinEen. Sn ben erften SBocgen gerrfegte 
fegon naeg einigen ©tunben allgemeine 93etrunfengeit. SRacg* 
bem biefe SWeetiugg megrere 9Ronate fortgefegt worben waren, 
Eam bieg bei gleicgem Quantum nur feiten unb fpäter faft 
gar niegt megr oor. ©iefelbe ©rfagrung gat jeher ©orpg* 
ftubent gemaegt. ©in notorifeger ©cgwäcgling Eann eg in 
ber Sunft beg S^rinfeng bureg Uebuitg weiter bringen a(g ein ! 
Eräftiger 93auer ogne eine folcge." i 

SEBir möcgten unfere beiben Autoren unb ung oor einem 
3Rigoerftänbniffe feg eigen. SRientanb begauptet, bag bag 
Dfficiercorpg in auffälligem, oermuuberticgem ©rabe unmägig 
fei; eg ift im ©egentgeil reegt gut erflärlicg, bag bie all* 
gemeinen beutfegen Xrinffitten gerabe in Steifen junger, 
Eräftiger, woglgabenbcr SRänner, bie wegen igreg fonft ge* 
funben 99erufgtebeng ein 3 uü ' e ^ Icicgt oerwinben, bei bem \ 
jebe törpertidge Seiftunggfägigfeit goeg gefegägt wirb, bag biefe j 
Skinffitten gier gerabe in beutlicgen formen fid) finben. j 


Stber bag ©ntfcgulbbare mug juWeilen boeg befämpft werben, 
unb bei bem ©tanbe, ber bag göcgfte Stnfegen geniegt, beffen 
Sßorbilb im ©uten unb ©cglecgten fo fegr beaegtet wirb, ift 
bie SritiE am nötgigften. ®ie Dfficiere wollen ja boeg bic 
©rjieger ber jungen SRannfcgaft fein, fie werben in igrem 
intimften Seben oon igren 93urfdgen unb allen ©olbaten 
fleigig beobachtet unb igre ©efunbgeit unb SebengEraft finb 
ju wertgöoH, um bureg oerEegrte ©itten üerfdglecgtert ju werben. 


flJetgwugtsiliijUe atn ÜloWerriacr 1899. 

Unb alg nun am Dranjeflug 
3Rit weigern Silienftengel 
ßum cgriftlidgen 93erbriiberunggfug 
©inlub ber SBeignadgtgenget, 

SBarb’g plöglicg ftiU, wo aug bem ©traueg 
SBigger bie Sugeln gepfiffen, 

S)er 93ur warb fegt bewegt, unb aueg 
Sogn Süll war tief ergriffen. 

©ie’ madgten beibe ©eWegr bei Snie 
Sor bem Ipeifgbotfegaftbringer, 
3 ufammengefaltet legten fie 
Um igre Sücgfen bie ginger. 

Unb igr ©efang Elang in bie 9?acgt: 

„Ung ift bag §eil erfdgienen! 

Som ©eift ber Siebe warb’g gebracht, 

S)em alle ©läubigen bienen. 

„®ir jubeln SfSreig unb S)anE wir gu! 

SBir wiffen’g, aueg auf ©rben, 

®ie an S)icg glauben, täffeft ®u 
Sa niegt ju ©dganben werben! 

„D, geitige ülacgt — §aDeluja — 

IRitgtg Eann ®ein §eit ung rauben! 

S)ie ÜWenfcgen all’ finb Seither ja, 

Vereint im Siebegglauben." 

@o flang’g, wie’g biefer 9iacgt gebiigrt; 

Sm Sufd) bei’m ©ternenglimmen 
©in ^Saittheic laufdgte, tief gerügrt, 

®en weigeooüen ©timmen. 

Suft gielt fein Slbenbbrob er fegon 
©epadt am glatten gelle, 

®odg laufen bei bem frommen Jon 
SRafcg lieg er bie ©ajetle. 

?(ud) bie am 2Wobberrioer fag, 

SMe fledige |)t)äne, 

3 erEnirfcgt lieg fie üom ledern grag 
®ie giergefletfegten 3“gue. 

9 lur feitgwärtg fegnob ein plumpeg 9J?aul: 
„®ag füge Drgeltaften» 

©eleier bünEt rnid) etWag faul; 

Scg gatte nidgtg oom gaften." 

®ag mar ein alteg Ütginocerog 
50?it hoppelt gegöderter 9?afe; 
gortftapfenb, frag eg an hoppeltet Soft 
©id) üoll im fetten ©rafe. 


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Nr. 2. 


Die <8>e$ettwart 


23 


„Sch weife eS, auf mich loSgerannt 
©Zit feinem ©tofejahn unb ©üffel 
Sommt morgen früh ber ©lepljant; 

Srum halt' ich mich fjeut’ an bie ©Rüffel, 

„Somit itf) gehörig bei Kräften bin, 

Sfeit mit bem Iporn ju üerfjauen." 

©in ©irf^äuter war’S offne 6§riftenfinn, 

©ich Weid) im ©emütf) ju erbauen. 

Unb als er ifen fo beim futtern fafe 
Sn üotlen, praftifdien ßügen, 

Ser aCte Dtjm in Pretoria, 

@r grinfte mit ftittem ©ergnügen. 

HMÜjelm 3cnfcn. 


Die flfpifobe 3b(ett. 

(Sin turjer @püog. Sßon llrtfynr ©olbfcbmibt. 

SaS neuefte Srama: „SBenn wir lobten erwachen" 
ift, wie mehr ober weniger jebeS SBerf Sbfen’S, ein perfön* 
lit^eS ©efenntnife; aber jugleidj, wie ber Sichter angebeutet 
(jat, ein ©djlufebefenntnife. ®S ift eine SebenS* unb SBelt* 
anfchauungSbilanj, bie für fpätere 3 c *ten öieHeic^t mistiger 
unb intereffanter fein wirb, als fo rnandje Greigniffe ber 
§fcfjla(fetfetb*©efci)i(ijte. Sie Sichtung be^anbelt im ©e* 
jortberen bie Sragöbie beS SünftlerthuntS; aber fie madjft 
barfiber f>inauä unb erfdjeint wie ein ©pilog ju jebem 
Seben unb jebem ©treben üon feö^erer ©ebeutung. SBie 
ein ®rabgefang über Sebenbe gefet ber©efrain: „Ser ©harn* 
pagner war ba, bod) bu trantft itjn nicht" burd) baS 
®rama, baS eine Söfung beS SebenSproblemS a posteriori 
ift ©on ber SBarte beS 2llterS fdjaut Sbfen jurücf unb 
preift bie SBeltanfchauung ber Sugenb. Sic ©et»nfuct)t nad) 
ber SBicbergeburt ber altgeworbenen ©eele ju wifingcrlühner, 
fdjönerSugenbtid)feit ftrömt auS üon allen feinen Schöpfungen. 
Sein Sbeat hat eine lange ©efdjidjte, eine bange ©ntwidelung 
butchgemadjt. UeberaH mit bem lichten Sbeal tätigt büfter 
unb bämonifcf) baS „jWeite ©efidjt" beffelben auf — bie 
tragifd)e ©eite ber freien Seibenfdjaft bet freien ©erfönlicfe* 
feit. SBoljl finb bie ©Zenfdfen „üertoanbt mit Fimmel unb 
©leer", aber fie finb unb bleiben erbgebunbene SBefen. Unb 
bie Sebeitben werben Don ben lobten regiert. Ser unauS* 
toeidjliche 3 Wan 9 ber Srabition frifet Wie ein ©eier an ber 
©rometbeuSfeele bet Sterblichen unb betrügt fie um iJjre 
natürliche, fröhliche Sugenb. 

®S galt Sbfen, mit ben ®efpenftern ber h>ftorifd)en 
Uebetlieferung fertig ju werben, unb was mehr ift, mit ben 
eingeborenen Sämonen ber ©eele: ben blonbhaarigen Seufeldjen 
unb fchwarjhaarigen Seufeldjen ... „gutmütigen Seufelcf)en 
unb bösartigen Seufetd)en. SBenn man nur wüfete, ob’s bie 
blonben finb ober bie fei)warben, bie einen in ihrer ®ewalt 
haben. Sa, bann wäre baS Sing ganj einfach!" ®r hat 
ben ©goiSmuS unb ben SlltruiSmuS in ihrer ewigen fßroble* 
mati! analpfirt. SBie bie Häupter ber lernäifchen Solange 
warfen bie- fragen immer wieber empor auS bem ©roblem 
beS ®lüdeS. Unermüblidj hat Sbfen mit ber immanenten 
Xragif beS SebenSproblemS gerungen. ®faubt ber Sidjter 
noch an bie ©löglidjfeit einer ©Zenfdjhcit „in Schönheit unb 
®leidjgewicht" ? SebenfaUS glaubt er noch an bie ©Zögtidp 
feit non ©djönljeit unb ©leichgewicht im ©lenfdjen. Gr hat 
bie Sugenb* unb ©djulbwertlie umgewertljet unb oerfünbet als 
bie hödhfte ©loral bie fdjöpferifdje ©ntwicfelung ber fßerfön* 
li^feit in Freiheit unb unter ©erantwprtlichfeit ihrer felbft. 
®ie einzige ijobfünbe, üon ber eS feine ©rlöfung giebt, ift 
— baS Seben nicht 311 leben. ®enn baS Seben ift gnaben* 


reich u °b öoU ©rneuerung unb üoU Stbfolution. ®ie beiben 
grofeen ©ünber unb 9J?ärthrer in „SBenn wir Stobten er* 
toa^en" wollen fief) — ju fpät — bem Beben hrng^en. 
„SRögen alle 9Räcf)te beS SichtS auf uns fehen! Unb alle 
3Jiächte ber ginfiernife auch!" — ift ihr tiefer unb ftotjer 
®rufe unb ©tfjeibegrufe an baS Seben. 2)er befreienbe ®taube 
an bie ©elbftherrlichfeit unb ©rlöfungSfraft beS SebenS ift 
Sbfen’S ©ermächtnife. 

SBohl hat er bie SSiberfprüdje in ber meitfdhlichen ©eele, 
bie ©ämonif ber SHufion auch in feinem lebten SBerfe an* 
gebeutet. ©S fcheint eine billige SBeiSheit ju fein, bafe ber 
©pilog gum SebenSführer, jum ©rolog genommen, baS'®lüd 
gewefen wäre. ©S erhebt fich bie grage, ob wirf lieh baS 
®tüd gewefen wäre, was jur gegebenen ©tunbe, bei gegebener 
2RÖgli<hfeit baS ®lücf nicht war. ®er grofee Srrthum beS 
©tofeffor ©ubef üon einer Äunft jenfeits beS SebenS unb 
einer ©einheit jenfeits ber ©atur erfcheint als bet lauterfte 
ÄünftleribealiSmuS. ©eine ibeale SHufion wirfte in ihm 
ftarf unb unbejwinglich Wie eine ©aturfraft, unb bodj War 
fein SbealiSmuS wurjelfranf burch unb burch- ©ein ©efühl 
folgte nicht feinem eigenen tiefen ©efe^e, fonbern einer ge* 
fchichtlichen Determination; eS ftanb unter bem ©ann einer 
üerhängnifeüoUen SBeltanfchauung — üerhängnifeüoü nicht ju* 
le^t für ben geborenen Äünftlec in ihm — bem ©ann ber 
aSletifchen chriftlichen Sbee üon ber reinen Sungfrau. 

Sbfen’S SluSgangSpunft unb ßiel ift ber Äampf gegen 
bie ©eligion ber ©erneinung beS SebenS unb ber ©atür, 
gegen bie aSfetifdje SRoral unb ihre tragifdjen Gonfequenjen 
gewefen. $at et fein 3 W ber ©efreiung erreicht ober |at 
er wenigfteitS irgenb etwas mit feinem Kampfe, bem Äampf 
eines ganjen SebenS, erreicht? ®ie le^te, nicht bie einzige, 
Slntwort, bie er auf biefe fjrage giebt, ift: „SBenn wir Xobten 
erwägen." @r hat ben ©anferott feiner ©Ziffion, wie er fie 
üerftanb, barin angefagt. 

„SBenn wir lobten erwa«hen" ift ein ©pilog, ben Sbfen 
fich fetber fpric^t — unb ber 3 e ^t- ®er ©chöpfer eines 
unettblid) reichen unb gewaltigen Sehenswertes fdjaut ntübe 
unb bitter auf bie SBelt, bie er gefchaffen. ÜRan hat bafür 
bie bequeme ©rflärung bon ber „SRelandjolie ber ®enie 8 " 

— einem ©chlagwort, mit bem ®eneration um ®eneration 
bie grofeen SRänner abfpeift. ©0 wirb im ^anbumbrehen 
auS ber ©djulb ber 3 e ‘t gegen bie ©röfee ein mpfteriöfeS 
Slttribut berfelben gemacht, ©rünblich enttäufcht fdjaut Sbfen 
auf fein SBerf — baS ein ftunftwerf, ein „ÜReifterWerf", erft 
burd) bie innerliche ©erbinbung mit bem Seben werben follte 

— unb fagt fich: ©3 War eitel... unb mit einem Slnftug 
oon 2 >egout blidt er auf feinen ©ufern, ber noch ü * e t eitler 
ift. SBie in einem wunberlichen SRufeum wanbern bie Seute 
in feiner ®icf)tung umher. ®er Sichtet hat gewartet auf 
baS „Sßunberbare"; auf baS SBunber ber SranSfubftantiation 

— hoch er hat umfonft geharrt. Seine 3luferftehung ber 
©emütfjer hat fich üolljogen; bie Sobten erwägen nicht. Sie 
„©eüolution beS ©ZcnfchengeifteS", üon ber Sbfen geträumt 
hat, ift ein einfamer poetifd|er Sraum geblieben. Unb hoch 
beftanb biefe ©eüolution in nichts Slnberem, als bafe bie 
©Zenfehen fich ausleben foHten im ©eifte unb in ber SBafer* 
feeit ihrer ©eele, if)ter ©eele. @r wollte „in baS lebenbige 
Seben eingreifen, in baS lebenbige Seben beS SageS. SBie 
ein befreienber ©eift wollte er üon einem £erb jum anbern 
gehen. Sen ©eift unb ben SBiHen für fich erobern. SlbelS* 
menf^en fchaffen runb umher — in weiteren unb immer 
weiteren Steifen. SlbelSmenfdjen — frohe SlbelSmenf^en... 
Senn eS ift bie greubc, welche bie Seele abelt." Slüe Iperr* 
licflfeit ber SBelt hat er üon feiner §öfee auS ben ©Zenfdjen 
jeigen wollen — aber fie finb nicht jum ©ergfteigen ge* 
fchaffen ... Unb fo wenbet fich ber ©eformatorbichter bon 
ber 3 «it ab, bie ihm nicht gefolgt ift... für bie er nur 
eine ©pifobe gewefen ... Sie „ ©pifobe Sbfen" — bie er 
mit ber ©tuth eines ganzen SebenS befahlt hat. Sarum ift 


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24 


Die ©egettwarl 


.Nr. 2. 


fein Gpiloa tragifd) geworben, „^eimftätten für SRenfdjen 
ju bauen, oaS ift feine fünf Pfennige mertfj. $)ie SRenfdjen 
laben bie $eimftätten gar nid)t nötfjig. SebenfaÜS nicht, 
um glücflicf) ju fein." 

Auch ©oetlje h at biefe Abrechnung mit ber 2 ßett ge* 
haften. $od) ©oetfje ftanb ifjr als ber große intuitive 
fRealift gegenüber, ber erfannte, wie fid) bie äRenfdjett mit 
ihrer GrlöfungSbebürftigfeit abfinben — unb ber befefjafb 
refignirte. Gr fdjreibt einmal an Schiller: „35?enn ich öon 
einem 9*fefultat tebett fofl, baS fidj in mir ju bifbeit fd)eint, 
fo fieht eS auS, als Wenn ich Suft fünfte, immer mehr für 
mich 5 M theoretifiren unb immer weniger für Anbere. ®ie 
2Renf<hen fcfjer^en unb bangen fidj an ben 2e6enSräthfeln 
herum, wenige fümmern fid) um bie aufföfenben SBorte. ®a 
fie nun färnrntlidj fe^r recf)t baran thun, fo muß man fie 
nicht irre machen." Unb in einem anberen Srkfe fjei&t eS: 
„Sehr fchtimm ift eS in unferen Xagen, baß jebe Äunft, bie 
hoch eigentlich mir suerft f ör &> e öebenbeu wirfcn fofl, fid), 
infofern fie tüchtig unb ber Gwigfeit Werth ift, mit ber 3eit 
in SCBiberfprudj befinbet, unb baß ber echte Zünftler oft ein» 
fam in Serjweiflung lebt, inbem er überzeugt ift, baff er baS 
befifct unb mittheifen fönnte, waS bie üftenfcfjeu fucfjett." 

S5ie aufföfenben SBorte — baS, WaS bie 2Renfdjen 
fudjen — h at Sbfen mit einer IReformatorenliebe, bie in 
feinem ^erjen brannte, ben SRenfdjen mittheifen wollen, 
©oetlje lebte föniglich fein Seben; unb feine Sunft war — 
für ihn — nur ein Schatten baüon. ®er große egoiftifrije 
ffiünftler, ber große egoiftifdje SRenfdj war Ggoift aus ©enie. 
Sein GgoiSmuS hat i|n Uon bet Sßeft erföft unb mit biefent 
GgoiSmuS h°t er ü01t fl ar SSiefem erföft. Gr hatte nidjt nur 
ein SRobeU — wie ißrofeffor fRubecf; feine reiche Seele be» 
herbetgte gar biefe Sbeafe; er hat fich nicht hingegeben an 
bie ÜBelt, fonbern an baS Seben. ®ie fdjönen SBorte aus 
ber „Serfunfenen ©focfe": 

. <Sd)Iägt mir ber ©d)macf)tenbe, 

bem idj mit trügen füllen SBeineS nctfye, 
fo $rug unb $ed)er, 6eibed auS ber §anb — 
nun benn: öerfdjmadjtet er, fo ift’3 fein SBitte, 
t>iefleid)t fein @d)icffaf; icfj Oerfc^ulb e3 nid)t. 

9lud) bin icb felbft nicht burftig, benn id) tvanf!" 

fönnte jeber große dichter als Gpitog ju feinen SBerfen 
Wahlen, foweit eS bie SBirfung berfefben betrifft. SBelje ben 
Äünftfern, benen bie febenbige SBirfung ihrer Schöpfungen 
am Iperjen liegt! ®ie über bie praftifdje grudjtbarfeit unb 
SuggeftionSfraft ber Sfunft fich SUufionen hingeben! £)aS 
, 1 ’art pour l’art“ ift gewiß nicht bie äRiffion — aber immer 
unb ewig baS Sdjjicffal aller Sfunft. SBie ungeheuer ftarf 
in Sbfen ber fReformatorenbraitg unb *©laube gewefen, fiefjt 
man auS feiner ungeheuren ©itterfeit. GS geht ihm, wie 
feinem Sbeenmärtprer IRoSmer: er fann nidjt lachen. Unb 
baS 91effentiment feines SbealiSmuS, bie „hinterliftige Sfunft“ 
hat ihm Weher gethan, als ben ißorträtirten, bie burd) baS 
3 bfen* 2 Rufeum gegangen finb, ohne ihre 3 *i 3 e erfannt 31 t 
haben in ben „ehrenwerden, rechtfcfjaffencn Sßferbef roßen unb 
ftörrifchen GfelSfdjmiten unb hängo|rigen, niebrigftirnigen 
^unbefcfjäbeln unb gemäfteten SchweiuSföpfen unb ben blöben, 
brutafen DchfenconterfeiS". Som ©eftdjtSpunft feiner ibealen 
gorberung aus betrachtet, ift ber SbealiSmuS unb »iealiömuS 
feiner Äunft unfruchtbar geblieben — ber IReft ift Schweigen. 
Sbfen will nichts mehr fdjreiben, wie eS ben Anfchein fjat; 
wenigftenS Wo|l nichts mehr, waS ber großen SReffiaS* 
hoffnung entfpringt. ©ieffeidjt Wirb er joologifdje Abfjaitb* 
iungen üerfaffen; fich m 't ^hierrettungeit befc^äftigcn, um 
„bie lieben , Sht ere " 3 U rehabilitiren, „bie ber SRenfcp nach 
feinem Silbe öerpfufdjt hat". 


©äcile Cl)flminak. 

®on ^ebruig oon fricblacnber * 2lbel. 

Gine jener Grfdjeinungen, in benen baS Xhierifche fich 
noch nicht bis jur Unfenntlichfeit Ocrmenfchfidjt hat. Segli^he^ 
SRenfchenantliß ift ja befanntfich bie Garricatur einer < Jh* er= 
phhfiognomie. 2 !em Ginen hat fie Stiefmutter Statur predjt* 
corrigirt in’S ®ußenbmiißige, ber Anbere trägt fie offen jur 
Schau i$ur gefälligen Segutachtung. 

Gecife Gfjaminabc ift baS beöorjugte ©efchöpf, baS fich 
feines angeborenen < £h* ereä nießt fchämt. SBenn fie auf bem 
©obium eines GoncertfaaleS erjeheint, ruft SfRandjer bei fich 
auS: Gin SBinbljunb! Sn ber Xhat erinnert bie Ghaminabe 
burd) ben gertenartig gebogenen Stücfen, bie feife unb oor» 
fießtig tretenben giiße, baS langgejogene ©efic|t unb bie 
hellen glaSfugcfartigen Augen an biefeit ariftofratifdjen Sier* 
füßter. SergebenS blättert man in ber 9Rufifgefcf)id)te nach 
etwas Aehnlichem, ba ift ber 2öwe Seethoben, ber Siber 
^jatjbit, ber §abid)t Martini, bie Sfobbe Sach, ber ge* 
wattige Auerodjfe feänbef, aber nichts, waS ber Gf)atni= 
nabe gliche. 

So ift fie eigentlich ganj feceffioniftifch anjufchauen in 
ihrer unherfömmlidjen Art. Allein fie ift bloß eine 9Wo= 
berne ber Grfdjeinuttg; in ihrem Snneren ftedt merhofirbig 
biel ©nucj'cueS. Sh« Äunft grünbet fidh ganj auf Ser* 
gangenfjeit. Unb eS ift boppett feltfam, baß gerabe baS 
Srabitionelle, gortgeerbte an biefer Sunft ißt Stuhm unb 
Anfeßen brachten. Sie ift fo fefjr Sergangenheit, baß fie 
gar fein £)fjr h Q t für bie 3 u ^ un f t - Unb bie ©egenwart ift 
ipr nur eine febenbiggebliebene ©eWefenheit, ein Smperfectum, 
baS bor fo unb fo bieten Safjten ©efagteS in aller AuS* 
füfjrüd)feit wieberhoft. Auch Ahnen ift ihr fremb unb jeg* 
liehe Seljnfucht unb ber füße ßwiefpalt, ber auS bem ^>eÜ* 
bunfel ber Seele ftammt. ®ie Ghaminabe ift bielmehr fo 
pofitib, wie man eS Anno Schnee ju fein pflegte, wo ber 
$ag immer tjell war unb bie SRadjt noch bie „jur ©efellig* 
feit gemähte" IRaht IßhUinenS. 

Sor allem Anberen aber ift Greife Ghaminabe Soff* 

1 blutpariferin. ®aS heißt fo biel, wie auSgeftattet fein mit ben 
feinften Snftinften für aüeS ißouffirenbe, Snbiefjöhebriugenbe. 
©rößere latente, ftärfere Segabungen lagen gefeffelt in ber 
SEiefe, währenb Gäcilc leicht unb frei bie 2eiter beS fRuhmeS 
emporftieg. Seit Safjren wirb ihr IRame „auf ftarfem fjittig" 
burd) bie 2Belt getragen, bie frembeften 3 un gen fpredjen i|n 
richtig auS. Sh^e Gompofitionen werben in ben borneljmften 
Goncerteit gefungen unb gefpielt, noch mehr: fie Werben ber» 
legt unb — gefauft! Unb bie ©rünbe biefer zahlreichen 
2)3unber? Gecile hat eben ben „flair“. Seber richtige ^ßarifer 
ftiinftfer hat ihn. s IRan überfeße baS 2Bort beileibe niht 
mit bem beutfdjen „SBitterung". GS berträgt überhaupt fein 
beutfdjeS Äleib, wie eS benn nur baS Angebinbe urftanjö» 
fifefjer Staturen ift. Soielbieu hat ben „flair“ gehabt unb 
Auber unb SCljamaS unb Sijet unb SRaffenet unb Slofj, 
ber Selgier, ber ein granjofe fein fönnte unb mit feiner 
„Sriuceffeb’Auberge" einen echt franjöfifdfjen 2Burf gethan hat. 
Sh'wn Aden ift eine ftarfe Sewußtheit gemein für baS, waS 
ihnen taugte, waS fie wollten ober follten. S)ie Ghaminabe 
tritt tapfer in biefe berühmten Spuren. Sei ihr paaren fid) 
eine ftarfe 2öeltlid)feit unb ein gewiffer fpeculatiber Sinn 
mit angeborenen mufifalifcfjen ©aben. Sie hat eS babin ge* 
bradjt, bie erfte (ebenbe Gomponiftin — auch außerhalb 
graufrcidjS — genannt ju werben. ®iefer Jitel ift wohl 
faum ihrem Gomponiftentl)um allein entfproffen. An fidh 
finb ja componireitbe grauen feit 2angem nichts Seltenes. 
SRau benfe an 9RHe. Sertin, bie Serlio.V fogar (in einem 
feiner Sriefe) jur etfolgreidjett Aufführung einer Oper beglüd* 
wünfeßt unb an bie begabte HRündjnerin Sofephine 2ang, bie 
fpätere grau beS Tübinger ©rofefforS ftöftlin, nach ©fenbelS* 
foßn „ein Wahres mnfifafifdjc§ ©enie", beren 2iebcr ihn 


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Kr. 2. 


DU (Ptgettwart. 


25 


„fo innerlich unb Wopltpuenb berühren, wie feit längfter 3 e 't 
feine neue SRufif". tlnb in granfreic^ unb in 2)eutfcplanb 
leben, feeren unb compottiren 2lugufta §olme3 unb Fnge» 
borg Don Vronfart, um nur gwei ber lebenbigften Seifpiele 
angufüpren. 

SEBaö ©ecile ©haminabe Don allen anberen ©omponiftinnen 
unterfReibet, ift ifjre bcoorgugte äußere Stellung. Sie ift 
bie ©rfte, bie wirtlich ernft genommen mirb uon ben Scannern, 
bis gut geinbfelig« unb Unpöflicpfeit. 3)a3 ift iljr t)öc£)ffer 
Xriumpp, bafe fie feine jener ©alanterien geniefet, bie ber 
Stärfere bem Schwächeren bereitwillig gugeftept. So fiept 
fie, opne beftimmteS ÄampfmotiD, auf bem ©unfte, auf ben 
bie gange Frauenbewegung pinfteuert: nämlich burtp üöUige 
©leicpftellung ber mitleibSuoffen §öflicpteit unb galanten ©a<p» 
fiept ber ÜJiänner gu entratpen. Sobutcp aber ift ©ecile 
©pantinabe ben Scannern ebenbürtig geworben? ®abur<p, baff 
fie mit ipnen nie in ben engeren Wettbewerb eintrat. Sie 
ift SBeib geblieben burep unb burep, SBeib in ben engften 
©reitgen ber SBeiblicpfeit. 21 uff) in biefem 3 u 9 e weifet ©etbft* 
befcpTänlung tritt unS gugteiep ein nationaler Vorgug ber 
Frangofen entgegen: ipte unbeftedplidpe Dbjectioität gegen baS 
eigene geiftige ©rgeugnife. Vlofe SBerlioj, in feiner gangen 
SSirffamfeit überhaupt ein 2lntifrangofe, entbehrt biefeö Vor» 
gugeS. 

Sie bie ©paminabe eine üReifterin ber Selbftfritif, fo 
ift auch in aß’ iprem ijfjun ein ftarfeS 3w?d» unb 3'el= 
betoufetfein. 3)a3 offenbarte fiep fepon in ber Sapl iprer 
früpeften Vefdpüper unb Vewunberer. ©iept etwa Verliog 
ober Saint»Saen3, fonbern ©eorgeS SBiget, ber geniale ©legaut» 
ridj, tput ben Sptudj, auS ©ecile müffe etwas Vebeutenbes 
Werben. Feber begabte ©fenfep begegnet in feiner Fugenb 
einmal einer Verüpmtpeit, bie biefen Spruch fpriept. i$)afe 
e$ bei ©ecile juft SBiget tput, ift eben baS VemerfenSwertpe. 
3war wirb er niept ipr Vorbilb, benn fein Fortfcprittlertpum 
taugt i^rer ©üdfcprittlicpfeit nicht. 91 ber in einem fünfte 
treffen fiep bie ©eiben: in bem Streben nach eleganter Volts» 
thümlichfeit. ÜJiit ben neueften unb älteften SZitteln wirb 
bäS 3iel gu erreichen gefucpt. Söiget’ö halbe Etiefe, feine 
pifanten Formen unb Ütpptpmen wirfen gwar ftarf auf ©ecile, 
affein fie entrinnt feinem ©influfe, wie fie fich auct) unbewußt 
bem ©influffc Sifgt’S entgieht, obgleich fie eine geborene ©ia» 
niftin ift. Sifgt ift auch niemals in bie Sage gefommen, 
©äcile auf bie Stirn gu füffen. ©in fotcher Jtufe pätte fie 
bieffeicht in anbere ©ahnen gebrängt, ©änglicp unbehelligt 
öon Sifgt’S fuggeftiber EEprannci lonnte fie ihre pianiftifcfien 
Sege gehen. Sie führten Don EEpalberg, bem Platten, auS 
über Äalfbrenner unb §erg, weit ab oon affen mobernen 
Slaoierbeftrebungen, gu längft Derfchoffenen ßielett. Sa3 bie 
©paminabe fepafft unb noch fd) a fft, ift burcpwegS vieux jeu. 
©ne ©eipe Don StaoierDariationen, bie fie in Sien unb ©erlin 
fpielte, erinnerte an £>enri §erg, ben berüchtigten Variationen» 
fabrifanten, gu beffen 3eit jüngfte ©pmnafiaften ben lateinifdpen 
Spruch: Variatio cor meum delectat mit „bie Variationen 
toon §erg belectiren mich“ gu überfepen pflegten. 9luch 
bie gange fpiegelblante Fmg erte d)ml ber ©haminabe ift auf 
bie Ueberlieferungen ber gwangiger unb breifeiger Fahre auf» 
gebaut. 9Ran hört peutgutage fepr feiten fo ©laoier fpielen. 
SRit biefer gierlichen SRettigleit, biefem feinfchmecfetifchen Fn= 
ftinft für ben muftfalifdpen Stern beS Vorgetragenen. @e= 
wife, unfere mobernen Virtuofen fönnen Diel mehr, als ©ecile 
©haminabe, fie fönnen aber auch wieber nicht fo Diel, wie 
biefe ©ianiftin mit ben 9fffüten einer Derfunlencn ©taoier» 
fpielerepoche. Sur ber alte Seinede fpielt noch fo. ©in 
.fjjauch SienbelSfohn’fdjer ©infatt unb SiebenSwürbigfeit liegt 
auf bem ©laoierfpiel biefer ©eiben. ®ie Frangöfin ift Diel» 
leidht bie gröfeere Virtuofin, obgleich fie baS ißebal mit einem 
„unmobernen Fufe" tritt. @3 ifi ihr noch feine FarbenqueHe 
ä la Subinftein, fie weife auch nid)t, bafe auS ber „Verfcfeie» 
bnng" bei richtigem ©ebraud) bie garteften unb gepeimnife» 


Doffften SSirfungen fliegen. “Die Verfärbung ift jene oiertc 
©imenfion beS ©laDierS, bie Sifgt unb Subinftein aufgc» 
fcploffen haben, ©ine ewige polbfelige ®ämmerung ift in 
ihr, Don ber bie ©haminabe nicptS weife. Sie fpielt auch 
nie ©laoier um biefe 3^» in ber fiep bie Fmpreffioniften 
ber Siufif, fo gut wie bie ber SRalerei, gum Scpaffen an» 
geregt füplcn. 

91uf benfelben Jon oerftänbigfter Ätarpeit finb im 
©runbe auep bie ©ompofitionen' ber ©haminabe geftimmt. 
Siemanb wirb in ihnen Diel Originalität entbeden. ®ie 
„Fbee" ift überhaupt niept bie Sache biefer F rQ ngöfin. 
L’idee, l’invention! meint fie wopl acpfelgudenb. SEBaS finb 
ipr Fbeen, ©ebanfen? Fh r 3 roe£ f ift» wie bereits gefagt, 
elegante VolfStpümlicpfeit. Sie fepreibt in gemeinDerftänb» 
lieber, gwanglofer 9Irt — für ben Salon. Fn ihren Siebern 
braut — trofe aDer Soquetterie beS ©infaepen — jene fpecififcpe 
frangöfifepe Salonluft, bie fiep auS fßarfüm unb Weipraudp 
mengt, »biefe Iprifcpen Stüde finb eigentlich gang lörpertoS, 
fie paben niept einmal ©ppftognomie, fonbern blofe Sltmo» 
fppäre, falonpariferifcpe; fie finb auS einer Subftang bereitet, 
bie beinape aufeerpalb ber ÜKufif liegt. ®er Saum für bie 
fogenannte Fnnerticpteit bleibt bei ©ecile immer leer, um 
biefe Seere gruppiren fiep, Don fipöner §anb georbnet, jene 
Stimmungen unb ©ffecte, bie einem Dornepmen ißublicum 
am beften taugen. 2>iefe3 beftimmte fßublicum beeinflufet aud; 
bie üBapl Don ©paminabe’S EEejtten. F r °wmer 9tugenauffcplag 
unb füfelicpe Sentimentalität finb bie beiben fßote ihrer 23irf= 
famfeit. Fpre ®icpter paben affe etmaS ftarf WeiblicpeS, 
auep wenn eS niept F rfl uen finb, wie Sofemonbe ©eratb, 
bie ®icpterin beS Dielgefungenen „Anneau d’argent* ober 
©paminabe felbft, bie Verfafferin Don „Noel des oiseaux“. 
91Qe biefe ©efänge, fei eS „L’anneau d’argent*, „Nuit dete“, 
„Sans amour“ ober baS Don Saimunb Don 3 ur SSüpIen 
gefungene „Tu me dirais“ bebeuten nur ein Ad Libitum 
für ben jeweiligen Sänger. ©S ift &eclamir», Ülccent», am 
wenigften ÜRelobiemufif. ©eniale Sängerinnen, wie g. ©. 
©amiffa Sanbi, gemütpDoffe, wie ©ecile Äetten, raffinirte 
wie 3ur ffRüplen ober neefifepe, wie Siffian SlauDelt, Der» 
ftepen eS, gewiffe ©efänge ber ©paminabe, namentlich „L’anneau 
d’argent“, „Lete“ unb „Sans amour“ gu wapren Sepertoir» 
folitärS gu maipen. 

Viel mehr eepte SRufif, als bie Iprifcpen enthalten bie 
SlaDierfacpen ber ©paminabe. ®a pat fie namentlich ein 
eigenes ©efepid, in fleinfter Form etwas SöefentlicpeS gu fagen. 
Äein 3weifel, bafe pier ipr SReifter ©obarb auf fie gewirft. 
2tber eine gange moberne Somponiftenphalanj fiept wieber 
in iprem Scpatten: SJuboiS unb Faure unb ©uget u. 21. 
®ie ©paminabe übertrifft fie 2llle an ßwrlicpfeit ber Form 
unb an fcpmetterlingpafter Seidptigfeit. ©ewiffe ©ffecte meiftert 
fie im F^ u 9 e » mnn benfe an ipre fo rafdj populär geworbene, 
Don ipr felbft, Wie Don ßlotilbe Äleeberg gefpielte „Pierrette“. 
3)aS ift ein Keines ffffeifterwerfdpen in feinem gragiöfen ®a» 
pinflattern, bem boep niept fein Ouentcpen Fnpalt feplt. 5)iefe 
Seidptigfeit in ber ^»anbpabung fdpwieriger F otnien ifi baS 
©rgebnife ftrengfter 2lrbeit. Sie ift um fo pöper anguf^lagen, 
als ja ber moberne Äunftgeift bie 3 er ftörung ber Form er» 
ftrebt. ®aS mufterpafte äufeere ©ewanb ber ©paminabe’fdpen 
©laoierftüde fidpert ipnen einen feften ©la| in berüpmten 
Vepertoiren. 3 U ip rer Verbreitung pat bie poepbegabte Slo» 
tilbe Äleeberg Diel beigetragen. Sie ift bie Dorperbeftimmte 
Spielerin ber ©paminabe’fcpen ©faDierftüddpen. Von gröfeeren 
©ompofitionen ber ©paminabe ift nur eine (in SEBien Don 
ipr felbft Dorgetragene) ©pantafie für ©laoier unb Drcpeftcr 
op . 40 befannt geworben, ©in in feiner gangen (beträept« 
liepen) Sänge Don pompöfem Figurenwert überwuchertes Stüd, 
baS fiep Don 3 eit g u 3 eit wit groteSfen magparifepen 
fRpqtpmen fcpmüdt. S)ie ©pantafie tönnte naep ber Seife 
Derfloffener Saloncomponiften gang gut „Hommage ä la 
Hongrie“ peifeen. 2)aS VemcrtenSwertpefte bartu ift eine 


s 


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26 


Die $ege«»att 


Nr. 2. 


tiort bijarrett örc^eftereffecteit umfd)toitrte, 6i3 gut @rm Übung 
toieberholte ©caleitreihe. ®et eigentliche 3 mec f einer fotzen 
Sompofition: ben ©latoierpart butch geiftoolle ißoltjpbonte 
mit bem Drdjefter ju »erbinbeh, ift unerreicht geblieben, 
gür folche STufgaben fehlen ber (S^aminabe ber männtidje 
ÜRert) unb ber SBagemuth ber großen Sonception. Sftodj ein= 
mal fei eö wieberhott: bie ganje 3lrt ihres StalentS ift auf 
bie fleine gorm, ba§ görmtfjen, geftimmt. ®iefer entfpricht 
eS DoUlommen. @3 genüge ihr, auf biefer ©eite SSollfoni= 
meneS ju leiften. 


■*-*-*• 


Feuilleton. 

- SRacfcbrud verboten. 

€tn fd>led>ies €ttb’. 

Son €. XDfirtpmann. 

„©3ie ®u nur, gar fo fcplecpt fein fannft," fagte bie 2tpnbl uit= 
gezählte 2Ral gur ©tafi unb längte baran unmittelbar bie büftere $ro= 
ppezeiung: „©Zit 3)ir nimtnfS einmal fein gutes ©nb\" 

„©Zeinetpalben," pflegte bie ©tafi ungerührt barauf ju fegen, 
menn fie aufjerpalb beS SereicpeS non ber Slpnbl richtig ftrafenbem Slrm 
fiep fanb. ©Zit bem „©Zeinetpalben" gab fie aber meber bem £rog nocp 
einer beabfnptigten Sergöpnung Sleufjerung;, fie lieb nur iprer lieber- 
Zeugung SluSbrucf, bafj, falls eS überhaupt zum ©nbe fam, eS ipr gleich 
mar, ob gut ob fcplecpt, baS ©nbe mar ja immer fcplimm. $ie ©tafi 
lebte fo gern, niept einmal ber Sfpnbl fnocpige gauft fonnte biefe ihre 
unbezähmbare SebenSfreube, ja SebenSgier, nieberbalten. ©in ©tücf 
banon patte ihr Dietteicpt bie ©Zutter nererbt, bie im $)orf nimmer ju 
halten gemefen mar, fonbem in einen $)ienft in ber ©tabt gemufjt hatte, 
, morin fie oerborben unb — mit £interlaffung ber ©tafi — geftorben 
mar. 3m Sater bagegen fah bie 9lpnbl bie ganze ftäbtifcpe 9Ziebertra<pt 
nerförpert ©auber banon gemacht hatten fiep bie jmei, bie ©Zutter in'S 
3cnfeitS, mo ihr fcpIecpterbingS niept mehr beijufonimen mar, ber Sater 
in mer meifj roelcpen unauffinbbaren ©rbenminfel, unb bie ©tafi, ihrer 
©cplecpttgfeit^robuct, hatten fie ber ^l^nbl aufgehalft. £>art ift eS jehon, 
menn man für frembe ©ünben büfcen muff; eS giebt ©icptS, maS einen 
mehr Derbriefjen fann. Unb ber ganze Däterlicpe Seicptfinn, mie er nor 
ber Sttpnbl geiftigem $uge ftanb — ihre leiblichen ©ehorgane hatten ben 
fpurloS ©ntfepmunbenen nie gefepaut — lebte in ber ©tafi, ihrer 
ftrengen Slnoermanbten ©träfe, mieber auf unb lieb fiep ni<pt nieber= 
halten, fo fauer eS fiep auch bie Slpnbl merben lieb, ign bem 2>irnbel 
abzutpun. ©Zocpt eS fein, menn bie ©äperzenz niept gemefen märe, bab 
eS pätte glüefen fönnen; eS mar ein $reuz, bab bie grab' über'm 2Beg 
brüben paufen rnubte. 2>er 3 en 8 traute bie 9lpnbl niept, menn ipr jene 
auep noep fo fcpön tpat, ipr noep fo bemütpig in ©ttem ©eept gab. 2)aS 
mar nur galfcppeit nnb Serftetlung Don megen ber ©tafi; bie Slpnbl 
patte eS lang burepfepaut, menn fie'S auep gnäbig burepgepen lieb, weil 
ipr bie ßenz umfonft bie alten SRöcfe fliefte unb ipr Dom eigenen bibepen 
Slrmutp zutrug, maS fie ni<pt notpgebrungen zum täglicpen Seben nötpig 
patte. $afür braudjte bie Slpnbf ipr noep niept einmal „©elt'S ©ott" 
ZU fagen, benn fte tpat eS nur ber ©tafi megen. 3)ie mar noep ein 
minzifl fletneS 2)ing gemefen mit einem feefen Subengefiept, ba patte bie 
Qenz fepon angefangen, ipr Simen unb Slepfel gu^ufteden, bie bie 
©äperiit peimliep unter ben Säumen aufgelefen, in ben Sauernpöfen, 
roo fie tagüber in Arbeit mar, unb patte ipr eine ^uppe gefügt, momit 
bie Benz am ©onntag aber felber fielen rnubte, unb bie ©tafi fap ipr 
Zu unb commanbirte, mie fie’S maepen follte. 3« ipren finblicpeit 
©ötpen rannte bie ©tafi immer zur 8 en S hinüber, unb bis bie baS 
abpelfenbe ©Zittel gefunben patte — benn fie mar fozufagen fepmer^ 


fälligen ©eifteS — lacpte bie ©tafi fie Dergnüglicp an unb fagte: „Safe 
fein, icp mach' mir ja fein bifferl mepr barauS". %a, arg mar T S mit 
ber ©tafi unb ber 3 eit Zf re tn Derrücft, baS peibt, bie mar Derrücft, bie 
©tafi aber mar fdplau. $rum patte eS bie Slpnbl niept gern zugeiaffen, 
bab bie ©tafi bei ber 3*nz ßleibermadpen lernen burfte, nur mar'S 
bequem unb trug fpäter auep maS ein. gür bie 3«uz fing aber bamit 
ein neues fieben an, ein munberfcpöneS Seben, menn nur feine ©ünb’ 
babei gemefen mär\ S)enn eigentlich mugte bie 8*uz eS ja ber Slpnbi 
pinterbringen, bab bie ©tafi ben ©Zütterfepp am Sacp trifft, inbeb bie 
alte grau fie eifrig über ; m ©äpen meint. Unb bie Sriefe unb SefielU 
Zettel burfte fie ipr auep niept tragen, menn fie, bie 8enz, in bie ©Züple 
Zum 9Zäpen gept; ba plntergept fie ja obenbrein bie ©Zütterin, ipre 
©uttpäterin, bie eS ganz anberS Dorpat mit bem ©opn. Unb pätte 
auep niept pinter ber $au8tpür Sßoften ftepen bürfen am 9lbenb, als ber 
©epp zuüfcpen bunfel unb fiepftmiepnit in bie ©tube gefcplü^ft fam — 
lang paben bie zwei fie brauben ftepen taffen felbigeS ©Zal, fie müfjen 
fie rein Dergeffen paben — baS 2tHeS burfte fte nidpt tpun, bie 3«*$, 
unb tput eS boep, unb pat einen ©ifer bei bem §anbel mit bem ©Züller= 
febb, fepier gröber als bie ©tafi felber. Unb reepnet ipr Dor, maS ber 
©epp einmal fbäter MeS friegt; er ift ber (Sinzige in ber ©Züple, unb 
bringt immer mepr perauS, befonberS feit fie zu merfen angefangen 
pat, mie angelegentlich bie ©tafi naep bem görftermartel fbäpt, ber bod) 
feinen rotpen Reiter befigt. 9Zur mar ber ©tafi ©icptS einzureben, nie 
nicptS. $>ie patte ipren ftarren 5fobf bei allem Seicptfinn. ©Zan burfte 
nur bie pellen SZingel fepen, bie ipr fo eigenmillig in bie ©tim gingen 
— mie baS $aar, fo ber ©inn. Slucp bie Slpnbl patte eS öorbem auf 
geben müffen, fie in ben blonben 8^f z u cürfz u 8Wingen. 

„5Bie alt bift benn?" fragte bie ©tafi über iprer ©äperei. 
„©iebenunbDierzig," befannte bie 3*nz. 

„§errfcpaft, mie alt!" rief bie ©tafi, „fo alt möcpt J icp fepon gar 
nit merben, bann ift'S bod) nimmer fcpön." 

„Sei mir mar'S Donper auep nit fepöner," meinte naepbenfliep bieBwj* 
„ s 2lber Derliebt bift boep gemefen, mie $u jung marft?" begehrte 
jegt bie ©tafi zu miffen; „ba ma^S boep fcpön gemefen, nit?" 

„$>er ^lettenbauer pat miep füffen moUen," erzäplte bie 3«i$f 
bin ipm aber baDon." 

„S)er ^lettenbauer mit ber ©lagen?" rief bie ©tafi erftaunt. 
„$5ie pat er nit gegabt zur felbigen 3 C ^»" beleprte fie bie 3«Vv 
„^5)er ift fein fauber gemefen!" ©ie läepclte erinnerungSfelig unb fegten 
niept abgeneigt, einem mittigen Dpi* bie näperen Umftänbe auSeinanber- 
Zufegen. S)ie ©tafi aber mar eine feplecpte B^pörerin. 

„SBarum paft ipm naepger feinen Äu& nit 'geben?" fragte fie unb 
ftredte, opne eine $(ntmort abzuroarten, ipren glaipSfopf zum genfier 
pinauS. 2)rauüen ging ber frembe glofelnecpt Dorüber, ber patte gejagt, 
fie pätf grab' klugen mie ein ©amferl. 

„©oflteft nit natp einem 3«ben fepauen," meinte bie 3^z mife- 
bittigenb. 

„©tab fein," fepnitt ipr bie ©tafi bie moplgemeinte 9Zebe Doni 
©Zunb ab; „feinen ©cpnaufer meiter tpun." ©ie lacpte übermütpig jur 
©Zapnerin hinüber. „£>aft 2)ir deiner Sebtag nicptS getraut unb famft 
jegt auf einmal über miep . . . toeifjt, fo bin icp leine mie £>u. Unb 
menn ^)u ftab bift, fag' icp 2)ir auep maS. ©eit, ba fpigeft bie ßgr* 
mafepeln? SeffeS, mie 2)u neugierig bift" — bie ©tafi fieperte — „fo 
neugierig giebt'S fepon ©iemanb mepr!" 

,,©o reb’ boep," brängte fie bie B^z- „Reifet, icp pab' ja ©ie- 
manb fonft mie 2)iep, gab' ja meiner Sebtag fonft ©temanb g'pabt, unb 
?lngft ift mir auep immer, $u paft maS Don .. ." 

„$)ie 3lpnbl mitt, icp fott mattfaprten gegen." 

,,©ar," meinte überrafept bie 3 e «Z- «8« mein benn naegger?" 
„3ur neuen ©ZuttergotteS naep ©Zäring." 

„3u einer neuen?" fragte bie ©äperin bebenfliep. 

„SJeifjt, fie ift fdpon alt," berichtigte fie bie ©tafi, „fie pabenS 
nur neu pergeviept'." 


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Nr. 2. 


Die Gegenwart 


27 


,,©o waS follt' man fdjon gar nit ttyun." 

* 

„Sie Kapellen hoben fle neu hergerid)t’ unb angenehm fd)Ön, einen 
blauen £intmcl mit golbene ©tern’. 3 U öer KtuttergotteS hot fiep *üe 
Kpnbl öerfprodjen ton wegen ihrem Sein.. ." 

„3<h hält' ja audj §in fönnen," erbot ftd) bienftfertig bie 3 en 5? 
„fag'S ber Kpnbl, ich bet' Kofenfräng' am gangen 2Beg." 

,,©ang ftab fein/' gebot bie ©tafi bieSutal im (Srnft. „Ser 3*örfter= 
martel nimmt midj mit in bie ©tabt," feßte fie mit geheimnißooH ge~ 
bämp>fter ©timme Ijingu, unb ihre ooni gloßfncdjt gerühmten braunen 
Kugen funfeiten oor erwartungSOolIer Suft. 

„Kenn' nit in Sein Unglüd," rief erfdjroden bie ßenj. ,,2ld), 
hätt'ft mir bod) nidjtS gefagt!" weljflagte fie, „jeßt hob’ id) feine ruhige 
©tunbe me^r . . . ba hött' id) lieber gar nichts gemußt.. . unb mann 
benn nadlet? ..." 

„SBann holt bie SSatlfahrt ift, es wirb erft abgereb’t, eS geben 
ihrer mehrer mit." 

„Sa fannft bodj nit wegbleiben, baS fommt ja ’rauS", wanbte bie 
3eng aufatbmenb ein. 

„3mmer ^aft fo ein ©ereb'," ^ielt ibr bie ©tafi übettaunifcb oor, 
„eS tommt nit auS, unb wenn auch, bann hob' ich bocb mein' ©paß 
gehabt, ben fantt mir feinS mehr nehmen, ©ar nid^tö trauft Sir fcpon, 
unb wenn Su mtd) oerratbft.. ." 

„SaS glaubft ja jelber nit," fagte ungefränlt bie Qtny, „nur 
fein gute§ (Snb' nimmt baS nit," gebrauchte fie beforgt ber 2lljnbl 
SieblingSmenbung, aber tröftete fich. „SSaljr ift’S wohl, bie fchled)ten 
Scut', bie hoben immer ©lüd. Kber ber SKülleipfepp .. fiel ihr barauf 
wieber fchwer auf'S £>erg — „eS ift fdjon wahr, feinem KtannSbilb ge= 
fdjieljt gu weh" .. . 

,SaS ©chaf," fagte geriugfchäßig bie ©tafi. 

„2BaS baff g’fogt?" fragte bie Käherin, bie nicht redjt gehört gu 
haben oermeinte. 

„(Sin ©chaf ift er," wieberholte bereitwillig bie ©tafi, „unb ber 
SReßnertoni auch." ©ie lachte auSgefaffen über ihrer 3uhörerin oer= 
NüffteS ©eftd)t. 

„©uten Slbenb, £>ochwürbeti §err Pfarrer! hob i£ h am Slbenb 
neulich in bie Äirdj' gerufen, wie bie Sotennanbel grab über ben iHrd^ 
hof 'gangen ift, wenn fie mich etwa brinn guoor §ätt r reben hören. 
Sa ftreeft ber Kteßnertoni feinen Äopf gur Spür heraus, weil er einen 
©chreden friegt, ber $err Pfarrer möcht' uns aufgepaßt hoben." 

„0 mein, o mein!" ädjgte bie 3eng, ba mm fepon wieber ein neuer 
Bewerber um ber ©tafi wetterlaunifche©unft auftauchte; „überall fdjlupfft 
bo<h herum, io fcie Äirdj' gor .. ." 

„(Sr muß hoch läuten um holb 2ld)t, ber SReßnertont," war ber 
©tafi Antwort. 

-Sie SSatlfabrer, bie fich gur frommen gaprt gufatnmen= 

gethon, waren abgewogen. Sie 3 eil 5 hotte in ber SageSfrüpe fie „außt- 
beten" hören, gum Sorf tjtnouS, unb mit oerfdjlafenen klugen burd) bie 
Sabenriße gefpäpt, benn fie trug einen uugerftörbar hoffnungSfreubigen 
©tnn burd) ihr fümmerlidjeS (Srpenleben. könnte ja hoch fein, baß bie ©tafi 
unter ihnen war. SorauS fam bie grau beS 3iotmerinannS gekritten, 
oon ihren Sorfgenoffen furgweg „baS 28ei" geheißen. SSeßpalb fie 
folcher 2(rt aus ber übrigen grauenweit b c rOorgehoben unb gemiffer= 
maßen als SppuS ihres ©efdjledjteS begeiepnet würbe, hätten gene felbft 
nicht fagen fömten, bie fte guerft fo genannt, ©ie war bie Sorbetedn 
am SlntlaS bei ber ^roceffion, bie ©borfübrerin bei allen ^Bittgängen, 
in ber Setftunbe, bie allabenblicb im ©terbebauS gehalten würbe, folang 
eine Seiche noch über ber ©rbe war. 3So fein ©eiftlidjer bei einer 
Wallfahrt mitging, nahm man befdjeiben mit bem „$Bei" oorlieb. S)ann 
famen ihrer fünf, 21 He, bie bie ©tafi angegeben, fogar ber §unbSbarteI 
hatte SSort gehalten, naebbem er geftern Slbenb ber 3^05 anoertraut, 
er fänbe eS jefct an ber 3 e ü f fi^ ^brüben" um ein gutes $la^erl um= 
^uthun, uni fo mehr als eS „herüben" hoch ein elenbigeS „©efrett" für 
ihn gewefen. $ie ©tafi aber war nicht barunter. 


$obffd)ütte!nb frod) bie 3en$ in'S Sett jurücf unb nahm fich oor, 
am borgen gleich ber SRuttergotteS ein ^er^erl anjujünben, um für 
beS KtöbdjenS fträflich unterlaffene |>ulbtgung bie £immelSgewaltige f<hab= 
loS ^u holten unb ihre einflußreiche SBohlgefinntbeit nicht Oölltg ju Oer* 
f ehernen. 

-Kein, bie ©tafi war nicht mit gewefen, unb ber #unbS= 

bartel wär' auch gefdjeibter babeim geblieben, fanben feine 2öallfahttS= 
geführten, ©ar fo gewalttätig war er holt. Kicbt anberS, als ob er 
im fteifwattirten fadleinenen ©ewanb auf ber SBiefe ftänbe, ben biden 
Prügel in ber §onb, unb feinem ^erm bie $unbe auf ben SÄann 
breffiren helfe. (SS war ein $reu$ mit ihm. (St wußte nicht, waS bei 
einer SSallfabrt Stauch unb wollte fich öer 2lnbem befferer (Sinftd)t bot 
nicht fügen. 2Bär’ ihm fchier, weil eS regnete, ber fleine Umweg ju 
ben „©ieben ©chmerjen" ju weit gewefen, bie hoch 3 ebeS auf bem ^eint* 
weg mitnabm, ba aber gab baS „2Bei" nicht nat- @r fefete bafür 
wieber burch, baß fie überfahren wollten, ftatt betenb einebolbe ©tunbe 
am Ufer entlang unb unten über ben ©teg $u geben. Bitten in bie 
Sitanei hinein fchrie er ben gäbrmann an, ber gerab' ein Sßärdjen über* 
führen wollte. Unb bieS faubere Sörchen wäre guerft wohl lieber allein 
geblieben, brauf aber lachte bie ©tafi unb meinte befriebigt gum görfter^ 
martel: „ 3 ejt !omm' id) ja bodj mit ber ©allfabrt heim, weißt, ©lüd 
haben muß ber Kienfcf)." 

5)er Bartel hotte feines lieber fonftwo gefunben, weit aber nichts 
baran gu änbern war, nahm er'S, wie er'S friegte, unb baS war bie 
©tafi um bie üttitte. (SS fdjwanfte nämlich ber Äahn fo ftarf, weil 
2lüe ftanben, benn gum ©i£en war'S gu naß Oon ben Kegenfdjouern, 
bie am borgen niebergegangen waren. S)aS „S3ei" fuhr fort mit ber 
Sitanei, unb bie ©tafi fiel mit ber ©efettfdjaft antwortenb ein unb flüfterte 
bagwifdjen bem görftermartel gu, baß fte fdjon eh gebaut, fie fönnten 
bie 2 lnbem unterwegs „berwif^en". 

SSie'S bann fam, hot fein'S mehr fagen fönnen. 0b ber $ahn 
umfippte, weil ber Sartel, bem ber §ut in'S SSaffer gefallen, fich bar* 
nad) hoftig büdte, unb bann baS ©eil erft riß, ober ob baS ©eil guerft 
geriffen, unb ber Sahn baburdj baS ©leichgewicht Oerloren — nicht ein= 
mal ber gäljrmann fonnte eS beftimmt behaupten, bem als bem ein* 
gigen eS glüdte, baS Ufer fchwintmenb gu erreichen. 3)ie 2lnbem fanben 
alle ben feuchten $ob, ber görftermartel auch, um ben bie ©tafi }idj 
geflammert hielt. 5>en feuchten Xob, hoch ein gottfelig (Snbe, fagte ber 
§err Sfarrer in feiner Seichenrebe, benn fie würben glüdlidj 2llle auS 
bem SBaffer geborgen, baß fie hoch ihr djriftlicheS Segräbniß finben 
fonnten. ©in gottfeligeS (Snbe auf frommer gahrt, ©ebete auf ben 
Sippen — eS ließ ftd) Oiel barüber fagen, unb ber geiftlicße Kebner that 
eS auch. 

-*£>ätteft nur ben ^errn Sfarrer hören foHen," h ie ^ 

bie 3^ng ber 2lhnbl Oor, bie'S nid)t mit eigenen 0hren hotte üemehmen 
fönnen Ooit wegen ihrem Sein. Unb baS war fdjab’ unb wurmte bie 
3eng. §ören hott' fte'S ntüffen, bie 2lhnbl, bie ber ©tafi immer ein 
fcfjledjteS (Snb' prophegeit, fie, bie bem SMrnbel 2UIeS gewehrt im Seben, 
gar 2lüeS. 3ft'S ba gum Sßunbem, wenn fid) eins fein Kedjt nimmt 
unb babei auch wohl baneben greift? 

Kur um ißr Oon ber fdjönen Keb' gu fagen, h fl t bie 3*ng bie 
2 lhnbl nochmal aufgefucht, bann nimmer. 3 eßt budt fie fich utdjt 
mehr unter beren horten ©igenwillen, unter ihr UebelwoHen, ihre Un= 
oernunft, jept fürchtet bie 8 e ug fie nimmer, feinen fürchtet fte mehr. 
3ept fann ihr feinS mehr wehthun — wohlthun auch nicht, fo nicht, 
baß fie'S freut. Kein, wehthun fann ihr Kiemanb mehr, benn Kiemanb 
weiß, wo bie ©tafi bie lebten greuben ihres jungen SebenS 
auSgefoftet hot. 3hrer brei nur wußten brum; bie Seiben, bie nichts 
mehr baoon ergäben fönnen, unb bie dritte, über beren Sippen eS 
niemals fommt. 3n ihrer §ergenSleere, in ber 0ebe ihrer einfant 
trüben Sage ift ber 3eng als leßter Sroft oerblieben, baß fie ber Sobten 
bie Sreue holten fann. 


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28 


Bit ttegettnarl 


Nr. 2. 


Jliis bet jöauptftabt. 


Die ttotl)l)elfer. 

i. 

.Der (Gefcpidlicpfeit, womit ©ie bie befreunbete euglifche Negie? 

gieruitg boju gezwungen paben, bic geplante Berftärfung ltnferev glotte 
niept übel zu nehmen, will ich alle Anerfennung wiberfapren laffen, 
wenn e« aud) unleugbar ift, bah Sie bie Anregung ju tiefer Bolitif 
ber pöcpften ©teile öerbanfen unb bah bemnacp ber pöcpften ©teile ba« 
Hauptberbienft an beni fo erfreulichen biplomatifcpen Krfolge gebührt. 
Auf ber anberen ©eite aber fann faum in tlbrebe gefteHt werben bie 
betrübenbe (Geringfügigfeit ber gortfcpritte, welche bie glottenibee in 
Deutfcplanb felbft gemalt pat. $on ben beiben gactoren, auf bie wir 
nothgebrungen Nüdficpt nehmen müffen, ift bisher nur ber eine ge? 
Wonnen, unb ba ^ier r wie gefagt, bie pötpfie ©teile felbft bie Hauptarbeit 
gethan pat, bleibt für ©ie, mein lieber Herr (Graf, recht wenig be« 
Nupme« übrig. ©a« ift gefcpepcn, um ben beutfcpen Reichstag gefügig 
$u machen? 3Pr Harnet« auf bie lopale Hutung ber groben treffe 
fcheint mir feine«weg« geeignet, meine Bebenfen ju zerftreuen. ©o gern 
ich 3hrer ©irffamfeit Beifall zolle, fo unmöglich ift e« mir, bie allere 
bing« begrühen«wertpe glottenfreunblicpfeit ber au«fcplaggebenben Ber= 
liner gdtungen Sprem Konto gutzufcpreiben. Seicht bie Nüdficpt auf 
©ie’, fonbern allein bie aufrichtige Siebe unb Khrfurcpt, welche biefc 
Blätter öor ber pöcpften ©teile empfinben, ficfjert un« ihre Hülfe. Alfo 
auch hier hot bie höchfte ©teile ba« meifte gethan, währenb 3hnen zu thun 
noch Alle« übrig bleibt. Seiber reicht ber Kinflujj ber gutgefinnten Sour? 
nale nicht fo weit, wie e$ im Sntereffe ber ibealen ©acpe wünfcpen«? 
werth märe. Unb bie Greife, beren ©prachorgan bie erwähnten 3eitungen 
ftnb, hoben fcpwer mit bem Don gewiffenlofen Demagogen gefcpürten 
3Kigtrauen ber Waffen zu tämpfen. 9Nan wirft ihnen bor, bah fte ftch 
nur be« Profites ober eine« erhofften aflerhöchften (Gnabenbeweife« wegen 
für unfere Bläne in’« 3 c ug legen. 3a, e« befiehl bringenbe (Gefahr, 
bah bie glottenbegeifterung ber ralliirten haute finance unb ber ©cpiff«? 
bau?Vlctiengefettfchaften un« ©chooren öon begriffSftuptgen Unintereffirten, 
bie wir bereit« gewonnen hotten, wieber abfpenftig macht. Sch fehe 
alfo einftweilen feinen ©eg, ben nötigen Hotpbrud §u erzeugen, ber 
bie 9tetdj«tag«mehrbeit zwingen lönnte, auf unfere ©ünfcpe einzugehen. 
SRepr noch: ich beforge fogar, bah bie ganze Angelegenheit grünbüch ber? 
fahren worben ift Bielleicht hoben ©ie, lieber greunb, bie (Güte, mir 
recht halb brieflich 3pre Meinung unb, wa« wichtiger fein wirb, 3h re 
Kntfcpltehungen mitzutpeilen. 9Rit meinem Befuge möchte ich ©ie 
nicht eher behelligen, al« bi« bie« unumgänglich nöthig geworben ift.. . 

II. 

..... 3m Uebrigen pflichte ich 3h rer geiftbotten Analqfe ber 
gegenwärtigen Sage bott unb ganz bei. Bi« auf ein«, ©ie fennen 
mich Jur Genüge unb wiffen, bah ich fein greunb bon frönen ©orten 
bin, befjpalb barf ich mir wohl erlauben, unummunben auf bie nach 
meinem Dafürhalten entfcheibenbe ©chwierigfeit pinzuweifen. ©ie wollen 
©ie ben politifch böllig unreifen SWichel für unfere wohlburchbachte ©elt= 
politif gewinnen? Die wahlberechtigte $leb« hanbelt nicht nach ftaat«män? 
nifcpen Krwägungen, fonbern nach ©timmungen, unb wenn fie fchon fo 
hanbelt, fo fpricht fie erft recht barnacp. ©eit Sängern ift in Deutfcplanb 
nicht« fo unpopulär, ja fo berpafjt gewefen wie biegreunbfcpaft, bie un« amt? 
lid) mit ber Regierung unb ben Unterthanen Shrer britifchen ttttajeftät 
berbinbet. Die Beforgnih, bah unfere glotte bielleicht baju beftimmt 
fein fönnte, ber englifcpen bie gepanzerte Houb ju reichen, fcpretft ba« 
ftaatSmännifch fchlecht berfirte Bolf jurüd. ©ie fhabet un« mehr noch 
al« bie Bunbe«genoffenfcpaft be« tnbuftrietten Kentraloerbanbe« unb ber 
Banf?Komptoir«. H crr SWarfchaÜ hätte 1896 jebe glotte bewilligt 
erhalten; mir aber machen bie bernagclten Buren mit ihrem ftfjledjtpin 
unbegreiflidjen Ktgenfinu zehn ©triebe burd) bie Nedjnung. 


Dod) hoffe ich immer nod), bah wir heute borgen nicht umfonft 
im 3eughaufe gefniet haben, ©a« burd) ben Bhotograppen alle ©eit 
erfährt, fann auch (Gott nicht berborgen bleiben. Unb ftet« ift feine 
Hülfe am nächften, wenn bie Notp am größten ift. Kr wirb un« einen 
retten ben (Gebauten ober, wa« leichter unb bequemer wäre, eine rettenbe 
Dhat befcpeeren. 

Bei bem jepigen 3nfluenza=©etter würbe ich Spnen, berehrtcr 
greunb, ganz entfcfjieben babon abrathen, ftd) ben Unbilben be« Sanuar« 
au«zufepen unb mir einen Befuch zu machen. 3pre 3apre zwingen ©ie 
Zu peinlicher Borftcpt, unb auherbem ift bie ©eit immer gleich z u 3Rtfe= 
beutungen bereit... 

III. 

00 / 24311 . 

«ei ttnttDorteu bittet man bie Berlin W., ben 8. Sonuar 1900. 

3oitrrtat = Kummer anpfleben. 

Herr HKinifterpräfibent! 

Die Aufbringung unfere« Beich«poftbampfer« „Bunbe«rath" erregt 
hier bebauerlicpermeife böfe« Blut, unb bie choubiniftifche burenfreunb* 
licpe H e frpreffe wirft bie Sfrage auf, ob bie Regierung 3h^er britifchen 
9J?ajeftät auf biefe Art Bebandhe für 9Jfager«fontein unb Kolenfo nehmen 
wiU. ©elbftoerftänblich liegt e« un« fern, un« in eine Amt«hanblung 
Kw. K^cellenz einmifepen zu wollen, unb wir erfennen bie innere Berech¬ 
tigung be« ©epritte«, ben ber Kapitän ber SRagicienne gethan hat, un- 
bebingt an. ©agte hoch fepon Koetpe, ber Borläufer 3hre« erlauchten 
Darwin: $rieg, Hanbel unb Btraterie, breieinig ftnb fte, niept zu trennen. 
Die beutfepe Regierung ift abfolut niept gewillt, au« ihrer Neutralität her- 
au«zutreten unb weih jebem Berfucp einer Socferung ber freunbfepaft^ 
liehen Beziehungen, bie ba« beutfepe unb ba« englifcpe Neicp öerbinben, 
nacpbrüdlicp entgegenzutreten. Dehholb aber erfepeint e« un« unbillig 
unb in Sprem eigenen Sutereffe unratpfam, wenn ©ie bie öerbünbete 
Deutfcpe Negierung beftrafen wollen für Uebeltpaten einzelner ihrer 
Untertpanen, bie oieHeicpt niept fo poepgrabig angloppil wie wir ftnb 
unb e« mit ben rebeHifcpen Buren palten, ©ir hoffen alfo feine gfepl' 
bitte zu thun, wenn wir Spnen pöflicpft anpeimgeben, unfere ©tellung 
burd) rafepe Beenbigung ber Unterfucpung unb fcpleunige BeröffentUcpung 
be« Befunbe« im gaHe „Bunbe«rath" z 11 befeftigen. 3 n bem wir SPuen 
nachträglich bie perzlicpften Krüfce zum Sahrpunbertwecpfel übermitteln 
unb ber fröhlichen Hoffnung Au«brud geben, auch im neuen ©äculum 
auf 3§r gefepäpte« ©oplwollen rechnen zu bürfen ic. tc. 

IV. 

3. 9h*. 00,24321 
B 

Bei «tntmorten bittet man bic Berlin W., ben 4. Sanuar 1900. 

Journal = 9?untmer amugeben. 

Kw. Kfceüenz! 

Unfere Note öom geftrigen Dage, 3-^r. 00/24311/A, ift Oon ber 
Negienmg 3prer britifepen 3Wajeftät bi«per unbeanttoortet geblieben, ©tatt 
beffen läuft foeben bie Reibung ein, bah aufjer bem „BunbeSrath* noch 
ber Neicp«poftbampfer „General", waprf^einlid) auep ber „Herzog", auf¬ 
gebracht worben ift. 3fp Bitte ©ie! Kin paar ©epiffe muh utan bem 
Slopb boep laffen! Haben ©ie bie ©üte, ©e. Kycellenz Sorb ©ali«burp 
in ben burep bie intime greunbfepaft beiber ©taaten gebotenen formen 
barauf aufmerffam zu machen, bah eine balbige Aufflärung unb Kr- 
lebigung be« gatte« ber faiferlidjen Negierung infofem Don Nupen fein 
würbe, al« fie ben Bewei« bafür ergäbe, bah bie innig freunbftpaft* 
liehen Kefinnungen, bie bie faiferlicpe Negierung für Knglanb pegt, öott 
unb ganz Krwibentng finben. ©ir würben ergebenft oorfcplagen, bie 
günftige (Gelegenheit, ben piefigen Knglanbfeinben ein für allemal ben 
ttflunb zu ftopfen, grünblicp au«zunupen unb baburep eine ©treitfrage, 
beren Bebeutung wir feine«meg« überfepäpen, zunt ©egen für beibe Ne? 
gierungen au« ber ©eit zu Waffen. 


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Nr. 2. 


Bit «egenwatt. 


29 


y. 

»ertrautt^. SBerUn f ben 7. Sanuar 1900. 

fiieber ©raf! 

£>ie Sache ift mir fürchterlich unangenehm. 3mmer noch feine 
Elntroort! Selbft bie juverläfftge treffe beginnt unS in ben dürfen 
ju fallen unb fcpimpft fo gotteSläfterlidj, baß ich allen ©liebem jittere. 
Sehen Elugenblic! fann bie Meinung laut merben, baß man einer ©egte? 
rang, bie fiep begleichen bieten laffe, feine Srlottenverfiärfung beroidigen 
bürfc. Unb bann paben »ir ben Salat — um ein beliebtet ©leicpntß 
anjutoenben. SaliSburp foUte boep vernünftig fein! dS ift roapr, mir 
müffcn jebe $emütpigung, bie er unS antput, gebulbig hinnehmen — 
aber ich brauche jefct Schonzeit in feinem eigenen Sntereffe! Senn ich 
falle, — unb ber Siebentöbter fiucanuS hot fchon böfe Einbeulungen ge? 
macht — bann fann er, roaS $)elagoa anbelangt, in bie Ofenröhre guefen. 
Xpun ©ie mir ben ©efaHen unb gehen Sie einmal ju ihm herum. 
Sie imffen ja, roaS auch für Sie auf bem Spiele fteht, wenn mir unS 
hier abermals blamiren. 

VI. 

fionbon, ben 8. 3anuar 1900. 

5)omning Street. 

Dear Sir, 

3eitmangel ptnberte mich baran, ben (Impfang 3Prer drgebenen 
sub 3 * s 9ü. 00/24 311 bis 24 329 früher $u beftätigen, auch mar geftem 
Sonntag, vorgeftern poper Seiertag; an ben übrigen EBocpentagcn hotte 
ich mit meinem ©tagen gu tpujt. EBaS baS ©teritum ber Sache an? 
belangt, fo biene 3h n en mitfolgenber, blau angefirlchener fieitartifel ber 
XimeS jur 3nftruction. I remind, Sir, etc. 

VII. 

$tttraultd). ©erlin W., ben 9. Januar 1900. 

Sieber ©raf, 

34 höbe meine Koffer gepaeft. ®er rohe %on, in ben jefct auch 
bie fonft lopale Sßreffe verfallen ift, bie roilben Drohungen gegen einen 
befreunbeten Staat, mit bem uns nicht nur ©anbe beS ©luteS, fonbern 
auch heilige Sntereffengemeinfchaft u. bgl. m. verbinbet, biefe EluS? 
fepreitungen gaben mir ben ©eft. ©fit ber glottenverftärfung ift eS 
natürlich auS. 3<P mage ©iemanbem mehr in bie klugen ju bliefen. 
SfaHS noch ein ©eicpSpoftbampfer von ©remen abgehen barf, nehme ich 
$>anbgelb für XranSvaal. 3<P höbe dnglanb ju fehr geliebt. 

VIII. 

.$)aS mar ein ©teifterftücf! ©feine unterthänigfte ©oep? 

achtung, lieber greunb! ©un erft verftepe ich bie Einbeulungen in 
Sprem lebten ©riefe, nun erft roeiß icp, roelcpen unerhört füpnen ©lan 
Sie fepon bamalS, als Sie noch völlig hoffnungslos fchienen, mit ftep 
herum mälzten. 3a, baS mar baS einzige ©Uttel, bie EBiberftrebenben 
ju jroingen, bie Sfrofcpfeelen ju entflammen! So mußte ben ©örglern 
unb fianbratten im ©eichstage bie unbebingte ©otproenbigfeit ber glotten? 
oerftärfung vor Elugen geführt merben. 

3ch höbe 3P*en dinfluß in fionbon nie unterfepäpt. $>aß eS 
3hnen aber glüefen mürbe, SaliSburt) $u einem foldjen fiiebeSbienfte ju 
bemegen, dpamberlafn jurn ©auptagitator für unfere neue glotte gu 
machen, baS hotte ich fogar 3pnen nte jugetraut. 3*fet erft bin ich 
über Scproeinburg’S Heimgang getröftet. 

©erfleinere mir noch diner dnglanbS grreunbfcpaft ober fpredje 
mir vom perfiben Ellbion! EBelcpe Uneigennüfigfeit bei biefen britifchen 
Staatsmännern, roelcpe Seelengröße unb außerbem — melch' rührenbeS 
©ertrauen auf unfere $reue! EBoper miffen fte, baß mir bie neue glotte 
nie gegen fte benufcen merben? $od), by .Toe, fic feilen fiefj nicht ge= 
täujept hoben. 


$)eibelSferl, ber Sie finb! 3)aS müffen Sie mir ausführlich er? 
jäplen, roie Sie auf ben gloriofen ©ebanfen famen, SaliSburt) unb 
dpamberlain um bie EBegnapme einiger beutfeper ©eicpSpoftbampfer $u 
bitten! 

SebenfallS mille grazie unb aderperjUcpften ©lücfrounfcp! ©iadjen 
Sie ftep nur immer fepon auf ben dürften parat! 


IX. 

3.»9h. 00124560. 

Sei Änttuorten btttet man bie ©erlin W., ben 13. Sonuar 1900. 

Soumat* Stummer anjugebea. 

dm. djceHenj! 

©eranlaffen Sie SaliSburt), unS menigftenS eine formelle ©enug? 
tpuung ju geben. EBeiter verlange ich nichts Von ipm. Unbanf mag 
ber EBelt Sopn fein, aber 5)eutfcplanb lopnt feine greunbe niept fo. 
Deutfcplanb liegt ja auch eigentlich außerhalb ber EBelt. 

(©ertraulicp.) ©efteüen Sie bie englifcpen dravatten unb dtjlinber 
mteber ab, um beren ©eforgung icp Sie vor ©eujapr bat. 3Bir be? 
fommen pier eine anbere ©?obe. ©orbbeutfepe Slllgemeine bringt 
morgen jmei ©ebiepte beS dürften dulettburg, „d)ie SBacpt am ©tobber" 
unb „Krüger über EWeS". Seien Sie boep fo gut unb verbrennen Sie 
bie ^rivatbriefe, bie icp 3hn* n nach Eteujapr feprieb. Caliban. 


3uri) unb Seceffton. 

3 m „©erein ©erliner Zünftler" brobelt bie 3nrt)?3rage abermals 
unb mirft ©lafen auf. ‘SMefeS ©tal panbelt eS ftep niit um ättüfttfl 5 
feiten ^roifepen ben ©fitgliebem, felbft, mie im vorigen Sopre um biefe 
3eit, fonbern man möchte bie gleichen EluSftettungSrecpte haben, mie bie 
©fitglieber ber Elcabemie, mit ber jufammen ja ber ©erein bie große 
SommerauSftellung veranftaltet. Sttefe ©Htglieber ber Elcabemie paben 
befanntermaßen baS ©e^t, je brei SBerfe jurpfrei auSjuftellen unb baS 
ift T S, maS jept im „©. ©. ebenfalls beanfpruept mirb. 

gür unS pier pat biefe Streitfrage, bie jubem, einftmeilen menigftenS, 
fepon in negativem Sinne entfepieben ift, benn fomopl bie Elfabemie, 
mie bie ©roße EluSfteQungScommiffton paben baS ©efuep ber unju= 
friebenen SHinftler bereits abfcplägig befepieben, nur in gemiffer ©e= 
giepuna ein Sntereffe. 

Unleugbar ift bieSorp, mie nun einmal bteEluSfteflungSeinricptungen 
befepaffen finb, für ben Zünftler von großer SBicptigfeit. dr fann bod) 
niept immer gut allein auSfteHen, in einem ©efcpäftSfalon, ober mo fonft 
eS fei, unb tput er baS boep bauernb, fo fomntt baS ©ublicum am dnbe 
gar auf ben ©ebanfen: ,,©a — ber X. fepeint ja nichts ju taugen — man 
begegnet tpm ja auf feiner großen EluSftellung!" 5)aS ©ublicum ift nun 
einmal fo. Elber anbererfeitS fiept manche 3ufp manchem auSfteHungS^ 
feligen .tünftler gegenüber auf bem Stanbpunft beS Je n’en vois pas 
la necessitö!“ Eurj — für biefe „manchen" Zünftler ift bie Sage in ber 
$pat mitunter fcplimm. S)te Unjufriebenen finben fiep alfo jufammen 
unb eine Seceffion ift fertig — bis $ur näcpften EluSfteÜung etma, mo 
baS Sfeb im Stpooße ber neuen ©enoffenfepaft auf’S ©eue beginnen 
fann. $enn ebenfo unjmeifelpaft, mie bie ©otpmenbigfeit einer 3»orp, 
ift, baß heute bie adermeiften Shmftgenoffenfcpaften richtiger nur EluS? 
ftellungSverbänbe finb, baß $unftprincipien, Äunftanfcpauungen u. f. m. 
nur inbirect in einem 3uf a mmenpang mit folcpen ElbfonberungSbeftreb? 
ungen fiepen. 3# foge „heute", meil bie Sachlage eben jept, gegen bie 
vor nach jepn 3 a hren etma, fiep grünblicp geänbert pat unb, rote 
icp pier fcpon einmal auSfüprte, jebe rein fünftlerifcpe ßampfberoegung 
aufgepört pat. EluSftedungen, mo man j. ©. ©ödlin unb Siebermann, 
fieibl unb Slevogt, ©fengel unb Upbe beifammen finbet, ober folcpe, 
mo dfter unb Einton von EBemer, Elrtpur ^ampf unb dbuarb von ©eb= 
parbt, ©anS ^poma unb fiubmig ÄnauS anjutreffen ftnb — fte paben 
boep roopl leine gemeinfame fünftlerifcpe ©i^tung? Unb roollte man 
boep ©emeinfameS auSfinbig maepen, fo märe eS nur einerfeitS baS©e= 
ftreben, tönenbe ©amen peranpjiepen opne Elnfepen ber „©ieptung" unb 
anbererfeitS bie ©eanfpruepung völliger firveipeit für bie gegebene 3«bi= 
vibualität. Elber ift biefe benn irgenbmie befepränft, menn, mie icp eben 
citirte, auf §roei fiep angeblich „funftprindpiell'' gegenüberftepenben EluS? 
fteüungen foviele ganj unb gar verfepiebene dlemente gufammen an? 
getroffen merben? 

dS fltngt viedeiept fepr parabof, menn icp behaupte, „Seceffionen" 
giebt’S peute gar nicht mepr, Seceffionen ber inneren SBefenSbebeutung 
beS SBorteS naep. „©arabo^:" — roei! ja thatfäcplicp noch immer fo unb 
fo viele feceffioniftijcpe EluSftellungen ftattfinben, b. p. folcpe, bie fo ftep 


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30 


Bit 6>e$ett»art. 


Nr. 2. 


nennen. UnS 3)eutfdjen liegt non ber clafftctfttfdjen ©cpulbanl per nod) 
immer baS ©pftcmatiftren unb Efaffificiren fo fepr tm Vlute, baß unfere 
ßrittl mit nur gar wenigen AuSnapmen fiep wopl ober übel in tiefen 
Vapnen bewegt, opne baß fie felbft eS merft. „Dlit SBorten läßt fiel) 
treffltd) ftreiten, mit SBorten ein ©Aftern bereiten" — niept opne Erunb 
bat Eoetpe baS bem 9Hep^iftop§eIe§' in ben D?uub gelegt unb läßt er 
bcm gehanten A&agner gegenüber gauft fageu: „ES trägt Verftanb unb 
rechter ©inn mit wenig töfunft fiep felber vor". ©o werben wir benn, 
je nacpbem, noch lange mit Eprfurcpt ober aber grimmem 3orn oon 
„Altem" unb „feuern", non „AcabemiciSmuS" unb „©eceffion", „Dou* 
tine" unb „SnbiVibualiSmuS" lefen, reben unb pören müffen als be* 
ftimmenben SHerlmalen biefer ober jener Äunftricptung, anftatt bie ©acpe 
an unb für fiep betrachtet zu fepen, einerlei im Dapmen welcher „Ee= 
noffenfcpaft" fie unS entgegentritt. 3$ meine nicht, baß tiefe VegriffS* 
beftimmungen auS unferem SBortfcpag z u befeitigen wären — ich meine 
nur, baß fte nie unb nimmer bie Vebeutung non fcpulntäßig AnSfcplag 
gebenben Eenfuren erhalten bürfen. 

Eerabe bie lederen größeren Ausheilungen, bie pier 8« feben 
waren unb bie ich jüngft zum $peil Pier befprodjen pabe, wie bie 
„Dftuupener ©eceffion* bei ©cpulte unb bie legte $ünftlergruppe, bie 
im ©alon Eaffirer auSfteHte, legten Einem fofcpe „feceffioniftifcpe" Ee* 
bauten nabe. 

©inb Wir erft einmal fo weit, baß aud) jebe 3uri) jenes [cpul* 
• mäßige „Programm "*2Bieberfäuen aufgiebt, fo wirb auch bie unliebfame 
Erfcpetnung ber „©eceffionen" aufpören, unb wenn’SEruppenauSftetlungen 
eben wirb — unb baS wäre burcpauS erforberlid), um ben Dfaffen* 
ajaren entgegenjuarbeiten — fo tragen fie bann ntd)t mehr ben Stempel 
beS EliquenwefenS an fiep, fonbern banten Iebiglicb bequemlicpfeitS* 
rüdftcpten auf bem Eebiete wahrhaft freien ÄunftbienfteS ihre Entftepung. 

3- Horben. 


Dratnatifdje Äuffülftmtgett. 

„$)er £ugenbpof". Suftfpiel non Dicparb ©lowronnef. (Seffing* 
Xpeater.) — „$er Vielgeprüfte", ©djwanl in brei Aufzügen non 
SBilpelnt Dleper=görfter. (2)eutfcpeS Xpeater.) 

Ein bißchen mehr auf feine Deputation als S'Arronge hält 
$err ©fowronnef, ber gleichzeitig mit ihm Vremterenfreuben erlebte, 
benn hoch noch. Dicht, baß bie SDunterleit unb Veweglicpfeit feines 
SBigeS mit ben Sohlen zugenommen hätte ober baß er plögltd) gejepiefter 
unb ppantafteVofler in ber Erfinbung feiner fomifepen $anbluitgen ge* 
worben wäre. £) nein, bieS 5tHeS ift eS nicht. X)ie 3^e beS „Xugenb* 
pofeS" ift nielmehr bie gbeenlofigleit felber, unb mit ber $tnetnzerrung 
burleSfen, nicht jur ©ache gehörigen EpifobenlrameS bat fiep ©fowronnef 
auch noch bie legte Dlöglicpleit nerborben, feinere literarifche SBirfungen 
auS bem abgeftanbenen Vorwurfe gu ziehen. 55er bewußte ntedeln* 
börgifdje Ebelmann, ber beftänbig im Summ ift unb fpät DacptS nur 
beßpalb mit bem „©upen" aufbört, um SDorgenS recht früh wieber 
bamit beginnen z u fönnen, muß baS non ihm für feinen ©obn ver* 
waltete Eut in golge richterlichen ErlenntniffeS einer reizenben Dichte 
überlaffen. 5)ie Dichte liebt aber zum Elüd ben Vetter Dtolte mit ben 
intereffanten klugen, unb fo befommt Varon Soudjim'S ©prößling 
ftpließltcp hoch noch ben $of. Dacp nieractigem Sträuben unb gerreit 
nereinigt bie ©djmaebtenben ber Dfonbfchein unb baS be*i e *roärmenbe 
Sjempel, baS Ä’uh s unb anbere Dtägbe im trauten Vunb mit ftrammen 
Unterofficieren ber abligen Sungfrau geben. 5)ie fpannenbe unb be^ I 
wegte ^anblung würzt ber untftänblich gefchilberte Verfuch einer fttten* I 
ftrengen 2)ame, ben berüchtigten $neip§of beS alten VaronS in einen 
^ugenbhof umzuwanbeln; ben $htedjten wiH ße baS ^rinfen, ben 
SDägben baS Ganzen unb ©ebarmuziren abgewöbnen. ©elbftoerftänblich 
fcheitert bie Viebere, unb Varon Soacßim fann neuerbingS bie $errfchaft 
beS § 11 proclamiren. ©o lange ©fowronnef ben waeferen ©aufauS 
unb feinen nicht minber torfeligen, mit ber üblichen Vauernfdjtaubeit jc. 
begabten Wiener auf ber Vübne h^t, amüfirt baS SBerf leiblich; in 
biefen beiben Kerlen fteeft bumoriftifcpeS 2eben, fo wenig originell fie 
auch aufgefaßt unb gezeichnet fein mögen. Sille auberen Siguren unb 
aHeS anbere ©efpaß ift eitel Voffenblenbwerf, mübfelige ^Dacpe, unb er* 
mübet bann am meiften, wenn ber Verfaffer fiep fo ju fagen beibe Veine 
auSreißen möcpte, um ein Sachen zu erzwingen. 

(Ibenfo umftänblicp unb lauwarm, wie ber §umor ©fowronuef’S, 
ift DfepersSörfter'S 28ip. Dacpbem er in ©emeinfd)aft mit bem betrieb* 
famen ^>errn SanbSberger*See gezeigt bat, baß er uns auch franjofifcp 
fommen unb ßcp ben Voulebarbbriüanten btS auf pierre de strass- 
§öpe annähern fann, glaubte er eS feinem litcrarifcpen Dufe fcpulbig 
ZU fein, bur^ eine Verliner Aufführung beS „Vielgeprüften" zu beweifen, 
baß er eigentlich boep ber alte, behäbige beutfepe Äuefboten*drzäbler ge* 
blieben ift. 2)er Auefboten*(5rzäbler, bem bie Vointe immer zu früh 
perauSptapt unb ber fiep bann mit verlegener Umftänblicpfeit auf Deben* 
fächelcpen Verfteift. 3u SSien fiel ber „Vielgeprüfte" unter ©cblentper’S 
glorreicher Seitung polternb burch; bie bebeutenb beffere Verliner 5)ar* 
fteüung rettete ipm mit Acp unb $racp baS Seben. Dfeper ift ein ©atirifer, 


bem all' unb jebe Kühnheit unb Sonfequenz fehlt, ©erabe wie er eS in 
„Vufcp & Deicpenbacp" bei einer halben Verspottung beS greulichen Stren- 
arzt*UnwefenS bewenben ließ, nur um Dientanbem wep z u tpun, fo 
fcpltff er feiner Verhöhnung beS (gramen*UnwefenS beputfam cingftlicp 
alle fcparfeit @cfen ab. ^)er Vielgeprüfte ift ein beneibenSmertb heller 
Äopf, ber eS nach feinem zweiten Durchfall im ^anbumbrepen zum et= 
folgreicpen geitungSrebacteur bringt; aber wie biefer $Iuge unb ©enjifite 
Von ben fßrüfungSmaitbarinen für bie 2)auer einer ©tunbe ibiotifcp 
bumm unb confuS gemacht wirb, baS fepen wir niept. SBir nepnien im 
— übrigens reept fauber gearbeiteten unb verpältnißmäßig luftigen — 
erften Act an all’ ben ©orgen unb Aufregungen tpeil, bie bem s Jküf* 
ling unb feiner bereits fünfföpßgen gamilie auS ber 9?äpe beS gefürch¬ 
teten (SfamenS erwadjfen; Vom ©cpwiegerVater bis perab zur Antme 
befepäftigen fid) alle Vetpeiligten auSfcpließlicp mit feinem (Sfenb: „Vater, 
fall nicht burd)'S ganten! 5)iefeS wüttfepe icp S)ir. Amen!" beclamüt 
fein Stammhalter — aber bie ^auptfeene, in ber fid) baS fatirifepe Oie* 
Witter in gewaltigen ©cplägen entlaben müßte, bleibt auS. ©tatt beffen 
flieft ber Verfaffer bie umftänblicpe Scpilberung ber fepon zepntaufenb 
Deal gefepilberten Abenteuer eines bejaprten ÄleinftäbterS in ber ver* 
berbten $>auptftabt ein unb legt baS Scpicffal feines StücfeS vertrauend 
voll in bie ^>ättbe ber prächtigen Amme (£lfe Sepmann. S)ocp wenn eine 
Amme auch Viel vermag, unb wenn bie Diännlkpfeit im Sßarquet auch 
Von Clim’S 3 c tten per ungemein empfänglich ift für jebe ulfige An* 
fpielung auf ihren nahrhaften Veruf, fo rupen alle ScpicffalSfterne be§ 
Autors bod) niept in ihrer Vrnft. S)er Vielgeprüfte ging fcpließlicp au 
Zuriidgetretener Sangeweile ein. 




^ottjen. 


3epn Sapt’c auS meinem Äunftlerleben 1887 — 1897. 
Von Victor Dlaurel. Ueberfept unb mit Anmerlungen unb einem 
Vorwort von Silli Sebmaitn (Verlin, Dabe & $lotpow). ©eit Sagten, 
fo erflärt grau SiÜi Sepmann*^alifch in ber Vorrebe, trägt fie fiep raii 
ber 3bee, ©tubien über einige ihrer Dollen, mit beuert fte ftep a» 
meiften befepäftigt pat, tiieberzufcpretbcn. ®a fällt ipr l>aS Vncp Dk 
D^aurel in bie £mnb. Sie weiß nid)tS VeffereS zu tpun, als e§ zu 
überfegen. „5>aS Vud) fonnte icp felbft SBort für 23ort gefeprieben 
paben." Subeffen, fie pat ipren eigenen Vfatt niept aufgegeben. 5Bir 
warten gebulbig unb palten unS inzwifdpen an ben DJaurel. S)öS Vudj 
panbelt mit einem SBort Vom „betifenben Zünftler". 2)en breiteften 
Daum nepmen Vetracptungen über bie Sufcenirung von Dtpello, gal* 
ftaff unb $)on 3«an ein. Vbi^foppifcpe ©peculationen wecpfeln mit 
Erörterungen ber „neuen" ftunft. ES fällt mand)’ flugeS SBort über 
bie ibealen gorberungen unb materieHeit Vefriebigungen beS moberneit 
SängerS. gebe ^erfon beS 2KufifbramaS befommt ipre Einzelftubic. 
?Bie man fiep fepminfen foll, wo in bem unb bem Act bie unb bie 
Eouliffe fiepen muß, wann bie VeleucptungSeffecte z u fpielen paben unb 
baS S)onuerblecp erbröpnt, alles baS erfährt man Pier Von einem Dfanne, 
ber eS auS bem Erunbe ftubirte unb niept will, baß eS ungenupt von beit 
Zufüuftigen Sängern in nid)tS zerrinne. Dod) niemals ift bem „Star", 
ber unbefümmert um ©tüd unb Dfitfpielenbc an ber Datttpe feine glän* 
Zenben Xöne in baS entzüdte publicum fcpleubert, fo energifd) ber ^rieg 
angefagt worben, wie pier. ®er Säuger fofl niept allein feine Dolle 
inite paben unb füß zu läcpeln Verftepeu. Er foll baS SBerf, in bem 
ZU wirfen er bie pope Epre genießt, genau lernten unb jebe fßerfon auf 
ipre piftorifdje unb pfpcpologifdje Vejcpaffenpeit piit geprüft paben. Unb 
obenbrein muß er noch ein trefflieper Degiffeur, ein genialer S)ecoratcur 
unb raffinirter VeleucptungSinfpector fein. ®er ©tar ift alfo tobt unb 
— baS ift mein Vebenfen — ein neuer ©tar ift im Entftepen, einer, 
ber wie jener um nichts, fid) jegt um alles forgt. 9Bie jebe Deuerung, 
fo ift aud) biefe SDetamorppofe beS Sängers mit Uebertreibungen ver* 
fnüpft. Sfp meine, ber Sänger pat fid) Vor Allem um ben Eparafter 
ber ^ßerfon, bie er barfteüen wiß, zu fümmeru. Um bie Stellung im 
SBerf unb bamit um baS SBerl felbft. 2)ie rein tecpnifdje DJeifterung 
einer Partie ift nur VorauSfegung unb in jebem galle ber erfte ©epritt. 
Erft baS ©tubium unb bann bie Vegeifteruug, bie fi^ auS einem innigen 


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Die d&egetttpart 


31 


gufammenffaug mit bem Sßer! ergiebt. 5)iefe ©ebanfett, bie in bem 
SRaureffcpen Vutp unter Veiffüffe oon grau Seemann mit großer Energie 
oerfocpten werben, pnb »«rliid^ eine befreienbe £ffat. SBie oiel Sänger 
pnb überbauet fraft tprer allgemeinen (Sultur unb tprer mupfaltfdjen 
VUbung im Vefonberen befähigt, ein SBerf in feinem tieferen ©effalt 
ju erfaffen, feinen SBertff aud) nur zu affnen? 3)er Sänger ift inftinctib 
ftetS ben SBetfen am meiften juget^an, bie ihm bie beften Sollen bieten. 
Siucp will eS mid) fonberbar bunten, baff SBerbi mit feinem „Othello" 
etwa bie „neue". Äunft erfunben haben foll unb jenfeüS bon reiner 
SKelobie ben ©efang als bramatifepen 9luSbrud zum fföcpften Vrincip 
erhoben. Unbeftreitbar ift bodj ber (Sinfluff SBagner’S, unter bem Verbi, 
freilich in fföcpfi eigener unb genialer SBeife, feinen Stil gewanbelt bat. 
3)ie Vetracptungen beS SRaurePfcpeit VudjeS über bie „neue" jhmft 
mutben unS in $>eutfd)lanb etwas fomifcp an. 3)a8 eine ift jebeitfaHS 
wahr, baff Verbi nicht mit berfelben SRüdficptslopgfeit bis an baS (Snbe 
gegangen ift, raie Vtogner. (Sr blieb immer Qtaliener, eine Vemerftittg, 
bte SRaurel ju ben Porten Slnlaff giebt: „granf reid) fann SSagner be* 
rounbern, auch tffeilweife berftebn; niemals aber wirb eS ibn fid) ganz 
ZU eigen machen. S)ie 2Ruftf ift woffl eine unioerfelle Sprache, bie feine 
©rengen fennt; biefe Sprache fann aber in biefem ober jenem eigen* 
tpümlicpen Qbiom gefprochen werben, je nach ben Legionen, fo baff fte 
aufferffalb faft unOerftänblicp toirb SSagner’S 3Rupf hübet einen eigenen, 
tief germanifchen 5)ialect. Seiner Neuheit wegen mag er im lateinifchen 
Solle einen 9lugenblicf goutirt werben, wie bte feanbinaoifepe Literatur 
für ben SRoment in 3Robe ift, aber er wirb fid? niept feftjufepen oer* 
mögen, weil er im SBiberfprucp mit ben #aupteigenfcpaften beS lateU 
nifepen SBefenS fteht, baS ba ift: Klarheit unb ©efcpwinbtgfeit . . . Cp ne 
mich Z u einem Vergleich ffinretffen zu taffen, halte ich baS SBerf (gal* 
ftaff) für einen Triumph beS weichen ©efangeS über ben Äraftgefang, 
einen Triumph beS SiebreijeS über bie $ärte, unb Weichheit unb Sieb* 
reiz entsprechen unferen lateinifchen fehlen beffer als bie wueptigen 
Sttängt ber breiten germanifchen Vruft." Erich Urban. 

5)1 e Sampe ber Vfpcpe. Von Qba Vop*(Sb. (Stuttgart, 
Uotta SRacpf.). Ser baS Schaffen ber begabten Wählerin mit einiger 
Slufnterffamfeit Oerfolgt, wirb an biefem neueften Vornan feine greube 
haben. $>a3 |>erzlicp*©eraüthOolle, baS fiep in warmen Sorten äuffert, 
giebt audj biefem Serfe feine anmuthige Signatur. 9lber nicht allein 
bie mohlthuenbe, warme (Smpffnbung, bie ftch ganz befonberS in ber 
5J>arfteHung ber graueneparaftere, Oor Willem ber im Sttittelpunft ber 
^anblung ftehenben SRagba jeigt, bilbet ben ^auptborjug beS SRomanS, 
fonbern eS fielen ihm ebenbürtig zur Seite bie äufferft gefehlte gührung 
ber §anblung unb eine bemerfenSwertffe Vertiefung ber feelifcpen Vor* 
gänge, bie unS beutlich $eigt, baff 3ba Vop*(Sb ftch ihren gefieberten 
^piaff unter ben beutfepen (Srzäfflerinnen errungen h Q t unb m nocp 
immer auffteigenber Sinie fortfehreitet. VefonberS angenehm berührt 
bie bornehme Schlichtheit beS 2:oncS, bie jebe geläufige [Romanphrafe 
gefliffentlich ab^ulehnen feffeint unb nur ©igeneS bieten will. $>er $elb 
ber ^Hinblung, |wfcapetlmeifter glemming, mit feiner glühenben Zünftler* 
feele, feinem ungezügelten (Smpfinben, baS nach einem fchweren grrthum 
burch bie reine feelenftarfe 2Jiagba ln ruhige unb ftetige Vahnen geleitet 
wirb, ift ein mit gröffter fünftlerifdjer Sorgfalt auSgearbeiteter Sharafter* 
fopf, ein JtjpuS beS nadh ben hödtften ffrebenben ÄünftlerS. Ob 

eS wahrfcheinlich ift, baff ein SRann, wie er, fich burch einen fofetten, 
unbebeutenben Vacffifch, ber fid) bem berühmten Äünftler jur äugen* 
blicflicffen Äurjweil an ben #al3 wirft, ohne an eine Vereinigung für'S 
geben auch nur entfernt ju benfen, ob ein foldjer reife 2J?ann ber ge* 
prüften SluSerforenen feines $erjenS zeitweife ben dürfen wenben fann, 
obwohl er wiffen muff, loelch fepmeren Sdptnerz er ber fo tief empfinbenben 
Seele bereiten muff, — muff eine pfpchologifcpe Streitfrage bleiben. 3n 
jebem gaHe ift eS ber Verfafferin burd) ihre ^arfteüungSfunft geglüdt, 
btefer Sahrf^einlichfeit möglichft nahe zu rüden. 5lud) §ortenfe oon 
ßfeffen ift eine lebenSöoH hingefteHte, tief fpmpathifihe grauennatur. 
(Sbcnfo i{^ bon eigenartigen! Oteiz baS Vilb beS hochftrebenben, burch fein 


förperlidjeS Seiben bem Xobe geweihten 9Mer8 9fifolai unb fein weh= 
muthSbolI ftimmenber Heimgang in ber 9?ähe ber ihn beglüdenben SRagba. 
Sehr angenehm berührt eS, wenn bie Verfafferin ba unb bort an 
paffenber Stelle zeigt, baff ber 3auber ber SWuftf ihr lein leereB Sort 
ift, baff fte bielmehr ein feines Verftänbntff für ihr Sefen unb auch ihre 
Xechnif befipt, waS bei einem (Sapettmeifterroman eine gute Veigabe ift. 
2)er Xitel beS fRomaneS ift ber Sage oon Slmor unb Vff)4e entnommen. 
(SS war befanntlidj ber Vfpdje .Oerboten, ben $lmor zu fchen; fte aber 
befcplich ihn 9facptS mit ber £ampe unb als fie ihn gefehen h^tte, ent* 
floh er. $>ie grauen oertragen nidhtS, waS ftpwer begreiflich ift; ffe 
wollen jebeS ©epeimniff, jebe Stimmung, jeben (Siebanten beS geliebten 
SttanneS ergrünben unb Oerftehen. $aS gelingt ihnen aber niCpt, unb 
leiber entflieht ihnen oft bei biefem Suchen bie Siebe. 9(18 Sehre foll 
unS Oermittelt werben, baff bie Siebe ftarf fein muff, wie ber ©laube, 
auch n?o man nicht fiefft unb nicht oerftefft. Richard Wulckow. 

Vunte Schmetterlinge. Sieber unb Schwänfe. Von griebrich 
oatt .£>off8. (Seipzig, ©b. 9loenariu8.) ©in atterliebft auSgeftatteteS 
Vüdjlein mit allertiebftem, nedifchem gnhult. Unb baS will in unferer 
bitteremften 3«t wirflicp etwas fagen. 2)urd) bie Stilen ber Schelmen* 
lieber gudt ein fröhlich lacpenbeS ©efidjt ffinburch, unb eS Hingt in ihnen 
ein feiner muftfalifcher %on, ber zum Singen reizt. „Vunte Sdjmetter* 
linge!" 3a, baS ftnb biefe Sieber unb Sdjwänle. Sie umgauteln unS 
in allen garben unb ©eftalten. 58iffige ^mitten (,kleiner Unterfdhieb", 
„^erme unb Amazone"), urbroöige Situationen, fpaffige ©infälle — tep 
nenne baS föftltche „9lbfd)ieb8lieb beS ©aftwirthS unb neugew&hlten 
StabtratpS §errn 3obofuS 9Rütfer an feinen alten grad" —, fatirifche 
Ausfälle gegen Unfftten ber geit, z-V. bie granzöfelei („ber Otecpen") 
ober bie Xeutfc^thümelei („^unfenlieb"), weinfrohe gecplieber — befonberS 
ein OortrefflidjeS SRofelweinlieb, baS bie prämiirten jebenfallS burch feine 
Socalfarbe übertrifft unb baffer fdjon wader an SRffetn unb SRofel ge* 
fungen wirb —, ffumonftifepe 9lnecboten auS älteffer, alter unb neuer 
Seit („£erjeS unb VfftffiuS", „ber Streif ber römifeffen- Vfcifer", „ber 
Vrofeffor in ^oftraept"), luftige geftcarmina, Schnurren unb VurleSlen 
(„SinuS unb ^erfuleS", „©ambrtnuS"), bie fepon in ben „gliegenben 
Vlättern" iüuftrirt erfepienen, moberne Segenben („ber ©eilige Oon 
(Sggelbrüd") unb auep fepr gef^idte Schüttelreime. 3u Summa: ein 
liebenSwürbigeS, fröfflicpeS Vücpfein eines liebenSwürbigen, fröfflicpen 
SCReufcpen. Alfred Biese. 

5)ie Äunft beS 9lltertffumS. Von 3*>ffanneS ©aulfe. 
(Verlin, 3off. Saffenbacp.) ^5)er ben Sefern ber „©egenwart" woffl* 
befannte ^unftfritifer unb Vilbffauer giebt in bem fepmuden ©eft einen 
überaus praftifepen unb oielfacp beleffrenben SRufeumSfüffrer. 3)aS 
Stubium ber Äunftfammlungen fept, wenn eS für ben Vefucper einen 
bleibenben SBertff ffaben foü, eine gewiffe Vefanntfcpaft mit bem ffifto* 
rifepen ©ntwidelungSgang ber tunft OorauS. 3)aS ift ber ©effcptSpunft 
gewefen, oon bem fiep ©aulfe ffat leiten laffen. 3u erfter Sinie ffat er 
baffer auf eine furze (Sffarafterifirung ber fferOorragenbften (Srfcpeinungen 
ber Äunftgefcpicpte Vebacpt genommen. (Sinzeine SSerfe mufften oft 
übergangen werben, bamit ber Vlid ftetS auf baS ©anze gerichtet blieb. 
9lnbererfeitS ffaben aber auep bie $auptwerfe ber groffen SReifter, bie 
niept in ben Verliner SRufeen oertreten ftnb, eine Verüdpcptigung er* 
faffren. Xiefe Scprift ift fonüt fein aRufeumSfüffrer im engeren Sinne, 
fonbern ein funftffiftorifeper Seitfaben, ber bem SRufeumSbefucper bie 
Anregung zu einer felbftftänbigen Vetracptung ber ihinftwerfe bietet. 

Alle geschäftlichen Mittheilungen, Abonnements, Nummer¬ 
bestellungen etc. sind ohne Angabe eines Personennamens 
zu adressiren an den Yerlag der Gegenwart in Berlin W 9 57« 

Alle auf den Inhalt dieser Zeitschrift bezüglichen Briefe, Kreuz¬ 
bänder, Bücher etc. (unverlangte Manuscripte mit Rückporto) 
an die Redaction der „Gegenwart“ in Berlin W, Mansteinstr« 7. 

Für unverlangte Manuscripte übernimmt weder der Verlag 
noch die Redaction irgend welche Verbindlichkeit. 


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32 


Die ffiegettvarl 


Nr. 2. 


Jlngeigen. 1 

Sei SeihUungen berufe man Jhb auf bis 
„Orgtranarf“. 1 


fttsnarib flodifolgrr. 

Vornan 

DOIt 

< §$eopl?iC JioCCing. 

Wm~ O©lt«a***0a&«. 

5$ret8 3 SRarf. ®d)ön gebunben 4 3tfarf. 

3)i«fcr $Bi8marcf=©QprlDt=Vornan, ber in 
wenigen Sauren fünf ftarfe Auflagen erlebt, 
erfdjelnt hier in einet um bte Hälfte billigeren 
SBolfSauSgabe. 

$urdj alle S3u(b^anblungen ober gegen ©in* 
fenbung beS S5etrag§ ^oftfreie 3ufenbung Dont 

UCTlag der Gegenwart, 

©erlln W. 57. 


■ TkftrliffUfhti • 

| Technikum Jlmenau | 

flr IsMäiati- ul llsklrs- 
lUfiiUar«. -TMhitksr ■.-W«rk*#liter.| 

, Dlreotor Jeaties. | 


$i$noriH 

im 

Urteil 

[diti 3rit|mfn. 


§unbert Original * ®uta$ten 
b. ftreunb u. getnb: ©jörnfon 
©tanbeS ©üt&ner 5£ri«pi J>abn 
Staubet ©gibü ftontane ©rotb 
$aetfel Oartmann ^epfe 5or* 
bau fttyling SeottcabaCo Sin* 
bau Sontbrofo MefdjifräetSfi 
9?tgra SRorbau ODtbier fetten* 
fofer ©allS&urij ©ienfieroica 
©tmon ©peitcer ©pteibagen 
©tanlep ©toetfer ©trinbberg 
©uttner SBUbenbrud) SBerner 
Sota u. P. 91. 


Steg. ge$. 2 SRI. oom Pettag ber ^tgemoart, 

©erltn W. 57. 



Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift- | 
stellers sind zu Gunsten der Hinterbliebenen i 
folg. Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden- | 
preises in schönen, geb. Ex. zu verkaufen: 
Brockhaus’ Conversationslexikon. Neueste 
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände 
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei 
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬ 
gabe 30 M. — Hch. Kurz: Geschichte der 
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. v. 
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild- 
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder- 
bde. 50 M. — Lacroix, Les arts au Moyen- 
Age; Directoire Gonsulat Empire, 2 Lieb- 
hbde. 30 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬ 
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde. 

15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner 
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl. 
Text m. deutsch. Erklärungen v. Delius, 
Hfb. 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel 
(Pfeilstücker) Lwbd. 1Ö M. — Bestellungen 
pr. Nachnahme durch Vermittlung der j 
Expedition der „Gegenwart“ in 
Berlin W. 57, 1 


„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“ 

Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitserseheinungen. 
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch 
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre 
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von s / 4 1 75 Pf. in 

der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr» Carbacli & Cie. 



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1 Kilo Tr opon hat den gleichen Ernähnmgswert wie 5 Kilo 
bestes Rindfleisch oder 180—200 Eier. Tropon setzt 
sieh im Körper unmittelbar in Blut und Muskelsubstanz um. 
ohne Fett zu bilden. Tropon hat daher bei regelmässigem 
Genuss eine bedeutende Zunahme der Kräfte bei 
Gesundeu und Kranken zur Folge und kann allen Speisen 
unbeschadet ihres Eigengeschmacks zugemischt werden. 
Bei dem äusserst niedrigen Preise von Tropon ist dessen 
Anschaffung einem jeden ermöglicht (80) 

Zn beziehen durch Apotheken und Drogengesohäfte. 

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3 n unferem Verlag ift erfdjiaten: 


Pii atgeumtk 

&o4utf<ftti!i ffii ?!ifroiar. Ämift tm» 2rtm 


#nm:al«|f|tflfr 1872 — 1896 . 

©rftcr bis fünfotgfter ©anb. 

97ad)trägen 1897—99. ©el). 5 M 
©in bibliograpljifcW 38erf erften 
langes über baS gefammte öffentliche, 
geiftige unb fünftlerifd)e Seben, ber lebten 
25 3abre. 9?otf)tüenbige8 föadjfdjlagebud) 
für bie öefer ber „Gegenwart", foroie 
für roiffenfcbaftlicbe k. Arbeiten, lieber 
10,000 Vrtifel, nach Sägern, ©erfaffern, 
©djlögmörtern georbnet. S)ie Autoren 
tofeubonbmer unb anomjmer 9lrtifel finb 
ourdpoeg genannt. Unentbehrlich für 
jebe Sibliotbef. 

9lud) birelt gegen ^ßoftanioeifung ober 
9?acf)nabme Dom 

Derlag ber Gegenwart. 

©erlitt W 57. 


|>as §ttynm nadj 

ntU) 

attbere <&mtßfragen. 

Original s©utad)ten Don 2tb. 2ttenjel, Hein- 
tjolh Degas, Böcflitt, 2X. v . tPemer, 
Knau*, Itffbe, Stucf, Shilling, 

Scf?aper, iE. t>. #ebfjarht, ^erh. Keller, 
Defregger,. Gabriel Klag, tHjcma, 
Ciebemtann, 2X>Uf{. Sufdj, $itger, <Braf 
Qarradt, UTaj Krufe, KniUe, Ceffer 
ttry, Doepter, pedtt, Kue^C, Center, 
3ügel, parlagfft, Ulacfenfen, Sfarbltta, 
teiftifem, <5aulfe, pliitfe, Stallt. 

?reb biefer brei Äittiflfer-dummem ber 
,,0rgemoarf u 1 p:. 50 

9lucb birect Don unS ju beheben nacb 93rief= 
marfeit=©infenbung. 

Derlag ber (Begemrart, Derliit W. 57. 


Demnächst wird auf Verlangen rereandt: 

Antiquariats-Katalog 92. 
Staats- und Socialwissenschaft. 
Nationalökonomie. Finanzwesen. 

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Leipzig. Oscar Schack. 


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zum 56. Bande der „Gegenwart“, 

zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwei Bände 
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und vergoldeter 
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden in allen 
Buchhandlungen entgegengenommen. 


©erantoortltger ffiebacteur: Dr. golltng in ©erlitt. 


Webactiott uitb ®jg>ebltton: ©erlin W., SRanUrinftrafre 7. 


S>rucf uon $effe ä Bettet W» 


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29. Jahrgang. 
Band 57. 


M 3 . 


^SerCitt, Öen 20 . Januar 1900. 



SBodjenfdjrift für 


er 


& 

■s v . 


akgcmuiut 

Siteratur, funft uni» öffentliche^ Beben. 


<! 


^erattsgegeßro oon £offbtg. 


feint $mmoknH trfdntot ctne fnmmer. 

3u bestehen burdj alle ©u djbanblrnigert unb $oft8mter. 


Verlag bcr ©egcnwart in Berlin W, 57 . 


VterttlfltrlUQ 4 ü 50 r- *to Warnt 50 |f. 

Sfnfcröte jeber Ärt *ro 8 gehaltene fdttaette 80 $f. 


gnfeafl: 


Die Sefämfefitng bcr 3tngoe§. 58on $arl 3BaIcfer (Seidig). — $ur englifdjen 83efcf)tognabmc beutfdjer (Skiffe. $on fjrang 
©igenbarbt. — 3)tc (Sriueitcrung bcr Unfallfurforge. $on ÄretögertdjtSrath Dr. SBeitno $>tlfe (SBcrliii). — Siterattt? itttä 
Innft. £wut $amfun. $Bon Otto Stoefjt (3Bieit). — $on groei §ofburgfd)m!ft)tefent. $on Otto ©tübben. — 

2)er SBerroolf. 3Son Aleyanber ©ubtfdjtfdjero. — Aitö Der (mujitftaDt. S)ie Stummen beS SerailS. $on Caliban. — 
$ramatifdje Aufführungen. — Offene Briefe unb Antworten: Nochmals bte „beliebtere beutfdje ©djriftfteHerin". $oti SHdjarb 
Söulcfom. — Zotigen. — Angeigen. 


Oie Bekämpfung bet 3iit$oes. 

9 ?on Karl IDalcfer (Seipjig). 

„@te wollen e3, fo reifee benit, beutfefee ©ebulb!" fang 
ein beutfefeer ®icfeter 1870 naefe ber franjöfifcfecn 5Trieg8= 
erfläutng. ©iefe SBorte paffen auefe auf eine befonnene, 
frieblicfee SIbwefer ber befannten englifefeen ißroüocationen 
beS beutfefeen SoIleS unb anberer Sßölfer. ©in franjöfifcfjeS 
Sprücfemort fagt treffenb, bie IRacfee fei ein ©eriefet, Weilte« 
tatt genoffen Werben müffe. SBenn (?) e« irgenb einmal in 
3 utunft ju einem beutfcfe*englifd)en Kriege fäme, fo miifeten 
bifc SDeutfcfecn früfeer ober fpätcr fiegen, benn ba3 IReicfe 
SiSmard’3 unb SRoltfe’S ift Weit mächtiger, als (Snglanb 
unb ©cfeottlanb, bie überbieS burefe bie „Irish Difficulty“ 
uitb biete anbere Slengfte unb SRötfee mefer ober minber in 
©djaefe gehalten werben. ®ie englifefeen Gfeauüintficn praßen 
mit ber ©röfee iferer flotte, ©ie bergeffen, bafe bie Sßerfer bon 
ben ©rietfeen, bie Sartfeager bon ben fRömern auefe jur ©ee 
gcjcfelagen Worben finb; bafe ber feotlänbifdje Slbmiral SW. be 
fRufeter bie ©nglänber 1666 im ©anal brei 9D?at fefefug unb 
1667 in bie f£feemfe eintief. ®eutfd)e faefemän: fefee Slutori* 
täten feaben fefeon bor mehreren Saferen auögefüfert, bafe eine 
Eroberung ©nglanbö burefe eine feinblicfee Strmee fefer wofet 
möglich ift. füefenlicfe fpriefet SB. X. ©teab, ber feerborragcnbfte 
englifefee Sournatift ber ©egenwart, im ®ccemberfeeft feiner 
bict gelefenen fReoieW of SReoiewä (©. 648, 549) bie 33c* 
fürefetung auö, bafe 100,000 granjofen fefer halb in ©ugfanb 
lanben lönnten. Surj, bie 3)eutfcfeen bermöcfeten fefer wofel, 
in Bonbon fclbft ben ^rieben ju biltiren, aber fie würben 
nom Kriege ebenfalls fRacfetfecile feaben. SRicfet blofe Äunben 
ber ©nglänber, fonbern auefe ber ®cutfcfeen würben wäferenb 
beö Äriegeö fo *u fageit abfatlen, fiefe für bie ®auer an 
ameritanifdfee unb anbere Sieferanten wenben. ®a3 euro* 
päifcfee ©leiefegewicfet würbe ferner burefe bie engtifefeen unb 
beutfefeen ©inbufeen an ©ut unb Söfut niifet unbeträcfetlicfe 
ju ©unften granfreid) 8 , 3iufelanbS, bcr Scfuiten, beö Sßapft» 
tfeumö, ju Ungunften bc§ ©ermanentfeumS unb Sßroteftan* 
ti 8 mu§ berfdfeoben werben. 

©tücfttcfeer SBeife tann man ben Singoeä ofene Ärieg 
empfinblidfe auf bie ginger Hopfen. 1780 bis 1788 beftanb 
bie f..g. ^Bewaffnete Weutrafität, b. fe. fRufelanb, Sßreufeen, 
S)änemarE, ©efeweben unb ißortugat traten gemeinfam ben 
feereefettiefeen Hebelgriffen SnglanbS entgegen. @S liegt nafee, ein 
äfenticfeeS SSorgefeen fRufetanbS, beS ®entfd)en SReicfeeS, granf* 

/ 


reiefes, ber norbameritanifefeen Union unb anberer SRädfete ju 
empfefeten. @S fragt fiefe aber, ob unb wann eine fotdfee 
bipfomatifdfee (Koalition ju ©tanbe fommen wirb. ^Beiläufig 
bemerft, feaben beutfefee ßeitungen mit fReefet feeröorgefeoben, 
bafe bie ruffif^e Sßrobemobitmadfeung an ber ©renje oon 
Stfgfeaniftan bie ©ngtänber oielleiefet jWingen wirb, mit ben 
Suren gtieben ju macfeen, ifere oerfügbaten Gruppen naefe 
bem bebrofeten, fogar oon Slufftänben ber ©ingeborenen be* 
brofeten, Oftinbien ju fenben. 

©ine internationale iRotabelnerflärung 3 U ©unften ber 
Suren, gegen bie englifefeen ©eeübergriffe unb bergleidfeen 
wäre ferner unfefewet in ©eene ju fefeen. Sn ber Ser* 
urtfeeilung beS Santefon’fcfeen ©infatlef unb beä englifefeen 
griebenSbrucfeeS oon 1899 ift bie ungefeeuere SReferfeeit ber 
©ebilbeten aller Söller einig. SBenn namfeafte, jum Slfeetl 
weltberüfemte Suriften, SRationalölonomen, ^iftoriler, 2 lb« 
georbnete, ©^riftfteüer, Sournaliften ÜDeutfefelanbö, gtanl* 
reiefes, SRufelanbS, ber Sereinigtcn ©taaten unb anberer Räuber 
eine mafeooü gefealtene, bie berechtigten Sntereffen beS eitg* 
tifefeen SolleS nnb ©taateö hiefet oerlefeenbe ©oHectioerflärung 
erliefeen, fo Würbe fie wie eine Sombe in’S Bager ber SingoeS 
einfifelagen. ©ie finb fefeon jefet in taufenb SRötfeen. 2)ie 
englifefee griebenSpartei ift nur jurfid gebrängt, nidfet tobt. 
Slucfe ©teab feebt (@. 553) treffenb feeroor, bafe fie bei ben 
näcfeften SBafelen Oon ber ShriegSpartei ©enugtfeuung oerlangcn 
wirb, ©ine ©nquete über bie inteKectueQen Urfeeber beS 
Krieges, ifere 3 i e ^ un b ÜRittel Wirb früfeer ober fpäter 
lommen. S)ie belannte ißferafe „The era of impeachments 
is gone“ ift auefe auf bem geftlanbe oon Iritillofen Slnglo* 
manen naefegefpro^en worben. Sn SBirllicfefeit mufe e§ aber 
feeifeen: „The era of impeachments is not gone.* 

©in Sri eg wegen ber ägfeptifdfeen grage Wäre niefet 
wünfefeenöwertfe. ©ö fragt fiefe auefe, ob bie 'Sürlei, ber ®rei= 
bunb unb ber 3 ü>c»l>onb officieK, gemeinfam, bie fRäumung 
Slegfeptenö forbern werben; aber bie feefefte ©rofemaefet, bie 
Sreffe, tann in ber ganzen niefet englifefeen SBelt biefe 
fRäumung forbern, bie ja oon ©nglanb felbft wieberfeolt oer* 
fproefeen worben ift. ®aö würbe ben SingoeS fefer peinliefe 
fein. SRur fefer Wenige englifefee SBaaren, 3 . S. Südfeer, 
feferiften, 3 e ( tun 9 en fiob für bie übrige SEBelt unentbeferlidfe; 
aber uitjäfelige anbere SBaaren ber fEejtil» unb ©ifeninbuftrie 
wie anberer Srandfeen lönnen noefe beffer unb billiger anberöwo 
feer, 3 . S. auö ®eutfdfelanb unb ben Sereinigten ©taaten, 
be 5 ogen werben. @3 Wäre bafeer jeitgemäfe, in ©uropa unb 


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34 


Die O&egenwati. 


• Nr. 3. 


Ülmerifa bie SefteHungen englifcf)er SBaaren fo lange ju 
unterlaffcn, bis bie SingoeS gebemütf)igt finb, bis ble ge» 
rechten Sefdjwerben ber Suren, ber©eutfd)en, Nmerifanet, 
Nuffen u. f. tu. abgeftellt finb. Sn ©elbfachen fyört bie ©e= 
müthlichfeit befanntlid) auf. 25enn man ben SingoeS ben 
Srobforb höhet hängt, fo toirb iljr, an ßubtuig XIV. unb 
Napoleon I. erintternber iwdjmuth halb oor bem galt fommen. 
„5Ben ©ott uerberben will, ben fcfjlägt er mit Slinbheit" 
jagten fc^on bie alten ©rieten unb SRönter. 


3ttr englifdjen Def^lagnalftne bcuifdjer 

SSon Jrattj €tgenl}arM. 

©ie injWifchen aufgehobene Sefchlagnaljme beS „^erjog" 
ber 35eutfch‘0ftafrifa»2inie burch ben fireujer „©hetiS" giebt 
Seranlaffung ju einet ganjen SReifie uon ^Betrachtungen, bie 
toofjt geeignet erfcheinen, et»a§ näher auf fie einjugehen. 
Nicht baS Inhalten beS Kämpfers an fich ift befonberS auf» 
fallenb, benn baS ©djifj führt nicht bie Neid)3poftflagge, 
feine £abung ift baher n{dht, uom Nei<h garantirt, frei uon 
(Sontrebanbe unb er !ann baher nad) foldzer Sabung in nicht 
neutralen ©ewäffern burd)fud)t werben, fonbern bafj eS bie 
„XhetiS" ift, Welche ben Kämpfer anhiett, ift uon SBidjtig» 
feit. 35er moberne, 8400 ©o. grofee fireujer jtoeiter fitaffe 
„©hetiS" gehört nämtich nicht jum Sap»©efd)Waber, fonbern 
jum britifchen 3Rittelmeer»©efchwaber. Son biefem finb uier 
©chiffe in baS Notlje ÜReer gefanbt: ©orpebofd]iff „Sulcan", 
6600 ©o., fireujer „Nftrea", 4360 ©o., ©orpebolanonenboot 
„$ebe'', 810 ©o., unb fireujer „©hetiS'', alles fchnette ©chiffe. 
©ie Seftimmung biefer ©djiffc ift augenfdjeinlid) bie, genau 
bejeidjnete ©chiffe anjuhalten unb ju unterfuchen, aber bie 
©rünbe, wehhalb man ju biefem ßwecf gerabe in baS fehr 
heifee Notlje ÜReer ©chiffe entfenbet, um biefe nur uon 
Suropc her ju erwartenben 3)ampfer bort ju treffen, finb 
eigener ülrt. ©8 liegt uiet näher, biefe betannten ©ampfer, 
welche ganj beftimmte Nouten einhatten, längft uor ihrem 
©intritt in baS Nothe ÜReer, fpäteftenS in fßort ©aib, bem 
erften $)afen beS ©uej»©ana(S, ju ftellen, anbererfeitS fie 
furj uor ihrem ©intaufen in bie ©elagoa»Sai bort in 
©mpfang p nehmen, als bah man gerabe im Notljen 2Recr 
firiegSfchiffe ftationirt unb bort Sagb auf frembe ©chiffe 
machen täfet. 

Sn SBirflidjfeit hanbett ©ngtanb, wenn eS einmal fein 
Unterfuchungörecht bei ben beutfcfjen ©Riffen auSübcn Witt, 

? ,anj richtig, aber bei biefer ©etegenheit jeigt ©ngtanb aud) 
tipp unb ftar alter ÜBelt feine perfiben fnntergebanfen, bie 
eS gehabt h Q t, als, ^auptfäcf)tic£) auf feine Seranlaffung, bie 
Neutralität beS ©ucj»©anals auögefprochen würbe, ©iefe 
fogenannte Neutralität ift nichts als ein ©heatercoup ben 
anbern ©taaten gegenüber, fie nüfjt ganj allein nur ©ngtanb, 
benn fie wirb Uon ihm fo lange aufrecht erhalten, betont 
unb befdjirmt Werben, als jwei anbere ÜRädjte fich in Öen 
paaren liegen, fie ift aber überhaupt nicht oorhanben, wenn 
©ngtanb eS für gut befinbet ober eine ber friegführenbeit 
ÜRädjte ift. ©arüber ift uiet gefdjtieben, auch häufig genug 
Würbe auf biefe ©hatfaclje h'ugemiefen, fowie noch barauf, 
ba§ Sngtanb fich woljt hüten werbe, in firiegSjeiten, b. h- 
wenn eS fich fefbft im firiegSjuftanb befinbet, ben ©anal uon 
©uej al§ eine unter allen Serhältniffen fidjer ju paffirenbe 
Straffe anjufehen. ©aff aber ©ngtanb fo offen, wie es je|jt 
gefchieht, feine fiarten- aufbedt unb jeigt, waS eS fetbft uon 
bem SBerth beS ©anatS unb uon bem SBcrtt) feiner fReutra» 
tität im firiege hätt, war nidjt anpnehmen unb wirft baher 
gewiffermafcen iiberrafchenb. ®ewi|, bie SBege uon ©ngtanb 
nach ®utban um baS ©ap herum unb burch ben ©uej»©anal 


haben ungefähr gleiche Sängen, aber es fleht feft, bafc ©ng» 
lanb, falls einmal Snbien ober feine Sefifcungen in Dftafien 
unb Stuftratien gefährbet finb, alle ©ranSporte, * uon beren ' 
uorauSberechnetem ©intreffen etwas abhängt, nicht burch ben : 
©uej»©anal, fonbern um baS ©ap herum gehen läfjt. Mer= 
bingS haben fhon herUorragenbe SRänner ben letztgenannten 
3Beg als ben einzig fieberen erflärt, aber erft bie Setfolgung 
ber jefct nach ©übafrifa gegangenen unb gehenben ©ran^ 
porte jeigt, bafe man in ©nglanb fid) über bie fiebere Raffer» 
barfeit beS ©uej feincrlei Sßufionen hingiebt. Wenngleich man 
ben ©anal natürlich auch tüchtig benu$t. 

©ie ©efahr ber ©uejpaffage befteht batin, bah bie enge 
©ttaffe uerhältnifemähig leicht gefperrt werben fann, fei e$ 
burch ein Naturereignis ober fei eS, bah man ber Natur 
etwas ju £>ütfe fommt unb fo ein fünftlicheS Naturereignis 
fdjafft. ©efchieht eine fol^e längere 3 e it anbauernbe ©per» 
rung in einem firiegSftabium, wo unenblich uicl uon bem 
mögtichft frühen ©intreffen uon ißerfonal unb SRateriat ab 
hängt, fo fann eine Setjögerung pr fiataftrophe führen, unb 
baher .ift bet SBeg um baS ©ap ber einzig fidjere. ©olangc 
aber ber ©uej*©anal befahren werben fann, foll er neutrat 
fein unb bie ©chiffe aller Nationen foflen auch * n Ärieg«» 
jeiten harmlos unb ungefährbet ihren $>anbelSintereffcn auf 
ihm folgen fönnen — fagt bie internationale Seftimmung. 

S,n 2öirf(id)feit aber ift ber ©anal englifdjeS ©igenthum, 
unb jebeS ©chiff, baS ihn benutzen will, muh in britifdjc 
|>änbe faden ober fidh öon britifchen ©Riffen unterfuchen 
laffen, wenn eS ©nglanb paht, benn ber ©anal uon ©uej 
befi^t einen ©chliiffel, ohne ben er gar feinen 3^^ H 
unb biefer ©djlfiffel ruht ficher in englifdjen ^änben. 6r 
heiht: ©ie ©trafze uon Sab et SRanbeb, mit fßerim, ©h 0 ^ 
©aib unb ?lben. 

Nicht etwa, um im Nöthen üReere $anbelsplät|e j« 
grünben ober ,§anbel ju treiben, ift ber ©uej erbaut 
beiben fiüften beS Nöthen üReereS giebt eS feinen eitlen 
Slah uon Sebeutuitg, felbft baS iürfifche ©febebbah, b« 
^afenplatz uon 3Recca, ift ganj uerlobbert unb ohne ffieitl), 
unb fo ift baS ganje Nothe SReer eigentlich nur eine S33ett» 
©urchgangSftrahc, beren 3tuS» ober ©intritt im ©üboften bie 
©trahe uon Sab et ÜRanbeb, im Norbweften ^ort ©aib 
bilben. @S muh bemnadh jebeS ©d)iff, welches überhaupt 
ben ©uej paffirt, auch burch öie ©trahe uon Sab et SRanbeb, 
mit ben winjigen Ausnahmen, bah eö fich ftänbig im Nöthen 
ÜReer aufhält. SBcnn baher auch ber ©uej neutral ift, Sab 
et ÜRanbeb aber englifcf), fo ift felbftrcbcnb, je nach GnglanbS 
©Billen, ber ©uej neutral ober nicht neutral, benn eS fann 
in ber ©trahe uon Sgb el ÜRanbeb alle ©chiffe uon @uq 
unb nach ® ue i abfangen. ©omit ift ©ngtanb unjweifelhaft 
§err beS ©analS. 

©ie Sefd)lagnahme beS ©ampferS „^erjog" fonnte 
felbftuerftänblich bereits im ÜRittelmeer, etwa nach ber 8b» 
fahrt Uon Neapel, uor fich gehen. Nber im ©Wittelmeer 
frettjen fich e i ne f° 0 r °6 e 3°^ uott Sntereffen uerfchiebenet 
Nationen, bah bort eilt folcheS Sorgehen untiebfameS 8uf» 
fehen erregt, unb baS ift gegenwärtig nicht gerabe oortheilfjaf 1 
für ©nglanb. Sn Sort ©aib, im ©uej»©anal aber barf ein 
Schiff nicht mit Sefdjlag belegt werben auf ben Serbadjt 
hin, firiegSfontrebanbe ju führen, benn eben — ber 6ue$ 
ift ja neutral! — 3« bem breiten Nöthen ÜReer fönnteman 
weiter baS ©cf)iff leicht Oerfehlen', unb fo ift eS benn am 
einfachften unb fidjerften, man fängt eS in ber ©trahe uon 
Sab et ÜRanbeb ab. ©ie ©trahe befteht aus brei getrennten 
©heilen, ©ie eigentliche gahrftrafje liegt im Dften, gwifdje 11 
bem geftlanb ülrabienS unb ber Snfel ^3erim, unb ift etwa 
1800 ÜReter breit, ©ann folgt eine wenig befahrene, etwa 
jwanjig fiilometer breite ©trede jWifchen Ißerim urfb b fn 
brei ©uba»Snfe(n, unb ber britte ©heii, bis jur Norbfüfte 
beS ©ebieteS uon Dbod auf bem afrifanifdhen geftlanbe, h 0 * 
eine Sreite uon Uier bis fedjö ftitometern. ©er Sanbftreifen, 


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Nr. 8. 


Die Gegenwart. 


35 


welker an ber arabifdjen Küfte ©crint gegenüberliegt, ift baS 
oor einigen Sauren häufig genannte Ehaif Saib, eine 3«t 
fang Streitobject jmifchen granfveicf), ber Sürfei unb Eng« 
taub, biö legtereS im 2Rai 1897 ben ©unft an fid) braute, 
©erim, bie Snfet beS Siobor, bitbet einen getfenttumpen Bon 
47 Kilometer Umfang unb mürbe 1857 Bon Englanb annec* 
tirt. Sie Snfcl hat einen ßeud)ttf)urm mit fcfjroachen 8e* 
feftigungen, etma 50 üWann ©efagung unb an ihrer ©üb* 
feite einen jmei Kilometer fangen guten frafen mit 700 fDfetcr 
breiter Einfahrt. @3 liegt auf ber |>anb, baft biefe gänzlich 
unpreidjenben Söefeftigungen ©crim’S in feiner SBeife im 
©tanbe finb, bie Surd)faf)rteH p befjerrfdjen, gar mit ®e= 
fd)ügen, aber ebenfo, mie ©ibraltar bie Strafte im SBeften 
jum SRittelmeer fperrt, obgleich es aud) nicht mit feinen 
©efd)ü$en bie bort 23 Nitometer breite ©affage beberrfcf)t, 
fdjtieftt ©erim unb meiterpin 9lben bie 9luSfaf)rt auS bem 
5ftotf)eu SReer. SaS gefd)ief)t bei beiben fünften burd) 3Rit* 
roirfung eines ©efcproaberS, baS bie feften £täfen als 
jeine ©afiS betrachtet. 2Bof)cr Englanb biefeS ©efepmaber 
im ©ebarfsfaße nehmen mürbe, mar jmeife(f)aft. 3m 9111» 
gemeinen nahm man an, baft baS Oftinbien-©efepmaber, 
toeldjeS bis Bor furjer fljeit auch bie Oftfiifte ?lfrifaS über* 
machte unb eigentlich feine fonftigen Aufgaben p erfüllen 
hat, ©ebiffe nadj 3lben unb ©erim pr ©emachung ber 
Strafte abpgeben hätte. fRun ift eS baS 2Rittelmeer*©e* 
fehroaber, baS bie nötigen ©djiffe fteQt, unb baS ift aud) 
roofjl baS ©raftifdjere infofern, als bie Sd)iffc ber SOtfittel« 
meerflotte jeber 3 e it fdjneü auS bem 5Ref€röc»2Raterial ber 
§eimath ergänzt merben fönnen. 3n biefer Schiebung finb 
nun einmal bie englifcpen ©erpältniffe beneibenSmerth. 
Sie Sperre Bor bem fRothen ÜRcer unb baburch beS ©uej* 
(lanatS, bie ©efterrfdjung ber Sabel nach Dftafien, 9luftra* 
lien, 3nbien unb ©übafrifa burch ülbeit, fann als ein 
Heiner ©orgefthmad baoon bienen, mie fid) bie ©erhält* 
niffe geftalten merben, tnenn mirftich einmal ein SBeltfrieg 
auSbrhht, ■ftatt beS KleinfriegeS im ©üben ?lfrifaS. Set 
fann roopl ben fRuf EngtanbS als ßanbmadjt ftarf erfdiüttern, 
aber bod) nur bei benen, tocldbe überhaupt an einen guten 
Stof beS britifdjen IpeereS, ernftlidjen ©egnern gegenüber, je 
geglaubt haben, benn in 2Birflid)fcit ift er nie oorhanben 
geroefen. ©ber Englanb «iS mächtiges ^aitbelSoolf unb 
Kolonialreit mirb burch ben ©uren in ©übafrifa nidjt 
ftürjen, faum feinem Sturze mirftich näher gebracht. Sap 
gehört, baft bie Kolonien fid) felbftftänbig machen, unb baft ber 
ruffifdje ©ät fid) langfam aber mit grofter ©Jucht näher mäljt. 
9Ran oergeffe nicht, baft EnglanbS ©olitif mit ganzen Erb* 
tbeilen gerechnet hat, nicht mit ßänberfegen. 9?orbamerifa, 
Oft*3nbien, 9luftralien! Unb jegt redjnet man mit ülfrifa als 
mit einem engüfdjen Sefig. — SSJarten mit ab, ob ber ?tuS» 
gang beS Krieges berartig fein mirb, baft meitere britifepe ©iänc 
auf Sfrifa faUcn gelaffen merben. Sdiroerlid); benn cS fann 
nid)t abgeftritten merben, baft baburch bie meitere Erfdjlicftnng 
beS bunflen Erbteils nicht geförbert mürbe; aber baft ber ©ur ' 
in feiner ganzen jegt fegt berounberten Eigenart ein befonberer 
©eförberer europäifcher Kultur ift, fann aud) moftl uon ben 
Anhängern, bie er Bor SluSbrucp beS Krieges befeffen hat, 
feine); behaupten. 

Sie Borftefjenbe fleine ©etraeptung bcftanbelt nur bie 
SSidjtigfeit eines einzigen jener meerbeherrfchenben ©unftc, 
bie Englanb fich auf ber Erbfugel, feineSmcgS mühelos unb 
ohne Biet ©lut, gefefjaffen hat: 9lbett ©erim. ES giebt aber 
noch «ine ganje ?lnpi)l anberer, bie faum miribeten SBertft 
unter Umftänben befigen, mie beifpielSrocife Samaica, fconfona, 
9Bei*hci*SBei, ©ermuba unb ©ibnet). Seber berfelbcn ift 
mehr mertft als alle portugiefifchen ©efißitngen in Snbien 
unb Oftafien, bie bodj nur ©nflaBen in gtoften ©eichen bilben 
unb oftne ftarfe ©eemacftt nicht behauptet merben fönnen. 


Die ßnoeiieruttg ber ItttfaUförforge. 

33on SteiSgericbtSratb Dr. Benno Ejtlfe (©erlin). 

Set ©ei^Stag anerfannte bie STuSbeftnung ber Unfall« 
oerficherung auf bie in gemerbtid)en unb lanbmirthfdjaftlidhen 
©etrieben befd)äftigten Strafgefangenen in fjolge einer baftin 
gerichteten ©orftctlung Born 20. §fpril 1890 am 17. ÜRooem* 
ber 1891, fomie auf baS gefammte tpauSgefinbe gemäft einer 
©orftednng Born 30. ffioBember 1894 am 4. H)?ai 1895 als 
eine unabweisbare golge beS bie gefammte 2lrbeiterterfid)erung 
beherrfchenbcn ©rnnbgebanfenS, ben Slrbeiter unb beffen auf 
feinen (Srmerb angemiefenen Familienangehörigen in benjenigen 
3eiten Bor 9?oth unb Sntbchrung üu bemaftren, in melchen 
er megen Störung feiner förpctlichen ober geiftigen Unoer* 
fehrtheit aufter ©tanbe gefefct mirb, burch ©ermerthung feiner 
SlrbeitSfraft bie SDfittel ^um ßcbenSunterhalte fich ju Ber* 
fdjaffen. Sie Seitens beS ÜieichStageS gehegten ©rmartungen 
haben bisher fich nicht erfüllt. SBeber mürbe in ben 1894 
neröffentlid)tcn ©runb^ügen einer Slbänberung ber Unfall* 
oerfid)erungSgefefee unb einer©rmeitcrung ber UnfaHuerficfterung, 
nod) auch in ber UnfalluerficherungSüorlage, roeldje ben fReicftS* 
tag 1896/97 befeftäftigte, bem Rechnung getragen, ßefctere 
befdjränfte fich einfach barauf, bie burch bie fRecbtfpredjung 
beS fReichSoerficherungSamteS gefd)affene Unpträglichfeit auS 
ber SBelt ju fcfiaffen, roonach eS für ein ©efinbe, meldjeS 
theilmeife ju gemerblichen ober lanbmirthfehafttichen, theilmeife 
p rein häuslichen ©errid)tungen Berroenbet mirb, bebeutungS* 
boH fein follte, ob baS feftäbigenbe ©reignift bei ber erfteren 
ober ber leftteren Sfjätigfeit eintrat, um feine ©chabloShaltnng 
p bebingen ober Berfagen p follen, inbem fie ben ©runbfaft 
auffteHte, baft in jebem jalle unb unabhängig um bie p* 
fällige 3lrt ber non feinem Sienftgeber ihm angemiefenen 
©efeftäftigung eS Slnfptucf) auf ©ntfdjäbigung hot, fobalb eS 
überhaupt nur p ©etriebSarbciten feines SienftgeberS heran* 
gepgen ju merben pflegt. SBenngleid) bamit fchon ein grofter 
©d)ritt pm ©efferen gethan, fo reid)t berfelbe bod) nod) 
lange nicht aus, um einen empfinbfamen gegen ©echt unb 
©iÜigleit nerftoftenben 3Riftftanb p befeitigen. Unb meiter 
als bie ©orlage non 1896/97 geht in ben gerabe hier in 
©etradjt fommenben ©erhältniffen ber ©ntrourf auch nicht, 
mefcher nach 3 u ^ Qmrnent ritt beS IReidjStageS biefem pgetjen 
fott. «lieh er erfüllt noch nidjt bie gelegentlich ber jüngften 
SnBalibenoerfidjerungSBorlage in Erinnerung gebrad)te F or * 
berung einer gefcßlidjen Siegelung bet Entfdiäbigung ber im 
Sienfie ber Snbuftrie ober ber ßanbrnirthfeftaft unfallBer* 
legten ©trafgefangenen. 

©emcingemöfinlich pflegt bie üluffaffung Bertreten p 
merben, eS fei nicht gerechtfertigt, ©erfonen, Welche gegen bie 
öffentliche SRnfje, Sicherheit unb Orbnung in einer ©Seife fich 
Bergangen hätten, baft fie befthalb ©träfe p nerbüften hoben, 
baburch eine ©ergünftigung p gemähten, baft fie ber Unfall* 
fürforge theilftaftig merben follen. SUIein bie ©ertreter biefer 
3lnficht Berfennen ben Kernpunft ber F ra fl e> ® enn baBon 
lann unb barf gar nicht bie SRebe fein, bie greBler gegen baS 
3lllgemeinmefen bafür belohnen p moQen unb beren ©träfe 
p milbern; uielmeijr mirb bloS beredt, baS als ©Ahne ber 
begangenen ©djulb abgeroogene unb Seitens beS ©trafridjterS 
ihnen perfannte ©trafübel nicht baburch ü» Berfchärfen, baft 
fie eine ©traffolge erleiben, roetefte übet baS feftgefegte SRaaft 
hinauSgeftt unb fie felbft noch befaftet, nachbem fie bie Frei* 
heit miebererlangten, aber auch bie unfehutbigen unb ftraffreien 
Familienangehörigen in üRitleibenfdjaft jjieht. SRicht mährenb 
ber Sauer ber ©trafoerbüftung, Bieimeftr erft nach mieber* 
erlangter Freiheit, alfo nach gefühnter ©dhuib follen fie in 
ben ©enuft beSjenigen ©ortheils treten, toelcher jebem Arbeiter 
jjugebacht ift, ber burch bie eigentümlichen ©efaftren einer 
©erufSthätigfcit in feiner ErmerbSfähigfeit, alfo ber SRöglicft* 
feit geminbert mirb, feine SlrbeitSfraft pr ©efriebigung 
feines ober ber ©einigen ßebenSunterhalteS auSnugen ju 


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36 


Dt t tötgenwart. 


Nr. 3. 


fönnen. Auf ©runb U. *95.«©. § 9 gilt afg Setricbgunter« 
neunter berjenige, für beffen SRecßnung ber Setrieb erfolgt, 
bent atfo ber öfonontifdje Erfolg aug ber eingefeßten Arbeitg* 
traft gufällt. Unb gwar würbe er gcrabe um beßßalb ber* 
pflichtet, bie SRittel gur ©cßablogßaltung feiner Wrbeiter afleiit 
aufgubringen, Weit ißm ber Stufen gu ®ute tommt unb weil 
bie8 alg ein geeigneteg SRittel erfcfjien, ber übermäßigen 
Augnußung ber Arbeiter entgegengutreten begw. ißn für bie* 
jenigen wtrtßfcßaftlicßen Sacßtßeile berantwortlidj gu machen, 
Weld|e aug einer Ueberanfpannung ber Kräfte ober aug einem 
Sorentßaften ber gebotenen©cßußborricßtungen unbSicßerungg* 
einricßtungen gu beforgen finb. Sur alg ein Auggleicß ber 
geminberten gu ber Hollen Arbeitgfraft, nießt aber alg ein 
©etoinn fott bie UnfaHabfinbung ißter rechtlichen Satur nacß 
fieß fenngeicßnen. Unb gernbe Wegen biefer ißrer fittlicßen 
unb wiTthfdjaftlicßen ©eite ift eg burcßaug ungerechtfertigt 
unb bem ©ebote einer Sedjtggleicßßeit eitler oor ber ©efc^e 
boüftänbig Wibcrftreitenb, biejenigen ©trafgefangenen bon ber 
Unfattffitforge augfcßließen gu wollen, Welche bei Einfeßen 
ihrer Arbeitgfraft für ben inbuftrieÜen ober lanbwirthfchaft* 
liehen fßächter berfelben gelegentlich einer mit ßößerer Unfallg* 
gefaßt berbunbenen Serricßtung bon einem fcßäbigenben Sr* 
eigniß betroffen würben, welcßeg in urfadjlicßem 3ufammen* 
hange gu bem Setriebe ftanb. 

Sotß mehr ungerechtfertigt ift eg aber, ben Setriebg* 
Unternehmer Dermögengrecßtlicß für bie Unfälle haftpflichtig 
gu erflären, wenn er freie Arbeiter befcßäftigt, aber bann gu 
berfeßonen, Wenn er bie wohlfeilere ©efangenenarbeitsfraft 
berwenbet. 3n biefem leßteren galle bag ©emeinwefen, alfo 
bie ©efammtßeit ber ©taatgbürger am Aufbringen ber er* 
forberlidjen ©elbmittel gu betheiligen,-inbem bie öffentlich* 
rechtliche Armenpflege an ©teile beg Setriebgunternehmerg 
bie Unfallfolgen fcßablog gu halten hat, entbehrt jebeg Secßtö* 
grunbeg. Unb in ber Dßat ftüßt biefe Auffnffung fid) audh 
nur auf bie Scdjtganfcßauung beg Seicßgoerfidjcrungsamteg, 
weicheg bon ber Anfi<ßt auggeht, eg bilbe ein Arbeitgbertrag 
bie unabweigbate Soraugfeßung für ben Eintritt ber Unfall* 
ffirforge, ben abgufcßließen ber außer ©taube fei, ber gut 
$eit in ber freien SBiHengentfcßließung über Serwertßung 
feiner Arbeitgfraft befeßränft, ber Anorbnung ber ©efängniß* 
berwaltung [ich wiOenlog gu unterwerfen habe, gür biefelbe 
bietet aber aueß Weber ber SBortlaut noch bie Sntftehungg* 
gefchichte ber einfehtäglichen Secßtgregeln gwingenbe Anßaltg* 
punfte. 3n golge beffen ift auch bag höchfte ©prueßgerießt für 
UnfüHfacßen feinem ©runbfaße nicht treu geblieben, hat ben* 
felben bielmeßt in allen benjenigen gälten berlaffen, in welchen 
eg Serfonen eine Unfallrente gubiüigte, beren Abficßt niemalg 
bahin gegangen war, einen Slrbeitgbertrag eingeijen, b. ß. in 
ein Abßängigfeitgberhältniß gu einem Arbeitgeber treten gu 
wollen, wie g. S. ©traßengängern, welche bei Aufridjten 
eineg gefallenen ißferbeg ober bei gortbewegen eineg feßwer 
belabenen ipanbwageng ober bei gortfeßaffen eineg Salfeng 
hilfreich §anb anlegten unb babei eine Serleßung erlitten. 
Auch in foldjergeftalt gearteten gäöen fehlt eg nämlich an 
ben Segriffgmerfmalen eineg Sertrageg über ipanblungen 
nach älterem begw. eineg Dienftbcrtrageg nad) bem gufünftigen 
Secßte beg § 611 S.*®. = S. Unb begßalb muffen fie alle 
auch mit gleichem SSaaße gemeffen werben. -Run ift eg aber 
wiberfinnig, weßßalb eg einen Unterfchieb ßinficßtlicß ber 
©cßablogßaltung eineg SetriebgunfaUeg machen fott, ob ein 
gWecfg ^tilfeleiften gu ben Srntcarbeiten beurlaubter ©olbat 
ober ein bagu angewiefener ©trafgefangener in einer feine 
Erwerbgfäßigfeit gefäßrbenben SBeife üerlet^t Würbe. Seibe 
finb, jener nach Secnbigung feineg SSilitärbienfteg, biefer 
nach Serbüßung ber gnerfannten ©träfe auf Serwertßung 
ihrer Arbeitgfraft gur Sefdjaffung beg Bebengunterßaltcg 
angewiefen. Unb in biefem gefommenen ßeitpunfte muß bei 
Seiben ber gefeßließ geregelte, bureß bie Unfallöerfidjcrung 
geplante, Perm ögengreeßt ließe Auggleicß gwifeßen ber Hollen 


unb ber tßeilweife geminberten Srwerbgfäßigfeit eintreten. 
Dem eingelnen ©trafgefangenen folcßen borguentßalten !enn= 
geießnet fieß alg eine ©cßärfung beg ©trafübelg über bic 
©trafgeit ßinaug, mitßin alg eine Serleßung ber ©leicßftellung 
aller ©taatgbürger bor bem ©efeße. Unb biefer Erwägunge* 
grunb an fieß gwingt mit logifdjer Sotßwenbigfeit gut Sr* 
Weiterung ber Unfaöuerficßerung auf bie wäßrenb ber ©traf* 
Herbüßung betriebgberleßten ©trafgefangenen nach beenbeter 
©trafgeit. ©cßwierigleiten tann aber auch beren Setficherung 
nicht machen, Weil alg beren Dräget bie Unfallnerfießerungs* 
genoffenfeßaften, Weld)e bie ErWeiterunggoorlage Hon 1894 
in ben §§ 5 unb 23 in bag Auge faßte, nermenbbat unb 
bie Sachter ber ©efangenenarbeitgfraft nach ben ©runbfäßen 
in ben §§ 16 ff. beg Sauunfallnerficßerungggefeßeg bom 11. 
3uli 1887 mit Seiträgen ßerangießbat finb. 

Die Etwägungggrünbe, weteße aug bem Serlennen beg 
©trafgweefeg für ben Saien blenbenb gegen bie ©cßabloghaltung , 
oerleßter ©trafgefangenen fi^ aQenfaQg in bag f^etb füßta 
laffen, berfagen jeboeß bureßweg bei ißrüfung ber 3 0t bermtj 
auf ^ineingießen beg gefammten ^auggefinbeg in ben ftreie ■ 
ber berficßerunggpflicßtigen S er f onen - C'infidßtli^ biefer fw* , 
feßränfte bigßer man fieß barauf, bag Sebürfniß unb bie 
3 wcdmäßigfeit gu begWeifeln, au^ auf bie ©eßwietigfeite» 
ßinguweifen, welchen bie Durchführung praftifcß begegnen 
fönnte. Allein beibe Einreben berfeßlen ißr 3> e i unb finb : 
meßr bag Ergebniß felbftfücßtiger, eigenniißiger SBünfcße alg 
eineg borurtßeilgfreien, unbefangenen Urtßeilg. SBenn ge* 
legentlicß ber Äranfenberficßerunggborlage bon 1891 fieß nodj 
bie Slnficßt redßtfertigen ließ, eg fei in gälten ber Sfranlßeit 
naeß fämmtli^en in Deutfcßlanb geltenben ©efinbeorbnungoi 
genügenb für bag ^auggefinbe geforgt unb beßßalb entbehrlich, 
folcßeg ber Sranfenberficßerunggpflicßt gu unterwerfen, fo 
tonnte hierfür bie ißr beigefügte Denffcßrift ben Seweig er« 
bringen. Allein feitbem haben fieß bie Serßältniffe mefentft# 
geänbert, weil bigßer nießt befannt gemefene ©efaßair in 
golge ber mobernen Serfeßrgeinricßtungen bemfelbea.rob 
ftanben finb. 9Zacß Art. 95 beg Sinf.*®. gum S.*®.*S. frei) 
im SBefentlicßen bie Seftimmungen ber feitßerigen ®e* 
finbeorbn ungen aufreeßt erßalten. 9?acß ißnen ift ou8* 
einanbergußalten, ob bie Stranfßeit bfog in ober bei ®e* 
legenßeit beg Dienfteg entftanben, ober ob bie Äranfßeitg* 
urfaeße barin gu frnben fei, baß bag ©efinbe bie beftimmte 
Sorfcßrift beg Dienftgeberg, oßne fidß ber ©efaßr einer 
folcßen Sefcßäbigung auggufeßen, nießt ßat befolgen fönnen. 
3 m erfteren gatte enbet bie Sfließt ber £>errfcßaft gur gür* 
forge mit bem Slblaufe ber Dienftgeit unb tritt Überhaupt 
nur infoweit ein, alg bag ©efinbe für fieß felbft gu forgen 
außer ©tanbe ift, wäßrenb im Seßteren fie über bie Dienft* 
geit ßinaug auf Secßnung berfelben erfolgt. 3n gleicher 
Steife regelt § 617 S.*©.*S. foteße. Auggefcßloffen bleibt 
mitßin bie ©cßablogßaltung für eine nach Secnbigung beg 
fjeitberfaßreng fortbauernbe ©törung ber rörperlicßen Unöer* 
feßrtßeit, gleicßbiet ob folcße einen nacßtßeiligen Einfluß aui 
bag fpätere gortfommen begfelben augübt. Dieg ift ein HJfife* 
ftanb, welcßer nießt fortgebulbet werben barf. SBenn biege* 
werblicße Arbeiterin in golge Serricßteng ißrer Scrufgtßätig* 
feit einen Unfall erlitt, beffen Serlauf gu einer Serftümmelung 
führte, fo erlangt fie nach ben 9Jef.*Sntfcß. 9tr. 570 Dom 
2. Suli 1888 unb Sr. 911 bom 24. gebruar 1890 einen 
Anfprucß auf Unfallrente, wenngleich biefelbe fieß bloß unter 
ben Segriff eineg ©chönßeitgfeßlerg unterorbnen läßt, weil 
baburd) ißr bag Erlangen einer 9lrbeitggelegenßeit auf bem 
allgemeinen Slrbeitgnrarfte unb erft recht ber Abfcßtuß eineg 
Sßebünbniffeg erfd)Wert werbe. Senn ein ©efinbe gleicßgeitig 
für gewerbliche unb ßäuglicße Dienftberricßtungen gemietßet 
wirb, fo genießt nad) ber feftfteßenben 9?ed)tfprecßung beg 
Sreußifcßen Dberberwaltungggericßteg g. S. in bem Erf. bom 
25. gebruar 1899 unb beg Saßrifcßen Serwattungggeridjts* 
ßofe# in bem Erf. Horn 16. Januar 1899 eg bet gleißen 


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Nr. 3. 


Die fctgenwart. 


37 


Sergünftigung, unabhängig baüon, in welchem ©erhältniffe 
bie gewerbliche gu ber häuslichen SThötigfeit fleht. ©nt» 
bchten foH eS berfelben aber, wenn innerhalb ber ©rengen 
rein häuslicher TienftOerrichtungen eS gu Schaben fommt. 
SlieS finbet feinen ©runb barin, Weil gemeingewöhnlich 
Don ber Sinnahme auSgegangen gu werben pflegt, ba| bie 
bei folcher ©elegenheit gugegogenen ÄranfbeitSerfdjeinungen 
unbebeutenber Slrt feien unb ohne nachtheilige folgen Der« 
laufen. ©ieS ift aber ein Srrthum. ©enn wenn ein ©ienft» 
mäbchen beim genfterpujjen aus beträchtlicher flöhe auf bie 
Straffe ober ben fiof hinabftürgt ober wenn eS beim Slb» 
ftauben ber ßimmer, ©ecfen unb SBänbe Oon ber Seiter fällt, 
ober bei bem ßiwmerbohnern auSgleitet, fo unterfteht eS ber 
gleichen Unfallgefahr wie ber ©auanfd)täger, ©apegirer, 
ßimmerbohner, welche nach bem ©auunfafl*©erfi<herungSgefefce 
oom 11. Suli 1887 wegen beS baburch gugegogenen ©enicf* 
brucheS, ©einbrudjeS, SeiftenbrudjeS fchabloS gu hatten finb. 
ginem bei SluSridjten eines gewerblichen SluftrageS burch 
Sturg mit einem Sßetocipcb oerunglüdten gewerblichen Strbeitcr 
fpricht bie fRef.»@ntf<h. SRr. 727 oom 20. 2Rai 1889 Unfall» 
rente gu. ®aS Stuben mäbchen, welches bei ©rlebigung oon 
Aufträgen, bie Äinbermärterin, welche bei ^Begleitung rabeln* 
ber Äinber beS ßroeirabeS fich bebienen mufj, entbehrt gur 
3eit noch bet gleiten gürforge. Unb hoch hat baS ent* 
tnicfelte ©erfefjtSgefeh eS gu SBege gebracht, bafj beim SRiethen 
weiblichen ©efinbeS als ©ienftüerrichtung neuerbingS aus* 
bebungen gu werben pflegt, fich beS ßmeirabeS bebienen gu 
miiffen, eine gwar erft neugefdjaffene, aber bereits in wieber* 
holten gäßen oon fdjweren Unfallfolgen begleitete ©ienft* 
uerpflichtung. 

Seit ©infteflen ber elementaren Ära ft als ^Betriebsmittel 
für gafjrgeuge jeber Slrt oermehrte fich gleidjgeitig bie Unfall* 
gefaxt für baS männliche ©efinbe. Soweit eS im ©ienfte 
eines gewerblichen ober lanbwirthfchaftlichen Unternehmers 
fleht, Wirb ihm bie Unfaßfürforge nicht üerfagt, wenn eS bei 
(Gelegenheit enter berartigen ©ienftoerrid)tung gu Schaben 
fommt SInberS liegt bieS, wenn eS bei Sebienung eines 
SKotorgefährteS oerunglüdt, welches eine ©rioatperfon als 
SefötberungSmittel in ihren ©ienft fteHte. ©ann fteht ihm 
nur bie fehr fchwache SluSfi^t einer SdjabloShaltung im 
Umfange beS heutigen ©efinberechteS gu, welche einmal ihrer 
flöhe nach weit niebriger als bie Unfaßfürforge, fobann aber 
bcfchalb merthlofer als biefe ift, weil fie oon bem höheren 
ober geringeren ©rabe beS 3ahlungSoermögenS unb ber 
3al)lungSWtfligteit beS ©ienftgeberS in ihrer Erfüllung ab» 
hängig, wäljrenb bie Unfaßrente oon ber ftetS leiftungSfäfjigen 
SerufSgenoffenfcfjaft gewährt wirb, Sefjtere ift auch in ber 
Sage, burch ©rlafj oon UnfaflöerhütungSüorfchriften bem ©in» 
tritte eines SchabenSfaßeS mehr Oorgubeugen unb beffen 58er» 
laufSgefahr abgufchwächen, mogu bie ©elegenheit in fonftigen 
ffäßen fehlt. Sßie bie „3lergtlicf)e Sach0erftänbigen*3eitung", 
3af)rg. V, S. 445 auSführt, ift aber auch baS ©ienftperfonal 
eines SlrgteS bei Peinigen ber oon ihm gebrauchten bisweilen 
Bon SlnftedtungSftoffen nicht freien ©efäfje unb Sßäfcheftüde 
einer nicht gu berfennenben GrfranfungSgefahr burch ©lutoer* 
giftung auSgefefct, welche gur ©ntfernung eingelner ©liebmafjen, 
alfo gur ©erftümmelung begw. gur 2Rinbetung ber ©rwerbS* 
fähigfeit führen fann. Slud) f)' et mufi bie öffentlich*red|tliche 
Sfranfen» unb Unfaßfürforge eintreten, um bie oermögenSrecht» 
liehen fRa^theile barauS bemjenigen ©heile ber arbeitenben 
Seoölferung gu fichern, welcher barauf angewiefen ift, eine 
©ienftfteßung gu übernehmen. ®ie 5Red)tSregeln über bie 
■ßertretung ber folgen beS aufeeroertraglichen ©erfd)ulbenS 
in ben §§ 823 ff. beS SB.»©.»©, reichen nicht auS, einen SluS» 
gleich gwifcfjen ber geminberten gu ber üoflen ©rwerbSfatiig» 
feit gu fefjaffen. linb befchatb barf ber gegenwärtige geit» 
fünft, in welchem eine ©orlage über bie Slbänberung ber 
ßnfaßoerfi<herungS»©efe{}e unb eines ©efefceS über bie Unfaß» 
fürforge für ©efangene bem ^Reichstage am 12. b. 2R. gu» 


gegangen ift, nicht oerpafjP werben, um bie aßgemeine Sluf* 
merffamfeit hierauf gu lenfen, fornie bafür eingutreten, biefe 
fühlbare Süde in SluSgeftaltung ber Slrbeiteroerficherung aus« 
gumergen, b. h- biefen ©tuppen ber erwerbSthätigen ©eöölfe» 
rung bie 2Bohltf)aten einer gefefclich geregelten Unfaßfürforge 
gu ©heil werben gu laffen. 


Literatur unb $unft. 


Ätwt 

8 on ©tto Stoegl. 

®aS Sdjidfal beS ©ingelnen bilbet fich in ben SünglingS* 
jahren. So oon fechgehn biS" in bie ßwangig hinein, biefe 
blühenbe, lebensreiche 3eit bauert bei ben oerfchiebenen 2Renfd)en, 
je nach if)ter SRaffe, Nation, Ipeimatlj, Temperament Oer* 
fchieben lang. SBenn auch nicht aße ©lütljenträume reifen, 
fo beftimmen biefe ©lütfjen bod) bie grucht ber ©eneration. 
Sein Seben, feine beftimmenben geiftigen unb finnlichen 
©motionen h at man in biefen fahren, hier fnüpft jeber bie 
ff-äben. $>ann fpäter werben fie gum ©ewebe gufammengeWirft. 
ytut gang feltene SRenfchen haben ©rlebniffe in biefem Sinn 
noch fpäter, nur SBenigen wadjfen ^fammenfäulen leuchtenb 
auf bem fpäteren SBeg. ®aS finb bie SluSnahmen. Sooft 
beftimmt bie Sugenb aßeS künftige. ®ie fommenbe 3 e 'l fdjätt 
bann bie S5inge; Stetion, SEhätigfcit ift hier üot Slßem, frei* 
lieh meift oon föftlicher Unbewufjtheit. 9Ran lernt SRenfchen 
fennen — baS ift aber nur fo gu oerftehen, baff man erfährt, 
wie fie heifjen, waS fie gu fein oorgeben, nicht wie fie finb. 
3Ran beginnt Stubien, fnüpft Segnungen an, geräth in 
©efeßfehaften, auS benen man fich entwirtbet, bie man aber 
bodj niemals loS werben fann. SlßeS gefdhieht hi ct nac^ 
fcheinbar freier 2Bat)l unb Ooßer ©ier nach SReuem, nach 
©eränberung, man rafft wie ein ©eigljalS Schäle ber @r* 
fahrung gufammen, aßeS was blinft, wenn man auch fpäter 
erfennt, baff eS Scherben Waren. ©aS fpätere fieben oet* 
arbeitet baS bann. ©aS ift bie „Sammlung". SBunbertidjeS 
2 Bort, man müfete fagen: Sluflöfung. ©enn bann ift bie 
gange ©efchäftigung: baS ßoSwerben, bie ©rfenntnife. 3 um 
Schluß fteßt fich «ine ©rfenntnife, ein SBefenSgug, ein 
tppifcheS Schidfal h er auS, baS unerfannt im ©runbe jebeS 
SRenfdjen geruht h at » nnb baS nun langfam heroortritt, ©e» 
ftalt unb garbe annimmt, barauf wirb bann baS begrünbet, 
waS als SBeltanfdjauung begeichnet wirb. Slber bie reiche' 
3 eit fäßt in bie Sugenb. fiier finb bie beftimmenben ©e* 
banfen. fRicht um bie fReife unb ©auer oon SBerthen hanbelt 
eS fich, benn wer baS Seben betrachten gelernt hat, erfennt 
gang gut, bafj eS nur oon Scheinwerthen erfüßt unb beftimmt 
wirb, nicht 2Baf)rheiten finb ihm fo fehr nöthig, aber ©nergien, 
Seibenfchaften. ©ie garöe, ber fReichthum beS ©angen, wirb 
hoch unb hoch oon ber 3ugenb beftimmt. Sie fnüpft auch 
bie ©lemente einer 3^ unb läfet ber fommenben Sugenb 
wieber baS ärgerliche ©efchäft beS StuflöfenS unb beS ÜReu* 
fnüpfenS fchimmernber Srrthümer. Sehen mir uns bie SBüdjer 
einer 3«it an, bie beftimmenb für fie waren, ihr innerfteS 
SBefen wiebergeben, fo finb eS immer bie SSerfe oon jungen 
Seuten. Älopftod war ein junger ©urfdj, bem würbigen 
©obmer oiet gu leichtfertig für einen Sänger beS „ßReffiaS", 
Sdjißer’S „SRäuber" unb „Äabale“, ©oethe’S „SBerther". Sa 
©oethe’S „SBerther" unb im höheren Sinne ber erfte ©h«^ 
feines „SReifter" brüden feine 3 e *l auS. ©er ©ppuS eines 
jungen SRanneS, ber in bie SSelt auSgieht, um gu lernen, 
auS ©rfahrung in ©rfahrung, auS ©egierbe in ©nttäufchung 
unb SRefignation, in biefe männliche Sammlung, bie feine 
Sluflöfung unb ©ntmerthung bebeutet, biefe ftänbige ffigut 


* 


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38 


Die Gegenwart 


Nr. 8. 


macpt unS baS befte SEÖefen einer $eit, ipt ©treben, itjren 
(Slanj, itjre Energie, ©epnjucpt, ipre eigenfte garbc begreiflidj. 

SDie Jöiictjer unferer (Generation ftnb gejcljrieben worben, 
©ie werben einer 3 u£unft unjere 3«t War machen. Ueberall 
begegnet man bem &ppus wieber. Mei ben Muffen in 2urgen* 
jeff’s „Mäter unb «öpne", in (Sontfcparow’s „Dblomoro", 
tn Xoljtoj’s „?lnna Marenina" unb in bes grei|en MianneS 
leßtem ilSert „tüujerftepung". S9ei ben ®änen in beS wunber* 
ooUen Sens ?|ieter Satob|en „Miels Sppne", einer SünglmgS* 
geftalt, bie toir ntcpt mepr oergeffen tonnen, bie ein Söeal* 
bitb entworfen pat, ein ©cpidjal oon folcpem Selb unb foldjer 
(Slutp, bag bie ganje ©entimeutalitut unb Megietbe einer 
3eu jolcpes Selb unb joldje (Gluti) wteberjuerleben wünjcpen 
mochte, Mei ben Morwegern in Mnut ipamjun’s jämmtlicpen 
Muetjern. ®en ®eut|cpen, welche jeit Meller’s „(Grünem 
£>etnrtcp" feinen enbgiltigen Zeitroman peruorgebracpt paben, 
feplt btejes tWerf ooUtg. Miog (Gerpart jpauptuiann’s Sugenb* 
brarna, tneUeicpt begpalb jetn be)tes: „2)as griebensfejt" 
foniuit bie|em tlöunjcpe jo nape, als es eben bie concentrutere 
bramatijcpe 301111 erlaubt. 

Skn reiujten ^lusbrncf bes fpecififcp germanifdjen SßefenS 
bürfteu wopl ui un|crer 3< lt bie Moroianber gegeben paben. 
®te jwjitiuijtijcp aiijangeuoe, pe|fumjti|cße unb Dod) ftarfe 
Matur (Gabriel (Grum’s (bei Vlrne (Garborg), bie bann in 
oerjweifeite (Glaubigteit auslauft, ftept neben ben träumerijd)ene 
irnbanbelubeu, un| 0 )iu||igen unb bod) |id) jelber treuen 
Mteujcpen uon 3aiou|en unb jpamfuti. Miels 2 ppne ftirbt 
„ben aujreqjten Xob“. Unb qpum|un’s gelben ftiio troptg 
m ipreui (Glcuo, bas wtoer fie tarnpft, jie tn uucrmeBlicpe 
Dualen treibt unb bennoep ipren irop niept bnept. Mun 
ijt bas «eUJame au biejen ^eufiguren, oaß jie nid)t bie ge* 
wopulicpen 2 Utcn|Cßeu jmo, niept Appen, |onbern Subiuibuen. 
£ie|e riusnapmemcu|epen |inb aber immer bie, weld)e bie 
3eit bejtunmen, bas Meue, Unerpörte an ipnen brudt bas 
^etteigcutlicpe aus, bie (£tfta|e, lüiunberlicpteit, Merjüdung 
eines* Saprpuuberts ift bejjen waptpa|tet .£>crj|cplag ptnter 
ber iieoemen ^iaut. 

S)ie|e großen 3Bunbcrlidjen finb tpamfun’S gelben.*) 
Spr (Gruubeleiucut ijt bas notpioenbige Vlnbersjein, als alle 
üüibercu, bas (Gegen=VlUe*«eiu, bas ewtge ÜlUeuijein unter 
beti icteil, oas Mctue* 2 örude*ginöen. Mein iWeg, leine Mer* 
buioung uejtept jiotjtpeu ipui unb ben Ruberen, wöbet er fiep 
bic|er isuijamtcu freut, ui feiner ilbutp, in 30 m unb £>ü 13 
wupit uuo mcpi geoioepen werben latut. (Er ftirbt, aber er* 
giebt |icp uicpi. Aie jiarten jocialeu Snftincte, bie int wapr* 
paft bebeuieuben Üieujdjen immer leben, erzeugen immer 
wieber feuicu (iin|üuiteitsbrattg. ©eine frierenbe, pungernbe 
l£>ulflo|igteit treibi ipn wieber jur Mienge, ein bejtunbigeS 
«piel oon Slu^iepung unb 'Jlbjtoßung wieberpolt fiep, ©eine 
Sebensucrucpiuug bebaij bes tagliepeu MroDes bes Sebcns; fo 
bleibt er, ber gute liitamer aller Miebrigfett, ber wütpenbfte 
«cpmarmer. «eine Mcjiguution pat immer MüdjaUe. Üiiie 
ein Jöiauutweiuiriuter jur ^lajepe, feprt er jur (GefeUfcpaft 
immer wicoer jurud. (£r glaubt |id) burep Sugc, Merftcden* 
jpieten, gutmuipiges (Eingeßcn in bie allgemeine (Erbärmlicp* 
tat nut ben M(eu|d)cn beitrugen ju fbnnen, aber bas blojje 
3 u|ümmenlcben muß tpn mit ipnen entjweien. Sinnier pofft 
er auf eui Miunoer, weltpes bie Mienjcpen cnblid) einmal 
men|(plicp jagt, aber jtepujcp genug, pat er ein wütpenbes 
Sacpeu über bieje uerrudte ^Öffnung, er ift ironifd) aus 
gurept uor beu Vluberen, aus uerlegcuer ipüljlofigfeit, immer 
junbigt er aui meiften gegen feinen eigenen Snftinct. Mid)t, 
baß er ipnt juwibcrpunoeite, aber er folgt ipm immer nur 
palb. $as niucpt feilt tragifcpcs ©epidjal> wenn man uon 
©cpulb jpreepen faun, feine ©cpulb aus. Unb bei aller 
feßiieiöenben Malte ber Meracptung betet er baS Seben an, 

*) „junger", „Meöacteur filjnge", „9icue Sibe", „Wijfterien", 
,,']3an", (SRoutaiie) „Äomgin oon Saba", „^icioria, bie ©efcljtdjte einet 
2iebe“ (iMooeUen), jdmmUict) bei '.Hlbeit langen, Diündjen. 


immer mai^t er StuSnapmen, unb mit einer rüprenben ®on 
Duijoterie meint er: (Gemeinpeit, — ÜlOgeineiiipeit, — fange 
erft naep bem Mtenfcpen an, mit bem er fiep gerabe abgiebt, 
unb bie beftänbige, perrlicpe ütuSnapme ift ipm baS ©eib. 
Mun wirb er oon Strtpum ju Strtpum burep feine leiben* 
fcpaftlicpe (Energie gepept, fo bon ©cpulb 3 U ©d)ulb. Äönnte 
er fiep felbft bergeffen unb ganj bem Sebctt pinwerfen, mit 
jeber beliebige, jo wäre er ja glüdlicp. S)aju ift er 
anberS, ju jepampaft. Mun rennt er wiffenb, flaten Set* 
ftanbeS in bas Merberben, fonimt immer wieber lebenb peraiii 
unb fcpämt fiep bis jum SSapnfinn bor fiep felbft. (Segen 
bie Slnberen ift er niept fonbcrlicp erbojt, pier ift feine Sritil 
tpeoretijcp, aber gegen fiep wütpet er. 3)aS ift bie einzige 
ipm gegönnte SBolluft: bie ©elbftanflage. SBaS Slnbere an 
ipm fünbigen, räcpt er — an fiep felbft. 2luS Merjweifetimg 
an ber SSelt — legt er £>anb an fiep, fein Seben ift bol. 
gewaltfamct Müde, unbegreiflich in jebem Slugenblitf, confe* * 
quent in ber Snconfequenj. Smmer ift er notpwenbig anbet^ 
als ber gute Mormalmenfcp, anberS, als „man" ipn erwartS" 
M 3 o er borfieptig fein jollte, fepläft er arglos wie ein ftüj 
uor bem Slbgcunö, wo er reben foUte, wo enblicp ein SBoö, 
ein SSort tommen follte, fcpweigt er läcpelnb, wenn jeW 
(Gebot ber ©d;am gu fcpweigen forbert, wirb er bemoftpenifH 
berebt. SBaS er fagt, meint er niept, aber biefe Unaufricpt^ ■ 
feit ift fein waprfter Slusbrud. (Ir berfleibet fiep auS w * 1 
fdjeu uor jeber fjiofe, wie ein Mönig liebt er in Sumpen p 
gepeit, aus ©epufuept, fiep ju uerlieren, biefeS unglürffeligt 
©elbft. ©0 giebt es (Epnifer auS Scpam, Stonifer um 
2 lrrogante aus geinpeit, Mejcpeibenpeit unb 3lngft unb §ülf 
loftgfeit, Mrutale auS ©epwaepe, geiglinge aus ^eroismuJ, 
(Gemeine, ©ittenloje aus (Ebelmutp; fo ift er, immer ein 
lebenbes SSiberfpiel feiner (Gefinnung, niept, beileibe niept 
aus ISuelfett ober i|>ofe ober ^»eucpelei uor fiep felbft, fou« 
beru aus einer peruerfen Meufcppeit, auS beftänbigem 
trauen gegen fid) felbft, aus ber ©epnfuept feinet (EiufjKfot 
nad) iliigleidjung art bie. Slnberen, aus 
trauen gegen fiep. Miepjdje fpriept einmal in einet'Pitt 
großartigen (Erlcucptungen baoon, wie ber (Segenfaß bie W|te 
Merfleibung fei, iiK ber eines (SotteS ©epam einpergin^t 
„(Es giebt Morgänge fo jarter Slrt, baß man gut tput, ji« 
burep eine (Grobpeit ju oerfdjütten unb unfcnntlicp ju madjtu, 
es giebt ipanblungen ber Miebe unb einer auSfcpweifenlKu 
(Großmutp, pinter benen niepts rätplicper ift, als einen Stad , 
ju nepmen unb ben i’lugeujeugen burdjjuprügeln; bamit trübt 
man beffcii (Gebädjtniß. Mtancper uerftept fiep barauf, ba4 
eigene (Gebäcptniß ju trüben unb ju mißpanbeln, uni wenigftenS 
an biefem einen iliitwiffer feine Macpe ju paben: bie Scpau 
ift erfinberifep. (Es finb niept bie fcplimmften ®inge, beta 
man fid) am fcplimmften fcpämt, es ift niept nur Slrglift 
pinter einer ÜWasfe, es giebt fo piel (Güte in ber Sift. 34 
fönnte mir benfen, baß ein äWenfcp, ber etwas Ä’oftbareS unb 
Merleßlicpes ju bergen pätte, grob unb runb, wie ein grüneS, 
altes, fdjwerbefeplageneS SBeinfafe burep baS Seben rollte! ; 
2 )ie geinpeit jeiner ©epam will eS fo." 

©0 ift ber $ppus ber Magel, (Slapn, beS §etrn 
ber gelben ^amjun’s unb ^amfun’S felbft. Mun paben bieje 
ganj aus aller Mapn gemiepenen großen Megellofen eine ganj 
befonbere, ataoiftijepe Meigung ju reiner (Sinfacppeit oon Ut< : 
ftäuDeit bcS SJajeinS. ®as wirb freilich nur bei bem größten 
S)octrinär Slolftoj praltifep, bie beftänbige ©epnfuept bet 
Uebrigen bleibt es immerpin, wenngleicp fie niepts baju tpuu. 
2)er MabicalismuS wirb ber Xon ber $lllgemcinßeit,_ eS $ 
faft fdjidlid), ipn recl)t enetgifcp mitjumadjen, fie paffen ip« 
unb finb eigentlich conferuatio. ®aS (Safe (Sranb unb fei« 
überfeinerten Siteraten oeraepten fie grünbtiep. §amfitn paßt 
gut unb fommt immer wieber auf ben (Segenfaß gurücf: piw , 
abgcfdjmadtes ©timniungS* unb ©eelenftanbSgewinfel, bort 
einfältige, uertrauenbe unb trauliche (Sefinnung. Uroäter* 
pausratp, llroäterpeimatp. Mospaft auS .^offiiungsfeligfcii 


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Nr. ?. 


Die G&egttuoan. 


39 


Jjeßt er fjarmlofe ÜRenfdjen in ©efaßr, Süge, Sergweiflung, 
in Kampf gegen ficfj unb 9lttbcre, bloß um oieüeicßt bocß 
enblicß jenes Köftlicßfte ju erleben: einen menfcßlicßen SSenfchen, 
einen, ber waS werth ift. Et leibet waßrlicß nocß tiefer an 
intern Sehen, als fie fetber. Sr leibet um fie, wahrhafte 
§eilanbSleiben, aber aus ßöcßft felbftifcßen ßwecfen, nur um 
feiner felbft willen; fo wirb alles, was er mit ben SSenfcßen 
treibt, eine jiellofe gaQenfteQerei itacß ber lieber tratet, aus 
tßöricßter Hoffnung enblicß einmal eine ©fite, eine öerirrte 
Steinzeit, eine wunberbare ^erjlicßfeit ju fangen, einen 
Sunberfifdj, ber niemals in biefe ©ewäffer fommt, niemals. 
Unb et fißt Wetter am ©tranbe unb ftfdjt. (Sin Slnberer 
würbe nun nicht gerabe bei ben ^offnungSlofen Hoffnung 
jueßen. (Sr oerfeßrt faft nur mit ben Ueberfeinerten, Ueber« 
bilbeten, bei benen ber ©egenfaß jwifeßen ber natürlichen 
©emeinßeit unb ben fünftlicß gefteigerten (Smpfinbungen unb 
(Sinbilbungen ganj entfeßlicß ift. Sßre berben SücffäQe finb 
um fo efelßafter. ®a<jegen hängt fein £erj an ben Sücf« 
ftänbigen, ißrimitioen, fte ftnb jwar bumm, meiftenS, aber es 
ift bocß möglich, baß fie gut finb. §filfloS fiepen fie in« 
mitten ber f lugen Silbung unb fehnen fiep barauS weg, Wie 
et felbft. ®aßer flammt auch feine jornige unb oerjücfte 
grauenanbetung, er ift gar nießt geminift, EmancipationSfragen 
ftnb ihm außerorbentlicß gleicßgiltig. ®ie Seibnatur, barum 
ßanbelt ficß’S. $)aran fpfirt er Satur. ®aS einfache unb tiefe 
ffiort eines anberen Richters paßt ^ier^er: „baS Seib ift 
ber Satur näh«" (©erßarb Öucfama). ®iefe Srbennäße 
unb Saturoerwanbtfcßaft fpfirt er; bei allem Schein ber 
Suance ift Einfachheit, ja Einfalt baS Sefcit beS SeibeS: 
©eßmiegfamfeit, Empfänglichfeit, Sreue gegen ben Snftinct. 
(Darin liegt ihre Schönheit, Sun beobachtet er biefe galtet, 
wie fie immer in bie glamme taumeln; Dom Snftinct gerabe 
ju ihren geinben mit bämonifcher Slnjießung getrieben, ftürjen 

S ibe biefe einfachen, geraben ©efeßöpfe in bie Siebe über« 
erter SRännet, berer, bie er fo paßt. Salb erfennen fie 
biej|iebrigfeit ihrer ©eliebten, feßeiben ober werben mit ber 
pfjt^SBrütafität, beten nur „Seroenmenfcßen" fähig finb, 
meggcjbßen, unb nun haben fie einen Sprung. ®ie am reinften 
ihrem innerften ©elbft ju folgen bereit finb, welche als 
wütter bie Sertße ber ©eneration fchaffen, finb wertlos 
geworben. 

(Der einzige pofitioe Sertß ift biefeS fureßtbare Erfennen, 
bor bem ringsum bie (Dinge ihr „an fich" enthüllen, unb 
bocß ift SlUeS wieber nur bie Subjectiüität beS (DicßterS. 
(Die Seit ift fo, wie wir fie fehen wollen. (Der Snßalt 
ber Somane geigt immer ein Erlebniß biefeS (DßpuS, bei aller 
SKaSfe ift eS immer baffetbe tppifeße Erlebniß. 3m „junger“ 
bie guftänbe beS armen, frierenben Siteraten, ber ftolj in 
feinem Slenb, oerjficft in feiner Slrmutß ift, lügt, um nobel 
ju erfcheinen, felbft hungert unb feine Sefte oerfeßenft, als 
fei er im Ueberflnß. 3n ben „äfißfterien" unb im „ijßan" 
bie hoffnungSlofe Siebe. 3a, biefe erotifeßen Scßicffale finb 
feftfam. Er litte am ©lücf; baS Elcnb, bie IpoffnungSlofig« 
feit macht ihn reich unb ftolj. SaS ift in Saßrßeit biefeS 
fchöne, einfache, bumme (Ding, baS ißn nicht lieben mag, 
gegen ihn? Unb bocß ift fie bie Königin, er ber Sarr. SS 
giebt SSäbcßen, bie ißn lieben, aber ba haben fie fchon ben 
SSertß für ih n »erloren. ES hot nur Sinn, ber Hoffnung 
nadjjujagen, weil fie ja nicht erfüllt werben fann. (ßfui 
über bie SSöglicßfeiten unb Erreichbarfeiten! Sur baS Un« 
mögliche, baS Sunber ift ber 3Süße werth, barfiber ßinju« 
fterben, bie ©räfet, ben Erbboben im (Dobe noch füffenb, 
Weil barfiber einft baS große ©lücf gegangen ift. (Das ift 
echte 3ünglingSromantif unb Sehnfucht, unb hierin berührt 
fich ©egenwart mit Sergangenßeit. (Die Sugenb bleibt immer 
bie Sugenb. Ober im Sebacteur Sßnge, wo fich jroei SSenfcßen 
erft fiuben, naeßbem fie fo umhergeirrt, in Sfinbe unb Ser« 
brechen gejagt worben. 

(Den©ipfel biefeS SebenS feßeint baS lefcte Suih „Sictoria" 


ju bebeuten. §iet feßeint ber dichter ^Ibfcßieb oon ber 
3ugenb ju nehmen, bitteren, feßweren Slbfcßieb. 9lie finb 
feine Sorte fo ju i>erjen gegangen. §ier hat er im Stoff 
gu höchft gegriffen, bis in bie äußerften Sipfel nach einer 
golbeneit grueßt. §ier put er fidh felbft, bem Süngling, 
biefer fehnffi^tigen, wunberbaren ©eftalt ein gleiches grauen« 
wefen entgegengefeßt. ©leich wunberooD, räthfelhaft,. einfach, 
rein, flat, wie ber Duell unb bunfet, fraghaft unb an fid) 
felber irre unb irrelenfenb, wie eine S^acfjt. gwei ©leicße, 
Ebenbürtige unb Serwanbte in Siebe an einanber oergweifelnb. 
3ßr ©lücf ein Kampf, eine beftänbige Sehnfucßt. Sie meffen 
fiel aneinanber. Sie lieben einanber fo fehr, aber fie finb 
jo ftolj in ißrer hetrifeßen Ülrt, baß fie nicht ju einanber 
fönnen, fie lügen, finb treulos, ffinbigen gegen einanber aus 
Siebe. 

„Siebreicfjtr $afc! ©treltfücfjt’ge Siebe! 
i)u SUle«, au8 bem 5tid)t2 juerft erf(baffen! 
©Wwermütb’ger Seidjtfinn, ernfle länbelei! • 

(SntfteQteS C£baoS glänjenber ©eftalten! 

Sleijdjroinge! Siebtet Diaud) unb falte ©lutb! 

Stets madjer ®d)laf! Sein etg'neS SBiberfpiel 
<Bo fühl’ itb Sieb' unb ßaffe, roaS ict) fühl’!* ... 

Unb bann fRomeo’S Seßnition Oon ber Siebe: 

„SSerftänb’ge SRaferei 
Unb efle ©all, unb fuße ©pejerei" ... 

Sie beibe Sefen an biefer Dual ihr SigenfteS gut 
wunberooUften Slfithe fteigern, in ihrem Elenb felig, in ihrer 
Erbitterung glücflich, treu fich felbft bei ißrer Untreue, wo 
ißre ewige Trennung beffer ift, als Erßörung, ißre glucßt 
oor einanber meßr, als ein armer fEriumpß, baS ift oott 
wunberoollem Klang. $ier tönt baS SönglingSlieb oon ber 
ßoffnungSlofen Siebe, oon ber Siebe, beren Schönheit fo un« 
ermeßlicß, weil fie oßne Erfüllung ift, ein grenjenlofer Sunfcß, 
eine unerfättigte Seßnfucßt. SS giebt nichts SrgreifenbereS, 
als ben Stief, ben Sictoria, baS Stäbchen, ißm, bem 3üng« 
ling, fchreibt unb beu er erft befommt, naeßbem fie geftorben 
ift. 9tacß ißrem ’Sobe giebt fie fieß ißm ßin. ®ieS ift einer 
Seßnfucßt Erfüllung, ein Schotten giebt baS enblicße ©lücf, 
unb Scßattenglücf ift baS SJöglicße, baS allein uns genügen 
fann, bie wir noch ftolj oon Sünfcßen unb unnachgiebig 
in unferen träumen finb. Sun mag §amfun ben feßmeren 
Seg aufwärts gehen, wo bie Sonne fteiler auf ben Scheitel 
brennt. Sun muß er mit bem Seben etwas anfangen, eS 
neßmen, irgenbmie, SSann werben, SDtann fein, in Sefignation 
giele fueßen, ber Stenfcßßeit SWöglicßfeiten läcßelnb in bie 
§anb brüefen, geprägte Sertße, gültige SSünjen. ES mag 
fein, baß ißn babei Serjweiflung erfaßt. SSancße finb erft 
in biefer ßeit, an biefer Senbe waßrßafte ©ießter geworben, 
wenn fie, ben SSenfdßen fennenb unb oeraeßtenb, boeß bie 
SSenfcßßeit anerfannt haben. Stancße ßaben fieß felbft oer« 
loren unb ßaben aufgeßött, ©ießter gu fein, fie waren nießt 
ftarf genug. Unb wieber ülnbere wußten nidßt alt ju werben 
unb finb 3ünglinge ber ©eberben unb beS SerSfußcS, beS 
äußerlichen SßßthmuS geblieben, bei feßwanfem ©ang unb 
grauem fjaar. 31 uf biefen brei SSöglicßfeiten berußt biefeS 
außerorbentlicßen SSanneS gufunft. Soßin er immer gehe. 
SaS er bis jeßt gegeben ßat, war groß genug, ißm banfbar 
ju bleiben. ES waren Sünglingswerfe, einer jungen ©ene« 
ration aus ißrer innerften Seßnfucßt heraus geboren unb 
gefeßenft. 


Dp« jtoti jjjofbnrgfcßflttfpulern. 

SSon 0tto Stfibben. 

Senn eine Siograpßie irgenb eines jüngft oerftorbenen 
ober lebenben ScßaufpielerS auf unferen Secenfententifcß 
fommt, fo fagerr wir unS gleich: gewiß ein Siener ißrobuct! 
benn nur bort in beutfcßcu Sanben ift ber Komöbiant noch 


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40 


Die Gegenwart 


Nr. 3. 


eine fo mistige Sßerfon, bafe fte ihren £iftoriographen finbet. 
Sei un3 im SReich geht man juerft in’S ©heater, um ein 
©tüd fennen ju lernen; in SBien aber, um ben unb ben 
SRimen in ber unb ber fRoße ju fefjen. ©ewife, auef) Sertin 
batte feine 3 e *l ber Ipelbenfpieleruergötterung, wo man fid) 
für bie fünftlerifchen ©l)aten unb ehelichen SBirrungen ber 
@tidj bueßirte, für öubmig ©etrient im allgemeinen Taumel 
begeifterte unb wo SRötfdjer jungl)egeliani,fcfe unlesbare bide 
Südjer über ©etjbelmanu unb bie „bramatifefeen (St»arafter- 
entroitfelungen" eines Sra Sllbribge unb ©amifon ober einer 
Seebad) unb Särnborff febrieb, aber baS waren bod) 3eiten 
ber politifdjen unb mirthfd)aftlid)en ©tagnation. §eute ift 
baS StöeS anberS. Söelc^e befdjeibene fRoße fpielte im Serliner 
öffentlichen öeben fogar ein Sfünftfer wie Äainj (mefehalb er 
benn auch neulich in bie „banfbarere" ©onauftabt überfiebeltc), 
unb wer fragt aujjerfjalb beS ©heaterS nach 9RatfomSfh ober 
unferen Heroinen?! ©ie grünbfid)e ^^eaterbericOterftattung 
oon einft ift jur flüchtigen SRitternachtfritif geworben, unb 
in geitfehriften werben bie ©arfteßer faum noch erwähnt; 
fogar bie SnterDiewS Don Sühnengröfeen, fofern fie nid)t 
orbinären Älatfd) bringen, regen baS große publicum berj» 
lid) wenig auf. Unfere politischen, Wirt hfcha ft liehen, rotffett» 
fd)aftlid)en Sntereffen h a & ett eben bie fünftlerifchen unb 
iiterarifchen Derbrängt, bie Sühnen hefteten einen immer 
fchärferen fiampf gegen bie leichteren UnterfealtungSftätten, 
unb bie SarieteS unb ©oncertfäle triuinphiren. ©aS ift ge» 
toife ju betlagen, benn auch bie SSienerifcf)e Uebetfdjäfeung 
beS ©chaufpielerS hatte eine liebenSWerthe unb fdjöne ©eite, 
©a ftarb j. S. nach einanber baS §ofburgfd)aufpieterpaar 
ßerline unb öubwig ©abißon; fie, eine treffliche ©alonbame, 
er, ein auSgejeid)neter Spifobenfpieter, eine nie uerfagenbe 
utilitö, bie beim ©l)eater oft mehr Werth ift, als mancher 
star. 3n Serlin hätte ihr 'Job in ben 3 e *tungcn einige 
IRotijen unb etwa ein fßaar furje Sluffäfce unter bem Strich 
oeranlafet, unb bann wäre bie Sache erlebigt gewefeit. Sn 
SBien aber festen fich beibe SRale jahltofe fiebern in Sewegung, 
fein Slatt erfdjien ohne lange ÜRcfrologe, Nachrufe, ©rinne» 
rungen, ©^arafteriftifen; man wunberte fid) fchon faft über 
ben fehtenben ©rauerranb. Unb nun fommen gar nach Saht 
unb Sag jwei umfangreich« Siographien, bie fid) umftänblid) 
mit ber beiben Serftorbenen, ihrem öeben, ihren ©baten unb 
Meinungen, ihrem fßrioatleben unb ihrem ©barafter befchäftigen 
unb ganje ©orrefponbenjen Don unb an Serüfemte unb Un» 
berühmte im SBortlaut abbruefen. SBir mären ju einem 
SBorte ber Slbmebr gegen biefe neuen Slüthen ber SBienet 
©bea terfimpelei geneigt, wenn — nun wenn beibe Sücher 
-nid)t fo gut unb liebenSWürbig wären, kennen wir ben 
Serfaffer ber „3erline ©abißon"*), nämlich öubmig £eoefi, 
einen unferer entjüdenbften ©Wähler, geiftreichften Feuilleton» 
meifter unb beften §umoriften, fo wirb unfer Öob feiner Schrift 
ohne SBeitereS begreiflich- Slber auch b’ e Siographie öubmig 
©abißon’S ift ein gutes unb trofc aller SBeitfcfeweifigfeiten 
gar nicht langweiliges Such- Slud) bafür wiffen wir ben 
©runb: eS ift mit bem 4?erjen gefeferieben, ÄinbeSpietät hat 
bie geber einer geiftreichen Frau geführt.**) SBäferenb ipetefi 
mehr mit ber capriciöfen ©timmung beS Feuißetoniften feinen 
®egenftanb behanbett, geht ^»elene Settelheim=©abillon 
grünblicher, ernfter an ihr biograpfeifcfeeS 28ert. ©ie giebt 
©agebud)blätter, Sriefe unb ©rinnerungen in fünftterifch ab» 
gerunbeter Faffung. ©ort bei £>etefi baS F eu ^ et01t < b* er 
ber ©ffafe, unb bie menfd)tiche unb fünftlerifdje ißerfönlidjfeit 
ber ©efchilberten fommt in beiben Fällen gleich plaftifd) heraus, 
©ie F r «unbe unb Serehrer beS ftünftlerpaareS werben ihre 
Freube baran haben. Für baS grofee publicum „braufeen 
im fReich" greifen mir hier baS Sntereffante heraus. 

öubwig unb 3erline ©abitlon geb. SBürgburg waren Don 

*) Stuttgart bei Üb. $8on$ & (£om£. 

**) 4>erau§gegeben Don ^eiene 33eiteIf)eim=©abiIIon. SBien, ü. 
§artteben. 


©eburt fReichSbeutfche, SRedlenburger, fogar aus bemfelben 
Ort: ©üftrom. Öubmig, ein ÜRacbfahr franjöfifcher SSefugieS, 
hat Don feiner unglücflidhen ffinbhett ein crfchütternbeS Sr» 
innetungSblatt hrriterlaffett, baS feine iJodjter abbrueft. 
SRach furjem SBanberleben auf Sühnen jweiten ober noch 
geringeren fRangeS würbe er Don öaube entbeeft unb an ’5 
Surgtheater gebracht, wo er halb fid) eine geachtete Stellung 
fdjuf unb feine junge SoHegin 3 er line 1885 heitatljete. 
2Rit ©arl öa fHodje tarn eS gleich ju Derftänbnißinnigctn 
Slitfd)lu§. ©iefer überlegene .^umorift war im Ißrioatlebcn 
ein ©pifuräer, bem ungemein h oc h 3 c h a ltene Xafelfreubcn 
nur bann Dollen ©inbrud machten, wenn fie mit würbigen, 
für gute Siffeu, feine SJropfen unb DirtuoS erzählte Sinei» 
boten gleicherweife empfänglichen 'Sifcljgenoffcn geteilt 
würben. ®a§ Öubmig ©abiUon aber als munterer ©efell 
fchafter unb tapferer 3 ec h et feinen SRann fteßte wie feiten 
©iner, hatte öa fRod)e halb heraus. 2>er junge 3)?ec!lenburger 
hörte mit immer neuem ©enujj bie immer auf’S 9ieue wieber» 
holten ©efd)ichtchen Don öa SRoche’S SBeimaranet 3 C ** un# 
beffen afleverfter ®arfteflung beS „3Rcphifto" unter ©oetfjc 
an; bei bemfelben Slnlafe Dernahm er auch eine gaftronomifdje 
öieblingSgefd)ichte beS |>auSherrn, bie bisher aßen ©oethe» 
Forfchern glüdlich entgangen ift: öa fRoche war einmal ©oetljrt 
3Reifegefährte auf einem SluSflug; als SBegjehrung hotte ber 
©chaufpieler eine SBurft mitgenommen, bi? er, unterwegs 
hungrig geworben, heroorholte. »Der .fperr ©eheimrath, ber 
SBurftmerf faft ebenfo h a 6 te , wie Sriflen unb Xabafraucf), 
uerhehlte feine 3Ri|ad)tung Dor Öa fRoche’S öeibfpeife nicht. 
»Der ©chaufpieler, ber aber fchon bajumal Don feiner geilt» 
fdjmedetei nicht geringer bac£)te, als Don feinen fünftlerifchen 
öeiftungen, oerfuchte eS, baS Sorurtheil beS |»errn ©eheim» 
ratheS burch einen ©egenbemeiS ju entfräften. ®et Dlgmpicr 
liefe fid) benn auch herab, ein bifecf)en Deräcfetltch Don ber 
SBurft ju foften; bie fßrobe munbete bermafeen, bafe ©oetfe 
fich Don Siertetftunbe ju Siertelftunbe angelegentlicher banwih 
umfafe unb juguterlefet öa fRocfee nicht einen Siffen übrig 
tiefe. „SSer biefe SBurftgefcfei^te Don Öa fRocfee nicht gehört, 
wer feine ©oethe abgegudtc ÜRimif beim erften geringfc^h’9 en 
unb jebem folgenben, immer wohljufriebeneren ©inbife nicht mit 
angefehen, hat eines bet luftigften unb Doßenbetften ©a&inete» 
ftüde feinet ©fjarafterfomif oerfäumt," behauptete ©abillon. 

S)er Zünftler ftanb Dom Slnfang feines Aufenthaltes in 
SBien auch mit §ebbel in perföntichemS3etfef)r. ©r fanntebie 
„iRibelungen" noch tat Sßfanufcript. 3h m war Slrt unb ftunft, 
baS irtnerfte SBefen beS öanbSmanneS, bie gefeeirnfte Slbficht 
beS 3)id)terS Dertraut. ®er ®ithmarfd)er fanb folcheS SBohl* 
gefaßen an bem SRedlenburger, bafe er ifern auf ftunben 
langen ©pajiergängen aße möglichen SlrbeitSpläne entrollte, 
über aße $inge beS Rimmels unb ber ©rben philofophirtc 
unb jwifchenburch Diel auS feinem öeben erjählte, fo oiel, 
bafe ©mil Äufe, als et an bie SluSarbeitung feiner Siographie 
ging, ©abißon um eine ®cnffcf)rift bat. @t Wißfaferte biefent 
2Bunfd;e fofort, unb einer ber merfmürbigften 3üge auS bem 
Sugenbleben beS ©icfeteS ftammt auS biefem SRemoranbum: 
wie ein Dor ©eridjt gefabener Stnecfet, auf wieberholteS ©rängen 
beS SlirchfpieloogteS SRofer in SBeffelburen, ju antworten, 
enblich fagte: „SBatt fdjuß if benn feggen, if bun ja all 
boob!" unb nach biefeit SBorten Wirtlich Dom Schlage gerührt 
jufammenftürjt. ©ie anberen Stätter Don ©abiflon’S Sluf» 
jeicfenungen finb, nach ©mit Stuh’S ©ob an fRubolf Salbei 
gelangt, webet in beffen ÜRacfelafe, noch in fjeli? Samberge 
papieren ober Don ^ebbel’S SBittwe wiebergefunben worben- 
§ebbel’S Sriefe an ©abißon finb Derjettelt worben, fo bafe 
Don ihren Dielen gemeinfamen ©rlebniffen nur ein paar Sinei 
boten burch gelegentliche Ueberlieferung fich erhalten haben, 
©o bie ergöfelicfee ©efcfeid)te, wie ©abißon ben ©ichter einmal 
wieber in feinem Drther Räuschen befucht, unb $eb&el in 
hefler Serjweiflung finbet. fiebbet wollte einen fleinen 3“‘ 
bau aufführen taffen, ton bem er fetbft erflärte: „So fiel 


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Nt. 3. 


Sit Gegenwart 


41 


HJiüfye bat mir fein Stet eines TrauerfpieteS gemalt, mit 
biefer Sntfdjlufe.“ 3 u00t biefe ft aber, ben SauconfenS boit 
bem juftänbigen ©cjirfSamte ju erroitfen. Unb ber grofee 
Genfer unb Siebter roar ooüfommen ratlos, wie eine folcbe 
(Eingabe ju ftilifiren fei. Ungläubig unb oertounbert fab er 
©abiQon an, als ficb biefer erbot, ibm aus ber ©erlegenbeit 
ju helfen- Unb als ber ©urgfdjaufpieler gar mit bem juft 
jur §anb liegenben ©leiftift baS ®efud) ju ©apier braute, 
fagte £ebbel im Tone tieffter Ueberjeugung: „3<b banfe 
S^nen! baS ift febr bebeutenb!" — ©eroiefeiiger roar baS 
©Bort beS did)terS, als ©abiQon bei ber ©eneratprobe ber 
„SWibelungen" roiffen wollte, ob fjebbel mit feiner £>agen= 
9J?aSfe jufrieben fei. Stuf bie grage: „SBie feb’ idj aus?" 
folgte bie lapibare Srtoibetung: „SBie ein ®eroitter!“ Wan 
fann bie Srfcbeinung beS ©abiüon’fcfeen „$agen" nicht 
bfinbiger unb marfiger ebarafterifiren. tiefem Tronjer 
glaubte man Wirflicb unbefeben, bafe nur ein ©iegfrieb il)m 
an Sörperfraft geworfen fei, bafe er im Stanbe fei, gelS» 
blöcfe fpielenb in ben 9Ftf)ein ju f^leubern. der „§agen" 
blieb benn auch ©abiüon’S befte unb beliebtefte Nolle, 
©tbon auf einer ber erften „Nibelungen"»©toben er* 
eignete ficb ein 3 ro ifcbenfaQ, ber burdjauS ebarafteriftifeb für 
ben darfteQer roar: im legten Siete, ba „©iegfrieb" jur 
öueQe ging, um ju trinfen, löfte ficb „£>agen“ oon ber 
©ruppe ber ©utgunber unb ftellte ficb mitten auf bie ©übne, 
um mit weit auSgreifenber ©eroegung ben ©peer nach bem 
®racbentöbter hinter bie Souliffe ju fcbleubern. da unter« 
brach Saube bie ©eene mit ben ©Sorten: „das gebt nicht, 
©abiQon, ©ie muffen hart an bie Souliffe treten, benn wenn 
ber ©peer in bie Souliffe fliegt, fo ift baS ©tücf auS.“ 
©abitlon fab ihn fd^arf an unb erwiberte: „da hoben ©ie 
recht, 4?err director, aber wenn ich ben „§agen" fpiele, fliegt 
ber ©peer nicht in bie Souliffe!" Unb in ben 31 Saferen, 
in benen er ber „§agen" beS SurgtfeeateTS geroefen, traf et 
nicht nur richtig, weit hinter bie ©eene, fonbent er machte 
.. jfcfe fogar ben ©pa& babei, roirfticb baS Wal eines Sinben* 
Wittes, wie eS ficb auf „©iegfrieb’S" ©djulter befinben foQte, 
ju burdjboferen. Sr liefe nämlich auf jenem ©trofefad, ber 
ben ©peer aufjufangen hotte, ein bunfelgemalteS Sinbenblatt 
befeftigen unb traf ftetS mitten hinein, fo bafe ficb i u jener 
©eene gern mehrere 3ufcfeauer hinter ber Souliffe einfanben. 
Wit grofeer ©ortiebe betrachtete dingelftebt biefeS £>agen* 
„©tiidtel", aber mit befonberer ©pannung bovrte ber Sn* 
fpicient Wiebelt) jebeSmal beS SBurfeS, unb fagte barnacb be* 
friebigt unb triumphirenb: „Segt hot er ihn 'troffen!" Wan 
erjäfelt fogar, bafe ®abiHon ben ©peer einmal fo fräftig ge* 
fcbleubert höbe, bafe biefer bur<h ben ©trofefad fuhr unb an 
baS Wauerroerf anpraQte, oon bem ein ©tücf polternb jur 
Srbe rollte, unb baS ©ublicum ficb fefeier barob oerwunberte, 
wie hott „©iegfrieb’S" Sörper auf bem SBatbboben auf* 
gefallen fei. 

Ueber folgen Nebenfacfeen würbe bie £auptfadje nicht 
oergeffen. ©abiQon’S „£agen" befafe nach £>eoefi’S 3eugnife 
„ben feödjften, patbetifchen ©til. SBer bat oor feinem „Tronje" 
nicht gefdjaubert? Sr hotte eine Slrt, mit allem blutigen 
Srnft ju machen, bafe er nur ju erfefeeinen brauchte, um ben 
©aal mit SQufion ju füllen. SQufion, baS ift ja baS legte 
©efeeimnife ber ©ühnenroirfung. Jpeute fagt man bafür 
©ttmmung, aber SQufion ift beim Tfeeater richtiger, benn eS 
brfidt baS ©ortäufeben aus, ben Äunftbetrug als SSefentlicfeeS 
in ber ©cbaufpielerei. SluS ®abiQon’S perfönticbem SBefett 
floffen ihm bie £>ülfSmittel baju. SBenn „fragen" in boQer 
Nüftung auftrat unb feinen grofeen eifernen ©efeitb leife oor 
[ich au f öen Boben ftügte, fo hörte man beim Sluftappen 
ber unteren ©djilbfpige auf ben ©oben fofort an, bafe biefer 
©ebilb jroanjig ©funb fdjroer war. Noch roar fein SBort 
gefaflen, unb baS ganje §auS hatte bereits ben Sinbtucf oon 
etiPaS aufeerorbentticb kräftigem. SEßenn „§agen" Äönig 
Sgel’S ©öhntein bom Äiffen nimmt, mit einem raubthier» 


mäfeigett 3 u 8 te Ü en feinet beiben Jpänbe, fo jagt man ficb 
unroißfürlicb: ®er fommt nicht lebenbig auS biefen ^änben." 
SS entjiebt ficb unferem Urtheil, ob unb wie weit ®a« 
biUon in bie ©arfteüung beS „Sagen" Srinnerung an SBefen 
unb ®ehaben beS ®id)terS aufgenommen; ©peibel nannte 
feinen „Sagen" in biefem ©inne ein lebenbigeS ©enfmal 
Sebbel’S. ®eroife ift, bafe ©abiQon in biefer Aufgabe als 
Nfenfcb unb Äünftter fein SefteS einfegte. 

3iemlicb unerquidlicb roar aber baS ©erbältnife beS 
@cbaufpieler*ShepaareS ju feinem ®irector. Saube bot in 
feinem ©urgtbeater*©ucfe benn auch bie „febarfe" ®ame unb 
ihren ®emahl nicht gefdjont. ©itber ift, bafe 3erline bie 
©eele aQer gegen ben jfeeatertbrannen gerichteten ©erfchroö* 
rungen roar, unb bafe ©abiQon, ber feinem Sntbeder boch 
®anf fchulbete, aQju bereitwillig feiner leicbt beleibigten 
©attin fecunbirte. 3Wit ben Sahren milberte fleh bann bie 
Spannung im äufeeren ©erfebre. Saube lub ©abiQon auf 
feine Sagben, unb in feinen „Srinnenlngen" war ber ©tolj 
auf bie burd) feine Snitiatioe bem ©urgtheater gewonnenen 
Talente beS ShepaareS ©abiUon ftärfer als ehebem baS 
Neffentiment beS bartbebrängenben unb hartbebrängten, eben 
entlaffenen SJireetorS. SBie febr ©abiQon felbft aber bemüht 
roar, im Saufe ber 3«t ä“ einem unbefangenen, ©uteS unb 
minber ©uteS ber Saube’fcben ©urgtbeater»©eriobe gerecht ab* 
roägenben Urtheil ju gelangen, jeigt ficb in manchem ©rief unb 
E£agebucb*Sintrag. Sm ©efpräch fafete er feine fNeinung über 
Saube in bem fnappen, erfeböpfenben Sag jufammen: „®er 
gehört ju unS!" (©ebaufpietern.) S)aS roar bei aQebem baS 
hoffte Sob, baS ©abiQon einem Theaterleiter fpenben fonnte. 
®enn feines SracbtenS waren echte Tirectoren nur diejenigen, 
bie wie ©chrehboget unb Saube berftanben, ©chaufpieler m 
entbeden, ju erziehen unb im dienfte echter dichter ju aQ* 
feitiger Sntroidelung ihrer SSünftlergaben ju führen. 

Studb ju Otto Subroig unterhielten ©abiQon’S freunb* 
fchaftlicbe ©ejieljungen. Sr war, erjählt bie Tochter, ein 
aufeergewöbnlidj befebeibener unb jurüdbaltenber Wann, 
ohne ©ofe, ohne Äomßbianterei, echt, flar unb wahr — 
roie fein „Srbförfter" — oieüeicbt auch ebenfo eigenfinnig. 
Saube meinte, ©efcheibenheit fei gewöhnlich Scheu, Unfi^er» 
heit. Otto Subroig aber imponirte ihm: baS roar ein noch 
nicht bageroefener Wenfcb! SBie fann man ben „Srbförfter" 
gefdjrieben hoben unb befebeiben fein? das roar gerabeju 
beängftigenb! Sr nannte ben „Srbförfter" bie bebeutenbfte 
Schöpfung ber Neujeit. die ©reffe mit wenigen Ausnahmen 
roar gegen baS ©tüd. der gröfete Tfeeil beS ©ublicumS 
ebenfaüs. Wan nannte eS roh, gtaufam, ben legten Siet 
haarfträubenb. du lieber ©ott! SBie fonnte einem ©ubli* 
cum, baS für Solm unb Wofenthat fchroärmte, manchmal 
auch Otto ©redjtter ein bifedjen gelten liefe, ber „Srbförfter" 
behagen? Nach Saube’S Weinung roar ein Srfolg nur bann 
ein wirf lieber Srfolg, wenn er reiche Tantieme im ©efolge 
hatte. Sr befdjroor Otto Subroig, aus bem Trauerfpiel ein 
©djaufpiel ju madjen, baS ©tüd gut auSgehen ju taffen. 
„daS wäre ein neues ©tüd", meinte Otto Subroig; „wenn 
man nicht nach bem erften Siete fühlt, bafe ein tragifcher 
SluSgang nothroenbig, bramatifch geboten ift, bann bewältigt 
ber darfteQer beS .SrbförfterS* feine NoQe nicht. Slnfdhfig 
giebt mir mit feiner darfteQung recht!" — „Sowohl", ent* 
gegnete Saube, „Stnfcbügü Unb »er noch? STnfdjüg ift ber 
Sinjige, ber baS fann. der alte Jperr ift jur ^älfte ein 
Söroe, jur ^älfte ein ©teinbod, unb, roaS bie ^auptfa^e, 
burch unb burd) wahr! fjinben ©ie einen 3*®eiten, fo 
bringen ©ie ihn bet — ich wiege ihn mit ©olb auf, unb 
wäre er noch bider als ber Sitte." —Saube rebete oergebenS 
in Otto Subroig hinein- die StuSficbt auf fünfjig grofee 
Tantiemen lodte ben Wann nicht, ber, bnngtifl unb frierenb, 
in elenber daebfammer, mit glühenber ©egeifterung niete 
Tage unb Nächte gearbeitet. 

Sin fjübfcbeS ©cifpicl, roie ein Äomöbiant auch einen Waler 


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42 


Die Gegenwart 


Nr. 3. 




leferen faitn, weife grau Ipelene oon intern SSater unb HRafart 
anjufüferen. SineS JageS, eS war im Safere 1873, äRatart malte 
eben an „Satfearina ©ornaro", traf ©abiHon ben greunb 
ganj Oerftört unb in feiner leifen, nadfe langem ©cfeweigen 
fc^nell feeroorfprubelnben Strt flagte er: baS S3ilb fei ber 
©oHenbung nafee, nur eine gigur, bie beS Senators ber 
fRepublit ©enebig, WoUe ifem niefet gelingen, unb er fönne 
burefeauS lein paffenbcS SRobeH bafür finben. ©abiHon über* 
blidte rafd) bie (Situation, warf baS ©urpurfletb beS ©ene* 
jianerS über fiefe, baS noefe auf einem ©tufele lag, unb fagte: 
„Sefe wiH bir ju bem SRanne Derfeelfen, aber bie ©teflung 
wafele iefe felber!" Saum war er feintet ben ©effel getreten, 
Don bem auS SfepernS gürftin anmutfereiefe baS ©ilb be= 
feerrfefete, unb !aum featte er fiefe auf bie Sefene geftügt, wie 
eS ber ©organg feeifefete, fo rief HRafart fefeon feoefeerfreut: 
,,©o bleib ftefe'n!!" 3m SRu feielt er auefe ein §oljbrett oor 
fiefe unb malte unb malte ofene Unterbrecfeuug, ofene feine 
auSgegangene Sigarre auefe nur wieber anjujünben, fcfeweigenb 
unb glfidliefe jwei ©tunben lang. Senige Jage barauf ftanb 
Senator ©abiHon im grofeen ©ilbe. Jie ©Eijje aber fefeenfte 
2Ra tart feinem HRobeH. 

SReefet intereffant ift enbliefe bie ©tedungnnfeme ©abiUon’S 
ju ben „neuen fRicfetungen", bem iRaturaliömuS unb 3bfen. 
äBofel gab eS einen Naturalismus, ber ifem üolllommen 
feomogen War; mit ipebbel, Otto Subwig, Steift, §anS 
©aefeS, §ebe(, fReuter, ©ifefeer ging er gern, fpäter auefe mit 
Ülnjengruber, beffen „©ternfteiiifeof" ifem einen öieHeicfet noefe 
gröfeeren Sinbrud maefete als bie bramatifefeen SSerfe, für 
beren Sluffüferung im ©urgtfeeater er fiefe naefe SRögliefefeit 
einfegte. 9llS aber bie neue Strömung üon SRorben feer 
©üfene unb ©üefeermarft überflutfeete, Sbfen’S jerfefeeube 
ÜRacfet fiefe entfaltete, unb mit ifem all’ bie ©rofeen unb 
Steinen, bie ifem folgten, unb bie wie ÜRepfeifto jum „ipertn" 
tarnen, um „nur immer anjutlagen" — ba erflärte ©abillon laut 
unb grab feerauS, wie immer, biefe fRiefetung oerftefee er niefet! 
Sr meinte: anjutlagen gäbe eS leiber genug auf ber SBelt, 
unb feat eS immer gegeben, aber bafe nur bergleicfeen ganj 
troftlofe unb enge menfefeliefee guftänbe, wie fie ben ©eriefets* 
faal, baS Sriminal, baS Sranten* unb SmnfeauS, bie ©er* 
fammlungSorte ber ©ocialiften füllen, juft ben Sern ber 
mobernen Sunft auSmadjen follten, in einer 3 e ’t» in ber eS 
Weltumwäljenbe, ganje SReidfee erlöfenbe Stiege gegeben, unb 
grofee Srfcfeeinungen auf allen ®ebieten tnenfcfeliefeer Jfeat* 
unb ®eifteSfraft, baS tonnte er niefet faffen, ber ben Sbeaten 
feiner Sugenb untrennbar treu geblieben, unb in bem fcfeönen 
ÜBafene lebte unb ftarb .. unb bie ©onne §omer’S, fiefee, 
fie leudfetet auefe uns — —" 2llS ©efeaufpielcr freiliefe 
feätte er in feinem reiefeen SRatureH aHe Stimmungen unb 
garbentöne für fRoHen jener neuen fRicfetung in bollern HRafee 
gefunben — burdfe bie ©ertörperung beS HRaurerS „HRattern" 
in „Ipannete" featte er baS bewiefen, bie als eine feiner un* 
oergefelicfeften Seiftungen auefe bon ben güferern ber SRobernen 
anerfannt würbe. „J)aS fonft fo eble 3nftrument feines 
Organes," fefereibt grau £elene, „wufete er auf bie ber* 
rofeten, raufeen Saute beS oerfommenen ©äuferS umju* 
ftimmen, unb — bem Jraumbilb angemeffen — etwas 
potppfeem*cfetlopenfeafteS war barin, ber fefereefliefee HRcircfeert* 
■IRenfcfeenfreffer, bem man nidfet entrinnen tonnte! ©benfo 
fefeauberfeaft war auefe bie HRaSfe, bafe, wer ifen felbft in ber 
SRäfee fafe, wo ber Sinbrud beS ©efefeminften, ©emaefeten un* 
oermeibliefe wirb, fiefe beS ®rauenS niefet erwefereit tonnte! 
SBeldfe’ luftiges ©egenftüd jurn bösartigen Säufer fteUte er 
in ber HRaSfe beS bümmften ber ©ierpfeiliftcr als 3>mmer* 
mater „©eifert" in „SoHege Srampton" auf bie ©üfene. So 
flein bie Stolle aud) ift, er erjielte burdfe baS ®roteSfe feiner 
Srfdfeeinung, burefe baS gutmütfeige, bornirt*felbftgefälIige ©e* 
feagen, baS oon ifem auSging, bie OoHfte ©Jirfung." Jicfe 
beiben Printer üerfdjiebencn ©rabeS Waren bie einzigen Stollen, 
bie er in ^auptmann’fcfeen ©tüden fpielte. 


SReferere Safere oorfeet, Äprit 1891, war 3bfen in SBien 
gewefen bei ber erften Sluffüferung feiner „Sronprätenbenten" 
im ©urgtfeeater. Naefe ber ©orfteHung würbe bem gefeierten 
®icfeter ein grofeeS ©anfett gegeben, bei bem befonberS bie 
afabemifefee 3ugenb eS ftefe angelegen fein liefe, ifem ju feul* I 

bigen. ®abiüon fafe bei Üifdfe in feiner näcfefteu 9täfee, ooll 
Sntereffe ben eigenartigen Sopf beS StorblänberS ftubirenb, 
in bem bie geiftfunfetnben Sfugen reefet oon oben feerab ju* 
flauten: „wie baS ©öltlein ber ©fegmäen unten bumme 
©aefeen maefet!" unb um ben ÜRunb feerum bittere, ironifefee 
galten, fo tief eingegraben, bafe man fafe, er felbft mürbe fo 
wenig einmal feerjfeaft lacfeen fönnen, als irgenb ein 9Renftfe 
in einem feiner Stüde. $ber trinfen tonnte er! Unb jmar 
mit einem ©leicfemutfe unb einer ftiüeu SluSbauer, bafe man • 
babei an ben „©enator SBaltfeer" in |>auff’S „©remer 
SRatfeSteEer" benfen mufete, ber einen tleinen filbernen Ipafen 
im Sopfe featte, burefe ben er ben SSeinbunft wieber feinauS* 
taffen tonnte, unb fo ganj gemätfelicfe ©eefeer um ©eefeer ju 
leeren üermod)te. 3Rit ebenfo grofeer gaffung nafem 3bf«n 
bie feodfeftrebenben geftgebiefete feiner jungen Slnbeter entgegen, j 
er featte unter feiner meifeen Söwenmäfene bafür waferfefeein* 
liefe ein anbereS ©entil, um auefe jenen ‘Eunft fcfeneU loS ju ; 
werben! SllS ber ©orratfe an Slnfpradfeen, SToaften unb 
©ebiefeten erfcfeöpft war, unb baS ungeftörte Printen begann, 
würbe auefe Sbfen, ber bis bafein gefefewiegen, enbliefe reb> j 
feliger, unb mit feinem leifen, eigentfeümliefe fefenarrenben ! 

Organ bantte er ©abiHon bafür feerjliefe, bafe er mit ber 
Uebernafeme ber winjigen SRoHe beS ©etruntenen im „©oltS* 
feinb" ber ©eene ein feumoriftifcfeeS Sicfet aufgefefet fea6e. 
Slber trofe aller guten SSorte beS SicfeterS legte ©abiHon bei 
bem x*ten ©lafe unauffealtfam loS: ba er 3bfen nun boefe ein* 
mal als SBaferfeeitSfanatifer tennc, fo müffe er ifem auife 
waferfeeitSgetreu geftefeen, bafe er bis auf bie „iRorbifefee $eet* 
fafert" unb bie „Sronprätenbenten", mit feinem feiner Stüde 
cinüerftanben fei! Unb fefete baS fo flar unb umftänbluj 
auSeinanber, als cS bie fefeon öorgerüdte ©tunbe geftatäfc! 
®ocfe ber grofee SEBaferfeeitSapoftel würbe nun erft reifet ijt« 
mütfelicfe, fo fefer er eS nur fein tonnte, unb bie beiben 
5Redett tränten wie bie alten ©ermanen „immer nodfe Sin8‘ 

— bis fie enbliefe mit ganj wenigen ©etreuen einfam an ber 
langen, leeren gefttafel fafeen, unb als ber grüfeliitgSmorgen 
feeU feerauf gefommen war, umarmten fie fiefe ©eibe warm 
unb feft jum Slbfcfeiebe! iErofe biefer Umarmung im 3 t '^ en 
beS SfeampagnerS, notirte ©abiHon in fein üagebudj an ben 
barauffolgenben Jagen mit grofeer ©enugtfeuung bie leeren 
Käufer bei ber „Sßilbente" unb bem „©olfSfeinb". SD?it ber* 
felben §erjenSfreube oerbreitet fi<fe baS Jagebud) auefe über 
Ipauptmann’S Ntifeerfotge im ©urgtfeeater j. ©. über bie „Sin* 
famen SRenfefeen“ 189i. 

„Stbgefefeen oon ber fRicfetung, weldje miefe perfönlitfe an* 
wibert, ift ?lfleS flein ittib auSgetiiftelt. J)ie giguren fmb J 
aüe mefer ober weniger wafer, aber bie Situationen finb bei ] 
ben fiaaren feerbeigejogen. SS fefelt jebe ©pur oon fjanb* ’ 
lung. J>ie Sonflicte, bie baS Jrama in gtufe bringen foflen, 
finb uns fefeon in ber erften Ipälfte beS erften 3lcteS OoH* 
fommen flar. 21 ber niefets gefet oorwärtS, nidfetS entmidelt 
fiife, ?UIeS läuft feintercinanber im Sreife feerum, bis fefeliefe* 
liefe ber SreiS ein Sod) jeigt, in baS 2lüe feineinfpringen unb 

— oerfefewinben. ®er §elb, ben oieHeicfet wofelgejäfeUe günf* 
unbjwanjig grünbliefe curiren würben, erfäuft fiefe, feine grau 
ftirbt bemnäefeft, unb bie alten Sltcrn, bie furefetbar fromm 
finb, gefeen natürliefe an bem gottlofen ©ofen ju ©runbe. 

JaS fleine Sinb mufe fo fränfliefe fein, bafe eS beim erften 
©efenupfen bie JipfetfeeritiS befonimt; §err ©raun unb grau* 
lein SHfafer werben fiefe in nifeitiftifefee Umtriebe oerwideln, 
er fontmt nad) ©panbau, fie na<fe Sibirien, übrig bleibt nur 
bie 2lmme, bie aHerbingS ferngefunb fefeeint unb waferfefeein* 
lid) noefe oiele Sinber auffäugen wirb. 3d) oerliefe bie ißrobe 
in jornigem Sagenjammer." Unb jwei Jage fpäter feeifet ee 




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Nr. 3. 


Die Gegenwart 


43 


»on bet Sfuffüferung: „©etljetlter Srfofg. ®ie ®aüerie mit 
ben' unreifen, neubramatifdjen S9uben befefet, applaubirte big 
jur ©eroufetlofigfeit; injtoifdjen würbe gejifdjt, unb bei ben 
ernfteften ©eenen gelacfet, man liefe fiel) bie ÜKarterei nid)t 
gefallen." (Sineit literarifc^en klopffester uitb ®efcfeäft§= 
agenten Don §anptmann unb Sbfen als ©irector feineg lieben 
$}urgtljeaterg ju feljcit, — biefen ©djmerj nod) ju erleben, 
blieb ©abillon erfpart. @r ftarb nad) 42 jäljriger önrgfunftler* 
fefeaft im gebruar 1896. ©eine grau ® Qr tfjm Di« 3af)re 
früher uorangegangen. 


+ 4 - 1 - 


3?cuiITrton. 

- Waltrud verboten. 

Der ODertuolf. 

©on Ulejanber Bubtfcptfcpeu). 

fianbridjter Xalibin, ein blonber, nerüöfer junger Sttann, figt in 
feiner ©anzlei on bem mit rotpem Xucpe gebedten Xifcpe. ?fuf feiner 
©ruft bligt eine noch ganz neue SRebaiüe. Sn ber Stube ift eS febwül 
unb bmtftig; eS riedjt naep Schafspelzen unb Schmeiß. ©or bem 2anb== 
rieptev, zroei Schritte üom Xtfd) entfernt, ftehen ein noch junger ©urfepe 
oon etwa zmeiunb^roanzig S^h^n, podenttarbig unb finfter, unb ein 
Wann in reiferem SUter, mit fcpmeichlerifd) läcpelnben klugen. Xer 
Sungere pat einen jerriffenen Schafspelz an, ber SUte einen langen 
fRod an, wie ihn bie ftäbtifchen Kleinbürger tragen. Leiter hinten auf 
ben ©äitfen an ber ©anb figen einige Säuern in Schafspelzen, mit 
beigen fcpweifjtropfenben Stirnen. Xer fianbriepter blättert in ben 
Elften, erhebt bann enblicp feine klugen unb menbet fich an ben ©urfepen 
mit ber grage: „9llfo Sie finb 2lgap Xubirin? So? Unb Sie ber 
Kleinbürger ^jScftrjaiuotfdjftn ? y/ ©eibe niden mit bem Kopfe. „9llfo 
Ägap Xubirin", fährt ber 2anbricpter fort, „Sie finb, wie id) fepe, an= 
geflagt, in ber 9kcpt born 27. auf ben 28. Xecember auf ber ©emetnbe= 
tenne burep einen glintenfepufe ein bem Kleinbürger ©eftrjawotjepfin ge= 
höriges fchedigeS Sdjmein oerwuitbet zu paben. Räumen Sie baS ©er* 
j$etjt>ein?" 

Xer finftere ©urfepe blidt eine XBeile auf ben Sanbricpter unb 
nxnbet bann feinen Süd zur Seite. „©uer ©opigeboren", beginnt er 
enblicp, bie ©orte mit Wüpe peroorftofcenb, „icp pabe, ©uer ©opigeboren, 
ihr ja fdjon früper gefagt: lag baS, Slgafcpfa, füpre mid) niept in ©er= 
fucputig . .. ©aS geroefen, ift gewefen, genug jegt. . . Slber fie, an= 
ftatt..." 

„©elcpe Sie?" unterbridjt tpn ber 2anbricpter. 

„ s B£eine grau, natürlich, Slgafcpfa", antwortet ber ©urfepe. 

Xer fianbriepter zudt ungebulbig bie Schultern. „Sch frage Sie 
nicht nad) Sprer grau", ruft er auS. „Sie pabett bitrcp einen glintens 
jcpuB ©eftrjarootfcpfin'S Scptoein oerrounbet, unb barum paben Sie fiep 
bor bem ©efeg zu oerantworten, erftenS für bie ©erftümmelung eines 
XpiercS unb zweitens für ben bem Sefiper zugefügten Scpaben im ©c= 
trage oon brei Rubeln. ©aS fönnen Sie alfo zu SP^er ©ertpeibigung 
oorbringen?" 

Xer ©urfepe fepmeigt unbatpmet fepmer, Scpmeife 5 eißt fiep auf 
feiner Stirn wie tropfenbe ©acpStpränen. „XaS !ann id) oorbrittgen", 
ftö&t er enblicp perauS, „bajj icp tpr fepon früper gefagt pabe; lag biefe 
Xumntpeiten, Slgafcpfa, fagt y icp . .." 

„Sie fagen ja immer baffelbe", fdjreit ber Sanbricpter. „§ören 
Sie mal, ftellen Sie fiep niept bümmer als ... unb erzäplen Sie ber 
Steige nad). ©aren Sie in ber 9?ad)t bom 27. auf ben 28. Xecember 
auf ber ©emeinbetenne? 3<* ober Stein?" 

„Sa." 

„©aS madjten Sie bort?" 

„SlicptS machte icp • • •" 

„©ozu patten Sie benn eine glätte in ber £>anb?" 

„Kann man einen &afeu etwa mit bem Stode fepiegen?" ant= 
roortet ber ©urjepe. „3<h lauerte auf ber Xenne einem £>afen auf, 
benn zu ben £itfepaufen fcplicp ftd) immer ein £>afe." 

„9ia, ba paben wir’S ja", ruft ber fianbriepter, offenbar erfreut, 
einen gaben gefunben zu paben. „Sepr gut. Sie fapen alfo auf ber 
Xenne unb lauerten einem £>afen auf. ©aS gefdjap naepper?" 

„Xa fommt fie auf bie Xenne pergelaufen." 

„©elcpe — Sie?" 

„Wgafcpfa, meine grau. 3<P f^ring y auf fie loS: Slgafcpfa, fag' 
icp, laff 1 biefe Xumntpeiten, füpre bie Wenfcpen niept in SSerfucpung ... 
&ber fte gminfert blop mit ben klugen. S^P wieber: lap baS, ^Igafcpfa, 
fei tlug .. . Sie aber maept nur fo unb wadelt }o mit bem Kopfe." 
Xer SBurfcpe apmt baS ©runzen eines ScpweineS naep unb berbrept 
feinen Kopf. Xann fäprt er fort: „So brept fie alfo ipren Kopf unb 


grunzt, baS peipt fo Diel alS: ,3<P ?ann r S niept laffen/ Xa überlieFS 
miep unb icp tnallte baS ©ewepr ab. Sluf meine grau, baS peipt, fie 
gept alfo als Scpmein um. " 

Xer Surfcpe fepmeigt. Xer Sanbricpter fiept ipn mit weitgeöffneten 
klugen an, feparf unb lange, als befäntte er fiep auf etwas, unb fagt 
bann langfant: „Sie fepoffen alfo auf ^eftrjawotfcptin'S Scpwein, weil 
Sie meinten, eS fei 3^*e grau, bie als Scpwein umgepe? 9?icpt?" 
Scpwer unb zö 9 entb ftöpt ber Sanbricpter biefe ©orte perbor, als fürepte 
er fiep bor bem Klange ber eigenen Stimme, unb zule&t gueft er gar in 
ben Scpultem zufantuten. „$idjt wapr?" fragt er beinahe ängftlicp. 

„Natürlich fap icp, bap fte eS war", antwortete ber Surfcpe fepnier- 
fällig. Xer Sinn feiner ©orte fepeint ipn gar niept zu beunruhigen. 
„Unb waS bann weiter?" fept.ber fianbrtepter fein SSerpör fort. 
„Xann rief icp alfo jroei geugen", antwortet finfter ber ©urfepe, 
„wie ficp'S gehört naep bem ©efe^, unb wir traten in’S §auS. Wgafcpfa 
lag auf ber 33ant. Sch fagte: ?lgafcpfa, fagt' icp, Xetnen 9?od 
auS. wir wollen Xicp unterfuepen! 9ln ber £>üfte, baept' icp nämlicp, 
mupte man Scprotlabung fepen ..." ®ier unterbricht ber öurfepe feinen 
fRebeflup, benn bön ber ©an! an ber ©anb erpebt fiep ein langer ©auer 
mit einem Solbatengeficpt unb ruft: 

„©uer ©opigeboren, Spuren (onnten ba gar niept fein, ba er bie 
ganze Sacpe falfcp angefangen patte. Sch patte tpm gefagt: 9?imm, patt’ 
icp gefagt, eine glode ©oüpaar, tränt* fie mit Xerpentin unb nimm 
fte bann als ©olzen zur Scprotlabung " 

„Scp tonnte feinen Xerpentin befontnten", antwortet ber ©urfepe 
pplegmatifd), „auf bem §errfcpaftSpof, nirgenbS frtegte icp ..." 

„©er ftnb Sie benn?" fragt ber Sanbricpter ben Solbaten. 

„Scp? ©olizift. 3cP war alS 3 eu ge bei bem Slgap, alS wir feine 
grau unterfuepen wollten." 

„Unb finb Sie jept auep in biefer Sacpe citirt?" 

„gu ©efepl, nein; icp bin wegen beS ©ferbegefcpirrS ba." 

„Xann warten Sie unb fcpweigen. ©aS war benn weiter?" 
wenbet ftd) ber 2anbricpter an Slgap, unb fein ©efiept fpriept wieber 
oon Scpnterz unb ©ntfepen. 

„34 fagt* ipr alfo: ziep’ Xicp auS, Slgafcpfa", fäprt ber ©urfdpe 
fort, „unb ba wirft fie fiep üor mir nieber unb jammert: befepäme mich 
niept oor ben Seuten! peult fie. Xa würbe eS mir bor ben 5(ugen 
bunfel; icp padte fte an ben göpfen, bamit fte gefepeit fein foll.. •" 

„©olizift!" fepreit ber Sanbricpter unb feine Slugen funfein, 
„©ofizift! er pat eS gewagt, feine grau in 3P*er ©egenwail z u ntip= 
panbeln? Sie waren geug baoon." 

Xer Solbat erpebt fiep fcpnell Oon ber ©ant. Sein ©efiept ftraplt 
felbftzufrieben; er ift offenbar glüdlicp, fiep jept Oor bem ©ublicum pro= 
buciren z u bürfen. ©inen Slugenbltd zupft ftep zureept unb fagt 
/ bann: „gu ©efepl, ©uer ©oplgeboreit, aber in jenem ?Iugenblide war 
icp niept im £>aufc, fonbern nad) bem Sattelriemen pinauSgelaufen. - 

„TOt bem Sattelriemen banben wir 91gafcpfa bie |>änbe", erflärt 
finfter ber ©urfepe. 

„Xamit fie uns niept fragen foll", fügt ber ©olizeiauffeper läcpelnb 
pinzu, „benn baS weiß icp natürlid), bap wer oon folcp* einem ©eibe 
gefragt wirb, leicht bie Xoüwutp befontnten fann ... 34 beziepe mein 
©epalt auch niept umfonft", fdpliegt er, bie ©attern fel&ftbewufjt an= 
fepenb. Unb bie ©auern fepauen auf ipn mit üerftänbnifjüoller 3u= 
ftimmung. 

Unterbeffen fommt eS bem Sanbricpter üor, als Oerbreite ft4 in 
ber ©anzlei eine grope biepte ©olfe, bie SUIeS zu Oerfdjlingen brope. 
©ntrüftet i’iberblidt er bie Stube unb wieber erfepetnt auf feinem ©efiept 
ber SluSbrud beS ScpredenS. ,,©ört mal," fagt er, „ift eS beim mög= 
liep, bap SPr 9lüe, 9Ule bie Spt picr feib, aufrichtig baran glaubt, ein 
9Renfcp fönne ftd) wirfltcp in ein Xpier Oerwanbeln?" Xie Seute 
fcpweigen uitb atpmen fcpwer. „Unb Sie, Sie glauben auep baran?" 
fragt ber Üiicpter mit einem ©lid auf ©eftrjawotfipfin. 

Xer oerneigt fiep leiept unb antwortet: „ÜRein, icp glaube eS niept; 
ein SRenfcp fann fiep nicht in ein Xpier üerwanbeln." 

XaS ©efid)t beS ÖanbricpterS flärt ftep etwas auf. „9fa alfo," 
ruft er, „bann ift boep wenigftenS einer unter ©uep, ber an folcpeS geug 
niept glaubt!" 

„©in SRenfcp fann fiep niept in ein Xpier üerwanbeln," fäprt 
©eftrjamotfepfin bebäeptig fort, „wopl aber ein Xpier in einen ©tenfepen. 
Xa patten wir zum ©jem^el im Xorfe ©enfepow einen ©od . . 

Xem SauDricpter wirb eS grün unb gelb Oor ben klugen; fein 
©efiept fepeint plöglicp abzumagern, ©inen vlugenblid fdjweigt er unb 
fegt bann baS ©erpör fort: „Unb Sie prügeln 3P*e Swu fdpon lange 
auf folcpe 21rt?" fragt er ben ©urfepen. 

„XaS britte S&pr fepon fuep* icp fie zur ©ernunft zu bringen unb 
$WeS umfonft. Sag eS! fagen bie Seute, aber icp famt’S niept, weil fte 
mir leib tput. gür nicptS unb aber nicptS rüpr* icp fie mit feinem 
ginger an; aber in biefer Sacpe will icp, bafc fie *mal aufpört!" 

,,©o ift fie benn jegt?" fragt ber Sanbricpter. 

„Sie liegt int Scplitten, icp braepte fte mit. Soll icp fte polen?" 
„©olizift, rufen Sie bie tlgafcpfa Xubirin", befiehlt ber Sanbricpter 
unb fcpliegt fcpweigenb bie 5lugen. 3P«t bangt baoor, biefe Seute an= 
Zufepen. 

9iacp einer ©eile erfepeint 5lgaf4fa. 9?iept älter alS gwanzig, ein 
bla^eS, mageres, fteüenweife blau angelaufenes ©efiept, unb auS ipren 
großen klugen bliden ©ntfegen unb ginfternife. SP^ ©ang ift unnatür= 


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44 


Die Gegenwart 


Nr. 3. 


lief), in fielen ©inbungen, alß ginge fie unbewußt unb ohne jebe eigene 
©ittenßäußerung. Sin bern ©ange, ben fc^recferfüllten Slugen unb ben 
feft oufeinanber gepreßten Sippen erfennt man, baß fte ganz, biß gum 
lefcten ©rabe oerquält unb gefoltert ift. Sie tritt näper, wirft fiep ju 
©oben unb beginnt ppfterifcp ju fcplucpzen. 

„©ereepter, barmherziger SRidJter," murmelt fie unb fcpüttelt baß 
©aupt, „ftraf* rniep niept, icp pabe feine Scpulb . .. ©ine Sante ^atte 
icp freilich ... baß min ich nicht leugnen ... bie ging alß ©erwolf 
um ... baß paben SIUc gefepen .. . Slber icp . . . baß ift Süge, ©er* 
leumbung .. “ Sie fcplucpzt; im conoulfiüen 3ucfen gleitet ihr baß Such 
Dom $opf unb entblößt ihren weißen, oon Sattelriemen blau gepeitfepten 
©alß. „Saß ift ©erleuntbung, &üge. . . befepäme mich nicht bor ben 
Öeuten, barmherziger SRicpter! ...." fepreit fie auf, ppfterifcp fcplucpjeub 
unb ipr (Gefiept Derbecfenb. Sie ift überzeugt, bafe man fie zur ©eftep* 
tigung ipreß Äörperß per gefcpleppt pat. ©inige Minuten lang fcplucpzt 
fie, opne fiep Dom ©oben zu erheben unb frümmt ftep roie ein bünner 
3weig im geuer. 

Sa reifet bie ©ebulb beß Sanbricpterß. ©leiep unb mit bebenben 
Sippen fpringt er auf unb fpriept, lange naep Suft ringenb unb oft roie 
ein ©eib auffepreienb: „Scpaut per, maß 3pr auß biefer grau aemaept 
pabt! ©ofür pabt 3pr ft« gemartert? ©ie burftet 3Pr baßV ©er gab 
©uep baß SRecpt bazu? 3P* feib Sille, SlUe, Sitte fcpulbig unb 3Pr Sille 
habt eß zu berantroorten! ©iß jept roar icp zu ©uep gut unb nach* 
fieptig, weil icp baepte, bafe 3P r SRenfcpen feib. 3«fet aber fepe icp, maß 
3Pr feib! Spiere feib 3Pr, ©eftien opne SRitleib, opne ©erz unb ©er« 
ftanb ... 3« ©ifen mufe man ©uep aber legen ... icp ... icp roerbe 
©uep geigen! 3pr glaubt baran, bafe SRenfcpen fiep in Spiere Der* 
roanbeln fönnen, unb icp, icp pabe biefen ©lauben naepgerabe auep, 
roenn icp ©u$ anfepe! Spiere feib 3Pr, Don JEopf biß zu gufe, 
©eftien!. ." 

©äprenb biefer fRebe feproeift fein ©lief über bie SRenge, unb eß 
fepeint ipm, bafe alle biefe zerlumpten ©auem unb ©eiber benfelben 
Slußbrud beß ©ntfepenß unb Scprecfenß annepmen, roie ^gafepfa, aber 
er fann nlcpt mepr feproeigen. ©ie eine ©eile fcproillt feine fRebe an. 
©ei ben lepten ©orten reifet feine Stimme unb flüftemb, faum pörbar 
befiehlt er: 

„güprt biefe SRärtprerin um ©otteß ©itten roeg!" 

Ser ©olUift füprt bie fcplucpzenbe Slgafcpfa niept opne affectirte 
©ürbe zur Spur ptnauß. Sllß er zurücffeprt, fepreibt ber Sanbricpter, 
freibebleicp, mit neroöfer ©anb über baß ©apier faprenb, fein Urtpeil 
nieber. 3« ber Slmtßftube ift eß feitt. 

Ser ^olizift fept fiep zu einem oerbunbenen ©auem unb flüftert ipm 
leife zu, mit einem Äopfnicfen auf ben fRicpter roetfenb: „Slm Sonn« 
abenb fottte er lieber nitpt zu ©eridpt fipen, roeil er boep oott ift. günf 
Sage pält er'ß auß — niept einen tropfen, aber am feepften fäuft 
er wie ein Socp ... glafcpe auf unb bireft in ben ©alß . . . glucf* 
glucf=glucf." 

Ser ©auer pört zu unb antwortet, bie ©anb Dor ben SRunb 
paltenb: „Slpa, alfo barum auep! Unb icp fonnt' eß niept begreifen: 
rebet, rebet, opne bafe man auep nur ein ©ort baoon oerftept. Slber 
baß mufe man ipm laffen: ein ftrammer $erl, fo befoffen zu fein unb 
boep niept zu modeln!" 

3ept wirft ber Sanbricpter bie geber weg unb beginnt baß Urtpeil 
Dorzulefen: „3m Warnen Seiner SRajeftät..." ©r lieft laut, mit 
bebenber Stimme. Slgap Subirin ift zu zwei SRonaten ©efängnife unb 
fünf Wubel Strafe Derurtpeilt. 

Ser ©erurtpeilte frapt fiep lange ben Äopf unb überlegt, ©nblicp 
gept er finfter zur Stube plnauß. Sin ber Scpmefle flüftert ipm ber 
©olizift zu: „$u Warr, pab' icp Sir niept immer gefagt, nimm Ser* 
pentin bazu ..." Sie finb ©eibe feft überzeugt, bafe Slgap blofe wegen 
Slufeeracptlaffung biefer ©orfeprift Derurtpeilt worben ift. 

Unterbeffen oerlieft ber Sanbricpter mit immer noep bebenber 
Stimme bie näcpftfolaenbe Sacpe. Sa feplägt an fein Opr ein entfep* 
lieper Scprei. Slgafcpfa wirb naep ©aufe gebracht... 


Jlit$ 6« ^auptjtabt. 


Die stummen bes Serails. 

„3«P laffe mir unferen beutfepen fReicpßtag niept Don 3Puen oer^ 
fleinern", attaefirte bie junge grau ©elbftem ipr läcpelnbeß ©egenüber. 
Sie maepte feit ber Hamburger fRebe in ©olitif, befonberß wäprenb beß 
günfupr=Xpeeß. SRein ©ott, ^auptmann unb feine orbinäre ftanne 
Scpäl waren mit ber 8 e ü langweilig geworben wie baß Sprupß = fRau« 
tenbelein, unb für Subermann zu arbeiten, patte fepon gar feinen ftroeef 
mepr, fett er Döttig im Sanbe Don ©lanfenjee oergraben lag. „S^ein, 
®«rr fRörgler, bem Sffcicpßtage barf man SRanneßmutp waprpaftta niept 
abfpreepen. ©r wirb'ß peute wieber beweifen. Seiber fonnte icp bieß« 
mal niept babei fein; meine Scpneiberin ift fo fomifcp, wenn man fie 


warten lägt. Slber icp wopnte ber glorreicpen Sipung bei, — eß toar 
ein nebliger Xag, unb bie #iebler trug Slbenbß ein fo merfroürbigeß 
©oftüm — wo bie gnterpetlatton über ©ißmarcf'ß fRücfoerficperitngß= 
oertrag zur ©erpanblung ftanb, über bie berüchtigten zwei ©ifen im 
geuer, Sie erinnern fe^P »opl noep?" 

„3cp erinnere miep noep", beftätigte ber Suterpettirte unb blidte 
anbäeptig in bie Xiefe feineß ©plinberputeß. 

^fRun, wie gefielen 3Pnen bamalß unfere tapferen? ©ißmanf 
war boep eine SRacpt unb patte eine gute ©reffe, aber nieptß beftoroeniger 
gingen ipm ber greife ©raf #ompefcp wie ber Sübbeutfcpe ^Miufemann, 
gingen ipm fRicfert unb fRtcpter mit einem ©lan zu Seibe ... 34 «wr 
paff. 34 hätte bie ©ourage niept gepabt." 

„Slnbete Seute auep niept", ftimmte ber $err mit bem (£plinber= 
pute wieber bei. 

^©ß waren Slnflagereben größten Stilß, eß waren oernidjtenbe 
©orte. Unb fie würben gegen einen überragenben Xitanen gefcpleubert, 
gegen ben 3uprpunbertßmenfcpen — ap! ©ollen Sie roirfliep behaupten, 
biefelben 3Ränner, bie an jenem fRacpmittag ipren 9^uf, ipr Slnfepen bei 
ttRit« unb fRacpwelt, fozufagen ipre ganze bürgerliche fReputation aufß 
Spiel fepten, ftep peute feig berfrteajen, nun eß weit geringeren ©in= 
fap gilt? ^afe bie, benen Otto ©ißmarcf nidpt z u po4 ftanb, Dor bem 
©rafen ©ulow zurüeffepreefen? 34 4^ ben ©rafen ja poep, er ift ein 
fo geiftreieper SRenfcp — wiffen Sie, feine ©Uber, feine, ©ergleicpe! ©ie 
geuittetonß, über benen „fRacpbrud oerboten!" ftept —" 

„©eil fie opnepin SUemanb naepbruefen würbe. $enn 3«ber pat 
fie fepon irgenbmo oorgebrueft gefepen." 

©)ie gnäbige grau roar etwaß ungnäbig. „©ott! Sie fönnen niept 
einen Stugenblicf ftiH palten! Sebenfaflß, baß müffen Sie mir zugeben, 
moralifepen s IRutp barf man ben geinben ©ißmarcfß niept abfpreepen.“ 

i)er Cpponent betrachtete niept mepr baß Seibenfutter feineß §ute$, 
fonbetn baß große Oelgemälbe über ber Spür, beffen SRaler bem S4nun' 
barte ©ilpelm’ß II. aßen Scpwung poepftrebenber Äünftlerppantafie Der* 
liepen patte. „Sie oergeffen üor $ttem einß, tpeure greunbin unb Sinti* 
pobin: ©ißmarcf war zu jener 3*U niept mepr im Slmte, wäprenb ©raf 
©ülow eß peute noep fepr ift." 

„0, baß ift ein päfelicper ©inwurf." 

„Slufeerbem aber wiberfepte eß fiep bem alten $aifer unb feinem 
alten Äan^ler üiel leichter alß bem jungen Äaifer, ber zugleich fein eigener 
Kanzler ift. ©on ©ilpelm 1. patten, menfeplicpem ©rmeffen naep, bie 
©arteten nieptß ntepr z« hoffen. Seine Slnfcpauungen ftanben feft nrfe 
ber rocher oon bronce, unb bie 8apl feiner SRegierungßjapre war natnr* 
gemäfe begrenzt, ©ie anberß peute! Sßocp immer ift bie enbgiltige 
politifdpe SRicptung ©Upelm'ß II. unentfepieben, wirb eß möglicperwdje 
auep immer bleiben. Siefer üRonarcp ftept bie ©eit gern einmal burdj 
anberß gefärbte ©läfer an. ©ebenfen Sie nur ber bitteren ©nttäufepung, 
bie er bem armen Stumm neulich wieber mit feiner SRebe oor ben 
teepnifepen SRectoren bereitete. „Sie bange ^aept ift nun perum. ©e* 
grüßt fei baß äRorgenrotp", fang ein befonberß gläubiger ©priftliefr 
Socialer. 9?un, ber ©laube gepört zum ©priftentpum, unb er maept felis* 
Slber Dom $aifer erwarten noep alle ©arteten baß $etL Sarum roiH 
eß feine mit ipm Derberben. Sarum faßt auep feine feine 3Rinifter 
übermäßig an, befonberß niept feinen ttRinifter beß Slußmärtigen. Senn 
jebe weife, bafe bie Spielbofe fatferliepe Gelobten wiebergiebt." 

grau ©elbftem brepte unrupig unb neroöß an tprem großen 
©rittantrlng. Sie warf einen ©lief über bie Umgebung, benn fie wollte 
ftep bie SRücfzugßlinie fiepern. 2Rtt biefem ©erbiffenen maepte felbft baß 
3anfen feinen Spaß. 

„Stellen Sie ftep boep einmal bie Situation rteptig oor", fupr ber 
©robian fort. „Unfer gefammter außwärtiger ^anbel ift feptoer bebropt. 
©ß liegt in ©nglanbß £>anb, unb eß fepeint burepauß ©nglanbß SlbftCpt 
ZU fein, ben ©urenfrieg wenigftenß bazu zu benufeen, überläftige ©oncur* 
renten auf bem ©eltmarft loß zu werben. So fuept eß benn bie Schlappen, 
bie ipm Soubcrt'ß unb ©ronje’ß rafep zufammengeraffter Sanbfturm bei* 
bringen, auf poper See außzuwe&en. Unb bie pöcpftenß mit einer ©ogel* 
flinte armirten beutfepen fRelcpßpoftbampfer fepeinen ipm mit SRecpt fepr 
geeignete Dbjecte. Sabei ift bie ©roberung beß ©eltmarfteß feit einem 
gaprzepnt unfere Schwärmerei; unfere ganze ©efepgebung ^telt barauf 
pin, unb mit feinem fcplagenberen Slrgument glaubt man bie Sfotp* 
wenbigfeit ber glottenoerboppelung beweifen zu fönnen, alß mit ber 
gürforge für Seutfcplanbß überfeetfepen ©anbei. üRun fäprt Sowning 
Street bazwifepen. Sie Sacpe liegt tpatfäcpliep fo, bafe peute fepon jeber 
Waget in unferen SEauffaprern, jeber SEaferlaf barin ben ©nglänbem ge* 
pört. Sie brauchen ficp'ß nur zu nepmen. Sie fönnen unferem ©anbeiß* 
oerfepr fo fcpwere ©unben fcplagen, wie pc nur immer wollen, fönnen 
alle gaprpläne unferer Slfrifa* unb Slmerifalinien burepfreuzen, natürlich 
Zum Wufcen ber brttifepen ©oncurrenz«Unternehmungen, ©er mag ftd) 
unb fein ©ut bann noep einem beutfepen Sampfer anoertrauen, wenn 
er mit Sicherheit weife, bafe ber $apn morgen aufgebracht unb ©oepen 
lang mit SRann unb SRauß in einem weltfernen englifcpen ©afen ein* 
gejperrt wirb? Sin unferer empftnblicpften Stelle alfo, in unferem Stolj 
unb unferer faufntännifepen ©pre pat unß ©nglanb oerlefet, bie fegenß* 
ootte ©änblerpolitif beß Weiepeß ift plöplid) in'ß ©anfen gebracht — 
unb tropbem feproeigen wir? Srofcbem finbet Wiemanb im SReicpßtag 
ein ©ort beß 8orneß ober auep nur beß lauen ©rotefteß? Wfan unter* 
hält fiep bort Sag für Sag über atterpanb gleicpgiltige Socialreformerei 
brüten Wangeß, unterfuept mit peinlicher ©ewiffenpaftigfeit bie Cuerelle, 


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Nr. 3. 


Die Gegenwart. 


45 


ob gegebenen galleS, nämli4 wenn eS je fo weit Jäme, audj Me Stttwen 
unb Saifen ber länbltdjen Arbeiter ju Derftcßem feien, ob man 15000 
RtotJ $u einem SRufterlager tßüringif4er ©r$eugniffe bewilligen ober 
bie Vatentgebüßren um 2 —2 1 / 2 °/ 0 ermäßigen folle. Von ber SebenS? 
frage beS Ret4eS aber, Don ber Scßma4, bie uns $um ©efpött ©itropaS 
mac^t, wagte bolle brei Socßen btabur4 Rtemanb auch nur in Ietfen 
Anbeutungen $u fpre4en. 6te war für bie jitternbe VolJSDertretung 
am ftöntgSplape einfach ntdjt Dorßanben." 

„©arbon," mtfcbte ficß hier ein würbig ? ftattlidjer £err in r S ©es 
fprä4- „Sie übertreiben, lieber greunb. ©erettS hieran Sage nach 
ber erften ©efcßlagnabmung — ober waren eS hieran Sage nach ber 
^weiten unb britten — foüte bie Angelegenheit im Reichstage $ur ©r= 
örteruna Jommen. Sie fennen baS pinbemiß, baS bann jwifeßen Ab* 
ficht uno Ausführung trat?" 

„Rein. 34 Jann mir auch gar Jein foldjeä phtberniß benfen." 

Mehrere ernfthafte Herren waren ju ber ©ruppe getreten, unb 
grau ©dbftern Jonnte fteß rafch bon bem feceffioniftifch unbequemen 
Sabourct erheben. 

„Aber ich Bitte Sie! ©raf ©ülow mußte jufälfia am felben Sage 
nach Stettin fahren, um bort an ber Saufe ber Seutfcßlanb tßeil? 
äuneßmen!" 

„Rlußte er? Riir fällt augenblicflich tein ©aragrapß ber Ver? 
faffung ober beS Sienft-StatuteS ein, baS bem RJinifter beS Auswärtigen 
bie Verpflichtung ju blumigen Saufreben auferlegt, befonberS bann, 
wenn anberwärtS wichtige ReicßS?3ntereffen auf bem Spiele ftehen." 

„©raf ©ülow hat biefe Reichs ?3tttereffen in Stettin auf'S ©efte 
gewahrt, beffer bielleicht, als eS ihm in ©erlin möglich gewefen wäre," 
Hang bte tyüt Stimme eines jwar noch jungen, hoch bereits einfluß? 
reichen, natürlich entfeßieben freifinnigen ©ublictften. „3m ©letfe ruhiger 
Stetigteit, frieblicher ©efonnenßeit, fefter Sicherheit unb Sürbe, fo führte 
er auS, werbe er unfere auswärtige ©olitif erhalten. SaS war ein 
beutlicher SSint nach innen unb außen. Unb ich rufe 3hnen baS weitere 
Jöftliche Sort in r S ©ebäcßtniß: Seit unfer Voll bie nationale ©tnßeit 
errungen Ijat, befinnt eS (ich Wieber auf bie alte panfeatenparole: 93Rein 
gelb ift bie Seit — unb betritt wieber baS X^eater ber SeltpolitiJ. 
Dßne Seegewalt aber werben wir befcheibene Statiften im £>intergrunbe 
bleiben, wäßrenb Dorn auf ber ©ühne bie großen Rollen agiren." 

„©in erfahrener Sßeatermann, ber ©raf! Rlan erJennt feine 
innerften Neigungen unb bie Art feiner ©egabung beutlich aus biefen 
unaufhörlichen Sßeater? unb ©oncertfaal?©iIbern. Sie ©lipmafchine 
raffelt, baS Sonnerblecß grollt, unb fo wenig wie bie Sttafdjtnen werben 
bie fßrofpecte aefeßont. Saß unfere Auswärtige ©olitil aeßn 3oßre nach 
ViSuiard ein AuSftattungSftücJ mit ©efang, San$ unb Soaft geworben 
\m würbe, wer hätte baS felbft in ber feßwerften 3 eit beS bunJlen 
SahreS gebacht?" 

„Urlauben Sie!" fagte ber einflußreiche Vubllcift wieber, unb 
feine Stimme Hang heller noch als Dorßer, faft brohenb. „©erabe in 
Stettin bat ©raf ©ülow erJtärt, baß er unfere Auswärtige ©olitiJ in 
bem ©Ieife holten Wolle, baS ber größte Staatsmann unferer unb 
wohl aller 3*iten, gürft ©iSmarcJ, Dorgejetcßnet höbe. SieS urJunblich 
feine Sorte ftnb." 

„©r fprach im felben Athem bon ber rußigen StetigJeit beS neuen 
Wurfes," entgegnete ber ©eiehrte. „Sie feßen, ©raf ©ülow hatte nicht 
nur feinen bilberreicßen, fonbern auch feinen bemießtenb ironifeßen Sag." 

„3nrnierßin," warf ber SürMg? Stattliche ein. „Seine Saufrebe 
unb fein Srinffpru4 fanben in Stettin jaudj$enben ©eifaD. Senn er 
fte mit einigen Meinen formellen Aenberungen am ÄönigSplafce gehalten 
hätte — baS falfcße ©itat bom ©eter in ber grembe Jonnte fortbleiben, 
unb ber Jtnblicße ©efeßwifterwiß beffelbigen gleichen — glauben Sie, baß 
ihr bann nicht ebenfo laute unb begeifterte ©raborufe gefolgt wären?" 

«34 zweifle Jeinen Augenbljc! baran. 34 feße bielmeßr ben Sag 
näßen, wo ber Reichstag fieß als perpetuirli4e Sifcßgefellfchaft conftituirt, 
ber bie Rtintfter beim ©ßampagner bie fcoafte halten unb na4 bem 
Ääfe bie ©efepentwürfe unb neuen 9ttarineforberungen oorlegen. ©S 
fommt bann immer nur auf ben ©rab ber inbibibueüen SeiftungSfäßigs 
Jeit an, ob bie ©eifaHSJunbgebungen lärmenb ober bloß entßufiaftifch 
ßnb, ober ob man etnftimmig ober gegen eine ftarte Rtinberßeit bie 
neuen ©efepe botirt. 3o, i4 hoffe fogar, baß ß4 bann entließ eine 
crnftßafte Oppofttion ßerbortraut. 34 re4tte nämlich mit ber beJannten 
$ßatfa<he, baß biele im nüchternen guftonbe feßweigfame, berträglicße, 
um nießt ju fagen jämmerli4c Äcrle in ber XrunJenßeit rebfelig, Jiap^ 
bürftlg unb wagemutßig werben. S4on auS biefem ©runbe wäre eS 
ratßfam, Me umfängltdhen JageSorbnungen im Saüotßaufe bureß ebenfo 
reichhaltige RJenuS ju erfeßen." 

„Sie benJen bo4 afl^u gering bom beutf4en Rei4Stage," unter? 
hraeß ein anwefenbeS ÜRitglleb biefer Äörperfcßaft ben Sprecher. 3)ie 
^uttbe ntdte energifcß mit ben köpfen. „Aflju gering. 34 Pfli4te 
Sßnen bartn bei, baß eS falfch war, So4en lang bie S4otocß hinunter? 
junritrgen unb, ftatt ben amtlich pribilegirten englif4en Seeräubern ein 
berbeS beutfcßeS Sort ju fagen, berleaen bei Sette bttefen. ©S war 
baS fo grunbfalfcß wie unfer S4roetgen na4 bem 2)iebericßS=Unglücf 
öor AJantla, wie unfer S4n>eigen bet bem bummbreiften ©ombarbement 
®omoaS. gtfeße unb ©orallenftetne hätten bamalS baS Reben gelernt 
~ wir aber blieben ftumnt. 2)en ©innigen, ber im Rei^Stag ein Sort 
joflttt wagte, fteinigten wir. Sie miffen, weßßalb. Sir naßmen 
^ücJftcßt auf Me Regierung unb ißren guten Rebner. Sir naßmen fte 


aueß bieSmal. 2ttir fefber ift üom SKiniftertifcbe auS naße gelegt worben, 
ber jielbewußten ©olitiJ Sr. SRajeftät beS ÄaiferS Jeinen Stein in ben 
Seg ju werfen. ©S f4o>ebten ©erßanblungen, Me ni4t geftört werben 
bürften unb über bie man na4 altem biplomatifcßen ©rau4 Jeine AuS? 
Junft geben Jönne. 3)er ?Ronat4 Tcfe meine ArtiJel gur Sa4e mit 
boßem Sntereffe, boeß würbe ©oreiligJeit auf unferer Seite na4 jeber 
Richtung ßin unnennbaren S4aben tßun. Run, fo f4&>ieg i4 benn 
auch. ©S ift waßr, babur4 haben wir unS beS Rechtes begeben, na4 5 
träglicß gehörig aufjutrumpfen unb bie englif4en Uebergriffe ju branb? 
mar Jen. ©ntrüftung ift auch Jeine §äring$maare unb ebenfaüS fcßlecßt 
einjupöcfeln. 5)ocß bieS eine glauben Sie mir: $)er Rei^Stag wirb 
heute Re4enf4aft ton ©ülow forbern. 3« oller Ruße, bo4 mit aller 
@ntf4iebenßeit. §eute nüßt ißm feine ganje ©emälbe*AuSftelIung ni4t, 
benn heute haben wir Rüdft4t auf bie jornige ©rregung ber Ration 
u neßmen, unb unfere Säßler ßnb unS näßer als ber ©raf Staats? 
ecretär/ 

„S4obe, baß Sie felbft ber Sißung fern blieben, #err Ab? 
georbneter! Sie wären ber re4te RJann gewefen, bem ©olJSunwiHen 
AuSbrud ju oerleißen!" 

„3a ... ber tfaifer lieft meine ArtiJel... ba §og i4 cS auS be? 
greiflicßen ©rünben uor..." 

©r ftri4 ß4 ben S4nurrbart jure4t unb fcßloß Me Augen. 

„3ft bie Sißung f4on beenbet?" Jlang eS einem neuen Antömm? 
ling entgegen, auf beffen Antliß no4 bie Seiße ber Stunbe auSge? 
prägt lag. 

„Run, unb baS ©rgebniß?" fragte grau ©elbftern erregt. 

„©ülow ßat geffrochen ... nein, fo wißig unb elegant wie no4 
nie! Sttan merJt, er füßlt ft4 wirJU4 moßl in feiner Rolle. S4eitt 5 
bar alles ©ytempore unb babei S4loget auf S4loger! SaS ift er boeß 
für ein famofeS ©laubertalent! Unb bann wieber bie wahrhaft er? 
ßebenben ernften Xöne in feinem Repertoir! Sie Jönnen ft4 benJen, 
baß er einen lärmenben ©rfolg erhielte, einen ©rfolg Wie RtotJoroStß 
im Serail. ©S war eine prächtige ©orfteüung!" Caliban. 


Dramatifdje 

„5)aS beutf4e Sohrßuitbert". günf ©inacter auS bem 19. 3oßr? 
ßunbert, gufammengeftellt öon Ayel Weimar: 1) Seimar. geftfpiel 
tion ©rnft Sichert. — 2) Vorwärts! ©in oaterlänbifcßeS Spiel 
bon 3ofef Sauff. — 8) Sturragloden. S4oujpiel bon ©eorg 
©ngel. — 4) Sörtß. Acßtgehnßunbertriebjiiger JtriegSfcenen bon 
©eorg b. Dmpteba. — 5) Arbeit, ©ine ^anblung bon Subwig 
SacobowSJi. (©erliner Xßeater.) — „öorb Ouej". Suftfpiel bon 
A. S. ©inero. (2effing=$heater.) — ,,©)ie ®ame bon Rlayim". 

S4manJ bon ©eorgeS geßbeau. (Reftbeng?Xßeater.) 

2)ie ©ilanjenüießer ftnb feit ^wei So4«n gewaltig an ber Arbeit, 
unb wenn cS nach ißnen ginge, bann ftünbe ßeute bereits für alle 
©wigfeit feft, waS baS bergangene Soßrßunbert ber RJenfcßßeit unb ber 
©ultur gewefen ift. gür §errn Ajel S)etmar?©)emanbowSti ift eS baS 
beutfeße Soßrßunbert gewefen. Au4 ißn gelüftet eS natürlich bana4, 
Soll unb ^aben beS SäculumS fäuberli4 jufammen gu fteüen, unb bem 
aefeßidten ©üeßerrebifor f4ien baS Xßeater bie günftigfte Stätte für bie 
Veröffentlichung ber ©ilanj. 3m Uebrigen ließ er bie Arbeit felbft bon 
fünf anberen .perren beforgen, bie er junt S)ant für tßre Aufopferung 
in ber ©u4ouSgabe bei Reclam eine „erlefene S4oar, jeber bon ißnen 
ein Siebig" nannte. 3Ran fießt, Vorreben ftnb noch immer trefflich 
eignet, übertriebene ©rwartungen ju erweden unb Me Autoren $u 
blamiren. 

5)a ber ©runbgebanJe beS ©üßnenwerJeS Jeiner weitf4i4tigcn 
©rJlärung beburfte unb Jeine SJlißbeutung guließ, ßanbelte eS fteß für 
Ayel S)elmar'S erlefene S4oar nur barum, äußerlUß einigen 3ofommen* 
ßang ju bewahren. 34 meiß nicht, ob ber ©Infall bon luSJar ©lumen? 
tßal ftammt, jebenfaÜS ßat er ißn neulich unter feinem Ramen bruden 
Iaffen: ein ©inacter?Abenb ift eine ©ifenbahnfaßrt, bei ber man auf 
jeber Station umfteigen muß. 3 U biefem Umfteigen ßat unS ber ©e? 
triebSMvector Afel fo ausgiebig gezwungen, baß eS immer f4m*rer fiel, 
ben Anfcßluß wieber^ußnben. 

Solfgang ©oetße bie erfte Station! §erm St4crt imponirt unb 
freut am meiften ber ©eheimbberatßS?XiteI beS gauftM4terS; babureß 
wirb er ben anbern elenben Spießern, bie baS geftfpiel bur4Jrt«h*n, 
menfcßlich, aüju menfcßli4 naße gebra4t. 3« «n^r berühmten Kneipe 
Alt?SeimarS brießt ein Streit auS jwifeßen Jneipenben ©ürgern 
unb Stubenten einerfeitS unb einem grembltng anbererfeitS, ber Don 
3)eutfcßlanbS politifcßer Dßnmacßt ärgemißeriegenbe S)inae fpriebt unb 
©oetße ni4t als ben leßten ©ipfcl gelten Iaffen wiH. 5Cer greeßling, 
bem bie Stubiofibi Dorßer f4on arg ntitgefpielt ßaben, wäre erfcbredlicß 
Derßauen worben, wenn im entftßeibenben Augenblide ni4t ber ^>err 
©eßeimbberatß felbft unter bie farbentragenben unb farblofen Vßilifter 
getreten wäre, ©r giebt bem gremben Recßt unb entwldelt bei ber ©e? 
legenßeit politif4e ^ebanfen, bie fonft leiber in feinen fämmtli4cn 




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46 


Die Gegenwart. 


Nr. 3 


Söerfen nicht Dorfommen. Neben ißm würzt Me 2>ummßeit eines Soßn^ 
bienerS, ber unS noch rafd) Don ©cßtfler, Berber unb ©ielanb berichtet, 

8 wie ber Sambenfotter eines grunbföplicß in Blanfoerfen fprecßenben 
djaufptelerS ben fd)änbltd) biirftigen Brei. 2)iefe bramatifc^e NNßs 
ßanblung fjut ©oetße nicht um unS oerbient, unb cS wäre nur gerecht, 
wenn im Sabre 2000 ein anberer fjeftfpielbicßter ben §errn ©eßeimbbe* 
ratb SBidjert ebenfo erbarmungslos Dermöbelte. $ann wüßte er hoch, 
wie eS tbut, Don einem ^b^ifier unter ©eoatter ©cßneiber unb $anM 
fcßuhmacßer geftecft ju werben. 

Sßäljrenb man fid) über SBicßert'S ©eiftloffgfeit wenigfienS noch 
red)tfd)affen ärgern fann, empfinbet man bei ©ngel'S „©turmgloden" unb 
SacobomSfi’S „Arbeit" fcßon gar nichts mehr. $)ie Mächtige SrühlingSs 
jeit Don 1848 muß bei bem ©inen ben blutroten ^intergrunb für eine 
Derlogene, an brutalen Snaßern reiche SiebeStragöbie abgeben, unb ber 
Anbre läßt in ber <S>l)It»efternac^t beS QabreS 1900 noch vafcf) eine Ber* 
.fößnung jmifchen Arbeit unb ©apital eintreten. ^>err ©ngel belehrt 
unS, baß bie Berliner Neoolutionäre entweber großmäulige SBicßte nach 
Art jener fpäteren SrreifinnSgröße waren, bie ben B^P unter einem 
©troßfad ben Barrifaben uor^ogen, ober baß fie in ber ©traßenfcßlacßt 
nur priDate Nadjegelüfte fühlten, fein Serl Don Steuer unb Blut, fein 
lobernber Branb — mahrbaftig, feitbem ©ngel gejprodjen bat, Derfteht 
man bie Waltung ber Beßörben in ber ärgerlichen ^ortalfrage. $err 
’3ocobowSfi feinerfeitS ift, ehe er an fein ©)rama ging, mit bem Nottz^ 
buch in ber ^anb burcb eine mittlere NkfcßinenfabriF gegangen; baß er 
babei nicht auch noch rafch in ben $er$en ber Arbeiter lefeu fomtte, 
fcßetnt Derftänblicß. Sropbem foHte ber junge 3Rann, ber bocß Sieber 
für’S moberne BolfSgemütß zufammengefteßt bot, etwas mehr fociale 
©rfenntitiß unb etwas weniger Deilchenblaue Naioetät befipen. 5Seit= 
auS am beften waren bie militärifchen ©aben beS AbenbS. $>er 
gefürchtete Urheber beS Burggrafen unb beS ©ifenzaßn fteflte einen 
ganz paffablen Blücher auf bie Beine, einen Blücher fo nach ber Art 
unferer ©cßullefebücßer: lauter Anetbötcßen unb „ßiftorifche AuSfprücße" 
nicht immer fauber, aber wirffam aneinanber gefleht. Wellington hot 
Blücher bei Stgnp im ©ließe gelaffen, unb ber Alte will fich rächen, 
inbem er ihn bei SBaterloo im ©umpfe ftecfen läßt. ©)od) fiegt am 
©ttbe baS preußifche Bflichtgefübl, ünb Napoleon wirb nun baran glauben 
müffen. Nicht minber lebenbig, aber trop ihrem fentimentalifchen AuS* 
hauch unbergieichÜch echter unb $um Xheil roirflid) ftimmungSootl finb 
Jömpteba’S ÄriegSfcenen. $ie fleine Arbeit mit ihrem flotten Dialog 
Flirgt faft ergreifenb auS unb beweift mehr für baS Talent beS Autors, 
als bie gwar ben Abenb, aber nicht baS ^Sarfett füflenben ©tücfe, bie 
wir auS feiner geber faßen. „SBörtß" toirb wohl baS gefammte geft= 
fpiel überleben. 

Stft Sefftng^fjeater Fam mittlerweile mit Rängen unb SSürgen 
bie 75. Aufführung ber SBeißen Nößl=3ortfepung ju ©tanbe; ihr folgte 
bie Bremtere beS „Sribelen Sorb Guej", ben ber febr unfibele Ncr. 
Binero auf bem ©ewiffen hat. ©S ift nett Dom SMrector Reumann, 
baß er über feinen frampfbaften Bemühungen, bie beutfchen dichter auS 
bem Blumenthal = Theater ebenfo fortzugraulen wie baS publicum, bie 
auSlänbifdjen Boeten nicht Dergeffen hat. AßerbingS zeugt fein Qnlereffe 
für Biaero Don einer feßr unglüdlichen §anb. $>er Sonboner ©arbou 
ijt nur im Sanbe beS NumfteaFS unb beS ungefal^enen ©emüfeS genieß= 
bar; fchon bie Ueberfejung unb nun gat bie $)arftellung burd) möglichft 
unenglifche ©chaufpieler ruinirt baS le^te biSchen ?)umor unb ©igenart, 
baS feinen f omöbien innewohnt. Sit folchen ©tiicfen muß man SrDing 
unb feine Gruppe feßen; fte bebeuten bie 58orcefierjhires©auce für 
baS halbrohe Srleifcß. 2)ie ©päßchen, bie fleinen, auf Sonboner 2RiffeS 
berechneten Anfpielungen, bie jwerghafte ©atire unb bie fcpamßafte Un* 
anftänbigfeit, bie fid) am ©djluß als djemifch reine £ugettb offenbart — 
fte paffen nicht in unfer Älitna. 2Bie Dößtg mißlang hier ber Act, ber 
im Atelier ber Wanicure^ünftlerin fpielt, wie grob unb ungefdjicft fam 
ba jebeS SBort heraus! A3enn man bte Albernheiten ber $inero'fchen 
^anblung unb bie antebiluDianifche Plumpheit feiner ^echnif noch bicf 
unterftreicpt; wenn man baS bißchen ©rajie, baS ber englifcßen BenuS 
trop 3BiHette unb feines „ VMä les English!“ eignet, tolpatfchig Der^errt, 
bann ift ber bröhnenbe S)urchfatt gewiß. $)ann ift eS aber auch gerechte 
©träfe. 2)ie Qbee, bem angejahrten, enblich nach legitimen ©heftanbS* 
freuben trad)tenben Sebe=@entleman Oue? einen ©oncurrenten gegenüber^ 
juftellen, ber für ebenfo feufd) gilt, wie ber fibele Sorb lafterhaft fein 
fofl; bie gortfpinnung ber gabel baßin, baß bem Ouef Berfuchungen 
unb ftaUftricfe gelegt, pifante ©ituationen bereitet werben, auS bencn 
er fieghaft herDorgeßt, wäßrenb fein tugenbreicßer 9?ebenbußler als pari= 
fifch angefaulteS ©ubject entlarDt wirb — biefer Finblicße Borwurf ift 
nur auf ber Sonboner ©ant = Bühne Don heute möglich. Unb nur bie 
tdjamßaften Xöcßter Don Xbemfe-flartbago Derfteßen bte halben ßätchen 
Binero’S, feine immer mit ©trumpf unb 9?achtßemb angetßanen mageren 
BebenflicßFeiten ju würbigen, bie, wie fid) gulept herauSfteflt, hod)= 
moraltfd)e Sntecfe Derfolgen unb nur ber guten ©ittlid)feitS=©ad)e wegen 
einmal beinah nadt he^unifpajiert fittb. 

„Bufdß & Oieichenbach" haben fid) troß beS ©rfolgeS am erften 
Abenb nur mit 9Rühe auf bent ©pielplan ber beiben aßerbingS immer 
fcßlecßten Xßeatermonate beS QahreSfchluffeS gehalten. $irector Sauten= 
bürg ift alfo Don ber Berliner Smitation ju ben echten Barifer B^obeßen 
jurüdgefeßrt, benen er eigentlich nur bann untreu wirb, wenn an ber 
©eine ein ©cßlager Derfagt ßat ober feine Ueberfeper unb 2)ecorationS= 
malet mit ißrer Arbeit noch nicßt fertig finb. diesmal wirb baS lange | 


©äumen woßl ben Septeren jur Saft faßen, benn ber $)irector hat feinen 
fieberen Bomben *©rfolg längft DertragSmäßig erworben, ©tetjt bo^ 
,La dame de chez Maxim 11 feßon feit Saß* wnb 2ag auf ben Barifet 
Blacatfäulen en vedette unb wirb Dermutßlich auch ben ganzen gefeg= 
neten SBeltauSfteßungSfommer über bort ju lefen fein, ©in ähnliches 
©lüd fcheint bem ©eßwanf tn Berlin ju blüßen, benn baS fRefiben^ 
tßeater, baS hoch feßon manchen 3ubelfturm ßörte, hat einen folch’ uw 
auSgefept lad)ßaften Abenb gewiß nod) nie erlebt, ©ogar ber geftrengen 
^ritif foflerteit bie $ßränen itur fo in ben Bart, wenn fte fieß aud) 
hinterher meift etwas ißreS SacßenS fcßämle unb zuweilen fogar fittlid) 
entrüftete. Wenn aber bie ©enfut bie BorauSfepungen unb erftm 
©eenen beS erften ActeS, baS anzüglich stugenbßafte ©ouplet Don ber 
armen kleinen unb ben obligaten ©ancan im ^weiten Act, ju bem fogar 
ein gütigsmilber Abbe auffpielt, gewähren ließ, fo braudjt bie Äritif 
nicht jimperlicßer z« fein. WaS ba nod) jonft pafffrt, ift fießer nießt un- 
anftänbiger, als in manchen beutfchen hoffen, unb babei taufenb HKal 
natürlicher unb logifcßer, geiftreießer unb wipiger. AIS Büßnenftücf 
betrachtet, läßt eS AßeS hinter fid), was tm leicßteften Suftipiel*®enre 
gemacht würbe. SBir feßen babei ganz ab Don ben beutfchen Boffa ; 
fabrifanten, Don benen äalifcß, Berg unb aße früheren faft auSfd)iiefr 
lief) nur wipige Socaüfatoren franzöfifeßer Borlagen waren, wäßrenb 
unfere mobernen ©eßwanfbießter Don Wofer unb ©cßöntßan bis Sauf§ 
unb Blumentßals^abelburg neben einem &ei)beau wie geiftDerlaffenc 
^aubwerfer bafteßen, bie itad) zmei Acten — oft feßon im erften — 
Dößig auSgepumpt finb unb bloß noch einen britten Act feßreiben, um 
bie iantifcme beS ganzen 3:ßeaterabenbS za retten. Aber auch an ber 
9fteiftern ber BalaiS=9?ot)aUBoffe gemeffen, wäcßft ber junge gepbeau 
unheimlich, ©eine an ben Altmeifter ©cribe ßinanreießenbe ©Jefd)idli(h= 
feit unb fein unerfcßöpflicßer Dieicßthum an ©infäßen übertrifft ben alten 
Sabicße, ber freilich ber größere #umorift war, unb ben beweglichen 
Bieilßac, ber ißm nur als ffeptifeßer ©atirifer überlegen ift. ©S mag 
ja fein ($enre ber ©ituationSfomif fünftlerifcß nießt ßoeß fteßen, obwohl 
baS Outproquo feit BlautuS unb Wolt^re claffffcße ©eltung ßat, aber 
bei S^ß^au ift eS boeß nicht ber bloße büßnentecßntfche ©alcul, bie 
blöbe unliterarifcße 3arce, wie bei Anberen. Wofer unb 9iofen ßaben 
ben ßvequifitenwip bei unS eingefiißrt unb fozufagen um eine ©ießfanne, 
einen beweglichen hohen Spiegel, um eine einzige ©eene ein langes ©tiid 
herum gefeßrieben. fjepbeau aber zieh 1 auS bem feenifeßen Xruc in um 
erfchöpflicßer Weiterleit aße ©ffecte, bie überhaupt benfbar unb ßalbnwgS 
möglich finb. Wiet ift eS ber eleftrifcße ©cßlafftußl, auf bem man beim 
^ieberfipen augenblidlicß, wie bie Bewohner Don 3)ornvöSd)enS 0d)loß, 
mitten auS bem wachen Seben heraus etngefcßläfert wirb, unb nicht 
nur ber Qnfaffe felbft, fonbern auch Seber, ber biefen berührt, fokj 
einmal bie ©ingefcßläferten eine eleftrifcße Sette hüben,. bie fnh.toccfc 
jeben Winzutretenben Derlängert, biS bann auf ben Sttopf gebrürft imtb 
unb bie ©ewedten unter angenehmen Borfteßungen auSplaubernb aui 
ihrer ^ranfe erwachen. 

3*rtljum, laß loS ber Augen Banb! 

Unb merft eud), wie ber Teufel fpaße! 

gepbeau beftreitet mit biefem ©tnfatt ben erften Actfcfjluß, wo bie 
fromme ©ßefrau zu Waufe feftgehalten unb auS ihren Derzüdten Xrnumcn 
Don ber hbd)ft uuheiltgen ©eftalt eines ©traßenfehrerS aufgewedt wirb, 
ber im Aufträge beS bureßgegangenen ©atten auf ben befreienben fiitopj 
brüdt; unb auS bem ©cßlafftußl gie^t noch her flanze lepte Act Be= 
wegung unb unfinnige Wetterfeit. 3mmer wieber geratßen bie 
fonen unb immer wieber anbere unb unter anberen BorauSfepungen in 
ben Bann beS gefährlichen SRöbelS, unb jebeS Bial wirft eS erfcßütterw 
ber auf baS 8 ra erd)feß beS B u &ltcunt3. 2)aS probire einer utiferet 
©eßwanfbießter einmal, unb er wirb halb ben Ueberbruß unb Unwillen 
ßerauSforbern. Aber ber erfinbungSreicße gepbeau ßat nod) anbere 
Fomifcße XrucS, fogar eine WMligenerfcßeinung, womit auf bie berühmten 
Befucße beS ©rzengelS ©abriel bet 3Rabemoifefle ©oudbon angefpieü 
wirb, bereu gut bürgerliches W*im eine 3 e ttlang z« einem monbänen 
BtaßfaßrtSort mitten tm ©einebabel würbe, ©olcße Actualitäten, bie 
jeber ^ßarifer Derfteht unb, faßS er ein Boltaireaner, belacht, fowte za^ s 
reiche anbere ©ptpen unb SBipe Derlieren natürlicher SSeije Don ihrer 
©cßlagfraft außerhalb granfreicßS unb Derflauen auch in ber beften Uebet' 
fepung. Sutmerßin bleibt noch genug unb übergenug eeßt attifeben 
©alzeS ober gaßifeßer SebenSfreube. ©o bie genial Jede ©efeßfcßafl^ 
fatire beS zweiten ActeS. 2Bte ba bie Dorneßmen Sleinfläbterinnen, bie 
man auf gut £>eutfd) woßl W^noratioren nennt, bie Dorneßme B 0 ^^ 11 
bewuubern, wäßrenb fie boeß nur eine Xingeltangeltänzerin unb Siebet 
ßänblerin tft, unb wie biefe nun aßen Bfännern ben Sopf tocrbrcßt, 
liebenbe Bräutigams, grüne SuitgenS unb fogar einen tapferen ©eneral 
Der führt, eßrbare 3)cäbd)en Derbirbt unb mit bem grand äcart auS bent 
Moulin rouge über ©tußlleßnen Doltigirt, waS bann Don ben 
bamen als ßücßfter ^arifer ©ßic nacßgemad)t wirb, felbft Don bem obem 
genannten geiftlicßen W err u unb fogar mit bem obligaten ©prueß habet: 
Woppla, Bater ffeßt’S ja nießt! Unb aud) wir beutfdje ßteicßShaup^ 
ftäbter unb 5ßrot>in5ler werben halb überafl ben frechen SBaßlfprud) bee 
Nachtfalters auS bem Neftaurant SRafint ßören, ein neues ©ricri, Don 
aßen Brettern unb Bretteln unb auS ben poetifeßen Annoncen ber 
®olbenen 110, — unb bie alte ©ünberitt an ber ©eine wirb ihre 
Neoancße nod) einmal genommen haben. 

3>aS Uebrige ift ftüfljel: B er f oncnüer ® c ^ un 9 cn r h«f öm,ni 


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Nr. 3. 


Die ®tgrtu»arL 


47 


Kd)en $ueHVerwitfelungen, Wißverftänbniffe unb Berbrepungen, eine 
©cfpenfterentlarvung unb onbere fomifcpe ©eenen unb verwegene Sppen, 
ein oft faft beängftigenber Unfinn, aber Voll Wetpobe unb nie lang* 
tvciltg. Bor Allem herr Alejcanber. Er fpielt immer biefelbe SKoÜe 
unb ift auch immer berfelbe, aber mie Viel fomifcpe Straft liegt bod> in 
btefem trefflichen ©djaufpieler, ber mit feinem Wienenfpiel, feinen über* 
beiueglicpen ©eften, feinen ©cpnarcptönen tief in ber BurleSfe fiecft unb 
hoch ein Eparafteriftifer vom erften Dfang ift. Wan muß fein ftummeS 
©?t>iel wäprenb beS BortragS feiner angeblichen grau fepen, wie er an* 
fangS angftoofl beobachtet, nad) bem parmlofen erften BerS fiep etwas 
beruhigt, bann in waepfenbe Aufregung, je beutlicper bie gefungene QrvcU 
beutigfeit wirb, mit einem entfeßten Blirf auf bie ©ängerin unb einer 
immer verlegen*eprbaren hcucpelmiene bie 3 u börerfchaft ju fragen fepeint: 

fcerftepen ©ie'S benn nicht?!,.. unb entlieh baS Uff! ber Erleichterung 
beim auSbrecpenben Applaus, in ben fogar hocpwürben einftimmt! 
Xreffitch auch grl- Dtita 2eon, freilich mehr fepnobbrige berliner 3öpi‘ c 
als fßarifer möme, bie troß allebem noch liebenSwurbig bleibt. Unb 
bann jeugt ein Debütant, hert* DfoinanowSfp, in ber föftlidjen Eparge 
eines herzoglichen ©igerlS wieber für 2autenburg ? S Entbecfergenie, oon 
bem ja fämmtlicpe berliner Theater leben. Ueberhaupt welches gu= 
fammenfpiel, weldje Einzelfräfte, felbft bie unbebeutenbfte Epifobe an 
ihrem Blaß, — fogar bie tarnen jroeiter ©arnitur, bie fid) fonft mehr 
burch ihre Toiletten als ihr Xalent auSzeicpnen. Ohne grage ift eS bie 
einzige berliner Büpne, bie einen eigenen ©til pat, — freilich ben 
^ßarifer ©til, aber hoch berliniid) gebämpft, ohne babei ben ©pirituS 
jum Teufel ju fepiefen. $aS Diefibenztpeater ift auch bie einzige Ber* 
Uner Büpne, bie nicht nur in ber öon gepbeau Verhöhnten „^rovtna* 
ein ©efammtgaftfpiel unternehmen bürfte. 3« SBien finbet fie ihres 
©leiepen nicht, ©ogar auf ber SBeltauSftellung bürften fiep 2autenburg 
unb feine Seute (eben laffen, fogar mit bem gepbeau'fcpen ©tüd. $enn 
einen Alejanbcr hoben bie Barifer nicht. 


Offene Briefe unb JUtfroorfen. 


9todjina(3 bie „fieliebtefte beutfdje <2^riftfteUerin“. 

Verehrter ^err! 

AngeficptS ber wiberwärtigen Dteclamen, mit benen vor einiger 
3ft&bie BerlagSbucppanblung von Baul 2ift in 2eipzig zum „25jäp* 
rigen $icpter=3ubiläum" ber grau DJatalp von Efchftrutp eine ifluftrirte 
©efam nt t=Ausgabe ihrer SRomane unb Novellen anfünbigte, hielt ich eS 
fÜT zeitgemäß in Shrer „©egenwart" V. 28. Cctober bie fchriftftellerifche 
Unnatur ber „beliebteren beutfehen ©cpriftftellerin" in bie rechte Be* 
leuchtung ju fteflen unb zugleich bie grage aufzuwerfen, ob nach ben 
von mir citirten groben ber Efdjftrutp'fcpen „Sanier" bie Bkrfe tiefer 
„©cpriftftellerin" thatfächlich als „eine Bibel für baS heramoachfenbe 
meibtiepe ©ejepfeept" angefehen werben fönnten —* eine SBenbung, beren 
fiep Me ermähnte Dfeclame neben vielen anbern bebient hotte. $acp ber 
ungewöhnlich großen 3apl freunbllcper 3uftimmungen, bie fich Z um $peil 
recht beutlicp unb braftifcp gegen baS eigenartige „Talent" ber grau 
oon Efchftrutp wanbten, barf tep annehmen, baß ber Artifel feine ©cpulbig* 
teit getpan pat. Aber auch Von anberer ©eite wanbte man fid) publi* 
Ziftif^ gegen jene unerhörten SRecIamen unb wieS ben tpatfäcplichen 
fieiftungen unferer ©chriftftetlerin gegenüber auf baS Unpaffenbe bers 
felben in mepr ober weniger fcpaifer Seiie pi«. ©ogar ber 2)eutfcpe 
©cpriftftellerDerbanb erließ eine bünbige Erflärung, bafe „eS ipm niemals 
eingefallen, btefe ©cpriftfleHerin in irgenb einer 2lrt zu empfehlen, 
fieiber fonnten wir nicht feftfteUcn, wer etwa unberechtigt im tarnen 
bcS SöerbanbeS bie ©efcpmarfloftgfeit begangen pat, für bie SBerfaffertn 
beS »©änfeliefelS 4 einzutreten." Xrop allebem ging bie Dteclame beS 
Verlegers rupig ipren s ©eg weiter, nur baS Eine würbe erreicht, bafj 
man fortan ben $eutfcpen ©cpriftftellerverbanb auS bem ©piele lieb unb 
gr. von Efchftrutp einfach als bie „laut Urtpeil auS ©cpriftfietlerfreifen 
beltebtefte beutfepe ©cpriftftellerin" ertlärt wurb?. 34 ^onn ben 9?acp- 
roetS führen, baß beutfdje ©cpriftftellerinnen von S3ebeutung unb Sertp 
über bie Arbeiten ber Efchftrutp bie benfbar ungünftigfte Meinung 
haben unb offen erfläreti, baß ©cpriftfieDerinnen, wie fie, ben ganzen 
©tanb fcpäbigen, wetl in weiten ©d)i4ten anbere fcpriftftellernbe grauen 
nach ihr gemeffen unb beurtpeilt werben. 

2lber bie greunbe ber berühmten Dichterin rupten nicht unb in 
ber Seforgnifc, bafe baS bevorftepenbe 25jäprige „dichterjubiläum' # boep 
vielleicht ben gehofften Einbrucf niept mad)en unb baS literarifcpe Untere 
nepmen ber großen illuftrirten 3ubiläumS=?luSgabe nicht im erwünfebten 
SRaaße reüffiren fönnte, fcplug man neuevbingS wieber einen 2on an, 
ber bie früheren SReclamen burep ernftpafte ^ofaunenftöße übertönte. 
Son befreunbeter $anb ging mir ein in ber 3*tt]4rift „^tjgiea" ab= 
gebruefter Sluffaß z u unter bem ^itel: 9?atnlp von Efchftrutp, zu ihrem 
25jährigen 3ubiläuni, von feebwig von WabicS=$alten6runner. 92icpt 
genug, baß bie Serfafferin auf bie ©unft pinweift, bie 92atalp am ©cpweriner 
^ofe genießt, erzählt fie unS in Voller Unbefangenheit, baß ber „$erzog" 
fürzlicp einmal bie 3^ ec angeregt pabe, „aüe bie von auswärts ein= 


eingelangten ©aben, Epren unb Auszeichnungen in einer Art gubiläumSs 
Aufteilung zu Vereinigen, welcher ©ebanfe vielleicht feine SBerwirflicpung 
finben wirb". $>abei ift zu bemerfen, baß biefeS „®icpterjubtläum" erft 
iommen foll! ($adj bem puncto ©cpriftfteHerinnen=©eburtSbaten aller* 
bingS unzuverläffigen unb aHz« galanten 2iteraturfalenber ift grau 
von ^nobelSborf^Efcpftrutp am 17. Wai 1850 geboren, aber nicht ipr 
50. ©eburtStag foH ja gefeiert werben.) 5)ie greunbin tpeilt unS ferner 
bie überrajepenbe 92euigfeit mit, baß S^atalp'S ©epriften „Von allem 
Anfang an in ber beutfehen Metropole inSbefonbere geltebt, verehrt unb 
gejcpäfct würben", ferner, baß fie ein erflärter 2iebling am berliner 
3pofe unb ber beutfepen Äaiferin fei, welche ihrem popen ©e^ 
rnapl mit Vorliebe beren Sücper Vorlegt, unb fo perab bis zum 
einfachen w 9?äp=®täbcpen", benen bie Efchftrutp als ipre „92ational= 
.^eilige" gilt, ^un, baS 2eßtere mag ja fepon richtig fein, wenn unS 
auch bie Bezeichnung „9?ational=§eillge" nicht zu paffen fepcint, an bem 
Erfteren inbeffen erlauben wir unS einftweilen mit aller Entfcpiebenpeit 
Zu zweifeln unb zwar auS ben verfepiebenften ©rünben. UebrigenS fäme 
eS boep eigentlidi barauf an, ob ber $aifer bie Efchftrutp’fcpen Romane 
auch Heft, baS aber ift bei feiner fo unenblicp in Anfprucp genommenen 
3ett unb feinem pocpgebilbeten tünftlerifcpen ©efepmaef niept benfbar. 
ES fepeint ein Bebüvfniß von 9?atalp'S greunbin zu fein, immer möglicpft 
poch zu greifen unb iprem auSerforenen 2iebling möglidpft pope SRupmeSs 
fiaffeln zu bauen. Eparafteriftifcp bafür ift fepon ber einleitenbe 
©aß. „3nt gänner f. 3- begeht, in ber BoIIfraft ipreS 2ebenS unb 
©cpaffenS ftepenb, bie berühmte beutfepe Vornanfcpriftftellerin ^atalp 
von Efchftrutp, eine ber bebeutenbften literarifcpen Erfcpeinungen beS 
19. 3 a PrhunbertS, ipr in allen 2anben frop begrüßtes unb Von Xaufen= 
ben unb iaufenben tprer zapllofen 2eferinnen unb 2efer im ©eifte mit= 
gefeiertes 25jäprigeS EMcpterjubtläum . . ." 5)ann folgt ein furzer 
2ebenSabriß in ©eftalt einer von Ueberfd)Wänglicpfeiten ftrofenben ©cpiU 
berung tprer unvergleichlichen „ütupmeSlaufbapn". „3n jenem zarten 
Alter, wo anberer junger gräuleiit Äöpfcpen bloß Von Ballfreuben 
träumenb, war ber reifenben Sbicptertn ©inn auf bie AuSgeftaltung ipr«r 
©toffe unb giguren gerichtet. 3« vafepefter Aufeinanberfolge befepenfte 
fie bie 2anbSleute mit ipren, peute einen Weltruf genießenben retzenben 
§of* unb AbelSgefcpicpten, bie man in allen Greifen gern lieft unb bie 
ingefammt fepon vielfache neue Ausgaben erlebten, ©o würbe biefe gott* 
begnabete Dichterin populär in beS SBorteS waprfter Bebelttung ... 
3mmer voller, immer auSgereifter treten bie giguren biefer großen 
Dichterin unS auS bem Üiapmen iprer SBerfe entgegen unb ipre Bte(= 
feitigfeit fepeint opne ©renzen! ^)aS iüngfte Bud) („E)ie JRegimentS= 
tante") in bem alle ftobolbe Efcpftrutp’fcper 2aune unS umganfeln, ift 
3prer §opeit ber Herzogin Sapann Albrecpt Von 3ttecflenburgs©cpwerin, 
geborener ^rinzeffin oon ©ad)fen4Beimar-Eifenach zugeeignet; baS unter 
ber SBibmung befinblicpe Wotto auS ^efioel ($rutffepler ftatt J^efiob?): 
„©lüdfelige, welcpe bic Sttufe liebt" beutet eS an, welcher Art bie 
„©cpweriner £>ofluft" ift. $em popen ©emapl ber geiftvollen gürftin, 
welche in ipre medleitburgifcpe $eimatp ben $aucp unb baS güplen ber 
Alt=SBeimarer-*3^t gebracht, ben (!) leutfeligen Befcpüßer unb görberer 
beS ©trebenS ber Von ipm fo pod) gefepäßten ©cpriftftellerin, bem Herzog 
3opattn Albrecpt erfepeint (?) hingegen ein früherer großer zweibänbiget 
Vornan „grüplingSftürme" gewibmet, ber ju ben erfolgreidjften ©aben 
ber 5)icpterin zählte. Wöge bie fommenbe SBeipnacptSzeit alle biefe, auep 
perrlicp auSgeftatteten Büd)er unferer jungen grauen^ unb Wäbcpenwelt 
unter bie bufienbe 3:anne zaubern, als befteS, fcpönfteS, verebelnfteS (!) 
©efepenf." 

E)er 3teft ift ©cpweigen! 

hochachtungsvoll 

Hicparb IDnlcfom, 




^tottjen. 


Weine ^Religion — Wein politifcper ©laube. 3®ci vertrau* 
liepe Dieben Von 3- 28* *>. ©oetpe. 3ufammengefteHt unb perauSge* 
geben von Dr. SBilpelm Bobe. (Berlin, E. ©. Wittler & ©opn). ES 
finb pier bie Aeußerungen ©oetpe'S auS zahlreichen Briefen unb ©e* 
fpräcpen auf'S ©orgfamfte, ©aß für ©aß zufammengeftellt unb fo folge* 
richtig zufammengefügt, baß baS ©anze wie ein Wofaifbilb erfepeint, in 
bem man gugen nidpt gewahr wirb. Wan fonnte biSper nur auS ge* 
legentlicpen, weit zerftreuten Aeußerungen ©oetpe'S 2ebenSauffaffung unb 
©runbanfepauung über bie ©teöung beS Wenfcpen zu ©ott unb zur ©e* 
fellfcpaft entnehmen. DJirgenbS bot ftep ein ©efammtbilb. Um fo mach* 
tiger wirft eS, hier in enggefcploffenem Suiammenpange zu erfennen, 
wie ernft unb tief ©oetpe lebenslang über biefe größten gragen unb 
Bflicpteu beS $afeinS naepgebaept unb wie vorbilblicp, wie unbergleitp* 
lid) groß er fiep über fie auSgefprocpen pat. ES ift eine ber einbrucf* 
reüpften ©epriften über ©oetpe, ba fte nur ©oetpe felbft zum Berfaffer 
pat, unb wirb baper ficperlicp, wie ber h c ^auSgeber feine DfacpwortS* 
bemerfung fcpließt, „bem großen Weifter neue ©cpüler" erwerben unb 
in unferen gebilbeten ©tänoen von hanb zu h an ^ g^reiept werben. 


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Bit ftegentsart 


Jlna«tfl«n. 

Set SeffeQimgen berufe man ftth auf btt 
„(Segrraoarf“. 


Utsittik 



$untert Ortflinal • Qutadjten 
o. gfreunb u. g«tnb: ©ißrnfon 
»Taube! ©üt&ner ttrityi S)abn 
Stautet ißitnj gontane Qrotlj 
$nec!el fcartmamt £ebfe gor* 
Mn fttyling ßeoncaoaüo Sin* 
bau ßombrofo SRefötfAerMi 
»tgra ftorbau OHinter fetten« 
toter ©ali«burb ©tenftewici 
©tmon Bpenctr ©ptelljagen 
©tanlcb ©toeder ©trinbberg 
Suttner Zöllbenbrudj SBerner 
Sola u. n. Ä. 

Wmlmm betr Btgtawavi, 


Bt0««tdt0 Jidifolgft 

9fontan 

Don 

^eop^tC ^oCCmg. 

W P«ltMM00h. "^| 

$retB 3 ÜJJarf. 6d)ön gebunben 4 ÜRarf. 

SNefer 8t$mard=(&hrÜ)L8toman, bcr in 
wenigen JJabren fünf ftarfe Auflagen erlebt, 
erfäeint hier tn einet um bie Hälfte billigeren 

$otti*tt£gabe. 

5)urtb alle SBud$anblungen ober gegen ©in* 
fenbung beB ©etragS poftfreie gufenbuitg pom 

Utrlag der Gegenwart, 

©erlitt W. 57. 

Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift* 
stellers sind zu Gunsten der Hinterbliebenen 
folg. Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden¬ 
preises in schönen, geb. Ex. zu verkaufen: 
Brockhaus* Conversationslexikon. Neueste 
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände 
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei 
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬ 
gabe 80 M. — Hch. Kurz: Geschichte der 
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. v. 
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild- 
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder- 
bde. 50 M. — Lacroix, Les arts au Moyen- 
Age; Directoire Consulat Empire, 2 Lieb- 
hbde. 30 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬ 
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde. 
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner 
Kunst, Lwh. 10 M. — Shakespeare. Engl. 
Text m. deutsch. Erklärungen v. Delius, 
Hfb, 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel 
(Pfeilstücker) Lwbd. 10 M. — Bestellungen 

S r. Nachnahme durch Vermittlung der 
Expedition der „Gegenwart“ in 
Berlin W. 57. 


„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“ 

Empfohlen hei Nervenleiden und einzelnen nervöeen Krankheitaerschelntmgen. 
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch 
von minderwertigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre 
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von Ä / 4 1 75 Pf. in 
der Apoth. n. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr. Carbach A Cie. 


TRPPON 



Nahrungs-Eiweiss. • 


1 Kilo Tropon hat den gleichen Ernährungswert wie 5 Kilo 
bestes Rindfleisch oder 180—200 Eier. Tropon setzt 
sich im Körper unmittelbar in Blut und Muskelsubstanz um, 
ohne Fett zu bilden. Tropon hat daher bei regelmässigem 
Genuss eine bedeutende Zunahme der Kräfte bei 
Gesunden und Kranken zur Folge und kann allen Speisen 
unbeschadet ihres Eigengeschmacks zugemischt werden. 
Bei dem äusserst niedrigen Preise von Tropon ist dessen 
Anschaffung einem jeden ermöglicht (80) 

Zu beziehen darob Apotheken and Drogengeaohäfte. 

Tropon-Werke, Mülheim-Rhein. 


Jasj ktri jnt nna rij^yps i 


anbere Rundfragen. 

Original *©utadjten bon TLb. TlenjeL, Hein- 
Ijolb &e£a», &ddliit, TL t>. tPcnter, 
Knaus, Utjbe, Stud, 3 oft. Schilling, 
Sdiapev, & v. &cbl \atbt, gerb. Kettet, 
Defregger, ©ahriet Hfar, tXhoma, 
Ciefcemtann, tPUh.Dufd?, Jitger, <Braf 
Qarradj, Jltay Krufe, Knitte, Ceffet* 
Ury, Doepler, pedjt, Kneftf, Cedjter, 
3ügel, parlaght, Htadenfen, Sfarfcina, 
Ceiftifot», Gaulle, pUnfe, StabL 

Sfreis biefer brei Rnnftfer - stummem 6er 
„Gegenwart“ 1 50 

9lud) birect pon un$ ju bejieljen nach ©rief- 
marfen^Stnfenbung. 

Vertag her <5egemt?art, Berlin W. 57. 


Demnächst wird auf Verlangen versandt: 

Antiquariats-Katalog 92. 
Staats- und SociAlwissenschnft. 
Nationalökonomie. Finanzwesen. 

Etwa 1200 Kümmern. 

Leipzig, Oscar Schack. 


pc ®£0cmuort. 


fBtdjwfefrift für nicratit fmdl ■© I 


§e«ttil'|fgtfUf 1872 — 1896. 

(Srftrr fti* fünfatgfter ©an6. 

9»it Nachträgen 1897-99. ©e$. 5 
©in bibliographiffcS 39er! erften 
NangeS über Sa8 gefammte öffentliche, 
aefftige unb fünftlerifdje fieben ber lebten 
25 3abre. WotbroenbigeB Nacbfdjlagebudi 
für bie Sefer ber „©egenroart 1 ', fonric 
für roiffenfcflöftlidje jc. Arbeiten, lieber 
10,000 Slrtüel, nadj Sröcfjem, ©erfaffern, 
©djlagroörtem georbnet. SDie Kutinen 
pfeubon^mer unb anonymer Krtifel frnb 
burebtneg genannt. Unentbeljrlid) für 
jebe ©iblfotfjef. 

Äu^ btreft gegen $oftan»eifung ober 
Wacbnaljme pom 

Berlag ber (Segenroart. 

»erlitt W 67. 


Bestellungen auf die 

€inhan55ccfc 


©eranttnortlt^rr Webacteur; Dr. ZteofW ßoatng tn ©erltn. 


zum 56 . Bande der „Gegenwart“, sowie 

zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwei Bände 
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und vergoldeter 
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden in allen 
Buchhandlungen entgegengenommen. 


Webactlon unb ttjbebttton: fetrltn W., aRanftetnftrafee 7. 


2)ru(f non fceffe 




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i*kr\ 


M 4. 


j$evCtw, 6ett 27 . §cmu<*v 1900. 


29. Jahrgang. 
Band 57. 


pc (fcpiittmit 

SBodjenfchrtft für ßiteratur, Smtft ttnb öffentliches Sehen. 


^etausgegeßett hott ^eop^U £oCtfttg. 


lehnt Sotraihndi nfdjetnt etne pmmn. SSetlaa bet ©eaennmrt in Serltn W, 57. •*?«*« 4 * 60 »; !|HK 50 ff- 

8u bestehen burt$ alle 8u<$ljanblungen unb Ißoflftmier. ö ° 3n|erate jeber Ärt pro 3 gehaltene $ett4ette 80 $f. 


S>a$ coloniafe „©djarladjfieber". ©on ©uftaö TOetiteefe. — (Sfeftricität birect auä SBörntc. S8on ©uftaö (5aft (granffurt). — 
GtC.Pl ßtteratur unb Stanft. 3ungfraitfretdj auf ber ©ii()ne. ©on 51. ©runnemaitn (©avtä). — 2Bar ©Ijafefpeare in Italien? ©on 

i/ttodli 3*- S31IF). entmann (9tom). — fteulKetöit. $>er Streif in ber Schule. ©on (Smtle 3oia. — ln# bet $attj>tftabt. 

^♦♦Y**** • gajdjing. ©on Ximon b. 3- — Opern unb (loncerte. — Offene ©riefe unb Introorten: fiorb ©almerftoit über bie 

militärifdje 6djiüäd)e (SngtanbS. ©on Dr. $arl SBaicfer, ®ocent an ber Uniöevfttät Öeipjig. — $otl$en. — Injeigen. 


Das coloniale „ädjarladittebei:“. 

©on (Sufiao HTetnecfe. 

Sin SJtitglieb beS SReitStageS, beffen 2Si|$ ni<f)t immer 
üon einer üerlefcenben ißointe frei ift, hat jüngft in ber 
®eneralbe6ottc über ben SReid)ShauShaltSetat bie Hoffnung 
auägebrücft, bafe baS „@d)ar(achfieber" in unferen Solonien 
nid|t nod) Weiter um fiel) greifen unb unfere (Solonien weg» 
raffen tnöcje. ®er (Bericht beS SReid)StageS üerjeicf)ttet Reiter« 
feit,obwohl bie SBorttoige befanntlid) bie biüigfteu finb, unb 
l«a®eid^net bie ©ettügfamfeit ber SBerfammluitg fefer treffenb. 
Obwohl nun baS ©charlachfieber gewöhnlich eine Sinber* 
ttaritf>eit ift, bie häufig jur ©enefung führt, unb alfo ber 
Aejcgfetch nad) biefer 9tid)tung Ijin hfaft, fo ift et auch bann 
falf<|, wenn ber ißatient, alfo ^ier bie Solonien, fterben 
fouten. SBir galten eS bafier für burdjauS notfjwenbig, bie 
Snttoidelung ber wirthfdjaftlicfeen 9tid)tung, weldje §err 
Siebermann hon ©onnenberg als ©djarlad)fteber be^eicfjnete, 
beS Genaueren ju beteuerten, um baburcf) nacf)juweifen, bafe 
man einem weitbtidenben unb erfolgreichen Solonialpolitifcr 
fdjwereS Unrecht thut. ®ie ©pi($e beS Angriffes richtet fid) 
betannttid) gegen Dr. ©charlad), einen Hamburger 5Red)tS= 
antoatt, ber als fotdjer ,£erüorragenbeS geleiftet bat unb als 
SBrcthfchnftSpolitifer nad) engtifd)em ÜJtufter bie Sntwidelung 
ber beutfdjen Solonien ju förbern bemüht ift. ®arin weife 
er fid) ein« nicht nur mit ben Hamburger Saufleuten, weld)e 
ettoaS mefer üon cotoniater 2Birtf)fd)aftSpolitif ju toerftefeen 
pflegen als bie burdjfd)nittlid)e 9J?affe ber QJerufSpolitifer, 
fonpern and) mit einer ganjert 9teil)e unabfeängiger Soloniat= 
potitifer unb in ber ipauptfadje mit ber (Solonialabtl)eilung 
beS Auswärtigen Amtes. SSJenn man bebenft, bafe Dr. ©d)ar« 
lad^ feit ber $eit, ba er für bie beutfdje coloniale @ntwide= 
fang fich—mtereffirt, in beftänbiger güfjlung unb im Sinüer» 
neljmen mit bem Auswärtigen Amt gearbeitet feat, füllte man 
bodT mit ben Angriffen etwas fparfamer fein. 

3n einem früfeeren Artifel „®ie angebliche SBerfdjenfuiig 
Kameruns" (©egenwart Dom 9. December 1899) feabe i^ 
bereits barauf feingewiefen, bafe baS (SonceffionSwefen eigent= 
li^ fchoit mit ber Segrünbung ber beutfdjen Solonialpolitif 
Ntnnt, unb feabe auch futj angebeutet, bafe eS für bie @nü 
toidelnng ber beutfefeen Solonien üon grofeem SBertfee fei, 
jurnat unferen Solonien noch fo gut wie AHeS fehle, ©o 
toot audh hie Soge in ©übwejMlfrifa üor etwa jehu Sahren 
ow gerabeju troftloS p bejeichnen. Sn ber erften ßeit beS 


Sapriüi’fd)en ^Regimentes beftanb bafeer belanntlidh bie ©efafer, 
bafe ©iibweft=Afrifa als Sompenfation befeanbelt werben Würbe, 
unb liefe alle Sotonialfreunbe auf Abfeülfe finnen. Aber 
man fani hier nicht red)t Weiter, benn im 3?eid)Stag Würbe 
über ben SSerth ber Solonic änfeerft abfprei^enb geurthcilt, 
unb ber beutfdje ißhilifter hotte für feine Solonialbegeifterung 
üorläufig genug getf)an. Auf ber einen ©eite fonnte fich ber 
beutfefjc Solonialfreunb an bem öehageit ber ifeatfadhe, bafe 
wir Solonien hefigen, auf ber anberen ©eite jeigte er aber eine 
lebhafte Abneigung, etwas mehr ju thun, als etwa auf ein 
coloniales 93lättlein ju abotmiren unb in einem herein eine 
fRotle ju fpielen. ®ie lobenswerten Ausnahmen üon Seuten, 
weldje ®elb in bie Solonien ftedten, reiften bei SBeitem nicht 
auS, um einen Wirtschaftlichen Auffchwung feerbeijuführen, 
benn eine jebe Solonie ähnelt in ber §infi^t einem un= 
geheuren @d)Wamme, bafe fie gewaltige ÜRcngcn einer 3 Us 
fuhr aufnehmen fann, che fie gefättigt ift. \ 

®ie ®eutfdje SoloniatgefcÖfchaft für ©übwefüAfrifa nun 
hatte bereits im Sahre 1889 mit einem gewiffen ©roll unter* 
hanbelt, einem ÜJfanne hollanbifcher Abfunft, über ben 93er* 
tauf ihrer 93efi(jungen unb Siechte in ©übWeft»Afrifa üon 
ber nörbtidjen ©renje beS ©djufegebieteS bis jum 26. ©rabe 
füblidjer 93reitc. ©roQ üertrat ein Sonfortium, welches an* 
geblich auS englifd)en unb hollänbifdjen, in SBirflidjfeit jebot 
auSfchliefelich auS engtifchen 21)eilf)abern beftanben hoben foll. 
ßwifchen biefer ©efeflfdjaft unb ©roQ fam e.in Vertrag ju 
©tanbe, nad) welchem bie Säufer baS Stecht haben foüten, 
ihren Srrnerb einer ju bilbenben engtifd)en ©efeHftaft ju 
übertragen. £>infid)tlid) ber Ausführung beS Vertrages war 
bie ®eutfche SolonialgefeQfchaft für ©übweft*Afrifa an bie 
ßuftimmung beS 9teid)SfanjferS gebunben. f^ürft SiSmarcf 
üerfagte bie 3 ll ftimmung, Weil er AuStänbern fo Weitgehenbe 
Stedjte in ben Solonien nicht einräumen wollte. ®iefe Snt* 
fd)eibmig bürfte etwa im 9J?ärj ober April 1890 abgegeben 
Worben fein, unb bamit war natürlich & er 93(an ber Solonial* 
gefeüfchaft begraben, ba SRiemanb Verlangen ju bejeigen ftien, 
iit einer neuen 9Beife ju beginnen, eine neue „issue* jet 
wagen. Sinige Herren beS üerfloffenen SonfortiumS wanbten 
fid) nun an ben Hamburger StechtSanwalt, um feine ÜRit* 
Wirfung für ein cnglifdj»beutfd)cS Sonfortium ju gewinnen, 
weldjcS ben ©roll’fdjen 9?ertrag übernehmen unb bie ©e* 
nehmigung beS 9teid)SfanjlerS jur llebertragung an eine 
engti)cl)c ©efcllfdjaft erftreben füllte, in beren Verwaltung 
ftatutengemäfe beutfd)en SRitgliebern eine mafegebenbe ®e* 



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50 


Die ffiegettwart 


Nr. 4. 


Heiligung »orzubeßalten fei. ©ie gorrn einer engltfcßen Ge* 
fettfcfjaft würbe als notßwenbig bezeichnet, weil nur für eine 
folcße mit ©icßerßeit baS erfotbetlicße Gapital aufgebracht 
Werben fönne, wäßrenb bieS für eine in ©eutfcßlanb unb 
nacß beutfcE)em 9ftecßt ju grünbenbe GefeEfcßaft immerhin für 
Zweifelhaft gehalten würbe. 

Sffacfjbem Dr. Scßarlacß fieß über bie Sage ber colonialen 
Sntereffen unterrichtet hatte, übernahm er eS, in erfter 3?eiße 
bafüt einzutreten, baß jur Ausführung beS mit ber ©eutfcßen 
GolonialgefeEfcßaft für ©übweft*Afrifa abzufcßließenben 53er* 
trageS eine englifche GefeEfcßaft gebilbet werbe. Sn biefer 
foEten bie Gnglänber ben ©eutfcßen gegenüber bie SWeßrßeit 
in ber Verwaltung etwa im Verßältniß ooit 6:5 haben. 
gaES jcboch bie Genehmigung für eine englifcfje GefeEfdjaft 
auch unter ber Vetßeiligung non ©eutfcßen nicht zu gewinnen 
fei, füllte bie Uebertragung an eine ju bilbenbe beutfcße Ge* 
feBfcßaft gefthehen, in welcher bie SJfeßrßeit ber Verwaltung 
aisbann in bem oben angebeuteten Verßältniffe ben ©eutfcßen 
Zufteßen foHte. SRacßbent burch Vorüerßanbiuugen mit ber 
©eutfcßen GolonialgefeEfcßaft für ©übweft=Afrifa feftgefteEt 
War, baß biefe ißrerfeitS nad) Wie oor bereit fein würbe, 
ißre fRedjte unb Vefißuitgen einer englifcßen GefeEfcßaft ju 
»erlaufen, legte Dr. Scharlach bem §errn General *©irector 
ßeibemann aus Göln unb §errn Abolf SBoermantt auS §am* 
bürg baS ißroject »or, überzeugte biefelben, wie feßr beffen 
Ausführung in einer ober ber anberen gorm ben Sntereffen 
unferer Golonialpolitif bienlid) erfcheine, unb gewann biefelben 
für baS Unternehmen. Sn erfter Sinie würben bie ©e* 
ftrebungen barauf gerichtet, bie Grlaubniß jur Uebergabe ber 
»on ber ©eutfcßen GolonialgefeEfcßaft für Sübweft*Afrila ju 
erwerbenben Rechte an eine eitglifcße Gefellfchaft ju erhalten, 
bocß ftanb General ü. Gapriüt burcßauS auf bem ©tanbpuntte 
beS fjötften ViSmard unb erflärte, bie Uebergabe an eine 
englifche Gefellfchaft nicht geneßmigeu ju wollen. GS ift 
nun »on hohem Sntereffe, ben Gebanfengang biefer Gingabe 
fiel) wieber ju »ergegenWärtigen, ba er auch heute noch »on 
©ebeutung ift. 

©ie Gingabe geht ba»on aus, baß nach geftfteEung ber 
beutfeßen Golonialgebiete in Afrifa bureß ben Vertrag mit 
Gnglanb üom 1. Suli 1890 bie innere Gntwidelung biefer 
Gebiete, ißre wirtßfcßaftlicße Grfcßließung unb ^Urbarmachung 
baS Qiel ber beutfeßen Golonialpolitif fein müffe. VefonberS 
feßwer erfeßeine biefe Aufgabe ßinficßtlich beS beutfeßen Schuß» 
unb SntereffengebieteS »on SübWeft*Afrifa. ©enn bie ©e* 
fdjaffenßeit beS SanbeS bringe eS mit fieß, baß baffelbe nur 
mit bem Aufwanbe feßr großer Gapitalfummen erfcßloffen 
Werben fönne, »on welchen zweifelhaft fei, ob fie jemals ren* 
tiren Würben. ©aS beutfche Gapital fei einer folcßen Auf* 
gäbe, Wie bie bisherigen Grfaßrungcn zur Genüge bewiefen, 
nießt gewaeßfen, unb man müffe fid) »or Augen halten, baß 
bie coloniale ©epreffion nad) Abfcßluß beS beutfef)* engtifeßen 
Vertrages auf einen tiefen Stanb angefommen fei. SEBertn 
bie Grfcßließung beS Gebietes, namentlich bureß Vergbau unb 
bureß europäifeße Anfieblung in abfeßbarer 3 e 't gefeßeßen 
foHe, fo fei eS nötßig, auSlänbifcßeS Gapital ßeranzuzießen, 
unb zwar müffe babei »orpgSweife englifcßeS Gapital in’S 
Auge gefaßt werben, weil in Gnglanb leichter als in irgenb 
einem anberen Sanbe Gelb zu colonialen Unternehmungen 
aufzubringen fei. hierzu fomme, baß unS ©eutfcßen auf 
biefem Gebiete noeß bie Grfaßrung, bie gefcßulte Sntetligenz 
ber Gnglänber feßlen. ©onaeß würbe cS für unfere colo* 
niafe Gittwidelung zweifellos ermünfeßt erfeßeinen, wenn man 
jenes Gapital unb jene Grfaßrung in ißren ©ienft fteEett 
fönnte, fofern eS gelänge, gleichzeitig bie nationalen unb 
wirtßßßaftiicßen Sntereffen ©eutfdjlanbS genügenb zu fießern. 
GS würbe bann eingeßenb naeßgewiefen, baß in Politiker £nn= 
fi<ßt feine Gefaßten zu befürchten feien, wenn ein größerer 
©ßeil beS GigentßumS an Grunb unb ©oben unb ber Verg* 
werfS'Verecßtigungen einer beutfeßen Golonie an eine aus* 


länbifcße GefeEfcßaft übertragen würbe, baß aber in ttnrtß* 
fcßaftlicßer ©ezießung ber SBertß unfereS GolonialbefifceS erft 
bureß beffen Grfcßließung gefießert werbe, ©ie fßftematifcße 
©ureßforfeßung beS SanbeS auf feinen natürlichen SReicßtßmn, 
bie Gröffnung genügenber VerfeßrSmittel, baS ^eran^'i ^ 
»on Anfieblertt, bie ©ewiüigung »on Vorfcßüffen an' 3 * 
felben, bie Vilbung fleinerer Genoffenfcßaften zur Gjploitimng 
einzelner Gebietsteile: baS AEeS geßöre zur cultu. Jen 
Gntwidelung einer Golonie. Gewiß fei eS »on ©ebeutung, 
baß baS SDJutterlanb ben Angehörigen feines VolfeS baS öofle 
Efecßt an aEem Gbenerwäßnten fießere unb forge, baß bie 
Vrobucte unb gabrifate beS SOfutterlanbeS einen Abfafc naeß 
ben Golonien finben, fowie baß bie Verbinbung zwifeßen bem 
SJiutterlanbe unb ben Golonien, wenigftenS z u einem ange* 
meffenen ©ßeile, bureß bie nationale ©cßifffaßrt ßergefteEt 
Werben. ©aS AEeS aber Werbe nießt beeinträchtigt, toenn 
man als SDJittel für bie Gntwidelung ber Golonien frembe 
Sntefligenz unb frembeS Gapital benujje. Unfere Gefeßgebung 
unb bereit fernere Geftaltung ßabe bie »oBe 2J?acßt, unS ba* 
gegen zu fießern, baß ©erjenige, welcher bie Auffcßließung 
einer unferer Golonien in bie £>anb nimmt, babei Angehörige 
auSlänbifcßer Staaten unb auSlänbißße ißrobucte beoor^ugen 
fönne. ©iefe Veßauptung bebürfe feines weiteren 9?acßn>eifeS. 
Gitte GefeEfcßaft, welcße fieß um ben Anfauf beS SanbeS unb 
ber VergmerfS*Gerecßtfanie einer beutfeßen Golonie betoerbe, 
fteße unter ben in biefer Golonie geltenben Vecßten. @o 
feien fieß bie englifcßcn sperren, welcße bie in grage fteßenbe 
GefeEfcßaft mitbilben woEten, benn aueß »oEfommen Aar 
barüber, baß bet »on ißnen erßoffte Grfofg in erfter Sinie 
barauf beruße, baß fie zu ben beutfeßen Gefeßen unb beitn 
Ausübung üofleS Vertrauen ßaben bürftert. AnberetfeitS 
ßätten bie beutfeßen Herren ber GefeEfcßaft felbft»erftä«Mnß 
bie ©idßerung berjenigen Vebingungen »erlangt unb erßafien, 
welcße fie im wirtßfcßaftlicßen Sntereffe ©eutfeßtanbs für ge* 
boten hielten, eine genügenbe Vetßeiligung bei ber VeiWfth 
tung ber GefeEfcßaft, bie Grricßtuitg einer groeignieberfäUmtg 
in Hamburg unb feßließließ eine entfpreeßenbe Vctßeilignng 
©eutfcßlanbS an bem Vcrfcßt mit ©übweft-Afrifa. Abgefeßen 
»on »orfteßenben fünften würbe noeß golgenbeS bemerft. 
©elbftoerftänbli^ ßätten bie englifcßen ©ßeilßaber fieß bamit 
eiit»erftanben erflärt, baß baS Gapital ber zu grünbenbett 
GefeEfcßaft aueß in ©eutfeßlanb zur ßeießnung aufgelegt Werbt 
Seiber fönne man nießt bie Hoffnung ßegen, baß ein größerer 
©ßeil beffetben ßier gezeichnet werben werbe. gaES aber im 
Saufe ber $eit baS beutfeße Gapital fieß für coloniale Unter* 
neßmungen entfeßiebener intereffiren unb fpäter bie Actien ber 
Zit grünbenben GefeEfcßaft aufneßmen foEte, fo Würbe in 3 U ‘ 
funft mit ber SRajorität im Actiencapital bie entfeßeibenbe 
Stimme bei ben ©eutfd)en liegen. GS ßanbele fieß gewiffer* 
maßen nur um ein Vaßnbrecßeit bureß baS engtifeße Gapital, 
oßne baß man bemfelben eine bauernbe Gewalt einräume. 
Außer bem Gapital gehörten zur Grfdjließung eines weit* 
läufigen GolottialbefißeS Äenntniffc unb Grfaßrungen, welcße 
unS ©eutfdjen naturgemäß noeß abgeßen. ©arattf beruße 
wieberum bie mangclnbe Geneigtheit beS beutfeßen GapitalS, 
fid) an berartigen Unternehmungen zu betßeiligen. 2Bir müßten 
unS beßßalb ißre Sfenntniß unb Grfaßrung, welcße eine ßunbert* 
jäßrige ©ßätigfeit ben Gnglänbcrn »erfdßafft ßat, aneignen, 
©ureß bie SWitwirfung bei ber Grünbung ber beabfießtigten 
GefeBfdjaft unb bei beren fernerer Verwaltung würben bie 
beutfeßen 3J?itglieber üom erften ©cßritt ab lernen, wie »or* 
gegangen werben müffe, um Gapital unb Arbeit zur orga* 
nifeßen Gntwidelung »on colonialem Vefiße ßeranzuzießen unb 
erfolgreich Z u »erwenben. Gnblicß follte noeß barauf auf* 
tnerffam gemacht werben, baß ber unmittelbare Ginfluß ber 
beutfeßen ÜRcdjtS* unb 2Birtßfd)aftSanfcßauungen babureß ge« 
fi^ert erfeßeine, baß bie gefammte ©ßätigfeit bet GefeEfcßaft 
in Vezug auf baS Goloitiafgebiet unter bie ^errfeßaft ber 
beutfeßen Gefeße faBen unb baS Vermögen ber GefeEfcßaft, 


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Nr. 4. 


Die Gegenwart 


51 


möge baffetbe in ßanbbefißen, in ben üßacßterträgniffen, ©in» 
nahmen aus ©ifenbahnen, ober worin immer fonft beftefjen, 
unter ber §onb ber beutfdjen Regierung liegen werbe. 

©S mürbe in ber ©ingabe aud) nict)t bergeffen — im 
«tief nnf eine feinblidfe Stellungnahme Seitens mancher 
*=. ;!dhialfreunbe, baß bie möglichen Siebenten bom nationalen 
<S»P:tbpunfte auS feßwer ju formuliren feien, foweit fie lebig* 
tiflU' äuf allgemeinen ©efühlSanfcfjauungen beruhten. Solche 
blirien aber nur übrig, wenn politifcße unb tuirt^fchaftlidje 
SSebenfen nicht oorhanben feien. 916er troß biefer Darlegungen 
beharrte ber Seicßsfanzter b. Kapribi auf feiner 9lnficf>t unb 
eS begannen neue Sertjanblungen unter bem ©efießtspunfte, 
bafc jur Huöführung beS Übertrages eine ©efedfdjaft in 
beutfeßer gorm, toenn auch mit englifchem Kapital gebilbet 
»erben foüte. SBir woden auf biefe Serßanblungen hi er 
nicht näher eingehen; ber oon Seiten ber Deutfchen Kolonial* 
ßefedfehaft für Sübweft*Afrifa erftrebten, oon ber Regierung 
tfjatfräftig geförberten unb bon bem englifch'beutfdjen Kon* 
fortium mit aller Knergie betriebenen Ausführung beS Ser* 
trageS ftellten fich unüberwinblidhe Schmierigfeiten burdh bie 
Soge beS englifcßen ©elbrrtarfteö entgegen. 

Um biefe $eit fielen bie SeichStagSberf)a nbtu ngen Dom 
Frühjahr 1891, in beren Serlauf Don einem heroorragenben 
Parlamentarier, welcher ber Serwaltung ber Deutfchen Kolo» 
nialgefedfchaft für ©iibweft* Afrifa angehörte, unfere Kolonie 
in ©übweft» Afrifa bom bergbaulichen Stanbpunfte auS als 
mettfjloS bezeichnet würbe, Wähtenb ber iperr ÜReichSfanjfer 
gegenüber Denjenigen, welche ben Ktat für unfer Scßußgebiet 
in ©übweft*Afrifa befämpften, bie Krftärung abgab, man 
foUe ber Segierung in Sejug auf baffelbe nur noch ein Sah 1 
3*it taffen. KS fam fobann bie Serhaublitng Dom 7. ÜWärj 
1892, in ber bei ben greunben wie bei ben geiitben unferer 
KolonialpolitiE bie Uebcrjeugung jum AuSbrucf gelangte, baß 
bie großen Kapitalien, welche gut ©rfcßließung beS fübweft* 
atrijanifchen ©ebieteS im großen Stile erforbetlich erschienen, 
in Deutfdjlanb nicht aufzubringen feien. 3n biefer Sißung 
toar eS auch, baß ber §err SegierungScommiffar ©eheimratlj 
Dr. Jfapfer bie Krftärung abgab, in ©nglanb halte man nach 
wie bot unferen Sefiß für wertßbod, neue Anerbietungen 
feien bon bort gemacht, aber wie immer fich bie Kntroicfe* 
lung auch geftalten möge, niemals werbe bie beutfehe Segie* 
rang bie Kolonie aufgeben. ÜBereitS bamalS hatte Dr. Scharfad) 
bem Setter ber Kolonial »Abtheilung wie nicht minber ben 
Seilern ber Deutfchen Kolonialgefedfchaft für Sübweft»Afrifa 
erflärt, baß er Alles baran feßen Werbe, wenn auch borläufig 
nur in fleinerem Umfange, eine ©efedfehaft für Sübweft* 
Afrifa zu bilben, um neues Kapital unb neue wirtschaftliche 
Bewegung in bie Kolonie z u bringen. Dr. Scharlach er* 
fannte inSbefonbere ber Koloniat*Abtheilung feine moralifche 
Sßerpflichtung an, AdeS zu thun, um eine arbeitenbe unb 
genügen!) capitalfräftige ©efedfeßaft in’S Seben z u rufen, 
nachbem bie Regierung auf bie burch ihn geführten Ser* 
hanblungen hin beranlaßt worben war, zuuerfichtlidje Krflä* 
rungen über bie erhoffte Kntwidelung in Sübweft»Afrifa ab* 
Zuge6en. DaS enbtiche Krgebniß biefer mühfeligen unb lang* 
wierigen Arbeiten War bie fogettannte Damaralanb Konceffion, . 
welche feiner geit bielfach angefeinbet worben ift, obwohl bie 
©outhWeft*Africa*Kompanh, bie Sefißerin ber Konceffion, 
burdh ihr Serhalten bewiefen hat, baß fie in burcßauS lotjaler 
Steife ihren Serpflichtungen gegen bie beutfehe Segierung 
nachgefommen ift. 

SBir fönnen biefen Artifel, ber fidh auf bom Kolonial* 
rath felbft als burcßauS richtig anerfannteS SRaterial ftüßt, 
nidht beffer fchließen, als burdh Krwähnung ber Dßatfacße, 
bie unS ber befte SeweiS für bie SorauSficßt unb Krwattung 
ber fieiter biefer ©efedfehaft ift, baß man nämlich baS beutfehe 
Kapital gewinnen werbe, wenn baS englifche borangegangen 
fei. ©S prägt fich bieS bornehmlich in bem Directorium auS, 
in bem bet immer mehr beutfeh werbenbe Kharalter ber South* 


weft*Africa*Kompanh am beften zum AuSbrud fomint, fo baß 
eS beute auS fieben Deutfchen unb brei Knglänbern befiehl. 
Diefer üffiecbfcl ift barauf zurüdzufüßren, baß bie DiSconto* 
©efedfehaft mittlerweile ber ftärffte Actionär ber ©efedfehaft 
geworben ift. Aber bamit fließt bie SBirffamfeit biefer ©efed* 
feßaft, welche bebeutenbe Summen in baS Schuhgebiet hinein 
geftedt hat, bei weitem nicht ab, fie hat bielmeßr eine neue 
beutfehe ©efedfehaft, bie Dtabi*©efedfehaft, zur Ausbeutung 
ber DtabUKupferminen gebilbet, unb ihr ift auch ber ©ebanfe 
beS SertrageS mit ber Khartereb*Kompant) zuzufchreiben, burch 
welche unferer Kolonie ber ÜBeltoerfeßr burch ©übafrifa 
ZWifcßen SBeft* unb Oftafrifa zugefteßert ift. 


GleKtrirität bittet aus Wärme. 

SJon cSuftao £aft (fjranffurt). 

SedjSunbzwanzig Saßrßunberte finb bergangen, feit ber 
dRenfcß bie erfte eleftrifcße ©rfcfjeinung näher in’S Auge 
faßte. Der erfte, ber eine eleftrifche ©rfeßeinung betrieb, 
war DhaleS bon ÜRilet ©t ermittelte bie Dhotfache, baß, 
Wenn man Sernftein an einem Stoff reibt, berfelbe befähigt 
würbe, fleine, leichte Körper, Wie üßapier ober Korfftüddjen, 
anzuziehen. — günfunbzwanzig Saßrßunberte fpäter erft 
machen ©albani unb Solta bie ©ntbedung, baß "eleftrifche 
Ströme erzeugt Würben, fobatb fid) j»ei berfdjiebene dRetade 
berührten ober in eine glüffigfeit getaucht würben, üßjir 
haben bei unfern Siefenfcßritt non zweieinhalb Saßrtaufenben 
einige 3aßrßunberte übersprungen, bie ebenfadS wichtige 2Ro= 
mente für bie ©efchichte ber ©leftricität barfteden, beren 
Arbeiten bis heute aber noch 8 U feiner ptaftifdjen Serwen* 
bung famen, aber fpäterßin einmal fommen Werben. Die 
wießtigften üßunfte für bie moberne ©teftroteeßnif faden in 
baS ©nbe unb in bie ganze Sänge bicfeS SaßrßunbertS. 
Die Aufzählung ber Samen unb ber Daten fönnen wir hier 
in biefem Auffaße nicht beforgen, eS Würbe unS bon unferem 
eigentlichen Dßema zu weit entfernen. 

SBir bebienen uns berfeßiebenet dRetßoben ber ©leftri* 
citätSerzeugung. gunäcßft haben wir ba bie alten dRetßoben 
ber ©leftrifirmafchinen, bie bis heute noch feine praftifdje 
Anwenbung erlangten. Sßeiter wären bie galoanifcßen ©le* 
mente zu erwähnen, bie heute nodj in großen Satterien in 
Setrieb finb. 3 ur größten Kntwidelung gelangten bis jeßt 
bie Dpnamomafchinen, beten Ströme zu ben Derfchiebenften 
ßweefen angewenbet werben unb benen ein immer größer 
werbenbeS gelb fießer ift Außer biefen dRethoben giebt eS 
inbeffen no^ eine weitere, bie biedeid)t einmal berufen ift, 
eine gewaltige fRode in ber Decßnif z u fpielen. ©S finb 
bieS bie bon Schweigger unb Sitter im erften Sahrzeljnt 
unfereS SahrhunbertS erfunbenen Dhermobatterien. ©eebed 
behnte bie Sjperimente auS unb ftedte bie berühmte tljermo* 
magnetifche Seihe auf. Sobili ftedte im Sahre 1832 bie 
erfte praftifd) berwenbete Säule auf. Sie biente bazu, ge* 
ringe Demperaturbifferenzen anzuzeigen. Der ©rfinber be* 
feßreibt fie folgenbermaßen: „2Ran benfe fich berfchiebene 
Sabieu in einer ©bene bon ein unb bemfelben Sunfte auS* 
gehenb, unb auf^jeben berfelben eine thermoeleftrifche Kette 
gelegt, beftehenb auS einem SBiSmutfj* unb Antimonftäbchen. 
Ade Stäbchenpaare feien an einem üßunfte zugefpißt unb 
mit biefem gegen ben gemeinfchaftlidjen SRittelpunft gerichtet, 
fo entfernt jeboch boneinanber, baß fie fich nicht berühren, 
auch fei bie Crbnung ber dRetade in jebem fßaare biefelbe, 
fo baß fich in aden z- Ü8. baS ÜEßiSmuth rechts Dom Anti» 
mon befinbet. Die Serbinbung ber benachbarten üßaare ge* 
fchehe (am Sanbe) burch Sogen ober Streifen entweber bon 
Antimon ober SEBiSmuth, mittelft z'uedmäßiger Söthung." 


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52 


Die fl&eaetnoart 


■ . i4. 


Nr. 4. 


©ie ißote biefer Satterie finb mit einem feßr empfinbticßen 
©atoanometer üerbunben, beffen Stbtefefcata entfprecßenb ein* 
geteilt ift, unb mit beffen §ü(fe man in bie Cage oerfeßt 
ift, feßr geringe ©emperaturunterfcßiebe ju meffen. Sunfen, 
SRarfuS, Stfoe unb Slnbere fonftruirten in ben barauf fot= 
genben Sagten ©ßermofäuten, bie aber alle ben in fie ge* 
festen Hoffnungen nicßt entfpracßen. Sn fjrantreid) mar eS, 
mo jum erften SDiate eine 6ebeutenbe Batterie aufgefteßt 
mürbe, ©tarnonb mit oerfcßiebenctt bebeutenben SWitarbeitern 
mie Sfture, ©unbre, ©ßanbron unb Sßarpentier, fteßten eine 
Satterie oon 3000 ©tementen ßer. ©iefe Batterie geigte 
eine Sftemmenfpannung oon 218 SSott bei einem innern 
SBiberftanb Oon 31 Dßrn. ©ie Sftetaße biefeS ©tementeS 
beftanben aus 2 feilen Antimon unb 1 ©ßeit 3inf, anberer* 
feitS aus einer Segirung Don 10 Steilen Steiglang, 1 ©ßeit 
Äupferfutfat unb 1 ©ßeit Stntimonium. ©iefe Segirungen 
maren nicßt birect aneinanber getötet, fonbern eS maren 
fogenannte Sntercontacte bajmifcßen gefügt, bie abmecßfetnb 
ßeiß unb falt gehalten mürben, ©er betannte ©teftrifer 
©ütdßer fteHte ebenfalls eine ©ßermobatterie ßer, mit ber 
anfdjeinenb gute Sßirfungen ergiett merben. SBeiter märe eS 
nicßt unintereffant, einer in Slmerifa erfunbenen Satterie 
©tmäßnung ju tßun. ©iefe Satterie oon H- ©• So? befielt 
aus ringförmig angeorbneten ©tementen. ®aS einjctne ®te= 
ment befielt aus einem feitförntigen Stocf non jufammen* 
gefcßmoljenem ßint unb Slntimon, an ben ein Äupferftreifen 
angefcßroeißt ift. üftad) ber Sßatentfdjrift fott eS babei mit 
bem 3>ntantimon eine Segirung bitben. @S merben fo niete 
©cßidßten Oon ©tementen übereinanber angeorbnet, atS bie 
H<>ße ber Spannung auSfaßen fofl. ©ie Satterie ift innen 
unb außen mit einer ifotirenben, feuerfeften SWaffe betteibet, 
bie man burcf) Sergtafung eines patentirten SRateriatS im 
Neuer erhält. Son außen mirb bie Satterie abgefüßtt, non 
innen mirb fie oermittelft eines ©aSbrennerS gezeigt, ©ine 
Satterie, bie 5 Sott unb 5,5 Stmpere giebt, fott ungefähr 
1,5 ©ubiffuß ®aS pro ©tunbe Oerbraudßen. Sei biefer 
©etegenßeit motten mit uns nocß eines ©ßermogeneratorS 
Oon Stuft erinnern, ber aus einem Ofen befteßt, in bem 
6000 ©temente eingebaut finb. ©iefer Apparat, „SJtagno* 
pite" genannt, entmidette eine Spannung non 96 Sott unb 
befaß einen innern SBiberftanb non 11,5 Dßrn. ©er SBir* 
tungSgrab ift nacß miffenfc£)afttic£»en SDfeffungen ein feßr ge* 
ringer, ©erfetbe beträgt bei ber Säule non ©ütcßer 4,3l°/„. 
Sergleidjen mir biefe 3aßl mit ben mobernen ©ampffeffel* 
^eijungen, bie bis über 70°/ o herauffommen, fo ergiebt fid) 
non felbft, baß ber SBirfungSgrab nerbeffert merben fann. 

@S fommt uns unmißfürticß bie grage, merben bie 
©ßermobatterien jemals in ber Sage fein, mit einer ©ampf* 
mafcßine, bie eine ©ßnamo treibt, ju concurriren? gür bie 
beften ©ampfmafcßinen regnet man einen SBirfungSgrab non 
10°/ o . Sfteßmen mir ben Sftußeffect ber ©ßnamomafcßine 
ju 90°/ o , fo ergiebt fid) ber Stußeffect ber ganzen Stntage 
ju 9°/ 0 . Hinaus ergiebt fieß, baß, menn eS gelingt, ben 
Stußeffect ber Neuerungen unferer ©ßermofäuten ju oer* 
beffern, biefetbcn berufen fein merben, eine bebeutenbe Stoße 
ju fpielen; benn eS ift aueß in Setracßt ju giefjen, baß bie * 
Stntagefoften auf jeben Naß bißiger mären, fcßon meit fie 
nicßt fo complicirt finb mie eine ©ampfmafcßinenantage unb 
ferner meit fein ©cßmier* unb ißußmateriat nerbraucfjt mirb. 
©S ift nun ungefähr fünfjeßn Satire ßer, baß Saron not» 
gefcßlagen ßat, in ben Staucßjügen unb SJtauern non Neue* 
rungen ©ßermoelemente einjubauen. Sis ßeute mürbe nocß 
nicßt ber fteinfte Serfucß nacß biefer Slicßtung ßin auSge* 
füßrt. 916er in ber ©ßat finb fo niete SBärmeoertufte nor= 
ßanben, in ber ©edjnif mie braußen in ber Statur, bie man 
nußbar madjen foßte. 3d) ftimme nun aflerbingS nicßt mit 
in ben Sorfcßtag ein, ©ßennoetemente in ben Steffetfeuerungen 
einjubauen, ba biefe ja ben Stußeffect gerabe bei ©ampffeffet* 
feuerungen gu meit ßerunterfeßen mürben. Sn ben Siaminen 


fotcße Satterien unterjubringen, baS märe jebenfaßS boi 
Sortßeit. St ber menn man große Satterien über ben H«j| ! 
Öfen anbringen mürbe, ober menn man biefe Stbgafe buttß 
große, meßrere SJteter ßoße ©anäte ober ©emötbe ftreidjen 
ließe, in benen an ben SBänben tßermoeleftrifcße Satterien 
angebracßt mären, beren eine Steiße ber Sötßfteßen in bie 
ßeißen ©afe ragen mürben, mäßrenb bie anbem außerhalb 
in ftießenbem SBaffer mären, fo fönnte man auf biefe Sri 
unb SBeife große ©teftricitätSmengen mit menig taufentw 
Äoften erjeugen. 

©in anberer Naß märe ber, in ber Stäße beS Stequaiorj 
»iefleicßt in einem ©ee, ben man etoentuefl ourcß ein fließen* 
beS SBaffer ßerfteßen fönnte, ober am Ufer beS SJteereS üfc 
gemaltigen tßontonS eine ißtattform ju erricßten, auf ber man 
tßermoeteftrif^e Satterien Oon großen ©imenfionen auffteüen 
fönnte, Oon benen ber eine Sntercontact in baS SBaffer, btt 
anbere in Norm einer H«S t iPt ,e Soft ragen mütbt 

Sta^ ben Strbeiten üerfcßiebener ©eteßrten fofl bie ©oimt, 
auf jebe (beutfcße) Ctuäbratmeite eine Straft oon über 5 9KU* ’ 
tionen Ißferbefräften auSüben unb jmat in Norm oon SBättnt 
Sltfo fetbft menn ber ©otatnußeffect einer fotdien Satterie, 
beren H^srippen eine Duabratmeite Dberftädße ßätte, um 
l°/o märe, fo ßätten mir 50000 fßfcrbeftärfen in goto 
eteftrifcßer ©nergie jur Serfügung, bie man beliebig in 
Stccumulatoren auffpeicßern fönnte. @S ift nicßt nötßig, eine 
Stnlage oon einer foldßen ©röße ju bauen. SJtan fönnte 
aber j. S. eine fotcße erricßten, bie ungefäßr 1000 ÄilotMä 
teiftete. Sei ©age, menn bie Sonne fcßeint, mürbe fie frei* 
tief) meßr teiften atS bei Stadßt, üoßftänbig ftromteis träte 
bie Satterie nur bann, menn baS SBaffer unb bie Suft \k 
gfeieße ©emperatur aufjumeifen ßätten, biefe Unterfcßiebe 
ließen fieß aber feßr teießt bureß SIccumutatoren*Satterien ai* 
gteießett. ©benfo fönnte man bie ßeißen SDueßen auf 
tidje Strt nußbar madßen, inbem man baS SBaffer iu fws 
langen ©anate fortteiten unb paraßet baju fatteS SBafftt ti 
eben fotdßem ©anate fließen taffen mürbe. Ueber biefe» 
jmei ©anäten fönnte man berart Satterien aufbauen, bab 
ber eine Sntercontact in baS ßeiße, ber anbere in baS tato 
SBaffer taudßen mürbe, ©elbft menn ber Slußeffed ei« 
außerorbentlidß geringer märe, fo ßätte baS meßt bid j« 
fagen, benn bie SetriebSfoften mären ja aueß feßr gering 

Stnbere Norfcßer moflen mieber auf einem anberen Siege 
ju bem Niete gelangen, SBärme in ©teftricität ju oerttaitbetn. 
©ie ©ßatfaeße, baß ©ifen unb anbere magnetiSmuSfäßige 
Körper bei gemiffen ßoßen ©emperaturen benfetben oertieten, 
ßat ju üerfdßiebenen Serfucßen Seranlaffung gegeben, bie 
barauf abgietten, bureß ©rmärrnen unb SBieberabfüßten non 
SDfagneten Strom ju erjeugen. ©ore mieS im 3aßre l868 
barauf ßin, baß bieS unter gegebenen Umftänben mögtid) ift 
©bifon conftruirte im Saßre 1886 einen „Ißpromagnetico« 
generatot", ber auf ber ÜJBeltauSfteflung Oon tßariS 1889 
ju feßen mar. Stntßonß, 9J?engeS, ©eSta, ©ßompfon unb 
Stnbere maeßteu fidß bis jeßt auf biefem ©ebiete feßr net« 
bient, boeß finb biefe Serfucße ßeute noeß ju feinem ?lb* 
feßtuß gelangt, ©in anbereS ©ebiet, auf bem oiel gearbeitet 
mirb, bei bem aber bie betreffenben Serfucße aueß noeß}» 
feinem Stbfcßtuß gelangten, ift baS tßermoeßemifeße Söerfaßren. 
3Kan bringt Sloßle in einem gefeßtoffenen SRecipienten W 
ßoßer ©emperatur mit itgenb einem SWetaBojßbe, fagen wir 
Ninf, jufantmen, baS feinen ©auerftoff an bie Äoßte abgitß, 
fo baß baS frei mirb. ©iefeS ßat nun einen $$etf 
ber Soßtenenergie in fieß aufgenommen unb fann nun « 
gatoanifeßen ©tement atS SöfungSeteftrobe Sermenbung ftnbet- 
©ie bieSbejügti^en Serecßnungen füßrten für bie 
aber aueß ein negatiüeS Stefuttat g« ©age. 

®aS größte Problem ber eteftrifeßen SBiffenfdßaft iß 
3eit „©teftricität birect aus Äoßte". Siocß finb bie 
futtate ber Serfucße ttaeß biefer Sicßtung unfeßeinbar. 
ßaben ben Slampf oorjeitig aufgegeben, um fidß praftifeßeren, 




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Die #egeti»ari 



leicpteren ßielen gugutoenben. STber immer treten neue Sträfte 
für bie gagpaften ein unb gefpannt oerfolgen mit i£)re ©e= 
ftrebungen. Uebergroßer ©ntpufiaSmuS non ber einen, nör* 
getnber mißgünftiger ßmeifet auf ber anbern ©eite, finb bie 
©jtreme, bie ben ©inen anfpornen, ben Slnbern gurüd* 
ftptecfen. ©ormärts fei unfer Sßaplfprucp, einerlei, maS bie 
3ufunft bringt. 


Literatur unb $unft. 

3ungfrttttkreid) auf ber tBüifttc. 

SSon 2(. Brnnnemann (tßariS). 

©ine bemunberungStoürbige ©ebulb fegte bie frangöfifcpe 
&ritif an ben Dag, als fie. mit gefteigerter ©rmartung unb 
gütigem Sßoplrootlen jebeS bramatifcpe ©rgeugniß ber jungen 
©djule begrüßte, baS über bie ©retter bet ©etfucpSbüpne beS 
„Theatre libre“ ging. SRan meinte ©eftrebungen ermutigen 
ju müffen, bie, roie eS längft in ber bifbenben Sunft ge« 
fdjepen, abfolute SBaprpeit unb ccpte jftaturlaute auf bie mit 
personnages ä idees (oon DumaS fils gefcpaffen) bis junt 
Ueberbruß gefüllte ©üpne gu bringen oerpießeit. Unb bod) 
ging bie greie ©üpne mieber ein, benn fie fam über ein 
ÜiterarifcpeS ©iperimentiren nicE)t pinauS unb baS neue Drama 
ttmrbe nicpt geboren. Die junge ©eneration mißbrauchte baS 
nacpjtcptige ©ntgegenfommen unb feprte nur bie brutalfte 
©eite beS ÜRaturaliSmuS peroor. ©ie fcpmelgte förmlich in 
SBodpeit unb ©goiSmuS unb affen 2(bfcpeulicpfeiten beS animal 
humain, unb übertraf fo bie auf bie ©üpne gebrachten 3°fa’3 
unb ©oncourt’S („Therese Raquin“, „Germinalt 1 — „Germinie 
Laeerteux“), ohne beren ©roßgügigfeit gu erreichen. 2Hit 
©oüiebe bepanbelten bicfe Süngften bie in’S 3 0ten P a ft e 8 Cs 
fteqmen. ßiebeSabenteuer beS mittleren unb Reinen ©ürger* 
ftanbeS, Dpemen etma, mie fie 3°^ a ’^ „Pot-Bouille“ bietet, 
ferner baS 2trbeiterleben in brutalfter gorm. ©o mirb unS 
in „l’Argent“ oon @. gabre eine gamifie borgeführt, bie 
burdj gälfcpung oon ßebenSmitteln reich (jemorben ift. 211§ 
ber ©ater fein Deftament macpt, bricht 3mift unter ben ©rben 
au3, benn bie Sünber haften fich ber SWutter gegenüber für 
üerfürgt unb rächen fich, iobem fie bem ©ater oon ber Ün* 
treue Der ßeßteren erfühlen, ©ie aber erffärt ben ©atten als 
gälfcper unb gießt ihre Ütnfdjulbigung erft gurüd, als ihre 
Slnfprücße oofl gemürbigt morben finb. — Dies eine ©eifpief 
möge gur ©ßarafteriftif beS fogenannten „ Th&xtre rosse“ 
ober „Theätre cruel' (mie eS ßeoit ^enuique, ^>enri 
©earb u. 2f. pflegen) genügen, baS in bem ©eftreben natiir* 
tidj gu fein, ©räuet auf ©rauet häuft unb SDJenfcpen unb 
SebenSoerpältniffe ohne tieferes ©inbringen in bie ©haraftere, 
ohne übcrgeugenbe ©fpcßologie meit unter ihr ÜUltagSnioeau 
herabbrüdt. 

Sngmifcßen geftaltete fid) unter ber Seitung beS ©cpau* 
fpieferS 2fntoine bie grneite ©arifer ©erfudjSbiißne, baS 
„Thä&tre de l’Oeuvre“, gu einer meit günftigeren ©flangftätte 
neuer reformatorifcher ©eftrebungen, meil fie nicht in ein« 
feitiger ©Seife bem naturaliftifcpen ©riitcip hulbigte unb gubein 
eine glüdlicpe 2Inleipe beim 2luSlanb machte, ba eS im ßanbe 
fetbft an ftarfen regenerireitben Straften fehlte. Spr oerbanft 
^frantreicß bie Sefanntfcpaft mit Sbfeit, Dolftoi unb Dofto* 
lemSfp; beibe fotlten umgeftaltenb auf benjenigeit 3meig ber 
oratnatifcpen ßiteratur mitten, auf ben fich bie gefammte 
©ühnenthätigteit ber grangofen feit Saßrgepnten concentrirt: 
baS ©ittenbrama. 9?acpbcm bie Dragöbie ju einem bloßen 
©ffectftüd (©arbou) ober ju trafttofer Nachahmung ber 
9tomanti£er (©oppee, ^>enri be ©ornier, ©arobi) herabgefnnten 
ift, nimmt baS ©ittenbilb, biefer fräftigfte jRieberfrfjlag beS 


©ariferthumS, bie erfte ©teile in ber bramatifcfjen ßiteratur 
unferer Nachbarn ein. §ier ftoßen mir auf bie echten Keinen 
unb großen Dalente, auf gallebittere ©atirifer: ©ecque, 
ßaoeban, auf liebenSmütbige ©pötter: Donnap, §ermaitt, 
auf feine ©fpchologen: ©rcöoft, ßemattre, be ©urel, auf 
mutige Stämpfer für bie ©ed)te beS SnbioibuumS: ©aul 
fieroieu. Die ©ittentomöbie mirb mohl immer baS @d)ooß= 
tinb ber franjöfifchen bramatifchen SWufe bleiben, benn in 
ihrem ©ahmen taffen fiep bie glänjenbften geiftigen unb 
bichterifcpen ©igenfepaften beS ©allierS entfalten: tüpne 
©ftjdjologie, feparfe ©paratteriftit, geiftfprüpenber Dialog, 
grajiöfe ©emeglicpteit; ©orjüge, bie felbft über ftarfe fjeplet 
beS bramatifepen SlufbaueS ptnmegtäufdjen; enblicp eine nn« 
erfdjtodene, fcpatf pointirte, oielbeutige Knappheit ber ©praepe, 
bie mit menig aitfdjeinenb parmlofen ©Sorten fepr ernfte 
©(haben ber ©efettfepaft aufbedt unb geißelt unb babei — 
menn mit eS nidjt mit gan^ feproffen ©olemitern ju tpun 
paben — immer tiebenSmürbig bleibt. 

lieber ?tlej.'anber DumaS’ Piece ä these ift baS heutige 
©arifer ©ittenftüd ein gutes Dpeit pinauS gefommen. Die 
©erfonen, bie einer Dpefe ju ßiebe ba toaren, leben jept ipr 
eigenes ßeben, ein beffereS feiten, aber ein glaubmürbigercS; 
niept burep lange moralifcpe 2lbpanblungen, fonbern burep 
peinlicp«genaue ©cpilberung ipreS DpunS unb DreibenS mirb 
biefeS gerieptet. Dennoch ift baS moberne ©ittenftüd fepon 
bei DumaS im Seime üorpanben; tpeuer mar iprn bie neu* 
eüangelifcpe Dpeorie beS SliitleibS mit allen ßeibenben, inS* 
befonbere mit ben ©ariaS ber ©efeUfdpaft, unb er mar eS, 
ber guerft für bie SRecpte beS burep conoentioneüe ©epranfen 
unb gärten unterbrüdten SnbioibuumS eintrat. §eute ent* 
nimmt man ben oon Cften unb SRorben eingebrungeiten 
Sbeenftrömungen, in grünbli^et üftieptaeptung DumaS’, bie 
§auptingrebiengen, mit benen biefe eept franjöfifcpe Soft ge* 
miirgt mirb, bamit fie eine über baS eng begrenzte ©arifer* 
tpum pinauSgepenbe ©ebeutung erpalte. 

21 m lebpafteften paben fiep gcrabe bie perOorragenben 
Dalente ben großen flaüifdpeit unb germanifepen Sbeenfonb 
gu eigen gemaept, mäprenb Dalente gmeiten 9iangeS, mie 
Donnap, |>crmant, nur mit c<pt gallifdjen ©igenfepaften 
reigen unb burep fede ©eitenfprünge in’S ßaSciüe geigen, baß 
man in grantreiep noep oerftept, ftdp, opne Oiet gu analpftren 
ober gu ppilofoppiren, über flott unb pridelnb bargefteüte 
galante Abenteuer gu beluftigen. Denn in granfreiep, baS 
unferer üluffaffung oom Dpeater entgegen, bie ©üpne ent* 
meber als titeravifcpeS Snftitut ober lebiglicp als Unter* 
paltungSftätte anfiept, malten feine äftpetifepen ©erböte ober 
üolfSergieperifcpen ©orfepriften; eS gilt pier ber ©runbfap: 
ertaubt ift, maS gefällt, ©o paben mir, mie mir fpäter fepen 
merben, neben cinanber auf erften ©üpnen baS ftarf ppifo* 
foppifd) gehaltene ©tüd, maS bei unS nur als ©uepbranta 
möglid) märe unb baS oberftäcplidjfte ©atonbilb, baS nur 
burep feine flotte 3D?acpe giept unb bejubelt mirb. 3 U lepterem 
©enre gepören ©laurice Donnap’S „Amants“, eine ent* 
giidenbe Somöbie oollet ©onmotS, geiftüoDer ©taubereien unb 
oielfagenber ©ouleüarb * ©arifiSmen. 2lQcS fpielt fiep im 
eleganteften ©afon ab; bie §elbin erfepeint unS als gragiöfe 
©ariferin — bis mir gang uerbußt bapinter tommen, baß 
unS £etr Donnap nur eine picante ©eene aus ber £mtb* 
meit oorfüptt. 

$enri ßaoeban aber ftellt fid) pöpere Slufgaben. ©r 
mit! als ©ittenriepter auftreten unb fepmingt bie ©eißel ber 
Satire (»le Prince d’Aurec“, „les Yiveurs“, „les Deux 
Noblesses“). 3 um Dpeil ben Don feines fraftooHen ©or* 
gängerS ^cenri ©ecque anfcplagenb, nimmt er biefem bie 
troftlofe ©itterfeit unb ernüdpternbe 2lbficptlicpfeit; er ftidjt 
mit feinen ©abelfpißen, mo jener mit ©friemeit ftiept. ©ie 
alle eifern gegen bie oerlotterte ©efellfdjaft, gegen bie genuß* 
fücptigen ©elbleute, bie eine allen 2lbelS ber ©efinnung bare 
?lriftofratie oor iprem Oöüigen 3Ruin in’S ©djlepptau nimmt. 


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54 


■v 


flie Cegetutri 


Nt. 4. 


gegen bie leichtfertigen ©attinnen, bie Sebentänner, bie Halb» 
meltbanten, bie jungen unb alten ßRonbänen, bie nicht beffer 
finb mie jene, bis herab gut „ingenue“, einftmalS meiß unb 
unfchutbig, roie bie stauben unb nun als „halbe Unfdjulb" 
nach bem reifen freier fifcßenb. SaS erfte 93?al reigt 
ein folchcS ißarifer ©tüd bie ifteugier, baS gtoeite SJfal lang* 
»eilt eS unb baS britte SWal efelt eS uns an. Äfime ein 
ftarfer Sturmminb unb fegte biefe Slätter non bannen — bie 
SBeltliteratur mürbe nicht niel oerficren. SaS eine ober 
anbere Stüd mag eine fittengefd)id)tliche Sebeutuitg haben, 
hoch ber Socumente ftnb fcßon übergenug borhanben — faum 
eines er}d)ließt uns neue SebenSbert)ältniffc, ethifche Sßertbe, 
beaditenSmürbige ©eelenäußerungen, Steigerungen ber $ßer= 
fönlid)feit — mir erfahren nichts non focialen Serhältniffen 
unb ernfteit ßeitproblemen. Sann man einem geminnfüd)tigen 
Santier, einem berlumpten ©rafen, einer Socotte unb einer 
9J?arquife, bie nicht niel beffer ift, auf bie 'Sauer ein tieferes 
Sntereffe mibrnen, felbft menn bie geheimften Sriebfebern 
ihres groeifelbaften fianbelS mit bem fdjärffteit Secirmeffer 
pfhcßologifcher Analpfe bloSgelegt mcrben? Unb menn bie 
Sfjilieufd)itberung noch fo treu ift — müffen mit ber Halb* 
mc(t=©aIonS, ber Chambre separes nicht mübe merben! 
SBelcßen Antbeil bat bie benleube unb füfjtenbe SD?enfd)t>eit 
an ber ©enußfucht ber Sßarifer oberen .gebntaufenb? Höd)ftenS 
ben einer flüchtigen Neugier. 

lieber baS Sarifer Srciben felbft erheben fid) nur menige 
frangöfifcße Sramatifer unb jene, bie unS burdj ihre tiefen 
gebantlichen ®aben ungleich merthnoKer finb, bie fid) an ben 
ganzen 9Renfd)en menben, bfirfen mir in unferem Sinne nicht 
eigentlich ä u ben geborenen Sühnenfehriftftellern gäljlen: 
SuleS Semattre, Saul Herbieu, gratt^otS be Surel. 
©S finb feinfinnige Sfritiler, Senf er unb ißbifofophen, feine 
Sramatifer, benn fie tljeoretifiren, analhfiren unb pt)ilofopf)iren 
biel, ohne unS rafch pulfirenbe Hanblung, bühnengerechte 
SMrlungSmittef, gefdjloffenen Sau, Steigerung ber Spannung, 
fürs etroaS nach unferen Segriffen fpecififcß SramatifcheS su 
geben. Um ihnen wolle ©ered)tigfeit miberfahren gu taffen, 
müffen mir uns auf ben ©tanbpunft ftetlen, ben, mie bereits 
ermähnt, ber Rrangofe feiner Sühne gegenüber einnimmt. 
(Sr mürbe bie befannten Stüde biefer Autoren als „comedies 
litteraires“ (Suchbramen) beseichnen, fie jeboch, trog ihrer 
©igenfeßaften als folche, ebenfo gern auf ber Sühne fehen 
mie lefen; ja bie Seetüre eines StiideS — unb nicht mie bei 
unS bie Aufführung — gilt ihm als eigentlicher ißrüfftein 
für feinen SBertl). (Sin Sud)brama bdü literarißher Se= 
beutung — bieS besieht fich freilich in erfter §infid)t auf bie 
eble Sprache unb ben poetifd)en ©eßalt beS SerSbramaS, — 
fd)ä|jt er höher ein als ein nach ftraffen bramatifdjen (Som« 
pofitionSregeln aufgebautes Sühnenftüd, baS nur ein foldjeS 
fein miß. 

Stuf bie genanten Autoren haben Solftoi unb Softo* 
jemsfh einen tiefen (Sinbrud gemacht, unb als Sbfen baS 
Äampfgefchrei beS SnbibibuumS gegen bie ©efeflfehaft erhob, 
unb fleißig aufgeführt unb commentirt mürbe*), ging ein 
menig oon feiner Streitbarfeit auch auf fie übet. (Sine neue 
fßh°f c für bie (Sntroidelung beS frangöfifdjen SittenbramaS 
bebeutet SuleS Semaitre’S „ißarbon". (SS ift ein fchlidjteS, 
furseS Drame d’analyse, tiotl tiefer pfhcholoqifdjer Reinheiten. 
Sie Sbeorie ber Sergebung, ber ruffifchen SRitleibSflutb ent= 
ftammenb, bilbet hier bie Söfung ber nicht aßgu neuen @he= 
bruchSgefd)ichte unb entrüdt fie fo bem parifer Soben in 
eine Sphäre allgemeiner SWenfchlichfeit, bie ©t)mpathien unb 
Antipathien aller SKenfchen anrufenb. ©atte unb ©attin, 
bie Seibe beS SreubrudjS fchulbig finb, bereinigen fich S um 
Schluß in erhabener Serföhnung unb Sergebung. Sie eblere, 


*) SJon Q6fen führte ba§ TheAtre de l'oeuvre bie „©efpeitfltt", 
„$ie SBilbente", „SKocmerütjoIm", „SBaumeifter ©olnefc" auf. „Oiora" 
mürbe im SBaubeoitte burctj bie Dtöjane creirt. 


milbere ©eite beS SKenfdjenthumS mirb mieber herborgefdjtt 
— freilich finb eS roeidje, fchmanfenbe ©boraltere, hie mit 
bulbfam unb uerföhnlich merben fehen. SBeil fie aßgu leicht 
bet Serfudjung unterlagen, prebigeit fie ÜRitleib mit alle« 
©djulbbelnbenen, unb auS bem nieberfdjmetternben Semußtfei« 
ber eigenen S<hmacf)heit heraus mirb ^ier bergeben, ©ne 
aUsu ftarfe Neigung gum Analhfiren ber ©efül)le unb eine 
SU große SSeidjheit ben ernften Rorberungen beS Sebenj 
gegenüber burchgießt baS gefammte bidjterifche Schaffen bee 
feinfinnigen SritiferS Semattre, ber bei einem überrafeßenb 
tiertieften iRachempfinben unb Seurtheilen frember Schöpfungen 
ber fräftigen (Sigenart entbehrt; barum gingen feine übrigen 
Slomöbien: „läge difficile“, „le depute Leveau“ unb „les 
rois“ (bramatifirter fRoman), siemlich einbrudSfoS ‘borübet. 

Äiihn unb energifd) tritt bagegen fßaul ^erbieu auf 
mit felbftftänbigen ©eftalten, bie eine fefte, fidjere Spradje 
leben. Sei ihm befinbet fidh baS Snbibibuum in boflem 
Sampfe gegen - bie ®efeUfd)aft; allen Schranfen ber Sitten 
unb ©efefce gum Sro§ pocht eS auf fein 9ted)t an baS 
®(üd. @r |at eine burchauS moberne AuSbilbung ge< 
noffen unb ift mit aßen aufregenben Sbeen ber jüngften 
3eit, mit ben Sbeen bon perfönlicher Rreiheit, bm 
ber (Sntmidelung beS Sch mohl bertrant. Soch Serbien 
bleibt ftetS in gemäßigten (Stengen; er geigt uns ben furcht¬ 
baren Srud ber ©chranfe unb baS bergroeifette Auflehnen 
ber ©ebrüdten, nicht aber baS leichtfertige Sprengen bet 
Reffein. Sormiegenb ift eS bei ißm baS SBeib, baS fich 
gegen eine gefe^mäßige, lieblofc Unterbrfidung empört ®k 
„SenaiüeS": 3rene lebt unglüdlich mit ihrem (hatten $a«l 
Rergan, einem (Sgoiften bom reinften SBaffer. 3hr Rugenb« 
freunb, ÜRidhet Sabernier, ben fie liebte, lehrt bom AuSlonbe 
gurüd unb baS erfte SBieberfeljen offenbart ber jungen grau, 
baß SRicßel nur in bie freiroiUige Serbannung ging, nm fie 
gu betgeffen, ba er fich ®h ne ©teßung unb Sermögen n«h 
als Rreier nahen burfte. Sie alte Seibenfchaft flammt m&M 
empor, hoch Seibe finb nicht bon ben ©emiffenlofen, bie «« 
mariage a trois führen fönuen. SKichel miß. mieber «fj 
AuSlanb. Srene mirft fich bem ®atten gu Rußen unb fleft 
um Rreiheit, hoch er, ber leine Spur bon Siebe gu feine» 
SBeibe befigt, bleibt unerbittlich — auS Sequemlidjleit 3^ 
Sahre fpäter. Rergan miß Sabernier’S IränllicheS Söhncho 
(baS er für fein eigenes hält) in eine ftrenge ißenfion geben, 
um ber mütterlichen Sergärtelung ein (Snbe gu machen. ®ie 
ÜJlutter fämpft mie eine Söroin für ihr SungeS, unb in ihrer 
SobeSangft um ben kleinen gefleht fie, baß er ber ©oh« 
beS RreunbeS ift, ber nach furgem Sefudj in ber ^eimath 
in bie Rerne gog unb halb barauf einer bergehrenbe« 
Sfranlheit erlag. Rergan miß SJJutter unb Sohn auS be» 
£>aufe roeifen, hoch je^t ift eS Srene, bie bon einer ©cheibung 
nichts hören mag: „SJleine Sugenb ift entfdjmunben; meint 
Hoffnungen finb tobt. Sch meigere mich, mein Sehen noch 
einmal gu änbern. SBo ich bin unb maS ich bin, toiH i(| 
bleiben ... 

Rergan: Unb idh? SBeldjeS Sehen foß ich ffih ren » n ® 
immer unb immer Si^ bot Augen? 

Srene: Saffelbe, baS Su mich bis auf ben h^ubj® 
Sag gu führen gmangft. 2Bit finb an bie gleich« Slette ge- 
fchmiebet! So fühle enblich ihre Saft unb giehe auch bora«! 
Sange genug fchleife ich f’ e aßein fort. 

Rergan: @S giebt leine ©ereeßtigteit! 

Srene: @S giebt eine ®ere^tiglcit beS gemeinfanten Un< 
glüdS. 

Rergan: Su bift fchulbbetaben, ich aber unfchulbig. • • 

Srene: SBir finb Seibe unglüdlich, »ab im Unglüd gief* 
eS nur noch ©leichbeit! 

2Bie biel höher ftebt Herbieu als bie Sittenbramötite 
alten Stils. @S ift hier nicht mehr bie „femme ineompree“, 
bie fich, gelangmeilt, nach ßerftreuung umfteht unb bahn f# 
biel ÜRacbficbt finbet, als fie bon jeher in Rrantreich gn finb« 


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Nt. 4. 


Die Gegenwart. 


55 


gewöpnt war. GS ift bie gu tcofttofer Gntfagung Oerbammte 
grau, bie fiep nur einmal gegen alle Ungcvecptigfeit auf» 
bäumt unb eS ewig büßen muß. 3unge frangöfifcpe Vornan» 
fc^riftfteUer paben mehrfad) begonnen, gleichfalls für fie in 
bie ©d)raufen gu treten, fo 3u(eS Safe in „la Vasalle“. SS 
ift ber 9lnfag gum neuen SBeib Sbfen’S, baS fiep gegen bie 
orientalifdje 9tuffaffung beS WanneS üom ffieibe empört; 
nur fehlen ben grangöfinnen bie feften ©runblinien gu einer 
tßerfönlicpfeit, bie [ich fidjer in ihrer ^cci^eit gu bewegen 
oerftept; innerlich bleibt fie noch immer im elementarften 
Sinne öom Wanne abhängig. Noch fchärfer geißelt „La 
loi de l'homme“ ^peroieu’S jüngfteS SBerf, bie Uitterbriidung 
beS SBeibeS. ®eS Richters Sprache ift fernig unb fcponungS* 
loS; feine pfpdjologifcfjen 9lnalpfen finb bon größter gein» 
heit, unb er hot fiep unftreitig bebeutenbe SSerbienfte um bie 
Vertiefung beS frangöfifdjen ©ittenbramaS erworben. 

Noch ftärfer geigt fiep baS Ucberwinben beS Iribialen, 
baSVerüdftcptigen ber großen WenfcppeitSproblemc bei gtanpoiS 
be Gurel, beffen 5)ramen freilich in erfter Sinie baS fßräbifat 
„literarifcp" gufommt. 3m „Repas du Lion“ trat er bein 
focialen Sß co ^ em ouf rein perfönlicpc, eigenartige SBeife 
näher*); in „la nouvelle Idole“ oerfudjt er feinerfeitS bie 
bon bielen Glitegeiftern granfreicpS erftrebte Verföpnung ber 
SBiffenfdjaft mit bem geheimnißoollen, ungerftörbaren reli» 
giöfen Urgrunb ber ©eele angubahnen. ©tarf bon «olftoi 
infpirirt, oerherrltcpt er bie offenbarungsgleich peroorbrecpenbe 
Wenfdjenliebe unb SlufopferungSfreubigfeit, bie er mit ihm 
auf baS unS inne wohnenbe göttliche Glement gurüdfüprt 
(oergL Xolftoi: Wacht ber ginfterniß; §err unb Unecht). 

©n Slrgt unb Vacterienforfcper hot ÄrebSimpfungen an 
Xobtfranfen eines ©pitalS borgenommen, um burd) baS 
^Beobachten ihrer JtranffjeitSfhmptome bereinft 'Jaufenbe gu 
retten, ©ein ©ewiffen ift babci gang ruhig. Nun aber ift 
ein junges Wäbdpen, angeblich im legten ©tabium ber Sdjroinb* 
fudjt, wieber genefen unb nur burcf) bie bon ihm borgenommene 
Ginfprigung rettungslos bem »lobe berfallen. ®iefe furcht» 
6art «hotfache gugletch mit bet freubigen Dpferwifligfeit beS 
armen WäbdjenS, baS nur SBorte beS TrofteS unb ber 
Wenfdjenliebe auf ben Sippen hat, erfcpließt ihm, bem Wate* 
rialiften, bie mpftifdjen «liefen beS ©eins. Um fid) gu 
ftrafen, hotte er fiep felbft baS ©ift eingeimpft — fein Un* 
heil berwünfchenb — nun fieht er begeiftert bem fangfamen 
quatboKen Dpfertob entgegen. 3e mehr fich gra^oiS be 
Gurel, banf feiner grübelnben Gigenart, bom ^ariferthum, 
bem er Anfangs feinen «ribut gahlte, befreite, befto mehr 
ging ber Tramatifer in ihm berloren. Nocp aber ift „la 
nouvelle Idole* fein rein ppilofoppifcpeS ®rama, wie wir 
eS bei Grneft Nenan finben (le pretre de Nemi u. .91.) unb 
mit bem fid) ber ernftgefcpulte ®cnfer auSeinanbergufeßen hätte. 
SS haftet ihm bei Vepanblung philofoppifcpet gragen etwas 
®irettantifd)e3 an; er wirb romanhaft weitfdjweifig, ja bis* 
Weiten unflar unb obwohl ®ramatifer, fleht er bon feinen 
3citgenoffen bem grüblerifdjen Nomancier Sbouarb Nob am 
nächsten. ®ie ^Bühnenerfolge, bie ihm gu Iheil würben, 
fpredjen für bie Ueberfättigung ernfterer ©eifter am Sitten* 
ftücf nad) befannten Wuftern unb noch ftärfer für baS 
wadjfenbe religiöfe Verlangen einer beftimmten geiftigen Stite 
granfreicpS, bie burcf) opferfreubige Wenfdjenliebe bie ber* 
loren gegangene ftarfe ©laubenSfeftigfeit erfegen möchte. 

«liefen £>ang gur Wpftif geigt Waurice Voucpor, ber 
in föftlkhfter SEÖeife bie alten Wpfterien unb SBeipnacptS* 
fpiele Wieber erneut hat. „Noel“, „Tobie“, „Sainte-Cecile“, 
,4’Aurore“ unb bereits ein gefeierter VolfSbicpter geworben 
ift**) 3n antif*naibem ©ewanbe prebigen bie „Mysteres 
d’Eleusys“ baS ebelfte läuternbe Streben ber ©eele nach ben 

*) Sergl. ben Sluffafe „SoclaltSntuS auf ber fraitjöfifdjen Sühne" 
(Oegennmrt 28. 3“brg. 9tr. 4). 

**) Soudjor bearbeitete eine Steifte alter Solf?bid)tungen für 6<ftulen 
unb biefe erfreuen fid; bet größten Beliebtheit. 


hödjften ©ütern. Voucpor’S SSetSbramen bureproept jene edpte, 
tief innerliche ißoefie, bie im heutigen frangöfifdjen VetS* 
brama nur noch feiten gu finben ift, ba bieS gum «heil nur 
in fcpwäcpticpen Nachahmungen beS Bebeutfamen früherer 
©pochen befteji)t. 3Beber bie 9llejanbrientragöble großen Stils, 
noch baS gebiegene SSerSluftfpiel h at bei ben jüngeren 9lutoren 
namhafte Vertreter gefunben. SBahrhaft ©uteS ift nur bur<h 
SBieberbelebung ber romaittifdjen Äontöbie geleiftet Worben. 
«)ie SEßerfe Sbmonb fRoftanb’S finb gu hefannt, um ihnen 
hier eine größere SBürbigung gu fdjenfen. 3h m gur ©eite 
fteht Nichepin mit bem- „glihuftier". SBeibe gaben in ©e* 
meinfehaft mit bem älteren ®idjter «h^bore be SBanöille 
(„©ringoire"), eine glücflidje Vereiterung ber frangöfifhen 
Siteratur, inbem fie eine fiunftform wieber belebten, für bie 
baS frangöfifche Voll befonberS empfänglich ift unb in ber 
eS oermöge feiner angeborenen ©ragie, ©alanterie, Seidjtig* 
feit beS Temperaments unb feiner garten einfchmeidjelnben 
eleganten VerSfunft fehr probuctio fein fann. 

2BaS fich officieü ©pmbolift unb ®ecabent nennt, meibet 
bie Vügne unb wenbet fich ber Sprit unb bem SRoman gu. 
«)ie NarciffuSlcibenfchaft beS ©elbftbewunbernS, bie Smpfin* 
bungSfünftelei oertragen fich nur fdjwer mit Vühnenfprache 
unb feenifdjen gorberungen. gür wenig burd)ficf)tige @pm» 
bolif aber hat bie clarte franfaise, fein Verftänbniß. ®a, 
Wo 3bfen geheimnißooß wirb, hält eS ber $)urd)fchmtt8» 
frangofe nur für feine ißflicht, ihn gu bewunbern — inner* 
lieg tritt er ihm niept nahe; baS erflärt baS Scheitern 
feiner Nachahmer, wenn fie einmal ben unoergeihlidjen SBer* 
fuef) machten, ihr unoerfälfcpteS gaHifcheS Smpfinben in 
„norbifchen Nebel" gu hüllen. SBer fiep nur einigermaßen 
mit ber jüngeren unb jüngften Siteratur unferer Nachbarn 
befdjäftigt, muß gu ber Uebergeugung gelangen, baß bie 
füljrenben ©eifter, bie tieferen fd)öpferifd)en ©enieS nicht auf 
ben SBrettern gu fuepen finb. Tie ©tärfe ber heutigen fran* 
göfifchen Siteratur liegt im Noman. S)ie geiftreichen Wora» 
liften unb 9lnalptifer finb feine ®ramatifer, unb bie wirf* 
liegen ®ramatifer greifen oft gu erbärmlichen, niebrigen 
Wittein, um bas publicum anguloefen. Unb boep ift eS ber 
pöchfte Sptgeig, aufgeführt gu werben, benit eS ift leichter, 
Diel leichter als bei unS, mit allen erbenflicgen bramatifd)en 
Unterarten auf bie Vretter gu gelangen — unb nebenbei ein 
fehr gutes ©efc^äft. 


tt)ar 51)ttkefpettre itt Jtfllicti? 

S3on $t. 2IItmann (SRom). 

®ie alte Streitfrage, warum ©hafefpeare feine ©tüde 
fo gern nach Stalien üertegte, ob er felbft bort geWefen, wie 
Weit feine Socalfenntniß unb »treue reicht, ift bisher oon 
unferen ©hafefpeareforfchern meift hinterm ©epreibtifeh unb 
gur ©eite beS wärmenben DfenS „getöft" worben. Taper 
bie bürftigen unb einanber toiberfpreepenben Srgebniffe. Tie 
grage gehört aber, bie nötpige Senntniß beS großen Vriten 
fetbftüerftänblicp oorauSgefegt, eper in baS SReffort beS Stalien* 
funbigen. Seiber taffen unS bie gunäepft piergu berufenen 
Sfenner, bie itatienifepen gotfeper, im ©tiep, unb WaS fie 
unb auep &' e grangofen (niept gu Oergeffen ben ®eutftpen 
SBaffermann) für ®ante üerfuept paben: bie Dertlicpfeiten 
feiner ©öttlicpen Äomöbie in ber SBirflicpfeit aufgufuepen 
unb feftguftellen, — baS feplt unS für ben unfterblicpen 
britifepen Tarfteller altrömifcpen unb aititalifd)en SebenS auf 
ber Vüpne. Srft gang neuetbingS pat Dr. «peobor Slge 
oerfuept, in ©pafefpeare’S gußftapfen Stalien gu burepwanbern. 
Gr bringt bafür atteS nötpige Niiftgeug ober, um im Vilbe 
gu bleiben, einen tücptigen geleprten Nudfad mit unb einen 


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56 


Die ©egentoarf. 


Nr. 4. 


fcparfen SStirf für baS Sanbfcpaftlicpe, §iftorifd)e unb Eulturetle. 
5 )ie Siebe für feinen 2 Iutor pat er im oätcrlicpeit §aufe beS 
ausgezeichneten SfjafefpeareforfdjerS Karl Elje glcicpfam mit 
bet SRuttermild) eingefogen, unb ein uieljäfjriger dlufentpalt 
in Stalien — er lebt unfereS SSiffcnS in SBenebig — pat 
ihm bie ?lrcpiDe unb Socalitäten oertraut gemacht. So fomntt 
et benn in feinen bei (Epeobor Stdermann in 2Ründ)cn er= 
fepienenen „(Benejianifcpen Stilen ju Spafefpeare" ber Ein» 
gang« aufgeworfenen Streitfrage unb ihrer Söfung näper, als 
irgenb einer feiner Vorgänger. (Sr jeigt, baß negatioe unb 
pofitioe Socattreue nur in fept wenigen ber italienifcpen (Dramen 
Spafefpeare’S ju finben, baß hingegen in beit meiften bie pofitioe 
gar niept ober nur ^örf)ft mangelhaft oorpanbeit ift, wäprenb 
gegen bie negatioe fepr t)äufig wiffentlid) Oerftoßen wirb. (Doper 
oerwanbelt fid) für ihn bie (Behauptung einer näheren Kennt* 
niß Spafefpeare’S oon Stalien in biejenige einer folcpen Don 
(Benebig unb (ßabua, unb er hält fid) für berechtigt, il)m eine 
folcpe Don Sicilien, Neapel, Eap SRifenum, (Rom, Jlorenj 
unb fßifa, aud) Don SRailanb, (Bergamo, (Berona, (Bicenja unb 
(treöifo böllig abjufpredjen. (Die Erwähnung einer Eigenheit 
in ber 2luSfpracpe ber Neapolitaner, bie Eparafterifirung ber 
(ßifaer (Bürger, bie Scpilberung einiger ©emälbe, bie (Sin* 
führung bet (ßeterSfircpe in (Berona, u. bgl. m. beweifen picr 
itid)tS, unb japlreidje Unäutreffenbpeiten, (Berfcpweigutigett unb 
(Berwifchungen fpredjen bagegen. (Die nicht unähnliche (Dar* 
fteQung ber Snfel (ßantalaria fcheint auf leicht begreiflicher 
Sntuition jn beruhen, unb waS wir oon bent Dielgenannten 
URantua erfahren, ift faum fo üiel, als ein in (ßabua ftubi* 
renber (Snglänber oon einem Sluöfluge bahin erzählen würbe. 
2lnbererfeitS aber ift eS über jeben ß^eifel erhaben, baß 
Spafefpeare über (Bcnebig nnb (jSabua beffer unterrichtet war, 
al§ bie meiften feiner jeitgenöffifepen SanbSleute ((Sorgat 
u. 21.). (St tennt (ßabua’S (Bebeutung in ber Kunftgefcpicpte, 
feine Unioerfität, baS Seben auf berfelben, ihre (fSrofefforen 
unb Stubenten, ben SujuS feiner (Bürger, bie 9luSftattung 
feiner Käufer, unb einzelne (Borfommniffe bafelbft. SBäptenb 
ihm bie anberfeitigen Umgebungen ber Stabt nnbefannt finb, 
fennt er genau ben oon hier oftwärts nach (Benebig ber (Brenta 
entlang füpreitben 2 Beg mit feinen prächtigen Sanbpäufcrn 
unb ©ärten. (St fennt (BenebigS (Rcicptpum, feine (Berfaffung, 
feine (Radjtpolijei unb anbere öffentliche Einrichtungen, beit 
(Rialto unb anbere Socalitäten, bie ©onbelit, bie Sitten unb 
Gebräuche ber (Bewohner, bie ÜRoben, bie üblichen Eigennamen 
unb beren (Bebeutung, bie Stellung ber Suben unb bet fremben 
Kaufleute, gerichtlich« (Epatfacpen, örtliche Umftänbe, 91 n* 
ftalten unb 9lu3brüde. Er finbet in (ßabuaner unb (Benejianer 
(Borfällen, (ßerfönlicpfciten unb Socalitäten bie dRittel unb 
(Borbilber ju feiner (Darftellung. Qpne feine Ken nt niß jur Schau 
ju tragen, übertrifft er barin hoch folche, bie (Beliebig befurijt 
hatten. Er befa%, meint Elje, eine genauere unb tiefer gehenbe 
(Borftetlung oon (Benebig unb (ßabua, als Schiller oon Uri, 
Scpwpj unb Unterwalben, bie befanntlicp burd) Stubien unb 
münblkhedRittpeilungenSohanneS ü.dRitller’S erworben würben. 
„Sn ber dluSfchließlidjfeit biefer Kenntniffe aber liegt eben zu» 
gleich bet (Beweis, baß Shafefpcare bie gläiijcnbe Sngunenftabt 
nicht felbft gefehen hot; beim auf welchem SSege immer er bahin 
gefommen fein fönnte, fei eS über (f?aris, Sffailanb, (Berona, 
fei eS übet ÜSien, (BiÜacp, (Ereoifo, fo erfdjeint eS unmöglich, 
bafe er bie burdjreiften (Stäbte nidjt in entfprecfjenberer Sßeife 
in feine (Dramen eingeführt hätte. ÜBien, (jjaris mtb dRailanb 
finb ihm nur beliebige Scpaupläpc, (Berona war ihm burd) 
(Romeo’S ©efepiepte aufgenötpigt, fonft aber ein unöcfannter 
Scpauplap. Unb in ber rüpmeitSwertpen 9luSbepnung unb 
©enauigfeit feiner Kenntniffe oon (Benebig liegt ein ^weiter 
(Beweis gegen bie Einnahme einer italicnifchen (Reife Shafe* 
fpeare’S, benn fie übertreffen um oieleS biejenigen, welche ein 
(Reifenber in frembent Sanbe, 511 mal wenn er beffen Spradje 
nicht üollfommcn inne h nf - fid) 311 erwerben pflegt. Stelle 
man aiich@h a fefpeoi , e’S(BeobadjtitngSgabe uub genialen Scharf* 


blief fo hod) man will, immer bebatf eS jur 2 lneignungpofititier 
Kenntniffe materieller ßeit, unb nur ein längerer 2 lufentl|alt 
üermag eine folche (Bertrautheit mit ben Socaloerhälttiiffcn 
einer fremben Stabt ju erflärett, wie wir fie bei Shafefpeorc 
hinfichtlich (BenebigS bewunbern." 

Elje unterfReibet bei Shatefpeare’S italienifdhen ©tüden 
nicht jwifchen localtreuen unb localuntreuen, fonbern jwifchen 
foldjcn, bie wirflid) bort fpielen: S)er Kaufmann Oon (Benebig, 
Othello, — folchen, bie jwar bort fpielen, aber neben 3talic. 
nifd)cm mehr ober weniger grembeS enthalten: ®ie 3^h mun 3 
ber SBibcrfpenftigen, (Romeo unb Sulia, bet Sturm, — unb 
folchen, beren Schauplah nur beliebig bahin oerlegt ift: Sie 
beiben (Beronefer, SBinterinärdfen, (Biel Särmen um (Ridjti 
gür ihn geben bie erftgenannten ben 2IuSfd)lag. (Die ©<hil* 
berung ber Sombarbei unb bie Eharalteriftif ber (Bewohnet 
oon fflorens unb (ßifa fann Shafefpeare aus (Büchern ge* 
fchöpft haben, — oon ber (ßeft fann er dRancheS gelefen unb 
in Sonbon gehört, — bie Eigennamen fann er jum groben 
(Effetl auS ©aitbeUo’S (Roüellen unb anbern Schriften ent« 
nommen haben; allein feine genauen, ins Sinjelne gehenben, 
bie gewöhn(id)en (Biicherfenntitiffe weit übertreffenben Angaben 
über (Benebig uub (ßabua weifen auf eine reichhaltige, aul 
biefen beiben Stäbten entfprungene Specialquelle hin- „Ssiefe 
im Kreife ber oenejianifchen ?lgenten ju fuchen, berbietet beren 
befannte Schweigfamfeit; fie fcheint aber auch nicht ini Streife 
ber italicnifchen Eolonie in Sonbon ju liegen, barum nicht, 
weil in berfelben gewiß oiele italienifche Stäbte Oertreten 
waren unb fomit Shafefpeare’S Specialfenntniffe oon Stalien 
wahrfdjeinlich nicht auf jene beiben Stäbte allein befd)Tänft 
geblieben wären, fonbern fid) weiter auSgebehnt haben bürften.' 
®arum erfd^eint eS Elje glaublicher unb rathfamer, fit in 
fd)riftlicf)ett unb münblidjen (Dtittbedungen oon folgen Eng« 
länbern ju fuchen, bie lange genug in (Benebig ober fßabiw 
gelebt hatten, um mit bereit Socaloerhältniffen fo uertraut 
geworben ju fein, wie Wir eS bei Shafefpeare gewahr »ettwi. 
Unb wie Elje felbft einen nicht deinen Ihed ber in fön« 
Sfijjen gegebenem Erläuterungen: ben nodj jeht -borljBtobcna 
2lufjeichnungen ber beutfe^en Stubenten in (ßabua ocrbonfl, 
fo erfdjeint eS ihm ganj benfbar, baß Shafefpeare auS einer 
ähnlichen, nur Diel reichern Quelle gefd)öpft habe. 

(Bon biefer 9lnficht auSgehenb, h Q t Elje bie pabuaner 
(LRatrifel burdjgefehen unb feftgeftellt, baß im fcchjehnten So^r« 
hunbert oerhältnißmäßig nid^t wenige Englänber fich fürjert 
ober längere 3eit StnbierenS halber in (ßabua aufhielten. ®ewiß 
haben biefe alle oon ba auS aud) (Benebig befuefjt, wie kenn 
ohne B^eifel feßon bamalS bie ßaht englifdjer Neifenber in 
ber ®ogenftabt Diel größer gewefen ift, als man geWöhnlM) 
aitäunehmeu pflegt. Selbft eine, wenn auch deine engt# 
Eolonie fdjeint bafelbft gewefen ju fein, ba fdjon 1604 ®iDiam 
(Bebell (fpäter anglifanifcßer (Bifcßof Oon Kilmore) ben eng« 
lifchen ©efanbten (peiirp SSotton (früher Secretär beS ©tafffl 
Sffej' unb längere 3«it in Stalien) als ©efanbtfchaftSprebigcr 
begleitete mtb acht Saljre bafelbft berweilte. 2Bie bie SBefuc|er 
(BenebigS werben aber auch bie geWefenen Stubenten (ßabuaä 
manche (Berichte unb Erzählungen über23enejianet unb$abuaiw 
Qertlidjfeiten unb 3 u ftänbe, (Berljältniffe unb (Borfommnifi« 
nach Englanb gebracht unb hier oerbreitet haben. ®ieD# 
bilbeten fie auch eine Quelle ber großen Socalfenntniffe ©Ijak 
fpeare’S oon (Benebig unb (ßabua unb beren Umgebung. 8 nf= 
faüenber SBeifc befeßränfen fich biefelben auch auf biefe beiben 
Qrte; (Ereoifo wirb oon ihm nie genannt, (Berona witb jbb 
(E heil, dRailanb, glorenj, (Rom unb Sicilien werben ohne oue 
locale (Ereue mit poetifdjer (ßhantafie bargeftetlt. ShafefpM 1 * 
fannte Stalien nicht anS eigener 2lnf<hauung, auS ben Keife* 
werfen SRorpfonS, SorpatS unb SanbpS fonnte er, weil fit 
erft fpäter erfepienen, feinerlei Kenntniß fepöpfen, fein näfjem 
(Bcrfepr mit bem Spracpleprer 3't°rio in Sonbon, eint» 
Staliener, wirb nur oermutpet. ®aS gleiche (Red)t ber Set« 
inutpung fann aber and) bie ftubentifepe Quelle in Än* 


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Nr. 4. 


Die O&egeaaart. 


57 


fprucfe neunten. (Sin Sßerfe^r ©feafefpeare’S mit einem ober 
bem anbevn ber aus Sßabua 3 u rüdgefeferten, g. SB. mit bem 
jungen ©feomaS ©adoifle, ber 1591 bort infcribirt war, feat 
ntd^tS UnbenfbareS an fiel). ©effen SBater, ber ältere ©feomaS 
©adfbifle, Sorb SBudfeurft, bann (Sari of ©orfet unb Sorb* 
4?igfe«©reafurer oon Snglanb, ift berfetbe, welcfeer am 
19. SRooember 1586 in gotfeeringfeafe ber Königin Sföarie 
©tuart baS ©obeSurtfeeil berfünbet batte unb am 22. Sftotieniber 
1587 gegen ©raf Seicefter aufgetreten war, [pater aud) bei 
ber Unterfucfeung unb SBerurtfeeilung beS ©rafen Sffej 
19. gebruar 1601 ben SBorfife führte, ©erfelbe hatte auch 
in jungen Saferen (1561) jufammen mit ©feomaS Norton 
bie ältefte regelmäßige englifdfee ©ragöbie „©orbobuc" (in 
SB(anfberfen) berfafjt. SEBenn ©feafefpeare ein früheres SEBerf 
biefeS SJianneS »Mirror for magistrates“ für feine ©tarnen 
benüfete, fo fonnte bieS leicht gu einer SBefanntfcfeaft mit bem 
©ohne führen, ber bann Don Sßabua unb Sßenebig erjäfelte. 
Ober tonnte ©hafefpeare nicht 2J?ittfeeilungen oon bem 1593 
infcribirten gfeneS SRorifon erhalten, wenn aud) beffen 
urfprünglicfe lateinifch getriebenes, bann oon ihm felbft ins 
(Sngtifche überfefeteS „Stinerarfe" erft 1617, nacfe beS 9Ser= 
fofferS ©obe im ©rnd erfchien? 933ie man ficht, weife Slje 
feine 2tnficfet Don ©hafefpeare’S SBeteferung Don folget ©eite 
her mit Sifer unb ©adfefenntnifj Wahrfc^einlicf» gu machen. 

2 lber auf feiner ©urdfeftöberung alter 2Ircfeibe macht er 
aucfe noch anbcre intereffaute Sntbedungen. 21 m nächften geht 
unS fein Hinweis auf eine feiftorifcfee Buefle ber Dtfeeßo*gabel. 
©och hören wir ihn felbft: Sn ber alten ©rebifaiter ÜJfarf, 
einige ©tunben nörblicfe oon ©rebifo, liegt an ben SBorbergen 
ber benetianifcfeen 2llpen ber Drt (Soßalto. Sn entjüdenber 
Sage erhebt [ich auf einem malerifchen §ügel über ber Sierja 
unb bem jur Sßiabe feinabraufcfeenben gtü§cfeen ©otigo bas alte 
©chlofe biefeS KamenS. ©feeilS ber [teile 2Ibfeang beS ©cfelofj* 
bergeS, theilS lünftlicfee ©cfeufeWerfe gewährten ihm im ÜRittet* 
alter feinreicfeenbe ©icfeetfeeit. 2ln feften SRauern unb ©hören, 
‘an ©raben unb gugbrüde, an ©feurm, SBaftei unb geftung 
"fehltet nicht. SBon ben 3ibtmern beS ©dfeloffeS unb Don 
ben benachbarten §öfeen genießt man einen töftlidfeen SBlid 
in baS reigenbe ©hat bon Sßiebe bi ©otigo, auf bie grünen 
SEBalbberge unb weiter hinauf oftwärtS über bie fruchtbare 
(£bene btS jum abriatifdfeen SWeere, weftwärts bis ju ben 
©dfeneefpifeen ber ^ößeru 2llpenfette. §ier fifet feit einem 
Safertaufenb baS ©rafengefcfelecfet bet Soßalto, welches ber* 
mutfelidfe mit ben Songobarben über bie 2tlpen feierber ge* 
fommen ift. SEBenigftenS übetliefeen Sßambalbo Soßalto unb 
feine ©emafelin SRatfeilbe im Safere 1091 nacfe tongobarbifcfeem 
SRecfet gewiffe SBefifeungen in ber Umgegenb ber unter ihrem 
fßatronate ftefeenben, am gufje beS pracfetboßen, in unferer 
3eit berfdfewunbenen 9J?onteflo*SEBalbeS gelegenen Slbtei Ket* 
öefa. [Rambalbo VIII Soßalto, welcher 1308 in ben bene* 
gianer Sferenabel aufgenommen würbe, erbaute ficfe einige 
äReiten weiter gegen Sonegliano fein bei ©ufignana, oberhalb 
bet toeinreidfeen $figet biefer ©egenb nocfe ein anbereS, feerr* 
liefe gelegenes ©cfetofe, ©. ©albatore, baS noch jefet feinen 
SRacfefommen als SEBofenfife bient. ®ie ©enealogen leiten ge* 
toöfenlidfe ben Urfprung biefer gamitie bon ben Songobarben 
her, aßein fie felbft rüfernt ficfe ein in ber Songobarbenjeit 
nad) griaul gefommener Qtoeig ber §ofeenjollern gu fein, 
Wofür SBerfcfeiebeneS gcttenb gemadfet wirb. ®ie germantfcfee, 
beiben Epäufern gemeinfame gamilienfage bon ber „Sßetfeen 
grau" erwcift beutfcfeen Urfprung, bie SBerfcfewägerung beiber 
mit ber gamilie beS SDiarfgrafen Sberfearb bon griaul geigt 
feeibe als gteidfeftefeenb unb ebenbürtig, bie fwfeenjoflern batten 
im 14. Saferfeunbert aucfe felbft ©runbbefife in griaul, bie 
■Kamen §ofeengoflern unb Soßalto ftimmen jufammen. (Soß: 
8 oB), unb beibe füferen bon SltterS feer baS gteicfee, bon 
©djwatj unb ©ilber gebierte SEBappen. 2Bie bem nun audfe 
fein mag, bie gamilie Soßalto gefeört jebenfafls gu ben ätteften 
unb berfifemteften 2tbelSgefdfeledfetern griauls. Unb in ber 


gamiliencferoni! biefer feöcfeft waferfcfeeinlichen italienifcfeen 
§ofeengoflern feat nun Slje folgenbe feltfame Btheßo*©efdfei^te 
gefunben. 

Sn ber jweiten $älfte beS fecfejefenten SaferfeunbertS 
lebte auf ©dfelofe ©. ©albator ein ©raf Kambatbo Soßalto 
mit feiner ©emafelin ÜKiranba aus bem ©efdfetecfet ber 
©rafen Saobioacca. ®en ©iebjigjäferigen umbiüfeten jwei 
tü^tige ©öfene 2llfonfo unb 2lntonio unb eine reijenbe®ocfeter, 
SBianca SRaria. ©räfin SBianca war als einjige, ifem nocfe 
fpät gebotene ©oefeter beS greifen SBaterS feerglicfee greube 
unb gugteid) fein bitterer Summer. SefetereS barum, weil 
fie iferen Sßetter ©raf Annibale Soßalto bon Sßal be SWarin 
(bei Seneba) bon gangem bergen liebte, wäferenb ifer SBater 
bon biefer SBetbinbung nidfets wiffen woßte. ©raf 2lnnibale 
featte als tapferer Offtcier einige Safere ÄriegSbienfte getfean, 
nun aber bereits bie SDiitte beS SebenS überfdjritten, er ftanb 
im biergigften SebenSjafere. ©ein SBater, ©raf ©cipione, war 
mit feiner ßKutter Seonore ©ongaga, ©oefeter beS ©rafen 
Sßietro ©ongaga §ernt bon Kobeßara unb feiner ©emafelin 
Satterina ©räfin ©orefli, gu bem ifem berfefewägerten §ergog 
geberico ©ongaga nacfe 5D?antua gegangen, unb mar in beffen 
©ienfte getreten. ®ic oeuejianifefee SRepublif, welcfee feinem 
iferer 2tngefeörigen geftattete, ben ©ienft eines fremben gürften 
angunefemen, featte ifen beSfealb auf ewig aus iferem ©ebiete 
berbannt. ©ei nun biefeS, fei etwas anbereS ber ©runb ge« 
wefen, ber alte ©raf SRambalbo berweigerte trofe mehrjähriger 
SEBerbung beS tapfern SBetterS unerbittlich feine Sinmißigung 
unb ßuftimmung gu beffen §eiratfe mit feiner ©oefeter. Sn 
biefer auSficfetSlofen Sage erflärte ©onna SBianca ben ©dfeleiet 
nefemen gu rnoßen, unb erhielt enblidfe audfe bon iferen Sltern 
bie Srlaubnife gu einer gweijäferigen Sßrobe in einem Älofter. 
Sfere 2J?ntter ©räfin SDiiranba unb ifer SBruber ©raf Slntonio 
mit feiner jungen ©emafelin ©iulia ©räfin ©orefli bon ßttonte 
Sfeirugolo füferten fie felbft iferem SSJunfcfee gemäfe nacfe Sßabua 
in baS reiche Älofter ber SBenebiftinerinnen bon ©. ©tefano. 
©raurig feferte bie SKutter gu iferem fränfelnben ©atten gurüd, 
traurig blieb bie ©oefeter in iferer felbftgewäfelten Sbgefcfetoffen* 
heit gu Sßabua. 2lflein bie junge Kobige fdfeien nidfet in ber 
reefeten ©eelenftimmung gu iferem SBorfeaben gu fein unb liefe 
ficfe nichts weniger als gu einem frommen filofterleben an. 
@ie featte ifere fcfeönften Suwelen nnb ©efemudfaefeen' mit ins 
Älofter gebracht unb unterhielt ficfe feier bamit, ficfe mit ©olb» 
fetten, perlen unb Sbelfteinen gu fefemüden, War babei aber 
einer unbegwinglidfeeit ©raurigfeit berfaflen. ©eit bem erften 
©age ifereS Sintritts in baS Rlofter weinte fie unabläffig, fo 
bafe ifere ©efunbfeeit barunter litt. 2ltS fie enblicfe einer be* 
benllidfeen Sfranffeeit entgegengugefeen in ©efafer ftanb, fafe 
ficfe bie 2lebtiffin beS SHofterS beranlafet, iferen Sltern babon 
Sfenntnife gu geben, ©a jebodfe ber fränflicfee 3 u f tan ö öeS 
©rafen SRambalbo fefetimmer geworben war, fonnte ©räfin 
SDHranba iferen franfen ©atten nidfet berlaffen, um nacfe ber 
©oefeter gu fefecn. hingegen fam am 10.?Iuguftl675 SBianca’S 
Soufine Sucia, ©emafelin 2lnnibale ©erego’S in Sßabua, ins 
Älofter um bie fränfetnbe SBerwanbte gu befuefeen. ©iefe 
featte ficfe eben an biefem ©age ifere fcfeönften ©efemudfaefeen 
angelegt, aber ifere feeflen ©feränen rannen auf bie Sßerlen 
ber |>alSfcfenur feinab. SBenige 2lugenbtide nadfe ©onna Sucia 
erfefeienen unerwartet aucfe ©raf ©uibo SBranbolin bon SBal* 
marin, welcfeer fünf Safere früfeer SBianca’S Soufine SBiolante 
gefeeiratfeet featte, unb— ©raf 2lnnibate Soßalto im Slofter. 
®ie SBeiben wanbten ficfe an bie 2lebtiffin, wiefen ber bor 
Ueberrafcfeung erftarrten Oberin bie gur ^eiratfe 93ianca’S 
bon Korn gefomntenen fircfelicfeen ©ocumente bor, unb füferten 
©onna Sucia unb ©onna SBianca mit ficfe aus bem Älofter. 
©erabenwegS ging eS in bie nafeegclegene Sirefee ©. Sorengo, 
wo fdfeon ber Sßfarrer bereit ftanb unb bie Siebenben traute, 
©iefe begaben ficfe barauf in baS §auS ber Soufine ©erego 
unb reiften am folgenben SRorgen nacfe SBal be SOfarin ab. 
Sn bieS fcfeöne, ftifle 2Ilpentfeal, wo aus ben SEBalbfdfetudfeten 


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58 


Die 4>t$eswari 


Nr. 4. 


be# ÜRonte ©raffura üttb bc# 2Roitte Eroce bianca ber Siömoit 
Ijerabraufdjt, an ben fteunblichen @ee Dort 2ago führte ber 
ritterliche Stnni&ale feine fchwet errungene ©ianca. 21 bet 
md|t fo halb Ijatte ber alte ©raf IRambalbo Don bent ©or« 
gefallenen Äenntnifj erhalten, als er fich fofort mit einem 
heftigen Sftagefd)reiben gegen ben Entführer unb ©atten feiner 
%od)ter an ben SRatf) ber 3 e h n in ©enebig wanbte. Er 
freute fief) nicht, barin ohne SBeitereS feine Softer angu« 
flogen, bafe fie iljm auf Stoftiften be# ©rafen Stnnibale mittelft 
ßaubereien unb ©iften („stregherie et veleni“) itad) bem 
2eben getrautet Ijobe; ba biefer Unfdjtag aber nicht gelungen 
fei, Ijabe ©raf Stnnibale fie au# bem Älofter geraubt; er bitte 
bafjer um ftrenge# Einfehreiten, bamit er nicht genötigt fei, 
mit feinen ©öl)nen fein ßeben unb gteifd) r feine Ehre unb 
§abe noch in feinem Stlter eigenhänbig gegen feinen SSiber« 
jadjer gu Dertheibigen. ©ermuthlict) bürfte bem ©rafen 
$atn6ätbo feine Ätage toenig genügt haben. 9J?an fann fid) 
leicht benfen, bafj bie Slntwort be# fRatlje# ber 3 e h” gang 
fbarcfpearifch gelautet haben mag. „Seljauhtung ift noch fein 
©etoei#; bie Dorgebrad)ten ÄReinungen finb nur fabenfd)einige 
©rünbe; nehmt, wa# oerfehn Warb, Don ber beften ©eite; wo 
nichts mehr hilft fann auch ber ©ram nichts nügen; ein Uebel 
gu betrauern, ba# Dergangen, macht leicht gu neuem Uebel 
un# gelangen; Dertiert man, wa# man nicht gu halten muffte, 
macht bie ©ebulb ein 5Rid)t# au# bem ©erlufte." freilich 
|alf folcfjer ©efd)eib unb Xroft gar wenig. ®er alte ©raf 
jRambalbo ftarb nicht lange barauf am 6. Slptil 1576, gerabe 
wie — ber greife ©enator ©rabantio nach ber Entführung 
ber fchönen blonblodigen S)e#bemona. Unb Elge fd)lief}t feine 
Ergätjlung: „Slber ba haben wir ja bie @efd)id)te ber geiftreicfjen 
hodjgebilbeten ©atrigier#tod)ter, be# holben Stäubchen# au# bem 
gothifchcn ©alaft am ©anal ©ranbe Dot un#, genau fo wie 
©hafefpeare fie al# Ejpofition feiner Sragöbie in beren erftem, 
feiner Erfinbung allein angehörenbem Slct gegeben hat- SDer 
friegetifche ©eliebte, — ber Unterfchieb ber Saljre, — Ent« 
führung ber eingigen Tochter eine# greifen Ebelmanne#, — 
eilige, geheime Strauung, — be# aüen ©ater# Stbfidjt, mit 
bem Entführer feine# Äinbe# gu fämpfen, — feine St nfläge 
bei ber Denegiantfdjen ^Regierung wegen Slnwenbung Don ßauber« 
mittein unb Slränftein, — Slngabe be# §aufe§, wohin fich 
bie IReuDermählten nach & er Trauung begeben, — balbige 
Slbreife be# jungen ©aare#, — unb enblicfj ber halb nachher 
erfolgte Xob be# gefränften ©ater#: ba# finb bie ©tüde, bie 
ber EoHalto’fdhen gamiliengefchid)te unb ber ©hafefpeare’fdjen 
Dichtung gemeinfam finb. Slehnliche# läfjt fich unfehwer er« 
finben, mag fich auch an anbern Orten unb gu anbern ßeiten 
begeben. $ber immerhin bleibt e# hoch metfwütbig, bafe e# 
nur ©hafefpeare erfunben hat, unb bafj e# gerabe in ©abua 
unb gu feiner 3 e ü Wirtlich Dorgefaüen ift. Sollte etwa 
©hafefpeare Don biefer ©efchicfjte Slenntnife erhalten haben? 
Unmöglich erfcheint ba# nicht, ba biefer ©orfaU gewifj in 
©abua unb ©enebig Diel Sluffeljen machte unb befprodjen 
Würbe, fo ba§ ber dichter and) noch noch einigen Satiren 
burd) einen ober ben anbern feiner Dielen 2anb#leute, bie in 
biefen beiben ©täbten fich aufhietten, baDon gehört haben 
fann. ©emerfen#werth ift auch noch, bajj mehrere ber Don 
©hafefpeare Dermenbeten feltenen Eigennamen, namentlich 
„SRiranba" unb „©iolante", in bem gamilienfreife ber oben 
ergäf)lten ©efchichte fich öorfinben." Stuf alle gälte ift e# 
für un# $eutfd)e nicht unintereffant, bafj bie OueUengefchichte 
Don ©hafefpeare’# Söteifterftüd auf bie gamilienchronif be# 
itatienifdjen §ohengoUern«3weige# hiuguweifcn fcheint. 


■fr-*-* 


^uilTefött. 

- 9?adjtmi<f beeboten. 

Der .Streik in ber Sth»le. 

©on Smile gola. 

3« einer WacpmittagSpaufe fragte miep einmal mein Scpulfamerab, 
ber große, fauflgemaltige ©fctcpu mit feiner groben ©auemfümme: „©a, 
maeßft $u mit?" Eefcpmeicpelt burep fein ©ertrauen, antmortete icp 
tapfer Qa, unb nun fe&te er mir auSeinanber, baß e$ ftep um 
fcbtoörung ^anble. SSa§ er mir anbertraute, erfüllte mi(!b mit einem 
fo föftlicpen ©eroufetfein meiner Sflännlidjfett, mie i(b e« oieüeicbt nie 
toieber empfunben ^be. Qa, baD mar ba$ erfe^nte ßeben mit feinen 
Gefahren: icp §atte ein ®eb eimn ^6 b n bema^ren, einen Äampf §u bes 
fielen! Unb gemife baS 93efte an ber greube über meine neue Wolle 
als SSerfcptoörer mar bie §€imlid)e Ängft baoor, mic^ ju compromittiren. 
Kein ©unber, bafe i(p in ©emunberung bor bem großen 3Rtdju ftanb. 
StmaS barfcp unb etnbringlicp meipte er miep ein, etma mie einen Wc* 
fruten, §u beffen ©ifer man nur mäfjigeS ©ertrauen pegt. S)otp ber 
SBonnefcpauer, bie ber^üefte 3Wiene, bie icp mopl beim ^(npören patte, 
braepten ipm juleft eine beffere Meinung bon mir bei. 811S mir auf 
baS ^meite ©locfen^eicpen in ben fieprfaal jurücffeprten, flüfterte er mir 
ju: „9lffo abgemaept, maS? 3)u bift auf unferer Seite. #offentli<p 
paft 2)u feine Ängft unb pefeft ntept?" 

„D nein, icp fcpmöf e$ 5)ir." 

@r fap mir mie ein reifer, berftänbiger SWann mit feinen grauen 
klugen feft in'S ©eftept unb fügte pinju: „Sonft — o nein, prügeln 
merb' icp 2)icp niept, aber ?We foUen eS miffen, bafe 3>u ein ©errätper 
bift, unb fein Sftenfcp mirb mepr mit 3)tr fpreepen." 3dj erinnere miep 
noep, melcp' eigentpümlidpen @inbrucf biefe $ropung auf miep matpte. 
Sie gab mir mapren Söroenmutp. 

w 9Keinetmegen!" brummte icp bor miep ptn, „unb menn fie mir 
ätoeitaufenb ©erfe ^um Wbfcpreiben geben, pol' miep ber Teufel, wenn 
i^ 9Ri<pu berratpe!" ®?it fieberhafter Ungebulb martete icp auf bie 
(SffenS^eit, bemt ber Äufrupr Rollte im Spetfefaat aüSbthpett. 

-2)er große Wficpu ftammte au« bem Sfiben. Sein 

©ater, ber einige borgen SanbeS befaß, patte bei bem burep ben Staats* 
ftreiep perborgerufenen Äufftanb 1851 ben erften Scpuß getpan. {Jur 
tobt auf bem flampfpfape Itegen gelaffen, patte er fiep in Sicperpett 
bringen fönnen. 2US er mieber in ber ©egenb auftauepte, ließ man 
ipn unbepeßigt. Wur bie ©ingemeipten flüfterten: 3Wtcpu ift ein ^fifficul! 
@in ungebilbeter ©iebermann, fepiefte er feinen Sopn auf ein ßpeeum, 
um feinen Sopn jum ©eleprten gu maepen. SBir Scpüler patten bon 
ber ©efepiepte gehört, unb fo mürbe unS ber große 3Ricpu eine ge« 
fürchtete fßerfönlicpleit. UebrigenS mar er btel älter als mir, — bei* 
nap aeptgepn, obmopl er erft in ber bierten (Haffe faß. Äbet deiner magie, 
ipn beßmegen ju neefen. @r gepörte gu jenen Scpülern, bie ipren ge* 
funben SWenfcpenberftanb paben, jeboep fepmer lernen unb begreifen; aber 
mag er einmal erfaßt patte, baS mußte er grünblich unb bergaß e$ niept 
mieber. ©aumftarf unb mie mit ber Slft gegimmert, commanbtrte er 
unS allen in ben Sreiftunben. 3)abet mar er bon großer Sanftmutp. 
3cp pabe ipn nur einmal gornig gefepen. (£r motlte einen Unterleprer, 
ber alle Wepublifaner S)iebe unb üftörber genannt patte, opne SSeiterel 
ermürgen. ©einap pätte man ipn bamalS gefepmenft. (&cft fpäter in 
ber Erinnerung berftanb icp fein gefegtes männlicpeS Auftreten unb be* 
munberte eS. Sein ©ater patte ipn bet 3ri*en gum ©tarnte gemaept. 

3u unferer niept geringen ©ermunberung »ar er gern in ber 
ftnftalt. Wur eine ©harter patte er auSguftepen: er patte beftänbig 
junger. 3<P ^nn mieß niept erinnern, je einen folcpen Äppetlt gefepen 
gu paben. Er mar fepr ftolg, aber boep erniebrigte er fiep mancpmal 
gu faulen Streicpen, um ein Stücf ©rob, irgenb einen 3^biß bon utt& 
gu erfcpminbeln. Unter freiem Fimmel aufergogen, litt er unter ber 
mageren SlnftaltSfoft noep mepr als mir. SBir anberen maren etwa! 
mäplerifcpe Effer. ©amentlicp erinnere icp miep eines gemtffen Storf* 


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Nr. 4. 


Die Gegenwart 


59 


fifßS in brauner unb gcimffer Sonnen in meißer ©auce, bie ein (Stegen* 
ftanb allgemeiner ©evmünfßüng maren. Sin ben Sagen, mo biefe Ge* 
ri^te auf bem ©pelfegettel ftanben, nahm baS ©ßtmßfen fein Gnbe. 
Stet große Wißu fßimßfte ehrenhalber mit, obgleich er gerne alle 
©ortionen ber anberen verfßlungen hätte. Gr Wagte nur über bie 
Quantität bei* ©helfen. Ster QufaH hatte ihn, um fein fieib Voll gu 
machen, unten an ben Sifß gefeßt, neben ben ©tubienauffeßer, einen 
fchmächtigen fötirpS, ber auf ben (B^a^icrgängcn^ gern ein Wuge gubrüdte, 
rnenn toir rauchten. föun hatten nach ber §au$orbnung biefe Unter* 
leßrer ein Specht auf gmet Portionen. ÜBenn dürfte auf ben Sifß 
tarnen, bann tonnte man jebeSntal fehen, mit melß' gierigen Slugen 
ber große Wißu bie beiben dürfte verfßlang, bie neben einanber auf 
bem Heller beS ©ßulmeifterleinS lagen. „3ß bat boßbeit fo ftarf als 
er," fagte er bann entrüftet, „unb er befommt groeimal fo viel mie ich- 
Gr I5ßt nie ma§ übrig, alfo iffS ihm nicht gu Viel!" 

-Slun hatten bie ©erfßroorenen befßloffert, baß man fiß 

enbtich gegen ben ©todftfß in brauner unb bie ©oßnen in meißer ©auce 
aufleßnen muffe. Unb gang natürlich boten fte bem großen Wißu bie 
güßvung an. Ster SfriegSßlan mar munberbar einfach. GS genügte, 
haßten mir, mit bem Gffen gu ftreifen unb jebe Stotßrung non uns gu 
meifen, bis ber SMrector feierlich eine beffere ^oft verfßreßen mürbe. 
Stoß ber .große Wißu in biefen ©lau einroiöigte, ift einer ber erßabenften 
3üge Von ©elbftverleugnung unb $elbenftnn, bie mir befannt gemorben 
ftnb. Gr übernahm eS alfo, bett Slufftanb gu leiten mit bem talt* 
Wütigen £>erotSmuS jener alten Körner, bie ficß für baS ©aterlanb 
opferten. Stobel toar ißm ja gar nißtS baratt gelegen, ben gtfß unb 
bie ©oßtten verfßminben gu feßen, *enn er ßatte nur ben einen SBunfß, 
nteßr bavon gu befommen, fo viel als er nur haben wollte. Unb nun 
foHte er auß noß faften! Gr hat mir fpäter eingefianben, baß feine 
republilanifße Sugenb, bie fein ©ater ißm eingeprägt, bie Gemeinbürg* 
feßaft, bie Unterorbnung beS Gtngelnen gunt SBoßle ber Gefammtßeit, nie 
auf eine härtere ©robe geftellt toorben fei. 

Slm Slbenb beS ©todfifß*XageS naßm ber ©treif feinen Anfang 
mit einer mirfltß großartigen Uebereinftimmung. %ur ©rob mar ge* 
ftatiet. S)te Gerichte niarfcßirten auf, mir rüßren fte nießt an unb aßen 
nur unfer trodeneS ©rob. Unb gmat mit ernfter Wiene, oßne unS mie 
fonft leife gu unterhalten. Stur bie Weinen ©ßüler tigerten unb lachten. 
Ster große Wißu hielt ficß famoS. Gr ging an biefern erften $lbenb fo 
»eit, nicht einmal ©rob gu effen. S)te GUbogen auf bem Sifße, faß 
er verächtlich bem ßeßrer gu, ber eifrig aß. Unterbeffen ließ ber bie 
Wuffißt füßrenbe öeßrer ben Sttrector rufen, ber mie ein SBirbelminb 
tn'S Sinimer ftürmte. Gr fragte unS grimmig, maS mir an bem Gffen 
auSgufefcen ßätten, loftete eS unb erWärte eS für auSgegeißnet. 

SJun'erßob fuß ber große Wißu. „£ert S)irector," fagte er, „ber 
gtfß ift verborben, mir ftnb nießt im ©tanbe, ißn gu effen." 

,,©o?" rief ber Weine Unterleßrer bagmifeßen, noeß eße ber S>trector 
gu SBorte fomnten fonnte, „unb an anberen Slbenben ßaft S)u bie ©cßüffel 
faft gang allein auSgegeffen!" 

Ster große Wißu mürbe bunlelrotß. Wan fßtdte unS einfach 
gu ©ette. ©Hr mürben unS bie ©aeße bi« morgen fßou überlegen, 
ßieß eS. 

-Btm näcßfteu unb übemäcßften Sage mar ber große 

Wißu erßaben. S)ie ©emerfung beS ©tubienauffeßerS ßatte ißn tief 
getroffen, boeß fpraß er unS Wutß gu. „SBir mären geiglinge, rnenn 
»ir naßgäßen," fagte er. 3*fct fefcte er feinen gangen ©tolg baran, 
unS gu bemeifen, baß er auch oßne Gffen bleiben fönne, rnenn e$ fein müffe. 
GS mar Me reinfte Wärter. 2Bir Slnbern alle hatten Gßocolabe, Gomßot, 
fogar 3Burftmaaren in unfereit pulten Verftedt, fo baß mir baS ©rob, 
womit mir bie Xafcßen VoUftoßften, nießt gang troden gu vergeßren 
brauchten. Gr aber befaß feinen Sermanbten in ber ©tabt unb hielt 
Tuß alfo an bie ßaar ©robrinben, bie er friegen fonnte. 

Um atternäcßften £age erWärte ber S)irector beim grüßftüd, ba 
bie ©cßüler eigenfinnig alle Gerichte Vorübergeßen ließen, fo merbe fein 


©rob meßr auSgetßeilt. 9htn braeß ber Slufrußr aus. GS mar gerabe 
ber £ag ber ©oßnen in meißer ©auce. S)cr große Wicßu, ben ein 
maßnftnniger junger moßl nießt gang gurecßnungSfäßig machte, fßrang 
mie toll auf. Gr ßadte ben Seüer beS UnterleßrerS, ber gerabe nah 
Kräften unb uns gum Sro^e barauf loS aß, unb fcßleuberte ißn mitten 
in ben ©aal. Stonn ftiramte er mit mächtiger ©timme bie Warfetllaife 
an. GS mar mie ein ©turnt, ber' alle mit fort riß. Seiler, Gtäfer unb 
glafcßen flogen buvcß bie £uft. Unb bie Seßrer eilten über bie ©herben 
meg unb überließen unS baS ©cßlacßtfelb. Ster ÄnirßS erßtelt im 
gließen au bie ©cßulter eine ©cßüffel ©oßnen, beren ©auce eine große 
meife #alSfraufe bilbete. Unb nun galt eS ben Paß gu befeftigen. Ster 
große Wißu mürbe gum General ernannt. Gr ließ bie Sifcße vor ben 
Sßüreit auftßürmen. 3cß erinnere mieß fogar, baß mir Sille bie Weffer 
gur ^anb genommen ßatten. Unb bie Warfetüaife ertönte immerfort, 
Ster ©treif mürbe gum Hufrußr unb btefer gur fReVolutiou. gum Glüd 
ließ man unS brei lange ©tunbeu rußig gemäßren, unb biefer brei* 
ftünbige Sumult genügte, um unS auStoben gu laffen. 

hinten im Gßgimmer maren gmet genfter, bie naeß bem ^of ßtn* 
auSgingen. S)ie Slengftlicßeren, benen eS uußelmlicß Vorfam, baß man 
unfere Wiffetßaten fo lange ungeftraft ließ, öffneten eines baVon unb 
verftbmanben. S)ie Uebrigen folgten naeß unb naeß. ©alb mar ber 
große Wtcßu nur noeß von etma geßn Sluffäfftgen umgeben. 

„Xßut mie bie Slnberu," fagte er ßelbenßaft; „eS genügt, rnenn 
ein ©cßulbiger gurüdbletbt." Unb ba er mein 8 ö Ö ern beraerfte, fügte 
er ßlngu: „3cß gebe S)ir Stein SBort gurüd." 

SllS bie enbltcß ßerbeigeßolte SBacße eine ber Sßüren erbraeß, fanb 
fte ben großen Wicßu gang allein, rußig auf einer Stfcßede ftßenb, 
mitten unter bem gertrümmerten Gefcßtrr. Gr mürbe noeß am gleichen 
Sibenb feinem ©ater gurüdgefeßidt. % 

SBir anberen ©cßüler ßatten mit unterem ©treif menig gemonnen. 
Wan fe|te unS freilich einige SBocßen ßittbureß feinen ©todfifcß mit 
©oßnen meßr Vor. Slber bann famen fte boeß mieber auf ben Sifcß, 
nur mar ber gifcß je^t in meißer unb bie ©oßnen in brauner ©auce. 

-Grft naeß langen Sußren traf icß ben großen Wicßu 

mieber. Gr ßatte fein ©tubtum nießt fortfe|en fönnen. 9fun bebaute 
er bie etlichen Worgen ÖanbeS, bie fein ©ater ißm ßinterlaffen ßatte. 

„3<ß märe ein fcßlecßter Slbvocat ober ein fcßlecßter Slrgt gemorben, 
bentt icß begriff fureßtbar fßmer," fagte er. *S)er ©auerftgnb ift beffer für 
miß. S)agu tauge iß. $ber im ©tiße gelaffen ßabt tßr miß boß 
fßänblicb. Unb gerabe ©oßnen unb ©todfifß aß iß fo gerne!" 


Jtttö bet 


S)ie S)edung ber Soften. 

Sirßih: 3ö& 5 U, meine Herren Gollegen — bie Äoften* 

frage, baS ift ber eingtge unangeneßme ©unft bet ber ©aße. Slber 
unfer ^err ginangmütifter mirb gemtß Wittel unb SBege ftnben. 

Wiquel: ©ergeißen ©te, iß leibe an ber Grißße, fann alfo erfteitS 
fßleßt ßören unb ßabe gmeitenS felber nißtS. ©ie müfjen ftß fßon 
an ©ofabomSfß menben. 

gürft ^oßenloße: 3u brei Sagen ßat ber ©unbeSratß bie gange 
glottenVorlage erlebigt. SBenn bei ißm bie ©emilltgung fo rafß geßt, 
marum fagte er unS bann nißt auß noß gleiß in aller Gtle, mo mir 
baS Gelb für bie neuen ©ßtffe ßemeßmen füllen? 

Sirßiß: S>a neue ©teuem naß Änfißt ber fianbratten ja letber 
nißt mögliß ftnb, (Vergmeifelt) maS bleibt übrig? 2Ber metß eine 
Stedung? GS müßte allerbingS etmaS voUfommen SfeueS fein. 


M ■ 


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CO 


Die «egen»ttri 



Ter Sinn für bie atteS überragenbe ©ebeutung uttb SBlchtlgfei 
Sports tft eben erft bem 20. 3oh*hunbert oufgegangen. 


Stile (finnen angeftrengt unb fdjmipenb nach). 

©ofabomsfp (triumphirenb): 3<h hob'S! ®inen neuen ©urnp! 
gürft ^openlohe: TaS ift bod) bet unS nichts [ReueS me^r! 
©ülom: SluS bem Tiefbrunnen ber Slnfeihe fönnen toir zur geit 
nicht o^ne SBettereS mit golbenen ©imern fdjöpfen. ©ebenft man aber, 
bafj TeutfdjlanbS §iilfSfräfte unerfdjöpflich finb — 

©ofjler: 3« ber Tpat, fte finb’S, fo lange bie [ReichSbrucferet 
nic^t abgebrannt ift unb unermüblich Taufenbrnarffcpeine berfteHt. 

©ofabomSli): 3Retne Herren — ich hob'S mieberum! SBir be- 
fdjaffen baS ©elb für bie neuen Schiffe, inbem mtr bie [Reichs f dp ul ben 
tilgen! 

SU Je (flehen vottfommen fpracploS). 

fSürfi Hohenlohe: SBoflen mir nicht bie Sipung aufheben, lieber 
tßofctf Sie fehen recht angegriffen auS, 3P« ©efunbpeit ift erfepüttert! 

©ofabomSlp (unerfchütterlich): 800 SRittionen brauchen mir jus 
nädhft einmal für neue Schiffe. Solche hohe Slnleipe bemitttgt ber [Reichs* 
tag nicht, gorbern mir alfo 900 Millionen — 

SUIe (merben fehr unruhig unb beforgt). 

©ofabomSfp: Unb benupen bavon 15 SKillionen jur 
OteichSfchulbentilgung! Tann ho&en mir immer noch 85 Millionen 
mehr als mir SInfangS überhaupt brauchten. Seien Sie überzeugt, fo« 
halb mir etmaS Von Schulbentilgung fagen, betfjt ber [Reichstag an. 
SUIe (finben leine ©orte). 

gürft Hohenlohe (bricht nach longer ©emunberuitgSpaufe baS 
ehrfurchtsvolle Schmelgen): Sie finb groß unb erhaben, ©ofaepen! TaS 
beutfehe ©aterlanb fchulbet 3h ne u emigen Tan!! 

©ofabomSfp: ©iü ich 3huen gern glauben! Tenn maS Teutfrf)- 
lanb einmal fchulbet, baS bleibt eS auch gleich emig fchulbig. 

* 

Ter ©erein für ©oltSbeluftigungen hot befcploffen, nunmehr auch 
ben Sinn für fcpcrzhaft*natve grage* unb SIntmortfpiele ju pflegen, bie, 
forgfältig unb biS in bie fleinften ©injelhetten borbereitet, fogar©rma<hfenen 
großen Spafj machen unb gerabe befjpalb befonberS empfehlenSmerth 
finb, meil zu ihrer SluSführung nur ^mei ©erfonen gehören. 

§err ©ommerzienrath SRöHer=TuiSburg, ber Soterpettant in ber 
„©unbeSratpS"*91ngelegenpeit, hot ben ©prenvorftp beS ©ereinS gütigft 
übernommen. 

* 

©ie alle neubeutfehen $>aupt= unb StaatSactionen, ift aud) bie 
Sipung beS [Reichstages, bie ber Suterpettation SRötter gemibmet mar, 
©egenftanb einer photographifepen Slufnahme gemorben. Ter SIpparat 
trat in bem Stugenbllrfe in Tpätigleit, mo bie ©efprechung ber 3oter= 
pettation mit erbrüefenber ttReprpeit abgelehnt mürbe. 

©ine pöcpft erfreuliche unb unwichtige SRafjnapme! Tenn fonft 
mürbe nach fünfzig 3ahren [Riemanb mehr ben ©organg für mögltch 
halten. 

* 

$err b. Senben*©ibran ging in befonberer 9Riffion nad) Sonbon, 
als bie Erregung über bie gortnapnie ber beutfehen ©oftbampfer auf'S 
#öcpfte geftiegen mar. ©fücflicpermeife fteHte fi<h noch rechtzeitig heraus, 
bafj er ben Staatsmännern bon Tomning* Street fein Ultimatum zu 
überbringen hotte, fonbern nur megen einer [Regatta [Rücffprache 
nehmen fottte. 

©te biel Unglüd märe berhütet morben, menn ©iSmarc! fich 
Senben=©ibran zum ©orbilb genommen, Oefterreicp nicht in granffurt 
brüSfirt, fonbern ftatt beffen ©euft T S [Recorb in Kniebeugen unb [Rieben 
fnien zu brüefen verfuept hätte! ©enn er ftatt mit ©enebetti zu brechen 
unb bie berüchtigte gefälfdjte Tepefche abzufenben, in ©mS bem Amateur* 
©potograppen=Sport gehulbigt, alle ^offeierlicpfeiten aufgenommen unb 
fich bann mit eigenen photograpptfepen Seiftungen an ben ©reiSauS* 
fchreibungen beS Socal-SlnzeigerS betheiligt hätte! 


* * 

Ten pieftgen geitungen zufolge erfreuen fich bie ©erliner Turner* 
bereine feit Kurzem eines ganz befonberS regen gulaufeS auS ©eamten* 
freifen. Selbft ältere Herren in fehr angefehenen Stettungen treten ben 
[Riegen zoplreicp bei unb befugen bie UebungSabenbe mit grofjer [Regele 
mäfjigfelt. 3Ran führt biefe ©rfepeinung auf bie machfenbe Siebe jum 
Sport zurücf, bem jept auch bie ejeluftve Schicht ber ©üreaulratie zu 
hulbigen beginnt. 

Tie ©rflärung trifft inbefj ben Kern ber Sache nicht ganz- Turch 
bie [ReujahrS *©reigniffe im geugpaufe finb §a^Ireic^e ©eamte z« ber 
Ueberzeugung gelangt, bafj auch on fte bie [Rotpmenbigfett, unvermutpet 
nieberfnien zu müffen, über [Rächt herantreten fann. [Rur um biefer 
SRöglicpfeit ruhig in'S Sluge fchauen unb bie betreffenbe Freiübung jeber 
geit mit natürlicher (Grazie ausführen zu fönnen, hot man fich ent* 
fchloffen, bie [Reihen ber früher mit [Recht als bemagogtfeh Verrufenen 
Tumerfcpaft zu verftärfen. Toch beabfteptigt feinS ber neuen SRitglteber, 
über ben geitpunft feiner ©enfionirung hiuauS bie mit mannigfachen 
Unbequeinlichfeiten Verfnüpfte Saft auf fich zu nehmen. 

* 

Unfer ©iener ©otfdjafter gürft ©hüipp ®ulenburg pflegt, um 
fein 3ucognito zu mähren, in KarlSbab unter bem reizenb auSgebachten 
[Ramen eines [Rentiers ©ruenbuel aufzutreteu. 

Tie ©orfichtSmaferegel märe überflüffig, menn ber [Rentner ©men- 
buel nicht bie Gepflogenheit hätte, fich tut SBalbe auf bie nächftbefte ©anf 
nieberzulaffen unb bort zu bidjten. Taburch fann in ber Tfjat ein Un= 
befangener auf ben ©erbacht fommen, ben gürften ©ulenburg Vor fich 
Zu hoben. 3ui Uebrigen braucht ©h'ti ober mirtlicp nicht zu befürchten, 
bafj irgenb 3feinonb im Stanbe märe, fein Sncognito z« lüften. Unfer 
SBiener ©otfehafter ift bem SBiener [ßublicum, baS bie ©evölfeuing 
KarlSbabS bilbet, auS guten ©rünben völlig unbefannt. 

* 

$err ©homberlain ift ber £auptluhaber mehrerer englifcher 
[DtunttionSfabrifen, bie ben ©uren gegen hohe ©ezahlung SchiffSlabungen 
Voll ©atronen für ben gegenmärttgen Krieg geliefert hoben. 

Sohn ©utt foflte ein UebrigeS thun unb Von ^errn ©hontberlain 
nunmehr auch noch z u fluten ©reifen baS |>olz faufen, baS für ben 
©algen biefeS Kernpatrioten gebraucht mirb. 

* 

Tie zahlreichen SBaarenhäufer, bie in golge lieberlid)er ©auart in 
lepter geit total auSbrannten, finb faft fämmtlich hoch verwert. 

SBohlthätig ift beS geuerS SRacht. 

©S mirb gemelbet, ba& ber ©unbeSrath ben Ouebracho^gott enb= 
gültig ablehnen unb baburd) bie Kleinbauern im Siegerlanbe völlig $u 
©runbe richten lootte. ©inige ©ehelmräthe hoben ben ©ebrohten bereits 
ben guten [Rath erteilt, ihre ©ichenfchälmalbuitgen nieberzufchlagen unb 
bafür auf ben fteilen, fteinigen ©erghängen Korn zu bauen. 

Ta eS ben beutfehen Sanbmirthen bereits mteberholt nahe gelegt 
morben ift, ftatt beS unlohnenben ©etreibeS lieber roerthVotte unb gut 
bezahlte ©emüfe, griiepte unb Sämereien zu ziehen, fo bebauern mir fagen 
ZU müffen, bafj bie jept noch z u * Kornprobuction aufreizenben ©epeim» 
rätpe einen etmaS zurürfgebliebenen ©inbruef machen. 3h^ grofje ©or* 
liebe für Korn, menigftenS für gebranntes unb beftittirteS, erhellt ja 
beutltch genug auS ihrem ©orfdjlage, ben ein nüchterner ttRenfd) un* 
möglich machen fann. Tropbem hätten fte beachten müffen, bafj ©eträbe* 
füntmel im Urzuftanbe nicht mit ©orliebe an Slbpängen gebeipt. SSBar 
ihnen aber befonberS an einer für fie paffenben gelbfrucht gelegen, fo 
hätten fie flüger baran getpon, ben Slitbau Von Tifteln zu 



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4. 


Sie $e$enwart 


61 


$>ocp werben bic ©tegerlänber autp nocp mtbcrrt ©rfap für ipren 
ruinirten ©cpälwalb finben. 

$a ift jucrft bte AnanaS, bic tpeucr bejaht roirb. gwar verlangt 
fte im ©ansen ein milbereS Klima als baS ift r meines ipr im Sieger* 
lattbc geboten werben famt, aber eS wirb ja auep Stein in Somft gebaut. 
3)urcp ©inrteptung bon gelböfen unb grünblicpe Sepeisung ber Serg* 
lehnen fann übrigens ben föftlicpen $ropenfrüdpten jeber geit bie Xent* 
peratur berfepafft werben, beten fte bebürfen. Audp empfiehlt eS fiep, 
bie einzelnen Sflansen in Sßel^e eingumicfeln. SefonberS fluge Säuern 
werben fie gleich in ©läfern sieben, woburep fte fiep baS fpätere ©in* 
machen erfparen. Sei ber ©rnte bot man ben Sortbeil, bab bie Ana* 
naffe in golge ihrer runblicpen ©eftalt bon felber ben Serg bunter 
foltern unb unten ohne jebe Stüpewaltung aufgelefen werben fönnen. 

Am Kilinta Nbfcparo finb iteuerbingS Serfucbe mit ber ©trauten* 
guebt gemacht worben, bie ficperlicp auch im bergigen ©iegerlanb nicht 
gans erfolglos bleiben würben. 3)te ©ier beS ©traubeS erreichen 
befanntlicb bie ©röfle eines KtnbSfopfeS, jener hob* Weisheit berratpen* 
ben ©cpäbelfornt, non ber man fchöne ©femplare in bielen TOnifterial* 
gebäuben borfinbet. ©ie werben bemnach aßen Nüpret= 3 ntereffenten, 
bie grofje Portionen lieben, halb unentbehrlich werben unb bie ©oncur* 
rens ber gewöhnlichen ßanbpüpner boflfommen lahm legen, ©ine sweite 
lobnenbc ©rwerbSguette bilbet für feinen Seftper ber ©traub baburch, 
bab er mit ©ier horte ©egenftäitbe, alfo berloren gegangene Sorte* 
nionnaicS, Uhren, Sincenes, ©lüblompen, Negenfcpirme, Srtflanten, 
Klpftierfpripen, ©efepentwürfe, ©epeim*©rlaffe unb ähnliches unberbau* 
licheS 3 CU 8 nerfcpludft. 3Birb ber ©traubenbung jeben borgen geroiffen* 
haft unterfucht, fo bermag ber intelligente Sauer febr halb, tbeilS $anf 
bem gttibcrlopn, tbeilS ©>anf bem Honorar, baS ihm ber „SorwärtS" 
für bie im Uebrigen mertblofen ©epeim=©rlaffe besohlt, ein Sotpfcpilb* 
bermögeit ansubäufen. 

©djlieblicp wäre eS biefleiept auch angebracht, bie einftigen ©iepen* 
fchälwalbungen mit Kartoffeln sn bepflansen. $)amit biefe niiplicpe 
gruept inbeb ben benfbar größten Umfang annebme, müßten fiep ihrer 
©rseuguug auSfcplieblicp bie Herren wibmen, bie ben ©ieger Säuern 
ben oben mttgetheilten weifen SRatb gaben. 

* 

©rfannt. 

I. 

Serebrter Herr ©oflege! 

®iefe ArbeitSlaft! SBoflen ©ie niept bie ©üte hoben, wenn ©ie 
morgen in ben Reichstag fommen, fiep auf meinen Pap 50 fepen? 

TOt Arbeiten überhäuft, in ©ile banfbar 

3br 

©cpwenser. 

II. 

Serebrter Herr ©oflege! 

£put mir fureptbar leib, fann aber niept! Aucp auS meinem 
SBaplfreiS finb SBäpIer ba, bie mich niept perfönlicp, wopl aber meinen 
Pap im Haufe fennen. Stellte ©ie gerabe bitten, morgen für mich S u 
fipen, ba wir ja Seibe siemlicp biefelbe gigur haben. Sin eben genau 
foein gauflenser wie ©ie! 

3 b r ^rsUcp ergebener 

0 . $)rücfeberger. 

(Limon b. 3 * 




®pent unb doncerte. 

Opernftatiftif. — „König ®r off eibar t". Störcpenoper bon As*el 
Weimar. flftuftf bon ©uftab Kulenfampff. — „Natbolb". Oper 
bon fyc1 1 $)apn. SNuftf bon Setnpolb Secfer (Kgl. OpernpauS). — 
„Ninicpe". Operette bon Sictor 26on unb H- b. SBalbberg. Stuft! 
boit Nlcparb Heuberger (©entral*$peater). 

Unfer ©oflege bon ber ©cpaufptelfrltlf pot *nr Sopfpnnbertwenbe 
bie grage aufgeworfen: Ster ift ber beliebtefte ober meiftgefpieltc ©)ra* 
matifer? ©iner ähnlichen Unterfudpung auf bem ©ebicte ber Oper, beS 
mufifalifepen $ramaS unb ber Operette würbe bie snplenntäbige ©runb* 
läge feplen, benn bie Herren ©tatiftifer, bie fdpon atteS Mögliche in 
giffern umwertpen unb auS ipren Nunbfragen unb gelungen nur sn 
oft bie falfcpeffen ©eplüffe sieben, laffen unS pier faft gans im ©ttepe. 
$ie grage nach bem meiftgefpielten Opemcomponiften fann alfo nur 
bon ungefähr fcpäpungSweife beantwortet werben, bodp bürfte man bei 
genauerer Kenntnib ber einfdplägigen Serpältniffe unb ©plelpläne ber 
Steprpeit siemlicp nape fommen. Ster biel mepr internationalen ©eltung 
ber Oper entfprecpenb, liebe fiep fogar bie grage beantworten: welches 
ift bte meiftgefpielte Oper überhaupt, bie SSeltoper? £>ier fommt ja 
niept nur baS im geiepen Nicparb Stogner'S fiegreiepe Steutfcplanb in 
Setracpt, fonbem bie Speater betber ^emtfppären, unb ba lautet bie 
Antwort wopl niept anberS, alS: S)er Sroubabour, benn Serbin unber* 
wüftlicpe Oper beperrfept nadp wie bor bie groben unb flehten Sühnen 
ber gansen Stelt. S)ie §n>cite ©eltoper ift gans gewib ©ounob'S gauft, 
bie 1893 in SariS aöein bie 1000. Sorfteflung erlebte unb auf allen 
beutfepen, italienifcpen unb eugltfcpen Süpnen beftänbig auf bem Seper* 
toire ftept. gür granfreiep folgt bann SlUgnon bon Slmbroife S^omaS, 
bie 1894 in SariS in ©egenwart beS ©omponiften bie 1000. Sluffüp* 
rung feierte, wäprenb fte als „tBilpelm ^ieifter" in Steutfcplanb eben* 
faflS noch biel gegeben wirb, ©ine SBeltoper ift ferner Stset '8 „©armen", 
bie befanntlidp in SariS suerft palb burepfiel, nurö übrigens audp bem 
„gauft" paffirt war; bann folgen SRaScagnt'S „©abafleria" unb nadp 
einigem Slbftanb Seoncabaflo'S „Sagliacci", bie beibe — wie lange nodp? 
— bie Opernbüptten aller 2änber beperrfepen — ober peimfudpen. ©ludp 
fllfeperbeer (Hugenotten, Sobert, Stoppet, Slfrifanerin), Äuber (©tumme), 
Soielbieu (SBeifee S)ame) pnb SBeltopem geblieben, benen man all* 
überall begegnet, unb bie älteren italienifcpen SBerfe (Srabiata, Sigo* 
letto, ©rnani, Sucia, föornta, Sarbier, Seil), fowie ^i'ba werben nodp 
auf lange pinauS lebenbig fein. SJfit Sedpt weift H^nSlicf auf baS Sei* 
fpiellofe biefer SBelterfoIge pin, ittbent er baran erinnert, bafe bie gnnber* 
flöte im Serliner Opernpaufe erft nadp punbert 3op^n bie 400., ©>on 
3 uan bie 500. Aufführung erlebte, inbeft ber unftcrbllcpe greifdpüf 
73 3npre brauchte, um in Serlin unb ©>reSben eS jur 500. Aufführung 
SU bringen! Unb nun ber AfleS nieberfdpmettembe ©ieg Akgne^S. 
3)ab Xannpäufer, Sopengrin unb H^flänber, bann bte SWeifterfinger bie 
meiftgefpielten Opern in Steutfcplanb ftnb, beseugt bie ©tatiftif, nadp 
weldper bei unS A3agner 1898/99 mit 1301 Aufführungen, wobon 277 
auf Sannpäufer unb 273 auf Sopengrin entfallen, obenan ftept. Srtftan 
unb 9?tbelungenring fteflen bagegen fo ftarfe Anforberungen, ba& nur 
gröbere Süpnen bte Aufführung wagen. 2Bie weit ber auSlänbifcpe ©r* 
folg ABagner'S — sttmal in S^rlS — nur borübergepenbe Stobefacpe ift, 
wtrb bie 3 u ^nnft lepren. Xpatfacpe ift, ba& man Sopengrin unb fogar 
ber Söaltüre unb ,11 Crepuscolo degU Dei 8 immer häufiger auf italie* 
nifepen Süpnen begegnet, bon ben ©efangSfräften abgefepen, melft in 
unsulängli^fter ©eftalt. ©ine wirfüdpe ©inbürgerung beS StuftfbramaS 
pat biSper nur in gerntantfepen fiänbern ftattgefunben. §\tx ift biefe 
Herrfcpaft ABagner'S freilich fo erbrüdenb, bab fte ben Nachfolgern fiuft 
unb 2icpt sn nepmen fdpetnt. Nennen wir Nebler’S Trompeter bon 
©äffingen, HnmperbincfS Hänfel unb ©retel unb etwa Kiensl’S ©ban* 
gelimann, fo paben wtr alle nachhaltigeren ©rfolge beifammen; in weiter 
©ntfernung folgen bann Srüfl'S ©olbeneS Kreus, ©olbmarfS H c ^nt(pen 
am Herb un fc Königin bon ©aba^unb etwa H^ntann ©oep r Sesäpmte 


t 


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Ute legcnotrt. 


Nr. 4. 


82 


SBiberfpenftlge. 93cffer fiept eS um ben NocpwucpS in granfreid) unb 
Stalien, wo SBagner’S £errfd)aft nic^t überwiegt. Sieben $p° ma 8 unb 
©ounob (bemt aucp tpr £amlet unb Nomeo finb in $ariS Niefenerfolge) 
ift nocp für 354libe8 ((£oppc!ia, ©plüta), ©aint*©aenS, Neper u. 91. Pa&, 
unb SNaffenet beperrfcpt bie franzöfißpe Oper faft unumfcpränft unb 
bürfte fid) wenigftenS mit „Sßanon" unb „SBertper" nacp SBien auch 
bie reiepSbeutfepen ©üpnen erobern. Nod) mehr Seben oerratpen bie 
3taliener. ©oito’8 ©lefiftofele unb ©erbt'S OteBo unb galftaff taucpen 
faft in jeber ©tagtone auf; aud) bie fpäteren SBerfe NtoScagnfS (greunb 
gri|, Nattjau, 3^8) unb ^uccini'S „SopSme" bringen fammt ben 
naturaltftifcpeu Etnactern non £aSca, ©iorbano, SJfugone *c. immer 
mieber mit ben SBanberbüpnen tn'S NuSlanb. 3n ber Operette h*ttf<pen 
als SBeltcomponiften noch heute Offenbad), Secocq (9lngot, ©troflä), ©uU 
litoan (SRtfabo); auch bie Oier größten Erfolge ber SBiener Operette: gfeber- 
mau$, gatinipa, ©occacdo, ©eitelftubent ermatten fid) in ber ©unft zumal 
be8 beutfdjen SßubltcumS; bie mufifalifcp oielleicpt reicpfte Operette bon 
©trauß „Eine Nacpt in ©enebig", bie bei un8 an ihrem btöbfinnigen 
%egte zu ©runbe ging, erfreut fid) einer großen Popularität in —■ Stolien. 
3u feinem SBelterfolg paben e8 noch bie Operncomponiften ber anberen 
Nationen gebraut, obwohl Nubinfiein (NJaccabäer, 3>ämon) unb XfcpaU 
fowSfp (Onegin) unb bie Xfcpecpen ©metana (©erfaufte ©raut, 3)alibor) 
unb 3)Dofac (©auer aI8 ©d)elm) ba unb bort über bie ©rennen ihrer 
ftetmatp gebrungen finb. 

3>en beiben lepten NoOitäten be8 ©erliner königlichen OpernpaufeS 
fann man aud) fein günftige8 §oro8fop ftetlen, bocp gebührt ber ©enerak 
intenbanz 3>anl bafür, baß fie trop aller böfen Erfahrungen unferen 
lebenben Eomponiften immer wieber gleid)fam ihre ©erfuch8bühne öffnet. 
Ob fie bei ben neuen Opern oon Äulenfampff unb ©ecfer auf ihre Sofien 
fommen wirb, ift zweifelhaft, aber gletcpgiltig; ba8 SBefentlicpe bleibt, 
baß zwei begabte Xonfeper Oor ba8 Publicum gebraut unb ihre SBerfe 
in würbigfter SBeife bargeftellt finb. 35er bühnenfuitbige 3)elmar hat 
einen Nfärcpenftoff gewählt, wie e8 bie Ntobe oevlangt ober wenigfteu8 
oerfangt pat, benn unfer wetterwenbifcpeS publicum ift oon feiner ©or* 
liebe für bie ©eftalten finbltd)er ©orfteßung unb Poefie längft abgefommen. 
SBaS im ©d)aufplel ben Entbecfern biefe8 ©enre8, ben gulba unb #aupt= 
mann, Erfolg gebracht, ift ihren Nachfolgern ©oß, Engel k. mißglücft, 
wie fiep in ber Oper ba8 ©lücf bon „$änfel unb ©retel" in ben „ÄönigS* 
finbem" nicht fortgefept hat. derlei Ehancen finb eben rafch abgenupt 
unb wieberholen ftch feiten ein zweites ober britte8 9ftal; hat hoch aud) 
bie Neuheit ber realiftifchen Einacteroper nur SRaScagnl unb Seonca^ 
ballo genupt unb allen fpäteren Nadjapmern bloß geringere Erfolge ge= 
bracht, ©o gefchicft nun auch Sljel 3)elmar ba8 aUbefannte Ntärcpen 
bom könig S)roffelbart auf bie Opembühne berpflanzt, fo berrnag feine 
©earbeitung unferen #erzen$antpeil, ben ein folcper ©toff berlangt, bocp 
nur wenig z« gewinnen. Er hätte beffer gethan, ftch ganz eng an bie 
finnteid)e 3)ramattfirung zu halten, bie ber 3)üffelborfer 3)ichter Biebrich 
Noeber mit bleiern ©lücf bor etwa zwanzig Sahnen borgenommen hat. 
3>od) ift nicht z u leugnen, baß bem Eompontften gut in bie ©änbe ge= 
arbeitet ift, ber benn auch bie mancherlei banfbaren Partten anfpred)enb 
bertont. ©iel melobifche Erfinbung beftpt er ja nicht, aber er fchreibt 
fangbar unb wohlflingenb unb trifft ben ©olf8ton oft ganz überrafepenb. 
E8 ift jebenfaH8 auch ein Seichen ber 3 e *t, bafj unfere Eomponiften 
einer nach bem anbem ber ©olfSoper z«ftreben, fogar 5Bagner'8 eigener 
©ohn. 3)arau8 fprid)t wohl weniger eine blo^e SRobeftrömung, al8 
ein gewiffer Ueberbruft: bie berftiegenen gelben unb ©öfter au8 SBapn- 
frieb ftehen unb bleiben un8 mobernen N^enfcpen z« feni. Nur fo al8 
Neaction erflärt fiep ber grofee Erfolg bon Earmen, Eabaüeria, |>änfel 
unb ©retel. 

„Natbolb" ift fepon anber8wo aufgeführt worben unb hat überall 
gefallen, ©eefer ift eine burep unb burep mufifalifepe Natur, niept bon 
großer Erfinbung8gabe ober Originalität, aber immer bornehm unb 
ipmpathtfd). Nur pat er al8 langjähriger Seiter ber 3)re8bener Sieber^ 
tafel eine zu große Neigung für ben NJännercpor unb ba8 Siebmäßige 


überhaupt, bie ipm jept bei einer bramatifepen Eompofition im ®ege 
fiept. 3)a ift 9ltle8 talentboü unb fleißig, auch ber Orcpefterpart wopk 
flingenb unb mitunter reept complicirt unb lärmenb, aber ftet8 wieber 
fällt ©eefer in bie 9lrt ber Siebertafelmußf zuxücf. Ntan merft e8 ipm 
an, baß ipm nur im Sprifcpen ganz wopl wirb. 9Bie fcpön ift z* ©• 
9ltta'8 Sieb in F-Dur unb ba8 ©cplußenfemble mit feiner maeptboßen 
Steigerung! Ein befonbere8 Sob oerbient ber Xejt. Skr bie aud) in 
feinen Nomanen (fogar im „$ampf um Nom") ftarf opernpafte 9lrt 
Selij 35apn'8 fennt, ber merft unb weiß, baß 3>apn ber geborene 
Sibrettift fein muß. ©epr [wirffam pat er pier ben oft bramatifiTten 
©toff be8 Enocp 9lrben bepanbelt, in lunfiooll fnappem 9lufbau unb 
auch pfpcpologifcp flar unb überzeugenb, wobei man freilich mit ber 
allzu aufgeregt patpetifepen ©praepe biefer gifeper niept einOerftanben zu 
fein braucht, ©ielleicpt bearbeitet 3)apn einmal ein eigenes ©er! für 
einen Eomponiften. 3Btr benlen ba zuerft an feinen föftlicpen Noman 
„3)ie fcplimmen Nonnen Oon ©oitierS" — ba8 wapre Sbeal einer 
fomifepen Oper. 

3n bem Keinen Eentraltpeater, wo 3)irector gerenezh ben Sßiener 
OperettenftU „feef unb refcp" pflegt unb befonberS mit „©eifpa" eine 
lange Neipe ©orfteBungen burepfepte, ift wieber bie ©iener Operette 
eingezogen unb wieber auf franzöftfepen ©telzen, wenn man fo fagen 
barf. 3)ie bewährten Sibrettiften Seon unb SBalbberg haben bie welt= 
befannte „Nintcpe" oerarbeitet, bie aBerbing8 für ein munteres Seftbup 
Oorzüglicp geeignet ift. ES fann bloß bebauert werben, baß ftdj bie 
Herren weniger an baS graziöfere Original palten, als an bie plumpe 
©earbeitung, bie ber oon SBiener unb ©erliner Eenforen beanftanbete 
©toff bamalS burep Eb. Sucobfopn, wenn wir niept irren, erfuhr. Nicht 
nur baß h^r bie faftigften grioolitäten z^ar gemilbert finb, waS ein 
©erbienft wäre, aber an ipre ©teile treten orbinäre ©erliner ©offenmipe 
unb abgefepmaefte feenifepe Einfälle, z* baß am erften Slctfcpluß alle 
Kellner m benfelben UnauSfprecplicpen erfepeinen, bie ber nur ber unteren 
körperhälfte nach entbedte Siebpaber trägt, unb äpnlicpe ©päße. ®lü& 
lieper Seife ift ber talentoolle Eomponift beS „OpembaHS" auf ben 
^offenton niept ganz cingegangen unb pat eine, befonberS in ber 
3nftrumentirung, feine unb blScret heitere Partitur gefeprieben. 5)aS 
©riefbuett, bie burfeSfe Nationalhymne fmb gute fomifepe Opemmufif 
Oon frifeper Erfinbung unb fauberer gactur. 35ie Sluffüprung erinnerte 
an bie beften gelten ber längft entfcpwunbenen grlpfcpe'fcpen Operettenära. 

M. 


Offene ^triefe «ttb Jlnttoorten. 


Öorb ^almcrften über bie müitärifc^e <5iütoüd fft ©ttglanbö. 

©epr geeprter perr! 

Erft naep Slbfenbung meines SlrtifelS über bie 3^00^8 (in ber 
lebten Nummer ber „©egenwart" abgebrueft) ift mir ein intereffanteS 
©epretben Sorb ^almerfton'S zu ©efiept gefommen. 3)er berühmte 
Nlinifter war feines SeüpenS 3)iplomat, aber beS 2RiIitär= unb SRarine^ 
wefenS niept unfunbig, benn er belleibete 1807—1809 bie ©teile eines 
Lord of the Admiralty, 1809 —1828 bie ©teile eines Secretary at 
War. Er rieptete 1851 ein ftreng oertraulicpeS ©dpreiben über bie 
militärifepe ©cpwäcpe EnglanbS an ben ©cpaßfanzler ©ir E. Soob. 
3)iefer ©rief würbe 1876 oon E. Slfplep in feinem Life of Palmerston 
(I, 250^—258) oeröffentlicpt. 3)er Sorb füprt anS, baß bie englifcpen 
ÄriegSwerften leicpt üon einem geinbe z^rftört werben fönnten, baß 
biefer unfepwer lanben lönne, unb baß Englanb leiber leine .landwehr* 
pabe. Er beziept fiep babei auf ©ir g. £eab T 8 Serf The Defenceless 
State of Great Britain, 1850. ^almerfton meinte zwar 1852, Eng= 
lanb fei niept mepr fo weprloS, defenceless, wie 1849 (Njplep, II, 6, 7). 


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Die fficgettoMtri. 



03 


Xrofrbem biixften Me Augfüprungen gorb $almerfion’8 unb ©ir 5 . $eab'8, 
mit Serärtberung be8 gu Seränbernbett f nocp peute beacptengwertp fein. 
Aepnltcp betfte ber Abmiral ©ir ©. Papier in feiner ©cprift The Navy 
its Past and Present State, 1850 bie ©ebrecpeu ber englifcpen $rtegg- 
flotte auf. 

§ocpacptuitg8bott 

Dr. Karl IPalder, 

Docent an ber Uniöerfttät getpgig. 

-- 


Stottjett. 

©efepiepte be8 beutfdjen 3 citun 9 ^ ttJc fen 8 Don ben erflen 
Anfängen M8 gur ©ieberaufricptung be8 Deutfdjen 9?eicpe8. Sott 
gubroig ©alotnon. (Dlbenburg, ©cpulge’fcpe ^ofbucppanblung.) gubwtg 
©alomon entwirft picr gum erften Wal ein gro&e8 öoaftänbigeg SBUb 
Don ber ©ntftepung unb ©ntwidelung beg beutfcpen SournaiiSmuS unb 
füllt bamit eine tängft empfunbene güde in unferer piftorifdjen Literatur 
au8. Wtt bem Seitalter ber ^Reformation begittnenb, wo fiep bie erflen 
ßetme beg 3ournait3mu8 regen, unb bann fortwanbemb burep bie büftere 
Sßeriobe be8 bret&igjäprigen tfriegeg, burep bie griebeiicauifcpe Seit, big 
herüber in bie ©egenroart, führt ber Serfaffer un« eine SRetpe ber tnter* 
effanteften ©ulturgemälbe, eine lange ©alerie ber eigenartigem ©parafter= 
löpfe hör. (Sin gang neue«, bisher nur pie unb ba geftreifteg ©ebiet 
ber ©efepiepte unferer Stlbung wirb un8 babei eröffnet, eine ber gewaU 
tigften Wäcpte ber Gegenwart, bie öffentliche Meinung, fehen wir bon 
ihrem erften (Smpormad)fen big gu ihrem heutigen gigantifepen (Stnfluffe 
ft<h entwlcfeln, ja bag gange müpeboüe SRingett unb nicht raftenbe Kämpfen 
ber lepteit brei Soprpunberte giept in einem eigentümlich fcharfen ©piegel 
an un8 Vorüber, benn in einer fo untfaffenben unb erfepöpfenben ,©e= 
f^ichte beS beutfehen 3 c i(unggwefeng", wie ber borliegenben, bietet ftd? 
*n8 auch zugleich ein ©piegelbilb unferer gefammten nationalen ©nt= 
foidelung. Der bi§her borliegenbe erfte Sanb geht big gum Auftreten 
Napoleons unb enthält in anfprechenbfter gorm biel SReueg unb 3nter= 
effanteg. ©ir tommen nach ber SoIIenbung be8 langen, bie hoffentlich 
nicht lange auf ftch warten lägt, ausführlich auf bag ©er! gurüd. 

Sur mobernen Dramaturgie bon ©ugett Sabel (Olben= 
bürg, ©chulge) liegt nun boUfiänbig bor. Der eben perauggefommene 
gweite Sanb enthält ©tubien unb Äritifen über bag beutfehe Xpeater, 
roäprenb ftch ber erfte mit bem augfänbifepen Xpeaier befchäftigt hat. 
Aeben allgemeinen gragen, bie ftch auf bie Äuitft beg Sortragg unb bie 
©efepiepte beg Süpnenerfolgeg begiehen, behanbelt Sabel nach einem 
©eitenblid auf bie bramatifchen $läne unb Äritifen bon Sertpolb Auer= 
bath unb nach einer liebebotlen ©parafteriftit beg genialen Dramaturgen 
Äarl ©erber bie tonangebenben Xalente unferer Sühne. ©epott ein 
Slid auf bag SnpaltgDergetdjnifc beweift ung, wie wenig ftch ber Ser^ 
fafjer babei bon augenblidlichen Sarteiftrömungen leiten lägt, inbern 
neben einem feinftnnigen Dichter wie ©ilbranbt ein gefehlter fiuftfpieU 
autor wie ©uftab bon Wofer gu ©orte fommt. Die neueften Dramen 
bon ©ubermann unb $auptmann, ©ilbenbruch, gulba geben gu aug= 
ffiprltcpen fritifchen Attalpfen Anlafj. Defterreicpg Dramatiler giehen 
bon ben S e Üen Saimunb’g unb Meftrot/g big auf bie jüngften an ung 
borüber, woran ftch neuere norbbeulfche Drainatifer fcplie&en. Siel 
?erfönlicpe8 unb Unterhaltenbeg enthalten bie Auffäfce „Sei ben WeU 
Fingern" unb Emmanuel $ant auf ber Sühne unb im Seben". ©in 
breiter Saunt ift namhaften barfteüenben Mnftlern gewibmet, bon benen 
bie berftorbme ©parlotte ©olter ben Seigen eröffnet. (£8 folgen bie 
^orträtg bon Wltterwurger, ©onnenthal, Saumeifter, J&aafe, Sarnap, 
fcngelg, SoHmer, Watfowgfy ttnb ihfng Wan braucht niept mit allen 
Urtheilen Saberg elnberftanben gu fein, um alt feiner e^rltc^en, grünte 


liehen unb burdjmeg woplrootlenben ^Irt greube gu haben. Slucp ift ber 
gufädige journaliftifcpe dparafter beg Sucpeg, bag bodp in ber £aupt= 
fache nur eine gafammenftellung gelegentlicher Süchetbefprechungen unb 
^remi^renberichte ift, burep fleißige Unt= unb Durdparbeitung beg ©toffeg 
gu bleibenber unb literarifcper Sebeutung erhoben. 

9118 ©trohwittwer nach 31 frita! SReifeerimterungen bon 
Sllbert ©raf bon ©cplippenbach. (^renglau, Ä. Wied), ©ine 
anfprucplofe, muntere unb angenehm gu lefenbe fReifebefchreibung eineg 
fdjarfäugigen, liebengwürbigen eepten 3unferg. Der Serfaffer ift ein 
©opn beg ©eneralg ber 3nfanterie ©rafen Äarl bon ©djiippenbach, beg 
pelbenmüthigen güprerg beg Sataißong ber 52er bei 9Rar8 la Xour 
unb wopl ein ^achfapr beg trefflichen fipriferg ber „gliegenben Slätter", 
beffen ©ebiepte bielfach in unfete ©ommergbücher übergegangen ftnb. 
9 lucp ©raf Ulbert pat ben hnmoriftifepen gamiliengug unb unterbrüdt 
bie ©tromfcpneHen feineg lebengfropen Slutlaufeg nirgenb auf feiner 
gangen Dieife bon ^renglau big Sigtra, Wonte ©arlo, 9?igga unb War= 
feifle. ©apre perlen feinen |>umorg ftnb bie ©Üggen über Algier, über 
bie ©tfenbapnfaprt nach ^öt^lra unb ben Aufenthalt in ber ©üftenftabt. 
Dabei merlt man fofort, bafe ber Serfaffer ein feparfer Seobacpter ift, 
ber opne fRüdficpt atierfennt unb geigelt r je naepbem fianb unb ßeute 
ipn bagu beranlaffen, bafe er aber auep ein warmeg &erg unb offeneg 
Auge für alle ©cpönpeiten beg ©übeng pat. 

Napoleon I. unb bie grauen öon gr. Waffon. Uebertragen 
unb bearbeitet oon Dgfar Warfcpall 0. Sieberftein. (öeihgtgr 
©. ©cpmibt & ©arl ©üntper.) Dag Auffepen enegenbe Sucp .Napoleon 
et les femmes“ in einer fepr guten Serbeutfcpung unb pübfcp iüuftrixt. 
Waffon ift opne S^f 6 ^ e ^ ner & er ^ften Kenner oon ^Rapoleon'g in* 
tintem geben; feine Segiepungen gu ben Sonaparteg paben tpm Duellen 
erfcploffen, bie bigper überhaupt niept unb auep jept niept Sebent gu= 
gänglicp ftnb. ©0 fonnte er ber fo oft ergäplten ©efepiepte bon Sof^pine 
unb Warie=gouife burep eine fcparfftnnige unb gclftboHe Auffaffung neueg 
Sntereffe leipen, bag £iebe8berpältnifj gu ber fepönen $olin, welche Me 
Wutter beg ©rafeu ©alewgfi würbe, burep unbefannte Documente neu 
unb überrafepenb aufflären. ©elbft unfere ÄenntniJ ber !Rapoleonifcpen 
Solitif bleibt babei niept gang opne Sereicperung. 

Die beutfepe ^Rationalliteratur. 3b^ innerer ©ang im 8u* 
fammenpange mit ber ©ütengefepiepte bargeftedt bon grang ©cpneber* 
mann. (Seipgig, Dörffling & grande.) Dem Serfaffer ift eg, wie er 
berftepert, niept pauptfäcplicp barum gu tpun'gewefen, fiiteraturgefepiepte 
gu lepren. An $anbbücpem, Me bieg wollen, ift lein Wangel; ja eg 
giebt beren auggegeiepnete. ©eine Abficpt ging bielmepr bapin, eine ©e= 
mütpgbetpeiligung an bem ©erben unb Offenbaren beg inneren beutfepen 
Sebeng bei ben gefenben perüorgurufen. Watt fann bag ©erlcpen ben 
Serfucp einer SfP^ologie ber beutfdpen giteraturgefepiepte im 8nfammen= 
pang mit ber ©efepiepte ber ©itte nennen. Dabei entpält eg fiep ge= 
fliffentlicp aller ftoffliefien ©eleprfamleit unb fuept niept blob gefer, fonbern 
auep geferinnen. ©ine formelle ©igentpümltcpleit beg Sü<plein8 liegt 
barin, bafi eg int Xejte auch gleicp groben aug ben befproepenen ©erten 
giebt, unb barin unterfepeibet eg ftep bon ber geiftegberwanbten SiU 
mar'fcpen giteraturgefepiepte. Wit befonberent Sntereffe paben wir bie 
Äritif ü6er Älopftod gelefen, bie einer fepr übergeugenben ©prenrettung 
gleicpfommt. 

Alle geschäftlichen Mittheilungen, Abonnements, Nummer¬ 
bestellungen etc. sind ohne Angabe eines Personennamens 
zu adressiren an den Yerlag der Gegenwart in Berlin W, 57« 

Alle auf den Inhalt dieser Zeitschrift bezüglichen Briefe, Kreuz¬ 
bänder, Bücher etc. (unverlangte Manuscripte mit Rückporto) 
an die Bedaction der „Gegenwart“ in Berlin W, Mansteinstr. 7. 

Für unverlangte Manuscripte übernimmt weder der Verlag 
noch die Redaction irgend welche Verbindlichkeit. 


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64 


Oie <Ke$enwart. 


Nr. 4. 


Bei BtPzUungen berufe man Jh$ auf bis 
„(Begn u p a ri**. 


„Bromwasser von Dr. A. Erlonmoyor.“ 

Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitserseheinongen. 
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergeetellt und dadurch 

.. r < i l • 1 VIT *_1 £Ll 1 .1.. .... 



giifiimh JUdifolgtt. 

Montan 

hon 

^oCCittg. 

IC VoUMMf^ok 

$rci8 3 «Dfarl. ©d)ön gebuitben 4 Sttarf. 

tiefer ©tSmarcf=6a^rttn=Vornan f ber in 
wenigen Streit fünf ftarfe Auflagen erlebt, 
erfebeint ^ier in einer um bie Hälfte billigeren 
©otföauSgabe. 

$urd) alle ©ud$anblungen ober gegen (Sin* 
fenbung beS ©etragS t>oflfreie äufenbung bom 

«erlag «er Gegenwart, 

©erlin W. 57. 


Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift¬ 
stellers sind zu Gunsten der Hinterbliebenen 
folg. Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden¬ 
preises in schönen, geh.* Ex. zu verkaufen: 
Brockhaus’ Conversationslexikon Neueste 
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände 
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei 
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬ 
gabe 30 M. — Hch. Kurz: Geschichte der 
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. v. 
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild- 
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder- 
bde. 50 M. — Lacroix, Les arte au Moyen- 
Age; Directoire Gonsul at Empire, 2 Lieb- 
hbde. 30 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬ 
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde. 
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner 
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl. 
Text m. deutsch. Erklärungen v. Delius, 
Hfb. 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel 
(Pfeilstücker) Lwbd. 10 M. — Bestellungen 
pr. Nachnahme durch Vermittlung der 
Expedition der „Gegenwart“ in 
Berlin W. 57. 


1 Kilo Tropon hat den gleichen Emährungswert wie 6 Kilo 
bestes Rindfleisch oder 180—200 Eier. Tropon setzt 
sich im Körper unmittelbar in Blut und Muskelsubstanz um, 
ohne Fett zu bilden. Tropon hat daher bei regelmässigem 
Genuss eine bedeutende Zunahme der Kräfte bei 
Gesunden und Kranken zur Folge und kann allen Speisen 
unbeschadet ihres Eigengeschmacks zugemischt werden. 
Bei dem äusserst niedrigen Preise von Tropon ist dessen 
Anschaffung einem jeden ermöglicht 4 (80) 

Zu beziehen durob Apotheken and Drogenffesoh&fte. 

Tropon-Werke, Mülheim-Rhein. 


J>as geidjnett ttad) 

ttttb 

aitbere ^uttftfrageit. 

Original »©utadjten Don 7tt>. ZTtenjel, Kein- 
fcolt» Sega», ööcttin, 21. v. Werner, 
Hnans, Uljbe, Stwcf, 3ot(. Schling, 
Scbaper, (E. ». (EebbarM, 5eri>. Heller, 
Befregger, ®at>riel may, Hfjcma. 
Cfefcermann, tOUfj, »«fett, tfltger, Graf 
Efarrad», JJtaj Hrufe, HniUe, Ceffer- 
Ury, Vceylev, Cedit, Hneftl, Cedtter, 
3üget, Carlagttt, fltactenfen, Starbina, 
CeifHfow, Gaulte, plinte, StafjL 

•»reis tiefer trei üünflfer-Hummern ter 
„Gegenwart“ 1 fÄ. 50 1?f. 

8tud| birect Don un8 ju fcejleljen nadi Srief= 
matten=Etnienbutig. 

Perlag ter Gegenwart, »erlin W. 57. 

Demnächst wird auf Verlangen versandt: 

Antiquariats - Katalog 92. 

Staats- and Social Wissenschaft. 

Nationalökonomie. Finanzwesen. 

Etwa 1200 Nummern. 

Leipzig. Oscar Schack. 


3 n unfertm Verlag tft erfdjtenen: 


pte (©tßcuiuirrl. 

OktarfertR fit eitratat aat» WoOft» Ma 


1872 —1896. 

«rfter bis fünfoigfter »an*. 

m\ 9tod)trägen 1897—99. 5 J* 

(gilt bifcliograbljtfdieS ©ert erften 
föangeS über ba8 gefammtc öffentlidje, 
geiftige utxb !ünftlerifd)e ficben ber lejte« 
25 Sabre, Wotf)iuenbige8 9todjf<blagebud| 
für btc Scfer ber „Öeaenroart", fonrie 
für miffcnfcbaftlicbe ic. arbeiten, lieber 
10,000 Slrtilel, nach Srädjertt, ©erfaffent,, 
©cblagmörtent georbnet. 3>ie Slutorwl 
hfeubonbmer unb anonymer $Irti!el futb 
burdjtoeg genannt. Unentbeljrlid) für 
jebe ©ibliotbef. 

2 Iud) Mreft gegen ©oftamoetfung ober ( 
«Racbnabme bom 

Deriaa ber töegemnart. 

SBcrlin W 57. 


Bestellungen auf die 

(Knbanbbccfe 


©enmttoortltd&er Rebaciaw: Dr. 5üMp$U 89Üln% tu ©rrltit. 


zum 56 . Bande der „Gegenwart“, sowie 

zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwei Bände 
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und vergoldeter 
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden in allen 
Buchhandlungen entgegengenommen. 


Otebacthm unb CtfebttUm: ©erltti W., gRanftehtftra&e 7. 


©ntd bon feffe * 





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jV* 5 . 


■gSetrCitt, ben 3. ^feßruatr 1900. 

-$- 


- 29 \ J^Öirgang. 

, / Bancf£5£E. 


Pe Gkjpuinrt. 

2öo<henfdf)rift für Siterotur, Kunft unb öffentlid^e§ ßeben. 

-*-*-■<- 

^etousgegeßeit ton ‘SQeopQtf 

Itöflt SoanatfH» erfHetnt (tu «erlag ber Gegenwart tn »erlitt W, 57. ItoMfültlUl 4 p. 50 Vf. ft» »MDKft 50 »f. 

Su fe&te$en burtfj alle ©itcföanbtungen unb ^ofiftmter. ö ö Snferate Jebet Ärt $ro 8 gehaltene ^eti^eile 80 $f. 


gn(jaft: 


Die 3uhmft ©übafrifaS. SSon DfjontaS Senfdjau. — 3fi ba§ Söuven^eer eine SRtlia? Son Hoplites. — Sttfrotttr ttttb 
Ättttft §unbert Qabre beutlet funft. S3on Litton bon ferner. — ©cfjtllerbtograp&ien. SBon $arl ©gon ©onb^op. — 
fteutUeton. ©ine Begegnung. $on ©bgar SUIan $oe. Ueberfefct bon Qobanna öllcn^off. — fcttö Der $aujJtftabt. 
Die norübergebenbe ©rfdjeinung. 9Son Caliban. — Dramatifdje Aufführungen. — Änjeigen. 


Die 3nkmtft Südafrikas. 

$Bon (Thomas £enfdjau. 

Sßie nach ben ferneren Kämpfen im ®ecember, fo wirb 
aucf) jefct, nach ber neuen ©Etappe üom©pionlop benSnglänbern 
in einem ber feftlänbtfcpen fßreffe ber Satp gegeben, fie 
fotlten fo halb wie möglich mit ben Suren einen billigen grieben 
fchliejjen. 2)aS wäre nidjtS AnbereS, als eine SBieberpolung 
non ©labftone’S Solitil nach SDJnjuba, nur in größerem ÜSaafj* 
ftabe, unb wenigftenS barüber perrfcpt in (Snglanb allgemeine 
llebereinftimmung, ba| jener grabe non 1881 ber fcpwerfte ’ 
geiler war, bet je in ©übafrila begangen warb. Ueberpaupt 
aber lann fiep ©nglanb nicpt wie Italien nac^ bet ©dplacpt 
non Abua mit einem faulen grieben aus ber Affaire gieren. 
3n bem weiten britifepen SBettreidj perrfepen oiergig Millionen 
©iglänber über 360 Millionen unterworfener Söflerfcpaften, 
unb bie Sicherheit ihrer ^errfepaft beruht wefentfiep auf 
ihrem fßreftige, auf ber Uebergeugung, bafj Sngfanb in jebem 
Kampf mit untergebenen Söllern auf bie Stauer fiegen müffe. 
©obalb biefe Uebergeugung fcpwinbet, ift bie SSögticfjleit 
unabfepbater Serwidelungen gegeben, bie ben Seftanb beS 
gangen 9teicpeS in grage ftefien. Stt ber Spät, was fief) 
jefct in ©übafrita abfpielt, ift auch für Snglanb ein Kampf 
um ©ein ober Sichtfein, unb in bem Augenbfid, wo eS 
ber SEÖelt beweifen foß, bafj eS feine SEBelt^errfd^aft nicpt 
(SuropaS Sacpficpt, fonbern eigener Kraft öerbantt unb baS 
3eug bot, fie gu behaupten, rätp man ihm gum Sadjgeben? 
Sein, bie Snglänber wiffen beffer, waS ihnen bient. ®aS 
gefammte reguläre §eer ftebt am Sap ober ift auf bem Sßege 
bortpin; bie Sertpeibigung bet fpeimatp ift ben SSiligen übet* 
tragen, Srlanb broht fcpwierig gu werben; lurg, nicht einmal 
im inbiftpen Aufftanb war bie Sage fo ernft wie heute. Aber 
baS Sol! bewahrt feine entfepfoffene Haltung unb läßt leinen 
3toetfel barüber, bafj eS gewillt ift, ben Kampf bis gum 
guten ober bitteren Snbc burepgulämpfen, eS fofte benn, was 
eS wolle. 

Stann aber fann bet SluSgang beS Krieges faum gweifel» 
haft fein. 3 to *f^ en dem weltumfpannenben 9teidh, bem felbft 
bie Kolonien ihre Kräfte gut Verfügung fteUen unb bem 
Keinen Surenboi! ftebt bie fßortie botf) gu ungleich, als ba| 
Snglanb fie gang oerlieren lönnte. 3 tt)at an einen entfcijeibenbeit, 
glängenben ©ieg glaubt heute Siemanb mehr. Slber ein 2Beg 
bleibt, bet fidher gum ßiele führt, bie langfame Srbroffelung 
ber Surenftaaten burch eine boÖftäubige Slofabe, bie jebe 


3ufuhr abf^neibet Sor biefem ©djidfat lann bie Suren 
nur eins bewahren: wenn nämlich SnglanbS alte geinbe feine 
Sertegenbeit benu|en unb eine eutopäif^e (Koalition gu 
©tanbe bringen, ßeicht ift baS freilich nicht, Wie bor gwei 
fahren bet gafd)obafaH bewiefen hat, ber bielleicht bon £>ano= 
tauj eigens für ein gemeinfameS Sorgehen SuropaS gefchaffen 
war unb mit bem fRüdgug beS allein gelaffenen granlrei^S 
enbete. 3lHerbingS liegen jefct bie Serhältniffe günftiger als 
bamalS. Stet militärifche ßufammenbruch SnglanbS hat ben 
Sftgwohn erwedt, als ftänbe auf feiner glotte auch nicht 
ülQeS, wie eS fotle, unb bie Ausbreitung biefeS ©ebanlenS 
bermehrt unleugbar bie ©efahr eines eutopäifdjen Krieges. 
Aber bafe wir nicht anfangen, ift fo gut Wie fieser; ber fran* 
göfifd)cn Regierung wirb fliiemanb bie nötige Kraft beS 
@ntfc|luffeS gutrauen, unb fo ruht baS ©djidfal ber SBelt 
Wieber einmal in ber fpanb beS 3®ten. SBirb er hanbeln? 
Kann er hanbeln? S)ie Antwort auf biefe gragen hängt in 
lebtet Sinie bon ben inneren Serhältniffen beS ruffifdjen 
SieicheS ab, bie nur Stetigen genau belannt finb, aber aller* 
bingS nicht bie günftigften gu fein fcheinen. ©o biel ift ge* 
wij}, ba| alle bie ®ertid)te bon einet ©nmifchung ®uropaS, 
bie beim Seginn beS Krieges umherfd)Wirrten, platt gu Soben 
gefallen finb, unb leiber ift eS nur gu Wahrfdjeinlich, bafj 
Sngfanb in ©übafrila freie §anb behalten Wirb, ©o mifdht 
fich in bie gerechte greube über bie ©iege ber Suren baS 
f^mergliche ©efühl, ba| alle ©folge fd)liej}li<h bodh umfonft 
fein werben. 

3ngwifd)en befchäftigen fich die englifihen Slätter in ben 
gahlteid)en Kunftpaufen, bie in ben officieHen Kriegsberichten 
eintreten, gang etnftljaft bamit, wie fich die Serhältniffe nach 
ber 9?ieberwerfung ber Suren in ©übafrila geftalten werben. 
Sn ber jefcigen Sage erinnert baS aHerbingS bebentfief) an 
bie belannte Xh e ^ un 9 des SärenfeHeS, aber im ^inblid auf 
ben enblidjen AuSgang beS Krieges oerbienen jene ©rörte* 
rungen immerhin einige Seadjtung. Sor Allem gilt baS 
üon einem Auffa| (Sbmarb ®icep’S, bet im IJtoOemberheft ber 
ßeitfehrift „S^ineteenth ©enturp" erfchienen unb „Sach bem 
Kriege" betitelt ift. ®icep ift einer ber erfolgreidjften Sor* 
tämpfer beS britifchen SmpetialiSmuS, unb wenn er auch 
mehrfach betont, bafs et nur feine petfönlichen Anfi^ten aus* 
fpriept, fo finb boep feine Segiepungen gu ben leitenben 
SSännern ber KriegSpolitif berartig, bafe fie unmöglich opne 
©influfe auf feine Anficpten geblieben fein lönnen. ®a|er 
werben fiep feine Sorfcpfäge im SJefentlicpen mit bem Programm 


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66 


Oie (Üegetuoari. 


Nt. 5 . 


beeten, nacf) bem ©hamberlain itnb feine Seute bereinft bie 
fübaftifanifchen ®inge ju otbnen gebenfen. ®ie ©runbjüge 
biefeS Programms nun finb folgenbe. ©er fjwed beS SriegeS 
ift, bie englifdje Sorherrfchaft in Sübafrifa unerfcfjütterlich 
ju begrün ben; bieS aber ift nut ju erreichen, wenn fid) ©ng» 
lanb in feinet ©roßmutl) nicht bethören läjjt, bem Keinen be= 
fiegten geinbe einen eljrenöollen grieben ju gönnen. — Ueber 
biefe Seforgniß $errn ®icetj’S ift eS einigermaßen fdjwer, 
ein Sachen ju unterbrücfcn. — $ur Serwirflidjung beS QroedeS 
ift bie öoüfommene Sefiegung ber Suren, bie Schleifung ber 
Sefeftigungen üon Pretoria unb Johannesburg, fowie bie 
jeitweilige militärifche Sefefcung beiber Surenftaaten noth« 
Wenbig. AlSbann hoben alle Staaten in Sübafrifa SIbge= 
orbnete ju einer ©onferenj ju entfenben, bie unter bem Sor* 
fifc eines britifchen ©ommiffatS über ben ißlan einer Set» 
einigung aller fübafrifanijchen Staaten unter englifcher 
Oberhoheit p berathen ^»ätte. ©runbbebingungen jebeS 
SlaneS Wären bie OöDige ©leid)berechtigung aller weißen 
Sütger ohne Unterfcfjieb ber SRaffe unb bie ©rridjtung eines 
ganj Sritifch»Sübafrifa umfaffenbcn 3ottoereinS. 2)ie meiften 
Staaten, Wie ÜRatal, Shobefia, würben fich ohne SBeitereS 
anfchließen; ernfthafter SBiberftanb Wäre allein oon ber Gap* 
colonie p erwarten, wo feit Jahren ber Afrifanberbonb ben 
©ebanfen ber Sereinigung oon Sübafrifa befämpft, fofetn 
biefe bie englifcbe Sorherrfcfcaft begünftigt. Mein auch er 
Wirb bor ber lEhotfacße ber britifchen Cberljerrfchaft bie 
Segel ftreidjen müffen, baS Minifterium Schreiner wirb 
burch ein fortfchrittlidjeS — fotl heißen imperialiftifh ge« 
finnteS — erfefct Werben; nötigenfalls Wäre bie militärifche 
Sefefcung ber beiben Surenftaaten fo lange auSpbehnen, bis 
fich ^e r ©onb beit SBünfdjen ber Regierung gefügig erzeigt. 
Jnnerhalb ber Sereinigung bleiben bie ©injelftaaten burcf)= 
anS befteljen; nur finb fte in allgemeinen fragen an bie 
Sefdjtüffe eines auS erwählten Mitgliebern beftehenben SunbeS* 
ratheS gebunben, währenb bie locale Serwaltung ben ißarla* 
menten ber ©injelftaaten oorbehaltett bleibt. Jn biefen wirb, 
wie fich erwarten läßt, burch ©inführung beS gleichen SecfjtS 
für alle weißen Sürger baS englifdje ©lement pm Siege 
gelangen, auch in SLranSuaal, wo JdEjon oor bem Stiege bie 
britifdhe Sebölferung bie hoÖänbißhe überwog; nur ber 
Dranjefreiftaat mit feiner oorwiegenb hoflänbifdijen Seoölfe* 
rung Wirb hteroon eine Ausnahme machen. ®ann wirb enb« 
lieh in Sübafrifa bie Möglichfeit einer ftieblichen ©ntwicfelung 
unter englifcher Oberhoheit gegeben fein. 

SBoht auSgefonnen, ißater Samormain! möchte man mit 
SßaHenftein auSrufen. @S ift ein fluger ©ebanfe, bie be« 
fiegten Surenftaaten, bie ben ©roU gegen bie Sernidjter ihrer 
Freiheit noch longe bewahren werben, politifd) babutch laßm* 
ptegen, baß man fie als gleichberechtigte ©lieber einer fReifje 
oon Sleinftaaten einorbnet, bie im englifcfjert Jntereffe regiert 
werben unb im SunbeSrath ftetS bie Mehrheit bilben müffen. 
Aber houptfächlich fomrnt boch ber ganje ißlan barauf hin« 
aus, bie ungeheuren Sobenfdjäfce UtanSOaalS ©nglanb bienft* 
bar p machen. Jener Sanbitengefinnung, bie in bem Sor» 
fchlage gipfelte, ben Suren ihre ©olbfelber unb ©ifenbafjnen 
ju nehmen unb fie bann ihrem Schicffal ju überlaffen, ift 
fürjlidj SaliSburp mit bem ftoljen SBort gegenübergetreten: 
„©nglanb fucht feine ©olbfelber unb feinen Sanbbefifc". ®e* 
wiß nicht, benn hier ift etrt SBeg gegeben, auf bcm eS praftifd) 
§u bemfelben 3iele gelangt, ohne birecten SRaub ju begehen. 
@S Wirft unfäglid) fomifd), wenn §err ©icep ganj ernfthaft 
oerfichert, Shobefia werbe fich fofort ber geplanten Sereinigung 
anfchließen. Natürlich, was fann biefer „Staat" benn auch 
SeffereS tljun? SlCle Die ungeheuren Summen, bie oon eng« 
lifdjen Gapitaliften in bem noch uncntwicfelten Sanbe an* 
gelegt finb unb bis jefct noch feinen Pfennig 3’ofen gebraut 
haben — baS ®eficit beträgt annähernb 115 Millionen 9D?art 
— finb boch nur in ber ©rwartung Ijineingcftedt, baß ber* 
einft bei ber ©rtheilung ber Selbftoerwaltung am SRtiobefia 


alle Actien, natürlich ju einem fefjr annehmbaren Surfe, als 
Sdjulb auf ben neuen Staat übernommen werben. Unb ba 
bie Sereinigung aßet fübafrifanifdjen Staaten fchließlid) bie 
Unificirung ber ©injelftaatSfchulben nach f«h jiehen wirb — 
bafür wirb £err IRhobeS fchon forgen, wenn er nur lebenbig 
auS Simberlep herouSfommt, — fo wirb bie ganje Schuften* 
laft bem reichen StranSoaal mit aufgehalft werben. 901er* 
bingS ein oerwünfdjt gefcf>eiter ©ebanfe, ber ben britifchen 
JingoS alle ©hre macht, unb ben fie jweifelloS, fo weit es 
in ihren Sträften ftcht, burchfüljren werben. 

©ennod) fragt eS fich, ob bie ßufunft SübafrifaS fich wirf* 
lief) fo günftig für ©nglanb geftalten wirb, wie ®icep annintml 
©S mag wahr fein, baß im XranSoaal bereits oor bem firiege 
bie Suren in ber ÜRinberjaht Waren, unb baß nachher buch 
bie fchweten Serlufte im Stiege unb maffcnhafteS ©inftrömen 
Oon Seuten, bie aisbann wieber in ben ©olbfelbem ®c* 
fchäftigung juchen, baS Serljältniß noch mehr ju Ungunften 
bet Suren geänbert wirb. Mein bamit ift feineSmegö ge* 
fagt, baß nun bie ©nglänber in ben inneren Angelegenheiten ' 
jtranSüaalS bie entfeheibenbe Stimme erhalten. 9Senn fie 
fich nicht burch eine ganj befonbere ©intjieilung ber SBaljl* 
freife baS Uebergewicht fiefjern, fo wirb im SBahlfampf faft 
immer bie feft jufammenhaltenbe Sortei ber Suren ben @wg 
über bie Seoölfetung ber ©olbfelber baoontragen, bie, ihrer ' 
fRatur nach unbeftänbig unb oon mancherlei Jntereffen ge* . 
fpalten, feiten bie in ihrer §anb befinblichen politifch» 
Machtmittel ju gebrauchen weiß. ®affctbe jeigt fich äugen* 
blicflicf) in SSeftauftralien, wo bie ältere länbliche Seöölfernng : 
burch ftrammeS ßnfonimenhalten unb eine intelligente 
rung bie oiel jahlreichere Seüölfcrung ber ©olbfelber pohttfd) 
oollftänbig im Schach hölt- Auf bie Stauer werben bahn 
im Parlament beS SranSoaal bie Suren ebenfo wie feft in 
©apparlament bie Mehrheit auSmachen. 

Unb jwar wahrfcheinlich für immer, benn bie I 

nungen ®icei)’S enthalten noch einen jweiten gehler, auffe 
fdjon früher oon ©nglänbern felbft aufmerffam genaeh 
worben ift. Man hot bie Sefürdjtung auSgefprocfjen, (Eng* 
taub werbe fich m it ber ©roberung XtanSoaalS nut etnen 
§eerb fortwährenber Aufftänbe, eine Art Solen, auf beu§al£ 
laben. ®icep hölt baS nicht für waljrfcheinlich; wären ein* 
mal bie Sßürfel gefallen, meint er, fo würben fich lEtwö* 1 
oaal» unb Cranjeburen genau wie ihre Srüber im Gap ju 
Anfang biefeS JahrljunbertS aOmälig in ihr SooS fmben. 

©r üergißt babet nur, baß bamalS ben Unruhigen unb grci* 
heitSliebenben ber Ausweg über Draujeftrom unb Saal offen 
ftanb, währenb heute ein neuer Surentrecf na^ Siorben un» 
möglich ift unb jene ©lemente nothwenbig im Sanbe bleiben 
müffen. Jnbeffen nehmen wir einmal an, baß bie Suren 
fich wirtlich ber englifchen ^errfdjaft anbeguemten, — Suren, 
b. h- ein in Sprache, Sitte, Seligion oerfchiebeneS Soll, 
werben fie bodj immer bleiben, unb barin liegt bie Oenwbr 
ihrer gutunft. ©S ift baS Ungliid ber englifdjen ^»errfhaft, 
baß fie fid) im Jnnern wefentlidj auf bie Stäbte ftüjen 
muß, bie gleichfam übet SRacßt in ber fRäbe ber ©olbfe&et 
emporgefchoffen finb. Aber bie ©olbfelber rönnen nicht ewig 
bauern. ©S giebt Seute, welche annehmen, baß fie in breijjig, 
üierjig Jahren bereits erfchöpft fein werben; unb ob man 
alSbann heue entbedt, ift fehr zweifelhaft, wenigftenS hat bie 
ActiengefeOfchaft beS §errn IRhobeS, bie in ber Hoffnung 
barauf gegrünbet warb, bis jefct jiemlid} tlägliche @rge6mffe i 
erzielt. AlSbann aber ift cS mit bem Anwachfen ber eng* 
lifcßen Seoölferung oorbei. ®cr AuSwanberer, ber nach 6®* 
afrifa in bie Minen geht, will fich möglidjft fchnell^erei(h®i 
unb möglichft halb baS Sanb wieber oerlajfen; bai^Ä 
einförmige Seben beS garmerS, ber nicht einmal ben«8w4 
eines IRachbargehöfteS fieht, h at für ihn feinen 5Reijfc3t t 
einmal ber ©olbreichthum beS SanbeS erfchöpft, fo Wiw« 
Strom ber ©inwanbening, ber fich jefct über iranSoa®^ 
gießt, Wieber in bie Stäbte jurürfebben, unb nur bzm® 




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Die töegennum. 


67 




Nr. 5. 


roirb bleiben, ber mit bem Soben betwadjien ift: wiebet wirb 
tyrn mie not 9Uterö baS ßanb üom 9tgamifee biö gunt Oranje, 
von ben Grafen bergen bis gur Sfalahari gehören. 9tur eins 
fönnte hierin Slenberung fc^affen: wenn eö ©nglanb gelänge, 
in großem 5D?aftfiab garmet angufefcen, wie bieö burch bie 
5llgoa*SBai =>©efiebelungöacte bom Satire 1820 gefchaf), bon 
ber ficf) bie 12—15 000 englifd)en garmer im Dftcn ber 
ßapcolonie l)erfd)reiben. Slber Waö ©nglanb mit einer 
blü^enben ßanbmirthfchaft im 3af)te 1820 bermodjte, baö 
fann eö heute nicht mehr, ba feine länblidbe Seüölferung nur 
noch gehn ißrocent beträgt,, unb fo mag fid) bie Sorauöfage 
englifdjer ©d)riftfteßer erfüllen, baß in fünfzig Satiren bie 
englifdje Seüölferung auf bie Sfüften unb wenige Sinnenftäbte 
bcfd)ränft fein wirb, mätjrenb bie Suren im Snnern baö 
Heft in ber $anb fjaben. Wögen fie aud) jeßt im ungleichen 
Stampf unterliegen, ben Suren gehört bie 3ufunft ©übafrifaö. 

Sergeffen mir aber barüber nicht, baß ihnen auch noch 
bie Gegenwart gehört. Siodj flattert baö Sanner bon 
Iranöoaal auf ben flöhen bon 9?atal, ja biö tief in bie 
Sapcolonie hinein, unb manchen heißen Dag wirb eö noch 
2orb Siobertö foften, ehe er bie ©affen auö ber fianb legen 
unb in S ret oria ben grieben bictiren fann, wenn eö über* 
baupt fo weit fommt. ©ir Deutfcfje aber mögen ©ineö bc* 
benfen: Deutfeh=©übweftafrifa ift fo giemlidj unfere einzige 
Solonic, bie Slrferbauern Unterfunft gewährt, unb bennodj 
ift fie baö ©tieffinb unter unferen Sefifcungen. 2Jiand)e 
meinen fogar,'eö lohne fid) cfar nicht, biel in baö Sanb 
Ijincinguftccfen, ba eS boch nur fpäter einmal alö „©ompenfationö* 
object" bienen follc. Diefe ßeute foflte boch einö ftu^ig machen, 
baß 3ah r für Saht in (Snglanb ber ©ebanfe ouftaudjt, ©üb* 
tteftafrifa angufaufen. Sie ©nglänbet werfen Wahrhaftig 
ihr ©elb nicht Weg, unb eö wäre fo ziemlich baS Serfehrtefte, 
»oö wir tßun fönnten, wenn wir ©übweftafrifa aufgäben. 
Vielmehr ift eö bie fßflicht ber ^Regierung, bieö ©djußgebiet 
mit allen SRitteln auögubauen, wenn fie bie gtoßgügige 
ißolilit treiben miß, bie ©nglanbö unb Stußlanbö ©eit* 
reich begrünbet hot, jene ^ßolitif ber ©ebulb, bie erft nach 
3ahrjehnten erntet, waö fie gefäet. Unb bann mag fid) nach 
Satjrgefinten einmal ber ©ebanfe erfüflen, ber in ben ©orten 
„Sübafrifa nieberbeutfd) biö gum ©ambefi" einen je|jt noch 
Derfrühten Sluöbrud gefunben ^at. 


3ft bas Durenljeer ritte JWtltj? 

Der 5trrcg in ©übafrifa hot ben ©ocialbemofraten eine 
flute ©elegenheit geboten, bie Sorgüge ber SDiiligljeere, Welche 
fie alö ©eljrtraft eineö Sanbeö für bie richtigen h<ßten, 
gegenüber ben fteljenben fieeren, in biefem gaße nodj bagu 
über ein fogenannteö ©ötbnerßeer, gu geigen, fiier foß nur 
üom Surenheere ettoaö eingehenber bie Siebe fein unb ber 
Stage, nicht näher getreten werben, inwieweit eine Ülrmee, 
wie bie beö beutfehen Sieidjeö, im Kriege überhaupt alö 
ftehenbeö fieer gu betrachten ift unb mit einem ©ölbnerheet 
in Sergteid) gefteßt werben fann. 

Der ©runbfäfc beö üWiligfhftemö ift folgenber: Seber 
Staatsangehörige ift bienftpflid)tig, wirb, wenn er tauglich 
ift, mit ber ©affe, fonft gu anberen, für ben Sfriegöfaß noth* 
»enbigen Sefchäftigungen, eine furge 3 e ^ auögebilbet unb 
fleht, abgefeßen oon gelegentlichen furgen Uebungen, nur im 
Stiege gur Serfügung. Die gührer werben gum Df)eil 8 € = 
WWh bie Sewaffnung unb 2luörüftung befchafft ber ©taat. 
5>ie fmuptyügc beö gcubalfhftemö bagegen finb: ©ine be= 
ftimmte ©laffe, ein ©tanb, ift im Kriege bienftpflichtig unb ’ 
aucin bereditigt bie ©affen ju führen. Die kuöbilbung 
ift im ©rojjen unb ©anjen bem ©injelnen übertaffen, ber 


für Üluörüftung unb Sewaffnung felbft ju forgen hat- Die 
gührer werben gewählt. 

§&t nun bie ©übafrifanifche ffiepubtif ein Wilijhcer im 
©inne bet ©ocialbemofratie? 9?cin, benn ebenfo wenig wie 
aße Sewohner beö ©taateö in anberer Sejiehung gleichgefteßt 
finb, haben fie bie fßfli^t ober baö Siecht in bie Suren* 
armee einjutreten. Diefeö Siecht oerbleibt auöfchliefjlich bem 
©tanbe, welcher auch aßein aße Siegierungögefdjäfte führt, 
aße ©taatöfteßen befe$t, nämlich bem ©tanbe ber Suren. 
Der Uitlanber fann bie ©rlaubnifj erhalten, eigene ^lütfö* 
corpö gu bilben, bie ja auch in biefem gafle crt|eilt würbe, 
obgleich außer ber beutfehen Druppe, bie etwa 600 5D?ann 
ftarf ift, mährenb man gtt ülnfang beö Jtriegeö oon 4000 
fprach, anbere nicht gu ejiftiren fdjeinen. Die Hottentotten 
unb Gaffern, bie Arbeiter nämlich, werben bagegen nicht in 
baö §eer eingefteßt unb bürfen überhaupt feine ©affen be* 
fi&en. ©ährenb alfo bie ©ocialbemofratie hofft, ihr fDiilis* 
heer aum großen Dheil auö - Arbeitern ju formiren, fchließt 
ber Sur ben Arbeiter Dom Äriegöbienft auö unb behält ihn 
nur einem ©tanbe, nämlich feinem eigenen, oor, fo etwa, 
alö wenn in Deutfdßanb nur bie Siadjfommen ber Officiere 
griebrich’ö beö ©roßen jum Äriegöbienft berechtigt wären. 
Die Sewaffnung ber Suren, bie Oorgüglich ift, gehört eigen* 
tf)ümlich bem ©injelnen. ©ewiß hot wan fich über bie Se* 
fefjaffung gewiffer ©affen geeinigt, um gleiche SJiunition ju 
haben unb ©leidhmäßigfeit biö ju einem gewiffen ©rabe ju 
erreichen, aber jeber. Sur ift bauernb, ob im Kriege ober im 
grieben, im Sefiß feiner ©affen unb übt fich ftänbig in 
bereu güljrung biö jur Soflfommenfjeit. Slehnliche ©in* 
ridhtungen finben fich in feiner einzigen SRilijarmee, in benen, 
nebenbei bemerft, ein fjeroorragenber Drang, fich in* SBaffen* 
gebrauch Wirtlich ernftlich ju üben, noch nirgenb unb oon 
Sliemanb bemerft worben ift. Sm ©egentheil hat man überafl, 
wo eö SRilijen giebt, in bet ©chweij, in Hoßanb, in ben 
Sereinigten Staaten unb auch in ©nglanb bie ©rfaljrung 
gemalt, baß fich bie SRilijen jWar nicht üon fßaraben, geften 
unb ähnlichen Seranftaltungen, Wohl aber oon ben Uebungen 
ju ihrer üluöbilbung möglichft brüden. Sllfo auch i m Sanfte 
ber Sewaffnung unb Sluöbilbung ift ber Sür grunbOerfdjieben 
Oon ben gebachten SD?ilijfolbaten. 

3luch für 3luörüftung, fowie gum Dheil für Serpflegung, 
forgt ber Sur für feine Serfon felbft, in gerabem ©egenfafj 
gum SRiligfolbaten. ©elbftoerftänblidh ift man über gemein* 
fame Sefdjaffung üon ütuörüftungögegenftänben überein* 
gefommen, aber bem ©efchmad unb ben ©ünfdjen beö ©in* 
gelnen bleibt ein Weiter Spielraum, ©ährenb eö in ben 
SRiligheeren unb auch fonft wo gur 9Robe ab unb gu wirb, 
über bie SDiängel ber Äuörüftungöftücfe gu flogen, fäßt bei 
ben Suren jeber 3lnlaß bagu fort. 9?och in höherem ©rabe 
aber unterfcheibet fid) baö Unterbringunaö* unb Serpflegungö* 
wefen bet Suren oon bem ber SRiligfolbaten. Der Sur 
bringt fidh felbft unter. Hat er ein 3 e U» gut; hat et feinö, 
auch fjut, unb waö bie Serpflegung anbelangt, ift er feljt 
anfpruchöloö unb oerlangt feineömegö täglich gut beftimmten 
3eit feine warme SRittagöportion. ©ö mag in biefem Sunft 
mancherlei gefabelt werben, benn ob eö mit ber oiergehn* 
tägigen Station, bie jeber Sur mit fich führen foß, feine üofle 
Slichtigfeit hat, fdjeint boch etroaö gweifelhaft. ©enn auch 
angenommen werben foß, baß baö Sferb auöfchließlidh oon 
©eibe fich ernährt, fo braucht ein gefunber Surenmagen boch 
750 ©ramm tägliche Raffung, unb baö ÜRitfchleppen oon 
bemnad) 21 Sf un ö Sebenömitteln h at nichts befonberö 
©mpfehlenöwertheö. Der Serfud» beim Infanterie*Siegiment 
9ir. 156 mit ben concentrirteften Siahrungömitteln, mit 
1200 ©ramm Droponpräparaten brei Dage lang ©olbateit 
auöfd)ließlich gu ernähren, ift alö fehlgefdilagen anjufeben; 
bie Heute befamen am Siadjmittag beö britten Dageö großen 
Hunger unb erhielten oiel Srob unb Sutter, fo baß fich 
baö ©ewidjt ber Dageöration wieber auf etwa 700 ©ramm 



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68 


flte d>e$entDitrt 


Nr. 5. 


fteHte. ÜJfiligtruppen finb, rote bie Störung lefert, in Segug 
auf Serpflegung oertoöfent, toaS niefet roeiter auffällig ift, 
benn fie eyiftiren gegenwärtig burefetoeg in Sänbem, roo bie 
Seöölferung ber Stänbe, aus benen fie jufammengefe^t 
Werben, materiell gut lebt. Dem berliner Arbeiter bon feeute 
fefemeeft baS Äaferneneffen burcfeauS nicht, benn er fpeift für 
fünfzig Pfennige mit Sier brei (Sänge unb roirb baju nod) 
feöfliefe bebient. Sllfo audj barin müfete beim Diilizfeeet in 
Deutfcfelanb SBanbel gefdjaffen roerben, aber roenn baS etroa 
in ber SBeife geftfeefeen foüte, bafj man fid) bie Suren jum 
Sorbitb nimmt, roürbe man roofel roenige ber jefeigen SWitij= 
fcferoärmer fiefe ju greunben mailen. 

lieber bie SefotbungSfrage bei ben Suren ift toenig bc« 
tannt geworben, auf feinen gall aber begießen bie giiferer ein 
feofeeS ©efealt, baS in irgenb einet SBeife baju angetan fein 
fönnte, um fcinetroiKen nadE) ber ©teile ju ftreben. Stucf) 
Zeidfenen fiefe biefe güfeter nicht burdj prunfenbe Uniformen 
au§, unb grofee Ehrenbezeigungen erroeift man ifenen audj 
nicht, fo baff aud) nach biefer SRidjtung fein ein bcfonbereS 
Streben nach ben ©teHungen auSgefdjloffen ift, unb bie 
SBafel ber güferer niefet auf Agitationen beruht, fonbern 
tebiglidj nach Slnfidfet über bie Düdjtigfeit. SBie eS auf biefem 
gelbe in 2J?ilijarmeen jugefjt, baüon fjat Slmerifa in fester 
geit einige Srö6cfeen geliefert, unb roic eS in Deutfcfelanb 
mit SRilizfeeer auSfefeen roürbe, roenn ber £>err SWitigmajor 
unb Cberft bon feinen braben 9J?ilijen gerodelt unb abgefefet 
roerben fann, baS anzubeuten roirft fefeon beluftigenb. 

Die borftefeenben Ausführungen bürften pr (Senüge flar 
gelebt haben, bafj baS Surenheer grunbberfdjieben bon einem 
SJfilijljeer ift, fo roie man eS fid) gewöhnlich borftellt, roie 
eS in einigen toenig borbilblid) guten Ejemplaren beftefet, unb 
wie es bie ©ocialbemofraten als baS Sbeal ber SolfSroeht= 
fraft ju preifen fid) angelegen fein laffen. Aber auf jtoei 
fünfte fei nod) befonberS feingetoiefen, bie baS Surenfeeer 
ganz unb gar nicht pm Sbeal bet ßuhmftSftaatler mailen 
fönnen, unb bie fie bei ihren Sobpreif ungen ber Suren ab= 
fidjtlicfe ober uuabfid)t(id), aber mit großer 3äfeigfeit, ber» 
fefetoeigen. ©unft eins ift, bafe jeber Sur burd) unb burd) 
religiös ift unb bafe jeber Anfeänger focialbemofrattfdjer 
SReligionSanficbten aus ber Armee unb aus allen SRedfeten 
feines ©tanbeS auSgeftofjen roürbe. ißunft jtoei ift fiterer 
Art. Der bielgerüfemte Sbeal=9D?iliz=@ofbat aller ©ocial* 
bemofraten ift bei Sichte betrachtet: ©rofegrunbbefifeer, Eapi* 
talift, Arbeitgeber unb SourgeoiS! Das Sureni)eer ift fein 
SRilizfeeer, fonbern ein ©tanbeSfeeer, roie eS bie geubaljeit in 
ben fRitterfeeeren niefjt in ftrengerer Durchführung befeffen bat, 
unb ein folcfeeS in Deutfcfelanb |eute einfüferen p wollen, 
bürfte audb ben ©ocialbemofraten im Ernfte nidbt einfallen. 

Hoplites. 


Jfteratttr unb £imß. 


Ijtutbert 3afere beatfdjer finnff. 

SBoti ilttfon oon IDerner.*) 

(Sin Saferfeunbert ift eigentlich ja nur ein gang will* 
fiitlidber unb ^iffermäßiget 3eitabfcbnitt für bie Enttoitfelung 
unb bie ©efetjichte ber 5D?enfd)feeit in Sultur unb ißolitif, 
SBiffenfcbaft unb Äunft, toelcbe fid) nad) foldien (Stenjdn unb 
ßeitabfebnitten nicht richtet. Aber eS ift Sitte, mit foldjen 


*) Unfer bereiter TOtarbeiter überfenbet un§ ben Wortlaut feinet 
Jeftrebe gum Sabrbunbertroecbfel, bie er al§ 5)irector ber $üniglid)en 
afabemtfdjen ©ocbf<^u(e für bie bilbenben fünfte am 9. 3anuar im 
berliner Äünftlerbaufe b)ielt r unb bie, non ben 3eitungen mannigfach 
commenttrt unb meift entfteüt, ein allgemeine^ 9iuffeben erregt hat. 

^ie JRebaction. 


geitabfebuitten p rechnen, unb als bie DleujabrSgloden kii 
Saht 1900 einläuteten, haben wir AUe unS .Wohl gejagt: 
(SS geht etwas toor, toaS pm SJladjbenfen anregt. Sein bc= 
fonberS marfanteS (Sreignife, roie etroa am 18. Dftober I81i 
ober am 2. ©eptember 1870 unb am 18. Sanuat 1871. 
Aber eine Spanne geit bon bunbert labten präfentirt unt 
ihre ©djluhabrechnung, ibr ©eroinn= unb Serluftconto jui 
gefälligen Seadbtung für baS neue SabthunberL Unb um 
ftubiren eS, auf Sabrtaufenbe prücfblidfenb, unb fagen toobl mit 
ÜJfepbifto: „Der Heine ®ott ber SBelt bleibt ftetS bon gleichem 
Schlag unb ift fo rounberlid) als roie am erften Dag", beim 
bie gortfd)ritte in ber fittlidfjen (Snttoidfelung ber SJfenjcb^it 
fönnen uns fo gering erfefjeinen, bafj wir fagen müfjcn: 
„Sor bem £>errn finb taufenb Sabre Wie ein Dag". Ta 
Äampf um SD?ein unb Dein j. S. Wütbet feit bem trojanifetjeu 
uitb ben fßerferfriegen (früherer gar nicht p gebenfen) bis 
pm blutigen DranSbaalfriege munter fort, unb eS bürfte 
barnadj nidbt p behaupten fein, bafj ein bemerfenStocrtfja 
gortfdjritt in ber (Sntroicfelung unb SerboHfommnung bej 
Wenfchcn pm ©öttlichen innetbalb jtoeier Sahrtaufenk 
ftattgefunben bat, nur bafj, toaS bamalS WenelauS obet 
XerjeS biefe, heute ©baroberlain beifet, unb bafe baS gegen= 
feitige Dobtjd/lagen beutjutage, Danf unferen gortjd)rittot 
in ben SBiffenftfiaften, etwas roiffenfdbaftlicher unb methobif^a 
betrieben roirb als früher. Dies gilt aber nur bon btt 
ÜWenfchbeit im SlUgemeinen. SBir Deutfdbe im ©efonbeten 
fönnen mit bem ©ctoinnconto, welches unS baS berflojtene 
Sahrbunbert • präfentirt, recht wobt pfrieben fein. Slidra 
wir prüdf, fo feben roir an ber ®d)toelle beS bergangenra 
SahrliunbcrtS jenen gigantifdjen Dämon unter Donner unb 
Slijs erfdbeinen, welcher um SBeihnadbten 1799 feine fReftbeti) 
im alten Duilerienfd)loffe in ißariS auffdblug, um eine neue 
3eit p fdbaffen, ber im Dienfte unerfättlicfeen ©brgeitcj 
unter ber Debife: „3unt §eile ber SRenfdjbeit" ^efedtenben 
bon äWenfchen opferte, mit eiferner gauft alte ffteicfc 
trümmerte unb neue fdjuf unb unferem Saterlanbe Df 
tieffter ©rniebrigung unb ©chmach bereitete. 3ena 1806, 
(Splau 1807 unb bie fdjmacbbolle ^»eereSfolge bon 1812 
fteben auf unferem Serluftconto, ber 2. ©eptember 1870 uitb 
ber 18. Sanuar 1871 auf bem Deutfdben ©eroinnconto, unb 
ber Urenfel Äönig griebrich SBilbclm’S III. unb ber Slönigm 
Suife, unfer erhabener fWonard), fteht am 9tnfang biefeS 
neuen Safirbunbetts als „Deutfdtier Saifet", als gübrer b« 
geeinigten Deutfchen SolfeS, beS Deutfchen 9teid)eS, ein« 
neuen, nicht beS alterSfdjtoadjen, welches Siapoleon’S ffauit 
zertrümmerte, madbtboH unb fraftboH im Sorbergrunbe bet 
SBeltgef^ichte, unb feines erhabenen ©rofeoaterS ©elöbnif 
am 18. Sanuar 1871: „SOfir unb ÜJieinen Slachfofgerti akt 
möge befdjieben fein, aHjeit SDIebrcr beS SRcichS p fein, nicht 
an friegerifdhen Eroberungen, fonbern an ben ©fitem unb 
©oben beS griebenS auf bem ©ebiete nationaler SBoblfahn, 
greifeeit unb ©efittung", bat im ßaufe non 30 Saferen feine 
Seftätigung gefunben. SBir fefeen baS Deutfdje SReidj unb 
baS beutfdie Sotf feeute als §üter unb Sefchüfeer be* 
griebenS unb im ©lange mächtigen gortfdferitteS unb 
beifeenS in ben SBiffenfchaften, in Subnftrie, ^anbel unb S?a; 
fefer, unb eS ift feit Saferfeunberten wohl baS erfte SRal, baj 
Wir Deutfchen beneibet roerben. Defe wollen toir unS freuen 
unb banfbar beS oerfloffenen SaferfeunbertS unb feiner grofen 
2)?änner gebenfen, welche unS bieS in fluger Seredjnung er> 
rungen feaben auf ber fieberen ©runblage beS Anfagecapitale 
oon Sernunft unb SBiffenfcbaft, Energie unb fittlid)er Ärafi 
beS beutfehen SolfeS, unb ber Sbrlicfefeit, Sefdheibenfeeit unb 
Sorfid)t im Slbroägen ber Äräfte beffelben burefe feine be¬ 
rufenen güferer. UnS Sünftlern aber gejiemt eS, feeute 9Jütf= 
unb fRunbfchau ju halten über baS, WaS auf bem ©ebiete 
unferer ftunft baS tier fl offene Saferfeunbert geleiftet feat, ba* 
gacit p ziehen unb ben Üebertrag auf baS neue Saferfeunbert 
gu maefeen. 


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69 


Nr. 5 


die ®tgett»art. 


3Rit ber elften frangöfifepen IReüolution mar bie Kunft 
öei 18. SaprpunbcrtS gu@nbe, baS aiimiitpig’pcitere, lebenS» 
luftupfrioole fRococo war inS ©rab gefunlen, unb bie fran» 
jöfif^c SHepubtif patte baS ©rieepenthum in ipren ®ienft 
gefteDt. Dian fudjte nach neuen äußeren formen für baS 
neu geraffene ©taatSwefcn unb glaubte fie im 3urüdgreifen 
in bie glorreiche 3 e *l ber griechifdpen unb römifetjen Siepublif 
ju fiitben. Kunft unb Diobe wetteiferten, bie junge SRcpubftt 
nach ihrer blutigen Sluöeinauberfepung mit bem ancien regime 
mieber falonfäpig gu machen unb ihre ©mporfömmlinge mit 
bem Sugcnbfchimmer unb ÜRimbuS antif»claffi[d)en ^euenen» 
unb SRömertpumä gu umgeben. ®ie tarnen beS ®irectoire 
unb beS GonfulatS wetteiferten in ber weiteftgehenben ÜRacp» 
atpung gried)if<hen GoftümS; SBopnung, Diöbel — SlHeS würbe 
antififirt; unb ®aoib b'SlngerS gwang ftd), ifSarifer ©rieche ober 
auch tömifcher SfSarifer gu fein. SRapoleou fügte baä römifche 
SSmperatorentpum pingit unb fchuf ben ©mpireftil, unb eS 
bauerte nicht lange, fo habe biefer neue Stil beS Gäfaren* 
tpumS bie SBelt erobert, unb felbft bie heilige SlUiang, bie 
Sieftauration uon 1814/15 unb bie IRüdfepr ber SourbonS 
auf ben Xpron öon granfreiep oermochten baran nichts gu 
änbent. Slni ©nbe beS 18. SaprpunbertS fehen wir bei unS 
nur wenige Zünftler in fubjectiüer ©igenart als SluSläufer 
ber ©poche griebridj’S beS ©roßen tpätig, etwa: ©poboroiedi, 
®. Schabow unb ©arften’S, erft fpäter erfcheint ©orneliuS, 
?llle wenig heroortretenb unb inSgefammt unter ben fümmev» 
liehen 93erpä(tniffen $)eutfcplanbS in jeuer ßeit unb ben fiep 
im elften Saprgepnt beS 19. SaprpunbertS entwidelnben 
fRapoleonifcpen Kriegen unb ihren fcpweren SRüdwirlungen 
auf unfer Vaterlanb leibenb. ©elbft bie gebiegene Stedjnif, 
welche noch SInton ©raff als lepter fßorträtmaler beS 
18. 3aprpunbertS befeffen unb gepflegt hatte, hatten bie 
3Mer oerloren, welche etwas SReueS als ©rfat) gu bieten 
glaubten burch einen oben, freublofen ©ontourftil. Von 
einem unmittelbaren ©influß beS nationalen SluffcpwungS ber 
BcfttiungSfriegc auf bie beutfehe bilbenbe Kunft bemerfen 
wir nichts —, eigentlich fönnen wir hiev ja auch nur bon 
^reufjen fpredpen, benn bie tRheinbunbSgefiiple be^errfd^ten 
bamalS unb noch lange baS übrige S5eutfcplanb, ja, granf» 
reich rechnete gu feinem eigenen ©(haben noch 1870 bamit. 

©rft oiele Saprgepnte nadj 1815 fanben bie VefreiungS» 
fliege in eingelnen Künftlern, oor Sitten in ®. ©leibtreu 
ihre lünftlerifchen Snterpreten, unb bie mit 1860 einfe^enbe 
neue Slera machte bie preußifdje Sanbwept falonfähig. 
Scpinfel grälifirtc wie/aHe^SBelt bamatS; er fchuf fein Ser» 
liner Diufeum unb als arepiteftouifepen ^intergrunb für 
Shr. fRaucp’S Sülow unb ©djarnhorft eine griedjifcpe Tempel» 
iai;abe gu bem SBacptlocal für preußifepe ©olbaten. Slber 
ISpr. fRaucp’S Königin Suife im Dia uf oleum 511 C££)artotten= 
bürg ift oielleicht baS eingige SBerf, in welchem bie bilbenbe 
Sunft ber traurigften 3 e it preu§ifd)er ©efdjichte ben er» 
greifenbften unb für alle 3 e i ten ^iftorifchen SluSbrud oer» 
liehen hat. iß. ©orneliuS, obgleich burepbrungen oon un» 
tjegrengter ©prfurdjt oor ber Stntife, wanbte fid) als ©rfter 
national»beutfdjen ©toffen gu unb fchuf feine SHuftrationen 
ju ©oetpe’S „gauft“ unb ben SRibelungen. Die große unb 
daffifdje 3rit unferer Literatur, Seffing, ©oethe unb ©epilier, 
SJielapb unb Iperber übten naturgemäß einen antififirenben 
Sinfluß auf bie bilbenbe Jtunft ihrer 3 e it auS, oor SlUem 
gefhah bie SluSbilbung ber afabemifdjen 3ugcnb im afa= 
bemifch’riafficiftifchen ©inne. ©oethe’S „gauft" würbe jwar 
oon SorneliuS, ®elacroij, Slrp ©cheffer unb anberen beut= 
fehen unb franjöfifchen Sünftlern oietfad) iHuftrirt, beS 
großen ®id)terS ©inftuß auf bie bilbenbe ft'unft bewegte fich 
iw ©an^en aber bod) in ber antififirenben ©timmung feiner 
3 £ it. fRoch Oor ©oethe’S EEobe aber gewann bie 9üd)tung 
in unferer Literatur ^Beachtung unb Slnhang, welche wir als 
bie Tomantifdje ©dhule bejeidtnen. ©ie befämpfte bie an» 
tififirenbe fRichtuitg, unb ihr ©influß auf unfere Dealerei 


offenbarte fid) alSbalb unmittelbarer unb fichtbarer burch 
erfolgreiches 3 urüdbrängen ber erfteren. 

35aS Slufblühen ber S)üffelborfer ©dhule, ©nbe ber 20er 
Sahre, fällt bamit jufammen, bamalS als Sßilfielm ü. ©chabow 
mit einer fReihe oon ©chülcrn, wie 6 . 3 - Seffing, Slbolf 
©chrocbter, ©enbemann, tpilbebranbt, §übner, Sorban u. a. 
nach ®üffclborf überfiebelte unb eine ©chule grünbete, welche 
eine 3 e it lang unbeftritten bie Rührung ber beutfdjen Äunft 
in ihrer romantifchen fRidjtung übernahm. Unjufrieben mit 
ber ©egenwart flüchtete biefe ©chule in bie SBergangenfjeit beS 
romantifchen beutfefjen Äaifer», fRitter» unb SRönchSthumS 
unb wanbte fich ^ em gothifdjen unb romanifchen Stile ju, 
bis ber ©influß ber granjofen unb ©eigier nach ben 3 uli= 
tagen oon 1830 aud) biefe ©chule auf ein anbereS ©ebiet 
brängte. 

2 )ie fßarifer Sulireoolution hatte bie Äunft, fo barf 
man wohl fagen, in ben 2 )ienft ber fßolitif gefteUt, bie ©r» 
innerung an eine glorreiche Vergangenheit reoolutionären 
©harafterS beeinflußte oor SlUem bie fünftlerifche ’Jljätigfeit 
oon Delarochc, ^iorace Vernet unb Setacroij in granfreich, 
oon ©allait, SBapperS, be Slepfer unb be ©ifefoe in ^Belgien, 
(gleichzeitig aber wanbten fich in granfreich wie in ^Belgien 
beibe Schulen, bie claffifche unter SngreS, bie rontantifdje 
unb coloriftifche unter ©ericault, 35elacroij: unb 2)ecampS, 
bem ©tubium ber alten Dfeifter ju unb brängten in rieh* 
tiger ©rfenntniß ihrer Slufgabe auf bie ©rfüüung ihres 
Programms hin: ju malen, unb auf ber ©runblage fieberen 
fjiaturftubiumS unb anSgebilbeten technifchen StönnenS für 
ben ©ebanfen in ber fünftlerifdjen ©chöpfung bie ent» 
ipredjenbe oollenbete fünftlerifche fjorm ju finben. ®er ge» 
banfliche Inhalt ihrer ÜBerfe ftanb jenen 9Reiftern in erfter 
2inie, er war unb blieb ftetS bie Quelle ihres lünftlerifchen 
©enfenS unb Schaffens, fowohl für Iporace Vernet’S Ver» 
herrlichung ÜRapoleon’S unb ber fran^öfifchen Slrmee, wie für 
t)efarocfje’S: Sane ©rep, Sorb ©trafforb, ©romtoell unb 
SRarie Slntoinette, unb für bie Schöpfungen üon ©elacroij. 
Sn ©attait’S, be Viefoe’S unb SBapperS’ Silbern auS ber 
nieberlnnbifdjcn ©efdjichte tritt bie politifche ‘Jenbenj noch 
braftifcher heroor, aber gepaart in ^Belgien fowohl wie in 
granfreidj mit bem Streben nach h°h er tecpnifcher, colorifti» 
feper Vollenbung, welche baS bamalige Suttgbeutfd)lanb benn 
auch jwang, bei ben granjofen unb Selgiern in bie ©dhule 
ju gehen. 

®ie ‘Düffelborfer ©chule blieb weniger berührt fperoon. 
Sanbfchaft unb ©enre, auch bie fachliche ÜRalerei, baS 
fRajarenerthum oon Sieger, Sttenbach unb ben ÜRüIler’S ent» 
widelte fid) unabhängig oon biefen auSlänbifdjen ©inflüffen, 
ebenfo Sllfreb fRetljel, 6 . g. Seffing unb ©. Senbemann, oon 
benen Seffing fogar jeben außerbeutfdhen ©influß, fei eS ber 
oon alten ober mobernen ftünftlern ober oon außerbeutf^er 
ÜRatur mehr als energifch oon fich abjupalten wußte. ®en 
fIRenfchen als mehr ober minber farbigen, WcrthüoDen ober 
Wertplofen gled in ber ÜRatur aufjufaffen, wiberftrebte allen 
biefen SReiftern. 6 . g. Seffing ftanb als ganger Sieutfcper, 
mepr noch als V tcu fe e m lt feinem gangen ®enfen unb @m» 
pfinben auf nationalem ©runb unb SBoben; ber Kampf 
gwifdjen Kaifer» unb fßapftthum, gwifdpen Sieutfch unb fRicht» 
beutfdj gab ipm bie SRotiOe für fein JünftlerifcfjeS Schaffen, 
unb ^>uß unb Sutper, Sarbaroffa unb Kaifer ^inrich waren 
ipm nicht nur malerifcf), fonbern oielmepr hiftorifch interef» 
fantc ©rfdjeinungen. Sllfreb fRethel fdjilberte in feinen 
fRathhauSbilbern in Stachen Kampf unb §errlichfeit beS alt» 
beutfdjen KaifertpumS, @b. Senbemann ben Untergang beS 
auSerwäplten VolfeS SepooapS. Sille biefe Künftler, auep 
bie SRagarener, glaubten iprem Serufe niept gu genügen, 
wenn fie nur ÜRaler waren, fie wollten auch ißrebiger 
eines ©oangeliumS fein, fei eS beS ber Kirche ober beS 
; ber geiftigen ^Befreiung unb oorapnenb ber politifepen ©röße 
I ®eutfd)lanbs, fie wollten Sepver unb ©rgieper beS ®eut= 


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70 


Die töegtnwart 


Nr. 5. 


feiert ©olfcS fein, unb biejenigen unter ißnen, meiere icß 
perfönlicß gefnnnt ßabc, unb beren Sugenbcrinncrungen 
noeß in bie ©cfreiungSfriege gurücErei^ten, waren beutfeße 
Patrioten unb energifeße unb überzeugte ©egner unferer 
Weftlicßen ©aeßbarn, unb fie begrüfeten baS Saßr 1870 unb 
feine folgen als bic ßeifeerfeßnte ©lfüüung aU’ itjrer 2e* 
benSwünfcße. 9luS ber romantifeßen ©icßtung ßatte fieß eine 
nationale entwitfelt. ©S ift Wöbe geworben, biefe ganze 
Scßule ju tabeln, fie ißrer 'Jenbenz Wegen mitleibig über bie 
9lcßfel anzufeßen unb ißre ©ebeutung für bie ©ntwidelung 
ber beutfeßen Äunft überaus gering abzufcßäßen ober ganz 
Zit negiren. Scß glaube, man tßut feßr Unrecht bamit. $>ie 
beutfeße Äunft bewegte fief) in jener 3eit, in ben 40er unb 
50er Satiren, zweifellos in auffteigenber Sinie unb würbe 
oon ber ganzen SBelt ihrer beutfdjen ©igenart wegen an* 
erfannt unb gefcßäßt. ©or 9tHcm aber würbe bie beutfefje 
Äunft nach bem Urtßeile jener ßeit auf ihre £>öße geführt, 
als ©eter ©orneliuS’ machtoolle ©rfeßeinung zur uoOen ©nt* 
faltung fam, als bem Äünftler monumentale Aufgaben großen 
Stiles geftellt würben, wie foldje in 2>eutfd)lanb bis babin 
unbefannt gewefen Waren. ®er ©ame ©eter ©orneliuS ftrahlte 
bamalS als erfter unb glänzenbfter Stern am Äunftßimmcl 
®eutfcßlanbs, unb £>. Ipeine nannte ihn ben größten Waler 
feiner 3«<t- Unb neben unb mit ihm in Wüncßen unter bem 
Wäcenatentßum beS „teutfd)en" ÄönigS ßubwig I. oon ©atjern 
unoergefelicßen 9lngcbcnfenS wirfenb 9Ü3. Äaulbaiß, Schnorr oon 
©arolSfelb, 9)?. o. Schwinb unb anbere Weiftet — gewiß, 
cS waren ©lanztagc bcutfdjer fiunft! (Gleichzeitig ßatte 
in ©erlin ßlbolf Wenzel griebrieß ben ©roßen unb feine 
gelben für unS neu lebenbig gemacht unb im Spiegetbilbe 
bet gribericianifcßen 3eit uns ©reußcnS ©ebeutung unb ©e* 
ruf oor 9(ugen geführt, feßon in jener 3 e it ber nationalfte 
aller beutfeßen Äünftler, wenn aueß noeß weniger betannt 
unb oerftaitbcn als naeß 1850 unb 1860. ©orneliuS’ 
„9lpo!alßptifeßc ©eiter" unb feine ÄartonS zur „SliaS", 
Äaulbacß’S SSanbbilber im ©erliner ©euen Wufeum, Scßwinb’S 
„Sieben ©aben“, Doerbcd’S, Scßnorr’S unb güßrieß’S SBerfe, 
unb, einem anberett ©ebanfenfreife angeßörenb, S. g. Seffing, 
©etßcl, ©enbemann haben ben beutfeßen tarnen bamalS rußnt* 
ooll um bie ganze ©rbe getragen, unb man tonnte oon einer 
beutfeßen Äunft fpreeßen, als baS ®eutfcße SReicß noeß in’S 
©ebiet ber Xräume geßörte. 

2)ie granzofen ßatten inzwifeßen auf ben fu'nbamentalen 
Scßöpfungen ißrer ©orgänger unermüblicß weiter gebaut 
unb nad) ®aoib, ©roS, @6rarb, ®4ricault, 2)elarocße unb 
foorace ©ernet, SngreS unb Selacroij bezeichnen bie ©amen 
©Zeiffonnier, ©krönte, gfanbritt, Sabanel unbip4bert, gromentin 
unb ©reton, SDiaz, ©ecamps, ©ouffeau, ftaubigttß, ©orot 
unb WiUet, SCroßon unb ©ofa ©onßeur bie ©liithezeit unb 
ben ©ipfelpuntt ber ftanzöfifeßen Ä'unft, welcßer noeß nießt 
überßolt zu fein feßeint. Unfere norbbeutfeßen Äünftler 
waren feßon feit ben 40er Saßren bei ben granzofen unb 
©etgiern in bie Scßule gegangen; oon ©erlinetn: 9lb. ©ßbel 
unb Sul. Scßraber, ©arl ©eder, ®. ©ießter, 3B. ©enß, 
Slmberg, ©. Spangenberg, ^enneberg, fpiiter ftnauS unb 
oiele noch Süngere, fie ßaben 9llle in ©arifer Suft unb bei 
©arifer Weiftern ober in Antwerpen ftubirt unb reblid) oon 
biefen gelernt unb profitirt, oßne aber ißre nationale ©igen* 
art zunt Opfer zu bringen, ©on Siibbeutfcßen gleicßerweife 
©ilotß in Wiineßen, welcßem es befeßieben war, etwa um 
1860 eine ber erfolgreicßften Walerfcßulen zu grünben, beren 
©uf weit über ®eutfcßlanbS ©renzen ßinauSbrang. 3Me 
©amen, Senbadj, Sefregger, Watart, g. 91. unb ©. Äaulbacß, 
3S. ®iez, ©riißner, 91. ißagner, 2iezenntaper, Sinbenfcßmibt, 
©abriel Waj u. 91. bezeichnen ißre (Glanzzeit, welcße uielfacß 
als bie ©liitße beS ©irtuofentßumS in ber beutfeßen Walerei 
bezeießnet worben ift, unb welcße feßon auf ber ©arifer 
28eftauSfteUung 1867 zum erfolgreicßften 9luSbrud gelangte. 

So ftanb eS mit ber beutfeßen Äunft, als 1870 baS 


grofee ßiftorifd)e ©reignife eintrat, wefcßcS -Oeutfcßlant'-: 
Stellung unb ©ebeutung in ber Sßelt mit einem Seßlagt 
änberte. ©rßöbte 9lnfprücße auf allen, geiftigen wie 
materiellen, ©ebieten traten an baS neue ®eutfcße Seut 
ßeran. 9luS ©reufeen, welcßeS auf bem ©arifer Äongrej; 
nur gerabe noeß fo als fünfte ©rofemaeßt zugeiaffen toorben 
war, war ein 2)eutfcßeS ©eieß, eine erfte Wilitäv* unt> 
©ulturmacßt ßerauSgewacßfen, aufblüßenb in ben 9lrbeiten te 
griebenS, in Sßiffenfdjaft, §anbel unb Subuftrie, wie fitt 
jefet naeß 30 Saßren upwiberleglid) conftatiren läfet. 91Ue 
9Belt erwartete nunmeßr, bafe fofort ein tünftlerifcßer 9lur 
fcl)Wung eintreten müfete, welcßer mit bem politifcßen uni 
mirtßfcßaftlicßen §anb in ,^)anb geßen würbe, unb baß 
©orneliuS, Äaulbacß, Scßwinb, Seffing, Watart unb geuer* 
baeß zweifellos traft beS nationalen 9luffcßwungS '©a^jolger 
ßaben müßten, welcße baS, was biefe begonnen, zur ßikßfieu 
©oüeitbung füßren würben, ©ielleicßt batßte man aueß batei 
an eine Stunft im nationaUbeutfcßen Sinne, welcße bas glüd= 
lidß unter ßeroifeßen Kämpfen errungene 3^1 ber beutfeßen 
©inßeit unb beS beutfeßen Ä'aifertßumS feiern unb ueeßerr 
ließen fottte, Wie etwa ^omer’S SliaS baS grieeßifeße Reiben 
tßum unb ben trojanifeßen Stieg. 3)ie Sunftentwidelung 
maeßt aber nießt immer |'o mäeßtige unb plößließe Sprünge 
wie bie ©olitif, unb obgleicß ben Sünftlern balb naeß 18i» 
eine ©eiße oon monumentalen 9lufgaben, an Siegel 
bentmälern, in ber ©ußtneSßalle in ©erlin unb an anberen 
Orten geftellt würbe, fo läfet fieß boeß nießt behaupten, bafe 
auffatlenb anbere fünftlerifcße 9lnfcßauungen als oor 187« 
Zu Stage getreten wären. SDie beutfeße ft'unft bewegte iidj 
nad) 1870 zunäcßft nod) in bem ©ebanfenfreife ber beut 
feßen Weiftet ber erften Hälfte beS Saßrßunberts unb ißree 
©acßfolger weiter, oon benen ja ©iele nod) ßeute unter mtc- 
wirten. Sn ben 9leufeerungen einiger ßeroorrageitben Jfnnfi- 
geleßrten begegnet man aUerbiitgS ber 9luffafjung, baß ber 
^ößepunft ber beutfeßen Ä'unft mit ©orneliuS erreidjt fei. 
©orneliuS ßat ©ewaltigeS gefeßaffen, wenn aueß zuzBgeben 
nur zeießnerifd), unb meßr fufeenb auf ben literarifcßeu 
quellen unferer ©ultur: Sibel, §omer, ben ©ibelungen unb 
©oetße, ®ante unb Sßatefpeare, als auf unmittelbaren St* 
Zießungen zur ©atur. 2B. o. Äaulbacß ßat in feinem ^aujst* 
wert, ber malerifcßen ®etoration beS SEreppenßaufeS im 
©euen Wufeum, bic ganze SBeltgeftßicßte mit weitem ©lief 
umfafet unb, oon ber ©atur wie fauin ein 9lnberer mit bei 
glüdlicßen ©abe auSgeftattet, feßöne Sinien unb gormen 
feßen unb bilben zu fönnen, Ünoergänglid)eS gefeßaffen, trof 
kÜem, waS bie zeitgenöffifeße Äritif an ißm bemängelte. 
©. g. Seffing ßat, abgefeßen oon feiner Xßätigfeit aß 
ßanbfdjafter, feine !ünftleri)iße Äraft ber 2)arfieUung beS 
auf beutfeßem ©oben entfprungenen ÄampfeS um ©eift»* 
freißeit gemibmet. W. 0. Scßwinb uitb 2. ©ießter ßaben 
auS bem tiefften ©runbe ber beutfeßen ©olfSfeele unb ißrer 
Sagen* unb Wärcßenweft gefeßöpft. Ooerbed, ‘ .^efe, güßridi, 
®eger, Sdjnorr ßaben auf religiöfem unb biblijeßem ©cbieic 
mit inniger Eingebung gefeßaffen. ©ilotß, Wafart unb 
geuerbaeß ßaben oerfueßt, ber bentfeßen Walerei ©lutß unb 
3auber ber garbe zu geben unb coloriftifcß zu feßen. ** 
Ueberlebenber unter biefen SDaßingeftßiebenen tßront in ein* 
famer §öße unfer 9lltmeifter 9lbolf Don Wenzel, unberüßrt 
oon allen ftemben ©inflüffen, in feiner ©igenart noeß ßeute 
jugenbfrifcß auf allen ©ebieten ber Walerei tßätig, in feinem 
Scßaffeu beutfeß bureß unb bnreß, ber Weifter, ber oor 9Hlem 
bie ©rforfeßung ber ©atur unb ißr intimfteS Stubium nie 
©runblage allen fünftlerifdßen SißaffenS protlantirte, unb 
ißm gegenüber im fdjrojfften ©egenfaße 9lrnolb ©öcflin 
©ine glänzenbe ©eiße oon ©enremalern, wie 9lb. Scßroebter, 
©ub. Sorban, 2. ÄnauS, ©autier, Sefregger, Wajerßeim 
u. 91., ßaben ben Wenfcßen im bürgerlichen unb bäuerlicßcn 
Äleinleben unb in feinen intimen ©ezießungen zum gamilien 
(eben belaufcßt unb ebenfalls auf ber ©runblage forgfältigen 


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Nr. 5. 


Die töegentoan. 


71 


'jfaturftubiumg alle Seiten beg menfchlidjen Safeing gur 
®arftellung gebraut, immer ba§ Schöne in Snfjalt unb 
gorm alg erftrebengwertl)e§ 3wf Dor Äugen. ©nblidj haben 
Üanbichafter mie Seffing, bie Sldjenbach’g, S- 2S. ©djirmer, 
gr. greller unb üiele 31 nbete bag weite ©ebiet fanbfcfjaftlic^er 
Starftellung in einer Seife bearbeitet, mie eg bie beutle 
ftunft beS 18. Sahrhunbertg, beg fjribericanifcfjen ßeitalterS 
nicf)t fannte. 31 (leg in 31Uem bürfen mir alfo motjl fagen: 
ffienn ung aud) in ber Malerei beg 19. Sahrhunbertg bie 
Jrabition ber £ed)mf oerloren gegangen ift, mit meiner 
nod) im 18. Satjrhunbert fdpoiertge 3lujgaben mit fdjeinbar 
fpielenber £eid)tigleit bewältigt mürben, unb manc^eg Slnbete 
ju bemängeln märe, fo weift bod) bie beutfdje üunft beg 
19. 3af)rf)unbertg big ba^in gang gewaltige gortjdjritte ober 
fagen mir gang befcfyeiben: einen mächtigen 31ulauf gu um* 
faffenbfter Söfung ber Slufgaben ber bilbenben Äunft auf. 
Sag haben mir alfo Wirflid) im 19. 3al)r^unbert erreicht 
unb befeffen. Sag bietet fid) ung nun jegt bar, am 
Schluffe beg 3af)tf)unbertg? Stegen mir im Vegriff, bag, 
roag mir big fegt errungen Ratten, gu übertreffen ober gu 
überbieten? 

3m legten ober in ben beiben lebten $>egennien beg 
Safirljunbertg macht fid) eine (Bewegung beinerflid), welche mit 
ber hohen SBlüt^e 2}eut|d)lanbs in Siffenfdjaft, $anbel unb 
3nbuftrie geitlid) gufammenfällt, eine (Bewegung aber, welche 
meineg ©radjteng nicht auf ber §öije biefer fteljt unb welche 
auch nicht beutfehen Urfprungg ift. 3 u näd)ft finb eg 
literarifdje Greife, welche mit beinahe fanatifefjem ©ifer ber* 
langen, — natürlich in (Radjahmung beg Äuglanbeg —, 
baß enblid) in ber bilbenben Äunft mit all’ jenen lümmer* 
liehen ©rfdjetnungen unb 3ln)d)auuitgen im (Ramen beg 
gortfehritteg aufgeräumt werben müffe, weldje bie ft'unft 
irrthümlidjer Seife früher in ben S)ienft beg ©uten, Schönen 
unb.SEBahren geftellt hatten, ©ine neue 3«t wirb proflamirt, 
welche aud) eine neue tunft burdjaug nöthig h at - SBtt 
woben barauf Ipngemiefen, bafe eg fegt ©ecabenten, 
Äanafthenifer nnb ©igerln giebt, meld)e auch ih re ft’unft 
haben wollen, unb baff eg fowohl für Zünftler wie publicum 
nothwenbig ift, gu begreifen, baß Vernunft unb Siffenjct)aft, 
Klarheit im Renten unb ©nergie im Sollen, ©igenfehaften, 
roelthe man 1870 nod) ben (Deutfcfjen nachgerühmt hat, in 
ber Äunft ein ootlftänbig übermunbener Stanbpunft finb. 
SSir müffen oor 3lllem mobern fein, unb bie beutfehe Äunft 
(ich fpteche hier immer oon ber bilbenben, oornehntlich ber 
SRaletei) braucht heute: ©efühl, Stimmung, Stimmung um 
jeben (ßreig, irgenb etmag Unbegreiflicheg, Unflareg, Un* 
befinirbareg, Stjinboligmug, äRpfticigmug, „mübe Sinien", 
wie ein £>erolb beg neuen Stileg, natürlich gang ernfthaft, 
bie Schlangen* unb Vanbmurm*£inien nennt, welche ung 
jegt oon allen Seiten umwimmeln, unb noch oieleg Slnbere, 
mag fid) mit ben beutfehen Sörtern: „häßlich unb wiber* 
lieh", ohne gerabe beleibigenb gu werben, am ridjtigften be* 
jeichnen lägt. Unb bag Sllleö fotl nun ber fünftlerifche 
3lugbrud für bie SRadjt unb §etrlidjfeit beg neuen ®eut* 
fegen (Reid)eg unb für bag ®eutfd)thum am ©nbe beg 
19. Sahrhunbertg fein ? Sollte hier nicht etwa ein Strtljum 
ober eine Sfrantljeit oorliegen? fo hört man oon allen 
Seiten fragen. 

316er mir leben ja entfpredjenb tieferer phil°f°Phif c f) er 
©inficht in ber 3eü ber Ummerthung aller Sertlje: bag 
Schlechte Wirb gut, bag galfdje echt, bag (päßlidje fchön, wag 
gweifellog a(g recht bequem unb angenehm empfunben werben 
muß. Ser hielte fich nid)t gern für einen Uebermenfchen, 
ba eg fo fdjwer gu fein fc^eint, unter SRenfdjen 2Henf<h gu 
fein? ©er moberne, ftoige Snbioibualigmug oerlangt fein 
(Recgt, unb ber beutfehe Äünftler — ich weine natürlich 
butdhaug nidht jeben — fucht junächft atg Äugbrud feiner 
Snbioibualität SUleg eifrig itad)jumad)en, wag ung aug ^ßatig 
ober fonft woher Oon Saljr ju 3ahr alg SÖfobernfteg ge* 


melbet Wirb, nur nid)t bag ©ute, weil bag ju fchwierig ift, 
aber: bie mißoerftanbene Plein-air-SKalerei, bie ©rau* unb 
3Irme(eutemalerei, ben Smpveffionigmug unb Sntentionigmug, 
(Berigmug unb ißrimitioigmug, auch bie Seceffion, welcbe 
ung (ßarig 1890 üormad)te unb welche feitbem jebe beutfege 
S£unftftabt haben mufe, unb fei eg nicht ’ne Seceffion, fo 
bocf) ein Seceffiöncf)en, bag SUleg, SUleg ift bei ung ber 
(Reihe nach nachgemadjt worben. Vielleicht wirb auch einmal 
ber ©ermaniginug bei ung nad)gemad)t, wenn er an ber 
Seine erft 3J?obe geworben ift. Sag man in ber SRalerei 
früher alg roh nnb fd)mierig, alg hingefchlubert ober unbe* 
holfen beneid)net hätte, bag nennt man heute bag fiegreidje 
Ueberminben ber SRaterie, bie Vollenbung, unb bag finbifche 
(Rachahmen längft Vergangener ^unftepo^en mit ber ganjen 
Unbeholfenljeit ber bamaligen Ue^nif, g. V. im £)oIgfd)nitt, 
gilt alg gortfehritt unb alg ho<hmobern: eg ift erreicht! Sir 
finb mobern, inbioibueÜ! 

31 ber nun unfer moberneg (Recht auf Snbioibualität, wie 
fteljt eg barnit? 

3n einem Katalog einer SonberaugfteUung lag ich Uor 
einigen Salden im erläuternben Vorwort: „3ch bin Weber 
(Dialer nod) Vilbhauer, aber ich bin 3ch unb ftelle meine 
Serie aug!" darnach wäre bag objectioe können ein über* 
wunbener Stanbpunft, unb bag fubjectioe unb inbiüibueQe 
Sollen, Stimmung unb ©mpfinbung treten an feine Stelle- 
unb follen alg berechtigte, inbioibueüe fünftlerifche Äeufterung 
refpectirt werben. ®ag ift nun gweifellog ein fehr bequemer 
Stanbpunft, in ber Schlußabrechnung beg 19. 3al)thunbertg 
wirb er aber nicht bem ®ewinn=©onto ju ©ute lommen, 
fonbern beim Verluft oergeichnet werben. Sir hoben im 
Verlaufe beg leßten Sahrhunbertg gewaltige (Raturen gehabt, 
Wie (Rapoleon, ©oethe, Veethooen, Vigntard, SDioltfe, (Richarb 
Sagner u. 31., welchen oon ber (Ratur bag (Recht oerliehen 
war, fubjectio unb inbioibueß fein gu bürfen, weil fi<h ihr 
gangeg Sein auf ein übergewaltigeg Siffen unb können 
ftüßte, gleidjfam auf eine ungeheure 3luffpeid)erung oon 
geiftiger Sonnen*@nergie< Slber aug (Rechten, welche Sitanen 
beanfpruchen bürfen, folche, nach bem angenommenen (Redjtg* 
fage ber ©leichheit, auch für (ßtjgmäen herleiten gu wollen, 
bürfte hoch faum alg ein aug bem alten Sahrljunbert über* 
nommener ©eminn auf geiftigem ober fünftleri)d)em ©ebiete 
in bag Hauptbuch beg neuen Sahrhunbertg übertragen werben 
fönnen. (Run, bliden wir troßbem mit Vertrauen in bag 
neue Salwhunbert unb hoffen mir, baß all’ bie (Rarrljeiten*), 
welche ung bie legten (Decennien beg alten befcheert haben, 
nicht nur unter bem fritifchen Sichte oon Verftanb, Vernunft 
unb bei erwünfdjter ©efunbheit beg neuen Sahrhunbertg 
bahinfcf)winben, fonbern oielmehr alg intereffante Veifpiele 
bem gortfdjritte gu ©ute lommen werben. 

Sch habe big hierher im ©angen fchon gu oiel nnb Oor* 
miegenb oon bem mir perfönlich nahe liegenben ©ebiete ber 
(Dialerei gefprod)en. Von ber Vilbhauerei will ich nur jeßt 
nod) furg bemerfen, baß fie fich h® 1 in Verlin, oon ©. 


*) fc^eint, oh neben üielem $lnberen ber öon mir gebrauste 
?iu§brucf , f 9?anbciten w befonberen 3lnfto6 erregt habt. ©Düte e3 
treffenber erjebeinen, bafiir w ^ranfbeiten" ober „SSerrürftbeiten" ju 
fe^en, (o ^abe id) nichts bagegen. 3 U1 ^ ©rleicbterung für einen foidjen. 
ßntfcblufe möd)te tdj mir erlauben, bie Seetüre ber öier bis je^t eT= 
fdjienenen ^pefte be$ „Ouidborn" (natürlid) nid)t ben Oon ÄlauS (örotb, 
fonbern ben im 2)eutfd)en ÄunftOerlag in Berlin erfd)ienenen unb leiber 
bereits eingegangenen) unb befonberä beS £>efte$ IV mit feinen gerabeju 
übermältigenben Süuftrationen mobernften 0til§ angelegentltd)ft $u em= 
bfeblen. §lucb bürften oieUeicbt bie mobernen ©efeüfd)aft§abenbe 
jüngerer Zünftler, roeldje auf einen beftimmten £on r j. 55. Violett ober 
®elb 2 c. t abgeftiinmt finb unb bei benen als ©c^lufeeffeft ein $idjter 
feine ©ebiete — auch auf Violett ober ©elb geftimmt — oorlieft, ein 
Unheil erleichtern. SDaä feinfühlige, ftimmung^felige 5ßefen ber neuen 
Shtnft foü in biefen Greifen fo entroicfelt fein, bafe ber dichter fürjlich 
mitten im 33orlefen innehalten mufete, meil — er an einem ober einer 
ber ^nroefenben blö&Hd) ettoaö entbeefte, mag auS bem ©efammtton 
Violett hetauöfiel. llr tonnte nicht weiter! 


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72 


Nr. 5. 


Die (Üegenwart. 


©cßabow unb 6ßr. fRaucß unb feinet ©cßule angefangen, 
bi« auf unfere 3^ mit JReinßolb Segag unb feiner Schule 
auf gteicßmäßiger §öße erhalten pat, wenn aud) bet Unter» 
fd^ieb jwtfcßen ber claffijiftifcßen Strömung im Slnfang 
biefeg Saßrßunbertg unb bet realiftifcpen am ©nbe beffelben 
in bie Slugen fpringt. @g liegen aber Slnjeicßen üor, welche 
auf eine iRüdfeßr jur claffijiftifcßen Slnfcßaming pinbeuten, 
mag für bie ©culptur nur begreiftief) unb faeßgemäß fein 
!ann, weit ißr ber SRenfcß ber ctajfifcpen Stnfdjauungsweife 
naturgemäß alg ©arftetlungöobject wertvoller fein muß, alg 
ber moberne ÜRenfcß in Jrad unb ©plinberßut ober in ber 
Slrbeitgßofe unb »blufe. 

(Sine gewaltige Umwäljung paben wir im oerfloffenen 
Saßrßunbert auf bem ©ebiete ber grappifepen ftünfte ju Der» 
jeiepnen. 2)ie fßßotograpßie mit ipren tielen Abarten pat 
einige Sitten fünftlerifdjer Xßätigfeit, wie j. ®. bie fßortraitg» 
unb Sanbfeßaftgbarftellungen in ftupferftieß unb Sitpograppie, 
wie fie noep big 1860 etwa öebürfniß waren, unb felbft 
ben ^oljfcßnitt für viele Slufgaben oollftänbig vernichtet ober 
überflüffig gemaept, wäptenb fie fiep ju immer erftaunlicperer 
sßoüenbung entmidelt pat unb ber fepaffenben bilbenben 
ftunft baburep wieber in erßößtem 2Raße bienftbar geworben 
ift. Stuf bem früper bem ftupferftieß unb ber Sitßograpßie 
üorbepaltenen ©ebiete ber SReprobuction oon ftunftwerfen 
maept fie burep bie ©djnelligfeit unb S3iüigfeit ipreg £>er» 
ftellunggoerfaßreng unb ipre fünftlerifcpe ÜioUenbung beben!» 
licpe ©oncurrenj. Sin fiep alg eine ber größten unb weit» 
tragenbften (Srrungenfcpaften beg oerfloffenen 3aptpunbertg 
ju oerjeießnen, fragt eg fiep, ob bie fßßotograpßie in ber 
3 u£unft auf bie in ben legten 3aßrjeßnten wieber erwadjte 
greube am Habiten unb Sitograpßieren oon förbernbem ober 
peminenbem ©influß fein wirb, unb ob man am (Snbe biefeg 
Saßrßunbertg ©rjeugniffe ber grappifepen fünfte nur mepr 
alg intereffante Dbjecte müpfamer ^mnbarbeit für Sammler 
oon ©uriofitäten fünftlerifcper Slrt betraepten wirb; — mir 
wollen eg niept poffen. 

9Äein IRütfblid ift fdjon ju lang geworben, alg baß icß 
auep noeß bag ©ebiet ber erften ber bilbenben ftünfte, bet 
Slrcßiteftur, wenn auep nur ftreifenb, berüpren tonnte. Scp 
pabe nur in gebrängter ftürje ©inigeg oon bem fagen 
fönnen, wag ju einem fritifeßen ©ange bureß ein ganjeg 
Saßrßunbert im ©ebiete ber bilbenben ftünfte geßört, unb 
poffe, bamit ju eigenem ERacßbcnfen über ben ©tanb, bie 
Slufgaben unb ßiele ber ftunft im neuen Saßrßunbert an» 
geregt ju paben. S3or Slllem aber glaube icp, baß wir einig 
finb in bem ©emußtfein, baß unjer geliebteg 3)eutfcplanö 
aug bem 19. Saßrßunbert * n bas 20. in anberer SRacßt» 
unb ©lanjfülle übergetreten ift, alg aug bem 18. ing 19. 
Saßrßunbert, unb baß wir bieg oor StUem beni großen 
ftaifer SBilßelm I. unb feinen fßalabinen: ftronprinj, ißrinj 
griebriep ©arl, Sigmare!, äRoltfe, SRoon, ber Dpferwilligfeit 
ber beutfepen dürften unb bem Sluffcpwuttge, ber ©inmütßig» 
feit unb ber fittliepen ftraft beg beutjepen Solfeg jener Xage 
ju banten paben. SBir fepen bie ©cßöpfung jener unoergeß» 
liepen Sage peute in pop et SSlütpe; ©ott erßalte fie fo, 
unb ber erfte ©prueß im neuen Saßrßunbert |oll beßpalb 
lauten: „Stuf ftaifer unb fReicß!“ 


5d)ilUrbi®grftppün. 

58oit Karl €gon Sartbljop. 

©g ift gar niept lange per, baß bei unferen naturaliftifeßen 
®icßterlingen ber „2Roberne" unb ipren äftßetifcßeu SBort» 
füprern übließ war, fiep alg ©eßiUerpaffer unb ©epilier» 
oeräeßter aufjufpielen. Sllg bann bie oöllige Swpotenj biefer 


„Sieutöner" felbft bem naeßfießtigften üßublkum !lar würbe, 
ba ftieg auep ©epilier wieber im fturö, unb bie ©epillerpafjet, 
jumal ber ©cperer’fcpen ©cpule, waren bie erften, bie, weil e? 
bag ®efe±)äft nun mal fo mit,) fiep braute, mepr ober minber 
bicfleibige ©cpitlcrbiograppien auf ben Siteraturmarft brachten. 
@g ift peute fein ftunftftiid, aug ben oorpanbenen felbft» 
ftänbigen SBerfen eine „biograppifepe ©inleitung" jufammen» 
jufeßreiben; gerabe in biefer ©attung oon Slrbeiten perrfept 
bie ertlärte, Freibeuterei, unb feiten empfinben fie eg alg ein 
©ebot beg Etacteg (ber boep auep in ber (iterarifepen ©efell» 
fepaft eine fepöne ©aepe wäre), aud) nur an einet oerfteeften 
©teile anjubeuten, Woper bag neue SBiffen gepolt ift $ajs 
fie im tlebrigen an bie Seiftungen braoer Srimaner erinnern, 
ift mepr bie Siegel alg bie Slugnapme. Slber auep alg für 
fiep befteßenbes Sucp eine populäre ©epiUerbiograppie perau«> 
jugeben, ift naepgerabe eine unfepwierige ©aepe geworben: 
man binge fiep ben näcßften literatifepen ^anbtanger, gebe 
ipm ju ben unOollenbeten SBerfen oon SJiinor, ton Srapm 
unb oon SBeltricp bie ju ©nbe gefüprten oon ißallegfe»gif(per 
unb ®ünßer — unb eine neue ©epiUerbiograppie, bie fiep 
iprer fcßlicpteu SBeife rüpmt, ift nap einem palben Saßt fertig, 
©o flogt einer ber am fleißigftcn SBeftoßlenen unb Slug» 
geplünberten, ijßrof. Siieparb SBeltricp, opne beffen nun feit 
Sapreit in ^atbbänben unb jept in einem ftattlitpen SBanbe 
oorliegenbe ©epiUerbiograppie*) wopl niept eine ber fpäteren 
©ompilationen erfepienen wäre. £>ier erfennt man — unb 
SBeltricp weift mit Stecßt barauf pin —, baß bie Stufgabe: eine 
ben ftrengen Slnforberungen ber SBiffenfepaft entfpreepenbe, 
ipr Spema nad) aUen ©eiten pin erfepöpfenbe, auf eigene 
gorfepung unb eigenes Urtpeil gegrünbete Siograppie ©epiliere- 
ju fdjreiben, wopl ju ben feßwierigften unb umfangreiepften 
gepört, bie man einem ©eleprten peute fteüen fann. „®enn 
uiipt nur ift bie nunmepr punbertjäprige ©epiUerliterotur 
bereits in’g faum mepr Uebetfepbare angefepwoUen, unb er- 
mübenb wirft auep auf eine ftarfe ftraft bie ÜRötßigung, nein 
ber ©efanimtpeit biefer literarifepen ©rjeugniffe, unter benen, 
atp, fo oiele taube bluffe fiep finben, ftenntniß ju nepmtn; 
fonbetn auep bie ©rmittlung beg SBaßrcn bebatf, fobalb man 
in’g ©injelne gept, noep immer an japlreicpen fünften bet 
müpfamften Uuterfucpungen. Unb wenn aUe biefe piftorijtpc 
Slrbeit getpan ift, fo ift erft ber fRopftoff jur $anb, unb 
bag ©rößte bleibt noep übrig: eine Snbioibualität, weltpe eine 
SBelt oon ©eift bebeutet, naepjufepaffen unb in eben biefe 
Söelt jugleicß mit aUer ©rfenntniß unferer 3eit einjubrütgen. 
©g ift einleucptenb, baß SBerfe, welcpe biefen pödpften Sin- 
fprücpen genügen möcpten, nur langfam ooUenbet werben 
fönnen, baß, um mit ©cßiUer ju leben, „nur ber ©rnft, ben 
feine SRüße blcicpet", biefe Slufgabe bewältigt; eg ift auep 
einleucptenb, baß fie für ben Verleger gewagte, Slufmanb 
forbernbe Unternepmungen finb. SBenn aber, fobalb fie nur 
bie erften ©cßritte ing Seben getpan paben, bie fßopularifirer 
unb Slbfcpreiber pinter ipnen per finb, fo fann man ja fagen, 
baß eg löblicß unb ßübfcß ift, wenn bag SBiffen jum ©emein» 
gut beg iöolfeg wirb, unb fann auep fagen, baß bag S$olt 
auf bie SBollenbung ber, großen SJiograppien niept warten 
fann; aber flar muß man fiep algbann autp barüber fein, 
baß, weit SSücper — jum ÜRinbeften oom ©tanbpunft bes 
Sjertegerg aug — eben boep getauft werben follen, bie ©jiftenj 
ber größeren unb felbftänbigen SBerfe gefäprbet wirb; bie 
SDtaffe beg ©eringen unb Söoplfeilen öerlegt ipnen ben SRarft. 
©o fönnte eg geftpepen, baß bie bei ung aufbtüpenbe ftrupel- 
lofe gabrifation leieptgefepürjter ©cpiQerbiograppien bie ftproer- 
gepanzerten SSapnbreeper, beren biefe Snbuftrie boep felbft 
niept entbepren fann urn’g Seben bringt. Unb,ba., mau bag 
S3efte eineg Söucpeg ja boep niept abftpteiben fann, fo fommt 
mit ber 'Jpätigfeit ber ißopularifiret eben biefeg SBefte juft 


*) &riebrt(p ©(Ritter. ©ef(ptd)te feine« Seben« unb fibaratlcrifn.' 
jeiner SBerte. Stuttgart, 3- ©• Sotta’jdjc Sutp^onblung Siaepfolget. 


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Nr. 5. 


Die tötgetnoart. 


73 


nic^t unter bas Soll. 'Über aud) oft rvid^t einmal bas 
f)iftorifch Sichtige." SBie man fieljt, ift SBeltrich in golge 
ber pünberungen, benen feine ürbeit auSgefejjt war, nicf)t 
of)ne Sitterfeit, aber er ift bod) »ieber ju fetjr Künftler, um 
feine tiefbohrenbe unb in jeher Sejiehung ausgezeichnete Dar» 
fteQung burd) ißolemif ju trüben. ÜH’ feiner ©alle enttebigt 
er fich in ben Sor« unb Sachworten, unb wenn mir an 
feinem nach Stil, üufbau unb Durcharbeitung niefjt hoch ge» 
nug ju preifenbe Siographie ettoaS auSjufefcen hätten, fo 
märe eS nur eine aÜju behäbige Sreite, bie SBcfentlidjeS unb 
llntoefentücheS mit ber gleichen Siebe unb SBid)tigfeit be* 
hanbelt. @r ift eben ein Schüler Sifdjer’S, ber fich auch 
nie genug thun fonnte mit immer neuen ©eficfjtSpunlten unb 
übfthmeifungen, fo baß [ich ihm jeber 3 e itungSartifel un* 
oerfehenS ju einer übljanbluug unb jebe übhanblung ju einem 
ganzen Such auSwud)S. ©oll baS fd)öne SBerf roirflid) in 
jtoei »eiteren Sänben boUenbet »erben, fo wirb fid) SBeltrich 
einer größeren ©oncentration befleißen unb alle ©jeurfe in 
ben Sachtrag oer»eifen müffen. SnjWifchen »ollen wir unS 
beS erften SanbeS unb all’ feiner Schönheiten freuen. 

Die ©ch»ierigfeiten einet Sdjtllerbiographie beginnen, 
»ie bei Steine, fchon am ünfang mit bent ©eburtSbatum. 
SBeltrich prüft alle mieten unb geugniffe unb entfcf)eibet auch 
biefe grage enbgiltig ju ©unften beS nun ziemlich allgemein 
angenommenen 10. Sooember 1759. Die SBagfdjale, in ber 
ba§ hoppelte 3 eu 9 n ife bon Schißer’S Sater, bie 3eugniffe beS 
Dichters unb feiner gamilie, bie 3eugniffe ipeterfen’S, ©treicher’S, 
Seinwalb’S, Seinljart’S unb ©oetlje’S liegen, finft tief unter 
bie SBagfchale ber bürftigen auf ben 11. Sooember lautenben 
3eugniffe, unb baß baS $Rarbad)er ©chiHerbenfmal, baS ben 
11. Sooember auf fein fßoftament gefchrieben hatte, biefeS 
falßhe Datum austilgte, »ar nadjgerabc an ber 3 e ^- 51 ud) 
bie Sehauptung pon einer abeligen §er!unft ©cpiller’S — 
Bon ber SSerwanbtfchaft mit bem tiroler 3 we ifl e ber Schwer 
t. Berbern — wirb Pon SBeltrich ein» für allemal grünblid) 
abgethan. SBaS oon oornherein gegen bie ünnnahme eines 
ücrlufteS ber tirolifd)en tpeimath unb beS Übels fpridjt, ift 
ber Umftanb, baß in ber Sdjiller’fchen gamilie nicht bie ©pur 
einer Draiition biefer ürt oorljanben »ar. „Die ©rinncrung 
an ein fwldjeS ©reigniß, an einen ©laubenSroechfel unb eine 
bamit Perfnüpfte Serfolgung ober üuSwanberung, geht itt 
einet gamilie — baS lehren oiele Seifpiele — nicht oerloren; 
fie erbt fich oon ®efchled)t ju ©efdjlecht fort. 3 uma l bei 
einer gamilie, bie, foroeit fie fich jurüdoerfolgen läßt, niemals 
ben untersten Schichten ber ©efeflfdjaft angehört hat, fonbern 
aud) bei ihren ätteften erfennbaren ©liebem einen gewiffen 
2Bof)lftanb, eine gewiffe Silbung aufweift. Sei ben Sor» 
fahren beS Dichters aber, bei btefem felbft, bei feinen ®e» 
fchwiftern, feinen greunben unb 3eitgenoffcn wirb, foweit 
»ir wiffen, mit feiner Silbe oon ber Ser»anbtfchaft mit 
einer abeligen gamilie DitoIS, oon einer ÜuSwanberung 
infolge ©laubenSwechfelS gefprochen; jebeS 3 eu 9 n ‘| einer 
folgen ©rinnerung fehlt. SBäre eine folche Ucberlieferung 
irgenb Porhanben gewefen, fo wäre fie ohne 3n>eifel bei ben 
urnftänblidjen fchriftlichen Serhanblungen, bie zwifdjen SBeimar 
unb SBien gepflogen »urben, als bet tperjog Karl üuguft 
im 3afjre 1802 Schiller’S Serje|ung in ben übelftanb betrieb, 
erwähnt worben; aber auch in biefen ©djriftftücfen fehlt 
jeglicher berartige §inweiS.“ Sater SchiQer’S ißetfehaft, beffen 
SBappen mit bem ber tirolifdjen o. Schiller übereinftimmt, 
ift allerbingS nicht bemeiSfräftig genug, benn baS SBappen 
fann aus irgenb einem ber zahlreichen SBappenbücher ent» 
nommen fein. 

©ine echtfdjwäbifche gamilie ift eS, auS ber gtiebrich 
Schiller heroorgegangen ift; benn in altfch»äbifchem ©ebiet 
liegen ihre ©tammorte Seuftabt, SBaiblingen an bet SemS 
unb (nörblich oon SBaiblingen in einem Seitental beS Stedars) 
Sittenfelb. Unb einen Übel höherer ürt, als ihn ein Katfet 
oerleihen fann, hat ißt ber Dichter gegeben. DaS bürgerliche 


©ewerbe aber, baS fte erblich betrieb, ift baS fonberlich ehr» 
famc Säcfergewerbe: jum äRinbeften 3 Üljnen, Pon benen ber 
Dichter in geraber Sinie abftammt, übten eS aus, unb rechnet 
man bie blutSoerwanbten Schiller ber Sebenlinien ein, fo 
weiß bie Stammtafel feiner Sorfaßren Pon 10 Säefern. 
Dem oon £aufe aus etwas träge rollenben Säderblut halfen 
fie (wie 23eltrich in halbem Scherz beifügt) weife auf: 
„aller SBahrfcheinlidjfeit nach befaßen fie im SemSthal, baS 
ja um Stetten, ©nberSbacfj, SommelShaufen, SeutelSbach unb 
auch um Seuftabt unb SBaiblingen einen hochpreislichen SBein 
erjeugt, SBeingüter, unb »ie ber SegimentSmebicuS Schiller 
ju Stuttgart einen guten Dürft hatte, fo Wirb fchon fein 
Urgroßoater, ber 'bie SBaiblinger StabtfüferStocf>ter ^eirathete, 
fein SBeinPerächter gewefen fein. @S war augenfcheinlich ein 
aufgemecfteS, rühriges unb geachtetes ©efdjlecht, wie benn 
gerabe jene 3 ül)neu nebenbei ©emeinbeämter unb »SBürben 
befleibet haben." Sei ber geftfteHung ber ühnentafel hatte 
SBeltrich oie bekömmlichen ©djwierigfeiten ju bewältigen. 
Ungefchidter SBeife befiehl in Deutfdjlanb bejüglid) ber ün* 
orbnung ober Seihenfolge ber Sornamen feine fefte Sitte, 
b. h- ber ^auptoorname, bet Sufname, wirb bei ber Pollen 
Sennung einer auf mehrere Sornamen getauften ißerfou häufig 
nicht unmittelbar uor ben gamitiennainen gefefct (wohin er 
gehört), fonbern an früherer, an mittlerer ober an oorberfter 
Stelle; eine SBißfür, weldje bie Sicherheit unb ißräcifion ber 
Sejeichnnng erfchwert unb bei ©enealogien unbequem genug 
werben fann. Seifpiele bieten bie hetfömmlichen Samens» 
uerbinbungen Johann ©hrpfoftomuS SBolfgang ümabcuS 
Siojart, ©ottholb ©phraim Seffing, griebrich SBilhelm Sofeph 
Scheüing, wogegen mit richtiger ünorbnung: Johann SBoif» 
gang ©oethe, Sohanit ©hriftoph griebrich Schiller. Der 
SSieberermeder ber beutfcfjen Diihtfunft »irb allenthalben als 
„griebrich ©ottUeb" filopftod aufgeführt; wie Piele Deutfd;e 
wiffen, ob fein Sufnante „griebrid)" ober „©ottlieb" war? 
Sdhelling finbet fidj mitunter Pon Siterarhiftorifern „Sofeph 
©chelling" genannt; ©Item unb £>eimatf) aber nannten ihn 
griebrich, gri|. Solche Unficherßeit ift bie golge ber 
herrfdjenben ©ebrauchSoerwirrung. ©ine Serichterftattung, 
welche nicht irre gehen möchte, fieht fich oftmals gejwungen, 
als SaHaft bie Sebeitoornamen mitjufchleppen, nur weil gerabe 
nicht feftjuftellen ift, welcher unter ben überlieferten Samen 
ben Sorjug Perbient hätte. „Säftig wirb hierbei inSbefonberc 
ber Sorname Sohann, ohne welchen bie bürgerlichen gamilien 
beS 18. 3af)rl)unbcrtS faum auSfommen ju fönnen meinten; 
mit feiner ^äufigfeit Perliert er an SejeichnungSwerth, unb 
nur ein PerbicnteS ©chidfat ift eS, baß er als etwas ©emcineS 
heute ju einem ©attungSnamen, jum Sebientennamcn herab^ 
gefunfen ift. Bäftig ift auch öie ürmuth ber Samengebung 
in mandien gamilien: fo begegnen unS bei ber ziemlich ftarf 
berjweigten gamilie ber Sorfahren ©chiller’S immer »ieber 
bie Samen Sofjann, ßafpar, ©eorg, Safob, audh bie Ser» 
binbungen §anS ©eorg u. f. w. SBer mit ber Durchforfchung 
oon Kirchenbüchern, alten ©emeinbeacten u. bgl. je ju thun 
hatte, weiß, welche gaüftride bamit bem um ©rmittlung beS 
Sichtigen Semüßten gelegt finb." SBeltrich erwähnt, baß gerabe 
baS 18. Saßthunbert Piele ©leichgiltigfeit gegen ben Suf» 
namen jur ©d)au trägt: bei Süchertiteln, in Unterfchriften 
unb in amtlichen Segiftern mifd)t eS ihn jumeift mit Seben» 
Pornamen, bei Süchertiteln erfcheint auch oft nur ber gamilien* 
narne. @S ift, als ob man fich ßenirte, mit bem im gamilien* 
unb greunbeSfreiS gebräuchlichen Samen oor bie Deffentlichfeit 
ju treten; fdjamhaft wagt fich allenfalls ein ünfangSbuchftabe 
hernor, ein © j. S., baS bann Garl ober ©onrab ober ©ßriftian 
ober ©hriftoph bebeuten fann unb fich gleich feinen Such» 
ftabenbrübern im Sewußtfein gar nidßt fijirt, weil eS nur 
für baS üuge ba ift, nicht für baS 0h r » roe il eS innerlich 
nicht gefprochen wirb. DaS 19. Saljthunbert jeigt in biefem 
Sunfte einen weit größeren SWutf) ber ißerfönlichfeit, bod) 
SBeltrich flagt, baß bei ben Schwaben mehr als bei ben 


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74 


Die töegenroart. 


. Nr. 5. 


Slngcfeörigcn unterer anbcrcit Stämme jener litcrarifcfec Horror 
oor bem ©ufnamen geblieben ift. ES ift fein 3 u f fl fl. bafe 
bie fefewäbifefeen Autoren ©efeubart unb ©traufe gaferjefentc* 
lang in ber Siteratur als „Daniel ©djubart" unb „Xaoib 
©traufe" gefebt haben, wäferenb bort Daniel, hier Xaoib nur 
ein ©ebenüorname war unb richtig non „C£Ijriftian ©chubart" 
unb öon „griebridj ©ttaufe" ober, ba biefe ©amenoerbinbung 
SBieberfeolungen ^at, oon „Xaoib griebriefe ©traufe" gerebet 
Wirb; SS ift au<fe fein 3 u faft< bafe griebrid) ©ifdjer ober, 
wie ber ooüe ©ame beS grofeeit StritiferS unb 3lefti>etiferö 
in ber herföramlicfeen ©erbinbung lautet, „griebrid) Xfjeobor 
©ifdjer" noch i* 1 ©cfeaSler’S ?CeftE)ctif als „Xfecobor ©ifdjer" 
aufgeführt wirb. 

©ocfe auf einige anbere intereffantc fünfte in SBeltricfe’S 
©iograpfeie fei feingewiefen. ©o ift nencrbingS eine Ehren¬ 
rettung beS £>crjogö ftarl unb feiner ©taatSmaitreffc ücr* 
fudfet worben, meift üon fchreibenben Xamcit, wie E. SUelt) 
unb Ottilie SBilbermutfe, benen fid) ju biefem ß^etfe fogar 
bie ©tuttgarten 9lrrf)ioe öffneten. Aber ba fenitt SBeltridj 
feinen ©pafe. „93?an fann," fefereibt er, „über bie ©erbinbung 
beS §erjogS mit granjiSfa oon Ipofeenfeeim oerfdjiebencr SDici* 
nung fein, fann fogar fagen, eine foldjc ©ewiffenSefec muffe 
cntfcfeulbigt Werben, weil ©taat unb Äirdje mit SBiülür bie 
Efeefcfeeibung oerbieten. Unb wenn ber ©und mit granjiöfa 
bie Verbrechen ber grauenfefeänbung, wie fie ber §erjog 
juüor begangen hatte, feltener madjte, fo fällt ja auf ihn 
noch e >a ©lorienfcfeein. Um bie rächende Erinnerung an 
jene 9lbfcf>eulict)fcitcn aber fei bie @e}d)icfete nicht betrogen!" 
Aud) bafe griebrid) ©djiller oon bem anfprucfeeoollen unb 
aufbringlichen ©runfe beS ^oflebenS ju SubwigSburg baS 
©ine unb Anbere gewahren mufete, bafe bie Xheateroor* 
fteßungen feine EinbilbungSfraft befct|äftigten, erwähnt SBcl triefe; 
ob aber bem SubwigSburger Einzug ein jotefeeö ©ewiefet bei* 
gelegt werben barf, Wie Äuno gifefeer will, bleibt fraglicfe, 
unb wenn ber Aufenthalt beS $>erjogS in ©enebig bem Xicfetcr 
wirflicfe in bergolge für beit „©cifterfeher" ©iotioe bot, fo featte 
biefe Anlehnung boefe gerabe mit bem- EinjugStag nid)t oiel ju 
fefeaffen. Stuno gifefeer fährt fort: „glätte ©djiller gugenb* 
erinnerungen gefcferiebeit wie ©oethe, fo würbe feine SubwigS* 
burger Sugenb^eit in magifefeem Sidjte ftrahlen, währenb wir 
jefet immer nur biefelben fatgen unb trodenen ©otijen über 
bie Eiaffen unb ©räceptoren ber SubwigSburger Sateinfcfeule 
unb bie ©tuttgarter Sanbejamina jn feören befommen." 
Auch mit biefer Anfidfet fann fid) SBeltricfe faum einoer* 
ftanben erflären; ©cfeitler’S Aeufeerung: „Xurcfe eine traurige 
büftere Sugenb fd)ritt iefe in’S Sebeit fernein, unb eine feer** 
unb geiftlofe Erjiefeuitg hemmte bei mir bie leichte, fcfeöne 
©eWegung ber erften werbenben ©efüfele" ftefet mit ifer in 
ju feferoffem SBiberfprucfe." Ein richtiges ©egenftüd ju ber 
Äaifctfrönnng, bie ber junge ©oetfee in granffurt erlebte, 
boten bie SubwigSburger gefte bet gugenb ©cfeißerS fefeon 
barum mäht, weil ihnen ber frohe ©harafter unb baS üolfs* 
tfeümliche Gepräge fehlten. SllS ber £)erjog, gerabe in biefer 
©cgierungSperiobe einer ber gewiffenlofeften ©raffer unb 
©lutfauger, bie je auf einem Xferone ä u f e h en toaren, auS 
©enebig äurücftcferte, empfing ihn ju SubwigSburg jwar ber 
©pecial 3itling mit ben nieberträcfetigften ©cfemeicfeelrcbcn, 
aber in ber ©title ber §äufct wirb gar manche ©crwünfdjung 
unb gar mancher ©eufjer jum fiimmel geftiegen fein, unb 
ber ju SubwigSburg „wie ein Xriumpfeator nad) glorreidjen 
Xfeaten“ cinjog, featte beim 5tb^ug ans ber Sagunenftabt 
feinen ^auSfcfemurf für 15 000 3ed)ineu oerpfänben müffen. 
um feine ©cfeulben bcjafelen ju föttnen. 9iacfe bem ©innc 
ber ©chiHer’fcfeen gamilie war biefe tolle unb frcticlfeafte 
SBirtfefcfeaft am Wenigften; fie lebte in SubwigSburg in ge* 
gebrüdten SBerfeältniffen, ber Änabe wucfeS unter ftrenger 
feäuSli^er 2lufficfet, unter ber feärteften ©cfeuljucfet feeran unb 
ber ©lan-j beS fürftlidjcn SBefenS bienbete fo wenig fein Auge, 
bafe et oielmefer ber Xfeeotogie feine Neigung juwanbte unb 


nur mit SBiberftreben ber ^Berufung auf bie ©olitube folgte: 
bieS finb Xfeatfacfeen, über welcfee feine ©efeitberung feinweg- 
foinmen wirb." 

Xie 4 'crfucfee ferner, bie „Saura" ber ©ebiefete in einer 
anberen ißerfon fuefeen, als in ber ^ßerfon ber grau Suife 
SSifcfeer, entfpringen nadfe SBeltricfe nid)t einem ®ebürfnife beS 
gefchicfetlicfeem SBiffenStriebeS, fonbern frauenjimmerlicfeer ©eit* 
timentalität unb frauenjimmerlidjer fßrüberie: man möcfete als 
bie Sugenbgelicbtc beS XicfeterS eine würbigere, anmutfeigere 
unb „ibealerc" ©eftalt uor Singen haben als bie £>auptmannS* 
wittwe, bei ber ©efeiüer 3 ur Siietfee wofente. Aber biefe ©tfeön* 
fcligfeit feat oor ber 2 Baferfeeit bie ©egel ju ftreiefeen, unb 
biefer „SbealiSmuS" ift ein falfcfeer SbealiSmuS. Xer ^aupt* 
oerfeefeter ber üaura * Anbreä * Xfeeorie, ijBrofcffor §aaffe feat, 
fo lange er lebte, gerabe in ©tuttgart wenig ©laubige ge* 
funben: webet griebriefe SBifdjer Würbe oon ifem überjeugt, 
noch ber erfte ber bamaligen ©efeiderfunbigen, SBilfeelm 
Vollmer. SBejeicfenenb ift Vollmer’S briefliche Aeufeerung: 
„^aaffe gab ausweichende Antworten unb oerwieS auj 
eine oon ifem beabfiefetigte 93 eweisfüferung, bie er fcfeliefelicfe 
mit iit’S ©rab nafem. Xie ©cfeiUer’fcfee gamilie, in specie 
grau o. ©leid)en, griff ambabus naih ber Saurafefepotfeefe, 
ba ifer begreiflicher SBeife bie £>auptmann SSifcfeerin fatal 
war. Scfe war einmal babei, wie fie ein ©ebiefet recitirte, 
baS üon Scfeiller fei unb fid) unter beffen gugenbpapieten 
befunden feabe, unb baS bie Slugen ber Saura feiere, aber 
jener Slnbreä; eS fing, irre id) niefet, an: ,SBlaue Augen, 
cucfe ju preifen‘, unb war ganj unb gar unfdjillerifch- ©oebefc 
nafem es nur mit SBiberftrcbeit unter bie gugenbgebiefete in 
ber feiftorifefe = fritifc^en Ausgabe auf. SBäferenb beS Xrudes 
(ober ©afecS) erfeielt er oon mir einen s .f$a<f ©tiefeet, ben iefe 
für ifen bei einem feiefigeit Xröblcr erftanben. Xarunter @t* 
biefete üon ©d)lotterbcd. ©leicfe beim erften Auffdfetagen fiel 
ifem baS ©ebiefet ,blaue Augen 1 in bie Augen, unb er tde* 
grapfeirte fofort an miefe, iefe foHe baS ©ebiefet nun auS ben 
Eorrecturbögen entfernen lafjen." Xie feocfenotfepeinlidje 
literarfeiftorifcfee Unterfncfeung, ob baS ©erfeältnife jur grau 
©ifefeer p neun gefenteln ober 3 U ad)t ober nur ju fünf 
gefenteln „platonifcfe" gewefen fei, überläfet SBeltridfe alten 
SBeibern. ©ei §offmeifter, bem einzigen feiner ©orgänger, 
beffen ©iograpfeic wiffenfdjaftlicfeen Efearafter feat, ftefet ju 
lefeu, ber finnlicfe ejaltirte Siebestraum ber Sauragebicfete fei 
alles anbere efeer als platonifd) ju nennen, ©iinor beinerft, 
Umftänbe unb 3 ei, 9 n 'fi e liefeen ein intimeres ©erfeältnijj 
jwifdjen ©cfeillcr unb ber jungen SBittWe als oöllig unmöglich 
erfefeeinen; bennoefe fäfert er fort: „Aber fo ganj fearmloS, 
wie cS nad) aufeen erfdjieu, war eS befefealb boefe niefet; unb 
babei, bafe ©cfeiUer mit bem ©öfenefeen unb Xöcfetercfeen feine 
©piele trieb, wenn er SlbenbS nach 4>oufe tarn, wirb eS 
niefet immer geblieben fein. 9iocfe fpäter feat fid) ©cfeiller mit 
üollem ©ewufetfein Oor den ©erlodungen jeder Äofettc unfiefeer 
gefüfelt." ©uftao ©efewab feat allen ftlatfcfe, welcfeen bie 
mutfewillige Ueberliefernng ber gugenbfremibe an ©cfeiUer’® 
tarnen feing, für bare lülün^e genommen; er jeiefenet niefet 
anberS, als feätte der Xicfetcr ber Anthologie ber ©innen* 
luft bie Seele oerfd)ricben. Aber, entgegnete SBeltricfe fefet 
fcfeön, „um ein goefe biefer Art ju ertragen, bafür n»r 
©dfeiücr oon Anfang an ein 3 U geiftiger Stfenfcfe, unb gerabe 
bie ©tuttgarter ©criobc, indem fie oon Entwürfen feine® 
©enieS gäferte, bezeugt ein Seben in raftlofer Xfeätigleit. 
©cfeiller feat den Anfturm ber Sinne empfunden; aber er 
weferte fiefe eferlicfe. Xarin liegt baS SBefentlicfee. Unb bafe 
er auS ben ©ebrängniffen beS günglingSalterS bie Sauterfeit 
ber ©eele, bie ©efunbfeeit der ©feantafte fiefe gerettet feat, 
baS feaben feine SBerte mit ©ternenfeferift an ben Jpimmet 
gefeferieben." 

Xie alte Streitfrage um ben päbagogifcfeen SBertfe ober 
llnwertfe ber ÄarlSfdjule löft SBeltrid) mit ber ganzen Autorität 
eines feierju ©erufenen. Eine lange ©eifee oon Saferen feinbutefe 


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Nr. 5. 


die Hegenaart 


75 


an einer niilitärifcgcn §odjfd)itlc (SlriegSafabemic) unb einer 
militärifegen ÜWittelfcgule (ft'abettencorpS) im Segramt, begegnete 
er an legieret Slnftalt mancherlei traditionellen Slnfcgauungen 
nnb ©ütriegtungen, bte mit benen ber Scgule beö §erjogS auf* 1 
fällig übereinftimmten, unb über igren gemeinfamen Urfprung 
belehrte ign bic Encyclopedie frangaise. damit gatte er 
oon ber Stuttgarter 3Jiilitärafabemic gewiß ein lebendigeres 
Pilb als die übrigen Scgillerbiograpgen unb burftc uon be* 
fonberen päbagogifcgen ©tfagrungen für bie Slbroägung beö 
erjiegerifcgen PJertgeS berfclben Gebrauch maegen. „der Ge* 
burtöfegler ber beutfegen S'abettenfcgulen beftegt barin, bafe 
ben Scgrern (Siutlperfonen) bic bisciplinäre (Seroalt entzogen 
ift unb bafe bie Leitung ber Slnftalt in ben £änben uon 
Scannern liegt, roclcge niegt unterricgtcn unb anberen StanbeS 
finb als bic Unterricgtenben. die mit biefer ©inriegtung uer* 
bunbenen Uebelftänbe uerminbetn fid) jrocifelloö, roenn baS 
^Regiment in eine auSitagmSroeife gliidlicge £anb gelegt ift; 
gat aber ein unfägiger ober ungeeigneter Dfficier bie Scitung, 
}o ergeben fid.) 3 u flönbe, bic für einen auf feine SManneS* 
roiirbe galtenben Segrer unerträglich, unauöftcglicg finb: be* 
raufet unb unberoufet finb alöbann Porftanb, SluffiajtSofficiere 
unb 3i>glui8e gegen bie Segrer im Punb, unb bie Slnftalt 
gleidgt einem mit 3ugtgietcn uerfegiebener Gattung befpannten 
Pflug." ?lud) an ber SMilitärafabemie beö IperjogS Start 
roirften Officiere unb militärifege Sluffeger neben ben öegrern, 
unb uom s Xmte ber Segrcr roar bie ©rjicgung („Sluffidjt" 
unb Strafrecgt) uöllig getrennt. £>ier aber trat eine @r« 
fegeinung ju dage, ju ber fieg in ber Gefcgicgte beS beutfegen 
Unterricgtöroefens faum ein Analogon finbet. ©ine militä* 
rifege Slbtgcilung, b. g. eine Slbtgeilung, bie für bie Slusbil* 
bung fünftiger Officiere beftimmt roar, beftanb jroar toon llr* 
fprung an, aber ein militärifcgeS Stanbeögefügl lonnte in 
ber Schule nidjt auffommen, ba bie ßüglingc ber überroie- 
genben SDiegr^agt naeg für ben Staate* ober ©iuilbienft fieg 
oorbereiten wollten. die militärifcgen Sluffeger roaren bei 
ber Sugenb um beS uon ignen geübten garten unb oft rogen 
SÄutfes Söillcn uergafet: fo fcgloffen fid) bie 3öglinge enge 
unb uertrauenSooll an bie Segrer an als an diejenigen, uon 
benen fie eine menfcglidjere unb würdigere Peganblung ju 
erroarten gatten, unb bic militärifege Leitung unb 9tufficgt 
bildete ju ignen eine ?lrt Gegenpartei. daß maneger Scgiller* 
biograpg bie Satlöfcgule über Gebügr gefegmägt gat, maegen 
bie darlegungen ftlaiber’S unb Räuber’« immergin begreiflitg, 
aber Sßeltricg roünfegt jegt, bafe bcs Stügmenö nitgt all* 
mätig ju piel roerbe, bafe auS ber Pertgeibigung ber fürft* 
liegen Scgöpfung niegt unter £>anb eine, roieberum unge» 
fegiegtlicge, Glorificirung roerbe. Unb ju betonen ift autg, 
bafe bie ScgiUerbiograpgie igrerfeitö baö Stecgt, ja bie Pflicgt 
gat, im Sluge ju begatten, in roelcgem 3uftanb fieg bie Scgule 
befanb jur 3cit, als ber diegter igr angegörte, nnb mit pornegm* 
liegerfRlieffiegt aufbiefen p fragen, oon roeldger Slrt igr©influfe 
auf bie feelifcge unb geiftige ©ntroidelung ber Sugenb ge* 
roefen ift. SKan erjäglt, granjisfa gäbe in fpäteren Sagten, 
atä fie ju Äircggeim im SBittroenftanbe lebte, bie Sleufeerung ge* 
maegt, jeben dag banle fie inbrtinftig igrem Scgöpfer für bie 
goge Gnade,, bafe er fie auSerforen gäbe, in ScgiUer’S Sugenb* 
gefegief SWancgcS ju milbern, manege £>ärte uon igm abju* 
roenben, oielleicgt fogar $n feiner ©rgaltung etwas beigetragen 
$u gaben. Slucg Ottilie üBilbermutg roeife Uon einer Gönner* 
fegaft ober befonberen protection ju erjäglen, beren fieg 
Scgiller oon Seiten ber Gräfin erfreut gäbe; gier roirb unS 
beS Sßeiteren nod) aufgetifegt, bafe Scgiller ein fegroärmerifeger 
Percgret ffranjiöfaö getoefen fei unb bafe fid) in 3 ra n^iötaö 
tftacglafe einige Gebiegte SegiUer’ö gefunben gatten, in benen 
er mit bem mafelofen geuer feiner erften Sugenbergüffe ber 
gogen dame biefe SSeregrung auögefptocgen gäbe, ©rgüffe, 
roelcge uermutglicg fo toenig bem Iperjog atö ber fltaegroelt 
Oor 9lugen gefommen feien. ?llle biefe 9cacgrid)ten finb un* 
glaubroürbig unb gegören in baö Gebiet jener mit 3ägigfeit 


fortgcpflanjten Scgcnbcn unb anefbotengaften ©r^ägturtgeu, 
an benen für Segitler’8 3»genb fein SRangel ift unb bereit 
^luömerjung ber ernften Öiograpgie ju fd)affen maegte. ©ö 
ift uon gefcgicgtlicgem Stanbpunfte auö ju bebauern, bafe 
Saube’ö „Slarlöfcgüler" unriegtigen SSorfteUungen ber gefegil* 
betten 3lrt neue Stagrung gegeben nnb fie in weite '-Bolfö* 
treife getragen gaben. 9lbet biefeö drama entftellt ja über* 
gaupt ben gefcgicgtlicgen Hergang unb ift in bem, roaö eö alö 
ÜRitieu giebt, naturloö, wie SBeltrieg fieg auöbrüeft. 

doeg genug ber Softproben auö biefer Sfteifterbiograpgie. 
3tur eine fegöne Stelle fei noeg getauägegoben: „die literarifege 
Sefcgäftigung mit Scgiller ift in neuerer 3 e ^ wieber* 
um in lebgafter 3 unfl gme, in einem ftuffegroung begriffen, 
bie giftorif^e unö tritifege Ülrbeit, bie an feinen vtamen 
gefnüpft ift, gat fieg uertieft unb wirb naeg megreren 9ticg* 
tungen gin abfegliefeenb. 3 ronr n °d) niegt ginter uns! liegt 
eine Aufgabe, roelcge ber Geistesbildung ber deutfegen ein 
Sagrgunbert geftellt gat: mit bem gleicgen Üiaafee ber 
Gerecgtigfeit Goetge unb Scgiller, bie beiben Großen, ju 
meffen, ben tiefen Gegenfag igrer geiftigen Staturen ju Per* 
ftegen unb boeg eines empfängliegen Sinnes für beibe ju 
fein. SEBir roiffen, roie oft ßeitftrömungen, parteiroefen, Sdjul* 
anfiegten unb perfönlitge Steigungen Scgiller gegen Goetge 
unb Goetge gegen Scgiller auSgefpielt gaben; baS ©ine ift 
fo falfcg roie baS hindere. @S gat aber ben Stnfcgein, als 
ob naeggerabe bie ©infiegt toaegfe, bafe, wenn aueg Goetge 
ber Größere ift, Goetge als ©rjieger unb gügret ber Station 
boeg ber ©rgän^ung burd) Scgiller bebarf unb wir ben ©inen 
fo wenig entbehren lönnen roie ben Slnbern. Sie felbft gaben 
fi(g in einein g^unbfegaftsbunb geeinigt, unb ignen naig* 
roanbelnb jenen Gegenfag ju überbrüden, ift derer, bie fieg 
mit SBortiebe ju Goetge, roie berer, bie,fieg mit SSorliebe §u 
Sd)ider befennen, Pflicgt; eS ift ein ©ermäegtnife bet ^etoen." 
©inen rooglgelungcnen Perfucg, bie beiben „^eroen" biogra* 
pgifcg*!ritifdj im 3ufammengange ju fegilbern, gat neuerbingS 
SJtorife ©grlicg in feinem fegönen Pucgc „Goetge und Scgiller“ 
(Perlin, Grote) gewagt, feine OueHenftubie, aber eine roarm* 
gerjige unb feinfinnige darftetlung, ber mit an Stelle ber 
ueralteten SBerfe Pon SeroeS unb palleSfe bie roeitefte Per* 
breitung roünfcgen. Snjroifcgen möge ber trefflidje SBeltrieg 
fein roiffenfcgaftlidgeS Scgillerroerf roeiter fügten unb uotl* 
enden, unbefümmert um bie als Popularifirer ober SBiffen* 
fd)aftler maSfirten Piraten. Stun roenigftenS fein erfter Panb 
uorliegt, werben wogt aueg bie „roiffenfcgaftlicgen" Stiller* 
biograpgien, bie bejeiegnenb genug ebenfalls naeg bem erften 
Panb in’S Stoden gerietgen, piögticg roieber Stoff gaben 
unb fortgefegt werben ... SJföge eS fieg üBeltricg niegt Per* 
briefeen laffen! 

-HH- 


^feuilTeton. 

- Watfibrurf verboten. 

(Eine Begegnung. 

53ott (Högar 2Jöan Poe.*) 

Ueberfe^ung t»on 3obanna flT3ttenlioff. 

D bu oom ©cftidfal verfolgter, rötbfelböfter ?Wann! Senoirrt 
tmrdb bie Suffe betner ^bontafie! ^erje^rt Von ber fonmgen ©lutb 
beiner eigenen 6eele! 3m Xraume erfdjeinft bu mir tvieber. 9iocb 
einmol erbebt behte ©eftalt fid) Vor meinem inneren 2(uge. 9?tcbt 
ettva fo loie bu roarft in ben falten Xbälern unb ben trüben 
Debatten biefer Srbe, fonbem toie bu ^äHeft fein follen: ein Seben voll 

*) tiefes ^bantarteftücf be§ berühmten amerifanifeben @r^äbler§, 
bem bier bie ©eftalt v övron'§ vorgejd)tt>ebt bot, ift nod) nicht tn'3 Xeutfdje 
übertragen morben unb fo gut wie unbefannt geblieben. 


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76 


Nr. 5 


Die $e$ettttttrL 


glänjcnbcr Dräume Derfcpwenberifcp Derftreuenb, in jener Stabt nebcl= 
paft fcpintmernber Bifionen, in beinern geliebten Beliebig. 3n biefem 
Don ben ©fernen begünftigten ©otterfip beS MeereS. Benebig, baS Don 
ben bo^n gcnftern (einer Sßaläfte finfter brütenb nteberbltdt auf bie 
©epeimnifje feiner fcpwetgenben (55croäffcr. 3awopl, ich wieberpole eS — 
wie bu ^ötteft fein foflen! ©ewift wirb eS anbere ^Selten geben, als 
biefe — anbere ©ebanfen, als bie ©ebanfen ber Menge — anbere pptlo= 
foppifcpe BetracptungSweifen, als bie (Grübeleien ber ©oppiften. SBer 
alfo fönnte öicp tabeln wegen beiner traumoerfunfenen ©tunben ober 
wegen jener litten, bie nur als ber überfcpweflenbe ©rguft beiner un= 
erfcpöpflicpen Äraft ju betrachten ftnb? 

©S war in Benebig, unter bem bebedten Bogengänge, welcher 
ben tarnen ber ©eufaerbritde führt, wo ich ä u m britten ober Dterten 
Male bem Manne begegnete, Don bem ich pü* tebe. einzelnen 
Umftänbe biefer Begegnung tauchen Dor meiner innerlichen Slnjcpauung 
nur noch in Derworrenen Bilbern auf. 5lber tn mir lebt bie ©rinne= 
rung — ach unb wie fönnte ich baS SlüeS je Dergeffen? — an jene finftere 
Mitternacht, an bie ©eufjerbrüde, an bie ©chönheit einer grau unb an 
ben ©eniuS ber (Romantif, wie er an ben Ufern beS fcpmalen ©analS 
auf unb nieber wanbeite. 

©$ war eine ungewöhnlich finftere (Racf)t. Bon ber graften Upr 
auf ber Biassa hatte foeben bie fünfte ©tunbe beS italienifcpen ftbenöS 
gefchlagen. Der beS ©ampanüS lag in fchweigenber Beröbung 

ba, unb in bem alten Dogenpalafte Derlofcpen bie Sichter rafd) nad)= 
einanber. 3<P befanb mich auf bem groften ©anal, auf ber $>ciintepr 
Don ber Bia^etta begriffen. 5lber als meine ©anbei gerabc ber Münbuitg 
beS ©analS Don ©an Marco gegenüber angelangt war, würbe bie ftiUe 
(Rächt plöftlich ierriffen burch einen frampfftaft wilben, langgcbehnten 
©chrei, ber Don einer weiblichen Äeple auSgeftoften fchien. Durcp ben 
Don erfepredt, (prang ich auf, währenb mein ©onbolier baS feiner £>anb 
foeben entglittene einzige (Ruber in ber perrfcpeitben ginftemtft auS ben 
klugen Derlor, ohne SluSficpt eS rnieber erreichen ju fönnen. ©o waren 
wir ber 2Bitlfür bet ©trömung preisgegeben, welche pier burch ben 
©intritt beS breiteren ©analS in ben fcftmaleren entfteht. ©leid) einem 
groften fdjmarsgefieberten ©onbor trieb unfere ©onbel langfam bahin, 
ber ©eufserbrüde su, als mit einem Male in ben genftern beS Dogen= 
palafteS unb biß über bie kreppen hinunter taufenb flammenbe gadeln 
aufblipten, bie tiefe Dunfelpeit ber (Racpt wie auf einen ßauberfcplag 
in übernatürlid) blenbenbc DageSpelle Derwanbelnb. 

2luS einem ber oberen genfter beS ftoljen Baues war ein Äinb, 
ben Firmen feiner eigenen Mutter entgleitenb, in bie Diefe beS trüben 
©analS pinuntergeftürst, unb bie ftiüen SBaffer hatten (ich fchweigenb 
über ihrem Opfer gefchloffen. Obwohl meine eigene ©onbel bie einzige 
ben Bliden erreichbare war, hatte fiep hoch mancher fühne ©chwintmer 
bereits in ben ©trom gewagt, Dergeblicp an ber Oberfläche nad) bem 
loftbaten Äleinob ber Dersweifelnben Mutter ju fuchen, welches leiber 
nur noch in ber Diefe beS 2lbgrunbeS gu finbeit gewefeit wäre. 2luf 
ben breiten fepmarsen Marmorflieften oor bem ©ingange beS (ßalafteS, 
einige Stufen über bem SBaffer erhoben, war eine ©eftalt erfepienen, 
welche deiner, ber fie bamalS bort ftepen fah, je wieber oergeffen fönnen 
wirb. ©S war bie Marcpefa Slpprobite, bie Don gans Beliebig Der* 
götterte Dogareffa, — bie £>eiterfte unter ben gropfinnigen — bie Sieb- 
licpfte unter allen ©cpönen — aber trop allebem baS jugenblicpe SBeib 
beS alten ränfefchmiebenben Mentoni, unb bie Mutter jenes (cpönen 
ftinbeS, ipreS erften unb emsigen, welcpeS jept tief unter ben fcplanimigen 
SBaffem in bitterer DobeSnotp ihrer füften Siebfofungen gebenfen unb 
fein jarteS Seben in frucptlofen Kämpfen erfepöpfen moepte, um ihren 
bauten ju rufett. ©ie ftanb allein. 3pr fcpmaler, fcpön geformter, 
nadter guft malte fetu blenbenbeS ©piegelbilb auf ben glatt gefepliffenen 
fcpwarsen Marmor, auf bem fie ftanb. 3hr £>aar, baS für bie (Racpt 
erft halb gelöft unb noch niept Don feinem BaÜfcpmud befreit war, 
ringelte fiep, Don diamanten überriefelt, um ipren clafftfcp geformten 
ftopf in Soden, wie bie beS jungen ^pacintp. ©ine fdjneeig weifte ©e= 


wanbung, wie Don sartem ©etbenflor, fepien faft bie einzige Umhüllung 
ihrer sarten ©lieber gu fein. Die mitternächtliche Suft beS £>ocpfommetS 
war brüdenb fcpwül unb unbeweglich; ebenfo wenig war in ber, einer 
Statue äpnelnben ©eftalt eine (Regung ju erlennen, welcpe bie galten 
beS wie auS Duft gewebten ©ewanbeS auch nur leife patte ersittem 
laffen. Der fepöne Körper war fo regloS baDon umgeben, wie Don ber 
ftarren Marmorgewanbung einer (Rtobe. ©S ift feltfam $u fagen, aber 
bie Blide ihrer groften leucptenben klugen waren niept auf bie Diefe, 
niept auf jenes ©rab pin gerichtet, welcpeS foeben ipre glänseubfte 
Hoffnung Derfcplungen patte, fonbern fie waren in einer gans anberen 
(Ricptung wie feftgebannt. 2Bie miep bünft, ift baS ©efängnift ber alten 
(Repubüf baS ftattlicpfte ©ebäube Don gans benebig; aber wie war eS 
nur möglich, baft bie Blide ber jungen Mutter fo unoerwanbt baran 
hängen fonnten, wäprenb bort su ipren güften, tief unter ben fcplammigen 
SBaffern, ipr eigenes Äinb mit bem Dobe rang? §lud) ift eS gerabc 
ben genftern ipreS eigenen ©emacpeS gegenüber, wo jene Derftodte, 
büftere (Rifcpe fiep öffnet. 23aS fann in ben fepattenreiepen SBinfelu 
berfelben, in iprer ?lrcpiteftur, in ipren Dom ©ppeu umranften feierlich 
ernften ©äulenDersierungen benn noch Derborgen fein, waS bie Marcpela 
bi Mentoni niept fepon taufenb Mal suoor angeftaunt pätte? Docp wer 
wüftte eS niept auS eigener ©rfaprung, baft tn ?lugenbliden gleich biefen 
baS ?luge beS Menfcpen wie in ben ©eperben eines taufenbfaep %n'- 
tinimmcrten Spiegels bic Bilber feines ©cpmerscS DerDielfacpt erblirft 
unb an unsäpligen, weit entfemten Orten baS wepeDofle Seib s« * r= 
• fenuen wäpnt, baS er fo gans in feiner unmittelbaren (Räpe pat? 

Mehrere Stufen pöper, als wo bie Marcpefa ftanb, unb innerhalb 
ber SSölbung ber Bkifferpforte, befanb fiep in Dollem Slnsuge Mentoni 
felbft, an ©eftalt einem ©atpr äpnlicp. ^)in unb wieber in bie Saiten 
einer ©uitarre greifenb, fepien er nur eine töbtUcpe Sangeweile ju 
empfinben, wäprenb er Don Qtit s u Slnweifungeu sur ^luffucpung 
feines ftinbeS ertpeilte. Boiler Beftiirsung unb noch gans entfett, wie 
icp eS war, Derfagte mi^ bie £raft sur freien Bewegung, ©o fiiplte id/ 
miep geswungen in ber aufrechten Stellung su Derparren, wie icp in 
meiner ©onbel aufgefprungen war, als ber erfte Schrei mein Opr be¬ 
rührt patte. Bor ber aufgeregten Menge muftte icp wie eine gefpenflijepe, 
unpeiloertünbenbe ©eftalt erfepeinen, als ich fo mit bleicpem ^Intlif unb 
ftarren ©liebem in ber bunflen ©onbel Dor ipren klugen bapinglitt. 

?lüe Bemühungen sur (Rettung beS ^inbcS waren opne ©rfolg 
geblieben. Biele Don benen, weldje fiep bei ber Sluffucpung am aller; 
eifrigften gezeigt patten, crfcplafften in ipren Slnftrengungen unb gaben 
fiep einer büfteren Berftimmung pin. ©S fepien für baS Seben bc$ 
SiinbeS nur noep wenig Hoffnung ba s« fein; wie Diel weniger noep für 
baS $>ers ber Mutter! Docp fiepe! &uS bem ^intergnmbe jener 
finfteren (Rifcpe, Don ber fepon bie (Rebe war, unb welcpe, $u einem Dpcil 
beS alten ©efängniffeS ber (Republif gepörenb, ben genftern ben Marcpefa 
gegenüber lag, fepritt plöplicp eine tief in einen Mantel gehüllte ©eftali 
perDor. ©ie trat in ben ÄretS ber Beleuchtung, unb einen Wugenblicf 
am (Ranbe ber jcpminbelnben Diefe Derweilenb, ftürjte fie fiep mit rafepem 
©cpwunge in bie SBaffer beS ©analS hinunter. 2ilS fte fepon im näcpften 
Slugenblirf, baS noep lebenbe, atpmenbe Slinb in ben Firmen paltenb, 
neben ber Marcpefa auf ben Marmorflieften erfdjien uub ber Dom SBafjer 
getränfte Mantel fiep löfenb, in fcpweren galten su ipren güften niebeT; 
fiel, ba erfannte bie erfiauntc Menge in biefer fepönen ©eftalt einen 
noep fepr jungen Mann, ber fepon bamalS ben gröfteren Dpeil ©uropaS 
mit bem itlange feines (RamenS erfüllte. 

(Ricpt ein SBort tarn über bie Sippen beS füpnen (Retters. ?lber 
bie Marcpefa? ©ewift wirb fie jept iprem Äinbe bie 9lrme entgegen; 
ftreden, wirb eS an ipr §ers brüden, wirb ben fleinen Körper um; 
flammert palten unb eS mit ipren Siebfofungen su erftiden bropen. 
Docp nein! Anbere ^äitbe paben eS bem gremben entnommen, anbere 
kirnte paben eS umfcplungen, um eS unbemerft weit pinweg in ben 
Balaft su tragen. Unb bie Marcpefa? 3pv Munb, ipre feinen Sippen 
Sittern, Dpränen famnieln fiep in ipren jepönen ?lugen — in jenen 


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Nr. 5. 


Ute Gegenwart. 


77 


klugen, melepe gleid) bem SlcantpuS beS piitiiuS fanft unb faft oon 
burepftcptiger ßlarpeit ftnb. ga, Xpvänen fammeln ftc^ in biefen klugen, 
unb bic ganje ©eftalt erbebt bis in’S Riart hinein, — bte Statue ift oont 
SßulSfeplag beS SebenS burcpjucft. $aS bleiche Rtormorantlife unb ben 
fepmedenben Rtarmorbufen, ja fogar ben jepneeigen Rlarntor bet güfee 
fepen wir plöplicp erglühen, als ob ein geuerftrom fte burepflutpe. 
©in leifeS Schauem umfpielt ben jarten Körper, wie Neapels meiepe 
Süfte bie üppigen $M<pe bet Silberlilien im ©rafe umfäufeln. Sarutn 
roopl bie junge grau erröthen mochte? 3)aS ift eine grage, auf bie 
e$ feine ?lntmort giebt, wenn nicht ettoa bie: bafe fic in ber plöfclicpen 
©eftürjung unb in bem erften Scprecfen beS RhttterperjenS, tuomit fie 
bet füllen Xraultepfeit tpreS ©entacpeS enteilte, niept etft mit ihren 
garten güfeen in bie Pantöffelchen gejeplüpft mar, unb ebenjo menig 
batan gebaept patte, übet ipre petrlicpen Schultern bie fcpicflicpe £üde 
ju merfen. Selcp* eine anbete ©rflärung hätte eS beim geben fönneu 
für ihr plöplicpeS ©rrötpen? güt beit leibenfcpaftlicp flepenben Plicf 
bet fepönen Rügen? gür ben ftürmifepen Rufrupr ber heftig mogenben 
SBxuft? güt ben frampfpaften 3)rucf ber jitternben £anb? — gener 
4>anb, bie, als Rtentoni in ben Palaft jurücffeprte, mie jufädig, fiep 
auf bie Hanb beS gremben fcpntiegte. Selcpe ©rflärung fonnte eS für 
ben leifen — ben jo eigentümlich leifen $on jener bebeutungSlofen 
&orte geben, melcpe oon ber jungen grau paftig fliifternb ju ipm ge= 
fproepen mürben, als fie fiep Oon ipm Oerabfcpiebete? „$>u paft gefiegt"! 
fagte Tie, menn niept baS ©eräufcp ber Saffer miep feltfam täufepte. 
„^u paft gefiegt! ©ine Stunbe naep Sonnenaufgang merben mir uns 
treffen-fo füll eS fein!" (Scpiufe folgt.) 


Jltt5 ber i>auj)tflabt. 


Die Mröbergeljettbe <Erfd>etmtng. 

©anj begeiftert pob bet Rbgcorbnete für SacfermannSau fein frifcp 
gefülltes SectglaS unb ftimmte in ben Ruf ein, ber braufenb um bie 
Xafel ging: „Äaifer Silpelm II. — purrap, purrap, purrap!" $ie 
auS poetifeper Septoärmerei unb eiSfaltem Raffinement feltfam gemixte 
gfeftrebe beS Präfibenten ©raf Padeftrem patte ipn im gnnerften er= 
regt, ipn mie alle feine Racpbarn, unb bie monarepifepen ©efiiple, bie 
er für gemöpnlicp in beS PufenS $iefe fcplummern liefe, oom 0epein= 
tobe aufermeeft. $er Pertreter beS Greifes SacfermannSau mar in ben 
9fteiep8tag gefommen, et mufete fetber niept mie. Seine Partei patte ipn 
a(3 Bäplcanbibaten, als puren, otbinciren gäplcaubibaten aufgeftedt, unb 
ber Herr ßäplcanbibat mar bamit einoerftanben gemefen, meil er oon 
bet regen Agitation, bie bie Partei fiep bei ipren Rütteln leiften fonnte, 
erfpriefelicpe Reclame für fein ©efepäft erpoffte. Unb bann mar er in 
ber Stiepmapl plöplicp $u allfeitiger peinlicher Uebettafcpung burcpge= 
brungen. Smtäcpft patte et entrüftet ablepnen mollen. ©pte folcpe 
fjoppetei brauchte et fiep niept bieten $u taffen. Schließlich aber fiel 
ipm ein, bafe et ja opnepin bie ReicpSpauptftabt in gemeffenen 8mif<pen= 
jpaufen befugte, um oon Seit $u 3 c *t menfcplicp effen unb baS Rülieu 
bet lex ^einje ftubieren $u fönnen. 5)a3 Rtanbat gemäprte ipm freie 
gaprt erfter ©laffe jmifepen bem peimatplicpen Stäbtcpen unb Perlin, 
gleichzeitig auep eine famofe RuSrebe, ber fogar feine befremblicpev Seife 
immer pöcpft mifetrauifepe HaitSepre fiep beugen mufete. RuS biefen 
©rünben befcplofe ber Ueberliftete, gute RUene jurn böfen Spiet ju 
ma^en. ®t mieS im $retSblatte bie ©efcpäftSfreunbe barauf pin, bafe 
fie niept nötpig hätten, in golge)feinet SBapl ipre fcpäfcbaren Aufträge 
bet ©oncuttenj ju überfepreiben. ©t merbe mir an ben mieptigften ?lb= 
fttmmungen in Perlin tpeilnepmen unb auch bann immer mieber früh* 
zeitig mit bem erften Riorgen^uge naep ^BacfermaitnSau gurücffeljren. 


^)a er als ReicpStagSabgeorbneter bie Ä'often für bie Papnfaprt etfpate, 
fei er in ber glücfücpen Sage, feinen Äunben alle Perliner Slrtifel billiger 
als jebe ©oncurrenj liefern ju fönnen. 

2)er ©rmäplte oon 3BacfermannSau fam ben Oornepmftcn Pflicpten 
eines PolfSoertrcterS mit ©ifer naep. ©r gab feine ßarte beim Ober* 
fjofmarfepafl unb beim ReicpSfanjler ab, marb auf jebem Parlamentär 
rifc^en ?lbenb in bet Räpe beS PüffetS gefepen unb oerfäumte mebet 
baS Stettiner Xaufeffen ber „^eutfcplanb" noep bie ©aoiarprobe im 
?lguarium. ?lucp bem geftbiner, momit ber ReicpStag ÄaifetS ©eburtS* 
tag feierte, mopnte er ftanbpaft bis jur Seerung ber grueptfepate bei. 
Seine graction patte fiep in früheren gapren Oon bergteiepen Pcran= 
ftaltungen fern gepalten. Sie oerleugnete niept Oödig bie ©trangen* 
fepaften Oon 1848, unb aufeerbem mar bamalS Rubolf Rloffe noep ntept 
erflärt fönigSfreunblid). Seitbem patten fiep inbefe bie tln^eicpen bafür 
oermeprt, bafe langfam jmar, boep fieper eine entfepieben freifmnige ?lera 
peraufjog. Unb peute, mo fämmtlicpe RÜtglieber ber graction — ein 
fonft nie eintretenber gad — um ben £ifcp beS £>aufeS Oerfammelt 
maren, lopte gerabe auS iprer R?itte ber pedfte ©ntpuftaSmuS, bie reinfte 
Siebe für baS gefrönte ©eburtStagSfinb empor. Sie angenepm jepaart* 
eS fiep bei SpitftableS, .^ängurufcpmanj=Suppe, gafan unb south down 
um eine geiftige Stanbarte! ?US ©raf Padeftrem oon ber großen 
gnbioibualität unb ben großen gntentionen beS perrlicpen ^aiferS 
fpraep, baoor ade Seit in Pemunberung oetfunfen ftänbe, fupren 
bie XemperamentOoden unter ben Radiirten jauep^enb oon ipren Sifcen 
auf. Unb fie maren 9ldc temperamentOod. 3lm lebpafteften geberbete 
fiep ber Slbgeorbnetc für SacfermannSau, ber jept fogar, in lopaler ©r= 
innerung an bie ©nglanbfaprt, mit Pergnügen einen Peitrag für bie 
Hinterbliebenen ber am Spionfop gefadenen Xommp HtfinS gejeiepnet 
pätte. — 

Sein Radbbar jur Sinfen fließ fröplicp mit ipm an. „Selcp’ er^ 
pebenbe Stunbe!" fagte er. ,,©S ift bie glängenbfie unb anregenbfte, 
bie tep je im Reichstage erlebt pabe." ^5)a ber H^rr noep nie Oorper eine 
gange Stunbe lang im ReicpStag gefepen morben mar, liefe fiep über 
feine Pepauptung niept ftreiten. „Sie eine Offenbarung mirft biefer 
Slbenb auf miep. Sie miffen, i<p bin etmaS nationalfocial angepauept. 
($>er Pertreter Oon SacferntannSait mufete baS niept: er erinnerte fiep 
fogar fepr beutlicp, bafe ber Sprecper früper bringenb oerbäeptig gemefen 
mar, bem Punbe ber Sanbmtrtpe nape ju fiepen. ÄtferbingS patte feep 1 
ber Punb feitbem manepe bebeutfame ©unft Oerfeperjt; Oiele feiner greunbe 
maren gemaferegelt, anbere fogar oom H^flager Oerbannt morben, meil 
fie adju ernftpaft an ber auep oom ReicpStagSpräfibenten ©raf Padeftrem 
mit Recpt üerläfterten conftitutioneden 5)octrin feftpielten.) „Sie miffen," 
fupr ber Rationalfociale fort, „bafe icp miep meiner neuen unoerbrücp? 
liepen lieberjeugung erft oon ber Stunbe an erfreue, mo Se. Rtojeftät 
ben Stumm’fcpen Stanbpuntt aufgaben unb bie Rationalfocialen ftdp 
gpnen näperten, inbem fie burep Pfarrer ^öpfcpfe'S Rlunb ben Slnfcplnfe 
an ben Pauernoerein Rorboft empfaplen." 

®er SacfermannSauer patte oon biefer piftorifepen 5:patfacpe feine 
Slpnung, pielt eS aber für geboten, mleberpolt mit bem J^opfe $u niefen. 

„SaSj^og miep fo übermächtig $u ber lleinen ©ruppe pin?" fragte 
ber Slnbere unb fap ben Racpbar perauSforbemb an, ber oerlegen fein 
©laS leerte, meil er abfolut unfäpig mar, eine paffenbe Slntmort gu geben. 
„Run, maS fonft als bie Siebe jur glotte! H c «te ift eS ja fepr 
leiept unb einfach, ben R?arine = 9lmant ju fpielen, peute ift bie Sacpe 
fojufagen Sertpeim=Rlobe, Ramfcpartifel. Slber icp Oerfcpmäpe eS, mit 
ber Rtaffe ju gepen. Unb eben barurn fcplofe iep miep ber fleinen ©ruppe 
an, bie feit fecpS gapren ben glottengebanfen förbert. ©lauben Sie 
mir, ipr gepört bie 8 ll hmft!" 

„Sofern fte eine gufion mit ber greifinnigen Pereinigung eim 
gept, aderbingS", glaubte ber SacferntannSauer bemerfen $u joden. 

„Sepen Sie fiep nur an ber $afet um!" fupr ber glottenfreunb 
mit erhobener Stimme fort. „Sopiit Sie bltcfen, lauter Anhänger ber 
ScpiffSoerboppelung. ©inige Jägern unb fepmanfen noch, aber mirflicpc, 


* 


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78 


Die Gegenwart. 




Nr. 


5. 


entfdßoffene Siberfadjer finben ©ie feine. 3<b wifl mid) nid)t als 
Prophet auffpielen, aber baS glauben ©ie mir: ber SReidjStag ber 3^= 
funft wirb aufammengefe|)t (ein wie biefe geftgefeßfdjaft. ©agen ©ie 
mir, waS fällt 3^nen bot Ment an ihr auf?" 

$)em Snterbeütrten würben’? biefe Derawicften gragen nach bem 
iiebenten Glafe ©ect ganj unfagbar Iäftig. 2>od) jmang er fid) ju einem 
Säbeln, ba er feinen *Rad)bar für einen fommenben Wann ju galten 
begann, für einen jener $aljlreid)en ©treber, bie ber SReidjStag nach 
Mfidjt beS Grafen SBaßeftrem auSftrecft, um bie füfjn etnporragenbe 
©pifce beS SDaiferthumS ju ftüfcen. „Gigentlidj nichts!" 

„0! ©enterten ©ie nid)t, bafe fein ©ocialbemofrat unter unS 
weilt?" 

„Mer baS ift bod) jelbfiDerftänblidj!" 

„©elbftDerftänblicf)? Weinen ©ie? 3<h fann 3huen n Ur fagcn, 
mit biefer Mfdjauung fteT^en ©ie fogar in Sb^er gractioti, bie getuig 
aufrechte Wänner unb gerabe dürfen in Süße birgt, feljr berelnjelt ba." 

$>er SacfermannSauer erfdjraf. Unb ber ljevbe $)eup & Gelber^ 
mann fdjmecfte ihm plö^lic^ wiberlich füfe. 

„©e. Wajeftät finb ber ©ocialbemofratie weit entgegen gefontmen, 
inbent fie fie eine Dorübergebenbe Grfd)einung ju nennen geruhten, bie ftd) 
auStoben mürbe, SRidjt immer batten ©e. Wajeftät biefe milbe unb Der= 
(ähnliche Mffaffung. Renten ©ie an baS Sort Don ber (Rotte Wenfdjen, 
bie nicht mertb feien, ben beutfdjen tarnen ju tragen; an bie (Rebe, bie 
ber Monarch juft Dor 3ab r ^frift auf bem ©ranbenburgifdjen (ßroDin= i 
giallanbtage hielt unb worin er baDon fprad), auf bie^^b^ erc S u gehen, 
bie bie Sudeln ber (Retd)Setd)e benagen, unb fte auSjurotten. ©3 ift 
unDev^eiblicb, bafe bie ©ocialbemofratie fo wenig biplomatifcheS Gefdptf 
befifct unb fid) bie Sanblung in ben faiferlichen Mfd)auungen nidjt 
ju 9hifte macht, ©eien ©ie überzeugt, wenn beute wenigfienS ein 
$aar Don ben Seuten hier angetreten wären, um fo ben guten Sißen 
ber Partei au bezeugen, ober wenn fie jept Wann für Wann bie neue 
glatte bewifligten — wir Wobernen hätten Oberwaffer, unb eS gelänge 
un8, bie conferDatiD=agrarifd)e (Reaction unb (Rebeflion enbgiltig §u er= 
würgen. Met leiber — bie ©ebel unb Genofjen haben nichts gelernt 
unb nichts Dergeffen." 

,,©ie werbenJbaS Sort Don ber Dorübergeljenben Grfd)einung felbft 
für eine Dorübergebenbe Grfdjeinung halten." 

3>er fommenbe Wann lehnte ftd) behaglich weit in feinen ©tul)l au* 
rücf unb liefe bie ©liefe über bie glänaenbe ©erfammlung fdjweifen. „Sieber 
greunb — barauf fommt hoch im Grunbe wenig an. Genug, heute 
bietet ftd) unS eine unerhört günftige Gelegenheit, ben ftatfer au bem 
©djritte au Deraitlaffeu, ber nötljig ift, ber fornmen mufe, ben er auch 
felber thun wiß unb Don bem er bisher eigentlich nur nod) auS Pietät 
abgefebetv hat. ?ld), hätten wir mehr (ßolitifer Don ber Mt unfereS 
Derehrten (ßräfibenten, Seute, bie ihre mobernen Mfchauungen bem ftaifer 
munbgeredjt au machen Derftehen, beren UeberrebungSfunft 3abot unb 
GScarptnS trägt! Manches läge anberS! GS ift hoch flar, wie bie 3)inge fid) 
einmal entwicfelt haben, geht eS mit ber Herrfdjaft beS geubaltStnuS unb 
ber ©eraärtelung beS ftgrarierthumS nid)t lange mehr weiter. Sir müffen 
ben Uebcrgang auin 3ubuftrieftaate, ber thatfäd)lid) längft eingetreten ift, 
auch afficiefl Doßaiehen. $)ie faiferlidje (ßolitif fteuert bahin. Glauben 
©ie benn, gürft Hohenlohe habe auf bem Geographentage auS eigenem 
Antrieb baS Sort gejprodjen, bafe bie ©ünbifefeen unb ihre £>ülfStruppen 
fo übel Dernterft haben? Glauben ©ie benn, bie ftolaen faiferlichen 
träume Dom Gröfeeren 5)eutfd)lanb unb beutfehev Seltpolitif wären er= 
füflbar, wenn unfer Gjport ftd) auf SBrufeu, Gidjorie unb^artoffeU 
fdptapS befchränfte? GS giebt in $>eutfchlanb feinen wärmeren, iiberaeugs 
teren Anhänger beS GebanfenS, bafe wir mit allen Mitteln ben Söeltmarft 
erobern müffen, als Wilhelm II. Sängft fdjou hat er mit fteigenbem 
llnmiflen ben aähen unb trofcigen'Siberftanb Dernterft, ben bie länb= 
liehen Vertreter ihm ttnb feilten 3bealett entgegenfteßen. f doppelt rei^t 
feinen geredjtcn Qoru ihre cigenfiuitige Cppofition gegen ben granbiofen 
Sanalplan; unb bafe fie nur lau unb halben &craen3 für bie fylotte 


finb, ift tlpn ebenfaßS nicht entgangen. 3)ie inneren Sewcggriinbe, Don 
benen bie Herren fid) leiten laffen, fennt er baau recht gut, unb biefe 
$enntnife ift ihm ein noch fcfeärferer ©tachel in bie ©eele. Gtnmal roitt 
man bie gortfefcung ber beutfehen ©eltpolitif, bie bod) 3BilheImII. 
fo fraftDoß inaugurirt hat, unmöglich machen, unb aufeerbem ber firone 
feine Wacht 2Beld)e Don beiben Söeleibigungen wirb ben Äaifer 

wohl tiefer fränfen?" 

„^IßerbingS," antwortete ber SBacferntannSauer auf biefe neue 
rhetorifche 3rage. 

„Unb nun bebenfen ©ie gefäßigft, waS für ein Mblicf ftd) tnt 
Gegenfap a u ber nebelgrauen oftelbifchen Sanbfchaft bem Wonarchett 
bietet, wenn er auf bie ladjenben Gefilbc beS neuen SiberaliSmuS 
fchaut, ber 1 um ber |>errfchaft SBißen mit ßunftljanb fünf gerabe fetn 
läfet unb echt bafleftrentifch auf aße conftüutioneßen Sa^en Deraichtet. 
SBeltpolitif — hurrah’. 2)ie glottenDergröfeerung — hurrah! Groberung 
beS SSeltmarfteS — btyb htpp hurrah! Unb nun gar ber Wittellanb= 
canal! $aben wir ihm a n Siebe nicht ben lebten fReft unferer alt= 
liberalen Geftnnungen abgeftreift, Seftrafung unb ^)ienftentlaffung ber 
Beamten oerlangt, bie pfiichtgemäfe — ©ie Derftehen mid) recht, nach 
ihrer Ueberaeugung pflid)tgemäfe — gegen ihn ftimmten? ^Ktben wir 
nicht bie Regierung StbenbS unb WorgenS aum SSerfaffungSbruche gehest, 
wir, bie Siberalen? Wit Seib unb ©eele ftehen wtr aum neuen Surfe, 
ftüfcen ihn burch unfere treffe, leiften ihm jeben grohiu unb ©daoen^ 
bienft, ben er begehrt. 5öemt ber Wonard) tro^bem noch nicht unfere 
geiftige ©tanbarte aufgepflanat unb fid) an unfere ©ptfce gefteßt hat, fo 
liegt baS aßeitt an unferer ©chwerfäfligfeit. Sir finb nicht im ©taube, 
ihm bie Derläfeliche Wehrheit au bieten, bereu er Durchaus bebarf, wenn 
ber Srelbaug gegen ben rüdftänbigen SlgrarconferDatiSmuS erbarmungslos 
unb erfolgretdrauSgefocfeten werben fofl. Sir hungern nad) ber politifchen 
Wad)t, wir mobernen Siberalen; wir haben ein Wecfet auf fie, benn wir 
finb bie wirthfchaftlid) Ueberlegenen. Unb hoch aerfefeeßt ?lüeS an unferer 
politifchen ©chwädie." 

^em Vertreter für SadermannSau imponirte fein ^adhbar immer 
unjäglid)er. Gr bot ihm eine Don ben Gigarren an, bie er bem Soljl- 
woßen beS üppigften 9iaud)er3 ber graction Derbanfte. 

,,3d) begreife," fagte er. „‘DaS §inbernife ift bie ©ocialbemofratie." 

„SaS ben Ganal anbclattgt, fo hat fie ja waefer für unS gewirft, 
eine wißfommene 5>ülfStruppe, unb unS oben mehr Mfefjen Derfchafft, 
als wir auS Gigenem je hätten erringen fönnen. Mer bie glotte! 
Unb biefe intranfigente Haltung in ber gönn, währenb fie in ber ©ad)e f 
in bem Sunfch, bie Oftelbier au aerfchmettern, bod) mit unS einoerftanben 
ift unb fein mufe! Neulich, als ber ^räftbent bie ^rauerfunbe Dom 
Ableben ber $aiferin-Wutter mittheilte, machten fie einen erften Sscrfuri), 
fid) artig au betragen, unb er fab recht bübfd) auS. Mer Don HaifetS 
Geburtstagsfeier gefliffentlid) fern a u bleiben... ©djabe, eS a^tftört 
wieber blütbenaarte Hoffnungen unb Gntwürfe. GS hätte oben eine 
noch friebfertigere ©timmung berDorgerufen unb unS ^erfpectioen er= 
fchloffeit . . . ^erfpectioen —" 

„Wir fcheint bod) — Wajeftät unb ©ie felbft, uerehrter 
Goüegc, .untcrfchä^en bie tumultarifdje Unbänbigfeit unb Gefährlich^ 
ber ©ocialbemofratie!" 

•3)er ?lnbere lächelte fehr überlegen. „Wit ©peef fängt mau Wäufe. 
^er Slanonenheine aum ^eifpiel, glauben ©ie benn nicht, bafe ber Saft 
hätte, ben beutfehen Wißeranb au mimen? Nachher a^h* man ^ öl,n 
anbere ©aiteit auf." Gr griitfte förmlich Dor greubc. „Glauben Sie 
mir, eS banbeit fid) hier thatfächltch nur um eine Dorübergebenbe Gr* 
fcheinung. Nichts ift nadiher evforberlid) als bie eijerne gauft. Wit 
©corpionen, nicht mit ^Ruthen mufe ber Umftura geaüdjtigt werben. 
3ch fepe ben gaß, wir gewönnen bie ©ocialbemofratie als 93unbe& 
genoffen für beit fantpf auf'S Weffer, beit wir mit bem ^Igrariertfjnm 
au befielen haben; ich fefee ben gaß, wir aerftörten mit ihrer Hülfe 
ein für alle Wal bie politifdje Wad); OftelbicuS unb fänten an f $ 
9iuber, ohne nod) einen 9iütffd)lag befürchten au utüffen',; fo bafe 


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Nr. 5. 


(ftcgritnuirt. 


79 


bann als geinb beS neuliberalen ©ebanfeuS, bei* börfencapitaliftifcfeen 
2Birtbfd)aft$orbnung, nur unfere SSerbünbcte von geftern, bie SociaU 
bemofratie, bie 2(rbeiterclaffe übrig bliebe. 3a, trauen Sie benn 
liberalen Staatsmännern nicf)t ben 93?utfe ju, 3 u ä)t6auSgefepe §u geben 
unb 3 uc Wäujer bis jum 9?anbe ju füllen mit miberfeaarigen perlen, 
bie burcf) ben ©eroerffdjaftSrummel unb burcf) Streifs unfere blüfeenbe 
5luSfubr=3nbuftrie geführten? 28 ir mürben ben Profit nid)t antaften, 
unfere gonbSbörfe nicht tagtäglich beunruhigen unb flau machen taffen 
burch eine jügellofe, begehrliche Proletarier* 23eroegung. 28ir mürben 
bie Staatsmänner fteßen, bie eS heute nicht giebt, roeil unter ben 23?t* 
niftern ber alten Schule noch immer bie Sentimentalität gvaffirt, meil 
man hier noch immer im Arbeiter ben Stammes* unb PolfSgenoffen ehrt. 
9?un, baS hüben mir 93?obenten Gottlob nicht nötljtg." 

„3*pt oerftehe ich," meinte ber Störer unb neigte ftd) bemnnbernb. 

Caliban. 


Dramatische ättpljriiit&en. 

„TaS ^Bärenfell". Sdjroanf von ©uftav $abelburg. (Ägl. Schaum 
jpielljauS.) — „Saftnacht." Scfeaufpiel von 9?id)avb 3affe. (ßeffing* 
Tljeater.) — „Ter golben e $ä f ig". Scfeaufptel von gel iy ph11ippi. 

(^Berliner Theater.) 

©ine Von 9?arrenljänben befdjmiertc ©ppSbüfte, einige ©igarren* 
fiften unb ©ognacflafcfeen, ein Paar alte Stiefel, eine Pagobe, etliche 
leicht umjumerfenbe Stühle, ferner ein Koffer, halfen unb Uhren — 
baS ftnb, menn ich eS reept im ©ebäcfetitife behalten habe, bie ©egen* 
ftänbe, morauS £>err töabclburg feinen neueften uralten Sd)maitf 
Zufammengcfept hat. ©ppsbüfte, ©igarrenfiften, ©ognacflafchen, alte 
Stiefel, Stühle, 23alfen, Uhren, Pagobe unb Koffer — baviu beftefet 
ber 28ip unb bie bramatifche .^anblung eines TicfetermerfeS, bem Von 
ber 3ntenbanft ber hiefigen föniglichen Schaufpiele bie ehrenvolle 9luf* 
gäbe juertheilt morben ift, bie mahrfcheinlid) ftattlidje 9?eifee ihrer 
literarifchen Seiftungen int ^manjigften Sahrljunbert ju eröffnen, .frerr 
tfobelburg bebeutet ohne £)crrn Plumentljal foviel mie .£>err 23lumen* 
tljal ohne .fperrn ftabelburg, nämlich nidjtS. 3a ihrem gaöe ergiebt 
fid) erft auS ber 2lbbition ^meier Nullen eine ©inS. 

CSfar Sölumenthal mag meiblidi gelacht haben, als er von bem 
Schmant feines greunbeS ßunbe erhielt. 21 ufeer ihm aber rvirb „TaS 
Bärenfell" 9?iemanb in bie je angenehme ©etnüthSberoegnng verfemen, 
.perrn $abel6urg fiel eines TagcS, mie gcmöhnlich, nichts ein, unb 
pleid) fchricb er brei Stete um bie fehlenbc Sbee herum. Ter üblirije 
©rbonfel geht fterbefraut itad) bem Siiben, unb bie ©rben niften ftd) 
fofort in feine leerftehenbe 23illa ein, mo fie, bie angeblich gebilbetcu 
93?enjd)en, mie bie £>unnen häufen. Selbftvcrftänblid) fehrt ber Cnfel 
öollftänbig gettefen jurüd, hält bem befdjämten ©rb*Pöbel eilte berbe 
Paufe unb beivathet icfeliefelid) eine rüftige 28ittib, um jo alle ihre Hoff¬ 
nungen zu SBaffer ju machen. 23?an foü baS gell beS 23ären itid)t 
eher thcilen, alS bis er erlegt ift. Schabe, bafe einem ber feübfcfee gibel* 
Sinnfhruch burch ^abelburg'S brei Siete fo völlig verefelt mirb. Unb 
fefeabe, bafe btefelbe SBitfene, auf bie bod) einmal Sd)ifler 7 S 2Bort von ber 
moralifchen Slnftalt zutraf, jept ihren 23eruf bahin aufjafet, $abel* 
burgtfehe 23?oral ju lehren. 

2$on bem Tirector beS 23?i'mchner SchaufpielfeaufeS verlangten bie 
geriebenen 28eifeen Üföfelseichter 12,000 23?arf Honorar für bie bisher 
allenthalben burdigefallcne govtfepung beS ©iefeefe Schmarrn, unb als 
ber arme 23?ann fid) gegen bieje bveifte gorberung mit ber befd)eibenen 
23egrünbung mehttc, er fönne hoch fogar feinem anfpvud)Slofen Publi* 
cum baS Stücf nicht öfter als vier bis fünf 2J?a( vorjpielett, ba ant= 
roortete mau ihm: „Tann gtvingen Sie baS Publicum, iitbent Sie 
baS Stücf ohne Unterbrechung gtuei 2)?onate lang auf bem SKepertoir 
laffen. ©in Theaterbirector muß eben verftchen, fo ein Stücf in 
Sdjroung ju bringen." 3ebcS 28ort DSfar ^lumenthal, mie er leibt 
unb lebt. Seine 23erlincr $unft=Sd)menime, über bereu angeblichen 
Setter er unbarmherzig bic fßaragraphen=5)ieitjche fchmingt, arbeitet lange 
fd)on nach bem preiSmerthen principe, unb cS ift fein gutes 2?ed)t, fein 
eignes Skater ju verfchanbcln. 5)afi es aber nötljig ift, baneben itod) eine 
jmeite berliner ©iihne in ben 5)ienft ber rührigen girnta zu ftellcn unb 
iht baburdj bie ^üptruitg ber Provinz noch mehr zu erleichtern, baS 
barf biEtg bcztoeifelt merben. 23efonbcrS, meint biefe zmeite 23ühne von 
bem preufjifchen Könige fubventionirt mirb unb fid) feines föniglichen 
2?amenS bebient. ©S ift zu puffen, baft ber 23?onard) zum alten ^)of)en= 
Zollem’fchen trüefftoefe greift, fobalb er einmal bie 3eit finbet, fid) ben 
Scfjanbflecf näher anzttfehen, momit bie ^lumenthal=5?abclburg 7 jchc .J)alb= 
toelh3)?ufe baS ehrmürbige öauS am ÖJenSbarnteitmarft befchmupt hat. 

3u ben unvorftchtigen 5)id)tern, bie aüer 23arnungcit unerad)tet ihre 
J^aterftücfc nod) in bie 23lumentl)nlia tragen,igehöven bie Herren 3 a ffo 


unb 2?ubolf Strap, — ober eigentlich nur ber 2$erfaffer beS graulichen 
Signoreöi=23ilbeS, benn ber fehr begabte ^eibelberger Schriftfteller Strap 
hat zu biefer §>albbid)tercompagnie bloft feinen alten Seihbibliothefen* 
rontan „2(rnte Xfjea!" als Vorlage geliefert. 3aff^ bramatifirt ihn fo 
grünblid), bafe er nicht mir ein zmetactigeS Sdjaufpiel barauS fchneibert, 
fonbern auch nod) ein Sßorfpiei „5)cr SluBenfetter", ben bie -Theaters 
cenfur fnapp vor ber Slufführung verbot.. 5)aS übrige Stücf hätte fie 
aud) gleich behalten Tonnen, benn bie 23üf)nenbefanntfchaft lohnt fid) 
nicht. 2BaS in 2$racco’S „Pietro ©arufo", ben 3 QCC °ut nach ®etlin 
brachte, in einem fchlagfräftigen einen Siet abgehanbelt mirb: ein öer* 
lumpter SSater crjd)ieRt fid), um bem ©lücfe feiner Xodjter nicht im 
28ege zu flehen, — bazu brauchen SBlumenthal'S dichter einen längs 
mierigeu Vornan unb einen ebettfolchen Xheaterabenb. 53a& ber noble 
23räutigam, ber ben compromittirlichen Schmiegervater faltlächelnb in 
ben Xob treibt, ein ©fei ift, ber eher felbft eine $ugel verbient, als bie 
£>anb ber lieblichen Sfiea, bic mit ihm gemi& ungeheuer gliicflich mirb, 
baS fann nur ber OkfühlSrohheit fühl rechnenber fiiteraturfpeculanten 
entgehen. 55ie vielleicht beabsichtigte Satire auf bie vornehme 28elt unb 
ihre anrüchige SpieU unb Sponfehrfeite — ber $apa mar früher Slgent 
eines 28ettbureauS —, bie pifante 23?ilieufd)ilberung unb baS ©hatafter* 
ftücf gehen in einem 23rei von Führung unb falfd)er Seitfation unter. 
5)ie Slufführung mar fd)on bösartig. IBefonberS ber bemährte Sonntag* 
nad)mittagSprebiger mit ben Jhinftpaufen, £>err Slbolf $lein, jammerte 
unb grimafftrte, bafe eS einen Stein ermetchen fonnte, liefe aber hoch 
fogar baS SonntagSpublicum falt. ^ropbem conftatiren 23lumenthal T S 
23?itverfd)morene im berliner Tageblatt einen „ehrlichen" ©rfolg. 5)iefe 
©hrlidjfeit mirb, bis biefe geilen erfd)einen, mohl auch fdjon am längften 
gelebt haben. 

2lud) beim berliner Theater hat man, fauftifch gefprochen, baS 
23?ifebehagen beS QJefühlö. 2?temanb metfe, mer boil Äod), mer Redner 
ift, unb bei ment ftd) bie Äritif über bie bramatifepen 23ettelfuppen zu 
befchmeren hat. bie bort zu haben finb. 5)irector $rafd) ift gegangen 
morben, unb s £aul Sittbau, ber mit viel febönen 9?eben unter bem bei* 
fälligen 9?aufd)en beS iölättermalbeS baS Scepter ergriff, ift aud) heute 
nod) nicht iirector. pfeifen eS hoch bie Spapen von allen Fächern, 
bafe ihm bie fittenftrenge s $vlizei bie ©oitceffion nod) immer vermeigert. 
5)ie Theaterzettel verfchmetgen barttm aud) ben 9?amen beS SeiterS, unb 
nur verjepämt erfd)eiitt er zumeilen hinter ber 9?otiz: in Scene gefe&t 
von . . ., zumeift bei 21ovfteQungen, beren ftch baS 23erlincr Theater nicht 
Zu berühnten braud)t. So bei gulba=23?olifcre , S Tartüff, bem ^peine* 
unb bem 3ahrhunbert = &eftfpiel, — alles Snfcenirungen, bie uitS be= 
meifen, bafe Sittbait boep nicht lauge genug bie fünftlerifche Suft 
23?ciningeuS gcathmet unb zu lange in $ö'pfd)enbroba geroeilt hat. 3*ür 
ben iächfifdien 23?arftflecfen pafet aud) ber ^^tlippUSiberib beffer, als für 
bie 2?eid)Shauptftabt — fo Stücf mie Tarftellung. Ter fingerfertige 
Theatralifcr ift von feiner Vorliebe für bialogifirte Seitartifel unb ßocal* 
nadirid)ten nod) immer nicht curirt, unb nichts bereitet ihm eine größere 
greube, als menn ipm ein naiver 3 u id)auer fagt: „3^h hab 7 erratfeen 
— Sie meinen mit bem 28ohltfeäter ber 23?enfd)heit Scfemeuiitger unb 
fein ftirchfeofabcnteuer!" So feat Philipp! uaefe einanber alle möglidjen 
„hodjaetuellen" Stoffe ber TageSgefd)id)te in „picanter" SSerfcfeleierung 
auf bie 23iifene gebracht, zulept fogar ben ©onflict beS jungen ÄaiferS 
mit bem alten 2M$ntarrf („TaS ©tbc"). TieSntal fructificirt er in feiner 
gefchmadvoflen 21 rt ben internationalen ^pofflatfcfe. ©in in ber feofeen 
unb nicbereit s $olitif bemaitberter 3ufchouer neben unS brummte mäferenb 
ber SSorftetlung bie verfefetebenartigfien Teutungen unb Söfungen Vor 
fich fein: „Kronprinz granz gerbinanb ift gemeint! 9?ein, ^ronprinzefftn 
Stephanie! 9?icbt bod), ber ©oburger in Bulgarien! 3^pt ift eS mieber 
ber $rinz von Rumänien! 21 ba, 3afeanit Ortfe!" $>err ^fetlippt hätte 
an biefent Sport gemife feine greube gefeabt, aber eigentlich beftefet bie 
2lufgabe ciucS TvamatiferS fautit barin. unS tagcSgefd)id)tlid)e 'J?ätfeiel 
aufzugeben. 3 a , menn menigftenS bie gorm litetarijd) märe ober aud) 
nur untcrfealtenb. 2lber baS fchlechte Schaufpielerbeutid) beS &errn 
5pfeilippi fchlägt einem gebilbeten 23?enfd)en auf bic 9?erven, unb fein 
ganzes Stüd ift uninterefjant unb langmeilig. Ta mirb unS bie ©e* 
fd)id)te von bem bemuftten ober unbemufeten beutfcheit Prinzen erzählt, 
ber einen Thron im 23alfan auSfcfelägt unb bem golbenen Ä'äfig beS 
.£>oflebeitS entflieht, meil er eine blonbgefärbte ©oa liebt, bie niefet blofe 
SSorleferiu ber alten Herzogin, fonbern aud) bie Tochter eines alten 
Tcmoftaten ift. Unb ba ber ßiebling aller Tfeeaterfaffirer nur einen 
fogeitaumeit guten 2tu$gang brauchen fann, fo mirb ber fürcfjterlidic 
©onflict im lepten Stete fpielenb einfad) gelöft: ber ergrtmnUe Herzog 
mirb plöplid) fanft unb ebenfo ebelmütfeig, mie alle bie anberen ^erfonen, 
uttb l^rinz 2lvthur befommt feine in ben 2lbel „abgefd)obene" 2?orleferin. 
Unb barum vier lange 2lufzüge mit anfpielungSreicher ßeitarttfelei, auf* 
geregtem 28ortfd)mall unb milben 2lctfchliiffen! 2lber ^Bhilippi ift un* 
beletjrbar, mtb bemnädjft mirb et mofel aud) bie Trei)fuS*2lffaire ober 
ben 23itrgermeifter Stiifdmer auf bie meltbebeutenben 23retter zerren, bie 
ihm fein bis bann hoffentlich concejfionirter greunb gemife abermals 
Zur Verfügung ftetlen mirb. 


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80 


Die ffiegennart 


Nr. 5. 


Jlngcigen. 

Bet BefteQungen berufe man ftrfj auf bte 
„©egenroart“. 

Slfab. geb. Sdjriftftefler, biälj. publinfi. 
(titer. ÄritA) in «erltn tfjätig, energ. geroiffen* 
bofte Slvbeitäfraft, tiorj. @ßrad)lenntniffe (fran= 
jöfijrt), engtifcti), verfette« ®tenograt>5, 
9tof4in<nf4«eibe« (.ftammonb), fudjt unt. 
öcfd). tttfjnr. in tRebaftton, Ibeatcrfefrrtariat, 
Strt.=©u^i)bfg., lltcrar. 3nfttt. 2 c. Stellung. 
Cffert. an b. @n>. b. ©egenroort unt. A. «. 

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nur auf eine erfte $raft refCeftirt. 

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Mansteinstrasse 7, II. 

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A . bau ßombrofo SRefätfcbersri 

i Ütigra Vorbau OHtoier fetten« 

**a*Vt* fofer ©aitsbur^ ©lenfiewica 
. ©tmon ©bencer ©ptetbagen 

feil« 3tit|<»fti. 1 ä MSJfSSS 

Sola u. b. «. 

Steg. geb. 2 SR!. Dom tUrleg ber #**««« teert, 
»erltn W. 57. 

Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift¬ 
stellers sind sn Gunsten der Hinterbliebenen 
folg. Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden¬ 
preises in schönen, geb. Ex. zu verkaufen: 
Brockhaus’ Conversationslexikon. Neueste 
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände 
Halbfranzb. 100 M. — Woichardt: Pompei 
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬ 
gabe 30 M. — Hch. Kurz: Geschichte der 
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. v. 
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild- 
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder- 
bde. 50 M. — Lacroix, Les arte au Moyen- 
Age; Directoire Consulat Empire, 2 Lieb- 
hbde. 30 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬ 
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde. 
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner 
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl. 
Text m. deutsch. Erklärungen v. Delius, 
Hfb. 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel 
(Pfeilstücker) Lwbd. 10 M. — Bestellungen 
pr. Nachnahme durch Vermittlung der 
Expedition der „Gegenwart 4 in 
Berlin W. 57. 

Hitiitikt fludtfolflct. 

SRontatt 

Don 

^eop^iC JioCCittg. 

IW t>olt*au*gabc. 

$rei8 3 War!. 6d)ön gebunbcn 4 War!. 

tiefer 5Bt8marrf = ©abriDt=9ftoman, ber in 
wenigen 3^ren fünf ftarfe Auflagen erlebt, 
erfdjeint f)ier in einer umbie^älfte billigeren 
93ol!$au3gabe. 

5)urcb alle 93ud)bowblungen ober gegen ©in* 
fenbung be3 ©etragS poftfreie gufenbung Dom 

Ueflag der Gegenwart, 

Söerlin W. 57. 


Itrteit 


„Bromwasser von Dr. A. EHenmeyer.“ 

Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitserseheinnngen. 
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ohne Fett zu bilden. Tropon hat daher bei regelmässigem 
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liefern mir bie Jahrgänge 1872—1892 ät 6 SW. (jtatt 18 SW.), Halbjahr«. 
Sänbe ä 3 SW. (ftatt 9 SW.). (Sebnnbene Jahrgänge & 8 SW. 

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3n unfetem Setlag tft erfebtenen: 


fioBnbbrtfi 1h Otrrnfw. Jhmn nflS Woiffl*! Mat 


6r«tttl*$t|tfter 1872 —1896. 

©rftcr hts ffinfjlgfter »anb. 

Wit Nachträgen 1897—99. ©eb- 5 Jf 
©in btbliogtaJ)t)if(öe8 28er! erften 
«Range« über ba« gefammte öffentliche, 
geiftige unb !ünftterifcbe Seben ber lebten 
25 Sabre. NotbtDenbige« Nacbfcblagebucb 
für bie Sefer ber „©eaentoart", fomie 
für nuffenfcbaftlicbe k. Arbeiten. Heber 
10,000 Ertifel, nach gä^ern, Sßerfaffern, 
©cblagtpörtem georbnet. ®te Autoren 
pfeubon^mer unb anonymer ?lrti!el fmb 
burebwea genannt. Unentbebrlicf) für 
jebe SBibliotbef. 

$lud) bireh gegen ^oftanmeifung ober 
9?adjnabme Dom 

Derlag ber (Segettmari. 

«erlitt W 57. 


|las peidinen wach §vp 

nnb 

anbere ^unflfragen. 

Original ^©utaebten Don 2lb. Ttlcnicl, Rein* 
holb »öcfUn, 7L v. tPemer, 

ünauö, Ulibe, Sind, Sd*UUn$, 
Sdiapev, C. v. (Bewarbt, fetter, 
Vefre$$er, Gabt iet HIar, Rfiomö, 
Ciebennann, tPilfi* öufcb, (braf 

Qarracb» Wag ürufe, llntlle, Ceffer- 
üvy, Voepltr, pedti, Cedjier, 

3üget, parlagitb Rtadenfen, Sfarbina, 
Ceiftifow, (Baulfc, pUnte, Stabt 

3frei$ Mefer Drei üüttfirer-?riitii«eni bet 
? ,^egetut»art u 1 50 

3lu(b btrect Don un§ beheben nad) S3rief= 
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■gSerCitt, bett 10 . gfeßruar 1900 . 


29. Jahrgang. 
Band 57. 



(flbmnmxL 




äBot^enfd^rtft für Siterotur, 5hmft unb öffentliches Sehen. 


^eictusgegefiett ton $QeopQtf ^offtag. 


Ideen f onnaBnm rrfc&ttot (tue Jtoramet. 

8u bestehen bur$ alle ©uc§banMuitßett unb $oftömtcr. 


©erlag her ©egentoart ln ©erltn W, 57. 


SlertelfiUtltUi 4 * 50 Df* «tat Hummer 50 #r. 

Snferat* jebet Ärt pxo 3 gehaltene qjetttjetle 80 


©oloniatyolitifdje fragen. ©on @b. 38ted. — @tne Slfabemte für 0ocialroiffenfd)aften. ©on Dr. 2B. ©obe (SBeintar). — 
<jy f> /•# Slteratnr mtft Shtnft $ie ©Ijilofopljte im neunzehnten 3afjrf)unbert. ©on ©buarb bon £artmann. — $)ie Sapantfdje 

I/ltudLl* ^ tcratur - $on ßljr. ©a^prt^. — geutlleton. ©ine ©egegnung. ©on ©bgar Slllan ©oe. Ueberfefet bon Softanna 
& 9 Möllenhoff, (©djlufe.) — ftu£ De* ©auptftabt. 3>er ftarfe §ermel. ©on Caliban. — S)ramattfd)e Aufführungen. — 

Anzeigen. 


Colomalpolitifdje Jragtn. 

SSon <£b. tüiecf. 

Der ^auptgrunb bafür, baß es mit unferen Kolonien 
nid)t recht öorwärtS Wi0, liegt im Ueberflujj ober im ÜRangel 
an Vertrauen am Unrechten Drt. 3 U D > e l Vertrauen geigt 
bie Verwaltung, bie öom grünen Difcf) auS bie fremben ®e* 
biete regieren will unb gwar in ber bei unS beliebten omni* 
potenten militärifch*polizeilich*bureaufratifdjen VSeife. Da 
toerben oft gang junge Veamte unb Officiere hingefd)i<ft, um 
MeS g.u reglementiren, unb wenn bann ber (Größenwahn in 
acuten Dropenfoßer auSartet unb unS gäHe wie Seift, SBelan, 
Urenberg öor aller 33ett bloßftellcn, bann Wunbcrt man fich 
bajj in h°h en unb nieberen ^Regionen. Unb gu wenig Ver* 
trauen hoben Wir wieber, wenn wir unfer ©elb nicht für 
coloniale Aufgaben anlegen, fonbern lieber in ißortugiefen, 
Spanier unb ©riechen fpeculirett. Doch biefe 3urücfhaltung 
unferer ©apitaüften ift nur gu begreiflich- Statt öon ©ng= 
lanb gu lernen, bafj eine $>anbetScolonie unter laufmännifcfje 
Seitung gu ftetlen ift, wirb bei unS ber ^anbelSmann unb 
ber ©olonift öon Einfang an beöormunbet unb chicanirt. 
Ser hübfdje SEBifc eines gu unS reifenben gremben, ber eine 
Dafel mit ber berühmten Stuffchrift: „®S ift öerboten" rc. für 
bie beutfdje ®reng6egei<hnung hält, gilt auch für unfere Solonien. 
3Iuch bort will man trofc aller gehlfdjläge noch immer nicht 
einfehen, baß fich bie ^auptforge ber Verwaltung barauf rieten 
muß, bie 2Röglicf)feit beS ©rWerbeS in jeber 93egte£)ung gu 
förbem, unter Umftänben felbft auf $often ber ^Regelmäßig* 
feit ihres eigenen VetriebeS. @S ift im Slnfang ber ©nt* 
toicfelung einer ©otonie hödjft gleichgtltig, ob einmal ein 
Schiff fich feiner Sabung ohne genaue ©rfüDung aßet §afen* 
regulationen entlebigt, ob ein Slnfieblet Arbeiten auf feinem 
©runbftücfe begonnen hot, ehe fein ©runbbuchblatt Dötlig in 
Crbnung war, ob er bie (Gelegenheit benujgt hot, fich on» 
bietenbe Arbeiter in Dienft gu nehmen, ohne fich öorljer mit 
ben Vefjörben barüber ju oerftänbigen. Drbnung in folchen 
Sötten ift gleichbebeutenb mit gefdjäftli^er Knebelung, Un* 
regelmä|igfeit ein ©pmptom beS pulfirenben SebenS, unb nur 
biefeS bringt ©ntwicfelung. (Srft wenn SBerthe üorhanben 
finb unb beren Sntereffen coHibiren, wirb bie ftrenge Drb= 
tiung jur iRothwenbigfeit, bie ©rfahrung lehrt aber, bafj fie 
bann öon ben (Soloniften ebenfo eifrig öerlangt wirb, wie 
man fie oorher gern umgeht. ift ein öiel richtigeres 93er* 
fahren, cjnc grofec Slnjahl ißflanjer fich anfiebeln ju laffen. 


fpäter ©runbbuchblätter für fie anjutegen, felbft auf bie ©e* 
fahr ht»r anfänglich ein« Ungenauigfeit mit unterlaufen 
laffen ju müffen, als öon öornherein bie peinlidjft genauen 
SBorfchriften für SrWerb öon ©runbbefijj aufjufteHen unb 
mit beren Durchführung 9lnfiebler bis jur ülbfchredung gu 
langweilen. So man mnfj fogar bie fiScalifchen Sntereffen 
hintanfehen, fo lange baburch bie ©rwerbSmögli^leit für 
baS Snbiöibuum erleichtert unb geförbert wirb. Se mehr 
91nficbler im Sanbe finb, befto fräftiger öoUgieht fich f e * ne 
Sntwicfelung, waS in beren ülnfangSftabien bie Verwaltung 
an ©innahmen im Sntereffe ber ©oioniften einbüfjt, trägt 
in lürgefter 3 e ft taufenbfältige fruchte. SRach unferer 9In= 
ficht bürfte bem ©rwerbe öon ©runbbefig gar leinerlei 
©<hwierigleit gemacht werben, fo lange ber ©rwerber bereit 
ift, fich barauf niebergulaffen. IReferöationen öon gtnB 5 
ufern, üRineratien, 2Begcred)ten unb waS betgleidEjen Dinge 
mehr finb, mögen ber Verwaltung gro|e Vortheile fid^ern, 
ftefjen aber in feinem Verhältnis gu bem Vugen, welchen im 
Stnfang ber ©ntwidelung beS SanbeS baS Vorhanbenfein einer 
Regierung ben Stnfieblern gu gewähren im ©tanbe ift, fie 
werben als btücfenbe Saften empfunben unb wirfen hinbernb 
auf bie ©inwanberung. ©elbft bie ©peculation in ©runb 
unb Voben foHte man nicht gang unterbrüefen. Der „nur 
©peculant" läfet fich nicht auf bem Voben nieber, ben er bei 
erfter ©elegenheit wieber loS gu werben Wünfcht, Unterfdjie» 
bungen öon Verfonen finb nicht gu öerljinbern, unb felbft 
wenn einige ©peculation mit unterläuft, fo wirb baburch er * 
reicht, baff ein Snbiöibuum ober mehrere in ber ©olonie Ver* 
bienft finben, baS locft anbere, unb einer mufj bodj fchlicfelich 
auf bem ©runb unb Voben bleiben. Die Wüfte, ungefunbe 
©peculation läfet fich öon öornherein unterbrüefen, felbft ber 
gefunben fann man in fo unentwicfelten Sänbern noch jeben 
91ugenblicf 3ügel anlegen. SRan glaube nur nicht, bafe Durch 
bie ©ntäufeerung größerer Sänbereien an arbeitswillige ißriöate 
bie Regierung fich felbft beraube. ülHeS, waS ihr an Vefi| 
gufteht, fann fie gar nicht loS werben, ben heften Dheil für 
fid) gu behalten unb nur geringere gu üerauSgaben, ift un» 
wirtschaftlich, benn bie SInfiebier, nicht bie ^Regierung, ent* 
nehmen bem Sanbe bie barin liegenben SBerthe, baher öon 
öornherein baS Vefte ben SInfieblern gegeben werben foHte 
unb je mehr, je beffer. ©rwirbt ber ©olonift, fo öermag er 
auch Abgaben gu tragen, bleibt er fern, fo liegt baS befte 
Sanb in ben $>änben ber ^Regierung wcrthioS. 

91ud) ©belinetalle füllten freigegeben werben, ©inb fie 


* 


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82 


Die (hegenwart 


Nr. 6. 


©egierunggmonopot, fo nimmt iRiemanb fid) bic ÜRithe, bar* 
nach ju fudjen, gefunber Sgoigmug, nid)t Altrnigmug bewegt 
annod) bie Welt. Wer ba weift, baft bie Sntbedung Don 
©olb ihm felbft juerft au ®ute fommt, ber fucf)t eg auf, unb 
ber Gewinn, ben bie ^Regierung baburcft perliert, baft fie bie 
erften Slaimg ©riöathänben überläßt, fommt wieber babutcf 
ein, baft eine folcfje Sntbecfung fofort Diele ÜRenfdjen in’g 
Sanb bringt. (Gegebenen galleg ift eg immer noch möglich, 
ben Srwerb fpäter gefunbener, ebelmetaUbaltiger ©teilen burcf) 
©riüate ju berhinbern. 3>n beutfchen Kolonien neigt man au 
einer Sontrole beg ©erfonenftanbeg, bie fo fcfjarf ift, wie in 
ber ^»eimath, unb bei bem fonft Diel ungebundeneren Sebeng* 
gufcf)nitt in xinciDilifirten Sänbetn hart empfunben wirb. Wag 
wirb bamit bejwecft? S»ft ein 9SortE)eil für bie ^Regierung 
bamit Derbunben, bient bie SRaftnahme bem witthfcbaftlicf)en 
Wohlergehen ber Soloniften? Sin Weltreifenber meinte, baft 
er bei feinem ©efudj einer beutfchen Solonie immer ben ©in* 
brucf empfangen habe, er betrete eine im ©elagerunggguftanbe 
befinblidje beutfche ©tabt, nicht aber ein in ben erften An» 
fanggftabien feineg Wachgthumg ftefjenbeg, DöHig unciDili» 
firteg Sanb. ©elbft militärifcfje ©rünbe fönnen nicht bie 
©erantaffung folcher Sontrole fein, benn wer ficf) in ben 
Kolonien bet ©efteüung entaiehen will, Dermag bag trog aller 
polijeilirfjen AnmelbunggDorfdjriften. 

@o urtheilt ber befannte gorfdjunggreifenbe Joachim 
©taf ©feil in feinen hochintereffanten „©tubien unb ©e» 
obachtungen aug ber ©übfee" (©raunfcfjroeig, gricbticf) ©ie= 
weg unb ©ohn). Worin er ung Dort feinem längeren unb fef)r 
gefahroollen Aufenthalt in ©eu-Suinea berichtet. Wir müffen 
eg ung oerfagen, auf feine ©cftilberungen unb wiffenfchaftlich 
werthoollen gorfdjungen hier einaugehen unb motten hier nur 
einige allgemeine Solonialfragen berühren, bie er mit feiner 
gangen Autorität unb mit lobengwertfjem greimutl) behanbelt. 
Auch er ift mit birecten ©teuem nicht einoerftanben, bie im 
Anfanggftabium beg SntmidEelungggangeg einer Kolonie beren 
weiten ©ewoljnern aufertegt werben. „Sine gerechte ©er» 
theilung nach SRaftgabe ber SEragfäljigfett ift faft unmöglich, 
Jpintergiehungen in ben meiften gälten gänglich nncontrolirbar. 
Sine jebe birecte Abgabe wirb aber atg brüdfenbe Ungerecfjtigfeit 
empfunben, wenn bie ^Regierung, bie fie erhebt, nicht in ber 
Sage ift, bie ©egenleiftungen au gewähren, beren SrfüOung 
eigentlich bie ©oraugfefcung ift, auf Welche h* n bie Abgabe 
bewilligt wirb. Wo eine ^Regierung noch nicht bie ÜRadjt 
befiftt, Scben unb Sigenthum au fchüfcen, wo fie uerlefcteg 
9te<htgempfinben nicht herguftellen Dermag, wo fie nicht über 
bie SRittel Derfügt, ihren funbgegebenen Willen burdjauführeu 
unb fich beftwegen oft genöthigt fieht, Wiüengäufterungen a« 
unterlaffen, ba fehlt ihr bag 5Recfjt, Abgaben au forbern afg 
Sntgelt für foldhe Seiftungen. 3)ag empfinbet ber Anfiebler, 
wenn er eg fich auch nicht immer fo flar macht, er wirb 
unaufrieben, feine Unternehmunggluft beeinträchtigt. $)ie 
Solonialüerwaltungen anberer Sänber haben. biefen ©unft 
mit Dollem ©ewufttfein erfafet unb wir finben baher in gana 
jungen Sofonien faum je irgenbwelche birecte ©teuer. Wir 
$)eutfcften brüften ung gern bamit, baft mir eine georbnete 
©edjtfprechung in unferen Solonien eingeführt haben unb 
glauben mit biefer ÜRaftregel fcf)on ein Anrecht auf ©teuer» 
erhebung begrünben au fönnen. Wäre eg möglich, «nab» 
hängige Urteile über unfere ©edjtfprechung in ben Solonien 
au erhalten, fo würben fie nicht immer in ber ÜRote ber ©e= 
friebigung ertönen, nicht weil Streben ober gähigfeit ber be= 
treffenben ^Beamten irgenbwie antaftbar Wäre, fonbern weil 
bie ©echtfpredjung Don Anfchauungen auggefjt, welche auf 
gana anderen ©erhältniffen beruhen atg bie, auf welche fie 
je§t Anwenbung finben fotten." 

©raf ©feil eraählt Derfchiebene gälte, wo $anbelg» 
ftationen in ihrem ©eftehen gefährbet würben, weil fie 
ohne hinreichende Senntniffe ber umliegenben ®egenb er» 
richtet waren. Sift hie ©eDölferung au bünn, ber Don 


ihnen bebaute ©oben ober bewohnte Walb au arm, um in 
hinreidjenber ÜRenge bag gewünfdjte ©roduct a u liefern, 
fo muft ©erlegung ber Station erfolgen. $>ie entftehenbcn 
Soften fchmälern natürlich ben Dom ^mnbelgprobuct abge» 
wotfenen ©ernenn, ©on gana befonberer Wichtigfeit aber ift 
bie ©efolgung feineg ©runbfafceg Don Srfunbung beg Sanbes 
bei Augwahl folcher ©unfte, welche beljörblichen Organen als 
Amtgfift bienen fotlen. 5« ©egenben ohne ©eDölferung fatm 
bag Sanb noch immer burch feine fonftigen Sigenfchaften 
entmidelunggfähig fein, Wo ihm aber bie grudjtbarfeit fehlt. 
Wo beren ÜRangcl nid)t burch anbere fdjwcr in’g ®eroid)t 
fall.enbe ©oraüge erfefct wirb, fann auch bie etwa Dorhanbene 
©eDölferung bie ©egrünbung eineg Amtgfifteg nicht recht» 
fertigen. ®ie Anfteracfjtlaffung beg fRecognogeirunggprincipj 
muft namentlich im Anfänge colonialer Sntwidfelung au gehlem 
©eranlaffung geben, bie fich völlig giffernmäftig augbrüefen 
laffen. iRach Anficht beg ©rafen ©feil Wäre eg ein fparfamd 
unb empfehlengwertheg ©erfahren, in ben Stat eineg Oe» 
bieteg, wie bag ber noch DöOig unerforfdjten ©übfeelanbe 
beutfchen ©efifceg, Wenigfteng für eine IReihe Don Stohren eine 
©umme einauftelten, beren ©etrag hinreicht, eine behörblithe 
©teile au fd)affen, Don welcher aug gemiffe Unterfuchungen 
angefteOt unb beren Srgebniffe feftgehalten werben. Unter» 
nehmern wirthfchaftlicher ©etriebe müßten bie Acten einer 
foldjen ©teile, eDentueü gegen Sntgelt, augänglicf) fein, wo» 
burd) ihnen unter Umftänben grofee fogenannte ©räliminar» 
auggaben erfpart Werben fönnten. gwar finb in jüngftoer» 
floffener 3 e 't mehrere ©orftöfee in bag SSnnere SReu»©uineol 
gemacht unb baburdj höchft werthDoKe »Ehatfadhen a u unfern 
Senntnifj gebracht worben, allein bie angefteKten Unterfu^ungcn 
fotlten billiger Weife nur ber Anfang einer ©eifje ähnlich« 
Unternehmungen fein. ®ie erforberlichen Aufwenbimgen ftnb 
im ©crgleich a u bem ©efammtetat beg ganaen ©ebiete« je 
Dcrfdhwinbenb flein, bafe fie gar nicht in grage fommen fön«. 
jebenfaUg ftehen fie weit hinter ben. ©ummen auröcf„.w4|. 
unwieberbringlich Detloren gehen, wenn Stationen, na#» 
fie SSahre lang in ©etrieb gewefen finb, Dcrlcgt werben ntöffes, 
Weil fich nachträglich heraugftellt, bafj ihnen bie Sebingungat 
au gcbeihlidjer Sntwidfelung fehlen. 

Weniger allgemeinen Anflang bürfte eine anbere Anregung 
©raf ©feii’g finben. Sr Dertangt nämlich für bie beutfchen 
Solonien, mithin auch für lReu»®uinea unb ben ©igmanfarcbipej, 
nicht mef)t unb nicht minber alg eine gorm ber 3tt>anggarieit 
für ben Singeborenen, welche für biefen bie SRothwenbigfeit 
nach fich fich ber Sultur anaubequemen, bem Weiften bie 
ÜRöglicfjfeit gewährt, auch foldje ©ebiete a u feinem WohnftJ 
au Wählen, beren wirthfchaftlidhe Srfdhlieftung ihm nur mit 
ßülfe ber Arbeitgfraft ber Singeborenen möglich ift ® 
ift lebigtidj ^»umanitätgbufel, meint er, baft ein berartiger 
3wang Dom fittlidhen ©tanbpunfte aug Derwerflich fei. _ 3e 
freier ein ÜRenfch, ein ©ol! ift, befto mehr 3 toan 8 gegenüber 
ber im SRenfdjen fteefenben tfjierifchen Triebe liegt bet grei» 
heit a« ©runbe, fo baft man mit Dollem ©echt fagen fann, 
erft auf bem Wege beg 3u»angeg, ber ©eawingung alleg beffen, 
Wag gemeinfchäblich ift gelangt ber ÜRenfch S u wahrer grei» 
heit, aur Sultur. Unferem eigenen Sulturteben fönnen mir 
$unberte Don ©eifpiefen entnehmen bafür, baft 3 w attg nötljig 
ift unb auggeführt wirb um ber Sultur willen. ®er ©djul» 
awang, Smpfawang, bie allgemeine ÜRilitärbienftpflicht, Ucber» 
nähme unbefolbeter Shrcnämter, Sjamengpflicht, ©ienftpffich 1 
im ©eruf, ©teuem jeber -Art unb hunbert anbere 5>ingc finb 
nur fo Diel gotmen, in benen bie Allgemeinheit jebem Sin* 
aelnen Don ung ben 3^ang aufertegt, fich *h r nü|lijh 5 U 
machen, um bafür bie ©ortheile au genieften, welche mit ber 
gufammengehörigfeit unaertrennlich Derfnüpft finb. ®g ift 
mithin nicht inhuman, bie Singeborenen bet Sänber, welche 
unfer Sjpanfiongbebürfnift ung a u eröffnen treibt, gu ben 
Seiftungen für bie Allgemeinheit mit heranaugichen, fo lange 
fie bafür aud) bie ©ortheile ber gugehörigfeit gur Allgemein* 


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Nr. 6. 


Die (Begentoart. 


83 


Beit empfangen, bie innert flugemutßete Setßätigung in einer 
gorm tierlangt wirb, bie ißten gäßigleiten angepaßt ift unb 
festere nießt überfteigt. @3 mürbe im Ecgentßeil eine Un* 
gerecßtigfeit gegen bie einwanbernbe SRaffe, gegen unS felbft 
fein, wollten wir, bem unerbittlichen Sulturgefeß folgenb, bie 
jur Srfcßließung Wilbev Sänber erforberlicße Eulturar6eit 
allein tierrichten, bie Eingeborenen müßig flufcßauen taffen unb. 
bie Errungenfeßaften unfereS SirfenS ihnen in ben ©d)ooß 
werfen, gomler Sujrton’fcße unb fßeabobp’fche Anfcßauungen 
muthen un£ heute weichlich an unb auch Uncle Dom’S £)ütte 
ift unS fein wohnlicher fRaum mehr. SEÖir ftehen heute auf 
bem tiieüeicßt hurten Soben ber Eefeße, welche ben Söllern 
ihre ^Bewegungen tiorfchreiben, wollen jwar Sliemanbem ju 
nahe treten, aber aud) tioHauf baS hüben, was unS nadf 
Maßgabe ber DafeinSWürbigfeit unfereS SolfeS julommt. 
®emjufolge forbert bie tßätige Weiße SRaffe, beren AuS6rei= 
tung über ben Erbball wenigftenS augenblicfticß als 9?oth= 
roenbigleit fidf tioHfließt, baß ber träge garbige mit ihr Ipanb 
in ftanb gehe unb feinen gähigfeiten entfprechenb ficß.be* 
theilige an bem Serie bet ^Urbarmachung ber Erbe, ober 
baß er bie golgen trage, bie fein Siberftanb ober auch fein 
(»affines Verhalten gegenüber ben fidj auSbeßnenben Kräften 
ber fähigeren Weißen SRaffe nach fich fließen muß. ©ie heißen 
für ißn Untergang. Da, wo ber garbige fieß bem Seißen 
anbequemt, wirb fein ungeftörter gortbeftanb gefießert. Die 
geßben ber ©tämme unter einanber hören auf, ber Sanniba* 
liSmuS wirb unmöglich, ber 5D?enfcß nähert fieß bem URenfcßen, 
bie SetiölferungSflaßl hebt fieß gewöhnlich halb. Alles bieS 
finb Sortßeile, bie unS, bie wir fie bringen, jur gorberung 
einer Eegenleiftung berechtigen. Sir tierlangen einen Entgelt 
für ben ßulturfortfcßritt, ben an unferer |)anb, tion biefer 
• qeftüßt, bet Eingeborene machen muß. 3 IDar empfinbet ber 
[ Eingeborene biefen flunäcßft als eine Unbequemlicßfcit, allein 
bie Eultur erfaßt ißn unerbittlich, unb aueß er muß unb 
ntd» eS, wenn aud) erft in fpäteren Eenerationen, als An* 
ndfmlfcßfeit empfinben, mit feinem Eebanfengange in höherem 
Sfibeau fieß ju bewegen, auS ber 5Rad)t urtiölferlicher Un= 
toiffenßeit bem Sicßt ciöilifirter Srfenntniß fieß genähert flu 
hoben. «IS Eulturtioll liegt uns ob, bie Sitiilifation nießt 
allein uns flu bewahren, wohin wir manbern, fonbern auch 
fie folcßen Urtiölfern, mit benen Wir in Serüfjrung lommen, 
mitflutßeilen." Diefe ^3flicBt ßat man jwar biSßer fchoit ftets 
empfunben, allein ißre Erfüllung ift faft auSfcßließlicß auf 
theoretifeßem Sege angeftrebt worben. SRan ßat geglaubt, 
bureß baS «Kittel ber Setehrung unb beS Seifpiels ben wilben 
Söttern ben Seg anweifen ju lönnen, ben ber gefittete 
Kenfcß geßen muß, nnb flu bem 3wecf eifrig unb tiiel SJiiffion 
getrieben. Eraf fßfeit fteßt ber ÜJiiffion als folcher außer* 
orbentlicß woßlwotlenb gegenüber unb erfennt in ißr ein 
ßocßbebeutenbeS «Kittel jur Serbreitung wahrer Eultur. «Dein 
cc hat ju lange ißr Auftreten unter ben tierfeßiebenften Söllern 
beobachten lönnen, um nießt erfannt ju haben, baß auch fie 
in bielen gäden fieß mit Keinen Augenblickserfolgen jufrieben 
Ä'ebt, wo fie unermeßlichen Einfluß auSüben fönnte unb 
fällte, ÜRadj feiner feften «nfießt bleibt bei Sölfern fo 
niebriget Stufe, wie j. S. bie ÜRelanefier, bie Sehre unb baS 
“eifpiet oßne Sirfung. Dem banalen maeßt nur ber fatego* 
cifcße 3mperatito Einbruch ES ift mitßin ticrlorene Siebes* 
wüße, ißm anßaltenb ju prebigen, eS fei „dulce et decorum“, 
Hß flu Reiben, bem SannibafiSmnS jn entfagen, Unterhalt 
tur fid) unb bie ©einen flu tierbienen, ein nüßlicßeS «Kitglieb 
njcnfcßlißen EefeKfcßaft flu fein. „.Reifet eS aber, bu foflft 
Reiben unb bu follft aufßören, beinen SRäcßften als geinb 
nnb als tßeure Delieateffe ju betrachten, unb wenn bu nicht 
Wirb baS für bieß feßr unangenehm, fo maeßt baS 
,°9 ®inbrucß namentlich, Wenn bie ßäßlicßen golgen wirtlich 
einige SRnle eintreten. Die Uebertragung ber Eultur auf 
°en «analen ift für uns eine Sfließt unb intioltiirt baßer 
an unb für fieß feßon bie Ausübung eines 3wangeS, inbem 


wir Seranlaffung werben müffen, baß ber banale fieß einem 
innerlichen UmwanblungS* ober AnpaffungSproceß unterfließt. 
Das hefte «Kittel ßierju ift bie Serpflicßtuitg jur Arbeit. 
3ft bem Eingeborenen erft Har geworben, baß er im Saufe 
beS SaßteS ober bet 3aßre unweigerlich eine beftimmte Seit* 
periobe ber Arbeit im Dienfte beS Seißen wibmen muß, fo 
ergiebt fieß bie Erfüllung anberer an ißn flu ftellenber An« 
forberungen als felbfttierftänblicße Eonfequenfl. Der periobifcß 
arbeitende Banate weiß genau, baß er jur Arbeit nießt nadenb 
lontmen barf, fonbern mit einem ©djurfl ober aueß einer noch 
reichlicheren Drapirung gelleibet fein muß; wenn er weiß, baß 
et feines SRacßbarS ©cßinlen nießt meßr ju effen befommen 
tann, ßört ißn auf barnaeß flu ßungern, unb baß eS noch 
anbere als feine eigenen »erworrenen Segriffe tion Üiecßt unb 
Unrecht giebt, ßört er tion bem ÜRiffiönar, beffen fßrebigt 
fonntäglicß ju befudjen er angeßalten wirb. Sollen Wir unS 
alfo nicht principieQ auf ben ©tanbpunft fteKen, baß bie 
einjigen «Kittel, apatßifcße, finfterfinnige Eingeborene flu citii* 
lifiren, in einer füßließen Stimme, himmelwärts gerichteten 
Slugen unb Siebern aus ber Sfinberßarfe befteßen, fo faffen 
wir ißn Kräftiger an, tieranlaffen ißn, wie wir eS flu tßun 
geflWungen finb, eine «ufgabe im Sehen ju erfüllen, bie gu« 
näcßft barin befteßt, feine pßßfifcße $raft itt ben Dienft 
unferer Eulturarbeit flu fteKen. Die Dßeoretifer, welche eS 
in fuperßumaner Empfinbfamleit für gänfllicß untiercinbar 
mit bem Secßt ber freien ©elbftbeftimmung beS ©fenfeßen 
erachten, freie farbige Söller in irgenb welches gwangS* 
tierßältniß gegenüber ben Seißen flu bringen, mögen boeß 
erft einmal begrünben, warum fie folcßen Snbinibuen gegen* 
über baS für ein Unrecht erflären, waS jebem Eulturmenfchen 
als ganfl felbfttierftänblidicS, berechtigtes «nfinnen gilt, ©ie 
mögen aber aueß Dßatfacßen beobachten unb fieß tion folcßen 
belehren taffen. So wäre bie ßoße Eultur SSaooS oßne baS 
„Eultuurftelfel", wie hätte in ber üRineßaffa baS Eßtiften* 
tßum fo rafeße Scrbrcitung finben lönnen oßne bie Einfüh¬ 
rung irgenb eines ähnlichen, 3wang entßaltenben SßftemS? 
©oll man bie banalen Sölenfcßenfreffer bleiben laffen, nur 
Weil eS in ben «ugen einiger «Kenfcßen für ungerecht gilt, 
fie toor eine SebenSaufgabe flu fteöen unb beren Durchführung 
ju übetwadien?" Son ben tiielen Erünben, womit Eraf ^ßfeil 
bie Einführung ber 3wangSarbeit reeßtfertigt, wollen wir 
nur noch einen anfüßren, ben Dricb ber ©elbfterßaltung. 
Die Weiße Üiaffe folgt in ißrer «uSbreitung über bie Erbe 
einem Eefefc, fie ift mitßin berechtigt unb oerpfließtet, fi^ 
aller «Kittel flu bebienen, beren «nwenbung flur möglicßft 
weitgeßenben Erfüllung beS EcfeßeS beiträgt. 3ft bureß bie 
ißr innewoßnenbe EjpanfionSlraft bie weiße SRaffe einmal in 
bie Eebiete «frilaS unb ber ©übfee geführt Worben, fo muß 
fie aueß bie «Kittel finben, fieß ißren gortbeftanb bafelbft flu 
fidjern. DaS ßlima tierbietet bem Europäer bie lörpertidße 
«rbeit im greien, ber Eingeborene erfeßließt Weber auS eigener 
Snitiatioe bie tiorßanbenen $>ülfSqueQen beS SanbeS, noeß 
will er freiwillig bem Europäer baflu beßülflicß fein, eS flu 
tßun, mit tioHem fRecßt, welcßeS entspringt auS bem ©elbft* 
erßaltungStrieb beS ©tärleren unb Sefferen, ma^t barum 
ber Seiße fieß ben garbigen bienftbar, Seßterer Wirb babureß 
in feiner Seife an feinem Sefiß, feiner Scvfon, feinem ©tamme 
gefäßrbet, Erfterer gewinnt aber bureß beS «nberen Dienfte 
baS «Kittel, feine ißm tiorgefdßriebene Ausbreitung in biefem 
Dßeile ber Seit bureßflufeßen. 

«Kit nießt geringerer Enfcßiebenßeit unb ©acßlenntniß 
fleigt Eraf fßfeil bie Sege jur Einführung ber Arbeitstier* 
pflicßtung. Eine folcße anflubahnen, ift nur möglich au f 
Erunblage ßinreießenber ÜJiacßt, beabfießtigte SRaßnaßmen ge¬ 
gebenen galleS aueß bem Siberftanbe gegenüber burcßjufüßren. 
Die SDfadjt muß in Semegung gefeßt werben Don ben Se* 
ßötben, in beren Ipänben fie rußt, fie muß unterftüßt werben 
bureß bie Anfiebler im Sanbe, beren Sntereffe fie bient. 3n 
welcßer Seife baS gefeßeßen fann, feßt Eraf fßfeil feßr auS* 


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84 


Ute Gegenwart. 


Nr. 0. 


füßrlid) auSeinanber. 9?acß feiner SReinung ließe fiel) bie 
Sluffteßung einet hinreichenden ©jecutiumacßt am (eießteften 
unb bequemften in ber Seife oorneßmen, baß man Don auS* 
WärtS SRefruten für eine ©chußtruppe einfü^rt. Mein er fann 
fich auS mirtfifdfaftlidjen ©rünben mit biefem SSexfaEjren nicht 
einoerftanben crllären, bie entfteßenben Soften mürben ben ©tat 
ber ©cßujjgebiete in einem Umfange belüften, ber ben colonialen 
©egnern ju Diel SlngriffSfläcße böte. ®r fcfjlägt nor, in ber 
©übfee eine größere 3aßl ber IriegStücßtigen ©ingeborenen ber 
©alomonSinfeln burd) Belohnungen ju bemegen, fid) mit ihren 
gamilien bauernb in bem ©ebiete nieberjulaffen, in welchem 
man bie Slnfänge ber ©jecutiDgemalt fich entroideln laffen miß. 
SRatürlicß müßte ber Soßnfiß biefer Seute fo auSgeroäßlt merben, 
baß fie mit ben ©ingebotenen ber Umgebung möglicßft menig 
in Berührung fommen. ©ine folche Slnfiebelung, namentlich 
menn fie mit einigen Borredjten auSgeftattet, bürfte balb an 
Umfang wefentlicß zunehmen unb im Saufe meniger 3aßre 
fdjon eine genügenbe Slnjaßl männlicher Snbioibuen zählen, 
melche, menn fie ein menig gebrillt mären, nad) Maßgabe ber 
Berßältniffe eine refpectable äRacßt barftellen mürben. 2Ran 
hätte mittelft biefer ©iebelung eine ßRilitärcolonie gefeßaffen, 
mie fie an Dielen ©teilen mieberjufinben ift. Scbigticß auf 
bie foldhen Kolonien entftammenben Gruppen gtünben £>errfcßer 
ßalbcioilifirter Böller, mie z- 93. ber Sultan Don SRarocco, 
ihre Derhältnißmäßig anfeßnlicße 3D?ac£jt. Unter richtiger Ber* 
maltung mürben berartige Sftieberlaffungen auch einen hohen 
roirthfchaftlichen Sertß haben, benrt in ihnen märe am aller* 
erften bie SRöglicßleit gegeben, roertfmoHe Eßrobucte burch bie 
©ingeborenen felbft anbauen ju laffen unb fie ihnen gegen 
einen feften SßreiS abzuneßmen, ber ben Eßrobncenten hin* 
reichend lohnte, ber Beßörbe genügenben Berbienft ließe. 

©nblid) fei noch ermähnt, in welcher Seife ©raf fßfeil 
ju ber 2RiffionSfrage ©teHung nimmt. ®a§ Berfaßren, 
farbige erft bem Khriftentßum p geminnen unb fie als 
fertige Kßriften fo ju fagen in Umlauf ju feßen, hot fid) bis» 
her nicht burch befonbere ©rfolge ausgezeichnet, fonbern eher 
baju beigetragen, ben Sertß bet SRiffionStßätigfeit geringer 
erfcheinen zu laffen, als er fein foll unb ift. Sann eS 
nur allein ber fehler ber Slnfiebler fein, menn fie im M* 
emeinen ungern SRiffionSzöglinge in ißren ®ienft nehmen, 
eruhen bie über jene fo oft geführten Stagen megen auf 
geblafenen SefenS, Unmilligfcit zur 21 1 beit, Unzuoerläffigfeit 
lebiglidj auf böSmilligen ®arftellungen feitenS miffionSfeinb» 
liehet Saien? Senn bei berartigen Behauptungen auch hier 
unb ba Uebertreibungen mit untergelaufen fein mögen, fo 
ßerrfdjt bodj nach ®raf ißfeil allgemein bie Slnficßt, baß ber 
„belehrte" ©ingeborene ein Diel unfhmpatßifcheTer ©efelle ift als 
fein in Dödiget Silbniß, fern Don allen BefeßtungSDerfucben 
Derharrenber ©tammeSgenoffe. „©rößtentheilS zieh 1 ber farbige 
auS ben <f>riftlid>en Sehren nur bie üftuganmenbung, melcße 
mit feinen Steigungen hormonirt. ®a eS Dor ©ott leinen 
Unterfcßieb ber ißerfon giebt, glaubt er fich als jebem ©uro* 
päer gleichfteßenb betrachten zu fönnen. ®ie Sehre Don ber 
Vergebung führt er fehr gefchidt in’S gelb gegenüber an* 
gebrohten ©trafen für Slachläffigleit, unb bie ©onntagS* 
ßeiligung lommt ihm feht gelegen, man int fich ja fo (eicht 
in ben (tagen unb hält jeben ber fieben für Sonntag." ©raf 
Bfeil glaubt baher, bie SRiffion mürbe ihren ßrned, bie Be* 
feßrung, Diel fieberet erreichen, menn fie ihr 2lügenmerf mehr 
barauf richten mollte, ben garbigen erft zu einem brauchbaren 
unb nüßlicßen SRenfcßen unb banach erft zu einem ©hriften zu 
erziehen, fo gut unb fcßlecßt er eben ein folget merben lann. 
(Der erftere (tßcil ber 2lufgabe ift leicht, ber zmeite in feltenen 
SluSnaßmcn z» erreichen. ®cr garbige, bet fich freimütig zur 
Arbeit fteHt aus Ueberzeugung, eS fei nüßlid), eine 2lufgabe 
im Scben zu erfüllen, ber ift fießer auch reif, alle Sehren beS 
KßriftentßumS in fich aufzunehmen, liefen ©ebanlen haben 
einige ÜRiffionen bereits erfaßt unb bringen ißn in praftifd)er 
Sßeife zum SluSbrud. Stilen Doran fteßt in biefer £>infid)t 


bie tatholifcße SRiffion in Bagamoßo in Dftafrila. 3®“ 
lehrt auch fie ihre göglinge fingen unb weißt fte in & 
©runbzüge bet cßriftlicßen Sehre ein, allein maS mürbe bei; 
nußen, menn nicht baS Banb gemeinfamer prattifcher Sntn. 
effen ben ßögling an bie SRiffion tnüpfte. ©obalb ber titabt 
fräftig genug ift, ein Sßertzeug führen z« lönnen, mirb er 
einem ^anbwerfet, meift einem Saienbrubcr ber Diiffion, 
überwiefen, ber ihm Unterricht ertheilt. üRit 16—18 Saßrcn 
finb bie jungen Seute bann ganz brauchbare SlrbeitStae, 
bie nidßt allein mit ihrer Sunft ihren SebenSunterßalt ja 
ermerben Derftehen, fonbern auch &i e äußeren gormen dj# 
lichen SebeitS lennen unb beobachten, ginberj fich uma 
ihnen befonberS intelligente Snbibibuen, beren ©emfitß Don 
ben Sßahrheiten ber heiligen Sehre getroffen mirb, unb bo; 
lommt unter ben befähigteren Slegerraffen öfter Dor als unto 
Sanalen, fo merben fie tiefet in bie Sehre eingeführt unb 
ermeifen fich oft als ganz fähig» iu ber ©egenb, in welcher 
fie fich fpäter bei ihrer Berheiratßung nieberlaffen, in djtri:- 
iichem ©inne auf ihre farbigen 9lacßbarn einzumtrlen. 

gut ©chulfrage meint ©raf fßfeif: maS foll bet Unter» 
rieht im Schreiben, Sefen unb fRedjnen, menn jebe SRöglichfci: 
jemaliger SSermenbung biefeS SßiffenS auSgefcßloffen ift? 3ft 
eS Kultur, eine ©aeße zu lönnen, bie abfolut merthloS ift für 
ben, ber fie lann? ©r antroortet, baß eS meifet märe, bie 3«t 
meldße nötßig mar, ben ©chülern fo meitgehenbe ©chullennr» 
niffe beizubringen, barauf zu Dermenben, fie in irgenb einem 
^mnbmerl zu unterrichten. „Sßäre nur ein ®ujjenb 3' mtncr: 
leute, Schuhmacher, ©djmiebe anS ber ©chule herDorgegangei, 
fo hätten fie, auch Wenn ihr Sönnen nur gering gemefen 
märe, fofort Slrbeit unb SSerbienft bei ben Slnfieblern gefunben, 
benen §>anbmerler roittlommen unb nöthige ^>ütfe wären. 
Sie Surfhen, bie ftd) für gelehrt unb ebenfo gut halten, 
wie ber weiße ÜRann, weit fie roiffen, baß eS 3 a h^ cn 
SSuchftaben giebt, miß SRiemanb in feinem ‘Dienft haben, (ic 
finb Doßlommen unbrauchbar. 3 e *9 l biefeS ©erfpifl nicht 
baß ©cßulung ein ©efcßenl Don zweifelhafter ©üte für bie 
©djroarzen ift? 2Ran lann nicht aße Berechtigung bet 
nung abfpredhen, welche bahin geht, baß @d)ulfenntniffe rat 
bort beigebracht merben fofltcn, wo SluSficßt ift, fie einft w 
Werthen zu lönnen. 9hm ift ja ÜRiemanb in ber Sage, hh> 
auSzufagen, mann biefer Slugettblid einmal eintreten wirb, 
eS wäre mithin laum richtig, bie Sinber auf ben 2Ri{fionen 
ohne ©cßultenntniffe aufroachfen zu laffen. ©inb fie bereinf: 
üRänner, fo ift Dießeicht ber ßeitpunft ba, Wo fie ihr ©ft® 
Dermerthen fönnen. 9Ran lann aber auf ber anberen Seite 
roofjl mit einiger Sicherheit behaupten, baß biefer 3**4®^ 
nicht eintreten mirb bei Sehweiten Don Seuten, bie heute im 
SünglingS* ober gar noch Dorgcrüdterem Sitter ftehen. 3Rit- 
hin ift nießt ganz erfitßtlid), z u Welchem 3wede man ÜRenfher 
biefeS SllterS Slenntniffe beibringt, bie fie fich nur ber gönn, 
niemals bem Sefen nach aneignen fönnen unb zu bereu SScr» 
roertßung fie nie gelangen, menn bod) biefelbe Sehrzeit, ta 
§anbmerf gemibmet, einen Kulturmenfchen auS bem Silben 
gemacht hätte. 2Ran mirb bem üerbienftDoflen gorfdjurgi» 
reifenben auch in biefer grage ooßftänbig Siecht geben muffen 
Sögen feine Sinfe unb Siathfcßtäge offene Cßren unb $«5® 
finben! 


Cine fAhabemie für .Sonaltoilfeitfdjafteit. 

®on Dr. JD. Bobe (SBcimar). 

ÜRan weiß, baß Don ben amerifanifchen Sröfuffcn einige 
ißr ©elb auf reeßt noble unb nüßliche Seife auSjugebcn 
Derfteßen; eS geßt nießt SlßeS barauf beim Slnfanf ms 
© eßmiegerföhnen auS ber europäifeßen Slriftolratie, eS werben 
aitcß ungeheure ©ummen zur görberung Don Siffenfcboft, 
Sunft unb BollSrnoßl ßergegeben. ®ie großartigften SBiblio 


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Nr. 6 


Die Gegenwart. 


85 


ttjcfen unb ßefehaßen, bie tljeuerften wiffenf<haftlid)en Unter* 
fuc^ungen, neue £et)rftüt((e, neue Uniüerfttäten, neue Stern« 
märten würben möglich, weit tit biefen reichen Emporfömm* 
fingen ber ©runbfaß „9ieid)thum Derpflichtet" warf) geworben 
ift. Sluch bet unS in deutfd)lanb fehlt eS nid)t an grei» 
gebigfeit, aber Wer in ben gemeinnüßigen Veftrebungeu heimifdj 
ift, mufj immer wieber bettagen, ba§ unfere SJeidjen faft nur 
für bie birecte SE3o^ltt)ätigteit Verftänbnifj ^aben, für 9lBeS, 
roaS fidf als 9lnftalt präfentirt, waS burcf). ein ©ebäube 
fic^tbar unb plaftifch ift. dagegen für alte ber 9toth oor* 
beugenbe Veftrebungen, für baS SBurjelauSgraben, für bie 
Vermehrung ber guten Smponberabilien tjaben fie feinen 
Sinn, gür irgenb ein wotjtt^ätigeö Snftitut ober eine Sirene 
ober ein denfmat täfjt ftdj jiemlich teidjt fo Diel jufammen» 
betteln, wie nötßig ift, braucht man aber ein paar taufenb 
SRatf, bamit ein tüchtiger gacßmann eilte ©tnbie oornehmen 
fann, bie jur görberung beS ©emeinwohlS fe^r wünfdjenS* 
roertf) ift, wo finb ba unfer s Jteichen? 

SBenn über biefen 3uftanb gettagt unb baS amerifanifche 
Vorbitb gerühmt würbe, höbe ich fd)on öfters bie ©efcBfcßaft 
erfreut, inbem ich Don einem deutfeßen erjählte, ber fein ©elb 
fo weife unb anfprudfötoS für baS VolfSwohl oerwerthet wie 
nur irgenb ein Slmerilaner, ber äußere Ehrung niemals begehrt 
unb niemals erfahren hot, ber fef)t große ©ummen ^ingiebt, 
o|ne bie greube an plaftifchem Erfolge ju haben: für nötßige 
Stubien, für nüßlicße Vüdjer, für bie Arbeiten nüßlicßer jßer« 
fßntichfeiten. ES ift ein ©rofjtaufmann in granffurt a. 9J?., 
beffen Rame auch hier nicht genannt fei, ba eS ihm äugen» 
fheinlidj nicht lieb wäre. Er gehört noch nicht ju ben 
fReidjften ber reichen ©tabt, aber er foE eines dageS feiner 
©attin baS gemeittfame Vermögen Ddrgerechnet haben mit ber 
grage: ift baS nun nicht genug? Obwohl eS an Stinbern 
nicht fehtt, fanb auch fie eö auSreidjenb. „SRun, fo foE 
Me$, was noch hinäufoinmt, guten 3toecfen gehören." SBenn 
bie ©efchichte nicht wahr fein foEte, fo ift fie hoch gut er* 
fimben, unb jebenfaES tebt £>err X. baS aufreibenbe ßeben 
eine« ErofjfaufmannS, ber in ber ganzen SBett Sntereffen ju 
überroathen hat, unb fchafft oon früh bis fpät, bafj fein ®e* 
toinn ber ÜBelt nüße. da er fetbft ßeit uitb Ära ft wenig 
übrig hat, hat er eine 9?eifje Don gutgebilbeten VolfSwirtßen 
angefteßt ober er förbert fie unb ihre Arbeiten burdj ©ub= 
Dentionen; ber 2Rittelpunft aEer biefer Arbeiten ift baS „Sn* 
ftitut für ©emeinwohl" in granffurt, an baS fief) mehrere 
Snftitute unb Vereine, jeitweilig auch 3 e itfct)riften unb ütnbereS 
fo anfcßließen, baß fie ihre ßebenSfraft auS bcrfelben CueEe 
begehen. Unb jeßt ift biefeS Snftitut im begriff, bie erfte 
8fabemie für ©oeiatwiffenfehaften in ber ganjen Sßelt ju 
begrünben. Unb waS wir 9lnbern uns in ber Vhantafie ju* 
fnmmenbauen, um eS bann a(S ßuftfdjlojj mit einem Seufzer 
oerwehen ju taffen, wirb bort getingen. 91 uS brei ftarfen 
3«flüffen werben bie SRittel jufammengebracht werben: erftenS 
Dom genannten Snftitut, b. h- Dom ungenannten ©rofjfauf* 
mann; Dortäufig finb 30 000 9Rf. jährlich Derfprochen, hoch 
ift baS nur ber Ülnfang. ßweitenS Don ber ©tabt granf* 
tuet. beren SRagiftrat unb ©tabtoerorbnete fehr gern ©elber 
bewiEigeu, um eine angefefjene Rfabemie ju befommen; brittenS 
Don ben Dielen reichen Vewofjnern unb Vereinen biefer ©tabt, 
bie burct) ih re OpferwiEigfeit, wie burdh ihr frifcheS Ver« 
ftänbnifj für aBe fragen unb Strömungen ber neuen 3 e i* 
fih bieBeicht Dor aEen ©täbten beS Reiches auSjeidjnet. 
SWerbingS wirb bort gegen ben ifStan eine EinWenbung Diet 
erhoben: ba fj man lieber eine ^anbetSafabemie haben WoBe 
mit ber fociaten atS 9lnhang, als umgefehrt wie eS jeßt 
fheine. 91ber ber ©ompromifj jwifchen bem Snftitut für 
©emeinwohl, baS bie ©oeiatwiffenfehaften bertritt, unb ber 
Vürgerfdjaft, bie für bie f)öh eten faufmännifchen SBiffen* 
fhaften mehr Sntereffe hat, wirb leicht ju fchtiefeen fein. 
Ser teitenbe ©enat wirb Don beibett ©eiten ernannt werben 
unb ift jejft fcf)on im Sntftehen begriffen. 


2)ie granffurter ©anbelSafabemie hat für unS weniger 
Söebeutung als bie erfte beutle 9tfabemie für ©ocialwiffen* 
fchaften. gür Wen ift fie beftimmt unb WaS foE ,fie lehren? 
Starüber unterrichtet unS eine ®enffchrift, bie Dr. 9lnbreaS 
SSoigt, ber ©efchäftSführer beS SnftitutS für ©emeinwohl 
üerfafet hat. Seftimmt ift bie neue 9lfabemie nicht wie aBe 
anberen für junge ©tubenten in erfter ßinie, fonbern Diel 
mehr für höhere ©emefter, bie fd)on im ^Berufe ftanben: 
für SSerroaltungSbeamte ber ©täbte, Streife unb 9?egierungcn, 
für Sechster in priDaten ober öffentlichen S)ienften, für Sn* 
buftrieUe, Saufleute, auch 9?i<hter, 9terjte, SSereinSbeamte, 
ißhilantropen, fur$, für aBe diejenigen, bie in roirthfdjaft» 
liehen wie focialpolttifchen 9tngelegeni)eiten eines Weiten ®e= 
fidjtSfreifeS bebürfen. „ ©upptementäre Serngelegenheiten" 
foE nad) 93oigt’S 9luSbrucf bie 9ltabemie bieten. 9ln S9ei* 
jptelen fehen mit noch Mater. Unfere SermaltungSbeamten 
haben entweber juriftifche Gjamina beftanben ober nicht, 
jebenfaES tommen fie in ber ißrafiS an grofee SBiffenS* 
gebiete, Don beiten fie fo gut wie nichts gelernt haben; 
fie foBen ba befdjliefjen unb entfdjeiben, wo fie nur ein 
paar fümmerliche Erfahrungen unb literarifd)e 9teminiScenjen 
haben. 3- baS 9lrmenwefen ift eins ber fchwierigften ©a* 
pitel, unb auf taufenb, bie bariit hrrumpfufdjen, fommen nur 
Wenige, bie eS ftubirt haben, bie fid) nicht blofe auf ihre 
paar Einbrütfe unb ihren gefunben ÜRcnfdhenoerftanb Der» 
taffen. daS SßohnuitgSWefen, baS ©enoffenfehaftswefen, baS 
IBerfidjeruhgSmefen, baS communale ginanjwefen, bie ganje 
©ommunalDerwaltung: aBe ©ebiete, in benen wir eigentlich 
nicht öaien ju ^Regenten haben foBten. gür ©tubenten eignen 
fich biefe gächer wenig, fie haben auch genug mit ber aß* 
gemeinen gadjbilbung ju thun; folche ©pecialfächer treibt 
man am nü$lid)ften bann, wenn man in ber ißrajiS baS 
Sebürfnife baju empfinbet. Sn früheren 3eiten tonnte man 
wohl feine ©tubien mit bem 9lbfchieb Don ber Unioerfität 
für foweit abgefdjloffen halten, baff man nur noch bie neuefte 
Siteratur beS gacheS Derfolgte; jeßt finb neue Sntbedungen, 
neue Probleme, neue ©efe^e, ja neue Sßiffenfdjaften fo fehr 
an ber dageSorbnung, bafe bie geriencurfe unb ©peciatcurfe 
in ber SBtebicin, in ben mobernen Sprachen unb anberen 
gächern bereits entfielen mußten ober halb entfielen werben. 
9(ud) bie Sanbräthe, SBürgermeifter, ©tabträthe werben bann 
unb mann noch einmal mit SBortheil ©tubenten werben. 
Einige Don ihnen werben fidf S. noch faufmännifche Sennt* 
niffe aneignen müffen, benn wie Dr. Sßoigt ganj richtig aus* 
führt, mu& ber moberne 5SerwaltungSmann fehr oft nach 
taufmännifchen ©efichtSpunften unb ©runbfähen hanbetn. 
die wirthfchaftlichen betriebe unferer Kommunen mehren fich 
beftänbig; ju ben ©aSanftalten, EleftricitätSwerfen, SBaffer* 
leitungen, drambat)nen, ©chlachthäufern u. f. W. mu| noth* 
wenbig eine communale 9öoljnungSfürforge, eine ftäbtifche 
Sobenpolitit unb manche anbere fommen. ©8 ift nid)t wün* 
fchenSwerth, baß bie Erfahrungen, bie in folgen Unter* 
nehmungen im Sn* unb 9luSlanbe gemacht würben, ben be* 
treffenben gad)!euten unbefannt bleiben. 

Sn ben mobernen 9liefen*Unternehmungen ber 3nbuftrie 
haben wir Verwaltungen, bie an Umfang unb Vebeutung eS 
mit Dielen communalcn aufnehmen fönnen. 9lber auch fie 
Werben fehr oft Don Seuten geleitet, bie beim beften SBiBen 
gehler machen müffen, weil fie nie auS ihrem fleinen Steife 
focialpolitifcf) h erQ u3famen. Voigt betont mit Siecht, bafj 
man bie 9lrbeiter nicht tennen lerne, wenn man ihnen nur 
immer als Vorgefeßter gegenüber fteße; eS Würbe manchem 
„erfahrenen Vraftifer" nicht f«haben, wenn er bie dinge auch 
einmal Don ber £>ölje beS dfieoretiferS betrachtete. „2Ran«he 
Wohlgemeinte Einrichtung hat ihren 3»ed Derfehlt unb manche 
arbeiterfreunbliche Veftrebung ift ihres Erfolges beraubt 
Worben, weil bie erforberlidje Senntnifj ber 9trbeiteroerhält* 
niffe ihr nicht ju ©runbe lag. 9Rancher Streif ober fonftiger 
Sonflict hätte oermieben unb mancher auSgebrocheue leichter 


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86 


Die töegenwart 


Nr. 6. 


beigelegt werben förmen, Wenn auf Setten ber beseitigten 
Arbeitgeber bie nötpige ftenntniß ber Senfweife unb ©mpfin* 
bungen ber Arbeiter üorpanben wäre. Unb jwar genügt rticfjt 
bie itenntniß ber Arbeiter als ©injelejiftenjen, es muß auep 
ipr collectiueS Renten unb ©mpfinben beriictfic^tigt werben, 
Wie eS in ben Arbeitercoalitionen jum AuSbrud fommt. 
Siefet 3weig ber SiBolfSfunbe wirb am beften oermittelft ber 
©efepiept? & er Arbeiterbewegung beS Sn* unb AuSlanbeS ge* 
leprt werben.“ SSoigt fährt fort: „9hcpt minber muffen biefe 
Senntniffe auep Oon ben Beamten oerlangt werben, bie in 
betriebenen ©igenfepaften mit Arbeitern ju oerfepren gaben. 
. . . Auep manepes feplgreifenbe richterliche Urteil ift lebig* 
lieg auf Unfenntniß ber Arbeiteroerpältniffe jurüdaufüpren. 
ferner würbe, waS auf bem ©ebiete ber communaten Social* 
politif bes SBopnungewefenS, beS ArbeiternacpweifeS, .ber 
Siegelung ber AnfteUungS* unb Sopnoerpältniffe ber ftäbti* 
fegen Arbeiter u. f. w. in einigen ooranfepreitenben Stabt* 
gemeinben gejepepen ift, nie! leichter auch 111 anberen Stad)' 
apmung finben, wenn nicht ben leitenben ^Beamten oielfacp 
noep baS nötige IBerftänbniß für biefe Singe abginge. 9locp 
mepr aber maept fich baS ibebürfniß naep jocialpolitijcp ge* 
bilbeten Beamten in ber Sberwaltung ber länblicpen greife 
geltenb. ... ©S fehlt an pinreicpenb oorgebilbeten ©ewetbe* 
ridjtern, eS fehlt ebenfo an Beamten ber ArbciterocificperungS* 
Anftalten unb SberujSgenofjenjdjafteu, fowie auep nod) an 
©ewerbeaufficptßbcamten mit ber für biefen S3eruf notpwen* 
bigen öolfSwtrtpfcpajtlicgen unb focialpolitifcpen 5$orbilbung." 
Socp wir braunen peute nicht auf ©injelpeiten näper ein* 
augcpcii; wenn erft einmal baS erfte IBorlejungö'SBcrjeüpniß 
oorlicgt, barf man gewiß weitere Sünfcpe äußern. UnS 
fcpcint, baß man an bie focialpolitifcpe AuSbilbung Oon 
Sournaliften unb anberen ißubliciften fdjon fegt mit benfen 
follte, jumal ba bere ©cficptScnge minbcftenS ebenfo gemein* 
fdjäbticp ift Wie bie ber Arbeitgeber, Sanbrätpe unb Bürger* 
meifter. 

IBefonberS erfreulieg ift eS, baß bie neue Afabemie nicht 
Don einem Staate gegrünbet unb unterhalten wirb, fonbern 
in ber fpauptfadje non einem Snftitute, bas bisher auf feine 
politifcpe Partei eingefcpworen war unb gewiß auep in 3 U * 
funft bem Senfen, Sieben unb Schreiben feiner ©elcprten 
feinerlei SDiarfcproute borfdjreiben wirb. Sie Socenten 
werben nicht naep bem jeweiligen SWinifterium ju fragen 
gaben unb auep ber jeweiligen Anfidjt pödjften CrtS über 
bie Socialbcmofratie unb anbete Singe braudjt ipr Vortrag 
niept angepaßt ju werben. ülicnjcplupe Snftituttonen finb 
nie ganj frei; aber eine freiere Socialafabemie, als bie fyranf* 
furter ju werben ocrjpridjt, fönnen wir nicht erwarten. 3p rc 
Urheber oerbienen fiep beit Sanf ber Station. 


Literatur unb £unß. 


Di t ffpilofoppie tm neunzehnten ,3aprpuniiett. 

SBon €&uar& oon ^artmann.*) 

Ueberfcßauen wir bie ©ntwidelung ber ißßilofopßie feit 
Äant, fo geigt fich, baß biefeS legte Saßrßunbert bie alten 
Probleme grünblitger, oollftänbiger, untfaffenber unb auf 
ßößeret Seroußtfeinäftufe burcpgearbeitet pat als irgenb eine 
früpere ©poeße, b. p. bafe fie ber großen ©ntwidlungSfpirale 
einen neuen ßößeren unb weiteren Umlauf pinjugefügt pat. 
Sarüber ßinauS aber pat biefe legte ©poeße einen oöHigen 

•) 9lu8 bem ju @nbe biefeS ffltonatS erfdjeinenbeit jroeiten SSattbe 
feiner ,,©efd)td)te bev s Uieta))f)i)[it" (ßeipjig, $trm. (paarte). 38ir toinmen 
nad) bem @rjd)einen beä epod)emad)enben SBerfeä Qu-ifiUnlitt) barauf 
juriid. ®ie Stebaction. 


Umfcpwung eingeleitet, ber mit einer Umfeprung ber '3t: 
wegungSricptung ber Spirale ju oergleiSen ift. Alle ftüpm 
SRetapppfif wollte apobictifcp gewiffe ©rfenntniß & priori fein 
ober gar nicht fein; um bieö fein ju fönnen, glaubte \u 
bebuctio ober conftructiü uerfapren ju miiffen. ©rft in biefet 
©poepe non Äant big jum Agnoftijigmuö ift eS eoibent ge> 
worben, baß bie SJfetapppfif burd) biefe Alternatine jum 
Sfi^tfein nerurtpeilt ift, weil eine apobictifcp gewiffe SKeta* 
pppfif a priori fcpledpterbingg unmöglicp unb ein bloße 
ippantom ber ©inbilbung ift, non bem fiep bie früperen Sapr* 
hunberte paben äffen taffen. 

ftant glaubte an biefe Alternatine unb jerftörte bie 
aptiorifepe SKetapppfif, bie fich au f etwag jenfeitg bes 
wußtfeing Siegettbeg bejog. Aber er pielt an ber 2Jföglid)feii 
einer apobictifcp gewiffen 3)tetapppfif a priori feft ltnb b 
fSräitfle fie nur auf bie ©efege ber fubjectinen ©rgeiigune 
ber bewußtfeingimmanenten ©rfSeinungswelt, b. p. er ging 
jutn ippänomenaligmug über, um auf ppänomenatem ©ebiete 
ben metapppfifdjen Urtpeilgapriorigmuö ju retten, gidiu, 
Scpeßing unb .'Tiegel gegen bie fpftematifepen ©onfequenp 
biefer Stellungnahme naep Seiten beS SSorfteHenS unb Sen* 
fenö, Scpoppenpauer naS Seiten beö SBoUenä. Snbem m 
fämtlicp bas menfcplicpe bewußte Senfen unb SBoUen mit bem 
abfoluten unbewußten Senfen unb Söoüen nermengten uni 
nerwecpfelten, erwedten fie bamit non neuem ben Scpein einer 
conftructioen IDfetapppfif a priori, bie pinter bas SöeiDufetjein 
bis jur abfoluten Spätigfeit jurüdgriff. Sie Speiften pielren 
ebenfalls principiell an einer apobictifd) gewiffen SDZetappoftf 
feft, fuepten aber ber ©rfaprung unb Snbuction fepon neben 
bei eine gewiffe Slecpnung ju tragen. Sie Soppelpeü bei 
auf* unb abfteigenben iieprgangeS bei, ffraufe, ber negatinen 
unb pofitioen ippilofoppie bei bem fpäteren Stelling braepten 
in bie ältere Auffaffung ber Slletapppfif bereits einen Srurf 
unb enben mit einer jwiefpältigen ^albpeit. Sie Souberunc 
beS ej-aclen SöiffenSgebieteS non bem bloß waprfcpeintidien 
©laubenSgebiet bei ^erbart unb ©cnefe bereitete baS tneto 
ftüdweife Abbrödetn ber apobictifcp gewiffen SMetapppfif w- 

Ser atpeiftifepe ÜKaterialiSmuS ift ber legte StantopuidL 
ber fiep mit ber ganjen öefepränftpeit feines nainen 9iflfe 
muS an ben ©tauben flammert, baß eine apobictifcp geroiüc 
SDfetapppfif möglich fei; aber er befdpränft ipren Snpalt te 
auf, baß Straft unb Stoff ewig feien unb auS ipnen olle- 
Slnbere peruorgepe, wäprenb für alles concrete SBiffen bic 
inbiictinen Slaturwiffenfcpaften als einzige Quellt einer im» 
pin nur wagriepeinlügen ©rfenntniß eintreten. Ser SlgtW' 
fti^iSmuS enblicp fepränft baS ©ebiet apobictifcg*gewiffer fr 
fenntniß auf Slull ein unb erflärt bamit bie Sßetapppfif für 
unmöglicp, weil er noep immer in bem falfcpen ©tauben an 
bie Slicptigfcit ber obigen Alternatioe befangen ift. Sie offen! 
liege Meinung fpriept ipm biefeS Urtpeil naep, fepon weil e* 
fo wenig Stopfjerbreepen maept, unb weil baS Ä'lügetfeiit als 
bie ASeifeften ber ergangenpeit für bie Unweifen fo ange¬ 
nehm ift. 

SaS ©eriept an ben legten Spftemen mit ©etoißgeitc- 
anfpruep ift ebenfo üolijogen wie an ben früperen. Sie pgto 
foppiegefcpicptlicpe Slritit patunwiberleglicp bewiefen, baß bie apt^ 
bictifcp gewiffe SJletapppfif a priori ein für allemal tobt in 
ober nie wieber erwaepen fann, fo wenig wie bie Altpeniii 
unb Aftrologie. Sie pat ferner gegeigt, baß Alles, waS frühen 
Söletappßfifer bebuctio ober conftructio abgeleitet ju ge¬ 
glaubten, fiep boep nur auf fepr unootlftänbige ©rfapnmge», 
unoermerfte Snbuctionen, unbeftimmte Analogien ober gar 
auf unbegrünbete 23orurtpeile unb Uebetlieferungen ftüftc. 
unb baß alles faltbare unb SBertpooHe an ber biSgerip« 
SDietapphfif inbuctioe ©rfenntniß oon bloßer SBaprfcgeinlidr 
feit tuar. Aber baS Segtere giebt ber AgnoftijiSmuS au* 
noep niept einmal ju, weil er auS feiner falfcpen ©rfenntnic-- 
tpeorie folgert, baß gar fein ^inauSfcpreiten über bie tri- 
faprnng möglicp fei, baß alles ©rfeunen auf beferiptioe 


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Nr. 6. 


Die ffiegetttottri 


87 


Empirie eingefcgrönft unb fc^on ber inbuctiüe Empirismus 
ein ^ß^antom fei. Ster SlgnoftiziSmuS mufete mit biefer 
Uebertreibung auftreten, um baS eingewurzelte Sorurtpeil 
üon ber äRöglicpfeit apobictifcp gewiffer Erfenntnife mit ©tumpf 
unb ©tiel auSjurotten. ©eine Uebertreibung auf baS rechte 
SKafe jurüdjufü^ren, batan arbeiten bie legten ©peiften eben 
fo »nie bie Snbioibualiften, welepe fämmtlicp nur noch wapr» 
fcpeinlicpe Ergebniffe opne ©emißpeit ju liefern beanfprucpen. 

Sßarum fottte niept auS ber abgetanen bebuctioen SDieta= 
pppfif a priori eine inbuctiüe ÜWetpapgpfif a posteriori fiep 
entpuppen fönnen, ba boep auS ber Sllcpemie eine Epemie, aitS 
ber Slftrologie eine Slftronomie peruorgegangen ift? ©ie Um» 
fegt ber fRicptung pat fiep im legten SWenfcgenalter ganz un= 
inerflieg, aber mit fortjcpreitenber Seftimmtpeit unb &larpeit 
üoUjogen, nacpbem fie üon mir bereite bei meinem erften Sluf» 
treten 1868 in ber ©cprift „Ueber bie bialectifcpe SRetpobe" 
unb in ber erften Auflage ber „^pilofoppie beS Unbewußten" 
als leitenber metpobologijeper ©runbfag aller lünftigen 5ppi» 
tofoppie überhaupt unb ber meinigen inSbefonbere proclamirt 
worben mar. 5Ran pat biefen ©runbfag aufs Eifrigfte be» 
lämpft unb ift nocp f>eute fern bauon, ipn offen anjuerfennen; 
aber man pat tpatfäcplicp in macpfenbem SRafee nacp ipm 
gepanbeit, unb baS genügt uorläufig. ©ie näcpften 3>apr» 
punberte »erben fiep feiner als beS wieptigften gortfeprittS 
in ber ÜRetapppfif beS neunjepnten SaprpunbertS auep be» 
mußt werben. 

§anb in §anb mit bem Umfcpmung ber ÜRetpobe ging 
auep ein folcper ber ©epreibmeife. Um fiep beffen bewußt ju 
»erben, brauept man nur eine beliebig perauSgegriffene meta» 
pppfifepe Erörterung üon fiant, giepte, ©cpelling, ©cpleier» 
maeper, 4?egel, Saaber, Sfraufe ober §erbart mit einer eben 
folepen Don ©cpriftftellern beS legten SRenfcgenalterS ju Der» 
gleicpen, bie niept gerabe in afabemifeper Eorrectpeit, Sor» 
nepmpeit, SEBeitfcpmeifigfeit unb fiangmeiligfeit fteden ge» 
blieben finb. 

• Seiber ift baS 9Rafe beS Talents, baS ben SRetapppfifern 
bö neunjepnten Saprpunberts üon ber Sftatur jucrtpeilt ift, 
niept mit ber Störung ber metapppfifepen Aufgabe in gleicpem 
Setpältnife gewaepfen. Slm Einfang beS 3saprpunbertS ftepen 
bie fpeculatinen ©enfer erften SRangeS, bie fßantpeiften. 3« 
ben ©peiften finft eS ftufenweife bis zur ©cpmaeplkpfeit perab. 
Sei ben SRaterialiften unb Slgnoftifern wunbert man fiep 
über bie fünftlicpe Verengung beS ©eficptSfreifeS, unb je 
weiter biefe Verengung fortfepreitet, befto mepr üerpärtet fiep 
ber Eigenfinn im geftpalten biefer Enge, wie er ftctS mit 
Sefcpränftpeit beS SerftanbeS üerbunben ift. ©ieS gilt für 
bieSnbiüibualiften ünb pluraliftifcpenSBillenSmetapppfifer mit, 
fo »eit fie üom SlgnoftkiSmuS burcpfeucpt finb; aber auep bie 
niept mit ipm bepafteten etfepeinen iprem ÜReifter ©djopen» 
pauer gegenüber boep nur als fcpmäepere Epigonen. 

ES wirb bieS begreifliep, wenn man bebenft, baß ber 
ganze ©peiSmuS unb SltpeiSmuS, ber auf bie pantpeiftifepe 
Epoepe ber SDietapgpfif folgte, boep am Enbe nur bie Aufgabe 
patte, zwei Irrwege nebft allen ipren Slbjweigungen möglicpft 
grünblicp burd)guarbeiten, um fie für bie ©efepiepte als 
grrwege ju erweifen, unb baneben beejenigen Ergänzungen 
perauSjuarbeiten, butep beren §injufügung ber IßautpeiSmuS 
gegen bie Sritif gefiepert unb allen Slnforberungen entfpre» 
epenb würbe. ®aS Erftere ift nur ein negatiüeS Serbien ft, 
baS Segtere allein eine pofitiüe Seiftung, aber boep immerpin 
nur eine üon fubfibiäter Sebeutung. liefen Aufgaben waren 
auep geringere ©alente gewaepfen; ja fogat für ipren nega» 
tiüen ©peil war eine gewiffe Einfeitigfeit unb Sefcpränftpeit 
beS ©eftcptefreifeS gerabeju unerläfelicp. 

©ie naioen Ißantpeiften arbeiteten mit üerfeprten ÜJJe» 
tpoben (©ebuction, Eonftruction unb SMalectif) auf ein un= 
etreiepbateS giel (eine apobictifcp gewiffe SRetappßfif) pin. 
©ie ftügten fiep auf eine üöllig unpaltbare Erfeuntnißtpeorie 
(ben tranScenbentalen SbealiSmuS), welepe confequent burep» 


gefüprt jum abfotuten 3dufioniSmuS unb SlgnofticiSmuS 
füpren mu|te. ©ie bauten ipre ©pftente auf eine in ber 
Suft fcpwebenbe abfolute Spätigfeit, opne ©ubftanj unb ©ub» 
ject, unb fafjten biefe Spätigleit entweber einfeitig als ®enfen 
ober einfeitig als SBollen auf, opne üon einer biefer ©eiten 
per bie anbere witfliep ableiten ju fönnen. golge ipreS 
tranScenbentalen SbealiSmuS blieben fie im abftracten iöioniS» 
muS fteden, trogbem fie in ipren ©pigen (§egel unb ©epopen» 
pauer) jum concreten SWoniSmuS pinftrebten; b. p. fie üer» 
moepten bem Snbiüibuum in feinem Serpältnifj jur SBelt 
unb jum Slbfoluten niept gereept §u werben. $aS Serpältniß 
jwifepen abfolutem Sermögen unb SDtöglicpfeit' einerfeits unb 
abfoluter Spätigfeit anbererfeitS blieb bei ipnen, fo weit eS 
überpaupt ftpon Serüdficptigung fanb, im Unflaren. Spren 
ißantpeiSmuS pielten fie für bie Erfüllung unb gereinigte 
SJBaprpeit beS cpriftlicpen SpeiSmuS, opne ben principielien 
Unterfcpieb jmtfdpen IfiantpeiSmuS unb SpeiSmuS ju bemerfen. 
®er Einfluß ber materiellen Sebingungen im Organismus 
auf baS bewußte ©eifteSleben finbet noip feineSwcgs bie ge» 
nügenbe Seacptung unb SBürbigung (aufeer bei ©epopenpauer). 

S)ie Speiften legten an bte Erfenntnifetpeorie nur üor» 
fieptig jögernb ipre ftritif an, maepten aber boep ftüdweife 
fepon bem tranScenbentalen Realismus 3 u 0 e f*önbniffe, bie 
ben fpäteren Umfcpmung menigftenS üorbereiten palfen, wenn 
fie ipn auep niept perbeifüprten. ©ie fügten jur abfoluten 
Xpätigfeit baS fubftantieUe abfolute ©ubject pinju unb be= 
gingen babei nur ben gepler, biefeS ©ubject als jelbftbemufeteS 
unb perfönlicpeS 3cp zu benfen, um bie abgebroepeue Eonti» 
nuitat mit ber cpriftlicpen Ueberlieferung mieber perzufteöen. 
©ie fügten bie beiben Spätigfeiten beS ®enfenS unb ÜBollenS 
als gteiep unentbeprlicpe unb coorbinirte Slttribute zufammen 
unb legten Selbe ber abfoluten ©ubftanz als Slttribute bei. 
33amit madjten fie eS möglicp, bie Einfacppeit ber äbjoluten 
©ubftanz (unter Slbftraction üon ben Slttributen) mit ber 
Sieleinigfeit beS abfoluten SSBefenS (©ubftanz fammt effen» 
tiellen Slttributen) opne SBiberfprucp zu üerbinben, unb aus 
bem üieleinigen SSefen einen ißrocefe zu erflären, ber auS einem 
einfaepen SBefen für immer unerflärlicp bleibt, ©ie maepten 
weiterpin ben Unterfcpieb gwifepen Potenz unb SlctuS, SBille nnb 
SBollen, Inbegriff ber logifepen SRöglicpfeiten (gornten unb 
©efege) unb actueüer abfoluter Intuition, b. p. zwifepen logi» 
fepem gormalprincip unb Sbee foweit beutlicp, bafe er fünftig 
niept mepr überfegen werben faitn. 2)aburcg ermöglicpten fie 
eS wteberum, bie Unwanbelbarfeit beS SBefenS mit ber SKanbel» 
barfeit feiner Spätigfeit unb bie potentielle Unenblicpfeit ber 
effentietten Slttribute in Sezug auf etwaige Xpätigfeit mit 
ber Enblicpfeit ipreS SlctuS felbft opne SSiberfprucp zu üer» 
einigen, ©o erft würbe eS möglicp, bie SBiberfprücpe zu 
überwinben, bie fiep in ber früperen SWetapppfif an bie Ein» 
faeppeit, Unwanbelbarfeit unb Unenblicpfeit bes Slbfoluten ge» 
fnüpft unb bie Sepre Dom Slbfoluten immer wieber zum ab» 
ftracten SftoniSmuS zurüdjgebrängt patten, wie groß auep bie 
Slnftrengungen gemejen fein moipten, ipm zu entfliegen. ®ie 
Itpeiften förberten ferner baS Problem, wie fiep baS Snbi» 
Dibuum z«m Slbfoluten üerpalte, inbem fie ben Segriff Der 
gefepaffenen, fecunbären ober abgeleiteten ©ubftanz foweit 
bearbeiteten, baß er bis biegt an ben Sun ft gefüprt mürbe, 
wo et in ben Segriff beS SRobuS ober ber blofeeit Spätig» 
feitSgruppe umfeplägt. Sei ben fpäteften Speiften, welepe 
bie materialiftijepe Epoepe beS ßeitgeifteS bereits pinter fiep 
gaben (z- S. üoge) finbet enblicp bie Slbpängigfeit beS be» 
wufeten ©eifteSlebenS (®ebäd)tuiffeS, EparafterS u. f. w.) üon 
teiblicpen gunctionen bereits grunbfäglicpe unb üollftänbige 
Slnerfennung. 

©er finnlicEje SRaterialiSmuS pat feine ättiffion barnit 
erfüllt, bafe er fiep an ben ©ebanfen biefer Slbpängigfeit fo 
gewöpnt pat, bafe feine fpätere fDletapppfif mepr fiep über ipn 
pinwegzufegen wagen barf. ©aneben pat er auep baS ©ebiet 
ber inbuctioen ÜDfetpobe erweitert unb bie Unentbeprlicpfeit 


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88 


Dt* QUgetttpari 


Nr. 6. 


eines erfenntniß*tßeoretifdjen fReatiSmuS für ben gefunben 
ÜJienfcßenöerftanb wieber ßernotgeßoben, wenn er aucß, ftatt 
gum tranScenbentalen fRealiSmuS übergugeßen, ben gelter 
beging, in ben naben guriidgufatlen. 

©er SlgnoftigiSmuS macßte nicßt nur SteßrauS mit allen 
träumen öon einer apobictifcß gewiffen SRetapßpfif, fonbern 
führte audj wiber SBillen ben tranScenbentalen SbealiSmuS 
ad absurdum, inbem et ben abfoluten SQufioniSmuS unb 
bie Unmögticßfeit itgenb Wetter ©rfenntniß als feine ßonfe® 
queng aufgeigte. 

©ie inbiöibualiftifdje unb pturaliftifdEje SBiHenSmeta» 
pßßfif, unb ber tranScenbentale SnbinibualiSmuS beS über» 
finnlicßen SRateriatiSmuS nollgogen, wenn aud) gum XfjeiC 
nocß oßne recßte Älarßeit über ißr eigenes ©ßun, ben lieber» 
gang bom tranScenbentalen SbealiSmuS ©cßopenßauer’S unb 
ber übrigen ©antßeifteu gum tranScenbentalen SRealiSmuS, 
Wie idj ißn bereits 1868 in ber ©ßilofopßie beS Unbewußten 
proclamirt, 1871 in ber ©cßrift über „baS ©ing an fid) 
unb feine ©efdjaffenßeit" *) näßer begrünbet unb feitbem in 
gaßlreicßen ©djriften nertßeibigt unb genauer burdjgefüßrt 
ßabe. ©er felbftßerrücße SnbinibualiSmuS ©tirner’S unb 
fRießfcße’S, ber an bem tranScenbentalen SbealiSmuS gidjte’S 
unb ©cßopenßauer'S unb an beffen agnoftifdjen ©onfequengen 
feftßielt, beraubte ficf) bamit gugleicß ber SRöglicßfeit, für ben 
gortfcßritt ber äRetapßßfif irgeub etwas ißofitioeS gu leiften. 

©er iiberfinnficße SRaterialiSmuS £>ellenbadj’S unb bu 
fßret’S ßat baS Sßerbienft, ben unfterblid)en SRetaorganiSmuS 
als bie ©ebingung aufgegeigt gu ßaben, unter welker allein 
an eine Unfterblidjfeit ber bewußten Snbioibualfeele gebacßt 
werben !ann. ©a Weber bie Iqßpotßefe eines folcßen 9Reta= 
Organismus irgenb welctje wiffenfdjaftlid;e Ipaltbarfeit tjat, 
nod) aud) baS Snbioibualbewußtfein, bem fie bie gortbauer 
nermitteln foll, fid) mit bem perfönlicßen ©ewußtfein beS 
SReitfdjeu ober feinem Scß bedt, fo ift bie UnfterblicßfeitSibee, 
welche geftüßt werben foÖte, bamit grünblicßer als je guoor 
auSgefcßaltet; baburdj ift aber wieber ber Rem beS meta» 
pßßfifcßen SnbinibualiSmuS überhaupt getäEjmt, ber gerabe in 
bem ÜnfterbticßfeitSwunfcße wurgelt unb aus ißm feine Straft 
empfängt. 

gaßt man ben ©tanbpunft §amerling’S, nad) welchem 
ber all»eine fubftantieüe Sßeltgrunb in ben Snbioibuen, in 
benen er fid) fegt, fortbeftet»t, unb benjenigen SBunbfS, nad) 
weldjem baS Snbioibuunt eine bloße ©ruppe non ©ßätigfeiten 
ift, fpntßetifcß gufammen, fo ßat man bie ©runblage eines 
concreten SRoniSmuS, nämlicß eine allgegenwärtige abfolute 
©ubftang, beren atomiftifd) geglieberte abfolute ©ßätigfeit 
relatin conftante ©ruppen non ©ßeiltßätigfeiten bilbet, bie 
wir Snbioibuen nennen. Slber ber fo erhaltene concrete 
SRoniSmuS ift nod) ebenfo neutraliftifd) wie ber §ßlogoiö» 
muS Ipaedel’S, ©pencer’S unb SRaintänber’S, weil bie Snbi» 
nibuen äußerlich wie innerlich bloße ©ummationSpßänomene 
auS Sttomfräften unb Sl tombewußt feinen finb. ©er Snbioi» 
bualiSmuS ßat biefem RaturaliSmuS gegenüber fo weit SRecfjt, 
baß gu ber Summe ber Sttomfräfte unb Sltombewußtfeine 
nod) eine leitenbe unb fie in fid) gufammenfaffenbe ©entral* 
monabe ßingufommen muß; Unrecßt ßat er nur, baß er in 
biefer ©entralmonabe eine Snbioibualfubftang fucßt, ftatt eine 
©ruppe non ©Ijätigfeiten beS abfoluten ©ubjects, bie fid) 
auf biefe ©ruppe non Sltomfräften leitenb unb oerfniipfenb 
begießen. 

3lHe Sücßtungen beS SltßeiSmuS Ijaben gemeinfam baßin 
gewirlt, mit bem ©ebanfen an bie SRöglicßfeit eines SebenS 
oßne perfönlidjen ©ott oertraut gu macßen, oßne barum bodj 
bie ©eßnfudjt nacß ©ott auS bem menfcßlidjen Ipergen auS» 
tilgen gu fönnen. ©ie ßaben baburd) barauf norbereitet, bie 
biSßer allcingiltige, b. ß. bie tßeiftifdje ütuffaffung ©otteS 


*) ®ie jroeite unb britte Stuflage biefer Schrift füfirt ben Xitel 
„firitifi^e @runbtegung beä tranScenbentalen SleatiSmuS". 


gu entbeßren, oßne barum ©ott als Object eines retigiöfen 
^erßältniffeS entbeßren gu fönnen. Unwillfütlicß ßaben fie 
bamit einer weiteren Läuterung unb Sßergeiftigung beS ©otteS» 
begriffeS norgearbeitet, bie in ber Slbftreifung ber antßro» 
popatßifcßen Seftimmungen beS SewußtfeinS, beS ©elbfP 
bewußtfeinS unb ber ißerfönlicßfeit nom3lbfoluten befteßen muß. 

SRacßbem nun bie tßeiftifcßen unb atßeiftifdßen fRid)tungeit 
ber SRetapßßfif beS neungeßnten SaßrßunbertS fowoßl ben 
negatiuen als aucß ben pofitinen ©ßeil ißrer Aufgabe erfüllt 
ßaben, ift bie 3 e ü bafür reif geworben, um ben gaben ber 
pantßeiftifcßen ©ntmidelung ba wieber aufguneßmen, wo §egel 
unb ©cßopenßauer ißn ßaben liegen taffen. Slber biefe 9ln= 
fnüpfung muß allen öericßtigungen, ©rgänguttgen unb gort» 
füßrungen fRecßnung tragen, wetcße feitbem im ©ßeiSmuS unb 
SltßeiSmuS gu ©age getreten finb. Sn allen fünften: in 
ber ÜRetßobologie, ©rfenutnißtßeorie, Äategorienleßre, 5ßrin» 
cipienteßre, in ben Slnleßnungen ber SRetapßßfif an bie SRatur» 
pßilofopßie, ißfpcßologie unb fReligionSpßilofopßie unb im 
SBerßättniß beS Slbfoluten jum Snbinibuum, finb wir öiel 
weiter gefommen, als bie großen ©enfer im erften ©rittel 
beS neungeßnten gaßrßunbertS eS waren unb fein fonnten. 
Slber alle biefe gortfcßritte liegen gerftreut ßerum unb matßnt 
fein fpftematifcßeS ©ange auS, weil bie ©egenwart entweber 
überhaupt nitßtS meßr unb nod) nidjtS wieber non 2Reta= 
pßpfif wiffetr will, ober aber bie ßeutigen SRetapßßftfer nitßt 
auf bem ©oben beS concret»moniftifcßen ©antßeiSmuS fteßen. 

©ie ©efcßitßte ber 2Retapßßfif läßt eS als bie nä^fte 
Slufgabe erfennen, ben concretmoniftifcßen ©antßeiSmuS auf 
©runb ber inbuctioen SDietßobe unb ber tranScenbentalrea» 
liftifeßen ©rfenntnißtßeorie bureßgubilben, baS abfolute fub» 
ftautielle ©ubject beS ©ßeiSmuS oßne beffen ©ewußtfein, 
©elbftbewußtfein unb ©erföntießfeit in ben SßantßeiSmuS 
ßereinguneßmen, ben einfeitigen ©antßeiSmuS unb ©anlogis» 
muS oermittelft gweier coorbinirter Slttribute ber ©ubftang 
gu überwinben, ber materialiftifeßen Slbßängigfeit beS bc» 
wußten ©eifteSlebenS non organifdjen gunctionen uneinge« 
feßränft fRecßnung gu tragen unb bem Snbiöibuum eint 
würbigere unb relatin felbftänbigere ©tellung als im abftraä 
moniftifeßen unb naturaiiftifeßen ©antßeiSmuS anguweifen, 
oßne eS barum gu ßßpoftafiren. Sn biefem Sinne ßabe idj 
bie Slufgabe ber ÜJietapßßfif feit ber ÜRitte ber feeßgiger 
Saßre aufgefaßt unb mieß bemiißt, gu ißrer Söfung bei» 
gutragen. Db idj bie Slufgabe bamit rießtig erfaßt ßabe, 
unb in wie weit eS mir gelungen fei, ißrer Söfung näßet ju 
fommen, baS gu erörtern, muß fiinftigen ©efcßicßtSfcßreibern 
oorbeßalten bleiben. 


Die Japanifdje Citeratnr. 

JCon papprife. 

SBenn man fieß ßente über ben beifpiellofen Sluffcßwung 
SapanS wunbert, fo öergißt man, baß eS ben SRamen eines 
uralten ©ulturlanbeS nerbient. ©ine reieße, bis in bie graue 
Sßorgeit gurüdgufiißrenbe ©efcßitßte geugt bafür, bie groar 
immer etwas feßwerflüffige unb nom Sßinefifcßen überwueßerte 
©praeße ift alten UrfprungeS unb reidj auSgebilbet unb bic 
©cßrift bebient fieß fogar breier ©attungen, Wonon bie 
eßinefifeßen SBortgeicßen bie gebräueßließfte gorm bilben. ©enn 
baS ©ßarafteriftifeße ßier wie überall ift bie mäcßtige ©eeitt- 
fluffung burtß baS naeßbartidje ©ßina. ©rft feit ben legten 
Saßren maeßt fieß eine rüdläufige ©ewegung gettenb, Wtlcße 
bie ©cfdjränfung beS d)inefifcßen ©influffeS unb götberung 
ber alten ©pracßreinßeit gum 3^1« ßat unb aud) bie ßiteratur 
nom „Sanb beS 3opfeö" emancipiren foQ. ©aß baS ©cßrift» 
tßum SapanS in allen gäcßetn feßr reieß ift, wiffen wir. 
Slußer einer Slngaßl ßiftorifeßer SEBerfe nimmt bie große 


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Nr. 6. 


Die Gegenwart 


$9 


c^incfifd^*japanifc^e Sncpllopäbie (105 Sänbe, Sebbo 1714) 
ben elften SRang ein; aud) bie ße^ilograppie unb Kartograpßie 
paben bebeutenbe gortfcpritte gemacpt, tote bie 9iaturgefcpid)te 
Diele Sertreter gefunben pat. Sine ganje große ßiteratur 
paben bet SonfucianiSmuS unb SubbpiSmuS pertiorgerufen. 
?lucp bie poetifcpe ßiteratur ift mannigfaltig unb gept mit 
ißren Anfängen nocp weit über baS cßttoütbige 9Uter ber 
ßeüenifcpen ßiteratur jurücf. gteilicp ift bie Kenntniß biefer 
Sicptlunft nocp fo gering, baß unS ein Urteil über fie 
niept möglid) war. Um fo mepr oerbient uttferen ©auf ber 
in ßeipjig ftubirenbe ®eleprte Dr. Somitfu Qlafali, ber 
foeben bei g 91. SrodpauS eine gut orientirenbe „®efcßid)tc 
ber japanifcpen ßiteratur“ perauSgegeben pat. 

Ser Urfprung beS ätteften japanifcpen ©ebicßteS t>er= 
liert fiep nod) in baS mptßifcpe Sunfet ber Urjeit: eS Wirb 
bem ißrinjen ©ufanoo äugefcprieben. 9118 biefer einen Sßataft 
in ber ißrobinj S^unto gebaut unb bie ißrinjeffin Kufpinaba 
peimgefüprt patte, fott er bie ©tropße gebietet paben: 

9ldj, bie greube, mit bir oereint 

8« leben, t>oIbe8, tljeureä SBeib, 

Qit roolfenumpegtem ipaufe. 

Dr. Qlafali erjäplt, baß ©ufanoo ber ©age nad) ein jüngerer 
SBruber beS ißrinjen 0=4?irume war, beffen ©tanj unb SRajeftät 
man ber ©onne üerglicp, unb bes ißrinjen Sfulupomi, beffen 
Sracpt unb 91bel bem ÜRonbe gleicpgefteUt mürbe. 91ber er war 
ftarf unb toilb unb würbe oon feinen Srübern unb ©cpweftern 
ge^afet, tocßpalb er nad) Korea flüchten mußte; bocß roar er 
woßl ein SEBeifet unter feinem Solle. SaS ©ebicpt, roelcpeS 
unter feinem tarnen gept, würbe ein SRufter für Sicpterlreife 
fpäterer 3«ten. ÜRacß ipm werben ad)t ßiteraten genannt: 
fßrinjeffin ©pitateru, Dluninufpi, ^rinjeffitt Stumafapa unb 
©uferi, ißrinj fpifopoßobemi, «ßtinjeffin Sopotama, Dfume 
unb SRicpiomi. 3b« ©ebicpte finb enthalten in bem Kojifi 
unb bem fftipongi, „ben beiben alten ©efcpieptswerfen, bie trofc 
inancpeS ©agenßaften ebenfo wichtige Quellen für ben ipifto* 
xiter, wie gur Srforfcpung ber moralifepen Sbeen, beS ßebenS 
unb ber ÜBeltanfcpauung unferer Sotfapren finb." Som äftpe* 
tifepen ©eficptSpunlte auS lann biefen Sicptungen freiticp nicht 
oiel Sebeutung beigemeffen werben. Baratt finb jebocp weniger 
bie Sicpter fcpulb als ber ßeitgeift. Ser erfte japanifepe 
taifer, wenn bie Ueberlieferung Secpt bat: Simntu, ber 660 
0 . Sßr. ©cpöpfer einer neuen unb ftarfen ^Regierung würbe, war 
auch in ber ßiteratur oon epocbemacbenbem Sinfluß. Son 
biefem Jfaifer an bis jum Sabre 600 n. Spr. f>ab 44 Sicpter 
belannt. 

Sie Selanntfcpaft mit ber djinefiftpen ßiteratur, bie fo 
tiefgeßenbe golgen haben füllte, würbe Sapan burd) Korea 
Oermittelt. Ser Serlepr gwifcpen beiben ßänbern beftanb oiel* 
Ieicpt fdjon 1000 Sapre 0. Spr., wie ja auch ber erfte japa* 
nifcpe Sinter ©ufanoo nach Korea geflüchtet fein fotl. Ser 
Ueberlieferung nach würbe oon bort fcpon jwifipen 100 o. unb 
100 n. Spr. bie epinefifepe 2Bortfcprift in Sapan eingefübrt. 
9lber fie war bem Solle ju fcbwierig; e8 war eine leidster 
faßliche ßautfcprift gewöhnt. Saber blieb fie unpopulär unb 
fanb leine weitere Serbreitung, obwohl bie einpeimif^en Sud)’ 
ftaben ober beffcr ©cbriftjeidjen febr unjureidjenb waren. 
Sag önberte ftd), al8 ber König Oon Kubara in Korea bem 
Kaifet Qjin im Sapre 284 n. 6p r - baö dpinefifcbe SBetl SRongo 
fcpenlte. ©eit biefer 3 e it üerbreitete fiep nadp unb nad) bie 
ebineftfepe ©eprift in Sapan, Weil aud) ber Serlepr jwifepen 
beiben ßänbern ein regelmäßiger würbe. SmSapre 402 n.ßpr. 
erpielt jebe S r aöinj ein ®efd)icpt8amt, unb im Sapre 500 n. ßpr. 
Würbe ein Ueberfepungäamt gegrünbet, beffen 91ngeftetlte meift 
Koreaner waren, bie baS japanifepe Sürgerrecpt erworben 
patten. Somit war ber ©ieg ber epinefifepen ©eprift enU 
fepieben, wenn auep oorläufig nur auf bem ®ebiete ber ißrajig. 
9luf bie japanifdpe ßiteratur bagegen pat bie epinefifepe SDioral» 
ppilofoppie be8 Sonfuciug (550—478 o. ßpr.), mit ber man 
butep jenes 933er! belannt würbe, bis jur bamaligen $dt nur 


fepr geringen Sinfluß auSgeübt, ber aber fpäter gewaltig toucpS. 
Dr.ÖfafaH fepreibt über bie jtoeite Siteraturperiöbe oon 600 bis 
800 n. Spr.: „Sie epinefifepe SRoralppilofoppie auf ber einen, 
bie Religion unb SpUofoppie beS SubbpiSmuS auf ber anberen 
©eite paben ju bamaliger 3«it bie eigcntpümlicpen Sbeen unb 
Sbeale bet Sapaner üeränbert, Wie fie auep baS ßeben beeinflußt 
unb bie bisherigen ©ebräuepe tpeilweife jerftört paben. SaS 
Soll trat auS bem ißarabieS in bie ÜBirlüdpfeit, eS warb ein 
anbereS Soll, Odn bem man wopl fagen lann, baß eS in biefer 
ißeriobe einer Sicabe oergleicpbar war, bie ipre £>aut abge= 
worfen pat." Son ben fremben SPUofoppen unb Sßrieftern 
Würbe ber gefammte ßiteraturlreiS jener 3«it beeinflußt. SS 
war im Sapre 552 n. ©pr., als ber SubbpiSmuS, ber oon 
Korea nad) Sapan getommen mar, officieU anertannt würbe. 
Unb unfer Sapaner fäprt fort: „Sie ßeute, toelcpe bis bapin 
nicptS §öpereS unb ©blereS als bie fipattenpaft toebenben 
©epemen iprer ©eifter gelannt patten, fie lernten jept glauben, 
baß eine perfönlicpe ©ottpeit ipr ©epidfat lenle, baß Subbpa 
fie glüdlicp ober ungtüdliip maepen lönne, opne baß man ben 
©runb baüon ju erlennen Dermöge, unb baß er bie ÜJlacpt pabe, 
Kranfpeiten ju peilen, Seicptpum unb langes ßeben ju oet= 
leipen. Sie ißrebiger leprten fie auep, Krante ju pflegen 
unb mit 91rjneien ju peilen, pielten fie an, SBittwen unb 
SBaifen mit ©elb unb Kleibern ju unterftüßen. Sie ißriefter 
erfepienen felbft in ben Kranfen* unb SBaifen* unb 9trmen= 
päufern. 91ucp um baS ©mporbliipen beS ßanbeS maepten 
fiep bie Subbpiften oerbient, inbem fie ßanbftraßen, mit 
Säumen bepflanjt, anlegten unb ben Serlepr burd) ben 
Sau üon Srüden unb burd) ©inridjtung oon glußüber» 
faprten poben." Ser Serlepr mit Spina würbe üon bem 
größten Subbpiften, bem ißrinjen ©potofu (573—621), er* 
öffnet, ber Sapan auep feine berüpmte erfte, bubbpiftifcp* 
epinefif^e Sonftitution oerliep. Sie gelcprte Sugenb ftubirte 
jahrelang in Spina; unb eS ift bejeiepnenb, baß in ber ßieber» 
fammlung beS Kmaifuß (751 o. Spr.) meift epinefifepe unb 
fepr wenige japanifepe ©ebiepte finb; nur baS japanifepe 
ßieb, baS Uta, rettete fiep auS „bem Saifun epinefifeper unb 
inbifeper 9lnfcpauungen", bie boep auip oiel corrupte Slemente 
enthielten. 3 U Anfang beS 10. SaprpunbertS oerfuepte bie 
cpineftßpe Ueppigleit unb Srunlfudjt — niept opne Srfolg — 
jttar auep in Sapan einjubringen, aber je mepr bie ©eptoäcpe 
unb Qberfläcplicpleit SpinaS pier belannt würbe, befto mepr 
mürbe ßanb unb Soll ber Spinefen oon ben Sapanern miß» 
aeptet; ein gefunbeS SRatioitalgcfüpl braep fiep Sapn, beffen 
Sntmidelung noep baburep begünftigt würbe, baß mit bem 
©turje ber So*Spnaftie im Sapre 908 ber Serlepr mit 
Spina eine 3 e ‘t lang unterbrochen warb, ©o entfaltete fiep 
bie -Kationalliteratur ungeftört mepr unb mepr unb lam 
fipließliep jur 9lßeinperrfcpaft im ßanbe. ©epon im Sapre 905 
erfeßien auf Sefept beS KaiferS Saigo baS Kofin=@pu (etwa: 
„91lteS unb fReueS"), bie erfte laiferticpe ©ebieptfammlung. 
©ie ift eilt berebteS 3«ugniß üon bem üBibertoiHen gegen ben 
3eitgeift beS 9. SaprpunbertS mit feiner ÜJtacpapmung beS 
Sßinefifcßen. ©o weift %. S. Ki*no Sfurapuli (882—946) 
in ipr barauf pin, baß autp bie japanifepe fßoefie, fo gut 
Wie bie epinefifepe, fed)S SieptungSformen lenne, unb ift beß* 
palb ber 91nfidpt, ba bie altnationale Sicptlunft ebenfo auS* 
brudSfäpig unb formenreiep fei, wie jene, baß man jept ipr 
wieber Seaeptung fcpenlen unb im Uta*©tile bitten foUe. 
Somit pat er in ber Spat bie Stimmung beS SolleS mit 
liebeooHem Serfiänbniß erlannt unb auSgefprodpen. 3 U 
gleieper 3^it würbe am laiferlicpen §ofe ber @pi=@efellfcpaft 
(b. p. ber ©efeHfepaft für (pineftfdpe Sicptung) eine Uta*®e* 
feüf^aft aegenübergeftellt unb im Sapre 951 aud) ein Uta* 
91mt im raiferlicpen ißalafte errietet. 2Sie immer, fo ftanben 
aud) jept Wieber bie grauen mit an ber ©pipe ber ßiteratur« 
bemegung. Samen beS §ofeS waren eS, bie im Sapre 960 
ein „Uta*91toafe" eröffneten unb jtoar mit ben SBorten: „Sie 
5D?ämter paben nur ju oft einen Söettftreit auf bem ©ebiete 


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s 


90 


DU ffitgetttoari 


Nr. 6. 


ber Siteratur unternommen, lafjt unS nun einen Uta»3Settftrcit 
beginnen!" (Sin folcpeS Uta«2lroafe fönnte man, naep Br. Ofafafi, 
mit einem Sängerfrieg Dergleichen. Seber Micptet bemüpte fiep, 
baS fepönfte Sieb ju biepten. MiefeS mürbe bann, entmeber 
auf buntes Rapier gefeprieben ober an einem gädjer, einem 
©lumenftrauß befeftigt, an bje ©reiSricptcr gefepitft, melcpe 
2lnfangS geregte Äritif übten, bis fic^ teiber aud) pier mit 
ber ßeit ©arteilicpfeit unb ©orurtpeil einfcplicpen. Murcp 
biefe SSettfämpfe fd^eint bie bicpterifdpe ©robuction feJjr an« 
geregt roorben ju fein; bie ßapl ber Mupter unb bie gorm« 
gemanbtpeit poben ftd). Mas 11. Saprpunbert mar fo reidj 
an Micptetjt unb Mieterinnen, bajj ber ft’aifer Horifaroa Dier« 
Zepit ©oeten — unb baS maren nur bie betannteften — ben 
Auftrag geben tonnte, punbert ©ebiepte ju Derfaffen, unb 
man muff miffen, baff eS am ©nbe beS 12. SaprpunbertS 
Mieter gab, bie an einem Mage gegen taufenb folget epi« 
grammartiger Uta ju fepreiben im Stanbe maren, um fiep 
einen ©«griff non ber ©emanbtpeit ju inaepen, bie man in 
ber ©epanblung ber nationalen MicptungSfotm erlangt patte. 

3m 12. Saprpunbert DoUjog fid) eine noe ftärfere ©man« 
cipation Don ©pina. Mie ©ioilifation beiber Sänber tjatte faft 
biefelbe Höpe erreicht, unb man befaß jeßt in Sapan bie nie! 
bequemere Jtanafcprift. Bugleicp trat e * n günfttger Untftanb 
für beren ©erbreitung ein, nämlie jene Unterbreeung ober @r» 
femerung beS ©erfeprS mit ©pina, bie auep ju bem 2luffcproung' 
ber japanifepen Stationalliteratur beigetragen batte. Menn ba 
mar eS blofj natürlich, mentt man bie einpeimifepen ©ebanfen 
unb Saute auch burdj bie ein^eimifefje Scprift mieberjugeben 
fuepte. ©alb begann man nun, bie pponetifepen Stanazeicpen 
mit ibeograppifepen epinefifepen Scpriftzeicpen untermifept ju 
gebrauchen (mie eS noep heutzutage ber goß ift), — unb baS 
mar jugleicp ber äufjerlicpe 2luSbrud ber ©erfcpmelzung beS 
japantfepen unb epinefifepen SbeenfreifeS, bie ficb jeßt Doll« 
jogen botte. Miefe ©erfcbmelzung mar befonberS Dortpeilpaft 
für bie grauen, gür fie mar ©pina nach ben bamaligen 
©erpältniffen zu meit entfernt, unb fo tonnten nur febr menige 
bort ftubieren ober auch nur baS poipgeaeptete „Steicp ber 
SRitte" fepen. Sn golge beffen maren bie d)incfifcpen Scprift« 
Zeiten boppett febmer für fie zu erlernen. Seßt bot ficb ihnen 
bie längft erfebnte SRöglicpfcit, ihre ©ebanfen unb ©efüble 
febr leiept auf bem Rapier feftju^alten. Mie ©lütbezeit ber 
grauenliteratur zmifepen bem 10. unb 11. Saprpunbert Der« 
banft baber Sapan mobt bouptfäcblicb ber ©infüprung ber 
bequemen Stanafcprift. 

MaS raube 13. Saprpunbert mit feinen Steoolutionen 
unb Kriegen machte bem, menn eS Dr. Ofafafi auch Der« 
tennt, ftarf fpielerifcpen unb roeibifepen ©parafter ber 
japanifeben Mittung ein ©nbe. Mie Sänger finb jeßt nie!« 
faep ©eneräle, unb militärifebe Stomane unb triegSgefcpicpten 
roerben beliebt, ©rft im 17. 3aprpunbert, mo bie Mieter 
unb Micbterfcbulen aller Orten blühten, beginnt bie claffifc^e 
3eit ber japanifeben Micptung. Mer ibeale unb grojje ßug 
tarn burep SRatfuo ©afebo (1644—1694) hinein, ber in bem 
fo unfepeinbaren Haifei „bie 2lnmutp ber japaqifcpen Sprache 
unb bie Schönheit ber ebinefifeben Schrift" §u oereinigen muffte. 
MaS ^aifai ift objectioe Sprit; bie Micptet beobachteten bie 
Statut meiftenS objectio, unb bie Sieber fpreepen Don ber 
Sepnfucpt nach bem Ueberirbifcben, Don ber ©ntpebung aus 
bem ©rbenftaube. Oft hoben biefe £>aifai auch ben 3med, 
auf ernfte, bittere ober launige SSetfe bie gebier ober Mbor« 
peiten ber SRenfcpen lächerlich z u machen unb zu Derfpotten 
unb fie mit Sronie unb Satire auf ifc»re Unmiffenpeit unb 
Ueberfpanntpeit aufmertfam zu machen. MaS Haifai bot 
eine tnappe, lafonifepe gorm, fo bafj ipm baS fepöne, füefjenbe 
©emanb poetifeper güüe abgept; in mandjen ftört auep ein 
geringfügiger Stoff ober eine unfeine SluSbrudSroeife. 21 ber 
ber feaifaUMicpter glaubt burep bie Sdjlicptpeit unb Änapp« 
peit für folcpe SDfängel ooflen ©rfap z u geben. Miefe Micpter 
gehörten ben Derfcpiebenften Stänben, ©erufen unb ©etennt« 


niffen an. 2llS ^>aitai«Mid)terinnen mürben Sono (1653 bi? 
1726) unb &'aga«no ©pipo (1702 bis 1774) poep gepriefen, 
unb ein £>aifai ber Seßteren mutpet bie Japaner an ttie 
„©lumenbuft unb Sercpenfang". 

53eim Xobe ctncS Änaben. 

0 fiebfteS Ätnb! Sibcflen ju fangen 

SBie bift bu boeb beut' fo meit gegangen! 

6o meit , gar fo meit! 

©S giebt in Sapan teinen zweiten Micpter, ber fo poep 
gefepäßt roirb mie ©aSpo. SBorauf beruht baS? „Seine 
ipaifai finb ebenfo turz, bloß fiebzepnfilbig, mie bie bet anbera; 
er patte meber ein eigenes popeS Spftem, noep Dorbilblicpe 
Mugenb; er mar roenig belcfen, patte menig ©elb unb roenig 
©erfepr mit ©clcprten unb ©bien. 2ßie tarn eS alfo, baß 
er bis zum heutigen Mage als Scpußgott bet Micptfunft Der« 
eprt mirb? — Mie nie oerfiegenben 0.ueHen ber Sprit, alfo 
beS $aifai, finb bie SJiatur unb baS ÜRenfcpenperz: unb ge« 
rabe biefe beiben ftrebte ©aSpo in feiner Micptung freubig 
uttb unermüblicp zu ergrünben. Sein reiner ßparatter unb 
feine fdjöne Einlage liegen ipn bie Statur in iprem innerften 
SBefen erfennen unb in bie Miefen beS üRenfcpenperzenS blicten. 
Mie eroig munberbare Statur mar fein Sbeal, unb fein ffiapl« 
fpruep piep: „golge ber Statur!" Sein |>erz tonnte ipre 
SBunber marm naepempfinben, unb er mar gemip mepr als 
Slnbere baooit burepbrungen, bap ber ©enup ber fdpönen 
Scpöpfung baS gemcinfcpaftlicpe ©efüpl ber ganzen 9)tenfd)= 
peit ift, burep baS mir Derbrübert merben, ja, burep baS mir 
alle, Dom fiaifer bis zum ©ettler, unaufhörlich zufammen« 
gefettet finb." 

Dr. Ofafafi nennt ben Micpter Äamono SJtabucpi unb 
beffen Scpüler ÜJtotoori Storinaga (1730—1801) bie eigentlichen 
SJteffiaffe ber japanifepen Stationalliteratur. Spre ^auptroaffe 
mar bie ©aterlanbsliebe. 2tucp Mrama unb Stooetle mürbe ba< 
malS gepflegt. 6pifamatfu«3Ronzaimon, ber gröpte Mramatifer 
SapanS, fepilbert in feinen mepr als 100 äöerfen Äpoto mit 
feinen traumhaften Sagen, mit feinen emig grünen ©ebirgen, 
feinen uralten ftirepen unb ben lacpenben Mpälern, foroie boi 
Seben bort unb feine eigenen Dielen ©rlebniffe, als er in biejs 
Stabt mopnte. @r patte eine bubbpiftifdpe SBeltanfcpauunj. 

Oft fragte er fiep, ob eS auf ©rben ©lüdfeligteit geben fönnt 
„MaS SRenfcpenfcpidfal mirb, meines ©racptenS, faum Se« 
friebigung gemäpren; gepet liebet in’S Senfeits!“ „®ein 
lieber §err ©ater unb grau ÜJtutter, ipt merbet auep fterben 
mie anbere SRenfcpen, boep lebet mopl auf SBteberfepen im 
SenfeitS, roo mir unS bann ungeftört unterpalten fönnen!* ' 
211S Sprifer napm er einen popen Stang ein, unb Dr. Ofafafi j 
bemerft, bap feine Marftetlung menig anftöpig unb niebrig ift; 1 
inbeffen maprte auep er bie Mugenb niept genug, unb bie Se= 
friebigung beS ©efüplS unb bie ©rfüflung beS ©JillenS fpielten 
bei ipm immer eine grope Stolle. „21 cp, mir feplerpaften 
ÜRenfcpcn leben jeßt in ber Deränberlicpen unb fcpicffalDoUcn , 
SSelt, mie fönnen mit nur baS Seben noep ertragen!" „Scp j 
benfe, icp pabe meiner ritterlichen ©flicpt in biefer SEßelt @e« I 
niige getpan, aber eS feplt mir nun bie Siebe unb ©üte; ad), 
mit melcpen Hoffnungen lebe icp noep länger in einer folcpen 
SSelt!" 2llS Mragöbienbicpter fepilbert er befonberS leben?« 
mapr unb padenb ben Sturm ber Seibenfcpaften, ben Sclbft* 
morb unb bie Scpmermutp. 

Seiber mäprte bie japanifepe Slaffif niept allzu lange. 6? 
tarn bie frioole Suft Don Stpoto unb Dfafa, motioirt eS unfer 
Siterarpiftorifer. ßmifepen 1760 unb 1785 Dertrug fiep bic 
Spogun«gamilie niept, unb eS gab reept Diele Parteien in bei 
Stegierung. ©iner ber güprer, Manuma=2Rototfugu, mar ein 
ganz ftttenlofer ©fenfep, rüdficptSloS, Derborben unb bereepnenb. 
Murcp biefeS fcplecpte ©eifpiel üon oben Derfiel ganz Sapan 
in ©itelfeit unb Unfittlicpfeit. Snfolgebeffen erfepienen gegen 
1765 oiclgelefene ©rzäplungen über gemeine SBeiber unb un« 
Zücptige Siebe, gegen 1770 mißelnbe unb poffenpafte ©Berte, 
unb um 1780 tauepten unzäplige ©üeper erotifepen Snpalt? 


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Nr. 6. 


Die G&egettroart 


91 




auf. ®amt folgten 6iS 1806 „bem ttmnfetmütf)igen 9Wenfdjeit* 
gcifte ju Siebe" feiert fajjlid)e gefd)id)ttitf)e Srjäljlungen, bte 
meift oon ber üfacfye am geinbe banbetten. Sta ftef) aber 
injroifcf)en bte potitifdjen 33ertjättmffe änberten, baS ©t)o<iunat 
tm 3ctf)te 1786 meebfette unb fein Vertreter s JJafutuo SRoto* 
tfugu’ö ©teile einnabm, mürben bie SRomatt* unb 9?oüetlen* 
biebter auch in anbere Sabnen getenft. 3m $wmbumbrel)en 
maren fie 2)ibalttfer geworben, unb jroifeben 1792 unb 1796 
befebäftigten ficb bie Siebter jumeift mit ^etbengefebiebte ober 
äRptbologie. S)tcfe SSerättbcrung ber Sntereffen mar eine er* 
febnte ßuffodjt für bie bamatigen ©ebriftftetter. ©egen 1804 
mar bie ©lütbejeit für bie Siteraten; bamatö mürben oon 
jebem populären SBucf) etma 10 000 Sjemplare fyerauSgegeben. 

SluS neuerer geit nennt Dr. Dfafati noct) ben Üftobe* 
fcbriftfteQer Stamenaga ©banfui ‘(geft. 1842), ben SSerfaffer 
moDüftiger ©rjäblungen, unb ben noch I)eute beliebten SRßutei 
Stanefjifo. Staffen Stnficbt über bie UrtbeitSfäf)igfeit ber 
SKenge tautet: „2Bcnn ein ©ebriftftetter heutzutage non neun 
Sefetn gepriefen unb oon einem auSgetadjt mirb, fo fann 
man fidjer fein, bafj feine SBerte nidjtS taugen, aber für i^n 
eine ©otbgrube finb, mäbrenb umgefebrt bie SBiictjer guter 
Autoren meift menig gefallen unb einbringen.“ • ®tejc bübfebe 
©enteng paßt nicht nur auf Sapon ... Seiber fagt und 
Dr. Dfafafi nichts über bie heutige Siteratur. Sollte bie 
©uropäifirung SaponS feine Dichtung oerfümmern unb ju 
©unften oon ÜWilitariSmuS unb SnbuftrialiSinuS nur noch 
bie prattifeben Sbeate förbern? 


■ f -A f. 


^Feuilleton. 

•* r **>-* . —- ...... »a<$brurf »erboten. 

(Eine Begegnung. 

Von (Edgar Ullan poe. 

Ueberfeftung oon 3°^ anna HWUenpoff. 

(Scpiu&.) 

-$ie Unruhe war oorüber. $ie [IWenge ^attc fiep z ers 

ftreut, bie Siebter im Sun*™ de« [ßalafte« waren erlofcpen, unb ber 
grembe, ben id) nicht erfannte, fianb noch allein auf ben SWarmorfliefjen. 
©ine räthfelpafte Aufregung fehlen feinen Körper zu burepfepüttern, unb 
feine Sölidc richteten fich fuchenb umher nach einer ©onbel. geh tonnte 
nicht umhin, ihm bie meinige jur Verfügung zu ftellen, unb er nahm 
ba« Anerbieten an. Nachdem ber ©onbolier für ba« oerlorene [Ruber 
an ber SBafferpforte ein anbere« befommen hotte, fuhren wir miteinander 
bi« ju feiner 2Bopnung. 2)er grembe hotte feine gaffung rafch wieder 
gewonnen unb fpraep bann mit anfehetnenb großer ^erzlicpfeit üon 
unferer früheren flüchtigen Vefanntfcpaft. 

©S giebt für mich 2>inge, bei denen ich mit grofjem Vergnügen 
bi« in bie geringften ©inzelpeiten üevweile. S)er fremde — e« mag 
mir geftattet fein, ihn, ber noch für alle SBelt ein grember war, auch 
ferner mit biefem SBorte ju bezeichnen — bie [ßerfon de« gremben alfo, 
ift eine oon ben mich befonber« intereffirenben ©rfepeinungen. 28a« 
feine ©eftalt betrifft, fo mochte fte noch eher unter, al« über bem ge* 
wöhnlichen ©rö&enmafje flehen, ©leicpwopl gab eS Augenblicfe inten® 
ftoer ©rregung für ihn, in denen fein Körper thatfächlich 8 U wachfen 
f<pien unb feinen erften ©inbruef wieder vernichtete- Sein fchlanter Vau 
unb da« beinahe jarte ©benmajj feiner ©lieber beutete eher auf eine 
ftet« bereite Xpatfraft piu, wie er fte eben auf ber ©eufjerbrücfe be® 
wiefen hotte, al« bafj ft« jene ausdauernd perfultfcpe Äroft hätte ahnen 
laffen, bie er, wie befannt, bei Vorfommniffen oon oiel gefährlicherer 
Art, ohne bie geringfte Anftrengung an ben Xag gelegt hotte. 2Wunb 
unbÄtnn waren bei ihm oon wahrhaft göttlicher Bildung; feine großen 


Haren Augen mit bem eigentümlich wilden ©lief fchienen in ihrem 
leuchtenden $)unfel bie ©djatttrung üom reinen hellbraun bi« jum 
tiefften glänzenden ©cpwarz ju durchlaufen; au« einer güffe fdjmarz* 
gelösten #aare« fchimmerte bie ungewöhnlich breite ©tim mit bem 
matten SSeijj de« ©Ifenbeine« heroor. 3«^ Sorm feiner 3üge tpor oon 
clafftfcher 9iegelmägig!eit, wie ich ft? nirgendwo gefehen höbe, aufjer 
oieüeicht an ben 3Rarmorbilbern de« Äaifer« ©ommobu«. Unb dennoch 
war fein Antlifc eine« oon denen, wie eS ben meiften 9Renf<ben ju 
irgend einer 8 e tt lh*e« Sieben« einmal begegnet fein mag, da« fte aber 
fpäter nicht wieder erblich hoben. ©« war ein Antlifc ohne einen be= 
fonber« eigenartigen Au«brucf, ja er hotte nicht einmal einen beftinimt 
oorherrfdjenben AuSbrucf, ber fich bem ©ebächtniffe hätte einprägen 
töttnen. ©S war ein Antlip, ba« man fah unb wieder oergeffen mochte, 
aber nur oergeffen, mit bem unwidfürlichen, nie fchwinbenben SSerlangen, 
eS im ©eifte wieder hetaufbefchmören ju tönnen. [Rieht al« ob irgend 
eine rafch entfeffelte Seibenfchaft je oerfehlt hätte, auf bem ©piegel biefe« 
AntlifceS ihr öilb in unoerfennbaren ßügen aufleuchten ju laffen — 
nur bafj biefer ©piegel, fobalb bie ßeibenfehaft oerfchwunbett war, auf 
feiner glatten gläcpe auch nicht eine ©pur baoon jurücf behielt 

Al« ich meinen greunb in ber [Wacht de« gemcinfam erlebten Aben= 
teuer« oerliefe, bat er mich bringend unb in einer, wie e« mir fchien, 
etwa« ungeftümen Art, ihn doch am nächften borgen fehr früh 8« be= 
fuchen. S)emgemäb fand ich ntid) bald nach Sonnenaufgang in feinem 
[ßalafte ein, ber eiüer jener gewaltigen ©ebäube war, bie ftch mit büfter 
phantaftifcher [ßracht in ber [Wähe de« SRialto an ben Ufern de« ©anal 
©ranbe erheben. 3Ran jetgte mir auf einer breiten SBenbeltreppe pon 
3Wofaif ben A3eg ju einem ©emache, beffen unOergleichlicher ^runf f^on 
durch bie geöffnete $hnr mit blendendem ©lanje auf mich einbrang. 
3Wir fchwinbelte oon afl' biefer Oerfchwenberifchen Ucppigfeit. [5)er [Weich¬ 
thum de« ©igenthümer« biefer ^errlichfeiten war mir nicht unbefannt. 
2)a« ©erüdjt hotte baoon in Au«brücfen gef proben, bie ich niir fogar 
erlaubt hatte, al« bie Schilderungen lächerlicher Uebertreibung ju be= 
jeichnen. Aber al« ich ftaunenb umherblicfte, oermochte ich nicht länger 
ju glauben, dag eS in ©uropa einen Untertanen geben rönne, beffen 
Schäfte auSreichen würben, biefen fürftlichen Suju« ju befchaffen, wie 
er hier um mich funfeite unb firahlte. Obwohl bie ©onne bereit« am 
öftüchen £immel ftanb, war hier Alle« noch glänjenb erleuchtet, tiefer 
Umftanb in Verbindung mit einem AuSbrucf ber ©rfdjöpfung in ben 
gügen meine« greunbe« lieg mich darauf fchliefjen, ba& er während ber 
ganjen Oergangenen [Wacht ba« Vett nicht berührt hoben mufete. 3n 
ber Architeftur unb bei ben Verzierungen de« ©emache« war offenbar 
bie Abficht Oorwiegenb gewefen, ju blenden unb bi« jur Verwirrung 
in ©taunen ju oerfeften. SBenig Aufmerffamfeit war darauf oerwenbet 
worben, Harmonie in ber AuSftattung herrfdjen ju laffen ober ben 
©igenthümltchfeiten der [Rationalität [Rechnung ju tragen. 2)a« Auge 
wanberte oon einem ©egenftanbe jum anderen, ohne bei einem ju Oer- 
weilen, — weder bei ben ©roteSfen ber gried)tfchen flRaler, noch &ci ben 
©fulpturen au« ben beften S^ten ber italienifchen ^unft ober bei ben 
coloffalen Vilbnereien de« alten Aeghpten«. 3« jedem SBinfel de« ©es 
mache« fah man reiche Draperien fich leicht bewegen ju ben Schwül® 
gungen einer fanft oerflingenben melancholifchen SRufif, ohne dag man 
entbeefen fonnte, woher biefe fam. Au« feltfam geformten fRaudjgefäfjen 
fprühte eine 9Wenge jüngelnber glommen oon fmaragbgrüner ober oio® 
letter gärbung empor, einen wahrhaft finnbetäubenben ©)uft ber Oer® 
fchiebenartigften SBohlgerüche oerbreitenb. 3)urch genfter, bie au« einer 
einjigen ©epeibe glühend rothgefärbten ©lafe« beftanben, ergo^ fiep über 
ba« ©anze btefe« ppontaftifepen ©emaepe« ber erfte ©epein ber 2Rorgen® 
fonne. Ueberaü, bald pkr, bald dort, an ben Vorhängen, welche in 
breiten ©treifen wie flüfftge« ©Uber oon ipren ©alerten niebermaßten, 
in taufenb [Reflexen aufbliftenb, oermifepten ftep juleftt bie Strahlen ber 
natürlichen ©onnenglorie in aufjuefenber ©lutp mH ber fünftlicpen Ve® 
leucptung unb lagerten fiep brütend in gedämpften 3Raffen auf etnern 
wie lautere« ©olb fepimmernben Seppicp oon cpUifcpem ©ewebe. 


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92 


Die Gegenwart 


Nr. 6. 


©löplicp bracp ber §err biefcr [Räume tn ein peßeS ©eläcpter auS, 
fobalb icp in baS ©ernacp eintrat unb forberte miep auf, $lap ju nehmen, 
©r felbft ftrecfte fiep ber ganzen Sänge nacp auf eine Ottomane bin. 
„3<P fepe", fagte er, als er bemerfte, bafe icp mich niept fogleicp in bte 
Art unb SBeife eineS fo fonberbaren ©mpfangeS pineinfinben tonnte, 
„icp febe, Sie fmb erftaunt über meine ©inricptung, über meine Statuen, 
über meine ©emälbe, über bie Originalität meiner ©ntwürfe, waS bie 
©auart unb AuSftattung ber ©emäcper betrifft. SebenfaflS gerabegu 
beraufcbt Don aß* ber ©racpt, waS? — Aber Derzeipen Sie mir, mein 
befter £err", pier naprn feine Stimme ben Ton aufrichtiger ^erzltcpfeit 
an, „beleihen Sie mir mein rücfficptSlofeS Gelächter. Sie fcbienen fo 
ganz aufeer ftcp Bor ©erwunberung. Aufeerbem giebt eS einige Tinge, 
bie fo Doßfommen läcperlicp finb, bafe ein SRann barübet lachen mufe 
ober baran fterben. Sacpenb zu fterben, muß ber glorreicpfie aller glor* 
reichen Tobe fein! Sir TpomaS SRoore — ein perrlüper ßRann ift 
Sir TpomaS ßRoore — Sir TpomaS ßRoore alfo ftarb lacpenb, wie Sie 
fleh erinnern werben. ©benfo giebt eS in ben »AbfurbitieS* bon [Ras 
DtfiuS Tejtor eine ganze SRett^e ju ©paraftere, benen eS Dergönnt mar, 
auf blefelbe prächtige ^Steife 5 K enben. 2Biffen Sie aber", fuhr er nach* 
benfliep fort, „bafe in Sparta, weftlicp bon ber ©urg, unter einem 
©paoS faum erfennbarer Ruinen fi<p eine Art Soctet befinbet, welcher 
in noch lesbaren Settern bie Snfcprift A2M trägt? Sie fmb unjweifeU 
paft ein Tpeil Uon rEAASMA (Gelächter). 9hm in Sparta gab eS 
taufenb Tempel unb Elitäre für taufenberlei Derfcptebeue ©ottpelten. SBie 
pöcpft fonberbar, bafe ber bem Sachen gewibmete Altar alle anberen 
Altäre überbauert haben foflte. Aber in bem gegenwärtigen gälte", hob 
er nach einer SBeile mit eigentümlicher ©eränberung in Stimme unb 
SBefen wieber an, „patte icp fein [Recpt, miep auf ipre Soften luftig ju 
maepen. Sie tonnten mit [Recpt erftaunt fein. (Europa pat nidptS fo 
ScpöjteS aufeuwetfen, waS biefem meinem tleinen föniglicpen ©abinette ju 
bergteiepen wäre. 9Reine anberen ©emäcper finb fetneSroegS bon ber= 
felben SXrt — blofee Ucbertreibungen nicptSfagenber mobifeper ©efepmaefr 
lofigfeiten. TteS picr ftept über ber 9Robe, nicht wapr? Unb boep 
braucht eS nur gefepen zu werben, um ben SBetteifer zur [Racpapmung 
perauSjuforbem. TaS petfet nur für Solche, bie mit Aufbietung ipreS 
ganzen ©rbtpeilS bazu im Stanbe fmb. 3nbeffen, icp bin barauf be* 
baept gewefen, einer folcpen ©ntwelpung bor^ubeugen. Abgefepen bon 
einer einzigen AuSnapme finb Sie, aufeer mir felbft unb meinem Wiener, 
baS erfte menfcplicpe Söefen, bem eS geftattet würbe, biefe [Räume $u 
betreten, feitbem biefe in ber Art, wie Sie fie fepen, auSgefcpmiicft 
würben?" 

3um 3 eic & en meiner Anerfennung maepte icp eine ftumme ©er* 
Beugung, benn bie [ßraept, bie beraufepenben Tüfte unb bie SRuftf, baS 
AßeS jufantmen in ©erbinbung mit bem ©inbruef feiner unerwartet 
ejeentrifepen SBorte unb feines ©enepmenS brang mit fo übermältigenber 
©mpfinbung auf miep ein, bafe eS mir unmöglich war, meine Anerfen* 
nung, bie icp fonft $u einer artigen Scpmeicpelei geformt paben würbe, 
in ©Sorten AuSbrud ju geben. 

„Sepen Sie", ergriff er wieber baS SBort, inbem er fiep erpob 
unb auf meinen Arm fiep ftüpenb im ©ernaepe umperfcplenberte, „fepen 
Sie, ba finb ©emälbe öon ben ©rieepen biS auf ©imabue, unb oon 
©imabue bis ju ben mobernften SReiftern. 3Rancpe barunter finb, wie 
Sie bemerfen werben, mit geringer ©erücfficptiguug ber gorberungen 
ber 5Roval gewäplt worben. Sie finb inbeffen aße bie paffenbe Aus* 
fiattung für ein ©emaep wie biefeS pier. 2)a ^epen Sie auep einige 
3Reifterwerte Don unbefannten ©röfjen; unb pier unooßenbete Entwürfe 
Don Männern, bie in ipren Xagen berüpmt waren, bereu tarnen aber 
fogar bie Scparffüptigfeit ber Atabemien ber SSergeffenpeit unb mir über* 
taffen pat. 28a3 palten Sie", fagte er, inbem er fiep plöfclicp abwanbte, 
„waS palten ©ie Don biefer ßRabonna beßa $ietä?" 

„Sie ift ein eepter ©uibo!" rief icp Doßer SBegeifterung auS, benn 
icp patte miep gan$ Derfenft in bie AßeS übertreffenbe Sieblicpfeit beS 
©emälbeS. „Sie ift ein eepter ©uibo! 28ie paben Sie fiep biefeS 


SReifterwerf nur ju Derfcpaffen gewußt? Sie ift opne grage in bei 
Malerei baffelbe, waS bie SSenuS in ber Sfulptur ift." 

„3a!" fagte er nacpbenflicp, „bie SSenuS — bie fepöne SBenuS? 
bie S3enuS Don SRebici? Sie, mit bem tleinen Äobf unb bem golbigen 
©aar? ©in. Xpeil beS linfen ArmeS" — pier liefe er bie Stimme 
finten, bafe er nur noep mit SRüpe ju Derftepen war — „unb ber ganje 
reepte Arm finb reftauxirt, unb in ber $ofetterie biefeS rechten Armes 
tft, wie icp meine, bie Ouinteffenj aßeS ©edierten enthalten, ©eben Sie 
mir ben ©anooa bort? $>er Apoßo ift auep eine (Sopie — baS ift 
aufeer aßem Qtottftl — blinber Xpor, ber icp bin! $)te praplerifcpe 
Segeifterung beS Apoflo niept betrachten 5 U tönnen! 3><P ^nn ni^t 
anberS — Beilagen Sie miep! 3<P fann niept umpin, bem AntinouS 
ben SSor^ug ju geben. §at eS niept SotrateS gejagt, bafe bem 93ilb= 
pauer feine Statue auS bem SRarmorblocE entgegengetreten fei? 3)ann 
war 9RicpeIangelo teineSwegS original in feinen ©erfen: 

5Ricpt pat ber gröfete Zünftler je ©ebanfen, 

$)te rein unb teufcp ber SRarmor niept umfeplöffe!" 

©S ift bemertt worben, ober eS foßte wenigftenS fo fein, bafe in 
bem SSefen beS etpten ©belmanneS immer etwas Don ber Haltung ge- 
wöpnlicper SRenfcpen ©erfcpiebeneS liegt, opne bafe fofort $u beftimmen 
wäre, worin biefer Unterfcpieb beftept. 3Senn biefe ©emerfung in iprer 
Doßen ©ebeutung auf baS äufeere ©enepmen meines ©etannten anju- 
wenben war, fo füplte icp an jenem benfwürbigen SRorgen, bafe bieS in 
©ejug auf fein ©emütp unb feinen ©parafter noep Diel mepr ber gafl 
fei. Auep weife icp jene geifttge ©igentpümlicpfelt, bie ipn fo ganj be* 
fonberS aufeerpalb ber gewöpnlicpen ©rennen aßer anberen menfcplicpen 
3Befen erfepeinen liefe, niept anberS ju bezeichnen, als bafe icp fte eine 
©ewopnpeit tiefen unb fortlaufenben 3)enfenS nenne, Don ber felbft feine 
aßtäglicpften §anblungen burepbrungen waren; eine ©ewopnpeit, bie 
fiep auep feinen müfeigen Aßgenbliden aufbrängte unb fogar in bem 
feltenen Aufblifeen feiner £>eiterfeit perDortrat, ben Mattem Dergleicpbar, 
bie an ben Äürnifen ber Xempet Don ©erfepoliS auS ben Augen ber 
grinfenben ßRaSfen fiep perDorfcplängeln. 3cp tonnte jeboep niept um¬ 
hin, trofc ber leichtfertigen, oft wieberuni auep feierlichen Art, womit er 
über $inge Don geringer ©ebeutung rafcp bapin blauberte, wieberpolt 
etwas Don paftiger ©erwitrung ju bemerfen — eine reizbare fRupe= 
lofigteit beS ganzen SBefenS, bie icp mir niept ju erflären Dermocpte, 
unb bie miep manchmal fogar mit ängfttieper ©eforgnife erfüßte. ©äufig 
gefepap eS auep, bafe er mitten in einem Sa£e abbreepenb, beffen An» 
fang er offenbar oergeffen patte, mit aufmerffamfter Spannung auf 
etwas ju porepen feiert, als ob er entweber einen ©efuep erwarte ober 
Xönen laufepe, bie nur ln feiner ©inbilbung beftepen tonnten. SBäprenb 
einer biefer Träumereien ober Raufen offenbarer Abwefenpeit fanb ich 
beim Turcpblättern poetifeper unb geleprter 3Berfe in ber neben mir 
auf bet Ottomane liegenben fepönen Tragöbie Don ©olijiano: „L’Orfeo“ 
(bie erfte italienifcpe fRationaltragobie) eine Steße mit ©leiftift untere 
ftriepen. ©S war eine Steße gegen baS ©nbe beS britten ActeS, eine 
Steße Don waprpaft perjbrecpenber SBirfung, eine Steße, bie, wenn 
auep niept frei Don Unlauterteit, boep [Riemanb tefen wirb, opne einen 
biSper unbefannten Schauer ber [Rüprung jn empfinben, fRiemanb opne 
einen Seufzer ber Tpeilnapme. Tie ganze Seite war feuept Don Tpränen, 
unb auf ben bazwifepen gebunbenen, unbebrueften ©lättem waren in 
englifeper Spracpe bie folgenben Stroppen niebergefeprieben. Tie ^panb* 
feprift war Don ben eigentpümlicp geformten ©uepftaben meines ©e? 
fannten fo Derfcpieben, bafe icp anfangs grofee 9Rüpe patte, fie als bie 
feinigen z« erfennen: 

„Tu warft mir AßeS, WaS, o fiieb, 

©rfepnt bie Seele mein; 

3m ßReer ein grünes ©ilanb, Sieb, 

©in Ouefl, ein ^eil'genfcprein, 

©efränzt mit ©lumen unb mit füfeer gfuept, 
llnb aß^ bieS ©lüp'n war mein! 


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Nr. 6. 


Dte ftcgetnourt 


93 


O $raum, gur $)auer oiel gu fc^ön! 

0 Hoffnung, fiernenglei4! 

$>u famft, un8 graufam gu oerwep'n, 

9luS einem anbem Neid). 

$)er 3ufunft Stimme ruft mit SDtadjt — 

-5)od) bie Vergangenheit 

Siegt fetter wie grauftg buntle 9?ad>t 
muf mir mit ihrem Selb. 

$)ann wepe! Bepe! Nimmermehr 
Vlüpt Seben unb Sicht für mich! 

(SS rauftet wie baS peirge 3Reer 
Nteine Ätage fo fcpauerlup; 

$enn nimmer !ann ber bürre Vaum, 

$er blipgerf4ellte blühen 

Unb nimmer gu beS ftetperS Naum # 

3)er tounbe Nbler fliehen. 

Vergaubert ftnb mir £ag unb Nacht! 

3 « meinen träumen allen 
Seh’ ich ber bunflen Slugen fßvacht 
3)eS leifen (Schrittes Ballen. 

Vpantafff4e £änge fdjweben facht, 

Unb lelfe Sieber paßen. 

0 wehe ber oerwünf4ten 3*it! 

Sie brachten bich über'S ÜJteer, 

Von meiner Siebe fo weit, fo wett 
3u Verbrechen unb 2llterSbefcpmer! 

UnhciligeS Säger wartete bein- 

Nun bin ich lieber allein, allein 

3n bem nebligen Sanb, wo bie Sonne matt fcheint, 

Unb bie ftlberne Stpränen weibe weint."*)* 

$>ap biefe Strophen in englifcher Sprache gebichtet waren, einer 
Sprache, welche, wie ich geglaubt hotte, bem Slitior nicht befannt war, 
erregte nur wenig mein ©rftaunen. Um über berartige ©ntbeefungen 
erftaunt gu fein, war ich gu fehr vertraut mit bem Umfange feiner 
Äenntniffe unb mit bem befonberen Vergnügen, welches er barin fanb, 
»fic oor frember Veobadjtung Oerborgen gu holten. 2tber ber Ort beS 
Datums oerfepte mich, tüie ich geftehen muß, in nicht geringe Verwun= 
berung. Urfprünglich hotte Sonbon ba geftanben, war aber fpäter 
forgfälttg burchftrichen — tnbeffen nicht wirfjam genug, um baS Bort 
einem prüfenben £uge entgehen gu lönnen. 34 foge, biefer Umftanb 
erregte mir nicht geringes ©rftaunen, benu ich erinnerte mich fehr wohl 
baran, in einer früheren Unterhaltung mit meinem greunbe befonberS 
bamach gefragt gu hoben, ob er gu irgenb einer 3eit in Sonbon ber 
SRarcpefa bi Ntentoni begegnet fei. 3)iefe hotte ftch einige 3ohre oor 
ihrer Vermählung in Sonbon aufgehalten. Seine Antwort, wenn ich 
mich nicht irre, gab mir gu oerftehen, baß er bie Ntetropole ©top= 
britannienS niemals befudjt höbe. 34 tonn hier gleich einflie&en laffen, 
bap i4 mehr olS einmal gehört hotte, — natürli4 ohne einem ©e= 
riuhte, baS mit fo Oielen Unwaprf4einli4feiten oerbunben war, irgenb= 
wie ©lauben gu fepenfen — bap bie hier in Ntobe ftehenbe ^erfon, 
nicht nur Oon ©eburt, fonbern au4 ber ©rgiepung nach ©nglänber fei. 

-„©ier ift noch ein ©emälbe", fagte er, ohne meinen 

©tnblic! in bie Xragöbie bemertt gu hoben, „hier ift no4 ein ©emälbe, 
baS Sie ni4t gefehen hoben." Unb inbem er eine Draperie gur Seite 
fcpob, enthüllte er ein in SebenSgröpe gemaltes Vilb ber Ntarcpefa 
Äpprobite. 

BaS bie 2)arfteflung biefer unoerglei4H4en S4önpeit betrifft, fo 
hätte menf4H4e $unft ni4t mepr gu tpun ocrmo4t. $tefelbe pimms 
Uf4e ©eftalt, wie fte in ber üergangenen Nacpt auf ben Stufen beS 
3)ogenpalafteS geftanben hotte, fap i4 hier wieber Oor meinen 2lugen 

*) Ueberfeßmig oon Vormann. 


erf4einen. $tber in bem SfuSbrud beS SlntltpeS, baS über unb über 
wie oon lieblichem. Sä4eln übergoffen war, f4lummerte benno4 jener 
fonberbare Nnflug oon 9Nelän4olie, ber wie in ungertrennÜ4em Verein 
mit ber S4önpeit Oerbunben gu fein pflegt. 3h r re4ter &rm rapte 
auf ber Vruft, wäprenb fie mit ber Unten ©anb na4 abwärts auf 
eine feltjam geformte Vafe beutete. 3)er eine ber f4ntafen, feenhaften 
giipe, ber allein p4tbar war, berührte faum bie ©rbe; unb Oon bem 
leucptenben ©intergrunbe, ber bie Sieblirpfeit iprer ©rf4einung gu um= 
rapmen ober beffer gu umf4ntiegen f4icn, taum gu unterfepeiben, 
fcpwebten hinter ipren S4ultern ein paar auperorbcntlup gart entworfene 
glügel. SNein Vlid glitt oon bem ©emälbe auf bie ©eftalt meines 
greunbeS, unb bie fraftooflen Borte Oon ©papman’S „Vuffp b’9(mboiS" 
brängten p4 tnir unwiHfürli4 auf bie Sippen: 

©r fiept bort 

2US wie ein römif4 Stanbbilb! ©r wirb ftep'n, 

ViS ipn ber Xob gu Ntarmor. ma4t! 

„kommen Sie", fagte er enblnp, unb wenbete ft4 na4 einem 
2if4e Oon rei4 emaillirtem, mafpoem Silber, auf bem einige ppan* 
taftif4 bemalte Ve4er fianbeit, unb gwei grope etruStifcpe Vafen oon 
berfelben ungewöpnli4en gorm wie bie, weUpe auf bem Vorbergrunbe 
beS VitbeS gemalt waren; wie i4 oermutpete, waren pe mit 3opanni3= 
berger gefüllt. 

„kommen Sie", fagte er raf4, klaffen Sie unS trinten! ©S ift 
aHerbingS no4 früp am Sage, aber laflen Sie unS trinten! — ©S ift 
in ber Xpat noch früp!" fupr er na4benfli4 fort, als ein ©perub 
einem J4weren ©ammer Oon ©olb baS ©ema4 laut erf4otIen liep oon 
bem S4lage ber erften Stunbe na4 Sonnenaufgang. ,,©S ift aßer= 
bingS früp, aber waS pat baS gu bebeuten? Saffen Sie unS trinten! 
Bir wollen ein Opfer auSgiepen jener po4erpabenen Sonne, welcpe 
biefe pruntpaften Sampen unb Nau4gefäpe mit einanber wetteifemb gu 
oerbunfeln trachtet." Unb als er mi4 oeranlapt patte, ipm auS einem 
üollen fötale Vef4eib gu tpun, ftürgte er raf4 na4einanber mehrere 
Vecper Beins hinunter. „3 U träumen", fupr er fort, ben Xon feiner 
unftäten Neben wieber aufnepmenb unb einen ber prächtigen Votole 
gegen bie grelle Si4tfülle eines ber Nau4gefäpe paltenb, „gu träumen, 
ift bie Aufgabe meines SebenS gewefen. 34 höbe mi4 beppalb in 
meiner Bopnftätte wie mit einer Traumwelt umgeben, ©ätte i4 mir 
mitten in Venebig eine beffere fepaffen tönnen? @S ift wapr, Sie er= 
bliefen pier um fi4 per ein oerworreneS ©cmif4 Oon ar4itettonifcpen 
3ierraten. S)er reine ßunftpnn StolicnS wirb beleibigt bur4 Oorwelts 
licpe ©ntwürfe, unb bie Sppinye 5legl)ptenS liegen bort auf golbenen 
Xeppi4en pingeftreeft. Allein bie Birtung beS ©angen pat nur für 
ben Vebentli4en etwas Ungereimtes. 3)ie Uebereinftimmung beS OrteS 
unb namentlüp ber 3 ei t pnb ber Vopang, wel4er bie 3Renf4pcit Oon 
ber ^Betrachtung beS ^Sräc^tigcn gurüeffepreeft. ©inft war i4 fclbft mit 
SluSfcpmüctungen bef4äftigt; aber jene Verperrlt4ung ber Narrpeit pat 
meine Seele überfättigt. SlOeS baS bient jept bagu, meine ®bp4t gu 
förbern. ©Iei4 bem Nau4 auS biefen arabeStenartig geformten Ampeln 
winbet mein ©eift p4 im geuer, unb bie in biefer Umgebung perrfepenbe 
fieberhafte ©lutp bereitet mi4 Oor auf bie ppantafttf4eren ©rfepeinungen 
jenes XraumlanbeS, gu bem i4 otup jept raf4 emporf4totngen werbe!" 
©ier hielt er plöpli4 inne, liep ben Äopf auf bie Vruft finfen unb f4ien 
auf einen $on gu Iauf4«n, ber mir ni4t oernepmbar war. ©nbli4 
bliefte er, feinen Körper po4 aufri4tenb, naep oben unb ftiep in ab* 
geriffenen Borten bie Strophen beS Vif4of'S Oon ©pi4cfter perauS: 
„S)ort warte mein! Naf4 werb' i4 g« ®ir cücn, 

3n jenes XpaleS ©runb mit $ir gu weilen." 

3nt nä4ften Slugenblicf ftreefte ftep fein Äörper, Oon ber ©ewalt 
beS BeineS begwungen, auf eine Ottomane pin. 

3ept liep fiep oon ber kreppe per ein paftiger S4ritt oernepmen, 
bem glei4 barauf ein lautes $o4en an bie ^pür folgte. 34 eilte, um 
eine weitere Störung gu oermeiben, barauf gu, als ein ißage auS bem 
©aufe Ntentoni in baS ©emaep ftürgte unb mit einer oor ©rregung 


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94 


Die fegentoart. 


^alB erfticften Stimme bie unzufammenpängenben ©orte perborftammelte: 
„Weine (Gebieterin! Weine Gebieterin! Vergiftet! Vergiftet! 0, fdjöne 
— perrlidpe Approbtte!" 

©ntfe^t flop id) ju ber Ottomane unb bemühte mich, ben Schläfer 
5 um Vewuptfein zu erweden, bamit er bie erfcpüttentbe Stadjricpt ber* 
näpme. Aber feine ©lieber mären ftarr, feine Sippen entfärbt, feine 
eben noch leucptenben Augen waren im Tobe erlofcpen. Qcp taumelte 
Surüd gegen ben Xifcp, meine $anb gerietp auf einen gerfpruitgenen 
unb gefdproärzten Vedper, unb wie ein Slip brang auf meine Seele ba« 
Verftänbnth ber bolle n unb furchtbaren Akiprbeit ein. 


JMts bet <Ättuptflabt. 


Der Parke Ijermel. 

Sch weih nicht, ob Sie fich meiner au« ber 3eit, roo Sie jung 
unb ein felbftftänbiger ^Mittler waren, noch erinnern. 3ebenfaH$ barf 
ich aber annehmen, bah Sie bamal« bon mir gehört haben. Ter Ums 
ftanb, baj meine grau Warna mich bi« zu meinem ooKenbeten bier= 
ahnten Seben«japre fäugte, hat mir in ber beutfchen Sage einen ©pren= 
plap bcrfcpafft unb mich nicht minber berühmt gemacht, al« bie fpäteren 
Ahnten meine« mu«fulöfen Arme« unb meine Erfahrungen al« ftutfcper 
unb Sdjiebefärrner. Ter fernere tlmftanb, bah im Abgeorbnetenpaufe 
nach einem ftarfen Wann gerufen worben ift, ber ja fein Uebermah an 
Sntelligenj ju befipen brauche, foroie überhaupt bie ganje ©ntwidlung 
ber neueren beutfchen ^olitif erfüllen mich mit ber ©ewihpeit, bah meine 
3eit enblich gcfommen ift. 3th biete 3hnen befjpalb meine Staat«bienfte 
hierburch ergebenft an. 

©lauben Sie nicht, geehrter §err Dteicp«?anzler, bah ich mich über= 
fdjäpe. Unter bem allzu gewaltigen ©ad)«tpum meine« 3 e ß 9 e wcbe« hat 
ba«, wa« man al« ©eift zu bezeichnen übercingefontmen ift, bei mir 
nicht unwefentlicp gelitten. 3ch bin im Stanbe, jebem gewünfchten Object 
an bie ©urael ju fpringen unb e« zu erbroffeln, bafür aber mangelt mir 
alle« Selbftbemuhtfein, alle eigene Ueberjeugung unb bie Scheu, officiöfe 
Seitartlfel für bie berrufenften Tageblätter in ftöln, Hamburg, Wagbe= 
bürg unb Verlin ju fchreiben. Ta ich, wie bereit« erwähnt, aud) fepon 
einmal ßutfdjer gewefen bin unb gleich bei ber Probefahrt meinen Jperrn, 
ben Suitfer, im tiefften Sdjmup a6gelaben habe, halte ich mich ferner 
für einen ber jefct fo beliebten Tilettanten — furz, bringe Ade« mit, 
wa« non bem fommenben Wanne erwartet wirb. 

Xropbem wäre ich weiter befcpeiben in meiner Verborgenheit ge= 
blieben, wenn ftd) nicht gerabe in biefen Tagen bie zwingenbe Aotps 
wenbigfeit herau«geftellt hätte, einen Starfen wie mich mit ber Leitung 
ber ©efchäfte zu betrauen. Ta« conftitutioneKe Spftent hat enbgültig 
abgewirtschaftet. Tarüber ftnb fich bie Vorfteper aüer .©leinfinbersVes 
wahranftalten flar. Säcpt nur ©raf Valleftrem, fonbern auch färnrntlidje 
ScpulsStettoren. ©raf Valleftrem hat mit ©ntriiftung ben langjährigen 
gebanfenlofen Sretpum zurüdgewiefen, ber beutfche i'aifer fei ein confti* 
tutioneller gürft. Unb ©raf Valleftrem al« 9teich«tag«präfibent muh 
bocp Wortlaut unb Sinn ber Verfaffung fennett. ©inige Stunben, be¬ 
vor er feine Tifchrebe hielt, liehen bie Scpulpräfibenten zu ©pren be« 
faiferlichen ©eburt«tage« bie 3ubelpt)mne „£>eil Tir im Siegerfranz" 
fingen, babei aber bie zweite Strophe be« Siebe« au«faQen. ©« finbet 
fich bort befannter ©eife bie focialiftifcpe ^Behauptung, bah uicht Stop, 
nidjt Seifige bie fteile .£>öp ftchern, wo dürften flehen, unb bah ^iebe 
be« freien Wann« ben .frerrfepertpron grünbe. Sowohl bie 3ugenb, auf 
ber Teutfchlanb« 3ufunft ruht, wie bie in anftrengenber ©apl au«= 
gefiebte Volf«bertretung, ber unfere ©egenwart überantwortet ift, ftimmen 
bem zu golge in ber Anficpt überein, bah ber Unberftanb be« ©onftU 
tutionali«mu« nunmehr entweber tobtgefcbwlegen ober zwifchen beutfepem 
glottenei« unb Ääfe erbroffelt werben müffe. 3ch fpüre bie flraft in 
mir, biefen ©ebanfen in ©irfltcpfett umzufepen. Aber auch in anberer 
Beziehung glaube id) befähigt zu fein, bie fommenbe 3 e *t heraufzuführen. 

Ter politifcpe Xoaft, bie ©epflogenpeit, währenb eine« üppigen 
Wittageffen« au«gebepnte Programme zu entwerfen unb ganze neue 
Vieren zu inauguriren, hat ja erfreulicher ©eife überall im Reiche leb= 
haften Anttang gefunben. Tem ©rafen Valleftrem ift e« fogar gelungen, 
bie neue Uebung bi« zur Voöfommenheit zu berebeln. 3Ä glaube 
faum, bah e« mir möglich fein wirb, mit gröberer fRupe al« er unterm 
fdjüchternen ©eflapper ber lepten ©abein, bie rafd) noch mit bem Steft ber 
Oftenber Steinbutte aufräumen möchten, ejaltirte t>erfaffung«rechtliche 
Vorträge zu palten unb barüber zu fpredjen, wer feine Seit beffer oerftept: 
ber Monarch, ber ba perrfepen unb nidpt regieren wiü, ober ber 9?eicp«s 
tag«präfibent, ber in einem Sltpem bie« ^Sollen unb bie $errlicpfeit be« 
beutfchen Parlamentari«mu« preift. 38enn ich aber, fepon meiner äuheren 
©rfepeinung wegen, ben ©iertanz wäprenb ber SRaplzeit auch minber 
gut oerftepe, fo bin icp bocp entfcploffn unb ooöauf befähigt, bie^RapU 
Zeit jelbft zu einer noch wichtigeren Staat«action al« bi«per zu machen. 

SBoran bie berzeittgen 2Jtinifter be« neuen Surfe« franfen, wa« 
ben rupigen ©ang ber flRafcplne ftört unb bie allgemeine Unzufriedenheit 
pergröjjert, ba« ift ipr fcpwacper 3Ragen. ©ine gefegnete Verbauung 


Nr 


hülfe ihnen über bie SBtberwärtigfeiten be« Tage« fort unb berati 
fie, manche Stunbe, bie fte jept al« fterile« ^>upn am $rbett«tifcbe 
brüten, ben fjteuben ber Tafel zu wibmen. Unfere SRinifter haben 
Aufgabe noch immer nicht recht erfaßt. 9?ocp immer ertappt ma 
auf ber beralteten Vorftellung. bah fie bie $Regierung«gefcpäfte zu leiter 
bafür bie Verantwortung zu üoernepmen hätten. Sie begreifen nicht, bc 
Veruf au«fdhliehlich barin beftept, bor 5Reid)8fag unb Sanbtag bit 
wopnpeit«mähigen Sieben z« palten unb burep pübfcp gewählte SBorte j 
mann zu überzeugen, bah biezurVeratpungftepenbenöefepentwürfegr 
angeftrengter ©ebantenarbeit feien, unb bah bie Regierung bie Siotp 
fianbwirtpfepaft ooll unb ganz anertenne 3thwieberhole, |)errSieich«tan 
bie Kammern rnüffen burep bie SJiinifter bei guter Saune erhalten wei 
Tie aufgeklärte Tefpotie ber Sutunft bebarf brlngenb ber Vol!§ 
tretungen, weil nur biefe wopltpätigen Suftitute ba« Obium n 
Steuerauflagen, mihüebiger Knebels unb 3 u tpthau«s©efepe bon 
abwälzen fönnen. SHerbing« ift e« ^flicpt ber Parlamente, eben) 
ihre 3 e ü 8u berftepen unb bie Sipung«fäle in Spetfefäle umzuwani 
SSie weit wir augenblicklich noch uon biefem 3beale entfernt ftnb, , 
mit feproffer Teutlicpfeit au« ber Tpatfa(pe perbor, bah bie ©egner 
SRittellanbs^anale« bie 3uformation«reife nach Tortmunb nur unter 
Vebingung antraten, bah man ihnen unterweg« nirgenbwo ein officie 
Tiner ferbire ober gar einen Vierabenb mit faltem Vuffet anbiete. $ 
muh fcpleunigft ©anbei gefepaffen werben, am beften burep ein erheben 
Vetfpiel. Ter ftarfe SRann ber Sufunft muh öor allem ein berbauun 
ftarfer Wann fein. 

Ueber meine Seiftung«fäpigfeit in biefer $>infidpt unterrichtet t 
jeber ©ermanift. Tan! ipr wirb e« mir ein Seichte« fein, niept nur 
Parlamente zu immer patriotifeperen Tpatcn anzufpornen unb bie Dp) 
fition zu befepämen, fonbern audp bie in ben lepten Soh^n fo oft fdpme = 
iiep bermihte ©inigfeit unb ©inpeitlicpfeit ber ^Regierung rnieber per^ = 
fteüen. Ilm jeben 3 an ^ unb Streit zu bermetben, gebenfe ich • e 
gemeinfamen ©onferenzen fogleid) naep ben gemeinfainen Waplzeiten o = 
Zupalten. Vorher gebe ich vegelmähig bie Slnfcpauungen, bie bon b r 
entfepeibenben Stelle zum fiegreiepen Turcpbrudte beftimmt worben ftti», 
in gorm eine« mepr ober weniger gereimten Toafte« bon mir. Ta al e 
fcplecpten ©fjer unberzüglicp au« bem Winifterium entfernt werben, gu e 
©ffer aber nicht opne Verbauung«fcpläfcpen fein mögen, leifte icp ©ewäl r 
bafür, bah bie Winifters©onferenzen ftet« in ungetrübter Harmonie be 
laufen. ©« fann fein, bah icp unb meine ©ollegen mitunter ben ©cg 
eine« Strafforb ober ^olignac einfcplagen, niemal« aber ben eine« Vi«mard! 

©eftatten Sie mir, epe icp zum entfepeibenben Vuntte übergepf, 
noep in SHirze einige ber trefflichen ©igenfepaften zu berühren, bie meinen 
Veruf zuw SÄinifterpräpbenten offenfunbig erpärten. 3 u börberft er^ 
wäpne icp meine unüberwinbüepe Abneigung gegen ba« Steifen. 3<h 
war niemal« bazu zu bewegen, ba« Tpor meiner Vaterftabt aud) nur 
au« ber ©ntfernung zu beficptigen. Veter in ber fttembe, ben ber pocp= 
bereprte ©raf Vülow in einem feiner ebenfo geiftreiepen wie falfcpen 
©ttate fogar an’« Weer gelangen läßt, war ein TpomaS ©ool im Vers 
gleich mit mir. 3<P würbe alfo ben reifeluftigen Herren au« ber näperen 
Umgebung Seiner Wajeftät, ben dürften gulenburg, ben Herren non 
Sucanu«, o. ^tberlen unb fonftigen Äufternfreunben niemal« unlautern 
©ettbemerb maepen, wa« ficper wieber zur ftolge hätte, bah fte auch 
mir ohne Stotp feine Steine in ben ©eg würfen. So bräche, zum 
erften Wale feit 1888, zwtfcpen ben oerantwortlicpeu unb unDerantworfc 
lieben JRatpgebern, bet Stegierung unb ber Stebenregierung, licpterlope 
greunbfdwft, ja zärtliche Siebe au«! 3cp überlaffe e« 3hnen, geehrter 
$evr 9teicp«fanzler, ftep öon ben fegenboHen SRücfwirfuitgen biefe« 5rieben«s 
fcpluffe« eine Vorlefung zu machen! Unb nod) ein«, wa« ba« Steifen 
anbetrifft unb feine Scpäblicpfeit für einen wohlerzogenen Tiplomaten. 
©ie biel Verftimmungen pat nidtt bie gaprt be« z- 8^ fiurfen Wanne«, 
be« iperrn bon Vobbiel«fi, nach Stuttgart unb Wüncpen perborgerufen! 
Äann e« einem Staat«fecretär gefallen, wenn fonft gewopnpeit«mähig 
gütige Wonarcpen ipn wäprenb ber 9lubienz interbefliren: Sie finb fein 
Üunftfreunb, lieber $obbiel«fi, nicht wapr? ©orauf er, über biefe Vrei«* 
gäbe eine« 5lmt«gepetmniffe« erftaunt, lopal fragt: ©e«palb glauben 
©w. Wajeftät ba«? unb bie Antwort erhält: ©eil Sie Shre ©inpeit«= 
marfe fo gern anfepett!. .. Scpliehlicp weife icp noch auf bie böfen 
©ommentare pin, bie zu ber Steife be« öerrn bon Xirpifc an bie füb= 
beutfepen $öfe gemacht worben finb. ©ie e« fiep in einem nicht con* 
ftitutionetlen Staate, beim Verfepr mit VafaOen bon felbft berftept, 
erfuhren bie fübbeutfepen Sepn«männer Stäpere« über bie geplante Scpiff«* 
bevmeprung erft au« ben in ipreit Stefibenzeit erfepeinenben Worgenblättem. 
Ratten fte fo lange warten müffen, epe fie überhaupt bernapmenf, bah 
bie Sawine unterweg« fei, fo hätten fie aud) bie ©inzelpeiteü be« 
glottengefefce« erft au« ber Storbbeutfcpen Allgemeinen 3 e Uung ober bem 
Verliner Tageblatt zu erfahren brauchen, gür ben berfpäteten unb 
be«palb überflüfftgen 3 n formation«befucp be« Warine=Secretär« räcpten 
fiep bie fübbeutjepen ^Regierungen befanntermahen fepr empfinblitp ba= 
bnrep, bah Ü e ihre Vertreter im Vunbe«ratpe anwiefen, ben ©ntmurf 
opne jebe weitere Prüfung binnen oierunbzwanzig Stunben anzunepmen. 

3cp benfe, Sie fennen mich nun unb füplen inftinftib, bah unter 
ben fünfzig Wißionen beutfeper Staat«angepörigen wenige in bett Wape 
wie icp zu 3Preni Stad)folger qualificirt finb. Vei aller ^odaeptung 
bor 3hren ©aben — in etlichen fünften genügen fie bocp ncht ben 
Anfprücpen ber Steuzeit. ©« ift fepon niept 3 p bem gegeben, bie 99 
Tugenben AElap« in ftch Z u bereinigen, unb ein Winifterpräftben^ unfrer 

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Die (Segen wart. 


95 


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6 . 


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gelt bebarf beten nodj brci ober oter mehr. BefonberS nach ber nega= 
tioen ©eite bin. 3n mir finben ©ie fie bereinigt. Muß id) ©ie auf 
£ meine SBaben aufmerffatn machen, bie bie ©enfationSpibce jebeS §of* 
^i/fefteS unb gadeltanzeS zu werben Oerfprecpen? Auf bie lobenben 3*ug* 
' niffe, bie mir meine früheren Xienftgeber auSgefteflt haben — unb bie, 
* e loenit fcpon weiter nichts, fo hoch meinen unbebingten ©eporfam rüpmenb 
fr anerfennen? Auf meine ftaunenerregenbe ©ebäd)tnißfd)roäd)e, bie mtd) 
r <b in ben ©tanb feßt, heute mit flamntenber 33 egeifterung ©efeßoorfagen 
‘ * *u oertreten, bie id) geftern als uferlos bezeichnet habe, unb alle S 3 er* 
fptedmngen, bie ich wirtpfdjaftlidj bebrängten 93olfSfcpid)ten gebe, fo rafd) 
ßt. unb grünblich z u bergeffen, bah id) bereits Morgen in ber Sage bin, fie 
fr neuerbingS zu geben? 

ol SBon meiner SnteHigenz zu reben, berbietet mir eine natürliche 

? Abneigung babor, ©te mit ^Bagatellen zu beläftigen. ©enug, wenn id) 

- SPnen fage, baß fie ben berechtigten gorberungen, bie im Abgeorbneten* 
4 häufe nt biefer -£>inficf)t an ben fommenben Mann gefiellt worben finb, 
r' burcpauS entfprid^t. SebenfaHS fühle ich utid) ben bureaufratifcpen Obs 
►* Iiegenheiten unb hauptjäcplicpen Pflichten, bie bem georbneten (Sang ber 
r* ©efdjäfte entfprinaen, oöQig gewacpfen; id) werbe nie üerfäumen, piinft- 

- lieh um brei Uhr oen ©tjlinoer aufzufeßen unb TOtttagbrob effert zu gehen. 

(SS wäre unred)t, roollte id) 3 hnen berhehlen, bah fo biel Sicht 
‘ auch ©chatten wirft. Noep fehlt mir jene fchmelzenbe $3erebfamfeit, bie 
: an patriotifepen gefltagen ben Monarchen nicht als toeibgeborenen 
ARenfcpen unb ftrebenben Kämpfer, fonbern als Ilchturnftraljlten, un* 
begreiflichen Halbgott feiert. Mein beutfcheS SBlut fträubt fid) noch gegen 
eine folche £>erabwürbigung beS beutfdjen #erzogS; benn eine $erab* 
roürbtgung unb SBerfletnernng beS gührerS bet Nation fcheint eS mir, 
wenn man fo tput, als höbe eine gee ihm baS alles fchon in bie SBiege 
gelegt, waS er bod) in reblichem, raftlofem Gingen, im tapferen Xrange 
nach eigener $eroollfommnung ertoarb unb noch erwerben [oH. Nun, 
id) hoffe, burd) fleißige Seetüre ber oon fehr alten römifchen CSlaffifern 
unb fehr mobernen beutfehen $>od)fdjul*Neftoren oerfaßten $aiferpi)mnen 
31 t befferer ©infiept unb AuSbilbung zu gelangen, ©benfo bin ich ber 
fröhlichen 3uoerficpt, im Saufe ber Seit jene alberne SBefcpeibenpeit ab* 
äulegcn, bie eS mir heute, im ©egenfaß z u anbern ftarfen Männern, 
beifpielSweife noch oerbieten würbe, oor oerfammeltem NeicpStag eine 
hochbetagte, in Oefterreid) feit zehn gapren oolfStpümlicp geworbene 3bee 
„mein eigenes $inb" z u nennen. Xod) jtueifle ich, Nie erwähnt, nicht 
baran, eS auch noch zu ähnlichen $aterfreuben zu bringen. 

Sei eintretenber Sacanz bitte id) ©ie, geehrte Xurcplaudjt, fiep 
meiner zu erinnern unb oerbleibe bis bahin 
mit großbeutfepem Apoi! 

Xer ftarfe .ftermel. 
gür bie richtige Abfcprift: Caliban. 


Oramtttifdjc TCuffuljrnngcn. 

„©cplud unb Sau." $offenfpiel in fünf mieten Obn ©erhärt £>aupt* 
mann. (XeutfcpeS Xpeater.) 

SBieber höt ©erhärt $auptmann ben glug in bie’^öpe berfucht. 
lieber unternahm er eS, eine Dichtung zu fdjaffen, bie über gupr* 
mannSfd)idfale unb Sfärnterlciben pinwegwetft unb fid) auf golbenen 
gittiepen in’S Neid) Simini fdjwingt. Unb wieber ift er elenbiglid) ge= 
fepeitert. Nur baß ihm bteSmal aud) baS Solf im ^arfett untreu würbe. 
Xtefelben Seute, bie ben oertoorrenen Xriolalitäten unb aufgebonnerten 
Unflarpeiten ber Serfunfenen ©lode zujauchzten, bie außer fid) waren 
oor ©ntzüden über ihre ach fo füßen unb fo unbramatifchen SpriSmen, bie- 
felben Seute zü^u am ©onnabenb bem überfchwänglich ©efeierten 
höhnifd) tn'S ©eficht, als er ben wüthenben ^eroorrufen ber ©laque 
mit fd)öner Ungenirtheit golge leiftete. 

$aupftnann hat bie SCRinberwerthigteit feiner neuen Arbeit bei 
Seiten ertannt. Ohue SBiberrebe ließ er einen ganzen, oiefleicht ben 
wichtigften ^(ct bei ber ißremifere unterfchlagen. ©r flehte förmlich um 
9?ad)ficht. ^icht nur bat ber s $rologuS für ihn, „bieS berbe ©tüdlein" 
als einer „unbeforgten Saune ^inb" gnäbig anzufehen unb pafftren zu 
laffen, fonbern eS war auch ber bieSmal ganz befonberS unoerfchämten 
fReclamepreffe befohlen worben, alle ©<f)ulb an ber Aufführung beS ißoffen= 
fpielS 4>erm Srahm zuzufchieben. @r habe bent dichter wiber feinen 
©illen bie ©rlaubniß bazu abgezwungen, ^ieg eS. 2)ent füllen Poeten 
bebeute baS 3Berf nicht mehr als eine ©rholung zwifchen aderhanb ernftem 
©chaffen, unb einige wenige Wochen hätten ihm genügt, eS oon A bis 
S nieberzufepreiben. Ungefchidtere A3afcf)zettel flub nie oerfanbt worben. 
Seber rupige Seobachter erfennt fofort, baß „©dtfud unb Sau" ein 
unter taufenb 9Äühfalen geborenes S)rama ift. 2 )ie unflnnigen iReclame* 
fepreibereien aber mußten, foweit fie ©lauben fanben, notpwenbig oon 
oornperein ©timmung gegen baS ©tüd auch bei benen machen, bie 
©erhärt #auptmann zwar nicht für einen $)ratnatifer f aber boep für 
einen 3)id)ter halten unb fiep nur nicht ein unauSgereifteS, paftig auf 
ben SWarft gefdüeuberteS SBerf bieten laffen woüten. §auptmann bat 
baS IRecpt, fo argumentirten fie, fiep in feinen ©rpolungSftunben nach 
Selieben zu amüftren, 9iab zu fahren, auf bie Äoppe zu fteigen, zu 
fcplafen ober ©tüde zu bichten. 9?ur follte er flep felbft zu lieb haben, 
um biefe $inber feiner tfRuße profithungrigen ipeaterbirectoren auSzus 
liefem^unb baS pauptflöbtifepe publicum mit Serfen zu martern, bie 


auf bem ©oppa entftanben flnb unb ipm otetteidjt großen ©paß gemacht 
paben, jeben Unbeteiligten aber graufam langweilen rnüffen .. . 

©cplud unb Sau finb eine gewaltfame AuSfpittnung ber ppans 
taftifdjen 3 ^^ e f b\t ©pafefpeare im Sorfpiele zur Sezäpmten SSiber« 
fpänftigen entwidelt. $aS ©onoerfationSleyicon pat unfere maßgebenben 
,fh:itifer außerbem noch barauf pingewiefen, baß biefelbe gabel fepon in 
Xaufenb unb einer 9^ad)t auftauept unb baß bereits ©olberg unb 
ben ©toff zu berben $omöbien Oerarbeitet paben. ©epr fepön. 3Wit 
bem .^auptmann'fcpen ©tüde hängen biefe luftigen Xpeaterfpäße jeboep niept 
entfernt zufammen, unb eS pat bie mirfungSooße 9iotiz wahrft^inlich 
nur ben 3 N e( * Ö e habt, bie literarpiftorifcpe Silbung ber Maßgebenben 
wieber einmal bengalifcp zu beleuchten. i>auptmann ift ganz fhftematifcp 
ZU ®erfe gegangen, alS er ©Pafefpeare zu oertiefen trachtete unb ben 
Ulfereien, bie Äeffelflidcr unb Sorb mit einanber treiben, pfpdjologiftps 
fpmbolifd) auf ben Seib rüdte. ©r pat fein SefteS gegeben, pat mit 
gewaltiger $raftanftrengung fid) unb feinen $egafuS & i a MÜncppaufen 
am eigenen 3°Pfe aus bem ©umpf zu Z ie ^ cn fl^pofft. Xrofbem ift 
©pafefpeare ©ieger geblieben. $>aS fleine ©laS Sranbt), baS er ein« 
fepänft, munbet, unb baS flobige günflitergefäß £>auptmann’S, beffen 
Snpalt auS jenem einen ©läScpen ©cpnapS unb fepr oielem ©dpreibers 
pauer SBaffer beftept, maept mich noep in ber ©rinnerung fröfieln. 

2)ie geringe ©rfinbungSgabe unfereS 3)id)terS ift noch uie glän= 
Zenber peroorgetreten. ©ein ewig betrunfener Sfeffermün^fuchenmann 
Sau wirb im ^erzogSfcploffe, wäprenb er feinen SHaufcp auSfcplftft, föfts 
lief) als gürft anget’pan, unb wie er auS bem Sranntweinbufel erwaept, 
als gürft bepanbelt. 92ad) etlichem $in unb £>er, baS ber ©eelenfenners 
fepaft ©auptmann’S wenig ©pre maept, finbet Sau ftdj in bie neue Sage, 
trumpft jeinen Untertanen gehörig auf unb geberbet fid) im ©Uten wie 
im Söfen als ein rechter Sht^enbmonard). 9?ur baß er ben fcplefifcpen 
3)ialect fpriept unb bie AHuren beS geborenen SumpenfammlerS zur 
©epau trägt, ©ogar Mouarcpenwipe maept er. AIS man ipm oon feinem 
Marftalle fpricht, wieberpolt er fpötüfcp: MaftftaD? Sä) ntäfte feine 
^jSferbe. ©S fepeint, als pabe ftauptmann pier anfänglich eine Jede ©atire 
auf bie legitimen ßronenträger geplant; mancherlei Segebenpeiten unb 
Semerfungen in bem ©tüde, befonberS im geftriepenen Acte, beuten 
barauf pin. 5 )ocp üerlor er halb wieber ben gaben unb begnügte ftd) 
bamit, feinen Sumpenfönig einen unföniglicpen Surnpen bleiben zu laffen. 
Sau’S ©nbe ift natürlich, baß er einen ©cplaftrunf frebenzt erpält unb 
am näcpften Morgen wieber unter freiem $>immel erwacht. 

gür fünf ober fecpS Acte reicht biefe 3&^ auep heutzutage noch 
nicht ganz auS. ®eßpalb pat ber dichter ein nterfwürbigeS weibltcheS 
SBefen ©ibfeliü, baS ber echte gürft Sopn 5Ranb liebt, in bie £anblung 
Oerwebt, opne ttnS auch nur anbeutungSweife zu fagen, waS fie barin 
ZU fepaffen Pat. gerner fam er auf ben pübfcpen ©infall, ©parlep’S 
Xante oom feligen Xobe auferftepen unb einen Mann als SBeib baßer* 
tänzeln zu laffen. Xer fepnurrige ©eperz, ber mit oöüig unzulänglichen 
Mitteln unternommen würbe — benn $>err Xielfcper ift befanntli^ auS 
bem Mitglieberoerbanbe beS 5)eutfcpen XpeaterS ausgetreten worben — 
gerietp gänzlicp oorbei unb Oerfcpulbete reept eigentlich bie lärmenbe Se* 
erbigung beS ©tüdeS. 

^auptmann pat feine grob*fatirifcpe Segabung, bie ben unb jenen 
Act beS SiberpelzeS unb ben ©ollegen ©rampton reept unterpaltenb 
macht, irrtpümlicper SBcife für eine pumoriftifepe gepalten unb flep an 
einen ©toff gewagt, ben zu bewältigen X)idenS unb Sftaabe im Serein 
gerabe ftart genug wären, ©r fühlte feine ©cpmädje mit feinem 3 nfünct 
heraus, als er an bie gefährlichen ©teilen fam, bie nur tiefer, treu* 
herziger £>umor überbrüden fonnte, unb er oerfudjte, bie oerlorene 
©d)lad)t baburep zu retten, baß er feinen Sfaifonneur Äarl reben, reben, 
reben ließ, waS baS 8 *ug hält. Xiefe gefcpminlie ©eiftreicpelei, biefe 
tiefflnnig flingenben AfltagS^pilofophiSmen, biefe holprigen ©tammbuep* 
oerje oerratpen aber erft bie ganze 3)ürre unb Nüchternheit beS angeb* 
liehen ©d)erzfpielS. Unb baS frampfpafte ©afepen naep elenbcn Äalauern, 
bie jeber ÄaffeepauSbummler beffer macht, frifept baS jämmerlich öbe 
Silb wahrhaftig niept auf. Xie fcplicptweg finbif^e ©eene, in" ber 
3 au bem als 28etb angepußten ©cplud gegenüber tritt, feßte bann ber 
fpaß* unb falzlofen $offe bie Sfrone auf. ©S war, als ob Äönig Sau 
hier baS ganze ©tüd fpmbolifire. Xabei oerrätp fowopl biefer „4>öpe* 
punft" beS 5)ramaS wie eine ganze Sapl anberer, weitfepieptig oor* 
bereiteter unb offenbar häufig umgegoffener ©eenen, baß |)auptmann 
auf baS „rafcp pingeworfene SSert" in ©aprpeit oiel liebeoollen, 
feuepenben gleiß üermanbt pat. Nur baß er ipn nicht auf bie näcpft* 
liegenben, wenigftenS feiner Segabung näcpftliegenben X)inge rieptete. 
Nur baß er bie feelifepen ©rregungen, bie auf Sau einftürmten, allzu 
oberflächlich, faft lieberlich bepanbelte unb bafür taufenberlei balbentbe 
©piele trieb. 3BaS an ©cplud unb Sau fo appetitoerberbenb wirft, baS 
ift einmal bie befrembltcpe, trifte Armutp ber ©rflnbung, bie ©reifen* 
paftigfeit beS SStßeS, ber feinen MaraSmuS unter wtlben ©apriolen 
oerbergen will unb nach jebem müpfamen Purzelbaum Minuten lang 
oerfepnaufen muß. Xaneben aber giebt ftd) bie Arbeit, unb baS ift 
beinah nod) fcplimmer, in oielen ©tüden alS ein Nacpflang jenes Nacp* 
flangeS, ber alS Sßerfunfene ©lode unfere ©roßmütter — ach nein, oor 
Zwei Sapren unfere ©cpweftern unb Xöcptern entzüdt pat. 2öir tpun 
gut, baS ©piel zu ©eperz unb ©epimpf fo rafcp wie möglich zu oer* 
geffen, fonberlicp, wenn wir bem Xicpter ein ©uteS tpun wollen, ©o 
fcpwacp wie am oergangenen ©onnabenb paben wir Den ©imfon ber 
neuen brapmatijcpen Shtnft noep niept gefepen. 


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96 


Die (Segen» art. 


Nr. 6. 


Jlnseigtst. 

Sei BeßeHungen berufe man |t$ auf bie 
„(gegemoarf*. 

Mettueht 

wirb ein für eine 

©erliner grauen jeitung. $äglid) S3ormtttag§ 
brei SBureauftunben. QahreSgehalt 4800 Stfarf 
unb jährlich jioct 9Kal bier$ehn Sage gerien. 
Angebote mit Angabe bisheriger 9tebaction$= 
Stellungen unb berföitlicher tote brieflicher 
©4riftfteUerslöefanntfchaften unter F. N. 219 

bnrd) bie Annoncen=(£fpebition non H aasen¬ 

stein & Vogler, A.-G., Berlin, W. 8. 


I&fyeat er =$rif i&er 

für ba$ regitirenbe $)rama, non einem herbor= 
ragenben fübbeutfdjen Organ gefugt. @8 roirb 
nur auf eine erfte Jfraft reflertirt. 

Offerten mit Bteferenjen 2 c. unter M. N. 8882 
an ben Verlag ber „Gegenwart“, Berlin, 
Manstelnstrasse 7, 11. 


<- ■ TkftrUflatkN. 

Technikum Jlmenaul 

I f&r luOlua- u4 Kkklrt- 

[iBUiri,-TMhafk«r i.-W«rka<UUr.| 
B Dlrector Jwiiei. I 


flistnardt 

im 

Urteil 

feiler 3 eii|ciifti. 


$unbert Oriatnal = <Bu tagten 
o. ftreunb u. geinb: ©j3vnfon 
©ranbeS ©üdjner (ErtSpi 2)abn 
2>aubet ttgibp gontane ©rotl) 
4?aecfel fcartmann $e$je 3or= 
ban ftipttng fieoncaoauo Sin* 
bau Sombrofo aRefdjtfäergft 
Wtßra Vorbau Otttoter fetten« 
(ofer ©altöburp ©tenfieioicj 
©irnon ©pencer ©Stellagen 
©tanlep ©toetfer ©triiibberg 
©uttner ©Ubettbrutb «öetittr 
3ola u. P. K. 


Steg. gelj. 8 SRt. Pom P«rl«g ber 6(g(n»«vt, 
©erUtt W. 57. 


Slfab. geb. ©djriftfteller, bi$h- publicift. 
(liter. Ifrittt) in ^Berlin thätig, energ. gennffen= 
hafte Slrbeitäfraft, borj. ©pradjfenntmffe (fran* 
jöfifd), englifdj), perfetter etenograttft, 
«Rafäinentareiber (fjammonb), iudjt «nt. 
beftp. «nfjir. in »eDalrtott, X&eaterfefretartat, 
S(rl.:©nd)i)bi(>., Utcrnr. 3nftit. k . Stellung. 
Offert, an b. fejj). b. ®egentoart nnt. A. 6. 


Demnächst wird auf Verlangen versandt: 

Antiquariats-Katalog 92. 
Staats- und Socialwissenschaft. 

Nationalökonomie. Finanzwesen. 

Etwa 1800 Nummern. 

Leipzig. Oscar Schack. 


$i 0 »«tdts Jadifol#«. 

Wotnatt 

bon 

“g^op^iC JloCCmg. 

SW PolhaMgat«. *ni 

$ret$ 3 dftarf. ©djön gebunben 4 Sttarf. 

tiefer 5Bt8marcf=(£apribi=9toman, ber in 
wenigen Sauren fünf ftarfe Auflagen erlebt, 
erfdjetnt hier in einer umbte£>älfte billigeren 
2$olf8au8gabe. 

$>urcb alle Suchhonblungen ober gegen (Sin« 
fenbung beS 93etrag8 poftfreie gufenbung bom 

Ucrlag der Gegenwart, 

Berlin W. 57. 


„Bromwasser von Dr. A Erlenmeyer.“ 

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über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von s / 4 1 75 Pf. in 
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1 Kilo Tropon hat den gleichen Ernährungswert wie 5 Kilo 
bestes Kindfleisch oder 180—200 Eier. Tropon setzt 
sich im Körper unmittelbar in Blut und Muskelsubstanz um, 
ohne Fett zu bilden. Tropon hat daher bei regelmässigem 
Genuss eine bedeutende Zunahme der Kräfte bei 
Gesunden und Kranken zur Folge und kann allen Speisen 
unbeschadet ihres Eigengeschmacks zugemischt werden. 
Bei dem äusserst niedrigen Preise von Tropon ist dessen 
Anschaffung einem jeden ermöglicht. (80) 

Za beziehen durch Apotheken und Drogengesohäfte. 

Tropon-Werke, Mülheim-Rhein. 


Sie ©esenmart 1872-1892. 

Um nufer Säger jn träumen, bieten mir unfeten Abonnenten eine gftnfKgc 
(Gelegenheit jnr DemoUftänbignng ber ßoflectiou. So meit ber Sorrotl» reiept, 
liefern mir bie ^a^rgänge 1872—1892 a 6 SW. (ftatt 18 SK.), $albjatyr4< 
Sänbe k 3 SK. (ftatt 9 SK.). (Gebnnbene Saljrgänge k 8 SK. 

©erlag Per ®egentoart in ©erlitt W, 57. 


3n unferem Scrlag ift erftfjlenen: 


pic (Segfunurrt. 

föefenfctitii Ite WriatBT. Arnifi unb tUntfd^e« Ma 




©eueral'^egtftfr 1872 — 

ßrfter bid fünfotgfter »attD. 

mt ^adjträgen 1897-99. 5 uT 

@tn bibliograbbifdjed 58erf erften 
SRange« über baS gefammte öffentliche, 
geifiige unb fünftlertfdje Sehen ber lebten 
25 Safjre. 9?otf)h)enbige« 97ac^f41age6ud) 
für bie ßefer ber „©eaemnart", fomie 
für tniffenfc^aftliche 7C. ärbeiten. lieber 
10,000 Slrtifel, nad) gäc^ern, SBerfaffern, 
©cblagtüörtem georbnet. S)ie Autoren 
pfeubon^mer unb anonymer 3lrtifel finb 
burtbmeg genannt. Unentbehrlich für 
jebe Sibliothef. 

51uch btreft gegen ^ßoftanmeifung ober 
Nachnahme bom 

Perlag ber (Kegctimart. 

»erlitt W 57. 


Pas pridwen na<^ 

nnb 

anbere ^unflfragen. 

Original Gutachten bon Ttb. Uten^el Hein- 
ffolb öcgas, ööcfUn, 7t. v. Werner, 
Knaus, Uttbe, Stnd , 3ot*. ScttlRing, 
Scraper, iE. v. iBcbttarbt, ^erb. Keller, 
Defreddct, GJabriel 2tTar, (Ettoma, 
Ciebermann, tPiltt* Sufct*, 5^9^ ® ra f 
^arrac^, Xltag Krufe, KniUe, Ceffer* 
Ury, Voepler, Cedit, Kueljt, Cec^ter, 
3ügel, partagttt, Ttlacfenfen, Sfarbina, 
Ceifttfcm, (Banlfe, pUnfe, 

?frels biefet Drei eAünflfet - Stummem ber 

„Gegenwart“ 1 SSI. 50 

«uch birect bon und p beziehen nach SBrief* 
marfen=©infenbung. 

Verlag ber (Begemrari, Berlin W. 57. 


Stottern 

heilen dauernd Dir. O. DenliarAt'S 
Anstalten Dresden -Zaosoliwitz und 

Burgsteinfurt, Westf. Herrl che Lage. 
Honor. nach Hei lg. Prospecte gratis. 

Aelteate st&atl. durch S. M. Kaiser 
W ilhelxn I ausgezeichn. AnsL Deuts chL 


©erantoortlt^er Stebacteur: Dr. ßoatng tu ©erlitt. Webactton unb «jbebttton: ©erltn W., SRanfietnftra&e 7. 


J)rucf bon Ocffe A ©eder te BMk* 


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M 7. 


■gßerCm, 6m 17. §?eßruar 1900. 


29. Jahrgang. 
Band 57. 


K 7 

C A 


Pie #ejpwiut 

aBod^enf^rift für Siteratur, trntft unb öffentliches Seöen* 


* 

‘o, 


* 


<$etttu0fwp6eit tun ‘gGeopflU ^otflng. 


leb tu SonKbam trfdjetot etne promer. 

Su bejtrijen bunf» alle ©u^banblungen unb ©oft&mter. 


SSerlag bet ©egentoart in SSerltn W, 57. 


«Urtelümritdi 4 V. 50 9 f. fto Kramer 50 Jff. 

Sfnferate jeber Ärt pro 8 gehaltene ©etttjeUe 80 ©f. 


Inljaff: 


Sine Sontinentalunion. SSon Sb. 9fHd)ter ($ari8). — SSürttembevgifdje ^artetberfjäftniffe. S3on $lrcf)it>affeffor Dr. $RuboIf$rou& 
(Stuttgart). — öttcratnr unb ftuttft. Stoolution bet Stjrif. SSon $>an3 fieug. — Sine IjoHäitbifcfye D^m $rügersS3iogra})l)ie. 
SSon ufeaj % ©ejelfdjap. — ftcnlüetott. Sin ganj deiner Vornan. SSon 33. ©arfcfjin. — &ct ^anptftttbt. ®er 
SSonneganä Snbe. SSon Caliban. — Qux Subnrig Sfriau8=9luäftenung. SSon 3- korben. — Sinnigen. 


(Eine Continentalnnion. 

'•8oit (£b. Hinter ($ariä). 

Xie griebenSfreutibe unb SSölferüerföbner finb feit längerer 
3ett nid)t menig in Aufregung, 3wav b at ber Ipaager ©ongteß 
in ©übafrifa ein blutiges SRaGfpiel befommen, aber man 
tröftet |id) bamit, baß an ©teile beö „ perfiben Albion", 
beffen ßrämergeift unb ßänbergier ja nur im 3roift ber San» 
tinentalftaaten mobl mürbe, jeßt XeutfdjlanbS SSerföEjnung 
mit ober menigftenö Annäherung an grantreiG getreten fei. 
Unb wenn man bermaten bie ißarifer Sölätter tieft, möGt’S leib» 
lidj fGeinen. ,,©S ift nicht mef)t X)eutfd)lanb, baS ber geinb ift", 
fGreibt ©rneft Xaubet im ,©auloiS‘, „fonbern ©nglanb". „X>ie 
3«t ift gefommen", meint ber ,Watin‘, „jmifdjen ber greunb* 
febaft mit ©nglanb ober mit XeutfGlanb befinitio ju mäblen". 
„Sine SSerftänbigung mit XeutfGlanb", äußert ficb be ©auj, 
„!ann für bie ©inen empörenb, für bie Anberen peintief) fein, 
aber fie ift im Sntereffe granfreiG^ notbmenbig. Sn ©iam, 
Warocco, ©gbpten unb ©bina muß granfreiG, menn eS ficb 
gegen ©nglanb behaupten foK, auf bie £>ülfe XeutfGlanbS 
jäj)len tönnen." 93aron b’GftourneHeS febreibt: „Xeutfd)ltfitb 
bat biefetben Sntereffen, mie mir, unb mir müffen erfennen, 
baß bie mabre ©jiftenj ©uropaS bon einer friebticben unb 
für beibe Sänber eijrenDotlen ßöfung beS Problems (eines 
©inOemebmenS jmifdjen grantreicb, fRußlanb unb XeutfG* 
tanb) abbängt". Wan ift amb in grantreicb ßbifer SBittjetm 
feltfamer SBeife früher gerecht gemorben, als in anberen ßänbern. 
„SG glaube fef|r", äußerte ficb bor einigen Sabren ein geift- 
reicher granjofe, „baß Jtaifer SBifbetm gerabe bort, mo er 
auf baS größte SSerftänbniß Slnfprucb b a ^ n tönnte, nicht 
gehörig begriffen mirb. ©ö giebt ein Spießbürgertum, baö 
bor biefer großangelegten Statur jurüdfebeut, mie ber EEeufet 
oor geroeibtem SEBaffer unb meld)e§ Genialität mit fauerer 
2Wiene bödjftenö alö SBielfeitigfeit gelten laffen möchte. 2J?an 
nimmt irriger SBeife für 3nfobärenj, maö eine meitfiebtige 
Eßoliti! je nach ben metbfelnben Sebürfniffen beö ‘SEageö febein« 
bar ju improoifiten, im ©rutibe jeboeb fbftematift b eroor= 
jufehren gebietet. Saifer SBilljetm burebbriebt ba§ ©djema. 
Non seulement il regne mais il gouverne aussi. ©r ift 
auf allen ©ebieten beö cultureKen, fociaten unb politifdjen 
, Sebenö ein SSorbenter feinet SBolteö. SBenn mir einen folgen 
Wann befäßen — unb märe er bloß ^rätenbent —, ber 
Gnthufiaömuö für ihn mürbe feine ©renjen fennen". 

Gafton ©hoifb bereift ©eutfcblanb, er plaubert mit 


beutfeßen ©elebrten, mie ß. Srentano, ©. ©üntßer, Slb- 3' e 9 ler 
über bie geplante Annäherung unb läßt fein „9leue§ ©ünbniß" 
mit beutft'franjöfifcbcn garben in beutfeber Sprache er* 
fdjeinen. @t. ©roöclpube öeröffentlicfjt unter bem Xitel: 
„La France, la Russie, l’Allemagne et la guerre au 
Transvaal“ einen geiftöoÜen SBerfudj ber fleugeftattung ber 
europäifeben Sßolitif. Sa, felbft ber fjarifer SRoman mirb 
franco-allemand. „L’Oubli“, fo nennt ficb bejeiebnenber 
SBeife eine elfäffifcbe ©rjäbtung non Xb- ©ahn unb 2oui§ 
goreft, ber alö SRotto baö SBort Suleö gerrp’ö öorongefebt 
ift: „La France doit mettre une croix sur l’Alsace-Lor- 
raine“. Unb eine @ad)e, bie feit breißig Saßten ju ben 
Unmöglicbfeiten gerechnet mürbe, ( b fl t ficb neuerbingS ereignet:' 
eine beutfebe ©cbaufpiclerin, Agneö ©orma, tonnte mit ihrer 
Xruppe in EjSatiö gaftiren. 

Auch auf beutfeber ©eite oerfebtießt man fid) feineömegö 
ber ©infiebt in bie ©emeinfamfeit ber-Sntereffen unb ber 
meltpolitifdjen 93erufung beiber ßänber. „ÜBeibe“, fagt ißro* 
feffor ©cbmoller, „haben baffelbe enorme unb oitale Suter* 
effe: jufammenjurnirfen, um bie brei 3Jiefenmäd)te, SRußtanb, 
©nglanb unb bie bereinigten ©taaten in ©ebadb ju halten... 
Sft bte Union nabe? SG wage ni^t ju antroorten. @ö ift 
nidjt XeutfGlanb, baö jurüdbält". Auf biefer @inficf|t bat 
auch bie beutfebe EjSotitif feit jeher gefußt unb hättp fiG, märe 
ber Srieg niGt bajmifGen gefommen, fiGerliG in confequenter 
SBeife in biefer fHiGtung betbätigt. Wan h°t fiG geroöbnt, 
in bismard nur ben Urheber be$ beutfG’franjöfifGen Äriegeö 
ju feben. Wan öergißt, baß Siömard oor mehr als breißig 
Sabren auG ben Eßlan einer gemeinfamen politifGen Action 
XeutfGlanbS unb granfreiGö gegen ©nglanb ernftliG in be* 
traGt gejogen bat unb baß er biefe Sbee nie gänjliG fallen 
ließ. Sie mar oieüeiGt für feine Haltung granfreiG gegen* 
über naG bem Kriege beftimmenb. „SBir Don unferer ©ette", 
erflärte er 1887, „haben AKeS getban, um baS franjöfifGe 
bolf baßin ju bringen, baS bergangene ju Dergeffen. granf» 
reiG tonnte auf unfere Jpülfe unb unfere Unterftugung jäblen 
in allen beftrebungen, ausgenommen in folGen, bie auf bie 
SBiebergeminnung ber bheingrenje gerichtet maren;... aber 
in allen anberen gragen maren mir in bonnetefter SBeife be* 
ftrebt, granfreiGS SBünfGe ju förbern unb ihm AHeS, maS 
mir tonnten, ju ©efaüen ju Gun." Xiefe ißolitif XeutfG* 
lanbS bat noch jur Qeit ber biSmard’fGcn SBirffamfcit in 
granfreiG ein ©Go [gefunben. @S ift befannt, baß SuleS 
gerrp in ben aGtjiger Sabren bie SlnnäberungSpolitif offen 


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98 


3Die d&ejcttrmrt 


Nr. 7. 


begünftigte, aber auefe ba% fie mit ein fiauptgrunb pm 
©turje be« oerfeafeten Donfinoi« mar. 

©cfeon biefc SEfjatfac^e fpric^t beutlidj genug bafür, bafe 
biefer berühmten ©erföfenung«» unb AnnäfeerungSpotitif non 
©eiten ber Diplomatie eine inftinctiüe £>erpn«abneigung ber 
Nation gegenüberftefet, Weldjeeben ftärfer ift, als aOe momentanen 
SiebeSbebiirfniffe. ©Ser mit ©ariö unb ^Jratifreid^ au« längerer 
feefanntfcfeaft oertraut ift unb auch bie ©olfSfeele ftubirt 
bat, ber weife wofel, bafe granfreiefe un« gegenüber immer 
ein unfitfeerer Gantonift, ein böfer ©acfebar, fagen mir furp 
ber Grbfeinb War unb bleiben Wirb. Die Nation mag ja 
friebliebenb ober beffet friebenSbebiirftig fein, aber fie Würbe 
p allen 3 e * ten immer nur üon einem Raufen turbulenter 
(Seiftet angeführt unb nach ©elieben gelenft. ©aefe ben ibeaten 
©piefebürgern Oon 1789 famen bie Aboofaten unb ©lut» 
bunbe oon 1798, bann bie Generäle ber DteoolutionS^eere tc. 
bi« p ben ä Berlin'.»Schreiern oon 1870, ben Gommu» 
narben, ben ©oulangiften unb ben Drefefu«»®egnern. G« ift 
überbie« eine fonberbare gunwtfeung, fo furj nach bem ©tocefe 
Oon ©enne«, ber un« bie oon ben 3efuitcn gclenfte Armee 
mit ihren meineibigen Generalen gejeigt bat, bie fogar ben 
beutfefeen Kaifer in ihren ©efemufe p jiefeen oerfuebten, fefeou 
an freuitblicbere Gefüfele un« gegenüber p glauben. An ben 
griebenSfcfealnteien, bie jefet oon ber ©eine ertönen, finb nur 
bie Gonflictc mit Gnglanb fcfeulb. Ohne bie Dferfeige oon 
gafdjoba würbe granfreiefe nicht baran benfen, un« Aüancen 
p madjeit. Unb ohne bie ©Seltau«ftellung, fügen mir feittp. 
Auf bie Oerföfenlicfeen ©ferafen ber Gin gang« erwähnten ©ublt» 
ciften legen wir feinen übertriebenen ©Sertlj. GS finb bie» 
felben sperren, bie gegenwärtig wieber oerlangen, c« fei bie 
Aufgabe, ja bie ©flicfet Deutfcfelanb«, bie egfeptifefee grage 
aufjurotlen unb alfo für ben 3weibunb bie Kaftanien au« 
bem geuer j U {j 0 ( etl g33i r wollen aud) nid)t oergeffen, bafe 
bie franpfifefee glottenoermeferung mit ihrer 400 Millionen* 
forberitng ni<fet nach gafefeoba, fonberit erft jefet angeregt 
würbe, unb bie birecte Antwort auf bie beutfefee glottenüor» 
läge ift. Unb wa« ben „©ieg" ber grau ©orma in ©ari« 
anbetrifft, fo war e« niefet« weiter a(8 eine antienglifebe Kunb» 
gebung, worüber bei feinem Augeitjeugen ein gwVifel E>errfd)t. 
©aefebent bei ber erften ©orftellung „bemonftrirt" worben 
war, tiefe man fpäter bie treffliche Künftlerin mit ben ©e» 
fuefeern au« ber beutfefeen Golonie feübfcfe allein. Gewiß niefet 
barum, weil ein antifemitifefee« ©lättdjen mittlerweile au«» 
pofaunt featte, bie Dame fei bie Gattin eine« Italiener« unb 
Oon .fjtaufe au« ein jlibifcfee« gräulein ©ormanit (?), fouberu 
Weil e« fiefe eben um fein fünftlerifcfee«, fonbern pnäcfeft um 
ein politifefee« Sntereffe feanbelte. G« wäre baßer fefet p 
bebauern, wenn fid) burefe biefen „Grfolg" beutfefee Gaftfpieter 
ober ganje Gefammtgaftfpiele oerfüferen liegen, auf ber 
©SeltauSfteHung Aufführungen p geben, oor welchem Unter» 
nefemen nur ernftfeaft gewarnt werben mufe. Die beutfefee 
Golonie fann ein gröfeereö Unternehmen niefet allein ffüfecit, 
unfere Anöftellungöbefucfeer in ©ari« feaben ©effere«(?) p 
thun, al« in beutfefee DfecateroorfteHungen p gefeen, unb bie 
graupfen bleiben erft reefet fern. ©Ser auf Grunb feiner 
langjährigen Keuntnife ber feiefigen ©erfeältniffe p foldjen 
Grgebniffen über bie faniofe franpfifefee Annäherung an 
Deutfcfelaitb aburtheilen mufe, ber fann nur mit heiterem 8e» 
hagen ober betrübter ©fepfi« auf bie ©erföfennugSfcfewärmer 
feerabfeljen. 9Jiag e« auefe bem oberflädfelidjen ©eobaefeter 
zeitweilig fo fdjeineit, al« ob ber Gebanfe an bie ocrlorenen 
©rooinpn bie franpfifdjen Köpfe weniger befdjäftige unb 
oor bem Gnglänberfeafe prürftrete, wir werben hier p Sanbe 
ftet« an bie nie oergeffene Grmahnung Gambetta’S erinnert: 
janiais en parier, toujours y penser. £)aubett e« fiefe boefe 
niefet nur um Glfafe»2otljringen, fonbern um bie oerlorene 
©rofe» unb ©Settniacfetftcllung, um bie Ueberffügelung burefe 
Deutfcfelanb auf militärifdjem unb wirtfefcfeaftlicfeem ©ebiet, 
itacfe Ginwofenerphl, Sfnbuftrie» unb ©eefeanbel. S23ir ftefeen 


bafeer auefe bem gutgemeinten ©orfcfelage einer Gontinentab 
Union, Wie fie ber ben Sefent ber „©egenwart" Wofelbefannte 
©ationalöfonom unb ©ilbfeauer Dr. Alfreb ©offig in einet 
gtugfeferift („Die ©olitif be« ©SeltfriebenS"; ©erlin, £>er= 
mann ©?altfeet) oörfefelägt, burefeau« ffeptifefe gegenüber. ®t 
meint, bei ber principieüen ©eneigtfeeit, bie auf beiben ©eiten 
oorfeanben fei, feanble e« fiefe nur um bie ©eftimmung einet 
billigen unb annehmbaren ©runblage bei bauernben 9Serftän» 
bigung. Den ©tanbpunft Deutfcfelanb« in biefer grage tpbe 
bereit« ©iSmarcf burefe bie ©Sorte gefennpiefenet: Alle« mit 
Auönafeme ber ©euregulirung ber ©feeingrenje. An biefem 
©tanbpunfte feabe bie beutfehe ©olitif confequent feftgefealten 
unb unlängft noefe höbe bie „Äölnifcfee 3 e ' tun 9" > u unjtoei* 
heutiger ©Seife e« auSgefprodjen, bafe eine beutfcfe«franpfi)d)e 
Annäherung nur bann möglidj fei, wenn granfreidj Glfafe» 
Cotferingett oon ber ©ecfeitung mit Deutfcfelanb geftriefeen feabe, 
Wenn ba« ©Sort Glfafe»Sotferingen au« bem ©Sörterbudj ber 
franpfifefeen Staatsmänner oerfefewunben fei. Auefe Sioffig ift 
ber Anficfet, eine ©erftänbigung in ©ejug auf Glfa|»2otferingen 
fei oorläufig fefeon barum faunt benfbar, weil man in granfreicb 
bie Anfcfetiefeung biefe« Sanbe« an Deutfcfelanb al« Annexion, in 
Deutfcfelanb al« berechtigte ©eltenbmacfeung älterer Gigentfeume< 
rechte auffafet. „Dennocfe aber mufe man e« fiefe auefe in 
Deutfdjlanb flat macfeen, bafe bie enbgiltige, bauernbe Aiiä* 
föfenung mit granfreidj ofene jebe Gompenfation ebenfall« ju 
ben politifefeen Unmögtid)feiten gefeört. Die« ift fo einlcucfetenb, 
bafe felbft bie natürlichen ©egner ber beutfcfe»franjöfifcfeen ?ln» 
näfeerung fiefe eine folcfee ofene Gompenfation niefet oorftellen. ■ 
„3gnotu8", ber Diplomat oon ber „National ©eoiew“ glaubt 
aud) eine tn iferer Ginfacfefeeit rüferenbe Söfung ber grage 
oorauSfefeen p föitnen. ©einer Anficfet naefe mufe Deutfd( 
lanb granfreiefe eine Gompenfation auf bem curopaifcfecn 
Gontinent gewähren: e« wirb ifent alfo geftatten, ©elgien — 
mit bem Gongoftaat al« Anhang — an fiefe p jiefeen unb 
bafür £o0anb — mit ben begeferenSwertfeen oftinbifdjeu 
Golonien — fiefe p „affimiliren". Derartige Gompenfationl- 
projecte müffen ben üon ben feumanften ©efiefetspunften ge’ 
leiteten beutfefeen unb franpfifefeen griebenSpolitifern ferne 
bleiben, ©ieüeicfet Werben einft feeute ungeafente continentole 
Arrangement« jwifefeen granfreiefe unb Deutfcfelanb möglich 
Werben, Arrangement«, welcfee nur pr ÜKaefet unb jum 
fRufeme beiber Staaten beitragen, aber feinen anbern fdjäbigen 
würben. Sorläufig erfefeeint eine Gompenfation in Guropa 
al« au«gefcfeloffen." G« giebt aber natfe fRoffig ein Derritorium, 
auf bem Deutfefelanb granfreiefe« ©Sünfdjen entgegenfommen, 
ja auf bem e« ifem ein Sänbergefcfeenf anbieten fönnte, ofene 
bafe neue Groberungen, neue ©erlufte an 3Renfcfeenlckn 
nötfeig wären: e« ift ba« bem franpfifefeen 2Jiabaga«far gegen* 
überlicgenbe ©tüd ber Cftfüfte Afrifa«, ein Golonialbefiji, 
ber ben ©ortugiefen eine Saft ift unb beffen fte fid) früfeet 
ober fpäter entäufeern müffen. „Die ©ebentung biefe« @e< 
biete«, inSbefonbete aber ber Delagoabai, für granfreiefe ift 
gan;* unermefelicfe. SD?it bem $afen Souren 90 » 9 Warque« — 
einem bet beften Srieg«feäfen ber ©Seit — Würbe ben grau* 
pfen niefet nur bie langerftrebte, ootle ©efeerrfefeung boi 
Ganal« oon SRojambique pfatlen; fie Würben niefet mit, 
Danf ben reiefeen, benachbarten Kohlenlagern eine Sfofeleit* 
ftation gewinnen, welche für bie Gntwidelung oon 3P?aba» 
gaöfar unb für ben franpfifefeen ©eeüerfefer oon alletgröfeteni 
©Sertfee wäre — fie hätten oor Allem einen leicfeten Abfaü 
für aKe ©robucte 2ttabaga«far« nad) ben fübafrifanifdjen jfif- 
pubtifen gefiefeert. 2Rabaga«far ift ber ©peidjer ©übafrife«, 
unb feine 3 u f u,, fl wäre mit bem SBomente bebrofet, tje 
Gngtanb bie Delagoabai erwerben würbe, ©o fann mnn 
benn wofel fagen, bafe bie Küfte oon ©lopmbique für ba« 
franpfifpe Golonialreiefe oon gröfeeret ©ebeutung fei, al« 
Glfofe*Sotferingen für fein continentole« SRcicfe. ©nn finb tie 
| beutfefeen Sntereffen an ber Cftfüfte Afrifa« berart befefenffen. 

| bafe fie bie Grwerbung ber Delagoabai burefe bie granjopn 


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Nr. 7. 


Die Gegenwart 


99 


nidjt nur geftatten, fonbern gerabeju erwünfcßt machen. 
9TnbcrerfeitS ift deutfdjlanb, danf feinem Vertrage mit @ng* 
lanb für ben gatl beS ZerfaufeS bet portugiefifcßcn ©olonien 
in bet Sage, bei bet Zeitteilung biefet Sänbcrftrcdeu ein 
entfcßeibenbcS SBort mitjufprcdjcn. ©8 tann, wenn ©nglanb 
uutet feinen Umftänben granfreict junt Äaufe julaffen wollte, 
bie delagoabai felbft erwerben unb fie mit bet 3eit an 
granfreicß abtreten. Unb ©nglanb wirb woßl, danf bet 
fübafrifanifcßen ©omplication unb danf bet Ißolüif bet freien 
£anb, bie Äaifer 3BifE)efm in bet dranSoaalfrage ficf) üor* 
bemalten, mit ficf) reben laffen; eS wirb woßl ober übet fein 
SBiberftreben gegen baS Zorbringen granfreidjS auf benr 
genannte ©ebiete, unter bem ©influffe deutfdjlanbö. aufgeben 
müffen." 

933iff man in granfreiet biefet bereinftige 3 u f ammcns 
geßen ttatfäcblidj ^erbeifü^ren, fo muß — baS fiett auef) 
Dr. SRoffig ein — „bie offizielle Vtttitübe granfreicßS flatet 
als bisher bejeigeit, baß bie füßrenben Steife bet fRepublif 
ben StunäßerungSgebanfen in ernftlicßer SBeife toetfofgen. 
Senn SRiemanb wirb leugnen, baß bist« bie ©ourtoifie 
Diel metr auf ©eiten deutfdjlanbS, als auf bet granfreicßS 
ju finben war. Slber ein großer 9tugen6ticf tücft für granf* 
reict ßerau. die 9tuSftetIung oon 1900 muß, Wenn es ben 
granjofen mit bet ©acte beS gtiebenS ernft ift, nidjt nur 
ein ©efdjäft unb eine fßarabe, fonbern jugleidj ein weittin 
fiettbarer SBenbepunft ber ^ßolitif fein. 2Rit bem eifernen 
Saßrßunbert fott bie ÜRadjt* unb ©roberungSpolitif fdEjliefeen; 
baS näctftfolgenbe foU bie ^ßofitif beS ZkltfriebenS inaugu* 
tiren. 91ber nur, wenn man auf bet ^jßartfer SBeltauSftel* 
lung bie beutfdj*franjöfifcf)e 9(nnätcrung in eclatanter SBeife 
augebatnt feten wirb, wirb biefe SlnSftellung wirfiid) baS 
werben, waS bie granjofen wüufdjen unb bie Zölfer toffen — 
ein watreS ZerbrüberungSfeft bet 9Renfd)ßeit, eine bebeut« 
jame ©tappe auf bem SBege jum ewigen grieben." 

SBit fjaben natürlict nießts bagegen, wenn granfreid) 
öS wirfiid) über fict gewinnt, auf feine 9Reöand)epoIitif ju 
»crjictten. SBie gefügt, wir glauben nur nidjt reett baran 
unb finb überzeugt, baß, wenn wir itm wirflict beiftetcu 
Würben, bie ©nglänber aus ©gßpteit unb bem ©uban ßinauS 
ju manöüriren, unb itm üRonjambique oerfdjaffen, baß bann 
bie Seite bet Slbrecßmutg an unS fäme. A nous deux, 
roonsieur le voisin! Sätet ttun wir gut, eilt jWciteS großes 
SlUianjproject, welkes bie SBeltpolitif auf eine ganj anbere 
©runbtage fteflen würbe, nid)t auS ben Sfugen ju berlieren. 
SEBir fpreeßen oon bem beutfdj=englifd)*amerifanifd)en ©inuer» 
netmen, einer ©ombination, bet ©tamberlain’S Sebe in Seicefter 
eine unetmartete ^ßublicttöt oetlieten, wie wir oermutten 
niett oßne bie ©onnioenj beS beütfdten SaiferS. Sn 
bet luftigen diScuffion, Welcte ©tamberlain’S Siebe ßerbor* 
gerufen, traten bie tiefen, treibenbeit Sntereffen, bie üerborgenen 
©ßmpatßien unb Slntipatßien, bie geteimen Hoffnungen unb 
Zefürcßtungen ber Nationen mit übertafdjenber SRadtßeit au 
bie Dberflädje. Unb gleicßjeitig tat baS ©jpofe beS 2RinifterS 
delcaffe über granfreidjS auswärtige ißolitif, ®r. ©oludjowSfi’S 
Siebe in ben öfterreidjifeßen delegationen, bie Zotfdjaft beS 
Sßr&fibenten 3Rac ftinlep an ben amerifanifdjen ©onqrep, enb* 
lict — last but not least — ©r. 0. Zülow’S SRotioirung 
ber glottenbermetrung licttbringenb gewirft. daß Dr. SRoffig 
gegen ben Zorfdjlag beS feitter grünblidß blamirten ©tamber* 
laiit ©tellung nimmt, ift nact bem ©efagten flar. @r feßreibt: 
„diejenigen feten nid)t Weit, bie in bem Singriff auf, 
dranSoaal nur baS Zeftreben erblicfen, bie SReicßtßünter ber 
iübafrilanifcten SRinen ju erbeuten. @8 galt aud) bie ©r» 
Werbung ber delagoabai, welcte mit bem Hafen öon Souren^o* 
SRatqueS unb ben benad)barten ßoßlenlagern in bem ©piel 
©nglanbS ein jweiteS ©ibraltar ju werben beftimmt war. 
©8 galt bie Zegrünbung eines großen fübafrifanifeben SieicßeS, 
ebenfo ftarf als baS inbifete, aber weniger bebrott als biefeS. 
Unb felbft biefet ißtan, ber Königin oon ©nglanb neben bem 


afiatifeten auit einen afrifanifeten Äaifertitel ju oerfetaffen, 
erfetöpft noct lange nid)t bie Sbeen eines SlfjobeS unb eines 
©tamberlain. denn baS fübafrifanifete Äaiferreid) unb bie 
delagoabai, an bie fict «n beträd)tlicteS weiteres ©tüd ber 
oftafrifanifdjen Zefitungcn Portugals angefctloffen t^tte» 
tätten nur baju gefütrt, ben ißlan ber afrifanifeten dranS» 
oerfalbatn ju oerwirflicteit, baS Sap mit Äairo ju oerbinben 
unb mit biefem gigantifeten fRüdgrat bie ^»errfc^aft über ben 
gangen afrifanifeten Sontinent ju erlangen. SRact Slmerifa, 
Slfien, Sluftralien — Slfrifa. 2Rit einem ©ctjlage würben 
bann Portugal, granfreict, deutfdjlanb unb bie fRieberlanbe 
um bie grüctte itrer ©olonifationSarbeit gefommen feih. 
SRinifter delcaffe tat in feinem ©jpofe über granfreictS 
auswärtige ißolitif beutlicf) barauf tingewiefen, ba§ granf* 
reid), beffen Zeoölferung faum noct junimmt, fict weniger 
um eine Zergröfjcrung beS ©ebieteS, als barum bemüten 
müffc, baS ju ertalten, was eS bereits befi^t. 9luc| Zalfrep 
betont eS im ,gigaro‘, bap eine Weitere ©fpanfion bte actioen 
Kräfte granfreictS überfteigen mürbe, daß granfreict fpecieß 
auf bem ©ebiete ber afrifanifeten Sßofitif im ©eqenfafce ju 
©nglanb baS griebenSprincip repräfentire, t at ©roSclauoe 
überjeugenb nactgcwicfen. „die glänjenbe ©popöe ber fran= 
jöfifd)en ©onquiftaboreS, fagt ©roSclaube, tat ein ©nbe ge= 
nomnteu. H eute Vertreten wir in 9lfrifa baS ©leictgewidjt 
unb bie frieblicte ©ntwidelung, mätrenb ©nglanb neue ©in* 
fälle unb Umgeftaltungen anftrebt." daS gufammengeten 
ber ©ontinentalmädjte fann oon Sillen, bie bie Sntereffen bet 
einjelnen ©taaten riettig begriffen taben, nur als ein lofeS, 
auf gewiffe Hauptpunfte ber SBeltpolitif befctränfteS gebadtt 
werben. @id) bie Hä nbe binben laffen, wie eS granfreict 
im Zertältnifj ju mufelanb gettan, baS mag fein ©taat; 
and) baS ©etema ber dripelafiianj ließe fidt auf bie ©onti* 
nentalunion niett anwenben. die franjöfifcten fRabicalen 
fönnen atfo rutig bie beutfd) = franjöfifcte Slnnäterung unb 
bie Sontinentalunion förbern: fie wirb auf bie innere $olitif 
granfreictS oöüig oßnc ©influp bleiben." Unb bamit fommt 
Sioffig wiebei auf fein afrifanifd)eS ©ompenfationSobject jurüd: 
„SBenti bie beutfd)=frniijöfifcte Slmtäterung auf bem oon itm 
Oorgefdjlagenen SBege ju ©tanbe fäme, wenn bie delagoabai 
— auct na<t einer oorübergetenben Zefe^ung burct bie ©ng= 
lätiber Wätrenb beS dranSoaalfriegeS — ben granjofen gefiltert 
Werben würbe, fo wäre ber engtifc^e Zlan ber Umfpannung 
beS ganjen fitwarjen ©ontinentS ein für allemal burdjfreujt, 
unb eS wäre bie ©runblage für ein bauernbeS ©leictgewidjt in 
Slfrifa gefitaffen. die beutfeten ßolonien tätten bann oon 
©nglanb nidjt8 metr ju fürchten. Unb nodt ein 91nbereS tritt 
tinju. 2Ran üergeffe nid)t, baß bie afrifaitif^e ßolonifation 
für ben franjöfifcten ©Ijrgeij nad) bem Zerlufte Slfaß* 
SottringenS eine S}eüand)e bebeutete, unb baß alle jene 
©nergien, bie na<t biefet ©eite einen Slbflnß fanben, fid) 
nact ©uropa wenbeit würben, Wenn baS unauftaitfame Zor* 
bringen ber ©nglänber fie in Slfrifa beßinbern würbe. ÜRodj» 
inalS: füll fidj granfreict bie ©ompenfationen nießt in ©uropa 
fudjen, fo müffen fie itm in Slfrifa gegeben werben." den 
Imperialismus ju läßmen, ben engfifdjen griebenSpolitifern jur 
SRacßt ju oerßelfen, baS allein will Sioffig anftreben, benn 
nur fo faun bie ©aeße beS SBeltfriebenS gefiltert werben. „SRan 
Weiß eS in ©nglanb feßr woßl, baß eS Weber ben Sntereffen 
granfreidjö entfprießt, mit ben ©nglänbern, bie ißaris unb 
bie franjöfifcßen ßurorte beoölfern, auf gefpanntem guße ju 
leben, nodj baß eS bem ©nfel ber Äaiferin Zictoria angeneßm 
Wäre, bie beutfdj*engtifdje Spannung permanent ju feßen. Um 
Zeilegung ber ßeutigen ÜRioalitäteu unb Zerftimmungen ßanbelt 
eS fid), nießt um Zäßrung beS H°ffeS gegen ©nglanb. darum 
Würbe aud) bie ©ontinentalunion ben fRaßmen einer potitifdjen 
Zerftänbigung nießt überfdjreitcn unb fidjerlicß nie eine Son» 
tinentalfperre jur ©djäbigung ber englifcßen HanbelSintereffcu 
anftreben. 9Ran barf in ©nglanb überjeugt fein, baß eS ben 
continentalen ißolitifern, bie SllleS, waS au Gnglattb groß 


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100 


Oie Gegenwart 


Nr. 7. 


unb bemunberungSWü tbig ift, in aufrid)tigfter SBeife anju» 
erfennen wiffen, in f)öc£)fteni SDaße peinlich ift, bie Dotlj* 
wanbigfeit einet continentnten Union in biefem Ülugenblide 
ju betonen, wo (Snglanb gegen afle Krmartuttg Dom SDfiß* 
gefcßid Derfotgt wirb!" 2öie man fief»t, miß Doffig bie Kng* 
länbet nicht briiSfiren; mit bejweifeln freilich, baß fie bie fo 
fd)lou Derffißte ißiöe fdjmadhaft finben werben. Unb nun 
entpuppt fid) Doffig plöglidj als glottenfhtoörmer: „2)et 
©lan einet Kontinentalunion unb einer gricbenSpolitif fteljt 
unb fällt — mit bem Verftänbniß unb ben Seiftungen bet 
Kontinentalmächte für bie glottenerweiterung. Dur wenn biefe 
3Wäd)te cS begriffen, baß (Snglanb fein SEBeltreid) bet glotte 
üerbanlt, baß ‘Eieutfdjlanb feine einftige mächtige Stellung burd) 
93ernad)läffigung ber glotte eingebaut, wirb bie Kontinental* 
Union in ber SBeltpolitif etwas erzielen fönnen. granfreich 
Derwenbe alle feine politifdje (Snergie auf bie Säuberung beS 
SlugiaSftaQeS feiner ßJJarine, eS Derwenbe feine Deid)tl)üiner, 
ähnlich wie ®eutfdjlanb, jum 3luSbau feiner glotte. ®enn 
erft, wenn bie beutfdje glotte im herein mit ber franjöfifcpen 
unb ber ruffifcgen (Snglanb auf bem SDeere bie Spige bieten 
fann, ljot bie ©olitif beS SBeltfriebenS 5luSfid)ten auf Krfotg. 
5)ann erft unb nid)t früher fönnten bie Kontinentalmächte bie 
englifdje Kolonialpartei im 3oume galten, t)ätte bie offene 
Slnnäfjerung biefer Wachte eine reelle ©runblage. $)enn ben 
grieben fann nur ^Derjenige fiesem, ber im Kriege fiegen fann. 
SD?it ben neuen Scpiffett, wcldje granfreid) baut, mad)t eS 
nid»t nur fid), fonbern jugleid) 2>eutfd)lanb unb ben übrigen 
friebliebenbeit (Sontincntalmädjten baS wiflfommenfte ©efdjenf; 
eS förbert auf bie mirffamfte SBeife bie Sache beS 2Belt= 
friebenS unb ber cultureßen (Sntwidelung ber gefammten 
Wenfdjhcit. K)enn bie flotten — man Dergeffe eS nicht — 
finb nicht nur ein SSeltmadjtmittel, fonbern jugleid) ein SBclt* 
DerfcljrSmittel. ®ie neuen $friegSfd)ifTe Derbürgen eS, baß 
biefer Verfefjr ein frieblidjer fein wirb. Unter intern Schule 
werben bie neuen Rubels« unb ^ßaffagierfcfjiffe bie Konti* 
nente enger als früher mit einanber Derbinben unb entlegene 
93ö(fer einanber nahe bringen.“ 

So fdjließt alfo ber Vorfdjlag beS geifireidjen ©olitiferS 
mit einer ISlufforberung an ®cutfdjlonb unb — granfreid), 
ihre glottcn ju oermehren. Datürlid) nur gegen Snglanb! 
®aS gatale ift inbeffen, wie fdjon oben angebeutet, baß 
granfreid) nid)t nach ber „Sdjmacf) Don gafdjoba" bamit 
beginnt, fonbern in golge unferer geplanten glottenberboppe* 
lung. ®aS beweift eben, baß eS unS im ©runbe beS HerjenS 
als ben eigentlichen geinb betrachtet, mit bem eS früher ober 
fpäter abjuredfnen gilt. 33ir glauben baber, baß Wir gang 
fiebere ©arantien Don bem unficheren Kantonift abwarten 
müßten, ehe wir unS mit ben böfen englifcf)en Vettern Der* 
janfen, unb auf beffen Koften granfreid) Detgrößern unb 
ftärfen. Ktaß jebe franjöfifdje Kolonie unferem §anbel Der* 
loten geht, Würbe fich auch ' n Wojambique geigelt, wenn wir 
eS granfreid) jufd)anjten. Sltfo ift eS beffer, im nicht ju 
Derfennenben Sinne ber ißolitif beS beutfeben KaiferS neutral 
ju bleiben, foweit nicht fd^oit geheime Abmachungen mit Kng* 
lanb unS Vortljeile Derfpredjen. Auf feinen gatl uns aber 
fonft nach linfS ober rechts ju binben. Unb Dor Aflem immer 
ftarf ju bleiben unb noch ftärfer ju werben. So werben 
wir ftetS Don (Snglanb wie Don granfreid)'Dußlanb um* 
Worben bleiben unb in fritifc£)er ßeit ben AuSfcfjlag geben. 


Wärttembergifd)e fJorteinerhältniffe. 

9Jon 9(rcf)iDaffeffor Dr. Hubolf Krauß (©luitgart). 

®er aufmerffame unb unbefangene ^Beobachter ber württem* 
bergifdjen Vartcioerf)ältniffe hot — unb jwar, fofern er auf 
liberalem Stanbpunft fleht, mit Sdjreden — in ber testen 


3eit ben fortfehreitenben 3eefeßungSproceß fowohl innerhalb 
ber VolfSpartei als innerhalb ber ©eutfeßen Partei wahr* 
genommen. $ie eine muß eS erleben, baß ein Don Saht ju 
Salfr ftärfer werbenber ißrocentfag ihrer SEBählermaffen jur 
focialbemofratifchen gähne übergeht, mäljrenb bie anbere 
ben immer feder auftretenben Anfprücßcn ihrer bis* 
herigen Aßiirten, ber mit bem 93unbe ber Sanbwirthe £wnb 
in |>anb gehenben Äonferoatioen, einen nur fcßwachen, auf 
bie Stauer nicht auSreichenben SBiberftanb entgegenjufeßen 
Dermag. Sn ber SanbeShauptftabt hot bie 3lbforbirung ber 
bürgerlichen ®emofratie burd) bie focialiftifdje ihren 3lnfanj 
genommen. Schon feit geraumer 3 e 't fpielt fich h'er ber 
ernfthafte potitifdfe SEßahlfampf auSfd)ließlich jwifchen ©eutfh* 
parteilern unb Socialbemofraten ab. 99ei ben legten SReid)S* 
tagSWahlen ift bie SSolfSpartei in brei weiteren, bisher Don 
il)r befeffenen Sejirfen nicht einmal mehr in bie Stichwahl 
gelangt, unb baS gleiche Sdjidfat ift ihr bei ber jüngften 
Kßtinger Nachwahl wiberfahren. Süiefelbe Sntwidlung ber 
®inge, baß nämlich ber jweite SBahlgang nicht mehr jwifdjen 
S)emofratie unb einer recßtSftehenben Partei, Dietmehr jwifchett 
Socialbemofratie unb einer folgen ftattjufinben hat, wirb Dor* 
auSficßtlich nad) unb nach ' n aßen übrigen, noch bemofratifch 
Dertretenen 9}eidh§tagSwahlfreifen ißlag greifen, wofern fich 
nicht injwifchen bie SBejiehungen ber Parteien untereinanber 
Wefentlich oerfchieben. ®ie ®eutfche Partei freilich hat fe* ne 
Urfache, über biefen ßfiebergang ihrer bemofratifchen ©egner 
ju frof)lodcn. 99iS Dor fiurjem hot ihr, in beren ScgooB 
befanntlich nationalliberale unb freifonferoatiDe Slemente Der* 
einigt finb, bie felbftftänbige fonferDatiDe ^Bartei jiemlid) un< 
eigennügigen SBorfpann geteiftet. S)aS ift feit ben legten 
IReidjStagSwabten ganj anberS geworben. S)ie JlonferDatioen, 
geführt Don bem ehrgeijigen Agitator- Scßrempf, geftärft butch 
bic9?Agrünbung beSSunbeS ber Sanbwirthe, haben nidjt nur Don 
Dornherein mehrere SÜBahlfreife gegen ^»ilfeleiftung in ben übrigen 
für fich beanfprudjt, fonbern finb aud) ba unb bort ber an cf)ro* 
nifcher Kanbibatennoth leibenbenK)eutfchen Partei mitSlufftellung 
Don99ewerbern juDorgefomntcn,bie biefe einfach acceptiren mußte, 
Wenn fie nicht, äfjnlid) wie ber fräftigere babifdje SiberaliSmuS, 
auf fich oßein ftehen unb nach aßen Dichtungen gleichjeitig 
gront machen Wüßte. ®aju fehlten ihr aber mit gug unb 
Ded)t ber SWuth unb baS SelbftDcrtrauen. UeberbieS mären 
baburd) ihre 9lnhängcr, bie burd) baS langjährige, als felbft* 
Derftänblid) betrachtete 99ünbniß mit ben ÄonferDatioen jwifchen 
beiben Parteien nid)t mehr recht ju unterfdgeiben wußten, in 
gefährlicher 9ßeife Derwirrt worben. Doch beutlidjere Sehren 
haben fidß aus einigen, in legter 3«it burdjgefod)tenen Krfag* 
Wahlen jur 9lbgeorbnetenfammer ergeben, unb WaS bie all* 
gemeinen SanbtagSwahlen ju Knbe beS laufenben SahrtS in 
biefer ^inficht bringen werben, ift nodj gar nicht abjufehen. 
S)ie 9Serhäitniffe finb bereits an einem fünfte angelangt, too 
fich bie ®eutfd)e Partei Don ihren früheren, burd) ihre rafdjen 
Krfolge übermüthig geworbenen ©unbeSgenoffen trennen muß, 
wofern fie fich ty nen oid)t Döflig unterorbnen unb ihre Selbft* 
ftänbigfeit aufgeben miß. feie fönnte fie aber alfo ihre 
ehrenDoße liberale Vergangenheit Sügen ftrafen unb jum 
Sobtengräber an ben Hoffnungen ber eigenen 3 u f un ft frei= 
wiflig Werben? 

9SolfSpartei unb S)eutfd)e ißartei befinben fiel» bemgemäß 
genau in berfelben Sage: bie eine ift in ©efahr Don linfS, 
bie anbere, Don rechts her aufgejeljrt ju werben. Sich allein 
ihrer Hont ju wehren, ift feine mehr mächtig genug. ®et 
9Infd)luß nad) linfS bringt aber ber einen fo fidjereS Ser* 
berben, wie ber anberen ber 9lnfd)luß nad) rechts, weil er ben 
brohenben 9lbforbirungSproceß befchleunigt. 3)er auch ’ n 
SBürttemberg unerfd)ütterlid) feftftehenbe Sh ut m beS KentrumS, 
baS über feine beftimmte 3 a h^ rneift abfolut fidjerer @ige 
gebietet unb in ber SDehrjahl ber übrigen 9ßaf)lfreife fein 
ftarfeS ©ewicht in bie SSagfdjale werfen fann, barf bei biefen 
'-Betrachtungen ganj außer Dehnung gelaffen werben. 


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Nr. 7. 


Die Gegenwart. 


101 


38aS ift bei biefer Sachlage natürlicher, fefbftoerftdnb* 
lieber, als baß bie beiben liberalen Parteien, bie [ich tßeil* 
toeife auS benfelben VolfSfreifen unb OefeUfc^aftSfcfjic^ten 
refrutiren, miteinanber güßlung ju gewinnen fueßen? Sßeift 
fie nicht fdjon ihre gemeinfame Vergangenheit barauf hi«? 
|>aben fie nicht feit ben Sagen ber großen württembergifchen 
VerfaffungSfämpfe faft ein halbes Saßrßunbert lang einer 
oielgeftaltigen üieaction Schulter an Schulter mannhaften 
SBiberftanb geleiftet? Stegen nicht biefelben Flamen oon 
VolfSßelben auf ben ©ßrenblättern ihrer beiberfeitigen 9tnnalen 
in unuerlöfcßlicßen 3ügen cingegraben? Sin Subroig Uhfanb, 
ein 5ßaut 5ßfijet, unb wie fie fonft heißen, ipaben fid) felbft 
mitten in ben Sagen bet erbittertften 3wietracßt bie einigenben 
Momente, bie Siebe ju freier ©Übung unb ©efittung, ber 
£aß gegen Sunfelmännertßum in jeber gotm, jemals ganj 
auStilgen taffen? SRan Weiß, baß in ben feckiger fahren 
bei ?lufroQung ber beutfeßen grage bie große gortfdßrittS» 
Partei SßürttembergS in bie ©rüdje gegangen ift. 9lber bie 
beutfeße grage ift ja jeßt, (Sott fei Sanf! gelöft, unb jwat 
in einer fo grünblichen, enbgültigen Seife, baß auch ber oer» 
biffenfte ©roßbeutfeße ben ©ebanfen einer Vemebur nicht mehr 
auSjubenfen wagt. SS ßanbelt fid) nur noch um baS bisdjen 
politifcßen fPartifulariSmuS hin unb hei — geiftige fßarti* 
lulariften finb ja nun einmal bie Schwaben überhaupt unb 
»erben eS hoffentlich bis in äße Smigleit bleiben. 2BaS Oer» 
fcßlägt eS fooiel, ob bie württembergifchen ©riefe mit föniglicß 
ttürttembergifeßen ober reichSbeutfdjeit ©riefmarfen beliebt in 
bie Seit ßinauSgefanbt werben? SaS ift bodj wahrlich eine 
grage, in ber jeber feine ©riöatmeinung haben, bie ülabemifcfj 
erörtert Werben tann. lieber folcfje Sappalien brauebt man 
fich boch nicht in ben paaren ju liegen, fich gegenfeitig „mäuber 
unb ÜKörber" ju fchelten. 

Sn einem Stüde freilich barf bie Seutfcße Partei unter 
feinen Umftänben fich felbft untreu werben: in bet ©eßanblung 
ber großen nationalen fragen oon ben ßöcßften aßgemein 
politifcßen ©efießtspunften. 9Kit bem ©ewußtfein, baß eS 
fich babei um fchmetjlicße, aber unoermeiblicße Opfer ßanble, 
muß fie auch fünftig mit bet alten (Sntfcßiebenßeit für bie 
Stärfe unfertr Sehrmacht ju Sanb unb See eintreten. SaS 
ift ein Karbinalpunft, an bem ein ©ünbniß jnrifdjen Semo» 
fratie unb Scutfdjer Partei leicht feßeitern lönnte. Von jeher 
ift biefe gegen bie Verhöhnung ihrer patriotifeßen lieber» 
jeugungen bureß jene empfinblid) gewefen, unb wer woflte eS 
iffr oerübeln ? Snbeffen mehren fich allmählich bie 9lnjeicßen 
bafür, baß eS ben Semofraten mit ihrer feßroffen Ablehnung 
nationaler gorberungen nicht mehr fo recht ernft ift. gaft 
macht eS ben Sinbrud, als ob ihre gußter <« beit ißarla» 
menten, VolfSöerfammlmtgen, SRebaftionSftuben, Wenn fie 
gegen $eer unb glotte bonnern, meßr noch einer alten, füß 
geroorbenen ©ewoßnßeit, als ber Stimme ihres Snnern folgen, 
baß fie nur auS falfcßem Schamgefühl ben 2ftutß jut Um» 
feßr nicht finben, unb baß eS ihnen gar nicht unlieb ift, Wenn 
ißre negatioen Slbftimmungen bie Sntfdjeibung nicht beeinfluffen 
unb fie babureß fchwerer Verantwortlichfeit entjogen werben. 
Sa, eS haben fich fogar innerhalb ber VolfSpartei Stimmen 
erhoben, bie offen erflären, ba| bem Reiche bie notßwenbigen. 
Summen jur nadjbrüdlicßen Rührung einer ©roßmachtSpolitil. 
unbebingt ju bewifligen feien. Sie Seutfcße Partei hat aud) 
ihrerfeits ein SJiittel in ber ipanb, um ber VolfSpartei bie 
Umfeßr in biefen fragen ju erleichtern: fie braucht nur ben 
finanziellen unb focialen StuSwüdjfen beS SKilitariSmuS, bie 
fich ja unleugbar ba unb bort noch jeigen, energifeßer als 
bisher auf ben Seib ju rüden. 

Ser Heimgang beS dürften ViSmard hat eine Ver* 
ftänbigung jwifeßen Semofraten unb SRationalliberalen bem 
Vereicße ber 9J?öglidjfeit um ein gutes Stüd näher gerüdt. 
SluS menfehlich Wie politifcß begreiflichen unb ßöcßft ehren* 
toertßen ©rünben haben fid) biefe niemals baju entfdjließen 
mögen, bem berehrten SRanne gegenüber ihre abweichenbe 


Meinung in fragen ber inneren ißolitif ju entfehiebener 
©eltung ju bringen, wäßrenb jene auf biefem ©ebiete feine 
unoerföhnlichen SBiberfacßer gewefen finb. Slnbere 3 f * ten 
erforbern inbeffen anbere politifdje ©runbfäße unb ©littet. 
Ser Schatten beS dürften ©iSmard mirb bie National* 
liberalen gewiß nicht baran ßinbetn, wieber baS „liberal", 
baS fie in ihrem -Kamen führen, mit größerem Kadjbrude ju 
betonen. SineS freilich wögen fich bie Semofraten gefügt 
fein laffen. Sie müffeit in biefem fßunfte bie ©mpfinblicß» 
feit ihrer weiter rechts fteßenben liberalen ©rüber fdjonen 
unb fich fünftig jeglicher Verunglimpfungen beS größten 
beutfdjen Staatsmannes enthalten. ©lan foflte benfen, baß 
eS ihnen nicht allju fchwer fiele, großmütig bie Segenfpiße 
oor einem Sobten ju fenfen, ber ja ihre 3irfel nicht mehr 
§u ftören üermag, unb beffen Verbienfte um bie ©röße beS 
VatertanbeS fie ja felbft — wenn auch mit Siberwißen unb 
Siberftreben — anerfennen. 

Schließlich ift eS boch immer nur ber Son, ber bie 
SKufif macht. Vießeicht finb auch bie — Wenn man fich f° 
auSbrüden barf — formalen Sifferenjen jwifchen Seutfdjer 
Partei unb VolfSpartei größer als bie fachlichen. Segtere 
gefäßt fid) theilroeife in forcirt OolfSthümlidjen 3Kanieten, 
beren Serbheit ben ©ebilbeten leicht abftößt, wäfjrenb erftere 
eine ftaatSmännifih üornehmtf)uenbe Haltung einnimmt, bie 
feinen red)ten 3 u fammenhang mit bem VolfSbeWußtfein auf» 
fommen läßt. ?(uf ber einen Seite ift ein gewiffer lieber» 
fdjuß, auf ber anberen eher ein Stbmangef an fritifirenber 
(Snergie ju fonftatiren. Sie beiberfeitigen ®epflogenf)eiten 
einigermaßen ju mobificiren unb einanber auf halbem SEBege 
entgegenjufommen, Wäre boch für ben ipreiS, ben eS ju et» 
ringen gilt, fein aflju großes Opfer. 

@S hat nun aßerbingS gang unb gar nicht ben Slnfdjein, 
als ob bie maßgebenben greife innerhalb ber beiben Parteien 
fchon jur flaren ©rfenntniß ber Sachlage unb bamit gut 
Ueberjeugung burihgebrungen feien, baß ihr £>eil aflein auf 
einem gegenfeitigen ©üitbniß beruhe. Vod) hat eS bie Seutfche 
Vartei nicht über fich gewonnen, irgenb einmal fich affen für 
bie VolfSpartei ju erflären. 3Beit fd)limmer treibt eS bie 
bemofratifche ^Parteileitung. Sie fchlägt fich in Stichwahlen 
principiefl auf bie focialbemofratifche Seite, wobei fie frei» 
fid) nur bei einer SKinberjahl ihrer Slnßänger ©eßorfam 
ju finben pflegt. Sie 3tngft, bie focialiftifd)en Stimmen tm 
Kampfe gegen bie Seutfdje Partei entbehren ju müffen, be= 
ftimmt bie bemofratifdjen güh ret immer wieber ju biefem 
wibernatürlichen Vergalten. Senn baß bie Seutfcße ©artei 
ber VolfSpartei weit näher fteht, als bie Socialbemofratie, 
bebarf boeß nießt erft beS VeweifeS. SÜBenu einmal baS 
Kriegsbeil jwifeßen ben beiben liberalen bürgerlichen Parteien 
in SEBürttemberg begraben fein wirb, muß fid) überhaupt feine 
üon beiben mehr nach ftembem ©eiftanbe gegen bie anbere 
umfehen. Sie jeßt ttod) üon ben Semofraten beliebte Saftif 
ift jeboch nießt bloS unnatürlid), fonbern ebenfo furjficßtig 
unb uitflug, ja gerabeju felbftmörberifch- Senn eine große 
Stnjaßl ißrer SBäßler, bie bei Stichwahlen ben fociatiftifcßen 
©eroetbern jugefiißrt wirb, bleibt erfahrungsgemäß biefen baS 
näcßfte 9Jial gleich beim erften SBaßlgange treu. Snbem bie 
Seitung ber VolfSpartei ben Unterfcßieb jmifeßen Social» 
bemofratie unb bürgerlicher Semofratie berwifdjt unb ißre 
Slnßänger irre maeßt, leiftet fie ißrerfeitS bem fie bebroßen» 
ben SlbbrödelungSproceß gewaltigen Vorfcßub. 

@S ift bie alte ©efeßießte oon ben feinblicßen ©rübern, 
bie fieß, wenn fie fid) einmal überworfen ßaben, um fo er» 
bitterter befeßben, je unnatürlicher ißre geinbfcßaft ift. 9Kit 
ber langjährigen ©ewohnßeit, fieß gegenfeitig fcßlecßt ju maeßen, 
fann man nießt fo oßne SBeitereS brechen, baS Unfraut ber 
3wietracßt unb beS paffes, baS man üppig wuchern ließ, ift 
nießt fo leicßt mehr auSjurotten. 91 m meiften ßaben fid) bie 
Parteiführer feftgebiffen, feftgerannt; Weit eßer bridßt fieß 
unter ben ^ßarteigenoffen bie beffere ©rfenn.tniß ©aßn. Sa, 


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102 


Oie O&egeotDört 


Nr. 7. 


e3 mag fein, baß eine Serfößnung überhaupt unmöglich ift, 
fo lange bie jeßigen Sänner an ber ©piftc ber Parteien 
flehen. ®a§ märe für SBeibe gleich BerßängnißBofl. ©iefleidjt 
hätten mir inbeffen ben Untergang ber alten ©arteien als bic 
glüdlicßfte Söfung ju betrachten, meil allein baburcß Bon 
©tunb auö ein neuer, fefter ©oben für gefünbere ©artei* 
üerfjöliniffe gelegt mürbe. Vielleicht fönntc bann Siirttem« 
berg ben übrigen fRekßgtßcilen mit ber ©Übung einer ein» 
Zeitlichen liberalen ©artei ooranfcßreiten. ®cnn mie groß bie 
jeitmeilige ©ebrängniß beg liberal gefinnten ©ürgertßumg er» 
fcßeinen mag, fo Beitritt eg bod) noch loie anberroärtg auch 
in ©cßmaben eine gemaltige Sacßt. Sine Stacht, bie eg 
unter ben gegenroärtigen mibrigen Umftänben nur nicht aug* 
juüben Betmag. ®ie beutfcßparteilicße ©reffe faßt nach jebem 
unglüdlidjen Saßlauggang mit roaßrem Sngrintm über bie 
Sauen unb ©auntfcligen ßer ( bie Bon ihrem Sahirecht feinen 
©ebraucß gemacht unb fo angeblich ben Sieg ber ©egner 
Berfchulbct haben. X^atfäc^lic^) bleiben aber viele Säßlcr 
nicht foroohl aug ©Icicßgiltigfeit unb ©equemlichfeit als aug 
Uebcrlegung unb ©runbfaß ber Urne fern. 2)a§ politifeße 
©arteigetriebe mibert fie eben an. Sin ftarfer ©rocentfag 
ber mürttcmbergifchcn liberalen SSäf)ter ift meber fchlcchtmeg 
nationalliberal noch fcl)lecE)tmeg bemofratifd). ®icfe Seute — 
unb eg finb feinegroegg bie ®fimmften — folgen feiner ber 
beiben ©arteien blinbtingg, fchlageit fieß Bielmehr Bon gaß 
ju gaß nach ben jemeiligen Umftänben ju ber einen ober 
jit ber anberen. ®em ©ebaßren ber ©arteileitung fteßen fie 
Biclfad) ganz Bcrftänbnißlog gegenüber. Sie begreifen Bot 
Aflem nicht, roarum ©olfgpartei unb 3)eutfcße ©artei fich 
gegenfeitig fo leibenfcßaftlid) befeßben. Sie hoben auch feine 
Suft, in biefen ©treit einzugreifen, fie Reffen fich Bielmehr, 
beffere ßcite» abmartenb, Bon ber ©etheiligung an ber ©olitif 
Zurüd, ja fogar tßeilmcifc Bon ber Slugübung ihres Saht» 
rcchtg. ©erabe bie ©ebilbetften innerhalb ber jüngeren 
©eneration finb Bon biefem Sibermißen am ftärfften ergriffen, 
meßßalb eg auch beiben ©arteien an tßatenluftigem unb 
leiftunggfäßigem ßtacßmucßg fehlt. ®iefe ©erhältniffe mürben 
fiel) natürlich am ficherften unb grünblidjften burch eine Um« 
iulbung beg ein^eimifc^en ©arteimefeng änbern. 31 ber auch 
fefjon etne Annäherung jmifdjen ben beiben befteßenben liberalen 
©arteien fönntc Sancßeg baran beffern. 9lid)t etrna einer 
Bößigen ©erfdjmeljung, nur einer ©erftänbigung foß bag 
Sort gerebet merbeit. ®iefe mürbe zunäcßft in einem gcitereßen 
©ünbniß bei ©ticßmaßlen — gleidßoiet ob gegen ©ocialbcmo« 
fratic ober Sentrum ober ©unb ber Saubmirtße — ihren 
praftifcheit Augbrud erhalten. Aflmälig mürbe fid) baraug 
feßon Bon felbft ergeben, baff man and) bie ©efämpfung beim 
erften Saßlgang p Bermeibeit fueßt. Scbenfaflg müßte aber 
auch ba, roo bcmofratifche unb bcuifcßpartci(id)e ©eroerber 
miteinanber jufammenftoßen, ber Slampf fünftig in bureßaug 
ruhiger unb fadjlktjer Seife, in anftänbigem unb maaßuoßein 
Xone geführt merben. ©onft fönnte fieß leicht ber gufammen* 
halt bei ben ©tidjmahlcn als praftifeße Unmöglidjfcit er« 
ermeifen. ©clbftoerftänblicß müßte auch ben fftebacteuren ber 
©artei*©lättcr unb »©(ätteßen in ber ^auptftabt mie in bet 
©rooinj bie Seifung jugeßen, fich in ihren vhetvrifcfjen Äraft= 
leiftungen gegen bie alten geinbe unb neuen ©erbünbeten 
fürberhin bie gebührenbe ©efeßränfung aufjuerlcgen. 

SKicßt burch platonifdje ©efüßle, fonbern lebiglicß burch 
ben realften aßet gactoren, ben ©elbfterßaltunggtrieb, mirb 
biefeg ganze ©erhalten ber mürttembergifchen ©olfgpartei mie 
$>eutfcßen ©artei oorgefeßrieben. ©ie merben fonft, menn 
fie fortfahren, fich blinbtingg ju befehbeit, in ber Sitte 
zmifeßen ber ©ociatbemofratie unb ber Rechten ©eibe un» 
barmherzig zerrieben. 


Literatur unb <£unft. 


Ueooltttion ber £i)rik? 

S5on Efatts £eu§. 

Arno £>olz hat int ,,©u<h ber 3 e >l" einige 2öne an* 
gejcßlagett unb eine ©praeße gerebet, Bon benen id) glaube, 
baß fie nicht nur einen hohen äfthetifdjen Serth haben, 
fonbern auch eine neue Srfcßeinung in unferer Siteratur finb. 
ßtur etrna greiligrath h at tn „Srlanb" unb ber Ueberfeßung 
„gabrifelenb" für ben- proletarifcßeu ©roß ähnlich herbe, 
bumpfe Xöne gefunben, mie Arno |>olz in feinem erften 
©udje. ®er aufmerffame Sefer mirb aber auch fchon in 
jenem ©ueße bie Älippe erlernten, an ber Arno §olz ge* 
fcßeüert ift: feine Neigung zum ©latten, Xrioiaten unb zunt 
Abfonberlicßen. 

Arno |)ofz ift nicht nur fehr felbftbemußt (mag ich liebe), 
fonbern ftcifföpfig; an Sritifen, bie fein Schaffen erfährt, 
intercffireit ißit nur bie ©lößen, bie fich feine ftritifer geben, 
nicmalg bag ©eeßt, bag fie haben; an jene ©lößen anfnüpfenb, 
erbrüdt er feine Slritifcr mit fehr mortreichen, manchmal fräf* 
tigen unb intcreffauten, im ©anzen aber hoch Berfehlten Anti* 
fritifen. Sine 9teil)e Bon folcheit hat er nun aug 3eitfchriften, 
in benen fie feßon erfchicncn finb, gefamtnelt, mit einigen 
3uthatcit Berfehen unb alg „SteBotution ber Sqrif" (©erlin, 
©affenbach), ßerauggegeben. 

3cß fche baraug, baß ein neuerer Siterarhiftorifer §enn 
§olz für „einen orbnenben, conftructiBen ©eift", in bem ber 
„©erftanb ftärfer fei alg bag ©efühl", beffett „Sogif außer* 
orbentlicß" fei, erfannt h at - „©eBolution ber Shrif* 
bemeift aber, baß ber SRattn §errn 3lrno §olz Unrecht tf)ut; 
beffen ©efüßt ift groß unb ccf)t menigfteng einmal gemefen; 
mag aber feine Sogif angeht, feine gäljigfeit, ein Urtheil, 
einen ©ebanfen fräftig unb grünblich S u formuliren, einen 
©ebanfengang zu orbnen unb z« conftruiren, fo ift $otj 
bamit feßr roenig begabt. Sr fann rnoßl bialectifcß, polemifcß 
an Slnbere anfnüpfen, aber er hat eine pofitioe, erf^öpfenbe, 
flare ®arfteßung feincg ©trebeng nießt zu ©tanbe gebracht. 
Sg gcßört eine forgfältige, immer zurüdblätternbe, Bergleicßenbe, 
©roden fammelnbc Seetüre feineg ©ueßeg bazu, um zu oer* 
fteßen, mag er miß. 9J?an mirb bann aber auch aug feinen 
eigenen Antifritifen erfennen, baß bie ©cßulb an Bieleit S)iffe* 
renzen zmifdjcn ißm unb ben Sritifern feiner ©eftrebungen 
lebiglicß an bem unflareu, unBoßftänbigen Slugbrud beg $errn 
§olz liegt. San mirb enblicß noch ben ©cßlüffel zu Arno 
|)olzeng Sntmidetung geminnen. ©erfueßen mir bag. 

„®ie ©onne feßien mir Sieber in’g ^erz, unb ber fHegen 
tropfte mir Selobien in’g Oßt", fo fagt ^>olz Bon fid), bem 
3manzigjäßrigen; mir finb biefe Sorte ©emeig genug für 
ben ©oeten, ber in bem jungen Sanne ftedte. ?lber ali 
fein ©uch tarn, „bag ©ueß ber 3 c ‘l"» bag auf bie Siebe ber 
3eit rechnete, fein ©ueß, bag er felber liebte, in bem fein 
großeg ^»erj fcßlug, — rietß ißm ber Sflabberbatfdß, Sfftg* 
fabrifant zu merben. Unb fonft — mit Augnaßme Bon 
einigen mohlmoßenben fritifen — „blieb Afleg ftiß". SDiefe 
Srfaßrung unBerfeßrt zu überftehen, ift feßmer; §olz Bermocßte 
eg nießt. „®ie erfte ©refeße in feine fRainetät mar gefeßoffen.“ 
„Sarum ßatte bag ©ueß nießt eingefcßlagen?... Ratten meine 
greunbe 9tecßt, bie ben ©erg für bie übermunbene gorm 
einer übermunbenen Spocße erflärten? ... Süßte i^ nun, 
um meiner 3«it gereeßt zu merben, um ißr nießt gar zu feßr 
ßinterbrein zu tappen, Bon Steuern anfangen? ©on ber ©ife 
auf?" Sin zweiter ©erfueß, Bon bem £>olz ©roben mit« 
tßeilt, mar naß biefen menigfteng eine aßzu fclaBifcße SJacß« 
aßmung ^»eine’g. $arin finbet fieß folgenbelc für ung mertß« 
Boße gingerzeig: ©oefien für ©ennäler — ftnb bereits genug 
gebrecßfelt; — fieße ßier bag ©rog ber Serfe — unferer 
beutfdjeu ®iogfureit — Nomina sunt odiosa. 


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Nr. 7. 


Die töegetnoari 


103 


3ep erinnere micf> einer Aeufjerung non ©erwart §aupt« 
mann, ben §olj ju feinen ©Gütern rechnet unb ber felbft 
befennt, non §olj angeregt ju fein; fie ging bapin: in ben 
alten formen Ratten bie ©laffifer ben ©ipfel erftommen; 
Seiner burfte hoffen, fie ju übertreffen, irrten nur ju gleichen. 
$ej)palb lag c$ nape, burep neue formen Gebiete ju erobern, 
auf benen man Senen niept begegnete. Scp glaube, man tput 
ben beiben ©intern niept Unrecht, tnenn man piernaep be» 
pouptet, bafj ipre ©uepe nach neuen SBegen in bem 93er* 
langen wurjclt, auf irgenb eine SBcife über bie ©laffifer pinauS 
ju tommen, unb bafj biefeS Verlangen junäepft feinen facti». 
lidjcn, fonbern einen perfönlicpen ©runb ^atte. SRiemanb 
wirb baS für einen guten Seitftern galten. ®ennocp patte 
auep er auf Umwegen jum giele füpren mögen: ju ben 
toitflicp „bebeutenben" ©toffen unb ©onflicten beS mobernen 
SebenS. 3 U tpter ®arfteHung unb Söfung veidjen bie über* 
lieferten Stunftformen oöllig auS; £olj felbft pat bewiefen, 
baj) man auep in ipnen ber ©pradje ein neues Sebett fepaffen 
lann. @r pat fiep jenen ©toffen ja auep fepon im „Sucp 
ber äjeit“ jugewanbt. Seiber oerfiel er auf bie Meinung, 
bafj bie ©ntwidelung ber Sunft, ber ißoefte aQeiit eine ©nt* 
roirfelung iprer gormen, iprer ÜRittel ober ber ^»anbpabung 
iprer SRittel fei. Ipolj prebigt biefen ©ap als etn üon ipm 
feftgeftellteS UterarpiftorifcpeS Ajiom unb füprt auf iptt feine 
©ntwidelung unb feine ©ntbccfung ber neuen Sprif juriitf. 
„Seil jugleicp unb Sompajj" fei jener ©ap ipm gewefen. 
Sin einer ©teile (©. 109) formulirt er ben ©ap fo,bafjbie ©nt* 
roidetung ber Suuft „in erfter Siitie" auf ber ©ntwidelung 
iprcS 2Rittelö berupe, ©. 23 fo, bafj fidp bie ©tappen „lebig* 
liep" naep ben 2Retpoben ridpten, bap man eine Sfunft nur 
reOolutionire, inbem man ipre SRittel ober bie §anbpabung 
ber (immer gteidpen) SRittel reoolutionire. Unb ba §olj bie 
Sprif reoolutioniren wollte, fo füprte ipn fein Srrtpum auf 
ben 3Bcg, ben er cinfcplug. SRiept etwa nun fo gaitj willfürlicp. 
3unäcpft leitete ipn ber niept ungefepiefte ©ebanfe, bafj cS 
geboten fei, einen befferen, reidjereit ©ebrauep ber ©praepe, 
eine IBerftärfnng beS „©pradpbluteS“ ju erftreben. ®ie SReime 
feien alle abgenupt — Alles üerratpe einen „gepeimett Scier* 
faften“; auf üiele SBorte gebe eS gar feinen SReim; fdpoit 
©oetpe unb £eine paben bie ©praepe mippanbelt um ÜRetrum 
unb 9teim. 3 U jenem 8 n,e(f Patten nun am ©nbe bie fo» 
genannten „freien fRpptpmen" genügt, bie ©oetpe unb f>eine 
fo rounberbat, fo föniglicp angewanbt paben. Aber §olj war 
itijroifcpen baju fortgefepritten, etwas Originelles, SReucS ju 
entbeefen. SRocp oor einigen ÜRonaten wenigftenS Oertpeibigte 
er gegen 9Repring’S fepr woplwoüenbe, faepoerftänbige Sfritif 
bie „SReupeit" feines rpptpmifcpen fßrincipS. Sn einer fpäteren 
ißolemif giebt er biefen Anfpruep gegenüber Sean ^ßaul’S 
„ ißolpmetern" anfdpeinenb preis, um fiep barauf jurütfju» 
jiepen, bap Steoolutionen ju reepter 3eit fommen müffen; 
in Sean fßaul’S Serfen fei baS neue Srincip ju früp auf» 
getreten, um reoolutionirenb ju wirren, ©egenüber ben 
„freien SRpptpmen“ erpebt Ipolj ben Anfpruep, bap fein 
ApptpmuS niept ein freier, fonbern ein notpwenbiger fei. 
®r fei ber bem einzelnen ©ebanfen unb feinem SluSbrudf 
innewopnenbe, natürlicpe, notpwenbige SRpptpmuS. Sie freien 
fRpptpmen feien nur „eine 91 rt ©ammlung ton metrifepen 
Steminifcenjen"; eS werbe ba ber „ Slang um feiner 
felbft willen" gewäplt unb gefudpt; unb barin beftepe bet 
„peimlicpe Seierfaften"; fo wirte baS auf ein feineres Dpr 
Wie eine 9lrt fiep „ fortWälgenbeS übleS ©erdufcp", — für 
3aprmärfte paffenb; lepte formale Slbfidpt bleibe ftetS baS 
Xetterettetätä. Unb als SBeWeiS bafür auS ©oetpe’S „ißro- 
metpeuS": 

3^ fenne nichts 9lerntere8 

Unter ber ©onn’, alä euc^ Oötter! 

Ipolj forbert „©onne". Offenbar pat aber ©oetpe ben 
StactpIuS gar niept oermeiben wollen, WopI aber ben ^»iatuS. 

§otj bleibt uns eine flare ®arftetlung feines natür* 


liepen fRpptpmuS fdjulbig. ®aS ©injige, waS ju einem feften 
üluSbrucf fommt, ift, bap bie äupere Slnorbnung ber SBerfe 
bem Snpalt entfpreepen foH. Unb bieS $|3rincip, auf bie 
freien SRpptpmen angewanbt, bebeutet einen gortfepritt. ©ine 
fRegel barauS gu maepen unb biefen gortfepritt bann für bie 
Umwälzung ber Sprif unb baS ©ewanb iprer 3 u ^ un f t au§ * 
jugeben, baju liegt ein facplicper ©runb niept oor. SBenn 
£olj über feinen fRpptpmuS unb beffen immanente SRotp* 
wenbigfeit eine weitere flare SDfittpeilung nidjt ju maepen 
weip, fo pat er boep oerfucpt, einem ©ebanfen ber 91rt fiep 
ju näpern. @r pat baju jwei SBcge eingefepfagen. „®rüde 
auS, waS ®u empfinbeft, unmittelbar wie ®u eS empfinbeft, 
unb ®u paft ipn" — ben natürlidjen 3{pptpmuS. ©epon 
ton anberer ©eite ift Slrno §olj auf bie ünpaltbare Raffung 
bicfeS ©ebanfenS pingewiefen worben, WaS er fepr übel Oer» 
merft. 5)aS fann aber niept änbern, bap in jenen SBorten 
entweber nur oöOige Unflarpeit fiep auSfpriept ober ein ißrincip, 
baS jeber Sfunft juwiber ift. Stepmen wir an, Ijjolj pabe 
fagen WoQen, ber natürlicpfte SluSbrud einer ©mpfinbung fei 
immer ber befte; irgenb naep befonberen Laoten unb SRetren 
erft ju fuepen, fei ein Srrweg; — fo wäre eS beffer unb 
Würbe eS SRipoerftänbniffe befeitigen, wenn er bie Sejeicpnung 
StpptpmuS aufgäbe unb feines ÄritiferS S. o. Seoepow weit 
flarere gormuiirung ciitfacp als eine befferc übernäpme. ©ie 
lautet: „Stidpt bie ©ilben werben gejäplt ober gemeffen, 
fonbern ber 9Bcrtp beS ©egtiffeö ift maapgebenb, bie Ser« 
tpeilung unb ^tarmonifirung ber geiftigen Slccente." 

feolj giebt ein Seifpicl feines SerfaprenS. 5ßrofa würbe 
ipm fein: ®er 3Roitb fteigt pinter blüpenbenStpfelbaumjweigen 
auf. ©eine ’Jecpnif formt barauS: 

hinter blu()enben Styfelbaumjtueiöen 

6tei^t ber ^Dioub auf. 

$ie erfte 3 e '^ e fepilbert ben ©cpauplap, bie jweite ben 
Sorgang. „®aS ift meine ganje SReoolution ber Sprif", ruft 
er auS. @S bleibt alfo habet, bap feine ÜRctpobe in ber 9(it* 
orbnung ber „Serfe" nad) bem Snpalt beftept. darüber 
pinauS ift Don einem SRpptpthuS, unter bem man boep eine 
golge Oon SRetren oerftept, nur infofern bie fRebe, als fein 
©ort eS oermeiben fann, in irgenb ein SDfetrum ju paffen. 
Sropbent aber §olj unS fo feine „ganje SReoolution" felber 
fepilbert, tropbem er bem oben angeführten ©ape o. Seoepow’S 
juftimmt, feprt er fiep peftig gegen einen jweiten ©ap bcffelben 
0. Seoepow in einer fpäteren Sfritif, iu betn jeber Scfer nur 
eine anbere 3 0tm ulirung beS erften finbet. (©. 40.) 

®er jweite 2S3eg, ben §olj einfdjlägt, um fiep bem „notp» 
wenbigen" SRpptpmuö ju näpern, ift biefer. @r fuept in ben 
gönnen ber Sprif naep iprent lepten, tiefunterften gorm» 
princip. 3)iefeS, baS einfaepfte, will er fuepen, um bie 
Sprif ju bereiepern. SJäprcnb er in bem erften ber abge» 
brudtett Sluffäpc noip erflärte, über bie niept niebergefepriebene 
Staturpoefie niept unterrichtet ju fein (®ocumente feien niept 
Dorpanben), pat er fpäter bei Berber meprere ©teilen über 
folcpe ißoefie gefunben, auS benen ipm peroorgept, bap baS 
©efep ber Suroe — jebe fociale ©rfepeinung feprt, fiep ent* 
wicfelnb, auf ipr urfprünglicpeS iRioeau jurüd — fiep auep 
tn feiner Sprif beweife. ©r finbet alfo fein tiefunterfteS 
gormprincip in jener ißoefte Wieber, bie opne SReim unb 
SCRetrum, „garniept ppperbolifep, poeptrabenb ober fepwulftig" 
ift, ber ißoefie ber Snbianer ober ber „gebilbeteren ißrofa" 
ber SDJabagaffen. ®aS Sob ^erber’S unb feine „©timmen 
ber Sölfer" galten ben ungefünftelten gormen ber SolfS* 
poefie; eS würbe SRiemanben cinfaQen, §errn |>olj ju tabeln, 
wenn er in biefer $infidpt ben ©puren |ierberS folgte, 
ipamann, bem gerbet feine Anregungen oerbanft, fagt: „poefie 
ift bie SRutterfpradpe beS menfeplicpen ©efcpleeptS, wie SRalerei 
älter als ©d)rift, ©efang als ®eclamation, ©leicpniffe als 
©eplüffe" k . ©leicpniffe, Silber, Tropen, SRetappern, — fie 
waren bie SRittel ber äfteften ißoefie. 

Heber bem ©treit wegen beS neuen SRpptpmuS beriiprt 


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Die ©egenwart 




104 


Slrno f>otj nur nebenper unb ofjnc ben ßufammenpang ber 
beiben Tinge fcftjupalten, feine ©runbfäpe übet bie ©prad)e. 
SRan folgt aber bem ©erbegang feiner lleftpetif, Wenn man 
junätft bie mieberpolte ©rmapnung ber ©ntmidlung auf anberen 
©ebieten, bem Trama unb bem $oman, unb bie Vepgnabme 
auf 3ota’S 3leftpetif in’ö Stuge faßt. £olj will ben „©eg 
jur Statur prüd", ben jene beiben Sfunftformen beftritten 
|aben, auch für bie Sprif. @r eignet fit .ßola’S: „Sunft ift 
ein ©tüd Statur, gefe|en burt ein Temperament" an, aber 
„um barüber pinauSpgepen"; — inwiefern, bieS wirb nitt 
ganj flar; anfdjeinenb nur burt baS neue gorntprincip, öiel* 
leicht auc| in Verbinbung bamit burt eine ©rfriftung ber 
Sprache. ’©ie baS neue Trama, $u bem § 0(3 unb ©djlaf 
mit iprer „gnmilie ©elitfe" ben Slnftoß gegeben paben, mit 
neuen „SRilieuä" aut eine neue Sprache auf bie Vüptte 
führte, fo will $olj mit feiner Steoolution im lebten ©ruitbe 
aud) eine Vereiterung ber Ipriften ©pradje. Sn welcher 
Stiftung? 

SRan muß bon öoritperein annepmen: in ber „Slüdfepr 
jut Statur", pr „©aprpeit". Unb ^>otj fagt eS ja aud)- 
©t fpridjt fit not weiter barüber aus, inbem er fid) gegen 
baS falfcpe fßatpoS erflärt, ba§ bie ©orte um i£jre urfprüng* 
lkpen ober natürliten ©ertpe bringt. Tiefen SBcrtE) ben 
©orten gerabe p laffen, fie „Weber aufppuften, nodj §u 
bronciren ober mit ©atte p ümroideln", fei baS ganze @e* 
peimniß, freilit ein fo „wcfenStiefes", baß eö erft ben ©nfeln 
offenbar werben möge. £>err £>olj ift mir fein SRann, ben 
icf) fpöttift bepanbele, aber pier fann it nitt umhin ju 
meinen, baß bie ©nfel wobt aut nitt bal)inter fommen 
werben, eS fei bemt, baß §err £>o(j unS betrat, toaS er 
meint Tenn baß er mit jenen ©orten nitt jebeS fßatpoS 
berwerfen will, betont er gegen b. Seoc^ow, ben er fepr mit* 
nimmt, weil ber bie ©äpe fo aufgefaßt bat, Wie fie lauten, 
alfo als ein Verbiet gegen jebc Veränderung, gegen jebeS ©piel, 
gegen jebeö fßatboS, in beiten man bisher ein ©tüd ©efen 
ber poetiften Verwertbung ber ©prate fab- Sit ^jeine’S 
Slotbfeebilbern Hingt „SReer" Wie ülmppitrite; £ 0(3 wünftt 
aber, wenn er bom SReere fpritt, feine anbere Vorftellung 
ju erweden, als eben baS SReer. 9lut wenn man §olj für 
einen bunflen ^perafleitoS anfiebt unb erwägt, ob etwa irgenb 
etroaS SlnbereS gemeint fein fönne, finbet man in biefen 
©orten bot nur eine Verwerfung beS metapporiften StmudeS 
ber bitteriften ©pradje unb ber „Tropen". §otj felber 
giebt p, baß feine ißrüjiS biefer gorberung nur mangelbaft 
entfprete. ©S Würbe aber leicht fein p erweifen, baß er 
biefe burtauS abfittlit berieft unb SRetapper unb Trope 
liebt, wie eben ein Tidjter fie lieben muß. 

£>err £olz wirb nie p überzeugen fein, baß bie ©eit* 
geftitte, bie mit unS armen ©efepöpfen oft pumoriftift ober 
wipig berfäbrt, — wie £olj an Slnbcren bemerft bat — aut 
ibm folte Streite fpiele. Unb bot ift feiten einem ©terb* 
liten ein gtaufamerer ©ip ber Slrt gefteben als ibm. @r 
batte in feinem alten „fßpantafuS" nitt nur neue ©toffe, fon* 
bern aud) eine neue ©prate gefunben. §113 er nun barauf 
auSging, aut eine neue gorm ju entbeden unb burt fie p 
einer neuen, einfaten, etten ©prate p gelangen, ba ent* 
rann ibm ber ©ewitin feiner Sugenb; feine ©prate — oft 
not immer ftön, oft SRufif, oft ülbet unb ©tlicptpeit 511 * 
gleit — rennt ebenfo oft auf bie ©affe ber fßlattpeit ober 
flettert auf bie ©ollen beS VombafteS, beS ©cpmuIfteS 
unb einer „SRanier", gegen bie DpitjenS fünftliter ßierratb 
mir ein Sabfal ift. Ta 3 ift ba 8 ©tidfal aller fßoeten, bie 
bem 3lbfonberliten natftreben, um bie Vergangenheit ju 
übertrumpfen. Tie ©adje wäre Weniger traurig, wenn e3 
fit. nitt um ben £olj Ejanbelte, bem man aut | eu te nod) 
Tanf ft ulbet. ©0 er wirftit einfat bleibt, wie in ben 
brei Don ©tol^enberg componirten entjüdenben Siebern, bie 
§olj mit Sloten für ©efaitg. unb ©laoier feiner fReoolution 
mitgegeben bat, ba ift er ein SRann, bem man feine Slarr* 


Nr. 7. 


beit jugleit um bie Dbren ftlagen unb üerjeiben mötte. 
Um biefer Sieber Willen follte man baö Vut taufen, beffen 
unerquidlite Seetüre it fonft feinem ÜRenften anratben mag. 

©oolution ber Sprit? Steue ©toffe, bie großen ©toffe 
be 8 mobernen Sebenö, aber bie wirflid) großen! Unb eine 
neue ©prate, aber eine an ©tönbeit reitere, eine fräftigere. 
Steuer gormen bebarf eS bap nitt, ft°n au3 bem einfaten 
©runbe nitt, Weil e3 feine mepr giebt. ©a3 etwa an einer 
fleinen Tifferenj jwiften §oljenö „Sipptmen" unb älteren 
Veifpielen übrfg bleibt, baö ift nitt ber Siebe Wert- ©oUte 
aber §04 burt feinen gelbpg unfete Sieberfunft jur 
©t(it t b e i t unb ©tteit ber VolfSpoefie prüdleiten, fo 
würbe ber Srrtpum Wenigftenö bie SRutter einer ©apTpeit 
werben. 

$olj erwäpnt gelegentlicf) bie pebräifdpe alte fßoefie, an* 
fteinenb opne fie ju fennen. ©ie ift in ipren ©urjeln e'me 
eepte Volföpoefie. Slot b eu le bitten in jenem conferoatiuen 
Dften bie arabiften ©eiber auf ber ©affe nat iptem SRufter. 
Ter „fßaralleliömuö ber ©lieber" ift nidjtö als baS Slefultat 
beS ©etfelgefangeö, in bem ein ©eib ben ©ebanfen, ben 
ein anbereS fingenb geäußert, aufnimmt unb öariirt. @0 
entftanb oielleitt ein Tpeil jenes uralten Siebes, baS ber 
©jobuS ber SRirjam, ber ©twefter beS SRofeS juftreibt. 3I(s 
ißparao’S ©agen im ©tilfmeer ftwammen unb bie Seit* 
na me ber ©gppter an ben ©tranb trieben, ba ermatten bie 
Snftincte ber Sloinaben. Unb SRirjam napm eine fßaufe in 
bie §anb, unb alle ©eiber folgten ipr nat mit fßaufen unb 
Steigen. SRirjam fang ipnen oor: 

0d)iru Idjarocf), t( goof) gnäfj. 

@uä rcerotfjebo rmnät) bajnm. 

Singel nun 3a§iue§, ber ein SBunber (bat. 

8 R 06 unb Jemen Hioitn warf er in'si SKecr. 

Tie gortfepung beS fräftigen ©efangeS ift pötft leprreuf) 
unb ftön jugleit. Ter SlpptpmuS wirb fton im näcpften 
Verfe burt einzelne Tactplen belebt, Wie man etwa einen 
ftnelleren Stnlauf nimmt: 

9lft toefiniratb jäf)! SSäjelji It Itjdjud^. 

(©efang mir unb firaft 3a^! Snl) mürbe mir, mir jum -tieit.) 

SRan beachte ben Steim. ©aS fiep an ©tmud jwangloS 
ergiebt, wirb öerwertpet. ©0 aut im nätften VerS: 

©efi elf luednemcpu! 

(Gr niein ©ott, icf) miH ifin preifen.) 

mit ber ftärferen, ben weiten Ton in’S SRännlite über* 
tragenben Slntippone: 

Glolie abt, rodav6memenet)ü! 

(JDteineS SBaterS ©ott! 3 f)n ergebet mein ©efang.) 

Qaf)rae§ i\d) milcfjamdb, 3a(jme(j fdjemo. 

*(3of)mef) Wann für ben Stieg! er beißt 3ab® c b0 

Unb nun ein feiner ©etfei im StpptpmuS: 

Wartebdtb pareo meepeid jard 6 ajdm 

(5)ie 58agen ^3parao’8 unb feine Watt »arf er in’S Weet), 

Wo bie brei Slnapäfte am Slnfang bie Trümmerpaufen ber 
SRatt fßparao’S ertlimmen. TaS SRetrum unb ber ©ebanfe 
Werben not einen VerS fortgefüprt; bann fammelt fit bet 
VerS wieber: 

3 emfned)d jafmei) neban bafoad). 

(®ie red)te .jianb 3ab>»eb’8 tbut grofje SBnnbet.) 

@0 Wetfelt ber SJpptpmuS mit feinem Tact. Ter ©efattg 
terwenbet weiter oortrefflit ben Älang ber ©orte. 3 ®* 
nat einem fräftigen Slnlauf im SlpptpmuS, ber bie Sfbfttpt 
ber nateilenben ©gppter jekpnet, folgt wie ©elätter unb 
Dbem Sapwep’S: 

9?afd)afta bcrüdjadjä tifamo jdm. 

3 )a blieS betn ßbem, baS Weer bettte fie. 


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Die töejjeuttttft 


105 




Nr. 7. 


3d) ^abe bieg Seifpiel einet alten Sßoefk ^ier angeführt, 
»eil eg ben Äetn beffen, wag aug ^oljeng gotmprincip ju 
gewinnen wäre, enthält: „freien", aber nicht wiMürlichen 
9i^t)t^mug; feine Scl)eu vor bern äRetrum, aber auch feine 
Unterwürfcgfeit unter eineg. Sei biefer greiljeit, bie AHeS 
in Sefifc nimmt, wirb bie ÜRutter beg SBorteS, bie Dodjter 
ber Schönheit, bie fjof)e Stjrif bleiben. 


(Eine f)oUanbtfd)e ©f)tn trüget-ßiogtopljie. 

33on UTaj 21. ©efelfdjap. 

AngefidjtS beg SerzWeiflungSfampfeg, ben bie ©üb» 
afrifanifdjen SRepublifen Ijeute um ifjre Unabljängigfeit führen, 
eines ßampfeS oon we(tgefc£>icE)tlirf)er Sebeutung, gewinnt bie 
Sßerfönlidjfeit ißaut Ärüger’S unb bie ©efchichte feineg SanbeS 
um fo mehr an 3ntereffe aud) für bag beutfdje Solf, weil ißaul 
ftrfiger bie ©igenart beg nieberbeutfd)en SolfeS auf bem f)ei|en 
Sßoben ©übafrifaS in fo fraftüoHer SBeife jur ©eltung ge¬ 
bracht hat. Db cg wahr ift, bafj SiSmard ben £>h m ft'tüger 
ben erften Diplomaten ber alten unb neuen SBelt genannt 
Ijat, wiffen wir nicht, aber eg oerbiente Wahr ju fein. Sn 
ber Dljat h ft t fich ber Alte fämmtlichen Staatsmännern @ng= 
lanbg überlegen gezeigt. Aud) bie Art, wie er bie greunblid)* 
feiten beg beutfehen ÄaiferS unb bie famofe Depefcfje aufnahm 
mtb üerwerthete, ohne fid) unb fein Sanb im minbeften §u 
enaagiren, bezeichnet fchlagenb feine Suren» ober Säuern» 
fdjilauheit. Dafj er fchweigenb ben Sorwurf ber Korruption, 
©cftechlichfcit, ja beS SetrugeS auf fich f*fc cn liefe, uw un» 
beachtet bie heimlichen Lüftungen ju betreiben, f) Qt einen 
3ug oon ©röfje. Dahin gehört fein wunberooÜeS ©ott» 
unb SolfSoertrauen unb fein perföitlidjer äRutlj. Denn wie 
jeher echte Sur ift er zugleich ein Krieger unb ein fpelb ober 
war eg wenigfteng in jüngeren Sahren. ©g ift alfo nur 
recht unb billig, bafj biefer aujjerorbentlidje 9Rann feinen 
Siographen gefunben t>at. Dag SBerf ift in .jpollanb er» 
fcf)ienen unb wirb in beutfeher Searbeitung bei Senno 
©thumbe in Safel oerlegt Der Serfaffer, g. oan Oorbt, 
Afrifaner oon ©eburt, h ot an Drt unb ©teile in Pretoria 
bie Archive ftubiert; bie grennbe unb gdtgenoffen cßaul 
Ärügerg haben ihn mit SRatlj unb Dhat unterftüjjt in feiner 
Arbeit, grühere Serfuche, bie SebenSgefcfjichte beg ^ßräfi» 
beuten barzuftellen, fcheiterten ftetg an ber Serfcfjloffenheit 
*ßauf Sfrüger’g, unb boch fonnte nur allein ber DranSOnalfdje 
*ßräfibent üiele wichtige gragen beantworten. Aud) hierin 
toar ber Serfaffer beg SBerfeg, glüdlicf)er, benn ißräfibent 
Shrüger hat wotjlwoüenb bie ihm gefteüten gragen beantwortet. 

©übafrifa ift ein Sanb, wo bie ©efdjidjte in Dielen 
fünften .eine ©adje ber perfönlidjen Ueberlieferung ift, wo 
man in ben weiften gälten nur burch perfönlidje SMcffpradje 
©rfunbigungen einziehen fann, wo wenig ober nichtg @djrift» 
ficheg über bie §auptereigniffe z u finben ift. Unb wenn 
fßaut trüget zur ewigen SRulje eingegangen ift, bann finb 
leiber auch bie, bie oor ihm unb furz nad) tyrn waren, aud) 
ZU ©rabe getragen, unb ihr 9Runb wirb ung nichts mehr 
über bie intereffanten ©djidfale, bie fie erlebt haben, fagen 
unb über bie wichtigen ©reigniffe, in benen fie eine Solle 
gefpidt haben, erzählen fönnen. Unb bag ift ganz befonberS 
oer gad bei ber ®efcf)icf)te ber zwei fübafrifanifchen Suren» 
tepublifen. ©dhriftftüde über bie ©cfdjefjniffc beg „©rohen 
gugeö" oon 1836—37 finb faft gar nicht oorfjanben, unb 
Wie Wenige leben noch, bie an biefem $uge theilgenommen 
haben! Der Sertuft, ben bie ©efdjidjte oon ©übafrifa im 
befonberen baburd) erlitten hat, baff über biefen ©rohen ßug 
feine auSreidjenben 9fad)rid)ten in fchriftlichen Aufzeichnungen 
Porhanben finb, läjjt fid) faum berechnen. Die ^elbenthaten 


ber Soreltern ber heutigen Sürger beg greiftaateö unb Drang» 
oaalS, ihre Seiben unb Kämpfe, ihr Sehen unb Streben — 
bag ift faft alles unwiberruflidj für bie SRadjWelt üerloren, 
unb bie fomntenben ©efcfjtechter werben biefen Serluft be» 
flogen, unb fpätere ©efchidjtfchreiber werben ihn nicht minber 
fdjmerzlid) empfinben. ©S wäre in ber Dljat zu wünfehen, 
bah ein ober ber anbere bazu befähigte Slfrifanber fich öie 
Aufgabe fteHte, fo halb wie möglich münblidje ©rzählung 
biefer ©reigniffe oon ben Sippen ber wenigen noch Sebenben 
Zum fchriftlichen SluSbrucf zu bringen, um Wenigfteng für 
fommenbe ©efchlechter noch etwas z u retten. Son jenen 
erften ©migranten finft einer nach bem anbern ins ©tab, 
ein Sfffunb nach bem anberen oerftummt auf ewig, £elbenthat 
auf §elbentf)at wirb ber Sergeffenheit preiSgegeben. ©harel 
©iÜierS, StnbrieS ißretoriuS, ^jenbrif ißotgieter, SJiarthinuS 
Siljoen, granS Soubert unb fo Diele ^mnberte finb oom 
©chauplahe oerfd)Wunben unb nahmen bie ©efchichte if|teS 
Sanbeg unb Soifeg mit fich »ng ©rab. ©rft feit furzer 3eit 
ift man auf biefen ißunft einigermtfhen aufmerffam geworben, 
unb bie Drangüaalfdje Segierung h°t ben alten ©j»Stäfi» 
benten SR. 2Ö. ißretoriug beauftragt, über baS, Wag er felbft 
erlebt hat, Aufzeichnungen zu mad)en. 

SÜBährenb ber erften 16 Sahre beg Sefteheng ber ©üb» 
afrifanifdjen Sepubtif, nämlid) Oon 1848 big 1864, herefdjte 
in bem jungen ©taate ebenfowoljl auf poHtifchem wie auf 
firchlichcm ©ebiete eine beflagenSwerthe ßerriffenheit, unb 
biefe nahm einen fo heftigen ©harafter an, bah ein förm» 
lieber Sürgerfrieg auSbrach, wenn er auch glüdlidjer SBeife 
nur üou furzer Dauer war. Siele oon benen, bie noch am 
Seben finb, haben an biefem ungtüdlidjen Streite tljeil» 
genommen, unb heute, wo bie ipeftigfeit ber Ißarteifudjt oer» 
fdpunben ift, unb bie ©reigniffe, bie bazu bie Seranlaffung 
gegeben haben, fdjon längft hinter unS liegen, Wünfdjt ber 
tranSDaalfdjc Sur, ber feine Sötte barin gefpielt hat, lieber 
nicht Oott jenen feiten zu fpredjen. ©r hanbett hier feiner 
Sibel entfprechenb unb betrachtet alle biefe Dinge als oer» 
geben unb öergeffen unb meint, bah bie Auffrifdjung ber @r» 
innerung an ben „alten 3®ift" nicht gut thue. 

3m erften Dlieile beS SBerfeg wirb ber grofje 3 u fl ber 
Suren aug ber ffapcolonie behanbett, bie unaufhörlichen Kriege 
ber ©migranten mit ben wilben Sölferfdhaften ber 3“tu» 
faffern, ber Safutog u. f. w., ihre Kämpfe mit ©lenb, IRoth 
unb Dob. 3Bir lernen bie madigen ©eftalten ber groben 
gührer ber Suren fennen, einen AnbrieS SretoriuS, ^enbrif 
fßotgieter, Bieter Setief u. A., bie mit feftem ©ottoertrauen 
mit 3Beib unb Sinb in unbefannte gernen fpuauSgezogen 
finb, fid) mit ihrem Sotfe neue SBohnftätten fuienb unb 
neue ©taaten grünbenb, fo ÜRatal, ben Dranjefreiftaat, bie 
Drangoaalrepubtif. SBir fef)en im Serlaufe ber DarfteHung 
bie ©efdjid)te biefer Sänber fich entwideln, ihre Kämpfe mit 
©nglanb, bie ©ntbedung ber ©olbfelber oon Drangoaal, bag 
SBirfen Oon ©ecil 9Jf)obeS unb ber ©hartereb ©ompanp, 
SamefonS ©infall u. f. w. Serfnüpft mit biefer wahrhaft 
fpannenben ©efchichte Ocrfotgen wir baS Seben unb bie 
Dfjätigfeit ißaul firüget’S, beS greifen Ißräfibenten, beS Söwen 
Oon fRuftenburg, wie ihn fein Soll nennt. 

g. Oan Dorbt hat aud) mit h<üh em Semühen bie graae 
üon Ärüger’g Abftammung aufgeworfen unb entgiltig gclöft. 
Ärüger ift üon beutfeher Abftammung, fogar Serliner! 
3m ©tammbuche ber fübafrifanifchen ©efchlechter, baS Don 
©fjriftoffel ©. be SiHierS begonnen unb fpäter üon bem 
©efd)id)tfchreiber ©übafrifaS, Dr. ©. ÜR. Dl)eal, fortgefegt 
Würbe, fommen oier gamitien Ärüger oor, bie alle aug 
Deutfdjlanb flammen. Der ©tammüater beg ©efdhlechteg ift 
3afob Srüger, urfunblich aug Serlin gebürtig, wo er etwa 
1686 als ber ©ohn üon granz trüget unb beffen ©he» 
ftau ©lifabetf) geborene ^artwigS geboren würbe. Safob 
Sfriiger fam im 3ahre 1713 atg fiebenunbzwanzigjähriger 
junger SRann in ber Sapftabt an unb ftanb im Dienfte ber 


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106 


Die Cßrgettwart. 


Nr. 7. 


Dftinbifcßen Sompagnie. Sr fdjeint jebocß burcß irgenb einen 
UnglüdSfaH eine $anb oerloren ju haben, morauf er ben 
Sienft ber Kompagnie oerließ unb bie Srlaubniß erhielt, fid) 
in ©teHenbofcß als 99ürger nieberjulaffen. $ier heiratete 
er Soßanna Kemp, unb biefer Sße entfproffen ad)t Kinber. 
SaS fecßfte Kinb toar ein ©oßn, ber am 8. 2lpril 1725 getauft 
tourbe unb ben tarnen §enbrif Strüger erhielt. Sr üerßeirathete 
fid) fpater mit grancina Sloete. ©ein ©oßn, ©ert Krüger, 
ber am 21. SPiai 1750 getauft mürbe, üerßeiratßete fid) be* 
reitö am 12. DRooembcr 1769 mit ©ufanna Sacija 53ut)3, bie 
einer gamilie entftammte, rnelcßc als eine ber erften nacf) bem 
Dften oerjog, unb in ©raaff*8Reinet mürbe bann aud) am 
15. 5D?ät$ 1778 ißr ©oßn ©tepßanuS Susannes Krüger ge* 
tauft — ber ©roßoater beS fßräfibenten, ber geraume 3 c ’t 
im jDiftrifte ®raaff*9ieinet gemoßnt ßat. Sr Oerßeiratßete 
fid^ mit ©opßia SDfargaretßa ©teenfamp am 28. Januar 1798 
unb moßnte fpäter im heutigen Siftrifte Sarfa. ©eine grau 
fünfte ißm fecßS Kinber, bodj als er unb bie ©einen ficß 
im 3at)re 1836 bem ßuge'lßotgieterS anfcßloffen, roaren nur 
uocß brei ©ößne am Seben, nämlicß ©ert S. Krüger, ge* 
boten 1799; SaSper San £>etibrif, geboren 1804 unb SßeuniS, 
geboten um baS Saßr 1807. Sßon biefen ßeiratßetc SaSper 
San £enbrif bie Sungfrau Stfie grancina ©tetjn, bie Sod)ter 
Soum ©teßnö, auS Sutßoef, naße beim heute oftgenannten 
SoleSberg, mo baS junge Sßepaar auch moßnen blieb. £ier 
erblidte am 10. Dctober 1825 ©tepßanuS SoßanncS ißauluS 
Krüger baS Sid)t ber SBett. 

33iet SfteueS erjäßtt g. Dan Dorbt non Krüger’S Sugenb, 
bie bisher faft ganj im Tuntel lag. 9113 ^otgieter’S 3 U 9 ’ n 
ber Ställe oon SoleSberg ben Dranjeftuß überfcßritt, fcßloß 
ficß SaSper Krüger mit feiner gamilie feinem 9fater, ber am 
3uge tßeilnaßm, an. Ser junge ißaul mar alfo bamalS 
menig über 10 Saßre alt. Saß an ben Ufern beS Oranje* 
ftuffeS, §unberte oon SDteilen meit entfernt üom uäcßften 
größeren Sorfe ®raaff*9Reinet — benn SoleSberg mar baniatS 
eben erft im Sntfteßen — ber Knabe ein hartes" Seben führen 
mußte, läßt fid) leidet beiden. 3 War fugten ißn liebe Sltern, 
fo gut es unter ben obmaltenben SBerßältniffett möglich mar, 
ju erjießen, aber biefe Ratten felbft mit mancher Piotß nnb 
Sntbeßrung ju fämpfen. 2Ba3 ben Unterricht anbetrifft, fo 
mar eS natürlich traurig bamit befteüt. Sn biefen fernen 
©egenben hatte man feine Seßrer; baS SSBenige, maS ein Kinb 
bamalS lernen fonnte, mußte eS oon feinen Sltern lernen. 
Socß ber junge Knabe mürbe in einer ftreng djriftlidjen 
gamilie erjogen, bie an ihrer SBtbel mie an ihrem alten 
©tauben hing unb eine 9lbneigung hatte gegen Steuerungen, 
mie 99. bie Sinfüßrung ber „Soangelifd)cit ©efänge" (neben 
ben bis baßin auSfdjließlid) gebrauchten $ßfahnen), bie in 
unferem Sahrhunberte in ber „DReberlatibfdje ®ereformeerbc 
Kerf" Singang fanben, maS natürlidE) in biefen abgelegenen 
®egenben, mo man mit ^rebigern faum in Serüßrung fam, 
erft fpät befannt merben fonnte. §ier mürbe ohne 3 föe 'f e t 
in ber ©ruft beS KinbeS ber ®runb religiöfen ©inneS gelegt, 
ber für ben fßräfibenten ber ©übafrifanifcßen Stepubtif fo 
dßarafteriftifdß ift. Saß bie Umftänbe ber fpäteren Saßre 
biefen ©inn nicßt gefchmächt, fonbern nod) mehr Oerftärft 
haben, baS fteht für ben 93iographcn fefi Statürlich mußte 
ber Knabe, befonberS mie bamalS bie Singe lagen, fdjon 
feßr halb feinen Sltern behilflich merben, benn Sienftboten 
gab eS menige, unb bie man noch befommen fonnte, maren 
faul, trogig unb treulos. SS bebarf benn auch Wahrlid) 
feiner großen SinbilbungSfraft, um ftch oorjuftellen, mie ber 
jufünftige ^Sräfibent ber fRepublif oielleidht feit feinem neunten 
SebenSjagre bie Sämmerfchafe beauffichtigen ober bie 3ügel 
eines DchfengefpanncS ergreifen mußte, ®aß er, nodh ju 
fdjmadh, um baS fcßmere ©annagemehr ju regieren, mit 
manchen anberen SSurenjungen fid) mit ^ßfeil unb 93ogen 
übte unb bamit §afen, 9tebf)üt)ner unb anbereS Kleinmilb 
erbeutete, baS ift auch feh r mahrfcheinlidh. 3m Sllter oon 


gehn Saßten mußte ber Knabe ben Ort, mo er geboren mar, 
Oertaffen unb mit in bie SBüfte jießen, mo auch für ihn ein 
Seben oon Kummer, ©orge unb ®efaßr begann. ®aS mar 
feine Sr^ießungSfchute, unb oßnc biefe ©dhute märe er fußet 
nicht gemorben, maS er ift. Sn ben Saßren 1836—1852 
unb in ber bann fotgenben 3 e *t nicht minber, lernte er bie 
unerfcßrodene ®apferfeit, bie ißm ftetS eigen geblieben ift, 
unb bie eS bemirfte, baß ißm fcßon in feinen erften ®ienft* 
jaßren als gclbfornet bie gefäßrtidhften Aufträge anoertraut 
mürben. ®icfen Saßren ift bie eigenartige SBiöenSfraft ju 
banfen, bie alle ^linberitiffe unb ©cßmierigfeiten überminbet, 
unb bie Sntfchloffenßeit, bie ftetS baS eine 3iel im 9luge be* 
ßält, unb biefeS 3>el bann audß ju erreidßen meiß. 9luf* 
gemacßfen in ben erften Sagen ber greißeit ber Smigranten, 
befannt mit all bem Seib, baS über fie ergangen ift, 9tugen= 
jeuge oon ben Strömen 93lutcS, bie mäßrenb beS 9tu8jugS 
gefloffen finb, gegenmärtig bei bem 9tad)e$uge nach ber Sr* 
morbung SRetiefS — baS aÜeS ßat bei bem Knaben unb bem 
Spanne jene Siebe für bie Unabßängigfeit feines 9?olfeS ge* 
jeitigt, für bie ißaut Krüger bereit ift, alteS aufjuopfcrn. Sn 
feiner Sugenb mar er befannt mit SWännern mie tpenbrif 
Sßotgieter, SlnbrieS IBretoriuS, ißiet UßS, Sßarel SidierS, 
Saret Sanbman unb fo mancßem anberen, unb biefe SDRänner 
müffen einen tiefen Sinbrud auf ben oerftänbigen Knaben 
gemacht ßaben, ber moßl meßr als feine Kametaben unb 
9llterSgenoffen bie Slugen unb Oßren offen ßielt 99efotiberS 
muß ber fromme unb pgleid) fo mannhafte Sharet SidierS 
einen bebeutenben Sinfluß auf ben Knaben auSgeübt ßaben, 
benn biefer braoe SORann leitete gemößnlicf) bie fonntäglichen 
®otteSbienfte, unb bie SBorte, bie er babei fpradß, müffen tief 
in bie $erjen feiner §örcr gebrungen fein. Senn alle 
Smigranten maren oon bem einen ©ebanfen erfüllt: Sie 
maren ®otteS 93o(f, baS oon ©ott aus bem Sanbe ber Knecht* 
fcßaft in baS Sanb bet greißeit gefüßrt morben mar. Su* 
mitten einer milben Sßelt, jmifdßen brüHenbcn Sömen unb 
ßeulenben SBölfen, füßlten fie, baß eS nur ®otteS §anb mar, 
ber fie im Kampf mit ben 93arbaren in feinen ©cßutj naßm, 
unb ein jeber mar überzeugt, baß ©ott mit ißnen ftritt, unb 
baß ißm bie Sßrc beS ©iegeS gebüßre. SBenn eine große 
©efaßr fie traf, ober öeimfueßung über fie fam, bann mar 
eS berfelbe ©ott, ber fie rnegen ißrer ©ünben peßtigte unb 
fie babureß anfpornen unb treiben mollte, auf feinen 3ßeg 
jurüdjufeßren. gür Suropäer, bie mit ber 9lrt ber 99uren 
ni(ßt befannt finb, mag baS übertrieben erfeßeinen, aber bem 
ift boeß nießt fo, Oerfidßert oan Oorbt. Sie Smigranten oon 
1836 lebten jmar im 19. Saßrßunbert, aber ißre ©ebanfen 
maren bie beS 17. SaßrßunbertS, mie Dr. Sßeal fieß auSbrüdt. 

SRur einmal ßat Oßm Krüger in einer feiner Sieben 
feiner brangOollen Sugenb gebaeßt: „Sm Slnfang beS SaßveS 
1839 jog icß, 13 Saßre alt unb im Saufe meines oierjeßnten 
fteßenb, felbft mit aus unter bem Sommanbo Ißotgieter’S. 
SS ging roieber norbmärts über ben 5ßaal*Siioiet, um ber 
©pur ber geinbe ju folgen unb biefe ju jücßtigen. SaS 
Sanb mar bureß bie milben ©dßmarjen mie auSgefegt unb 
auSgemorbet. $ier unb ba fanb man fleine Srupps SPRafateeS* 
faffern, bie oor ißren geinben gefloßen maren, Oon benen fie 
mie $unbe unb ©claüen gebraueßt mürben, ©ie ßatten fid) 
in Ipößlen unb jmifeßen ben gelfen oerftedt Siefe menigen 
baten um ©cßug unb erjäßlten, baß bie ftarfen geinbe norb* 
märtS über bie ©renje gejogen feien, ©ie berichteten meiter, 
baß noeß ein großer Kraal in ©etfaatSnef, einer großen 
©tabt fei, unb baß fid) aus biefem ©tunbe bie ÜJlafateefen 
noeß in tpößten oerborgen hielten." 

Ser ©treit jmifeßen ißotgieter unb IßretoriuS, ber auS 
biefer 3 e ü batirt, ßat jene beiben Parteien gebilbet, bie, 
menn fie aud) anbere SRamen unb anbere güßrer erßalten 
ßaben, noeß heute in ber SRepublif befteßen. Seibe, ißotgieter 
unb ißretoriuS, maren feine greunbe ber engtifeßen SRegierung, 
aber ißotgieter üerfolgte eine 9lrt negatioe ißolitif; eS genügte 


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Nr. 7. 


Hie ®e$cowört 


107 


ißm, wenn er tßatfäcßließ non ben Englänbern unabhängig 
War, unb wenn fieß bie englifcßc SRegierung nicf(t mit ißm 
befaßte. ©retoriu? ßatte ieb°<ß einen fetteren ©lief in bie 
3ufunft; et faß ein, baß bie Unabßängigfeit ber Emigranten 
erft bann gefießert fein fönne, wenn fie non Englanb felbft 
erft anerfannt worben fei. SBeibe tja ben in ißrer 2lrt für 
bie Unabßängigfeit gewirft, aber e? ift boeß feßr ju bebauern, 
baß fte e3 nießt in meßr ßarmonifdjer SBcife getßan ßaben, 
unb baß perfönlicße Eiferfucßt ißre SKugen blinb maeßte für 
bie jWeifeUoS tüeßtigcn Eigenfeßaften, bie jeber üon ißneit 
befaß. 

9lm Enbe be? Saßre? 1844 unb im Sttnfang üon 1845 
fanb ein neuer Ejobu? au? ©oteßefftroom unb Sßinburg 
nadß bem SRorben ftatt, unb biefem ßuge feßloß fieß aud) 
©aul Ärüger an, bamal? ein junger 9J?ann Oon 19 Saßren. 
@r war feßon in biefem Sftter ein SRann, ber bureß feine 
ßerüorragenbe ©egabung bie ülufmerffamfeil feiner 3eitgenoffen 
auf fieß jog. 911? Säger unb ©eßüße fanb er- faum feine? 
©leießen, unb wieberßolt ßatte er ©eweife großen SIRutße? 
unb entfeßloffeiter ©eifte?gegenwart gegeben. Er woßnte ba* 
mal? auf ber SRieberlaffung 3°utpan?brift, naße am Sfrofobit* 
SRiüier in Wagalieäberg, unb feßon im Saßre 1841 würbe 
er al? ©ice*gelbcornet unter bem gelbcornet SRicßolaa? ©affon 
angeftellt, fo baß er mit 16 Saßren bie eßrenüoöe Saufbaßn 
begann, auf ber er nun 58 Saßre lang Weitergefcßritten ift. 
Sw Saßre 1842 ßeiratßete er, 17 Saßre alt, bie Socßter be? 
föerrn Eagper bu ©leffi?, ber bamalg im ßeutigen Oranje* 
freiftaat woßnte; unb in biefer Eße Würbe ißm ein ©ößneßen, 
San, geboren, ber aber in feßr jugenblicßem Sllter Oerftarb. 
©in noeß traurigerer unb ßärterer ©eßlag traf ben jungen 
Sßaul. Krüger im Saßre 1845, alg ißm feine geliebte grau 
bureß ben Sob entriffen würbe, fo baß er im 20. Seben?* 
jaßre bereit? Söittwer war. SRacß bem Stöbe feiner erften 
grau feßrte er naeß SRuftenburg prücf, feßloß jeboeß fpäter 
toieber eine Eße mit ©efina bu SßleffiS, einer Eoufine feiner 
erften ©attin. Er füßrte nun Oiele Saßre ein fülle? Sehen, 
obtooßl er an ben öffentlichen Sntereffen feine? Sanbeg 
lebßaften 9lntßeil naßm unb al? ein eifrige? äRitgtieb ber 
©otgieterpartei befannt war. Er jäßlte jeßt erft 27 Saßre, 
unb Wenn aueß feine Sebeutung über allem ßtteifel ftanb, 
ßatte er boeß noeß iticßt bie Saßre erreießt, in benen auf 
politifeßem ©ebiete bie ©timme in’? ©ewießt fällt unb bie 
©orfeßläge aßentßalben ©eaeßtung finben. Unb ba? galt üor 
Stöem in ben Sagen ber alten ©or=Emigranten, al? nur bie 
bebäeßtigen „9tlten ber Sage" in politifcßen Singen ©eßör 
fanben. Sn biefer 3 e <t War trüget beim autß al? ein feßr 
energifdßet äßann üon etwa? ßeftiger SRatur befannt. ©on 
ßalben SRaßregeln ßiett er nießt?. Socß im Kriege War ein 
foleßer Eßarafterzug nur wünfdjen?wertß, unb e? war alfo 
fein SBunber, baß Der junge gelbcornet mit bem Eommanbo 
augrüden unb feine junge grau mit ißren Slinbern üerlaffen 
mußte, fobalb ba? ©aterlanb in ©efaßr ftanb. Eßarafteriftifcß 
ift gteieß ftrüger’? biplomatifcße? Sebüt in ben ©treitigfeiten 
Xraneoaal? mit bem Oranjefreiftaat. 

Ser bamalige ©räfibent üon Sran?üaal, ©retoriu?, 
ging oon ber falfeßen Slnficßt au?, al? ob er fieß auf 
bie au?wärtige ©olitif üerlegen müßte, unb baß fein erfter 
©eßritt im 91bfcßluffe einer Union mit bem Oranjefreiftaat 
ju befteßen ßabe. Ein rein perfönließer SRißgriff be? ©räfi* 
benten ift bie? naeß üan Dorbt nießt geWefen; „er ßanbelte 
ganz im ©eifte ber ©urenpolitil, bie ungliirflicßer SfBeife aueß 
’ßeute noeß nießt üöHig üon ber Sran?üaalfeßen SRegierung 
aufgegeben worben ift, inbem nämlicß ein fräftige? Auftreten 
gegen feinblidß gefinnte frembe SRäeßte, ba? 9lbfcßließen üon 
Sractaten mit befreunbeten Staaten, aber ju gleicßer 3«1 
ein ©ßftem be? laisser faire in ber inneren fßolitif be? 
ßanbe? beliebt Wirb. Ser geßter ift jeboeß nießt bie ©eßutb 
ber SRegierung, er liegt in ber 3trt be? ©olfe? felbft Ser 
öur erfennt nur fieß auf feinem ©runb ©oben al? fiönig 


an; er bejaßlt feine ©teuetn an feine SRegierung unb er* 
wartet, baß bie SRegierung feine Sntereffen üertritt. Sltlcin 
biefe SRegierung barf fieß nießt ju feßr in feine eigenen Sin* 
aelegenßeiten mifeßen unb muß ißn rußig feinen SEBeg geßen 
laffen, fo lange er fieß nießt einer ®efeße?übertretung feßulbig 
maeßt. SIRan lieft oft in ben 3 e ‘t un 8 en ^ en a Qbe* 
lannten feßlecßten inneren 3 u fWnb Sran?üaal?, unb man 
nimmt bafiti bie innere Sßoliti! Sßaul Ärüger’? in Slnfprueß. 
E? ift ja nießt ju bezweifeln, baß biefe Sßoltti! in einigen 
Sßunlten üerbefferung?fäßig ift, aber wenn biefe ©erbefferungen 
ober ©eränberungen, bie ein gewiffer Sßeil ber ©eüölferung 
üerfangt, plößließ eingefüßrt Würben, bann ftänbe Krüger üor 
einer SReüolution." Unb nun Srüger’? Sebüt! Er war al? 
Eommanbant au?gezogen, um mit feinen ©uren bie Oranje* 
©rüber §u feßlagen, aber er wußte einen befferen Äampf al? 
ben ©ruberfrieg. ©einer Serebtßeit fiel e? nießt feßmer, bie 
freiftaatlicßen Slnfüßrer baüon ju überjeugen, baß e? eine 
Sßorßeit fein Würbe, ben Äampf im Ernfte ju beginnen 
unb Ströme ©lute? gu üergießen. SIRan fam überein, baß, 
ba? tran?üaatf<ße Aufgebot über ben ©aatfluß jutüdjießen 
folle, unb baß üon jeber ©eite jWölf ©ertreter abgefanbt 
Würben, bie bie grieben?bebingungen feftfeßen füllten. 91m 
2. Suni würbe bie getroffene Uebereinfunft unterjeießnet, 
unb unter ben SRamen üon tran?üaalfcßer ©eite finbet 
fid) aueß ber @. 3- ©• Steiger’?. E? unterliegt leinem 
3weifel, baß fieß ©aut Shrüger um biefe Slngelegenßeit üiele 
©erbienfte erwarb, unb baß fein Einfluß jum gütlicßen Slu?* 
trage be? Streite? üiel beigetragen ßat. SIRan fann faft be* 
ßaupten, baß üon ber 3 e * fc Qn bie große friegerifeße unb poli* 
tifeße Saufbaßn be? jeßigen ©räfibenten ber Sran?üaal*SRe* 
publif begann, unb feit biefer 3eit ift er amß ununterbrodßen 
im Sienfte be? Staate? tßätig geWefen. Sa? eine Saßr 
finben Wir ißn an ber ©piße eine? Eommanbo?; ba? anbere 
Saßr in einer Eommiffion für ©ren^SRegulirungen; ein 
britte? Saßr ift er Slbgefanbter ber SRepubüt im greiftaate jc. 
©ein regfamer ©eift war ftet? befdßäftigt, unb er ßat feinen 
ißm angebotenen Sluftrag unerlebigt gelaffen ober üon ber 
£>anb gewiefen. Unb babei betrieb er in auggebeßntem SIRaaße 
Sanbwirtßfcßaft in ©oefenßoutfontein unb fümmerte fiiß üiel 
um fireßliiße Slngelegenßeiten. 

3um ©eßluß noeß ein ßöcßft Wicßtiger Eßarafterjug, 
ber bie mßfüfcße ©eite in Slrüger’? SBefen offenbart. E? 
Würbe wäßrenb be? buriftßen ©ürgerfriege? erjäßlt — unb 
bie Er^äßlung würbe 1877 wieberßolt unb wirb e? aueß ßeute 
noeß —, baß ©aul Steiger brei Sage in ber Einfamfeit auf bem 
3Ragalie?berge üerbraeßt ßabe, um bort im ©ebete eine Offen* 
barung üon oben ju erwarten, bie ißm ben reeßten SBeg 
Zeigen foUte; ja, e? feßlte, wenigften? in ben älteren Er* 
Zäßlungen barüber, nießt an einzelnen 3ögen, bie an’? Ueber* 
natürtieße grenzten, wie beifpiel?weife eine wunberbare ©pei* 
fung. Silber wenn fein ©iograpß ba? aueß auf fieß berußen 
laffen unb nießt unterfueßen will, inwieweit bie ©aeße in 
ben ©ereieß ber SD?öglicßfeit fällt, fo fann er boeß wenigften? 
fagen, „baß oßne 3 We 'H Sf5aul Ärüger bamal? in einen 
feßweren Streit in politifeßer unb religiöfer §infießt üer* 
wiefeit war, unb biejenigen, bie ben ©eift biefe? SDianne? 
Wie ben ©eift be? aftifanifcßeit ©olfe? im 9lUgemeinen 
fennen, werben fidß barüber nießt wunbern". Sa ßaben 
wir alfo wieber ben altreformirten ober puritanifeßen ©eift, 
ber mit ber ©ibel in ber §anb bem geinb entgegenzießt. 
©erabe in biefen Sagen geßt ein ©crießt bureß bie ©lätter, 
baß ber greife Oßm Ärfiger ben Kämpfern üom ©pionfop 
eine ftßarfe ©trafprebigt über ißren SIRängel an ©ottüertrauen 
unb eine ©orlefung au? ber ©ibel geßatten ßabe. ©olcße 
©eifter nieberzuringen, Wirb ben Englänbern aflerbing? feßwer 
fallen. 

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108 


Die töegetttuart. 


Ni-. 7. 


gfeuilTeton. 

- 9tad)brutf verboten. 

(ftn ganj kleiner Hornau. 

©on U>. (Sarfdjtn. 

(S§ ift furchtbar falt. Der 3anuar ift nid^t nur ein fchlimmer 
geinb für bie ©rtnen, fonbern auch für aße, bie im greien arbeiten 
müffen unb fich nicht in ein warmes ©eft oerfriedhen fötuten. ©ud) ich 
leibe unter ber tfälte, aber nicht weil mir ein warmes ©efi fehlt, fonbern 
nur aus (Gigenfinn. Unb ich frage mich felbjt, weshalb ich benn auf 
bem einfanten ©ewa=Ufer ruhelos umher irre? . . . Die (Gasflammen 
leuchten $eß. Der ^eftigc ©Sinb möchte fie auSblafen, aber eS gelingt 
ihm nicht unb fte fladfern nur um fo luftiger. 3 n i^vem ©chein tritt 
ber große bunfle ßaiferpalaft riefenhaft unb büfter ^eroor. 3 n beit 
großen ©dheiben fpiegeln fich ber ©<hneejturm unb bie Dunfelheit. Der 
©Sinb ^eult unb (löhnt über ber oben, eiSbebedften ©ewa, unb burch 
fein ©raufen Ijinburcfj fraßen non weitem bie (Glocfen ber geftungSfirdhe. 
3eber Don beS meland^olifd^en (Geläutes — bingbang, bingbang — wirb 
non bem klappern meines ©telgfußeS auf ben eiSbebedften ©teinfließen unb 
nom Pochen meines tounben £ergen3 begleitet. ©ber ich muß mich jeboch 
erft norfteßen ... 3$ bin rin noch junger ©tonn mit einem hölgernen 
©ein unb eS ift noch gar nicht lange ^er, baß i<h ein Krüppel würbe. 

Da flingt eS wieber bingbang, bingbang nom J?irc§tt)urm ^er. 
DaS (Glocfenfpiel „$err, erbarme bi ä) unfer!" ertönt, unb bie Dhurm= 
ufjr fdjlägt ©inS. ©rft ein Uljr! ©och fteben ©tunben, bis ber ©borgen 
vbämmert; bann erft enbet biefe fchwarge, falte ©turmnacht, unb ber 
graue Petersburger ©Sintertag beginnt. ©oß ich uad^ $aufe? 3$ 
weiß nicht, unb eS ift mir gang gleich; fd^Iafen fann ich ja bo<h nicht. 

©u<h in ben ^eßeit grü^lingSnäd^ten fpagierte idf) oft am Ufer ber 
©ewa. O, waS waren baS für ^errlid^e ©ädf;tel ßann eS wohl 
fd^önere geben? ©Rit ben fd&wüfen ©ächten beS ©übenS, beren leud&tenbe 
©terne am bunflen §immet unS mit ihren ©tiefen nerfolgen, finb ftf 
freilich nicht gu Dergleichen. Uttfere grü^lingSnäd^te finb §eß unb Reiter; 
an unferem ttörblid(jen §immel fieht mau bie nerfd^iebenften garben: 
blau, weiß, grau, manchmal auch einen grünlichen Don. Die gange 
©acht burch h crr Wt Dämmerung, unb halb nadh ber ©benbröthe im 
©Seften färbt ber öjtliche £immel fich gelb unb roth- Die Suft ift fühl 
unb labenb, ber flare, majeftätifche ©trom fließt ftotg bahin, unb feine 
©Seßen plätfchertt leife am Ufer. Unb h* er an biefem Ufer ftanb idf); 
auf meinen ©rtn ftüßte fich ein junges ©Räbchen unb biefeS ©Räbchen . .. 
©<$, lieber Sefer, wogu ergäbe ich Dir nur oon meinen ©Sunben unb 
Seihen? ©dj, baS arme, bumme ©Renfchenherg ift unbegreiflich; eS 
wirft fich jcbem ©egegnenben an bie ©ruft unb hofft Droft unb Sinbetung. 
Seiber fafi immer oergebenS, unb baS ift auch begreiflich- ©Ser 
fümmert fich benn um einen armen Krüppel? ©erächtlidfj ober 
höchftenS mitleibig wenbet man ißm ben ©iidfeti. 

©13 ich ©tafcha im leßteti grühjahr fennen lernte, war mein $erg 
nodh unoerfehrt unb brauchte noch fein ©titleib. ©on aßen ©tafchaS 
auf ber ©Seit war fie bie aßcrbefte. §ier am Ufer ber ©ewa machte ich 
ihre ©efanntfdhaft. @o falt wie jeßt war eS aßerbingS nicht, ©tatt 
biefeS ©telgfußeS hotte ich n °dh mein eigenes, wohlgeformtes ©ein, gang 
fo wie baS anbere gefunbe. 3<$ roQr überhaupt ein ftattlicher junger 
©tann, fein foldfjer Ärüppel wie jeßt. ^in Krüppel! . . . 2öa3 baS für 
ein garftigeS SÖort ift! ©ber waS fümmern mich ©Sorte! 

3«h mürbe alfo mit ihr befannt unb gwar gang einfach- 
begegneten unS gufäßig. 2öa3 mich fie angureben bewog, weiß ich nidht 
mehr; ein SDoit 3uan war ich n k- 3^ begann bamit, ihr gu fchwören, 
baß id^ nidht gu jenen frechen ©urfdhen gehöre, bie aßen ©täbchen nadh^ 
laufen. SDann fprach id§ non meinen ehrlichen ©bfuhten u. f. w. ©fein 
gutmütiger ©efidhtSauSbrucf beruhigte pe. 3# begleitete fie bis an ihre 
SBohnuitg; fie fam oon ihrer (Großmutter, ber fie aßabenblid^ was 
oorlaS. SDie arme ©roßmutter war blinb, — jeßt ift fie tobt. 3 n 
biefem 3 a h re ftarben feßr niele, unb nicht nur alte (Großmütter, ©uch 


ich war bem lobe nahe. . . . Herrgott, wie mel Äummer unb ©lenb 
fann ein ©tenfch ^och ertragen! . . . ©tafclja nerlangte non mir, ich 
foßte ein $elb fein, deshalb mußte ich ©olbat werben. ©Senn £ir 
ein geliebtes ©täbchen fagt: „$>iefer ©ing bin ich", 8 euer 

wirft, wirft ©u ihm bann nicht nachfpringen, um ihn h^ouSguholen? 
w J)aS finb Dummheiten", antworteft Du nießeidht unb fagft: w 3^ 
würbe einfach 3 um ©olbfchmieb gehen unb ihr einen anbern, niel foß= 
bareren ©ing faufen". Darauf fönnte fie erwibern, eS fei aber nidht 
ber nämliche, fonbern ein anberer, teurerer ©ing. . . ©egweifelft Du 
baS, lieber Sefer, fo fmb wir eben nerfchiebener ©teinung. Dein ©Räbchen 
wirb mit bem Daufche nießeidht gufrieben fein. ©Sahrfcheinlich bift Du 
reich unb fannft Dich nach ©elieben amiifieren. ©ber nießeidht er= 
innerft Du Dich auS Deiner Äinbheit etwa einer ©Rotte, bie in’S 
Sampenlid^t flog. DaS machte Dich lachen. Die ©Rotte fiel auf ben 
©üdfen uub fonnte mit ihren nerbrannten glügefn nicht wieber auf 
flehen, ©obalb Deine ©eugierbe befriebigt war, brüefteft Du bie ©Rotte 
tobt, ©un mußte baS arme ©efd&öpf nicht länger leiben. ©clj, mein 
lieber Sefer, fönnteft Du mich koch auch mit bem tobt brüefen 

uub meinen Seiben ein (5nbe madhen! I 

©Rafd^a war ein eigenes ©Räbchen, ©ach ber tfriegSerflärung ging 
fie tagelang finfter unb fchweigenb umher unb ich oermochte nicht, fie auf 
anbere ©ebanfen gu bringeri. ©nblich fragte fie mich: „@inb @ie ein 
©Rann?" — „DaS wifl idh meinen!" antwortete ich- — *©un, ein ©Rann 
beweife feine ©efinnung burch bie Dhat. @ie bißigen ben ^rieg, alfo 
miiffeu fie niitfämpfen." 0ie rungelte bie ©rauen unb ihr ^änbehen 
briidfte meine ©echte. 3$ f a h f e ft ' II bie ©ugen unb fagte „3 0 -* 

©uf bem ©ahnhofe erflärte fie mir: „©Senn @ie gurüdffehren, werbe 
ich 3h r Rßeib", unb fie fügte hingu: „0ie werben gurüdffehren!" Dionen 
erftidften meine ©timme, fafi hotte ich lout aufgefd^rieen, aber ich faßte 
mid^ unb erwiberte ihr: „©ergeffen ©ie eS nie ©Rafcßa, ein ©Rann .. .* 

„©eweift feine ©Sorte burch bie Dhat!" beenbete fie meinen ©aß. 
„Unb ein ©Seib auch!" 

3d) brüefte fie noch einmal an mein ^erg unb eilte auf meinen 
plaß. 3ch woßte meine Pflicht erfiißen, nicht nur bamit fte mein werbe, 
fonbern aud) um meinem ©aterlanbe gu bienen. 3 n ^taub unb ©egen, 
in grofi unb ©Uith marfchirte idh burch geinbeSlanb uub nährte mich 
oon ÄommiSbrob. ©IS wir bann auf bie Dürfen fließen, war ich nicht 
feige. 3th erhielt baS tfreug unb würbe Unterofficier. ©ei ber gweiten 
©chladht gab eS einen £radh, unb ich ftürgte nieber . . . Puloerrauth, 
©töhnen, ein ©rgt mit weißer ©dhiirge unb blutigen ^änben, barmhergige 
©dhweftern, mein abgenommenes ©ein — baS aßeS gog wie ein Draum 
an mir oorbei. ^in ©ifenbahngug mit weichen ©etten unb einer oor= 
nehmen Dame oon ber ©anitätScolanne brachte mich in furger nac § 
Petersburg. ©Senn man eine ©tabt gweibeinig oerlaffen hot unb fehrt 
bann einbeinig, mit einem neebunbenen ©tummel wieber, bann oergeht 
einem ber ©paß. Du fannft eS mir glauben, lieber Sefer. 3 m 3 U ^ 1 
fam ich io’ 3 ©pital. ©alb barauf bat ich weinen ©Särter, im ©breßs 
bureau bie ©Sohnung non ©Rafcßa gu erfragen. (£r brachte miT bie ©ach ; 
rieht, baß fie nodh in berfelben ©traße wohne. 3^ fc^ricB ihr einen 
©rief, bann einen gweiten unb britten — befarn aber feine ©ntwort. 
Sieber Sefer, Du ahnft wohl baS (Snbe. Ober oiefleidht glaubft Du mir 
nicht? 3fi ^ en n bie ©efchichte oon bem ©itter unb feiner untreuen 
(Gefiebten fo unwahrfdheinlich ? ©Rau ftnbet fie ja fo oft in alten ©omanen. 
3weifelft Du au meiner ©Sahrhaftigfeit, fo hoft Du Unrecht, benn e§ 
giebt wirflich noch foldhe ©itterl 

(^üblich war ich foweit, baß man mir einen ©telgfuß anfdhnaßen 
unb ich wich felbft nach bem (Grunbe oon ©tafdhaS ©dhweigen erfunbigen 
fonnte. 3^ nahm eine Drofchfe unb erflomm nicht ohne ©itfirengung 
bie hohe kreppe ihrer ©Sohnung. ©or acht ©Ronaten war mir bei weitem 
leichter, ©un ftanb ich oor ihrer Dljür unb flingelte mit flopfenbem 
bergen. Dann hörte idh Dritte. Die alte ©Ragb öffnete, unb ohne auf 
ihren freubigeti ©uSruf gu achten, eilte idh, fo fchneß mein ©telgfuß e§ 
geftattete, in ihre ©Sohnftube. 


A 


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Nr. 7. 


Die Gegenwart 


109 


„2flafc$a!" Sie war ober nic^t allein. (Sin fe§r Brauer junget 
üflann, ihr weitläufiger Berwanbter, her uor meiner Slbreife eben feine 
UnioerfitätSftubien beenbigt unb jept eine gute ©teile in 9lu3ficht ^atte, 
fa| neben ihr. Beibe grüßten mich fe^r beglich (ob bteüeicht mein ©tel^ 
fuft baju beitrug)?, waren aber bodj etwas oerlegeit. (Sine Biertelftunbe 
fpäter rouftte ich 2We§. 3<h wollte ihrem (glücfe nicht im Sege fein. 

Oein ironifd)e§ Säbeln, mein fluger fiefer, fagt mir, bafj ein 2Jtann 
fein 2Häbc§en nid^t einem SBicht überläßt, darauf erwtbere ich: erjienä 
ifi er fein SBidht unb äweitenS .... 3^ fönnte Oir baS alles erflären, 
fürchte aber, Ou würbeft mich bod) nicht uerfte^en. 2>u glaubft mir 
roo^l auch bef$alb nicht, weil Ou benfft, in uitferer 3eit gebe eS weber 
(güte noch Opfermut^ Ober tneinfi Ou etwa, baS Unglücf breier 
2flenfcf)en fei bem ©leitb eines (Sinnigen uorgugie^eit? Oann finb wir 
eben oerfchiebener 2lnficht. 

Borgejlern fanb bie ©odh 3 eit fiatt. 3$ war Brautführer unb er= 
füllte gewiffenhaft bie ^3flid^ten meines ^^renamteS, tnbefj baS Sefen, 
baS mir auf (Srben am theuerften war, einem Slnbern angetraut würbe. 
Sie blicfte mich juweilen f<hü<htern an. OaS ©ochseitSmahl war fc^r 
Reiter unb lebhaft, eS würbe fogar Champagner getrunfen, bie beutfchen 
(gäfle riefen „©och" unb nannten mich einen ruffifchen gelben. 3ld), 
lieber fiefer, fönntefi Ou in biefen Söintemächten mit mir am Dtfewaufer 
auf unb ab fpagieren unb wüfttefi 5Du, was in meiner Seele borget, 
roährenb ber Sturm heult unb baS ©locfenfpiel ber geftungSfirche herüber^ 
fcpallt, fo würbeft Ou mir oielleicht hoch glauben. Oingbang, bingbang 
bie Uhr fdjlägt oier. (£8 ift 3eit, nach ©aufe 311 gehen, fich auf baS 
Bett, baS einfame, falte Bett 311 werfen unb 3 U fchlafen! (gute ftadht, 
lieber fiefer! 


Jlus bet ^auptftabt. 

Der Wonnegans (Ettbe. 

3 eben $5ienftag borgen awifdjen acht unb neun Uhr erfcheint 
ton meinem genfter ber Seierfaftenmann unb mufidrt. ©in befonberS 
intim mit ©errn fftoeren befreunbeter, folglich funftfeinbltcher Sanbrath 
hat baS Bribileg, aübtenftäglich Borgens Uor ben ©äufem unfereS Bor= 
orteS 3 U brehorgeln, juft Mefem Birtuofen berfiehen. Unfer Vorort 
fteht feitbem im (geruche beS Banaufen= unb ©unnenthumS, benn alle 
muftlUcbenben Seute haben ihn berlaffen unb bem 2)ienftag=Xt)rannen bie 
unumf<hränfte ©errfdjaft abgetreten. Sch fdjreibe auroeilen über Sttuftf. 
3 ch Oerftehe alfo nichts babon. 5)efthalb bin td) wohnen geblieben. 

$er 3)rehorgler pflegt ftitt an allen ©äujern borüberjugehen, 
beren Snfaffen ihm reiche SlblöfungSgelber 3 ahlen; wo man ihm ben 
Iribut berweigert, ba fpielt er radjjüchtig 3 wei Stücfe. Sei unS be¬ 
gnügt er fich mit einem. S)a3 macht, eS ift ihm plöplid) ein SHäcen 
aus unferer SWitte erftanben. $)er* penftonirte SBirfliche (geheime ßanaleU 
rath im britten Stocf ^ottorirt feine ftunftübungen regelmäftig mit 
einem Silbergrofchen. grüher that er baS nid)t. grüher gab ber BirtuoS 
auf ber Strafte fribole (gaffenhauer unb £anamelobien 3 um befteit, unb 
ber SSirflidje (geheime Äanjleirath 30 g fich jebe$ 2 Raf, wenn er ben leidjt= 
fertigen SWufifanten fommen hätte, in fein Berliner jurücf. 

(SineS XageS aber fprad) er ernft unb einbringlich mit bem berfommenen 
©enie. ßr weefte fein (gewiffen, nicht fein fünftlerifcheS, hoch fein 
BatriotifcheS. SSon jener Stunbe an fchallt ®ienftag für 2)ienftag 
jwifchen acht unb neun Uhr Borgens mifttönenb, aber hetserquirfenb 
ber t>oHe Wdcorb über bie Strafte: 

„gühl in beS XhroneS ©lan 3 
2 )ie h°he ®tonne gan 3 , 
fiiebling beS 33oll3 3 U fein, 

®eU, ^aifer, $ir!" 

9?ach ber britten Strophe wicfelt ber ^BirfUche ©eheime ^an 3 leirath jebeS 
Wat mit ber loyalen SBegetfterung, bie allen penftonirten ober auf 9$arte= 
flelb gejeßten ^Beamten eigen ift, 3 eljn im Scat gewonnene Pfennige 


forgfältig unb ehrlich ein unb fcbleubert fie, fobalb ber lefcte Hccorb ber 
alten 5)änenhpmne uerflungen ift, bem lächelnben 2 Jhtfenjünger ju. 
S)er üemeigt fich bann adjtungSöotl unb fudht alSbalb baS nächftgelegene 
(Sonferuatorium für ftarfgeiftige ©etränfe auf. 

* 

2)ie Annahme ber glottenöorlage ift gefiebert. §err Dr. ©ahn, 
ber mit bem biScreten 06erfchlefier Simula ein DielbeachteteS humoriftifcheS 
^riuatgefpräch geführt unb babei &u feinem Schaben erfannt hat, baft 
ber fromme Dberfchlefier 3 war bie OrbenSregeln ber Sefuiten, nicht aber 
bie ber Xrapiften liebt, ©err S)ieberich ©ahn fcheint bie SBolfSftimmung 
gwar, hoch nicht bie SBolfSbertreter ju fennen. Shnen 2Wen ift bie 
neue glotte feineSwegS gräftlich. Sie fehnen Uielmehr ben &ugeriblicf 
herbei, wo fie fte unter begeifterten ©urrahrufen annehmen fönnen. ^och 
fperren fie fich fcheinbar unb fträuben fich, bodh uom altjüngferlichen 
©ethue läftt fich fein SBeifer ©tnter'ö Sicht führen. SSemt in allen 
gractionen Ssmufa'S erftünben, wenn wir bie ißrtoatgefpräche berer 
um 3ttanteuffel unb S3arth, SBaffermann unb JBalleftrem uemähmen, 
bann legten bie 2 Jtorine=@nthufiafien ficfterlich jufrieben bie ©änbe in ben 
Schooft. Unb fie unterlieften eS bann, ihren eigenen 2Bünfchen unb ©offs 
nungen burch ungefd^iefte 9Reclame entgegen ju arbeiten. 3)er Reichstag 
in feiner groften Mehrheit will bie glotte. 92icf)t, weil ber StaatSfecretär 
im Sftarineamt, ber 3 ur Qti t noch bürgerliche ©err Sirpip, ihre $ 0 th* 
wenbigfeit in unerhört glänjenben Sieben erwiefen hat. 9Mdjt, weil 
ernfthafte Männer ernfthaft an einen frieg mit ©nglanb benfen. Seicht, 
weil bie nüchternen Seelen jä^Ungö ein blaugolbener romantifcher $)ufel 
gepaeft hat, ober weil fie mit ©errnegh in ben gurren, bie ©olumb gejogen, 
S)eutfchlanbS 3 u f un f* aufgehen fehen. Sie trauen bem baltenlofen 
SSaffer heute fo wenig wie jemals, unb bie fchimmemben Sübfee=©eftabe, 
bie uerfchwimmenben ©ren 3 en beS (gröfteren ©ermanien finb ihnen heute 
ebenfo garcimentum wie früher. 9hir bie gbee leitet fie, baft eS fi<h 
hier um eine Vorlage beS ÄaiferS hanbelt, unb ba wagen fte nidfjt aber* 
malS S^ein ju fagen. Wbgefefjen t)on ber greiftnnigen ^Bereinigung hat 
faft jebe Partei, bie an ihre föegierungSfähigteit glaubt, etwas auf bem 
ßerbholje unb befthalb baS Sebürfttift, ben Monarchen ju uerföhnen. 
5)iefe erinnert fi^ beS 3 uc ^fh au ^9 e f e fe e ^/ baS man Scftanben h a fber 
glatt unter beit Xifcp fallen laffen rnuftte; jene beS ^ittellanbcanaleS. 
$>ie heift erfehnte Stunbe ber Sftehabifitirung ift gefontmen, 9tiemanb 
will fie ungenupt Uorübergehen laffen. ^aeftbem bie gtottem9ftecitatoren, 
glotten^Schaufpieler, glotten*Sänger unb glotten^Xhcaterbirectoren ihre 
reine Begeiferung auSfdjweifenb bargethan haben, bürfen bie kirnen 
in SBaüot'S ÄontöbienhauS nicht länger gurüdbleiben. — 

„gühl in beS XhroneS ©lanj 
2)ie hohe dornte ganj, 

Siebling beS BolfS ju fein . .." 

%tx conferoatioe SHebner Sllbert örbmann u. Sebepow hatte SRecht, wenn 
er bie $ecfung 3 frage für Döllig untergeorbnet edlärte unb fie fo flüchtig 
unb tänbelnb beljanbelte, als wäre er ber Berfafier ber bem glotten= 
gefep beigegebenen, officiellen Begrünbung. ©ört in ©elbfachen bie (ge* 
müthlicpfeit auf, fo hört anbrerfeitS in ©emüthS^ unb SiebeSfachen baS 
(gelb auf, eine ftotle ju fpielen. 

2ln fich fcheint nun jwar bie Stellung ber Parteien jur glotten= 
frage bon bornherein gegeben unb fo feft beftimmt $u fein,jlbaft nur ganj 
übermächtige Slblenfungen fie beränbetn fönnen. ®ie gractionen, beren 
23ähler ein herborftechenbeS, materielles ober ibeelleS Sntereffc an ber 
beutfchen Seegeltung haben, finb berpflichtet, bie Berbopplung unfrer 
Marine - unb auch eine Berbopplung ber Berbopplung gut ju heiften. 9Ber 
©ifenwerfSbeftper ift ober_fid) mit wohlbegrünbeter Spannung ber Seetüre 
beS ($ur§ 5 ettelS htngiebt unb ben berechtigten SBunfch nach angenehmer 
Seetüre hat, bem fteht ber glotteneifer ebenfo gut unb natürlich $u (ge* 
fichte wie b^nen," bie bie Seit für erfüllet unb unfre Regierung für ftarf 
unb bertrauenSwürbig genug halten, baS beutfdje SReich in bie borberfte 
Sfieihe ber Seemächte ju briiefen. ©S ift eine ber leiber noch immer 
gäng unb gäben focialbemofrattfdjen Rohheiten, jeben reblichen 5ftarine= 




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110 Oie 0&egena>art. Nr. 7. 


fchwärmer al« erlauften ©Furien ober Hnopflocf)* hänfen ju branb? 
marfeit. gür ftolge unb ftarfe SRänner bebeutet e§ beute eine weit ge* 
fährlichere, unangenehmere Slufgabe, bem neuen glottenplane ju^u* 
ftimmen unb ihm Anhänger zu werben, al« in überfüllten Berfammlung«? 
fälen föefolutionen bagegen annehmen z u Iaffen. Mancher bleibt nur 
be&halb ftiff zu Haufe, weil er ben Verbucht fcbeut unb bie ©emeinfchaft 
ber ©chweinbürger unb 23anbetprebigcr. Tafj Teutfcf)lanb auf bie ©ee 
htnau« muj$, weil feine ©renjen ju eng geworben finb unb weil 
biefe ©rennen feine Volf«fraft auf bie $auer ftranguliren müffen, wer 
wollte e« bezweifeln? Slber nicht eber fönnen wir bie Hanfa? Ueber? 
lieferungen wieber aufnehmen, al« bi« unfre ^olitif reif baju ift. 
BeOor wir nid)t bie $eHing« beftpen, auf bie ber !übne ©d)iff«bau zu 
liegen fommen foff, wäre e« Tonquijoterie unb Banfathum zugleich, 
an’« SBerf zu geben. Ohne gehörige« gunbament frachen fowobl Sanb? 
wie ©eebauten zufammen. Unb oon bem gunbament beutfcher SReer? 
berrfcbaft ift oorerft wenig noch z« fehen. Tie Beforgnijj, bafj auch ben 
neuen ganzem ba« Soo« befchieben fein wirb, öorzug«weife blenben? 
ben Barabezwecfen bienen, brängt fich übermächtig jebem fritifcben 
Beobachter ber au«wärtigen Bolitif Steubeutfchlanb« auf. ©in fopf? unb 
bülflofe«, überwürzte« Jpin unb ®er, haftige« 3ugreifen unb ebenfo eil? 
fertige« Qurürfweichen, eine ©jperimental?Tiplomatie, für bie bie 
fchwingenbe ©chautel al« ©i)ittbol erfunbeit werben müjjte, wenn e« 
noch feine gäbe — hinter biefem ohnmächtigen ©effacfer barfSlffeö ge? 
fudjt werben, nur nicht felbftbewufjte, ehern zuni giclc fchreitenbe Straft. 

Von bem ©djufe be« beutfchen ©eebanbel«, ber Eroberung be« 
SBeltmarfte« unb ber ©icberung ber ©etreibezufuhr harft c« melobifch 
in. ben glottemnotioen. gür bie breizebn Wann ftarfe graftion ber 
ywifchenbänbler unb Tiergarten »SRariniften mögen folche ©rünbe ent? 
fdjcibenb fein, auch wenn fie nicht ba« heifje Verlangen Oorwärt« brängte, 
bem Halfer ihre fdjranfenlofe Tienftfertigfeit unb hohe SBonne ganz S u 
Zeigen. ?lu« anbern ©eftd)t«punften jeboch foffteit bie Parteien ben 
©ntwurf betrachten, in beren £>änbe bie breiten Wittelftanb«fchichten 
ihre Vertretung gelegt haben unb bie ftch Oor Sitten anbern zur SSahrung 
ber altpreu&ifdjen Trabition berufen glauben. 

Tag unfre immer gefährbete ©tetlung im Kerzen be« Kontinente« 
un« zwingt, neun gebntel unfrer Slufnterffamfeit unb militärifchen 
firaft bemSanbbeere zuzuwenben, biefen ©emeinplap braucht man nicht 
bülowifch au«zufchmücfen, um ihn al« 2Bod)entag«wei«hett zu erfennen. 
Ter Burenfrieg, ber zur Qtit affen, nur nicht ben englifdjett Wilitär«, 
forgenOoffe ©tunben bereitet, leitet fchier unabfebbare ^Reformen ein, leitet 
fie ein unb erzwingt fte. Stod) finb wir un« nicht über affe Sehren, bie 
er erteilt, im klaren. Stod) fteben bie beften Sectionen vielleicht au«, 
©o Viel aber ift fd)on jefct gewifj, bafj bie europäifdjen Heerführer an grunb? 
legenbe Umgeftaltung ber Bewaffnung, ber Truppenerziehung unb ?Slu«bil? 
bung zu benfen beginnen. 3m Hmtergrunbe lauert bie SBiebereinführung 
ber breijäbrigen Tienftzeit, an ber unfer öfterreichifcher Verbünbeter gab 
feftbielt, obgleich ober weil wir ihm lieben Sah« laug bie ©rfolge ber 
Zweijährigen Oorgefübrt haben, ©ewalttge ©elbmittel müffen bereitgeftefft 
werben, um eine HeereSreorganifatiou zu ermöglichen, ohne bie wir un? 
merflich aber fidjer in bie 3 u Ttänbe Oor 1860 zurücfgleiten würben. 
Unb nicht nur gewaltiger ©elbmittel bebarf e« — fie finb am ©nbe in 
jebem gaffe zu befdjaffen — fonbern amh gewaltiger ©nergie unb böchfter 
Slrbeit«fraft, gebulbig unb unerfchlafft in einem fünfte zu famnieln. 
Sin glotte unb H«r ^ugletcH aber oermögen bie ©pigone nicht folche 
©imfon«arbeit zu Oerrichten. Tazu fehlen un« augenblicflich bie geni? 
alen Begabungen allzu fehr. Ten Hütern ber altpreufjifchen Trabition 
liegt befehalb bie Bflüht ob, nicht zuzulaffen, bafj um be« jüngeren Sieb? 
üng«tinbe« wegen bie ©tüfce be« Haufe« üernachläffigt wirb, bafj Phan? 
taftifche Träume unb bunte Hoffnungen ben ©ieg gewinnen über bie 
gorberungen ber grauen, bitteremften SBirffichfeit. Tie glotte mufj 
warten, wenn ba« Heer e« oerlangt. 

Unb ein Slnbere«, faum weniger Nichtige« fommt hinzu. Tie 
glottenOerbopplung Oerfolgt eingeftanbener 9Ra|en ben3wecf, Teutfchlanb« 


Ueberfeehanbel zu förbern, bie ©jportpolittf aufzupäppeln, ©ie ifl bie 
3ffuftration zu Hohenlohe’« S&ort Oom Snbuftrieftaat. Stimmt bie Sanb= 
wirthfehaft eine Warineoorlagt an, bie nach unumwunbenem ©in- 
geftänbnifj ber SRafjgebenben z«ni Heil ber 3Baarenau«fuhr unb Horn» 
au«fuhr bienen foff, bann folgt fo gewifj wie bie Hügel bem Hnall ber 
Tag, wo ber Sanbwirthfchaft oöffig ber ©arau« gemacht werben mufi. 
HanbeI«Oerträge, bie bie Brobeinfuhr erleichtern, müffen ba« au«fujjr= 
freunbliche glottengefep ergänzen. Ter erfte (Schritt bebingt ben z»oeiten. 
Bei halber Arbeit fann in biefem gaffe fogat bie ^Sotitif be« neuen 
©urfe« e« nicht bewenben Iaffen. Ter urfprüngliche Trieb ber ©elbft= 
erhaltung foffte be^halb bie Sanbwirthfchaft zwingen, feine Hähne ohne 
Hanip z u bewilligen, ©pielt fte bei ber heutigen Partie ihren Trumpf 
nicht au«, bann bleibt fte mit ihm ftfcen unb hat ba« ©piel oer? 
loren. Tarüber ift ftch 9tiemanb mehr im Stocifcl r fann Sßtemanb im 
3weifel fein. 

Unb trop affebent unb tro^bem ber Wittellanbcanal in alter 
Fracht hetanrüeft unb einen Harnpf auf Tob unb Seben bringt, ift bie 
conferoatiöe Partei entfchloffen, H err « TirpiJ ben erbetenen ©efallen 
ZU thun. ©ntfchloffeu wie ba« ©entrum unb ber weichmüthige, nach 
©onne unb Hofluft fehmaebtenbe Siberali«mu«. 

©raf Balleftrem hatte hoch Stecht, al« er ben ©onfUtutionalfömufi 
oeräcbtlid) bei ©eite fdjob. Tiefe ©inrichtung hat ftch wirflidj über? 
lebt. ?ln ihre ©teile ift ba« Hatafiri?©hftem getreten. Stach ben 
©runbfäfcen, bie fte in ihren Ifkogrammen niebergelegt haben, ur? 
theilen bie Barteten unb treffen il)re ©ntfeheibungen nur bann noch, 
wenn bie ©runbfäfce ^ufäflig mit ben SBünfdjen ber höchften ©teile 
übereinftimmen. SSenn nicht, benn nicht! ©in Uebereifer macht ftch 
geltenb, eine Tienftbefliffenheit, Oor ber gribolin«, be« treuen Hne^te«, 
Berbienfte erblaffett; ein Sticferthum, ba« nur noch in Stebenfragen 
©cheinwiberftänbchen wagt, fonft aber bebingung«lo« Oor ber hörten 
unb höchften ©inficht capitulirt. SRan hat’« z»oar ableugnen u>o0eit, 
aber bie ©efdjichte üon ben ©djulreftoren, bie bie zweite ©trophe be$ 
„Heil Tir im ©iegerfranz" in ihren Slnftalten nicht mehr fingen Iaffen, 
ift zu echt, zu ntobern, al« bafj fie erfunben fein fönnte. 

„Sticht Stofj, nicht Steifige 
©ichern bie fteile Höh ? , 

BBo gürften ftehn; 

Siebe be« Baterlanb«, 

Siebe be« freien SRattn« 

©rünbet ben H err fdjcrthron 
93ie gel« im SJteer." 

Ter Trehorgler fchaute erwartitng«freubig zuut britten ©torf empor, 
al« er bie ©trophe mit ?lu«brucf unb ©efühl ableierte. Tod) ba« 
genfter be« 2Birflid|en ©eheimen Hauzleirathe« flang nicht mehr. Tie 
aufbringüche Siebe be« freien SRattne« ift burchau« in SRificrebtt 
rathen, unb bie wiberfinnige Behauptung nun gar, bie bie brei erften 
Seilen ber oerbädjtigen ©trophe oentnziert, macht ba« ©ebicht bei jebem 
ernften Batrioten anrüchig. Ter 3Birflid)e ©eheime Stath, ber feine 
Seit unb ihre ©djwäcpen oerfteht, hat ben Trehorgler burd) ba« Tienft= 
mäbihen Sette aufforbern Iaffen, wieber zu ben ©affenhauem unb Tanz- 
weifen oon früher zuriiefzufehren. Calibao. 


3ur fnbtoig Unaus-TlnsjieUting. 

3n ber Slfabemie ber Hünfte, bie fdjon fo oft funjUjiftortJch inter? 
eff ante 3u6el??lu«fteDungen oeranftaltet hat, ift zur 3 e it eine befonber« 
gelungene zu fehen. SRan fann fie gelungen nennen, weil fte fehr boü? 
ftänbig au«gefa(len ift. Subwig Hnau«, ber auf ein 50 jährige« Seben«* 
wer! zurücfblicfen barf, ift hier mit 140 ©emälbeit oertreten (öaOott aller* 
bing« 86 in Steprobuctionen). Tazu fommen 165 Blätter mit 3 e ifr 
nungen in Hreibe unb Blei, meiften« giguren unb Höpfe, ©tubien zu 


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Nr. 7. 


Die Gegenwart. 


111 


[eilten Gemälben ober fdßledhtmeg fünftlerifcße Stotiaen. ^unbertunb^ 
bieraig Gemälbe, ble bie Dßätigfeit eine« galten Saßrßunbert« !enn* 

S innen — ba« ift bocß etwa«. greilicß, fc^aut mon näher iu. [o 
jmelaen biefe 140 Gemälbe [ehr beträchtlich aufammen, benn ber fo 
überaus fruchtbare Künftler 6lei6t fid) boeß fcßließlicß [ehr gleich. 

5)en Stußm eine« neulich bei ber großen Subeifeier inmitten [einer 
©erle öon mehr al« 30 Deputationen rünftlerifdßer ü^enoffenfd^aften be« 
3nlanbe« unb 9lu«lanbeS geehrten unb auSgeaeicßneten Reiftet« öon ©eit* 
ruf trgenbmie fcßmälern moQen, märe ein ebenjo tßöricßie«, mie häßliche« 
beginnen. Die geier, bie ja bereit« im Cctober ö. 3- om richtigen 
Geburtstage be« 3ubilar« burch eine lange [Reihe Don Slrtifefn in ber 
DageSpreffe unb gacßliteratur eröffnet mürbe, mar gemiß berechtigt. 
Denn ein ganaev ftünftler ift SRetfter Knau«, unb [eine Berbienfte ftnb 
nicht au öerfennen, felbft menn er minber fruchtbar gemefen märe. Unb 
mie befeßeiben nahm er ble Ehrungen hin, mie einffcßtSöoll ließ er in 
[einer Grmiberung auf aß’ bie jehtneießefhaften Begrüßungen burd)= 
bilden, baß er [ich felbft fehr moßI beffen bemußt, baß feine Kunft ben 
Aufgaben unb Qielen ber heutigen nicht mehr entfprießt. Tempora 
mutantur. 3« biefer Beaießung ift biefe SRaffenauSfteHung eine« 
©naelnen ungeheuer lehrreich unb — möchte ich hinaufügen — für ben 
Jhmftler felbft bieöeicht nicht gana bortheilhaft. 58a« ich hier jüngft bei 
anberer Gelegenheit öon ber ©ueßt ber Klaffificirung unb ©pftemati* 
ftrung unb ber Geringmertßigfeit folchen Bemühen« fagte — ba« mirb 
aueß roieber burch biefe MSftellung, bie ein reiche« bofle« Künfilerleben 
umfaßt, genugfam öeranfcßaulicßt. ©elcße Güolution unferer Kunft= 
begtiffe unb ber SRittel, fie aum SluSbntd a u bringen, hat [ich amifeßen 
bem Beginn be« 2eben«merP8 bon Knau« unb feiner jeßtgen 70=3aßrfeier 
bouaogen! Der alte Knau«, ben hoch heute Sttemanb einen moberneit 
Äunftler nennen mürbe, galt bor naheau 50 Sahnen bem ©cßabomffcben 
afabemifeßen BureaufratiSmu«. auf ber Düffelborfer Kunftafabemte al« 
ein miberfpenftiger „©eceffionift" unb bermegener teuerer, unb er mußte 
1852 ber Schule ben [Rüden lehren, um fich bie „Statur" aur alleinigen 
reßrmeifterin au ermählen. Die „Statur"! Du lieber §immel — maö 
nannte man bamal« in Bart«, mohüt er fich manbte, Statur! SRan ber» 
mechfelte ben Begriff aumetft mit bem be« SlUtagS. Denn ba« mar e«, 
ma« man bem jungen Kunftfcßüler nicht bergeben mollte, baß er all’ 
bem mßthologifdjen unb allegorifchen unb pfeuboßiftorifcßeu 9?cquifiten= 
fram, bem figürlichen, mie bem fachlichen, behebt ben [Rüden lehrte, 
nber amifeßen ben Bauern ber KnauSffcßen unb Bautier'fcßeit Bilber 
unb a- B. benen eine« ©egantini unb SRiaet gähnt eine Kluft, fo groß 
bei1 »paysans“ einer George ©anb unb bem gtrhrmann 
penfchel eine« Gerhart «ftauptniaitn, amifeßen einer Dßeaterbecoratiou 
unb bem echten Dorf braußen in ben Bergen ober im glacßlanbe. SRatt 
coßumirt nicht mehr fein SJtobell, joubern man malt ba« unberfälfehte 
Criginal man feßt nicht mehr im Atelier bie gtguren mifllürlich in 
„freie 2uft" auf bem BÜbe — man fudjt fie unter Gotte« freiem 
^immel felbft auf; man ftellt feine TOobeCle nicht mehr au gefälligen, 
effectbollen Gruppen aufammen in einem aielbemußt erfonnenen unb 
herau«ftaffirten SRilieu, fonbern man nimmt ben SRenfcßen in ber mir!- 
litßerfd)auten©te(htng, bei ber mirf ließ beobad)teten£)anbtining, in ber mirls 
ö0 ^ ön ^ cncn Umgebung . . . Unb bodj — man halte nur bie Knau«'* 
. ^ cr betten ber ßerrfeßenben [Richtung unb Dogmen ber 
icunft jener Daae aufammen unb mau mirb berftehen, miefo benn ber 
junge Slpotßefeifoßn au« ©ieSbaben bon ben Kunftgeleßrten ber [RßeU 
ntfeßen ^mdffcßule al« ein Keßer betrachtet merben lonnte. Denn feine 
nrt iebenSbeobacßtung entfernte fieß noch weit nteßr bon ber 5ln= 
jdjauungSmetfe ber ©oßn unb ©cßaborn, al« etma bie unferer heutigen 
Mobernen bon ber be« alten Knatt«. ©o mar auch er in gemiffer Be= 
Siebung ein Bahnbrecher. Mer er blieb fteßen, er machte bie Göolution 
nteßt mtt, mar auch mohl, al« biefe fich ftärler, nibeötrenber au betßä= 
tigen begann, feßon au alt baau. Stießt feine lünfllerifcße‘9lnfchauung«= 
uteife entroirfefte fteß — nur feine Decßnil unb fein garbenfittn. 3Ran 
bergletcße nur etma feinen „Dieb auf bem Saßrmarlte" au« bem 3- 1851 
cm- im 58albe" au« bem 3- 1852 etma mit „£>oßeit 

auf Stetjen" (1867) unb „Bcgräbniß in einem Dorfe" (1871), ober ben 
„Morgen naeß bem Äircßmeißfeft" (1858) mit bem „^ieberfeßen" 
©tubentenßeimleßr, 1884). «bgefeßen, toie gefagt, bon ber boTU 
mmnteneren Decßnil be« ©tift« unb Biufel«, bott ber Läuterung be« 
garbengefeßmad« — finbet fieß irgenb eine ©pur bon Gntmidlung? 

«purt man nicht überall in gleicher 58eife bie lunbige $anb be« Siegifs 
jeur«, baffelbe SReiningertßum in ber SRallunft? Da« „Begräbniß in 
^torfe" ift oßne gmeifel eine« ber feßönften Gemälbe, bie ber 
• k e Li c QjW a ff cn - ^ er berfeßneite Bauernhof unter trübem Fimmel, 
tn Der Gde greunb ©cßulmeifter mit ben fröftelnben Äinbern, bie ben 
^orgefang anftimmen; baßinter einige fcßlucßaenbe ober aber nur neu= 
gtertge tRacßbarinnen unb Gebatterinnen; au« bem $aufe recht« tragen 
te Den fcßmaraberßütlten ©arg mit ber fieteße ber |>ofbäuerin ßerau«, 
mm boran feßreitet, gramgebeugt, ber alte SBitmer bie fcßliipfrigen 

»US 1 innerltcß Gefcßaute« — oßne 3 wei f e ^- Ünb boeß! 

ö artte eine Gruppe jener rofigen Minber, mie ÄnattS ffe fo 
gerne matt, in „intereffanter" Bofe unb über ben §of ßin fteß jagenbe 
vußner, aufgefeßeueßt bureß bie bielen SReitfcßen, ben Gefang, bie 
• • • 34 weiß nießt, ob fteß ber 2cfer noch be« Bil= be« 

m n t ern 5)üffelborfer« erinnert, ba« bor amei Saßren auf 

«SLwÄ ro «?p Jt ® er ^ ner ^unftau«fteHung" a» feßen mar — Slrtßur 
Kampf« „vlbfcßteb". 5lu« einem Gemacß, mo beim ©eßeine ber Dobten* 


leraen ber ©cßreiner ben ©arg ber tobten $au«frau aufeßraubt, mie mir 
unfeßmer erratßen, manlt ber alte bereinfamte Gatte auf ben Botflur 
ßinau«. §icr leßnt feßon fdjlucßaenb ber ©oßn an ber SBanb unb fteßen 
ftumm unb ernft awei treue greunbe be« §aufe«, einen S^ranj in ber 
§anb. Sieben ber Dßür liegt noeß ein anberer Ärana. Da« ift Me«; 
aber mie fein beobachtet unb mit mie borneßmer Schlichtheit ift Me« 
miebergegeben, ber 9lu«brurf unb bie £>altung be« Men unb feiner 
greunbe; baa« ber malerifcß fo mirlfame Gegenfaß awifeßen bem lalten 
Dage«licßt auf bem rotßgepflafterten giur unb bem marinen gelbrotßen 
Dutift brinnen, in bem bie ßembärmlicßen Geftalten be« ©cßreiner« 
unb feine« Gehilfen erfemtbar merben ... GS ift berfelbe Borgang in 
bem einen mie in bem anberen Bilbe, fogar in bemfelben Greife öon 
Leuten au« bem Bolle. Unb boeß — roelcß 7 ein Unterfcßieb: bort eine 
lünftlerifcß gemiß ßoeßfießenbe, fein componirte 3Huftration, hier ein 
SluSfcßnitt au« bem’ SRenfcßenleben ohne äße« „Slrrangement" unb barum 
noch einmal fo mirtfam; bort gemiß auch SBirllicßleit, menn man mill, 
in gemiffer Beaießung fogar pßotographifcße SBirllicßfeit, mie aueß bei 
ßampf, aber bort aufgefangeit im ©piegel be« Glafer«, ßier — feft- 
gehalten in bem be« Geifte«. 

$nau« ift unleugbar ein feßr gemiffenßafter unb feiner Beobachter 
unb ©cßitberer, aber er fteßt immer über feinem ©toff; baß er je 
mit £>era unb Demperament in ißm aufginge — biefe Gmpftnbung ßat 
man bei ißnt nie. Gr ßat un« immer jo feßr öiel a« eraäßlen unb au 
geigen, baß er eben felbft aum Gntpfinben gar nießt fornmt, unb er be= 
fcßäftigt unfer Sluge mit fo öiel Ginaelßeiten unb Slebenfäcßlicßem, baß 
mir au einem Genuß be« Ganaen meiften« gar nießt bureßbringen lönnen. 
©ein öielgerüßmte« unb meßrfaeß öariirtc« „Äinberfeft" (in ber Berliner 
Stattonalgalerie) unb ba« tooßl populärfte aller feiner Bilber, bt$ 
„Golbette ^oeßaeit" (in Slmerifa, ßier nur bureß ben ©tid) öon Baul 
Givarbet öertreten), fiuö in biefer Beaießung befonber« cßaralteriftifcß, 
auch roa« bie SReiningerei betrifft. SRan feße fteß a* int „Äinberfeft" 
bie Gruppe an, mo ein Heine« SRäbel ein Babß auf bem ©cßooße ßat 
unb eine große Dogge ißren $opf awifeßen bie föpfeßen ber beiben 
Kleinen geftedt ßat — ift eine folcße ©ituation benn in SBirlltcßleit aueß 
nur einen Slugenblid benlbar? merben bie Kleinen nidjt fofort au«= 
einanberfaßren? Slnbererfeit« aber öerfügt Knau« über eine ftarle 51 u«= 
brudSfäßigleit unb öor Mem über eine fo gefällige Komi! unb einen 
fo frifeßen §umor, baß feßon babitrcß allein fieß ba« außerorbentlicße 
58oßlgefalIen erflärett lann, ba« feine 58erle Sußraeßnte ßinburdß erregt 
haben unb noch erregen. Unb in biefer Beaießung feßeinen mir feine 
Ginaelfiguren am ßöcßfien au fteßen. 3d) meine nießt bie birecten 
Bübnißarbeiten, bie, abgefeßen öon bem munberbaren Borträt be« alten 
Kommeraienratße« [Raüene, bem Bilbniß feine« Bater« unb ©cßroieger^ 
öater« beim Damenbrettfpiel, unb etma noch benen oon ©elmßolß unb 
SRommfen (in ber [Rationalgalerie), ben Kiinftler nießt auf ber £>öße 
feine« Können« geigen, fonbern foldje Gßaralterftguren, mie ber „©taroft", 
ber „3uöalibe", ber „Unaufriebene", ber „Seiermann", ber Subenlnabe 
(„Da« erfte Gefdjäft"), ber alte SRartn in „3(ß fonn märten" (in ber 
Galerie ©ad au ©t. BeterSburg). Da« ftnb lauter fo feßarf aufgefaßte 
unb fo üiituo« miebergegebene Subiöibueit, benen gegenüber fteß bie 
meiften ralrüicßen Bilbniffe öon Knau« ßölaern unb leblo« au«neßinen. 
Unb in biefen Bilbern auch gumeift erreicht er ein meit einheitlichere« 
Golorit, al« in ben Gruppen unb Geitrefcenen; aumal in benen unter 
freiem benn menn ißm etma« gar nießt liegt, fo ift'S gemiß 

ba« ßanbfcßaftlicße ... G« ßieß guerft, er ßabe fieß in Beaug auf ba« 
Golorit mit ber $eit üerüolllommnet. Da« ift richtig, er mürbe gegen 
feine erften Bilber au« ber B ari ftr 3 eit udmälig farbiger, menn aueß 
nießt toniger, blieb aber in ber [Regel im Socalton fieden. Um fo über- 
rafdbenber mirft ba ein fleine« Bilbcßett au« bem Sußre 1851, alfo öor 
feiner Burifer 3 c t^ € i ne abmeteßenbe SBieberßolung ber „Kartenfpielcr" 
in ber Düffelborfer Gemälbegalerie — „Die galfcßfpieler". G« tfiat 
ein feßr feßöne« Gefammtcolorit unb babei eine meit breitere Biufel= 
fiißrung, al« in bem größeren Gemälbe au« berfelben 3eit. Uebrigen« 
ffnb auch bie „3igeuner im ©albe" (ebenfall« 1851) fein in ber garbe. 
©ie fleißig ber alte $err noch ßeute ift, ba« bemeifen bie Bilber 
Sh*. 101—104; fie ftammen au« bem öorigen 3aßre, Sh. 104 ift fogar 
„1900" geaeießnet. 5lber ber „ruffifeße Bauer" fann ben erft ermähnten 
Ginaelfiguren nießt ba« ©affer reichen unb ma« ben „Steigen" ber fünf 
am SReereSftranbe tanaenben jungen SRäbcßen in bunten glattergemänbern 
betrifft — nun, ein Knau« ßat eS boeß nießt nötßig, fteß an bie SRotiüe 
eine« 2. ö. §ofmann anaulehnen. ©ie liegen ißm fo gar nießt. Gana 
ebenfomeuig, mie etma Bödlin'fcße gaunsBfipe, in benen er fieß in ben 
70 er 3oßren gefiel unb a u benen er 1896 in ber „grüßlingSlbpCfe" 
noeß einmal aurüdfeßrte. Gr füllte ftet« er felbft bleiben: für bie Ge- 
feßießte beutfeßer Kunft in ber ameiten Hälfte be« 19. 3aßrßunbertS mirb 
er fo öiel nteßr bebeuten. 3- ZTorben. 


Beridjtiguug. 3« beut Slrtifel in leßter Stummer: „Die Bßifo* 
fopßie im neunaeßnten Saßvßunbert" oon Gb. ö. -Jpartntann ift a« lefen: 
©. 86, ©p. 2, 3- 12 ö. unten unb (ftatt ober); ©. 87, ©p. 2, 3- 4 
ö. u. ift fieß au ftreidßen; ©. 88, ©p. 1, 3* 18 ö. u. naturaltftifcß 
(ftatt neutraliftifcß); ©p. 2, 3- 14 BantßeliSmu« (ftatt Bantßei«mu«). 


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112 


Ult Gugettttiuri. 


Nr. 7. I 


Jlnjeigen. 

®tt »effeflungMi berufe man fldj auf bte 
„«egenmarf“. 


3m Verlage ton Jmbera u. Ceffon 
yerltit ift etfdfienen: 


in 


^>ct ^orffdmlK 

Komööie tn oier Elften 


non 

«arl 8iUj. 

^reiö: elegant brofcfjirt 2 «Kf. 

SJon bemfelben Serfaffer ftnb erftbienen: 
5ramatifdfc fjumoresten (Serftn, 3 mberg 
u. Seffern), brofä. 2 W. 3nfjalt: «Kein 
»Kann ftbreibt Xragöbien. — 28er ift ber 
SBerrätber. — Sfublifu« nnb feine SSermanbten, 
§ifiorico=Äomöbie. 

5er 3'itcntant in taufeub ttötfjen. 

25offe (SBerltn, 3 .2f. ©targarbt), brofcf). 2 «Kf. 
(Bomorrba’s «nbe. Sitteroriftfe ffiomobie 
(Berlin, 3 . 81. ©targarbt), brofcf». 1,50 «Kf. 
€in toller Sag. Sitterariftbe «Boffe (Berlin, 
3- 21. ©targarbt), brofcf). 2 «Kf. 

2(nno 3n»eitaufenb. fßoffe (Stuttgart, Union 
Seutfcfje 23erlag8gefeflfcf)aft), brofcf». 2 «Kt. 
5er cfürft »on Haiatea. «fSoffe (Stuttgart, 
Union ®eutfcf»e SevlagSgefeBfcbaft), brofcb. 
2 3ßf. 

®ie norftebenben öiltifd)en .fjumoreäfen 
bilbett einen »oefentlirfien gortfcbritt in ber 
enttoicflung ber beutfcfjen ftomiibie, inbem fic 
in geioanbtefter Sprache bie nietfadjen fomifd»en 
9Koti»e, iteldje unfte 3 eit auf litterarifdjem, 
focialem unb pofitifc&cm ©ebiete barbietet, 
glücflid) terrtertfjen. 


9lfab. geb. ©cijriftftettev, bi«b- pubticift. 
(liter. Äritif) in Serlin tfiätig, energ. getoiffen» 
f»afte Slrbeitäfraft, borj. ©pradjfenntniffe (frans 
jüfifcb, engtifcb), >etfe«er SUaogtaptt, 
9Rafd>inenf4»reii>ev (.ftamnionb), fud»t «nt. 
M4- «nfnr. in KeDaftion, Stjraterfefrrtariat, 
$trl.=©uWf»Mg., liternr. 3«ftit. tc. ©teflung. 
Cffert. an b. ©xp. b. ©egenroart unt. A. 0. 


^Istnatik 


tm 


Urteil 

feiner 3 eit|(»ffei. 


£unbert Ortatnal -- ®utac$ten 
t>. ftreunb u. geinb: ©jörnfoit 
©taitbeS ©ttdjncT GrUpi Sta^n 
Staubet ffigtblj grontoue ©rotfc 
^oecfel $artmann #et)fe Sor* 
bau Ätyltng 2eoncat>aIIo Sin* 
bou ßombrofo SWefötfcfierSri 
ftigra Vorbau OUiuier fetten- 
fofer ©altS&urty ©ienlteu>ics 
©tmon Spencer ©pielfjagen 
©tanteb ©toeefer ©trinb&erg 
©uttuer ©ilbenbrud) ©enter 
Bola u. b. “■ 


Sieg. geb. 2 SDtf. Dom Dirlag ber Stacnwavt, 

©erltn W. 57. 


. -Tkflrliclf«hMt-- 

ITectanlkam Jlmenti 

1fr Iwiti a- u4 lltktn- I 
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$ie ®egetmmrt 1872-1892. 

Um unfet Saget ja räumen, fielen mit unfeten Abonnenten eine gfinfHgt 
Gelegenheit jur Cetooüpnbigung ber GoKection. So weit ber Sorratft reicht, 
liefern wir bie Jahrgänge 1872—1892 ä 6 SW. (jtatt 18 SU.), $a(bjabri‘ 
Sänbe ä 3 SW. (patt 9 SW.). (Sebnnbene Jahrgänge ä 8 SW. 

©erlag ber ©egentoart in ©erlitt W, 57. 


3 n unferem SBerlag ift erfdjienen: 


pc ©rgciitunrt. 

fBftkaltdp Wr fitnatui. Äunfl tftaffWfcrt Ertra. 




@fnfrfll=Br(jiftfr 1872 — 1896. 

©rftcr fünfjififter »ottD. 

Wit 9?ac^trägen 1897—99. 5 Jt 

©in bibliograp^ifcfie^ 5öerf erflen 
9?ange§ über ba§ gefammte öffentliche, 
geifftge unb fiinftlerifdje Seben ber lebten 
25 Qabre. 9?otbuienbige§ 9?acf)f<f)lagebucf) 
für bie Sefer ber „©egenroart", fomie 
für iuiffenfcf)aftli(f)e 2 c. Arbeiten, lieber 
10,000 ^Irtüef, nad) Sachern, ^erfaffern, 
6chlagiüörteni georbnet. ®ie Autoren 
pfeubomimer unb anoni)mer 9lrtifel finb 
burchtueg genannt. Unentbehrlich für 
jebe 23ibliothef. 

s ?luch bireft gegen ^oftamoeifung ober 
9?ad)nahme bont 


Derlaq ber (S>egcnt»art. 

»crlin W 57. 




iüstnnrrite fladifalgrr. 

Vornan 

bon 

JJofCmg. 

9W DeKfantgabe. 

$reiS 3 War!. Schön geöunben 4 Warf. 

tiefer 53i8marcf=©ahribi=Montan, ber in 
wenigen Qahren fünf ftarfe Auflagen erlebt, 
erfcheint hier in einer um bie Hälfte billigeren 
S 8 olf§au§gabe. 

$)urch alle 23ud)hanblungen ober gegen ©ins 
fenbung be§ ©etrag§ ))oftfreie 3 ufenbung bom 

üerlag der Gegenwart, 

Serltn W. 57. 


§etd)nen naty 

nnO 

anbere ^mtfffragen. 

Original * ©Machten bon Ub. ülen^el, Hein- 
BocfUtt, 2t. v . tBcm«, 
hinaus, Utibc, Stucf, Jotj. Scbtain^ 
Scraper, CL v . (Bcbt^arbt, Metten 

ücfve^gcv, (Gabriel 2ltag t 
Ciebermattn, tPUtj. Bufcb, 5itdcr, 
Qarracb, BIay Tirufe, Ktittte, Ceffer* 
Ury, Bocpter, Cedit , ^iuebl, Cecttfef» 
3ft$et 9 parla<jbt t Blacfenfen^ Slarbina, 
Criftffow, (Bautfe, ptinfe, StaffL 

?rei5 hiefer brrl jünffte - ^ttmtnanv fcc 
„^egnuvari« 1 JK. 50 

Sluch birect bon unS ju beziehen nach Srief s 
märten=©infenbung. 

Berlar ber (Be^entrart, Berlin W. 57. 


Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift¬ 
stellers sind zu Gunsten der Hinterbliebenen 
folg. Pracbtwerke ünter d. Hälfte d. Laden¬ 
preises in schönen, geb. Ex. zu verkaufen: 
Brockhau8’ Conversationslexikon. Neueste 
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände 
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei 
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬ 
gabe 30 M. — Hch. Kurz: Geschichte der 
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. t. 
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild- 
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder- 
bde. 50 M. — Lacroix, Les arts au Moyen- 
Age; Directoire Consulat Empire, 2 Lieb- 
hbde. 30 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬ 
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde. 
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner 
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl. 
Text m. deutsch. Erklärungen v. Delhis, 
Hfb. 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel 
(Pfeilstücker) Lwbd. 10 M. — Bestellungen 
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i in einem), elegant in Leinwand mit blinder und ergoldeter 1 
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©erantmortItt$cr Rcbacteur: Dr. 2$ej>p$U ßoHtng tu ©erlln. Kebactton unb Petition: ©erltn W., SRanftelnfttafc 7. ®rud tor SBwfcr tn ßetbfttg 


1 


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M 8 . 


^ 8 erCm, Öen 34 . §fcßrwatr 1900 . 


29. Jahrgang. 


tf . 29. Jah 

'-// » Band 

'* M l * ■ 


57. 


Pit 6 tncmuflrt. 


'0j 


SBocßenfcßrift für Siteratur, Sunft unb öffentlichem Sehen. 


^ttai&gegeöett Don ^ßcopßif ^offlttg. 


Jtfifn Somnbenti nfmeint (tu |tn»«ti. 

8u bestehen burcfj alle ©ud^anbluitgett unb ^Softämter. 


Verlag ber ®egemoart in ©erltn W, 57. 


|tattl|l|iU| 4 *. 50 »f. «ta JUwnwr 50 |f. 

3«ferate jebet Ärt pro 8gefbaltene qktttjdle 80 $f. 


3Ba8 Ieljrt utiS ber ©urenfrieg? ©ott Hoplites. — Xenfmal ober Xenfmünae? ©oit Dr. ©Hlljelm ©obe (SB?imat). — 
Cr £ Literatur unb äunft. Wle&fdje ber grauenfetnb. ©on $einrtd) Sftetjer (©öttingen). — Xeutfdje ©oIKtradjten. ©on 

DflÖdLr ^ crt § 0 ^ Südfiebt. — $eitU(etOtt. Wm ftaiferbenfmal. ©on 3u§ani $Ujo. 9(u$ bem gimufdjen. — ©uä ber $<UU)t- 
(5/ * ftabt. ©on brinnen unb braunen. ©on Ximon b. 3. — Xramatifc^e Sluffü^rungen. — Offene ©riefe unb Slntroorten: (Sbuarb 

x>. §artmann unb bte „Xime3\ ©on Dr. (Sari ©eterS. — 9iotijen. — 9ln$eigen. 


Was leljtt ttns ber ttarenkrieg? 

©er Stieg in ©übafrifa ift nodß lange nicht ju Snbe. 
“Sie Stichtigfeit ber fpärlidßen fRacßricßten, bie gum ©ßeil aus 
$rit>atbriefen ftammen, ift nicht Derartig feftfteßenb, als baß 
jeöt feßon bie 9Jiöglid)feit gegeben Wäre, eine Sefcßicßte beS 
gelbgugeS gu feßreiben, bie einigen UBertß befißt, gmnal bie 
nah ©>eutfhlanb gelaitgenben SRelbungen, weil faft nur Don 
©eutfeßen unb öon Surenfei'te tommenb, reht einfeitig unb 
tßeilWeife red)t ftarf gefärbt auSfeßen. SBenn aber ber Saug 
ber Sreigniffe in feiner Sntwicfelung fuß Har noch nicht über» 
feljen läßt, fo ßaben bie Sreigniffe fetbft burd) ihre gönn 
gtoeifelloS fdjon jegt bagu geführt, baß man fid) bemühen fann, 
aus ißnen Sehren uttb ©eßlüffe gu gießen, um liicßt biefelben 
geiler gu mähen, bie in ©übafrifa wäßrenb beS gelbgugeS 
unb namentlich Oorßer gemäht finb, mobei burdjaitS nod) 
niht feftfteßt, baff bie Suren gar feine genfer begangen 
haben, benn gang tabeUofe güßrung giebt eS niht. ©aß 
ber Snglänbet ben Sur überfallen ßat, toirb Woßl jeber als 
ein fcßöneS SRärcßen fegt erfennen, 2lngeficßtS ber oorgüglicßen 
Sorbereitungen bet Suren in Segug auf Soffen, 2J?unition, 
SriegSmaterial unb fßroöiant, wäßrenb anbererfeits Snglanb 
feine feften fßläße, wie man fießt, trefflich üerprotiiantirt hat, 
fobaß eS eigenartig berührt, wenn man Snbe gebruar 1900 
große ©ageSblätter üon SRitte Dctober borigen SaßreS in bie 
£xmb nimmt unb öon bem ftünblih gu erwartenben gall bon 
Sabßfmitß, Sintberleß unb üRafefing lieft. 

®aS britifhe $eer ift gegen Oegner europäifher 9tb- 
funft ftets minberwerthig gewefen, fobalb eS fih um national* 
englifhe ©ruppen ha übel te. 3n ben fRapoleonifhen gelbjügen, 
»nie gegen bie Sereinigten Staaten bilbeten beutfhe fRegi* 
menter ober beutfhe ©lut britifdjer ©ölbner ben Sern, waS 
man übrigens englifherfeitS ohne Utnfhtoeife jugefteht. Snt 
Srimfriege geigten fih bie grangofen ben Snglänbern in allen 
fünften weit überlegen, unb feitt)er hat fih ln ber britifhen 
'Ärmee niht biet geanbert. ©ie ©aftif ift fhiberfäKig ge* 
blieben unb ber 3 e *t niht gefolgt, bie SluSbilbung gielt biel 
JU fehr auf bie SeWegung gefhloffener Sbtheilungen hin unb 
biel ju wenig auf ©elbftftänbigfeit beS Singeinen wie ber 
Unterführer, ©ie ©htefeauSbilbung ift mangelhaft, bie Seute 
finb niht gewöhnt fih gewanbt unb ohne biele güf)rer im 
©elänbe ju bewegen, bie güßrer niht bie Seute gewanbt gu 
lenfen. ©ie ©eneräle haben gar feine Uebung in bet Sei» 
tung größerer ©tuppenförper. ©iefc frfjtoerfäfligc SRafdjinc, 


Weldje noh bagu burdj bie Sigenthümlihfeiten beS DperationS» 
felbeS an gang beftimmte Sormarfhftraßen gebunben ift, bie 
bem ©egner bortrefflidje SertheibigungSfteHungen bieten, muß 
bom üReere hcc» über Dceane, mit 9tÜem berfeßen werben, 
unb bie reht großen Sebürfnijfe finb auf einer bünnen Sinie 
jebem operirenben Sorps nahgufüßren. ©em gegenüber ift 
ber ©egner gang unabhängig bon ©traßen. St bewegt fih 
gewanbt, bie SingelauSbilbung im Seiten, ©djießen unb, niht 
gunt SSenigften, im Srtragen bon ©trapagen, junger unb 
©urft ift niht beffer gu wfinfdjen. 9tUe fennen einanber, 
wollen baffelbe, fennen baS Sanb, haben bie ©pmpathieen ber 
SeWohner unb, waS niht gu unterfhäßen, fie wiffht gang 
genau, auf weihe SBeife fie ben Stieg in großen 3ügen gu 
führen haben, ©hon auS biefem SBenigen ergiebt fih, baß 
große Seßren für europäifhe Stiege faum fih gießen laffen, 
benn eine foldje ?lrmee wie bie ber Suren, wirb eS niemals 
in Suropa geben, ebenfowenig Wie Stiege, bie ein halbes Saßt 
oßne größere Sntfdjeibung geführt Werben. Srft jefct, nah 
bem iiberrafdjenben (Sntfatj bon Sintberlep, fheint ein fhnellereS 
©empo angefhlagen gu werben, aber bie Sntfhcibung fann 
fih unter Umftänben noh reht lange ßiugiehen. 

Snglanb wenbet ben Suren gegenüber bie ©toßtaftif an, 
einmal Weil man fih bagu gegwungen faß, wenn man bor* 
bringen wollte, unb weil bie Suren nid)t umgangen werben 
fonnten, ba man fih, oßne bie rürfwärtigen Serbinbungen gu 
gefäßrben, nid)t auf Weites SluSßolen einlaffen burfte; bann 
aber — weil man eS fo gewoßnt war, unb bie ©tuppen 
eine anberc ber beS ©egnerS angepaßte gehtweife ebenfowenig 
gelernt ßatten, Wie bie Dfficiere. ©er ÜRißerfolg ber ©toß* 
taftif ben Suren gegenüber ßat nun bagu geführt, bie 2(n* 
griffStaftif überhaupt in 9J?ißcrebit gu bringen, ja fie fogar 
furgweg gegen bie heutigen fleincalibrigen SBaffen in ber £anb 
gut auSgebilbeter ©djü^en für unburhfüßtbar gu erflären. 
9J?eßr ober weniger berufene gebern ßaben fih bereits mit 
biefem Segenftanb befdjäftigt, unb gang befonberS wirb barauf 
ßingewiefen, baß ber ©irbar Sitcßener feine Srfolgc gegen 
ben Salifen nur erreicht ßat, weil bie ©erwifdje niht fc^offeit 
unb einfach nieberfartätfeßt würben, ©abei finb benn au<ß 
allerlei 3 tt,c *^ auSgefprohen, ob Sitcßener ber gegebene 
SRann für ©übafrifa fei: ®aS bleibt ja abguwarten, aber 
jebenfallS ßat ber ©irbar im ©uban feine Aufgabe glängenb 
gelöft, unb man ßat gar feine Seranlaffung, ißm gugumutßen, 
er werbe ben Suren gegenüber biefelben ÜRaßnaßmen ergreifen 
unb biefclbc ©aftif auwenben wie gegen bie ©erwifeße. 3 Us 


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114 


Ute dfegentoart. 


Nr. 8. 


bem ift niept ju oerwedjfeln: im Suban griffen bie ©erwifcpe 
an, unb bie ©nglänber unb ©gppter fpielten bantalö bie SRolle 
ber guten @djüßen, Wie jeßt bie Suren, atferbingS in anberen 
taftifcfjen Formationen. Siber wenn aud) bei Dmburman bie 
©tofjtaftif gegenüber gutem Feuer Oerfagt bat, fo ift bamit 
noch lange niept betoiefen, bafj fie unter allen Serfjältniffen 
nichts taugt unb ganj jum alten ©ifen geworfen werben muß. 
©ewiß ift eS ju oetmeiben, auf bie Front ju ftoßen, aber 
Wenn man geWanbte Gruppen unb Führer als ©egner bat, 
bann ift, namentlich bei Heineren ©orps, 2lHeS Front, unb 
baß felbft Stöße üerpältnißmäßig gefdjloffener Waffen auf 
gut bewaffnete unb auSgebilbete, bewegliche, etaftifcbe Sinien 
getingen, baoon bat man Seifpiele. Sft bie Sataftroppe oon 
Abua bereits oergeffen? ®ort meßelten Wenelif’S Waffen 
bie Staliener, troß Artillerie unb ©eweptfeuerS, nieber, Weil 
fie fie jum ft'ampf mit blanfer SBaffe jwangen. ©o rectit 
!lar ift eS nicht geworben, in welcher Formation bie Slbpffinier 
borgingen, man Weiß nur, bafj eS in mehreren langen Sinien 
hintereinanber gefchah, unb folcher Sinien follen bis acht ge» 
wefen fein. 

Unfer heutiger @jercirplaß='!£ürfe mit bem ©chlufjeffect: 
Warfdh! Warfcf)! $urrap!! Wirb ja allerbingS noch geübt, 
aber eS benft wohl ÜRiemanb baran, ihn als eine ©efedjts» 
formation für ben ©rnftfaU anjufepen, unb Wenn auch S u 
2lnfang eines ÄricgeS ein Sorwärtsbrängen ftattfinben unb 
ficher mit großen Serluften Oerbunben fein wirb, fo ift hoch 
anjunepmen, baß fiep fepr halb baS: „SBenn was fommt: 

— ®rauf!" ganj legen Wirb. Sei ben ©nglänbern ift eS 
bie höchfte 3 e iL baß fid) biefe ©inficht einfteHt. greilid^, 
wenn biefe @infidjt ba ift, aber nicht bie Wöglicpfeit ber 9luS» 
füprung fich jeigt, WaS bann? 

3 )en Äern einer jeben Slrmee bilbet eine gute 
Snfanterie! SBo bie berfagt, fei eS in Führer« ober 
Wannfcpaften, nüßt feine „SieblingSwaffe", fie 
möge heißen wie fie Wolle, noch fo fd)ön auSfehen 
unb als SBaffe baS Sortrefflicpfte leiften. @S möge 
nach biefer fRidjtung hin ber Shieg in ©übafrifa baju bienen, 
baS Slugenmerf leitenber Greife baraitf ju ricfjten, ob bie Sn» 
fanterie in Führern unb Seuten heute nod) in jeber SBeife 
ooHfommen auf ber £>öpe ftefjt. Sn einem Snbuftrieftaat 
finft baS Slnfepen beS Sanbfolbaten je mehr burd) Ejjanbet 
unb Snbuftrie ber fReicptpum fteigt. ©o ift eS in ©ngfanb, 
ber ©djweij, in ben Sereinigten Staaten — ber ©eefolbat 
fteigt in bemfelbcn Waße in Staaten mit ©eehanbel. Wögen 
biefe leitenben Greife fich ehrlich fragen, ob baS Slnfcpen ber 
Infanterie in Seuten unb Dfficieren, gegenüber anbern SBaffen 

— ganj abgefehen Oon ber Warine, bie ja fo nebenbei auch 

ab unb ju Infanterie fpielt — nicht am, fagen wir mal- 

Weniger hoch fleht. Sielleicht nüßt nach biefer Sichtung hin 
ber Stieg in ©übafrifa, unb bann follen Sur wie Sohn SuH 
gefegnet fein. 

ÜRatürlicp, bie „beutfcpe" Snfanterie fteht in 2 lnfepen 
unb Seiftung OoHfommen auf ber Ipöpe; bie ift nidht ge» 
meint... Db ber ©übafrifafrieg aber baS ©rab ber GaüaUerie 
wirb? Sch meine nicht ber Suren, benn bie finb nicht 
©aöaHeriften, fonbem jReiter par excellence; fie festen ju 
Fuß unb marfd)iren ju Sjßferbe, greifen Weber mit bem ißferbe, 
noch auf bem fßferbe, noch in gefdjloffenen Waffen, Weber 
mit Sanje nod) mit bem Säbel an. Sch weine Oielmepr jene 
ftoljen, glänjenben, flimmernben fReitergefcfjwaber, bie mit 
|>urrahruf unb fliegenben ©tanbarten raffetnb unb fiegreidj 
über baS WanöOerfelb bapinfaufen ... ©inige 3 e ü oor ber 
Sernicptuna ber Staliener bei Abua war ein fRaS — ben 
Flamen habe ich Oergeffen — beS fReguS in 5Rom unb wohnte 
einer glänjenben fßarabe bort bei. ®em abpffinifcpen ©eneral 
imponirte aber bie Sache burchaus niept, unb er äußerte 
faltblütig: „®aS War fegt fdjön, aber bamit fann man bei 
unS nicht Srieg führen." Wit ben englifchen, glänjenben 
Life Guards, Royal Horse Guards, Dragon Guards u. f. W. 


führt man jeßt Wohl Stieg, aber — im Shafi»©oftüm, ohne 
Sferbe unb blanfe 28affe follen bie armen Serie fechten, ju 
Fuß mit ber Schußwaffe, bie einem richtigen ©aoalleriften 
heutiger, europäifdjer 2 trt ein jiemlicher ©räuel ift unb nach 
feiner SluSbilbung aud) fein muß. Xie Umformung btt 
©aoaKerie ift eine fepr ernfte F ro 9 e ’ n allen Säubern, 
namentlich, ba ihr aud) beit SluffläruitgSbienft ber fRabfaprer 
wegnimmt, anftanbSloS jebenfalls bort, wo eS einigermaßen 
gebahnte SBege giebt. 2Bo cS bie nicht giebt, nüßt bic 
©aoallerie auch nichts — fiepe abt)ffinifd)en F^lbjug unb 
fRapoleou 1807 in fRußlanb, wo feine ©aoallerie einfach 
ftccfen blieb, weil er mit ben ©lement Sdjmuß unb Schnee 
nicht gerechnet hatte. S)ie ©aoallerie üou fjeutc ift feine 
Scbfacptettcaoallerie mehr; bie hat ihre Sorbeeren reichlich ge» 
pflüeft, als man mit Steinfdploßgewepren ohne Sifir auf 
100 ©cf)iitt fchoß, unb bie ©tfolge oon 1866 unb fpäter 
finb nid)t cntfdjeibenbe, fonbem glänjenbe caoalleriftifche 
Seiftungen, benen glüdlicher ÜBeifc auch ber ©rfolg nicht ge» 
fehlt hat. "Ser Surenfelbjug wirb bie F r °ge ih rer Söfung 
näher bringen, aber ob jur Spruchreife — baS fragt fich 
heute noch- SBenn bie ©aoallerie feine blanfen 28affen 
braucht, finb fie bei ber Snfanterie auch nicht notljwenbig. 
3war nehmen bie ©nglänber bie oielen SopjeS, ben Welbungen 
nach, weift mit bem Satjonnet, in 28irflidjfeit fommen fie an 
bie Suren f|öd)ftcnö auf 50 bis 40 Weter heran, bann gehen 
bic Suren entweber jurüd ober bie ‘Singreifer finb fampf» 
unfähig, unb 40 Weter reicht fein Saponnet. SBenn man 
ben Snfanteriften bie blanfe SBaffe nicht jum Staat ober 
jum Srobfd)neiben, F^'fchHopfen, "poljhacfen laffen will, 
fann man ihn ruhig um biefeS tobte ©ewidjt erleidptem., i 
®ie fRcfultate überSerwenbung oerfchicbeiter Neuerungen, 
wie Waufer»fRepctirpiftolen, Wajimgewehre, oerfeßiebene Ser- 
pflegungSpräparate, unter benen bie alte amerifanifdje, früher 
auS Sifonfleifd) unb F et t h er 9 e ftcllte Sonferoe ißemmico 
wicber aufgetaud)t ift, finb nod) nicht ju überfehen. ©int 
ganje Slnjahl oon Steuerungen auf militärifcheni ©ebiet, »on 
Welchen Sapre h'ubuvch bie fRebe war, unb bie als bortreff» 
lid) gepriefen würben, ift abfolut niept bemerfbar, ober ipr 
©influß ift gleich SRuö. ®apin gehören 8 uftfchiffer«S)etache- 
ments, Älappboote, Wotorwagen, Sorpoftenhunbe, ©anitäts» 
punbe, Srieftauben unb — baS ßweirab. Sludj bie fürepter» 
tidjen ©prengmittel, bic „S"te, jeigen fiep niept befonber» 
furdjtbar, unb fogar bie SBirfung beS SlrtiUeriefeuerS macht 
auf beibe ©egner feinen erpeblicpen ©inbrud. ©)er SErieg iß 
einfach wie oon jeher, unb mit ben einfaepften Wittein muß 
er geführt werben, aber in ber ©fite ber einfachen Wittel 
unb in iprer, troß ber ©infaeppeit, richtigen Scrwenbung 
liegt ber ©ieg. ®aS ftolje Sllbion wottte mit feinen pifto« 
rifepen, fd)arlad)farbigen ^Regimentern, bie mit ipren Sären» 
mäßen, nadten Sfnien, ßiegeteböden unb ©taplfüraffen, ipren 
©tubentenfappen unb ©pajierftödcpen nach feiner Weinung 
bie erfte Slrmee ber SBelt bilben, ben Suren imponiren; aber 
bieS fReiter» unb ©cpüßenOolf pat gegen folcpe jßradjt einju» 
feßen: beffere 9luSbilbung beS ©injelnett im Felbe überhaupt, 
im ©djießbienft unb im Seiten, im Frieren unb im jungem, 
beffere Äenntniß beS ©elänbeS, beffere Sewaffnung, Sater» 
lanbStiebe, ©ottüertrauen. ®ie Surenarmee fiept eben einjig 
in iprer Art ba, unb lieutfcplanb wirb fcpwertich in bie Sage 
fommen, gegen fie feepten ju mtiffen, pat alfo auch leine Ser» 
anlaffung, eine ipren ©igentpiimlichfeiten geWacpfene 2 lrmee 
peranjubilben, wie baS ©nglanb hätte tpun muffen. Slnbere 
Slrmeen paben aber aud) ipre ©igenarten, niept bloß bie ber 
Suren ober Stbpffinier, unb baper muß man „Oor" bem Äriege 
über bie ©igenarten beS eOentueQen ©egnerS wopl unter« 
rieptet unb jugleicp gerüftet fein, ipnen entgegentreten ju 
föntten. SBeil ber Abpffinier unb ber Sur mit ipren Slnneen 
Sortpcife unb Siege errungen paben, muß ein europäifeper 
Wilitärftaat nod) lange niept feine 2lrmee nach beren Wufter 
uniformen. SBenn fiep aber, wie jeßt im ©übafrifa«Stiege, 


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Nr. 8. 


Die ®C0enroarf. 


115 


bic furchtbare, entfdjeibcube Sßirfuitg ber Snfanteriemaffe in 
bet $anb geübter Seute gang flar immer mieber geigt, fo ift 
eine fotc^e Jruppe mit allen Wittein gu fcßaffen. Db fidE» 
biefe bei feljr fttrger ©ienftgeit in tabellofer SBeife fcfjaffen 
lägt, barüber finb bie Weinungen belanntlidj feit einer Steife 
oon Sauren geteilt. J)ie Waffe allein madjt eS md|t; bie 
fpielt unter gemiffen Umftänben eine geringe SRoHe, unter 
anberen, gerabe burd) iljre Waffe, fogar eine Ijinbernbe unb 
gefährliche. Hoplites. 


Detttfdie Doltatradjjen. 

$Bon Berttjolb SiicffJeM. 

Unfeve ©olfStrachten fitib entfd)ieben in Wöbe gefummen, 
toenigftenS mifferifchaftlicf). Unferen Wufeen mirb immer 
häufiger eine Jrad)tenabtheilung angegliebert, mie fie baS 
Ägl. ©at)rifd)e Stationalmufeum in Wündjen längft befifct, 
unb in bet 9ieidjSfjauptftabt ift fogar ein eigenes „Wufeum 
für beutfche ©olfStracfjten" entftanben, baS fleißig bef ließt 
wirb. Aucf) bie Jradjtenmerfe oon ^ottenrotlj, ßretfcfinier 
unb föohtbacf), fotoie gaßlreidje Eingelbarftcflungen für ein* 
Seine beutfche Sanbeötßetfe geugen für baS macßfenbe Sntereffe, 
unb für bie erftaunlidje güHe oon alten unb neuen Duellen» 
roetfen fpridjt ber im Erfd)eineit begriffene große Katalog 
ber unoerßleidjlidjen Sipperheibe’fdjen Sammlung in ©erlin. 
(Sei geht eben mit ben ©olfstracßten toie mit ben Wunbarten, 
bic früher als gbiome nieberer ©efeUfdjaftSfcßichten ebenfalls 
nicht ber ©eacßfling mertß gehalten mürben, bis bann ihre 
'■Bidjtigfeit für ©efcßidjte, Sultur unb «Sprache erft oon ber 
neueren gorfeßung ertannt mürbe. Auch bie ©olfStracfjten 
ftnb hiftorifch unb culturgefchichtlich oon ©ebeutung, nicht 
allein für bie ©efehießte ber Sleibung unb Wöbe unb ber 
Sntoidelung oon ©emerbe unb §anbcl, fonbern auch gur 
Scnntniß beS ©efeßmadeö, ber Sitten unb beS ©efeflfcßaftS* 
triebeS. freilich mirb eine guoerläffige allgemeine ©efdjidjtc 
ber beutfefjen ©olfStradjten erft nach noch anguftetlenben 
genauen ©ngelfotfcßungen möglich fein, benn noch fehlen 
uns fotche über midjtige trachtenfrohe SanbeStßeile. ®ie ©olfS» 
trachten, in Dielen ©egenben ®eutfd)fanbS bereits oetfdjmun* 
ben, finb 5 . ©. in ber ÜRähe oon Warburg unb ©ieben* 
fopf noch reich entfaltet unb geigen bem SBanbrer, melcher 
bie anmuthigen, oen SBalb umfäumten SBiefentßäler mit 
ihren malerifdjen Dörfern burchftreift, ein lebenbigeS Stütf 
beutfeher ©ergangenßeit, ja bie ®egenb geminnt für ihn an 
Steig, roenn fie gut $eit ber AuSfaat unb Ernte oom Sanb* 
oolt in feiner farbenheiteren Ä’leibung belebt ober in ber 
SonntagsftiOe oon ©eftaltcn in fdjmarger geiertradjt auf 
ben SBegen gut ©orffirdje burchmanbelt mirb. Ja jebocfj bie neue 
3eit mit ihrem erleichterten Serfefjr unb ihrem Jrieb, ©egen* 
fäfte auSguatei^en unb ©eralteteS gu befeitigen, auch in biefe 
ftiuen jC^äler etngießt, fo mirb baS ©erfcßmitiben ber ßeffifchen 
©olfStrad)ten, meldjeS bei ber männlichen ©eoölferung fchon 
längft begonnen hot, unaufhaltfam oor fich gehen. ES ift 
baljjer recht oerbienftooH, baß j)ie io Warburg beftehenbe 
£iftorifdje Eommiffioit für Reffen unb Sßalbed, melche mit 
Unterftüßung oon dürften, Stänben unb gaßlreidjen ©önnern 
eine Angaßl größerer SEBerfe über bie ©efdjidjte beiber Sänber 
bearbeiten min, ben gegenmärtigen guftanb tier ^efftfe^en, 
gunädjft in ber Umgebung oon Warburg noch erhaltenen 
ÄolfStTadjten einer genauen ©efdjreibung untergiehen unb 
biefer eine größere Angaljf nach ber Statur aufgenommener 
uttb in garbenbrud oeroielfältigter Aquarelle beifügen läßt, 
©tofeffor gerb inan b 3 u ft i mürbe üon ber §tftori|d)en 
Sommiffion mit ber ©earbeitung beS JejteS betraut, aber 
er betoährt ficf> hier nicht nur als Scßriftfteller, fonbern auch 
als Waler, als Äünftler, Jie eben ausgegebene erfte £iefe» 


rung beS in ber 9t. ®. Elroert’fchen ©uchhanblung in War» 
bürg erfdjeinenben „Ipeffifcßen JradjtenbucßS" enthält bereits 
acht pradjtooQ in gar ben ausgeführte golio*Jrad)tentafeln, 
bie nach Sufti’S außerorbentlidj djarafteriftifdjen ©orlagen in 
bem befannten ©raphifeßen gnftitut oon Sul. Älintharbt in 
Seipgig auSgeftihrt finb. Sn ber Einleitung fpridht fi<h ber treff» 
liehe ©eiehrte über bie ©ntftehung. feiner föftlidhen S)oppelarbeit 
aus. „®er ©erfaffer befanb fiefr in ber günftigen Sage, einen 
Drt gu bemohnen, in beffen Umgebung bie mannigfaltigften 
©olfStrachten mit einanber abmedjfetn, unb gugleidh eine ihre 
grünbliche Äenntniß nur förbernbe ©efchtänfung auf ben 
UmfreiS oon Warburg burdj bie pflichten feines ©erufeS fich 
auferlegt gu fehen. 9lHe Orte, meldhe feine ©efd)reibung er* 
mähnt, finb oon ihm an freien 'Jagen gu guß burchftreift 
morben, unb bie ^ieröei auSgeübte fünftlerifche Jhätigfeit 
brachte ihm nicht bloß eilte große Sammlung Slbbilbungen 
oon Sanbfdjaften mit Dörfern, Stabten, Kirchen unb ©urgen, 
oon ©eräthen, SleibungSftücfen unb Wenfchen ein, fonbern 
bot auch ein mirfungSüoQeS ©egengemicht gegen feine ©c* 
müßungen in ber ©elehrfamfeit, beiten er fid} in feinen oier 
SBänben unter ©üchern uttb ©apiet fitjenb gu mibmen hatte, 
©er Umgang mit bem anfänglich gurücfhaltenben Sanbüolfe 
bringt % mand)e Unbequemtid)feit unb ©ntfagung mit fich, ber 
Unterfajicb ber ©itbung unb ber ©efchäftigung läßt eine 
bauernbe Annäherung nicht gu, bod) fobalb man fein ©er* 
trauen burdj ein richtiges, ebenfo oon Oornehmer ^erablaffung 
mie oon unfdjitflidjer ©ertraulichfeii freies ©enefmen erlangt 
hat, erfennt man feine guten ©genfdjaften, ©ottüertrauen, 
Anf)änglichfeit an bie greunbe unb eble ©aftfreiljeit, unb 
fießt hinmeg über gärten unb mißtrauifdjeS SBefen, SBirfungeit 
fehlerer ArbeitSlaft unb früher erlittener ©ebrüdung unb 
UeberOortheilung burd) bie ,befferen l Stänbe." 

©efonberS merthooH ifi bie Einleitung auch barum, meil 
hier gum erften Wale ber ©erfuch gemacht mirb, bie ein* 
getnen ©eftanbtheife ber länblidjen ©raeßt geitlich gu be» 
ftimmen unb ißr ©orfommen in ber älteren Siteratur unb 
namentlich auf ©udjiHuftrationen unb auf ©ilbern ber 
©emälbefammlungen nachgumeifen. 2Bir rnüffen eS unS Oer* 
fagen, bie Ergebniffe gufti’S an biefer Stelle gu erörtern 
unb moUen nur einige allgemein, nicht bloß local intereffante 
©nnfte herausgreifen, bie unfere aübeutfehen ©olfStrad)ten, 
bie Urfachen ihrer Sntfteljung unb gortbauer, fomie bic 
©rünbe ißreS ©erfchminbenS betreffen. SBir fehiefen oorauS, 
baß auch gerbinanb gufti Die längft miberlegte Weinung, 
als hanble es fich bei ben ©olfStrachten um beutfche 
Siationaltradjten, gar nicht mehr beachtet, obmoljl fie noch 
häufig genug auftritt. ®ie ©olfstracht ift, mie mir eS furg 
formuliren motfen: eine beibehaltene alte Wöbe, unb gumeift 
fo gut fremben UrfprungeS mie unfere heutigen im mefent» 
liehen frangöfifchen ober englifcßen Woben. 9Jur einmal, im 
16. Sahrhunbert, haben mit eine eigene, überall ben Jon 
angebenbe Wöbe gehabt, unb Sufti bebauert eS lebhaft, baß 
bie Oor einigen Safjrgehnten beliebte altbeutfdje ®retdhentrad)t 
erft burdh ©ounobS „gauft" mieber gu unS fam, mie benn 
auch bie noch heute g. ©. in Reffen oom ©otfe getragene 
fleibfame Änjeljofe erft burd) bie englifchje §of» unb Spott* 
mobe bei unS Eingang fanb. 

Jen £auptunterfd)ieb gmifdjen Wöbe unb Jracf)t fieht 
Sufti Darin, baß in ber ©olfStrad)t allen biefelbe Äopfbebedung, 
berfelbe 9?od unb Wantel im Schnitt, oielfad) aud) in ber 
garbe ein für alle Wal oorgefchrieben ift; „biefe mohltf)ätige 
©efchränfung bemahrt bie Jracht oor miÜfürlidjen unb ftil» 
lofen ©eränberungen unb läßt bem meiblidjen ©efcßlecht, 
Wäbchen- unb jungen grauen, bie nod) gefallen motten, h< n = 
reiefjenbe ©elegenheit, bie ftarre ©runblage ber altoäterifchen 
Äleibung mit anmutiger gier gu umfpielen; fie oermag ißt 
bureß ein mit gefunbem garbenfinn gemählteS ©anb, einen 
bunten Saum, einen felbftgeftidten ©ruftfehmud ein ffinftle* 
rifcheS, ja poetifcheS ©epräge gu oerleihen, benn fo meuig mie 


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116 


Die <8> egen wart 


Nr. 8 . 


bie poefie ift bet ©efdjtnad ein Sorrecßt bet gebilbeten 
Stänbe, unb befonberS baS weiblicße ©efcßledjt geigt überall 
einen angebornen Xact für baS ßierenbe. SZancße Xracßt 
fann auf unfere Sorfteduttgen oon Sdjönßeit abftoßenb 
witfett, aber überall giebt eS weiblicße SBefen, bie burdj 
natürlichen ©efdjmad unb ungelernte Kunftgriffe ben ßwed, 
in ihrem Greife gu gefallen, gu erreichen wiffen, unb burcß 
ihr Seifpiel gu geigen, baß eS barauf anfommt, wie man bie 
Sillen Oorgefcßriebene Fracht trägt; ein Sanbmäbcßen fann 
mehr poefie entfalten, als bie grau, bie nur ängftlidj nacß» 
ahmt, was anbere, beren SebenSgWed in Nepräfentation be* 
fteljt, ihr ols Serwirflicßung mobifcher ^ßfjantafie oorgebilbet 
haben.* 

©rft bie neufte 3 c *t hat burch bie außerorbentlidje Um* 
geftaltung ber SerfeßrSmittel bie utilitarifche Stiftung beS 
beutfcßen Sauer! belebt, bie ihn für niete auf lanbwirtß* 
fcßaftlicßen 9luSftedungen ihm entgegengetretene nüßlicße (Sin* 
ricßtunaen rafcß gugänglicß macht, bebroßt aber bie Siracßt 
unb anbere altoäterifcße Singe, wie ben faft nur auf ben 
SreiS SZarburg befchränften SolfSgefang mit bem Untergang. 
Siefer toirb oon Surfdjen unb SZäbdjen, bisweilen refpon* 
birenb gefungen unb befunbet mit feiner Stimmführung im 
Senor, mit feinem tion einer Stimme begonnenen Sluftact 
unb mit ber feßtießenben germate feine SHtertßümlicßTeit; er 
hat fieß troß bem Singunterricht in ben Sorffdjulen bis 
heute erhalten, wirb aber jeßt burcß bie mobernen börflicßen 
SZännergefangOereine nach unb nach auSgetilgt, wie Sufti mit 
Sebauem feftftedt. S^icftt anberS fteßt eS um ben Stil ber 
Sauernmöbel, unter benen nur Wenige, wie Sdjränfe unb 
Kleiberlaben, in baS 17. 3aßrßunbert gurücfreichen; noch bis 
heute werben Don ben ßeffifeßen Sorffcßreinern gaßlreicße Xßeile 
Oon ißnen, ©efimfe, gläcßengierratßen, eingelegte Arbeit in 
Noccocoftil angefertigt; mit bem Serfcßwinben biefer Stiftung 
fällt bie länblicße Xifcßlcrei ber Stillofigfeit anheim, unb 
bie Säuern taufen bie abgelagerte gabrifWaare ber ftäbtifeßen 
Säben, wäßrenb ihre herrlichen gefdjnißten §ocßfiße in bie 
Speifefäle reicher Seute wanbern unb ißre alten mit Sogen 
unb £>o(gintarften gegierten Srußen gegen formlofe Spinbe 
oon Sanneußolg eingetaufeßt werben. Slucß baS SauernhauS, 
in feinen älteften Sertretern aus bem 15. bis 17. 3aßr* 
ßunbert noch gotßifcß ober gotßifirenb, wirb tiom Noccocoftil 
beeinflußt, wie namentlich an ben §auStßiiren unb gefcßnißten 
(Scfbalfen unb ©efimfen erfenntlich ift, wirb aber ßeute oßne 
gierratß, bodj mit höheren Sfnfprücßen an ©eräumigfeit unb 
mit gefunbßeitlidjen Serbefferungen errichtet. 

güt baS attmälige ©inbringen eingelner KleibungSftücfe, 
bie inbeffen ben allgemeinen Sßarafter ber 5£vacßt nießt aufßebcn, 
finbet Sufti Diele Seifpiele. So berforgen fieß bie ßeffifdjcn 
Stäbcßeu mit tpatStücßern aus ben ftäbtifeßen Säben, tßeilS 
mit billigen bunt gebrudten für ben tägtießen ©ebraueß, tßeilS 
mit bunt feibnen gemufterten für ben Sonntagftaat; biefe an 
fieß feßr ßfibfeßen ßaben bereits bie noch Weit fcßönerit fdjwarg* 
feibnen mit Slumen geftidten berbrängt, bon benen man hier 
unb ba geringe Nachahmungen in ben Säben finbet; ja biet= 
faeß fießt man ftilwibrige aus anilingefärbten Sßodfäben ge* 
ftridte llmfdjlagtficßer, bie im SBinter bie bon SZäbcßen nießt 
getragenen Stäntel etfeßen. SefonberS bie SJtänner woHeit 
nießt meßr börftieß erfeßeinen, fönnen aber bod) mit ber Stöbe 
nießt Scßritt halten, bie ben noch eben im Sogar gefauften 
Stngug rafcß beralten macht, ©ang befonbetS übel wirft ber 
in Sanbftäbtcßen bisweilen auftaudßenbe ©ßlinberßut, beffen 
meift borgeitlidße ga<;on unwiberfteßlicß gum Sacßen reigt. 
Siefe häßliche „Slngftrößre", feßon in ber gweiten §älfte beS 
15. SahrßunbertS getragen, ja in feßr ßoßer gorm bereits 
Wäßrenb beS ©oncilS bon Konftang 1413 auf beit Jpäuptern 
bon ©rieeßen fießtbar, ßat einen Seftanbtßeil ber ernften 
fpanifeßeti Sracßt gebilbet unb biente im 16. ^aßrßunbert 
als Srauerßut. 3m „Seuetband" trägt Unfalo, ber ?lnftifter 
ber UnglüdSfälle ben ©ßlinber, bei Sürer unb feinen Nadj» 


aßmern taueßt ber §ut in religiöfen Sarftellungen, wie iit 
ber ©rablegung, auf, nießt gerate gur Sermeßrung beS ernften 
©inbruds. 

3ufti will inbeffen bem Sauer nießt berargen, baß er 
beim Serfeßr in ber Stabt ober auf einer Seife nießt in 
einer Kteibung erfeßeinen wid, bie aueß ber länblicße Soßn* 
arbeiter, freilich in ärmlicher Setfaffung trägt, bie ißn naß 
einem unausrottbaren Sorurtßeil unb nach bem Sprichwort 
„Kleiber machen Seute", ja naß) feinem eignen ©efüßt in 
eine niebrigere Stellung gu bringen feßeint, als er feit feinet 
Sefreiung bon großnben unb Seibeigenfcßaft neben anbem 
©runbbefißern einguneßmen berechtigt ift; (egen boeß fogat 
frembe Nationen, wie bie 3apaner, beim Serfeßr mit ©uro- 
päern beren Kleibung an. ®agu fommt, baß bie länblicße 
Sracßt eine feßr umftänblicße Arbeit erforbert, unb babureß 
foftfpielig wirb, baß bie Stoffe für fie nießt meßr burdj* 
gängig bon ben Säuern felbft ßergefteQt werben; fo warb in 
NacßelSßaufen am ®aubßauS, einem hochgelegenen S)orfe, 
bor einigen 3aßren naeß einer Serabrebung ber wenigen 
©inWoßner bie Xradßt mit einem Stal abgefeßafft, Weit fie 
tßeurer als bie orbinäre Kleibung etfdjien; in SBommelS* 
ßaufen trugen 1881 alle Sewoßnerinnen bie maletifde 
SolfStracßt, 1899 nur nodß bie älteren grauen, benn bie ©hi* 
füßtuitg ber ftäbtifeßen Kleibung beginnt bei ben Kinbern. 
„gür ben greunb bolfStßümlidßen SBefenS ift ein fofcßeS Ser* 
feßwinben altüberlieferter ©igentßümlicßfeit betrübenb, unb 
felbft bie Sanbfcßaft büßt bon ißrem Neig ein, Wenn fie in 
ben 3 e ^ CIt ö er ^uSfaat unb ©rnte nießt meßr bon arbeite* 
froßen Stenfdßen in fleibfamer Xracßt belebt wirb, fonbern 
Seute, beren unfeßöne KörperßüHen an Proletarier unb 
gabriffclaben gemaßnen, bie eingige StaffirHng bilben.“ 

©ie ?lbgrengung ber Sracßt nadß ftaatlicßen ober con* 
feffionetlen ©ebieten in einem bon bemfelben SolfSftamm 
bewoßnten Sanbe erflärt 3ufti babüreß, baß in einem Segirl 
eine neue Xracßt etwa auS ber in ißm ober in feiner Näßt 
gelegenen größeren Stabt ©ingang fanb, wäßrenb btt br> 
teaeßbarte tßeilS auS ber meift erflärlidßen Neigung beim Ältai 
gu berßarren, tßeilS auS bem meift gwifdßen Na^barbegirlen, 
fogar Nacßbarbörfern befteßenben geßbeguftanb, ber bei 
Kirmeffen unb äßnlicßen Slnläffen gu Schlägereien führt, fieß 
ableßnenb berßält, wte benn gwifeßen Kurßeffen unb groß-- 
ßer^oglicßeu Reffen Waßifßeiulid) auS ber ßeit ber bßnaftifcß* 
confeffioneden geinbfeligfeiten beS 17. 3aßrßunbertS eine 
foldje Abneigung befteßt, baß eS für ein Stäbcßen auS einem 
©rengborf unmöglich ift, bie Kleibung Oon ber anberen Seite 
ber SanbeSmatf angulegen. 

Seßrreicß ift ßier bie ©ntfteßung ber Scßweiget ^Eradjtcn. 
©egen ©nbe beS 16. SaßrßunbertS oerfiel bie mit bei 
beutfeßen übereinftimmenbe feßweigerifeße Siobe ber fpaniftßen 
Serfteifung, boeß beßielten bie Sdßweiger eingelne ^tßeile bei 
ßerfönimli^eit Fracht bei, bie anberWärtS oerfeßwauben, unb 
eS bilbete fieß mit ber $cit eine eigene SolfStracßt ßerau», 
bie fieß wieber in jebem ©anton oerfeßieben gcftaltete, fo» 
baß man etwa feit bem Anfang beS 17. 3aßrßunbert8 jebem 
Scßweiger anfeßen fonnte, welcßem SunbeSlanbtßeil n 
angeßörte. §eute oetfeßwinben aKerbingS bie ‘Sracßten auch 
ßier, faunt baß man noeß auf ben 3Bod)enmärften in 3üridj, 
Sugern, Scßaffßaufcn unb Sern noeß ein älteres Sauetnroeib 
in ber i£racßt fießt. S)ieS Setfcßwinben wirb neuerbing« 
noeß baburdß befördert, baß fpeculatiüe SMrtße ißren Kellne* 
rinnen, bie oft gar feine Scßwcigerinnen finb, eine Sank!» 
tradjt oorfeßreiben. SBer auf bem Nigi ober am Sßeinfaü 
ober in einer gürießer „altbeutfcßen Sauernftube" oon biefen 
Scgimentern ltnecßter „Sernermaibli" bebient Würbe, begreift 
eS aderbingS, baß babureß bie SolfStracßt aueß bei ben 
Sanbleuten in SZißcrebit unb ?(bnaßme fommt. 

Cb unb in wie weit bie SolfStradjt wieber adgemeinc 
beutfeße 2racßt ober SZobe werben fönnte, Wer wagt baS gu 
cntfdßeiben? ?tucß3uftibeultetwaSffeptifdjbarüber. ©rfcßreibt: 


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Nr. 8. 


Die (Begetittart 


117 


„SZBenn mir ®eutfche jemals ju bem ®rabe tion ©elbft* 
gefügt gelangen mürben (wie bet bem juneljmenben Slnfe^en 
unfreS ©aterlanbeS ju Ejoffen ift), baß mir bie frembe Wöbe 
burd) eine beutle Fracht feljr aßmählid) ju erfefcen unter* 
nähmen, b. h- unfete Wobenblätter, bie bis jejjt immer nur 
Ableger ber ißarifer geblieben finb, nötigen, mit ber Unter* 
ftiitjung non ©acf|Derftänbigen unb Walern für bie SoS* 
trennung Hont SluSlanbe ju rnirlen, fo mürben bie mannig* 
faltigen ©olfötrachten, meldje ja im lebten ©runb jmar auch 
auf fremben berufen, aber bod) feit langer 3eit ben Söebürf* 
niffen beS ©olfeS angepaßt unb baburd) Oerbeutfdjt morben 
finb, fo jahlreiche malerif^e unb auch im toorneljmen Ä’leiber* 
iujuS burct) leife Umänberungen unb ©ertoenbung loftbarer 
Stoffe geeignete ©orbilber für eine gefdjmadoofle unb präd)* 
tige ©eftaltung unfter Stleibung barbieten, baß fie mit ber 
ju Anfang beS 16. SaßrhunbertS in ®cutfd)lanb auSgebilbeten 
wetteifern tönnte; man benfe an bie tleibfamen heute ljie unb 
ba burd) ben ©ergfport eingeführten ipfite ber £irolerinnen 
ober bie mit rotten Sffioßbaßen bebecften ©fiepte ber 
@d)roarjmatbmäbd)en, bie mit ©ilbcrletten unb alten Wüitjen 
ftaffirten bahrifdjen unb fdjmeijerifdjen Wieber, bie reich 
geftidten fübbeutfd)en Rauben, bie herrlichen meinen Sfragett 
ber auSfterbenben jCradjt im ©raunfthmeigißhen unb ©d)aum* 
burgifd)en. $)et ©nglänber, hierin unabhängiger oon ber 
ißarifer Wöbe als ber ®eutfcf)e, legt bei ber 3agb im £>o<h* 
lanbe bie fchottifdje Fracht an; bie ungarifdjen Magnaten 
nötigen ihren Slönig, ben öfterreicfjifc^ert Slaifer, bei iljnen 
im SanbeScoftüm ju erfdjeinen; bie ßlorblänberinnen führen 
auf ben giften, bie ju ©hren beS löniglid)en ©efucheö Der* 
anftaltet metben, ben Zeigen in ihren hohen Rauben, roetche 
man fich gern auf bem glad) 8 haare ber gngeborg üorfteflt; 
bie junge Königin ber 9heberlanbe erfcf)ten 1892 bei bem 
Oolfsthümlidhen Ißferberennen in Seeumarben unter aßge« 
meinem 3ubet in toftbarem friefifd)en Stnjuge. Wit greuben 
begrüßt man auch bei unS ähnliche ©eftrebungen; jur $eit 
ber ©dffihettfefte fah män fnrt unb 3 >aäe ber ©thü^en aud) 
in bie tägliche Äleibung bringen, mährenb man anbrerfeitS 
bie ftubentifche Fracht mehr unb mehr einem unauffälligen 
Slnjug meieren ober gar fich bet ©arifer ©igerlmobe nähern 
fiefjt. S)ie ©olfStrachten finb burchfehnittlich fleibfamet als 
bie leicht in Uebertreibung oerfaßenbe mobifche Äieibung, 
mie man auf ©oftümfeften mit ©Ifäfferinnen unb Salon* 
tirolern ober im Sweater erfennen !ann, unb mie bie ©eoor* 
jugung jeigt, mcld)e unfre ©ittenmaler für bie ©arfteßung 
oon Vorgängen unter bem oon einfachen aber ftarfen ®e= 
fühlen beherrfcfjten Sanboott ober für bie ©rfjöhung beS 
Sinbruds bon Straft unb Schönheit ber menfchlichen ©eftalt 
ihr ju Xheil merben laffen. 2)ie Slbneigung bieS anjuerfennen 
rührt baffer, bafj bie ©auern gröbere Stoffe für ihre ftleiber 
oermenben, unb bafj biefe auch öon $>ienftboten getragen 
merben, bie freilich heute nach ber Slbfdjaffung ber SHeiber* 
orbnungen mie bie §errfchaft gefleibet gehen, rnoburd) baS 
bienftliche ©crljättniß bielfadj bermifcht unb bie Slnmaßung 
ber Wägbe beförbert mirb. ®ie ©ollStracf)t hat fi<h niemals 
burch Stinolinen lächerlich gemadht ober gegen baS Scham» 
gefü|l oerftoßen unb ©ittenprebigern ju oergeblicfjen ßorn» 
teben Slnlafj gegeben; fie hnt ben Stopf nicht mit fallen 
paaren bebedt, baS ©eficht nicht mit Zeigen unb ißflaftern 
oefc^miert, unb burch majjlofeS ©infehnüren bie ©efunbheit 
gejdjäbigt; au^ h at nicht an ber Unterftüfcung beS 

taufenbfachen ÜJtorbeS bon farbenprächtigen Sßögeln für ge« 
fhmadlofen fßuh h°h^ et Stöpfe betheiligt.“ 


Literatur uttb 


ber Irauettfrinb. 

SSon ifeintid; ttTeyer (©öttingen). 

Unlängft hat ftxau ©lifabeth görfter»9tiehfche einen Äuf* 
fah mit ber Ueberfdjrift „fjriebrich 0tiehf<h« über SBeib, Siebe 
unb ©h«" beröffentlidjt. Ueberrafchenbe ©nthüQungen finb 
barin nicht enthalten, menigftenS nicht über -Jtiehfche; — 
benn maS fie über fich fclbft, ihre eignen @d)idfale unb 
Weinungen erjählt, lönnen mir hier bei ©eite laffen. ©e* 
mifj mirb man für bie tapfere unb energifche grau, bie mit 
ihrem Wanne unb nach feinem Sobe allein eine beutfdje 
©olonie in ©übamerifa begrünbet unb geleitet hat, nur bie 
tieffte öerounberung empfinben, nicht minber für bie un* 
ermüblidhe Xhcitiöfeit, bie fie jefct in ber SBahrung unb SSer* 
öffentlichung ber geiftigen §intertaffenfchaft ihteS SBruberS 
entfaltet; ber SBegrünberin beS 9tiehfche»?tr(hiDS, ber heraus* 
geberin ber ©efammtauSgabe unb ber ^Biographie mirb in ber 
©efcpichte beS beutfdjcn ©eifteSlcbenS ftetS ein ehrentooQeS 
?lnbenten erhalten bleiben. ©tmaS anbereS ift cS, ob man 
fie beShalb auch al § berufene Interpretin ihres SruberS ju 
refpeltiren hat; hierfür geben ihr meber SSermanbtf^aft noch 
ihre ftaunenSmerthe $h at fraft bolle Slutorität, unb ber an* 
geführte tluffah bürftc eher bagegen als bafüt fpredjen. SSBenn 
Semanb oöüig unbefangen biefen ?luffah lefen mürbe, ohne 
Uiiehfche ju lennen, ober menn er beim Sefen alles oergeffen 
lönnte, maS er fonft oon ihm meifj, fo mürbe er etma ben 
©inbrud haben: biefer SRie^fcfje mar gemijj ein herjenSguter 
Wenfdh, eine mahre ©eele oon Wann, nur ein biSchen bumm, 
leicht ju beeinfluffen unb an ber SRafe jü führen. Siament* 
lieh bie unermübiief) mieberholten unb ebenfo beharrlich mifj» 
lungenen SBerheirathungSoerfuche erinnern bo<h unmiQffirlich 
etmaS an ben bummen §anS beS WärchenS, ber gern heirathen 
möchte, aber nidht mei^, mie er eS anfangen foü. ©on ber 
eigenthümlichen S 8 ud)t unb Originalität beS Siiehfche’fchen 
®en!enS fpürt man hier nichts, ©benfo unterfdheibet fich, 
maS bie SBerfafferin Oon eignen STnfidjten Oorbringt, burch* 
auS nicht üon ben lanbläufigen beS beffern, gebilbeten ®urch» 
föhnittSmenfchen. ©on biefer ©eite märe alfo laum ülnlafj, 
fidh mit bem 5tuffa|je meiter ju befchäftigen, ©benfo lönnen 
greunbe unb geinbe ber grauenfache ruhig an ihm Oorbei* 
gehen. 3lber mir finb beim Sefen einige ©emerlungen ge* 
tommen, bie oielleicht für baS ©erftänbnifj beS IßrobtemS 
S^iehfche nicht ganj merthloS finb; für biefe erbitte ich au f 
einige Slugenblide bie Slufmerffamfeit beS ScferS. 

2Ba8 hält SWiehfche oom SBcibe, mie fc^ä^t er cS ein? 
®ie ülntmort barauf ift nicht fo leicht, meil feine SBerle nur 
eringeS Waterial für biefe grage bieten, bei bem aber, maS 
ier barüber hinaus mitgetheilt mirb, fühlt man fidh nicht 
recht fidjer, maS man 9tiej}fd)e felbft unb maS man feiner 
©dpoefter aufs ©onto ju fehen hat. ®enn fie felbft ibenti* 
ficirt ihre eignen 9lnficf)ten offenbar oollftänbig mit ben feinen 
unb rühmt fich fagar, ihn h<et mefentlich beeinflußt ju haben, 
maS für ihn atlerbingS nicht feht fchmeichelhaft märe. ®odj 
eins ift junädjft unoertennbar: 9iiehfche fd)äht im SBeibe oor 
Slllem — faft möchte man fagen: auSfcfjUefjUch — bie Wutter. 
„©chöne, ftarte,. gefunbe Wütter" ift eS, maS bie Wenfchheit 
brauet; »gebärtüchtig“ miß er baS SBeib;. ber Stnbtid ber 
©ijtina entlodt ihm einen begeisterten ©rgufe über ben $ejt: 
„@mig foßte unS bie Wutter mit bem Äinbe baS rüljrenbfte 
©ilb fein unb ein ©pmbot, baS unS baS gortbeftehen ber 
Wenfchheit ... in höchfter ©erflärung jeigt!" SBir finb 
eS heute getooljnt, baß mit ber Wütterlidjleit als bem Serne 
aßet SBeiblidjfeit ein (nicht immer gefchmadooßer) ©ultuS 
getrieben mirb; fo confequent bfirfte er fich fonft nirgenbS 
fitiben. 9hm finb mir ja Slße, bie mir hoch auch eine Wutter 
gehabt haben, Oon £>erjen geneigt, für bie Wütterli^leit fef)t 
oiel ©hrfurcht aufjubringen; nur — um uns bieS ju lehren. 


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118 


Die ffieaetuoari 



brauchte nicfjt ein neuer ißroppet aufj»ftef)en. ®ie SRutter 
ift ber IRenfdjpeit ju allen 3eiten eprwürbig gewefen, unb 
bie Weniger cioilifirten Völfcr ftnb unS in biefem fünfte 
meift bebeutenb überlegen. 35a jegt faft jebeS Scpulfinb bod) 
wenigftenS einmal ben AuSbrutf „ÜRutterrecpt", „üRatriarcpat" 
gehört pat, brauche kp bafür feine Seweife ju häufen. 5Run 
aber werben bodj nicht alle Sßeiber SRfitter. ®iefe Unglüd* 
liehen hatten bann alfo eigentlich gar fein Stecht ju ejiftiren? 
3m ©runbe fepeint baS in ber £pat bie ÜReinung ju fein. 
©S Wirb einmal im Vorbeigehen anerfannt, ba| pier wirflich 
ein 9?otpftanb oorliegt, aber — be 5 eid)nenb genug! — auch 
hier bie benfbarft flachfte ©rflärung gegeben: ber Ueberfcpu| 
ber weiblichen Seoölferung. AIS ob biefeS — noch niept 2 °/ 0 
betragenbe — !ßluS allein für bie ungeheure Steferoearmee 
figen bleibenber üRäbcpen oerantwortlicp wäre. Unb nicht 
uielmehr gerabe in ben gebilbeten Stänben bie Unluft beS 
SDtanneä pm Ipeiratpen. Aber biefe mü|te bann bod) un* 
bebingt oerbammt, bie @pe fot bett 9Rann jur unoerbrüd)lid)en 
Vflicpt gemacht werben! 9Bie eS ja oiele alten Völfer unb 
^Religionen ( 3 . V. bie inbifepe) in bet Spat gethan haben. 
®ie Antwort lefen wir im ßarathuftra, fie wirb aud) oon ber 
Scpwefter citirt: „3d) habe eine grage für $idj allein, mein 
Sruber ... ®u bift jung unb wünfdjeft 35ir Sfinb unb 
@pe. ?tber ich frage 35icp: bift 35u ein ÜRenfd), ber ein .Hinb 
fiep wünfehen barf? Sift 35u ber Siegreiche, ber Selbft* 
bejwinger, ber ©ebieter ber Sinne, ber $err 3)einer Sugenben ? 
Alfo frage ich ®«p." 2Bie oiele hätten wohl ben äRutp, auf 
biefe grage mit 3 a ju antworten, hiernach würben Der» 
muthlich gerabe bie gewiffenpaften, ehrlichen, fittlich reifen 
3 üngtinge ber ©pe fernbleiben müffen. @8 finb wunberbar 
erhabene, tiefe, ergreifenb fepöne SSorte, bie in biefem ©apitel 
„über Äinb unb ©pe" gejagt werben; aber ebenfo wenig, wie 
im Etone, gehen fie im 3nhalt mit ben früheren AuSfüp» 
rungen jufammen. T)em SBeibe bie ©pe al3 einzigen Sinn 
unb 3wed beS 35afeinS aufjwingen, ben 9Rann oon ihr fort* 
fcheuchen; ift eine wunberliche Sßolitif, benn, wie eine alte 

f reunbin ju mir ju fagen pflegte: baS ipeiratpen ift nicht 
ineö äRenfcpen SBerf. — 35ieje armen ©nterbten, bie nicht 
jur ©h e unb pm ©ebäreit gelangen, inacpt nun SWie^ftfje für 
alle ©reuel ber grauenemancipation oerantwortlicp. ®cnu 
biefe ift ihm in ber Ipat ein ©reuel, ber fich feines glüpenbften 
^affeS erfreut, „©mancipation beS SBeibeS — baS ift ber 
3nftinftpa| beS mi|ratpenen, baS Reifet gebäruntüchtigen 
VieibcS gegen baS wohlgerathene!" 28ir wollen bei bem fehr 
böfen, bebenllicpcn Duibproquo, wonaih bie Unöerheiratheteu 
nun auch gleich gebäruntücptig unb baher mi|ratpen fein 
müffen (fpielt benn bei ben ©pancen pr ©he bie ®ebärtüd)tig* 
feit irgenb welche SRolIe?), nid)t Derweilen. Sebeutfamer ift 
bie naioe ©cfcpicptSauffaffung, wonach ein weltgefcpichtlicpeS 
©reigni| Don folget ©reite unb folgern »Tiefgänge gewiffer» 
ma|eit als ein boshafter Streich einiger fdjlechter SÖfenfdheu 
erfcheint. 3Ran höre nur baS golgenbe: „®er Äampf gegen 
ben ,2Rann‘ ift immer nur SRittel, Vorwanb, Staftif. Sie 
wollen, inbem fie fich hinaufheben, als ,2Beib an fidj‘, als 
,höheres 2Beib‘, als ,3bealiftin‘ oon SSBeib, baS allgemeine 
SRang=!iRiüeau beS SSeibeS herunter bringen: fein ficperereS 
SRittel bap, als ©hmnafialbilbung, .jpofen unb politifdje 
StimmOieh*SRed)te. 3m ©runbe finb bie ©mancipirten bie 
Anarcpiften in ber 3Be(t beS ,@wig SSeiblidjen 1 , bie Schlecht» 
weggefommenen, beren unterfter 3 nftin!t fRa^e ift." 35 afj 
hinter großen Umgeftaltungen ber SRenfdjengefchichte auch 
entfprechenbe Urfachen ftehen müffen (wie hier eine gänjlidje 
Sleoolution ber wirthfehaftlichen Sage unb pgleich eine faum 
geringere Veränberung bet fittlichen Sltniofphäre), ober, wenn 
man im ©influffe ©injelner baS Gntfdjeibenbe fieht, bann 
bod) wenigftenS überragenbe fßerfönlidjfeiten, baoon weil 
Stiehfdje hier nichts, ©in wiirbigeS Seitcnftücf bap ift bie 
finbliche VeforgniS, biefe „2Wi|rathenen" fönnten burch ihren 
©influ| auch Öen befferen grauen bie ©he oerefeln unb ber 


gortpflanpng ber SWenfdjheit fchäblich werben. Sßenn bie 
iRatur für ihren 3 ro ed (unb ber ift freilich bie ©rhaltung 
ber ©attung) nicht beffer geforgt hätte, als ba| einige mi|* 
rathene SEBeiber ihr baS Goncept oerberben fönnten, bann 
ftünbe eS freilich fchlimm. 

grau gßrfter conftatirt fclbft bei SRießfche eine jwie* 
fpältige Vewerthung beS ®efd)lechtSleben«, baS halb als hö^fte« 
unb heiligfteS SD?t)fterium gepriefen wirb, balb bagegen als 
etwas ÜRiebereS erfcheint ®ifferenjen liegen in ber Xhat oor, 
aber bie ©runboorftellung bürfte boch flat fein. SSoUufi 
unb Verliebtheit finb baS Sliebere, baS balb oerurtheilt, balb 
als unoermeiblicheS Uebel gebulbet wirb, h e ^'9 ift nur bie 
gortpflanpng ber ©attung. deshalb finb auch jene (unb 
mit ihnen bie Siebe, bie baoon nicht flefdpeben wirb) burch» 
auS nicht pr ©runblage einer ©he geeignet. „Sei ©hen ... 
im achtbarften Sinne beS SBorteS ,©he‘ hanbelt eS fich 9 an ö 
unb gar nicht um Siebe, . . . fonbern um bie gefedfhaftlichc 
©rlaubni|, bie jwei V er f oncn jur ©efchledjtSbefriebigung an 
einanber ertheilt wirb, unter Sebingungen, . . . welche bas 
Sntereffe ber ©efellfchaft im Ütuge haben. . . . Sei ber 
©he im abeligen, altabeligen Sinne beS SBotteS hanbelt c# 
fich um 3ä^tung einer SRaffe . . . 9llfo um Aufrecht» 
erhaltung eines feften, beftimmten XppuS herrfcheuber 5D?enjdjen: 
biefem ®efid)tSpunft würbe 2Rann unb 2Beib geopfert. GS 
oerfteht fid), ba| hierbei nicht Siebe baS elfte ©rforbemi§ 
war, im ©egentheil!" u. f. w. hierbei fällt pnächft auf, ba| 
bie ©he banadj gar nicht mehr als perfönlid)e Angelegenheit 
erfcheint, fonbern als etwas, was bie ©ontrahenten in frembem 
3ntereffe auf fich nehmen, ein ©otteSbienft, eine Art 2Renfchen 
Opfer, bargebrac|t bem ©ößen ber ©attung. 3 a, ber ©injelnc 
felbft erfcheint eigentlich als nur ber ©attung wegen ba. $r 
erfte ©runblage moberner Sittlichkeit, bie Achtung 00 t ber 
inbioibuellen ^ßerfönlichfeit als Selbftjwed, ift oerlaffen, unb 
wir finben. uns mitten in ben Andauungen oorgefchichtlihd 
oorfittlicher 3eitalter. SBir fönnen nod) mehr fagen: m 
folche ©he, bie nur ber 3ndjtung ber SRaffe bient, uniä' 
fdjeibet fid) in nidjts oon ber Paarung ber Sfcrbe unb §nnbe, 
bei benen ber Abel ber fRaffc ja unzweifelhaft noch beftebt. 
^tier ift ber äRenfdj noch nichts als ein Shier unter $hiercn 

ÜRati barf fich Wunbern, ba| an Stelle oon ©rfjältung 
beS Artttjpus auch ö °n ^)öher 3 üchtung gerebet wirb. 55cmi 
ba moralifche ©efichtSpunfte, bie allein eine abfolute SBertfi» 
beftimmung ergeben fönnten, nirgenbs erwähnt finb, bie ©utlur 
als 3 wed in biefem 3 u fammenhange fogar auSbrüdlich ab 
gelehnt wirb, fo weil man ja gar nicht, worin baS flöhet 
ober fiebriger beftehen foü. Aber wenn wir lefen: „Gute 
Hoffnung f)ei|e: möge ich be« Uebermenfchen gebären!" unb 
unS erinnern, ba| 9?iefif<he anberSwo ein Voll befinirt ak 
einen Umweg, ben bie Statut nimmt, um ju einigen großen 
SRännern 311 fommen, fo fönnen wir biefe ©ebanfen hier ein» 
fegen, unb als ben 3®°^ ber ©he in ÜRießfdjeS Sinne bie 
3ü(htung ber gro|en 2Ränner, ber ©enieS, beS Uebermenfchen 
anfehen. SBenn fich bergleichen nur eben süßten lie|e! Aber 
fo fieper, wie bewu|te 3 üthtung beim phpfifchen 3;ppuS mög 
lieh ift, fo auSficptSloS wäre fie bei jenen anbem Dualitäten. 
35ie Söpne gro|er Vfänner finb ein eigenes, allbefanntei 
©apitel; ba| fie fo feiten grö|er würben als ipre Väter, liegt 
wopl niept in allen gätten an bem mangelnben 3 “thtwahl= 
eparafter ber elterlichen ©pe. 35 a 3 U nun noch, ba| ja bie 
höchflftepenben SRenfchen naep ÜRiegfcpe eigentlich niept ^eiratpen 
bürfen; er erwartet in ber EJpat, ba| in gutanft bie grei» 
geifter allein opne grau leben werben, unb pat burep feinen 
eigenen Vorgang biefe VorauSficpt beftätigt. ÜReben ber lln 
Würbigfeit bürfte alfo wopl auch bie Abfurbität biefer 3 ücfc 
tungSepe auf ber foanb liegen. 33Bie bie 9?atur bafür forgt, 
ba| „bie Säume niept in ben Fimmel warfen", fo pat i'tc 
aud) Acpt, ba| immer wieber ©enieS entftepen, fpontan, uni 1 
lä|t fiep babei niept oon unS inS ^anbwerf pfufepen. Saften 
wir fie baper ipre ©efepäfte felbft beforgen, peiratpen wir im 


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Nr. 8. 


Die C&egenroart 


119 


eignen, t)ödjft perfönlidjen 3utereffe, unb flicken wir lieber in 
unferer fßerfon bie Wenfchheit t)b{)er ju bringen !jft2>aju ift 
aber bie erfte Bebinguitg, baß wir unS felbft als ©elbftzwed 
fefcen unb achten unb unS feinem ©öfeen Don ©attung jum 
Dpfer bringen. 

@8 genüge, biefe fünfte herauSgegriffeu ju haben. ©elbft* 
oerftänblid) fteljen neben ben erwähnten nod) uiefe anbere, 
}. jfj- fefer tiefe unb nacfjbenffame, Aeufeerungen Don Biejjfche. 
Sntereffant Wäre eS aud), manche Berührungen mit anbern 
führenden ©eiftern, j. B. bem Berfaffer ber „Komöbie bet 
Siebe" unb bem ber „Kreuzerfonate" aufzuweifen, intereffant 
namentlich wegen ber burchgängigen funbamentalen Ber* 
fchiebenheit ber Wotiue. SBir taffen baS bei ©eite unb [teilen 
abfdjliefeenb bie grage: 5ft Biefefd)e nach alte bem ein grauen* 
feinb, ein grauenDerächter? Sch glaube, wir muffen, fie un* 
bebingt bejahen. Kann eS eine tiefere, furchtbarere Ber* 
achtung geben, als bie im SBeibe nur ba» Wittel ju einem 
fremben 3toede, bem Kinbe, ficht unb getten läfet, bie ihm 
allen ©elbftwerth, alte ^erfün(id)feit im fittlichen Sinne ab* 
fpricht? @8 Dcrfdjlägt nid)tS, wenn babei ab unb ju Don 
weiblichen Sugenben bie Bebe ift, wenn befonber8 ba8 „fluge 
23eib" faft ftänbigeS Beiwort ift, benn biefe Klugheit ift ber 
Snftinft be8 jtfeicteS, ber e8 fieser ju feinen ßwetfen leitet, 
fie ift bie ©elcfirigfeit be8 ®ienerS, ber weife, wa8 feinem 
Herren gefällt, unb ifem feine SBünfcfee an ben Augen abtieft, 
— eine ecf)te, rechte ©flaoentugcnb. £er greie braucht 
biefe Klugheit nicht; er hat ba8 ißriuileg, wahr, b. \ er felbft 
ju fein. 3 U biefer ©chäfjung ftinimt benn auch, 1000 ben 
grauen aufecr bem ©ebären noch al8 Beruf jugeftanbeit wirb, 
befonberS ben armen Bidjtgebärenben, bie ja gar feine Becpte 
laben unb nur au8 ©nabe ein Almofen jugeworfen erhalten. 
Natürlich bie ewig gleichen „weiblichen“ Berufe: Krauten* 
pflege unb ftüdjc. hierbei fteigt bann ein begeifterter tpfemnu8 
auf bie SBichtigfeit unb SBiirbe ber Kodjfunft unb bie fcpauer* 
liehe ©ebanfenlofigfeit ber Köchinnen, grau görfter finbet 
betjn amh; „©ne gefunbe wohlfchmedeitbe, ber Snbiüibualität 
her einzelnen Wcnfchen ängepafete Ernährung, ein gut ge* 
leitetet ^muSpalt überhaupt ift ein ebenfolcpeS Kunftwerf, 
wie ein ©emälbe unb mit ebenfo Diel wiffenfchaftlichem Bach* 
benfen Derbunben, al8 ju irgenbwelchem ®octor*Ejamen ge* 
hört." Sch möchte einmal ben ©piefe umbrehen unb fie auf 
i|r ©ewiffen fragen, ob fie glaubt, ber befte Koch, ber heute 
in IßariS ober fonftwo lebt, bebeute für bie Wenfchheit ebenfo 
Diel a(8 ifer Bruber. — Unb Wieberum, fanit ba8 SBeib einen 
fd)limmem, töbtlichern geinb haben, al8 biefen, ber e8 fo un= 
bebingt zum Wittel hetabwürbigt unb fremben Qwecfen opfert? 
Smmer foll e8 fremben Sntereffen, beneit ber ©attung, benen 
beö WanneS, bienen; nirgenb8 bie leifefte Ahnung, bafe e8 
eigene Sntereffen haben fönne ober bürfe. hierfür noch 
einen Beleg, wofel ben fraffeften. SBir haben gefeljen, wa8 
bie Ehe nach Biefefche fein foll; nun lefen wir folgenbe ©teile: 
„©ne fotche Ehe, welche ba8 Sinnliche gleidjfam nur al8 ein 
felteneS, gelegentliche^ Wittel für einen gröfeeren ßwed ge* 
braucht, bebarf Wahrfcpeinlich . . • einer natürlichen Beihülfe, 
be8 6oncubinat8. ®enn wenn au8 ©rünben ber ©efunbheit 
be8 WanneS ba8 Eheweib auch Jur alleinigen Befriebigung 
be8 gefchlechtlichcn BebiirfniffcS bienen foll, fo wirb bei ber 
SBapl einer ©attin fchon ein fatfeher... ©eficht8punft mafe* 
gebenb fein ... Eine gute ©attin, welche greunbin, ©ef)ülfin, 
©ebäretin, Wutter, gamilienhaupt, Berwalterin fein fo0,... 
fann nicht zugleich Eoncubine fein: e8 hiefee im Allgemeinen 
ju Diel Don ifet Derlangen." Wan möchte fragen, Wie Diele 
grauen [ich wofel Z u biefer Bolle hergeben möchten, aber 
freilich, fie werben ja nicht gefragt unb haben leine 3Baf)l. 
Wan bemerfe erften8, Wie fdjneU unb leichtfertig hier, neben 
ben erhabenftcu, überfchwänglicpften gorberungen, bie fd)lid)t 
bürgerliche ber ehelichen £reue, bie gar nicht überfcpwänglich 
unb in unzähligen gäden Derwirflicht ift, fallen gelaffcn 
wirb; — ba8 gewöhnliche Ergebnife eine8 iiberfpannten 


etfeifchen SbealS! — jWeiten8, wie bei ber grage: ©nehe ober 
Eoncubinat? nur ©efunbljeitSrüdfichten mitreben bfirfen; 
britten8, bafe^biefe nur für ben Wann Dorpanben finb, bei 
ber grau bagegen ifere ©efunbheit ebenfo wenig wie ifere 
SBürbe in Bechnung gefteUt wirb. — So wäre benn Biefefcfee 
hoch ber Dielberufene gtauenfeinb. grau görfter glaubt bieS 
Urtfeeil ju entfräften burch bie Wittheilung, bafe er [ich gegen 
bie grauen, unb jwar nicht nur gegen bie jungen unb 
hübfdjen, fonbern auch gegen „alte langweilige tpufeelweibchen", 
ja fogar gegen bie Derabfcpeuten Emancipirten, ftet8 überaus 
höflich, rüdficht8öoU unb zartfüfjlenb bezeigt habe. SBopl 
Biemanb, ber Bie^fche irgenb fennt, wirb bie8 je bezweifelt 
ober anberS erwartet haben. Aber wenn hier ^feearie unb 
$J3raji8 fo weit au8einanber fallen, Wenn er gar eine oor* 
nehme, feht elegante, aber fromme unb leibenbe Englänbertn 
mit Spänen in ben Augen (!) bittet, feine Bücher niefet ju 
lefen, fo Derräth ba8 hoch neben feiner echten §erzen8güte 
auch eine Schwäche feiner wie fie ihm nicht in 

fraglofer ©ewifeheit unb fteghafter ©elbftoerftänblichleit au8 
bem Seben IjetauSgemachfen ift unb bafeer auch bor bem 
Seben nicht ©tanb hält. 

Bisher lonnte e8 fcheinen, al8 ob e8 mir niefet um baS 
Berftänbnife, fonbern um bie Sßiberlegung BiehfcfeeS, um bie 
Berfechtung ber grauenfache gegen ifen ju tfeun wäre. SBenn 
ich bie8 nebenbei erreicht hätte, foQte eS mir recht fein; hoch 
war e8 fpr nur Wittel jum gwed. ®a8 in grage ftehenbe 
©ebict nimmt in Biefefche’8 ©ebanfenwelt eiuen oerfchwinbenb 
fleinett Baum ein; um einen Einbrud Don feiner ©röfee ju 
befommen, ift eö gewife ba8 aüerungünftigfte. Snbeffen ba8 
fichere, ftarfe ©efühl für biefe barf id) heute wohl bei meinen 
Sefern DorauSfefeett. giir ba8 Berftänbnife Biefef<he8 lann 
trofebem auch biefe grage lehrreich fein, benn in ben ©d)ranfen 
unb Süden zeigt fie zugleich bie feften Eonturen feiner Kraft 
unb ©eifteöart. ©teilen wir znnächft feft, bafe Biefefcfee bie 
Siebe be8 Wa nneS zum SBeibe, im Dollen Sinne be8 28ort8, 
nicht fennt. Bicht nur, bafe er felbft fie nie empfunben hat 
(bie8 Derfidjert un8 feine ©chwefter auSbrüdlich); nicht nur, 
bafe er fie als ©runblage ber ©fee oerwirft; felbft ihr Begriff 
ift ifetn unbefannt. ©ie Wirb batb als Beliebtheit befpöttelt, 
halb als Brünftigfeit Derachtet; bei „Earmen" geht ihm bann 
bie Siebe auf „als gatum, als gatalität, cpnijch, unfdjulbig, 
graufam — unb eben barin Batur! ®ie Siebe, bie in ihren 
Wittein ber Krieg, in ihrem ©runbe ber Sobfeafe ber ©e* 
fdjtechter ift!" Aber biefe Siebe, bie fo ganz tü h e » ungebänbigte 
Batur ift unb mit ber unwiberftehlichen Derhcerenbeit ©ewalt 
eines DrfanS, einer Dullanifchen Eruption wirft, fie, bie im 
Kerne wirtlich $afe, Begierbe, Egoismus ift, trägt eben nur 
ZU Unrecht ben Barnen Siebe, ©ie ift minbeftenS nicht Siebe 
im Eulturfinne, beren ©egenfafe zur Begierbe Schiller fo 
prad)tDoH flat beftimmt hat: 

„9Jed)t gejagt, Sttjlofjer! Dtan liebt, roa8 man |at, man begehrt, 

mai man nid)t bat; 

Senn nur baS reiche ©emiitf) liebt, nur baS arme begehrt." 

gür biefe Siebe ift freilich fein Sßlajj in einer Efee, wo man 
baS SBeib nur als Wittel braucht, Dom Sßeibe nur etwas 
(baS Kinb) will, ©efliffentlich wirb bafeer baS SBort „Siebe" 
gemieben. Anftatt „Boch habe ich fein SBeib geliebt", fagt 
^arathuftra: „Boch habe id) nicht baS SBeib gefunben, Don 
bem ich Kinber gemocht hätte." Aber bie Siebe ift eS boch, 
bie im Wanne erft Berftänbnife unb Achtung für baS SBeib 
wedt; ift eS Derwunberlid), wenn bei Biefcfche BcibeS fehlt? 

SBir entbeden hier einen befonbeten ©eclentppuS. Wan 
fann bie grauen — bie echten, bie zu lieben wiffen — in zwei 
grofee Eiaffen tpeilen: bie eine will ben Wann, bie anbere 
baS Kinb. Bicht in biefer fdjroffen ©onberung; immer ift 
BeibeS Dereinigt, aber immer wirb auch hie eine ©eite über* 
Wiegen. 5)ie Dotljerrfcfeenbe Bicfetung auf baS Kinb ift beim 
Wanne uiel feltener, aber auch gefäjprlidier: benn ba er beS 
. SBeibcS fonft fo wenig bebarf, ihm in allem SBefcntlidjcn fo 


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120 


Die töegenmart 


unbebingt überlegen unb beDorjugt ift, fo ift ba, mo bie große 
Auggleidjetin Siebe fehlt, unb bag Seib aud) in ber @|e 
jum Wittel finft, jene ©eringfchäfcung beg Seibeg unDet* 
meiblid). ©on biefem ©t)pug ift SRiehfdje (ber aud) beim 
Seibe nur ben ©inen fennt) ein berebteg Söeifpief. ©er 
Wann, ber bie grauenliebe nicht tennt, ift ja nicht überhaupt 
unfähig ju lieben, nur baß feine ganje 3ärtlicf)feit unb Siebeg* 
fülle bem Stinbe gilt. Aber ba biefe Siebe im Jfinbe bodj 
nid)t ben Sörper roiB, bebarf eg ba überhaupt ber phhfifdjen 
Beugung? genügt ba nicht bie geiftige ©aterfdjaft, ba« ©er* 
hältniß beg Weiftet jum jünger? 3« ber ©hat, toeit öfter 
als turnt Äinbe rebet Wiefcfche Dom greunbe alg bem großen 
geft beg Sebeng, ber Ahnung beg Ucbermenfdjen. An feine 
„©rüber" menbet fid) 3 arat O u f tra J ihnen offenbart er bie 
begterbefreie ©etbftlofigteit echter Siebe, ben Seelenreidjthum, 
ber ben Geliebten nur braucht, um fid) feiner eigenen lieber« 
fülle ju entlebigen, ber immerfort fd)cnft, offne je ©egengabe 
ober ©anf ju Derlangen, fid) ftetg pingiebt unb bod) nie aug* 
giebt. ÜRun berfteljen mir bie feelifd)e ©genart 5Richfcf)e’g; 
er ift ein Wenjd), beffen eigentliche Sebengatmofphäre bie 
platonifdje Siebe ift. (Sir nennen fie fo im ©ebanfen au 
bag Dertlärte Sbealbilb, bag ©laton Don feinem Weiftet 
©ofrateg alg bem größten ©irtuofen biefer Siebegfunft ent« 
morfen tjat, — ein ©ilb, bag bag Siegel ber Safjrheit in 
fid) felbft .trägt, benn in if)m jittert nod) .bie OoEe ©lutf) 
ber Siebe nad), mit bet er juerft geliebt morben ift unb bie 
alg ihren Abglanj biefe Gegenliebe gemedt hat.) ©iefe Siebe 
mar bag Se^ifel ber griecf)i}chen Gultur, gemiß ein eblereg 
alg unfere Spulen mit allgemeiner ©djulpflidjt unb Normal« 
le^rplänen; fie fjat nid)t jum menigften ihrer ©lütlje ben 
ftifdjen Sugenbglanj, ben marmen Sebenghaud) gegeben. Aber 
freilich — bag ift bie Äelprfeite — in biefer nur männlichen 
©efeEfcßaft ift bie grau fdjlimm baran. ©ie lann, mie eg 
in Sitten ber gaH mar, nur alg ©ebärmafdjine, f)öcf)ftenö 
nebenbei alg ©claDin, ©ermenbung finben. Sie ein nad)* 
geborener Spätling ber Antife erfd)eint hier SRie^fdje. 

Aber 9tiefcfd)e’g ©tellung jum Seibe ift ja nicht ein 
ifolirter ©unft; fie ftcht im 3 u f am menl)angc feiner ganjen 
©ebanlenmelt, ift nur ein ©pecialfatl feinet „^errenmoral". 
Um fie ganj ju Derftehen unb augjufcljöpfen, muffen mir 
etmag meiter augljolen. Sir jäf)len 9tiehfd)e hcrfömmlidjer 
Seife ju ben ©Ijilofophen, ohne ju üertennen, baff er fid) 
Don allen anberen großen ©hilofophen djarafteriftifd) unter* 
fdtjeibet: er tft lein ©pftematifer. ®ag ift meber eine belang* 
lofe ©ifferenj, noch hoben mir hier eine neue, höhere ©pecieg 
beg ©Ijilofophen Dor ung; eg üerräth einfad), baß bie eigent* 
liehe Dichtung feineg ©eifteg bod) nicht philofophifch ift. 
©enn bag Streben jum ©hftem ift nicht ein nebenfädjlidjer, 
fonbetn gerabc ber entfeheibenbe 3 U 9 >n ber ©hpfiognomic beg 
reinen ©enterg: gerabe bie urfprüngliche ©iefe unb Sucht, 
bie formfd)öpferifche Jlraft feineg ©enfeng ift eg, meld)c bie 
©nheit unb ©efchloffenheit beg ©tfftcmg forbert unb baut. 
Sei SRichfdje bagegen münben bie ©ebanfengänge überhaupt 
nid)t in ScitgcDanlcn bet ©lenntnifj, fonbern in ethifdje 
3mpulfe; bag ©efüljl für bag, mag gcfd)cf)cn foE, bie ©in* 
ficht in bag, mag baju nothmenbig ift, mad)t feine ©tärle 
aug, ein (smperatio ift fein lefcteg Sort. 21 lg ein großer 
©thiler, ©rebiger, ©ropljet fteht er Dor ung ba. gür fein 
fittlidjeg Sbcal h°t SRie$fd)e einen Augbrud Don einziger, 
munberbarer Wad)t unb Größe geprägt: Uebermenfch- 3d) 
geftehe, mir ift eg unfafjbar, mie man an biefem Sorte fo 
fehr h°t Stnftog nehmen, eg fo gröblich hat mi&Derftehen unb 
mifjbeuten fönnen. ©g lünbet bod) nidjtg alg bie unDergleich* 
liehe ©tärle feineg fittlichen ©efühlg, beg @efüf)lg für bie 
unerreichbare Rohheit beg fittlichen Sbealg, beg unenblichen 
Sbftanbeg jmiphen 3beal unb SBirllichfeit. @g ift gemiffer» 
mafeen bie gorberung beg ©oangeliumg, Dom Ginjelnen auf 
bic ©attung übertragen. Sie jeneg nicht eine ©efferung 
ober ©efehrnng, fonbern eine Siebergebnrt beg Wenfdjcn 


oerlangt, mobei „ber alte 2lbam in ung burch tägliche SRenc 
unb ©ufee foE erfäufet merben unb fterben mit aEen ©finbtn 
unb böfen Süften; unb mieberum täglich h erQ u3tommen unb 
auferftehen ein neuer Wenfch, ber in ©eredjtigteit unb Steinig* 
teit Dor ©ott emiglidj lebe," — fo mujj hier gleidhfam bk 
ganje Wenfd)heit in ihrer abfoluten Unjulänglichleit unten 
gehen, bamit ein neuer, fjfyttet Wenfd)hcitgtt)pug aug ihrer 
2lfche fidj erhebe. 2lEerbingg, auch ^ er Snhalt beg Sbealg — 
über ben bag Sort „Uebermenfdj" aEein gar nidjtg an?* 
fagt — hat fid) gemanbelt: an ©teBe beg fünblofen, guten, 
nnbifferenjirten Wenfchen tritt je|t bie fchöpferifche ©erfön* 
licfjteit, bag ©enie, alg bie hödffte gorm beg Wenfchfeing, 
bie mit lennen. Sie in feiner ©rhabenheit, fo gleicht 9Jie|f<he'« 
Sbeal bem beg Urdjriftenthumg audh in feiner abfoluten 
©rangfeenbenj. 3ft bag 3beal Don ber Sirflichfeit fo funba* 
mental Derfchieben, fo unettblich entfernt, fo lann eg auch 
nicht aug ihr entftehen, fo führt lein Seg Don hier nach bort 
9?ur burch eine gänjliche SeltreDolution, burch e ^ n SSanber 
fann eg tommen. Sie ein ©icb in ber 3Gad)t, fo lonunt 
bag SReicf) ©otteg, plö^lich unb unermartet fährt eg fff unb 
fertig Dom Rummel nieber; mie ber ©li^ aug ber buntein 
Solfe judt, fo mirb bet Uebermenfch erfdjeinen. ®g liegt 
hier eine Strt ©elbfttäufchung, beffer: ©elbftberaufd)ung bor. 
©ie inbrünftige ©luth beg propljetifdjen ©chaueng, tDelcffe 
bag Sbcal gebiert, überrumpelt bag flare ©elbftbemujjtfein 
ber ©ernunft; mag nur ein Sitb ift, mirb alg Sirflichfeit, 
bie gormel einer unenblichen ©togreffion alg eine enblidje 
3 a hl genommen. SIber biefe giction ift gefährlich- ©enn 
burch E c wirb bag 3beal unfruchtbar, gerabe megen feiner 
fchmärmerifdjen Uebcrfähmänglichfeit Derfehlt eg ben 3®^ 
ju bem eg gefdjaffen ift: jum ^anbeln anjufpornen, bem 
Seben 3’ e t aab 9iid)tung ju geben, ©enn mag lann bet 
©injelne thun, um bieg Sunbet in bie Sirflid^teit über* 
juführen? 9?id)tg, gar nidjtg, alg märten unb beten! ©anra 
finben mir bei ÜRiehfdje bicht neben ben erljabcnften, tieffta, 
begeifternbftcn aflgemeinen 3been, fobalb eg fief) um bie am 
crete 2lnmenbung auf einjelne Sebenggebicte hanbelt, fo ^äuffg 
bie niebrigften, roheften, jumeilen miflfürlichften gorberungett. 
©ag ©hriftenthum hat Diel lernen unb fid) grünblich UDls 
umnbcln müffen, ehe eg aug ber ^Religion ber Seitflucht jur 
melterobernben unb meltbeherrfchenben ^Religion mürbe. ®ie 
©ocialbemofratic franft nod) heute an ber ©rangfeenbenj ihre? 
Sbealg, beg 3 u ^anftftaatcg. Such IRiehfche’g ©th^» f°fl f' c 
anberg bie ©robe beg Sebeng hefteten, foE bie aemattige Sraft 
beg fittlichen Smpulfeg, bie ihr innemohnt, oer Wenfchhf'* 
mirllid) ju gute tommen, mirb ©ieleg, fehr ©ieleg abftreifen 
müffen, fo jebcnfaEg auch bie ganje ©heorie Don Äinb unb 
©he mitfammt ber baranhängenben ©emerthung beg Seite. 

Senn fRiejjfdje nicht im ©tanbe ift, ben Seg ju feinem 
3beal ju jeigen, fo liegt bag Dor SEem baran, bafj er bie 
Sege, bie tl)atfäd(iidj bahin führen, nicht fennt, baß er mit 
ben lebenbigen Kräften beg mobernen Sebeng leine gühlnng 
hat. ©enn nicht nur bie grauenbefreiung, auch bie ganje 
bemofratifdje ^Richtung unferer 3 e *h mit ihrem ftampf gegen 
Autoritäten unb ihrer Achtung Dor ber 3nbiDibualität, mit 
aBgemeinem Stimmrecht unb aEgemeiner Schulpflicht, ift ihm 
jumiber. Wan mirb faum eine unter ben großen, originalen, 
jufunftgmäcfjtigen Schöpfungen unferer 3 e *t finben, bie et 
nicht mit öerftänbnißlofer ©eradjtung, mit bitterer ©eljäffifl“ 
feit Derfolgte. IRiehfche erfüBt hiev bag thpifche ©efchtd b^ 
©hitologen. ©enn auch bag ift ja neu bei ihm, baß et nicht, 
mie feine ©orgänger, Don ber Wathematif ober SRaturmiffen« 
fchaft, fonbern Don bet ©hilologie aug jur ©hilofophie lommt. 
An ber ©röße Dergangener 3eiten hat er fich ju feiner §öhe 
erhoben; an ber märmenben ©onne beg ©riechenthumg, bei 
IRenaiffance ift fein 3beal gereift. Sie nun aber ber ©1)^ 
löge biefe früheren ©ulturcn unb ihre fd)affenben ©elfter in 
ihrer pft)d)ologifchen unb focialen ©ebingtheit Derfteht, fo ift 
er bann geneigt, bic hier Dorhanbcnen ©ebingungen alg all* 


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Nr. 8. 


Die (Rcjttttoari 


121 


gemein giltig gu feiert. Gr überfielt gang, bafe «nfere 3 e 'b 
Me bocfe waferlicfe an ©enieg nicht arm ift, auf gang anbeten 
SBegen gu bemfelben 3^1 gelangt, ©enn um eine öergangene 
Reit fo tief gu etfaffen, ntufj man ihr Derwanbt fein; gerate 
bur<b bie Arbeit beg Serftefeettg aber unb bie ©emöljnung 
müffen biefe ©eiten beg eigenen SBefeng atlmälig bie 
herrfcfeenben, wenn nicfet bie augfcfeliefelicfeen werben. ©o 
wirb ber Sßfjilologe, in bemfelben ©rabe, wie er in einer 
fremben ßeü Vertraut unb Ejeimifc^ wirb, teidjt gum gremb* 
iing in feiner eigenen. ®iefer ©efa^r ift ©iefefefee ni(fet ent» 
gangen. SSie fein Sbeal ungeftüm in bie gulunft brängt, 
fo weifen feine concreten gorberungen fammt unb fonberg 
in bie SBergangenfeeit, bie ©enaiffance, bie 2lntife, ja guWeilen 
— Wir haben eg gefeiten — noefe barüber hinauf in ijßerioben 
borhiftorifefeer SBarbatei. ©un ift in ber SBergangenfeeit bie 
Serfaffung ber menfcfelicfeen ©efeHf«f>aft ftetg ariftofratifefe 
gewefen; Sßenige gelangten gu bem ©rabe materiellen Sc* 
bageng, in ber Gultur gebeiben fann, inbem fie bie Sielen 
unterbrüeften unb augbeuteten. ®afe unter biefen wenigen 
§ertfdjenben nur in gang wenigen fallen ein noch biel 
wingigeret Srucfetfeeil wirflicfe ftdb gu fcfeöpferifcfeen fßerfön* 
liefefeiten cutwicfelt bat, unb bafe bjefe SBenigen felbft in ber 
Sergangenfeeit ni(bt immer aug ber ^errenfafte ftammten, 
wirb nicht beachtet; eg wirb ohne Sßeitereg angenommen, baff 
oligarchifcfee Serfaffung bag Gntftefeen bon ©enieg garantire, 
bemofratifefee fie Ipnbere. ®af)er bie S^ie^fc^e’fcfje Herren» 
moral. ©iefet bie grauen allein, au<b ber Weit überwiegenbe 
$feeil ber ©Jänner ift bei biefer Stuffaffung nur bienenbeg 
ffierfgeug, ohne SBertfe in ficb, nur beftimmt, ben wenigen 
„Uebermenfcben" fidt) gu opfern, Don ihnen beberrfebt unb 
berbrauefet gu werben, nur baburefe SBertfe unb ®afeing* 
bereefetigung erbaltenb. ©ur bafe, wenn SRie^fc^e toom ©Janne 
fpriefet, ficb ib m unwillfürlicfe bie SorfteUung biefer feltenen 
Specieg ber fcfeöpferifcfeen ißerfönlidjfeit unterfebiebt, wäbrcnb 
bag Weibliche ©efcfelecfet in feiner ©efammtfeeit unbefeben gut 
massa perditionia geworfen Wirb. $llle bie größten Gtfeifer 
aller 3 e 'ten, mögen fie Subbfea, Sefug, Stant ober Xolftoj 
beifeen, ffnb barin einig, bafe üor bem ©ittengefefe alle 
ffllenfcfeen gleich finb, bafe eg nur eine ©Joral, nur eine 
lugenb giebt, unb gerabe, bafe fie ficb augfcfeliefelicfe nur an 
ben ©Jenfcben alg folgen unb bamit an bag gange ©Jenfcfeen* 
gefehlt wenben, macht bag ©ieget ihrer ©röfee aug. SRie^frf)e 
bat in feiftorifefeer Sefangenfecit unb Surgficfetigfeit biefe Gr» 
rungenfefeaft aufgegeben. Sch rechne auch feine §errenniora£ 
gu bem Sergänglicfeen an ihm, bem ©Jenfcfelicfe=2lllgumenfcfe* 
licfeen. Wag iibetwunben werben mufe. 

Scfe füge noch einen abfcfeliefeeitben 3 U 9 feingu., ®ag 
unentbehrliche Organ gum Grfaffen fremben ©eetenlebeng unb 
©eiftegfcfeajfeng ift bie Seobacfetung beg eigenen. 2lucfe bei 
©iefefefee wirb biefer gactor nicht Weniger bebeutenb gewefen 
fein; fo werben feine ©ebanfen auch in biefem ©inne erlebt 
fein. SieHeidfet mehr alg bie Ginficbt in bie Scbingungen, 
unter benen bie ©rofeen ber Sergangenfeeit fo grofe geworben, 
Wirb bag quälenbe ©efüfel für bag, Wag bie eigene ©atur 
bebürfte, um ficb gu iferet öoHen ©röfee augguWacfefen, bie 
Duelle ©iefefcfee’fcfeer SBeigfeeit gewefen fein. SDagu gehört 
nun freilich bag Gntrücftfein aug bem Sampfe um bag tag» 
liebe Srob unb bem grofenbienft beg äufeeren Serufeg, bie 
materielle Unabfeängigfeit, ©icberbeit unb Sehaglicfefeit, wie 
fie bie SBürger $ltfeeng, bie Herren beg ©Jittelalterg, ®anf 
ben für fie arbeitenben ©ebaaren bon ©claben unb hörigen, 
genoffen unb wie fie ein fßrofeffor, Seamter, ©cbriftfteHer 
bon beute in ber ©egel nicht haben fann. $>agu gehört auch, 
bafe ein freunblicber bienftbarer ©eift in mütterlicher gür» 
forglicfefeit einem bie ©orge um bag perfönlicfee SBofelbefinben 
abnimmt unb att’ bie taufenb fleinen ßiebegbienfte erweift, 
bie bag förperticbe unb feeiifefee Sßofelbefeagen, bag günftige, 
fruchtbare Stima für geiftige fßrobuction, bebingen, — bie 
ibeale Aufgabe beg Söeibeg im ©inne ©iefefcfee’g unb Der* 


mutblicb ber weiften ©Jänner. Stber Diele ber ©röfeten haben 
biefe Sertfeeile nicht gehabt, aber fie haben alle Schwierig* 
feiten befiegt, ja nicht feiten hat ber Sampf um’g ®afein, 
ber harte gwang ber Slmigpflidfet ihren Sßitlen geftählt unb 
ifere ßraft gefteigert. SBenn ©iegfehe hier abhängiger unb 
empfinbticber ift, fo liegt bag DieHeicbt an ber gröfeeren 3art* 
heit unb Schwäche feiner phhfifcben Gonftitution. Se feiner 
unb complicirter ein Snftrument ift, um fo jerbrechlicher pflegt 
eg gu fein, umfomeht will eg gefront unb Dorficf)tig be* 
banbeit fein; foHte bag nicht Don bem febaffenben ©ehirn beg 
©enieg im böcbfteu ©rabe gelten? 3 to ar fehen wir Diele 
ber ©röfeten unfereg Sabrhunbertg aufeer ihrem ©enie noch 
mit einer eifernen ©efunbheit unb einer fester unerf^öpflichen 
Sebengfraft auggerüftet: ©oetfee, Sigmarcf, Sbfen, Söcflin 
unb Stnbere; unb gewife Wären fie ohne bag nicht fo grofe 
geworben, ©ber eigentlich gef (hiebt ba ein boppelteg SBunber; 
©obere, unb öermutblicfe Weit mehr müffen bie geinbeit ihrer 
Drganifation mit ihrer SBiberftanbgfähigfeit, bie überwiegenbe 
Gntwicfelung beg ©eifteg mit ber ©efunbheit beg Äörperg 
begabten, ©enie unb SBahnfinn finb oft nicht Weit Don ein* 
anber, unb wie Diele herrliche ©nlagen mögen bem Äantpfe 
mit ber Schwäche beg ßeibeg unb ber ©aufeigfeit beg äufeeren 
Sebeng erlegen fein, efee fie ficb ber Sßelt offenbaren tonnten. 
$ier waren bie Talente früherer Reiten in ber 5h at vielfach 
günftiger gefteüt, wenn fie nämltch alg ©Jitglieber ber be* 
Dorgugten Saften geboren Waren. Snbeffett fönnen Wir ung 
einfach ber Stbatfa^e aetröften, bafe bie ©enieg batum feineg* 
Wegg auggeftorben finb, bafe bie mobernen ßebengDerhältniffe 
ihnen in anbeten §inficfeten wiebetum günftig finb, unb bafe 
fie eben anbere SBege gefunben haben unb finben werben, ficb 
bie SBelt gu erobern. Snbeffen gefährlicher alg bie Üngunft 
ber äufeeren Sebingungen ift ber fjeinb im eigenen Sufen. 
§ier Derftefeen wir ©iebfcbe'g erbitterten Sampf gegen bag 
©Jitleib. SGBie ber offene SBlicf für bie Unenblidfefeit beg 
Gtenbg unb ßeibg ringg um ung her, unb bag tiefe ©Jit» 
gefügt eiiteg §ergeng, bag alleg ßeib alg fein eiaeneg trägt 
unb empfinbet, bie Sraft beg ©Jenfcfeen lähmt unb Die ßebeng* 
freubigfeit töbtet, ohne Welche nidjtg ©rofeeg gefchaffen Wirb, 
bag leuchtet obne Sßeitereg ein. ©ut ber ©tumpffinn tönnte 
Detfennen, bafe ©iefefefee barum fo heftig gegen bag ©Jitleib 
eifert, weil er eg felbft gu tief empfanb unb gu bitter unter 
ifem litt, auch wenn wir nicht ©ngfprücfee hätten wie: „Sft 
nicht ©Jitleib bag Sreug, an bag ber genagelt wirb, ber bie 
©Jenfcben liebt?" @o ift ber ©iej}fcfee’fcbe Uebetmenfch in 
manchen 3n0 cn nicht bag ©bbilb, fonbern bag Sßiberfpiel 
feineg ©cböpferg. 

®er gortfehritt ber Gultur Derlangt eine fortfctireitenbe 
Serfeinerung unb ®ifferengiruitg beg menfeblicben ©eifteg. 
SBirb biefe, gumal nach ber ©eite ber paffioen Gmpfänglicfe* 
feit unb ©enfitiDität, fo febr gefteigert, bafe bie ©efunbheit 
beg ©efammtiebeng unb in golge beffen auch wieberum bie 
gruebtbarfeit unb ßeiftunggfäfeigfeit beg ©eifteg barunter 
leibet, fo reben Wir Don ÜDecabence. SBenn ©iefefebe, ber 
feine, febr nüancirte Gulturmenfcfe, Dielfadfe bie phtjfifdje Sraft 
unb robufte ©efunbheit, bie iJüdfetigfeit ber ©affe, fo ha<h 
einfdhäbt, fo bürfte few* auch bie ©ehnfudfet beg 2)ecabentg 
nach ber rohen, noch nid^t ber Gultur unterworfenen ©atur 
mitfpreeben. 


Denkmal ober Denkmunje? 

SJon Dr. IDÜhtlm Sobe (Sßktmar). 

Sm Sabre 1803 famen mehrere penfionirte Seamte in 
©Jannheim auf ben ©ebanfen, für Garl Don ®alberg ein 
®enfmal gu errichten; fie fammelten ©etb, unb ihr führet 
gerbiitanb Don ßamegan legte bie ©umme in bie §änbe 
©oethe’g, feine Seratfeung erbittenb. ©oetfee nafem fiel) ber 
©aefee Warm an, benu er fcfeäfete Balberg, Den er alg Statt* 


Digiti; by v^. ooQie 



* 1 


122 


Die 0>e$enwart 


Nr. 8. 


galter oon (Srfurt oft gefegen Ejatte, unb bie 5 ta 9 e » wie 
bet mäßigen ©elbfunune, bie jut Verfügung ftanb, etwas 
©uteS geleiftet werben fonnte, (ag fo recfjt in feinem @e* 
banfenfelbe. golgenbeS mar baS (Srgebniß feinet iftacgbenfenS: 
„Von allen 35entmalen, bie einem bebeutenben Spanne gefegt 
werben tönnen, [jat freitief) baS p(aftifcg»ifonifcge ben Vor» 
jug; allein welcg ein Slufwanb, welcg eine 3«^ welcg eine 
©elegengeit wirb gierju nid)t oorauSgefegt! SJiur ber, bem 
bie Ausübung ber ÜRajeftätSrecgte juftegt, barf an ein fold;eS 
Unternehmen benfen. 35ie ptaftifc^ = arrfjiteftonifc^en 
Sftonumente, wie j. 33. baS ©eßnerifge bei 3üticg, finb gleich» 
falte großen ©cgwierigfeiten unterworfen . . . 35ie pur» 
ardjiteftonifegen finb Oor ber Nullität fatun ju fegüßen: 
bie babei anmenbbaren formen finb fdjon fo bureggebrauegt, 
baß ein fegr genialifeger Äünftler unb reiche Unternehmer 
oorauSgefeßt Würben, um etwas für ben echten ©efegmatf 
nur einigermaaßen SrfmdidjeS ju leiften." 35a alte biefe 
Vorbebingungen nicht gegeben waren, fo fam ©oetge auf ben 
Vorfcglag ju einer ÜRebaiße unb er bat Samejan am 
12. Sauuar 1804 um feine unb feiner Kommittenten 3 U ' 
ftimmung. ©r wolle bann Weitere Vorfcgläge maegen. „3)ie 
großen Vorzüge, wefege unter ben gegebenen Umftänben- ein 
folcgeS SRonument oor Stübern gat, werben atebann gleüg» 
falls jur ©praege fommen." ©egon am 8. gebruar fam er 
auf bie ©aege jurücf. „Sine SDfebaitte gat bureg igre mög» 
tiege Verbreitung, bureg igre ®auer, burd; Ueberlieferung ber 
fßerfönücgfeit in einem Keinen fRaum, bureg 3)ocumentirung 
allgemein anerfannter Verbienfte, burd; Sfunft» unb SOietaü» 
wertg fo Diel VorjüglicgeS, baß man, befonberS in unfern 
Seiten, Urfadje gat, fie allen aitbern Monumenten oorju^tegen." 
(Sr fdjlägt bann oor, baß baS Komite bie äRebaille in Vom 
gerfteUen laffe unb ©einer Sturfürftlicgen ©naben WenigftenS 
eine golbene, eine fegiefliege 3lnjagl filberner unb eine größere 
3agl fupferner übergebe, Wägrenb ber übrige Vorratg an 
üiebgaber oerfauft werbe. 3Bie bie ©aege weiter ging, braudft 
gier niegt erjäglt ju werben, ©oetge lieg bereits für bie 
Vücffeite, bie ÜDiofeS barftelleu füllte, wie er bem Reifen bie 
Quelle entlodt, (Sntmiirfe maegen, aber ber ganze 5ßlan würbe 
fcgließlicg niegt auSgefiigrt. 

SBie fegr biefe befegeibenen Viünzeu jur fünftlerifd;en 
Vilbung unb (Stquicfung beitragen fönnen, fegen wir wieber am 
beften an ©oetge. Sw Keinen armen Söeintar war an ein 
SRufeum, wie wir fie geute gewögnt finb, noeg niegt ju 
benfen; er felber fammelte zwar aueg auS bem ©ebiete ber 
Sfunft fo uiel, wie feine ÜRittel unb Verbinbungen irgenb 
inöglicg inacgten, aber natürlich fonnte er oon größeren 
plaftifcgen Söerfen in feinem £>aufe nur einige gaben. 3)a 
er nun oollftänbiger Sammlungen beburfte, an benett er 
bie (Sntwicfelung ber Sfunft burd; Sagrgunberte oerfolgen 
fonnte, fo oerfiet er auf SRünzen unb anbere fleinfte ©egen* 
ftänbe. Unermüblicg fammelte er fie, rnanege greunbe unb 
greunbinnen fegte er in Kontribution, ©o fegrieb er am 
25. 9lpril 1803 an üDtarianne Don (Sgbenberg: „35a icg mieg 
oon bem 3(nfd;auen größerer Sfunftmerfe gier in meiner Sage 
entfernt fege, fo ift bie Vetracgtung oon SRünzen eine be= 
fonberS belegrenbe Untergattung, inbem man bie Sfunft» 
gefegiegte auS ignen fegr gut ftubieren fann, befonberS, wenn 
icg baS Üluge am SRarmor ginlänglicg geübt gat. Sn 
rügerer 3 e it gatte id; felbft einiges gefammelt, giefige greunbe 
jaben aueg Neigung ju folcger Sfenntnig unb folgern Vefig, 
Wir gaben bie erfte ©ammtung ber mionnettifd;en Sßaften 
angefegafft. ... Um aud; über bie neuere Sfunftgefcgicgte 
mieg auf bemfelben SBege aufjuflären, gäbe id; gefuegt, be* 
fonberS päpftlicge äRebaiden, bergleicgen in bem 15. unb 16. 
Sagrgunbert gäufig in Sfupfer gefd;lageit würben, anjufegaffert..." 
Unb nun fommen feine Sßetifa. ©aitj ebenfo fegreibt er am 
25. Sanuar 1804 an SBilgelin ü. ^wmbolbt’S ©attiu über 
feine moberne 2RebaiUenfammlung in (Srj unb Sfnpfer, „bie 
oon ber zweiten ipälfte beS 15. SagrgunbertS angebt unb 


fid; bis auf bie neueften Seiten erftreeft. Scg bin bei meiner 
neuen Vearbeitung Kellini’S barauf gefommen: benn ba man 
fieg im Vorbeit mit Vrofamen begnügen muß, fo fegien ei 
mir nur möglidj, burd; DriginalmebaiHen auS ben »er» 
fegiebenen Sagrgunberten, bie boeg immer, wie befannt, fieg 
Zur Vilbgauerfunft igrer 3 e it anjunägern wußten, irgenb 
etwas ÄnfcgaulidjeS über bie bitbenbe Äunft ju ergalten, unb 
eS ift mir fd;on fegr, bureg ©emügung, ©unft unb ©lücf, 
gelungen, etwas VebeutenbeS jufammen ju bringen." 

35iefe Anregungen ©oetge’S füllten wieber erwogen werben, 
einmal weil wir geute unter ber 2)enfmalmutg leiben unb 
weil wir zweitens oiel megr als früger barübet naegfinnen, 
wie mir bie Sunft ju einem ©emeingute beS ganzen Volle! 
maegen fönnen, wie wir oon ber SujuSfunft jur VolfSfunft 
gelangen. (SS follen natürlich niegt alle großen SDfonumente 
oon ©tein unb (Srj oerbammt fein, obwogl wir niegt jweifcln, 
baß neunzig oon gunbert baS ©etb niegt wertg finb. 3Bo 
ein 3)enfmal ftegt, fann aueg ein gut gemaegfener Vaum auf 
grünem fHafen ftegn, unb er wirb in ben weiften fällen . 
fd;öner fein. 35ie alte ©itte, an benfmürbigen Sagen Väume 1 
ju pflanjen, ift in igrer SBeiSgeit gewiß jmeifetlofer, als ba! f 
geutige 9lnregen oon 93ionumenten, unb bie ViSmatcf«(Siegen ! 

(affen unS ebenfo oiel ober wenig an ViSmarcf benfen roie 
bie tgeuren Monumente. Sa, finb benn 35enfmäler aueg 
wirflieg Senfmäter? Scg füregte, baß in Verlin Saufenbe 
Sagrjegnte lang neben folcgen ©enfmälern wognen unb leben, 
ogne fieg aueg nur im geringften in igrem 3)enfen oon biefen 
giguren berügren ju laffen. 3KancgeS alte VolfSlieb wie 
„fßrinj Kugen, ber ebte fHitter“, ÜKofen’S Sieb: „ßu SRantua 
in Vaitben", „3)er alte Varbaroffa" oon fRüdert, „Soacgim 
SpanS oon ßwtgeu" oon gontane, baS finb wirf liege 3)enf» 
mäler, unb noeg großartigere finb SBerfe wie ©cgiHet’S 2eß 
ober ©oetge’S (Sgmont; bie Vilbgauer=?lrbeiten finb nur bann 
in SBagrgeit ©enfmälet, wenn fie ju unS fpred;en, unb bal 
fann man aueg an ben tgeuerften nur feiten rügmen. SNnn 
aegte nur barauf, mit welcger©(eicggültigfeit gegen bie bargeftellte 
©erfon fold;e 3)enfmäler oon Säuberen unb oon unS felber 
betrad;tet werben, wenn man fie überhaupt beadjtet. Sollte 
bie 9Renge ber Staifer V3ilgelm=3)enfmäier wirflieg feinem 
©ebäcgtniß förberlidg fein? 

©oetge war bamals, als eS noeg feine 3)enfmal=gabrifen 
gab unb jebeS SRonument wegen feiner ©eltengeit noeg bie 
Slufmerffamfeit auf fidg lenKe, gegen folcge 3Ronumente, toeil 
baS ©elb fnapp mar, weil nur ein woglgabenber gürft fieg 
baran wagen burfte. £>eute ift eS (Sgrenfacge geworben, bafe 
gewiffe 35enfmäler reegt oiel ©elb foften müffen. Äug 
fd;reden mir niegt megr wie ©oetge oor bem SlrbeitSaitfwanb 
guriief, Wir laffen im ©egentgeil fegr bereitwillig gunbert 
arme Äünftler fieg oergeblicg an ben ißreiSaufgaben abmügen 
unb tgeure große 3)fobeKe einfenben. ©ollte alfo niegt aug 
geute nod; bie 35enfmiin5e bem großen SRonumente juweilen 
Dorjusiegen fein? 35aS 3)enfmal ift au ben Drt gebannt, 
allermeift an bie große ©tabt; bie 35enfmünje fann igren 
Viag aueg im einfainften 35orfe finben; fie ift oon allen 
S'unftmerfen baS ganbliegfte, fie fann in jegntaufenb Drten 
jugteieg betraegtet werben. 3)aS 3)enfmal muß, wenn eS 
ingattreifg fein fod, fegr tgeuer fein; bie 35enfmün$e au! 
Stupf er ober Vconce ift baS bittigfte plaftifege Stunftwerf. Scg 
gäbe oor mir eine 35enfmünje, bie ben Stampf oon ©egleSwig» 
|)otftein gegen 35änemarf beganbelt; wenn ber Sngalt igrer 
Vorher« unbfRücffeitealS 35enfmal bargeftellt werben foüte, foftete 
eS WenigftenS eine 9J?iüion. Unb wenn icg in Äiel baS 35enfma( 
füge, gatte icg wagrfcgeinlicg feine 3«it e! gegörig ju betragten, 
ober idg wäre nigt aufgelegt, ober eS wäre bunfel ober regnerifeg. 

35ie 35enfmünse negme id; gier ju §aufe in bie §anb, wenn 
ig gerabe in ber red;ten Stimmung bin, unb jeige fie meinen 
greunben, wenn wir eine gute ©tunbe äufammeit gaben 
wollen. 35a gäbe id; eine anbere 35enfntünje oon Sari 
Äuguft, geprägt jur geier feiner fünfzigjährigen Regierung. 


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Nr. 8. 


Die ©egenwart. 


123 


/ 

3 <f) weiß nid)t, of» ber Kopf auf feinem 5Reiterftanb6Ubc nod) 
beffer ift, als auf biefem Stupferftüde; jedenfalls f e e ich 
biefen erheblich beffer, unb barauf fommt eS bod) an. ®ie 
l)enfmä(er haben faft alle ben gelter, bajj man bem bar» 
geteilten SRettfdjen nid)t ins, ©eficßt fdjaut; ^ferbefc^roan^ 
unb Kanonenftiefel !ann man red)t gut fetjen, fetjr fermer, 
aber ben SInSbrud beS ©eficßtS. 2>ie ©ßriftuS* Statue oon 
Xßorwalbfen ttmr mir feit Sauren fo geläufig mie ben Sefern, 
aud) habe id) baS Original in Kopenhagen gefeben, um fo 
erftaunter war ich , 1 als id) bei einet guten Stadjoilbung baS 
9tnttiß ©^rifti einmal in Slugenßöße hatte unb niIn ©cßön» 
(leiten entbedte, bie mir fo lange fremb geblieben waren. 
8 on bem Sdjöpfer beS SSiener @oethe=3)enfmalS, baS nocß 
ni<ßt enthüllt ift, berichteten bie Leitungen neulich, bafj er 
feinen gelben auf einer SBant fißenb fo barftetlen wolle, baf( 
ihm ber Sefcßauer, wenn er einige (Stufen ßinaufgeftiegen 
ift, gerabe in’S ©eficßt fdjaue. ©nblicß einmal ein Künftler, 
ber eS weiß, baß ber normale 9Wenfd) nicht fecßS ÜJfeter 
gtofe ift unb baf) wir nicht alle weitfidjtig finb! 

SllS jeßt baS ©oethe=3ubiläum gefeiert würbe, ift wohl 
auch * n Sranffurt eine ÜWebaille geprägt worben; ich weine, 
es gelefen ju haben. 9lber folche Kunftwerfe müffen, wenn 
fie ihren $wed erfüllen füllen, nicht bloß in bie Käften 
einiger reichen Siebhaber fommen, fonbern ju oielen laufen» 
ben in’S Sßolf. ©in herein, ber feinen SDJitgliebern für ihren 
Seitrag mufterhafte ®en!münjen aus früherer unb neuefter 
ßeit lieferte, bem bie ©ultuS=ü)rinifterien unb Stäbte mit 
ihren Schulen beitreten fönnten, hätte ben Anfang ju machen; 
bie Dielen geftcomiteS, bie jebeS 3aßr entfielen läßt, fönnten 
folgen. $ie ®enfmünjen = Sammlungen brauchen nicht fo 
häufig 311 werben Wie bie uon Sr ief mar feit unb Siebigbilbern, 
aber h»nbert äJZal fo häufig als heute möchte man fie f<hon 
wünfeßen. ©oetße mochte nicht feine 3^* wit Sd)ad) unb 
Karten Dergeuben, fonbern befaß fich lieber intereffante Sachen 
auS ber SKatur unb Kunft, nitb wenn er ©efellfcßaft hotte, 
ifidleidjt langweilige, fo holte er fid) einen Kaften Doll 2)en!» 
münjen, wie unfere Sarnen baS pßotograpl)ie=91lbum, unb 
jeigte feine Schöße, ihre Sorjiige preifenb, ißre ©eheimniffe 
ertäuternb, fich felbft unb Slnbere an allen ben fleinen 
Schönheiten begeifternb. 9llS er bie alte $reunbfd)aft mit 
©ßarlotte o. Stein nach Saßren beS 3°meS wieber anfnüpfte, 
war feine SRiinjen»Sammlung ein willfommener 3lnfafe, fie 
in’S §auS 311 laben, unb wenige SEage nach ißt fonnte er 
feine Schöße bem berühmten ©efcßidjtSfcßreiber SoßanneS 
0 . SRüUer jeigen, ber aus feinem reidjen SBiffen heraus ihm 
über bie bargeftelltcu Perfonen unb ©reigniffe oieleS Se= 
lehrenbe mittheilte. 2lud) auS ben älteften ßeiten menfchlicher 
©ultur war manches Stüd ba, benn bie SDfünje, baS fleinfte 
Kunftwerf, ift oon allen Knnftwerfen baS unbergänglicßfte, 
fie ift am atlerwenigften Sefcßäbigungen auSgefeßt unb auch 
baburd) eignet fie fid) jum ®enfmat. 

3d) gehöre ju ben Sd)wärmern, bie Kunftfammlnngen 
in jebeS ®orf, jebe Schule ßineinsießen möchten; 'benfmiinjen 
Wären gerabe für Schulen bie braueffbarften fleinen Kunft» 
werfe. 3u ben ©efcßidjtSftunben fönnten fie ben Sd)ülern 
in bie Ipanb gegeben werben, ba prägten fid) ßiftorifeße 
Perfonen unb ßuftänbe hunbert 2 Wal leicßter ein, als beim 
Dcßjen ber Seßrbu^paragrapßen, unb nebenbei bilbeten fid) 
®ej‘d)mad unb Stilfenntnif). ?lud) eine „Siteraturgefcßicßte 
in benfmünjen" läßt fid) benfeit unb Wäre ein gwedniäftigeS 
pöbagogifcßeS Hilfsmittel. Unb wäre eS nicht möglich, bei 
gtofjen feiern allen Schulfinbern folcße Kunftwerfe jur 
bauernden ©rinnerung 311 feßenfen, fie sugteid) an fünftle» 
tifeße Sammlungen gewöhnenb? Sielleid)t feiert man einmal 
bie näcßfte Saßrßunbertwenbe Hießt mit einigen Standes» 
etßößungen unb ber ©infüßrung ßäfjlicßer Sriefmarfen, 
fonbern bureß allgemeine Sertßeilung einer feßönen Sdjau» 
mün 3 e, bie bie gortfeßritte beS swanjiflften SäculumS Oer» 
finnbilblicßt. i 


^euiffeton. 

- Wadjbrurf oet boten. 

.Am Äatfertettkmal. 

Pon 3u!jani 
«u« bem Sinnigen. 

Set im$ in ^clfitigforö ^aben mir bem guten $aifer Äleyanber n. 
öon 9tu6Ianb ein fcböneS Stanbbilb gefefct, unb an bem XobeStage beS 
allen ginnlänbern fo gütigen unb geredeten toonartben mtrb fein S)ent- 
mal ftet§ mit rieftgen Äränjen unb Slumenfpenben jeber 5(rt gefdjmütft, 
bie auS allen feilen beS bantbaren ßanbeS fommen. Slucb au biefem 
13. 9Rär$ blieften bie aflegorifdjen giguren am 6ocfel r $umal bie meib* 
liebe ©eftalt beS ©efe^eS, bie ihren ©cbüb auf einen mutigen öömen 
ftüjt» auS ber S3IumenfüIIe era^or f abe^ ihr Slu&brucf mar bieSmal 
emft unb finfter, benn ber 5Binb in Petersburg gemetbfelt, unb 
man greift oon oben in bie beiligften 9ted)te unfereS PolfeS unb roiü 
feinen Untergang. 3)ocb id) mtH febilbem, maS leb gefeben b<ibe. 

* 

5)er 5u& beS ^Uefanber^enfmalS ift Oon Plumen bebeeft Xaufenbe 
oon Wenfcben erfütten ringsum ben großen piafc. Äein ftlüftern, ÄUeS 
ftiH mie bei einer ©eerbigung. 92ur ba unb bort bemegen ficb ©enbarmen. 

©in ©dju&mann, früherer ©olbat, ftebt als SBadje am ölumeit^ 
bügel. S'tublg unb emft ftebt er ba, fein @efid)t tyrtebt meber oon 
greube noch Trauer, aber ich lefe feine ©ebanfen auS feinen blauen 
Slugen. 

„SBarum f)at man mich eigentlich hierher geftellt? Um Sache ju * 
ftehen? ©tma üor beit ©lumeit? Äein SJtenfcb febeint fie megnehmen 
5 U motten; 3eber bringt ja nur immer neue ... Ober um bie Orb= 
nung aufrecht $u erhalten? .. . 3lber baS tbut ja Qeber am beften 
felbft... 3cb f)abt ben öefehl, hier ju ftehen, bis ber lefcte äufeb^wer 
fort ift. $ietteid)t muß ich bann mein Seben lang hier bleiben ... 9lber 
fo mar ich benn menigftenS einmal ©hrenmacbe beS ÄaiferS — ©bren- 
mad)e ber ©runbgefeße. . .* 

®ie 9)tenge ftimmt einen £f)oxal an. ,,©in r fefte SBurg ift unfer 
©ott" erflingt eS Oon ben £repj>en ber Unioeifität her, unb auf ben 
©tufen ber SRicolaifircbe ftimmt man ein in ben ©efang. 3eber bat 
fein feavipt entblößt. Äucb unfer ©d)ußmann nimmt bie SKüße ab unb 
hält fie in ber linfen §anb, mie beim gelbgotteSbienft. 

„5)aS mar ein feböner ©haral! ..." 

fiangfam feßt er bie 9Rüße mieber auf. ©ine $bräne glänjt in 
feinem Sluge. Um fte ju oerbergen, fehrt er fid) ab, als betrachte er¬ 
bte Slumen am guße beS S)enfmalS. 

,,^£)aS mar ein munberbar feböner ©haral!..." 

erbrauft plöfelicb ein neues Sieb. ©S ift „Unfer Sanb", bie 
ftnnifcbe 9ktionalhbtnne, unb alle ©äu^ter entblößen fich auf'S 9ieue. 
S)er ©d)ufcmann führt febnett bie ^anb an bie 3Küße. $od) gleich bar= 
auf ftu£t er; er fenft bie §anb, h«öt mieber in halber £>öhe, fenft 
fie mieber unb febeint nicht ju mtffen, maS er thun fott. $enn er er® 
innert fic§ ja ber neueften Sßorfdjrift. ^at bodj ber jeßige ©eneral= 
gouoerneur Oon gtnnlanb, ©eneral Pobrifoff, bem Militär Oerboten, 
unferem 9tationallieb ben mtlitärifdjen ©ruß ju bringen! 

„©S ift ja üerboten . . N * S)er äöefehl ift ba. SBir büvfen Oor bem 
^ationallieb nicht bie $anb an bie 3)iittre legen. $)te ©enbarmen brüben 
haben ja auch bie SRüfcen auf, unb ihre 2lrme rühren fich nicht..." 

©r überlegt unb fömbft-nodj, bie ^nmb hebt unb fenft fich unb 
Oerfud)t am tttonbe ber 3Jtüße gu bleiben. 

„3<b merbe oietteiebt ben Slbfcbteb erhalten ... meiner 9(nftellung 
beraubt. .. SBeib unb ^inber merben hungern • • • ßnntfeben 

Patrioten merben oerabfebiebet unb meggefebieft, oietteiebt fogar ber PoligeU 
birector... Unb mer fommt an ihre ©teile? — bie ©enbarmen 
brüben ..." 

©eine §anb ift herabgefunfen, fie hebt fich unb fällt mieber. 


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124 


Die Gegenwart 


Nr. 8. 


Slber immer inniger, immer auberftcßtließer unb fraftbotter braufen 
bie Söne au$ ber ©ruft Don Saufenben. 

„68 ift ba$ Sieb meines SanbeS. @8 ift ba$ Sieb meines ©olteS. 
fBem foE icß ©ßren erjeigen, wenn nießt ißm! 9ttag ba fommen, waS 
will: t<ß grüße !* 

Unb nun fliegt bie $anb an bie 2Rüße mit einem 8htd unb bleibt 
ba. 911$ ßätte er ein ©ommanbo gehört, macßt er gront bor bem ©oll, 
unb bi$ ber ©efaitg an baS ©aterlanb berllungen ift, fteßt er feie an* 
genagelt an feinem Sßlafce,' ftol$ unb eßent wie eine ©tatue, mit bem 
(Beeilte beS ©efefceS ßtnter pdj. Unb Stuße, grieben unb fießere 3u* 
berficßt leueßten auS feinem 9tegefußt, unb ein ©cßitnmer bon ©lücf 
glänzt in feinem ©lief, ©eine Sippen bewegen fuß im Xacte mit ben 
leßten Xönen beS Siebes. 

Srgenbtoo in ber SJfenge ergebt fteß eine SRäbcßenßanb. ©in 
©lumenfträußcßen mad# über ben köpfen Sitter einen ©ogen in ber 
Suft unb faßt neben bem ©eßufcmann jur ©rbe. 

©r beugt fuß, nimmt bie ©lumen, unb inmitten ber §o<ßrufe auf 
baS ©aterlanb legt er fte bem Söwen $u güßen — bem Söwen beS 
©efeßeS. 


Jtiw bet «Äaupfftabt. 


Don kirnten unb können. 

3)er ©cßillerpreiS. 

Unb toieberum beS ©mpfängerS harrt 
3)er üppige ©reis für großes ©oübringen, 
gür ©eifteStßaten befonberer Slrt, 

SBie ber SRenge fte nimmermehr gelingen. 

$)od) nießt ben ©oeten, bie eßrgei^entflammt 
SRit ©cßiüer’S Steif fteß bebiabemen, 

3)er <ßrei$ gebüßrt eueß, bie bieS SMcßteramt 
3n gufunft noeß einmal überneßmen! 

* 

$)te Reinigung ber Siteratur. 

©et ber ©eratßung ber Sej £>ein&e ßat $err Sioeren mit Siecßt 
bemerft, baß lein anftätibiger SRenfcß ben ©eßöpfungen ©ubermann’S 
eine Sßräne naeßweirten toerbe unb baß bie ©laffifer ebenfo ftreng wie 
mobeme $oeten beßanbelt ju werben berbienten, wenn fieß unaüdjtige 
Sieber unb unreine Steinte in ißren ©efammelten ©Serien borfmben. 
£err Sioeren beutet bamlt auf bie ©efeßlagnaßme unb ©in^ießung ber 
$)icßtungen ©cßiller*$ unb ©oetße’S ßin; bietleicßt will er aueß nur ben 
©erlauf ißrer Sßoroograpßie an ßinber unter 16—18 3&ßren Verbieten. 
SebenfaHS ift ©efaßr im ©eräuge. Oßne bie ©lafftfer fommt man ßeut* 
jutage nießt gut auS, feßon ber ©itate wegen, bie fieß in SieießStagSreben 
immer fo gut rnaeßen. Sluf ber anberen ©eite muß bem fittlicßen Siuin 
ber Greife, in benen fuß £>err Sioeren bewegt, gefteuert unb bie gejammte 
©lajfif einfcßließUcß ©ubermann moralifcß auSgeräucßert werben. SBie 
ift baS au bewerlftelligen? 

SJtan weiß feit Saugern, baß fuß unter ben ßößeren ©eamten 
3)eutfcßlanbS, befonberS unter ben richterlichen ober bo<ß juriftifcß ge* 
bilbeten, gana ßerborragenbe 3)icßtertalente befinben. SBir nennen nur 
bie tarnen SBübenbrucß, §ammerftein*Sojten, Sßßtli ©ulenburg. ©S ift 
aueß gar fein SBunber, baß bie Ißoefte gerabe in biefen Greifen fo biele 
Opfer forbert. 3)ie meiften ©eamten werben Ieiber babureß, baß fie 
wäßrenb ber ©ureauftunben fortbauernb auS bem genfter ftarren, auf 
bie Staturbeobacßtung unb bamit aufS ©erfemaeßen förmlich ßingewiefen; 
Slnbere wieber reifen raftloS, waS gleichfalls feßr aum 3)icßten berleitet. 

Sieben ben jeßöpferifeßen $oeftegenie$, bie wir eben nannten, giebt 


eS au(ß befeßeibene Kräfte in Stmt unb SBürben, bie gleichfalls gern 
einmal etlicße ©tropßen bon fieß geben, eS aber Ieiber nur feiten au 
öffentlicher Slnerlemtung bringen. ©iSßer waren fte geawungen, 
lebenS ungebrudt a u bleiben; ßöcßftenS in £>ocßaeitS=$1 abberabat jeßen 
unb bei SobeSfällen fonnte ißre feufeße Sttufe auSarten. Sin Mefe füllen 
3)ulber. ßat Stoeren offenbar in erfter Sinie gebaeßt. ©r miß bie minbet- 
begabten Suriften an ber §anb fogenannter großer 3)tcßter auf ben 
©arnaß füßreu. 3)aburcß wirb allen Xßeilen geßolfen. 3)ie ©lafßlet 
entgeßen ber ©efaßr ber ©efdßlagnaßmung, baS ©oll fann nießt nteßr 
ftttlicß bergiftet werben, empfängt fogar bon ben mit ber ttmbtcßtung 
betrauten 91ffefforen, SReferenbaren ic. praltiftße jutiftifeße SBinfe in ber 
fuß bem ©ebatßtniß leicht einprägenben ©erSform, unb ^err SRoercn 
lommt noeß weniger als früßer in bie ©erfueßung, felbft in ©tunben 
ber größten Sangweile ein ©ueß aufaufdßlagen. 

hierunter geben wir a&w ©erwäfferungSproben auS ber neuen 
SRoerenleltung aur geft. loftenlofen ©enußung: 

@oetße. 

3cß ging im SBalbe 
©o für mitß ßin; 

3u fueßen ßatte 
3<ß nkßtS barin. 

3m ©cßatten faß icß 
7 ne ßübftße ©lum T , 

3)odß war fte fiScallfcßeS 
©igentßum. 

3cß toottf fie breeßen 
3n fträflicßer ^>aft; 

3)a ßat ber görfter 
SJlicß abgefaßt. 

$>rei SRarf mußt' icß blecßen. 

35ieS ©elb — o rett f $ 

Unb benle immer 
9ln’S gorftgefep! 

©cßiller. 

SBenn bein ginger bureß bie ©aiten meiftert, 

Saura, ißt aur ©tatue entgeiftert 
Saufcß’ icß btr! 3)ie SRutter, bie bieß ßegt, 

^at r S ^labierftunbengelb gut angelegt. 

©öttin Saura, bonnre mit ©ebrauS, 

3)ocß nie werbe grober Unfug brauS! 

£>oße ©trafmanbate bu erßieltft, 

Saura, wenn bu SlacßtS itacß ©Ife fpielftl 

©om lommenben SRontan^ßracß. 

„©ilberneS Xafelgefcßirr ift billig au berlaufen, aueß umautaujeßen 
gegen SlbonnementSfarte auf folibeS, einfacßeS SRittagbrob in reinlicßer 
©ubile. ©cfl. Singebote unter ^oßlenarbeiterftreil an bie ©fpebltion." 

— ©eftatten ©ie, baß icß mieß 3ßuen borfteüe: meine Stotne ift 
Slron, ©anlier. ©ie werben bon meinen #au[fes Unternehmungen in 
©ifenmerlSsSlctien geßört ßaben — 

3>er Slnbere (feßr barfcß): ©ebaure, fann 3ßu*n nicßtS geben — 
©ie rnüffen fteß feßon an einen 28oßltßätigleit$s©erein wenben. 

Slbg. öattß berfel, wäßrenb 91bg. ©amp fpraeß, in einen tiefen 
©(ßlummer. Unb ba wirb immer noeß behauptet, unfere Slbgeorbneten 
berftünben ißre 3«it nießt rteßtig auSaunupen! ^)err ©artß beabfießtigte 
übrigens mit feinem feligen ©ntfeßlafen nießt etwa gegen ben ©oHegen 


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Nr. 8. 


Die ffiegenuart. 


125 


Eamp gu bemonftriren, fonbern motlte pd) nur auf bie nädjfie Nebe 
föicfert'S Dorberetten. 

* 

3n ©ubapeft ift ein ©ureau gur SluSfühtung fchriftlidjcr 
Schularbeiten entbecft morben. 

Wan glaubt nicht, bap bie ©egrünbung gut glottenDorlage Don 
einem ©ureaufraten beS obigen ©ureauS ftaramt, obgleich ihre ©djülers 
haftigfeit biefe Annahme als fehr naheliegenb erfdjeinen lägt. 

* 

T)ie neue Stlliang. 

I. 

„Unb baS ©ünbnip, meläjeS mir mit $eutfdjlanb etngegangen 
ftnb ..." (Ehamberlain t m Unterhaufe, nach ber Greife $aifer ©if* 
helm’S non Eitglanb.) 

„ÄllerbingS ift unfer ©ünbnip mit 3)eutphlanb in ber beutfchen 
©reffe Deileugnet morben ..." (Sorb töofeberrp im Unterhaufe.) 

II. 

Sorb ©altSburp an greiherrn D. ©ülom. 

@8 mirb gut fein, menn ©ie unfere SUÜang=®erträge mit allen 
3ahtcn nunmehr Der öffentlichen. 3h T 

greiherr D. ©ülom an Sorb ©aliSburp. 

©eiche Slüiang:©erträge? 3<h meip Don leinen. 3h r ®* 

Sorb ©aliSburp an greiherrn D. ©ülom. 

Thun ©ie hoch nicht fo. 3h* Golfer trägt fte in ber ©rufttafche. 
3<h fafj beutlich bie 8 a hl 2 000 000, bie über unfere Derbünbete Wacht 
Sfofphlup giebt, als ©eine Wajeftät beim ©erlaffen beS englifdjen ©obenS 
bie ©ertrage noch einmal aufmerffam burdjtaS unb Derbarg. ©ie ftanben 
ja felber babei! ©. 

Freiherr d. ©ülom an Sorb ©aliSburp. 

©ie irren. ©aS ©ie meinen, mar bie Slufftetlung ber Nelfefoften! 


3>er engtifche EeneralftabSdjef: Werfroütbig, bap biefe 3«ö s 
ochfen ihre größte $raft im $opfe hoben! 

Ter englifche Oberbefehlshaber: 9?a jo — in einer §inpd)t 
muffen pe ft<h bod) Don unS unterfdjeiben! . 

* 

§err <£hombertain lägt entfehieben in Slbrebe pellen, bap er ben 
TranSDaalfrieg gum S^ecf t)on ©örfenfpeculotfonen entfeffelt höbe. 

ES märe in ber T§at febr unDerftänbig Don .fterrn Ehamberlain 
gemefen, erft auf bie ©örfe gu gehen unb fi<h baburch taufenb Umftänbe 
gu machen, ©enn man, wie er, baran gemöhnt iff, gang ohne Sin* 
menbung Don ©djluppheinen unb fturSgetteln gu fielen!... 

* 

Ter ©ring Don ©aleS hot pdj biefer Tage „einen holben ©oda* 
lifieu" genannt. 

©ahrfchelnlich megen ber für ben 3ufunftSftaat Dorgefchriebeuen 
freien Siebe, für beren Einführung in bie heutige EefeüphaftSorbs 
nung ber ©ohn ber Oueen atterbingS fein — Derhältnipmäptg — ©efteS 
gethan hot. 

* 

Ertedjenlanb plant einen Aufruf an baS chriftlidje Europa unb 
Slmerifa, um burdj ©ammlung Don Eelb bis gum ©etrage Don 250 bis 
300 Willionen granfen ben türfifdjen Eruitbbepfc auf $reta in d)rtft* 
liehe &änbe gu bringen. 

Ta biefe djriftlichen §änbe ungemöljnlid) lange ginger hoben, be= 
abpehtigen bie angefepnorrten ©ohtthäter in Europa unb Slmerifa, gu 
bem ebeimüthigen 3*°ecfe nicht baareS Eelb, fonbern griechifche Rapiere 


hergugeben. ©ie hoffen, ouf biefe ©eife enblidj Don ber Waculatur be* 
freit gu merben unb freuen pch heute fchon auf baS bumme Eepdjt, baS 
bie griechifche Regierung beim ©ieberempfang ihrer „©erthe" machen toirb. 

* 

3nterieur. 

Er ft er Wtnifter: ES ift hoch eine alte Erfahrung — bie 
Summen hoben immer baS meifte Elücf! 

Streiter Win ift er: TaS tröftet mich auch ober ba$ ©(heitern 
meiner lepten EefepDorlage. 

Erfter Winlfter: D bitte — feine töegel ohne Ausnahme! 

Eine ©djriftftetterin E., bie im ©agar ©ertheim ©elgmaaren ftahl, 
mürbe nur gu einem $age ^ft Derurtheilt unb gleidjgeitig ber Enabe 
beS ^aiferS empfohlen. 

$)er EerichtShof billigte ihr milbembe Umftänbe gu, toeil pe nach 5 
gemiefenermafjen Dorher ein Suftfpiel Derfapt hotte, ftdh alfo über ben 
Unterfdjieb gmifchen mein unb bein nicht mehr recht llar fein fonnte. 
dagegen hot baS EiDtlcabinett bie ©egnabigung nicht befürmorten fönnen. 
3)ramatifchen ©chriftfteüern fei toohl baS ©tehlen, nicht ober auch baS 
Witnehmen erlaubt. Cimon b. 3» ’ 


Dramati^e ^ttpljningen. 

„3o9««b Don heute." Eine beutfehe Äomöbie Don Otto Ernft. 
(ÜPal. ©chaufpiefhauS.) — „$te brei Xödhter beS^errn $)upont." 
©chaufpiel in Dier 9lden Don Eugene ©rieuf. (2e|png=3:h c oter). 

§err Dtto Ernft ©chmibt barf pch eines ungemein aufopferungS*. 
fähigen greunbeS rühmen. 92i<ht attein mohnt ber junge Wann allen 
©remtferen ber beutfchen Äomöbie „Sugenb Don heute" bei unb befchämt 
fo ©Iatin ©afcha unb 9ieufelb, bie folche ©trapagen nicht ertragen 
hätten, fonbern er Derfteht eS auch, olle mapgebenben ©erliner Rettungen 
gum honorarfreien Sibbrucf ber Otto Ernft ©chmibt 7 fchen ©riDatbriefe 
gu beroegen. ?luf biefe ©eife hot cS bie beutle tfomöbie bereits gu 
einer ungeheuer gropen 3 a hl Don Slufführungen gebracht, menn au^ 
nur in ben ©palten ber ©erliner Tageblätter. Unb auf biefe ©eife 
haben mir erfahren, bap Otto Ernft ©chmibt mit feiner beutfchen 
möbie feineSmegS bie Wobeme Derhöhnen unb baS ©hilifterthum preifen 
miß, fintemalen er pch fetbft als burchauS mobemer dichter fühlt unb 
unerfchiitterlich entfchloffen ift, in Sofunft entfprechenbe ©djöpfungen 
Don pch gu geben. ES ift ein Elüdf, bap ©chmibt'S greunb burch feine 
©remiferentelegramme unb bie ©eröffentlicpung beS ©^mibffchen ©riefeS 
rechtgeitig für eine erflecfliche ©ortion gefunben ^umorS geforgt hot, 
benn fouft pnbet jich Don ßomif feine ©pur in ber bemupten beutfchen 
Äomöbie. ©em bei ihrer Suftigfelt nicht ber gange bittere Ernft beS 
S)afetnS gum ©emuptfein fommt, ber gehört gu ©djopenhauer'S ruch 5 
lofen Optimiften. 

Sin pch ift bie 3&ee, ben SluSfchreitungen unb Narreteien gemiper 
Siteraturgigerl einen ©piegel Dorguholten, fo übel nicht, obgleich pe be* 
reitS gu ben 3&een Don DorDorgeftern gählt. ^err Otto Ernft hot baS 
aber gar nicht gemagt. Unb memt er in feinem ©riefe be= unb meh= 
müthig erflärt, burchauS ni<$t ber Söme gu fein, für ben ihn etliche 
ßritifer in TreSben ober Neutomifdhel gehalten hoben, fonbern 8 e ttel, 
ber ©eher, fo barf man ihm baS auf r S ©ort glauben, ©ie fäme er 
auch bagu, pd) bie Earrtfcre gu Derberben unb fdjäpbareS ©ohlmoDen gu 
Derfchergen? Er fämpft ni^t gegen Neifige, auch nicht gegen ©inb^ 
tnixhlen, benn baS ift gefährlich; er befehbet nur ©apppguren, bie er 
felber aufgeflebt unb betufdjt hot- Unb er bricht in jubelnbeS Eelächter 
auS, menn ein ©d)lag figt unb ber WehWeifter gu Tage tritt. T)ieS 
Eelächter ift eine Äranfheit, aber feine anfterfenbe. 

Wit «jperrn Ernft über ©efen unb 3*oecf ber ©atire gu rechten, 
halte id) für nuploS, unb ebenfo nuploS fcheint eS mir, ihm Don ben 
einfachften Regeln ber bramatifdjen ^unft gu fprechen. SWerbingS §ätte 
man fo unb fo Diele 3oh*e oad) bem Auftreten beS „©le^foppS" 
©chiller, hotte man im Seitalter 3&f e n'8 eine berartige ^ülflopgfeit ber 
©eenenführung unb berart jämmerliche ©ehanblung beS hiu unb her 
taumelnben TiatogS nicht, mehr ermartet. T)ap ^err Ernft auper 
©tanbe mar, eine intereffante gäbet gu erfinnen, fott ihm nicht gu hoch 
angerechnet merben, obgleich bie bramatifche ©atire nur bann gehörige 
©chlagfraft gu entmicfelit tut ©taube ift, menn pe feffelnbe ©egebenheiten 
untranft. 3nbep bie ©hantape unferer Süngften tft bürr unb IcbloS; 
erpnben fann nur ber dichter, nicht ber fterile geuittetonift. 
^eine Sntfchulbigung giebt eS jebodj für bie technifche ©chluber^ 


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126 


Die Gegenwart. Nr. 8. 


arbeit beS #errn Ernft. Entweber bat er pd) bie ©acbe über= 
mäßig leichte gemocht unb geglaubt, baß eS genüge, lieberlid) bin* 
geworfene Eefprädje in Acte gu gerfebneiben, um eine tbeaterreife 
beutfdje Äomöbie gu erbalten, ober aber er ift Don gerabegu pban= 
tafiifcber Unfäfiigfeit, waS bie Erlernung beS einfad) $>anbwerfSmäßigen 
anbelangt.f ®ie bloße Siebergabe ber ftanblung geigt biefe ©djwädje in 
grellem Siebte. Xer §elb bringt auS Berlin gwei greunbe mit in'S 
Elternhaus, beren Uebermenfcbentbum eS ibm fo angetban bat, baß er 
bölltg in ihrem ©anne fiebt. Elara, bie befannte fluge, feböne unb 
tugenbbafte Sugenbgefpielin, burdjfcbaut bie beiben „Efel", über bie fid) 
fretlid) ber bümmfte ©pteßer in gwei Minuten Har (ein muß. 3uerft 
wollte ber Autor nun ben brauen Dr. $röger bureb Elara au$ ben flauen 
beS EpniferS ©oßler retten laffen. Er nimmt Anlauf auf Anlauf, bereitet 
unfagbar umftänblicb wtlbeEiferfuchtSfcenen bor, um baS TOotit) bann plöp= 
lid) fallen gu laffen unb gu berfuchen, ob ber Dr. ftröger fid) nicht abmed)^ 
lungSbalber auSEiaenem gur Säuterung burd)ringen fönnte. Aud) b^ aber 
berfagt bem Autor baS bißeben EeftaltungSfraft, unb nun muß aflerrobefte 
Xbeaterei, ein SWefferftidj, ben ber ©ruber wäbrenb einer ©ierreife mit ben 
Uebermenfdjen empftna, berbalten, um bie Sanblung betbeigufübren. 
Xerfelbe fd)mäblid)e XileltantiSmuS, biefelbe ErfinbungSarmutb berräth fid) 
in ber Ebarafteriftif. Qebe, aber aud) jebe gigur ift grob bezeichnet, 
©ie riechen fämmtUd) nad) Sampenöl unb gerfauen wie ©lunber, fobalb 
man fie auf ihre SebenSmöglichfeit prüft, Eoßler, ber offenbar als 
äußerlich ftreng correcter §err gebaebt ift, benimmt ficb bennodj, fobalb 
bie plumpe ©atire ©djntibt'S eS berlangt, wfe ein ßnote, unb in bem 
Dr. ÄrÖger, ber fid) bon feinem nerböS macbenben Eeroäfd) blenben 
läßt, alfo augenfcbeinlicb ein ausgepichter ©djafsfopf ift, follen mir ben 
raaenben Entbeder beS ©cbarlacbbacitlS berebren. ES ift eine ©init~ 
lojtgfeit uni) ©ebanfenarmutb, ein Mangel an garbe unb ©lut in bem 
©tüd, baS gugleicb bleiern langweilt unb anwibert. An feinem befferen 
©iertifebe ließe man fid) biefe mit grinfenber ©elbflgefäftigfeit bor= 
getragenen EonimiSmipe gefallen, biefer geiftlofe UeberlegenbeitSbünfel 
eines triften ©pötterS. Eine fo betrübenbe, gottberlafffne ®i£ettanterei 
ift unS feit 3ab«n nicht mehr gugemutbet worben. Eingelnen £>err= 
febaften, bie*wäbrenb ber Aufführung trop beS ErnfteS ber ©ituation 
ein frampfbaftcS Sachen nid)t unterbrftden fonnten, ift hoffentlich nad)' 
per baS alte ©priebwort eingefallen. 

X)te ©atire beS ©ariferS ©rteuf — wie anberS wirft bieS 3 ei djen auf 
mich ein! Sit unbarmbergigem, grimmigem, bie Xiefe burd)leud)tenbem 
©pott geißelt ber in ben gußftapfen Xonnap’S baberfebreitenbe (Gallier bie 
©erlogenbeit ber frangöfifeben ©ourgeoifie, bie ihre Töchter unb ©öbne um 
beS Mammons Sillen berfuppelt unb berfcbacbert unb nachher ben betro= 
gelten ©etriiger mimen muß. $ein Sicbtfirafjl fällt in baS bunfle (betriebe, 
baS ©rteuf barfteflt, ©ebufte unb ©cbelme finb fte Arie unb fie Alle ber= 
pfufdjen fid) ihr Xafein, erwürgen mit mörberifd)er £>anb ihr SebenSglüd. 
X)er ©ater, ber feinem ftinbe einen reichen Dummrian gu fifdjen hofft, bie 
Butter, bie ihrem ©eitgel baS ©olbfifcblein gutreiben will unb bann 
erfenneu muß, baß fie gepreßt worben ift, wäbrenb fie gu prellen ge= 
baebte! X)ie junge Ehe, bie nad) wenigen Soeben auSeinanber flajft, 
in ber bie (hatten ficb tnit ©djirnpf unb ©d)macb überhäufen unb ge= 
fliffentlid) jeben SReft bon gegenteiliger Achtung au$ ben ftergen reißen! 
®ie berlorene Xod)ter, bie in ©ariS ohne Arbeit reich würbe, unb bie 
eingefebrumpfte alte Jungfer, bie ihr ©liicf im ©etftubl finbet, bcimltd) 
aber bod) einem gewiffenlofen Sumpen ihre paar ererbten ©rofeben gu= 
ftedt! ©rieuf berfdjmäbt eS, im Dialog wipig gu fein, aber bie ©itua= 
Honen feines 2)ramaS umleuebtet pboSphorifd) ein fdjauerlicber, wilber 
^>umor. $>te 3ßad)e ift gwar nicht fo raffinirt wie fonft bei ben ©arifern, 
aber feine ©ecunbe lang berliert man baS gefpannte Qntereffe an biefen 
fd)redlid)en, quälenben QuftanbSfcbitberungen. 3)em ©ublicum beS Seffing^ 
$b eatei tö aQerbingS, baS an T S Seiße ©ößl gewöhnt ift unb an baS ent= 
fpreebenbe ©ewieber, mißfiel bie bebeutfame, toeitn aud) gar gu finfter unb 
gu wenig fpielerifdje ©efellfcbaftSfattre burcbauS. 


Offene Briefe unb JUttmorten. 


ebunrb o. unb bie „JimeS“. 

beehrter ©err! 

$te „XimeS" beröffentlicht foeben einen Seitartifel über bie Artifel 
bon (Sbuarb b. $artmann in 9fr. 52 unb 1 ber „©egenwart", worin 
berfelbe feine Anficbten über bie (£ntwitfelung beS ©erbältniffeS gwifchen 
Xeutfdjlanb unb ^ollanb barlegt unb einen näheren Anfd)luß bon 
^)oßanb an baS Xeutfcbe 9leicb in gonpoüttfdjer unb militärifcber ©e= 
giebung für bortheilhaft im Qntereffe beiber Sänber hält. $oßanb ift 
eines ber natürlichen AuSgangStbore für ben beutfdjen ^anbel, wäbrenb 
Xeutjcblanb umgefebrt fein natürliches £tnterlanb unb Abfapgebiet ift. 
3n biefer Xbutfache liegt für @buarb b. ^artmann bie ©egrünbung für 


einen ^ollbunb gwifchen beiben Sänbevn. @S wirb auch bom intcr^ 
nationalen ©tanbtpunftc auS nicht geleugnet werben föunen, baß biefe 
£>artmann'fd)e Auffaffung ben realen Xbatfadjen burcbauS entfpriebt 3^ 
ber Xbat ^at er bollftänbig redht, wenn er meint, baß Xeutfcblanb ben 
hollänbifcben .fpanbel bureb einen 3°llfrieg, wie bie ©erbältniffc jept 
liegen, jeben Augenblid ruiniren fönnte, wäbrenb umgefebrt fwllanö 
unfern rheinifeben (%portbanbel burep feine ©Öfen in ber £>anb hat. 
Xa biefe bblfSmirtbfcb&ftlid)e Xhatfadje fo außerorbentltd) einfach unb 
plaufibel ift, fo ift bie .fpefttgfeit nicht recht gu berfteben, mit welch« 
bie „XimeS" gegen eine Derartige AuSlaffung eines b er & orrQ 9 c ubcn 
beutjeben belehrten polemifirt. ©cbeinbar ift bie „XimeS" auch nicht fo 
febr bureb bie feartmann'fcben Auffäpe felbft, als burd) ihren Siebet; 
abbrud in ber 9?orbbeutfcben Allgemeinen 3 e * tun 9 erregt. Senn fie 
bie Srage aufwirft, ob ©buarb b. §artmann biclleicht gu ben offieiöfen 
3eitungSfcbreibern wie S. ©ufeb gu gäblen fei, fo war id) bereits in ber 
Sage, in SHeuter’S „ginang=(5bronif" gu betonen, baß @b. b. ^artmann 
ein boüfommen unabhängiger Xenfer ift, unb waS er auSfpricbt, fei 
waS er felbft benft, nicht waS ihm bon Anberen infptrirt werbe. Aud 
ber Abbrud in ber „9?orbbeutfcben Allgemeinen 3*üuitg" brauche h^r 
in Gntglaitb nicht gu beunruhigen, ©ermutblid) betrachte man bon 
.’jpartmann'S Ausführungen in biefer Dichtung wohl nur als eine 
iptereffante 3utbot gu ben Argumenten für bie ©erntebrung ber beutfdicn 
giotte, mtb ficberlid) ftebe cS außer 3 lü eifel, baß in ber Silhclnt 
©traße in ©erlin feine ©läne gegen bie Unabbangigfeit beS fleinen 
befreunbeten 9fad)barftaateS gefebmiebet werben. 

3fcb fürdjte freilich, baß bie beutfeben ©pmpatbieen für bie ©urm 
hier in ©nglanb mit einer ftarfen antibeutfeben ©ewegung werben bf» 
antwortet werben, unb baß auf biefe Seife bie griiebte ber politißben 
Annäherung gwifchen beiben Säubern für bie ©egiebungen gwifchen Soll 
unb ©olf wieber berloren geben werben. @‘S fcheint mir, baß ber füt^ 
afrifanifebe frieg bureb baS ©orgeben beS Sorb Roberts nunmehr in 
ber Xbat eine entfdieibenbe Senbung erhalten bot, unb ber gettpuoft, 
wo er fein önbe erreichen wirb, tritt in berechenbare gerne. (SS wäre 
gu beflögen, im Sntereffe fo bieler £>anbeISbertnüpfungen, welche gwifcöcn 
Xeutfcblanb unb ©nglanb befielen, wenn eine tiefgebenbe ©erftimmung 
gwifchen ben beiben ©ölfern baS ©eblußergebniß biefeS jübafrifanifeben 
Krieges werben füllte, ©o weit ich weiß, bot bie „XimeS" feit Sängern 
biefen felben ©tanbpunft für bie beuifcb-englifcben ©egiebungen bertreten. 
3<b glaube faum, baß btefem 3'de wefentlicb gebient wirb bureb eine 
berartige (Srregung, wie fie bie „XirneS" in ihrem Seitartifel gegen bie 
AuSlaffung eines pvibaten beutfeben (gelehrten, wie (Sbuarb b. ^>artmann, 
geigt. XaS ofßcieüe Xeutfcblaitb bot ^nglanb freie £mnb in ©übafrifa 
gelaffen, unb (Snglanb banft baS Ausbleiben großer europäifcher (£om= 
plicationen im ©urenfriege fid)erlicb in erfter Sinie biefer wohlwollcnben 
©olitif XeutfcblanbS. @S wirb aber bie öffentliche Meinung (SnglanbS 
ficberlicb boeb Xeutfcben nicht berargen bürfeit, wenn fie ibrerfeitS 
Erwägungen über bie Erunblagen ihres eigenen bolfSwirtbfcbaftlid)« 1 
©ÜftemS auf bem Kontinent anftetten. 3d) glaube nicht, baß bie gu= 
funft XeutfcblanbS auSfd)ließlicb über ©ee liegt, ja nicht einmal, baß 
fie in erfter Sinie bort liegt. Unfere wefentlichften 3 nt ereffen liegen 
immer noch unb werben für baS gange gwangigfle Sabrbunhert ÖDl; 
pebntlich auf bem Kontinent bon Europa liegen. Senn X)eutfd)lanb 
Englanb in ber ©efolgung feiner überfeeifeben ©läne nlrgenbS in ben 
Seg tritt, fonbem rüdenbedenb gur ©eite ftebt, fo tarn Xeutfdjfanb 
in gleicher Seife bon Englanb erwarten, in ber Entwidelung feiner 
contiuentalen I^ntcreffen unbehelligt gu bleiben, folange eS nicht bagu 
übergebt, an internationalen 9fecbten unb ©ertrügen gu rütteln. 

§odjadjtuitgSboIl 

Soitbon, 16. gebruar 1900. Dr. Carl peters. 

■»- - * 


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Nr. 8. 


Die (Begcnroart 


127 


$to%n. 

9Wufif*2ejif on. SSon ^ugo Niemauit. (ßeip^ig, Wa£ ^effe'S 
Berlag.) $)a$ ausgezeichnete Sßerl, baS 1882 $um erften Wal erfcpien 
unb nun fcpon in 5. Auflage borliegt, ift ju einem wapren BrobartiFel 
beS beutfcpen BucppanbelS geworben. Unb mit Necpt, benn Berfaffer 
unb Berleger loffen eS ftch angelegen fein, bei jeber neuen Auflage 
immer neue Berbefferungen anzubringen. 3 U b*tn etwas größeren 
gortnat, bem guten holzfreien Rapier, bem fcparfen, niept fleinen 
3)rucf unb bem auf über 1200 ©eiten angemacpfenen Seft treten bie 
inneren Borzüge einer forgfältigen Nebaction, gortfüprung ber Zünftler- 
biograjrtjien bis in bie jüngfte ©egenwart, Bereicherung mit tpeoretifcpen 
Arttfeln auf ber #öfje ber gütigen mufifwiffenfcpaftlichen ©rfenntniß :c. 
Wan fann ja barüber ftretten, ob ber Berfaffer ftd) in einem foldjen 
rein informirenben Nacpfcplagebucp nicht beffer aller KritiF enthielte, 
aber mir Riehen hoch einem folgen farblofen Namen- unb ©achregifter 
biefe djaratter* aber babei hoch .maßvolle Barteinahme vor. ©in fo 
ausgezeichneter WuftfFenner tote Ntemann hat ein Necpt, feinen perfön= 
liehen ©tanbpunft in ftrittigen gragen $u betonen unb gehört zu werben. 
SBer mit bem ©tanbpunft beS BetfafferS nicht etnverftanben ift, Fann 
biefe wenigen polemifcpen ©teilen ja überfragen, benn fie änbern nichts 
an bem objectipen unb wiffenfcpaftlicben ASertp beS BucpeS, in bem eine 
gemiffenhafte Niefenarbeit fteeft. Kein SBunber, baß auch bie englifche 
unb frangöfifche Ausgabe einen groben ©rfolg hatte. 9Bie baS viel^ 
feitige, zunerläffige unb praftifepe Buch fich fcpon in bert ©änben aller 
beutfcpen Wuftfer unb Wufiffreunbe befmbet, fo wirb eS balb auch ber 
internationalen Wufifwelt unentbehrlich fein. Sie gebunbene Ausgabe 
Zeichnet fich burep foltben ©efepmaef auS. 

Aegpptifcpe ©tubien unb BerwanbteS non ©eorg ©berS. Qu 
feinem AnbenFen gefammelt. (Stuttgart, Seutfche BerlagSanftaft.) 3m 
Aufträge ber gamilie ©berS hat beffen greunb unb Nachfolger auf bem 
Seidiger Seprftuple ber Aegpptologie, ©eorg Steittborff, bie Aufgabe 
übernommen, auS ber großen 3apl mannigfaltiger, tpeilS längerer, tpeilS 
fürzerer Abpanblungen bie bemerFenSwertheften auSzuwäplen. ©berS hat 
bie fepöne ©abe befeffen, bie ©tubien, bie er felbft am ArbeitSttfcpe, in 
ber Bibltotpef ober in Nuhtenftätten gemacht, ober bie ©rgebniffe, welcpe 
bie wiffenfcpaftlicpe SpätigFeit ber gachgenoffen gezeitigt, in grünblidjer, 
aber auch Flarer unb anmuthiger gorm einem weiteren Greife ber ©e= 
bilbeten vorzufüpren. 3mmer fanb er babei ben A3eg, feine gorfd)tingen 
auS ben engen ©renzen ber ©pectalwiffenfdjaft. hinaus mit anberen ©e= 
bieten ber AltertpumSFunbe unb ber allgemeinen ©ulturgefcpidjte in S8er= 
binbung zu fefcen. Sie veröffentlichten Aujfäpe befchäftigen fiep mit mich- 
tigen ägpptifcpen gunben nnb Ausgrabungen, mit gragen ber ägpptifcpen 
ober ber allgemeinen ©ulturgefchichte, mit SBerlen ber altägpptifcpen 2ite- 
ratur ober mit ©cpilberungen aus bem neuen Aegppten, beffen ©ntwide^ 
lung er mit befonberem ©ifer unb größter Shetlnapme verfolgte; bapin= 
gefchiebenen gachgenoffen, fotoie bem Anbenten an ben ©pebiw 3§mail 
ift eine SReihe Biographien getoibntet. ©o werben biefe Sölätter neben 
feinen reinwiffenfchaftlichen SBerfen unb neben feinen poetifepen Scpilbes 
rungen gewiß bazu beitragen, fein Btlb zu ergänzen unb noep inter- 
ejfanter zu machen. 

SebenSerinnerungen von AgiteS SBallner, perauSgegeben 
Don hon 8 351 um. (Berlin, Otto ©ISner.) Sie SBittroe beS Speaters 
birectorS 2eibe8borf*3SallneT beginnt ihre Aufzeichnungen mit ber 3eit 
ihter Kinbpeit in 2elpzig, i^rcr ©rziehung im häufe Nobert BlumS, unb 
enbet fie mit bem Sobe ihreS ©atten 1876. SaS BMnertpeater hat 
ftch einft unter bem gemeinfamen ©treben beS Sßariner’fcpen ©hebaareS 
einen Nuf weit über bie ©renzen feiner SSaterftabt hinaus gefchaffen, 
unb war e$ granz SBaHner, ber, einem 8 u ge ber 3«it folgenb, bie 
berliner ^offe mit glüdtlichftem ©rfolge cultivirte, fo war eS AgneS 
SBaüner Vorbehalten, bem franzöftfehen ©onverfationS- unb ©ittenfiücte 
bie erfte Unterfunft in 5)eutfchlanb zu fchaffen. AgneS Sßallner war bie 
Schöpferin ber „©ameüenbame", mit welcher fie bie glänzenbften Jriuntbhe 


errang unb ihrem Namen für alle 3*iten einen feften ^lafc in ber 
Xheatergefchichte fieberte, ©in breiten Naum neben ben ©rinneruitgen 
ber bebeutenben J^ünftlerin beanfbruchen bie ©chilberungen beS SebenS 
ber Hausfrau unb Wutter. Auch materielle ©orgen aller Art quälten 
baS ©hebaar, Sutriguen unb Kabalen fbielten auch h ier t°i c tu jebem 
ßüuftlerlebeit eine gro^e Nolle, gehlen bem 33uche auch bie großen 
culturhiftorifchen Womente, fo ift eS hoch reich an ©chilberungen beS 
bamaligen XheaterlebenS, an bebeutenben Begegnungen. Wit Antheil 
Iafen wir bie ©chilberungen auS bem Nobert Blum’fchen .&aufe unb beS 
SSallner'fchen ©alonS in ber Bfumenftraße, wo bie Wühlbach, gürft 
Bücfler, bie Sewalb u. A. ein= unb auSgingen, befonberS aber baS auch 
hiftorifdj nicht unbebeulfame ©abitel über granz SöaHner'S Berwicfe= 
lung in ben ^voceß Arnim. ©twaS allzu bereit ift AgneS SBallner mit 
bem Borwurf ber älatfd)= unb Nänfefucht; einmal wirb er auch gegen 
©harlotte von .^agn erhoben, aber nachträglich z^tultd) ungefchidt als 
„$)ritdfehler* z ur ürf 9 e uommen. §anS Blum h^ ben Nothftift int 
Wanufcripte feiner greunbin noch viel auSgiebiger feines Amtes walten 
laffen fönnen. 

AuS beutfeher ©eele. ©in Buch BolfSlieber. - Bon Subrnig 
SacobowSli. (Winbeit, 3- ® BrunS). ©ine ganz ausgezeichnete An* 
thologie beS auch als golflorift bewährten SpriFerS unb NomanfdhriftfteüerS. 
©eit ben Xagen ^erber'S unb Arntin=Brentano , 8 fmb an öOO Bücher er* 
feßienen unb über 100 £>anbfd)riften Vorhanben, bie bie BolfSpoefte aller 
Provinzen, ©tänbe, ©tämme, ©täbte ?c. gefammelt unb aufgezeichnet haben. 
Aber bie A3iffcnfd)aft hat mehr Nufcen bavon gehabt, als bie Nation, wie 
3acobowS!i mit Ned)t hetDorhebt. ®a war eS jept an ber 3 C H| e tne 
Sammlung hevauSzugeben, bie, nach äfthetifchert ©eftchtSpunften ge= 
orbnet, auS bem SSuft unb Wirrwarr beS angehäuften SieberbergeS 
einen X^cil beS wirflid) SBerthvoHen unb herrlichen von Neuem bem 
beutfehen Bolle barbietet. SBaS ©oetlje vom alten „SBunberhorn" ge= 
münfeht hat, möge hier bei bem neuen in ©rfüüung gehen: „Bon Ned)tS= 
wegen füllte biefeS Büchlein in jebem häufe, wo frifche Wenfchcn wohnen, 
am genfter, unter'm Spiegel, ober wo fonft ©efang* unb Kochbücher zu 
liegen pflegen, z« finben fein, um aufgefdjlagen zu werben in jebem 
Augenblide ber Stimmung ober Unftimmung, wo man benn immer 
etwas ©leid)tönenbeS ober AnregenbeS fänbe, wenn man auch allenfalls 
baS Blatt ein paar Wal umfdjlagen müßte." 

Kaifers uitb KanzIer^Briefe. Briefwecßfel ztuifchen Kaifer 
Söilhelm I. unb gürft BiSntarcf. ©efammelt unb mit gefchicptlichen ©r= 
läuterungen verfehen von 3oh^- Benzler. (Seipzig, SBalther giebler.) 
hier wirb zum erfien Wate ber gefammte Briefmedjfel ztnifchen bem 
Kaifer unb feinem großen Kanzler Wiebergegeben. ®iefe Briefe bieten 
nicht nur ein gefdjichtlicheS ghtereffe, fonberit fmb Vor Allem auch Vom 
rein menfehlichen Stanbpunfte auS intereffant: als ein 3 eu gniß beS 
innigen unb fchönen BerhältniffeS ztuifcheu Kaifer unb Kanzler. Noch 
einmal zieht BiSntarcf'8 reiches politifcheS Seben an unS vorüber unb 
fehen wir Me ©rrieptung beS ^eutfepen NeicpeS Vor unS erftepen, z u 
ber Beibe, Kaifer unb Kanzler, fiep bie h&nb zunt Bunbe reichten. Unb 
niept nur baS amtliche Berpältniß beleuchten biefe Briefe, fie geben be= 
fonberS 3eugniß von ber treuen greunbfepaft, bie in guten unb böfen 
Sagen beibe Wänner für einanber pegten: leife ftieplt ftep auch in bie 
amtlichen Wittpeilungen eine perfönlicpe Note, ber Kaifer 3Silpelm I. ben 
ftärfften Nacpbrucf gab, als er auf baS ©ntlaffungSgefucp beS Kanzlers 
auS bem ©nbe ber 70er 3apre fein „Niemals!" feprieb. ©emeinfame 
Arbeit pat Kaifer unb Kanzler zufammengefüprt, unb auS ipr erwuchs 
— tro£ ber Berfcpiebenpeit ber ©paraftere — ein greunbfcpaftSbunb, 
ber auf gegenfettige 38ertpfcpäfeung unb Artung aufgebaut, erft mit bem 
Sobe beS alten KaiferS fein ©nbe erreichte. Noch oft pat BiSmard nach 
bem heimgange SBilpelm'S I. mit SSepmutp beS geliebten hemt gebaept, 
ber ipm alle 3 e ti ein gnäbtger Kaifer unb moplwollenber greunb ge= 
wefen. 3®ir legen baS Bucp von bem herzensguten unb banfbaren, aber 
auep cparaFterVoüen unb geiftig burcpauS bebeutenben gürften unb feinem 
gewaltigen Wttarbejter niept opne Nüprung auS ber hanb. 


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128 


Die <S>egenwart 


Nr. 8. 


Bei Bestellungen berufe man Jhfj auf bte 
„^egenroart". 


3m Verlage bon 3ntberg u. Ceffoit in 
Berlin ift erfdjtenen: 

$>e* 2>ovffd)ul$e. 

Komöbie in nier Elften 

t>ort 

ftatl »«*♦ 

SßreiS: elegant brofdjirt 2 2Rt. 

©on bemfelben ©erfaffer fhtb erfebtenen: 
BramaHfche t^umoresfen (©erlin, 3mberg 
u. ßeffon), brofd). 2 Nit. 3nbalt: Nietn 
Wann fc^reibt iragöbien. — 2Ber ift ber 
©erräther. — ©ubltluS unb feine ©erroanbten, 
^iftoricosJfomöbie. 

X>er Jntenbant in taufenb nötigen. 

©offe (©erltn, 3. ft. ©targarbt), brofef). 2 Nif. 
(Bomorrtfa’s (Ettbe. fiitterarifebe ßomöbte 
(Berlin, 3- Stargarbt), brofd). 1,50 Nif. 
(Ein fetter £ag. Sitterarifcbe ©offe (Berlin, 
3- '<&• ©targarM), brofdj. 2 Nif. 

2inno 3n?eitaufenb. ©offe (Stuttgart, Union 
5)eutfcbe ©erlagSgefeüfcbaft), brofeb. 2 Nit. 

Z>er $üxft t>oit Haiatea. ©offe (Stuttgart, 
Union 3)eutfd)e ©erlag&gefeflfcbaft), brofdj. 

2 m. 

$)te Oorftebenben Biltj'fcben £umore8fen 
bilben einen toefentlicben Öortfcbritt in ber 
Gmtroicflung ber beutfeben $omöbie, inbem fte 
in geroanbtefter ©pradje bie olelfacben fomifeben 
Nlottöe, melcbe unfre 3^it auf litterarifcbem, 
focialem unb politifdjem ©ebiete barbietet, 
glücflicb herwertben. 


ftfab. geb. Scbrififteffer, bi§b* publicift. 
(iiter. ffrltit) in Berlin fbätig, energ. geroiffeu- 
bafte ftrbeitöfraft, üorj. Spra^fenntniffe (fran= 
aöpjcb, engllfcb), *erf etter etenograpb, 
Ülaf<f)inenf4)reif>tr (#ammonb), fudjt nnt. 
ftefd). ftttfpr. in ffleDaftion, Xbeaterfefretartat, 
©e?L©ud)bMfl., litcrar. 3nfttt. jc. Stellung. 
Offert, an b. fefp. b. ©egenroart unt. A. 6. 


— ■■ TkftrlafiMhM • 

Technikum Jlmenaa I 

fftr IimUim- ui Ikktr«- 
l»yf Um .-TwfcBftM 1 i.-W«rk«*l»t#r.| 

| Director Jtatzem. 





im 


§unbert Original * ©u tagten 
d. greunb u. fretnb: ©jörnfon 
©tattbeS ©ücfcner SrlSpi 3)a$n 
Saubet ©gibb Montane ©rotlj 
$aedel £arttnann $epfe 5or= 
bau Stipfing fieoncaoallo Öin> 
bau Sombrofo SWtfdjtfäerSK 
Wigra Vorbau Oßibier fetten* 
lofer ©altSburp ©ienfietnica 
©imon ©pencer Spieltagen 
©tanlep ©toetfer ©trlnbberg 
©uttner Sötlbenbrud) ©emer 
8ola u. b. 8. 

©(eg. gef). 2 SRI. Dom berlag ber Gegenwart, 
©erlin W. 57. 


Urteil 
feilet 


„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“ 

Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitsersoheinnngsn. 
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürliohem Mineralwasser hergestellt und dadurch 
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre 
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von 8 / 4 1 75 Pf. in 
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr. Carbach A Cie. 


$ie ®egetttoart 1872-1892. 

Um unfer Saget jn rannten, bieten mir nnfetett Abonnenten eine gfinftige 
Gelegenheit jnt ©emoUftänbignng ber SoKection. So mrit bet Sorratb rettet, 
liefern mir bie Jahrgänge 1872—1892 & 6 SB. (ftott 18 8W.), Halbjahr!' 
88nbe k 3 SW. (ftatt 9 SW.). Gebunbene Jahrgänge k 8 SB. 

©erlag ber ©egeniuart in ©erlin W, 57. 


3n unferem Verlag tft erfd^ieneit: 


pi£ ©fgcnnmrt. 

für ettrrow. tmifl ss» H»«!lt<W 2rtn. 


erurrai-Prsiflrr 1872 —1896. 

(Shrftrr &i5 fünfetgfter ©and. 

mt Nachträgen 1897-99. ©eb- 5 Jt 
(Sin bibltograpbififteS 3Bcrf erften 
Nange« über ba§ gefammte öffentliche, 
aeiftige unb fünftlerifcbe Seben ber lebten 
25 3öb«- Nothtoenbige^ Nacbfcblagebud) 
für bie 2efer ber „©egenroart", fomie 
für mlffenfcbaftliibc k. ftrbeiten. Ueber 
10,000 ftrtifel, nach Sfäcbem, ©erfaffem, 
Scblagtoörtern georbnet. 3)ie ftutoren 
pfeitbcnt^ircr nnb ammpmrr ftrtrW fhtb 
burebroeg genannt. Unentbehrlich für 
jebe Sibtiotbef. 

ftueb bireft gegen ^ßoftamoeifung ober 
Nachnahme öom 

©erlag ber <®egetttoart. 

»erlitt W 57. 


ftttnatdis Hidifelgn. 

Vornan 

oon 

^eop^iC 

SW UolSanfgabe. ’WC 

$rei8 3 Ntort. Schön gebunben 4 5Narf. 

tiefer 33iSmarcf=Gaprioi = Noman, ber in 
wenigen S^b^n fünf ftarte ftuflagen erlebt, 
erfebetnt hier in einer um bie Hälfte billigeren 
$olf£au8gabe. 

2)urd) alle 53ud)hQwblungen ober gegen (Sin* 
fenbung beS ©etragS poftfreie 3 u fenbung tiom 

Utrlag der Gegenwart, 

»erlitt W. 57. 


Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift¬ 
stellers sind zu Gunsten der Hinterbliebenen 
folg. Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden- 

E reises in schönen, geb. Ex. zu verkaufen: 

rockhaue 1 Conversationslexikon. Neueste 
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände 
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei 
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬ 
gabe 30 M. — Hch. Kurz: Geschichte der 
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. t. 
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Büd- 
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder- 
bde. 50 M. — Lacroix, Les arts au Moyen- 
Age; Directoire Gonsul at Empire, 2 Lieb- 
hbde. 30 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬ 
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde. 
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner 
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl 
Text m. deutsch. Erklärungen v. Deiius, 
Hfb. 2 Bde. 15 M. — lllustr. Haushibel 
(Pfeilstücker) Lwbd. 10 M. — Bestellungen 
pr. Nachnahme durch Vermittlung de 
Expedition der „Gegenwart“ in 
Berlin W- 57. 


Pas J5eid)tten ttad) 

nnb 

anbere ^uitflfragen. 

Originale Gutachten hon 2lh. Htettjcl, Kein- 
(tolh ^öeftin, Ä. r. tPcrttcr, 

hinaus, Ul^he, Stucf, Sc^iUing, 
Shaper, (E. v. (Beh^arht, $txb. Kcßcr, 
tlcfr egget, (Bahrtet Blag, tZftoma, 
Ciehermamt, tDUtj. $it$ex, (Braf 

^arrad?, 2lTa£ ürufe, KniUe, Ceffer* 
Ury, QoepUx, pedtt, ^Kue^t, Ced^tet, 
3ü$et, parla^hh ntadenfen, Sfarhitta, 
Ceiftifair, Baulfe, ptinfe, Sta^L 

'greis biefer brei ^flnflfer - ^tnrnmerii bet 
„^egennÄrt« 1 3*. 50 gf. 

ftueb birect bon un$ gu beziehen nach ©rief* 
marf en s ©infenbung. 

Verlag ber (Begentrart, Berlin W. 57. 


Bestellungen auf die 

€inbanbbccfc 


zum 56. Bande der „Gegenwart“, sowie 

zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwei Bände 
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und vergoldeter 
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden in allen 
Buchhandlungen entgegengenommen. 


©terju eine Beilage bon <S. spierfott’O ©erlag, $rcSbcn. _ 

®erantttortlt$er Rebacteuc: Dr. X^eap^tl ßoHtng lit ©erltit. »Jfbaction unb ©jpfbttton: ©etltn W., SRanftetnfüatc 7. ©ruct Don $effe A ©trfer ta Sctfttfi' 


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M 9. 


■gSetrCut, ben 8. 1900. 


29. Jahrgang. 
Band 57. 


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SßMhenfdjrift für Siteratur, Kunft unb öffentliche# geben. 


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Snferatr lebet Ätt pro 5 gehaltene $ettt*etle 80 ©f. 


X)ie neue 2Baarenfoui$fteuet\ $on Otto Srci^errn Don 93oenigt (§dberftabt). — $3o8nien unter öfter re tc^tf d)er SSermdtung. 
92ad) eigenen ©inbrüdeit. Son ftr. ©untram ©djultfyeife. — Literatur uitD Äunft. 3 ur ©efd)ld)te ber djriftüdjen Religion. 
Ct C ri ® on ®^ uör ^ öün Hartmann. — ^ucrint unb feine neue Oper „XoSca". $>on (Stnü 9Rauerl)of (fRont). — Reform ber 
MDdLl * ©Übljaueret. ©on ©mil Don ©tjboto. — Feuilleton. X>er SRebner. ©on Anton Xfdjedjoro. — lud btx &öuj)tftabt. 

eine gi 0 jtenbebatte. ©rudjflürf einer 9teid}8tag3fi&m i ß* ©on Miles non gloriosus. — Xrantattfdj* Aufführungen. — 
Offene ©riefe unb Antworten: ©eorg JBüdjner unb feine ©rüber, ©on Alej Südjner, Professeur honoraire de l’Universite 
de Caen.-— Anzeigen. 


Die neue ttiaarenhausfleufr. 

Son ©tto Jreilfetrn pon Boenigf (§alberftai>t). 

®et (Entwurf eine# preußifdjen ©efeße#, betreffeub bic 
2 Baarenhau#fteuer, ift am 8 . Februar bem ?lbgeorbnetenhaufe 
pgegangen unb nad) ber erften Sefung foeben an eine 
ßommiffion uerwiefeit worben, tiefer Sntwurf, ber aller» 
bing# in Dielen fünften ein weit menfcßlidjerc# Steußere auf» 
toeift, al# bie ®?ißgebnrt Dom oorigen 3ah t '<', ift bod) eigent» 
l«b ber intereffantefte Sntwurf feit Sauren: benn jum erften 
Stole fdfeint bet Kampf be# Kleinbetriebe# gegen bie Uebet» 
rnacfjt be# ©roßbetriebe# ju greifbaren fRefultaten führen ju 
foüen unb ju einer gemiffeit ©anctionirung «on ©eiten bet 
preußifd)en ^Regierung. greilid) wirb bicfeS (ebenSrettenbe 
SßülDercßen in allerennb fdjöne grunbfäßlidje (Erwägungen 
wrfapfelt, — man fühlt bie Tragweite be# ©d)ritte#, ben 
man ju unternehmen im SBegriff, (ehr woht unb gefteht ihn 
l'ich feloft mit ängftlidjer ©d)eu nicht ein, — aber ba# hilft 
Mc# nicht#; bie S£h at fache liegt not: ber ©roßbetrieb fall 
ju ©unften be# Kleinbetriebe# befteuert werben! 

©eht wichtig hierbei ift bie auffaUenbe c Eh flt f ac h e > baß 
fottoljl bie SMerhöchfte (Ermächtigung jur (Einbringung be# 
Snttourf#, al# and) bie 3 u f ert ' 9 ung an ben Sanbtag, al# 
auch fd)ließlid) bie SBegtaubigung nur non ©eiten be# fjiitanj» 
minifter# unb be# Snnerenminifter# gezeichnet ift, nidht aud) 
non ©eiten be# 4 ?anbel#minifterS. bic# nicht gefchehcn 
ift, öerbient beachtet ju werben — e# djarafterifirt ben 3 tncrf 
ber Vorlage jur ©enüge; Wir fommett weiter unten barauf 
Zurüct. 

' ®er Inhalt be# (Entwurf# läßt fich furz, tnie folgt, z» s 
fammenfaffen: Sr bringt feine Qtefteuerung fämmtlidjer ©rofe» 
betriebe im Kleinhattbel, fonbern nur berjenigen, Welche ouf 
bem „®emifchtwaarenfh(tem" beruhen, b. h-, welche SBaaren 
flönj nerfchiebener Dfatur*) feilhalten, ©o bleiben 3 . SB. bie 
SonfectwnSfirmcn $erhog, ©erfon fteuerfrei, währenb bie 
5Sertheim, Slie^, ba fie bie nerfchiebenartigften ®inge feil» 
bieten, ber ©teuer unterliegen Würben. SDie ©teuer ift eine 
tfine „Umfaffteuer", wobei unter „Umfah" ber gefammte, 
für bie neräußerten SEBaaren erhielte 3ahre#crlö# angefehen 

*) S)*t Steuer foflen biejenigen Setriebe unterliegen, tn welchen 
«aoten au8 roentgftenS jroet ber folgenben ©nippen oerfaiijt werben: 
A. Qolontalioaaren unb Strogen. B. Jeptiliuaaren. C. 'Diöbel unb 
y<wigtt8tl)e. D. SujuS» unb ©portwaaren, Siidier ?t. Qm Entwurf 
|mt> bieje @tuppen naturgemäß genauer fpecialifirt. 


Werben foD. ©3 werben aber nur biejenigen SBetriebe non 
ihr erfaßt, weldhe einen llmfah non wenigften# 500 000 2)?f. 
ini 3 ah re aufweifen. ®ie ^töhe ber ©teuer beträgt je nach 
ber §öhe be# Umfafce# l*/ s — 2°/ 0 beffelben, jeboch niemal# 
mehr al# 20°/ 0 -be# Srtrage#. ©ie wirb nur infoweit er» 
hoben, al# fie bie erhobene ©ewerbefteuer iiberfteigt. SDer 
©teuerertrag fällt ben ©emeinben ju unb fotl jur gteid)» 
mäßigen fterabfe^ung ber ©ewerbefteuer in III. unb IV. (Eiaffe, 
atfo ber mittleren unb Meinen betriebe, fowie in jweiter 
ßinie jur SBeftreitung non ©emeinbebebtirfniffen benupt 
Werben. — ®ie non ber ©ewerbefteuer befreiten Streife, ein» 
getragenen (Sjpnoffenfchaften unb (Eorporationen werben and) 
non ber SEBaarenf)au#fteuer nicht berührt. 

®ie Sinfiihrung ber neuen ©teuer wirb in boppeltcr 
95Beife begrünbet unb jwor einerfeit# focialpolitifd) burd) bic 
SBcbrängitng be# Kleinhanbet# ©eiten# ber ©rofebetriebe, unb 
anbererfeit# finanjpolitifd) burdh bie SWothwenbigfeit, ben 
©taat nnb bie ©emeinben für bie ©teuerau#fällc ju cm» 
fchäbigeit, welche burd) bie SE?aarenf)änfer birect unb inbirect 
hernorgcbracht würben. ®ie Sapitalfraft unb bie ©röfee be# 
Umfa^e# ber ©rofebetriebe erntöglidje billigeren Sinfauf, 
größere Säger, reichere 91u#wahl, rafd>eren Umfah- ®aju 
nermöd)(en bie Sßaarenf)äufer ba# Sßrincip ber SBaarjahlung 
Durdjjufiihrcn, alfo 3’ n ^ ä uitb Sapitatnerlufte an ?lußen» 
flänbett ju nermeiben, fönnten fid) mit einem geringeren 
SRußen begnügen unb ihre ftäufer auch in höh cre " ©tagen 
au#niihcn. ©eien biefe Sßortljeile bem ©roßbetrieb überall 
eigen, fo fteigerten fie fich uod) bei ben ©cinifcht»SEBaaren» 
häufern be# SDetailhanbel#, unb beßhalb fei eine f)öh erc 
Seiftung#fähigfeit Oorhanben unb ber ©runb ju ftärferer 
©teuerbelaftung gegeben. SBei Heineren ©efchäften gebe e# 
oft gewiffe SRäume, weldjc fid) fcßletht für bie gerabe in SBe» 
tracht fommenbeSEBaarcngruppe eigneten, währenb ba# SEBaaren» 
hau# für alle Siäume wegen ber SRerfchiebenheit ber jum 
SRcrfauf geftellten SEBaaren entfpre^enbe SBcrwenbitttg habe, 
©ei in einet Sßaarengattung ber Sapitalumfah ju langfam, 
fo gelinge er um fo beffer in einer anbern u. f. w. ®a# 
©einifcht»SBaaren»@hftem fei bem ?lbfaß eben fehr bienlicf). 
SBcuit man annehme, baß ein Kleinhänbter bei einem Sahre#» 
umfaß non 80,000 ÜJ?f. fein SBrob finbe, fo oermöge ein 
einjige# SESaarenhau# 3 ÜJEiHionen SD?f. Umfaß h un ^ ert f°f<h e 
Kleinbetriebe ju ocrnichten, währenb e# eine weitere 2tnjahl jur 
SBerfümmerung oerurtheile. ©0 werbe bie ©teuerlraft ber 
SlWittel unb Kleinbetriebe ftarf beeinträchtigt, ohne baß bic 



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W 1 " 1 


130 


Ute ©egenroart. 


Nr. 9. 


SBaarenßäufcr Grfoß (töten, bei ißr Grtrog nid>t im Serßnlt» 
niß p ißrem Umfaß fteße unb fie borf) on bie Seranftalt*» 
migen ber ©emcinbe große 9(nfprtiße ftelltcn. 

Tiefe beiben als Porliegenb anperfennenben dRißoerßält» 
niffe befeitigen, int Sntereffe ber allgemeinen ©ereßtigfeit 
unb Sidigfeit einen entfpreßenben 9luögleiß ju fßaffen, fei 
ber 3 we< i beS ©efeßeS. TieS ßcibc baßer feineSmegS eine 
„GrbroffelungSfteuer" im üluge, tttaö übrigen^ ber 3‘tftänbig» 
feit ein*e(ftaatlißer ®efeßcie6ung nißt unterliege, unb bem 
berechtigten Sntereffe ber Gonfnmenten, möglißft billig ißre 
Scbürfniffe *u befriebigen, miberfpreßen mürbe. Sine ratio« 
neHe Steuerpolitik ßabe lebiglicf) bie Aufgabe, ade Setriebe 
im Serßäftniß ißret SeiftungSfäßigfeit unb ißreS SntercffcS 
an ben Seranftaftungen ber ©emeinben p belüften. 

©o meit ber Gntmurf unb feine Seqriinbung. TaS neue 
©efeß ßat hiernach auSgefproßcnermaßen nicht ben ßmeef, 
ben Tetaidiften gegenüber ber Goncurreit* beS ÜBaarenßaufeS 
p fßüßen. ©3 ßat nur bie OluSglcidjung in fteuerlidjer 
£inficßt im ?fuge, ba baS UBaarenßauS erßößte Sortßcile ge» 
nießt, alfo auß erßößte Selaftuitg tragen fann. Taß bie 
fterbeifüßrung biefer 9(nSglcißung inbirect bie Soncurren*» 
fäßigfeit ber SBaarcnßäufer p ©unften beS Kleinbetriebes p 
fßmäßen geeignet ift, ift eigentlich ctmaS meßr 3»fädigeS, 
jebenfads nicht in ber ?lbfißt ber (Regierung (iegenbeS. San 
biefer Ißatfacße, bie für beri Snßaber e i ne § Mittel» ober 
Kleinbetriebes aderbingS fd)mer*lidj fein mag, muß man auS» 
geßen, um p einer richtigen SBürbigung beS GntmurfeS p 
gelangen. Taß fie nnbeftreitbar feftfießt, bemeift adeiit fd)ou 
baS oben angebeutete geßlen ber Unterfßrift beS föattbels» 
minifterS. Tiefes fteßlen fod beutlicß bocumentiren, baß mir 
eS ßier mit einer ?(ngelcgenßeit p tßun ßaben, mit me(d)er 
ber (panbel nichts p tßun ßat. @o ift eS erflärlid), baß 
bicfeS ®efeß nid)t ben £>anbelSfammern pr Segittaßtung 
Porgelegt mürbe, mie ber üorjäßrige Gntmurf. Tie folgenben 
9lnfüßrungen mögen ermeifen, mie ungerechtfertigt eine folße 
fcaftung ift: eine befferc (Begutachtung ßätte bie Ulnffteduug 
oon Seßauptuugen nach 9lrt ber in folgenben feilen mieber» 
gegebenen unmöglid) gemadjt. Tic £)anbelSfammern mürben 
jebenfads, mentt fie befragt morben mären, ben Serfaffer beS 
neuen GntmurfS eines Sefferen beleßrt ßaben. 

Steifer mirb man bie Grflätung ber (Regierung p be= 
adjten ßaben, baß bie ©teuer feineSmegS ben ©roßbetrieb 
als folcßen treffen fode, fonbern nur ben ®roßbetrieb im 
„®emifßt»(E3aaren»@pftem", meit nur biefeS unOerßältniß* 
mäßige Sortßeile mit fid) bringe unb nur gegen bieS bie 
Agitation ber Kleinbetriebe fich richte. SBir beftreiten bieS. 
Unb mie mir feßon gegenüber bem Porigen Gntmurf betonten, 
baß bie Serfcßiebenartigfeit ber in einem SEBaarcnßaufe ge» 
ftißrten SBaaren ein Kriterium für bie ©teuerpfließt nicht 
bilben bürfe, fo müffen mir audj jeßt barauf ßinmeifen, baß 
ber ©roßbetrieb im Tetailßanbel ben Kleinbetrieb, fcßäbigt, 
gleicßgiltig, ob er Perfcßiebenartige SBaaren feilßält ober nur 
eine 9lrt. SBir roiffen auS bem Sc*irf ber JpanbelSfammer 
p ^alberftabt, baß bortige SRanufacturiften ebenfo über bie 
Goncurten* Pon £>erßog flogen, als übet bie Pon Sßertßeim. 
SBir glauben ferner nießt, baß bie Sortßeile, melcße ein 
SBaarenßauS mit bem ©emifßt»2Baaren«©ßftem genießt, fid) 
pon benen mefentlicß unterfdjeiben, melcßer fieß ein großes 
Special»£>anS erfreut. Tie Unterfcßiebe finb für beibe fo 
gering, baß fie irreleoant finb: benn ber (pauptoortßeil beS 
©emifßt»28aaren»@ßftemS, ber 9luSgfeiß jmifdjen ben Gr» 
trägen unb Sertuften ber Perfcßiebenen SSaarenforten, trifft 
für jebcS @pccial=tpauS gleichfalls in gemiffern Umfange ju. 
©o merben *. ®. bie ÜRcßreinnaßmen in ©eibe bei ^)erßog 
beit SluSfad in ©ammet beefen müffen, bie Sßerlufte in bunten 
Stoffen bie ®eminne in feßmarjen auSgleicßen tc. GS liegt 
alfo fein ®runb Por, bie ©teuer auf ®emifcßt»3Baaren»©etriebe 
p befdjränfen, man mirb fie entmeber aden ®roßbetrieben 
int Tetailßanbel, ober gar feinen anferlcgen müffen. 


TaS ift eS aber gerabe, maS bie (Regierung perßonelcin. 
„Giue berartige SluSbcßnung ber Umfaßfteuer," foßeißtesin 
ber Segriinbung, „mürbe (ebiglicß in ber ®röße beS Setnete 
ißre Segriinbung fueßen fönnen. SBäre aber einmal bie ©roßt 
beS (Betriebes als ßiitreidjenber ®runb für eine ©onber 
befteuerung anerfannt, fo mürbe eS auf bie Tauet nießt mög 
ließ fein, hiermit bei ben KleinßanbctS»93etrieben fpalt ju macbcri 
GS mürbe an ftißßaltigen ®rünben feßlen, maS man ben 
fleineren ^)anbe(Streibe«ben gemäßrt ßätte, ben fleineren 5n> 
buftrieden, ^anbmerferit, ©anfierS, feßließließ andß ben deinen 
Sanbmirtßen p oerfageit. Tie 3°ftl e ^^re ba§ Serlanp 
nad) gleichen 9Raßnaßmen gegen bie ®roßinbuftrie, bie großen 
Saufen unb ben großen ®runbbcfiß." TaS ift feßr ridjtig 
— aber, fo fragt man fid) oergebenS, mo bleibt ßier bie preufjiidK 
Gonfequen*? SBaS bem Ginen red)t ift, ift bem Slnbera 
billig, ©roßbetrieb ift ©roßbetrieb: eS feßeint, als ßätte 
mau mit Pieter ÜRiiße naß einem ©eßleier gefußt, ben man 
bem bebenfließen erften Ser fuß einer Sefteuerung. beS ©roß- 
betriebS Porftecft, um ißn unfenntliß p maßen. 

3eigen biefe Setraßtungen fßon, baß ber Gntmurf nießt 
auf bem reßten SBege ift, ioenn er bie befproßenen- Unter 
fßiebe auSpgleidjen beabfißtigt, fo mirb bieS noß oiel beut» 
lißer, menn man bebenft, baß er nur folße SBarenßäuie 
befteuern mid, meld)e einen Umfaß oon meßr als einer ßalkn 
SRidion 3Rarf jäßrliß oufmeifen. ©ßmerliß mürbe man 
einen fßlagenberen SemeiS für bie Tßatfaßc finben, baß ber 
grüne Tifeß, an melßem biefer Gntmurf entftanb, in ©erlin, 
in einer ®roßftabt geftanben ßat. SBenn er auß nur für 
fur*e 3eit fiß oon ber ©onne unferer SßroPinjialftäbte ßätte 
befßeinen (affen, fo mürbe er jenem Gntmurf fißerlicß nießt 
jur Gntfteßung Oerßolfcn ßaben. Sn Serlin freiliß gehören 
*u einem SBaarenßaufe 9Ridionen»Umfäße, mir befßeiknen 
Srooin*ia(ett begnügen unS aber mit meit geringeren ©umntm 
Sn unferen ©täbten finben fiß SBaarenßäufer — felbft unter 
biefem ßoßtöitenben (Rameit — medße gleißfadS baS 6c» 
mifd)t»SBaren»©ßftem aufmeifen, gteid)fads bie oben ffiyirim 
Sortßeile beS Tetail»®roßbetricbS beutliß erfennen laffen unb 
gleißfadS in bebouerlißfter Steife ben Kleinbetrieben bal 
färgliße Beben rcd)t fßmer maßen — aber Pon einer halben 
dRidion SRarf Umfaß ift feine (Rebe, ©öden nur bie 
Tetailßänbfer ber großen ©täbte bie ®enugtßuung ßaben. 
baß ißre ©roßconcurrenj p entfpreßenben Saften heran- 
gezogen unb ißnen in ber III. unb IV. ®emerbeftcuer< 
claffe etmaS abgelaffeti mirb — füllen mir armen Ufinger 
u. f. m. garnißtS abfriegen? GS ift bie Seßauptung in ber 
Segriinbung *um ©efeßentmurf nißt rißtig, baß -bei einem 
niedrigeren Umfaß als 500,000 SRarf Pon einem ©roßbe» 
triebe moßl nießt bie (Rebe fein fönne. Sa, in Serlin gemiß 
nißt, aber bei unS feßr moßl. „®roßbetrieb" ift eben ein 
relatioer Segriff. (Roß fürßidß entfßieb ber |>anbelSminijter. 
baß er Seftimmungcn über bie ®ren*e beS „Kleingemerkt’ 1 ', 
mie fie bei ben Gintragungen in’S fpnnbelSrcgifter ßätten 
©runbe gelegt merben fönnen, nißt erlaffen merbe, jebenfads 
meit er ber 9(nfißt mar, baß in ben Perfßiebenen ©egenben, 
in ben ©roß» unb Kleinftäbten unferer dRonarßie, anbere 
©runbfäße gelten müßten, eine Tefinition beS Kleinbetrieb« 
alfo nißt angängig fei. TaS ßätten fiß bie Serfaffer unferci- 
GntrourfcS gefagt fein laffen foden. ©erabeju läßerlicß et» 
fßeint für unS ber folgenbe ©aß ber Segrünbung: „ßßet 
fönnte ber 3meifcl berechtigt erfßeinen, ob bie ©ren*e »o» 
500,000 SRarf nißt p niebrig gezogen ift. Snbeß ift ju be« 
riidfid)tigen, baß baS ©efeß für alle, auß bie ffeinen @e» 
meinben beS SanbeS beftimmt ift, unb in folßen aderbinge 
fßon ein Setrieb mit einem Umfaß Pon 500,000 SRarl bie 
Gfiften* ber übrigen Kleinßänbler ernftliß gefäßrbet. @obann 
aber mürbe ein Gingreifen ber ©teuer erft bei einem erbeb» 
lid) ßößeren Umfaße bie meiften ber auß in größeren ©täbten 
befonberS gefährlichen fogenannten (Ramfßbapre Perfcßoneii “ 
GS flingt mie fpßn, # menn uns ßier gefagt mirb, baß kr 




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Nr. 9. 


Die ©egenmttrt. 


131 


©ntwurf, tnetcfjer nur für 53etrie6e Don mcßr als SWillioit 
2Warf in Betradjt fommt, „für Alle, auch bie ffeinen ©e* 
meinben" beftimmt ift! 3m Dorigen 3afjre finb ber Begierung 
fcßon bie ©eficßtspunfte, bie ich ß* er Dertrete, üerfcßiebetitlicß 
bargeiegt worben; fie ift barauf tjingewiefen worben, eS möchte 
j na cf) bet ©röße ber Stabt bie ©teuerßflicßt oon einem 
beftimmten aögeftuften Umfaß abhängig gemacht werben. 
9Ban f>at aber nichts babon wiffen wollen. 

3» ber oorliegenben gorrn fann ber ©ntwurf beftimmt 
nid)t jum ©efeß Werben, unb wenn audj ber BeidjStag in 
ben lebten 3aßren uielfacß glidarbeit oerricßiet tjat, bie oon 
recht fraglichem SBertß in ber SßrajiS war, fo wirb er bocß 
nicht foldje Beftimmungeit genehmigen. 3 u nädjft wirb er eS 
nicht gefd)eßen laffen, bafj ber ©tanbpunft ber Begierung, 
als habe bie innere .fpanbelöpolitif unb ber $anbe(Sminifter 
nichts mit ber ©ad)e jn thun, aufrecht erhalten wirb. Kein 
Bfenfcß hätte an bie neue ©teuer gebacht. Wäre nicht auS ben 
Leihen bet Kleinßänblet ber Buf nacf) einem ©cßuß taut ge» 
worben. Die ganze Bewegung in biefen Greifen, eine Umfaß* 
fteuer für ©roßbetriebe im Detailßanbel einzufüßren, ging 
oon ber Anficßt aus, baß bie neue ©teuer auöbrüdlid) bem 
K(ein*Detail*£)anbel in bem Kampfe ber ungleichen ©egner 
eine wirffame §ilfe bieten foüte. 2Bäte man früher mit ber 
Behauptung fjertwrgetreten, baß hier nichts weiter als eine 
finan-tpolitifdje SBaßregel geplant ift, unb baß ber Klein* 
betrieb int Detailßanbel, ber faufmännifdje SRittelftanb, hierbei 
tut bie Bolle beffen fpielen füllte, ber bie Kaftanien auS bem 
ifeuer holt unb bie wiQfommene Anregung bietet, bie be» 
fannte ©tenerfdjraube noch , fefter anju^iehen, hätte man 
ftfjwerltdj mit foldjer Beßarrlicßfeit an bem projeft ber SBaaren* 
ßauSfteuer feftgeßalten. Bun foll plößlidj ber ^»anbelSminifter 
nicht juftänbig fein. SEBatuin biefe Aenberung in ber Regier» 
ungStaftif? Bei bem ©ntwurf Dom Borjahre war hoch ber 
fjanbelSminifter fehr ftar! betheiligt. 'Die Begrünbung pm 
Entwurf ftetit feft, baS 2 °/ 0 beS UmfaßeS baS <pöd)fte wäre, 
WaS man, ohne bie ©jiftenz* ber SSaarenßäufer, bie wirtß* 
fchaftlich wichtig feien, p gefährbcn, an ©teuer erheben fönne. 
@8 ift flar, baß ein 3 u fcßlag bon 2 Pfennigen p jeber 
2J?arf bie Sßaarenßäufer nicht fehr irritiren wirb! — ferner 
wirb ber Reichstag hoffentlich feine 3uftimmung nur ertßeilen, 
wenn bie Berhältniffe ber proüinzialftäbte in üerminftiger 
SBeife Berüdficßtigung gefunben haben werben, bamit wir im 
Sanbe nicht p Staatsbürgern jweiter filaffe^gemacht Werben. 
Unb fcßließlidj brittenS wirb man bie BcicßStagSabgeorbneten 
barüber informieren mfiffen, baß baS ©emifd)t»2Baaren»©t)ftem 
nicht „baS Karnidel" ift, fonbern flipp unb ftar ber ©roß» 
betrieb, in welcher ©eftalt er auch auftreten möge. 

Den Kleinbetrieben mag aber biefer ©ntwurf bie wichtige 
Sehre geben, baß fie t>on einer SBaarenßauSfteuer nichts ju 
hoffen haben, eS fei benn, baß fie tßatfädjlidj p einer @r» 
broffelungSfteuer geftattet Werbe. DaS aber wirb nicht ge» 
fdjeßen unb barf auch nidjt gefchehen. Der Kleinfjanbel muß 
ehrlich borgehen unb feine geinbc mit offenem Bifier be» 
tämpfen. Dann aber wirb er finbcn, baß bie ©teuer eine 
tüdifche, eine ßämifdjc SBaffe ift unb wirb in 3ufunft lieber 
bie flare, ihren ßtoed fofort feindlich madjenbe gorberung 
ftellen: ber ©roßbctricb im Detailhanbel ift p oerbieten. 
— Stuf eine anbere SSeife ift bie grage nun einmal nicht p 
löfen. Ob man freilich fid) entfließen Wirb, biefe unge» 
fcßminfte gorberung freunblidj aufzunehmen, ift eine anbere 
Sache. Borerft getraut man fid) noch nidjt, bem ©ebanfen 
einer Befämpfung ber auf allen»©ebieten pm ©roßbetrieb 
brängenben Kräfte näd)pgeben. SRanlmödjte par gern bie 
neue ©teuer nehmen, aber man fürchtet fid) ficßtlidj oot ben 
ßonfequcnjen. 


Dosmeii unter ö(terretd)ifd)er Dertualtuucj. 

9)ad) eigenen Sinbrücfe». 

Son d r - cSuntram Schultheiß. 

3m ©turmfcßritt holt Bosniens ©egenwart bie Ber* 
fäumniffe ber 3afjrljunberte türfifdjer |>errfchaft nad). SßaS 
feit ber öfterreidjifdjen Befe^ung in zwanzig 3ahren auf bem 
©ebict ber Sultur gefchaffcn unb angebahnt worben ift, uoit 
ber SanbeSregierung unb ber Bfilitärtoerwaltung, baS hat in 
ber ©otonialgefchirhte aller Bölfer nicht feines ©(eichen. 3eber 
Befudjer beS SanbeS, gleid)öiel weldjer Nationalität ober poli* 
tifen Stellung fann bafür nur unbebingte 3lnerfennung 
empfinben. (Sifenbaljnett in bet ?luSbehnung tooit über 60Ö 
Kilometern (abgefehen oon ber älteren normalfpurigen Doberlin* 
Baitjalufa) oerbinben bie größeren ^ßläße. 2Senn aud) bei 
befeßränften SRitteln bie SanbeSregierung auS ber SRoth eine 
Dugenb ma^jenb nur ©chmalfpurbahnen baute, fo bebeuten 
biefe boch einen gewaltigen B r äd)tige Straßen 

burdj^iehen bie einfamften ©egenben. Die (Sicherheit beS 
SanbeS ift, banf einer üortrefflidjen Sanbjägerlruppe größer, 
als in Oielen längft cultioirten — nach altrömifchem, h«t 
ptreffenbem ?luSbrud — pacificirten ©ebieten (SuropaS. 
Bfoberne (Srrungenfchaften, wie SBafferleitung, cleftrifdje Be« 
leud)tung u. ?l. befißt uicf)t nur bie .‘pauptftabt, auch Heinere 
©täbte hoben baS eine ober anbere mit anerfennenSwerthem 
©ifer fid) beigelegt. Das KranfenljanS, baS SanbeSmufeum 
in ©erajewo finb SRufteranftalten. 2luf bent ©ebiete beS 
©djulWefenS war oorher fo Diel wie nichts gefchehen; heute 
giebt eS zahlreiche BolfSfchulen, eine ?lderbaufd)ulc in 3libfche, 
2Beinbau*9Wufterftationen in 2Roftar unb Saftoa (^erzego* 
wina), Kunftfd)ulen in ©erajewo, 3olf^ a un b Siono. ©inen 
wunberlichen ©inbrud macht eS auf beit Deutfchen, bie @l)m* 
nafiaften SerajeWoS mit gej unb Sßumphofett, bie .Büdjer 
unter bem Slrm jur Schule wanbeln ju fehen; beutfd) fdjeinen 
fie nicht Diel p lernen; eine lange Beiße foldjer 3üng(inge 
wußte wenigftenS auf eine beutfdje ^rage feine ?(nt wort ju 
geben. Ober Wollten fie üieHcicf)t nid)t? 

Die materielle ©ultur ift in regem f?ortfdjreiten be* 
griffen. Die Dabafoerarbeitung ift felbftoerftänblidj in ftaat* 
lidjem Betrieb, mufterljaft aud) in ber hhgieuifd)cn Borforge 
für bie Slrbeiter. SHIenthalben erheben fid) inbuftrieüe 9(n* 
lagen pt Ausbeutung beS natürlichen BeicßthumS beS SanbeS. 
DaS Beifpiet ber ©ingewanberten h at auch fdjon auf bie 
©ingeborenen gewirft. : Beweis finb bie großen SBeinfeHereien 
oon SeHatfdjitfch bei Btoftar. 

AuS Büdficßt auf bie Abgefcßloffenßeit ber mußameba* 
nifeßen grauen, ba ber ©intritt eines ArjteS in ben patent 
ganj auSgefcßloffen ift, ßat bie SanbeSregierung oorurtßeilS* 
frei feßon z'oei BezirfSärztinnen angefteÜt, in SBoftar unb 
Dolnji Dujla. DaS Bertrauen ber mußamebanifd)en Be* 
OÖlferung zu bereit Dücßtigfeit foll in erfreulichem SRaaße 
waeßfen, fo baß weitere Aufteilungen oon Aerjtinnen fießer 
halb erfolgen werben. 

Die weitauSgreifenbe Dßätigfeit ber SanbeSregierung 
wirb in Oefterreicß oon flaüifcßen Parteigängern häufig genug 
als „©ermanifation" bezeichnet unb bcßßaib getabelt. Der 
bafür oerantwortlicße gemeinfame ginanzniinifter Benjamin 
oon Kallat), ein BerwaltungStalent, wie eS bie öfterreicßifdj* 
ungarifdie SBonarcßie bisher noch faum befeffen ßat, hatte 
leichtes ©piel, zur ©ntfräftuug beS BorwurfS barauf hinzu* 
weifen, baß bie Beamten faft burcßauS froatifeßer ober fonft 
flaoifißer Bationalität finb unb fein müffen wegen beS Ber* 
feßrS mit ber nurber'flaoifdjen SanbeSfpracße mächtigen Be» 
OÖlferung; eS wäre bodj auSgefcßloffen mit flaüifcßen Be* 
amten „germanifiren" z u WoÖen. SBenn man mit bem in 
Defterreid) unb Ungarn Diel mißbrauchten ©cfjlagwort ber 
©ennanifirung bet Begierung bie Abficßt zufdjreiben will, 
nicht »beutfdje Beoölferungen ißrer ©praeße unb Bationalität 
Zu entfleiben, fo ift bie ©ntwidelung ber Berhältniffe feit 


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132 


Die Gegenwart. 


Nr. 9. 


bem testen SRenfdjenalter ©egenbeweis gerabe genug för jcben 
Urteilsfähigen. Unb felbft bie Söünfdje unb Berfudje in 
bcn fündiger Sohren unfere« Sa^r^unbettö, ebenfo wie bie 
Anläufe Sofeph’8 II. üon 1780 an, befchränften fic^ barauf, 
bie Kenntnifj ber beutfchen Sprache ju Oerbreitern, um bie 
Schwierigleiten ber ©entrafregierung ju oerminbern, — an 
bie S'iöglichfeit einer burcfjgreifenben Berbeutfdjung ber oiel* 
fpradjigcn Beoölferung in abfehbarer ßeit glaubten bie 93er» 
tretet ber ©efammtftaatsibee fo wenig al« bie ©egner. 

©ermanifirt im eigentlichen Sinne wirb alfo in Bosnien 
gegenwärtig nicht. SBohl ober hat bie beutfdje Sprache hier, 
wie immer felbftoerftänblidj bie Herzegowina Kürze halber 
mit inbegriffen, feit bet Befe|ung 93oben gewonnen unb @r* 
oberungen gemalt, fo baß man immerhin mit einigem Siecht 
üon ©ermanifation ober bodj üon 9tnfäj}en baju fprechen 
fann. Um ba« Berftänbniß bafür ju gewinnen, mfiffen wir 
etwa« weiter au«holen. 

Die ©efammtftaatsibee ber fünfziger Safjre war feine 
neue wittfüriiche ©rfinbung ber Sieaction gegen bie reoolu* 
tionären Bewegungen Ungarn« u.f.w.; fie war unb ift oiel* 
mehr bie logifdje Gonfequenj ber gefchichtlichpolitifdjen ©nt* 
widelung ber IjabSburgifchen SRonardjie au« einer jufammen* 
geheirateten unb jufammeneroberten — fo Ungarn Oon ben 
dürfen — Sänbermaffe ju einem geographifch abaerunbeten 
©ebiet, ba« innerlich feljt Oerf«hieben geartet, bie hiftorifchen 
©renjen hoch nach bem ©efefc ber Trägheit aufrecht erhielt. 
Die ©leichartigfeit ber Berwaltung, bie Steigerung ber Sie* 
gierung«macf)t nach bem SWufter ber beutfchen ©rblänber 
würbe nie au« bem Sluge Oerloren, unb ber hiftorifchen Dh at * 
fache gemäß, baß bie betriebenen „Königreiche unb Sänbet" 
3 U beutfchen ©rblänbern tarnen, nicht umgefehrt, behauptete 
bie beutfdje Sprache at« bie ber Dpnaftie ben gefcßichtlidjen 
93orrang unb gewann barüber hinan« feit ber SJiitte be« 
18. 3ahrh un ^ er t 3 — at« bie Sprache be« ^af)lreid)ften, ge* 
bilbetften, fteuerfräftigften unb allenthalben fidj üerbreitenben 
93olfc« ber SJionarchie, unb baju ber Deutfdjen im Sieidje, 
bie fchaarenweife einWanberten — bie Bebeutung eine« über* 
nationalen 93erfehr«mittel«. Sh«n rafch wachfehben 93or* 
fprung fahen bie fecunbären Bölferfchaften mehr unb mehr 
at« ßwang an — bie Trägheit, eine anbere al« bie oon 
felbft anfliegenbe SKutterfpradje ju lernen unb ber Sieib auf 
bie öom Sd)idfal begfinftigten Deutschen gehören neben ber 
an fid) berechtigten 93orliebe für bie eigene locale Sprache 
ju ben pfhdjologifdjen Driebfebern be« flaüifdjen unb magtja* 
rifchen Deutfdjenhafieö- Sie werben übrigen« gefliffentlid) 
oon allerlei Seuten aufgeftachelt, bie gern im drüben fifchen. 

Den jäheften SBiberftanb gegen bie ©cfammtftaat«ibee 
unb bie überragenbe Stellung ber beutfchen Reich«fpradje be» 
tßätigten bie üftagparen, ihren ißartifutariämu« auf ba« 
hiftorifdje Stecht ihrer mittelalterlichen „Berfaffung" ftüfcenb, 
nach bem großen ©rfolg ber Sßieberljerftellung berfelben 
wanbten fie fid) bann mit immer gewaltfameren SDtitteln gegen 
bie bisherige Stellung ber beutfchen Sprache in Ungarn 
unb Siebenbürgen, bie fie burdj SRagpatifirung ber bortigen 
Deutfdjen böQig ju oerni^ten ftreben. Shrenx SBeifpiel folgten 
bie ^jSolen in ©alijien, bie Dfdjedjen, bie Stooeneu nach 
Kräften — bet ©rfolg ift unleugbar. UeberaQ giebt e« 
heute Seute genug, bie Slnfprucfj auf 93ilbung machen unb 
be« beutfchen faum mächtig finb, befonber« 'Beamte, währenb 
Kaufleute, Ded)nifer u. f. w. fich beffen nicht entf^lagen fönnen, 
wenn fie nicht zugleich ber Soncurrenj ba« gelb räumen 
Wollen. 

Die ©efammtftaatsibee hat außer bei ber Dpnaftie, ben 
gemeinfamen SRinifterien unb einem jt^eilc be« Hodjabel« 
nur noch tm gemeinfamen Heere einen Stücfhalt, ber nid)t 
ju unterfdjäfcen ift. 916er wo immer Oefter reich* Ungarn al« 
©efammtftaat auftritt, ba fann e« ber Slnwenbung ber 
beutfchen Sprache nicht entrathen. Da« zeigt fich eben aud) 
in Bosnien, ba« in golge beffen thatfädjlid) al« öfterreichifdjc 


ißeooinj fich barfteßt. gür ben inneren Berfehr bet Regie* 
rung, ber 93eljörben, ber ©ifenbahn ift ba« Deutfdje eingefß|«. 
Die Stabtoerwaltung Oon Scrajewo hält zwar bie flaüifdje 
SlmtSfpradje felbft ben eingewaitberten beutfchen gegenüber 
Wenigften« in 3 u Wtiften feft, aber fie forbern Oon ihren 
Beamten üotlc Beherrfcf)ung be« Deutfdjen in SBort unb Schrift- 
ba« muß fdjon Wegen be« Berfehr« mit ber SRilitärbeljörben fein 
Slmtliche Berorbnungen lieft man in ben boSnifdjen Stählen 
beutfd) unb flaoifd) angcfdjlagen; man finbet bie Snfdjrift 
„Bezirf «grenze" an ben einfamften Straßen, ebenfo bie ttnf* 
fdjrift „©inräumerhau«" oft nur bentfeh; bei Dienftauffchriften 
ber Bahnhöfe ift Deutfeh bie Siegel. Da« ärarifdje ©oft* 
JjauSwefen — eine nid)t genug ju rühmenbe ©inrichtung — 
ift bitrehau« beutfdj, benn Ejier fpricht einfach ba« prafttfeße 
Bebiirfniß fein SMachttoort. Dhatfächlich ift ba« Deutf^e 
überall in Defterreid)*Ungarn — wo einigermaßen oon ©ultur 
bie Siebe fein fann — bie Sprache be« SBirth«* unb Kaffee* 
häufe« geworben, ohne 3 twmg, ohne jebe Spiße gegen bie 
locale Sprache: ein Kellner, ein Söirtlj, ber nicht beutfcf) 
fönnte, wäre ein hülflofeö Söefen. Bor mir liegt eine Speife* 
farte ber Bahnhofwirthfchaft in Kroatifdj Brob: bet Slufbrucf 
ift magparifd!) unb froatifd), ba« erzwingt bie Berwaltung 
ber ungarifchen Staatsbahn. Die gefdjriebenen Speifenamen 
aber finb beutfcf) unb wenigften« in ber jweiten ©laffe he* 
fteOt unb befahlt Sille« in beutfeher Spraye. Sn BoSnifdj 
Brob fällt ber 3 roan 0 ber localen Sprache ooit oornberein 
weg, bie höh«« ©ulturfprache J)c rr fcf)t uneingefchränh im 
Sieifeleben unb 9Birth«hau«wefen erftcr unb ^weiter ©laffe. 
9Benn ba« treffenbe SBort Kaifer SBilhelm’8 II.. unfere 3^it 
ftehe im 3<i<ßca be« Berfehr« — auch für öfttid) ber Seitßa 
28ahrf)eit wirb, fo muß ba« Deutfdje bort trog allet Se* 
fämpfung erft recht fich al« übernationale Berfehr«* nnb 
SBettfpradje burchfegen, je mehr Singehörige öerfd)iebener 
Siationalität mit einanber in engere Beziehungen fommen. 
Sn )oeId)er Sprache at« ber burci) ben ©ang ber ©ntwirfe» 
lung gegebenen beutfd)en foKten Baien unb Staliener, Dfchecßen 
unb Üftagtjaren, Kroaten unb Slumänen nntereinanber oer* 
fehren? 

Bor SlHein gilt ba« oon ber gemeinfamen Slrmee, fo 
lange man fie aufrecht zu erhalten Oermag; benn thörid)ter* 
Weife hat man ja ben Slationalitätcn feßon bebeitflidje 3*>‘ 
geftänbitiffe in ber Bilbung befonberer ©ontingente gemacht 
greitiih gerabe in Bosnien nicht; bie au« ©inheimifdjen refnt* 
tirten Regimenter ftehen außerhalb be« Sanbe«, bie bortigen 
©arnifoneu aber ftammen an« aoberen Steidh«theilen. Sn 
gewiffem Sinne fann man in Bosnien oon SOSilitärcotom* 
fation im altrömifchen Sinne fpreeßen. Der ©ulturzuftanb 
be« Sanbe« nöthigte bei ber Befeßung bie Druppen, bie Sorge 
für ihre Bebiirfniffe im weiteften Sinne felbft zu übernehmen 
— herunter bi« zur Slnlage oon ©emüfegärten. SJlan fennt 
wohl oon Defterreid) tyx ben großen Umfang be« militä* 
rifdjen Befige«, bie (ujeuriöfe Schwimmfdjute ber Klagenfurter 
©arnifon am SBörtherfee, ben Sfelberg ber Diroler Kaifer* 
jäger bei SnnSbrucf u.f.w., wobei man fich Wunbetn muß, 
baß bie ©rrichtung eigener 9J?i(itärfd)ufen für bie Kinber ber 
Dfficiere unb Unterofficiere in nichtbeutfdjen ©arnifonSorter 
nicht burchgefegt Werben fann, — ein wahrhaft fdjreienbe« 
Bebürfniß. gür bie ©rroadjfenen ift beffet geforgt, wemt 
aud) nicht überall fo wie in Banjalufa, Wo eine förmliche 
ÜJiilitärftabt im mittelcuropäifdjen Stil unb ©efehmaef ge* 
baut worben ift, Kranfenhau«, Kafernen mitten in üppigen 
©ärten unb Baumgängen. Der DfficierSgarten beim Kaftell 
ift fogar berühmt. Slehnlich ift e« in Serajewo unb fonft; 
nur in SRoftar ift bie Siatur ber Slbficßt, ba« Süb* unb 
ba« Siorblager mit fdjattigen Slnlagen unb üppigen ©ärten 
Zu umgeben, nicht entgegengefommen. So ift alfo ba« SJiilitär 
in Bosnien überall oorbilblich in ©ulturbeftrebungen, unb 
ganz oon felbft oerbreitet fid) baburch auch bie beutfdje 
Slrmcefpvache al« höhere ©ulturfprache. Sch taufte in SKoftar 


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Nr. 9. 


Die Gegenwart. 


133 


bei einem einfachen Obftftanb geigen; bet üttanu luufetc nicgt 
Diel mehr ald bic beutfcgen Namen uub 3ai)ÜDörter, aber 
feine ©tranigen (ober norbbeutfdg Süten) jeigten feine girma 
beutfdji an unb waren in Süßten gcbrudt! 

Sie Stellung ber beutfcgen (Sprache beruht aber aucg 
gutentgeild barauf, bafe gerabe bie Kroaten ungleich ben 
anberen Nationalitäten in ganj überrafcgenber 9ludbegnung 
bad S)eutfcge pflegen unb gegen. Sn Slgrant gört man in 
befferen ©tragen, SEßingd* unb Kaffeegäufern faft fo Diel 
beutfdj fpreßen, Wie froatifcg, bie ßabenaufjcgriften, 3 e ttel* 
antünbigungen u.f.to. finb oft nur beutfdj. Sie gebtlbetcn 
Kroaten fptecgen aud) unter fid) beutfd), unb galten bad 
befonberd bann für felbftDerftänblid), tocnn ein grember ju* 
gören fann. ©in Nebacteur in 91 gram erflärte cd tgeilweife 
bamit, bafe fie feine mebicinifclje gacultät uub feine tcdjnifcge 
ftocbfcgule befaßen unb fcgon befegatb üiclfad) auf beutfdje 
©Übung angemiefen feien; icg bube aber ftetd gefunben, bafe 
Pfarrer, gorftleute, ©eamte, ©tubenten, Kauflcute unb ebenfo 
bie grauen ber fogenannten befferen ©(affen buregweg tabel« 
lod unb accentfrei beutfd) fpreegen. SSeldjer Unterfdjieb Don 
Dielen SÄaggaren! (Dian fann cd auch Don Kroaten felbft 
gören, bafe fie gerabe, um fieg Don biefen abjufonbern, gern 
beutfdj fprädjen. Nun barf man freilich nicfcit glauben, bafj 
bie Kroaten, toeil fie beutfd) fpreegen, aufgören wollten, 
Kroaten ju fein. Unb ebenfo bleiben bie beutfd)fprcd)enbeu 
troatifegen ©eamten in ©odnien gute Kroaten. Sie Kultur* 
fd)icbt bed Seutfchtgumd fann alfo bocg nur jiemlicg bünn 
unb beweglich fein; inwieweit bie beutfe^e ©inwanberung bc= 
fonberä bie blügenben 91 nfiebelungen SBinbtljorft bei ©anja* 
luta, bem Seutfcgtgum fefte Sßurjeln fdjaffen »erben, ift ju* 
näcbft eine grage ber ßeit unb ber politifcgcn ©ntwidelung 
Vodniend. 

Ueber bie 3 u fnnft bed ßanbed wirb ja felbftoerftänblicb 
Diel gefprodjen. ©in NiidfaQ an ben nominellen Jperrfdjer, 
ben Sultan, gilt allgemein für audgefcbloffen. ©ine Nege* 
lung bed ftaatdrecgtlicgen Vergättniffed jur öfterrcicgifclpunga* 
rifeben ÜNonardjie mufe früher ober fpäter fommen. Unb 
»ad bann? Sßirb ©odnien gemeinfam Öfterreid)ifcg*unga* 
rifebed Neicbdlanb bleiben? — Dber foll bie tgatfäcglicg 
öfterreiegifege Verwaltung Don SBien aud nach bem ©prueg 
gearbeitet gaben: sic vos non vobis — fo bafj ©odnien 
ju Ungarn gefcglagen würbe? Dber... hätten bie ganj 
Klugen recht, bie »iffen wollen, bafj man in Sßien 93odnien 
für bie ©tärtung bed Kroatentgumd Dorbebalten habe? 2Büg* 
renb metned 9lufcntga(td würbe bie flauifcbe Umbenennung 
bteier bidber beutfd) benannter ©tationen ber bodnifdpgerje* 
gowinifeben ©taatdbabnen Derfügt. Kohlengrube follte fort» 
an Krefa, ©teinbrudj Kamen, 9lbjWeigung ©emijowaj beifeen. 
SBäre bad ein Anfang ju atlmäliger Sludmerjung ber beutfcgen 
Sprache? S33er Dermag bie jeweild legten ©ebanfen ber 
öfterreiebifegen SNinifterien ju buregfefeauen? Von Slgrant 
aud Derfucgt man ja in ber jungen ©encration bad füb* 
flaDifcfedroattfcbe Nationalgefübl ju erWeden: bie bort ftubie* 
renben jungen Söegd follen jum Sgeil bemfelbcn gewonnen 
fein. Sn SEßien reDoltirten fürjlicb bodnifdje ©tubenten gegen 
bie 9lnorbnungen bed „Vicetönigd" Kaüag wegen bed bod* 
nifegen ©onDicted, bad ignen ju febr öfterreiegifd) geleitet er* 
fegeint. Sie jungen Seute finb bemnacb ftarf im flaoifdjen 
gagtwaffer unb „löten gegen ben ©tadjel". Sie panfla* 
Diftifdje 9tuffaffung fiegt natürlich in ber fegendreicben öfter* 
reiegifdjen Verwaltung ©odniend nur ©ermanifirung. Sieger 
ift: Wenn man beute ben ©odniaten bie ©elbftoerwaltung ober 
parlamcntartfdje gormen gewähren würbe, fo würben noch 
Diel fcblimmere 3uftänbe ju Sage treten, ald wir fie bei ben 
»befreiten* Vulgaren unb ©erben beobachten. Sie ©odniaten 
fpreegen wohl eine gemeinsame ©pracbe, aber bie confeffio* 
»teilen ©egenfäge finb Dor ber £>anb noch ftärfer, ald bad 
nationale ©efügl ber 3 u f ammen gegörigfeit. Sa mach finb 
bann auch bie Klagen über bic Umtriebe ber Sefuiten in 


©odnien ju beurteilen, bie ihr 9lugennterf auf bie ©efegrung 
befonberd ber ferbifdjorthobojen unb mubamebanifeben grauen 
gerietet hätten, jum haften SNifeoergnügen ber SNänner. 
SBie bie Sefuiten bad anfangen follen, mag igre ©orge fein. 
Sgatfacge ift, bafe in ©odnien trog ber gewaltigen gortfebritte 
unter öfterreichifcfeer SSerwaltung allgemeine Unjufriebenbeit 
feerrfcht. Nur finb mir, ohne und bamit ein Urteil „für 
ober gegen" anraafeen ju wollen, fefer geneigt biefe Unju« 
friebenfeeit einfach ald eine nerDöfe Unbebagli^feit aufju* 
faffen, wie fie in Uebergangdjeiten burd) bie SNüfee ber Sin* 
paffung an neue Sbeen entftebt. Süßad ift benn bie Dielbe* 
fprodjene NeicfedDerbroffenbeit bei und anbered, ald bad SNurren 
bed über bad ©turmedweben einer nepen — 

fo ©ott will — gröfeeren 3eit ber SBeltfteDung bed Seutfdj* 
tbumd? Ser beutfefee ©b*ltftw empfinbet hinter bem Ofen 
bad ©turmedweben ald läftigen 3 u gminb unb nörgelt: bad 
ift STtled. Sn ©odnien aber ift’d wie in Deftetteidj unb 
Ungarn; man fühlt, bafe SlUed noch unfertig unb miber* 
fprucfedöoH ift; ©odniend ©teQung felbft ift ja ber fcfeärffte 
Sßiberfpru^ jum audgebiftelten ©pftem bed Suaüdmud. 91 bet 
wie bad noch »erben foll, bad mag bie ©orge ber, ©taatd* 
männer fein: bem Seutfdjen, bet in ©odnien reift, wirb bad 
Nebeneinanber Don 9lltem unb Neuem ald befonberer Neij 
erfefeeinen. Unb wenn er eigentlich auch nur bad ©inbei° 
mifefee, ©laüifcfeed unb SNubamebanifcbed, aufgefuefet but 
fo wirb er befto mehr überrafcht fein Don ber ©eobaefetung' 
wie hier bad alte Defterreich auf jungfräulichem Kolonial*' 
hoben unbeWufet unb unWiCUürlicb ald beutfefee Ntacfet wirten 
mufe, um gortfeferitt ju bringen. Sft ed ber Nacfeglanj 
befferer Sage ober mehr? 


Literatur unb £unft. 


3ttr <6efibitfetc ber tbrifUttben Religion. 

®on €bnarb oon ffartmanit. 

Viele Slnjeicben beuten auf bad SEBiebererwacfeen eined 
religiöfen ©ebürfniffed im Volte b»n. Ser fpmbolifcbe ©barafter 
ber ueueften Kunft, bie Sbeilnabme, welche tbeofophifefeen, 
occultiftifdjjen unb fpiritiftifc^en Schriften gefefeenft wirb, bad 
Umfieggreifen ber ©Dangeiifationdbeftrebungen, bie ©rfolge ber 
^»eildarmee, bad 9luftaucfeen religiöfer Nebner unb Neforma* 
tiondtenbenjen aud Saientreifen, ber 9ludtritt eDangelifcfeer 
©eiftli^en aud ihrem 9lmt, um fiefe ungebtnbert ihren refor* 
matorifegen ©eftrebungen wibmen ju tönnen, bie maebfenbe 
religiöfe gärbung ber antirömifegen ©ewegung in Seutfcg* 
öfterreieg, bie junegmenben Uebertritte fatgolifcget ©eiftlicgen 
jur eDangelifcgen Kircge in granfreieg — bad 9Uled läfet 
einen Umfcgwung ber Stimmung ertennen, welker noch träf* 
tiger fein würbe, wenn nicht bid jegt bie ©elbftgerecgtigteit 
bed mobernen SNenfcgen ign ginberte, ©cgulbgefügl unb @r* 
löfungdbebürfnife in gleicher ©tärfe wie in früheren Sagt* 
gunberten unb Sagrtaufenben ju empfinben. Smmergin finb 
biefe 9lnjeicgen für eine Vertiefung unb Verinnerlichung bed 
ftart Dermeltlicgten unb üerflacgten 3^tgeifted mit greuben 
ju begrüfeeit, unb ed ift nur ju bebauern, bafe fo Diel guter 
SEBiHe, ibealed Streben unb tücgtige Kraft in unfru^tbarer 
Seife Derfcgmenbet wirb, »peil bie gefcgicgtlicge unb wiffen* 
figaftlicge ©ilbung feglt. Sad heutige ©ublicum ift in Dieter 
fnnfiegt gebilbeter unb fenntnifereieger ald bad irgenb einer 
früheren 3*it, aber in ©ejug auf religiöfe unb philofophifdge 
©infiegt ift ed Don einer erfegredenben Dberfläcglicgteit unb 
Unbilbung, weil beibe ju lange unter ber SWifjacgtung bed 
3eitgeifted geftanben gaben, ald bafe ber Saie füg gatte Der* 
anlafet fügten tönnen, fieg um gefcgicgtlidje unb miffenfegaft* 


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IM 


Die Gegenwart. 


' r J^F T < 

Nr. 9. 


lidjc ©rfenntniß auf biefen ©ebietcn 311 bemühen, ©ie golge 
bauon ift ein trauriger ©ilcttantiömuS berer, bte fiel) jur 
©cleljrung ber Ucbrigen berufen glauben, unb eine Derblüffenbe 
Urtheilslofigfeit ber 9Raffe, nid)t nur iit ungebilbeten unb 
halbgebilbeten, fonbern auch in ben f)ödjftgebilbeten ©olfs* 
fd)id)tcn. Sc trioialer unb abgeftanbener bie non 3Banber» 
rebnern unb Sd)riftftellern Oerjapfte ÜBeiSheit ift, befto eher 
fdjeint fie ben ipörern unb Sefern Derftänblidj unb beifaQS* 
würbig, unbefümmert barunt, ob ihnen oft genug bagewefene 
unb längft überwuubene Srrt^ümcr neu aufgewärmt, ober 
fentimentaler ©hrafenbrei unb oertoirrter ©ebanfenmifchmafch 
oorgefetjt wirb, liefen Uebelftänben abju^elfen, giebt eS nur 
ein ÜRfttel: baS publicum muff fidj unter ©ortritt ber ©e* 
bilbeten wicber mehr ©ilbung auch auf religiöfem ©ebiete 
aneignen, bannt eS feine UrtheilSfähigfeit fteigert unb Seid)te3 
unb Unhaltbares burd)fcf)aut unb jurlidweift. ©aß foldje 
©Übung eine pl)ilofophifd)e unb fpeculatiD t^eologifc^e werben 
fönnte, baran ift bei bem immer nod) ^errfc^enbcn 9 lgnofti= 
ciSrnuS faum 311 beulen; Wohl aber ift bie 9(djtung üor ge* 
fdjid)tlicf)er gorfdjung groß genug, um fiel) gegen eine ge» 
fd)id)tlid)e ©ilbung auf bem religiöfeit ©ebict nicht ju Der* 
fließen, Wenn folcfye in gemeinoerftänblic^er gaffung unb 
ohne ju Diel geitaufwanb ermöglicht wirb. 

9ln einem folc^ert ©uefje über ben ©ntwidelungSgang 
ber d)riftlichen ©rfenntniß fehlte eS bisher, weil bie oortjan* 
benen äöerfe theilS einen auöfcfjlieglic^ wiffenfchaftlichen 
©harafter an fid) trugen, tf)eil 8 fd)on burch ihren Umfang 
ben Saien abjehveeften. ©iS jum Anfang biefeS Sahrhunberts 
war bie ©ogmengefchichte wefentlirf) 2 lufjählung; erft mit ber 
gcfd)id)tlid)en 2 Beltanfct)auung lam ein anberer ©eift hinein. 
SBährenb Sdjteiermadjer’S ©influß bahin ging, bie 2Birf» 
famfeit bebeutenber geiftiger Snbibibualitäten mehr ju be* 
tonen, lehrte §cgcl baS ©anje als eine ©utwidelung auf* 
faffen, in welcher jebe Stufe fich burch ihre eigenen Unuoü* 
tommenheiten bialeftifd) auflöfte, aber nur, um bie 
Dollfoinmnere aus fich hcrDorsutreiben unb fo ftetig unb all* 
malig ber inneren ©enüinftigfeit beS ©ebanfenS jum fort* 
fdjreitenbert Siege ju uerhelfen. Sn ber ^egel’fchen Schule 
würbe balb bie negatioc Seite ber Selbftjerfe^ung aller 
©ogmen (Strauß), balb bie pofitioe ©ernünftigfeit ber ©nt» 
widclung unb ihrer ©rgebniffe (©iebermann) betont, beibeS 
aber in einer SBeifc burdjgeführt, bie für Saien wenig ju* 
gänglich war. 91 ud) ber 91gnoftici8mu8 ber ÜReufantianer be* 
mächtigte fich ber ©ogmengefchichte unb ftimmtc mit ber 
§egel’jct)en Sinfen in ber Selbftjcrj'ehung aller ©ogmen über* 
ein; er fah aber ben ©runb berfelben lebiglid) in bem 
üerberblichen ©inbringen fpeculatioer Senbenjen aus ber 
gvicdjifdjen ©hilofoplfie >n'S ©hriftenthum ‘unb baS §eil in 
ber äiüdfehr jur ©iufalt beS UrchriftenthumS jenfeitS alles 
hellenif<hen ©influffeS, b. h- in bem SluSlöfchen einer jwei* 
taufenbjährigen ©ntwidelung (£>arnad). ©ei allen biefen 
gorjd)ungen war baS SJfaterial immer grünblicher unb ejafter 
burdhgearbeitet unb bie pragmatifchen gufammenhänge immer 
flarcr gelegt worben. ©aS einzige allgemeingiltig feftfteljenbe 
©rgebniß ift babei bie Unmöglichfeit jeber confeffionellen 
Drthobojie, bie burch bie hiftorifdje Sfritif unb ihre 9Retf)obe 
noch grünblicher unb unWieberherftellbarer cntwurjelt ift als 
Dorher burch bie fpeculatiDe 5f3^ilofopf)ie. Slber baS ift bloß 
etwas SRegatibcS; als ©ofitioeS fann unmöglich h eute uod) 
baS Subendjriftenthum ber wiffenfdjaftlich ungebilbeten Spnop* 
tifer ober baS ^eiben^riftenthum beS rein pharifäifdh gebü* 
beten ©auluS genügen. ©8 bleibt für alle religiös Snter* 
effirten baS ©ebürfniß beftehen, ben pofitiben, bauernben Sfern 
ber jweitaufenbjähtigen djriftlichen ©ntwidelung in feinem 
3Bcrben ebenfo bargeftellt 31 t fehen, wie bie hinfälligen Schalen, 
in bie er fich ä u uerfdjiebenen geilen gehüllt h«t- 

3)aS ®ogma ift ein ßwittergebilbe. Sebe ^irdje empfinbet 
alSbalb baS natiirlidje ©ebürfniß, bie DorftedungSmäßigen 
©oviiiK'fcpungcn beS icligiöfci4©laubcuS in eine allgemein 


anerfannte gorm 31 t bringen, bie allen ©cnteinbcmitgliebcrn 
Dcrftänblich fein joll. ®ie ©emeiuücrftänblichleit bebingt 
einen phantaficmäjjigen 9?eft in ber gorinitlirung, tucil bas 
wiffenfchaftlidhe ©rfennen jeber geit nur Sache einer SKinbetheit 
ift unb Don ber äJfaffe nicht Derftanben wirb.^®iefer phan* 
tafiemößige fReft wirft aber gleichzeitig mit bem gortfd|ritt 
beS wiffcnfchaftlichen ©rfenncnS bahin, baß jebe jeweilig er* 
reichte gormulirung nur eine gewiffe geit lang bem ©e* 
bürfniß ©eniige tf>ut, bann aber eine SBanbcliing erheifdjt- 
©er religiöfe ©laube bagegen bedangt Stänbigfeit unb Un* 
wanbclbarfeit beS ©ogmaS unb fühlt fehr wohl, baß ber« 
änberungSfahige ©ogmen eben feine ©ogmen mehr finb. 3fn 
biefem gwiefpalt löft fich °HeS ©ogma auf. SBaS übrig 
bleibt, ift bie ©ntwidelungSgefchichte beS religiöfen ©rfenncnS. 
©aS ©ogma ift immer nur ber Sdjein eines SRuljeftanbeS, 
ein DorläufigeS ©ompromiß 3 Wifchen ewiger SBaljrhcit unb 
wcchfelitber SBahrheitSerfenntniß, bcni niemals ©auer be* 
fd)icben fein fann. ©ic ®efd)ichtc ber ©ogmatif im engeren 
unb eigentlichen Sinne ift nur bie ©efchidjte biefer unhalt* 
baren ©ompromißDcrfuchc. ^idjt auf biefc aber geht baS ■ 
eigentliche Sntereffe ber Fachwelt, fonberu auf ben ©ntwiefe* 
lungSgang beS religiöfen ©rfennenS, in welchem bie ©erfmlje 
ber ©ogmenfijirung 3 War wichtige ©tappen unb 9 Beg 3 eid)cn, 
aber feineSwegS bie eigentliche ©riebfraft unb höd)fte grucht 
beS ©roceffeS barftcflcit. ©ic ©inficht ber bahnbrcchenbcn 
unb fdjöpferifdjen ©eifter jeber geit reicht Diel weiter, als 
bie fijirten ©ogmcit berfelben ©eriobe erfennen laffen. ©ic 
Don ber Shrd)c ücrworfcncn ©cbaitfen ber £äretifer enthalten 
SöatjrhcitSmomente, bie oft erft in einem Diel fpäteren Stabium 
ber ©ntwidelung 3 U ihrem 9Jed)te gelangen. ©aS lebenbige 
©emeinbebewußtjein Derfteht bicfelben ©ogmen 3 U jeber geit 
etwas anberS, betont anbere ©unftc in ihnen unb fdjiebt 
wieber anbere unbeachtet bei Seite. ©ieS 2tHeS gehört noch 
3 ur ©cfdjichtc beS religiöfen ©rfennenS ober ber ©efcf)id)te 
ber ©ogmatif im weiteren Sinne, Wäf|renb bie äußeren Schiel* 
falc ber religiöfen ©emeinfehaften unb bie innere ?(uSgeftal* 
tung ihres religiöfen SebenS in Sitte unb ©ultuS auSfchließlicb 
Sache ber SUrdjengefchidjte finb. 

.Sn biefem weiten Sinne hot 91. ©orner feine 9(ufgabe er* 
faßt in feinem „©rnnbriß ber ©ogmen=®efchid)te. ©ntwiefe 
lnngö=©efd)ichte ber chriftlichen Sehrbilbungen" (Berlin, ©corg 
Sieimer, 1899). ©er IBcrfaffer hat in 3 Wci größeren philo* 
fophifdjen SBerfen ,,©aS menfd)lichc ©rfennen" unb ,,©aS menfeh* 
lid)e Raubein" feinen weiten philofophifdjen ©efid)tSfreiS unb 
feine milbe, bulbfame unb üerföf)tilicf)e ©enfweife gegen bie 
Derfd)icbcnften ^Richtungen bargelegt unb tritt beßhalb mit 
grünblicher fpeculatioer ©ilbung an feine theologifctje Aufgabe 
heran, was heute bcfonbcrS herDorgef)oben 3 U werben Derbient. 
9lud) in ber ©Jürbigung ber religiöfen 9lnfichten fucht er überall 
ben pofitiuen SBerth ber Derfchtebcnen ©ntwidelungSftufen in 
baS rechte Sicht 3 U rüden, ohne barum ihre seitliche Unooll* 
fommenheit, ©infeitigfeit unb fpnthetifche lleberwinbungS» 
bebürftigfeit 3 U Derfd)leiern. ©ie guüerfid)t, baß ber gan 3 tn 
©ntwidelung ein ewiger 2 Bahrf)cit 8 fern 3 U ©runbe liege, 
entlehnt er 3 unäd)ft als unerwiefene ©orauSfe^ung aus ber 
fpeculatiDen ©he°l°9ir» ober olS eine ©orauSfegung, bie fid| 
burch bie gefd)id)tliche ©orftetlung 3 U beftätigen unb 3 U be* 
währen h fl t. ©iefe SBahrheit ftnbet er barin: „baß bie 
©otteSgemeinfchaft, welche alle fReligion anftrebt, in ben etljifch 
beftimmten ©erfönlichfeiten als uniDerfalethifche ©ottmenfeh* 
heit realifirt wirb", womit- einerfeits ber ©3erth ber ©injel* 
perfönlichfeit unermeßlich gefteigert, anbererfeits ein ethif^r 
UniDerfaliSntuS eingeleitet ift. ©iefe gaffung ift allgemein 
genug, uni allfeitig acceptirt Werben 3 U fönnen, fo Weit über* 
haupt eine’ religiös=fittlicf)e SEßeltanfchouung angeftrebt wirb, 
©ine anbere grage ift eS freilich, biefeS ©rincip, wie 
©orner annimmt, mit ©hriftuS in bie ©Belt getreten ift, ob 
er eS bargelebt hat, unb ob eS beßhalb „baS d)riftli(f)e 
©rincip" Ijcigcu fann. SRan famt bicS auch bann noch bc* 


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Nr. 9. 


Die ©egenwart 


135 


pucifcln, wenn man felbft bereitwillig gugicbt, bafj bcr tiifto- 
rijdje SefuS jur ©ntwidelung biejeS aud) Dörfer fctjon uor* 
hanbeneit üfßrincipS einen mädjtigen SmpulS gegeben tjat, bafj 
bie ©Triften biefeS üßrincip in bem ibealen 6 ^riftu§ unb 
feiner Sirene uermirtlid)t anfefjauen, unb baß biefeS ^ßrincip 
feine bisher höchfte ©ntwidelungSftufe in bcr ettriftfidjen ßultur* 
fpljäre erreicht hat. ©S fdjeint beßhalb, baff ®orner bei bem 
Verfud), baS ctjriftüe^e üßrincip ju befiniren, bod) ju wenig 
fpecififdje Unterfdjiebc fjinjugefiigt fj“t, als baff nid)t feine 
gormulirung aud) manche außerd)rifttid)e ©tanbpunfte ein* 
fd)I 0 ffe. 

®ie pofitiue Vebeutung ber griedjifdicn Ä’irdfe finbet 
Corner barin, baß biefelbe encrgifcf) auf eine ©otteSerfenntniß 
als unerläßliche Vorbebingung ber realen ßebenSgemeinjchaft 
mit ©ott bringt; fie f^at bamit ben ©runb gelegt für alle 
jpäteren Stufen, unb es ift it)r feineSmegS jüm Vorwurf, 
jonbern jum Verbienftc an^uredjnett, baß fie bie ÜJfittel ber 
fpeculatioen ^Stjitofop^ie ihrer ßcit baju beäugte, ba felbft 
eine unoollfommene unb irrige ©rfenntniß ©ottes eine mög* 
liehe ©laubenSgrunblage bilbet, ber bloße ©fepticiSmuS unb 
JlgnofticiSmuS aber gar feine liefert. 3h re ©injeitigfeit liegt 
in bcin ju großen ©ewicf)t, baS auf baS Stheorctifche, auf 
baS Schauen ©ottes gelegt wirb, weil barüber bie ©eite bes 
SSiUenS oernachläffigt wirb. S)ie|e tl)coretifd)e ©infeitigfeit 
jucht nun bie römifdje Slirdje burch praftifctje ‘iluSbilöung beS 
. ©hriftenthumg $u ergänzen, inbem fie bas lpauptgewid)t bar* 
auf legt, baß baS djriftlidje üßrincip ben ifüillen befttminen 
unb in ber ©emeinfdjaft beS ÜKeid)eS ©otteS auf ©rben fid) 
Dcrroirflid)en foll. ©ic ift bie große ©rjiehungSanftalt ber 
barbarifchen Völler geworben, h at “ber aud) eben baburch 
fid) ju einer flerifalen VeuormunbungSanftalt üerbilbet unb 
ber einzelnen fittlicßen ffkrfünlichfeit unb bereu unmittelbarer 
fiebeuSgemeinfdjaft mit ©ott nicht ihr uoüeS Siecht angebeiljcn 
laffen fönnen. liefen ÜDfangel 311 ergänzen, war ber üßro* 
teftantiSmuS berufen, ber bie fubjectiuc £>eilSaneignung beS 
Sinjclnen im religiöfen ©lauben unb bas üUtoment ber ifier* 
fönlichfeit fowohl im fittlichen Sieben wie im unmittelbaren 
Sßerhältniß ju ©ott betonte. ®ie religiöfe SJiijftif, bie in 
ber gried)ifd)en fficriobe noch wefentlicher Veftanbtheil beS 
firchlichen Gebens felbft gewefen war, nach ber gijiruug beS 
Dogmas aber namentlich in ber römifdjeu ftirdje fid) bom 
Krchlichen ßeben jurüdgejogen Ejatte, würbe nun wicber bis 
ju einem gewiffen ©vabe in bas proteftantifche Stirchenleben 
hereingenommen. Slber bie proteftantifdje Ortljoöojie hielt 
boct), an ber überfommenen bogmatifchen gormulirung ber 
früheren üßerioben feft unb fonnte barum mit ber principiell 
proclamirten Freiheit beS ©hriftenmenfd)en noch nid)t redjten 
©rnft machen. . ®ieS blieb erft bcr mobernen ©ntwidelung 
beS ißroteftantiSmuS oorbehalten, welcher für bie freie djrift* 
liehe üßerfönlichfeit^aud) bie Freiheit religiöfer ©rfenntniß 
forbert unb fich ebenfo üon bem $wange bogmatifcher gornteln 
wie oon ber römifchen ©efeglidjfeit unb Veuormunbung frei 
machen will. ®iefer moberne üfSroteftantiSmuS „befinbet fid) 
jehon thatfächlich in bem ©tabium, baß er eine wirtlich all* 
gemeingiltige ßelfre nicht mehr t) at > baß man auf bas ge* 
meinfame ©runbprincip beS ©h.riftenthuinS jurüdgeht unb ben 
Serjuchen ber ßehtuerbeffetung burch freie 35iScujfion ©piel* 
raum läßt.“ 

3ebe biefer toter ^auptftufen bilbet bem Urd)tiftenthum 
gegenüber einen neuen gortfd)ritt, ber nicht Wieber rüdgängig 
gemacht werben fann unb foll. Scber biefer gortichvttte 
hebt baS Dtioeau ber gansen ©tjriften^eit, inbem er burch 
feine ©oncurrenj auch ben ftehengebliebenen Sieft ber über* 
»unbenen ©tufen nötigt, an ber s duSgleid>ung ber ©infeitig* 
feiten unb äWänget ju arbeiten, bie ju ihrer gefdjidhtlidjen 
Ueberwinbung Slnlaß gegeben h“ben. ©o ift bie griechifdje 
unb römifche ftirche heute etwas ganj anberS, als jur geit 
ber Äirchentrennung unb ber Sieformation, unb felbft bie 
protcftantijdje Drttjobojcic Ijat heute ein gan^ anbcrcS ©cficljt 


als uor breihunbert fahren; wenn auch bie fird)li<hcn unb 
ftaatltchen iöet)örben fid) noch fo fehr bemühen, baS lillte ju 
conferuiren, fo forgt hoch baS einmal gefchloffene ©ompromiß 
jwifchen Rheologie unb SSiffeufdjaft bafür, baß jeber l£h eo ’ 
löge, ber ber hiftorifch*fritifchen üJfethobe auch nur ben fleinen 
ginger gereidjt hat, ihr fd)ließlich bie ganje §aitb überlaffen 
muß. Sebe ber beftef)enben Sonfeffionen ^ält jwar an ber 
Betonung beffen feft, woburch fie ihre gefchichtliche ©eben* 
tung erlangt h“t, fudjt aber baneben fid) auch “HeS ®aS* 
jenige fo weit als möglich anjueignen, waS bie anberen über 
fie hiimuS^ugehen oeranlaßte. ©o bietet heute bie ©hriften* 
heit eine innere ÜJlannigfaltigfeit bar, beren ©lieber fäinmt* 
lieh ünioerfeU ju fein bemüht finb, ohne barum ihre fpeci* 
fifcf)c ©igenart aufjugeben, unb fo ergänzen fie [ich gegenfeitig 
unb fd)ügen cinauber baoor, ihre ©infeitigfeiten ju über* 
fpannen. gugleid) fd)eint biefe IWannigfaltigfeit ber con* 
feffionellen ^lusgeftaltung ber ethnologifchen Veranlagung ber 
brei ^auptjweige ber europäifchen Völferfamilie, ber Slawen, 
Siomanen unb ©ermatten gemäß ju fein. 2 )enn bie ©riedjen 
finb gegenwärtig ebenfalls als eine übermiegeub flawifche 
Siation ju betrachten, unb fatholifche ©ermanen finbet man 
faft nur als Slachfommen gewaltjam refatholifirter ißro* 
teftanten ober in ben ßaubeStt)eilen, bie jur 3 e *t ber Siefor* 
mation unter geifttid)er §errjehaft ftanben, unb beren ©in* 
wohner baburd) uerhinbert waren, fid) bem SßroteftantiSmuS 
anjufdjließen. s Jiur bie Sßeftflawen bilben confeffionell wie in 
ihrer ethnologifdjeu Veranlagung ein UebergangSglieb jwifcheit 
ben Dftflauen unb Stomanen. ®ie Stellen finb ein wefent* 
lieber Veftanbtheil ber heutigen romattifchen Völterfamilie 
unb h“Uen felbft ba meift am römifchen Äirdjenthum feft, 
wo fie alS oerfprengte ©lieber unter ©ermanen leben, j. V. 
in Srlanb unb Slorbanterifa. 

2luf bie gejd)id)tlid)e ®arftcüung ®orner’S ift hier nicht 
ber £>rt, näher ein^ngehen. §ätte ber Verfaffer nur gebilbete 
ßaiett als feine ßejer im §luge gehabt, fo mürbe er ohne 
gwetfel manche gefd)id)tlid)e ©tn^elaugaben bei ©eite gelaffen 
unb [ich noch me h r auf baS üikjentlidje befchränft haben; bie 
Siüdficht auf theologifche ©tubenten forberte jebod) ein ge* 
WiffeS üJlaaß üon ge)chidjtlid)en Eingaben. ®ie ©arfteQuitg 
ift fließenb. Sßer über ben ©egenftanb Drientirung jucht 
unb nach ben obigen Eingaben über ben ©tanbpunft beS Ver* 
fafferS biefem gutjrer Vertrauen fchenft, wirb nicht ohne 
reiche Velel)rung baS Vuch auS ber £>anö legen, baS trefflid) 
geeignet ift, bem oben bcflagten ÜDiangel religiöfer Vilbung 
abjuhelfen. 


Jluccitti unb feine neue ©per „fcoaca“. 

33on (Emil ITlauertjof (SRom). 

®er ©arneoal ift herangefommen, unb bamit haben auch 
bie Vorstellungen oon üßuccini’S „ÜJoSca" borläufig ihr ©nbe 
erreicht, benen ja bie an ben auswärtigen Vühnen wohl 
je^t halb folgen biirften. Sn ben mufifalifdjen Streifen 
StalienS gilt üßuccini als ber ©rfte innerhalb ber neuen 
italienifchen ©cpnle. 3 l) n fteöt man an bie ©pijje, bann 
folgt ü)laScagui unb in britter SKeitje erft ßeoncaoallo. 
S)aritm mag auch einiges Wenige auS bem ßeben biefeS 
©rften intereffiren. 

©iacomo ü^uccini ift auS ßucca gebürtig unb ent* 
ftammt einer alten ÜDfufiferfamilie. Schon fein ©roßoater, 
®omenico üßuccini, hatte eine Oper, OuintuS gabiuS, ge* 
feprieben, bie and) in ßioorno mit jiemlid)etn ©rfolg über 
bie Vühne ging; im Uebrigen aber finb bie Vorfahren unfereS 
UonbichterS fel)r ftreuge Herren gewefen, bie fich mit leid)t* 
fertigem Stram nicht einmal gelegentlich abgabeu, fonberu fid) 


* 


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136 


$ic (j&egenwatL 


Kr.fr 


mit all’ ihren mufilalifdfeen Sorgen ftetS unentwegt inner* 
fealb her ern|'tRaffen ftirchenmufif bewegten. Snjofern ift 
freilich ber Jicfeter bev „SBitti", ber „fötanon SeScaitt" 
unb ber „Pofeeme" gänzlich auS ber 9trt gefcfelagen. Jie 
Sugenb ©iacomo’S oerlief mie bie eines armen ÄunftfdjülerS. 
3unäcfeft befuefete er in feiner Paterftabt bas ©femnafium 
mtb brachte eS feier bod) fo weit, tun Pirgil lefen nnb uer* 
fielen zu tönnen. Jann ging eS non Succa auf bie £>oc£)* 
fdjule für Sötufit nad) fötailanb, wo er mit feinem fürjlidj in 
Winerifa uerftorbenen Pruber SDticfeele unb einem Petter ju* 
fammen fein Quartier in einem möbtirten 3inuner auffc^litg. 
©r bezog wäferenb biefer ©tnbienjeit aus Nom ein ntonat» 
tidjeS ©tipenbium non 100 Sire, non bem aber bie je ganze 
breiföpfige ©efeQfdjaft 31 t (eben batte, fo bafe gewöfenlid) 
fefeon nad) ben erften “lagen beS Söfonats bie ©änge nad) 
bent Seifeamte beinahe ebenfo häufig würben, wie bie nad) ber 
Nfabemie. Srgeitbwie @d)u(ben ju machen, (ag außerhalb 
aller SJtöglicfefeit. Jie 3Jiiett)e mußte ftets ooraitS bezahlt 
werben, unb ber 3ufuü feotte eS f° gefügt, baß bie brei 
jungen bei einem Poftbeamten wohnten, burdj beffen §änbe 
auf ber £>anptpoft fämmtlidje einlaufenbeit ©clbbriefe gingen. 
Unb fo tarn eS, bafe jeben Ntonat einmal ber §auSwirtf), 
einen SBrief in ber §anb, in baS 3' mni er feiner brei Seib* 
eigenen trat, not bereit begehrlich aufleud)tenben?lugen Kidjeltib 
ben Umfdjlag jerrife, bie barin (iegenben 100 Sire fiel) in bie 
Jafdje ftedte unb jenen barauf 70 Verausgab. 9lber and) 
ber Söinter in biefent erften Sofere mar auSnefemenb fa(t, 
unb geuer mußte ab unb ju gemad)t werben, wollten nid)t 
alle brei felbft gelegentlich ju einem ©ist lumpen erftarren. 
Um jebod) ben ^otjeinfauf, ber beften galleS immer nur ein 
Silo betragen burfte, in würbiger SBeife ju bewerffteUigen, 
trat ber jüngere Pruber Don 3eit i>* 3 f d mit einer alten 
englifcfeeit Neifetafcfee eine Neije inS NuSlanb an, ging eilenbS 
in bie erfte oerborgen gelegene Äofelenfeanblung, paefte bort 
ein paar (polzfcfeeite in bie Jafdje unb feferte baniit in bie 
foeben oerlaffene SBofpiung juriid, iubem er zugleich ber uer* 
wunbert bareinfefeauenben Pförtnerin in f)öd)ft unbefangenem 
Jone erllärte, baß er foeben eine Jepefdje erhalten tjätte unb 
barmt» nid)t met)r oerreife. Ja fidf biefe getjeimnifjuollen 
Nicfetreifeit aber 31 t häufig wieberljolten, unb ber 9frgwofen 
ber Jbürfeiiteriit barum fefjon einen beforgnifeerregenbeit 
©fearafter anjuneljmen begann, fo fafe fid) ©iacomo enblid) 
genötfeigt, biefer unter bem «Sieget tieffter Perfdjmiegenl)eit 
mitzutfeeilen, baff bie ganze ©acfje eine fije Sbee feines 
PruberS fei, in ber man ifjn jebod), ganz fixeren ffiutfe* 
anfallen oorjubeugen, um alles in ber 2 Selt nidjt ftöreu 
bürfe. Jie brei jungen Seute waren jubem paffionirteNaucfeer. 
Stuf welche Slrt war nun biefer Seibenfdjaft bei fo befdjränften 
fötitteln ju genügen? Ja fommt eines fdjönen JageS ber 
fetter nach (paufe unb wirft ftrafelenben 9lntlißeS einen 
Raufen brauner Sßürfet auf ben Jifdj, bie baS 9IuSfefeeu 
geröfteter §olzfpäfene ober Probfruften haben. feien 
Gacaofcfealen, fo erzählt er eifrig, bie orbentlicb jerftoßen einen 
herrlichen Jabaf abgäben: für 25 ©entefimi hätten fie alle 
brei über einen ganjen Jag bin übergenug. Ntan gebt jubelnb 
an bie 3ubereitung. Jaun ftopfen bie brei ficb ihre Pfeifen, 
jiinben biefe an unb paffen auS ^erjenSluft barauf loS. ©in 
peftilenjialifcber Junft erfüllt junäctjft baS 3'wnter. Jarauf 
überfällt fie 9lHe auf einmal ein unwiberfteblicber, bartnärfiger 
^uftenreij; fie feben einanber an unb bliden in oötlig er* 
blaßte ©efidjter; juleßt fuebt ein Seber ftöbnenb unb mit 
rebellifcbem SÖtagen fein Saget auf. Jie (pauSwirtfeiti, bie 
im Nebenzimmer fampirte, brachte folgen SluSfdjweifungen 
ber brei gourmets begreiflicher 2 Beife nur ein feöcbft geringes 
Ntitgefiifel entgegen; als ganz befouberS unwütbig erachtete 
fie eS aber, wenn man fid), wie baS oft genug oortam, bie 
SDfablzeit, bie häufig nur aus brei Padeiern beftanb, über 
Spiritus felbft jubereitet. @0 oft ba()er bie Putter in ber 
fleiueu Pfanne über bem wadeligcn ©laoier in oerbäd)tiger 


9lrt ju fingen begann, rief ber Petter, um bie argwöbniftb« 
Ob«» ber baneben wobueubeu f^rau zu täufdjen, bem }u= 
lünftigen Jonbicbter mit bonnernber ©timme zu: fo jpiele 
bod) enblicb! willft Ju beun beute gar nicht üben? 93otauf 
biefer bann unter 3ubülfenabme aller pebale auf ben Jaftai 
eine Sinfonie beS SBeltenuntergangeS anzuftimmen pflegte, 
bis ber oerrätberifdje ©efang im Jiegel oorüber war. fiu 
biefer luftig barbenben SEßeife oergingeit bie Sabre unb bamit 
auch enblid) baS ©tipenbium; unb als ©iacomo bie Stfabemie 
oerliefe, b Q de ein Seber ber brei fortan für ficb a ^eiu p 
forgen. Jent Jonbidjter ber „ JoSca" gelang eS zunäefeft, an 
Zwei ©tunben in ber 2Bod)e Wufifunterricbt zu ertbeileu, moiüt 
er jebeS 2)?al eine Sira erhielt; er war aber }d)on mit bea 
Saferen in bef ÜKaitänberÄünftlerbofeOme befannt geworben unb 
biefe oerfdjaffte bem zulnnftreidfeen ©enie in ber Dfteria bell’ 
einen ?lbenbtifd) mit aümonntlicfeer, nacfeträglicfeer SBezafelung, 
wofür er täglich ein ©tiid Prob, ein ©tüd Äo^fteifdfe je» 
feeimnifeuoUer Slbfunft unb 34 Pofeiten erfeielt. lliiterbefe 
featte ©iacomo puccini jebod) fefeon an feinen „PiUi“ ju 
arbeiten begonnen, mit benen er fid) an einem SKailäuber 
PreiSauSfdjreiben betfeeiligen wollte. Pierzefeit Jage 00 t ber 
ablaufeitben fjrift fefelte noch ber zweite 9lct, wie bie Orcfeeflri* 
rung beS ganzen SßerfeS. Slber um üJfitternacbt beS 30. Jecem 
berS 1883 war bie Oper fertig, bie balb barauf baS Preis» 
geriefet befähigte, bem unglüdlicfeen Jicfeter fo gut wie alles 
inufifalifcb * f^öpferifefee Jalent abzufpreefeen. ©lei^mobl 
würbe einige SHonate fpäter biefelbe Oper auf einer ÜDJailänber 
Püfene aufgefüfert unb erzielte ba ben beulbar geräufcfeoollften 
©rfolg. Jerweilen war bie ©cfenlbenlaft in ber Dfteria bell' 
Üliba auf 300 Sire angewaefefen. 9lm 9lbenb naefe ber erfleit 
PorfteBuug aber gefet ber §elb beS SDZailänber JageSjc 
fpräcfeeS Oon Neuem in bie oerräudfeerte ©pelunfc, betritt 
fie feoefe erhobenen §aupteS, oerlangt gebieterifefe, noefe beoor 
ber ÄeQtter 3eit featte, ifein toie gewöfenlicb baS fraftlofe 
©tüd ftocbfleifcfe auf ben Jifcfe zu werfen, feine Necfenunj 
inbetn er zugleich bor ben funlelnben 9lugen ber erftauni 
feerbeigeeilten SBirtfein einen reefeten, eefeten Jaufenblirefdjein 
tanzen läfet. Puccini felbft erzählt fo. ®S war bicS bie 
gröfete, bie unoergefelid)fte ©enugtfeuung, bie ifem bislang bas 
Seben gebvadjt feat. Stuf bie „Piüi" folgten aisbann „Wanuii 
SeScaut" unb bie „Pofeeme". Seßt feat er fid), noch wty 
als mit ben früheren, mit ber „JoSca" bie mufifalifcfec ffldi 
erobern wollen. Sft ifem baS gelungen? 

Jer Jejt zu ber Oper ift bem gleichnamigen ©cfenufpieU 
©atbou’S entnommen, baS auch in Jeutfd)lanb aufgefüfert 
würbe, freilid) ofenc ©rfolg nnb in Perlin mit Paulen unb Jrom» 
peten burdjfiet; bod) finb bie fünf Siete im Sibretto in brei p» 
fammengezogen. Jer ©cfeauplaß ber ^anblung ift Nom im 
Safere 1800; bie £>elbin ierfelben ift bie ©ängerin fjloria 
JoSca; neben ifer ftefeen in erfterNeifee ber-SNaler ©aoarabofp, 
ifer ©eüebter, unb ber tpauptmann ber römifefeen polijei, 
©carpia. Nngetotti, ein f^reunb beS SNalerS, ift auS bet 
©ngeisburg entflofeen unb feat in ber Äirdje ©ant 9 lnbrea 
beQa PaUe ©efeuß gefuefet, wofür ifem fefeon feit mehreren 
Jagen bie ©efewefter eine anbere Äleibung bereit feält .Stier 
in berfetben Äircfee arbeitet aber auefe zugleich an einem 
9 lltarbilbe ber ÜJfaler ©aoaratroffi, ber bie Nnwefenfeeit bet 
jungen ©räfin bazu benußt, um naefe ifer bie 3 uge öno 
SNagbalena zu geftalten. 91 iS Singetotti bie Sfircfee betritt, ift 
eS früfeer Nlorgen; balb naefe ifem fommt ber SKaler, bet 
wofel bie btonbe ©räftn malt, in feinem fetzen aber baS 
Pilbnife ber fcfeönen, feurigen JoSca trägt. Nad)bem bet 
Slüfter ifem bie Pinfel bereit gelegt feat unb ftefe bann ent» 
fernt, tritt auS einer Stapelte beS ©eitenfcfeiffeS ber entflogene 
©efangene, ioäferenb zugleich an ber Ä'irdjentfeür bie Jo « 11 
©inlafe begefert. Jer fötaler Oerfpricfet bem ffreunbe in aßet 
©ile, ifett in feiner PiQa üor ben Jfeoren zu Verbergen unb 
öffnet barauf, nadjbent fiefe Nngelotti üon Neuem in bie 
Kapelle begeben, bie Jfeiir ber ©etiebten, bie fiefe infolge bcc- 


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Nr. 9. 


Bte töegetiwart. 


137 


langen SBartenS argwößnifd) im ftdrcßenranme umfdjaut. 
Sie erblidt baS Wagbalcnenbtlb. „Oß! biefe Sogen ... bieje 
Äugen!" fcufjt fie etferfiidjtig; ber Waler aber beruhigt fie. 
SJladj einer ^ärtticT»en SuSfpracße «erläßt bie Sängerin ben 
©eliebten, wäßrenb jugleidj bie Äanotteit ber ©ngelSburg bie 
Fludßt eines ©efangcneit in bie SBelt bonnern. ©leicßwoßl 
gelingt eS ben beiben greunben ju entweichen, beoor noeß 
bie Eäfdjer beS EauptmanneS ©carpia in bie Äirdje bringen. 
SIS biefer fießtere bei feinem Eintritte ben ^äcper erblidt, 
ben bie ©cßwefter beS Flüchtlings bei ihrer lebten Snwefen* 
heit oergeffen, folgert er fofort aitS biefem Umftanbe bie 
Witwiffenfdßaft beS WalerS. Sni gleichen Sugenblide er* 
fcheint 001 t ßleuem bie Sängerin, um ber Verabredung gemäß 
ben ©eliebten abjußolen. Sie finbet ihn nicht mehr, unb 
ber fßolijeißauptmann bebient fid) nun beS jutüdgelaffenen 
gächerS, um in ber argwößnifcßen ©ame bie ©iferfucßt in 
bem Waße anjuregen, baß jene wie befinnnngSloS baöoti 
unb in bie SßiÖa beS angeblich ©reulofen eilt. 3ßr folge« 
im ©eheimen bie ©birren. ©amtt enbet bet erfte Set. 

©er jweite fpielt in bem ißalafte F ai ' lie fe. ©carpia ift 
allein unb beim 9lacßtmdßle. ©ie ©chergeit finb jurüd* 
gelehrt mit ber Nachricht, baß fie Sugelotti nid)t haben finben 
lönnen, bafür bringen fie ben Waler gefeffelt herbei. SuS 
einem unteren ©aale beS ißalafteS tönt bie Stimme ber 
©oSca herauf, bie ba auf einem Fefte oor ©ingelabeneit fingt. 
Vergeblich befragt ©carpia ben Waler nach bem Verfted beS 
FreunbeS. ®a oerfäflt ber ©rftere auf ben ©ebanlen, bie 
©ängerin auSjuforfcßen. ©r läßt fie ju fief) hinauf entbieten, 
wäßrenb er zugleich ben Vefeßl erteilt, ben Waler in einem 
baneben liegenden 3 l m, uer auf ein gegebenes Stidjwort hin, 
ber ©ortur ju unterwerfen. Sber auch ber ©oSca gegenüber 
fmb feine Vemiißungen uinfonft. ©ie Tortur nimmt alfo 
ihren Fortgang. Wan hört bie Stimme ©aoaraboffi’S, ber 
bie ©eliebte befdpoört, nidjtS ju oerrathen. darauf folgt 
neuerbingS ein Schrei, uitb außer fid) oor ©ntfeßen ftößnt 
bie Sängerin: „Sin Vrunnen beS — ©artenS!" ©a wirb 
bie ©ortur abgebrodjen; unb fie fießt jeßt, wie ber ©eliebte 
blutüberftrömt oon fJleuem in ben Seifer gefdjafft wirb, 
„©hebt es eine fRettung?" äcßjt fie. „Sa!" antwortet ©carpia; 
„fobalb bu mir angehören willft, wirb bie Einrichtung nur 
jum Scheine oor fid) gehen." ©ie Sängerin ift ber Ver* 
jweiflitng nahe, ©a fie aber gar feinen SuSWeg fießt, fo 
Willigt fie fdjeinbar ein, unter ber Vebingung jebod), baß 
ißr juerft ein Freibrief für ben Waler auSgeftellt werbe, 
bamit biefer ungehinbert bie ©ngelSburg oerlaffen fönne. 
©carpia fchreibt ben ©rief; als er fid) jeboch ihrer barauf 
bemächtigen will, ergreift fie einen auf bem ©ifdje liegenden 
©olch unb ftößt ißn bem ©bitten in bie ©ruft. 

©er britte Set fpielt in ber ©ngelSburg. ©aoaraboffi 
glaubt fid) turj oor bem ©obe — benn er foll erfeßoffen 
werben — unb benußt bie leßten Sugenblide, um an bie 
©eliebte ju fchreiben: ba erfdjeiut biefe felbft. Sie übergiebt 
ißm ben Freibrief unb erzählt bem maßlos ©rftaunten in 
bebenbet Sufregung ben Vorgang, ©a brießt ber Worgen 
an unb mit ißm auch We ©tunbe ber Einrichtung, bie jebod) 
nur in ber ©inbilbung ber fliehenden eine fcheinbare ift. 
©aoaraboffi wirb in ber ©h at erfchoffen. SRadjbem bie 
Soldaten fid) jurüdgejogen, eilt fcßleunig bie ©oSca herbei, 
um mit bem ©eliebten gemeihfam 511 entfließen. 3 U iß rem 
©ntfeßen finbet fie ihn tobt. Unterbeß haben bie ©birren 
ben Worb ihres EauptmanneS entbedt, haben ber ©oSca 
Spur «erfolgt unb finb bereits in ber ©ngelSburg, um fie 
ju oerhaften, ©cßon üernimmt bie ©ängerin ißre Stimmen, 
©ie rafft fieß auf unb ftürjt fief) oon ber Eöß e ßet Wauer 
hinab in bie ©iefe. 

Für Wenig anfprueßsooße ©emüther ift bie Fabel ber 
Oper, troß mancher SBunberlidjfeiten, in ben Eaupttßeilen flar 
unb überjeugenb genug. SEßaS ßat nun bie Wufit auS ißr 
gemaeßt? Vielleicht ift eS am juträgtießften, biefcS altweife 


ju oerfolgen, ©ie Dper ßat lein Vorfpiel; gleich bei ben 
erften, fdjrocrcn Sccorben ßebt fid) bet Vorßang, unb bie 
Wufif feßt fofort feßr glüdlidj mit ber Vomauje ©aoara* 
boffi’S ein, in ber bie beiben feßönen Frauen mit einanber 
oerglicßen werben, unb bie bann in bie ©etßeuerung auS» 
Hingt: „©oeß ©u, 0 ©oSca, bift mein einjiger ©ebanle." 
Von ba ab oerläuft alles, troß mancher reijootlen ©injel* 
ßeiten jiemlicß einbrudSloS bis jum Finale ßin, baS aller* 
bingS oon guter Söirfung ift. @S ßat fieß nämtieß bie 9lacß* 
rießt oon einer Sftieberlage ©onaparte’S in bet ©tabt üerbreitet. 
®aS Voll ftrömt in bie ftireße; bie ©eiftlicßteit jießt in all’ 
ißrem ©ompe ßerbei, um ©ott ju banlen. Unb während 
nun bie Kanonen ber ©ngelSburg bonnern unb bie Orgel 
tönt, öermijeßt fieß jugleicß mit bem ©ebeum beS VolfeS ber 
Suftgefang beS naeß ber ©oSca fiebernben ©carpia. ©er 
2 . Stt ift befonberS für fleute, bie in einer Oper oorneßm* 
ließ feßen wollen, der weitaus bramatifcß träftigfte. Wufi* 
falifcß wertßooU ift ber ©ingang mit bem Verßör beS WalerS, 
ben üon unten herauf aus ben Säten ber Königin oon 
Neapel Sßorgefang unb Orcßefterfpiel begleiten; aisbann noeß 
ber 3n>*egefang ber ©oSca unb beS ©carpia während ber 
©ortur. Sber in ber Srie ber ©oSca: „9tur ber Äunft unb 
ber fliehe ßab’ icß lebt —" ßat ißuccini bie fleibenfeßaft beS 
©cßmerjeS in leine Welobie ju bannen oerftanben — eS ift 
bei bloßer töneuber fßßrafe geblieben; ber Wufit feßlt ßier 
nießt bloß ber finngemäße ©timmungSgeßalt, fie ift jum 
©ßeil fogar bebauerltcß fladj unb gar baS ©nbc beS StteS 
wirtt abftoßenb unb beleibigenb. Stacßbem nämtieß bie 
©oSca den V°l'ä e >ßauptmann erftoeßen ßat, bleibt fie noeß 
etwa 15 Winuten in aller ©emütßSruße in dem ©obten* 
jintmer, fcßleppt ein ßrucifij ßerbei unb jfinbet Slerjen an, 
die fie bann in jwei feßweten ©anbetabern neben ber fleieße 
auffteHt. SBie drei jurecßnungSfäßige ißerfonen, jwei an* 
geblicße ©id)ter (SHica unb ©iacofa) unb ganj inSbefonbere 
ber Wufifer, ber bamit jede frühere Sßirtung inS Slberne 
oerleßrt, einen folcßen Vorgang nießt als wiberlicßen Vlöb* 
fitin ßaben empfinden lönnen, ift in ber ©ßat ganj un* 
begreiflich. F a ft ber ganje britte Stt ift mufitalifcß wertß* 
Ooll: junädßft baS ©rwaeßen bet großen ©tabt, in baS ftim* 
mungSooll ber ©efang eines Elften ßineintönt. ©päter beS 
SDtalerS SbfdjiebSlieb an baS flebeit, oielleicßt ein wenig 
weicßlicß, boeß ßöcßft wirfungSüolI, bem fieß gleich barauf 
ber 3toiegefang mit ber ©oSca: „D füße Edube milb und 
wonnereieß —" anfdßließt. t Sber eS ift feßabe darum, baß 
aueß ßier wieber jum ©cßtilß bet Wufifer fßuccini oor bem 
bramatifdjen ©ßarlatan ©arbou in fcßmäcßlidter SBcife fapi* 
tulirt ßat. Sucß bem 8 . wie bem 2 . Sfte feßlt ber fieß ju 
fteigernber äßirfung aufbauenbe mufifalifcß finngemäß mäd(* 
tige Sbf^luß. ©ie Wufit berftattert mit bet ©oSca felbft 
in aße Säfte. 

©ie erfte Vorfteßung ßatte natürlich ein feßr großes 
unb oorneßmeS Vublifum ßerbcigclodt. ©aS E auö «)ar 
überfüßt troß bet unftnnigen'fßreife. ©ine Heine flöge im 
erften fRange foftete 400 flire, ein erfter ©perrfiß aßein 
60 flire. ©ie Sufnaßme ber Oper jeboeß ßielt fieß in ben 
©renjen einer feßr maßooflen Vegeifterung — troß ber 
21 E«fborrufe beS ©onbiißterS, bie man gejäßlt ßaben wiß. 
©in großer ©ßeil beS fßublifumS ßatte erficßtlicß meßr er* 
Wartet. Viefleicßt lag eS aueß an ben ©ängern; ©enor unb 
©opran erfeßienen nießt imVoflbefiß ißrer gefanglicßen Wittel; 
bie oielgerüßmte ©arclee, bie unlängft in Vertin gaftirte 
unb abfiet, tremolirte und betonirte etf^redlicß in ber Eöße 
ben ganjen Sbenb über — ßätte eine jiemlicß aufbringlicße 
©laque nießt pünltlicß bei aßen jenen Hummern eingefeßt, 
bie naeß bem Urtßeile beS ©onbicßterS ober Verlegers als 
beifaßswürbig erfeßeinen, fo ßätte waßrfdjeinlidj nur baS 
Finale beS erften SfteS ganj fteßer bureßgefeßfagen. fßuccini 
ift mit feiner Oper eben an einem Oößig mufitwibrigen ©ejt* 
bueße gefeßeitert, obfcßon in ber ißartitur felbft aße ©temente 


j- 


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138 


Die (Gegenwart 


Nr. 1 


ju einem mufifatifegen SDieifterroerfe oorganben finb: fte 
gaben fieg nur teiber niegt jujammciifiitben unb gegenteilig 
öuregbrtngcn fönnen. Süian fann feine blojje unb noeg baju 
überaus raffinirte Sntrigue in mufifalifcge Smpfinbung um* 
fegen. VejonberS ungeilooll gat fteg biefet Umftanb gcrabe 
bem jroeiten 'ilfte ertoiefen, ber feiner ganjen Anlage naeg 
ber eigentlicge ^pögepunft beS SBcrfeS fein follte. Sr entgalt 
nicgtS als Sntrtgue unb baju nod) ein paar bei ben paaren 
gerbeigcjogeue Sluberngeiten. 3 roei Sßerjonen, ©carpia unb 
bte Xosca, berfuegen einen ganjen 2lft lang nicgtS ÜlnbereS 
als fteg gegenjeitig anjufügren; baju fingt noeg ex abrupto 
ber gefolterte, blutüberströmte unb beroußloje SDfater mit 
fegmetternber ©ttntme ein ©tegeSlieb, unb bie ©ängetin 
fügrt bann julegt an ber Sieicge igreS Verfolgers jene fegon 
erroägnte, ,ganj oerrüefte Äomöbie auf. ®ie Vorgänge auf 
ber Vügne erfegeinen barum in jo Diel oerfegiebenartige unb 
roiberfinnig gemifegte ©eenen unb ©timmungen jergaett, baj) 
man julegt übergaupt niegt megr empfiitbet unb aueg bie 
ajiufif niegt megr gört, ©cgliefjt man Dagegen bie Sllugen, 
jo begreift man auf einmal ju feiner niegt geringen lieber* 
rafegung, Daß jroar baS jeenifege Vilb nicgtS taugt, bafj aber 
bie iüiuftf juni Xgeil fegr reijooll ift. S)aS ^ubltfum gatte 
alfo Vecgt, weil es ein üfufitbrama ermattete unb oieUcicgt 
aueg ermatten Durfte, unb biefeS niegt ju gören befam; unb 
eS gatte Unrecgt, meil es über ben milben, aufgeregten unb 
jerfplitterten Vorgängen auf ber Vügne julegt bie §aupt= 
faege, nämlicg bte Sßfufif, jum Stgetl übergörte. Silber eS 
hegt auf ber §anb, baß gerabe Deßgalb unb trogbent biefe 
oorläufig legte Oper V ucam ’3 fieg boeg allerorten Diele 
greunbe gemmnen mirb. Sie Unmufifaltjcgen roerben auf 
Die Vügne jegauen; unb bie äJlufifoerftättbigcn roerben fieg 
an Dielen, etnjelnen, großen muftfalifcgen ©cgöngeiten er* 
freuen. Unb baS jegon muß als etmas gelten in einer 3«ü, 
bie VeffercS niegt geroorjubrtngen Derftegt. 


Heforrn ber jßilöljauerei. 

33on <£mil oon Sybou). 

Vor längerer 3eit iourbe in ber „Segenmart" bie gtage 
aufgemorfen, marum bie ^laftif jo fegr im Sllrgen liege, 
beim Volte fo roenig Vcrftänbniß finbe unb im Segenjage 
jur SDiufif, Sicgtfunft, ÜWalcrei im Srogen unb Sattjen falt 
taffe. Sie Sltntroort lautete, meil in ber Vilbgauerei Don 
geute nicgtS gejegaffen mirb, baS bis in bie legte SluSgeftaltung 
inbiüibuell bureggebilbet erfegeint unb als ÜtuSbruct Der 3 e >t, 
in ber mir leben, freubig erfannt mirb. Äurj, meil bie Vilb* 
gauerei Don geute feine Äunft unjerer 3 eit l Ü- 3 U biefem 
Urtgeil gelangt nun ebenfalls ein geroorragenber Vilbgauer, 
ber ÜBiener Sltabeniieprofeffor Sbmunb £>ellmet, in einer 
Vrocgure „Segrjagre in ber S|jtaftif" (SBien, Ulnt. ©cgroll & So.) 
unb ber Don tgm fegon im "Xitel angebeutete SKeformoorfcglag 
beeft fieg jieinltcg genau mit unferen bamaligen s 4ioftulaten. 

SaS plaftijcge Smpfinben rourjelt ini „SDiaterial"; aus 
bem SDlaterial gerauS mufj ber Vilbgauer componireit. 
©cgnigten bie Sllten igre Figuren aus ;polj, fo gaben fte bie* 
jelben gauj anberS, bem yffateriale entfprecgenb, componirt, 
als roentt fie biefelben in Vronce gofjen ober in älfarmor 
meißelten. Ser faum ju bearbeitenbe Sranit ber Slegßpter 
ift bie Srunburfacge jener granbiojen Sefcgloffengeit unb Sin* 
faeggeit igrer monumentalen Söttergeftalten. Ser leiegter ju 
meijjelnbc peutelijege Sülarmor ber Sriecgeit erlaubt igren Vil* 
bungen roeit größere greigeit unb bie Vronce nageju Ve* 
meglicgfeit. Smmer — an jeber grofjen ftunftepoege fann man 
es uerfolgen — ift baS SDiaterial, bie Vegerrjcgung beS 3Jia* 


terialS baS ÜJiaajjgebenbe für bie ßompofition. ©o roie bet 
SDfufifer, bet in Sölten unb Harmonien Denft uuö Der 
SeiftungSfägigfeit jebes SnftrumenteS (ber menfeglicgen ©timme) 
entfprecgenb fein Vkrf'geftaltet, mie ber SDialer, ber in garben* 
Problemen, auf roelcge bie Vtaltecgnif — in biefem gälte baS 
„äliaterial" — beftimmenben Sinfluj) übt, feine Sebanfen 
unb Smpfinbungen jur Slnfcgauung bringt, mie ber Slrcgiteft, 
ber, bem 3 roecfe 1)61 Sfüglicgfeit Vecgnung tragenb, baS 
ÜKaterial roäglt unb bann roieber aus Dem Viatenal gerauS 
ben fünftlerifcgen tlluSbrucf finbet, fo füll aueg ber Vilbgauer 
in gormen fügten unb Don oorngerein bie VilbungSfägigfeit 
beS tülateriales in fein ©egaffen ein besiegen. 

Um aber fo ju geftalten, gegört oor allem Dolle Ver* 
trautgeit mit bem Viaterial baju. Unfere mobernen Vilb* 
gauer finb aber nur ÜKobelleure. Xgon, JBacgS finb igre ®e* 
ftaltungsfötper. ^pellmer fennt unter ben jegt fegaffenben 
Äünftlern faum fünf ober feegs, bte ju meißeln oerftegen, faum 
einen, ber im ©tanbe ift, fein V$erf in Vronce ju gießen, ju 
cifeliren. ©eine erften taftenben Verjucge rnaegt ber Vilbgauer 
Don geute in fcgmiegfamein ilegm ober VkcgS; er fennt unb 
lernt niegt in Vetracgt jiegen bie ©pröbigfeit beS SefteineS, 
bie ©cgmierigfeit, in Vronce ju bilben. ÜBiUig folgt bie 
meiege ©ubftanj ber Sßgantafie beS ÄünftlerS, ja er lernt fie 
teegnijeg begerrfegen, bringt es juni befteegenben Vortrag. 3ft 
aber feine nrbeit oollenbet, fo muß fie erft in bauernbeS 
iüi'aterial „übertragen" merbeit. Unb ift fie btoS erft „über* 
tragen", mirb man igr eS für alle 3 e 'teu anfegen unb an* 
fügten, baß fie niegt aus bem Seftein, bem ÜDfatmor geroor* 
geroaegfen ift, baß fie aus Süfetall „gebilbet" morben. ®er 
einige, nie ju uerbeefenbe iüfangel bes plaftifcgen Smpfinbcns! 
„Unb mie fiegt eS mit ber ,Uebertragung‘ aus!" ruft tpollmer 
aus. „Arbeiter, meift ogne fünftlenfcge VorbilDung, copiren 
reegt unb fcglecgt bas üBerf. SllUe Snbioibualität ber gormen* 
gebung, jeber Vortrag gegt Derloren. VicgtS Don jenem be* 
rücfenben, ginreigenben Veroenfpiel, feine SluSniigung Don 
3ufäUigfeiten, fein fraftooller SigenmiUe, niegt gmgebungS* 
Dolle üiebe — einfaeg eine intereffelofe, jegmaege Sopie." 

Bit miffen alle, mie ein plaftifcgeS Äunftmert ent* 
ftegt. Bill ber Äünftler ein ÜMarmorroerf fcgaffeit, mobel* 
lirt er fein „Diobell" baju in Xgon, aueg SBacgS, meift in 
galber ober gar in berfelben Sröfje, in ber baS Bert auS* 
gefügrt roerben foll. i)fun mujj bie SDfobellirtecgnif in SDiar* 
mor „Ueberfegt" roerben; baS ift aber ebenfo fegroet mie baS 
Ueberjegen in eine ftembe ©praege. SBaS gier ber ®aumen 
brüeft, baS Diobellirgolj ftreicgt, mjife bort gegauen, gejegabt, 
gebogrt roerben. gür geroiffe geingeiten gibt eS bager über» 
gaupt fein Slequioalent; eS müßte Denn gerabeju neu erfun* 
ben roerben. . Silber negmen mir felbft an, bafe ber Sfünftler 
in eigener Sfierjon fein Bert in ©fein überträgt — roaS bei 
ber geutigett Vorbilbung ein ®ing ber Unmöglicgfeit ift — 
eS mirb gleicgroogl eine müjbe Ueberfegung bleiben. SS ift 
eben ganj abjolut DerfegU, groge SlMobeUe ju ntaegen unb 
biefe bann ju „übertragen", gleiegoiel mer biefe Uebertragung 
Dornimmt. Xenn in jebem gaUe feglt bie nie ju copitenbe 
„Singebung beS SlugenbliefeS". Unb §ellmer fügrt unS Dor 
bie Arbeiten ber beften Sitten, Damit mir fie genau anfegen, 
„©ie gaben naeg fleinen Sntmürfen, roelcge nur bie £>aupt* 
mafjeit ber ßompofition feftlegen, frei im grofjen gemeifjelt. 
SS ift aueg ganj unlogifeg, anberS ju arbeiten, benn SRicmanb 
ift im ©tanbe, jroeimal etroaS „ganj gleicg" ju empfinben, unb 
jebe äBiebergolung, aueg roenn fie ber Sfünftler felbft aus* 
fügrt, ift eine Slbfcgmäegung." 3Die Sllten gaben alles prima 
gearbeitet, (©iege SfjgibiaS unb feine ©cgule.) Von ben 
Äünftlern ber SKenaifjance finb unS noeg einige ber fleinen 
„©fijjen" ergalten, naeg melcgen fie gearbeitet gaben. Unb 
Don bem Sröjjten ber Sro^en biefer 3eit, Vuonarotti, gaben 
mir galbauSgefügrte, rog boffirte, ja „Dergaute" SUlarntor* 
geftalten, an melcgen mir bas Vorgegen genau ftubiren fönnen. 
— Xafj biefem §eroS in feinem Ungeftüm bei manegen gi* 



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Nr. 9. 


Die Gegenwart. 


139 


quren nnb (Gruppen ber SBfoef ju ffeirt würbe, jeigt genau, 
baß er feine Arbeiten nidjt juerft im „SDtobell" ooüenbet ßat. 

Sft baS SVobcll in ©ipS poltenbet, fo wirb eS beit £>ärtbeu 
be$ StünftlerS entwunben unb bie weitere Veßanbluttg ßanb* 
roerfSmäßig burdjgefüßrt. SSSirb eS in ©anb geformt, fo wirb 
cS, wenn nießt jerfeßnitten — waö in ben meiften gäfleit 
beö bequemeren ©uffeö falber gefdjießfr — boeß oon Slrbeitcrn 
eingeformt, wcldje feine ©mpfinbung für gorm ßaben, voetdje 
bie 9?aßtfüßrung rein im tpinblide auf baS teidjtere ©elingen 
Dorneßmen, bic bann nach gefeßeßenem ©uffe aDe 9täßte mit 
ungeübter £>anb tßcilö Pertlopfen, tßeilS Perfdjaben, nm fie 
fcßiießlkß mit punjeit jufainmenjnjießcn, wie fie’S eben ber* 
tteßen. 9luf biefelbe 2Beife roirb auch baS 3 u f ammen f c $ en 
ber ©tüdc unb baS Verarbeiten ber 3 u 9 en bufeßgefüßrt. 

ÜSirb aber eine Vronce nach unferen Gegriffen lujuriöS 
bcßanbelt, fo roirb fie bou einem „anberen" ffiinftlcr (sic!) 
„cifclirt", b. ß. in beit meiften gällen berborben, benn ber 
Sifelcur tbnt bann nidjtS anbereö als etwa mutatis mutandis 
ber Vetondjeur beim Pßotograpßen. „9(udj bie ©ufebjaut, roefcfjc 
eine fo fd)fecf>tc, an unferen ®entmälern beutlidj fiebtbare 
Patina anfeßt, fann nicht entfernt, weit nidjt berarbeitet 
werben, benn nicmanb berftebt bie«, ohne bie ganje Arbeit 
babei ju berberben. 2Sie ^crrlidt» finb bagegen bie gefeßfiffenen 
Vronecn ber 9llten! — 9Set form aber beute nodj biefe fubtife 
Jlrbeit?" Unb nach biefen burcßauS ben.Vagei auf ben Stopf 
treffenben 9lu3füßrungen, feßlägt §oümcr eine Veform ber 
plaftifcßen Seßr jaßre bor unb forbert eine ganj neue Äunftfcßule. 
5)ie Vilbßauerfcßulc muff bor allem in eine „SBerfftatt" um* 
gemanbelt werben. ®er cintretenbe ©djülcr muß in erfter 
Sinie baS Sjmnbwcrf erlernen, benn Stunft unb ^anbtoerf 
haben einen gemcinfamen 9täßrboben: bie Sedjnif. ®arum 
barf ber junge Vilbßauer nießt auf ßeiebnen unb Vtobelliren 
gebrillt werben, er muff bon Sugenb auf meißeln, für Sronje 
boffeln, in äWetall gießen, cifeliren, feßnißen. „Vormittags 
mobcfliren, 9taeßmittag3 meißeln!" — Sn ben erften Sof) ren 
bürftc biefe ©encraleintbcilnng genügen, weil erfaßrungögeraäß 
bei formgetoanbten Seuten nur einige Saßre erforberlict) finb, 
nm in bic 2lnfangSgrünbe ber SVarmortedjnif eingefübrt ju 
werben. S)ic weiteren Saßre müßte ber Vadjmittag abwecß* 
felnb jur Erlernung ber Vronjetecßnif berwenbet werben. Sft 
ber ©djüler fo weit oorgefcljritten, baß er an eigene ©ompo* 
fitionen geben fann, fo muß er biefelben auch in bem be* 
treffenben SWatcrial felbft auSfiiEjren. Vorträge über bie 
leeßnif ber 91 (teil müßten mit ben practifdfen Verfugen !panb 
in Spartb geben, ©obin wirb ber Stunftjünger fc^ort bei ber 
Sotiception, ja fdjon in ben erften Pßantafien baran benfen, 
wie nnb in welchem SDtaterial „finugemäß" fein ©ebanfe 
Vertoirfließung finben foD. ©r fennt bie ©djwierigfeiten 
ber Vcarbeitung, wirb Stünfteteien Permeiben, Weil er auS 
eigener ©rfaßrung Wiffen wirb, wo bie natürlichen ©renjen 
liegen. @3 wirb ißm gleidjfant in gleifcß unb Vlut über* 
gegangen fein, WaS für äJtarmor, WaS für Sronje jc. fieß 
eignet, unb aueb baS S33ie ber teeßnifdjen Vebanblung Wirb 
ibm Pon oornßerein flar fein, ©o weit Speümet’ö Anregung. 

Vun wirb aber bie Voutine bagegen einwerfen: woher 
foüen wir ben foftbaren 9J?armor bernebmen, wo bie Vronce* 
gießerei lernen? Vatürlidj auf einer Stunftfcßule ad hoc. 
Unb Ipellmer entwirft unS in fübnen 3üfl en e ‘ nc f°^ e 8 e ' ts 
gemäße SBilbnerfctjule: SKobeUirfäle in größerem 9lu3maaße, 
©farmoratelierg, Verfucb«broncegießerei, ©ifelirabtbeilung, 
djemifebeö ßaboratorium finb abfolut erforberlidj. ©in Stünft* 
ler, ber fetbftoerftänblid) in ben Perf^icbenen ®isciplinen 
ju §aufc fein muß, ftefjt ber @d)idc Por, ?lffiftenten, bie fpe* 
cieflen gäcbcr in auögcjei^netcr SBeifc inneßabenb, fönnten 
ißn nnterftüßen. 2Ba8 bie Vefcbaffung beö ÜWarmorä an* 
belangt, fo Würben bie Sefißer großer ©teiubrüdje feßr gerne 
bie Abfälle gegen mäßiges ©htgelb jur Verfügung ftellen, unb 
bie ©inrießtung einer VerfudjSbroncegießerei jäbtt ja auch nidjt 
ju ben Unmöglicbfeitcn. 


2öie man fießt, ift bie SReform Weber einfach noeß billig, 
benn bie neue ©djule müßte fdjon räumlidj größer fein, als 
bie bisherigen. 2ludj beffer botirt. 21 ber abgefeßen uon 
ißren Vortßeilen für bie Äunft, ßätte biefe ©cßule aud) 
maneße Woßltßätige ©ntlaftung beS ©tatS jur golge. ©cßon 
burdj eine Verfeinerung ber ©cbülerjaßl, eine beffere „®urcß* 
fiebung". ^ellmer meint mit Vedjt, feßon in ben erften 
Saßren würbe fieß in bem ©cßülermaterial eine woßltßuenbe 
©onberuug PoQjießen. „2ltlc jene, weldße bic ißlaftif oßne 
unbejwingbaren ®rang unb Veruf ju erlernen traeßten, 
©cßwäcßlinge, Seute oßne baS nötßige Vfunb würben ab* 
faüen, ^Dilettantismus Wäre auSgefdjloffen: bie ßeßrjaßre 
finb ju anftrengenb! körperlich unb geiftig gefunb muß bet 
junge Stünftler fein, will er baS feßwietige ipanbmerf er* 
lernen,, will er auf VafiS beSfelben jur 30?eifterfcßaft gelangen. 
91 ur fräftige §änbe perfteßen ben Ülteißel ju füßren, weieße 
Ipänbdjen eignen fidj nidjt ju biefer ernfteften aller fünfte." 
©päter, bei weiterem Vorfcßreiten, fäme eS unter ben 
©cßülern abermals ju einer' ©ießtung, ba nur ber Waßrßaft 
Vegabte bei ber Stunft auSßarren, ber minber Vegabte, Diel* 
leidjt aber auSgejeicßncte Secßnifer fieß mit ©rfolg jum §ilfS* 
arbeiter recrutiren würbe. „1)ie jungen Seute müßten nießt 
fo wie jeßt, wenn fie fieß nießt jur ßoßen Stunft bureßgerungen, 
Proletariat bilben, fie tonnten fieß als ©eßilfen bei einem 
Stünftler nüßließ, ja unentbeßrlicß maeßen, in ber Äunftinbuftrie 
^eroorragenbeS leiften unb fidj eilte gefießerte ©giftenj grünben. 
®ic jurüdgebüebene Serntruppe aber, jur 9Jfeifterfcßaft ge* 
leitet, wirb bie Vilbßauerei ju jener Vtünbigteit füßren, bie 
Wir an ben Sitten bemunbern. ©ouoerän alle Sleißniten bc* 
ßerrfcßenb, tönnte ber piaftifer tüßn feiner Pßantafie folgen, 
oßne ©efaßr feiner Snbioibualität SluSbrud Perleißett. ®en 
,,©til" würbe ißm baS SDfaterial fißon felbft aufjwingen. 
greiließ bie SRaffenprobuction wirb bei berartiger tiinft* 
lerifeßer probuction auSgefdjloffen fein. S)aS Slngebot wirb 
infolge ber Sangwierigteit ber Arbeit, bie ber Stünftler nun* 
meßr felbft oornimmt, fieß notßwenbigerweife Perringern. ®ie 
Vacßfrage naeß eeßten, waßren Stunftwcrten wirb aber um fo 
reger werben. Unb fo wirb fidj ein bem Stünftler günftigeS 
conftanteS Vcrßältniß jmifeßen biefen beiben goctoren ßerauS* 
ftellen, bie preifc werben entfprecßenb unb eines StünftferS 
würbige werben. ®ann Wirb aueß ber Stünftler jene mate* 
rielle Unabßängigteit erreidjen, bie allein bic tünftlerifcßc 
„SJtuße", bie Vorbebingung freubigen StunftfcßaffenS, ge* 
wäßrt." 

2Sir finb begierig, welcße Slufnaßmc §eflmer’S Vor* 
feßläge finben werben. Offen gefagt erwarten wir feinen 
feßr großen ©rfolg, benn wir erinnern unS noeß lebßaft ber 
allgemeinen Slbleßnung unferer erften ülnregung Por Saßren- 
®ie ©ultuSminifter fdjeuen bie SluSlagen, unfere meßr ober 
weniger oerfnödjerten Slfabemiter betraeßten jebe Veform als 
unwillfommene ©törung. 9ticßt oßne triftigen ©runb. Von 
unferen großen unb fleinen Vilbßaucrn oerfteßt taum einer 
ben SJteißel ju füßren. Unfere marmornen ©iegeSbenfmäler 
Werben meift Pon italienifeßen ©teinmeßen ober gar fdjon in 
-ßarrata auSgefüßrt. 2lucß Prof, ©cßaper, ber ©cßöpfer beS 
Vertiner ©oetßeftanbbilbeS, ben wir feiner 3eit um ein ©ut* 
aeßten angingen, Perfpracß fieß Pon ber fKeform nießt oiel. 
®ie Slitberen feßwiegen fieß oielfagenb auS. Um fo größer ift 
unfere greube, baß nun enblicß aueß ein äftßetifcß unb prat* 
tifdß beWäßrter gadjmann, ein eeßter Stünftler, unS Vecßt 
giebt unb unfere flüdjtige Slnregung in geiftreieß*fadjgemäßer 
ÜBeifc auSjugeftalten fudjt. 


- 


✓ 


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140 


Die OßegntttHtri 


'Sr.*. 


Sfeuiffeto«. 

- Wactf'rurf verboten. 

Der Deiner. 

©on 2lnton (Efegecgow. 

SineS frönen ©lorgenS füllte ber Slffeffor $iril Stoanowitf^ 
SBawilonow begraben werben, gwei in ©ufjlanb ftarf verbreitete $ranf= 
feiten gatten ign bagin gerafft: ber SUfogoliSmuS unb eine böfe grau. 
Jhirg bevor ber fieidjengug fteg von ber Äircge auS gum griebgofe be* 
wegte, ftieg ein Sollege beS ©erblidjenen, ©oglamSfg, in einen SBagen 
unb befudjte feinen greunb ©rigort Sßetrowitfcg ©ogofin. 9Sie ben 
fiefern befannt feilt wirb, ift ©opofin im ©efifc eines felteneit XalenteS: 
er Verfielt auS bem Stegreif ^ocbjeitSs, SublläumS* unb ©egräbntjjreben 
gu Ijaften. gu jeber ©elegengeit unb jeber geit fann er ©eben galten 
— im £aIbfcSlaf, mit leerem ©lagen ober in finnfofer ©etrunfengeit 
ober gar im gieber. 3mmer fliegt feine ©ebe ungehemmt unb reieglicg, 
wie SBaffer auS ber ©rumtenrögre; in feinem oratorifdjen SBörterbud) 
fmben fid) megr Häglid)e SluSbrüde unb rügrenbe ©ilber, als Sanken 
in einem polntfigen SBtrtgSgauS. ©tancgmal fdriegt er fo auSgtebig, 
bafj man fdjon bie ©oligei in Slnfdrucg nehmen mujjte, um feiner ©ebe 
Singalt gu tgun! 

„3d) lomme in ^öc^fter (Site gu $)tr, ©rüberegen," begann ©od= 
lawSfg, als er feinen berebten greunb begriifjte, „alfo ffeibe $)icg rafeg 
an unb fagre mit mir. (Sin College ift unS geftorben, eben geben wir 
ignt baS ©eleit in bie anbere SBelt. Unb gum Slbfdjieb, ©rüberdjen, 
mug man boeg irgenb etwas reben. S5a bift 3)u nun unfere eingige 
Hoffnung. SBäre eS nur einer Von ben kleinen gewefen, niemals Sötten 
wir 2)icg in Slnfdrucg genommen, aber fo ein ©ecretär ift fogufagen 
eine ©tüje ber ©efeflfegaft, eine gierbe beS ©aterlanbeS. SS fegirft fieg 
niegt, ein fo.grogeS $gier ogne ©ebe gu begraben." 

„Sieg fo, ber ©ecretär!" rief ©ojwfin unb gägnte. ,,3d) weig 
fegon, ein fcgredllcger Xrunfenbolb!" 

,,©ang reegt, er foff etwas. Sllfo fomm, eS giebt liegen unb 
traten .. . Slucg ber SBagen ift begaglt, affo fomm, liebe ©eele! ©tieffe 
an feinem ©rab eine ©ebe ä la Sicero, unb ®u wirft riefigen Beifall 
gaben!" 

©ern willigte ©opofin ein. Sr orbnete fein &aar, fegnitt eine 
jammervolle Stage unb ging mit s J$oJ)IawSfi). 

„3a, ja, icg lannte Suren ©ecretör genau!" fagte er, als er ben 
SBagen beftieg. „Sin ©auner unb ein ©inbvieg, wie eS nur wenige 
giebt, — boeg fjricbe feiner Slfcge." 

„greuubegen, eS fegidt fid) gar niegt, ©erftorbene noeg gu be= 
fegimgfen," 

„3a, gewig, aut mortuis nihil bene, aber eS war bod) ein auS? 
gewaegfener ©cguft." 

©alb gatten fie ben Xrauergug eingegolt unb fieg ignt angefcgloffen. 
3)a ber $obte laugfam getragen würbe, fo gatten bie greunbe reügltcg 
geit, unterwegs eingufegren unb bem Slubenfen beS ©erftorbenen ein 
ftilleS ©läSegen gu weigen. $)ann fang mau auf bem ftircggof bie 
Sitanei. Sie eS nun einmal ©itte, weinten grau, Schwiegermutter 
unb ©djwägerin fegr geftig. SUS man ben ©arg in bie ©ruft fenfte, 
fdjrie bie grau: „Sagt mieg bei igm!" aber eS fiel igr niegt ein, ginein- 
gufdringen. 3®benfalIS !am igr bie ©enfion in ben Sinn, gnbeffen 
wartete ©opofin rugig ab, bis fieg bie Aufregung gelegt gatte. $ann 
trat er vor, blidte fieg rings im Greife um unb begann feine Diebe: 

„können unb biirfeu wir unferen klugen unb £)gren trauen?! 3ft 
biefer ©arg, finb biefe verweinten ©efidjter, ift all' biefeS Klagen unb 
©tögnen niegt nur ein böfer Xraum? Sieg nein, eS ift fein £raum, 
unb von unferen Singen werben wir niegt getäufdgt! Sr, ber nod) Vor 
gang furger geit fo frlfcg, fo jngenblieg unb fo rein unter unS weilte, 
ber unlängft Vor unfer aller Slugen gleid) einer emfigen ©tene feinen 
Honig in ben gemeinfamen ©ienenftod beS StaatSgauSgalteS trug, er, 
ber ... bod) aeg! er ift jefct in ©taub Verwanbelt, in eine förderliche 


gata DRorgana. Unb gerabe jefct gat ber unerbittliche £ob feine §cmb 
auf ign gelegt, wo er, ungeachtet feines vorgerüdten SllterS, noeg in 
Voller ©liitge feiner Kräfte unb feiner glängenben Hoffnungen ftanb! 

SSer wirb unS biefen unerfeglicgen Serluft erfe^en? D, wir gaben 
wogl viele gute ^Beamte, aber unfer greunb war eingig. SIS in bie 
^iefe feiner ©eele mar er von feinem Sßfficgtbewugtfein erfüllt, er fegonte 
feine Kräfte niemals, fcglief beS SlacgtS wenig, war ftetS uneigennü^ig 
unb nie beftecglicg. D, wie tief verabfebeute er 3ene, bie fieg ber öer* 
gebliegen SRüge untergogen, ign, natürlicg gum ©egaben ber aügemeinen 
Sntereffen, gu befteegen, — 3^ne, bie bureg Verlodenbe Dietge beS SebenS 
ign gum SSerratg feiner Sßfficgten beftimmen wollten! 3 ö, Vor unferen l 

Slugen gat ber Sßerblid)ene, aeg wie fo oft! feinen geringen fiogn unter ' 

feine ärmeren Sollegen vertgeiltl 3g^ gabt ja eben felbft baS 3tower= j 

gefegrei ber SSittwen unb SBaifen vernommen, bie alle Von feinen ©üben 
lebten, ©ang feinem 2>ienftetfer unb bem SGBogltgun ergeben, famtte er 
feine SebenSfreuben unb Vergütete fogar auf gamilienglüd, benn eS ift I 

3gnen ja befannt, bafj er bis an fein SebenSenbe SunggefeHe war. Sieg, j 

wer erfegt ign unS als ©enoffen, als greunb unb ©ruber?! $eutlid) i 

noeg fege icg ign vor mir, wie er fieg mit feinem glattrafnrten ©efugt 1 

unb mit gütigem Säcgeln unS guwanbte, noeg göre icg feine rnilbe unb 
freunblieg tönenbe Stimme! griebe deiner Slfdje, ©rofod Ofipomitfeg! 
Dluge auS, S)u getreuer, ebler Sirbetter!" 

©opofin war noeg lange niäjt gu Snbe. Slber unter ben git 
görern war eine gemifje Unruge bemerfbar. 3)ie Siebe gefiel ja, gatte 
aitcg wogl manege Xgröne gervorgerufen; boeg mancgeS barin erfegieti 
rätgfelgaft. ßuerft war eS jonberbar, bafj ber Dlebner ben ©erblicgenen 
^rofog Dfidowitfcg nannte, wo er boeg $iril Stvanowitfdj giefe. ®ann 
war boeg SlUen befannt. baj ber ©erftorbene mit feiner grau einen 
lebenslänglichen Srieg gefügrt gatte, alfo boeg niegt lebig fein fonnte. 
drittens aber befaß er einen ftarfen rotgen ©art, lieg rafften, 

unb bager war eS gang unverftänblicg, warum ber ©ebner Von feinem 
glattrafirten ©eficgte fpraeg. 3)ie 3«görer fagten baS SlÜeS niegt redjt, 
taufegten untereiuanber ©Ude auS unb gudten verftänbnifjloS bie 
©cguitem. 

„^rofop Dfigowitfeg," fugr ber ©ebner unbeirrt weiter unb bliefte 
begetftert in bie ©ruft, „wogl war Stein ©eftegt niegt fegön, eger gäjjlidj, 
aueg fageft ®u finfter unb ftreng auS, aber wir mufjten Slüe, baj unter 
ber unangenegmen ©taSfe ein treues, freunbliegeS H« r 5 fcßlugi^ 

Hier bemerften bie gugörer an bem ©ebner etwas ©eltfameS. Sr 
ftarrte auf einen gled, bregte fieg unrugig unb gudte nervös. 5tenn 
fegwieg er plöglieg unb wanbte fteg gu ©oplamSft). „Slber er lebt ja!* 
rief er mit fegrederfüütem ©eftegt. 

„SBer lebt?" 

„^rofop Dfidowitfeg! ®a ftegt er ja beim näegften ©rabftein! - 
„©atürlicg, benn ber ftarb ja gar niegt! SHril Sroanowttfcg ift ja 
ber ^obte!" 

„©agteft S)u niegt felbft, bafe Suer ©ecretär ftarb?" 

„$iri( 3^önowitfcg war ja aueg ©ecretär. $u gaft fie ©cibe 
verweegfelt! ©ewig, früger war aueg ©rofop £)fiJ)owitfeg ©ecretär bei 
unS, aber feit gwei 3^gren ift er in eine anbere SCbtgeüung verfemt.* 

,,©ei Such fenne fieg ber Teufel auS!" 

„gagre nur fort, — warum bleibft 5)u fteden? S)aS ift b«b 
unangenegm." 

©ogofin wenbete fieg mieber gur ©ruft, unb mit ber alten 
rebtfamfeit fegte er feine ©ebe fort. Slm näegften ©rabmal aber Iegnte 
wirflicg ber alte ©eamte mit ber glattrafirten $gt)fiognomle, 

Dfigowitfeg. SRit böfem ©efiegt fegaute er ben ©ebner an. 

„SBie ift $>ir baS aueg nur gaffirt?" nedten ign bie ©eamten, aK 
fie mit ©ogofin vom ©egräbnife geimfegrten. „Sinen lebenben ©lenfegen 
tobt gu reben!" 

,,©ar niegt fegön von 3g«en, junger SRann!" brummte 
Cfigowitfeg. „gür einen ©erftorbenen gätte 3S^ C $R*be gefaßt, aber auf 
einen Sebenben war fie ein bloßer Hogn! SBaS, unbefte^K^, ogne (Rgen* 


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Nr. 9. 


Die <$egenu>art 


114 


nup, niemals (föefdjenfe annepmenb! 3)a« fann man Don einem lebenden 
©lenfcpen bocp nur im @pott fagen! And) pat Sie Niemanb um ihre 
Meinung über mein ©eficpt gefragt! ©3enn eS nicht fcpön ift, eher 
pählta), gut, — aber barum brauchen Sie mid) nicht bar allen Leuten 
blcf$ $u fteüen. 3)a« ift eine ©eleibigung." 


ber ^aupfßaM. 


!Äud) eine itottettbcbatte. 

©ruepfiüd einer $Reid)«tag«fipung. 

Staatöfecretär D. ©ülow (eine feurige Siebe für bie glottenbor? 
läge beenbigenb): ... unb fo gebe ich mich ZUDerficptlicp ber Hoffnung 
hin, baß Sie, geehrte Serien, ohne Unterfchieb ber ©artet, in einmütpiger 
©egeifterung unferer Negierung bie ©fittel bewilligen werben, welche 
nöthig finb, um bie maritime ©Seprpaftigfeit be« Neicpe« auf bie impo? 
nirenbe £>öpe h^n, welche bie Sanbarmee fepon feit geraumer 
einnimmt; möge unfere unübertreffliche Schlagfertigfeit gu Sanbe ihr 
imponirenbe« Spiegelbilb finben in einer ebenfo achtiinggebietenben 
Seegewalt, bem beutfchen tarnen gum Nupme unb bcm beutfchen ©olfe 
gum $eil!‘ (©raufenber ©eifall auf allen Seiten be« fpaufe«. $er 
Nebner wirb umringt unb beglüdroünfcpt). 

Äaffanbro« (feiner graction angehörig), ©feine Herren, ich be? 
baure fehr, 3P*e ©egeifterung nicht theilen unb $>errn D. ©ülow nicht 
©eifafl gollen zu fönnen (oho! linf«), ich ftehe fogar auf bem Stanb? 
punft, bah gerabegu Derwetflicp wäre, jept auch nur einen Oirofcpen 
für bie Statte ju bewilligen (Sachen linf«), obwohl ich zugebe, bah bie 
glottenDerftärlung an unb für fid) gang wünfcpengwertp fein mag (Na 
alfo! linf«). $)a un« aber ba« £>emb näher liegt al« ber Norf, fo 
lönnen wir hoch nicht fo grofje Summen für bie Statte bewilligen, fo 
lange ba« Diel wichtigere Sanbheer bie Dom £errn Staat«fecretär ge? 
rühmte Sd)lagfertigleit gar nicht befipt (na nu! recht«), unb unfer £>eer, 
meine Herren, (mit erhobener Stimme), ift augenbltcflich für ben Ärieg 
beinah unbrauchbar! ((Er ift übergefcpnappt! linf«; er beleibigt bie Armee! 
tecfjt«. Gelächter unb Tumult). Saffen Sie mich au«reben, bann werben 
Sie fehr halb einfehen, bah ich Weber toll bin, noch ©eleibigungeit be? 
abftd)tige, unb bah '<P nicht zu Diel behaupte! — ©3arunt faßen jept 
in Sübafrita fünfzig ©fal fo Diel (Englänber al« ©uren? nicht nur 
wegen ber otterbing« thörichten giiprung, fonbem Dielmepr barum, weil 
bie (Englänber grellfarbige Nörfe, fowie blinfenbe Änöpfe unb feinte 
ragen; nnb warum fallen 80 ©rocent ber Dfficiere? weil fie burcp 
golbgefticfte Äragen unb (Epaufetten auf weite (Entfernung fenntlich ge? 
macht finb unb ben geinben ein Dorzüglicpe« giel bieten, währenb bie 
©uren im fchlichten grauen Äittel unb ebenfolchem £>ut Don ben (Erb? 
hügeln unb gel«blöcfen erft in allemächfter Nähe unterfcpiebeit werben 
fönnen. (Ebenfo flug wie bie ©uren finb aber fepon lange unfere Nach¬ 
barn, g. ©. bie Defterreicper unb Nuffen, befonber« bie Septeren, bereu 
militärifche Xücptigfett Don unferen höheren Dfficteren Döllig gewürbigt 
»oirb unb für un« eine grohe, Dielleicht bie gröfjte ©efapr bebeutet. 

Nuffen hoben 1878, nach bem türfifcpen Äriege, eine burchgreifenbe 
Reform in’« ©3er! gefepi unb tragen nun unfcpeinbare buufle Nörfe mit 
fcefteln ober £ornfnöpfen, mit weichen bequemen Umlegefragen, unb 
leichte müpenartige fiopfbebecfungen; wir bagegen hoben immer noch bie 
unglaublichen #elme, beren blinfenbe Spipen unb ©efchläge auf 2500 
SReter ju ertennen finb, fo bah ber geinb bi« zu unferer weiteren An? 
uäherung unb (Entmicfelung recht gemächlich feine ©tahnapmen treffen 
tawi — nämlich bie Artillerie in ©ofttion bringen, Scpüpengräben au«? 
werfen unb über bie Neferüen bi«poniren, — währenb wir ihn erft 
f«h«u, wenn wir in feine geuergone pineinplapen, unb Dielleicht felbft 
bann noch nicht! ©3ir hoben ferner glängetibe ©fctaüfnöpfe, bei ben 


2Ru«fetierbatailIonen fogar immer noch ba« wahnfinnige weihe Seber? 
Zeug, fo bah ber feinbliche Scpüpe fich gar feine fcpönereu unb beut? 
licperen $altepunfte für ba« 3 ie tan wimfcpen fann unb bi« auf 600 
SReter ein gar nicht ju oerfehlenbe« Qkl hot, währenb er felbft ftd) 
erft auf 200, höchften« 300 3Reter einigermahen Don feiner Umgebung 
abpebt; bie beutfchen werben alfo wie bie Scheibenpuppen jufammeit? 
gefcpoffen, ehe fie bie feinblicpe Schüpenlinie überhaupt unterfcpeiben. 
ADe beutfchen Officiere, bie ruffifcpen SRanöDern beigewohnt hoben, finb 
fiep herüber auch Döllig flar. Soll ich ©ie enblich erft an bie Derteufelt 
„fcpöne", aöer ©ernunft §ohn fprecpenbe ©efleibung mancher Leiter? 
regintenter erinnern? an fnaHrothe ^pufarenattila« unb weihe Äüraffter? 
röcfe? 3Sie tölpelhaft muh öer S^üpe fein, ber ein fo e^quifite« Qitl 
Derfehlt! ©lutige Xhränen möchte man um bie armen Äerle weinen, 
wenn man fiep bie Dernicptenbe ©Sirfung ber mobernen ©ewepre Der? 
gegenwärtigt unb erwägt, auf wie grohe (Entfernungen heutzutage ein 
planmähige« geuer möglich ift. ©ebenfen Sie ferner, bah feil 
bie gortfepritte ber ©3affentecpnif eine Döllige Umwälzung in ber geept? 
weife bewirft hoben, bah bie ©Mängel in ber Au«rüftung, bie bamal« 
Zur Notp noch paffiren fonnteu, heute unerträglich rnirfen, bah Z* in 
golge be« raucplofen ©ulDer« heute feine mitleibige $ampfmolfe mepr 
bie glipernben Sinien ber fämpfenben Gruppen DerpüCtt unb bie Nach? 
tpeile ber unzweefmähigeu ©Jetaflzieraten tpeilweife befeitigt; fornit werben 
Sie mir zugeben, bah im näcpften Äriegc unfere Xruppen Don Dorn? 
herein bazu Derurtpeilt finb, minbeften« z^hn ©fal fo ftarfe ©erlufte zu 
erleiben wie ber ©egner. Söelcpe furchtbare moralifcpe ©öirfung wirb 
aber biefe Xpatfadje gleich in ber erften Scplacpt auf unfere Xruppen 
au«üben! .£>abe icp alfo niept Necpt, wenn ich eine fepieuntge funba? 
mentale Neform in ber ©efleibung unfere« §eere« für ungleich wichtiger 
palte al« bie glottenDermeprung? 

Nun werben Sie mir Dietteicpt einwenben: wenn ba« Ade« wirf? 
licp fo fcplimm wäre, fo mürbe man boep an mahgebenber Stelle bie« 
auep einfehen unb längft bie nötpigen Neformeit unternommen haben, 
ga, meine Herren, eingefepen pat man bie« fcpoit längft, fepon Dor 
40 gopteu erpob man ähnliche gorberuitgen, unb Dor 30 3opren er? 
neuerte man fie mit au«füprlicpfter ©egrünbung, Aber nach ben groben 
(Erfolgen be« Äriege« Don 1870 würben alle NeformDorfcpläge pocp= 
mütpig zurüefgewiefen, w e« war ja auep fo gegangen!" unb bah ber 
poepbetagte, Don §au« au« ftarf coitferDatiD beanlagte Äaifer ©Bilpelm I. 
am Ueberlieferten niept rütteln unb auf feine alten Xage Don burcp? 
greifenben ^Reformen niept« mepr wiffen wottte, ift menfcpUcp DoHfommen 
begreiflich. Aber warum ift in ben feitbem Derfloffenen langen 13 gopren 
niept« gefepepeu, obwohl tapfere ©3arner — felbft im urconferDatiDen 
©filitär?©3ocpenblatt! — immer wieber Don Neuem ipre ntapnenbe Stimme 
erpoben unb bie Unpaltbarfeit ber jepigen guftänbe unwiberleglid) bar? 
getpan pabeit?! ©3arum finb bie Derantwortlicpen Natpgeber, Ärieg«? 
minifter unb (Generale, niept Dor ben jungen Äaifcr getreten, um ipnt 
ZU fagen: ©tajeftät, fo gept e« niept mepr! wir müffen ben neuen 
©3affen, ber neuen Xecpnif Necpnung tragen, wir müffen bem ©eifpiel 
folgen, ba« un« bie Nuffen unb bie Oefterreicper fdpon lange gegeben 
paben, wir bürfen niept, militärifcper Sßrunffucpt unb ©arabeeitelfeit zu 
Siebe, un« Don Dornperein in gewaltigen Nacptpejl begeben unb unfere 
waeferen uppen nuplo« bem fidjmn ©erberben überantworten! ©3ir 
bürfen niept fepönen glottenibealen naepjagen, fo lange bie Deraltete unb 
unzweefmähige ©efleibung unb Au«rüftung unfer £>eer lapmlegt! 

5)ie« bem Äaifer gu fogen, liegen aber nod) weitere bringeitbe 
©rünbe Dor. ©3a« icp nämlich bi« jept angeführt pabe, bezog fiep nur 
auf folcpe $)inge, bie bie felnblicpe geuerwirfung begünftigen; niept 
minber DerpäugnihDott ftnb aber auch bie anberen Au«rüftung«fepler, 
bie unfere Gruppe gu ©runbe riepten, fepon epe fie an ben geinb fomrnt. 
geh meine bie unünnige (Eepädüberlabung im (langen, fowie bie un? 
gwedfmähige ©eftaltuug einzelner Stüde, bie in bebenflicper ©3eife Äraft 
unb grifepe be« Solbaten unnüp abforbiren. ©3er Solbat war unb 
weih, bah int mobenteu ©efedjt für bie angreifenbe Gruppe alle« barauf 


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142 


Die (ßegetttoari 


Kr. 


anfommt, rajcf). Dorzugepen, fiep bli^fc^nefl nieberzuwerfeit ltnb fofurt 
mit ©efcpirf unb ©epenbigfeit baS greuer aufzunehmen, ber weife aud), 
Wie unfäglid) fcpwer fiep bieS auSfüpreit läfet, wenn borljer — unb baS 
ift bod) bie Siegel — in Dielftünbigem RFarfd) ber (cpmere Dornifter ade 
Shaft unb ©lafticität Derart pat; bev weife, waS eS bebeutet, bann nod) 
beim ©djwärmen über ©turzäcfer zu traben. Senn bann enblid) baS 
„Kalt, nieber!" bie Dorläitfige ©rlöjung bringt, ift ber ©olbat am ©nbe 
feiner RFuSFelFraft unb feinet AtpentS. ©in befonbeieS Vergnügen bei 
biefem Sauffcpritt bilbet baS (Seitengewehr, baS fo unpraftlfdj unb über^ 
flüffig wie möglidj ift unb bent öaufenben jwifchen bie ©eine tommt, 
wenn er eS nid)t frampfpaft mit ber SinFen feftpält; beim Riebcrwerfen 
ift cS noch befonberS läftig uitb ftörenb. DaS Furze, nur halb [o 
fcpwerc ©ajonett wäre ungleich Dortheilhafter. Run fommt aber baS 
©efie: ber langhingeftrecFte, oft pöcpft unbequem liegenbe ©d)üpe — im 
mobernen ©efecpt werben 90 ^kocent aller ©cpüffe liegenb abgegeben! 

— fofl nun, fo weit eS feine Atpemlofigfeit erlaubt, mit ©ebacpt 
fielen, nicht nur in jwerflofer RhmitionSDergeubung in'S ©laue Fnaflen; 
bamit aber DerftänbigeS 3iden t>olIenb§ unmöglich gemacht wirb, ftüfpt 
mau bent ©olbaten ein Wöbet auf ben ©d)äbel, baS an UnzwecFmäfeig* 
Feit nichts 31 t wünfepen übrig läfet. Qd) bitte aber nur biejenigeu, pier= 
über mitjureben, bie felbft ©olbaten waren unb an einem heifeen ©ommer* 
tage ben erwähnten ©organg auSprobirt haben; fie werben mir zugebeu, 
bafe id) nid)t ein 3ota zu Diel fagc. ©nt weber feßt nun ber Keim feft 

— bann prefet er ben Kopf ^ufammen unb lähmt baS Denfen — ober 
er fißt locfer, bann rutfdjt er bent ©cpüßen beim Riebcrwerfen auf bie 
Rafe; fchiebt mau if)it hinter in ben Raden, fo ftöfet er bort wieber an 
ober ftaut ftch gar am Kocpgefdferr, baS hinten auf ben Xornifter ge= 
fchnallt ift. Sie Diel leichter unb beffer hat eS unfer ©egner mit bent 
bequemen Ifäppt, baS fid) bent Kopf anfehntiegt unb niemals pinberlicp 
ift! ©orzüglicp hat fcpoit Dor langen 3apren im WilitärWochenblatt 
ber Wajor Keim ben §elnt djaraftertfirt: „‘Ser Keim ift ein auS mehreren 
Dußenb ^peilen zufammengeflitfteS unb baper ebenfo uufolibeS unb 
rcparaturbebiirftigeS wie fdjwereS, thettreS unb gefunbpeitfrf)äblid)eS AuS= 
rüftungSftüd; ein Fräftiger Kieb jerftört ben ganzen gufammenpattg beS 
gebrechlichen KunftwerFeS; ein leichter g-ilzput ober ein Käppi fcpüßt ben 
Kopf beffer, weil er bie Sucht beS KiebeS bricht, ftatt benfelbett hart 
unb prcllenb auf ben ©cpäbel beS urtglücflicfeen Keimträgers fortzupflanzen. 
UebrigenS ift ber ©olbat Derloreit, ber mit bent Keim ftatt mit bent 
©ewepr ben Säbelhieb beS feinblidjeit Reiters pariren will . . . Sie 
Diel ©erbrufe unb Aerger bereitet bem ©ompagniedjef baS „KetmDer= 
paffen", wie Diel Foftbare 3 e it Qept bamit Derloren! (SS giebt Feine 
militärifcpe Kopfbebedung, bie, in golgc ihrer nngiinftigen ©djwerpunFtS= 
läge unb ber gatten ©onftntction nad), fo fcpwer einen correcten ©iß 
erzielt, wie ber Kd*n. 2Be(d) ein gelb ber DpätigFeit für ©orgefeßte, 
bie ben „correcten" Kelntfip zu ihrer ©pecialität gemadjt haben!" — 
Sarunt tragen übrigens unfere Qäger unb ©arbefepüßen Feinen Keim? 
ob fie wohl gern ihre DfcpadoS mit bem K e ^ m Dertaufcpen würben?! 

Seber fepött noch jmecfmäfeig ift ferner ber fteife KalSFragett; er 
ift bei peifeent Warjcp eine uttnüpe Oual unb beim Siegenbfcpiefeen ein 
weiteres ärgerliches Kiubernife für bie freie ©eweglicpfeit beS KopfeS. 
Run baS ©epäd. DaS Durd)fd)nittSgewicpt beS WanneS ift 64 kg, ein 
erpeblicper Dpeil ber Seutc ift alfo leichter; etwa zwei ©rocent wiegen 
nur 57 kg. DaS ©epäd wiegt heute burcpfcpuittlid) 34 kg, alfo reichlich 
bie Kälfte bis faft 2 / 3 beS Körperqewid)tS, r troßbem bafe fepott 1838 baS 
preufeifdje KtiegSminifieriuni feftgeftcöt pat, bafe nur Vs btä Körper¬ 
gewichts bie juläffige ©elaftung wäre unb bafe 30 kg baS „äufeerfte 
Waiimum" (sic!) fein füllte, ©on attberen ©acpDerftäubigeit würbe aber 
fdjon 1^62 bargelegt, bafe ber ©olbat nur bann leicht beweglich unb 
leiftungSfäpig bleibe, wenn bie ©elaftung 22 kg niept übetfteigt; bemnaep 
fd)leppt unfer ©olbat eigentlid) 12 kg = 24 fßfunb ju Diel unb felbft 
nad) Weinung beS WinifteriitmS immer noch 4 kg ober 8 ©fttnb mepr 
als baS „äufeerftei!) Wa^imum". QrS ift wopl aber felbft für ben Öaien 
nid)t zweifelhaft, bafe mit jebem '$funb, um baS wir ben ©olbaten erleichtern, 


feine phhlifcpe unb moralifdje SeiftungSfähigteit unb bamit fein OJefe^lS^ 
wertp erpopt wirb, ober bafe jebeS au bet ©elaftung gefparte $funb fo 
unb fo Diel ©treiter mepr auf bem ©cplacptfelbe bebeutet, weil fo Diel 
weniger Dorper auf bem Warfcpe liegen bleiben. Senn DollenbS nach 
ber Slnftrengung ber ©cpladjt ein ©rocetttfap unDerwunbeler 

2eute Dor (Srfdjöpfung liegen bleibt, bie Gruppe in einen 3 u tt° n b 
taftifeper ^luflöfung gerätp, ber fie für bte Ausbeutung beS ©iegcS ober 
bie Sieberaufnapme beS ©efecptS gleich unbrauchbar macht, fo ift bie« 
in erfter Sinie ber übermäßigen ©elaftung juzufepreibeu. SaS nüpen 
alle unfre Xufns uttb ©cpiefefcpulen, wenn wir fcpliefelicp bod) nur 2 aft= 
träger erziepen müffen? eS hätte ebenfoDiel ©inn, Me s $ferbe ber Safitoogen 
ber pöperen ©cpulbreffur ju unterziehen, ©ine ftarFe ©erminberung ber 
2 aft ift aber fehr wopl möglich unb bnrepführbar, unb wieberholt ^oben 
einficptSDoße Cfficiere ausführlich Dorgerecpnet, wie bieS gefepepen müfete; 
aöer AutoritätStoapn ober ©igenfinn haben alle grünblicpen ^Reformen 
Dereitelt; Heine unwefentlicpe Aenberungen, mepr Spielereien zu nennen, 
fiitb wopl erfolgt, baS falfcpe ©rincip ift geblieben. Säprenb bie SRuffen 
ben Xornifter niept Fennen unb pöcpftenS 29 kg ©epärf tragen, fcple^pen 
wir nod) immer ben unpractifepen Xornifter, ber felbft in feiner neuften 
„©erbefferung" mit bem ^raggerüft leer 1600 ©ramm wiegt; noch 
immer fcpleppen wir felbft in ©ommerfelbzügeit unnüperweife ben SJlontel 
mit, ber troefen 2900, nafe fogar 4000 ©ramm wiegt (Don April bis 
CFtober wäre eine wollne ^)ecFe, toeun überhaupt nötpig, Diel zwedmägiger 
unb leiepter); fobann ift eS überflüfftg, bie $>rillid)hofe in« gfelb init= 
ZUttepmen, ba für ben ungleich wichtigeren SftocF boep auch Fein (Srfaß 
mitgenommen wirb; aufeerbem Fönnte ein Xpeil beS ©u^ugS ebenfo 
bapeim bleiöen wie baS ©efangbueb, — bie wenigen ©poTäle, bic ber 
©olbat wiiflicp im gelbe fingt, Fann er auSmenbig — unb fcpliefelidj 
Fönnte auch baS Kocpgefcpirr um ein drittel Heiner fein. Sieten enblicp 
bie 3Retallfnöpfe ber Uniform (120 ©ramm) unb baS Koppelfcplofe (65 @r.) 
weg, fo liefee pd) im ©anzen nad) SOtajor Jleint eine ©rfparnife Don reidjlicp 
5 Kilogramm erzielen, wobei allerbingS bie Uniform burep bie Sitciofa 
ober ©lufe erfeßt inerben müfete; biefe hätte aufeerbem ben bequemen 
KlappFragcn fowie äufeere ^afepen, welche u. A. für bie Unterbringung 
ber ©atronen Don 9?upen wären. 

3 a, wirb man aber einmenben, wo bleibt bet folcpen ©otfeprägen 
unfre überlieferte, piftorifd) geworbene Uniform? wo bie heilige ^ra^ 
bition mit iprent befanntlicp uitfcpäpbaren Sertp für ben ©eift ber 
Gruppen? Um ©erzeipung, meine Kftren, ©ie fepeinen niept zu wiffen, 
bafe bie ©olbaten beS grofeen $urfürften unb zum Jpeil auch bie beS 
grofeen Sriebricp weber £ornifter noch Hantel, weber K e ^ m ua<P ©tep- 
Fragen, noch ^oepgefepirr patten, bafe fte in allen ©unTten weit FriegS- 
gentäfeer unb praFtifcper auSgerüftet waren als unfre heutigen ©olbaten. 
©cplappput, UmlegeFrageit unb ©epnappfaef (SFucFfacF) perrfepten über 
150 3apre lang im preufeifepen Jpeere; unb wäprenb in neufter 
bie anbern Nationen gar eifrig fiep beftreben, alles ©ute unb 3 tucrfuiüfeige 
uns abzuguefen, piiten fie fiep wohlweislich, unfre Dummheiten ’naefc 
Zuapmen; ben K e ^ m r biefe „traurige 3 ro ittergeburt mobenter $arabc= 
fuept unb mittelalterlicher SRomantiF", wie 9Rajor Don ^loennieS fepr 
treffenb bemerFt, apmt unS Feiner nad) (ein paar englifepe Regimenter 
abgerechnet), ©epon bei Abfcpaffung beS 3°Pf cg — QU d) ci ue „trabi- 
tioneße" 3 ier ber fieggewopnteit fribericianifcpen ©olbaten! — befürdj* 
tete baS pope ^riegSFollegium eines Fleineren beutfepen ©taateS „eine 
ernftlidje ©efapr für bie woplüberlieferte Accurateffe ber Ka^füiftlicpen 
Druppen" unb führte tpatfäcplicp bie 3äpfe 1814 Don Reuem ein. 
Keute lacpen wir über folcpe Dutnmpeit, unb maepen eS mit bem 
um Fein Kaar beffer. Darum fort mit ber Jrabition, wenn fie zunt 
UuDerftanb wirb! 

Dafe and) fonft ber ©antafepengeift in ©eftatt beS ©orfteffungS= 
unb ©efid)ttgungSteufelS wieber gewaltig überpanb genommen pat, will 
id) nur zum ©eptufe nebenbei erwähnen; alle benFenben Officiere finb 
in bumpfer Refignation, tueil fee einfepen, bafe bei biefer ewigen nerDöfen 
Kepetei Don einer „©orftellung" zur anbern alle rupige, jolibe AuS* 


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Nr. 9. 


JHe O&egettroart 


143 


bifbuitg ber Gruppe toernacpläfffgt mirb; aße« Streben ber Gompagnie* 
d)ef« ntup notgebrungeit fiep barin erfchöpfen, bei biefen Sefidjtigungen 
gut abzufcptteiben unb bie fieute bementfprecöenb äugerlid) zurecht* 
Zuftujen; ba« pübfdje „Silb" wirb ©auptzmed, bie grünblidje, tiefere 
Schulung gebt jurn Teufel. Xod) fdjeint e« unmöglich, gegen biefe« 
Unheil an^ufämpfen. SRöglicp ift e« aber, menigften« eine toernunft* 
ünb mirFlidj Frieg«gemäpe Su«rüftung unb SeFleibung unfrei ©eere« 
$u ergingen, ittbem mir im SRcicp«tag aße anberen Sfönfcpe ber Se* 
gterung abtebnen, fo lange man jene geitgemä&en Reformen nicpt burcfc 
geführt pat. Xarum forbre idj Sie auf, bie glottentoorlage runbmeg 
a&zulepnen. ©aben mir erft bie Srmeereform, bann lägt ficb über bie 
glotte meiterreben, toorper nkpt! Miles non gloriosus. 


Dramatifdje 3 «Porungen. 

,,X)a« taufenbjäbrige SRetdj." Xrama in riet steten toon SFaj 
©albe. (Xeutfcpe« Xpeater.) — „Xer Athlet." Scpautytel in brei 
Scten toon ©ermann Sapr. (2efffng*Xpeater.) 

S?a;r ©albe ringt toerzmeifelt um bie tfrone, bie ibm ein merF* 
toürbiger 8ufaß toor fahren aff^u mißfäprig auf’« ©aupt brüefte unb 
ber er jefet nicht mebr freimiflig entfägen Fann unb barf. ©eit ber 
fepmeren Wieberlage be« „SmeriFafaprer«" bat ficb eine Partei gebilbet, 
bic ben Erfolg ber „gugenb" an ©albe räcpen mill unb ibn mit un* 
ermüblicber Shttp, mit'faft pößifeper SoSbeit toerfolgt. G« ift nicpt 
leicht feftzufteflen. mobureb ffd) ber Siebter biefe au«bauetnbe unb jeben* 
faß« eprentooHe geinbfdjaft toerbient bot. fßerfönlidje SÜberfadjer traut 
man bem Sefcpetbenen, mit Ginfieblerneigungen Segabten Faum zu, unb 
ba er fid) aßen berliner ßitteraturbar« gleichmäßig fern hält, [oßte 
man annebnten, bap fie ibm auch aße gleicpmäpig objeFtito gegenüber* 
ftünben. Sber gerabe bie ©albe’fdjen fßremifcren bröpnen regelmäpig 
toon bem forcierten Särm, bem 8ifd)en unb pfeifen ber Su«fcplag= 
gebenben, unb e« febeim, al« moße man Fein Mittel mitoerfucbt taffen, 
ihrem Sutor ba« Xpeater zu toereFeln. G« ift etma« Schöne« um 
Wpabamantpe«’ Strenge unb man möchte beinahe münfehen, bap* fie auch 
*troa« Sßgemeine« mürbe. Xie Siirfcplein jeboep, bie toor bierzepn 
Xagen Schlurf unb 3au bejubelten unb 3ebem, ber e« nicht hören 
itooßle, ba« 2ob be« ©haFefpeare parobirenben SFeiftertoerFe« in bie 
Obren febrieen, biefe gerabe nicht febr reinen Choren hotten Fein jRecpt, 
©albe’« „taufenbjäbrige« Weid)" au3*ulacben. Sei aß feinen Sdjmäcpen 
ift e« hoch eine burebau« eigengeartete Arbeit, unb ihr Serfaffer meip 
noch (Eigene« zu fagen, ftatt ben $opagei toom Soon 

fpieten zu müffen. 

Xen dichter, ber in feelifche tiefen gu fteigen liebt, Fonnte bie 
©eftalt be« febmärmerifeben ©eciirer« mohl loden, ber Saprsepnte lang 
bumpf unb büfter über nid)t toerftanbenen Sibelfteßen brütet unb bann 
plöpikb, al« bie erfüllet ift, feine Sranbfadel ent^ünbet unb 
bie ©erzen toermirrt. ©albe bot bie ganze, mabrlich nicht geringe 
ffraft feiner GparaFteriftiF baran toerfepmenbet, ben fanatiidjen Xorf* 
febmieb Iebenfprübenb toor un« pinzufteßen, unb er erreicht e« mit panb* 
fefter unb boeb mieber fubtiler $unft, bap mir ihm feinen ©eiben glauben. 
Sber meber ©a^be , « ^unft noch ©albe’« ©elb taugen für'« trama. @« 
ift ber ©runbmangel faft aß ber jungen ßeute, bie unfer tbeater retoos 
lutioniren moßten, bap pe in ber düferttgFeit ihre« Stobuciren« nie 
ba^u Famen, ba« trum unb trän ber Sühne, ba« rein ©anbmerF«* 
mäpige be« bramatifchen ©chaffen« Fennen gu lernen. 9?ur ©auptmann 
macht hier eine Ausnahme. @r hat bie technifchen Regeln burchau« 
ftubirt mit heipem Semübn, unb menn ihm nicht feine epifcb = It)ri[cben 
3nftinFte einen ©trieb burdj bie Rechnung machen, baut er ba« ©cenen= 
gefiige toerbältnipmäpig Flar unb mirFfam auf. ©albe hat ba« nie toer* 
mocht. Gr mirb technifch emig unzulänglich unb unbeholfen bleiben. Gr 
hat, unb ba« ift fchlimmer, auch Feinen Süd für bie bramatifebe Schlag* 
Fraft feiner Stoffe. Statt fie au«*ufd)öpfen, begnügt er pd) bamit, bie 
unreife, bürre Sabel mit bunten SMlbenbrud^CEffttteu aufzupufcen. ^tber 
anleimen heipt noch nicht organifch fchoffen. Statt ben torfapoftel burch 
eine mirFlich roudjttg gegipfelte ©anblung zu bcleudjten, ma« mit einem 
bi«chen Grpnbung«gabe leidjt möglich gemefen märe, ja, mo^u bie Sigur 
unb ihr ©efepirf eigentlich herau«forberte, fucht er ihn un« in uneitblidjen, 
notbmenbig ermübenben fReben näher zu bringen. Gbe mir bie feltfame 
Sorgefchicpte be« trama« erfahren, toergept eine quälenb lange 8eit= 
fpanne — fo müpfam brept pd) b^r SRab auf 9?ab, fo ftörenb zeigen 
ffd) überaß bie ©upnäpte be« ÄunftmerF«. 3n bem Seftreben, bie 
ppantaftifchen Serirrungen tremfm« 7 ja recht eingepenb zu begrünben 
unb zu zeigen, mie bie« toergrübelte ©im z« feinem unerfcpütterlichen 
©lauben gelangen mupte, ift ©albe fo übermäpig breit gemorben, bap 
bie an pd) meift reiztooßen Ginzeljüge fcpltepüch toermirren. So bleibt un« 


ber ©djmieb, aßer an ipn gemanbten Äunft ungeachtet, gleichgiltig; er 
iiberfd)veitet nid)t bie Grenze, bie ben toerbiefterten Flein liehen 9?arreit 
toom ftraucpelnben Wenfdiheit^pelben fcheibet. Unb feine Umgebung ge* 
minnt un« nod) meniger Sntereffe ab al« er. Qmnter fepen mir ba« zu* 
fällige, erbärmliche, intereffelofe Ginzelfchidfal, nicht« redt Pd) barüber 
pinau« unb ermedt tragifche Schauer. 3m gaße be« guhrmann« ©enfchel 
mag ba« bingeben, ber Stoff aber, ben ©albe fiep mäplte, toerlangt ge* 
bieterifd) au« ber SauerFohl*?ltmofpbäre berau«gepoben zu merben. 

Xrop biefer neuen Schlappe braucht man ©albe maprlicp nid)t toer* 
loren zu geben. Um ©aupteSlänge überragt biefer ehrliche, ernfte unb 
ftolze fßoet aß ; bie EIRitbemerber, bie in ben lebten fDFonaten zu ^Sorte 
tarnen. Gr beugt fid) ber Glique nicht, unb fein Scheitern ift immer 
ein Scheitern an gropeit Aufgaben. Stenn ©albe meniger hoftig probu* 
cirte, mürbe er feinen eigenen Arbeiten toießeiept ein ftrengerer dichter 
fein unb fid) einen freieren Slid für fie unb bie Grenzen feine« können« 
bemapren. 2Bir poffen noch immer auf ipn, münfepen immer noch, 
bap feine feine unb reblicbe $unp nicht in mipoerftanbener, unfrei* 
miflig Fomifcp mirFenber Xpeaterei untergepe. derartige ©Öffnungen 
unb 3Bünfche an ©errtt Sapr 7 « Schaffen zu fnüpfen, märe mehr al« 
tpöriept. 2Ba« biefer epemal« begabte unb mipige Scpriftftefler 
leiftet, feitbem ba« Xpeater ipn pat, fpottet fogar ber Sefcpreibung, 
bie er felber 'batoon geben Fönnte. Gin mibermärtigere« unb trottel* 
paftere« Stüd al« „Xer Stplet" ift nicht leicht au«beitFbar. Xer ^raft* 
menfep bricht bie Gpe nach Steplgefafleit, in aßer ©erzen«güte unb 
Unbefangenheit; [eine grau tput am Gnbe baffelbe, ebenfafl« in aßer 
Unbefangenheit unb ©erzen«giite. 2>er ilraftmenfd) mürbe ipr nie toer* 
Zelpen, menn nicht fein langmeilig correcter Sruber, ber trodene Schleicher, 
ipm Flar zu machen toerfuepte, bap er bie Xreulofe toerftopen müffe. Xa 
bepält er fie au« 2Biberfprud)«luft bei fid). 2öa« ba« punbert 9Ral 
unterftrichene Stpletentpum be« lieben«mürbigen ©errn mit bem Stüde 
Zit tpun pat, unb mie ffd) ber gcpltritt feiner ©au«epre erFlärt, ba« fagt 
©err Sapr nicht. Sud) fonft ipart er fiep aße Grläuterungen. Siel* 
leicpt foß ba« Ganze nur mieber ein 3Bifc toon ipm fein. '$8ie fepon 
bemerFt, ©err Sapr mar friiper mifcig. 


Offene Briefe uitö ilutiuorten. 


©corg ©ü^ncr unb feine ©riiöer. 

Geeprter ©err! 

3n 9Fr. 49 toom 9. Xecember 1899 ber „Gegenmart" mirb ge* 
legentlid) eine« fepr fcpmeicpelpaften SrtiFel« über meine gamilie gejagt, 
e« fei toermunberlid), bap meber mein Sruber 2oui« noch icp bie ©erau«» 
gäbe ber Sterte meine« Sruber« Georg übernommen, fonberit biefelbe 
einer frentben ©anb überlaffeti pätten. Xie« ift ein 3^i^um. 3ut 
3apre 1850 paben mir Seibe bie 9Fad)gelaffencn Sdjriften meine« Sruber« 
bei Sauerlänber in granffurt perau«gegeben. 3ut 3opre 1879 erbot 
fiep $arl Gmtl granzo« in bentfelben Serlag eine SolF«au«gabe zu 
toeranftalten, beren Grfcpeinen fiep jeboep toerzögerte, fo bap Soul« bie* 
felbe beenbigen mupte. S3ir paben alfo ba« SnbenFen be« Serftorbenen 
in Feiner Steife toernacpläfffgt ober Snberen überlaffen. 

©ocpacptung«tooß 

2 lles Biicpner, 

Professeur honoraire de TUniversite de Caen. 

Ouistrehara s/m, Calvados. 


Alle geschäftlichen Mittheilungen, Abonnements, Nummer¬ 
bestellungen etc. sind ohne Angabe eines Personennamens 
zu adressiren an den Yerlag der Gegenwart in Berlin W, 57. 

Alle auf den Inhalt dieser Zeitschrift bezüglichen Briefe, Kreuz¬ 
bänder, Bücher etc. (unverlangte Manuscripte mit Rückporto) 
an die Bedaction der „Gegenwart“ in Berlin W, Mansteinstr. 7. 

Für unverlangte Manuscripte übernimmt weder der Verlag 
noch die Redaction irgend welche Verbindlichkeit. 


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144 


Die ©egttiwari 


Nr. 9. 


Jlngeigert. 

fcn Peflellungcn bmxft man ftd) auf Mi 
„O&egEiuoarf 1 *. 


3ut ©erläge non Jmberg u. Ceffou in 
Berlin ift erfdjienen: 

$>et $ 0 tff 4 ml$e. 

Komöbie in oter Elften 

oon 

Statl »«*♦ 

©relS: elegant brofdjtrt 2 Wf. 

©on bemfelben ©erfaffer ftnb eTfdjienen: 
Pramatifcbe ^umoresfen (©erlitt, Qmberg 
u. fieffon), brojd). 2 Wf. 3nbalt: Weitt 
Wann fdjreibt irggöbieit. — Ser ift ber 
©errätljer. — ©ublifuä unb jeine ©enoanbtett, 
$>iftorico=Sfombbie. 

Per ^ntenbant in taufeitb Hötbeu. 

$offe (Berlin, 3- 21. ©targarbt), brojd). 2 Wf. 
©omorrba’s <2nbe. Sitterarifcbe ftomübie 
(«Berlin, 3* 6targarbt), brojd). 1,50 Wf. 

<Ein toller (Tag. ßitterarifdje ©ojje (Berlin, 
3- 21. ©targarbt), brojd}. 2 Wf. 

Pmto Stoffe (©tuttgart, Union 

3)eütfd)e ©erlagBgefettfd)aft), brojd). 2 Wf. 
Per £ürft non Haiatea. ©ofje (©tuttgart, 
Union $>eutftf)e ©erlagSgefeÜfdjaft), brojd). 
2 Wf. 

^le Dorftefjenbeit Piltj'fcben .ftumoreSfeti 
bilben einen roefentlicben goitf<f)ritt in ber 
(£utiüicflung ber beutfeben ftomöbie, inbem fie 
in geioanbtefter ©prad)e bie oielfacben fomifeben 
Wotioe, meidje unfre $eit QU f lüterarifdjem, 
jocialem unb politijdjem ©ebiete barbietet, 
gliieflid) Denoertljen, 


2lfab. gtb. ©djrtftfteflcr, btölj.- jmhltttft. 
(liter. Äritif) in ©erlin tbätig, energ. gemiffen= 
Ijafte 2lrbeit8fraft, oor$. ©praebfenntniffe (fran* 
S^fifd), englijcb), perfefter ©tettograpb, 
9Rafd)inenfd)reiber (ftammonb), iuebt unt. 

2(nfpr. in ffleftaltton, 5tt|coterfcf rr tariot, 
©erl.döttMblg., Itterar. Snftit. :c. ©tellung. 
Cffert. an b. feyp. b. ©egemoart unt. A. 6. 


iTechniknmJlMenaol 

■Hi laatfctatt- u 4 Min- I 

Hrars-TMtolk« «.»Wsrfc ntliUrJ 

M Dlrsetor jiitu». ■ ' 


$ienrik 


im 


$unbcrt Oriainal * ©utatbten 
o. ftreunb u. fretnb: ©jbrnlon 
»ranbe« »firner tfrfSpt Dabn 
Staubet ©fltbb Romane ®rot!) 
£aedel fcarttnann 3° rs 
ban fftpling fieoncaoaflo ßin* 
bau Sombrofo SKefcfjtfcfierStl 
9ligra Worbou ©Utaier fetten* 
lofer ©aUSbutt) ©ienfieroic* 
©imon ©bencer ©pieUjagen 
©tanlcb ©toeder ©trinbberg 
©uttner ©Ubenbrudj ©erner 
Sola u. b. 91. 

(Sieg. Qcfj. 2 SRf. üom Otrl«g ber G*t<nmavt, 
©erlitt W. 57 . 


Urteil 

ftiitr 3 til|«iff(i. 




Pr. €K Pie Wirtschaft der Welt am Aus¬ 
gange des XIX. Jahrhunderts. 

einigen poftttoen Potrfdjlägen. Cey.- 8 °. brofdj. 5 UI. 50 pf.; 
fein tn Ceinwanfc» geb. ? 2 ft. 

.... „3ebe geile Dwfaff«» befunbet tfjren Urfprung aus lebenbiger, btm ijanbelnben (eben }«ge« 
tnanbter <£mpfirbung unb aus brm {taffen Drange, ber Dlenf^belt burd? bie Uuftoeifung bes redjten tmrifd?aftüdj« 
tDeges praftifdjen Hagen ju fdjaffen. Die ^teie bes Herfaffers befdjrdnfen ftd? nt<t>t auf bie dagespolitif ober 
uereinielte ina§nal)men, fie finb uietmebr nmfaffew bfler Urt unb roollen ber gefamten ^nfnnfts# 

entwitfluna bes OTen|.uena<> etoieefets bie flabw tpeifew. Dofe ein btrarrtges Bua> bas Jwtrtr^e 

ber meitefien Krtife 3a fe{fein im^anbe ift, liegt auf ber ^anb; es tfl feine <DeIet)rtenfd}rift, fonbtrn fftr 
bie (Defamtf^eit ber (Debilbeten befiimmt. Der Derfaffer tjat fd?on niancbe tnertpoDe (Haben bargebotm 
unb uielfad? neuen leitenben Jbern önijn gebrochen, fa ba§ man audj von bem oorliegeubem tDerfe t^ocfcgefpanme 
€rWartungen b^gin barf. Durd? bie (eftflre aber uHrb bie 8ered?tigang fold;er ©npartungeP/ wie mir ans jnoer> 
fic^tlidi ju bebtup'en getrauen, an§er allen ^metfel gefegt. M ' p. 

■T* Porftc^cn^c 2tu5fü^rttnacn aus befauuter, berufener 5efcer, ebaraf- 
tertfleren treffUcb ben 3nbaU bes Wertes unb entheben uns jeber <Smpfeb(ung« 

3u belieben bureb aUe Pucbb^nbluittjcn unb bei uorberiger €infenbun$ bc© 
Petrag» portofrei von <£ari tPinter’s Unit>erfitätHbucbb<tnblund in etbelber^. 



„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“ 

Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitserseheinungen. 
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergeetellt und dadurch 
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre 
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von */ 4 1 75 Pf. in 
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$ic Segntioart 1872 - 1892 . 

Um unfei Saget ju räumen, bieten mit nnfeten Abonnenten eine gän9is e 
(Gelegenheit jnt DetooUftänbignng ber ßoflettion. ©o mett btt Sorratb reicht, 
liefern mir bie ^»bTflänge i8<2—1892 ä 6 4)t. (.jtatt 18 3R.), Halbjahr#« 
ÜBänbe k 3 Sfl. (ftatt 9 ÜR.). (Sebnnbene Jahrgänge a 8 SR. 

©erlag ber Qkgetttomrt in ©erlin W, 57. 


3>as #pp$ 

nnb 

anbere ^unjlfragcn. 

Original «©utac^ten oon Pb. JHeitjcI, Heltt- 
bolb 8e$as, Bödlin, P. r. tPcmer, 
PitauH, lUjbe, Stucf, 3ol>. ScbUlitt^, 
Scbaper, v. (Bcbbarbi, Peiler, 
Pefregger, <5ab riei Play, Hboma« 
Ciebermantt, tPiib« Pufcbt 5^^er, <5raf 
ffarracb, Play Prüfe, Pttille, Ceffer» 
Ury, Poepler, peebt, Puebl, Cecbter, 
3ü$el, parla^b^ Placfettfen, Sfarbina, 
CeifHfow, ©aulfe, pliitfe, StabL 

^rei5 biefet brrl iiÄiifffet-Jlttmmmi ber 
„girgemoart^ 1 50 

2 lucft bircct oon un$ gu bejie^en nad) ©rief* 
marfen=©tnfenbung. 

Perlag ber <5e$eutrart, Berlin W. 57. 



ßismardts Hälftiger. 

Montan 

Oon 

^eop^tC JloCCing. 

IS" boltMHfgab«. *ai 

^>rci§ 3 Warf, ©t^ön gebunben 4 Warf. 

$)iejer ©iSmarcf=(Iabrtoi?Vornan, bet tn 
loentgen 3ßMen fünf ftarfe 2luflagen erlebt, 
erfebeint bicr in einer um bie Hälfte biHigettn 
©olf§au§gabe. 

35urcb aUe ©ucbbonblungen ober gegen din* 
jenbung be§ ©etrag§ poftfreie gufenoung Dom 

ücrldfl 4er öcfleiwart, 

©erlin W. 57. 


Bestellungen auf die 


©inbanbbeefe 


zum 56. Bande der „Gegenwart 4t , sowie 

zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwei Bände 
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und vergoldeter 
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden in allen 
Buchhandlungen entgegengenommen. 


©eratmoortltigtT ftebacteur: Dr. Z$coJ>$tl goQtng tn ©erlln. 


Webaciton unb ®ipebttton: ©erltn W., SRanfteinftrabe 7. 


Druct bon $effe # 1 


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M 10 . 




^SerCitt, ben 10. ^{tärg 1900. 


Stf 26. Jahrgang. 
^ r C/j ®* n< * jp’ 

. ' 'Oo, 


lie totyamtL 

SEßod^eitfd^rift für Siteratur, tunft unb öffentliche^ Sehen. 


^erau^öegeöm bon £ottttt0. 

0 SS! *"“2*“ ** ft“* »erl«0 ber ©egenmart in Berlin W, 57. mmW 4 » 60 |f. «tat Jmmt 60 »f. 

8u betteten bun$ alle ®u($$anblung«i unb ^oftömter. ö ° Snferate jeher Ärt pro 8 gehaltene $ettt}etle 80 


Inhalt: 


3ntcrtocntion unb ©efii^l^olitif. ®on Otto Umfrib (Stuttgart). — $)er är$tHcf)e 9?otl)ftanb. SBon Dr. med. AtyljonS gulb. 

— (Entfärbte ©piritiften. Son SRubolf SHeinpauI. — (Erinnerungen an Dltdjarb £ueifd)mann. SSon $atf>arlna 3ttelmann. 

— ftcuiUeton. $>er ©affentjanev. S3on-9)?arf Xroain. — Alt# btt (MUptftabt. SBttljelm ber Sauft. 9Son Caliban. — 
Opern unb doncerte. — $ramatifd)e Aufführungen. — Wollen. — Anzeigen. 


* 3nternentton unb ißefühlspolitik. 

Bon CDtto Umfrib (Stuttgart). 

„Der lefcte Stet beS fubafrifanifchen Drauerfpielö fd)eint 
begonnen ju haben, unb bie gebilbete SBeft fißt auf ber 3u* 
fchauer«Dribüne, um jujuje^en, toie baS loelterobernbe ©ng= 
lanb hingeht’ um basi freiteitbärftenbe BurettVölflein ju er« 
roürgen," fo ungefähr briieft fiel) ber rafd) befannt gemorbene 
ÜRilitärfchriftftetler, ©eneral A. ißfifter, auS. 3«, mit fteigenber 
Sntrüftung fie^t ber ©rbtreiö bein Verruchten ©djaufpiel ju, 
»oie bie Riefenfdjlange baS Kaninchen untflammert, um e<3 
ihrer Unerfättlicf)feit ju opfern. Aber fühlt bie cibilifirte 
SBelt eigentlich bie (Schmach, bie ihr burd) bieS ©djaufpiel 
gejjdjieht? SBenn in alter 3 e ü bie Böller hinten Weit in ber 
2ütfei aufeinanber gefchlogen hohen, — wenn votlenbS bie 
Radjridht aus einem entlegenen SBeltthecl tarn, bafe bort ein 
blutiger BernidjtungSfampf begonnen habe, fo fonnte man 
mit einigem Behagen bie Berichte bei bem blauen Dualm 
ber DabafSpfeife lefen, in bem beruhigenben ©efül)t: „®ott* 
lob, mir finb bodj toeit Vom Schüfe"; man tonnte auch mit 
einigem Siecht erflären: „SBir finb ju weit baoon entfernt, 
afe bafe mir baran benten fönnten, bem ©efemert, baS bort 
gefcJjmungen mirb, §alt ju gebieten." §eute ift baS anberS 
getnorben; bie SBelt ift fich näher gerüeft; bie Sulturmenfd)* 
heit ift empfinblicher ge»oorben; fie fühlt gleich einem Sörper, 
ber jufammenjuett, auch menn baS ©ifen nur bie 3eh en fpi$ e 
treffen foUte. — ©ine Veraltete Anfchauung mag h e nte noch 
fich in bie SBorte tleiben: „SBaS gehen uns bie Suren in 
©übafrita an? SBir hoben teine Sntereffen am Stap ber 
guten Hoffnung ju vertreten." SRan mirb biefe Behauptung 
|d)on nicht mehr im Vollen Umfang aufrecht erhalten tönnen, 
auch Wenn man nur an bie Diamantenfchleifer von £mnau 
benft, bie arbeitslos merben, meil in Äimberleh mährenb ber 
Selagerung feine diamanten gegraben merben tönnen. Unb 

C abgefefeen bavon, fo fann eS beifpielStoeife ben europäifchen 
onen fchmertidi) gleidjgiltig fein, ob ©nglanb in Aftifa 
immer tonangebenber, immer auSfchlaggebenber mirb unb 
fchliefetidj im ©tanbe ift, ben ganzen ©ontinent nach feiner 
Bfeife tan§en ju laffcn. Aber 3ntereffe h»u unb 3ntereffe 
her —: im Allgemeinen Verfolgt man bie ©reigniffe, bie fid) 
auf bem feeifeen Boben Von ülfrifa abfpielen, faft mit berfelben 
Spannung, mie menn ber Scfjauplah jenfeits ber SSogefen 
märe. SBoher nun biefe fevchgefpannte ©hmpatfeie? ©rtlärt 
fie fich allein barauS, bafe bie Bebrängten unfere ©tamm« 


vermanbten finb, bafe nieberbeutfcheS Blut in ihren ?lbern 
fliefet? Ober ift bie Siebe ju ben Buren nur« bie ©egenfeite 
beS $affeS, ben mir ben ©nglänbern als unferen gefährlicfeften 
©oncurrejiten auf be»n SBeltmarft entgegenbringen? 3ft eS 
nicht vielmehr baS echt menfehtidje Bemufetfein ber 3ufammen« 
gehörigfeit, baS fich in elementaren StfuSbrüdjen brnufenber 
BermerfungSrncetingS gegenüber ber englifdjen ©olbgräber« 
politif ju äufeern pflegt, unb baS fich ebenfo mächtig jeigen 
mürbe gegenüber einem anberen JRaubjug, beit ein ©tarier 
in bie SBeibepläfce eines fchmadjen IpirtenvoIteS unternehmen 
mürbe? — SBaS ift eS, baS bie SRöthe fittlicf)er ©ntrüftung 
unS in bie SBangeit treibt? ©S ift baS beutlidje ©efühl, 
bafe in ©übafrita nicht nur ein tleineS Bolf um baö tfeeuer 
ertaufte ©ut feiner ^reiljeit betrogen merben, nein, bafe im 
SRorben beS DranjeftuffeS baS ÜJed)t in eclatantefter SBcife 
in ben Boben getreten merben foU. 3d) glaube, alle ehrlich 
bentenben Seute finb barin einig, bafe jroifchen 3omefon'S 
©infall, ben baS faiferlidje Telegramm Verbammte, unb bem 
©infall Von 150 000 ©nglänbern unter BobertS, Butler, 
SOiethuen, unb mie fie 2lHe heißen, nur ein Unterfdjieb ber 
©röfee befteht: ein Baubjug ift baS ©ine mie baS SInbere. 
SGBirb aber baS SRecht ungeftraft Verlebt, fo ift baS nicht blofe 
ein Unglüd für baS junä^ft Von bem Rechtsbrecher über« 
fallene Bott — eS ift auch eine ©darnach für bie anberen 
Rationen, bie ber ©emalttfeat jufehen, ohne helfen ju tönnen 
ober helfen ju motlen. SBenn heute eine ©efcHfchaft von 
hanbfeften SRännern auf ber Sanbftrafee bahin marfchirte, unb 
fie fämen eben baju, mie ein Räuber ein fdjmacheS ÜRäbdhen 
niebermirft unb mit bem SReffer bebroht: fie mürben fidh 
mofel feinen Slugenblicf befinnen, im Ramen ber ■SRenfchlid)* 
feit ben Unfeolb anjugreifen unb an ber Ausführung ber 
fdjlintmen Abficht h'nbern. SBarum fehen nun oie ©rofe« 
möchte unthätig ju, mie ber Räuber 3ohn BuH bie beiben 
©chmeftern in ©übafrita mifehanbeln barf? können fie nicht 
helfen ober motten fie nicht helfen ober haben fie am ©nbe 
gar fein Recht ju helfen? ÜRoberne Diplomaten thun, als 
ob eS eine burd) bie Roth flebotene meife ©elbftbefdhränfung 
märe, audh in einem foldjen Ärieg, mie er vor ihren Dhoren 
heute burchgefod)ten mirb, neutral ju bleiben, als ob fie 
aufeerbem fich bamit auf bem Boben ftrengen Rechts bemegen 
mürben: fogar ber 3 ar erflärt, er merbe bie ftrengfte Reu* 
tralität ben ftreitenben Parteien gegenüber maferen, als ob 
eS ju rechtfertigen märe, neutral ju bleiben, menn ber Ber* 
berber ber ©rbe bie Unfdjulb verfolgt. 


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140 


Die ßegentoart. 


Nr. 10. 


SBie fteßt'S nun aber mit bet grage nach bem SRec^t? 
@3 ift ja atlerbingS ein eigentliches Völferrecßt noch nicht 
gefd^rieben, Die! weniger oon ben ©ewaltigen ber Srbe an* 
erfannt. Sin Keiner unb unfeheinbarer SPerfnch baju ift im 
£>aag gemacht worben. Vad) Slrtifel 3 ber tpaager Sonöention 
ftnb bie Neutralen berechtigt, ben friegfü^renben Parteien 
ihre Vermittelung anzubieten, ohne bamit in ben Verbaut 
ju fommen, als ob fie einen Slct ber geinbfeligfeit be* 
gehen wollten. SBarum macht feine bet IDtäcßte oon biefem 
flrtifel ©ebraueß? ©otlte hier ber formaliftifche Sinwanb 
in’S ©ewicht fallen, baß bie Vefdjlfiffe ber £aager Sonferenj 
zwar oon ben Mächten unterzeichnet, aber — noch nicht 
fanctionirt feien? SBarum, wenn eS ben Diplomaten Srnft 
ift, beeilen fie fief) bann nicht, biefe ©anctionirung nad)zußolen? 
Ober aber — follte bie §aager Sonferenj wirtlich nur eine 
Somöbie gewefen fein, barauf berechnet, leichtgläubigen Dßoren 
©anb in bie Slugen ju ftreuen? ©ei bem, wie ihm wolle; 
eS ift SinS gegen £>unbert ju wetten, baß, wenn einmal bie 
SriegSfurie loSgelaffen ift, baS Angebot einer Vermittelung 
Oon ber ftärferen SRacßt jurüefgewiefen würbe. §at einmal 
bie Veftie ihre Äetten zerbrochen, fo fann fie nicht mit feibenen 
Vänbcßen wieber eingefangen werben. SBollte eine Stiadjt 
fich bazu entfeßtießen, ihre Vermittelung anzubieten, unb Wäre 
fie babei Oon ber Slbficßt geleitet, ben gcinbfeligfeiten wirflich 
ein Snbe zu bereiten, fo müßte fie ent fehl offen fein, im gaQ 
ber Slbleßnung ihres VorfdjlageS eine ißreffion auSzuüben, 
bie wirffam genug wäre, um bie Vieberlegung ber SBaffen 
herbeizuführen. Sftun feheint aber feine ÜRacßt, für fief) be» 
trachtet, ftarf genug zu fein, um bem englifcßen Ütiefen mit 
SluSficßt auf Srfolg in bie Strme fallen zu fönnen. DaS 
meergewaltige Sllbion Würbe alfo jebeS Slnerbieten einer 
„freunblichen" Vermittelung, Wenn baffclbe nur Oon einer 
ÜJtacßt auSginge, mit Verachtung oon fich toeifen. 

Sin SlnbereS wäre eS, wenn fich biefe übermüthige Nation 
plößlicß einer Soalition ber SDSäcßte gegenüber fehen Würbe. 
SS ift befannt, wie man zur 3<üt beS StuSbrucßeS beS DranS* 
oaalftiegeS, inSbefonbere Oon Vußlanb unb Oon granfreid) 
auS, auf ben 3 u fammenfcßluß ber Mächte hingearbeitet hat. 
Deutfcßlanb hat ber fiodung wiberftrebt, fich int herein mit 
bem öftlicßen unb weftfidjen Nachbarn bem Slnfturm beS 
britifeßen SBeltreicßeS entgegenzuftemmen. inwieweit Der* 
wanbtfdjaftlicße Vüdficßten hierbei eine Volle fpielten, entzieht 
fich unferer Veurtheilung. gür Sille aber, bie auf einen 
3ufammenfcßtuß ber SOSäcßte zum Schule beS gefränften 
VecßteS hofften, war eS eine nichts weniger als angenehme 
Ucberrafcfjung, als $err Shawberlain ber SBelt beit $bfcßluß 
eines neuen, anglo*germanifcß*ametifanifcben DreibunbeS Der* 
fünbigte. 3war haben fich bie Diplomaten an ber ©pree 
unb in bem weißen §au3 zu SBafßington geftellt, als ob fie 
nichts oon einem folgen Dreibunb Wüßten. 9J?erfwürbig 
aber, feßr merfwürbig bleibt eS immerhin, baß auch bie 
ruffifd) s franzöfifche Diplomatie, bie Ditßenbe oon ©rünben 
habeu bürfte, ben Vormarfch Snglanbs aufzußalten unb feine 
Verlegenheiten auSzunüßen, bis jeßt baS Wirffame SBort in 
biefer ©ache nicht gefunben haben. Denn fo weitauSfeheub 
auch bie ruffifeßen Druppenconcentrationen an ber ©renze 
oon Slfgßaniftan fein mögen — fo lange Vußlanb, bezw. 
ber 3ar, eS birect oon fief) weift, auf §erat zu marfchiren, 
haben alle berartige Demonftrationen höchftenS ben SBertß, 
eine fleine Sonceffion in alten Streitfragen ßerbeizufüßren, 
aber feineSwegS bie Vebeutung einer tßatfräftigen Snteroention. 
SBoßer nun aber biefe 3utüdhaltung auch auf ©eiten beS 
3weibunbeS? Sollten Dielleicht Deutfchlanb unb Slmerifa 
gegen 3 u fi<ßerung gewiffer tranSmariner Vortheile fich bazu 
Oerftanben haben, bie übrigen Wüßte im ©chach z u halten, 
bamit Snglanb ruhig bie golbenen Slepfel in bem füb* 
amerifanifeßen ipef per ibengarten pflüden fönne? Dßatfaße 
ift, baß ein ©eheimüertrag zwifßen Deutfchlanb unb Snglanb 
befaßt. SBorauf er fich bezieht, barüber laffen fich fehlster* 


bingS nur Vermuthungen anfftetlen, bie an ber SBhtflidjfeit 
weit üorbeifdjießen föttnen. Slber unmöglich ift eS nicht, baß 
bet faßrenbe ©efelle — bem faßrenben Vitter, ober fagen 
wir ber gifßer am ©tranbe bieSmal bem großen ©eefaljm 
oerpflichtet worben ift. 3m amerifanifchen Unterhaus Würbe 
fürzlicf) geleugnet, baß ein ©eßeimOertrag ztoifeßen ber eng* 
lifßen unb amerifanifßen Vegierung ohne 3uftimmung ber 
gefeßgebenben Sförperfcßaften hätte abgefßloffen Werben tönnen. 
SBev bürgt unS aber bafür — bei ber 3roeibeutigfeit mobenier 
Diplomatenreben ift ja SUIeS möglich —, ob ßorb SaliSburq 
unb ber ejpanfionSlüfarne SD?ac Äinleß nißt boeß — Want 
aueß feinen ftaatlicß fanctionirten Vertrag, fo boeß ein ge* 
ßeimeS Slbfommen miteinanber gefcßloffen ßaben — mit 
Vezug auf bie Dßeilung ber SBelt? — Vißt eben unwaljt* 
fdjeinliß ift eS unS, baß felbft ber amerifanifeße Senat in’i 
Vertrauen gezogen warb. SBaS biefe Sorporation betrifft, 
fo ift ein Vorgang, ber fich fürzlicf) in ißrer Witte abfpielte, 
boß zum SDRinbeften feßr auffallenb. Der ©enator Sillen 
bringt beit Slntrag ein, bie Üfegierung ber Oereinigten ©taaten 
möge im DranSöaalfrieg oermittcln. Die Senatoren ftnb 
einen Stugenblid „geifteSabwefcnb" uub erheben feinen SEBiber» 
fprueß; ber Vorfißenbe erflärt: Sllfo fei ber Slntrag an* 
genommen. Statt baß man fiß aber beffen gefreut unb mit 
ber Durchführung beS VefcßluffeS Srnft gemacht hätte: lachen 
bie sperren Senatoren, §err Sillen lacßt mit unb auf ben 
Vorfcßlag beS tßräfibenten ßin wirb bie ©aeße ein anbermal 
wieber auf bie DageSorbnung gefeßt. ©ießt baS nießt aueß 
einer ftomöbie zum VerWecßfeln äßnlicß? Ob nun aber 
wirflicß Weitergeßenbc Slbmadjungen zwifefjen Snglanb einer* 
feitS unb ber beutfeßen unb amerifanifeßen Vegierung anberer* 
feitS befteßen ober nießt, — wie erflärt fieß bie Dhatenloftg* 
feit ber leßtgenannten SWäcßte, um Oor ber £>anb Oon allein 
Slnberen einmal abzufeßeit? 3ft eS nießt immer Wieber baS 
felbftfüdjtige 3ntereffe ber auSbeßnungSbebürftigen Nationen, 
baS bei einer Uebereinfunft mit ber SBeltmacßt Snglanb auf 
feine Vecßnung fommen mag, Wäßrenb bie fleinen fübafnfn* 
nifeßen Vepublifen nicßtS zu bieten ßaben, baS ben colonien* 
fücßtigen ©taatSlenfern in bie Slugen fteeßen würbe? ©o 
muß benn Woßl DranSoaal bie 3e<ße zahlen für baS „SSer-- 
brüberungSmaßt", an bem bie ßoße Ißolitif bei oerfcßloffenen 
Dßüren fieß ergößt. Snbeffen fann baS Vecßt zertreten werben. 
„SBir ßaben ja fein Sntereffe in DranSoaal." ©oUte d 
nun aber nießt möglich fein, ben Völfern unb ^Regierungen 
flar zu machen, baß baS bringenbfte Sntereffe oon ber SBelt 
barin befteßt, baS Vedjt aufrecht zu erhalten, baß eS eine 
SebenSfrage aHererften ÜlangeS für alle Nationen ift, fteß ju 
einem Vunb z»fammenzufcßließen, ber baS bebroßte Vecßt ju 
feßüßen fößig wäre? SBo ift bie Vation auf bem ganjen 
Srbenrunb, bie ftarf genug wäre, um erflären zu fönnen: 
„3cß loerbe niemals feßwaeß barnieberliegen"? 3ft eS aber 
ßeute erlaubt, baS fcßwadße DranSoaal zu oergewaltigen, ober 
war eS geftern erlaubt, bie Slrmenier nieberzumeßeln, fo wirb 
eS morgen ertaubt fein, irgenb fonft ein fcßwacßeS ©lieb ber 
©taatengemeinfeßaft zu oertilgen. 3ft eS geftattet, naeß bem 
©runbfaß z u ßanbeln: „3cß bin groß, unb bu bift flein, 
brum mußt bu gefreffen fein," fo muß jebe Vation in 9fecß* 
ttung neßmen, baß bie Steiße beS ©efreffenWerbenS an fie 
fomme. Daßer bürfte eS woßl zeitgemäß erfeßeinen, in Sin* 
fnüpfung au baS befannte Vilb beS ÄaiferS einmal Wieber 
in bie Seit ßineinzurufen: Völfer SuropaS, oereinigt euch 
Zum ©cßuß eurer ßeiligften ©fiter, zum Schüße beS be* 
broßten VecßtS! 

Derartigen SluSfüßrungen gegenüber pflegt man z« {r> 
wibern, baS fei ©efüßlSpolitif, mit ber fein Staat befteßen 
fönnte. Unb felbft wenn man ben Slnfturm ber Sngtänber 
aufhatten wollte, fo fei man bazu gar nießt im ©tanbe: 
bie englifcße glotte behaupte nun einmal bie unbeftrittene 
Suprematie auf bem ÜJteer. Derartige Veßauptungen waeßfen 
fießbureß öftere SBieberßolungen zu einer Slrt politifeßer Dogmen 




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I 



Nr. 10. 


Die (Segen wart. 


147 


au3, an benen nach ber IRetnung beS bereiten VublicumS 
niemals flerüttelt werben barf. Sit wagen boef) baran ju 
rütteln. Sir finb jwar überzeugt, baß ©nglanb jebem ein« 
jelnen europäifdjen Staat jur See bebeutenb überlegen Wäre, 
obwohl auch auf feiner bielgerüljmten glotte SRandjeS faul 
unb brüchig ift. 3 u Jugeben ift» baß bie britifdje SRarine' 
auch ben bereinigten flotten zweier Staaten wie IRußlanb 
unb granfreidfj mehr als gewachsen wäre. Sit finb aber ber 
Ueberjeugung, baß biefe fabelhafte Seefdjlange, genannt eng« 
lifdje ÜRarine, einer europäifdjen Koalition unb ooHenbS einem 
europäifd)«amerifanifd)en Seebunb nicht ©tanb ju hatten ber« 
möchte. SRedjneit wir einmal bie SfriegSfdjiffe jufantmen, bie 
bon ben europäifdjen SRäcfjten ber englifdjen glotte entgegen« 
gefteUt werben fönnten, fo ergiebt [ich (ohne bah bie neuen 
beutfdjen unb franjöfifdjen glottenoergrößerungSpläne in 93c« 
tracht gezogen würben), auf ©eiten beS berbünbeten ©uropaS 
eine 3 a hi bon 1786 Schiffen, gegen 910, welche bon ©ng» 
lanb aufgefteQt werben fönnen. Soffen wir aber bie Heineren 
9Rädjte außer Vetradjt, fo hätte ber bereinigte gweibunb unb 
Dreibunb mit 1290 ÄriegSfaljrjeugen immer noch baS be« 
beutenbe STOehr bon 880 Schiffen gegenüber ber englifdjen 
Seemacht aufjuweifen. $äme boÖenbS bie amerilanifdje glotte 
mit 129 ÄriegSfdjiffen hinju, fo Wäre bie Uebertegenfjeit auf 
Seiten ber Koalition noch gewaltiger. Sill man aber nur 
bie großen, nach neueftem DtjpuS gebauten fßanjerfchiffe in 
betracht jießen, fo wirb baS Verfjältniß für ©nglanb eher 
noch ungünftiger. Unb wenn enblidj auch jujugeben ift, baß 
bie Rührung coalirter ©efdjwaber immer mit größeren ©djwie* 
rigfeiten berbunben fein wirb, als bie Seitung einer einbeit« 
liÄ organifirten nationalen glotte, fo wären bod), StlleS in 
Slllem gerechnet, bie ©hancen auf ©eiten ber Verbünbeten 
günftiger als auf ©eiten ber ©nglänber; ja man fönnte 
hoffen, bafe bie Vriten eS gar nicht wagen würben, bem 
berbünbeten ©uropa bie ©pifje ju bieten. Senn fie fchon 
jefet bie gröfjte ÜRülje haben, um bie Keinen fübafrifanifcfjen 
SRepublilen unterjufriegen, fo bürften fie boch faum deS 
SBafjnfinnS fähig fein, mit ganj ©uropa anjubinben; fie 
würben bietmehr einem berartigen Völferbunb gegenüber, wie 
wir ihn im Stuge haben, einfeijen lernen, baß es eine 3lrro= 
ganj bon ihren ©taatSmännern Wat, baS freie ÜReer, bie 
gewaltige ^eerftraße ber Völfer, ju einem britifchen Domi» 
nium machen ju wollen. Sllfo noch einmal: -Rur in ber 93er«« 
cinigung ift ber Schuh beS bebroßten IRedjtS ju finben, unb 
fdjreiben wir’S ber Seit, um ein befannteS Sort ju bariiren, 
mit golbener Schrift in’S ©tammbuch ein: L’alliance c’est 
la paix. 

Um aber auf ben Vorwurf ber ©efüßlSpolitif jurücf« 
jufommen, fo glauben wir, gegen benfelben gewappnet ju 
fein. ©3 giebt, um eS furj ju fagen, eine berechtigte unb 
eine unberechtigte ©efühlSpolitif. ©efüljle, bie auS Vor* 
urtheilen entftefjen, finb bon jeber politifcfjen Veratfjung fern 
ju halten, ©efüljle, bie auS moralifchen ©rwägungen unb 
auS bem SRedjtSbewußtfein entfpringen, werben aud) im fRatl) 
bet hohen fßolitif nicht ungeftraft berachtet werben, ©ine 
betlehrte ©efühlSpolitif ift’S geWefen, wenn in alter 3^t ber 
Sägernherjog meinen fonnte, bie Schmach, bie feinem ©e* 
fanbten baburch angetan worben fei, baß ihm ber Hurfürft 
bon ber fßfalj im ©ifer beS ©efptächS ein Dintenfaß an ben 
fiopf geworfen höbe, lönne nur burch Vlut abgewafdjen 
Werben; ober Wenn in ben ÜReiningenfdfjen Sanben einmal 
ein Stieg entftanben ift (ber Safungenfcfje Stieg) auS feinem 
anberen Slnlaß, als weil bie grau Sanbjägermeifterin Slugufte 
bon ©leichen fich mit ber SRegierungSräthin, grau bon Pfaffen« 
ratfj, um ben 93ortritt bei Ipof ftritt unb fie bei ber ©elegen* 
heit gar unfanft auf bie Hühneraugen trat, ©ine unbereefj« 
tigte ©efühlSpolitif ift’S gewefen, wenn griebrich Silhelni II. 
3lnno 1787 in ben ÜRieberlanben einmarfchirte, weil feine 
©cfjtoeftet an ber ©renje ber fßrooinj §oHanb bon ber Bürger« 
wache aufgehalten unb jum Umfefjren genöthigt worben war. 


©ine unberechtigte ©efühlSpolitif war eS, wenn griebrich 
Silfjelm IV. meinte, auS ber £>anb ber VolfSoertretung feine 
Saiferfrone annehmen ju fönnen. Dagegen gilt bon ben 
meiften 93ölfern, wenigftenS bon benjenigen, in benen baS 
SRedjtSbewußtfein lebenbig ift, baß fie fich in ihrem bunften 
Drange beS rechten SegeS wohl bewufjt finb. ©ewiß, baS 
©efüfjl ber Völfer fann irregeleitet werben; aber wenn man 
fie fid) felbft überläßt, fo finb fie bielfach e h et in ber Sage, 
baS Süchtige ju treffen, als bie gewiegten, aber auch burch 
ihre „große $unft" ber natürlichen Slnfdjauung bietfach ent« 
frembeten Diplomaten. Um nur ein einjigeS 93eifpiel auS 
ber fernerliegenben Vergangenheit h^auSjugreifen, fo giebt 
eS faum ein treffenbereS ©jempel einer großartigen ©efüblS« 
potitif als bie Äreujjüge. 2Ran mag unS über ihre ©nt« 
fteßung fagen, was man will; man mag bon ^ßrieftertrug 
unb päpftlicfjem £>errfdtjaft3gelüfte unb ritterlichem Sigennufce 
reben: baS SlUeS mag mitgefpiett haben; aber bie Äreujjüge 
Wären nie biefe weltbewegende ©rfdjeinung geworben, bie fie 
thatfädjlidj gewefen finb, wenn fie nicht getragen gewefen 
Wären bon bem gewaltigen Verlangen ber djriftlidjen Völfer, 
bie Ipeimath ihres ©laubenS jurüdfjugewinnen. Slber treten 
wir herein in bie neuere 3 e ü- Sir wollen nicht bon ben 
potenfreunblidjen ßunbgebungen reben, bie in ber erften ^älfte 
unfereS SahrfjunbertS ftattgefunben haben; wollen aber er« 
innern an bie ©efühlSpolitif, bie für ben gürften bon Vatten« 
berg unb bie bulgarifche greiheit gegenüber ruffifcher Ver* 
gewaltigung ftürmifd) Partei genommen hat, fowie an baS 
mächtig auflobernbe SlRitgefühl, baS für bie gefchänbete, ju 
Dob gemarterte armenifdhe Nation fich erhoben hat. Sir 
finb noch h eute überjeugt, ba| bie ^Regierungen in beiben 
gälten gut getljan hätten, auf bie ©timme beS ©ewiffenS ju 
hören, bie in bem Seelenleben ihrer Völfer fo beutlidj ber« 
nehmbar war. ©anj biefelbe ©rfcheinung tritt unS heute 
Wieber entgegen. Sn Slmerifa unb Deutfdjlanb — ganj ab« 
gefehen bon ben anberen ©ulturnationen, in welchen bie @tjm« 
pathie für bie Unterbrüdten lebenbig ift, jeigt fich eine ge« 
Wattige Strömung ju ©unften beS beriehten SRechtS. Sunb« 
gebungen über Sunbgebungen forbern bie ^Regierungen auf, 
ju ©unften ber bebrängten SRepublifen ju bermitteln. Die 
^Regierungen aber hüllen fich in Schweigen unb jiefjen fiefj 
auf ben alten ©runbfatj ber SRichtinterbention jurüd. Db 
eS nicht beffer für bie 3nfunft ihrer Völfer, für bie guüinft 
ber URenfchheit Wäre, wenn fie in biefem galle einmal bem 
^ochbrucf ber öffentlichen SReinung nachgeben wollten? 

©3 ift nicht ohne Sntereffe, ben ©runbfafe ber Sticht* 
interbention borübergefjcnb ju beleuchten. 3n früheren 3«iten 
Würbe bötlig unbefangen interbenirt. ©obalb ein Staat ber 
SReinung war, baf? er burch einen in einem Stadjbarlanb 
Wüthenben Ärieg gefchäbigt Werbe, ober baf} er burch irgenb 
eine VertragSflaufel berechtigt fei, einem Vebrängten ju |)ülfe 
ju fommen, fo hat et fich eingemifdjt. 2Ran barf nur an 
bie 3eit beS dreißigjährigen SfriegeS erinnern, um bie 9tid)« 
tigfeit ber borgetragenen tlnficht nachjuweifen. Die Suter« 
bentionSpolitif ift erft burch die heilige Mianj in SRifecrebit 
gefommen. DiefeS ©ingteifen in Verhältniffe frember Staaten 
im freiheitsfeinblichen Sinne fonnte bie ©ulturwelt nicht er« 
tragen, tlucfj ber britte SRapoleon h°t mit feinen ©in« 
mifdjungen nicht biel Sorbeeren gefammelt. 31 ber wenn 3wei 
baffelbe thun, ift eS nicht baffelbe, unb Wenn man eS in 
berfcfjiebener Slbficht thut, ift’S wieber nicht baffelbe. Sein 
ehrlicher SRenfcfj würbe Slnftoß baran nehmen, wenn irgenb 
eine ^Regierung erflärte: „Sir bulben nidht, ba§ fernerhin 
nach SRäubermoral gehanbelt wirb.“ Senn einmal baS löfenbe 
Sort bon hoher Stelle auögefprodjen würbe —, ich glaube, 
bie Sogen ber Vegeifterung würden jum §immel empor» 
raufchen. Snterbention fann unter Umftänben einfach als 
Vfltdjt erfcheinen. Schon jur 3 e tt ber bulgarifcfjen ©rcuel 
hat Vluntfdhli über bie 3 u ftänbe auf ber Valfanhalbinfel 
fich folgendermaßen geäußert: „DaS finb feine gnftänbe, die 


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148 


Hie (Segen wart. 


Nr. 10. 


baS europäifdje Staats* unb NedjtSbewußtfein ertragen fann. 
Sie finb unwürbig ber heutigen ©ioilifation unb eine Schmach 
für ©uropa. ©uropa fann biefe 9D?i%wirt^fd^aft umfoweniger 
ertragen, als eS ficE> erinnert, baß bie befiegten unb unter* 
brüeften Völfcrfdjaften mit ben europäifcfjen ©ulturüölfern 
burdj ißre Spraye, Religion unb ©efdjicßte naße oerwanbt 
finb." (Siegen meßt biefefben ©rinnerungen naße, wenn hur 
an bie Suren benfen?) „So weit eS nötßig ift," fäbjrt 
Vtuntfdjli fort, „bie gewaltfamen ipinberniffe einer aufge* 
brungenen grembherrfdjaft ju entfernen unb bie natur* 
gemäße ©ntwidetung ju ermöglichen ..., fo Weit hat ©uropa 
bie Pflicht unb bähet auch baS Siecht, biefe nothwenbige 
Sorge ju üben unb wirffam ju machen." SBenn wir baS 
auf bie Vorgänge anwenben, bie fich heute öor unferen Slugen 
abfpielen, fo heißt baS: ©uropa hat bie Pflicht, in ben Stieg, 
ber jefct Sübafrifa oerßeert, bermittelnb eiujugreifen. SBenn 
wir nicht interbeniren, fo Werben bietteitfjt unabfehbare Ser* 
wiefetungen öarauS folgen, ©nglanb üergrößert fein Derti* 
torium, wenn eS DranSOaat unb ben Dranjefreiftaat annectirt, 
wieber um 457 770 Ouabratfilometer; eS gewinnt eine faft 
erbrüdenbe ©räponberanj in Slfrifa. Die $olge Wirb fein, 
baß bie anberen 9Rädjte nach berühmten NJuftern „©ompen* 
fationen" bertangen, baß eine Neiße neuer NcibungSflädjen 
gefchaffen, furj, baß bie ©efaßr beS SriegeS bon allen Seiten 
ßeraufbefeßworen wirb. Slm ©nbe brängen Die Verßältniffe 
oon felber ju ber ©oalition, auf bie Wir ßingewiefen hoben. 
Die 3>bce eines mitteleuropäifchen 3 D ^bunbeS gewinnt meßr 
unb mehr ©eftalt. Sinb bie Söffer aber wirtschaftlich ber* 
einigt, fo Werben fie fich auc h politifch Oerbünben. Dann 
wirb man bie beliebte einfeitige Sntereffenpolitif nicht höher 
wertßen, als fegt bie beraltete Sirdjtßurmpotitif gewertßct Wirb. 
Nod) he»^ hanbeln gewiffe Staaten nicht biel ebler unb 
nicht biel flüger, als ber Württembergifche Schultheiß, ber 
an ber ßoßenjoHernfchen ©tenje woßnenb fotgenben ©rlaß 
hinausgegeben hat: „Saut SBeifung eines Wohllöblichen Ober* 
amtS treibt fich ein toller £>unb in ber ©egenb herum; Seber* 
mann Wirb aufgeforbert, benfetben entweber tobtjufcßlagen 
ober aber in’S ißreußifdje ßineinjufagen." SBenn ihn nur 
„bie Slnberen" haben! DaS ift auch ein ©efühl, aber ein 
berfehrteS. DaS bom NecßtSbeWußtfein geleitete ©efühl würbe 
unS barauf hinweifen, ben Nachbarn ©uteS ju Wünfcßen, ba* 
mit fie unS ©uteS ju bieten hätten; eS Würbe unS baju 
treiben, ben bebrängten Schwachen unfern Schuh angebeihen 
ju laffen. SiS aber bie Diplomaten fo flug fein Werben, 
werben bie fübafrifanifeßen Schweftern berblutet fein, fo gut 
Wie bie Slrmcnier berbluten mußten. 


Der ärjtlictje Itothflanb. 

Sßon Dr. med. 2Hp^ons fulb. 

Son 3aßr ju Saßt mehren fid) bie Stagen über ben 
wirthfchaftlidjen Niebergang beS ärjtlidjen StanbeS; bie ftetig 
juneßmenbe Ueberprobuction an Slerjten, bie unangemeffene 
§onorirung Seitens ber Stanfencaffen, bie Sereinigung oon 
Angehörigen ber gutfitnirten ©laffen in Sranfenöeteine, bie 
©oncurrenj eines üppig wuefjernben, Woßlorganifirten Gut* 
pfufcherthumS follen in ihrem 3 u fammenwirten ben Stanb 
ber Aerjte unaufhaltfam ber ißrofetarifirung entgegenführen. 
SBenn ein Seruf mit taufenb fjäben in bie oerfeßiebenften 
©ebiete beS öffentlichen SebenS hinein oerwoben ift, wenn er, 
wie ber ärjtlicße, nicht nur in ber Stanfenfiirforge unb 
Sranlenpflege, fonbern auch in ber SluSfüßrung ber focial» 
politifdßen ©efefcgebung, itt ber NedjtSpflege unb ber öffent¬ 
lichen fSßgiene berüorragenb betheiligt ift, wenn er ferner mit 
ben Oerfeßiebenften Schiften ber Veoölferung in nahe Se= 


rührung tritt unb beftimmenben ©influß auf fie auSjuüben 
Oermag, bann wirb gewiß fein wirthfdjaftlidfjer Niebergang ju 
einet bie StUgemeinßeit intereffirenben unb befonberer S3e* 
adjtung Werthen Slngelegenßeit. 9Ran fönnte nicht gerabe 
behaupten, baß in weiteren ärjtlidjen Sreifen ein oolleS Ser* 
ftänbniß befte|t für bie Urfachen biefer ©ntwidetung; aus 
ber mebicinifcßen DageSpreffe tönen immerfort bie alten 
Stagen wieber über ©urpfufdfjertum, Ueberprobuction unb 
focialpotitifche ©efe|gebung; halb wirb baS eine, halb baS 
anbere ÜRoment mehr in ben Sorbergrunb gefdßoben. 3h 
fann eine fotche ifolirte, ben innigen Rufammenßang all« 
wirthfchaftlidjen gunctionen beS ©efeufcßaftSförperS ooll* 
fommen ignorirenbe Vetradjtung ber öfonomifdjen Sage eines 
einjelnen SerufeS nicht für richtig hatten, id) habe früh« 
feßon einmal an biefer Stelle ßeroorgeßoben, baß bie ärjt* 
ließe SNifere nur im 3 u fammenhang mit allen übrigen ©r* 
fdßeinungen beS wirtschaftlichen SebenS richtig üerftanben 
werben fann; fie ift nichts SlnbereS, als Stheilerf^einung bet 
großcapitaliftifdjen ©ntwidfelung auf aQen ©ebieten b« 
©rwerbStßätigfeit; ftaatliche Stanfencaffen, freie JpülfScaffen 
unb Sranfenoereine beßerrfdben ben ÜRarft nnb bictiren bie 
greife. DaS Necßt auf Arbeit ejiftirt für eine fehr große 
Anjaßt Oon Slerjten thatfädhlich nicht; Setternfdjaften, ©tiquen, 
perfönlicße, potitifdje unb religiöfe Sßmpatßien unb Anti* 
patßien entfcäjeiben oielfacß über bie 3«faffung jur Sehanb* 
lung ber ©affen* unb SereinSmitglieber unb biefe Serhältniffe 
finb ganj bie gleichen in ben SetriebScaffen, wie in ben 
allgemeinen DrtSfranlencaffen; allüberall macht ber ©apitalii* 
muS, mag er nun burdj bie ©efifcer unb Beamten ber gdbrilen 
ober burd) bie Sertreter ber Strbeitnehmer repräfentirt fein, 
feine SDZacht geltenb. SlllerbingS würbe wohl faum ein anbenr 
Seruf fich foldjc 3 u ftänbe auf bie Dauer bieten laffen unb 
wenn bie Sterjtefdjaft fie immer noch bulbet, fo liegt baS an 
ber UnooKfommenbeit unb Ohnmacht ihrer Organifation. 
3ch bin barum ber fe^erifdhen üReinung, baß alle bie StanbeS* 
Organisationen, bie in ben Oerfcßiebenen SunbeSftaaten theifö 
projectirt, tßeilS in’S Seben gerufen finb, nichts Nachhaltige® 
jur §ebung unferer wirthfchaftlidjen Sage leiften fönnen, fo 
lange bie Organifation fidß nicht einheitlich über baS ganj« 
NeidjSgebiet erftredft nnb ißr erfter unb wicßtigfler Programm» 
punft nicht bie grunbfä^lic^e Slnerfenuung unb ©rfämpfung 
beS fRedhteS auf Slrbeit für jeben einjelnen Slrjt jum Snhalt 
hat. Nur wenn bie gefammte beutfdje Slerjtefchaft als ge* 
fcßloffene Nfacßt ißren „Slrbeitgebern" gegenübertritt, fann 
fie biefem Oitalen ©runbfahe jum Siege oerßelfen, unb bie 
Arbeit in biefer Nidjtung, bie alterbingS nur bann erfolg* 
reich f e m fönnte, wenn bie Organifation bie SNadjt befäße, 
alle Streifbrecherei ftreng ju aßnben unb ben Streifbrecher 
ber oerbienten Verachtung unb Sgnorirung aller Seruf®* 
genoffen preis ju geben, wäre junädjft woßl Oiel Wichtiger, 
als bie langathmigen DiScuffionen über StanbeSehre unb 
StanbeSregeln, als ber Sampf gegen Slnnonceure, Neclante* 
ßelben unb anbere unbeträchtliche ©rfeßeinungen. ©S fann 
gar feinen 3 fö eifel unterliegen, baß mit ber Serbefferung 
bet SlrbeitSgelegenheit unb ber ©infommenSoerhältniffe eine 
Nlaffe Oon unliebfamen StuSmüchfen beS ©pftenjfampfeS oon 
felbft oerfdjwinben müffen. 

Die ©ebeutung ber oben angeführten SNomente ift gleich* 
woßl nicht oon ber §anb ju weifen unb fie müffen bei ber 
Unmöglidjfeit, in bie großcapitatiftifdfje ©ntwidelung ber ge* 
fammten SBirthfdhaftSoerhältniffe hemmenb einjugreifen, toobl 
berüdfießtigt werben: bieten fie bodß bie einjige ^anbhaoe 
bar ju einer wenigftenS palliatioen ©eßanbluna. @S bürften 
barum einige 3 a hf en angaben über bie Verkeilung beS ärjt* 
ließen StanbeS in Deutfdjlanb aueß für einen weiteren Befer* 
freis nicht oßne Sntereffe fein, wir entnehmen biefe 34^ 
einer üor Surjem in ber „SRündjener meoicinifdßen SBocßen* 
feßrift" auf ©runb ber neueften Verfonalaufnaßmeit (oom 
Saßre 1899) publicirten 3»fammenfteltung. Danadß bettägl 


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Nr. 10. 


Die Gegenwart. 


149 


bie Slngaljl ber Slergte in ®eutfcf)ianb gegenwärtig 26689 
6ei-einer ©eDölferungSgaljl Don 52251917 ©inwohnetn; eS 
fommt alfo ein Slrgt auf 1967 ©inwoljtter, ober auf 10000 
@inwoljnet 5,1 Slergte; im Sahre 1886 epftirten 16292 
Slergte bei einer ©eDölferungSgaf)l Don 46940587, baS SSer* 
(lältniS toar bemnad) 1:2875 refp. 3,4:10000. SBährenb 
alfo feit 1886 bie ©eDölferung3gal)l 2)eutfdjlanb3 um ll,5°/ 0 
gugenommen ^at, ift bie 3 a hl ber Slergte in berfelben 3eit 
um 63,8 °/ 0 geftiegen; am ftärtften ift bie 3 una h me in ben 
grofeen ©täbten, namentlich in ben UniDerfitätöftäbten unb 
ihrer Umgebung, in ©harlottenburg 5- fommt ein Siegt 
fd)on auf 5l3,©inroohner, in f>atle auf 573; in ben großen 
Snbuftrieftäbten, too fid) ber ©influf ber gabrifen geltenb 
mad)t, ift bie Slergtegafil Derhältni|mä|ig geringer, in ©Iber» 
felb beifpielSweife 1:1909. $)aö finb ungefähr bie wid)tigften 
3aljlen, bie mir jener 3 ll f Qmme nftellung entnehmen fönnen 
unb baS gacit, baS aus ihnen gezogen wirb, lautet, wie 
oorauS gu fehen, bahin, eine ©effetung fei nicht gu erhoffen, 
fo lange fid) nicht ber 3 u & ra ng gum ärgtlichen ©erufe Der» 
minbert höbe. 

©3 erfcheinf uns aber hoch gweifelhaft, ob biefe nädbft» 
liegenbe ©djlulfolgerung fo ohne SBeitereS aboptirt weroen 
mu|, gang abgefeljen baDon, ba| bamit ein ^eilDerfahren 
uorgefd)lagen Wirb, für beffen SlnWenbuttg unb Durchführung 
(ich weber eine gefe|lidje noch eine materielle £>anbl)abe bieten 
fönnte. ®er enorme 3 u * 3tan 9 gum ärgtlidjen ©eruf muß 
bodj wohl tiefer liegenbe ©rünbe hoben, mögen fie nun in 
bem ©harafter ber naturwiffenfd)aftlich s ntebicinif<hen 2>i3» 
ciplinen ober in ben ibealen Rieten beS ©erufeS liegen, aber 
fooiel ift ficher, einfeitige ©rwerbSintereffeu finb eS nicht, 
bie bie größere 3«hf ber ©febicinftubirenben befjerrfcfien. ®a| 
bie übergroße SWehrgahl ber Slergte heute feine 9Reicf)tf)ümer 
mehr erwirbt, ja nicht einmal eine forgenlofe ©pfteng führt, 
baS wei| aud) ber weltfrembefte junge Wann, ber fidf) bem 
mebicinifdjen ©tubium wibmet, unb wenn tro| biefer, all» 
feitig, befannten ©erhältniffe bie 3 a hl ber Slergte jebeS Saljr 
gunimmt, fo ift bamit eben ber ©eweis geliefert, ba| alle 
SBarnungen oor bem Ergreifen beS ärgtlidjen ©erufeS, mögen 
fte aud) Don autoritatioer ©eite au8gefjen, nichts SBefent» 
iid)e8 änbern fönnen. Slber felbft, Wenn eS auch S u erwarten 
Wäre, ba| fich ber 3>tbrang in ben nädiften 3al)ren Der» 
minbern, ba| bie 3nnafjme fünftighin ftatt 63 oieUeidjt nur 
40 ober 30°/ 0 betragen würbe, fo hotte hoch bie gegenwärtig 
lebenbe ©eneration baDon faum einen ©ufjen. 

©ur wenn man einen tieferen ©inblid in alle ©erhält» 
niffe gu gewinnen fudjt, eröffnet fich bie Wöglichfeit, gu 
praftifcheren ©orfdjlägen gu gelangen, als eS bie billige, 
nufclofe Sßarnung öor ber SBaljl beS ärgtlichen ©erufeS ift. 
$)a| bie 3 u nahme ber Slergte aufer jebem ©erf)ältni| gum 
SBadjSthum ber ©efammtbeDölferung fteht, ift auS ben oben 
angeführten 3 a hf en ohne SBeitereS flar. SlHerbingS barf man 
eine« nicht üergeffen; mit bem erhöhten SBohlftanb unb ben 
gefteigerten Slnfptüdjen an bie SebenSführung in weiten ©e» 
Dölferung3fd)id)ten, ferner mit bet obligatorifdjen Kranfen» 
Derfidjerung ber arbeitenben ©(affen ift baS ©ebürfni| nach 
ärgtti^er ^ülfeleiftung enorm geftiegen. ®a8 Wirb jeber 
befefjäftigte Slrgt betätigen; Wie bebeutenb ber Unterfdjieb 
gegen früher ift, baDon erhält man einen ©egriff, wenn man 
bie Nachfrage nach ärgtlicher fiülfeteiftung in armen, ab» 

Ö snen ©egenben mit ber in ©täbten unb wohlhobenben 
orten Dergleicht. @3 wirb barum faum möglich fein 
eine Sftormalgafl aufguftellen, bie für unfere gegenwärtigen 
©ebürfniffe baS wünfcfjenswerthefte ©erljältni| gwifchen 3ohl 
bet Slergte unb Kopfga|l ber ©eDölferung auSbrüdt. ®a| 
baS frühere ©erljältni| 1:2875 Dom ©rwerbsftanbpunft beS 
SlrgteS auS angenehmer war, ift ja ficher, ob aber baS jefcige 
©erhältni| 1:1925 nidht Dielleid)t hoch beit Sntereffen ber 
©efammtbeDölferung beffer entfpri<ht, barüber ift nicEjtö ©e= 
ftimmteö gu fagen. SebenfaHS ift ber ©eweiS noch nicht ge» 


liefert, bafe bie 3 a hf ber Slergte im fiinblicf auf ben ©ebarf 
ber ©efammtbeDölferung unnatürlich grofj fei. 

©ine mirflidje Sinficht gewinnt man auch feineöwegö, ' 
wenn man nur bie ftatiftifchen ®rgebniffe auö bem ©efammt» 
gebiet ber einzelnen ©unbeöftaaten ober au8 ben grölten 
©täbten berücffichtigt, man mu| Diel tiefer in bie ©ingelheiten 
einbringen unb namentlich bie Slrt ber ©ertheilung unter 
ben Detfdf)iebenen örtlichen unb focialen ©erhältniffen au3» 
eiitanberhalten. SBir wollen baDon abfehen, ba| bie ißerfonal» 
Dergeidjniffe, bie aUett ©erechnungen gu ©runbe liegen, eine 
nicht geringe 3of)l Don Wilitär» unb beamteten Slergten ent» 
halten, bie bei ber ißrapS nicht betheiligt finb unb bennocf) 
baö 3 a ^lenüerf)ältni| oerfchlec£>tern. Wir wollen auch Don ben 
Dielen ©pecialärgten in grö|eren ©täbten abfehen, bie eben» 
falte au|erhalb ber allgemeinen ©oncurreng fielen; man barf 
wohl annehmen, ba| biefe gehlerquellen in ber gro|en 3ohf 
ihren SluSgleich fiitbeit. Slber nicht unberücffichtigt barf bie 
* ©ertheilung ber Slergte auf ©tabt unb Sanb bleiben unb man 
mu| babei nicht nur bie ®ro|ftäbte fonbern auch bie Heineren 
unb mittleren ©täbte unb felbft bie Sanborte in ©etrad)t 
gieren. 3)ie ©eobachtung lehrt nun, ba| ein übergro|e8 Sfit» 
gebot houptfä^lich in ben ©täbten befteljt; fowie man in 
einem ©egirfe bie grö|eren ©täbte auö ber Rechnung eliminirt, 
erfdjeint ba3 ©erhältni| Diel günftiger. Sch höbe foldje ©e» 
redjnungen nach ben ^erfonalaufnahmen beö ©örner’fchen 
Webicinalfalenberö auSgeführt unb will nur einige 3 a h^ en= 
beifpiele hierher fe^en; im ©egierungöbegirf Königsberg fommt 
ein Slrgt auf 2235 ©inwohner, lä|t man ben ©tabtfreiS 
Königsberg unberücffichtigt, bann ift baS ©erhältnil 1:3914, 
im ©egierungSbegirf Wagbeburg finb bie entfpredjenben 3aljlen 
1:2130 begw. 1:2536, im ©egierungSbegirf Slachen 1:2369 
refp. 1:3389. 2)eS SBeiteren ift aber aud) eine gro|e Un= 
gleichmä|igfeit in ber ©ertheilung ber Slergte je nach ben 
©unbeSftaaten unb felbft nach ben eingelnen ©erwaltungS» 
begirfen unberlennbar; in ber ©roüing ©ofen beifpielsweife 
ift baS ©erhältnil 1:3512, in ben ©egierungSbegirfen Königs» 
berg 1:2235, Oppeln 1:3843, ©reSlau 1:725, SBieSbaben 
1:1118, im babifchen Kreis Soitftang 1:1876. Sm Stil» 
gemeinen ift alfo eine ©egenb um fo reicher mit Slergten 
Derforgt, je wohlhabenber fie ift unb in biefem Umftanb liegt 
gugleid) auch baS ©orreftiD; ber höhere SBohlftanb führt 
naturgemäl gu ftärferer Snanfpruchnahme ber Slergte unb 
gu beffercr ©egahlung. SlnbererfeitS finft auch * n toohl» 
habenben ©egenben bie Stngaljl ber Slergte gang bebeutenb, 
wenn bie Snbuftrie bort Dorherrfd)t; eS hängt baS mit ber 
©epflogenheit ber meiften grö|eren SBerfe gufammen, gur 
©ehanbtung ihrer'Slrbeiter nur einige wenige Slergte angu» 
nehmen, bie auf biefe Sßeife alletbingS eine recht auSfömm» 
liehe Stellung finben, aber gugleid) in bie grö|te Slbhängig» 
feit Don ben ©efijjern unb ßeitern ber SBerfe gerat|en. 
derartige 3nftänbe ^errfchen namentlich in ber ©heinproDing; 
einer ©tatiftif, bie nur Staaten, ©roDingen unb @ro|ftäbte 
berücffichtigt, entgehen natürlich biefe fe|r bemerfenSWerthen 
©rfcheinungen. Sn ber ©heinproDing giebt eS eine gange 
Slngahl Don Orten, in benen ein Slrgt erft auf 6000 ©in» 
Wohnet fommt, felbft baS ©erhältnil 1:6000 unb 1:8000 
ift gu beobachten; {ebenfalls ift eS in bortiger ©egenb nichts 
©efoubereS, ba| fich e i ne ©eDölferung Don 3000 ©eelen mit 
einem eingigen Slrgt begnügen mu|. Solche 3 a h^ en mfiffen 
gewi| frappiren, wenn man fie mit ben ftatiftifdjen ©r» 
Hebungen attS fo manchen anberen ©ebieten beS ©eidjeö gu» 
fammenljält, unb fie iüuftriren bentlicher als bie weit» 
fdjweifigfte ©chilberung baS ungeheure Unrecht, baS bnrdj bie 
©rotegirung ©ingelner bem gangen ärgtlidjen ©tanb unb ben 
©erfi^erten gugefügt Wirb. Sluf allen anberen ©ebieten beS 
SBirthfhaftSlebenS ^errfd^t heute ber ©runbfajj ber un» 
gehinberten ©oncurreng, beS freien ©pielS ber Sträfte, aber 
bem ärgtlichen — sit venia verbo — ©ewerbe gegenüber Der» 
liert biefeS ©rincip felbft bei feinen Slnljängern bie ©eltung. 


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150 


Die (Gegenwart 


Nr. I d 


©in wesentlicher gactor für ben ärjtUdjen SRothftanb 
fcheint atfo in ber ungleichmäßigen SSert^eitung ber 5lerjte 
ju liegen; fie ift DieUeid)t Wichtiger, ab bie Ueberprobuction 
an fich» bie ber Seruf mit fo Dielen anberen gemein hat 
unb beren Schaben boch einigermaßen baburd) ausgeglichen 
werben fönnten, baß fich baS Angebot ber Strafte bem ©ebarf 
entfprechenb auf bie einzelnen ©egenben Dertheilt. @S müßte 
batum Dor Ment baS üRonopol ber befonberS begünftigten 
Siebte fallen; alle 9lerjte müßten bei ben in ihrem Söe^irf 
beftehenben ©affen zugeiaffen fein unb bie ^onorirung follte 
fich nach bem finanziellen Stanb ber einzelnen ©affe richten, 
nicht nach generell, oft genug Dom grünen £ifcf) auS, für 
alle ©affen beS ©ezitfes feftgefteüten fßaufchaljäßen. 3 ur 
©tfätnpfung biefer 3iele bebarf eS ber oben erwähnten, ein» 
heitlich über bas ganze SReich auögebef)nten StanbeSorganifation. 
®eS Weiteren wirb fich fl ber ein fernerer SRiebergang taum 
anberS uerhüten laffen, als burd) eine fhftematifche SReuorbnung 
beS ärztlichen ÜtieberlaffungSwefenS, burch Sorgfältige ©rffebung- 
unb geftftellung beS ©ebarfS in ben oerfchiebenen ©egenben 
unb bementjprechenbe Leitung ber ÜRiebetlaffungen. ©croiß 
würbe baS einen gewaltigen ©ingriff in bie perfönliche grei» 
heit bebeuten, aber bie ejiftirt ohnehin unter ungünftigen 
öfonomifchen ©erhältniffen mehr in ber ifßh a ntafie als in ber 
SBirflichfeit. UebrigenS wäre bie ftaatlid)e Drganifation beS 
ütieberlaffungSwefenS baS einzige ÜRittel, einer Ueberprobuction 
wirtlich oorzubeugen; baS beweifen bie oerfchiebenen Berufs» 
Zweige beS ©eamtenthumS, wo fich, wenigftenS innerhalb 
längerer ißerioben, baS Angebot nad) ber Nachfrage regelt, 
©in golbeneS 3eitalter würbe unS auch bie ©ejchränfung ber 
9Heberlaffungsfreiheit natürlich nicht bringen, aber bie gröbften 
Schöben uermöchte fie boch wohl i u feilen unb ein weiteres, 
noch tieferes ^»erabgleiten z« oerhüten. 

Sch gebe mich nic^t bet Xäufchung hin, bafj bie h' ei ' 
bertretene Mffaffung fehr rafch eine größere ülnhängerfdjaft 
gewinnen tonnte, noch oerfenne idj bie Schwierigfeiten einer 
fo burchgreifeitben SReorgattifation im Nahmen unferer heutigen 
gefelljchaftlichen ©erhältniffe; ob iobeß ein anberer ÜBeg, ber 
bie bisherige fchrantenlofe Freiheit ber Ütieberlaffung unan» 
getaftet läßt, zum 3'ele führen fann, erscheint recht Zweifel» 
haft. SebenfallS wäre eS aber hohe Beit, enblich einmal mit 
ber finblichen Slnfdjauung zu brechen, wie wenn burch hie 
beliebten Shmptoncuren, burch ©htengeridjte, Stanbesorb» 
nungen unb ben Stampf gegen baS ©urpfufcherthum eine fo 
complicirte, Don fo üielfadjen gactoren bebingte ©rfcheinung, 
wie eS ber wirthfd)aftliche Ütiebergang eines für baS 2111» 
gemeinwohl unentbehrlichen StanbeS ift, ernftfjaft betämpft 
werben fönnte. 


(Entlanite <Spiritiften. 

SSon Hubolf Kleinpaul*). 

2öenn auf ben Snfeln beS ©tiflen DceanS, auf Sfteu* 
pommern ober üfteufauenburg, eine ©euc^e ober 2)?t&n>acf)3 
eintritt, fo toirb bon ben ©ingeborenen ein fogenannteS ®ucf= 
®ud abge^alten. 2)a£ fyeifct: eine 9Jia$ferabe. 9J?a$fen gieren 
burd) ba$ fyinb unb führen groteSfe Xänje auf. 2Bie bei 
einem SMaifeft toirb eine Sßerfon in Saub gefleibet unb tf)r 


*) Unfer alter Mitarbeiter fährt in feinem Kampfe gegen ben 
pfeubonnfjenfcpaftlicpen ©unter * unb Aberglauben unferer Qeit, gegen 
©pirittften unb Cccultiften tapfer fort, Sftacpbem er in feinem fepönen 
SBucp „$ie fiebenbtgen unb bie Xobten in SSolfSglauben, Religion unb 
©age" al* ^ßpilolog unb (Sulturpiftorifer naepgeroiefen, ba& bie Oolfö- 
tpümlicpen ©etfter ober ©eelen faft burtpioeg auf bie Silber ber Ser? 
ftorbenen jurürfjufüpren finb r rücft er in feinem foeben bei Q. &. 
mann in ieipjig etjepeinenben neuen ©erfe „MoberneS $efcnroefen, 
©pirittftifepe unb anttfpirittfttfcpe Klaubereien" ben ©piritiften 
auf ben 2etb, bie „ba$ 3 ci ta(ter roeit über ©ebüpr befepäftigen unb mit 


eine greübemalte, fchredlidje ©efidjtSmaSfe auf gefegt; ein 
Schwarm oon tupferfarbigen üRelanefiern, ebenfalls in oben» 
teuerlichen ©oftümen fehltest fich an. 2tlS wären fie Ätle 
Dom Veitstanz ergriffen, rafen fie, taufen Scheuteufel Don 
Plantage zu ißlantage, burch bie Kälber, burdh bie Hutn; 
feinen üßinfel laffen fie unburchfucht. ®ie Slbfid^t ift, ben 
sDämon, ber an allem Unglücf fchulb ift, aufzuftöbern unb 
ZU Dertreiben, ihm mit ber angenommenen üRiene furcht ein« 
Zujagen, ihm gteichfam ein ÜRebufenhaupt Dorzuhalten. 

®aS furchtbare §aupt, baS MeS uerfteinerte, mar eint 
ähnliche ©orfehrung; baS bie triegerifche ©öttin auf it)R 
21egiS, bie Stabt auf bie ÜRauer feßte, ift hödjft wahrscheinlich 
aus einer ÜRaSfe hcroorgegaugen. SebenfallS hat baS URebufen» 
haupt einen Bwecf gehabt wie eine ÜRasfe: eS ift eine Schuß» 
einrichtung gemefen. 

S)aS ift nämlich bie urfprüngliche Seftimmung allet 
URaSfen: fie finb erfunben worben, um bie böfen geinbe ju 
oerfcheuchen. Sie SRasfen finb Popanze unb SBogelfcheuchen, 
wie man fie auf bie gelber ftellt; fie gleichen ben Sappen» 
thieren, bie bie 9Ütter im Sd)ilbe führten, ben äblerflügeln 
unb ben Römern, bie fie wie Stacheln unb ©rennhaate auf 
ihrem §elme tragen. ®ie 2legis mit bem ©orgonentjaupte 
ift offenbar weiter nichts als ein antifer Sappenfchilb ge» 
wefen. S)ie ÜRaSfen wollen baS eigene böfe ©eficht erfeßen, 
baS man feinem ©egner maeßt, unb feine gurchtbarfeit noch 
Steigern; fie finb gleichfam zweite ©efichter, bie man Dor» 
nimmt. j)aS ift auch e iu £ ©ertheibigungSmafjregel, bie ber 
s lRenfch ergreift, recht finfter zu bliden, bie 3äh ne J u weijen 
unb grimmig auSzujehen, fo gut wie baS ©rüllen. IRachbem 
bie ÜRaSfen ihren eigentlichen ©harafter längft oerloren haben, 
geht bie natürliche ÜRasferabe ber grimmigen ülfiene heute 
noch im Schwange. 

demnach laffen fich bie ÜRaSfen auch mit ben großen 
Dergleichen, bie bem Staliener bazu bienen, bie ÜBirfung beä 
böfen ©lideS zu paralhfiren, ober bie fonft zum Sruße ge« 
fdjnitten werben. 3 U befagten großen gehört jurn ©eifpiel 
baS ^»erauSftreden ober öleden ber 3 u nge; biefe ©eberbe 
Wirb bei ben Bentilbem fo gut wie nie Dergeffen. üRan 
bemerft fie an ben älteren j)arfteQungen beS üRebufenhaupteS 
fo gut wie an ben mittelalterlichen Üteibföpfen, bie eine neue 
Ülrt Don ÜRaSfen im alten Sinne waren. ®ie Üteibtöpfe 
würben wie ©lißableiter an Raufern angebracht; ber foge« 
nannte Salenfönig am ©rüdemhurm Don ©afel, ber, burch 
baS Xhurmuhrwerf in ©ewegung gefeßt, bei jebem ^Jenbel* 
fcßlag bie 3 un ß e 9 e ßen Äleinbafcl herauSftrecfte, war ein 
ed)ter SReibfopf; übrigens zählt man auch bie gefchnißten 
ipferbeföpfe, wie man fie an ben ©iebelfparren ber meftphö* 
lifchen ©auernhäufer fießt, z u biefer Sl'ategorie. 2lnbere, raeßr 
ober weniger obfcöne ©ebetben, gewöhnlich nicht in Ütatura 
ausgeführt, fonbern nur mit ben gingern nachgemacht, waren 
baS ©ntblöfjen beS gaScinumS bei ben ÜRännern unb baS 
©ieten ber geige bei ben grauen: fie leben noch heute im 
neapolitanifcßen ©olfe fort, werben auch wieber plaftifch nach« 
gebilbet unb in gorm Don ÄoraHen£)örnchen als Amulett 
getragen. Sa, ganze giguren, bie Körner machten unb bic 
geige boten, würben im ÜRittelalter wie ßalenfönige auf ben 
Stabttljoren angebracht, immer zu bem 3wede, ben geinben 
$ruß zu bieten. Unb zwar ebenfowoßl Sichtbaren wie un« 
Sichtbaren geinben: fämmtliche ©rimaffen bienten auch gegen 
feinbliche ©eifter wie bie ÜRaSfen. 


itjrcr unfägtidien, fitalleitben Q)cfcbmacflofigfctt ba8 ®eläd>tcr ber Seit 
fein müßten.* Stleinpaul »erfuebt ßier ben Spiritismus aus ber SRbtyo« 
togie unb ben Siefen ber religiöjen ßmpfinbungen ßerauS unb im 8 8 ‘ 
fammenbange mit ben ©rjeijeinungen beS SraumeS, ber SinneStfia» 
febungen, ber ©uggeftton unb beS $>bpnotiSmuS begreiflich )u machen 
unb als ein Stiict mobemen ^ejenroefenS, als Salonmagie, 3ttM)te 
unb Sborbeit ad absurdum }u führen. Sie obige refümirenbe Se» 
traebtung tennjeiebnet feinen Stanbpunft unb feine fDletbobe. Sir Rinnen 
baS bod)interejfante SBerf, baS gcrotfi ein grofeeS Sluffepen erregen toirb, 
unferen liefern roarm empfehlen. “Sie 'Jtebaction. 


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Nr. 10. 


151 


Die ©egenwart. 


®te öfteren aber fteUten regelmäßig einen guten $)ämon 
oor, gut natürlich nur im relatioen Sinne ju üerftegen; wie 
benn auch bei bem oeeanifegen S)ucf=®uc! bie Saubeinfleibung, 
bie mit ber beS beutfdjen SßfingftlümmelS fo merfwiitbig über« 
cinftimmt, auf einen [offnen ginjuweifen fegeint. 93ei uns 
foU offenbar ber SEBinter wie etne öffentliche ©atamität, toie 
eine ftranfgeit ber SRatur bureg ben grünen ÜRai oertriebeu 
werben. Sonft mar bie ^auptmaSfe bie eines ©efpenfteS, 
wie eS bie alten IRömer nannten: eines Lar, bafjer eben ber 
ÄuSbrud Larva, ber im Ülltertgume fo ©eift wie SRaSfe be» 
beutete. ®aS laieinifcge SBort, feit einem halben Safjrtaufenb 
auch in Steutfcglanb üblich, gier fogar gelegentlich Wie 9Ra8fe 
für baS ©efidjt felbft genommen, Wirb gewöhnlich für einen 
böfen, fehäbiiehen ©eift gebraust unb bem Lar, ber gut ift, 
entgegengefegt; man tijeilte bie Semuren, baS geißt: bie ©eifter 
ber Beworbenen, in Lares unb Larvae ein. SRan barf aber 
annehmen, bafe Larva urfprünglicg bie Bezeichnung für einen 
Spufgeift überhaupt gewefen ift; benn aUe ©eifter galten in 
ber älteften 3eit für böfe unb gefährlich, ja, bie Sareit felbft, 
bie auch »ic£|t gleich als Sdjuggötter oom §immel gefallen, 
fonbern erft im Saufe ber 3eit oerföhnt unb ju ©enien beS 
§aufeS erhoben worben finb. ®ie Saren finb einmal Samen 
gewefen unb umgefehrt; beibe Begriffe werben jum Ueber» 
ftuffe oon ben Elften in ethmologifchen 3 u fanimenl|ang ge» 
bracht. 3RU gutem ©runbe fegte man nun ben Ungolben, 
bie bod) auch weiter nichts als eine 9trt ©efpenfter waren, 
bie SRaSfe beS Sar entgegen, Samen gegen Samen. ÜRit 
feiner Saroe bachte man bie frembe Same ju tauften unb 
in bie gludjt ju fchlagen. @S fönnte fpafegaft fcheinen, bafe 
man bie ©efpenfter fo naiö mit einem Epgantom ju erfc£>recfen 
wähnte; aber bie Slbficht War, bie Teufel burcf) Beelzebub 
auSjutreiben. 2>ie böfen geinbe follten oor einem ©eifte 
fReißauS nehmen, ber ftärfer war als fie. Unb wer fonnte 
ftärfer fein als bet Bater, ber Oerflärte Urahn? — $ie 
SRenfcgen fteUten fich unter ben Sdjug ihrer Bcrftorbenen 
unb gingen in ihrer brohenbeit ©eftalt ben ÜRäcgten ber 
ginfternife ju Seibe, überzeugt, bafe fie in biefet SRaSfe fiegen 
Würben. ®ie lobten finb noch immer bie geborenen Scgug= 
geifter ber Sebenben gewefen. üRan brauchte ihre SRaSfe wie 
einen Sdjilb, eine gute BJegr unb SEBaffen. 

EDiefe Slrt WaSferabe ift jegt nicht mehr 2Robe; hoch 
lebt fte noch local in unüerftanbenen Bräudjen, im ©arneoal 
unb im Bercgtenlaufen fort. EDie uralten heiligen Samen 
ftnb §u Attrappen unb Sßejirbilbern für junges SSolf geworben 
unb gar nicht wieberjuerfennen; heutzutage fegen nur noch 
bie fogenannten SRebien in ben Spiritiftenoerfammlungen 
©efpenftermaSlen auf. ?lber auch bie 9Rebien haben nicht 
ben rechten ©rnft bei ihrer Betreibung. Sie borgen fid) 
Bon einem lieben ©eifte ben ?lftra((eib, nämlich einen weiten 
SBatiftüberwurf, bie fie mit ißgoSphoröl unb Balmain’fcger 
Seuchtfarbe imprägniren — biefe jieljeu fie an, nicht etwa 
in ber gämifegett Slbftcht, irgenb Sernanb ju erfdjreden unb 
einen böfen geinb mit ©efiegten ju bannen. SRein, fie wollen 
nur ein wenig ©efpenfter fpielen unb' ben ©läubigen, bie 
etwas neugierig finb, oormadjen, wie eS in jenem ftitlen 
ernften ©eifterreidje auSfiefjt. Unb nicht bie ESämoneit laffeji 
fich Oerblüffen, fonbern bie guten Spiritifteu, bie einanber 
bie §änbe halten, bamit fich ERiemanb rühre, bie ben pggfi» 
falifeben unb inteUectueüen SRanifcftationen ftaunenb folgen 
unb (ich in bie Betrachtung ber ewigen ©eheimniffe unb bet 
neuen ÜRaturgefege oerfenfen, bie gier aufgehen, unb fdjaubern 
unb Oor SEBonnegrauS überfd)nappen unb fcglucgzen — bis 
enblidj einmal ©inet fommt, ber ben faulen Räuber fatt hat, 
fich mit ©ewalt loSmacht, ben Sdjroinbel aufbedt unb trog 
aller §inberniffe, trog aller fßroteftationen ben Schaufpielern 
bie 9RaSle abreifet. 

®S erfolgt bann bie folenne ESemaSfirung ober bie ©nt» 
latoung. 

So würbe am 9. Sanitär 1880 in Soitboit bie üiel 


genannte 3RrS. lorner, befannter unter ihrem SRäbdjennamen: 
glorence Xoof, bie ben ©eift einer gewiffen 5¥atie Sting, 
weilanb §oföame ber ÜRaria Stuart fo oortrefflich gab — 
Sie fefeen genau fo aus Wie 3h r URebium! (agte ein 
Beobachter bem ©eifte in’S ©efidjt — oon jwei fügn ju* 
faffenben Herren entlamt — fo half am 11. gebruar 1884 
ju SEBien ©rjher^og Soljann bem Äronprinjen fRubolf baS 
berüdhtigte, fegon früher einmal mit rotfeer Stinte befprigte 
SRebium §artg Baftian mitten in feiner Sthätigfeit enttarnen 

— bie SBiener ÜRaufefaüe. Schabe, bafe man in Sonbon 
beS ÜlftralteibeS, beS ©eiftergewanbeS nicht habhaft werben 
fonnte, baS boch ben ©eiftinnen oft genug aus bem ©orfett 
herauSgejogen worben ift, jum Beifpiel am 18. 3lpril 1885 
ber Bettt) Stande in BSilfelmSburg, unb §war in ©eftalt 
jweier Betttücher unb eines ^aubtucgeS, um am 26. Suni 
1885 ber 3 r au BaleSfa Stöpfer ju Seipjig, in ©eftalt eines 
grofeen weifeen ÜRuQhembeS unb einer ganzen ©arnitur üon 
Spigen unb üon Sdjleiern, reich genug, um fowohl baS fiinb 
SfbiUa, als auch ben 3merg ßtoibo ober bie fchtanfe grauen» 
geftalt ?lbrienne anftönbig auSjuftatten — unb bafe auch 
Baftian’S ©eifterhüDe fpurloS oetfehwunben mar, obgleich 
man boch im Ülugenbtide ber ©rgreifung einen 3>Pfef toie 
ein Sfofettirtüchelchen heroorlugen gefefeen hatte. ®aS auS 
feinem SRuK beftehenbe ©oftum wirb in ber Siegel in mehreren 
Stüden ^craefteHt, bie fid) flein jufammenlegen laffen. Sie 
werben im Siothfall bligfchneU eingeftedt unb in ben natür» 
liehen unb fünftlidjen Stafchen beS fiörperS, namentlich an 
Stellen üerborgen, Wo man in Btiüatjirfeln nicht gern fud)t. 

SEBie fah benn SRrS. Storner auS, als fie entlarot war? 

— Sich, ©ottefeen! SEBie eine ÜRhmplje im Bouboir: fie ftanb 
in ©orfett unb Unterrödchen ba. Unb wie fah benn ber 
berühmte Baftian ohne ©eifteruniform auS? — @r hatte 
feinen fchwarjen grad übergeworfen unb ging barfufe. Sh r 
feliaen ©eifter, Bewohner beS SommerlanbeS, SpiritS, Spirits, 
mufetet 3h r e ‘ n folcheS ©ttbe nehmen! ©uch in ein Eßaar 
Weifee, fünftlid) gefaltete Süppchen auflöfen! 

S3in id) benn abermals betrogen? 

SSerfcbwinbet fo ber geifterreietje ®rang, 

®afe mir ein SRebium gelogen 

Unb bafe in Strümpfen eS entfprang? — 

So war wohl ber Spiritismus nun geiftloS? — Bonner» 
Wetter! ©r war eS fdjon fo. 

3)ie Sfatie Äing mürbe, wäljrenb 9RrS. ©orner in ihrer 
Betjüdung lag, bei SRagnefiumtiihte pfeotographirt, unb jmar 
Oon ©roofeS felbft, in feinem eigenen Saboratorium, wobei 
baS anftofeenbe Stubier^immer als ®unfelfammet biente — 
baS 9lufncf)men ber SpiritS ift ein §umbng, ber befonberS 
in ülmerifa fchwunghaft betrieben Wirb. SBer hätte noth feine 
fcgäbige, abgegriffene ©eifterphotographie gefehen unb oon 
einem frommen Spiritiften als Eßrobe auf baS ©jempel in 
bie ,'panb befommen? — ©benfogut fann (ich nämlich £am» 
let’S Batet pffotographiren laffen. ®iefe Bilber finb längft 
als gälfcffungen erfannt worben; Seute, bie fich toie ©arl 
SBillmann, ber befannte Hamburger gadjmann, Inhaber einer 
medjanifchen SBerfftatt für magifdje Apparate, bie üRühe ge« 
nommen haben, ber Sache auf ben ©runb ju gehen unb bie 
Bilber in Bejug auf ihre technifcge IperfteDung einer Prüfung 
ju unterwerfen, haben conftatirt: bafe biefelben gewöhnlich gar 
feine Originale, fonbern mittelmäfeige fReprobuctionen, baS 
feeifet, bafe fie nach alten ^Photographien, unb jWar mei(t oon 
grauen, mit ein wenig Eürapirung angefertigt worben finb. 
®ie unteren Partien ber Borlage werben wegretoudjitt, um 
bie gigur freifegwebenb erfegeinen ju laffen. Sinb es aber 
Originale, nun fo gaben bie als ©eifter oerfleibeten SRebien 
gefeffen. 9Renfcgen oon gteifeg unb Blut, bie ein toeifeeS 
ÜRäntelcgen umgehangen unb ein Barett ober einen EEurban 
aufgefegt unb eine Blume in bie |»anb genommen gaben, wie 
Scgaufpieler, bie ©eifter geben. ®er Hamburger ©efegminb» 
fünftler, §err 3acobg«§armS gat ©eifter erfdjeineu laffen, bie 


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152 


Die (Begenroart 


. M 10. 


eine« SRebiumS mürbig getoefen mären, mährenb er fetbft 
gefeffett in einer ®unfelfamtner tag. ®ie ©eftalten quollen 
nur fo heraus, traten burdj bie portiere, fdjtoebten burd) ben 
©aal. ®iefe ©eiftergeftaften ^at Gart aBiÜmann auch Photo* 
grapljirt, unb eS mar auch ÜRiemaub anberS als Sacobp. @r 
hätte als boMommeneS SRebium bie 2Belt bereifen lönnen; 
ja, er ift Don ben einfältigen ©piritiften wirftid) für ein auS* 
gezeichnetes SRcbium gehalten morben. ©o ift auch ^ßrofeffor 
tRobertfj, ein Stafcpenfpieler, ber fich in Hamburg teie ein 
ÜRebium binben liefe uftb babei bod) ejperimentirte, bon ben 
bortigen ©piritiftenführern für ein echtes ÜRebium erflärt 
morben. ®iefe 2Renfd|en haben nämlich bie üRarotte, jeben 
©alonmagifer, ber etroaS leiftet, für ein ÜRebium auSjugeben; 
unb umgefehrt, ihre eigenen üRebien, fobalb fie entlarbt finb, 
ju berteugnen, fie für unecht, für berpfufdjt, für fatfdje ißro» 
pheten unb fd)(ed)te ÜRufifanten zu erflären. ©obafe bie 
9Rebiumfdjaft, mie eS fcheint, barin beftefit, bafe man fich uicht 
ertappen läfet. $err Sacobp mollte fein 9Rebium fein; er 
belichtete auf biefc ©hre. ® r toar einfach ein ®afcf)enfpieler, 
ber offen herauSfagte, toie er’S mache, unb fich an ben be* 
mährten ©runbfafj h' e ^ : bafe ©efcpminbigfeit feine §ejerei fei. 

8Bo blieb nun atfo ber ©piritiSmuS mit feinem ißboto* 
graphieatbum; fafe er mieber einmal auf bem Xrodnen ? 
SBaren bie lieben ©eifter nicht ju faffen, nicht abjubilben, 
fojufagen etmaS UngebilbeteS? — 3)aS brauchte man nicht 
erft ju betoeifen. 

3Benn nun bie ©eifter aber fpred)en, ftopfen unb f>anb= 
unb gufeabbrüde ljinterlaffen, bie ©pielutjr aufjiehen ober 
trompete blafen unb ÜRanboline fpielen? — Sa, märe nur 
nicht ber heimtüdifdje ©feptifer, ber bie ©pieluhr ober baS 
ÜRunbftüd ber trompete in einem unbemachten Ütugenblide 
mit SRufe gefdhmätjt unb bie ©aiten ber ÜRanboline mit 
Anilinfarbe beftridjen hat, fo bafe man nun an bem ©chmarjen 
ißeter unb ben oiolctten Ringern gleici» fehen fann, mer bie 
©pieluhr aufgezogen unb gefdjmungen, mer eigentlich geblafen 
unb mer bie ©aiten gegriffen hat. ®aS englifdje ÜRebium 
3Rr. ©glinton mürbe in 9Rün<hcn fo entfärbt; ein anbereS 
neuerbingS in SSenebig. SBenn fie nun aber einen ©pafe 
machen, ben ÜRenfdjen bie Stühle megziefjen, bie ©rabatte 
abbinben, einen ißuff geben, ein S9riefd)en auf eine Schiefer» 
tafel fdjreiben? — SRein ©ott, mie baS gemacht mirb, babon 
finbet man eine ißrobe in bem intereffanten ^Bericht beS 
amerifanifdjen ÜRebiumS EDrueSbeH: „933ie ich ein ÜRebium 
mürbe", als morin ber ÜReifter aller ©chreibmebien bon 
ÜRem jljorl, ber bon ben ßebenbigen z« ben Sobten gehenbe 
^ßofibote, ber Dr. §enrp ©labe, ber greunb 3öHner’S an* 
muthig entlarbt mirb. 2Rr. STrueSbell ift einer bon ben 
SGÖiffenben, bie bei ber 3 un ft geblieben finb, mährenb anbere 
2Biffenbe, mie Dr. AbamS»@pftein unb ber ©nglänbet ©tuart 
Sumberlanb, ber eigentlich: ©h a tleS ©arner heifet, eingefehen 
haben, bafe baS ©emerbe ber Slntifpiritiften noch beffer unb 
einträglicher fei als baS ber ©piritiften, unb ben ÜRebien 
ihre Äunftftücfe nachmachen, ohne bod) babei bem aßublicum 
immer reinen ÜBein einzufd)enfen. SRun, bafe baS bon ©labe 
oorgeführte ©jperiment nichts meiter als ein einfaches ®afd)en= 
fpielerfunftftüd unb bafe jeber gefdjidte fßteftibigitateur im 
©tanbe mar, auf einer unter ben SEifd) gehaltenen Schiefer* 
tafel ©eifterfdjrift zu erzeugen, lag am ©nbe auf ber £>anb. 
®aS ©aliber, baS bie Stöpfe ber ÜRenfcpen hüben, ift ber* 
fdjieben; für einzelne eine EDiScuffion über folche ©egenftänbe 
bon bornherein auSgefchloffen. ©ie gehen über ben ganzen 
©piritiSmuS zur XageSorbnung über. 2Bozu erft lange be* 
meifen, bafe ÄUeS mit rechten EDingen zugeht? SBozu über 
fragen nacpbenfen, bie feine finb? — ®ie 3 e *t ift foftbar. 
Sias fich baS IRenfdjenpad benft, momit eS fich unterhält, 
berfchlägt nichts. 

SebeS meitere SSeifpiel, maS bie ÜRebien fonft noch für 
3Bunber thun unb maS nachgerabe ©emeingut ber EDafchen* 
fpielet mirb, ift itberflüffig. äRan brauchte eS überhaupt nie* 


malS zu bemeifen, bafe ber ©piritiSmuS zur §älfte ein SRife* 
berftänbnife unb zur anberen Hälfte ©chmtnoel unb eint in 
beralteten formen aufgeführte Jfomöbie mar. ®en mhfGdjen 
fjlug, ben bie ©inbilbungSfraft nimmt, ihre träume, ihre 
güde ber ©efidhte hat bie ÜRenfchheit auf’s Äläglidjftt mi6< 
berftanben; bem fierrtichften, maS auch ^ er ®eift em^angcn, 
brängt immer fremb unb frember Stoff fich an. Uub auf 
baS üRifeberftänbnife ift bie bemufete ÜRpftification, auf ba 
ütberglauben ber betrug, auf bie ©elbfttäuf^ung eine plunqK 
©alonmagie gefolgt, bie mit ber allgemeinen ©ultur nicht 
©chritt hält, fonbern, in abgeftanbenen, längft begrabenen 
Ütnfchauungen murzelnb, an ber SReige beS SahthunbertS ein 
publicum borauSfe|t, mie baS bon »tefau. 

©S giebt feine ©elfter, mie fie fich ©piriften btnftn, 
fo menig mie eS brachen ober Ültraune ober ©iuhörner obo 
gefchmänzte ÜRenfchen gibt, früher einmal, in 3^*60, ®o 
fie noch fehr meit zurücf mar,* hat bie 3Renfcf)heit an ©efpenftcr 
unb an gefchmänzte 3Renfd)en unb an ©inljörner unb an 
©alamanber unb an ähnlichen girlefanz geglaubt; unb toie 
Othello bon SBölfern erzählt, beten Äopf mächft unter ihm 
Schulter. aOSie märe eS, menn jejjt ein aEBifemann bon SBöl* 
fern erzählen mollte, benen ber Jfopf unter ber ©pultet 
mächft? — ^Dergleichen gilt je^t nicht mehr. SluS einem er* 
lofehenen ©ultuS ober aus einer früheren ©poche herftammenbe 
Sitten unb 2lnfd)auungen, bie ein übermunbener ©tanbpunft 
unb ganz unberftänblidj gemorben finb, aber noch nadpmrfen, 
bezeichnet ber englifche ?lnthropolog EDplor als Ueberlebfd 
(Survivals). ®et ©piritiSmuS ift für ben ©ebilbeten ein 
Ueberlebfel; er ift eine berfunfene ©lode, bie nod) läutet, 
obmohl fie gefprungen ift,_unb fc^riU unb mifetönenb in bie 
©egenroart hineinfchallt; er ift baS moberne ^ejenmefen. 


(Enmtenmgett an Ridjarii ®nerfd)raann. 

®on Katharina §ite(mann. 

2lm 13. ®ecember borigen SahteS ift ein ÜRann ba^in 
gegangen, ber mit feiner fiunft Staufenbe erhoben unb be= 
geiftert, ihnen ©tunben ebelften ©enuffeS bereitet hat: 9Kch«tb 
Sluerfchmann. ®ie aber, bie ihn näher gefannt, betrauern 
in ihm nicht nur ben Äönig ber fRecitatoren, mie illfreb 
Slaar ihn genannt, fonbern einen ganz einzigen unb be« 
munbernSmerthen nRenfdjen, eine Eßerfünlichfeit bon fo aul« 
geprägter ©igenart, einen fo bebeutenben unb feurigen ®eift 
unb eine fo lautere unb eble Seele, bafe ihnen bie aSBelt ann 
erfdieint ohne ben Unerfejjlichen. ©ei eS mir, bie ich bas 
©lüd hatte, mich unter feine nahen greunbe zählen zu bürftn, 
bergönnt, ihm, beffen tarnen feinem SBunfche gemäfe fein 
©rabftein fünben mirb, ein !Denfmal ber ©rinnerung z u er* 
richten, gegen baS er gemife nichts einzumenben hätte. 

©S mar im Saljre 1875, als fRicharb EEuetfdhmann jum 
erften üRale nach Stettin fam. ®urd) einen gemeinfamen 
Sefannten angeregt, befanb ich mich unter ben Wenigen, bie 
feiner SRecitation beS Hamlet beimohnten. ®aS SBerf in 
biefer aBiebergabe unb bie ißerfönlichfeit beS JJünftlerS wirfttn 
mie ein ©rlebnife auf mich- Schon bie äufeete ©rfcheinung 
beS SRanneS mar höchft bebeutenb unb feffelnb. ©in mächtiger, 
bon furzem fdjmarzlodigem §aar ummaHter Äopf, hu^ an 
©oetfje, halb an römif^e Smperatoren erinnernb; bie grofeen 
heroorqueUenben Slugen glänzenb unb auSbrudSboH tro| 
ihrer RHinbheit; ein emig mechfelnbeS, höchft berebteS SDHenen« 
fpiel um ben bartlofen fein gefchmungenen SRunb; bie fdjönen 
mafebollen Semegungen, mit benen er feinen ÜJortrag unter* 
ftüfcte; — fo fafe EDuerfchmann bor uns auf einem freiftehenben 
Stuhl beS aßobiumS unb fprach baS ganze ®rama auS bem 
©ebächtnife uns bor. ©r recitirte eS nicht etrna, als ob er 


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Nr. 10. 


Hit ©*0ttttoart. 


153 


eS fäfc, er fpielte eS aup nipt; er fpöpfte eS gleipfam auS 
bera tiefften Snnern perauS; er erlebte eS uitb Hefe eS uns 
mit erleben. Die ©erfonen beS StücfeS rebeten unb panbelten 
oor uns, baß mir fie gu fepen glaubten, baß fie als INenfpen 
üon gleifp unb S8£ut tior uns Wanbelten. Seber, felbft ber 
unbebeutenbften Nebenrolle gab er nop eine c^aratteriftifc^e 
Nuance, ©eine Stimme geporpte ipm tt»ie ein meifterpaft 
gefpielteS Snftrument, für jebe Negung ber ©eele, jebe 
Stimmung einen SluSbrudl finbenb, unS erfcpütternb in ber 
Seibenfpaft, begaubernb in ber Seippeit. Dies Organ toar 
toie baS SNeer: eS braufte unb bonnerte unb flüfterte unb 
fang. Unb bei biefer Neprobuction fam ber geiftige ©epalt, 
bie btpterifpe ©pönpeit beS ÄunftwerleS fo gang gur ©eltung, 
mie eS auf ber ©üpne, bie faft immer mit äußeren SNängeln 
unb Störungen gu repnen fiat, fetten getingen wirb. Duerfp* 
mann erfdploß bem ßu^örer ben tiefften Sinn beS Dramas, 
inbem er jebem Sorte feinen Sertp gu geben, jebe getnpeit 
peroorgupolen unb bie Seipe unb ©röße feiner Sluffaffung 
barüber gu breiten muffte, gortan fehlte ict) nie bei feinen 
Necitationen. Dem tarntet folgte SNacbetp, unb nie werbe 
ip beS DpürmerS SNorgenlieb oergeffen, baS nacf) ber fctjaner* 
lipen SWorbfcene wie ein füget griebenSgefang oon fern per 
gu tönen fpien. 3 U biefent, wie gu manpem anberen Sieb 
in ben Dramen, erfanb Duerfpmann felbft bie SNelobie, nnb 
eS gab niptS ©egaubernbereS, als wenn er im ©ianiffimo gu 
fingen anfing. Die größte Sirlung ergiettc er wopl mit ber 
Siebergabe ber OebipuStrilogie, beren (Späte er auf eine 
eigentpümlip feierliche Seife patb fingenb oortrug. DieS 
War etwas Neues, nocp nie DagewefeneS, baS befonberS bie 
©pilologen in Stufregung unb ©egeifterung üerfefcte. So 
erinnere itp micp auS jenen Dagen beS SluSfprupeS eines 
©pmnafialleprerS, eines feinen unb fritifcpeit RopfeS, bie 
grage beS £>oinerüortrageS fpicnejgelöft. So wie Duerfp* 
mann ben SoppolleS, fo pabe wopl ber blinbe |>omer ben 
©riepen feine ©efänge oorgetragen. Daß ber Äünftler bie 
Dramen auS bem ©ebäptniß fprap, oerftärlte ben mäeptigen 
Sinbrud. Unfaßbar fdpien biefe ooUfommene ©eperrfepung 
beS ungepeuren Stoffes. ^ Niemals ftoefte er ober oerfpraep 
er fiep; niemals ertaubte er fidp aup nur bie geringfte Slb* 
weiepung üom Dejt.Sf ßr recitirte |bamatS in Stettin gepn 
üerfpiebene Dragöbien, alte mit berfelben SNeifterfpaft. 3m 
Saufe ber SSapreJpabe icp nodp fünf anbere oon ipm gepört, 
opne baß bamit fein ©orratp erfpöpft gewefen wäre. Der 
©rfolg War benn audp groß unb fiep immer fteigernb. ©djon 
feit bem britten Stbenb war ber Saat ftetS auSoerfauft; 
Sorbeerlränge fdpmüdten baS ©obium, unb ber allgemeine 
©ntpufiaSmuS maepte fiep auf bie guweilcn feltfamfte Seife 
Suft. ©ine §utbigung auS jenen Dagen betuftigte Duerfp* 
mann befonberS. ©ineS ÜNorgenS, er befanb fiep nocp im 
©ett, Warb ipm eine große ©epüffet mit Septagfapne gefüllter 
gimmetbfitpen in fein 3immer gebraept. @S war baS eine 
bamatS auf DamenlaffeeS beliebte Äupenart, bie ipm atS 
anonpme SiebeSgabe itgenb einer ©erepretin guging. 

©iS 1885 teprte Duerfdpmaitn faft aUjäprlip wieber 
in ber ipm lieh geworbenen pommerfepen |»auptftabt ein. 
©3 war bie 3 e *P wo er auf ber §öpe feines NupmeS ftanb 
unb feine gaprten burep bie Stabte DeutfcptanbS einem 
SiegeSgug gtiepen. Stup in ©ngtanb unb Nußlanb fprap 
er mit außerorbentlipem ©rfotg. ©in ruffifpeS ©tatt feprieb 
über ipn; „Diefer popgeniale feltenfte Äünftler pat nur einen 
großen gepler: @r ift ein Deutfdper". Sie ftaifer Sitpetm 
unb anbere beutfepe gürften, fo ließen Königin ©ictoria unb 
ber tufftfpe &ax P n oor fiep entbieten, um ipm gugupören, 
unb eprten ipn burdp foftbare ©efepenfe. SluS feinen fpäteren 
SebenSjapten ftammt feine ©egiepung gur Königin üon Nu* 
mänien, bie ipn wieberpolt naep Neuwieb einlub unb ipm 
fteunbfpaftlip gugetpan war. Durp einen gemeinfpaftlipen 
greunb war icp in Stettin fogleicp mit Duerfepntann in 
petfönliepe ©erüprung gefommen unb icp oerfäumte nie, bie 


Slbenbe naep ben ©orträgen, wo fidp ftetS ein größerer ÄreiS 
um ben Sünftler gu öerfammetn pflegte, in feiner ©efeüfpaft 
gu oerleben. Docp baS waren niept feine beften ©tunben. 
@r maepte ba oft ben ©inbruef, als ob feine Nerüen bis an 
bie äußerften ©rengen angefpannt unb erregt Wären, unb bie 
Seibenfepaften, bie er fo genial wiebergugeben wußte, ipn felbft 
gerftören lönnten. 

Die gange SiebenSWürbigleit unb ben unerfepöpflidpen 
Neiptpum feiner Natur entfaltete er erft im engen Äreife 
unter ipnt Oertrauten SNenfpen, unb bagu burften Wir unS 
halb reepnen. Duerfpmann warb ein päufiget ©aft unfereS 
^aufeS, unb Wer folcpe Slbenbe mit ipm berlebt pat, ben 
wirb bie ©rinnerung baran burep baS Seben begleiten. Dann 
gab er fiep wie er war: tief gemütpOoll, parmtoS fröplicp 
wie ein Äinb, geiftreip, paraboj, mit grünbliper Silbung, 
außerorbentlicper ißpantafie unb mäptigem Demperament aus* 
geftattet. Setp eine gülle bon Anregung ging oon ipm 
aus! ©alb fprap er tieffinnig über bie pöpften gragen, 
batb ergäplte er mit reigenbem Ipumor peitere ©rlebniffe; halb 
recitirte unb fang er frembe ober eigene Sieber unb ©erfe. 
@r war ein fepr begabter Dipter; ba er aber in ber Sunft 
allein baS köpfte gelten ließ unb an SlUeS ben SNaßftab ber 
größten Serie ber Settliteratur legte, entpielt er feine eigenen 
ißrobuctc als wertploS ber Deffentliepleit Oor. 3n greunbeS* 
freifen leben inbeß biele feiner formfpönen Sieber unb ©e= 
legenpeitSgebipte fort unb gepören gum Neigenbften in iprer 
Slrt, WaS ip lenne. 

Damals war Duerfpmann’S ©eplraft auf einem Sluge 
nop nipt Oöllig erlofpen, unb er wünfpte ftetS üon ben 
ÜNenfpen, bie mit ipm oerleprten, ein ©itb gu gewinnen. DaS 
gelang ipm, inbem er baS Sluge gang nap an baS Slntlip 
beS ©etreffenben brapte unb gugleip beffen 3ö9 e kif c mit 
ber §anb befüplte. Der fo Slngefpaute gepörte bann für 
immer gu feinem inneren ©ejptpum, unb meift fijirte er feine 
©orfteQung fofort in einer ißorträtfligge, bie er, baS Sluge 
bipt über baS ©apier legenb, in großer ©pnelligleit ent» 
Warf, ©attg mertwürbig oerftanb er baS ©paratteriftifdpe gu 
treffen, unb biefe ©lätter, oon benen ip eine Neipe befipe, 
geben 3 eu 0 n ife äon ber außerorbentlipen lünftlerifepen ©e* 
gabung Duerfpmann’S aup nap biefer Niptung pin. 3n 
ber Dpat war eS in feinen 3iinglingSjapren fein Sunfp 
gewefen, SNaler gu werben; inbeß feine fpon bantalS fpwapen 
Sfugen patten feine ©läne oereitclt. ©or wenigen Sapreti 
burftc icp in Slrnftabt feine Slrbeiten fepen, unter benen fip 
auS früher 3eit Nabirungcn unb gebergeipnungen fanben, 
bie mip an Nembranbt erinnerten unb meine pöpfte ©e» 
wunberung erregten. Sar ipm bie tepnifpe StuSbilbung in 
biefer föunft oejfagt geblieben, fo patte et bafür bie innere 
Stnfpauung bis gur ©irtuofität in fip entwidelt. Diefer 
©linbe fap mepr, als wir mit ben gefunben Singen, unb fein 
ppänomenaleS ©ebäptniß palf ipm baS einmal ©rfpaute 
feftgupalten, unb gegenwärtig gu paben, was anberen Sterb» 
lipen nur ein flüptiger ©efip ift. So befprieb er mir an* 
fpaulip ein ©ilb. ©ine ©rinnerung ftieg in mir auf unb 
enbtip befaitn ip mip. „DaS ift ja baS ©emälbe Oon 
b’StngerS, baS ip oor apt 3apren in Nom in ber fron* 
göfifpen Sllabemie gefepen!" rief ip. „Soper ift Spnen baS 
belannt?" — „Sie fpilberteri eS bamalS in einem geuitleton, 
baS Sie mir fanbten," entgegnete er. ©in anber SNal fragte 
er, oon ©alame’S Sanbfpaften im Seipgiger SNufeum fprepeitb, 
Welpe Staffage fip auf bem perrlipen Nfonte Nofa*©ilb 
beftnbe. deiner ber Stnwefenben erinnerte fip. Da ergürnte 
er fip faft unb meinte, wir pätten baS ©emälbe nipt üer* 
ftanben. ©S fei eine Slfpenpütte ba unb ein Dpfe, ber luftig 
ben ©pwang ringle. DaS gäbe bie frifpe frope SNorgen* 
ftimmung ber Natur wieber unb fei pöcpft paralteriftifp. 
So befpämte ber ©linbe bie ©epenben! SllS ip im Oer* 
gangenen 3apr oon einer Neife in bie Nieberlanbe gurüd* 
gelehrt war, fprieb er mir, baß er früper aup einmal baS 


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154 


Ute Gegenwart. 


Nr. 16. 


Slmfterbamer äRufeum befudjt höbe, unb fpradj »on beffen 
(pauptwerfen Wie Sernanb, ber biefe e6en »ot fich fie^t, genau 
unterrichtet über bie einzelnen Reiftet unb ißre ©igenthüm* 
lichfeiten. — (Sine Meine ÜRacgbilbung beS ©ageS bon SDlidjet* 
angelo’S SRebicäergrabmal, bie er einft gefchenft erhalten, 
pflegte er taftenb ju betrachten unb zeigte fie mir, inbem er 
mich au f bie großen formen ber ©eftalt unb bie SIRuSfulatur 
ber ©lieber bis in’S ©inzelne aufmerffam machte. 

3m Serfegr mit ©uerfchmann bergaß man oft feine 
Slinbheit. Niemals habe ich oudj nut e * ne Älage barüber 
bon ihm gehört. SERit bewunbernswerther Weiterleit trug er 
fein ferneres ©efchid, ftarl genug, eS zu bedingen, reich 
genug, fich im Snnern eine Sßelt aufzubauen, bie ihm bie 
äußere entbehrlich machte, ©igenthümlich berührte eS mich, 
als er mir gegenüber einft feinem SRitleib mit einem Schwer» 
hörigen SluSbrud gab unb fein eigenes Unglüd baneben un= 
bebeutenb fanb. freilich h a U ih m feine bortreffliche ©attin 
btefeS in aufopfernbfter Sßeife tragen. Sie mar fein Sluge, 
unb tote fie ihm bie ©ramen bon ©ophofleS, ©^cifefpectre, 
©oethe unb Seffing borgetefen hotte, bis er fie SBort für 
Sßort fich eingeprägt, fo bermittelte fie ihm fegt bie be* 
beutenbften ©rfcheinungen ber Siteratur, fo baß er ftetS im 
ßufammenhang mit ber ©egenwart blieb. SDiit innigfter 
Biebe hing ©uerfchmann aber auch an ber ausgezeichneten 
grau, bie für ihn baS Wödjfte auf ber Sßelt bebeutete. (Sie 
War in ber ©hat für ihn „bie (Ruh, bergriebe milb"; legte 
fie ihm nur bie |>anb auf ben 21 rm, fo warb er ruhig. 
Sßie ein ©djilb fcßügte fie ihn bor allen ©efahren feines 
aufreibenben SBanbertebenS, unb bie gerienjeiten im Greife 
feiner großen gamilie waren ftetS baS 3^» au f baS er 
freubig fjinblidtc. Sßie glüdlidj unb ftolz war er aber auch, 
baß eS ihm gelungen war, all’ feinen Sieben eine gefieberte 
©jiftenj ju grünben. ©r hotte barum ju fämpfen gehabt. 

2tlS <Sohn eines (ßaftorS war (Ridjarb ©uerfchmann am 
26. 2Rai 1834 in (ßenig, einem Meinen fädjfifchen Orte, ge* 
boren unb bon bem claffifch gebilbeten Sater früh in bie 
Sßelt ber Sitten cingeführt worben, währenb bie äRutter ihm 
bie reiche ißhantafie unb ben ©rang nach fünftlcrifcher Se= 
tgätigung bererbte. 2luf ber ©homaSfchule unb ber Uniberfität 
ju Seipjig gab er fich ernften ©tubien hin unb fdjloß er 
greunbfdjaften, bie bis an feilt ©nbe gebauert hoben, ©rft 
nachbem er fünf ©emefter lang (RechtSwiffenfdjaft ftubirt, 
folgte er, burch mächtige jCheotereinbrücfe bcftimint, feinem 
Sßunfdje, jur Sühne ju gehen. Oft hot er bebauett, baß 
et, gezwungen bei Meinen ©heatern zu beginnen, für bie 
große ftunft Sah« berloren höbe. Salb arbeitete er fich 
inbeß empor unb wirtte als ©haralterbarfteller bei guten 
Sühnen, zulegt brei Sagte lang am ,'poftheater zu Staun* 
fd)Weig. 3 U einer bauernben Slnftetlung tarn eS inbeffen 
nicht; fein zunegmenbeS Slugen leiben ftanb ihm überall im 
Sßege. ©ie SluSficgt, nach einem mit größtem Seifall auf» 
genommenen ©aftfpiel in Stuttgart ein fcfteS ©ngagement 
Zu finben, zetfc^lug fich * m leiten Slugenblid abermals. ©a 
brang er in ben Sntenbanten unb »erlangte bie ©rünbe zu 
hören. ©er wollte nicht mit ber ©prad)e heraus unb erMärte 
enblich auf ©uetfd)maun'S wiebergolteS gragen, er fönne 
feinen Sfünftler engagiren, ber »orauSfidjtlich balb penfionirt 
werben müßte. ©S war für ben ganz SRittellofen, ber be* 
reitS eine grau unb Hier ftinber hotte, ein furchtbarer Schlag. 
üRit ber ihm eigenen ©nergie befchloß er, fofort bie Sühne 
Zu oerlaffen unb fich eine ueue ©jiftenz z u grünben. SRan 
mußte ign felbft erzählen hören, wie ihm enblich ber ©ebanfe 
gefommen war, zu recitiren. „Sch fühlte mich Wie ein Äönig, 
ber bie Sßelt erobern will," fagte er. 3n einein Säuern* 
hauS in ber ©cgweiz ließ er fich wit ben ©einen nieber unb 
bort hot er 1 */ 2 Sah« in tieffter 3urüdgezogengeit gelebt 
unb gelernt, bis er eine Slnzagl ©tarnen fo oolltommen be* 
gerrfegte, um mit ihnen oor bie Deffentlichfeit treten zu föniten. 
©ine ©pifobe aus ber 3 e it ber größten 5Rotg erzählte er 


gern. Stuf irgenb einem Sahnhof raftenb, erhebt fich 
©attin, eben befchäftigt, bie legte Sßurft beS mitgebraegten 
SorratheS unter bie hungernben ßinber zu öertheilen, um 
etwas zu holen, ©a fommt ein §unb unb fdjnappt bie 
Sßurft fort, ©uetfegmann finbet feine grau furz barauf in 
©gränen. $ 1(3 er ben ©runb erfährt, ruft er froggemutg, 
fie tröftenb: ,,©u weinft um eine Sßurft? Segt erft finb 
wir wahre Zünftler! ‘ Slbcr eS werben anbere ßeiten fommen, 
ich werbe ©ir noch eine SiHa faufen, »erlaß ©ich barauf!" 

©o fußr benn nun ber beinah Slinbe allein in bie Sßelt 
hinaus unb übte feine Äunft. Sßelcge greube, als bie Ser* 
fuege glüdten! gurdjtloS, fich °uf bie greunblicgfeit feiner 
(Reifegefägrten »erlaffenb, bie, wie er meinte, faft nie »erfagte, 
Zog er »on Stabt zu ©tabt, ftetS »on einem greunb an 
irgenb eine ißerfon empfohlen, bie eS übernahm, ihm bei* 
Zufteßen unb auch gefcgäftlich bie Sßege zu ebnen, ©elbft in 
ben belebten Straßen, bie er, einmal geführt, gleichfam auS* 
wenbig behielt, füg man ben Äünftler allein urnherwanbern, 
waS oft genug zu bem Serbacht 2lnlaß gab, baß er bie 
Slinbheit nur fingire, um für feine (Recitationen fRectame 
Zu machen, ©rft nachbem er baS Unglüd gehabt, in SßeterS* 
bürg »om (ßobium fteigenb zu ftürzen unb fich rinm Sein* 
brud; ju^u^ie^en, ber ihn wochenlang an baS Säger feffeite, 
Wagte er nicht mehr allein zu reifen, unb eine ber nun er* 
wachfenen ©ödjter ober feine ©attin mußte ihn begleiten. 

3n Slafewi| bei ©reSben erwarb er einige 3ahte fpäter 
WauS unb ©arten, wie er eS einft in forgenüoller 3*it feiner 
grau öerfprochen. ©ort hat er raftloS für feine große ga* 
milie — er hatte acht Sinber — arbeitenb gelebt, bis alle 
bie jungen Sögel flügge geworben waren unb baS elterliche 
ÜJieft »erlaffen hatten. Sor brei Saßreit fiebelte ©uerfchmann 
mit feiner treuen SebenSgefährtin nach Slrnftabt in ©hüringen 
über. „3ch habe mich penfionirt", fc^rieb et heiter. Siel* 
leicht hatte er recht baran gethan. ©enn Wenn er auch ftetS 
noch unter ben ©ebilbetften ein banfbareS ißublicum fanb, — 
feine DRecitationen waren nicht mehr in ber SWobe; bet ©»folg • 
entfpradj nicht mehr ganz t> et Seiftung, unb fo zog fich ©uerfch» 
mann zurüd, um fich ber wohl»erbienten (Ruhe zu freuen, 
©aß er noch auf »oller §öhe ftanb, bewies mir ein 2lbenb, 
als er in feinem neuen Sßoßnort für einen wohlthätigen 
3wed in alter 9Reifterfcf)aft ben Kaufmann »on Senebig 
fprad). 3n Slrnftabt befudjte ich ben greunb in ben legten 
©ommern, unb nie habe idj ihn mehr bewunbert unb »er* 
ehrt als bamalS. Sn feinem Ärpftatlpalaft, wie er bie ©taS* 
»eranba »or feiner Sßoßnung am guß beS SurgbergeS ge* 
tauft hotte, faß ber feit lange fdjon gänzlich ©rblinbete, einen 
großen ©heil beS ©ageS allein, immer fröhlich, immer hoch* 
gemuth, ftetS innerlich befchäftigt, baS Silb eines üoUfommen . 
glüdlidien h ar ntonifd)en 2Renfd)en. Unb wie früher über* 
fdjüttete er bie wenigen Sefucger, bie fich i u ihm fanben, mit 
ben (Reichthümern feines ©eifteS. Sch »erglich ihn fcherjenb 
mit einem Schöpfbrunnen. Sßar baS eine ©efäß geleert, fo 
war fdjon ein neu gefülltes zur ©teile. 2luch an ©empe* 
rameitt hotte er noch nichts eingebüßt. ÜRit welcher SBucgt 
»ertrat er feine SRetitung, zerf^metterte er baS IRiebtige unb 
©emeine! Sßie »erftänbnißootl, wie enthufiaftifch wußte er 
aber auch S u loben, wenn ihm auf geiftigem ©ebiete etwas 
gefiel! Sei meinem legten Sefudj empfanb ich biefe warm* 
herzige Slnerfennung fremben SerbienfteS als eine feiner 
fdjönften ©igenfeßaften. §atte er früher oft bie beften Sßerfe 
ber zeitgenöffifchen Siteratur ßuderwerf unb ©effert genannt, 
fo nahm er fegt mit großer ©mpfänglid)feit SllleS auf, waS 
ihm geboten warb, unb fanb eS feinen Seifall, fo trat er 
gern mit bem Slutor in perfönlidje Seziehung. ©urdj feinen 
jüngften ©ohn, ber ein gut ©heil »on beS SaterS ©alent 
geerbt hat unb recitirenb ißm feßr ähnlich tft, warb ©uerfch* 
mann mit ber neuen ©ramatit befannt. Sßenn er auch nic|t 
an bie Unfterblicf)feit ber Sßerfe unferer ©ageSgrößen glaubte, 
fo erfannte er hoch Sieles an, z- (pauptmann'S Sßeber, 


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Die Gegenwart. 


155 


unb cg gab nichts SSntereffcmtereS, als tljn übet literarifdje 
J)inge fprec^en ju t)ören. 3d) laS il)m in Slrnftabt SSicfcö 
Dor, befonberS ein SBetf, beffen SBerfaffer if)m lieb gewefen 
war unb ba8 i^m aujjerorbentlid) gefiel. ®a unterbrach et nticfj 
nun focttnä^tenb, um etwa« ju erjätjlen, was i^m bei bem 
©elefenen einfiel. (St nannte baS „einen ©ad an bie Seine 
Rängen". gab aber fd)liefjlicf) fo Diele ©Sde, ba§ id) 
bat, fie erft nach beenbigter Seetüre anjuhängen, ba mir 
fonft nie ju (Snbe tommen mürben. Sadjenb Derfprach er 
baS, ohne e3 boch bei feiner Seb^aftigfeit galten ju fönnen. 
©ine foltfje unetmüblic^e unb freubige Straft ju probuciren, 
habe ich nie annäljernb bei einem anberen UWenfc^en gefunben. 
3n ^eiteret (Stinnerung fteljt mir ein Slbenb Dor ber ©eele, 
roo er mich bei einer iljm bis bahin unbefannten gamilie 
befugte. ©3 follte muficirt merben, unb icf) ^atte it)m ein* 
gejehärft, baft er ^eute nur jum guhören gebeten fei unb 
fdjmeigen müffe. ®er ©efang ber gut gefdjulten ©timmen 
erfreute ilpt, unb er f>ie(t fid) aud) roirftich ein paar ©tunben 
ftifl. Kaum aber mar bie SRuftf ju (Snbe, als er mich ju 
allgemeinem ©rgöfcen mit (aut burd) ba3 ßintmer fc^allcnber 
©timme fragte, ob er nun teben bütfe, unb als id) ladjenb 
bejahte, öffneten fid) bie ©c^leufeen feiner ©erebtfamleit. 3)a 
fang er felbftgebidjtete Sallabeit, fie für SBolfSbidjtungen auS* 
gebenb, bie er in $f)üringen gefunben, unb ergriff unb ent= 
jüdte alle §örer. Rumort ft ifdje ©ebicfjte unb Sieber folgten; 
er fprubelte Don geiftreiepen ©infüllen. ©in auf ber Stufen* 
leiter irbifeper 3Sürben jiemlicp poep geftiegener Beamter, 
ber babei mar, beluftigte miep burep feine Verblüfftheit, 
©r ftarrte gän^licp Derftummt luerfcpmann mie ein Sßunber* 
tpier an. begriff er, baff bieS ein ©inniger fei, ben bie 
Statur in einer gefttagSlaune erfepaffen unb ben alle ©enien 
bet Kunft gefegnet patten? ©mpfanb er, baff einem folcpen 
SluSermäplten ju begegnen ein ©reignijj bebeutete? 

Sn Seipjig, mopin fiep 'Suerfcpmann unb feine ©attin 
für furje 3ed jum SBefucpe begeben patten, ift ber 65* jährige 
pläplicp Dom 2obe ereilt morben. Cpne ein Slnjeicpen ber 
ftranfpeit, opne Slpnung be3 napen ©nbeS ift er fcplafenb 
pinübergegangen. Sticpt ipn barf man betlagen, bem bie Un* 
bilben beS $Uter8, baS Slbnepmen ber Kräfte erfpart morben 
finb, fonbern unS, bie ipn Derloren pabett. ®ie Seftim* 
mungen, bie er über fein itbifcpeö Xpeil getroffen pat, eparaf« 
terifiren ipn reept. @r, ber ftets barauf SBertp gelegt, bafj 
in feinem Stamen bie SBorte SWenfcp unb Statur entpalten 
feien, pat geroünfept, bafj feine Seitpe in ©otpa Derbrannt 
unb bie Slfdpe jur grühlingSjeit in jungem gicptenmalb jer* 
ftreut werbe. 

$)eS geftpiebenen gteunbeS gebenfenb, erinnerte icp miep 
eineö $ageS, ba er naep einer Stecitation beS Sear ju unS 
tarn, fiep an ben glügel fepte unb {cpmermütpige äccorbe 
griff, roäprenb icp, noep ganj unter bem ©inbrud ber gewal* 
tigen Iragöbie, ipm fagte, mie fie miep erfepüttert pätte. 
„©o ift eS, menn bie Siebe auS ber SBelt gept!" entgegnete 
er finnenb. „2)a3 pat nnS ©pafefpeare gezeigt." ®ie8 
SEßort Hingt jejjt immer in mir naep. SJtit bem, ber eS ge* 
fproepen, ift niept bie Siebe auS ber SSßelt gegangen, aber 
etwas ©inniges, ©rofjeS, ^errliepeS ift bapin, beffen ©epeiben 
bie SBelt ärmer maept. 


■ i • » I 


gfeuUTefo». 

- Ra$bnuf verböte«. 

Der Gaffettpauer. 

ITTarf Ctpaiit. 

5)arf ic^ ben Heben fiefer bitten, einen S3Itcf auf bie foigenben 
Serfe ju werfen unb tnir ju fagen, ob er barin etwas befonber^ ®e* 
fä^rlid)eÄ entbeefen (ann? 


8cbaffner ftttyfi ben ^a^rfebein ein, 
gabrgaft ja^lt ben Wiefel fein. 

Srfte $our ein blau Rapier, 
groeite £our ein gelb Rapier, 
dritte Sour ein rotb Rapier. 

$aljlt ben Wiefel fein, 

©epaffner fnipft ben fjab^^tn ein! 

©bör ber ©ebaffner: 

SJabrgaft, jabl' ben Wiefel fein! 

* trüber, fnipft ben fjabvfebein ein! 

Äürjlid) ftiefe icb iufätlig in einer 8«Hung auf biefe Reimerei unb 
la§ fte einige SWale. üü war offenbar ein populärer ©affenbauer, beffen 
SMobie icb nicht fannte, aber febon ber blofee Seft bbpnotifirte mich. 
3cb war oon ben blöbfinnigen 38orten wie befeffen, fte febwirrten mir 
beim Srübftücf immerfort burdj ben ^opf, unb al3 icb meine ©erbiette 
jufammenlegte, wäre icb tiicpt im ©tanbe gewefen $u fagen, ob icp etwad 
gegeffen ^attc ober nicht. 3cb trat nun an ben ©cbretbtifcb, um mein 
Sagewerf ju beginnen, ba« ich mir febon am Öorabenb borgenommen 
batte. 3« bem Vornan, an bem ich feprieb, war icp gerabe bet ber er= 
fepütternben ^ataftroppe angefommen. 3cp griff naep, ber fteber, um 
ben blutigen Auftritt ju fepilbern, aber unmögltep! iep badpte niept« al«: 
„©epaffner fnipft ben gabrfepein ein!" ©ine ©tunbe lang fämpfte iep 
mit aller ©ewalt bagegen an, boep umfonft. 

„©rfte Sour ein blau Rapier. Qwtiit Sour ein gelb Rapier" ic. ic. 
fummte e« mir unabläjftg im &opf perum. Son Arbeiten tonnte feine 
s Jlebe fein, ba« war fonnenflar. 3cp gab e« alfo auf unb fcplenberte in 
ber ©tabt umher, aber halb bemerfte iep, bajj meine Söetne naep bem 
Sacte jene« ©affenpauer« ntarfepirten. 9luf bie Sänge würbe mir ba« 
unerträglich; iep änberte meinen ©epritt, ging langfam, aber ba« palf 
niept«. Sie SSerfe pafeten fiep fofort ber neuen ©angart an unb üer= 
folgten miep naep wie oor. 

3cP feprte um unb ertrug $u $aufe ba« Setben ben ganzen ®or= 
mittag, e« quälte miep beim s JJrittageffen, ba« icp meepanifep unb opne 
©enui berjeptte, ben ganzen 9lbenb pinburep tönte e« mir in ben 
Cpren, icp ging gefoltert $u 33ett, unb wäprenb iep miep rupelo« pin 
unb per warf, wälzte fiep immer wieber ber ©affenpauer burep mein 
©epirn, bi« icp enblicb gegen TOtternacpt wie wapnfinnig auffprang unb 
ju lefen berfuepte. vlber bie SBucpftaben tanjten bor meinen klugen 
unb Me«, ma§ icp fap, war: „©epaffner fnipft ben 2raprfepein ein!" 
s -8ei Sonnenaufgang patte icp ben Serftanb berloren, unb meine 
gehörigen porepten mit ©taunen unb Shimnter auf meinen ölöbfinn. 
„trüber, fnipft ben ^prfepein ein," wieberpolte iep immer wieber. 

Qwet Sage fpäter, an einem ©onnabenb borgen, erpob icp miep 

— eine jämmerliche 9?uine — fcpwanfenb bon meinem itager. 3cp 
fuepte ben Pfarrer, meinen lieben greunb auf, um mit ipm einen 
©pajiergang bon jepn teilen ju maepen, wie wir berabrebet patten. 
@r fap mt^ mit großen klugen an, gab jeboep feiner Serwunberung 
feine SBorte. SSir metepten un« alfo auf ben 2Beg. Ser Pfarrer fpraep 
unb fpraep unb fpraep, wie e« feine ©ewopnpeit ift. 3ep erwiberte feine 
©ilbe, benn iep pörte niept«. 

„Sttarf, bi^t Su frant?" fragte mein greunb bejorgt, al« wir fepon 
eine Steile gegangen waren. „Su fiepft ganj abgepärmt unb angegriffen 
au«. Spu’ mir bie Siebe unb fpriep bo^ einmal ein 28ort." 

Srübfelig antwortete icp: „©epaffner fnipft ben gaprfepein ein, 
Sra^rgaft japlt ben Wiefel fein." 

Ser Pfarrer ftarrte miep berwirrt an: „3(p berftepe niept reept, 
wa« ba« fein foü, 9Karf. 2Ba« Sn ba fagft, ift aber weber au^er= 
gewöpnliep noep befonber« betrübenb — unb bennoep — e« liegt biel= 
leicpt an Seiner ©timme — Hingen bie ©orte fo fterben«traurtg, wie 
mir im £eben noep niept« borgefommen tft. 3Ba« paft Su nur?" 

Slber icp pörte. ipn längft niept mepr. 3cp war fepon in weiter 
gerne, bei ber fo enblofen, unabwenbbaren „©rften Sour ein blau 
Rapier — 3weite Sour ein gelb Rapier — Sritte Sour ein rotp Rapier 
Sfapraaft japlt ben Wiefel fein — ©epaffner fnipft ben gaprfepein ein." 

— 2Ba« auf unferem ©pajiergange wäprenb ber übrigen neun teilen 
gejepepen ift, weib icp niept. 

Sa legte mir ber Pfarrer plöpliep bie ^anb auf bie ©cpulter unb 
feprie miep an: 

„SBacp auf, waep auf, iep bitte Siep! Su fepläfft ja mit offenen 
klugen. Sort liegt ber 5lu«ficpt«tpurm bor un«; icp pabe miep taub, 
blinb unb ftumm gerebet, unb Su giebft mir feine Antwort, ©iep Siep 
boep um in ber perrliepen ßanbfepaft. ©epau r pin unb erquiefe Siep 
baran. Su bift weit perumgefommen unb paft bie gepriefenften Stfatur- 
fcpönpeiten mit eigenen Slugen gefepen. 9tun fage mir einmal Seine 
Meinung — wa« pältft Su bon biefem fianbfcpaft«bilbe?" 

3cp feufjte tief unb murmelte: „©rfte Sour ein blau Rapier — 
Sweite Sour ein gelb Rapier — gaprgaft japr ben Wiefel fein! — 
trüber, fnipft ben gaprfepetn ein!" Ser Pfarrer blieb fiepen unb fap 
miep lange mit emften, mitleibigen ©liefen an. 

„SJcarf," fagte er enblicp, „iep fann barau« niept flug werben, 
©inb ba« niept bie nämliepen SBorte wie börptn? ©ie finb ganj un* 
berfängliep, unb boep briept e« mir betnap ba« $er$, fte bon Sir 
ju pören. ©epaffner fnipft ben gaprfepein ein — war eS niept fo?" 

3cp fing bon bom an unb fagte geile für grile per, tnbefc mein 
alter greunb mit waepfenbem Mtpeil jupörte. 


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i 



156 


Die (Gegenwart 


Nr. 10. 


„3)aS ift ja ein üerwünf4ter ©affenbauer," rief er oergnügt. 
,,©S Hingt einem in ben Obren wie SRufef, 3lßeS Happt fo §übfd) im 
Xact. 34 glaube, baS muß fe4 leicht bemalten Taffen. ©itte, fag' eS 
mir noch einmal, bann fann id) & gemig auSwenbig." 

34 tmeberbolte bie Weimerei, unb ber Pfarrer fpra4 fee na4. 
3)aS erfte BRal nta4te er no4 einen Meinen Segler, ben i4 Oerbefferte, 
baS gweite unb britte 9Ral ging eS inbeffeu ohne ©od. 2Rir aber war 
plöplüb eine ©entnerlaft Dom .ftergen gefallen; ber nieberträc^tige @affen= 
bauer plagte mi4 nicht länger, mein gemartertes ©ebtrn fam enbli4 
gut Wube, unb ein wonniger grieben gog in meine ©ruft; i4 hätte 
fingen unb auff4teien mögen. ©SirHicb ftimmte i4 au4 eine §aTbe 
©tunbe lang ein Sieb na4 bem anbent an, wäbrenb wir na4 &aufe 
trabten. SRetne 3unge, bie wie gelähmt gewefen, fanb nun bie ©pra4e 
wieber, unb ber lange geftaute DiebefTufe fprubelte unb ftrömte mir un* 
aufbaltjant über bie Sippen, ©lüdfelig unb jubelnb liefe i4 4™ freien 
Sauf, bis er enbli4 oerfeegte. ©eint Abf4ieb f4üttelte i4 bem greunbe 
bergiub bte §anb. 

„3)aS war einmal ein feböner ©pagiergang!" rief i4 auS, „unb 
wie föftli4 b^ben wir unS unterhalten! Aber ba füllt mir ein — S)u 
baft ja feit groei ©tunben fein ©terbenSwört4en mehr gefagt. ©o fage 
boeb etwas." 

3)er Pfarrer fab mi4 mit glanglofen Augen an unb murmelte 
eintönig unb gang unbewufet, wie mir f4ien: 

,,©4uffner fnipft ben gabrf4eiu ein — gabrgaft ^a^It ben 
Wiefel fein." 

3Ri4 überlief eS fiebenb betfe. $er arme 3Renf4, ba4te i4, jept 
bat eS ihn gepaeft! ©r ift angefteeft, unb i4 bin’S IoS! 

Mehrere Xage oergingen, ohne bafe i4 mit meinem greunbe gu= 

fammenfam. Am $)tenftag Abenb f4U4 er jebo4 in mein 3immer 
unb fanf matt unb troftloS auf einen ©tubl nieber. ©r war blei4 unb 
abgezehrt, nur no4 ein ©4atten oon feinem früheren 34- 

„ßRarf," fagte er unb hob ben müben ©lief gu mir empor, „baS 

war eine UttglütfSfeunbe, in ber i4 jenen beülofen ©affenbauer lernte, 
©r bat mi4 feitbem Xag unb Wa4t oerfolgt, glei4 einem böfen ©eift. 
Aße Oualen ber ,£>öfle habe i4 erbulbet, feit wir unS gulept faben. 
Am ©onnabenb würbe i4 telegrapbif4 in bie ©tabt berufen, ©in lieber 
greunb üon mir war geftorben, unb i4 faßte ihm bie Sei4enrebe hatten. 
34 benupte ben Wa4tgug; bie ©rebiat woßte i4 wir unteTWegS im 
Sopfe jure4tlegen. Aber id) fam nur bis gu ben ©ingangSworten; ber 
3ug fuhr ab, bie Wäber begannen ihr ©eraffel — flacf, flacf — flacf, 
Hacf, flacf — unb fofort pafete fi4 ber abf4euli4e ©affenbauer biefer 
^Begleitung an. SBobl eine ©tunbe fafe i4 ba unb fagte gu bem flacf, 
flacf, flacf ber ©ifenbabn ©ilbe für ©ilbe tyx, bis ich fo abgefpanut 
unb tobtmübe war, als hätte ich ben gangen £ag $olg gebadt. ßReitt 
$opf f4mergte mi4 gum Serfprtngen, als foßte id) wabnfinnig werben. 
Wafd) eilte 14 nach bem ©41afmagen unb gog mi4 auS. Äaum batte 
i4 mi4 aber hingeftreeft, fo fing bie ©ef4id)te Oon feuern an: ,$latf, 
flad, Hacf — ©rfte $out — flacf, flacf, flacf — ein blau ©apier — 
flacf, Hacf, Hacf — 8® c i tc ^ our ~ Hacf, Hacf, flacf — ein gelb 
©apier* ?c. ?c. — ©4fafen? 3a, $u4en! 34 mar faft für baS £oß= 
bauS reif, als ber 8 U 8 anfam. grage mi4 ni4t nach ber Sei4enfeier. 
34 nahm mi4 übermenf4li4 gufammen, aber jeber ©ap war oon innen 
unb aufeeti itberfponnen unb burtfewoben mit: ,©rüber, fnipft ben gabr* 
f4ein ein — gabrgaft gabt' ben Wiefel fein!* 2>aS aßerf4recfll4fte babei 
war, bafe i4 meine Webe gang in bem büOfenben Wbp4muS ber entfep= 
Ü4en Weitherei hielt. ©alb fab i4 4atfä4li4, bafe 0erf4iebene 3ubörer 
wte gelfteSabwefenb im £acte bagu nieften. 3a, $>u fannft mir'S glauben 
ober nüpt, SRarf, no4 ehe i4 ju ©nbe war, wiegte bie gange £rauer= 
oerfammlung, ber Set4enbeftatter unb aße Uebrigen, feierli4 mit ben 
köpfen bin nnb her. ftaurn batte i4 baS lepte 28ort gefpro4en, fo 
entfloh i<b, mie oom 3Babnfinn getrieben, in bie ©afriftei. $>ort traf 
i4 aber gum Unglücf eine alte unOerbeiratbete ^ante beS ©erftorbenen, 
bie gut fir 41 i 4 en S c i^ ä u fpät gefommen war. 

„? 14 , er ift tobt, er ift tobt," f 41 u 4 gte fte betrübt, „unb i4 habe 
ihn ni4t einmal gefeben oor feinem ©nbe!" 

„3a," fagte 14 , „er ift tobt — er ift tobt — er ift tobt — o 
wirb benn biefe Oual niemals aufbören!" 

„©te haben ihn alfo au4 geliebt, wie i4?" 

„©eliebt, — wen?" 

„3)en feligen ©eorge, — meinen tbeuern Neffen." 

„3(4 — ben. 3awobl — jawohl — fretli4, freili4- ^nipf' ein, 
fnipf’ ein — a4 baS ©lenb bringt mldb noch um!" 

„Xaufenb $anf für bie XrofteSworte, ©hrwürbeit! 3lu4 mir 
f4lägt ber ©erluft eine tiefe 9Bunbe. ©ie waren wohl bei ihm in ben 
lepten 3lugenbltcfen?" 

„Septe 31ugenblicfe — bei wem?" 

„32un, bet bem lieben ©erftorbenen." 

„3a fo — o ja — i4 glaube wohl — i4 meife nüpt. ^>aS beifet, 
gewife — 14 mar ba — i4 mar ba!" 

„SBie beneibe i4 ®ie um biefeS ©lücf! 3BaS fpra4 er benn no4? 
— o tbeilen ©ie mir feine lepten SBorte mit!" 

„@r fagte — er fagte — o mein $opf, mein Äopf, mein ^opf! 
fRi4tS, gar nuptS fagte er alS: ,$nipr ein, fnipf' ein! 4 — ©eien ©ie 
barmhergig, ©erebrtefte; i4 bef4möre ©ie, bringen ©ie ni4t meiter in 
mi4, überlaffen ©ie mich meinem 3ammer, meiner ©ergweiflung, 
meinem ©tobnfinn, — ©rfte Xour ein gelb ©apier — 3meite $our ein 


rotb ©apier — nein, länger ertrage i4 eS ni4t — Sabrgaft, gabl* ben 
Wiefel fein!" 

3Rein greunb f4mieg erf4öpft unb fab mi4 eine gange SBeHe 
mit ftieren ©liefen an. 

„3Rarf," ftiefe er enbli4 mübfam heraus, „bin i4 benn gang Oer* 
loren? fagft lein SBort, S)u aiebft mir feine Hoffnung! 314, i4 
febe eS ein, mir fann Wiemanb helfen — mein ©ef4icf ift unabmenbbai. 
©ine innere ©timme fagt mir, bafe meine 8 u «8 e öerbammt ift, in alle 
©wigfeit na4 bem blöbfinnigen ©affenbauer bm «nb bet gu penbdüu 
5)a — ba fommt eS f4on wieber: ©rfte Xoitr ein blau ©apier — 
8meite 5:our ein gelb ©apier-" 

3mmer f4mä4er Hang feine ©timme, bis er enb(14 in eine 
wohltätige Ohnma4t Oerfiel, bie ihn auf eine furge grift feinen Ouaten 
entrüdte. 

28ie aber rettete i4 ihn öor bem Strenbaufe? 34 reifte einfa4 
mit ihm na4 ber nä4ften Unioerfität unb liefe ihn feine Saft unb ©ein 
auf bie ni4tSabnenben ©tubenten ablaben, we!4c bie ©erfe mit gierigen 
Obren aufnabmen unb fee halb auf ihre ©rofefforen übertrugen, unb 
fo wanbert ber ©affenbauer üont ©4affner unb gabrgaft no4 tyvAt 
bur4 baS gange Sanb. 


Jltt5 ber ^aupt|tabf. 

WiUjelnt ber 

öeipgtg ift eine braO rei4^beutf4e ©tabt, lopal unb faifertreu 
ni4t nur im £>ergen, fonbern au4 na4 aufeen bin. ®aS wiß etwas 
befaaen unb gilt nt4t gang wenig bentgutage. 3n Seipgig flaggen 
an äaiferS ©eburtStag aße öffentlichen ©ebäube. ©eflagenSwertbe ©or^ 
gänge wie bie im ©aperlanb, wo man an fo!4em gefttage bie bereits 
aufgegogenen gähnen wieber brrunt er nehmen liefe, fenb b^r unmögli4. 
5)aS fä4fef4e £>errf4erbauS etfreut fe4 eines befonberS guten SfcufeS 
am ©erliner |>ofe, unb felbft bie ben 2Bünf4en beS ÄaiferS f4roff entr 
gegengefepte ©ntf4eibung, bieÄönig Ulbert im ©iefterfelb=©4aumburgif4en 
gürftenftreite fäßte, bat bem Slnfeben beS greifen 3Ronar4en bet unS 
ni4t gef4abet. Äönig 3llbert ift eS fogar gelungen, SBUbelmS II. 31b* 
neigung oor bem ©nfel ber unruhigen ßRooefte wefentli4 gu milbern, 
unb wenn ©raf ©mft baS ©rotectorat über ben Sippifdjen glottenöerein 
auf 3lnratben beS weifen fä4fef4«a fronenträgerS übernahm, fo war 
eS anbererfeitS au4 fönigli4 fä4fef4*t ©influfe, ber ihm ben faifer* 
ü4en S)au( auSwirtte. „S)em Wegenten, waS beS Wegenten ift, nicht 
mehr" — bie f4roffe S)epef4e gehört nun ber ©ergangenbeit an, freilich 
ber aßerjiingften ©ergangenbeit, juft wie baS trüget Telegramm. 
©a4fen bat eben einen ©teilt im ©rett, benn fä4fef4e ©ringen halten 
feine gereigten ©afaflenreben, wie baS baperifebe tönigSfinb in 3RoStan, 
fonbern nähern fe4, wenn fee öffentli4 fpre4en, mehr ber Tonart 
©einri4§ beS ©eefabrerS an. 2)a fee febr fromme tatbolifen fenb, oer= 
fünbigen fee aßerbinaS ni4t wie er baS ©oangelium Oon ©einer SRajcftät 
geheiligter ©erfon, aber fee fühlen fe4 Qlei4 l§m als baS SBerfgeug eines 
höheren 3Bißen. tiefer höhere ©ifle wohnt, ©ring $einri4 bat eS in 
Hamburg feierli4 erHärt, bem aßerbö4ften #errn inne — fagen wir, 
um ßRifeoerfeänbniffe gu oermeiben, SSilbelm II. 

Seipgig ift eine braO rei4Sbeutf4e ©tabt, lopal unb faifertxeu. 
5)ie ©eoölferung läfet fe4 öon ihrem gürftenbaufe ni4t befebümen. 
©S war am felben ©onntage, wo £>err ©ubermann in ©erltn bie be* 
f4ämenb Heine Webe gegen baS neue Wa4twä4ter= unb tunftgefep hielt 
unb unerquicfli4e ©rinnerungen an feine frühere Xbätigfeit als Wtderfc 
Webacteur weefte. ®ur4 bie ©trafeen tobte baS wüfte ©4neetreiben, baS 
jeben ©rofeftäbter gu ©etra4tnngen über bie ©innlopgfeit man4er Watur- 
erf4einungen anregt, Waturerf4einungen, bie nur ben 8®ecf haben lönnen, 
fretfennige tommunal*©ubgetS auS bem ©Iei4gewi4t gu bringen. SBäb' 
renb beffen fafeen in ber berübmteften tneipe ber grofeen ©eefeabt mehrere 
anf4einenb no4 febr junge geierabeitb^©oliti!er, bie mit febr lauter 
©timme felbftoerftänbH4 bie glottcnOoriage erörterten. 9Rarineangelegen= 
beiten ma4en ben 9Rofelwein ni4t beffer, aber bie embrponif4en ©taatS 
männer fpra4en fo einbringlüb, bafe unfere ©läfer leife mitHirrten imb 
jebeS ihrer bebeutfamen SBorte bis in unfere ferne ©dfc Hang. 

„©S ift eine Suft gu leben", fagte ber ©rünette unb ftarrte Oor 
fe4 bin, als woße er fe4 auf ben 31utor biefeS ©ttatS befinnen. ^ein 
Sweifel, unfer taifer wirb unS bcrrli4en Sielen entgegen führen, ©ln 
tbatenbrang lebt in ihm, bem S)eutf 41 anb gu eng erf4eint. 3lu4 auf 
ihn pafet ©biüpp'S bewunbember SluSruf: URcin ©obn, fuepe 5)ir ein 
anbereS tönigret4; SRalebonien ift für S)i4 gu Hein. Unb MeStönig* 
rei4 5Bilbe(m'S II. ift baS SReer." 

„Unb baS SReer ift bie gretbeit!" unterbra4 4« fein Wa4Bar, 
baftig ben ©4oppen leerenb. 9Ran trän! offenbar auf (Reparation. 
„Wur wenn 2)eutf41anb baS ßReer gewinnt, glaube 14 an ben gort= 
f4ritt unb bie Ausbreitung germanif4er ©ultur. ©ferchen Wir unS 
ängftli4 wie bisher gwif4en unfere üier ©fäble eiu, leben nur für uitS 
unb ben lieben Wa4bar, bann fterben wir ebenfo ab, wie bie ©binefen —" 

„©in boßeS ©Selb übrigens, bie gelbe $aiferin!" bemerfte ber SDrütc. 
„^ie weife mit ben Wörglem aufguräumen." 

2Ran bea4tete ihn ni4t, unb ber §err mit bem geleerten ©4appen 
fuhr eifrig fort: „5)ann fterben wir fowobl geiftig wie au4 alS ©röfe* 


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Nr. 10. 


Die Gegenwart 


157 


nu*4t ab. 3ft eS ntd^t ho4intereffant, gu beoba4ten, bafj ft4 in $)eutjch= 
leutb alle Klemente gegen bie glottenDermehrung fträuben, bie in biefem 
ober jenem Sinne reactton&re Sßolitif treiben?" 

„3um ©etfpiel bie Socialbemolraten", pflichtete fein 0pponent bei- 
„©ab — biefe Dorübergehenbe Krf4einung gählt nicht mit. Sonft 
aber fept 3h r in ben Weihen ber glottengegner nur potitifche unb roirtfc 
f<haftSpoltttf4e Sßetrefaften r bie fidj Dor bem frifcben Seeminb fürsten, 
weil fte beforgen, er blafe ihnen ben altehrmürbigen Staub Dom be* 
mooften Schäbel. 3$ erinnere blofe an Kugen Wi4ter! £)ie Slufgellärteii 
unter feinen früheren Kollegen, bie um ©artlj, erlernten ihre Seit beffer. 
IBirflich marinefeinbli4 finb aufjer ihm nur bie Sanbmirthe, gum Min* 
beften bie gang Wüdftänbiaen, ber ©unb unb feine Bfahänafel. Natürlich, 
biefe Seute möchten $eutfchlanb am liebften bon aller ffielt abfperrett, 
fdmmtlicbe panbelSf4iffe unb Kifenbahnen in bie Suft fprengen, nur ba* 
mit feine ÄuSfupr unb nun fdjon gar feine Kinfuhr möglich tft. SSie 
Kefpenfter auS bem finfteren Mittelalter ntuthen fte mich an. KS mirb 
Seit, bafj ber ©efpenfterbef4wörer Krnft macht." 

„3n ber ©ejiefjung ftimme ich ®ir unumtounben bei." $)er junge 
perr mit bem SReferenbargefidjte ftimmte fogar fräftiger bei, als bei ber 
Wormalftärle beS menfchlichen KehörS nothwenbig gemefen märe. „34 
ntuf} faaen, folch einen Unfug mie bie jept beliebte atabiftifche pap gegen 
baö grofcgüglge KrmerbSleben hätte man im gmangigften Qabrhunbert 

g ;r auSaefchloffen halten foHen. Krnährt nidbt ber SBelthanoel unfev 
olf? Sebt unfere 3nbuftrte, leben unfere Arbeiter nicht *u neun 
Schrein babon, bafj unS ber SBeltmarlt erfchloffen morben ift?" 

„Wur gu ehtem 3 c ^ n i c ^ «m c8 miffenfchaftlich genau gn fifiren. 
Slber baS thut ja meiter nichts gur Sache," ermähnte ber 0pponent. 

„Unb ift eS alfo nicht unfere ©flicht, ber Snbuftrte unb ber 
Ärbeiterbebölferung bie alten Äbfajgebiete gu erhalten, ihr neue dürfte 
htitguguerobern? panbel unb Kemerbfleifj machen bie Nation reich unb 
mächtig* burch bie SanbmirthJ4aft berbauert fte. 3)a nun aber erft eine 
ftarfe Kriegsflotte eine ftarre panbelSflotte erraöalidht, fo merben bie 
$>ftfftgen Weacttouäre baS 2ieu|erfte thun r bie ScptffSDermehrung gu 
hintertreiben. Man lann'S ihnen an fich auch faurn übel nehmen; fte 
begingen gerabegu Selbftmorb, menn fie unS babei hülfen, bie pellingS 
für bie neuen ©anger gu legen." Kr fab fidj ftolg im Greife um unb 
rüufperte ft4. 

„So einig maren mir noch in feiner grage, mie in biefer!" fteHte 
ber 3>urftige freubeftrahlenb feft. „$aS Meer ift bie Freiheit. $ie 
Srlotte bringt ben SiberaliSmuS, mie mir ihn lieben unb berftehen, gur 
perrf4aft. Kln meerbefahrenbeS ©olf fann ni4t pommerfch'ConferDatlD 
regiert merben. ©Barum h^rrf^t in ben panfeftäbten baS freifinnige 
Suxgerthum? paben mir erft bie unfelige Theorie bom halben ?lgrar= 
ftoat aufgegeben, haben mir mit gfürft pohenlohe eingefehen, bah S)eutfch= 
laub ein 3nbuftrielanb merben muh, hur unb ftmpel, bann merben fich 
bie freten, humanen Slnfchauungen, bie jept faft auSfchliehlich an ber 
Äfifle mohnen, fegenSboH über'S gange SReich berbreiten." 

„KlücflidheS SUbion, baS nur Küfte ift!" 

Wlemanb bijj auf ben pamen an. 

„Kefiattet mir noch ein ©Bort", fagte ber ©rünette wohlgefällig 
lächelnb, als fdjaue er in bie StUunft, mo er ®anf feinem realpolitifchen 
Talente bie auSfchlaggebenbe Staatsftellung befleiben mürbe. „Sch fprach 
Oorhin bon unferem ffaifer. 34 nannte baS 3Jteer feine eigentliche 
peünath, nannte eS bie neue ©robinj, bie er erobern, baS Staatsgebiet, 
um meines er, bem ©eifpief ber 2U)nen folgenb, fein Sanb bergröhem miH. 
®o<h ich fehc noch meiter. 2Bte ich unferen 5?alfer beurtheile, beabfichtigt 
er aerabe burch bie Shmenberftärfung einem freieren Keifte ©ahn ju 
brechen. 3Jfit boller ^Lbficht brängt er unS auS ber Straften quetfehenben 
6nge auf bie mette See, auS unferem mohlbermahrten, bumpfigen Äräh s 
toinfel hinaus in bie frifdje Saljluft beS greiuenlofen 0ceanS. Kr mifl 
ein ntobetner gürft fein unb ein mobemeS ©olf regieren. 2Bie gauft 
gemlnnt er bein Meere neues Sanb ab, mie gauft bänbigt er'S unb be- 
jmingt eS, jum peil ber Nation, bie an ihn glaubt, uno mie gauft be¬ 
gehrt er ein freies ©oll auf freiem Krunbe $u fehen. Wilhelmus faustus 
— ber 9Rann, ber bieS SBort mit Wilhelm ber gauft überfefcte, mag 
ein elenber Satelner fein, aber er ift ein um fo beffercr 2)eutfcher. Wil- 
helmus faustus oerförtert unS nicht nur burch Schaffung ber Seegemalt 
bie fauftifchen SebenSibeale; er mirb auch, barauf öertraue ich feft, feinem 
2anbe faupifche Kebanlenfreiheit geben. 2Bir fifeen hie^ Heben greunbe, 
bielleicht an berfelben Stelle, mo Dr. peinrich gauft mit fieip^iger Stubenten 
fröhlich hoculirte. 34 meine, gauft ift miebergefehrt unb meilt in unferer 
Mitte, nur bah er heute bie Äaiferfrone trägt unb in ber ©lüthe feiner 
Sahtt fteht, baS grohe SBerf alfo fcoHenben fann, bei bem ben Dr. petn- 
ri4 ber £ob überragte!" 

2)ie Kläfer flirrten aneinanber. 2lu4 ber 0bponent that ©ef4eib, 
obwohl er ni4t berhehlte, bah er ben ©ergleuh für wenig paffenb halte, 
weil ber ®fonar4 in jeber ©ejiehung bem etmaS überftubirten, menig 
correcten unb gefefteten pelben ber Koethe > f4en Xragöbie überlegen fei. 
Sugeben müffe er jebo4, bah baS, maS man fauftifcheS Streben gu nennen 
ubereingelommen fei, in hohem Krabe bem Monar4en eigne unb bah 
er befonberS bie ^araflele, bie ber geehrte perr ©orrebner gezogen habe, 
für ungemein g(udli4 halte. 

Mein (Gegenüber fah aufmerffam ju, mie ber SBürjemein in jehmeren, 
öligen Xrohfen an ber Snnenfeite beS KlafeS nieberrann. „Stohen Sie 
niqt mit an?" fragte i4 ihn. 

„5)er junge Mann hat fo getyro4en, mie ^heobor im ©arthe benu 


nä4ft f4reiben mirb — bemnä4ft, baS helfet, menn bie Seinigen für* 
öor ber ©ermirfli4ung ihrer fehnfü4tigen träume gu flehen glauben 
unb er felber, ni4t mehr perauSgeber eines $äfeblätt4enS, bie ©offif4e 
Reittmg mit fämmtli4en ?lnnoncen=©eiblättern in ; S Säger ber Regierung 
mberführt. Wahres unb galf4eS mif4t P4 in ben Hnfi4ten uno 2)ar= 
Iegungen ber 9?euliberalen; nur f4abe, bah fie, bie bo4 bie See befahren 
mollen, fo jammervoll, fo unbegretfli4 furjfichtia finb. punbert 3ah TC 
meines emigen SebenS gäbe i4 bafür, fönnt* ich Synen baS Kefi4t geigen, 
baS bie greifinntge ©ereinigung an bem Xage fchneiben mirb, mo in 
golge ber S4iff^öerboppelung auch bie ©erbrauchSfteuent ungefähr ber= 
boppelt merben." 

„Sie meinen —" 

„liefert ber SRoberne unb bie Seinigen intaginiren fi4 genau 
biefelben gernmirfungen ber neuen glotte, oon benen Keorg permegh in 
U)rif4er ©ergücfung träumte, öor beiläufig fe4gig Sahren. Senttmen= 
taler ©ormärg... $)iefe Seute fehen eine liberale Slera anbre4rn gu 
berfelben 3dt, mo baS ungeheuerluhe ©aragraphcnsS4eufal, baS auf 
ben Warnen beS 3 u hälter peinge getauft ift, Kefef gu merben broljt. 
£inbif4fte Wtuderei, reactionärfteS ©htlifierthum finb Xrumhf, unb eine 
hohe Regierung fpielt bergnügt mit — trofcbem wittert bie maffer^ 
beraufchte Slitfe Morgenluft. OTerbingS, Sinienf4iffc finb nüfjt fo ohne 
©eitereS gegen ben inneren geinb gu bermenben; im Uebrigen aber liberal 
lifiren fie unfere ©olitif unb unfer S0Birthf4aftSleben fo menig, wie ein 
neues SlrmeecorbS eS thut. Submig ©ietf4 hätte fi4 Wlrlli4 bie §luS= 
grabung permegh r f4^r glottensWhhthmen erfparen fönnen, bie bielleicht 
bisher ihm, aber feinem funftfreunbllchen Menfchen unbelannt gemefen 
ftnb. Unfere freifinnigen Seitartilel liefern berartige naibe ©oefie tag= 
täglich in Menge; ber Unterf4ieb gmifchen ihnen unb permegh ift nur 
ftiliftifcher «rt." 

„Sie glauben gang unb gar ni4t an ben gauft, ben man unS 
eben prebigte?" 

„34 halte bie Kntroicfelung unfereS ÄaiferS für abgef4loffen, unb 
ich rechne mit ben ©erten, bie er felber bislang in bie Rechnung ein- 
ftellte. gaufttf4eS Sehnen unb brachten, mie feolfgang Koethe eS in 
feine Weinte einfcfelofe, gählt nicht gu ben Kiaenf4aften beS pohengollern- 
paufeS. 3)aS finb au4 feine märfifchen Monar4entugenben. dagegen 
gemahnen mi4 bie begeifterten SBacferen ba brüben unb ihre ©erliner 
Spiegelbilber, bie hoffenben Siberalen auS ber Kfbortbran4e, burchauS 
an bie Siebei, Ältmatjer, ©ranber unb grofdj! ®en Teufel fpürt baS 
©ölf4en nie, unb menn er fte beim fragen hätte. 3>aS fagte mein 
grober %hn bamalS, als er ben freiftnuigen Knthuftaften unb poUtifcfeeu 
dichtem, bie in biefem Heller ihre ©erfammlungen abhielten, f4mellenbe 
SSeintrauben öor bie 2lugen jauberte. Sie miffen, ber Wauf4 öerflog, 
ber grrthum lieh ber Slugen ©anb los, unb bie eben noch S4märmenben 
erfannten, bah fi* gum Xraubenf4nitt erhobenen Meffer an bie Wafen 
ber üebften Kumpane gefept hatten. Än gemi4tigen Wafen fehlt eS ber 
Kruppe au4 heute noch nkfjt, unb man ift brauf unb bran, wieber ein= 
mal mit bem Teufel ju fpahen. Unb gauft — ich gebe 3hnen mein SBort, 
ihr gauft mirb ft4 an4 bieStnal ni4t gu ihren Kunften elnmif4en." 

Caliban. 


Gpero nttb Concertc. 

„^er ©ärenhäuter." ^eufelSmärdhen bon per mann SBette. Mufti 
oon&rnolbMenbelSfohn. (Theater beSSSeftenS). —„Äain." 3)i4tuna 
oon peinri4 ©ulthaupt. Mufti non Kugen b'9ltbert. (^gl. 

0pernhauS). 

?lm poheiigoHemring in Äöln fteht ein pauS, mo alle guten ©elfter 
eins unb auSgehen: bie grau Muftca, bie ©oefte, rothbädige Äinber 
unb emfige peinjelmänn4en. ©iel Mufti mirb bort gema4t, Diel ge? 
bi4tet, unb bie Keftalten unferer ©ollS* unb ilinbermärchen merben 
Iebenbig. $)er pauSherr ift Slrgt unb noch mehr ©oet unb Reifet per= 
mann 3Bette, unb Dramen, Operntejte unb heimathli4 s meftfälif4e Ke= 
biefete haben mir Don ihm. Unb grau Stbelheib hilft wohl bem 3>ichterSs 
mann unb bieptet auch auf eigene gauft; bret Mänhcnfpiele hat fte 
Derfafjt; ihr ©ruber Kngelbert pumperbind hat baS. eine baDon in 
Mufti gefept, unb maS bie Kefchmifter in ©erfen unb Xönen erba4t, 
geht Dielbejubelt als „pänfel unb Kretel" über bie ©ühnen ber ganzen 
ifeelt. Unb pumperbinef hat au4 gmei S4üler, Kottegen ober greunbe: 
ber eine ift ber Krbe Don SBahnfrieb, Siegfrieb Tagner, unb ber anbere 
ein Weffe beS Komponiften, ber unS bie hcrrli4c Mufif gum „Sommer* 
na4tStraum" gefeperrft hat, bie eigentlich auch fo recht in bieS pauS ber 
Märchen unb geen pafet. ?lber ba erhob fi4 jüngft eine grimme 
$afophonie, benn eine milbe SritungSfehbe ftörte ben grieben beS Mär= 
4enhetmS. „2)er ©ärenhäuter" hript ber Sanfapfel. patte bo4 per* 
mann Söette ben Stoff feines lepten Sibretto'S bem Krimm , f4cn ©offS= 
mär4*n glei4en WamenS entnommen unb feinem greunbe Slmolb 
MenbelSfohn jum ©ertönen gegeben; aber ftehe ba! au4 ber pumperbind* 
S4üler auS SBahnfrieb hat einen „©ärenhäuter" componirt unb bringt 
ihn gang gur felben Seit auf bie ©ühnen, fogar no4 früher, benn bem 
Äronpringen Don ©apreuth öffnen ft4 bie Opemhäufer f4neller. S)aS 
tooHten fi4 Menbelfohn unb fein S)i4ter ni4t gefallen laffen, unb wenn 
au4 btofe bie Quelle gemeinfam, bie ©earbeitung beS Stoffes aber eine 
anbere ift, fo mürbe ber Streit um bie ©riorität mit peftigfett geführt. 


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158 


Ute (Bejjenwari. 


Nr. 10. 


§eute wiffen mir eS: ©Jette unb Menbelfopn finb bic Finber ber crft 
faäter Von Stegfrieb SBagner aufgegriffenen Qbee. 3ung = Siegfrieb 
mürbe burcp SBette'S ©fan angeregt unb fcprieb fiep ben Je*t felbft bagu. 
3)iefer ABettbemerb ift gewiß nicht fcpön, benn für gmei „Bärenhäuter" 
hat bie beutfche Oper fchwerlfcp ©lafc. ©iner muh auf ber Strecfe 
bleiben. Aacpbem ^ mir jefct vorerft ben 28ette*Menbelfof)n 7 fcben fennen 
gelernt, fteigen freilich in unferen Augen beS ©oncurrenten AuSficbten, 
benn nach menig Aufführungen ift ©ärenpäuter I bereits t>om Spielplau 
beS Jpeater beS ABeftenS verfcpmunben, mo aüerbingS eine gang elenbe 
Aufführung für ihn eintrat. Siegfrieb'S Märchenoper, bie fchon in 
München, ABien, Karlsruhe :c. bie Feuerprobe beftanben, füll im ß'gf. 
Opernpaufe bemnädjft folgen. 58er weiß aber, wie lange ber ©lang beS 
ererbten AamenS Vorhäft. Jer Märcpenftoff felbft fcheint unS ben 3wift 
ber Mufen unb Mufifanten gar nicht merth gu fein, ©an* abgefeben 
baöon, bah bie Märcpenfpiele auf ber ©üpne längft wteber auS ber 
Mobe finb, toie £>umperbincf mit feinen „fiönigSfinberit" erfahren muhte, 
fo eignet fich ber pöüifcpe ©orwurf gang unb gar nicht für bie ©üpne. 
$>och fehen mir, maS ABette barauS gemacht 

3)er erfte unb befte Act geigt unS ben getreuen Unecht SRuppert, 
mie er Don ber reichen ABirtpStocpter Anna gwar nicht verfcpmäbt, aber 
hoch Verleugnet mirb, als eS beherzt bie Siebe gu befennen gilt. Jer 
verhöhnte unb vom Berichte bebrohte fnecpt verfchreibt fich alfo bem 
©atan, ber ihm bie ©efriebiguttg feiner Dlache unb ©Uicf unb Macht 
Verheiht, mofür er ihm ein 3apr lang als Unecht in ber $öHe gu bienen 
hat. Aber Huppert min miffen, maS ihn befreit. Satan antwortet: 

deiner $uß Von reiner Maib 
So bu vom ©Öfen bich felber befreit. 

AIS ber Sfriedjt noch gögert, geigt ihm ber Jeufel im Bauberfpiegel 
bie ©eliebte am Arme Von Sunfer $ung, bem glücflicpen Freier. ©rft 
jept fällt ber Von Seibenfcpaft ©erblenbete in baS fatantfcpe Schwur* 
buett ein: 

©et Schlang' unb ©iper, Surcp unb Molch, 

©ei Morb unb ©ranb, bei ©ift unb Jolcp, 

©eim emig glühenben §öHenfeuer, 

3ch fcpwör 7 'eS hoch, ich fcbmör 7 eS theuer: 

Atcpt mafcpen min ich £>aupt noch £aub, 

Aicpt mechfefn mitt ich mein ©ernanb, 

Aicpt fürgen nicht fämnten Aagel noch .£>aar; 

Unb mie ich macpS unb mich geftalt r . 

So min ich bleiben immerbar, 

©iS ich befreit burch pöp're ©ewalt. 

ABemt ber ©orbang gum gmeiten Male aufgeht, finb mir in ber 
£>ölle unb bei ben ©erfuchungeu ber böfen ©eifter. Aber ber Rollen* 
fnecht mit ber ©ärenfrape bleibt ftanbpaft. ©r macht nicht ben JeufelS* 
mäbchen „fribbele fraue," auch frellja, beS Jeufels ©roßmutter unb „aller 
SiebeSfünfte Urmutter", locft Vergeblich, unb gar ber enblofe Aufgug ber 
.ftöfleitfcpaaren, ber Jeufel beS ftochmutpS, SeicptfinnS, AeibeS u. f. m. 
marfcptrt gang umfonft mit fcpönen ©IjarafterVerfen auf: 

JRippfivappS, ©rippftgrappS, £>eil bem SchnapS! 
Stinfemurg, JeufelS . . . ., ^öflenfturg! — 

. fttphaß! £>aßpaß! |>ippaß! Faßfaß! 
habhaft! ntachradj! Faßfaß! 3ad)jach! 

3icfjach! Sfaßt gu! SRicfracf! Schafft Ülup! 

#upu! ABupu! 

ftein ABunber, baß ber gange 3auber bem ©ärenhäuter gu abge* 
fchmacft vorfommt; er befteljt auf feinem ©aft, Verlangt ben Sohn unb 
mitt mieber auf bie ©rbe. Aber Satan lacht ihn aus. Mag Huppert 
auch allen ^öHenverfuchungen miberftehcn unb innerüd) geläutert fein, 
fo mirb ihn hoch niemals ein reiner Äuß von reiner Maib entfühnen, 
benn er ift ja äußerlich ein vermilberter unb vertierter ©ärenhäuter, 
mie ihm ber gauberfpiegef bemeift. Unb Satan hat 9?ecpt. Qm brüten 
Act ift ber ©ärenhäuter auf ber ©rbe, aber AUeS flieht vor ihm, mie 
Vor bem leibhaftigen ©ottfeibeiunS. Selbft bie reuige unb ihn noch 
liebenbe Anna, bic in ber Dämmerung ihn unter ber Sinbe trifft unb 
voller Führung auS feinem Munbe baS ©eftänbniß feiner Sünbe unb 
Siebe empfängt, bricht entfett gufantmen, als ber Satan baS Monblicht 
auf ihn mirft. Unb ber hohnlachenbe ©öfe fährt mit ihm in bie §ölle 
gurücf. JicSmal ftnb aber auch bie guten ©eifter gur Stelle, unb als 
bie ©roßmutter mieber ihren ©erfüßrungSipuf loSläßt, ruft Dtuppert in 
höchfter Seelenangft ä la Jannhäufer: Mein Seele ruht in ©ott! unb 
ba fommt auch fchon Anna gum ©öllenthor herein, fchließt bie Augen 
unb füßt ben ©ärenhäuter herghaft auf ben Munb, morauf bie häßliche 
•fjülle Von ihm abfällt unb bie Xeufel in ben Abgrunb Verfinfen. Unb 
gunt ©efang ber guten ©elfter fehen mir bie entfübnten Siebenben mieber 
in ihrem jörfdjen: 

©ott ben §errn laßt ruhig fcpalten, 

5Beiß er boch bie 5Belt gu malten, 

Säßt tro& ^öü' unb allen Jeufein 
Aie unb nimmer Jich Vergmeifclu: 

Siebe Seele, furcht 7 Jidj nicht! 

Formell ift an bem Jeft mentg auSgufepen. ©nblich ein Sibrettift, 
ber ein Jicf)ter genannt merben fann unb einen guten ©erS gu fcbmiebeu 
verfteht. Aur mit ben onomatopöetifcßen Aaturlauten, ,bem „©ibberit 


pibbebumtrara, bem JooftooTtoo? unb SRibbelbumbill mirb guviel Unfug 
getrieben. Jie eingelegten Sieber, ber ©mtereigen, „ Jer Sdjmibt fa| 
unterm Apfelbaum" unb befonberS baS juett „ßaunt noch baß ber^ahu 
gefräht", mürben feiner Anthologie gur Unehre gereichen. SBenigetfinb 
mir mit ber ©eftaltung beS JeufelSmärcbenS felbft einverftanben, benn 
eS finb ba überall gu viel Jenbengen unb J&eilSmabrheiten, SvmboliSmen 
unb Moralitäten hineingeheimnißt, mel^e bie fRaivetät ber Märchenpoeftc 
aufheben. Auch ift, mie bereits angebeutet, bie £öllenfdbilberung gu breit 
SBette hätte nicht Vergeffen foUen, baß ber neben 3Bagner 7 S Mufifbramtn 
befte beutfche Opemteyt für bie FreifchüfccaScabenfeuermerfmafchinerie (mit 
©laten gu reben) auch nur einen halben Act ober eigentlich bloß eine einzige 
Scene übrig hat. SBette aber fann nicht genug ©rrungenfcßaften ber©ü^ 
nentedhnif in bie Scßranfen forbern, im ©orfpiel SatanS unb ber guten 
©eifter, im überlangen gmeiten Act mit feinen JeufelSerfMeinungen, 
feinem ßölltfcben Mummenfchang, ben Aufgügen unb ©alletbivertiffementS, 
unb bann mieber faft im gangen Schlußact, mo ftdj bet JeufelS= unb 
Bauberfpuf in ermübenber 5Beife mieberholt. 5Bie gefagt, baS einige 
§ölleneinerlei, baS, ftatt mit ber Waivetät ber Märdhenmelt, nur mit 
bem gangen Raffinement ber mobernen Mafchinen unb ©rofpecte auf* 
tritt, ift Iäppifcß unb langmeilig gugleich unb fchlägt bem gufchauet halb 
auf bie Nerven. @S mirb ber Oper mohl ebenfo Tuher ben ^alS brechen, 
mie ©ierbaum’S ©algen= unb Ä'erferpoefte Jhuifle'S „Sobetang". Aur 
ein ©omponift von außerorbcntlicher ©enialität vermö^te biefcn fatanifchen 
Stoff gu retten, ©in folcheS ©enie ift nun aber £>evr MenbelSfohn 
ni^t, befonberS nicht im Jämonifdben, auf baS eS hier fo viel anfommt. 
©r ift feinftnniger, gelehrter Muftfer, boch ohne eigene ©hpftognomie. 
5BaS mir bisher von ihm in ©erlin gehört haben, ber £>ageftoig*Aecf= 
reigen, baS Racßtlieb 3atathuftra 7 S unb einige plattbeutfche Sieber, bie 
Submig SBüüner mit ©orliebe unb ©rfolg Vorträgt, baS begeießnet giem^ 
lieh genau Umfang unb Art feines liebenSmürbigen JalentS. Jer 
„©ärenhäuter" ermeitert eS nicht mefentUch. @in paar meifterlich auf= 
ebaute ©höre, bie flangfchönen ©orfpiele gum gmeiten unb britten Act, 
ie frifchen Sieber im ©olfSton unb gumal baS SiebeSbuett im Schluß 
act fprechen Von einer anfehnlicßen, menn auch nicht üngemöhnlichen 
©rfinbungSgabe. Seiber ermübet ber Sprach* unb Sprechgefang, weil 
er gern VolfStbümlidj fein möchte unb boch immer mieber in 7 S Jecla« 
matorifepe Verfällt, ©leicpmohl ift eS AüeS in Allem ein ernfteS unb 
refpectvoll gu behanbelnbeS 28erf. 

©ine eingige 5Soche hat unS ©ugen b’Albert in feiner gangen 
©ielfeitigfeit gegeigt: als ^lavierfpieler, als Jlrigent, als ©oncert^ unb 
Opemcomponift. 5Bo ift er am bebeutenbften? Ohne 3n>cifd als 
©ianift unb befter Silgtf^üler, aber man tput ihm bitter Unrecht, wenn 
man feinen ©omponiftenbrang barüber gering einfchä&t. Auch als Jon= 
biepter ift b'Albert burdjauS Vielbietenb unb noch mehr Verfprechenb, 
immer intereffant, hochbegabt unb Von jener echt fünftlerifdjen ©or* 
nehmheit. bie ber ehrlichen Uebergeugung folgt unb nicht bem ©affen= 
erfolg hulbigt. 5Bir befamen Von ihm Fragmente auS feinem ScpmergcnSs 
finbe, ber Oper „©ernot", gu hören, flangreicpe Orcpeftervorfpiele unb 
bramatifebe ©ortragSftücfe Von ppantaftifch^ßnnlidiem StimmungSgepalt 
unb lebenbiger ©harafteriftif; bann glängenbe ÄlaVierftücfe, mie Snter^ 
meggo unb 5BaIger auS op. 16, ein intereffanteS neues ©oncert für 
Ordjefter unb ©eHo (von ©rof. C>ago ©eefer meifterhaft gefpielt) unb 
enblicp prächtige Sieber, melcpe bie ©attin beS ©omponiften mit großem 
©ef(pmac! unb ©eifall Vortrug. Unb nun bie Ueberrafcpung beS Operw 
componiften, ber unS nach bem graglöfen fftococofttl ber ©onverfationS* 
oper „Abreife" mit einem oratorienpaften ©tbelbrama fommt. Jie Auf¬ 
nahme mar nicht ungünftig, menn auch nicht fe6r marm. J)aS bringt 
fepon ber ftoffliehe ©ormurf mit fiep. ^)ie tppifch* furchtbare ©ruber^ 
morbtragöbie ift ein granbiofeS Jhema, baS einen ©eetpoven ober 5Bagnet 
Verlangt unb für ein moberneS ©ublicum wenig angiepenb ift. Sd&on 
ber Aante „£ain" auf bem Jheatergettel fchrecit ab. 28tr halten eS 
baher für feinen glücflicpen ©ebanfen, baß b'Albert, ber noch im ASefent^ 
liehen ein Sucpenber ift, fiep an einen folthen, in jeber ©egiepung coloifalen 
Stoff gewagt pat. Auch ©ultpaupt'S Jeyt ftellt bie höchften Anforbe- 
rungen an ben Jonbicpter unb fein ©ublicum. 3n ©pron’S F«6üapfen 
einherfdireitenb, ift er VorgugSweife eine ©ebanfenbichtung, bie bie 
MenfeppeitStragöbie Vom gmeiten Sünbenfall philofophifch unb charafte* 
riftifcp vertiefen min. ABäprenb in ber ©ibel ber ©rubermorb ln fcpltehter, 
gemeinverftänblicper Klarheit bem Aeibe Äain'S entfpringt, pat ©nlt ; 
paupt noch allerlei hineingelegt, maS unS recht vergmidt unb unverftänb- 
licp vorfommt. S'ain unb Abel ftnb bie beiben Jtjpen ber Menfchpett, 
gwei incarnirte SSeltanfcpauungen, unb Sucifer Verförpert mit ber Sünbe 
auch bie erlöfenbe Macht beS JobeS; toenn alfo Äain ben ©ruber tobt* 
fcplägt, fo gefepiept eS nur, um biefe erlöfenbe Macht gu erproben! All 7 
biete finnretchen ©egiepungen merben nun aber nicht in bramattfdjer 
Anfchaulicpfeit bargefteHt, maS freilich fchmer hält, fonbern in umftänb* 
lieh philofoppirenber ©ebanfenlprtf, beren 3^rfloffenpeit unb SBortreichtpum 
bem JHinftler, ber fie in Jönen malen foll, eine fepmere, manchmal un* 
mögliche Arbeit gumutpen. b'Albert ift lein blinber SBagnerianer, fon* 
bem mar Von Anfang an bemüht, auf ben ©rrungenfepaften beS Mup 
bramaS gu fußen unb boch feiue eigenen 3Bege gu juchen, tfain aber 
fepeint ihm nur im Aibelungenftil möglich, gewiß nicht gang mit Um 
reept. 3n leitmotivifcper Arbeit entmicfelt er feine Jpemen, tnbeffen 
hat er auch für warme, quellenbe Melobif 9?aum, vornehmlich in AbeTS 
Ivrifcpen Seelenfpiegelungen unb in beffen ©tfion beS ©arabiefeS. 
©reiSlieb ber Aatur, ber machtvolle ©nfemblefa^ beS ©ebeteS, — überall 


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Nr. 10. 


Die (Begettwari 


159 


geigt fid) ba bcr melobtfepe AuSbrud, mie behn aucp b'Albert immer 
fangbar fcpreibt. Aucp bic Drcpefierfpracpe be^crrfc^t er mit großer 
©etoanbtpeü. $er Sonnenaufgang ift ein ergreifenbeS $ongemälbe. 
3>a unb bort mirb man feine, cparafteriftifcpe 3 üge gemapr, unb ber 
Vart beS Sucifer atpmet eine majeftätifcpe Sutdjtbarfeit unb fpmbolifcpe 
Stimmung, 3 U fabeln märe bie gumeilen fcproffe Aufeiitanberfolge ber 
Xonfarben unb baß bie fßppftognomie ber flRotioe oft farblos, niept auS= 
geprägt genug ift. 55ie Aufführung, unter Kapeflmeifier 3Rud, mar 
oortrefflicp, befonberS aucp ber Abel beS Herrn Brüning. 5)ocp paben 
ftd) bie Autoren bie Oon einem unftcptbarcn ©por pinter ber Scene bar* 
geftelfte Stimme ©otteS im 9?o0en beS Bonners gemiß meniger tpea= 
tralifd) unb mpfttfcp'erpabener gebaept. M. 


Dromatifdie 3Cuffnl)rungen. 

„$er ©ifengapn." ^iftorifc^eS Scpaufpiel in fünf Aufgügen oon 
Qofef Sauff. (Kgl. ScpaufpielpauS.) 

3n Berlin, ber ^auptftabt beS KurfürftentpumS Vranbenbuvg, 
pauft ein bis in bett ©runb ber Seele oerfommeneS Vürgerpad. Srecp 
berunglimpft eS alles, maS e$ nid)t oerftept, unb OoK 5Hebertracpt unb 
Stumpffinn bledt eS bie 3äpne miber Abroefenbe, um fofort jämmerlich 
gufammengullappen, menn ein ganzer Kerl „mit rottenber Stimme" 
unb „in majeftätifcper $ofe" unter bie Scpmefelbanbe tritt. 2Bie’S ©e* 
fcberr, fo ber $err; mie baS ©efolge, fo bie Süprer. AuS purer, 
bummer SRörgelfuept lernen fte ftcp gegen ben SanbeSoater auf, ipr 
grofcppirn begreift baS ©enie niept, unb ipr finfterer Vubentrofc fcpleu* 
bert ipm in ohnmächtigem Sngrimnt Knüppel gmifepen bie Seine. 55er 
Vöbel üerftummt bo<p menigftenS noch angft* unb refpectooff, fobalb ber 
raaenbe ©otteSliebling, ber ©efröttte, „mucptenben ScpritteS" auf bie an* 
gebliep meltbebeutenben Vretter tritt, ©r erfennt ipn felbft in tiefer Ver* 
mummung unb fängt bann fepletutig an, £>uvrab gu rufen. Verenb 
fRpfe aber unb Stiefel SßorfeleS, bie Anftifter unb Scpürer ber Ungu* 
friebenpeit, tpuu felbft baS niept einmal. $Ran müßte an ber 3Renfd)cn* 
mürbe toenmeifeln, menn bie Veiben niept glücflicpermeife ipre eigene 
Verworfenheit einfäpen unb Oon fiep felbft in ungemein öeräcptlicpen 
AuSbrüden fpräepen. SßorfelcS, ber intrigante Stabtfcpreiber, fepilbert 
gelegentlich feine Umftürglerfunft unb erflärt babei gang offen: 

2 öte bie 9?atte fiep 

5)en eilen SBanft an blanfer Sdpmarte mäftet, 

So mit ber 5)ummpeit ber ©emerflerfcpaft 

Höb' icp gemäftet meine Sonberpläne. 

2BaS ift Don einer ©reatur gu ermarten, bie opne Itmfcpmeif ipre Poli¬ 
tiken 3beale mit bem eilen SBanft einer SRatte vergleicht! <porfeleS 
unb SRtjfe paffen ben Kurfürften, mie Soft Valbur, mie ber Sumpf bie 
ipn auStrodnenbe Sonne paßt. 5)aS genügt, meitere SRecpenkaft über 
ben Urfprung iprer ©mpfinbungen geben meber fie unS noep bcr $td)ter 
Sauff. ©§ ift ein Heiner Troft unb giebt ©inetn ben ©laubeu an bie 
SKenfcppeit jurüd, baft 9?t)ie T Ä eigene Butter mit Segeifterung auf ber 
Seite beS ^urfürften ftept unb ipren Sopn ob feiner oerruepten Oppo= 
fttionSgelüfte una 6 Iäffig Verflucht f unb ba 6 feine ^oepter ebenfalls für 
baS ^errfcperpauS, gegen ben unnatürlichen ffkpa ergreift. 5)aS 

©nbe SBerenb fRpie'S — er mirb bon ben Xrümmern beS ftiirjenben 
^olanb erfcplagen — erfepeint uns aüerbingS viel gu menig qualooü 
im Sergleicp mit feinen Serfeplungen. &üv bie Nörgler aller 3 eitcn 
hätte eS eines fepredpafteren ©yempelS bebuvft! 

Sauff ; S piftorifcpeS S^aufpiel, bieS jmeite Xagmer! ber oon ipm ju 
fepaffenben neuen Äunft, pat befonberS ben Sorjug, bap eS in jeber 
Sejjiepung einheitlich ift- 3 n feinem ber fünf 9icte ftört and) nur ein 
günfepen biepterifepen Talentes bie aufgeblafene, tobenbe STviVialität; 
Oom erften bis jum lepten SBorte ift aQeS Üpeater, elenbeS ^iuber= 
tpeater, unb nirgenbS ein $aucp oon SebenSmirflidpfeit. Niemals ift 
ber leife Serfudp gemacht, bie raffelnben Vorgänge gu oerinnerlüpen, 
bie aKorbgefcpicpte jur Xragif 311 erpeben. 5Ber ein biScpett Sinn für 
unfreimilligen ^umor pat, bem bebeutet ber ©ifen^apn einen nie au$= 
^ufepöpfenben üueH reinen SergnüaenS. 3Süpte man niept, bafe $err 
Sauff eS bitter ernft mit feiner Arbeit meint, bann mürbe man ipn für 
einen Satirifer erften langes palten: er pat eine ©aricatur beS pifto= 
rifepen ^)ilettantenbramaS geliefert, mie fie erbarmungSlofer niept gebacht 
roerben fann. So mag fid) im armen $opf eines fleinen ©öflingS bie 
munberbare ©ntmidlung unfereS munberbaren märfifepen SolfeS bar= 
fteflen, fo mag ScpiflerS $err 0 . falb ©efepiepte fepreiben. 5)ie ge- 
jammte Nation beftept auS ßumpen, Darren unb Oertpierten Xropföpfen; 
mit ©emalt brängt fie iprem Untergang ju, miH fiep mit eigener £>anb 
fepänben. • $a mirft fiep ber gürft ipr entgegen, ein ©in^elner |>unberU 
taufenben. 51ber feine geiftige fraft, feine unermeplicpe ©üte ringt 
ben pämifepen Unoerftanb nieber, jmingt bie HWeute, ipm auS ber §anb 
ju freffen, ^roingt fie, gegen ipren SBitten glüdliep ju merben. Unb „in 
impofanter ©ruppe" fegnet jule^t ber Halbgott fein unOemünftigeS Solf. 
3)iefe Seftien unb Waulefel merben %ar\i ipm gum fftange Oon 58elt- 
bepertfepern, ju echter ©ultur auffteigen — OorauSgefe^t, bafe fie ipm 
immer pariren unb immer feiner Meinung finb. SSaprpaftig, menn 
ßauff minber gefinnungStüeptig märe, fönnte man ben Serbaept pegen, 
ba& er baS gan^e $)rama ironifep gemeint pat. Sein fürftlicper ^>a! 6 = 
gott ift in Saprpeit ein unauSfteplicper.S^önrebner, ber halb empfind 


fame, halb tragifepe fomöbie fpielt. Slber mie gefagt, man barf an 
2auff’S ©prliepfeit niept $meifeln. 

©inige Scenen beS „©ifengapn" mirfen bttrep bie jur Sermenbung 
fommenben, reiepen ©oftüme unb Oerfepmenberiken $>ecorattonen; 
manepe §lufjüge maren fogar im 01pmpia=9?iefensipeater beS celebren 
Soloffp firalfp niept mirfungSooHer arrangirt. Seiber ftört ber Xejt, 
ben Sauff ju ber bunten aiuSftattung gefepne^n pat, ben rupigen ©e? 
nup, bie prächtige $lugenmeibe all^u empfinbliep. liefen unabfäfftgen, 
oben SP^fenfturm, bieS ©ebröpn nkptSfagenber, aufgebonnerter 
Santben erträgt fein gebilbeteS Dpr. 9Jfan mäpnt ben Staub Oon 
längft Oerrotteten $peaterrequiftten 5 U fcpluefen, menn man biefe Spraepe 
pört. 31n Tk tvtrft eS fomifcp, menn ein fo unfagbar nüeptemer SWenfcp 
mie Sauff fiep feuepenb unb fcpmeiptriefenb ben Sepein biepterifeper fraft 
ju geben oerfuept, aber baS Säcpeln erftirbt halb auf ber Sippe, ba er 
unS unb fiep feine Minute ber ©rpolung gönnt. 

$>er $of mopnte bem furchtbaren ©ifen^apn^Unglüd bis ^um 
Scpluffe bei; ein Xpeil ber bürgerlichen 3t*köuer mar minber miber* 
ftanbSfräftig unb üerfcpmanb Oor^eitig. S)ie 3 u rüdbleibenben patten 
halb Urfacpe, bie glü^tlinge gu beneiben, unb in iprem Slerger löften 
fie alle Sanbe frommer Scpeu. ©S mürbe naep bem fünften Stete 
mütpenb ge^ifept, uaep bem fünften Stete eines auf aöerpöepften Sefepl 
gefpielten §openjotlernbramaS, Oon einem feftliep gefleibeten fßublicum 
in ©egenmart beS faiferS! 


— - 

gto%n. 


55er ^iftoriograpp SiSmarcfS unb feines Kaufes, .^einriep oon 
Sofcpiuger, fäprt unermübliep mit feinen immer intereffanten $ttbli= 
cationen fort. Sanb um Sanb erfepeint unter feiner $>erauSgeberfcpaft 
bei ber 5)eutfcpen SerlagSanftalt in Stuttgart, unb jumal fein „SiSmard* 
Portefeuille" erobert ftep mit jebem neuen Sanbe einen meiteren 
aibnepmerfreiS. 5)ie lebten Sänbe ftepen in Sejug auf bie Sebeutung 
beS Qnhaltä ben Vorgängern niept nur niept naep, fonbern übertreffen 
fie noep; aufjer einer ainjapl neuer SiSmard^Sriefe unb im Aufträge 
SiSmardS ergangener Kundgebungen enthält er Silpouetten einiger 
Qntimen beS dürften (barunter ^ßrofeffor 3pering), ferner eine SebenS^ 
be[ep«ibung SiSmardS Oon fHubolf Sinbau auS bem 3apre 1878, bie 
manepe fepr intereffante ©in^elpeiten bieten, ©in ftauptftfid ift aber 
ber 5luffa|j „SiSmard im beutfep=franjöfifepen Kriege", morin mir ben 
Segrünber beS 5)eutfcpen fReicpeS auf bem SiegeSjuge Oon Serlin 
bis Seban begleiten unb bei biefer ©elegenpcit eine fjüüe biSper unbe* 
fannter SluSfprücpe unb ©rlebniffe erfahren. Slucp oon bem gropen 
?2erfe „gürft SiSmard unb ber SunbeSratp" liegen nunmepr oier 
Sänbe üor. SefonberS intereffant ift pier baS 3«ftanbefommen beS 
SocialiftengefepeS, bie llmfepr ber §anbefSpolitif, SiSmardS gef^eiterter 
Verfuep einer 9teid)Saftion auf bem ©ebiete beS ©ifenbapnmefenS, fein 
Kanipf mit Hamburg megen beffen ©ingiepung in baS beutfepe 3oügebiet, 
bie Sefcpäftigung ber Legislative mit ber SlrbeiterOerficperung, bann bie 
SunbeSratpSfriftS mit barauffolgenbem ©ntlaffungSgefud) beS KanjlerS. 
daneben laufen piftorifcp überaus bebeutfame biograppifd^ @fiiäen über 
bie neuen 9KitgIieber beS SunbeSratpS. 55urcp bie ©ombinirung beS 
fachlichen unb beS perfönlicpen XpeilS oerftept eS ber Herausgeber 
in glüdlichfter SBeife, bie bropenbe Klippe ber Xrodenpeit in ber 5)ar* 
fteüung beS mitunter reept fpröben Stoffes ju umfepiffen, fo bap ber 
Sefer ein anfpredjenbeS Silb Oon bem llprmerf ber SReicpSgefe^gebung 
gewinnt. 

Herzog ©otplanb. Xrauerfpiel Oon Hugo Seterfen. (Serlin, 
Dr. fR. ©rebe'S Verlag.) aSenn mir Oon einem neuen 55rgma pören, baS 
ben H er $°9 ^peobor oon ©otplanb jum Halben pat, fo benfen mir immer 
guerft an ©rabbe'S pimmelftürmenben ©rftling mit feinen gräplicpen 
VorauSfefcungen unb epnifepen SSilbpeiten. 97icptS oon aHebem fiuben 
mir bei Veterfen, ber ftetS fünftlerifepe aRäpigung bemaprt, im Aufbau 
ber H an blung, mie in ber ©eftaltung unb Spraepe ber ©paraltere. 5)aS 
einzige ©emeinfame märe pö^ftenS bie 21rt ber SRotiOirung mit iprer 
greube an 3Riboerftänbniffen unb Sntriguen. ^eterfen bleibt aber boep 
immer flar unb einfach- Vebenfticp fepeint unS, bafj fein ©otplanb nur 
als Cpfer einer ^äufepung über einen oermeintlicpen Vrubermorb Oon 
feinem kmebifepen König abfällt unb fiep mit ben feinplicpen Sinnen 
gegen bie Scpmeben oerbünbet. Seine tragifepe Scpulb ift alfo eigentlich 
reine, benn „nur 3 ene trifft fie, bie miep gu betrügen mußten", mie er 
fid) entfcpulbigt, obmopl ipm feine grau audp oon einer Verfcpulbung 
fpriept, „meil bu in ernfter Saepe aügu rafep, gu ungeftüm gepanbeit." 
Sllfo ein 5emberamentSfepler, gu bem freilich aüju große Seichtgläubigfeit 
fommt, moburep ber Hdb einen Stiep tn'S Scurrile unb Sepmaepe erpält 
unb unferen aintpeil oerliert. Smmerpin fönnte eine Aufführung ge* 
mögt merben, etma auf einer unferer freien Vüpnen, bodp mürbe eS fiep 
empfeplen, bie beiben erften Acte in ftarfer Verfügung gufammengugiepen 
unb befonbeiS unter ben überreichlichen SRonologen unb Iprifepen ©in* 
lagen aufguräumen. 5)er britte Act, mo ber anflagenbe ©otplanb mit 
bem Könige briept, unb ber oierte mit ber Scplaept unb ©otplanb'S Ueber* 
gang gum gfinbe mürben gemiß einfehlagen; auep ber Scpluß, melcper, 
mie bei ©rabbe, ben ftolgen gelbperrn als oergmeifelnben, gebrochenen 

! Verrätper geigt, ift niept opne mirffame ©röße. 

& ~ v_ ■ 




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160 


Die ©egenroart, 


Jlnjeigen. 

Bei lüfWIung*n beruhe nun ftaJj auf bte 
„«sgemoari“. 

©oeben etfdjieit: 

^erßog {$oi$Cattö. 

$>rama in fünf Sfufjügen oun 

^u«o $ft<rfen. 

„©otljlanb ift ein gewaltiger Gfjaratter oon deinen* 
tatet 2eibenf<$aftlidjleit. .. $)aS ©ranta flnbet feinen 
©ipfelpunlt in ber geroaltfamen Empörung be§ finn* 
lieben „W gegen baö fUtliche „3$"; ba& lefctere fiegt." 
©orrttttjig in allen befferen ©udjhanblungen. 

$rei$ eieg. geh- 1 SKarf. 

Dr. ft. mtbt, «erlag. »erlitt SW. 47. 

2 l!ab. geb. ©(fjrtftfleHer, bi 8 l)* publicift. 
(liier. ftritit) in »erlin tljätig, energ. getoiffen= 
|afte SlrbeitSTraft, öorj. ©pradjfenntmffe (fran= 
5 öfifd), ettglifd)), Verfettet Stenograph, 
aRaf ini if^reibrr (.ftammonb), fud)t unt. 
befd). ftnfpr. in 9leDaCtioti, Xöeatrrfef retoriat, 
»crLftttdtöMß., Utcrar. Snfttt. ic. ©tellung. 
Offert, an b. fejp. b. Gegenwart unt. A. 6 . 

3m »erläge Don 3mfcerg «. Cef fett in 
Berlin ift erfdjienen: 

$>er ®orffd)tt!}c. 

Komöbie in oter UPten 

Don 

Äarl »ity* 

»reiS: elegant brofdjtrt 2 2 Wf. 

»an bemfeiben »er f aff er finb erftbienen: 
Dramattfcfte Bumcresfen (»erlin, 3mberg 
u. Seffon), brofd). 2 2 Wf. 3 nljalt: Sßein 
Wann fdjreibt XragÖbien. — 9Ber ift ber 
»errätber. — »ublifud unb feine »ertoanbten, 
^iftoricosHomobie. 

Der 3ntenbant tn taufenb Itöfljeri. 

»offe (»erlin, 3 - $ 1 . ©targarbt), brofd). 2 W!. 
©omorrtfa’s ©nbe. Sitterarifcfje Äomöbie 
(»erlin, 3 - ©targarbt), brofd). 1,50 Wf. 
(Ein toller Hag. Sitterarifdje »offe (»erlin, 
3 - $ 1 . ©targarbt), brofdj. 2 Wf. 

Kuno 3w^itnttfenb» »offe (©tuttgart, Union 
$euifcbe »erlagSgefeflfd)aft), brofif). 2 Wf. 
Der $ürft non Katatea. »offe (©tuttgart, 
Union $eutfdje »erlagSgefeflfdjaft), brofdj. 
2 Wt. 

$ie borftebenben Bilh’fdjen §umore§fen 
bilben einen mefentlidjen gortfdjrttt in ber 
©ntnricflung ber beutfeben Äomöbie, inbeut fte 
in getoanbtefter ©pradje bie Dielfadjen fomifdjen 
Wotibe, tueldje unfre 3 eit °«f Iitterarifdjem, 
focialem unb politifdjem ©ebiete barbietet, 
glüdlid) berroertben. 

^ $unbert Original*©uta<hten 

Ä t rf 4M A m A ®- tfreunb u. fteinb: ©jörttfon 

n 111 m m ir mm** an«** s^n 

CT f ^ w w % w 2 >aubet Cgtbp Montane ®roth 
$aecfel $artmann $ebfe Sor* 
tm ban ftipling fieoncaballo ßln* 

bau ßombrofo SRefchtfdierSli 
% ft* 4/** f ftigra Vorbau Olltbier fetten* 
<#*¥* 1 * tofer ©altSburij ©ienltemici 
. ©tmon Spencer ©pielfjagen 

l#tn#r ®tan(ep ©toeefer ©trinbberg 

|ll«« örujrilllfl, ©Uttner SBtlbenbrud) ©erner 
Sola u. b. «. 

Sieg. ge^. 2 SRI. bom btrlag ber 
©erlin W. 57. 


Sieg. ge^. 2 SRI. Dom 
©er l 



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fcitt'itt SctmvauJ' gcb. 7 2ifl. 

.... ,,3'b* be« Perfaffers befunbet ihren Ucfprutig au* Iebenbiger, bem hanbelnben Cebcn | 
toanbter Cmpfinbang unb aus beni flarfen Drange, ber ZUenfdfheit burd? bie Uaftoeifang be* redjten tDltlfdjaftl 
ZDeges praftifd?en Hufeen $u fdjaffen. Die ^iele bes Derfaffers befchrAnfen fid? nid?t auf bie (Cagespolitif 
oereinselte rnatnah^r»»/ f ie finb pielmehr umfaffenbQer Urt unb toollen ber gefamtew flnfuw 

enttptdlnng bes tnenfcbengeicbleäfts bie flabn loeifen. Do^ ein betartiges Bnd? bas 3 n^ 

Oer toettefien Kreife 3 U fcffeln imßanbe tfi, liegt anf ber $anb; es ifl feine ©elehrtenfd?rift, fonbern 
bie (Sefamthrit ber (^ebilbeten befHmmt. Der Derfaffer hot fd?on manche tuenuolle (Saben bargefj 
unb nielfad) neuen leitenben 3 been Bahn gebrochen, fo bafj man auch von bem oorliegenbem IDetfe hoebgefpd 
Crmartungen hrgen barf. Durch bie Ceftflre aber tuirb bie Berechtigung foldjer Cnoartungen/ n?ie mir uns 3 ^ 
fldjtlich ju behaupten getrauen, außer allen 9 e f r ßi." P«j 

mr D^rflctienöc 2tu&fül;runden ans hefanntcr, hernfener $ebev, diai 
terificrcit trefflieb ^en 3nttalt bes tPertes nn5 entlteben uns \ebet (Empfeblu 

3u bettelten 5urd? alle Buc^ltanMnudeu unb bei v^rlteriger €tnfenbuna 
Betrags portofrei von ilarl tDinter’s llmrerfitat&bucbbanMima in Qeibelb< 


2 )ie ^egentoart 1872-1892 

Um nnfer Säger ju räumen, bieten mir nuferen Abonnenten eine gftnfl 
(Sfe(e*ett^eit gut SerooUftänbignng ber SoKection. 60 meit ber Sorratb tn 
liefern mir bie ^a^rgänge 1872—1892 k 6 STO. (ftatt 18 SW.), $albja| 
tBänbe ä 3 SW. (ftatt 9 SW.). (Sebunbene ^a^rgänge k 8 SW. \ 

©erlag ber ©egeiitoart in ©erlin W, 57] 


| . 




Pas Petf^nnt na^ §ops 

trab 

anbere ^unflfragen. 

Original^(Uutac^ten Don Iltenfel, Hein- 
^olb Begas, Böctlin, U. v. tDemer, 
Knaus, Ultbe, Stncf, Jotj. Schilling 
Scbaper, v. (Bebl^arbt, ^erb. Keller, 
Defregder, (Babriel Btay, tZffoma. 
Ciebermann, tDUb* Dnfcb, Äitder, <5raf 
^arra^t, BXap Krnfe, Knille, Ceffer* 
Ury, Doepler, Pecbt, Kneltl, Cecbter, 
3ügel, parlagltt, BXactenfen, Sfarbina, 
Ceifttfottt, (Banlte, plinfe, Stattl. 

^reis biefer brei ilttttfUer-^tttttttterti ber 
„^egmwart“ 1 50 

birect Don un3 ju bejie^en nadj »rief= 
mar!en=@infenbung. 

Bertag ber (Begenwart, Berlin W. 57. 


^tsiank« JU 4 fol|t 

9lotnan 

Don | 

^aop^if ^oCCirtg. 

SW* beUfoiugobe. *WS 

»reiS 8 Warf. ©cf)ön gehunben 4 Wa 

tiefer »iSmards^aptiDislRomatt, bei 
wenigen 3 a ^cn fünf ftarfe Auflagen et 
erfdjeint ^ier in einer um bie £alfte billig 
»olfSauSgabe. 

3)urcb alle »udjIjGnblungen ober gegen * 
fenbung beS ©etragS poftfreie 3ttfenbung 

UerUg der 6 egeMtoar 

SSerlin W. 57. 


Bestellungen auf die 

©inbanbbeefe 


zum 56. Bande der „Gegenwart“, sowie 

zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwei Bände 
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und vergoldeter 
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden in allen 
Buchhandlungen entgegengenommen. 


©eraitttDorttifher Kebacteur: Dr. ßoUtng tn ©erlin. 


Slebactton unb ©tfebttton: ©erlin W., SRanftetnftrafce 7. 


©tuet bon treffe * 




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* 


im**)« 















M 11 . 


2$erCtn, 6m 17. jJKärj 1900. 



Söod^enfd^rift für ßiteratur, fünft uttb öffentliches geben. 


£etttit*0t0<6ett Don ^eopPU ^otfhtg. 


leben fnnabeiib «fdjetnt (tu Hummer. 

8« bqie$en burd& alle ©u<$1janblunßen unb $o|i&tniet. 


S3erlag her (Segenaart ttt Serltn W, 57. 


DUrtdfSbrltib 4 *. 50 #f. «ne Imwwr 60 »f. 

Snferate jebet Ärt fcro 8 gehaltene $etttaette 80 $f. 


$ie bereinigten Staaten, 3aJ)an unb Me $(tf4>ptnen. bon Expertus. — $)et gaH SBeingart. bon IRid^arb SSuIdoto. — 
G* n /»/ (Sine 9?eform ber 33oIf3fdjuIe. bon taj 9ttat) (©eibelberg). — Stellte 9Mba unb ber (Soforaturgefang. bon ©ebn>ig oon 

I/UOdLX* &riebtänber=?(bel. — gcutlleton. $>ie befe^rung. bon ©ut) be 5ttaupaffant. — Att$ ber iauptftöbt. Söibnev 
C' T * unb Solbaten. bon Nemo. — $ramatifd)e Aufführungen. — Offene briefe unb Antworten: $)ev „Ue&ermenfd)'' unb baS 
,,<Stoig4BeibUdje". bon brof. $aul £eint. — ftoti$en. — Anzeigen. 


Die bereinigten Staaten, Japan nnb bie Philippinen. 

Slnt 1. ÜJlai 1898 hotte ber ©ommobore ®emet) ber 23er= 
einigten Staatenflotte mit bem ihm unterteilten Dftafien» 
©efdjmaber, ohne Verhärtungen abjumarten, baS fpanifdje 
StationSgefchmaber in ber Vai bon SHanila unter bem 2lb* 
mirat SRontojo h Sopete angegriffen unb berfenft. 3h ben 
bereinigten Staaten mürbe ber jum Slbmirat beförberte ßom» 
mobore überfchmängtich gepriefen, ber Sieg, bei meldjem bie 
Slmerifaner überhaupt Verlufte nicht erlitten, in ben |>immel 
gehoben. SD?an erfuhr halb, unb eS mürbe fpäter beftätigt, 
baß ber fpanifche Slbmirat mit feinen tteinen, mangelhaft mit 
Munition betfeljenen Skiffen, bie übrigens bis auf eins, bie 
Sorbette „©aftiäa", meldje bor bem @efecf)t auf ben Stranb 
gefefjt mürbe, fämmtlict) aus ©ifen ober Stahl unb nicht ans 
|>olj, mie bielfach berbreitet mürbe, conftruirt maren, nicht 
in ber Sage mar, feinem ©egner entgegentreten ju fönnen. 
Jur ben Stampf mit einer Seemacht mar baS ©efdjmaber, 
aus ben Stationären jufammengejogen, nicht berechnet. Spanien 
hatte jubent bie VertheibigungSmittel ber Vai bon SJianila, 
mie bie ber Stabt felbft, trog aller Veridhte SRontojo’S, in 
Dolllommen miberftanbSunfähigem 3 u ftanbe gelaffen, nidht 
einmal eine SDfinenfperte mar borfjanben. Ürohbem aber 
»ehrten fief) bie Spanier, nach Vernichtung ihrer g-lotte, in 
Ulanila energifdf), unb nur mit tpülfe ber aufftänbifdjen ©in» 
geborenen, bet fJitippinoS, gelang eS ben Slmerifanern, feines» 
toeaS auf leichte Slrt, ben SBiberftanb ju brechen. ®er griebenS» 
fhlufe mit Spanien führte baju, baß bie Spanier ben Archipel 
räumten. ®ie Slmerifaner moHten bon ber Freiheit ber gilip» 
pinoS nichts miffen, biefe griffen gegen ißre Vefreier ju ben 
©affen unb tragen fie heute, faft jmei Saßre fpäter, noch 
gänjlich unbejmungen. ®ie europäifhe ißreffe, fenfationS» 
lüftern, baher ftetS nach bem fenfätionellften Object greifenb, 
hat ben ganzen ^ß^tlipptinenftieg auf bie Seite gelegt, fomie 
ber Sübafrifaftieg auftaudhte, unb fo lange bet noch Stoff 
liefert, mirb man fiel) ü6er bie Vorgänge auf ben Vh^typiuen 
nicht biet fütnmern. Unb hoch finb biefe Vorgänge nadh allen 
SRidjtungen h'u fehr lehrreidh, fef)r intereffant unb bieten noch 
baju biele gleichartigen fünfte mit ben Verhältniffen in 
Sübafrifa. 

ÜKan ift in ©uropa, unb, mie fidh gezeigt, auch tu 
Smerifa, fehr geneigt, bie bermeintlidhe Superiorität ber 
»eifjen SRaffe ganj gehörig ju übetfdhähen unb namentlich 
aus fdjneUen, anfheinenb großen, meil blenbenben ©rfolgen 


auch auf bauernbe ju fcffließen. ©hina gilt als ein boH* 
fommen mehrlofeS Sanb, ähnlich benft man bon Siam, 
Sirma, Korea. Silur Sapan läßt man gelten, hält eS aber 
auch militärifh einer europäifchen SO?acE)t für nidht gemadjfen. 
©emiß finb bie Vefi^ergreif ungen betriebener ©ebiete bon 
©hina ohne großen SBiberftanb erfolgt, aber ber paffibe 
SSiberftanb ift borhanben. ®aS Seben in Kiautfchau bietet 
nichts meniger als angenehme Seiten, unb eS ift borläufig 
redßt fraglich, ob fidjbie großen Hoffnungen auf bie ©rfchließung 
©hinaS auch nut ä um ^heil in bie nadfte ißrajiS umfehen 
merben. SSir motten bon ©hina, mie ber ©hinefe ganj richtig 
bom fRothen Teufel meint, ©elb, ober mie mit fagen: SBir 
motlen ©hina mirtf)fchaftti<h Slhatfächlid) aber ift 

uns ber ©hinefe mirthfd)aftlich meit, meit überlegen. ®er 
©antonefe Siang=©h’i»©h’ao führt aus, baß ber manberluftige 
©hinefe, ber ju |> un ^ er ttaufenben unb SOlilliorten in baS 
SluStanb gehen tann, ohne baS SKutterlanb ju entbölfern, 
ber niemals ein ©apital mitnimmt, bodj ftetS felbftftänbig 
mirb, jeben ©oncurrenten fofort als folchen bernid^tet uno 
immer als ©apitatift mieberfehrt, ben ©uropäer in mirthfehaft* 
lieber $infid|t im Saufe beS jmanjigften SahthunbertS total 
fchlagett muß. Unb in ber Xh n b maS mürben beifpietsmeife 
bie Verliner Varbiere unb Söaßhfrauen machen, menn ©hinefen» 
barbiere unb *mäf<her ihnen Soncurrenj jum bierten Xheil 
ber V re 'f e ober aud) nur jur Hälfte machen mürben? Unb 
baS fönnen fie, ba man SanbSleuten auS Kiautfdjau bocfj 
nid)t Hheile beS VaterlanbeS betfdjließen batf. Somie ber 
internationale guhmftSftaat eingeführt ift, unb ber ©hinefe als 
©leichberechtigter in ihm bertreten fein mirb, fann bie heutige 
ülrbeiterfchaft nur einpacfen, unb ba fie baS {ebenfalls nicht 
mill, giebt eS getabe um bie bielbefungene Snternationalität 
2Rorb unb Uobtfchlag gegen bie Snternationalen, in biefem 
gade gegen bie ©hinefen, benn man roiC gar nicht international 
fein. ®ie Japaner haben unS bei ihrem raffen VormärtS* 
fdjreiten in abenblänbif^er, moberner ©ultitr hohe Sichtung 
abgenöthigt. SBenn ber „©ntmurf ber Dtobeüe rc.", bie 
glottenbermef)tung betreffenb, bon bem gemaltigen ©ntmiefe« 
lungSmege, ben baS ®eutfche 9teicf) genommen h°t, jiffern» 
mäßig fpricht, fo ift bet ben Vergleichen mit anberen Sänbern 
mohlmeislid) 3apan nicht herangejogen morben, benn ba fann 
fein Staat mitfommen, meit fid| eben bort feit 1864 alles 
je|jt Vorfjanbene, unb baS ift nicht menig, aus bem einfachen 
Nichts entmidelt hat. 3n 3apan ift bie le|te Sdjranfe, bie 
eS bon ben europäifchen Völfern trennte, gefallen: bie ©on* 


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162 


Die (Setjentoart. 


Nr. 11. 


fulargeridjtSbarfcit ift abgefdjafft, alle gremben finb bett 
japanifegen ©efefteit unterworfen. (Sitt groger Schritt tor» 
WärtS, bet ben gremben ben Dünfel ber Ue6erlegenfteit nimmt, 
aber aud) ben SRiffionaren bie ^tuöfic^t, bie djriftlidje Stetigion 
als bie einzig Wagre ben Sapanern mit faitftem Drucf auf» 
brängen gu fönnen. Die japanifdje Gonftitution garantirt 
©ewiffenSfreifjeit innerhalb ber ©rennen oon ©efeft unb Orb» 
nung, unb bie SJfifftonare unterftegen heute beit SanbeS» 
gefeften genau fo, mie bie Sßriefter ber Pubbgiften* unb Sdjinto* 
Religion. 

Pun aber finb bie Japaner unb bie gilippinoS eines 
Stammes, unb eS ift gar nicht eingufegen, weggalb Sefttere 
nicht biefelbe Sntelligeng entmiefetn fotlten wie bie Japaner. 
SlllerbingS ift auf ben Philippinen bie tathotifche Stetigion 
unb bie fpattifdje Sprache weit oerbreitet, aber baS finb feine 
©rünbe, auS welchen man bie Philippiner für unfähiger 
hatten fotlte, fich fetbft gu regieren. (SS wirft fef>r eigenartig, 
ba& gerabe ber Slmerifaner, ber in feinem eigenen Öaitbe 
einer recht großen 2Renge garbiget oon E)öd)ft gmeifelgaftem 
SBertg Pürgerrecgte einräumt, fich QU f beit Philippinen ba= 
gegen fträubt, jupgeftebeit, bah biefe intettigenten ßeute ge* 
rabe fo gut regieren fönnett wie ÜRigger, SDtufatten, SReftigen, 
Duabronen u. f. w. in ihrer ^eimatg, gufammen mit gabt* 
reichen Sren unb Slbfömntlingen aller Pölfer GuropaS. Der 
SBcrfehr SapanS mit bem Strdjipel batirt in gröberem SOtah» 
ftabe erft feit bem Sah« 1880, unb Spanien, baS fid) über* 
gaupt Wenig um bie Snfctn fümmerte, fcfjritt aud) bann nicht 
ein, atS Sapan bie gWetfelloS fpanifcheit Ponin*3nfefn an* 
nectirte. Grft ber Karolinenftreit machte bie Spanier mifj* 
trauifch; gu ihrem SRachtgcil. Deutfdjlanb, feit längerer ßcü 
im Pefift ber Karolinen, hätte Spanien währenb beS Krieges 
nur ein angenehmer, neutraler Pacgbat fein fönneit. 

Die Philippiner hat man gefliffenttich a(S bie grögten 
geinbe ber Spanier, namentlich auch ber ÜRöndje hingeftctlt, 
fotange fie fich nämlich nicht atS Weit heftigere ©egner ber 
Stmerifaner geigten, demgegenüber haben bie ^yitippirtüö 
mehrfach erftärt, bah fte burcfjauS feinen §ag gegen bie 
Spanier hätten, benen fie PieleS oerbanften, unb bah bem 
tgatfädjlich fo ift, bemeift bie oiet gewaltigere SRacgt, bie bie 
Staaten attfwenben ohne baS ©eringfte gu erreidjen, währenb 
gWeifeßoS bie Spanier mit ben Philippinern allein, wie fdjoit 
fo häufig, jefet längft fertig geworben wären. 3 ur 3 c it beS 
japanifdpdjiucfifcben Krieges fdjrieb gu SRabrib ber ©hef* 
rebacteur don SRarcelo bei pifar, ein Dagale Ooit ber Snfel 
Slipon, in ber bort erfcheinenben 3«itfd)rift „Sa Solibaribab": 
„Die neu auftaudjenbe 5J?ad)t Sapan fanit nur bann für bie 
fpanifdje tperrfegaft auf ben Philippinen gefäfjrlid) werben, 
Wenn bie Philippiner biefelbe für unerträglich hatten. SBenn 
aber bie Spanier in ihrer CEolonie eine Perfaffung eiitführten, 
bah bie Philippiner feinen ©runb hätten, bie Unabhängigfeit 
ihrer tpeimatg ber fpanifcfjen !perrfdjaft oorgugiehen, bann 
würbe Sapan feine SlngiegungSfraft für bie Philippiner hefigen, 
noch würbe Sapan auf ben ©ebanfen oerfallen, in bet fpani* 
fchen Gofonie ein Object für feine GjpanfionSbeftrebungen 
gu finben." Ob Sapan auf biefen ©ebanfen nun bod) aber 
oerfallen ift ober nicht, mag bahingefteltt bleiben, aber eS fann 
feine grage fein, bah bie Philippiner in ihrem SBiberftanb 
unterftüftt werben, mag auch biefe grage infofent eine offene 
bleiben, als eS fid) um baS „oon wem!" ganbelt. 3Ran werfe 
einen Plicf auf bie 9Radjtmittct, weldje gegenwärtig bie Staaten 
gegen bie Philippiner aufwenbeit. ©encral Otis, beffen oiele 
Siege, bie er nach ber iwiwatg melbete, in gwei Sagren gu 
feinem burchfchlagenben Grfolge geführt haben, oerfügt feit 
bem 1. December beS Vorjahres über 2117 Officiere, 63 600 
9Rann. DaS ift eine Slrntee, welche mehr als bie hoppelte 
Stärfe ber gefammten actioen PunbeSarmee bei StuSbrudj beS 
Krieges — fie betrug einfdjlieglid) Officiere 27 532 Köpfe — 
beftftt, währenb gu Slnfang Pooentber nur 32315 Officiere j 
unb SRannfcgaften fid} bort befanben, wo 2Ranila unb Um* | 


gegenb eigentlich ber eiugige piaft ift, Oon welchem etwas oon 
Pebeutung unternommen wirb. Die glatte befehligt, nach 
Slbberufung Dewep’S gu feinem Driumph in Slmerita,^ ber 
neue Slbmiral SBatfon; wie benn ber Krieg, obgleich baS 
glotten material feitbem Wenig gewadjfen ift, im ©egenfaft gu 
früher, unb man weih auch nicht rcd)t wofür, eine gange 
SRenge oon Stbmiralen heroorgebradjt hat. Die glotte gählt 
einunbbreihig Schiffe, barunter ein ©efrierfchiff, ein DeftiHit» 
fdjiff, brei PorrathSfchiffe unb ein Kogleiifchiff. Die oor furger 
3eit nod) üielfad) gerühmten SjoSpitalfdjiffe hat man, wie in 
Patal — naef) §aufe gefchieft, auS bem einfachen ©tunbe, 
Weil transportfähige Perwunbetc nach £>aufe gefanbt werben, 
unb nid)t transportfähige eben an Saitb in ben 2agarttf)eu 
bleiben müffen, wo fie minbeftenS eben fo qut aufgehoben finb 
Wie auf bem’ ^ofpitalfcfpff. DaS ©efdjmabcr öerfügt über 
gehn fleine Kreuger, eine Slngafjl Kanonenboote unb $ilfS= 
freuger, gu Welchen man Kämpfer burch Seftücfung gemacht 
hat. Sn ihm befinben fich bie ehemaligen fpanifchen Kreuger 
„SSla be Suba", „3«da beßu^on" unb „Don Suait b : ?luftria", 
bie Stbmiral DeWet) nadj bem ©efedjt oon (laüite heben lieh, 
unb bie in .fjonfong reparirt unb umarmirt würben. GS finb 
aber auch bort: S<hladjtfcf)iff „Oregott", pangerfreuger „®roc- 
tpn", gWei grohe feegebenbe TOonitorS unb fünf gefthühte 
Kreuger, für welche in Steferüe fünf Schiffe, baruntcr Schtadjt-- 
fdhiff „Sooa", unter ®efehl beS erft gerühmten, bann, nach 
feinem Sluftreten in Samoa, berüchtigten „Deutfchen", SIbmiral 
Kauft in San granciSco, liegen. GS fehlt an leichten Schiffen, 
unb beftimmten ÜJielbungen nach wollte man Spanien ben 
fReft feiner oielen, {feinen, einft bort ftationirten Kanonen» 
boote abfaufen, hoch fteljen biefelben in ben meift ausführ* 
liehen amerifanifchen glottenliften nicht. 

2Benn eS nun auch eine gang ftattlidje Seemacht ift, 
über welcfte ülbmiral SBatfon oerfügt, fo geigt ein 99lid auf 
bie Karte beS SlrcftipefS oon über 1200 Snfetn, baft oon 
einer Ueberwachung bet gaftllofen SBafferftrafjen ober gar einei 
oöHigeit Slbfperrung ber 3 u f l, h r öon aufeen, gar feine Siebe 
fein fann, unb bafj felbft ein foldjcr S3erfuch nur als 3 e ' t: 
oerfd))oenbuitg ohne jeben 3wecf angttfehen ift, ber noch ^ fl gu, 
wie ber 3?erlnft beS KreugerS „Gharlefton" im Vorjahr geigt, 
leid)t bagu führt, bah bie Schiffe in bem fdjwierigen gahr» 
waffer feftfahren. Dafe aber eine 3 u f u h r öon äugen ftatt» 
finbet, mug fchon allein beghalb als feftftehenb angefeben 
werben, weil'bie Philippiner bei ^Beginn ber geinblichfeiten 
hoch unmöglich über einen ®orrath oon SDiunition Oerfügt 
haben, ber Sahre htnburd) auSreid)te. Würbe in bem 

dropenflima moberne SJiunition, namentlich ba geeignete 
UntcrbringungSräume nicht oorftanben finb, nach fo langer 
3eit unbrauchbar geworben fein. ©efteftt man gu, bah 
SDZunition oon äugen h<t r ohne Schwierigfeiten einguführen 
mar, fo finb auch anbere ©egenftänbe nach ben Snfeln ge» 
langt, unb bie Slmerifaner fönnen noch Sah« f)tnburc^ mit 
ungeheuren Koften gum Vergnügen aller anbern SRöffer mit 
beit Philippinern Krieg führen, wenn fie burcfjauS nicht gu ber 
Ginficfjt gelangen wollen, bag fie in bem für fte günftigftem 
gälte einen fegt gweifelftaften ©ewintt einftreiegen. Sie er» 
haften bann bie detrfefjaft über ein Polf, baS fegr wogt fich 
feiner Kraft beWugt geworben ift, fteg niemals als Polf 
nieberen PangeS beganbefn taffen will, unb wenn bann einft 
Stmerifa niegt naeggiebt, unb baS fdjeint bei bem Ggarafter 
beS nenften GulturoolfeS eitropäifcger Slbfnnft giemlicg fieger, 
fo niug man bie aegt SJfiUionen gilippinoS einfach — auS* 
rotten. DaS nennt man bann, ignen Pefreiung oom fpa* 
nifegen Sod)e gebraut gaben. Expertus. 


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Nr. 11. 


Hie (Gegenwart. 


168 


Der /all DUeingart. 

SBon Hidjarb lUuIcfom. 

©or wenigen dagen ift ber preujjifd)e ©ultuSminifter 
trogen feiner Haltung gegen ben ©aftor SBeingart im Slbge* 
orbnetenljaufe interpeÜirt worben, IiberbieS wirb bemnädjft eine 
lutljerifcbe SanbeSDerfammlung in fcannoDer oeranftaltet 
roerben, fo baf? eg nicht überflüffig erfcheint, bie ^auptphafen 
beS ©orgehenS gegen ben allgeniein beliebten Pfarrer SBcin* 
gart an ber Warienfirdje zu DSnabrücf auf ©runb oon Steten* 
ftüden Porjuführen. der überaus betrübenbe ©otgang bat 
ni^t nur in ber engeren ^eimath SBeingartS, fonbern in allen 
wahrhaft proteftantifcb benfenben unb fii^feitben Steifen bie 
le&fjaftefte (Srregung hcrüorgerufen unb wirb oorauSfichtlidj 
mit ber im Sanbe perlnufenen ^Interpellation wobt noch nicht 
erlebigt fein. dafür bürgt allein fd)on bie c XE)rttfacf)e, bafs 
bie an ben SultuSminifter gemachte (Singabe behufs ber 
Sietablirung SSeingart’S oom 28, decentber 1899 innerhalb 
einer SBodje pon mehr als 11000 ©nwohnern ber Stabt, 
b. h- oon faft *l b aller erwacfjienen Witglieber ber beiben 
(utherifchen ©emeinben CSnabrücfS unterzeichnet würbe. 

©on ber ®emeinbe geliebt unb hochoerehrt, gilt SSein* 
gart als ein wahrhaft Don feinem ©eruf burchbrungener geift* 
Poller dfjcofog, als ein treuer liebenSwertljer Wenfcf) unb oor 
Slflent atS ein gemiffenfjafter Seelforger feiner ©emeinbe, auf bie 
er burih feine ganze ©erfönlidjfeit unb nicht zunt Winbeftcn 
burch bie üfrerzeugenbe Sraft unb SBärme feiner SKebe einen 
bebeutenben ©influfj auSübt. SllS ein Wann, ber fief) feine 
religiöfen Ueberzeugungen in reblidjem Wichen erworben 
hat, fuchte et biefe auch in feiner amtlichen SBirffamfeit zu 
betätigen, unb fo traten biefetben auch an oerfchiebenen 
Stehen feiner Spnobalprotocolle in einer ber ftarren Drtljo* 
bojie untiebfamen SBeife Ijeruor unb erregten SBibecfprud). 
So proteftirt er z- -8. bagegen, bafj ben ©emeinben jetzt fo 
oft in ©ebeten ber „teufet", ber „Satan" oor bie Slugen 
unb oor bie Seele geführt wirb, ba er finbet, ba§ für ©iele, 
zu benen audh er fich rechnet, ber „Satan" im ©ebet uner* 
baulich unb anftöfjig wirft. @r fagt wörtlich: „bafj aber bie 
©eftatt beS deufelS in unfern finbüdjen ©ebeten zum bimm* 
lifdjen ©ater alte Slugenbtide erfcheinen muffte, begreife ich 
nicht. Sd) benfe, felbft diejenigen, bie an eine leibhaftige ©e* 
ftalt beS 9iabical*©öfen in grobfinnticher SBeife zu glauben 
oermögen, fönnen ihn ficherlich gerabe im anbädjtigen ©ebet 
entbehren!" Studj mit ber ©ezeidjnung „Sammerthal" als 
Srbe, als Sd)auplah unfereS SBirfenS fann er fid) nicht 6e* 
freunben. „gür mid) unb Diele daufenbe ift bie (Srbe trofc 
aller ©ünben unb Seiben fein Sammertijal, fonbern, wie baS 
ganze SBeltaU, bie Stätte göttlichen SBaltenS unb DffcnbarenS. 
Öerr, bie Srbe ift DoH deiner ©üter!" Solche liberalen Sin* 
fefjauungen, bie öfters z u £age traten, aber ftetS in herzlicher, 
freunblidher gorm geboten würben, würben ber hannoDerfchen 
prthobojie immer unbequemer, bis eS zur „diSciplinarunter* 
t’ud)ung gegen ben ©aftor SBeingart" fam. die entfeheibenbe 
Sifsung bcS Sö'nigl. SonfiftoriumS zu ^»annooer fanb am 16. 
3uni 1899 ftatt; baS Srfenntnijj hatte folgenben SBortlaut: 
..Ser ©aftor SBeingart in DSnabrücf wirb fdjulbig erfaitnt, 
eine Don bem ©efenntnifj ber £>annoberfd)en eDangelifdpluthe* 
rifdjen SanbeSfirdje abweichenbe fubjectioe theologifcfje Stuf* 
faffung in feiner amtlichen dfjätigfeit in mehreren fallen 
Zum SluSbrucf gebracht zu haben. Wit ©üdfid)t auf bie Dor* • 
liegenben befonbern Umftänbe unb im fttnblicf auf bie Don 
bem Slngefdjulbigten abgegebenen Srflärungen unb ßufidje* 
rungen ift Don ber in Antrag gebrachten SlmtSenthebung ab* 
gefeijen, unb auf einen ernfteit ©erweis erfannt worben, 
der Slngefdjutbigte hat bie Soften beS ©erfahrenS gcmäfs § 37 
beS ©efejjeS Dom 24. Slpril 1894 zu tragen." Stuf bie „Snt* 
idjeibungSgrünbe" fönnen wir unS an biefer ©teile nicht ein* 
laffen, wir möchten aber bie gewif? fehr zahlret^ect Sefer 
biefeS ©latteS, bie bem ©ange beS SejjetprozeffeS aufmerf* 


fam gefolgt finb, bringenb erfuchen, fich We foeben im ©er* 
lag ber ©adhorft’fchen ©uchhanblung in DSnabrücf erfchienene 
©hrift: „der ©rozefe SBeingart in feinen öauptactenftüden 
mit ©eilagen" zu Derfdjaffett unb biefelbe mit Slufmcrffamfeit 
ZU lefen. Sie werben bann zunächft bie Uitlogif unb $aben* 
fdjeinigfeit biefer SutfcheibungSgrünbe mit hanbgreiflidjer 
dcutli^feit erfennen, ferner aber bie Ueberzeugung gewinnen, 
ba& hinter biefem „ernften ©erweife" bereits ber „dragöbie 
Zweiter dheü", bie Döllige SlmtSenthebung beS ehrenwerthen 
WanneS flar zu erfennen ift. denn man befchränfte fich hei 
biefer erften ©erfjanblung gegen ihn nicht auf jene erwähnten 
Spnobalptotocolle, fonbern man zog audj fogteich anbete 
„Slbweichungen Dom Sefenntnifc" hinein, bie man einer forg* 
fältigen Seetüre feiner eingeforberteit ©rebigten entnommen 
haben wollte. Sinfttoeiten begnügte man fich inbeffen mit 
bem ernften ©erweife. ©egen biefe Strafe legte nun im 
Stamen beS Slngeftagten ber ©ecfjtSanwalt ginfenftäbt ©e« 
rufung ein, bie er in lidjtDolIer unb überzeugenber Sßeife be* 
grünbete. Slber auih ber ©ertreter ber Slnflage hatte ©e* 
rufung eingelegt, ginfenftäbt berührte babei zugleich ben im 
erften Srfenntnifj bereits herDorgehobenen ©unft ber Sin* 
flage, ber fich 9 e gen bie in Sßeingart’S fester Dfterprebigt auS* 
gefprochene Slnfchauung über bie leibliche Sluferftehung beS 
.^ceilanbeS gewanbt hatte. SBir werben Weiter unten ben 
Wortlaut ber betreffenben Stelle auS ber angefochtenen Öfter* 
prebigt folgen laffen, unb bemerfen ^ier Dorläujig nur ganz 
furz, bah SBeingart fich bie fTeifdjtiche Sluferftehung beS SeibeS 
Shrifti im buchftäblichen Sinne beS SBortS nicht Dorftellen 
fann, fonbern einen Derflärten „Sidhtleib", ben er bie Sünger 
mit ihren feelifdjen Slugen thatfächüch erbliden (äfjt. dafe 
ber $err in Sichtgeftalt auferftanben unb Don ben Süngern 
gefehen unb als ber Sebenbige Don ihnen erfannt fei, ift Don 
SBeingart nicht nur nicht geleugnet, fonbern ein ©egentheil 
mit aller greubigfeit unb fjeftigfeit religiöfer Ueberzeugung 
als baS wahrhaft ©ofitiDe unb religiös SBirffame, als baS 
echt fjunbamentale beS DfterglaubenS änerfannt unb Der* 
fünbigt worben, diefe Sluffaffung, bah bie SBahrnehmung 
nur bem geiftigen Sluge möglidh gewefen, ift feiiteSwegS eine 
baS ©efenntnifj profanirenbe, im ©egentheil, fie ergiebt eine 
geläuterte Slnfchauung beS Herganges, bei ber fchümme ßmeifel 
befeitigt werben, in Weldje Wenfchen Derfatfen müffen, bie fich 
eine fteifdjliche unb hoch organifche ©jiftenz beS auferftanbe* 
nen fceilanbeS nicht Dorzuftellen Derntögen; unb bei ber bie 
SBiberfprüche gelöft finb, in benen fich bie Wittheilungen ber 
©Dangelien nun einmal befinben. @S trat nun baS Äönigl. 
SanbeSconfiftorium am 9. Sftoobr. d. S- zufammen unb Der* 
hanbelte gegen SBeingart in beffen perfönli<her SlnWefenheit 
unb im ©ciftanbe beS genannten ©echtSanWaltS giufenftäbt. 
daS ©rfenntnife lautete: „Unter ©tattgebung ber Dom ©er* 
tretet ber’Slnflage gegen bie ©ntfdjeibung beS hefigen Sfönigl. 
(SonfiftoriumS Dom 16. Suni 1899 erhobenen ©erufung unb 
unter ©erwerfung ber ©erufung beS Slngefdjulbigten wirb ber 
SIngefchulbigte zur Strafe ber SlmtSenthebung Derurtljeilt, in* 
bem ihm gieidjzeitig gemäfe § 36 beS diSciplinargefe^eS baS 
Dolle ©uhegefjalt beigelegt wirb, die baaren StuSlagen beS 
©erfahrenS fallen bem Slngefdjulbigten z i, r Saft." Unter 
ben wieber fehr ausführlich bargelegten ©rünben ber ©er* 
urtljeilung werben amtliche Sleufjernngert SBeingart’S auf* 
geführt, burch bie er fich ben ©erbacht gebracht ho&en 
fotl, bezüglich ber ©rbfünbe unb ber ©ünbe überhaupt, fowie 
ber ©ottheit (Shrifti, ber Wenfchwerbung beS SohneS ©otteS 
unb ber Sluferftehung ber dobten mit feinen Slnfchauuflgen 
Don ber ^ircfjenlehre abzuweichen, in einem galle and) burdh 
©erwerfung beS ©ebets zu Sefu thatfächüch Don bem ©e* 
fenntnife ber ftirche abgewidjen ift. (diefer ©orwurf bezieht 
fich barauf, baff SBeingart gegen bie häufigen an bie ©erfon 
$>efu Shrifti gerichteten ©ebete rcligiöfe ©ebenfen geäußert 
hatte, ba nach Gh r M'ü eigenem SBorte: „SBenn ihr betet, fo 
betet alfo: ©ater unfer" baS ©ebet fich an ®°tt ben ©ater 


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164 


Die (ftegentoati 


Nr. 11. 


tuenden foße.) aber mitb if)m — unb barauf fcfjeint 

baS Schmergemicht ju fallen — jum ©otmurf gemalt, bafj 
er in jmei am erften Ofterfeiertage unb am JpimmetfaljrtS* 
fefte 1898 in OSnabrüd gehaltenen ©rebigtert burd) Steufje* 
rungen über bie 9tufetftel)ung unb Himmelfahrt 3>efu 
©h^ifti fich mit bem ©elenntnifj ber Sird)e in SBiberfptuch 
gefegt h at - 

©aS 91ctionScomite in ber Sache SBeingart hat ben 
91ctenftüden ber oben ermähnten Schrift bie angefocf)tene 
Ofterprebigt beigefügt unb baburch einem Seben (Gelegenheit 
geboten, fich barübet ein Urteil ju bilben, maS bie hanno« 
Derfdje Orthobbjie unter „SBiberfprucf) mit bem ©efenntuifj 
ber Kirche" Derfteht. (SS märe eine gute, hochberbienftlidje 
©hat beS (SomiteS, menn eS biefeS h crr ^<^ e f non ber SBeifje 
echten unb gerechten ©roteftantenglaubenS bictirte ©ocument 
in Dielen ©aufenben Don (Sjemplaten burch ganj ©eutfdjlanb 
Derbreiten liehe. @8 lann feine fprecbenbere Sßuftration ju 
bem Sßerbict beS Königlichen SanbeSconfiftoriumS ju Hannooet 
aebacht merben, als biefcö marrnherjige, glaubenSlreue ©e= 
ifenntnifj eines lutherifchen ißaftorS, bem eS tiefes Sebürfnifj 
ift, bie gemaltige ^eilst^at 3efu Gljrifti feiner ©emeinbe fo 
recht einbringlich in’S H er ä ä u präg«”- „Sagt“, fo ruft er 
auS, „marnm bticft unfer Shriftenauge fo glaubcnSDoß jum 
Kreuj empor, am liebften bann gcrabe, menn eigenes Kreuj 
unS brücft unb beugt? SBarum? SBeil es einen lobten barait 
hängen fiel)t? Nimmermehr, meil bei folchem 9tnbtid unfer 
Hetj im Stillen jubelt: „üjd) meifj, bah mein (Srlöfet lebt!" 
3dh meih, bah aus bem büftern ©reiflang „gefreujigt, geftorben 
unb begraben" ein hefleSgreubenmottheroorgebrochen ift, mieauS 
SSinterftürmen baS grühlingStoehen, mie aus ber Nacht ber lichte 
SNorgen: „am britten ©age mieber auferftanben uon ben ©obten!" 
®ie grage, mie bieS „auferftanben" ju faffen ift, hat bie 
SNenfdjheit ju allen 3 e *ten auf’s ©iejfte bemegt, unb jeber 
ehrliche unb benfenbe ©ljeologe h nt ihr ein forgfameS Studium 
gemibmet. SSJeingart hält fich, mie Diele feiner ©erufSgenoffen, 
an jenen gröjjten biblifdjen ßeugen, ber unter 9lßen ben 
Ofterereigniffen jeitlid) am nächften ftanb, bet juerft ü6er 
Sh^fti ^luferftefjung fchrieb unb am beften fähig ift, auf 
unfere grage 9(ntmort ju geben, — baS ift ber 9lpoftel 
©auluS unb baS 15. (Japitel feines 1. KorintherbriefeS. 
©emnad) ift golgenbeS gesehen. Sßenige ©age nach bem 
KreujeStob ift ber Herr an oerfdjiebenen Orten, unter Der« 
fd)iebenen ©eftalten (mie bie (Suangetien berichten) fomohl 
bem SüngerfreiS, mie auch fielen anberen feiner ©läubigen 
erfchienen unb jmar auf ganj biefelbe SBeife, mie jule^t — 
mehrere Safjre fpäter — bem ©auluS Dor ©amaSluS. ®ie 
SSahrheitStreue beS SlpoftelS unterliegt nicht bem minbeften 
gmeifel. Sein Dötlig neues Seben nach bem ©age Don 
©amaSfuS, fein tief innerlicher SfjriftuSglaube, fein ganjeS 
91poftelmerf mit feinen beifpiellofen 9Nühen unb (Srfolgen 
grünbet fid) nach feiner eigenen, oft mieberholtcn ©erfichc« 
rung auf (Shnfti 9luferftehung. (Sr ift tief burebbrungen Don 
ber ©emihheit, bah er feinem ©obten, fonbern einem Seben« 
bigen bient, ebenfo bie anberen 9lpoftel. Salb nach bem 
Hinfeheiben Sefu, baS bie Hetzen ber Seinen fo tief gebeugt 
unb aß’ ihr Hoffen auf bie ©rlöfung SfraelS niebergefchmettert 
hatte, ift in ihnen ber fefte ©laube ermacht: „(Sr lebt!" 
©iefer ©laube ber erften SSüngergemeinbe an bie üluferftehung 
beS Herrn ift nach SBeingart’S tieffter Üeberjeugung eine un« 
umftöjjliche ©efchidjtSmaljrheit. Nachdem er nun in feiner 
angefeinbeten Ofterprebigt biefe ©inge flar unb toürbig bar« 
gelegt, fährt er mörtlid) fort, mie folgt: 

„Unb ber ©ruitb biefeS ©(aubenS? Sir Ijaben ben $errn ge^ 
Jeljen!" Unb inte fie i^n gejefjen höben, tuie p e feine Stimme gehört 
unb feine 9?ahe tröftlidj gefpürt, ba^ eben Iä&t un3 $auiu§ na^ feiner 
eigenften (Erfahrung au§ feinen eigenen Sorten ertennen ober hoch 
mentgftenS ahnen: bort bei 2)amaöfu§ ^at be§ Herren ^errlichfeit ihn 
mie ein Sicht Dom $immef umieudjtet, unb fo ift ber Wuferftanbene 
auch oon ben anberen Qüngern juöor gefehen morben. 9Jun, meine 
Jreunbe, ba finbet unfer Oftergfaube gar fefteu ^öoben unter fich- 


5)a mar nichts S^bifdjeS, nid)tS SrteijchlidjeS mehr an ber (Srfdjeinuns 
Shrifti, benn — baS fmb $auti ffarfte Sorte — benn „gleifih uitf 
©lut formen baS fReich ©otteS ni^t erben unb baS ©erroefcliche fonn 
nicht erben baS UnDermeSliche." 3)eS Herren miiber ©Tbenleib, am 
ftreuä ju ^obe gemartert, er ruhte fanft unb frieblich bort im (%cb 
Staub ju Staub, aber — mar benn biefer ßeib ber $err? 9?ein, „-be: 

t err ift ber ©eift", mie ^autuS auf ber ^öc^fteit Stufe ber chriftlidfcn 
rfenntnih jubelt, unb fo hut baS geiftige Sluge ber begnabeten jüngt: 
^eiftigeS gefchaut; ber (ShriftuS nach bem ©eift, ber nerflärte himm 
lifche, jum emigen Seben auferftanbene ©h^ftuS h<*t ftch im Siiblleib, 
ber nichts Don ©rbenmefen mehr an fich trug, ihnen funbgethen «nj 
feine Cfterherrlichfeit offenbart: „ich lebe". Vluf bie Srage, mie fcaö ge 
fchehen ift, antmortet Seingart furj unb ehrlich: „Sir miffen’% tu 6! 
unb merben'3 nie ergrünben. 3ebe ^Dfenfchcnfecle h at ihr ©eheimml 
2)och genug, ba§ fie (bie Me ben Herren gefehen) eS toufetu, 

bap Re in biefer ©emifcheit nach an T bem troftlofen ©hörfreitagSjamiwr 
bie meltüberminbenbe $raft beS ©laubenS an ben ©efreujigten unb?lr 
erftanbenen unb Xroft unb Seligfeit gefunben höben, genug, bafc fie te 
£fteroffenbarung al§ panier be§ ©DangeliumS meitertrugen: 

w Sir fagen’8 Qebem, ba& er lebt unb auferftanben ift, 

^afc er in unj'rer ®?itte fchmebt unb emig bei un« ift." 

Unb nun frage ich ®uch, meine S^unbe, ift ba« nicht 5bern unb Sters 
be« Cftergfauben« auch für un«, bafc er in unferer TOitte fthmein 
unb emig bei un« ift? Sir laffen gern bie in grieben unb i$m 
©lauben« fröhlich leben, bie mit Xh°öta« in mohlgemeintem fleifchlicfcen 
©ifer erft ihre ginger in be« Herren Sunbenmale legen mollen, ehe fu 
an feine ^luferftehung glauben fönnen, ihr ©taube foH un« heilig fein’ 
Senn aber anbere uno bod) mohl ebenfo ehrliche ©h^P en R4 Qn ^ 
Sort holten: „Selig ftnb, bie nid)t fehen unb hoch glauben", wenn f;t 
nid)t ben fleifchlid) ?luferftanbenen gleidjfam erft ju betaften bmudjtn 
unb bod) be« Ofterglauben« au ben Seben«fürften ficher finb, wenn fie 
mit $aulu§ fid) be« £>errcu im Sinne geiftiger ©rfahrung freuen un: 
feiner Seben«mirfung ihre Seele öffnen, fo fiehen fie hoch mahrlid) audj. 
ja gerabe erft recht, auf bem $el« ber §eil8gef<hichte, ben ©h^iftu« felbi 
gegrünbet, ba er fprach: 34 lebe! ©r fprach T 8 ju feinen 3ünaern in 
ber 9?a<ht, ba er Derrattjen marb, ba er bereit« in fdjonungölofcr 
mifiheit §UIe« fommen fah, mie e« nach feine« ©otte« ätathfchluh fomnur 
foüte bi« jum lebten Sterbefeufjer am Äreuj. ©r fprach’« unb er fonnte 
e« nur fpred)en, meil er fich beroufet mar: 5)ie SRechte be« Herren behSl: 
ben Sieg." 

©iefe Steße aus Sßeingart’S Ofterprebigt Don 189s 
festen toir l)er, um feilten ©on, feine 91 rt unb bie SEBätme 
feines (SmpfinbenS an einigen furjen Säuert barjufteßen,ja 
gleich aber auef), um ben Hauptanflagepunlt gegen i^n, fei* 
9luffaffmtg Don ber 9luferftel)uug S^rifti, mit feinen eigenen 
9Borten ju djarafterifiren. 2öer biefe Cfterrebe im 3 u f Qmn,CEl 
Hange lieft, bem brängt fidE) unabtoeiSli^ bie Ueberjeugunc 
auf, bajj mir ^ier einen toaljrfjaft frommen, treuproteftan« 
tifdjen Ntann Dor unS Ijaben, ber jmifc^en ©uc^ftaben uni 
©eift, jmifc^en ©ergänglic^em unb ©leibenbem in ber eöange« 
Ufcf)en ©ertiinbigung unb in ben ©efenntniffen ju unter» 
fcfjeiben mei§ unb ber in ©emutl), aber mit aßer ©ntfd^iebcn» 
Ijeit baS Nedjt für fiel) unb feinen Stanb in 91nfprucf) nimmt, 
feinen religiöfen Ueberjeitgungett burc^ ernfte e^rlic^e üBiffen» 
fefjaft Halt unb Stüljc geben ju bürfen. @r lebt ber lieber I 
jeugung, baß greifjeit unb grömmigfeit, SEBiffenf^aft uni 
©laube leine unDerföljnlicf|cn ©egenfäge finb unb bleiben 
lönnen; menn er baljet auS ©rünben feiner miffenfdjaftlicfien 
Ueberjeugung feiner ©emeinbe nicht bie finntid) ma^rnebm^ 
bare 91uferftef)ung Ghrifti unb bie 28ieberbelebung feines: 
irbifeffen SeibeS glaubt oetfünben ju bürfen, fo leitet er bie» 
Ned^t auS bem unanfechtbaren Safo l)« 1 '. ba% eine im juriftifdjen 
Sinne Derftanbene ©erpflidjtung auf ben ©uchftaben uneuange- 
lifcf) unb befenntnifemibrig fei unb beftljalb nicht Don i|m 
gefordert merben dürfe. 

©ie gemaltigen Kundgebungen gegen baS gegen 3Sem> 
gart gefällte Urtheil, Don bem aud) unfere Sefcr feiner 3 e ‘ ,; 
Kenntnife genommen haben, entftammten nidht nur ber treu, 
an ihrem Seelforger hangenden ©emeinbe ober bet Stabt 
OSnabrüd, fonbern ben meiteften greifen innerhalb unb aufjet» i 
halb ber ©renjen beS hannoDerfdjen CanbeS. Sie proteftiren 
laut gegen bie 91mt§entfefcung beS Derehrten SNanneS, ber 
megen feiner aßgemein ancrlannten Dortrcfflichen 9(mt$fül)= 
rung unb feines malellofen SBanbelS fich meitgehenbe 3Bertfj» 
fd;ä^ung unb Siebe ermorben hat, unb fehen tn bem Urtheil 
eine „©erleugnung beS ©eifteS ©Hfifti und einen 9lbfa(I »un 


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Nr. 11. 


Die töetjcnwart. 


165 


ber ^Reformation." Sine tum tanfenben unb taufenben Unter* 
fdjriften bebecfte Singabe an baS preuhifcf)e SultuSminifterium 
um Hufhebung ober SIRilberung ber ©träfe ift infofern otjne 
Srfolg gemefen, als ber SultuSminifter ©tubt eine baf)ingei)enbe 
Hntmort ert^eitte, baff er fid) ntdjt oeranlafjt fefje, bie Huf* 
Hebung ober SRilberung ber diSciplinarftrafe im ©nabenmege 
herbeigufugren. Unb als bann eine oon 11000 UnterfTriften 
bebedte Singabe ber angefeljenftcn SRitglieber beiber eoangelifd)* 
lutgetifcljen ©emeinben DSnabrüdS am 28. december pr. in 
berfetben Hngelegengeit an bcn ißr. SultuSminifter abgefanbt 
rourbe, immer noch in ber Hoffnung eines befriebigenben 
HuSgangeS, ba fanbte biefer einfach bie Singabe an bas 
hannoüerfdje SanbeSconfiftorium guriid. 

dafj bie Interpellation im ißreufeifc^en Hbgeorbuetenf)aufe 
eine günftige SBenbung ber traurigen Hngelegenfjeit zeitigen 
mürbe, mar bei ber 3ufammenfegung biefer Jtörperfdjaft !aunt 
anguneljmen, nodj meniger aber, baff ber 3Winifter in günftigem 
©inne für Sßeingart eintreten mürbe. Sr tjat bentt aud) richtig 
bie ©ad)e als eine erlebigte beganbelt — Roma locuta!... 
Unb gerabe auS biefem ©runbe müffen immer meitere nnb 
weitere Steife für biefe Ijodjmidjtige ©emiffenSfad)c intereffirt, 
bie öffentliche SReinung immer mcljr mit ben oorlicgenben 
£jjatfadjen befannt gemalt unb für einen miirbigen HuS* 
gang biefeS für bie gange proteftantifdje Sirene im t)öd)ften 
©rabe unheilöollen SonflicteS gemonnen merben. dreue eoan* 
gelifcfje Sljriften, bie iljtc Sird)e herglich lieben, ertennen in 
biefem gälte mit ©taunen unb Trauer, baff liier mieber ein* 
mal gum grofjen ©c^aben ber Singe ber Verfud) gemacht 
mirb, baS 3od) beS VucgftabenS aufguridjten unb ein unbulb* 
fameS ißrieftertfjum unbefdjränft matten gu laffen. 9Ran 
oergegenmärtige fid) bodj, bah bei ber Vehanblung ber Hn* 
gelegenljeit in ber tjjannooerfdjen SanbeSftjnobe ber fReferent, 
Pfarrer Sljappugeau, im JRamen oon über 100 ijannooerfetjen 
©eiftlicgen gegen jebe Verpflichtung auf ben Vuchftaben ber 
SBefenntniffe ober gar auf bie Rheologie ih rer Verfaffer pro* 
teftirte unb es bettagte, baff bie ©eifttidjen ber protefiantifdjen 
flirre fo fet)r unter ber Verfcbiebcngeit ber Auslegung gu 
leiben hätten. Sr fclbft glaube nicht, baff ein eingiger ©eift* 
liehet unferer SanbeSfitdje gu finben fei, bet fein 3a unb 
2tmen gu jebem eingelnen Sage unferer Velenntnihfdjriften 
fagen mürbe! 3Ran foHte hoch glauben, bah gegenüber einem 
folgen competenten SBorte jebet ernfte eoangelifche Shrift bie 
SBeingart’fdhe Sache für feine eigene anfehen unb mit alten 
Sräften bem ©cifte beS VefenntniffeS freie Vagn fdjaffen 
müffe, ftatt ben Sampf für ben Vuchftaben burcf) Säffigfeit 
unb Apathie gu unterftügen. daS .'pannoüerfcge Sonfiftorium 
hat eine fo ftare Situation geschaffen, bah SRiemanb fortan 
mehr im 3 tt,e ifef fein tann, maS bie ortgoboje Rheologie 
unter Vefenntnihtreue oerftegt. SS mar bähet nur in ber 
Drbnung, bah baS in Srefelb erfcheineitbe „Sbangelifdje ©e* 
meinbeblatt für fRgeinlanb nnb Söeftpfjalen" in gmei auS* 
führlidien Hrtifeln oom 24. december 1899 in fdjarfer 
itonifcher Sßeife baS §annooerfd)e Sonfiftorium gu feinem 
Srfolge begliicfmünfchte. denn nun feien folgenbe $rincipien, 
bie bisher nur als Sßarteiboctrin galten, biirdj bie beiben 
üorüegenben Srfenntniffe gegen SBeingart fanctionirt morben: 
„3Ser fich auf bie Velenntniffe oerpflichtet, binbet fid) an bie 
barin formulirten Sirdjen legren. SJ?ic£)t etma nur fo, bah er 
lieh im ©tauben, in ber religiöfen §ergenSftimmung mit ben 
alten Vefennern eins miffen mühte, ober nur fo, bah er fid) 
burch bie Unterfdjrift unter bie reformatorifdjen Sonfeffionen 
otS treuen, aber auch treu mit ben feiten fortgefchrittenen, 
echten Sünger ber ^Reformation belennte, baS HlleS genügt 
nicht. 3Ran muh aufjer ben religiöfen ^ßrincipien ber Ve* 
lenntnihfcgriften auch bie gormulirungert fid) aneignen, bie 
bie alte Sirdje unb baS fechgehnte Sagrgunbert ausgeprägt 
haben. Huf bie gleiche ißrägung foutmt eS an. dafj man 
ftch bemüht, auS oem gleichen ©djadjt baS gleiche SbclmetaU 
ju heben, baS genügt leineSmegS, fonbcrit eS müffen bie alten 


gunbamentc unb ber Vucgftabe ber alten Velenntnihlehren 
treulicgft anerlannt merben, ohne fRüdficgt auf ben gortfegritt 
ber 3eit unb ber SBiffenfdjaft, ohne SRüdfkgt auf bie perfön* 

lieg burch treue Hrbeit ermorbenen Uebergeugungen."- 

SS mar oon jeher eine oerhängnifjoolle ©d)mädje ber 
eoangelifchen ftirdie, bah ber Äarnpf um baS 2Bort tief* 
gehenben Streit unb $aber brachte unb ber heiligen Sache 
beS ©laubenS unermeflichen Schaben gufügte inbem er ben 
gufammenljang ber ©emeinfdjaft loderte unb löfte unb ihre 
beften Strafte gesplitterte ober gar Oerfeinbete. ®aS golbene 
lateinifche ©pridjmort, bah i m 5Rothmenbigetl Sinigfeit, im 
ßmeifelljaften greiheit malten müffe, (in necessariis unitas, 
in dubiis libertas) hat für bie eoangelifche Äirdje ebenfalls 
nur bem Vud)ftaben nach ejriftirt. Solche unheilooDen Sr* 
fdjeinungen, mie „ber gaH SSJeingart" lehren bei uns mit 
unfehlbarer Sicherheit oon $rit gu geit mieber unb ftetS 
trugen bie Soften beS .jpaffeS unb ber Verfolgung diejenigen, 
melche fich freimüthig gu bem belannten, maS fie in innerster 
Seele als SBahrheit ’erlannt hatten. 3ebör eingetne berartige 
Vorgang berftärft bie bereits in fmh em 9J?afee Oorhanbene 
ftumpfe ©leichgiltigleit gegen bie hödjften Sntereffen unb 
mirlt fomit auSgefprodjcn cntfittlidjenb. diefer unerträgliche 
unb unmürbige guftanb barf nicht in V ermancn ä ertlärt 
merben, menn uns eine mahrhaftige unb lebenbige SReligiofität 
nod) am bergen liegt; mir bürfen nicht mit Derfd)räntten 
Hinten gufchauen, mie burch Verlegerung unb Verfolgung 
eble unb übergeugte Hnljänger ber proteftantifchen Sehre oer* 
fehmt unb befeitigt merben, unb baburdj bie ©leidjgiltigleit 
gegen religiöfeS denlen unb Urtljeilen immer mehr im Volte 
genährt mirb. Ipier tann nur eine heilfame Henbetnng ein* 
treten, menn bie baS Shriftentfjum barftellenbe Stircge fich 
ernftlidj unb ehrlid) entfchlieht, baS SRotljmenbige Oom 
fälligen gu fonbern unb baS ftarre gefthalten am Vuchftaben 
fallen gu laffen. Sie muh fich *> et fchörteti VJorte beS un* 
oergehlichen ÄaiferS griebrid) erinnern, bie er als Sronpring 
im September 1883 bei ber SBittenberger Sutherfeier als 
Vertreter feines hohen VaterS fpradj. Sinbringli^ forberte 
er bie ißroteftanten auf, „allegeit eingutreten für baS eüan* 
gelifd)e Vetenntnih unb mit i|m für ©emiffenSfreif)eit unb 
dulbung." Unb bann fagte er mörtlid): „SRögen mir ftetS 
beffen eingebent bleiben, oah bie Straft unb baS Sßefen beS 
VroteftantiSmuS nicht im Vuchftaben beruht unb nicht in 
ftarrer gorm, fonbern in bem gugleidj lebenbigen unb 
bemüthigen Streben nach ber Srtenntnifj chriftfi^erSBahrheit." 
Unb nun bieS tief traurige ©cf)aufpiel ber Sntfegung eines 
treuen, mahrheitliebenben unb malellofett ©eelforgerS! Unb 
mie armfelig bie gönn biefer Verfolgung! können folc£)e 
Vorgänge bie Vethätigung unb Vertiefung baS maljre Shriften* 
thumförbern? ®aum mirb ein ernfter ÜRann ben üRuth finben, 
bieS offen gu bejahen. HDe jene unerfreulidjen Srfd)einungen 
oon Unbnlbfamfcit unb Verfolgung, bie mir in ben legten 
gehn Saljrcn innerhalb unferer proteftantifchen St'ird)c erleben 
muhten, haben bie 3 a ht 2)erer gemaltig oergröhert, betten 
baS Seben unb Vorbilb unfereS IpeilanbeS baS eigentliche 
©otteSthum bebeutet, benen aber ^>ah unb Verfolgung um 
beS VudjftabenS miflen ein ©reuel ift. 2BaS man jegt als 
Shriftentljum ober chriftliche Sehre gu oerftef)en gemognt ift, 
ift fein reines ©otteSthum, fonbern nichts als üon fpäteren 
SDleitfchen lonftruirte Sehren, — SUrchentljum. dies SUrd)en* 
thum, mie pietätooH man eS auch betrachten mag, gehört 
gleich bem Subenthum ber ©efdjidjte an, fteüt aber nicht 
bie ernig fortmirfenbe Sehre unb baS geiftige Vilb beS 
^eilanbeS bar. §ier tritt bie alte unOermeiblidje grage 
mieber in ihrer tiefen Veredjtigung oor unS hin, ob eS guläffig 
unb richtig ift, nod) immer bie gacuttäten ttnb ihre Sehre 
fomohl, als auch oor HUetn bie ©eiftlichen an baS foge* 
nannte Hpoftoüfum gu binben. der grofje tiefgrünbige 
Äentter ber Sirdjengefdjichte, «ßrof. Hbolf ^arnad in Verlin 
hat in feinet belannten Schrift: „daS 9lpo|tolifche ©laubenS* 


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166 


Die (Gegenwart 


Nr. 11. 


beten ntniß" unwiDerfpredjlid) nadjgewiefen, baß biefeS ©tjnibol 
mit ben 2lpo[teln niti^ts ja tf)un f>ot, baß eS ein Srjeugniß 
fpätercr 3 e >t ift uitb bat)er auf eine bud)ftäbtid)e ©erbinblicpteit 
feinen 2lnfprudj ergeben fann. So ift, um nur ein ©eifpiel 
anjufüfiten, burd) nichts ju belegen, baß etma um bie SKitte 
beS 2. 3af)thunbertS ber fjeilige ©eift als ©etfon geglaubt 
roorbeit ift; biefe ©orftellung ift erft fpäter auS ber Wiffen* 
fdjaftlidfen griec^ifcfjcn Theologie entftanben. Dian erinnere 
fid), baß in bem britten ©liebe ber apoftolifcßen Tauf forme!: 
,,3d) glaube an ben ^eiligen ©eift" nicht, mie in ben beiben 
erften, eine perfönlidfe, fonbern eine facfytidje Srgänjuug ftatt» 
gefunben h°t (burd) bie bret ©tüde: ^»eilige Sircpe, ©er» 
gebung ber ©ünben, beS fjleifctjeö 2tuferftehung“), baß bem» 
uacf) in bem ©pmbol felbft ber tjeilige ©eift als Straft unb 
©abe, nid)t aber als ©erfon erfcpeint. SBer alfo bie Sehre 
oon brei ©erfonen ber ©ott^eit in baS ©pmbol einfiitjrt, 
ber erflärt es roiber feinen urfprünglidjen ©inn unb beutet 
eS um. Sine foldje ©tenbung ift nun aüerbingS feit bem 
Snbe beS 4. 3äl)rt)unbertS oon allen Slfriften oerlangt 
Worben, menn fie ficfj nicht bem ©orwurf unb ber ©träfe 
ber ipärefie auSfeßen wollten. Unb fo gef)t, um baS E)ier 
nod) turj ju ermähnen, aucf) „beS gleifcfjeS 2luferftef)ung", ein 
©ag, ber nid)t oon ©auluS unb nicf)t oon SoßanneS ^er= 
rübrt, über bie Sinie ber urfpüngtidjen ©erfünbigung hinaus 
unb toar niemals eine allgemeine Sehre. ©pater beftanb bie 
Sirdje aber auf ber „2lufcrftel)ung beS gteifdjeS" um nid)t 
bie 2luferftef)ung überhaupt ju oerlieren. 

2luS folgen Haarfpaltereien entftanben bie nod) tjeute am 
$atl SBeingart toieber fidjtbar geworbenen Se|ergerid)te unb ©er» 
folgungen. —Ter roürttcmbergifd)e ©farrerSchrempf in Sengen» 
borf mürbe im 3uni 1892 abgefefct, weil.fein ©emiffen it)m 
ben liturgifdjen ©ebraud) beS 2lpoftolifumS oerbot; ber fyody 
angcfefiene babifdje ©tabtpfarrer Sängin iii ÄartSruf)e mürbe 
angefcinbet unb oerfolgt, meil er bie metapE)t)ftfcf)e ©peculation 
ber Trinität, wonad) brei wahrhaftige ©ötter nur einer finb, 
für unOcrbinblid) unb für bloße firctjlictje formet erflärt, — 
obwohl er auSbrütflid) ^irtjugefiigt h°t: M ©on biefer fird)= 
lieben gormel ift felbftüerftänblid) bie fdjöne Oolfstbümlidje, 
fpmbolifdje 21 rt ju unterfcjjeiben, in welcher ShriftuS in ben 
Söangelien biefen ©tauben auSfprictjt, als ben ©lauben an 
ben ©ater, ber ben ©obn fanbte unb barum als ©taube an 
ben ©obn, ber bie Srlöfung Oollbracbte, unb an ben heiligen 
©eift, ber im ©ohne wirfte unb lebte unb ibn nach feinem £)in= 
gang in ber Dienfcpheit oertritt (Dfattb- 28, 18—20)". Taß 
auch 2lboIf §arnad wegen feiner 2luffaffung beS ,,2tpoftoli» 
fumS" angegriffen unb perfekt mürbe, mar ja leiber nur 
folgerichtig, aber eS mar bod) ein gar ju trauriges ©epau» 
fpiel, mie unter ber Slegibe ©töcfer’S unb beS §errn ü. Jammer« 
ftein (traurigften 2lngebenfenS) „biebere" Sanbpaftoren ju 
©erid)t faßen über einen unferer gelehrteren Sirchenpiftorifer 
unb ihren Sannftraf)l fcbleubertcn gegen bie mübeoollen, 
fcpwer anfechtbaren ©efultate ernfter wiffenfcpaftlidjergorfcljuHg, 
ohne auch nur ben leifeften ©erfuef) einer wiffenfdjaftlidjen 
©Verlegung ju madjen. Sin folcfjer ©erfuep ^ätte freilief) aud) 
anberer Stopfe beburft! Tenn biefe Herren faheit gar nicht, 
worauf eS Harnatf außer ber Srforfcpung ber SSahrpeit anfant: 
er oermißte im apoftolifcpen Srfenntniß baS heilige ©ilb beS 
HeilanbeS, ben ergreifenden Hinweis auf fein ©Mrfen unb 
feinen ©iattbel. 3m ©djlußwort feiner ©cßrift hot er baS 
mit rootjlthuenber ftlarpeit unb ÜBärme auSgefprodjen, inbem 
er fagt: „2BaS bem apoftolifchen Sefenntniß ben haften 
unb bleibenben SBerth oerieiht, baS ift, neben bem ©efennt* 
niß ju ©ott als bem allmächtigen ©ater, baS ©efenntniß ju 
SefuSSßriftuS, bem eingebornen ©oßn ©ottcS, unferm Herren, 
unb baS ßeugniß, baß burd) ißn bie heilige Shriffenhcit, 
©ergebung ber ©ünben unb ewiges $ieil geworben finb. 
9ltlein man oermißt ben Hinweis auf feine ©rebigt, auf bie 
3üge beS ^eilanbeS ber Firmen unb Traufen, ber 3bHner 
unb ©iinber, auf bie ©erfönlidjfeit, mie fie in ben Soan= 


gelien leuchtet. ®aS ©hmbol enthält eigentlich nur lieber» 
feßriften. 3n biefem ©inne ift eS unoollfommen; benn lein ©«= 
fenntniß ift ooDfommen, baS nicht ben feeitanb oor bieSJugen 
malt unb bem ^erjen einprägt." 2J?an fießt, Wie für ihn bie 
lebenSDoöefßerfönlichfeitShtiftt ber Diittelpunft ber Sürdje fein 
unb bfei6en fpH unb wie er fid) nur für oerpftidjtet hält, auf bie 
Uuootlfommenheit ber alten ©efenntniffc hinjumeifen unb bataui 
ju bringen, baß fie nicht für baS SBefentlicße, nicht für baSgum 
barnent beS ShriftenthumS erflärt werben, ©eine Ueberjeugung 
bedt [ich i m 2Befent(id)en mit bem ©ormurf, ben ©rof. .^p. 3ieglcc 
in feiner oortrefflichen ©chrift: „1)aS ©Sefen ber Religion" 
in bie ©Sorte fleibet, baß „oon bem ©eften unb ©djönften, 
WaS unS baS Shriftenthum gebracht h at < bem ©pmbol 
überhaupt feine fRebe fei, baß ber wahre ©roteftant in bem< 
felben ©Jefen unb Sern feines religiöjen ©laubenS unm5g< 
lieh mieberfinben fönne." 

2ln bie ©erfotgungen unb ©erheßungen ber genannten 
Dlänner fließt fich nun auch bie ÜlmtSentfeßung beS DSnn> 
brüder ©farrerS an, ben mir oben in tnappen 3ügen als Sheolog 
unb ©eelforger feinet ©emeinbe charafterifirt hoben. ©Selben 
2luSgang ber überaus traurige ff all haben roirb, läßt fich bei ber 
herrfchenben Strömung nicht ermeffen; man wirb fogar gut 
tf)un, feine Hoffnungen nach ber Haltung beS preußifdjen Sultus» 
minifterS unb troß ber Sieben ©irdhoro’S u. 21. ganj hetabju» 
ftimmen; eS märe aber burdjauS oerfehrt, fich beßhalb jeßt non 
ber 2lngetegenheit als einer „oerlornen" abjumenben unb ihrer 
Sntmidelung ober „Srlebigung" mit füefignation jujufchauen. 
3m ©egentheil, jeßt heißt eS -fich ben tiefen Srnft betfelben, 
ihre Tragweite unb ihre Sonfcquenjen flar oor’S 2lugc ju 
führen unb nicht nur alle urtheilsfähigen unb bentenben 
Sefer, fonbern auch öor 2lllem bie oberen ftirchenbehörben 
mit allem Stuft auf biefelbe ^in^utoeifen. ©liebe bie 2lnge- 
legenheit „erlebigt" im ©inne beS DiinifterS, bann mürbe uns 
an, einem laut rebenben ©eifpiele mieberum bie überaus bc> 
trübenbe Xljatfache erhärtet, baß bei uns baS ewige unb 
herrliche ©Sort: „®er ©uchftabe tobtet, aber ber ©eift matt)! 
lebenbig," jur inhattlofcn ©fjrafe geworben ift. 


$ine Reform ber Dolksfd)ule. 

'Hon JTtar UTay (fteibetberg). 

2tn ben Diittelfchulen unb höh ereu 'Schulen unb ihren 
mehr homaniftifchen ober mehr realiftifcheit Seiftuitgen, an 
ihrer ©ereiitfachung unb 3o)ammenlegung fowie an ben 2ln= 
forberungen, Welche fie an ihre @d)üler ju ftellen h a ^ n - 
wirb fort unb fort beobachtet, oerfud)t, reformirt, aber ber 
weitaus wichtigere Tjjeil beS gefammten ©chutwefenS, bol 
©olfsfchulwefen wirb etwas ftiefmütterlich behanbelt. Tic 
Sinen münfehen jwar ftetig Srweiterung ber ©dhulleiftungen, 
bie 2lnberen aber behaupten, bie ©olfSfcfjule teifte thatfachlich 
mehr als genug, ja ihre größeren Seiftungen fdtjaffen nur 
met)r Unjufriebene. Taß unfere ©olfsfchulen weitaus mehr 
leiften als früher, muß unbebingt jugegeben werben, unb bie 
2lbnahme ber 2lnalphabeten bei ben in bie 2(rmee Singefteflten 
ober felbft bei ben 3»faffen ber ©trafanftalten, bie boch bie 
Hefe beS ©olfeS bilben, geigt beutlich, baß wir fortgefd)ritten 
finb. Ob aber bie oermehrten Seiftungen bet ©olfSfchufe 
ben erhöhten 2(nfprüd)en beS Dfofd)inenjeitalterS entfprechen, 
barf in oieleti fällen bezweifelt werben, mag man bie Halb 5 
tagfcbüler läitblidjer öejirfe beS SlorbenS unb DftenS ober 
bie ©djüler ber baperif^en Schulen mit fiirjerer ©cpuljcit 
im 2(uge haben, ©öenn gegenüber oon Stagen über unjin 
reichenbe Seiftungen ber ©olfSfdjute, anberfeitS auch beim 
©olfSfcpüter unb nod) mehr beim ©otfSfcf)ullehrer oon lieber 
bürbuitg gefprodjen wirb, wie beim ©pmnafiaften, bann liegen 
wohl OrganifationSfehler oor unb müffen ju erfennen ge= 


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Nr. 11. 


Die ©egetnoari 


167 


iudjt unb befeitigt werben. ©aS 3beat ber (BolfSfchulleßrer 
unb ber (Mehrheit ber greunbe ber (BotfSfcßutc bürfte U)oE)f 
nad) aßen 9teußerungeit in SSereinSDerfainmtungen bie .atl= 
gemeine tBotfSfcßute fein, aber teiber ift namcnttid) in ben 
©täbten fowoßt burd) bie Sdjulerßalter, bie ©emeiitbe» 
oerwaltungen unb ben Staat, baS St)ftem ber allgemeinen 
dlolfsfcßule bietfad) burcßbrodjen, atS aud) burd) baS Sßftem 
ber (ßriüatfcßuler! burchlöcßert. ©ie tBorfcßnten für @i)m= 
nafien unb (Realfd)ulen, bie höheren 9Räbcßenfd)ulen fjefaen 
bie allgemeine (BotfSfcßule für bie fogenannten höheren 
Stäube, bie woßthabenberen (Staffen gänjtid) auf. ©ie (BotfS» 
fcßute ift für ben (Bürger unb Arbeiter, unb für Settern be= 
ftefjen ja in bieten Stabten fogar nod) Sßotföfcfjuten zweiter 
(Stoffe, mag man fie and) nirgenbs meßr Sftrmenfcßulen, 
fonbern greifcßulen ober aud) (BotfSfdjuten gegenüber bott 
Sßürgerfd)uten nennen. 

Sn (Baben befteßt im SSefentlidjen bie attgemeine (BotfS» 
fcßule unb eine „(Borfcßule" OefteE)t nur in ÄartSruße, aber eS finb 
fowoßt burd) Änaben» wie 3JJäbd)en=$ürgerfd)ulen in einigen 
größeren Stabten ober burd) ©öcßterfdjuten unb (ßriüatfcßulen 
©etegenßeiten zuStanbeSabfonberungen für bie©(ementarfd)üter 
geboten. Wurf) baS Softem ber einfachen unb erweiterten 93olfS= 
freute, b. ß. bie ©inrießtung bon Sßolföfrfjittert mit begrenztem 
oberweitgeßenbemSehrptanfannzurStanbeSabfonöerung bienen, 
wenn beibe Schuten wie 5. 93. in Ä'artSruße beließen unb bie 
eine Sd)utgetb erhebt, bie anbere nid)t. ©aS Vermögen unb 
ber Stanb ber Eltern wirb aber niemals bie (Begabung ber» 
teilen, bie zur (Bewältigung eines größeren ober frfjroierigeren 
SeßrftoffeS notßwenbig ift, unb fo fomint eS bann woßl bor, 
baß Äittber armer ©Item ben Seßrftoff ber einfad)en (BotfS» 
fd)ule fpietenb bewältigen, bie Äinber 9Sot)(f)abeiiber aber 
ben größeren 9tnforberungen ber erweiterten (BotfSfchute nie 
gerecht werben. @S ift aber nid)t nur biefer ÜRißftanb bei 
bem (Befteßen ber einfachen unb erweiterten, ber fdjufgetb» 
freien unb fcßutgelberßebenben Sdfute, ber bringenb nad) 
Reformen ruft, fonbern eS beftel)t namenttid) ba, wo man 
mit ber (BotfSjcßute burdjauS Diel teiften wollte unb nur ben 
erweiterten Seßrptan einführte, ein weiteres Uebet barin, baß 
bie fd)wad^begabten, faulen ober fcßlecßt beauffießtigten Sfinber 
baS ©taffenziet meßrfad) in einem Saßre nid)t erreichen unb 
fo bei Erlangung beS 9ltterS, in welchem fie ber Schulpflicht 
enttaffen werben foltten, ftatt in ber oberften ©taffe erft in 
ber zweiten unb brüten, zuweilen auch erft in ber oierten 
6taf|e fißen. 9luf biefe Sßeife bteibt bie SluSbitbung meßt 
nur weit tinter bem zurüd, was man burd) bie Sdjute er» 
Zielen wollte, fonbern aud) hinter bem waS man in Sdjuten 
mit einfadjerem Sef)rp(an, ber aud) ben weniger begabten 
ftinbern unb ben fd)Led)t beauffirf)tigten unb feßteeßt erzogenen 
ermöglicht, ein gewiffeS abgefd)toffeneS Sd)utwiffen burd) bie 
©rttimmung ber oberften ©taffe ju ertangen. Sn StRann» 
heim hat man burd) Satjrzefjnte einen feßr weitgeßenben 
Seßrptan für bie erweiterte BotfSfcßule, neben welcher feine 
einfache beftetft, woht aber eine SRittetfcßute, bie man (Bürger» 
fchute nennt, bie frembfprachtichen Unterricht obtigatorifd) hat 
unb auch e * n namhaftes Schutgetb erhebt, wäßrenb bie er» 
weiterte (BotfSfdjule fein Schulgelb mehr fennt. 

Sft nun aud) bie erwähnte 93ürgerfrf)ute mit Schutgetb 
etwas. StanbeSfcßute unb leibet an ben (Mängeln foteßer 
ebenfo wie (Realfcßuten unb ©ßmnafieu auch, bie befannttid^ 
in ben Unterctaffen ein fd)lechteS Scßütermateriat fortfrf)(eppen, 
bis eS zur ©onfirmation unb Scßulenttaffung atterSreif ift, fo 
ift aber hoch immerhin nod) Dielen (Bürgern, bie auch ©ißulgetb 
Zahlen fönnten, bie erweiterte (BotfSfcßule für ihre Stinber ganz 
recht, ©S fommt aber in biefer erweiterten (BotfSfdjute, wie 
in aßen berartigen Schuten beS babifdjen SanbeS nnb nament» 
lieh aud) folcßen, bie nicht, wie (Mannheim unb (geibetberg, 
fo überaus weitgehenbe Seßrptäne haben, oor, baß nur eine 
feßr befchränfte 3“ßt ©cßüter baS 3iet ber Wnftatt er» 
reicht unb nach 8 Sahren bie gefammten ©taffen abfolDirt. 


SRur ein ©rittet ber Stüter fann baS ßiet ber Schule 
erreichen, ©ie ©ßinnaficn unb tReatfcßuten enttebigen fich 
ihres (BaflafteS, wenn bie Sdjüter 14—15 Saßre att geworben 
finb, man nimmt ihnen benfetben üielmeßr; bie (BolfSfdjute 
muß aber auch bie Unbegabten unb Rauten ihre ooße Schut» 
pfticht abfotoiren taffen. 

©eßßalb hat nun ber Stabtfchutrath Dr. Sidinger 
in (Mannheim einen neuen Sßtan entworfen, ber ßöcßft be» 
adjtenSwertt) erfcheint. ©r wiß neben ben ©taffen mit er» 
Weüertem Seßrptan fotdje mit einfad)em paraßet laufen taffen 
unb in biefe foteße Äinber uerfeßen, welche auS (Mangel 
an (Begabung ober in gofge ber häuslichen (Mängel zuriief» 
bteiben. ©ie begabten unb häuSlidj gut beauffichtigten Schüler 
erreichen bann aße unb in oorgefetjener 3 e 't, ohne burch 
fehteeßte Schüler aufgehalten zu werben, baS 3^1 ^er er» 
weiterten (BotfSfchute mit feßr weitgehenbem Sehrptan, bie 
weniger gut üerantagten ober burd) häuStid)e (Berfjättniffe 
ani g-teiß unb in ber 9tufmerffamfeit zurüdgehattenen Stinber 
erwerben fiel) aber borf) burch Stbfolbirung ber einfachen 
Sdjute baS StRaaß Don Ä’enutuiffen, waS man in Öanbfchulen 
unb auch 'u mand)en Stabtfchulen überhaupt geftedt hat, mit 
einem feften zielgemäßen Slbfchtufe. ©S ift an biefer Steße 
nid)t angebrad)t auSzufüßren, wie burch ©laffentehrer, Ober» 
teurer unb (Rectorat feftgefteßt wirb, wer in bie (ßarafletetaffe 
muß, unb in ben unterften Stufen bteiben bie SHnber ohne» 
hin nod) aße beifamtnen. ©rft wenn bie mangetnbe (Be» 
gabung ober bie SRacfjtheite ber ^>äuStirf)feit feftftehen, finbet 
ber Uebergang in bie Sd)ute mit niebrigeren 9tnfprüchen 
ftatt unb eS fann ein (JBieberauffteigen in bie ©taffen mit 
höheren 2lnfprüd)en ftattfinben, wenn fid) bie (Begabung fpäter 
zeigt ober bie häuslichen SBerlfältniffe, ber gleiß unb bie 
9tufmerffamfeit fich gebeffert haben. ©aS wefentlidjfte SKoment 
bei ber (Reform ift baS gefthalteu an ber aßgemeinen uneitt» 
geltlirfjen (BotfSfchute für arme unb reid)e Äinber, bie (Be» 
urtheüung ber (Begabung unb mögtid)en Seiftungen etwa 
nach b em zweiten (ober brüten) Schuljahr unb bie 9luS» 
feßeibung ber SeiftungSfäßigen üoit ben StRinberteiftungSfähigen, 
um erftere z«m f)örf)ften 3ie( ber (BotfSfchute zu führen, 
währenb man ben übrigen ein mäßiges 3iet feßt, aber ihnen 
bod) einen red)ten 2tbfd)tuß ihrer (Bitbung gewährt. 2Bo 
man bie Schuten mit höheren Seiftungen mit £)öf)erer Schut» 
gelbuerpftirfjtung auSftattet, ift nicht bie (Begabung unb 
Seiftuug, fonbern ber ©elbbeutet mafjgebenb, unb eS hatten 
bie wenigbegabten ober faulen ftinber (Bohlhabenber bie 
Seiftung ber Scßule ebenfo auf, wie etwa bie fich fetbft über» 
taffenen halb üerwahrtoften 91rbeiterfinber. 

©ine (Befeüigung biefer ÜRißftänbe ift päbagogifch wie 
fociat Don großer (Bebeutung, nnb eS wirb barin nun 2Rann» 
heim Dorangeßen. 333ie eS ja auch bisher fchon §itfSctaffen 
für unbegabte ober mit genügen ober förderlichen ©efecten 
behaftete Stinber einrirfjtete, fo wirb eS nun burch »w Sßaraßel» 
ctaffen mit einfachem Sehrptatt bie große 3“ht ber ©urcf)= 
frfjiiittS» unb Unterburcf)fd)nittSfchüler mit entfpredhenber 
Sd)utbitbung Derfeßen, ohne baS ©rittet ber (Begabten unb 
gteißigen, gleicljuiet welchen StanbeS, in ihrer befjeren 9luS» 
bitbung aufzufjatten ober zu fpubern. 2ßaS hier in 2Rann= 
heim nun geiüiffermaßen als in ©eutfdjlanb neu eingerichtet 
wirb, hat aber bereits feine SBorbitber in ben größeren Stäbten 
ber Schweiz, ja in feßr Dielen größeren ©emeinben ber Schweiz 
überhaupt, unb Dr. Sidinger hat zum 3wed feiner (Reformen 
bie_Sd)uten in (Bafel unb 3ürid) eingehenb befießtigt, ißr 
®l)ftem uitb ißre (Einrichtung ftubirt unb zur ©runbtage 
feiner (|3täne genommen. @S genügt nid)t, biefe (Reuerung, 
bie fid) in ber Schweiz fo Dorzügtid) bewährte, nur in gaeß» 
btättern zu befpredjen, benn eS ßat auch nießt nur ber Stabt» 
ratß unb Stabtoerorbnete ober Schulbeputirte ein Sntereffe 
baran, fonbern baS gefammte (Bolf, unb beßßatb haben wir 
fie aueß an biefer Steße furz beßanbett. 


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Die töejjenwarl 


Nr. 11. 


Hellte Jtelba uttb kr Coloratnrgefang. 

58on f}ebn>i<j von f rieblaenber * 2Ibel. 

So oft an irgenb einem fünfte ber mufifalifeßen ©rbe 
eine ungewößnticße Stimme ober oerblüffenbe ©efangSfunft 
entbeeft mirb, erflingt alSbalb gu ben hellen SiegeSfanfaten 
als bunller Unterton ber Sftame Slbeline ißatti, benn nodj 
immer ift bie ißatti baS 3Raß, an bem alle moberne Weib» 
ließe ©efangSfunft gemeffen wirb. 3BaS ißt aber biefe un» 
oergleicßlicße Stellung giebt unb fie unS fo Wertzoll mad)t 
ift nicht, wie fo niete meinen, baS SRiebagewefene, fonbern 
tielmeßr baS Sftiewieberfeßrenbe ißrer Slunft. SllS tegteS ©lieb 
ber feßimmernben italienifcßen Sängerfette, bie in bie 93er» 
gangenßeit ßineinfüßrt gu ben Urquellen ber ©efangSfunft, 
erfeßeint uns bie ißatti gleicßfam als bie Snfarnation bon 
bei canto unb ©otoraturgefang. £>ier ßat bie 91atur gum 
lebten SJfale baS wunbertßätige ©efäß gebilbet, in bem alle 
föftlicßen ©oben bereinigt finb, Welche bie große Sängerin 
feßaffen. 3 U einer ftetS rein geftimmten Siegle, bie jebe 
Scßwierigfeit fpielenb überwanb, gefeilte fie ben fießerften 
Snftinct für Sinn unb Sern alles SRufifalifcßen unb ben 
frößlicßften großfinn, bie launigfte Saune lief; fie Wieberum 
§anb in £anb geßen mit einer reigenben, an ber Oberfläche 
ber Singe ßingaufelnben ©ebanfentofigfeit. Saturn finb aud) 
bie Sage, an welchen bie ißatti’S geboren werben, immer ber» 
tappte Sonntage. Unb ihr Seben felbft ift ein feßier immer* 
Währenbet geiertag, bloß begrenzt bon ©eburt unb Sob. 
So Wanbein fie baßin unter immer blauen Fimmeln, in 
ewigen Sonnenfcßeinen unb felbft ihr Sllter ift nur eine 
gweite ober britte Sugenb, in welcher mitunter fogar noch 
ein jweiter ober britter 33unb für’S Seben gefchloffen Wirb. 

Unb wie bie ißatti bie legte Sünftlerin bom Stamme 
SRoffini’S ift, fo ßat auch ber äußere Stöhnten ihres Sa* 
feinS, mit feinem Singüogeltßum unb ber ganzen ÜRacßti* 
gallenßerrlicßfeit einen berjährten ßufdjnitt. Sa finb noch 
©öttinnenaUüren bon Slnno Schnee unb bielfarbige Saunen, 
bie Woßl bie 3Bonne einer pferbeauSfpannenben 3eit gewefen, 
benen aber jegt nur noch ein gehorfamer ©atte ßulbigt. Unb 
ba ift auch eine großartige Unwiffenßeit in fämnttlicßen 
Singen, bie außerhalb ber engften ©langroüenfpßäre liegen, 
jene fpecififcße Sängerinnenbilbung, bie feßon ber alte Stodjüg 
an ber berühmten 2Rara rügt unb bie ein tßpifeßer 3“9 
berfloffener ÜRad)tigaHen gewefen gu fein feßeint. Um fo 
lernbegieriger erWcifen ftd) bagegen bie Singbögel bon heute. 
Sie finb wiffenb geworben; ehrgeizig unb ungufrieben. Slengft* 
lieh flattern fie umher gwifeßen Schlagworten unb Strömungen, 
bie ber fleinen unwiffenben ißatti niemals St'opfgerbrecßen 
machten. Sie fühlen eS, ißr SReicß geht gu ©nbe unb gerne 
würben fie ben ©otoraturgefang an ben ÜRagel hängen, wäre 
biefer nicht unumgänglich nötßig, um ben Sitel „Star" gu 
erwerben, Welcher Wieberum ber ißaß ift für bie amerifanifchen 
unb auftralifdjen ©olbtänber. Sie reichen Seute „brüben" 
finben nämtieß rjoeß immer ©efaHen an ber SRufif, bie ©uropa 
nach unb nach auswirft. Schwere Sabungen berblaßter 
©oloraturopern werben nach bem SBeften oerfeßifft, wo man 
fie fogar für mobern hält, neu infeenirt unb mit ben 
foftfpieligften Sehlen befegt. Dnlel Sam finbet noch fein 
aufrichtiges ©efallen an „Sucia bon Samermoor", „©eueren* 
tofa", „Sinba bon ©ßamouniE", „Sancreb", ben „Italienern 
in Sllgier", ber „ÜRacßtwanblerin" ic. unb reiche ERinenbefiger 
hatten fogar bie „Puritaner" für ben „latest cry“ beS be» 
rühmten ERaeftro Sellint unb wünfeßen lebhaft benfetben gum 
Sirector ihres gu grünbenben SRetropolitan * OpernhaufeS gu 
ernennen. 

©S ift alfo, im §inblicf auf ben noeß immer nidjt ge* 
gäßmten SBeften, bringenb nöthig, baß bei canto unb ©otoratur* 
gefang gelehrt unb gelernt werben. ©rftereS beforgt uner* 
müblicß eine berühmte Unberwüfttiche: ERabame SRarcßefi in 
5ßariS, währenb ber nid)t minber berühmte Samperti, fowie 


Supreg, Strafofch ic. nur mehr in ben Seiftungen gaßtreießer 
„StarS" leben, benn biefe EReifter unb bie eine SReifterin 
haben faft alle jettgenöffifdjen SriUerföniginnen unb Staccato* 
fürftinnen auSgebübet: einen gangen Heerbann bon SRacßti* 
galten: Sigrib Strnolbfon, bie fcßwebifdje, SRarceÜa Sem* 
brieß, k' e polnifcße, ERarie SUbaut, bie canabifcße, ©mma 
©albe, bie fpanifeße, 9?eElie SRelba, bie auftratifeße SRacßti* 
gaH ic. ic. Sie Stile bureßmeffen in immer ßaftigerem 
Sempo beibe ^emifpßären, ftetS ängftlicß bemüßt, ein» 
anber an fabelßaften Honoraren unb unerhörten fReclamen 
gu überbieten. Sagu hoben fie fieß eine eigene 93erblüffung§* 
funft erfonnen, eine förmliche fUecorbtecßnt!. ^at g. S3. Star 
91r. 1 minutenlang auf bem ßoßen c getrillert, fo tßut Star 2 
baffelbe womöglich auf bem ßoßen cis unb Star 3 unb 4 
pflangen trtumpßirenb ißr gäßntein auf bem ßoßen d unb 
dis auf. UebrigenS foU bei biefen überfeeifeßen ©Epebitionen 
nießt allein bie tabellofefte Sltßemtecßnit unb ber längfte 
SriUer gu jenem ©elbe berßetfen, baS ben' SDleiften gugleicß 
ben fRußm bebeutet, fonbern eS mirb auch t>iel SBertß auf 
einen gewiffen moralifcßen haut goüt gelegt, ber ben „Star“ 
romantifcß umwittert. SBaS füllten aneß bie ©OEßolberS in 
9iew»^)orf unb anberen großen Stäbten beS ÜRorbenS unb 
SübenS bagu fagen, Wenn fie ißre SenfationSfütßt an »ir= 
tuofen ©efangSleiftungen allein gu befriebigen ßätten? 9iur 
eine Sennß Sinb tonnte eS wagen, mit einem fpießbürgerlicß 
guten fRuf, wie ber ißre gewefen, Slmertfa gu bureßgteßen unb 
bie getbften unb fdßwärgeften Seute gu gaßlenben ©ntßuftaften 
gu maeßen. Jpeutgutage, SRabame, finb einige pitante Slben* 
teuer bringenb nötßig, um Sßr tünftterifcßeS fßenomme gu 
befeftigen. 33or Sßrer Slnfunft feßon müffen ©erüeßte über 
Sie im Umlauf fein, bie gWar feine Sabß laut auSfpridjt, 
bie man einanbet aber hinter gäcßern guflüftert. Unb man 
muß etwas feßr gafßionabteS muntein fönnen, baS auS feßr 
ßoßen Legionen ftammt unb worum Sie bie ©attinnen oon 
SRitlionenhäufern ßeimlicß beneiben. Unb bann feßen Sic 
gu, wie bie gelefenften Journale am Sage naeß Sßrer Sin* 
funft fpaltenlange Sleußerungen abbruden, bie Sie öielleidjt 
niemals getßan, unb nebftbei Sßten ßoßen fünftlerifdßen 3bealiS* 
muS rüßmen, ber Sie beranlaßt jegtießen ©ewinn gering gu 
aeßten unb nur bei hoppelten, ftatt bei breifaeßen greifen 
aufgutreten. Unb laffen Sie fieß berieten, SDSabame, wie ßeiß 
bie 93iHettenfcßlachten gu Sßrett ©aftborfteüungen gefeßtagen 
Würben unb wie gwifeßen beften 3 teun bf(ßaften bittere geinb* 
feßaften entbrannten, wenn g. 33. A. eine Soge gu 100 SoEari 
ergatterte, Wäßrenb B. nur gWei ißarfettpläge um ben Spott* 
preis gu a 12 SottarS erftanb. SluS Segterem erfeßen Sie gu* 
gleich, baß Sie bie greife btüden, was in Starfreifen nur 
SRißftimmung erregen fann. Slucß geben Sie ben SKammon* 
leuten gu wenig ©elegenßeit, ©elb gum fünfter ßinauS* 
guwerfen ober bureß bie ginger fallen gu taffen unb rau6en 
apopleftifdjen ©clbfäden bie 5D?öglicßfeit, bureß ausgiebige 
Scßröpfung einige ©rleicßterung gu finben. 

gaßt man alle ©ingelerfcßeinungen beS mobernen 33ir* 
tuofentßumS gu einem ©efammtbilbe gufammen, fo tritt einem 
als beffen ßeroorftecßenbfter 3 U 9 eine tiefgeßenbe 33erroßung 
entgegen. Sener ©ulturmenfcß Scßüler’S, ber „mit feinem 
ißalmengWeige an beS SaßrßunbertS SReige in ebler ftolger 
SRännlicßfeit" bafteßt, ift im ©runbe nur ein übertüneßter 
SBarbar unb eS ßängt bloß oon ber 3eittonart ab, ob bie 
angeborene Sarbarei ober feine anergogene ©ultur triumpßiren 
batf. Unfere 3 e ii* beren Sichtung ja aueß ben Urtrieben 
unb bünben Snftincten ber SRenfcßenfeele naeßgeßt, begünftigt 
natürlid) in aflen fünften roße Äraftäußerung im 33unbe 
mit einer gur ßöcßften Spige getriebenen manuellen ©efcßidflicß* 
feit. @S ift eine Slrt gauftreeßt, ton ber SRaterie am ©eifte 
geübt. Dptimiften wollen biefen feltfamen 3 e i £ ß en einer fieß 
äftßetifcß gebenben 3eit eine ßarmtofe gärbung geben unb 
füßlen fieß namentlich bureß bie einfeitige 33erßerrticßung beS 
33irtuofentßumS an öormärglicße Sitten erinnert. Slllein 


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Nr. 11. 


Die ©egenwftrt. 


169 


unferer geit feßlt bot 9IHem bie naibe gteube an folgen 
Singen. Sie mifcßt in 9tlteS ißren blutigen ©rnft unb 
ißte ßocßmütßige äftßetifcße grätenfion. S^irgenbS aber ift 
baS 9lfrobatentßum ftärfer ausgeprägt, fucßt eS fieß fo feßr 
ben ©cßein fünftlerifcßer ©ebiegenßett anjutäufcßen, als im 
fünftterifcßen Sejirf. ©o flücßtet San Slubelif, bet Slfrobat 
ber ©eige, beßarrlicß, Wenn aueß mit »enig ©lücf, jur 
meinen ©antilene RJenbelSfobn’S; SfJforig Rofentßal, ber 
©ohm beS ©labierS, füßct heftige Qfeljbe gegen jeben fttitifer, 
ber ißn bloß einen außerorbentlicßen Secßnifer nennt, wäß* 
renb er ßetmlicß naeß bem ^oftitel beS befielt ©ßopin* 
jpieferS ftrebt; unb Rellie SRelba, bie Songteufe ber Siebte, 
öffnet nacßricßtenßungrigen Snterbietoern ißr überbotleS fünftte* 
rifcßeS §erj unb preift — Ricßarb SBagner als itjren ©rlöfer. 
„Scß bereßre SBagner," rief fie jüngft in SBien aus, „weil er 
ben Sängerinnen neue große Aufgaben ftellt". Soeß woßl nicßt 
ben ©oloraturfängerinnen! 9tber fo fpag^aft unb tßeatralifcß fieß 
biefeS ©efenntniß im SRunbe einer gefeierten ©oloraturfängerin 
auSneßmen mag, bie ÜRelba bot eS mit Ueberjeugung ge* 
tban, bamit unbewußt ben tobten ißunft ber Äunft auf* 
becfenb, bie fie fo erfolgreich übt. Reue große 9lufgaben: 
fie finb eS aQerbingS, bie ben 93üßnenfängerinnen italie* 
nifcber ©eßule fehlen. , Siefe fteben bis jum §alfe in 
einem ©ee, bem hon feiner ©eite neuer 3 u ff u fe fommt 
unb beffen SEBaffer baber immer trüber unb fcblammiger 
wirb, bis er eines SageS nur nocß ein Sumpf ift. Sn 
biefem Siebte erfeßeint auch bent mobern unb cor 9tßem 
bramatifcb gewöhnten Sßublicum ber welfdje Dpernfram mit 
feinem colorirten SBaßnfinn, tridergefeßmüeften IpßpnotiSmuS 
ber im ©taccato galoppirenben ©cbminbfucbt unb all’ ben 
Verlieben Ungeßeuerlicßfetten, bie einft ber UeOetfcßWang 
einer formenfreubigen 3 £ ü g £ Wefen, bie uns jeßt aber nur 
nocß fomifcb horfommen, weil wir ihren ©inn nicht mehr 
ju beuten wiffen. Unb wie uns, fo fehlt auch ben ©änge* 
rinnen felbft bie ©rfenntniß beffen, was fie fingen, ©ie 
fcblagen Söne an, bie in ihrer 3ufammenfeßung ein mufi* 
falifcßeS SBilb geben, aber ber ©eift, ber aus biefen Älang* 
figuren ein SebenbigfcßöneS formt, ift ihnen auf immer* 
bat üerfebtoffen. Oft, wenn wir eine 9lrie aus berühmtem 
SRunbe hören, fueben wir, unbefriebigt, uns borjuftellen, wie 
biefeS ©tüd Wohl früher gefungen worben fei, als biefe 

ganje SÜunft nocß etwas ScbenbigeS war unb bureb bie 

SReifterWerfe täglich auftauebenber junger ©enieS immer 
lebenbiger Würbe. Uralte Srabition unb blühenbeS Beben 

bereinigten fidh ßier in feiten glüdtießer SRifeßung. 9tuf bem 
toetterfeften Unterbau ber alten italienifcben Oper erhob ficb 
als ftrahlenber Sau bie neue, unb Roffini war ihr ©ott. 
Unb auch ber ©ott ber ©änger, benen jebe Roulabe einen 
neuen ©rfolg unb jebe ©antilene einen frifeßen Sriumpß be* 
beutete. Ipier gab eS in ber Xßat neue große 9lufgaben, 

für bie fieß benn aueß glänjenbfte latente unb wunberbotlfte 
©timmen einfeßten. Sie alte SBaßrßeit, baß jeber ©eniuS 
ficb feine brauchbaren’ SBerfjeuge erßbafft ober jum URin* 
beften entbedt unb fid) nußbar macht, fanb ßier ihre 
neue Seftätigung. Rie ßat bie SEBelt auf einmal eine folcbe 
SRenge ßerrlidßer Stimmen unb großer Sfünftter gefeßen, als 
jur 3 e it Roffini’S. ©r war bie ©onne, bie, was in einer 
jungen 9Renf<ßenleßte an SBoßtlaut feßlief, an’S Sießt unb 
jur Slütße bracßte. 9lber aueß als Roffini ben ©cßauplaß 
berlaffen, bewährte fein ©til burdß Saßrjeßnte bie alte Räuber* 
traft SiS bann SSerbi fam mit feiner heißeren ©innlicßfeit 
unb aß’ ben füßen ©iften feiner Harmonie unb Snftrumen* 
tation. Säeßetnb faß Roffini bon feiner ©ötterhöße ju, wie 
fie ißn berrietßen unb feine tßaufrifeßen Rofinen fid) fXugS 
in ßüftelnbe Sioletten berwanbetten. SlUein bei Sßerbi War 
toirflid) mancßeS Reue ju lernen, wäßrenb einem baS gute 
Sitte nocß in aßen ©fiebern lag. ©S weßte bor 9ltlem eine 
fcßärfere bramatifeße Suft in feinem Stalien; eS Würbe ge* 
Wiffenßafter beclamirt, nacbbrüdlicßer accentuirt. Unb bann 


gab eS für ©oloraturfängerinnen wieber aßerlei ju creiren. 
9lber plößlich füßrte Serbi mit eigener $anb ben ©dßlag 
gegen feine fünftlerifcße Sergangenßeit, inbem er „ 9liba" 
feßtieb. SaS war ber größte bramatifeße SEBurf, ben je ein 
Staliener gewagt unb juglekß bebeutete er b'.e Serni^tung 
beS biSßer gepflogenen colorirten ©tilS. ©eit 9liba um* 
wölft ficb ber iporijont immer bießter für bie Sängerinnen 
beS alten ÄuuftgefangeS. 3BaS foßen fie in 3ufonft fingen, 
wenn ißnen fein Rufer im ©treite erfteßt? ©ie gittern 
inmitten ißrer flüchtigen Siege, benn bor ber Sßüre lauert 
ber Riebergang unb bon Saßr ju Saßr berlieren fie an 
©ebiet, baS in biefem f^aße Repertoire beißt. Rocß er* 
trägt baS publicum jur Rotß biefe colorirten ©eßmerjen 
unb töbtlicßen Socatifen unb namentlich bie geiftigen Sßar* 
benüs ber anberen ^atbfugel befißen für ein paar Saßre 
unberbraueßte ©mpfänglidßfeit. 2öaS aber, wenn aueß biefe, 
in 9Ißem ©uropa ftetS auf ben gerfen, plößlicß gewaßr 
werben, Wie weit fie ßier in Rüdftanb finb. Sann vae victo- 
ribus! 3Beße ben Siegerinnen bom ßoßen c, bie nocß in ber 
SSoßfraft .ißrer ©timmbänber nid)t nur ßüben, fonbern aueß 
btüben fein publicum meßr ßaben. ©eßr begreiflich baßer ber 
Srang einer 9lßerberüßmteften biefer 3 ltn fl» fitß SBagner in bie 
Slrme ju werfen, in aßer ©ite bie Racßtigaßenßüfle bon fieß 
ju werfen unb eßrlicß bramatifcß ju werben. Saß SRabatne 
SRelba bei biefem ©tanb ber Singe überhaupt nocß ißr altes 
Repertoir im ßoncertfaal unb auf ber SBüßne ableiert, ßat einen 
feßr praftifeßen ©ntnb. ©ie miß in leßter ©tunbe, bebor ber 
neue ©urS eingefeßlagen wirb, Srifler, fiäufe, ©taccati, furj 
SlßeS, wa§ fie fieß in müßfeligem ©tubium mit faurem gleiß an* 
geeignet, in ©elb umfeßen. ©ie maeßt babei gar fein §eßl auS 
ißrer großen ©leicßgiltigfeit für bie biSßer geübte Sfunft. Sie 
weiß feßr gut, baß biefe beinaße ein Reij für fieß ift unb ber 
naeß intimen Senfationen ledßäenbe moberne Rerbenmenfcß 
ißte mübe 93lafirtßeit, als erfrifeßenben ©egenfaß ju bem 
beinaße religiöfen, fünftlerifdßen ©rnft ber Sembricß unb 
ber ftetS entjüdten greube ber Ißatti an fieß felbft em* 
pfinbet. Senn blafirt ift bie SRelba in ßoßem ©rab. 
SaS ift eigentlich & er mobernfte 3 U 9 an ißr. Dft lang* 
Weilt fie fieß ganje 5lbenbe inmitten frifeßet Sorbeeren unb 
alter ftereotßper Programme. Unb auch ißre eigene füßle 
Unberwüftlicßfeit ennußirt fie ßöeßlicß unb ißr ganjeS feft* 
fteßenbeS SBefen, bem fieß feit Saßren fein neuer 3ug an* 
fügt. 9lber baS fott ja jeßt anbetS Werben. Ser Staats* 
ftreieß ift feßon borbereitet, fogar bie ©oftüme finb fertig 
unb ber SBeifatl unb bie Reclame für bie neue ©Ifa, Senta, 
©lifabetß unb bie brei Stunßilben. 2Bir wollen eS baßer 
untertaffen, bem SSilb ber weltbefannten ©oloraturfängerin 
üRelba in feinen ©injelßeiten nacßjugeßen unb alle SEBunber 
ißrer Seeßnif jum fo unb fo hielten Riale ßerjujäßlen. 
3aßlteicße fritifeße fjebern ßaben bieS ja fattfam getßan. 
Riufifalifeße ©eometer ßaben baS berüßmte Organ in feiner 
ganjen i>öße unb Siefe begangen unb naeß etwaigen Un* 
ebenßeiten geforfeßt; literarifeße Jfleinfrämer ßaben bie 9luS* 
geglicßeitßeit ber Regifter geprüft, bie S3eßenbigfeit ber 
©calentedßnif benebft ber StuSbauer beS SritlerS mit ber 
Ußr in ber Ipanb feftgefteQt, bie unfehlbare Sicherheit beS 
9lnfaßeS eibli^ erßärtet, baS Staccato nocß um ein §ärdßen 
fürjer gefunben, als baS ber Sembridß, baßingegen bem 
Segato unb ißortamento ben wannen Seelenton unb bie 
queHenbe ©mpfinbung runbweg abgefproeßen unb eS eine 
intereffante 9lbwecßStung genannt, Wenn ftatt ber gewohnten 
UBaßnfinnSarie aus „Sucia", bie große 9lrie auS „Srabiata" 
bie erfte ©oncertnummer bitbete. UnfereS 9lmteS ift hingegen 
ju erforfeßen, ob unter biefem ftarren, weil in tobter ©on* 
bention erftarrten SSirtuofinnentßum, nießt Wirflidß etwas 
feßtäft, baS bloß beS ©rWederS bebarf, unb ob biefer @r* 
weder nidßt tßatfäcßließ bie bramatifeße Oper ift. Vorläufig 
aHerbingS feßwärmt Riabame Rielba auSfcßließließ für ißven 
größten geinb SBagner, ben 3 er f*örer beS ÄunftgefangeS. 


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170 


Die ffiegentoari 


Dramatifdjc Partien taugen if)v nur infoweit, als fie non 
SBagner finb. @3 ift trofjbem !aum anjune^men, bafe Ufr 
ber große (Sprung toirflid) in bem ßRafje gelingt, toie ehemals 
Sißi Seljmann, bie bei ber ßoloraturfäitgerin beginnenb äße 
Stabe bis jur hodjbramatifdjen Äünftlerin burdjlief. @3 würbe 
ein SrlebniS für fic^ bitben, bie SDfetba einmal als gibelio 
auf ber SBü^ne ju fe^en. 21 ber felbft ot»ne gibelio bleibt iljr 
bewußtes gortftreben non einer oeratteten p neuen unb neueften 
9?id)titngen merfwürbig. 3 h frommer Selbftfuggeftion nennt 
fie biefeS Streben innere Stimme; in 2Baf)rl)eit ift eS ein 
ftarfer äußcrlicljer (Drang, ber fie ber Sphäre if)tet ehemaligen 
Triumphe entführt: ber (Dürft jeber echten Theaternatur nacf) 
neuen SRoßen. 28o gäbe eSbaS Sühnenblut, baS nicht früheftenS 
Pom „Sreircn" träumte? (Srfcßaffen, junt minbeften 3^act)= 
fchaffen, Sntcutionen behorchen, SRohftoff formen, baS ift 
oor 2Ißem ißrimabonnenfeligfeit. Unb wie tief mag ber 
SReib eines foldjen Temperaments fein, Wenn cS langfam 
oerjdjmachtenb, ber Olücflichen gebenft, benen berühmte ©om= 
poniften jcbe neue ißaraberoße auf ben Seib brapirten, Wie 
eine fenfationeße Toilette. Unter ben actioen Sängerinnen 
giebt eS faitm eine, bie eine fRofle aus fo berühmter erfter 
§anb erhalten, wie j. S. Sßauline Succa, bie Selica aWeper» 
beet’S. 5D?an beneibct aber auch mit Siecht 9Rarie Sienarb, bie 
erfte (Darfteßerin oon ßRaffenet’S Sötte, währenb man felbft Per» 
borrt, ohne jemals feinen SRaffenet gefunben ju haben. Sluf 
aßen SBcgen Sorbilbet unb Vorgänger ju begegnen, niemals 
Seifpicl, immer nur ÜRadjahmet pon Siadjahmer ju fein, auf 
fdjönen SHrdfhöfen ju luftwanbeln, jWifchen berühmten Sräbera 
bie ehebem lebenbige Dpern geWefen, fürwahr ein trauriges 
SooS! 9tflein ber große Schritt, ben grau äRelba eben oon 
ber ßoloraturoper jum äRufifbranta machen wiß, bebeutet 
nur fdjeinbar eine Slenberung. 3m Srunbe uerläßt fie bie 
eine Siuine, um in einer jweiten ihren SBohnfifc aufjufchlagen. 
Sie wirb in ihrem ftürmifdjen Drang nach neuen Aufgaben 
ben Untergang ber in Ooßfter gerfegung begriffenen Dper 
nicht aufjuhalten. 2öie bie Sachen jefjt ftehen, Wirb bem S’unft* 
gefang in feinem mobernen Sühnenwerf eine Stätte bereitet. 
So lange bie bramatifchen ©omponiften DeutfchlanbS, 3talienS 
unb granfreid)S bie SBagner’fcfje Sehre oerfiinben, ift oon einer 
bem Sefang günftigen Söenbung ooßftänbig abjufehen. 2Ran 
wirb überhaupt nidjt mehr ju fingen brauchen, fonbern nur 
noch ju fagen. SiS enblidj ber SReffiaS fommt unb bie SRufif 
mit neuen SBeifen in ihre uralten Rechte einfegt. Dann 
wirb aber ßRabame SRelba, befonberS wenn fie SBagner 
fingt, für bie „neuen Aufgaben" feinen gefunben Ton mehr 
in ber Äef)le haben. 




gfeuiffeton. 

- SRaebbrutf üerboten. 

Die Mehrung. 

©on (Buy be IHaupaffant. 

Woger be SourneDiHe fag int Greife feiner greunbe rittlings auf 
einem ©tnßl, tßat Don Qzit zu Seit einen fräfttgen 8 U 9 auS feiner 
©igavre, blieS bie Wau4mölf4en Dor fich bin unb erzählte: 

... ?öir faßen gerabe bei $if4, als man unS einen ©rief brachte. 
Wein ©aßa öffnete ißn. 3b* Alle fennt bo4 ©aßa? ©r hält fuß für 
ben ©tetlDertreter beS legitimen Königs in granfrei4. 3d) nenne ibn 
nur S5on Cuifote, meil er zwölf 3 a ßre lang gegen bie 3Sinbmüßlen- 
flügel ber Üiepublif fämßft, oßne eigentlid) fo redft ju mißen, ob er fid) 
im tarnen ber ©ourbonen ober ber DrleanS fcßlägt. Auf alle gäHe 
hält fieß ©apa für ben erften ©beimann granfrei4$, ben belannteften 
unb einflußreiebften Wenfcßen, baS £aupt feiner Partei. 23aS aber 
Warna betrifft, fo ift fie ©apaS (Seele, bie ©eele beS KönigtßumS unb 
ber Weligton, ber redjte Arm Lottes auf ©rben unb bie ©eißel aller 
©cbledjtgefinnteu ... 91Ifo, man brachte unS einen iörief, als mir bei 
'lijcbe faßen, ^ßaba laS ibn, marf einen 331icf auf 9Rama unb fagte: 


„$ein ©ruber liegt im ©terben." ^Rama erbleidjtc. 3n ber Samilie 
mar faft nie oon meinem Dnfel bie SRebe gemefen. 3$ berfönlid) fannte 
ibn gar nießt. ?lußer ^aufe botte id) nur erfahren, baß er ein tolles 
Skben geführt bötte unb noch führte. 92ad)bem er fein ©ermögen ntit 
unzähligen grauenzimment burcbgebrad)t, behielt er nur nod) zwei 
SRaitreffen, mit benen er in einer flehten Söobnung ber Rue des Martyrs 
lebte. 3US ehemaliger ©air oon granfreicb unb daOallerieoberft a. 
glaubte er, mie man fagte, meber an ©ott noch an ben Teufel. 9ln 
einem bintmlifdjen i?eben jmeifelnb, böh e er baS irbifeße in jeber $im 
ftdtt auSgefoftet. ^ie ©rinnerung an ihn blutete in 9RamaS berjett 
mie eine allzeit offene 5Bunbe. 

v ©ieb mir ben ©rief, ©aul," fagte fie. 9?a(bbem fie ihn gelefrn, 
erbat ich ißn mir ebenfalls, ©r lautete: 

„§err ©raf, ich glaube ©ie mittbeilen ju müffen, baS i^r 
feßmager s JRarquiS be gumerolb halb fterbeu mirb. ©ieleicßt roolen 
fie etmaS tßun unb nicht fergeffen, baS ich ihnen ©erießt gegeben 
f)a6e ' «Somit i<f) oerbleibe il,« ®inerm Wefanie“. 

,,©S muß bei Seiten etmaS gefcheßen," brummte ©apa. „34 bin 
eS meiner ©teüung fd)ulbtg, deinen ©ruber in feinen lebten ©tunben 
nicht ju öerlaffen." 

„34 merbe na4 bem 9(bb£ ©oioron f4iden/' fagte 9Rama, „unb 
bann mit ißin unb SRoger meinen ©ruber auffu4en. &U, ©aul, blctbft 
ßier. ®u barfit 2>i4 nicht combromittiren. 3n fo!4en Gingen fmtn 
unb muß eine grau ßanbeln. ©in 3)?ann in deiner bolitif4en ©telIung 
ßat 9 P ?üdfi4ten zu nehmen, teilte geinbe fönnten eS fonft gegen 5)id) 
auSfpielen". 

„$>u bofi 9^e4t/' fagte mein ©ater. „Xßue, meine fiiebe, ma‘5 
$u für gut finbeft." 

©ine ©iertelftunbe fbäter betrat 9lb6^ ©oiOron ben ©alon, unb 
bie Angelegenheit mürbe unter ben oerf4iebenften ©efi4tötrinfeln fiar* 
gelegt unb erörtert. SBenn ber SRarquiS be gunterol, ber Xräger ctne§ 
ber älteften itnb berüßmteften fra’nzöfif4en ©efc^lec^ter, oßne bie Xröftungen 
ber Religion ftürbe, fo märe bicS oßne Steife! eine ©4anbe für ben 
Abel im Allgemeinen unb für ben ©rafen Soumeoiüe im ©efonberen. 
$ie greibenfer mürben triumpbiren. $ie }cßle4ten 3citungen mürben 
ein ßalbeS 3aßr laug über ben ©ieg froblocfen; ber SRame meiner 
Butter mürbe in bem ©djmufc unb ber ©rofa ber rotßen ©reffe ßerum^ 
gejerrt, ber Warne meines ©aterS mit Kotb bemorfen. $aS burfte un= 
mogli4 gefcheben. 3Ran bef41oß alfo gleid) einen Kreuzzug unter ber 
Seitung beS Abbe ©oioron, eines fleinen, biefen unb eleganten ©riefterS, 
ber lekßt na4 ©arfüm buftete unb ber tßpif4e Kir4enüertreter eine^ 
oornebmen unb rei4en ©tabtoiertelS mar. ©in Sagen mürbe am 
gefpannt unb Warna, ber ©farrer unb id) fußren batrnn, um bem 
Dnfel bie lebten ^röftungen ber ^Religion zu bringen, ©rft roollte man 
btefe Welanie auffutßen, bie ©erfafferin beS ©riefeS. 3Babrf4einlid) 
mar fie DnfelS ©ortierfrau ober $ienftmäb4en. $er SBagen ßhlt oor 
einem fiebenftöcftgen O au fe. 34 flieg uuS, baS Terrain zu recognoS- 
ciren, unb betrat einen bunflen ©ang, mo 14 ntit Wüße baS f4marze 
So4 fanb, too ber ©ortier häufte, tiefer mufterte mi4 mißtrauifd) 
Dom Kopf biS zu ben güßen. 34 fragte; „©itte, mo mobnt grau 
Welanie?" 

„Kenn' kß ni4t." 

„Aber i4 b a &e einen ©rief Don ißr befommen." 

„Kann fein, aber fenn ? id) ni4t- ©^ ift moßl fo ein grauem 
Zimmer, maS ©ie fueßen?" 

„Wein, eher ein $ienftmäbdjen. ©ie ßut an mi4 megen einer 
©teile gef4rieben." 

„©in $ienftmäb4en? . . . ©in $ienftmäb4en? . . . 9Babrf4ei nr 
U4 Dom WarquiS. gragen ©ie 'mal na4- günf Srebßen linfS." 

©obalb ber ©ortier mußte, baß i4 fein Abenteuer fu4te, war 
er freunbli4er unb begleitete mi4 btö an baS ©nbe beS ^auSaangS. 
©r mar ein großer, magerer Wann, mit meißern ©aefenbart, berWiene 
eines KüfterS unb feßr mürbigen ©eberben . . . 3 n ©ile fßrang t4 Me 
f4ntubige ^reßße hinauf, beren ©elänber # i4 ni4t anzufajfen ma^te. 
3m fünften ©toefe floßfte i4 breimal leife an bie Xbüre linfS. $tefe 
fßrang gleich auf, unb i4 faß nti4 einem feßmu^igen, ungeroöbnliÄ 
biefen Seibe gegenüber, baS fuß recßtS unb linfS an ben ißürpfoften 
feftßielt unb mit ißren auSgebreiteten Armen mir ben ©intritt Derfßerrtc. 

„3BaS münfeßen ©ie?" fußr fie mi4 an. 

,,©inb ©te grau Wtelanie?" 

„3a." 

„34 bin ber ©icomte £ournebiHe." 

,,©ut, treten ©ie herein." 

„Aber . . . Warna märtet unten mit einem ©eiftlkßen." 

„Auch gut! £)olen ©ie fie. Aber hüten '©ie ft4 Dor bem ©ortier." 

34 ging hinunter unb fant mit Warna unb bem Abb^ wieber. 
Xabei fd)ien mir, als ob i4 ©djritte htuter utiS ßörte. ©obalb wir 
bie Küche betreten, bot unS Welanie ©tüßle an, unb mir festen un£ 
aüe Dier, um KtiegSrath zu halten. 

„©teßt eS feßr jcßlimm mit ißm?" fragte Warna. 

„D ja, W?abame, er mirb eS nußt lange meßr treiben." 

„©eßeint er geneigt, ben ©efu4 eines ©eiftlidjen zu empfangen?" 

„Dß . . . baS glaub’ i4 nießt." 

„Kann i4 tßn feßen?" 


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11. 


Die (Ücgentoart. 


171 


„Slber gemtft. . . ©fabame ... nur ... nur . . . bie grä uleinS finb 
bei ipm." 

„SSefcpe gräulein?" 

„9fun . . . feine guten greun binnen natürlich-* 

„91p!" ©fama mürbe über unb über rotp. Ser 91bbe ©oioron 
jeplug bie klugen nieber. Sie Sache fing an, mich ju amüfiren, unb 
ich fa 9 te: 

„SBie mär'S, menn icp juerft hineinginge? geh mürbe fepen, tote 
er mich aufnimmt; auch fönnte id) ihn üielleidjt oorberciten." 

©fama bachte fich bei meinem ©orfcplage nichts 9lrgeS unb antmortete: 
„©emife, mein ftinb." 

gn biefem 9lugenblide mürbe irgenb eine Spür geöffnet unb eine 
grnuenfttmme rief: „©felanie!" SaS biete 58eib eilte hinaus unb 
antmortete: „5BaS münfehen Sie, gräuletnchen ftlara?" 

„Sen (Sierfuchen, aber fcpnell!" 

„Sen 9lugenblid, gräuleincpen!" Unb gu unS jurüdfeprenb er* 
Härte fie unS, eS panbele fid) um einen ftäfefuepen, ben „Sie" ihr auf= 
getragen hatten, um jmei Uhr $u feroiren. Sie jerfcplug fchneU bie 
6 ier in eine tiefe Schüffel unb rührte brauf loS. gd) ging hinaus 
unb tlingelte, um meine officielle 9lnfunft an$u$eigen. Melanie Öffnete 
mir, lieft mid) im ©orjimmer nieberfipen, benacpridjtigte meinen Cnfel 
oon meinem ©efitcp unb fam mieber, um mich $u bitten, einjutreten. 
35er 9lbb£ oerbarg fid) hinter ber Spüre, um auf baS erfte getepen hin 
erjeheinen ju tönnen. 

Ser 9lnblid meines CnfelS überreichte mich- (Sr mar fehr jcböit, 
fepr mürbig, fehr Oornehm, biefer alte fiebemann. gn einem groften 
fiehnftuhl fipenb ober mehr liegenb, bie ©eine in einer Sede, bie 9lrme 
auf bie Seitenlehnen geftüftt, fo baft bie fcpmalen, blutleeren, leblofen 
$)änbe herabhingen, erroartete er ben Sob mit ber SBürbe eines biblifchen 
Patriarchen. (Sin meifter ©otlbart fiel auf feine ©ruft nieber, unb bie 
ebenfalls fchneemeiften $mare reichten bis bortbin, mo ber ©art begann, 
hinter feinem Stuhl, mie um ihn gegen mich S u Uertheibigen, ftanben 
jroei üppige tarnen, bie mid) mit breiften Sirnenbliden anblipten. gut 
Scplafrocf, bie 9lrme nadt, baS fcpmar$e .£>aar hinten aufammengebrept, 
an ben güften golbgefiidte türftfepe ©antoffeln, mdepe bie feibenen 
Strümpfe fepen lieften, ftanben fie neben bent Sterbenben, mie ade= 
gorijepe giguren, bie auf einem ©emälbe bie Sittenloftafeit oerförpern 
füllten, gmifepen bent fiepnfiitpl unb bem ©ette ftano ein geberfteS 
Sifcpcpen: aroei Seiler, $mei ©läfer, gmet ©eftede marteten auf ben 
Ääjefucpen, ber bei Melanie beftellt morben mar. 

©fein Cnfel fagte mit fepmaeper, tonlofer, aber Harer Stimme: 
„©Uten Sag, mein gunge. Sein ©efuep fommt etmaS fpät. Unfere 
©efanntfepaft mirb feine lange fein." 

„(SS ift nid)t meine Scpulb, mein Cnfel", ftammelte icp oerlegen, 
„©ein," antmortete er. „gep meift. (SS ift mehr bie Scpulb Seines 
©aterS unb Seiner Butter, als bie Seine . . . 28ie gebt eS ihnen?" 

„©iept fcplecpt, banfe. 9US fie hörten,' Su feieft franf, haben fie 
miep pergefdjidt, mich naep Seinem ©efinben ju erfunbigen." 

„Unb marum finb fie niept felbft gelommen?" 
gep bltcftc naep ben beiben grauen^immern unb fagte leife: „(SS 
ift niept ipre Scpulb, baft fie niept fomnten fonnten, (SS märe boep für 
meinen ©ater fcprner unb für meine ©futter unmöglich, biefeS ginimer 
$u betreten." 

Ser ©reis antmortete nichts. (Sr fcpob nur feine $anb Oor unb 
fuepte bie meinige. gd) ergriff bie blutleere, farblofe unb falte §aitb 
unb bepielt fie in ber meinigen. Sa ging bie Spür auf: Melanie fam 
mit bem (Sierfucpen unb ftellte ipn auf ben Sifd). Sie beiben Samen 
festen fiep fogleicp Oor ipre Seiler unb fingen an $u effen, opne ihre 
©lide auch nur einen 9lugenblid oon mir abjumenben. 

„Cnfel", fagte icp, „eS märe für ©fama eine grofte greube, Sich 
umarmen ju fönnen." 

„gep auep . .. icp möcpte fie gern ..." (Sr oodenbete ben Sap nicht. 

(SS fiel mir fein paffenber ©oricplag ein, unb fo hörte man nicptS, 
als baS klappern ber ©abein unb bie fauenben ©emegungen ber (Sfferinnen. 
Sem 9lbb£, ber hinter ber Sbür (aufepte, mar unfere ©erlegenpeit aber 
niept entgangen. (Sr glaubte baS Spiel gemonnen unb ben Moment 
günftia, um feinerfeitS einaugreifen. (Sr trat herein. 

©fein Cnfel mar oon feiner (Srfdjeinung fo oerblüfft, baft er einen 
9lugenblid realoS bafaft; bann öffnete er ben ©funb, als ob er ben 
©eiftlicpen freffen mollte unb rief mit ftarfer, tiefer, zorniger Stimme: | 
„3SaS mollen Sie pier?" j 

Ser 9lbbe mar an fepmierige Situationen gemöpnt unb flüfierte, , 
inbem er näher trat: „geh fomme ©amenS gprer grau Scpmefter, 5>err 
©farquiS. ga, fie fepidt miep, unb fie mürbe fo glüdlicp fein, §err : 
©farquiS, menn ..." 

9lber ber Marquis mollte ipn niept anpören. (Sr erpob eine £>anb, 
mieS mit ftoljer, tragifeper ©eberbe naep ber Spür unb fagte feuepenb, 
aufter fiep: „hinaus! . . . ©erlaft baS 3 immer ! • • • ©celenräuber! ... 
toacp f baft Su fortfommft, ©cmiffcnSfcpänber! . . . gort, Su ©inöreeper ! 
bei Sterbenben!" 

Ser 9lbbe miep joriid bis jur Spür, unb auep ich trat ben SKüd- 
Jiug an. Sie beiben Samen lieften ihren halb aufgegeffenen ©ierfucpeit 
ftepen unb ftellten fiep 3 U beiben Seiten beS SepnftuplS. Sie legten ipre 
fpänbe auf feine Slrme, um ipn *u beruhigen unb zugleich gegen bie 
Oerbrecperifcpen Attentate ber gamitie unb Religion ju fepüpen. 

Ser 9lbbe ging mit mir in bie $üd)e ju 9)?ama. ©felanie lieft 


unö mieber nieberfipen. „gep muftte mopl, baft ba§ niept fo ginge mie 
gefcpniiert," fagte fie. „®fau muft maS ?lnbere§ auäbenfen, fonft ftirbt 
er unS noch meg." 

Sie ©eratpung fing alfo mieber oon Oorn an. dWatna maepte einen, 
ber 2 lbbe einen anberen, icp einen britten ©orfcplag. 3Bir mochten etma 
eine palbe Stunbe leife beratpfchlagt paben, als ein heftiger Särm fiep 
in bem 3immer erpob. 9ttöbel mürben gerüdt, unb mein Cnfel feprie 
noch heftiger al§ oorper, fo baft mir alle emporfupren. Surcp bie Spüren 
unb SBänbe pinburep flang e§ an unfer Opr: „^)inau§! .. . hinaus! • • • 
ihr Scpanbbubcn!... $inau§, ipr Scpufte! . .. pinauS! .. . pinauä!..." 

©Manie ftür^te pinein unb fam fogleicp mieber, uni mid) ju J&iilfe 
^u rufen, gep eilte in’S gintuier. ©fein Cnfel mar Oor gorn in bie 
.^öpe gefahren unb ftanb mütpenb erregt faft aufreept ba; ipm gegenüber 
fab man ^mei ©tänner, bie barauf *u märten fdjienen, baft er Oor SButp 
jufammenftür^e. 3ln bem langen IRod, ber ©fiene eines £mu$lel)rer3, 
am Stcpfragen unb meiften ©alStucp, an ben glattgefcpeitelten paaren 
unb bem falbung^ooflen ©efiept erfannte id) in bem erften gleicp einen 
proteftantifepen ©farrer. Ser anbere aber mar ber ©ortier, ber ber 
reformirten Stircpe angepörte unb un 8 gefolgt mar, um geuge uuferer 
©ieberlage ju merben unb eiligft feinen eigenen ©eiftlicpen perbeigupolen. 
©fein Cnfel fepien Oor SButp ben ©erftanb Oerloren 5 U paben. ©Senn 
ber 9lnblid be 8 fatpolifcpen ©riefter§, be^ ©eiftlicpen feiner ©orfapren, 
ben jum greibenfer gemorbenen ©farquiS erzürnt patte, fo braepte ipn 
ber vlnblid be§ ©eiftlicpen feines ©ortierS gan^ au 8 bem $äu£cpen. 
gep ergriff bie beiben ©fänner bei ben Ernten unb füprte fie fo fcpnell 
mie möglich hinaus. Sann oerfepmanb icp, feprte in bie Äücpe, unfer 
Hauptquartier, ^urüd, um ben Üfatp meiner ©futter unb beS 9lbb^§ 
einjupolen. Sa ftürnite ©felanie fcplucpjenb perein ju un 8 . 

,,©r ftirbt... er ftirbt. .. fommen Sie fcpnell." 

©fatna ging hinein, ©fein Cnfel mar ber £ftnge naep auf ben 
©oben gefallen unb rührte fiep niept mehr, gep glaube, baft er fepon 
tobt mar. ©fama aber mar groftartig! Sie ging geraben 2Beg8 auf 
bie beiben Sirnen $u, bie neben bem leblofen Körper fnieteu unb ipn 
aufjuheben fuepten, unb mieS gebieteri}^, mit einer SBürbe unb §opeit, 
bie feinen SBiberfprudj bulbete, auf bie Spür: „ge$t ift bie 9 ?eipe an 
gpnen, baS gimmer 311 Oerlaffen!" Unb fie gingen pinau§, opne $u 
miberfpreepen, opne ein SBort gu roagen. 

Ser ?lbbe ©oioron ertpeilte nun meinem Pnfel unter ben üblichen 
©ebeten bie lefcte Celung unb Oergab ipm feine Sünbeit. 

©fama, bie neben ipretn ©ruber auf ben Änieen lag, fcplucpjte. 
©löblich rief fte auä: „(Sr pat miep erfannt... (Sr pat mir bie &anb 
gebrüdt! ... gd) bin fieper, baft er miep erfannt pat! . .. unb baft er 
mir gebanft pat!... C mein ©ott . .. melcpe greube! .. ." 2 lrme 
©fama, fie muftte, baft fte log, aber e£ mar ja für ipre Äircpe, ipre 
©artei, ipre gamilie! 

Ser Cnfel mürbe auf fein ©ett gelegt. (Sr mar Iängft tobt, 
„©fabame," fagte ©felanie, „mir paben feine fieintücper. 9We 
©äfche gepört ben beiben Samen." gep betrachtete ben (Sterfucpen, ben 
fte nicht aufgegeffen patten, unb hätte meinen unb lacpen mögen, gm 
Öeben aiebt e§ oft fonberbare ?lugenblide unb fonberbare ©mpftnbungen. 

^Sir oeranftalteten natürlich meinem Cnfel ein prunfoolleS ©e= 
gräbnift, am ©rabe mürben fünf 9feben gepalten. Ser Senator, ©aron 
be (SroiffelleS, bemieS mit mürbigen SSorteit, baft ©ott ftetö in bem 
£>erjen feiner 5lu8ermäplten triumppirt, auep menn fte fiep einen $lugen= 
blid oerirrt paben. 91 de ©fitglieber ber ropaliftifepen unb flerifalen ©artei 
gingen mit Siegermienen im Seicpenjug unb fepmärmten baoon, baft ein 
reuiger Sob ein etmaS bemegteS fieben abgefcploffen habe. — 

Ser ©icomte 9foger fepmieg. Sie greunbe ladpten. gemanb fagte: 
„9lcp ma§, ba§ ift bie ©efepiepte aller ©efeprungen oon Sterbenben." 


Jlus ber ßauptßabt. 


Sölbner ttttb 5olbaten. 

©nglifdpe ©lätter, namentlich auep bie *Army and Navy Gazette“, 
bringen immer mieber gepäffige ober facpltcpe 9lrtifel, bie ben Seutfd)en 
al§ einen ftetS ju erpaltenben ©fietpsfolbaten pinfteHen. ©fan braucht 
fiep in ber SageSpreffe gar niept fo fepr barüber ju ereifern, mie 
baS gefepepen ift, ober gar bie ganje Sacpe als pure gepäffige (Sr= 
finbung pinjuftellen, benn — leiber — ift fo ätentlicp SUIeS SSaprpeit, 
menigftenS fo meit eS baS oben genannte ©latt angept. SBapr ift, baft 
3 Beft= unb Cft=9font gern beutfepe Sölbner marben, baft im ©fittelalter 
beutfepe Sölbner ftetS ju paben maren, unb baft eS bis auf ben heutigen 
Sag leicht ift, Seuifcpe für jeben $rieg$gug aufterpalb ©uropaS 51 t er* 
palten. 2Senn am Scpluft baS englifcpe 9lrmeeblatt fagt: ,,©3ir (Sng= 
länber brauchten nur anjufünbigen, baft mir eine beutfepe Segion $u 


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172 


Die (Gegenwart 


Nr. 11. 


errieten wünfcßen, unb Daufenbe bon behüten würben fieß rnelben für 
1 Shilling ben Dag, freie Verpflegung, eine AuSrüftung unb baS Ver= 
fprecßen, ißnen 10 Sftr. $u johlen, wenn man fie entläßt", fo flingt 
baS feßr herbe, aber ein gut Dßeil Grnft liegt barin. 2Benn eS bie Negie* 
rung unb bie Neutralität zuließen, würbe Gnglanb in Deutfcßlanb genug 
fieute finben, namentlich zurgormirung eines ganz beutfcßen DruppentßeilS. 
Unb nlcßt nur Nefruten, fonbern zahlreiche £)fficiere! 3n Berlin laufen 
>$>unberte bon SeutnantS a. D. unb ehemaligen Leutnants unb gäßn^ 
rieben als Agenten, Annoncen=Sammler, Stabtreifenbe u. f. w. herum, 
bie ganz gern unter obigen Anerbietungen bei höheren Gelbfäpen in'S 
gelb jiehen würben, allein feßon beßßalb, um eine ihnen jufagenbe Se= 
fchäftigung ju erlangen. 28aS fann ihnen benn groß paffiren? Sie 
fönnen berwunbet werben. Vortrefflich, bann erhalten fie etwas fßenfion. 
Sie fönnen heil jurüeffommen. Schon ungünftiger, aber bann ßaben 
fie etwas erlebt, unb hier war nichts ju berfäumen für fie. Gnblicß 
fönnen fie fterben. DaS fönnen fte hier auch haben, unb auf welche 
Art, bleibt ftch gleich, fdjließlicß ift ber Dob burch bie $ugel bem beS 
langfamen Verhungerns fogar borjujiehen. 

Unfere ehemaligen Leutnants unb feigen Dberften ic. in ber Suren* 
armee ftttb heute große Dßiere. 3ft man wirflich fo nalb, z u glauben, 
baß bie Herren nur aus Sßmpatßie für bie Suren nach DranSbaal ge* 
gangen ftnb? 28er bovt herrfchte, war ihnen ganz egal, unb fte hätten 
ebenfogut mitgemacht, wenn DranSbaal ettglifch gewefen wäre, Giebt 
eS hoch in Natal eine beutfeße Gompagnie. Der Gnglänber finbet bie 
Sache audh ganz erftärlicß burch baS auSgefprodjene friegerifdje Gefüßl 
ber Nation, baS bem Gnglänber gänzlidj abgeht. GS ift nur baS eine 
traurige babei, baß baS Nationalgefühl bei bem Deutfcßen noch nicht 
mehr zum Durchbruch 'ßefommen ift. hierfür fann unS ber Gnglänber 
jum Vorbilb bienen. Der lägt ftch nicht für frembe Nationen anwerben. 
Sn ben franzöflfcßen grembenreglmentern, in ber ßollänbifcßen Golonial* 
armee, in benen bie Deutfcßen ben Äern bilben, finbet man feine Gng* 
länber unb Schotten. Gleiches gilt bon ben greiwtfligen ber amertfa* 
nifeßen Armee. Nie werben Gnglänber gegen Gnglänber im AuSlanb 
fechten, unb nimmt man bie aübefannte Dßatfacße hinzu, baß eS bem 
Gnglänber nicht einfällt, ftch ber Sprache unb ben Gewohnheiten anberer 
Nationen angttbequemen, währenb, wenn brei Deutfcße unb ein Gng* 
Täuber jufaramen ftnb, unfehlbar englifcß gefprodjen wirb, fo muß man 
Zugeben, baß noch unenblicß oiel gefchehen muß, bis ber Deutfche ftch 
ftolj als Deutfcher fühlt. DaS ftnb bie golgen ber ßleinftaaterei. 

Deutfcßlanb hat eine große Armee unb fehr großen Abgang an 
Dfficieren. granfreidj unb Nußlanb höben zwar ebenfo große unb 
größere Armeen, aber franzöfifdje ober ruffifche Dfficiere finbet man 
feiten als Gonbottteri. DaS ift ber richtige AuSbrucf, unb zahlreiche Sei* 
fpiele ftnb borßanben, ihn ju belegen. Da geht ein oft genannter Ntojor 
ber Artillerie Anfang ber achtziger 3aßre na $ als Dencßen=General 
— wirb Seiter ber Schule in Dientfin. Nach Ablauf feines GontracteS 
fehrt er nach Deutfcßlanb zurücf unb grünbet eine §anbeISgefeflfcßaft 
nach ßßina. Die ©htnefen nehmen ihm im Nu baS wtberwillig .gezahlte 
Gelb ab; er geht nach ßßlle, 100 gerabe Selmaceba geenbet §at, mad)t 
einen fßutfdj gegen bie Negierung, unb biefe ift froh, ißn auf ftieblichem 
SBege bahin zu bringen, baß er berfprießt, Gßile Z u meiben. Gr geht 
nach $eru, wo auch waS loS ift. Gin anberer galt: 3w Kriege GßinaS 
gegen gapan wirb bei ber erften Action, ber Verfenfung beS eßineftfeßen 
DranSporterS Ghow Sing, ein ehemaliger beutfeher $auptmann ber $elb 
beS DageS. GS gelingt ihm, ftch feßwimmenb zu retten, bon Gßina 
retten tonnte er nichts. Nach bem Kriege fah man ihn im Gefolge bon 
Si £>ung Dfcßang, bie treffe nannte ihn „General", bei $ofe würben er 
unb feine Gattin DorgefteHt. Die Gartifcre beS ehemaligen preußifdjen 
ßeutnantS Schiel ift befannt. SNan nennt ihn permanent „beutfehen 
Oberft", aber eS glebt folche Gharge feit 1849, nur einmal, nämlich, 
ba ja ein „DeutfdjeS" f>eer ni^t efiftirt, in ber SNarine. GS ift ber 
Snfpecteur ber 9Rarine=3ufanterte; aKenfallS fann man auch nod) ben 
Gommaubeur einer Scpuptruppe, wenn er Oberft ift, fo bezeichnen. 


Solche Garrferen ntüffen boeß naturgemäß feßr berlodenb fein, 
unb wer will eS benn einem in allen Gßren ohne Sßenfion oerabf^ic- 
beten ßeutnant berbenfen, wenn er feine Suft hut, hier im lieben Vater= 
lanbe mit 25 Sehren ober mehr ba anzufangen, wo Anbere mit 17 
3 ahren beginnen, fonbern in bic 28elt geht unb zwar bahin, wo bie 
Kanonen feßreien? Ober, $anb aufs |>erz, welcher aettoe Dfficier in 
ber güfle feiner $raft unb mit Öeib unb Seele Solbat, brillt lieber in 
Gumbinnen ober in Diebenhofen 3ößr auS 3ößr ein Nefruten, als bajj 
er einen frifeßen fröhlichen $rieg mitmaeßt, ganz gleich wo? Sei unS hört 
er, wo er ßinfommt, ftetS: gricbe! griebe! griebe! Unb wenn ißm 
bann noch oerfießert wirb, baß biefer griebe nodß unenblich lange bauern 
foü, ba muß er fuß als benfenber SNann boeß fagen, baß er ben Stanb 
uid)t unter biefem AuSblicf auf bie 3ufunft gewählt ßat. Unb wenn 
er ben Abfcßieb nimmt unb hiuläuft, wo'S fnaflt, aueß gegen ben 28unftß 
öon oben, fo fann man folcß T Verfahren au<ß uießt zu ßurt beurtßeilen. 
greuen wir unS, baß bem fo ift! 

DaS aber fteßt feft: wo auf ber Grbenfugel außerhalb GuropaS 
bie Äanonen ißren Ntunb auftßun, ber Deutfcße ift babei. Gr greift 
fofort zur 28eßr. DaS liegt ißm im Slut, unb baS ift waßriitß feine 
fcßlecßte Gigenfcßaft, fonbent eine, oor ber man Nefpect haben muß. 
Gott fei Dan! ift itnfer Nationalgefüßl mächtig im Steigen, wenn auch 
noch uidjt auf ber §öße. DaS wiffen bie Gnglänber ganz genau. Gegen 
ißn fämpft ber Deutfdjc, wie er fnirfcßenb gefteßt, mit 28onne, für ißn 
toieUeicßt ßeute noch unter gewiffen Umfiänben. Gegen Deutfcße, wie 
früßer fo oft, fcßwerlid) meßr. Den gewaltigen gactor ßaben aber bic 
englifcßen Slätter oollfommeu iiberfeßen: baS geeinte, mächtige Deutfcße 
Neid). Gewiß fann man Deutfcße nod) zu Kriegen befommen, weil eben 
bie 2uft am 28affenßanbwerf feft im Deutfcßen eingewurzelt ift, aber 
3eber, ber eS ßeute wagt, gegen baS Neicß bie £>anb zu erheben, ber 
befommt nicht meßr Deutfcße gegen Deutfcße für Solb, fonbern er be* 
fommt alle Deutfcßen als grimme Gegner auf ben §al$. DaS ift ber 
waltige Unterfcßieb zwifeßeu Ginft unb Sefct, zwifdßen Sölbnem unb 
Solbaten. Nemo. 


(Kitt eittfaraer Jtaler. 

GS giebt noeß immer Nfaler, bie fernab Dom Geräufcß ber großen 
2Belt unb bem fiärm beS NtarftS ißr eigenes Seben, ein Öeben nur beS 
heißen NingenS um ben Voflbefip beS AuSbrucfS ißrer Shmftibeale leben. 
2 J?an fprießt oon ißnen nur, wenn fte einmal, man möchte faft fagen, 
Zufällig auf einer AuSftettung auftauchen, gür fte giebt’S feine treffe, 
feine Neclame, feine Äunftßänbier, feine Nfäcene. Sie fueßen baS AÜeS 
Zunt minbeften nießt unb fie taffen fieß felbft auffueßen. SRitunter ift 
biefe 28eltflucßt in ißrem eigenften SBefeit begrünbet, mitunter aber auch 
nur bie golge einer gewiffen ftantpfeSmübigfeit, mitunter auch eine 
2Birfung beiber Momente. Gin folcßer ÜRaler ift ber Sanbfcßafter 
agemeifter, ber bort um 2Berber ßerum im Nößricßt lebt, zwifeßen 
ridenten unb 28afferrofen unb für ben bie ganze übrige 28dt oer= 
funfen zu fein feßeint. Ä3er ißn fo reeßt fennen lernen will, ber muß 
ißn bort auffueßen. Von jeinen becoratiüen NaturauSfcßnitten auS jenem 
Nößricßtreicß, baS er bis in feine oerborgenften ScßÖnßeiten unb geßeimften 
Gigenßeiten hinein fennt unb liebt, befommen wir nur gar feiten etwas 
Zu feßen. Gin folcßer Nfaler aueß ift Seffer Urß. 3« biel ßößerem 
Grabe noeß. Gr ift ein Ginfamer nießt bloß in feinem Seben, er ift'8 
in feiner ganzen Äunft aud); ein Kämpfer unb Ninger, ber weit ent¬ 
fernt ift bon jeber Sefcßaulicßfeit, bie nur eine grueßt beS inneren grie- 
benS ift. Gin Kämpfer unb Ninger nicht nur um bie Anerfennuna ber 
Nfitwelt einft, fonbern öor Allem Giner, ber mit ber eigenen Äunft 
fämpft. Drat er je zuweilen heraus au bie Oeffentlicßfeit, fo ßat’S noch 
immer ein großes ^afloß gegeben, einen Särm, ber ben fein Gmpfinben= 
ben auf'S Gröblidjfte berlepen mußte, ftimmten ißn nun feine wenigen, 
ßäufig übereifrigen greunbe an, ober aber bie große Scßaar feiner 
Gegner unb geinbe. Ntan erinnere fieß nur beS GefcßreiS, baS fein 
erfteS großes SNonumentalgemälbe ßeroorrief — „Serufalem", baS oor 
balb oier 3 a ß^n bei Gurlitt auSgeftellt war unb fofort an bie §enne* 
berg'fd)e GaUerie in S^ticß berfauft würbe, ober an fein Driptßdjon, 
„Ntenfcß", fein erfteS „Nfenfcßenpaar". 

Seine bom Naturalismus auSgegangene impreffioniftifeße 3 
unb garbenwertßmalerei rang bor Allem immer mit ber gorm. Die 
Nteiften faßen baßer nur bie große zeießnerifeße Unfertigfeit in feinen 


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Nr. 11. 


Die Gegenwart 


173 


giguren, bie $äg(td)fett unb $ärte mancher Sinien und aurf) garben* 
aegetifäfce unb fte überfapen ba« tiefe ©elftel unb reiche ©mpfinbung«* 
leben, ba« oon bem ©runde feine« §erjen« unb bem ©oben feiner 
©pantape pep lofllöfenb in jenen ©tlbern trop Aßem zu einer gtuinoen? 
ben SBirfung gelangten für denjenigen, ber — umgeFeprt wie bie ©Taffe 
— gerabe ba« Unfertige unb ^äfelidje überfap. 28er feine ©über au« 
ber 3 cit öor b$ n &t« Stoölf Sapren noch Fennt, ber weife, bafe ber 
Zünftler einft ganz anber«, b. p. Keffer aeidjnete, al« beute. ©8 giebt 
welche barunter, bie jeber dupenb=Au«fteflung wtßFommen wären, A6er 
ba« befriedigte tbn nicht. Al« Sanbfchafter immer mehr bem garben* 
imprefponiSmu« pep zuwenbenb, löfte er fiep Don ben gormen immer 
mehr ab: er fud)te bei biefem unb jenem fianbppaftSmotioe phliefelicp 
nur Me garbenaccorbe wieberjugeben, bie e« in ipm weefte, unb fo bie 
Stimmungen beim ©efebauer au«zulöfen, bie in ibm felbft lebenbig ge¬ 
worben. ©Fan bat ipu wobl ptef unb ba al« einen „Oiponären" ©faier 
bezeichnet. ©Fir will ba« nicht recht zufagen. denn e« ift Flar, bafe 
auch ihut ber perbftlicpe ©ucpenwalbgrunb nicht tpatfäcplicp orangegelb 
ober fcparlachrotp erfchien, ber §immel jept nicht fchwefelgelb unb ba« 
Saub pier nicht blau unb ftlbern. ©r bichtete eben in garben, weU er 
nur fo ba« zum AuSbrud bringen zu Fönnen glaubte, wa« ihn be* 
wegte unb — man Oerftanb ihn niept, je weniger fein ©eifteSftrebcn 
raftete unb ie gröfeer fein ©togemutp würbe. Aß 7 fein peifee« ©emüben 
war vergeblich unb 3apr um 3apt oerrann für ibn in ber gleichen 
barten AnerFennungSlofigFeit. dazu Fam noch etwa« Andere«: er ge* 
nügte nie pep felbft: über bie mangelnbe AnerFennmtg ber „Ruberen" 
Fonnte er al« echter Äünftler fich halb pinwegfepen, aber nicht auch über 
jelne eigene Unzufriedenheit. ©rft recht nicht, al« er, ber gbeenmaler, 
feine lanbfchaftfichen ©Fotioe naturgemäfe immer monumentaler, unb 
gleichseitig abfoluter unb abfiraFter zu bepanbeln fid) müpte. ©in ©Far* 
ttjrium war 1 « für ihn. Sehnliche« ift mir nur bei bem 1894 oerftor* 
benen ruffifeben ©Faler Nicolai ©mj begegnet, bem langjährigen greunbe 
unb ©ermnung$genoffen Seo dolftoi’8, bem Schöpfer u. 91. ber ©emälbe 
„2BaS ift ©toprpeit?" (©priftu« unb ©ilatu«) unb bie „Kreuzigung", 
bie ja feiner Qti\ auch in ©erlin, Hamburg unb anberen Stäbten 
deutfcplanb« ju feben gewefen finb — ba«felbe ©Fartprium feelifdjen 
©mppnbungSleben«, biefelbe ßöfelicpFeit, bie un« hoch fo rätbfelbaft an* 
Siebt, biefelbe ©rutalität neben grofeer geinbeit, biefelbe 2Bucpt ber 
©HrFung unb ba«felbe ©efübl quälenber Unbefriebigung. Aber nicht 
ba« natürlich Iff«, wa« Uri) fo weltflüchtig gemacht, wa« ibn bewogen 
bat, ba« wa« er gewiffermafeen mit feinem Sperzblut gemalt bat, nicht 
mehr öffentlich au«zufteßen. der UnOerftanb braufeen ift 7 «, ber ibn e« 
oorziepen Iäfet, in feinem eigenen Atelier AuSfteflungen ju oeranftölten, 
wie auch neulich wieber. 

doch ich möchte glauben — biefe« ©Fal gerabe hätte er bie ©Fafie 
bezwungen: aud) ber Krittler unb Eitler, auep ber denFfaule unb @m* 
pfmbungftumpfe würbe fich ber SBirFung nicht entliehen Fönnen, bie oon 
feinem „geremiaS" auSgept. denn e« ift ein reife« unb fertige« 2BerF 
auch rein technifch, ganz abgefeben baOon, bafe ber Zünftler noch nie 
feine Stimmung unb 3bee fo Flar unb überzeugend jum AuSbrud ae* 
bracht hoi- $a ift nicht« Weroöfe«, nicht« SchwanFenbe«, nicht« &albe8 
unb nicht« Uebertriebene«... Wacht ift'« auf bergiger |>öpe. dahinten 
au« grünlichem dunft wädjft ber §immel empor, riefenpod), immer 
bunFler blauenb, fternenbefät; oome auf ber fcharf Oom Hintergründe 
pd) abpebenben £>albe bie feltfam jacFig gegen ben lichteren Horizont 
ftebenbe, faft einem geläblocF gleichende ©eftalt be« gewaltigen ©ro= 
Pbeten, am ©oben lagemb, ba« langbärtige £>aupt auf ben 9lmt geftüpt. 
©rft allmältg erFennt man bie ©epdjt«AÜge biefe« einfamen ©rofeen in 
granbiofer WacpteinfamFeit. ©in Spmbol — benn nacptbunFel erfchien 
ihm bie üerberbte ©Fenfcppett ring«um unb einfant fühlte er fi<h in ihrer 
Wöbe, faft erbrücFt oon bem ©emufetfein biefer ©erberbtbeit ringsum, 
Verzweifelnd unb hoch in ber einfamen ©röfee ber Watur einen £>alt 
finbenb. ©ießeiept dachte ber Zünftler an ben diäter be« „Klageliedes" 
Qeremiae, bie aber, wie bie tpeologlfcpen gorfdjer nachgewiefen haben, 
nicht oon bem grofeen Propheten perrüpren. .da« macht nicht«, diefer 
©eher unb ©teltppilofopp, ber fich in nächtliche ftöpeneinjamFeit geflüchtet 
bat, ift an unb für fich öon ergreifenber ©ewalt 3«h fäb e ba« ©emälbe 
gern am ©nbe eine« affprifepen dempelfäulengange«, wenn ber 9Wonb 
e6en über ber 2Büfte auffteigt — e« wäre ber rechte Wabmen für biefe 
Malerei... ©8 ift nicht ba« ©innige, wa« biefe 91u«fteHung brachte. 
Slufeer bem ma^tooüen inbioibueßen StimmungSbeFenntnife bat Uri) hier 
auch eine grofee Wnjabl Fleiner feiner SanbfchaftSgebichte in jener färben* 
funFelnben, halb elegifd) träumenben, halb lebensfroh jauchjenben $aftett= 
tccpniF, bie er fo bemeiftert, ©ebiepte, ju benen ipni bie ^aoellanbfcpaft, 
bie fadpfifc^e Sdjweij, ber ©runemalb u. f. w. bie oielfeitigften WFotioe 
lieferten, ©or folcfjen StücFen liege fiep fcpön am glügel ppantafiren 
unb improoifiren, wirFen fie boep eigentlich mufitalifcp ... ©nblicp gab'« 
auch noch einige ©ilbnifearbeiten ju feben, barunter ba« ältere einer 
fcpwars aeFleibeten dame, bereu eble« ©efidjtSooal fo lebenbig leuebtenb 
abbebt oom tiefrotben ^intergrunbe. ©in garbenaccorb Oon grofeem 
9|eije. w ©8 ift wirFlicp gut!" — fagte mir ber WFaler, fidp nerOö« burep 
bie ©aare faprenb — ,,e« ift wirFlicp gut! 34 batte e« fepon faft ganj 
toergeffen!" ©ergeffen — in feinem peifeen Äämpferleben. 9lber peifet 7 « 
mept erft WFenfcp fein, wenn man ein Kämpfer ift? 3- Horben. 


Dramatifdje 

^greilicöt". Scpaufpiel Oon ©eora Weide (©erliner dpeater). — 
„©in 9lteliergepeimnife". Sufifpiel Oon 9lnton 0. ©erfalL 
(Weue« dpeater.) 

WUt einer jugendlichen dapferFeit, bie eine« befferen un ^ 

©rfolge« würbig wäre, Fämpft ©aul fiinbau weiter, um ba« herunter 
geFontmene ©erliner dpeater wieber in bie ööpe $u bringen, ein gute« 
Repertoire ju fepaffen unb ben oeröbeten Saal Oon greibißettlern ju 
fäubern. Wach einer fepönen Aufführung oon ©riflpar$er , 8 perrlicpem 
©uepbrama „Sibuffa", ba« auf ber ©üpne ftet« unwirFfam bleibtpat 
fiinbau naep bent ©organge be« Scpißertpeater« unb einer unferer über^ 
Säpligen greien ©üpnen Me tiefftnnigfte beutfepe Äomöbie „Amphitrpon" 
aufgefüprt, leiber mit unjulängiidhen unb ftarF nach Senfation fepmedens 
ben Mitteln, ©r pat nämlicp $letft’S Wa4« unb Umbicptung, bie ba« 
©enie oon ©lautu« unb WFolibre zugleich beftegt ben WFolibre’fcpen 
©rolog unb bie burleSFe harangue be« Sofie beigefügt: 

Sur tolles affaires toujours 

Le meilleur est de ne rien dire. 

grip WFautpner unb andere ©Iiquenbrüber paben benn auep fepon wie 
auf ©ommanbo conftatirt, bafe erft mit biefem „glüdlicpen ©riff" ba« 
fiuftfpiel bem dpeater gewonnen fei. Uebrigen« ift e« bereit« wieber 
oerfcpwunben. Älcift aber, bem man erft unlängft 'bie ©erfaffer= 
fchaft jweier blöben Suftfpielcpen, bie WFautpner ebenfaß« „entfdjieben 
Fleiftifcp" fand, gufc^ob, mag ob biefer neuen ©eleibigung P4 in 
feinem föprenbunFlen Sanbpügel am ©apnpofe Sannjee unwirfdh ums 
ebrept paben . . . ©erbienftoofler fdjeint un« beinah bie Aufführung 
eS neuen Stüde« oon Weide, beffen „DnFel ©önFoft" Oor 3apren im 
oerfloffenen ©oetpetpeater jwar mit Sdjtoung burcppel, aber boep eine 
aewiffe realiftifcpe ©egabung üerrietp. diesmal gilt e« niept ben ©e^ 
fretungSFrieg gegen eine bämonifepe rotbpaarige Äeßnertn, fonbern ben 
©Überftreit jwifwen einem engherzigen, preufeifcp^correcteu, nüchternen 
©epeimratbSmilieu unb bem „grelftcpt" emancipirten Äünftlertpum«. 
Alfo eine Weitauflage ber „.^eimatp", nur bafe bie beimFeprenbe WFalerin 
in ihrem ©überwiflen Oor bem ©Itempaufe fo weit gept, ben ©erliner 
©räutigam trop feiner f^neibigen Oberleutnantuniform fipen ju laffen 
unb ihrem norwegifepen Wtalfameraben mit feinen nach Wlüncpner wünftier? 
unb Scpriftfteflermobe fo fcpön gebrannten Soden zu folgen, da« ©nbe 
ift aber „tfaatrig", wie ©oetpe oom „Ampbitrpon" meinte, ben er boep 
niept einmal in fiinbau 7 « ©earbeitung Fannte. £>pne ©ere« unb ©accpu« 
friert ©enu«. die zerrüttete gemetnfame 9Birtpfchaft wirb zur fiaft, 
unb friebli^-fcpieblich gept man auseinander, ©eibe nun wirFlicp freie 
Zünftler. w ©r war ein Wtaler, unb pe patte auch niept«", wie e« in 
einer ^ünftlernooeße peifet. 9Benn ber ©erfaffer fiep feine ©efcpwäpig= 
Feit abgewohnt unb bei ber Stange bleiben lernt, fo Fann man Oon 
feiner unleugbaren ©eftaltungSFraft noch etwa« ©ute« erwarten. 

da« Weue dpeater ber grau Wufcpa ©upe ift wopl bie glüdlicpfte 
©erliner ©üpne, benn pe pat ein grofee«, treue« unb anfprucplofe« 
©ublicum. 3n ben erften ©orfteßungen oermifet man mit freubiger 
lleberrafcpung ben gebilbeten unb eleganten ©remibrenpöbel, ber ben 
©efuch anderer ©üpnen niept gerabe fepr angenehm maept. ©in gut= 
bürgerliche« ©ublicum alfo, einfach unb woplwoßenb, otele junge AJfäb- 
epen, ein fefepafter Abonnentenftamm, ber nicht pöper fcpwört, al« zu 
feiner Wufcpa. die Aufführung eine« neuen Stüde« ift pier wie ein 
gamilienfeft, man Fennt fiep gegenfeitig, liebt bie darfteßer, beläcpelt 
bie befepeibenfte ©Jipergiefeung, unb wenn man pep einmal auch etwa« 
weniger gut unterhält, fo fepiebt man bie Schuld lieber auf bie eigene 
©erftänbnifelofigFeit ober üble fiaune, benn ein Stüd, ba« Wufcpa an= 
nimmt unb auffiibrt, Fann boep unmöglich fcpledjt fein, darum wepc 
bem ©inbringling, ber nad) fepnobbriger ©erliner Art feine Unzufrieden* 
peit äufeern ober gar ^ifcfien woßte; jeder DppoptionSüerfucp wirb unter 
©eifaßSftürmen erftidt. 3n golge beffen pnb pier entfdjiebene durep* 
fäße neuer Stüde unbeFannt, im fcplimmften gaße giebt eS noep einen 
Achtungserfolg, ber bie oiel mifebrauepten ©pitpeta „warm", „freunblicp", 
„ehrlich" mit ooßent Wedjte oerbient. Aucp gefaßen pier unb gelangen zu 
popen AuffüprungSjiffem Stüde, bie wie Äreper 7 « „Sopn feiner grau" 
ober ©$olzogen 7 8 „Unbefcpriebene« ©latt" an jeber anberen ©erliner 
©üpne Faum zu ©nbe gefpielt werben Fönnten. 3P uun gar ein fieut* 
nant ber §elb ober überhaupt oiel zweierlei ^uep zu fepen, fo Fennt bie 
©egeifterung Feine ©renzen, unb felbft ein Schmarren wie drotpa'S 
„$ofgunft" Fann einige hundert WFale gegeben werben. $etn ©Junber, 
bafe bie ebeufo gewandte wie energifepe grau directorin e« rupig wagen 
darf, bie aßmäeptige ©lique wie bie „mafegebenbe" ÄritiF geradezu perau«* 
fordern. SSeil pe einen Weporter be« ©erliner dageblatt«, ber ipr ein 
Stüd eingereicpt, etwa« fcpnöbe behandelt, wirb feit Wlonaten ba« Weue 
dpeater oon bfefem „©Jeitblatt" fritifcp tobtgefcpwiegen unb im Wotizen* 
unb fogar Suferatentpeil bopcottirt. Aber ba« dpeater bepnbet pep 
fepr wopl dabei unb fährt aßabenblitp fort, bei ben parmlofeften StücFen 
auSüerFauft zu fein. 

Unb ba« wiß etwa« fagen, wenn bie Woüität z« „änfer ein = 
Zige« ^inb" peifet unb mepr eine noOeßiftif^e grauenplauberei, al« 
ein dpeaterpüd ift. Aber wie Oerftanb audp pier wieber biefe« erftaun* 
li^e WeicpSpauptpadtpublicum pep auf bie Äunft, au« ber unoerbaulidjen 
Wiener WFeplfpeife bie Wofinen perau«zuFlauben unb pep wenigften« 


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174 


Die (ftegenroart 


Nr. 11 . 


baran ju ergäben. Xenn btc Berliner fomnten in biefent üont ©tanb? 
fünfte ber Wienerin aufgefa&ten ©türf fepr übel meg; erft an ber 
Siege beS ©tammpalterS toerföpnen fic^ 9tforb unb ©üb, weil eS ja nicpt 
fo böfe gemeint mar, menn nur ’S £>er$ am regten gled fifct. Xa man 
nod) obenbrein 9htfcpa Bupe als Seaner $öd)in bemunbern fonnte, jo 
mürbe ftürntifd) nad) bem SScrfaffcr Hugo $otm verlangt, auf meldjen 
9htf ein Tlitglieb ber Bühne, .'perr Baplatt, mit einer fünft unbcfannt 
gebliebenen Xante [ich banfenb üerneigte. Biel gröberen ©rfolg patte 
aber baS gafcpingSftüd „92adte $unft", baS dolle toter Soeben lang 
gegeben merben fonnte. Unb boeb pat ber ©cbmanf niept blo§ im Xitel 
etmaS toon bem Hautgout ber Barifer Bouletoarbpoffe. ©ogar baS Reifte, 
benn mir fannten fie längft, bie toOen 9Rifjtoerftänbniffe unb ©ituationen 
opttc jebe ©pur öon 9Röglicpfeit unb Sahrfcpeinlicpfett, ben toerrücfteit 
©ontponiften, ben Bantoffelpelben, ber feiner heimlich toerpeiratheten 
©djmiegertocpter ben H°f macht, ben 'JRobeüe empfanaenben Act? 
maler, ber toott feiner liebenben jungen grau burcpattS gefepieben 
merben fofl, baS ©cpattenfpiel eines füffenbeit BänpenS, bie fati? 
rifeben Ausfälle auf baS priibe ^jilifterium, bie pifanten nächtlichen 
©eenen bei toerbunfelter Bühne unb $eglig6toiletten. XaS ©anze 
Zeugt toon menig mäblerifcper 5>anbfertigfeit unb geringer ©rfinbung, 
ift jeboeb gefebieft gemacht für ein nicht febr fritifd) geftimmteS publicum. 
9ftan mirb ficb ben bauten ©eorg SepfelS merfen müffen, hinter bem 
fiel) ein fixerer .^err Sepntann?gelSfomSfi böcbft untooflfontmen toer? 
birgt, gebenfaßS ift fein ©cbmanf mehr mertp, als baS unglaubliche 
„Suftfpiel" beS greipetm Anton to. Verfaß (nicht üermecbfeln mit 
feinem Bruber $arl, bem JRebacteur ber ßölnifcpen Wertung, ber eben? 
faflS 9fomane fepreibt unb mehr Zünftler, aber meniger ©rzäpler ift). 
Xrei ober eigentlich toier Acte bureb merben mir mit uralten Suftfpiel? 
ntotitoen gelangmeüt: einer ehemals gefeierten ©cbaufpielerin, bie einen 
länblirpen Ariftofraten auS Siebe gebeiratbet bat unb jeftt toon ihm mifi? 
toerftanben mirb, einem loderen 9Raler mit einer unmöglich uttfcpulbigen 
©anS toon grau, einem locferen Sanbjttnfer unb einem 9Robeß mit bem 
feligen ft'inb (o 9htfdia!). ©rft im lepten Act hebt baS fürchterliche 
Ateliergepeimnifj an. Xie 'Baronin Ri&t fid) insgeheim toon bem Zünftler 
malen, um ihrem ©emapl eine ©eburtStagSfreube *u bereiten, gerätp 
baburep in fcpnöben Berbadjt unb mirb toerflatfcbt unb auSfpionirt. 
9?acb ber in reebtiebaffenen Suftfpieleu längft nicht mehr erlaubten Be» 
laufcbungSfcene flärt ficb bie ©efebiebte auf, unb ber eiferfücbtlge ©pe= 
mann mufe bie üerbäcptigte ©attin überbieS reumütig um Betreibung 
bitten, meil er ficb toon bem 9RalergänScpen febon für fein eheliches 
SJlifjgefcpid tröften laffen moflte. ©efpiclt mürbe mie immer ganz toor? 
trefflich, unb baS gehört auch z u ben ©rünben für bie Beliebtheit beS 
9Jeuen XpeaterS. 


Offene Briefe unb nutmortfit. 


2>cr „UeBermenfdj" unb baö „emig=2BeitiIi(Bc". 

©ehr geehrter Herr! 

gn ber „©egenmart" 92r. 8 fagt $einrid) 9ftet)er in feinem 
Artifel über 9Uepfcpe: „giir baS fittlicbe gbeal hat 9ttepfcpe einen AuS? 
brud toon einziger, rounberbarer 9)iacpt unb ©röfje geprägt: lieber? 
men f cp." — Xiefer AuSbrud ftamrnt aber üon ©oethe. gm erften 
Xpcile beS gauft gebraucht ber ©rbgeift gaüft gegenüber bie Sorte: 

„Seid)' erbärmlich ©rauen 
gapt Uebermenfcben biep?" 

©benfo in ber gueigmtng zu ben ©ebiebten: 

,,©o glaubft bu bid) tebon Uebermenfdh genug?" 

9lbcr baS Sort ift noch älter, beim als erfier hat eS fc^on Xante, 
aßerbingS im Bevbuni, gebraucht, inbem er ben 9luSbrud prägt: tras- 
umato. Sie benn überhaupt am ©cbhtffe beS gauft Xante’fcbe s H?otitoe 
benupt ftnb; auch bie toiel mibbraudjten, faft lepteit Sorte ©oethe’S: 
„XaS ©mig?Seiblid)e ^iept uitS hinan", Hingen an in ben ebenfalls faft 
lepten Sorten Xante’S bei bem Wbfcbieb non Beatrice: Tu m’hai di 
sorvo tratto a libertate. £5ber in Sfrirl gebern’S aßerbingS ftarf an? 
empfuitbener Berbeutfcbung: 

„Xu bift eS, bie mich bad) hinangejogen 
gur em’gen greiheit auS ber Änecbtjchaft Seibe." 
§odjacbtungStooß 

Brof. Paul ^eint. 






gmei iunge Berliner Bucbhänbler, bie Herren JRicbarb ©cpufter 
unb Submig Söffler in girma ©ebufter & fiöffler, haben fdjon 
üor längerer geit Beranlaffung genommen, bie „©egenmart" megeit 
einer mit üoüer Slbftcbt überaus f^arf gehaltenen Äritif ihrer BerlagS? 
merfe auf ©hrenbeleibigung au toerflagen. geber ©inftebtige hätte ihnen 
fagen fönnen, bafe fie, fobalb unfer SahrheitSbemeiS jugelajfen mürbe, 
für eine ganj unb aav toerlorene ©ad)e fämpfen. 9facb mehreren auf? 
gehobenen ober mieoer angeorbneten Xerminen hat nun enblich baS 
Berliner Schöffengericht jüngft befcbloffeit, in ben angebotenen SBabr? 
hcitSberoeiS einjutreten, ber benn auch tooflftänbig gelang. Unter &uS= 
fcblub ber Oeffentlicbfeit mürben einzelne 9lbfcbnitte auS Serfen beS 
©ebufter & Söfflcr’jcben BerlageS (Xehmel, ©ebur, Äabelip, Sinbner) 
toerlefen, in golge beffen ber ©ericbtShof $u einem freifprechenben 
Urtheil gelangte, baS feltber recbtSfräftig geroorben ift. Xie UrtbcilS? 
begrünbung eraebtetete unfeic Ätitif („freche literarifebe 9Jlhftification 
toon Bublicum unb Äritif", „plumpe ©peculationen auf bie perberfen 
gnftincte gemiffer Büdjerfäufer", „für bie girma naebgerabe ebaratteriftifebe 
unfaubere ©peculation") für berechtigt unb nicht beleibigenb, billigte 
unS ben ©djup beS § 193 ju unb mieS bie Kläger foftenpfliebtig ab. 
Biefleid)t in golge unferer Eingriffe beftrebt ficb ber Berlag neuerbingS 
einer größeren Borficbt unb giebt nach bem Borbilb ber „©egenmart" 
Autobiographien mehr ober minber berühmter Seute, fomie eine grofee 
Anthologie ihrer lprifd)en BerlagSroerfe heraus, bie ^mar diel TOplungeneS, 
aber nid)tS Untüchtiges enthält. Sir meinen ©emmel’S „Beilen? 
febnur". Xer Herausgeber fagt in ber Borrebe, bafj er auf Boflftänbtg? 
feit feinen Anfprucb mad)e. gebenfaflS finb bie Autoren beS ©ebufter & 
Söffler’f(hen BerlageS in erfter 9teihe berüdfieptigt unb nehmen in bem 
Buche ben meiften Üiaum ein. gn biefer Beziehung ift gemife bie meiteft? 
gepenbe Boßftänbigfeit erreicht. Xie ©pmböliften (ba f te nicht bei 
©cpufter toerlegen) finb meggelaffen, nicht aber (um eine gemiffe Objectitoität 
toor^ufpiegeln) einige menige Outsiders, gum Xanfe für journaliftifche 
.danbreidjungen haben ©dufter & Söffler auch uuferen alten greunb 
gerbinanbuS AoenariuS, beit profunben Xichter ber „'D^äh-SUefe - ' unb 
Herausgeber ber „ßunftfepmarte", ju Sorte fommen laffen. ©r ift mit 
ganzen amei ©ebtepten oertreten, aber fie finb auch baitacp. Xann folgen 
Öiliencron mit 18, gatfe mit 15, ©djut mit 4, 'äWorgenftern unb Bier? 
bäum je mit 11 ©ebiepten — bie Hälfte batoon patte toießeiept Appetit 
gemacht, biefe güfle aber maept übel. Unb babei foftet baS Buch fo ein? 
fad) unb befepeiben nur 6 9teicpSmarf. Xer §auptmatabor beS ©d)ufter y fcpen 
BerlageS, Xepmel, parabirt fogar mit 20 B r °^”- ® er batoon >ntcp: 
genug pat, „greife ju ben Serfen felber", mte ber Herausgeber bringenb 
empfiehlt, ©inen folcpen ©emütpSmenfcben möchten mir als Parität 
fentten lernen, ©cbmeralid) toermifet haben mir aber baS berühmtere 
©ebiept Xepmers — mir rniffen nidpt, ob eS fein B ro P| c t ^af. 91. 9W. 
Serner in ßemberg auch fo fcpön finbet, mie aße übrigen —, bie 
belirifcpe „©mte", bie mir um ber luftigen ©(plupftroppe toon ©cpmibt? 
©abaniS mißen peitfepen moflen: 

gn biefent gabt oerlor idj einen greunb. 

Hier unter’m 9lu&baum fpraepen mir unS auS. 

XaS Saub mirb gelb; eS märtet auf ben Siitb. 
gft baS ber ©cpluf}? 

Hier unter’m 9lufebaum gab mir eine grau 
gn biefent gapr errötpenb ipre Hanb. 

©tiß mept ein Blatt unb tropft in’S melfe ©raS. 
gft baS ber ©cpluf}? 

gn biefent gapr ... Bor meine güfee fäflt 
©in buntpfer ©cplag ju Boben unb jerpla^t 
Unb auS ber Zapfet roßt bie raupe gruept. 

XaS ift ber ©cphtB. 

Xer „Ulf" fügt pinju: 

gn biefem Sieb, baS feine SReime pat, 

Beut unS baS Ungereimte boep ©enup: 

©in ©cplag gerplapt, eS tropft ein bftrreS Blatt, — 

XaS ift ber ©tu&! 

©ottfrieb Heller, ©ieben Borlefungen toon Albert Äöfter. 
(SeipAtg, B. ©. Xeubner.) XaS Hauptaugenmerf beS 9)larburger Hotb= 
jdmlprofefforS ift hier barauf gerichtet, bie SebenSbejiepungen amifepen 
bem Xid^ter unb feinen Serfen unb bie langfame, anfteigenbe ©ntmide? 
lung feiner .ffunft ^u entpüßen. Xrefflicp merben bie einzelnen Scrfe 
erläutert, bie ©paraftere ber Xicptun^en pfpcpologifch ergrünbet, ber 
fünftlerifcpe Sertp ber ©ompofition gemiirbigt. gugleicp lernt man ipn auS 
ber Xarfteßung feiner männlichen $vaft unb feines herzlichen HwntorS 
fennen unb lieben. 9Ran lernt attep ben alten $eßer toerftepen, mie 
ipn ©tauffer=Bern im Bilbe feftgepalten pat, als ben „trinfbaren" unb 
„igelborftigen" s Dtann. Xie Analpfe zuntal beS ©rünen H^ n ^ unb 
ber lepten Serfe ift reich an feinen Bemerfungen. 

Aufgaben unb giele beS 9RenfcpenlebenS. Bon g. Unolb. 
(Seipjig, B. ©. Xeubner.) Sie orbnen mir unfer Xafein, baS perfön? 
liebe unb baS öffentliche; giebt eS für bie miinbige Bctfönlicpfeit über? 
paupt feinen gmed^unb fein giel beS ©inzel? unb ©efammtlebenS? 


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Nr. 11. 


Die (Segenroart. 


175 


©iebt eS feine binbenben ©efeße nnb Regeln beS menfcplithen §anbelnS? 
Die Beantwortung biefer Srageu, worin gugleid) bie SebenSfrage ber 
mobernen ©ulturDölfer unb fomit aud) uitfereS beittfcpen BoIfeS ftedt, 
bejaht ber Berfaffer. Die ©efeße unb Bebingungen, bie gwede unb 
giele beS menfcplidieit ©ingel* unb ©efammtlebeitS auS gwei Quellen ber 
Betrachtung ablettenb, gewinnt er bie 9?atitr* unb bie ©ulturbcbingungen, 
bie notpwenbigfleit näcpfteit unb bie fernften böcpften gwede unb giele 
beS menfcplicpen (Singel- unb f^efammtbafeinS. hieraus ergeben fid) 
bann alS unabweiSHcpe Saigerungen bie einzelnen Sittengefeße. Daß 
ein Bolf mit ber Abwenbung non ben alten Autoritäten nothwenbig gu 
©ruitbe geben rnitffe, ift barüm nicht gu befürchten. Vielmehr intficpen 
im Saufe ber fortfcpreitenben ©ntwidelung neue Stüßen, bie man bei 
Seiten erfennen unb wirfiam machen muß. Dagu miß baS Dorliegenbe 
Büchlein jebem nacpbenflicpen Sefer reiche Anregung geben. 

Die Bifion im Siebte ber ©ulturgefcpicpte unb ber 
Dämon be$ SofrateS. ©ine culturgefcfjicfttUtö=pft)d)iatrifd)e Stubte 
Don Dr. Knauer, WerDenargt. (Seipgig, W. Sriebricp.) Der Berfaffer 
mag ein guter Argt unb Bfpchopatp fein, aber eS fehlt ihm piftorifcpe 
Schulung, Äritif unb «Stil r fo baß er nicht Diel mehr bietet als eine 
cpaotifche Kompilation ohne wiffenfcpaftlidjen ober auch nur unterhalten* 
ben Werth. Wir miffen lange Dor Sombrofo unb bu Brei, bah bie 
Biftonen 3)tobammeb'S ober beS SKäbcpenS Don Orleans noch peute in 
taufenb Stranfen* unb Äloftcrgellcn gefepaut werben, bie $eyen wie bie 
Bptpien waren weiter nichts alS fontnambitle Siebten; unb baS „Dai* 
monion" beS SofrateS ift Dielleicht als ©epörSpaüucination aufgufaffen. 
£>eiligfeit unb ©enie grengen angrrftnn; pfpepopatpifepe guftänbe treten 
oft epibemifch unb als göufionen ganga* 9J?enfd)enmaffen auf, baber bie 
enorme Wtrfung ber ©eifteSftörungen auf bie ©efdjichte ber Sftenfcppeit. 
Statt nun als SRebiciner bestimmte neuere ShranfpeitSbilber mit folcpen 
auS ber Borgeü gu parallelifiren, begnügt fich Knauer bamit, eine Waffe 
weift allgemein befannter „©efiepte" aus allen gahrpunberten gu er* 
gäplen uitb alS &alIucinationen ppfterifeper ober anberer ^Irt pinguftellen. 
Seine Belefenpcit ift babei größer als feine ©eleprfamfeit, befonberS bie 
grieepiftpen ©itate finb bebenflicp Doller „Drudfepler". Senn er ©oetpe’S 
Bolemif gegen ben rationalifchen Wmtbergläubigen, Nicolai nicht gu er* 
Mären Dermag, fo hätte ihm jebe ©oetpe* Biographie AuSfunft geben 
fönnen, baß eS fid) um eine alte ©egnerfepaft unb ben fontifchen Spuf 
in ber Degeler $umbolbt=Wühle panbelt. 

Die DolfSwirtpfcpaftlicpe Bebeutung beS Bürgerlichen 
©efeßbucpeS für baS Deutfcpe Dteidj. Bon Brof. Dr. Boul Oert* 
mann, (granffurt a. W., Sauerlänber.) Der Berfafier giebt gunäepft 
einen furgen Ueberblid über bie wirtpfcpaftlicpen ©runbtenbengen ber bis* 
perigen SRecpte unb weift fobann unter Befämpfung ber fogenannten 
materialiftifcpen ©eicpicptSauffaffung nach, wie bie 9tecpt§bilbung feines* 
wegS in einem einfeitigen AbhängigfeitSDerpältniß ber Wirthicpaft gegen* 
über fiepe, fonbern fie auch iprerfeitS ftänbig beeiitfluffe. AlSbann (egt 
er bie Bebeutung bar, bie bie neue ©efeßgebung gunäepft als folcpe, 
opue fRütfficpt auf ipren Subalt, für baS beutfepe WirtpfdjaftSleben haben 
werbe, um fiep fobann ben DolfSwirtpfcpaftlicpeu ©runbprincipien beS 
©efeßbucpeS guguwenben. An erfter Stelle ftept im ©efeßbuch bie Sorge 
für Sicherheit unb Seicptigfeit beS BerfeprS. Aber ipr gleichberechtigt 
finben wir barin bie gbee ber focialen gürforge, bie fiep einerfeitS er* 
fcpwerenb'unb pinbernb gegen focialgefäprlicpe ober fcpäblicpe Afte wenbet, 
anbererfeitS ben wirtpfcpaftlicp Schwaden in ihrem Berpältniß gu ben 
Stärferen in gaplreicpen Beftimmungen gu föülfe fommt. ©S folgt eine 
furge Unterfudpung über bie Stellung beS ©efepeS gu beit brei Brobuc* 
tionSfactoren Boben, Arbeit unb ©apital, Don benen ber mittlere fiep 
einer befonberen ©unft beS ©efepgeberS erfreut; enblid) eine furge lieber* 
ftept über bie eingelnen Dpeile beS ©efepbucpeS, foweit fie noep niept im 
Rrüperen bepanbelt waren; iitSbefonbere finben fid) pier Bemerfungen 
über bie focialen ©ebanfen im BereinS*, ©pe= uitb ©rbreept. Die gange 
DarfteUung ift in einer jebem ©ebilbeten Derftänblicpen Bteife gepalten. 
Wöge eine weite Berbreitung ber Scprift bagu beitragen, bie Wbficpt beS 
BerfafferS gu erfüllen: bie Dpeilnapme ber ©ebilbeten unfereS BoIfeS an 
bem groben Daterlänbifcpen 533erfe beS Bürgerlichen ©efepbucpS gu förberit 
unb beffen reale Bebeutung für baS gefammte BolfSleben ihrem Ber* 
ftänbnip näper gu bringen. 

Sprachfehler ober Spracpentwicfelung? Bon 58. SSebe* 
finb. (Berlin, BJebefinb'S Berlag.) Der Berfaffer wenbet . Ttcp gegen 
bie „grammatifepe föannegieperei" Don 3Suftmann, £>einpe unb anberer 
„Spracpretter". 3SaS Don biefett als Sprachfehler Derbammt werbe, fei 
häufig ein gefunber &eim gut weiteren Spracpentwidelung. Unfer 
Sprachgefühl müffe piftorifcp gefcpult werben, um fieper urtpeilen gu 
fönnen über: beS Bauern ober beS Bauers, beS 5lt(a$ ober beS 5lt* 
laffrS, ber 52amc ober ber tarnen, beS S-elfenS ober beS Seifen, beS 
beutfepen Wicpelö ober beS beutjepen Wicpel ic. Desgleichen um formen 
gu Derftepen wie: beS WacptS, im wege Rechtens, S^mergenSfinb, ber 
gtoeite December, beS ©runb unb BobenS, B^erfftatt unb 5Berfftätte :c. 
Den Stein beS Anftofc bilbet gegenwärtig meiftenS baS ©enetiD*S, ober 
Dielmepr baS fjortlaffen beffelben, waS ja fepon SUtmeifter ©rimm als 
tabelnSwertp gerügt pat. ©ang anbere 5lnficpten aber finben fiep etwas 
fpäter fepon in einem ©pmnafialprogramnt (Stjf, 1843), wo ber Berfaffer 
(©orpipa) fepreibt: „Wan pat freilich einen leidjten SluSmeg, alle folcpe 
formen für 9?acpläfftgfeiten gu erfläreit. ©S fragt fiep nur, ob fiep 
niept boep DieHeicpt gerabe in folgen ftaepläffigfetten ein gepeimer gug 


ber Spracpe funbtput, unb ob niept auep in früheren geiten ber Berfall 
beS gormenreicptpumS ber Spracpe jebeSmal mit folcpen ^acpläfftgfeiten 
angefangen pat. ©S ift möglich, bafj unfere Sprache noch eine ©nt* 
widelungSftufe erlangt, auf welcher fie auch bie heutigen $afuSenbungen 
aufgegeben paben wirb. Wancpe ©rfcheinungen beuten barauf pin; unb 
eS ift wenigftenS niept eittgufepen, warum, naepbem fte fo Diele ©nbungen 
aufgegeben, gerabe bie jept noch gütigen für alle geiten unabänberlicpe 
©eltung behalten fallen." Unb fo meint auch SBebefinb, bap für bic 
weitere Ausbreitung unferer Spracpe, nicht nur im AuSfanb, fonbern 
auch in unferen ©renggebieten, unfere heutige complicirte Declination 
fogar fcpäbllcp fei. „5Benn baS ©nglifepe in ber gangen 5Belt Derbreitet 
ift, bann liegt baS auep mit am einfachen Bau beffelben — eine 58clt* 
macht muh eben and) eine 5Beltfpracpe paben, bie auch Don bem bümmften 
Aftifaner unb Bolpnefter leiept erlernt werben fann. Diefer Borgüa 
feplt unferer Sprache aber noep gang unb gar. Wan rnerft ipr noep 
auf Sdiritt unb Dritt an, bah fte niept Don unten auS bem Bol! per* 
Dorgewacpfen ift, fonbern ber Düftelei ber $erren ©eleprten ipren Ur* 
fprung Derbanft. Der ©ine pat bann immer noch mehr baran herum* 
geboctert wie ber Anbere, fo bah fie heute eigentlich nur Don einer 
Meinen Winberpeit gang „richtig" gepanbpabt miro, bie bann mit afabe* 
mifcp gebilbeter $>ocpnäfigfeit perabftept auf bie grof-e Waffe aller berer, 
bie niept im Stanbe ftnb, jene grammattfepen fiunftftüdepen fehlerfrei 
nacpguapmen." SelbftDerftänblicp pläbirt biefeS Biicplein niept bafür, 
mit einemmal bie Döllicje Abfcpaffung ber ÄafuSenbuitgen gu Derlangen. 
©S will nur geigen, wte bie ©ramntatif niept als etwas UnantaftbareS 
fig- unb fertig Dom §immel gefallen ift, fonbern baß ber heutige gu* 
fianb fid) gang allmälig perangebilbet pat unb fo fiep auep wieber weiter 
entwideln mufe. „Borläufig wirb ja ber ©nbungSgopf noep luftig weiter 
baumein, unb eS wirb auch bie Scpulmeifterei ber mobernen „Sprach* 
retter" nicht fo balb aufpören, ihre grammatifepe Äannegieperei über 
Spracpbummpeiten, SpracpDerwilberung, ropeS geitungSbeutfcp :c. Aber 
Brofefforen=Deutfcp ift ja nicht immer ©ut*Deutfcp, unb fo wirb man 
auch barüber enblid) boep mal gur DageSorbnung iibergepen. 5Benn 
wir unS nur erft einmal baran gewöhnt paben, alle Weiterungen niept 
Don Domperein als „Sprachfehler" gu Derbammen, fonbern barin unter 
Umftänben auch gefunbe ßeime gu fepen gu einer weiteren „Sprach* 
entwidelung", wenn enblicp bie Scpulgrammatif fiep auf ben piftorifepen 
Stanbpunft ftellen wirb, bann fommt fcpliefelid) alles Anbere gang Don 
felbft." 

©in SSerf, baS nach Anlage, Durchführung unb 58ertp Beacptung 
Derbient, baS im Berlage Don Wittler & Sopit in Berlin perauSgegebene 
„Wörterbuch ber ppilofoppifcpen Begriffe unb AuSbrücfe", 
quellenmäßig bearbeitet Don Dr. Wubolf ©iSler ift eben Dodftänbig 
geworben. ©S macht fidp im Unterfcpiebe Don anberen äpnlicpen Werfen 
gur Aufgabe, bie mannigfachen BegriffSbefthnmungen, wie fie unS im 
©efammtgebiete ber BPüofoppie begegnen, in ipren wichtigeren Wobifi* 
cationen Dom Altertpume bis gur jüngften ©egenwart, unb gwar quellen* 
mäßig unb möglichst im Wortlaute ber Originale (begw. ihrer lieber* 
tragung in’S Deutfche) in einer gewiffen Orbnung aufgufitpren. Der 
öauptfaepe na4 ift baS Wer! alfo eine ©efepiepte ber ppilofoppifcpen 
Derminologie mit befonberer Berüdficptigung ber Begriffe, woburd) bie 
Begiepung gu ben Dpeorien ber BPÜofoppen pergeftettt wirb, opne baß 
biefe hier ben eigentlichen ©egenftanb ber Bearbeitung bilben. Der Ber* 
foffer Derpält fich in feinen Darbietungen DöHig objectiD, fein Wörterbuch 
bietet ein auSgewäplteS unb georbneteS Quellenmaterial ^ür Dergleicpenbe 
unb fritifepe Unterfucpungen bar; eS geigt, in welch' gläitgenber Weife 
ber Bearbeiter ben riefigen Stoff beperrfept. Berüdficptigt finb bie 
meiften erfenntniß*tpeoretifcpen, metapppfifepen, logifepen, pftjcpologifcpen, 
etpifepen, äftpetifepen Begriffe unb Dermini, wie fie in ber antifen, 
fcpolaftifcpen, neueren unb neueften in ©ebrauch fantett. 

Bei jebem ber bargefteöten Begriffe ift auf bie ipm Dermanbten Dermiefeit 
worben. ©S fann niept feplen, baß ein folcpeS Buch gu einem $anb* 
buep, gu einem Sammelpunfte beS gntereffeS für Seben wirb, ber ßcp 
feiner bebient, baß fein Befiper neue Beiagftellen auS feinen eigenen 
Stubien, feiner Seetüre barin Dermerft, ben Dert burep feine eigenen 
Wahrnehmungen, feine Sefefrücpte unb Stubienergebniffe bereichert unb 
erweitert. ©S bilbet fomit ein auSgegeicpneteS ©ülfSmittel für ppilofo* 
ppifepe Stubien unb wirb ben BW^ ü P^ e Stubirenben unb Allen, bie 
fid) ernftpaft als gorf^er unb ©eleprte mit ber Wiffenfcpaft unb iprer 
©efepiepte befepäftigen, als .§anb* unb ^ülfSbucp für bie Orientirung, 
als ftunbftätte für bie SUeratur unb als näcpfter Hinweis auf bie am 
meiften eparafteriftifepen AuSfprücpe ber Autoren wefentlicpe Dienftc 
leiften. Aber auep weiteren Greifen wirb baS „©iSler'fdje Wörterbud)", 
ba ftd) in ber gebilbeten Umgangs* unb Scpriftfpradje ppilofoppifepe 
Dermini in Wtenge finben, ohne baß bie jeweilige Bebeutung boep eine 
einbeutige wäre, Don popem Wertpe unb gntereffe fein; fo wirb eS felbft 
für UnterricptSgwede bem B&Üologen wie bem Bfatpematifer ober Watur 
wiffenfcpaftler als Wacpfcplagebu^ Diel Wußcn bieten. 


£ y 


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176 


Sie ftegentoart. 


Nr. 11. 


Jlttgeigen. 

Btt Bt&eHungtn berofe man Jhtj auf Mt 
„(Begemnarf“. 

8 l(ab. ae 6 . St^riftfltHer, bi§Ij. pu 6 ticift. 
(Itter. Ärittt) tn Sterltn ttjätig, eiterg. geroiffen* 
gafte Srbeitäfraft, borg, ©pradjfenntniffe (fron* 
göfifdj, englifä), fetfeWe* *«»§?«*>&, 
SR<if<f|iMttf 4 >«eibtr (ftatmnonb), (ucfjt nnt. 
6 efA. ttnftnr. tn fflebattion, tbeaterfefretariat, 
»erl.=*ncbt)blfl., Itterar. Snfttt. k. ©teftung. 
Cffert. an b. Sjp. b. ©egenroart unt. A. (J. 

3 m SSerlage Don 3 mt>erg u. Ceffon in 
Berlin ift erfdjlenen: 

Set Sotff^ttlje. 

Komöfcte in oier Elften 

DOtt 

Staxl »Uft* 

Sßrci«: elegant Brofdjtrt 2 Wf. 

3 $on bemfelBen SBerfaf Jer ftitb erfdjienen: 
Bratnatifche Qumoresfen (Berlin, Qmberg 
u. Seffoit), brofd). 2 Wf. 3 nWt: Wein 
Wann fd^reibt Dragöbien. — 3 Bet ift bet 
$en*ätber. — ^ubllfud unb feine $ern>anbten, 
£ifiortcosSfontöbie. 

5 er 3 ntenbant in taufenb Kothen. 

$offe (Berlin, 3 . Ä. ©targarbt), Brofd). 2 Wf. 
(Romorrha’s (Enbe. Sitterarifcbe flomöbie 
(Berlin, 3- XL. ©targarbt), brofeb. 1,50 Wf. 
(Ein toller Cag. Sitterarifdje *ßoffe (Berlin, 
3- XL. ©targarbt), brofeb. 2 Wf. 

Kuno 3 weitaufettb. $offe (Stuttgart, Union 
Deutfdje 3 $erlag 8 gefeHfd)aft), Brofd). 2 Wf. 
5 er £ürft von Haiatea. $offe (Stuttgart, 
Union Deutfcfte SBerlagSgefeflfdjaft), brofeb- 
2 Wf. 

Die Dorftebenben BUh'fdjcn ^utnoreSfen 
bilben einen roefentlieben fjortf^ritt in ber 
(Sntroirftung ber, beutfeben ßomöbie, iitbem fte 
in getoanbtefter ©pradje bie öielfaeben fomifeben 
Wotioe, nielebe unfte 3 cit auf Iitterarifcbem, 
focialent unb bolitifdjem ©ebiete barbietet, 
glüeflieb Derroertljen. 

f — TkiriiclfihM —v 

Technikum JlmenaaKi 

fit luüliii- «■! Ikitn- 
IhyMliT i, -THhttir i.-VirknilitM 
Dlrector Jentxen. ■■■IH 


pj [Q£} \Q£» iQfl) lQ£)j {Q&J l Q£) ’yQS» iQ£.' iSpj i§l 


. Sunbert Original* ©uta<hten 

»• Sreunb u. §etnb: ©jörttfon 
D1ÜIU UL IR etanbel ©firner driipi ©ahn 

Daubet Sgibb Üoniane ®rotb 
fcaecfel $artntanit $e$fe Sor* 
» m ban Styling ßeoncapallo Sin» 

bau fiombrofo SRefchtfäerMi 
t SHgta Vorbau OUiöiet fetten» 

***lvt» fofer (gaitsburt) ©ienfietolci 

©ttnoit Spencer ©pietyagen 

feitet fteitieviffe« ® tanle ^ ® toerfer ©trtnb&erg 

llllll OnigiRlffCl. Suttner ©tlbenbru$ ©enter 

Bola u. b. St. 

Steg. gef). 2 3 Rf. tont Vtt !#$ bev ««gmwavf, 
»ertin W. 57 . 


„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“ 

Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheiteersoheinnngen. 
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürliebem Mineralwasser hergestellt und dadurch 
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre 
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von # / 4 1 75 PC. in 
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr« Carbach 4 b Cie« 


$afrn, Dr. g» v pit ujirtscbaft der gjtlf am Sm- 
gawge des XIX. jabrbHBdcrts. "S; 

ciniaictt pofUipcn forfcblägcn. Ccy.-S®. brofeb. 5 211. 50 pf.; 
feitt itt Cctttwanb geb. 7 2TT. 

.... „ 3 ebe § eile bes Derfaffers befunbet itjren Urfprung aus lebenbiger, bem ljanbelnben Cebeit juge* 
tuanbter Cmpfinbang unb aus bem ß<u?en Drange, ber ITlenfdrheit burd? bie 7 tufu>eifung bes redeten »irrfdjaftlidjtn 
IDeges praftifdjeu Hufeen 3U fd^affen. Die giele bes üerfaffers befdjrinfen fidj nicht auf bie Cagespolitif ober 
oereinselte ITlafnafjmen, f ie finb oielme^r umfaffenbiier Mrt unb toollen ber gefamten gnfnnfts» 

enttoidlung bes DTenlcbengeicblecbts bie Babn toeifen. Daf ein berartiges Buch bas Jntereffe 

Der tuetreften Kreife ju feffeln tmjtanbe til, liegt auf ber $anb; es ift feine ©elctjrtenfdjrift, fonbern fflr 
bie <Sefctmtf)eit ber ©ebilbeten benimmt. Der Perfaffer f)at fdjou manche tuertDoOe ©oben bargebotta 
unb cielfach neuen Ieitenben 3öten Bahn gebrochen, fo ba$ man auch oon bem uorliegenbem CDerfe hochgefpanntt 
©rcoartungen fjegen barf. Durch bie Ceftflre aber tnirb bie Berechtigung folcher ©rmartungen/ ruie mir uns 3uver> 
gchtlich ja behaupten geirauen, äuget allen gtoetfel gefegt. “ ß. p. 

5 orfic^^cn^c 71 it&fiil>run$cn aus hefattttier, berufener $ebcr, ebaraf- 
tcrificrcn ircffUdj 5 cn 3 rt^alt ^es tPcrfcs entheben uns ichcr (Empfehlung. 

3 u beziehen burch aUc 5 ttchh^tt^J u wgeu uttfc bei vorheriger (Einfenbnng hc* 
Betrags portofrei von (Earl tPinter’s ItniverfitdtsbuchhünMung in Qeibelberg. 


2 )ie ©cgenttmrt 1872 - 1892 . 

Itm nufer £ager jn räumen, bieten mir nuferen Abonnenten eine gängige 
Gelegenheit jnr ©eröoUftänbignng ber GoQection. So meit ber Sorrath reicht, 
liefern mir bie ^a^rgänge 1872—1892 & 6 SW. (Patt 18 St.), $albja9rf> 
Sänbe k 3 9)1. (patt 9 20?.). Gebnnbene 3al>rgänge k 8 SR. 

©erlag ber ©egeutoart in ©erlitt W, 57. 





Pas peid^tten itad^ #pps 

nnb 

anbere ^mtflfragett. 

Original *®utacf)ten Don Zlb. Btenfelt Hein- 
holb Begas, Bödlin, U. v. tBerner, 
Knaus, H§be 9 Stuc!, 3oh* Schilling, 
Schaper, v. (Rebharbt, ^erb. Keller, 
5efregger, Gabriel Btag, tZhoma. 
Clebermann, t5iih«Bufch, Jitger, <5raf 
ffarra^, Blag Krufe, Knlüe, Ceffer* 
Ury, 5oepler, Oed^t, Kuehl, Cechter, 
3ügel, parlagh^ Btacfenfen, Sfarbina, 
Ceiftitotv, (Raulle, plinle, Stahl« 

?freis btefer brei Mnßttt^ummtn ber 
„degeuwart^ 1 3 *. 50 3 ff. 

^tudh birect Don un8 gu Begieren naef) 93rief- 
marfens@infenbung. 

Berlag ber (Regenmart, Berlin W. 57. 


§!«««*« padifilgtt. 

Slontatt 

Don 

^oCCirtg. 

•V UoUfanfgabe. "MS 

?ireiS 8 Warf, ©d^ön gebunben 4 Warf. 

Dtefer Stgmard=GabriDis 9 ionian, ber in 
wenigen Sauren fünf ftarfe Auflagen erlebt, 
erfdjetnt Biet in einer um bie Hälfte billigeren 
SSolfSauSgabe. 

DurcB alle 33 ncBBanbIungen ober gegen (Eins 
fenbung be 8 33 etrag 8 poftfreie gufenbung Dom 

Uerlag 4er Gegenwart, 

Söerltn W. 57 . 




Bestellungen auf die 

©inbanbbeefe 


zum 56. Bande der „Gegenwart“, sowie 

zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwei Bände 
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und vergoldeter 
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden in allen 
Buchhandlungen entgegengenommen. 



©eranttDortltd&er fflebacteur: Dr. ßoHtng tit ©erlitt. 


»ebaetton uttb Cjb«bttton: ©erlitt W., aÄanftetnftrafee 7. 


©rud Port $efte A ©erfer in 


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M 12 . 


^äerCin, ben 24. 1900. 


29. Jahrgang. 
Band 57. 


pe d^emmtü ’■ 

SBothenfdjrift für Siteratur, funft unb öffentliches gehen. 


/. /. 


^A 


I 


^erausflegeßen öon ‘gQeopQtf ^offfttß. 


Ittoi Srnnttfraii nfHetnt du ynauc. % tü bet ® (ßentBfttt tn Berlin w , 57 . WflW * *»lf- «» 1««"« 60 |f. 

8u bc$te$en burth alle ©udb^anbtwngeit unb $ojHlmtet. ö ° ^nferate jeher Ärt £to 8 gehaltene ^etttjette 80 


gtthaß: 


$er AuSfteflungSfdjroiitbel. Son Otto greiljerrn toott 33oenigf ($alberftabt). — $)ie ^fodjologte tn ber fodafen gorfdnmg. 
Sou $arl SHoefcel. — ßttcratlir mtb ftuttft. Aubrei) ©earbSlet), ber Stfaler ber ©ünbe. $on SRubolf $lein (Berlin). — 
©djleietmadjer unb bie moberne 9Rettgion. SBon §einrtd) 9ftet)er=$enfet). — fteutlletou. itebereilung. $oit Dioobty QoneS. 
— fiuö Der $öttj)tftabt. Unfere liebe grau bon Sfltlo. 9Son Caliban. — 2)ramatifdje Aufführungen. — Anzeigen. 


Der ^IttBfleUuttgdfibtotttbel. 

3)on Otto Jreitterrn oon Boentgf (£>a(6erftabl). 

@$ Jctjeint in §attbe(S= unb Snbuftriefreifen eine ge« 
toiffe ©nigfeit in ber SBeurtfjeifung beS UnfauterfeitSgefe^eS 
öoit 1896 ju begehen: man hält biefen erften Schritt auf 
bem feljr fajwer ju bearbeitenben ©ebiete als einen glüdlid)en 
unb erfolgreichen, unb auch ber gernfteljenbe trirb jugeben 
muffen, baß im ©roßen unb ©anjen bie ©eclame jwar nicht 
in ©ejug auf bie Quantität wohl aber in Sejug auf bie 
Dualität feit ©faß jenes ©efeßeS ein immerhin anbereö 
©eficht angenommen hot. ®iefe ©fdjeinung toirb gewiß oon 
allen SBohlmeittenben als erfreulich aufgefaßt werben, unb fie 
mag unS bie ©runblage toeiteren SorgefienS gegen bie Un* 
lauterfeit int gewerblichen geben bieten unb bie Hoffnung, 
baß ber befchrittene SBeg auch mit gutem ©folge weiter Oer» 
folgt werben fann. SBorauf ich heute ßie Aufmerffamfeit 
ticßten möchte, baS ift aber nicht bie Unlauterfeit, welche bie 
Annoncen ber SCageSpreffe unb bie ©reiSliften unb Sdjau* 
fenfter bor 9111er Augen führen, nicht baS betriigerifche ©ebahren, 
baS beim ftrahlenben Sicht ber elefttifchen ©irnen weithin 
fichtbar erfcheint. ©ielntehr will idh bie ©liefe lenfen ju 
einem auS bem ©oben ber mobernen gewerblichen ©ntwicfelitng 
emporfeimenben ©flänjlein, baS im ©erborgenen „blüht": 
ih meine ben AuSfteHungSfchwinbel. 

Sch f»»M feineSwegS ein geinb ber Ausheilungen unb 
Weiß bie ©ebeutung berfelben aus meinem ©erufSleben als 
©hnbicuS einer fjanbelsfammer w°£)t 8 l * fräßen. (SS liegt 
mir alfo fern, baS Sinb mit bem ©abe auSfchütten ju 
Wollen. ®ie ©erliner große AuSfteUung, bie norbifdje AuS» 
ftellung in Sübed unb bie fächfifdHhüriugifche in Seipjig 
haben baju beigetragen, ben Sßerth foldjer ©eranftaltungen 
recht heroortreten ju taffen. 316er leiber fcf)ießen in ®eutfch= 
lanb fortgefefct Aufteilungen wie ©ilje aus ber (Srbe, betten 
man wenig mehr als ihren fchönen ©amen nachrühmen fann. 

ift naturgemäß fehr fdjwer, bie güHe ber oorljanbenen 
©cifpiele ber ©reffe anjuüertrauen, weil gar ju (eicht eine 
fatale Schabenerfah=Slage auf bem guße folgen würbe, aber 
SinigeS fann man hoch gefahrlos oerrathen. 

©or jWei Saßren würbe unter ©attfett unb trompeten oott 
einem Wohl lebiglich irr ber ©h an t a f* e beS „gefd)äftSführenben 
5)ircctorS" ejiftierenbeit „internationalen 9(itSftellungS=©er= 
banbe" eine „allgemeine Snbuftrie» unb ©ewerbe=9tuSftctlung 
international)" angefünbigt, unb jWar nicht etwa in einer 


btefer ftoljen ©ejeichnung entfprechenben ©roßftabt, fonbern 
in einer fleineren, nach jener @ßre nicht geijenben Stabt am 
$ar^, beren wohlwoQenber Wagiftrat fo untiorfichtig getoefen 
War, einen ^ßla^ für bie ©eranftaltung beS Unternehmens jur 
foftenfreien ©erfügung ju ftellen. Sn ben 91nfüttbigttngen 
beging ber S)irector eine 9Reit>e Oott geographifchen unb 
ftatiftifchen — ©erfehen, bie aber naturgemäß ben entfernter 
wohnenbett Sntereffenten nicht aufgefallen fein mögen. Sn 
ber SluSfteüungSftabt mietete ber ®irector einen Sahen auf 
bet belebteften Straße unb betrieb Oon ba aus feine ©efdjäfte, 
benett er burd) 3 ltr fd)auftetlung einer ißatentbabchofe unb 
einer irgenbwie merfwürbigen Spirituslampe (!) baS erfotberlidje 
©elief ju geben fucfjte. ®a aber ju folcher ©eranftaltung 
©elb gehört unb ber S)irector baöon feines befaß, fo ging er 
unter bie Sllchhmiften unb rnadjte fid) einfach welches, inbem ' 
er „9lntheile" ber 91uSftetlung ä 10 9Kf. mit einer 91n* 
jahlung oon 50°/ 0 oertrieb unb ben glfidlidjen Srwerbern 
biefer Sffecten golbette Serge fieberen (SrtrageS oerfprach. 
©iele mögen auf ben Seitn gegangen fein, fchließlidh aber 
nach einigen SSodjen waren bie leichtgläubigen Streife über» 
fättigt, fobaß ber arme ®irector, um leben ju fönnen, jum 
(SautionSfchwinbel feine 3 u fl uc ht nahm unb bie ganje §errlich= 
feit ein (Silbe mit Schteden nahm. — SBohl Wußten ober 
ahnten 2J?anche ben wahren Stanb ber ®inge, wie aber foHte 
man bem hoch offenbar ättßerft gemeinfäjäbltch witfenben 
Treiben ju Seibe gehen, ohne fetbft feine §aut ju SDiarft ju 
tragen? ®ie ©eranftaltung Oon SluSfteHungen ift an fid) 
nicht üerboten, ber SDiagiftrat hotte burch Ueberlaffung beS 
©elänbeS, wie gernfteljenbe glauben fonnten, fein ijsiacet er= 
theilt, ber ©ertrieb oon Slntheilen pr (Srmöglichung beS 
Unternehmens war auch S u foffett, atnb bie officieKen 
©efunbungen ber ®irection fteUten bie ©etheiligung ber 
Snbuftrie als eine über ©warten günftige bar. Schließlich 
brachte bie juftänbige £>anbelSfammer ben Stein baburch in’S 
©oQen, baß fie (Siufidjt in bie Sifte ber SluSfteller erbat 
unb als ihr biefe (Sinfidjt oerweigert würbe, in ber ©reffe 
Oeröffentlichen ließ, baß fie bem Unternehmen fern ftehe 
unb bejügltche SluSfünfte nicht erteilen fönne. ©arnalS war 
aber nicht mehr oiel ju retten. SUfan war alfo biefer offenbaren 
Ausbeutung gegenüber eigentlich machtlos. 

Straffer noch tritt ber SDfißftanb in einem anberen gälte, 
ober Dielmehr in einer ©eihe jufammengehöriger gälte heroor, 
bie beutlich erweifen, baß einjefne ©erfonen gerabeju gewerbS* 
mäßig AuSfteUungen unb 3 War natürlich nieift ©jinfelauS« 




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178 


Hie (Segenwurt. 


Nr. 12. 


ftettungen üeranftatten, oßne baß ein anbereS ©ebürfniß für 
bie meiften biefer ©eranftaltungen, bie in ber gacßpteffe meßr* 
fad) richtig als Saßtmärfte begeicßnet worben ftnb, üortag, ats 
bog beS ©irectionöportemonnaig. Sn ben lebten Sauren ßat 
ein unb biefelbe ißerfon eine gange fReiße üon SluSftettungen 
in ben üerfeßiebenften feilen ©eutfeßtanbs üeranftaltet unb 

gwar ein-Kod). ©iefe AuSfteltungen, bei benen ein* 

geßenbe gebruefte unb mit bieten Annoncen ber StuSftelter (!) 
»erfeßene AuSfteflungScataloge gur. StuSgabc getaugten, finb 
mit SRecßt angegriffen unb atg baS Sntereffe beg foliben 
§anbetg unb ber großen, woßlfunbirten AugftettungSunter* 
nc^mungen gefäßrbenb begeidjnet worben. Seiber finben fieß 
aud) bei fotzen ©WinfetauSftelt ungen immer gefettfcßaftlid) 
angefeßene SKänner, Welche fieß gum ©intritt in ein „©ßren* 
Gomite" ober bergt, bewegen taffen, oßne gu wiffen, wie Wenig 
fie bamit ber Station bienen unb wie fie nur bie ©afeßen 
beg ©irectorg füllen Reifen fotlen. ©Wie in ©Wirfticßfeit bie 
©inge liegen, ergiebt fieß aber aug ber 3ufammenfeßung beg 
„©orftanbeg". ©ei einet im »origen Satire üeranftalteten 
„ÜRaßrungSmittelauSfteHung" beg üietgewanbten Kod)*KünftlerS 
beftanb bet ©orftanb aug einem ©ertreter einer ©Weinfirma, 
gwei ©aftwirtßen, einem gleifcßer* unb einem SSäcfcrmeiftcr, 
bei einer anberen SRaßrungSmittetauSfteHung aug einem ©au* 
meifter, einem Kocß, einem SReftaurateur unb einem Defonom. 
Unb bag üertßeitt golbene ÜRebaillen, fogar mit bem ©itbniß 
eineg eßrwürbigen unb allbetiebten Königs! ©aS witt ein 
Urzeit abgeben tönnen übet bie Seiftungen auf bem ©ebiete 
berüerfeßiebenftenSnbuftrien! ©enn jene „gacß"*SluSfteIIungen 
befeßränten fid) teinegwegg auf Grgeugniffe ber Kocßtunft, 
ßaben üietmeßr aud) beifpietSWeife gaßrräber, ©agmotore, ge* 
ntatte ©d)ilber, ^otjwotte, SRufitwerfe, garben angenommen 
unb (gum ©ßeit wenigfteng) aueß mit gotbenen ÜJtebaiHen 
prämiirt. 

©oeß genug ber ©etaitS, bie id) nocß erßeblicß üermeßten 
tönnte. ©ie beiben angeführten gälte genügen »ottftänbig, 
um gu geigen, wie ber unlautere ©Wettbewerb auf bem ©ebiete 
ber „witben" AuSfteltungen feine 3 lI f)ucßt gefuc£)t unb ge* 
funben ßat, ohne baß eg möglich ift *ß m an ber tpanb ber 
befteßenben ©efefce wirtfam entgegengutreten. ©S ift nicht 
leidet, immer fofort bie ©preu üon bem ©Weigen gu fonbern 
unb ohne ©Weiteres über bie üietüerfprechenben unb bie Stamen 
allgemein gu aeßtenber Sftänner entßaltenben ißrofpecte gut 
©ageSorbnuug übergugehen. „®ie SluSftetlung", bag Organ 
beg ©erbanbeg jDeutfcfjer SluSfteHer giebt gwar atg Unter* 
fcheibungSmerfmal bag ©orßanbenfein ober geßten eineg 
ArbeitSauSfcßuffeS an unb Weift mit Stecht barauf hin, baff 
bie „©irectoren" witber SluSftettungen einen SlrbeitSauSfcßuß, 
ba biefer ihm bag ©cfcßäft üerberben würbe, nicht bulben tönnen 
— allein aug ben fßrofpecten :c. lägt fid) nicht immer er* 
fehen, ob ber bort namhaft gemachte ArbeitSauSfcßuß (Gomite 
ober bergt.) nur eine ©ecoration, eine gotie beg ©irectorS 
barftettt ober tßatfädßticß „atg jene finangielt unparteiifche 
©teile angufehen ift, welche nur auf bag moralifeße ©etingen 
unb ©rgebniß ber AuSftellung bebacht ift, welche nicht ben 
alleinigen ©rfotg in einet mögttcßft großen ©innaßme erbtieft, 
fonbern üietmehr bie miffenfdjaftlicßen, üotfgbitbtichen ober 
fouftigen ibeetten ßwede, gemeinnüßige giete im Auge behält." 

©Wie wirb benn nun aber bet jenen SluSftetlungen bag 
©elb „üerbient"? ©Wenn fich aud) manche SnbuftrieHen ohne 
genauere Kenntniß ber ©aeßtage unb fogar in üölliger ©er* 
Fennung ber ©ßatfaeßen gufätlig atg Slugfteller betheiligen, fo 
ift ber beutfeße Kaufmann bocß bureß übte ©rfaßrungen im 
Allgemeinen gu üorfidßtig geworben, um in größerer 3 a ßt feine 
©etßeitigung oßne ©Seitereg gugufagen. ©tanken ber Augftetter 
wirb atfo bie eigentliche ©itutation bei folcßen AuSftetlungen 
woßt befannt fein, aber eben gerabe beßßatb beseitigen fie fieß. 
©aS geßt fcßoit aug ber ©ßatfaeße ßerüor, baß auf berartigen 
©WintetauSftetlungen biefetben girmen wiebet unb wieber üer* 
treten finb. ©ebenft man nun, baß bie fraglichen ©er* 


anftattungen nur wenige ‘Jage bauern, einen üerßättnißmäjjig 
bod) reeßt geringen, an einen Snßrmarft erinnernben Umfang 
aufweifen, unb nur üon äußerft wenigen ffWerfonen befußtijt 
werben, fo fragt man fiel) gunädjft, wiefo ber Unterneßma 
auf feine Kofteu fommt unb wiefo bie AuSfteller meinen, 
bureß ißre ©etßeitigung ißrem ©efcßäftgbetriebe bientkt) gu fein. 

Sitte ©cßtkße finb freilich auc ß mir ttießt befannt, wette 
ben ©irector naeß ber ©otbaber füßren, aber iminerßin laßen 
fid) einige feftftetten. Die Seitung einer „gacßaugftetlung für 
^änbter unb ©jporteure" üerfenbete g. ©. folgenbe ©intabung 
gur ©etßeitigung: „5)a wir erfaßren, baß ©ie ein guteg ©räu 
brauen, fragen mir ßöftieß an, ob ©ie fict| bei ber ©peciat* 
©oncurreng üon ©iereit, wo ©ie nur bog fteinfte Quantum 
ßergufenben ßaben, betßeiligen wollen. ®ie Koften incL 
©rämiirung betragen 150 2J?. unb wirb Sßnen Woßt fießer 
bie gotbene SWebaiHe guerfannt, ba ©ie ein guteg ©ier brauen 
fotlen- ©ie ©eneratüertretung". 

©ie SlugfteQungen üerbäcßtiger Art fpeculiren, wie bie4 
©eifpret geigt, auf bie SÄebaittenfucßt üon Seuten, benen foteße 
Stuggeicßuungen überhaupt nicht ober bod) nicht fo bequem 
unb fießer gugänglicß finb. ®ag ift aber bei Seibe fein 
SWebaiHenfauf! ©g geßt naeß außen ßin AUeg orbnunql-- 
mäßig gu, Wie bei jeber großen SluöfteOung unb bie urtßeUi* 
tofe üJ?enge fann feinen Unterfcßieb maeßen gmifeßen einer 
gotbenen ©febaitte, bie in eßrlicßem ©Wettbewerb ber Sntß 
großer ©jßibitionö abgerungeit ift unb einer, bie ein tod) 
in feiner ©igeufchaft atg ©irector einer gacßaugftetlung üer* 
ließen ßat. ©olbene ©c'cbaitle ift golbene Webaitle, gteießgittig, 
woßer fie fommt. Unb wenn bie tfWreigliften unb ©riefbogen 
einer girrna mit ©licßeg üon gotbenen 2M>aiüen übertaben 
finb, fo Würben ©Wenige in ber Sage fein, einen richtigen 
©Wertßmeffer angutegen unb Woßt bie ©reiften Werben jene 8b= 
bitbungen atg einen feßtagenben ©eweig ber ©ertrauenä* 
Würbigfeit ber fo häufig auggegeießneten girma aufneßmen. 
gür biefc ßaben atfo bie fragwürdigen gotbenen SWebaiH« 
eine nießt unbeträcßttkße ©ebeutung. ©ie finb fonaeß bereit, 
beßufg ißrer ©rtangung gewiffe Opfer gu bringen, wenn fit 
nur in einer bag moralifcße ©ctbftbewußtfem feßonenben gone 
»erlangt unb gegeben werben. S?un finben fieß befanntiieß 
leicht ©Wege, wenn man ernfttieß feinem 3«fe naeßftrebt, unb 
gewanbte SlugfteHunggbirectoren ebnen foteße ©Wege auf bag 
Siebcngwürbigfte. ©fan fenbet feine AugfteQunggobjecte ein, 
gaßlt bem Unternehmer 1) für bie ©eforgung ber Stuf* 
fteüung unb Stufficßt, fowie Sleinßattung — 2) für ben 
quabratmeterweife berechneten fßtaß — 3) für bie in ben 
■?IuSfteQungS*Gatafog aufguneßmenben Annoncen — unb 
4) für bie SfuSßänbigung ber üttebaitten feine „tarifmäßige 
©ebiißt". gür bie ißrämiirung atg foteße wirb atfo nicht« 
berechnet uub ber gute ©Sein ift gewaßrt, bag ©ewiffen ift 
berußigt, ber ©irector mit bem „©rfolge" feineg Unternehmend 
gufrieben. 

©oteße 3 u f^nbe bürfen ni^t länger gebufbet weriien. 
@g bemäßrt fid) in ber Untauterfeit bag ©priSwort, baß 
man bie fteinen ©iebe, bie in Kräßwintet einen bäum« 
Wollenen Stod für einen wollenen auggegeben ßaben, ßängt, 
unb bie großen ©iebe, bie unter bem ©edmantet üerbienft* 
»oller ©ßätigfeit bie Allgemeinheit betrügen, taufen unb ißt 
§anbmerf rußig weiter treiben läßt, ©ie ©ewerbeorbnnng 
ftcQt in ben §§ 29 u. ff. einige Arten gewerblicher Sßätig* 
feit gufammen, beten ©igenart ein erßößteg öffentliche« 
Sntereffe bebingt, g. ©. bag ©ewerbe ber ^»ufbef^tag«, 
Sootfen, ©cßaufpietunterneßmer, ÜWfanbteißer, ©qngleßrer, 
©rogenßänbter. ©iefen ©etrieben ift meßr ober weniger bie 
grunbfäßtieße ©eWerbefreißeit befSränft, weit eben bie Gefaßt 
mißbräuchlicher uub aUgemeingefäßrticßet Ausübung üortiegt. 
Sft baS nießt in erßößtem ©?aße bei ben AuSfteflwmd' 
Unternehmungen ber gaU? ©ie fotibe Kaufmannfcßaft, ®ie 
fiS nießt ßat fdjröpfen taffen, wirb bureß bie fo ßäufig u»b 
pracßtüotl becorirte ©oncurreng entfSieben gefcßäbigt, bet 


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Nr. 12. 


Dir Gegenwart. 


179 


beutfdje Name im SluStanbe unter Umftänben biScrebitirt, 
baS ganje laienhafte publicum in wirffamfter SEBeife getäufcht, 
®S wirb fiel) alfo empfehlen, baS SluSfteDungSgeWerbe jenen 
Paragraphen ber ©ewerbeorbnung einjuberleiben. 

®ie beutfehen HanbelSfammern »erben fiel) in golge ber 
Snitiatioe ber HanbelSfammer ju ^alberftabt bemnächft mit 
biefer grage 3 U befdjäftigen haben, eS mirb alfo hoffentlich 
balb jenen Snbuftrierittern ein wirffameS „Quos ego“ gu» 
gerufen »erben. 


Die JJft|d)olo0te in her focialen lorfdjnng. 

5Bon Karl Hoetjel. 

@S gilt für eine unumftöfelid)e Slhatfache, bafe im ©laffen» 
lampfe baS Wirthfd)aftlicfee Sntereffe baS einzig beftimmenbe 
Moment fei. Nachgerabe feheint eS inbeffen an ber 3eit, bie 
©treitajt moberner Kritif auch einmal an biefen unmobern 
geworbenen ©tunbpfeiler anjulegen. ©inb benit bie »irtf)= 
fchaftlich ©treitenben wirtlich fo baar aller Snbioibualität, 
bafe fie fich einfach 'nie 3 a ^ en betrachten laffen ober »ie 
bie einjelnen ©lemente einer einzigen eleftrifchen Batterie? 
Slngenommen felbft, bafe fie in ihrer ©efammtheit einen 
einheitlichen ©harafter tragen, läfet fich berfelbe »ie bie 
Söfnng eineä StedjenejempetS beftimmen nach ber einen 
gormel: SEBirthfcfjaftlichcS Sntereffe? ®aS hiefee bie Wenfcfeen 
in ihrer ©efammtheit ju hoch einfehäfeen unb ju niebrig. 
3u hoch infofern, als nur ©injelne, nie aber bie Waffe, fo 
fing unb jielbewufet finb, bafe fie »irflich i n Slöent nur ihr 
perfönlichfteS, »enn auch te in materielles, Sntereffe im Singe 
haben. 3 U niebrig aber, »eil boch auch nur SEBenige fo falt 
unb fleintich finb, bafe ihren materiellen Sntereffen gegenüber 
alle Nufe beS ©eifteS unb ber ©eele ungeljört oerhaffen. 

Ulein! ©ben fo ge»ife wie bie Hanblungcn eines jeben 
einzelnen SitbioibuumS unabläffig begleitet unb in lefcter 
Snftanj mitbeftimmt »erben toon Stimmungen unb ©efüfefen, 
fo fpielen auch im ßeben ber StWaffe, alfo auch i m Staffen» 
fampfe, biefe Smponberabilien eine grofee, nodh oiet 511 wenig 
geroürbigte Stolle. ®arum braucht man auch nicht aüju 
fehr erftaunt ju fein, bafe in fo oieten gäHen gerabe baS 
©egentheil bon bem eingetroffen ift, »aS grofee Social» 
Propheten borauSfagten. ©ie hoben eben bielfach ben grofeen 
^Rechenfehler begangen, bie Waffe als einen auS gleichartigen 
Kraftelementen beftefjenben, einfeitig wirfenbeit WedjaniSmuS 
ju betrauten unb böHig ju überfein bie Pfpdje, bie in bet 
Verborgenheit wirfenbe, allmächtige 3 °uberin. Unftreitig ift 
ja baS Seelenleben ber um ihre ©jiftenj Kämpfenben mehr 
ober minber bebingt burdf ihre »irthfc^aftlictje Sage. (SS ift 
unb bleibt baher bie Hauptaufgabe ber ©ocialwiffenfchaft, 
birecten phhfif<h en Wangel unter ber arbeitsfähigen unb 
'Willigen Waffe mefer unb mehr unmöglich 3 U wachen unb 
möglichfte Hebung beS allgemeinen SEBohlftanbeS anjuftreben. 
Slber nehmen »ir felbft an, bafe wir hiermit wirtlich bie 
lejjte Urfadje ber franfen SBolfSfeele fennen, genügt eS bann, 
einfeitig bie lefete rabicale Heüung im Sluge gu behalten? 
Sft eS nicht eine ebenfo grofee Pflicht, bie augenb tief liehen 
©pmptome eingehenb ju ftubiren, um bie Wöglidjfcit ju er» 
langen, ben jebenfallS djronifchen KranfheitSjuftanb erträglich 
ju geftalten? ©anj gewife; man hot bieS auch längft ein« 
gefehen, »ie j. SB. bem Stufe ber SBolfSfeele nach 9fntheil= 
nähme an Kunft unb SEBiffenfchaft mit Dieter opferwilliger 
(Snergie begegnet Wirb burch bie moberne grofee Bewegung 
für Popularifirung oon Kunft unb SEBiffenfchaft. Nun fegt 
aber gerabe biefe Popularifirung eine burdjbtingenbe Kenntnife 
ber SBolfSfeele OorauS, unb bafe eS baran in fo bebauerlidjem 
ÜRaafee fehlt, beweift baS fo häufige Wifelingen oft ber beft» 
gemeinten bieSbegüglicpen Snftitutionen. ©0 bitter rächt fi<h 


auf Stritt unb ®ritt bie Unfenntnife unb Nichtbeachtung 
ber SBolfSpfhdje. H°^ e 3 e *t W baher, bafe gleidh fo 
oieten anberen ®iSciplinen auch unfere fo hoch entwicfelte 
Pfpchologie enblich einmal in ben ®ienft ber grofeen focialen 
©ac£)e tritt, beit ©taffenfampf mit ihren gorfefeungen be» 
gleitet, bie in ihm »irffamen Smponberabilien üon ©tim» 
mungen unb ©efühlen aufbeeft unb analpfirt unb ben SBeg 
Weift, bitrch Weife SBerüdficfetigung berfelben bem SEBirtljfchaftS» 
fampfe bie unlogifdje, unnüpe unb unferer heutigen SQilbung 
burdjauS unwürbige perfönii^e Slnintofität ju nehmen. SQkt* 
burch wüfete berfelbe logifd) rebucirt »erben auf ben offenen, 
ehrlichen ©treit ber Derfdjiebenen, flar Oerftanbenen Sntereffen 
Oon ©efeUfchaftSclaffen, beren JRitglieber einanber perfönlich 
mit Sichtung unb menfehlichem SBohlwotlen gegenüber ftehen. 
2Rögli<her Sffieife »ürbe eS fiep bei folcher ÄampfeSweife geigen, 
bafe eS bei gutem SßJiHen »irffame (Sompromiffe giebt, unb 
bafe bie Sntereffen einzelner ©laffen bis gu einem gewiffen 
©rabe frieblich H nn ^ in H ai ’^ nebeneinanber h« r f<h r oiten 
fönnen. 

SltiS allen biefen Urfachcn erweift fich bie SBegrünbung 
einer ©ocialpfpdjologie als bringenb noth»enbig. ®iefetbe 
hätte bie grofee Aufgabe, eine Pfpcpologie beS SffiirthfdjaftS» 
lebeitS ober ber probuctiocn ©laffen ju liefern. SltlerbingS 
eine SRiefenarbeit! Nicht nur bie betriebenen ©tänbe als 
fotepe Wären ber pfpcpologifchen gorfepung gu unterwerfen, 
fonbern in einer fester unabfehbaren Reihenfolge oon 9Nono» 
grappien audh alle bie uncnblich bielen SBerufSarten mit ihren 
oieloergwcigten ltntera 6 theilungen. 3 Sn gewiffem ©inne oor» 
bilblid) fein fönnte hierbei bie ©ewerbehhgiene, »eiche, aller» 
bingS Oon ihrem ©tanbpunfte auS, eingehenb bie einjelnen 
Honbwerfe unb Ocrfcpiebenen gabrifationSbetriebe ftubirt hat 
unb namentlich) auf bem ©ebiete ber gürforge für arbeitenbe 
grauen unb Ä’inber eine SBerufSpfpdjologie bielfach vorbereitet 
hat. Stm bringenbfteit noth»enbig erweift fich e i ne SBerufS» 
pfpchologie ber »eiblidhen SBerufSarten, allein fdjon um ihrer 
gerechteren SBeurtpeilung Willen. ®enn bei ber grau finb 
befanntlid) bie perfönfidpen, alfo pfpdjifchen Nfomente immer 
auSfcplaggebenb gegenüber ben rein praftifd)»materiellen. Sffiie 
wenig bem Ncd)itung getragen wirb, begreift jeber feiner 
organifirte Wann, beffen €>h r un ^> ©ntpfinben täglich un» 
jäplige Wal beleibigt werben # burdj bie unter ben H erren 
ber „befferen" ©tänbe üblichen unenblid) banalen unb un» 
gerechten Urtfeeile über Kellnerinnen, Pupmacherinnen rc. 
Slber ber fdjlagenbfte SBewciS für bie hierin herrfchenbe Un» 
fenntnife bleibt bod) bie empörenbe, jeber Sogif unb H uma » 
nität in’S ©efiept fchlagenbe ®hatfa^e, bafe Sßerführer ju 
fein — eS fommen boch h'^&ei weiftenS bie grauen unb 
Wäbcfeen ber wirthfchaftlich unb an SBitbung niebriger ftefeen» 
ben ©laffen in SBetracfet — nicht für eine Oerädjtliche geig» 
heit unb gemeine Niebertradjt gilt, fonbern für flott 
unb coloffal fchneibig. H at auc ^ nur c i ner ** er f° 
urtheilenben H erren ber gebilbeten ©efeflfdjaft eine Slfenung 
oon bem, was in ber ©eele eines jungen WäbdjenS audh ber 
nieberften ©tänbe oorgefet? 

SE3aS wir bis jefet oon ber SBolfSfeele wiffen, berbanfen 
wir auSfdjliefelich mobernett ®icf)tern, wie 3°la, Waupaffant, 
auptmann, SSEfdjechoff u. 21 . Sluch haben grofee bilbenbe 
ünftler wie WiÖet, Uljbe, Weunier tief in baS ßeben beS 
ffeinen WanneS gegriffen unb oon ben bort berborgenen 
©chönheitSfdjäfeen herrliche Proben gegeben, ©ie Sille, dichter 
unb Künftler, lehrten unS, baS SBolf ju berftefeen unb Wit» 
leib, Slcfetung, ja felbft vielfach SBewunberung ba ju empfinben, 
Wo man früher nichts SntereffanteS borauSfefete unb meiftenS 
eine oberflächliche, billige SBerachtung hegte. Witfein fommt 
biefen Weiftern eine hohe SBebeutung ju als ©timmungS* 
erreger unb SBerber jur focialen ®hätigfeit. Slber Wiffen» 
fchaftlich ernft fönnen ihre SBeiträge jur SBolfSpfpdhologie nidht 
genommen werben. ®enn auch bie am meiften realiftifchcn 
®icpter unb Künftler bleiben ihrem innerften SESefen nach 


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180 


Die flsegentonrt. 


Nr. 12. 


immer fubjcctio, atfo Pßantaften. 3)ocß bie pfhcßologifcße 
SBiffenfdjaft branefjt ein ejacteS ©eobacßtungSmaterial unb 
muß baffelbe aus birectefter, jitueriäffigfter Quelle fcfjöpfen. 
Sieber ©ebilbete, melcßen fein ©eruf mit bem ©olfe in un= 
mittelbare ©erüßrung bringt, alfo'öor SUIcm Pfarrer, Beßrer, 
Slerjte, Stifter, ©eamte, Sedjnifer, g-abrifangefteÜtc, $auf» 
leute, Banbroirtße, Sanbfcßaftömaler, fie Sille müßten c§ als 
eine öorneßme ©fließt erachten, mitjiimirfen an ber ©amm» 
lung beS UfjatfadjenmaterialS ju einer ©ollSpfßcßologie. ©in» 
geßenb ju berüdfüßtigen mären natürlich auch bie meift mirtß» 
fcßaftlicßen ober hßgiemfeßen ßWftfen bienenben, feßon be» 
fteßenben Statiftden. ®em Pfßcßologen non gaeß bleibt bie 
©ießtung unb Searbeitung beS ungeheuren SWaterialS Oor» 
behalten, ©ictierlicfj merben aber beren ©iele baburch 51 t 
felbftftänbigen praltifcßen, OotfSpfßchologifdjen ©tubien »er» 
anlaßt, in ber Slrt mie ctma ©Öhre als gabrifarbeiter. 

®enfen mir uns nun unfere ©olfsmirthfcßaftslehrer aus» 
gerüftet mit bem fo gemonnenen focialpftjc^ologifcEjcn Material 
unb baher im ©tanbe, auch au f ^f^eijorogifc^c SNetßobe an 
bie SBirtßfcßaftSfragen ßeranju treten, fo bürfte E>ter 6 ci baS 
große, feßon bis jur ©rfdjöpfung bearbeitete fociale Problem 
plößlicß in ganj neuer ©eleudjtung crfcheincn, bie fdjon er» 
mattenbe gorfeßung fich neubelebcn, unb oielleicßt ber ©chlüffel 
gefunben merben jur Söfung manches bisher für unlösbar 
gehaltenen NätßfelS. gernet mirb aber auch ficßerlid) burch 
biefe mehr mcnfcßlicbe ©etrad)tungSmeife bie fociale gorfeßung 
eine Diel größere Popularität erlangen als bisher. $enn 
baS meitere publicum bringt ihr faft auSfcßließlidj auS 9Wit» 
leib Sntereffe entgegen unb fühlt fid) baher feßr häufig burch 
ihre falte Dbjectioität unb ruiffenfcf)aftficE)e ©jclufioität ab» 
geftoßen. ®aß bie ©ocialforfcßung bem bisher ju menig 
Pecßnung getragen hat, bürfte ebenfalls ju ihren UnterlaffungS» 
fünben ju aäßlcn fein. Sn bieS ©ebiet gehört auch bie $ßat» 
faeße, baß fie eS bis jefjt unterlaffcn hat, in ben Steifen für 
fich Stimmung ju machen, toelcße befonberS jur praltifcßen 
3J?itarbeiterfcßaft berufen finb; fei eS burd) Neicßthum unb 
SNuße, mie gemiffe OorurtßeilSfreie Gapitaliften, fei cS burd) 
befonbere ©emütßSanlagen, mie bie grauen im SWgemeineit, 
namentlich aHeinfteßenbe unb toirtßfcßafttich gefieberte, ©iel» 
leicht bürfte ber ©ocialforfcßung ein ©orrnurf auch barauS 
gemacht merben, baß fie ju menig ben ßerrfeßenben ©fepti» 
ciSmuS berfidficfjtigt unb eine ethifche ©egrünbung ber ©e» 
reeßtigung ber ©ocialforfcßung bisher unterlaffen hat. 

Sltfo überall Nichtbeachtung ber Popularität. S)ieS 
Princip bürfte ja bei jeber anberen SBiffenfdjaft bis ju einem 
geroiffen ©rabe angebracht fein. ®ie ©ocialmiffcnfdjaft aber 
nimmt eben eine burdjauS ejceptionelle ©teKung ein. ®a 
fie auf’S Snnigfte mit bem putfirenben Beben oereint ift, 
barf ihr feine ber intimften Steußerungen ber ©olfSfeele ent» 
gehen, unb ba fie burdjauS prattifeße ©nbjiefe hat, barf fie 
fein SNoment außer Sicht taffen, baS ihre Popularität unb 
ihren praftifchen ©influß erhöhen fönnte. 

3um @<ßluß fei ein furjer Nüdblid geftattet. Sn ber 
praftifchen unb tßeoretifcßen fociafen ‘Eßätigfeit macht fidj bie 
Unfenntniß ber ©olfSfeele überall auf baS Ipemmenbfte unb 
©törenbfte bemerfbar. ©S erfaßt baher ber pfßdjologie bie 
Slufgabe, eine encßclopäbifdje Pfßdjologie ber probuctioen 
Glaffen p liefern unb einzelne ©cruföpfßcßologien aller 
mirthfcßaftlidjen ^Ijätigleiten. Sin ber©amntlung beS nötigen 
XßatfafßenmaterialS haben fid) alle ©erufSarten, bie in un» 
mittelbarem ©erfeßr mit bem ©olfe faßen, 31 t betheiligen. 

Nfögen fich ©erufenere biefeS ©ebanfenS einer ©ocial« 
pfßdjologie annehmen unb fomit eine tiefere, gerechtere SBüt» 
bignng ber ©olfSfeele begrünben, toeldje ihrerfeitS ben frudjt» 
barften ©influß haben müßte auf bie ©rforfdjung aller 
berjenigeit SBirtßfdjaftS» unb ©ulturprobleme, melcße mir als 
„©ociale grage" ^eießnen. 


Literatur unb £unft. 


ZXubrct) fiearbfifet), ber Ülaler ber 5finbe. 

r>on Hubolf Klein (»erlin). 

SBie ®eutfcßlanb politifch baS lü.Saßrßunbert beßertfdjlf, 
fo beßerrfdjten eS ©nglanb unb granfreidj fünftlerifcfj- ©ng> ■ 
lifcbjer unb fran^öfifc^er ©eift mareu bie ftriebfebem aQn • 
Sunft im 19. Sahrßunbert. 3)o<h hat ©nglanb ben Sor» 
rang, ©on ©nglanb gingen bie „©ntmidclungSibeen' aus, 
bie baS gefammte ©cifteSleben beherrfchten unb nach Gnglanb 
eben am längften in granfreich mirften, aOmo fie no^ lebt« 
unb mirften, als im SKutterlanbe ©nglanb fchon eine fpiritua» 
liftifdje ParaUelftrömung fich SBege bahnte, eine fpiritualiftifdjt 
©trömung, bie, meit ataüiftifch, auch i ' 1 ber Sunft archaiftiföe 
Probucte jeugen mußte unb beßhatb nicht feßr jufunftS» 
trächtig fein tonnte. 5 )ie naturmiffenfchaftlidie ©ntmidelungl» 
ibee mar, mie auf allen ©ebieten im 19. Sahrfjunbert, au^ 
in ber Sunft ber treibenbe gactor, meßhalb mir auch * n 
lanb bie erften naturaliftif^en Sünftler finben in ©onftaMe 
unb Turner, bie baS Problem ber garbenanfdjauung in einer 
SBeife aufgreifen, bie erft fünfjig Sahre fpäter in granfreich be» 
megenb mirb. ®odj ber ©nglänber — fonft nüchtern unb 
troden oom fiänblergeift regiert — hat in golge feinet 
germanifchen Slbftammung auch eine religiöS»poetifc|e Über, 
bie jeboch nicht mie beim $eutfdjen gemifferrnaßen felbft 3 ufrieba 
fdjlägt, fonbern fich, t> em ^»änblergeift entfpredjenb, fanatifh, 
programmatifch bethätigt. puritaniSmuS unb Heilsarmee 
finb feßtagenbe Semeife. SluS biefer Slnlage ging nun and) 
im 19. Sahthuabert jene fpiritualiftifche ©trömung h«*®® 1 , 
bie nicht auf nationalem, theologifdjem Renten beruhte, — : 
auf melche SBeife fich nun ä u bethätigen ber beutfdje lleifl 
mieber anfdjidt —, fonbern ein atatoiftifcheS ©ebräu auä 
inbifdjein DccultiSmuS, mobernem Spiritismus unb chriftlkf)er 
SÄpftif. ©ine fofdje ©eifteSridhtung mußte in ber flunfi 
nothmenbig in SlrchaiSmuS ocrfaDen, ftalt bie neubetretenen 
naturaliftif^»äfthetifchen ©ahnen burch neues ®enfen ethifcb 
p Oertiefen unb auS 3 ubauen. SBähtenb mir baher bie fiunft 
in granfreich größtentheilS auf naturaliftifch'äfthetifdjea 
©taubpunft'beharren fefjen, greift fie in ©nglanb in golge bn 
ataoiftifd)»fpiritualiftifchen ©eifteSricßtung auf baS italienifcht 
fWittelalter unb bie grüfjrenaiffance 3 urfid. Unb fo feh« 
mir beten bie Äünftler in ber Schule ber frühen glorentinci, 
mobei ermähnt fein mag, baß bie englifchen Sünftler tf/eif 
meife auf biefe Nicßtung 3 urüdgriffen, meil fie bei ißt bie 
felbft gcfud)te naturaliftifche gormbeobaeßtung fanben. W 
fann bieS unmöglich, mie öielfadj behauptet mirb, allein bet 
©runb gemefen fein, für mcldjen gaU bie englifcße Äunft ein« 
faeß bie begonnenen naturatiftifd)en ©aßnen auf bie SBeife 
hätte auSbauen fönnett, mie baS rein naturaliftifch 5 äfthe» 
tifeße ©mpfinben ber grattjofen bieS gethan. ®aS fpiritua¬ 
liftifche ©ebürfniß ließ in erfter Sinie bie englifchen j 
ftünftler auf bie primitioen glorentiner 3 urüdgreifen, »eil in \ 
beren Sßerfen noch ber gait^e fpiritualiftifdie ©eßalt bei 
©otßif nachsitterte, menn auch m *t naturaliftifchem Sitten i 
oereint, meßhalb mir auch bie Häupter biefer prärafaeliten, 
Noffetti unb ©urne SoneS, halb nad)het mit einigen Shtbercn 
als Neu=prärafaeliten auftreten feßen. Sn beren ganjet 
Äunftprobuction ßerrfeßt alSbann in siemlid) monotoner 
SBeife, ein ©mpfinbungSton üor: baS inbrünftige ©erlange« ' 
ber ©eele aus bem grauett SlUtag nad) neuen Schönheiten — ! 
üerförpert in ber gigur beS SBeibeS als prieflerin biefer ©eelen- 
münfeße. ©ei Noffetti finben mir biefeS SBeib noeß oott innerer i 
©lutß in gliißenber Hoffnung, bei ©urne SoneS ift t* fc|o» ! 
eine anämifeße Slsletin, beren ©eift feßon ber fcßmalen @tenj» 
feßeibe beS SBaßnfinnS naße ... ©ei epigonenhaften 9Sa<h' 
folgern bann finben mir biefen fEßpuS immer miebetfeßtenb , 
als leere gorm becoratio oermenbet. Nur ein ßünftler ma# 
eine SluSnaßme, ©entbötet): bei ißm ßat bieS SBeib, btrrdj ben 


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Nr. 12. 


Die (Segcttwort. 


181 


bei ©urne SoneS angebeuteten ÜSapnfinn fjinburrf), bie neuen 
©arabiefe cnbedt, bie ©arabiefe ber ©ünbe, beten DerlodenbeS 
glüftern bämonifcper Sngel eS Wie feftgebannt laufest. ®te 
gange SntwidelungSppafe, Dom Ütüdgang auf baS frühe 
gloreng an, finbet fiep noep einmal gufammengebrängt in ber 
©robuction biefeS testen großen SnglänberS, nur mit bem 
gang beftimmten ©runbton: auS Slüern, baS er geraffen, 
Hingt als ©runbton peroor baS Sieb Don ber ©ünbe, bom 
©Öfen, bom Saftet; ja noep mehr, baS Sieb bom ©efcpledjt 
als fatanifepe, loSmifcpe, fcpaffenb=gerftörenbe ÜRacpt. Anfangs 
ttar er nur ber ©c^ön^eitSpriefter ber ©ünbe, bann oertiefte 
er fiep gerabegu jum ©efcplccptSppilofophen. 

SCubretj ©earbslep, ber fepon mit 26 Sauren ftarb, im 
§erbft 1897 in SRentone, war eines jener frühreifen ©enieS, 
bie einer inneren Mahnung gufotge, bon einer fie6eruben 
Öaft befeffen, ahnen, bafj fie nicht lange gu leben haben, 
©iitgwangig fahren fcpuf er SReifterroerle, als er mit 26 Sapren 
ftarb, War er Dielleicpt auch fünftterifcp fo ausgebrannt wie 
förpetlicp. $ocp liegt hierin nicht ber geringfte Sabel, noch 
eine Urfacpe eS gu Dertufcpen, ba er bei feinem frühen Sobe 
ein SBerf pinterliefj, fo reich b)ie Slnbere naep einem langen 
Seben. S)iefe ungeheuer concentrirte teepnifepe ©egabung, 
toie biefeS bifionäre, Wenn auch einfeitige pfpepotogifepe ©chen, 
fonnte, rein p^fiotogifd^ betrachtet, nur bon lurget Sauer 
fein. Sn biefer ?lrt begnabet bie Statur einen ftünftler nur 
für Wenige Sapre. Unb fo ftarb er boKauf gut rechten grit. 
Sr hatte mit feinen Wie im gieber gefteigerten ©cpöpfungS* 
unb Srtenntnifjorganen in ber furgen Spanne geit, bie ihm 
gu leben bergönnt, fo biel gefchaut unb gefdjaffen, Wie 
9Renfcpen, beren $ergfcplag in normaler SEBeife pulft, in einem 
(angenSeben. 3BaS feine eingelne ©robuction betrifft, fo mögen 
naepftepenbe Slnmerfungen folgen; er iHuftrirte bon ©üepern: 
Mort d’Arthur; Salome; The ßape of tlie Look; The 
Pierrot of the Minute etc. Sr geidjitete für bie geit* 
fepriften: »Yellow Book“ unb »The Savoy“. §llS ©ammel* 
toerle erfdjienen: A Book of Fifty drawings, 1896. A second 
Book of Fifty drawings, 1898. 91ISbann, »Early Work“. 
Snblicp feprieb er — obgleich fein literarifeper (g^rgeij weit 
größer wie feine gäpigfeiten — eine Stoöeüe »Under the 
Hill“ bie er ebenfalls iHuftrirte. Sch fagte, baff ©earbSlep’S 
©robuction gufammengebräugt noep einmal ben gangen Snt* 
teictelungSgang ber englifcpeit Äunft umfcplicfje. Sn feiner 
frühesten Spocpe feheit wir ihn, unb baS ift für feine ©elbft* 
ftänbigteit pöcpft begeichnenb, nicht etwa, gleich feinen jugetib* 
liehen geitgenoffen, ben fepon berühmten ©offetti unb ©urne 
SoneS folgen, fonbern gleich biefen birect gurüd gur 
CueHe, auf baS frühe gloreng gurüdgehen. SluS biefer ©poche 
feien gwei geiepnungen erwähnt: »the Procession of Joan 
of Are“ unb »The Litany of Mary Magdalen“. SaS erfte, 
getoiffermafjen als grieS gebockt, mutpet unS birect Wie ein 
SRantegna an. @S ift ein langer ©roceffionSgug bon Scannern, 
grauen unb Äinbern mit föhnen, ©tanbarten unb ©alm* 
groeigen, in ihrer URitte bie fiegreiepe Sungfrau. $>iefe 
geiepnung berräth ein grofjeS tecpnifcpeS können, hoch würbe 
Stiemanb in ihr ben fpäteren ©earbslep ahnen, ba er nicht 
einmal berftedt gum ©orfepein tommt. ®iefeS legte, baS 
heimliche ^eroorblipen ber eigenen Snbibibualität, finbet fich 
jebod) in ber gWeiten erwähnten geiepnung biefer Spocpe. 
SiefeS SBilb, baS in feiner gangen äufjeren Slrt wie ein 
Crcagna wirft, ift infofern fchon ein echter ©earbslep, inbem 
ein Xpeit feiner Figuren fdgon gerabegu bom Teufel befeffen 
fd)eint. SinfS tniet, bon innerer ©ergweiftung bergehrt, 
2Ragbalena bie ©ünberin in inbrünftigem ©ebet, im Sinter* 
grunbe ftehen unglaublich lange, in SBurmlinien gezeichnete 
giguten, beren ©erbredjergefiepter bon höüifcher ©chabenfreube 
bergfidt, währenb ein Heiner ©udliger, ber ber größten gigut 
nur bis gur f>üfte reicht, mit teuflifepem ©rinfen gegen bie 
©üjjenbe bie gunge perauSftedt. SGBir fehen alfo fchon in 
biefer ©chaffenSperiobe, bie ben Zünftler äußerlich DoUftänbig 


wie inhaltlich theilweife in epigonenhaftem ©anne geigt, ein* 
mal ein ^erborblifcen ber fpäteren pfh<hifcf)en Sigenart, jeboch 
nod) nicht bon ber fpäteren fünbhafLerotifd)en ©eite. S)aS 
Seuflifche tritt hier ijerbor gang in ber Slrt, wie wir eS auf 
bielen mittelalterlichen ©ilbern religiöfen SnhaltS finben. 

®afe ein Äünftler Wie SearbStep nicht lange in folch’ epi= 
gonenhaftem ©anne befangen bleiben fonnte, ift felbftberftänb» 
lieh, aab fo fegen wir benn, wie in ber nächften ^ßgafe baS 
florentinifdje ©ewanb fich 'a’ö ^Rationale berwanbelt, gang 
wie bei fRoffetti unb ©urne SoneS. Sr giebt ©<hitberungen, 
in beren ©orbergrunb baS SKeib fteht, baS SBeib, mehr Sngel 
als 9J?enf^, baS SBeib als aSfetifcpe Sßriefterin. ®iefeS 
SBeib, — ©lätter Wie »Adoramus Te“; A Christmas 
Carol“; ,A Head“ feien genannt — tragen in ihren ©e= 
ficptSgügen jeboep beutlicp ein StwaS, baS als bie gieber* 
Ärife bezeichnet Werben mufj, anS ber baS fpätere ©earbSlep* 
SBeib, baS ber ©ünbe üerfallen, petoorging: wobei erwähnt 
fein mag, bü| ber fpätere SppuS, ber ja immer unb immer 
bie ©erförpetung ber ©ünbe ift, beutlicp bie ©puren feelifcper 
©cfunbpeit unb ©enufjfraft trägt, welche Sigenfcpaften natür* 
(idp im ©ertierfen ipre SRaprung fuepen unb finben, icp meine 
bie ©puren ber ©efunbpeit im ©egenfap gu biefen müben, 
mclancpolifchen grauen, bie fiep SlnfangS bei ipm mit allen 
anbern 9teu*$rärafaeliten finben. ®aS fpätere ©leib ©carbS* 
(ep’S pat eben beim Teufel baS gefnnben, WaS eS auf pimm» 
lifcpeu SBegen öergebenS gefuept: eine neue ©efunbpeit, eine neue 
SebenSfraft, eS ift auS einem Sngel beS Rimmels ein foldjer 
ber £ölle geworben, unb gwat ber §öüe, bie gu tiefft in ben 
bewegenben SRäcpten beS SebenS ftedt, ber §öHe beS ©efcplecptS. 
?luS biefer ©eriobe ftammt eine gridjnung, bie formell noep 
in ber neu=prärafaeliti|cpen Slrt gepalten, feelifcp jeboep eine 
erfepredenbe ©orapnung beS Äommenben ift: icp meine baS 
©latt »incipit vita nova“ . .: auf tief fcpwargem ©runb 
fepauen wir einen bunflen grauenfopf, im fcpwargen, ben Stopf 
uöllig umrapmenben §aar, bleicpe franfe ©ofen; bie Slugen 
beS ÄopfeS finb gefcploffen wie in peGfepenbem Traume, ber 
dRunb oamphrpaft gefdjwoöen, (wenn auch noep nidjt fo 
oergiftet Wie fpätcr), unter bem Äinn biefeS ÄopfeS ein auf* 
gef^lageneS grell weifeeS ©uep, ber eingige licpte gled in 
biefer ginfternip, auf ber ©eite biefeS SucpeS bie Sßorte 
»incipit vita nova“ — auf bie eine furcpt6are, efelerregenbe 
©ifion in ber ©eftalt eines bämonifdj angefcpwollenen Sm* 
brpoS beutet . . . 2)aS ift eine ®arftellung beS werbenben 
SebenS auS bem ©efcplecpt als teuflifcpe ÜRacpt im loSmifcpen 
Sinne, baS ©öfe als Urfprung ber SBelt! gür bie erfte 
florentinifcpe Spocpe ©earbSlep’S war bie „büpenbe Sftagba* 
lena" fo cparalteriftifcp, weil, obgleid) formell epigonenhaft, 
baS teuflifcpe fid) blipartig entpüDte; boep war baS ©atanifepe 
bamalS nur feelifcp*religiöfet Slrt, wie auf Dielen mittelalter* 
licpen ©ilbern. §ier, in bem ©latte »incipit vita nova“ ift 
eS fd)on burcpauS erotifcp, ja fepon, wie in ©earbSlep’S lepter 
Spocpe, fejuelldoSmifcp. ^)ier, in feiner frühen Sugenb, baS 
©latt ift 1892 entftanben, pat er feperpaft einen ©riff auf 
ben ©runb getpan, wie fonft nur in feinen lepten SBerfen. 

Scp fagte, ba§ ©earbSlep’S fpäteren grauen, obgleich fie 
bie ©ertörperung ber ©ünbe, im ©egenfap gur SlSfetin feiner 
neu * prärafaelitifcpen Spocpe, gcwifferma|en eine neue ©e* 
funbpeit, eine, eben im ©Öfen gefertigte, neue SebenSfraft eignet, 
iergu ift eS pöcpft cparalteriftifcp gu conftatiren, bafe ber 
ünftler, beoor jene ©eftalten entftanben, als ©uepenber, als 
Unfertiger auep reinteepnifep unb inpaltlid) eine lurge Spanne 
3eit nod) einmal bie SScge beS realen SebenS gept. ®enn, 
beoor er feinen eigenen ©til fanb unb beüor et jene grauen 
fcpuf, bie für ipn tppifcp, finben wir ipn eine 3rit lang als 
geiepner im Sinne ©aDarni’S. ®ocp gleichzeitig, wäprenb er 
jene SBege einfeplug, beren ©robuction icp mit ©aoarni Der* 
gliep utl b für bie feine griepnungen gu ©olgac, glaubert unb 
gur SRanon SeScaut bie tppifepften finb, pat er ©lätter ge* 
fepaffen (Sforte b’Slrtpur, baS erfte Don ipm iHuftrirte ©uep 


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182 


Die (Segentoari 


Nr. 12. 


meift aud) foldje auf) bie ein ©emifd) beS florentiuifdjen unb 
feines nodj fchlummernbeit, fpäter fo genial gefyanbfjabten 
SinienftilS fittb. 2luS bicfet ©poche, beren Sölatter für unS 
meniger in S3etrocE)t fommen, feien erroäfjnt ,1a comedie aux 
enfers*, unb „ ©iegfrieb", ©lütter, beren llebcrlabentjeit 
in ber ßompofition — mährenb er fpäter gerabe in ber Sin» 
fad)l)eit feine fjöcfjfte ©enialität bemieS — eine grofee litt» 
ftar^eit gut golge ^at. gür feine innere ©ntmtdelung finb 
hingegen jene ©lütter im ©tile ©aoarni’S fef)r intereffant, 
Por SlUem, ba fie baS ©totifdjc in einer eigentümlichen, ber 
$eit Pon 1830 entfpredjenben 2lrt aufroeifen. ©ie ©lütter, 
in benen ©earbStep baS Srotifcfje ftreifen fonnte, finb felbft* 
Oerftänblich bie intereffanteften. ©o gicbt er g. ©. SDtanon 
SeScaut einmal in jener altmobifdjen ©legang mit fjoJjet grifur, 
bem unpermeiblichen ©c^önheit^pfläftercfjert, ben gäcf)er in ber 
graciöfen §anb — hod)f<h ttmn 9 cr - ©iefer lejste Umftanb ift 
gerabe für bie Interpretation einer SRanon SeScaut fehr gu* 
treffenb, ba jene unermüblidjen Siebefpenberinnen mit in biefem 
guftanb früher cofettirten. 2luf einem anberen ©latte bann 
fehen toir bie SeScaut an reid) beferer 'Xafel, als einzige ©ame 
im Kreife lüfterner §errn, geiftreid) plaubern. ©egen bicfe 
SeScaut, in ber nur baS ©rotifche ber geit fo ungemein ent« 
fpredjenb betont ift, Wirft SRabame Soöart) als bie ©iftmifdjerin 
unb wie eine Vorahnung fo mancher fpäteren' grauengeftalt, 
benen baS ©öfe ©elbft^wecf, mührenb toir in jener ßamelien* 
bame Por bem ©piegel mieber mit meifterhaftem ©efcfeicf bie 
©ourtifane Pon 1830 geftaltet finben. ©earbSfet) h Qt bie 
©amelicnbame oft ge^eicfjnet unb einen größeren ©ontraft 
jwifc^en bem crotifchen ©mpfinben biefer crften unb jener auS 
feiner lebten ©pod)e fann man fid) fd)led)t beulen. 

©S giebt ein ©elbftportrait Pon SearbSlet), baS ift folgen» 
bertnafjen componirt: im §intergrunbe eine jener ©raumfanb* 
fdjafteh, beren ©äume Por erotifchem ©erlangen su gittern 
fdhcinen, im ©orbergrunb ber Künftler befleibet mit einem 
futgen ©pihenjäddjen, an ben Knien bicfe @pi|enrüfche unb 
unter bem 2 lnn einen 3 eid)enftift fo lang mie ein ,£)irtenftab. 
Unb auf biefem 3 arten Körper ein Kopf, beffen 2luSbrud eilt 
©emifd) pon gaun unb ©erbrecher, unb hinter bem Künftter 
eine Heine §erme mit grinfeitbem gaunfopf, an bie er gefcffelt 
burch ein ©anb, baS um bie gufegelenfe gefdjluitgen ift: ©earbS* 
let) an ben gaun gefeffelt. ©aS ift ber ©djöpfcr all jener 
grauengeftalten, bie fich ber ©ünbe Perfchrieben, ohne baS ©e= 
funbe je auSgiebig genoffen 3 U haben, weil cS feinen 9ieig 
für fie h fl Ue. ©ie ©innlichfeit ber ©riedjen crfanb in ber 
©erfaUgeit ben gaun unb im Siococo fpulte in ben ©arten 
ber gaun, bocf) fomohl ber gaun mie feine lanbfdjaftlidje Um* 
gebung mar in bicfen 3 e iten Pon einer Stift unb Suft um* 
meht, bie 3 U fräftigem ©enufe einlub. SBie anberS bei ©earbs* 
let). ©iefc ©ärten brauchen nicht Suft unb ©lärme unb baS 
©ebnen ber Siefen, bie fie beleben, erfüllt nur ber Slonne* 
flauer ber ©Sorte „©ünbe" unb „Safter". grühoerborbenen 
Kinbern, bie mit bem Safter fpiclen, ohne ben ©egriff 3 U 
fennett, gleichen biefe Siefen, bie auS einer Sieroenfranfheit 
herPorgegangen, förmlidh 3 ur ©ünbe feufd) gehalten, immun 
gegen ihre ©ifte finb. ©iefe Siefen unb biefe ©ärten finb 
bie einet ©Jaf)nfinnSphantafie, beren glühenbe 2lScefe bie tranfe 
Schönheit neuer ißarabicfc entberfte, ber fßarabiefe ber ©ünbe, 
mo irrfinnige ^eilige mohnen unb Pom ‘Xeufel befeffene 
©itgel, SBefen, bie fich ber ©ünbe uerfcfjrieben, meil baS Sebeu 
fie betrogen, baS ©erfprodjenc nidjt gehalten hat. Unb fo fehen 
mir in biefen Sanbfd)aftcn grauen, bie anbä^tig laufchen, 
menn gaune, beren ©innlidjfeit nur nod) nad) bem ©fei 
ledjgt, sur eigenen ©eifeel für bie unmöglidje ©efriebigungSfähig* 
feit, ihnen auS ben ©üd)ern ber ©ünbe oorlefett. ©ei ber 
früheren (Generation, bei SiopS’ grauen mit ihrer noch ftarfen 
finnlichen ©enugfraft, mar bie ©ünbe ein ©nbftabium, hier 
geht fie mit ber Keufchfjeit £anb in £anb, mie bei mittel* 
alterlichen ^eiligen, hat gerabe 3 U etmaS äRärd)enhaftcS, ift un* 
miberftehlich gemacht burch eine feelifche mie tedjnifcfje gormen* 


fihönheit, ja ift bem (Göttlichen nahe, meil fie baS ©nbe Pon ] 
©ottfuchern ift. 21 uS biefen ©mpfinbungen hat ©entböte) : 
sahllofe grauengeftalten gefchaffen, beren ©efidjt unb ©oftüni ! 
baS Sieb öou ber ©ünbe burch alle ©onarten fingt, et foraite 1 
nicht anberS, feine Sinie öibrirte Pon ©ünbe, felbft im rein 
Ornamentalen. j 

©ieö fünbfjafte ©leib, baS baS Seben nicht geniefeen 1 
fonnte, hafet felbftPerftänblich ben SRann, unb fo fpielt bet 
üttann, in ©earbSlet)’S qan 3 er ißrobuction biefem ©leib gegen« ! 
über ftetS eine trauige Solle. 3a, einmal fehen mir in einer j 
Sanbfchaft ein gerabe 3 u gemaltigeS ©leib mit einer ^eitfe^e 
einen fleinen ©aftraten Pot fid) h'n treiben, benn eS ift bd 
©etrugeS längft mübe. ©en §öf)epunft einer fdjmülen ©iitn» ' 
li^feit, bie ber fcauch ber ©ünbe unmiberftehtid) macht, ftnbac 1 
mir in einigen 9tococo*©ilbern. »The fruit Beares* per» 
förpert in einem SDiafee ben finnlichen ©enufe, fo phantaftifd), > 
mie nur ber ihm erträumen fonnte, bem baS materielle @e* 
nufepermögen PoHettbS gebrochen mar. ®ie ^ßhantafte eines 
©arbanapal nur fonnte pon folchen ©ärten träumen, bie Pon 
Sofen unb grüchteit mie eine Urmalbmilbnife übermuchert fittb, 
mährenb im ©dhatten ber gcrabe 3 U brunftigen ©egetation 
junge ©Mbchen fich t>em Safter ber gaune preisgeben. SBie 1 
©lattcau, ber bruftfranfe ©chmärmer, Siebes* unb SenjeS* 
freuben auf bie Seinmanb 3 auberte, an benen $h e 't i« nehmen 
bie Satur ihm Perfagt, fo h°t hier bie ^B^antafie eines ; 
2Renfehen, beffen 3 artem SerPenfhftem PöHig bie gähigfeit \ 
3 um materiellen ©enuffe fehlte, ein Silb gefchaffen oon ge» 1 
rabe 3 U farbanapafifcher Ueppigfeit. 2lntäfeli(h bicfeS Silks 
fei ermähnt, mie ber Künftler hier unb noch an Pielen anberen 
©teilen ein gerabe 5 U franfhafteS Uebermudhern ber ©egen» 
ftäitbe mit Stofen, als ©pmbol einer förmlich fieber^ifea, , 
ja fieberfchfaffen©innengluthöermenbet: mährenb im mobernen 
Seben bie üppige Polle Stofe oon fo Pielen anbern tobten 
©lumen, mie ©arbenia, 5Drd)ibee ic. Perbrängt morben ift 8 ber , 
©earbSlep’S Stofe ift auch ni^t bie gefunbe Stofe, bie km I 
Decabenten ®eS ©ffeinteS Piel 3 'u bürgerlid) ift, ©earbSlet)d j 
Stofe roirft in ihrer Ueppigfeit gerabegu franf, mie menn ftt | 
auS ©räbern erblühte, mie menn ihre ©lurgetn auS bem ■ 
©ermefungSphoSphor atn Safter Perfaulter ©efchlechter ifete ' 
Stahrung faugten. ®ie Sattbfdhaft auf bem ©latte „®er 
2lbbe" ift Pon noch intenfiPerer ©oncentration. ©ie ©ege» 
tation auf biefem ©ilbe atmet eine gerabegu tropifdje Ueppifl» 
feit unb gruchtbarfeit — jeber ßmeig, jebe ©lüthe fcheint oot 
erotifchem ©erlangen gu beben — fo bafe man glaubt, ein 
SWenfd) Pott biefer ©lelt müffe einem eingigen 2tthemjug biefer 
beraufdjenbett, finnlid) concentrirten 2 ltmofphärc erliegen, 
©iefe Sanbfchaft fcheint oon jenem tropifdjen öorfünbftutf)lid|tn 
gieberbrang ergeugt, in bem auS ber erofifchen Urgfuth in 
einem Xage SBefen mürben, fich meitergeugten unb ntr» 
gingen, ba ihr erhöhtes ©ennfeoermögen einem eingigen 
ßeugungSact erlag, ©od) fo fcheint nur biefe Sanbfchaft 
©er ©eift, ber fie ergeugt, ift oon PöHig erfdjlafftcr ©lafirt» 
heit unb ber 2lnblicf biefer ©egetation, in ber Schmetterlinge 
mit grauenleibern träge friedjen, erregt in ihrer heifeen Sinn« 
lichfeit, bie beraufchenber mirft als baS herrlichfte 2Beib, ge« 
rabe barum fo(d)e ©lirfung, meil fie Pom blafirteften mokt» 
nen ©eift, ben bie gigurbiefeS „2lbbe" fhmbolifirt, jugef^nitten 
unb angeorbnet ift, ber ihr jebe Statürli<f)feit genommen unb 
fie mit bem ©efthauch beS SafterS Pergiftet. 3n ber ©rinne» 
rung foldjer ©ilber mfiffen mir fagen, bafe mir 2lHeS, toaS toir 
früher bei SiopS gu fefeen glaubten, heute bei ifem nicht mefer 
finben fönnen, nad)bem mir ©earbslep fennen. ©lie Hein ift 
gegen ifen Slops’ ©ünbe, ©innlichfeit, mie ftein feine ^n* 
tafie unb fein ©eftaltungSPermögen! ©r, mie aHe anberen 
©rotifer meibeten fid) noch an herrlicher ©lieberpradjt: Seark« 
let) aber geftaltet felbft bie rangige, efeltriefenbe ©innlichfeit 
trauter Sugenb, mie melfen lüfternen 2llterS — unb in wie 
biScreter SBeife: nur ber ©fpchotoge entbeeft fie, mährenb 
jebeS Kinb entgiffern fönnte. @r geftaltet ben fünbhaften 


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Nr. 12. 


Hie Gegenwart 


183 


©fei unb bie SBiberWärtigfeit burch einen einzigen Kniff bet 
Sippe, ber Augenbraue, burdj eine Sinie beS StteibeS ober 
baS ©ingeln beS Haupthaars. Tie Sinie tljat eben was er 
wollte, fein tecbnifcheS ©ermögen fannte leine ©renjen. @r 
ging oft oom rein becoratioen ©ntwurf auS unb geftaltete 
bann auS ber gorni einer ©lume beraub, ©lätter wie baS 
berühmte ©ilb »The ascension of the rose of Lima“, biefe 
Himmelfahrt ber ©ünbe, auf ber baS SBeib, ber ©ünbe über« 
brüffig, fich an bie gen Himmel fahrenbe ßRabonna Hämmert. 

Taß ber aus nerüöfer Ueberfeinerung unfruchtbare SRenfdj 
bet Suft jum ©Öfen, bie üom ©rotifcfjen abftrahirt, ücrfäßt, 
beweifen ©eifpiete aller Tecabcnjjeiten unb baß auch SearbSlet) 
biefe Regungen nicht unbefannt, baoon fprechen manche feiner 
©lätter. ,The Baron Verdigris 1 fönnte gewiffermaßen, auf 
einfamem Schlöffe haufenb, ber ^erolb all' jener grauen mit 
ben böfen Sippen fein, bie eine anbere ©ubrif repräfentirt, 
im ©egenfafc ju benen, bie in ben „©ärteit ©ünbe" lebten. 
Ser „ ©aron SSerbigriö" ift in ©earbSlep’S pf)antaftifcf)cm 
©arieteftil, bie in’S äRoberne übertragene ©erförperung ber 
ißfh^e eines ©ißeS be ©aiS unb ÜJiarquiS be ©abe. Taö 
©ilb ift folgenbermaßen componirt: Auf tief fchwarjem ©runbe, 
ber einen ©erg barftcllt, auf beffen ©pifce eine Heine ©urg, 
fehen wir bie weiße ©eftalt beS gefährlichen 2RaitneS, ber, 
bie im Kettenpanjer ftecfenbe $>anb auf baS ©chwert geflößt, 
über feiner ©iiftung ein gigerlhaftes ©oftiiin mit aufgcfrfjla« 
genen H°f en trägt unb auf bem oollen H°ar ein ©lown* 
cpünberchen mit mächtig waHenber ©traußenfeber, Währenb 
baS ©efidjt tief finfter oor fidj hiubticft. SBotjl noch uie 
fah man eine intenfioere ©ertörperung beS SBöfen. ©ur 
munbert man fich, wenn man auf bie ©injelljeiten beS ©oftümS 
eingeht, Wie ber Zünftler bei ben fdheinbar lächerlichen Son* 
traften bie SBirfung überhaupt erzielen tonnte, bis man er« 
lennt, baß bie intenfioe SBirfung gerabe in biefen ©ontraften 
beruht, inbem ber furchtbare ©rnft ber Situation gerabe bie 
Summe ber Sädjerlichteiten ift. Tiefe gigur ift bie SSer= 
lörpetung ber Suft am SSöfeu, baS, bom Srotifchen ab* 
ftrahirt, baS S8öfe als ©elbftjwed will unb übt. TiefeS 
Verlangen ift, wie fchon angebeutet, bie golge eines pftjchifdjcn 
gufammenbruchS, auS beffen unfruchtbarer 2Relancholie bie 
Suft jur ©raufamfeit, jur Quälerei beS Anberen, unter 
eigenen Thtänen unb fReue entfpringt, um beim Anblicf 
ber Qualen beS Anberen, bie eigene erfdjtaffte Ißfpche noch 
einmal in bie Suftfchauer ju bringen, bie ber gefunben 
ißfhchc ber Anblicf beS Tragiken gewährt. ©S ift alfo 
wieber baS Verlangen Troftlofer, Unbefricbigter, im ©unbe 
mit bem Teufel, baS ©öttlidEje, bie Schönheit ju erreichen, bie 
auf ben Alltagswegen nicht ju finben ift. Unb biefeS Verlangen 
einer ftanfen Seele in’S Sftoberne übertragen, in bie moberne 
geit, bie bem Snbiüibuum jcbe wiQfürliche AuSfdjreitung 
unterfagt unb es bem Untergange, feiner ÜRelandjolie über* 
läßt, baS fpmbolifirt bie gigur beS ©aronS gerabe in ihren 
fdjeinbar lächerlichen ©ontraften, bie einfach tragifd) wirfen: 
eS ift, wie wenn ein üöeinenber in einen geßenben Sacf)ftampf 
auSbrid)t. SBährenb ber ©aron ©erbigriS’ gewiffermaßen 
als fhmbolifdje gigur biefeS ganjen ©mpfinbungScomplejeS 
gelten fann, giebt eS oiele ©lätter ©earbSlep’S, bie ©erfötpe* 
rungen oon Theitempfinbungen biefer ©ruppen finb, benen 
baS ©öfe ©elbftjwect ift. Sch will ein ©latt hertort)eben, baS 
ju ben ftärfften gehört: ,The Wagnerians 1 . Sn einem jLE»eater= 
raume, „Triftan unb Sfolbe" wirb gefpielt, fehen wir eine 
©tuppe oon gerabeju bämonifchen, einfach erfdjrecfenben 
grauengeftalten. Tiefe SBeiber fcheincn bie „gurien ber 
ginfterniß", bie anfangs War, bie gurien, bie heulenb baS 
toerbenbe ©haoS burchbraufen, brünftig üoß fchaffenb*jerftö= 
renber Snftincte; ihr ©efidjt ift bleich, ih r ©lief finfter; ihre 
Sippen fdjwarj unb gefcf)Woflen; ihr Körper gefchwoßen wie 
Oom Seichengift unb ßhißernb wie ein AaSbalg ber ©er* 
wefung im ©ijoSphorglanj; baS ©lut, baS ihn burdjfrcift, 
fheint grün unb faulcitb. 2Wau glaubt, nur bie Sptjantafie 


eines an ©atpriafiS leibenben TobtengräberS hotte biefe Un= 
geheuer erben fen fönnen. 

©om Tämonifchen war ©earbSlep ausgegangen (man 
erinnere [ich, wie eS burchblifcte auf einem Silbe feiner erften 
©poche »the litany of Marie Magdalen“, bann machte er 
baS ©ebiet beS ©rotifhen, in feiner fpecififdj mobernen, neu* 
romantifdj*becabenten AeußerungSform, ju feinem ©pccial* 
gebiet. Aber ba ju tiefft im ©runbe beS ©efchte^tS, baS er ja 
immer geftaltete, nicht nur baS ®ämonifche feinen ©ifc h at / 
fonbern auch °ll e jene Urregungen, burch bie mit bem KoSmoS 
iit ©erbinbung ju fteheu wir nie aufgehört, fo mufete bet 
Küitftler auch in einigen ©lättern jene innere ©röfje er* 
reichen, bie baS üom KoSmoS getöfte, inbioibualifirte ©e* 
fdjlecht, als eine gerabeju foSmifhe, elementare ©ernicf)tuugS* 
macht offenbarten. Sn feiner frühen Sugenb, im Slatte 
»incipit vita nova“ fchuf er auS einet bumpfen Ahnung 
heraus baS „SBerbenbe“, in ben beiben UWeffalina=©lättern- 
hat eS feinen ©erni^tungSjug angetreten. S)iefe beiben ©lätter 
finb baS Unerhörtere, baS bie bilbeube Kunft an ®arftel* 
iung beS ©rotifchen aufjuweifen hat. Auf bem einen ©fätte, 
1897, alfo fürs üor bem Xobe beS KünftlerS entftanben, 
»Messalina returning from the Bath“ fehen Wir bie römifdje 
Kaiferin wie ein Ungeheuer bie äRarmorftufen ihres SabcS 
hinanfteigen. ©in förmlicher ©tierfopf, mit jähem ^>aar 
nach oom gebeugt, fifct auf bem furjeit biefen Siumpf, beffen 
eiferne ©rüfte baS herabgleitenbe ^)emb entblößt, währenb bie 
rechte §anb neben bem atterSbiden Seib jur gauft geballt 
ift. ©inem Ungeheuer gleicht baS SBeib, baS mit feinen 
Süften bie ÜRenfchheit oerwüftet, Wie ein Wüthenber ©ber über 
©acht fruchtbare ©elänbe. ©S ift bie ©erlörperung beS ©e* 
fchlechtS als furchtbare 3 er flörungSmacbt, gefteigert burdh bie 
SButh über bie bem ©cnufjüermögen gejogenen ©renjen. Auf 
bem anberen ©latte ift SReffalina etwas jünger. £ier fehlen 
ihr bie ©icnftlinge noch nicht. Sht Körper hat noch Üleije üon 
fo furchtbarer Art unb Süfte oon fo gewaltiger ©jpanfionS* 
traft, ba| fie im ©enuffe alle §ößen unb |>immcl jugleid) 
ju oerfchlingen begehren. ®iefe jweite 9Reffalina ift bie ©er* 
förperung ber furchtbaren ©aalSpriefterin, ju bem in aßen 
©erfaflSjeiten baS SBeib anfdjwiflt unb in beffen ©choojj bie 
Kraft beS ÜJfanneS rettungslos oerfchwinbet. Sie wirH un* 
wiberftehlich unb ift unerfättticl). ©erabeju bewunberungS* 
Werth ift bei biefem ©latte wieber bie ©infachheit ber UJlittel, 
Womit ber Künftler, ber oom ©aeften nur bie ©ruft jeigt, 
bie au§erorbentliche SBirfung erreicht. Auf ganj fchwarjem 
©runbe fehen Wir SReffalina mit mächtigem geberljut; bar* 
unter ein Heines, biefeS ©eficht mit furjer breitet ©afe unb 
gefhwoßenen Sippen, bann bie üoße entblößte ©ruft, bann 
baS Sorfett, baS fie über bem ©oef trägt. ®ic aufeerorbent* 
liehe SBirfung wirb in biefem ©latte, abgefehen oon ber ge* 
rabeju monumentalen Sinie, burch bie jähen ©ontrafte oon 
©hwarj unb 23eifj gebilbet. ®aS ©latt wirlt wie ein nächt* 
lieber Alp. SBie in folchen ßeiten unter bet ^crrfchaft foldjcr 
©ieffalina ber 9©ann atöbann immer mehr jum oerbummten 
©chlemmer herabfintt, baS hat unS ber Künftler gejeigt in 
jenen beiben ©lättern, bie baS männliche ©egenftüd ju jenen 
beiben SReffalinen bilben. ®aS eine heißt „Ali*©aba", baS 
anbere ift eine männliche gigur, bie er 1896 als Titelblatt 
für bie ßeitfehrift »The Savoy* jeichnete. Sn ber ganjen 
©robuction ©earbSlel/S finben fich, neben ber ewigen ©chilbe* 
rung beS SBeibeS, laum ein paar SRänner, unb biefe Wenigen 
finb entweber lüfteme fclaüifche gaune ober birecte Sbioten. 
©S ift bieS höchft charafteriftifch, ba unter ber §errfchaft beS 
Teufels baS SBeib auS feinet pfhdpfchen unb phhfiologifchen 
Anlage heraus [ich ju einer ebenfo üppig gebeihenben, wie ge» 
fährlicfjen unb unwiberftehlichen ©iftbiüthe cntwidelt unb außer* 
orbentlidje ©nergielräfte entfaltet, währenb ber 2J?ann, beffen 
Kraft nicht Wie beim SBeibe im ©efchlecht, fonbern im Sn* 
teflect beS concentrirten SBißenS ruht, ju einem ohnmächtigen 
Schwächling herabfintt. gwei üongett angefchwämmte ©äncljc, 


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184 


Ute (Begettwart 


Nr. 12. 


bie gerabeju ton einem (paueß felbftgefädigen Stets unb 
SSibermärtigleit umtoeßt finb, fptingen unS baßer bet biefen 
beiben SWännerfiguren juerft in bie Slugen; bei ber einen 
buteß bie toeibifeße Socetterie ber rofenüberfjäuften SEoilette 
unb meibifeßen ©rajie, bei ber ?lli=©aba»gigur bureß bie 
orientalifcße ©eßtäfrigfeit jur Unerträglidjfeit ertjöEjt. 2Rit gleich 
feßneibenber Sronie ift ber äRattn, ber $err ber Schöpfung, 
alä Derbummter Sclate ber meiblicßen STeufetSmacfjte, bie bureß 
©innlicßfeit entroürbigte unb erfcf)taffte ÜJfanneälraft nocß 
nie bargeftedt morben. ©rmäßnt fei an biefer ©teile nocß, 
mie ber Zünftler ßeimlicßc Satire felbft ba bietet, ttco er 
anfdjeinenb mit felbfttergeffener Seibenfcßaft bie 2 J?äcßte beä 
©Öfen, bie §errfd)aft beä Dom Teufel befeffenen SBeibeS ge» 
ftaltet; fo finben mir 5 . SB. auf bem ©latte »The Wagnerians“, 
mitten unter biefen Ungeheuern toon grauen, alä einzigen 
SRann einen Weinen fetten, glaßföpfigen 2 >uben unb inmitten 
ber fRofenpracßt auf „the fruit beares* im Drnament einen 
©eßmeinefopf... (Sr mar ber ©ünbe überbriiffig! 

SJlit biefen Schöpfungen befcßloß ber Stünftier fein futjeä, 
fcßaffenäreicßeä Seben, baä er, faft nod) ein finabe, laffen 
mußte. (Sr hatte feine ber SBirflicßfeit entmurjelte Sf3f)antafie 
auägefdjidt, neue ©arabiefe ju fuchen, unb hatte* in einer 
fchönheittrunfenen ©ünbe eine 3 e 't lang bie Schönheit ge* 
fueßt, bie baä Seben ihnt Derfagte, bann aber, angemibert, 
Don ißr abgelaffen. (Sr hatte fie geftaltet in einer 'Secßnif, 
beren (Sinfachheit unb ©odenbung beinahe unerhört, roährenb 
feine erotifeße ©ßatttafie fo unerfcßöpflicß, als ob fich bie 
Sluäfcßmeifungen Don Saßrtaufenbeu im ©eßirne biefcS Slnaben 
concentrirt. T)er reiche Scßaffenäproceß feines furjett Sebenä 
mar mie baä meitßinlcucßtenbe, aber ebenfo rafd) fid) felbft ter» 
jeßrenbe, lobcrnbe ©liißen einer ^aubcrfacfel, bie eine unfiefjt» 
bare £anb üorftredt, um geßeimnißtode liefen ju erhellen. 
®ocß folche Offenbarungen gehen mit ©lißeSfcßnede, finb 
ebenfo furj mie Don pruntenber Spracht. Unb fo fann man 
fagen, ber junge Äünftler, ber fo früh ftorb, mar baä Opfer 
ber Sntenfität feiner ©cgabuug. Sä giebt ein ©latt, baä ju 
feinen testen gehört unb baä man alä bie ©erförperung 
jeineä Sebenä beuten fönnte, bem ein früher Stob fo halb 
ein giel gefegt: „The Return of Tanehäuser to the Yenus- 
berg“, ein ©latt Don ergreifenber Trauer. Sn tief feßmarjer 
ÜRacßtlanbfchaft fehen mir bie flagenbc ©cftalt beä Döüig ge= 
broeßenen Siebepilgererä noch einmal bie£)änbe fehnfüchtig bem 
©erge ber ©enuä ßülfloä entgegenftreden, mährenb bornigeä 
©eranfe, in baä er fich Derirrt, ihn am (Streichen beä gieleä 
hinbert... @0 mögen bie lebten Seßnfucßtägrüße gemirtt 
haben, bie ber junge ©enuäpriefter Dom Sterbebett in 2Ren» 
tone an baä Seben, baä er fo früh taffen mußte, gerichtet 
haben mag ... alä er halb barauf mit bem ©rucifij in 
ben £>änben feinen ©eift aufgab ... 

©ein ganjeä reiches 2Berf mar ein ößmnuä an bie Siebe 
unb bie Schönheit, menn auch an bie Siebe unb Schönheit, 
ber meber bie claffifche fReinßeit unb Unfdjulb, noch 
fleifchfrohe Äraft fpäterer 3 e 'ten eignet, menn auch auf bie 
Siebe unb Schönheit, bie bie heiße gieberpßantafie eines 
franfen Träumers in fünbhaften ©arabiefen erbad)t. ®od) 
abgefeßen baDon, ein SSerf an pft;d£)ologifc^er 2iefe mie fünft» 
lerifcßcr ©odenbung über alle ßeiten unoergänglich. 


<Sd)letertnad|ec tutb bie ittoberne Religion. 

©on fjeinrid) UTcyer > Benfey. 

©ine fchier unabfehbare gluth Don Stuffähen, 3 c 'tungä= 
artifeln, mie üon ßiftorifeßen ®arfteUungen bis 511 üielbänbigen 
©ammclrncrfen hat unä bie Dorjeitige geier ber Saßrßunbert» 
menbe befdjeert, eine gluth, üov ber unä, menn nicht £>ören 


unb Sehen, fo bod) menigftenä Ueberfcßau unb Sritif Der» 
geht. 28ie Diel SEBerthDolIeS Don ihr jurüdbleiben mirb, mufi 
bie 3ufunft entfdjeiben; aber jmeifeln barf man, ob SBerfe 
Don ähnlichem ©emicht barunter finb, mie jmei, mit benett 
einft baä jeßt Derfloffene Sahrhunbert begrüßt mürbe. 3h 
meine bie „SKonoIogen" Don gr. Schleierma^er, erfchienen 
im Slnfang 1800, unb baä elf Sahre ältere ©ebidjt „S)ie 
ßünftler" Don Spider, morin biefer „an beä Sahrhunberti 
SReige", in eigenthümliihem 3 u fammentreffen mit ber toitf» 
liehen Sahrhunbertmenbe (1789!), ben freien, ftoljen 6ultur= 
menfehen al§ ben reifen Sohn beä 18. Sahrh«nbertä feiert. 
®aä erftgenannte SBerf fönnte alfo jeßt feinen 100. ©eburtl= 
tag feiern. Slber nid)t mit ihm foKen fich biefe 3«ilen b 
fchäftigen, fonbern mit einem anberen michtigeren, baä i|ra 
üorauägeht unb auf baä fich ber ©lid Don ihm unmiflfürlid) 
jurüdroenbet, bie im Sommer 1799 erfchienenen Sieben 
„lieber bie ^Religion". ®ie ©entenarfeier biefeS ©ucheä ift 
in ber »Chat Don ben $h e °I°9 en mürbig begangen morben, 
am mürbigften burch bie SReuauägabe Don Sic. SJubolf Otto, 
bie in fauberer Sluäftattung bie urfprüngliche gaffung ber 
Sieben mit Snhaltäüberfichten unb Slnmerfungen unter bem 
$e£t, fomie mit ©or= unb Sftachmort unb jmei ©ilbniffen 
Schleiermacher’ä barbietet unb, jumal bei bem niebrigen 
©reife, red^t geeignet erfcheint, biefeS claffifche T)enfmal in 
ben meiteften Streifen ber ©ebilbeten einjubürgern.*) Sebet 
fennt Schleiermacher atä ben großen ^Reformator ber pro» 
teftantifchen £h e ot°9> e » an ben ade freieren ^Richtungen bei 
19. Sahrhunbertä . anfnüpfen, fei eä auch polemifd). ®o§ 
biefe feine erfte unb midjtigfte ©efenntnißfehrift baßer für 
ben 'Jheolagen ein ungemöt)nlicheä Sntcreffe ßat, ift oßne 
SB3eitereä üerftänblich- Slber eigentlich mar fie bod) nicht für 
Theologen beftimmt, fonbern an ein ganj anbereä ©ublicum 
gerietet, benn fie trägt ben SRebentitel „fReben an bie @e= 
bilbeten unter ißren ©eräeßtern". Unb menn fie heute mieber 
oor bie Oeffentlicßfeit tritt, fo ift boeß rnoßl bie SReinung 
babei bie, baß fie auch heute noch ih* c ^^ urfprüngliche ®e» 
ftiinmung erfitden !ann, baß fie auch ben gebilbeten „©er= 
ädjtern" ber fReligion Don heute noch etmaä ju fagen hat. 
(Sä ift baßer gemiß berechtigt unb münfeßenämertß, baß nießt 
nur Xßeologen bem Sucße ©eaeßtung feßenfen, fonbern baß 
auch bie eigentlichen Slbreffaten beffelben, menigftenä folcße, 
bie außerhalb ber ©renspfäßle einer pofitiüen SReligion fteßen, 
oßne barum ber SReligion überhaupt ganj entfrembet ju fein, 
feiner ©erfüubigung laufdßen unb fieß mit ißm anäeinanber» 
feßen. ’ 

@ä fod ßier natürlich Hießt eine ßiftorifeße SBfirbigung 
oerfueßt merben; ba^u mürbe meber ber SRaum noeß bie firoft 
genügen. ÜRur eine Semerlung fei geftattet. 2>ie adgemeine 
3eitlage beim ©rfeßeinen ber Scßrift ßatte eine gemiffe Stehn» 
licßleit mit ber heutigen, fo baß aueß babureß bie ©rneuerung 
berfelben befonberä jeitgemäß erfeßeint. 2Ran tarn bamall 
auä einer ©podße ber Stufflärung, beren ßödßfter ©ipfel unb 
Ueberminbung jugleicß Äant mar, in eine anbere, mo bit 
biälang ju furj gefommenen ©eiten ber menftßlicßen Seel«, 
©ßantafie unb ©efüßl, nun um fo fcßranfenlofer fieß äußerten, 
namentlich in einer gemaltigen SReubelebung beä religiöfen 
Sebenä, bie freilich nießt in aden ©rfeßeinungen erfreulich 
mar. Steßnlicß ßaben mir eine 3 e il ber §errfcßaft bei 
SRaterialiämuä ßinter unä; ber beßerrfeßenbe ©eift auf pßilo* 
fopßifcßem ©ebiete ift ßeute mieberum Sant; unb feßon fteßen 
mir mitten in Strömungen unb Strebungen, bie tßeilä bired 
religiöfer Slrt, tßeilä Seitentriebe unb Sdßmaroßerpflanjen 


*) ©Bttingen, tBanbenßoecf u. 3Jupre^t. SBeniger empfeblenSnxrtt 
erftbeiut mir bie burcf) ben gteiepen Slnlafe ßeröorgerufene Sdjrift Don 
SDt. 5 1 )cf)er, Scijleiermac^er. (©erlin, @d?metfcf)Te.) Sie roifl eine®«» 
ftettung ber Scf)(etennad)cr'(d)en ©ebanfenmelt geben burcf) Stnalpfen ber 
JÖauptfcbriften, nieift mit beren eigenen ©Sorten, bürfte aber für beit, 
ber ©cfjleiermadjer fonft gar nicht tennt, faum Oerftänblid) fein, für ben 
Renner bagegen nur wenig 9?eue8 enthalten. 


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Nr. 12. 


Die flieget! wart. 


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am Saume ber fRetigion finb: üon ber gtucfet in bie Sirefee 
bis gur äRfeftif, gum ©piritilmul, Dccuttilmu! unb fonftigem 
Stberglauben. 

Die fßotemif gegen bie Stufflärung unb gegen Sant ift 
ein wefentlicfeer 3 U 9 ' m ßfearafter bei Sucfeel. (Segen jene 
toenbet fid) ©cfeleiermacfeer, Wenn et unermübtidfe tuieberfjoft, 
bafe fRetigion ni(fet äRetapfefefif ober äRorat ober aucfe ein 
©emenge aul beiben fei, — Sant’! „fRetigion innerhalb ber 
©rennen ber biofeen Sernunft" ift in ber Dfeat faum mefer 

all ein Entlang gur praftift^ert ‘'.ßfeitofopfeie, — fonbern ein 

felbftftänbiger unb gleichberechtigter, gteidfe ursprünglicher 
gactor neben ifenen. Denn „ifer SBefen ift webet Renten 
nocfe ^anbeln, fonbern Stnfdfeauung unb ©efüfet. Slnfcfeauen 
toiH fie bal Unioerfum (unter biefem Stulbrud fafet ©dreier* 
macfeer fRatur unb StRenfcfeenWelt gitfammen), in feinen eigenen 
Darfteßungen unb tpanbtungen loiK fie e§ anbäcfetig be» 
taufefeen, oon feinen unmittelbaren ©inftüffen miß fie ficfe in 
finbticfeer fBaffiöität ergreifen unb erfüllen taffen". „Dal 
Uniüerfum ift in einer ununterbrochenen Dfeätigfeit unb offen» 
hart ficfe uni jeben Sfugenbtid. Sebe gorm, bie el feeroor» 
bringt, jebel SSefen, bem el nach ber gälte bei Sebenl ein 

abgefonbertel Dafein giebt, jebe Segebenfeeit, bie aul feinem 

reichen, immer fruchtbaren ©cfeoofee feeraulfcfeüttet, ift ein 
£>anbeln beffetbeu auf uni; unb fo alle! ©ingetne atl einen 
Dfeeit bei ©angen, alte! Sefcferänfte at! eine Darfteflung bei 
Unenbtidfeen feinnefemen, bal ift fRetigion." Slnfcfeauung unb 
©efüfet, anbäcfetigel ©rieben bei 210! im ©etnütfee, — fo 
täfet ficfe furg ©cfeteiermacfeer’l fRetigion befiniren. — Der 
Unterfcfeieb gegenüber ber äRetapfefefif unb ber äRorat tiegt nid)t 
im Stoff, fonbern in ber Sefeanblung beffetben. „©teilet ©ucfe 
auf ben feöcfeften ©tanbpunft ber äRetapfefefif unb ber äRorat, 
fo merbet 3fer finben, bafe beibe mit ber ^Religion benfetben 
©egenftanb feaben, nämlicfe bal Unioerfum unb bal Serfeättnife 

bei äRenfcfeen gu ifem.-©ofl fie ficfe atfo unterfcfeeiben, 

fo mufe fie ifenen ungeadfetet bei gteicfeen ©toffel auf irgenb 
eine Strt entgegengefefet fein; fie mufe biefen ©toff gang 
anberl befeanbeln, ein anberel Serfeättnife ber äRenfcfeen gu 
bemfelbejt aulbrüden ober bearbeiten, eine anbere Setfaferungl» 
art ober ein anberel 3iet feaben." (äRan benfe etwa baran, 
mit toie üerfcfeiebenem Sluge ber ÜRaturWiffenfcfeaftter, bet 
^olgfeänblet unb ber Sünftter benfetben Saum betradjten: 
für Senen ift er ein fßrobuct Oon ©toffen unb Kräften, ein 
nacfe ©efefeen tebenber Organilmul, für ben 3 toe ‘ ten c * ne 
beftimmte ÜRaffe oon Stufe» ober Srennfeotg, für ben Sefeten 
ein ©ornptej oon Simen, garbeit unb Sidjtreftejen.) 2Benn 
bal ©emütfe bei irgenb einer ©rfcfeeinung ober einem ©rteb» 
nife ein Sßirfen bei Unioerfuml fpürt ober afent, bann legt 
el bem einen retigiöfen ©fearafter bei, nennt el feeitig ober 
göttticfe. ©ine ©rfenntnife Oom SBefen beffetben ift baritt 
eben fo wenig entfeatten, toie eine Seftimmung bei SBißenl, 
atfo aucfe eine ©ottifion mit biefen anberen Seurtfeeitungl» 
Weifen unmöglich- Stuf biefer ©runbtage ergeben ficfe über» 
rafcfeenb tiefe unb neue Definitionen bet ©tunbbegriffe aßer 
fRetigion: SBunber, Offenbarung, ©ingebung tc. „Unb fo 
befagen alte jene Stulbrüde (wie ,2Bunber‘) nid)tl, atl bie- 
unmittelbare Segiefeung einer ©rfdfeeinung aufl Unenbticfee. 
— SBunber ift nur bet retigiöfe SRame für Segebenfeeit, jebe, 
aucfe bie aflernatürtidfefte, fobatb fie ficfe bagu eignet, bafe bie 
retigiöfe Stnficfet oon ifer bie feerrfcfeenbe fein tann, ift ein 
SBunber". ©ben barum ift aber aucfe bal Sßunbet atl 
folcfed JeinelWegl ber naturgefefetidfeen Setracfetung entrüdt. 

SBoßen wir uni bal Sßefen biefer Strt fRetigion in 
unferer eigenen ©pracfee ttar macfeen, fo brauefeen wir an 
©efeteiermaefeer’! Slulbrud nur eine leife ©orrectur im San» 
tifefeen ©inne öorgunefemen: wir f affen fRetigion niefet atl bal 
$anbetn eine! unbefannten, unerlennbaren unb unfafebaren 
Unioerfuml auf uni, fonbern gang fcfelidfet unb nücfetern atl 
eine befonbere Strt Oon ©eelenoorgängen. Sn unfern fitt» 
tidfeen Sewufetfein empfinben Wir uni, wie unbebingt üerant» 


wortfidfe, fo pgteiefe Oolltommen frei unb unabhängig in 
unferm Dfeun, aßer Sebingtfeeit unb grembfeerrfdfeaft entfeoben 
unb einer abfoluten Spontaneität fäfeig; wir fetbft finb uni 
tefeter 3^ed unb erfte Urfacfee unferel Dfeunl, bal äRafe aßet 
Dinge unb ber Duefl afler SBertfee. Slber neben biefem ©efüfet 
tiegt ein anberel, ifem entgegengefefet, unb boefe mit ifem un» 
trennbar oerbunben, wie bie Seferfeite einel Stattei, bal ©e» 
füfel einer grengenlofen Stbfeängigteit unb Sebingtfeeit. ©I 
ift feier niefet bie fRebe Oon ben fo unenbtidj mannigfadfeen 
Slbfeängigfeiten im ©injetnen, benen wir unterliegen, ben 
©inftüffen ber umgebenben fRatur, unb ber menfdfeticfeen Ser» 
feättniffe, ber ©eferoaefefeeit unb Sebürftigteit bei Seibel unb 
ber Unooflfommenfeeit bei ©eelenorganl, burdfe bie jeber 
ftRoment unferel Dafeinl, jebe fteinfte fRegung taufenbfättig 
beftimmt ift, unb beren Sluffeeßung ©adfee ber SBiffenfcfeaft 
ift. ©onbern e! feanbett ficfe nur um bie Seftimmung unferel 
©efüfetl, bafe wir uni niefet atl fetbftänbige, abgefonberte 
©jiftenjen empfinben, fonbern atl Dfeeit einel ©anjen, atl 
©lieb in einem grofeen 3 u f an, menfeange, atl ein Dropfen im 
unenbtidfeen ÜReere bei ©einl. ©o ift el fRetigion, wenn 
Wir im Slnfcfeauen ber grofeen Stßnatur berfinfen. fRetigion 
ift el, wenn wir nn! in unferer feiftorifdfeen Sebingtfeeit all ben 
©rben aßet oergangenen ©enerationen, atl bal aßfeitig be» 
ftimmte unb getragene ©tieb ber Stßmenfcfefeeit empfinben unb 
Slflen, bie Oor unb neben uni an unferem ©ein gebaut feaben, 
ben 3°H ber Da nt barfeit unb fßietät entrichten. fRetigion ift 
überhaupt jebel ©efüfet, bal uni aul uni fetbft feinaulfüfert, unb 
bie ©eferanfen unferel Scfel erweitert, burefebriefet, überftutfeet, 
bie Siebe im engften unb intenfioften ©inne, Wie aucfe in jebem 
anbern, bie Siebe pm ©inptnen, pm ©emeinwefen, bem man 
angefeört, pr ganjen üRenfcfefeeit; ober beffer, bie gemeinfame 
©runbtage unb SRutter aß’ biefer ©efüfete ift fRetigion. 2Bo 
fie eir.feitig gefteigert wirb unb ben äRenfcfeen aulfcfetiefeticfe 
befeerrfefet, ba ift bal ©nbe bal Oöflige Stultöfdfeen ber fßer» 
föntidjfeit, ba! fRirwana. — Slber aucfe innerhalb bei ©in» 
jefnen feat bie fRetigion ifete Sebeutung. SEBie bal fitttidfee Se» 
wufetfein ben fDSittetpunft aß’ unferel föanbetnl unb ©trebenl 
abgiebt, fo ridfetet el wieberum unfeten SSiflen auf ©inen fßunft; 
feierfein werben aße Sräfte concentrirt unb oereinigt, er ab» 
forbirt ben gangen SERenfcfeen. ©egenüber biefer Slnfpannung 
bebeutet bie retigiöfe ©timmung eine. Stbfpannung unb 
Söfung; bie befreiten Sräfte ftiefeen jurüd unb erfüßen bie 
ganje ^eripfeerie unferel ©einl; nacfe ber gewattfamen 3 Us 
fpifeung Wirb bie Ooße, runbe ftRenfcfeticfefeit wieber feergefteßt. 
Dal ©efüfet für bie Dotatität be! Sebenl in uni unb um 
uni, bal ift bal eigentliche Sßefen ber fRetigion. 

fRiemanb tann oerfennen, bafe fRetigion in biefem ©inne 
wirfliefe jur Urantage bei äRenfcfeen, p feinem unoertierbaren 
Sefifee gefeört. ©ie ift in ber Dfeat oon bem prattifdfeen 
Sernunftgtauben Sant’! feimmelweit Oerfdfeieben; unb ifere 
©ntbedung bebeutet einen wertfeüoßen ©ewinn über Sant 
feinaul. Slber wofetgemertt, nur über Sant feinaul, niefet 
gegen ifen. Stulbrüdlicfe werben bie grofeen ©rgebniffe feiner 
Sritif ber praftifefeen Sernunft ooraulgefefet unb anerfannt, 
namentlich bie unbebingte Stutonomie bei ©ewiffenl. äRit 
größter ©ntfefeiebenfeeit wirb jebel Sünbnife gwifefeen ätetigion 
unb ©ittti^feit abgetefent; „tein Dropfen Seligion tann unter 
biefe gemifefet werben, ofene fie iferer fReinigteit gu berauben". 
„Slßel eigentliche fpanbetn foß moratifdfe fein, aber bie reti* 
giöfen ©efüfete foßen wie eine feeitige äRufit aße! Dfeun bei 
äRenfcfeen begleiten, er foß aflel mit fRetigion tfeun, niefet! 
an! SRetigion." ©benfo wenig, wie gur äRajime bei ^»anbetnl, 
wirb anbererfeitl bie ©efüfetlretigion gum ©rfenntnifegrunb 
gemifebraudfet, ober oerfudfet, barauf eine Strt Dfeeologie ober 
©tauben gu begrünben. ©efeteiermaefeet ift offen genug, in 
einem befonberen Stbfdfenitt (©. 123—130) bie Segriffe ©ott 
unb Unfterbticfefeit Oom SZBefen ber fRetigion aulgufdfetiefeen. 
SBobei el gang befonber! erfreutiefe ift, bafe bie lefetere niefet 
etwa atl unbenfbar ober abfurb, fonbern atl irrreligiöl Oer* 


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186 


Sie töejjtttwari 


Nr. 12 


Worfen Wirb: biefe Sepnfutt, bie ©tfjvanfcrt feinet 3t§ Z u 
oerewigen, ift bem ©eifte ber Religion, bcr ©rweiterung ber 
ißerfönlitfeit unb Stufgepen im Unenblidjen Derlangt, gerabe 
entgegengefept unb bie ©otteSOorftedung ift nur eine gorm 
bet retigiöfen Slnfdjauung, bie bon ber Stiftung unferer 
ißpantafie abpängt, unb ficf) auf jeber Stufe ber ^Religion 
einfteden fann, alfo nitt einmal ju einem Sertpmeffer taugt. 

2tber wie gept eS ju, baß nidjt St'a nt biefe ^Religion ent* 
bedt pat? Docp nitt, weit er fetbft ein irretigiöfer 3Renft 
war. Stam bot aucp er aus einer frommen,' pietiftifrfjen 
ganiitie, patte bot auch er eine gotteSfiirdjtige ©rjie^uug 
hinter fid). Unb baff biefe ererbte grömmigfeit ipn burdj’S 
ßeben begleitet pat, baß in bem Sdjlußtpeil ber „Sritif ber 
UrtpeitSfraft" aut baS gewaltige Gingen eines ©emütpS mit* 
ftwingt, baS fit feinen ©ott nicpt rauben taffen Witt, unb, 
ba er bie Greife ber ©rfenntniß nitt ftören batf, ipm wenig* 
ftenS eine 2trt ?lltentpeit als ©egenftanb beS praftifcpen 
©taubenS fitem möchte, — wer, ber jene ©apitet einmal 
getefen pat, fönnte baS Derfennen? fReligiöS ,im lanbläufigen 
Sinne war fiant gewiß; wie ift eS möglid), baß bem großen 
©ntbeder alter erften Anfänge unb lebten ©rünbe, oder 
wahren ^Realität, baS SEBefen ber ^Religion entgangen ift? 
Unb wäre er irreligiös gewefen, — feljlte ipm niept aud) 
©eftmad, Äunftfenntniß unb SfunftDerftänbnijj? Unb bod) 
pat biefer 2Rann, ber im ßeben faum ©in SerE ber großen 
Shmft wirflit erfaßten pat, er pat unS bie ©runblegung ber 
Sleftßetif gef Raffen, bie burt 2ltteS, waS feitbem Don Stünft* 
lern unb SRidftfünftlcrn gefdjricben würbe, bunpauS nicpt 
überholt ober erfept ift, ju bet wir nad) meiner feften Ueber* 
Zeugung auch ßeute nocp zutüdfepren muffen, wenn wir 
unS aus bem ©paoS unbeholfen' taftenber, primitiver Sßer* 
fmpe in bie Sahn einer gefunben ©ntwidelung retten wollen. 
— Slber abgefepen baDon, Sant giebt uns ein gefdjloffeneS 
Spftem ber oerfepiebenen a priori, ber urfprünglicpen fd)öpfe= 
rifdjen Einlagen unfereS ©eifteS, bie in eigentümlicher ©efeß* 
tidjfeit eine eigene Sett erzeugen. Soden Wir bie ^Religion 
biefen einreihen, fo muffen wir bot, woden wir nidjt ganz 
Don SReuem bauen, juDor eine ßüde im Spftem nachweifen. 
fRun ftedt Sdhleiermacher bie Religion als Drittes neben 
äRetapßpfif unb SRoral, Don ber . Seit beS ©rfcnnenS ober 
beS ^anbelnS fonbert er fie als SReicp beS ©efühlS. 21 ber be* 
fteßt nicht bei Sfant biefetbe Dreiteilung? '.Reben ber Sritif 
ber reinen (tpeoretißpen) unb ber praftiften Vernunft fteßt 
bie ber UrtpetlSfraft, neben bem ©rfenntniß* unb bem Serif)* 
urtheil baS äftßetifcpe Urtpeil. Der fßlap, ben Stleiermater 
für bie ^Religion erobern Will, ift alfo fton befept: neben 
ihr erhebt bie Stönheit barauf Slnfprucp; weldjer uou Seiben 
lommt er Don fRettSWegen ju? 

Ober hängen Seibe Diclleitt fo enge jufammen, baß 
fie ihn gemeinfam einnehmen tönnen? Sinb fie gar im 
©runbe eins? ßtehnticEje Steuerungen finb ja in ber $cit 
Stleiermater’S, im Äreife ber SRomantifer nitt unge* 
Wößnlit- — Unzweifelhaft beftepen zaßlreite unb Wichtige 
Sleßnlüpfeiten 5 Wiften bem, was Scpleiermater als fReli* 
gion beftreibt, unb bem, waS wir fonft als guftanb 
beS äftßctiften Verhaltens lennen. 3Ran benfe nur an bie 
Definition ber SReligion als Slnfcpauung unb ©efüßl, ober 
Dielmehr ben guftanb beS SewußtfeinS, wo SeibeS not ju* 
fammen unb eins ift. Die ^Religion will ruhige Seelen, fie 
labet ju müßiger Seftauung, jum fttUen hiugegebciten ©e* 
nufe. Sie rettet ben SRenften oor ©infeitigfeit, ©nge unb 
geiftiger Slrmutp, fie giebt ipm UniDerfalität, unbegrenzte 
Seite beS Sinnes. „fRur ber Drieb anjuftouen, wenn er 
auf’S Unenblite gerittet ift, fept baS ©emütl) tu unbefdjränfte 
greiheit, nur bie ^Religion rettet es Don ben ftimpftiten 
geffeln ber SReinung unb ber Scgierbe." 2l(S Slnfdjauung 
bleibt fie immer etwas ©injelneS, SlbgefonberteS, ftrebt nidjt 
jum Spftem; „bei ben unmittelbaren ©rfaprungen Dom Da* 
fein unb §anbeln beS UniDerfumS, bei ben einzelnen 2ln= 


ftauungen unb ©efühlen bleibt fie fiepen". Slber wenn fie 
nur ©inzeliteS fiept, fie fiept eS nidjt einzeln unb für fit, 
fonbern im grojjeit Sinzufammenpange. Sie fennt nur 3n= 
bioibuen, aber jebeS SnbiDibuum ift ipr wertpDoH unb peilig 
als eine eigentpümlitc Darftellung ber ©attung, ber 2Renft* 
peit: bie unenblite SRannigfaltigfeit ift notpwenbig, um bie 
ganze güHe ber Sbee zu erftöpfen. 21 ut ben gemeinfteu 
gormen ber HRenftpeit wirb fie gerett, benn „jebe pat et* 
waS ©igentpümliteS: feiner ift bem Slnbern gleit, unb in bem 
ßeben eines Sehen giebt eS irgenb einen SRoment, wie ber 
Silberblid unebterer 2RetaHc, wo er, fei eS burt bie innige 
2lnnäperung eines pöpern SefenS ober burt irgenb einen 
eleftriften Stlag, gleitfam auS fit heraus gepöben unb 
auf ben pödjften ©ipfel Desjenigen gefteHt wirb, WaS er fein 
fann." @S ift opne SeitereS flar, bajj alle biefe Veftim* 
mungen ebenfo gut Don ber äftpetiften, ber fünftleriften Slrt 
Zu fepen unb zu erleben gelten. Soburt unterfteibet fit 
nun biefe Don ber ^Religion? Dunp baS |)inzufommen eines 
ganz ueuen gaetorS, beS fünftleriften ©eftaltenS. Stteier* 
maiper fetbft fpritt bieS auS, opne bot ben Unterftieb fetbft 
fdjarf z« erfaffen: „©iebt ©ott einem, ber in biefer ßaufbapn 
fiep bewegt, zu feinem Streben nat StuSbepuung unb Dutt* 
bringung aut jene mpftifte unb ftöpferifte Sinnlitfeit, 
bie adern Snnern aut ein äujjereS Dafein zu geben ftrebt, 
fo muß er nadj jebem 2luöfluge feines ©eifteS in’S Unenblidpe 
ben ©inbrud, ben eS ipm gegeben pat, pinfteden aufeer fidp, 
als einen mittpeilbaren ©egenftanb in Silbern ober Sorten; 
um ipn fetbft auf’S -Reue in eine anbere ©eftalt unb in eine 
enblicpe ©töfje Dermanbelt zu genießen, unb er muß alfo aut 
unwidfürlidj unb gleitfom begeiftert . . . baS, WaS ipm be* 
gegnet ift, für 2lnbere barfteUen, als Ditter ober ©epet, 
als fRebner ober als ifünftler." 

'.Religion ift alfo gleitfom bie eine Seite beS fünft* 
lerifdjen ßebenS zu befonberer Stärfe unb Sntenfität ent* 
widelt, nämlit bie paffioe, receptiDe, baS, waS nitt Staffen, 
Silben, gormen, fonbern nur ©rieben, ©mpfangen ift; fie 
ift not nidjt Sunft, fonbern baS, WaS ader ftunft unb 2leftpetif 
ZU ©runbe liegt. So finb benn bie gelben ber ^Religion, bie 
Seper unb EjSroppeten, ben Zünftlern engDerwanbt; ja, zuweiten 
finb fie gerabezu SeibeS zugleit, gewöpnlicp mit unzuläng* 
liter ©eftaltungSfraft (Wie etwa SRaeterlind). Stteier* 
matet fetbft befennt Don fit, baß ipm bie gäpigfeit fünft* 
lerifdjen Staffens fepte, unb bebauert ftmerjtit, baß 
er beßpalb bie eine gorm ber ^Religion, bie auS bem jfunft* 
finu perDorgepe, nur apnen unb glauben, nitt fepen unb 
begreifen fönne. ©r ift uns baper ber widfommene, offen* 
bare Seleg für bie 2lnnapme, baß baS retigiöfe ©enie ge* 
wiffermaßen bie £älfte beS ÄünftlerS, bie JReceptiDität opne 
bie fdjöpferifte ©abe, fei. 2lber nun fönnen wir weiter 
fagen: Äunft im 2tdgemeinen ift nur ülbftraction, tpat* 
fädjlit Dorpanben finb nur einzelne Sfünfte. ©benfo giebt 
eS niept Äunftwerfe fttettpin, fonbern ©ebitte, ©emälbe, 
SDiufifwerfe u. f. w. Sie 2lde entnepmen ipren Unterftieb 
unb ipr Sefeu auS ber Derftiebenen 2trt beS SilbenS. DaS 
bloße Stauen unb ©mpfinben bringt nittS peroor. Senn 
baper Äant im fReite bcr ^ßtincipien a priori ber Religion 
fein ©ebiet angewiefen pat, fo müffen wir ipm unbebingt 
SRett geben. 5Rur in ber Äunft wirb baS ©efüpl in eigen* 
tpümlidjer Seife fdjöpferift; nur ipr gebüprt ber tßtap neben 
ber Seit beS DenfenS unb ber Seit beS fittlkpen §anbelnS. 

Dem fteint nun bie cinfatfte ©rfaprung z u Wiber* 
fpreten. Denn überad in ber ®eftit te unb in ber ©egen* 
wart um uns per finben wir ^Religion in gewiffe gormen 
gebannt, in eigenartigen ©ebilben wirtfam: wir fepen Dogmen, 
©ulte, Stirdjen. Snbeffen, ber Stein, ber unS pier täufth 
ift leitt z u Z er fibren unb fton Don Stleiermater fetbft 
wibertegt. Denn ade biefe Dinge gepören gar nitt jur 
^Religion; fie finb ipr nur äußerlit beigemifdpf. Denn bie 
SReligion, bie Stteiermater meint, finben Wir in ber ®c* 


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Nr. 12. 


Die ffiegentoari 


187 


fcßicßte nirgenbS rein; überall ift fie mit SRetapßßfif unb 
SRoral, — bie mit tßr im ©runbe gar nichts ju tßun ßaben, 
— tierunreinigt. Unb immer mieber marnt Scßlciermacßer, 
ber SReligion boeß nießt baS ^ujufcßreiben, maS nur biefen 
frembeit 3 u föß en jur Saft falle. SaS bot auch biefeS große, 
reine ©efüßt mit Seßtfäßen unb BegriffSfßftemen ju tßun? 
Unb mie follte ein ©emütß, baS gan$ in rußenbe Betracß* 
tung aufgelöft ift, auf ftercottjpe fßtnbolifcße ^anblungen 
DerfaHen? Unb tt)ie ift eine Kircße oßne BeibeS benfbar? 

Sit Be^ng auf ©ogmen bat Scßleiermacßer felbft bie 
äußerften ©onfequenjen gezogen: er bat and) bie testen 
Xrümmer berfelben, bie ber Bilberfturm ber Slufflärung unb 
ber fritifcßen ^ptjifofop^ie noch tierfcßont ßatte, aus ber 
^Religion ßinroeggeräumt; er ßat bie ©otteSoorftellung für 
unroefeittlicß, bie UnfterbließfeitSßoffitung für unfromnt er« 
ftärt. Snbem mir gerabe beßroegen in Scßleiermadjer ben 
großen ißropßeten ber mobernen SReligion feiern, befinben mir 
unS in einem begreiflichen ©egenfaß ju bem Urtßeil ber 
Theologen — ber Herausgeber ber „Sieben" mag ßier für 
fte einfteßen —, beiten ber Sieformatot ber proteftantifeßen 
^^cologie hierin boeß ju meit gegangen ift. @8 feien baßer 
über ben erfteren ißunft menige Sorte geftattet. „Sn ber 
SReligion mirb baS Unioerfum angefeßaut, eS mirb gefeßt als 
urfptünglicß ßanbelnb auf ben SDienfcßen". Ob mir biefen 
(Seift bcS UnitierfumS perfonificiten, ßängt Don ber Stiftung 
unferer ^ß^antafte ab, nämlich bation, ob fie fieß ein ur* 
fprünglicßeS H an beln nur in ber gorm eines freien SefenS 
benfen !ann. 51 ber aueß biefer frei ßanbclnbe ©ott tarnt 
unfere ©lüdfeligleit nießt tierbürgen (mie er ttaeß Kant 
müßte); er tann nießts als fidß uns ju ertennen geben. ®aö 
ßeißt boeß in aller gorm bie Sbec eines perfönlicßen ©otteS 
als SlntßropomorpßiSmuS proclamirt. ©anj gemiß, biefer 
©ott ift tion bem eigenmächtigen Sunbertßäter aller pofitioen 
^Religionen, ja felbft tion bem BetmitUicßer beS ©nbjloedS im 
(Sinne Kant’S ßiminelmeit tierfeßieben, bagegen tion bem ©otte 
beS ißantßeiften taum auSeinanber jn tennen. Unb felbft 
biefer (eife Unterfcßieb feßminbet, menn mir aus ber begriff* 
ließen Formulierung ber Sieligion ben naitien SlealiSmuS 
ßinauScorrigiren, ber bieS ßanbelnbe Unitierfunt als außer 
uns gegeben feßt. Sluf biefer Höße beS reügiöfen GmpfittbenS 
muß jebe SöorfteUung eines perfönlicßen ©otteS, folange man 
mit bem Sorte irgenb einen Begriff oerbinbet, als grober 
93erftoß, als SttatiiSmuS erfeßeinen; ßier ift ber ißantßeis* 
muS bie einzige angemeffene unb mürbige ©eitfform, ber 
SpantßeiSmuS in bem Sinne, mie er feit 130 Saßren bie 
©runbftimmung aller maßrßaft großen Kunft bilbet, mie er 
in bem ©ießter beS ©anßmeb unb beS großen gauft*2Rono= 
logS („©rßabener ©eift u. f. m.) feinen flaffifcßen SluSbrud 
gefunben ßat. 

Sic. Otto reeßnet eS ju ben befonberen SSerbienften 
biefer Scßrift, baß Scßleiermacßer barin eine SBrücfe ju 
einem ßößeren ©otteSglauben gefd)(agen ßat, jmar einen 
feßr feßmanfenben Steg, aber er felbft ift ißn gegangen unb 
ift auf ißnt jurftdgelangt — nießt nur jum perfönlicßen ©ott, 
fonbern fogar „ju bem Bater Sefu ©ßrifti." Sidjerticß ßat 
ber fpätere Hofprönger unb SEßeologicprofeffor mit bem ©otte 
beS ©aubenS unb ber Kircße feinen grieben gemaeßt, fo feßroet 
man fteß naeß biefer Sugenbfcßrift aueß eine folcße Sanb* 
lung öorfteUen tann. ©emiß märe eS überaus intereffant 
unb leßrreicß, biefe ©ntmidclung ju tierfolgen; inbeffen, baS 
märe eine rein pfßeßologifcß=ßiftorifcße Unterfucßung unb liegt 
ßier, mo eS fieß um bie rcligiöfe Sßrincipienfrage ßanbelt, 
außerßalb unfereS SegeS. @8 ift im ©runbe bie alte ©r* 
faßrung: 

„3)em ,§errfidjften, luaS aud) ber ©eift empfangen, 
drängt immer fremb unb frember Stoff fiep au; 

Senn mir $um ©Uten biefer SBelt gelangen, 

®ann ^eigt ba§ $8effre $rug unb 28a£>n. 

®te un8 ba$ Sieben gaben, Ijetrlicpe ©efüftfe, 

©rftarren in bem irbifdjen ©eiuü^te." 


SUIe großen unb neuen ©ebanfen müffen, menn fie nießt mit 
ißrem Scßöpfer tiergeßen, fonbern bie Seit erobern toollen, 
ißre urfprünglicße SJeinßeit unb Seßönßeit tierlieren, fie müffen 
aus ißrer HimmelSßöße ßerabfteigen in biefe niebrige unb 
unreine Seit, um fie, jmar nießt ju fieß emporjujießen, aber 
boeß ein fleiueS Stüdcßen ßößer ju bringen. Sft eS bem 
Sßriftentßum, ift eS ber Sieformation, ift eS irgenb einer 
Sirtung beS ©eniuS jemals anberS ergangen? 3umeilen, 
menn ben Scßöpfer felbft ein gütiges ©efeßid im Slnfangc 
feiner Saufbaßn baßinrafft, merben Slnbere iräger biefer ab* 
fteigenben ©ntmidelung, unb fein 93itb bleibt ben Späteren 
in reiner Sugenbfcßöne erßalten. Sie bei ScfuS. Häufiger 
tiottgießt fidß in Senem felbft bie Sanblung. ÜWan braueßt 
babei nießt an SlbfaH, an feigen (Kompromiß ober an Heuchelei 
ju benten. Seber ÜRenfcß ift Dotier Siberfpriicßc unb 3n* 
confcquenjen; aueß ber ©rößte ift nießt immer auf feiner 
ßöd)ften Höße, ift nießt in allen Sinteln unb ©den tion 
feinem innerften Sefen erfüllt, unb ift bem Kreisläufe alles 
SeinS, bem SRiebergange unb bem Sitter, nießt entnommen. 
Unb noeß meßr mirft ein anberet Umftanb: ber ©runbtrieb 
jebeS ftarfen, gefunben, probuctitien SRenfdßen ift, ju rnirfen, 
ju ßanbeln; baßer muß ber ©ebanle ganj notßmcnbig, fobalb 
er auS bem einfamen Snnern beS ©eßirnS in baS ©etriebc 
ber Seit ßinauStritt, naeß ben Sebürfniffen beS SirfenS 
umgeftaltet merben. ©er ■Sutßer Don 1520 unb ber tion 
1530 finb feßr tierfeßieben. UnS ift ber füßne, macßttiotle 
ißropßet, ber SSerfaffer beS SenbfdßreibenS „Sin ben cßrift* 
ließen Slbet" unb beS ©ractatS „S8on ber greißeit eines 
Sßriftenmenfcßen" untiergleicßticß lieber unb mertßtioller, aber 
ben ©ang ber Seltgefcßicßte ßat ber Slnbere, ber Sutßer beS 
lleinen KatecßiSmuS, ber Sßibelüberfeßer, ber Orbner beS 
©otteSbienfteS unb KircßenregimentS, befiimmt. So moüen 
mir uns aueß bureß ben fpäteren Sdßleiermacßer nießt ßinbern 
taffen, uns an bent jungen tion Herjen ju freuen unb ju 
erbauen. 

Sn SSejug auf ©ogmen fanben mir uns mit Seßteier* 
maeßer in Uebereinftimmung, nießt fo in H* n f^t au f 
Kircße. H' er öerfueßt Scßteiermacßer eine feßr lünftlidße 6on* 
ftruction, um nießt nur bie ^Berechtigung, fonbern fogar bie 
SRotßmenbigfeit einer Kireße, bie iß fließt eines Seben, ißt an* 
jugeßören, naeßjumeifen, — eine ©onftruction, in ber jeber 
einzelne Salten morfcß ift. ÜRur in tioüfommener Stille unb 
©infamteit, nur menn mir allem Sätm, aller Unruße ber 
Slußenmelt, atfo aueß allem Serfeßr mit anberen SRenfcßen 
entrüdt finb, tann baS Unitierfunt auf uns mitten, fönnen 
mir ben tiefinnerften ^Regungen unferer Seele laufeßeit. ©aßet 
fagt feßon ScfuS: „Senn ©u beten roillft, fo geß’ in ©ein 
Kämmerlein unb fdßliej) bie ©ßür ßinter ®ir ju." Soju alfo 
bie religiöfe ©emeinbe? — „3m SRenfdßen liegt ber ©rang 
naeß SRittßeilung; mie follte er baS größte unb ftärtfte @r* 
leben für fuß beßalten tönnen?" Slber baS tieffte unb ge* 
maltigfte ©rlebniß beS ©injelnen ift eS oßne grage, menn 
SRann unb Seib in Siebe in 6inS jufammenfließen; mie eS 
fißon früße als Silb ber Bereinigung ber Seele mit ©ott 
gebient ßat, fo ift eS in Saßrßeit nidßt nur baS natur* 
gegebene Sßrnbol, fonbern gerabeju bie intenfitifte concrete 
gorm beS religiöfen ©mpfinbenS. güßlen mir uns barum 
gebrungen, eS auf offenem äRarfte auSjufcßreien? Hd ten üiit 
eS nießt tiielmeßr als föftticßften S^aß im Stßerßeiligften 
unfereS H er ä en ^? Sllfo feßon biefe erfte BorauSfeßung ift 
ßinfättig. ©inen anberen ©inmanb maeßt Scßleiermacßer 
felbft: bie Kircße ift gar nießt bie „©emeinfdßaft ber H e d'9 en "» 
ber maßrßaft fReligiöfen, baju finb biefe Diel ju feiten unb 
ju tiereinjelt; fie ift tiielmeßr für bie, meleße bie ^Religion 
erft fueßen, bamit bie Befißer berfelben ißnen ben Seg baju 
meifen. SUS ob ^Religion lernbar unb leßrbat märe; als ob 
©efüßle fieß übertragen ließen mie Borftellungen ober SillenS* 
impulfe! Slber maS Kireßen gebilbet ßat, ift niemals baS 
religiöfe ©efüßl gemefen unb tann eS niemals fein; ©ogma 


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188 


Dtc (ftegettttHtri 


Nr. 12. 


unb GultuS ftttb eS, bte fie gufantmenfyalten, alfo gerabe jene 
fremben ©lemente, bie bte Religion Deruntetntgen unb bie 
©cfjletermadjer oon i^r abfonbern Will. 2Bie foll man ftd) 
überhaupt eine SRtttljetlung biefeS retigiöfen ©efüljlS in feiner 
5Reinf)ett unb Urfprüngtid)feit beuten? 2>cf) fenne nur eine 
Slrt, baS innere ©rieben beS UntberfuntS auS fic^ fjerauSgu* 
fteEen unb Slnberen mitgutljetlen: baS 233er! ber großen ftunft. 
Sie aEein fann unS güfjrerin gut Religion, Vermittlerin 
mit bem SIE fein. ®er SirfungSfreiS eines ÄunftmerfeS ift 
bie einzige für unS mögliche gorm ber religiöfen ©emeinbe. 
— $)iefer 2Beg mar ©djletermac^er üerfagt; barum ergreift 
er als Surrogat bie althergebrachte gorm ber ißrebigt, 
bie, ihrem Inhalte nad) iibermiegenb moratifch, ihrer 2luS* 
brudSmeife nach tljetorifcfj, alfo fyilbfünftlerifd), bem gemachten 
©fjarafter ber früheren Religion entfprcidj. 2luS feinem eigenen 
233ir!ungSbrange, auS bem Vebürfniffe feiner inbioibueEen 
ÜRatur herauf ift biefc Stljeorie bon ber Sflrdje gu berftehen. 
Sind) baS 2Berf, baS unS befdjäftigt, ift ja nicht eigentlich 
religiös gerichtet, fonbern eS ift eine Xenbengfdjrift, eS flammt 
auS bem ®range praftifdjen SBirfenS. 3 U biefem 3 ro ede 
mirb bie grage nach SBefen unb Vebeutung ber ^Religion 
unterfucht, — alfo 2Biffenfc§aft im $)ienfte ber ißrajis. |)ier 
merben bann fehr merthboEe unb hebeutenbe ©rfenntniffe gu 
E£age geförbert, bie ftdj, mie arojje ©ntbedungen auf etf)ifdjem 
©ebiete gemöhnlich, unmittelbar ht reformatorifche Smpulfe, 
in päbagogifche ©nergte umfefjen. * 

©djleiermadjer mirft feinen Slbreffaten bor, bafj fie bie 
^Religion berachteten, ohne fie gu lennen. Slber moher foEten 
fie fie fennen? 9IEeS, maS man bisher Religion nannte, 
mar, ja fo fehr mit Slnberem berfe^t, bon fremben Sd)tnaro£er* 
pflahjen übertoudjert, bafj ber eigentliche Stamm faum gu 
erfennen mar. 3« 2Birfltd)feit ift ^Religion in biefem Sinne 
erft bon ©djleiermadjer entbedt. 233ir muffen in ihm ein 
reiigiöfeS ©enie ehren, mie eS in biefer SReinljeit unb Ur* 
fprünglid)!eit nur gang feiten erfchienen ift. ®enn bei faft aflen 
früheren fReligionSftiftern maren bie moralifchen SCenbengen 
ftarf übermiegenb. SESarum hot Schleietmacher nun nicht 
eine neue, eigene Religion geftiftet? ®ie SRöglidjlett bap 
erfennt er unurnmunben an, mie er ja auch aEe anberett 
pofitiben ^Religionen neben bem 6f)riflentl)utn gelten läßt 
unb für bie 3 u ^ un fl 3 war ©ine Äirdje, aber nicht ©ine 
^Religion als ©nbjiet ^infteEt. SEBarum tput er lieber ben 
salto mortale in’S ©hriftenthum, in bie c^riftlidje ^irdje Ijin* 
ein? 28ir bemerlen junächft, bafj bei fortfdjreitenber Sultur 
fReugrünbungen auf religiöfem ©ebiete immer feltener unb 
immer unboEfommener burchgeführt merben. ©inmat, meil 
eben bei fortfdjreitenber ©uttur bie ^Religion in ihrer rela* 
tiben Vebeutung für baS ©efammtleben immer mehr gurüd* 
tritt, einen immer geringeren Vrudjt^eit ber borhanbenen 
©nergie berbraucht. ©obann, meil baS religiöfe ©enie, je 
reiner eS fid) geigt, um fo meniger auf äufjereS 2Birfen, ©in» 
richten, Umgeftalten, Drganifiren angelegt ift. 3h m genügt 
bie unmittelbare Sleufjerung. ©rft menn ihm biefe berfagt, 
menn eS bon ber beftehenben ©emeinfehaft auSgeftofjen unb 
berfolgt mirb, fd^afft eS fich feinen eigenen SlreiS. Schon 
SSefuS hat baS Vanb mit bem 3ubentE)um nicht fefbft ger* 
riffen. ßutljer hat überhaupt feine neue ^Religion gegrünbet, 
unb felbft bie ©eceffion auS ber ißapftfirdje lag nicht ur* 
fprünglid) in feinem 2BiEen, fonbern ift ihm burdh ben ©ang 
ber äußeren ©cfdjidjte aufgegmungen. gür Schleietmacher 
beftanb ein berartiger ©runb nicht, ©r fühlte fich > n leben* 
bigem ©ontact mit feiner Umgebung, er fanb nicht 23er* 
folgung, fonbern miflige 2tufna|me unb ein meiteS gelb für 
fruchtbares 2Birfen, — maS hätte er mehr moEen fönnen? 
Unb bann — mit ^Religion in ©djteiermadjer’S Sinne lägt 
fich llun einmal meber „eine" SReligion nod) eine Sirdje 
grünben. $ie reine Religion fennt nur ben ©ingetneu unb 
baS Unitoerfum, Stuge in Stuge einanber gegenüberftehenb, fie 
fann nur gang prioate Slngelegenfjeit beS SnbioibuumS fein. 


©rft burch Segirung mit SRetaphhfif unb ERoral erhält fie 
bie ©onfifteng unb ©d)mere, bie fie braucht, um gu bleiben* 
ben ©ebilben oerarbeitet gu merben. ^Religion ohne ©ott 
unb Unfterblidjfeit, — baS hat uns Schleietmacher gelehrt 
unb baS banfen mir ipm; aber eine „pofitiue" ^Religion ohne 
'BeibeS — baS fann ich mir nicht benfen, unb ebenfo menig 
eine JReligionSgemeinfdhaft ohne ®ogma unb ©ult. 


I 


ifeuilTeton. 

- ^a^bruef verboten. 

Kebtrtü»tt0. 

9Son Hobby 3 ones - 


3o^n $av!er§ liebte Siffb $reen unb war fo tierliebt, bafe er ju 
Siüem fähig toar, fogar iur größten Dummheit. (£r befebiofe alfo eine^ 
fchönen £age3 f ihr feine Siebe ju gefteljen unb fie um ihre |>anb ju bitten. 

„^Otein lieber ^arterS," fagte i^m jeboeb Siffhr „toie gerne mürbe 
ich bie Sbre werben, aber <5ie fommen xu ftoät." 

,8u fbät?" 

„Qa, $ar!er§, um anberthalb ©tunbe ju fpät. 3)enn Oor anberts 
halb ©tunben habe ich ntic^ mit greb SBilfinö oerlobt." 

W D!" rief $arfer§ auS, unb in biefem „D!" lag ber ganje Schmer^, 
unb ben trug er nun brei SSo^en lang mit fich herum. 

9?adj biefeit brei SBochen erholte er fich fo toeü wieber, bafc er fic^ 
ganj ohne fonberliche SKuhe in State Sriithnann oerliebcn fonnte, bie 
ju ben entyücfenbfien Räbchen beS ganzen fianbeS gehörte. Sluch fie 
fchien an $arfer3 (Gefallen ju finben, unb ba8 war fein SBunber, benn 
ein hübfeher Aerl war er, — Me3, wa§ recht ift. 6r wieberholte alfo, 
wa§ er bei (£iffi) Äreen fchon gethan. @r bat Ääte um ihre £anb. 

„Um ©otteSwitten, wie fchabe!" flagte fie. „^Sarfer§, warunv 
fagen 6ie mir baS §lfleS ju fpät! ^ätte ich bie§ nor einer 6tunbe 
gewußt, oor 58 Minuten fogar, bann hält 7 ich ja mit greuben Sa ge* 
fagt, fo aber ..." 

„@o . .. aber . .. ber?" 

„@o bin ich feit einer ©tunbe mit 93ob IHalcigh berlobt." 

„Donnerwetter!" unb in biefem 2lu$rufe lag — (ftebe obenl) 
Da§ h ei 6l f nein; & lag nicht ber ©chmerj barln, ben er bann brei 
2öod)en mit ftch herumtrug, fonbern nur für jwei Wochen. Denn nach 
jwei Wochen fant fie. ©ie — düeline ©mith- ©ie, bie alle attberen 
Räbchen beS ganjen SanbeS in ben ©chatten fteflte. ©ie, bie man 
lieben mufjte, wenn man fie fah. Unb ba ^ßarlerS immer that, waS er 
mufete, fo that er 7 3 auch je^t. ®r üerliebte fich fogleich in baS fd)Bne r 
herrliche 3J2äbchen unb befchlob fofort, aber ohne jebe SBerfpätung, $u 
SDtife Goeline au gehen unb fie um ihre $anb, um baS entjüdcnbfte 
§änbchen ber 28elt ju bitten. 

„Shr Antrag, Stifter ^arfer§ ehrt mi(h fehr, unb, unter un$, ich 
würbe ihn bon ganzem ^erjen, wirf lieh bom ganzen ^erjen, audh an* 
nehmen ..." 








|IV iv iv , 


trüber 2lh nun 9- 

„Sa, wenn iih nicht fchon berlobt wäre." 

„2Rit wem?" fragte ^arferS faft fbrachlog. 

„9}?it 33en §oüeij." 

„Unb . .. unb feit wann, üftifj (Sbeline? ©eit wie biel 3JUnuten?^ 

©ie fah ihn erftaunt an. 

„©eit $wan$ig Minuten." 

„O!" unb — nein, wa§ ber fiefer bermuthet, fommt nicht. 3r 
biefem „£)!" lag fein ©djmer$, fonbern etwa§ wie eine (Erleichterung 
Denn bafe er nur awanjig Minuten ju foät gefommen war, ba§ gaf 
ihm feine Hoffnung lieber, bie Hoffnung, ba§ nächfte 3Jfal nicht mehl 
fpät ju fommen. ©ein Sftecorb befferte fich ja aufeerorbentlich. SSon 
1.30 auf 0.58, bon 0.58 jefct auf 0.20, ba§ war coloffal, unb er hatte 
alle (Ehanceit, beim nächften Dfeunen um eine grau, al§ guter ©rft« 
ju lanben. 

DiefeS nächfte kennen liefe benn auch nicht lange auf fich warten. 
Seicht ent^ünblich, wie 3°hu ^arferS war, entflammte er wenige Dag« 
fpäter in h^ifeer Siebe ju Sllice SWontrofe, bem unbeftritten entAucfenben 
Sffäbcben, wie S^ber weife. 

gilt 7 «," fagte Sohn Dörfer« ft^ felbft unb ging ju ®Ufe 
Slltce unb bat fie, bie ©eine ju werben. 

„Die 3^re? $Rit taufenb greuben!" 

©o hatte S^hn $arfer« enblich fein 3iel hoch erreicht. <£>ib! fib! 
hip, hnrrah! 


9lbenb« fagte ihm 5llice: „Reifet Du aud), mein Sieber, bafe um 
ein §aar je^t ein Slnberer an Deiner ©teile Utx wäre?" 

„3Biefo?" fragte Sohn Sßarfer«. 

„5Setl eine SWinute nach Dir S3iÜ SBalfer gefommen ift, um eben* 
faß« um meine .fpanb ju bitten." 


i 


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12. 


DU ÖUgenroart 


189 


Unb fie lacpten 33eibe, unb er brüdte fte an ftep unb gab Ipr 
einen pergpaften Kuß. 

©ine Minute! ©ine einige AHnute patte fein ©lüd entfliehen! 

• * 

* 

3)rei ©oepen fpäter mären 3°pn ParferS unb Alice SHontrofe 
ein Paar. Unb baS blieben fie lange, lange, fange. ©)rei ©oepen 
mtnbeftenS, ober maren eS gar toter? $>ann .. . na, bann ging ja bie 
Sad^e auep noep, aber auSeinanber. Unb 3opn ParferS fuhr fiep burep 
bie $aare unb flucpte. „©ine Ginnte," fagte er, „nur eine Spinntet 
$er Xeufel pole biefe Derbammte Uebereilung!" 


jitts bet 


Wttftre liebe /rau tum iJttlo. 

$ierre SoÜ, ber aflgit ©ubjectibc, pätte eS uns gar niept fo beut* 
lt<P unter bie Rafe gu reiben brauchen; miffen mir hoch ohnehin, baß 
ber berliner 23ürgerSmann fein Parifer ift unb auch Dergroeifelt menig 
Anlage §at, eS je gu merben. Run bie lauen Süfte mählich ermachen 
unb ein ©pagiergang burch bie Straßen mieber lohnt, meil lodere 
grüplingSgragie bie feufcp-plumpen ©interfleiberfäde gu Derbrängen 
beginnt, nun pilgert über bie SBouteDarbS in'S SouDre gur ernften 
fterrin Don SReloS, mer in Paris mohnt unb Heinrich £eine peißt. 
3)em ^Berliner aber liegt bie Rationalgalerie gu meit Dom ©ege ab; 
auep pält man fte ängftlich juft in ben ©tunben Derfperrt, mo ber 
Rormaluntertpan Qeit unb Saune für Kunftgenüffe pat. ©ir tröften 
unä beß, glüdlicher ©etfe. 3n ber griebriepftraße unb ber Paffage 
mimnielt’S Don Kunftläben unb KunfUScpaufäften, unb ein SBlid in bie 
AuSlagefenfter gemährt unS Kimmeriern, maS bie armlofe ©öttin bem 
ftechen Heinrich gemährte. Alles mit Unterfchieb, natürlich- $a bie 
brillant retoudjirten Photographien palbnadter tarnen, bie merfioürbigen 
Actftubien mit ben feltfam Derrenften, proßig parabirenben ©liebem in 
Säben gu fehen fmb, über benen groß unb beuilich Kunftgefcpäft gu 
lefen fleht, fo ermäepft unS felbftDerftänblich bie Pflicht, in ben ©onter* 
fei§ entblößter £)teros©cpultern unb praller ©pirnai)* Peine Kunftmerfe 
gu erbliden. Kommt bann #err Roeren'beS ©egeS gegogen, fo erfdjridt 
er mit gug Dor ben Perirrungen unferer Kunft unb ift nach eingepenber 
©efiepttgüng aller etreiepbaren Atutoffope Dollauf beredjtigt, ber gröfc 
liehen Serleßung beS Schamgefühles Don ©eiten ber Pödlin, $ofmann 
unb Klinger ein ©nbe gu machen. 

$)ret ober Dier 3<*prc ift per, bie ©pecialitätemXpeater fürchteten 
Damals noch feinen ©cpußmannSpelm, unb im ©intergarten gab’S $inge 
gu fepauen, beren 3 u 9^ ra f^ feine Roeren'fcpe Reclame gu erhöhen ge^ 
braucht pätte. Por Drei ober Dier Sapten mimte eine Parifenn auS 
$antopol Dor ben Perliner Kunftfreunben bie ^inreigenbe ©olofceite 
Sa Puce. ©pree^Pabel mar entgüdt über bie tarnopolitanifepe ©ragie 
ber $)ame, bie gefdplagene fünfunbgmangig Atinuten lang baS unglüdlidpe 
Snfect peßte unb^ fein ©eheimniß ihrer fpißenüberriefelten, batiftenen 
Seibmäfcpe ungelüftet ließ, damals tagte gerabe ber Reichstag, unb 
menn er auch nicht officieH gur glopjagb eingefabeit morben mar, fo 
ift hoch angunepmen, baß biejenigeit feiner Atitglieber, bie fiep mie ©err 
Roeren für plaftifcpe Kunft interefftren, baS erftaunli^e Pkrf betrachteten. 
Pietteicpt ließ fidp £err 9toereu bamalS burep bie 3eitungen täufepen, 
beren ^Referate über Sa Puce fämmtlicp in ber 9?ubrif Kunftnacpricpten 
erfepienen, unb fo mußte er aHerbingS einen fepönen Pegriff Don ber 
mobemen Kunft befommen. ©r hätte am ©nbe mißtrauifeper fein unb 
bebenfen foHen, baß fogar ber „©ifengapn" Don ber oberflächlichen Preffe 
mit Xpcatcr, Kunft unb 5Siffenfcpaft in Perbiubung gebracht morben ift. 
Snbeß, mer in Perlin eine ^anb DoH SRidel für SRutoffopfreuben pingab, 
ftatt fie ben ©igarren^lutomaten gu opfern, unb mer bie glopfünfte beS 
^poEotpeaterS tpeuer begaplte, bem baif man e$ niept Derargen, menn 
er burep Perfittlicpung ber beutfepen Kunft fiep unb feine Kinber Dor 
Peutelfcpneibereien ähnlicher Hrt pinfort gu bemapren traeptet. 

9lucp menn man niept über ben fritifdjen Plid beS 9teicpStag?= 
abaeorbneten JRoeren Deifügt unb niept fo Diel 3*it mie er auf Kunfts 
ftubien Dermenben fann, fäfit ©inem unangenehm auf, baß bie Pegeifte* 
rung für picante ©cpaufenfter=?luSlagen fiep Dornepmlicp bei ber reifen, 
miU fagen, total unreifen Qugenb unb jenem fepönen Filter finbet, baS 
gern über bie ©ittenDerberbniß ber ©egenmart fepimpft, meil bie eigene 
leiber bereits ber Pergangenpeit angepört. Sarocpefoucaulb meint ja, 
oUe ©reife gäben qerit gute Sepren, um fiep bafür gu rächen, baß 
fie feine böfen Peifptele mepr geben fönnen. 5)er fepaepmatten Süftern* 
peit ift jebeS äBeißmaarengefcpäft fepon füubiger ©tacpel unb pöQifcper 
©reuel gugleicp; ein bißepen iamenmäfcpe erregt ipr bie peitfepenben 
Pegierben, bie Sriebricp ©epilier in bem unb jenem frechen Qugenb= 
gebtepte pietätlos Derpöpnte, unb mirb Don ipr folgerichtig als fdpam= 
öerlebenb unb Slergerniß erregenb Derbammt. 2)en gefunben, niemals 
ausgehungerten 9Ratm bitnfen berlei Anfechtungen fomifcp ober miber= 
roärtig, unb bpd) liegt pier ber Urgrunb beS gemiffen ©ittlicpfeitS= 


3clotentpumS. 9Ran foüte ipn niept auS ben Augen lajfen. ^aS 
empörte s J)ieer ber Seibenfcpaft fcpleubert feine Atogen noip in bie fernften 
Aegirfe, unb mie alles Ätenfcplidpe auS ipm, nur auS ipm perborgept, 
fo giert aHeS Atenfcpli^e naep ipm. Unbefriebigte ©epnfucpt aber feplägt 
in $aß unb perDerfe SButp um. Unfere liebe ^au Don 2Rilo unb alle 
Kunft, bie ipr jauepgenb pulbigt, fanb ben eingigen unDerföpnlicpen 
©egner immer im Heerbann ^erer, bie ben SWpfterien niept mepr beU 
mopnen Durften. 

©ie liegen Dermunbet auf bem ©cplacptfelbe unb jpuden ben hoffen 
ber fiegreiep Sorüberbraufenben fcpimpfenb naep ben C>ufen. SJtenfcpens 
art unb SRenfcpenlooS. Ä3ir miiffen fie gemäpren laffen. ©in AnbereS 
freilich ift eS um bie pflieptmäßige ©orge für baS peranmaepfenbe ©e? 
fcplecpt. 2)em überfrüpen ©rmaepen fnabenpafter ©innllcpfeit mit ipren 
taufenb ©efapren müffen mir mepren, menn mir niept unfer 93olf gu 
©runbe richten laffen moHen. Dpnepin ftacpelt baS ungefunbe Seben 
in ben ©roßftabtpfercpen bie fiep regenben Qnftinctc gu geilem 28acpS= 
tpum, unb bie auf ©affen unb Sßläpen breit auSgefteflte ©eplüpfrigfeit 
erpipt baS junge Alut gur 9taferei. §err IRoeren pat bie ©ipaufenfter,, 
bie er fo eingepenb betrachtete, Don ©epaaren palbmücpfiger Söengel unb 
SRäbel umlagert gefepen; ^err IRoeren geigte ben fepaubemben Ab* 
aeorbneten ©oüecttonen fepmupiger Ailber, bie in ben ©pmnafien Don 
©anb gu £>anb manbern unb bie träume unferer jungen Derpeften. 
©ine fmmierige &ünfgroJdjensKunft pat fiep aufgetpan, unb gemiffenlofe 
©peculanten paben eine Siteratur gefepaffen, bie mir auSrotten müffen, 
menn mir niept bie Arunnen Dergiften laffen mollen, barauS beutfepe 
SSolfefraft unb AolfSgefunbpeit quillt. 3” ^ariS unb Aubapeft eyiftirt, 
eS ift mapr, noch fcplimmere, grellere Pornographie. Aber ber ©aflier 
nimmt berlei fnotige ©eperge eben als ©eperge auf unb la^t Darüber 
pin, mäprcnb unfere Sugenb mit brennenben ^Sangen ipren eniften . 
©inn gu ergrünben fuept. ©ineS fepidt fiep niept für Aöe, unb als 
©ontaglum fällt in'S fepmere ©ermanenblut, rcaS ber ffrangoS unb ber 
§albafiat tänbelnb in bie Suft blafen. 5)iefe Kunft unb biefe Siteratur 
ber orbinären 3 0te P at ^Roeren, pat ficperlicp bie SReprpeit beS 
Reichstages gunäepft treffen mollen. ©S mar eine eprenpafte, lobenS* 
mertpe Abpcpt, obgleich fie bie Aernicptung einer großen unb blüpenben 
Snbuftrie bebeutete, einer 3nbufttie, bie boep eigentlich fo gut mie jebe 
anbeie ben ©cpup mirtpfcpaftlicp aufgeflärter wfänner Derbient. ^tx 
lobenSmcrtpen Abficht tpat eS feinen ©epaben, baß man ipretmegen gang 
unnötpig naep ber burep Dielen ©ebraudj, burep fonft nicptS, übermäßig 
glängenb gemorbenen Klinfe gur ©efepgebung griff, greili^ hätte eine 
fimple ^oligeiDerorbnung burcpfcplagenDeren ©rfolg ergielt unb gleiip^ 
geitig unferen ©rmäplten bie erfte europäifepe Blamage beS 3flpr s 
punbertS erfpart. 

Ajenn fidj baS pope §auS trop allebem biefe Alamaae gu^og, 
fo lag bie ©cpulb allein Daran, baß eS berechtigt ift, ©efepe über 
SHnge gu maepdt, Don benen etmaS gu Derftepen feine SRitglieber niept 
gcfeplicp Derpfliiptet ftnb. £>err Rocren unb feine Anhänger fapen bie 
©renglinie niept, bie bie ©innlicpfeit ber ©offe Dom Reich iprer abligen 
©cpmefter fepeibet. ©ie patten ipren Kunftfinn unb ipr Kunfturtpeil an 
ben ^potograppien gebtlbet, bie in ben ©pmnafien Don £>anb gu feanb 
manbern, unb Don moberner Siteratur mußten fie nur baS unerhört 
©cpredlicpe, baS gute greunbe ipnen über bie jept fo beliebten ©ntflei* 
bunaSfcenen ergäplt patten. Sa $nce fo im Apollo^Xpeater, mie auf 
ber ®üpne in ber ©parlottenftraße, mo bie grau beS 5)irectorS burep ipre 
ftramme ©eftalt $>aubet’S $leitemännipen bannen mollte; Sa ^uce bet 
Sautenburg, unb nun fogar bei 3Rabame SBupe! ^>err Roeren mar un* 
flug genug, Dor ber gangen Ration in Saufcp unb Aogen gu Derflucpen, 
maS er boep offenbar nur Don £>örenfagen fannte. greunb ©roeber 
entpüHte bie SBlößeu beS ©entrumS noep mepr, bie, opne ungücptig gu 
fein, baS ©dpamaefüpt gröblich Derlepen: er hielt in aller ©emütplicpfeit 
©abriet 9Ray, Den Derftiegenen 9Reifter religiöfer Rtalerei, für einen 
& la Reiffer frifirten gla^lanbS=©eleprten. ©mpörenbe Unmiffenpeit 
röfelte fiep im gelben ©aale; niept einmal ben Rameit beS Apolls Don 
23eloebere mußte einer ber mit Stimmenmehrheit gemäplten Kunfcölut- 
riepter rieptig auSgufprecpen. Statt feine 3fl»orang, feine KurgRcptigfeit 
gu Derbergen, prahlte man mit ipr unb Derlangte, baß alle ©eit 
fie als Rormal = ©epfcpärfe betrachte, lieber ©ubermann'S fünftlerifcpeS 
©epaffen mögen bie Meinungen nod) fo meit auSeinanbergepen — bie 
SBefcpimpfung, bie ipm ber ©entrumSabgeorbuete in’S ©efiept fcpleuberte, 
fällt fepmer auf ben Aeleibiger gurüd unb branbmarft ipn mie baS ©efep, 
Dem nun er, niept ber Racptmäcptermörber ^einge ben Ramen geben miTb. 
S)ie erareifenbeu ©orte beS ^Berliner ©riminalfcpupmanneS, ber SBödlin'S 
Spiel Der ©eilen anbonnerte: „baS 33ilb mit bem nadten ©eib muß 
raus, baS im ©affer liegt unb bie SBrüfte geigt" — biefe ©orte er* 
miefen fiep als fünftlerifcpeS ©laubenSbefenntniß beS beutfepen ReicpS- 
tageS. UnauSlöfcplicper glucp ber Säcperlicpfeit mirb nun audj ben ^ara= 
grappen beS ©efefceS anpaften, bie nötpig unb mißlich gemefen fmb. 
AllerbingS, feitbem man bie SBeftimmungen gegen bie ^Safdjageliifie ber 
Arbeitgeber feige ftriep unb bie an Rotpgucpt fireifenbe ungudjt in 
gabrifen unb ©aarenpäufern für facrofanct erflärte, feitbem blieben 
nötpige unb nüßlicpe Paragraphen faum noch übrig. 

$ie Künftlerfcpaft, bie in ben leßten ©oepen mit einiger ©nergie 
gegen baS ©roebertpum gu gelbe gog, pat ipren ©iberfaeper leiber iiber= 
fepäßt unb ben gangen Kampf um eine £>ctaoe gu poch gestimmt, ©ie 
hielt §errn Roeren für einen in iprem ©inne fünftlerifcp gebilbeten 
Rienfcpen unb meinte, peroftratifeper ©apnfinn pabe ben g'emaltigen 


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190 


Die ftegenroart. 


Nr. 12. 


©treiter geteuft, eS gelüftc ipn naep bem Wuprne, bie grau Don TOilo 
neuerbingS unter ©cputt unb Krümmern zu Dergraben. ©o fuepte fte benn 
ihm unb feinem ©efolge gut jujureben, in ber Hoffnung, bah er Vernunft 
annehmen unb bie kniee mieber Dor ber fußen §errin beugen merbe. Aber 
lange fepon ftßt fein Auguft SReic^en^pcrger mehr im WeicpStage. 3?uel 
Welten ftepen ftep gegenüber, bie nichts Doneinanber miffen, unb wenn 
auch in beiben Sägern Don kunft gefbrodjen mirb, jo Derbinben boep 23eibe 

i irunbDerjcpiebene begriffe mit bem Worte. £>err SRoeren unb bie ©einen 
tnb gar nicht fähig» ben ©ebanlengängen fepaffenber Gönner zu folgen. 
Wie pat fte ©trupel ober Steife! über Me Entftepung eines kunft* 
merfeS geplagt, nie ift ihnen bie Erleuchtung aufgegangen, baß alle 
lebenbige kunft auS ben ©innen fommt, unbefruchtete $pantafie aber 
Unfrucptbarfeit bebeutet. ©ie glauben eben an bie ©cpößferfraft ber 
Wetorte. Stamm ift eS unreept, ben Woeren ihr punnijcpeS, hoch teineS* 
megS böSmilligeS ©ßiepertpum übel zu nehmen, ©ie Derbienen Ver* 
eipung, benn fte miffen nicht, maS fie thun. SWan foü fte nicht fcpelten, 
o menig mie man fte aufeutlären Derfucpen fotl. Sieber einem Vlinben 
bie garben beS WegenbogenS fchilbern ober einem tauben $apua in 
mohlgeorbneter Webe §amlet'S räthfelreichen Eparafter unb feine Ve= 
Ziepungen ju Ophelia barfteHen. Von melcpetn ©tanbpunfte auS $Hegie= 
rung unb WeicpStag bie kunft betrachten, unb maS fie unter £>ebung 
ber ©ittlicpfeit Derftehen, baS hat bie erfepütternbe komif beS Eomßro* 
miffeS gezeigt, meines #err Wieberbing mit ben Vertretern ber Wtepr* 
heit abjcploß. Sunt San! für ihre bereitmiöige Opferung beS Arbeit* 
gcber=^aragraphen brachte er ihnen ben SheaterParagraphen auf bem 
Vräfentirtefier entgegen, ©eßen mir nun ben aüerbingS fehr unmapr= 
fcheinlichen gaü, bah einem fünftigen ©hafefpeare, §ebbel ober ©oetpe 
gelingt, feine ©tücfe auf bie Vüpne zu bringen, fo mürbe er erbarmungS* 
loS bem nächften beften Woeren Derfalleit unb mit ©efängnip gebüpt 
merben. Senn bie btepterifepe Vepanblung beS erotifchen Problems, beS 
gepeimnipbollften unb erpabenften zwar, ift geeignet, baS ©djamgefüpl 
irgenb einer zur Vetfcpmefter perangereiften horizontalen gröblich zu Der* 
Ießen. Unb baS bebroht bie Don kücpenlateinern auf ben Warnen eines 
Derfommenen ©trolcheS getaufte gupälterbilt mit kerferpaft. Unbeftraft 
Iäftt fte bafür ben lieben SanbeSbraucp, meibliche Arbeiterinnen bttrd) 
Vebropung mit Entlaffung, burch taufenb ©djifanen unb köberungen 
um ihre Ehre z u bringen. Sie meprlofe Vroletariertn gilt auch weiter* 
hin als greimilb, ift auch meiterhin ben ©elüften jebeS Vrobperrn ßreiS* 
gegeben, ber bie Vorzüge eines billigen |mremS zu ichäpen meip. Unb 
barin erblicft bie neue lex feine Unfittlichfeit, menigftenS feine ftrafbare. 

©olchent ©cheufal gegenüber ift baS Sadjen bie einzige Waffe. 
Wian ermeift ihm zu Diel Ehre, menn man eS ernft nimmt, ©djaöenbe 
hetterfeit aller gMtgenoffen muh unb mirb biefe in Paragraphen ab* 
geteilte Warretet begraben, ©ie mag ©efeß merben, unb ich halte eS 
faft für münfcpenSmertp, bah ft* ©efeß wirb. kennzeichnet fie boep mit 
araufamer ©djärfe bie geiftige £öpe ber beutfepen ©taatSmänner unb 
Politifer im officieHen zwanztgften gaprpunbert. Wirtlidje ©efeßeSmacpt 
unb ©tltigtett aber mirb fte nie gemittnen, fie mirb Dielmehr im Winfel 
Dermobem mie anbere juriftifepe ©tilübungen. Unb zu bebauern bleibt 
im gntereffe ber kunft nur, bah fich unter benen, bie ben barbarifchen 
Angriff abmehrten, fo Diele beS SacpenS unDermögenbe Wtänner fanben. 
Einige fapen beinahe fo pebantifcp Derpußelt auS mie bie Angreifer. 
Unfere liebe grau Don üttilo, bie, mie alle ©ötttnnen, ben überlegenen 
grohfinn liebt, hat gemih ein biSdjen fßötttjcp bie Achfeln gezueft, als 
£>err ©ubermann in Verlin freiftnnige Vierbanfpptafen in feine ©ar* 
faSmen mengte unb £err Vemftein in WJüncpen bie pübfcpe ©elegen* 
heit benupte, um auep gleich an ber „lex“ AronS, bem gaHe Weingart, 
ber agrarifepen Vegepriicpfeit unb maS fonft noch moplfeile WedjtSan* 
maltSfritif zu üben. 2Sie barf man eS ben PhWftern oerargen, bah fte 
SebenSfragen ber kunft für politifcpe Angelegenheiten auSgeben, menn bie 
Wortführer ber künftler ebenfalls in Vöotien geboren ftnb? 

Star ®ah gegen bie ©cpönpeit unb bie Weigung, neben anberen 
englifcpen 9Äobeartifeln auep ben cant nach Stautfdjlanb zu importiren, 
pat itnS bie lex £etnze-9ftoeren befepeert. Wie tugenbpaft fie audh baper- 
propt — im lepten ©runbe jittb ipre Paragraphen niept minber fcpmacp= 
Dolle Pornographie als bie Auslagen in Den Don JJung unb Alt um= 
lagerten Verliner 9foeren=kunftlciben. ©ie Veibe fepen bie, ©cpötthelt 
beS WeibeS unb bie heilige Wfpftif ber Siebe mit unreinen Augen an, unb 
fie Veibe befubeln baS meifje Vilb ber ernften ©öttin. ©ie Veibe Der^ 
leßen fo bie Würbe ber kunft mie bie ber grau, gm körper beS WeibeS 
niept mie gauft ben gnbegriff Don allen Fimmeln, fonbern ein ©efäh 
rafcp Derraucpenber finnlicper Suft z u fepen, ift orientalifcpeS, niept 
beutfcpeS Empfinben. Ob man eS burep ©cpmierliteratur unb ©epanbs 
ppotograppien unreifen Vurfcpett beizubringen traeptet, ober ob man bie 
Augen peucplerifcp Dor ber reinen Wadtpeit nieberfeplägt unb nach Seib= 
binbe unb Unterrocf fepreit, baS bleibt fiep gleicp. S>ie ©runbftimmung 
ift hier mie bort biefelbe, hl*^ tüie bort fepänbet man ben Sempel. ©o 
meit man ipn zu fepänben Dermag. Unfere liebe grau läcpelt freilid) 
immer mttleibSDott bei folcpen Verfucpen. Caliban. 


Drawatifdie ^wffü^tungen. 

„Wenn mir Stabten ermaepen." Ein bramatijeper Epilog in brei 
Acten Don £enrif gbfen. (SeutfcpeS Speater.) — „Sie Socpter 
beS EraSmuS." ©epaufpiel in Dier Acten Don Ernft D. Wilben^ 
b r u cp. (kgl. ©(paufpielpauS.) — E r m e t e W o D e 11 i tm SeffingrSpeater. 

ES pat lange gebauert, epe bie Verliner Apoftel beS norbifepen 
WtaguS ipre boep fepon feit Monaten fertig geteilten Eommentare, Er= 
fäuterungen unb Seutungen feines „Srantatifcpen Epilogs" in Srud 
gepen laffen unb ber anbacptDoH laufepenben Welt Derfünben fonnten. 
Ser gefcpäftSfüple §err Vrapnt Derfpracp mit Wecpt menig Don ber 
Speatermirfung beS ©tiideS, unb ba er eS ©epanben halber geben muhte, 
aud) niept gleicp naep ber zweiten Aufführung für alle gelt Dom ©piel= 
plan abfeßen burfte — bergleicpen ift nur gegenüber bem füllen unb 
meprlofen |>albe erlaubt — fo Derzögerte er bie ^remi^re meniaftenS 
biS Witte 2Rärz- Anbere beutfepe ©täbte, „Vumfe" in ber Deracpteten 
VroDinz, patten bie befcpmerlicpe Sicptung „Wenn mir Sobten ermaepen" 
längft übermunben unb Dergeffen, als bie Speaterpauptftabt ber $res 
miere noep ängftlicp entgegen parrte. Wäre niept um Weihnachten baS 
Vucp (bei ©. gifeper, Verlin) erjepienen, fo patten mir unS Dieüeicpt 
auf ungeahnte ©enüffe gefpißt, unb bie Enttäufcpung märe Diefleicpt Der* 
pängnihDoll gemorben. AnbererfeitS trägt freilich biefe gut auSgeftattete 
VucpauSgabe bie ©cpulb baran, bah mir gleicp am Wcorgen nach ber 
Vremiere mit eßenlangen Auffaß41ngepeuern beglürft mürben, bie fämmt* 
liepe Wätpfel unb ©epeimniffe beS angeblich an folcpen Singen fo reichen 
Wertes fpielenb lüften. Vei allem Wefpect Dor ber ©cpuellarbeit unb 
bem Ueberfcparffinn unferer Witternäcptigen — hätten fte ben brama-- 
tifepen Epilog nid)t fepon brei Wlonate Dorper fdjmarz auf meih nad» 
$aufe getragen, fo märe ihnen baffelbe SRüplrab mie bem parmlofen 
unb uneingemeipten Vublicuni im köpfe herumgegangen. 

gbfen’S leßteS Wert leipt Dom Srama nur noep bie gorm beS 
SialogS. ©eine Wtenfd^en reben, reben unaufhörlich über fiep felbft, ifjre 
Eigenf^aften, Witnfcpe unb ©ebanfen, aber fie bleiben im Webel fieden, 
ungreifbare ©efpenfter. Sa ift feine Entmicfelung ber Eparaftere, unb 
bie äußeren Vegebenpeiten begleitet feine innere. Alle Sangemeile eines 
WegentageS am gjorb liegt auf ber Arbeit. Von ber gbfcn’fcpen ©e* 
ftaltungSfraft, bie in engen Wapmen eingefpannte Eonflicte rafcp ju 
uniDerfeüer Vebeutung ermeiterte unb auS flein fpiehbürgerlicpen Ver* 
pältniffen heraus gernblicfe Don bezmingenber ©röpe eröffnte, ebenfo 
Don feiner teepnifepen ©emanbtpcit ift pier nur menig noep zu fpüren. 
Siefer blaffe, blutlofe Vrofeffor, bem bie pope kunft alle SebenSfraft 
auS ben Abern gefogen pat, fpiegelt feine Wirflicpfeit mieber, bleibt ein 
müpfam auSgetlügelteS Abftractum biS zum ©epluffe. gn noep grauerem 
Sämmer unb Sunft gept grene bapin, bie marmorfepöne ©enoffin feiner 
gugenb, bie naep bem Willen beS SicpterS mit ipm Dom Sobe erroacht, 
in Wahrheit aber fein lebenbigeS Wort fagt. ©ie Veibe ftnb $uppen, 
in beten Warnen gbjen fpriept, opne babei auf bie Vefleibung unb S3e= 
ftimmung feiner puppen metfiiepe Witdftcpt zu nepmen. Sie Eontraft= 
figuren, grau Wtaja in ihrer jugenblicpen ©enupfreubigfeit unb ber 
bärenjagenbe Walbmenfcp, ftnb ebenfo menig finnenfäüig mie baS Der= 
geiftigte auferftanbene $aar. Weber bie ©efepiefe nodj bie Entppn= 
bungen biejer ©epemen meden irgenb melcpe Speitnapme. ©leicpgiltig 
folgen mir iprent ppantaftifcp mirren Wege, unb menn unS bei bem 
Wortgeplätfcper niept bie Augen zufallen, bann Derbanfen mir baS nur 
ber Hoffnung, in beut mefenlofen, aller SebenSmöglicpfeit baren ßpuS 
boep noch irgenb einen Derborgenen ©inn zu entbeden, jene föftlicpe tiefe 
Wlpftif, Don ber man unS feit einem halben gapre erzählt pat. ©epabe, 
bah toon punbert Derziidt tpuenben ©cpmärmern auep niept einer pin- 
reicpenbeS Verftänbnip für gbfen zu befißen fdjeint, bap man un§ biS* 
per meber bie befottberen biditerifepen Vorzüge unb Weize biefer gebrep* 
liepen ©reifenfunft, noch bie tieffinnige Vrucpt iprer ©ebanfen*3Rpfterien 
Zu meifen Dermoepte. 

•t>err ^rofeffor Amolb Wubef pat in jungen gapren ein föftlupeS 
Wfobeü befeffen, nach beren Vilbe er in lobernbem gbealiSmuS unb 
©cpaffenSbrang fein berüpmteS Vilbmerf „AuferftepungStag" gefepaffeu 
pat. Ser künftler in ipm töbtete ben Wfatin, unb fo fap er niept, ww 
grene fiep naep ipm oerzeprte, mie peip fte münfepte, bap er auep tpre 
©eele an feitte Vruft reihe, naepbem fte ipnt bie püHenlofe ©(pönpeit 
ipre SeibeS für fein Werf gefepenft patte, ©tatt beffen erklärte er ipr 
in berfelben Minute, mo er ipr für ipre felbftlofe Eingabe banfte, m 
fte ipm nur eine Eßifobe gemefen fei. grene Derliep ipn barauf. Sa» 
©aitenfpiel ipreS £erzcnS mar z^fptungen, unb ipren burep Amolb S 
Sieblofigteit entmeipten Seib ftellte fie jeßt in Vartdt^S taufenb 
lüfternen Wtänneraugen zur ©epau, ©ßäter peiratpete fie auep, warb 
Wittme unb peiratpete mieber, maepte aber in ber Epe ipre TOnner uttb 
fiep felbft tief ungliidlid). Amolb Wubef erging eS niept Diel beffer als 
ipr. ©ein „AuferftepungStag", ber ipn mit einem ©cplage meltberuljint 
ntaepte, mar fein leßteS gropeS kunftmet!. Von ba an bofielte er nur 
noep ^orträtbüften, bie er fiep mit ©olb aufmiegen liep unb in benen 
er fiep zugleich über bie Vefteller luftig tuaepte. Um baS Safein ju ge? 
niepen, napm er ein junges Weib — unb manbte fiep gelangtoeill m 
ipr ab. ©ein können erlofcp, unb fein Seben mar Derßfufcpt. gu tiefer 
©timmung begegnet er grenen, bie mittlermeile zu allem Elenb aud? 
noep irrftnnig gemorben ift. Wäprenb feine robufte grau mit bem 
furiofen Walbmenfcpen, in bem gbfen bie brutale SebenSfraft Derfor|>em 


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Nr. 12. 


Sie ftegettmari 


191 


will, auf bie Serge ftetgt, um Sären zu jagen, ergeben fiel) Hrnolb unb 
3rene in breit auSlabenben Q5cfpräd>en. HuS ber Wollen ©rfenntnife ihTeS 
UnglüdS blüht ihnen neues Seben auf, aber bieS Seben ift nicht mehr 
zeugungsfähig. 28aS fie üor 3ahren oerfdjmähten, erfd)liefjt ihnen feine 
Schönheiten nur in ©ebanfen. Huf ber fonnigen $öhe, über ben Gebellt 
wollen fie 4>odueit feiern — unb baS Srautbett ift bodj ihr Sterbelager. 
Unb fo gehen fie brnn erhobenen Hauptes bern £obe entgegen, fte, bie 
5 « leben nicht Oerftanben hoben, Huf ber Sergfahrt, bte fie felbanber 
antTeten, begegnen fte tfrau SJtaja unb ihrem Säreujäger. ©>ie beiben 
fröhlichen unb ©efunben ziehen zu $l)al, wob währenb oben eine nieber« 
bonnewtbe Samine ben Äünftler unb fein Sbeal begräbt, hört man oon 
unten herauf SDtaja’S jauchzenben ©efang: „3d) bin frei wie ein Sogei 
— bin frei!" 

©in feltfam ftarrer Stil leiht bem SSerf gutiäc^ft geheimnijjootten 
Steiz; nian fohlt fid) an bie ©ranitcoloffe ber alten ©gppter erinnert, 
beren fteife, ftrenge unb fcplichte Stnienführung burd) bie $ärte beS 
SKaterialS bebingt mar. Salb jeboch ermeift fich bei Qbfen bie ernfte 
SewegungSlofigfeit als Seblofigfeit. Sticht ber Stein ift fo hört, fon« 
bern ber Steigel beS SilbnerS Oerfagt. Schmerfällig erfchltejjen fich 
bie Scenen, ohne unS bie SWenfdjen zo evfchltefjen, in breiten SBteber« 
holungen wirb bie Qbee nicht heüer unb üielgeftaltiger. Stande 3 öge, 
fo baS Spiel 3renen T S mit ihrem Solche, mirfen wie humoriftifche Xheaterei, 
roie Sarobien. SBaS 3öfen fagen unb prebtgen miH, ift Mar trop beS 
betäuben ben $Bortretd)thumS unb trop feiner leibigen Neigung, ben ©e« 
hänfen in immer neue 8 d)leier einzufpinnen, immer neue Serfiedfpiele 
ZU erftnnen. Stupe bein Seben, ruft er, Oetgeube bein SefteS nicht um 
eines noch fo fd)immernben ShantomS mitten! 0b ber bramatifche 
©pilog gleichzeitig eine Selbftanflage unb SelbfiOerhöhnung ift — mer 
weifj eS unb maS hätte bie ihatfaafe mit ber Seurifjeilung beS Wertes 
ZU thun? Sein bidjterijcher SBerth ftiege um feinen 3°Ö/ wenn öaS 
Iarmorpante ©ejammer ber ©ingeweihten unb $iefgrünbigen berechtigt 
märe. SBaS 3M^n auch für göttliche ober philiftröfe Wahrheiten in feiner 
Schöpfung offenbart, maS immer er an Unoerftänblichfeiten hinein ge« 
heimnipt hat — biefe SBahrheiten, biefe ©eheimniffe unb Unoerftänb« 
lichfeiten hoben an fich mit ber fhinft nichts zo tl)un. $)ev frampfhafte 
©rübler, ben ber Hlte zulept fclber fchatteub auSfacht, mag, menn er bie 
taufenbfte Deutung gefunben hot, arme unmeife $htnftfrcunbe bentitleiben, 
bie gar feine mtjfiifche Auslegung fanben, meil fte gar feine fuepten. 
5)od) baS SJtitleib ift gegenfeitig. ©iebt eS ©rbarntungSwürbigereS als 
bie Strapazen beS armen X^iereS auf bürrer $aibe, baS ein böfer ©eift 
im Greife herumführt? — 

©in attbereS Silb. Sei ©rnft 0 . SBitbenbruch oermutbet Stiemanb 
Oerftedten ©ebanfenbalfaft, unb bie ©ebärmebefchauer bleiben ihnt nafe« 
rümpfeitb fern. Sropbem erhebt er, einen anberen Hufftieg benupenb 
unb mit anberen Steigeifen auSgerüftet, bie Sbantafie zo benfelben 
freien £>öben, auf benen Sbfen'S fehnfüchtiger Slid ruht. 

$>er märfifche dichter ift nach otterlet nicht immer furzmeiligen 
Sdjroanfungen zo feiner erften Siebe zurüefgefehrt. SJtit bem fidteren 
Slicfe, ber ihn bei ber SBalji feiner Stoffe üon jeher auSzeichnete, hot er 
mieber in'S ooHe SJtenfcpen« unb ©eifteSleben ber Sergangenheit hinein« 
gegriffen unb ein htftortfcheS ©)ranta auf bie Seine geftettt, baS an 
oielen Stetten paeft unb ergreift, faft immer intereffiert unb nur ba, wo 
bie ^hcatralif fich zo breift hrroorbrängt ober bie pfpchologifcpe Segrün« 
bung zu merföar Oerfagt, an ben Urheber ber böfen „©emitternad)t" erinnert. 
Ulrich Oon Jütten, bie 3dt, mo bie SBiffenfdjaften blühten, bie ©eifter 
erwachten unb eS eine Suft mar, zo leben — (jd&t eS nicht, oon oorn* 
herein bie Schlacht gewonnen hoben, menn ber Frühling auf bie Sühne 
gebracht wirb, noch bagit Oon 3*manbem, ber baS SathoS beS ffrüh= 
lingSfturmeS hot? ©)em jungfrohen Schlagetobt unb geuerfopf, ben 
SBilbenbrttch ba Oor unS herumwettern lieh, flogen mit eins alle Kerzen 
ZU, unb man überfah gern bie leife, unfreiwillige fomif, bie ihm zu« 
weilen unterem 29amS perOorgudte. §ier mar mieber einmal ein ©elb, 
ein ganzer $etl, ein freier SJtenfd) unb eine bornehme Seele, hier hört 
man mieber einmal fomttäglicpe ©ebanfen in fchöner, bilberreicher 
Sprache. SJtag fein, manches Hang hohl onb über mandje tttiffe half 

unS nur ein £ejenmeifier:$unftftücfcben ^ nn)e g _ lut ^ bennoch er^ 

frifchte baS Schaufpiel mie ein wohliges Sab im Scrgfee. 9llfo ift eS 
noch möglich, ein mirffameS 3)rama zö fchreiben, baS nid)t nach <5auer* 
fohl riecht, unb Sühnengeftalten, bie ein grammatifd) richtiges $>eutfd) 
fprechen, gefallen unS noch! 3ot Schaufpielhaufe fchien eS fo. Obgleich 
ber dichter nicht zugegen fein fonnte, bröhnte ber Seifatt nad) jebem 
Siete loS, einmal fogar mit elementarer ©emalt, unb SeifaQSftürme 
brauften mieberholt in bie Scene hinein. Sogar fehr fchmächliche unb, 
Wegen ber 9Zähe beS 9lctfchluffeS, gefährliche Stetten thaten feinen 
Schaben; auch öer zwar in mancher Seziehung munberfeine, aber allzu 
locfer gefugte lepte Hufzug beeinträchtigte bie Oortrefflidje 58irfung ber 
oorhergegangenen ganz onb gar nicht. 

&em mohlgemuthen ®ichterjüngliug §utten, ber nach GrfenntniS 
ringt, mie ein lobernber Sranb nach neuer Nahrung, bem Sermegenen, 
ber Seben unb irbifdjeS ©lücf in bie Schanze fdjlägt ber erfannteit 
®ahrh c it Z u Siebe, ift effeetbott ber bebachtfam egoiftifdje, geiftreiche unb 
feine Äopf ©raSmuS gegenübergeftettt, beffen ©elehrten^Gitelfeit bie neue 
3bee befämpft um ihres SrägerS mitten. 9Rit einbringlicher Äraft hot 
SBilbenbrud) biefe ©egenfäpe auSgemalt, unb feine leuchtenben gorben 
ergeben ein Silb, baS faft zu plaftifdj auS bem tttahmen heraustritt. 
$enn bie ^auptfache fott ja eigentlich bie 3Rär bon ©raSmuS' Pächters 


lein fein, ber ftolzen 3Raib, bie im jahrelangen bertrauten unb auS* 
jchlieplichen Umgänge mit bem weltberühmten Sater falt unb herzlos, 
hochmütig geworben ift mie er. Ulrich bon $utten aber fprengt ben 
ttfing, mit bem fie ihr junges £>erz umgürtet hat, unb ein glammen= 
ftrom bricht unterem ©ife herbor. Seiber feffelt Marias ^erzenSgefchichte 
immer nur infofern, als fte unzertrennlich mit bem Sdjidfal ihres 
SatevS unb ihres ©eliebten berbunben ift. gür fid) allein betrachtet, 
giebt unS bie |>elbin wenig. 3Bie ©raSmuS an ber eigenen fühlen 
£ärte fcheiiert, mie er fid) fnirfdjenb bem fiegreidjen ttRöndje bon ^Bitten« 
berg beugen inufc, er, bie Seudjte feines 3ohrhonbertS, ber Äönig 
beutfeher Wiffenfchaft, baS nimmt baS ©auptintereffe beS HbenbS in Hn^ 
fprud). Hber eS ntup anerfannt werben, ba& bie Silber neben ihm 
nicht böflig im 2 )unft berfdjwimmen unb in ihrer ©efammtheit bie Sorben« 
praept beS SBerfeß erhöhen. $ur einzelne Scenen, mo ber ©ouliffen« 
bonnerer 3BiIbenbruch ben dichter über ben Raufen Tennt, ftören unb 
mirfen frafj bilettantenhaft, fo bie zmecfloS eingefchobene 9Rorb«Xragöbie, 
in beren SRittelpunft ber finfiere Hlba unb 5)on Söoacio ftehen, feiner 
2üde unglücflicheS Opfer. 3ot übrigen aber forgt fchon ber pradjttootte 
^intergrunb, bte mit lebenbiger Hnfdjaulidjfeit unb Klarheit mieber« 
gegebene frohlodenbe Suft beS jungen ttteformationSraufcheS für eine 
höhere, fünftlerifdie ©inheit ber Stimmung. ttRan bergipt allen Sombaft, 
ber ftdb in ben ©den anhöuft, unb alle gelegentliche ttRäpchenmacberei 
batüber; man ad)tet gar nidjt auf bie hoch beutlichen Spuren mühe« 
notier $Jebarbeit, bie fich häupg genug z c l 9 e o, fonbern burdpebt bie 
herrliche Semeguttg mit erfrifdjten Sinnen an ber $anb beS Soden. 
Unb mer baS über unS oermag, ber Oermag fchon etwas. 

©S ift bem nad) SRofft’S unb Saloini'S 3:obe größten itatienifchen 
Sdjaufpieler S^obelli in Serlin nicht olel beffer gegangen, als Oor 
3 ahr unb 2 ^ag bem göfenfpieler Socconi. ©r hot, wie bie Xljeaterleute 
fagen, „nichts gemacht", menigftenS gefd)äftlich nichts. S)aS zohleobe 
Sublicunt, baS atterbingS nur noch fdjmer in T S Sefftngtheater zu loden 
ift, blieb beinah ofientatio fern, unb fo niupte bie ntd)t unbeträchtliche 
italienifche ©olonie, bie fich Hbenb für Hbettb in fchönent lattbSmann« 
fchaftlidjen ©ifer einftettte, menigftenS einen äußeren ©rfolg ntarfiren, 
welcher Hufgabe fie mit füblicber Segeifterung unb Sungenfraft gerecht 
mürbe. Huch bie Serliner ©ottegen, bie gerabe „nicht zu thun" hotten, 
fanben fid) ein, um bem berühmten ©aft eine Nuance ober ein 2 Räpd)en 
abzuauden. Ob fie auf ihre Soften gefommen pnb? Schwerlich, beim 
baS Sefte Ooit SRooeßi'S ^unft Iäpt ftch nicht naebntadjen. H3eber feine 
tiefe Soiterlichfeit, nod) feine Sielfeitigfeit, nod) feine phänomenale Sechnif. 
SefoitberS nicht baS SroteuSljafte einer Äunft, bie in allen Stilen zu 
£aufe ift, im Xragifdjen mie im Slomifdjen, als ©harafterfpieler, Son« 
Oioant unb $omifer. SBir hoben auf ber beutfehen Sühne fein oer« 
manbteS Xalent. ^aafe'S Shplod unb Hamlet ftanben an fünftlerifcper 
ßraft bod) hioter feinen ©edenrotten zurüd, noch meittr als etwa Sonnen* 
thafS SBattenftein hioter feinen Sauemfelb«$hpen. Hu^mßainzenS 
fomifchcr Serfudj int „Sumpazi SagabunbnS" fonnte nur mm einer 
interefprten ©Iique als eine humoriftifche Offenbarung auSpofaunt werben. 
§Öd)ftenS3Rittermurzerfd)öpfte auS heterogenen ©horatteren mieSRicharblll. 
unb Solz baS Xieffte unb Septe heraus, mar aber mehr blofj intereffant 
unb oirtuoS, als eigentlich überzeuaenb. 9iur ©incr ift mit Sfooetti zu 
Oergleichen unb int $omifd)en unb xragtfchen ihm ebenbürtig: ©oquelin. 
Seihe fmb geniale tttealiften, muitberbar natürliche Sprecher, in jeber 
SRoffe Hitbere, babei im Heuperen Oon ber Statur gleich ftiefmütterltch 
behanbelt: 9?ooetti mit feinem breiten, plumpen SonntagSfomifergeficht, 
©oquelin mit feiner impertinenten Stumpfnafe. Unb Seihe fteden fchon 
bebenflidj tief im Sirtuofen« unb ©aftfptelerthum. Huch ber ttfefpect 
oor bem dichter unb feinem SBerf ift in ^oOetti nicht Oiel lebhafter, als 
in bem ffranzofen. ©r fieht zuerft unb zulept nur feine ttlotte, bie er 
atterbingS bis in’S Äleinfte forgfältig anlegt unb charafterlftifd) ge« 
ftaltet. 5BeId)e Soppenfomöbie — üon feiner $aupt« unb ©lanzrotte 
abgefehen — wirb auS bem „Kaufmann Oon Senebig!" Unb babei ift 
feine Gruppe mefentlich beffer, als eS bie Oon IRofft, Saloini, 3occoni 
unb ber ©)ufe jemals waren. Hber HtteS wirb hoch nur auf feine Stolle 
Zurecht gefchnitten, ber fünfte Hct fällt auS, Sorzia fontmt faft nur in 
her ©erid)l§)cene zu HJort, — eine Sarbarei, womit unS auch bie 
rührenbe unb padenbe ©harafterbarftettung beS Sbtjlod nicht z u Oer« 
föhnen Oermag. Sftit theatralifchen ©abaoem aber mie Stichel Sirrin 
unb Submig XI. (oon S)elaOigne) auf Steifen z u geh^o, fottte ben 
SBanberoirtuofen ejtra oerboten ober oerefelt werben. 3 Bie ©oquelin 
giebt Stooetti im ftomifchen fern |>öchfteS unb geinfteS, unb mie ber 
Sarifer, fo ejeettirt ber Stömer auch im berebten Schweigen ber Santo« 
mime unb im intimen Slouberhumor beS monologue. ©)a ift er er« 
freulidj, übermältigenb unb mirHich grob. SBie oerjüngte er ba ben alten 
SlautuS unb feinen unter claffifcpem Schulftaub haushoch üerfchütteten 
„©olbtopf!" i)a flofe ein lebenbiger Strom antifer Äunfttrabition burch 
bie ganze ©)arftettung, unb unbänbige altrömifdje vis comica fprach auS 
bem unfterblichen ©haraftertppuS beS ©eizigen. Stoch mehr er felbft 
unb unoergleicplich mar StoOettt als ©olbonifpieler. II Burbero bene- 
fico, baS bramatifche Urbilb zohllofer gutmüthiger Stauhbelne unb ®auS« 
tprannen mit bem berühmten golbenen Kerzen, trat unS h^r in natio« 
naler Urfprünglichleit unb emigfrifcher Sbrnif entgegen. 


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Die ®egentti(iri 


192 


Nr. I§. 


jlngei gen. 

Sei BefMhmgen berufe nun fld( auf btt 
„Be ge nro arf* *. 


«fob. ge6. Sdjriftfletter, bt8lj. tmblicift. 
(fiter, firltif) in Berlin tljätig, energ. geroiffen* 
gaftt «rbeitsfraft, borj. Spracfjfeitntmffe (tran= 
jöfiftb engfifdi), >erfetter ettttografb, 
BeraittenMnUer (§atitmonb), fudit »nt. 
brftf). «nfbr. in fRcbattion, 2f)caterfefretariat, 
®erl.5©iut)t|blg., Uterar. 3nfttt. ;c. ©teaung. 
Offert, an b. fefp. b. ©egemoart unt. A. (J. 


3nt Berlage bon Jmfcerg tt. Ceffett in 
Berlin ift etfcf)ienen: 

2>et S'orffdjulje. 

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hon 

Statt »tlfc* 

$rei$: elegant brofdjirt 2 
SBon bemfelben 33erfaffer ftitb erfreuen: 
Dramatifche $umore*fen (©erlitt, Smberg 
u. fieffott), brofd). 2 9ttf. 3nbalt: Stteitt 
3J?ann fdjreibt Xragöbiett. — 38er ift ber 
©errätl)er. — ©ublifuä unb [eine ©enoanbtetr, 
£tftorlcostfomöbte. 

Der Jutenbant in taufeub nöthen. 

©offe (©erlitt, 3 .3t. ©targarbt), brofd). 2 W. 
iBcmorrha’s fnbe. Sitterarifdje Äomöbie 
(©erlitt, 3- ©targarbt), brofd). 1,50 m. 
(Ein toller IZag. fiitterarifdje ©offe (Berlin, 
3- 31. ©targarbt), brofdj. 2 2Rf. 

Ztnno 5w^aufenb. ^3offe (©tuttgart, Union 
$>cutfd)e ©erlagSgefellfdjaft), bro$. 2 Stff. 
Der $ürfi t>cn Xaiatea. ©offe (©tuttgart, 
Union 3)eutfcbe ©erlagSgefeflfdjaft), brofdj. 
2 2Rf. 

$>ic herftdjenbe« DHh’fdjeit $tmore$fen 
bilben mefentlidjen gottfd)ritt in ber 

@ntmi lär ig ber bentfeben ßomöbie, inbem fie 
in gerou.ßiefter ©pradje bie oielfadjett fomlfdjeit 
üRotiüe, weidje unfre Qtit auf litterarifdjem, 
focialem unb politifdjem ©ebiete barbietet, 
glücfltdj öenoertben. 


■nifiuiMk—i 

ITeclmikiimJlmeiuiQl 

NfthM- ml Min- I 
-Takalk« ■.-VtrkmiiterJ 

jrgetw hitm. I 


#unbert Original * (Du tagten 
o. ftreunb u. fjreinb: ©jörnfoit 
©ranbeS ©fidjnet ffrtspi ©aljn 
Staubet ®ßtbb Soutane ©rotfj 
$aecfet #artmann $e#fe Sot* 
bau Äibtinß ßeoncabaflp Sin* 
bau ßombrofo 2 Refätf<fierMt 
Itstpf f Wigra Vorbau OUtoter fetten« 
♦*♦**•* lofet ©aitsüur^ ©tenfieioicj 
©imoit ©peitcer Spieltagen 
[#IS#r ft#tii#BiSf#B ©tanlep ©toeder ©trtnbbera 
|niil O^U|(R9|flR. ©uttner 9 BÜbenörut$ C&emer 
ßoia u. b. Ä. " 

üieg. geb. 2 SWf. bom herlag ber €«fl#mrar t, 
Berlin W. 67. 


Pisüttvib 

im 



.... „Jebe geile bes Derfaffers befunbet it)ren Urfprung aus Iebenbiger / bem tjanbelnbm Cebeit $sgt< 
wanbtec Cmpfinbung unb aus bem 9«rfen Drange, ber IHen fct?t?eit bar cf? bie lluftoeifung bes rechten n>infd?aftii4e« 
tOeges praftifd?en Hu^eu 3 U fc^affen. Die gielt bes Derfaffers befd?ränfen fief? uid?t auf bie tagespolitif ots 
uereinieite f ie finb pielmefrr nmfaffenbftet Urt unb roollen ber gefamtew gufunftso 

en t tr>i cf [ an g bes OTenTfre ngei d>Ied?is bie Babn meifen. Daft ein berartiges &n5j bas 

ber metteßen Greife ju feffeln tm^anbe tfi, liegt auf ber Qanb; es ffl feine <ßelel?rtenfcf}rift, fonbern flr 
bie <Sefamtf?eit ber (Sebilbeten beflintmt. Der Derfaffer f?ot fd?on mand?e mertooHe ©aben bargrboteu 
snb oielfacf? neuen Ieitenben 3 becn öai?n gebrocf?en / fo ba§ man auef? von bem oorliegenbrm IDerfe ^ocbgefpannB 
©rwartungen barf. Durd? bie Ceftflre aber wirb bie J3ered?ligung fo!d;er ©Wartungen/ wie wir uns jaet* 

ßd?uid? 3 U bef?acpten geirauen, au^er allen gweifef gefegt." I?. p. 

Dorftcttcn^e 2tu5fü(trun^en aus fcetannter, berufener $cbcv, d?araf- 
terifieren treffUd> 5en 3ntjalt 5es tDerfes unb entheben uns feber (Empfehlung. 

3u belieben burd> aüe DuchhunMungen unb bei vorheriger (Einfenbung bes 
Detrags portofrei von (Earl tDinter’s Unu>erfitdtsbuchhunblung in Qeibelberg. 



S)ie Segentoart 1872-1892. 

Um nnfet Saget $u tänmtn, Heien mit unfeeen Blonnenten eine gfinßige 
©elegentieit gut VetüoUftSnbignng bet Collection. 60 meit bet Sottaib teilet, 
liefern mir bie 3afyrgüngt 1872*—189Ä h 6 SR. (fhrtt 18 W.>, ^al b jabt» 
Sänbc k 3 SR. (ftatt 9 SR.). (Sebnnbtne ^a^tgänge k 8 SR. 

©erlag ber (Degentaart in ©erlin W, 57. 


5>as JWdinen na«^ $x>ps 

unb 

attbere ^uttllfrageit. 

Driainalsöutadjten ßon 2tb. Htettjel, Hein- 
3egös, Böctlin, U. t>. Werner, 
Knaus, Uttbe, Stud, Sdjitting, 
Scraper, (L t». ®et)f[arbt, ^erb. Heller, 
Vefregger, ®at>riel Uta;, tC^oma, 
Ciebersnann, Wilb. Büfett, $Uger, ®r«f 
^«rra<*?, Ulay Hrnfe, Hnllle, Ceffer* 
Ury, Oeepler, pedjt, Hueljl, Cedfter, 
3 ägel, parlagbi, Utactenfen, Sfarbina, 
Ceiftitow, ®aul!e, plinfe, Sta^l. 

Sfrei* bfefet brei ^ängrer-Hummern ber 

„Gegenwart“ 1 ?R. 50 

«uef; birect t>on un8 ju bejletjen nad) Brief» 
jnarlen=©infenbung. 

Verlag ber Gegenwart, Berlin W. 57. 


Jiswitdi# ftndifnlser. 

9 lomatt 

oon 

^cop^tC ^oCCittg. 

MT OelSaufgabe. *WS 

$rei§ 3 3 Rarf. ©c^ön gebunben 4 3 Äarf. 

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menigen fahren fünf ftarfe 3 tuflagen erlebt, 
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S)urdj alle 33 ud)§aitblungen ober gegen ©n* 
fenbung bed Öetrag 4 poftfreie SuNtomg t»m 

Uerlag «er «egeivart, 

Söerlin W. 57 . 



Bestellungen auf die 

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zum 56. Bande der „Gegönwart“, sowie 

zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwei Bände 
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und vergoldeter 
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden in allen 
Buchhandlungen entgegengenommen. 



©erantoortttger ftebactau: Dr. 3$eo)>$U £oHtng tn ©erlitt. 


Rebaetton Uttb ®U>ebttton: ©erlitt W., SRattftetttftra&e 7 . 


©rutf bon fceffe & Becfec thl 


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» 13. 


33erCin, ben 8L 1900. 


P t (§t$tmnxl 


29. Jahrgang. 
Band 57. 


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A 




Söocbenfdjtift für Siteratur, Shmft uni» öffentliches Seben. 


^etausgegeßeti hott ‘gQeopQtf Sotftog. 


leötn Snaatnl nfmetut (tu granut. 

flu 5qie$m bur<$ alle Sucftanbluttgen unb ipoftämter. 


Scrlag ber ©egemoart in Berlin W, 57. 


ItaMMxlUl 4 ft. 50 Vf. «tu Ummer 50 »f. 

gnfetate jebet Ärt j>ro 8 gehaltene $ettt$eile 80 $f. 


Untere SolfSncrtrctcr unb ba§ grauenfiubium. $on 9ticf)arb SBulcfott). — $lacat unb SRecfame. 33on (£mH Kister (Sety^ig). 
Ql d Ct ~~ ß^tetatttT unb ftUttft. $unft unb 9ttora(. SSon Ä. H. — ©a&riele b^nnunjio unb fein neuefte« SSerf. ©on HRarcuä 
I/ltD(lLl * * fianbau. — Feuilleton. ©ammelnmtfj. $on 'üKarf £roain. — Uu# bet $au$tfiabt. $arlament8bämmerung. 5ßon 

• Caliban. — Dpem unb (Soncerte. — Offene ©riefe unb $lntn?orten: SRodjmalS bie belirtfdjen $>id)ter. ©on Sltdjarb ©djmtbts 
SabaniS. — SRot^en. — Btt&eigen. 


ttnfere Dolksucrireter unb bas Jrancnftnbinm. 

©on Hidjarb IDuIcFoip. 

Ser 7. 9Rär§ 1900 wirb ben greunben ber grauen» 
betoegung ein recht unliebfamer ©ebenftag bleiben, ba an 
biefem Saturn über eine Petition, betreffenb bie 3 u ^ a ff un 9 
ber grauen jur Smmatriculation auf ben Unioerfitäten unb 
ju ben Staatsprüfungen, Oon ©eiten beS Reichstages pr 
SageSorbnung übergegangen würbe, wie eS bie ©ommiffion 
beantragt b°tte. ®in Eintrag ber $l6georbneten ©epraber 
unb Ricfert woHte bie Petition bem fReic^dfa ngler mit bem 
©rfudjen überweifen, eine ©ereinbarung mit ben berbünbeten 
Regierungen betbeipfübren, nadj Wetter biejenigen grauen 
jum ©efuebe ber fämmtlicben ©orlefungen an beutfeben Uni» 
oerfitäten zugeiaffen finb, welche bie in bem ©efdjluffe beS 
©unbeöratbeS bom 24. Rpril 1899 üerlangte ©orbilbung 
(Reifeprüfung) naebweifen. Ser Stbgeorbnete ©Araber machte 
in einbringlicljer SEBeife auf bie fjinberniffe unb ©djerereien 
aufmerffam, welche ben bie ÜJiöglicbfeit beS ttniüerfitäts* 
ftubiumS erftrebettben ©amen auf ©ebritt unb ©ritt bei ben 
feitberigen ©eftimmungen entgegenfteben; er bejeidpete bie 
befteßenben 3 u ftänbe als ber SBütbe beS Reichstages unb beS 
©unbeSratbeS nicht entfprecbenb — RHeS bergeblicb'. Unb 
fo bleiben benn biefe unhaltbaren Quftänbe einftweiten in 
unferem üietgepriefenen ©ulturftaat hefteten unb — bie ©e» 
febiebte beS grauenftubiumS iu Seutfcblanb ift um ein trauriges 
©apitef reicher, ©efanntlid) würbe in ber ®i|ung beS 21b» 
georbnetenbaufeS bom 24. Suni 1897 bie ©etition ber Samen 
§elene Sange unb ÜRarie SReHien um freie ßutaffung ber 
grauen pm ©efud) ber Uniberfitäten (bei entfpredjenber ©or» 
bilbung) abgelebnt, unb baS SEBunberbare bei ber Sache war, 
bofj bie ©eoeutung biefeS parlamentarifcben ©reigniffeS bon 
ben 3«itungen faum erwähnt, gefebweige benn gebübrenb er» 
örtert würbe. Unb baS Wäre bodj bringenb nöttjig gewefen, 
»eit nun alle jene ©dbwierigfeiten, bureb welche ficb befonberS 
bie p Knfang beS ©ommerfemefterS 1896 bon ber ©erliner 
Uniberfität ertaffenen ©eftimmungen für bie 3 u f Q ffung bon 
grauen pm ©tubium auSjeicbneten, mit allen ihren @r» 
fdjwerungen unb ©ejationen p ©echt hefteten blieben. Unter 
biefen wahrhaft brafonifdjen ©orf^riften mufete befonberS 
jener ©aragrapb auffallen, bureb »eichen „nach ©rüfung ber 
geugniffe unb RuSfteDung beS ©rtaubnißfcbeineS bureb ben 
$errn Rector bie ©inwiHigung ber 2)ocenten unb ©rofefforen, 
beren ©orlefungen ju hören gewännt wirb, einpbolen ift". 


ÜWan follte bod) meinen, ba§ bie ©inwiHigung biefer Herren 
nach ber erfolgten ©enebmigung ber oberen 3nftanjen eine 
ganj felbftoerftänblicbe Wäre. SBaS geliebt nun, wenn biefer 
ober jener üon ben Herren ®ocenten bie erbetene ©rtaubnife 
oerweigert, waS ja bantalS bei ber unter bem Rectorat beS 
©rofefforS ©runner berrfebenben ©timmung feineSwegS etwas 
Ungewöhnliches war unb immer wieberfebren fann. ©erfd)lof} 
bod) ein fo, boebftebenber ©elebrter wie ^ermann ©rimm 
ohne SBeitereS ben Samen feine ©orlefungen, obwohl gerabe 
feine ©egenftänbe (Siteratur unb Äunftgefcbicbte) ihnen bc» 
fonberS anphenb erf^einen mußten! Unb biefe ©eftimmungen 
febeinen mit ihren gefudjtcn ©cbwierigfeiten unb §inberniffen 
nod) immer fortpwirfen, benn bie foeben erlaffene ©erorbnung 
beS ^effifeben SühnifteriumS, baS ficb enblid) auch entfd^loffen 
bat, bie SanbeSunioerfität ©iefeen ben grauen p öffnen, 
enthält in ihren acljt ©aragrap|en ebenfaHS ©eftimmungen, 
bie man nur als binberlid) unb ftörenb bezeichnen fann. 
Sie ficb melbenben Samen werben nur als ^ofpitantinnen 
pgelaffen, müffen ein fdjriftlidjeS ©efueb an ben Rector ein» 
reichen, mit ber Eingabe, welchem gadje fie ficb b au ptfäcblicb 
wibmen woHen, fie müffen ihre wiffenfefjafttiebe ©orbilbnng 
unb fonftige ©tubiennaebweife unb ein SeumunbSjeugnijj oor» 
legen, eine Slufnabmegebübr oon 10 SDJarC entrichten, ficb 
bann in ein befonbereS Üllbum einf^reiben unb empfangen 
enblicb eine oom Rector Unterzeichnete ©efdjeinigung über 
ihre Aufnahme als (pofpitantin für baS laufenbe ©emefter, 
bie ©afcungen unb eine SegitimationSfarte. Sann wirb ihnen 
oom Duäftor ein ©oHegienbucb eingebänbigt; bie ÜJielbung 
für jebe einzelne ©orlefung ober Uebung barf ber Duäftor 
aber nur bann annebmen, wenn bie |>o}pitantin ihm bie 
fcbriftlidje ©inwiHigung beS betreffenben Socenten oorlegt. 
— ©S ift flar erfidjtlicb, ba§ biefe ©erorbnung- birect oon 
jener foeben erwähnten ©erliner abftammt, ja OieHeicbt bie 
©cbwierigfeiten berfelben noch etwas Oerfcbärft. 

©egenüber ben negatioeu parlamentarifd)en ©rfolgen be» 
jüglicb beS grauenftubiumS gewinnt man bie Ueberjeugung, bah 
bie grauenfrage für bie 9J?ebrbeit unferer ©olfSoertreter noch 
nicht ©egenftanb ernften ©tubiumS geworben ift, Wie fie cS 
üerbient. SaS trat ganz befonberS in ber erwähnten jlbgeorbneten» 
bauS»@il 3 ung oon 1897 beröor, wo bie Sebatte burcbauS an 
ber Oberfläche b a f ten blieb, feineSwegS aber bie tiefere fittlidje 
©ebcutung einer ernften ©etbätigung ber grauen mit unferem 
©eifteSleben erfennen lieb- 9lufjet bem Rbgeorbneten Ricfert, 
ber furz unb bünbig bie 3 u faffung ber grauen zum ©tubium 


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194 


Die (Kejettmarl 


Nr. 13. 


als tfjr Bedfjt forbert unb bie Befürchtung eines SßettbewerbeS 
wegen ber geringen ßaf)! ber Bewerberinnen als burdjauS 
iiberflüffig abwieS, ftanb nicht ein Bebner auf bet £öf)e ber 
Situation, b. fj- nictjt einer wujjte baS nothwenbige „fräftigc 
SBörtlein" für bie Freigabe beS grauen ftubiumS auSgufpredjen, 
nicht einer bie Ungeredjtigfeit hertiorgufjeben, bie offenbar barin 
liegt, Wenn man bie SBiHenSfraft unb ben ©fer oon geiftig 
leiftungSfähigen 3J?äbd)en burch einfache Negation lpf)m legt. 
®ajj fo etwas in unferen Parlamenten tiorfommen tann, ift 
ein Beweis bafür, baff bie neuen BecfjtSanfchauungen über 
bie Stellung ber grau im bürgerlichen Seben fet>r (angfam 
in bie Waffen bringen unb gu ihrer Berwirflichung uner* 
mübeter, gebulbiger unb langer 2lrbeit bebürfen werben. 
Seber Uebereifer, jebe ipaft, bie fprungweife ihre 3' e ^ e er* 
reichen will ober burch trofcigen Eingriff baS glaubt erringen 
gu fönnen, waS nur burch ruhige übergeugenbe Ueberrebung 
gewonnen werben fann, ift hier unberechenbar fc£)äblid)- 91m 
meiften mühten fich bie gührerinnen unb Borfämpferinncn 
ber grauenbewegung batior hüten, burch unbefonnene unb 
tierle|jenbe 2lttacfen auf bie „böfe Wännerwelt" Bestimmung 
unb Erbitterung gu erregen, ober burch Benommifterei unb 
^offart in’S Sächcrlidje gu oerfallen. Sine junge, juriftifch 
gebilbete Bebnerin, bie gern ihr Sicht leuchten läßt, rief oor 
einigen fahren in einer großen Berfammlung mit (Smphafe 
unb unter jubetnbem Beifall bie folgenben SBorte in’S 2lubi* 
torium hinein: „©er neue BeidjStag wirb eine aitbere Bhh* 
fiognomie geigen, benn er wirb unter bem ©nflufj ber grauen 
gewählt werben. (Sine junge Partei ift auf bem Kampfplafc 
erfchienen, unb eS wäre nid)t baS erfte Wal, baff eine fotcfje 
Bartei moralifche Berfommenljeit unb gäulniß t)inroegfegt." 
BeuerbingS finb bie ©amen anfcheinenb oorfichtiger geworben 
urfb bie einberufenben ©amen befolgen bie richtige ©aftif, 
bah fic Oor ©Öffnung ber ©iScuffion burch bett Wunb ber 
Borfifcenbeit um Wah unb Buhe bitten, ©iefe Borficht oer* 
bient unbebingte 2lnerfennung, benn Wenn man auch toeit 
baoon entfernt ift, angunehmen, bah unfere ^ßarfamcntarier 
burch folche ober ähnliche Borftöfje, wie ber eben erwähnte, 
fich in ih«r fachlichen üluffaffung ober gar in ihrem Botum 
beftimmen (affen lönnten, fo finb berartige bittere Ausfälle 
in jebein gaHe bebenflich unb unguläffig. Weil fie ber guten 
Sache fchaben. SBcnn fie auch oon ber Wenge mit „jubelnbem 
Beifall" aufgenommen Werben, fo ift baS ironifcf)e Säbeln 
beS befonnenen §örerS hiergegen hoch ftarf in ?lnfd)lag gu 
bringen, benn eS bebeutet ben fdjlimmften Erfolg, ben eine 
folche Branbrebe hoben fann. 2lucf) ber ©on beS ©riumphcS 
unb ber SiegeSgewihheit, ber fo oft angefd)lagen Wirb, mühte 
gefliffent(icf) oermieben werben, benn biefer hätte nur bann 
gug unb ®runb, wenn ein unerfchütterlich ficEjereS gunbament 
für bie grauenbewegung im BolfSbewufjtfein ber weiteften 
Greife ein für alle Wal gewonnen wäre, wenn über alle wefent* 
lichften 3iel e berfelbcn unter allen ©ebilbeten ein Sinn unb 
eine Weinung herrfdjte. (SS wäre nun aber ein grobes Ber* 
fennen ber Situation ober fchwere Selbfttäufdjung, wenn bie 
gührerinnen an eine foldje Uebereinftimmung in ber gebil* 
beten BJelt betreffs ber üon ihnen erftrebten 3We ernftlich 
glauben füllten, ober wenn fie gar meinten, bah fie burch 
fühne unb fcfjarfe rebnerifche Borftöhe neuen Boben für ihre 
Begebungen finben fönnten. 2111c folche im Sntereffe einer 
gebeihlidjen gortentwicfelung unb görberuitg ber grauenfragc 
angefteßten ©Wägungen fönnen aber bie unerfreuliche ©hat* 
fad)e nidjt aitS ber 2Belt fchaffeit, bah unfere Parlamente 
bie grauenfrage unb befonberS ba§ grauenftubium bis jefct 
recht oberflädjlidj unb nebenfäd)li<h behanbelt unb fein ernfteS 
Sntereffe für bie aufftrebenbe ©eifteSarbeit ber grauen gezeigt 
haben, ©ah eS geifteS* unb wiQenSfräftige grauen giebt, 
bie mit ©folg an baS Stubium herantreten fönnen, liegt 
wohl aufjerljalb jebeS ßroeifelS, unb WaS bie Spaltung unb 
baS ©ebahren ber „Stubentinnen" betrifft, fo ift nirgenbs 
irgenb welche Klage laut geworben, ja ihnen ift im ©egen» 


tljeile Oon competenter Stelle wieberholt lebhafte 21nerfennung 
gegotlt worben. Sd)on im Safjre 1896 erftattete auf bem 
Stuttgarter (Songreh ber ©angelifcfpSocialen Brofeffor 2lbolf 
SBagner, ber bamalige Bector ber Berliner Unioerfität, einen 
fehr erfreulichen Bericht über feine mit ben Hörerinnen ge» 
machten ©faljrUngen. © betonte, bah irgenb welche formellen 
ober materiellen Wifjftänbe fich feit ber ©heilnahme ber 
©amen an ben Borlefungen in feiner SBeife gegeigt hätten, 
„ber ©on fei gerabegu beffer geworben". © würbe eS als 
eine Sdjanbe ber beutfd)en Sugenb bezeichnen, warn bie 
ftubirenben ©amen irgenwie beläftigt würben, ©ie ©amen 
feien gang befonberS eifrig unb fleifjig. „Bach biefen (Sr* 
fahrungen fönnen wir fagen," fo fdjlof Prof. SBogncr fei« 
bemerfenSwerthen 2luSführungen, „eS wirb ben grauen ba 
Befud) ber Hochfcljute erleichtert werben", ©iefe erfreuliche 
2luSfidjt hat, wie man Wohl annnehmen barf, bie oben ge< 
nannten 21utragftellerinnen gu ihrer B et ition tieranlahL 
©enn man burfte in ber ©hat annehmen, bah bie 21u8fü(j* 
rungen SEBagner’S an ben mafjgebenben Stellen Beachtung 
finben würben, bah bie noch beftehenben ©fchwerniffe nah 
foldjem 3 en 0uife fallen, bah befonberS SBagner’S Bachfolget 
im Bectorat, Herr Prof. Brunner, fich fteunblidjer gu ben 
berechtigten 2lnfprüchen ber ©amen fteOen würbe. SDton 
burfte auch wofjl annphwen, bah baS Parlament fich nun 
etwas näher mit biefen ©ingen befchäftigen unb jener Petition 
ein geneigtes ©eljör fdjenfen werbe. 2Iber nichts oon allebem 
gefchah- Prof. Brunner ging nicht auf bie 2lnregung feines 
BorgängerS ein, ja er tierweigerte fogar bem gräuleiit Helene 
Sange einen Saal in ber Unitierfität gur 2lbljaltung eint? 
BortragS. Unter Brunner’S Bachfolger im Bectorat, bem 
befannten Bationalöfonomcn Schmoller, geftalteten fich bie 
©inge ein wenig günftiger; tion einer burdjgreifenben Drga* 
nifation, bie bie läftigen Hwberniffe hinweggeräumt unb bne 
Stubium ber grauen ber SBiHfür ©ngelner entrüeft, ift aber 
leiber bisher nichts’gu merfen gewefen. 

ES ift hoch an ber 3eit, bah unfere Parlamentarier ficb 
mit mehr SBohlwoDen unb Unbefangenheit ber grauenfrage 
nähern unb ben „berechtigten Kern" oon ber gorberung 
Dotier ©leidjberedjtigung mit ben SRännern unterfc^eiben, 
einer gorberung, bie bod) nur bon einem Meinen ©heil ber 
grauenredjtlerinnen geltcnb gemacht wirb. Bei wirflich un= 
befangenem Berhalten fönnten fie nicht babei fielen bleiben, 
ben geifteStüdjtigen unb wiOcnSftarfen grauen, beren Sinn 
unb Beigung geiftiger ernfter Arbeit gugewenbet ift, ihren 
ohnehin fdjwierigen Seg burch fünfttidje ©nfchränfuttgen er- 
fchweren ober tierlegen gu wollen. 3n einem Eulturftaatc 
muh bie grau bem SRanne barin gleich ftehen, bah f' e P 
in 2lllem bilben unb förbern barf, wohin Beigung unb Be¬ 
gabung fie treibt, unb tion biefem Stanbpunft, ben bie tour- 
bige 2lltmcifterin ber grauenbewegung, grau gönnt) Sewalb, 
fd)on oor mehr als 30 fahren mutf|ig unb gugleich logifh 
gu tiertreten wu§tc, müffen bie erfd^werenben unb beläftigem 
ben Beftimm ungen für baS grauenftubium nicht nur in 
Berlin, fonbern an allen beutfcfjen Hochfdjulen auf’S Sifrigftc 
befämpft werben. SRan barf bodh nicht tiergeffen, bah j enc 
grauen, bie fich auS innerftem ©rieb bem Stubium wibrnen 
unb burd) bieS muthige SoSlöfen tion allem H et fommen ficfl 
mit ben 21nfd)anungen weiter Kreife in ®egenfa§ ftellen, boeb 
thatfächlid) mehr SSohlwoüen unb 21nerfenttung gu bean» 
fprucheit haben, als jene ungegäljtten ©aufenbe, bie in trägem 
©af)inträumen, becorirt burd) allerlei wahllofc Seetüre, 
©atiierfpiel ober „SBalen" ihre ©age oerfd)(enbem ober 
„baS Bergnügen um jeben preis" auf ihre gähne gefdjrieben 
haben. Bfan begegnet überall häufig ber 2(nfcf)auuug, bafe 
eine ernfte wiffenfdjaftlicfje 21uSbilbung ber grauen hent 
gu ©age leichter erworben werben fönne, als früher. 3Rir 
fcheint baS nur in bem Sinne richtig, bah man je$t mehr 
als früher ©nridjtungen trifft, bie foldje 2(uSbilbung he* 
günftigen; fonft aber halte ich W* geifüge Bilbung ber 


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Nr. 13. 


Dte (Kegenmart 


195 


grauen in ber ©egenwart für fd)Wieriger, als gu irgenb 
einer anberett 3eit. ®aS bunte moderne Sehen erfaßt unfere 
junge weibliche Seit mit unmiberfte^idjer ©ewalt; bie Zu¬ 
nahme beS bürgertidjen SoljlftanbeS lehrt mit jebem Stage 
neue SSeburfniffe fenncn; ber wachfenbe SujuS mit feinen 
unerfreulichen ©egleiterfdjeinungen brängt ben Sinn für 
geiftige ©ethätigung unb geiftigen Sßcfiß immer mehr gurücf. 
Unfere „im 3 e ^ en beS ©crfehrS" ftehenbe 3eit weift mehr 
als je auf Reifen unb Ausflüge h' n l bie ©efefligfeit mit 
ihren bietfeitigen Abgiehungen unb fünftferifchc ©enüffe in 
früher nie bageroefener güfle forbern gur sjsfjeifnahme auf. 
Sn foldjem lodenben, gerftreuenben ©ageStreiben ift ernfte 
ftiHe Arbeit unb gurütfgejogcneS ©erfenfen in bie Seit beS 
(8cifteS in ungeahnter Seife erfdjwert. Unb auf ber anberen 
Seite bieten populäre wiffenfchaftlidje Anregungen oerfdjie» 
benfter Art eine leichte ©elegenhcit, fich mit einem wenn auch 
iriigerifchen Schimmer oon Kcnntniß unb Silbung gu um» 
tteiben unb auch bem geiftig fragen fo Oiel ©erftänbniß für 
JogeSerfcheinungen auf fünftterifdjem ober wiffenfchaftlichem 
Gebiete gu oermittein, baß er fich mit leiblichen 6£)rcit an 
unferer lanbiäufigen ©ageSconüerfatioit betheiligen fann. Sie 
.übertünchte" ^aibbiibung ift eine heroorftecljenbe Eigen f dja ft 
unferer geit. ©urdj biefe nicht wegguleugnenbe Erfdjeinung 
begrünbete fich bie gorberung gang oon felbft, baß für 
ernfter ftrebenbe grauen eine ©?öglid)feit gefdjaffen toerbe, 
fich burch eine ftraffere geiftige 3«d)t unb ernftere Schulung 
aus bem oerffad)enben Treiben ber ©egentoart gu flüchten 
unb ihrer nad) geiftiger ©ethätigung ringenbeu ©erantagung 
ein gelb gu eröffnen, Wo fie unter ©teichftrebenben fich unfere 
tocrtljöoßften ©ilbungSfdjähe aneignen fönnen, gieichbiet, ob 
biefe geiftige Arbeit eine ©orbereitung gu einer ©rüfung fein 
unb praftifche 3wcde oerfolgen foU, ober ob fie als Selbft» 
groeef angefehen toirb. 

©on biefem ©efid^tSpunft f^eint bie ©eftimmung 
bet ©erliner Unioerfität ganj befonberS hart, baß „Anmel- 
bimgSbüdjer nur. benjenigen grauen auSgefjänbigt werben 
fotlen, bie fich auf eine ©rüfung üorbereiten unb ju biefer 
einen ©ad)tociS über bie gehörten ©orlefungen ju führen 
haben". ®a brängt fid) bie grage auf, warum benn bie mit 
bet nachgewiefenen genügenben ©orbilbung Oerfehene ©ame 
nidjt lediglich jur Erweiterung ihrer allgemeinen ©ilbung 
unb ihres geiftigen ©efißeS att ber ©erliner tpocf)fd)ute ©or¬ 
lefungen hüten foU, bie ein allgemeines Sntereffe für fie 
hohen. Saturn in aller Seit foQcn ihr j. ©. ©orträge über 
Literatur» unb Kunftgefd)id)te, ®efd)id)te, ©ationalöfonomie 
uerfchloffen bleiben? Eine gurcht üor übergroßem Anbrange 
ift, wie ich bereits öfters barjulegen ücrfucht habe, burd)auS 
eitel — unfere beutfdjen ©läddjen finb mit fo feften ©anben 
an £auS unb gamilie gebunben, baß nur wißenSftarfe ©a= 
tuten mit auSgefprodjenei: ©egabung für geiftige Arbeit ben 
Anfprudj auf gulaffung ju ben Stubien erheben Werben. 
®enn 3emattb einwenbet, baß eine 3 a f)l öon etwa 200 
Hörerinnen, bie fich 0or einem Sah« an ber ©erliner Uni» 
oerfität ju ben ©orlefungen jufamincnfanben, hoch eigentlich 
nicht mehr flein genannt werben bürfe, fo muß baran er¬ 
innert werben, baß fich unter biefen ©amen fehr Oiele AuS» 
länberinnen auS ©ußlanb, Schweben, ©änemarf, ben ©alfan» 
ftaaten unb auS außereuropäifchen Sänbern befanben. ®ic 
3ahl ber beutfdjen ftubirenben 9©äbdjen ift flein unb Wirb 
laum jemals Wefentlidj junehmen. ©iefe wenigen ©amen 
aber haben baS ©echt auf ©üdfidjt unb Erleichterung ihres 
efltlidjen ©trebenS. ©enn ehe fie ben enbgittigen Entfchluß 
eines wiffenfdjaftlidjen SerufeS ober freier ernfter ©eifteS- 
arbeit faßten, haben fie fich felbft forgfättig geprüft unb fid) 
flat gemacht, baß biefe Art Oon ©hätigfeit Oon bem Sege 
ber Seltfreube unb beS frohen SebenSgeituffeS etwas weit 
abfüljrt unb nicht nur ein bebeutcnbcS 9©aß oott feelifdjcr 
»nb geiftiger .traft erforbert, fonbern auch ernfte ©efignation, 
bie barauf gefaßt ift, ißr Streben als ©ünfel ober Eitelfeit 


auSgelegt ju feljen ober mit ben trabitioneßen Anfchauungen 
ber 3J?enge über baS wahre Sefen ber Seiblidjfeit in ©egen» 
faß ju treten. ©aS AfleS habe« fie Wohl überlegt unb in 
fid) oerarbeitet, unb nun, ba ber entfeheibenbe Schritt ge» 
fd)ef)en fofl, fehen fie fich plöfclidj oor ben ©chranfen folcher, 
oon öbem bureaufratifdjen ©eift bictirten unb mit allen nur 
benfbaren ©erclaufutirungen gefpieften ©eftimmungen! Unb 
bie ftiü genährte Hoffnung, baß biefe ©eftimmungen fallen, 
baß nach einer unbefangenen Auffaffuug ber Sachlage im 
©arlament eine woIjlwoQenbe Stimmung ©tag greifen würbe 
— fie ift wieberum in Nichts oerfunfen. Unfere benfenben 
grauen unb auch recht oiele oorurtheilSlofe SUfänner Werben 
ben ©efchluß bom 7. 9J?ärj ernftlich beflagen, wenn fie auch 
an bet ©hatfache nichts änbern fönnen, einmütljig aber 
fönnen fie proteftiren gegen bie Oon bem EentrumSüertreter 
geäußerte ©emerfung, baß bie Afpiration auf baS ©tubium 
ber grauen „ein fchablonenßafteS föineinbrängen ber grauen 
unb 9J?äbd)en in alle männlichen ©erufe" bebeute. Auch bie 
oon anberer ©eite geäußerte Anfchauung, baß bie Meinungen 
über bie 3«laff«ng ber grauen jum Stubium noch «*<ht 
geflärt feien, muß als unhaltbar bezeichnet werben. Ser bie 
Sachen fennt unb ein unbefangenes Uttfjeil hat, Weiß baS 
©egcntheil. — Unfeten grauen bleibt nichts AnbereS übrig, 
als burch fefteä 3ufammenfchließen unb gemeinfame S£f)ätig= 
feit in ©ereinen, ©erfammlungen unb ©reffe bie greigebung 
beS grauenftubiumS in ben maßooÜften gormen Weiter bor* 
jubereiten unb fich üurch bie abermals gemachte trübe Er¬ 
fahrung nicht entmutigen ober gar in leicht öerftänbtidjer 
©erftimmung ju bitteren ©emonftrationen hinreißen ju laffen. 
Sehr jwedmäßig erfefjeint eS, wenn bie ©amen ju ihren be« 
jiiglichen ©erfammlungen eine Anjaßl ©arlamentarier ber 
Derfchiebeneit ©arteien in aller gorm einlaben wollten unb 
fie burch ruhige ©arftellung beS Oorliegeitben ©ebürfniffeS 
unb burch übetjeugenbe ©iScuffion für bie gute ©ad|e ju 
gewinnen fuchten. 

Sie fich bie ©hmnafialcurfe für SRäbchen in ©erlin, 
Scipjig, ©reSlau, Königsberg u. f. W. tro^ allen SiberftanbeS 
eingeführt unb als nüßtiche unb notßwenbige Einrichtung in 
ber Meinung beS ©ublicttmS feftgefeßt haben, fo ift auch bie 
greigebung beS grauenftubiumS an unfern Unioerfitäten, Wie 
bie 3«taffung ber grauen gu ben Staatsprüfungen eine mit 
notier Sicherheit gu erfjoffenbe ©hatfache, — immer oorauS- 
gefeßt, baß bie ©amen fich üor bem oben erwähnten probo- 
catortfdjen ©erhalten unb Oon fonftigen tactifdjen gehf ern 
frei gu halten wiffen. ©iSßer waltete noch bei ©ielen bie 
burcIjauS irrige ©leinung oor, baß biejenigen üKänner bie 
Wahren greunbe ber grauenbewegung Wären, bie ben eftra» 
uaganteften gorberungen gnftimmen unb fich für' oöüige 
©leichfteOung mit ben Scannern erflären. ©ur baS aber 
finb wahre greunbe, bie in maßootler unb übergeugenber 
Seife bie logifd) unb ethifch berechtigten gorberungen ber 
grauen burch 2B° rt ««& ©chrift gu ftü|en unb für biefelben 
eingutreten Kraft unb ©eigung haben. ES wäre im hödjften 
©rabe thöricht, fich ber Sßufion hi«i«fleben, als fei bereits 
AHeS in’S rechte ©efeife gebracht, als werbe bie ©ewegung in 
„naturgemäßer", gefunber Entwicklung oon fetber fortfehreiten 
unb gu ben gewiinfeßten 3^^« führen, ©enn bie große 
Schwierigfeit liegt eben in ber ficheren geftfteQung biefer 
3iele, über bie bie Meinungen noch f e h r auSeinanber gehen, 
fo baß man oon einem tinfen unb rechten glügel, oon 
S©oberaboS unb SjattaboS fprechen fönnte. Unfere auf lang¬ 
jährige ©eobadjtnng gegründete Uebergeugung geht bafjin, baß 
nur ©läßigung unb fleißige unermübete Arbeit bie grauen¬ 
bewegung förbern fann, baß aber maßlofeS, unbefonneneS 
©orgeljen unb fchranfentofe, auf abfolute ©leichfteßung ber 
grauen mit ben ©Jännern im focialeit, wirthfeha ft liehen unb 
politifd)cn Sehen gielenbe gorberungen bie ©ewegung nur 
lähmen unb fd)äbigen fönnen. ©ie grauen müffen eS fich 
angelegen fein laffen, burch bie ihr gur ©erfügung ftehenbe 


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196 


Die ffiigenroari 


Nr. 13. 


©reffe, burd) öffentliche DiScuffion unb geeignete Schriften 
bie 3 ielpuntte bet ©ewegung ju bejeidpen unb ihre gorbe» 
rangen ju begtönben. Denn fetbft grünblich gebilbete, ja 
hochgelehrte SRänner haben fich über ©ebeutung unb Drag* 
»eite berfelben nodj immer lein flareS Urteil gebitbet unb 
Wanbein in völliger Dunfefljeit Dafür nur ein ©eifpiet. 

Sch laS üor einiger 3dt in ber „Deutfdjen Stunbfdjau" 
einen lurjen, mit §. ©. unterjeichneten ©erid)t über einige 
Heinere, auf bie grauenfrage bezügliche Schriften bon öelene 
Sange. 9?ad) ber eigenartigen fttliftifchen Spanier unb bei 
feiner eifrigen 9Ritarbeiterfd)aft an ber „Deutfdfen SJunbfchau" 
Werbe id) wol)l nicht fehlgehen, trenn idj §. @. mit §errn 
©rofeffor Ipermann ©rimm ibentifijiere. Da fiel mir junädfft 
bie ijingeworfene ©emerfung auf, „baß eS nbdj immer leidet 
fei, ftdh bie ©ewegung (ber grauen) mit einem träftigen 
Stdjfeljutfen bont Seibe ju galten". 3 toar erfennt er mit 
einigen borneljm=lüf)ten SBorten ber ©ewegung eine gewiffe 
SBerethtiflwng p, fügt aber, als ob biefe großartige ©onceffion 
ißm fd|on leib Wäre, fogleich einfdjränlenb Ijinju: „baß biefe 
fogenannte grauenbetoegung nod) nicht ju ber Stärfe gebieten 
fei, baß ein SRann gejwungen toäre, Stellung ju ihr ju 
nehmen". SBäte baS richtig, fo müßte er junädjft bie öffent* 
liehe ©efptedjung Don Schriften unterlaffen, bie eine genaue 
Senntniß ber ©ntwidelung nur beS gegentoärtigen StanbeS 
ber grauenfrage erforbern, feine Sleußerungen offenbaren aber 
DöUige Unfenntniß. So meint et 5 . ©., „baß eS fid) eigent* 
lieh nur um bie grage hanble, toie toeit grauen als Sierße 
unb Seherinnen weiblicher 3öglinge ein Sted)t barauf haben, 
bie Untermeifung hüchfter Sfrt (Umfd)reibung für HniberfitätS* 
ftubien) für fid) in ünfpruef) ju nehmen.“ Sa, toenn bie 
Sad)e fo einfach läge! 9lber aud) ber flüd)tigfte ©lief in 
bie programmatischen Schriften ber Sieformetinnen mußte 
iljn belehren, baß mit ber ©rfdjließung biefer beiben ©erufS* 
arten bie gorberungen ber grauenredjtlerinnen par excellence 
leineStoegS befriebigt ftnb, oaß bie SBünfcEje fe|r Diel weiter, 
b. h- auf eine bebingungSlofe ©oncurrenj mit bem ÜRanne 
gerietet finb. Sluf bem ©rüffelet grauencongreß (1897) 
»urbe ganj unumwunben ber 3ntritt ju ben höd)ften Staats* 
ämtern geforbert, unb WaS bie beiben für ben nädjften Sommer 
gelegentlich ber großen üluSfteöung in ©ariS geplanten 
grauencongreffe betrifft, fo wirb man fid) auf ähnliche 9lfpi* 
rationen gefaßt p machen haben. 2ßie fehr £>. ®. bie Weit* 
ge^enben Slnfprfl^e berlennt, geht fchon barauS herbor, baß 
er meint, „bie grauen arbeiten als Slerjtinnen unb Sehe-' 
rinnen am liebften unter männlicher Ditection". Sa, fo 
möchte man fragen, „oon Wannen lommt bir biefe SBiffen* 
fchaft?" @r mag bodh nur — ber ©orfdjlag ift gewiß billig 
— bie Dame, beten Schriften er beurteilt, fragen, ob fie 
„am liebften unter männlicher Direction arbeitet?" Sr wirb 
ganj fießer bon iljr erfahren, baß baS nicht ber gaH ift. 
9tm Scpluffe feines ^Referats fagt $. ©. gofgenbeS: „Die 
grauen werben nie aufhören, baS fcßwächere ©efchlcdjt p fein. 
Slud) nie ben Sßunfd) haben, biefe Stellung einpbüßen. 
SBaS fie forbern, läßt fid) feljr wohl überfehen unb, fcheint 
unS, heute bereits ohne biel ©ebenfen erlebigen." Sebet Sag 
ein Srrthum, bie ganje Sluffaffung ber Sachlage burchauS 
rüdftänbig. Denn bie 9ßortfÜf)retinnen unb Senferinnen ber 
grauenbewegung wollen nun einmal bon einer Snferiorität 
ihres ©efdjlechtS nicht baS SRinbefte wiffen unb, worauf eS 
hier am ÜReiften anfommt, bie gorberungen finb JeineSWegS 
fo leicht ju überfehen. SRehmen wir nur einen ©unlt I)erau3: 
Die actibe Dheilnaljme am politifdfen Seben, baS 2Bahlred)t. 
©ewiß giebt eS biele einfidjtSboHe grauen, bie ju ihrem 
eigenen §eil nichts babon Wiffen wollen, aber eS giebt auch 
biele, Welche baS 2Bahtred|t als ein |>anptjiel ber grauen* 
bewegung anfehen, unb Seben als ihren geinb betrachten, ber 
eS ihnen nicht einräumen will. 9ltS ich bor einiger 3eit in 
ber „©eilage" jur „SR. 3111g. 310-" jene politifdjen Slfpirationcn 
ber grauen in maßboDfter gorm befprach unb_ barjulegen 


fudfte, baß fie für f>auS, gamilie unb öffentliches Seben nur 
bon unheilboller SBirfung fein fönnten, ba bin ich mit pole* 
mifchen 3 u fd)riften „bon jarter §anb" überflutet Worben, 
bie ben SReij unb Stbel echter 23eiblicf)feit bisweilen ftarl oct.- 
miffen ließen. 

Den befonnenen greunb ber grauenbewegung, ber bie* 
felbe nicht als ein WiKfurlicheS ©robuct jufäüiger Saune, 
fonbern als eine im wirtschaftlichen Seben ber grauen b 
grünbete innere SRothwenbigleit anfieht, ben werben folcpe $ 01 = 
rommniffe nicht berftimmen; er nimmt fie gebulbig al« 
bie nott)Wenbigen, jebem organifchen SBerbeproceß anhaftenden 
UebergangSerfteinungen, unb bleibt mit feinem SEprt ul) 
Stath nicht jurüd, wenn fritifche 3 e den bie gefunbe Sntttifc 
lung ju h em nten fdfeinen. Die erwähnten ©orgänge ii 
unferen ©arlamenten bejeugen laut, baß für bie weiteren 
gortfehritte ber grauenbewegung fold)e fritifdje ged gelommen 
ift, bie alle befonnenen grauen unb woljlmeinenben SRänner 
aufforbert, feft jufammenjuftehen uub mit ruhiger Snetgie 
an ber SBeiterführung beS ©aueS fortjuarbeiten. glammenbe 
SBorte unb ©rotefte bringen ebenfo Wenig görberang unb 
gortfehritt, als weitauSfchauenbe ?tnfprüd)e unb gorberungen, 
mit benen fich baS ©ollSbewußtfein no^ nicht befreunbet hat 
unb benen auch, wie bie parlamentarifdjen ©orgänge jur 
©enüge bewiefen h a ^ e n, bie ©ebilbetften ber Station gan; 
fremb unb theilnahmloS gegenüberfteßen würben, wenn fie 
geltenb gemalt Würben. Ülrbeiten wir borerft an ber geffr 
gung beS gunbamenteS unb wirfen wir nach beften Straften 
für bie ©erwirllichung nothwenbiger unb erreichbarer gor* 
berungen. Daju redpen wir junächft bie greigabe be? 
StubiumS unb bie 3 u ^ a ff un 9 J u ben Staatsprüfungen o|ne 
©rfchwerniffe unb bureaulratifche Schablone, ferner bie SDtün* 
bigfteHung ber grau im bürgerlidjen Stecht unb bie Srweite* 
rung ber bürgerlichen ©erufSarten ber grauen. 


fllacat nnb Reclame. 

95oit <£mil Kidjter (Seippg). 

SRitten im großftäbtifdhen Seben entwidclt fich bie©lacat* 
funft. Sie hat währenb ber lebten 3eit einen fo auSgebehntcn 
Umfang angenommen, baß fie in allen Greifen bie größte 
©eadjtung erwedt. Dabei hat fich aber auch ih r 333efen unb 
ihr ©harafter bermaßen Dcränbert, baß fie unS gewöf)n(id! 
nur noch als bie anpreifenbe, marltfchreierifche Stedame cr= 
fcheint. Unter biefern ©efichtSpunlte betrachten unb beuttheita 
wir fie. Unb fchon haben wir unS baran gewöhnt, fie nur 
als baS nothwenbige SRittel ju irgenb einem gefchäftSpolitifcfp 
3wede aufjufaffen. Sn biefer orbinären ©igenart entfaltet 
fie fich Dormiegcnb an benjenigen ©lägen, wo baS ©erleßrc- 
leben in breiten Strömen bahinraufcht. Denn fie will ftd) 
jeigen, will oon aller SBelt bewunbert fein. §ier ift bcßhall 
ihre iieimath, hi et treibt fie ihr SSefen. StamentUch in den 
öffentlichen Straßen bet SBeltftabt rebet fie eine ftbarfe, 
jweibeutige unb bisweilen hetauSforbernbe Sprache. 25oßin 
wir auch g e h en mögen, immer unb überall tritt fie uni in 
bem fdptlernben ©ewanbe ber mobernen garbenpracht ent 
gegen. Unb faum haben wir ben guß auf baS ©flafter ber 
©roßftabt gefegt, ba ftehen wir aud) fchon unter bem über* 
Wältigenben ©inbrud beS ©lacatwefenS. ©roße, biefteibige 
©lacatfäulen, bie wie riefige SBachtpoften paarweife oor ben 
Straßeneingängen ftehen, bienen fpet junx ewig wechfelnbcn 
91nfd)lag. Sie gehören jwar nicht ju ben SehenSwurbigftilat. 
aber wir betrachten fie hoch — betrachten fie aKerbingS tneßt 
auS Steugierbe als auS äfthetifdjcr Ueberjeugung unb einem 
inneren ©efüßle. Unb hoch haben wir Dieüeicfjt nodi gm 
nicht barübet nadigebacht, ob fie ben öffentlichen ©lag® 


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Nr. 18. 


•Die ®e$etiu»flrt. 


197 


jur 3ierbe gereicgen ober jur Unjierbe. ®ann unb Wann 
entrüftct ff wogt unfer äftgetif eS ©efügl, wir ärgern unb 
empören unS, wenn bie langen gegen loSgef lagenen SßapiereS 
wafcglappenägnlicg gerabgängen. SBelcg’ ein gäßlicger Slnblid! 
©onft aber Oermögen fie unS Weber ju erfreuen, nocg ju 
ftören. SRegungSloS unb ftumm fielen fte ba, — unb boeg 
reben fie eine tiefcrnfte, Sillen üerftärtblidje ©pracge! ®a 
öerfunben fie bie legte ©iegeSbotfcgaft beS geflogenen EJecor» 
beS im toEen SBettfpiel ber Seibenf aften, — oerfünben ben 
neueften ©rfolg beS raftlofen ©rfinbungSgeifteS. ®enn buS 
neugeborene Stinb ber f öpferif en Sbee, baS einftmal in ber 
©tubenluft ber geiftigen SBerfftatt aufwucgS, bis es grofj genug 
mar, um auf eigenen güjjen ju fielen, überfeg reitet niegt megr 
fegfidjtern bie ©cgweEe in’S öffentliche Seben, fonbern rugm* 
rebig wirb eS auf bie ginnen beS SBeltoerfegrS gehoben, um 
bem neuerungSfücgtigen publicum feine Sßifite abjuftatten. 
Unb bann wirb ber Stet ber gef äftlfen ®aufe oor aUer 
Belt ooEjogen. SRancgmal finbett ff aueg faufenbe Snter* 
effenten als liebe Sßotgen, wenn bie preifenben ©intabungen 
in aBe SBinbe ginauSpofaunt werben. Unb Wie mancgeS 
©egetmnift beS ©efäftSlebenS wirb ba niegt an baS öffent* 
liege ißlacat gefcglagen! SSieEef t ift eS gier ber legte 33er* 
fueg, bet oerfieegenben ißulSaber beS ©efcgäftSbetriebeS noeg 
einmal neues Seben einjuflöfjen. 33ieBeicgt oerbreitet eS aueg 
bie ®rauerfunbe eines unglüefliegen gaEimentS, im Socfoögel* 
tone bie legten SRefte ber SBelt anbietenb. §ier rügren aEe 
politif en Parteien bie groge Trommel — bie HJJufif ber 
Seibenfaften ftimmt einen oielftimmigen Slccorb an, unb baS 
ewige SBeltconcert ber Eieclame ergält bureg ben S3ilbfcgmucf 
beS ißlacateS feine WirtungSooBe SBeige. Unb wenn wir 
ginauSftüegten in bie freie, gottbegnabete Statur, um für unS 
aflein ju fein in länblicger ©infamfeit unb friebtfer ©tifle, 
aueg ba tönen unS bie ©timmen beS lauten ERarfteS in einem 
oielfättigen ©ego naeg. ®aS ift bie wunberfame ©praege beS 
öffentlichen ißlacateS. 

SBagrlicg! — aueg ein fprecgenbeS ©piegelbilb beS localen 
©efäftSlebenS! ®ie ißlacatfunft rebet oott Slflem, waS unS 
intereffirt. Unb aE’ unfere SReugierbe ift igr gewibmet, fei 
eS aueg nur in flüegtigen Setracgtungen, wenn wir bureg 
bie (ebenSooEen ©troffen unb über bie buntgefegmüeften ißläge 
gegen. ©in unwiberfteglicger SReig, ber unS feffelt, 
unfern SBlidE unb unfere Sfufmerffamfeit bannt, liegt auf biefen 
blutrotgen unb grasgrünen, gimmelblauen unb tintenf warjen 
getteln. SIBeS ift buregeinanber gewürfelt, planlos unb ogne 
lünftlerife Slbfiegt. Unb bie giguten! ®u lieber ©ott — 
feglüpfrige, orbinäre ©aricaturen mit bem ganjen Slufwanbe 
gef äftlfen ^Raffinements, in übermütgigen ißgantaftereien* 
ftoelgenb. Unb baS foE Stunft fein? ®iefeS bunte ©emif 
eines orbnungStofen SMlberreicgtgumS, biefeS gäffltcg prunfenbe 
©eflimmet greEer ißapierfarben mit igren groben Eieflepen, 
biefe plumpen, auSbrudSlofen unb tobtfalten ©egriften, biefer 
gefügilofe 3ierratg an ornamentalen ©efegmadtofigfeiten, aE’ 
biefe ©ignörfeleien unb gineffen, biefe launigen ©cgnurren 
unb ungefegieften S3erbrämungen — baS SlEeS foE ber 
ptaftifege unb reftectirenbe SluSbrud, baS fRefultat fünftlerifcgen 
©cgaffenS fein? Unb biefe ©umme Oon unäftgetifegen ©injel* 
erfegeinungen bejefnet man mit bem fcgmefelgaften, fön* 
flingenben unb oielfagcnben ÜRamen ber ißlacatfunft! ®a 
feint eS, als ob nft bie ERittel, fonbern ber SRame ben 
3 wed geiligen foBe. 

Süften Wir nur einmal.ben ©cgleier berfßlacatfunft, bann 
täufen wir unS OieEeicgt, wenn fie unS nur baS goglwangige, 
begierige ©efiegt beS ©efcgäftSgeifteS jeigt. ®ann fegen wir 
aber aueg, wie ff in igtem Slntlig ber ®cfcg äftScgarafter ber 
grofjen |>anbelspläge beutlicg wieberfpiegelt. Unb in ber 
®gat: SBer geute bie SBeltftäbte bereift, um fieg ein 33ilb 
öon bem ©tanbe beS ©efäftSlebenS ju maegen, fein SBefen 
unb feine 39efonbergeiten ju erforfegen, ber ftubirt geute ein* 
faeg bei feinem EJunbgange bureg baS ©tabtinnere baS fßlacat* 


wefen. ©o bietet ff überaE ©elegengeit, eitt egarafteriftif eS 
3eicgen bafür ju beobaegten, ob eS gier ober bort auf einer 
megt ober weniger gogen ©ntwidelungSftufe ftegt. ®enn 
feine äugere ©igenart ift eben nicgtS StnbereS als ber bilb» 
liege ober figürliche SluSbrud ber ®enbenj beS ©ef äftSgeifteS. 
Unb Wenn eS fieg in SBirtliegleit aueg nur um einen unter* 
georbneten Äunftjweig ganbelt, ber ff ju entwideln beginnt, 
fo wirb unS borg ein SRunbgang bureg bie gerOorragenbften 
^ßlacatftätten bie SEgatfacge oor Slugen fügren, bag beifpiels* 
weife bie gange Jünftlerifcge Sluffaffung ber tunftfinnigen 
Sfarftabt SRüncgen aueg einen fegwaegen ©egein auf baS 
geimif^e ißlafatwefen wirft unb mit tünftterifegem ©cgwunge 
belebt. ®aS wirb man fon gewagt, wenn man offenen 
SlugeS bie grogen, weiten §aBen feines arcgitectonifcg=fti(üoEen 
SagngofSbaueS buffreitet. Slber aud) Weitergin, im 
§erjen ber ©tabt, begegnet man ißlacatanf lägen, bie einen 
impofanten Slnblid gewägren. SBenn biefe Slnjef en aueg 
nf t überaE fdjarf geroortreten, fo ift boeg igr aEgemeiner 
3ug unoerlennbar. Unb bamit oerglefe man bie alte 
f)anfeftabt Hamburg, ben ^afenplag beS SluSlanbüerfegrS, 
wo bie SBogen beS internationalen ©eeganbels igren Slbfcgaum 
bis ginein in bie parquettirten Summelptäge beS 33erfegr8* 
lebenS, ja bis in bie geräumigen §aBen ber ©efäftSgäufer 
fpülen. ®a erf eint unS baS ißlacatwefen in jenen büftern, 
taugen, ungarmonifen gar ben, auf benen fieg jeber fünft* 
terifege, lebenSooBe ©lanj oerwift gat. ®a übertönt bie 
laute ©timme beS ©efäftSlebenS bie geifere ©timme beS 
fegöpferifen SünftlerS. ®er ©efammteinbrud lägt eine 
reijlofe SBirlung jurüd, unb ein gerbet SRacggef mad oerleibet 
bie Suft ju nägerer 33etracgtung. Slegnlicg ift baS Sßergältnig 
aueg anberSWo. ©o in Sßerlin — unb im ©egenfag baju 
in ®reSben. 33eibeS finb jwar Etefibenjen, aber boeg beibeS 
SBeltftäbte oon grunbüerfiebenem ©garafter, jebe oon einer 
anberen fünftlerifcgen Sluffaffung begerrfegt. 3n beiben eine 
anbere Xenbenj beS ©efäftSlebenS, ein anberer, Oerfieben* 
artiger 3 U 9 beS fiunftfaffenS. ©inen fofen gegenfäglfen 
Unterfigieb lägt aueg ber ©efammteinbrud beS ißlacatwefenS 
in bie @rf einung treten. ®ort bie norbif e Etuge beS 
nücgternen ©efäftSlebenS, baS trog ber breiten realpolitifen 
©trömungen eine gefunbe, lebenSooBe Slber ber rein fünft* 
lerif en Sluffaffung burcgjiegt, einen ftarf ausgeprägten ©e* 
fegmad für baS SRobetne unb baS praftifeg g^c^ägige 
oerbinbenb. ®ie öbe ©infaeggeit feiner nägeren unb weiteren 
Umgebung ift aueg bem ^Berliner Seben angeboren, feinem 
rogftäbtifegen ®gpuS in gleifeg unb S3lut übergegangen. 33on 
iefem ©efiegtSpunfte auS erfigeint baS ißlacat nur als ein 
WoglfeileS SRittel ju einem gef äftliegen 3>®cde. Unb barum 
ift man gerabe injöerlin in gefegäftlf er §inficgt neuerungS* 
füegtiger als anberSWo. 93?an lauft bem ©ego beS lauten 
SeltmarfteS, um SlEeS für fiig fogleieg in Slnfprucgju negmen, 
WaS bie ©timme beS SBettOerfegrS, ber SBinb aus bem Eieicge beS 
32ßeftenS gerüberwegt. SlnberS in ®re8ben. §ier burcgjiegt baS 
@ef äftSleben berSanbeSgauptftabtnocg eine warme Slber ibeaten 
©egaffenS.; ©in leifer|)au(g wegt auS ber romantif en Umgebung, 
bie jagrauS — jagrein im fReiegtgum feltener SRaturf öngeiten 
über feine SRauern gerein. ®iefer leife oibrirenbe 3 U 9 in 
ber gefäftlicgen unb fünftlerifen Sltmofpgäre ift unoer* 
fennbar. Slegnli^eS würbe ein foleger SSergleieg jwifcgen 
Seipjig unb granffurt ergeben. Slufftrebenb in igrem localen 
33erfegrSwefen, gaben fie feinen S9lid, OieEeiegt aueg wenig 
ÜRuge unb 33erftänbnig für berlei Etebenfäcgliegfeiten. Slnbere 
ißaffionen laffen ignen feine 3eit gewinnen, igrem ftäbtifen 
©ewanbe nägere Setracgtungen ju wibmen. ©o bringt in 
jeber ©tabt ber ©efammtauSbrud beS ißlacatwefenS einen 
anberen, üerfiebenartigen 3 U 9< einen 3 u fl ^eS localen 
©garafterbilbeS jur ©eltung. fReegt unerfreuli^ berügrt aber 
baS ißlacatwefen in ben breiten fegöngef müdten SlEeen unb 
auf ben fortwägrenb belebten ^ßatfplägen, wo fieg bie fafgio* 
nable SBelt igre SRenbej*oouS giebt. ®a fegen Wir bie ®amen 


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198 


Nr. 13. 


Die <$e$etttourt. 


beS ©onntagnacpmittagS»SßublicumS, baS fonft ü6er AUcS, waS 
ipm begegnet, feine fritifcfjen SSetracptungen anjufteOen pflegt, 
rote fie bann unb wann fcpücpterne SSIicfe nacp beit Sßlacat» 
faulen pinüberWerfen, forgfam prüfenb, ob niept ein unäftE)e= 
tifcper Anfcplag fie in Aufregung »erfepen fönnte. $ier, 
inmitten fünftltcper Sßarfanlagen, tritt ber ©egenfap um fo 
fcpärfer in bie ©rfcpeinung. ©a fü^tt man ben unparmo® 
nifcpen ©inbrucf. ©aS Auge ergäbt fiep an ber ©cpönpeit 
ber ©ärtnerfunft, ber gerablinigen unb formenfepönen Sinben® 
reifen unb man finbet ein SBoplbepagen an biefer funftoolt 
auSgefcpmücften Umgebung. ©a bringt baS Sßlacat an ben 
tpurmrunben ©äulen eine päßliepe Abwecpfelung. 

Sei folcperVetracptung fäprt einem unwillfürlicp bie grage 
burep ben ©inn, ob baS fiep nid)t änbetn, nach einem jWecf® 
mäßigeren, niept fünftlerifcpen ©eficptSpunfte oerbeffern ließe. 
SRun roarum rtid)t? SBarum fönnte baS ganje Arrangement biefer 
Anfcplagjettel nicht einheitlich, mehr gefichtet unb georbnet 
fiep geftalten? 3 un äcpft toirb nirgenbS eine ©ieptung irgenb® 
welcper Art befolgt. SBo gerabe ein leerer SRaum entfielt, 
wirb baS neue Sßlacat feinen Sßlaß finben. Aber nach einem 
beftimmten ©tunbfaß wirb pierbei nicht »erfahren, ©o 
fommen ft'unft unb ^jmuSwirtpfcpaft, SD?obe unb Sßolitif, 
SDfaljcaffee unb ViSmatcfwerfe, X^eaternacfjrirfjten unb SeipauS® 
»erfteigerungen — Alles in buntem SBirrwarr burcheinanber. 
©iefe Anfünbigungen müßten nach ben einzelnen ©ebieten 
gefichtet roerben, für jebeS ein befonbereS gelb referoirenb. 
©ann würbe wenigftenS in bem äußeren Arrangement eine 
harmonifche ©infjeitlicpfeit ber Sßlacatwirfungen erhielt roerben. 
3 ufammengepörige8 würbe fiep ju einer ©efammtwirfung 
»erbinben — ©egenfäßlicpeS Würbe btftcp ben Abftaub in ber 
äußeren SRaumüertpeilung getrennt fein, ©er ©ffect beS 
einzelnen SßlacateS fönnte auf biefe SBeife feine contraftirenbe 
©törung erleiben. ©aS wäre ber Anfang ju einer parmo® 
nifchen, gleichmäßig roirfenben Sßlanmäßigfeit. Aber auch 
bie ißlacate fetbft müßten eine äfthetifche SReubelebung er® 
fahren. Sftur wenn bie Ausführung an ben ©runbfaß ber 
fünftlerifcpen Schönheit fich anlehnt, fann baS ißlacat eine 
allgemeine beifaüfinbenbe Veacptung erweefen. ©aS ift fepon 
bei bem einfachen ©rucfplacat möglich, wenn bie Schrift fo 
arrangirt wirb, baß fie burepfieptig, flar unb weitpin er® 
fenntlicp ift. ©enn pier foll ber ©ffect burep bie ©infach» 
heit unb Ueberficptlicpfeit beS ©ejteS jum AuSbrucf fommen. 
@o ift eine gefcpmadfoolle Ausführung um fo »ortpeilpafter, 
»eil bie jroeefmäßige AuSwapl ber garbeit leicpt ein »er® 
fcproommeneS Silb, optte AuSbrucf unb opne SebenSfäpigfeit 
ergiebt unb fo ber Sicpteffect ber 3 t »ifcP enraums ®° n trafte »er® 
loren gept. ©olcpe Sßlacate ju entwerfen, ift eigentlich ©aepe 
beS gacpfünftlerS. Unb eS erfepeint baper fepon auS rein 
gefcpäftlicpen ©rünben geboten, biefe mit ber Anfertigung 
foieper Sßlacat«(£roürfe ju betrauen, ©ie SD?eprfoften werben 
immer burep ben SDfepretfolg aufgewogen werben. SBo eS 
fiep namentlich um Veifügung großer, cparafteröoller SÜuftra® 
tionSfiguren panbelt, wirb nur bie fünftterifepe Arbeit ben 
SReift ber SBirffamfeit erzielen. Sft boep bie mobetne ißlacat® 
funft opnepin mit einer fo teiepen güHe teepnifeper SD?ittel 
ausgerüstet, baß fie bie ^erftetlung farbiger Sßlacate mit fraft® 
»ollen, fcpönpeitSfatten giguren fdpon auf billigem SBege be® 
forgen fann. SRamentticp ben mobetnen ©ürricaturenjeicpnern 
— ben Vertretern beS SRealiSmuS unb ber ©eceffion gebüprt 
unftreitig ber Vorzug — bietet fiep pier ein weites gelb 
fünftterifcher Vetpätigung. ©olcpe Sßlacate, angefcplagen in 
ben SÜunftftraßen ober Sßarfanlagen ber ©roßftabt, inmitten 
arepiteftonifeper Prachtbauten ftepenb, Werben burep ipren 
Wohlgefälligen ©inbruef, burep baS fcpön fleibenbe ©ewanb 
baS tauf luftige Sßublicum erfreuen, jum Vetracpten unb — 
kaufen anregen. SBürbe baburep auS gefcpäftlicpen ©rünben 
eine geringe Vertpeucrung eintreten müffen, fo würben biefe 
Anfünbigungen als VorpgSplacat ju betrachten fein. @o 
wäre bet jwecfmäßigfte Ausgleich gefepaffen. Aber auep ber 


örtlicpen Umgebung gereiepen fie offenbar jur 3«^ ©arübet 
fann feilt 3 roe ‘f t * beftepen: — auf biefe SBeife würbe bet 
SReclameteufel auS bem Sßtacatwefen »ertrieben Werben unb 
an feine ©eile bie SReclamefunft treten. 


JEtfertttut unb Jtunft. 


Ättn|l tsnb Üloral. 

SBenn baS praftifepe ©eltungSbereicp ber Äunft uni 
irgenb einem ©ebiet angegriffen wirb, unb bie Vertreter ba 
ftunft baju Stellung ju nepmen paben, fo fönnen fte mt 
niept umpin, fiep naep tpeoretifepen ©tüßen umjufepen, fepon 
Weil bie ©egner felbft ipren Angriff burep tpeoretifepe ©rüttbt 
p unterftüpen pflegen. Von Alters per finb bie fepärffta 
Angriffe gegen bie Älunft in allen ©eftalten »on ©eiten bei 
Vertreter ber 2Roral ober »ielmepr ©erjenigen, bie fiep all 
£>üter ber SD?oral geberbeten, auSgegangen. SRobert $amer» 
ling pat uuS in feinem fdpöneit, nur teiber »iel ju wenig 
befannten Vornan „ASpafia" bie geinbfepaft beS ©retptpeios* 
priefterS gegen bie fiegreiep »orbrängenbe, fcpönpeitSfreubigt 
Stunft beS SßpibiaS in anfrfjaulicpen garben gefepilbert ©it 
cpriftlicpe Slircpe ber erften Saprpunberte bulbete bie finnft 
nur, wenn fie fiep öoQftänbig in ben ©ienft fircplicper 3®^ 
ftellte, unb pat auf biefem ©ebiete, wie bie perrlicpen SDenf® 
mäler ber gotpifepen unb romanifdpen Aripiteftur betteifen, 
©roßeS geleiftet. ©ie eigentlich freie Äunft, bie feinen anberen 
3wed als ben ©(pönpeitSjwecf »erroirflicpen will, unbefümmett 
barum, ob fie baburep einen praftifdjen SRupen förbert ober 
niept, fam in jenen 3 e * te » »eher als Augen® fowopt »ie all 
Cprenfcpein nur ganj feiten jum AuSbrucf. ©ie bamaligefinnft 
war entweber Arcpiteftur, wo fie jene ©ottespäufer fcpuf, bic 
uns noep peute entjücfen, ober fie biente ben profanen pro!» 
tifepen Vebütfniffen ber SD?enfcpen in ber Weltlicpen Vaufimft 
unb im Stunftpanbroerf. ©elbft bie freie Äunft ber ^laftil 
unb SDfalerei orbnete fiep ganj ben religiöfen un,tI 

unb fanb ipr ©enüge barin, bie Stircpen auSjufcpmücfen unb 
mit fepönem ©erätp für ben ©otteSbienft auSjuftatten, begab 
fiep alfo iprer greipeit, ebenfo Wie bie ©idptfunft, welcpe au^ 
meiftenS religiöfen 3 l » e <fcn biente, ©rft unter ben $open< 
ftaufen begann bie ©ieptfunft, felbftftänbige SBege einja» 
jcplagen. ©ie fraftoollen ^errfeper biefeS ©efcplecptS napmeu 
ber Sfircpe gegenüber niept feiten eine feinbfelige ©tettung 
ein, unb griebriep II. galt niept allein als ein Vefämpfei 
beS SßapfttpumS, fonbern auep ber eprifttiepen Sepren. ©ie 
Sun ft, weldje biSper im Anfcpluß an baS ©priftentpum unb 
im ©cpup ber St'ircpe baS alleinige SDtittel gefunben patte, 
im wilben ©türm ber feiten ein eprenöoDeS, wenn auch be« 
fepeibeneS ©afein ju friften, entwucpS ber Vötpigung biefeS 
©cpupeS je länger je mepr unb fing an, bie ftarfen ©eproingen 
erft leife, bann immer mäeptiger ju entfalten. Aber in bem« 
felben SD?aaße, als baS gefepap, »erwanbette fiep auep bal 
bisherige SBoplrooHen iprer ©önnerin, ber Sircpe, in URife» 
trauen unb fiptießlidp in geinbfepaft. ©ie Sircpe, welcpe Mn 
jeper bie ©otteSliebe pöper gefteHt patte als bie SBeltliebe, 
bie ©otteSliebe aber in iprer SBeife bapin interpretirte, baf 
fie ipren pöcpften AuSbrucf in ber Eingabe an bie Vor« 
jepriften ber ftirepe fanb, fönnte finmöglid) mit einer Sunft 
fidp befreunben, welcpe ber SBeltliebe ju bienen anfing unb 
fiep in bet AuSfcpmücfung beS irbifepen ©afeinS woptgefieL 
©aS »erftieß gegen bie fircplicpen SD?orallepren, welcpe ben 
freien SnbioibualiSmuS noep niept gelten laffen wollten. Die 
Vertreter ber Sircpe betraepteten fiep als bie ipüter ber SD?orat 
unb eS war auep »om ’moralifcpen ©tanbpunft auS, baß f« 
bie jur greipeit etroaepenbe Sunft befepbeten. ^»errfepfuept 


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Die (Segenmart 


199 


unb innerliche Ueberjeugung Oon bem ißrimat ber Stirne 
auch au f äfthetifdjem ©ebiet, fowie bie 3 ah r h u nberte tange 
©ewöhnung an unbebingten ©ehorfam auf bem ©ebiet be« 
praftifcheit Seben« wie ber theoretifchen ©efinnung oerbanben 
fi<h, um ber weltlichen Shmft ba« Seben fchwer ju machen, 
da fam bie Eroberung ßonftantinopel« unb bie Verbreitung 
griedjifcher Vilbung- ber Äunft fegenSreidj zur §ülfe. 3e 
mehr ba« Auge fich an ben frönen formen gried)ifd)er fiunft 
fatt fah, um fo flarer erfannte ba« fortfchreitenbe äfthetifche 
VeWufjtfein, bafj bie (Schönheit unb bie Sittlichfeit Oerfdjiebene 
©eltungefpijären barfteQten, nnb bafj Don einer bebingung«* 
lofeu Unterorbnung ber Schönheit unter bie Sittlichfeit, welche 
festere man nur unter bem ©eficht«Winfel ber djriftlichen 
Religion an^ufehen gewohnt war, nicht länger bie Siebe fein 
fonnte. 

Natürlich brachte fiih bie Denaiffaitce biefen ©egenfajj 
jwifchen Schönheit unb Sittlitfjfeit, ober oielmehr bie Unab* 
hängigteit be« einen ©ebiete« oom anberen noch 9 Qr nicht fo 
deutlich jum Vcwujjtfein, wie wir ba« je(jt ju thun Oer» 
mögen. Sie hatte c« auch gar nicht nötfjig, benn bie 2öu<ht 
ber j£h at fa<hcn fprach beutlidjer al« jebe Vewei«führung. 
die Sd)önheit«ibeale be« claffifchen Altertum« würben oon 
ber ©ienfehheit mit Subei begrüjjt, unb ber Sinflujj ber Sin» 
tife erzeugte jene ißeriobe be« ^otjen fünftlerifcfjen Schaffend 
oor Allem in ben freien Äfinften ber ißlaftif unb ber üftalerei, 
bie um fo bewunberung«würbiger ift, je weniger lange bie 
Vorbereitung«zeit gebauert hatte. Sßa« für ein Unterfchieb 
jroifchen fRaphael unb SfSerugino! ,gum ©lücf für bie Au«* 
breitung be« Schönen würben fetbft bie Vertreter be« S?ird)eii* 
tlpim« oon bem allgemeinen $uge ber- 3 eit erfafjt unb ftanben 
in ber Veförberung ber fdjönen fünfte ben weltlichen 9Räce= 
naten nicht nach- da« Spiel hatte fich umgefehrt: nicht 
mehr beanfprud)te bie Sittlichfeit, auch nicht in ber gorm 
ber fachlichen SRoral, ba« höhere gegenüber ber Äunft ju 
fein, fonbern bie Schönheit gewann einen fo fieghaften ©in« 
Unfc ba& man ihren Wienern gern ein SRanco an firchlicher 
©efinnung nahfahr wenn nur ba« fiunftwerf, welche« fie 
fthufen, in fich feltrft hohen SBertf) befaß, die Sßrofanmalerei 
blühte in einem nie bagewefenem SRaafje, unb bie Schönheit 
triumphirte über ihre fanatifchften ©egner. die Sßeltflucht 
be« SWittelalter« hatte einer SBeltluft fßla| gemacht, bie in 
bödjfte^ Sinnenfreubigfeit au«geartet wäre, wenn bie Äunft 
nicht hemmenb eingegriffen hätte. denn ber ed)ten Sfunft 
ift e« eigen, 3J?aa| z u halten unb bie erregten Triebe zur 
fünftterifhen Dbjectioität ju Oerflären. da« „unintereffirte 
SSohlgefatten", wie fiant ba« äfthetifche Verhalten einem 
Sunftwerf gegenüber nennt, fdjliefjt eine ftürmifche Srregung 
ber Sinne fdjlechthin au«. die ftunft hat e« nur mit bem 
Schein ju thun, unb bie Vetrachtung be« fdjönen Scheine« 
löft bei bem äftijetifch ©eniefjenben ganz non felbft jene har» 

; monifhe Stimmung au«, bei ber man bie Sinnenwelt mit 
ihren Seibenfcfjaften oergißt, um ganz in ber ibealen SBelt 
ber Schönheit aufzugehen. 

SBenn diejenigen, welche fich al« Reiter bet Sittlichfeit 
berufen glauben, etwa« mehr oon ber Aefthetif berftünben, 
fo würben fie wiffen, bafj bie Sittlichfeit einen um fo banf* 
bareren Voben finbet, je mehr bie ÜJienfdjheit oon äfthetifchen 
Sbealen burchbrungen ift. dafj ba« Schöne auf bem Schein 
beruht, währenb e« ber Sittlichfeit um bie ©efinnung ju 
| thun ift, barf ben ÜJJoraliften nicht abfehreefen. 2 Benn fich 
hinter bem Sittengefejj feine Vejiefjung auf ben überfeienben 

— unb wir fönnen getroft hin£j#i 0 en, auf ben überfittlichen 

— ®runb alle« dafein« finbet, fo ift e« nicht im Stanbe, 
j öerbinbliche ©eltung ju beanfprud)en; unb ebenfo bleibt ber 
\ f<höne Schein, wenn er feinen ibealen ©efjalt in fich birgt, 
I not ein leere« ßormenfpiel, Welche« bem SRenfchen gelegent* 
i lieh wohl angenehme Smpfinbungen erweefen fann, aber nicht 
I jene Schauer ber (g^rfurc^t unb be« ©ntjücfen« au«töft, bie 
, «ft bem Schönen feine erhabene Stellung im SBeftganjen 

I 


anweifen, da« gotmalfchöne gefällt felbft auf ber Stufe 
be« mathematifch ©efäüigen nur befehalb, weil bie gorm bie 
fcheinhafte Verfinntidjung eine« immanenten ^ormgefehe« ift. 

Sin ©efejj ift aber immer ibeal, b. h- eS ift bie Sbee, welche 
bie gorm beftimmt. SBBir fönnen biefe logifche determina« 
tion nur im Vegriff unb in ber Slnfdhauung erfaffen. die 
Srfenntnifjlchre hat e« mit bem Vegriff ju thun, bie Schön* 
heitelehre mit ber concreten ülnfcfjauung; Veibe aber fönnen 
ben ibealen ©ehatt nicht entbehren, weit e« bem 2 Wenfd)en* 
geift eigenthümlich ift, bei jebem Vegriff unb bei jeber Sin* 
fdjauung auf bie logifdje determination, ber auch fein eigene« 
denfen unterworfen ift, ju reflectiren. die äfthetifche Ve* 
friebigung beim Slnfdjauen einer mathematifch gefälligen gorm 
j. V. rührt baljer, bafe ba« Spiet ber formen fein jufäUige«, 
fonbern burch unb burdj ibeebeftimmt ift, Wenn ber Vefdjauer 
fich auch aber ben ©runb feiner Vefricbigung nicht flar ift. 

Sn ber Schönheit, ba« fottten fich bie ftrengen SRoraliftcn 
nur immer wieber oorhalten, ift e« nicht ber ihnen fo oer» 
haßte concrete Schein an fich, ber ba« Kriterium ber Schön* 
heit auSmadjt, fonbern bie in bemfelben fich entljütlenbe 3 bee, 
unb bie Sbee ift ebenfo göttlichen Urfprung«, wie ba« Sitten» 
gefe^ ja ift im ©runbe ein unb baffelbe. Sludj im Sitten* 
gefeh entfaltet fich bie Sbee nicht unmittelbar, fonbern fie 
fchlägt fich nieber in ben fittlichen Sinjeljwecfen, wie Wir fie 
in ber ®he, ber gamilie, bem Staat oor un« feljen, unb 
ebenfo ift e« im ©ebiet ber Schönheit, wo wir bie Sbee im 
äfthetifchen Schein erfaffen. 

Sieben biefem gemeinfamen Verührung«pun!t giebt e« 
freilich noch eine gaitj bebeutenbe Sphäre, in ber bie Schön* 
heit mit ber Sittlidifeit nicht« ju thun hat- SBenn ba« 
Schöne bann aber auch fittlich indifferent ift, braucht e« ba* 
rum hoch nicht bem Sittengefefc feinblid) ju' fein. SjBer bie 
Schönheit freilich nur al« SRittel, bie fittliche ©efinnung ju 
fördern, anfieht, mufe ber Schönheit fo enge ©renjen jiehen, 
bafe fie babei oerfümmert. Sn ber ©efdjidjte begegnen wir 
ja immer Wieber folgen f^anatilern ber ÜWoral, denen jebe« 
äfthetifche ©eniefeen fremb unb unfpmpathifch ift, weit e« fie 
oon ber Slrbeit an bem £>eil ihrer Seele ab^ießt; fie gehen 
in ber Verwerfung be« Schönen fo weit, bafj fie jebe gorm 
beffelben, auch bie fittlich 9 Q Oj inbifferente wie bie ßanbfdjaftg* 
malerei, oerwerfen unb felbft ber im dienft ber SReligion 
ftehenben fiunft feinblich gefinnt finb, weil ihr auf bie ab* 
ftracte ©otte«oereljrung gerichteter Sinn be« äfthetifchen Dr* 
gan« gänzlich entbehrt, die Vefähigung jum äfthetifchen ©e* 
nufe feßt noch me h r OJie bie inteDectuelle Vefähigung, wenig* 
ften« bei ben norbijefjen Völfern, eine ©enerationen an* 
bauetnbe Srjiehung oorau«, wenn fie in gleifch unb Vlut 
übergehen, nicht« conoentioneü Angelernte« bleiben fotl. da« 
oeraeffen jene Voll«beglüder immer wieber, bie Oon ber 
näcpften ßufunft, fobalb ber tßtioatbefifc SoHectioeigenthum 
geworben ift, eine 5tu«bel)nung be« ftunftoerftänbniffe« auf 
bie breiteften Schichten annehmen, drofcbem bie Schönheit 
fich owf ben concreten Schein ftüßt, bie ÜKoral auf abftracte 
Sehren, ift e« leichter, einen gänzlich Ungebilbeten Oon ber 
SrfüDung einer naheliegenben Vflidht, oon bem Unrecht einer 
begangenen ^anbtung ju überzeugen, al« ihm bie Schönheiten 
SWojarffchet SJJufif ober bet Sijtinifdjen SWabonna flar z« 
machen. Sene Ißuritaner, Welche ber Schönheit ben ©arau« I 
machen wollten, legten eben burch bie $eftigfeit ihre« Angriff« 
ßeugnifj atT bon ber H?ad)t ber Schönheit, benn nur ein . 
©egner, ben man fürchtet, Wirb fo energifdj befämpft. 

da« fittliche Vewufetfein, welche« fich ber IRenaif* 
fance unb Deformation mehr unb mehr oon ber ^eterono* 
mie ber Sirctje frei gemacht h at » h at fi«h ber gelegent* 
liehen Auämüchfe puritanifcher Strenge unter ben theologifchen 
Siferern zu einer immer milberen Auffaffung bem ©ebiet ber 
Schönheit gegenüber burefmebrungen. Vor allen dingen h fl f 
q« fich barin befdjeiben gelernt, bafj e« nicht mehr ben An* 
fpruch erhebt, ben moralifchen äRaa^ftab an ba« Schöne zu 


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200 


Die töegettwart 


Nr. 13. 


(egen, fonbern bie beiben (Sphären reinlich unb fc^arf trennt. 
Aud) bte Anficf)t, baß baS ©djöne um fo t)öh cr ju toertfien 
fei, je birecter cS erpherifdj fei, gehört p ben übermunbenen 
©tanbpunften. Schiller tonnte noef) ernftf)aft bie grage auf* 
Werfen: „Sft bie Sdjaubüf)ne eine moratifdje Anftalt?" feit» 
bent aber hat man in ber Aeftljetif als ber £el)re oom 
Schönen bie päbagogifdjen Rüdficfjten ebenfo wie bie mora» 
lifdjen pm alten Sifen gelegt unb ber Schönheit als ©etbft» 
jwed ge^ulbigt. SBenit man aber oudj pgeben muß, baß 
ein birecter päbagogifdjer Sinfluß bem Schönen nid)t pge» 
ftanben werben tonn, fo ift hoch baran feftphalten, baß eS 
einen inbirecten Sinfluß auf bie Srjiehung auSfibt. ©aS 
©d)öne rüdt baburcf) auS ber ©teHung eines bienenben 
©liebes in ißäbagogif unb SRoral pr Helferin in beiben ©e» 
bieten auf, ohne baburdj feine ©elbftänbigfeit einpbüßen. 

AuS biefer ©tellung beS Schönen entfpringt eine ganje 
Steife neuer ißflidjten. SBeit entfernt baoon, burd) baS Ab» 
toerfen ber päbagogifc^en unb moralifcfjen Seoormunbung 
freier geworben p fein, ertoädjft für ben Stünftler aus biefer 
greiljeit bie Röthigung p einer ftrengen ©elbftpdjt. Sßenn 
früher bie Autorität ber Slirclje baS Äunftmerl tor ber Äritif 
gebüßt, unb bie moralifc£)e ©enugtljuung, ein heiliges SBerf 
gefdjaffen p Ijaben, auSrei^en mochte, um etwa fid) regenbe 
fünftlerifd)e gtoeifel S u bannen, fo fieljt fid^ bei fortfdjreitenber 
Reife baS dft^etifcfje Setoußtfein allein auf fidj felbft ange» 
toiefen unb fommt nun aud) bap, bie ©renjen ber fünfte, 
bie ©tilgefeße, ben SBerth beS ibealen ©efpltS, baS Sßertjältntfe 
oon gorm unb gnhalt u. f. to. p beftimmen. 3Bie nicht 
anberS möglich, toertiert fid) ber fünfilerifd) Oeranlagte A 
2Renfdjengeift babei manchmal auf ben tounberlidiften 2lb» 
wegen. SS fehlte fo lange an bet philofopljifchen ßnfammen» 
faffung ber ©pecialgebiete, benn bie Aeftljetif als SBiffenfdjaftJf 
ift erft feljr neueren ©aturnS, baß bie Anläufe pr Reflexion* 
über baS Äunftfdjöne not^wenbig bie toiberfpredjenbften 
©heorien p ©age förbern mußten. ©er probucirenbe Sünft» 
ler ift in ben toenigften gälten geneigt, fid) felbft Redjen» 
fdjaft über feine Stunft abplegen, er Oerl)ält fid) nicht feiten 
feinbticO gegen alles ©heoretifiren, Weil et baburd) feine $ro= 
buctionStraft, bie, wie er gefühlsmäßig Weiß, auS bem Unbe» 
toußten ftammt, gefdjwädjt p fef)en fürchtet. 2tber ber 
grübelnbe SRenfchengeift tonnte bei biefem ableljnenben Ver* 
halten gegen eine begriffliche ©lieberung fid) auf bie ©auer 
nicht beruhigen, fonbern toanbte auf baS in ber üöelt oor» 
hanbene ©djöne biefclben ©enfformen an, bie er auf baS 
Vorhanbenfein ber Sßirflidjfeit überhaupt antoanbte; er über» 
fdjaute baS ©djöne in ber bilbenben Siunft, in ber Ratur, in 
ber Ißoefie, in ber SRufif, in ben unfreien fünften ber 2Ird)i» 
teftur unb beS ÄunfthanbwerfS, abftrahirte barauS erft ©til» 
gefeße, bann allgemeine ©äße über baS @djöne unb gelangte 
fo bap, eine ganj unabhängige SBiffenfdjaft, bie 2lefthetif, 
heran p bilben, bie baS ©cf)öne in feiner Stellung im SBelt» 
ganzen erfaßte unb bamit ben ©djlußftein p einem ©ebäube 
fügte, baS feine erften Saufteine weit jerftreut in ben Sßerfen 
ber alten grie^if^en ^Eptofopfjen finbet. ©enn bie ißh*to- 
fophen finb eS oor allem getoefen, nicht bie Zünftler felbft, 
bie baS SReifte pr gebanflichen Verarbeitung beS bafeienben 
Schönen beigetragen h°ben. 3 roar h a ^ en aU( ^ bon 
einjelnen ftünftlern toerthooQe 2luffchlüffe über ihre eigene 
Äunft erhalten, aber ber begriffliche 3 u f Qmmen h Qn 9 ber ein» 
jelnen Äünfte untereinanber ift bon einem ©pedatgebiet auS 
nicht p erwarten. Um bie fpnthetifdjc ©1)01*9^» welche 
alle fünfte p einem ©ijftem ber fünfte jufammenfchließt, 
auSjuiiben, bebarf eS beS ^Ijilofophen, bein bie 2lufgabe p» 
fiel, bie ©afeinSberedjtigung ber fünfte auS bem ÜBefen beS 
©dhöneit felbft p erflären, unb biefe rein phitofophifd)e 2luf» 
gäbe ift im 19. 3af)thunbert auf bie mannigfad)fte 2Beife 
bon beutfehen ©entern ber Söfung näher geführt Worben. 

©aß oon biefen feinen Unterfudjungen ber 5ßh^°i°f ) ^ e 
beS £d)önen nodj fo wenig in baS Vewußtfein auch ^ er 9 es 


bilbeten greife übergegangen ift, betoeifen beutlidh bie Reichs» 
tagSberhanblungen über bie fogenannten Äunft» unb ©h eotet ‘ 
Paragraphen ber lex §ein|je. Sffiieber h at fi<h eine Partei 
angemaaßt, ber ßunft nach aßen fRichtungen hin Vorfchtiftcn 
p machen, nicht nach äfthetifdjen, fonbern nach moralifthen 
©efichtspuntten, währenb man hoch an bie Äunft nur einen 
äfthetifdjen äWaaßfiab anlegen barf. ©o gerne man alle 8e» 
mühuitgen ber üiegierung unterftühen möchte, bie unreife 
$>ugenb unb baS Volt bor ben 2lu8fchreitungen einet fitt) aü 
Äunft gebärbenben Ausbeutung in gorm bon untüchtigen 
Silbern, unflätigen 3 0te n, ber ©inge(=©angel unb ber nur 
auf bie ©innlid)teit berechneten förperlidjen ©chauftellungen 
bieler AuSftattungSftüde unb Sariäte=©heater ju bewahren, 
weil baS äftljetifche Smpfinben babon ebenfo abgeftoßen wirb 
wie baS ethifdje — bie ©efaht einer fReglementirung bet 
Shcnft burch Drgane, bie bie echte Äunft beS ibee»erfüHten 
Scheins nicht bon ber unechten Sunft beS ©innenreijeS p 
unterfcheiben bermögen, ift fo bebentlich, baß tnan fich gegen 
©efe^e berwahren muß, bie unS mit einer ftaatlich conceffio» 
ntrten äfthetifchen Seauffichtigung beglüden wollen. 

©enn jene Seauffichtigung ift eben uidjt bon äftheti» 
fdjen ©efiebtspuntten geleitet. SBäre fie baS, fo würbe fie 
wiffen, baß man pnfdjen äfthetifchen ©cheingefühlen unb 
realen ©efühlen unterfcheiben muß. gebe Äunft, bie nur 
©cheingefühle auStöfen will, bei benen baS genießenbe ©ubject 
fich 9 an i Object berliert, ift rein unb echt; jebe fiunft, 
bie eS auf bie Srregung finnlicher, wohl gar gef^lechtlicher 
©riebe abgefehen hat, auf reale ©efühle, bie ben Sftenfdp 
anf fich felbft jurüdwerfen, anftatt ihn ber Realität p ent» 
heben unb in’S gbeale p üerfenfen, ift unwahr unb unecht, 
weil ihm baS Sriterium beS äfthetifd) ©chönen, bie Schein» 
haftigfeit fehlt. 9iun giebt eS jwar immer SRenfchen, bie fo 
Wenig äfthetifdEj oerlangt finb, baß ihnen j. S. ein anfehau» 
lieh gemaltes ©tiHleben eßbarer ©egenftänbe, nur Appetit 
erregt, unb bie SRaffe ©erer, benen eine gemalte SenuS — 
ber reine gormenfdjein ber fßlaftif wirft meiftenS äftljetijdjet 
— fejueKe fReije auStöft, mag auch nicht flein fein, weuigftenS 
nicht in ben unterften SotfSfdjidjten, aber baS beweift nichts 
gegen bie Serwerflidjfeit ber Äunft, fonbern nur ben SRangel 
äfthetifcher ©rjiehung. ©ie äfthetifche Setrachtung löft überall 
ben Schein oon ber SRealität ab. ®ie Unterlage beS @djeinä, 
bie pr Vermittelung beffelben für bie ©inne nothwenbig ift, 
bleibt für ben äfthetifd) ©enießenben ganj gteichgiltig, tonn 
alfo aud) niemals feine ©inne aufregen, felbft wenn leben» 
bigeS gleifdj unb Slut, wie bei ber fchönen ©anjfunft, bie 
Vermittelung beS Scheins abgiebt. ®ie äfthetifche ©enuß» 
fähigfeit ift aber feine angeborene, fonbern fann nur burch 
eine forgfältige ©rjiehung unb eine lange Schulung an 
©enfmälern ed)ter Äutift erworben werben; fie ift alfo recht 
eigentlich ein Sigenthum ber ©ebilbeten, unb man fann oon 
bem Volf nicht erwarten, baß eS, etwa burch inftinctioe St» 
faffung, fid) oeim Anblid echter Äunft fofort auf bie @|uft 
ber ©ebilbeten erhebt. s 

Run entfteht bie grage, ob eS für bie Srjieljung V* 
VolfeS thunlich fei, i|m ben Anblid oon ßunftwerfen p 
bieten, bie feiner Roheit oft nur ben Anlaß p unrein® 
Reijen geben, ©ie Anfichten über biefe grage gehen am» 
einanber. Sefdjränft man fich au f bie bilbenbe Äunft, f’ 
fönnte man baS Verbot ber AuSfteHung oon Racftheiten if 
ben ©chaufenftern feht wohl bamit rechtfertigen, baß b< 
wahre ^unft biefer ©chaufteHung nicht bebürfe, unb ba| 
biefe in ben ÄunftauSfteHungen unb SRufeen ihren 
baS Schöne p oerrfinnliefert, noch oollauf Oerwirflicßen fönnetj 
Södtin j. S. ift Wirtlich fein SRaler, für ben man auf Ver»l 
ftänbniß bei bem größten ©heit bep Seüötferung8fd|id)ten| 
regnen fönnte, bie an ben ©ebaufenftern oorbeijiehen. Au<hi 
feine wunberfchöne, Oom moralifch»clericalen ©tanbpunft gewiß ] 
ganj ungefährliche ©obteninfel Würbe auf feine begeifterte 
guftimmung, fonbern höchftenS auf ©leichgiltigfeit ftoßen. 


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Nr. 13. 


Hie (Sesettwart 


201 


Demnach tönnte mart eS billigen, wenn man für bie ©cßau* 
fteUung im Sabenfenfter eine AuSmaßl bafjin träfe, baß man 
biejenigen ßunftgegenftänbe, für bie baS Soll nodß -nidtjt ge* 
reift genug ift, non ber öffentlichen ©cßauftellung auSfcßlöffe 
unb nur im 3nnern beS SabenS felbft pm $auf anböte, 
©o feßr im Allgemeinen baran feftpßalten ift, baß ber 
Äunft bie größte Freiheit p taffen ift, fo feßr muß man 
bocß auch barauf tjinroeifen, baß bie Äunft nicht ber AuS* 
beutung bnrCh gewiffentofe ©peculanten oerfaQe. Die ge* 
fcßäftlicße ©peculation feßrt fich nid)t an bie Feinheit ber 
Stunft; wenn fie beffere ©ewinne erhielt bnrch ©egünftigung 
eine# rohen, tßeüS entarteten, tßeilS noch uicfjt genugfam ge* 
bitbeten ©efcßmacfS unb burch ©peculation auf außeräftßetifcße 
©efüßlSreije, fo wirb fie feinen Anftanb nehmen, barnadj §u 
hanbeln. ©ine Abwehr gegen biefe £anblungSmeife aus 
bolfSpäbagogifcßen SRürffidjten bebeutet nicf)t§ weniger als 
eine ©eoormunbung ber Äunft, unb ber »on ben ©egnern 
biefeS Verbots fo oft angeführte Hinweis auf frühere 3eiten, 
in benen naioere ©itten unb ©ebräudje manches anftanbSloS 
hinnahmen, was heute auch bei ben ©ebilbeten für anftößig 
gilt, beweift nicßtS für bie ©egenwart. 

ÜRocf) wichtiger atS baS ©erbot ber ©cßauftellung »on 
gewtffen ©egenftänben ber bitbenben Äünfte in ben Saben* 
fenftern wäre eine gefehlte ©infcßränfung beS ©eltung* 
bereicßS ber nieberen ©üßnen. Aber bie Äritif, waS erlaubt, 
waS unerlaubt ift, fefjt wieberum eine fo feine äftßetifcße 
©ttbung oorauS, bafj man billig jweifetn fann, ob bie Sie* 
gierung im ©tanbe ift, eine in ©adjen ber ernften Theater* 
funft maßgebenbe ©eßörbe p fdßaffen. Der borliegenbe 
Dßeaterparagrapß trifft formell bie ernften Dßeater lD > e bie 
nieberen Schaubühnen ganj gleichmäßig, unb baS ©etieben 
eines äftßetifcß ganj ungebitbeten ©eamten tann eine ftraf* 
rechtliche ©erfolgung beS ernften ©cßaufpielerS wie beS 
„arbeitenben" SongleurS herbeiführen, fobalb ihm eine ®e* 
berbe anftößig erfcheint. 

Die für bie ©olfSerjießung nachtheitigen folgen liegen 
auf bem ©ebiet ber nieberen ©üßnen noch weit mehr p 
Dage als auf bem ©ebiet ber bitbenben Sfunft. ©aS bie 
ernften Theater gelegentlich einmal an ©efcßmadflofigfeiten 
»erbrechen, wirb nur einem Keinen ©rudjtfjeil ©ebilbeter p* 
gängticß unb »on ber ißreffe meiftenS genügenb djarafterifirt; 
bie ©pecialitätenbühnen aber gießen eine fo große ÜJiaffe beS 
©olfeS an unb bleiben fich £n ih rer Senbenj, auf außer* 
äfthetifche ©efüßlSreige p wirten, fo treu, baß baburcß aller* 
biitgS eine ©erroßuna beS äftßetifcßen ©efcßmacfS herbeigeführt 
wirb. ©ie aber foU man eS machen, bie eine 9iicßtung p 
treffen, bie anbere ju fronen? Darin liegt bie große 
©cßwierigfeit für jeben ©etradjter, ber in ber äftßetifcßen 
(Sultur einen ber wichtigften g a£ toren pr ©ilberung ber 
©itten unb in ber ©ühne baS wertßooUfte SUiittel p äftßeti* 
fehen ©itbung gerabe beS ©olteS fieht. Die ©ergnügungS* 
fucßt ift mit ber fteigenbeit ©oßtßabenßeit gewacßfett; bie 
Xanjböben befriebigen nur bie jüngeren Seute, bie älteren 
unb ber ÜWittelftanb, p benen fich bie große ©cßaar*ber 
unberßeiratßeten Äaufleute gefeilt, feljen fich nac ß anberen 
Anregungen ißrer • ©cßauluft um, unb biefem ©erlangen 
tommen bie ©arietö*Dßeater bereitwillig entgegen, ßweimat 
in ber ©odße, an ben ©onnabepben unb Sonntagen, finb 
bie ©ariete*Dßeater — Wir hoben bafiir tein beutfcßeS ©ort 
— bicßtgebrängt »oll »on Seuten, bie einer befferen äftheti* 
fehen ©rjießung Würbig wären. ©ieoiet ift über ©olfS* 
bühnen gefeßrieben Worben, unb wie wenig ift auf biefem 
©ebiet geteiftet Worben, weil bie Dßeateruntertießmer alle 5 
fammt ©efcßäftSleute finb, bie Äenntniß beS bisherigen ©e* 
fcßäfts fie aber gelehrt hat, baß bie größten ©etberfolge bei 
ber ©peculation auf Sinnenreize ju erreichen finb. 

©enn bie ©ertreter ber 20?oral fich bamit begnügen 
Wollten, ihren moralifcßen §emmfcßuß jenem leicßtgebauten 
©efäßrt anjulegen, baS fich ganj mit Unrecht DßeSpiSfarren 


nennt unb mit ber Stunft beS fdßönen Unerfüllten ©cßeinS 
gar nicßtS ju tßun ßat, obgleich jupgeben ift, baß biefe 
©dßaubüßnen aitcß ©ieleS bieten, waS äftßetifcß toie fittlidß 
unanftößig ift, fo würben fie fieß gerabe für bie Sunft ein 
boppelteS ©erbienft erwerben, ein pofitiueS, inbem fie bie 
Stunft felber »on einem fcßäblicßen ©atlaft befreiten, ein 
negatioeS, inbem fie burch biefe ©efreiung ber waßren 
äftßetifcßen Srjießung erft ’Sßür unb Etßor öffneten. 2)ie 
gelegentlichen äftßetif^en ©erirrungen ber ernften ©üßnen 
fommen gegenüber biefen üRaffenwirfungen <jar nidßt in ©e* 
tradjt bom ©tanbpunft ber ©olfSpäbagogil, in ber baS 
äftßetifcße ©ebiet eine fo große SRoHe fpielt. ©ei ber Stürze 
ber ©cßuljeit unb bem nidßt ßinwegpleugnenben ^nbifferen* 
tiSrnuS gegenüber ber Äircße ift bie ©üßne neben ber ißreffe 
baS einjiae SDtittel, baS ©olf in eine ibeate ©pßäre $u er* 
ßeben, aber »on biefem Streben ift bei benjenigen, welcße 
bem an unb für fid) ganj berechtigtem ©ergnügungStrieb ber 
großem 2J?affe bienen, ni^tS p merlen. ©oute bie ©efeß* 
gebung fid) um bie ©olfSpäbagogil ein Wichtiges ©erbienft 
erweifen, fo wäre hier ber fßunft beS ©infejjenS. fjreilidß 
Wäre bei unferer jeßigen inbioibuatiftifcß gerichteten 3 e U ber 
©rfolg eines foldßen ©efeßeSborfcßlagS feßr jWeifetßaft. ®ie 
©ocialbemofraäe würbe fieß wie ein ÜDtann gegen biefe ftaat* 
ließe ©eoormunbung aufleßnen, unb bie liberalen Parteien 
Würben barin wahrfcßeinliiß ebenfaßS einen ©ingriff in bie 
perfönlicßen Siecßte beS ©injelnen, fieß naeß feinem ©eßagen 
p amüfiren, erbliden. Aucß würbe es feßwer halten, bem 
©olf fofort eine anbere Stoft p bieten, üorauägefejjt, baß eS 
bap fänte, alle nieberen ©cßaubüßnen auf einmal p 
fcßließen. $>ie jeßige ©efeßeSborlage ift in ©epg auf ben 
Slßeaterparagrapßen gänjlicß unbrauchbar, auS äftßetifdßen, 
wie auS moralifcßen ©rünben. AuS äftßetifcßen, Weil bie 
ernften ©üßnen »olle greißeit haben müffen, baS ©cßöne 
in bramatifeßer gorm ungeßinbert »on ben geffeln clericaler 
ÜRoral barpbieten, auS moralifcßen, weit eS baS ©eltungS* 
bereieß ber SDforal felbft einengen hieße, wenn man eS burch 
fireßließe SRücfficßten beeinflußte. $aS »erfeinerte moberne 
fittlicße ©efüßl feßtießt waßre äftßetifdßie ©efüßle nießt auS, 
fonbern weiß fie als Unterlage für ein größeres ©treben 
naef) SRaaß unb Harmonie woßl p fcßäßen, wäßrenb eS fidß 
ganj »on felbft ableßnenb gegen folcße Darbietungen »erßält, 
bie baS äftßetifcße wie baS moralifcße ©efüßl »erleßen. Die 
fircßlicße Autorität, fei eS fatßolifdje, fei eS proteftantifeße, 
jeßt noeß in ©aeßen ber SWoral anerfennen follen, baS fann 
bem fortgefeßrittenen fittlicben ©ewußtfein felbft nießt meßr 
auf bem ©ebiet ber SDtoral pgemutßet werben, »iel weniger 
benn auf bem ©ebiet beS ©cßönen. Die §üter ber ÜRoral 
fcßäbigeit ißr Anfeßen bureß nichts meßr, als wenn fie burch 
eine folcße ©erwirrung beweifen, baß fie über ben mittelalter* 
ließen ©tanbpunft noeß nicf)t ßinauSgefommen finb. ©oll 
eine ©efreiung ber Sfunft bon bem gefäßrlicßen ©aöaft ber 
auf ganj unäftßetifcße 3' e ^ e gerichteten Afterfunft bureß* 
gefüßrt werben, fo fann fie »ielleicßt nur bureß einmütßigen 
ßufammenfeßtuß ber Ä'ünftler felbft gefeßeßen, wie Wir ißn 
jeßt in ber Abwehr gegen baS ißnen gefäßrlicß bünfenbe ©efeß 
gefeßen ßaben. ^ätten fie ißre Negation bureß pofitiüe ©or* 
fcßläge pr ©efeitigung ber aucß »on ißnen oft brücfenb em* 
pfunbenen HJfißftänbe auf bem ©ebiete einer fieß als Äunft 
gebärbenben ©efcßäftSfpeculation ergänzt, fo wären fie ber 
ißnen pgefallenen Aufgabe erft »oUfommen gerecht geworben, 
©ine Säuterung ber Äunft nach rein äftßetifdßen ©efidßtS* 
punften »on ben unfauberett Anßängfeln ber Afterfunft ift 
eine notßwenbige ©ebingung für ben ©ulturfortfcßritt; ift 
jeßt bie Abwehr gegen fircßli<ß=ftaatlidE>e ©eoormunbung ge* 
lungen, fo wirb hoffentlich bie 3«* nießt ferne fein, wo Der 
Stampf gegen ben unlauteren ©ettbewerb auf bem äftßetifdßen 
©ebiet aucß fiegreieß p ©nbe geführt wirb. A. v. H. 


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202 


Die ®e$enn»ari 


Nr. 13. 


(kbriele b’^uiumjto mtb fein nene(les tPerk. 

9Son UTarcits Canbau. , 

3m »origen 3af)re finb btei ©tarnen oon b’ünnungio 
erfcpienen unb gleich im ©eginn beS neuen 2>af)re3 über» 
rafc^t et unS mieber mit einem „ ®aS geuer" betitelten 
2Betfe*) oon fecpftpalbhunbert «Seiten, baS fictt als erfter 
©peil einer „®ie Nomane beS ©ranatapfels" betitelten ©ri* 
logie anfünbigt. ES gehört gu ben Eigenheiten biefeS Verbot« 
ragenben, oielbewunberten italienifdjen ©icpterS, ftets brei 
feiner ütomane unter einem gemeinfamen ©itel gufammengu» 
faffen, obwohl gwifcpen ben ©erfonen ber eingelnen SRomane 
fein gufammenpang befielt unb auch eine geiftige Einheit 
faum waprgunepmen ifi. @3 gilt bieS freilich nur Dom 
crften ©iertelbupenb, ben „SRofenromanen", wefcpe3 DoUftänbig 
erfcpienen ift. ©om gweiten Sßiertelbu^enb, ben „ ßilien» 
romanen", ift nur ber erfte „©ie gclfenjungfrauen" (ober 
©urgfräutein) im Satire 1896 erfcpienen, unb jept fdtjicft er 
toieber, anftatt ber Dot Dier Sauren »erfprocpenen „©nabe" 
unb „©erfünbigung", baS „geuer" als erften bet „©ranat* 
äpfet=9lomane" in bie SBelt, bem „©er Sieg beS SRenfcpen" 
unb „©er ©riumph beS ßebenS" folgen foH. 

@ranatäpfet»5Romane nennt er biefe ©rilogie, weil biefe 
grucpt baS Emblem Stelio Effrena’S, ber tpauptperfon beS 
„geuerS“ ift, baS er „mit mehr ©ebeutungen, ais fie Äörner 
enthält, übertaben pat." ©3a3 aber biefe SBebeutungen finb, 
baS Wirb, fagt er, „Dieöeidft irgenb ein beweglicher unb far¬ 
biger ©eift (spirito agile e colorito) gang begreifen unb ge* 
nießen." 3<P gehöre leibet nicpt gu biefen auSerwäplten 
©eiftern unb muß baper auf baS Dolle ©erftänbniß Der» 
gicpten. 2tucp ber ©itel „geuer" ift nicpt gang flar unb pat 
jebenfatlS feinen ©egug auf ben Snpalt beS Sucres, beinahe 
hätte ich gefagt, beS SlomanS, obwohl eS bie Scpilbetung 
eineg in SSenebig abgebrannten geuerwerfs enthält. ©iel* 
mehr würbe biefer ©itel bem 1 „tragifcpeS ©oem" betitelten 
Sogno dun tramonto d'autunno (©raum eines ^»erbftfonnen* 
Untergangs) gebühren, baS mit einem großen ©ranbe fcpließt. 

©ineS ber Dier SJtottoS Don „geuer“ ift: „fa come 
natura face in foco* unb ber Sinn biefeS unb ber folgen» 
ben ©erfe aus bem »ierten ©efange oon ©ante’S „©arabieS" 
ift, haß ber fefte SBiHe fich barin geige, baff er ftets wieber 
feinen eigenen 2Beg einfehtage, fobatb ber äußere gwang auf» 
hört, wie baS geuer, baS ftets nach oben ftrebe. ©emnaep 
fotl alfo ber ©itel beS SEßerfeS ben ftets unentwegt feinem 
hohen $iele guftrebenben gelben ober Dielmehr ben ©iepter 
felbft fputbolifiren. ©enn biefer felbft, ©abriele b’2lnnungio, 
ift unter bem Namen Stelio ber £etb, waS er geleiftet hat 
unb waS er noch fchaffen wirb ober Dielmehr f(paffen will, 
baS legt er uns hier offen unb ausführlich bar. 2Bir haben 
bemnach baS Necpt, feine früheren SBerfe fowohl als biefeS 
fein neuefteS auf ©runb feines ©rogrammS gu beurtheilen, 
auS bem, waS er geleiftet hat, gu ermeffen, WaS Wir Don 
ihm noch gu erwarten berechtigt finb. 

Schon in feinen früheren SBerfen hat er fich als 93er» 
ehrer Niepfcpe’S unb SRicparb SBagner’S gegeigt. 3m „©riumph 
beS ©obeS" finbet fich e ‘ ne gtoangig Seiten lange Npapfobie 
über „©riftan unb Sfotbe", unb ein echter Äönig mit wahr* 
haft fönigfiepem ©eifte ift für ihn (in Vergini delle rocce) 
nur S?önig ßubwig Don ©aiern, ber funftfinnige ©rotector 
aßagner’S. 3n „guoco", baS in ©enebig fpielt, erfcheint nun 
SBagner felbft, freilich nicht hanbelnb, fonbern teibenb. ©aS 
eine 2Ral läßt ihn b’Slnnungio auf bem ©ampffchiffe, baS 
Dom ßibo gur ©iaggetta fährt, in Ohnmacht fallen unb Don 
Stelio unb feinem greunbe ©aniele ©lauro an’S ßanb ge* 
tragen Werben, baS gweite ÜRat geigt er ihn unS als ßeiepnam 
im ©alaggo ©enbramin unb läßt Don Stelio unb feinen fünf 

*) I romanzi del Melagrano. 11 fuoco. Milano, Fratelli 
Treves, 1900. 


greunben ben Sarg in bie ©arte tragen. Ob eS torrflicp 
nur Staliener waren, bie bem beutfdfen SReifter ben lebten 
ßiebeSbienft erwiefen, weiß ich nicht, über mit feinem ©obe 
(13. gebruar 1883) fcf|ließt b’ünnungio’S ©uch, unb bet 
Schluß ift Dom 13. gebruar 1900 batirt. 

2Rit ber Nachfolge SRiehfche’S ift eS bem italienifcßen 
©ichter nicht befonberS gut gegangen. Sein ©iorgio 21 uriSpa 
(im „©riumph beS ©obeS") folgt Woßl ber egoiftifdtjen Herren* 
moral, ift aber tein Uebermenfch, fonbern geiftig .unb förper» 
lieh e in Schwächling. Sn ben „©urgfräutein" wollte er 
unS mit Elaubio Eantelmo einen wirtlichen Straftmenfdjen 
Dorführen, aber er geigt unS nur große ©haten in ©Sorten. 
Et fpridjt gar Diel Don bem, waS gur ©efiegung ber ©emo* 
tratie, für ben ©riumph ber Schönheit git tlpm ift, aber 
irgenb eine große ober auch nur Heine ©hat »errichtet er 
nicht, ©ieüeicht follte er feine Störte erft in ben anberen 
gwei „ßilienromanen" geigen,» unb bie ift unS b’2lnnungio 
fchulbig geblieben, ©agegen h°t er uns in ben ©rauten 
„Sogno d’un tramonto d’autunno* unb „La Gloria* gwei 
gräßliche Ueberweiber Dorgeführt. Stber SRiegfcfie ift bei ihm 
jefgt fchon gtemlich abgetan unb ©Sagner fein eingigeS Sbeat 
geblieben, ©em großen ©arbaren, wie er ihn nennt, nach* 
eifetnb, will er ber SBagner ber ßateiner werben. „©Sagnet’3 
©Sert", fagt er, „beruht burdjauS auf bem germanifchen ©eift, 
er ift bie Ouinteffeng beS SRorbifchen. Seine SReform hat 
einige 2lehnlichteit mit ber ßuther’S. Sein ©rama ift nichts 
als bie feinfte ©turne beS ©eifteS einer SRation ... 2lber 
ftellt man fid) fein ©Sert an ben Ufern beS ÜRittelmeereS 
Dgr, gwifchen unferen Dlinenhainen, unferen fchtanten ßor» 
beerbäumen, unter bem ©lange beS füblichen ftimmelS, ba 
»erblaßt eS unb löft fich auf... Sch aber bin ftolg barauf, 
ein ßateiner gu fein unb betrachte jeben 3Renfd)en eines anberen 
©tuteS als ©arbaren." ©ann fefct er auSeinanber, baß baS 
©Sagner’fchc ©rama nicht als gortbilbung beS ©tiecfjtfchen gu 
betrachten fei, bem baS SWufitbrama ber Statiener ber fRenaif» 
fance* unb ©aroefgeit »iel näher ftehe; in feiner Serbin» 
bung Don 2Rufif, ©oefie unb 2luSftattung fei eS baS ©or* 
bilb ©Jagner’S gemefen.*) Es ift alfo nicht fo fehr bie Äunft 
beS ©eutfehen, bie ber Statiener nachahmen will, als feine 
2 Retljobe ber ©ropaganba, fein ©efehief fich Qeltenb gu machen: 
„«Stelio hatte einen inftincti»en ^>aß, eine bunfet gefühlte 
geinbfdjaft gegen biefen hartnäefigen ©ermanen, bem eS ge* 
lungen war, bie gange ©Jett gu enthufiaSmiren. Um fich 
2 Rcnfcf)en unb ©inge gu unterwerfen, hat er ftetS fich felbft 
auf ein ©iebeftal geftetlt, ftets feinen ©raum ber Schönheit 
Derherrticht. Er wenbete fich an bie ÜRenge als bie wünfcf)en3* 
werthefte ©eute." 2lber mit bem SBotlen allein ift eS nicht 
getfjan, unb Energie unb 2lu8bauer müßten auch angeboren 
fein. Db b’2lnnungio, beffen Sprachrohr hier Stelio ift, fie 
befijjt, weiß ich »««hi- 2BaS man Don ber Don ihm im ©er* 
ein mit grau ©ufe geplanten Nachahmung beS ©apreuther 
©peaterS, Don bem auch in Fuoco mieberßolt bie SRebe ift, 
hört, Hingt eben nicht erfotgDerfprechenb. Unb baß mit ber 
Schaufpieterin goScarina beS SRomanS bie ©ufe gemeint fei, 
wie ein Äritifer fagte, wollen Wir lieber nicht glauben. ES 
wäre gar gu arg. 

Sn bem ©erhältniß Stelio’S gu goScarina geigen fid) 
ttod) bie fRefte feines NießfcpeaniSmuS. ©ewiß, er liebt bie 
Don ißm um einige Sahre ältere, feport bureß mehrere ßtänbe 
gegangene, aber noch immer fepöne unb begehrenSwerthe grau, 
aber er bebarf iprer auep. Sie fotl ißm als SRittel gur Er* 
reiepung feines 3« e l e ^ bienen, ipn in bie ScpaßenSftimmung 
Derfcßen, als ÜRobetl bienen, unb bann bie ©ebilbe feiner 
©pantafie auf ber ©üpne »ertörpern. Snt ©egenfaß gur 
©ioconba beS gleichnamigen ©ramaS, Welche ben ©ilbpauer 

*) Ungefähr bafiette ^abe icf) bor mehr al8 jioonjtg 
meiner «Sdprift „®ie italienifcpe fiiteratur am öfterreidjifeben fcofe" ge* 
Jagt, unb bie Speerie beS „itunfimertä ber gnfunft" pat l'djcn ©iufeppe 
ißarint im britten SBiertel beS adjtjeljnten 3a|r^unbertS aufgefteQt. 




Nr. 13. 


Hie ©egenwart. 


203 


Settala beherrfdjt, 6tei6t gogcarina ftetg bie Sienenbe, bag 
wiflfährige SBertjeug. ©ücffichtglog, nur feinem Egoigmug 
folgenb, geniefjt nnb benufct Stelio Körper, ©eift unb ©efüht 
gogcarinag; ober biefe fiet)t in ber nocf) im Ipintergrunbe 
fteljenben jungfräulichen Sängerin Sonateßa Slroale if»re 
©iüalin, nod) beoor Stelio felbft recht jum ©ewußtfein ge« 
fommen ift, baß er fie liebt, unb macht ihr ©la|, inbem fie 
eine Äunftreife nach SHmerifa antritt. S’Slnnunjio hat ba 
üietleicht an SBagner unb feine erfte grau gebacht, bereit 
©riefe bie „©egenwart" unlängft öeröffentlirf)te, aber er hat 
bag ©erhältniß iit’g Sßegitime unb Sin nn Li che gesogen. 
Sabei brängen fich ung nun einige gragen auf: ©ebarf ber 
dichter ober Sönftler ftetg einer ihn jum Schaffen ermun« 
ternben, in bie rechte Stimmung üerfefcenben ©eliebten? 
Sann bie grauenliebe biefen ihren h°h ett 3 n,ec ® nut ets 
fußen, wenn fie feine platonifd)e, fonbern eine mit reichem 
finnlidjen ©enuß oerbunbene ift? Unb britteng: ift eg burchaug 
nothtnenbig, erhöht eg ben SBerth ber Sichtung, toenn biefer 
©enuß mit all feiner ©runft in fo betaiHirter ©Seife gefdjil* 
bert wirb, wie eg in „Fuoco“ gefchieht? Sn ©ioconba Si= 
anti, in ber ©rabeniga (Sogno cl’un tramonto d’autunno), 
in ber Somitena (©loria) fonnte man noch Stpnbole üet« 
muthen, aber bie gogcarina ift fein Spmbol, fonbern ein 
tebenbeg wirtlich ejiftirenbeg ©Sefen. Sag ©igdjett ^anblung 
beg ©omang fpielt nicht wie ber „^erbfttraum" in unbe= 
ftimmter ©ergangent)eit ober wie „Ser ©uhrn" in nebelhafter 
ßufunft, fonbern im mobernen ©enebig mit Sampfbooten 
nnb fßanjerfdjiffen, unb ber gogcarina tritt bie mit ihrem 
©amen genannte Königin ©Zargherita oon Stalien gegenüber! 

Ser ©oman beginnt mit einem ©ortrag Stelio’g (ohne 
Sonference thut eg jefct faft fein italienifcher ©oman) im 
Sogenpalaft oor ber Sfönigin unb ber ©fite ber ©efeflfdjaft 
©enebigg. Ser ©ortragenbe erntet fetbftüerftänblid) bonnernben 
Slpplaug, nur bie Königin hat einmal üernetnenb bag §aupt 
geßhütteit. Slber mehr alg ber ©eifall freut ben ©ortragenben, 
Wag ihn noch alg Sohn erwartet — bie gogcarina hat ihm 
für bie ©acht ein nach bem ©ortrag bag erfte intime Rendez¬ 
vous üerfprocfjen. ©och größereg Sob alg für ben über 
üierjig Seiten beg Sucheg füßenben ©ortrag, fpenbet b’Slnnunjio 
an mehreren Stellen feineg ©krfeg bem Sichter unb Äünftler 
Stelio. Sr fdjilbert ung beffen ©otjüge, bie Eigenheiten 
feineg gtühenben ©atnreßg, feine foutoeräne Seherrfchung ber 
Spraye — „er wollte einmal jcigen, baß um ben Sieg 
über ©Zenfdjen unb Singe ju erringen, nichtg geeigneter fei, 
alg bag beftänbige Sieben feiner felbft, bag ©erherrlicfjen 
feineg Sraumeg oon Schönheit unb jperrfdjaft." Slugführ« 
lieh ftiOilbert ung Stelio bie Eigenart feineg ©mpfinbeng unb 
Sdjaffeng unb am angfüljrlichften, Wie in ihm ber ©ebanfe 
ju einem in ©Zpfenae fpielenben Srama entftanben ift. Er 
erjäfflt beffen gatnen Snhalt, charafterifirt bie ©erfonen, 
giebt ein faft ooßftänbigeg Scenarium unb Sinweifungen, 
wie gogcarina bie ipauptrofle — bie ©linbe — fpielen 
foU. Siefeg Srama, beffen Entftehen ung fo gefdjilbert 
wirb, ift aber nichtg Stnbereg, alg b’Slnnunjio’g oor jwei 
Sahren erfchienene Sragöbie „La cittä raorta“ (Sie tobte 
Stabt), beren §anblung, wenn ba oon ipanblung bie ©ebe 
fein fann, auf ben ©uinen oon ©Zpfenae fpielt. 3<h habe 
mich bamalg in einer Äritif beg Sramag barüber be« 
tlagt, baß ber Sichter ben glüdtidjen ginbet beg Schaheg 
ber Sltriben, ben Seutfdhen Schliemann aßet feinen archäo« 
togifdjen Ehren ju ©unften jweier oon ihm erfunbenen 
Stalienern beraubte, ©ewißermaßen wie eine Antwort barauf 
Hingt eg, wenn er jejjt fagt ober feinen Stelio fagen läßt: 
„£aft Su je an biefen barbarifchen Sluggraber gebaut, ber, 
nacfjbem er einen großen Sheil feineg fiebeng jmifcljen Eoloniat« 
Waaren unb im Somptoir oerbracht hat, fich aufmachte, um 
bie ©räber ber Sltriben ju fuchen unb ber größten, wunber« 
barften Erfcheinung gewürbigt würbe, bie je einem ©Zenfcßen 
ju Sheil warb? §aft bu bir je biefen maffiüen Schliemann 


oorgefteßt, wie er ben glänjenbften feit Sahrtaufenben im 
Sunfel ber Erbe oerborgenen Sobtenfchajj entbedte? §aft bu 
je gebacht, welchen Einbrud biefe fdjredliche, übermenfehtiche 
Erjcheinung auf einen jugenbtidj feurigen ©eift, auf einen 
Sichter, einen Slneiferer*), auf bich, auf mid) gemalt hätte? 
Siefeg gieber, biefe ©egeifterung, biefer SBahnfinn!" — 
Schliemann war für bag griechische Sllterthum beinahe fo be« 
geiftert wie b’Slnnunjio, wenn md)t mehr, aber er war fein 
Sichter unb hat eg bem Staliener übertaffen feinen gunb 
ju bramatifiren. Db aber beffen Srama, wie Stelio fagt, 
„bie gufcfiauer erfcf)ütterte unb beraufdjte, wie bie Schau» 
fpiete beg fiimmetg unb beg 9©eereg, bie Sonnenaufgänge 
unb Stürme", bag mag man bißig bejweifeln. 9lber jeben» 
faßg ift burd) biefe Epifobe beg ©omang bie Sbentität oon 
Stleio Effrena mit ©abriete b’9lnnunjio bewiefen, unb bieg 
macht fie ung befonberg widjtig. Sagegen fcheinen bie Epi* 
foben üon ber oor afler SÜSett abgefchloffenen ©täfin ©lanegg 
unb üon ber Sabp ©?h rta un b ihren §unben mit ben höchft 
fonberbaren ©amen jieinlich überflüßig. 9lber, wer weiß, Oiel» 
leicht haben wir eg auch h' er mit Spmboten ju thun, 

„®te ganj unb gar fich unferer Stunb’ entjtefien?"**) 

Slnbere ©pifoben finb wieber üoit entjüdenber Schön« 
heit unb tragen auch üiel jur ©harafterifirung ber jwei 
|>auptperfonen bei. So j. ©. bie gahrt nadh Stra nnb bag 
muthwißigeSreiben Stelio’g, bort,gogcarina’g rührenbe Sd)ilbe= 
rung ihrer Äinbheit unb Sugenb, ber ©efuch ber ©tagfabri! 
in ÜRurano. 3°f Q hätte ung bei einer foldjen Schitberung 
lein Setail ber Strbeit gefchenft, b’Slnnunjio geht Weniger in 
bag Sedjnifche ein, für ihn ift bie Schönheit beg gabricirten 
unb bie altoenctianifche Sfunft«Srabition bag SBichtigfte, feine 
Sarfteflung baher auch für ben Sefer genußreidher. ' 

3Bie bie anberen Staliener fein neuefteg SBert aufnehmen 
werben, weiß ich n id)t, aber bie ©enetianer Wären bie un* 
banfbarften ©Zenfchen, wenn fie ihm nicf)t ben Sorbeer reichten. 
S’Stnnunjio ift ein ©Zeifter in ber lanbfchaftlid)en Schilberung, 
ja fie ift ißm fo Wichtig, baß er felbft in feinen Sramen 
mitunter in Schilberung ber ©egenb üerfäßt. Sn feiner 
Schilberung ©enebigg mit aß feinen Wunberbaren garben 
unb Sönen hat et fid) aber biegmal felbft übertroffen, ©enebig 
unb ber §erbft finb ja auch & et Snhalt üon Stelio’g ©ortefung. 
Unb nicht bloß bie ©atur, auch bie JÜunft unb bie ©Zenfdhen 
©enebigg finb liebeooß gefdjilbert, anheimetnb wirb auch 
manchmal ber uenetianifd)e Siatect gebraucht. Snt Uebrigen 
ift bie Sprache in Fuoco üon ebenfo großer Schönheit unb 
eben folchem SBohltlang wie in feinen anberen SSerfen. 2lber 
biefe ©Zeifterfchaft, biefe fonoeräne ©eherrfchung feiner ohne« 
hin fo wohllautenben ©Zutterfpradje Oerlodt ihn manchmal 
auf Srrwege, macht ihn in Srama unb ©oman jum 
S^rifer. Et beraubt fich mitunter an feinen eigenen ©Sorten 
unb läßt feine ©erfonen ju lange ©eben halten. Safür fjanbeln 
fie um fo weniger, ein ©Zanget, ber freilich m feinen Sramen 
noch fühlbarer ift alg im ©oman. 

Englifche Äritifer haben bie ©eWohnheit, bei ©efpred)ung 
eineg ©omang bie eigentliche §anbtung nicht wieberju* 
erjählen, um ben Sefer nicht ber Spannung auf ben Slug« 
gang ju berauben. Eg gehört manchmal eine gewiffe Selbft« 
entfagung ju folchem ©erfdjweigen. ©ei b’Slnnunjto’g Fuoco 
Wirb ung biefe ©nthaltfamfeit fehr leicht gemacht. Eg giebt 
fo Wenig nadjjuerjähten, man ift auf ben Sluggang nicht 
gefpannt unb finbet fich nicht enttäufdjt Wie bei einem ©oman, 
ber einen unbeftiebigenben Sluggang hat, benn bag ©ucf) ift 
lein ©oman. SBag benn ift eg? Ein an frönen Sdjilbe« 
rungen reicher ^)t)mnug auf bie $unft unb bie Schönheit, 
befonberg auf bie fdjöne Sunft unb ©atur ©enebigg. 


*) Slnimatore nennt er fid) Uiieber^olt. 

**) In tutto dall’ accorger nostro scisso. (®ante.) 


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204 


Pie töegenroart 


Nr. 13. 


3*uifteton. 

- SRadjbrud oecboten. 

Sammeltonti). 

93on lTCarf (Eirain. 

Jer arme, fcpmermütpig bliefenbe grembe! 3n feiner bemütpigen 
SRtene, feinem müben ©liefe, feinen abgefepabten, ehemals feinen Kleibern 
lag etroaS, baS mein dRitleib erregte. 3<P bemerfte unter feinem 2lrm 
eine SRabpe, mie fie Stabtreifenbe, Kolporteure unb $aufirer gu tragen 
pflegen, unb biefe Seute flögen mir fietS Sntereffe ein. UnoerfepenS 
mar icp benn auep gang Dpr unb Jpeiinapme, als er mir feine SebenS* 
gefeptepte ergäplte. Sie lautete ungefähr mie folgt: 

„Kleine Kltern ftarben, als icp noep ein unftpulbigeS HeineS £tnb 
mar. Klein Dnfel Stpuriel liebte mich unb napm miep an ftinbeSftatt 
an. Kr mar mein einziger ©erroanbter in ber weiten SSelt, gut unb 
arogmütpig unb babei reiep. Kr ergog mid} im Scpoog beS UeberfluffeS. 
Vlfle SBünfcpe, bie mit ©elb gu befriebigen waren, mürben mir erfüllt. 
Kacpbent icp auf ber |>ocpfcpule ftubirt, ging iep mit meinem Kammerbiener 
unb einem Kurier auf Keifen, ©ier 3<*pre lang flog icp forgloS burd) bte 
©efilbe ber grembe, — wenn Sie biefe Sprache ihrem ergebenen Wiener 
geftatten wollen, beffen 8unge ftetS poetifd) geftimmt mar. 21ber id) 
barf ja fo gu 3töuen fpreepen, benn 3pre klugen Jagen mir, bag auep 
in Stören Slbern baS heilige geuer ber tpoefie glüht. 3u jenen fernen 
Sanben alfo fcpmelgte ich in ber ainbrofifcpen Speife, bte ber Seele, bem 
©eifte, bem bergen guträglicp ift. SBaS aber t>or 9Mem meinem an= 
geborenen äftpetifepen ©efeputad behagte, baS mar ber bort unter ben 
weiepen perrfepenbe ©rauep, Sammlungen Don fepönen unb foftbaren 
Seltenheiten ober munberlicpen Siebpabereien anguleaen. 3» einer ber= 
pängnigoollen Stunbe berfuepte icp eS, in meinem Dnfel Stpuviel eben= 
falls Gefallen an folcper ©efepäftigung gu meden. 3tö feprieb ipm bon 
ber grogen Klufcpeifammlung eines £>errn, bon eines Slnbern berühmter 
Sammlung bon Kleerfcpaumpfetfen, bon eines dritten perrlieper Samm* 
lung bon unleferlicpen Eutograppen, bon eines ©ierten unfepäßbarer 
Sammlung bon epinefifepem ©orgellan, bon eines günften entgiideitber 
©riefmarfenfantmlung — unb fo weiter unb fo weiter, ©alb trugen 
meine Klittpetlungen fjrüd)e: mein Dnfel begann fiep naep bem ©egen* 
ftanb für eine Sammlung umgufepen. Sie wiffen mohl r mie halb bie 
fßflege einer Siebpaberei gur ßeibenfdpaft wirb; bie feine mürbe halb gum 
rafenben gieber. Kr begann feine Scpmeinegücpterei gu bemacpläffigen 
unb gog fiep halb barauf gang bon ben ©efepäften gurüd, um aus einem 
bequemen Sebemann ein toller Karitätenjäger gu werben. Sein Keicp 5 
tpum mar ungeheuer, unb er geigte niept. S uer f* tierfuepte er eS mit 
einer Sammlung bon foipgloden, bie halb fünf groge Säle füllte unb 
alle ©immeln bon ber Urgeit bis gur ©eaenmart in fiep feplog — bis 
auf eine ©lode. KS mar baS eingige noep oorpanbene Kjemplar einer 
antifen ©lode, aber leiber int ©efifc eines anberen Sammlers, bem 
mein Dnfel coloffale Summen bafür bot — bergebenS! Sie fönnen 
fiep benfen, maS barauS folgen mugte. ©in maprer Sammler legt be= 
fanntltep einer Sammlung, bie niept bollftänbig ift, gar feinen SBertp 
bei, er berfauft feinen Scpa$ unb menbet fein |>erg einem anberen ©e* 
biete gu, baS noep niept auSgebeutet gu fein fepeint. So maepte eS auch 
mein Dnfel. Kr berfuepte eS guerft mit Siegelfteinen. Kacpbem er eine 
groge unb äugerft interefjante Sammlung babon angelegt patte, fteüte 
fiep bie alte Ungulänglicpfeit ein. ©lutenben §ergenS berfaufte er feine 
geliebte Sammlung an einen früheren ©ierbrauer, ber ben feplenben 
Siegel befag. Jann fammelte er fteinerne Siebte unb anbere ©evätpe 
beS urmeltliepen Klenfcpen, entbedte aber halb, bag bie gabrif, mo fie 
pergeftellt mürben, anbere Sammler gerabe fo gut berforgte, mie ipn 
felbft. Kr fammelte bann agtefifepe Snftpriften unb auSgeftopfte 2Bak 
fifepc — naep bergeblicpen Klüpen unb Soften mieber ein Kligerfolg. 
Jeitn alS enbliep feine Sammlung bollftänbig fepien, lamen ein auS= 
geftopfter SÖalfiftö auS ©rönlanb unb eine agtefifepe Snfcprift auS 
uKittelamerila an, bie alle feine Kfemplare in ben Sepatten gellten. 
SKein Dnfel beeilte fup, biefe eblen Karitäten gu erwerben, er befam 
aber blog ben auSgeftopften SBalfifcp unb ein attberer Sammler bie 3n= 
feprift. Kine e^te agtefifepe Sufcprift aber ift ein ©efip bon fo popem 
SBertpe, ba^ ein Sammler fiep eper bon feiner gamilie, als bon ipr 
trennen mürbe. So berfaufte alfo mein Dnfel feine unboflftänbige 
Sammlung, unb er fap feine fiieblinge fepeiben auf Kimmerwieberfepen. 
Äein SBunber, bag fein foplfepmargeS ^>aar in einer eingigen Kacpt meig 
mie Scpnee mürbe. Kun wartete er unb überlegte, benn er mugte, bag 
eine abermalige Knttäufepung ipm baS Seben foften fönnte. Kr war 
entfeploffen, baS näcpfte 3^al eine Karität gu wäplen, bei ber ein 53ette 
bemerb weniger gu fürepten mar. Kr überlegte alfo lange unb reifliep; 
bann maepte er fiep noep einmal auf bie Sudje — bieSmal um eine 
Kepo^Sammlung angulegen.* 

w ©on maS?" rief iep erftaunt. 

w ©on KcpoS, mein ^err. Sein erfter Jlauf mar ein Kcpo in 
©eorgia, baS hier 3Jfal mieberpallte, fein näcpfter ein fedjSfacpeS Kcpo 
in SJearplanb, fein näcpfter ein breigepnfacpeS in 3Kaine, fein näcpfter 
ein neunfaches in ÄanfaS, fein näcpfter ein gwölffacpeS in 2;enneffee f 
baS er billig befam, weil eS fogufagen baufäüig mar, benn ein Ipeil 
beS gelfenS, ber eS gurüdwarf, mar herunter gerutfept. Kr glaubte 
mit einem Äufmanb Pon einigen Xaufenb Dollars eS repariren laffen unb 


burtö ^lufmaueruna beS gelfenS bie Kepetirfäpigfeit oerbreifaepen ju 
fönnen, aber ber Ärcpiteft, ber bie Arbeit übernapm, patte nod) nie gu* 
Por ein Kcpo gebaut, unb fo Perpfufcpte er eS benn grünbliep. ©orper 
patte eS mie ein feifenbeS 9ttarftmeib geantwortet; nachher taugte eS 
pöcpftenS noep für eine 2:aubftummenanftalt. Sobann faufte er eine 
Partie Heiner boppelter KcpoS in oerfepiebenen Staaten; man gewährte 
ipm 20 ©rocent Kabatt, mell er bie gange ©artte napm. Knbliep taufte 
er ein Kcpo, baS mie eine ftrupp’fcpe Kanone fnallte; eS toftete ein 
Sünbengelb, baS fann iep 3Ptten Perfiepern. Sie müffen nämliep wiffen, 
bag auf bem Kcpomarft bie ^SreiSfcala fteigt, mie bie Äaratfcala bei ben 
diamanten; im $anbel gelten fogar biefelben ^luSbrüde für baS Kine 
wie baS Slnbere. Kin einfarätigeS Kcpo notirt nur gepn Dollars über 
ben ^$reiS beS ©runbeS unb ©obenS, auf bem eS rupt; ein gweU 
farätigeS ober boppelteS Kcpo ift breigig Dollars barüber mertp, ein 
fünffarätigeS über neunpunbert, ein gepnfarätigeS breigepntaufenb 
Dollars. DnfelS Kcpo in Dregon, melepeS er baS „Kcpo beS großen 
?itt" taufte, war ein ßleinob pon gmeiunbgroangig tfarat unb foftete 
gweipunbertfecpgepntaufenb ®oflarS — man gab ipm baS Sanb gratis, 
benn eS mar gweipunbert Stunben Pon einer Kieberlaffung ent* 
fernt. Step ja, mein $)err, roäprenb biefer Seit mar mein SebenSmeg ein 
Kofenpfab. 3tö freite um bie eingige XocPter eines englifepen ©reifen 
unb würbe pon bem Kngel geliebt biS gur Kaferei. 3n iprer Käpe 
fepmamm icp in einem 2)?eer pon $3onne. 2)a man mugte, icp fei ber 
alleinige Krbe meines DnfelS, ben man auf fünf KfiDionen Dollars fepäfcte, 
gaben bie Kltern um fo bereitwilliger ipre Suftimmung. Somopl ipnen, 
wie mir, war eS unbefannt geblieben, bag meih Dnfel unter bie Sammler 
gegangen mar — wenigflenS baepten mir, bag er nur fo nebenbei fammelte. 
mber bie Rolfen gogen fiep über meinem unfepulbigen §aupt gufammen. 
3eneS berüpmte Kcpo, baS feitper in ber gangen SSelt als ber große 
fopinoor ober ©erg ber SBieberpolungen befannt mürbe, mar entbeeft 
worben: eS war ein fünfunbfecpgigfarätiger Kbelftein. Kief man nur 
ein SBort, fo antwortete eS einem bei SBinbftille fünfgepn Minuten lang. 
Slber fiepe ba! gu gleicher 3 e 't maepte mein Dnfel bie unliebfame Knt= 
bedung, bag eS einen gmeiten Kepofammler gab. 3)ie beiben beeilten 
fiep, ben unPergleicplicpen Äauf abgufepliegen. 5)aS ©runbftüd beftanb 
auS gwei fleinen §ügetn mit einem feiepten Epale bagmifepen. ©eibe 
Sammler famen gugleiep an Drt unb Stelle an, boep mugte feiner, baß 
ber anbere auep ba mar. $>aS ©runbftüd mit bem Kcpo gehörte niept 
einem ©efiper allein; ein gemiffer ©ifliamfon befag ben einen &ügel, 
ben anberen ein gemiffer fcarbifon; baS Xpal bilbete bie ©renglinic. 
SBäprenb nun mein Dnfel SBiÜiamfon'S §ügel für brei Millionen gmeU 
punbertunbfünfunbadjtgigtaufenb 2)oüarS faufte, erwarb fein Kbncurrent 
i>arbifon'S §ügel für etwas über brei SKillionen. Äeiner ber beiben Käufer 
mar freilich mit biefem getpeüten KigentpumSreept gufrieben, boep wollte 
auep feiner feinen Slntpeil bem anberen Perfaufen, unb fepliegliep Per= 
lor ber gweite Sammler bie greube baran unb mit einer ©oSpeit, mie 
fie nur ein Sammler gegen einen Koncurrenten aufbieten fann, maepte 
er fiep an'S 3Berf, feinen £ügel abgutragen! ®enn ba er baS Kcpo niept 
allein haben fonnte, wollte er eS auep feinem Anberen gönnen, «de 
©orfteüungen meines DnfelS waren oergeblicp. Smar gelang eS ipm r 
ein 5luffcpuberfenntnig gegen feinen Koncurrenten gu ermlrfen, jeboef) 
ber brachte bie Sacpc Por eine pöpere Snftang. Sie führten ben ©rogeß 
weiter biS gum oberften ©erieptSpof ber ©ereiniaten Staaten. KS tnU 
ftanb ein peillofer Wirrwarr. Sroei Pon ben Kieptern waren ber 2ln= 
fiept, ein Kcpo fei perfönliepeS Kigentpum unb obwohl niept greifbar, 
boep fäufliep unb perfäufliep unb baper ein befteuerbarer ©egenftanb; 
gwei anbere Kicpter meinten, ein Kcpo fei ein SiegenfcpuftSobject, weil 
eS am ©ntnb unb ©oben pafte unb unbeweglich fei; anbere Kiepter be* 
paupteten, ein Kcpo fei überhaupt fein Kigentpum. Seplieglicp mürbe 
entfepieben, bag ein Kcpo ein KiaentpumSobject fei; bag bie beiben ©ar= 
teien gmar getrennte unb unabhängige Kigentpümer ber beiben $)ügel, 
aber gemeinfame 3npaber beS KcpoS feien: eS fiepe beSpalb bem @e* 
flagten Poflfommen frei, feinen £>ügel abgutragen, ba er ipm allein ge* 
pöre, aber er müffe eine Kntfcpäbigung Pon brei Millionen ^)oflarS gaplcn 
alS Krfaß für ben Scpaben, ben DnfelS halber Hntpeil an bem Kcpo 
erleiben fönnte. 3m Weiteren Perbot baS Urtpeil meinem Dnfel, opne 
bie KrlaubniS beS ©egnerS beffen £>ügei gur ^Bedung beS KcpoS gu be= 
nußen; er bürfe fiep gu biefem 8 ro *de uur feines eigenen £>ügeIS be« 
bienen; fönne er bieS unter folcpen Umftänben niept erreichen, fo fei baS 
fepr bebauerlicp, aber ber pope ©erieptSpof fönne baran nicptS änbenu 
3n gleicher Söeife würbe ber@egner in biefem ©unfte befepteben. Sie fönnen 
flep benfen, maS nun gefepap. deiner Pon ©eiben wollte bem Slnbem bie 
Kinmiüigung gur ©enu|ung feines KigentpumS geben, unb fo mugte ba« 
berüpmte Kdjo auf feine ©etpätigung Pergtepten; feit jenem Jage gleiept 
baS wertpPofle ©eflftpum biS peute einer Pergauberten ©ringeffm, bie 
auf Krlöfung parrt. Kine ©oepe por meinem £ocpgeitStaa, mäprenb Idp 
nod) in einem Sflecr Pon SBonne fepmamm unb ber pope rlbel pon fern 
unb nap gur ©erperrlicpung beS gefteS flep Perfammelte, empflng icp bie 
Kacpricpt Pon bem Jobe meines DnfelS unb gugleiep eine fcbfcprift feines 
JeftameutS, baS miep gu feinem eingigen Krben einfe&te. 4lcp, er war 
bapin, mein tpeurer SBopltpäter! Jiefer ©ebanfe belaftet mein $erg 
noep peute, nach fo langer Seit. 3tö übergab alfo baS Jefiament bem 
©rafen, meinem Scpmiegerbapa, ba icp eS meiner Jpränen wegen niept 
lefeit fonnte. Jer ©raf laS eS unb fagte bann gornig: »Kennen Sie 
baS Keitötpum, ©err? derlei ift nur in SPrem fcpminbelpaften Ämerifa 
möglicp. Sie finb weiter nicptS, als ber eingige Krbe einer umfang* 


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Nr. 13. 


DU töejettwatt 


205 


reichen Etpofammluna, menn man baS eine Sammlung nennen fann, 
um® ba uno bort über baS gange amerifanifepe geftlanb gerftreut ift. 
Stbet baS ift niept alles, £err. Sie fteden bis über bie Obren in 
©cpulben; niept ein einiges Ecpo, auf bem feine $ppotpef rupt. 34 bin 
niept bortbergig, aber icp mu& baS Sntereffe meines ßinbeS bertreten. 
39enn Sie nur ein Ecpo bitten, bas Ste mit Necpt 3pr Eigentpum 
nennen fönnten, baS frei märe Don Saften, fo bajj Sie fiep mit meiner 
Siebter bortbin gurüdgiepen unb eS burep unoerbroffenen glei& culti* 
fciren unb Derbeffern fönnten, fo mürbe icp niept Nein fagen; aber icb 
fann mein 5Hnb niept mit einem Vettler Derbeiratben. ©ieb ibn auf, 
mein Stebling! Unb Sie, $err, nehmen Sie 3bre pppotpefenbetafteten 
CScpoS unb geben Sie mir für immer auS ben klugen/ Ntetne eble 
Söraut Hämmerte fiep meinenb an mi(b unb febmor, fte motte mit taufenb 
greuben bie SKeine merben, auch menn i(b nicht ein Ecpo in ber 3Belt 
fceftfe. Slber eS burfte nicht fein; mir mürben auS einanber geriffen — 
fte, um ein 3 abr binbureb fi<P Iangfam gu £obe gu pärrnen; ich, um 
attein auf beS SebenS fteilem Pfabe meiter gu teuren unb ftünblicb gu 
beten um* bie Erlöfung unb SBieberoereinigung mit ibt in einem pirnm* 
lifeben Neicp. Unb nun, mein $err, motten Sie fo freunblicp fein, bie 
harten unb Pläne in meiner Ntappe angufeben; ich fann 3pnen ein 
<£cpo billiger ablaffen, als irgenb jemanb. 3)iefeS pter gum Veifpiel, baS 
meinem Onfel bor breifeig Sapren gehn Dollars foftete unb eines ber 

berübmteficn in XejaS ift, mitt ich 3Puen für i-" 

*£>alt, einen Slugenblid!" fagte ich. „Ntein greunb, ich pabe 
beute bor lauter £>auftrern noch feine Minute Nupe gehabt. 3cp höbe 
eine Näpmafcpine gefauft, bie ich nicht brauchte; icp bobe eine Sanbfarte 
fiefauft, bie nichts taugt; ich bobe eine Ubr gefauft, bie nicht geben mitt; 
ich bobe SWottengift gefauft, baS ben Lotten lieber ift als anbere Nab* 
rung; icp höbe eine gange NJenge unnüfcer Erftnbungen gefauft. 9lber 
jefct bin ich biefer plage fatt. 3ch möchte feines bon 3bren EdjoS 
haben, nicht mal gefchenft. 34 bin auf jeben mütenb, ber mir E 40 S 
ober fonft maS gum Verlauf anbietet. Seben Sie biefen Nebolber? 
fclfo paden Sie fepnett 3bre Sammlung gufammen, unb laffen Sie eS 
nicht gum Vlutbergie&en fommen." 

&ber er lächelte nur — ein f4mermütptgeS, fanfteS Sädjeln — 
unb gog no 4 anbere Pläne heraus. Ntan fennt bie ©efcpi 4 te; bot man 
einem fcaufirer einmal bie Spür geöffnet, fo giebt man immer ben 
kärgeren. Na4 Verlauf einer unerträglichen Stunbe maren mir benn 
auch CmnbelS einig. 34 faufte richtig gmei hoppelte E4oS in gutem 
3uftanb, ein britteS befam ich als unberfäuflich gur Sugabe, meil eS 
nur 5)eutf4 fprach. „SS mar einmal meprfpraepig,* fagte er, „bat aber 
trgenbmie ben größten Speit feiner Sprachfertigfeit eingebüjjt." 


Jltts bet ^auptftabf. . 


parlaweittsbäimnertmg. 

Seltener immer mirb baS brünftige Verlangen ber ©anglopalen 
nach einem frifchen unb fröhlichen Staatsftreicpe, unb faft berftummt ift 
ber feeifee SBunfcp, ber ben 3ben beS Ntärg bon 1890 entfprofc, mie bie 
©urte bem Ntlftbeet: ber 28unf4, eine eiferne §anb möge alle ft<b t^ür= 
ntenben inneren Scbmierigfeiten unb Nörgeleien baburch beenben, bah fte 
ben NeichStag gum Teufel jage unb bie Verfaffung, baS elenbe Stücf Rapier, 
rafepen NudeS gerreifce. £eute magt fich folcpeS Sehnen nur nod) an'S 
fiiept, menn äugenblicflidje Gattungen mit bem biSdjen Verfianbe bur4- 
geben. Sie Vlätter, beren Eigentpümer burch Nidelfiapl*, Kanonen* 
unb Eifenlieferungen lebhaft am Gelingen beS glottenplaneS intereffirt 
ftnb, fönnen eS gumeilen nicht ermarten, ba& tpre geftrengen Vrotperren 
bie 176*3ftiflionengemtnne einfaden, unb fie raten bann bem $aifer, fiep 
nicht länger pingiepen gu laffen unb ohne Suftimmung ber 33efc^lufe= 
unfähigen bom ^önigSplape bie neuen Schiffe auf bie §ettingS gu legen. 
®ie Sro^e ift bann gmar nie bie fofortige Sntlaffung beS SeitartifterS, 
benn man fann nicht miffen, ob fein SlmtSerbe nicht noch bümmer als 
er ift, aber ber berbe Nüffel bleibt hoch in feinem gatt aus. Seber, ber 
eS bon feergen unehrlich meint mit bem neubeutfeben SSerfaffungSIeben, 
»irb alle heftigen Sorte ober gar ©eroalttbaten gegen baS Parlament 
jornbott berbammen. ®enn gerabe unfer NeicpStag unb gerabe bie ra* 
bicalen OppofitionSparteien, bie fiep fepeinbar fo fürchterlich erbreuften, 
finb brauf unb bran, bie 93erfaffung gu ©runbe gu richten. $er befte 
53unbeSgenoffe beS fommenben SibfolutiSmuS pnb bie mobemen Kammern. 
Äeln S’ürft mit cäfariftif^en Neigungen mirb eS fiep betfatten laffen, bie 
(Sntmicflung gu ftören, bie ber Parlamentarismus feit einigen Sohlen 
genommen pot. ©S ift, als fäfeen in ben SSolfSbertretungen unfrer 
Stage lauter berfappte Slnpänger ber aufgeflärten ober auch 9 or niept 
aufgeflärten Despotie, unb als palte 3*ber eS für feine ^flicpt, bie con= 
ftitutionellen Einrichtungen naep befter ©eifteSfraft lächerlich unb gum 
6 fel ber Nation gu machen. 

91IS im Siener NeichSratpe bie Obftruftion tobte, als Xintenfäffer 
an met&e Säulen flogen, Sßultberfel in Xrümmer gingen unb ber $räs 
fibent baburch gum grünblicpen Stubium ber borliegenben ©efepentmürfe 
aufgeforbert mürbe, bap man fie ipm in'S ©efiept fcpleuberte, bamalS 


mürben an biefer Stelle grunbfäpliche SBebenfen gegen eine fol^e Nftno= 
ritätSpolitif erhoben. 2)a*6 Organe ber fatpolifcpen SBolfSpartei in Oefter- 
reiep fie mit etlichem ^Behagen naepbrudten, mar niept eben angenepm, 
bemieptete aber bie SemeiSrraft unferer guten ©rünbe nur gum ^peil. 
$er Parlamentarismus fepnerbet fiep felbfi bie &eple burep, menn et baS 
SNeprbeitSprincip antaftet Nfan ftept entmeber gum bringen Sapiepa, 
ober man untermirft fiep BebingungSloS bem SBotum ber ^IbftlmmungS^ 
mafepine. Ein britteS giebt e§ niept. ®iefe flare unb reblicpe ?luf= 
faffung perrfepte überall fo lanae, als bie Nfenfcpen an bie ^eilfraft ber 
parlamentarifcpen Negierung glaubten unb in ipr gläubig ben ©ipfel 
aller £>ocpcultur beftaunten. .,Sir fmb bte SNajorität, mir führen bie 
©efepäfte!" brüllte §err b. Ntinnigerobe bor gmangig 3 opren ber ftür? 
menben Sinfen entgegen, unb „Nfaul palten!" feprie neulich fein §raf- 
tionSgenoffe fropatfepef. §lber bie ©robpeit NfinnigerobeS mirfte, angfts 
bott berfroep fiep bamalS bie Oppofition, roäprenb Äropatfcpef'S bomepm 
ernfter Nfapnruf im ©etümmel unterging. 3)aS maept, in ben acht* 
giger 3opren beteten bie Siberalen ben Parlamentarismus noch on unb 
fepmoren auf feine Dogmen, ^eute haben auch ft* ipu übermunben. 
Unb barum fepeuen fte fiep niept, ipn mit töbtlicpem Streicpe gu treffen, 
mit bem StaatSftreicpe, ber bom NeicpStage felber infeenirt mirb. N?an 
fiept, ber ©laube an ben auffteigenben fjortfepritt ber Nfenfcppeit ift 
niept nur bem immateriellen dürften ^opentope, fonbern aud; feinem 
arg gufammengefeprumpften ©efolge berloren gegangen. 

iie Obftruction, bie baS SttpüUerr, Äubpelei- unb Äunftgefep gu 
93oben marf, fanb einen Norroanb unb fepeinoare Entfcpulbigung attets 
bingS in bem bemerfenSmertp tpöriepten Nerpalten ber Eompromip= 
Parteien. 5lber boep nur einen Normanb. 5)ie Noeren unb ©enoffen 
glaubten Sunber mie flug gu panbeln, als fie ben Sortlaut iprer Ver¬ 
einbarungen mocpenlang geheim hielten unb als fie ber rebeluftigen 
Sinten eines fepönen SlbenbS baS Sort abf^nitten. 3)iefe läppifcpe 
^actif, bie, bid genug unterftrtepen, ungefäpr itacp Vergemaltigung au&= 
fap, brachte ber Oppofition baS erfepnte Saffer auf bie fepon reept 
fepläfrig llappernbe Ntüple. 3*&t tonnte ipre Preffe jenes pöflifepe ©es 
peul für greipeit unb Nedjt anftimmen, baS auch ungefepidten ^ontÖ= 
bianten- noch immer fo prächtig ftept. 3 *pt ctft napm bie erhabene 
öffentliche Meinung, bie fiep nur bei SttorbSfpectafel unb ©affenfcanbal 
ben Sdjlummer aus ben Slugen reibt, Partei für $unft, Scpönpeit, 
^ricotS, SubermannS g^iclicpt^iftörcpen unb maS fonft noep alles be= 
bropt mar. ?US felbftlofe gelben erf^ienen ipr unb redten fiep auf bie 
boep nur parteipoiitifcp interefftrten Nlänner ber fiinten, unb fo elenbe 
geuittetonrebner mie ber feepfte Ntüller nahmen fi^ in ber bengalifcpen 
Veleudjtung mie gepangerte Sand ©eorge auS. S)er Erfolg beS obftruc* 
tioniftifepen ParabeftüdS ftept aufjer gmeifel; jeber Xpeaterbiredor mufj 
mit ipm gufrieben fein. 2 lber leibet ebenfo bie palben unb gangen gfeinbe 
ber Verfaffung, bie Unberantmortlidjen, beren Obrift unferem Äatfer 
einmal fagte, er merbe mit jebem %age bem grofjen Sriebritp äpnlicper 
unb unterfepeibe fiep nur noep in gmeierlei Gingen bon ipm: er pabe 
bie gepler beS alten gfi$fcn niept, unb er fei mit einem Parlament 
belaftet. 

®urcp bie Obftruction mirb ber conftitutionette NtecpaniSrauS niept 
minber lapm gelegt, niept minber fepmer befepäbigt, als burep ben Staats* 
ftreiep irgenb eines 2>ecembermanneS. Ndpacptet eine tleine SNinberpeit 
baS berbriefte unb geflegelte heilige Necpt ber Niajorität, fo etmäcptigt 
fie jeben anbem gador im Staate gu gleichem Vorgeben. $>ie 3bee 
beS Parlamentarismus ift tötlicp getroffen, unb eS pängt nun b(ofe noep 
bon feinen Siberfacpern ab, mie lange fie ipn leben laffen motten. Säre 
bie Sin!e flüger als bie $eingelmännletn eS maren, bie im ungefepidten 
Eifer alle Vejinnung berloren, bann böte fie alles auf, reept halb jebe 
Erinnerung an ben gefährlichen Sieg gu berlöfcben, ben fie burep eine 
grobe ©emalttpat errungen pat. Statt beffen fiept man bie ©ottber* 
laffenen meiter mit bem Nafirmeffer fpielcn. £>err Dr. ^ermeS fünbigte 
neulich in einer Verliner Proteftberfammlung „unter mieberpolten Vei* 
fallSftürmen" an, bap bie Obftruction aud) bei ber britten Öefung beS 
SleifcpbefcpaugefebeS rüdficptSloS gur Slnmeitbung fommen mürbe. ES 
finb liberale ttftänner, bie fpftematpifcp auf ben Vanferott beS Paria* 
mentariSmuS pinarbeiten! ES fmb liberale Ntänner, bie ber erbrüden* 
ben Nfeprpett beS NeicpStageS alle im VerfaffungSpergament borgefeprie* 
bene 3lcptung berfagen, bie fiep auflepnen gegen ben in allgemeiner, 
gleicher unb gepeimer Slbfttmmung feierlich tunb getpanen ^Bitten ber 
SBäpIer, beS fouberänen VolfeS! Sie felber gerftören bie ©runblagen 
aller bürgerlichen Ntacpt, f^mettem in ben Strapenfotp alle Errungen* 
fepaften, für bie bie Vegeifterten bon 1848 jauepgenb auf bie Varricaben 
geftiegen finb! ParlamentSbämmerung ... 

®er billige Xriumpb im ^einge*Nummel, ber boep Niemanbem 
nü^t, niept einmal ben Sttmenphotograppen unb ben Unflatpbicptem, — 
benn nun gerabe mirb bie Poligei Vefepl erpalten, mit rauper fjauft 
in ipr 3^hH pineingugreifen — ber Sieg bebeutet eine fepmere Nieber* 
läge. EinS fügt fiep gum 5lnbem. Ntan lönnte bie Obftruction ein 
gufättigeS, unmefentÜcpeS Ereignip nennen, brauchte biefe Notpgücptigung 
beS Parlamentarismus niept bur^auS für ein Setepen beS Vetfalls gu 
palten, menn niept noep gang anbere Nlenetefel an ber SBanb flammten. 
So aber ergängen fiep bie bPoSpporifcpen 3 etc ^ cn NieberaangeS. SNan 
ift im liberalen fiager brauf unb bran, bie Ärone mit Vefugniffen auS* 
guftatten, bie bem Sinn ber Verfaffung feproff miberfpredhen; man er* 
niebrigt ben Parlamentarismus gur ^trappe, beftettt ipm im Nionarcpen 
einen Cberauffeper. 3 n ^ er conftitutionetten Urfunbe ift bte gefefcgebenbe 


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208 


Die ©egenwart 


Jlngeigen. 

Bet Befteihmgen berufe matt M auf bte 
„(Segenmarf“. 


? mP «k ac ac og 1 de ge? ap ge? *■¥* ae* s^? * 


Jisiardt 

im 

Urteil 
feil« 8eii|enffei. 


Sieg. ge$. 2 SXf. tont 
®erl 


#unbert Original * @u tagten 
d. grennb u. 8*tnb: ©jörnfon 
©ranbtf ©ttd&net SriSpi Stabil 
Staubet Sgib^ Montane ®rotlj 
$aetfel §artmann $«bfe 3or<= 
ban ftipling fieoncaoaüo Sin® 
bau fiombtofo ©tefd&tfdjerGft 
Sligra »orbau ODioiet fetten« 
lofer ©altsburo ©knfieroicj 
6tmon Spencer Spieltagen 
Stanley Stoerfer Strinbberg 
Suttner ©ilbenbruc^ »enter 
«Seiet u. P Ä. 
verleg bet iigenwert^ 
in W. 67. 


: T .T. SR* SR* SR* SR* SR* £R* SR* > 


Slföb. geb. ©djriftfietter, bi3lj. publicift. 

S itter. Äritif) in ©erlin tbätig, energ. gemiffen= 
lüfte ÄrbeitSfraft, Dor$. ©pracf)fenntniffe (fran- 
&öfifdj, engltfcb), Verfettet tenograpb, 
Hif4imttf4reibef (§ammonb), fließt unt. 
befd). fcnfpr. in MeDattion, Zbeatnrfef retoriot 
©erl.=©tt^bbla. f Uteror. 3nfttt. k . (Stellung. 
Offert, an b. fefj). b. (ätegenroart unt. A. G. 


3n unferem ©erlag ift erfdjteuen: 


pe ©fgeuroart. 

«*ta*Wli m itiaciMi. tut iit tfnffl* Ma 


«eieriMeiifler 1872-1896. 

drfter 51$ fftttfotgfter ©attb. 

9Nit Nachträgen 1897—99. ©elj. 5 M 

Sin bibliographif^S 38erf erften 
NaitgeS über ba§ gefammte öffentliche, 
geiftige unb Kinftlertfche fieben ber lefeten 
25 Sahre. NotljtoenbtoeS Nadjfdjlageoudj 
für bie ßefer ber „©egenroart", fornie 
für miffenf^aftliche :c. arbeiten, lieber 
10,000 Mrtifel, nach grftdjem, ©erfafferit, 
©djlagroörtetn georbnet. S)ie Autoren 
bfeubontjmer unb anonymer drittel finb 
burchmeg genannt. Unentbehrlich für 
jebe ©ibliothel. 

2lud) bireft gegen ©oftamoetfung ober 
Nachnahme öorn 

Derlag ber (Segemoart. 

©erlitt W 57. 


Bad Reinerz, 

klimatischer, waldreicher Höhen-Kurort — 508 Heter — in einem 

schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Glatz, mit kohlensäurereiohen Eisen-Trink- 
u. Bade-Quellen, Mineral-. Moor-, Douche- u. Dampf-Bädern, Kaltwasser-Procedurei, 
ferner eine vorzügliche Molken-, Milch- n. Kefyr- Kur -Anstalt. Hochquellenleitung. 
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmongs- u. Yerdanongsorg&ne, zur Ver¬ 
besserung der Ernährung u. der Constitution, Beseitigung rheumatisch - gichtischer 
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£ie t&egentoart 1872-1892. 

Um nttfet Saget jn täntnen, bieten mit nufeteu Sbonnenten eine gänfttge 
Gelegenheit jat SertioUfiänbignng bet GoOection. 60 meit bet Sortath reitet, 
liefern mit bie Jahrgänge 1872—1892 k 6 SW. (ftatt 18 SW.), $aibjai)ra* 
Sänbe ik 3 912. (ftatt 9 SW.). Gebnnbene ^atyrgänge 5 8 SW. 

©etfoß ber ©cgettttiart itt ©erlitt W. 57. 

£)cffentUcbc §anbel£lel)ranftalt au ©außen. 

göfitrt ?3flnbtlsfrijuit unb tfrlittgsfi^nle unter fUEbtifihtm Patronat 
©roftcecte, Durch Dtrertor ©rofeffor ^eObad). 


Verlag von Breitko|>f& Härtel, Leipzig. 

franz fiszt’s Briefe 0i««nmk» 9ii||f«l|ft. 


an die 

Fürstin Carolyne Sayn-Wittgenstein. 

Gesammelt und herausg. von La Mara. 

(Liszt’s Briefe Band IV). Mit 2 Bild¬ 
nissen. XXIV, 520 S. 8°. geh. Mk. 8.-, 
in Leinwand geb. Mk, 9.—. 

E ine epochomachende Erscheinung, nicht mir 
in der Musik- und der Brief-Litteratur. Das 
iunerste Seelenleben des unvergleichlichen Künst¬ 
lers und Menschen wird uns darin erschlossen. 
Der grosse Roman, der iu seinem Leben spielte, 
spinnt sich vor unsem Augen ab. Cher seine 
ebensoviel besprochenen als missverstandenen 
Beziehungen zur Fürstin Wittgenstein liegen von 
der ersten Begegnung an zum ersten Mal un¬ 
mittelbare Zeugnisse vor. Von ebenso grossem 
künstlerischen als psychologischen Interesse, ent¬ 
halten die Briefe ein Stück Selbstbiographie, wie 
wir eine ähnliche von keinem unsrer grossen 
Tonschöpfer besitzen. 


SRontan 

tion 

t^eop^iC JtoCCing. 

PV* Polhaufgabt. 

©ret$ 8 Nlart. ©djön gebunben 4 Ntorf. 

tiefer ©t$marcf=(£abrtoi=Neman, ber in 
wenigen Sauren fünf ftarfe Auflagen erlebt, 
erfebeint hier in einer um bie Hälfte biHtgeren 
©olfdau^gabe. 

®urd) alle ©ucfjljanblungen ober gegen 
(enbung be8 ©etrag« poftfreie 3«f e nbung uom 

Oerlag der Gegenwart, 

©erlin W. 57. 


Abonnement 

auf das 

II. Quartal 1900. 




Verlag der Gegenwart in Berlin W, 57. 


■i 1 


Mit dieser Nummer schliesst das I. Quartal der „Gegenwart“. Die¬ 
jenigen unserer geehrten Leser, deren Abonnement abgelaufen, bitten wir um so¬ 
fortige Erneuerung, damit die regelmässige Zusendung nicht unterbrochen wird. 
Bei verspäteter Bestellung können oft nur unvollständige Exemplare nachgeliefert 
werden. Alle Buchhandlungen, Postanstalten und Zeitungsexpeditionen 
nehmen Abonnements zum Preise von 4 Mk. 50 Pf. entgegen. Im Weltpost¬ 
verein 5 Mk. 25 Pf. 




j. 


SBeratttoortttgcr ffiebacteur: Dr. 2$e«WU golltng tu ftolta. 


Webaettan unb ®ibebUtan: Cerltn W., SRanftetnftra&e 7. 


©auf »an $effe A Mn tu Seiftia. 


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M 14. 


■göerCirt, ben 7. JlprtC 1900. 


29. Jahrgang. 
Band 57. 


Pie degeimmrl 

2Bo<henfd)rtft für Stteratur, funft unb öffentliches geben. 


^erausgegeßen ton ‘gßeophtt $offing. 


Jeden fmmtüienö crföjetat eine lltunmer. 

Hu bestehen bun$ alle SJucfcljanMungeTt unb 


SSertog bei ©egenroart tn Berlin W, 57. 


9tertel|3tnltdi 4 *. 50 ff. Ctne fnwner 60 *f. 

Snferate ieber Ärt pro 8 gehaltene $ett4dle 80 Ißf, 


Jnljaß: 


©anbelSpotitif unb SBeltmadjt. $8on Pr. jur. et phil. 21. §utnan. — Xa8 gaf)lenDer§ältnt& ber ®efcf)led)ter. SSort ISbuQrb 
ooit ^artmann. — ßrupp unb Stumm. Sßort grqnjj GH&enfjarbt. — Literatur ttttD Äuuft. gur Reform ber 93ttb- 
Jauern. $on Jteiitljolb 23eqa8, ©uftaö (überfein, Sftaj flinger. — 2lu8 ganttp Seroalb'S Xagebud). 33on XljeopljU 
golltng. — ©egen baS TOcenatentfjum. SSon dbuarb üon 2)1 aper (gieren^). — gciilletim. 93eini ^vofeffor ber ©ta$|os 
Iogie. $oit $arl Sßauli. — Ättö Der ftauptftabt. Xie abfteigenbe Sinie. feon Caliban. — 91eue Operetten. — 92otijen. 
— Stnjeigen. 


ftmbelspoUttk uitb tDeltmadit. 

93on Pr. jur. et phil. 21. f}uman. 

die ©runbtage aßer weitfehenben fßotitif ift t>ort jeher 
tpanbelspolitif gewefett. StuS ©rünben ber föanbetSpotitif 
haben [ich bie Derfcfjiebenfteu Staaten befämpft; baburtf) finb 
mächtige 9teicfje entftanben, aus hanbetSpolitifchem SReib ber 
anberen Stationen finb aber and) mächtige «Staaten ju ©runbe 
gegangen. @3 finb fid) fo bie ^Sortugiefen, bie Spanier, bie 

t oßänber, bie fjfranzofen in ber tpanbetSherrfchaft gefolgt. 

ie 2tße finb zuleßt Bon ©ngtanb, baS jeßt als weitaus erfte 
§ttnbetSmad)t ber SESett baftefjt, hanbetSpotitifd) t>ernicf)tet 
Worben, ©in SöticC auf ©ngtanbS wunberbareS ©mporblüfien 
Zeigt unS, wie fehr bort auch in biefem 3af)vf)unbert bie 
fßolitif im dienfte ber §anbetSpolitif tljätig gewefen ift. 
Siad)bem ©ngtanb bie fpanißhen unb h°flänbifd)en fytotten 
bezwungen hatte, begann ber erbitterte Äampf gegen granf* 
reich, ber burch bie napoleonifdjen Kriege enblid) jum S?ad)= 
theite fjranfreichä beenbet würbe. damals Bertor biefer Staat 
feine beften ©olonien an ©ngtanb unb bamit auch bie 28ett= 
hanbctSherrfchaft. den erbitterten Kampf gegen Stapoleon I. 
hatte ©ngtanb außerbem baju benußt, ntöglichft alte Kriegs« 
unb ^anbetSftotten beS europäifd)en gefttanbeS ju Dernidjten. 
Stuf ©runb ber ©ontinentatfperre würbe fo auch bie ganze 
preußifdje Kauffahrteiftotte, ungefähr 400 §anbe(S)chiffe, oon 
©ngtanb weggenommen, obgteid) fßreußen, ©ngtanbS bisheriger 
fyreunb, nur gezwungen ber ©ontinentatfperre beigetreten war. 
©efdjwächt Waren fämmttidhe fyefttanbsftaaten auS ben napo* 
teonifchen Stiegen h^ttiorgegangen! ©ngtanb bagegen hatte 
Wäßrenb biefer Kriegsfälle ausgezeichnete ©otonien an fid) 
aeriffen unb Berftanb eS nun meifterljaft, in ben nädjften 
3fahrjehnten feine hanbetSpotitifche SJtadjt za oergröfeent. 
©ngtanb hatte nod) unter ber ©ewattherrfdjaft beS ÜJfercan* 
titiSmuS, ber lehrte, man muffe fid) gegen alte übrigen 
Staaten mögtichft hrcmetifcf) abfdjtießen, man müffe mögtidjft 
niete Slbfaßgeßiete unb ©otonien erwerben, unb im internatio* 
naten §anbet müffe ftetS ber ©ine vertieren, was ber Stnbere 
gewinne, einen großen df) e ß feiner cotoniaten ©roberungen 
gemacht. — dann folgten humanere 2fnfd)auungen. du alle 
SWenfchen unb alte Staaten fid) an SJtadjt gteid) feien, fo 
Würben aud) aße üJtenfdjen gleichen Stußen auS bem tpanbet 
Ziehen, unb bie Bon ber Statur mit Bevfct)iebenen SSrobntten 
auSgeftatteten Staaten würben fich fo gegdnfeitig ergänzen. 
StuS biefen ©rünben müßten alte ßoßfehranten faßen; grei= 


hanbet müßte im weiteften Sinne burchgeführt werben. Sang* 
fam, aber fieffer fiegten biefe oon ©ngtanb auSgehenben Sehren 
in ben meiften Staaten ©uropaS. gür ©ngtanb mit feinen 
großen unb reichen ©otonien war biefe Sehre fehr am fßlafce, 
für bie gefttanbSftaaten z € ig te fte fich batb Berberbtich- 
©ngtanb, „bie inbuftrieße SBerfftatt", baS übrige ©uropa, 
hauptfäd)tich auch ®eutf^tanb, „bie Sornfammer ©ngtanbS", 
baS war baS engtifche Jbeaf. Jn ben fahren 1860—1875 
fchien biefeS Sbeat feiner SSerwirttichung nahe; aße 28ett 
bad)te unb hanbette bamatS freihänbterif^. ®a famen bie 
mächtig aufbtühenben bereinigten Staaten Bon Slmerifa zu* 
nächft mit ihrer überwättigenben ©etreibeconcurrenz. ®eutfd)= 
tanb mußte, um feine fd)Wer bebrohte Sanbwirthfd)<ift »u 
retten, ©etreibejöHe einführen. ©S folgten bie übrigen ^eft= 
tanbsftanten ©uropaS. Sluch Snbuftriezöfle fteßte man auf, 
um fich 9 e 9 cn ©ngtanbS gefährliche ©oncurrenz Z u fchüfeen. 
®aS gegenfeitige Saufchnerhättniß hatte ja aufgehört. ©ng= 
tanb bezog jeßt bißiger unb beffet fein ©etreibe auS Stmerifa; 
fo woßte audh baS geßtanb fich Don ©ngtanbS ^nbuftrie» 
erzeugniffen emancipirett. 

®urdh ben ©rwerb Bon mehr unb mehr ©olonien unb 
burch e « 1,e gewaltige bergrößerung feiner Kriegsflotte fid)erte 
fid) ©ngtanb aßmätig eine faft unbeftrittene SBettherrfchaft. 
Jn fchönen Sieben Berficherte man atterbingS, ©ngtanb be* 
gehre feine neuen Sänber unb feine ©otonien mehr. ®er 
bvemierminifter ®iSraeli fprad) baS feierlich im Saßve 1876 
.auS — unb ©ngtanbS Ütegierung ftedte nacheinanber ein: 
Ketta in be(ubfd)iftan, StranSBaat gegen ben SBißen ber 
beoötferung, ©t)pern, baS bafutolanb, ©gppten mit 
bem Suezcanat, birma, Sanzibar, Uganba, SKatabete* 
tanb u. f. w. ®roß fofdf)er ©rwerbungen erflärte ber Sd)aß= 
fanzter ©ofdjen 1889 im Unterhaufe: „@3 giebt feinen SEßinfef 
auf ber ©rbe, welchen wir begehren", wozu bie „Pall Mall 
Gazette“ fid) bie fdjöne bemerfung geftattete: „diejenigen 
StuStänber, bie unS Heuchelei Borwerfen, thuit uns Unred)t. 
©erabe fo wie bie StuSbehnung beS britifc^en SieidjeS, wie 
fßrofeffor Seetel) fidh auSbrüdte, in einem Slnfatle Bon 
©eifteSabwefenheit begann, fo - fährt fie fort, in f5°Jg e 
Bon bemegungen, bie fo unBernteibtid) finb, baß fie nicht zum 
bewußtfein gelangen." ©ine recht praftifd)e fßhitofophie 
beS Unbewußten! den ©ipfet fotd^er engtifd)er „Selbft* 
täufchnng" erreichte aber Sorb Salisburt) bamit, baß er 1899 
iu feiner ©uilbhalUSiebe Berficherte: „23ir fndjen feine ©otb* 
fetber, wir fliehen feinen Sanbbefiß. SBir wiinfdjen nidjtS 


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210 


Hie (frcgentourt. 


Nr. 14. 


I 


weiter als gleite Steckte für ade Scanner aHer fRacen." ©o 
ßat ficf) benn baS britifdje SFtcicf) in „fortgefeßten Stuf äßen 
oon ©eifteSabroefenßeit" in bett leßten gaßräeßnten 31 t einem 
Steltreid) auSgeftattet, wie eS ttocf) nie poor in ber 3Bett= 
efc£)icf)te ejiftirt ßat. Sicüeicßt faßt ißni aucf> noeß un* 
eteufet bie öerrfcßaft über ganj Sfrifa jn. 

SRur bie Süßrigfeit nnb glekßjeitige SuSbeßnung anberer 
Staaten ßat ber britifrfjen SBettfjerrfcfjaft noeß getniffe ©cßranfen 
p jießen gewußt. ©0 ift bie ruffifdje politif mcifterßaft 
im Sinne ruffifdjen IpanbelS ttjätig gewefen. fRufelanb f)at 
feinen Sänberbefiß ftetig erweitert nnb burd) uerbotSartige 
ßöße möglicßft fdjneß eine blüßenbe Snbnftrie großpjießen 
oerfueßt. fßießt meßr aüp lange wirb es bauern, bis 9iuß= 
lanb, baS jeßt feßon über bett fiebenten Sßeil beS ganzen 
©etreibeS ber SDSett problijirt, aud) mit einer Snpßl non 
3nbuftrieartifeln als ernfter ©oncurrent auf bem Steltmarft 
erfeßeinen teirb. SRiefig ift ber ruffifeße ©influß in aßen 
Stießen beS afiatifeßen geftlanbeS geftiegen. Dort muffen 
Sufetanb unb ©nglanb in abfeßbarer $eit ernftiidj aufeinanber 
ftofeen. Surd) ben Sau ber über 10 000 Kilometer langen 
fibirifeßen Satin eon Petersburg bis Steabiwoftod, einem 
ßanbelSpolitifcßen Stritt erften 9iangeS, tönnen beS ßaren 
ftarfe Armeen leießt an baS ©tiEe.Weer gebradjt teerben. 
9lod) meßr ernfte ©oncurrenten ßaben ficf) aber an ben Kiiften 
©ßinaS eingefunben. Ster nennen pnädjft bie Sereinigten 
Staaten eon Smerifa. 2luS „Wotiuen reinfter Weußßiid)» 
feit", um bie armen ©ubaner unb Philippiner eom brüden» 
ben 3 odj ber ©panier p befreien, ßat 2 lmerifa ben testen 
fümmerlicßen fReft fpanifdjer ©eemaeßt eernießtet. SaS be= 
freite ©uba unb bie Philippinen finb, ob fie tooßten ober 
nießt, p amerifanifdben ©olonien geworben, unb bannt heben 
fieß mit einem ©eßlage bie Sereinigten Staaten p einem 
mäd)tigen ©olonialreidß entwiefelt. Sie fo burd) Wae Kilt» 
leß inaugurirte imperialiftifeße politif finbet meßr unb mehr 
bie Sißigung beS SolteS. ©inb eS boeß ßauptfäeßlidj fpanbels» 
intereffen, bie burd) eine foteße Potitif träftig oertreten werben, 
unb feftigt boeß ber ©rwerb ber Philippinen SmerifaS 
©teflung am ©tißett Weere! Surd) unmäßig ßoße ©djuß» 
jöße ßat man bie ßeimifeße Snbuftrie wirffam 51 t förbern 
oermoeßt, bureß gute ©olonien unb eine mächtige flotte miß 
man fieß jeßt ben Steltmädjten ©nglaitb unb fRufelanb eben» 
biirtig an bie ©eite fteßeit. 

Stucß Seutfcßlanb unb grantreieß ßaben ißre pofitionen 
am ©tißen Weere. Sterben fie aber im ©taube fein, bie* 
felbett ben Steltmäeßten ©ttglanb, SRußlanb unb ben Ser= 
einigten Staaten gegenüber wirtfam pr ©eltung 31 t bringen ? 
Sentfdjlanb ßat ja naeß bem Serblüßett ber föanfa lange ßeß 
ßanbelSpolitifcß nidjtS meßr geleiftet. ©rft bäs guftanbefom* 
men beS Seutfeßen ßoHoereiuS am 22 . Wärj 1 8:3:1 bebeutete 
ßier einen ©cßritt oorwärtS. Samit war wenigftenS etwas 
pr IperfteEung eines einheitlichen inneren WarfteS getßan. 
ÜRad) aufeen würbe SeutfdjtanbS Wadjt erft wieber gehoben 
bureß ben glorreicß beenbeten beutfcß=franpfifcßen Krieg, burd) 
SeutfdjlanbS politifeße ©inigung unb bann burd) gürft SiS= 
marcf’S unb unfereS jeßigen KaiferS ©olonial» unb glotten» 
politif. grantreieß ßat jwar bie ißtn üon ©uglanb abge* 
nommenen ©olonien nießt wieber jurüderobert, eS ift ißrn 
aber gelungen, bei ben leßten Sßeilungen ber Stelt nod) einige 
feßt mertßooße ©tüde p erlangen. Slber Weber Seutjteßlanb 
noeß grantreieß ßaben fieß p Steltreidjen 31 t entwidetn uer» 
moeßt. ©ngtanbS ©otonialminifter Wr. Gßaniberlain ßat eS 
offen auSgefprocßen: „Sie großen Staaten muffen immer 
größer, bie tieinen müffen- aber immer Meiner werben." @oß 
©ßamberlain nießt redjt beßalten, fo müffen bie fogenannten 
tieinen Staaten ißre Solitit meßr in ben Sienft einer be= 
redjnenben tpanbelSpolitit fteßen. grantreieß ßauptfäcßlid) 
muß feinen alten §afe gegen Seutfdjlanb oergeffen unb mit 
ben SreibunbSftaaten fowie §oüanb, Selgien unb ber ©eßmeij 
äufantmengeßen, um etwaigen IIebergriffen ber Steltreicße ein 


mirfuugSooÜeS „$alt!" entgegenfeßen p tonnen. Üluf bit 
militärifcße ©tärte fommt eS ßier pnäd)ft weniger an, all 
auf bie wirtßfd)aftlid)e ©tärte. ÜRilitärifd) ift ja Seutfißlanb 
fowoßl ben Sereinigten Staaten wie SKußlanb fießer gewacßfeit. 
S?aS wiE eS aber gegen bie übertriebene ©eßußjoUpolitü 
biefer Staaten tßun? Sa fommt eS nur barauf an, wirtß- 
fd)aftlicße SQfaeßt gegen wirtßfeßaftließe 9Rad)t auS^ufpielen. 
©owoßl ber ÜJfac Kinleß= wie ber Singleß»Sarif ßätten 
burd) ein energijcßeS grontmadjen SeutfdjlanbS unb granß 
reießs 5 . S. nerßinbert werben fönnett. Surd) ©inigfeit 
fönnteit fo bie Oereinigten mittelcuropäifdjen ©taaten bie 
ßocßfdjnßpünerifcßen SBeltreicße Sußlanb unb Slmerifa jur 
©ewäßrung giinftiger .'panbelSoertragSbebingungen jwingen. 
2Iud) ©ngtanbS bisßer noeß liberale ^»anbelSpolitif ßat ja 
bureß bie Ginfiißrung beS Warfenfd)tißgefeßeS unb bie Der* 
feßiebenen Sießfperren jeßon einen bebenf(id)eu ©tofe erlitten 
unb bie imperialiftifd)e Politif ßat bort in ben leßten Saßrtn 
große gortfeßritte gemaeßt. 353aS wiü ©nglanb im Serein 
mit feinen ©olonien, was wiü bieje feftgefügte „Greater 
Britain“ SlnbercS, als ein ßanbelSpolitifcß geeinigtes Stett- 
reieß feßaffen, baS fid) fclbft genügenb ber übrigen Stell 
ßoügefeße oorfeßreiben fannV Saß biefe ©efeße riidficßtS» 
tofe fein werben, wirb woßl ÜRiemanbem äioeifelßaft fein, ber 
nur einigermaßen ben im internationalen Serfeßr feßr wenig 
fentimentalen englifeßen iüationalcßarafter fennt. ©in fefter 
ßanbclspolitifeßer gufammenfeßluß ber Heineren europäifeßen 
Staaten, mögen fie and) ©roßmädjte genannt werben, märe 
alfo feßr ju wiinfeßen. lieber einen foldjcn mitteleuropäijdjen 
ßoEbunb ift oorneßmlid) im leßten 3 aßre oiel gefeßrieben 
unb gerebet worben, aber bie ber Serwirflid)una biefer 3 bee 
fid) entgegenfteüeuben ©ißwierigfeiten biirften aüerbingS noeß 
fiegion fein. 

23ie eS nun ftetS baS Sefte ift, fid) auf fid) felbft Oer» 
laffen p fönnen, fo biirfte baS bei ber gegenwärtigen poli» 
tifeßeu unb ßanbelSpolitifcßen 2age ßauptfäcßließ aueß für 
Sentfdjlanb angebraeßt fein. Sermögen wir wirflid) unfere 
Kriegsflotte in geplanter Steife auS,)ugeftalten unb babureß 
pm beaditenSiuertßen Wacßtfaetor auf ber ©ee unb jimi 
erwünfeßten Serbiinbeten für jeben Staat ju werben, fo ift 
bantit ein großer ©cßritt oorwärtS getßan. ©djon oft ift 
bie Stelt getßeilt worbeu! Ster pr reeßten ßeit träftig 
Supgreifeit uerftanben ßat, ßat immer baS Sefte befommen. 

Sie SBeltreicße ©uglanb, Sußlnnb unb 21merifa ßaben 
fid) ba am fcßneEften auSgebeßnt, Wo fie wenig ober gar 
feinen SMberftanb fanbeit. Sie jeßigen Siefeureieße finb aber 
burd)auS nießt unuerwunbbar. ©nglanb ßat üiele Wonate 
lang im Kampf mit bem Heilten, unbiSciptinirten Surenoolf 
feßr negatioen 3iußm geerntet. SußlanbS Wacßt ift im 
Kriinfrieg bei ©ebaftopol ungeaßnt fcßnelt gebroeßen Worben, 
and) ließen bie ©rfolge im Siiifeufriegc feßr lange auf fieß 
warten unb — bie Sereinigten ©taaten uon Sinerifa! Sie 
ßaben bis jeßt noeß feine ernftlicße Kraftprobe p beließen 
geßabt. ©egen ©panienS oerblaßte Wacßt war ja ber Kampf 
fid)erlid) nießt aüp feßwer. Sft überhaupt ein Sotf, baS fid) 
burd) ßöcßften 2upS üerwößnt ßat unb auSgefprodjener» 
maßen pm §aitbelSoolf geworben ift, noeß redjt p ernfter 
KriegSfiißrung braud)bar? 3m ©inne einer wcit|cßauenben 
.vianbelepolitif finb SeutfcßlanbS .^errfdjer in ben leßten 
Saßrjeßnten tßätig gewefen. Unfere Sanbmadjt ift eine ooll» 
fommene, unfere @eemad)t befinbet fieß in fortfeßreitenber 
©ntwidelung, möge Seutfcßlanb im gegebenen Woment beibe 
gut 311 beitußen oerfteßen unb jur — SJeltmad)t werben, 
llnfer blüßenber §anbel unb unfere fräftige Snbuftrie bt‘ 
hingen baS meßr unb meßr. 


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Das 3ai)ltntieri)ältmj; Der ®efd)led)ter. 

SBon (Ebuarb oon ^artmann. 

SBie bei ben meiften Gingen fo richtet fieß auch bei beit 
©ejcßlecßtent bie SBertßfdjäßung tiad) Sadjfrage unb Angebot, 
©ie SBertßfdjaßuug beS weiblicßen ©efcßleißteä ift gegenwärtig 
tu gering, weil baS Angebot non bentfelbcn größer ift als bie 
fiacßfrage. ©aS fomnit baßer, weil in beut Alter bcr fociaten 
$eiratßsfäßigfeit ber Wänner ein Ueberfdjuß non weiblichen 
^ßerfonett befteßt, wäßrenb baS ©leicßgewicßt beiber @efd)led)ter 
'auf eine früßere AlterSftufe fällt, auf weldjer bie Wärmer 
jtoar biologifdß, aber nicßt focial ßeiratßSfäßig finb. Sei bar» 
■barifcßen unb ßalbbarbarifcßen Sölfern iftbieS anberS; bort ent» 
ifpricßt bent ftarfen Serbraucß an Wännern ein nocß ftärferer 
;$n SBeibcrn, Weit bie Wannet roß genug finb, ben SBeibern 
4>ie fcßwerfteit Arbeiten unb Saften aufjubürben. Sn beit 
!&ulturnölfern erlangt baS SBeib nteßr unb meßr ©Tonung, 
Ctoäßrenb ber Serbraucß an Wännern fortbcfteßf. ©er ba» 
l.burcß entfteßenbe SBeiberüberfcßuß finbet bei ben polßgamifcßen 
;©ulturoölfern in ben §arentS ber Següterten, bei ben fatßo* 
.lifcßen Sölfern in ben SKöftcrit Unterfunft. Sei ben prote» 
fftantifcßen Söllern fanb er fie bis 3 uin Anfang biefeS Saßr» 
; ßunbertS in ben gatnilien ber näcßften Scrwanbten, wofür 
; ßäuSlicße ©ienfte bie felbftoerftänblicße ©egenteiftung bilbeten. 
•*©ie fortfcßreitenbe inbioibualiftifcße Auflöfung ber gamilien» 
folibarität unb ßer Uebergang ber weiften gewerblichen 
Seiftungen auS ber gantilie auf bie fabrifmäßige fierftellung 
ßaben biefe Qufludjt üerfcßloffen ober bocß feßr erfcßioert. ©ie 
»acßfenbc 3 a ßl unoerßeiratßeter SBeiber Oerminbert beit Ser» 
: braucß beS weiblicßeit ©efcßlecßteS, inbem er fie ben ©efaßreit 
fbeS gortpflanjungSgefcßäftS entließt. 3 u 9f e >^ würben biefe 
©efaßren bureß ocrbefferte ©eburtSßülfe Verringert unb jwar 
. in rafeßerer ißrogreffion als bie ©efaßren beS wännlicßen Se» 
■ rufSlebenS. 

I ©er weibliche Ueberfcßuß, bem alle bisherigen QuflucfjtS^ 
Wege Oerfcßloffen finb, ift genötßigt, fieß bem ©rwerbSfeben 
außerhalb ber gamilie jujuwenben, unb foweit er ßierju ttießt 
fäßig ober gewillt ift, verfällt er bent geiftigen unb leiblichen 
, ©lenb unb ber Ißroftitution. Sowoßl bie grauenerwer 6 sfrage 
i wie bie SroftitutionSfrage finb nur folgen beS weiblicßen 
i UeberfcßuffeS im focialen JpeiratßSalter ber Wänner; oßne 
j biefeit Ueberfcßuß gäbe eS beibe fragen gar nicßt, weil bie 
j Wänner bem Weiblidjen ©efcßlecßt bei oerminbertem Angebot 
| ßößeren SBertß äuerfennen, willig ßeiratßeit ttttb feine probte» 
» matifeßen weiblidjen ©giftenden übrig laffeit mürben. SBaS 
| bisßer oerfueßt worben ift, um bie grauenerwerbsfrage unb 
: bie ißroftitutionSfragc 51 t löfen, ßat nicßt nur nicßt gum giele 
j gefüßrt, fonbern auf Umwegen bie 3 nftänbe oerfdjlimmert, bie 
* es beffern foHtc. SBaS man tßun fönnte, um beibe Hebel» 
ftänbe wenigftenS erßcblicß einjubätnrnen, befteßt in fo ein» 
feßneibenben Waßregeln, baß auf eine SBiUfäßrigfeit 511 ben» 
fclben bei ben gefeßgebenben gactoren unb bei ber öffentlichen 
'Dichtung in abfeßbater 3 e *t faitm ju reeßnen ift. 

©a erfeßeint eS als eine ßödßft wichtige Angelegenheit, 
ju nnterfueßen, ob bettn ber meiblicße Ueberfcßuß ber Sultur» 
oölfer etwas 9?otßwenbigeS unb UnabänberlicßeS fei, uttb ob 
nicßt öiellcicßt eine Hoffnung oorßattben ift, ißn als bloße 
UebergangSerfcßeinung oon bem männlicßen Ueberfcßuß ber 
barbarifeßen Sölfer ju bem männlicßen Ueberfcßuß eines 
ßößeren ©ulturjuftanbeS attfeßen ju bürfen. SBentt bem fo 
wäre, fo würbe fomoßt bie grauenerwerbsfrage als atteß bie 
^roftitutionSfrage auf biefem ßößeren ©ulturnioeau Oon felbft 
oerfeßwinben. ©in geringer mättnlidjer Ueberfcßuß würbe ben 
für bie ©ße förpertieß ober geiftig ungeeigneten Wännern ge- 
hatten, SunggefeUen ju bleiben, oßne baß feßon beßßalb allein 
ein SSBeib Oon ber ©ße auSgefcßtoffen 5 U werben brauchte. 
$ie Wäbcßen wüßten bann ganj genau, baß fie fieß auf feinen 
anberen Seruf als ben ber ^auSfrau unb Wutter oorju» 
bereiten brauchten, unb Würben in ber ©ewißßeit, rechtzeitig in 


ben £>afen ber ©ße einjulaufen, üor jeber Serfucßung ßitt» 
reicßeitb gewaßrt fein. ©ie jungen Wänner würben feine 
SBeiber meßr finben, bie fieß ißren fejuelleit ©elüfteti um 
©elbeSwertß preisgäben unb würben babureß nicßt nur bie 
Acßtung Oor bent,weiblicßen ©efcßlecßt jurüefgewinnen, fonbern 
aud) gefünber an Seib unb Seele in bie ©ße treten unb eine 
gefünbere 9tad)tommenfd)aft erjielen. 

9fun giebt eS bereits eine feßr umfaffenbe Siteratur 
über baS jaßlenmäßige Serßättniß ber ©efcßlecßter unb feiner 
Urfacßen tßeilS auS ftatiftifeßem, tßeilS auS biologifcßem 
©efießtspunfte. Aber bie Statiftifer pflegen bie gegebenen 
Serßältniffe als eine unabäitberlicße, gefeßmäßige SRoißwenbig» 
feit ju beßanbeln, wäßrenb bie Siologen unb EEßierpcßter 
großentßeifs baS Sntereffe ßaben, einfeitige SrflärungSnrfacßen 
ober ‘Jßeorien ju verfechten, bie oft auf reeßt feßwaeßen fpßen 
fteßen, auS ju befeßränftem SeobacßtungSmaterial entnommen 
finb unb großentßeils einanber wiberfpreeßen. ©S war beß» 
ßalb bis jeßt feßr feßwierig unb erforberte umfangreieße 
Stubien, fieß ein Silb oon bem gegenwärtigen Stanbe unferer 
Äenntuiffe über ben ©egenftanb ju oerfeßaffen. ®iefem 
Uebelftanbe ift nun bureß eine fürjlicß erfeßienene auSgejeicß» 
nete Arbeit Stauber’S*) abgeßolfen, welcße junädjft eine auS» 
füßrlicßc fritifeße Ueberfidjt über bie einfeßlägige Sitteratur 
(S6 Autoren) unb bann eine grünblicße eigene Seßanblung 
beS Problems bietet. ®er in f^aeßfreifen bureß feine ßeßr» 
biid)er unb burd) frßftaßograpßifcße unb biologifcße Special» 
forfeßungen 6 efannte Serfaffer ift aueß bem weiteren Sublicum 
fein gfmber; benn er ßat eine SReiße literaxßiftorifcßer unb 
äftßetifcßer Stubien tmb einige 9teben über bie grauenfrage 
oeröffentlicßt. Sn allen fueßt er bie Uebereinftimmung ber 
etßifcßen unb biologifcßen gorbernttgen barjutßun unb eine 
ftreng monogamifeße ©cfellfcßaftsoetfaffung als ©onfequenj 
ber biologifcßen ißatfacßeit ^u erweifett. SBentt itt feinen 
Stubien über bie Webea» unb ®on Suan»Sage bie Serquidung 
literarßiftorifcß»äftßetifd)er unb biologifcß»focio!ogifcßer ©e» 
ficßtSpunfte vielleicht nicßt bem ©efeßmaefe jebeS SeferS ent* 
fpreeßen möcßte, fo beßanbelt bie neue Scßrift beS SerfafferS 
ben ©egenftanb rein facßwiffenfdjaftlicß, aber bod) in einer 
gemeinoerftänblicßen. ®arftellungSweife. ®aS ©rgebttiß ift 
Oon größter SBicßtigfeit für bie tiinftige ©ntwidelung ber 
Wenfcßßeit unb bringt einen neuen Sauftein jum eüolutio» 
niftifeßen Optimismus ßinjju. 

©er Ueberfcßuß ber ^nabengeburten beträgt etwa 5 °/ 0 
unter ben heutigen ©uftnroölfern; ben Ueberfcßuß ber 6 on* 
ceptiotten männlicßen ©efdjlecßtS berechnet Sauber naeß aüer* 
bingS nur fd)tnalen, mebicinal=ftatiftifcßen ©runblagen auf 
15 °/ 0 . ®S geßt ein größerer ©ßcil tnännlicßcr als weiblicher 
grüeßte oor ber ©eburt unb bei ber ©eburt ^u ©runbe; 
ebenfo ift bie Sterblicßfeit ber männlicßen Säuglinge größer 
als bie ber weiblicßen. ©aS männlicße ©efcßledjt ift eben 
Oor, bei unb naeß ber ©eburt anfprueßsoofler als baS Weib» 
ließe unb geßt leießter ju ©runbe, wo biefen ßößeren An* 
fprücßen nicßt genügt wirb, ©er Strom beS männlicßen 
©efcßlecßtS geßt alfo oon einer breiteren SafiS auS als ber 
beS weiblicßen,' oerengt fieß aber fcßnetler als biefer. Sringt 
man beibe Ströme grapßifcß jur ©edung, fo fdjneiben fie 
fieß im SünglingSaltcr, wäßrenb weiterhin ber weiblicße immer 
meßr überwiegt. 

9taubcr’S Anficßt geßt nun baßin: ©rftenS muß jebe 
Serbefferung ber ßßgienifeßen SebenSoerßältniffe beS weiblichen 
©efcßlecßtS wäßrenb ber Scßwangerfcßaftsbauer baßin wirfen, 
bie geßlgeburten unb ©obtgeburten überhaupt j\u Oerminbern, 
babureß ben Serlüft an concipirten Änaben bis jur ©eburt 
unb bei ber ©eburt -$u Oerringern unb ben Ueberfcßuß ber 
Änabengeburten 51 t erßößen. Zweitens muß jebe Serbefferung 

*) $>er Ueberfdjufe an 5htabengebürten unb feine biologifc&e ©e= 
beutung. Sßon Dr. 21. SRauber, ^rofeffor b.er Anatomie in 5)orpat. 
9Kit 16 Figuren. Seidig, Verlag Don 21. ©eorgi, 1900. 14 Söogen. 


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212 


Die ßegentDart. 


Nr. 14. 


bet Le6enSßaltung, bet ßßgienifcßen ©inridßtungen imb bet 
(Säuglingspflege bie SäuglingSfterblicßfeit unb mit ißr ben 
Ueberfcßuß bet Änabenfterblicßfeit übet bie Wäbcßenfterblicßfeit 
verringern. ^Drittens muß jebe ^tjgienifcfje Perbefferung beS 
männlichen PerufSlebenS bie Sterblicßfcit bet berufStßätigen 
Jünglinge unb Wänner Verringern. Sluf biefem SBege muß 
baS Lebensalter, in meinem, bie 3 a ßf e vgleicßßett beitoer ®e» 
fcßlecßter erreicht tvirb, immer meiter in bie £öf)e gerüdft 
Werben. ®arauS folgt bann wieber eine Perbefferung ber 
HeiratßSauSficßten für bas weibliche Oefrf)fecf)t, eine Pcrmin» 
berung ber lebig bleibenben grauen, eine ftärfere Heranziehung 
beS weiblichen ©efcßlecßtS im Oanjen za ben mit bem gort» 
pflanjungSgefd)äft für baffelbe verknüpften ©efaßren unb ein 
fcßneüeret Perbraucß beffelben. 2luf biefem SBege glaubt 
SRauber, baß ein Jaßrßunbert genügen werbe, um bie 3aßlen= 
gleicßßeit ber ©efcßlecßter von bem Jünglingsalter auf baS 
ber focialen HeirathSfäliigteit ßinaufzurücfen, unb baß von 
ba an fid) ein wachfenber Wännerüberfcßuß entmicfeln werbe. 

®ie Schlußfolgerungen fRauber’S finb fo unbeftreitbar 
wie feine PorauSfeßungen; ob aber eine SBanbelung in merf» 
lichem Waße fo halb eintreten wirb, wie er annimmt, baS 
ift vorläufig nur Sache ber Permutßung. SBit wiffen nicht, 
in welchem 3 e ' tma fe bk ßßgienifcßen Perbefferungen fort», 
fcßreiten werben, unb wie tief ihre SBirfungen auf bie Per» 
ringerung ber gehlgeburten, Uobtgeburten, SäuglingSfterb» 
licßfeit unb PerufSgefaßren gehen werben. SBir vermögen 
nicht ju fagen, ob biefe focialetfjifchen gortfcßritte burch 
entfprecßcnbe inbivibualethifche gortfcßritte unterftüßt, ober 
burd) fRücffdßrittc in perfönlichet pflichttreue, Selbftverleug» 
nung unb Hingebung aufgewogen werben mögen. SBenn eS 
• auch fehr wahrfcheinlich ift, baß ber Ueberfcßuß an männlichen 
©onccptionen erßeblid) größer ift als ber an männlichen ©e» 
butten, fo wirb eS boch noch langer Sir beit bebiirfen, um 
genügenbe ftatiftifeße Unterlagen für eine einigermaßen fießere 
3aßlenfeftftettung beS erfteren ju gewinnen. 

SltteS bieS verminbert aber nicht baS Perbienft ber 
fRauber’fchen Slrbeit. Sie hat einen. SBeg gewiefen, ber wiffen» 
fcßaftlicß unb praftifch weiter gepflegt werben muß, unb ber 
bei forgfamem unb ungeftörtem SluSbau jwar langfam, 
Viel zu langfam für bie Ungebulb unfereS rafrfjlebigen ©e» 
fcßlecßtS, aber bafür auch fi<ß et einem fo erftrebenSwerthen 
3 iele näßer füßrt, unb ber babei ben 93ortßeil bietet, feine 
3 umuthungen zu fteOen, bie nicht ohnehin feßon von bem 
3 eitgeift gebilligt werben. ®eßßalb fei bie SRauber'fcße Scßrift 
allen Piologen, Sociologen, ©tßifern, Politifertt unb Wenfcßcn» 
freunben auf baS ®ringenbfte zur Peacßtung empfohlen, ba 
fie einen neuen unb ftarfen Slntrieb zu ben feßon befteßenben 
ßinzufügt, um bei ben ßßgienifcßen Perbefferungen ben Hebel 
beS gortfdßrittS mit möglicßftem ©ifer unb ©tle anzufejjeit. 


Irupp mtb Stumm. 

SBon ;fran3 €tfjenl)arbt. 

©egen baS beutfeße SBettetabliffement griebrieß SErupp, 
Zu welcßem auch bie ©rufon»3Berle Pucfau bei Wagbeburg 
unb bie ©ermania»3Berft ©aarben bei $iel gehören, finb in 
neuefter 3 e tt heftige Singriffe in ber SageSpreffe gerichtet 
Worben — eS foQ zu viel verbieneit! Der Sluögang biefer 
Singriffe unb ißt 3u>ecf liegen, wie fieß zeigen wirb, Kar vor 
ben Slugen eines jeben gefunb Denlenben, unb bamit fönnte 
bie ganze Slngelegenßeit als begraben angefeßen werben, wenn 
einmal eS nicht große Plätter gewefen wären, welche auf 
weite Greife einen gewiffen ©inftuß auSüben, unb bie oßne 
jeglicße Prüfung, bie fie fieß bei ißren Wittein woßt leiften 
fönnten, berartige Slrtifel gebraeßt ßaben, unb ferner, weil 


bie ©tabliffementS von SErupp als ein PeWeiS nationaler 
Jnbuftrie»©ntwicEelung anzufeßen finb, unb man in ißnen 
bie beutfeße Staßtinbuftrie treffen will. ©nblicß aber batf 
man beßßalb bie Slngelegenßeit nießt tobtfeßweigen, weil jene 
Pefcßulbiger, bie fieß natürlich nicht birect nennen, bie Un= 
Verfrorenßeit ßaben, ben ©ommiffionen, welcße über bieSlnf 
träge für Lieferungen entfeßeiben, Unfenntniß ber Prti?» 
Verßättniffe ber zu liefernben ©egenftänbe vorzuwerfen, fic alfo 
gerabezu verbäeßtigen, ißr gaeß nießt zu fennen, ober afct 
fieß abficßtlicß ßintergeßen zu laffen. ®S erfeßien zunäcßft ein 
Slrtifel „ftrupp unb Stumm" (greifinnige 3tg-). in weißem 
eine angeblich in biefem gelbe feßr befeßlagene perfönlißlcil 
gegen bie beiben girmen vorgeßt, fieß aber feßon naß b« 
erften 3 e il en Q lä eine ©oncurrenz entpuppt. „Pot einiget 
3eit lieferte Ärupp fRoßre für gelbgefcßüße h 4800 Warf. ®ie 
©oncurrenz erßielt Sluftrag auf bie gleiche Sorte zu 1950 äRart. 
darauf fejjte Ärupp ben Preis von 4800 Warf auf 
1900 Warf ßerab. ©ranaten liefert SErupp für 8,50 Sföarf, 
bie ©oncurrenz ßat fie für 5 Warf geliefert. @S ift ein 
Jrrtßum, baß firupp allein SRicfelftaßl für bie glotte liefern 
fönne. SBenn nur eine ©oncurrenz gefdßaffen würbe, fo 
fönnte ber Pebarf um bie Hälfte billiger gebeeft werben. 
Stumm maeßt felbft wenig Sticfelftaßl, aber er wirb Von 
SErupp für bie Untcrlaffung mit großen Summen abgefunben. 
SBürbe bie ^Regierung ©elb ber ©oncurrenz geben unb fie 
mit Slufträgen Verfeßen, fo fönnten ben Steuerzahlern viele 
Dußenbe von Wittionen erfpart werben, bit jeßt in ÄruppS 
iEafcßen fließen." ©in zweiter Slrtifel fagt bann, baß firupp 
bei Sinnahme beS vorgefeßfagenen neuen glottengefeßes 
176 WiUionen Warf (!) verbienen würbe, unb ein an» 
gefeßeneS SentrumSblatt, fieß voll bewußt, baß biefe Partei 
auSfcßlaggebenb für baS ©efeß ift, bemerft, baß nießt ein 
einziges Sd)iff eßer z« bewilligen fei, bevor barüber völlige 
Älarßeit gefdßaffen werbe. ®iefe Älarßeit zu fdßaffen, Wirb aber 
bem fRegierungSVertreter ein LeidßteS fein, wenn wirflicß ein 
ParlamentSmitglieb mit gragen nadß biefer fRicßtung auftreten 
foHte, aber eS wirb bann bie Slufflärung berartig erfolgen, 
baß cS auf ben ober bie grager bcfcßämenb wirfen muß, 
an foldße ©nten zu glauben unb fie nodß bazu im fReißStog 
fliegen zu taffen. 

3unädßft ift ber Urßeber alfo ein fogenannter Goncurrent, 
ober „bie" ©oncurrenz. ®kfe ©oncurrenz ßat fein ober nicht 
genügenb ©elb, unb baS foH ißr nun bie ^Regierung geben nebft 
redßt vielen Slufträgen, bamit biefe famofe ©oncurrenz bie beiben 
SBeltetabliffementS Srupp unb Stumm tobtmaeßen fann. 
'Dafür verfprießt biefe ©oncurrenz ^ em JSteuerzaßler- eine 
©rfparniß von Vielen ®ußenb Witlionen. Leiber ift nicht 
gefagt, Wie viele Wittionen eigentlich für notßwenbig eraeßtet 
werben, um Srupp unb Stumm tobt zu machen, aber eine 
ganz ßübfcße Slnzaßt Von 2)ußenben müßten eS boeß wohl 
fein, unb wenn biefe von ber ^Regierung wirflicß ge* 
gegeben werben füllten, fo giebt fie boeß im ©runbe — ber 
Steuerzahler! Slber fott fie boeß fparen? SBenn nun aber 
bie ©oncurrenz uaeß Pefeitigung von SErupp unb Stumm 
Sltteinßerrfcßertn geworben ift unb bann bie preife ganz 
naeß iß«™ SBitten maeßt? ®a wirb ber „Steuerzahler* 
feine erfparten Vielen ®ußenbe Von Wittionen lange fuchen 
tönnen. Unb was ßeißt überhaupt „©oncurrenz" öon Ärupp? 
Sft feßon baS Wanöver naeß ©elb recht plump angelegt unb 
waßrlicß leidjt genug zu bureßfeßauen, fo muß boeß in üSeutfdh 
lanb Jebermann befannt fein, baß eine ©oncurrenz beutfeßer 
SBerfe in Pezug auf ©efeßüße unb Panzerplatten gänjlicb 
auSgefcßloffen ift. SErupp ßat feßr woßl ©oncurrenten, auf 
bie wir noeß zurüeffommen, aber bie finb nießt im ®eut» 
feßen SReicß. 

SBaS bie Lieferung ber gelbgefdßüße angeßt, fo ßanbelt 
eS fieß um bie neuere ©onftruction 96. ®ie ßat burdßweg 
Ärupp geliefert, unb baS Wirb man boeß Woßl auch bem bümmftw 
Laitböniann nkßt einreben wollen, baß in einer Pattcrie bro 


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Nr. 14. 


Die <8>e$e«tpari 


213 


SÄopre 4800 SRarf, bie anbern brei, natürlich ganz gleichen, 
1900 üKart gefoftet paben. ©on ber ülnnapme Don SRopren 
anbern gabrirateg pat man nichts Dernommen, baß aber eine 
anberegabrif gleite Kopre geliefert ober in Auftrag be* 
tommen pat, gept einfach nid^t, Weil bie gleiche ©üte erft 
burcp groben feftjufteQen ift, unb weil Krupp bei beit neuen 
©efcpüfcen fßatente fowopl für ©erfcpluß alg für Saffetten» 
conftruction befiel, bie er natürlich nitpt im Snlanbe, am 
allermenbigften feiner Goncurrenz Oertauft, bie fomit gleiche 
Sonftructionen gar niept perfteüen barf. 2Bag ben ©reigunter* 
fcpieb ber ©ranaten angept, fo genügt eg ju bemerfen, baß eg 
©ranaten Derfcpiebener ©üte unb Derfcpiebener Gonftructionen 
giebt, unb bafj bei gleitet ©üte bie billigeren bezogen werben, 
©inb alfo bie ©ranaten ber Goncurrenz ebenfo gut wie bie oon 
Krupp, fo mag fie fiep freuen, bann tauft man Don ipr, unb ber 
erfte Scpritt jum Kuin Don Krupp unb «Stumm ift getpan. 
Uebrigeng bürfte boep betannt fein, baß Krupp niept nur gelb* 
genüge fabricirt, mit benen beifpielgweife bie glotte unb bie 
ÄöftenartiUerie nid)t wopl armirt werben tönnen. ®aß aber 
eine Goncurrenz «Staplgefcpüge fcpwerer Kaliber in EEeutfcp» 
lanb überhaupt perfteüen tann, baoon ift bigper nieptg betannt 
geworben; Spanbau arbeitet nur mit©ronce. ®ie Goncurrenz» 
fabrit für biefe ©efepüße bürfte wopl in ber ©pantafie eineg 
©rünberg beftepen, ber, weil eg ipm niept ju gelingen fepeint, 
auf anbere SBeife bie gewünfepten ©elber ju erlangen, fie Don 
ber ^Regierung paben will unb baju bie treffe alg §ülfgma<pt 
anruft. ®ag ift eben niept mepr neu, unb bie Regierung ift 
in folcpen Gingen erfahren. Scpneibet ®owe mit feinem 
ganzer wollte fogar bag ganze Sanbpeer tugelfeft machen, unb 
bie ©reffe palf ipm fräftig, aber webet bie ^Regierung noep 
$iram ÜRajim rüctten bie ÜRiUionen peraug. 

Kitfetftapl tann allerbingg Seber rnaepen, bag ift ganz 
rieptig. 91 lg bie Slmerifaner Gnbe ber aeptziger Sapre be» 
fcploffen, fiep eine ftarfe Kriegsflotte ju bauen, fanbten fie 
eine Gommiffion burcp alle Staatg* unb ©rioatetabliffementg 
Suropag, um fiep gepörig ju informiren. Krupp öffnete 
biefer Gommiffion tlugerweife bie Spore niept, wag bie §errn 
bon jenfeitg beg großen ÜBafferg fepr Derfcpnupfte, fiep aber 
balb alg fepr weife erwieg. Gg würbe bapn in Sanbp §oot 
bei Kew«jI)orf ein Goncurrenzfcpießcn gegen Panzerplatten ab* 
gepalten, an Welepem fiep Krupp nebft jwei englifepen unb 
einem franjöfifepen SBerte betpeiligten. Septereg, «Scpneibet* 
Greufot, ging jum Subei ber granjofen alg Sieger peroot, 
unb eg würbe angegeben, baß biefe platten einen 3 u f a 6 uon 
ca. 4 big 5 procent Kicfel entpielten. 5>ie greubc ber Scpneiber* 
ffierfe bauerte niept lange. 2Ran patte felbftoerftänbliep auf 
©eftettungen gerechnet; bie aber erfolgten niept, benn bie 
Slmerifaner wußten ja nun, wag fie wiffen wollten, unb — 
maepten ipre Panzerplatten felbft SEBenn aber auep Kicfel» 
ftapl niept Don Krupp allein pergeftellt wirb, fo ift er boep 
ber Ginzige in Seutfcplanb, ber bie für ben Sepiffbau nötpigen 
großen ©auftücfe perfteüen fann, unb namentlicp berjenige, 
Welepet bie gepärteten Kicfclftapl»©anzerplatten fabriciren barf. 
Gg liegt nämlicp auf biefem ^ärteoerfapren ebenfallg ein 
Patent Don Krupp, unb wie WertpooH biefe Grfinbung ift, 
baton erpält man einen ©egriff, wenn man pört, baß Kuß* 
lanb unb Ütmerifa ber girma Krupp biefeg Patent abgefauft 
ßaben. So erpalten bie brei neueften amerifanifepen Sdplaept* 
ftpiffe Spp „ÜRaine" folcpen Sepuß. 

Gg giebt nun auf biefem ©ebiete fepr wopl eine Gon» 
currenz füt Krupp. Sag finb in Gnglanb ©ieferg Son anb 
ÜRajim, Sarrow in gurneß, ©rown unb Gammelt in Speffielb, 
in granlreicp Scpneiber»Ganet in Greufot, in ben Pereinigten 
Staaten bie ©etplepem Sron*2Borfg unb bie Gparitegie*2Berfe. 
Sa fowopl in Gnglanb, wie in Ülmetila, granfreiep. unb bei 
ung, fremde ^Regierungen ©anzerfepiffe bauen laffen, fo maepen 
fiep felbftDerftänblicp alle biefe 3Berfe untereinander Goncurrenz, 
benn fo tpöri^t finb boep beifpielgweife bie Sapaner niept, 
eiuen panzerfreuzer bei Krupp auf ber ©ermaniawerft ober 


beim Pulfan»Stettin bauen z u taffen, wenn fie ipn bie £alfte 
billiger anbergwo — wie bei ber famofen Goncurrenz! — 
pabeu tönnen. Unfere 2Rarinc=93aubepörben lennen alfo ganz 
genau bie preife aßet Sieferanten in bem 9lrtifel, unb eg 
füllt ipnen gar niept ein, Krupp mepr zu zaplen, alg PefteHer 
anberer -Kationen. Gg ift bieg ein 9lnzweifeln ber EEücptigfeit 
unfereg Scpiffbau*Perfonalg, bag nur unter 9lnonpmität 
yngeftraft erfolgen fann. 9luf bie Summe Don 176 äRiüioiten, 
bie Krupp Detbienen foü, wenn ber glottenplan genepmigt 
Wirb, genauer einzugepen, fepeint überflüffig; folcpe 9luf* 
fteUungen finb einfaep finblicp! Grfteiig ift ber glottenplan 
niept genepmigt, zweiteng fiept bie Gonftruction ber Scpiffe, 
an benen jtuei Saprzepnte gebaut Werben foü, niept feft, alfo 
auep niept bie ÜRaffe beg benötpigteu ÜRaterialg, britteng 
fragt eg fiep, in welcpem Umfange Krupp Aufträge erpalten 
Wirb — Dieücicßt glüeft eg ber „Goncurrenz", ipm reept Diel 
Wegzufepnappen. SSierteng aber: Wie witt man peute ©cwmne 
bereepnen, bie erft naep zwanzig Sapren bercepenbar fein 
fönneit, ba fidp, abgefepen Don politifepen Greigniffen, bie 
©ergwerf», Setriebg« unb namentlicp bie Bopnoerpältniffe 
gänzlicp anbern? 

3)amit bürfte genug gefügt fein; aber ein fßunft fönnte 
nod) in grage fommen. ®ie Goncurrenz fißt möglicperweife 
gar niept im S)cutfcpen fReicpe, fonbern ftept, zum größten 
Speil wenigfteng, außerpalb! 2)a peißt eg pübfcp aufpaffen, 
baß beutfepeg ©elb im Sanbe bleibt unb nidit ftatt in Krupp’g 
unb Stumm’g SEafcpen in bie Don niept reept zu ermittelnben 
®unfclmännern jenfeitg fcßmalerer ober breiterer ©ewäffer 
fließt. $>ag Krupp*Gtabliffement pat fein SRaterial feit Sapr» 
Zepnten an aüe Kationen ber Grbe, mit 9lugnapme gtanf* 
reiepg, ftetg zur ßufriebenpeit geliefert. „La Marine Fran- 
caise“ liefert wieber eine folcpe 9lncrfennung iprer Seiftungg» 
füpigfeit, baß Wir ftolz auf fie blitfen unb fie niept, unter 
bem Scpuß ber Slnonpmität, mit Sepmup bewerfen laffen. 
Sn einem 9luffaß „Les cuira'ssee de 15000 tonnes et l’ar- 
tillerie de la marine“ Don 9JZ. 21. ©ael werben 30,5er Der* 
fepiebener Staaten in ipren Scpießleiftungcn auf 4000 ÜReter 
miteinanber Derglicpen: .Canon anglaia Vickers 1898 ergiebt 
2280 ÜReter EEonng EEotalencrgie, canon anglais modele 
precedent 1823 mt. canon fran 9 Hisl 893 — 96 1518 mt. unb: 
Canon allemand 1899: 2317 Kieler Sonng. Diefc ©efepüge 
aber finb Don Krupp. 


Literatur unb $unft. 


3ttr Reform ber fitlbpauerei. 

^on Heini^olb Begas, (Sufiao €berlettt, ITTaj KItnger. 

SBorbemerfung ber SRebaction. SBieberpolt würbe 
in ber „©egenwart" bie grage aufgeworfen, warum bie fßlaftif 
fo fepr im 2lrgen liege, beim 2?olfe fo wenig Sßcrftänbniß 
finbe unb im ©egenfaße zur ÜRufif, ®ieptfunft, ÜRalerei im 
©roßen unb ©anzen fall laffe. S)ie 9lutwort lautete, weil 
in ber ©ilbpauerei Don peute nieptg gefepaffen wirb, bag big 
in bie leßte Sluggeftaltung inbiuibueü burepgebilbet erfepeint 
unb alg 2lugbruef ber 3 e *t» in ber wir leben, freubig erfannt 
wirb. Kurz, weit bie ©ilbpauerei Don peute feine Kunft 
unferet 3 e it ift- 3 U biefem Urtpeit gelangte ebenfaüg ein 
peroorragenber ©itbpauer, ber SBieiter ülfabemieprofeffor 
Gbmunb Jetliner, in einer ©roepure „Seprjapre in ber 
Sßlaftif", bie in bet „©egenwart" Kr. 9 einer ©efpreepung 
unterzogen würbe. §eümer feplägt eine Keform ber plaftifepen 
Seprjapre Dor unb forbert eine ganz neue Kunftfcpule. „®ie 
©ilbpauerfcpule muß Dor 2tflem in eine „SScrfftatt“ um* 
gewanbelt werben. ®er eintretenbe Scpüler muß in erfter 
Sinie bag ^»anbwerf erlernen, benn Kunft unb ^anbwerf 


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214 


Die ©egenrourt. 


"■Hf' 1 

Sr. 14. 


ßaben einen gemeinfamen ©äßrboben: bie f£ecßnif. ®arum 
barf ber junge ©ilbßaucr nießt auf 3 eicßnen mtb ©tobetüren 
gebrillt werben, er muß öon Sugenb auf meißeln, für ©ronce 
boffeln, in ©tetall gießen, cifeliren, feßnißen. „Vormittags 
mobelliren, ©adjmittagS meißeln!" Sn beit erften Saßren 
bürfte biefe ©eiteraleintßeilung genügen, weil erfaßrungSgemäß 
bei formgewanbten Seuten nur einige Satire erforberlid) finb, 
um in bie SlnfangSgriinbe ber ©tarmorteeßnif eingefüßrt ju 
werben. ®ie weiteren Satire müßte ber ©aeßmittag abwecß» 
fetnb jut (Erlernung ber ©roncetecßnif öerwenbet Werben. Sft 
ber ©cßülcr fo weit öorgefeßritten, baß et an eigene ©ompo» 
fitionen geßen fann, fo muff er biefetben aueß in bem be» 
treffenben ©taterial felbft auSfüßren. ©orträge über bie 
■Sedjnif ber mitten müßten mit ben praftifdjen ©erfueßen |>anb 
in £anb geßen. ©oßin wirb ber Sunftjünger fcßoit bei ber 
©onccption, ja feßon in ben erften fßßantaficn baran benten, 
Wie. unb in welchem ©taterial finngemnß fein ©ebanfe ©er» 
wirflicßung finbeit fotl." Unb ^etlmer entwirft unS eine 
folcße jeitgemcifje ©ilbnerfcßule: ©tobellirfale in größerem 
9luSmaße, ©tarmoratelierS, ©er|ud)cbroncegießerei, ©ifelir» 
abtßeilung, cßeniifdjeS Saboratorium finb abfolut erforberlid). 
@in ftünftler, ber felbftöerftänblicß in ben öerfeßiebenen ®iS» 
cipliiten ju £>aufe fein muß, fteßt ber ©cßule oor, Slffiftenten, 
bie fpecicltcn Radier in auSgejcicßncter Seife inneßabenb, 
tönnten ißn unterftüßen. „SaS bie ©efdßaffung beS ©tar» 
mors anbetangt, fo würben bie ©efißer großer ©teinbrüeße 
feßr gerne bie Stbfätte gegen mäßiges ©ntgelb jur ©erfiigung 
ftetlen, unb bie ©inricßtnng einer ©erfucßsbronccgießcret jäßlt 
ja aueß nidjt $u ben Unmöglicßfeiten" u. f. w. 

3 )a wir begierig waren, weteße ?tufnaßme biefe Reform» 
üorfeßläge bei unferen Zünftlern finben würben, fo wanbten 
wir uns mit einer Ülnfrage an unferc ßeröorragenbereit ©ilb» 
ßauer. SEBir bringen ßeute bie ©utaeßten, mit benen uns bie 
©feifter SegaS, ©berlcin, Stlinger erfreuten, ©rofeffor 
|>el(mer beßält fid) baS refiiinirenbe ©djlußwort not. 

* * 

* 

Sdj Eann nur allen in Sßrem 9lrtifet auSgefprodjenen 
©ebanten bebingungStoS beiftimmen. ©S finb barin ©einer» 
fungett, bie auf tiefes ©erftänbniß in ©ejug auf baS Sefen 
ber ©laftit feßiießen taffen. @S ift öoUftänbig ridjtig, baß 
Wir naßeju gar feine ©ilbßauer meßr femten, eS giebt eben 
faft nur noeß ©tobelleure. 

©egabte Sünftler ßaben fieß ju alten ßeiten mit ber 
perfönlicßeu Slusfüßrung ißrer Serfe in ©tarmor befcßäftigt. 
Senn eS ßeute nießt gefdjießt, fo liegt üiclleidjt ber ©runb 
barin, baß es weniger ©egabte giebt, atS früßer. 

®ie ©rjießung ber ©itbßauer in ben 9lfabemien ift nid)t 
baju angctßan, ißnen baS Sefen ißreS SerufcS flar ju maeßen. 
®cr tßatenburftige Sünger non ßeute, ber nidjt im ©taube 
ift, irgenb weteße gorm ju beßerrfd)cn unb burdjjubilbcn, 
fueßt ltari) geiftreidjen, originellen ©ebanten unb oerfud)t bie» 
fclben mit feinem unjurcidjenben Können jmn ÜluSbrucf ju 
bringen; er weiß nidjt, baß in einem grieeßifeßen Sorfo meßr 
fünftlerifcßer Sertß fteden fann, als oft in ben größten, 
complicirteften ©ompofitionen. 

SaS nun bie praftifdje ©cftaltung ber ©orfeßtäge jur 
©erbefferung biefer 3 u ftänbe betrifft, fo glaube icß nidjt an 
ben ©rfolg, ber in unferer ßeutigen 3 e d barauS crwadjfen 
fönnte. 

Seiber ift bie 3 f it Vorüber, wo Zünftler bei ben be» 
fdjeibenften. Sfnfprtidjen an baS Sebcn fid) rüdfidjtsloS ibealen 
©eftrebungen ßingeben wollen. 9lQjäßrlicß werben große 
9luSftelIungen gemadjt, unb jeber Kiinftlcr will barin oer» 
treten fein, oberfläcßlitße ©taffenprobuction ift bie golge 
non, unb ba ift eS nidjt mögtidj, ben eblen ©tein oßne 
frembe tpiilfe ju einem Kunftwerf ju geftalten, W 0311 3 c 't, 
9luSbaner nnb nor ?lüem bie Uebcrjeugung notßweubig ift, 
baß nur in ber ©otlenbung ber gorm bie ßöcßfte tpöße ber 


©ilbßauerei ju fueßen ift. ®iefe ©otlenbung ber gorm mirt , 
nur bei intimem ©tubiunt beS 9?adten unb 3 war in ©tein 
übertragen, ju erreidjeit fein. 

3)ie ©eßanblung ber ©ronce ift mit ber beS ÜRannots 
nießt ju nergteidjen, ba eS mögtidj ift, eine faft matßemattfcbc 
Siebergabe eines in Slßou ober SacßS mobellirten SESktfe . 
ßerjuftellen. @S würbe baßer nur bie ©ifelirung in g-rage 
fontmen, bei ber aber bie ©ronce wegen ißrer feßr fcßwierigcn 
©eßanblung nie bie weieße Uebcrfüßrung einer gorm ;ur 
anbereit fo nollfomnten geftattet, wie eS bei ÜDhirmor ber gaü 
ift. Slber audß ßier ftoßen wir auf bie fieß überßaftmi* 
fdjnefllebige 3 e 'tftrömung, bie eS nidjt geftattet, in befeßeibener 
©title ju feßaffen unb aüeS SWatcrielle bcin ©eiftigen ju 
opfern. 

Hefnfyofo 3t$as 

©iele Sege füßren nadß 9}ont. Scß fann mid) nießt 
ganj für ben ^lanbwerfsweg beS £crrn Rettmer begeiftern, 
troßbent icß ißn felbft gegangen bin. Stuf ber ©djule, bie 
mir ben erften fünftlerifcßen Unterridjt gegeben, würben biefe 
twit ^ernt Rettmer oorgefeßlagenen ®inge geleßrt. 

©igentlicß muß man bie ftunft bie founeränc ©ejwingerin 
beS ©laterialS nennen, ba fie bem ©tein, bem ÜÄctafl, bem 
410 I 3 gormcn aufbrängt, bie gegen bie Vatur biefer ©toffe 
geßen. ©eit Saßrtaufenben wanbern bie SDfarmorgcbirgc 
©rieeßenlanbS unb StalienS, ju StWenfcßen», Sßicr» unb 
©flanjengcftalten umgefdiaffen, in pßantaftifdje 3lreßitcltur 
formen gejwängt uni» fo ißrer natiitlidjen gelSgeftalt ix= 
raubt, in alle Sänber beS ©rbbatlS. @S ßießc nun ©ulen 
nad) Üttßcn tragen, wollte man mit £»ntaufetjung mobernet 
Xedjuif unb mobernen ©eifteS, auSgerüftct mit all' ben tr- 
faßrungen üergangener Äunftepodjeit, 311 ben primitiöen SÜMittcln 
elfter Stunftiibung jurüdfeßren. Säre eS nießt baS ©leidjc, 
wie wenn man ßeute eine ©tjramibc baute, oßne bie granbiojen 
mobernen ^icbe» unb ©ewegungSmittel ber Sngenieurwiffeiu 
fdjaften 31 t benujjcn, bagegen baS für unS jeßt unzulängliche 
©erfaßren ber ©igßpter in Slnwenbung bräeßte? 

©ingS um unS ßaftet bie Seit in tanfenb fieß Don bet 
SNaterie loSringenben ©cflaltcu. ©tan will pfeitfcßnetl ben 
9letßer burdjflicgen unb boßrt fid) tief in baS ©tbinnere, ißm 
feine ©djäße entreißenb. Sa, ber fämpfeube ©ebanfe null 
baS ©ublidje enträtßfcln! gieberub, rußcloS wäljt fieß ber 
alle großen grageit in ©üßlidjeS umwertßenbe ©tenfeßenftron 
burdj bie 3 c iten. ©crflänbuißloS Würbe er burd) baS Atelier» 
fenfter auf ben Saßnfinnigcn ftarren, ber feine ißm »on 
einem gütigen Scßöpfcr gegebenen, mit beut feinften ©erucn= 
unb Uaftgefüßt auSgcftattetcn ginger um ben gcfüßtlofcn 
^ofjftiel eines ©tcinflöpfelS, um ben Sifenntcißel jaßrciu, 
jaßrauS frampft, ba boeß ein weidjer ®rud einer g' n 9 cr ' 
fpiße genügt, Sunbcrwcrte an ©djönßcit, gleicß bem 9lUratcr, 
aus bem Xßon 311 jaubern. Sieöiel ©eßläge miiffcn geift« 
unb pßantafietöbteub auf ben ©tcißel, ber ben ©tarmor gräbt, 
fallen, oßne baß fie ben ©agel auf ben Äopf treffen! llnfäglid) 
ermübenb unb troftloS fdjleidjen fJage, Sodien, ©tonale, 
ja Saßrc ßin, eße aueß nur bie roße ©eftalt fid) auS bem 
©farmor fdjält. Sn Wetdjcr Iretmüßlc beS oben ©farmor-- 
flopfettS, in welcßcr ©crjweiflungSfpßäre beS rein nur tetß» 
nifeßen ©ronceform» unb ©ußoerfaßrenS feßwänben bem 
jungen ©ilbner bie bejten frifeßeften ©tunben jugenblidicr 
©egciftcrung! Sieöiel ©tißerfolge im ©erßauen beS ©tcince, 
im ©erjagen beS ©nffcS würben ißn nieberbrüden! Seim 
©tidjel 9lngclo unb ©enoenuto ©etlini baS oft paffirte, 
wieuiet meßr unS! 

Sic biirfen wir norbifdjen S'iinftler, bie wir öon einer 
öcrftänbnißlofen unb funftfciublicßen ©tcßrßeit erbrüdt werben, 
unS meffen mit ber auf taufcnbjäßriger birecter UcOcrlieferimg 
aufgebauten ©cßönßeitSwclt ber 9llteit! Sir, bie wir auf 
ber magern Cafe unferer ftillen Scrffiatt, umtugt öon ben 
©päßeraitgen derjenigen, weldje bie ewige ©cßöußctt bei 


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Nr. 14. 


Die ffiegenwart. 


215 


Städten an’S Streuj fd)lagcn woßen, hungern umfonft nad) 
folcf)er 93lütf)e unferer Äunft. Unb tro^bcm haben fid) auch 
in unferer 3 e >t einige §od) begabte, greigeborene unb grei« 
gebliebene mit bem feinen Sorbcerreiö • beS ©riedjenthumS 
gefdjmücft. Aber i£>r intimes Schaffen, ißt geheimes Siingen 
fönnen fie fltiemanb lehren. Schulen fiub Schablonen, 2et)ren 
ift für bie Waffen, Aber aflcrbingS ohne Sehren fein 
Semen. Offne Semen feine gäl)igfeit. ©a liegt ber gwie* 
fpalt, ber bie feinften ftünftlernaturen baoon abfefjen läßt, 
anberS als burd) itjrc Söerfc bie SBelt belehren ju woßen. 
©aS SBefte beS genialen ftiinftlerS ift unübertragbar unb 
fann nicht oeraßgemeinert werben. lpöd)ftenS wie er fid) 
räufpert, wie er fpueft, hat man ihm im beften gafle abgegneft. 

2EBaS unb wie in ber Sitbnerei gelehrt, wie baS uner* 
meßtidje Wateriat geficljtct unb auSgewäl)lt werben foll im 
Sinne mobernen ©nipfinbenS, muß Wühl jeber fünftlerifchen 
Snbiüibualität überlaffen bleiben. Sföenn bie guten Samen« 
förner, Welche Herr Rettmer auSftreut, befrudjlenb wirfen 
foUen, mup meiner Slnfidjt nach biefer St'ünftler fie perfönlich 
in brauchbares ©rbreid) fäen. 

(Suftao (Hberletn. 

©er erfte Xheil ber Ausführung in ber „©egenwart" 
mag f>eute noch größtenteils jutreffen, wenn aud) oft mehr 
Zünftler, als §ellmer eS annimmt, fid) perfönlich mit bem 
SDtaterial befaffen. Aber feine Ausführungen, fleine fünftle* 
rifche ©igenart betreffenbe ©inge unb Auffaffungen bei Seite 
gefegt, unterfchreibe ich gern. 

AnberS oerhält eS fich mit bem jweiten X^eit, ben 9tcu» 
roünfchen über Schulung, ©ine ftärfere ,,©urd)fiebung" fonute 
man fefjon üon ben je^igen Afabemien erwarten. Sie ift 
auch Wohl fd)on je nad) ben ^ßerföntidjfeiten ber Selber in 
firaft. 

Rettmer fagt: „©arum barf ber junge Vitbhaner nicht 
auf 3 c ^ ncn un b Wobcßiren gebrillt werben." 

Hier fangen meine Vebenfen an. Sin ©egentficil, auf 
„3eid) nen " muß ftreng gearbeitet werben. AllerbingS nid)t 
nach ®hP$ unb aßerhanb tobtem 3 eu 9- ®ie 3 c i c h ltun 9 ent 5 
hält Alles conbenfirt, was Waler, SöiTbt)a»er, 3eichner brauchen: 
garbe, gorm, 9faum. 

Aber baoon abgefeljcn, bie Siebe juiu Waterial, bie @r« 
fenntniß ber ^ßoefie beS WaterialS, gteidjgiltig ob garbe, 
f)olj, ©rj ober Warmor, laffen fid) nidjt anerjiefjen burch 
Schule, noch weniger cinbrillen — unb oon Seßtcrem ift ein 
Heiner unangenehmer Veigefdpnad in £eßmer’S Ausführungen 
enthalten. 

Sch flehe jweifelnb foldhen principieHeu Anfd)auungen 
gegenüber; bergleidjcn hängt oon fßerfonen unb Umftänben 
ab, bie fid) nicht bccretiren nod) fdjematij'ircn laffen, wenigftenS 
nicht oorher ober ju Sebjeiten. Nachher gefc^ieht eS ftetS 
an ben „depouilles“. 

Aber baS ift etwas AubercS. Sn feinem Sanbe hat bie 
feceffioniftifche Sfunftbewegung fo fdjncll unb überrafchenb 
6 efrud)tenb nach aUen Seiten gewirft, wie in Oefterreich- 
©S hat eine Berührung jwifdjen publicum unb fi'ünftlern, 
t)or Allem jwifdjen Zünftlern unb Architeften ftattgefunben, 
wie wir fie bei unS nicht fennen. Sn biefer breifachen ißraj-iS 
beS gegenfeitigen SBollenS unb VerftehenS liegt bie Sdjule. 
Wan mag nod) fo oiel im ©injelnen auSjufehen haben, 
©roßeS ift in Oefterreich erreicht worben, unb nad) beneibenS« 
werden SRefultaten ift bort cinjufeßen unb fortjufaßren. 

SEBir in ©cutjdjtanb haben bie lex Heinje. Unb mir 
erfdjeint biefelbe- mißoerftanben. IJtad) Socialiftengefeß, 
©ictaturparagrapljen foll biefe lex mit ihren Unbeutlid)feiten 
unb ihren SnterpretationS« Spielen wol)l eine Vorbereitung 
ju iüirdjen« unb ©laubenSgefeßen abgeben. — 

Vraucf)en wir bann Vilbhauerfchulen? 

UTaj Klinger. 


äus iFannt) ßctoalb’s flajjebud). 

SSoit (Efyeopfjtl golltng. 

©in ftideS §auS in ber ftitlen Wattljäifirchftraße, bamalS 
noch ftiller als heute. ©rei ©reppen hoch, aber auf jebem 
Abfaß ein Stuhl 3 um 9tuljen unb freunbliche Vlattpflanjen. 
Unb bie alte Wienerin führt unS hinein jur alten §errin, 
einer fleinen, behäbigen ©ame mit auSgefprodjen femitifäfem 
©ppuS, großen, glänjcnben Augen, unb ju beiben Seiten beS 
fdjwarjen §äubd)enS bie forgfältig toupirten weißen Schiller« 
loden nach ber Jpaartradjt Oon 1830. Unb wer baS ©lüd 
hatte, mit ber fcharfgeiftigen, hodjfinnigen grau ju ptaubern, 
fonnte ficher fein, etwas fßraftifcheS, ©uteS unb ÄlugeS ju 
hören, ©inmal in ber SEBoche war ©mpfangSabenb. ®ann 
fani wohl Warie Seebad), um auf bie Vitte ber ^auSfrau 
irgenb ein hübfcfjeS ©cbid)t auf^ufageu, auch junge Ä'ünftler 
unb ®id)tcr unb alte greunbe. @S war eine feine, rein 
geiftige ©efelligfeit, feine „Abfütterung", Wie bie h eu tigen 
berliner SalonS. ©in Släßdjen bünnen StheeS, ein belegtes 
Vemmdjen, bünit geftrid)cn, aber wohlfdjmedenb, — unoer« 
geßliche Abenbe für Seben, ber unter bem 3 au b e r ber für 
alles ©ute, Schöne, 2Baf)re noch immer glühenben unb 
fämpfenben grau ftanb. Unb Wie ein Abglanj ihrer hat* 
monifd) abgefd)loffenen, oerftanbeSflaren, gemüthStiefen Snbi* 
oibualität unb sugleich ein fUachflang auS ihrem gaftli^en 
§eim gemahnt unS heute ihr Tagebuch, baS Subwig ©eiger 
unter bem Xitel „©efühlteS unb ©ebachteS" hetauSgiebt unb 
ihr 9ieffe, ber ©reSbener ®ud)hänblet §einrid) Winben, Oer« 
legt. ©S finb gelegentliche Aufzeichnungen, bie oon 1838 
bis ju ihrem Xobc, atfo über fünfjig Sahre fich hi n * 
ftreden. Wanche Sahre hat bie bis juleßt Schreibfelige biefe 
Vlätter nicht befchricben; erft nad) bem Xobe ihres ©atten, 
beS §iftoriferS unb AefthetiferS fßrof. Abolf Stahr, als ihr 
bie münbtiche AuSfpradje mit ihm fo fehr fehlte, empfanb fie 
baS Vebürfniß, ihre ©ebanfen nieberjufchreiben. 

„Nichts WenfdjltcheS war biefer grau fremb," fd)reibt 
Subwig ©eiger. „lieber fMigion, befonberS ©hriftenthum unb 
©otteSglaube, fßolitif unb fReoolution, bie ©reigniffe oön 1866 
unb 1870, biegrauenfrage, SUationalöfonomie, Vhii°f°Phi e uid* 
Sliaturwiffenfchaft, SBaguer’fche Wufif, gamilienleben finben 
fich ©rörterungen. ®aS ©efellfdjaftSleben wirb fritifirt: auf 
Verlin unb Stalien faden ftarfe Streiflichter, ©ie Schrift* 
ftellerin giebt füedjenfchaft über baS SBefen bichterifcher 
Arbeit. Sie fudjt ihr SEßefen ju analt)firen, begreiflich ju 
mad)en, nicht §u glorificiren; fie bemüht fich, Anbere ju Oer* 
ftehen, nicht hetabjufeßen. ©S finb feine ©eclamationen unb 
feine riihrfeligen ©mpfinbcleien, feine methobifchen, nach be* 
ftimmtem Sd)ema ober abfidjtlicher ©iSpofition georbneten 
©arlegungen, fonbern Eftieberfdjriften, wie fie fich auö bem 
Seben eines ftarfgeiftigen ÜBeibeS ergaben. Sie grübelt nicht, 
fonbern beobachtet fid) unb bie SEßelt; fie bleibt nicht hart« 
nädig bei oorgefaßten Weinungen, fonbern fie läßt fich um« 
ftimmen burch bie 2Eöucf)t ber ©h at fachen unb baS Steifen 
ihres ©eifteS. Aber fie hat immer ben Wutlj ihrer Weinung. 
Sie ift uießt hinterhältig unb nidjt oerlogen: Klarheit unb 
SBahrljeit leiten fie. ©in 3«ugniß fühneti unb unerfchütter* 
liehen WutßeS, ein Stefultat feßarfen, oielfeitigen, riidficf)tS* 
lofeit ©enfenS, ein S3ud) beS Kampfes gegen linfitte unb 
Vorurteil, Halbheit unb Unlauterfeit, ein fühner ißroteft 
gegen müßiges ^inbämmern unb ungefunbe, unreblidje ®e* 
fühlSbufelei, fo foß baS Vud) ju allen ©enen fprechen, bie 
gannp Sewalb liebten unb bie eS Oerftehen ober lernen woßen, 
mit ftraft unb ©efunbheit in fidh unb um fich J u bliden." 
©er Herausgeber fagt nicht ju oiel. gönnt) Sewalb’S ©age« 
buch ift ein fd)öneS, nüglicheS, bleibenbeS Vud). Sn trüben 
Stunben ber ©ntmuthigung ftimmte wohl auch biefe uner« 
müblid)e grau in ben AuSruf ihres ©atten ein: „AßeS 
Sdjaffen ift ißlunber!” Unb man ift Oerfudjt, ihr Stecht ju 
geben, wenn man bemerft, wie feßon jehn Sahre nach ihrem 


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ä 


216 


Die (ßegcnaari 


Nr. 14. 


Etob ißrSilb für bie Sftadjwelt üerblaßt ift. Sergeffen finb 
alT ißre jRomane unb Sftooeflen, bie SReife* unb ScbenS* 
fdjilberungen finb nnr noch für Gulturßiftorifer fcßäßbareS 
Waterial geblieben, fogar als Sorfämpferin ber grauen* 
rechte Wirb bie befonnene, nüchterne, lugifcße Sorfämpferin 
ber ©mancipation pt — Arbeit oon ben utibanfbaren grauen* 
recßtlerinnen pm alten ©ifen geworfen, aber als ©ßarafter« 
tueib unb Sbealiftin bleibt ißr eine feßöne Stellung in ber 
©efdjicßte ber fßerfönlicßfciten, ber Sollmcnfcßen gcroig — 
fdjon auf ©runb ißreS ßerrlicßen EtagebudjeS. 

SBeldj’ aufrichtige, fcffelnbe §erjenSbeid)te! 3ßr ganzes 
Hers, i^re Sß^antafie, ißren — noch ftärfer als Seibe — faft 
männlichen unb hoch wieber fo echt weiblichen Serftanb legte 
fic in biefe SBlätter, Heben benen AUeS oerblaßt, waS fogar 
eine SRaßel Sarnßagcn ober ©aroline Sdjelling in ihren 
Sriefe ©igeneS, Sd)öneS unb SebeutfameS auSgeplaubert 
haben, ßier gleich ein paar oon ben unzähligen ©ettiebligeu 
unb Selbftbefenntniffen auf ©erathewoßl ^crau^cjegriffen! 
„3öer bie SEBaßrßcit ernftlid) fudjt, fann fie auf jebein 
SEBege finben. — ©efunbßeit ift ©lüd, jo fagt ber Slraufc — 
SReicßtßum ift ©lüd, fagt ber Arme — SBeiSßeit ift ©lüd, 
fagt ber Eßßilofoplj — unb fic haben Alle reiht. Unglüd 
aber ift gewiß, baS nicht erreichen p fönneit, waS man be* 
barf. — SelbftloS fein, in einer Seit uotl ©goiften, ^ei^t 
fich ber Wittel berauben, baS p leiften, waS man feiften 
fönntc. — SBer bie Siebe nicht öerfteht, begreift Weber ben 
Haß, noch ben gorn." SieleS ift nur halbwahr, paraboj, 
nüchtern, aber eS trägt ben Stempel beS ©igenen, Selbft* 
erlebten, oft beS ©cnicS. Sogar ihr Herausgeber fagt: 
,,©S fällt nid)t fdjwer, bei mancher Stelle auf ben SBiber« 
fprueß ^titäuttjeifen, groifcEjen bem oon gönnt) Semalb 33er* 
lünbeteu unb ben wirtlich eingctretcuen J^ljatfadjen; eine 
Stritiferin ift eben feine Eßropßetin." So ift, um nur ein 
Seifpiel anpfüßren, ihr SBibcrwiöe gegen bie SBagnerjdje 
Wufif nicht, wie fie hoffte* oon Aüen getheilt worben, fo 
Wenig wie ihre in einer auSgeftridjerten ©teile auSgefprocßene 
Aitficßt, baß eS pm Sau eines Saßreutßer EtßeaterS nid)t 
fommen fönne, burdj bie 2Birflid)feit beftätigt worben ift. 
Aud) ihre Slnfdjauung über Äraft unb Wac|t ber focial« 
bemofratifdjen Sewegung war irrig. Werfwiirbig ift aber 
auch ’ n biefer SejießuHg wieber, wie fie fi<ß bann mit 
bem ©ebanfen beS 3ufunftSftaateS Oerföhnte uitb fogar 
für ben „äfthetifcheit Wenfcßen" bariit WancßeS erwartete: 
„Slbotf ift ber Meinung, baß bei ben gefteigerten Sin* 
fprücßcn ber Hanbarbcitenben eine, auf frembe H an barbeit 
begrünbete äftßetifdje Silbung, wie er unb ich un b unfercS 
©leidjen fie erworben haben, fünftig eine Unmöglidjfeit fein 
wirb. 3<h bin aber ficher, baß er barin ööllig irrt. ©S 
wirb nur p bet anberen Drganifation foinmeu, bie ich für 
bie Sefricbigung unfercr SebenSbebürfniffe längft üorauS* 
gefehen unb als wünfcßenSwertß erfannt habe; unb baß mit 
bcni größeren SBoßtftanb ber Slrbcitenben and) baS Sebürf* 
niß nad) geiftiger Nahrung, alfo auch un f er Arbeitslohn fich 
fteigert, ift oßnc grage. SiSljer hat man gelernt: wie man 
ben ©efammt= 9 tei<hthum oermehrt; jeßt Wirb man lernen, 
wie man ihn gleichmäßiger oerttjeift, unb wenn ber ©runb« 
faß Wahr ift — unb er ift eS — baß meines EJiaeßbarS 
Sortßeil mein Sortheil ift, fo fann bei ber ©rßebung.ber 
großen Waffen bie ooüenbete AuSbilbuitg ber ßeroorragenben 
gäßigfeiteit, ber ßeroorragenben Wenfcßen, nicht p einer 
Unmöglichfeit werben." ©ewiß anfeihtbar. Aber baS ift ja 
eben baS Sebeutfame an ber nach S&aßrßeit ringenben unb für 
ihre Ueberjeugung fämpfenben grau, baß fie „ben Wntß beS 
geßlenS" hatte, unb baß fie fid) baßer auch int ® e ‘ 
ringfteit fetjeute, ihren Srrtßum einpgefteßen. ©in befonberS 
wichtiges 3eugniß bafür ift bie Art, wie fie, bie Etemofratin, 
bie ©egnerin ber preußifcfjcn Wacßtßaber, im Saßre 1866 
befanntc, fiel) in ihrer Auffaffung ber gaujen Sage geirrt p 
haben, unb ans ihrer nunmehrigen Serehruug für Stömard 


fein Heßf wachte. Sei Anlaß oon SiSmard’S |>erauSforberung 
Sirchow’S, feßreibt fie prnbebenben HetjenS in ih r Tagebuch: 
„Unb baS foü nicht bie reine Anarchie fein? SEBaS würbe 
ber Staatsanwalt tßutt, wenn baS ein paar Anbere tßäten? 
Sa, baS Etuell ift ein flagranter ©inbrucß in bie befteßenben 
SanbeSgefeße! @S wäre feßr bequem, wenn bie Sunfer fo 
bie ganje ißnen unbequeme SegiSlatur wegfehießen bürften — 
obfcßon an ber Wehrjahl ber gortfcf)rittSpartei, als Wänner 
ber greiljeit nicht oiel Oetloren wäre, ©eiehrt finb fie, 
bürgerlich unbefd)olten auch — Oon WanneSdjarafter feine 
Spur. Gntweber baS ©efeß ift binbenb ober nicht. Hattet 
Sf)t eS nicht für binbenb, wie fönnt 3h r Such benn bap her* 
geben, neue ©efeße machen p helfen. Sh r höngt ja mit 
©urem ganjen Sthun unb Treiben als Seiltänzer in ber 
Suft, fooalb ihr bie ÜKögtidjfeit eines H an belnS gegen baS 
©efeß — auf gorberung eines SorurtßeileS — pgebt. ®er 
Cberbürgertneifter 3> c gl er h at rcc ^ t: ©ie h 0 ^” baS ®cnfen 
oerlernt!" 

9?och auf einen anberen SSibcrftreit ißrcS SBefenS weift 
Sitbwig ©ciger ßin. 3h r flarer Scrftanb, bet fie fo Sieles 
begreifen ließ, unb ißt SbealiSmuS, ber gerabe rein geiftigeS 
Xh un fdjäßte unb empfaßt, hätten, fo foÖte man meinen, 
fie jur oollcii Anerfennung, ja jur Sewunberung ber nießt 
auf unmittelbaren praftifcßen ©rfolg gerid)tetcn wiffenfeßaft« 
ließen ^ßätigfeit füßreit müffen. Aber gerabe ßier pg ißt 
praftifdjer Sinn, oieDeicßt aueß bie AnfcßauungStoeife, bie 
feit ©encrationen in ißrem elterlichen H° u f c öblicß gemefen 
war, ißrer geiftigen Auffaffung ©renjen: Sie Oerwunberte 
fieß, ftatt eS p bewunbern, über foldjeS Slßun, baS feine 
beftimmten prattifdjen fRefultate ergäbe, unb obwoßl fie bie 
SBaßrßeit liebte unb förberte, begriff fie nicht bie bloß auf 
©rforfdptig ber SBaßrßeit gerichtete wiffenfeßafttieße Arbeit, 
©in befonberer ©renet waren ißr, bie mit ©oetße’S ©eift auf« 
gewadjfen uitb gefättigt war, bie ®oetße»Si<>ffen. GS ift be* 
greiflid), baß ißre fcßarfeit SBorte gegen bie ©oetße*tßhilologen 
unb «Sleinfrämer Subwig ©eiger, bem H er 0 l, 8 Ö e ^ ct beS 
©oethe«SfahrbucheS, üielteiißt reißt fatal finb. Umfo meßr 
®anf oerbient er, baß er fie — jWar mit leifen ©infeßrän* 
fuiigcn in feinem erläuternben Nachtrag — unüeränbert 
aufgenomnicn ßat. Aber wie trifft biefe gerabep unheimlich 
oerftänbige grau aud) ßier Wieber ben SRagel auf ben Sfopf, 
Wenn fie einmal p einer gelegentlichen Seetüre bemerft: 
„©rinim’S Sorlefungen über ©oetße unb feine SBerfe finb, 
wie mir feßeint, baS Sefte, waS ©rimm gemacht, obfcßon fie 
gar nichts 9?eueS bringen; inbeß, wie jeber ißorträt*Waler 
einen £ßeit feiner SBefenßeit auf baS Silb überträgt, fo geßt 
eS aueß ©rimm mit bem Ooüfaftigen, heißblütigen ©oetße. 
©r oerblaßt ißn unb macht ißn bleicßfüißtig. ©r beweift ber 
ttfaeßwett, baß ©oetße Weber griebrife, noeß Sötte leibenfcßaft* 

ließ geliebt ßat, weil-ja bocß eigentlich nur, weil er 

biefe Sieben nießt bauernb feftgeßalten, biefe ©eliebten nießt 
geßeiratßet ßat. AIS ob ein ©efüßl lange wäßren müßte, 
um als Seiben fdjaft oon einem ®itßter empfunben ju werben? 
®er ßeiße Sonnenblid, ber einmal oor unferen Augen eine 
©egenb überftraßlte unb oerflärte, lebt immer mit biefer 
©egenb in unS als ein ©injigeS unb ®auernbeS, als ein 
UnwanbelbareS fort; unb wie ein Seib nießt lange p bauern 
braucht, um als ein Wartßrium empfunben p werben, fo 
braueßt eine Seibenfdjaft nur in bem ®icßter aufppden, 
nur wenig Stunben unb Etage in ißm lebenbig gewefen p 
fein, um oon ißm ewig als große unb feßöne Seibenfdjaft 
empfunben unb feftgeßalten unb Oerflärt p werben. Wicß 
mahnten biefe SeweiS*Serfu<ße, baß ©oetße jene grauen nießt 
geliebt, an eine Anefbote, bie mir H^nrid) Jfrufe einmal in 
Sepg auf einen ©oetßeerflärer erpßtt ßat. ©dermatm be* 
rießtet in feinen ©efpräcßen mit ©oetße, baß ißm biefer auf 
bie grage: „SEBelcße grau er am meiften geliebt habe?" mit 
©ntfcßiebenßcit geantwortet: Sitli! — unb ber Gtflärer feßt 
ßinju: „Etarin irrt fid) ©oetße!" — Wenn baS Waßr unb 


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Nr. 14. 


5Die (Segcttttflrl 


217 


richtig ift, ift eö baS Komifcßfte, waö fieß benfcn täfjt. Aueß 
bon bet Art unb SBeife, wie ein ©idjter fc^afft, maeßt ©rimm 
in feinen Srflärungen feinen 3 u ^tent wunberfaine Vor* 
fteEungen. Sr benft fid) ben Siebter wie einen Wofaif* 
arbeitcr. Sw Wepßifto foE ein Stüddjen bon Berber, ein 
Stüdcßen bon Werd, ein Stüdcßen bon ©oetße unb bon 
©ent unb Setten fein, unb nichts boit bem großen, erratßenbeit, 
jufammenfaffenben (Stauer unb Srfenncn, baS ja gcrabe beu 
großen ©idjter, ben Scßöpfer maeßt? EiidjtS bon bem §erau§= 
leben beS Snbibibueflen auS ijem richtigen, faft unwiEfür* 
ließen Srfaffen beS Allgemeinen? Eiid)tS bon bem plößließeit 
Srfcßeinen im ©eift beS ©icßterS? SBetdj eine Vorfteüieug 
ßat ©rimm bom ©ießter? llnb weieße VorfteEung bon bem 
Verßältniß ©oetße’S ju ber Stein? — Statt fid) ju fragen: 
Sft e$ möglicß, baß ein liebenbet Wann unb ein liebenbeS 
SBeib jeßn Saßre nebeneinanber fdjmacßten? Sft bieS mög* 
ließ, Wenn fie in bofler greißeit jag unb Eiadjt miteinanber 
aEein berleßreit? Sßenn ber Siebenbe baS Strumpfbanb ber 
©eliebten mit fieß nimmt — baS fie ficßerlicß nidjt fieß im 
Elebenjimmer abbinben gegangen ift, um eS bem ©latonifer 
na<ß Haufe mitpgebett — ftatt fieß biefe fragen botjulegen, 
fragt ©rimm fieß unb unS: Sft eS waßrfdjeinlicß, baß ein 
©ßrenmann, wie ^)err bon Stein, bergleießen, wie ben Sße* 
brueß feiner grau mit ©oetße gebulbet ßaben würbe? Sa! 
53 ift möglicß! ©enn bie §erjogin Suife bulbete unter ißren 
Augen baS Verßältniß ißreS WanneS jur Sagemann — 
grau b. ^»eßgenborf. ®ie geit bad)te leießt, feßr (eießt in 
jenen greifen über bie eßelicße ©reue, mtb Herr bon Stein 
war genötßigt, nießt nur ein Auge, fonbern beibe jujubrüden. 
6 r tonnte bem erften Winifter beö SanbeS, bem Vertrauten 
unb greuribe feines ^erjogS, ben Stußl nießt bor bie ©ßüre 
feßen, oßne felbft bor bie ©ßüre gefeßt ju werben. St burfte 
nießt anjweifeln, was bie „§errfd)aften" nießt anjWeifeln 
wollten; grau b. Stein war feine grau, bie fieß auf baS 
SBort ißreS ©emaßlS in bie Sinfamfeit naeß Kocßberg ber* 
pflanjen ließ — unb ©eibe fanbeit ißren materieDen Vor* 
tßeil in ber Verbinbung ber grau mit ©oetße. gür unfer 
einen lautet über biefeö Verßältniß bie grage immer uur: 
„SBie Wat ©oetße’S geftßalten an ber Stein bureß fo biel 
Saßre möglicß?" ©et ©roßßerjog bon SBeimar, Start Alejanber, 
fagte mir, er fei in ber Sage geWefen, ganje Sonbolute un* 
gebrudter Vriefe bon grau bon Stein ju tefen unb fei 
immer auSeinem Srftaunen in baS anbere gefallen über bie 
gänjließe Unbebeutenbßeit beS SnßalteS unb ber grau." 

Unb bann fpäter bei Anlaß bon grau bon Stein’S Seben 
bon ©ünßer: „SS fommt mir wieber redjt in ben Sinn, Wie fieß 
förmließ eine ©ßeorie beS SidjliebenlaffenS in ben ariftotratifeßen 
grauen gegenüber berüßmten Wännern auögebilbet ßat, bie 
nie unb nirgenbS etwas AnbereS gewefen ift, als baS eitle 
Verlangen, fieß bon ben großen ©enien mit möglidßft wenig 
perfönlidßer Seiftung unb oft oßne jebeS Wirflicße Verftänb* 
niß für beren Vebeutung einen Eiamen ju maeßen unb fieß 
eine gortbauer in ber gufunft ju fießern. ®ie Stein unb 
©oetße — Sßarlotte Salb unb ScßiEer — bie ©aEijin unb 
HemfterßuiS — Slife bon ber Vetfe unb ©iebge — bie 
®räfin ginf unb ©ied — bie Aßlefelb unb Smmermann — 
bie b’Agoult unb Sifjt — bann bie SEBittgenftein unb Sifjt 
— baS war immer baffelbe Stüd unb berfelbe ©runbton — 
unb feinem bon aU’ ben Wännern ift eS junt $>eile, faft 
AEen meßr ober weniger jum Unßeil geworben. Wit AuS* 
naßme ber b'Agoult unb SEBittgenftein waren bie fämmtlicßen 
grauen feßr 4 unbebeutenb: feßmeicßelnbe Anempfinberinnen, 
bis fie' ©pranninnen würben; unb baju war in ben grauen, 
bie fieß um SeßiBer unb ©oetße bewegten — mit AuSnaßme 
ber §erjogin Suife unb ber V r * n ä e 6 ©oroline — ein innerer 
Stoet bon ©emeinßeit, bie überaE burdßbrießt, wo fie in baS 
gaßrwaffer beS SlatfdjeS fomnien, in bem fie felbft bie ge* 
meinften AuSbtüde nießt feßeuen — wie bie Winna Stod, 
bie Stein unb felbft Sötte ScßiEer fie bon ber VulpiuS 


braudßen. SS Waren Scßaumgolb * Vilbungen — unb un* 
glaubticß biel erlernte ißßrafe unb aQgemeine lanbläufig ge* 
worbene Auffcßminfungen mit Sentimentalität." ©ertei meffer* 
fdjarfe Analßfen, bie man mit beiben §änben unterfeßreiben 
möcßtc, finb natürlicß nießt na^ bem £>erjen ber pribelegirten 
©oetßeforfeßer. ©eiger erflärt unb — entfeßulbigt fie mit 
gannß’S eigenen ^erjenSerfaßrungen: „3mar ber Stanbpunft, 
ben fie in ber grauenfrage einnaßm, Wirb ßeute bielfaeß 
gebilligt: Sßr SBunfcß, bie SrwerbSfäßigfeit beS Weib* 
ließen ©efcßlecßtS ju fteigern, ißren ©efdßlceßtSgenoffinnen 
größere Silbung jujufüßren, ben EHebrigfteßenben eine 
menfdjenwiirbige Veßanblung ju berfeßaffen, nebft bielen 
{feinen Sinjelborfcßlägen bürfte fcßwerlicß auf SBiberfprueß 
ftoßen. Aber in fittließer ©ejießung werben maneße ißte An* 
fießt nießt tßeilen. gannß Sewalb war feine finnlicße, nießt 
einmal eine leibeitfeßaftli^e Eiatur. ©ie ftarfe Seibenfeßaft, 
bie fie ju ißrer Sugenbjeit für ißren Vetter §einricß Simon 
empfanb, ben feßarffinnigen Suriften, ben entfeßiebenen ©oti* 
tifer, ben ftarfen Wann, war halb üorüber, ba ber Auge* 
fdßwärmte, ber wenige Saßre fpäter ju ißrer Eiebenbußletin, 
ber ©räfin Sba §aßn=^aßn, eine große Hinneigung fpürte, 
biefe Siebe feiner Soufine nießt in gteießem Waaße er* 
wiberte. ©aS Vanb, baS fie an Abolf Staßr bauernb feffelte, 
entfprang nießt bloß ber Seibenfeßaft. SBoßl Warb fie aueß 
bureß ben feßönen Wann beftoeßen, aber in bie Neigung ju 
ißm mifeßte fieß eine Art tion Witleib mit bem tränfließen, 
bureß fefte Vanbe, bie feinen geiftigen Auffcßwung nieber* 
ßielten, gefeffelten Wann,'etwas bon Wütterließfeit, baS ißr 
eigen war unb blieb, obgleicß ober Weil fie nie Äinber ge* 
ßabt ßatte. Hauptfädßließ jeboeß war „bie große Siebe", bie 
fie mit ißrem ©atten oerbanb, ßerborgegangen aus ber Sr* 
fenntniß, baß fie für ißr geiftigeS SBeiterleben unb ißre gort* 
entwidelung gerabe biefen Wann befißen müffe. Sr ßatte, 
Wie Sari grenjel feßr fein auSgefüßrt ßat, AEeS, waS ißr 
abging: Sine ungewößnließe Velefenßeit, ein geübtes Auge 
unb ein meift fießereS Urtßeil. AuS biefem Vewußtfein, 
Staßr für ißr Seben nötßig ju ßaben, gewann fie bie SEraft, 
ißn ju erringen. Eiaeß langjäßrigen Kämpfen erreießte fie 
ißr 3^- QU f liefen Sieg unb bie Smpfin* 

bung beS boEen unb reinen ©lüdeS, baß fie in einer reieß* 
gefegneten Sße genoß, flößten ißt ben ©lauben ein, ftärfer 
unb reiner geliebt ju ßaben, als Anbere. Sie faß auf bie 
geWößnlißen Sßen, benen fein Kampf borauSgegangen, fein 
SBiberftanb entgegengefeßt worben war, mit einer gewiffen 
Veracßtung ßin, leßnte eS aber anbererfeitS ftolj ab, untegel* 
mäßige Verßältniffe mit bem ißrigen bergleießen ju laffen. 
SBaS fie bon 3ärttießfeit unb Umgebung befaß, wibmete fie 
ißrem ©atten. Sn ber 3«E, ba fie mit ißm bereint war, 
in ben ©agen feiner fdßweren Kranfßeit, in ben Saßren ißrer 
SBittwenfeßaft fpraeß fie mit Etüßrung bon ißm. 

Sie feßeute fieß nießt, über©inge ju reben, biewoßlanftän* 
bige grauen ju befeßweigen pflegen, biefleießt in ber Weinung 
ober gar in ber Hoffnung, fie babureß auS ber EBelt ju feßaffen. 
Sie fpraeß offen bon Kinber*Ueberprobuction, bon ißroftitution 
unb bertrat, wie in maneßen Vriefen unb Seßriften, fo aueß 
in biefen Aufjeießn ungen ben ®runbfa|, baß eS wiberreeßtließ 
fei, baß bie ©efeßgebung, ebenfo Wie bie öffentließe Woral 
bie feßulbige grau beftrafe, wäßrenb fie ben Wann frei laufen 
laffe. Aueß fonft ließ fie weieße Smpfinbungen bermiffen: 
Witleib mit Unglüdlidjen war ißr ebenfo fremb wie jarte 
Verfößnlicßleit. Wan lefe folgenbe ©enterfung: „®aS SBort 
„SBeiblicßfeit", baS bie germanifeßen Völferftämme bor ben 
Anberen borauS ßaben, ift fein ber ßößeren AuS* 

bitbung ber germanifeßen grauen, fonbern bielmeßr ein 
©eweiS, baß eS im SBefen beS ©ermaniSmuS lag, bie 
grau bon ber aEgemein menfeßließen ©ilbung, bon ber 
freien, menfeßließen Sntmidelung ju fonbern, inbem eS fie 
bon ber AEgemeinßeit feßieb. So Wenig bie golbenen ©itter* 
ftäbe, weieße bie grauen abfperren in bem Harem beS Drien* 


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218 


Die <8> eg eit wart. 


taten, ein VeWeiS finb für bic ,'pod)fd)äßung ber grau im 
Orient, fo wenig ift bie Verbannung in ben mpftifchen Ve» 
reich ber Weiblid)fcit eine 9lpotf)eofe ber grau." Ober bie 
fpätere Eintragung: „^eute nod), wie Dar 40 Safjren, ift in 
meinen Slugcn eine im Streife »on fo unb fo »iel 3J?enfcf)en be» 
gangene ^odfjeitäfcier einüfct ber Unfeufd)ijeit! (id) tomme eben 
non einer foldjen geint). Hie Sitt(id)feit ber ©ge beruht nicf)t 
barauf, baß ber Staat fic anerfennt unb ber ißriefter fie ein» 
gefegnct gat, fonbern barauf, baß bie »olle geiftige unb leibliche 
Verbinbung eben biefer beibcit 2J?enfd)en, bie firi) »ereinett, für 
igr ganjeö Wefcit eine innerfte üftottjmenbigfeit unb eben ba» 
burd) aud) feinem Schwattfen ober Ülbirrcit auSgefeßt — ein 
fid) fetber Hreubleiben ift. .'patte Stagr’S Sdjeibuttg nicht 
ju Stanbe fommen fönnen, fo gatte id) mid) mit berfelben 
greigeit berechtigt gehalten, fein p fein unb 51 t bteiben, als 
wenn gehn ißriefter Sa unb 5(men baju gefagt. Snfofertt 
ift ißaul tpcgfc’S „3m ißarabiefe" mir aus ber Seele ge» 

fdjrieben — unfeufeg finbe id) eS nur, bie ©efellfcgaft mit 
einem gefte baoon eigene p benachrichtigen, baß man — 
Wo bie Vergältniffc abfolut t)inbernb in ben Weg treten — 
fich felbft fein 9ted)t nimmt, baß man fid) fetber ©efeß unb 
dichter ift, eben weil man nicht anberS fann, unb weil man 
feiner felbft unb feiner Hreue DöUig fidjer ift. Ein Uftpfterium, 
baS göcgfte SWgfterium ber Siebe, baS 9)?hfteriiim, baS ben 
ÜRcttfcgen jum Schöpfer gemadjt, muß als ein ©egeitnniß 

»olgogen werben — unb alt wie id) bin, wibert eS mid) 

an, wenn ich ein Vrautpaar unter jecljenben ©äften am be» 

labeneit Hifdge fißen fe^c. Haß biefe, folcge ^ochjeitsfeier 
mir erfpart worben ift, rechne id) p bem ©liid, baS mir 31 t 
Hgeit geworben." 

Subtoig ©eiger geftcht, baß er bie überreichlichen ©efiifjlä» 
ergüffe ber itod) 13 Sagre immer mit ganzer ©lutg an bem 
geliebten SOtanne hängenben Wittwe, bie leicht mißoerftanben 
ober befpöttelt Werben fonnten, für ben Hrud weggelaffcn 
habe. Einige fegöne unb rügrenbe Stellen, bie für bie 
Sd)rei ber in eharafteriftifd), finb aber hoch ftehen geblieben, wie 
bie folgenbe Vemerfung: „Wandjmal überwaüt eS mich heiß 
wie ein großes ©lücf, baß ich f° f c h r fleliebt habe unb fo fegr 
geliebt worben bin, unb ich meine, baoon müffe etwas jurüd« 
bleiben, wie oon bem geiftigen Schaffen eines HidttcrS ober 
ÄünftlerS. ES müffe 311 fegen fein, 311 Dernehmen fein, nach» 
Hingen — weil eS fo fegr fd)ön war unb. wir fo unauS» 
fprcd)lid) glüdlid), fo glüdlid), baß bie Entbehrung 3 U einem 
ewigen Schmer 3 e Wirb. Ißlaten fagt: 

38er bie 6 d)öiit)eit angefdjaut mit 9lugen, 

3 ft bem Xobe )d)oti anfjeimgegeben, 

38irb für leinen ®ienft auf Srben taugen, 

Unb bod) mirb er Bor bem Xobc beben!" 

Unb bann fam er enblid) 31 t ber ©reifin, ber unwiK* 
fommene greunb £min, oor bem fie allseit ein äfthetifcheS 
©rauen empfanb. Sftiemanb Wirb ohne Siügtung bie 9 luf= 
3 eichnung ihrer legten Hage lefen: „9lm 17. September 
muttjiger als feit lange ^eimgetef)rt — am ad)tunb 3 Wan« 
3 igften in ber grübe ein neuer Einfalt beS .fpcigibclS. Shu 
noch einmal überwuitben. — ES heißt fid) „ 3 U Hobe fiegen!" 

— Unb mir ift 31 t üftutfje, wie Einem, bem feine Wohnung 
gelünbigt wirb. ES lohnt ?ltlcS nicht mehr. Unnüße 9(rbeit, 
falfcge ?luSgaben habe id) immer oerabfdjeut. 3d) gäbe 
leine SebenSgoffnuttg mehr — unb bie Sügen ber Schonung, 
mit bencu man mid) ticbeooll umgiebt, finb mir quälenb wie 
Stidluft. 3d) tann in ber Süge nidjt leben, — bin biefeS. 
tpalbleben fatt unb habe bod) nid)t ben SDiuth, mit bem jeber 
Beirut im gelbe gegen ben Hob augeht. — tpeute Vor» 
mittag war Ebuarb Simfon — ber 9ieid)Sgerid)tSpräfibent 

— mein ältefter SebenSgenoffe — mein Spielfamerab oon 
ber ©eburt an — bei mir. Er wirb 78 Sagre am 
10 . Üftoüembcr. Unangemelbet fam er bie brei kreppen 
hinauf — frifch, mutgig, suoerfidjtlid) wie ein Süngling 

— unb ge^lid) wie ein Vruber. Unfere Slinberfrauen 


hatten uns 31 t einanber getragen, als Wir noch nicht 
fonnten — unfere Sugenb hatten wir miteinanber gl 
Viein Stieffohn Slbolf unb feine grau waren bei mtj 
©oetße’S Vitb ging uns gegenüber an ber SGBanb. ®j 
unferem Seben baS ©epräge gegeben, ©ine Stunbe öci 
unS im tiefften ©efpräcg. Vielleicht — ein leßteS Vegej 
SBie weit, wie ehrlich blieften Wir 3 Utücf! wie freutet| 
unS beS Erftrebten, beS ©etljanen, beS Errungenen! 
ba 3 Wifdjen flangen mir im ^)er 3 en SlbolfS hingefummte 5* 
am »Tage üor feinem Hobe: „9111’ mein Schaffen mar fßlr 
9lUeS Sdjaffen ift ipiunber!“ — Sei bem ebefn SDfanne^ 
Sugenbfreunbe, baS Seben lang nod) halb — unb fai 
fein, uns nod) ein Stüd Seben gegönnt. Sch goffe e| 
mich nid)t! uttb wünfehe: nur fein SiedfthumÜ fonber» 
unb gut!! Sch gäbe geliebt unb Siebe genoffen — id)i] 
mein Xgetf gehabt — unb muß eS lernen, 3 U begreifer’ 
ich fterben muß! — fo jung unb frifch ich wich fühle! 

— Hamit ein 90?enfcg geboren wirb, muß ein 9lnberej 
ißn leiben! Hamit er ftirbt, muß er leiben, unb meift 
9lnbere mit ihm! So ift.baS fröhliche Hafein swifdjen 
gcftellt — unb bo<h oft fo unerfaßbar groß, fdjön, 
lieh! — 3U?it üoller ©eifteSfraft unter Seiben unb S^r 
auf feinen leßten §er 3 fd)lag warten unb fich babei 
bann ift 9(tIeS oorbei, all’ baS Sieben, aH’ baS ©lüd 
ift ein trauriges Stüd 9trbeit — unb icf) betreibe biefe 
fd)on fo lange. Seber erlebt ben Weltuntergang in fid 
HaS ftnb bie legten Worte ber h DC h bebe Uten ben? 
tapferen ©reifin, bie am 5. 9luguft 1889 fanft entf 
Es ift, als ob ißr ftarfer Wille fidh auch bem Hobe 
über burchgefegt hätte. 


iS! 

nb' 

P«f. 

tn= 


(Segen bas Jläcenatenthntn. 

S3oit €buarb üon 9Kayer (S(orcnj). 

Neulich gab Erntete gacconi im floreutinifdjen Heatro 
Sticcoliiii ben „ Sorettsaccio" 9IlfrebS be ÜJiuffet, baffclbe 
Stüd, in bem Sarah Vcrnfjarbt ihre erfte ^ofenrolle »er» 
fuchte. 3 ncco »i fpielte biefen tragifchen Vuffo in ber ga» 3 en 
Scala ber Empfinbungen, oom bewußten SRänfefpieler unb 
gaßenftefler an bis 3 um ctjnifdj oer 3 Weifetnben Sbcaliften, ber 
feine VarrenmaSfe mit feinem Seihe enbgiltig oerwachfen 
füßlt unb beit alle 9Renfd)en»erachtung nicht mehr »on feiner jj 
fijen Sbee beS HpranttenmorbeS ab 3 uhalten berntag. Unb: 
er gab in biefem einen ©liebe ber gamilie baS Wefen ber • 
„SDJcbici". 

ES giebt tarnen, bie ein ^ciligenfdjein heftorifeger ober 
cultureller ©röße fo blenbenb umgiebt, baß bie Sritif fieft j 
nur fcheu an fie hcranwagt. Unb fofdj’ ein 9tame ift ber 
ber Webici. Hie ©efegiegte ber fftenaiffance feßeint ihren 
Stempel 3 U tragen, befonberS gloren 3 ift nur im Reichen ber 
Sieben Äugeln, ber „Volle", 3 U benfen. Db ber erfte STOebici, 
ber 9)?ebicuS, beffett V'Hcu fein Wappen 3 icren, nicht ein j 
arger ©iftmifeger war? Hie Äunft ift jebenfaüS unter ber 
ÜJiebici gütigem Veiftanbe mit Slrfettif fegört glatt gefüttert 
worben. Sic haben bie Äunft nicht wahrhaft geförbert, nicht 
frei unb felbftftänbig gemacht, fonbern unter bem Vormanbe, j 
ben Äiinfttern Vrob 3 U geben, fie 3 U Hecorateitren ihrer in» ' 
timen ®emad)er hccabgewiirbigt. Wo fotlfe biefen Seuten 
aud) bei igrer realpolitifchen Vergangenheit ber Sinn für 
freie Äuuft hetgefomnten fein: ihnen gat ja immer nur bic 
§errfd)aft über glorens unb HoSlana oor ber Seele ge» 
fegwebt unb nur baßer finb fie auf VolfStgömlicgfeit geborgt 
gewefcit. ©ine fprcd)enbe Egronif biefeS ©efcglcchtS bieten 
bie VorträtS, bie fo überaus sagfreieg in gforeitg »orhanben 
finb. 9iur wenige jugenblicße Äöpfe (im VargeDo unb ber 
©alerie Eorfini) fpredjen einen ßalbwegS an — ober »er» .1 



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Nr. 14. 


Die ©egenwart. 


219 


mögen einen ju beftedjen, wie jener Sppolito im ^atajjo 
fßitti. ®ie weitaus große fDfeßrzaßt offenbart als wefent* 
ließften ©ßarafterzug Starrfinit unb eine gewiffe Unfreiheit, 
bie bei ben testen ©liebem ber gamilie Z u befeßränftefter, 
ßoßlfter Unnaßbarfeit mirb (in bein SBorraum ber Ufficien, 
im SBerbinbungSgange zroifcßett ißitti unb Ufficien); 31 üe ßabett 
fie einen zäßen Unterliefet, eine fladje oortretenbe Stirn, einen 
redjten Sticrnaden—9lfleS9J?erfmale eine-S bebeutenbenUBtllcnS, 
einer in aßen SBinfeljügcn unoerlierbarcn 3>elfid)erßeit, ober 
attd) eines ©eifteS, bein magrer 3(ufflug, bem alles ©enie fehlt. 

ißebantifcß unb proßig fießt ©ofimo aus, ber 9?ater beS 
SSafcrlanbeS (in San 9J?arco unb ber Ufficienßaße); fleintid) 
unb mißmutßig ber ßodjgcbeuebeite Soretizo il fßiagnifico (in 
ben Ufficien); plump, oßne frenbigeit Sinn am Selten ber 
fleifcßige fßapft Seo X. (auf* bem befannteu 9iap^ael’|c^en 
©emälbe im ijßitti); am bebcutenbften ber finftere SUfenfcßeti* 
Oerächter ©lemenS VII. (auf bem eben ermähnten ©emälbe 
unb oon Sebaftian bei ißiombo in ber ©alerie ©orfini). Unb 
als ob bie Ipcrrfdjaft über glorenj fie oerberben ober — 
auSreifen mürbe, Oerliert auch bie fpäter großßerzoglkße Seiten* 
linie halb nad) ihrem ©niporfontmen beit 3 l| g eines Z^ar 
eigenmißigeit, hoch merfließen SEBoßlrooßenS. Scßon ber Son* 
bottiere ©iooamti delle bande nere, ßofimo’S I. SSater, hat 
ben rechten bornirteit äRebicäetfopf. ©ofinto felbft ficht am 
gütigften auS. 3(bcr auch ß> er tritt halb ber befdjränftefte 
3(bfotutiSmuS ßeröor unb 3lßen ermangelt ber freie, große, 
menfeßließe 3 l *g, ben cdjtcS S'unftempfinbcn bem 3lntliß auf* 
zuprägen pflegt. 9iid)t einmal bie oerfeinerten, ein roenig 
bccabenten fRaffeföpfe ber testen fßrinzen jeigen ein folcheS 
SScrftänbniß; nnb baS bcmcift, baß nicht ihre ßodjftrebenben 
fD?ad)tpläne ihren Suuftfinu zuriidgebrängt hotten, fonbern 
baß er überhaupt nicht ba mar, alfo auch beim ©rlöfdßen ber 
cäfariftifdjen Iriebc nitht bie Cberßanb geminnen tonnte. 
SdE) muß gefteßen, ich habe biefe SBüften unb Silber nießt 
oßne ©ntfeßen betrachten fönnen. So erging eS mir oor 
fünf Saßren, als id) baS erfte SRal üofl ©ntßufiaSmuS bie 
Stabt ber Sftebicäet betrat; fo ßabe td) eS mieber unb mieber 
gefunbeit uttb oießeießt entpfinbe icß noeß einmal baS für 
mein liebes glorcnz, maS 3Wid)elangelo empfanb, als bie 
SWebici mieber unb immer mieber feine Saterftabt ßeimfueßten, 
um fcßließlid) enbgiltig SBur^cln ju fcßlageit. 3BaS ift benn 
nun eigentlich baS Serbicnft ber SDfebici um Sunft unb 
©ultur? ®aß fie bie SWicßclojjo unb Sruiteflefcßi unb Sra* 
mantc, bie ®onateßo unb 9J?icßelangelo, bie Sippi unb Sotti* 
ceßi unb Uiapßael in Soßn unb Srob nahmen? ©erniß be* 
barf ber Sünftler beS Käufers; gemiß lann ein 9lrd)iteft feine 
gcftaltenbe Straft nießt auf feine eigene £>utte befeßränfen, 
nießt ber Silbßatter bloß fein eigenes ©rabmat unb ber ülfaler 
nießt fein eigenes Silbniß unb feinen ^auSaltar feßaffen. 
©emiß: beim auS bent Sunftgemerbe ift bie ßoße Sunft ßer* 
oorgegangen unb murmelt materieß in ißm. 

316er taufenb $?al beffer ift eS für bie Sunft, menn fieß 
baS reieße Scbürfniß einer fatten ©ultur itidjt im Oerzeßren* 
ben Srennpunfte einer aflmäd)tigen gamilie öerbießtet, fonbern 
menn baS gefantmte Soll mit leiblich oerfeinerten Sinnen 
eine zugleich buntere unb einßeitlidjere Umgebung jtt oerlangen 
unb ju beroertßcn beginnt. 9?icßt meil bie 2J?ebici in glorenz 
obenauf maren, ift gloreng baS 3ltßen ber neuen geil geroorben, 
fonbern meil bie SRebici nur bie eine unter nieten anbent 
teießen gamilien maren, meil neben ißnen bie Stroj^i, 311* 
bijji, fßajji ftanben unb neben unb unter biefcit unjäßlige 
anbere ©efcßlecßter unb SWänner, bie äßnlid) empfanben, 3leßn* 
litßeS wollten unb mit ißren befcßeibencren Mitteln jmar 
nießt prunlen fonnteit, aber bod) ein Sunftgemerbe ßeroor* 
rufen unb förbern, oßne eS in launifcßem Uebermutße jtt 
fnebeln unb ju notßgüdßtigen. 

Stß muß biefen harten 31uSbrud fteßeit laffen, benn er 
ift ber tjreffenbfte, menn id) an bie Sejießiutgen biefer ÜJiäcene 
jut Sunft benfe. 2BaS ßat ÜDlicßelangelo nid)t oon ißnen ju 


leiben geßabt uttb oom großen Sarbarctt auf bem Stuß! 
Setri, bem funftunfinnigen SuliuS II. Sßer lann oßne ©m= 
pörung unb — fRadenfdfmerjen bie ßerrlicßett $)edengemälbc 
ber Sijtinifd)en ©apeße betrndjtcn! @r ßätte oßne bie ^Jäpfte 
SuliuS II., £eo X. unb ©lemenS VII. oießeießt nießt bie fHiefeit* 
torfi beS SUiofeS unb ber 9D?ebicäercapeße ßititerlaffen unb 
nießt fein Seben felbft als gigantifcßeS 3 ra 9 me 'd in bie ©e* 
fcßid)te ber ^ßerföitlicßifeitcn ßineingefteßt: benn jmifeßen über* 
queßcitber Scßaffctiöfraft unb oergeubeten großen 31nläufcn, 
geßinbert an ber ©ntmiclelung feines ßarmonifeßen Selbft, bie 
ißm fdjon üon fftatur fd)roerer gemadit morben mar, als oiclen 
Slnberett, oerjeßrte er fieß oßne grieben, oßne 9?ttß. @r märe 
aber oießeitßt mit Heineren Seutett beffer gefaßten; er ßätte 
oießeießt häufiger bie bem S'ünftler unentbehrliche 3«ube ge* 
ßabt, SßoßenbeteS unb ©nbgiltigeS ju fdjaffen; er ßätte nidjt 
fein conüulfioifcßeS ©emütß in ben anatomifeßen SemegungS* 
lunftftüden gu erleichtern geßabt, bie fo oiele feiner SBcrfe 
bod) finb; oießeießt märe feine 9(rt nidjt jur Wanier unb 
juni Sarod entartet, oießcid)t . . . 

9Iber maS foßen biefe Sßießeicßt neben ben ßarten Ußat* 
fadjen ber ntebicäifcßen Äunftgefcßidjte! 2)ie 5)edengemälbe 
in ganj Stalien mölben fieß nod) immer jum 3 e ^ n ^eS 
aßmäeßtigen ©olbeS, baS eS fieß leiften lonntc, mit ben tief* 
finnigften Sbeen unb auS bem ^er^biute gefeßaffeuen ©eftalten 
ber Äüttftler feine SBänbe ju tapezieren, bamit baS Sluge beS 
©rattbfeigtteurS ein ergößlicßeS f^arbenfpiel borfänbe, menn 
■S)ero ®urcßlaud)t ttadß beS SWittagmaßleS Saft unb 50?üße 
fid) auf bett rotßfeibenen fßfüßleu zur Siefta nieberlegte. Scß 
möd)te ben eittgefdjroorenften Steitaiffanccfdjmärmer fragen, ob 
ißm bie fRapßaei’fcßen 91mor* unb fßfßd)e*Silbcr, ob ißm 
SKicßefangelo’S großartige fioSmogonie, ob ißm ©uibo SReni’S 
.?ielioS unb 9furora nießt unenblicß oiel meßr ©enuß bereiten 
mürben, menn fie an feitlrecßten SKänben ßingen, ftatt, mie 
jeßt, zu .^äupten ber Sefcßatter, bie fie nun in fleincn .£)anb* 
fpiegeln müßfam betraeßen müffen. 

3lber bie 9Icnaiffance ift nun einmal bie 3<üt beS ßoßett 
SfunftOerftänbniffeS! 9Iein, mit Serfaub, baS ift fie nid)t, 
troß ber lleberfüfle lünftlerifcßer Kräfte, bie bem Soben 
StalienS entfproß. ®ie SRenaiffance mar eine 3 e *^ großer 
ißerfönlicßteiten, leucßtenbfter SebenSfreube, gemaltigen ÜBoflcnS 
unb SBagenS — baS 31fleS — ja! Unb baS mar bie Suft, 
bie bie Slunft braueßt, unb barum gebieß fie. 3lber bie 
fDIcbici unb mit ißnen bie beßa fRooere unb geutiefe unb mie 
fie 3lße ßießen, finb nur bie Serfucßer unb 'Sämoncit ber 
Sfunft gemefen. Unb griebrid) ber ©roße ßat fieß boeß um 
bie beutfeße ®id)tfunft üerbient gentaeßt unb er ßätte rnaßr* 
ließ fRecßt, als er fagte: „Sonnte icß maS SeffereS für bie 
beutfdje Siteratur tßun, als baß icß fie ißrer ÜBegc geßen 
ließ." Sein Sunftmäcen ßat noeß eine Sunft erzeugt; aber 
menn bie Sunft aus innerften ßulturtrieben zur SReife ge* 
langt unb £err ißreS SönnenS mirb, bann treten bie real* 
politifeßen 2J?acßcr an fie ßeran, um baS göttlicße ©efäß zu 
gemeinen SBaffen ißrer 3®ede zu entmeißen unb bilbett fieß 
munber maS für Ißcrbienfte ein. SEBie jener 3 Q unfönig ben 
31b(er überflog, unter beffett gittidjen er fieß ßätte ßinauf* 
tragen taffen, ober bie 3ft e 9 e in ber ruffifeßen 3 Q bel, bie auf 
bem £>orne beS ßeimleßrenben ^ßftugtßicrcS fißcnb, erflärte: 
„SBir ßabett baS gelb befteflt." Sdjon jenem „Sproß ber 
alten SönigSfatnilie", bem erften ÜDfäcenaS, ßat fein ©ünft* 
littg £mraz eS fagen muffen, baß er nießt zu aßen tpöftingS* 
leiftungen z« ßaben fei; aber eS ift eben ber ©runbzug biefeS 
SunftbefcßüßertßumS, baß bie großen ^errett fieß nießt auf 
ein feinfinniges Sammeln befeßränfen, fonbern baß fie für 
ißr baareS ©elb unb moßt aueß 3Boßfmoßen bie unbefeßränfte 
©ienftfertigfeit ißrer ©nabenopfer ermarten: eS mifeßt fieß 
moßl aud) ber beffermifferifeße ©ilettaittiSmuS barein, ber bem 
unbemußt gielfidjereit Scßaffen beS SünftlerS mit fritifeßen 
SRäßcßen uttb nieblicßen Slnregungen aufzußelfen glaubt. Scß 
benfe eben an ben ©rafen in „SBilßelm TOeifter". Cb ttidjt 


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220 


Die Gegenwart 


Nr. 14, 


©oetlje ba eigene (Sriebntffe berwerd)et: benit aud) er formte 
ober Wollte fid) nidjt all’ ben berjcttelnben Äleinigfciten eines 
oergniigungSfü^tigen §ofeS entjiefyen, jebenfüQS ni<f)t ju 
feinem SRufjcit, unb <Sd)openIjauer’S IjarteS Sßort, ©oettye habe 
fein ^albeS Seben berfdjranjt,. ift öicUetdjt nidjt fo unbillig. 

<Sd)IiefeUdj ift ber Jfünftler bod) ein 9Renfd) mit Jperj 
unb ÜJiagen unb fann fidj toeber ber ®anfbarfeit nod) ben 
SBebürfniffen beS SebenS entjieljen; er muff unb toirb fid) 
bereit finben, toiber fein fünftlerifdjeS ©ewiffen ju fjanbeln, 
um nidjt ben ßorn feiner ißrobgeber auf fid) ju laben; er 
toirb unfrei; er berliert aÜmälig fetbft ben ÜJiafeftab beS 
fünftlerifcf) Seiten: — ober aber er fügt fid) nur jäf)ne= 
fnirfdjenb ber SRotljwenbigfeit — unb »aS für SBerfe baS 
fein »erben, liegt auf ber £>anb unb fo wirb er jur ©elbft» 
Oera^tung getrieben. Sfann ein Äünftler fid) benn mit feiner 
Seele, feinem Slut, feinem innerften SBefen an ein SBerf 
fjingeben, baS nur bem oorübergeficnben Vergnügen bient unb 
0ielIeid)t nad) furjem ®afein brutal Ocrnidjtet toirb? ©o liefe 
ja ber grofee Sllejanber, um feinen tobten Siebling $ept)äftion 
ju ef)ten, für ben tiefigen Scheiterhaufen marmorne 93ilb= 
werfe IjerfteHen, bie bann allefammt oerbrannt würben. So 
ging eS bei ben Ijöfifdjen geften ber fßtolemäer unb ber 
römifc^en Smperatoren Ijer. ©ewife, bie f)o£)e Sunft üerliert 
fid) in ihrer Uebcrreife wieber in baS Äunftgewerbe, auS bem fie 
heroorgegangen, baS ift ein natürlicher, wohl nicht auf§u= 
haltenber Vorgang, aber bie hulboolle SSeüormunbung bitrch 
mädhtige 5funftfreunbc befd)teunigt biefen Hiiebergang, inbem 
fie baS üotle, freie 9iuS»ad)fen ber einzelnen fünftlerifchen 
$ßerfönlid)feit hinten ober übetfefcen, b. f). in jebem gälte 
ben natürlichen, ftetigen, einheitlichen Verlauf unmöglich 
machen. Sßenn ber !Reid)tI)um eine Gulturaufgabe fjat, fp 
ift eS jWeifeltoS bie, ben fraftraubenben Stampf um’S tägljdje 
Stob benjenigen ißerfönUdjteiten ju erfparen, an beren innerem 
9tunreifen unb ©ebeiljen bie lebenbige Umgeftaltung, baS 
Seben ber ©ultur hängt. 91 ber biefe ©runbibee beS SRäce* 
natentfjumS ift nicht ju oetwitflidjen, ba bie 2Renfc§en nun 
einmal ÜRenfd)en finb, bie minbefienS ben fRuhm ihrer §anb» 
tungen unb bie Quittung ihrer 9Rilbtf)ätigfeit wollen. Unb 
baher ift’S wie für ben einzelnen Sünftler, fo für bie Stunft 
als ©anjeS, beffer, fie barbt, als fie läfet fid) in funftgewerb* 
liehen Suppenanftalten jum gefügigen @d)oofef)ünbdjen heraus* 
füttern. 33on j»ei Uebeln ift tjier baS fleinere ju wählen, baS 
jwar baS Sdjaffen erfchwert, aber nicht ju ©oben brüdt, baS 
ihm ben Stolj ber Selbfteigenheit erhält unb bamit bie @h te 
lichfeit, bie fRaiüetät, bie (linfatt ermöglicht, burd) bie allein 
bie Äunft ein ßeugnife für baS Seben unb bie (Srbe ablegen 
fann. Unb baS ift ja ihr ®afeinSjWed. 


HC4 


gfeutlTefon. 

- Sfcadjbrutf oerboten. 

Dein» })rofcffor ber Graphologie. 

Von Karl pault. 

SBenn eS eine SBiffenftaft giebt, ber it Don jeher baS größte 
3ntereffe entgegengebratt, jo mar eS bie ©raphologie, — jene geheimniß= 
Dolle Shinft, auS ben ©djriftjügen eines Sttenften beffen ©barafter ju 
erfennen. $er Stein ber SBeifen erjd)ien ntir nur eine tleine ©nt= 
berfung gegen bie ©rrungenftaft, meldje man bunt) bie^ (^rabßologie ge= 
momten ßatte, unb mein einziger ©djmerj mar, baß id) jelbft nid)t3 
baDon Derftanb unb baß ber Staat nod) fo menig für biefe $unft tßat. 
konnte einem Siegenten an etma3 meßr gelegen fein, aI3 fid) Dollen 
9luffd)luß über bie (£bara!tereigenfcßaften feiner Untertanen ju Der= 
fdjaffen? unb mie leid)t mar ba§ Problem , mit ^ilfe ber ©ra^bologie 
gelöft! Qx ließ fie einfad) Sille etmaä auffißreiben unb übergab ba§ bem 
Staat§gra4)f)ologen jur Beurteilung, ©o tonnte man ben Verbrecher, 
ben ©taatöoerräther, ben Sittentäter Don Domherein ertennen unb un= 
ftäblich machen. 


Um ben beiben Uebelftänben, id) meine meinem feljtenben Ver^ 
ftänbniß unb ber ebenfo mangelhaften ©taat^raifon, abiuljelfen, bejehloß 
ich eines XageS, mich ganj bem ©tubium ber (Graphologie ^u mibmen, 
unb Derfchaffte mir junächft alle Sehrbücher, bie Darüber erschienen maren. 
Slber baS nupte mir menig, ja e§ Dermirrte mich nur, benn ich mochte 
biefe Vüdjer noch io oft lefen, ich mochte Don Dome, Don hüU«*, Dou 
ber 9flitte anfangen, ich mürbe nicht tlug barauö; maS ber (Sine be? 
hauptete, Dermarf ber Slnbere. Vet bem ©inen foHte baS Xüpferl auf 
bem „i", menn e£ fehlte, %ig bebeuten, bei bem St bem Verfchmenbung^ 
fucht. 3)er Slnbere behauptete, ein lang hemntergegogeneS „h" bebeute 
fünftlerifd)e§ Talent, ber ,,©tne" hi e ^ für ©imt für Sanbroirthftaft. 
Unb fo tarn e$ benn, baß ich ouö alT ben Sehrbüchem nichts lernte, 
al§ bie ©inftd)t auf biefe SSeife nichts ju lernen. 3d) bejdjloß alfo, mir 
einen Sehrmeifter fuchen. 2)a§ mar aber gar nicht fo leicht. Bei fo 
Dielen ©raphologen ich auch anpochte, jeber fagte baffelbe, jeber be= 
hauptete, fein eigenes ©pftern $u haben, baS er nicht preiägebe. iJ^ach 
langem ©uchen gelang e£ mir aber boep, einen Sehrer ju pnben. 
mar bie$ ber Vrofeffor ber ©raphologie ©raSrnuS Sangel, ein ebenfo 
gelehrter mie prattifeper SJlann, mie ich fahr halb ©elegenheit fanb mich 
ju überzeugen, ©r mar fofort einoerftanben, mit gegen -ein Honorar 
Don jmei SDRarf pro ©tunbe, bei jebeSmaliger §onorimng Dor Veginn 
beö Unterrichte, in bie ©eheimniffe ber ©raphologie einjumeihen. Sluf 
meine &rage, mann ber Unterricht beginnen fönne, antmortete er mir, 
mit ber §anb nach einer Slnjahl auf bem Xifd) liegenber Vviefe jeigenb: 
„©ofort, geben ©ie mir jmei SRart, fepen ©ie ftch bahin unb lefen ©ie 
mir Dor!" 

3d) gab ihm jmei 9)iarf, fepte mit hm unb la§ Dor. ©r legte 
fit auf bae neben bem $ifd) ftehenbe ©opha unb rautte fit eine 
©igarre an. $er erfte Vrief, ben it öffnete, enthielt ein !urje$ ©treiben, 
bem ein &ünfmarffdjein beigelegt mar. ©^ lautete: 

„©ehr geehrter £err ^rofeffor! 3t bitte mir für beigeftigte fünf 
2)tarf meinen ©haratter ju ftilbem. Sollten biefe Seilen nitt au8= 
reiten, fo bin it bereit mehr ju fenben, b. h- nwr ©ttift lein ©elb. 

ImtattungSDoH 

©mft Äarger." 

2)er Vrofeffor ftedte ben g-ünfmarlftein ein, jeigte auf einen 
©toß Vriefbogen unb fagte: „©treiben ©ie, it merbe bictiren." 34 
nahm einen Briefbogen unb ftrieb. ©r bictirte: 

„©eehrter §err! ©ie fmb ein entfdjloffener ©haralter. ^Benig 
entmirfelteS &ormtalent. $a§ Vebürfniß, fit furj unb prägnant aud= 
jubrüden. ©roßer §ang, unnötige Sluägabeit ju Dermeiben, oft aber 
an falfter ©teile fparfam. ©ie lieben bie Qerftreuung, ohne t>er= 
gnüguugöfüttig ju fein. 3^ ©efireben geht bahin, ohne große SRühe 
reit merben. 3 m ©anjen finb ©ie, maö man einen rettftaffenen 
?Dknn nennt! Vunft! — gür fünf S)?ar! genug!" fügte er in geänbertem 
2one bei. „SSeiter!" 

3t «ahm benjmeiten 83rief unb laS: „©ehr geehrter $err! Obs 
gleit tt auf folte Stofen mie ©raphologie unb bergleiten nitt Diel 
gebe, motte ich b°t miffen, ob ftt baS Urtheil berfel6en mit bem meiner 
greunbe beeft, bie mit für einen intelligenten, äußerft geiftreiten Sföattn 
halten, einen brillanten ©efeUftafter unb aufrichtigen &*eunb; meine 
Vefteibenheit Derbietet mir mehr ju fagen, nur mötte it not htn$u s 
fügen, baß mir mein ftar! entmidelteö ©hrgefuhl jumeilen —" 
„SBieDiel?" unterbrat mit hier ber ^profeffor. 

„©ine Sftar! in Vriefmarfen!" ermieberte id). 

©r ftioieg einen Slugenblid, bann bictirte er mit Dor ©rregung 
jitternber ©imme: „©eehrter ^>err! gürtten ©ie nitt^, 3h^ ®h^= 
gefühl mirb 3hnen niemals einen Streit fpielen, mohl aber 3h^ Ver¬ 
trauen. 3h« greunbe maten fit über ©ie luftig, ©ie finb ein ein= 
faltiger Sttenft, ein unangenehmer ©ttoäfeer. ^ur SBilbung neigen 
©ie aüerbingS, aber jur ©eroitterbilbuna. ©hrgefuhl beftpen ©ie jroar, 
aber falfteä, bagegen ftnb ©ie einer oer geijreitften teuften, bie 
mir Dorgefommen!" 

5)er nätfte Vrief fam Don einem jungen SKäbten unb lautete: 
„3t fann jroar nitt felbft (treiben, ba ich mit beim Kartoffeljtälen 
in ben Singer geftnitten habe, bot hoffe it, e3 genügt, menn meine 
greunbin Slnna, bie it Don ber 52ähft«Je au8 fenne, mir biefe Sftüljfe 

abnimmt. Steine Seben$geftttte ift-" 

„$altl" rief ber Vrofeffor, „mieDiel?" 

„günf Sflarf!" ermiberte it. 

,,©ut!" rief er, „(treiben ©ie!" 

„Slber menn fie ben 83rief bot ni tt felbft geftvieben hat-", 

roarf it ftüttem ein. 

5)er V r °feffor gab feine Slntmort, fonbern roieberholte: „©tteiben 

©ie!- ©ehr DertrauenSDofleS ©emüth mit Neigung jur Unüber* 

legtheit. ©tarfe Neigung für #äu$lid)feit, fehr mirthftaftlit. ©c* 
beutenb ausgeprägtes greunbftaftSgefühl. ' BSenig Sinn für fßoefte, 
aber bot ein prättigeS junges SJtäbten." 

2)aS nätfte ©treiben enthielt eine ©rfunbigung nat ber genauen 
Slbreffe beS ^rofefforS unb ber £öhe beS Honorars für eine ©tnft» 
beurtheilung. SOtein Sehrer bictirte: „5)ie Äunft läßt ftt nur belohnen, 
nitt bejahten. 3t forbere nie ein Honorar, beffen £>öhe ju beftimmen 
it 3h«en überlaffe. SJteine genaue Slbreffe ift: „Snliegenb fünfunb» 
jmaujig Wlaxl $erm ^rofeffor ©raSmuS Banget." 


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Nr» 14. 


Die Gegenwart 


221 




S)aS näcpjle, etwas umfangreiche ©cpriftftücf rührte bon einer 
^ame per. S)iefe fcpicfte gur ©eurtpeilung ipreS (SparafterS eine 3tb- 
fc^rift bon ©cpiffer'S (Glocfe unb abijirte gepn War! per ©oftanweijung. 
5)er 33rief nmrbe bis gum (Srfepeinen beS (Gelbbriefträgers gurüdgelegt. — 
(£in junger Wann jcprieb: „97ame: (Smft 91. ©cpneifeer. Sllter: 21 3apre. 
©röfee: 1,57. (Geburtsort: DSnabrücf. Religion: (Sbgl. ©tanb ober (Ge= 
werbe: Kaufmann, können ©ie hieraus waS erfepen?" ©eigefügt waren 
bem ©epreiben brei SBecpfelftempelmarfen k 50 ©fg., 15 3epnpfennig= 
marfen, für eine Warf günfpfennig= unb für eine Warf $>reipfennig= 
warfen. 

®r erhielt folgenbe Antwort: „daraus erfebe icp, bafe ©ie wapr= 
fcpeinlicp bie ©ortofaffe berwalten, ob immer richtig, gebt auS 3prer 
©ebrift nicht perDor, boeb ftebt eS gu hoffen, ba ©ie ein ©ebant erften 
SiaitgeS ftnb, ber einen ftarf ausgeprägten 3 U 9 fü* ©elbftüberpebung 
befi^t, waS ©ie jeboeb meifterticb gu berbergeit berfteheit. ©ie neigen 

jur ©parfamfett ohne getgig gu fein unb-" 

$ier unterbrach ber Eintritt beS $ienftmäbcpenS ben föebeflufe beS 
$tctirenben; fie brachte ein HeineS ©aefet unb überreichte eS bem ©ro* 
feffor. „9lcp entfcbulbigen ©ie nur, 4?err ©rofeffor, ein §err bot baS 
eftem Slbenb fepon abgegeben, ich hotte nur bergeffen, — er will fiep 
eute ©efepeib holen!" 

Wein Seprer öffnete fcpweigenb baS ©aefet. (SS enthielt eine grofee 
Vlnjabl ©tiefe, welche ber (Graphologe einer flüchtigen $)urcp fiept unter= 
gog, waS miep umfomepr in (Srftaunen fepte, als er bis jept feinen bon 
ben ©riefen, bie icp ihm borgelefen, unb bie bon ipm beantwortet worben 
waren, auep nur eines ©licfeS gewürbigt batte, fo bafe mir beinahe, wäre 
niept ber ©erbaept gu frebentlicp gewefen, ber (Gebanfe gefommen wäre, 
ber ©rofeffor ber ©epriftfunbe fönne niept lefen. (SS fap auep jept faft 
fo aus, benn er überflog bie ©riefe mit foldjer (Gcfcpwinbigfeit, dafe 
er fie unmöglich lefen fonnte. 5lber nein, boep niept alle, jept 
blieb fein 9luge auf einem ©riefe haften, ben er mit ber größten 
©ufmerffamfeit niept nur einmal, fonbem gweiraal burcplaS. 3 U 
meiner ©erwunberung allerbingS, benn biefer ©rief war mit ber 
©epreibmafepine gefeprieben. 3BaS ging ein mit einer ©epreibmafepine 
gefepriebener ©rief einen ©rofeffor ber (Graphologie an! 2)ennocp 
mu^te bie Seetüre ipn fepr aufregen, benn er fprang plöpltcp auf unb 
burepmafe baS St^^er mit paftigen ©epritten. $>iefe (Gelegenheit be~ 
nupte icp, um einen ©lief in bie ©riefe gu werfen, aber icp fonnte 
abfolut nicptS (Gefährliches ober ©ufregettbeS finben. $>ie ©riefe ent= 
hielten Offerten auf ein ^eiratpSgefucp unb waren eper fontifd), als bagu 
angetpan, 3em<ntben baS ©lut in ©Saffung gu bringen. 3n meiner Seetüre 
ftörte miep plöpltcp ein Klopfen an ber Spür. „herein!" rief icp, ba 
ber ©rofeffor niept barauf gu aepten fdjten. 

S)ie Spür öffnete fiep, unb ein Wann trat ein. „£abe icp bie (Spre, 
Verm ©rofeffor 3ongel?" fragte er mit bem ©erfuep, unS ©etbe gugleid) 
angufepen. 

„3)er bin icp!" fagte mein Seprer, inbem er einen ©epritt auf ben 
gragenben gutrat. 

„Wein Warne ift gelbmann!“ fagte ber grembe mit einer Ieid)ten 

©erbeuaung, „icp war fepon geftern pier--“ 

„vlcp ©ie ftnb baS!“ unterbrach ber (Graphologe. 

„3awopl, ja!“ antwortete gelbmann, „icp wollte nämlicp, fepen 
©ie, icp möcpte miep trop meiner aeptunbiergig 3opre wieber berpeiratpen 
unb pabe gu biefem 3toecf ein §eiratpSgefudp in eine 3 e *tung fepen Iaffen. 
ßS finb auep eine 3lngapl Offerten eingegangen, öon benen einige einen 
recht angenehmen (Sinbrucf auf miep gemaept haben. 9lHein ioaS befagt 
baS? ©apier ift gebulbig. 3d) will gern fieper gehen, unb befipalb 
fomwe icp gu 3pnen, um ©ie gu bitten, mir auS ben ©epriftgügen über 
ben ©parafter ber ©epreiberinnen ben nötpigen Sluffdjlufe gu Oerfcpaffen.“ 
„3cp baepte eS mir!“ entgegnete ber ©rofeffor. „©tefebalb fuepen 
Unfereinen bie Seute auf? $)ocp nur gu biefem 3wecf! Qcp pabe beßpalb 
eine genaue ©rüfung ber ©cpriftftücfe borgenommen, welcpe ©ie geftern 
3lbenb pier gelaffen. Seiber ift baS Diefultat fein fepr giinftigeS, nur 
einer bon all' ben ©riefen ift bon einer grau gejepriebett, ber icp mein 
SebenSglücf anbertrauen würbe, wenn icp in Sprer Sage wäre. $>ie ©riefe 
ber übrigen ©ewerberinnen beweifen fo fd)lecpte ^haraftercigenfcpaften 
ber ©epreiberinnen, bafj icp ©ie nur auf'S 5)rinqenbfte bor ipnen 
warnen fann." 

$err gelbmann maepte ein berbupteS Öieficpt. (Sr war offenbar 
erfepreeft, baß fo biel 9?iebertrad)t ipre gaffen naep ipm auSftetlte. „Unb 
ber eine?“ fragte er bann mit einem fleinen ©eufger ber (Srleicpterung. 

„tiefer allerbingS,“ fagte ber ©rofeffor emft „ftefft bem (Sparafter 
feiner ©erfafferin ein glängenbeS 3 cu S^ife ouS. Qcp glaube, ber Wann, 
ber biefeS SBeib fein eigen nennen barf, rnufe Waprpaft glüdlid) werben. 
3o, wäre icp niept fepon berpeiratpet, waprpaftig biefeS ©epreiben fönnte 
miep beranlaffen-“ 

„3Bo ift ber ©rief?" unterbrach gelbmann ben fffebenben paftig. 
w $ier!" antwortete ber ©rofeffor rupig unb überreichte bem 
gragenben baS ©epreiben, welcpeS er borpin mit foldjem Sntereffe 
burepftubirt. 

§err gelbntann maepte ein noep berbuptereS (Gefid)t als borpin, 
als ipn bie Unfumme bon fcplecpten ©igenfepaften ber ©ewerberinnen 
erfepreeft. (Sr brepte ben ©rief in ber .£>anb pin unb per unb fagte 
bann, naepbem er wieberpolt ratplofe ©liefe auf baS ©^riftftücf unb 
auf ben ©rofeffor geworfen patte: „9lber ber ©rief ift ja mit ber 
©epreibmafepine gefeprieben!" 


$>er ©rofeffor gog bie ©rauen potp unb'fap ben gTager mit einem 
©lief an, alS begriffe er bon feinen ©Sorten auep niept bie fleinfte ©übe. 
„9?un ja," erwiberte er, „er ift mit ber ©epreibmafepine gefeprieben!" 

„©ber!" rief gelbmann, „bann fönnen ©ie boep auS ber ©d)rift 
niept ben (Sparafter beS ©cpfeiberS erfennen!" 

$)er ©tofeffor rife bie ©ugen noep ernannter auf als borpin. 
„2)aS ift eS?" fagte er, „waS ©ie in ©erwunberung fept? ©ber lieber 
greunb, ba tpäte icp mir mitfammt meiner SBifjenfepaft leib, wenn 
wir biefe fleine ©djwierigfeit niept längft überwunden! 3m ®egentpeil, 
biel inepr als bie ©epreibfeprift, wo nur eine |>anb, ein ginger be= 
fcpäftigt ift, berrätp bie Wafcpinenfcprift, bei ber beibe §änÖe unb päufig 
affe gepn ginger in Xpätigteit treten, begreifen ©ie? 3<P jebenfalls 
fann Spnen berfiepern, ba& id) gerabe mit ©eurtpeilungen ber Wafcptnens 
feprift bie glängenbften 9tefultate ergielt pabe. 3 roar *ft bie Wetpobe 
nod) niept affen (Graphologen befannt^ baS liegt aber niept an bem 
©pftem, fonbem baran, bap bie ©Siffenben bie Wetpobe gepeitn palten. 
Xro^bent fennt fie peute faft fdjon jeber (Graphologe, wenn er eben fein 
©tümper ift, wie ja leiber fo biele ber lieben ©offegen!" (Sr napm 
bem immer berbupter breinftpauenben gelbmann ben ©rief auS ber 
§anb unb fupr fort: „©affen ©ie einmal auf, icp werbe 3Pnen nur 
eine furge (Srläüterung geöen, unb ©ie werben fofort oon ber Unüber= 
treffliepfeit meines ©pftemS übergeuat fein!" (Sr breitete ben ©rief auf 
bem Sifcp auS, gog gelbmann am ©ermel itäper unb fagte, mit feinen 
gingern auf ben ©rief beutenb: „^a fepen ©ie mal, wie fräftig fepon 
in ber Ueberjcprtft bie beiben ,r‘ in j.'perrt angefcplagen ftnb, baS ift bie 
unbebinate Unterwerfung unter ben männlid)en 3Siffen, baS lautet mit 
flaren ©Sorten: er foll mein $err fein! unb pier baS ©uSrufungS* 
geiepen pinter ber Ueberfdirift! eS ftept niept biept pinter bem lebten 
©upftaben, nein, eine, ja gwei ©aufett trennen eS Don bem ,©epr 
eeprten $errn‘; baS geigt bie uitenblicpe ©efepeibenpeit ber ©cprei= 
erin: nur Don ferne Derbeugt fte fiep, im ^intergrunbe 
bleibt fte mit bem ©uSbrucf grengenlofer ©ereprung ftepen. (Gepen wir 
weiter! §ier biefeS ,i‘ im ,icp 4 nur wie pingepauept, bagegen wie 
ausgeprägt baS ,t‘ in ©ertranen grauen*, ©ertrauen ift ipr ©ffeS — 
unb pier in Siebe baS ,S‘, unb baS lepte ,e f wie ftarf, wie fräftig! 
für fie ift bie Siebe affumfaffenb, baS (Srfte unb baS Se^te! in ipm liegt 
©ffeS, waS bagwifepett ift — Siebe unb ©ertrauen! ©ertrauen. Siebe 
ift ipr Sehen, ipr $afein, ipr (Gliicf, ipre ©ufgabe!" 3>er ©rofeffor 
fpraep mit geuer unb Seibenfcpaft, fein ©ortrag rifj ipn pin; er merfte 
eS wopl felbft, benn er ftriep ftd) peftig atpmenb bie $aare auS ber 
©tirn unb fupr bann rupiger fort: „§ierba§,b‘, welcpeS augenfepeinlidp 
mit bem faljepen ginger angefcplagen, beutet auf (Sbelmutp. $>aS wieber= 
polte geplen beS gweiten ,m‘ in ,immer* beweift einen ftarf ausgeprägten 
©inn für ©parfatnfeit, bie jeboep nie in (Geig auSartet, wie 3P n ^n baS 
gweite überflüffige ,1* in ,Diele* beweift; ©ie fepen, eS ftept ,Dieffe* ba. 
$>ie brei fräftig ausgeprägten ©itfangSbudjftaben bei ,©rt*, ,©nfang* 
unb ,©cpönpett* fpredpen Don gropetn gletfj, baS ,ö* in ,©cpönpeit* gu^ 
gleich »an ^äuSlicpfeit. ^te ©epreiberiu fdjeint nid)t fd)ön gu fein, wie 
pier auS bem ,g*. unb bort auS bem ,bt* perDorgept, affein bei fo 
glängenben (Sparaftereigenfdjaften will baS wenig fagett!" 

,,©ar nicptS! gar nicptS!" rief gclbmamt begeiftert, unb fein 
©ntlip glängte Dor greube. (Sr rifj bem ©rofeffor ben ©rief auS ber 
$aub unb rief: „©ofort fepreibe icp an bie $atne, unb nimmt fie miep, 
bann foff ©ie ein föuiglicpeS Honorar lopnen!" Wit biefen ©Sorten 
rannte er eilig baDon. 

^)er ©rofeffor ftanb ftnnenb in ber Witte beS 3iDimerS. Weilte 
©eele fcpminbelte wäprenb biefer 3eit an bent 9?iefenwerfe feines ©eifteS 
empor. „0," rief icp pingeriffen, „ift bie göttlicpe ©Siffeufcpaft wirflidp 
fdjon fo weit, auS ber Wafcpinenjd)rift fogar bie ©eele eines Wenfcpen 
gu gergliebern?" . 

„Wadjen ©ie bod) feinen Wumpip!" antwortete ber ©rofeffor 
raup. „Wafd)inenfd)rift beuten — Unfinn! 3^) fannte ja ben ©rief 
fofort wieber, beim icp patte ipn ja felbft aufgefept unb breifeigmal mit 
ber Wafcpiite copireit Iaffen, damit id) ipn niept jebeSmal gu fepreiben 
brauchte. Unb wiffen ©ie, Don wem ber ©rief ift? $>er ift Don meiner 
Schwiegermutter, bie utelbet fiep auf jebeS |>eiratpSgefucp! Wenfcp, 
Wenfcp! ©Senn er fte nimmt, waprpaftig, id) bilbe ©ie gratis gunt 
(Grappologen auS." 

3d) banfte pöflid) unb ging, ©on ber (Graphologie patte icp einfb= 
weilen genug, wenigftenS Don bem ©pftem beS §erm ©rofefforS (SraSntuS 
3angel. 


|Iuö bet ^auptjlabt. 

Die abfletgettbe £tnie. ' 

3m 5:pale ber CoS wirb eS früplingSgrün. 3)aS (Gebüfcp pat fiep 
mit aflerliebfteit ©uppenblättcpen bepängt, bie fo gierlicp auSfcpauen, als 
feien fie für bie ©arifer SBeltauSfteffung beftimmt, ?Ibtpeilung: ©e= 
fpoitneneS 0)laS. 3ln bie Verrichtung ber SawntenniS=©läpe ift bie 
Iefcte Vanb gelegt worben, unb auf bem fröplicpen 9?ufebaumwege nach 
Sicptentpal ftept ©ÜeS parat für die männlicpen unb weiblichen ©eloS, 


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222 


Die töegettwart. 


Nr. 14. 


Die großen $otelS paben bem lefcten Gomfort ber Steuzeit abermals 
toeit bie Dpore geöffnet; man fiept jeßt in ben fBureau;r fogar SlbbitionSs 
ntafdjinen, an beren Slbreffe fiep pinfort bie Grobheiten angeblich übers 
Dortpeilter Gäfte zu richten hoben. Daburcp merben bie DberfcQner 
nicht itnwefentltcp entlaftet, unb Gplobwig £wpenlope = Sd)ilIingSfürft hot 
bei feinem nächften Söefucpe 1 nicht mehr nöttjig, ficb bie gerieniaune mit 
©tubien über bie bebrängte fociale Sage btefer ginanztaleute ju oer= 
berben. Sei feinem nächften SBefucpe ... 

‘Der greife (Staatsmann blieft auf einen ereignißüollen, an bitter= 
niffen reichen Sinter juritef. jähere Slnfprücpe als je juoor hoben 
innere unb äußere fßolitif an ihn gefleflt. 3mmer fernerer mürbe eS 
ihm gemacht, ben Parteien feine Meinung gufagen; tonnte er hoch beim 
beften Siöen nur feiten rechtzeitig erfahren, melche Meinung er eigent= 
lieh batte. Sohl lag etmaS mie eine (Erleichterung für ihn barin, baß 
ber Reichstag heuer fo menig mie früher eingepenbe SSorlefungen über 
bie politifdien Siffenfdwften hon ihm oerlangte. Daß aber bem Gin= 
unbadßzigjäprigen bauernb fchminblig roarb bei bem rafenb fdjneüen Um= 
lauf, ben baS TOnifter-GaiouffeU mährenb beS lebten SinterS um feine 
gefrönte Sld)fe auSfiihrte, taS mirb nur bezweifeln, mer gleich unferen 
jüngeren Gycellenzen gegen jebe Slnroanblung Don ©eefranfpeit im 3 irf Sod= 
fturme gefeit ift. gürft .ftopenlope'S melancpolijdie giige finb ooit SJtonat 
ZU Sltonat gramooller unb trübfeliger geworben. Die Regierung, an beren 
Spt&e er ftebt, beren Gefdjäfte er leitet unb bie er mit feinem Reifte 
erfüllt, gerieth außer Stanb unb SBanb, lehnte fich immer feefer gegen ihn 
unb feine innerften Ueberzeugungen auf. ©ie legte ber SSolfSoeviretung 
eine lex Oor, bie ber paragrappenfluge Urheber befepeiben nicht auf feinen 
Warnen, foitbern auf ben beS mactcren 3ud)thäuSlerS £>einze taufte, eine 
lex, beren gefinnungStüchtige, aber mibermärtig narf) ftunnenfeproeiß 
rieepenbe ßitnflfeinblicpfeit /pernt ©inger munberhübfehe Gelegenheit zum 
billigen Grwerb Don Sorbeerfränzen bot. SJtan braucht bie unioerfelle 
Gilbung, melche ein reiches unb internationales SlbelSgefcplecpt feinen 
©prößlingen angebeipen läßt, wahrhaftig nicht zu übcrfcpä&en. Dennoch 
ift eS fidjer, baß Cnfel dhlobwig fepon in fehr jungen Rohren gelernt 
hot, an einem Äunftmerfc nicht baS ©toffliche für bie £>auptfacbe zu 
halten unb baß er feineSmegS zu ber compacten Majorität ber Geoatter 
©ebneiber unb £anbfcpuhraad)er gehört, beren 5tunft^3^ol eine mehr 
ober^ weniger gut ftjjenbe ^efleibung ift. Droßbem hot er bem Gnt= 
würfe Wieberbing’S unb wohl mich ben gottoerlaffenen Stebewenbungen, 
womit btefer ©taatSmann bie SJten,\el unb fDfomntfen abfertigen zu 
bitrfen glaubte, feine 3uftintmung ertheileu müffen. (Er, ber liberale gürft! 
Unb feine liberale SSergangeupeit, auf beren Hochaltar Stidjarb Gobben 
ftanb unb beren iBibel bie heiligen Sehren beS breimal raffinirten 
S)tand)eftertpumS waren, hiuberte ihn nicht baran, fich ott bem furcht 
baren Schlage WJiquefS gegen bie Saareitpäufer zu betheiligen, £>ier 
Zum erften SJtale erhebt in aller gönn ber Staat bie .franb miber eine 
an fich nothwenbige, naturnothwenbige Gonfequenz beS capitaliftifcheu 
SirtpfdjaftSbetriebeS; pier zum elften SRal will er ernftpaft bie Ganz- 
großen baran hiubern, mit ihrer Gelbübermacht unb ihrer berlinifcpen 
Geriffeuheit bie Äleinen z» oerberben. Der Staat greift in'S freie Spiel 
ber Kräfte ein, zertrümmert baS eherne Dogma ber llberalißißpeit Wa= 
tionolöfonomie wie einen irbenen Dopf — unb gürft dhlobwig £mpen= 
lohe ift ber fßräfibent beS SJtinifteriumS, baS biefe Dhat wagt! SaS 
hilft eS, baß ber Gemarterte fid) nachher in bie Slfabentie ber Stffen= 
fepaften flüchtete unb ben gelehrten Herren jammernb feine Ueberzeugung 
auSfprach, ber gortfepritt bewege fiep jeßt in abfteigenber Siitie, bie ftoep-- 
flutp ber materiellen fthtereffen überflutpe alle Dämme, unb immer päu= 
figer fühle er, ber ratplofe Drinffprucprebner, fidi an gewiffe Vorgänge 
in ber Dpierwelt erinnert! So herbe Sorte baS finb, fo perb fie fonöer= 
licp im SJtunbe eines abgeflärten, mit feinem Urtpeil nie Dorfepneflen 
GreifeS flingen, mit fo großer Sucht fallen fie hoch auf ben Doaftenöeit 
fclbft zu^ücf. Senn ihn bie müpfeligen ^erfuepe ber Schwachen, fid) 
gegen bie mobernen dapitolSmäcpte zu palten, purer SltaOiSmuS bünfen; 
wenn er, ber $cfißer oon Serfi unb Oielfacpe s Ißiflionär, ben erbitterten 
wirtpfcpaftlidKn Mampf unferer läge najerümpfeub Ocrbammt unb ba= 
burep an weiter nichts als an Vorgänge in ber Dpierwelt gemahnt wirb 
— wie barf er bann ber töniglid) preußifcpeu unb ber SfeiepSregierung 
angehören? Ghier Regierung, welche feit Sapreit bie boep Don allen 
großen fretfinitigcn 3dtungen genugfam gebranbmarften agravifdjen 
^Uettte , Sfaulu unb gnteveffeupolititer unterftüpt — z um SJtinöeften mit 
bilbfdjönen Sorten unb ^erfpreepungen unterftüpt? 

drbarmungSwürbiger noch ift ber 3tuiefpalt, barin unfere auS= 
wärtige ^olitif ben Jürfien dplobwig gebracht hat. Daraus, baß er fiep 
in biefem epaotißhen Gewimmel längft niept ntepr zurecptßnbet, barf ipm 
biÖigerweife fein Vorwurf gemacht werben; gept eS boep bem Grafen 
^iilow, bem oerantwortlidjen Webacteur beS DopuwabopuS, um feinen 
Strich beffer. Wiemanb fiept ben Seg mehr, Wiemanb pat auch nur 
eine bunfle fßorftellung, wie bie Wtafcpine über ben tobten s ^uuft pin= 
weijgebracpt werben fann. WicptSbeftoweniger fepeint Graf 53itlow fiip 
OergleicpSweife immer uod) in ber angenehmeren Sage zu befinben. Gr 
ift peruntergefommen, freilid), unb weiß boep felber niept wie; piitfloS 
fipt er oor beut piilfloS oerworrenen M’nauel. .fbätte man tpn in Wupe 
arbeiten laßen, wie er’S fid) fo artig auSgemalt patte, oielleicht wäre 
feiner nieblid)en Begabung bann bod) ein itieblicper Grfolg zu ^peil ge= 
worben.J^SÖiSmarcf’S Weiterftiefel flanbett für ipn parat, unb bem 9luS= 
lanbe bamit zu imponiren, fonnte fo übermäßig fcpwer niept fein. Unb 
waS baS Qulanb anbelangt — pap, bem genügten im 3eitalter ber Webe= 


funft etliche geuiUetonfpäße unb aufpolirte ditate biSmärrfifcpen Hanget. 
3um Unglücf ließ ftep föülow, fcpwacp wie anbere Wtänner mepr, fein 
reinlicpeS Goncept oerwirren, dr fcpwanfte nach rechts unb IinfS, immer 
ber force majeure geporfant, immer einem Oberen bie Saterne pinter= 
breiu tragenb. !)cun hält er üerbliifft oor’m Sumpfe. Unb bod) bient 
ipm ber liebe 3ufafl als Gntfcpulbigung, baß er wenigftenS baS Äriiger= 
telegramm oon 1896 nicht Difirt hat. Damals war toopl Sfürft ^openlope, 
nicht aber er im Slmte; ben allerfdpwärzeften Gontraft hot £>err o. fDiarfdjall 
in’S oerpfufchte Geniälbe hiuetngepapt, ©err o. ^arjchall, ber im 9?eid)S= 
fattzlcr feinen Sßorgefepten ehrte. S(uf bem Grafen Söülow laßen nur bie 
Jehlfchläge ber lepten bret 3opve, |)ühenlohe’S fahleS ^paupt beugt fid) 
unter bem enblofen f^ed) eines ganzen Dei^icfzacftcn 3ohi‘ZCpntcS. Deutfd)= 
laitb hot eS heute mit Gnglanb oerborben, trop ber fKeije nach Sinbfor, 
trop bem Geheimoertrag unb bem Söünbniß, baoott $>err Gpamberlain ab- 
fid)tlid) oorlaut fd)wapte. Deutfdjlanb ift aber burd) feine wanfelmütpige 
Haltung auch ben Üfuffen unpeimlid) unb ben S^onzofen oerbächtig ge^ 
worben. Qn Petersburg forgt grau bafiir, baß man fid) ber Cueen 
näher attad)irt als bem Imperator, unb feit in Paris Jierr DeSchanel, 
ber 9?uhigften unb Äälteften einer auS bem PalaiS S3ourbon, in brama* 
tifchem lenor bie gantbettiftifche fHeOandjehpume fang unb Deroulcbe’S 
eingefrorene Drompete auftpauen ließ, feitbem weiß man fogar in ber 
Silpclrnftraße, baß fowopl gafepoba unb 9.liaScat, wie ber ©efnd) an 
iBorb ber Iphigenie unb bie folgenbcn taufenb unb eine .fpöflichfeit Der^ 
geffen ftnb. Wau wirb Deutfdßanb, wenn eS bie Umftänbe burcpauS 
erpeifchcn, ein Drinfgelb nid)t oetweigern, glaubt man bod) feit £>elgos 
lattb unb Samoa, baß Deutfdüattb für bergleicpen empfänglich fei, aber 
man wirb unS nid)t ntepr beim Scpachiptel um 9iatp fragen ober gar 
in ben eigenen Spielplan einweipen. DaS neue Jtteid) gilt feit ben 3ben 
beS ‘SDcärz Don 1890 für unzuoerläjfig unb wanfeltnütpig. Sie gefäpr= 
lieh folcpcr 9tuf ift, pat felbft ber erfte Kanzler erfahren müffen, als eS 
ipm nur mit bent Aufgebot ber lepten Straft unb ber äußerftett ^Wittel 
gelang, ben 3 a *en Oon ber unbebingten, feften Gprlicpfeit feiner Polittf 
ju überzeugen. Unb bautalS war nur baS oerbiifierte Gemütp beS 
rufftfd)en s 2lutohateit oon EOtißtrauen erfüllt, währenb unS heute bie 
ganze Seit mißtraut. So gewaltige Momif in btefer Dpatjache liegt, 
jo bebroplicp ift fie boep. DaS 9lu$lanb fennt ben Gang, femtt baS llpr= 
wert unferer Politif niept. GS wähnt, Graf Söülow fei beim Dinten= 
fifcp in bie Schule gegangen unb trübe baS Gewäffer um fiep per auS 
arger Sift, wolle burd) feine fiep unaufhörlich freuzettben Maßnahmen 
bie Gegner oerwirren unb fetten Staub unbemerft baoontragen. Graf 
93iilow ift ja erpabett über folcpen ^erbaept. Gr oerwirrt nicht bie Gegner, 
fonbern allein fid). Senn Guropa erft mit feiner Slrt, politif zu machen, 
oerlraut ift, wirb cS ipn lächelttb gewähren taffen unb unS feine Secunbe 
länger beargwöhnen. Ginftweilen jeboep fiept eS in feinen neroöfen 
Dräu men immer noch 33tSmarcf’S Gcift burd) Deutfcplanb fpufen. Unb 
baS ift eben bie Gefahr für unS. Denn biefer Geift liegt im SRaufo* 
leum unter ben SBucpen beS Sad)fenwalbeS begraben. 

gürft Gplobwig pat wopl Grunb zu tiefer Sepmutp. Gr oerftept 
biefe Seit nid)t mepr, wie fie ipn niept oerftept. 3n elegifcpen Drinf* 
fprüdjen flagt er üerftänbnißinnigen Seelen fein Seib; faft crßfcrerfenbc 
s ^erftimmuitg burepwept bie tnappen Säpe Der greife Kanzler ift feiner 
Oon ben Ganzmobevnen, beiten bie Sorte reichlich fließen. (Er baut feine 
Stehen langfam unb foigfam, memorirt fie eifrig unb oeiläßt fiep mit 
feiner Silbe auf ben Stern ber Stunbe. Gr fagt ^rotfdjen ben 3«Ücn 
mepr, als er in ipnen fagt. DaS föilb oon ber abfteigenben Sinie beS 
gortfcpritteS mag fo wenig originell wie irgenb ein gräflid) ^3ülow’fd)eS 
fein. Dod) in biefem SJtunbe ift eS bebtuitfcun. föcbeutfam für bie an- 
geflagte Qcit wie für ben Slufläger. Senn ber alte £err baS (aftenbe 
Püubel ber Gefcpäfte bemuäcpft entjcploffen abfcpleubert unb bie würzige 
23:rgluft oon 33aben=!6abfn für immer bem feuchten Slnpaucp beS 33e*r* 
liuer Steicpfauzler-GartenS Oov^icpt, oiefleiept erftept* bann bem neuen 
$urfe ein grimmigerer Äritifer als berSJianu oon griebrieperupwar, ber fid) 
nicht üerliegen fonnte wie ein £ntnb. Stur baß gürft dhlobwig ^wpcnlope^ 
ScpiKingSfürft feine Gebanfert unb Griimerungen über ben oon ipm 
mit erhabener Stube gefolgerten gortfepritt in abfteigenber Sinie nicht 
ber laiifehenbcu Ceffentlidjfeit preiSgebcn, fonbern pöcpftenS auf Spazier¬ 
fahrten nad) Sicptentpal unb in ben 33ergwalb oerfepwiegenen greunbeS* 
opren zuwifpevn wirb. Unb baS wäre ein red)ter Sanimer. Denn bie 
politifdjc Seit foll niept allein oon erfolgveicpen Staatsmännern lernen, 
wie'S gemad)t werben muß, fonbern Diel widjtiger unb iutereffanter für 
fie finb bie Gonfejfioneu ber SJtißerfolgumlaubten bariiber, wie’S nicht 
gemacht werben muß. Caliban. 


tleue %eretten. 

^ Der fo oft tobt gefagten Cperette gept eS wie ber ©ierleicpc im 
Stubeutenliebe: „lebe nod)! fpriept öierlala, comme^a!" Die abgetafelten 
Operetten unb SSaubeOilleS oon Cffcnbad), Strauß, Supp^, EWiflÖcfcr 
werben immer wieber gern gegeben; bie „glebermauS" unlängft fogar 
an bie puubert Sltale im Ägl. Steueit Opemtpeater (ÄtoII), unb fo füllen 
aud) 3igcunerbaron, gatinipa unb SBettelftubent baS fonft an (pronifeper 
Scere leibenbe Dpeater beS SefteuS. Daneben pabeit wir zur 3cit niept 


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Nr. 14. 


Die töegcnroart. 


223 


weniger als jwei fiänbige Cperettenbüpiien, opne baS 93ubapefter Xpeater 
ju redeten, wo bie „urfomifepen* ©ebrüber ©errnfclb baS hausgemachte 
„In flagranti“ aufführen, ein jubäo«magparifd)e3 93rettl=93aubeütfle, baS 
üon ber Operette nur ben tarnen ufurpirt. ©troaS ernfter ju nehmen 
ift ba$ ©entraltpeater beS XirectorS gerenczp, too Wiener Operetten in 
ber Siegel gut, alle anbern aber herzlich jcplecpt gegeben werben, unb 
baS SSictoriatfjeater alias 9Uejanberplaptpeater, wo erft neulich ©uppf’S 
Sugcnbwerf „Siebterunb93auer" wieberbelebt würbe, welcher 93erfurf)freilich 
nur üon ber aflbefannten wunberbübfeben Ounertitre geniigenb unterftiipt 
würbe, niept aber üon bem pofjenpaften Xe;it unb ben ftarf üerblaßten ©e« 
fangSftücfen. 9113 ©uriofum unb nur ber SBoflftänbigfeit halber fei ber 93er* 
fuep beS Wiener OpernenfembleS ini 53ene-9lQiancetheater erwähnt, wo ber 
ehemalige Slapeflnteifier üon Saube'S ©tabttpeater ©othow«©rüuefe bic 
„93üpne ohne Scanner" {ebuf, aber bie fefepen ©oubretten in §ofen= 
rollen zeigten aüeS Stfögltcpe, nur feine ©timme, unb ba$ ift bod) ba$ 
Sefentlicpe fogar für bie ©aririitur« Operette, tiefer SluSbrucf foö 
übrigens feine ©eringfehäfeung ber febr wohl berechtigten fontifepen 
Oper leicptefier 9(rt enthalten, benn wir fagen mit ©oetpe: „fteitte 
Gattung ift gering ju achten: jebe ift erfreulich, jobalb ein großes Talent 
barin ben ©ipfel erreicht." *3)03 llnglücf ift nur, baß ber ©omponiften« 
SiacpmudiS nicht üiel taugt, 3war werben unS üon Sien jeben 9lugen= 
bltcf große Erfolge gentelbet. SaS eS bamit auf fid) bat, wiffen wir 
ia. ©S werben bort Operetten aufgefübrt, beren (Jempouiften nicht nur 
auf bie Tantiemen üerzidjten, fonbern auch noch bie 9luSftattung unb 
©laque befahlen unb bie Xpeaterpläfce für eine Sieihe üon 9lbenben 
auffaufeit. Unfere norbbeutfehen Xirectoren finb nachgevabe buvch 
Schaben flug unb biefen fiinftlicpen „Erfolgen" gegenüber mißtrauifcf) 
geworben. Scur feiten fomrnt itod) eine folcbe Operette über bie fd)warz= 
gelben ©renzpfäple, unb baS wäre ganz gut, wenn nur unfere reicht 
beutfehen ©igengewäcpfe beffere ©rgebniffe erhielten. 9lber aud) jept 
wieber war ©rif 9Jlel)er=.£>ellmunb’3 breiartige# 93aubeüide „Xie 
.peiratpSluftigen" ber erwartete Xreffer nicht. 

9D?et)er=§eQmunb, ein geborener Petersburger unb nunmehriger 
Hamburger Bürger, ift jo etwas wie ein ntinber talentüoller granz 
nbt ober höherer fiubolf Salbmanit. Sttit bem lepteren bat er gemein, 
baß er ein gefd)äpter ©änger ift ober war unb baß er, mit ©cheffei zu 
fpredjen, feinen £>auSbebarf an.Siegern felber Mcptet. ©r barf freilich 
mit bem triüialen unb unfelbftänbigen Urheber weltberühmter berliner 
©afjenpauer nicht üerglicheu werben, ber §. 93. bie erften Xade ber 
„Keinen gifeperin" einfach palabilhe'S Sftanbolinata entlehnte. ©ontponirt 
auch 2Rei)er=£)eflmunb fogenaunte banfbare 93ortragSlieber, heiterer wie 
jentimentaler 91 rt, fo wenbet er fid) an etwas anfprucpSuollere breite 
Schichten beS ntufifüebcnben ^ublicumS. ©eine Opernteyte -fchreibt er 
ftth ebenfalls felbft, gerabe wie ber Xicptercomponift üon „^ncognito". 
So hat er fich benn baS Sibretto ber „^eiratpSluftigen" felbft geftiefelt, 
hoch fcheint baS Seber jumeift franjöfifier £>erfunft. XiejeS £>eirath3= 
üermittlungSbureau erinnern wir unS buitfel auS einigen Xufenb ^Sarijer 
hoffen; befonberS beutlich fepimmert baS „Cabinot Piperlin“ burd), 
bod) aud) bie „Stofa XontinoS" werben nicht üerfdimäpt/ Sftepcr^edmunb 
nennt feine Üuellen auf bem Xpeaterzettel nicht; er hätte beffer, gethan, 
fte ju nennen unb bann bafür mehr $u benupen, benn waS er auS 
eigener Xicpterfraft üeränbert ober pinzufeßt, macht bem Äenner ber 
Originale feiten greube. Xer erfte 9lct geht noch an, bann wirb bie 
anfänglich übermütig tolle ©ad)e abgefepmaeft unb gerabe^u langweilig. 
Xie ©pprienne«©cene im cabinefc particulier würbe fogar auSgepöhnt, 
unb baS mit Stecht: fobalb bie pifante ©den tragifd) zur ^iftole greift, 
um ihre S^auenehre ju üertheibigen, ift bie Operettenftimmung jerftört. 

93iel beffer ift bie SJtufif, leiste, einfache, melobiöfe ^aubeoillemufif, 
nicht ohne fpecififct) bramatifdje Begabung, oft fein unb pteant in ber 
Snftrumentirung unb reich an harmoniidjen unb rht)thmifd)en 9Sipen. 
Slur©chabe, bajj ber Somponift nach üblem Wiener 93orbilb im 9lüegro 
Reh ftetS in hüpfenben Xan^rhhthnten bewegt unb noch nicht ben 9Siber= 
fum biefer en masse unb mit oft uncorrecter Xeitbeclamation gefungeneit 
9Saljer unb SßolfaS begriffen hat. 3)aS Guartett burdh bie halbgeöffneten 
Xhüren ift hübfeh erjunben unb wohlflingenb. 9)iit Sted)t würbe btefe 
befte Stummer burd) lebhaften 93etfall ausgezeichnet. Slllerliebft ift ferner 
ber (bem alten $at)bn entlehnte) ©tnfaÖ, bie fich auflöfenbe ©efellfchaft, 
welche bie angeblich Entführte fließt, im Orchefter z» cfjarafterifiren; 
wemt bie 93ühne leer ift, hört man ^ule^t nur noch baS brummenbe 
gagott. 3)aun aber beftnnt fid) S)teper = $eflmunb plöplich, bap er ber 
Schöpfer beS berühmten QauberliebeS ift unb erfinbet flugS ein fenti= 
mentales OiebeSbuo, baS an Xriüialität feineSgleichen fud)t. S'ör bie 
brutale ©eene mit ber ^iftole fehlt eS ihm an bramatifd)cr $raft unb 
wenn er auch fpäter ben Uebergang auS ber großen Oper wieber zum 
93aubeüifle finbet, fo üerfagt ihm ber $)örer gleichwohl (Glauben unb 
Nachfolge. $)ocf) wer weip, ob bie Operette, weniger miferabel gegeben, 
an einer anberen s ^ühne nid)t ©rfoig gehabt hätte. ©S ift jebenfaHS 
Seit, bajj unfere (Tomponiften leichten ©eures beffere 93erliner ©tätten 
Rnben, als bie Shmfttempel ber Herren .£)ofpauer, ^ercnczp unb kaufen« 
»ein. 9Sie wir hören, fofl 3)irector Sripfche im £>erbft mit ber äuge? 
Rammten Operette wieber in fein 3-riebrid) 9Silhelmflcibtifd)eS Xheater 
rinziehen. 3)aS ift eine gute 93erheiRung für unfere jept in ©runb 
unb 93oben gefptelten {(herzhaften Somponiften üon ber leichtgefchürzten 
SJtufe. M. 


^Cottjcn. 


Xante. $8on Äarl gebern. (Leipzig, ©. 91. ©eemann.) ^ou 
ber befannten ©eemaitn'fchen ©athmlung „Xichter unb Xarftefler" ift 
biefer britte 93anb wohl ber werthüoflfte. ©r zeigt beutlich, wie Unrecht 
man thäte, wenn man bieje ^eid) ißuftrirten ®änbe bloß ober üor= 
nehmlich als ^öilberbüdier gelten liepe, benn fdjon ber S?ame beS 9Biener 
XanteforfcherS ift unS ©cwähr genug, bnfe eS fid) nicht um einen 93or= 
wanb zu „93ud))cf)murf", wie ber SJtobeauSbrutf lautet, um feine ©ompi= 
lation banbeit, fonbern um eilt 33erf üon wiffenfd)aftlid)er ©elbftftänbigs 
feit unb 93ebeutung. Xer erfte Xheil fdjUbert unS anfchaulich bie 3rit, 
bie (Sultur, beS XidjterS Vorläufer, bie SJialer, Poeten uub 
bie Xante anregtett uub beeinflußten, benn aud) biefeS 9ßerf wud)S auS 
feiner 3*it heraus, auS ber 5rührenaiffance unb ihrer Slunft, ber ©djolaftif 
unb bem großen £wbenftaufenfampf. 3m zweiten Xheil erzählt gebern 
bie £ebenSgefd)id)te Xante’S, üon ber wir fo wenig Xbatfäd)Ud)e3 wiffen, 
wie üon ber eines ©hafefpeare, beffeit ©yiftenz man ja fdjon anzu= 
Zweifeln wagt. Xie metften fogenantiten Xantebiogvaphien finb Xante« 
romane, bie auf uuwahrfd)einlid)en unb wiflfürlidjeit ^oujecturen be« 
ruhen, hat ber befte lebenbe Xantefenucr, Pfarrer ©cartazzini, gefchrteben. 
C£rft in unferem 3ahrhunbevt unb eigentlich erft in ben lepten 3aht" 
Zehnten haben fritifche gorfcher auS ben forgfältigft controlirten SÄit« 
theilungen ber 3 e itgenoffen, bie dotier 9Biberfpriid)e finb, uub auS ben 
wid)tigften 9lubeutungeu in ben ©chriften beS XichlerS felbft einen recht 
ärmlichen gaben herauSpräparlrt, an beut wtr bie ©ntwidelung feiner 
9Berfe uerfolgen föntten. ©S ift bewunbernSwcrth, waS gebern auS bem 
fpröben Sftaterial z u machen weiß: eine lebenbtge ©harafterftubie unb 
ein farbiges 3ritbilb. Heber einige ftrittige fünfte haben wir unS h^r 
bereits mit ihm auSeiitanber gefept. UebrigenS hat er feinen aufecht« 
baren ©tanbpunft in ber 93eatriccfrage bereits aufgegeben unb fcheint 
einzufehen, baß fie mehr ift, als eine bloße 9tÜegorie, benn Xante würbe 
ihr faum ben üertraulichen Äofenanten „93ice" in ben ©ouetteu geben. 
Xie zahlreichen gHafirationen finb eine wahre banteSfe 3f°n°g l 'aphie 
mit Porträts, Sanbfchafteu, berühmten Xaittebilberit, zum Xhetl itad) 
93affermann unb 93olfntaun, unb zeigen unS, wie Jehr ber Xidjter bie 
Shmft ader 3eiten unb 93ölfer befvud)tet hat: üon ^uccaro unb 93otti= 
ceQi biS Xelacrotf, ©djeffer, greller, ©enelli unb £?tto ©reiner. S^ur 
Xor^ haben wir üermißt. 

©mtle 3ola'S $riegS«Sioman „Xer 3 u fammenbrud)", j^eiie 
wahrhaft erfd)ütternb zu neitnenbe ©chilberung ber zwtfchen Xeutfchlanb 
unb granfreich fich abfpielenbeu ©retgniffe ber 3ahve 1870 unb 1871, 
erfdjeint gegenwärtig in einer . neuen, üolfSthüutlid)en 9lu3gabe ber 
Xeutfchett 93erlagS-'9litftalt in ©tuttgart. Xcnt Vorzug einer trefflidjen 
Ueberfepung wirb ber weitere einer bilblichen 9luSfd)mücfung burd) be« 
rufene .^iinftlerhänbe hiuzugefügt. 91bolf Salb, grip 93ergen uub 
©pr. ©peper haben in ben baS Söitd), z u ui Xpeil in flotter garbeu= 
wiebergabe, begleitenben gduftrationen Keine ftunfiwerfe gefdjaffen, bie 
baS Sntereffe au bem fpanuenb unb feffelnb gehaltenen Serie wefentlid) 
erhöhen werben. Sir fiepen nicht an zu erflären, baß wir feit lange 
fein fo flott unb fünftlerifd) iduftrirteS beittfcheS 93ucp gefepen haben. 
Xie ^riegSfcenen, bie ©olbatentppen finb größtenteils meifterlich ent« 
warfen unb auSgefüprt unb babei frei üon ©hauüiniSniuS, ber üont 
geinbe nur z u gerne 3 evr öilber giebt, — eine Mlippe, au ber bie 
franzöftfehen ÄriegSntaler burd) bic 91anf fepeitern, oft fogar ein Xetaide 
unb S?eut>iUe. , XaS Sert fanit fid) ben berühmten gigaro« unb 
©uiflaunie«91uSgaben ebenbürtig an bie ©eite [teilen. 

Xer befaimte baijerifche ©rzäpler S)cazimilian ©djmibt läßt bei 
©itßlin & Saibliit in Sieutlingen feine ©ef am titelten ©cp vif len in 
acht 93änben erfepetnen. 93ott ben ©inzelauSgaben erwähnen wir ben 
pübjchen ^öanb „^ocpIattbSbilber", ber zum ©chönften unb Sirf= 
fantften gehört, waS Sftayimilian ©d)mibt gefcpriebeit pat. Xie ,,©d)wan= 
jungfrau" hat zum ©cpauplap bie ©egeitb um 93crd)teSgaben, bie biiftere 
$racpt beS SlöntgSfeeS, ben malerifcpen Sapntanu mit feinem ©cpneefelb 
in ber ©eparte. Obwopl bie £muptbanbfung- ber ©rzäplung mit ben 
wechfelnben ©cpidfalen zweier ÖiebeSpaare üerfniipft ift, fo flößt baS 
meifte Sntereffe bie prächtig gezeichnete giaur beS alten, fielen .§olz= 
fcpniperS grauziSfuS Seper ein, beS erften SauernfünftlcrS in ^öercpteS« 
gaben. Xie ©cpilberuitg, bie üon bem einfameit, utenfepeufebeuen Zünftler« 
leben entworfen wirb, ift üon poper poetifeper Äraft. Xaß aud) ber 
^utttor nicht zu furz fommt, üerftept fid) bei Sflayimilian ©cpmibt üon 
felbft. XiefeS ift befonberS in ber zweiten ©rzäplung „'S 9(lmftummerI M 
ber gad, wo ber 91utor einen 1 föftlicpen Junior entfaltet, baneben aber 
hoepbramatifepe ©eenen mit ftorfer ©eftaltungefraft zu fcpilbern üerftept. 
3n bem zweiten 53aube „©rzäplungcn auS bem 93erd)te3gabener £anbe" 
fpielt bie ©efepiepte üon ber 931inbeu üon Äuntevweg m ber grünen 
Sfamfau uub fd)ilbert baS Seben unb Xreibeu ber 5)olzfchläger in ben 
Siamfauer gorften. ©in 93auernbad fcpiirzt ben .sinoteu ber fpannenben 
^anblung, bie eitblid) zum ^eile ader 93etpeiligten fcpließt. 9lucp in 
„Xorffabale" zriepuet SJZajimiüan ©cpniibt bie dauern mit ppotogra« 
ppifdjer Xrene. SlicptS liegt ipui fenter, als fie zu ibealifiren, aber wo 
cS angeht, hebt er gerabe fo gern ihre Xugenben, wie ihre gehler per« 
üor. ©epr intereffaut unb oon culturhiftorifchem Sertpe finb bie SJotizen 
über „.^aberer unb £>aberfelbtreiben". Stacpbem ©angpofer ganz im 
©artcnlaubenroman unterzugepen bropt, ift S)taz*imilian ©cpmibt wopl 
ber berufenfte Xorfgefcpicptenfdjreiber unfe.rev beutfepen 9llpen. 


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224 


Die Gegenwart 


Nr. 14. 


Jlnaeigen. 

Met BeffeUungen berufe man Jhfj auf Die 
„ftegerauart“. 


Manuscripte. 

Qux ©erlogSübernafpne Don N?attiD 
ferigten biftorifcber, politifcfjer, fdjöntoiffen- 
fdjaftlidjer k. Nid)tung empfiehlt fid) bie 
©erlag$bud)l)anblung üott 

Richard Sattler, JJraunfiijtDfig. 

(©egrüitbet 1883). 


Sinn«* 


Urteil 


ir«rril*Sl(|ifkrr 1872 —1896. 

©rfter m ffinfeigfter ©anb. 

2 J?it Nachträgen 1897 — 99 . ©el). 5 M 
©in bibliograpbifdjeS 28 erf erften 
NangeS über ba 3 gefammte öffentliche, 
aeiftige unb fünftlertfdje fieben bet lebten 
25 Sahre. Notf)tDenMge 8 Nad)fd)Iagebucb 
für bie Sefer ber „©egenmart", fotoie 
für nnffenfcbaftlidje ic. Arbeiten, lieber 
10,000 Slrttfel, nach Rächern, ©erfaffent, 
©chlagtnörtem georbnet. $ie Autoren 
pfeuboitgmer unb anontjmer drittel ftnb 
burdjroeg genannt Unentbehrlich für 
jebe ©ibltothet. 

2luch bireft gegen ißoftantDCifung ober 
Nachnahme Dom 

Der lag ber Gegenwart. 

»erlitt W 57. 


s 


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Abonnement 

auf das 

II. Quartal 1900. 


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nissen. XXIV, 520 S. 8°. geh. Mk. 8.-, 
in Leinwand geb. Mk. 9.—. 

E ine epochemachende Erscheinung, nicht nur 
in der MuBik- und der Brief-Litteratur. Das 
innerste Seelenleben des unvergleichlichen Künst¬ 
lers uud Menschen wird uns darin erschlossen. 
Der grosse Roman, der in seinem Leben spiolte, 
spinnt sioh vor unsern Augen ab. Über seine 
ebensoviel besprochenen als missverstandenen 
Beziehungen zur Fürstin Wittgenstein liegen von 
der ersten Begegnung an zum ersten Mal un¬ 
mittelbare Zeugnisse vor. Von ebenso grossem 
künstlerischen als psychologischen Interesse, ent¬ 
halten die Briefe ein Stück Selbstbiographie, wie 
wir eine Ähnliche von keinem unsrer grossen 
Tonsohöpfer besitzen. 


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Verlag der Gegenwart in Berlin W, 57. 


Mit dieser Nummer beginnt das II. Quartal der „Gegenwart“. Die¬ 
jenigen unserer geehrten Leser, deren Abonnement abgelaufen, bitten wir um so¬ 
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©etantoortltfrr Üiebacteur: Dr. ßpntng in ©erltn. 


Siebactton unb Gpebttton: ©erltn W., SRanfletnfrrate 7. 


Drucf bon ^effe & ©etfer in Seidig. 


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M 15. 



38er Cut, ben 14. JlpriC 1900. 


29. Jahrgang. 
Band 57. 


#c 0 cuimut 






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Sßtodjenfdjrift für Siteratur, Shmft uub öffentliches geben. 


<^ertttt5g«0e0ett öon £offi»g. 


Sehen Stnmluidt erfdjetnt eine granui. 

3u bc^ie^en burdj aCe ©u^onblungett unb ©ojtämter. 


Verlag her ©egentoart ln Berlin W, 57. 


VtnteltBIrrtUi 4 |L 50 Vf. «tue itnanner 50 »f. 

Snferate jebet Ärt pto »gehaltene $ettt*eUe 80 ©f. 


Dflu&lanb in Slfien. Son % SUntuffen. — Sßon ber ®ütyolar’@jpebition. SSon ©eorg Don $ofdj. — ßitcrattn nnb 
rty |» ft Äunft. 3)ie lex ^einje unb bie bilbenben fünfte. SBon ©ufiab (Iberlein. — RadjäuS auf allen JHrdpetljen. $on Robert 
Imhrtlt * 28albmüller=S)uboc. — geuiUeton. $er SBurm. ©ine englifcfje ©arnifongefebiebte. SBon Sftubtyarb Wifling. — lui 
C/ *+(*+**• ^er ©aujltftübt. $ie 3nteröention. 9?ad) 3ttittl)eilungen meinet SeibblatteS. $on Caliban. — $)ramatifd)e Slu ff Übungen. 

— Offene ©riefe unb Antworten: Sdjlu&toort $ur Reform ber ©ilbbauerei. ©on @. ©ellmer. — 9?oti$en. — Sinnigen. 


Ättfüttttb in Giften. 

SSon p. 2lsmuffen. 

Stiegt mit Unrecht bejeicgnel man immer Wieber Stufe» 
tanb als bie SJtacgt, bie noch einmal ber europäifegen unb 
ber SBeltpolitif etwas ju ratzen aufgeben toirb. ©eit ben 
©lagen ißeterS beS ©rofeen gat eS feine iDtacgt nach Dften, 
©üben unb SBeften auSgebegnt. Sieben ben Dftfeeprotiinjen unb 
bem gröfeten ©h^f ^jßotenS bat eS bie Sänber an ber Storb» 
füfte beS fdjwarjen SJleereS unb am KaufafuS, bat eS ©urfeftan 
unb bie Slmurmünbung gewonnen. Söiö um bie 3D?itte unfereS 
SagrgunbertS unb auch noch fpäter rebete man in Stufelanb 
am Iiebften tion bem ©eftament ißeterS beS ©rofeen unb tion 
ber Unterwerfung ber ©ürfei. feier fegten aber bie 93e* 
mübungen ber übrigen europäifegen Staaten ben Stuffen unb 
igren ©elüfteit ein 3 «t. ©arauf erwärmte man fief) nament* 
lieg in ben panflatiiftifcgen Greifen StufelanbS für einen Sfampf 
mit ©eutfcglanb unb bem ©ermanentbum überhaupt. Slucg 
fjeute noch giebt eS in Stufetanb eine ftarte beutfegfeinbtidge 
Strömung, unb ©eutfdjlanb tbut gut, immer mit biefer ju 
rechnen. ©aS offieiöfe Stufetanb fürchtet bie SJlacgt ©eutfeg» 
lanbS, Wäbrenb ber IßanftatiiSmuS, fobatb er in Stufetanb 
Zur £errfdjaft fommt, baS Sünbnife mit grantreich ä u einem 
Äriege mit ©eutfcglanb benugen Wirb. ©S foHte benn fein, 
bafe auch biefe Greife erft bie Ißläne StufelanbS in Slfien oer» 
tuirffid^en wollen. 

©aS ruffifdge Steidg in Slfien ift ein grofeeS, aber nach 
ber bei uns lanbtäufigen SJteinung ein wenig wertgtiotteS. 
2 Bir finb gewohnt, Sibirien mit jßubegör als eine Schnee* 
unb ©iSwfifte, ©uran aber als eine ©anbwüfte anjufehen. 
©ewife giebt eS fowogl in Sibirien als auch in ©uran ®e= 
biete, bie feiner SBefiebelung fähig unb tbatfächlich wertbloS 
finb, namentlich ift ber nörblidge ©heil Sibiriens ein folcgeS 
©ebiet. ©agegen giebt eS im füblicben Sibirien nicht nur 
©egenben, bie reich an Metallen unb SBälbern finb, fonbern 
bie audb angebaut Werben tönnen unb bie, wenn fie erft ein» 
mal bebaut finb, reiche ©rträge liefern unb eine zahlreiche 
SBebölferung aufnebmen werben, ©uran ift freilich nur burdg 
eine auSgebegnte fünftlicbe 99ewäfferung ju befruchten, aber 
eine folcge hot man auch früher gehabt, unb SRufjlaitb braucht 
fte nicht neu berjuftellen, fonbern nur ju erneuen. Stoch 
wirb bafür freilich nichts getgait, im ©egentgeit, bie Slnlagen 
tierfallen mehr unb mehr,. aber üiufjlanb ftegt auch erft am 
Anfang feiner. bortigen ^errfegaft unb h Q t fi<h bis Ijeute 


megr mit anberen ©ingen befegäftigt. ^ebenfalls gewährt 
baS ruffifdje Slfien ben Stuffen weiten unb geeigneten 9taum 
für Slnfiebelungen, unb tgatfächfich Wanbern fegon heute nidft 
wenig Dtuffen aus freien Stücfen nach Sibirien aus. @S 
mufe fieg nur zeigen, wie tiiet ©efegidf fie als Eotoniften 
gaben. Sin gleifj unb ©enügfamfeit feglt eS ignen ja niegt. 
Sin Stätte finb fie beffer gewögnt als wir unb finben aueg 
folcge ©egenben erträglich, bie bem ©eutfdjen als ju raug 
unb unwirtglicg erfegeinen. 

9tun ift fRufjlanb weit babon entfernt, mit feinem un« 
gegeuren ©otonialreicg in Slfien jufrieben 5 U fein. @S trachtet 
nach megr, unb Wenn niegt alle 3 e ^ en trügen, erftrebt eS 
eine StuSbegnung feiner fterrfegaft über ganj Slfien. Db eS 
ben anberen fDtäcgten babei etwas, toieHeicgt befegeibene ©den, 
ablaffen will, barüber ift man fieg wogt bortäufig in 9tug* 
lanb noch niegt einig. Slucg wirb man faum nach einem 
feften fßlane arbeiten, ©asu ift erft bann bie 3 «t gefommen, 
wenn bie gtofje tranSfibirif^e Saget tioKenbet ift. Cgne 
3weifel gat Ütu§lanb in feiner tranSfaSpifcgen unb tranS» 
fibirifegen Sagn ßülfSmittel tion ber größten ftrategifdjen 
SBichtigfeit, tion einer größeren SBicgtigfeit als bie engtifege 
Kriegsflotte, wie eS benn überhaupt fRu|(anb fegr ju ftatten 
fommt, bag fein Kolonialreich nidgt in ber ganzen SEBett jer* 
ftreut liegt, fonbern gübfeg beifammen ift unb mit bem 
SJtutterlanb räumlich jufammengängt. SWittelft ber tranS* 
faSpifdjen Sagn fann SRufjlanb, ogne tion einer anberen 
9J?acgt beobachtet ju werben, eine grofje ©ruppenmaegt bis 
nage tior bie ©göre tion Snbien bringen, unb wenn erft bie 
tranSfibirifcge Sagn fertig ift, fann eS feine ©ruppen an bie 
djinefifege ©renje werfen unb ju jeber KriegStgat gerüftet 
fein, betior man in ©uropa fo reegt barum gewagr wirb, 
©er ©ifer, mit bem an biefer Sagn gebaut wirb, ift alfo 
ganj erflärlicg. 

©rogbem madgt 9tu&[anb fegon jegt allerlei Slnftatten, 
feine 9J?adgt in Stfien ju befeftigen. SBaS eS mit ben ©ruppen* 
tierfegiebungen nach ©entralafien auf fieg gatte, ift noch feines» 
WegS ganj aufgeflärt. Db SRufjlanb bauernb feine ©ruppen* 
madgt an ben ©renjen tion ißerfien unb Slfgganiftan unb 
bnmit an ben ©goren tion Snbien bermegren will, ober ob 
nur eine 5ßrobe»SD?obilmacgung tiorliegt, ift audg jiemlidg 
einerlei. Sn jebem gall will 9tu§lanb gerüftet unb friegS» 
fertig fein, wenn in biefer ©egenb irgenb etwas fieg ereignen 
füllte, ©afj ^ßerfiert bei einem ruffifegen Snftitut eine Sin* 
teige machte, um fieg bie anberen ©läubiger 00 m £alfe ju 


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226 


Die töejettttttrt 


Nr. 15. 


frfjaffen, giebt um fo mef)t ju benfen, at§ perfide 3 ßöe in ©fanb 
gegeben finb unb baö officiöfe (Rufelanb baS 9?ect)t hat, bie 
SSntereffen ber ©auf ju fchüjjen. ©ebenft man habet, bafe 
(Rufelanb Sefjnfud)t nad^ einem $afen am inbifcfeen Ocean 
ljat, fo wirb man auch ausrechnen fönnen, bafe (Rufelanb 
nidE)t fange mcfjr auf biefen ju matten brauet. (Sitte ®e= 
tegenf)eit, iljn fid) abtreten ju faffen, wirb (Rufelanb finben; 
einftweifen fann eS jufrieben fein, bafe eS ©erfien faft ganj 
unter feine ©otmäfsigfcit gebracht ^at. 9(ber aucf) in (S|itta 
fielen bie (Dinge für (Rufelanb ved)t günftig. Stud) iit ©efing 
jpielen ficf) öott 3 £ it SU 3 £ ü geheimnifeooße (Dinge ab, über 
welche bie SBelt burd) SenfationSbepefcfeen Kunbe erhält, 
hinterher fteflen ficf) bann bie ©eridjte attgebfidi) als erfunben 
ober ftarf übertrieben heraus, bis man bann fo aflmälig er» 
fährt, bafe ein mehr ober minber bebeutenber Stjftemwechfel 
ftattgefunben h ot - Unb ba ift eS nun merfroiirbig, bafe 
©nglättber, granjofen, (Deutfdje, Staliener üon ben ©hinefen 
atä grembe gehabt werben, bafe man oon ihnen Eingriffe 
auf chinefifdjeS ©ebiet befürchtet unb fie am liebften äße jum 
Sanbe hinaus jagte. (Dagegen Weife (Rufelanb, obgleich eS 
unmittelbarer @renjnad) 6 at beS d)inefifd)en Sfleic^eS ift unb 
für ben ©efi|ftanb beffefben eine immer gröfeere ©efaljr be* 
beutet, fid) bie ©unft ber chittefifcf)cn (Regierung immer fefter 
ju gewinnen. 2 J?ati weife nicht recht, finb bie ©hinefen gegen 
bie ihnen oon (Rufelanb brohenbe ©efaf)r, eben weit fie täglich 
broht, abgeftumpft ober haben fie baS ©efüf)(, bafe (Rufelanb 
atS ber mächtigere (Rachbar angefehen werben müffe, mit bent 
man fich gut ftehen müffe, Weit er fonft ungemütlich werben 
fönne, ober aber fieht bie regierenbe (Dpnaftie oietteicht auf 
©runb oon ©ertrügen ober wie fonft itt (Rufelanb einen 
©unbeSgenoffen gegen bie geinbe ber (Dtjnaftie in ©£|ina 
fetber? ©rft eine weitere (Sntwicfetung ber (Dinge Wirb eS 
unS ermöglichen, auf biefc gtagen richtig ju antworten. 

^äufig rebet man iu ber ©reffe unb auf ber ©ierbanf 
oon einem angeblich beöorftetjenben Stampf jwifdjen (Rufelanb 
unb (Sngtanb um Snbien unb ftettt ficf) bann bie Sache 
meiftenS fo üor, atS ob (Rufelanb einen ©roberungSjug nach 
Snbien ju unternehmen willens ift. (Rufelanb wirb aber 
einen fold)ett Krieg fchwertid) Oom 3 aune brechen, fonbern 
Wirb einftweifen berfudjen, ber ©renje SubienS fo nahe wie 
möglich ju fommen; oortäufig ^anbeft eS ficf) für (Rufelanb 
barum, ben englifdjen ©influfe in Slfgtjaniftan ju brechen, 
Wenn eS fein mufe, mit SBaffengewalt. 91 n einem ©ormanbe 
wirb eS nid)t fehteit. ©orwänbe ju irgenb wettet 6 inmifd)ung 
in ihre inneren ?lngelegenf)eiten geben halbcioilifirte Staaten 
bem, ber barauf wartet, faft äße (Jage. SDfac^t ©ngfanb 
barauS einen KriegSfafl, fo fann ja immer ber Krieg um 
Snbieit toSgehen. Sonft Wirb (Rufelanb warten, bis in 
Snbieit ber tängft üorhanbene §afe gegen ©ngtanb bie ein* 
geborene ©eöölferung jum 2 tufftanbe treibt unb bis bann 
entweber ber £inbu (Rufelanb als ©efreier herbeiruft ober 
bis fonft eine (Gelegenheit jur ©inmifc^ung fid) finbet. (Dafe 
aber gerabe in biefem Slugenblid bie Uitjufriebenheit ber 
eingeborenen ©eöölferung eine grofee ift, fann ©nglanb gar 
nicht in ?lbrcbe ftellen. (Die oielen (Rieberfagen, Welche bie 
©nglänber in ©übafrifa erlitten haben, haben bem (Rcfpect 
ber inbifdjeit ©eöölferung üor ber engtifefeeu Krieg§tüd)tigfeit 
einen gewaltigen Stofe gegeben. SRit einer Dffenljerjigfeit, 
bie allein fdjon ju benfen giebt, erörtert man in Snbien bie 
StuSfichten einer Sd)ilbetf)e 6 ung gegen ©nglanb unb fomntt 
babei meift ju SRefultaten, bie ©nglanb Wofel ju benfen 
geben fönnten. (Daju Wirb bie wirthfdjaftlicf)e Sage ber 
ärmeren ©ingeborenen eine immer fd)Ied)tere. Snbien ift oon 
einer JfSungerSnotf) heimgefudjt worben, gegen welche frühere 
nur ein Kinberfpiel finb, unb bie Unterftüfeung oon ©nglanb 
auS ift üößig unjureidjenb. 216er and) in feiten, lD0 man 
officieU eine $ungerSnotf) nicht anerfennt, ift bie Sage ber 
ärmeren ©eöölferung in einigen (Diftricten eine fo fdjlecfjte, 
bafe baS Satteffen auch bem bebürfnifelofen Suber nicht immer 


möglid) ift. 3 U b er $ungerSnotl) fommen nun nod) an* 
ftedenbe Seuchen, bie bereits ©iele fpagerafft haben Unb in 
ben Oon ^mngerSnoth heintgefudjten (Diftricten noch gräfelid) 
Wüthen werben. Uitjufriebenheit herrfcht allenthalben, nnb 
Wenn nun erft einmal ber Aufruhr in einer ©roüinj auä* 
bricht, ift bie ©erbreitung beffelben über baS ganje Sanb ein 
Umftanb, mit bem gerechnet werben mufe. 0b bann aber 
(Rufelanb ben müfeigen 3 u f c h auer fpiefen ober ob eS fetter 
2lnfpvüche auf Snbien erheben wirb, baS ift bie grage. @iebt 
eS bod) Seute, Welche in üollem ©rnfte behaupten, bafe bie 
llnjufriebenheit Oon ruffifdjen ©miffären genährt wirb nnb 
bafe ©ufelanb mit ben Unjufriebenen güfelung |at. 

2Bie bem aber audj fei, jebenfaßS mufe man einrümnen, 
bafe (Rufelanb bie SRadjt unb jebenfaöS auch ^ en SBiOen hat, 
bei allen ©reigniffen in 2lficn ein gewichtiges SBort mitju* 
rebeit. Offenbar trachtet fRufelanb nach einer ©orfjerrfdjaft in 
?lfieit unb ift auf bem beften Sßege, fie anjutreten. ©nglanb 
hat freilich ein gewaltiges SBeltreid) an [ich gebracht, aber 
wenn nicht äße Reichen trügen, geht eS mit ©nglanbS 3Rad)t 
abwärts. 'Der ©urenfrieg hat felbft bann, wenn er mit einem 
üöUigen Siege ©nglanbS enbet, bewiefen, bafe baS engKfdje 
Sanbheer einem einigermafeen mächtigen geinbe nicht gemadjfen 
ift. SRoch beherrfdjt eS mit feiner glotte bie SPieere, aber bie 
glotte hat längere 3,eit ^inburc^ feine Gelegenheit gehabt, 
ihre Schlagfertigfeit im ©rnftfall jit beweifen. 5D?an weife 
atfo nidjt, ob fie in 2Sirflid)feit mächtig genug ift, um im 
Kriege ju leiften, waS man üon ihr erwartet. (Daju fommt, 
bafe bie Sontinentalmächte ihre glotten Oerftärfen, Währenb 
©nglanb nicht in’S Ungemeffene hinein Oer[tärfen fann, ba bie 
Kriegsmarine fonft ber |>anbelSmarine ju üiel Seute Wegnimmt. 
©ine 9}?acht wirb freilich nie in ber Sage fein, eine ber eng* 
lifdjen überlegenen Kriegsflotte ju fdjaffen, aber Wenn mehrere 
fid) gegen ©nglanb üerbünben, fo fann mit ber 3eit ©nglanb 
ju furj fommen. Sluch bie weltbeherrfd)enbe Stellung, bie 
©nglanb eine 3eit lang burdj Ipanbel unb Snbuftrie innc 
hatte, ift im Sliebergang. 2J?an macht ihm immer mehr 
©oncurrenj. Ohne ein genügenbeS 2lbfafegebiet für feine 3n* 
buftrie aber ift ©nglanb bem wirthfchaftlidhen 3ufammenbrmh 
üerfatlen, ba SCdferbau unb ©iehjudht ftarf juriiefgegangen ftnb. 
3n beitjenigeit ©otonien ©nglanbS aber, in benen bie weifee 
©eöölferung eS bereits ju einet 2lrt Selbftoerwaltung ge* 
bradjt hat, machen ficf) ?lnjeid(en bafür geltenb, bafe man 
nad) Selbftftänbigfeit ftrebt. So mehren fi<h bie ?lnjeid)en 
üon einem 3 u f a wntenbruch ber englifd|en SBeltmadht. 

©benfo aber mehren fich Me ütnjeicfjen bafür, bafe 9iufe* 
lanb mit üollem ©ewufetfein bemüht ift, bie SBeltherrfchaft an* 
jutreten. Seine ©eftrebungen, feine ©iadjt in Slfien auSju* 
befenen, tragen ganj ben ©harafter eines jielbewufeten ©orgehens. 
Siicht fo, als ob 9iufelanb einen ©lan üor fich hätte, nach bem 
eS arbeitet, aber eS rieftet fich, allenthalben in Slfien eite* 
greifen ju fönnen, wo bie ©elegcnf)eit günftig ift unb ein 
glücflidjeS ©elingen gehofft werben fann, unb bafe eS ein* 
greifen fann, fobalb eS will. @S irrlichterirt nidjt hier unb 
ba in ber SBelt herum, fudht nid)t hier unb ba einen Sänber* 
fefeen ju erfeafchen, fonbern fegt feinen gufe Schritt oot 
Schritt weiter üorwärts, fd)iebt halb hier, halb bort feine 
©rcnjeit etwas weiter üor, aber was eS erwirbt, bleibt immer 
im feften 3nfammenf)ang mit feinem feitherigen ©efife unb 
erweitert ben Kreis feiner Sntereffen. 2luf bemfetben SSege 
finb bie SSeltreidhe ber alten ©cfd^ichte entftanben. 

(Dafe man aber in ©ufelanb ben ©ebanfen an eine SBelt* 
herrfdjaft wenigftenS in einigen Kreifen gefafet hat, geht beutlicfe 
genug barauS Ijetüor, bafe man üon SRuffen eS immer wieber 
ju hören befommt, bie jugenbfrifche ruffifdje ©ultur fei baju 
beftimmt, bie alternbe ©ultur beS SöeftenS ju beleben, ja fich 
an ihre Steße ju fefeen. ©otitifdl) jieht ©ufelanb cS einft* 
»oeilen üor, baS ©erntanenthum unb (Romanenthum im weft* 
li^en ©uropa unbeheßigt ju taffen. Offenbar freut mau fiel 
an ber SRewa aß’ ber deinen (Reibereien, bie halb jwifcheit 


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Nr. 15. 


Dir (Segenroart. 


227 


Jeutfcßlanb unb Kuglanb, 6 atb pufdjeit Jeutfcßlaub unb 
granfreidj, halb jmifdjen granftetcß unb Knglanb jum ?luS» 
brudj fomnten unb mifdjt ficfi in btefe Streitigfeiteu gar tüdjt 
ein, nicht einmal p ©unften beS hefreunbeteu granfreidj mtb 
»nenn biefeS aud) Unrecht leibet. granfreicfjS greunbfdjaft 
ift aber ben SRuffeu beßßal 6 mertßOoU, meil eS mitten im 
europäifcfjen ©etriebe ftef)t unb (Rußlanb jeberjeit in bie Sage 
Derfcßt, für feinen SunbeSgenoffen gegen eine beliebige anbere 
dRacßt einp treten, unb meil ffjranfreich jeberjeit bereit ift, 
fein nidjt unbebeutenbeS §eer unb feine gute $fotte um ber 
frönen STugert (RußlanbS mitten friegSfertig p machen. Unb 
eS mag ja für bie Seiter ber ruffifdjen fßoiitif ganj angenehm 
fein, bie (Rolle ber SWacfjt p fpielen, um bereit greunbfdjaft fidj 
Sitte bemühen, troßbent fie eigentlich (Riemanb tlrfache giebt, 
ftch mit ihrer befoitbeten greunbfehaft p bri'iften. Unb babei 
feßmiebet (Rußlanb unentmegt feilt (Sifett inStfien, mohl miffenb, 
baß jeber (Srfolg bort auch feine Stellung in Europa fräftigt 
unb bie ruffifeße SBeltfjerrfcßaft begrünben hilft- UnS aber 
hilft eS nichts, baß mir auSred)neit, meldje 9D?ac^t unb meffen 
Sntereffen Oon (Rußlanb in erfter Sinie bebroßt merben, unb 
baß j. SB. unfer Jeutfdjlanb noch uidjtd oon (Rußlanb p 
befürchten hat. Krftrcbt (Rußlanb bie Sßeltherrfdjaft, fo muß 
mit ber SRotßmenbigfeit eineä (RaturgefeßeS einmal ber Jag 
tommen, an bem an Jeutfdjlanb bie grage geridjtet mirb, 
mie eS fid) mit ber ruffifdjen 2ßeltmadjt abjufinben gebentt. 
38ir meinen nidjt, baß bie Seiter unferer (ßolitif fidj in üor» 
eilige ontiruffifcje Seftrcbungen (jineinjiehen taffen folten, fie 
follen nur bie Stugen offen hatten unb Sdjacßsüge RußlanbS 
mit richtigen ©egenpgen beantmorten unb fich nicht über» 
rafdjen taffen. 

©egentoärtig fteht (Rußlanb auch nicht am Knbe, fonbern 
erft am Stnfang feiner Seftrebungeit. ©emaltige Reformen 
im Snnetn muffen pr Jurcßfüßrung gefangen, menn (Ruß» 
tanb auf ber befdjrittenen Saßn meitergehen miß, fonft fehlen 
ber ruffifdjen Sßeltmacfjt bie ©runbfeften, unb eS fann bereits 
mitten im Stufbau pfammenftürpn. SRoch ftnb bie ruffifdjen 
ißotitifer beS eigenen SotfeS nicht fiejer, unb bie Quftänbe 
im Snnern finb auf bie (Dauer unhaltbar. Sei folcßen 3 ll= 
ftänben tann nun freilich ein Staat nach außen hin eine 
bebeutenbe URadjt entfalten unb fiegreidjc Kriege führen, 
mährenb berer bas Solf fein Klenb oergißt, aber eS fann 
nichts (DauernbeS oon einem Solle mit foldjen 3 u ftänben 
gefdjaffen merben, unb ber 3 u fammenbrudj muß beginnen, 
menn jum SBeitererobern bie Ära ft p fehlen beginnt. So» 
bann aber muß eS fidj noch jeigen, ob bie ruffifdje Kultur 
junfidjft ben Slfiaten etmaS p bringen üerrnag, ob fie mächtig 
genug ift, nicht allein p jerftören, fonbern auch aufpbauen. 
Jie baüernbe $errfcßaft über frembe SSölfer gemtnnt ein Solf 
am ficherften baburdj, baß eS ihnen etmaS bringt, maS fie 
bis bafjin nidjt hatten, maS fie aber nadj furjem Sefiß atS 
eine ÜBoßlthat empfinben unb nicht mehr entbehren mögen. 
Unb fo ift aud) bei ber StuSbehnung beS ruffifdjen (Reiches 
über Slfien eine ber brenncnbften [frage bie: SBaS tann (Rußlanb 
ben Slfiaten bafür geben, baß fie feine Untertjjanen merben? 


Don ber Jnbpolar-drpebition. 

2Jon (Seorg oon pofeb. 

(Sin jüngerer (Raturforfcfjer jat untängft baS große SBort 
auSgefproben, baß baS pjanjigfte Saßrßunbert baS ber Ißolar» 
forfeßung unb ber Söfung ber antarftifejen Probleme fein 
metbe. SDian märe oerfueßt, fytx SRoliete’S SBort an 2Ron= 
fieur Söffe p miebdrjoleit, aber baS „fachfimpelnbe" ^ara= 
bojon hat fehr üiet innere (Berechtigung, benit gar midjtigfte 
dRenfdjheitSfragen, auf bie mir bisher bergebtidj Slntmort ge» 


fueßt, merben ganj gemiß im emigen Kife ber jungfräulichen 
StntarftiS ijrer Söfung näher gebracht merben. jiefe (Sr» 
tenntniß hat ber Sübpolarforfdjung im abgetaufenen testen 
Sahrjetjnt neue Smpulfe gegeben. 3 wat bet StuSgangSpuntt 
mar rein praftifd) unb gefdjäftfidj»fpecutatit». (SS janbeltc 
fidj 1892 fomotjt ber engtifdjen ®unbee»Kompanh, mie ber 
Hamburger (Recberei Dceana nur barum, am Sübpot bem 
SRJatfaiig neue Sagbgrünbe p eröffnen, aber fdjlicßtidj mürben 
bie geringen ffangergebniffe ber fieben Dampfet bitrdj bie 
babei gemachten geographifdjeit (Sntbedtungen tief in ben 
Schatten gefteüt. ®ie Kapitäne Sarfen unb Koenfen gelangten 
bis 69° 10' fübl. Sr. unb entbeeften Äönig DScar il.=Sanb, 
fomie jpoei thätige Snfelüulcane bafelbft. (Roch midjtiger 
maren bie miffenfdjaftlicjen Krgebniffe beS normegifcßen gang» 
fcßiffeS Slntarttit: ber (Raturforfdjer Sorchgreüint, ber bie 
gaßrt als einfacher SRatrofe mitmadjte, als erfter an jmei 
üerfdjiebenen Stellen Sictorialanb betrat, bereicherte nicht 
allein unfere Äenntniß ber glora unb ganna, fonbern ent» 
bedfte auch auSgebehnte ©itanolager. Äein SBunber, baß ber 
£>anbe(Sgeift abermals an Stelle beS miffenfdjaftiidjen bie 
güßrurtg übernahm. ®ie mit einem Slctiencapital oon 
100 000 (ßfb. Stert, gebilbete British Antarctic Company 
foH jmar unter Sorchgreüint’S Seitung audj miffenfdjaftlidje 
fforfchungeit anftellen*), bodj ber ©aupt^meef iftbieStuSbeutung 
ber neu entbedten ©uanolager am Äap Slbare, unb baS fogat 
im KiSmeer länbergierige grantreieß, baS 1892 bie Äerguelen» 
infefn. annectirte, röitl fidj auf eigene gauft ebenfalls an ber 
SluSbeutnng ber bortigen (Ratnrfcßäße betßeiligen. Son ganj 
ibealen gmecten geßt nur bie beutfdje Sübpolar»Kjpebition aus, 
bie ber 11. Jeutfcße ©eograpßentag 1895 in Sremen anSpfenben 
befcßloffcn hat. ®ie Kommiffion unter bem Sorfiße beS 
©eß- SlbmiralitätSratheS (Reumatjcr ift rüftig unb mit Krfolg 
am SBerf, bie auf 950 000 SRarf üeranfcßiagten Äoften ber 
Kjpebition aufpbringen unb baS heute gefidjerte Unternehmen 
miffenfdjaftlicß p organifiren. 3toci Jenffdjriften inforniiren 
unS über bie 3iele unb ben gegenmärtigen Stanb beS ibealen 
Unternehmens. 

(Radjbem bureß ben (Racßtrag pm fReidhSßauShaltS»Ktat 
für baS Rechnungsjahr 1899 bie ©elbmittel pr SluSrüftung 
einer Sübpolar»Kjpebition bemiUigt morben maren, erfdjien 
als bie bringlicßfte Slufgabe ber Sau beS KjpebitionSfdjiffS. 
3Rit ber Krlebigung ber ßierju erforberlidjen Sorarbeiten 
mürbe oon ben StaatSfecretairen beS Sunern unb beS (Reichs» 
3Rarine»?lmtS im Seneßmcn mit bem Äöttiglidj preußifeßen 
SRinifter ber geiftlidjen rc. Slngelegenheiten eine ftänbige 
Kommiffion betraut, ber auch &i c für bie Oberleitung beS 
ScßiffSbaueS beftimmten ßößeren Jecßnifer beS (ReicßS=2Rarine» 
StmtS angeßören. Stuf ©runb ber oon biefer Kommiffion 
ausgearbeiteten Sebingungett ift ber Sau beS (SjpebitionS» 
feßiffs naeß engerer ?lu«f^reibung Knbe Oorigen SaßreS ben 
^otoalbtSmerfen in Äiet übertragen morben. ®aS Scßiff 
mirb ein ^oljbau fein, meil nur ein folcßer bie genügenbe 
[Jeftigfeit unb bie Klafticität für bie KiSfdjifffaßrt erßalten 

*) Süörer be§ 2)am^fet8 ©out^ern (£ro& foH Kapitän ©orc^* 
greüin! bie 9(uffinbuug beS magnetifc^en ©übpolS gelungen fein, roie 
neuerliche Reibungen nerftcfjent, bodh mufe eS fich erft feigen, ob btefe 
hod)intereffante (Sntbechtng mit ber berechneten Sage beS magitetifchen 
©üb^oleS übereinftimmt. 93e!anntlich fallen bie magnetifchen $ole 
feine^toegS mit ben geographUchen sufamnten. 5)ie fie^teren finb bie 
Qmbbunfte ber geometrifdjen %e be§ ©rbförberS unb liegen unter bem 
90. Sreitengrab. 2)er magnetifche 9?orbJ)ol aber, nach bem bie Stfagnet* 
nabeln aeigen, liegt unter etrna 70 ©rab nörblicher ©reite unb 98 &rab 
meftlidjer Sänge ©reemmefj. 28ie fRoß 1831 fanb, fällt er auf bie §alb= 
infei ©oothia gelijr, unb h^r fielen bemnach bie 3Ragnetnabeln fenf= 
recht. 9ia^ ber ©tellung ber SRagnetnabeln auf ber füblidjen £alb= 
fugel hol man ben füblid&en SKagnetbol auf etma 74 ©rab fiiblicher 
©reite unb 146 öftlicher Sänge ©reentoich berechnet. ift babei $u 
berürffichtigen, bafe beibe ©ole manbevn, unb jrnar fehr erheblich, ber 
©üb^ol ftärfer al$ ber 9?orbbol. ©orchgreöin! h^t feine ftorfcfmitgen 
fdhon im 3^h« 1894 nad) biefer IRi^tung erftreeft, er ift aber offenbar 
über bie bamalS erreichte ©reite toeit hinaus unb tief in bie al$ SBilfeS 
Sanb be^eichneten Qnfelgvubben hineingefomnten. 


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22S 


Di« (Bcgenwart, 


Nr. 15. 


faitn. Sie gornt beS ©cßiffeS Wirb etwas boßer unb nid)t 
in ber SEBeife abgefc^rägt fein, wie eS bei iRanfen’S „gram" 
bcr gaü war, weil beren gorm für bie fcßweren ©türme unb 
ben ßoßen Seegang ber f üb ticken SReere ungeeignet erfcßeint, 
Wie eS SRanfen felbft auf bem internationalen ©eograpßen* 
congreffe ju Söertin auSfpradj. ©aß baS ©cßiff fo ftarf wie 
nur möglid) gebaut wirb, ift felbftberftänblicß. innere Ab* 
ftüßungen mit geworfenem ©icßenfrummhotje, fowie bie 93er* 
fegung beS 3wifcßenbedS nafjeju in bie 9Bafferlinie Werben 
bem etwa ju erwartenben ©iSbrud einen ftarfen unb hin» 
reicßenben SBiberftanb leiften. ©ie Sänge beS ©cßiffeS wirb 
etwa 46 m, bie 93reite jwifcßen 10 unb lim unb ber Tiefgang 
unter ber 9EBafferlinie etwa 4 m betragen. ©aS ©d)iff Wirb 
gut Aufnahme eines ÄoßlenborratßS unb ber gefammten AuS* 
rüftung für 3 Saßre eingerichtet werben unb behagliche SBoßn* 
unb Arbeitsräume für 5 ®eleßrte, 5 Dfficiere unb etwa 20 
2Rann 93efaßung erhalten, gür jeben ®eleßrten unb Officier 
ift eine eigene Üoje beftimmt. SRafdjine unb Seffel, burd) 
welche baS @d)iff eine ©efcßwinbigleit bon 7 Sfnoten er* 
halten fott, liegen im §interfd)iffe jwifchen ben 9EBoßnräumen. 
Sm SRittelfcßiffe finb bie fRäume für bie Wiffenfcßaftlicßen 
Arbeiten borgefeßen. ©ie 93eleucßtung wirb eleftrifch- ©in 
ÜRobefl beS ©cßiffeS wirb nocß für bie 933eltauSfteflung in 
ißariS fertiggefteflt. 

©ieidhäeitig mit ber 93orbereitung beS ©cßiffSbaueS 
würbe bie Wiffenfchaftliche Drganifation beS Unternehmens 
burcß Söilbung eines 93eiratßS auS namhaften ®eleßrten 
auS aßen ^heilen beS ÜieicßS in bie SBege geleitet. ©ie 
bisherige ©ßätigfeit biefeS wiffenfchaftli<hen VeiratßS hat 
gut Sluffteßung beS nachfteßenben borläufigen Programms 
geführt. ©ie ©Epebition Wirb fünf wiffenfchaftliche Tßeil* 
nehmet haben, unb gWar einen pßßfifdjen ©eograpßen als 
Seiter ber ©Epebition, einen gootogen unb 93otanifer, einen 
Argt unb 93acteriologen, einen ©eologen unb ©ßemifer, einen 
©rbmagnetiler unb SReteorologen. gernet ift grunbfäßlicß 
angenommen, baff bie ScßiffSofficiete, bie wößrenb ber gaßrt 
auf bem @<ßiffe borgugSwetfe mit beffen ÜRabigirung befcßäf* 
tigt fein werben, Wäßrenb beS einjährigen Aufenthalts an ber 
einguricßtenben SBinterftation für bie wiffenfcßaftlicßen Ar* 
beiten gut 93erfügung ftehen. ©ie foflen bann — borbehalt* 
lieh ber Arbeitsteilung an Drt unb ©teße burd) ben Seiter 
ber ©Epebition — in bie aftronomifeßen ^Beobachtungen am 
Orte ber ©tation, in bie topographifchen unb hßbrograpßifcßen 
Aufnahmen in beren Umgebung, fowie in bie fßenbelbeftim* 
mungen unb magnetifchen ^Beobachtungen bei ben Sanbreifen 
fidj theilen unb auch bei bem magnetifcß*ineteorologifd)en 
©tationSbicnfte mitwirfen. Auch bie SRannfcßaft, beren £>ülfe 
bei ben Wiffenfchaftlichen Arbeiten währenb ber gahrt burcß 
ben ©djiffSbienft geregelt fein wirb, foß auf ber ©tation an 
betriebenen Arbeitsgebiete bertßeilt werben, fo baff fie bereit 
93ertretern mit Wacßfeitber Uebung Wirb gur §anb gehen 
fönnen. 

©ie Stergueleninfet foß ber AuSgangSpunft ber beutfehen 
©Epebition für ihr Vorbringen in bie AntarftiS fein. ©ie 
©ingelßeiten ber geplanten SRoute, inSbefonbere ihre ®rüm* 
mungen, Wie fie tßeilweife bereits bie ber ©enffdjrift bom 
SRai 1899 beigefügte Sorte auSbrücft, finb auS occanogra* 
graphif<h en , geologifcßen unb magnetifchen ©rünben gewählt 
Worben. @S gefeßaß auS oceanogtapßifdjett ©rünben, um 
Wefentlidje Süden in ber Senntnif ber SReereStiefen gu be= 
feitigen; auS geologifcßen ©rünben, um burct) 93erüßrung mit 
berfdjiebenen Snfelgruppen 93ergteichSmateriat für baS ©tubium 
beS antarftifdjen SanbeS unb SReereSbobenS gu gewinnen; 
auS magnetifchen ©rünben, um bie einzelnen Sinien gleicher 
3EBertfje ber magnetifchen ©temente an möglicßft bieten fünften 
gu fchneiben. Von ben Serguelen foß juerft öftlicß, etwa bis 
bis gum 90. ©rab öftfießer Sänge, unb bann erft nach ©üben 
gegangen werben, Weit eS tängS biefer fRoute nocß an 
Sotßitngen fehlt. AuS bemfetben ©runbe Wirb ber 2Beg 


gwifeßen Sapftabt unb ben Sergueten bießeicht noch eine ffib* 
liehe AuSbudjtung gwifeßen ben iß ring ©buarb* unb ben 
Sbrogetinfeln erhalten, währenb anbererfeits auf ber fRüdreife 
ber 2Beg jWifcheu ©üb*©eorgien unb Triftan ba ©unßa 
grabtiniger gewählt werben Dürfte, als es bie ber erften 
©enffeßrift beigefügte Sarte angiebt, weil eS bort bornehm* 
lieh barauf anfommt, bie fübliche gortfejjung ber atlantifchen 
©chweße §n nnterfudjen. 3118 AuSgangSpunft für bie gahü 
in ber AntarftiS felbft wäre für bie beutfdje ©Epebition baS 
noch hhpo%‘ifß)e Termination ^Stanb in AuSficht ju nehmen. 
©S wirb geplant, bon bort nach ©üben borjubringen, um 
bie SBeftfeite beS 93ictorialanbeS ju finben, feinen etwaigen 
ßufammenhang mit SempS* unb @nberbt)=Sanb ju Haren 
unb bie AntarftiS fobann auf ber atlantifchen ©eite ju um* 
fahren, um Womöglich bie gortfeftung beS atlantifchen DceanS 
burch baS SBebbelmeer ju erfordern 

®en ^Weiten §auptpunft beS beutfehen Programms bilbet 
bie Anlage einer wiffenfchaftli^en ©tation im ©übpolar* 
gebiet, auf ber ein bofleS Saht geophhfifdje unb biologifhe 
Arbeiten auSjuführen fein werben unb bie als SBafiS für bie 
bon bort ans auf längeren unb fürjeren Sanbreifen oorju* 
nehmenben 93eobadhtungen bienen foß. 933o bie ©tation liegen 
Wirb, lä|t fi^ naturgemäß nicht oorher beftimmen, weil baS 
bon ben fRefultaten abhängt, welche bie ©Epebition borher mit 
bem ©chiffe erreicht hot. Anjuftreben ift für bie ©rünbung 
ber ©tation bie SBeftfeite beS SBictorialanbeS, weil man in 
biefem ein auSgebehntereS Sanb bermuthen batf, baS für bie 
berfchiebenartigen gorf^ungen eine günftige ©etegenheit bietet 
T)ort läßt j. 93. bie fRäße beS magnetifchen ©übpolS baS 
©tubium ber magnetifchen ©rfeßeinungen befonberS wünfcßenS* 
wertß erfeßeinen. gerner läßt fieß baS SnlanbeiS ber An* 
tarftis bon einem auSgebeßnteren Sanbe ßer am beften er* 
fteigen, unterfudjen unb bießeicht auch gegen ben ©rbpol ßin 
bereifen. Auch bietet ein größeres Sanb biel reichere ©elegen* 
heit jum ©tubium beS etwa borßanbenen Tßier* unb fßflanjen* 
lebenS, fowie ber geologifcßen ©Meinungen, als ifolirte Snfetn. 
©nblidß ßaben aueß SBeobadßtungen über bie ©chwerfraft auf 
einem größeren Sanbe einen erhöhten 3Bertß. 

Als ©rnnbfaß gilt, baß bie wiffenfchaftliche 53orbereitung 
fo bolltommen fein foß, baß AßeS auSgefüßrt werben fann, 
WaS ber heutige ©tanb ber Sßiffenfcßaft erforbert unb woju 
fieß Seit unb ©elegenßeit bieten. 9BaS babon auSgefüßrt 
Wirb, läßt fieß erft an Drt unb ©teße entfeßeiben. Sn erfter 
Sinie foßen geograpßifcße berfolgt werben. Weil biefe 

bie notßwenbige ©runblage für aße anberen gorfeßungen 
finb. @S wirb fieß barum ßanbeln, für baS Sanb nicht 
aßein bie äußeren Umriffe feftjulegen, fonbern WenigftenS in 
einigen ©ebieten aueß bie ©injelßeiten bet ©onturen gu ber* 
folgen unb bor Aßem eS möglicßft oft ju betreten, um feine 
gormen ju ftubiren; für baS ©iS, welches ben fßolargebieten 
ben eigentlichen ©ßarafter giebt, Art unb ©tructur, Xempe* 
ratur, ©chuttfüßrung unb ^Bewegung ju unterfueßen, woraus 
fieß ©cßlüffe auf bie bon ißm bebedten ©ebiete ableiten taffen; 
für baS 9J?cer borneßmlicß Sotßungen ju gewinnen, wo eS 
noeß baran feßft, was für baS ganje ©ebiet fübtieß bon 40 
©rab fübfießer 93reite unb fteßenweife aueß nörblicß bauen 
längs ber projectirten fRoute bcr gaß ift. ®aß bie pßßfifcße 
@rforfd)ung beS 2ReereS naeß Temperatur, ©ießte, 93efcßaffen* 
ßeit beS SBafferS unb beS IBobenS, garbe, ©aSgeßalt unb ®e* 
Wegung bamit £>anb in §aitb geßen muß, berfteßt fi^ bon 
felbft. 93on großem 9Bertße wäre eS aueß, wenn fieß fdjon 
wäßrenb ber ©eefaßrt fßenbelbcoba^tungcn auSfüßren ließen, 
wie fie für baS Sanb in möglicßft großer Slnjaßt geplant 
finb unb befonberS in fßftematifcßer Anorbnung in ber Um* 
gebung ber ©tation. 

3Rit ben geograpßifcßen Arbeiten Wirb fidj bie ©ßätig* 
feit beS ©eologcn am nädßften berüßreni Sßm wirb baS 
©tubium ber 93obenproben gufaßen, bie bei ben Sotßungen 
ßerauffommen, fowie bie eßemifeße Unterfucßung beS 3ReereS* 



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Nr. 15. 


Die <$egentoart. 


229 


»affetS, beffen ©rößentierßättniffe unb pßpfifalifeße ©igen» 
fcßaften ber ©eograpß meffenb tierfolgt ßat. Set Sanbungen 
ift bie X^ätigfeit beS ©eologen tioit fetbft gegeben. Son ber 
Station au§ »irb er an ben ©cßlittenreifen t£)eitnef»rrten, bie 
in ber Umgebung ber Station, längs ben lüften, fowie bei 
gegebener 3 e * t in baS innere unternommen »erben. Se= 
fonbere 9lufmerffamfeit mürbe baS ©tubium foffiler ißflanjen 
erforbern, menn ficß fotd^e Säger im ©üben ebenfo finden 
fotlten, mie eS im Norben bet galt ift, fowie alle anberen 
paläontologifcßen unb petrograpßifcßen gunbe, ba biefe über 
bie Sejießungen beS ©übpolargebietS ju anberen Grb räumen 
9 tuffcßlüffe bringen. 

®em ßoologen unb Sotanifer ber ©Epebition fällt ein 
befonberS großes 9lrbeitSfelb ju. ©eine planmäßigen ©amnt» 
lungen »erben ficß auf alle formen erftrecfen, bie auf bem 
©eßiffe confertiirt unb oerfrad^tet »erben fönnen, unb »erben 
bemgemäß in gleicher SBeife bie gauna unb glora beS SanbeS 
unb ber ©üßmafferfeeen »ie bie ber Sitoraljonen unb aueß 
ber Xieffee umfaffen. SefonbereS ®e»idjt »irb auf bie jeit» 
ließen Unterfcßiebe in bem Stuf treten ber tietfeßiebenett ©ßier* 
formen, fo»ie auf beren ©ntwicfelung ju legen fein. Natur» 
gemäß müffen biefe biologifcßen gorfeßungen in ftetem 3«' 
fammenßange mit ben pßßfifcßen fteßen, um beifpielsmeife 
bie 9(bßängigfeit beS ©ßier» unb IßflanjenlebenS tion ber 93e= 
fdßaffenßeit beS SleereSwafferS unb tion ber Sertßeilung ber 
Strömungen erlennen ju fönnen. ©eßßalb »erben Sertical* 
unb ©cßtießneßjüge für bie betriebenen ©ebiete unb tion 
ber Station aus für bie tierfeßiebenen iaßreSjeiten geplant, 
um mit ben Oberfläcßenfängen jufammen Slaterial für bie 
©rfenntniß ber Strömungen ju erßalten. Siologifcße ©ief» 
feeforfeßungen »erben nur bis ju ©iefen tion et»a 1000 m 
angefteüt »erben, »eit bie ©Epebition biefe gorfeßungen nießt 
in erfter Sinie bejwecft unb baS ©cßiff aus tierfeßiebenen 
©rünben nießt eine foteße ©röße erßält, baß ®rebge=3üge 
aueß für große liefen oßne allju große Selaftung tiorgefeßen 
»erben fönnten. ©iefe Sefcßränfung ift um fo eßer juläffig, 
als bie ©ieffeefauna in »armen ©ebieten bis auf 700 m, in 
falten noeß »eit ßößer ßinaufreießt. 

©ie 3»e<fe ber ©eefifeßerei fönnen bei ber ©jpebition 
eine »idßtige görberung erfaßren, inbem »äßrenb ber gaßrt 
beS ScßiffeS, inSbefonbere in ber Näße ber ju paffirenben 
infein, Seobacßtungen unb ©rfunbungen über baS Sorfommen 
unb bie Slenge ber 3Bale unb Nußfifcße gefammelt »erben. 
Sielleicßt »erben fibß aueß Heinere 3Bale unb größere gifeße 
mit ber SBurfßarpune erlegen taffen. Naturgemäß fönneu 
ßier nur einleitende unb nic^t feßon fßftematifcß organifirte 
gorfeßungen in Setracßt fommen, »eit über baS Sorfommen 
tion Nußfifcßen im ©übpolargebiet überßaupt noeß nießts be* 
fannt tft. 

©er 9lr§t ber ©Epebition »irb neben bem etmaigen 
Äranfenbienfte, ber ßoffentließ nur geringe 3 e ^ erforbern 
»irb, bureß eine forgfäitige Ueberwaeßung beS ©efunbßeits* 
juftanbeS »ießtige Seiträge jur Sßolarßßgiene ju liefern Oer» 
mögen, ©ie bejügließen Seobacßtungen berufen ißn jum Se» 
ratßer beS SeiterS in ben gragen, bie ben ^auSßalt ber 

©Epebition unb ißre SebenSmeife betreffen. 9lucß »eitere 
pßßfiologifdße ©tubten fönnen bon ßoßem intereffe fein. 

Gr »irb außerbem an ben Arbeiten beS Siologen tßeilneßmen 
unb fie bureß Unterfucßungen über bie ©ntwicfelung ber 
Organismen unb über ben Sieimgeßalt an Sa cterien erweitern. 

Sßie jebet anbere ©ßeit ber ©EpebitionSarbeiten foH aueß 
ber meteorologifcß»magnetifeße ber Serantmortung nur eines 
©eleßrten obliegen, bem aber jur 9luSfüßrung ber 9lb(efungen 
unb fonftiger meeßanifeßer Slrbeiteit genügenbe JpülfSfräfte 
aus ber ©cßiffsbefaßung unb für bie ©urißfüßruitg ber 

»eiteren jjeopßßfifcßen Arbeiten auf ber Station einer ber 

©eßtffSofficiere ftänbig jur'Seite fteßen »erben. 

©ie meteorologifcßen ©erminbeobaeßtungen fotlen »äßrenb 
ber Steife, »ie fiblicß, alle oier ©tunben, »äßrenb beS 9luf» 


entßaltS auf ber ©tation brei S?al täglidß tiacß bem Stuftet 
einer Station II. Drbnung angefteHt »erben, gür SBinb, 
Sewölfung unb 3lnbereS ift bie Organifation einer ftänbigen 
fpimmelSfcßau WunfcßenSWertß. Stegiftrirapparate füllen für 
Suftbrucf, SBinb, ©emperatur, gemßtigfeit unb ©onnenfeßein» 
bauer Sermenbung finben unb, falls fie in ber ftälte tier» 
fagen, bureß eingelegte ©erminbeobaeßtungen naeß Slöglicßfeit 
erfeßt werben. Son befonberen Seobacßtungen »äßrenb ber 
gaßrt finb folcße über bie Sage beS ©ageSmajimumS auf 
bem Steere, über bie befte Slufftellung ber Stegenmeffer an 
Sorb beS ScßiffeS, über ©ämmerungSerfMeinungen auf offenem 
Steere unb über SBinbßofen angeregt »orben. gür bie ©tation 
finb Unterfucßungen über bie ©enauigfeit ßßgrometifeßer 
Steffungen bet tiefen ©emperaturen, fowie folcße in ben 
ßößeren ©ßeilen ber 9ltmofpßäre in Sorfcßlag gebraeßt. 91 uf 
»elcße SBeife unb »ie »eit biefe Seßteren auSgefüßrt »erben 
fönnen, wirb feftjuftellen fein, wenn bie SallonauSrüftung 
ber ©jpebition enbgiltig geregelt fein »irb. ©ießer ift, baß 
ju geograpßifcßett SRefognoScirungSgwecfen ein geffelbaöoit mit» 
gefüßrt wirb, für ben eine etwa jeßnmalige güQung unb 
eine ©ragfraft, »elcße eS ermöglicßt, einen Seobacßter etwa 
500 m ju ßeben, tiorgefeßen werben foH. gilt bie Senußung 
beS SallonS »irb bie Stitnaßme tion conbenfirtem SBaffet» 
ftoffgafe ber SJtetßobe ber ©elbfterjeugung beS ©afeS an Ort 
unb ©teile tiorjujießen fein, falls baS comprimirte ©aS mit 
genügenber ©ießerßeit tierfraeßtet »erben fann, toorüber noeß 
©rfaßrungen abgewartet »erben. 

©aS magnetifeße SlrbeitSprogramm ift noeß nießt enb* 
gütig feftgefteUt, »eil eS ßierbei ttefentließ noeß auf eine Ser» 
ftänbigung mit ber gleicßjeitig jur StuSfüßrung gelangenben 
engtifeßen ©übpolar»6jpebition anfommen »irb. Sorbeßalt» 
ließ biefer Serftänbigung unb ber Seacßtung anberweitiger 
Natßfeßtäge ift für bie ©eefaßrt möglicßft eine täglidß ein» 
malige Seftimmung bei magnetifeßen (Elemente mit bem 
Normalcompaß, bejießungSweife bem gogapparat unb audß 
mit bem ©etiiationS > 9J?agnetonieter in SluSficßt ju neßmen. 
SZagnetifcße Sieffungen »äßrenb ber Sanbreifett finb eben* 
falls tiorgefeßen. ©eSgleicßen foH ein befonbereS ©eWidßt 
auf baS ©tubium beS ©üblidßteS gelegt »erben, nantentlidß 
feiner gorm unb §öße unb bietleicßt aueß feines ©pectrumS, 
»äßrenb Grbftrommeffungen über ben Naßmett ber ©jpebition 
ßinauSgeßen würben. 3n Setbinbungen mit ben ©inrieß» 
tungen für bie magnetifeßen 9lrbeiteit auf bet ©tation finb 
geeignete Sorfeßrungen für ©rbbebenbeobaeßtungen ju treffen. 
3 u biefen 9lrbeiten treten naturgemäß aftronomifdße Orts» 
beftimmungen unb geobätifeße Sieffungen ßinju. ©auernbe 
ßeitbeftimmungen finb felbfttierftänblicß; fie müffen in Ser* 
binbung mit abfoluten Sängenbeftimmungen unb fßenbet« 
meffungen befonberS ßäufig auSgefüßrt werben, ©ie grage, ob 
bie ©fpebition mit ^ßolarßunben auSgerüftet »erben foH, 
barf bureß bie auf bem ^internationalen ©eograpßencongrcß 
in Serlin gefüßrten Serßanblungen als baßin entfeßieben 
bejeießnet »erben, baß eine Sefcßaffuitg bon etwa 50 fjmnben, 
bie eine tiollgiltige Sefpannung für brei ©cßlitten abgeben 
Würben, notßwenbig erfeßeint. 3 War ift rießtig, baß bie 
£>unbe für baS ©EpebitionSfcßiff unb feine Sefaßung eine 
große Selaftung bebeuten, bie unter ungünftigen Umftänben 
mit ben ju erjielenben ©rgebniffen tiießeießt nidßt im ©in» 
Hang fteßen »ürbe. ©emgegenüber ift jeboeß tion autori* 
tatioer ©eite mit Secßt barauf ßingewiefen »orben, baß man 
fieß bureß Nicßtbefcßaffung tion fpunben tion tiornßercin eines 
SetriebSmittelS begeben würbe, baS ju geiten feßwerwiegenb, 
ja entfißeibenb in Setraeßt fommen fann. 

©ine fernere ©rweiterung unb Sertiollfiänbigung ber 
tion ber beutfeßen ©jpebition ju erßoffenben Grgebniffe ift 
oon ber internationalen ©ooperation ju erwarten, bereu Orga» 
nifation bureß bie Serßanblungen beS tiom 28. September 
bis 4. October 1899 ju Serlin abgeßaltenen internationalen 
©eograpßencongreffeS eine fidßere ©eftalt angenommen ßat. 


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230 


Die (Segetnoari 


Set ©ongreß h«t ben — Don bem ißräfibenten ber Sonbonet 
SRot)« 4 ©eographicaf ©ociett) für bie geplante englißhe unb 
Don bent Leiter ber beutfdjen ©jpebition für biefe — bor» 
geflogenen {Routen unb Drganifationen feine Billigung aus» 
gefprodjen unb nur noch ^infic^tlidj ber magnetifdpmeteoro* 
logifdjen Arbeiten nähere Vereinbarungen burd) eine inter» 
nationale ©omniiffion geroiinfd)t. Sie Arbeitsteilung jntifdjen 
ber beutfc^en unb ber ettglifdjen Sjpebition fdjiert bem ßon» 
greffe jomol)l Ejinfic^tlic^ ber oom Schiffe auS norzunehntenben 
gorfungen als auch h*uftchtlich ber au f f e f 4en Stationen 
auSzuführenben Beobachtungen burd) bie beiberfeitig borge» 
flagene {Routen auf’s Befte gegeben, ittbem barnad) ber 
beutjchcn ©jpebition bie inbifc^»atlantijc^e, ber englifen bie 
pacifife ©eite beS ©übpolargebietS jur Bearbeitung jufäUt 
unb für bie Anlage ber §auptftatioiten bie beiben entfpredjenben 
©eiten bes Bictortalanbea in’S Auge gefaßt finb. Sie ©tationen 
mürben bann ju beiben ©eiten unb oiclleicht auch n ungefähr 
gleichen Abftänben bon bem magnetijdjen ©übpol ju liegen 
fommen. 3« ber englijdfen ©jpeDitton foll neuerbingS noch 
eine jroeite fommen, bie auajchließlich bon ©chottlanb auS» 
geht. Sie Kgl. ©chottifche ©eographifdje ©ejellfchaft in 
©btnburgh h at bie Leitung beS planes übernommen. ©8 
mirb ein 3ujammcnroirtcn mit ber britifc^en unb ber beutfehen 
©jpebttion in ber SBeije beabfictjtigt, baß bie fottifche ge» 
rabe bie Süden sroijchen ben {Routen jener beiben ausfüUen 
foll. SSährenb bie beutfehe ©übpolarejpcbition im ©üben 
beS Snbtjchen DceanS unb bie bnttjehe im ©üben beS Stillen 
Dceans oorgehen trnrb, joll bie fctjottifdje in bie 2BebbeU»©ee 
{üblich bea Atlantifchen Dceans oororingen. Sie BfebbeU» 
©eeroute ift früher oon BSebbeU, BeUingshaufen unb {Roß 
mit ©egelfchiffen befahren morben, nodj nie aber ift ein 
Sampfer in biefcr {Richtung nach ©üben gegangen. Sie 
Rührung ber ©Epebition h°t BJiliiam Bruce übernommen, 
ber 1892 unb 1893 im füblidjen ©lameer uub feitbem fdjon 
fünf äRal im nörblichen Bolormeer geroefen ift. Sie Aus» 
fahrt ber roiffenjchaftlichen Unternehmung mirb mit ber ber 
englifchen etroa gleichzeitig erfolgen, bie {Rüdteljr ift auf baS 
Saht 19u3 feftgejeßt morben, menn nicht bie URittel noch 
ein roeitereS Saht ber gorfchung geftatten. 

©s ift zu roüujdhen unb nach ber roähtenb ber Berf)anb» 
lungen bes ©ongrefjes berjchiebentlich gezeigten (Geneigtheit 
auch z« hoffe«, Daß fidj noch anberc {Rattonen an ber nun» 
mehr jdjou feftftehenben ©ooperation non Seutfchlanb unb 
©uglanb entroeber baburch betheiligen, baß fie ihrerfeits fernere 
Ba|ts)tatioiten in ber Umgebung bes ©übpolargebietS ober 
audj ,m VorDpolargebiete für bie gleiche 3eit einrichten unb 
in Shätigfeit h«Uen, ober bieUeicht auch baburch, bufe f 4e 
gleichzeitige ©ipebttionen in bie Antarftis felbft entfenben. 
©o planen bie Bereinigten ©taatett oon Amerifa bie ©rrf» 
tung oon inaguett|d)en Db|eroatorieit bei BSafhington, auf 
£amat unb tu Alaafa, bie burd} gleidjzeitige Beobachtungen 
eine merthoolte ©rgänzung ber ©ubpolarfor|chungen zu geben 
bermöchten. Bon Dieser ©eite t)« mürbe bie beutfehe 3>oeig» 
ftation auf ben Kerguelen mieberum eine befonbere Bebeu» 
tung gemiuuen, zumal ©nglanb non ber (Errichtung einer 
gleichen Station auf iReujeelanb gefprod)en unb auch bie 
thunlichfte iReuorgamfation ber magitetifdj»meteorologifdjeit 
Dbferoatorien in stapftabt unb ÜRelbourne in’S Auge ge» 
faßt hat. hoffen mir, baß beutjeher BJiffenfdjaft unb beutlet 
Shatfraft ein ooller ©rfolg zu St) c 't toerbe. 




Literatur unb Ituttß. 


Die lex Ijeittje unb bie biibenben Äüttfllt 

S3on (Suftar (Ebeilein.*) 4 

Sie bilbenbe Kunft h«t zu aßen 3eiten Bei ben j 
bölfern ber ©rbe bie haften Aufgaben erfüllt, ©ie n 
bie SRenfchheit feit ihrer Kinbheit. SaS erfte ©tanuti 
SBiffenjcfjaft, bie erften ©ebete hot fie gehört. ADe] 
unb Bölfer bliden auS Schleiern, ©itte unb ©lauij 
mit berfchloffener ©eberbe. Sie K'unft allein etfchll 
{Rad)melt ben tieferen ©inn bet Vergangenheit. Sie: 
mahre ®eficf)t ber Bölfer. 3h re £)ierogthPhen»Bilbs 
ihre gefe« «nb {Runen, ihre Bilbmerfe unb Bautet; 
unS bie ©efide, {Religionen unb bie ÜRad)tftetlung bei 
in rebenben ©feinen überliefert, unb nur biefe finb bie 1 
unantaftbaren Socumente aller ©ef«hichte. ! 

Unfere beutfehe ßultur, bie ftch auf ben zufamntengeff 
in ihrem Vergehen noch gemaltigen Srümmern gried)tfd] 
römifcher ©ibilifation mie ein gefunber ©fbaum ! 
entmidelt hat, formte bie .Kunft biefer frönen berfil 
233elt zu einer eigenartigen ©ermanifchen. Ser faltete 
macht unfer SEBefen herb unb fühl; unfer ©mpfinben il 
innen gefehrt. Sod) aus reiner Seele quellen unfere j 
Siefgrünbig finb unfere gorfer unb formenfnapp | 
Bilbhauer. ©eit es beutfehe Kunft giebt, fpiegett fie b 
nehmen ©igenfefjaften beS BolfScharafterS mahr unb! 
fchniinft mieber. Sauter unb rein mie biefer ift fie gej 
unb mirb fie bleiben, troß mancher unb immer miebertef 
Bcrfuche, fie ßerabzufeßen unb zu berbächtigen. i 

©d)Oit biele ähnliche {Reactionen, mie bie ihr jeßt bn 
— bie, tnilbe gejagt, bem ÜRangel an Berftänbniß entfprj 
hat fie fiegreieß überbauert. Unfere {ßflanzftätten ber f 
bie Schulen uub Afabemien finb friebnotle, ernftg 
BilbungSträgcr. Sie fräftigen ©proffen unb munN 
Blüthen, bie bet burch unfere friegerifchen unb frid 
©iege entfeffelte SebenSftrom ber ©egenmart getrieben,! 
ein frol)eS Ahnen in unferer Bruft auffteigen, baß bie ii 
Sunft bor hohen erreichbaren 3i«len fteht. Sft eS nui 
ein bitterer £>ohn auf unfer Kämpfen unb {Ringen, bafj: 
jeßt biefer giftige SBurm unS anhau^t, ba baS Seutfc^ej 
bie beutfehe AuSftellung in ^?ariS bie grüchte unfereS { 
unb ehrlichen ©trebenS auf allen ©ebieten bor ber 
SBelt auSbreiten? SBit Ä'ünftler im meiten {Reiche,! 
jeber ©ebilbete, ber im ©eifteSleben ber 3«> 4 fteht, fe^d 
einem geheimnifjuoü»unheimlichen Vorgang gegenübi 
SRehrheit ber BolfSbertretung h«t bei ©elegenljeit ber © 
berathuug in ihren Aeufjerungen bemiefen, baß mir| 
burdjauS fremb finb. ©oOte eS möglich fei«, baß ti] 
felben Berhältniß ein ähnlich großer Sheit beS ganzen 
unfereni ibealen unb reinen SBolIen berf^loffen g?g| 
ftänbe? Sann mödjtc icb im ^»inrneiS auf baS, md 
bcu menigen unS SBohlgefinnten im {Reichstag ©utes 
unS gefagt mürbe, bie einbringliche gorberung an baS 
bcutf^e Bolf {teilen, bon nun auch noch mehr, noch 4 I 
als eS bisher gefächen, unfere beutfehe fiunft auf fid) I 
Zu taffen mit ihrer großen BübungSfraft, bie bie 2Rifq 
Kampfes um baS täglidje Br ob meniger empfiuben täl 
baS ©eifteS», ©efühlö» unb ©innenleben erhöht unb befl 
in bie jugenblidjen |>erzen ben ©amen alles ©bien ftr 

2Ber mie ich als junger SIRann an bem unbergel 
Sage bes ©inzugeS beS fiegreidhen JpeereS am Branben 
Sßor geftanben fj« 4 , bie Seele gefüllt bis jum Uebed 
mit bem unbef^reiblichen Bilbe beS äRachtglanzeS nn 


*) Unfer bereiter itnrbeiter, ber Sübfjauer ?rof. ®6 
hielt als ©ortführer ber biibenben fiiinftler biefe Siebe f« ber ' 
beriammlung gegen bie auch heute noch brohenbe lex £>einje am 2 ! 
im Söerliner tnathhnufe. ®ie fRebactii 


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Nr. 15. 


Hie (Segentoart 


231 


©röße, Wcldje nun um unfet Sfaiferhau«, um ba« beutle 
Solf fich gewoben, — tuet erlebt |at, tote bie fiegenben 
©eutfdien weiter fich ba« innere Saterlanb neu eroberten, eS 
auSbauten unb ißm bie ragenbe ©eftalt gaben, in ber e« 
jefjt an ber ©pifce ber Nationen fteljt, — toer ben Seidjthum 
an ftrdjfidjeit unb profanen Sauten, an SRonumenten unb 
Silbern fieljt, womit beutfdje Äunft ihre ©täbte unb fagen* 
umtoobenen ^iftorifd^en Stätten fchmüdte, — ber muß trauernb 
fein §aupt oerhüßen, fdjaut er im ©eifte bie golgeit ber 
lex Heinje. ©in 3 l, g gebeugter, öerhüBter ©eftalten, — bie 
fünfte, ber unerhörteren geiftigen Seoorntunbung, oerftänb» 
nißlofer polijei* unb fRcdjtSorgane fcEju^jtoä auSgeliefert, 
fließenb jene ©tabt, bie ihnen eigentlich im ©tan je einer 
©ralSburg leuchten foßte unb nun bem freien SEünftlergeifte 
eine Qtoingburg tourbe, wo bie lidjtfdjeuen ©eftatten be« 
©enunciantenthum« ungehemmt ihr Haupt ergeben bürfen. Unb 
fürwahr! Sch glaube, wenn wir oecfucfjeit, in ba« gef)eimniß* 
üotle ©unfel be« ©ntftehen« biefer ©efefce £id)t ju werfen, 
jeigt ftd| ber üerftedte ©inn berfelben in ber jfnebelung be« 
ganjen mobernen Seben« unb ©eifte« ber Station, ©rft wenn 
griebßofftiße ba laftet, wo einft rekhgebarenbe« Seben fproßte, 
werben bie unfeligen ©etoalten rußen, falt über bie ©rüber 
unferer Hoffnungen btidenb. 

9J?it ben ©lementen, welche biefen wie ©ummi nad) 
allen Sichtungen hin beljnbaren Paragraphen beantragt haben, 
oerbinbet un« fein Sanb. ®ie Seit, welche wir un«, non 
ber ißoefie unb SEunft be« Sllterthum« erfüllt, in ber ©egen* 
wart in unferem Snnern aufgebaut, au« welcher unfere 
Serfe emporblühen, be« ©taat«fchu|je§ unb be« Seifafl« ber 
Station bebürftig, ift Senen unberftänblich unb ein ©reuel. 
Shre SKBaffe ift ba« ©efeß, ba« mit ©onner unb Stiften ju 
bemüthigen getöbteten ©innen rebet. Unfere SDtacht aber ift 
bie ©chönfjeit, bie auf leifen ©oftlen ben Seg in bornehme 
unb ftarfe ©eelen finbet. Sene SRänner finb nicht im ©tanbe, 
©efefte übet unfere SEunft ju formuliren, unb ieft fpreche ihnen 
jebe ^ä^igfeit baju ab. 

SEBenn nach § 184a, welcher ba« chriftlidje ©efüht ber 
an ben ©chaufenftern Sorübergeljenben gefchont wiffen wiß, 
©egenftänbe confi«cirt werben fönnen, Welche angeblich ba« 
©chamgefühl berieten, fo finb biefe Serfe in ben Snnen* 
rüunten bocf) auch al« ben ©ittengefeften wiberfpredjenb an» 
jufehen. Unb ber Zünftler, ber mit üoßem Sewußtfein ihrer 
©innenwirfung feine SEBerfe fchafft, Wäre nach ben 9lu8füf)» 
rungen be« ©taat«fecretär« SRicberbing ftrafbar, fobalb ihm 
bewiefen Würbe, baß er bie ©innenwirfung beabfichtigte. Unb 
bodj muß ba« gerabe bie Slbficßt jebe« echten SfunftwcrfcS 
fein; benn nur burdf bie Sinne geht ber Seg juiji Herjen 
unb jur ©eele. Srbifdje« unb HimrnlifcheS hat fich im ooß» 
enbeten SEunftwerf jur Harmonie oerfcfjmoljen. 

@8 giebt nun ein funbamentale« Stecht ber ßuuft, welche« 
ben Herren be« Sentrum« befonber« ein ©orn im 9luge ift: 
©ent hö<hften Sorbilbe fotgenb formte bie bilbenbe Sunft ju 
allen feiten ben naeften SRenfdften al« bie Ärone ber Schöpf» 
ung, aber ba fie ihm nicht wie ©ott ba« Seben einhaiid)cti 
fann, umgiebt fie ihn mit bem ©ewanbe ber Schönheit, bie 
Hülle unb ©eift jugteid) ift. 9lud) bie Siffenfdjaft fudjt 
nach ber naeften Saßrheit ber ÜRaturgefefte. Sa« thut ber 
©ramatifer, ber dichter 9lnbere«, al« bie ©eele ju burch» 
forfdjen, fie entfcßleiernb aßet entftellenben Haßen ju ent* 
f leiben; bie SDtufif rüttelt ihre tiefften ©mpfinbungen wadf. 
Unb ber SDtaler belaufet bie Statur oor 9lßem bort, wo fie 
fich ß) m * n unOerhüllter Sahrljcit unb ©röfee jeigt. 

Sollte man überhaupt ba« Solf mehr erjiehen, gerabe 
ba« Städte al« ba« ©öttlidje unb baher al« ba« Steinfte unb 
Äeufchefte ju fehen, fo würbe fich bie ungefunbe, überfubüntc 
©chamhaftigfeit in natürliche ©ittlichfeit tierwanbeln. Slber 
wieber einmal Witt man ben göttlichen Junten be« fronte» 
theu« bem Solfe löfchen unb bie, welche ba« heilige geuer 
ber Sunft fchüren, an ben Reifen polijeilicher ©etoalt fäjmiebeit. 


®er Steidh«tag hat bie ißanborabüchfe ber lex Heinje 
geöffnet, unb e« entftiegen ihr bie übelften ©erüche. Sir 
waren bisher ber 9lnfic|t, in einem ßeitalter Oerfeinerter 
Sitten unb unter ÜRenfdjen ju leben, bie eine erhöhte Sichtung 
üor ben ©ittengefefcen al« gruefjt moberner Silbung empfanben. 
®eren Geben burch bie großen ©ebanfen unferer $)idjter unb 
iPhilafDpl) en unb ben ©influjj unferer reinen Stunft in eine 
höhere Sphäre gerüdt fei: unb nun foUen wir eine« Slnberen 
belehrt werben? ®er Slbgeorbnete Stoeren fagte wörtlich: 
„Sa« haben benn eigentlich bie terbünbeten ^Regierungen 
unfere« ®eutfchen Steiche«, mit ber SEunftgefchidhte, ben SEunft» 
fdjähen unb bem Äunftgefdimad be« SaticanS ju thun?" 
Sollte er nicht wiffen, ba| Sindelmann unb ©arften«, Seffing 
unb ©oethe ber Seit burch ba« ©tubium biefer Sammlungen 
eine neue, geläuterte $Eunftanfd)auung gefd)enft haben? ®afe 
burch f’ e allein ©oethe un« bie „Sphigenie" unb anbere un* 
fterbliche Serfe geben fonnte? Ohne bie ®cde ber ©ijtina 
unb bie ©tanjen jRafael’S fein ßorncliu«, fein Stethel, fein 
©efeUfcfiap, — ohne biefe claffifdjen SRufter unfere Stuhme«* 
halle mit leeren Sänben. ©in etwa« tiefere« ©tubium ber 
SEunftgefchichte fönnte ben Herren 91 bgeorbneten nicht« fdhaben! — 
benn ein anbere«, münbige« ©efchle^t oon Zünftlern ift 
erftanben; bie« beweift bie grofie heutige Sewegung, bie Wie 
eine Sranbung jürnenber Sogen an ihre ©ijje fchlägt. Senn 
Suther fagt: „®ie Seit wirb oon ©ott burch H e ^ en un ^ 
Wenige fürtrefflichc Seute regieret," fo finb bie lex Hei«S e * 
gabrifanten nicht barunter. 

®ie SBiffenfchaft, bie fich ein« mit un« fühlt, fj“t ben 
©lementen hunbert mechanifche 3teprobuction«oerfahren abge« 
rungen, bie ben reinen ©lanj ber Schönheit in unjähligen 
®ruden unb ^h Dto g ra Phicn fetbft in bie ärmfte Hütte fenben. 
Unb nun werben bie Urheber biefe« unheilooflen ©efefce«, 
inbem fie e§ auf bie Sefeitiguitg getoiffer 9lrten oon Stepro* 
buctionen abgefehen haben, beten Serftänbnifj fich aber ben 
confiScirenben Seamten entjieht, bamit unmittelbar in ba« 
Herj be« Solfe« treffen, ©enn gerabe für bie Hunberttaufenbe 
im weiten öanbe unb in ben ©täbten, wo Weber SRufeen 
nodh Sammlungen bem Silbungäbebürfnifj entgegenfommen, 
finb Steprobuctionen echter SEuitftwerfe oft ba« einjigfte unb 
werthooÜfte SRaterial. 

©S ift nicht meine Slufgabe, juriftifd) auf bie ®efid)t«» 
punfte einjugehen, unter Wellen biefe Paragraph«« anjufehen 
finb. Sch glaube, Weber Oon Zünftlern noch Suriften finb 
fie in ihren bebenflidjen golgen ju ergrünben unb ju ermeffen. 
©ie 9lbfchwäd)ung«theorie, welche unter bem ©inbrud be« 
ißrotefte« ganj ©eutfchlanb« oom ^Reichstag beliebt würbe, 
— ba« allerbing« tierftänbnifjOolle ©ntgegenfontmen be« 
©taatSfecretär« Siieberbing, ber H^ nto€ ^ auf ben Sformal» 
fchufcmann, bie Serfprechungen, hinter ben ©efefcen ©rtäute* 
rungen an bie Sichter ju erlaffen, — aße« biefe« hat un« 
SEünftler boch nicht überjeugen fönnen, baff biefe in Siebe 
ftcheuben Paragraphen bie ffiunft nicht treffen würben, ©enn 
ber ©taatSfecretär fonnte fo wenig Wie wir felbft eine ©e= 
finition eine« ed)ten SEunftwerfe« geben. Senn nun auch, 
Wie ich höre, ein ßonfiftorium Oon fünf Sichtern berartige 
gäfle in ßufunft aburtlieilen foßte, fo wirb felbft bei bem 
beften Sißen ber Herren bie für fie beftehenbe ©chwierigfeit, 
ein Wahre« Äunftwerf oon einem unfittlicljen SRad)Wer£ ju 
untetfeheiben, unter Umftänben fchwere golgen für un« haben; 
noch unberechenbarer werben bie ©efahren für un«, wenn ein 
ganatifer etwa al« OberlanbeögeridjtSrath ben Sorfifc hätte, 
©ie« Safiliäfenei ift aßerbing« ohne Sebenfen gelegt, junt 
9lu«brüten Wirb e« hoffentlich nidjt fontmen. 

SJieiner Slnficht nadh müßten @efcfce«maßnahmen, welche 
eine ©efunbung fowoljl ber ©itten wie be« SEörper«, nicht 
aflein be« beutfehen Solfe«, fonbern aßer Sölfer ber ©rbe 
bi« in bie höchften ©efeflfchaft8fd)ichten bewirfen woßen, auf 
einem ganj anberen ©ebiete eingreifen: bem mebicinifchcn. 
©ovt liegt bie 9lufgabc, mit bereit Söfung bie ©taat«regierung 


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232 


Die (Setjtnntarl 


Kit 15. 


fic^ ein ewiges Dentntal fefjen Würbe: burdj unerbittliche 
gefefelidhe ÜJtaferegeln bie furchtbare Äranfheit an ben SBurgeln 
gu faffen, welche feit bent 15. 3afjthunbert bie beutfche Sugenb 
Wahrhaft üernichtet. 

Die Äunftparagraphen ber lex §einge aber finb gänglid) 
überflüffig unb muffen fallen. DaS fchon beftehenbe ®efe| 
genügt üoßfommett. 9ltfo fort mit §emmf<huh unb Änüttel, 
freie Sahn unferer Äunft, freie fiuft unb Sicht im neuen 
Sahrhuubert! Unfere üoUe Ära ft wollen Wir einfefcen, um 
unferer 3 e *t unb ©ultur ben oornehmften Stempel aufgu* 
brücfen, ben einer hohen Slütlje moberner Äunft 


3ad)ttU0 auf allen Äinfjweihen. 

SBon Hobert EDalbmüUepDuboc. 

SDMnner, bie eS wiffen fönnen, uerfidjern, bafe bie ©hinefen 
faft auSfchliefetidj oon SReiö leben, bie ©aucfeoS oon Ddjfenfleifch, 
bieSübfee*3nfulaner oon giften. ©S Wäre für bie ißfhdjologie 
wohl enblich einmal eine Statiftif über bie geiftigen ÜJtähr« 
ftoffe, in Segug auf ihre ZonfumtionSgebiete, in’S Seben gu 
rufen. SSie bann ©influfe auf eine rationellere Sertljeilung 
biefer 9täf)rftoffe, in Segug auf ihre ©onfumtionSgebiete, in’S 
Seben gu rufen fein wirb, Wäre eine weitere grage. Seber 
Sauer weife, bafe fein Slcfer nicht jahraus, jahrein mit ber* 
felben gruchtfaat befteflt fein barf, foß er nicht ben Dicnft 
Oerfagen. Sn einigen ©cgenben verpflichtet fich ber Pächter 
fogar gum ©infjalten einer feft geregelten, auf beftimmte Sah« 
[ich erftretfenben 9Bechfel*2Birtljfchaft. 3Jtan blicfe fich bagegen 
auf geiftigem (Gebiete um. SBo ift ba, fo Weit eS fich um 
SDiaffen hanbelt, eine 9lf)nung Oon bet SBicfetigfeit eines geiftigen 
Frucfet* unb ©rneuerungS*9Bechfe(ö? ©ewife, baS Serlangen 
nach Steuern, nach Seränberung, wohnt ber ßRenfcfeheit inne, 
neben ihrem entgegengefefeten Drange, bem ©emDtjnheitShange; 
unb jenem Serlangen entgegen gu fommen, ift bie §auptforge 
ber grofeen SJtehrgahl geiftig fßrobucirenber. 91 ber bie ®eifter 
bennoch in einer beftimmten, giemtich eng begrengten Sichtung 
feftguljalten, ift ebenfaßS bie §auptforge biefer nämlichen 
SRehr^ahl, unb wirb eS auS guten ®rünben immer bleiben. 

SBaS fich an folgen Sichtungen auch ohne ftatiftifche 
DrientirungSfarte am Unüerfennbarften bem Sluge aufbrängt, 
ift einerfeitS bie ber focialiftifchen, anbererfeits bie ber ultra» 
montanen Siteratur. Sur üon ber Sefcteren foß hier bie Sebe 
fein, unb gwar nur Oon einem einzigen ©eifteS*ißrobuct, baS 
jebodj recht füglich ben nämlichen ©tnblid in eine gange Soben* 
fchicht eröffnet wie ber ©rbfluntpen, beffen chemifdje 9lnalt)fe 
bem glurabfchäger 9luffct)lufe giebt über bie Sefdjaffenheit 
einer gangen 9lderhufe. Denn baS ift ja oor 9lßein, waS ben 
UltramontaniSmuS auSgeidjnct: bafe er fich 3 *oar halb fo, halb 
fo mifd)t, bafe bie 2J?ifd)ung felbft aber burdjweg auS ben 
nämlichen Stoffen befielt. Wie auch bie gange |>ufe nur eine 
SDtuttiplication ber ®ramme unb Zentigramme beffen bilbet, 
WaS ber ©heinifer auf feiner SBage oor ftd) liegen hat. 

©S hat fich ein Such auf meinen Schteibtifd) Oerirrt, 
baS einen ©Ifäffer gnm Serfaffer hat: ©ebidjte auS bem 
©Ifafe oon 91. §ämmerlin. 

SBir haben Dänen unb tßolen unter unferer Seichtheit 
unb oerlangen nicht, bafe fie unS bafür Dant wiffen. Un* 
Vergeblich bleiben mir in biefer tpinficht 5 n>ei ©chilbwadjen 
auS bem Sah« 1870. Die am Strafeburger Sorbthor 
aufgepflangte, mit ber id) einige ©orte wechfelte, war Oon 
ber jütifchen ©renge unb fpracf) nur bänifch- Die beim ©in* 
gange in bie gerfdjoffene ©itabcße poftirte tonnte nur in 
polnifcher Sebemünge herauSgcben. Sie tarnen mir Seibe 
mifemuthig oor, unb id) oerargte eS ihnen nicht. 9lber im 
„Sebhuhn", wo man beutfd) fprad) unb mich, toeil ich beutfd) 


rebete, hoch fo fchledjt wie möglich logirte, hätte ich fdfier 
Suft gehabt, bie gweihunbertjährige ©ingewöhnung bet ©Ifäffer 
in fraitgöfifche Serhältniffe gu ignoriren unb auch für nichts 
gelten gu laffen, bafe bie nod) rauchenben Drummer ber Stabt 
oon beutfdjen Äanoniren unb beutfchen ©ranaten gar UebleS 
ergählten. 2Bit hatten unS eben tn ben Äopf gefegt, bie 
Sprache unb bie ehemalige 3 u 9 e hbrigfeit ber ©Ifäffer gum 
heiligen beutfchen Seiche habe bafür geforgt, bafe man ftch 
auch bieSfeitS ber Sogcfen immer noch als Deutfcfee emppnbe. 
Sun, gang ift biefer fdjöne Draum nicht in ©rfüßung gc* 
gangen. 2Bir werben uns in ©ebulb faffen muffen, aber 
immerhin fieht unS ein Such, baS gu unS auS Strafeburg 
herüber weht, mit 9lugen an, benen Wir freunblid) gulächeln 
möchten. 

Die etwas wortreiche ©inleitung, mit ber ich begonnen 
habe, liefe wohl fchon oermutijen, bafe Oon folgern SBifltomm* 
grufee bieSmat nicht bie Sebe fein foflte, bafe ich vielmehr 
üon einer 9Irt geiftigen SährftoffS fpred)en Würbe, bie beffer 
ungenoffen bleibt. Dies ift bennoch nur theilweife meine 
9tnfid)t, id) Würbe fonft gang baoon fd)weigen. So mangel» 
haft bie poetifdje Form ift, über Welche ber Serfaffer verfügt, 
unb fo abgeftanben bie meiften feiner ®el)äffigteiten gegen 
Äefeer, greigeifter, Freimaurer unb Suben finb, ber Umftanb, 
bafe er augenfdjeinlich ber poetifefee ©horführer ber ©Ifäffer 
©entrumSmänner ift, macht fein Such bo<h beachtenSmerth, 
wenn bamit für ben Serfaffer auch nichts SerbinblidjeS gejagt 
fein foß. 2Jtan hat bem Zentrum häufig ben Sorwurf ber 
SatertanbStofigfeit gemacht. ©S wäre unbißig, wenn man 
einem alten ©Ifäffer aus feiner SaterlanbSlofigteit einen Sor* 
Wurf machen wollte. Sft er fo gtüdlid) gewefeu, feine frangö* 
fifepen Sympathien gu überwinben, befto beffer für ihn; beim 
langen Fronbiren fommt bodh nichts heraus. 9lber itnS9lnbem 
ift eS nicht möglich, unS in feine Steße gu oerfefeen. ^>at er 
oor ber §anb baS ©efühl, Weber nach ^ßaris no^ nach Setlin 
hin gu gehören, fo ift er fchon auf gutem SEBege. Darauf 
fpeculirt ja auch bie Ißoliti! Derjenigen, Welche im ©Ifafe oor 
9lflem bie fonft mißliebige Ißflange, ben IßarticulariSmuS, in 
Sucht genommen haben. F ra nfreichS Sepublil hat nun bafür 
geforgt, bafe, felbft in poetifefeen Grgüffen, bie ©Ifäffer Ultra* 
montanen [ich nicht in Sßefjffagen über ben Setluft ber belle 
France ergehen, unb fo tonnte ber Sänger beS ©Ifäffer Zen* 
trumS, als bie falfche Diadjricht Oon Sictor §ugo’S Dobe burd) 
bie Slätter ging, ber frangöfifefeen ©mpfinblidjfeit gum Dro|, 
feinen etwas plumpen IßegafuS gu folgenber Äraft*9Tpoftrop^ 
fpornen: 

Sobt! ©o (chattet e8: Jobt —! 

@in rtefig Ungctjeuer 
Schieb au§ biefer SBelt: 

§ugo, ber ®idjter, ift tobt. 

Sdjmücfenb $immel unb Srb' — 

3br Sonnen, ©teme unb ©hinten — 

Subelt in fieHerem ®Ian»: 

$ugo, ber Siebter, ift tobt! 

28olten, Siebei unb .ffotlj, 

Unb loa® fjinieben befnbeit — 

Safet ben Jljränen ben Sauf: 

^»ugo, ber ®icf)ter, ift tobt! 

®u fcf)önbliibenber Snob’, 

Unb ®u, o reijenbe 3ungfrau, 

Qubelt im fdjneHeren ®anj: 

— £mgo, ber ®id)ter ( ift tobt! 

2J?an Wirb Vießeidht ber 9lnfid)t fein, ein Seelforger 
bürfe felbft nid)t einem Feinbe fo harte ©orte in’S ©rat 
nachrufen; hoch theilt fich ber Serfaffer fetter fchon in einer 
aus bem Sahre 1868 ftammenben Dichtung bie Stoße eines 
„©robfehmiebö" gu, unb eS wäre auch Unrecht, ju oertennen, 
bafe fein eigentlicher Seruf, wenn auch nur tm bilbtidjet 
Sinne, nach biefer Seite fein neigt. SBie gut weife er bei 
berartigen Ipantirungen ben üoltSt|ümlichen Don gu treffen. 
9J?an färe bie erften Strophen beS ©ebidjteS: „DeS ©rob* 
fchmiebs Draum" (üon ihm felbft ergäbt): 


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Nr. 15. 


Die (Degentoari 


233 


„JRupenb faß icf) bot ber ©djmtebe 
9Jad) genoff'uer Slbenbbrüf)’; 

3(ul)’ war SSalfam jebem ©liebe 
9iad) be8 Sagwert’8 patter SDlüt)’: 

©inen jdimeren ©üterwagen 
Hatt' icf) Eiente neu befdjfagen;... 

— Xod) jum Sdjlaf roar’S nod) ju früfi. 

Sonne war nod) nirfjt gegangen 
91 u§ beS XuvfeS §äuferreil)'it, 

©arf, wie glüp’nbe ©ijenftangen, 

3pre Strahlen nod) herein; 

®urcf| be8 WpfelbaumeS Slefte, 

Spielten fiep als freie ©Äfte 
Stuf ber Sdjntiebe genfterlein." 

Unb nun fommt „eine Ijofje SBeibSgeftatt, rttcfjt ntefjr 
jung, unb bocf) nic^t alt", bie Vernunft unb befteHt bei bem 
©robfchmiebe „einen feften Jammer", unb charafterifirt ficf), 
Wie folgt: 

„©ciftig ift'mein Xpuit unb ffiefen, 

©irtt nidjt bei be8 $)ir[d)eS SBrunft; 

Stur für ©enfdjen auderlefen, 
lieb’ id) ganj ln iprcr ©unft." 

@ie fdjilbert barauf in mehr alg jtoanjig ©tropfen 
alleg Ungemach, Welches Demagogen, ©ectirer, Ütätfje unb 
dürften, um bag SBolf ju oerbummen, if)r fdjon angetan 
haben unb immer nod) antljun, unb ba Wäljrenb biefer langen 
©d|ilberung ber „fefte" Jammer fertig geworben ift, fo be» 
beutet fte bem ©robfdjmiebe: 

„Hämmern ift nidjt meine Sa die; 

Sdjmieb, bieS ©erljeug pafjt für Xidj! 

®e|', jertlopfe Xu bie Sepren, 

®ie ba8 SJolf unb miep entehren: 

©tproing' ben Hammer ®u für midj." 

®er ÜJtame ^emmerlin fc^eint mit biefer ©teinflopfer» 
SJiiffion fd)on fo ziemlich ju harmoniren. 2Bie ber ©rob» 
fdjmieb fid) in ißrofa augbrüdt, wenn er in ben fogenannten 
tpefccaplan=3eitungen ben Jammer fcf)Wingt, Derräth er ung 
tn ber (Sinleitung ju bem oben citirten ©ebicf)t. (Sr f)ält fiel) 
ba einerfeitg alg Slbraham a ©ancta (Slara unb rebet Don ben 
©egnern ber Vernunft, b. i. beg ißapfteg, als §o(b= unb folb» 
felige Sekret", ergraute ®octoren, unb „flaumige ©tod= 
t^oren" u. f. w., anbrerfeitg befolgt er bie gut bewährte Sactif, 
bem SSolCe etwas Unerhörtes, burdj bag eg angeblich bebroljt 
Wirb, metapfjorifd) Dorjutrageit, unb bann burcf) ben 3 u f a Ö 
„bag ift lein üJtärchen, bag ift2age3gefd)id)te", bag erfcfjrodene 
SBolf glauben ju machen, eg muffe fid) thatfäd)ltd) bei Strafe, 
bie hier auSgeführt Wirb, liinftig „bie Vernunft, gut SntcUi* 
genj jerpuloert, päddjenweife mit ©ebraud)3anweifung um ein 
ffpotjjefergelb laufen". 

3<h habe ben Vetfaffer als ©eelforger bezeichnet, womit 
freilith nicht gefagt fein Will, bah bie angeführten groben 
feiner litcrarifdjen ihätigfeit jener Bezeichnung fonberlich 
entfprechen. (Sr felbft Derfchweigt auch auf bem SCitel fein 
geiftlicheS Slmt. Vielleicht hat er, wegen feiner poetifdjen 
unb polemifdjen Begabung für bie Bearbeitung ber nieberen 
Volfgclaffen fich feiner amtlichen ^hätigleit begeben bürfen, 
ober bie 5Dtai«©efehe Derlegten ihm bie Kanzel. (Sin oon 
1859 batirenbeS ©ebicht an ben hodjwürbigen ißater grepb 
in 9tom gerichtet, läßt jebenfaHS Har erlennen, bah er ba» 
matö ^rieftet war, unb zwar ein fchon ftart im Sümpfen 
begriffener ^rieftet. (SS fdjeint aug ber 3efuiten*9Dtiffion jit 
Bona in §tfrila an ben ißater grepb gerichtet, beutt es be» 
ginnt mit ben Sßorten: 

„3<^, auf Sluguftin’8 entweihtem SBoben ... 

®u, o greunb, im ewig petl’flen 9tom! — 

3<b umrungen t>on fforan=3 e l° ,en - 

®u im Schatten bon St. if3eter’8 ®om!" 

Unb nach einigen Verfen, welche bie heilige ©tabt uttb 
ihre „mit JRiefen»Settern eingemeihelten ©laubenöpunlte" 
feiern, feufjt ber SWiffionar fo: in Stfrila bagegen fei „STUeS 
abgetragen, wag borbem bag Sreuj gefchrieben", unb ber 


SSrrthum entreihe ihm mancheg ©chäflein, worauf er traurig 
fortfährt: 

„®u luftwanbelft im gebauten ©arten 
Unb erquidft ®ich an ber 33lumen gier; 

®ifteln nur feh ich bon allen Strten, 

3eber Schritt führt mtdj auf ®omen §terl" 

®ah er aud) im ®eutfchen 0?eicf)e offenbar lebiglich ®ifteln 
unb Bornen fie|t, ift ein Verhängnih, bag ihn wie eine 
fdjwarje SBolle begleitet. Sa, biefe SBolfe lann im „bunllen 
SBelttheil" faum fo fchwarj gewefen fein wie bag Stiefengewötf, 
bag ihm je^t bie ©alle in’g Blut treibt, benn in bem ©ebicht 
„®ie ©onne unb bie SBolfe" erblidt er in ber SBolfe, welche 
ben ©lang ber ©onne Demichten Will, nicht nur bie ihm Der» 
äd)ttid)en Sieger, greigeifter, greimaurer unb Snben, fonbern 
Dielmehr bag ©taatgoberhaupt felbft; fehltest ber ®id)ter hoch 
wie folgt: „Unfere 5ftrd}e ift bie ©onne — unb bie SBolfe 
— (Sin Ütegent". ®em ©ebicht ift jwar bie Sahregjahl 
1854 beigefügt, aber 5ß. ^emmerlin hut im Sejte einen ganj 
anberen 3 u f a l/ nämlich bie fßarantljefe „eine jeitgemähe 
SlUegorie" gemacht, unb wer eg in feiner „O 81" erfdjienenen 
erften Sammlung lieft, wirb wiffen, woran er ift. $)a ber 
SD?enfd) übrigeng mit feinen höheren 3&>eden wädjft, fo erfreut 
fich biefeg ©ebicht in einigen feiner zahlreichen Strophen eineg 
größeren ©chwungeg, alg ihn Diele ber übrigen hoben, unb 
namentlich bie gteube an bem Möglichen Untergange ber SBolfe 
hat bie Sflufe beg ©robfehmibtg offenbar über ihr gewöhnlicheg 
Sfraftmajj hinauggehoben. ©o f^ilbert Iß. Jpemmerlin biefen 
ja fchon häufig in V to f a geweigfagten Vorgang: 

Unb nun fc^ie|t auf breiftem glügel, 

— 3orn unb ©roll im bunllen Sdjoofe, — 

Site ein IRabenfc^warm bie ©olle 
3luf bie pe^re ©onne Io8, 

®af<pt im tollen Uebermutlje 
©trapl um Strahl bem fildjte weg, 

Säfet ber ©illlüt freies ©alten — 

Unb geberbet fich gut frech. 

Sieh — ba brauft Don weiten Sieeren 
Salb ein mädjt’ger Sturm heran, 

Ißeitfdjt bie ©olle auSeinanbet, 
geget rein bie Himmelsbahn; 
pfeift baju ein luftig Siebten, 

®em jerftiebten ®unfl jum Hohn. 

Unb bie ©onne? Sticht ein @träpld)en 
3ft öerlegt an ihrer ^ron’!" 

SBir haben mit bem Bebauern angefangen, bafj bie Statur 
ber ®inge ganze große Kategorien ber SOtenfdhheit Saht aug 
Sahr ein auf bie nämliche geiftige Koft DerWeift. (5g war 
nid)t butchaug nöthig, babei einjig an bie Befer focialiftifcher 
unb ultramontaner Seetüre ju erinnern. Seber weiß, baß 
alle BeDormunbeten mehr ober weniger ber gleichen Sötonotonie 
überantwortet finb, unb fie machen ja bte große SOtehtjaht 
aug, einerlei, wag man fich watet BeDormunbung benfen mag. 
^ier haben wir ung nur mit ber großen ©emeinbe ber 9töm* 
linge, welche fo gahlrei^e Slbgeorbnete in ben SReichötag fenbet, 
ju befdjäftigen gehabt, ober Dielmehr mit einem ber 9tähr» 
ftoffe, bie Sahr aug Saht ein ihre Dorwiegenbe geiftige Koft 
augmachen. Kein SBort Dom Vatertanbe in biefem 840 ©eiten 
enthaltenben Buche, fein tpaudj ber gtenbe über ben griebeng» 
einfluß, ber fich feit 1871 in (Suropa geltenb gemacht hat, 
fein Schimmer Don $h e tf na h me » felbft nur für bie Derworrenen 
Sebengfäben ber frangöfifchen Station, mit welcher ber (Slfaß 
boch fo lange eng zufammen gehalten hat, fein (Spitheton ber 
©hrfurcht Dor anberen Sterblichen alg Dor bem römifdjen 
$ßapfte unb feiner tonfurirten Slrrnee! Unb bennoch hat biefer 
gef^madlog gebliebene 9teimf<hmibt mehr alg nur poetifdjen 
®rang. 3 to iWen ber SRaffe Don, fo zu fagen beftettter Slrbeit, 
blifet eg zuweilen bichterif^ auf, unb zu bem .Verbruß, ben 
ißm offenbar fein Berufggefchäft beg ®iftelföpfeng unb beg 
©robfehmibthämmerng bereitet, müffen Wir ben weiteren fügen, 
ihn jenen BeflagenSWertljen zuzuzäf)len, „bie ihren Beruf Der» 
fehlten", bie bag 3 eu 8 Z u etwag Befferem hatten. (5g Wäre 


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234 


Die ftegetuoari 


♦ 


Nr. m* 


in feinem ®orfe, toenn er benn burdjauS ©robfcfjmtbt merben 
rnufjte, geteife audj in Söirflic^feit als folget für iljn ein 
©djurjfeu unb ein 9tmbo3 ju befdjaffen gemefen. SBarum 
ftecfte man iljn in’3 ^riefterfeminar? 

„©4, wo ift metn ®eimathlanb, 

$)em mein $er$ gewogen, 

©k mi4 treue äxutterhanb 
©orglt4 aufgejoaen! 

C, wo ift mein 3)orf! 

©ei’S au4 luftig, fei'S au4 f4ön 
4?ier im ©tabtgetümmel; 

Sßeine fteimath mö4t’ ich fehn 
$)ort nur ift mein Fimmel, 

9htr in meinem 3)orf! 

©o Ijat er einft in jungen Sauren geüagt. SSefct 
mac^t er ©päjje über SRfidert’ö „inbifdjen ÄüfjefdjtDanj", 
über ©oetfie’8 „feibenen ©c^Cafrocf non 2)amaft(!)" unb 
Reifet ©djiflet einen „eblen jC^oten!" SBeldje Äoft für 
unfere mit Strömen teuren SBlutö mieber ertaufteu Sr über! 

--*-*-*•- 


^euiffeton. 

- 9ta<$brutf üerbotett. 

Der Wann. 

(Sine englifdje ®arnifonSgef4i4te* 

©on Hnbyarb Kipling. 

©hafefpeare fagt irgenbwo, au4 ber lleinfte ©htrrn — eS fönnten 
ebenfo gut Ütiefen wie 3nfecten fein — winbe fah, wenn er getreten 
werbe. 3)aS ©efte ift eS alfo, einen ©3urm nic^t au treten, nicht ein« 
mol ben jüngften ©ubaltem«0fficier, ber eben erft auS (Snglattb an« 
gelangt ift, beffen Uniformhtöpfe noch blanf finb, beffen ©kngen noch 
baS SRoth be$ foftigen englif^en töinbfleifcheS höben. 

#ter bie ©efdjichte eines ©krmS, ber fah gefrümmt hat. $)er $ürae 
halber fei nämlich #enrp SRamfap Saipaure einfach „ber ©kmt" ge« 
nannt, obwohl er ein recht bübfdjer 3unge war, ohne ein Härchen im 
©eftdjt, ber bie Süfa eines SRäbdjenS aufwieS, als er au ben aweiteu 
©chülarriS !am, wo er fo mancherlei ©ergerniffe erlebte. $)ie 
©^illarriS finb ein auSerlefeneS Regiment, unb wer ba was gelten will, 
muh fchon etwas ©efonbereS leiften lönnen, im ©anjofptelen, im Seiten, 
©ingen ober Äomöbienfpiel. Selber verftanb ber ©Burm gar nichts, als 
Dom ©ferb au fallen unb beim Sohren bie Xharpfoften au bemoliren. 
3)o4 baS würbe mit ber Seit einförmig. (Sr Verachtete 58^tft, bur4- 
lochte baS ©illarbtuch, fang falfd), §iett wenig auf fah unb fchrieb ©riefe 
an ©Rama unb ©chweftem. ©iet Don biefen fünf Gingen gelten bet 
ben ©djiWarriS als Safter, bie auSgeroitel werben müffen. S)arum 
chicanirten fte ben ©8urm nicht wenig, aber ber nahm ©lleS gebulbig 
hin. (Sr war fo gut, fo ängftlich a u lernen bemüht, er lonnte fo heftig 
erröthen, bafj feine (Sraiehung halb aufgegeben war, unb er Don Sillen 
fich felbft überlaffen würbe, ausgenommen Dom §auptntann, ber fort« 
fuhr, bem ©htrm baS Seben fdjwer au machen. (Sr meinte eS nicht 
fchümm, aber er war etwas grob unb muhte nicht au rechter Seit ein« 
auhalten. (Sr hatte au lange auf fein ©vancement warten müffen unb 
baS Derfauert immer; auch war er verliebt, unb baS machte ihn bösartig. 

fltochbem er eines $age$ bem ©htrm wieber einen ©treich gefpielt 
hatte, gab er ben ©ericht barüber in ber SReffe aum ©eften. 2)a ftanb 
ber 28urm auf unb fptadj mit feiner ruhigen S'amenftimme: 

„2)aS ift ©HeS recht fdjön, aber ich wette eine ©knatSgage, i4 
aahle eS Shucn in einer SBeifc heim, bafj ©ie 3h* Seben lang baran 
gebenfen werben, baS Ütegiment aber auch noch, wenn ©ie längft tobt finb." 

(Sr fprach bicS ohne Sorn, unb bie SReffe lachte. $>er £muptmann 
fah ihn Don unten nach oben unb wieber auritef an unb antwortete: 
„föilt, ©abt)!" 


$er ©Jurnt rief bie übrigen Uameraben als 3 cu gen an unb a*>8 
fah mit füfjlühem Sächeln au einem ©udje a u *ücf. 

Swei SRonate vergingen; ber $jauptmann fepte fein (SraiehungSwer? 
bei bem ©ktrm fort. 34 habe bereits bemerft, bafj er verliebt war. 
3)aS (Srftaunlichfte babei ift, bafj ein junges SWäbchen ihn liebte. Cb« 
wohl ber Oberft unangenehme ©emerfuitgen machte, bie SRajore brummten, 
bie verheirateten &auptleute altflug lächelten, unb bie jungen Cfficierc 
fpöttelten, waren ©eibe Verlobt. Unb fo eifrig war er mit feiner (Som« 
pagnie unb feiner ©raut befepäftigt, bah er barüber vergab, fah weiter 
mit bem ©3urm a« befdjäftigen. 2)a$ Räbchen war hübfth unb hatte 
©elb. ©ie fommt übrigens in btefer ©efchichte nicht weiter Vor. 

©ei ©eginn ber ©ommerfape fajjen eines ?lbenbS alle Cfficiere 
Vor ber 3Reffe auf ber Plattform ber Kantine, ausgenommen ber SBurnt, 
ber auf feiner ©tube fah, um nach ber ^eimatb ju ftretben. 3)ie 
^ufacapelle hatte ihr Programm abgefpielt, hoch deiner bachte baran, 
ftch au entfernen. Sluch ^ ©auptmannSfrauen waren anwefenb. 3)1 e 
2h°*h«tt eines verliebten ARanneS ift unbegrenat. 3)er ^auptmann 
würbe nicht mübe, bie ©oraüge feiner ©erlebten au preifen, wobei bie 
5)amen auftimmenb nirften, bie SRänner aber gähnten, ©löplich mürbe 
im 3)unfel baS Häufchen von S*auengewänbern Vernehmbar unb eine 
mübe, fdjwache ©timme fragte: „?So ift mein Gtette?" 

34 will gegen bie ©ittli4feit ber ©4iKarrlS ni4* baS ®eringfte 
gefagt haben, aber eS ift $hatfa4e, bah bei biefer S*age alle 9Rann in 
bie §öhe f4offen, als wären fte getroffen worben. 3>rei Von biefen 
waren Verheiratet, ©ieüeitt erftrafen fte, weil fte ihre Stauen fo 
plöplit von ber ^eimath angelangt glaubten. 3)er ©ierte meinte fpäter, 
er fei nur bem 3wpulS beS ?lugenblicfS gefolgt. 

2)ann rief jene ©timme wieber: „C Sionel!" 

Sionel war ber 9?ame unfereS ^auptmaiinS. (Sine S*au trat 
näher, ftreefte bie 2lrme na4 ber bunfeln ©teile auS, wo er ftanb, unb 
feufate. SBir SlUe erhoben unS unb fühlten, bah j*pt ft4 etwas ereignen 
müffe, unb waren bereit, baS ©4Ümmfte a« ertoarten. 3u ber Keinen 
SBelt, wie bie unferige, weih utan fo wenig vom Seben feines $ä4fan, 
bah mau leineSwegS überraf4t ift, wenn plöpluh ein Sufammenbrut 
erfolgt, ©ieüeitt war ber $auptmann in feiner 3ugenb in bie Saüe 
gegangen; SRänner werben ja oft in biefer SBeife gefangen. SBir wufaen 
eS ni4t, wir wollten eS aber erfahren, unb bie CfftcierSbamen waren 
fo begierig wie wir. ®ing er wirfüt in bie SaHe, fo war er au cnt= 
ftulbigen, benn baS aus ber Seme gelommene S*au4en in ftaubigen 
©4uhen unb grauem SReifetteib fah mit ihrem fchwaraen &aar unb 
groben thränenvollen klugen fehl* lieblüh auS. ©ie war ftlant, hatte 
ein f4öneS ©eft4t, unb ihre f41u4aenbe ©timme war rührenb. 5CIS 
ber ^auptmann aufftanb, ftlaug fte ihren Slrm um feinen Warfen unb 
nannte ihn „mein Siebling"; fie hätte eS nicht längerallein in (Snglanb 
auShalten fönnen, feine ©riefe wären fo !ura unb Falt gemefen, fte wäre 
fein bis an’S (Snbe ber ©Seit, unb ob er ihr beleihen wolle. 3)aS Üang 
juft ni4t fo, wie eine Sabt) au fpre4en pflegt; eS war au Ieibenf4aftli4- 
SeöenfaHS f4ienen bie 3)inge fehr arg. 3)ie CfficierSfrauen blietten ben 
£>auptmann fehr ftreng an, unb baS (5Jeft4t beS SRajorS gli4 bem jüngften 
Xag. deiner fpra4 aunä4ft ein SBort. (Snbli4 fagte ber Cberfl !nra: 
„9tun, ^err?" 

2)ie 3)ame f4lu4at* auf r S 9ieue. 5)er ^auptmann, halb erbrüdt 
von bent Slrtn, ber ihn umf4lang, feu4te faft tonloS: „©erbammte Säge! 
©kr in meinem Seben ni4t Verheirathet!" 

,,©4wörett ©ie ni4t!" mahnte ber Cberft. „©eben wir htuein, 
bie ©aepe in'S Mare au bringen." 

Unb er feufate babei, benn er hielt etwas auf bie ©foral feiner 
©4iftarriS. ©ttr begaben unS ©de in baS beffer beleu4tete Dorbere 
3intmer, unb hie* erft fahen wir, wie f4ön biefe S*au war. ©ie ftanb 
in ber ©titte, auweilen erf4üttert vom ©Seinen, bann wieber ftola bie 
Slrme nach bem §auptmann auSftrecfenb. ®S war wie ber vierte fcet 
einer Xragöbie. ©ie eraählte unS, bah ber #auptmann fte geheirathet 
hatte, als er Vor a4taehn ©knaten mit Urlaub au &aufe war; att4 


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i 


5. 


Die töejenroart. 


235 


festen fte Don feiner gamilie unb feiner Vergangenheit Ade« ba« gu 
wiffen, wa« wir wupten, unb nod) Diel mehr. ©r fap weip unb fapl 
au« unb Derfudjte pie unb ba in einen Sturm Don ©orten au«gubre4en. 
©ir Anbern fapen nur, wie lieblidj fie war unb wie Derbredjerifd) er 
au«fap, unb Rieften Ipn für eine Veftie f4limmfter Art; aber er tpat un« 
bennod) leib. 

34 werbe nie ba« piüpli 4 e@rf 4 «inen ber©attin unfere« $auptmann« 
bergeffen. Au4 er gewip nüpt. ©8 bra4 fo jöp, fo unangelünbigt au« 
bem Tuntel peroor in unfer übe« Sebeit. Die DfpcierSfraueit fianben 
im ©tntergrunb; 4 re klugen teudjteten, unb man erfannte, bap fie 
bereit« überzeugt waren unb über ben fpauptmann ba« Urtpeil gefällt 
batten. Der Oberft febien um fünf Sapre gealtert. ©iner ber ©ajore 
bef4attete feine Augen mit ber £>anb unb betrachtete prüfenb bie grau. 
(Sin gweiter faute an feinem S 4 nurrbart unb lächelte ruhig, al« ob er 
einem S4aufplet beiwohnte, ©eiter oben bei ben ©pifttlf4en war ber 
Xecfel bamit befchäftigt, nach gliegen gu f 4 nappen. 34 erinnere mi 4 
an Ade« fo beutli4, al« ob 14 eine Sß^otograp^te baDon in ber £>anb 
hätte. 34 erinnere mi 4 au 4 an ben © 4 r eden«au«brucf auf be« $aupt« 
mann« ©eff4t. ©r fah au« wie ein Gehängter, nur Diel intereffanter. 
S4Kepli4 ertlärte bie Dame, ber #auptmann habe auf feiner linten 
S4utter ein F. M. tätowirt. Da« war un« Stilen au4 befannt, unb 
unfere unf4ulbigen ©emütper f4ienen nun Dölltg überzeugt. Do4 einer 
ber lebigen Majore bemerfte fehr häfti 4 : 

„34 glaube, meine ©näbige, 3 P* Drauf 4 ein würbe bem 3 merfe 
beffer bienen." 

Sie fuhr empor, fah ben £auptmann wüthenb, ben Oberft, ben 
©ajor unb alle Anberen ärgerli4 an. Dann weinte fie rnieber, gog au« 
ihrer Slufe ein Rapier unb fpra4 gropartig: „£>ier, nehmen Sie! Unb 
taffen Sie e« meinen hatten, meinen gefepluh angetrauten ©atten laut 
Dorlefen, wenn er c« bermag!" Allgemeine« Staunen, ©iner fah ben 
Anbern an, al« ber £>auptmann ba« Rapier nahm, ©r f 4 wanfte, feine 
Äeple war troefen; bo 4 al« fein ©lief auf bie S 4 nft fiel, bra 4 er in 
ein raupe« Stottern au«. Dann fagte er gu ber Dame: „Sie junger 
S4etm!" 

Unb bie Dame eilte gut Spür pinau«. 

Auf bem Rapiere aber ftanb gef 4 rteben: 

hiermit wirb beftätigt, bap t 4 , ber ©urm, bem £errn £>aupt= 
mann meine S4ulben alle begaptt habe, ferner, bap ber §err $>auptmann, 
laut Veftimmung Dom 23. gebruar, wie bie Äameraben.bezeugen, mir 
eine Dolle ©ouat«gage in gefepli4er ©ährung be« 3wblf4en Vei4e« 
f 4 ulbet . . ." 

(Sine Deputation würbe na4 ber ©opnung be« ©urm« entfanbt 
unb fanb ihn im UmKeiben begriffen. Aber fo wie er war, mupte er 
hinüber fommen, unb bie S4ittarri« jubelten ihm fo laut 511 , bap bie 
Artilleries©effe perüberf4iclte, um au4 wa« Don bem Spape gu haben. 
34 glaube, wir Alle, ber Oberft unb ber §auptmann aufgenommen, 
waren ein wenig enttäuf4t, bafj ber Scanbai in 9Ji4t« gewonnen war. 
D 04 ba« ift nun einmal menf4U4- ®« gab nur eine Meinung über 
be« ©urm« DarfteÜung«funft. Al« er mit un« na4h er auf bem Sopha 
fag unb wir ihn fragten, warum er nie wa« baDon gefagt habe, bap 
ßomöbiefpielen feine ftarfe Seite fei, antwortete er ruhig: 

„34 mö 4 te au 4 gar ni4t, bap 3 b* mi 4 barum befragt hättet: 
üp pflegte gu £mufe mit meinen Scpwepern Dheater gu fpielen." 

Do4 ba« Alle« ertlärt no4 ni4t be« ©urm« Virtuofität. $erfünti4 
finbe 14 bie Sa4* ja ni 4 t fepr gef 4 macfooll, überbie« au 4 gefäprti 4 - 
©an fod ni 4 t mit bem geuer fpielen, au 4 ni 4 t gurn S 4 **g. 

Die S 4 iKarri« ma 4 ten ipn gum Vorfipenben be« bramatifepen 
Aegiment«=&(ub«. Unb al« ber $auptmann feine S4ulb begaplte — 
Wa« auf einmal gef4ah — ftiftete ber ©urm ba« ©elb für Decorationen 
unb ©opume. ®r war ein guter ©urm, unb bie S4ittarri« finb ftolg 
auf ipn. Da« ©ingtge, wa« pängen blieb, war, bafj er Don nun an 
„grau ftauptmann" genannt würbe, unb weil e« jept beren gwei in 
unferer ©ompagnie giebt, fo entftept lei 4 t eine Verwechslung. 


jtn* bet JiauptJlabf. 

Die Jntemention. 

9?a4 ©ittpeilungen meine« fieibblatte«. 

I. 

©an taffe fi4 bo4 ni4t Don ben aübeutf4cn S4rciern betpören, 
ben blutrünftigen Darren, bie unfer Vaterlanb in taufenb Abenteuer 
ftürgen unb mit aller ©eit Derfeinben wollen! Um ihren, oft re4t felbfi- 
fü 4 tigen ^>ap gegen ©nglanb büpen gu fönnen, ma 4 cn fie in 93uren* 
greunbf4aft unb bef4impfen einen Staat, mit bem un« ein ©epelm* 
Dertrag, ja, luie ©r. ©hamberlain neuli4 anbeutete, fogar eine Alliang 
Derbinbet; einen Staat, beffen $errf4erhau« bem geliebten unfrigen nape 
Derwanbt ift unb beffen eprwürbiger Äünigin unfer ^aifer erft Dor furgern 
einen längeren Vefu4 abftattete. Unfere Sefer wiffen, ba& wir 93i«marcf'« 
Derfeplte unb Derberbli4c 3«lanb-^5olitif Aufopferung unb 

opue S4cu Dor autograppirten Strafanträgen befämpft haben. Aber ba« 
pält un« ui4t baDon ab, fein ©erf, foweit e« unfterblüp ift, gegen bie 
Angriffe Politiker ©infalt«pinfel in S4up gu nepmen, gumal wenn 
biefe Dröpfe mit feinem erlau4ten tarnen frebfen. Vi«mardf war ein 
erbitterter geinb ber fentimentalen ^prafe, er leprte un« Realpolitik 
treiben, unb er inüngte ba« ©ort Don ben 5hto4en be« pommerf4en 
©renabier«. ©enn aber ni 4 t einmal bie Söfung ber orientalif 4 en 
grage biefe ^no4en wertp war, um wie Diel weniger bürfen fle bann 
in Sübafrifa auf'« Spiel gefept werben! Vefreien wir un« alfo mit 
bi«mavdif4er $raft Don bem faulen Sauberbann ber $P* a fe, non ber 
fentimentalen Vewunberung unb Vemitleibung ber corrupten Vuren= 
republifen! ©nglanb trägt bie ©ultur unb bie ©iDilifation na4 @übs 
afrifa, ©nglanb will bie« ©ebiet ber eprli4en Arbeit unb bem gort= 
f4ritte erföliefjen, ipm bie Vilbung be« Saprpunbert« bringen — foQ 
e« ba wirtli4 Dor bem felbftfü4tigcu ©infpru4 roper unb Derberbter, 
befte4U4^ SclaDenpalter gurüdf4rerfen, bie ft4 in ihren Äleibem gu 
Vett legen, fi4 wo4cnlang ni4t Waf4en unb Weber f4reiben no4 Icfeit 
tonnen? Die Vuren empfangen nur ben woplDerbienten Sopn für ipre 
fleingeiftige AbfonberungSpolitif; je eper pe unter englijdje ^errfepaft 
fommen, befto beffer für pe. ©enn ni 4 t«beftoweniger in Weinen beutf 4 en 
^epblättem ber Ruf na4 3«t^«Uan laut wirb, fo genügt e«, biefe 
^irnDerbranntpeit gu belä4eln. Die englif4en unb bie beutf4en S « 5 
tereffen fließen, wie überall auf ber ©eit, fo au4 in Sübafrifa gu= 
famnten. 

II. 

©emijj, ni 4 t tpeilnapmlo« fann unb barf (Suropa bem Reibens 
tampfe be« tapferen Keinen Völf4en« gufepen. ©« ift gang unnötpig, un« 
bie« in groben ^Briefen mit Abonnement«fünbigungen Kar macprnguwoQen; 
wir tennen unfere 5ßfli4t opnepin, unb unfere Öefer fottten eine« Keinen 
©ifjoerftänbuiffe« halber ba« Vlatt ni4t gleüp maffenweife abbepellen. 
9to4 haben Rec^t unb ©ere4tigfeit eine Stätte in ber ©eit; no4 empürt 
P4 in ben alten (Julturnationen jebe gafer gegen ben ©ebanfen, bap 
f4nöbe 3?afffu4t, bap ber Derf(u4te junger na4 ©olb ein parmto« Volt 
Don $h:ien um greipeit, ©pre unb Vaterlanb bringen fofl. Unfere ßefer 
wiffen, bap wir bei Au«bru4 be« Kriege« biefelbe ftreng unparteiifepe 
Haltung wie heute eingenommen haben, unb man wirb biefe Haltung in 
Sonbon wopl gu f4äpen wiffen. Aber gerabe, weit wir ni4t gu ben waptt- 
pnnigen ©nglänberfreffern gepüren — obwopl wir ©pamberlain’« SRaubgug 
ebenfo erbittert Derbammen, wie irgenb eine, in angef4minfter Vuren* 
liebe f4wimmenbe (Joncurreng=3cÜUttgf uw« bergeben« Abonnenten 
abguringen fu 4 t — gerabe beppalb poffen wir, bei ben bomepm ge» 
pnnten Vritten ©epör gu pnben. Diefer ^rieg ip eine S4anbe für 
ba« po4pergige Atbion, unb je eper e« bie Anpiper gum Deufet jagt, 
befto beffer für feinen ©eltruf. 

©uropa« Spmpatpien, wir wieberpolen e«, gepüren bea Vuren. 
Von biefen lobenSmertpen ©mppnbungen aber bi« gu einer Snterbention, 
wie fie in ntan4en, gweifetlo« gutmeinenben, jebo4 politif4 wenig Der= 


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236 


Die (SegentDßri 


Nr. 15; 


ftrten Greifen verlangt wirb, ift naturgemäß ein weiter Stritt. 28er 
©nglanb ntc^t oßne Notß töbtlicß beleibigen will, ber barf jept nicht bon 
©tnmifeßung fpreeßen. ®ie Suren finb in unbeftrittenem gortfeßritt, 
bie englifeßen #eere liegen irrten allerorten gelähmt gegenüber, noeß 
immer ßat fteß ber Sieg an ben Sierlleur geheftet — wäre eS nießt eine 
Unfreunblicßfeit fonbergleicßen, wenn ©uropa ober gar $eutfcßlanb auf 
baS gebemütßigte ©nglanb nun nodj irgenb welken 2)rud auSübte? Außer* 
bern bebürfen bie triumpßirenben Suren gur geit unferet tätigen £>ilfe 
gar nießt. Sie werben oßnebie« mit bem SBtberfac^er fertig, ©rft in 
bem Augenblicf, wo ©nglanb feinen 28affenrußm wieber ßergeftetlt bat 
unb Dßm Paul« Scßaaren im Nacßtßeil finb, wo ber ebentueflen ©ins 
mifeßung alfo fein geßäjfiger ©tadjel mehr anßaftet, erft bann bat ©uropa 
baS Necßt, eingufeßreiten. 3)ann brauet e« aber auch nicht mehr gu be* 
fürchten, beS großmütbigen ©nglanb« feines ©ßrgefüßl unb National* 
ftolg gu fränfen. AllerbingS, fobalb biefer Augenblicf gefoinmen ift, bat 
bie gnterbention auch unbergüglidj gu erfolgen. Pflicht unb ©ewiffen, 
©ibilifation unb griebenSliebe gebieten eS unS. 

in. 

©ronje gefangen, bie Selagerung bon Sabpfmitß aufgehoben, Sloem* 
fontein eingenommen unb goubert geftorben — bie Surenfabneu finlen 
gur ©rbe, ber englifdje Seoparb bat feine Seute in ehernen pranfeit. 
gft e« nicht unbegreiflich, baß baS blöbe gnterbentionSgefchrei auch jept 
noch nicht aufßört? gtt ehrlichem Niugen bat ©roßbrittannien feinem 
©egner niebergeworfen, baS Slut feiner beften ©ohne riefelte über bie 
fteinigen §änge Natal« unb beS DranjefreiftaateS — unb nun forbern 
gewiffe §eppolitifer unfere Regierung allen ©rnfteS auf, bie Neutralität 
gu brechen unb ©nglanb um bie grüeßte beS müßebotlen, feßönen ©iegeS 
gu bringen? 2Bäre nicht ein Auffcßrei ber ©ntrüftung burch unfere 
beimifchen ©aue gegangen, wenn ©nglanb 1871 auf feiner ©inntifdjung 
beftanben hätte? $ie Sonboner ©taatSmänner bachten bamalS weife 
unb freunbfcßaftlicß genug, um SiSmarcf gewähren gu laffen; fie wußten, 
baß fie fich fonft ben unauSlöfdjlicßen £>aß eines gangen SolteS gugießen 
würben. 2Btr aber feilten unS beS guten alten Spruchs erinnern: 
28a« S)u nicht willfi, baS man $>ir tßu', baS füg auch feinem Anbern gu. 

AuS unferer Sbmpatßie für bie tapferen Suren haben wir im 
©inberftänbniß mit unferen lieben Abonnenten nie ein $eßl gemacht, 
unb wenn fie fämpfenb untergeben, fo werben wir ihr hartes ©c^icffal 
bon £>ergen betrauern. Aber ein AnbereS ift eS, als unberantwortlicher 
Untertban feiner Abneigung gegen gewiffe Praftifen ©ecil SßobeS' fräf* 
tigen AuSbrucf gu berieten, ober als berantwortlicher Staatsmann gu 
banbeln. ©raf Sülow, bem baS Sertrauen feines faiferlichen §errn 
boH unb gang gehört, weicht feinen gotl breit bon bem erprobten Pfabe 
biSmardifcher ©epßogenßeiten ab. 2Babrlicß, eS bebarf ber boshaften £>in= 
weife auf bie gaßrt naeß 2Binbfor nicht, unb ebenfo wenig ber unflätigen 
Lebensarten bon neubeutfdjer $rinfgelber=PoIitif, um ©raf Sülow an 
feine Pflicht gu erinnern, ©r fteßt ber fritiflofen Sewunberung eng* 
lifeßen SBefenS ebenfo fern wie bem fanatifeßen ©nglänberßaffe; füßl 
unb nüchtern berfolgt er bie ©reigniffe unb trifft bei gelten feine 2flaß* 
nahmen. 28ir erinnern nur an bie gfottenborlage unb bie Sorpebofaßrt 
nach Köln, ©ein ftaatSmännifcßer Sinn bat flar erfannt, baß eine 
gnterbention gur geit gwecfloS ift, weil baS ftegreiche ©nglanb ßocßmütßig 
jeben unerbetenen SermittelungSborfcßlag gurüefweifen würbe, ©ine 
folcße gurüefweifung aber bebeutete eine feßwere biplomatifcße Nieberlage 
2)eutfcßlanbS, bie erfte, bie wir feit bem Nlärg 1890 erleiben würben. 

$eutfcßlanb ift, fo berfteßt ©raf Sülow feine Aufgabe, auch heute 
noch &er ehrliche SNafler ©uropaS. gn $>eut[d)lanb berförpert fid) baS 
NeutralitätSprincip. $eutfd)lanb läßt bie Kämpfer auf bem fübafrifa* 
nifeßen Soben gewähren unb waeßt barüber, baß SranSbaal nießt baS 
günbßölgcßen werbe, an bem ficß ein 2Belt?rieg entflammen fann. £)arum 
ßält eS mit Strenge nießt nur auf feine Neutralität, fonbem ift auch 
11 m biejenige anberer Nationen beforgt. $err Krupp erßielt nießt bie 
©rlaubniß gum Serfanb ber ißm oon ©nglanb beftellten, für ©iibafrila 


beftimmten ©efeßoffe. Unb wir glauben fein ©eßeimniß auSgupIaubent, 
wenn wir mittßeilen, baß Portugals fefter ©ntfcßluß, bie ^elagoabui 
nießt gu oerfaufen, ben 2)urcßgug englifcßer Gruppen alfo unter feiner 
Sebingung gu geftatten, größtenteils auf beutf^e ©inflüffe gurüdgufüßren 
ift. Unfer Auswärtiges Amt ßat an ben in Srage fommenben Stellen 
barüber leinen gwetfel gelaffen, baß eS fid) gur unbebingten Neutralität 
nur fo lange oerpflicßtet füßle, als anbere Staaten biefe Neutralität 
gleichfalls beobachten. $>er falte SSafferftraßl ßat trefflich gewirft. SBir 
unfererfeitS halten eS für ein Nteifterftücf Sülow'S, baß er bie Suren 
fcor einem ßeimtürfif^en Ueberfaü fdßüpte, oßne hoch auS feiner Neferfce 
ßerauSgutreten unb ben ©nglänbern Anlaß gur ^lage über einen utt* 
freunblicßen Act gu geben, ©rinnert biefe Äunft, ftaatSmännifcße Neu* 
tralität gu waßren, ben SBeltfrieben gu feßirmen unb boeß gleicßgeittg 
bem LecßtSbewußtfein beS beittfcßen SolleS, feinen innigften ^ünftßen 
gu genügen, nießt an SiSmarcfS glängenbfte Xßaten? 

IV. 

3Bogu ber Särm? 2Btr wußten atte feit gaßren, baß ber Staat«* 
Oertrag Portugals mit ©nglanb ben Sriten jebergeit freifteüte, Gruppen 
über Seira naeß Nßobefien gu feßiefen. S)aß ©nglanb Don biefer au«* 
brücflicßen ^ureßmarfeß=©rlaubniß ©ebraueß maeßt, fann Niemanben 
SBunber neßmen, ber ba glaubt, StaatSoerträge würben abgefcßloffen, 
um auSgefüßrt gu werben. 

Nun wollen wir nießt in Abrebe ftellen, baß granfreidj, als Se* 
fiper NtabagaSfarS, aüerbingS guten ©runb ßat, bie lepten Sorgänge in 
^elagoa mit Mißtrauen gu betrachten. SBirb bie S)elagoabai englifcß, fo 
Oerliert baS mit fo großen ©elb* unb Ntenfcßenopfern eroberte Königreich 
ber §oöaS gang bebeutenb an SBertß-für unferen weftlicßen Nachbar, ja, 
wirb gu einer ©efaßr für ißn. <5)0% baS ift, wie gefagt, feine Sache. 
SBären wir ein Sarifer Slatt, fo hätten wir baS Necßt, non einer Ser* 
lepung ber Neutralität gu fpreeßen unb SnterbentionSpläne gu erörtern; 
unS Skutfcße aber geßt ber Sorfaü burcßauS nicht« an. So tbörießt, 
anberen Nationen bie Kaftanien aus bem geuer gu ßolen, fmb wir 
feßon längft nießt meßr, unb aueß bie Lode beS ^auSlnecßteS Oon ©uropa 
fagt unS oergweifelt wenig gu. 

V. 

inwieweit Nußlanb auS ben englifcßen Seriegenßeiten Nupen 
gießen miß, unb ob ficß §err Nturamiew wirflicß mit 3nterbentionS* 
ibeen trägt, barüber ift ßeute nicßtS SeftimutteS gu melben. ©S Hegt 
ja auf ber §anb, baß eine fo günftige ©elegenßeit, fid) eingumifeßen, 
für baS garenreteß in ßunbert gaßren nießt wieberfeßren wirb, unb man 
ift woßl berechtigt gu ber erftaunten grage: SrutuS, feßläfft 5)u? 3>ie 
Petersburger Negierung ßat nur nötßig, gugufaffen, unb bie reife ©olb* 
frueßt Perfien fällt ißr in ben Scßooß. Sie braucht ißre ©enerale nur 
nieberfteigen gu laffen in bie inbifeße ©bene, benn baS fonnige Sanb ber 
^inbuS ift oon britifeßen Gruppen entblößt. Nießt lange meßr, unb fte 
werben gurücfgefeßrt fein. 3>ie ©unft berStunbe ift bann berfäumt. Seiber 
macht ficß auch am ruffifeßen ^>ofe, wie wir feßon fo oft mit Sebauern 
feftgefteflt ßaben, englifcßer ©inffuß geltenb; Kaiferin Alefanbre contre* 
carrirt bie ©ntwürfe SNurawiew'S unb Oerßinbert bie gnterbention ge* 
rabe beS europätfeßen Staate«, ber bureß feine Sage unb feine Ntacßt* 
entfaltung am eßeften bagu berufen wäre. — Abonnements für baS neue, 
Cuartal neßmen alle Poftanftalten entgegen. 

VI. 

^£)aß bem Sfutbergießen ein ©nbe gemacht werben muß, biefe Hebevr 
geugung brießt fid) in ben Sereinigten Staaten bon Norb*Ametifa 
immer meßr Saßn. 3)ie burenfreunblicße Agitation maeßt täglich ßtöfe 
gortfeßritte, unb wenn N?c. Kinlep ficß feinen Präftbentenfip erßalten WiC, 
bann wirb er bem Segeßren beS amerifanifeßen Solle« ©eßör feßenfex 
unb eine gnterbention borbereiten miiffen. Unb in ber £ßat — feiner 
Nation liegt in bem SNaaße bie Pflicht ob, gu ©unften ber Suren ein* 


i ^ 


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Die Cßegentoört 


237 


Zufcpretten, mie bcr amerifanifcpen, uitb feiner mirb eS burd) ihre herz* 
lidje greunbfepaft mit ©nglaitb fo leidet gemalt. Sie Suren fielen in 
bem felben, ferneren greipeitSfampfe, mie vor punbert gopren bie Rorbs 
anterilaner. SRöge fiep baS ©ternenbanner bei 3dten ouf feine rupm= 
reiche Vergangenheit befinnen unb feine hohe Aufgabe erfüllen! SRöge 
im näcpften Quartal bie amerifanifthe Suterveution erfreuliche Spatfadje 
gemorben fein! Wer baS Abonnement nic^t fofort erneuert, läuft ©es 
fahr, unfere Qeitung am 1. April nicht rechtzeitig zu empfangen. 

VII. 

©erabe ein gemeinfchaftlicher ©epritt ber mittleren Mächte, an 
ihrer ©pipe bie ben Suren ftammverrnanbten ©taaten £>ollanb unb Sel= 
gien, mürbe feinen ©inbruef nicht Verfehlen unb bie Qbee ber Snterfcention 
populär machen, ©chmeben, Sänemarl, bie ©cpmeiz, ©panien unb bie 
Würfel, in ihrem ©efolge vielleicht Hreta, Reub ältere Stnie, ber tongo^ 
ftaat unb Monaco, fönnten ben ©robmäepten einen ©chritt erleichtern, 
ber getpan merben muh unb mtrb, menn anberS ©uropa fiep nicht 
emigen ©emiffenSbiffen auSfefcen mW. — Unfere Sefer erfehen auch ouS 
biefer Darlegung, mie emft eS unS um unfere Surenfreunbfchaft ift. 
SBir bitten befjpalb, baS Abonnement vertrauensvoll fofort zu erneuern 
unb unS bie trüben ©rfaprungen beS lebten Quartals zu erfparen. 

vm. 

tiefer graufige SRorbanfcplag, ber baS neue Quartal fo erfepütternb 
einleitet, Vernichtet mie §agelmetter jebe Hoffnung auf balbigen griebenS* 
fcplub in ©übafrifa. ©nglanb banft mit unS in Kirchen unb Kapellen bem 
Ijimmlifcpen #errn, ber baS theure Seben beS geliebten ^ringen unb Sprons 
folgerS fo ftcptbarlicp befepüpt unb bem Färber bie Qbee eingegeben hot, 
feine Waffe nur mit burchauS unfchäblichen Slafcpatronen zu laben — aber 
finb bie Sormürfe ber SinteS gegen bie überreizte Surenfcpmärmerei, bie 
bem fünfzehnjährigen $eroftrat ben Revolver in bie $anb gebrüeft hot, 
nicht berechtigt? Wahrhaftig, bie europäifchen Regierungen unb befonberS 
bie mit ©nglanb in fo Vertrautem Verpältntb ftehenbe beutfehe foüten 
nicht länger zögern, ber grage eines AuSnapmegefe&eS gegen bie ©ng= 
lanbhe^er näher zu treten, ©ie mären beS SeifaüeS aller verfiänbigen 
Elemente unb aufrichtigen Patrioten fteper. ©ipibo’S VerabfcheuenSs 
wertpeS Attentat gegen baS geheiligte .gaupt eines ber liebenSmürbigften 
SRenfcpen unb vornehmften Prinzen ift ja, San! bem ©ingreifen Roherer 
Mächte, ©ottlob mißlungen. Wer aber bürgt unS bafür, bah bie Sons 
art einer gemiffen V*effe nicht neue ©iptbo'S fepafft? Unb möge bie 
Suren sRegierung an bem fcpmacpvoHen Verbrechen nun fcpulbig ober 
fchulbloS fein: nach biefer ©chanbthat barf fte auf bie gntervention beS 
mit Recht entrüfteten ©uropaS nicht mehr rechnen. Caliban. 


Dramattfdjt änpfyntngett. 

„©evatter Sob". ©in SRärcpen Von ber Rtenfcppeit. Srama in fünf 

Aufzügen von ©berharb Hönig. (Hgl. ©chaufpielhauS.) 

9Rit ben jüngeren Richtern, bie ftch in bemühten ©egenfafc zu ber 
©auerfopls uno Magenbittern sSramatil ftellen unb über fte hinaus 
ftreben, hol ©berharb Hönig nichts gemein, ©r bringt bunfle ©pmbole 
auf bie Sühne, perfonificirt ben Stob unb meidjt alltäglicher £eben3= 
tvirfliepfett auS, nicht, meil er bie Hleinlunft ber lepten zehn Söhre burch 
eine Hunft ber großen Sinien Verbrängen miU, fonbern meil er noch 
Völlig in ber eigentlich übermunbenen, trivialen Romanti! von anno 
Sobacf fteeft. ©S ift noch menig Originelles in ihm, tropbem er ftch 
bebenllicpe 9Rüpe giebt, eigenartig zu fepeinen, unb baS Sefte an feiner 
Arbeit fiitb bie Anlehen, bie er allenthalben macht, „©evatter Sob" 
präfentirt fich als eine umfangreiche Sefefrudjt, über beren gmeef unb 
3nholt ©berharb Honig felbft nicht recht llar gemorben ift. UnS märe 
bic frifdje Unreife ber 3ugenb, bie ben ©ebanüenballaft verfchmäht unb 
über ber greube am finnlichen AuSbrud ben heiligen ©eift ventacpläffigt, 
lieber als biefe forgenvolle, auSgef(ügelte, zerfahrene gauftiabe. Honig 
münfeht mehr ju geben, als er hot, mentgftenS einftmeilen hat, unb feine 


hübfehe VerSbegabung zerreibt fiep an Aufgaben, benen fie bei Weitem 
nicht gemachten ift. ©o vermiet man hinter bem mirren Vprafengeflingel, 
bäS unerhörte, tiefgrünbige Wahrheiten einläuten z u mollen fcheint, 
immer mieber ben ©ebanlenfern, ärgert ftch, menn ber Autor bie felbfts 
verftänblichften ©elbftverftänblidjfeiten zehnmal pomphaft umhüllt, mie 
eine 3ulflapp:£ebermurft, unb anbererfeitS vor lauter RebenSarten ben 
gaben Verliert unb es feinen Hörern überläßt, fich beim WorU©eflapper 
etmaS *u benfen. SaS Srama erinnert baburch Verzmeifelt an ftillofe 
©cproinoelbauten, bie ber Vupanmurf retten foH, ober an bie Programms 
Rluftl gemiffer moberner Auchfpmphoniler. Surd) bie unleibliche ©es 
fpreiztheit ber VerSfprache verliert man baS 3ntereffe fogar an Hönta'S 
pübfcpen Iprtjcpen Salente, baS bei einer einfacheren, ehrlicheren Se* 
panblung beS ©toffeS fixere Wirfungen auSgeübt hätte. 

Ser Sob, ein intereffanter, gutmütiger £err, hot bei ber Saufe 
beS £äuerfopneS ^änScpen Vatpe geftanben unb ihn, ber meber bie gurept 
noch baS Weib fennt, fpäter zu einem ber mit Recpt beliebten Verträge 
überrebet. ^änScpen muh geloben, bem Sobe ein mWiger Siener zu fein: 

„Wenn ich baS $aupt Verfagenb fcpütteln muh, 

©rfepmeige jeber Wunfcp uno jebeS glepen, 

Unb jeber Srop vor meinem ftummen Rein. 

Sod) menn ber fepmaepen ©elbftfucpt Su verfällft 
Unb iprem finbifepen ©mpörermapn, 

Unb rüttelft mit ber fepmaepen Hnabenfauft, 

Sem OhnmacptSlrampf beS lapmen ©rbenmillenS, 

Am Unabänberlicpen — mepe Sir! 

§anS Verfielt ben von Rotpabjectiven unb glidfmörtern mimmelnben 
©cpmulft. ©r empfängt vom ©evatter einen ^eiltran!, ber nur 
bann hilft, menn ber Sob nichts bagegen pat. 3Rit bem Wunbers 
mittel bemeprt, ^ie^t er als gefeierter Arzt burch bit Sanbc unb 
überläpt bem ©enfenmanne Anfangs geporfam jebeS Opfer, baS er 
Zeicpnet. A6er natürlich bleibt bie Rebellion niept auS. An'S ©terbes 
bett einer polben iprinjcfftn berufen, ringt #anS mit feinem Rteifter 
um fie — unb ber merfmürbig entgegenlommenbe Sob überläßt bie 
©cpöne bem ftep verAmeiflungSvott geberbenben 3üngling. ADerbingS 
niept opne ipn zum Öopn für feinen Ungeporfam einen graufen glu^ 
in’S ©efiept zu fcpleubern. SiS pierper ift Hönig'S Sbeengang begreifs 
liep, obgleich bie gülle ber ©eftepte unb ©pmbole ftep aegenfeitig er= 
feplägt unb Verbunfelt. WaS nun aber folgt, ift fpielerifdje leblofe 
Speaterei. $anS peiratpet bie V^ n Z c &r Z eu gt fogar ein Hinb mit ipr, 
verliert fie bann im RleereSfturm unb feprt fd^liehlicp als gebrochener 
©reiS in ben heimatplicpen Walb zurücf, mo ipm fozufagen ein Wiebers 
fepen mit feinen Sieben, allerpanb ©pah mit einer netten gee unb fcplieh s 
iiep ber Sob befepeert mirb. ©S ift fcplecpterbingS niept erlennbar, maS 
Honig mit all' bem £>in unb §er bezmerft. R?an merlt mopl, bah er 
unS auf fämmtlicpe §öpen unb Siefen beS SafeinS führen mW, ba er 
jeboep bie einzelnen VPofen ber $anblung niept miteinanber zu verfnüpfen 
verftept, fonbern bie Silber unvermittelt nebeneinanber fe^t, fo erzeugt er 
in unS nur bie trifte ©mpfinbung, bie allzu langes ©arouffetlfahren 
pervorruft. RiemalS fommt bazu auep nur vorübergepenb eine ermärs 
menbe unb feffelnbe ©inpeitltcpfeit ber ©timmung auf. ©tatt beS frop 
lebenbigen MärcpenS fepen mir eine blutlofe, bürre Abftraction, bie mit 
Sobtentanz=Motiven auS allen möglichen Sichtungen aller möglichen 
Stcpter auSgefcpmüdt ift. Hein 3® c if^r £> err Hönig lieft zu Viel unb 
ftettt feinen guh auf TOCtionen ©oefen. ©r follte einmal Verfucpen, baS 
Zu fepeinen, maS er ift, unb eS mtrb ipm bann vielleicht gelingen, zu 
unfern Kerzen zu fpreepen, ftatt mie jept zu unferm ©rinnerungS» 
vermögen. 


Offene Briefe unb Jlnftuorten. 


©(^Cufetoort jur Reform ber ©ilb^auerei. 

©epr geeprter ^err! 

Um ber guten lünftlerifcpen ©aepe, bie icp in meiner ©eprift 
„Seprjapre in ber Vlaftif - z u vertreten glaube, barf icp miep mopl mit 
Spnen freuen ü6er baS liebevolle Verftänbnih, mit bem in ber vorigen 
Rümmer ber „©egenmart" fo pervorragenbe Hünftler mie SegaS, 
©berlein unb Hlinger auf bie Von mir gehegten 3&een, unfere Vlaftif 
mieber zu einer zeitgereepten, groben Hunft zu erheben, eingegangen fiitb 
unb öffentlich ipr ©utaepten über biefelben abgegeben haben. R?ir felbft 
ift überbieS eine grobe Anzahl von 3ufiintmungSbriefen bebeutenber 
Hünftler aus Seutfcplanb, Oefterreicp unb granlreicp zugefomnten, auS 
beren ftattlicper Reipe icp nur bie Rameu ber engeren gadpcoDegen 
Vrofeffor RJpSIbeef (Vtog), ^ermann $apn (SRüncpen), ©. Sitter^ 
li(p (Wien), ^rofeffor A. ©eparff (Wien) unb R. ©arabin OßoriS) 


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23$ 


Die ©egenwari 


perborpeben wiE, bie in feltener Uebereinftimmung bic Serwtrflicpung 
ber borgefcplagenen Reformen wünfepen unb ihre S)ringlicpfeit anerfennen. 
3 <p könnte inöbefonber» fein llarere», einbringlicpere» ©ort an ben 
(Schlug ber fepönen SMScuffion, bie ©te angeregt paben, ftetlcn f als bie 
©orte be» oben erwähnten auSgegeicpneten frangöfifepen Stlbpauer» 
El. ©arab in, ber ba» ©efentlicpfte ber Eebanfen, bie miep bet ber 
Elteberfcprift meine» Sücplein» bewegt haben, in ber fepönen, prägnanten 
©teile feine» Srtefe» gufammenfaßt, bie icp ohne 3tvif^ n ^^ e pierpers 
fepen will: 

„3cp h^be eben 3prc Sörofcpüre gelefen unb beeile mich, 3h»cn bie 
gange noHe greube, welcpe mir 3hre Ausführungen bereitet höben, au»~ 
gubrüefen; bie greube, gu wiffen, baß icp einen EoEegen höbe, welcher 
bie 3been mit mir thcilt, bie ich ouf eigene gauft feit einem Söpre in'8 
Sraftifcpe umgufepen fuche. 3<P höbe 3h**ö Eebanfengang in einen 
e infachen, flüchten ©aj gebracht, ber ba helfet: donner une forme 
k la matiöre et non donner de la mati&re ä une forme. 
Unb ift e» nicht bie festere Art fiinftlerifcpen Sorgepett», welche unfeliger= 
Weife in öffentlicher tfunftfcpule angewanbt wirb; unb ift bte» nicht ber 
Erunb, baß wir heute nur mehr ERobeEeure in £pon hoben, bie nur 
um ihr ©ert „bauerhaft" gu machen, e» in ©tein, Marmor, Sronce, 
Holg übertragen taffen, ohne fiep Elecpenfepaft abgulegen über ba» Material, 
beffen Eigenheiten fie gar nicht fennen! Unb beßpalb hoben wir feine 
Eenie», ober felbft nur originelle, perfönlicpe Äünftler mehr; beßpalb 
gleichen alle ERarmorwerfe Fronten unb alle Sroncen bem Marmors 
wer!." 

HocpacptimgSboE 

©ien, 5. April 1900. <£. bfellmer. 




3Cotfi<n. 


S)er S)orffepulge. flomöbie in toter Acten bon ßarl Silf. 
(Berlin, 3uiberg unb Seffon.) ©ie in einem neueren Xpeaterftüde 
©erbilität unb Jßebanterie, welche fich hte unb ba in Seprerfreifen geigen 
follen, gegeißelt werben, wie fchon ber große frangöfifepe flomöbienbiepter 
ftdj über bie Unwiffenheit unb ben gacpbünfel, welchem bie ERebiciner 
feiner 3eit überall geigten, luftig gemacht, fo hot nun Sflß ber= 
fucht, bie aflgugroße ©chneibigfett gu geißeln, welche fiep befonber» bei 
jüngeren ERitgliebern geitgenöffifeper ElicptercoEegien guwetlen geigt. Ster 
Helb ber SJomöbie, ber bulgarifcpe S)orfricpter, hot freilich Urfacpe gu 
biefer ©chneibigfett. Ein gutmütiger, allenthalben nachfichtiger unb 
gurn Sergetpen geneigter ERamt, h°t er e» al» S)anf für biefe ERilb* 
pergigfeit erlebt, baß er bon feinen Säuern bei jeber (Gelegenheit genarrt 
unb gepänfelt wirb. S)a» ift ber Erunb, weßhalb ihn bie pübfcpe 
©irth»tochter, bie er, ein ftattlicßer ©ittwer, ixmfreit, gurüefweift. ©ehr 
begreiflicher ©eife fcplägt nach folcpen Erfahrungen bie Eutmütpigfeit 
unfere» S)orffcpulgen in ba» gerabe (Gegenteil um. Er giebt in ben 
folgenben EericptSfifcungen nun Seweife größter ©arte unb Elücfftcpt8= 
loftgfeit. „Sch will ba» Soll gufamntenfepmeißen, ©afdjlappen foEen 
fie mich nicht mehr peißen!" 3ulept empört fich Me ©emetnbe gerabegu, 
bi» ber ©cpulge, gerührt bon einer Elebe feine» Xöcptercpen», feinen 
gepler einfiept unb Alle» mit ber £ocpgeit be» $aare§ in grieben 
fchließt. S)te Äomif ber ftch ou» biefem Serlauf ber £anblung er= 
gebenben ©eenen ift bon bem Serfaffer fehr glücflich auSgenupt unb in 
gewanbter poetifeper SKction behanbelt. 3« ber „(Gegenwart" würbe 
unlängft bei einer Sefprecpung ber ©eimaraner Söprpunbertwenbe eine 
berfepoflene fatirifepe ßomöbte fin de si&cle auSgegraben unb babei ba» 
Sebauem barüber auSgefprocpen, baß 1900 eine ähnliche Dichtung noch 
niept perborgerufen pabe, obwohl e» in Siteratur, $unft unb öffentlichem 
Seben noep biel weniger an gu geißelnben Xporpeiten feple, al» gu 


©cpiEer'8 3*tt. $arl Silfc, bem wir fepon ein paar pübfcpe arifj 
flomöbien berbanfen, foEte fiep ben bantbaren ©toff niept entgej 

©ir haben unlängft an biefer ©tefle bem poüänbifcpetl 
riften, ©atirifer unb Somppletiften SKultatuli (Sfeubonpm fül| 
einen längeren Effai) gewibmet. ©eitper fäprt fein begetftertr 
feper, ©ilpelm ©popr, in feinem Unternehmen fort, un» bti 
feine» „Abgotte»" gu bermitteln ober, wie er fiep au»brücft, „ben: 
gu fepenfen. Ein neuer Sanb enthält ben Elontan „®tay fiobj 
(EJltnben, Srun».) Unfere Sefer werben fiep erinnern, baß 
ber Autor felbft ift, ber bie pope SeamtenfteEung eine» Affiftc 
benten bon Sebaf auf 3öba einnapm unb naep feinem in feterlid) 
rüftung berlangten Abfcpieb au» SanbeSbienften feine fepr merf] 
Erfahrungen in ben 9lieberlänblfcp=3nbifchen Sefipungen in gang \ 
fünftlerifdjer Einfleibung in biefem Sucpe nieberlegte. E8 ift 
rifcp=tragifcper Eolonialvontan, in welchem EJlultatuli ©aprheit uj 
tung gufammenmifept unb fo ein Slunftwerf bor un» pinfteEt. 
mittelbarfeit unb Srtfcpe be» ©erfe» ftnb bon großem 3ouber, 
in bem weiteren Sanbe „SiebeSbriefe", Ein ©eelenbrama in 
Srofa^ unb SerSbicptungen. ERay, in bem ber prometpeifepe 
lebenbig ift, ©cpönpeit unb Sreipett gu ertropen, wirb bon 
ba» ift ber ©eltgeift, gebaept in ber 3form einer actiben unb gum : 
infpirirenben S^^fon — burep aEe ©ecpfelfäEigfeiten be» ERenfcpenli 
burep große» 2eib pinburep feiner pöcpften Seftimmung gttgefüprtjf 
aEe» ba» feffelt mit feiner fragil, mit feinem ©umor, mit feiner i 
unb ©tegftimmung ben Sefer ungemein. E» entftept eine ©pati 
wie im Eioman, im 2)rama; man füplt, wie 3Ray übermannt wirb 
Unrecpt unb ©cpmerg, fonberbar wirb, mübe, franf. Unb bann er 
ganep, unb fie fdpenft ERaj, wa» fie berpeißen: „Erft ben ©iEe 
nun bie £raft... unb am Enbe ben ©ieg!" 2)ie eingeftreuten mol 
tenbengiöfen gabeln, ba» große Eebicpt bon ber „Äreugigung" 
bie ©trafprebigt an bie ©äpler ftnb burcpauS bebeutenb. 2)ie 
fepung bon ©ilpelm ©popr ift meifterpaft, unb wir ftnb begierig 
„bie Steutfcpen" feine für unferen Eefcpmacf etwa» berftiegene Se^ 
rung tpeilen werben. ScbenfaE» war ERultatuli ein S)icpter unb 
bient unfere Sewunberung unb unfere fiiebe. 

2 )e» aSfetif^en, wcltberleugnenben rufftfepen ERoraliften XoJ 
ergreifenbe» ©eelengemälbe „Auferftepung" erfepeint gleicpgeitig 
mehreren beutfepen Ausgaben, bon benen bie bon Ab. §eß überf 
unb ebenfo gefcpmacfooE auSgeftattete ber beutfepen SertagSanftali 
©tuttgart mopl ben Srci» berbient. dagegen fepeint bie ^enbcl 
Ausgabe gang befonber» berufen, ba» perborragenbe Sucp ben bt 
©epiepten be» gebilbeten ßefepublicum» gugänglicp gu madpen, bem 
ift bi» jept bie biüigfte. Sei belannter borgüglicper AuSftattung 
fie in boEftänbiger, ungefürgter Ausgabe geboten. Seigegeben ift 
Silb Xolftoi'8 unb ein über ben Autor unb fein ©epaffen orientirei 
Sorwort bon grang Äweft. 2)ie Ueberfepung ift borgüglicp; fte 
mittelt ba» feffelnbe ©erf in fepr getreuer ©eife. 

Ettepr Eoetpe! Son Elubolf &udj. (Serlin, E. ERc 
Ster ben Öefem unfere» geuiEeton» woplbefannte $umorift unb 
rifer wiE unfere 3 e U wnb gumal bie Literatur unb ^unft wieber 
Eoetpe gurücffüpren. S)amit man ipn aber niept mit ben lanbläufi 
Eoetpeapofteln unb berufsmäßigen Eoetpeppitotogen berwecpfelt, 
er mit einer föftlicpcn Serfpottung ber Eommentatoren unb Siograpl 
bie „mit ber (Grünbung granffurt» burep bie Elömer anfangen, um 
Enbe be» 20. Sanbe» glüefliep bei ber Eeburt bon Eoetpe , 8 Eroßb 
Xeytor angulangen". Eoetpe ift ipm alfo ba» AE =Heilmittel fihr 
©cpäben ber Qzii, aEe ©cpwätpen unb AuSwü^fe unferer ©iffenfd 
aEe Äranfpeiten unb Elarretpeien ber Literatur unb Ihmft. Unb 
©ünbeuregifter ift bon ber anfepnlicpen Eröße einer Seporeflo-Sifte. 
erft friegt Serlin fein Speil ab, bie „treue Hüterin ber wapren, 
fadjen unb feufepen Äunft". ©eine Spt^plca ift niept frei oon pr 
gialer Soreingenommenpeit unb Elücfftänbigfeit — nennt er fiep 


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Nr. 15. 


$u (Segetuoart. 


239 


felber einen altmobifcljen Menfcfjen —, aber in ben §auptpunften trifft 
ct ben Wagel auf ben Stopf. greilich baS Stinb beim rechten tarnen gu 
nennen, h* n b erte th n feine ^tlofemitifc^e Wichtung, bie er in feinen 
früheren Slufgeichnungen eines ©öhtenmolchS befunbet hat- ©r fühlt pdj 
alfo bei ber ©harafteriprung unferer Stritif nnb 8*itung3macbe nicht 
gang frei, fonft mürben feine Diatriben gegen ©erlin weniger allgemein 
unb unbefttmmt fein. Um fo ungenirter fpricht er pd) übet anbere Mobe* 
göjen unb ©ößenbieiter auS. 3uerft greift er Wießfche an, bann Qbfcn 
mit feinem ewigen Waifoniren unb Dictiren ibeafer gorberungen, hoch 
glauben wir, baß ber alte fßitlenbreher aus bem korben hoch etwas 
ntehr ift, als nur ein ©ußprebiger. Ungerecht ift §uch ferner, wo eS 
fleh um £umor unb $umoriften hanbelt, fo wenn er bem realiftifchen 
unb „illuponStofen" gontanc ben Xitel eines ©umoriften abfpridjt. ©iel 
§öher, ja gleich nach ©oethe ftetlt er ©ottfrieb Heller, ber „unS gegeigt 
§at, baß ein SBeg gur haften ©lüthe beutfeher ©ultur, gu ©oethe gu* 
rüdführt". Daß $ud) ben nach unferer Mpcßt weit über Heller gu 
ftellenben £umoriften Wilhelm Waabe mit feinem SSort erwähnt, fcheint 
auf einer 3&iofhnlrafie gu beruhen; öerbanft hoch auch er felbft atS 
(Srgähler bem 9flten bon ©raunfehweig baS befte Xheil feiner Stunft. 
geine ©emerfungen unb gute ©Sorte fallen über ©iSmarcf, Suther, 
SSagner; bagegen mürbigt er bie fdjöpferifche ©eftaltungSTraft eines 3ola, 
baS latent bon ©ourget nicht genügeitb. prächtig ift fein 3orn über ben 
SKißbraud), ber heute mit bem ©Sorte „groß" getrieben wirb; er hätte 
auch „genial* hiugufügen fönnen, womit fchon jeber Slomöbiant beehrt 
tuirb. Maeterlind'S Dramen pnb ihm nur ©pufgefdpehten un jj @^5 
falStragobien im Sinne bon Müllner’S ©djulb unb ber — bidjterifch 
hoch bebeutenben — „©hufrau*, wobei eben bie Stunft ber ©timntungS* 
malerei überfehen wirb. ©udj ©Silbenbruch, ber fo lange überfdjäßte, 
fommt als nur patriotifchcr £ohengollernbichter übel weg, unb bie ber* 
nichtenbe Sfritif über #auptmann ift feither burd) bie bloß auS gefdjäft* 
liehet ©peculation entftanbene Wichtigteit „©cplud unb 3 au" beftätigt 
tuorben. ©ogar bie „©Seber" werben nur ein „ Dilettantenfunftftüd" 
genannt. $übf<h ift auch, wie $uch mit unferen Merjüngften, ben 
©roßen wie ben ©ernegroßen, umfprlngt; nur ©(habe, baß er babei 
manchen Sebenbig*Dobten noch einmal tobtfdjlägt, waS ein überflüffigeS 
©efchäft ift. £>ud) lebt gewiß weit abfeitS bom literarifchen Dreiben, unb 
roaS ihm wie eine ©ntbedung fcheint, ift eS für ben Äunbigen Iängft 
nicht mehr. ©0 wibmet er bolle brei ©eiten bem angeblich realiftifchen, 
aber in ©Sirflichfeit ftumpfpnnigen ©ewäjch beS WomanfchreiberS ©Sil* 
Ijelm ©SolterS, beS „DreSbner 3ola", als welches ihn fein greunb unb 
Prophet ©ugen 3folani (recte 3faacfohn) in allen ©lättern auSgu* 
pofaunen pflegt. Die „©egenwart" ^at einmal baS barbarifche Deutfeh 
beS „DreSbner 3ola" an feinem im „©erliner Tageblatt" beröffentli^ten 
Vornan „Wache" aufgegeigt, unb fein eigener Mitarbeiter, ber hodjbe* 
gabte Däne ©jetlerup in DreSben, hat pdj bem ©nathem angefchloffen, 
inbem er ©SolterS ber ©erbatlhornung eines feiner ©tücfe unb anberer 
Unthaten gieh- ©S ift baher gu biel ber ©hre, fleh in einem ©oethe ge* 
»ibmeten ©udje mit foldjen ©efcHen gu befchäftigen, wenn auch nur 
polemifch, hoch geben wir gu, baß bie bon ©SolterS unb £>anS b. Mahlens 
berg angeführten ©tilblüthen fehr beluftigenb wirfen. Man lefe unb 
ftaune: „Durd) bie ftrenge ©Jolle ihres blauen WodeS fühlte er ihre 
95eine, biefe feinen, langen, weichen unb fo ftahlfeften ©einchen, bie er 
anbetete" (Die ©embrißfpS). • Stein ©Suuber, baß ber ftreltbare £uch ben 
fchriftftellernben grauen ein paar befonberS gornige ©apitel wibmet. 
SBenn eine biefer tarnen „bie wiffenbe, bewußt geworbene fommenbe 
grau" verherrlicht, „bie diagonale bon Meffalina unb ber $>octorln ber 
Mebicin, bte pegen wirb unb bie fdjrecfltch fein wirb", bann feufgt $uch 
öor biefer am .^origont brohenben diagonale in refignirtem Qoxn: 
fcßredlich wirb pe fein! Sluf bie bon ©mft b. SSolgogen unb anberen 
greunben ^od^geprlefene $elene ©öhlau gießt $uch bie bolle ©dhaale 
fetneS ©potteS auS. ©r nennt pe bie Sürfengattin, unb bie ©liquen* 
6 rüber h^en benn auch bereits barum ben ©orwurf ber ßlatfcfjfucht 
gegen $uch erhoben. ©Jie unS fcheint mit Unrecht, benn bie Siebes* 


unb ©hefdpcffale ber ©Jeimarer ©uchhünblerStocßter, bie als ©attin II 
einen gum 3Slam übergetretenen bentfehen 3üben heirathete, naeßbem 
auch pe Mohammebanerin geworben, ift fo allgemein befannt, baß bon 
3nbiScretion nicht mehr bie töebe fein fann. £at hoch bie 2)ame felbft 
bie 3^wngen*2Birrungen ihres $ergenS literarifdh empg berwerthet unb 
an bie große ©locfe gehängt. Unb bann mußte eS £ud) biel baran- 
gelegen fein, an einem eclatanten ©eifoiel unfere fdjreibenben ?lma* 
gonen gu tenngeichnen. ©inb wir nun alfo im ©ingelnen auch meift 
mit bem ©erfaffer einberftanbeit, fo fteßt er hoch für unferen ©ephmaef 
etwas gu biel bie fßorbau'fche ©ntartungSbiagnofe. ©ewiß ift Manches 
entartet unb franf, aber es fehlt hoch auch nicht an gefunben Xrieben 
unb erfreulichen Talenten. Unb gerabe um biefe wäre eS fdjabe, pe 
mit bem fßopang ©oethe gu fchreden unb in einer bielfach beratteten 
©eftheti! einguengen. 3 mrner nur auf ©oethe gurüefgehen, ^eigt nicht 
immer borfhreiten. ©inb wir auch bielleicht nirgenb über ihn hinaus* 
gefommen, fo höben wir hoch Seiftungen, bie fich neben ihm fehen taffen 
fönnen, im 3)rama, im ©oman, gum X^eil auch in ber Shrtf. 3*be 
8 eit hat ein ©echt, eine eigene $unft anguftreben unb neue SBege gu 
fuchen. Unb waS will benn $u<h an bie ©teile ber befaßten „ofp* 
cieUen" Siteratur feßen? ©r fagt eS felbft nicht beutlldj, benn feine 
romantifche ©ehnfucht „in r S Ungewiffe" ift fdjwer bereinbar mit feiner 
©orliebe für ©oethe unb ben gereinigten unb berengerten ©aturaliSmuS 
einer fogenannten ©eimathfunft. 3)aß eS fidh auch ba nur um ein neues 
leeres ©djlagwort, eine wahre ©imhelfaHe, eine fdhlaue ©erlegermache 
hanbelt, fcheint ber fo fcharffinnige ^>uch nicht gu merfen. ©ber er weiß 
hoch, baß bie angeblich nach feinen fßrinctylen geleitete £cimathfunft* 
geitfehrift fammt ihrem ©erleger nach — ©erlin übergepebelt ift, baS 
nun alfo hoch bie §eimath ber $eimathfunft werben foll! 5)ie ©erhält* 
nipe pnb eben ftärfer unb fpotten aller Theorie. 

3)ie S)eutfche ©erlagSanftalt in ©tuttgart giebt brei gierige ©e* 
bi^tbänbeheu h^tauS, bie pdj einer gmeiten ©uflage erfreuen, waS tyuU 
gutage fchon fehr gu ben Seltenheiten gehört, gugleich aber für ben 
©Jertfj biefer SHdjtungen gu fprechen fcheint. 3«benfallS berbient 
„Unlraut", ein Sieberbüdhlein bon ©ermann greife bie freunb* 
liehe Aufnahme. Xiefe ©ebichte pnb einem wirtlichen S)ichtergemüth 
entfproffen. ©ang reigenb trifft eS oft ben ©olfSton; fein unb reigboll 
ift ©ommeribhlle, ber behagliche £>umor in ben Xrinfllebern fpricht 
gleichfalls an. Wach aU* ben gum Xheil blöbpnnigen ober |>erberfen, 
aber immer anfbruchSboIlen Welmereien unferer ©aubelaire* unb ©er* 
laine* 3 mitatoren, thut biefer gefunbe Waturburfdhenton bohpett wohl, 
geicrlicher pngt ber mehr eptfeh bcranlagte 3 afob ©chiff in feinen „©e* 
bichten", bie gum erften Mal in einer gefdjloffenen Sammlung an bie 
Oeffentltchfeit treten. Mit lebhaftem ©eifall ift bereits ber größere $heil 
ber poetifchen ©rgühlungen in ©ortragSfälen aufgenommen worben. 3n 
meifterlicher gorm unb tabellofem fpradhlichcn ©ewanbe behanbeln pe 
jebeSmal ein feelifcbeS Motito, baS feffelnb unb nicht feiten tief ergreifenb 
gur ©ntfattung gebracht wirb. Mer auch bie rein Ityrifchen ©tücfe ber 
Sammlung geichnen fich burd) ihren ©timmungSgehalt unb ihre Dor* 
nehme bichterif^e gorm auS. 2(1$ ©pifer giebt p^ bieSmal auch Wein* 
holb guchS in feinen ©rgählungen in ©erfen: „^ergenSfämpfe". 
©S pnb Dichtungen voll poetifcher Straft, unb pe geichnen pdj ebenfo fehr 
burch Weinheit unb ffüffigen ©Johllaut in ber gorm, wie burch eble 
©omehmheit, padenbe Snnerlidjfeit unb plaftifche ©egenftänblidhfeit im 
3nhalt auS. Die in ©hetlanb fpielenbe Dichtung „$?elga" ift bereits 
In'S ©ngllfcpe übertragen worben. Weinholb guchS' ©ebichtbanb „©tranb* 
gut", ber öom SlugSburger ©chtHeroerein 1890 mit einem 3ahteSpreife 
gefrönt würbe, hat innerhalb weniger 3 ahre hier Auflagen erlebt. 2 Bir 
glauben, bem Oortiegenben neuen ©anbe ein gleich günftigeS ©chidfal 
borherfagen gu bürfen. 


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240 


Die flrejjenwart 


Nr. 15. 


JVttgeigett. 

Btt BtffeHungtn bscufüt man {Wj auf bte 
„@B®tn»att‘‘. 


Manuscripte. 

Qur S3erlag3übernabme bon 9ftanu= 
fcripten bifiorifdjer, politifdjer, fd)ömmffen= 
fdjaftlicfjer :c. Sftidjtung empfiehlt fid) bie 
$BerIag3bud$anblung öon 

Richard Hattier, gnmufrijmetg. 

(©egrünbet 1883). 




\QSKQS>}\Q£»D 


$unbert Original * (Dutagten 
b. Sfreunb u. fjetnb: ©jörafon 
©ranbe* ©ü#net SDd$ n 
Raubet CEgibh Montane ©rot!) 
$aecfel Startmann #etjfe 3or= 
ban fttyiing Seancauaflo Sin- 
bau Sontbrofo SRefdjtfdietSli 
Rigra Vorbau OSibiet fetten* 
lofer ©altsbur^ ©ienfieafcj 
©intim ©bencet ©pieHjagett 
©tanleb ©toeder ©trinbberg 
©uttiter SBtlbenbnug SBerttet 
Bola u. b. 8t. 
l be 


üfotimk 

im 

Urteil 
feiler 3eii|e»ffei. 

©leg. ge!}. 8 SRI. botn Verlag bev €t$tnt»att, 
©ertin W. 57. 


% 




wr w* W* *1* W* *•z 


■ ThlriifUghu - 

[Technikum Jlmeiiaul 

tu lutkiin- ul lkktr«~ 
ytilur t, -Twliftw i.-W#rkM#lit#r.| 

I Direotor Jutiu, |- 


Qn unferem Verlag tft erfdjtenen: 

m * »m • *>m. wm. ■ 

w Pif ©fflcmunrt. 

ffiisidirlfi fftr EJtrroluL Rimfl unfi tflrnM4c8 

<*««*' “• |M»I yc>H 

Genf ruh flegijlfr 1872 —1896. 

Ghrfter &i$ funföigftcr S3anD. 

Wit 9?ad)trägen 1897—99. ®ef). 5 Jt 
©in bibliograp^tfc^eS SÖerf erften 
SHangeS über ba3 gefammte öffentliche, 
aeifiige unb fünfilerifd)e Seben ber lebten 
25 3ahre. WotfpoenbigeS 9?acbfd)lagebud) 
für bie Sefer ber „©egemoart", foroie 
für n?iffenfd)aftlid)e 2 C. Arbeiten. Ueber 
10,000 Slrtifel, nach Rächern, SBerfaffcrn, 
©chlagtuörtern georbnet. 3)ie Autoren 
pfeubonhmer unb anonymer 9lrtifel finb 
burdjroeg genannt, llneutbefjrlid) für 
jebe SBibliothef. 

2lud) bireft gegen ^oftamoetfung ober 
Nachnahme Dom 

Derlag ber (Segenroart. 

»erlitt W 57. 


51 fab. geb. ©djriftfteüer, biSl). publicift. 
(liter. $ritif) in Serlin thätig, energ. getoiffen- 
hafte 9lrbeit3fraft, oor^. ©pradjfenntntffe (fran^ 
jöfifch, englifdj), perfefter Stenograph, 
ÜRafchittcnfdirciPcr (.ftammoitb), flicht uut. 
befd). Wnfpr. in SlcDaftion, £l)catcrfcfrctariat, 
Strl.49ucMMß., litcrar. Snfttt. :c. Stellung. 
Cffert. an b. ©yp. b. ©egemoart unt. A. (i. 

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Gelegenheit jnt $etooQftSnbignng ber SoKection. So meit ber 93orratb teilet, 
liefern mir bie Sialjrgänge 1872—1892 k 6 SB. (ftatt 18 SR.), ^albfa^rt« 
Sanbe ä 3 SR. (ftatt 9 SR.), (gebnnbene ^afirg&nge k 8 SR. 

©erlag ber ©egentoart tu ©erlin W, 57. 


\ ^C» v/f ^yt jrry. flA? */- ? *v V» *V ^ -yV^/ l V\i^ Vv i^-^i +< p r ■ 


Eeffetttlicfte .6auöe(§(ct)ranftalt 5« Soutjeti. 

Jjoljtrr gnitbrlafdiulf Srjjrltnflsfrijulr unter pätitifittrm Vntronnt. 

qjrofjjcrte Durtf) I)trcctor ^rofeffor .OcUbadi. 


@oe6en erfdjiett im Vertage üoit Hbolf Utfje in 


Jln$ frtttrm febenunb aus feiner |rit. 

S 8 on 

<&nflat> ^atpefes. 

5)iit jablreidjeu, tbcilmeife bisher unberöffentlic^en 5lbbilbungen (baruuter 17 öerfd)iebcne 
SBilbniffe be§ ®ic^ter§) unb 6 Beilagen mit 5a!fimile8 Uon £mnbfd)riften. 

Ö5r. 8°. öc^cftct in elegantem Umfrfjlag 7 50 W. Glcgant gebunben 9 50 $f. 



Verlag von BreitkopfÄllilrtcl, Leipzig. 


franz fiszl’s Jriefe 

an die 

Fürstin Carolyne Sayn-Wittgenstein. 

Gesammelt und herausg. von La Mara. 

(Liszt’s Briefe Band IV). Mit 2 Bild¬ 
nissen. XXIV, 520 S. 8°. geh. Mk. 8.—, 
in Leinwand geb. Mk. 9.—. 

E ine epochemachende Erscheinung, nicht nur 
in der Musik- und der Brief-Litteratur. Das 
innerste Seelenleben des unvergleichlichen Künst¬ 
lers und Menschon wird uns darin erschlossen. 
Der grosse Roman, der in seinem Lohen spielte, 
spinnt sich vor uusem Augen ab. Über seine 
ebensoviel besprochenen als missverstandenen 
Beziehungen zur Fürstin Wittgenstein liegen von 
der ersten Begegnung an zum ersten Mal un¬ 
mittelbare Zeugnisse vor. Von ebenso grossem 
künstlerischen als psychologischen Interesse, ent¬ 
halten die Briefe ein Stück Selbstbiographie, wie 
wir eine ähnliche von keinem unsrer grossen 
Tonachöpfer besitzen. 



glisitiimh Mfolgtr. 

Stomctn 

üon 

‘j&ßeop^tC Jolling. 

DW~ Uolfsausga&c. 

^reiS 3 9)tarf. @d)ön gebunbeit 4 5Karf. 

tiefer ®i§marcf^aprlui= Vornan, ber in 
luenigcu Sauren fünf ftarfe Auflagen erlebt, 
evfdieiut hier in einer um bie §älfte billigeren 
$o!f3au3gabe. 

5)urd) alle $ud)f)anblungen ober gegen (^in- 
fenbung be£ 93ctrag§ poftfreie gitfeitbititg öom 

Uerlag der 6 egcnwart, 

SBerlin W. 57. 



Webactton unb Cjt)cbttton: ©crltn W. f aRanftetnfttabc 7. 



Drutf bon £effe & ©etfer tn S^tbjig. 


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M 16 . 


38evCt«t, ben 21. JlprtC 1900. 


29. Jahrgang. 


Band 57. 


Pfe akrpumrt. 


■o. 


i 


< : 6 




& 


aßo^enf^rift für ßiteratur, fünft unb öffentliches geben. 


^etauögegeßnt Don ‘PtopflU £o£Ctng. 


Id»n Smmatadl nfUrtnt «tat |mnut. geriftfl ber ©egenmart tn Ser«n W, 57. 4 » 50 |f. <tU iunut 60 »f. 

Hu bqteftcn bun$ alle Cu^^aitblungeit unb $oflämter. ö ö 3nferate jebec Set Jrco 8 gehaltene ^etttjetle 80 $f. 


$ie Sobenteform ln ben ßolonten. Sort ©uftat) Sltoerboncf. — bem Slrbeiterleben in 9hij}fanb. Son gabrübefifcer 
Dr. phil. $atl 92oe^el ( s 3Ro$fcm). — Öiteratwr mtb Ättttft. $ie Seceffion in SBiett. Son Otto ©toejjf. — $)a$ ©ioig= 
SBetblidje. Soit Dr. med. 2Ä. Xretjmann (SRiaa). * — geuUletött. $>ie Uniform. Sott Sinton £fc§ed)ott>. — Der 
fcüttptftabt. 2f(ottcn*?(gitotion. Sott $rin^ Sogeifrei. — Änjetgen. 


Die ßobettreform in ben Colonien. 

Sott <5njtoo 2I»erboncf. 

Die gerabeju ungeheuerlichen Sanbconceffionen in Kamerun 
an jhiei ©ribatqefeßfchaften haben unleugbar eine große Mife* 
l'timmung im ffteief) ^eroorgerufen, bie auch im Parlament 
jum SEßort gelangte, ^ebenfalls ift eg bem Director beg 
Solonialamtä §ernt Dr. o. öudjla nicf)t leicht gemorben, fief) 
ber meift nur ju berechtigten Singriffe ju erwehren, unb auch 
heute nod) wirb eg ihm im ©ebanlen an feinen übrigeng 
recht fdjwach bertfeeibigten „oorbilblichen Dtjpug für lünftige 
Gonceffionen" nicht ganz geheuer fein. Ohne 3n>eifel bilbet 
jein Vorgehen früher ober fpäter bie Klippe, an ber er 
jeheitern wirb. Ipulbigt man hoch fd)on jeßt maßgebenben 
Drtg bem ©ebanfen einer Sobenreform. gür bag berfdjenlte 
Kamerun ift eg bamit wohl ju fpät, aber in anbereit (Solo* 
nien läfet fich $enrß ©eorge’g großer ©ebanfe Don ber ©er» 
ftaatlichung bon ©runb unb ©oben noch febr wohl augführen. 
3a, er ift bereitg in’g Seben unb in bie Eßrajig übergetreten: 
in Äiautfchau. 

©g banbeit fief) nach Slb. Damafchle’g fdjarfer gormu* 
lirnng um ben beftimmenben ©runbfaß: (Soll ber ©oben 
unferet ©olonien, biefeg ®ut, bag fich in feinem SEBefen oon 
allen Eßrobucten menfcf)(icher Df)ätigleit unterfdjeibet, beffen 
uneingefchränfter ©efiß Monopolrechte einräumt, beffen ©e* 
herrfchung Sille, bie i|n a(g SEBohn* ober Slrbeitgftätte nicht 
entbehren fönnen, tributär macht, beffen Sßertfe allein burd) 
Opfer beg ganzen beutfehen ©olleg in bie §öf)e gebracht 
ttirb — foU biefer ©oben nnferer Kolonien enbgiltig einzelnen 
©peculantengruppen auggeliefert werben, ober foß er in 
itgenb einer gorm bem beutfehen ©olfgganjen erhalten bleiben? 
®er ©ebanfe ber ©obenreform wirb in werbenben £>anbelg= 
ftätten, wie in Siautfdjau, in anberer gorm unb ©eftaltung 
jur Durchführung gelangen atg etwa in Kamerun ober in 
@übweft»8lfrifa. Dag oerfteht fich am ®nbe bon felbft. <Jg 
ift eben nicht bie fjorm, auf bie eg hier anfommt, fonbern 
bog SSefen. 

Der befte Senner auf biefem ©ebiet ift unzweifelhaft 
Siajor o. SBiffmann. SEBie benft biefer, unfer befter Slfri* 
fanet, über bie ©obenfrage in ben afrifanifchen Kolonien? 

ift ein feljr ernfteg, in allen ^Einzelheiten bigher noch 
nicht böUig geflärteg ©apitel ber beutfehen Gotonialgefd)ichte, 
bog hier berührt wirb. 3m 3afjte 1896 führte SBiffmann 
oobenreformerifche ©runbfäße auf eigene ©erantwortung in 


Deutfeh=Dftafrila burd). @r erflärte atleg Sanb, bag nicht 
naeffweigbar in feftem fßribateigenthum War, atg Srontanb 
unb beftimmte, ba§ bon biefem fein (Schritt mehr ber ©ribat= 
fpeculation augjuliefern fei, fonbern baff ©runb unb ©oben 
nur noch in ©rbpacf)t auf 100 Saffte abgegeben werbe. Die 
ißacht fotlte bon 1 ha unbebauten fianbeg jährlich 2 fRupien, 
etwa 8,85 Mf., betragen. Stuch würbe borgefcljrieben, ba| 
in je fünf 3ah«n. ein gewiffer Dheil beg gepadhteten Sanbeg 
wirflici) in Gultur ju nehmen fei. @g erhob fid) gegen biefe 
©erfügung ein ungeheurer ©türm ber ©ntrüftung. SEBie bie 
©offifdje 3 e 'tung, bie fich 9 an S au f @ e ' tc SBiffntann’g 
in biefer 3 ra 9 e ftettte, mittheilte, ging biefer ©türm jum 
großen Dheil bon ber „Deutfeh'DftafrifanifchenSefellfchaft" aug. 
SBiffmanu würbe ju münblic^er ©erhanbluna nach Deutfchlanb 
berufen. SBie fehr er fich bet ©röjje feineg ©orgeheng bewuftt 
war, baoon giebt eine Steuerung ßeugnife, bie er im 3uli 1896 
that, alg et fich bei feinen©erwanbten inßauterburg i.§. aufhielt: 
„Man greift mich au, weil ich bag Ißrincip berfolge, Sanb 
nur ju Ißacht unb nid)t alg freieg ©igenthum abzugeben. 
3d) thue bag aug guten ©rünben. 3<h wiü ber ©runbftüctg- 
fpeculation ben ©ingang berwehren. Die Eßad)tbebingungen 
finb bie ibealften unb benfbar günftigften; für bie erften fünf 
Saf)re wirb überhaupt lein ißa^tzing bertangt. 5Run bc= 
Hagen fich bie Seute barüber, ba| fie leine Ipppothefen auf 
ihr Sanb auf nehmen lönnen; über bag wiü id) ja gerabe 
berhinbern. SEBoljer lommt benn bie ERoth unferer Sanb* 
wirthf^aft in Deutfchlanb? Doch auch babon, bafe jeber 
©tunbbefiß mit ^ppothefen, b. h- wit ©ehulben, überlaftet 
ift. Da lommen Seijte nach öftafrila mit ein paar Daufenb 
ERupien in ber §anb unb wollen 3*, 10*, 20», ja 50000 ha 
laufen. Da liegt bodj auf ber ^>anb, bafe fie leine ehrlichen 
Stbfichten haben, fonbern lebigtich ©pecutationgzweefe ber* 
folgen. Ober aber fie meinen eg wirllich ehrlidj, bann finb 
fie außer ©tanbe, fich auf bie Dauer zu h°l ten - ®' e haben 
alle nicht genügenb ©elb — unb bie fjolge babon ift, bafe 
bag £anb bann brach liegt. Damit lann ber ^Regierung 
nicht genügt fein." 

Die Sanbberorbnung SBiffmann’g würbe aufgehoben, unb 
er felbft nahm feinen Slbfchieb aug bem fReidjgbienft. SBefj» 
halb bag fo lommen muffte, weife man nicht genau. Der 
preufeifdje Minifter, bem wofel auch feine ©egner bag 3 cu 9 s 
nife nicht berweigern werben, bafe er alle Männer beg neuen 
Surfeg tljurmliod) an SBiffen unb ©rfaferung überragt, ^>err 
b. Miguel, fanbte in biefer feinen ©ofen zu §errn 




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242 


Die (ßegettuart. 


Nr. 16 . 


D. SBiffmann, um ißm feine bolle ßuftünmung auSfprecßen 
SU taffen ... @S märe übrigens nidjt fcßmer, aitdj anbere 
2lfrilaner gegen ben „©tjpuS" beS ,<perrn b. ©ucßla als 
Beugen aufgurufen. ©S fei nur nodj ber frühere SanbeS» 
ßauptmann bon ©übmeft»2tfrifa, 9©ajor b. ffrangjoiS, genannt, 
ber ftdj entfdjieben gegen große Sanbconceffionen auSfpridjt. 
@o gu tefen in ber ernpfeßlenSmertßen ©rofdjüre „Kamerun 
ober SKautfdßau", bie 2lbotf ©amafdjfe, bet unermüblicße 
Setter beS ©unbeS ber ©eutfdjen Sobenrefornter, foeben bei 
S- $>arrmiß ©acßfolger in SSerlin erfdjeinen läßt. 

llnfer oftafiatifd^eö ißacßtgebiet ift nidjt bem ©olonialamt, 
fonbern bem ©larineamt unterteilt. §iet ßat £>err 
Dr. b. ©udjla atfo teinertei ©influß. jpier bot ber Staats» 
fecretär beS ©eicßSmarineatntS, ©iceabmiral ©irpiß, bie ©er» 
antmortung gu tragen. 2Bie hoben nun unfere ©farine» 
officiere bie ®runb= unb ©obenfrage aufgefaßt unb getöft? 
Sn bem Stugenblid ber beutfdjen ©efißergreifung begann bie 
©peculation eingufeßen. ®ie ©ßinefen fetbft machten ben 
Anfang. Sie fdjtoffen einen fRing unb bertangten bon ben 
beutfdben ©eamten für ihren ®runb unb ©oben faft genau 
geßnmal fo ßoße ©reife, als bie, bie bor ber beutfdben ©efiß» 
ergreifung üblich maren. ®ie beutfcfje ©ermaltung beugte ficf> 
biefem ©inge nidjt. ©ie gab jebem c^inefifc^en ®runbbefißer, 
gleidbfam als 2lntrittSgefdjenl, eine ©aarfumme, bie ungefähr 
baS doppelte bon bem SaßreSbetrag ber bisherigen ®runb= 
fteuer auSmacßte. ®afiir aber mußte fid) ein Seber berpftidjten, 
lünftigßin feinen ®runb unb ©oben nur nod) an baS beutfdje 
®ouDernement gu uerlaufen, unb gmar gu bem ©reife, ber 
bor ber beutfdjen ©efißergreifung lanbeSüblidj mar. Sn ben 
großen IpanbelSpläßen DftafienS fanben fich batb unter» 
nehmenbe Seute, betten ber ©oben beS neuen beutfdjen ©adjt» 
gebietS ein bielberheißettbeS ©peculationSobject 51t fein fdjien. 
SOlait fehl oft ©artelle, gum ©ßeil nach benfelben ®runbfäßen, 
mie fie bie ©röbler unferer ©täbte 31t befolgen pflegen, 
b. ß. matt fam überein, ftdj gegenseitig bie ©reife nicht 3U 
Derberben unb Dertßeilte Dorßer bie einseinett ©löde auf ben 
©auplänen. 5D?an ging fo meit, biefe feßon mit ben Flamen 
ißrer jufiinftigen ©efißer su beseichnen. 2tlS biefe ^errett 
aber nach Äiautfdjau fatnett, erllärte ihnen baS ®oubernement 
rußig unb beftimmt, bah eS ben ©erlauf ber ®runbftüde 
gar nidjt fo eilig habe. Üttan merbe märten, bis alle nötljig 
fdjeiitenben ©orarbeiten orbentlidj erlebigt, unb bor allem, 
bis auS ©eutfdjlanb fefbft ©ertreter beS §aitbefs unb ber 
Snbuftrie gefommen mären. ©ie gelbfräftigen ©peentanten» 
treife maren natiirlidh in heilem Born; Klagen über ©ureau» 
IratiSnntS unb ©djlimmereS mürben felbft in bie beutfdje 
©ageSpreffe lancirt. ?lber unfere Warineuermattung blieb 
feft. ©ie lieh ftdj audj nidjt beirren, als bie befannteren 
®elbleute etmaS itt ben §intergrunb traten unb allerlei 
Strohmänner borgefdjoben mürben, bieunter jebem nur möglidjen 
©ormanb gerabe jeßt große ©etrainS erroerben mollten. 9tm 
3. Dctober 1898 begann bie Saubauction in Siautfdjait. 
3D?it biefem Termin aber madjte bie beutfdje ©ermaltung 
audj bie ©teuergrunbfäße befaitnt, bie fünftighin im beutfdjen 
©djußgebiet ©eftung ßabett follteit. ?llS ®runb(age beS 
©teuerfßftemS biente bie ©runbfteuer, bie 6°/ 0 beS ÜBertßS 
betragen foHte, beit bie Semerber in ben Sanbauctionen für 
ben ©oben besaßlett mürben. Sille brei Soßre follte ber 
©obeitmertß neu abgefcßäßt merben, bamit bie ®runbfteuer 
mit bem ©obenmertß in gleichem ©erßältuiß fteigett fönnte. 
©iefeS ©teigen ber ©obenmertße aber, fo mürbe meiter auS» 
gefüßrt, fei smeifeltoS nidjt ber Slrbeit ber einseinen ©efißer 
SU bauten, fonbern merbe allein burdj bie Slrbeit beS ganseit 
beutfdjen ©olfeS ßerDorgerufen: SebeS ©cßiff, baS baS 
©eutfeße ©eidj bortßin fettbe, jebe £>afenaitlage, bie eS unter» 
nehme, jebe ©erbefferung ber ©erfehrSmege, jebe Äirdje, jebe 
©cßule, jebe ©aferne, bie eS errießte, jeben ©eamten, ben eS 
bort befolbe — alles mürbe baju beitragen, ben ©oben 
ftiaiitfdjauS mertßüoller s it machen, ©tefer unoerbiente 


SBertßgumadjS, bas unearned increment, „bie Bumncßöreitte“ 
ber ©obenreformer, gehöre befjfjalb feinem Söefen nah um 
Smeifelfjaft ber ®efamtntßeit. ©ei jebem ©erlauf öon @runb 
unb ©oben merbe bem ©erläufer beßßalb jebe ©erbefferung 
bie feine eigene Ütrbeit ßeroorgerufett hat, smar üoll angc= 
reeßnet merben, üon bem ®eminn aber, ber barüber hinauf 
geßt, merbe eine 9tbgabe Don 33 1 / 3 °/ 0 für baS ®ouDernement 
als ©teuer erhoben, ©amit ©iemanb in ©erfueßung fomtne, 
ben ©erfaitfSpreiS Dor ®ericßt su niebrig ansugeben unb iieb 
babei bie 3umacßSrente in irgenb einer anberen $orm hinten 
herum fttßetn su moQen, fei ein ©orfaufSrecßt beS ®ouDerne= 
ments bei jebem ©erlauf oorgefeßen. ©ei ben ©runbftfufen, 
bie ißren ©efißer nidßt mecßfeln, folle bie gumadjSfteuer oon 
33 1 l 3 °i 0 ade 25 Soßre einmal erhoben merben. ©ine Um» 
faßfteiter Don 2°/ 0 (l°/ 0 für ben Käufer, 1 °/ 0 für ben ©et» 
täufer) DerDollftänbigte baS ©tjftem ber Sanborbnung Don 
Sbiautfcßau. Sebe fyorm Don .*panbel unb SBanbet, ©etoerbe 
unb Slrbcit aber follte Don jeher ©teuer Derfdjont bleiben, 
jeber ehrlichen ©hätigfeit follte freie ©aßn gegeben fein. 

©er ©taatSfecretär beS SRarineamtS, ©irpiß, faßte in 
feiner (StatSrebe Dom 31. Sanuar 1899 im fReicßStag bie 
®runbgebattfen feines ©orgeßenS mie folgt sufammen: „5n 
mirtßfcßaftlicher ©esießung ift bie größte imttbelSfreißeit unb 
bie größte ®emerbefreißeit für S'iautfcßau gefießert morben, 
bie nur irgenb jemals eine Solonie gehabt hat. ©aS gange 
®ebiet Don ^iautfdjau bis an bie ®renge, mo unfere neutrale 
3one anfängt, ift greißafengebiet, unb bie ®emerbefreißeit, 
bie angeorbnet ift, mirb nur begrengt bureß bie notßmenbigen 
ßßgienifdjen ?tnforberungen unb bie ©nforberungen bet all» 
gemeinen Drbnung unb ©idjerßeit. ©ie SRarineoermaltmtg 
ßat aueß ' n Segug auf bie Steuern fieß bie größte guröct» 
ßattung auferlegt. ©aS mar notßmenbig, meil iticßtS Der» 
feßrter gemefen märe, als ben ©roceß ber Srftartung biefer 
Kolonie burdß ein gu eiliges fierauSsießenmoKen Don Erträgen 
in ®efaßr s« bringen, ©ine Uebertaftung mit ©teuern in 
ber ©nfangSperiobe mürbe ben gangen ßmed ber ©efeßung 
in grage gefietlt haben, unb bie drittel, bie naeß Äiautfcßau 
Dom ©ei^e hätten ßineingeftedt merben müffen, mürben ins 
SBaffer gemorfen fein. SBie bie Herren inbeffen auS bet 
©enlfcßrift entnehmen merben, ift auf ber anbereit ©eite non 
ber SWarineuermaltung bie ©lögtidjfeit, gemiffe ©innaßmen in 
Bufunft 51t ergieten, nießt außer ©ugen gelaffen morben. 
©ie Sanbpolitil, bie mir ßier Derfolgt ßaiben, bürfte ben 
©eroeiS bafüt abgeben. 3dj möcßte aber auSbrüdlicß betonen, 
.baß bei ber Don unS befolgten Sanbpolitil leineSmegS bat- 
finanzielle Sutereffe in ben ©orbergrunb gefeßoben morben 
ift, fonbern baß baS in gmeiter ©eiße geftanben ßat Xie 
©teuer auf beit ©ritnb unb ©oben in Äiautfcßau ift, mie 
©ie feßen, bie eingige mefentlicße ©teuer, bie ben ©uropäer 
trifft. @S ift nur gu müitfdjen, baß bie beutfdßen ©nfiebfer, 
bie beutfdßen Staufleute, ein äßnlicßeS ©infeßen für bie ©oth» 
menbigleit eines berartigen ©rtrageS für baS ®ouDernement 
haben mögen, mie feiner bie englifeßen Äaufleute in 
Öongfong, an beren ©piße |>err ?t. ©Jattßiefen ber englifeßen 
©egierung beit ©orfdjlag maeßte, ben DöUigen ©ergießt au> 
BoUeinnaßmen gu erfeßett bureß eine ©efaftuitg beS ©runb 
unb ©obenS, meteße ja ßier bie Äaufteute trifft. — S3ir 
haben bei ber ©ermaltung beS SanbeS Don bem englifeßen 
©erfaßten ber ©erpadjtung, ber fogenanntett lease abgefeßen, 
mir ßaben eine 2frt ©erlauf eingeridjtet, bei meteßem bem 
©eieß ein Slntßeil an bem fteigenben 2Bertß beS ®runb unb 
©obenS gefidjert ift. 2Bir ßaben mit biefem ©erlaufSmobuS 
bem eingemurgelten ®efüßl beS beutfcßeit ©olleS ©ecßnumi 
getragen, baS gern auf eigener ©cßolle fißeit miH." 

9So man immer eine Sen 11 tu iß ßat bon ber ©ebeutunj 
ber ®runb» unb ©obenfrage für bie gefammte mirtßfdjaftlidK’ 
©ntmidelung, gilt bie „Sanborbnung Don Äiaittfdjait“ als 
eine ©ßat erften ©angeS. ÜBenn ©ieleS übermunben imb 
Dergeffen fein mirb, maS jeßt lärmenb im ©orbergrunb 


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Nr. 16 . 


Die (Gegenwart. 


243 


öffentlidjen ffampfe? fteljt, Wirb biefe „Sanborbitung" itodj 
al? ein 5Ruhme?blatt beutfdjer SociaTpolitif gefeiert Werben. 
?luf bent 7. ^internationalen ®eographen*Soiigreß ju ©erlitt 
legte ber Vertreter ber ^Bereinigten (Staaten, ißouttnet) 
Sigefow, am 8 . Dctober 1899 bie Sebeutung biefe? Sorgeljen? 
nrie folgt bar: „ffiautfdjau Serbient in ganz befonber? hohem 
9Raaße bie 9lufmerffantfeit ber weiteften Greife. £>ier finb 
zum erftett 5D?af bie ©runbfäfje §enrt) ©eorge’?, b. f). alfo 
ber Sobenreform, in bie fßraj'i? iiberfeht. Ünb jmar finb 
biefe biet befämpften Sehren unter bem Schüße, unter ber 
Slutorität be? Sentfdjen fReidje? in’? Seben eingefüf)rt. Sa? 
bat eine Sebeutung, beren Tragweite nod) gar nicht zu über» 
[eben ift. Sn ber ganzen SBelt, in 9lmerifa, in 9luftralien, 
in Snglanb unb wo immer man ben fielen ©eorge’? Ser» 
ftänbniß entgegenbringt, fiebt man mit größter Spannung 
auf bie (Sntwidelung biefer ©olonie." Sa? SBifb ffiautfehau? 
wäre unüoTiftänbig, wenn wir nicht an bie ©rflärung er* 
innerit würben, bie ber beutfdje ©otfrfjafter in SBafhington, 
Dr. o. §o(Ieben, bem Sorrefponbeitten be? „Chicago Times 
Herald“ gegeben hat. der beutfdje Sotfdjafter führte barin 
ben Urfprung biefer bobenreformerifeben SRaßregel bireft auf 
ben SBitfett be? ffaifer? jurücf. Sr feßte attöbrücflicf) tjtn^u, 
bafe bie in 9lu?fidjt genommene Selbftberwaltung möglidjft 
weit gehen folle, baß fie aber bie ©renjen nicht überfdjreiten 
bürfe, „weldje bie gortbauer ber gbeeti be? Schöpfer? ber 
Solonie, Sr. ff. 2Rajeftät, fidlem werbe". 

9lnd) im 5Reid)?tag fanb bie Solonialpotitif be? SRarine* 
amt? meiften? guftimmung. 9lm 81. Januar 1899 ftanb 
ber Gtat Hon ffiautfehau jur ^Beratung. der fRebner ber 
Sonferbatiben, Dr. Dertel, fagte: „Set) billige boHfommen 
ben ©ruitbfaß bei ben Sanbberfäufeit, ber ^icr meine? SBiffen? 
mit zum erften 2Rale in deutfdjlanb burchgeführt ift, ber 
aud) bielleicht in Oftafrifa hätte burchgeführt werben fönnen, 
baß nämlich ber Staat theilnimmt an ber SBerthfteigerung 
ber ©runbftüde. Siefe SBerthfteigerung fotl 511 einem drittel 
bem Staat pfotnmen, abzüglich aller eigenen Slufwenbungen, 
bie ber Sigenthümer in ba? ®ninbftücf zur SSerbeffermig 
gemacEjt hat. 3>dj mödjte nur jur Srwägung anheimgeben, 
ob bie Seftimmungen Don einem drittel genügen; ich bin ber 
Slnfdjauuttg, bah man hierin weiter gehen fönnte, befonber? 
behhotb, weil aüe eigenen Slufwenbnngen, bie ber betreffenbe 
Sigenthümer nadjweifett lann, fchon abgewogen werben oon bem 
SOfehrwcrth- S<h glaube, man fönnte gut unb gern bi? zur 
Hälfte aufwärt? gehen." der nationalliberale ©raf Driola 
ftimmte ebenfo freubig p, unb felbft ber geborene fReinfager 
Sugen SRicßter fanb l^ter beim heften SBiHen nid)t? p 
tabeln: „SBa? bie Sefteuerung in ffiautfehau betrifft, fo 
muh idj fagen: id) finbe biefe 9trt feljr fachgemäß, wie bie 
Serwaltung p berf)inbern fud^t, bah ba?jenigc, wa? ba? 
fReidj bort an Einlagen fchafft, nun einzelnen fßrioatperfonen 
lebiglich gereicht zur SBertherhöhung ihre? ©runbbefiße?, bah 
fie alfo eine finureidje Sorbereitung getroffen hat, um im SBege 
ber Sefteuerung fich an biefer SBertijerljöhung p betheiligen." 

Sor ffurpm hat nun ber fReid)?fanjter bie zweite „'©ent* 
fdjrift, betreffenb bie Sntwidelung be? ffiautfdjaugebiete? in 
bet geit Pom 1. Dctober 1898 bi? 1. Dctober 1899" bem 
5Reidj?tag jugehen taffen: SBie hat fid) benn nun bie ©oben» 
reform in ber ißraji? bewährt? S? h^iht im Slnfang ber 
denffdjrift: „S? war borau?zufeljen, bah biefe in ffiautfdjau 
jum erften SRale praftifd) burchgeführten ©runbfäße neben 
öielfacher guftimmung pnächft auch einigen SBiberfprucß au? 
Sntereffentenfreifcn herborrufen würben; e? fann jeboef) be» 
reit? jejjt feftgefteüt werben, bah festerer innerhalb unb 
auherhalb be? Schuhgebiete? mehr unb mehr öerftummt ift 
unb einem lebhaften Sinoerftänbniffe ifßlah gemacht hat." — 
S(h benfe, unfere SBobenreformer fönnen mit biefeit Srfolgen 
pfrieben fein, .’penrl) ®eorge’? ©ebanfe wirb uoit 1111? boffent* 
lieh ou (h *n anbern Sotonien auf feine praftifdfe SSerwenb» 
barfeit geprüft werben unb gewifj mit fchönftem ©eliitgen. 


lus bem ^tbrtierleben in Hnhlattb. 

SSon gabrifbcfi^ev Dr. phil. Karl ZToc^el (^KoSfau). 

Sinen eigentlidjen Slrbeiterftanb giebt e? bi? jefct nocE> 
nicht in ffiufslanb. T)ie iiberwiegenbe SRehvphl aller Slrbeitcr 
gehört bem 95aueritftanbe an. 911? bie Seibeigenfdjaft auf* 
gehoben würbe, war befanntlidj ba? ben ©ut?befi|}ern abge* 
taufte Sanb unter bie einzelnen 95auern al? untieräuherlidhe 
|>abe oertheilt worben. 3 ut Sewirthfchaftung biefe? Sanbe?, 
ba? fid) inbeffen feit jener 3 e »t in ^olcje iwn Srbtheilung 
bebeutenb Oerfleinert hat, bleiben grau unb ffinbet auf bem 
Sanbe prüd. Wenn ber SDfann fid) au?wärt? auf einer 
gabrif oerbingt 3e jWei ÜRal im Sahre, p SBeihnachten unb 
p Oftern, ftehen bie groben gabrifeit auf 2—6 SBochcn ftiH, 
unb bie Arbeiter eilen auf’? Sanb p ihren gamitien. Um 
biefe gelten fieht man bie SSaljnböfe in ber ÜRälje Pon gabrif?» 
orten belagert oon Strbeitermaffen, bie ruhig unb gebulbig, 
auf ihre groben IReifcfäde gelauert, warten, bi? fie beförbert 
Werben, ioa? namentlich in ber fßroüinj au? SRangel an 
roHenbem SKaterial oft mehrere 'Sage bauert. 9lber gebulbig 
p warten Ocrfteht man hier p Sanbe. 

9ludj im Sommer, pr geit ber Srnte, oerläht ein 
grober Sljeif ber Slrbeiter bie gabrifen, ba er in gofge be? 
auf bem Sanbe herrfchenben Seutemangcl? bort höheren Sohn 
erlieft ober auch bei ber eigenen Srnte tljätig fein wiß. 

Sann befcf)tänfen üiele gabrifen mehr ober minber ihren 
Setrieb; aber auch diejenigen, bie mit boüer Straft weiter 
arbeiten, leibeit barunter, inbem ber prii.cfgebliebene SIrbeiter 
bei jeber ©elegenljeit mit feinem SBeggange broht unb auf 
biefe SBeife oft eine ©ehalt?plage erzwingt. 9lßerbing? rädjt 
fich ba? bitter an ihm im Spätfjerbfte. daun fommen 
fdjaarenweife bie Arbeiter Oom Sanbe prüd; ihren Sommer» 
lohn haben fie meiften? bötlig burd)gebradjt unb betteln nun, 
man möge fie wieber aufnehmen. ®a? gefchieht meiften?, 
aber bielfadj in 9lnbetrad)t be? großen Slngebot? p einem 
Oiet niebrigeren Sohnfaße. 3>efet werben aud) biejenigen 9lr* 
beiter, weldie fid) im Sommer eine ©cl)att?plage erjwangeu, 
bor bie 9llternatibe geftellt, entweber wieber p einem nieb* 
rigeren Sohne p arbeiten ober bie gabrif 511 bertaffen. 
Selbft fehr bebeutenbe gabrifen follen ihre Sommer* unb 
SBinterfohntarife haben. Senn wenn irgenbwo, fo gilt noch 
in fRußlanb ba? bei un? längft in SRißcrebit geratene eherne 
Sofjngefeß. der erwachfene Arbeiter, ber fein beftimmte? gad) 
erlernt hat, ber fogenannte Sihwarprbeiter (weiß unb fdjwarj 
bezeichnen in ber feljr bilblidjen 93olf?fpradje hoch unb niebrig), 
erhält nur 14—16 SRubet monatti^, Wenn er auf eigene 
ffoften wohnt, ober freie? Sogi? unb 9—12 fRubel. Somit 
muß er feinen ganzen Seben?unterhatt beftreiten. Sa? ift 
alfo weniger al? ein Srittel bon bem, wa? burdifchnitt» 
lieh ein wefteuropäifcher 9lrbeiter befommt. Snbeffen ift 
e? cinerfeit? richtig, baß ber ruffifdje 9lrbeiter einftweilcn 
nod) biel weniger leiftet al? ber erftere, unb bann ift ja ber 
ruffifeße Sauer bon |>aufe au? an bie befdjeibenfte Seben?» 
füßrung gewöhnt, womit natürlich bie aufftrebenbe Snbuftric 
gerechnet hat. Sa? Sebenflid)e biefer nieberen Söhnung liegt 
aber barin, baß e? bem 9lrbeiter in golge berfelben nid|t 
möglich ift, grau unb ffinber bei fiel) zu halten. Somit 
Wirb bei ber heutigen Sachlage ba? gamilienleben, bie Stühe 
unb ba? gunbament jeben gefunben Solf?tljum?, untergraben. 
SBeldje bebauern?wcrthen, aber nur ju bcrftänblidjen gofgen 
biefe? lange ©etrenntfein bon SRann unb grau hat, liegt 
auf ber §anb. Unleugbar finb ba? moralifdje Schaben ber 
fdjiimmften 9lrt. Shnen gegenüber fann meine? Sradjten? 
auch nicht bie bielfadj bertretene politifdje 9luffaffung be» 
ftehen, baß, Wenn ber Sauer grau unb ffinb mit pr gabrif 
nehmen fönnte, ba? Sanb beröben unb fRußlaub, im emi* 
nenteften Sinne ein 9lderbauftaat, fo fünftlidj ju einem 
Snbuftrieftaate gemacht Werben würbe. ÜRun bamit hat e? ja 
bi? jefct noch gute SBege. 3>m principe ift ba? bcrfelbe ffampf 


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244 


Ute ©egenwart. 


Nr. 16 . 


SWifdhen 9lderbau unb Snbuftrie wie bet uns. frier wie bort 
wirb man mit ©ewalt* ober Äunftmitteln nichts auSridjten. 
Ber gewiffenhafte jRealpolitifer wirb fidf barauf befchränfen 
müffen, ben (Einzelnen über feine wirtlichen Sntereffen mög« 
lichft aufjuflären unb ben 9Beg ju begünftigen, auf welchem 
bie moralifdjen ©üter beS Golfes am wenigften leiben. 
Bonn auf ihnen allein beruht bie ®efunbheit beS Staates. 
Son biefem ©efidjtSpunfte auS lanit eS nun nicht tierhehlt 
werben, baß baS getrennte Familienleben beS tuffifchen 9tr« 
beiterS, wie eS bie (Entwidelung ber tuffifchen Snbuftrie in 
ihrer jeßigen UebevgangSpetiobe mit fich gebracht h°t» bie 
moralifche ®efunbljeit beS SolfeS großen (Gefahren auSfeßt. 
BieS hat man fchon längft in SRegierungS« unb in Fahrt« 
fanterifreifen eingefeljen. Bie ^Regierung, welche bie Sntereffen 
aller ©tänbe tiertritt, fudht burch Hebung ber Sanbwirtljfchaft 
ben Säuern wiberftanbSfähiger ju machen gegen bie Ser* 
füljtung ber ©täbte unb gleichzeitig burch «ne auSgebehnte 
Fabrifgefeßgebung bie pf)hfifd)e unb moralifche ©efunbßeit beS 
Arbeiters z u fdjüßen. Bet Snbuftrielle feinerfeitS hat auch fdjon 
längft erfannt, wie unficher eS ift, mit Arbeitern ju arbeiten, 
welche burdj ©runbbefiß unb Familie an baS Sanb gefeffelt 
finb unb jeber ßeit gewärtig fein müffen, auS Familien« 
grünben bahin jurüefberufen ju werben, ©ein Seftreben geht 
be^halb barauf, ben Arbeiter ju beftimmen, freiwillig feinen 
Sanbfiß aufzugeben unb feine Familie gu fich fommen ju 
taffen. Sluf biefe SBeife hofft man allmählich einen Arbeiter« 
flamm heranjujiehen. Snbeffen batf bei biefer ganzen F rn 9 e 
nicht überfehen werben, bafj ber ruffifche Arbeiter gerabe in 
Folge feines SanbbefißeS feinem Unternehmer gegenüber un= 
abhängiger bafteht, ba er bei etientuefler ftünbignng nicht 
auf bie ©trafse geworfen ift, fonbern, falls er feine anbere 
©tellung finbet, jur Familie aufs Sanb gurüdfehren fann. 
f)at er aber einmal feinen ©runbbefiß aufgegeben unb gehört 
er jum ©tamme ber Slrbeiter, fo fteht er natürlich 1 ganz in 
ber tpanb bcS Unternehmers, unb barauf sielt audh beffen 
ganze Polttif. 21 ber troß biefcS nicht zu unterfdjäßenben Sor« 
theilS beS gtunbbefißenben Arbeiters ift bodt> ber jeßige Bua« 
liSmuS Weber haltbar, noch liegt er im Sntereffe einer ge« 
funben SBirthfdjaftSpolitif. Benn ba jeßt jeber Arbeiter 
Sauer ift, leiben beibc Bljcile, ber ülrbeiterftanb unb ber 
Sauernftanb. Batjer ift eS bringenb su wünfefjen, unb fidjer« 
lieh wirb auch bie weitere (Entwidelung ber fo riefen^aft 
fortfchreitcuben ruffifcheit Snbuftrie bahin führen, baß eS 
einen gefonberten Arbeiter« unb Sauernftanb giebt, beten 
jeber nur feine eigenen Sntereffen 5 U tiertreten haben wirb. 
Snbeffen auf Sahrseljnte hinaus wirb ber SolfSfreunb noch 
mit Sfummer stehen müffen, wie burch bie Sefdjäftigung 
als Fabrifarbeiter ber Sauer tion feiner Familie getrennt 
lebt unb ben oben erwähnten fdpoeren moralifcf)en Schöben 
auSgefeßt ift. 

SBerfen wir nunmehr einen eingehenberen Slid auf bie 
SebenSfüßrung beS ruffifeßen Arbeiters. Sn faft allen größeren 
Fabrifen erhält bcrfelbe SBofjuung in großen Äafernen, bie, 
ben Seftimntungen beS FabrifgefeßeS folgenb, ben ülnfotbe« 
rungen ber f>pgiene meift Durchaus entfprecfjen. 9lufjer biefer 
freien SBohnung befommt, wie fchon erwähnt, ber ©djwars« 
arbeitet im Burdjfcßnitt 8—12 fRubel monatlich- Serpflegcn 
mufe er fich fdbft- Früher übernahm bie Fabrifleitung auch 
bie Serpflegung; aber baS erwies fich auf bie Stauer bei 
bem angeborenen fDlijjtraucn unb bet Sntriguenfucht beS 
tuffifchen Säuern als unburdjführbar. Sicherlich hat auch 
mehr als eine Fabtiftierwaltung ihre 9lrbeiter babei über« 
tiortheilt; aber bie Serpflegung fönnte bie befte fein, ftets 
würbe ber Strbeiter glauben, überoortheilt su werben. Baßer 
überläßt man nunmehr bureßgängig bie Serpflegung ben 
Strbeitern felbft, bie su biefem 3 wetfe auS ihrer SRitte eine 
©Eecutitibehörbe erwählen, bie ,.9lelteften". BiefeS ©hftem, ber 
fogenannte „9trbciterartel", giebt sunächft burch baS hierbei 
gelteitbc allgemeine SBahl* unb SerathungSrecht bem (Einzelnen 


®elegenheit, fich baran su gewöhnen an allgemeine Sntereffen 
SU benfen, unb baS fällt bem ruffifchen Säuern in Folge 
ber iftadjwirfungen ber Seibeigenfcßaft noch ungemein ferner. 
(SS Wirb ihm alfo hier bis su einem gewiffem ®rabe eine 
politifche (Erziehung geboten, anbererfeitS wirb eS ihm aber 
auch baburdj ermöglicht, feinen angeborenen fwng ju 
Parteiungen, Sutriguen, Phrafenbrefdjerei su befriebigen, 
ohne bah bie Fabrifleitung babei s« leiben hätte. ©chließ« 
lieh bietet ber 9trtel feinen SDfitgliebern alle Sortheile eines 
SonfumtiereineS unb beföftigt fie in einer SBeife, Wie fie e§ 
fich fonft burchauS nicht leiften fönnten unb auch öon §aufe 
gar nicht gewöhnt finb. itabei foftet bie monatliche Ser« 
pflegung bem (Sinselnen 4— 6 SfJubel. ®er Slrbeiterartel 
bilbet fomit an fich e 'ue fehr glüdliche Söfung ber Arbeitet« 
oerpflegungSfrage. hierbei wie bei fo tiieten anberen neuen 
Snftitutionen ift baS mächtig aufftrebenbe Sftufjlanb in ber 
Sage, fid) bie fchwer gemalten (Erfahrungen ber alten ßultur« 
länber ansueignen, ohne felbft babei erhebliches Sehrgelb 
Zahlen s u müffen. ©0 fam man tion bem in ber Fabrif 
arbeitenden Säuern auf ben im Gonfumtierein tierp^egten 
Arbeiter, tion ber poftfutfdje zur eleftrifchen Sahn. Seiber 
haben aber foldje Gulturfpriinge auch *h re großen fRadhtheik 
unb ®efahren. 2>o<h lehren Wir sum Arbeiter surüd. Son 
feinem ®ehalte bleiben ihm alfo abzüglich Soft unb SogiS 
noch 4 — 6 Stubel übrig. Für Reibung giebt er nicht allzu 
tiiel auS, höd)ftenS für fchöne hohe, blanfie ©tiefel, ber ©egen« 
ftanb ber SRationaleitelfeit. Smmerhin wäre er bei feiner jo 
befdjeibenen SebenSführung burchauS in ber Sage, feiner 
Familie auf bem Sanbe einen 3 u fthufj ju fenben, unb baö 
Wäre feine fßflidjt. Seiber gefchieht bieS in ben feltenften 
Fäden. 9Bie foOte audh ber ruffifche Sauer auf einmal ju 
wirthfehaften tierftehen, nadjbem er Sohrhuuberte lang in 
bölliger wirthfefjaftlicher ülbhängigfeit lebte? SJaju fommt 
noch, bafe nur bie fehr geringe SRinbersaljl lefen unb fdjreiben 
fann. ®ie 9lnberen langweilen fich natürlich in ihren 2 Ru|e< 
ftunben, beren fie bei ber grofjen 3°hl ber Feiertage genügenb 
haben. S)aS treibt fie zur ©cf)änfe, tiiedeicfjt mehr noch 
ber ererbte §ang zum Xrunfe, ber auS einer 3 e *t ftammt, 
wo bieS ihr einziges Sergnügen Wat. 2Rit Freuben finb 
baher bie zahlreichen Seranftaltungen tion ©eiten ber FobrifS« 
birectoren unb prioater SolfSbilbungSoereine z u begrüfeen, 
welche barauf hinsielen, ben Arbeiter an nüßli^e ober 
WenigftenS horwlofe Sergnügungen z u gewöhnen unb iljn 
fo tior bem jebem Ungebilbetcn fo nahe liegenben Saftet be» 
JrunfeS zu bewahren. ®ie populärften Unterhaltungen finb 
bie Sorlefungen unter Sorzeigung tion SRebelbilbern mittelft 
bet Laterna magica. 'Biefe fpielt überhaupt in ben Solls« 
bilbungSbeftrebungen 9}u|ianbS eine fo grofje 9foHe, bafe 
einzelne tiolfSfreunblidhc Sereinc fie in eigenen Sßerfftätten 
auf baS SiUigfte herfteUen 'taffen, ebenfo Die bazu gehörigen 
Silber in reichfter 91 uSWahl. ®ie Popularität ber Siebet« 
bilber erflärt fich S u nächft auS bem finblichen ©inne beS 
tuffifchen Säuern, ber an allen Silbern grofje F^eube Ipt- 
unb bann wäre eS ihm ohne biefetben auch wohl faum mög« 
lieh, e inem längeren Sortrage mit 9 tufmerffamfeit 5 U folgen, 
ba er eben feine Schulung befißt. Seber, ber einmal einer 
foldjen Sorlefung beigewohnt hat, wirb bie rührenbe F 1 ^ 
beS fo überaus banfbaren publicumS ebenfo wenig tiergeffen, 
wie bie oft frappanten Semerfungcn, welche tiefe Streiflicht 
in bie SotfSfeete werfen. Saum Sentanb wirb fich h’ er ^' 
ber fchrnerzlichen SBahrnehmung erwehren fönnen, wie föft« 
liehe ©eelenfchäße hier ungehoben bleiben, weit ÜRiemanb fid) 
ihrer annimmt. 9llS einen großen Sorzug biefer Seran« 
ftaltungen betrachte ich 0U( h ben Umftanb, bafe bie 2;h cmat0 
durchaus nicht immer pebantifd) auf Selehruug hwzt cn ’ 
waS ermüben unb auf bie Bauer abfdjreden würbe. Sid' 
mehr fommen neben tiaterlänbifdjer ©efchi^te unb 9 ieife« 
befchreibungen, welche leßtere immer ber banfbarfte ©toff für 
SotfSbelehrung bleiben werben, auch Segenben unb einfache 


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Nr. 16. 


Die ftegetttoari 


245 


ruffifeße SolfSmärcßen Dor. ©elbft beutfcße ÜÖMrcßen, toie 
©Sneewittchen unb kornreichen, faf) ich mit großem Sei* 
falle aufgenommen. Sei großen gabrifen werben in aller* 
neuefter Jjeit auch feßon Arbeitertheater errichtet. kaß ßter 6 ei 
mit Wenig SWitteln ganz SorjüglicßeS geteiftet wirb, tonnte 
jeber Sefudjer ber aUruffifcßen AuöftcHung 1896 in ber [ehr 
reichhaltigen Abtheilung für Solfsbilbung mit aufrichtiger 
greube wahrnehmen. Ueber ßaupt ift höchft bebauerlicher SBetfe 
biefe Abtheilung, meines SBiffenS, Don ber beutfeßen Sßreffe 
Diel ju wenig gewürbigt worben, wiewohl aud) wir bort 
mancherlei hätten lernen tönnen. ©efeßidt ift nun einmal ber 
ruffifeße Sauer, unb bann hat er einen auffaüenben ©inn 
für alles ben Augen ©efätlige. ©o fah man bort ganze 
©cenerien unb Koftüm*Ausfta"ttungen jur Aufführung ßifto* 
rifcher kramen an SollStßeatern, fie beftanben aus einigen 
bemalten Srettern, Sattunlappen unb bunter i| 3 appe, waren 
aber Don ganj prächtiger Süßncnwirfung. Sn ben Arbeiter* 
theatern fpielen bie Arbeiter felbft unb jwar oft mit er* 
ftaunlicßem angeborenem kalente. kaS fehr aufmerffame 
publicum begleitet bie ^anblung mit prägnanten unb Dielfach 
äußerft originellen Kunbgebungen feiner ©ßmpatßte unb 
Antipathie unb ift außer fieß Dor greube, wenn am ©nbe 
ber Söfewicßt feine wohlDerbiente, meift fefjr hanbgreiftiche 
©träfe befommt. kamit enbigen übrigens ganj berechtigter 
SBetfe faft aUe ruffifeßen SoltStßeater*@tüdc. S3oßl mag bieS 
unferen Ipßperäftßetifern unfünftlerifcß erfeßeinen, aber ßier 
ßat bie Kunft bodj Dor Allem ben 3med, eine gcfcßmadDotle 
Unterhaltung ju bieten. Außerbcm lebt im ruffifeßen Solle 
ein großer ©erecßtigfcitSfinn, ben auf jebe SBeife ju pflegen 
unb ju ßüten baS Seftreben jebeS SBoßlmeinenben fein muß. 

Arbeiterbibliotßelen finb oielfacß Dorßanben. Sßre 
SücßerDerjeicßniffe müffen jebeS SRal erft polizeilich beftätigt 
werben. SBie mir gabritbibliotßefarc, meiftenS ©ößne beS 
SefißerS ober ^auSleßrer, mittßeilten, werben biefe Siblio* 
tßefen eifrig benußt, unb wußten bie meiften ©ntleißer, itacß 
bem Snßalte beS ©etefenen befragt, recht gut Sefcßeib ju 
geben, ßatten alfo mit Auf merff amfeit gelefen. Sntereffant 
ift eS, baß bie küßtet im Allgemeinen ben fßrofaifern uot* 
gezogen werben, waS auf einen angeborenen Kunftfinn beS 
SolfeS fcßließen ließe, fieß Dieüeicßt aber noeß eßer auS feiner 
Weicßen, Ißrifcßen ©efinnungSart erflären läßt. Seiber lann 
idf nießt weiter auf bie Arbeiterunterhaltungen eingeßen. 
SBie feßon auS bem ©efagten erfenntlicß, geben fie bei ber 
fo großen Katürlidjfeit beS ruffifeßen SolfeS bie intereffanteften 
©inblide in bie SolfSfeele unb oerbienten barum aud) oon 
©eiten ber beutfcßen SBiffenfcßaft ein eingeßenbeS ©tubium. 
Unfer ©tolj ift eS ja immer gewefen, Don allen -Kationen 
jn lernen unb baS Sorjüglicße bei allen DorurtßeilSfrei an* 
juertennen. ©in fo naioeS Soll aber wie baS ruffifeße bietet 
gewiß baS befte SeobacßtungSfelb für eine bis jeßt fo Der* 
naeßläffigte allgemeine SolfSpfßcßologie, beren Kenntniß für 
ben praftifeßen ^ßolitifer, namentlich in ber ©ocialpolitif, bie 
fegenSteicßften golgen ßaben müßte. 

koeß feßren wir jurüd ju benjenigen Arbeitern, bie 
ni<ßt Don ber gabrif SogiS erhalten, fonbem prioatim woß« 
nen unb fieß felbft oerpflegen, ker ruffifeße Arbeiter jießt 
biefe Sebingnngen in ber Kegel ben Kafernenwoßnungen unb 
ber Artelbelöftigung Dor, wiewohl er bort fießer Diel beffer 
lebt Aber hier ift er freier unb ßat über fein ganzes ®e* 
ßalt felbft ju Derfügen. Unfere Arbeiter würben ebenfo ur* 
tßeilen. ©olcße Arbeiter erßalten 14—17 Kübel monatlich- 
3 ßrer Kfeßrere bewoßnen eine ©tubc, wofür jeber etwa 
1—4 Kübel monatlich ju jaßlen ßat. gür Setten müffen 
fie felbft forgen. Siet Kfüße maeßt ißnen 'baS aUerbingS 
nidßt. kaS Sett befteßt nämtieß auS 2—4 Srettern, bie 
auf jwei Kiften liegen, barauf ein unbefinirbareS ©emifcß 
Don Slänteln unb fonftigen KleibungSftüden unb bie genügenbe 
Anjaßl Ungeziefer, oßne baS ber Arbeiter, glaube icß, nießt 
feßtofen lann, unb baS Sett ift fertig, gut Serpflegung 


tßun fieß ebenfalls meßrere jufammen. kiefetbe foftet pro 
Sfaitn laum nteßr als 3—5 Kübel monatlich- SBie gefagt, 
ift biefe Seföftigung eine Diel fcßlecßtere als bie ber im Artel 
Dcrpflegten Arbeiter, aber bafür lann ber ©injelne nach feinem 
©efeßmade auSwäßlen, unb baS fcßäßt er feßr. Sn ber 
Kegel befteßt baS SDlittagSmaßl biefer anfptucßSlofen Sur* 
feßen auS ©cßmatjbrob — feßr feßmadhaft in ber Art unfe* 
reS ißumpernidel, nebenbei gefagt auch bie Utfacße ber auS* 
gezeichneten gäßne beS ruffifeßen SolfeS, ba eS feiner §ärte 
unb ©robförnigfeit wegen zaßnreinigenber wirft, als baS befte 
Raßnpuloer — baju Diel ©alj unb nießt immer gelocßte 
Kartoffeln. kaS ift baS ©ubftanzieÜe ber täglichen üJJaßlzeit: 
inbeffen feßtt feiten irgenb eine befonbere kelicateffe ßöcßft 
zweifelhafter Art; benn ber Arbeiter ift nafcßßaft wie ein 
Kinb. Son biefer Kafcßßaftigfeit ejiftiren übrigens ganze 
Ipeere fliegenber ^änbler, meiftenS arme Sauernfnaben, bie 
Don Unternehmern auf bem Sanbe bußenbweife angeworben 
werben. 

SKitßin wäre alfo ber prioatim logirenbe Arbeiter noeß 
eßer in bet Sage, feine auf bem Sanbe woßnenbe gamilie 
regelmäßig 3 U unterftüßen. Aber aueß et tßut baS nur auS* 
naßmöweife. 3 U ftaunen braueßt man eigentlich nießt batüber, 
benn ber märcßenßaft naioe Sauer wirb natürlich Don bem 
märcßenßaft oerborbenen ©tabtproletariat ober Don feinen 
feßon „erzogenen" Samctaben auf jebe Art zu Derfüßren 
refpectioe zu ejploitiren gefueßt. SBie follte er bei feiner 
OöÜigen llnfenntniß beS SebenS wiberfteßen lönnen? ©S 
tßut einem oft in ber ©eele weß, wenn man zufeßen muß, 
wie fo ein frifcß Dom Sanbe importirter, rotßbädiger unb 
meift ßübfcßer Surfcße, — nebenbei gefagt faft immer meßr* 
faeßer gamilienoater — naio bis zur Unmöglicßfeit, aber 
eßrlicß unb bieber unb oon ber jebem Kuffen angeborenen 
©efäUigfeit ber Umgangsformen, in furzer 3«* fo wirb, wie 
alle bie Anberen, feine blüßenbe ©eficßtSfarbe Derliert, in zer* 
riffencit Kleibern ßernmläuft, trinlt unb Iran! wirb. Snbeffen 
giebt eS aueß AuSnaßmen: braue, ftiHe Sungen, bie fieß ab* 
feitS halten Dom ©eßwarme, ©onntagS auf ben gelbem 
umßerftreifen unb AbettbS ißre enblofen, traurigen SolfSliebet 
fingen in weicßen, tanggezogenen, llagenben könen. Aber 
foteße ßalten eS meift nießt lange auS, unb eS ift mir meßr 
als einmal oorgefommen, baß ein folcßer Surfcße einfach um 
feine ©ntlaffung bat, weil ißm baS ©tabf* ober gabritleben 
nießt „gefalle". — (<2djlu{j fotgt.) 


Literatur unb ^unH. 


DU 5ecefftott in töten. 

SSon ©tto Stoe§l. 

3 u einer 3 e 'l> ba überall bie neue Kunft mit ißren 
neuen Scannern unb SBerlen in oollet Arbeit faft feßon ben 
erften lämpfenbeit grüßling überwunben ßatte, begannen einige 
begeifterte unb mutßige SWaler, ein lang oertannter, kßcobor 
oon Ipörmann, an ißrer ©piße, aud) in SJien für bie neuen 
Seftrebungen fid) einzufeßen. §ier wie überall^ war eine 
frieblicße Serftänbigung mit ben „Alten" unmöglich- ®e* 
feßmad, 3iele unb SKittel waren fo entgegengefeßt, wie bie 
©efinnung einer alten unb neuen ©eneration. K?ertwürbig 
rafcß ßat ber SBiener Kunftfrüßling gefiegt. |>eute aißtet bie 
ganze ©tabt faft nur meßr auf bie ißarote, bie Don ber 
©eceffion auSgeßt. kie Urfacßen biefeS rafeßen UmfcßwungeS 
finb halb zu erfennen. Sn anbeten ©täbten famen bie Keuerer 
ftüßer unb oßne SunbeSgenoffen, Dor ein unoorbereiteteS, in 
ber gewoßnten bogmatifeßen Acftßetif unb ©cßöngeifterei ein* 
gefcßlafeneS publicum, unb was immer fie fagten, erregte 


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246 


Die <8>e$etm>art. 


Nr. 16. 


burd) bie Don allem ©eWopnten fo abweidjenbe Elrt de» 
fremben., geinbfepaft, ja 3 i>utf). 3 eber mußte befetjrt, jeber 
©iitjelne für jebeö einzelne 2 Öev£ gewonnen werben. Unb 
erft jtt bem geitpunfte, als längft überall biefe neue Äunft 
iit fiel) Doflenbet war unb non einzelnen frttifrfjcit ©ciftcm 
bereits fidjtenb unb umfaffenb bargefteßt, als überall ge» 
erntet würbe, begann mau tu SBien ju fäen. Da war freilich 
bic Elrbeit leichter, lopnenber unb tafferen SrfoIgeS gewiß, 
wenn audj niept minber Derbicnftlid). 9lud^ war ber befte 
Dpeil beS ißublicumS: bie reichen Käufer unb bie funftDer» 
ftänbigen unb in ber SBelt perumgefommenen ober wenigftenS 
bie belefeuen detraepter auf ElfleS, waS man bringen tonnte, 
üorbcrcitet. Die äJfengc aber, fonft ftörrig unb feinbfelig, ift 
in SBien non überaus gutmütpigem ^ßf)legma. Eleftpetifdje 
2ButE)anfäHe finb fo feiten, als äftpetifcpeS ©ewiffen. dafd) 
tann Seber bewegt werben unb oergißt in feiner heiteren unb 
lebhaften ©inpftnbung alle „©runbfäße", bie er eben nie be= 
faß. ©elbft bie gefepäßten Slritifer, weldje in SBien ftetS 
eper folgten, als führten, waren gleid) bereit, ju pulbigen, 
wo fie geftern nod) ffudjten. Da man nod) in SBien nichts 
ElnbereS fannte, als bie „©cpmarjmalerci", waren fie bic 
fproppeten biefer „©chwarjmaler", gleid) barauf, als ElßeS 
in’S 2idjt brang, jubelten fie über baS Sicfjt. Die Seceffion 
brauchte niept einmal eigene ©eitieS — bie hätte fie freilich 
unter beit jungen EBiener fiünftlern nergcb(id) gefud)t, — 
fie mußte nur mit gefepidtem ©efepmad unter ben EBuubern 
ber fremben fiänber, anS bem Mieten baS defte Wäplcn, mit 
Dact, ©efd)id unb jiernoU eS auf» nnb auSfteßen, um ElßeS 
ju gewinnen. DaS tpat fie. ©o iwad) feine äftpetifepe 9ieDo= 
lution auS, fonbern baS Eleue jog burd) offene Dpüren, be= 
reitwidig, ja feftlicp empfangen in bie ©tabt ein. EBaS gefiel, 
würbe gleich jum Ueberbruß in aßen Stoben, ©cfpräcpen, 
ÜKöbeln, ©eberben abgeWerfelt, waS befremblicp blieb, mit 
einem leicptbereiten SBiß weggefepoben, opne ,£>aß, ja, mit 
einer gewiffen Danfbarfeit. DaS öfterreicpifdje EMufeum, üom 
Staate unterhalten unb infpirirt, fcploß fid) hilfreich an unb 
fo haben wir jeßt feit brei Satiren eine inobcrtte Slunft, ein 
aflju tnoberncS Ädmftpublicum unb eine moberne Äunftpflege 
unb »politit in SBien. 

ßu ben leprreupften unb gelungenen EluSftcßungSjapren 
barf biefcS leßte gejohlt werben. 3m ©attjen unb ©in» 
jelnen war aße Darbietung am reifften, ruhigften unb fieperften. 
©elbft bic ©egner waren bejwungcn. Unb bic EluSfteßungen 
ber „Äünftlergenoffenfdjaft" übertrumpften mehr aus Elngft 
unb Eleib, als auS Üeberjeugung in manchen ©tüden ihre 
feinbliche drüberfd)aft. Die „©cceffion“ Deranftaltetc brei 
EluSfteßungen, non beneti bic erfte ber grappifdjen Äunft, bie 
jweite ben Sapanern, bic britte ber SKalerei unb ißlaftif ge» 
wibmet war. Die erfte unb jweite waren fo redjt belehrenb, 
retrofpectin unb tonnten bem aufmerffamen detradjter gleid)» 
fatn baS ©ntftepen beS neuen malerifchen ©eiftcS nor Elugen 
führen. Unb barin liegt, glaube id), ber über SBien hinaus» 
gepenbe SBertp unb bie größere debeutung ber SBiener @e» 
ceffioit, ihr gehler ift ihr dorjug. ©ie tarn ju fpät. Diefer 
fiinftlerifcpen Efadjput ber SDtfoberne tonnten bie SBiener bie 
befte Elrt non Sfunfterjiepung nerbanten. SBaS hi er noth» 
weubig gefeßehen mußte, tonnte anberwärts planmäßig nach» 
geahmt werben. Die SBiener SluSfteflung war gar nicht mehr 
fubjcctioeS ©id)burd)fe^ett unerhörter Äunftneuerungen, fonbern 
Eluffteßung unb Elnreipung beS deften, beffen 9iupm längft 
fcftftept. ©o fönnen aßein EluSfteßungen ftatt ju verblüffen 
belehren. DaS eben ©ntftanbene, baS um ben ©rfolg tämpft, 
muß immer baS EJlaaß an bem wahrhaften ©roßen, bem eS 
uad)ftrebt, nor fid) haben. DaS publicum muß Dergleichen 
fönnen unb 311 fold)en dergleichen erjogen werben. DaS 
©cutrum Don EluSfteBungen foßte immer ein ganjer SEreiS 
Don ©djöpfungcn fein, welche baS Ipöcpfte ber gleichseitigen 
deftrebungeu barfteßen, barum Wäre in ber Dorfidjtigen EluS» 
Wahl bas Eieuentftanbcne ju fantmeln. SJtan rette nur baS 


publicum Dor ber IDfaffc. §at man Diel ju fagen, fo mag 
man eS öfter thun: ift eine große ÜJienge üon ©ilbem ber 
EluSfteßung werth, fo fchaffe man eben mehr EluSftcßungen. 
Dann fönnten fie ftatt ein bloßer Äunftmarft unb üKobeoit 
als Sulturfactor SfunftpolitiC in höherem ©iitne treiben unb 
üielfad) bie Elrbeit ber üWufeen ergänjeit. 3a, eS barf mit 
IRecht Sticharb s 3)tuther’S dorfcßlag hier Don 9ieuem Dorgc» 
bracht werben, bie EluSfteßungen eine bisher nicht Derfudjtc 
ElrbeitStheilung Dornehmen ju laffen, nach ©tofffreifen, fleinen 
Sänbergebieten, weld)e eine gefd)loffene Sbunftftimmung auS= 
brüefen. Ober mau gruppite nach öer h'florifdjen ©ntwiefe» 
lung ber Wotioe. Die ÜKufeen haben einen fijirten, noth» 
wenbig lüdeithaften deftanb. EJun foß aber bie heutige 
Ä’unft in ihrer organifd)en ©ntwicfelung auS ber Dergangenen 
gejeigt Werben; baS publicum wirb baS EEeue beffer begreifen, 
wenn eS Weiß, wie eS Werben mußte. ©0 müßten hiftorifdje 
EluSfteßungen in aßen ©täbten an bie ©eite ber SOfufeen 
treten, 'ijjtiüatfammlungen, ©d)äße ber Äunfthänbler würben 
Material genug liefern, baS ja nicht Doßftänbig ju fein 
brauste, nur gleichfam bie Dbertöne anjufcf)lagen hätte. Denfe 
man fich baju eine wirflid) Willige äfthetifdjc giiljrung, nicht 
burch ein dilberoerjeichniß, fonbern burd) einen mit der» 
ftänbniß unb Stil gcfchriebenen ßatalog, burch Vorträge 
unb Unterweifung in ber richtigen detradjtung, fo wirb 
fid) erft ber wahre ©rfolg einer foldjen. bisher freilich 
nur etwa in §antbitrg unter ßicljtwarf Derfu^ten EluS» 
fteßung jeigen. ©crabc bie EBiener EluSfteßungen biefcS 
3ahreS mußten foldjc Derwanbte ©ebanfengänge erregen, 
benn fie uerfolgten 5 um Dheil bibactifd^e ßwede bewußt 
unb mit ©cfdjicf, wenn auch rdd)t in weitem ^Slan. So 
biefe graphifcf)e EluSfteßung. Uebcraß fonft läßt fich öaS 
9?euc an’S Elite angliebern. §ier hat baS Sahrhunbcrt auS 
neuen Queflen getrunfen. ©ewiß mag and) bie neue dh Qn - 
taftif ber mobernen Decßnif unb baS ftarfe fociale dewußt« 
fein ber ßeit gerabe bie graphifchen fünfte lebhaft angeeifert 
haben, welche ja am meiften Don aßen tcchnifdje debingungen 
fteßen unb fociale SBirfungen erreichen foßen. ©benfo wie 
man fid) Dürer, £>olbein unb ©opa nur in einer Don ftarfen 
gefeflfdjaftlidjen dewegungeit, grageu, Sehnfuchten erfuflten 
unb burd) neue ©rfinbungen unb EBeltgebanlen in ©ährung 
gebrachten $eit Dorftcßen fann, mag man auch Sliitger unb 
bie anberen SßJeifter beS ©riffeis üon ben Drtumphcn ber 
tcdjnifchen EBerfe unb SBiffenfchaften, Don bem Eluftrieb großer 
neuer ÜDtenfchenclaffen unb ber SBirfung neuer ©ebanfen aufs 
Unumgängiid)fte fich beftimmt benfen. grüper gab eS einzelne 
EDieifter, aber leine SDfeifterfchaft ber geit in biefer ©rappil. 
©S gab große 91abircr, aber man barf wohl niept fagen, bie 
dabirung fei in ber .^atboergangenheit groß gewefen. de» 
jeiepnenb haben fich bie bebcutenbftcn dabirer auf bie depto» 
buctioit befchränft unb baburd) baS publicum gewöpnt, ipre 
Äunft als jweitclaffig, faft als ^»anbwert anjufepen. ©rft 
Slinger unb bie um ipn paben wieber unb wieber gefagt unb 
gejeigt, baß ber @tidj ebcitfo für gewiffe malerifcpe Snten» 
tionen, ©timtnungen, für eine beftimmte Elrt ju fepen unb 
3 U fintten bie einjig abäquatc gorm fei, wie etwa ber der» 
in ber d° c fi e - Unb bann greift bie ©riffelfunft in ipren 
SBirfungen am EBciteften auS, unb jeber Zünftler bient burep 
fie, opne eS ju woflen, ber dilbung feiner ganjen geit. Elucp 
hier war bie EBiener EluSfteßung retrofpectiD, burfte SßiancpeS 
als befannt DorauSfepen. ®S erfepien inbeß genug EteueS 
unb ©roßeS, namentlich Don ben granjofen doutet be 3Jfonoel 
mit feinen franjöfifdjen Sagen unb ©cpwänlen, Seanbre, 5RoU, 
Seanniot, EJiaurin, nnb ben beften Deutfcpen. Die japanifepe 
EluSfteßung, ans ben Schößen beS befannten SJeifenben Sfbolf 
gifdjer jufammengebrad)t, fatalogifirt unb angeorbnet, fonntc 
wieber gerabe im Elnfcpluß an bie grappifepe EluSfteBung über 
bie Einregungen unterrichten, Don welchen bic gefammte euro» 
päifd)e, moberne itunft, inSbefonbere jebodj bie grappifepe, im 
teepnifepen, in ber neuen biScreten Elnwenbuitg ber Sinie, in ber 


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Nr. 16. 


Dt* (Begjttwart 


247 


Serwcnbuitg ber gut abgewogenen 2(fpmmetrie unb einet fo* 
gufagen fcf)emattfd)cn ißerfpectioe fowopt, als and) in bet 21 rt 
beS ©epenS unb ©mpfinbenS, bet SBirfungen bet fanft ge» 
tönten [fläcpe, ber becoratiöen SJtotiüe u. bgl. erfüllt unb be* 
lebt tourbe. ©S giebt ein feltfameS ©piel ber ®efc£)icf)te, baß 
Sapan jept ebenfo fepr [ich felbft aufjugeben unb unfete Aunft 
bebingungSloS aufgunepmen ficf> anfrfjicft, wie wir bie [einige 
oor 3apren aufnapmen. Snbeß braucht man biefen ©influß niept 
gu fürchten. Tie ftembe SRaffe wirb immer nur affimiliren, 
niemals fiel) felbft an ba£ ftembe üöllig auSlicfern unb ficE) 
gang üergeffen. 

Tann tarnen bie lebten großen 2luSfteHungcn im ftünftler* 
pau£ (©enoffenfdjaft) unb im ©cbäube ber ©eceffion. Tie 
©rfte bat fiep unter bem ©influß ber mobernen Triumphe, 
namentlich bem ihrer jungen [feinbin, ber ©eceffion, wefentlicb 
üeränbert. TaS ©ute foH ber ©eceffion weggefifebt Werben. 
2ln eine innere Sefeprung ber Ungläubigen wirb man wobt 
nicht babei benfen hülfen, benit neben fepr ©utem, ba£ au£ 
ber [frembe gufammengetragen worben, hängt ©mpörenbcS 
non ^eimtfe^en Talentlofigfeiten. 9lucp in ber SBapl ber 
mobernen Trümpfe geigt bie ©enoffenfehaft ziemliche UrtpeilS* 
lofigteit Smmer febeint fie eher bebaut, einen materiellen 
©enfationSerfolg gu erzwingen, als fünftlerifch burch einen 
notbwenbigen, feinen ©onferüatiSmuS gu wirten, ©o mit bet 
2lu£fteDung uott Sef Sambeaug'S Soloffalrelicf „Tie menfep* 
lichen Seibcnfcpaften", baS gwat ooQ Temperament, aber audj 
ohne tünftlerifche 3 uc bt bie ©rengen beS ijßlaftifcben über» 
fepreitet, ohne ©ewiffenpaftigfeit in bilbnerifepe ©roßfpreeperei 
unb ©emeinpläßigfeit üerfällt. Sei biefem Sauf nad) ber 
SMonumentafität berliert ber Aiinftler einige Seine, Schultern, 
9lrme feiner [figuren, unb beim Streben in’S ©roße uergißt 
er 5D?a ncpeS, fo baß etwa ber Saudj biefer, ber Aopf jener 
igur auf Aoftcn ber übrigen ©lieber waepfen unb gigantifebe 
arricaturen entftetjen. Sn ber SapreSauSftcünng felbft war 
öiel ©utcS. Tie Cefterreicper felbft finb tüchtig, wenn auch nicht 
beroorragenb in ber Sanbfchaft. Aonopa, AaSparibeS, ©laoicet 
unb £ubeccf, SRibarj unb Titfcpeiner machen feine unb rei* 
genbe ©acben. 2lu£ ber [frembe hat man wahllos acceptirt. 
©et ©tünepener 2uitpolb»@ruppe war ein ganger ipauptfaal 
gewibmet. Sie hat ungefähr ben äftpetifepen ©parafter, um 
nicht ju fagen: bie äftpetifepe ©fjarafterlofigfeit ber SBiener 
©enoffenfehaft .felbft. ©ie folgt neuen 2tnregungen, ohne ficp’S 
mit bem fßubticum gu oerberben, was fie Weber mag noch 
tann, ba ihr beim beften SBiden nichts £>immelftürmenbe£ 
einfällt, ©roh bewähren [ich bie AarlSruper unb SBorpS* 
Weber Aünftlcr, welche nun bie ©tüßen ber ©enoffenfcpaftS* 
auSftetlungen geworben finb. Sn ber ©efepiepte bet beutfdjen 
Malerei werben bie SEBorpSmeber mit ihrer Schlichtheit unb 
heimatpliebe unüergeffen bleiben. @o biel Stamen, fo biel 
©runbeparaftere beutfepen SBcfenS [teilen fie bar. Sogeier 
fegt ©chwinb’S füße SDtärcpen bergeiftigt unb mit größerer 
malerifcper Sodenbung fort, Tiefem ßarten fleht SinnenS 
gigantifdpe Araft gegenüber, bie boeb wieber bon ber innig* 
ften ßärtlicbfeit unb Treue gegen bie Statur ift, bie fie 
gleicpfam mit ^elbenarmen umfaßt. ©roßgügig unb wuchtig 
im ©angen, ift 9lHeS gugleicp üod SDtilbe. SWobcrfopn unb 
SDtadenfen finb fo wie ihre ©enoffen in Sanbfchaft unb 
Sdtärcpen, in baS Seben ber Semopner biefer alten ©egenb 
berfenft, befd^eiben, fcplicpt, nie mit romantifepem ißatpoS, 
ftetS innerlich ergriffen unb ergreifenb. 2Jfan benft an bie 
Sadabe bom 2lrcpibalb TouglaS: „SBer feine ^eimatp liebt, 
Wie Tu" .... Shrer Aunftauffaffung nach gehören bie 
SBorpSweber wohl gu ben Seuten bon bcr ©eceffion, übrigens 
ift eS ja fo gleidpgiltig, wo echte Aunftmerfe gerabe gufädig 
hängen. 

Tie ©eceffion hat heuer Wieber auch in ber 2luSftetlung 
bon ©emälben unb ißlaftifen eine bebeutenbe Stiidfcpau auf 
baS moberne Aunftfchaffcn gegeben, inbeffen [ich bod) bebeu» 
tenber mit eigenen SBerfen eingefteÜt, als bisher, ©o fonnte 


man Aarl £>aiber'£ Sanbfchaften, in benen ber beutfehe SOiafcr 
juerft wieber mit ber Statur hanbgemein würbe, fehen, Seibl’S 
unb Sottet’S grobe ruhige, reife Äunft, auch Uhbe’S gewohntes 
Silb — eS ift immer baS ©leidbe unter wechfelnben Stamen, 
Ahnopff fanbte längft SerühmteS, jebeS feiner Keinen Silber 
geigt einen feltfam fühlen ©eift, bie Sachen haben alle eine 
ftählerne Araft, ©djmiegfamfeit unb finb fo wunberbar ge* 
arbeitet, wie bie foftbarfte Alinge. Ahnopff [teilt auf baS 
Solleubetfte jene ©attung üon Aünftlern bar, Welche — wie 
etwa Stephan ©eorge, £>ofmann£tbal u. 21. — ihr eigenes 
©mpfinben nicht unüermittelt geben, fonbern burch &aS SJtebium 
romantifcher Stoffe ftrabjlen laffen. AljnopffS Ißage, im 
Softüm ber Stenaiffanccgeft, etwa wie ©iorgione folche IßorträtS 
gemalt hätte, geigt hoch im ©efidjt biefen räthfelhaften 2IuS* 
brud, mit Welchem Ahnopff alle ©efid)ter barftettt, einen 
TppuS oon oergeiftigter ©d)önbeit, bie ©raufamfeit, ©arfaS* 
muS, Stonie enthält; biefe Schöpfung eines großartigen unb 
ungemeinen TppuS gelingt nur ben größten SJteiftern. Subwig 
Oon ^ofmaitn ber eigentlich Einlaß gu bem ßohlfa ©cßlag* 
wort ber „rotpen Säume" gegeben hat, über bie fiep nun ja 
wopt Sitemanb mepr wunbert, ift mit großen unb reifen 
Silbern oertreten, oon benen fein ©ottoater unb 2lbam unb 
®oa im ißarabipfe baS fepönfte. ©eine SJfalweife pat fidp 
feit jenen beraufdjenb garten, jünglingshaften unb wie ge= 
träumten Sbpllen auS einem unerhörten 2lrfabien merfwürbig 
geänbert, fie ift lebenbiger, fräftiger, härter geworben. TaS 
©epaudjte unb ©eflüfterte feplt, 9llleS ift bewußter, männlicher, 
größer. 2lber man empfinbet boep einiges Sebauern um bie 
unfäglicpe ^attpeit oon bamalS. TaS ißorträt ift Oertreten 
burep Saüerp, 2llejanber, ißepino, ^abermann, Aempff. Saoerp 
ift ber elegantefte ©laffifer einer Aunft, welcpe bie pödjfle 
Sfobleffe ber Tecpnif mit ber pöcpften Sergeiftigung beS 
©egenftanbeS Oereint, wunberbar ben SHenfdjen in feiner 
inbioibuellen Tracpt unb Haltung faßt unb boep, jebe crube 
§eftigfeit oermeibenb, baS Silbniß felbft auf ben garteften 
unb bebeutenbften Ton abftimmt, ein 3^1» nadj welkem bie 
Silbnißmaler feit jeper auf’S Segierigfte geftrebt patten; man 
benfe an Tigian’S gWeite ^ßeriobe! Unter ben SJfobernen 
biefer SluSfteUung [teilt SaOerp wopt ben ©ipfcl biefer Aunft 
üor, 9llejanber ift oon bem raftlofen ©prgeig Oon gaiben* 
ejperimenten gepept, ©anbara üergißt über ber aüerbingS 
unübertrefflichen ©ragie unb ©legang feiner Tecpnif unb feiner 
Scfteller oft genug ben ©celeninpalt, fo baß mampe feiner 
Aöpfe puppenpaft mitten, inbeß ^pabermann wieber in pfpepo» 
logifd)e ©cprutlen, ©pipfinbigfeiten unb ißeroerfitäten gerätp. 
2Bpift(er unb ©arribre, bie wopl noep tiefer in baS 2lußer* 
orbentlicpe oon Seelen einbringen, fehlten heuer. 

Stun gu bem großen Siätpfel ber 2luSftelIung. TaOor 
fiept man immer oerbußte ©efiepter unb pört immer ratplofe 
Semerfungen. San Toorop’S Silber „©ppinj", „Tie brei 
Sräute", „Tie neue ©encration". Serftänben bie SKenfcpen 
Silber fo angufepen, wie fie gefepen Werben foHen, mit auf* 
merffamem Slid unb bereiter ©mpfinbung, fo müßten fie. 
Wenn eS auep manepe giebt, bie oermöge ihrer Statur ftenib 
bleiben müffen, oon biefen SBerfen im Snnerften ergriffen 
Werben. Toorop ift SKalape. ©ine frembe Staffe, ein frember 
SJekptpum tropifeper ippantafie ift in feinen Silbern, eine 
feltfame gieberftimmung unb UrwalbSgraufen; bie SStenfcpen 
auf feinen Silbern wacpfeit Wie Slumen fdjonungStoS unb 
wiebet unfäglid) angftooll blideitb aus einem Soben, ber noep 
SBunber trägt. 93?an pat ipn Oom ©tanbpunfte tritifcp» 
fittfamer ©uropäet raffinirt genannt, weil man einen folcpen 
©rab üon Staioetät bei feinem SKenfcpen oermutpen gu bürfeit 
glaubte. Staio ift bie SBunber* unb ©leicpnißmelt biefer 
Silber, naiü ipre garbenbläffe, ipre Oerfdplungenen unb fraufen 
Sinien unb bann wieber bie Orgie ihrer [färben auf einem 
anberen Silb. Tic frembe Aunft entlegener Staffen wirb in 
ihren ©ingelpeiten immer etwas grembeS paben, aber in iprem 
tiefften ©epalt wirb fie unfer TieffteS treffen, [freilich wirb 


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248 


Die töegetttoart 




Nr. 16. 


bcm, bem biefe aufeerorbentlichen 53ti<fe, biefe einfadjften 
©eberben, btefe fef)nenben §unberte uon Firmen auf Doorop'S 
SBübern nichts Dort metifdjlidjet ©eljnfucbt, trauet beS ©r* 
fennenS unb Stauung beS Unergrünblidjen gu üerrathen fdjeinen, 
jebeS biefer Silber räthfelljaft bleiben ober gar lächerlich; ber 
Anbere wirb inbeffen über bie frembe fRaffe hinüberfehen unb 
baS ÜJ?enfd)(id)fte mit unerhörter ©etoalt, weil mit gang neuen, 
ureinfadjen, erhaben »fimpeln AuSbrudSmitteln gefagt fühlen. 

Durch ebenfo heftigen Streit ber Meinungen würbe 
Älimt’S für bie SDecfe ber SBiener Uniüerfität beftimmte 
„Shifofoph*c" unoerbient ben Doorop’fchen Silbern nahe» 
gerüeft. 2Bo bort Diefe ift, ift hiev raffinjrter ©flefticiSmuS, 
»o bort bie 5Ratur felbft gu fpreßen Scheint, ift hiev Äünftelei. 
Die Svofefforen ber Uniberfität toeigern fid) in einem ißroteft, 
baS Silb aufjunehnten, bie ©eceffion antwortet bamit, Baien 
hätten bei ber Seurtheilung eines SunftwerfeS nichts mitgu» 
reben. Der ^roteft märe begreiflich, wenn bie ^rofefforen 
Hausherren in ihrer Uniberfität mären, baS finb fie jebod) 
leiber nicht, fonbern baS Unterrid)tSminifterium, baS burd) 
eine ©ommiffion, in ber auch einige ber (ßroteftler faßen, bon 
Älimt biefeS Silb befteßte. 2Ran mag gu Denen gehören, welche 
Sllimt für einen mittelmäßigen 9lad)ahmer frembet ©röfee 
halten, aber man fann befet>alb hoch in bem Serfahren feiner 
geinbe eine gewiffe fRefpcctlofigfeit oor ber ftunft unb Hoch 5 
muth gegen ben SEünftler nur bebauern. ©in ßunftwerf ift 
feine ©djneiberarbeit, bie man gurüdfdjidt, wenn fie nicht 
paßt. SBer ein Silb bon einem Sfüuftler beftellt, weife, gu 
wem er geht, ober mufe eS miffen; gerabe ftlimt hat feine 
(Eigenart eher übertrieben, als berheimlicht; eine ©figge legte 
et auch bor, bie gebilligt würbe. Dann, auf einmal gegen 
bäS SEBerf empört, eS auf eine entfd)loffene Art fpnauSWeifen, 
entfpridjt nicht ber ©erechtigfcit. 2Jfan hat gefagt, baS Silb 
Werbe ja befahlt, aber SRiemanb fönne ben Hausherrn gwingen, 
eS auch aufjuhängen. DaS ift fe^t roh unb °h t,e Sichtung 
bor bem fünftlerifchen ©chaffen gefprochen, baS fich immerhin 
nach feiner Segabung unb Artung mit ©ifer unb ©hrlichfeit 
um einen beftimmten Auftrag bemühte, ber übrigens auch 
burdj aUerhanb SBinfe ber ißrofefforen faum geniefebarer ge» 
worben wäre, derlei Allegorien finb immer eine 9?oth beS 
ÄünftlerS. (Die ©ntgegming ber ©eceffion ift ebenfo falfdj. 
©teilt fie Äunftwerfc aus, fo fucht fie Strftänbnife bei ber 
SRenge unb unterwirft fich bem Urteil Aßet. ©rfennt fie 
eS an, wenn eS Seifafl giebt, fo mufe eS ißt auch recht fein, 
wenn eS berneint. Unb fdjließlidj finb felbft bie feceffio» 
niftifcheften ©nobS ein unangenehmeres fritifdjeS publicum, als 
©clehrte bon immerhin achtbarer Silbung. 2BaS baS Silb 
felbft betrifft, fehlt mir aßerbingS auch ber ©inn für ben 
geiftigen unb malerifdjen Inhalt. ERan rühmte als Sorgug, 
bafe eS aße alte ©pmbolif bermeibe unb eine neue barftefle. 
(Dies wofel, aber bie neue ©hmbolif befteht auS einer Sh r a= 
feotogie bon SRotioen, bie man Sh n °Pff u. üerbanft, 
unb bie Art, wie Sflimt bie ^ßf)ifofop^ie auffafet, ift hoch 
aflgu finblich- ©röfee ber Auffaffung unb beS ©ebanfenS 
fehlen bem äufeerlich fehr großen Silbe böflig. ERalerifdj 
ift eS trübfinnig unb wirr, AfleS ineinanber djaotifch 
ober, Wie Sllimt meint, pfeilofophifd) berquoßen, aber 
immerhin bon ftarfer ©timmung unb großem ®efd)id. ERan 
wirb fich hüten müffen, über Älimt abfolut abguurtljeilen, 
biefleidjt ift AßcS bieS ein Uebergang gu eigenartigem ©Raffen, 
bießeidjt überwinbet er auch biefe (Experimente aße unb finbet 
eilte bebeutenbe ©igenart felbft in fid) unb brüdt fich mit 
feinen AuSbrudSmitteln auS, ohne fich in ben ©ebanfen, 
Farben, formen aßer anberen bewunberten EReifter gu fuefeen. 
SebenfaflS tagt fein cnergifdjer Äampf um bie ffunft feinen 
Slünftierfreunbcn oiel, unb fie fteßen fein Schaffen neibloS 
über baS ihre. (DaS giebt gu benfen. ©chliefelid) finb gegen 
eigenartige Naturen bte ERenfchen fpröbe genug. ERan benfe 
an bie langfanie ©rfenntnife bon Södlin’S ©röfee. ©o mag 
man mit fRedjt auf biefeS ERalerS ©ntwidelung begierig fein. 


SebenfaßS ift er ber einzige Söiener ©eceffionift, bet aus 
einem heftigen fünftlerifdjen ©igenftnn mit ^>cftigfeit fich 
burchtingt; bie Anberen finb feine, elegante ©fleftifer, mit 
aßen technifdjen ©alben gerieben, oft mobern bloß in ihren 
SRitteln, „alt" in ihrem ganzen ©tofffreis unb ©ebiet — 
wie etwa SRoß. ©o berräth ©ngelharbt bie gute Durch» 
fcfjnittsbegabung, welche ABeS gang trefflich jufammenbringt, 
waS ein Anbeter borgemacht h°t unb in aßen ^Richtungen 
emfig um baS ©elingen fich müht gwei aber barf man als 
EReifter unb echte ftünftler, ebenbürtig jebem gremben, nennen: 
griebrid) Äönig unb fjerbinanb Anbri. Diefer malt äRärchen« 
ftimmungen wie Sogeier unb bod) wieber anbetS, wie burch 
wienerifcheS HRebium burchgegangen; feine Slätter ju Schubert s 
SEBinterreife finb bem fo rafch berühmt geworbenen Sogler’f^en 
grüfjling ebenbürtig, ©eine Sanbfchaften finb fo heß, frifch 
unb entjüdt gefefeen, bafe fie wunberbar erffeinen, wie am 
erften (Tage. Anbri ift ein ftarfer, gefunber, noUblütiger 
fRealift. @r malt grobfnochige Säuern auf bem gelbe, ftarf» 
hufige Adergäule mit blanfem ©efchirr, polnifche SRärfte u. bgl. 
AßeS mit einer fteten heimathlichen ©runbftimmung, fo reif, 
fichet, ftarf in jebem ©trief) unb jeber garbe gewiß unb Aße« 
üon einem fotchen fünftlerifchen Sehagen burchleuchtet, bafe 
man beim Anblid feiner Silber an ben föfttichften beutfehen 
©rjähler benft: an ©ottfrieb Äefler. 

@o h°l bie ©eceffion gewiß ihre Aufgabe erfüßt unb 
barf juftieben fein. Sie hot fich ™ ben (Dienft ber großen 
Stunft gefteßt, nichts öon ihren Ueberjeugungen geopfert, oiel« 
mehr in richtigem nach einer fünftlerifchen ÜSanblung 
unb ©tjiehung beS ißublicumS geftrebt, fie hot h^mifdjen 
Zünftlern wenigftenS bie 3Röglid)feit gegeben, an frember 
Äraft bie eigene ju meffen, unb hot enblich baS ©lüd, auch 
jwei echte Sfeifter ju Stuhm unb ©rfolg ju führen. 


Das ßwtij-ÄletbUdje. 

33on Dr. med. HI. Crcymann (SRlgö). 

©oethe’S „gauft" fchliefet rhit ben SEBorten: „Da« ©Wig» 
ÜBeibliche jieht unS hinan." @S Wäre intereffant ju Wiffen, 
wie oft biefer tief»ernfte, aus ber gereiften SBettanfdjauung 
beS großen Dichters fliefeenbe ©ebanfe in oberflädhli^er, 
ironifirenber Seife in ©efprächen unb Sournalartifefn citirt 
worben ift. 9E8ir hätten bamit einen gewiffen SRaafeftab für 
bie flüchtigen Urteile Derjenigen gewonnen, bie nicht nur 
ben „gauft", fonbern auch ben Dichter unb ÜRaturphilofophen 
©oethe mifeüerftanben hoben. Aber DunfleS ju erheßen, 
©treitenbe ju Oerföhnen ober ju befänftigen — baju biene 
bie Setrachtung beS „@wig«8EBeiblichen" im Sinne ©oethe’S. 
Snbem ich bieS ©ine auS ber güfle ber Dichtung fjertorhebe, 
fei eS mir geftattet, in aßer Kürje auf baS Stefentliche beS 
©oethe’fchen „gauft" einjugehen. 

SSBir fehen unb f)öven ben großen Denfer in feiner ein» 
famen ©tube. ©r fud)t bie SBaferheit mit ber Anfpannung 
feines gangen SnteßectS, aber er finbet fie nicht: „3<h f e fc 
bafe wir nichts wiffen fönnen, baS wifl mir fcf)ier baS Herj 
üerbrennen." SergWeifelnb erfennt er ben Abgrunb, bem er 
entgegentreibt: bie ASfefe unb bie SRagie. Der SbealiSmuS 
hat i|n in bie SerjweifTung, faft in ben Dob geftürgt Der 
©eitfualiSmuS, Oerförpert burch SRephifto, foß SRettung bringen, 
©tatt ber SBahrheit, bie ihn banferott gemacht an Seit unb 
Seele, fud)t gauft bie Schönheit. Aber im wilben Beben, 
im ©innenraufd), wo er fie fucht, finbet er fie nur um ben 
(ßreiS üon ©lenb unb ©djanbe, in bie er nicht nur fich, f 011 “ 
betn auch t»ie Heifigeliebte ftürgt, in ber er nicht nur fein 
beffereS ©elbft einbüfet, fonbern auch baS feinem H*^ 11 
Dlieoerfte oerliert. ©nblich, nach langem Drauern, unb Ser* 


i. 


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Die ®e$etn»ari 


249 


jmetflung im #erjen, glaubt et bie S<pönpeit in ber ®unft 
ju crfaffett. „®am Sanb ber ©riechen mit bet Seele fudjenb", 
fann er feine peißen träume nur oermirflicpt fepen, fo lange 
SReppifto ipin feine Strafte, ben 3 au ^ €r W^ffel unb ben 
3aubermantel, leipt unb ber ^omuncutuS, bam unOoUfommene, 
nur unter ÜReppifto’m 9Ritpülfe tn’m Seben gerufene 3 roer 0‘ 
9Renfcplein ber fßfeubo»9ßiffenf<haft, ihm alm Seitftern ooran 
leuchtet. Angefkptm ber ftraplenbert, „fcpaumge6orenen" ©alatee 
erlifcpt freilich fein fpärltcp glüpenbem, in gläferne, ^erbrecf)* 
lt<pe |)ü[Ie gefaxtes tleinem Seben, aber gauft’m unftiübarer 
Sepnfucpt unb Äraft gelingt em, bam 3beal aller grauen, bie 
fcpöne ^»etena, am guße bem Dlpmp aus ber Untermelt für 
fiep an’m Tagemlicpt emporjupeben. ©ptron, „bet große 2Rann, 
ber eble fßäbagog, ber, fiep jum fRupm, ein §e!bent>oif etjog" 
unb bie »eife ÜRanto, bie Todpter Aemculap’m — b. p. bie 
SSeltmeimpeit unb bie SRaturlunbe in ©emeinfcpaft — feiten 
ben gauft. „®en lieb’ ich, ber Unmöglichem begehrt." 9Rit 
biefen SBorten führt ÜRanto ben gauft in bie Untertnelt. 
Unb nun erringt er bie mirtlicpe §elena, nicht nur wie einft 
ihr Phantom, alm er fie mit bem 3 a uberfcplüffel bem UReppifto 
fammt ißarim am Äaiferpof tjcraufbefct|tt)or. Sn glücftid^er 
@pe mirb ihm ber himmelftfirmenbe ©upporion geboren. Aber 
mit peißem Temperament, Ootl hohen ©hrgei^em jut H% 
emporfteigenb, ftürjt ber oieloerpeißenbe Sprößling gauft’m 
Sur ®rbe herab. Sn tiefem Scpmetj Detläfet Helena ben 
gauft, ber fich mit ihrem herrlichen ©emanbe p oen Söolfen 
emporhebt, unb lehrt felbft jut Untermelt heim mit ben 
SSorten: 

„©in afteS SBort bewäBrt ftdj leibet and) an mir: 

&af* mM unb ©djönBeit bauerBaft ftd) nic^t Vereint, 
gerxiffen ift beö Gebens, tuie ber Siebe Sanb; 

Sejammernb beibe, fag* id) fd)merjlicB SebewoBf!" 

SReppifto*) hat fich unterbeffen, auf ber SBanberung 
burdp bam Sanb ber Schönheit mit ben Sßporlpaben oer» 
fcpmoljen — er pat fich au8 bem brutal 93öfen in bie 
perfonificirte ^äfelidjfeit urngemanbelt, bie fich mit ben prüi= 
gelaffenen Attributen ©upporion’m, mit $leib, üJfantel unb 
Spra, begnügt: 

,$ier bleibt genug $oeten eiiuumeifjen, 

3u ftiften ®ilb' unb §anbwe«8neib; 

Unb tann ich bie Talente nicht berieten, 

SJerteib’ ich roentgftenS boS ffitelb." 

Sm Hochgebirge bem Sßolfenfcpleier Helena’m alm ein 93er» 
jüngter unb ©rftarfter entfteigenb, unb immer triebet tton 
SReppifto begleitet, tritt gauft in bie legte ißpafe feinem 
©rbenlebenm! 

„#errfdjaft gewinn ich, Sigentljum: 

®ie Spat ift $Wt8, nichts bet 9iuhm!" 

©r miU baö ©ute, bam Sittlich» ©ute im Tpatenbrang üer» 
mirllidpeit. Unb mam erreicht er? ®am H öl Pf te « mam ber 
SRenfdj erreichen lann, ber alm foldper bem unjertrennlichen 
SBegleiter, feinem ©efährten JReppifto, täglichen Tribut ent» 
riepten muß. ®am Sanb, bam bem ftoljen ÜReere abgerungen 
morben, bam alm freier ©runb einem freien 93olfe bienen foD, 
eö mirb burdh SReppifto unb bie brei gemaltigen ©eftalten: 
„Haltefeft, Habebalb, ©ifebeute" mit SJrieg überjogen, frieb» 
li^e, gute SRenfchen (fßhilemon unb 93aucim) ihrer Habe unb 
iprem Sebenm beraubt, bie Schifffahrt burdh ®emalt unb fRaub 
gefchäbigt Unb ift am ©nbe nun bo<h miebet allem fiebrige, 
Steine, näfflidje bam ©rofee gefdjaffen, bam ©ute erhalten, 
bam Schöne gemährt morben unter harten Sümpfen, bann 
treten bie „oier grauen SBeiber" auf: „ber SRangel, bie 
©cpulb, bie ÜRotlj unb bie Sorge". 5Racf)bem gauft unter 
bem erfepütternben, in unöergleichlicher SBeife gefcpilberten 
Sampf mit ber Sorge, bam Augenlicht eingebüfjt unb trog 

*) SBet noch jweifetn foHte, boft ®oethe tn ber 26at in 3Reph«fto 
ben ®enfuali8mu8 bertörpert hot, ber lefe bie intereffante Unterrebung 
Wephifto’8 mit ber Sphtnj. 


AHem tapfer gefämpft unb aumgehalten hat bim an’m @nbe, 
bim jum legten Augenblid, ftirbt er mit ben SBorten: 

„9!ur ber berblent fich Freiheit wie ba8 Seben, 

®er täglich fie erobern muh- 

-3um Wugenbiicte bürft' ich fogen: 

Verweile bod), ®u bift fo fcpün! 

@8 tann bie @pur bon meinen Srbentagen 
Sticht in Sleonen untergehn. 

3m ©orgefühl bon folgern hohen ®Ittd 
®enie6’ ich jept ben hbepften Sugenblict?" 

Alfo Sampf unb Tob? Söeiter nichtm? fRein — gauft 
finbet enblich bam ©ute, SSahre unb Schöne nach & er ßom» 
löfung t>om Senfualimrnum, oon SRephifto. Sein „Unfterb» 
lidliem" mirb in ben Hi mme t gehoben. Sr mirb empfangen 
oon ber Mater gloriosa „ber höcpften Hrtrfcherin ber SEBelt", 
im ©eleit bet brei grofjen öüfeerinnen unb Oon bem burdh 
ben Scpmerj geläuterten ©retten: „®am @mig«9Betbliche" 
jiept ihn h'oan — bim in ben feligen grieben hintmlifdher 
^Regionen. 

SBam ift nun eigentlich „@mig»9Beibli<he" in bem 
feierlich »erhabenen ©rnft ©oethe’m? ©ine moberne Schrift» 
fteUerin hat bie echte SBeiblicjhfei alm „äRütterlid|leit" befinirt. 
Sie offenbart fiep thatfäcf)lich in ber 9Rutterliebe unb bie 
SRutteriiebe geljt auf in bam SRitleib mit bem hülflofen SHnbe. 
Sft biefem SRitleib aber bam SBefentlfche unb ©haralteriftifcpe 
ber SDZutterliebe? 

Schopenhauer Oerfucpte in feiner Schrift: „®ie ©runb» 
läge ber üRoral" ben SRacpmeim ju liefern, baß bie SRoral 
ipren Urfprung habe in bem üRitleib, rnelcpem burep bam An» 
flauen ber Seiben unferet 9Ritmenfcpen ermedt merbe. ©ine 
SBegrünbung, bie trog ber geiftreidjen Aumfüprung Oielfacp 
angefoepten morben ift ®et ®icpter tauepte tiefer hinab, alm 
ber fßhrtofoph» mie mir fepen merben. ©r läßt bam Schöne 
Oon gauft aum bem ©rbenfcpoß, oon ben „SRüttern" herauf» 
polen unb läßt bam Sittlicp=©ute, meldpem gauft imHintmel 
erreidpt unb fepaut, burep bie üRutter ÜRatia unb ©retepen 
oermirflicpt merben — burep meiblicpc Siebe unb meiblicpen 
Scpmer^, ber burep Sdpulbgefüpl unb Süpne pinburep* 
gegangen ift. 

Sn ber befannten feierlichen Scene ruft gauft: 

$ie Mütter! 9Kütter! 'S Hingt fo nmnberlidj! 

-S)en buttern! ^rifft'S mtcB immer wie ein @dj(ag! 

SBa§ ift baS SSort, baS icb nid^t Bören mag? 

hierauf SWep^ifto: 

fentflieBe bem (Entftanb'nen, 

3n ber ©ebilbe loSgebunb'ne TOume, 

©rgö^e S)id) am längft nid)t meBr SJorBanb'nen!- 

©in glüB'nber 2)reifu& tBut S)ir enblicB !unb r 
2)u bift im tiefften, allertiefften ©runb. 

®ei feinem 6cBein wirft S)u bie SWütter feBn: 

2)te einen fi^en, anbere fte^n unb geBn f 

SSie'S eben fommt. ®eftaltuna r Umgeftaltung, 

S)eS ewigen ©inneS ewige UnterBattung f 
UmfcBwebt oon Silbern aller ©reatur. 

©ie feBn S)id) nid)t, benn ©cBemen ftnb fie nur. 

2)a fa| ein 4>erj, benn bie ©efaBr ift groß, 

Unb geBe grab' auf jenen 2)reifufj loS r 
SerüBr iBn mit bem ©d)lüffel." 

gauft Uerfintt unb befc^toört mit bem glö^cnbcn ©d^tfiffet 
„ba3 SKufterbilb ber SKänner fo ber grauen", $ariä unb 
^etena, herauf. 99etbe 3ou6ergeftatten fteHen bann ben „9iaub 
ber Helena" Oor ber oerfammetten §ofgefeKfd)aft bar — baS 
®rama ber Siebe jmifd)en äRann unb SBeib, als rnoßten fie 
auf 1. 2Rof. 2, 18 anfpielen. ©in alter, geläufiger ©prud), 
ju melcf)em id) ^ier, nad) 5ßrof. ^)iltp, eine ifraelitifc^e, affo 
competente Auslegung biefer oiel citirten ©teQen beS 5ßenta^ 
teu^ anfüfjren miU: ,,©S Reifet nid)t (im f)ebräiftf)en Urkjt): 
eS ift nidi)t gut für ben SRenfd^en, baß er allein fei, fonbern: 
fo lange er allein fte^t, ift e$ überhaupt nodb nic^t gut; baö 
3iel ber SSoDfommen^eit, baö bie ©rbemoelt bur!^ i^n er^ 
reichen foll, njirb nic^t oollfommen erreicht, fo lange er allein 


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250 


Die ©egettroart 


Nr. 16. 


fteljt. Die Vollenbung beg ©uten war nicht ber Mann, 
fonbern bag SBeib unb warb erft burch bag SBeib ben Mcnfchen 
unb ber SBelt jugebracf)t .... Slud) nicht bie leifefte Sin» 
beutung auf eine gefchledjtliche Vcjiehüng ift barin enthalten, 
nur tu bag ©ebiet beg SBirteng beg Manneg tnirb bag SBeib 
gefegt. Unb ebenfowenig fpricfjt fid) eine Unterorbnung aug, 
0ielmef)r ift bamit eine böüige ©leidjheit unb paritätifd)e 
©elbftänbigleit auggefprod)en. Dag SBeib ftetjt bem Manne 
parallel, auf ©iner Sinie, jur ©eite." 3n ber S£f)at, auef) 
wir 9?aturforfd)er müffen unter ber gütjrung beg Slltmeifterg 
©oethe tief hinabtauchen mit bem ©cfjliiffel beg ©enfualig» 
mug big in bie Vergangenheit beg ©rbenfdjoheg, big ju bem 
©ntwidelunggpunlt ber jweigefdjlechtlichen SBefen, um aug 
beren Siebe bie Mutterliebe entfpringen ju fetjen: bie mitleib= 
reiche, felbfttofe, im Saufe beg Menfchheitg»Sebcng fiefj ewig 
erneuembe Mutterliebe. 

@g ift tange ^er unb hoch big heute mir unoergehlid) 
geblieben, afg id) in meiner Sugenbjeit einft mit einem alten 
naturfunbigen Sanbpaftor einen SRitt burd) gelb unb SBalb 
madjte. Sllg wir burd) bidjtcg Vufcf)Werf plöhtid) an bag 
Ufer eineg glüfjdjcng hinauggelangten, überrafchten wir eine 
SBilbente mit Pier 3uugen. Die leiteten fd)Wammen erfchredt 
unb eiligft in eine Heine Sucht. @g bauerte eine $eit lang, 
big fie fid) gang perftedt h at ten. Unterbeffen fuchte bie 
SDfutter, bid^t über bem SBaffer fidj haltenb unb in unmittel» 
barer 9Rähe Por ung, burch laute glügelfcfjläge unfere Stuf» 
merffamfeit in bie entgegengefefcte Dichtung ju lenfeit. ©ie 
bewegte fidj eigentümlich, Wie ein Iranleg, matteg Dlper, um 
in bemfelben Slugenblid, ba fie ihre Eieinen in Sicherheit 
fah, im rafdjeften gluge unferen Slugen ju entfd)Winben. 
„©ahen Sie wohl?" fagte ber alte Paftor, „fie gab fid) ung 
preig, fie war bereit, für ihre Sungen ju fterben, um fie ju 
retten! — Mutterliebe!" Unb Wir ritten, beibe in 9Rad) 5 
benfen Perfunfen, burch bie gurth- Mutterliebe! fagte ic^ 
mir, in biefem Keinen wilben Vogel! SBeffen mujj ber Menfd) 
fähig fein! 

©oethe Iaht gauft fpred)en: 

„3n eurem tarnen, Mütter, bie iljr thront 
3m Qh’enjenloien, eroig einjam mofjnt, 

Unb bod) gefefltg. 6uer fyaupt um(d)roeben 
S)e§ 2eben§ Silber, regfam, ofjne Sieben. 

2Ba8 einmal mar, in allem (Slan^ unb ©djeirt, 

(S$ regt fid) bort, benn e8 mill eroig fein. 

Unb ifyr toertijeilt eg, aflgeroalt'ge 3Jcäd)te, 
gunt 3elt beg Xageg, jum ©eroölb ber 9?äc§te." 

SntuitiP Perfenlt fich &er dichter in bag getfeimnihPolIe prin» 
eip beg SBaljrenben unb @rf)altenbcn in ber Statur, in bie 
Mütterlidjfeit. 3h r -©efen ift bie ©elbftaufopferung ju ©unften 
ber ©rhaltung beg neuen jungen ®efcf)led)tg. Sh* SBefen ift 
bie felbftlofc Siebe im ©egenfajj jum egoiftifchen ©elbftert)al* 
tunggtriebe. 3n ihr ift bie hodjfte Suft unb ber tieffte ©d)merj, 
tn ihr bag Pflichtgefühl unb bag ©djulbgefüht (ber pfhd)if<he 
©chnterj) erftanben. Der SBille jum Seben, ber finnlid)e 
SBille erhält bag eine Snbioibuum auf Eoftcn beg anberen 
— bie Mutterliebe erhält bie Slrt, bag Menfchengef<hte<ht. 
©ie ift bie unoerfiegbare Duelle beg „@wig»3Beiblid)en", bag 
wie ein ©trahl ber ©ottheit alle Menfchen in gleicher SBeife 
burdjbringt. 

©g ift eine weitPerbrcitete falfche Meinung, bah ber 
©goigmug bie frucl)t6are Driebfeber alleg ©uten unb ©rohen 
im Mcnfchenleben fei. Um mit ben Titeln ber bebeutenben 
SBcrtc jweicr mobernen Dichter — eineg Dcutfdjen unb eineg 
SRuffen — ju reben: ber „Sebenghungcr" Pernichtet in ber 
„SBerfftätte beg Sebeng" fo Pict Eeime beg Sebeng, er ruft 
fo Picl SBiberftänbe ber Pergcwaltigten, enterbten ©enoffen 
ijeroor, bah eine ftetige ©ntwidclung, ein gortfdjritt ber Menfd)= 
heit nicht benfbar ift allein unter ber Slegibe beg ©goigmug. 
@g muh baneben eine zweite auggleid)enbe Eraft geben. „®enn 
Wo wären" — fragt mit Ütecht Heinrich P. ©chöler (Eritif 
ber wiffenf^aftliChtichen ©rfenntnih, pag. 201) — „wo wären 


ohne bie Pon 9tietjfcf)e Perlachte Menfchenliebe aQ’ unfere SBohl» 
thätigleitganftalten? SBo bliebe ber Eampf gegen ©claPeret 
unb Varbarei, wie ihn bie amerifanifchen Storbftaaten lämpften 
unb gegenwärtig bie Porbringenbe europäifche ©iPilifation in 
Slfrifa unb Slfien führt? SBo bie 3nftitution beg ©enfer 
„Oiothen Ereujeg" unb bie freiwillige Eranlenpflege unb 
geuerWehr in allen Sanben? SBo bie ijelbenmüthigen l£h a ttn 
jur Rettung Schiffbrüchiger, wo bie beg ärztlichen Opfer» 
mutheg gu ben 3 £ *ten anftedenber ©pibemien? SBo bie un« 
erfchrodenen Vemühungen ber Vergführer bei ber oft halS- 
brecherifchen Sluffuchung unb Vcrgung Slbgcftürgter? SBo 
bie tollfühnen ©jpebitionen jur ©rrettung Perfchotlener Slfrifa* 
forfcher unb SJorbpolfahrer? SBo bie mit eigener Sebeng» 
gefahr auggefiihrten tobegmuthigen SKettunggperfuchc Verun* 
glüdter bei VtanbunfäQen, SBaffernoth unb Verhüttungen? 
SBo Wären alle biefe £elbentf)aten ber Meithetiliebc im 
Stie§fche’h en ©goiftenftaate?" 

Unb wie fteHt fich bie SBcchfelwirfung jwifchen ben ^haten 
beg ©goigmug unb Slltruigmug in ber ®efd)ichte ber Völler 
bar? SBelch’ eine Macht war bag römifche SBeltreich, alg eg 
in feinem fchranfenlofen ©goigmug bie „Slugrottung ber Veften" 
(@eef) betrieb, bie ©elbftftänbigleit ber unterworfenen Völler 
oernichtete unb SlUe in ©claoerei ftürjte! ®ie ^Religion ber 
Siebe, bag ©hriftenthum, h Qt bie Religion ber geinbfehaft 
(Spencer) überwunben. Unb bie fpanifche SBeltmonarchie? ©ie 
|at bie überfeeifchen Völler enterbt ttnb Pernichtet, mit geuer 
unb Schwert bie üftiebetlänber ju ©runbe gerichtet unb felbft 
©nglanb mit feiner Slrmaba bebroht. ®od) bie Keinen ©ruppen 
ber Verfolgten unb Schwachen, bie alg ©eächtete bie anteri» 
fanifchen ©eftabe auffudjten, bie Keinen Häuflein ber Pon ben 
Unbulbfamen unb Mächtigen Vertriebenen finb im Saufe Pon 
ca. 300 fahren ju einer ©rohmacht h ££ angewachfen, bie Por 
unferen Slugen, in unferen Sagen bie einftige fpanifche SBelt» 
monardjie ju einem Eleinftaat h eta bgebrüclt hott um felbft 
bie halbe ©rbe ju beherrfdjen. SBir werben benfelben Sieg 
ber aufopferunggoollen Schwäche unb gähnet* wiber bie 
egoiftifche ©tärfe in bem ©roberungglauf Slapoteon’g I. unb 
ber aÜenblichen Eataftrophe finben. Slber bag ®eutf<he fRcich, 
wirb Mancher meinen, fteht eg nicht machtPoQ gegrünbet burch 
bie ©ifenpolitit beg ©goiften Vigmard ba? ©ewih, bod} 
war biefe proPocirte friegerifche politif wirtlich etwag Slnbereg, 
alg bie erjwungeite SBieberPergeltung für alte grofje Unbill? 
Sn ber ®h at » otenn bag beutfdje Voll heute fidjer, groh unb 
mächtig baftel)t, fo hat eg bieg Por SlUcm ber weifen griebeng* 
potitif beg groben ©taatgmanneg ju banten, ber, Wie wunberbar 
eg Manien auch Hingen mag, bag ©oethe’fche SBort Pom 
„®wig=3Beiblichen‘' — feinem eigenen ©enie entfprechenb — 
tiefernft aufgefafjt unb charatterifirt hat. 3m Sahre 1895 
fd)loh er feine Slnfprache an eine Deputation fchlefifcher Damen 
mit folgenbcn SBorten: „ . . . id) fe^e mein ganjeg Ver* 
trauen auf unfere beutfetje 3ufunft auf ben Veftanb beffen, 
wag ©oethe bag @wig=SBei6lichc im Seben nannte, 
bah heißt bag SBahrenbc, bag Pflegenbe, wag in ber Siebe ber 
Vereinigung ber gamilie auch bem Manne ju ©ute fommt; 
in ber |iauptfache mödjtc ich f° 9 en, bag, wag ben Unfug 
perhinbert, ju bem bie Männer geneigt fein tonnten: bag ift 
hauptfäcf)lich bie Slufgabe ber grauen ic." @g giebt alfo 
einen, oon ben gröhten Männern empfunbenen Strom im 
Menfdjheitgfeben, ber bem egoiftifchen Princip bie SBaage 
hält: cg ift bag ,,@wig=SBcibliche / '. Dag altruiftifche Princip, 
wcldjeg ben fchranfenlofen ©elbfterhaltunggtrieb hemmt unb 
feiner jerftörenben ©ewalt cntgegeitwirtt. @g tritt in innigfter 
SBedjfelwirfung mit bem Sntcllect fowohl im Völlerleben, wie 
in ben 3ubioibuen mehr ober weniger ju Dage unb offenbart 
fich ebenfo im Manne, wie im SBeibe. 

SBir müffen ung jebeg menfd)tid)e ©injelwefen alg eine 
©inheit Pon ©mpfinbung unb Vewufjtfein, Pon „Vlut unb 
Urtheil" (wisdom and blood, wie ©hafefpeare fid) augbrüeft) 
Porftellen. Sille aug ber Slufjenwelt heranbringenben Steije 

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Nr. 16. 


Die d>e$etu»ari. 


251 


erregen ©mpfinbungen, bie im Snnern als ©rinnerungSbilber 
ftjirt »erben. 91 uS ißneit feßt fidf> ber ©ebanfencomplei - p» 
fammen. geuetbaeß fagt mit Siedjt: „Seber ©ebanfe ift eine 
getoefene ©mpfinbung. ©mpfinben unb Jenfett ift eins." 
Jer ©ebanfencomplej ift baS concentrirte 9tbbilb aller ftatt» 
gehabten ©mpfinbungen — ber georbnete, bewußt getoorbene 
©mpfinbungScomptej. SBäßrenb auf einer früheren Stufe ber 
©ntmidelung bie Sebemefen auf einen empfunbenen fReij un= 
mittelbar mit einer Bewegung reagiren (Sfteflejbemcgung), mirb 
ber „finnlicße SSiHe" b. I). ber eingeborene SebenStrieb ber 
ßößeren Sebemefen burd) ben Snftinct (fRibot’S „©cbäcßtniß") 
unb burd) ben SnteHect gehemmt, oerlangfamt, oielmeßr ge» 
regelt unb beßerrfeßt (9llot)S Siießl). 3e ootlfommener biefe 
SBecßfelmirfung jmifeßen treibenber unb ßemmenbet Straft, 
jmifeßen ©mpfinbung unb ©emußtfein in einem Snbioibuum 
fid) OoUjießt, je meßr bie ©ebanfen bie ^anblungen beßetrfeßen, 
befto größer mirb ber ©orfpruug fein, ben eS oor einem 
9lnberen geminnt, befto meßr mirb eS feinen SBitlen pr 
SWacßt, feinen ©goiSmuS geltenb machen, aber befto meljr 
mirb aud) ber SelbfterßaltungStrieb beS ©inen mit bem 
beS 9lnbern in ©onflict gerätsen. Jarmin ßat unS gezeigt, 
mie im Stampfe uin’S Jafein, auf bem SBege ber Stn» 
paffung unb Vererbung, burd) natüriidße 3ü<ßtung bie ©nt* 
fteßung ßößeret 9lrten p Stande gefommen ift — „bieS 
munberbare Stefultat eines ©crnicßtungSfampfeS ber Slatur, 
ber fieß, burd) IpungerSnotß unb 'Job äußert" (©ntfteßung 
bet 9lrten). 3u ber Jßat, in bem großen Sciben unb Sterben 
beS gemaltigen SlaturproceffeS ift jebeS ©injeltcben nur eine 
flücßtige ©pifobe, aber innerhalb biefer erfreuen fidj p gleicßer 
3 eit bie ftärfften unb fcßroäcßften, bie ßöcßften unb nieberften 
Sebemefen unter ber pflegenben §anb ber Statur ber @r= 
näßrung, beS SBacßötßumS, ber gortpflanpng, unb bie ßöcßft» 
fteßenben 9lrten einer geiftigen unb etßifcßcn ©ntmidelung, 
foetdße fie felbftbemußt in gegenfeitigem 9luStaufd) genießen. 

©rft burd) bie ©ntmidelung ber 3tt ,e i9 e ftßl e( ß t li c ßf e i t / 
ber männ(id)en unb meiblidjen SBefen unb beren Bereinigung 
ßat, bie Statur ben pgellofeit SelbfterßaltungStrieb, ber bie 
erfte ©runblage alles ScbenS ift unb fein muß, in eine feft» 
gefügte ©aßn gejmungen, mo fcßließlid) bie Sbeale ber SJtenfd)» 
ßeit bie ^errfeßaft auSüben. Unb maS fein SnteHect erreicht, 
baS erfämpft mit unroiberfteßlidjer ©emalt baS ,,©mig»9Beib» 
ließe". @S ift ibentifcß mit bem 9lltruiSmuS unb geßt aus 
bem ©lut, aus ber ©mpfinbung ßerüor, ber UrfprungSftätte 
beS SnteHectS; benn „©efüßl ift eine 9lrt ©inficßt" (©. ©Eliot). 
Sei jeber ©eburt mirb bie SJtutterliebe neu erjeugt, b. ß. eS 
entfteßt unter ben größten ©emütßsbemegungen unb Scßmerjen 
bie tieffte 3 une ifl un fl Ult b baS tieffte SKitleib für baS ßülf» 
lofe fiinb, beffen pßßfifd)=pfpcßifcße Staturanlage bie eigenen 
mütterlicßen unb bie oäterließen ©igenfeßaften, meiblicße unb 
männlicße pglcicß in fidß birgt, gleicßoiel melcßeS pßpfifeße 
©efeßlecßt eS ßaben mag. Unb boeß ift biefer 9tbfömmling 
ber ©Item ein felbftänbigeS, anbereS SBefen. Sßt eigenes 
unb bodß ein anbereS. So erzeugt fieß auS bem ©goiSmuS, 
naturgemäß unb jmingenb ber SUtruiSmuS, ber als *©mig» 
SSeiblidjeS" mit ber SKütterlicßfeit eng unb unjertrennlicß 
oerfnüpft ift unb ebenfo auf bie männließen mie auf bie mcib» 
lidßen Stacßfommen oererbt mirb. ©ei jeber ©eburt eines 
SebemefenS gefeilt fieß alfo p bem oon Slnbeginn ber SBelt 
befteßenben SRuf ber Statur: „Sebe für bidß felbft" eine jmeite 
innere Stimme: „Sebe für Slnbere." ©ei jeber ©eburt erneut 
fieß biefer einbringlicße, nkßt abpmeifenbe „fategorifeße 
Smperatio" unb mirb lauter unb ftärfer in bem SJtaße, als 
bie jmeigefcßlecßtlicßen Sitten ber Sebemefen fid) ßößer ent» 
mideln. Unb fobalb in bem ©emeinfcßaftSleben ber SDJenfcß» 
ßeit burcß bie Spradje ber SnteHect fieß p immer ßößeren 
Stufen erßebt, muß pleßt aus ber Summe aller mütter» 
ließen, burcß Sererbung meitergegebenen ©mpfinbungen baS 
ntenfcßlicße ©emütß ernpotmaeßfen, in melcßem bie altruiftifdje 
©rfenntniß gleidßfam ßerauScrßftaUifirt, b. ß. bie ©emißßeit 


beffen, maS bie Stnbcren, nidßt nur bie eigenen Kinder, foit« 
bem alle anberen SMitmenfdjen Oom einzelnen Snbioibuum 
p forbern ein Stecßt ßaben. So entfteßt baS, maS bie 
beutfeße Spracße ©emiffen nennt; ber Inbegriff beS ©fließt» 
gefüßlS unb SdjulbgefüßlS, beS ©efüßlS ber ©crantmortlid)» 
feit gegenüber jebem „Stäcßften", fei betfelbe audß egoiftifeß 
unb .feinblidj gefinnt. 

Jaß baS ©emütß ber SJtcnfeßßeit, ber Urquell aller 
©tßif, erft 2600 Saßre alt ift unb fieß nur langfam ent» 
midelt, ift auS ber ©ulturgefcßicßte p ermeifen, nid)t minber, 
mie ©emütß unb ©ernunft in gemeinfamer ©ntmidelung ben 
SBitlen im engeren Sinne, ben fittlicßen SBitlen ßerüorbringen, 
ben Inbegriff ber inteQcctuellen unb moralifeßen gäßigfeiten 
ber SJtenf^ßeit. (SlloßS Stießl.) SBäßrenb ber finnlicße SBiHe, 
ber SBiHe pm Seben, ber SelbfterßaltungStrieb unter ber 
güßrung ber aümäcßtigen Statur einen ©erniißtungSfampf 
füßrt, ber burcß §ungerSnotß unb Job bie ßößeren Sitten 
ßeröorbringt, entmidelt fieß unter betreiben fouüeränen SDtaeßt, 
beren f(ßöpferifcß»äerftörenbeS, Seben im Jobe fpenbenbeS SBefen 
fein fterblicßeS Snbioibuum mit ©emußtfein nadßpaßmen fieß 
erfüßnen bürfte — ber fittlicße SBitle. SluS ber attruiftifdßen 
©rfenntniß geboren, beßerrfeßt er als pflegenbeS unb maßrenbeS 
©rincip baS ©emeinfcßaftSleben ber SKenfeßßeit unb giebt bem 
furjtebigen Jafein be§ SnbioibuumS ben eigentließen SBertß. 
SBenn eS aueß feinem 3meifel unterliegt, baß ber ©enuß beS 
SebenS in bem emigen Kampf ber ©mpfinbung mit bem ©e« 
mußtfein, ber SinncSmclt mit ber Sbeenmelt befteßt, menn 
aucß bie ganje SJtenfdjßeit jmifeßen bem SenfualiSmuS unb 
2>bealiSmuS eraig ßin unb ßer feßmanft, fo giebt eS boeß 
einen unoertüdbaren Siußepuntt. ©r liegt im menfdßlidßen 
©emütß, im Steicße beS ©mig»SBeiblicßen. ^)ier begegnen unb 
oerfößnen fiiß bie Sinne unb ©ebanfen, ßier ift bie feßöpfe» 
rifeße Stätte ber Kunft unb ©tßif. Sebe SJtuttcr oererbt alfo 
ißre inbioibueHen ©igenfeßaften mit ben Stegungen ber SJtutter» 
liebe naturgemäß fomoßl auf ißre Sößne, mie auf ißre 
Jöcßter. ©leießmie oft bie männlicße ©fpcße beS ©aterS auf 
bie Jödjter übergeßt, fo bie meiblicße ©fßdße ber SKutter 
auf bie Sößne. Sa, baS Seßtere feßeint oiel ßäufiger ber 
galt p fein, als baS ©rftere. Jiefe Kreuzung ber pfßeßifeßen 
©igenfeßaften mirb oom ©olfSgtauben, ber ßierbei eine tiefe 
SßeiSßeit offenbart, als glüdoerfünbenb angefeßen. @S ßeißt, 
baß bie Jöcßter, bie bem ©ater äßneln, unb bie Sößne, bie 
naeß ber SDtutter arten, ©tüdSfinber feien. SebenfaßS giebt 
eS üiele bebcutenbe SDtänner, oon bencit entmeber beßauptet 
mirb, baß ißre Staturanlage im Slllgemeinen ber meibtidßen 
©igenart im ©mpfinben unb Jcnfen fieß pneige, mie j. ©. 
SJtojart, ©anoüa, Staffael ober baß fie gerabep nadß ißren 
SWüttern geartet feien. SeßtereS mirb mit großer Sießerßeit 
oon ©oetße unb mit SBaßrfcßeinlicßfeit Oon Sßafefpeare be» 
ßauptet, ben ber ©nglänber SemeS als eine „gart organifirte“ 
Statur cßaratterifirt. Slueß SopßofteS feßeint ßierßer p ge» 
ßören (Sintigone). Sßafefpeare feßeint felbft baS ©emußtfein 
geßabt p ßaben, baß er üorpgSmeife bie ©igenfeßaften feiner 
SJtutter geerbt ßabe. Sn feinem „©oriolan", ben er unmittel» 
bar naeß bem Jobe feiner SRutter (1608) gefeßrieben, ift bie 
©olumnia ßödjft maßrfcßeinlidj naeß bem SJtobeH feiner SOtutter 
gefißaffen morden. Jtefe ftolje, große unb rüßrenbe SJtutter 
fagt ißrem Sößne an einer Stelle, baß fein unbänbiger @ßr» 
geij unb Stolj oon ißt ftamme. SteuerbingS ßat munber« 
barer SBeife eine euglifeße Seßriftftcllerin beßauptet, baß 
Sßafefpeare ©inS nidßt gefannt p ßaben feßeine — bie 
SJtuttertiebe. §at fie ben „ßoriolan" oergeffen, ßat fie nie 
an bie ftarfe, fluge, aufopferungSfäßige ©olumnia gebaeßt? 
Jet einzig geartete größte Jramatifer aller 3 e ' ten > ©ßafe» 
fpeare, fannte nidßt nur bie Sltutterliebe, er ßat fie audß auf 
ber ©üßne in tebenSootler ©eftalt oerförpert. 2BaS eben für 
unS am meiften Sntereffe ßat, ift bet Umftanb, baß Sßafe» 
fpeare nidjt nur bie oerfeßiebenartigften männließen ©ßaraftere 
in ooUenbeter gorm bramatifdß geftaltet ßat. 3Ran benfe 


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252 


Die töejettwart 


Nr. 16. 


Zunäcßft an bie munberbate ©etße betreiben, an galftaff, DtßeHo, 
HRacbetß, ßear, fRicßarb III., an SaqueS unb Hamlet, an ©rinz 
§einj unb ©ercß ^petßfporn, an fRomeo, SRercutio unb 9lnbere, 
man üergegenmärtige fidj bie Gßaraftere, bie ©efpräcße unb 
Situationen — unb ©iele »erben eS üieUeicßt üerftänblicß 
finben, baß fo mancßeS jarte meiblicße ©emütß oor ber echten, 
oft rauben unb berben SRännlicßfeit zufammenfcßridt. ERun — 
berfelbe Sßafefpeare,' biefer männliche ©eift, ber mit ben Oer« 
fcßieben gefalteten ©efcßöpfen feiner ©ßantafie fidj in folget 
SEBeife eins füßlt, baß fie mie febenbige HRenfcßen auf ber 
Scßoubüßne uns entgegentreten, berfelbe Sßafefpeare ßat 
grauen» unb Äinbergeftalten in’S ßeben gerufen, beten Seele 
feine eigene ju fein feßeint. Gr mag SRobeUe gehabt ßaben, 
fo üiel er moUe: für 9lrtßur (in „Äönig Soßann") unb 
ÜRamiliuS (im „SBinterntärcßen"), feinen eigenen früßüer* 
ftorbenen Soßn, für bie jatjlreicpen grauen, bie er geraffen, 
äRäbcßen aus bem ©olf unb Sürgerfrauen bis ju ben ijpof* 
bamen unb ber Königin hinauf — eS ift troß 9lUem er* 
ftaunlicß, mie bie Seele ber Äinber unb grauen in feinem 
©emütß anflingt, als träfe fie auf gleicßgeftimmte Saiten. 
GS giebt nur eine Grflärung bafür: baS Gmig*3ßeiblid)e mar 
in Sßafefpeare’S ©erfönlicßfeit gletcßmertßig bem Gmig*2Ränn* 
licken jugefellt. GS giebt Tenfer unb Schrift)teilet, bie be« 
ßaupten, bafj biefe enge ©erfcßmelzung ber männlichen unb 
meiblicßen ©fßcße im normalen ÜRenfcßen gerabe baS bar» 
fteHe, ioaS mir ©enie nennen. Sei Sßafefpeare mürbe bieS 
jutreffen. SRan lefe bie rüßrcnbe Scene, mo ber arme 9Irthur 
geblenbet mirb, bie ©efpräcße beS SRamiliuS mit ßeonteS unb 
ben £>ofbamen, unb man mirb aufs Tieffte gerührt ober 
erftaunt fein. 9luf ber Schaubühne mirft jebe einigermaßen 
gute Tarftellung ßinreißenb. 2Bie natürlich, mie linblich biefe 
Sßafefpeare’fcßen Äinber reben, baS ift mohl fcßmerlicß Oott 
einem Slnbeten erreicht morben! Unb maS foli man ju ber 
großen Steiße feiner grauen fagen? 91 He Temperamente, 
aHe Gßaraftere, aHe ßohen unb niebeten ©eiftet finb ber* 
treten, 9lHe bis in’S Ginzeine charatterifirt, bie Gigenart beS 
©eifteS unb ©emütßS (in Uebereinftimmung mit ber förper* 
liehen Anlage, mit 9lugen* unb Haarfarbe) fo fießer gezeichnet 
unb in’S ßeben gefteHt, als mären fie ein Tßeil feines eigenen 
SnitenlebenS. 

©eorg ©ranbeS, ber SSerfaffer ber @ßafefpeare*©iograpßie, 
fagt baju: „Sßafefpeare hatte in feiner früßeften Sugenb 
nießt menige uitlicbenSmürbige, mannhafte grauen in feinen 
ßuftfpielen gefdhilbert unb nicht menige ßerrfcßfücßtige, blut* 
bürftige ober oerborbene grauen in feinen ernftßaftcn Tramen, 
auf bet einen Seite ©eftatten mie Slbriane unb bie miber* 
fpenftige Katharina, auf ber anberen Seite ©eftalten, mie 
Tamara unb SRargaretßa oon Slnjou, bie 2lHe einen hart» 
nädigen SBiHen unb eine gemiffe ©emaltfarnfeit in ihrem ©e* 
tragen haben. Sn ben meßr üorgerüdten Sahten feines reifen 
HRanneSalter fteHt er mit 93orliebe junge meiblicße 233efen 
bar, bie lauter Seele unb lauter ßärtlidjleit finb, fchmeigfanie 
Naturen ohne ©eift unb Sßiß — Dpßelia, TeSbemona, Gor* 
betia. SRitten jmif^en biefen feßarf getrennten ©ruppen 
fteht eine ©ruppe üon feßönen, jungen grauen, bie 9lHe baS 
f»erj am regten gled haben, bie aber befonberS babureß 
eigentümlich finb, baß fie Oor ©enialität förmlich fprühen. 
Sie finb nicht feiten liebenSmürbig mie bie treuefte greunbin 
unb mit einer befonberen 9lrt ed)t meibtichen SSBi^eS begabt. 
2Ran fühlt eS, baß Shafefpeare bie HRobeUe ju biefen ©e* 
ftalten üon ganzem fetzen unb mit bem Gntzüden eines 
außerorbentlicß guten JfopfeS über einen anbern außerorbent« 
lieh fluten Äopf bemunbert hat." Ueber fRofaünbe in „SEBie 
eS eudh gefällt" fagt ber Slutor: „GS gilt Oon fRofalinbe, 
maS fie oon bet grau im 9tflgemeinen fagt: „Sßt »erbet fie 
nie ohne 9lntmort ertappen, Sh* müßtet fie benn ohne 3unge 
antreffen." Unb eS liegt immer eine ßeHe unb heitere ©ßantafie 
in ihren Slntmorten. Sie ftraßlt förmlich oor Sugenb, oor 
GinbitbungSfraft unb greube barüber, baß fie fo feurig ge* 


liebt mirb unb fo feurig mieberliebt. Unb ißt SBiß ift f$e= 
munbernSmerth feminin. 9lHzu üiele, Oon SRännetn gefc^ilbcrte, 
geiftig begabte grauen, befißen bie SnteHigenz beS 9Raun«S. 
©ofalinben’S 2ESiß ift bureß ©efüßl gemilbert." „©eatrice in 
„58iel Särm um 5ftic£)tS" ift bie große Tarne ber SRenaiffance« 
Zeit als junges HRäbcfjen, überftrömenb oon SebenSfraft, munter, 
ftreitbar in ber IRebe, nedfüdjtig unb ßerauSforbernb in ihrem 
SReidphum an fühnen GinfäHen, für moberne ©egriffe oft 
berb bis zur Slnftößigfeit. 91 ber ißre Sprache ift »unberbar, 
funfelnb oor übermüthiger Eßhantafic." Sie ift eine „Gmanci* 
pirte", fie ßat einen männlichen SBij}, erfcfjeiitt aber hoch als 
„©erte oon einem SRäbdjen" mit einem feften unb eblen 
meiblichen Gfjarafter. ©iola in „3EßaS Sh r moHt" ift ein 
OoHfommeneS ©egenftüd. „SRie entfcßlüpft ißt ein berbeS, 
auSgelaffeneS 2Bort, mie ber SRofalinbe ober ber ©eatrice. 
Sie ift !lug, bureß unb bureß feelenoofl, mit ber feinfüßlenbften 
SBeibiicßfeit auSgeftattet. Troß ißrer ßumoriftif^en ©ereb* 
famfeit, fcßmebt ein Schotten oon SBeßmutß über ißre an* 
mutßige ©eftalt " Sn ber „©erlorenen SiebeSmüß" taueßt 
eine „bunlle Sd)önßeit" (ibentifcß mit the dark lady ber 
Sonette) Oor uitS auf: ©enial, treulos unb tßrannifcß, offen» 
bar Oon größter 9lnzießungStraft für Sßafefpeare, ber baS 
SRobeH für biefe ©eftalt maßrfcßeinlich in ben §of£reifen ber 
Königin fanb (SRarß gitton). ©anz üeränbert taudßt bieS 
SKobeH noeß einmal in feiner Äleopatra auf: „bie ^ifleunerin, 
bie feßmarze Scßönßeit, Gngel unb Teufel zu gleicher ßeit, 
bie gefäßrlicße, beftridenbe „Scßlange am alten 9Jil", bie ben 
9lntoniuS z u ©runbe rtdjtet. Unb nun oergteieße man bie 
grauenüoHe Sabß ÜRacbetß, baS ehrgeizige, entfeßlicße SBeib, 
mit ben Sicßtgeftalten einer £>ermione unb ©erbita (im 
SBintermärtßen), einer Smogen (in ©erilleS) unb HRiranba 
(im Sturm) unb mir erftaunen über bie güHc bet »eihlicßen, 
Zarten Seetenregungen, beren Sßalefpeare’S ©emütß fäßig 
mar. ©or 9lHem Smogen. „fjier ift baS ©oHenbete erreid)t. 
Sie ift baS liebenSmiirbigfte, mertßooQfte »eiblicße SGSefen 
gemorben, baS Sßafefpeare gefeßaffen ßat, unb zugleich baS 
reießfte . . . Sie ift bie Unuergleicßlicße unter ben grauen, 
fie ift aUen, aueß ben oerfeßiebenften ©erßältniffcn gemaeßfen. 
Sie überminbet aHe, aueß bie ßärteften Prüfungen mit ben 
ßöcßften, echt meiblicßen 9lnlagen ißreS GßarafterS. ©ei ißr 
begegnen mir ber ooHften, tiefften ßiebe, bie Sßafefpeare 
jemals in bie ©ruft eines SBeibeS niebergelegt ßat." Tod) 
genug! ÜRur ein liebeooHeS Stabium aHet Sßafefpeare’fcßen 
graueneßaraftere, baS Sebent irft^crgleicßlicßen ©enuß gemäßrt, 
fann biefeS ©ebiet beS großen ©enieS umfaffen. 

GS feßeint fein 3u>eifel möglid) zu fein an ber Toppei* 
ftrömung beS Gmig*2Rännticßen unb Gmig»3Beiblidßen in ber 
menfcßlicßen SRatur, bie mie ein Straßl beS ©öttlidßen in 
ben ©ölfern unb Snbiüibuen zu Tage tritt. Unb menu mir 
»eite 3eiträume ber ©efeßießte mit unferem geiftigen 9luge 
überfdßauen, fo feßeint baS Gmig*2Beibtidße als baS grueßt* 
bringenbe, SBaßrenbe unb Ißflegenbe, als baS Grlöfenbe immer 
fiegreieß zu fein, fo baß man fagen barf: „bie SRitbe fei 
feßarf"; mie eS in einem inbifeßen Sprucß ßeißt. 

ßäßt fidß baS mirfließ ermeifen? Seßen mir ben gall, 
baß bieS niißt möglicß fei, fo ift eS boeß fdßmer zu beftreiten, 
baß bie ©rößten, bie eS je unter 9Renfcßen gegeben ßat, bie 
ßiebe über bie ©emalt, b. ß. baS G»ig*SEßeiblicße über baS 
Gmig*2Rännlicße fteHten. „Unrecßt leiben ift beffer als Un* 
reeßt tßun." Gin munberbareS, aber ein großes unb maßreS 
3Bort! Taß biefe SBeltanfcßauung flärenb unb berfößnenb 
in ben meiften Streitfragen mirft, bie unS in bet SReuzeit 
befißäftigen, ift faum zu miberlegen. SEßenn mir bie Gr- 
ZießungSfrage, bie griebenSfrage, »enn mir bie Oielumftrittene 
grauenfrage in ©etraeßt zießen — ift eS beffer, in bauern* 
bem Streit bie neuauftaueßenben ©ebanfen unb Gmpfinbungen 
ber SRenfcßen zurüefbrängen zu moUen ober fie in ißrer Gnt* 
midelung gemäßren zu laffen? SBarum nießt baS ßeßtere, 
menn bie SRitbe in ber Tßat ftärfer ift als bie ©emalt? Unb 


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Nr. 16. 


Du ßugtttwart 


253 


wenn eS eine ttatürlidje Knttoicfetung aller ®inge, aller SSölfer 
unb Sföeitfdjen gie6t unter ber Seitung einer göttlichen Ära ft, 
bie ber Aufopferung, ber felbftlofen Siebe ben Sieg oerljeifjt 
unb öcrlei^t, Warum füllen tpir nid)t Willig biefer weiten 
Siegesfahne folgen? Sft eS nicht bentbar, bafe j. S8- in ber 
an allen (Snben ber SBelt [ich mächtig regenben „grauen* 
frage" ber nie tierfiegenbe Strom beS Kwig*2BetblidE)en macht* 
ooU emporfteigt, um bem Kulturleben ber SJJenfchheit ein 
anbereS, ooÜIommeneS ©eprage ju geben? 


- - *- *■ i- 


gfeuiffeton. 

- 9la<$brucf verboten. 

Die Uniform. ' 

©on 2lnton (Efdjechom. 

$ie ©onne mar !aunt aufgegangen unb fdjaute auf bte ÄreiSftabt 
trübe bwunter, bie Hähne ermatten unb fräßten, in (Rglfin'S ©rannt? 
roeinfneipe faßen aber fcßon ©äfte: ber ©djneiber dRerfuIow, ber ©oligift 
©chratroa unb ber ©affenbote ©medjunow. Me $)rei waren fd)on ftar! 
benebelt. 

„9ld) ^alte bod) nur (Sein dRaul!" rief dRerfuIom unb ^ieft ben 
©oltgiften am Änopfe feft. „©er int ©iDilbienft fteßt unb natürlich 
babei gu ben oberften (Rangftufen gehört, hat für Unfereinen, ber fid) 
für bie Uniform intereffirt, nie! mehr ©ebeutung, al« ade Sure Oberften 
unb ©enerale. Za buben mir g. ©. einen Äammerberm. ©a« ift ba« 
für ein dRenfdj? ©a« h fl t er für einen (Rang? ©er nicht wenlgften« 
taufenb (Rubel für feine Uniform auSgeben !ann f barf fid) neben ihm 
gar nicht febeit taffen. Rechne hoch felbft mal nach: Dier Mfd)in Md) 
Don ber atlerfeinften ©orte, bie knöpfe, ber golbgeftiefte fragen, bie 
weißen ©eintleiber mit ben breiten ©olbftrelfen, — aber ba« Me« ift 
noch gar nicht«, benn ba« (ötwte aud) ©uer ©hauffeeeinneljmer, wenn 
er Suft bat, allenfalls noch beftreiten . .. Mer ba« ift noch gar nicht«. 1 
©« mirb erft ma«, wenn bie gange ©ruft Don ©olbftirferet glängt! 
(Rid)t nur Äragen unb Slermel, nein, auch bie Mjfeltlappen, Me« muß 
glängen! 3a, menn man für bie Herren Oberhofmeifter, ©tallmeifter, 
©eremonienmeifter unb fonftigen dRinifter arbeitet, ba« ift eine ©a<he! 
©erfteßft Zu mich? dlber ba« ift e« ja, baDon fannft M gar feinen 
Öocpfcpein haben! ... 3ch erinnere ntid), baß mir für ben Dberbofmeifterj 
Grafen Mbrej ©entjoni)tfch ©onljaremfft) arbeiteten. Sine Uniform, 
tag’ ich $)ir!. .. nicht anriibren! ©enn M nur Ieife baran tippft, fo 
flopft $>tr fchon Dor Hochachtung ba« Herg! Unb bann, ma« bie rid)= 
tigen hoben Herrfdjaften ftnb, menn bie ma« beftetten, fo unterftelf S)id) 
ja nicht, fic gu betätigen, ©obalb Zu dRaaß genommen, brüefe S)icp, unb 
benfe ja nicht an’« probieren, rebe nicht Don ga^on unb bergteichen, — 
o ba« barf ©)ir gar nicht einfallen, benn ba« giebt’8 einfad) nicht, ©ift 
Zu ein richtiger ©djneiber, fo mußt Zu ohne ©eitere« Me« tabello« 
nach bem dRaaße fertigen. ©8 muß Me« fo baffen, mie menn ©iner 
Dom Äirdjthurm fjerunterfpringt unb gerabe in feine ©tiefel hinein. 
3n unferer (Räße mar bie ©enbarmerie?Äaferne ... unb weißt M, 
©rübereben, ma« unfer dReifter Offip Saditfd) ba that? ©r fudjte fidj 
unter ben ©enbarmen folche Seute au«, bereu ©ud)S bem ber ©efieiler 
glich; ihnen mürben bann bie Uniformen anbrobirt. ©erftehft M ba« ? 
d2un alfo, ba fam e« oft Dor, baß mir einen folchen bafienben ©enbarmen 
holten, ihm bie Uniform eine« ©rafen anguprobiren. „Sieh 7 fie an, 
fterl, unb banfe für bie hohe ©bre!" Unb menn er nun bie Uniform 
mit ber golbgeftieften ©ruft fah, bann fing er an gu gittern unb mürbe 
faft ohnmächtig!" 

„Habt gbr aber auch für ©oligeileutnant« gearbeitet?" fragte 
©mechunoro. 

„Hd), Zu glaubft wohl, ba« ftnb wichtige Äunben? 3a ©eter«? 
bürg giebt e« fo Diele, mie herrenlofe Hunbe. . . (Rur hier bei ©ud) in 
ber ©roDing ^ept mQU ehrfürchtig bie dRüpe Oor ihnen; bort aber heißt 
e«: „mir au« bem ©ege!" ©ir arbeiteten bauptfächlich für'« Militär 
unb bie erften oier SRangclaffen. Sa» ba« ftnb gang anbere Äunben!. . . 
©enn $>u j. ©. gur fünften ©(affe gehörft, fo ift ba« eine Sumperei. 
Äomm in einer ©oche roieber unb Me« ift fertig; benn außer Äragen 
unb Slerntelauffcblägen giebt’8 ba nicht« Don ©ebeutung. ©enn aber 
©iner gur Dierten ober gar gur britten unb gmeiten föangclaffe gehört, 
ba foUteft S)u mal unfern 3Reifier fehen! (Recht« unb linf« gab e« 
¥üffe, unb man mußte gleich in bie ©enöarmeriefaferne rennen. ©in= 
mal arbeiteten mir auch für ben berfifchen ©onful. ©ir nähten ihm für 
anbertbalbtaufenb (Rubel ©olbftiefereien auf ©ruft unb (Rücfen unb 
fürchteten fchon, er mürbe ba« nicht begahlen fönnen. 9lber nein, SUIe« 
mürbe begahlt! ,,©inb mir auch gotttofe Ungläubige, fo haben mir 
bennoch ©b^gefühl; lieber &reunb, ba nimm 3)ein ©e(b!" Samohl, in 
(Petersburg ftnb fogar bie Tataren nobel!" 

Sange noch ergählte 3Rerfulom au« feiner ©ergangenheit. 9118 e« 
(Reun fchlug, begann er unter ber ©ud)t feiner ©rinneruitgen gu meinen 


unb über fein traurige« Soo« gu flagen, ba« ihn in biefe« (Reft Der= 
bannt, wo e« nur Ärämer unb Hanbmerfer giebt. Unterbejfen hatte ber 
(ßoligift fchon gmei ©erfonen in ©emabrfam gebracht, unb ber ©affen» 
bote mar fchon gmei 3Ral gur ©oft gegangen unb mieber getommen; 
$Rerfulom aber faß noch immer ba unb tranf ©ranntmein. 911« e« 
s JRittag fchlug, unterhielt er ftd) mit bem Äüfter Mtifonoro, fchlug fich 
mit ben gäuften auf bie ©ruft unb rief: „(Rein, ich mag nicht länger 
für Ärämerfeelen arbeiten! 3<b null nicht! ©ott fott mich bewahren! 
3ch bin nicht gewohnt, mit foldhen Summen mie 3b* Dertebren; ich 
habe mit (Sud) nicht« gu fchaffen! 3« ©eterSburg arbeitete ich für ben 
©aron ©pu^el unb für bie Herren Offtctere! ©)rücfe S)ich, langfdjößige 
Äirchenratte, baß ©)idh meine Mgen nicht mehr fehen! 3Rach' f baß 3)u 
fortlommft!" 

„©ie haben eine gu große SRetnung Don ftd)!" ermiberte ihm ber 
Äüfter. ,,©inb ©ie aud^ ein Äünftler in 3b*er gunft, fo bürfeit ©ie 
bod) nicht ©ott unb bie (Religion Deraeffen. 9lriu« mar gerabe fo hoch 5 
mütljiö mie ©ie unb mußte eine« fchimpfli^en XobeS fterben. Samobl, 
auch ©ie werben fterben!" 

„(Run, ma« fann ba fein? Sieber fterbe id), al« immer nur 
©auernfittel machen, ©äbrenb ber fünfgehn 3ab*e habe ich b^ c * noch 
(einen eingigen (Sbelmann gefehen bei mir! Äeinen eingiaen! . .." 

„3ft mein Sump h^r?" ertönte je^t braußen eine ©eiberftimme. 
9lyinja, dRerfuloro’« grau, erfd)ien in ber 3:hür, ein alte« ©eib mit 
aufgefrempten 9lermeln unb einer ftraff über ben ©auch gegoaenen 
Äüd^enfchürge. ,,©o ift ber müfte Äerl?" 3h* Deradjtenber ©litf flog 
ü6er bie Mroefenben. „9lha, ba fij^t er ja, ber flwhtbäuSler! 

®u noch nicht geplagt, elenber ©uffel! ©enn hoch frepirteft, 
©aufau«! Äomtit fchnell nach ©anfe, ein Officier ift ba, ber ©)ich 
fprechen min." 

,,©a«, ein Officier?" fragte dRerfulom unb ftarrte fie an. 

„3a, ein Officier; er fagt, er motte ma« beftetten." 

(IRerfulom'8 trübe Mgen blingelten bie um ihn ©tfcenben gebanfen= 
lo« an; er fragte bie (Rafe mit allen fünf gingern, ma« bei ihm ein 
3etdjen höchften ©rftaunen« mar. „Hat ba« ©eib etwa Z ottfraut ge^ 
freffen?" brummte er enbltd). „giinfgehn 3 a bre fah ich (einen ©bel= 
mann bei mir, unb nun fott hlöfclid) heute, an einem gafttag, ein Officier 
mit einer ©eftettung ba fein! (Ra, ich tüitt hoch mal nacbfeljen." 

(Sr Derließ bie ©ranntweinfneipe unb taumelte nach i>aufe. ©ein 
©eib hatte nicht gelogen. M ber ©chmette feiner ©ohnung traf er 
Herrn Urtjchajem, ben Hauptmann ber ©tabtgarnifon. 

,,©o treibt (Sr ftd) herum, (Sr Sum£?" fuhr ihn ber Hau^tmann 
an. „©ine ©tunbe fchon warte ich auf 3hn! Äann mir ber ©fei eine 
Uniform machen?" 

„Hochmohlgeboren . . . lieber ©ott!..." ftammelte ttRertulom, Der= 
fd)ludte ßchf hnftete unb riß feine $Rüfce herunter, wobei ein ©iifdjel 
Haare ihm in ber Hanb blieb. „Hochmohlgeboren . . . e« märe bod) nicht 
ba« erfte dRal... Zu lieber ©ott! H Q oe auch ßhon für ©buarb Äar= 
Ihtfd), ben Herrn ©aron ©hujjel gearbeitet. . . S)er Herr Unterleut= 
nant ©embulatoro ift mir noch je^t gehn (Rubel fcßulbig! ... $e, grau, 
fcf)ieb bod) einen ©tuhl her für Hochmohlgeboren — mie $)u bod) un* 
gebilbet bift, ©eib! ©efehlen ©ie, baß ich 9Raaß nehme? Ober fott 
ich nach Mgenntaaß arbeiten?" 

„2)a8 Xud) lieferft $5u, unb bie Uniform muß in einer ©oche 
fertig fein ... ©a« Derlaitgft $>u bafür?" 

M, erbarmen ftch ©uer Hoch*oohlgeboren ... fragen ©ie hoch 
nicht!" ermiberte dRerfulom füßlich- „©in ich benn eine Ärämerfcele? 
©ir miffen bod), mie man mit hohen H er rfdjaften umgeht. Habe fogar 
für ben perfifdjen ©onful gearbeitet unb (ein ©ort Derloren!" 

(Rachbem er ba« dRaaß genommen unb ben Hauptmann hinan« 
begleitet, ftanb 9Rer(ulom mitten im gimmer eine gange ©tunbe ftum^fs 
finnig ba unb ftarrte feine grau an. ©r (onnte bie hoh* ®h*e noch 
immer nicht faffen. „(5)a8 ift ein mertmürbige« ©reigniß!" rief er enb* 
lid). „©o fott ich aber ba« $ud) hernehmen? (ttyinja, nicht wahr, Zu 
borgft mir ba« ©eib, ba« 5)u für Zt ine Äuh gelöft hafi?" 

9lginja hielt ihm fbottenb ben Mutnen gmifd)en Beige? unb SRittel? 
finger gefteeft entgegen unb fpudte. Mnn mirthfehaftete fie mit bem 
geuerhaten, fchlug Xöpfe entgmei, riß ihm ben ©art au« unb lief fdjreiettb 
auf bie ©traße: „Helft mir, (Rechtgläubige! ©r morbet mich!" Mer 
ba« half ihr Me« gar nicht«. Mi folgenben dRorgen lag fie im ©ett 
unb fühlte ihre blaueu gleden mit ©leimaffer. 3Rer(itlom aber ging in 
bie Äaufläben unb fuchte paffenbe« Mch au«. 

©ine neue 3eit begann nun für ihn. ©enn er dRorgen« erwachte 
unb mit fdjläfrigen dlugen fich umfah, erftidte er nidht mehr, mie fonft, 
Dor ©alle unb ©chleim. (Rodj wunberbarer mar e«, baß er nicht mehr 
in bie ©ranntmeinfneipe ging, fonbern fleißig bei ber Arbeit faß. ©rft 
betete er ftitt Dor ftd) hin, fefcte bann feine große ©ritte auf, breitete 
ba« Md) auf bem $ifd) au«, feierlich, al« ob er einen ©otteSbienft Der? 
•richtete. (Rach einer ©od)e mar bie Uniform auch fchon fertig, ©r plättete 
fie, trug fie auf ben ©rettevgaun hinau« unb biirftete fie au«. 9lb unb 
gu nahm er ein gäfereßen weg, trat einige ©djritte gurüd, betrachtete 
fein Äunftmerf mit ©aterftolg, mifeßte bann mieber ein gäbdjen weg 
unb ba« fo mehrere ©tunben. 

„©in wahre« ©lenb mit biefen hohen Herren!" rief er ©orüber? 
ehenben gu. „©ine Ouälerei, — ich bin gang erfdjöpft! (Diefe ge? 
ilbeten Seute befriebigen, ift faft unmöglich!" 9U« er mit bem ©upen 
unb ©ürften fertig mar, fettete er fich bie Haare mit Oel unb (ämmtc 


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254 


Die (Segentuört. 


Nr. 16. 


fidj; bann f4lug er bie Uniform in ein faubereS Vaumtvolltu4 unb 
ging gum $auptmann. „34 habe jept leine 3eit, mi4 mit $ir afyu 2 
neben, 3)u Xöipel!" fo fuhr er 3eben an, ber ihm begegnete, ,,©ebt 
3hr beim ni4t, ba& i4 bem £>ernt §auptmann feine Uniform pintrage? 
3ft baS ein ungebilbeteS Voll!" 

9lacb einer falben ©tunbe lehrte er beim, „©ratulire gur ©elb= 
einnapme!" mit biefen SBorten begrüftte ihn Afinja lächelnb. 

„$>u bumrneS 2öeib!" entgegnete er. „$)u glaubft mopl, baft hohe 
^errfepaften gleid) zahlen? 93Ube 3)tr borfj folcbe ©djmad)peiten nüfjt 
ein! £>ö4ftenS JMmerfeelen unb gemeines Soll legt 3Mr ba£ ©eib 
gleich auf ben $if4, $)u ©anS!" 

3wei $age lag 2)lerlulom auf bem Ofen, aft nicht unb tranf nicht, 
fonbem gab ficb auSf4lie&li4 bem ASoblgefitpl befriebigten ©^rgci^eS 
bin, mie ettoa £>erfuleS, ber feine öelbentpaten ooUbracht. Am britten 
Xage ging er gum .öauptmann, fein ©eib gu holen. 

,,©inb ©eine SBoplgebaren fchon aufgeftanben?" fliifterte er im Vor^ 
gimmer bem Wiener gu. 2113 er eine Vernetnenbe Antwort erhielt, blieb 
er vor ber £hitr ftehen unb wartete. 

„ÖinauS mit ihm! ©r foü am ©onnabenb lomrnen!" pörte man 
beS |>auptmannS ©timme auS bem ©4lafgimmer, 

3>a3 ©leiche belam er am folgenden unb am britten ©onnabenb 
gu hören. ©inen Sflonat lang ging er gum föauptmanu, faft unb ftanb 
ftunbenlang im Vorzimmer, unb jebeSmal pieft eS, er fotle fich ^um 
Teufel fcheeren unb nächften ©onnabenb wieberlommen. Aber er verlor 
nicht ben flttuth unb murrte auch nicht. 3 m liegentheil, er fchmungelte 
fogar, benn ihm gefiel baS lange ©arten, unb baS „hinaus mit ihm!" 
Hang ibm tote eine liebliche SBeife. 

„®aran erfennt man boeb gleich bie Vornehmheit!" rief er ent= 
güdt auS, toenn er nach £>aufe fam. „Vei uns in Petersburg machten 
eS Alle fo." 

Stterfulotu märe mopl bis an’S ©nbe feiner Xage gum föauptmann 
gegangen, um im Vorzimmer Vergeblich gu märten) mettn Ayittja ihr 
auS bem Verlauf ber $up gelöfteS ©eib nicht gurütfverlangt hätte, 
„töaft 3)u baS ©eib gelriegt?" TOt biefen ©orten empfing fie ihn 
jebeSmal. „©teber nicht, ^u ©4afSlopf! ©iflft S)u mich noch rafenb 
machen? $pe, too ift ber Feuerbaien?" 

©inft lehrte Stterlulom AbenbS Vom Warlte nach £>auS: er trug 
einen ©ad Sfoblen auf bem SRüden; fein ©eib folgte ihm. „©arte nur, 
BIS mir heimlommen, bann beforg 7 icp’S $>tr orbentlich, marte nur!" 
fnurrte fie vor fid) hin unb baebte babei an ihr ©eib für bie $hip. „$er 
ftauptmann ift mir auch ber Siechte! Sägt bei unS arbeiten, unb mein 
Sftann thut, als ob man ihm eine ©efäHigleit ermeife. AHeS ©eib weg= 
gemorfen!" 

Vlöplkh blieb Stterlulom ftehen unb flieh einen ftreubenfeprei öu §. 
AuS einem ©aftpauS, an bem fie oorüberfanten, ftürgte ein frerr im 
©plinber heraus. ©r hatte ein rotheS ©eficht unb fd)ien betrunfen. 
3Pm nach lief ber ^auptmann Urtfchajeto mit einem Viöarbqueue in 
ber .ftanb, barhaupt, gergauft, bie Uniform mit treibe bejepmupt unb 
aufgeriffen; eine Slchfelllappe hing herab, hinten fehlten brei knöpfe. 

„3<h merbe ^ich lehren falfch fpielen, ^£)u ^aHunle!" rief ber 
^auptmann fchmeihtriefenb unb fchmang baS Oueue. ,,3d) werbe 5)ir 
geigen, mie man mit anftäitbigen Leuten fpielt!" 

„5)a fiehM" flüftcrte SJterlulom feinem ©eibe unb grinfte. 
„$aran erfennt man hoch gleich ben vornehmen fterrn. Vei einem 
ifrämer, ber ftch einen neuen 2fn*ug machen läfit, bauert eS emig lange, 
biS er Vertragen ift; biefer aber hat jept fchon feine neue Uniform rui= 
nirt unb fönnte mieber eine neue brauchen!" 

„©eh* unb bitte ihn, $ich ju befahlen!" fliifterte ipm Slfirtja j\u. 

„Vift $>u Verrüdt, ©eib? ftier auf ber ©trafte? ©ott bemapre 
miep!" 

2lber baS ©eigern half nichts; fein ©eib *roang ipn ba^u. 

„Sftarfch fort!" feprie ipn ber mütpenbe ftauptmann an. „^u 
langmeilft mid)!" 

»r^ch begreife baS ja VoUfommen, ©uer ©ohlgeboren, . . . mürbe 
eS aud) nie gemagt haben . . . 2lber mein ©eib ift fo unvernünftig 
. . . ©ie miffen ja, mie einfältig foW ein Frauenzimmer ift . . ." 

„Patf’ 3)icb, ^5)u ärgerft mich, fag’ icp S)ir!" firie ipn ber fiaupt* 
mann an unb feine Slugen glüpten. ©r mar betrunfen. 

„3ch begreife eS, ©uer ©ohlgeboren! 2lber icp meine ja nur, beS 
böfen alten ©eibeS megen . . . benn miffen ©ie, baS ©eib gehört ipr 
. . . mir pöhen bem 3uben bie $uh Verlauft . . ." 

„2Uj, $>u fepimpfft noch, ÖQÜvnfe?! 

®er öauptmann polte auS unb eS gab einen $racp. Von 9)fer= 
fulomS Vüden fielen bie Kopien in ben SFotp, unb feine S)lüpe folgte 
ihm. Sl;rinja mar erftarrt. ©ine Minute lang ftanb fie faffungSloS ba, 
mie Sotp'S ©eib, als eS ©aljfäule mürbe. 3)ann manbte fte fiep 
Zu iprem SJIann unb bemerfte §u ihrem größten ©rftauneu, mie fein 
©efiept Von einem feligen Säcpeln verllärt mar unb helle F^ubentpräucn 
in feinen 2lugen ftanben ... 

„5)aran erfennt man boep gleich bie rnapre Vornehmheit!" fliifterte 
er. „3)aS finb mirflich abelige, gebilbete SJIanieren! ... ©erabe fo mar 
eS .. . als icp bem Varon ©pupel feinen Pelj bradjte . . . 21ud) er 

fcplug ju. ©benfo ber öerr Leutnant ©embulatom . . . ©ie icp zu ipm 
lam, fprang er auf unb haute mir eine ... 9lcp ja, ©eib, jene fdjöneit 
Sage finb vorbei... aber baS verftepft 2)u ntept! 2)aS rnaren noch 
golbene Seiten!" Unb er fuepte mehmütpig feine Kopien jufammen unb 
fcplicp naep §öufe. ©r märtet heute noep pöcpft jufrieben auf fein ©eib. 


Jlus ber ^auptflabt. 
ilottens^itjctton. 

2lrbeitSzimmer ©r. ©jcellenz. 5)er ©epreibtifep mürbe bei eventueller 
Verweigerung als „fepr menig gebraucht" fteper eine popc Summe er= 
Zielen. Vequeme ©effel. 2luf ber ©paifelongue liegt ftatt beS SfclimS 
eine ftilDolle Värenpaut auSgebreitet. 

3)ie ©ycellenz (erpebt ftch Von ipt): 3>aS freut miep, baS haben 
©ie gut gemacht, lieber Slatp. ©eine SJlajeftät mirb bie fleißigen Arbeiter 
Z» fmben unb g« belohnen mijfen. Unb maS bie lepte ‘J'enlfcprift beS 
Flottenvereins anbelangt, nicht mapr — 

^er ©epeime Statp: 9lucp in biefer Vegiepung Jbürfen ©^cellenz 
beruhigt fein, ©ir haben bie 2)enffcprift im F^Ö« bur4 gang 3)eutfdu' 
lanb verbreitet. 

^ie ©reeHeng: 9ttit geringen Soften, hoffentlich? $emt ba§ 
ifi bei jebem ©rfolg bie §auptfad)e. 3 C wepr mir an folcpen 9?eben= 
hingen fparen, befto eper fönnen mir unS mieber eine pübfcpe Heine 
3nfcl laufen. Unb Heine 3öf e lö — wiffen — 

2)er ©epeime Vatp: 3d) weift, ©m. ©yceHeng. 2luS biefem 
©runbe befeprönfte icp mid) barauf, bie vollSthümlicpe $>enff(hrift für bie 
Flotte auf ben gröfteren F^^bapnpöfen vertpeilen gu taffen, ©ine halbe 
©tunbe fpäter mar alles Sanb längs ber ©ifenbapngeleife mit biefen S)enf : 
fepriften überfäet, fo baft icp mohl bepaupten fann, fie feien im Fluge burep 
gang 5)eutfcplanb Verbreitet morbett. 

$te ©ycelleng: Vortrefflich. Unb maS icp noep fagen molltc, 
lieber Slatp. ©rfapren ©ie benn, baft auf befonberen Vefepl ©r. SJlajeftät 
im SHai eine Xorpeboflotte ben SRpcin pinauffapren foll. 5)ie Anregung 
bagu, icp mieberpole eS, verbanlen mir auSfcpIieftlitp ber 3uttiative ©r. 
Sflajefiät. 34 bin übergeugt, baft biefe glängetibe SRaftnapme einen 
folcpen ©türm ber Vegeifterung für bie FlöttenVorlage pervorrufen mirb, 
baft eS Von jept an unferer Slacppülfe laum nod) bebarf. 3 ö, icp möchte 
fagen, eine angefpannte, vielleicht gar lärmenbe Föt'lführung ber Agi¬ 
tation unfererfeitS lönntc möglicpermeife ben ©inbrud ermeden, als 
moKten mir unS Vorbrängen unb ben Slupm beS unausbleiblichen 
Triumphes für unS in Anfprucp nepmen. ©S liegt auf ber £xmb, baft 
mir einen berartigen Verbacpt bitrcpauS Vermeiben miiffen. ©ie ver 
ftepen miep? 

$er ©epeime 8?atp: Voll unb gang, ©m. ©rcefleng. 34 werbe 
ben Flötten^eclamatoren unb -©efangSfünftlern pinfort beim ^)ref4en 
baS Sftaitl verbinben — parbon, ipnen gebüprenbe 3 ur üdpaltung ans 
empfehlen, ©benfo merbe i4 ben ^lan eines allgemeinen beutfeben 
FlottenfcateS ni4t weiter Verfolgen. 

SMe ©fcelleng: Xpun ©ie baS. ©inftmeilen banle i4 3faen. 
* 

®ie ©gcellcug: ©ie finb mit ttnS gufrieben, ^>err Abmtraf? 34 
poffe, 3P^ Sbcen pinft4tli4 ber Flottenagitation erratpen gu paben — 
^er 2)larinegemaltige (ntelan4olif4 lä4dnb): 9tteinc 3 been? 
Qa märe i4 mirlli4 gefpannt. ©ie ma4en mid) eitel. $>o4 lafjcit 
©ie uns gur ©a4e lomrnen. 34 höbe in ben lepten Xagen über bie 
gange ©efd)i4te grünbli4 na4geba4t — 

$>ie ©ycelleng: 34 merlte eS glei4- ©ie fepen fepr ange^ 
griffen auS. 

^)er 9)larinegemaltige: Unb ba wollte eS mir benn f4einen, 
als mürbe für bie Flotte uo4 immer mepr agitirt, als gut ift. 34 ftabe, 
man reigt bie ©egiter uitnüp unb veranlaftt bie öffentliche Meinung, fup 
allgu eingepenb mit ber Vorlage gu befdjäftigen. Vei ben vielen f4machen 
©eiten uitb Fehlern, bie ber ©ntmurf gmeifelloS pat — 

2)ie ©ycelleng: gwcifelloS. Aber mir müffen unS tröften. ©ir 
löniten nid)t Alles felber ma4en. 

2)er 2)larinegemaltige: ©epen ©ie, ba palte i4 eS für ratp= 
fam, baS 3ntcrcffe ber Nation etmaS Von bem ©egenftanbe abgulenfat. 
23aS mir erregen wollten, paben mir erregt. $>aS ©roS ber ©ebilbeten 
ift für bie Flotte. $>ie Sanbmirtpf4aft ift für bie Flotte. 3nbuftrie 
unb £>anbef ebenfalls — na, unb bie £iebe beS ©entrumS verftept fiep 


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Nr. 16. 


Die ©egcntoart. 


255 


am fRanbe Don felbft. Dafj wir bie ©ocialbemofraten für bie neuen 
Ääfjne gemimten fönnen, wage icf) bagegen nicht anjunebmen. 

Die (Sfceflenj (mit mebmütbigem 0tolj): Die ©ocialbemofraten 
waren nur ein einziges 9Ral für bie Regierung — bei ben $anbel«= 
Derträgen oon/1893. ©ol4« Sefepe aber mac^t un« im gütigen Deutf4 s 
lanb ber Spigoncn fein 9Renf4 mehr nad). 

Der 9Rartnegewaltige: hoffen mir ba« Sefte. SebenfallS 
müffen mir eS jefct ängftlid) Dermeiben, bie $ritif ohne 9?otb fjerau« 3 u- 
forbern unb bur 4 foftfpielige Agitation, bie un« bo 4 feine neuen Sin* 
bänger me^r ju bringen Derrnag, ben Nörglern tagtäglich (Gelegenheit 
jum Sinbafen 31 t geben. ©enn ich ein Sülomif 4 e« Silb anmenben 
barf: ber ©ante ift gelegt, ber Saum fcpiefjt auf — taffen mir ibn jept 
gemäbren. ©ir ftören nur fein fröhliches ©ad)«tbum, menn mir ibn 
übereifrig betrauen. 

Die ©fcellenj: ©ie nehmen mir bie berebten ©orte au« bem 
SRunbe. Unb ©e. 9J?ajeftät.. .? 

Der 9Rarinegemaltige: ©eine Sfajeftät münfebt Dor 9Wem ben 
Srfolg. Stber eS barf fein Erfolg ber ^lufbringlicpfeit fein, (5r muß, meine 
ich, febeinbar Don felber fommen. ©ie Da« ju madjen ift — ja, lieber 
£>err College, finb benit unfere Sebeimrätbe fo unfelbftftänbig, baft mir auch 
in biefer grage Don ber Ärone informirt merben müffen, ftatt Don ihnen ? 

Die ©ycellenj: Serlaffen ©ie ficb auf mid). 34 febc ben 
©eg fd)on. 

* 

fRoeren, 2 R. b. 9?.: (£3 liegt un« natürlich baran, bie lex ^einje 
£>anb in £>anb mit (5m. (5fceÜenj unb ber Sefammtregierung gu ©tanbe 
311 bringen, ©ir befteben bejjbalb auf ber Serfd)ärfung nur, menn ©ie 
fie für münfdjenSmertb unb annehmbar halten. 3 $ miß ohne ©eiteret 
flugeben, bafj bie Don un« Dorgefcblagenen, neuen Paragraphen ben ge- 
bilbeten ^Pöbel unb bie Un^ucbtfünftier in ©utb Derfefcen, bafj fie ben 
üblichen ©türm ber Sntrüftung entfachen merben — 

Die Sycellen* (plöfclid) aufmerffam): Da« märe! 5tber welche 
(Garantie leiften ©ie mir bafiir? 

Boeren (ein wenig betreten): 911« ftellDertretenber gübrer De« 
(SentrumS fann id) grunbfäplid) für nichts garantiren. 

Die ßycellenj: Unb ©ie meinen, bafj bie lex ohne 3b re 3 1 *' 
fafcanträge unbeachtet bleiben, 9?iemanben intereffiren, feine anbeve , 
polttifdbe grage Don Sebeutung in ben .ftintergrunb fd)ieben würbe? 

fRoeren: Da« meine ich allerbing«. 

Die ©fcellenj: Dann ift bie ^Regierung entfehieben für 3hre 
gufajjanträge. Perlaffen ©ie ftch auf un«, blei 6 en ©ie hart unb geben 
©ie feinen 3 oH &reit nach- $?an wirb ©ie erbittert angreifen, wirb 
einen Xumult ohne Gleichen Dollfübren, Deutfdjlanb wirb ©ochen lang 
Doll Don bem Sef4rei über bie lex ^einje fein unb alles 9lnbere Darüber 
Dergeffen — glauben ©ie nicht auch? 

SRoeren: 34 b* 9 c biefelbe Befürchtung wie (5m. ^celfenj. ?lber 
einen Kämpfer für ©abrbeit unb ©ittlichfeit barf Da« nicht anfechten. 

Die ©ycellenj (fidj bie §änbe reibenb): Unter feinen Umftänben 
barf e« ba« tbun. 34 irre niich hoch nicht in 3 b nen , wenn ich an- 
nehme, bafj ©ie jeben ©chlag Doppelt befahlen unb auf biefe ©eife 
ben allgemeinen Aufruhr, bie Sefinnttng«lofigfeit unferer politifeben 
©eit noch Dergröfjern merben? 

SRoeren (Derlegen): ©a« mir bic Pflicht gebietet, mub id) freilich 
fdimeren #er$en 8 tbun — hoch brauchen (5w. (Jfceüenj feine«meg« ju 
beforgen — 

Die (Eycellenj (in prächtiger Saune): ©ie finb mein 9Rann! 
Wfo Dorwärt« mit Sott! 34 banfe 3b n ^n! (Sr läutet. 3 um Mn- 
tretenben Diener.) 34 taffe bie Deputation De« Sunbe« ber Sanbwirtbe 
bitten! (3foeren ab. Die Deputation tritt ein. ©ehr gütig:) ©ageit 
©ie getroft, maS ©ie auf bem .^erjen haben, unb feien ©ie gemib, bab 
mir 3 bnen gern entgegen fommen. 

R3 ©pte4er ber Deputation: Da§ Jyleifd)bef4aus(Mefep in 
ber Üiegierung^faffung ift für bie öeutfehe Sanbwirtbfdjaft unannehmbar. 
©oUte mirfli 4 bem amerifanifd)en 3 leif 4 e erlaubt fein, waä bem eins 


beimifdjen Derboten ift; foHte e§ ohne jebe SRücffüht auf fanitäre Sorfcbriftcn, 
fojufagen ohne Unterfu4ung eingefübrt werben Dürfen, wäbrenb nnfer 
©chlachtDieb Deren jmei Dur4juma4en bat, fo mürbe Durch alle länb= 
liehen Se^irfe Deutf4lanb§ ein bröbnenber ©4rei ber (5ntrüftung geben — 

Die Si’cellenj (entjücft auffabrenb): (5in ©djrei Der (5ntrüftung! 
(5in bröbnenber fogar! 

Der ©pre4er: Unb mir mürben Dafür forgen, bab fReid)$tag 
unb ^Regierung 3unä4ft einmal unfere gerechten gorberungen berüdf® 
ftchtigen, ehe fie 3 e *t w°b ^raft unb (Gelb an afferbanb 3febenfächel4en 
Derfchmenben. 3a, mir mürben eS erzwingen! ©4rcien mürben mir, 
§err SRinifter — 

Die Gfcellenj (ftredt Dem ©pred)er beibe $änbe entgegen): 
Xbun ©ie baS ja, bitte, tbun ©ie e 8 ! 8 ci 9 en & ö & ©ie beutf4e 
Männer ftnb! 3mingen ©ie baS Sanb, fich mit bem gleif4bef4au=©efep 
3 U befaffen, ©o 4 en lang, SRonate lang; geftatten ©ie ni 4 t, bab eS fidj 
mit irgenb etwas 3lnberem befchäftige, ehe 34 ncn 3 b r 3^ e 4t geworben ift! 
Unb meine märmften ©pmpatbien, meine beibeften ©ünfehe mit auf ben 
©eg! (Die Deputation entfernt fi4 Derbupt.) ©unberDoIle Äerle! Unb 
nun fann i 4 beruhigt fein — hinter ber lex fpeinje unb bem gleif 4 s 
befchau^efep Derf4minbet bie glottenDorlage bis auf ©eitere« fpurloS! 
Da« nenn* t4 Agitation! 

* 

Sin parlamentarifcher ?lbenb im fRei 4 «fan 3 ler^Salai«. Semaltige, bi« 
3 U Drei Sierteln leer gegeffene Büffet«. Parlamentarier, HRinifter, 
^Reporter unb anbere fatte Xugenben. 

Sbcfrebacteur Pfotenbauer (fauenb): 3llfo Da« neue Sefefc 
jum ©4upe Der ©ingDögel ift in ber Somniiffion angenommen? 

Profeffor Putfch (©4infen fchlucfenb): Sott, bin i4 ftob, bab 
Da« ©cbmein fein ©ingDögel ift! . . . Diener, liebfter Soüege — man bat 
©ie ja ben ganzen ©inter über nid)t gefeben ... ©ie feheinen franf? 

Dr. Xrinfulo, politifdjer SRebacteur (mit ber Dritten glafcpe 
3 Rumm extra dry befdjäftigt): Safluenja — id) fann bie heutige 
geueptigfeit nicht Dertragen! 

fRimmerfatt (mit einem neibif4en Blicf auf ben 9Rumm): Da« 
fiebt man 3 btten aber mtrflüb nid)t an! 

Pfotenbauer: Berjeibung, £>err Doctor — aber bafj ©ic hier 
finb, ben ich al« fo eifrigen ©ocialiften fennen lernte .. . 

Dr. Xrinfulo: 5Ra, ja — Da« mar Doch aber Dor anbcrtbalb 
3 abren! 34 ging nachher mit jmanjig SRarf Sebalt«erböbung jum 
Zentrum über, unb jefct bin i4 freiconferDatiD mit breiig 3Rarf mehr. 
(Seht jum SRouton fRotbf4ilb über.) §eut’ fteb T i4 1« eifrigem Ber- 
nid)tung«fampf gegen Me fRotTjen! 

9iimmerfatt: 5idj — Daher auch Die intenfiD gefärbte 9lafe! 

Die Sycellens (fomntt De« ©ege«): 3«fo lieben«mürbig collegialer 
Unterhaltung, meine Derebrten Herren? Unb ma« fagen bie weifen 
Auguren beut' ?lbenb 3 ur inneren Solitif? 

Die 3ournaliften (feben fi4 Derlegen f4meigenb an). 

Die ®£cellen 3 : 34 meine, mit Be 3 ug auf bie glottenfrage 
©ie finben ©ie Da« gebei 4 felt, b«? 

Pfotenbauer: 5lch ja — e« ift mirflich 3 U ©4abe! 9löeS mar 
fo fd)ön im Sange, Begeifterung unb Cpfermutb reichlich Dorbanben — 
unb ba fomntt biefe Balgerei um bie lex $ein 3 e, bie« olle ebriübe 
5 Reaction«gefpenft, unb nimmt auf ber einen ©eite ben Sebilbeten im 
Sanbe alle greube an ber glotte, ma4t fie argmöbnifch unb rei4«= 
Derbroffen, wäbrenb auf ber anberen ©eite ba« Zentrum ftörrif4 jn 
merben Droht, wenn ihm ber fette Rappen entriffen wirb. 34 begreife gar 
ni 4 t, bafj unfere Plinifter, bie Doch fo gute Buffet« 3 U erraten miffen — 

Die Sycellens (lä4elt nur): Unb unfer Xricf mit bem gleif4= 
bef4au-Sefepe? 

Dr. Xrinfulo: Bortrefflich — Denn menn bie beutf4e Sanbrnirtb- 
fchaft jept noch für bie glotte ift, bann oerbiente fie gehängt 3 U merbenl 

Die S?cellen 3 : Unb nun fagen ©ie felber, meine Herren — 
Der ft ehe i4 mich auf bie glotten=$lgitation ober ni4t? 

prin 3 Dogelfrei. 


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256 


Die ffiegetttoari 


Jlngetgett. 

»et Beßellungen bmif* man |tdj auf tue 
„©egenroarf“. 


flisiirA 

im 

ItrteU 
friarr 3<it|(uffri. 


$unbert Original * Qutagten 
p. frreunb u. Ö«tnb: ©jöntfon 
©ranbe 8 ©fltbnet <£rl 8 pi $>aljn 
Staubet ®flibp gontane ©rotlj 
$a«cfel ßartmann $e^fe 3 ors 
bait Shilling SeoncapaBo Sitte 
bau fiombrofo SWcft^tftbcrSft 
»iflta Korbau OUtPier ©eiten« 
fofer ©aliöburb ©tenflemicj 
©imon ©beitcer ©ptetbagen 
©tanlet) ©toeder ©trinbberg 
©uttner SöUbenbru# ©erner 
Sola u. ». «• 


Weg. gef). 2 Kt. Pom biflag ber fifmwart, 

©erlitt W. 57. 



[Tecihnllniiii JImen»n| 

Hi IimHimh Mi mtn I 
• *11 kB«flt«r.] 

bireeter Jiitiw. ■■■ 


Qn unfcrem Verlag Ift erfd)ienen: 

pc ©cgciiuinrt. 

(B*4ri'4)nfi fit ftnulr «»di unb Mrrul>4K8 Stfcn. 


(5fUfrol=ßf(ji|lfr 1872 — 1896. 

©rftcr bi$ fönfaiflfter S3anD. 

Stfit Nachträgen 1897—99. ©eh. 5 uT 
©in bibliographifcheS 2Öerf erflcn 
NangeS über ba§ gefammte öffentliche, 
aeifüge unb ftinftterifche lieben ber lebten 
25 Qahre. NothtuenbigeS Nachfchlagebud) 
für bie Sefer ber „(Megemuart", fomie 
für roiffenfcf)aftlicf)e 2 c. Arbeiten, lieber 
10,000 9(rtifel, nach Sachern, $erfaffern, 
©chlagroörtern georbnet. 5)ie Autoren 
pfeubonpmer unb anonymer 91rtifel ftnb 
burchroeg genannt, Unentbehrlich für 
jebe 33ibliothef. 

5Utrf) bireft gegen ^oftanmetfung ober 
Nachnahme Dom 

Derlag kr Oüeaenwart. 

©erlitt W 57. 


Slfab. geb. SchriftfleHer, btöfj- publicift. 
(liter. Äritif) in Berlin thntig, energ. gennffen= 
hafte 8lrbeit£fraft, Dor^. ©praefjfenntniffe (fran= 
äöfifcp, englifd)), pcrfcftcr Stenograph, 
9Jiafchiucnf<hrciPcr (£>ammonb) f hiebt unt. 
befrt). Wnfpr. in NcDaftton, Xbcntcrfcfrctariat, 
Ufrl.^BudibDlg., literar. Jnfttt. 2 c. Stellung. 
Cffert. an b. ©yp. b. ©egemuart unt. A. G. 


Manuscripte. 

3ur s -8erlag3übevnaf)nte uott NJanu= 
fcripten fjiftorifäer, politifcper, fef)ömuiffen= 
fcf)aftlid)er 2C. Nidjtung empfiehlt fiep bie 
SSerfagÄbud)banblung Don 

Kicliard Sattler, graunfrijumg. 

(©egrünbet 1888). 


©eranttporütdjer fflebacleur: Dr. ^eop^tl ßoUtng in ©eritn. 



„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer. 

Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Xrankheiteeraeheinnn 
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klimatischer, waldreicher Höhen-Kurort — 568 Meter — in einem 
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jföljtr* gnnbtlariljult unb gttjrltngsfdjult unter ßäbttfiljrnt ftatrunaL 
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lic ©egenttmrt 1872-1892. 


Ilm unfer i'agcr ju räumen, bieten mir nuferen Abonnenten eine giiuftige 
Gelegenheit 5»* throoüftänbigung ber Gottection. ©o weit ber ißorratb reitet, 
liefern mir bie Jahrgänge 1872—1892 k 6 9W. (ftatt 18 SW.), Halbjahr«’ 
SJänbe ä 3 9W. (ftatt 9 SW.). Gebunbene Jahrgänge ä 8 SW. 

©erlag ber ©cgenlpart in ©erlin W, 57. 



Soeben erfrfjicit im SScrfagc Don Hiutlf in XEtpJtg: 

Aus friiirm frbm unb aus frinrr3rit. 

2$on 

$arpefes. 

Wit zahlreichen, thciltueife bisher unuerüffentlicpen s 21bbilbungen (barunter 17 nerfepiebene 
Silbniffe be§ ®id)ter§) unb 6 Beilagen mit Jaffimileö üon ^anbfdjriften. 

i$x. 8°. (Viepcfret in elegantem Umfdjlag 7 S)l. 50 ^Pf. ©legant gebunhen 9 50 ¥f. 



Verlag von Breitkopf & Härtel, Leipzig. 


franz liszt’s Jrie/e 

an die 

Fürstin Caroline Sayn-Wittgenstein. 

Gesammelt und herausg. von La Mara. 

(Liszt’s Briefe Band IV). Mit 2 Bild¬ 
nissen. XXIV, 520 S. 8°. geh. Mk. 8.—, 
i in Leinwand geb. Mk. 9.—. 

epochemachende Erscheinung, nicht nur 
L in der Musik- und der Brief-Litteratur. Dus 
innerste Seelenleben des unvergleichlichen Künst¬ 
lers und Menschen wird uns darin erschlossen. 
Der grosse Roman, der in seinem Leben spielte, 
spinnt sich vor ungern Augen ab. Über seine 
ebensoviel besprochenen als missverstandenen 
Beziehungen zur Fürstin Wittgenstein liegen von 
der ersten Begegnuug an zum ersten Mal un¬ 
mittelbare Zeugnisse vor. Von ebenso grossem 
künstlerischen als psychologischen Interesse, ent¬ 
halten die Briefe ein Stück Selbstbiographie, wie 
wir eine ähnliche von keinem unsrer grossen 
Tonsehöpfer besitzen. 




^isniardts iladifolpt. 

91 oman 

non 

‘gfßeeplnC ^oCCirtg. 

W Pol^nufgabe. "W6 

v prei£ 3 ^DJarf. 6d)ön gebunben 4 9Harf. 

tiefer 33i§marcf=©aprit)i'9?oman, ber in 
menigen fünf ftarfe Auflagen erlebt, 

evfdieint pier in einer um ble£>älfte billigeren 
®ülf§au§gabe. 

Smrd) alle 93ud)()anblungen ober gegen ©tm 
fenbung be§ 33etrag§ poftfreie 3u(enbung oom 

Ucrlag der Gegenwart. 

SBerttn W. 57. 


Webaction unb (Sjpebtttor: ©eritn W., »eanfieinfttate 7 . $mcf Pon ^effe 4 ©ette tn fietp*ifi. 


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M 17. 


"gäerCm, Öen 28 . JlpriC 1900 . 


29. Jahrgang. 
Band 57. 


pe fepuinrt. 


k 




SBoc^enf^rift für giteratur, Sftmft unb öffentliches geben. 


^mwagegeBen Don ‘gQcopQU ^offlng. 


imra ionnatraii aMetti eine Summet. SerIafl ber rt in 8frHn w 57 Jterteimrlt* 4 «160 |f. «tu Jammer 50 Vf. 

tfu bettelten burdfj alle ©udjfjanblmtgen unb ©oft&mter. ^ a v Sfitfcrate jebcr Ärt pro 5 gehaltene ©etitjetl« 80 ©f. 


Maß: 


Slflerfei Socialrefontten. 33on (S. 92. (Sb eil. — 9Iu3 bem Slrbeiterleben in SJhtßlanb. $on 5abrif6eft^er Dr. phil. $arl 
9Joepel (SKoSfau). (<Sdjluß.) — ßiterottir uttD Äuttft. gur Scbopenfmuer=$Mtevatur. $on 3 . $Jl. fcoti gcbni!. — $a8 
©eßeiumlß ber großen $t)ramibe Don ©i$eb. $8on Subroig $)etnbarb (9Jlüncf)cn). — fteitilleton. &olje8 Spiel. 2$on ÖouiS 
(Soupetu8. $fu3 bem ^oHänbifdjen. — Äu$ Der $auptftaDt. $>ie gufunft auf bem 3Baffer. S3on Caliban. — 91n§etgen. 


Allerlei iSoctalreformen. 

Von <L ZT. <£beU. 

Die ©nigung ber beutfdjen Stämme ju einem ftarten 
©taatenbunbe hat unferem Volte bie ißm längft gebfißtenbe 
erfte ©teBe unter ben Motionen ber JSett gegeben, politifcß 
wie mirthfdjaftlidj, unb ein iRütfblid auf bie brei Saßrzeßnte 
beS Deutfcßen Reiches jeigt unS trog Dieter ©djattenfeiten 
unb bunfien fünfte im ©roßen unb ®anjen eine erfreuliche 
unb gtänjenbe ©ntmidelung. Politifcß fteßt basS fReicß nach 
Slußen unb Snncn gefeftet unb niacßtDoß ba, unb ber mirtß* 
fdjaftlicße Üluffcßmung fucfrt in ber 28eltgefd)icßte feineSgleichen. 
©tel)t unfer fRationalreuhtßum auch nod) bentjenigen ©ng= 
lanbS unb granfreicßS nad), fo haben mir bodj in |>anbet 
unb Snbuftrie baS Leitete tängft überflügelt. Unfere ©jpanfio* 
traft, bie in ©uropa unfere ©renzen nur unter üllieS Der« 
heerenben Kriegen ermeitern tönnte, fucht über ben SReeren 
fich auSzubeßnen. Unfere politif mirb jur SBelt* unb Sßelt* 
ßanbelSpolitif, gerabe mic in ber innerpolitifcßen ©ntmidelung 
bie roirtßfcßaftlichen Sntereffen alte anberen jurüdgebrängt 
haben. 2öir gtauben nicht, baß eS z u bettagen ift, menn 
auch unfere politifdjen Vertretungen mehr unb mehr „ju 
SntercffenDertretungen" gemorben finb SRun ift eS ja fieser, 
baS bemeift Panama auf ba« ©djauberßaftefte, baß eine 
rein potitifche, rein partamentarifd)e VolfSüertretung jmar 
ein ganz ausgezeichnetes, ganj nach ®8unfd) arbeitenbeS 
SBerfjeug ber ©pecutation ift, ber eS fehr leicht mirb, eine 
folche partamentarifche Regierung unb. fotch’ ein Parlament 
baju genügenb ju corrumpiren; aber für alle mirttichen unb 
tebenbigen, b. h- jumeift alte mirthfcßaftlidjen SSntereffen beS 
roerftßätigen unb arbeitenben VolfeS ift eine rein potitifche 
Vertretung nahezu ganz unbrauchbar! Der iRiebcrgang beS 
Liberalismus bezeugt eS. 9tn eine mirttich arbeitsfähige mirth» 
fchaftliche Drganifation hat ber Liberalismus nur an einer 
einjigen ©teße gebacht, mo ihn bie aßerbitterfte SRothmenbigfeit, 
ber abfotute Unfinn bcr 3 u ftänbe, bie. er burdj feine ißrin« 
cipien fchuf, baju gejmungen hatte, — beim ^tanbel in ben 
^anbetStammern. 31 ud) hier Derhinberten bann freilich bie 
herrfebenben ?litfchauungen über bie mirthfehaftliche Freiheit 
beS ©injelnen baS Sluftommen einer geschloffenen großen 
Drganifation, bie nach großen 3>elen hätte ftreben tonnen. 
Die IpanbetStammern blieben baS befdjeibene Organ beS Sinjel« 
hanbelS in ben einjetnen ©täbten mit rcd)t befdjeibenen 
Süujchen unb ßielen unb mit reiht befcbcibcncit Leitungen. 


Von einer Drganifation ber übrigen mirthfehafttidjen ©tänbe 
moßte ber Liberalismus nirgenbS etmaS miffen! ®anj im 
©egentheil, er glaubte fid) burch feine ißrincipien berechtigt 
— unb menn bie Dheorie nicht auSgefprodjen mürbe, tarn 
jebenfaßs bie ißrajis burdjauS auf baS SRefultat hinaus — 
baS, maS er feine potitifche Drganifation nannte, aud) auf 
baS Selb ju übertragen, mo er hoch fonft bie anertennenS« 
mertheften Leiftungen aufjumeifen hatte, auf bie ©etbftoer« 
maltung ber ©emeinben, befonberS ber ©täbte. Natürlich ift 
baS Unfinn! 2öaS haben 9lbfuljrmcfen, Saupolijei, Straßen* 
reinigung unb bergteidjen für bie ©tabt mistigen Dinge mit 
ber nationalliberaleit ober freifinnigen Partei ju tßun? Liber 
nicht bie jReidjStagSmahlen, fonbern bie ©tabtoerorbneten* 
mahlen unb 3lfleS, maS an bem ganjen ftäbtifchen SBefen 
brum unb bran hängt, maS nach ber heutzutage hier junteift 
noch gütigen liberalen ?lnfdjauung ja ben rechtlichen Vefitj 
ber herrf^enben, alfo regierenben Partei bilbet, baS bietet 
jc$t für unfere politifcßen Parteien ^ en rea ( en ©oben, aus 
bem fie ißr fümmerlicheS bißchen SRahrungSftoff faugen. 

SBären nicht bie ©otitifer unb bie ißolitif mit einfeitiger 
Vetblenbung falfdjen Sbealen nadjgefaufen, fo hätte man fdjon 
längft für beutfeße Verhältniffe bie richtige (Sonfequenj ziehen 
müffen unb hätte bie Dhätigfeit unferer parlamentarifchen 
Äörperfchaften längft ganz bebeutenb befeßränft. ©ne Volts* 
oertretung, bie mirtlicß, mie eS fein foflte' unb fein mirb, be* 
ratßenb, anregenb unb maßnenb auf bie ^Regierung mitten miß, 
mirb ißre mißliche Dßätigfeit in menigen SBocßen auSüben 
tönnen unb babei mirtlicß auS Vertretern beS VolfeS befteßen 
tönnen. ©inige midjtige ©ommiffionen, bie mit ben Vor* 
arbeiten z u größeren Vortagen, befonberS mirthf^aftlicßer 
9iatur betraut finb, merbeit fieß ja aßcrbingS auf SBocßen 
unb äRonate auSbeßnen. „guftänbe mie heute, mo unfere 
Parlamentarier VerufSparlamentarier gemorben finb unb 
unfere Parlamente fieß zu SRebenregierungen entmidelt haben, 
in benen bie Dppofitioneflen ülfleS zu Derßinbern fueßen, maS 
gefdjeßen foß, bie ©ouüernementalen jebe ÜRaßregel jeber 
Regierung zu Dertßeibigen fueßen, in benen babei gemößnlicß 
irgenb eine an 3 a ßt feßmaeße, mitunter eine bem ganzen 
©taatSmefen bircct fcinblidj gefonnene Partei, mie bie polen 
gelegentlich bei uns, bie ©oeiatbemofraten unb bie fatholifdßc 
ÜRinorität in Dielen Kammern z- aueß in ^>oßanb, bie 
©ntfcßeibnng in Rauben ßat, bie müffen jebe Dernünftige 
Regierung läßmen unb jebe nüßlicße Snitiatioe unterbinben 
unb naturgemäß um fo meßr, je feßmieriger bie Verßältniffe 


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25$ 


5Die d&cgenmart 


Nr. 17. 


überhaupt finb, je nothwenbiger atfo eigentlich ein ftraffeS 
unb ftarfeS Vorgehen ber ©egicrung wäre. §ier wirb baS 
©orhanbenfein einer ftarfen wirtschaftlichen Organifation 
wahrhaft crlöfenb wirten, ©ewifj, auef) auf wirthfcfjaftlicfjem 
©oben giebt eS ftarte ©egenfätse — in ©elbfadjen hört bie 
©emöthlichtett auf, Wie ber alte ^mnfemann fagte, unb bie 
wirthfehaftlichen Slnforberungen gehen ja jumeift an ben (Selb* 
beutet —, aber gerabe baburdj wirb auch bie ©emtithSrulje 
berfdjwinben, mit ber wir uuS eS jejjt gefallen laffen, wenn 
SRonate anf SRonate baS SlbgeorbnetenfjauS unter erheblichen 
Koften tagt, nur bamit, wenn £>err u. Karborff feine bewährte 
©ebe für baS ©über gehalten hat, ©idert feine bewährte ©ebe 
gegen baS ©über hält, Sugen ©idjter, wie alle Satire, auch 
ben bieSjährigen ©tat ^erflüdt unb mittlerweile baS Sentrum 
als auSfd)laggebenbe Partei hinter ben ©ouliffen feinen Kuh 5 
hanbel treibt. Unfere Streife unb protinzialterbänbe finb 
wefentlich wirtt(fc£)aftlic^er Slrt, unb wenn fie and) hier unb 
ba non ber Unart beS ParlamentSfpielenS angeftecft finb, fo 
regulirt fidh bie ©ache wahrfdjeinlicf) immer recht balb wieber 
toon felbft." 

©o fchreibt ein neuer ©ocialreformer, Dr. Sb. £>aljn, 
in feinem nicht Warm genug ju empfef)lenben Suche „Die 
SBirthfchaft ber SBclt am SluSgange beS 19. SahrhunbertS" 
(.^eibelberg, Sari SBinter). DaS gait^c wirthfchaftlidje ©ebiet 
wirb öon ihm im 3 ll fammenhnuge mit ben übrigen 2c6enS= 
gebieten aufgefafjt unb hiftorifd)*fritifd) beleuchtet, aber er ift 
babei fein unfruchtbarer Dljeoretifer, wie fo Diele neuere 
Propheten, bie unS mit ihren unpraftifdjen ©eformborfchlägen 
begtüden wollen. SllS (belehrter fomint er ton ben ©atur* 
wiffenfehaften her, unb ber Darwinismus, zu bem er fief) be* . 
| fennt, giebt ihm auch manche Srflärung unb Söfung ber 
DageSfragen an bie |>anb. Slber fonft fteht er mitten im 
praftifchen wirthfehaftlichen Sehen, ohne Parteibrillen unb 
föciale ©cheuflappcn, unabhängig unb ohne Sorurtheile, nur 
bon feinem gefunben SRenfcfjenberftanb, feiner reichen Sr* 
fahrung unb feinem Patriotismus geleitet. Darum finb 
benn auch feine pofititen ©eformtorfchläge, aud) bort wo 
fie ju rabical eingreifen, ber aügemeinften ©eadjtnng werth- 
@o Will er auf ©runb ber 2Bef)rpflid)t unb beS atlge* 
meinen ©eichStagSwahlrechtS eine neue, beffere politifche 
Organifation frfjaffen. Natürlich liegt hierin fdjon ein praf* 
tifcheS Programm. S J© äffen Wir bie SBehrpflicht ton Sillen 
ohne Unterfd)ieb forbern, fo fommen boch fefbftoerftänblich 
nicht Sille zur SluSübung ber SBehrpflicht, noch üiel weniger 
jur praftifchen ©ethätigung ber SBehrpflicht in Kampf unb 
Dob. Schon barin liegt ein wefentlidjer Unterfchieb, ber bisc¬ 
her bei bem allgemeinen ©eichötagswahlredjt ganz ungenügenb 
zum SluSbrud fam. ©id)t allein — es ift baS ja eine be* 
fannte ©chwäche unfereS heutigen bureaufratifchen Staates — 
bafj unfere Sntaliben .ganz ungenügenb terforgt unb bebanbelt 
werben, nein, unfer „oom SiberaliSmuS burchtränfter Suriften* 
ftaat" hat fich ba eine recht mirfunqSboüc Phrafe gefchaffen, 
bie ihn gegenüber ber flajfenben Ungerecf)tigfeit gegen bie 
SRinorität tollfommen beruhigte. SBir ijaben noch Dor einiger 
3eit ju hören befommeu, als ton einer fo fehr ternünftigen 
©teuer, wie ber SBefjrfteuer, bie Siebe war: auS ber Slb* 
leiftung ber SBehrpflicht unb auS ben materiellen ©adjtheilen, 
bie biefe Slbleiftitng unleugbar mit fich bringt, fönnten bie 
^Betroffenen feine ©eredjtigung tjerteiten, weil bie Slnberen 
ja ebenfo terpflichtet wären unb tieHeid)t ebenfo gern ober 
ungern biefer ©erpflichtung genügen würben, Wenn bie ©eifje 
an fie gefommen wäre. „9D?an fieht," fchreibt föaljn, »eS ift 
eigentlich nur §erjenSgüte ©eitenS unfereS mobernen Staates, 
wenn er bie Sntaliben unb bie SBittwen unb SBaifen ber 
©efaüenen unterftüjjt, bie ja eigentlich fo etwas gar nicht 
tetlangen fönnen. ©aturgemäfj würbe ich oon ber Slbleiftung 
ber SBehrpflicht ein gröberes ©echt auf Stimmen ableiten, 
ton ber Slbleiftung einer SBehrpflicht währenb eines Krieges 
natürlid) ein noch gröfjereS. S<h mürbe eS für burcfjauS 


nothwenbig hatten," ben Kriegcrterbänben, bie ja auch fd)on 
ba finb, bei ber Sntfcheibung über Krieg unb grieben 
entfeheibenbe Stimme ju geben, ba ihnen ja ein redjt fach* 
tcrftänbigeS Urteil zuftefjt. Sch würbe auf ber anberen 
©eite bei einer Slbftimmung über Krieg unb grieben im 
©eichstag mir bie Slbgeorbneten recht genau barauf anfehen, 
ob fie felber mit müffen, ob fie Söhne haben, bie mit muffen, 
ob fie ber Krieg, für ben fie ftimmen, irgenbroie perfönlict) 
belaftet. Sd) würbe ferner im ganzen politifdjen Sebcn mit 
bie Seute ftetS baraufhin anfehen, welches ©toajj ton Pflichten 
fie für bie Slügemeinheit übernommen haben, ©lag @ugen 
©idjter aud) barüber erftaunen, ich mürbe ihn als Sung* 
gefeiten ohne Kinb unb Kegel an fich geringer einfd}ä£en 
als einen gamüientater." ©aturgemäfj würbe biefe Pluralität 
ber ©timmen unfer politifdjeS Seben ton ©rnnb aus um* 
formen. (5S würbe mit bem wichtigen unb jum lljeil ja 
auch an fich richtigen ©eichstagswahlrecht eine ©eränberung 
torgehen, bie beim weiteren SluSbau fo grofee Seränberungen 
mit fich bringen würbe, bafe in abfehbarer 3eü an einen 
praftifchen SSerfud) bamit nicht ju benfen ift. 

SluSfidjtSuotler fd)cinen nnS ^»ahn’S SSorfdjläge jur ©eform 
unfereS fnjpothefarcrebits, wobei er fidj.fdjarf gegen bie „Um 
ftcrblidhfeit beS ßapitalS" wenbet. „@S ift an unb für fich 
ganj flar, bafj Semonb, ber ©elb erwirbt, eS entweber für [ich 
ober für feine gomilie. alfo jumeift feine Kinber unb tieüeidjt 
für feine ©nfet erwirbt, darüber hinaus wirb feine ©orauS* 
fi^t nur in beu feltenften gäßen gehen, ©ur für biefe, an 3al)t 
ungleid) geringerengälle, ferner für biegunbirunggcmeinnü|tger 
Snftitute, wie wohltätiger, wiffenfchaftlicher unb anberer Sin* 
ftalten, wäre eine gewiffc längere SebenSbnuer beS Kapitals 
erwünfeht. Die läßt fid) auch 9 an ä normal unb bequem bc* 
wcrfftelligen. giir aQc übrigen SapitalSerwerbungcn aber ift 
bie Unfterblid)feit beS ©apitals ungemein überflüffig, unb 
ganjt bcfonberS fd)äblid), ja abfurb ift biefe Unfterblidhfeit beS 
SapitalS für unferen mobernen Staat geworben, ©ine ganje 
©eit»e beutfeher ©täbte befahlt nod) heutzutage an ben 3n>angS= 
anleihen, bie währenb ber franjöfifchen ^»crrfchaft bis 1818 
gemalt finb. Sn 3Birflid)feit finb bie ©erlufie ber bamaligen 
3eit jum größten Dl)ei(e uerfd)inerzt, unb ber jejjige ©rfa? 
wirb nur in ben aüerwenigften fällen ben richtigen ©ach* 
folgern berer ju ©ute fommen, bie bamalS bie ©ertufte zu 
tragen hatten! Dhcoretifdj mufj auch ber englifdjc Staat 
immer noch 3' n f en bejahlen für bie zu ber erfolglofen ©e* 
fäntpfung ber amerifanifchen ©etolution ton 1775 erhobenen 
ßapitalien. £>at nun aber in SBirflidjfeit ber ©taat baS 
©ed)t, feine zufünftigen Singehörigen berart auf ©wigfeiten 
hinaus zu belaften? Der ©taat giebt fein ©elb auS, ent* 
weber für augenblidlicpe ©ebiirfniffe ober für Slnlagen, bic 
fpäter erft rentiren follen. ©ur bie Setjteren rechtfertigen 
eine gewiffe ©elnftung fünftiger @efd)led)ter! Sft eS aber 
nicht unfinnig, bah fpäte ©achfahren bic Koften für eine 
©rüde, eine Heftung ober etwas berart bezahlen follen, währenb 
in SBirflichfeit bie Slnlage, für bie baS ®elb tor langer 3 f ü 
einmal befcfiafft unb auSgegeben würbe, längft uerfd)munben 
ober überflüffig ift. Seid fteht eS mit unferen europäifdp 
©taatSpapieren, auS benen id) wirtliche nnb wahrhafte ©enten 
madjen möchte, fo, bafj fie befjljälb mit Slnberen nicht concur* 
riren fönnen, weil fie bazu uiel zu geringe Procente geben. 
Sille möglichen ejotifd)en Staaten, ganz abgefehen ton ben 
Prioatunternehmungcn, terfprechen tief höhere 3iufen, als 
fie unfere Staaten jemals geben fönnen; baS tjSalten ift 
freilich eine ganz anbere ©ad)e, aber ehrlich unb gewiffenhaft 
fönnten fie aud) gar nicht fo tiel terfprechen." Dr. |)abn 
fdjlägt alfo tor, ©taatSreuten einzuführen, bie fich Don felbft 
amortifiren, fo bah wir alfo auf biefe furze 3 C ' 1 e ‘ nfn 
höheren 3' n§ geben fönnen! @r will brei ©enerationen, 
alfo runb 100 Saf)te, als eine genügenbe 3 e *t für ba® 
©rföfchen ber ©ente anfehen. Slber fdjon torher foll bie 
©ente finfett, fo bah für bie erfte ©eneration ober etwa 33 


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Nr. 17. 


Die föegetnuart. 


259 


3a(jre eine ßößcre Wente gewährt würbe, für bie jtoeite unb 
roieberum für bie britte fid) ber Setrag, natürlich gefejmäfeig 
borauöbeftimmt, oerringerte. SBir glauben aderbingS, eine 
folcße Wente würbe Diel Weniger gärten bieten, als nidt)t 
allein ©taatSbanferotte fie ßerbeifüßren, fonbern auch bie 
3in3rebuctionen, bie in ber testen 3eit, 5- S. in ißreufeen, 
auf ©runb rein finanjieQer Erwägungen oßne erhebliche 0ppo* 
fition burdjgefüßrt worben finb unb bocß mandje acßtungö* 
roertße Ejiftens auf,8 ©cßwerfte gefcßäbigt haben. SBir benfen 
an bie Dielen SBittwen unb SBaifen, benen burd) einen geber* 
ftricß ißr notdürftiger Unterhalt bureß ben Staat unDorßer» 
gefel»en Weiter gefdßmälert würbe. Durd) eine folcße ^Renten« 
bilbung fiebert )icß baSjenige ber Staat, worauf eS allein 
anfommt, nämlich (Generationen, bie jwar mögficßft im Sefifc 
gefiebert finb, bie fid) aber bod) Dom Kampf um’S Dafein 
fließt auSfcßliefefn fönnen, ba ber Sefiß, wenn nid)t8 ßinsu* 
lommt, allmälig lieber Derfcßwinbet. gamilien unb Staaten 
befommt eS meßt gut, wenn fie nur auf baS Serbraucßen 
angewiefen finb unb nidjt auf baS Erwerben. 2Ran braucht 
bafür taum Seifpiele ju nennen. Sübed im 17., Senebig 
im 18., £otlanb im 18. Saßrßunbert finb Seweife bafür, 
bafs eS für tganbelöftaaten nid^t juträglid) ift, wenn fie fid) 
»om Erwerben auf’s (Geniefeen legen, unb für menfcßliche Ser« 
ßältniffe fann jebe §anbel8ftabt genug als SBeifpiele berfelben 
Slrt geben. 

SBir müffen bie Wotßwenbigfeit anerfennen, bafe wir ftetS 
ben lanbroirtßfdßaftlidßen Setrieb lebensfähig erhalten müffen, 
unb bafe bähet ber Sauer gegen bie anberen Erben fcljr be= 
nachtheiligt ift, wenn er ihnen jwar baS gleidje Eapital auS« 
lehren fotf, ihm felbft aber fein eigenes Eapital nur als Sefiß« 
theil am Soben jugewiefen wirb unb ihm zugleich bie tßflicßt 
bleibt, juerft für bie Slnberen unb erft weiterhin für fid) unb 
feine Kinber bie 3>nfen aus bem Soben ßerauSsuwirtßfcßaften. 
„Wan Wirb," fdjreibt $aßn, „in ber StajiS nur bann su 
günftigen SRejultafen fomnten, Wenn man bie Slrt unb SBeife 
recht eingehenb ju fRatße sieht, wie fid) bie Säuern felbft, 
jum J01)eü in fd)Wierigen Serßältniffen, geholfen hoben. Sch 
möchte bafür s- S. auSbrüctlicß barauf hinweifen, bafe fehr 
Diele norbbeutfeße Sauernhöfc fich nicht im SRajorat Dererbeit, 
fonbern im ÜJfinorat, Wäßrenb ich für biefe in ber bäuerlichen 
flrajris recht bewährte Einrichtung aus bem abligen ©runb« 
befijj nur ein einziges Seifpiel auS Derßältnifemäfeig neuerer 
3cit fenne. 3 um anberen Dßeile wirb eS nothwenbig fein, 
ben Kleinbetrieb fehr Diel mehr auSsubeßnen unb ihn Dor ber 
Eefahr ju feßüßen, in groergwirtßfdßaft übetsugeßen unb ju 
oetlommen. 3wergwirthfchaft ift ein Setrieb, ber auf unge« 
nügenber Sobenflädjc unb mit ungenügenben ÜRitteln ben 
@rofe6etrieb naeßsuaßmen fuct)t; naturgemäß müffen auch 
große Slnftrengungen hier oft Don oornhetein erfolglos bleiben. 
Die ©ebiete ber 3wergwirtfd)aft finb baßer gefürchtete ©ebiete 
ber Serlumpung." DaS rationelle ©egenmittei ließt £>aßn im 
intenfioen Kleinbetrieb, ber auf ber ßodjften Stufe in jenegorm 
übergeßt, bie er in feinem SBetfe über bie §au8tßiere als ©arten* 
bau bezeichnet ßat. Er hat für biefe Unterfcßeibüng hier unb 
ba bereits SiHigung unb 3uftimmung gefunben. Der ©arten« 
bau liefert mit igußülfenahme ber Sewäfferung unb mit reicher 
Düngung ganj enorme Erträge, bie eine ausgiebige Ejiftenj 
auf winjigem Derrain ermöglichen. Diefer ©artenbau wirb, 
wenn erft bie SBohnungSrcform, befonberS burch eine ftarle 
Sauplaßfteuer, bie Umgegenb unferer großen Stäbte ben 
Klauen bet Speculation wieber entriffen ßat, in paffenbfter 
SBeife fich «nt bie ©rofeftabt mit ißren Sororten legen unb 
fo ben einjig Dernünftigen SluStaufcß jwifchen Stabt unb 
Sanb feßaffen. greilicß bebürfen wir, eße wir ju folcßem 
erfreulichen fRefultat lommen fönnen, noch einer grünbtießen 
SReform unferer Wiefelanlagen. Die Eanalifation, wie juerft 
Serlin fie gefeßaffen hat, unb wie fie jeßt fo Dielfacß nach* 
geaßmt wirb, ift muftergültig nad) ber ßßgienifchen unb ber 
ftäbtifeßen Seite ßin unb bie paffcnbfte unb bequemfte gorm 


für alle SujuSftäbte; fie ift äufeerft unpaffenb für bie ärmeren 
Dßeile ber Sebölferung, ba fie burch hie Koftfpieligfeit ber 
Stntagen bie SBoßnung feßon ungemein bertßeuert, eße nur 
ein einjiger Stein jum gunbament in ben ©runb gefenft ift. 
Sie jwingt baßer ben Sefißer ber ©runbftücfe, Diel §u ßoße 
SBoßnßäufer ju bauen, unb bie SBoßnungen Werben trofe ißrer 
Kleinheit fo tßeuer, bafe fie ju eng belegt werben müffen. 

Naturgemäß wirb man ©artenbau unb ©ärtner nur ba 
einfüßreit bürfen, wo fie bon bornßerein bureß SerfaufS* 
genoffenfeßaften, ferner bureß Eonferbenfabrifen unb ähnliche 
Einrichtungen gegen folcße Krifen gefeßüßt finb; unb wie eS 
überhaupt beim laubmirthfchaftficßen Setrieb gut fein wirb, 
ben Setrieb nießt allju einfeitig aufjufaffen unb alle feine 
Hoffnung nur an einen emsigen Waget su hängen, fo wirb 
eS fid) aueß hier empfehlen, ben ©artenbau möglicßft bielfeitig 
SU machen, ein Setfaßren, bem feine SRatur eigentlich gans 
Don felbft entgegenfommt. Die Seute in SBerber, bie Wegen 
beS näßen SerlinS eigentlich nur Kirfcßen $u sücßten pflegen, 
werben bei ber borjäßrigen (1899) SWifeernte ben SBinter über 
woßl ©elegenßeit haben naeßsubenfen, ob biefe Einfeitigleit 
gans richtig War. ^aßn meint aber, Wie überall im wirtß* 
fcßaftlichen Seben, fo fei auch ß)ier beim ©artenbau unb ßi«t 
gans befonberS ber genoffenfdßaftliche Setrieb ber einzig ratio* 
neHe. Die grüeßte unb baS ©emüfe geßen Dom Erseuger 
an SammelfteHen, fo bafe aucf) Heinere Erträge, s- S. ein 
paar Stangen Spargel, Derwertßet werben fönnen, unb fie 
Dertßeilen fieß Don ber Eentrale wieber an SerfaufSftetlen. 
9llS S r °hucte biefeS ©artenbaueS benft er fid) alle unfere 
©emüfe, s- S. audß baS grüßgemüfe, baS jeßt fo feßr auf* 
fommt, ben SRßabarber. 3llS wirißfchaftlicßeS fRüdgrat beS 
©ansen möcßte er aber unfere $ülfenfrücßte anfeßen. Erbfen 
unb Soßnen finb leiber an unferer heutigen SRaffenemäßrung 
nod) lange nießt in bem Umfange betßeiligt, wie eS gut wäre, 
©lüdlicßerweife fommen aber grüne Soßnen, befonberS bureß 
bie Eonferoenfabrifen, in ben breiteften Kreifen immer meßr 
unb meßr in Slnwenbung. Schließlich ift ja jeber SBeg s« 
toben, auf bem bie „als auSfcßliefelicße SolfSnaßrung entfeß* 
ließe" Kartoffel ein wenig snrüdgebrängt wirb. 5lucß Dbft* 
genoffenfeßaften unb Dergleichen gehören su tpaßn’S wirtß« 
fcßaftlicßett Programm. 

Sin feßöpferifeßen Sbeen unb sielweifenben ©eficßtSpunften 
ift ^>aßn’S Socialfritif befonberS in jenen Slbfcßnitten reich, 
bie fieß mit ber Socialbemofratie befcßäftigen. ißräd)tig ift 
ßiet sumal, Wie er ißre wiffenfcßaftlidßen Klnfprücße serpflüdt 
unb fie „Don jebem 3 ll fammenßang mit ber gefcßicßtlicßen 
Erfenntnife unb mit ben naturgefcßicßtlicßen Dßatfacßen" Döflig 
freifprießt. Unb naeßbem er baS länbet« unb DölferDerberöcnbe 
Dreiben ber Sörfc fcßonungSloS an ben Singer fteHt, jeigt 
er fieß als warmßersiger greunb ber probuctioen Stänbe unb 
unferer Slrbeiter im Sefonberen. WicßtS fei an ißrem Serfall 
in fo ßoßem ÜJiaafee aber betßeiligt, wie unfer ungeheuerliches 
SBoßnungSelenb, füßrt er aus. „Serlin wäcßft jeßt auf bie sweite 
ÜRUlion su. Sonbon ift feit langer 3 e ü «i* 1 « SRiQionenftabt 
unb ßat bie fünfte ÜRillion hinter fieß! ES ift oßne greifet 
nießt su Diel gejagt, Wenn man behauptet, bie 3uftänbe SonbonS 
als günfmiüionenftabt feien Doflfommen unhaltbar! Dabei 
weife i(ß f e ß r woßi, bafe gerabe in leßter 3 £ it oueß in Sonbon 
Saufpecutation unb Sauwucßer eine große Wolle fpielen. Daß 
eS audß in Sonbon Srutftätten beS ElenbS unb beS SafterS giebt, 
wiffen wir ja Sille auS Sos*DidenS. 9lber in Sonbon ift bie 
gans überwiegenbe SRajorität aller Käufer Don Einseifamilien 
bemoßnt, wäßtenb Sremen bie einige ©rofeftabt ift, in ber 
auf beutfeßem Soben baS EinselßauS nodß überwiegt. SBir 
finb gewoßnt, biefe Sefißüerßältniffe in Englanb als gans 
Surüdgebliebene 3 u ftänbe ansufeßen, eS Wiberfprad) ber 
liberalen Slnfcßauung su feßr, bafe einige englifeße Slriftolraten 
einen Dßeit ißrer ßorrenben Einnaßmen auS bergleicßen Sefiß 
Sicßett, unb nur auS biefem ©runbe faß man baS ganse 
Sßftem für Deraltet an. SRan überfaß natürlich gleidß, bafe 


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260 


Die (Segenmart. 


Nr. 17. 


mancße ber größten woßltßätigen unb wiffenfdjaftlicßen Snfti* 
tute auf benfelben Scftß funbirt tparen. iRuii werbe icß 
ftcßer nießt oorfcßlagen, Sänbereien, welcße ber ftäbtifeßen Se» 
bauung in fürjerer ober längerer 3 e it öerfaCten »erben, an 
hochgeborene gamilien als feubaleS Sehen gu Uerttjeiten, aber 
bie Wunberbaten S3tütf)en, bie anbere Seute oon unferer 
heutigen ©runb» unb £>auSbefißer»2lriftofratie ertoarten, tann 
ich auch immer noch nicht entbecfen. 3cß foüte aber benten, 
unfere ©emeinbeoerwaltungen ßcitten “He Urfacße, mit ber 
fßolitil beS ©eßenlaffenS unb beS ©cßlenbrianS, bie ßiet big» 
her überall unb in ben allergrößten ©täbten, fo in Serlin 
unb Seipgig gumeift, geßerrfcßt hat, gu brechen. Sä) erwarte 
namentlich öon ber rührigen Verwaltung irgenb eines Ser» 
liner SiüenOorortS, baß fie recht halb ein ÜBiHenterrain oer» 
fucßSweife gur 100 jährigen ^ßacfjt JteQt. 100 Saßre, bie auch 
in (Englanb öielfad) gebräuchlich finb, fchließen brei ©enera» 
tionen ein, in benen eine gamilie gumeift auffommt unb 
erlifcht ober auch ih re ©lüdSumftänbe fo gang geänbert hat, 
baß ber frühere Sefiß bei ©runbftüds für bie fpäteren ÜRit= 
glieber ber gamilie hoch bebeutungSloS geworben ift." ?lber 
auch bann, wenn wir in biefer Segießung ^Reformen ein» 
geführt ßaben, wirb ber Uebelftanb immer noch bleiben, 
baß bie Sßoßnungen ber lleinen Seute einen unoerßältniß» 
mäßig Oiet größeren %ßeil ihrer (Einnahmen oerfcßlingen als 
bie ber reichen Seute. £»er will nun Dr. £aßn ben ©teuer» 
apparat fpieten laffen, weil ja hoch biefe gange Singelegen» 
heit ber aHerfcßärfften Slufmerffamfeit ©eitenS'ber Seßörben 
bebarf. „Sic SBoßnungen, gumal bie 2RietßSWoßnungen, 
finb in ungeheuer Diel größerem SRaßftabe eine öffentliche 
Slttgelegenßeit, als bie getreu £)au3befißer meinen unb fi<ß 
gefallen laffen würben, wenn man fie allein fragen wollte. 
Sch würbe eS baßer für angebracht halten, gerabe in einer 
SRietßSfteuer eine ber beträcßtlicßften Duellen ber ftäbtifeßen 
(Einnahmen gu fucßcn, um biefe SSer^ältniffe möglicßft in bie 
Ipanb gu befommen. 91bet meiner SReinung nach genügt eS 
burcßauS noch nicht, menn wir eine folcße SRietßSfteucr bloß 
progreffio machen, alfo um etwa 3al)(en gu erwähnen, an bie 
icß m id) nießt gebunben eraeßte, bei 500 SRarf 2 °/ 0 , etwa bei 
1000 3Rarf öielleidEjt feßon 5 °/ 0 , bei 5000 10°/ o unb bei 
über 10000 20°/ o : baS würbe mir noeß nießt bie nötßige 
©dhärfe ber Seftimmungcn geben. Scß würbe eS oielmcßr 
al§ ber ©erecßtigleit burcßauS entfprecßenb unb für alle 93er» 
ßältniffe burcßauS treffenb anfeßen, wenn man in gweiter 
Sinie bagu bie factifcßen SJaumoerßciltniffe ber SBoßttung be» 
rüdfießtigte unb baneben enbtieß bie Slngaßl ber Semoßner 
als Sioifor cinführte. ©o würben wir eS erreichen, was boeß 
reeßt wünfeßenöwertß ift, baß ber £>err 9lufficßtSratß unb 
Dr. jur. in ber Seletage für feine 7 3immer, bie er nur 
mit feiner Sebiennng tßeilt, im SBerfjältniß benn boeß gang 
erßeblidß tiiel meßr begaßten muß, als ber Dberleßrer mit ben 
6 Söcßtern im 4. ©tod, unb icf) würbe burcßauS nießt un= 
glüdlicß fein, wenn beim glidfcßneiber im ^interßof mit 
©tube unb Äücße unb 4 Äinbern baS SRefuItat unter ÜRuU 
fiele! Scß Würbe aber aueß biefe URietßSfteuer itocß nießt als 
ootlwertßig anfeßen, wenn bie ©emeinbe fie nießt noeß mit 
einer reeßt fdßarfen SabenmietßSfteuer öerbänbe. Siefe Saben* 
mietßSfteuer müßte nießt ber SRietßer gu tragen haben, fon» 
bern ber Sermietßer, unb auf biefent SBege allein, glaube icß, 
tonnen mir ber unfeligen ©ueßt ber ©runbftüdSfpeculanten, 
bie gange ©traßenflucßt aueß in ben ©eitenftraßen unferer 
©roßftäbte mit Säben unb 3?eftaurationcn gu garniren, bie 
ja natürlich aueß unter biefe SRietßSfteuer fielen, abßelfen. 
Sie ©peculation ßat nirgenbS eine fo fcßlimme ©eite aufgu» 
weifen, wie biefen Ueberfluß an tleinen Säben für Keine 
Seute. ÜRan braueßt nur irgenb einen Srauereibefißer gu 
fragen, welch’ gräßließe ÜRifere im gfafcfienbier^anbet, ber 
gerabegu eine Somäne ber StuSficßtSlofen unb Sefißlofen ge» 
worben ift, ßerrfeßt." 

9Rit Vergnügen benterft man, baß um ©erlin herum fieß 


bie fogenannten Saubenftäbte ober Saubencolonien in immer 
größerem SRaßftabe auSbeßnen. tpaßn füreßtet, baß biefe 
(Einrichtung in anberen ©egenben noeß lange nießt fo befaitnt 
ift, wie fie fein follte. Saubencolonien nennt ber ©erlinet 
©runbftüde, — jumeift SBaupläße, bie noeß nießt-bebaut 
werben füllen, — bie in Keine ißarjeflen oertßeilt als ©ärteßen 
an Keine Seute für billiges ©elb oermietßet werben. Äß 
fefte (Einrichtung tennen wir folcße Saubenftäbte aus Seipjig, 
wo fie naeß bem oerbienten ©rünber als ©cßreber»ißlähe be» 
jeießnet Werben. $ier ift' bie ©aeße ganj feft organifirt, bie 
©cßreber» Vereine finb fociate SBerbinbungen, bie aueß im 
SEBinter jufammenßalten; ber ©runb unb ®oben geßört bem 
herein, eS ift eine regenfefte Ipatle für bie ©efammtßeit not» 
ßanben, für ben gemeinfamen Sinberfpielplaß ift für ftänbige 
Slufficßt geforgt, bie ganzen Sin lagen, aueß bie Sauben ber 
einjelnen Sßeilneßmer, finb beßaglicß unb ftabil, furj biefe 
Seipjiger ©dßreber»ißläße, fo gut, ja auSgejeicßnet fte finb, 
beweifen jWar, wie leicßt man mit einigem guten SBiüen unb 
einigem Sntereffe für’S ©emeinwoßl ju folgen fegenSteidjen 
Einlagen lommen fann, aber bem eigentlichen Slrbeiter finb fie 
nießt meßr jugänglicß; für ißn finb fte gu tßeuer. SaS braucht 
unS aber natürlich n *cßt gu ßinbern, anberSwo mit berfelben 
Slbficßt auf befetjeibenerer SBafiS torgugeßen. SBefonbetS wirb 
eS überall anguerfentten fein, wenn ber (SifenbaßnfiScuS, ber 
naturgemäß tnancßeS ©runbftüd auf Saßrgeßnte ßinauS üoraus 
laufen muß, bergleicßen ©runbftüde in biefer Strt oerwerthet 
©S wirb aber gut fein, wenn man immer üerfueßt, wenn aueß 
itocß fo lofe, eine genoffenfcßaftlitße gorm bet ©elbftoerwal» 
tung eingufüßren. Ser gt^ cllg ift ungemein ungeeignet, irgenb 
etwas ßuman gu »erwarten, ©cßabloniftren unb tßrannifiren 
liegt ftetS naße, unb jebe gorm ber ©elbftoermaltung ift befftr 
Siefe Saubencolonien mögen manchem warmßergigen ©ocial» 
politifer als ein feßr bürftiger (Erfaß eines feften (Eigentums, 
als ein noeß üiel gu geringer Slntßeil am nationalen ®efis | 
erfeßeinen, fie finb nießtsbeftoweniger für unfere Slrbeiterdafje 
unettblicß wießtig. Um baS ooü eingufcßäßen, muß man wiffen. 
Wie entfeßlicß leer unb freubentoS baS SageSbafein unferer 
Strbeiterfrauen fieß abfpielt! Dr. §aßn fd)lägt baßer not, 
baß bie ftäbtifeßen Sßermaltungen feßon jeßt für folcße Sauben» 
ftäbte ©runbftüde, bie boeß fpäter einmal bebaut werben 
ntüffen, gunäcßft ber IBaufpeculation entgießen unb für ben j 
ftäbtifeßen ®efiß fießern, unb er würbe ben ©runbgtnS einer 
folcßen Saubencolonie als feßr ßoeß unb ben ©rtrag als feßr ] 
geminnbringenb anfeßen, aueß wenn bie ©enoffenfeßaft ber 
ißäcßter nur ein paar fiunbert SRart in ben ©tabtfädel 
feßüttete. 9luf alle gälle loßnte. eS fieß, biefe SBorfdjläge ein» 
mal auf bem ©ebiete ber Sßeorie in baS praftifeße Seben 
überguleiten. 


bem ^rbeiterleben in ttnfüanb. 

58on gabrifbefi^er Dr. pbil. Marl Etoetgel (®to8lau). 

(Scßlub.) 

SEBaS ben (Eßarafter beS ruffifdßen StrbeiterS, refpectine 
Säuern, an betrifft, fo muß man, um ißn gereeßt gu be« 
urtßeilen, nie außer Slcßt laffen, baß er fieß Saßrßunberte 
lang in Seibeigenfcßaft befanb unb erft feit einem SRenfcßen« 
alter aus berfelben befreit ift. hieraus erflären fieß faß 
alte feine fo oft unb ftreng gerügten geßler. 3 un “cßft wieß 
man ißm mit 99ed)t tor, baß eS ißm an ©ewiffenßaftigfeit 
feßle, alfo an .tieferem Sntereffc für baS 9£Berf feiner ^änbe. 
Slber baran muß man ißn fieß erft gewößtten laffen, naeßbem 
er Saßrßunberte lang lein Sntereffc für feine Slrbeit ßaben 
tonnte, ba er ja nur für Slttbere, nie aber für fieß felbft 
arbeitete, ©enäßrt unb geprügelt würbe er fo wie fo. 
felbe gilt oon feinem notorifeßen SRangel an (Eßrgeig. Sr 


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Nr. 17. 


Die töegenwart. 


261 


fjat e6en als Seibeigener gar feinen (Sfjrgeij befriebigen fönnen, 
fonbern toar ftünblid) Don ber adju oft fjödjft brutalen unb 
ungerechten Saune feines fterrtt abhängig. Daraus erflärt 
fich tooht auch fetn, jebem 3 tem ^ n fo auffadenber paffiber 
Fanatismus. Denn bamalS War fein F a * um » theiltoeife, 
toenigftenS, nicht ber eigenen Süchtigfeit anheimgegeben, fonbern 
fein Fatum toar bie SBiüfür feines |)etrn. Oft hört man Don 
in Stufjlanb anfäffigen Deutfd)en bie Sehauptuitg, eS fei mit 
bem rixffifchen Arbeiter leichter auSjufommen als mit bem 
beutfehen. Sch fann bem nicht uubebingt beiftimmen. Ser beutfefje 
Arbeiter toid als felbftftänbiger Wann behanbclt »erben, »aS 
er auch ift, ber ruffifche bagegen ift noch ein Äinb unb hat 
fich nod) nicht baran gewöhnen fönnen, bah er eine menfehen* 
toürbige Sehanblung rechtlich ju beanfpruchen hat. Daher ift er 
feinen ©orgefe£ten gegenüber oön einer jebem wefteuropäifchen 
Arbeiter Verächtlichen Untertoürfigfeit unb täfet fid) fehr viel 
gefallen. DaS mögen bie betreffenbett Herren unter „gut 
auSfommen" berftehen. @S herrfdien eben noch ganj tier * 
altete ©orftedungen fotoohl beim Arbeiter, ber fich feinem 
fjerrn gegenüber leicht toie ein Seibeigener Oorfommt, als aud) 
fern gabrifficrrn felbft, ber fich vielfad) in ber SRollc eines 
„Sarin“ (®utSherr jur 3 e 'l ber Sei beigen f d)a ft) gefällt. 
Ipaben mich boef) fonft burchauS aufgeflärte ruffifche gabrif» 
herren allen ©rnfteS Verfichert, eS fei nötf)ig, ben ruffifchen 
Arbeiter ab unb ju ju fchlagen, ba er fonft nicht feine 
Pflicht öerftefje. ©djabe, bah berartige Fälle faft nie 
jur Sinnige gelangen. DaS ©efeg verfteht barin feinen 
©pafe. Aber ber Arbeiter felbft hat eben, toie immer toieber 
betont »erben muh, «och nicht ben Segriff feiner Wenfdjen* 
toürbe erlangt. Weinen perfönlichen (Erfahrungen nach ift 
ber ruffifche Arbeiter ftetS höflich unb gefällig. Aud) ift er 
im Allgemeinen nicht roh- ©o fann j. S. in WoSfau ein 
junges Wäbchen jeberjeit bie «Straffen paffiren, »eiche an 
groben Fabrifcn üorbeiführen unb tooit Arbeitern überfdjtocmmt 
finb, ohne befürchten ju müffen, irgenbwie, fei eS auch nur 
burcf) ßurufe, behelligt ju »erben. «Stöbt aud) einmal irgenb 
ein Setrunfener mit ihr jufammen, fo toirb er meiftenS höf* 
lieh feine Wiifje Riehen unb um ©ntfdjulbigung bitten, bah 
er fo betrunfen ift. hieran fönnten fid) bie »cfteuropäifchen 
Arbeiter inSgefammt ein Seifpicl nehmen, ba ju ihren ftarfen 
Seiten bie ^öflidjfeit gegen oorübergeljenbe tarnen entfliehen 
nicht gehört. (Ebenfalls hö<hft fpmpathifd) ift bie Art, roie 
ber ältere Arbeiter mit ben jungen Arbeitern, ja felbft mit 
ben Fabrifjungen berfefjrt, ganj toie mit Seinesgleichen. Stt* 
beffen ift hierbei aud) vielfach toieber fein Wangel an SSürbe 
toahrjunehmen. Suben finb eben Suben unb lohnen fold)’ 
freunblidjeS (Entgegenfommen meiftenS mit Frechheiten. Der 
ältere Arbeiter in Deutfdjlanb thut barum fehr wohl baran, 
ftetS eine ©efpectSgrenje jtoifdjcn fich unb ben jüngeren 
Arbeitern hefteten ju taffen. Die F a ürifjungen bodenbS 
erfennt er gar nicht als Seinesgleichen an; aber er fdjlägt 
fie vielfad), »aS ber ruffifche Arbeiter nidjt thut, benn er 
ift oiel gutmüthiger, Wenn auch toürbelofer. Auffadenb ift 
bei bem ruffifchen Arbeiter ber Sinn für baS bem Auge 
SBohlgefälUge, Decoratioc. Drägt man j. S. einem Difchler 
eine einfache Aufgabe auf, fagen wir, eine ©allerie mit 
©etänber ljerjufteden, fo toirb er faft nie öerfäumen, bie 
Sorte beS ©elänberS mit einem fehr nieblichen fpifcenartigen 
Ornament ju berfehen, baS er mit ben einfachen Wittein 
in ber fürjeften $eit fertig bringt. DaS beutet entfliehen 
auf angeborenen Slunftfinn. Defjgleichen bemerft man oft in 
Dörfern in ben ©iebelfenftern ber meift fehr primitioen unb 
baufälligen Jütten gefd^ni^te Fenfterraf)men oon auffaUenber 
Originalität in ber Ornamentif. Schabe, bah man biefe bis 
jefct noch fo toenig getoürbigt hat. (ES finb bieS 3 eu gniffe 
einer ©ollSfunft, Welche unmittelbar aus ber ©ollsfeeie 
ftammt, ba bocfj bon ©oröilbern auf bem Sanbe nicht bie 
Siebe fein fann. 

Die oerbreitetfte SerufSauffaffuttg beS ruffifchen Arbeiters 


bürfte barauf fuften, fich mit mögtichft geringer Anftrengung 
ben SebenSunterhalt ju oerbienen. Wacht man ihn auf 
irgenb eine ©flichtbergeffenheit aufmerffam, fo jieljt et in 
ber Siegel fehr höflich feine Wü^e unb fagt fehr freunblidj 
baS 3auber»ort: „SBinatoat" (»örtlich: Sch bin fchulbig, mit 
bem Sinne: SSitte um ©ergebung). 3BaS fann man ba noch 
fagen? Der oben betonte völlige Wangel an ©hrgeij äuhert 
fich barin, bah ber ruffifche Arbeiter mit feinem fo überaus 
alüdlichen (Eharafter fich bei feiner frugalen SebenStoeifc, ben 
finblidjen Siäfchereien unb finblidjen ©ergnfigungen fo Wohl 
fühlt, bah er gar nicht baran benft ju aoaitciren. ©ine bunue 
©orftedung oon bamit jufammenf)ängenben gröberen ©flidjten 
ftfjredt ihn vielleicht auch ab, inbem er fürchtet, fid) bann 
nicht mehr fo gehen laffen ju fönnen. Allenthalben toirb 
geflagt, eS fei fo fd)wer, ruffifdje Weiftet unb Untermeifter 
heranjujiehen. Sn ber Dhat finb auf fehr oielen Fabrifen 
bie Weifterfteden oon AuSlänbern, bortoiegenb Deutfd)en unb 
(Englänbern, befe^t. Die Se^teren oerftehen eS fehr wenig, 
mit ben Sluffen umjugehen unb haben burch ihre Sfohheiten 
fdhon ju bielen (Eratoatlen ©eranlaffung gegeben, wobei fie 
oielfach nach ©erbienft tüd)tig burdjgeprügelt würben. ®en 
beutfehen Weiftern toirb felbft Don Sfuffen jugeftanben, bah fie 
bie Arbeiter beffer behanbeln als bie ruffifchen Weiftet. Seiber 
bedangt inbeffen bie ©eredjtigfeit baS bem ©atrioten fchmerj* 
liehe ©eftänbnih, bah fi«h bie beutfehen Weiftet ben in ruf* 
fifdhen Setrieben herrfdjenben moralifchen Segriffen, nament* 
lidj bon (S^rlic^feit, nur aüju fehr affimiliren. ®ieS 
nebenbei. , 

®ie Slegierung fucht fd)on feit einiger 3 e «t bie @r* 
langung bon WeifterfteHen für AuSlänber fdjtoeret ju machen 
unb fomit ihren SanbSleuten biefe ©often ju fichern. @S 
mag ja auch höoftö bie ©h r furcht bor bem AuSlänbifdjen an 
fich fein, bie beit ungebilbeten Fubrifanten ben AuSlänber 
bem Siuffen bor^iehen läht. Snbeffen bürfte bieS mehr bei 
(Ehemifern unb £ecf)nifern ber Fad fein. Sei ben Weiftern 
liegt ber |>auptgrunb tooljl bo<h barin, bah ^ bem einfachen 
Siuffen bis jegt noch an ©h.rQeij fehlt, unb er bei feiner ge* 
ringen Silbung noch gar lein ©erftänbnih h at für eine burch 
eigene Stüchtigfeit erlangte biffere SebenSführung. SBie fehr 
ihm biefeS ©erftänbnih noch abgeht, h“be ich oft mit Se* 
bauern barauS erfannt, bah eilt borget fehr braber Arbeitet, 
Wenn man ihm jum fioljne für gute Ceiftungen eine ®e= 
haltSjulage gab, plöglich anfing ju trinlen. ©r touhte eben 
butd)auS nid)t, toaS er fonft mit bem (Selbe anfangen fode. 
®iefeS Seifpiel ift ungemein bejcid)ttenb für ben Unterfdjieb 
jreifchen bem wefteuropäifepen Arbeiter unb bem ruffifchen in 
ber je|jigen UebergangSperiobe ber ruffifchen Subuftrie. — 
AuS bem ©efagteit fann man fd^liehen, bah eS im Adgemeinen 
nicht fehr fdjtoer ift, mit bem ruffifchen Arbeiter auSjufommen. 
SSentt trogbem ernftere Arbeitercratoade nicht fehr feiten finb, 
fo fann matt fidjer fein, bah ftetS bon ©eiten ber ©ertoat* 
tung eitt F e hi et vorliegt. (Denn eS lebt im ruffifchen ©olfe 
ein grober, angeborener ©eredjtigfeitSfinn. 

Ohne ©runb toirb fein Aufruhr entftehen, unb wenn 
öfters bie F°*0 en in feinem ©erhältnifj ju ber ©eranlaffung 
ftehen, fo barf man eben nidjt bergeffen, bah ntan eS mit 
einer oodftänbig ungebilbeten Waffe ju thun hat, bie ber 
©erführung bon Seiten einiger §auptfchreier faft ganj fritif* 
los gegenüber fteht. A6er bennoch Wäre biefe ©erführung 
toirfungStoS, fads nicht toirflidj eine empfittbli^e Ungeredjtig* 
feit ju ©runbe läge. Auherbem ftedt im ruffifchen ©olfe 
ein grober |>ang, fich an ^ en eigenen ©Sorten ju beraufchen, 
(wofür fie baS bejei^nenbe SBort befigen „oratorfttootoatj" 
bon „orator" ber öffentliche SJebner.) 

©S bleibt noch übrig, einige ©Sorte über bie ruffifche 
Arbeiterin ju fagen. (Dah bie ruffifdhe Frau aus bem ©olfe 
int Adgemeinen ein borjüglicheS Wenfdjenmaterial ift, bürfte 
fdjon auS ber ruffifchen Siteratur befannt fein. (Dah fie eS 
jubent mit ihrem Wanne nicht leicht ljd> ertoeift Wohl bie 


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262 


5D»* d&egenwttrt. 


■Nr. 17. 


borf)ergegangene ©parafteriftif beffetben.Tf- Sn ber dpat trägt 
bie ruffifc^e Bauernfrau in aller ©title ein großes, fdjtuercö 
aRartpriunt unb oerfcpwenbet wapre ©djäpe bon Aufopferung, 
©nergie unb rüprenber ©etbftlofigfeit au äRänner, bon beneu 
fie in ber drunfenpeit mißpanbelt unb roirt^fc^aftlicf} häufig 
auSgebeutet wirb. denn waS bie grau erwirbt, bertrinft ber 
aRann. SSifI fie eS niept freiwillig pergeben, fo fcßlägt er 
fie. dabei pängt biej ruffifepe grau^an ipretn 9Ranne mit 
einer für unfere Begriffe gerabeju fclaoifcßen Ergebenheit. 
3Rag er fie in ber drunfenpeit aud) palbtobt. fcplagen, 
immer feprt fie wieber ju ipm jurüd unb ift überzeugt, baß 
er fich beffern wirb. daS ift wopl fepr wütbeloS, aber Diel* 
leicht fepr weiblich, wenn auep im unmobernen ©inne. diefe 
paar SBorte jur SBütbigung ber berfannten ruffijeßen grau 
aus bem Bolfe im Allgemeinen. AIS Arbeiterin ift fie fepr 
fleißig, befeßeiben, oon pöflid)em, anftänbigem Benehmen unb 
beifpielSlofer AnfprucßSlofigfeit. 3?£i<±) perfönltch pat & immer 
gerührt, wenn im Sommer, bebor bie gabrif naep ber 3J2ittagö= 
paufe wieber geöffnet würbe, bie armen 3Räbcßen in ber 
glüpettben Sonne ftänbeu unb heitere — aber burepauS parm* 
lofe — BolfSlieber fangen. SBaS ihre SOiorat anbetrifft, fo 
bürfte pier baffefbe gelten wie bei ber Beurteilung ber 
Wefteuropäifcpen Arbeiterinnen: baß es nämlid) fepr billig 
ift, barüber abzuurtpeilen, inbem boep bie allerwenigftcn eine 
Ahnung babon paben, welcßen fittlicpen ©efapren eine atme 
Arbeiterin auSgefept ift. 

daß übrigens bie ruffifepen Arbeiterinnen befonberS im 
SRufe ber Unmoraf ftänben, ift mir nicht befannt. Aufgefallen 
ift mir bagegen immer ißr anftänbigeS, nicht perauSforbenbeS 
Benehmen unb bet oft fepr liebliche ©eficptSauSbrutf. AuS 
allem ©efagten bürfte jur ©enüge erfieptließ fein, bor eine 
wie feßroierige Aufgabe bie ruffifepe ©efeßgebung geftellt war. 
Unbebingt nötpig erwies fiep ber ftaatlicpe ©cßuß ber Arbeiter 
gegenüber gabrifperren, tuelcpen nod) auS ber geit ber 2eib= 
eigenfeßaft per ber Begriff anerzogen War, in bem Bolfe nur 
eine ©aeße ju fepen, gerabe gut genug, um burep ipre fmlfe 
reich j“ werben. AnbererfeitS war unb bleibt eS eine ßöeßft 
bifficile uub riSfante ©aeße, Arbeitern,’.Wetcpe ttoeß gar ni<ßt 
jum Bewußtfein bet petfönlicpen SBürbe bureßgebrungett finb, 
eine SReiße oon fRecßten gegenüber ben gabrifperren einjii'- 
räumen. ÜRußte man boep fieper fein, baß fie fcpwerlicp ein* 
fepen würben, baf} biefe SRecßte nur burep Ißflicpten bebingt 
werben, ©eßließließ liegt ein erfcßwerenbeS 3Roment für bie 
gabrifgefeßgebung auep noep barin, baß bie Arbeiter gleich* 
Zeitig Bauern finb unb als folcpe noep ganz beftimmte 9Rücf= 
fiepten oerlangen. Unter folepen Umftänben ein beibe dßeile 
ZufriebenfteüenbeS ©efeß ju fepaffen, war oon oornperein 
zweifelhaft. die wefteuropäifepe Arbeitergefeßgebung, fonft 
baS naturgemäße Borbilb ber ruffifepen, war eben boep ganz 
anberen BilbungSoerßältniffen angemeffen. Snbeß gilt in ber 
Bolitif Wie im B r < Dat l e ^ en ber ©runbfaß, baß man nur 
immer baS Befte erftreben foH, wenn eS auep noep fo unauS* 
füprbar erfepeint; mit ber geit wirb man bei fortgefept gutem 
SßiHen fdpon bem SRieptigen nape fommen. die ruffifepe 
gabrifgefeßgebung pat biefen SBiÖen ftets geßabt, wie jeber 
objectioe Bcurtßeiler zugeben muß. Beftänbige, zeitgemäße 
Beränbcrungen am gabrifgefeße laffen jubem erlernten, baß 
man burepauS niept oon ber Unfeplbarfeit beS beftepenben 
©efepeS überzeugt ift, fonbern fiep oielmepr eifrig bemüpt, eS 
immer mepr ben beftepenben Bcbürfniffen anzupaffen; unb 
bieS bürfte ber einzig paltbare ©tanbpunft fein. denn jebeS 
©efep ift etwas SebenbigeS. daS befte ©efep ift ja baS, 
welcpeS am meiften ben perrfepenben ©ebräueßen entfprießt; 
©ebräuepe finb aber einem fortwäprenbcn Sßecßfel unterworfen, 
droß Allem ift eS boep nur allzu begreiflich, baß fepr oiele 
gabrifperren mit bem ©efepe unzufrieden finb unb bepaupten, 
baß man ba oben gar niept ben Arbeiter fenne unb ipn ge= 
rabczu zur Unbotmäßigfeit reize unb fo gegen fein cigenfteS 
Snteieffe panbele. ÜRatürliep fönnen biefe gabrifperren noep 


niept bie .ßeit Oergeffett, wo fie mit ben Arbeitern umgingen 
wie mit fieibcigcucn, unb ppgienifepe Botricptungen für eine 
lächerliche Sentimentalität galten. Am lauteften fepreieu 
felbftocrftänblicp diejenigen, bie burep baS ©efep birect Scpabat 
erlitten paben, wie z- B. jene fepr großen gabrifperren, toelepe 
bie ©trafgelber ber Arbeiter gerabezu als ©innapmequeüe ei< 
ploitirten, bis ber Staat naep manepetlei ©canbalen bie 55e= 
ftimmung erließ, baß alle Arbeiterftrafgelber in bie ©taats- 
caffe zn z«plen feien, hierzu muß über biefetben ein genau« 
Bucp gefüprt werben, baS jebeS palbe Sapt ber ^Solt^ei jnr 
Sontrolle einzureidjen ifl die AuSzaplung erfolgt, fobalb 
100 iRubel üoU finb. AuS biefem Beifpiele erfiept man 
beutlicp, wie baS, waS bei uns eine beleibigenbe Beoormunbung 
beS Arbeitgebers wäre, fiep pier zum ©epupe beS Arbeiters 
als bringenb notpwenbig erweift. Auf äpnlicpe SSeijc 
mögen auep bie gejeplicpen Berbote entftanben fein, ben ?lr= 
beiter in anberen ©clbpapieren als in SrebitbilletS ober in 
SebenSmitteln z» bezaplen. (£S baute fiep eben baS ruffifepe 
gabrifgefep baburep auf, baß eS ©epritt für ©epritt ben §(us= 
fdjreitungen ber oon ber Seibeigenfcpaft per oetwöpnten gabrib 
perren entgegentrat. 3Rit unferen Begriffen beeft fiep baper 
BicleS niept. UnS würbe eS z- B. auep beleibigenb unb pro»o= 
cirenb erfdpeinen, baß in jebem größeren gabrifSraume ein 
Blacat auspängen muß mit ber Abreffe unb ber ©mpfang«= 
ftunbe beS gabrifinfpectorS. ^»ier ift auep biefer Beftimmung 
bie Beredjtigung niept abzufpreepen. SBaS nun bie gabril-- 
infpectoren jelbft anbetrifft, bie eine oiel größere äRacptta 
fuguiß paben als in deutfcplanb unb oon betten man fepr 
oft befuept wirb, fo ift über biefe Snftitution fepon fepr oiel 
gcflagt worben, ©icperlicp artet auep oielfacp ber große Eifer 
in fteinlicpe ©picane auS, inbeffett fann icp naep meiner per 
fönlicpen ©rfaprung nur zugeftepen, baß man in ber SBapt 
ber Snfpectoren fepr oorfieptig geWefen z« fein fdpeint unH 
meiftenS gebilbete, woplwoHenbe, oernünftige aWenfcpen aus- 
toäplt, mit betten man fiep fepon einigen fann. — BefonberS 
oerurtpeilt wirb bie 14 tägige ÄünbigungSfrift ber Arbeilet 
An unb für fiep ift bas eine burepauS zmecfentfprecpenbe, 
pumane Einrichtung. ©S liegt auep burepauS niept im Sinne 
beS ©efepeS, weun eS in unerlaubter äöeife auSgebeutet wirb, 
diefe ©efapr birgt eigentlich jebeS ©efep. ©eiten wirb man 
einen Arbeiter, bem man gefünbigt pat, bie 14 dage arbeiten 
laffen, in ber fepr richtigen Annahme, baß ein folcper mebr 
©d)aben anrieptett, als Arbeit leiften Wirb. 3Ran zaplt ba* 
per bem gefünbigten Arbeiter ben 2opn für 1 / 2 3Rottat aus 
unb läßt ipn laufen. ÜRun ift eS nur allzu menfeplicp, baß 
fcplecpte Elemente baS in iprer SBeife benupen. SBiH z- *• 
einer, ber fein ©elb burepgebraept pat, weiter bummeln, fo 
fept er eS barauf an, baß ipm gefünbigt werbe unb er io 
auf einmal oerpältnißmäßig oiel ©elb in bie §anb befommt. 
gür biefen leiber niept gerabe feltenen gatl ift aber baS ®e* 
fep in feiner Söeife oerantwortlicp zu maeßen. Sm Aflge* 
meinen wirb man baS llrtpeil über bie ruffifepe gabrifgefep* 
gebutig bapin zufammenfaffen müffen, baß bicfelbe eine SRotp- 
wenbigfeit war unb trop mancherlei aKett a?eueinrieptungeu 
anpaftenben B e banterien boep überwiegenb 9£upen bringt. 
Bei ber ftarf peroortretenben denbenz, fiep immer mepr ben 
Bebürfniffen angupaffen, wirb fie mit ber $eit immer fegenS- 
reieper wirfen, unb bieS wirb auep oon ipren bis jept noch 
Zaplreicpen geinben anerfannt werben müffen. 

©in großes §emmniß für bie ruffifepe Snbuftrie finb 
bie zaßlteicßcu geiertage. 9Ran zäplt burepfcpnittlicp punbert 
arbeitsfreie dage im Sapre. ©ine birecte ©cpäbigung burep 
bie Soncurrenz fann zwar pierburep niept entftepen, ba ja 
alle ruffifepen gabrifen an biefe gaertage gebunben finb, 
unb ba ferner, foweit auSlänbifdie ©oncurrenz in Betracht 
fommt, bie fRuffen burep bie oiel geringeren ©epälter biefen 
fRacptpeil reieplicp aufwiegen. Snbirect jeboep ift ber ©epaben 
ein fepr großer burep bie bamit oerbunbene demoralifation 
ber Arbeiter. Oft faßen z®ei geiertage pintereinanber nnb 


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Die (Degenroart. 


263 



Nr. 17. 


bilben fogar nicht feiten burcß ben fid) baran fcßließenben 
©ouutag eine Sieitje non Drei arbeitsfreien ©agen. Klus 
Sangerweile fängt ber Arbeiter an gu trinfen, oertrinft fein 
®eßält, foroie feine Äleibung bis auf baS KlHeritötßigftc unb 
hat für fein (Selb bann einen mehrtägigen Äaßenjammer, ber 
i^n gut Klrbeit untaug(icf) macht unb oft feine ©ntlaffung 
herbeiführt. fRatürlid) trei6t eS nicht Seber gleich fo fd)limm, 
aber in jebem größeren ©etriebc ift fclbft an jebem 2Rontage, 
mehr aber an ben auf 2 — 3 geiertage folgenben KIrbeitS» 
tagen, ber ftaßenjammer ber Arbeiter an ber geringen ®e= 
fammtleiftung gu conftatiren. Sie leßte fRooeüe gum gabrif» 
gefefc hat bem fchon fRecßnung getragen unb bie 3 Q f)l ber 
obligatorifchen geiertage nicht unbebeutenb uerminbert. @S 
bleiben immer noch g u fiele übrig. Allein fcßwerlicß toirb 
baS ®efeß barin roeiter gehen föitnen, ba eS fich meifteitS 
um althergebrachte ft'ircßenfeiertage hanbelt, Deren ©inßalten 
bie fRüdficßt auf ben religiöfen £alt beS ©olfeS gebietet. 
$>ie ©eftimmungen über 9lrbeitSgeit unb grauen* unb ftinber* 
arbeit richten fid) im ©roßen unb Sangen nach mefteuro* 
päifcßen ©otbtlbern. ©aß ber ruffifche KlrbeitStag noch immer 
ber längfte ift, liegt meniger an ber ®efeßgebung als Diel» 
mehr baran, bah auf ben weiter im Sanbe liegenben gabrifen 
bie gabrifßetren bod) Dielfacß thun, maS ihnen gefällt. 

3ur SfrantßeitSDerfidjerung muff in ber ©tabt jeber 2lr* 
beiter jährlich einen Äranlenfcßein gum ©reife Don 1 SRubel 
20 St. löfen, wofür er im gatte ber ©rfraitfung in einem 
ber ftäbtifchen &ranfenßäufer;aufgenommen wirb, gabrifen 
uon ,100—300 Arbeitern, fowie aüe gabrifen auf bem Sanbe 
müffen einen gelbfcßeet halten, gabrifen mit über 300 2lr* 
beitem aber einen Ktrgt unb ein ftranfenßauS. Seicht geforgt 
ift leiber bis jeßt noch für unheilbare Ära nie, mögen fie nun 
Arbeiter fein ober fonftige Proletarier, ©ielfactj greift hier 
bie ©riDatmoßltßätigfeit ein, aber leiber ift baS burcßauS 
nicht, auSreichenb. 

233aS nun enblicß bie ©eßaublung beS ruffifd;cn KlrbciterS 
•embetrifft, fo gilt hierbei für ben KluSlänber gunäcßft alles 
baS, waS er überhaupt bei’tn, Umgang mit ben fRuffcn gu be= 
obachten hat. ©er fRuffe ift burdjauS natürlich unb fennt 
roeber ©ofe noch Slafjenßocbmutß. ©r will baher, baß man 
i^m natürlich unb ungegwungen entgegenfomme. ©affelbe 
empfiehlt fich gegenüber bem Arbeiter. 2Ran muß beflimmt 
feine Klnweifungen ertßeilen, aber ruhig unb nicht in ge* 
xeigtem ©one. Nebenbei bemerft ift baS ruffifdje ©olf Diel» 
fach oon einer auffallenben neroöfen ©enfibilität, bie fich 
rooßl bureb bie Klbftammung Don ganzen (Generationen uon 
Alfoßolifern erflärt. @o begegnete eS mir öfter, baß großen, 
ftarfen Klrbeitern ©ßränen in bie Klugen traten, wenn id) 
mit ihnen etwas furj angebunben Jpracf). ©inmal fragte ich 
@inen, waS ihm fehle, worauf er entgegnete: ,,©ie beleibigen 
mich Durch ben ©on Sßrer Stimme." Klucß barf man ihm 
nicht mit Jpocßmutß ^entgegen treten. ©aburdj machen fich bie 
englifcßen SReifter fo oerßaßt neben ihrer, wie eS fcfjeint, bem 
ungebilbeten ©nglänber angeborenen jRoßßeit. ©ewiffenhaft 
ift nun einmal ber ruffifche Arbeiter nicht, aber mit ©djelten 
fommt man bagegen nicht auf, ebenfo wenig mit ®elbftrafen. 
Sch habe ftetS gefunben, baß eS noch baS ©efte ift, wenn 
man ihm geigt, bah nian unter allen Umftänben gewillt ift, 
feinen SBitten bureßgufeßen. 3Ran taffe ihn baher eine un* 
befriebigenbe Seiftung fo lange wieberholen, bis biefelbe tabel* 
loS ift. ©enn ber ruffifche Kfrbeiter ift wie ein ©chulbube: 
hat er einen neuen ©orgefeßten, fo probirt er erft, waS er 
fich bei ißm erlauben fann. ©ine einmalige Sehre aber ge» 
itügt, ihn loon weiteren ©erfueßen abgußalten. ÜBiemoßl 
Diele „©raftifer" barüber lächeln werben, fann ich boch auS 
meiner ©rfaßrung betonen, baff eS fich auch bem ruffifche« 
Arbeiter gegenüber unter Umftänben empfiehlt, an fein ©ßr* 
gefußt gu appelliren. @r erweift fich banfbar für bie gute 
s JReinung, bie man Don ißm hat. ©o waren einmal Klrbeiter, 
bie mit einem ©orfeßuß auf’S Sanb gefahren waren, nkßt 


wieber gefommen. KllS barauf nach furger 3«t Wieber-Sinigc 
gu bem gleichen 3mede ©Drfcßuß ucrlaitgten, fagte ich ih nen » 
bah id) perföntich ißnen ©orfeßuß geben werbe, ber aud) nicht 
in ißr ©ueß eingetragen werben folle, weil id) fie für an* 
ftänbige Seute hielte, bie ißre ©cßulb begabten. 3d) befam 
ftetS KlfleS gurücf. ©o ift auch ber ungebitbete 9)fann er* 
fennttieß, wenn man ißm menfcßlichcS ©ertrauen entgegen* 
bringt, ©er 2luSlänber wirb barüber erftaunt fein, bah «tan 
überhaupt einen Arbeiter mit ©orfdjufj auf’S Sanb gehen 
läßt; aber man ßat ja ©auern uor fieß, beren gamilien auf 
bem Sanbe leben, ©rfranft feine grau ober fein Äinb ober 
brennt feine §ütte ab, fo muh er auf’S Sanb, unb wenn er 
ein anftänbiger SRenfcß ift, fo unterftüßt man ißn in biefen 
gätten. ©aS erßeifeßt fdjon bie ©oiitif. 

©eS ©Weiteren Derfteßt eS fieß uon felbft, bah man ißrer 
^Religion bie gebüßrenbe Klcßtung entgegenbringt. 3n jebeni 
gabrifraume muß fieß ein Ipeiligenbilb beftnben mit einer 
Dellampe, bie jeben ©ainStag gu entgünben ift. gerner laffe 
man einmal im Saßte biefe Ipeiligenbtlber uom ©open weißen 
unb woßne biefer ©eremonie bei. Klbgefeßen doh Derartigen 
fRucfficßten auf nationale ©igentßümlidjfciten fommt natürlich 
nod) alles ©aSjenigc in ©etraeßt, was ber gabrifant überall 
gu berücffidjtigen ßat. ©elbftüerftänblid) treibt berfelbe nießt 
©ßilantropie unb befcßäftigt er feine Klrbeiter nießt, um ißnen 
©elegenßeit gu einer ehrbaren ©jifteng gu gebett, fonbern ba* 
mit bie ißm nötßige Klrbeit gcleiftet werbe, ©arauf fommt 
eS alfo gunäcßft an unb barnad) allein rießtet fieß bie 3aßl 
unb bie ©ugagementSbauer ber Klrbeiter. Snbeffen finb bie 
Arbeiter feine ÜRafcßinen, fonbern 3Renfd)en, unb baßer legt 
ißre ©efdjäftigung grofje ©flicßteit auf, bie fieß in ber einen 
gorm gufammeufaffen laffen, ben SOfenfcßen im SRenfcßen gu 
achten. @S ift baßer noeß nießt KllleS getßan, wenn man 
fid) beftrebt, bie Klrbeit möglicßft wenig gefunbßeitsfchäblich 
gu geftalten, fonbern bie §auptfacße bleibt baS perföttlicße 
©erßältniß gu ben Klrbeitern. ©er Arbeitgeber trete ißnen 
frei menfdjlicß entgegen unb maße fid) feinerlei fRecßt über 
ißre ©erfönlicßfeit au. §at er gu tabclit, fo tßue er eS fad)< 
ließ, aber er feßimpfe nießt. ©enn mit feinem ®elbe ßat er 
nur bie Klrbeit beS SRanneS getauft, nießt aber feine ©erfon. 


Literatur unb Jtunft. 


3ur 5d)opcnßauer - £itfratur. 

®on 3. DT. oon §ebnif. 

ÜBelcße ©cbeutung bie SBerfc ©cßopenßauer’S in bet 
®egenwart erlangt ßaben, läßt fieß aus ißrer ©erbreitung 
erfennen. ©on ber 9ieclam=KluSgabe in fecßS ©änben Don 
©buarb ®rifebacß, bie Dreißig Saßre naeß bem ©obe beS 
©ßilofopßeit erfeßietten ift, finb binnen gmei Saßren 25 000 
©jemplare Derfauft worben, fo bah im 'perbft 1892 bereits 
ber fReubrucf, refp. gut grünblicßen ©erießtigung einer erheb* 
ließen Klngaßt uon ©rudfeßlern ber ÜReuguh ber ©tcrcotßp* 
platten begonnen werben mußte. 2Ran laffe baßingeftellt, ob 
biefe ©erbreitung gleichmäßig ade fecßS ©änbe ber ©efammt* 
auSgabe betrifft, ober nur bie beiben erften, weldje baS $aupt» 
Werf enthalten, aber eine folcße ©erbreitung ftrengpßilofopßifcher 
©cßriften ift boeß etwas Unerhörtes. ÜRun ßat fieß aber bie 
@cßopenhauer*Siteratur nach feinem ©obe nießt allein in’S Un* 
gemeffene auSgebeßnt, fonbern aueß bie KluSgaben feiner SEBerfe 
ßaben gegen ben urfunblicßen ©Billen beS ©erfafferS ißren 
Umfang meßr als Derboppelt. ©r wollte nießt meßr als fünf 
©änbe Derfaßt ßaben, bie KlüeS enthalten, waS er je gefeßrieben: 
beit gangen ©rtrag feines 73 jährigen SebenS. ©egeniDärtig 
gäßft bic genannte hefte unb forgfältigftc 9lnSgabc ber SSerfe 


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264 


Die (Begeitwart 


Nr. 17. 


feincä NamenS elf Sänbe unb eröffnet unS bie. hoffnungs¬ 
reiche ißerfpectioe in einen noch größeren Umfang, „Jnzwifcgen 
fehe ich," fdjreibt Sb. ©rifebad) als Herausgeber beS ganb» 
fdjriftlicgen NacglaffeS, „biefe meine ißubiication ber Schopen« 
gauer’fcgen fßoftguma nur borläufig für abgefcgloffen an: ich 
hoffe, bafe bie ooHftänbige 93eröffentlid)ung ber gefammten, 
auf ber ^Berliner Unioerfität oerwagrten wiffenfcgaftlicfjen 
SWanufcripte, bie ,ber grofje pgilofopgifdje ©eniuS unfereS 
JagrgunbertS 4 ber Seit ginterlaffen hot, nicht allju lange 
auf fid) warten taffen Wirb." SWit bollem Rechte warnt 
bager Shtno gifcget: „®ofj nur bie anhaltenbe 3lufmerffam» 
feit ber Sefer nicht nacgläht, ba bodh Schopenhauer felbft 
einet folgen 3lufmerffamfeit gewifj fein unb bleiben wollte, 
wefjgalb er mit gutem ©ebadjt Sieles ungebrudt lieh! 3lber 
bie fiegrlingc berhalten fid) jum Reiftet, wie bie Ultra» 
rogaliften jum Könige, fie finb „plus royaliste, que le roi 
meine“, ober aud) wie bie Gärtner ju ben Königen: Senn 
bie Könige bau’n, hoben bie Ä'ärrner ju ttjun! SS fcgeint 
mir nid)t woglgetgan t bie ©frinien unb bie 9J?anufcript=93ücf)er 
auSpleeren, um Nachträge ju Nachträgen ju liefern, welche 
felbft fd)on „Nachträge ju Nachträgen" finb." ©o .warnt 
Sfuno gifcger in ber Jubiläumsausgabe feiner „©efdjicgte 
ber «pgilofopgie" (Heibelberg, Sinter), bie einen ganzen Öanb 
bem granffurter Seitweifen wibmet. 

Unb nun oergleiche man mit biefem Uebcrreid)tl)um ber 
Schopenhauer» ßiteratur unb zumal bem Niefenerfolg feiner 
eigenen Serfe baS pgilofophifche unb buchgänblerifcge giaSco 
burch faft ein holbeS Jagrgunbert. Srft nad) bem Jahre 1854 
hatte er bie ©idjerheit, burchgebrungen 51 t fein. 31 IS ihm bie 
VertagSganblung VrotfgauS ben 5. 3luguft 1858 bie 9Wit* 
thcilung machte, bah nunmehr eine neue Auflage feines Haupt» 
werfeS erforberiieg fei, antwortete er wohl erfreut, aber feines* 
wegS überrafcht, bah cr biefen Srfolg längft erwartet habe. 
Docg erjeheint bis ju biefem ßeitpunft ber bud)hänhlerifd)e 
Srfolg überaus gering. 5Bon bem urfprünglichen Hauptwerk 
beibe 3luSgaben gerechnet, waren 1250 Sjemplare gebrudt, 
baoon ungefähr bie eine Hälfte maculirt, bie anbere in bem 
3eitraum uoller oierzig Jagre (1818—1858) oerfauft worben: 
alfo burdjfcgnittlicg 15 bis 16 Sjemplare im Jahr! „Unb 
eS honbelte fid) um ein üBerf üott unwiberruflid)er 33ebeutung 
für alle 3 c * ten ,“ ru ft ®uno gifcger auS. „Jm Siberfpiele 
baju fehen wir heutzutage Bücher, bie in einem Jahre 15 
bis 16 Sluflagetr unb mehr erleben ober erfünftelit unb bocg 
ficher fein fönnen, bah fie »och oor ben 3lugen ber SWitwelt 
in’S ißunfei finfen. 3lüeS währt feine ßeit, aud) ber |)um- 
bug!" Unb bann fam enblict) ber Seltrugm, ben ber wunber* 
liehe ©reis mit öegagen einfehlürfte. Sr war förmlid) Niobe 
geworben, ba fchon in ber grauen Welt unb felbft in rnili* 
tärifcfjen Greifen für ihn gefegwärmt würbe. 31 uS brei 
preuhifdje« geftungen, Niagbeburg, ©panbau unb Neiffe, 
tarnen igm 3lnzeid)en z», bah eS bort Dfficiere gab, bie feine 
Serfe eifrig ftubirten. Noch im Jahre 1849 war grauen» 
ftäbt ber Sinjige, ber ihn ju feinem ©eburtStag beglüdwiinfcgte; 
fünf Jal)re fpäter wollten jwanjig Dfficiere ber Niagbeburger 
©arnifon jum 22 . gebruar eine gemeinfame ©ratulationS» 
abreffe an ihn richten, bie aber nicht z» ©taube fam. Ja, 
bie ©djopengauermobe hotte fid) fo weit fortgepflanzt, bah 
fogar in ber bfterreichifcfjen NfilicärerziegungSanftalt ju Seih* 
tiregen in SWägrett einige Sabetten heimlich unb nächtlich 
feine Schriften lafen. Jn Böhmen lebte ein Sßeregrer, ber baS 
®ilb ©cgopengauer’S, wie biefer nocg fürs Oor feinem Dobe 
erfuhr, täglich befränjte. SDaS erfte oon Suntefdgüg gemalte 
Delbilb üon ihm taufte ber ©utsbefiger SEßiefife unb wollte auf 
feinem ©cf)(oh eine Sapeüe bafür bauen laffen. Der 3tnfang 
beS SultuS! Selcgc i|3erfpcctiüe in bie 3»f»nfl! 18°» biefer 
3luSfid)t crfiiflt, fegrieb Schopenhauer ben 17. 3luguft 1855: 
„DaS Unergörtefte aber ift, bah er mir unb bem Nfaler fehr 
ernfthaft gefagt l)at, er wolle für biefeS 93ilb ein eigenes 
HauS bauen, barin eS höngen foü! Das wäre bann bie 


erfte mir errichtete SapeHe. Necitatioo: ,Ja, ja! ©araftro 
herrfchet hier ! 4 — Unb Slnno 2100 ?" Jnbeffcn ging cS 
mit ber SapeHe, wie mit ber ©ratulationSabreffe ber SWagbe» 
bürget Dfficiere, fie fam nicht zu ©tanbe unb baS Silb 
blieb im 3'mmer aufgehängt. — 93on Jahr ju Jahr wutbc 
bie ©eburtagSfeier immer anfegnlicger, bie ©lücfmünfche 
Zahlreicher, auS ber gerne famen Slumenfpenben unb Shren* 
gefegenfe, in ben granffurter gelungen erfegienen ju feiner 
Verherrlichung ©ebiegte, bereit eines ihn mit bem Äönig 
3lrtgur oon ber Dafelrunbc Oerglich- Die 3 e '^ en ber perfön» 
liehen Verehrung nahmen oft ben Sharafter ber ®eootion 
an. 3llS ihm jum erften Nfal bie £>anb gefüht würbe, fchrie 
er oor ©chred laut auf; halb aber, ba fich ber §anbfujj 
noch einige 2 M wieberholte, gewöhnte er fich °n biefe „feinem 
faiferlichen Slnfehen wohl gebührenbe Seremonie“. SS ift 
auch e l» e fefjr bemerfenSwerthc 2h a tfod)e, bah zwei an= 
erfannte unb unwiberruflichc ©rohen auS bem legten drittel 
unfereS JahrhunbertS bie Sache ©djopenhaueT’S zu ber ihrigen 
gemacht unb unter bem 33 ann feiner SBerfe geftanben hoben: 
ber berühmtefte Ntufifer beS 3bitolterS, Nidjarb Söagtter, unb 
ber berühmtefte ©chriftfteüer NuhlanbS, ber burch feine reli» 
giöfe ©efinnungS* unb ^anblungSweife noch intereffanter unb 
merfwürbiger ift, als burch feine Dichtungen, ©raf Seo 
Dolftoi, nach ber 33oUenbung feiner militärijd)en unb in ben 
Slnfängen feiner literarifdjeii Sauf bahn, fdjrieb an feinen 
greunb get=©chenfd)in, ben nadjmaligen Ueberfeger beS Vh'l° ! 
fopheit: „Sin unWanbelbareS Sntjüden ap Schopenhauer unb 
eine Neige geiftiger ©enüffc burch ij)n hoben mich erfafet, 
wie ich f*e nie bisher empfunben. Jcg weih nicht, ob ich bie 
^Meinung je änbern werbe, aber gegenwärtig finbe id), bah 
©cgopenhauer ber ©enialfte ber Nfenfdjen ift. SS ift eine 
gan^e SBelt in einem unglaublich Keinen unb fegönen ©piegeb 
bilbe.“ Nocg im Jagre 1890 fei ©chopergauer’S SilbniB 
baS einzige Porträt in feinem ©tubirzimmer gewefen. 

NacgDem ©chopengauer’S „fßarerga“ erfegienen waren 
(1851), fein legteS SBerf unb feine erfte oiel gelefene ©egrift, 
gelangte er fcgiteH in ben Nuf eines origineüeit philofophiftgeii 
©cgriftfieHerS, oon beffen fieben bamalS faum megr öffent= 
lieg befannt war, als bah e ‘» SBeltoeräcgter unb ein» 

fieblerifcger ©ottberling fei. 3US aber bie ©winner'fcge 33io= 
grapgie erfegienen war (1862), fiel ber Schleier oon bem 
„gegeimnihooflen SEBefett in granffurt a. SW.", wie ign Jogn 
Djenforb genannt gatte, unb nun ergoben fid) in ben Sage«» 
blättern laute ©timmen, bie feinen Sgarafter oerurtgeilten: 
er fei in ber Dgeorie ber auSgefprodjenftc ißeffimift, im fieben 
ein raffinirter Spifureer gewefen, er gäbe in feiner SWoral 
bie SBeltentfagüng unb ©clbftojerleugnung gelegrt, aber in 
feinem fieben bem rüdficgtSlofeften ipoegmuth unb SgoiemuS 
gefrögnt; nie fei bie DiScrepanz zwifcgeit Segre unb fieben 
in einem fßgifofopgen fcgreieitber gewefen als in igm. @0 
leicgt ift aber ber Änoten niegt zu löfen. ©egopengauer ift 
ein Sgaratterproblem ganz eigentümlicher unb überrafegen* 
ber 3lrt, bem Niemanb mit gröberem ©egarffinn näger ge» 
treten ift, als ®uno gifeget. 2Bir Oerweifen gier nochmals 
auf fein prächtiges ©d)0pengauer»2Sert unb greifen einige 
fßuufte feiner biograpgifegen 3lnalgfe gerauS. 

ißergleicgt man bie in feinen SBerfeit entgoltene unb 
als baS göcgfte feiner Srgebniffe oon igm gepriefene §eil»» 
legre mit feinem fieben, fo ift oon ben Dugenben ber Seit» 
entfagung unb ©elbftoerleugnung, ber Demutg unb ©elaffen» 
geit niegt baS SWinbefte barin wagrzunegmen. „3llle Antriebe, 
bie feine Segre auf bie Umgeftaltung igreS SgaralterS gälte 
auSüben foUen, fdgeitern ognmäcgtig an feiner angeborenen 
SBiüenSart, feinem ungeftümen unb heftigen Soßen, feiner 
beftänbigen 3lngft oor ben ©efagren ber Seit unb ber unge» 
heitren Sertgfcgägung feiner felbft, bie aUeS ©efügl für 
3lnbere bis zur oöüigen llnempfinblidjteit oergärten fonntc.“ 
Zliino gtfeger fcgilbert im weiteren ben Sinbrucf, ben igm 
eine gewiffe ©teüe in ©cgopengauer’S ^Briefen gemaegt got. 




i 

t 

I 


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Nr. 17. 


Die (BegetttDort. 


265 


ÜJfutter unb ©cfjmefter Waren feit Saferen tobt, als ifent 
grauenftäbt berichtete, toie unglimpflicfe unb abfcfeägig 9lnfelm 
geuerbad) über SBeibc in feinen JagebuchtTotiaen gefprocfeen feabe. 
3n bet 2luSgabe feiner fJlacfelafeftüdc ftonb cs nunmehr gebrudt. 
SBaS antwortet Slrtfeur ©efeopenfeauer? Sr banft für biefe 
SKittfeeilung nnb fügt feinp; „“Die Sfearatteriftif ift nur gar 
ju treffenb. ^wbe, ©ott oerjeife mir’S, Iacf)en müffen!" Äuno 
giftet räumt nun aüerbingS ein, bafe ©efeopenfeauer in 
feinem ßeben fid) oft fefet ungliidlicfe gefüllt unb, toie eS 
fdjeint, unenblicfe Oiel gelitten feat ( bafe er nacö feinem eigenen 
Sefenntnife fcfeon mit 24 Sauren ein auSgemad)ter ißeffimift 
gewefen fei. &ber gerabc feine ^3af|'ionSgefcf)icl)te jcuge toiber 
ifen. Sr feabe in t>o^em ÜRafee bie gäfeigfeit beS ßeibqnS 
gehabt unb barum auch erfahren, aber bie ftraft unb grcubig* 
feit beS ßeibens unb SrtragenS in gar feinem. 

Obwohl eines greitagS geboren, was er beffagt feat, nennt 
tfen fiuno gifcfeer ein ©onntagSfinb, einen ßiebling ber ©ötter, 
bem bie fünften ©üter beS ßebenS belieben waren: eine feofee 
©eifteSbegabung, eine oöttige Unabfeängigfeit beS JafeinS oom 
erften Sltfeempge bis ptn legten, alle fDiufee, um feinem 
©eniuS nacfepleben unb fid) feinen Anlagen gemäß auSpbilben, 
bie jweifellofe 28afel ber ßebenSricfetung, bie Srfüdung eines 
erhabenen SerufS in einer fReifee üon Werfen, bereit Unfterb« 
licfefeit er mit untrüglicher ©ewifefeeit empfanb unb ootauSfafe, 
eine in ben legten Saferjefenten unoerwüftlicfec ©efunbfeeit, ein 
ftets erquidenbet ©d)laf, ein fjofjeö, oott ber Sonne beS 
SRufemS glänjenb erleuchtetes unb erwärmtes 2llter, ein 
oodenbeteS Jagewerf, baS ifem nichts übrig liefe als noch e *n 
paar „3ufäge ä u beit ißarerga", cnblid) ein fchneller unb 
fünfter lob. „©octfee’S legte Slugenblide, wie ich fie auS bem 
SDfunbe feiner (Schwiegertochter, ber'Slugen^eugin feines JobeS, 
habe fchilbern feörett, waren qualooU. 2tiemanb ift oor bem 
5£obe glfidlidj. 9?ad) einem jolchcn ßeben unb ßebcnSenbe 
Wirb man hoch geftefeen müffen, bafe ©djopenfeauer einer ber 
glüdlichften ÜWenfcfeen war, bie je gelebt haben, unb er war 
toec ©üterwelche er befaß, fich mofel bewußt. 2Bie oft hat 
er fid) berfelben erfreut unb gerühmt: feines ©ettieS, feiner 
Unabhängigfeit, feiner ©efunbheit, feiner SBerfe, felbft feines 
©efichtS! Jrog aüebetn meinen Wir feineSWegS mit ben 
©egnern, bafe eS mit feinem ißeffimiSmuS eitel Junft unb 
Schein gewefen fei. Stein, eS war feine ernfte unb tragifefee 
SBeltanficfet, aber eS war 9lnficfet, Slnfdjauung, Silb. jie 
Jragöbie beS 2BeltelenbS fpielte im Jfeeater, er fafe im 3 Us 
fchauerraum auf einem feuefeft bequemen gauteuil mit feinem 
Dpernglafe, baS ihm bie Jienfte eines ©onnenmifroffopS oer- 
riefetete; ttiele ber 3 u t"d) auet oergafeen baS SBeltelettb am 
Süffet, feiner oon 2lUen folgt ber Jragöbie mit fo gefpannter 
2lufmerffamfeit, fo tiefem Srnft, fo butdjbringenbem ©lief; 
bann ging er tieferfchüttert unb feeleubergnügt nach £>aufe 
unb ftellte bar, was er gefefeaut hatte." 

Jet 3wiefpalt ptifefeen feinem Sfearafter unb feiner 
ßehre oon bem SBeltelenb unb ber SBeltentjagung, prtfdjen 
bem ßeben, baS er geführt, unb ber peffimiftijd) gefinnten 
SlSfefe, bie er gelehrt hat, liegt am Jage. 2lucfe ift er fid) 
biefeS 3roiefpaltS toohl bewußt gewefen unb hat benfelben offen 
befannt, wenn auch m *t beträchtlicher ©elbftfcfeonung, ba er 
nur einpräumen pflegte, bafe er fein Heiliger fei. Sr war 
baS oöllige ©egentfeeil. Unb ftutto gifcfeer fäh rt fort: 
„3Ran fage nur nicljt, bafe et ein i)Sejfimift würbe, weil 
er unbeachtet blieb, er war eS ja nad) feinem eigenen Se* 
fenntniß fdjon oöllig, als er in feinem uierunbjwanjigften 
Safere noefe feine 3 e ^ e f“ r ben Jrucf geschrieben hatte. (Sin 
folther Ißeffimift hätte baS oeraefetete ©efchlecht unbelehrt 
taffen unb mit erhabener ©leichgiltigfeit fehen follen, bafe bie 
oergeblichen SBerfucfee, bie er gemacht hatte, in ber Rapier* 
müfele oerfchwanbett. 21 ber ©efeopenhauer gerietfe barüber 
aufeer fiefe. ®ann oerfuchte er fein ©lüd oon Steuern unb 
feegte immer wieber bie juoerfidjtliche unöerfiegbare Hoffnung, 
eS müffe gelingen, er werbe burdjbrecfeen. Unb eS gelang. 


$)ie ©enieS finb eben feine Sßeffitniften, unb wenn fie eS 
taufenbmal oetfichcrn; benn fie müffen fefeaffen unb hoffen. 
J)aS Streben nad) Slnerfennung ber SOtenfcfeen eingeräumt, 
fo feättc man meinen foUcn, bafe ein foldjet 'Utenfchenoeräcfeter 
auch ein ftoftoerächter, ein geinfehmeder fein unb nur baS 
auSerlefenfte ßob fid) arteignen würbe. (Sr war eS mit nidjten. 
28enn et feinen Snftincten gemäß hanbelte, was im gewßfen* 
licfeen ßaufe beS ßebenS natürlich ftets gefefeah, fo war er 
auefe feiet allen ©djeinwertfeen jugänglicfe: er liebte auch ben 
©efeeinrufem, bie ©dfemeicfeelei, baS ßob felbft elenber ©criblet. 
©in SluSbrud ber Söewunberung feines ©enieS fonnte ifen für 
2SieleS entfcfeäbicjen. Ja mar fein literarifcfeer Sßinfel Der» 
borgen, fein ©cribler unbebeutenb genug: bie ßobfprücfee, 
wofeer fie aud) tarnen, füllten fleißig auSgefpäfet unb pünft» 
liefe bei geller unb Sßfennig abgeliefert werben, bamit er 
fie eincaffire. ÜJtan lefe nur feine ©riefe an bie 9lpoftel, 
benen er eS jur wiefetigften ißflicfet maefete, waS aud) nur 
über ifen gebrudt wäre, auSjufunbfcfeaften unb in unfranfirten 
©riefen an bie ©entralftelle einpfettben. Sr war wirf’ 
liefe wie bie Äittber: er fonnte ©olb unb ftagcngolb niefet 
unterfefeeiben! Sr mürbe blinb für bie Schwachen feiner 
23emunbcrer uttb bienftwilligen SBerfjeuge. 9tur burften biefe 
bem SDteifter gegenüber nid)t aud) bie Rritifer fpielen wollen, 
was bem grauenftäbt mitunter einfiel; bann würbe ifetten 
feeimgeleucfetet. SS gab in ber 2Belt eigentlich nur einen 
©egenftanb, ber unferem ißeffimiften feeilig war: feine 28erfe. 
„SDfeinen glucfe über Seben, ber etwas baran wiffentfiefe änbert, 
fei eS eine ißeriobe ober aud) nur ein 28ort, eine Silbe, ein 
©uctjftabe, ein SnterpunftionSjeicfeen!" Sille 2luSbrüdc ber 
SeWunberung fonntett ein oerftümmelteS Sitat nid)t aufwiegen. 
„SBefcfeneiben @ie Jucaten unb ßouiSbore, niefet meine Säge," 
feerrfd)te er feinen „Ureoangeliften" an, ber allerbingS bie 
©pradje beS 9JteifterS niefet nad) ©ebtifer ju würbigen Oer= 
ftanb. Senn man ben ißfeilofopfeen in feinen ©cferiftcu feört, 
fo tritt uns in ifent ber feeftigfte ©egner alles ÜJfonotfeeiSmiiS 
unb JfeeiSmuS entgegen: er feafet bie Religion beS 2llten 
JeftamcntS wie bie beS JÜoran, er ift in biefer ÜÜidficfet ber 
auSgefprocfeenfte ßlntifeniit. 2lber biefe grunbfäglidjen Sinti* 
patfeien oerfefeminben, fobalb feinem ©enie gefeulbigt wirb. 
3wci feiner ülpoftel unb Srben finb 3uben: grauenftäbt unb 
Slffeer, jener getauft, biefer ungetauft unb bem jübifefeen 
©lauben ergeben. Sft eS nid)t munberlicfe, bafe ber 3Jfann, 
an ben ©efeopenfeauer mefer als ben oierten Jfeeil aller feiner 
©riefe gefeferieben feat, fein „Urapoftel", feine „^ofaune", fein 
literarifcfeer Srbe, ber Herausgeber feiner 28erfe unb feines 
fRacfelaffeS, ber „Srjeoangelift" biefeS abenblänbifd)en Subbfea, 
ein polnifcfeer Sube war? 2B. ©minner, ben er ju feinem 
JeftamentSoollftreder ernannt unb in ben ©tanb gefegt feat, 
fein 23iograpfe p werben, war unb ift ein unoerfeofelener 
öefenner ber Saaberfcfeen Jfeeofopfeie unb feat biefen feinen 
©tanbpunft in ber JarfteDung unb ©eurtfeeilung ber ßefere 
©chopenfeauei'’S, fomcit ber Spielraum Seiber in feinem bio* 
grapfeifefeen 2Ber£e reiefet, auefe pr 2(nmcnbung gebracht, 
könnte ©efeopenfeauer feine Siograpfeie oon ber Hanb ©winner’S 
lefen unb bie ©efammtanSgabe feiner 2Berfe oon ber Ipanb 
grauenftäbt’S muftern — wir wollen bie beiben IDfänner, bie 
feine JeftamentSüollftreder waren, fonft niefet miteinanber 
bergleicfeen —, fo mürbe er auSrufen: wie fefer habe iefe miefe 
geirrt! ©olcfee jäufefeungen begegnen wofei ben ©enieS, aber 
bie ©effimiften füllten bawiber gefcfeügt fein." 

Jie ßefere oom Slenb ber 2Belt unb beS JafeinS para» 
birte am Snbe nur noefe in feinen Suchern; feier trug er bie 
Uniform unb ben ©taatSrod beS SeffimiSmuS. 2luS feinem 
täglidjen ßeben unb Sbeengange waten fie fammt aller 28elt= 
flugfeeit in ber 2lera feines fRufemeS wie oerfefewunben. 9lucfe 
fefeon früfeer. 2Bit erwäfenen feier nur einjelne Seifpiele. 
3um Sjempel fein ntafelofeS ©efeimpfen unb Seifen gegen 
bie UnioerfitätSprofefforen. Unb wie ungerecht, gefeäffig, ja 
gemein war er ba oft! 3cfe erinnere miefe meines Hdbel» 


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266 


Die (ßegennnirt. 


Nr. 17. 


berget SeßrerS, beS (Prof. 0. 5Reic^Un=9J?eIbegq, ber itocß als 
neunzigjähriger ©teig ©djDpenhauer’ö Snocctioen Hießt oer* 
geffen fonnte unb auf feinem Äatßcber in ben ftlageruf auS* 
bracß: „3<ß fann bocß nichts bafür, bafe ich oon Slbel bin!“ 
Sludj Äuno gifc£»er nennt es eine nichtige ©rflärung im dJiunbe 
beS (pfjilofopljen, wenn auch immer bie getäufigfte unb be= 
liebtcfte: bie beutfcßen (pßilofopßie»(profefforen foflen fi<ß 
auS allen (Beweggrünben beS (ReibeS ocrfcßmoren haben, feine 
©Triften ungelefen, jebenfaflS unerwähnt ju (affen. „(Die 
(Profefforen finb nid)t ber 3 e * t Ö e 'ft- 2S«nn ein Genfer unb 
©cßriftftefler, wie Schopenhauer, ein langes URcnfcßenalter 
ßiuburch feine SBirfung auf bie SBelt ^eroorbringt, fo finb 
feine ©cßriften nicf)t non einigen (Profefforen, fonbern oom 
gectgeift unbeachtet geblieben, worunter wir fein mpftifcßeS 
(Ding, fonbern ben Inbegriff berjenigen Sntereffen unb fragen 
uerfteßen, welche in einem gegebenen geitabfcßnitte ^ertfc£)eit. 
(Run oergegenwärtige man ftcß unfer (Deutfcßlanb oon ben 
greißeitSfriegen bis in bie (BolfSbewegungen beS 3afjreö 1848, 
bie SSntereffen nationaler, religiijfer, firdjlidjer, politifcher, 
hiftorifcßer Slrt, bie eS erfüllt unb tief bewegt haben; man 
oergleiche bamit ©djopenßauer’S Sehre unb feine fämmtlichcn 
SBerfe, um ju fet)en, waS fie zur SBedung, ftlärung, Söfung 
biefer fragen beigetragen ober geleiftet haben. @o gut wie 
nichts! 9lUe jene geitfragen, in welches (liebtet unb in welche 
(Richtung fie auch faßen, finb oon eminent hiftorifdjem unb 
fritifchem ©Ijarafter gewefett; fie gehören in baS große Xhema 
ber SBeltgefcßicfjte, bem Schopenhauer, bet (Wann wie bie 
Sehre, fidj oon ©runb auS abgewenbet jeigt, benn in feinen 
Slugen hat bie SBeltgefdjicfjte überhaupt fein < Dh ema - (Der 
geitgeift §errfcf)t unb gleicht auch barin einem §ettfd)er, bajj 
er, Wie bie Könige, benen ®el)öt erteilt, bie ihm etwas ju 
jagen haben; aber fie müffen warten, bis fie gerufen werben 
unb bie ©tutibe ihrer Slubienz ba ift." Unb uodj anbere 
3nconfequenzen: fein SBeiberhafj, ber nur in ber ‘Jheorie 
beftanb, fein germütfniB mit dRutter unb ©eßwefter, feine 
ganz unpßilofophifdje ^eftigfeit, bie ihn in bie böfeften 
(Dinge oerwidelte. glätte er fich in woßlgeorbneten ßäuS* 
liehen (Berßältniffen befunbett, fo würbe eine folche ©eene, 
Wie bie mit ber (Räßterin, bie er bie kreppe ^inunterfttefe 
unb bann bis ju ihrem fpäten ‘tobe alimentiren muffte, un* 
möglich gewefen fein; aber er wollte, gleich ben ^ßt)ilofop^eu, 
bie bei ihm hoch in Mfcßen ftanben, wie ^»obbeS unb Sode, 
jDeScarteS unb Jfant, H a geftolz bleiben unb pflegte weniger 
treffenb als roißig ju fagen, bafj bie ©ßemänner umgefehrte 
(PapagenoS wären: mäßrenb bem (papageno in ber gaubet* 
flöte fich ein altes SBeib blißfdjnefl in ein junges oerwanble, 
ginge eS in bet SBirflidjfeit ben ©ßemännern gerabe umge* 
lehrt. (Das ©leicßnifj ^eigt, wie er oon ber ©he bachte. @r 
hat bie Ipeirath, nicht bie SBeiber oermieben, bie nach feinen 
(Korten ihm oiel ju fchaffeit gemacht haben: er hat fich feiner 
Hamburger Sugenbfünben gefchämt, tu Dresben einen natiir* 
liehen ©ohn gehabt, ber früh geftorben ift, in 33enebig eine 
©cliebte im Stieß gelaffen unb in (Berlin in zarten (Beziehungen 
Zu einer bem Theater angehörenben (Dame geftanben, bie er 
noch in feinem Dcfta mente bebaeßt hat. 3n feinen fpäteren 
©driften erfeßeint er, wie eS bem impotenten ziemt, als ber auS* 
gemadjteftedRifogßn. Unb enblkß feine politifcßen SBiberfprücße. 
Höcßft anfdjaulicß unb charafteriftifch hat er bem bienftfertigen 
grauenftäbt ben Slufrußr unb bie Äätupfe beS 18. ©eptember 
1848 gefefjilbert, bie ihm bis in fein gimmer gebrungen 
waren. „SBaS haben wir erlebt! (Denfen ©ie fich eine (Barri* 
fabe auf ber (Brüde unb bie @cßüßen bis bicf)t oor meinem 
Haufe ftehenb, zielenb unb fcßiejjenb auf baS dRilitär in ber 
gaßrgaffe, beffen ©egenfdjüffe baS £>auS erfchütterten: plößlidj 
Stimmen unb ©ebrüfle an meiner oerfchloffenen ©tubentßür: 
ich, benfenb, eS fei bie fouoeräne Sfaitaille, uerratnmle bie 
Xt)üte mit einer Stange: jeßt gesehen gefährliche ©tö|e 
gegen biefelbe, enblicf) bie feine ©timrne meiner ültagb: „eS 
finb nur einige Defterreicher!" ©ogieich öffne ich biefen werthen 


greunben: 20 blauhofige ©todböhmen ftürzen hetein, um 
aus meinem genfter auf bie Souueiäne zu fchiefjen; befinneit 
fich aber balb, eS ginge oom nächften fraufe beffet.“ ?lls 
enblich bie aufrührerischen (Bewegungen unterbrüdt unb bie 
oöllige 9fuhe burch Söaffengewalt wieber fjergefteüt war, 
fühlte er fich ben preufeifchen Äriegern, bie ben inneren grieben 
erfämpft hatten, zu höchstem ®anfc oerpflichtet. ®arum er« 
nannte er „ben in (Berlin errichteten gonbS zur Unterftüßung 
ber in ben Slufruhr* unb ©mpörungSfämpfen ber 3afjre 1848 
unb 1849 für ?lufred)terhaltung unb ^>erftellung ber geje^ 
liehen Drbnung in j)eutfchtanb inoalibe geworbenen preu|ifchen 
©olbaten, wie aud) ber Hinterbliebenen folcher, bie in jenen 
Kämpfen gefallen" burch (Ecftament oom 26. 3uni 1852 ju 
feinem Unioerfalerben. ©S ift nur gut, bafj feine rabicalen 
ülpoftel unb greuttbe, bie SRicharb SBagner, H^rwegh, 9Bile, 
©hallemel*Sacour tc., bamalS nichts bauon erfuhren, benn 
ein eclatanter ?lbfaü unb (Bruch wäre gewiß gewefen. 

3)fit (Recht h e &t Äuno gifcher immer wieber h ert)or « 
ba§ wer, wie ©djopenhauer, eine ^peil-S- unb ©vlöfungSlehre 
auffteüt unb im ©egenfaße zu ber „jübifdpchriftlichen SReti* 
gion," bie er oerachtet unb oerwirft, bie aßein wahre nicht 
bloß lehren, fonbern fogar ftiften wiß, fich felbft gteichfam 
als ben abenblänbifd)en (Bubbha betrachtet, als ben fünftigen 
©egenftanb eines (Silber* unb (ReliquiencultuS, als baS gegen* 
wärtige Oberhaupt einer fdjon im 3Bad)fen begriffenen @e* 
meinbe, wer feine Schüler unb Anhänger aßen ©rnfteS als 
„3lpoftel unb ©uangeliftcn" bezeichnet unb claffificirt, — ber 
tnüffe, waS er (ehrt, in bem eigenen Sebcn uerförpern, einem 
Seben oofler (EBeltentfagung unb Entbehrung, ooller (Dfitleib 
unb Siebe, nicht weil bie ^fließt eS gebietet, fonbern weil ber 
eigene religiöfe ©eniuS bazu brängt. ®r felbft hat gejagt 
unb biefen feinen Msfprud) zum 'IRotto einer (preiSfchtift 
genommen: „ÜJJoral prebigen ift leidjt, (Oforal begrünben 
feßwer." „Seit fdjwerer als (BeibeS ift fie uerförpern!“ ruft 
Sluno gifdjer. „'Daher finb bie echten (Kerfe ber SReligiou, 
inSbefonbere SleligionSftiftungen fo feiten-, baß felbft bic 
SBerfe beS ©cnieS bagegen häufig finb. Oßne feine Heils* 
leßre in bem eigenen Seben unb Seihe z 11 perfonificiren 
unb babureß in ber anfchaulichften gönn zu offenbaren, ift 
aße SRoral unb (Religion, bie man lehrt, man mag fie nun 
prebigen ober begrünben, bodj am ©nbe nur „SJortfram". 
®ieS ift eS, waS heutzutage einen (Wann, Wie Seo (Eolftoi, 
oermoeßt ßat, auS ber peffimiftifeßen HcilSlcßre fieß z um 
wirf ließen Heilanb zu flüchten unb zu tßun, waS bie (Berg* 
prebigt forbert." 21 ber ber (Biograph finbet zukßt bodj eine 
gerabezu geniale Söfung beS oerzwidten ©ßaraftcrproblemS. 
®ic Uebereinftiinmung ztoifdjen ©cßopenßauer’S (ßhilofopßie 
unb Seben (eueßtet unS ein, fobalb wir ißn als Zünftler 
gelten laffen unb betrachten. „DaS ftolze, oft ungeheuerliche 
©elbftgefüßl, weldjeS er oon feinen (Kerfen als genialen unb 
tünftlerifcßen firaftleiftungcu hegte, wirb unS erflärlicß; wir 
feheit ißn in feinem Ültelier, bisweilen, bilblicß zu reben, in 
Hembärmeln, ungenirt, berb, immer fupetlatioifcß in feinen 
SluSbtüden, oofler ©itelfeit unb ©ßrgeij, mit aßen 2lrteit unb 
Unarten einer Äünftlernatnr begabt, ftetS unter bem ©inbrud 
ber anfchaulicßen ©egenwart. @r fommt — oergeffen mir 
eS nicht — auS einem geitalter, in welchem bie feßöngeiftige 
Siteratur 'DeutfcßlanbS unb ber SBelt, aud| bie philofopfjifcße, 
feinen hößeten ©ultuS pflegte, als ben beS ©enicS. 3n feinen 
(Bücßern erfdjeint er auf ber SSeltbüßne, als ber Helb • feiner 
(ßßilofophie, bie ©tim umwölft, fein Sluge blidt ©infamfeit, 
er fpielt feine Äraftftüde, unb zwar fo ausgezeichnet, bafe 
wir über feinen (Silbern ben itiinftler oergeffen; er ift oon 
ben Seiben ber SBelt, bie er uns fdjilbert, fo erfüflt, ba& et 
in biefem Slugenblide felbft leibet; bisweilen unterbricht er 
fein ©piel burch eine (parabafe, um H e 9 c ^> bie (pßilofopßie« 
(profefforeit unb baS (publicum herunter zu madjen; bann fehrt 
er in bie ernfte Haltung unb ben tragifcßcu ©ßarafter feiner 
.Wolle zurüd. ©incS feiner intereffanteften (Befenntniffe be* 


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Nr. 17. 


Die ©egenwart. 


^ 6 1 


ftätigt biefe 9(uffaffung: et f)a6e bie Äraft, fid) fetbft ju 
erfchüttern, in hohem Woßc bcjeffen unb wäre ein großer 
©djaufpieler geworben, wenn er fid) nid)t für bie Saufbahn 
beS ©hilofopljen entfd)ieben hätte. Sr mar, wie man berichtet, 
ein uorzüglicßer Stjä^let unb fonnte, wenn il)n bet (Segen* 
ftanb ergriff, Df)räneu oergießen. ©un, er ift aud) als 
©hilofoph ei» großer ©d)aujpieler gentefen, ein folget, ber 
bie tragifd)eit unb fomifdjen üöitfungen in feiner ©emalt 
hatte. Sr vergleicht öfter fein Snbe mit bem ttjeatrcdifdjen 
Abgang: „Exit, plaudite!“ 


Das (Belffitnniß kr $ro|ien ^tjramibe von (Sifet). 

93on £nbn>tg Deinfjarb (TOttcfien). 

Unfere mobernen ©ft)d)o(ogen pflegen fid) befanntlid) nicht 
mit ben ©eheimwifjenfdjaften abzugeben, unb noch weniger 
tpun bieS im 2lügemeinen unfere 2leghptologen. Dieje Sc$= 
teren, bie, roie man glauben foüte, burd) ihre ©pecialftubien 

— icf) braune nnr an baS ägpptifche Dobtenbud) z» erinnern 

— häufig auf ben fogenannten DccultiSmuS birect Ijinge* 
roiefen werben, tönnen tro^bem ben SSerfen eines Sari bu 
©rel, Sari Sfiefewetter u. 91. feinen ®efd)utad abgewinnen. 
Wan braucht nur, um fid) fjietoou z» überzeugen, in bem 
©aebefer’fdjen Hanbbud) für 2legt)pten*©eifenbe, beffen wiffen* 
fd)aftlid)e DI)eile auS ben Hänbeu non 2leghptologen heruor* 
gegangen finb,. einen Sölicf auf jene ©teilen ju werfen, wo 
bie bilblidjen Darfteüungen befd)rieben werben, mittelft bereu 
jenes alte Sulturoolf feine ©orfteüungen non bem Seben nach 
bem Dobe nerfinnbilblidjeu wollte — Darfteüungen, wie fie 
fich namentlid) in ben berühmten SfönigSgräbern non SufSor 
finben. 3n biefeit ©rabfammern ift auf ber langen Sorribor» 
SBanb beifpielsweife ein gluß bargeftellt, auf bem bie ©onnen* 
barte einherfährt; in biefer fteßt ber mibberföpfige ©onnengott 
non feinem ©efolge umgeben unb bringt auf furje 3eit üid)t 
unb Seben in bie non ihm burd)faf)renen ©egenben. Oben unb 
unten finb bie beiben Ufer wiebergegeben, bie non allen möglichen 
©eiftern, Dämonen unb Ungeheuern beoölfett finb, bie ben 
©onnengott bei feiner gal)rt begrüben unb feine geinbe non 
ihm abwehren. „3n ber Srfinbung unb ©d)ilberung biefer 
©efpenfter — fdjreibt an biefer ©teile ber betreffenbe 2legt)p= 
tologe — h»t bie trodene ©hantafie ber 9legt)pter fich non 
ihrer fdjlimmften ©eite gezeigt,“ unb ber moberne Dourift, 
ber mit feinem ©aebefer in ber §anb biefe Darfteüungen 
betrachtet, fühlt fid) meiftentheilS ju einem mitleibigen Sächeln 
über biefeS abcrgläubifche alte 9leghpteroolf neranlaßt, in bem 
erhebenben ©ewußtfein, bah unfere heutige ©aturerfenntniß 
burch aÜ’ berartigen ©eifter» unb ©efpenfterglauben, ob er 
nun bem Sinjelnen troden ober phantafieuoU, abftoßenb ober 
reijooll erfcheint, einen ejactmiffenfdjaftlichen biden ©trich 
gezogen hat unb für alle ^ufunft gezogen ju haben glaubt. 

9lüein wir leben gegenwärtig tn einer ©eriobe über« 
tafdjenber miffenf<haftlid)er Sntbedungen, unb eS tjat ben 
2lnfd)ein, als ob bie 9legt)ptologie, ähnlich wie bie ©hhfif, 
nun auch ihren ©öntgen gefunben hätte, einen gorfcher, ber 
mit ben £*@trahlen feines gorfd)eraugeS in ein bisher recht 
bunfel gebliebenes Problem plöglid) eingebrungen wäre. Dies 
Problem ift bie Viel erörterte grage: weldjen 3 roe d, welche 
©eftimmung hatte eigentlich bie große ©pramibe non ©ijeh, 
bie fogenannte SljeopS* ober Sl) u fru»©hramibe? SBenn fie 
weiter nichts fein foüte, als ein ©rabbenfmal ihres fönig* 
liehen SrbauerS, woju bann bie merfwürbigen ©änge unb 
Sorribore in ihrem Snnern, bie halb nad) abwärts, halb 
nach aufwärts führen, woju bie geheimnißooüe Kammer unter 
ber ©afiS ber ©tjramibe, ba hoch bie oberfte Sammet als 
©rabfaminer beS SönigS genügt hätte? Hatte biefe ©gramibe 


aber eine anbere ©eftimmung, als bie eines gewaltigen fönig» 
lid)cn WaufoleumS, woju hätte bann ber in ihrem innerften, 
äufjerft finnreich angelegten ©ewölbe norgefunbene leere ©ranit* 
farfophag non 2 m 30 Sänge gebient? — ©chon feit längerer 
3eit ift man einer Söfung biefer grage auf ber ©pur. ©eorg 
SberS, ber ebenfowenig, wie feine Herren Soüegcn ben ©ro= 
blemen beS DccultiSmuS irgendwelche tiefere ©eacf)tung fchenfte 
unb in beffen Schriften balb ber ffeptifcf)e ©eiehrte, halb bet 
intuitioe Dichter hetbortritt, führt in feinem großen ©ra^t* 
wert: „9leghpten in ©ilb unb SBort," bei ber ©efpredjung 
obiger grage einige alte ©agen an. St fchreibt: „©ach alten 
9lrabern foüen bie ©prainiben not bet ©ünbfluth errichtet 
worben fein, um in ihnen bie 3SiffenS*©<hähe, ber bem Unter* 
gang erlefenen Wenfchheit oor ber ©ernid)tung ju bewahren." 
it)iefe ©age wirb nun aüerbingS in einem englifchen SBerf, 
baS bie 9ltlantiSfrage behanbelt, thütfädjlidj beftätigt. 2)aS 
betreffenbe ©uch h e 'fet: The Story of Atlantis non 833. ©cott* 
Süiot (Sonbon, 3 Sangham ©lace, Theosophical Publishing 
Society) unb ift wohl eines ber merfwürbigften literarifdjen 
Srfd)einungen Öer ©eujeit. Doch woüen wir unS hi« mit 
bemfelben nicht weiter befaffen, um nicht abjufdfweifen. 
SberS fährt fort: „Ütnbere glauben, in ihrem (ber grofjen 
©tjramibe) büitern Snnetn mären bie geheimnifeuoden, bie 
©cele erfd)ütternben Sinfiihrungen ober Snitiationen in bie 
Whfterien unb bie feierlichen ©rieftermeihen ehemals noü» 
Sogen worben." SberS befchreibt bann auSfühtlid) feinen 
höchft müheooüen ©efuch beS Snnern biefer ©hramibe, bei 
bem er anfcfjeinenb, trofj aü’ biefer ©agen, bie ihm ju 
Ohren gebrungen, als er fchliefelich im 9lüerf)eiligften an« 
langte, feft bauott überzeugt war, oor bem „auS geraubten 
©ranitfarg beS SheopS" ju flehen. Seite ©ermuthung 
aber, ba§ biefe ©aume j;ur Initiation in gemiffe SWhftericn 
gebient haben bürften, finben mir in bem 1892 in Sonbon 
erschienenen SBerfe: „The perfect way“ non Dr. 91. ÄingS* 
forb unb S. Waitlanb präcifer auSgefprothen. „Die StönigS* 
fammer," fagt Waitlanb, in ber bie ©änge enben, ift ein 
grofeeS hochgewölbteS gimmer, welches 6 Jßölbimgen, eine 
über ber anbern hat . . . 3n ber Witte biefeS 3<mmerS 
fteht eine große Sabe, bie aus einem einzigen ©teinblod ge» 
hauen ift unb als ©arfophag (ja fogat auch als Äornfifte, 
fügt ber Herausgeber bei) bezeichnet wirb. 3« biefe Sabe 
hatte fidh ber jur Sinweihung Herangercifte, ber erfolgreich 
aüe ©rüfungen beftanben hatte, bie in ben untern ©ängen 
nerfinnbilblidjt waren, hineinzulegen, gleichfam feinen Körper 
als ben Seichnam in baS ©rab z» legen, bamit bilblid) aüen 
irbifchen ©egierben entfagenb." 

Damit finb wir wohl bem ©ef)eimnifj ber großen ©t)* 
ramibe glüdlid) auf bie ©put gefommen. ©un tauchte in 
ben lebten Saljren in Snglanb ein 9leghptologe auf, ber eS 
fich z ut SebenSaufgabe gemacht z u haben fcheint, in baS 
Duntel biefeS ©eheimniffeS ooüftänbig einznbringen, mit 
©amen WarSham 9lbamS. Snbe 1898 etfehien bei Sol)» 
Wurrat) in Sonbon ein ©uch non 9lbamS, betitelt: „The Book 
of the Master," worin ber ©eweis geliefert wirb, baß unfer 
beutfeher, fo hoch oerbienftoofle ?(egt)ptologe ©icharb SepfiuS 
feinen befonberS glüdlicßen ©ebanfen hatte, als er ben im 
©arg eines ©riefterS ©amenS Stuf 2lnfh Oorgefunbenen©aphruS, 
ber gegenwärtig in Dutiu aufbewahrt wirb, baS „Dobtenbudj 
ber 9leghpter" nannte, ©eit SepfiuS wirb ja befanntlid) einfach 
angenommen, eS Ijanble fich *» bem genannten ©aptjtuS um 
eine Unterweifung non ©erftorbenen, b. h- um ganz Phantaftifd)e 
©orfteüungen über ben 3»ftanb nach bem Dob, ©orfteüungen, 
worin ber fraffe 9lberglaube ber alten 9leghpter fo recht z» m 
2luSbrud fomme, furz » m Schriften, bie tro| beS barin an» 
gefdjlagenen DoncS erhabener etlicher Sehren einen cultur» 
gefchichtlichen SBertf) eben nur infofern befi^en, als fie ben 
©eweiS liefern, wie tief baS ganze Denfen ber 9leghPter im 
2lberglauben Oerfunfen war. ©un ift aber, wie 2lbamS nach» 
gemiefen hat, ber eigentliche ©inn biefeS ©appruS ganz anberS 


* 


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Die töegettwflrt 


- 

Nr. 17. 


aufäufaffen. 5Rac£) ihm houbelt eS fid) batin weniger um 
eine Belehrung Don tmrflicf) Beworbenen, als oietmefjr um 
eine Unterweifung non fold)en, bie jum ßwccf ber Snitiation 
in f)ö^eve SDipfterieit, bie eben in jener großen Ißpramibe 
Borgenommen ju merben pflegten, fiel} in einen ßuftanb beS 
Sd)eiittobeS ju oerfeßen Ratten. Ueber biefen 3uftanb, fomie 
über biefe Initiationen überhaupt werben wir unS nur bann 
Klarheit oerfRaffen fönnen, wenn wir unS cittfd)ließen, unS 
Bon eigentlichen Occultiften, b. h Bon 2Renfcf)en, bie felbft 
eine gewiffe occultc (Schulung befißen, barüber belehren ju 
laffen. Ehe wir unS aber für weitere 9luffd)lüffe über biefe 
bunfeln fragen an bie Öitteratnr beS DccultiSmuS wenben, 
woQen wir nod) einen Slugenblitf bei SlbamS oerweiten, beffen 
eben angeführtes Buch auch noch in anberer §infid)t fef)r 
beadjtenswertf) er|d)eint. 

@8 finb nämlich barin non SlbarnS bie jüngften ForfdjungS* 
ergebniffe über bie merfwürbig einfachen Beziehungen nicber* 
gelegt, in benen bie ^auptabmeffungen. ber großen ißt)ramibe, 
beren £öhe unb Seitenlange ju aftronomifd)en ©roßen ftehen. 
SBenn mir Bon SlbarnS, ber fich h' cr bei auf ben befannten 
englifchcn Slegßptologen glinberS ißetric ftüßt, erfahren, baß 
Z- B. bie £»öl)c ber großen ißpramibe gleich bem tüufenb=mil* 
lionften Xljeil beS SRabiuS ber ©rbbafjn ober ber mittleren 
Entfernung Bon Erbe nnb Sonne unb baß beren Seiten* 
länge gleich bem taufenb*millionften ^heil ber Entfernung ift, 
bie unfere Sonne mäljrenb eines SaljreS im SBcltraum burd)= 
mißt, fo merben Wir mit einem ©efüßl ber Bemunberung 
für bie aftronomifchen Äenntniffe, bie bie ?legt)pter jur 3 c it 
beS Baues jebenfalls befeffen haben, — mag biefer nun oor 
ca. 6000 Saßren ober Bor nod) Biel längerer 3 e *t errichtet 
worben fein, — uns jebenfalls fagen müffen, baß ber Er* 
bauer bei ber Errichtung feines Baues ganz befonberS ernfte 
unb heilige ®inge im Sinne gehabt haben muß; benn fonft 
hätte er feine ®imenfionen gewiß nicht fo weit hergeholt, wie 
bieS offenbar ber Qatl war. 

Um uns nun über baS SBefen ber Snitintionen unter* 
richten zu taffen, wollen wir uns an eine Autorität auf bem 
©ebiet beS DccultiSmuS wenben, an einen ber lpaupt*9JJit* 
arbeitcr ber öottboncr 'Jheofophical fReoiew, einer SRonatS* 
fchrift, bie in ber zaljUofen periobifchen öiteratur beS Dccul* 
tiSmuS eine ganz heroorragenbe Stellung einnimmt. E. SB. 
öeabbeater hat im Berfloffcncn 3al)r in ber bezeidjneten fRebiem 
eine Serie non s 2lrtifeln- über baS d)rift(id)e ®taubenS = Be* 
fenntniß ueröffentlicht, in ber et fid) zunädjft gegen bie weit* 
Berbreitete Sinnahme menbet, baß baS Stjmbol beS ÄreuzeS 
einzig unb allein nur bem Ehriftenthum angehöre, mäljrenb 
eS in SBirflidjfeit )d)on bei ben älteften Böllern, non benen 
wir miffen, im ©ebtaud) war, unb fährt bann wörtlidj 
iolgcnbermaßen fort: „3n Slegppten befanb fid) bie Ipalle ber 
Initiation oft unterhalb beS Tempels ... Eine foldje |)aQe 
ift aud) unterhalb ber großen ißtjramibe angelegt. 3>n einem 
berartigen fRaum pflegten bie mit ber Initiation oerbunbenen 
Eeremonien ftatt^ufinben ... Ueber bie öeßteren wollen wir 
nur erwähnen, baß fie batin gipfelten, baß ber Eanbibat 
fich freiwillig auf ein mächtiges hölzernes Slreuz. baS fo auS* 
gchöt)lt war, baß ber menfcßlidje Körper barin fßlaß fanb, 
horizontal nieberlegte. Seine Slrme würben nun lofe an bie 
Sreuzarme angebunben, nur ganz l°K h era ^üngenben 
Schnurenben, um baburch ben burdjauS freiwilligen Eharafter 
biefer fßrocebur auSzubriiden. E)er Eanbibat ging bann in 
einen ßuftanb beS SieffchlafS übet, (ben ber DccultiSmuS 
gewöhnlich als Trance bezeichnet), b fj. et Berließ für eine 
gewiffe 3«t feinen ftörper, um fid) in ber aftralen SBelt ober 
Sphäre ganz unb gar frei zu bewegen nnb zu betätigen (wenn 
bieS mit Bollern Bewußtfein gefdjehen foQ, fo gehört bazu natur* 
gemäß eine lange BorauSgegangene Schulung, über bie bie 
Literatur beS DccultiSmuS Sluffdjluß giebt). SBäßrcnb fo 
fein Körper in tiefem Sd)laf oerfunfen war, würbe biefer 
in einen unterhalb ber §alle ber Initiation befinb(id)en fRaum 


getragen unb bort in einen immenfen Sarfophag gelegt, — 
ein Borgang, ben man fhmbolifd) auch olö Sterben unb 33e* 
grabenmerben auffaffen tann. So lange nun ber phhftfche 
Körper gewiffermaßeit tobt unb begraben balag, befanb fich 
ber eigentlidje SRenfd) bei Bollern Bemußtfein irgenbwo anberS. 
ÜRannigfach unb eigenartig waren bie öectionen, welche ber 
SReophht mäljrenb biefeS Borübergehenben SlufenthaltS in ber 
aftralen Sphäre zu lernen, waren bie Erfahrungen, bie er 
bort zu fammeln, bie Prüfungen, bie er bort zu befteljen 
hatte. SlUein fie waren alle forgfättig barauf berechnet, ihn 
mit bem neuen ©ebiet ber Sthätigfeit, in welchem er fid) 
nun bewegte, ooüftänbig oertraut zu machen, ihm ©elegen* 
heit zu geben, baffelbe oerftehen z u lernen unb fich baS 
nöthige Selbftoertrauen zu erwerben, b. h- mit anberen SBorten, 
ihn berart zu fchulen, baß er allen ©efafjren, bie bort feiner 
harrten, gewachfen war, baß er Bon feinen Sfräften einen 
ruhigen unb befonnenen ©ebrauch machen lernte unb baß er 
fo in jener Sphäre ein geeignetes SBerfzeug in ben £>änben 
berer merben tonnte, bie bie Entmitfelung ber SRenfdjheit 
förbern." So weit 2Rr. öeabbeater. Er ermähnt bann noch 
bie uerfchiebenen Prüfungen, bie ber Eanbibat zu beftehen hatte, 
bie fogenannten Erb*, SBaffer*, Öuft* unb Feuerproben, wobei 
ich an SRozart’S „3auberflöte" unb an gewiffe Eeremonien 
beS FrcimaurerbunbcS erinnern möchte, meid)’ öeßterer ja mit 
ben alten äghptifdjen 2Rt)fterien in gewiffem 3ufammenhange 
ftehen will. Sn Bezug auf bie aftrale Sphäre ober Ebene 
möchte ich n °(hi benjenigen öefer, ber hierüber näheren Stuf* 
fdjluß hüben möchte, auf bie im Berlag Bon SB. Friebrid) in 
Seipzig erfchiencnc beutfehe Uebetfeßung einer Schrift öeab* 
beater’S über biefe Sphäre, fowie auf beffen: „Unfidjtbare 
Reifer" hinweifen. 

SBir glauben bamit baS ©eljeimniß ber alten großen 
fßhramibe Bon ©izeß wenigftenS einigermaßen erfcßloffen z« 
haben, unb id) möd)te mich Bon bem öefer mit bem SBunfdje 
Berabfchieben, baß es ihm, wenn bieS nicht fchon ber Fall 
mar, nod) befdjieben fein möge, biefen wunberbaten, aus 
mächtigen Duabern zufainmengefeßten fteinernen Berg felbft 
Zu fchen mit feinem fchmncflofen Sleußent unb feinem ge* 
heimnißoollen Snnern, unb baß er bann beziiglid) biefeS 
öeßteren, nicht wie cS mir erging, auf bie SBeiSheit feines 
Baebetcr’S allein angemiefen fei. Ueberljaupt wirb ber. Welcher 
fich, c h c er bem öanb ber ^ßh ataonen mit feinen.^ßpramiben, 
Tempeln unb Sphinjen einen Befudj abftattet, in bet hi et 
erwähnten öiteratur etwas näher umfieht, bieS gewiß nicht 
ZU bereuen haben. Er wirb bann mit ganz anberen Smpfin* 
bungen baS Snnere ber großen ißpramibe betteten, als ber 
gewöhnliche Sourift, ber bort Bor lauter SRäthfeln fteht, bie 
er nicht zu löfen oermag. 




Feuilleton. 

- Wacftbnirf netboten. 

Ifohes Spiel. 

33on £onts <£ouperus. 
bem 4)oIIänbifcftcn. 

war am borgen frü§ f in 3nt roftgen i)?cbel föiuis 

merten in ber gerne bie bläulichen Umriffe ber S3erge Don ®ptru$, unb 
Don bem b L1 tf)9ekgenen ©djloffe fenften fich 8«^ 9tteer bie hc^Uchen 
Olivenhaine, bie ©eberrfcher ber 3nfcl. (58 mar noch fe$r früh, 
fecf)8 Uhr, ba8 6chloh lag au8geftorben ba, breit, vieredig, mit feinen 
langen §äulengaflerien, bie mit Jahnen unb 93ilbmerfeit oerfchmenberifch 
gejehmüeft maren. Unb eigen mar e8, in ber Oebe biefe« borgen« bort 
ein junges 9Käbd)en ju feben, ba8 an einen marmornen fiömen lehnte 


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Nr. 17. 


Die (ßegetttoari 


269 


unb auf baS ropg fdjimmernbe Wfeer ftarrte. Sic morfjtc ein= ober 
gtoeiunbgroangtg fein unb faß feßr gart auS im ropgen W?orgenli4te, gleicf) 
einem Afabafterpgür4en groifeßen ad' ben anberen Statuen auS Vronce 
ober f4toerem Marmor , unb als fei pe, gang in SBeiß gef leibet, eben 
erft lebenbig unb faft unmerfbar befeelt morben, in biefer gried)ifd)en 
2Korgenrötße. Unberoeglicß ftanb fie ba, bie klugen auf baS Wteer ge= 
richtet, ben Arm auf baS Söroenßaupt geftüßt. SS mar als umfeßroebte 
fte etmaS SugenbltdjeS, Unp4ereS, §ülflofeS, roie Don einem großen 
SHnbe, mit ihrem garten Silienteint, auf bem ein paar feine Sommer^ 
fproffen mie golbene fjlecfchen p4tbar maren, mit ihrem golbblonben 
$aar unb ben fmaragbgrünen Härchen äugen. Unb hoch mar fte nicht 
fchön gu heißen: ihr gauber entftrömte rooßl nur ihrer ftinblicßfeit.. . 

(SS mar fedjS Uhr. Seltfam, baß fie fo früh f4an baftanb; noch 
feltfamer, baß bie Valfontßüre leife ficb öffnete, unb Königin Alejanbra 
nun auch auf bie Batterie hinaustrat. Sie bliche p4 um mit ihren 
bltfcenben fchroargen Agen, bie Seibenfcßaft, ^^rgeig f glüßenben Sehens* 
burft fprüßten. 

„Siena!" fprach fie leife. 3ß« Stimme tlang munberfam magneti- 
prenb. Unb oietteicht lag nun, ba fte auS ihrem Sanbe öerbannt mar, 
ihre größte SRacht in ihrer Stimme. Sofort horchte baS Räbchen auf, 
manbte ftch unb lief ber Königin entgegen, bie pe füßte, als märe fte 
ihre Tochter unb pe mar bocß nur ihre §ofbante. „2BaS machft Xu 
hier, mein $Hnb?" 

„34? Nichts, Wtojeftät! ich fonnte nicht mehr fcßlafen." 

„Unb roeßßalb nicht?" 

„34 tücig eS nicht; ich forntte nicht/' 

Xie Königin fchroieg eine Sßeile unb bliche auf baS Wteer hinaus. 
2Bo ftch bie Abhänge ber 3nfel fenhen, lag bie Stabt unb eingelne Schiffe 
im #afen, fonft mar nichts gu fehen. „SSann mirb bie 2)ad)t Seiner 
Stfajeftät in SßajoS erroartet?" fragte pe plößlid). Siena erbleichte. „34 
glaube um ... um a4t Uhr." 

„34 ba4te, f4on früher." 

,,SMg«4 

„Vrtant fagte mir geftern Abenb: um fieben." 

„SS fann fein . . ." ftammelte baS Räbchen. Verrounbert blirfte 
bie Königin pe an. „Unb Sure Wfajefiät felbft", glaubte Siena fagen 
gu muffen, „fonnten mohl auch ni4t mehr fchlafen?" 

Wocß immer bliefte bie Königin pe groß an; bann lächelte fie unb 
fagte mit ihrer roei4en Stimme, bie Don Derhaltener Wtelobie bebte: 
„Wein ... 34 baeßte fo Diel an Seine Wtajeftät; ich höbe meinen Sohn 
feit fünf Monaten ni4t gefehen." 

„3a, feit fünf Monaten." 

„Wi4t maßr, eS ift f4on fünf Monate her?" mieberholte bie 
Königin mit befonberem Wa4brucf. Siena f4toieg, unb bie Königin fuhr 
fort: „Unb nun moHte i4 hier auSf4auen nach bem C>afen, biS bie 
JMü fommt." XaS 2Jtöb4en mürbe um einen S4ein bleicher, unb 
bo4 hatte bie Königin Ades nur na4läfpg ßingeroorfen. Wun trat fie 
gu einem bort aufgeftettten gernroßr, beugte pch etmaS Dornüber unb 
guefte hinaus. Xann ri4tete fte ftch auf unb fragte: „2Bir rooüen aijo 
hier bleiben, ni4t mahr?" 

„5Bte Sure Wfajeftät befehlen", antmortete Siena leife. 

Xie Königin hatte P4 gefegt. Wun feßroiegen Veibe unb faßen 
müßig ba, müßig unb Doller Srmartung. Xann fpra4 bie Königin 
nach einer langen $aufe: „34 freue mich, baß SSlabimir fommt. SS 
ift roirfli4 re4t öbe unb langmeilig hier, obmohl mir fo Diel Säfte 
haben." 

„SBarunt bleiben Sure Wfajeftät hier? können Sie nicht ita4 
SBien gehen, na4 VariS?" 

Xie Königin f4aute pe an. „XaS fann nicht Xein Srnft fein." 

„Unb marum ni4t?" 

„9Beil Xu re4t gut meißt, baß i4 in 3Bien ober in ^ariS . . . 
Seine 9Jtojeftät Diel feltener fehen mürbe." 

SS mar als litte baS 2J?äb4eit bei biefen Sorten unter einer ßef= 


tigen Srfchütterung; in ihr erma4te mie eine Vermutßung, bie Königin 
fpiele mit ihr, aber fie mar ein merfmürbig pafpDeS SBefen: pe mußte 
biefeS Spiel bulben, pe fonnte nicht anberS. „Unb marum müßte baS 
fern?" fragte pe faft meeßanifd); bie $öorte famen fo, pe fonnten ni4t 
anberS. 

„SS ift fo feßroierig für Seine Wfajeftät, incognito na4 2Bten ober 
na4 ^ariS gu reifen, unb offtcielle Vefucße föttnen ft4 nüßt gar gu oft 
roieberßolen. £>ier ift baS AüeS gang anberS." 

„©eroiß, baS ift fo." 

„Iber eS ift hier roirfluß langmeilig, feßr langmeilig." Sie ließ 
langfam bie Arme f4laft ßernieberfinfen, faul, apatßif4- ©ie toar Derbannt 
auS Xracien, ißrem fleinen ftönigveuße, roegen mißglüefter Sutriguen, 
93aßlbefte4ungen, aüerßanb S)ur4ftecßereien mit ben Wttniftem, Derbannt 
auf Anrathen ber ©roßmä4te, — inbeß ihr Sohn, bur4 bie nämli4en 
Sroßmä4te auf ben Xßron gehoben, gur Regierung gelangt mar, — unb 
nun langmeilte pe p4- 2fto4te pe immerhin in ißrem S4Ioß einen fleinen 
§of um p4 haben unb bie Voßfcme ber europäifeßen gürftenßäufer gu 
Safte laben: pe langmeilte fieß. Sie mar gur Sntrigue unb ^errf4oft 
geboren. 3h r genügte eS ni4t, baß fic f4ön mar, eine rei4li4e Wpanage 
hatte unb nur ihren Saunen leben fonnte: pe fonnte oßne 3ntriguen 
nießt leben. Solche Wta4enf4aften, mie jeiner 3eit roäßrenb jener 2Baß(en 
mit ben Wiiniftern, ben Staatsmännern, — ein europäifeßer Scanbai 
— baS mar ißr Sleinent. 3hrc Verbannung mar ißr beS romantifeßen 
VeigefcßmacfS megen ni4t gangunmillfommengemefen. ©ennmitVeftimmt^ 
ßeit hatte pe barauf gere4net, halb im Triumph gurüefgufehren; unb bann 
hätte man moßl in ißrer Verbannung ui4tS ?lnbeveS gefehen, als eine 
interefjante Vergangenheit. Mein ber Triumph blieb auS. Wun fam 
ißr Soßn, Äönig SBlabimir, auf ein paar 3öocßen gu Vefucß. Unb melcße 
Ueberraf4ung mürbe er ißr bringen? 3)en Vefcßluß ber Stäube, ber 
fie guriidrief? Wcß mie feßr pe eS au4 h°ff lc r f° gtoeifelte pe bod) ba^ 
ran, meil pe ben SBiberftanb ber QJroßmä4te nur allgu gut fannte unb 
fürchtete. UebrigetiS mar ißr ßßon bie Sßronbefteigung ißreS SoßneS 
eine große Snttäufcßung; pe hatte nur bamalS in ber erften Srregung 
ni4t glei4 baran benfen fönnen. WbeT bereiten bie Sreigniffe beS SebenS 
nießt immer Snttäufcßungen ? $a märe ißr bie Verfünbung einer We= 
publif noch miüfommener gemefen. Unb bann fpäter mieber gurüd im 
Triumph ... So aber fonnte pe nur no4 auf bie Aufhebung ißrer 
Verbannung unb bie Wföglicßfeit ßopen, einen Sinfluß auf ißren Soßn 
auSguüben. S4roermütßig umfeßroebten fie fol4e ©ebanfen in bem 
ropgen Wforgenlicßte, unb fie bliefte auf Siena, bie ftitl unb bleuß ba- 
faß. Unb etmaS begann Seben unb &orm im ©ebanfengang ber Königin 
gu geminnen. 28ir roerben feßen, baeßte pe. Unb fie fußr fort, Siena 
feßr aufmerffam angufeßauen, unb pe fanb, baß bieS gebred)U4e blonbe 
^inb mirfli4 auSfeße, als mare eS bagu beftimmt, ein Opfer gu merben. 
SS giebt Wfenfcßen, bie bagu geboren pnb, geopfert gu merben. Unb 
bann bliefte pe ßinauS auf baS 3Jfeer unb bie Verge Don SpiruS. Unb 
füll faßen bie beiben grauen ba unb faßen auS na4 ber ?)a4t beS 
Ä'önigS SBlabimir. SS mar furg na4 peben, als pe enbli4 in ber gerne 
in Sicßt fam. 

-$ln jenem Xage mar WlleS früß in bem S4loffe, öiel früßer 

als fonft. ^er junge $önig mar angefommen, unb alle ©äfte feiner 
Wfutter maren bereit, ißn gu begrüßen. 3Bie eine „garden-party“ mar 
baS Seben unb Treiben bort auf ben Xerraffen, in ben ©allerien, an 
bem immer märmer roerbenben grüßlingStage. Unb fiößlicße ©ruppen 
bilbeten fi4, Xamen unb Herren, auch eingelne Uniformen barunter; unb 
eS lag über ber gangen ©efedfeßaft ein eigenartiges StmaS, etmaS bitter 
3tonifcßeS, etmaS gemotlt ©leicßgiltigeS. 3eber SarfaSmuS mürbe noch 
eßnifeßer beantmortet. Verfammelt mar bie Voßbme Don SitropaS gürft= 
Iicßfelten: all' jene gefrönten Abenteurer, bie bur4 eigenen ©iüen ober 
bie Wta4t ber Verßältniffe ißrem Slenient entriffen maren. 3^ber Don 
ißnen ßatte feine ©etreuen um p4, bie auS irgenb einem felbftifcßen 
©runbe treu blieben. Unb über alT ben Wfenfcßcn lag eS roie eine 
merfmüvbige Xecabcng, bie ein neues gaßrßunbert, etmaS Ungeßeuer= 


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270 


Die töegentDart 


Nr. 17 


licpeS $u OerKinben fdjicn, etmaS oon einem näßen Knbe. ©ie etmaS 
DämonifcpeS gitterte eS fiüt^tig im Sädjeln unb gürten ber grauen, in 
ben brutalen Sdjer$en ber TOinner. Unb über aß 7 bem fcpmebte bod) 
ein Waucp fouoeräner. Wopeit, mie ein oerblicpener ©lanj Oon Sfronbia* 
manten auS falfcpen Steinen. 

gn einer ber ©aflerien, melcpe bie anberen ©äfte einer leifen DiS* 
cretion geßorcpenb oerlaffen patten, ging bie Königin SHeyanbra mit 
©labimir auf unb ab. Krnft mar ißr ©efpräd) unb flepenb Hang bie 
Stimme ber Königin, faft finblicp bie Stimme beS jungen StönigS, als 
moßte er Jagen, eS fei bod) mirllid) nid)t feine Scpulb. (Sin großer, 
kräftiger Jüngling Oon 19 Saßren mar er, fcpon gan$ SKann, frifcp unb 
flott in feiner prallen Uniform unb baS junge SönigSblut feines ©aroenü* 
gefd)led)tS jagte in toller Suft burd) feine Bibern. Sein Heiner Äopf mit 
bem lurjgefcpnittenen SfrauSpaar, bie palbgefdjloffenen, lauernben 2lugen, 
bem finnlicpen, oom männlichen glaum umgebenen Sflunb erinnerten 
lebhaft an ben $opf beS jungen Karajaßa; feine Sippen umfpielte immer 
ein liebenSmürbigeS Säcpeln, ein Säcpeln opne Diplomatie, aber Oon 
Weiterer Sinnlicpfeit. 3n feiner Sfraft lag etmaS ©efcpmeibigeS, mie bei 
einem fcpönen jungen Diger. 

Die Königin, fepr jung nod),, fepr [cpön, fepr elegant, hing an 
feinem 2lrm; fte goß eine glutp järtlicper ©orte über ißn. Sie gab 
fid) ihrem Sohne gegenüber, mie fte mar — fomett fte eS magte. Unb 
er, mit feinem finnlicpen Säbeln, oertpeibigte fiep noch, unb noch immer 
Hang feine Stimme halb tinblid)»frop, halb fchmerglid). Sie fah ihn nicht 
fo, mie er mar. Sie fah nicht, baß biefer fräftige 3üngling fcpon 3Rann 
mar, an Sförper mie an ©eift. 2113 SJhitter glaubte fie mit ihrer 
Sftenfcpenlenntniß ihn leiten $u fönnen nad) ihrem ©ißen. Unb gerabe 
baß fie noch immer auf feine angebliche Slinblicpfeit anfpielte, baS brachte 
ihn fo außer fid). 9Jein, fo bumm mar er benn bod) nicht mehr! 

9lber er fteüte fid) nur fo bumm. ©irtlicp, Sflama, e3 fei nicht 
feine Sdjulb. gür ihn felbft mar e3 ja auch eine große Knttäufcpung. 
2lber ber üftinifterpräftbent, bie SHtnifter, bie Stänbe, mirHich, e3 mar 
unmöglich! Unb bann bie ©roßmäcpte, unb immer biefe efelpafte ©or* 
munbfd)aft, befonberS Oon Siparien au3 . . . Unb er fchimpfte meiter. 
Darauf begann er Komplimente *u machen, ©te fd)ön fie fei unb fo 
jung noch: mie feine ältere Schmefter fälje fte auS . . . Unb mie gut fie 
biefe antifen Spipen fleibe. Wur fehr fcpöne grauen mit einem fo fchönen 
Deint mie fie fönnten antife Spißen tragen, meinte er, unb jebe anbere 
grau mürben fie päßlid) machen. Unb bann mühlte er in ben, ihre 
bloßen 2lrme bebecfenben langen Spipen, mit gterig=müfjlenbeu gingern; 
unb hoch lag in a(T biefen ©emegungen noch etmaS StinblicpeS. Dann 
füßte er fie unten auf ben 2lrm. (Sin peroerfer bummer 3unge, bachte 
fie unb liep ißn gemäpren. 0 fie mar auch peroerS, aber nicht bumm. 
Da3 patte er oon feinem ©ater. Unb tropbem hatten feine einfchmeicpelns 
ben ©orte fie angenehm berührt. Unb fie fepte fid), *og ihn an ihre 
Seite, unb ba in biefem 2lugenblid hoch leine Kntfcpeibung oon ihm flu 
erlangen mar, begann fie in großer Sebpaftigfeit oor [einen 2lugen ein ©ilb 
ju entmerfen Oon aß 7 ben giänjenöen geftücpfeiten, bie ihm ju (Ihren 
oeranftaltet mürben. KS mürben noch mehr ©äfte fommen unb ob er 
etma in biefer Wtuficpt einen befonberen ©unfd) habe? 

JF „3a, bie ©räftn Kofti", roarf er heftig hin. 

Sie lachte laut auf. 3ttit feinen lauernben 2lugen bliefte er fte 
Oon ber Seite an unb ein finnücpeS Verlangen fchmebte um feinen 
fltfunb. 2lber fie mehrte fid); nein, bie ©räfin Kofti fönne fie nicht ein* 
laben, benn bie habe fid) fo unmöglich gemacht unb alle Ktiquette außer 
2ld)t gelaffen. Da§ ginge nicht. Kr mürbe ärgerlich. Kr hatte auf bie 
©räfin gerechnet, unb jebe feiner Saunen mußte hoch erfüllt merben, 
fonft mürbe er rafenb. 2lber fte mieberpolte nur immer: — „9?ein, 
©labimir, mirHich, ich lann fte nicht einlaben.* 

(gortfepung folgt.) 


Jlttd bet «^auptftabt. 


Die Ankunft auf bem tBaffer. 

©enn eS mirHich ber Staub in ber Suft ift, ber unS bie reine 
§immeI3*©läue, bie polbfeligfte aller optifepen Däufdjungen, befepeert, 
bann hatte Berlin bie ftrahlenbe Weiterleit beS erften grüplingStageS im 
3ahre ganj allein fid) felbft ju oerbanfen. SSon ungelinbem 9?orbmcft 
gefchoben, mirbelten bide Staubtromben burch bie Straßen unb bemühten 
fid), bie paar frifdjen garben, bie ber nörbHcße Sen^ auf ber Palette 
hat. ju oermifeßen ober bod) mobifcß ju milbern. DaS Inaßgelbe Sonnen* 
licht faß unter biefem Schleier graumeiß au3, unb bem biSchen ©rün, 
ba3 ft cf) an glieberfträucpen unb bürrem ©ebüfd) fd)üchtem hetaortoagte, 
ließ er bie trifte ^ßalifärbung, beren Scheußlichleit aud) SRubparb ^ip* 
ling'S fcßlechte 58erfe nicht oerminbert haben, ^ber e3 mar bod) grüb s 
ling geroorben, bei 36 ©rab JReaumur in ber Sonne. Unb bie SWenfdjen 
ließen fidj ihre greube barüber burd) nichts üerberben. Sic fchlurften 
ftf)mun$elnb ben fein gepuloerten ^oth, ber Oom 2l3phalt aufroadte, unb 
lächelten glücffelig, als athmeten fte nicht Katarrh' unb Sdiroinbfud)t* 
leime ein, fonbern als feßieften fie fid) an, ben Monarchen eines be= 
freunbeten Staates begeiftert empfangen &u helfen. Drbentlicp liebenS* 
mürbig maren bie berliner heute. Ktlicpe oon ihnen oergaßen fiep im 
grühlingStaumel fogar fo meit, nicht einmal mit ben 2lccumulatorroagen 
um bie ©ette ju rennen. Sie fepten ganj langfam ein Sein Oor baS 
anbere, blieften ben jungen ©eibern unter bie Wihe un b auf bie grell* 
bunten Sloufen, beren heßen garbenglanj ber Staub nod) niept üößig 
gebämpft patte, unb ftatrten bann aufmerlfam bie praplerifcp biefen, fett* 
glän^enben $nofpen ber Äaftanienbäume htuter 7 m Kaf^ 3oftp an. Sie 
tpaten bieS 2lßeS, obmopl eS noep lange nicht geierabenb mar, alfo jebe 
Minute, bie man mit folcpen Äinbereien oertröbelte, fcpöneS, baareS 
©elb foftete. ©enn niept 2lßeS täufepte, baepte jept Kiner ober ber 
Anbere Oon ihnen gar baran, baß oiefleiept jur felben Stunbe in ben 
jurücfgebliebenen Sanbftricpen DeutfcplanbS, mo nod) feine Kffen fiep 
reden unb feine Sftontanpapiere gepanbelt merben, baS Steinobft feine 
lieben, fröhlichen Slütpen öffnete, Schmetterlinge mißtrauifd) auS ben 
Suppen froepen unb ipre erften, fepmerfäfligen glugoerfucpe machten, 
nacpbenUicpeS SrutOoll in luftigen Heftern feine Heinen Seiber monne* 
bebenb an baS ©elege fepmiegte. . . 

,,©ir paben ben grüpling, unb mir laffen ihn nicht mehr", fagte 
ber junge SftarineftabSoffider ju feinem mettergebräunten greunbe, mäh* 
renb er mit blanfen 2lugen auf baS braufenbe ©emiramel beS SlapeS 
blidte. „Die hier brinnen in ber Stabt merlen baS erft fpäter, erfahren 
eS erft auS ihren 3eituitgett, unb aud) 3P* auf bem Sanbe fträubt Kud) 
argmöpnifd) gegen bie neue Krlenntniß. 2lber oom 9)?eere auS fiept 
man 7 3 an bem filberneit Duft, ber um bie Stuften hängt, unb man füplt 
eS mit jebem ^Itpem^uge. grifcpeS ©lut pulft burd) DeutfcplanbS 2lbem, 
bie ©röße einer neuen geit, in uuferem Ataifer unb feinem ftarfen 
©oßen oerförpert, melbet ftep an — eS ift eine Suft, gu leben! 

Der ^acpbar riidte leicpt an feinem Kplinber unb goß fid) bann 
mieber oom Sperrp ©ranbp ein. „3h* merbet ja bie glotte befommen. 
Daß fie jebodj ben grüpling bebeutet, baS glaub 7 ich niept. 3d) glaube 
niept mal, baß fie eine SHeOolution perauffüprt, mie SJlandje hoffen, eine 
9?eoolutionirung unfereS ©irtpfcpaftSlebenS — unb Du meißt, mie feiten 
föeoolutionen ben grüpling bringen. 3ch tpeile meber bie Hoffnungen 
nod) bie ©efüreptungen, bie fiep an bie neue glotte Inüpfen." 

„©efüreptungen?" Der Koroettencapitän lächelte ungläubig, „©er* 
fiepe icp Did) recht, ©iSmardjünger? ©efüreptet man bei Kud), baß 
bie ScpiffSoerboppelung unS mit biefer ober jener 9Kadjt aneinanber 
bringen rairb? DaS märe boep niept $u befürchten, baS märe im ©egen* 
tpeil ju hoffen!" 

„Unb baS poffft Du mirlli^?" 

„2lßerbingS." Kin merlmiirbigeS 3 uc l cn 9* n 9 ^ ®cficpt 

beS Seemanns. „Die neue glotte fann nur einen 3*aed paben: fie foß 


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Nr. 17. 


Die ©egenwart 


271 


iit guhmft häfjlidje ©efdjehntffc unmöglich machen, Beleibigungen wie 
bie, bie wir gäpnefnirfchenb einftecfen mufcten oor Manila unb Apia, 
©laubft Su benn, bafj unter Saufenben ein Kamerab ift, Mt bie ©a* 
inoafcpmad) oergeffen hat unb ber nid)t in tiefer ©eele mitempfinbet, 
tvaS Steberid)S gelitten bat? Nur eine (Sittfchulbigung giebt eS für 
unS: wir waren bantalS gu fdjwad). Siberfianb wäre Safjnfinn ge= 
toefen. ©obalb bie glotte gebaut ift, oerfdjwlnbet bieje (Sntfd)ulbigung 
für immer." 

Ser braune ©ioiltft fdjwteg eine Seile. „Baule, bu rafeft. . Aber 
laffen wir Seine güfbenen Hoffnungen gunädjft wohloerwahrt im Käfig, 
©te finb gu fd)ön, um in ber greipeit leben gu fönnen. Sa febeinen 
mir bie erbentwaebfenen Befürchtungen, bie man bei unS ^egt, bod) blau* 
fiblcr unb wefentlicb realiflifd)er. 34 habe Sir fcpon gejagt, bafe icb 
fic nicht theile, unb ich werbe ®it nachher fagen, wefehalb. 3 wmerbin 
hängen fie nicht jo böttig in ber Siuft wie Seine friegerifeben Xräutne 
unb ©übfee=NeOand)egefpenfter. M 

„Su fprichft jept, Oerftefje ich Sich recht, bon ber glotten=0ppofition 
auf bem flachen 2 anb? Ehrlich geftanben, ich begreife unjere Sanb* 
UHTtbfcbaft nicht —" 

„Seil fte bie neue glotte für ben AuSgangSpunlt einer neuen 
9(cra hält? Seil fie beforgt, bafj bie Schiffe beftimmt feien, ben jüngft= 
beutfeben NterfantiliSmuS gu ftiipen unb ein SRinifterium Siemens oor= 
^ubereiten? Senfe 55>id) buch in ben Sbeengang eines agrarijehen 
^folitiferS hinein, ber fich nicht felbft belügt unb gewohnt ift, immer 
hiibfch fauber bie ©onfequengen 51 t gieljen. Ntem pat unS offtciell mit= 
Qetpeilt, baft bie ©cpiffSOeimehrung ben wichtigen 3roecf habe, bie Brob= 
einfubr nach Seutfcplanb gu fiebern. 3e wehr Banger, befto ungeftörterer 
©etreibeimport, unb befto größerer. SaS liegt auf ber Hanb. Sie ©chiffS= 
Vermehrung foll beS gerneren ben beutfepen Hanbel mit bem AuSlanbe 
fcf)üpen. Aber bei biefent etwas 511 platonijcben ©cpup wirb man eS 
nicht bewenben laffen. ©inb wir erft 'mal amtlich gurn HanbelSftaat 
avancirt, bauen wir unjerem Hanbel gu Siebe prächtige nttb tbeure 
J£riegSfd)iffe, bann ftnb wir auch anftanbShalber verpflichtet, ein UebrigeS 
gu tbun. Unb bieS Uebrige fürchtet ber Bruber Bauer. Nimm ipnt 
baS nicht frumnt. (Sr hat fdjon Oor fieben 3«hren einmal mit HanbelS= 
Verträgen bitterböfe (Srfaprungen gemacht. AuS feinem gell werben ge= 
tverbS= unb ufancemäjjig bic Niemen gefdjnitten, baran 3nbuftrie unb 
^panbel fiep auffchwingen." 

„Su bift oon biefer ©cpmargfeperei deiner ©tanbeSgenoffen glücf= 
lieber Seife nicht angefränfelt. $11 foütcft fic aufguflären oerfudjen." 

„Sieber Snnge — ich tbeile ihren BeffimiSmuS nur aus weit 
ärgerem B e fftnüStnuS nicht. 3d) leugne nämlid), bah bie Regierung 
jo weit benff, wie unfere greunbe befürchten, ©ie hat gar feine Afjnung, 
tvopin ber Seg läuft, frettet fid) mühfam ttou einem Sag gurn anberen 
burdj unb fommt oor lauter bienftfertiger Unruhe nie bagu, bie uotp= 
tvenbigen golgen ihres SpunS abguwägen. SaS überläßt fie oertrauenS= 
voll einem einzigen Ntonne, bem fte ©eele unb ?lthem unb Seben oer= 
banft. Unb ich glaube, biefen 3Kann genügenb ftubirt ju haben, um 
vorher fagen ju fönnen, baft fid) über ihn nichts Oorherfagen läftt. 
5£)arum baffe ich weber nod) befürchte ich etwas. Hoffnung unb gurdjt 
ftnb föertwfitätSbacillen. gd) hatre otelntehr mit febweigenbent gataliS= 
ntuS ber Ueberrafchungen, bie ba fommen werben. Unb wenn ich auch 
nicht Oerbeblen miß, bah ntich eine gemtffe neugierige ©pannung erfüllt, 
fo ift biefe ©pannung bod) gan^ objectioer ^atur. Su weiht, ich fann 
von meiner s Jtente leben, ich wirtbfdjafte ba oben im Often nur noch 
jum ^ßrivatfHaö." 

„Sie ber Kampf um bie SRente (Sud) aflefammt oerbieftert unb 
verfinftert! ©0 viel fleinlicher 3Rihmuth, fo Diel jwergenhaft groflenbe 
Verbitterung in unferer föftlicben bie ein ®efd)led)t oon liefen 

forbert! 9Jebmt ©ueb hoch ein Beifpiel an bem groh^ügigen Sefen 
unfereS ÄaiferS, oergeht einmal bie liebe ©elbftfudjt unb ben eigenen 
Bortheil, ber Allgemeinheit Siebe! ©ottlob, bah idj feinen Ar 
unb feinen H a ^ m ^cfipe, mir um ferne HhP°ib e ^ n ©argen ju 


machen brauche unb getroft meinen Hoffnungen jit Saffer weiter 
leben fann!" 

„Sen Hoffnungen auf SeutfcblanbS ©eegeltung, nicht wahr?" 

„SRüffen wir nichts beute ober morgen, mit (Snglanb um bie 
2J?ad)t ringen? ©inb wir nicht (SngfanbS Nebenbuhler überall ba, wo 
an'S geftlanb ber Ccean branbet? SRihgönnt uns @nglanb nicht jeben 
Erfolg, ben wir gu erringen trachten, unb liegt eS nid)t in (SnglanbS 
wohloerftanbenem 3ntereffe, unSjnieberjufcbmettern, je eher, befto helfet? 

' KeinenfaHS barf unb wirb eS warten, bis wir ihm ju ftarf geworben 
ftnb. ©ein Neib unb fein ©elbfterhaltungStrieb werben unS, fei eS 
nun mit fortgefepten Nabelftichen, fei eS in brutaler H e ™uSforberung, 
üum entfdjeibenben Saffengange jwingen. Sehhalb müffen wir rüften, 
waS baS geug hält, um nicht überrumpelt werben gu fönnen, unb befj= 
halb bebürfen wir ber glotte, auSfd)liehlid) behhalb." 

,,©raf Bülow oerfolgt eine etwas anbere auswärtige Bolitif, als 
bie Su jept im friegerifchen grühlingS=9?aufche ffij^irft. Sir haben * 
©eheimüerträge mit ©nglanb gefchloffen; H err ßhamberlain will fogar 
Oon einer ACHang wiffen. Ser gahrt nach Sinbfor ift Me Begegnung 
in Altona gefolgt, unb heute fchon ftebt feft, bah ©eine Nfajeftät bie 
fportfrohe ©oweS-Soche in ©nglanb oerbringen wirb. Sagegen hat 
man ber Burenmiffion runb unb nett ju wiffen gethan, bah fie fich 
burch einen Befud) in Berlin überaus läftig machen würbe." 

Ser ©apitän hob abweljrenb ben Kopf. „Sie B*ämiffen mögen gu= 
treffen, aber Su gichft falfche ©chlüffe barauS. Ser oon unS fennt bie 
(Seele beS Monarchen? Ser weih, welche gewaltigen Bläne er gum H*ite 
feines BolfeS erfonnen hat unb, fobalb ber ©tern ber ©tunbe günftig ift, 
burchführen wirb?" 

„©0 glaubft Su, bah uod) immer im Krüger^Selegramm Oon 1896 
bie eigentliche ©runblage unferer auswärtigen Bolitif gu fuchen ift? 
Sah fie nur lächelnb bie Hülle gefbed)felt h ot unb in anberer ©eftalt 
baffelbe 3 tel gu erreichen ftrebt? Sah am ©nbe bie umftänblidje unb 
gefährliche Begrünbung ber glottenOorlage, bie ben Hauptbrucf auf 
mirthfdjaftliche Sutereffen legt, nur als pbfd) bemalte ©ouliffe gu 
betrad)ten ift? SaS Alles glaubft Su?" 

„Herr Soctor belieben gu fateebifiren". N?echanijd) griff ber Offigier 
nach bem Abenbblatte, baS oon bienfteifriger H an & auf bie SRarmor- 
platte bcS SifdjleinS niebergelegt worben war. „Aber wenn Su mein 
©laubenSbefenntnih hören willft, ohne alle Sifteleien unb ©pllogiSmen, 
SetailS unb Kleinlichfeiten: ja, id) glaube an ben beutfeben grühling 
unb bie beutfepe 3ufunft gur ©ee, wie id) an ben Seng um unS her 
glaube. 3d) febe ben feften Sillen, ber fich Oon Nebenbingen nicht be= 
irren unb ablenfen läfet, ber Nähoerftänbniffe unb Ntthbeutungen nicht 
fepeut, wenn er bamit bie ©ad)e förbern fann; ber (Sud) Kleinliche, (Such 
Setailhänbler alle überragt, weil er ben groben 3ug in fich hat. 3d) 
fel)e bie flammenbe Begeifterung, bie Nuljm unb Nlacht beS BaterlanbeS 
allen fernen 3 onen oerfüttben will, id). . ." (Sr oerftummte plöplich. 
Sährenb er fo eifrig auf fein ©egenüber einfprad), hatte er halb un= 
bewuht eine Notig auf ber elften ©eite beS 3 e iluuö§blatteS gelefen. 
©ie lautete: 

©ine neue BefleiDungSUorfiftrtft für bie SRarine. 

3ept foll bei ben NtorineftabSoffigieren (Oom ©oroettcncapitän auf' 
wärtS) ber fehwarge leberne Ntüpenfdjirm am Nanbe mit einer breiten 
©olöfticfcrei Oerfehen werben, wie eS in ber englifchen Nlaritte ber 
gall ift. Bis gur Kieler Soche foll ber Niüpeitfchirm allgemein ein- 
geführt fein. Ser conferoatioe „NeichSbote" bemerft bagu: ,,©ang 
abgefepen Oon ber re^t peinlichen Nachahmung ber englifchen Art, 
werben aud) burch bie immer prächtigere AuSftattung bie Uniformen 
immer theurer unb bnburch gu einer fchioeren Belaftung unferer Offtciere. 
Nian follte bie altpreufjifche Art: ©infad), aber tüchtig, beibehalten." 

Caliban. 


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272 


Ute töegenroart. 


Nr. 17 


|l «igeigen. 

feei »eßellungen berufe man (14 auf bte 
„(Segettroorf“. 


©erfafl üon Sötllielm §er<5 in ©crlin. 

Soeben erfdjien: 

#eorg non Bunlen. 

©in ©barafterbüb au§ bem Säger bet 
©efiegten, gezeichnet Don feiner £od)ter 

Pari« tttn gtonfeit. 

22 Sogen OftaD. 

Wlit SBudjfcbmucf Don Sparte Don Sunfen 
unb einem Porträt in #eliograDüre. 
©ebeftet 6 NL ©ebunben 7 S JN. 


Gesaeht 

mirb ein Utbactmv für eine 
^Berliner S-rauenjeitung. Xäglicb SormittagS 
bret Sureauftunben. 3afjre3gebalt 4800 3J?arf 
unb jäbrlid) zweimal Dierzefjn Xaae Serien. 
Angebote mit Angabe bi^criger 9vebaction8= 
Stellungen unb perjonlicber mie brieflidier 
©cbviftfiefler-Sefanntfcbaften unter U. H. 972 
burcf) Hansenstein & Vogler, A.-G., Ber- 
Jin, W. 8 . 


JL JL JL jL JL JL JL JL JL JL JL JL JL 


niiinniiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiifflnm^ 


$i$natdt 


tm 


$unbert Original * ©utaebien 
o. ftreunb u. gfeinb: ©jörnion 
©ranbeS ©üdjner ©riSpi 33abn 
2>aubet ©ßibb Montane ©rotfj 
Caetfel fcartmann §ehfe Sor* 
bau Äiplinß fieoncauaUo fiin= 
bau ßombrofo SRejctytfäertti 
SRißta Vorbau Ofltoicr fetten* 
lofer ©attSburb ©tenrieroici 
©tmon ©fcencer ©utelbaßen 
©tanlei) ©toeder ©trinbberg 
©uttner Sötlbenbruäi ©emer 
Bola u. b. 9t. 
ßelj. 2 SRI. Doin Oer lug 6er 
©erlin W. 57. 


Urteil 

feiner Beitgeioffei. 




T T ! T T T T ,T T T T T T 


Bad Reinerz, 

klimatischer, waldreicher Höhen-Kurort — 568 Meter — in einem 

schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Glatz, mit kohlensäurereichen Eisen-Trink- 
u. Bude-Quellen, Mineral-, Moor-, Donche- u. Dampf-Bädern, Kultwasser-Proeeduren, 
ferner eine vorzügliche Molken-, Milch- u. Kefyr-Kur-Anstalt. Hochquellenleitung. 
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmangs- u. Verdauungsorgane, zur Ver¬ 
besserung der Ernährung u. der Constitution, Beseitigung rheumatisch-gichtischer 
Leiden u. der Folgen entzündl. Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang Mal» Prosp. gratis. 


„Bromwa«ser von Dr. A. Erlenmeyer.“ 

Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Kranich aitaar«fthftlntm g mn T 
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch 
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre 
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von */ 4 1 75 Pf. in 
der Apoth. u. MineralwaBserhandl. Bendorf (Rhein). Dr. Carbach A Cie. 



$ie ©egenttmrt 1872-1892. 

Um unfer Säger $u räumen, bieten mir nuferen Abonnenten eine gfinftige 
Gelegenheit jur ©eroollftäubigung ber Soüection. So meit ber ©orrath retdft, 
liefern mir bie Jahrgänge 1872—1892 a 6 SK. (ftatt 18 SK.), ^albjafträ’ 
©änbe a 3 SK. (ftatt 9 SK.). Gebnnbene Jahrgänge a 8 SK. 

©erlag ber ©eßentuart tn ©erltn W, 57. 



©oeßen erftfjien im ©erläge toon Utfye tn Tetpjtg; 

Ans feinem frhrn unb ans frinrr Jrit. 

SSon 

Gnftao Äatpefes. 

TOit zahlreichen, tbeilroetfe bisher unDeröffentlidjen 2lbbilbungen (barunter 17 Derfd)iebene 
©ilbntffe be$ XidjterS) unb 6 Beilagen mit gaffimtleS Don ^mnbfdjnften. 

©r. 8°. Geheftet in elegantem Umfdilög 7 9). 50 elegant gehunhen 9 Ä: 50 W* 



Stottern 

heilen dauernd Dir. C. Denhardt’s 
Anstalten Dresden-Loschwitz und 
Buvgsteiniiut, Westl. ilerrl che Lu^e. 
Honor. nach Heil". Prospecte pruti'. 
A eiteste staatl. durch S. M. Kaiser 
W llhelxn I aubgezeichn. Anst. Deutsch!. 


Stlab. geb. ©cftrififteüer, btöb- publictft. 
(Itter. Äritif) in Berlin tbätig, energ. getuiffen= 
hafte 2lrbeit3fraft, Dorj. ©praebfenntniffe (fran= 
Zöfifcf) r engüfeb), perf etter etenograpb, 
lHafAinettfdireiher (.ftammonb), iucht nnt. 
ftcfd). 9 nfpr. in 9 eDattion f Xpeaterfefretariat, 
$rrl.=$urf)t)Mg , literar. 3 nfttt. jc. Steüung. 
Offert, an b. feyp. b. ©egenroart unt. A. G. 


Manuscripte. 

3ur S -Bt’i*lag«übernal)me Don 92anu- 
feripten biftorifier, politifcper, fcbönmiffcn= 
fcbaftlidjer :c. 9?id)tung empfiehlt fid) bie 
SSerlagSbucbbanblung Don 

Richard Hattier, grannfrijmeig. 

(©cgrüitbct 1883). 


3n unferem Verlag tft erfdjienen: 


pe ©rgemtnnl 


ftr fitfrtmt ftdnf sab I 


•(icnl-|U| 9 tr 1872 - 1896 , 

. (Srfter bld fünfötgftcr ©anD. 

TOt Nachträgen 1897—99. ©elj. 5 uT 
©in bibliograpbifcpe« S8erf erften 
Nange« über ba§ gefammte öffentlidbe, 
geiftige unb fünftlerifcbe £eben ber lepten 
25 Qabre. NotbroenbigeS Nacbfcblagebudb 
für bie Sefer ber „©egentoart", fotoie 
für roiffenfcbaftlicbe jc. Arbeiten. Ueber 
10,000 Slrtifel, nach Sfäcbern, 5Berfaffern r 
Scblagroörtern georbnet. Xie Autoren 
Dfeubonpmer unb anonpmer Wrtifel ftnb 
burebmeg genannt. Unentbebrlicb für 
jebe SBibliotbe!. 

Slucb bireft gegen ^oftanmeifung ober 
Nacbnabme Dom 

Verlag ber d&egenroart. 

»erlitt W 57. 


| . . ■ ■■ Thtrltfli«k«i « ■ ■ 

Technikam Jim miau 


m» iM*»!«««- ul SUkm 

lUfoaltar«,-TMkafkar «.-Worki 

K Dlrecter Jratzea. 


miauk 

kniJjtiJ 



Öismttrdiü flidifglju. 

Vornan 

Don 

t3l?eopl?iC ^oCCtug. 

SW U«(fidu»gabc. *WS 

'ßreiS 3 s D?arf. ©epön gebunben 4 9Rarf. 

Xiefer 59i^marrf = 6apriDi = Noman, ber in 
menigen 3abren fünf ftarte Sluflagen erlebt, 
erjebeint Bier in einer nm bie |>älfte bifligettn 
^olföau^gabe. 

Xurd) alle üßuchbanblungen ober gegen ©in* 
fenbung be8 Betrags poftfreie gufenbimg Dom 

Utriag der Segeatpart, 

»erlitt W. 57. 


©erantTDorütthn: Kebactcur: Dr. ZbeafbU ßoHtnß tn ©erltn. ftebaetton unb ©Jh'bttton: ©erltn W. t SRanftetnftrabe 7. Drud non $effe * ©eder tn fidHifi 


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M 18 . 


^SerCm, ben 5. 3flai 1900. 


29. Jahrgang. 
Band 57. 


Pe 

SBocßenfcßrift für Siteratur, Kunft unb öffentliche^ Sehen. 


^erauööegeßen hon ^otfhtg. 


leben $anmibenb nffljetnt etne Jtomnn. 

8u ktiieftttt tat Q aOe thukkankhingcn unk HJoftämter. 


Verlag bcr ©egentoart in Berlin W, 57. 


ütmilWtdi 4 ». 50 Vf. Ctnr Summa 50 *f. 

3nferate jeber Hct pro 3gefpaltette $etttftetle 80 $f. 


$ttljaö: 


©ried)enlcmö feit bem Ihiege. Sou Sofef Sedntanit. — Siteratur unb Äunft. 3)a8 junge TOibdjen in ber Siteratur. SBon 
ftrana ©reef. — Au3 ber Wiener ^^eatergcfd)icf)te. SSon ©buarb üon Samberg. — ftcuiUeton. .ftoljcS 6öicf. Son 
Souiä ©ouJ)eru$. AuS bem $>ollänbifdjen. (g-ortfefung.) — Attö Der fcauptftaDt. Sörfen=3bt)a. Son Caliban. — 
$>ramatifdje Aufführungen. — 9toti$en. — Anzeigen. 


(Srttcßenlatib feit bem Kriege. 

‘Bon 3ofef »etfmann. 

®er SluSgang beS türfifcß*griecßifcßen Krieges bebeutetc 
für ©riecßenlanb einen UöUigen ^ufammenbrud), bet ein $Re= 
formwert Don ©runb erforberte. 3 uer ft mußte für bie großen 
©erlufte beS Krieges ©tfaß gefeßaffen unb baS uon ben 
dürfen auSgefaugte Stßeffalien tuieber urbar gemaeßt unb be* 
»öltert Werben. ®ie Kriegsanleihe war aud) in etßcblid) höherem 
betrage aufgenommen worben, als bie 100 9 RiH. grcS. be* 
tragenbe KriegSentfcßäbigung erßeifdjte, benn fie gewäßrfe 
einen Grebit öon 8 9RiU. ju ©unften ‘SßeffalienS nnb für 
einige 3 aßre einen ßufcßuß ju bem ©taatöuoranfcßlagc, um 
bamit ^Reformen möglicß ju maeßen. ®ann legte man an bie 
Reform ooit §eer unb glotte bie §anb, eS galt jeboeß uor* 
erft, alle unwürbigen unb unfähigen Glemente barauS 31 t ent* 
fernen, ©eftüßt auf ein öon ©eiten beS Shonprinjeit Kon* 
ftantinoS als ©efeßlSßaber beS §eereS erftatteten ©eneral* 
rapporteS über ben Krieg, boeß auch auf ©runb aübefanntcr 
Sßatfacßen ftelltc man eine auS ben ßöcßften militärifeßen 
ißerfönlicßfeiten gebilbete UnterfucßungS*Gommiffion jufammen, 
bie auS bem oorliegenben SRaterial, aus 3 cll 9 enrinueriiebtrt* 
ungen, tur 3 im inquifitorifdien ©erfaßten für jebeit baS äRaaß 
ber fißutbbaren ©erantwortlicßfeit feftfeßte, worauf bie Kriegs* 
gerießte ißreS 3lmteS walteten. ©0 groß war bie 3aßt bcr feßulb* 
baren Öfficicre, baß, obgleich anfänglich 3 Wei, brei KriegSgcrid)te 
tagten, eS bis in bie 9J?itte beS 3aßreS 1898 ßinein bauerte, bis 
fie ißrel£ßätigfeitcinftellen tonnten. ÜRan übertreibt nießt, wenn 
man fagt, baß minbeftenS ßunbert Officiere unb babei beinahe 
burdßmegS in Gommanboftellen befinblidße ßöhere, öerabfeßiebet, 
jurSiSpofition gefteHt ober birect beftraft würben; ein erfcßredlicß 
großes ©crßältniß bei ber numerifeßen Kleinheit beS grieeßifeßen 
|>eereS! 31 iS erfter ©(ßritt 3 ur fReform beS IpeereS würben 
brei ©eneral=3nfpectionen aufgefteHt, Welcße 3 toeimal jährlich 
fieß uon bem 3 lI fi Q nbe ber Gruppen unb bef äRaterialS 3 U 
überseugen ßaben; auf ®ritl unb 3luSbilbung ber URannfcßaften 
foll ftrenge gehalten werben, SRanöuer in 3lbtheilungen unb 
SorpSweife ftattfinben. 3llS unerläßliche ©ebingung für bie 
Reform ber SBeßrmacßt im ©inne bcr Srßaltung bet ®iSciplin 
unb ber ©cßlagfertigfeit betrachtete man bie 3luSfcßlicßung 
ber militärifeßen ©erfönlkßfeiten Uon bem politifeßen unb 
parlamentarifcßcn Seben. 3 U grell hatten fieß bie folgen 
ißrer ©etßeiligung an biefelbe gegeigt, als baß nießt ber 9 iuf 
muß Trennung ber beiben ©ewa Iten ßätte erfcßallen muffen. 


SRcben biefet gorberung galt eS als 3lj:iom für bie 
SBiebergenefung beS bis in’S SRart ßinein tränten unb 
bureß einen fdßweren ©eßlag getroffenen ©taateS bie SBefrei* 
ung beS öffentlichen SebenS unb ber ftaatlicßen SBerwaltung 
Uon berSßrannei berißarteißerrfdjaft. ©etKrieg unb feinegolge* 
3 uftänbe hatten im bebeutenben SCRaaße bemoralifirenb auf bie SSer* 
waltung unb bie ©erießte gewirtt. 3lucß ßier mußte ein ftarfer 
KehrauS ftattfinben. Sftamentlicß SJZißbraucß mit öffentlichen unb 
ßinterlegten ©elbcrit ereigneten fi(ß in ftarfer Slnjoßl. Sßon 
ben ßeiitofen g°^9 cn her häufigen SBccßfcl beS SerwaltungS* 
perfonals unb sugleiiß uon bcr ^äufigteit ber ffierbreeßen, 
wie auß uon ber üftaeßläffigfeit beS ®crid)tSperfonalS mag 
bie Xßatfadjc fpreeßen, baß im Saßre 1898 bei eine SBcUölfe* 
rung uon etwas meßt als 2 Süftiöionen, 140000 . gerießt* 
liefje 3lffären unerlebigt waren. 3ludß bie Unficßcrßcit war 
nad) bem Kriege geftiegen; SBanben Uon tierfprengten 9Zacß* 
3 ügtcru uttb ftrafgerießtlid) Verfolgten bureßftreiften baS nörb* 
ließe geftlanb unb ‘Sßeffalien, boeß audß anbere Verbredjeit 
unb Vluttßaten meßrten fieß in bebcnflidjer SBeife. 9J?it* 
3luSnaßme Uon ®clijanniS mar alle SBelt über bie 9Zotß* 
wenbigfeit burißgreifenber Reformen einig unb rechnete an 
erfter ©teile eine neue ©ntßeitung in Kreife unb Vcjirfe, 
wie auiß eine ©teigerung bcr ©innaßmc ßin 3 U. ^aßlreicße, 
ernft 3 u neßmenbe ©timmen meinten, baß eine wirtlicße ©effe* 
rung nur bann 3 U erreichen fei, wenn man bie Slyt an bie 
SBur^el beS UebelS, an bie Verfaffung legte, unb tßatfäcßlicß 
waren bie 3lugcn aller patriotifcß ©efinnten auf ben König 
gerießtet. 

Sftiemanb bürfte meßr Uon ber ©cßäblicßfeit ber Verfaffung 
bureßbrungen fein, als König ©eorg, ba fie ißn naße 3 U 3 um 
UoH 3 ießenbcn gactor ber baS ©arteiregiment uerförpernben 
Regierung maeßt. ©r erwedt ben ©inbrud eines SJZanneS, 
bcr uon einer |>öße rußig jufießt, wie fieß 5 U feinen güßen 
ein ©ßaoS uorbereitet. SebenfaÜS ift er nießt ber ÜJZann beS 
rafeßen ©ntfißfuffeS, fein bänifcßeS ©ßlegma ßewaßrt ißn Uor 
jeber Uebereilung, läßt ißn aber and) bie größten ©reigniffe 
fußt ßinneßmen. fRüdfcßauenber 5 ßropßet 3 U fein, ift müßiges 
©piel. SEßenn aber ber König unmittelbar naeß bem Kriege, 
inmitten beS ßetrfd)enben ©ßaoS, baS ^cer um fieß' Uerfammelt 
unb mit bcr Verfaffung tabula rasa gemaeßt ßätte, würbe 
baS Volt ficßerlicß, 3lngefid)tS beS uor ben Sßorcn SltßenS 
lagernben türfifeßen ^eereS, rußig geblieben finb unb er waßr* 
fcßeinlicß bie ©ßmpatßien ©uropaS unb ben ©eifall aller jener 
erworben ßaben, bie barin eine erlöfcnbc Sßat crbliden 


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274 


Die töegeitroart 


Nr. 18. 


mußten. GS 6efteE»t Wofel fei« ßtoeifef, bafe Sönig Georg nie 
an eine fo füfene Sfeat gebaut hat; bafe fie if)m aber tnög* 
lid^erhjcife gegtüdt wäre, liefe ber fpäter eingetretene Umfcfelag 
in ber öffentlichen Stimmung ju feinen Gunften annehmen. 
3m grüfeling 1898, wäferenb jT^effalren ficf) noch in beS 
geinbeS §anb befanb, unternahm ber Sönig eine Runbreife 
in bem ©eloponeS. Sie glich einem Sriumpfezuge mit allen 
Aeufeerlidfefeiten unb ber Stimmung eines folcfjen. ßum erften 
SRate feit langer 3eit fam ber §errfcher in unmittelbare 
perfönlidje ©erüferuug mit feinem SBoIfe; er fah, wie eS lebt, 
oernaf)tn, wie eS benft unb was ihm auf bem £erjen liegt, 
unb auch bie ©ePölfetung belam jum erften SRale Gelegen* 
heit, baS föniglidje ©aar oon Angeficfet ju fennen. UeberaQ, 
im ©erfefere mit Sitten unb jungen, mit Stäbtern unb 
©auern, mit einfachen fieuten unb ©erufSpotitifern, bei Gm* 
pfang öon Aborbnungen, bei feierlichen ©egrüfeungen ber* 
nafem er bie ©erwerben über baS ©arteiregime, beffen 
baS ©olf überbtüffig fei unb bie ©efreiung auS bemfelben 
bon bem Sönig allein erhoffe unb erbitte. GS war wie baS 
GrWachen beS noch nicht corrumpirten ©olfSgeifteS, welches zu 
ben fcfeönften Hoffnungen berechtigte. 3u tief ift aber bie 
Auffaffung, bafeStaatS»3ntereffe unb©aTtei<3utercffe eins feien, 
eingewurzelt, als bafe jene fdjöne Regung mehr als ber AuS* 
flufe augenblidlicher Stimmung gewefen fein fönnte. 3 u ^ent 
proteftirten alle nicht jur Regierung fealtenben ©arteien, 
SelijanniS in feinem ßeiborgan ©ro'it an ber Spifee, auf baS 
Gntfcfeiebenfte unb im Ramen ber ©erfaffung hagegen, bafe an 
baS ©atlabium beS ©arlamentariSmuS, bie ©arteiregierung, 
gerührt werbe. SelijanniS, ber bie SReferfecit in ber Sommer 
für fid) hatte. Würbe nicht mübe, bie fortbauernbe Ricfettagung 
berfelben als flagrante ©erfaffungSöerlefeung ju bezeichnen. 
Sie Regierung, weit baPon entfernt, fich als neutral ju be* 
betrauten, arbeitete baran, fich eine SRajorität ju fefeaffen 
unb fefeeute babei nid)t pot bem Perberblidjen SRittel jnrüd, 
eine ©ermehrung ber Abgeorbnetenzafel einjuführen. Als ob 
eine Anzahl Pon 207 Deputaten für eine fo {feine ©ePölfe* 
rmtg nicht übergenug wäre. Permehrte man fie auf ber Grunb* 
läge einer angeblichen Reuzäfelung um acf)tunbjmanjpg SRit* 
glieber, woburch bie grieefeifefee Sammer halb fo oiel ©ertreter 
Zäfelt, wie bie gröfeten ©arlamente GuropaS. SRan mufe 
wahrlich baran Perzweifeln, bafe eS in Griedjenfanb jemals 
einen Staatsmann geben wirb, ber bie oaterlänbifd)en Snter* 
effen ^ö^cr ftetlt, als jene ber ©artei. Slcfetunbzwanzig neue 
Seputirte heißt fo oiel, wie cbeitfo oiele Stellen* unb Ge* 
fdjäftejäger mehr, bebeutet noch aefetunbzwanzig Schwäger 
unb 3eitPergeuber in bie Sammet bringen. Such bie unjeit* 
gemäße ©eförberung einiger höherer Dfficiere würbe ber Re* 
gierung als SBafelmanöPer angerechnet unb mit Recfet, benn 
fie fieberte fich an ihnen Ganbibaten. 

Unterbeffen würben beS SelijanniS unb anberer ehrgeiziger 
©olitifer ©erlangen nach Ginberufung ber Sammer immer 
bringenber unb ftürinifcfecr Porgebracfet; man Perftieg fich fo 
weit, bie im Sanbe überhanb nehmenbe Anarchie als golge 
ber Ricfeteinberufung ^in^ufteden. Sie Regierungsorgane 
oermoefeten jwar nicht in Slbrebe ju ftellen, bafe bie ©er* 
brechen am ÜRenfcfeenleben unb Gigenthum, unb auch bie 
Setbftmorbe fich ftarf oermehrten; baS Gleiche fei aber auch 
unter ben früheren Regierungen gewefen unb bie Sammer 
Würbe baS Uebel nur oergröfeent. Gin wahrhaft claffifcfeeS 
Gingeftänbnife auS bem ÜRunbc beS Organes einer Regierung, 
bie immer ernfte Reformen in ihrem ©rogramm ju haben 
Oerficherte. ÜRinifter 3aiwiS Perfügte furzet §anb bie Stuf* 
löfung ber Sammer Rooember 1898; bie Reuwahlen würben 
für ben 20. gebruar 1899 auSgefdjrieben. Ser Regierung 
unb ben einzelnen ©arteihäuptern ftanben brei SRonate für 
bie Sfenatlagfei*) Z lir ©erfiigung. Sie würbe mit gröfeerer 
Sebfeaftigfeit unb Sntenfität, hoch auch * n gröfeerer Unorb* 


*) Slbjcfjlufj Don SSa^lcompromiffen. 


nung burchgefüfert, als eS feit minbeftenS Saferzefettten 
gewefen fein bürfte, benn eS gefefeah baS Unerhörte, bafe 
nicht z^ei große ©arteien einanber gegenüber ftanben, fonbetn 
bie Regierung, welche im ganzen fianbe Ganbibaten auffteHte, 
unb eine Reifee oon Scuten, welche fiefe als ©arteiführer 
auffpielten, tämpften um bem SBafelfieg, ben SelijanniS 
a priori für fich eScomptiren wollte. Unter biefen Ganbibaten 
befanben fich öon befannteren: Sfeeotoü, Srifupi’S reefete 
jpanb unb fein Rachfolger, SeligeorgiS unb SarapannoS, 
zwei burefe Ramen unb ©ermögen feeröorragenbe ©olitifer 
unb ber ehemalige SRinifter beS Aeufeern in ben Gabineten 
SrifupiS SragumiS unb noefe einige anbere. Sie SRenge 
ber Ganbibaten unb bafeer bie Schwierigfeit, in einem ©e* 
Zirfe feinreiefeenb Stimmen für ben ©artei*Ganbibaten zu 
finben, brachten bie unnatürüchften SBafelbünbniffe ju 
Stanbe. ©on ben guten ©orfäfeen, mit bem Regime ber 
abfoluten ©arteifeerrfefeaft z« breefeen, war nichts geblieben. 
SBie Permöchte aber auch öer einzelne SBäfeler inmitten ber 
ifen umgc6enben Aufregungen beS SBafelfampfeS fich felbft 
treu bleiben? So bot bie SBafelcampagne baS gleiche ©ilb, 
Wie alle Porfeergegangenen, unb Wenn etwas zur SRilberung 
ber Gegenfähe beitrug, war eS ber Umftanb, bafe ber SRinifter* 
präfibent nicht perfönlidj, fonbern als Haupt ber Regierung 
auftrat nnb feine Anhänger als RegierungScanbibaten auf* 
gefteÜt warben. Sic SBafelen unterfefeieben fiefe auch barin 
niefet Pon ben anbern, bafe bie Dfficiere nicht baran Sfeeil* 
genommen hätten. Sie bafeingefeenbe Hoffnung erfüllte fiefe 
nicht. 3m Gegentfeeil. ©ergeblicfe hatte bie ©reffe bie Sfeeil* 
nähme beS OfficierScorpS an ber ©olitif als bie Haupt* 
urfaefee ber Semoralifation beS Heeres, welcfee zur Sataftropfee 
gefüfert feabe, feingefteKt, oergeblicfe hatte ber Sönig bie 3 U ’ 
Perficfet auSgebrüdt, bafe Pon nun an bie Dfficiere fiefe nur 
iferer ©flicfet unb bem Sienfte wibmen werben. H un bert 
Dfficiere aller Grabe melbeten fidfe als Ganbibaten für 
Sifee in ber Sammer; waS ‘jeboefe baS Unglaublicfefte War: 
ber SriegSminifter SmolenSffe fcfelug ftefe auf bie Seite 
SelijanniS' unb canbibirtc unter beffen flagge in Attila. 
Hätte er wenigftenS, gleich anberen auftänbigeren ©olitifem, 
felbftftänbig feine Ganbibatur aufgefteHt, wäre eS immer noefe 
ein f(ferneres ©ergefeen gewefen gegen feinen ©often, gegen 
ben SBiHen beS SönigS unb weil er bamit felbft ben Dfficieren 
ein ©eifpicl gab; bafe er aber als SRitglieb ber Regierung 
fiefe bem ÜSafelffenbicate ifereS ärgften Gegners anfcfelofe, 
Zeigt Wofel, bafe ben Griechen niefet zu helfen ift unb bafe fie 
wie oerblenbet in baS ©erberben rennen. 

Ser AuSgang ber SBafelen entfpraefe bem Gfearaftet ber 
SBafelcampagne. Seine einzige ©artei hatte einen burefe* 
fcfelagenben Grfolg, unb bie Signatur berfelben war eine 
arge 3 er fP^ ttcru ng ber SRanbate. Smmerfein zeigte biefer 
Ausfall eine Sefferung gegen bie oorfeergefeenben SBafelen, 
benn bie oerfeältnifemäfeig große Anzahl Gewählter, bie auf 
eigene Sanft canbibirt unb fiefe feinem SBafelcompromife an* 
gefcfeloffen hatten, bewies, bafe ein beträchtlicher Sfeeil ber 
iKäfelerfcfeaft ber ©arteiwirtfefefeaft überbrüffig geworben war. 
3n gröfeerer Anzafel gingen noefe bie Anhänger ber Regierung 
unb beS Herceu Sfeeotofi feerPor, pon wefefeen jeber gegen 
fünfzig Stimmen erhielten. Gtwa je ein Sufeenb SRanbate 
entfielen auf SeligeorgiS, SarapannoS, einige auf SragumiS. 
SaS marfantefte Grgebnife biefer SBafelen war bie Rieber* 
läge ber Selijanniften, welcfee eS faum auf breifeig SRanbate 
brachten. Selbft ber greife Gfeef brang mit fnapper Rotfe 
in feinem erberfeffenen SBafelbezitfe Gortfenia burefe. Sn 
Atfeen feolte fiefe ber Selijanitiftifcfee Ganbibat General Smo* 
lenSffe ben perbienten SRifeerfolg. 

Sie SBafelen Pom 20. gebruar unterfefeieben fiefe alfo 
boefe Portfeeilfeaft Pon ben bis bafein üblicfeen unb wiefen 
moralifcfee Grfolge auf. AIS folcfee fann man. bie SCBafet 
einer großen Anzafel parteilofer Abgeorbneten, wie auch bie 
Section, welcfee bie SBäfelerfcfeaft bem Perbiffenften ©ertreter 


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Nr. 18. 


Ute (ftegetttDari 


275 


ber Parteicorruption erteilte, begeicßnen; biefem ftanb aber 
baS liebet entgegen, baß bie Slegierung in ber Kammer feine 
Majorität befaß. SBatb nach bent 3 u f ammentre ten beö 
§aufeS geigten fid) bie golgcn ber Parteiengerfplitterung. 
Ser famofen Sßerfaffung gu golge ift bie Hammer nidjt 
actionSfäßig, fo fange mcßt bie SSerificirung ber SBaßlen bureß* 
geführt ift. Grft bann barf bie SBaßl beS ftänbigen Kammer» 
bureau erfolgen unb ingwifcßen functionirt ein proüiforifcßeS 
Präfibium. GS ift baS auch eine grtcd)ifd)e Specialität, baß 
ein Parlament 2Bocßen ßinburcß tagen, Sißungen abßalten, 
Vefcßliiffe faffen fann,' wäßrenb eS eigentlich bloS de facto 
unb nid)t de jure befteßt. Sntmerßin geid^nete fich ßßon 
eine Wajorität ab, bie fid) um Sßeotofi gruppirte. Sn ben 
SluSfcßüffen für bie SBaßlbeftätigungen befaßen biefe bie 
Wcßrßeit. Unter ben angefochtenenen SBaßlen befanb fid) 
aucß Winifterpräfibenten 3oiwte, ber baS Wanbat 

öon Halaürßta hatte. Wan warf £>errn 3 a ' m i g oor, baß 
er um feine SBaßl gu fiebern, einen ftarfen SBecßfel unter 
ben Veamten unb gunctionären üeranftaltet, große Summen 
für öffentliche Vauten in feinem Vegirfe aufgewenbet habe, 
baß biete nicht ortfäffige SBätjter mitgeftimmt hätten, furg cS 
roaren bie tanbeSüblicßen Stuf tagen wegen ungefeßlicßer SBaßl* 
beeinftuffung. Sutcß bie Gaffirung oon einem Sußenb 
Sßafjlacten rechneten Sheotofi’S Anhänger auf ebenfo biete 
gegnerifeße Stimmen Weniger bei ber SBaßl beS erften 9Sot* 
fißenben, bie für bie ©eftaltung ber Regierung entf«heibenb ift 
unb bureß bie Annuüirung ber SBaßl beS Winifterpräfibenten 
eine Hrife ßerüorgurufen. Sähet beantragte ber Vericßt* 
erftatter biefe unb baraufhin tag ber Antrag ber Kammer 
bor. 3ehn Sage fang hielt bie grage, bie SBaßl bon Äatabrtjta 
ju beftätigen ober gu annuttiren, bie Hammer in Atßem. Sa eS 
gaimiS gelungen war, bie gegen bie Siegelmäßigfeit beS SBaßl* 
acteS borgebrachten Anwürfe böttig gu entfräften, fo bilbete 
bet gange partamentarifche Stummel nur baS Vorfpiel beS 
SabinetwecßfelS, ber cintrat, naeßbem 3aitniS’ Wanbat annuttirt 
unb" 'bfe tßedtofifcße präfibentfeßaft Ganbibat SfamaboS 
mit bebeuteuber Weßrßeit auS ber SBaßlutne ßerborging. 
9lm 14. April teiftete baS Gabinet ben Gib. Wan fonnte 
eS mit gug unb Siecht ein Gliteminifterium nennen, benn 
außer bem intelligenten, ftaatSmännifcß begabten Vorftßenben 
im Winifterrathe unb Winifter beS Snneren, gehörten ihm als 
ginangminifter SimopouloS an, bet wieberßolt biefen Poften 
innegeßabt, baS HriegSportefeuille unb baS Sieffort ber Warine 
übernahmen gwei ber tiicßtigften Officiere: Oberft HomunburoS 
unb SeßiffScapitän VuburiS, baS Auswärtige würbe SlomanoS, 
einem erfahrenen Siptomaten, anbertraut unb baS Winifterium 
für GultuS unb Unterricht befam GutajiaS, ein gang euro« 
päifch gebitbeter Wann, ber auch feßon biefe gunction betteibet 
hatte. Sie neue Slegierung hatte fid) als Winifterium ber 
Reformen eingeführt, unb man erwartete bon ihr VebeutcnbeS. 
SßeotofiS hatte ben beften SBiüen bafür, er fonnte eS fich 
aber nicht berhehten, baß bie Sieformen nur innerhalb beS 
bureß ben StaatSooranfcßlag gelaufenen Spielraumes burch» 
geführt werben fönnten. Saher befeßränfte fid) bie Slegierung 
barauf, guerft bie wkßtigften unb bringlicßften Sieformen in’S 
SBerf gu fegen. Witte Wai brachte fie baS Vubget ein, 
WelcßeS 105,7 Will. Ginnahmen gegenüber bloß 99,3 Will. 
SluSgaben aufwieS, unb beffen 3‘ff etn angeblich mit größter 
©ewiffenßaftigfeit ermittelt worben waren. Sie fonnte auch 
conftatiren, baß ungeachtet ber golgen beS HriegeS bie Gin* 
nahmen fteigen. .gugteieß hielt ber Winifterpräfibent eine 
Programmrebe, welche, wenn fie beS beliebten PßrafenWerfeS 
entbehrte, barum um fo fachlicher gehalten war. Gr fünbigte 
eine Sleiße oon Sieformen an, welche fo giemlich baS ©äuge 
ber Giütl* unb Wititäroerwattung betrafen unb oon benen er gu* 
näcßft, auS bubgetären Slüdfidjten, nur einige wenige bringenbe 
einbringen wofie. Sie Vefteuerung beS SBeineS unb ber 
Hormtßen, biefer beiben ^auptprobucte beS SanbeS, welche 
bisher als Gonfum* unb Ausfuhrabgabe eingehoben würben, 


Werben in ber gorm oon ©runbfteuer repartirt. Sie Widjtigfte 
Neuerung betraf bie Sleueintheilung beS SanbeS in abminiftra* 
tioe Vegirfe. Seitbem bie Gparcßien befeitigt worben finb, 
Würbe bie politifche Ginßeit, beS SlomoS üiel gu groß unb gu 
umfangreich, um oon einem Veamten überfeinen werben gu 
fönnen, baßer proponirte bie Regierung bie Gintßeilung beS 
SanbeS in fiebenunbgwangig fetbftftänbige VerwaltungSbegirfe 
mit einem Sßräfecten an bet Spiße, ähnlich wie eS in granf* 
reich ift. 3 u 9f e *ä) Verlangte baS Winifterium bie öitbung 
eines fel6ftftänbigen, nicht auS bem |>eere fich ergängenben 
ißoligeicorpS, welches gugleicß ©enbarnteriebienfte oerrichten 
unb auS 4500 Wann mit einem Oberfommanbo befteßen wirb. 

Ser Winifterpräfibent fünbigte aud) Sieformen iw §eere 
an, bie Oon bem HriegSminifterium oorbereitet werben unb 
ben 3®ed oerfolgen, baS |>eer feiner eigentlichen unb eingigen 
Aufgabe wiebergugeben. Surch bie Gntlaftung Oon ber 
Verrichtung beS SicherßeitSbienfteS Wäre ber erfte Schritt 
bafür getßan. Slun Wirb ein ©efeß eingebracht, ber bie 
actiüen Officiere oon ber Sßeilnaßme an bem politifcßen unb 
parlamentarifcßen Seben auSfcßließt. Unb SßeotofiS ßielt 
SSort. SBenige Sage barauf braeßte er ben ©efeßentwurf 
für bie Sleueintßeilung beS SanbeS unb halb nachher auch bie 
Vorlage betreffenb bie AuSfcßließung ber Officiere ein. Ser 
erftere fanb allfeitige 3 u ftiwmung, Weil er aber alle Srabi* 
tionen unb erfeffenen Slecßte berührte, würbe Oon mancher 
Seite bagegen Ginfprucß erßoben. 3 U einem waßren ffrofd)* 
mäufefrieg geftaltete fidß ber Streit gwifeßen ben Stäbten 
Sßeben unb Seüabia um bie Priorität. ViSßer war Sßeben 
AmtSfiß beS SlomoS Vöotien; nach ber neuen Gintßeilung 
follte eS Seoabia fein, Wogu eS auch berufen erfeßeint, benn 
Seüabia ift eines ber bebeutenbften ^anbelScentren beS SanbeS, 
Wogegen Sßeben einem ßalbberfatlenen großen Sorfe gleicht 
Aber bie Sßebaner poeßten auf ißte ßiftorifeße Vergangen* 
ßeit unb proteftirten auf baS fjeftigfte gegen bie Sepoffebi* 
rung oon ißren geheiligten Slecßten. Gin lächerlicher 3eitungS* 
frieg erwudfS barauS mit bem Schlachtruf: §ie Sßeben! 
§ie Seoabia! Sie Sßebaner entfenbeten Seputationen naeß 
Atßen, fugten für ißren Ort Stimmung gu machen, unb ba 
bie Slegierung feftblieb, empörten fie fid) offen. Grft bie Gnt* 
fenbung oon Sruppen beruhigte bie ßißföpfigen ^feubonaeß* 
fömmlinge beS GpaminonbaS. Sie Sebatte, welcße über biefe 
lächerliche Sache in bet Hammer ftattfanb, geftaltete fich 
überaus ftürmifcß unb eS wäre bureß baS proüoeatorifeße 
Veneßmen ber Seputirten üon Sßeben, welcße fidß wie 
Hnüttelßelben auffüßrten, beinahe gu Vlutoergießen gefommen. 
Unb wäßrenb brinnen in ben fallen beS Parlamentes ßäß* 
lidße Seiocnfdjaften aufeinanber prallten, fpielte fieß braußen 
eine noch häßlichere, weit bebauerlicßere Scene ab: ßunberte 
Oon Officieren führten eine lärmenbe Semonftration oor bem 
Hammergebäube auf. Gine Verorbnung, betreffenb bie Ver* 
tßeilung ber Stäbe auf bie üerfeßiebenen SBaffengattungen, 
welche bie gußtruppen begünftigte, üerurfaeßte Sifferengen 
gwifdjeit ben Officieren biefer SBaffe unb ber teeßnifeßen Sruppen, 
bie auf ed)t gried)if(ße SBeife bureß mü übliche unb fdjriftlicße 
Proteftationen, bureß eine Preßcampagne unb fcßließlid» mit 
einer offenen Wanifeftation oor ber Hammer in bie Deffent* 
licßfeit ßinauSgegerrt würbe. SSaßrlicß, man müßte Weit 
fueßen um Veifpiele fo arger Semoralifation gu finben, wie 
fie baS öffentliche Seben ©riecßeitlanbS bietet. 

3>n ber Hammer naßm SelijanniS immer meßr eine 
obftructionifcße Haltung ein, fie üermodßte jeboeß nießt bie An* 
naßme beS ©efeßeS über bie Sleueintßeilung unb bie Gr* 
rießtung einer politifcßen Poligei gu Oereiteln, unb bamit war 
aber baS £>auptreformWer! gefidiert. Sagegen fonnte ber 
©efeßentwurf betreffenb bie AuSfcßließung ber Officiere nießt 
unter Sacß gebracht werben. GS mußte innerhalb ber con* 
ftitutionellen ©rengen gehalten fein, unb man burfte baßer 
meßt bem Officier furgweg baS 3tecßt, an ber SBaßlbewegung 
tßeilguneßmen, entließen; er ftetlt jeboeß feft, baß ber Officier, 


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I 


276 


Sit ®c0ettt»ari. 


Nr. 18 . 


bet aud) nur einen 'Sag bom Sienfte megbleibt, ben Anfprucfj 
auf Seförbetung üerliert. gut jeben Dfficier, bet mcßt in 
unabhängiger materieller «Stellung fi<ß befinbet, hat biefe ©e* 
ftimmung bie Sßirfung eines abfoluten Verbotes. Seßßalb 
begegnete fie bem fdjärfften SBiberftanbe t>on Seiten ber 
mititärifdjen Abgeordneten unb ber Dppofition, beten ©er* 
tagungSantrag zwar mit großer 2??eE)r^eit guriicfgehjiefen 
mürbe; aber ihre obftructionniftifche Saftif ßintertrieb bie 
©otirung beS ©efeßeS in jener Seffion. 

Sn einer Angelegenheit, meldje mie leine anbere als eine 
baS allgemeine SBoßl berührenbe bezeichnet merben lann, 
jeigte fidj bie naefte Sntereffenpolitif in ihrer ganzen ßäß* 
liehen ©löße. Sie betrifft bie ©erforgung ber beiben Sdjmefter* 
ftäbte Atßen*piräuS, beren ©eüölferung 200 000 Köpfe über* 
fteigt, mit Srinfmaffer unb Rußtoaffer. Sa Athen in einer 
mafferlofen ©bene liegt, bie burch bie böüig fahlen ©ebirgS* 
jüge beS ^ßmettoS, beS fßenteli unb beS ©arncS eingefcßloffen 
tft, bleibt eS für bie ©erforgung mit SBaffer auf bie beiben 
glüßdjen KepßiffioS unb SlßffoS unb einige fpärlicße Duellen 
angemiefen. Unb fo parabiefifdj fcf)ön baS Seben in Athen 
fein faitn, mirb eS im Sommer zur Dual in golge bet 
SBaffernotß, bie bie Stabt tagsüber in eine Söolfe üon Staub 
eingeßüOt hält unb bie burftenben ©emoßner zwingt, mit 
bem Weinen SBafferquantum, melcheS brei 9J?al täglich in bie 
SBohnßäufet eingelaffen mirb, hauSjuhalten. 5Ran foüte bocß 
benfen, baß ein foldjcr unerträglicher ßuftanb fchon längft 
Abhülfe gefunben haben müßte, umfomeßr, ba feit üielen 
3aßren baS ©roject, ben Stßmpßalibenfee zur ©erforgung 
Athens mit Sßaffer heranzuziehen, auf ber SageSorbnung 
fteht. SRan müßte aber eine zu gute Meinung bon griedjifdjen 
©ürgermeiftern unb Stabtüätern haben, um annehmen zu 
fönnen, baß bie alljährlich micbertehrenbe ftürmifdE>e gorbe* 
rung ber ©reffe nadj einer SBafferleitung, bie Silagen unb 
bie glüdje, melche baS in Staub erftiefenbe unb bürftenbe 
©otf ihnen zuruft, ihnen näher am Kerzen fielen fönnte, als 
bie grage, mer baS ©efdjäft machen mirb unb miebiel jeber 
barait berbienen mirb. Seiber unterließen eS bie früheren 
Regierungen auS ©arteirüdfießt, einen Srud auf ben @e* 
meinberath z u üben unb eS ift alfo ein SSerbienft beS tperrn 
Sßeotofi, baß er biefe SebenSfrage für bie Stabt in bie $anb 
nahm unb mit einer befannten Unternehmung einen Vertrag 
abfdjloß, ber enblich baS erfehnte Sabfal in UeberfüGe bringen 
fann unb babei ben ©emoßnern nur eine geringe Sßafferab» 
gäbe auferlegt. Somit fuhr aber bie Regierung in ein Reft 
perföntidjer Sntereffen. ©egenprojecte mürben eingebracht, 
unb bie Dbftruction einiger Seputirten berßinberte eine emftere 
©eratßung biefer Vorlage, bie auch unerlebigt blieb. Sie 
Athener müffen noch e ' n Saht länger bie Dualen ber SBaffcr* 
noth erbulben. AGerbingS mar bie Seffion bon lurzer Sauer, 
benn fchon im Suli fanb ber Schluß ftatt; bei ©otßanben* 
fein nur einiger patriotifdjer ©efinnung auf Seite ber Dppo* 
fition märe bie ©rlebigung biefer unb anberer ©orlagen mög* 
lieh gemefen. Auch ber StaatSboranfcßlag gelangte zur An* 
nähme. 

Rach ©chluß ber Slammerfeffion nahmen bie Singe ben 
regelmäßigen Verlauf unb eS zeigte fidj feinerlei ©efferung. Sn 
Sßeffalien treiben bie Räuberbanben luftig ihr fpanbmerf fort; 
hier befraubirt ein ©affirer, bort mirb ein Steuereinnehmer 
flüchtig, aus bem ©efängniß bon biefer ober jener Stabt 
brechen Häftlinge auS, bie bie ©egenb unfidjer machen. Sie 
©efdjmorenen fprechen SRörber auS ©iferfudjt ober auS Rache 
frei, gür bie im ÜRonat September im ganzen Königreiche 
ftattfinbenben ©erneinbemahlen mürben bie ©orbereitungen 
mit momöglich noch größerer fpaft unb ©efchäftigfeit getroffen, 
benn mit bem SBaßlfieg fommt man birect an bie Krippe. 
Sie Regierungspartei brang in ber großen SReßrzaljt ber 
©emeinben burch, unb auch bei biefen 2Baßfen erging eS ben 
Selijanniften fehlest, glätte ber Krieg nichts anbereS ge* 
Pracht, als Abfcßmädjung bet ©arteißerrfdjaft, er märe nicht 


umfonft geführt morben. ©r hatte aber einen großen mora» 
lifcpeu ©rfolg für baS Königreich ©riechentanb. Sie bon ba 
SRäcßten aGerbingS erft nach mannigfachen Peripetien beftätigt« 
SBaßl beS Primen ©eorg zum ©eneral*®ouberneur bon fixeta, 
ber im Secember 1898 fein h°h> eö Amt antrat, bilbet ben 
erften Schritt zur ©rfüüung beS großen SraumeS ber SBer* 
einigung beS SRutterlanbeS mit jener Snfel, für melche ei 
fo biele Opfer an ©elb unb SB lut gebracht hot Anfangs 
Secember mürbe bie Kammer §u einet außerorbentlicßeu 
Sagung einberufen. ©on zwei, brei furzen Unterbrechungen 
abgefehen, bauert bie parlamentarifäje Seffion noch heute 
fort. Sie Regierung fonnte auf bie bereits in’S Seben ge» 
tretene Reueintheilung beS SanbeS, mie auch au f bie im 3uge 
befinblicße Drganifation beS unmittelbar bem SRinifterium 
beS Snneten unterfteGten Polizei* unb ©enbarmeriecorps net» 
meifen. ©ine unangenehme Ueberrafdjung mürbe ber Kammer 
feitenS beS KriegSminifterS KomunburoS zu Sßeil, er braute 
eine ©rebitforberung bon 4 1 / s SRiGionen für theilS gefächene, 
theilS erft borzuneßmenbe Ausgaben ein. Sa er fie eigen» 
mächtig unb in Unfenntniß beS zuftänbigen ginanzminifterä 
üorgenommen hotte, mußte er auS bem ©abinete feßeiben 
unb fdjloß fiep fortan ben erbittertften ©egnern ber Regierung 
an. ©r mürbe burch ben Dberften SfamaboS erfefct. Uebrigeni 
berfidjerte ber ginanzminifter SimopouloS, baß bem getil» 
betrage bou 4 1 / 2 SRiüionen SReßreinnaßmen bon mehr als 
6 fRiüionen entgegenfteljen merben, inbem bie ©emerbefteuer, 
bie ©emeinbefteuer, bie Abgabe bom SSieh unb bon ba 
Korinthen 3 üRiGionen ergeben merben unb auch eine Steige» 
rung ber goGeinnaßmen um 2 SRiüionen fiep borauSfeha 
laffe. Sie Regierung brachte auch rechtzeitig ben Staate* 
boranfdjlag 1900 ein, ber bie ©innahmen mit 111 345 000, 
bie Ausgaben mit 110 241 000 Sr. anfeßt, baßer ein plus 
bon 1 074 000 Sr. fid) ergiebt. Als bie mießtigften 3lu$* 
gabepoften mären ßerborzußeben: gür baS fpeer 18 735 000, 
bie IRarine 7 823 000, bie innere S3ermaltung 14 621000 
unb bie StaatSfd)ulb mit 32 609 000 Sr. Ser ©efammt- 
umfang beS ©ubgetS meift, bem borjährigen gegenüber, eint 
Steigerung bon 6 822 000 Sr. auf, an meldjer bie ©imialjnic» 
mit 4 229 000 St. participiren unb bon biefen bie birccten 
Abgaben aGein mit über brei SRiüionen. ©ei bem Umftanbe, 
baß bie griedjifdjen ©ubgetS feit zwanzig Saßren beinahe 
auSnaßmSloS mit bebeutenben geßlbeträgen abfcßloffen, fönnte 
man fragen, ob nießt aueß bei biefen bie ©oranfdjläge ftd) 
als aÜzu optimiftifd) ermeifen bürften; inbeffen fteßen beftimmtc 
ßmeige ber Staatseinnahmen befanntlicß unter ber europäiftba 
ginanzcontrole, unb man barf alfo annehmen, baß bie Sn» 
fäße beS ©ubgetS ber SSirflicßfeit naße fommen. @S ift alfo 
ein Beicßen üon SebenSfraft, baß baS Heine Sanb, unmittcl» 
bar nach einem ücrßeerenben Kriege, folcßen mirtßfchaftli^cn 
gortfehritt au|meift. 

Surcß bie ganze Sagung ber Kammer z»eßt fteß al$ 
ßäßlicßer ©infdßlag bie obftructioniftifdje Haltung ber partti 
SelijanniS, biefeS bereits faum meßr zurechnungsfähigen 
81 jährigen ©reifes, bem meßr ober minber bie menigen Sn» 
hänget ber Kleinpolitifer SeligeorgiS, SragumiS, Karapanno-l 
fecunbiren. Sßrc Dppofition ift feine fachliche, fonbern burtß» 
megS perfönlicße, gegen bie Perfon beS erfolgreichen SRinifter* 
präfibenten Sßeotofi gerichtet, unb bie üor ben roidjtigften 
©erlagen nießt §alt maeßt, fo baß man — horribile dictu — 
in ber griechif^en Kammer an eine ©erfdjärfung ber ©efcßäfts» 
orbnung benft. UebtigenS ift bie SteGung beS Gabinets 
Sßeotofi fefter als je. AuS ber am 6. gebruat üorgenommenen 
Reumaßl beS KammerpräfibiumS ging ber Sßeotofi’fcße San* 
bibat mit meßr als */ 4 SReßrßeit ßerüor. SBäßrenb be$ 
gebruar unb SRärz gelangten midjtige ©orlagen zur park* 
mentarifeßen ©erßanblung, barunter ©efeßentmürfe, betreffenb 
bie Reform ber oberften RccßnungScontrole, baS poft* unb 
Selegrapßen* unb Selepßonmefcn unb anbere reformatorifeße 
Rfaßnaßmen. ©on großer Sragmeite ift bie 3ur Annahme 


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Nr. 18. 


Ute ©egenwart 


277 


gelangte Gonüention ztoifhen ber Regierung unb einer englifdj» 
ftanjöfif^en ®ruppe, weihe ben enblidjen SluSbau bet Sinie 
ißiräuS—Sariffa üerwirtliht, nac^bem bie im 3af|te 1890 
bafür auSgegebene Rnleifje üon 90 ÜRilltonen nominal, baüon 
55 SRitlionen effectiü begeben, §um größten Sljeile für anbere 
3roecfe üerfhleubert worben war. Ser Somplej üon ©on» 
üentionen unb Vereinbarungen mit ber Sürfei, bic bie üölfer» 
rechtlichen commerjieUen unb religiöfen ^Beziehungen jwiftfjen 
ben beiben Staaten regeln, liegt ber Sanction bet äJiädjte 
oor unb bürfte noch in biefer Seffion not bie Kammer ge* 
langen. SaS ©efefc, mit welchem ein S(rmee»Dbercommanbo 
geraffen unb ber Kronprinz Konftantin jum Oberbefehls» 
habet befteöt wirb unb ber zugleich bie Verufung eines 
fremben OrganifatorS üorfieht, wirb jwar üon ber Dppofition 
unb üon manchen militärifhen Seputirten ftarl umftritten, 
bodj unterliegt eS feinem 3meifel, bah eS im SBefentlidjen 
burchgeljen Wirb. So barf man benn fagen, bah bie Slera 
Sheotofi jebenfallS einen SRerfftein in ber ®efd)ihte beS 
griechifchen Staates jurücflaffen wirb. 

Sarf man nun hoffen, bah bicfe SBenbung jum Vefferen 
bauernb unb fortfchreitenb fein werbe? Schwerlid). Sie 
Regierungen haben in ©riedjenlanb ein furjeS Seben, heute 
über ein 3ah r fann — aller 2Bahrfdjeinlid)feit fpottenb — 
SelijanniS wieber an bie ÜRacht fommen, unb jene, welche 
ihn h ei, te erbittert befämpfen, werben fid) wieber um ihn 
Jdjaaren. Sie öffentliche IRoral ift ju fehr corrumpirt, als 
bah an ihre Steile baS höhere 3ntereffe beS Staates treten 
tönnte, nnb auS einem griechifchen Officier wirb nie ein echter 
©olbat werben, and) wenn er nicht mehr in ber Kammer 
fifcen barf. 3« lefjter §infid|t ift bie hier gefd)itberte Sage 
üluSflufj beS Volföd)arafter§ unb biefer änbert fich nicht. So 
fann man faum glauben, bah baS fleine ©riedjenlanb, mit 
einer Sdjulb üon einet ÜWilliarbe bclaftet, innerlid) burdj baS 
ißarteifhftem immer mehr gefdjwächt, einer hoffnungSüolIen 
3ufunft entgegengeht. 


Literatur unb |tuuß. 


Das junge Ülabdien in ber Citeratnr. 

SSon Jranj (Sreef. 

3n feiner tapfern Rebe gegen bie lex Ipeinje hat Hermann 
©ubermann ein etwas grofjeS SBort gelaffen auSgefprochcii, 
als et SumaS, Sarbou unb bie granjofen überhaupt für ab» 
aethan erftärte. 3n SBirflichfeit ift nicht allein nufer Roman, 
fonbern auch unfer üielfah überf(hartes moberneS Srama 
noch f e h r ftarf üon franzöfifdjen Vorbilbern abhängig, üiel» 
leicht |>auptmann ausgenommen, ber bafür auf Sbfen’S unb 
neuerbingS auf Shafefpeare’S unb fwlberg’S Schultern fteht. 
Ohne SumaS wäre — wir benfen hier juerft an bie ,,©hte" 
unb „Ipeimatf)", an feine Romane unb RoüeKen — auch 
©ubermann faum benfbar. Seine SRenfcfjen pofiren unb gehen 
auf ben ©ffect, als wären fie in granfreidj gewefen, unb feine 
©tfide finb Senbenjbramen, in benen fetten ber echte SppuS 
beS raisonneur fehlt, wie ihn ber jüngere SumaS auSbitbete. 
©raf Sraft ftammt birect aus „Semi=R?onbe" ab, unb wer 
bie „§eimath" mit Sarah Vernljarbt ober ber Sufe gefeheit hat, 
möchte barauf Wetten, bah eS fich um ein ^ßarifer Original» 
ftfief hanbelt. Ruch Subermann’S SRäbcfjenthpen, bie demi- 
vierge Kittp auS „SobomS Snbe" unb befonberS Rofi in 
ber „©cfjmetterlingSfchlacht", finb burchauS nach ^ßarifet 
Schablonen gearbeitet, ©eben wir alfo einmal auf bie 
Originale jurüd! 

©hon Satjac war fich ber Vebeutung bewuht, bie baS 
junge SRäbdjen im focialen Seben gewinnen muh unb ber 
etnften Probleme, Welche bie ©rjiehungSfrage ftellt: „Sie 


t 

$Räbcf)enerziehung", fd)teibt er in feinem „Rlbert SaüaruS", 
„birgt fehr cmfte Probleme in fich- 6ier ift eines biefer 
Probleme: Soli man bie jungen SRäbc|en aufflären? Soll 
man ihren ©eift unterbrüefen? SS ift felbftüerftänbtich, bah 
bie flöfterlidhe Srziefjung ein UnterbrücfungSfhftem ift: Wenn 
Sie bie 2Räbcf)en am Senfen üerhinbern, fo forbern Sie 
ben plöfclihen StuSbrudj ber ißerfönlihfeit heraus, Wie er fo 
treffenb üon SRolierc in feiner RgneS gefefjilbert ift. Unb 
Sie fteßen biefen unterbrächen ©eift, bem StUeS neu ift, ber 
rafd) unb conjequent im Ipanbeln ift, wie ber eines SBilben, 
ben 3»fäQigfeiten beS ShicffalS entgegen!" Sn „Une fille 
d’Eve" befteht et auf betfelben ©egenübcrfteHung bet jwei 
©attungen üon ÜWäbchencharafteren: „SS giebt feinen ÜJiittel» 
weg: bet SRann muh entmeber ein fehr gut übet SlUeS 
unterrichtetes ÜWäbchen heiraten, welches in ben 3 e itungen 
bie Socalnachrichten unb ©erichtSüerhanblungen gelefen hat, 
baS mit unzähligen jungen Seuten getanzt hat, baS alle 
Sheaterftücfe gefe|en hat, baS Romane üerfdjlungen hat, baS 
fih um bie Religion wenig fümmert unb fich h re eigene 
3J?otal jurecht gemacht hat, ober — ein unwiffenbeS aber 
reines SRäbchen. Vielleiht liegt ebenfo üiel ©efahr in bem 
einen Wie in bem anberen galle." Slber Vatjac erflärt fih 
fhliehlih für baS junge 9D?äbcf)en, baS in Unfhulb, fern üon 
ber SBelt unb ben Rienfhen, erjogen wirb. Ser |>auptgrunb 
ber ©ntartung unferet ©cfeüfhaft liegt für ihn in bem SRittel, 
wobuth zumal bie franjöfifd^en ©{jen zu Stanbe fommen: in 
ber ÜRitgift. Unb er fdjlägt eine rabicale Reform üor: bie be* 
bingungSlofe Sntziehung beS £>eirathSguteS. Sr wünfht, man 
folle bie grauen üon ber Srbfhaft auSfhliehen: fie mühten 
ber Sorge ihrer Väter, Vrüber ober ©atten überlaffen werben. 
Srft, wenn bie Rlänner in ihren ©attinnen niht mehr ein 
©ewinn» Object fehen, mürben fie üieHeidjt bei ben jungen 
SRäbdjen mehr phhfifh«, inteHectueHe unb moralifhe Sigen» 
fhaften unb mafellofe SRütter für ihre Kinber fitchen. 3Bie 
man fieht, finb hier fhon alle Probleme ber grauenemanci» 
pation berührt, auh bie Quellen üon Sbfen’S Rora aufgezcigt. 

Vergebens fudjen wir aber bei gtaubert nah öem SppuS 
beS jungen RfäbhenS. SSir finben ihn erft bei Octaoe geuitlet 
in feiner „Stritte". Siefe ift in ber Sinfamfeit beS Sanb» 
lebenS üon ihren ©roheitern erzogen worben, bie ju alt unb 
Zu gutmütig finb, um ihre junge Seele in RlleS einzu» 
weihen. So behält fie benn bie Smpfinblidjfeit jener Raturen, 
bic üon ben Singen nur baS Schöne unb üon ben SRenfhen 
nur baS ©ute-gefehen haben, für ihr ganzes, fo furzeS Seben; fie 
ftirbt fogar batan, benn ber Schmerz, ber ihren Seib Der« 
nidjtet, hat feine üöutzel in ihrer Seele unb ftammt üon ber 
erften Snttäufhung beS wirflihen SebenS, baS z« hart ift 
für ihre ibeale 3attljeit. So ift auh h re Siebe für Raoul 
ihrem SBefen nah flanz unirbifh; fie wünfht, fie mähten ein» 
anber lieben, inbem fie üon ©ott fprähen, unb bah ber 
§immel in ihre Seele nieberfteigen unb fih mit allen ihren 
©ebanfen üermengen möge — unb als ihr Verlobter ihr 
offen feine Ungläubigleit befennt, ba weih fie gleich, bah 
fie biefe unerwartete Srennung ihrer' beiben SBefen, bie fie 
fhon im ©lauben üereinigt fa|, niht überleben Wirb. 

Sin anberer St)puS ift ©oncourt’S Sljftie. Siefe hat nicht 
Shbilte’S fromme unb unfhulbige Seele. Unb boh ift auh fie 
rührenb in ihrer Rerüofität unb ihrem franfljaften Verlangen 
nah 3ärtlidjfeit, baS fie burh ihr äuherlih glänzenbeS Seben 
üerfolgt. §ier wollte Sbmonb be ©oncourt bie SRonogtaphie 
eines jungen SRäbhenS unter bem zweiten Kaiferreih geben 
unb h Q t bafür bie fhärfften Rüancen, bie feltenften unb 
feinften garbentöne gewählt, ©herie ift bie Snlelin beS 
alten SRarfhaHS ^aubancourt: üerwaift, wie fie ift, fennt 
fie nur biefen ©reis, ber fie liebt unb über fie wacht. Von 
ihrer Kinbheit an, bie fie faft auSfhliehlih im Sßarfe üon 
SRuguet zubringt, unter bem Saube ber alten Väume, zeigt 
fie fih einbrurfSfäljig unb empfinblid)- Sie Wirb üon ftarlen 
SlngftanfäQen üor bem Sunlel unb ber Sinfamfeit ergriffen; 


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278 


Die Gegenwart 



fte fdjauert bei ber geringften (Srregung jufammen. 9D?it 
adjt, neun Sauren empfinbet fie fdjoit eine 2lrt non Selben* 
fdjaft für einen Drbonnanjofficier i§re£ ©ro^naterö. ®refe 
Seibenfäaft ift ftnbifc^, aber bod) tief. SDüt ben Sauren 
toäc^ft itjre (Smpfinbung, toirb intenfiner, tooHüfttger. 

„ 3 pw &änbe beftänbtg in $cmbfepupen, bamit fie weife BIei 6 en 
füllten, fafe (£p 6 rie ftunbenlang in iprem in träger Anbetung 

i^rer eigenen Sßerfon, ihre ßofetterie nur auf fich felbft üerwenbenb, unb 
fühlte ft<h burcp einen 59efuch nur unangenehm auS bem unflaren 
unb ntpflifepeit 3 uftanbe, worin fte fiep ftetS befanb, gewecft." 

Sie geigt einen ganj franftjaften ®efdjmatf in ber 2Iu3- 
toaljl ifjrer *ßarfüm3 unb ba£ raffinirte ©mpfinben eines 
entarteten nemöfen ©efdjöpfeS. 

w 3 eben borgen, 6 ei ihrem erften ©rwacpen, erhob fich baS junge 
Räbchen unb taftete, ttocp gan$ oerfeplafert, mit ber §anb nach bem 
^arfüm^erftäuber unb begann ba3 Sinnen tpre£ 93ette8 mit bem 3)ufte 
weifeer heliotropen gu burcptränfeit. 3)ann wfcfelte fie fiep fofort tn bie 
parfümierten 23ettbecfen, inbem fie fiep bemühte, biefelben fo wenig wie 
möglich aufaubeden. Unb ben topf bi3 an bie klugen in bie $)ecfe 
Derftecft, empfanb fie eine unfäglicpe ßuft, fiep fo bureptränft, umfcpmeicpelt, 
erfrifdpt $u füplen Don biefev buftenben ftlüfftgfeit, welcpe fiep üer* 
flücptfgte; bann fepien ipr, als ob ipr ganzes noep niept ganj auS bem 
©eplumntet erwaepteä SBefen fiep jugleicp Oerflücptigte, als fei e3 in 
biefem Söoplgerucp unb 3)uft mit aufgelöft. 3 um ^cplofe fcplief fie 
wieber ein unb fanb einen ©enufe in bem ©cplummer, in ben fiep 
etwas wie JRaufep unb ein geringes OhnmaeptSgefüpl mifepte." 

Der ©ebanfe an eine fieirath, Welcher bie jungen Wäbdjen 
mit Ungetoifefeeit unb ©rreaung erfüllt, befdjäftigt noch gar 
nid^t ihre Seele; fie ift übrigens überzeugt, bafe fie jeber* 
eit eine fefer gute Partie machen !ann. 91 ber bei biefem 
finftlidjen ßeben »erben it>re fernen gerüttet, eS erfafet fie 
eine franf^afte Vorliebe für ben Dang, ber ifjr unent* 
bebtlidj toirb burd) feine Aufregungen. 3b re Sofetterien 
»erben immer füfiner. Alle ißre greunbinnen haben ft^on 
einen Wann gefunben, unb baS bringt fie gut ©ergtoeifiung. 
DaS ©erlangen, fid) um jeben ©reis gu Dcrheirathen, läfet fie 
fogar f)äufig bie Sd)tdlid)feit aufeer Atf)t laffen: fie fueßt 
einen Wann gu büptren . . . Dann erfaßt Wübigfeit ißre 
Seele, fie bat Sebnfudjt nach ßärtlicßfeit, ein ©erlangen ge* 
liebt, Dergärtelt, geliebtoft gu »erben. Sb« SÜranKjeit nimmt 
eine fdjlimme ©Benbung, ißr ßeben entfliegt, fie fütjlt unb be* 
bauert eS. Se^t träumt fie non einem edjten ©arifet Dobe, 
in ber ©quipage, in ben ©b am P3*©lqfeeS, an einem fdjöneit 
grütjlingSabenb. Der Dob entreißt fie enblid) ibjrer Um* 
gebung: fie ftirbt oöQig gebroden unb unglüdlidj. „(S^erie 
ift eben nur eine mäbeßenbafte groufrou, beraufeßt Dom ßeben, 
»ie fie fiel) an ifjren ißarfiimS beraufeßt ^atte. ©Benn i^r 
ßeben normal unb gefunb ge»efen »äre, »ürbe fie eine Dor* 
güglicße grau ge»orben fein," meint £enrß ©orbeauj. 

ßola’S Wäbcbentppen bieten nur geringes 3ntereffe. 
Sie finb ihrer 9?atur nach aufrichtig unb bloß ©efd)öpfe, bie 
inftinctmäßig unb gerablinig baf)inleben. So ift bie fpelbin 
im „Sonbeur beS ®ameS" eine rubige, abgetlärte unb gefunbe 
üftatur. Angelique auS bem „ÜibDe" ift eine entfteßte iliacb* 
abmung Don geuiUet’S SqbiDe; ttaS (Slotilbe im „®octeur 
^ßaScal" betrifft, fo bat f» »eber bie Sdjambaftigfeit unb 
bie Sarüdbaltung, nod) bie (Smpfinbungen, überhaupt »eber 
baS (Sebirn noch bie Seele eines jungen WäbdjenS. 

Einige »enige Stubien junger Wäbdjen finben »ir auch 
bei @up be Waupaffant, ®aubet unb ©ourget. ©ne Steiße 
Don Wäbcbentbpen bagegen bei Anbre ®b eu riet, aber fie be* 
febränfen fich Alle auf ben ®ppuS beS bübfeßen, frifcßen, natür* 
i idß * off en herzigen WäbdjenS. Waupaffant’S Vornan „Une ©ie" 
enthält bagegen im erften ®b e 't einige pftjcßologifcß richtige 
Streifli^ter auf baS SBefen beS jungen WäbcbenS; eS finb 


bie 9teflejionen Seanne’S Dor ihrer §eiratb- Seanne $ bk , 
©raut eines WanneS ge»orben, ben fie Eaum lenitt, ba fx i 
nur flüchtig gefeßen bat, »ie baS in ber franjöfifcßen <5^eQ* 
feßaft Sitte ift. Sie glaubt ihn ju lieben; bie jungen Säb> 
eben haben ja einen folcßen Schab Don ßuneigung Derbmgen, 
ba| fie ftets et»aS baDon bem fpenben fönnen, ben man 
ihnen als jufünftigen (Satten beftimmt. Sie ftedt fkb tot, ; 
ba§ bie ßiebe bie Seelen Derftßmeljen unb alle ihre 'ÄtMjaj* ■ 
träume Dermirflichen »erbe. Unb bann empfinbet fk encl 
®ageS ptößließ, ba| ihre beiben SBeJen fich e»ig fremb j 
bleiben muffen: „Sie fühlte, bafj j»ifdjen fie unb ihn eS 
fich mie ein Schleier legte, »ie ein fpinbernifj, unb jum «fteo* : 
mal »urbe eS ihr Kar, irnjj j»ei SBefen einanber nie bis auf I 
ben ®runb ber Seele unb bet ©ebanfen bringen fönnen, ba| 
fie Seite an Seite babingeben, fich gutoeilen umannenb, ab« j 
nie ineinanber Derfchmeljenb, unb ba| unfere ©ede baS 
ganje ßeben einfam bleiben mufe." Seanne’S alte Xante 
ßifon, »eiche mit 9teib bie gärtlidjfeiten fiebt, bie ber 
©räutigam unb Scanne auStaufcben, unb bie i|r einfameS 
ßeben bamit Dergleicßt, fennt baS ®cßeimniß ber Seelen 
nidßt; fonft »ürbe fie nur ein trauriges ßächetn Dafür haben 
bei bem ©ebanfen, »ie »eit getabe jene SBefen Doneinanber 
entfernt finb, bie fich fo nabe ju fteben febeinen. ®aS ßeben 
bringt eine folcbe Äette Don ßeiben unb Snttäufdjungen, bajj 
bie Wcnfchen DergebenS burch greunbfdjaft unb Sie6e eins 
ju »erben fudhen, fie bleiben bod) in unbewegliche ©infamfeit 
eingemauert. Seanne »irb Don biefer Sbee Derfolgt, aß fte 
an einem fd)önen Sominerabenb mit ihrem ©ater burch bie 
mit Srrlidjtern befäete ßanbfd)aft fdßreitet. „@S feßien Seanut, 
als erweiterte fich ihre Seele unb Derftänbe fie all’ bie unfteßt* 
baren ®inge; unb biefe Keinen ßidjtförper, bie über ben ; 
»eiten 9taum Derftreut toaren, »eeften in ihr plö$ltcb bie 
©mpfinbung Don bet ©infamfeit aller SBefen, »eteße Alles 
entj»cit, AHeS fcheibet, »efiße Alle fern Don bem forttreibi, 
»aS fie gern haben würben." ®a fagt fie mit refignirter 
Stimme: „SS ift nicht immer beiter, baS ßeben.?? ®ei 
©aron feufat: „2BaS »iUft ®u, mein Sfinb, »ir fönnen nichts ' 
bagegen!" ®iefe lebten SEBorte finb ber ©runbton ba 
fchmerjDollen unb fataliftifchen ^Sßifofoßbte Waupaffant’S, unb 
fie flingen wieber in bem Schluffe beS fRomanS, toenn bic 
alte Dtofalie Seanne gegenüber fich äußert: „®aS ße6en, 
fehen Sie, ift nie fo gut unb nie fo fcßlecßt, »ie man eS fieß 
benft." (SS liegt in biefeit ©Borten bie gange ÜRußlofigfeit 
aller ©lüdSbeftrebungen unb bic ewige Trennung ber SSefen. 

©aul ©ourget, ber bie Äunft Derftebt, bie feinften 9?ü* 
ancen ber ©rfinbung »iebergugeben, giebt unS j»ei Analqfen 
junger Wäbdjcitfcelen: Alba Steno auS „SoSmopoliS" unb j 
Henriette SciUß in „ßa Xerre promife". Die lilienßafte 
Alba Steno ift eine 3»iöingSfch»efter jener jungen Wäbchcn 
Don überirbifefjer ©ragie, »ie »ir fie bei Sbelleb unb ©qton I 
finben. ^enriettc Scillt) aber ift intereffanter. ©on ihrer 
Wutter in ber ©infamfeit aufergogen, bat fie immer fern Don 
ber ©Belt gelebt, in Dölliget Ünfenntnife ber Dinge. So er« 
»artet fie Don ben anberen biefelbe fledenlofe Woral, bie iljr 
eigen ift, unb fennt nicht bie ©erfteQung unb bie focialen 
ßügen. Sie ift breiunbgwangig Sabre alt, aber noch fo jung, | 
fo gierlidj, ba| fie faum adßtgeßn fdßeirtt. Da toirb fte bie 
©raut Don granciS Siaqrac, ben fie tief' unb wahr liebt 
Auch granciS liebt fie leibenfchaftlidj: er bat eine empfinblidje 
Seele, bie Dom ßeben tief Derlcfct ift, unb er feßt in bitfe 
ßiebe feine gange Hoffnung auf baS ©lücf. Aber feine ©er* 
gangenbeit, »el^e burch fein ßeiben gefübnt fein mü§te, fteigt 
plöhlich auf unb trennt bie ßiebenben. Unb »eil feine ©raut 
baDon erfahren unb eS erraten bat, ftnbet fie eine ©er* 
binbung gwifdjen ihnen unmöglich, ba fie ihren ©räutigam 
nicht mehr achten fann, obgleich fie ib n noch liebt. — SKan 
mufe baS ©apitel lefen, »o baS junge Wäbcßen gu ernti/en 
beginnt, »aS man ihr Derfeüllt, bie naiDett gragen an ißre 
Wutter über alle ßügen, toeldje bie unerlaubten ßiaifonS bt* 


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Nr. 18. 


Die (Begenroart 


279 


gleiten, ipre unerbittlidpe Sogif, womit fie biefeiben oerurtpeilt, 
ipre 93erwunberung unb ipr ©dpnterj bar übet, bafj ein SRann 
einer grau biefelben Sßorte ber Siebe fagen fann, bie et fcpon 
einer onberen gejagt pat. $)aS Stile« macpt biefcrt SRäbcpen* 
tppuS fo Wapr unb fo lebenSOott. 

©pp pat in „Autour bu SRatiage" einen neuen XppuS, 
©aulette, gefcpaffen, bie fie fpäter toieber in ÜRabemoifette 
@Oe, Soulou, Armine u. f. w. oerwenbet pat. ®pp becft mit 
SBomte alle Safter unb Säcperlicpfeiten unferer ®efettfcpaft 
auf unb nirgenbS in ipren japlreidpen Sßerfen giebt eS für 
fte irgenb ein 3beal, Weber im Seben, nocp in ber ©efeüfcpaft 
ober in ber Siebe unb Gpe. ©ie ift eine gerftßrerin par 
excellence; fie macpt Stile« lädpetlicp: ®inge, bie ©ereprung 
Oerbienen unb fotcpe, bie eS nicpt oerbienen, alte unb junge 
Herren, anftänbige unb nicpt acptoare grauen. Unb als edpteS 
SBeib tlammert fie fiep gerabe an bie Steinigfeiten, ©ie pat 
baS moberrtfte junge 3Räbdpen analpfirt. 3pr erfter XppuS 
ift Roulette. ©aulette ift fepr aufgellärt. 2Ran braudpt nur 
ju pören, Wie fie einige Stage oor iprer £odpjeit ipren lieben 
grennbinnen fagt, waS fie Don ber Gpe erwartet. 3tgenb 
welcpe ©entimentalität liegt ipr ganj fern; fie ift praftifcp, 
fogar cpnifcp, aber immer offenpergig. 

„©tan fie^t es boep gleidj, bafj perr b’Sllali), Sein SBräutigatrt, 
fürepterlicp in Sief) Derltebt ift!" fagt eine Iprer gteunbinnen ;u ipr. 

„3«benfalf8 Derltebt genug, um fitf) Dott mir gängeln ju'laffen, 
»ie «8 mir gefallen roirb," metnt Roulette. 

„£po! ©ift Su beffen fo fteper?" 

„SurcpauS; fonft mürbe itf) ipn nicpt peiratpen; icp Berpetratpe 
miep, um eine angenepmeS fiepen ju paben ... 9lu8 {einem anberen 
©runbe!" 

„2lber Sein ©räutigam ift fepr nett ..." 

,,©etti& . . . roenu Su «8 fo nennen roiHft! SIber baS ift nocp 
fein ©runb, miep Bon ipm tpranniftren ju taffen . . ." 

„Ipranntfiren! SBelcp’ ein päfslidjeS SBort! C 8 mufj im ®egen= 
tpeil fepr füft fein, Semanb ju gepovepen, ben man liebt ..." 

„©iedetept für eine romanttfepe Statur, mie Seine; für miep märe 
baS ©eporepen nicpt füg. 3<p jüple in mir leinen ©eruf für einen paf* 
Üben ©eporfam, unb icp Petratpte eS gar nicpt a !8 ba 8 größte ©lüd 
baS . . . Spieljeug irgenb eines £>errn ju roerben . . ." 

„Sttcpt .irgenb eines ßerrn', fonbern . . .* 

„®cp, als menn fte nicpt Äffe .irgenb einer' roerben, naep lürjerer 
ober längerer 3 eü! Slucp roiH icp mit ipm gleicp bon Slnfang an bon 
ernften Singen reben; icp roerbe bie Drganifation meiner SePenSroeifc 
mit ipm regeln, mein Subget, bamit lünftige ©teinungSBerfcpiebenpeiten 
über biefen ©egenftanb bermieben roerben . . ." 

Roulette pat eben bie rupige unb geregelte Gjiftenj 
bei ipren Gltern genügenb (ennen gelernt, fie Witt jept etwas 
AnbeteS. Unb inftinctmägig pat fte fiep oorweg bie ganje 
Strategie ber Oerpeiratpeten grau angeeignet, unb ber ©ieg 
übet ben SBitlen beS äRanneS wirb ipr leidpt. ©ie pat fdpon 
Alles gelefen, unb wenn ber ©atte ipr am Sage naep ber 
§odpjeit ein ©uep jur Seetüre anbietet, Don bem er glaubt, 
bafj es nidpt oon einem, jungen SRäbdpen gelefen fein fann, 
bann lacpt fie ipn aus, benn fie fennt eS fcpon längft. Sebe 
iprer Antworten ift eine neue GntpüQung für ipren ®emapl 
unb er ftaunt barüber, bie jungen SRäbcpen fo wenig gefannt 
ju Baben. SBaS bie Siebe, bie Aufopferung, bie ftinber unb 
„anbereS 3 eu 9" betrifft, fo ift ipr baS gang gleicpgiltig. 
Unb bodp ift fie ein gutes ©efdpöpf: fie leibet nur nicpt bie 
ÜDföralprebigten; fie liebt baS Sacpen, bie Suftigfeit, ben SujuS, 
bie gefte. Unb ift baS nidpt natürlicp bei einem Sßefen, baS 
6iS bapin eingefperrt gepalten würbe unb jept für ipre ge* 
funbe Sagenbtufi ein freieres unb bewegteres Seben wünfdpt? 
Sie ift im ®runbe ein lebenSluftigeS fleineS ®efcpöpfcpejt, 
banfbar für bie ©ergnügungen, bie man ipr bietet, unfäpig 
fii| ju Oerftetten unb ju lügen, offen unb fröplicp, mit einet 


ipr eigenen Art, ganj ungenirt unb laut 2)inge ju fagen, 
bie man benft, aber nicpt auSfpricpt, unb mit einer gewiffen 
greube baran — ftgürlidp auSgebrücft — „bie güjje auf 
ben 5:ifcp ju legen" unb fidp fogar oftentatio ben 'Sifdp ejtra 
polen ju laffen, nur um biefe greube ju paben. Unb baS 
Alles mit einer fouoerünen ©eringfepäpung für AtteS, waS un* 
moberit, ju ernft, jü correct ift, für Alles, was nicpt ipr äugen* 
blicfticpeS SBergnügen, waS gerabe ipre Gaprice ift. ®aS ift 
bie moberne junge ^ariferin. ®pp pat iprer Roulette in 
ÜJtabemoifetle Goe unb Soulou 3 nj '^' n 9^f c P' [l,e ^ ei:n gegeben, 
bie weniger traffc $“ge aufweifen. Aucp fie befipen jenen 
„je m’en fichisme“, jene abfolute SRicptadptung für alles 
Gonoentionefle, aber fie finb boep wärmer in ber Gmpfinbung, 
Wenn aucp ebenfo offenpergig. SRabemoifette Goe pat ein 
fepr gutes £>erj. Unabpängig, offen unb fepr Diel auf ipre 
©elbftftänbigfeit ae6enb, wirb fie tropbem ben 5D?ann glücf* 
liep maepen, ben fie lieben wirb, ©ie ift ftolg unb giebt eS 
nicpt ju, bafj man fie naep bem ©cpeiite beurtpeilt, obgleicp 
ber ©(pcin burcpauS gegen fie ift. 

Gin anberet ®icpter, ber jüngfte Afabemifet §enri 
Saoeban, analpfirt au^ baS junge SRäbcpen, aber et birgt eine 
warme Gmpfinbung unter bem Aeufjeren eines fatirifdpen Se* 
obacpterS. ®iefer SSorjug geigt fiep befonberS in einem Sucpe, 
baS einige ©tubien über bie junge ißariferiit oon peute ent* 
palt unb bem er ben Xitel „SeurS ©oeurS" gegeben pat. 

©ei ipm finb bie SRäbcpengeftalten oor ADem weniger bur* 

fcpifoS als bei ®pp. Gine Oon ipnen, ®ermaine SJtaubuit, 
fpriept folgenbe Sbeen über bie Gpe auS: 

„3dj roerbe ben 'Kann lieben, ber mtd) liebt. 3cp roei| nicptS unb 

fürste ju Diel ju erraten, unb icp miiepte nicpt ju Biel leiben ober 

roenigftenS nicpt gleicp. Qcp bringe ben guten SBiOen mit unb bitte 
©ott nur um einS: um ^rieben pier im fieben. 216er eS ’fepeint, 
als pabe er ipn nur ben ©tünnem unb nicpt ben grauen Berfprocpen!" 

SD?atcel ©reooft’S „®emi*oietgeS" fteßt bie beiben Gr* 
jiepungSmetpoben ber jungen SRäbcpen einanber gegenüber, 
unb Scanne be Gpantel, bie Heine correcte, Oernünftige ißro* 
Oinjialin, pat eS leidpt, fiep Oortpeilpaft Oon ber ganjett 
SReipe ber fdpönen, perauSforbernben unb fepr etfaprenen 
jungen ÜRäbcpen ©reöoft’S abjupeben. ®er SRaifonneur im 
©u^e formulirt fepr feparf biefen ®egenfap, als er ber §odp* 
jeit ber fleinen perterfen Saqueline be fRouore mit bem 
Sebemann Suc be SeStrangeS, ber in bie ÜRepe beS gewanbten 
ÜRäbcpenS geratpen ift, beiwopnt. Gr oergteidpt bie junge 
©raut unb bie naioe Seanne miteinanber: 

„Siefe beiben jungen ©Jäbcpen finb boep trop aHebem bi« einjigen 
Bernünfttgen fiäfungen für baS Stätpfel ber mobernen @pe. SBenn man 
ipr ben lopalen Sparatter 6eroapren roiD, ipre Srpabenpeit, ipre UnlöS* 
licpleit, ipre Sreue, ipre grucptbarleit, fo muff man bie StuSnapme* 
erfeptinung,'ben feltenen ©ogel, baS roeipe unfcpulbige fflänScpen fuepen, 
roie Qeanne. SBid man fie moberner auffaffen, eine correcte äufjenfeite 
mit etroaS mepr Ungebunbenpeit bapinter, bann ift eS beffer, fiep im 
BorauS ju fiepern unb miteinanber ju Berftänbigen. Sie ©ittlicptelt 
büßt babei nicptS ein. Sie Slufricptigfeit bagegen gewinnt." 

XaS ©uep bietet eine ganje Sammlung folcper jungen 
SlRäbcpen, bie oor ben Augen ber ÜRänner colettiren, über 
gweibeutige ©eperje lacpen unb fogar barauf antworten, ben ge* 
wagteften glitt treiben, Alles oerftepen, AtteS wiffen; urib oor 
Allem wiffen, bafj ber äRann päufig Oon ber ©erliebtpeit be* 
perrfdpt ift, bie man reijen mufe, opne fie ju befriebigen, unb 
bap barin bie ganje $?unft, ben SRann ju gewinnen, liegt 
@o ift oor allem üRaub be JRouüre, iprem ganjen SBefen nadp 
eine Abenteurerin, „leineSwegS gemein, wenn audp entartet", 
mit leibenfcpaftlicpem Xempe.rament, ungeftüm unb energifcp, 
aber fo fipön in iprem perriiepen, fdplanlen SBudpS unb noep in 
ben peroerfeften SRomenten ipren ©tolj bewaprenb. daneben 
ftept ipre ©cpwefter Sacqueline, eine Golette, bie auS bem Seben 


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280 


Di« ®«g«nwttri 


Nr. 18. 


Sßortfeeil ju jief)en weife unb anftänbig bleiben »iß, bod^ nur 
mit bem SSerftanbe. ®ora Salwell ift etwas ju ejotifdfe, fogar 
für eine demi-vierge, bie Keinen üieöerfir aber ungezügelt unb 
leicfetfertig, cnblicfe Sulktte ülorefac, oon ber bie SDJutter mit 
92ad^fic^t ertlärt: „93afe! Me jungen üRäbcfeen treiben feeutc 
glirt. @3 ift bie ncucfte ÜRobe. ÜReine Suliette meint, bafe 
bk jungen ÜRäbdjen, bie feeute nid)t flirten, fiefe rticf)t ber» 
feeiratfeen. 3cf) finbe aber, bafj ®ie, weldje flirten, ebenfo 
wenig gc^eirat^et werben . . ." Sief er ganzen „beerbe" 
junger ÜRäbcfeen, bie fo gewanbt manöbrirt, weife ÜRarcel 
ißrdooft nur bie arme, fdfeüdfetcrne, farblofe, etwas einfältige 
Scanne be ©feantet, „baS Heine weifee ©änäcfeen", entgegen» 
ZuftcHen. Sie ift auf bem Sanbe erzogen worben, ftc feat 
nur fromme Sücfeer getefen, fie liebt ifere ÜRutter fefer. S)aS 
MeS ift ganz fcfeön, aber ber SfepuS bleibt boefe auffallenb 
blafe. Unb aufeerbem feat fid) biefe Seanne, bie et zur 93er« 
feerrlicfeung ber Mgenb feinfteHt, boefe in einer fmifidjt etwas 
fompromittirt, waS ifere Unfdjulb nur relatio erfdjeinen läfet: 
fie fdjreibt feibft an Jpector le Xefficr, bafe fie iljit liebt, ob» 
gleid) er ifer nie gefagt feat, bafe er fie auefe liebe. Sft eS ber 
Mfentfealt in IßariS, ber fie fo fcfetiell umgewanbelt feat? 
Ober tfeut fie baS auefe auS 0?aiüetät? . . . Unb nun nodj 
einige ÜRäbdfeentfepen im mobernen ®rama! 

©djoti ©cribe featte und eine ganze ükifec junger 
ÜRäbcfeen oorgefüfert, aber eS waren feine Gfearaltere. ©eine 
„ingenues“ galten ftetS bie Mgen gefenft, finb züd)tig in 
iferent Sßefen, fürchten fid) oor ben Scannern, reben fefer zu» 
rüdfealtenb — man feat ben ©inbrud, bafe fie Weber z« benfen 
noefe zu leiben Oerftefeen. Slugier unb ©umaS feaben mefer 93e« 
obadjtung in ifere ÜRäbcfeentfepen gelegt, aber aud) biefe fpielen 
nur eine untergeorbnete, ganz oerfdjwommene üfotle. SDennocfe 
taffen bie grauen oon $)umaS wenigftenS baS junge ÜRäbcfeen 
erratfeen, baS fie einft waren. ®ie Ißrinceffe ©corgeS, 
grancitlon unb anbere feiner 4?elbinncn werfen bereits 
bie ernfte grage ber üRäcfeenetziefeung auf. 3m »Ami des 
femmes“ finben Wir fogar z roe i redfet intereffante $fepen 
oon jungen ÜRäbcfeen. ®a ift juerft bie Heine Salbinc 
Seoerbet, welcfee noefe furze ßleiber trägt, obwofel fie längft 
erwaefefen ift; aber man weife ja, bafe bie furzen SUeibdjen 
ber Södjter bie 3ugenb ber ÜRütter erfealten. Sie tft finbifd) 
unb naio, unb wie eS bei einer erften Siebe zu gefeen pflegt, 
ocrlicbt fie fiefe in einen befdferänlten üRenfcfeen, ben braüen 
Gfeantriit, ober bielmefer in feinen langen 95art, ber ifem baS 
MSfefeen eines altaffprifcfecn ÜRagierS giebt. ÜRit iferen 
j£feräncnauSbrüd)en unb ülerocnanfällen zeigt fie bereits bie 
äpfecre S'omöbicnuatur ber grau. 2lber biefe ©dja ufpielerei 
ift. bei ifer ccfet, jo unbefangen ift itod) ifere ©eele. 2)ann giebt 
u nS S5uma3 in ber Heineu Ipadenborfj beit «TfepuS, ben wir 
fpäter befonberS bei ©fep wicberfinbcn: baS junge ÜRäbcfeen, 
baS bem Seobacfeter obcrfläcfelicfe, fdjlecfet erzogen, friool unb 
cofett crfcfecint, aber im ©ruitbe anftänbig ift, ein gutes §crz 
feat unb baS Seben ernft zu nefemen weife. SBer benft feier 
nidfet an bie beriidjtigten Smitationen oon Sinbau, SBluiuen« 
tfeal, Subtiner, bie angeblicfe beutfefeen 83adfifcfee, bie feinter 
ber ^Berliner ©d)nobbrigfeit eine fcfeöne ©eele oerbergen? 

9lud) bie Mnette be 9tioerolleS in „granciüon" ift ber 
£fepuS eines jungen ÜRäbcfecnS, ber eine eingefeenbere Setracfe« 
tung oerbient, ©efeon ifere geiftrekfeen SReflejionen werfen ein 
greUeS ©treifliefet auf baS Problem ber ÜRäbdjeuerziefeung. 

„9tße§ luaä id) gelernt: 2e[en, Schreiben Älaoier, @ngll[d) 

unb Seutjcb, itntienijd) fingen, SdiliUfd)Umläufen, Seiten, ben SBoljer 
u deux unb trois temps unb alle fjiguren beä Gotiüonä fjnbe id; 
nur ju bem einen $wtd gelernt, einen Wann ju finben. Sid)t rcafir, 
meine Herren, ?lßeä, rooS mir jungen 2Jiäbd)en tfnin, gefdjie^t nur, um 
Sbncn ju gefallen? Unb muffen wir un8 nicht bemühen, fo DoUlommen 
»wie möglich ju merben, um bie (rl)re unb baS Vergnügen ju haben, 
itnferc ganje ©jiftenj für einige angenehme Stugenblidc 3h^ ®afeinä 
hiniugeben." 


Unb ate fie bei i^rer ©d^toefter grancitlon, nadjbem ftc 
ben S^ee feroirt, fi^ biöcret jurucfjte^en tniö unb bie-gteunbe 
i^re§ ©ruberö fie jurüdjut)atten fud)en, bemerft fie ettoaö fpi^: 

bin nur gefommen, um ben; £$ee gu ferüiren. Jur fpäter 
ift mit ber 2(ufentljalt tm 6a(on unterfagt" — „SBefftalb?* fragt 
6tani8löS. — w ?Seil 6te bann fo unanftänbige 6ad^en fpredjen foHen, 
bie ein junges SRäbdjen ntc^t pren barf." — *®ut, bann »erben »ii 
ganj unbefangene $>inge reben l" fagt §enrt. — w 3a, aber mit fdjemt, 
bafi Sie bann nicht meljr friool, fonbem oiclmehr langtoeiüg werben." 

Unb an anberer ©teile: 

,,3d) bebauere eS, in ber (SefeflfdjaftSclaffe geboren gu fein, gn ber 
id) gehöre. möchte biet lieber ein tleincS Sürgermäbchen fein, baS 
fc^r befdjäftigt unb eine gute ^muSfrau ift. fBenn ich in «inen fiaben 
trete, unb bie SBerfäitferin oerbinbltdj lächenb auf mich gutommt, um 
gu fragen, »aS ich »ünfehe, bann höbe ich jebeSmal fiuft ihr gu ant= 
»orten: w 2Ba8 ich »ünfd)e? Qch »ünfehe an 3h^«^ ©teile gu fein." 
28ürbe ich Sftonne »erben, »ogu mein Söeichtoater mid) immer er* 
mahnt, ich glaube, eS toürbe beffer fein . . . $od) gleichoiel, ba8 Seben 
ift recht öbe . . 

9ludfe fie benft an bie Siebe unb fie .wünfcfet fiefe eine 
grofee unb einfaefee Siebe, wie fRomeo unb Sulia, wie ^?aul 
unb SSirgtnie. Mer eine folcfee Siebe feat fie nie in ben ©feen 
gefefeen, bie fie z» beobadjten ©elegenfeeit featte. Um fiefe zu 
' oergewiffern, fragt fie §enri, ob cS eine folcfee Siebe giebt 
Wie er fie feiner ©efewefter Wünfefeen Würbe, wenn er eine 
feätte. j)ie Antwort |>cnri’S ift erfcfeütternb wofer: „9Ra'n 
mufe oon ber Siebe nid)t mefer ocrlangen, als fie zu geben 
Oermag." — $)ie arme Mnette feat eben ben ©cfelcier beS 
SebenS gelüftet, unb baS feat fie ganz traurig gemaefet. Sie 
feat begriffen, bafe bie SRenfcfeen, bie Siebe, bie Sfee nidfet 
fo finb, Wie ifere träumerifefee SRäbdfeenfcelc eS fiefe oorgefteflt 
featte, unb bafe fie fidfe befefeeiben mufe, oom Seben nur baS 
28enige zu Oerlangen, waS eS ifer bieten !ann. 

©in anfefeeinenb neuer SRäbcfeentfepuS ift burdfe bie „Sfaffec» 
feauSpoeten" oon 3ung«9Bien in bie beutfefee Siteratur ge« 
lomnicn. ©S finb bie „lieben, füfeen URäbeln", bie wir auS 
Slrtfeur ©djnifelct'S SBiener ^feeaterftüden unbfRooellen fennen, 
uitb benen baiut auefe ber iRorbbeutfcfee ©rnft oon SBotzogcn 
ein ©fizzeubud) gewibmet feat, oon anberen iRacfeafemungen 
Zu fefeweigen. 93te ©cfenifeler’S ißoefie ein ©emifefe aus flaoifcfe« 
femitifefeen ©inflüffen ift — er unb baS ganze 3ung»9Sicn ber 
$ugo |iofmanu 0. ^ofmannStfeal, ©eer«|>ofmann, Slltenberg, 
|)irfcfefelb finb jübifdfeer 9lbfunft —, fo ift er oor Mem ein 
©dfeüler ber granzofen, Oon benen er ben Ißfauberton unb 
bie ©razic ber gorm feat. 21 ber auefe bie Stoffe unb 6on« 
flicte unb zumal feine .jpelbinncrt. @r fdfeilbert unS nur 
immer bie grau, aber niefet bie ringenbe, fämpfenbe, nur bie 
liebenbe, entmeber bie ÜRäbeln ber SBorftabt ober bie oer» 
feeiratfeeten SSeltbamen, bie SEroft für ifere iperzenSleere im 
Sörud) ber cfeelicfeen 'Sreue fucfeeit. S)ic grofeen 3)amen zeitfenet 
er in ber 2lrt oon jpreüoft, ©pp unb Saoeban, unb niefet 
einmal bie Keinen füfeen ÜRäbeln finb neu. ®ie oielliebenbc 
petite ouvriere ift feit Seranger, üRurger, üRuffet unb Ißaul 
be Sod ein ftänbiger ^fepuS ber ftanzöfifefeen Siteratur, unb 
wir finben fie — um nur ein ncufteS öeifpiel z« nennen — 
in ben tferänenläcfeelnben ©fi§jen ber 3eanne ÜRarni, wie bei 
üRaupaffant. ©cfenipler'S ©igentfeum finb nidfet bie matten, 
feinen, weiefeen gatbeit, auefe niefet bie intim»pitante ©efeilbe« 
rung oon Seicfetfinn uitb SRelancfeolk, fonbem nur bie SSiener 
ÜRilieuftimmung, beren ©efetfeeit unb Sebenbigfeit unS aller« 
bingS bie fremblänbifefee .jperlunft oergeffen läfet. 


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Nr. 18. 


Die (SejetMuairt 


281 


äu* kr Wiener Stjeatergefäiidjte. 

'Bon <£bnart oon Samberg. 

2Benn ^ieronpmuS Sorm in feinen „3Racu(aturftubien" 
auf Jpelmina unb SEBilpelm b. ©pegt) gu fpredpen fomrnt, fo 
wirb if)tn IRiemanb ben Dbertitcl beanftanben, benn trop aller 
grueptbarfeit ift bon bem „Sänger bei ©agabunbcntpumS" 

? iar nichts mepr tebenbig, unb ton bem gefeierten „©lau* 
trumpf" unter ifjrcnt kanten nur ein Operntejt, opne ben* 
fefben bai „O, wie ift’S möglich bann", wclcpeS ton einem 
©olfSlieb auigegangen unb ju einem ©olfSlieb geworben ift. 
Snbeffen tann man ton SRutter unb Sopit noch mancherlei 
mit Sntereffe geniefeen; fpecietl finb ÜBilpelm’ö ÜRemoiren, 
beten Srucpftüdc einft im „üRorgenblatt" SBirfung malten, 
ton einer frappanten Dbjectioität unb reich an cfjaraftetiftifcfjen 
©injelpeiten, fo bafe bie jeitgenöjfifcpc ERicptbeücfitung, fclbft in 
©erüdfieptigung bei uneleganten Stils unb ber SEBeitfcpweifig* 
feit, unterbient genannt werben mufe. £>eute ift bai ©u<p 
freilich faum niepr aufgutreiben unb beinahe ali SRanufcript 
ju betrachten; ei bürfte alfo nicht ali SRaub erfcf)einert, bie 
gerftreuten ©enterfungen übet bai SBiener Spcaterleben ju 
fammeln unb mit ben fonftigen Uebetlieferungen in 3“fammen» 
hang ju feiert. 

^>at Sien jemali ben tarnen einer ^^eaterftabt ber* 
bient, fo war bai in jenen Stagen ber galt, wo ftdj bie 
erften fc^ächternen Anfänge jur Ärinoline geigten, bie Offeriere 
wie GlegantS ben halbmonbförmigcn, fpijj gegen bie 2Runb* 
winfel gezogenen ©adenbart trugen, bagegen ber Schnurrbart 
für eine ungarifche, ber ©oHbart für eine jübifdpe ©igentpüm* 
iiepfeit galt, wo bie fwffnftcge auffamen unb bie äReerfcpaum* 
pfeife in ©lüthe ftanb. $>a bie SBirtung bei SEffeaterö mit 
ber Aufführung nur gut Heineren ^älfte ju ©nbe ift, fo 
giebt bie Art unb SBeife, wie ticl, wie allgemein, wie treffenb 
unb wie nupbringenb baton gefprodpen wirb, ben eigentlichen 
©rabmeffer für feine ©opularität ab, unb in biefer ©ejiepung 
fann man ton ben groanjiget fahren nicht ©üprnenS genug 
machen. SEBie anberwärtS mit bem SBetter begann in Sffiien 
jebe Unterhaltung mit ber ©ühne, nur leitete man biefe ©or» 
liebe fomifcher SEBeife baton ab, bafe fiep ber SRittelftanb 
genötpigt gefehen höbe, ein Surrogat für bie Safelgenüffe ju 
fachen, welche ihm burch bie IRadjmepen ber ÄriegSläufe ent* 
gogen worben Wären, ©enug, man war mit bem Speater 
ooQftänbig terwachfen, unb alle fünf Raufer erfreuten fiep 
unauSgefept eines frequenten ©efucpcS. ©in Schlufe auf 
materiellen ©ewinn, wie er in ben breifeiger fahren auftritt, 
ift barauS aber nicht ju entnehmen, gumal alle birect unb 
tnbirect ©etheiligten freien ©intritt genoffen, fo jwar, bafe 
beifpielSweife Ipelmina im ©urgtheater ihren Sperrfip unb in 
ben übrigen Speatern e * ne Soge hotte, währenb ifere Söpne 
nach ipwt ©orftedung bei ben ©affirern bie ©arterrctpürc 
ohne 23eitereS pafferen burfteu. 

©ntfpredjcnb bitbeten bie X^eotcrbcric^te ben tornehmften 
©eitrag gut SageSgefcpicpte; baS beweifen tor allen ©äuerle’S 
Speatergeitung unb beS aRobewaareupänblerS Scpidp „3eit= 
feprift für Äunft, Siteratur unb 2Robe", beibe giemlicp ter* 
breitet, erftere gu §aufe tonangebenb, Untere mehr auswärts 
gefdjäfct. SBelcpe Schwierigfeiten würben aber ber SageS* 
literatur burch bie Genfur bereitet! ©rßfeere SRittpeilungen 
mufeten in boppelter Abfcprift torgetegt werben unb blieben 
oft über ein 3opr liegen, währenb bie Heineren ©eiträge 
wo|l in Siirftenabjügen eingereicht Werben bnrften, bafür aber 
einer peinlichen SRufterung unterlagen. So mufete immer 
eine gange SReipe einwanbfreier Artifel auf Säger fein, um 
im SRotpfad als fJüUfet bienen gu fönnen, unb ber Aerger 
bei ben gemaferegelten Autoren wie ben in ihren ©ejiepungen 
geführten SRebacteuren rife faft niemals ab. Sa ©jceüenj 
©raf Seblnipfp nicht blofe ein paffionirter ©orrector, fonbern 
auch Speaterentpufiaft war, fo untergog er fich pöcpft eigen» 
hänbig ber ÜRüpe, bie Heinere Sparte ju „cenfuriren". 


©egen bie SRitglieber ber ©urg burfte grunbfäplicp nichts ge« 
fagt werben, ba fie als f. f. Seamte ihren Sienft tpaten, unb 
jepon übergenug, bafe in öffentlichen ©lättern babon bie SRebe 
war. Aber auch kn öerren unb Samen anberer UE^eoter, 
benen ber ©hef woplwoUte, liefe er nichts am 3 eu fl e ftiefen, 
unb fo fonnte er manchmal nid)t umhin, S^warj in SBeife 
ju oerfeferen ober UnterlaffungSfünben burch e < n paar Sffiorte 
ber Anerfennung gutjumachen. SEBaS ben SRotfeftift überftanben 
hatte, mufete fofort unb unbebingt genau gebracht werben; 
.inbeffen hatte man bei Schicfh bodj ein SRittel gefunben, ben 
©eftrengen bot atlju fräftigen Strichen unb gewaltfamen 
Acnbcrungen abjuhalten: man fanbte ihm bie uncorrigirten 
Abzüge unb tiefe in befonberS ©eforgnife erregenben gällen 
ben Safe aufeerbem boit Sehrtingen pcrftellen. ®ann hotte 
ber eifrige ©eamte mit ben ©uchftabenfehlern fo reichlich 
thun, bafe fich ber ganje SRanb mit 3eith en bebedte, unb wie 
ber SRaum fehlte auch bie Suft, auf ben geiftigen ©ehott mit 
gleicher ©enauigfeit einjugefeen! ©iefe AuSnahmefäHe finb 
freilich faum geeignet, bem SEBiener ^iftorifer feine Aufgabe 
ju erleichtern: ift bie ÖueHenfritif, bie bei ber SEf^otergefchtchte 
heute noch in ben Anfängen fteht, ebenfo fthwierig Wie noth= 
wenbig, fo hat bie Genfur ein UebrigeS gethon, bie SBahrfeeit 
ju Oerfchleiern. 

kommen wir nun ju ben bramatifchen Richtern, fo galt 
in gotge ber Sßropaganba ber SRomantifcr, Welcher fidh ja 
auch Schrepoogcl’S SRepertoir unb ©earbeitungSwcifc anfd)lofe, 
Shatefpeare für bie 3ugenb als baS unerreichte Sbeal. ©e« 
rabc wie jur 3«it beS SturmS unb 3)rangeS fuchte man fich 
aber nidjt feine inneren ©orjüge anjueignen, fonbern ahmte 
nur Aeufeertichfeiten nach, öor Allem bie rauhe Derbheit. 
SEßer freilich in ben literarifdjen Salons oerfehrte, erfannte 
atsbatb, bafe fidh für baS 19. Sahrljunbert nicht mehr fchidte, 
was in ben 3fit te o ber Königin Glifabeth an ber StageSorb» 
nung gewefen war, unb nun ruberten „bie gelben ßanbfd)uhe" 
mit aller 2Rad)t in baS entgegengefefete gahrwaffer. 3arte 
©mpfinbungen unb bitberreiche, Wohltlingenbe ©erfe fchieneit 
ihnen bie ^auptfache, unb inbem fie fich “ber SchiÖer hinaus 
bem „Scfewebeln unb .SRebeln" juwanbten, »erloren fie ben 
bramatifchen ©oben tiollftänbig unter ben güfeen. 3n ben 
Sfränjchen würben bann bie neuen Sßrobucte borgetragen, unb 
Wenn auch eine Stimme unb AuSbrudSfähigfeit wie jene bon Sied 
einjig baftanb, fo gab eS boep berhältnifemäfeig biel Siteraten, 
Welcpe gut lafen — beifpielSweife gehörte au^ fpelmina ba* 
ju. SBar aber fepon bei ber ©räfin ginfenftein, wo aller« 
bingS borwiegenb hrftorifd^e SEBaare aufgetifd)t würbe, bie 
Sangeweile epronifeh, wie pätte eS pier, wo fo biel Unreifes 
ju Sage fam, an ©önitern fehlen lönnen, bie fiep „in ber 
ERüpe befepen palb fatt, patb rop" geigten? 

Ungegwungener als in ber ©egenwart geiftreieper SRänner 
unb liebenswürdiger grauen gaben fiep bie jugenblid)en Sinter 
unter einanber. SBilpelm’S ©efeUen waren ©rnft b. geudpterS« 
leben, ber nach geljnjährigem Aufenthalt bem 3“>onge beS 
SperefianumS entwidp, um SRebicin gu ftubiren, Gpriftian 
£>uber, eine ppilologifcpe ©apacität, unb AnbreaS Stpumacper, 
ein genialer „Schlampet" unb trefflidper Ueberfefcer, ber fpäter 
eine perborragenbe Stolle in ber öfterreidpifdpen Siteratur 
fpielte — vide „bie ©ngel ber ©eft" — aber bon SRinber* 
wertpigen überpolt würbe unb fiep nach feinem unglüdlidpen 
Auftreten in ben Octobertagen niept wieber emporarbeiten 
fonnte. ®aS bierblätterige Äleeblatt tpeilte fid| ©ntwürfe 
unb Ausarbeitungen mit, befpraep bie Ginjelpeiten unb gog 
au^ gelegentlich ben feparffantigen §albbruber geudpterSleben’S, 
Gbuarb, einen ©nfel beS befannten SRopten Angelo Soliman, 
gur Äritif peran. daneben gab eS ftetS etwas gu effen unb 
gu trinfen, unb wapre Sriumppe feierte ber ©ommuniSmuS, 
ber in ber 3ugenb fo beliebt unb berbreitet ift, aber mit gu» 
nepmenben Sopren, wenigftenS bei ben beati possidentes, ftetS 
abpanben gu fommen pflegt. 

3n ber golge berfeprten bann bie gelben auep mit 


ä 


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282 


Die töegenmart 


Nr. 18. 


älteren VetufSgenoffen, fo an einem Stammtifd) im Safe an 
ber Sde ber ©ingerftrafee, wo fiel) ©cfewinb, Vauernfelb unb 
Sol|. äJlaperhofer um granj Säubert als SJlittelpunlt 
gruppirten. Ter füfee Sieberfänger war eine Heine, breite 
gettmaffe t»on ptofaifdjem ©eptäge, aber baS Sluge funlelte 
Wie Temant unb gab ßeugnifj oon bem inneren geuet. 
Seiber pflegte er ber VenuS reichliche Opfer ju bringen unb 
tf)at ficf) etwaä auf bie Unfälle ju ©ute, bie iljm babei auf 
Wilben SBegen jugeftofeen waten; bie 30?üllerlieber h°t er 
unter ganj anberen Scf)merjen componirt, als benen beS un= 
glüdlichen Knappen, bem er jur Unfterbtichfeit öerf)olfen h“t. 
ifad) bem VacchuS war er jugetljan wie je ein Sänger ber 
eblen Äunft; wenn aber baS Siebenblut in ihm glühte, fo be» 
gnügte er fid}, in einem ftißen SBinlel mit fchmunjelnb ju» 
famntengelniffenen Slugen ©läfer, Teller, Taffen, was er ge» 
rabe faffen fonnte, geräufdjloS ju jertrümmem. (Sein SBiber» 
fpiel war ber bebeutenb ältere SDlatjerljofer, ber ihm manchen 
Siebertejt geliefert hat; ntürrifdj, [d)eu unb für neue Slnlömm» 
linge unjugänglidj, galt er als ber TppuS eines 3Man<ho« 
lüerS, uftb hat benn audj richtig burdj Selbftmorb geenbet. 
Tafür war Säuernfelb ein feljr angenehmer ©efeflfchafter unb 
fo gemütlich, als nur je einer mit ftiÜ nach innen gelehrtem 
Säc|eln bie bunte SlußenWelt an fid) Oorüberjiehen liefe. 
Tiefe fonnenheße Höffe beS unbefangenen 3 u f<h QUet $ feat er 
fpäter nicht immer behauptet; aufgewadjfen unter bem Trud 
beS SolijeiftaateS oerirrte fid) fein greiheitSbrang Oom üater» 
tänbifdjen Voben in baS unfruchtbare ©ebiet eines Weltbürger» 
liehen SeferbegriffS unb lonnte ben SlüSgang nicht fo finben. 
Wie eS 2tnaftafiuS ©rüu oerftanben hot. „gür bie Oefter» 
reicher ber SRettemich’fchen 3eit," f°0t ßh e Jh- „gat>’S aller» 
bingS leinen anbern Sßeg, als burd) ben Rotted»2Bellerifd)en 
SiberaliSmuS, nur burftc man barin nicht fteden deinen 
ober linls Ijmabfchmeifen. Stm wenigften fottte baS einem 
dichter beS 19. SahrfjunbertS paffiren, ber bie ©egenwart 
aus ber Vergangenheit begreifen mufe; ju gleichförmigen 
Schlufefolgerungen über SWittel unb SBege für bie 3 u ^ un fl 
Wirb er baburdj natürlich nicht gelangen, wohl aber fich Oon 
aller VuHenbeifeerei fäubern, ba für ben Zünftler ber SDlenfdj 
in erfter, ber Staatsbürger in jweiter Reifee ftefet." Ueb» 
tigenS waren bon Vauernfelb, ber fi<h bamalS noch nicht 
bem jeitgenöffifcfeen Sehen jugewanbt, aber bereits bie ent» 
fchiebene Dichtung beS SuftfpielbicfeterS eingefcfelagen hatte, 
mehrere Sachen im Trud erfdjienen; bie jüngeren ©enoffen 
betrachteten ihn befefealb mit geheimem Reib, er aber fah nur 
baS Slufgefüfertwerben für etwas an unb hot eS benn auch 
in lurjer grift mit ©efcfeid unb ©lüd erreicht. Schliefe» 
lieh mag über Sdjwinb in biefem 3 u fatnmenhang bie Rotij 
genügen, bafe er fefeon im fjaufe feines ißtotectorS Sari Rufe, 
beS laninchenfeaft fruchtbaren SomponirerS, ben Verlebt mit 
SdjriftfteQern gepflegt hotte, fein IritifcfeeS Urtheil in biefem 
Heineren Greife jufefeenbS bilbete unb Oon bemfelben manche 
Anregung jur ißrobuction erhielt. 

Sinen Sfetenplah in ber Siteraturgefcfeidjte bor 1848 
Weift Sfeejfe feinem greunbe StpoHoniuS 0. SRaltih ju, obwofel 
berfelbe als Diplomat ju ben Seuten gehörte, oon benen grau 
Vanquier Veer in Verlin, bie SJiutter SRicfeael’S unb SWeper’S, 
behauptete, bafe fie ©oft fei Tant baS Künftlertfeum nicht 
nötfeig hätten. TaS bleiche Stntlife mit ber gewaltigen Rafe 
unter ber feofeen ©tim, bem feingefdjnittenen, oon Sronie 
umfpietten SRunbe unb bem grofeen, weitauSblidenben Sluge 
trug ein bebeutenbeS ©eptäge, in bem fich tiefer Srnft mit 
unOerjagter SMandjolie oerbanb. Tie Stimme war Wohl» 
lautenb oom ©elifpel bis jum ©ebrüK unb auf allen »tönen 
bet langen Scala gleich biegfam, babei lein SBort gefudjt, 
jebeS glüdlidj gefunben, fo bafe er als eine bet feltenen 
Raturen erfdjien, beren äufeeter ©lanj fein falfcfeeS SluSfeänge* 
fcfeilb hübet. Sr hotte feine amtliche Saufbahn unter ben 
2lufpicien feines VaterS begonnen, welcher ruffifchet ©efanbter am 
Karlsruher §ofe war, gerieth aber bort mit einem Vaufbotb, 


bem greiherrn 0. Schilling, in Oerbrtefeliche Ipänbel, in 
golge beren er feinen überaus gewanbten ©egner mit bem 
erften unb einzigen ^ßiftolenf^ufe feines Sehens nieberftredte. 
Um eine fchmerjliöhe ©rinnerung reicher, mieb er baS babifdjie 
©ebiet; bamalS war er ber ruffifdjen Votfchaft in 3Sien ju» 

a eilt, lam bann nah 9üo be Janeiro unb SDlünchen unb 
: jule^t als ©efanbter in SBeimar. Obwohl ber brama» 
tifchen Vocfie äufeerft jugethan, hot er barin gerabe nichts 
geleiftet; bagegen meinte Shejh oon feinen fonftigen Ittera» 
rifchen Verbienften abgefehen, bafe wenn er Tagebücher hinter» 
laffen habe, biefelben benen VamfeagenS an Vebeuiung fchwer» 
lieh nachftehen, fie an SSahrlieitStiebe aber leicht übertreffen 
würben. 3n SBien nahm er ben bebeutenb jüngeren Vruber 
in Slpoll in feinem Sunggefeöenheime auf unb würbe ihm ein 
SJlentor auf ben erften SluSftügen in bie grofee unb Heine SBelt. 

Tie bichtenben Tarnen, bie bort heimifcf) Waren, gehören 
nur beiläufig hierher, fftegina grohberg, beffer als ihre 9to» 
mane, gab fich toie ein alternber ^ageftolj, inbem fte, ohne 
ein §auS ju machen, beftänbig oon ©äften umfehwärmt war. 
Sine Heine, jierliche, gefchmadooü geHeibete gigur, toar fie 
namentlich in ben Kreifen ber oomehmen Subenfchaft heimifch; 
foU auch oerfeeirathet, aber gleich nach ^ §o<hfteit Oon ihrem 
SDlann üertaffen worben fein. 3h r äufeereS ©egenbilb Wat 
Sardine Vid)ler, eine wohlgenährte ©eftalt mit berben 3 ö 9 en 
unb gutmütigem StuSbrud, ohne aQe ©eiftreiöfeelei Oon ge» 
funbem 3)?utterwi|, anfprudhSloS, orbrumgSliebenb, genau in 
©elbfachen, baju eine unoerfälfdjte SSienerin unb tü^tige 
^auSfrau. Sie berlehrte mit grau 0. Shejh feiten, wenn* 
gleich im beften Sinoernehmen; bei näherer Verfihrung mürben 
fie fich ober jWeifelSohne oerfeinbet hoben, benn ^elmhta 
führte. Wie baS Vucfe i|teS SohneS auf jeber Seite wlunbet, 
eine gelinbe 3«l eun e ttl, irthf<haft, War unlritifch, unpraftifdj 
unb unberechenbar, reijbar, pfeantaftiföh unb tactloS, tut} 
jeigte bei allem ©eift, aller ^erjenSgüte unb tiefen Smpfinbung 
bie Schottenfeiten weiblicher Künftlerfdjaft. 

3m §aufe ber ißidhler wohnten auch © ch 1 e g e t’S, mit benen 
^»etmina gleichfalls wenig jufammenlam; aber man behielt fich 
lieb unb Oerjieh einanber Ileine, ohnehin altbelannte Schwächen, 
griebrich, ber bie Verausgabe feiner gefammelten Schriften — 
ohne bie Sucinbe — betrieb, fah Wegen feiner Wcifeen Vaare 
unb unbefeilflichen Tide älter auS als feine einunbffinfeig 
Sahreanjeigten. Sluch fein fprfifeenbeSSBefen Oon ehebem hatteer 
abgelegt, lonnte aber gelegentlich, namentlich bei Tifcfje, eine ange» 
nepme ÜJlunterleit entfalten. SBaS Vöttiger, ber beim Vorlefen 
bie klugen fdhlofe, mit Unrecht nadjgefagt würbe, traf bagegen bei 
ihm ju: et fchlummerte regelmäfeig ein. Tafür laufte er fidh nicht 
buröh ein Sob oom Sefen los — baher bie auffaüenbe Sr» 
fcheinung, bafe fo oiele elenbe ÜJlachwerle oon SJleiftern ge» 
lobt werben — fonbem hotte feinen ©egenftanb genau fennen 
gelernt, wenn er ein Urtheil abgab. ©eine grau, älter als 
er, war ein 3J?ufter oon Väfelichfeit unb glich ih rem berühmten 
Vater SHofeS ÜJlenbelSfohn auf ein f}oar, fobalb fie eine 3opf s 
perüde auffe^te; aber liebenSwürbtg war fie, gut unb ge* 
Wiffenfeaft. 311S ftrenge Vroteftantin wollte Vdtnina Se^tereS 
freilich nicht unterfchreiben, fonbem ftichelte, bafe fie tn brei 
Religionen Unterricht geben lönne; Torothea hörte baoon, 
meinte aber gelaffen, man müffe SXUeS prüfen unb baS Vefte 
behalten, ©ie fpradj gebantenreid), anregenb unb angenehm, 
lonnte freilich feiten ein Snbe finben. 3h re äßagb erwiberte 
befehatb einmal auf eine ©trafrebe, fie höre bie gnä’ grau gar 
ju gern prebigen; „fchon recht," brummte fie, halb ärgerlich, 
halb gefdjmeichelt, „wenn bu nur auch Sehren befolgen 
möchteft". 

SltS Wi^igfter SOlann SEßienS galt „bet bide grand", btt 
Vater ©uftao’S, welcher fich fpäter als ©chriftfteHer, Theater» 
unternehmet unb politifcher glüchtling, namentlich aber als 
Herausgeber ber „bramatifchen Driginalien" belannt machte. 
Ter Sitte, ein Solofe, bem eS immer ju heife toar, burfte als 
unabhängiger ©rofehänbter feinem greimuth tn VonmotS, 


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Nr. 18. 


Dtt Oßegcnroart. 


283 


(Epigrammen unb ßiebletn bie ßüget fdjließen laffen, attbere 
nidjt minber beanlagte Sßifcbolbe wie 3)einljarbftein unb Safteßi 
Ratten bagegen immerhin bienftlidje SRütffid)ten gu nehmen. 
Setter, bamats erft im (Beginne feiner ßaufbafjn, erfreute fid) 
eines trauten Familienlebens, litt aber unter ber (Enge ber 
©erfjältntffe; nicf)t lange, fo arbeitete er fid) gum (ßrofeffor 
am Xljereftanum unb Eenfor empor unb Ijat fid) aud) fpäter 
als SebenSpraftifer bewäßrt. VllS S)ramatifer Ijatte er fid) 
oorldufig nur burd) ein ßuftfpiel „baS SBilb bet £>anae" 
belannt gemalt, welkes ber ®rudfeljlerteufel faft rege!« 
mäßig in „Silb ber ®ame" »erteljrte, unb im 3 u f ammen - 
tjange mar baS beinahe fo fc^limm, mie baS „ßeber finb mir" 
in Ußlanb’S poetifqfjer SSotrebe jn feinen ßiebern. ©eine 
probuctibe $raft, bie fpäter in „ßanS ©ad)S" culminirte, bem 
©orbilb einer (Reibe bon Äünftlerbramen unb einer Quelle 
ber „ÜReifterfinger", mürbe bon SafteHi bei SBeitem überholt, 
bet jubem irt allen (Sattungen ßeimifcf) mar unb an gruebt» 
barfeit gerabeju unerreicht blieb. (Bie berfelbe fdjon gur $eit 
ber napoleonifdjen Kriege ein madreS ßieb gebietet batte, 
meines in bet gangen faifetlichen ?trmee erflang, ihm aber 
beinahe (ßalm’S ©djiffal bereitet hätte, fo geigte er fortgefefct 
in (Bort unb Schrift ben Patrioten, mar überall befannt 
unb gern gefehen, ein guter greunb unb liebenSmürbigcr @e* 
feüfdjafter. 

Sine Stufe höbet, unb mir fommen gu ßeblih, ber mit 
feinen dobtenfrängen 1827 bie $öße feines (Ruhmes erflomm. 
Sr hatte in feiner Sugenb bie Säaffen getragen unb fah noch 
immer mie ein £>ufat anS: freifam, rührig, rüftig unb mof)l= 
gebaut. Sein SSunber, baß er ben grauen gefiel; unb er 
felbft mar fein geinb ber 5D?inne, tranf in »ollen, rafeben 
3ügen aus bem ßebenSbedjer unb gab fid) ohne (Rüdljalt, um 
mit ^elmina gu reben, als »oüenbeten (Bettling. Sr »er« 
fehrte »iel mit (Srtllparger, ber mit einem folchen (ßräbicat 
freüid) nicht begegnet roetben burfte, aber hoch nid)tS toon 
einem üRenfdjenfeinb unb (Brummbär hatte, gu bem man ihn 
»iclfath h°t ftempeln motlen. Unter feinen greunben geigte er 
ftdb froh unb gemüthlich, fonnte fogat gu einer hodjgeftimmten 
ßuftigfeit übergehen; maS ihn in ben fatfdjen (Ruf brachte, 
mar nur bie Sufrichtigfeit, mit melcher er trog feiner ab« 
hängigen ©tellung feine dReinung äußerte, unb ber nicht gang 
gewöhnliche (Sefdjmad, ben er fid) gu eigen gemacht hatte. 
Stt feinen fpäteren Saljren mürbe er bagegen wirflid) etroaS 
unwirfd) unb munberlich, unb »aS ift ja mohl fd)on auS 
einem (Bergleid) feiner äußeren ßage mit feinet inneren (Be« 
beutung unb im gufammenbang mit ber gunebmenben 91uS= 
bilbung obiger Sigentl)ümlid)feiten gu »erfteljen. Sine ebarafte« 
riftifche (ünefbote lautet bahin, baß er burd) einen b°h en 
tarnen, mahrfchcinlich ben beS SrghergogS üRaj gerbinanb, 
bemogen morben fei, ein §eft Schichte burchgufehen, maS et 
fonft ftetS »on ber §anb gu roeifen pflegte; er habe mit un« 
barntfjergtger ©trenge gelefen, am Snbe aber erflärt, eS fei 
tfjrn febr »erbrießticb, bie SSerfe loben gu müffen, ingmifchen 
SBaßrf)ett bleibe hoch immer Sßaßrfjeit. (Sdjlufj folgt.) 


■HM' 


gfeuiffiefon. 

- Wad»bru(f verboten. 

^oij(0 Spiel- 

©on £oms Couperus. 

StuS bem £oüänbif4en. 

(ftortfepung.) 

SWit einer brutalen §anbgeberbe fuhr SBlablmir bur4 bie 2uft unb 
mieS auf bie Stnbern ringsum: „SBaS, unb bie©anbe bort?" fragte er rotb 
nor SButb. „$a ift nidjtö SBeffercS barunter, baS ftnb bo4 auch nur ..." 


Er fagte ein robeS SBort. Unb fie mürbe plöpli4 gang entft unb preßte 
in ftuuimer Entlüftung i^re fdjünen Rippen aufdnanber. $amt moHte 
pe ihn gure4tmeifen, mie eine Butter. „Sieb mai!" flu4te er unb er= 
bob ftdb, um gu geben. Slber fte nahm' feine $anb unb flebte ibn an, 
um EotteS SSiHen ni4t mieber eine Scene gu machen. Sie fei fo glück 
lidj, ibn gu feben unb bei ftdb gu buben unb moüe jeben feiner SBünfebe 
erfüllen. Unb menn er benn burebauÄ befehle, bap bie Eräpn Ibmme . .. 
fo merbe fte feben.eS mit ©riani befpreehen. 

„SBaS gebt eS S)en an?" unterbrach er ffe. Sie nahm ©riani in 
Sebup: er fei ihr ©eratber, ohne ben pe betanntUeh nichts unternehme. 
w C’bne ben S)u nichts gu unternehmen magftl" marf er h^ruuSforbernb 
bin, inbejj fein lauentber 8lid ihr beutlicber als SBorte nerrieth, mie 
genau er roiffe, bap Sriant ihr biel mehr fei, als nur ein öeratber. 
Slber fte lachte unb fpradj mit ihrer füpeften Stimme, in ^obeSangft, 
bap er hoch noch eine Scene mache. Unb gum gmeiten Wale entrollte 
fte oor feinen Singen ein oerlocfenbeS Sötlb, baS gange Programm: eine 
oenegianifche Stacht auf bem Sfleere; bann lebenbe ©über, alle jene 3)amen 
mürben S?i)mpben barftellen ... ©oller Sntereffe fragte er nach Slllem, 
auch nach ben fleinften Eingelbeiten, unb fte lachten nun ©eibe. ©otk 
tob, bap er mieber fiigfam mürbe, ihr junger fiöroe. 3u, fein beipeS 
©lut mupte ftch erft einmal tüchtig auStoben, je bälber je beffer, unb 
gu biefem Qmec! foHte nichts unb Wemanb gefdjont merben . .. Slber 
plöplid^ entbedte fte ©riani in einer ber ©ruppen; ber Secretär untere 
hielt ftch mit bem ©ringen Ebgarb Don ÄarlSfrona unb einem jungen 
meipgefleibeten Sttäbcben. 

„3ft baS Elena?" fragte er, feine furgftdbtigen Slugen auf bie 
Eruppe gerichtet. 

w 3a," antroortete bie Königin. Unb mit einem 3Rale mifdbte pch 
bon feuern etmaS ln ihre ©ebanfen. „SBie pnbeft $u pe?" fragte pe. 

Eleichgiltig gudte er bie Slchfeln. „Wacht pch," fprach er. 

w 3<h glaubte, $)u bütteft pe neulich febr nett gefunben; $>u baft 
S)ich oft unb eifrig mit ihr unterhalten." 

„34? nein!" mehrte er ab. 

„Weht ?* fragte pe gebebnt, benn pe entfann p<h gmeier langer 
Töte-ä-töfces. 

Er oerfuchte pe mit feinen Weinen Slugen gcrabe angufeben, mie 
um pe gu übergeugen. „Sich nein," oerpeherte er. „34 pnbe pe eine 
blaffe ©uppe. 9ii4tS bran." 

-(£g nac ^ bem 2un4, einem febr fröbli4en 2un4, 

ber lange gebauert batte. SWit erbeten Eeff4tem unb einem ©Upen 
in ben Slugen, baS ber ®enup beS EbantpagnerS barin gurüdgelaffen, 
gingen bie (Säfte ber Königin in ben ©alerien auf unb ab, lagerten 
ba unb bortbin, ben ©lief faul über baS meite SKeer f4meifen laffenb, 
ober 3*ber ging feinen eigenen SBeg, gog p4 gu einer Siefta gurüd, 
ma4te eine Spagierfabrt. 3n einer Eruppe öon tarnen lag ©ring 
Ebgarb öon ÄarlSfrona lang blngeftredt, im Sföunb eine lange Eigarre 
rau4enb, momit er Sitte in eine SBolfe oon 9tau4 hüllte. Er amüprte 
pe, unb Sille lauf4ten feinen ©Sorten. Er ergäbltc eine lange, auf* 
regenbe Eef4i4t c &on ^ JRebolution in ßiparien, bie er mttgema4t 
unb babei habe er incognito bei ber ßöf4ung beS ©ranbeS im Slbs 
georbnetenbaufe mitgebolfen. 

S)ie ^erjogin oon fiuca la4te auf: „34 ülaube 3b«*n kln SBort, 
mein Sieber!" 

„Sie glauben mir nt4t?" 

„Win, unb bagu habe i4 einen guten Erunb. 5)iefe Wöolution 
in Siparien bat p4 uor einem SJSonat abgefpielt, ni4t mabr?" 

„3a, aber maS bat baS bamit gu tbun?" 

„S^un, 3bw §änbe unb Stögel finb fo forgfältig gepflegt, bap Sie 
unmöglüh Oor öier 2Bo4en einen ©ranb gelöf4t haben !önnen." 

©ring Ebgarb behauptete aber, SSägel Jönnten in einem SRonat 
gang lang gema4fen unb tüchtig in bie Äur genommen merben. $ann 
trat ©riani näher, bie £>änbe auf bem dürfen gefreugt, eine grope, 
f4lan!e, oomebme Eeftalt. „SBaS ift baS mit Siparten?" 


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284 


Die tötgttuDiut 


Nr. 18. 


,,Acp, nichts ©olitifcpeS," fagte 5er ©rinz- „©eruptgen ©ie ftep, 
lieber Jremtb, unb fürsten ©ie nid)tS; id) werbe mich nicht in 3§re 
Angelegenheiten mifcpen!" 

©riani erblaßte, unb bie Damen fapen ftch etwas verlegen an. 
$rinz Gbzarb hatte wieber wie fo oft einen ©ocf gefcpoffen. 

„3cp weife nicht, welche Angelegenheiten Roheit meinen föitnten," 
warf ©ritni lächelnb hin. „3d) hörte nur fo was non Siparien." 

„Unb baS intereffirte ©ie, nicht wahr?" Da machte er eS noch 
fchlimmer, ber gute 3nnge, ber, wie bie Herzogin Von Suca meinte, 
einem burcpgepenben Julien gleiche, wenn er auch noch fo faul in feinem 
weifeen Jlanetlan$uge unb mit feiner langen Gigarre ba lag. Doch 
©riani, in ber feften Ueber$eugung, bafe ihm gegenüber jebe Diplomatie 
©erfcpwenbung fein würbe, wanbte fiep lächelnb unb fpagierte weiter, bie 
$änbe noch immer auf bem dürfen gefreujt. Der $rin$ aber biicite 
bie Damen an. „Sine feine Art, einfach wieber fortzulümnieln!" 

Die Herzogin fcpüttelte ben Kopf. „3# bin gar nicht jufrieben 
mit 3 Pnen, mon prince charmant/' 

„Unb warum nicht?" 

„GS ift mir ein Stätpfel, wie man in jwei furzen ©äpert fo viel 
bummeS Beug fagen lann, wie Gure Roheit foeben Gelegenheit gefitnben 
haben." 

©rinz Gbgarb ftrecfte fich noch bequemer hin. „9?a, fagen ©ie 
mal, ich bin nicht pergefoutnten 5 U unfcrcr lieben Sftajeftät Von . . . 
fagen wir mal ton ©ajoS, um mir über begleichen ben Kopf ju zer* 
brechen. 3<P fage Alles, wie eS mir in ben ©inn fommt. AnberS 
bürfen ©ie’S auch nid^t ton mir terlangen, liebfte Herzogin. Gott, ich 
habe in Siparien fo tiel ju benfen, ju überlegen gehabt! 3<h will nun 
auch mal meine 9tuhe haben. Abieu, Grbprin$! ©erftanben?" Unb 
er lachte laut auf. ©ie fanben ihn amüfant, aber hoch ein enfant 
terrible, ein verzogenes Kinb. Aber weldf glücflicpcS Temperament! 
Sfie fam ihm ber Gebanfe, bafe er fiep wegen irgenb etwas fchämen 
müfete. ©ie Alle fannten feine Gefcpicpte zur Genüge, benu er hatte 
fte ihnen fcpon fo oft mit allen Details erjählt. Gine Revolution war 
auSgebrocfeen in Siparien, wo er auf SBunjcp feiner Gltent, gotplän* 
bifcfeer Jürften, feiner Grbprinzenrecptc wegen lange gelebt hatte, bann 
war er auf feiner 2)acpt nach ©ajroS zur Königin Ale^anbria geflüchtet, 
als bie erbitterte ©olfSmettge RacptS ben ©alaft erftürmt hatte. 3n 
Gothlanb hatte er fich unmöglich gemacht; bort wagte er fich gar nid)t 
mehr $u jeigen, weil er mit feinen Gltern fich entzweit unb feine ©er* 
lobung mit feiner Goufine, ber ©rinzefftn ©toitba, aufgehoben hatte. .. 
Aber wirtlich, er hatte ein gar zu glücflid)eS Temperament; ihm war 
baS AllcS nun einmal egal, baS Seben war ju furz, um es nidjt ju 
geniefeen. 

Söriant war InjWifcpen zu ber Königin Alejanbra getreten, ©ie 
fafe noch immer bei ihrem ©ohne, bocp hatte fie Glena ju fich nnb in'S 
Gefpräch gezogen. Unb faum hatte ©riani fich ihr genähert, als bte 
Königin fragte: „SBaS giebt'S bort briiben?" 

„Nichts, ©tojeftät, nur Gbjarb ift wieber einmal unauSfteplicp." 
Gr zuefte bie Acpfeln. 

„ 3 «h hörte boep etwas .. 

©riani beruhigte fie. „Nichts, gar nichts." 

„Glena," fagte bie Königin ju bem jungen Sftäbcpen, wie zu einem 
Kinbe, „geh hin unb fteh nach, ob bie Goftümbilber zum ©lumeitball 
in meinem ©ouboir liegen, ©onft lege fie hin, wir tommen gleich nach." 
Unb baS SRäbcpen ging fort, unterwürfig. Um ben ©rinzen Gbzarb ge* 
fchaart, lachten bie Damen noch immer über feine Sßifce. 

„SBaS war baS?" begann bie Königin wieber zu fragen, wäprenb 
Glena auf baS ©cplofe zuging. 

„3<h öerftepere Gurer SRajeftät: RlcptS, gar nichts." 

„3ch hörte etwas Don Siparien." 

„Ach, er erzählte Von feinen §elbentpaten währenb ber ReVo* 
lution." 

Der junge König lad)te. „Gr ift fonft recht liebenSwürbig," fagte 


er. „Gr Verlangt burcpauS nicht, bafe man ihm glaubt, wenn man ihn 
nur reben läfet." 

©ie fcpwiegen alle Drei für einen Augenblicf, Verlegen Giner Vor 
bem Anberen, unb 3eber voll geheimer Gebauten. 3«ner Klang — 
Siparien — weette in einem Seben bon ihnen allerlei Gebauten, unb 
fehr berfchiebenartige. Siparien war jene Grofemacpt, bie ben gröfeten 
Drucf auf baS tleine Königreich Thraden auSübte. Siparien hotte eS 
fo gewollt: ber junge König SBlabtmir auf bem Throne unb Königin 
Alejanbra berbannt. Unb trofc aller fdjeinbarer Siebe fchieb eine febarfe 
Grenze ben ©ohn bon ber SRutter mit ihrem Günftling. Unb jenfeüS 
biefer Grenje ftanben fich öeibe Parteien trop ihres freunbfchaftUchen 
GefprächS als Jeinbe gegenüber. Jlücfettg ergriff biefe fetnbfelige ©tim* 
mung in Ale^anbra bie Dberhanb, aber fie gab ihr nicht nach, weil eS 
ihr befjer fepien, nicht nachjugeben. Sölabimir war unb blieb ihr Kinb, 
unb fie liebte ihn auf ihre 2 Beife, ihren unbefonnenen wilben jungen 
ßöwen. ©ie tannte ihn nur als einen wilben jungen ßöwen. Unb fie 
hielt eS für beffer, je&t nicht über ßiparien mit ©riani ju fpreepen, 
benn bieHeicpt würbe ftep SBlabimir barüber ärgern ... 

Aber ipr ©opn ftanb plö^licp mit ber ipm eigenen ©tproffpeit auf, 
als fühlte er fiep öon iprem ©Zweigen bebrüeft unb trat $u $rinj Gb^ 
jarb ? S Gruppe. Afejanbra folgte ipm mit ben Augen, unb ihre SRütter* 
licpteit bilbetc einen feltfamen Gegenfaf ju ihrem Ghrgeij unb iprer 
Sntriguenluft, inbeffen fie noch immer ftidfchweigenb bafafe unb ipre 
Haltung — bie Arme fcplaff hemieberpängenb jwifepen ihren antiten 
©pi^en — fo beutli^ ihre erzwungene ARüfeigfcit, ipre unenblicpe 2 angc= 
weile oerrietp. 3hre Augen fdjweiften über bic 3nfel unb baS ®teer. 
8 u Hein erfepien ipr ber ftorijont. Gin bitterer 3 U 9 fegte fid) um 
ihren Sttunb. ©ie patte fiep naep iprem ©opne gefepnt, unb nun er bei 
ipr war, gereute eS fte fepon naep einer ©tunbe. ASlabimir patte ja 
au^ leine Stupe bei ipr, fobalb fte für-einen Augenblid nur fcpwieg. 
GS wäre beffer, er wäre gar niept gefomnten. gumal er ipr boep gar 
nichts brachte, niept einmal ein ©erfpreepen, ipre ©erbannung aufzu= 
peben. Unb weiter unb weiter gingen ipre Gebanlen ... SBenn fte ipn 
noch einmal naep Siparien fepiefte? fiel ipr ein. Dann, wenn matt ipn 
öfters bort fäpe, würbe man feine wilbe Sngenblicpfcit ungeeignet für 
einen Tpron finben, unb bann vielleicht fte... Unb Wenn bann feine 
Umgebung ipr ganz ergeben wäre . .. SBopl war fein lefcter offtdeHer 
©ejuep bei Kaifer £)tpomar opne Grfolg geblieben, aber baS patte wopl 
feinen Grunb barin, bafe feine bamalige Umgebung ipr wenig freunbfd)aft= 
licp geftnnt war. SBenn fte iprem ©opne ©riani überliefee, benn pe wufete, 
bafe er ipn gern nehmen würbe, weil er ein feiner Diplomat war ... 
3a, währenb feines ©efucpeS pter wollte fte ihren Gittflufe auf SBlabimir 
unb feine Umgebung geltettb machen unb Vcrfucpen, verftpiebene ©er* 
trauenSpoften burep attbere SRänner zn erfefeen. 

„5Boran benfen Gure Sttajeftät?" fragte ©riani, ber rauepenb neben 
ipr ftanb. ©ie lächelte bitter unb zuefte bie Acpfeln; bann bliefte fte 
ipren ©ecretär an unb fühlte ftep boep gefcpmeicpelt burep feine Ctöflicp- 
feit, bie er ipr gegenüber nie auS bem Auge verlor, auch wenn fte 
©eibe ganz a ^ e ^ n waren. Gr patte gute Sanieren, viel beffere als 
©Habimir ... „©itte, woran benfen Gure Sftajeftät?" wieberpolte er 
noep einmal. 

Aber fie Verharrte in iprem ©cpweigen unb machte nur eine ©e- 
wegung mit ber £>anb, als wiffe pe felbft niept waS unb als fäme e$ 
auep 9 fl r niept barauf an. ©riani fragte niept ntepr unb raucht* 
weiter ... 3o, wenn fte ipn naep Siparien fepiefte ... ©eine Seibcn* 
fepaften beperrfepen, baS würbe ipm, wenigftenS auf bie Dauer, auch 
in feiner neuen SBürbe niept gelingen ... Ad), wenn fte nur ben TOutp 
hätte, felbft mitzugepeit! ©ie wufete wopl, ber Kaifer war für weibliche 
©erfüprungSfünfte niept empfänglich, aber bennoep, bennoep ... wenn 
fte nur ben SJfutp hätte, zn gehen, bann würbe fte ... Aber nein, eS 
war unmöglich, eS ging niept... wie hätte fte gepen foHen? ... AIS 
eine Jlepenbe, incognito .. . baS wäre ber einzig mögliche SSeg, unb 
I ben verbot ipr ber ©tolz; unb abgefepen bavon: eS wäre auch niept un* 


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Nr. 18. 


Die öegenwari 


285 


gefäfjrltd). Qa, eS »ar ein £imgefptmtft. ©ie Dermochte nichts, gar 
nichts, gefangen »ie fie »ar auf 5ßajoS,ln ihrem hochgelegenen ©dploß 
mit bem ©lid auf baS »eite 9Jteer ringsum. Wie Mein unb langweilig! 
Unb immer bie Dielen ©äfte! $rinz ©bzarb unb bie Herzogin Don fiuca 
unb ihresgleichen, unb »ohl auch eine Gräfin ©ofti!... 5ld), fte 
empfanb eS beutlich: fte »ar gefunfen, traurig, tief gefunfen! 3a, fie 
mar thörtcht ge»efen... Wenn ftd) jemals für fte 2WeS noch einmal 
anberS unb beffer geftaltete, bann, ja bann... ?WeS anberS? War 
benn irgenb »eiche SfuSfidjt ober Hoffnung? Wlabimir: ja, fie »ar 
feine SRutter; aber fte fonnte unb burfte eS babei nicht bewenben raffen, 
©ie mußte mit ih^em ©ohn arbeiten: er mußte ein ©erzeug in ihrer 
®anb »erben. ©r »ar fo jung, fo furchtbar jung, ein unbefonnener 
milber junger Sötbe. ©r mußte nicht immer, »aS er that; er machte 
oft Dummheiten, tolle, unbebachte ©trelche ... Unb »ie in plöfclicper 
Erleuchtung fah fte eS beutlich Dor ftch: ©lena — Siparien! ©S glänzte 
öor ihrem ©lid, »eit, »eit... baS Sicht, bie Hoffnung ... 3h re h err lid)en 
Singen funfeltcn, ihre 3üge ftrahlten unter einem feligen Sächeln, unb 
aus ihrer ganzen Haltung fprach eine feltene ©nergie, »ie fte jene grauen 
befifcen, bie mit einem einzigen Wort, mit einer einzigen ©ewegung 
33ieleS z« erreichen gewöhnt ftnb, wenn fte SlHeS nur »ohl überlegt 
unb richtig auSguführen Derftehen ... 

9todj einmal fchaute ©riani fie anbädjtig an. ©r wollte nicht 
barauf befteheit, ben ©runb ihrer plöfelidjen ©erftimmung zu erfahren. 
9hm er jebodj bie nerDöfe ©eränberung bemerfte, bie ihre Apathie be= 
flügelte, fragte er noch einmal in ber leicht einbriitglichen Slrt eines 
Höflings, ber baS £erz unb bie ©ebanfen feiner £>erriit unb ©eliebten 
ganz grünblich Z u lernten glaubt: „2lber woran benfen (Sure SRajeftät 
benn?" 

*9ln gar nichts," fagte 9llejanbra unb erhob ftch- „9ln nichts. 
Äomrnen ©ie In’S ©ouboir. (Siena »artet mit ben ©oftiimbilbern 
auf unS." (gortfefcung folgt.) 


Jlit* bet ^aupfftabt. 


Dör|e«-Jbi)U. 

Daß ein moberner Dichter unbänbigen Otefpect Dor bem ©elbe 
hat, ift ptychologifd) burchauS erklärlich- 2Kan refpectirt SXlleS, »aS 
man nicht befifct unb fachlichem ©rmeffen nach auch nie befifcen wirb. 
Scbenbige Dichter haben bekanntlich glommen unb Waffen, bie furchte 
barer ftnb als SoDiS 93Iife P unb ihr Derwegener SJhtth, ihre helbenpafte 
Wahrheitsliebe fdjreden Dor feinem föttig unb feinem ©ott juritcf. 
53o ift bie Snftitution, beren gäulniß fte nicht mit glänjenber ©erebt= 
famfeit aller SBelt offenbart höben; »o giebt eS einen ^urpurmantel, 
unter bem ihre SRoentgenblicfe nicht fchlottembeS ©ch»ächlingSgebein er= 
fpähen, »o ein Qbof, beffen SSaalS^riefter fte nicht entlarDen? 9J?an möge 
baS ©onDerfationSlejifon Dornehmen unb fämmtlid)e 5lbftracta, bie barin 
Der^eichnet flehen, gewiffenhaft burchpriifen — feines Don ihnen hat bie 
äfcenbe Äritif ber Neutöner beftanben. ©ebranbmarft ift als Sug unb 
gleißenber ©chrnufc jebeS ©efüpl, baS bie 2prifer Don anno Dobacf hod)* 
achtungSDoll befangen; in ben ©taub getreten, überwunben ift jebe Don 
ben rüdftänbigen (Sinrichtungen, auf bie ftch bie ©iebermeier beS neun* 
jeh 11 ^ SahrhunbertS fo Diel ju ©ute thaten. SDJan fehe barauf hin 
»irflich einmal baS ©onDerfationSlejifon burch! Wenn man aber ben 
angenehmen Äifcel, 3ufcpauer eines moraliföHntellectuetlen WeltbranbeS 
Don ungeheurer SluSbehnung ju fein, bei befagtem Durchblättern recht 
lange geniefeen will, fo fange man mit bem lebten ©anbe an! Denn fonft 
mftre ©inem ber ©paß fchon beim ^weiten Derborben. ©or bent ©tid)= 
wort „©Örfe" nämlich Derftummt angftDott ber titanifdje Uebermuth ber 
mobemen £>immelsfiürmer. Unberührt Don ben ©httpen ber rafenben 
geuerSbrunft, bie fte in ihren gefammelten Werfen entjünbet haben, 


ragt ber ©örfentempel auS ben ©ed)= unb ©djwefelregen auf. ©egen 
ihn wirb fein DorlauteS ober gar barfcpeS Wort gefchleubert. Silke unfere 
$oeten ftnb, fobalb bie ©ebe auf bie ©örfe fommt, fdhweigfame |)anbelSs 
rebacteure ober furchtfame Anbeter, geber 5Binfel*23anfier ift ihnen 
©otteS ©teüDertreter auf (Srben, unb ein 93irfUcher ©eheimer Äommerjiens 
rath nun gar, ober ein geabelter Sanfbirector mit 150 SRillionen ©runb= 
Capital erzwingt ihre fdjauernbe Anbetung. 

Vergangene SBodhe warb unS in einigermaßen überflüfftger ©eneral= 
probe Qbfen’S 3°h n ©abriel SBorfmann »ieber einmal Dorgcmimt. 
Säcpelnb erfannten bie jungen Seute Don ber Vörfe, bie bie SKuSleU 
quetfepereien im Wintergarten fatt befommen hatten unb, »eil ber ©ircuS 
gefcploffen ift, bie paar ©chritte weiter nach ber ©djumannftrafee ge= 
fahren waren, »eldf badfifchhaft romantifchen 9lnfdjauungen ber große 
fociale Anatom auS 9^orb h^Mtlich unferer Vanfbirectoren hwlbigt. 
Der menfchliche Eitelfeit unb Äleinlichfeit mit Derni^tenber 3ronie be= 
lächelt, ber ben ©regor Werle unb bie alberne Dfjterfrafce in jeber auf= 
recht gehoben, zweibeinigen (Sreatur erfpäht, ftempelte feinen ©elbs 
gewaltigen zu einem gefpenftifchen Dämon, einer überragenbeu, Don 
bunflett 3Räd)ten infpirlvten Sntelligenj! Währenb bie jungen Vörfetts 
leute zu ben fpufhaften SKeben beS Werwolfes gelangweilt gähnten, badjtcn 
fie ber 3nteÜigenz, bie ein normaler Vanfleiter thatfächli^ ju entwicfeln 
pflegt unb bie fo gar nichts Unheimliches an ftch hat. $)iefe Dichter 
ftnb unDerbefferlidje ©chmärmer, ging eS ihnen burch ben ©inn. Wir 
imponiren ihnen noch immer. Der hödjfte 2ttann im ©taate ift nicht 
ftdjer Dor ihren Pfeilen, unb cS fömtte felbft Dorfommen, baß fte ftd) 
an £>crrn D. SucanuS Dergreifen. Die Vörfe aber gilt ihnen für Dabu. 
Die jungen Seute lächelten, als fte baS überbauten. 

(SS giebt feine berliner Äomöbie, obgleich bie ©toffe auf ber 
©fräße liegen, obgleich hunbert frifche unb fluge klugen biefe ©toffe 
tagtäglich fehen. Doch fte wagen eS nicht, fte aufzuheben. Wer bie 
moberne berliner Äomöbie fchreiben »IH, muß ftd) allerbingS ift baS 
Milieu wagen, baS ©ubermann in feiner ©ünben SRaienbliithe feßü^tem 
ftreifte; ohne Xf)iergarten= unb Vurgftraße giebt eS fein echtes berliner 
Suftfpiel. biefen beiben $olen freift unfere Welt. $lber bie 

Vörfe gilt für facrofanct. ©o fommt eS, baß £>err ßinbau Derftaubte 
alte $alifcpiaben auSgraben unb Don einer Wiebererwecfung ber berliner 
^offe fafeln laffen barf, baß bie Weißbierpfropfen fnaHen, »äßrenb ringS 
ber ©hantpagner in gäffern gefeuchtet fteht. Doch Wemanb wagt ihn 
auf gtafchen zu ziehen. Denn bie Vörfe ift unDerlefcllch^unb gefteinigt 
fürchtet zu werben, »er auch nur einen Wifc auf 93el macht. 

Die SBörfe abelt. DaS fchauerltche 3«cnhäuSlerge}chrei, baS ße 
alltäglich um bie brttte SßachmittagSftunbe burditobt unb in bem bie 
fchrißen ©lodentöne beS ^ehrauS ungehört untergehen, ift ber Driumph* 
ruf ber §erritt unferer ©rbe. Wer zu ihrem ©efolge zählt, fteht l»(h 
erhaben über bem elenben ©ewimmel ber VielzuDielen. ©eläuterte unb 
freiere ©ittengefefce gelten für ihn; mit anberer ©de »erben er unb 
feine Dhaten gemeffen. ©ine Vanfgröße, bie im fcpwarzen Sahre 1893 
etliche Heine Depots nicht rechtzeitig genug herbeifdjaffen fonnte unb Don 
ben zu ben Depots gehörigen tüdifdjen Dummföpfett bem ©taatSanwalte 
Derrathen würbe, büßt bie Meine UnDorfichtigfeit nicht im 3uchthaufe, »ie 
begrenzter 9tid)terDerftanb Dorfchrieb, fonbem in ber [onnigen unb luf= 
tigen ©anzlei einer behaglichen Slnftalt für ©eifteSfranfe. 3ut Sutereffe 
feiner für unS alle fo werthDoden ©efunbheit, bie burch bie nerDenzer* 
rüttenbe Suft ber Verliner gonbSbörfe gefchwächt worben ift, hat man ihm 
fogar regelmäßigen ©onntagSurlaub gewährt. Dagegen »anbem gefefc= 
unfunbige ©Item, bie bem Derlobten Vräutigam ihrer Dochter nach altem 
Vraudje etliche 3ärtlidhfeiten geftatten, noch immer prompt in'S 3 u <ht= 
hauS, unb ba fte gemeinhin nicht Derrüdt »erben, obwohl fte ©runb 
genug bazu hätten, fo erhalten fie auch Minen ©onntagnad)mittagS=Ur= 
laub ... $ugo Söwp ift Dor 3ahreSfrift, blühenb in apoßinifcher ^err* 
licßfeit, auS bem ©efängniß herDorgegangen, beffen dauern länger als 
ein Suftrum feinem Untemehmergeifte unb feinem Depotfpürfinn plumpe 
©epranfen festen. Der fecpSjährige ©hrberluft, beffen er ftch erfreut 


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286 


Die töegetttoart 


Nr. 18. 


unb bcr ißm, eine befonbere ©ergunftfgung in unferer morbreießen 3 eit, 
gewiffenßafte ©olizeiauffteßt öerbürgt, hat ihn an ber Siebereroberung 
aller börfianifeßen Ehren nicht geßinbert. Er rebigirte ein einflußreiches 
HanbelSblatt, leitete ein weitverzweigte« ©anfgefcßäft, verurfaeßte ben un* 
erhörten KurSfturz am leßten feßwarzen SHontage unb war ein Httann, 
nehmt Alle« nur in Ziffern, beffen fiißnen Scßatßzügen ©erlin unb Sonbon 
mit ©ewunberung zufaßen. Ja« graue AnftaltSßabit fiel von ihm ab, 
wie bie ©uppenßülle non bem fchönen Schmetterling, unb Riemanb 
erinnerte fich mehr feine« ©uppenftanbe«. Un« Anberen trägt man ben 
Jag Haft, ben wir au« erffärlicßem Mangel an fünf SRarf Silbergelb 
fparfamer Seife abfaßen, in alle 3ufmtft nach, verbucht ihn in alle Eon* 
buiten unb mäl$t ihn fchließlich al« laftenben gelSblod auf unferen ©rab* 
hügel. Jie im fröhlichen Suff zerbrochene Saternenfcßeibe rächt fieß noch 
an Kinbern unb KtnbeSfinbern. 3 m firahlenben ©lanze ber gonbS* 
börfe jeboch löfchen auch 2150mal größere gierten auf ber Stelle au«, 
mehr noch — fte machen ben ©fann pifant, wie ba« ScßönhettSpfläftercßen 
bie Anabpomene be« Radjtcaffee«. 

ES h«t wohl einmal ginanjleute gegeben, beren finbige Reg* 
famfeit jeben Unbetheiligten mit ehrfurchtooHem Schrerten erfüllte 
unb beren weite ©eficßtSpunfte auch geriebenen ©aunern imponirten. 
©aron £>irfch, bem fte jefct in Rew flott ein Jenfmal feßen, 
obwohl fein Anbenfen allen JürfenlooS* Käufern ohnehin ewig unver* 
geßlich bleiben wirb, ©aron £lrf<h war folch’ ein Napoleon be« 
EourSzettel«. Unb bem Jeutfcßen StrouSberg fann man fogar 
ben ©orwurf machen, baß er neue Snbuftrien 511 feßaffen, neue, 
ber ©olfftwirtßfcßaft nüßließe Erwerbsquellen ju entbeden verfueßte. 
Unfere moberneit ginanjer pub einfacher organiftrt. 3hre ganze 3n= 
teßigenz erfeßöpft fteß in ber Kunft, Aufgelber einzuftreießen. Jiefe 
Kunft macht ihren Sängern infofern wenig Kopffcßmerzen, al« fie nur 
in $wei ober brei fdjlicßten Hanbgriffen befteßt. ©fan nehme zwei 
Actiengefellfcßaften, bie bislang gar nicht« miteinanber ju tßun hatten, 
unb fufionire fte. 3 *genbwelcßer ©egrünbung bebarf bie fegenSoolIe 
Maßnahme natürlich nicht. Jen - Rctionairen gegenüber genügt ber 
Hinweis barauf, baß beibe ©efeüfcßaften juoerläfftg binnen Kurzem mit 
Unterbilanz arbeiten unb nothgebrungen in Eoncur« gehen müßten, 
wenn man fte nicht unverzüglich vereinigte. Jie guten Seute werben 
in aßen folcßen gäßen einen ©erliner ©anfier, ber fieß bureß 3 eitungS* 
inferat ju foftenfreier ©ertretung ißrer Sutereffen unb entfeßiebener 
Ablehnung be« gufionSantrag« verpflichtet, jur ©eneralverfammlung 
aborbnen. £>ier läßt fteß ber ©anfier bann von ben unwiberfteßlicßen 
Jarlegungen bc« ©erwaltungSratße« bavon überzeugen, baß er bie heilige 
©fließt iahe, nun bocß ber gufion znzuftimmen, unb banf ber Actien* 
Zaßf, bie er Vertritt, wirb bie ©erfcßmelzung mit erfreulicher ©Jehrßeit 
befcßloffen. 3«&t ift nur noch nötßig, neue Actien berjenigen ©efeflfehaft 
au«zugeben, bie bie anbere auffaugt, unb ein möglicßft ßoße« Aufgelb 
in bie Jafdje zu fterten. ginanzgenie«, benen felbft biefe JranSaction 
noeß b ü öerwidelt unb geßirnbelaftenb erfeßeint, ift bie ftntple Reugrün* 
bung ober bie äugenblirtlicß noeß beliebtere EapitalSerßöhung zu ent* 
pfeßlen.^ $ier feiert ber Agiotage*Stumpffimt feine feßönften unb leieß* 
teften Siege. ©fan vermehrt ba« Eapital ber unglüdlicßen ©efeßfdßaft, 
für bie man fteß interefftrt, fo lange, bi« fie außer Stanbe ift, eine 
Jivibenbe zu zahlen. Jann wirb ba« Eapital rafcß wieber verminbert, 
wa« börfenteeßnifeß Sanirung heißt unb abermals erflertlicßen ©ewinn 
abwirft. 3ft bie Eonjunctur günftig unb merft ber intefligente ©anfen* 
leitet; bie« bureß einen Sufall, — nteift merft er e« aßerbing« nicht — 
bann fann ba« graziöfe ActiengefellfcßaftSfpiel wieberßolt mit Rußen 
betrieben werben. 

Sehr finbige, befonber« jüngere Jalente, bie über bie Schablone 
ßinauSftreben, fömten bureß bie gabrifation von ©erüeßten unb Scßroinbel* 
bepefeßen in ben L Ruf ßervorragenben Sdjarfftnn« fommen. greilicß 
finb aueß ßier feßon bie Elicßä« beliebt, toa« feine Urfacße barin ßat, 
baß bie ©örfe immer wieber gerabe auf fie mit ©egeifterung hinein* 
fäßt. So wirfen KabeUJelegramnte über bie Sage be« amerifanifeßen 


Eifenmarfte« regelmäßig burcßfcßlagenb, auch wenn fte au« Samtfee 
fommen, unb erzeugen EourSveränberungen von einem Umfange, ben 
fogar verbürgte Seltfrieg«=Erflärungen nießt ßeroorrufen. Regent 
maeßen fteß gälfcßungen ber ©fonatSauSweife wichtiger Kohlengruben, 
unb ber ßübfcße Jrirt, ben Reingewinn eine« Eifenwerfe« ftatt mit 
100,000 ©ff. mit 1 , 000,000 ©If. zu beziffern, wirb um fo lieber an: 
gewanbt, al« fein bißig Jenfenber ben abgeßeften ©örfenherren berartige 
fleine Schreibfehler Verübeln fann. ©iel zu wenig nußt man bagegen 
noeß eine Anregung au«, bie in bem ©roceffe zwifeßen ben beiben Xele* 
grapßenbureauy Solff unb ^irfcß gegeben würbe. Ein 3 CU 9 C äußerte 
fteß babei, man habe ißm erzählt, baß in bem amtlich bebienten Solfj* 
feßen ©ureau naeß einer geßeimen Anmeifung wichtige politifcße Rach* 
rießten, bie auf bie ©örfe Von Einfluß fein fönnteif, vor ißrer ©er* 
öffentltcßung bem Haufe ©leicßröber Vorzulegen feien. 311« einmal eine 
Jepefcße au« Argentinien eingelaufen unb veröffentlicht woTben fei, 
oßne baß man fte erft bem &aufe ©leicßröber vorgelegt habe, fei beßßalb 
großer ßärm gefeßlagen unb ber für biefe« ©erfeßen ©erantmortlicße ent= 
laffen worbett. 

Ja« ift bie 3nteßigenz ber Hochfinanz, Von ber un« täglicß 
Sunberbinge berichtet werben, ©on folcßen Schlägen erzittert ba« £«$ 
unfere« mobernen SirtßfcßaftSlebenS, bie ©Örfe. Ein Hußo Söwp 
terroriftrt fte; Jummejungenftreicße, auf bie fein Racßtwäcßter ßineiw= 
fiele, beftimmen ißre Jenbenz- 

Emil 8 °^ a » ber in feinem ©örfenroman zum 3uleS ©erne ge* 
worben ift wie anbere Scute nteßr unb fteß in erßißter ©ßantafte ben 
ginanz=Uebermenfcßen conftruirt ßat, weiß von beriet feßließten Kunft= 
griffen aßerbing« wenig zu melben. E« ift überhaupt ber glucö unferer 
©anfweltgrößen, baß wir fte zur ©ottäßulichfeit ßinauffeßrauben unb 
ißnen liebe Aßtag«=2umpereien unb =Rarrßeiten gar nießt Zutrauen, 
©anz abgefeßen von ber babureß bebingten Erfcßwerung be« ©efcßäfte« 
Zwingen wir fie au# zu geiftigen Anftrengungen, benen fte nießt ge* 
waeßfen finb unb bie ißre Sage unVortßeilßaft Von ber be« einfachen, oßne 
Scßlußfcßeine arbeitenben Abruzzenbewoßner« unterfeßeiben. Jie ©erriiter 
©orfengrößen ßaben ißre Rttven bocß nießt aueß geftoßlen. 

Caliban. 


Vramattf^e äaffaljtttttgcti. 

„Jer König von Rom." Jramatifcße« ©ebießt in fünf Aufzügen Von 
Otto V. b. ©jorbten. (Kgl. ScßaufpielßauS.) 

Jroß bem guten ©eifpiele, ba« ber mit Urlaub überlaftete Dleicß«* 
fanzier gegeben hat, werben nießt aße beutfeßen Staatsbürger fpom* 
ftreieß« bio Seltfirmcß auffueßen. Unb unter ben AuSerwäßltcn, bie 
fieß biefen ein biScßen zweifelhaft werbettben ©enuß leiften fönnen, wirb 
nur wieber ein fletner ©nttßtßeil in ber Sage fein, Roftanb« „Aiglon" 
nießt zu Verfteßen unb bocß zu bewunbem. * Jer freiwillig ober unfrei* 
willig 3urürtgebltebenen, ber freiwillig ober unfreiwillig Vom Anblid 
Sarali« AuSgefchloffenen hat fieß H err Otto V. b. ©forbten angenommen, 
ben man 6 ereit« al« bramatifeßen Jicßter fennen unb fürchten gelernt 
ßat. Er befeßeerte un« einen beutfeßen Rapoleon granz Qofcf, Herzog 
von Reicßftabt, fogar einen in gatttben, unb aueß fein Aiglon warb'einc 
Hofenrode. Sa« in ©ari« Sarah ©entßarbt nießt vermocht, ba« ver* 
ntoeßte in ©erlin gräulein Rofa ©oppe nießt. Unb wäßrenb in ©ari« 
Rionfteur Roftanb zeigte, baß glänzenbe Jßeatcr*Routine, fprüßenber ©eift 
unb filberblanf gefd)liffene ©erje bocß noeß lange fein gute« Stücf er* 
geben, bewie« in ©erlin Otto V. b. ©forbten, baß berfelbe Effect erzielt 
werben fann mit fcßlecßterbing« elenben ©erfen, gciftverlaffener Rücßtern* 
ßeit unb hilflofer Eouliffen*JiIettanterei.' 

Jer große Rapoleon ift feit gehn gaßreit tobt. Am Hofe von 
Scßönbrunn amüfirt fid) naeß iieben«würbiger Knabenart fein einziger 
Soßn, ben man in ber Siege zum Könige Von Rom frönte, unb ber, 
Jan! bem Einfluß ber baitubijcßcn Sitfte, ba« ©egentßeil eine« Seit* 
eroberer« geworben ift. Run, ber H ev 5°3 ücm Reicßftabt fann nießt«* 
beftoweniger mit feinem H°f e Z u frieben fein. Sauter eble, brave Seute 
umgeben ißn unb müßen fieß um ißn; er lernt ben guten Kai jer granz, 
ben zu Unredjt verläfterten marteren s JRetternicß Von ber benfbar beften 
Seite fennen, unb feine Rhitter nun gar, Rtaria Suife, bie Kaiferin* 
Sittwe — nein, ba« ift eine zu liebe Jante! Scßäitblicß, wie mau fie 


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T* 


Nr. 18. 


Die töegetttpari 


287 


in ber fogenamtten SBeltgefdjidjte Oerläftert bat, ftc unb ben ganjen 
SBiener §of! 3>er blutjunge $erjoa üon Leicßftabt lebt unter ißrem 
Stufte tote im Scßlaraffenlanbe. AIS er nun gar bie erften ©lütten 
ber Siebe gepflüdt, als ißm bie bilbßübfcße ©raßeraogiir Renata ißr 
H er $d) cn au f betn ^ßräfentirteller entgegenbringt, ba müffte er pcß boeß 
eigentlich aufrieben imb glüdlicß preifen. Seiber treten jroei Störungen 
feines SBoßlbepnbenS ein — fonft märe bie ©efeßießte ja fein S)rama! 
— linb richten ben armen Kerl au ©runbe. ©rfienS ßuftet er, toaS 
fein feligeS ©nbe an ber Sdjtoinbfucßt borbereitet; unb aroeitenS feßt 
ibm Der alte General Vertrdnb, LapoIeonS leßter ©etreuer, troß aller 
VorpcßtSmaffreßeln SLarie SuifenS ben Kopf boller ©rillen. $)er curiofe 
alte ^aubeaen überbringt bem Könige bon Lont LapoleonS Ießte ©rüffe, 
baju ben £>egen bon Abufir, ben 9ftarfd)aHftab bon Aufierliß unb ben 
biftorifeben alten Hut. ©r entrollt ein fo ergreifenbeS Söilb bon ben Qualen 
beS cinfanten ©efangenen auf St. Helena, baff ficb im $erjen beS pebemben 
3ünglingS fcbnurftracfS eine Leüolution boHgiebt. ©r Oerabrebet mit Ver= 
trano ben üblichen glucßtplan, träumt bon einem griebenSlaifertbum unb 
inaugurirt eS babureß, bafs er 9Rutter unb Vraut brutalifirt. Seiber 
oerbtubern allerlei Qtoifcßenfälle, über bereu Vebcutung ich mir nicht 
reeßt Har getoorben bin, bie glucßt; Vertranb aießt ficb mit einigen 
brüdebergetifeßen Lebensarten bon ber Affaire aurüd, unb ber arme 
§et^og bon Leicßftabt bleibt au weiterem Arfabierleben üerurtßeilt. Aber 
er fann baS gäßrenbe $)racßenblut nicht mieber in bie befannte SRilcß 
juriicfbertoanbeln. $>er ^batenbrang unb ber ©äfarentoaßn fiitb in 
feiner feßtoaeßen ©ruft ertoaeßt, er raft unb tobt, mill burcßauS feine 
Vernunft annebmen unb ftürjt am ©nbe, bon einem SBlutfturje betroffen, 
tobt an ber überlebensgroßen Statue beS überlebensgroßen VaterS ju= 
fammen. SLerfnmrbiger ©Seife fleht bieS ©ilbertoerf ,im ©arten bon 
Seßönbrunn, too man boeb Mm faiferlicßen Knaben feine ßerfunft unb 
feine Ableraeburt beraeffen machen moHte, too boeß SLarie Suife regiert, 
bie ben üerftorbenen ©emaßl febaubentb einen SRinotauruS nennt, $)a 
jeboeb in ber Scblußfcene eine ©ontpagnie Solbaten aufmarfebiert unb 
bem tobten Aiglon alle Leü£rena enoeift, tröffet man ficb mit biefer 
ber 2Birfliebfeit fein nadjempfunbenen, echt bramatifeßen 3Me über alle 
jonftigen Untoabrfcßeinlicßfeiten ßintoeg unb gebt bergnügt nach H au fe. 

©forbten bat bie Abffcßt gehabt, ben berlorenen Sonnenflug eines 
Kranfen ju feßilbern, baS SRiffüerßältniff awifeßen ftürmenbem ©Sollen 
unb jcßtulnbjücßtigem können. $>eS VaterS gigantifcßeS ©eifpiel peitfeßt 
ben fd)toacßen Sohn au Anftrengungen auf, bie über feine Kraft geben; 
nach furaem Laufcß bricht er in bie Kniee unb berenbet am ©Seae, ehe 
er noch ben erften SReilenftein ßinter ficb bot. tiefer Vorroutf fann 
einen geftaltungSfräftigen dichter unb Seelenfdplberer rooßt regelt. 
Aber ^Bforbten begnügt pcß bamit, ©efebiebteben unb Anefboten aufammen= 
mfeßren. Seine engbrüftige Vßuutafie fommt über bie allerbulgärfte 
©rpnbung nid)t hinaus, unb ftatt baS tragifeße Scßidjal beS jungen 
gürfteit in ftraffer ^>anblung au entwidelu, rebet er rubeloS barüber, 
läßt er feine ^erfonen eraäblen, maS er bilben follte. 5>ie jäße 
SBanblung ber 3BefenSart Laboleon^^ona 3ojefS, aus ber ein mirflicber 
2)ramatifer ein bfb^ologifcbeS KabinetSftücf gefdjaffen bot, bleibt bei 
$forbten unberftänblicb; ftatt beS franfen, oor ber Xßat ntüben, toetl 
muSfelfcbmacben ^elbenfobneS aeidpet er ein fiecßeS ©efpenft, einen pex* 
Oerfen Knaben, ber fieß an Süßigfeiten ben SRagen überlaben ßot unb nun 
ber SlbmecbSltfng ßolber mal bie S3eftie fpielen miH. 2)ie Unbeträchtlicßfeit 
ber ^forbten'fcßen Arbeit mirb Oon bem SBerfafjer jelbft grell beleuchtet 
bureß feine unglücfltcße ©emobnßeit, Samben a u jeßreiben. 2)aburcß 
nimmt baS 3Berf eine ©efbreiatßeit an, bie fomifcß unb mibermärtig 

S leich mirft; babureß aeigt ftef) bie Qebe unb ^lattßeit ber Sprache in 
enfaeßer Vergrößerung, 'feer 33erS ßat unter ben 23anaufen üon 
ßente feßon geinbe genug, bie 3Rufff gebt allmählich auS ber SBelt — 
meßßalb ftrengt fid) ba ^err Dtto o. b. Vforbten fo übermäßig an, 
ben Vroceß noeß au befcßleuntgen unb ad oculos au bemonftriren, mie 
tief elenbe Sambenpoefie unter ber elenbeften V^ofa fleht ? 


■HfMfr 




S3on to. Vofcßinger'S SiSmarcf^Vortcfeuille ift foeben 
ber fünfte SBanb in ber ©eutfeßen S3erlagS=?lnftalt in Stuttgart er* 
febienen. ©r bringt toieber neues unb mertßboHeS Material über ben 
2llts LeicßSfanaler. Querft eine ^Inaaßl bon ©iSmarcf perfönlicß ober in 
feinem Aufträge geaeießneten Kunbgebungen unb einen 5luffaß über 
StSmarcTS Slufentßalt in SerriäreS im 3aßre 1870. hierauf folgt, in 
Sortfeßung ber bon fßofcßinger feßon einaelnen SRUarbeitern SBiSmard'S 
auS bem Leffort beS 'ÄuSmärtigen §(mtS getoibmeten Sluffäpe, eine 
MS 1874 reießenbe ©iograpßie beS früheren ©efanbten in Hamburg, 
b. Kufferom. 2)er jeßt borltegenbe Xßeil beßanbelt beffen ^ßätigfeit als 
Diplomat im SluSIanbe bis 1871 unb als 9tbgeorbneter im erften 


®eutfcßen LeicßStage, fomie eine bamalige Arbeit auf bem ©ebief beS 
SeeredjtS in KriegSaeiten, bie getabe jeßt ein actuclleS Sutereffe ßat. 
©in meltgefcßicbtlicbeS Sßerbienft bürfen toir Kufferom ebenfalls aufeßreiben. 
Ladß 2luSbrucß beS beutf<ßsfranaöfif<ßen Krieges als ftellbertretenber $ot* 
fcßaftSratb naeß Sonbon entfanbt, berbanfte er feinen ©eaießungen au 
bem ißm feit Soßren befreunbeten ©igentßümer eines ber angefeßenften 
Sonboner Sournale am borgen beS 25. Sluguft 1870 bie oon einem 
auberläfftgen KriegSbericßterftatter foeben telegrapßirte Lacßrüßt bon ber 
plößlicßen ^Ibf^toenfung 9Rac SRaßon’S bon ©ßalonS unb bon feinem 
©intreffen in LeimS mit bem Vlane, längs ber belgifcßen ©renae auf 
2Reß au marfeßiren unb bie bort elngefcßloffene ?lrmee 33aaaine’S au 
entfeßen. ®iefe für bie beutfeße KriegSfüßrung fo überaus mießtige 
Lacßricßt überbra^te Kufferom fpornftreicßS bem 9RiIitäratta<ߣ bei ber 
Söotfcßaft, bem bantaligen iERajor, fpäteren ©eneral ber Artillerie b. 9?oer= 
banSa. Kufferoro erinnert noeß lebßaft, toie biefer, bie Karte beS 
KriegSfcßaüplaßeS bor fieß, bie bamaligen Stellungen ber berfeßiebenen 
^eereSförper ber beutfeßen unb franaöpfcßen Armeen ermögenb, mit bem 
Sirfel in ber £>anb bie faft unausführbar erfeßeinenben ©efeßminbmärfeße 
beredßnete, beren eS für bie beutfeßen SlrmeecorpS bebürfen mürbe, um 2Rac 
3Raßon ben SBeg au berlegen. Auf ©runb ber SRittßeilungen Kuffe= 
rom'S rebigirte LoerbanSa ein Xelegramm, toelcßeS enttoeb^r unter feinem 
Lamen ober unter bemjtnigen beS ©otfdjafterS unberaüglicß naeß bem 
beutfeßen Hauptquartier abgefertigt tourbe. ®ieS ift bie ßiftorifeße Sons 
boner $)epefcße, oon melier HRoltfe in feiner „©efeßießte beS beutfeß^frans 
aöfifeßen Krieges" feßreibt. Später (1874) maeßte Kufferom im LeicßS^ 
fanaleramt bie SBaßrneßmung, baff bie überfeeifeßen 2lngeleßenßeiten fieß 
au ben europäifeßen quantitatio ungefäßr toie bie Kaiferlicße SRarine 
au bem beutfeßen £«re terßielten. 5)ieS follte anberS ioerben. Lqcß 
Ablauf beS SuterimS erbat er pcß beffßalb unb erßtelt bie ©rlaubniff 
aur Söegrünbung eines befonberen überfeeifeßen $ecer»tatS. 3u biefen/ 
bearbeitete er bie HonbelSbeaießungen mit ben überfeeifeßen Staaten unb 
namentlich bie beutfeßen Leclamationen, melcße in auffereuropäifeßen 
Staaten ober in uncioilifirten Legionen in Solge toon Verlegungen ber 
Lecßte ober 3ntereffen beS LeicßS unb feiner Angehörigen entftanben 
unb ßäupg aur Lequirirung Oon laiferllcßen KriegSfcßiffen Anlaff boten. 
Hieraus entmidelte pcß allmältg eine immer fräftigere überfeeifeße ^olitif, 
bis biefe trieberum aum Sieg beS colonialen ©ebanlenS unb aur ©r* 
toerbung eigener beutfeßer ©olonien füßrte. ©leießaeitig mit bem neuen 
Vanbe beS „ViSmard-Vortefeuiüe" erfeßeint Oon H* U. V°f4inger in 
ber VerlagS-Anftalt aueß ein ameiter Vanb „Anfpracßen beS gürften 
©iSmard", ber unS ben angeblicß „altgemorbenen" LeicßSfanaler a. 5). 
alS noeß immer jugenbfrifeßen Lebner aeigt, — Oon ber oerßängniffs 
oollen ©ntlaffung bis au ber auleßt oeraeießneten öffentlichen Anfpracße 
3uni 1897 an bie naeß bem Sacßfemoalbe gefahrenen 3Ritglieber beS 
S)eutfcß-nationaien LabfabrerbunbeS. 

„3n/n SLibbellraug". Von D. Viper. (AJiSmar, Hiuftorff.) 
S)aff eS aueß beute nodß Originale giebt, toenn man ffe nur au pnben 
oerfteßt, lernen toir auS ber üorliegenben ßübfcßen ©efeßießte, bie im 
Leuter’fcßen Vlatt gefeßrieben ift unb einen neuen VetoeiS für ben feinen 
finnigen Humor erbringt, mit bem ber bureß feine üorjäßrige platte 
beutfeße ©efeßießte: „Ut 'ne lütt Stabt" bereits in toeiten Kreifen bes 
fannt geworbene Verfaffer Seben unb 9Renfcßen erfeßaut. 3Ran benfe 
ließ als bie beiben H c iMn beS neuen VueßeS einen pari angejaßrten 
3unggefeUen üon altem mecflenburgifcßen Abel, ber ein fefjöneS ertrag^ 
reicßeS Littergut mit 3ofl^ 3«u unb gutem Lotßfpoßn glüdlicß oerpufft 
ßat unb nun oon ben Vertoanbten auf eine gana Heine Leute gefeßt ip, 
unb als feinen ©enoffen einen einftigen VförramtScanbibaten, ber naeß 
maneßen S^rfaßrten als H°uSleßrer feine geiftlicße ©arriöre alS — 
©bauffeegelbeiuneßmer befeßliefft. SBer ein greunb beS fßlattbeutfcßen 
unb eines gefunben HumorS ift, follte an bem ßübfcß iHuftrirten Vucße 
nicht üorü6ergeßen. 


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288 


Die töegenwart. 


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#eorg non ^unfen. 

©in ©barafterbilb aitS bcm Säger ber 
©eftegten, gezeichnet von feiner Xodjter 

Poric »an Suttfett. 

•22 ©ogen Oftav. 

2Wit ©ucbfdjmucf Von flttarie von ©unfen 
unb einem Porträt in Heliogravüre, 
©ebeftet 6 2tt. ©ebunben 7 



$unbert Ortainal * ©ntatyen 
d. ftreunb u. getnb: ©jörnfon 
©ranbeS ©ü$ner CrtSpi $)af)n 
Raubet Sgtbp Montane ®rotlj 
$aecfel fcartmann $cbfe $or» 
*nt ban fttpling ßeoncapaUo Stit* 

bau ßombrofo SRcfätfcberSH 
Algra Korbau OGiöier Betten» 
fofer ©alteburv ©Icnrtemica 
©Imon ©peitcer ©ptertjagen 
!#!■#? ©tonleb ©toeefer ©trtnbberg 

fCIRil {)ni|CI9ffCI. ©uttuer SBilbenbrud) ©erner 
ßola u. b. «. 

©leg. gelj. 2 ©1. Pont bering ber ©egenwnrt, 
©erltn W. 67. 

•^S «^* «^* «^* «A* 



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$ie ©egentoatrt 1872-1892. 

U« nafer Saget ju räumen, bieten mit nuferen ätbanucnteu eine gänßtfe 
(Selegenfieit jur ©etnoOflänbigung bet (Sodectiou. So weit ber ©orratft nidft, 
liefern mir bie 3a^0änge 1872—1892 a 6 1. (ftatt 18 ©1.), $altja*r«- 
©änbe k 3 St. (flatt 9 9K.). Oebnnbene ^a^rgänge a 8 SK. 

»erlag ber (Segentoart in ©erlitt W, 57. 




Afab. gcb. 6dbriftftcllcr, bi«b- bublidft. 
(Uter. Äritif) in 53crlin tfjätig, energ. getoiffen= 
baftc ArbeitSfraft, Vor*, ©bra^fenntnijfe (fran= 
Zöfifd), englifeb), perfettet ®teno$xapp, 
99dfd)ittmfd)teibif (Hammoitb), fud)t unt. 
bcW. Anfhr. in Mrbaftion, ^fteaterfefretariat, 
»ctl-©iid6ftWQ. r literar. gnfttt. k. Stellung. 
Offert, an b. ©jp. b. ©egenroart unt. A. 6. 


Stottern 

heilen dauernd Dir. G. Denhardt’s 
Anstalten Dresden-Xiosohwltx und 

Burgsteinfurt, Westf. iierrl che Lage. 
Honor. nach Hei lg. Prospecte gratis. 

Aelteste staatl. durch S. M. Kaiser 
W Uhelm Z ausgezeichn. Ans t. DeutachL 


Manuscripte. 

3«r SSerlagäübernabme Von 2Ranu- 
feripten biftorifier, boHtifcber, fd)öntviffen= 
f(haftlicber jc. Utid^tung empfiehlt fkfj bie 
SSerlagSbucbbonblung von 

Richard Sattler, frmmfdpndg. 

(©egrünbet 1883). 


Ceranttt)orUt(ter Äebacteur: Dr. ßpUlttg tn ©erltn. 


■ ThlrUclathM. 

Technikum Jlmenan | 

flr IbmJUbm- bb 4 Ktoktr«- 
Iifoiloir«. »TMhafktr i.-W#rkm»lit*r | 

Dtreetnr Jtitzem. 


$i8ifltd(s iladifolgrr. 

9loman 

öon 

< §$eo;p§iC ^ofCxrig. 

W Polttauigab«. 

Sßrete 3 9Karf. Sc^Ön gebunben 4 3ftarf. 

tiefer S3i8mard=©aprivi=9toman, ber in 
tuenigen fünf ftarfe Auflagen erlebt, 

erfdjeint bter in einet um bie Hälfte billigeren 
SSoIfSauSgabe. 

®ureb alle S3ud)banblungen ober gegen ©ins 
fenbung beS öetrag§ poflfreie 3 u f en ^ urt 9 öom 

Ocrlag der Gegenwart, 

SBertin W. 57. 


3 n unferem Verlag ift erfdbienen: 


Pie ©egciauart. 

ffiottukbrtti fSt L*ttmtt3t fmdl nb WnlDtrt eWa. 


#rsrrsl»Mrflfler 1872-1896. 

©rftcr 5id fünfzigftet ©anb. 

3JMt ^ac^trägen 1897—99. ©e^. 5 uT 
©in bibliogra^bif^e« Serf erfien 
IRange« über baö gefammte öffentliche, 
giftige unbfünftlerif^eSehen ber lefcten 

für bie Sefer ber „ jegen»aTt , ', ^fo»U 
für miffenfcbaftlid^e :c. Arbeiten. Ueber 
10,000 Artifel, nach Srädjern, ©erfaffent, 
©cijlagmörtem georbnet. 3>ie Autoren 
bfeubon^mer unb anonymer Artifel ftnb 
burebtvea genannt Unentbcbrlicb für 
jebe ©ibliotbef. 

Auib bireft gegen Sßoftamvetfung ober 
91acbnabme Vom 

Verlag ber töegeuwart 

»erlitt W 57. 


Stebactton unb ^ebttton: ©erltn W., Uanfteinftra^e 7. 


Drucf Von $cffe A ©eder tn ! 


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M 19. 


|$erCm, 6en 12. ^dai 1900. 


29. Jahrgang. 
Band 57. 


pe 6t0cnumrt. 

Sßodfjenfdjrift für Siteratur, funft unb öffeutlid^eS geben. 


^erausgegeßett bott ^eopßU ^offlttg. 


leben Smnwbenb erfibeint eine fbnmner. 

gu bfjteljcn burc§ alle ©u^fjanblungett unb ^oflämter. 


Verlag ber ©egentoart (n ^Berlin W, 57. 


Sttrttl!3»tllil) 4 ü 50 r* Ctne Hunter 50 Df. 

Snferate jebet Ärt *to 8 gehaltene qßetttjeUe 80 qjf. 


Inßaff: 


3ur 23eruf)tguttg be8 fociaten ©etuiffenS. 93on $arl 9?oefcel. — $ie SBärme unb bie Sftaffenaftractton. SBon Qngcnieur 
©uftato £>. (Saft. — Siteratur unD Ättnft. 3 U fie&eit. SSon Otto $irffen. — 9lu$ ber SBiener £fjeatergefd)td)te. 

SSoit ©bttarb non Samberg. (@d)Iufj.) — gruületott. £>olje§ Spiel. Son SouiS ©ouperu3. ?luS bent $oflänbifd)en. 
(gortfefcung.) — fcwö 5er $auptftabt. ©ala=Oper. Son Caliban. — 9?otijen. — ^njeigen. 


3 nr Oernljtgitng bes foctnleti (gewiffens. 

Son Karl Hoe^el. 

Unter fociatem ©ewiffeit üerfte^t man baS Serantwort* 
lidjfcitSgefühl beS (Sirtjefnen für bie fierrfdjcnbert fociaten 
äRifeftänbe. Unftreitig t|at fid) biefcS fociate ©ewiffen in 
ben testen Sat^efjnten in früher ungeahnter SEBeife ber* 
fdjärft. üRangel an Sntereffe für bie fociaten fragen barf 
faft fcf>on atS fittticher äRangel, als ©harafterfehter, bezeichnet 
werben. Der Sefudjer einer Hod)fd)ute muß fdjoit über 
einen außergewöhnlichen ©rab non ©tmnpffinn unb ®teid)= 
gittigfeit betfügeit, »nenn es ihn nicht hinbrängt nach ben 
allgemeinen Sortefungen über fociate Dhemata, bie je§t in 
fo bezüglicher StuSwaßt auf aßen beutfdjen ^)od)fd|uten 
geboten »nerben. Slber auch biejenigen jungen Seute, tnefche 
nicht baS ©tücf hatten, bie Anregung einer Hodjfd)ute ju 
geniefeen, atfo bei SBeitem bie ÜRetjrzaht, »nerben, »nenn fie 
nur normal begabt unb entwitfett finb, itjre Slugen nicht ben 
fociaten ©egenfähen oerfd)liefeen fönneu, unb eS wirb in 
ihnen baS bringenbe Sertangen entftehen nach eingehenber 
botfStoirthfdjaftticher Setehrung, ©ehr fein fociat nerantagte 
Naturen enbtidf) — unb auch baran ift heute fein SRanget 
— empfinben eS gerabeju, atS ob fie perföntief) mit ©cßutb 
trügen an ber JRoth bet ©nterbten. Sei biefeit.wirb firf) in 
afle SerufSpftidjterfüßung ftctS ber eine ©ebanfe brängen, 
baß fie eine fßftic£)t noch nicht erfüllt haben, bie fpftidjt, 
beizutragen jut Sefämpfung ber fociaten SRotf). SlttS biefen 
gelteren bitbet fidt) bie ©Ute unferer ÜRationatöfonomcn. 

3m Slßgemeinen atfo fucht ber ©inzetne fich baburch 
mit feinem fociaten ©ewiffen abjufinben, bafe er junädjft nach 
theoretifchem Serftänbnife ber loirthfchaftlichcn fragen tracfjtet. 
SBie aber begegnet man biefem Sertangen nach fociater Se* 
tehrung? — Sßieberum am heften baran finb bie £>odt)fd)ut* 
befudjer. Die afabemifchen Sortefungen über fociate ©egen« 
ftanbe tragen eben bei allen notljgebrungen weitauSfjotenben, 
rein theoretifdjen ©ntwiefetungen bodj meiftentfjeilS fo Diel 
bon ber perföntidjen Sßärme beS Sortragenben in fidh, bafe 
fie toenigftenS nicht abfiihtenb unb ernü^terub auf ein Sit* 
bungSftreben mirfen, baS in biefem fjatte faft auöf^tiefelich 
öerjenSfadhe ift. ®a§ finb aber bie menigen glücftidjen 
©tubirenben. 993ie aber bie Stnberen, bie SRehrjaht? — 
fRun, biefe faufen fich sunächft — oftmals mit mühfam er* 
fpörtem ©etbe — eines unferer an fich borjügtidjen Sehr* 
bfi^jer bet SRationalßfonomie. SRit ?tnbacht bertiefen fie fid) 
in bie unenbtich nüdhternen Definitionen unb tangmierigen 


?tbteitungen. Satb wirb bie @acf)e fchwierig. 3htet Sor* 
bifbung nach finb bie jungen Seute nicht gewöhnt an rein 
theoretifche, ftreng wiffenf^afttiche Seetüre, ©ine $eit lang 
quäten fie fich weiter, fchliefelid) Werben fie mübe unb Mappen 
baS Such enbgittig ju, nicht ohne ganj unberechtigter SBeife 
oiet bon bem ©tauben an itjre ©nergie bertoren ju hoben, 
waS immer ein großer moratifdjer Schaben ift; oft aber 
aud) mit einem ©efühte ber Sitterfeit, bafe ihnen baS ©djidfat 
nicht bie StuSbitbung gönnte, ihren fjerzenSbrang ju befrie* 
bigen. ^ebenfalls geht eine ungeheure SRenge bon jugenb* 
ti^er fociater Äraft bertoren, welche, ihren Sin tagen nach 
auSgebitbet, ein ganz borzügticheS SRüftzeug gegeben hotte 
Zum Kampfe gegen fociate SRifeftänbe, zum Stampfe gegen bie 
antinationaten unb gefehgeberifd) unprobuctiben Denbenzen 
ber großen fociatbemofratifd)en gartet. 

„®er grobe Seift tjat mich oerfdjmn^t! 

3n Seinen ih'ang gehör’ ich nur!" 

©o ungefähr benft ber enttäufdjte junge ©ociatforfcher 
unb greift refignirt ju irgenb einem billigen, parteiifdj be* 
fdjränften 3 e ' tun 8öbtntte, bon nun an bie einzige Duette 
feiner fociaten Setehrung. DaS ©inbringen in bie wirth* 
fchaftliihen Sertjättniffe übertäfet er ben ^ßrofefforen, bie er 
fidh in unnahbarer SBeiSheit tljroncnb borftetlt. Unb bodh ift 
gerabe bie fRationaföfonomie bon aßen 2Biffenfd)aften am 
meiften zur fßoputariftrung geeignet. Denn fie fann aßer 
grembwörter unb aßer gefudßten Diateftif burchauS entbehren; 
fie bertangt leinertei ©peciatborbitbung unb fe^t nichts weiter 
borauS atS gefunben SRenfchenberftanb. 

©S fehlt unS nur ein »oirftidj populäres Sehrbuch ber 
Solfswirthfdjaft. Unfere großen SRationatöfonomen hotten 
eben bisher noch z u diel zu thun mit ihrer Hauptaufgabe, 
ber H erQ nbitbung tüchtiger ©dhüter, atS baß fie fidh ntit ber 
fßoputarifirung ihrer 2Biffenfd)aft befdhäftigen tonnten. 

Sei ber ^bfaffung eines populären SehrbudhS ber fRatio* 
natöfonomie wäre nun gotgenbeS zu berüdfießtigen: ßunä^ft 
müßte ber lüdenßaften Sorbitbung ber Sefer in -ber Sßeife 
Segnung getragen »oerben, baß bon aßen nur irgenbwie ent* 
behrticheit grembwörtern abgefehen werbe, unentbehrliche Mar 
unb furz befinirt werben, unb baß ber Stufbau ber Sehre 
mögtichft ftar unb aflmätig auffteigenb fei. Um ferner ben 
im reinen Denfen Ungeübten bor SBegmübigfeit zu bewahren, 
müßte ein reidheS, praftifcß ißuftrirenbeS unb bem ©ebanfen« 
freife beS SotfeS entnommenes anefbotifdj intereffanteS Sei* 
Wert bie theoretifdjen Houptfä^e umranfen. 

©chticßtich aber ift in biefem gafle einmal grünbtich 


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290 


Die töegenroart 


Nr, 19. 


auf bic rein wiffenfcfjaftliche DarfteHungSweife gu Dcrgichten, 
welche bie ©Biffenfchaft als ©elbftgwed Iet)rt. ©ielmehr muß 
bei jeber @elegenl)eit, Ido eS nicht gefchmadloS ift, burch bie 
gange t^eoretifc^e Sntwidelung t)inburc^ auf ben praftifdj 
ethifchen Snbgmcd alles nationalöfonomifdjen StrebenS h' n= 
gewiefen werben, bamit bet Warm bergige Sefer, ber einfache 
©Kann auS bem ©olle, bem bie fociale Belehrung JpergenS* 
fache ift, fid) nid^t mehr fdjeu bor fo biet SSeiSfjeit gutiicf» 
gießt, fonbern immer mehr gut ©inficht gelangt: ,,2tud) fie, 
bie großen ©eiehrten, fie haben ©Kitleib mit ber fociaten 
©loth unb wollen nichts als ©erechtigfcit unb ©olfSglüd." 
©lur fo, b. h- burch baS ©Kebium ber feelifdjen ^^eilna^me, 
toirb eS bem einfachen HJtanne möglich, ein rein ttieoretifdjeS 
Such mit bleibenbem ©lugen burdjguftubiren, gur ©erußigung 
feines fociaten ©ewiffenS, gur Srweiterung feines geiftigen 
unb feelifdjen ©efichtSfreifeS, enblid) gut tätigen 9lntf>eil= 
nähme an ber großen fociaten @ad)e. Unb rnenn baS ©oll 
erft einmal in feinen großen SKationalöfonomen nicht meßr 
ferne, in falter wiffenfdjaftlidjer Unnahbarfeit thronenbe ®ott= 
heiten fieht, fonbern Warm mitfuhlenbe ©Renfcßen, fo werben 
bie Srlenntniffe biefer ©eiehrten in ungeahnter ©Seife ©er» 
breitung finben gum §eile beS ©aterlanbeS unb ber gangen 
äKenfdjßeit. Um eS noch einmal furg gufammengufaffen: Sin 
populäres Sehrbuch ber ©ollSWirthfcßaft muß burch möglichfte 
Klarheit ber logifcßen Ungeübtßeit beS SeferS entgegenfommcn, 
burch intereffanteS iHuftrirenbeS ©eiwerf ißn Dor Srmübung 
bewahren unb enblich burch intenfiDcS ©etonen beS ethifchen 
SnbgWedeS feinen SntljufiaSmuS Wad) erhalten. Mutatis 
mutandis bürften übrigens biefe Slnforberungeit an alle popu* 
lär»wiffenfchaftlichen Schrbücher gu ftetlen fein. 

gur wirthfchaftlichen SlufKärung beS ©otfeS ift mithin 
baS öauptmittel ein wirflich populäres Seßrbitch ber ©ollS« 
Wirtßfchaft. Snbeffen bürfte in leibet nicht feltenen gälten 
noch fine ©orauSfcgung gu erfüllen fein. Um eS furg gu 
faaen: eS muß guerft bewiefen werben, baß ber Snbgwed 
alles nationalöfonomifchen ©trebenS, alfo baS ©treben nach 
©olfSWohl, überhaupt berechtigt ift. DaS hätte noch for 
einigen Saljrgehnten paraboj geflungen, heute, in biefer geit 
beS moratifdjen UebergangeS, ift eS nur aÜgu toerftänblich- 
Darin hoben wir eS eben fo Diel fernerer als unfere ©or» 
Däter unb ©äter. liefen ftanb ber ©laube an baS ©ute 
unerfcbiitterlkh feft; wir aber müffen unS baS ©ute erft be* 
weifen, ba eineStheilS geiftoolle ©Baßnpropheten baran ge» 
rüttelt h°ben, anbererfeitS ber moberne troftlofe afiatifcße 
©effimiSmuS bie ööltige ©tuglofigfeit jebeS menfdjlichen ©Boßl* 
thunS prebigt. 2tber Wohl unS, baß Wir biefen $ampf mit 
unS auSfämpfen müffen, wenngleich Diel inbiDibueller SebenS» 
genuß babei Derloten geßt. Denn ift unfere etßifcße ©Belt» 
anfchauung einmal fiegreidj barauS ßerDorgegangen, hot fie 
alfo bie fdjonungSlofefte Äritif überftanben, fo wirb fie unS 
in gang anberer ©Seife als Dorljer gum eigentlichen Werth» 
DoÜften ©efigtßum. ©o werben wir fchließtich nach Ablauf 
bet UebergangSgeit ben wortgewaltigen 9lufrütttern ber ©Koral 
gu aufrichtigem Dante oerpflicßtet fein. §aben fie unS bod) 
oeranlaßt gu einer fraftDollen, geitgemäßen SReDifion ber Sthif, 
auS ber baS alte ©ute in leucßtenbem, fiegreichem Sugenb» 

Ö e heroorgeßen wirb, als ein föftlicßeS Srbtßeil unferen 
, ‘ommen, bie ihrcrfcitS, auf biefem fieberen ©efige rußenb, 
ihre gange Äraft großen aufbauenben ©Berten wibmen fönnen. 
©ßenn auch ber große SntfcßeibungSfampf gwifeßen Snbioi» 
bualiSmuS unb SlltruiSmuS erft im fommenben Saßrßunbert 
auSgefodßten werben wirb, fo muß, wie wir feßen, fd)on fegt 
jeber tßätig im Beben Dafteßenbe mit fich felbft barin fertig 
werben. Sn einem wie bem anberen galle wirb wohl ber 
©treit mit einem Sompromiß enbigen: eS wirb ein etßifcß 
geläuterter SnbiDibualiSmuS entftehen, ber als ©oftulat ben 
SlltruiSmuS in fich einfdjließt, ober mit anberen ©Sorten: 
eine mögtidjft allfettige SluSbilbung beS SnbitibuumS gum 
gwede ber Unterftügung ber ©efammtßeit. 


DiefeS SlHeS gur SQuftrirung beS ©tanbpunfteS, ben 
im ©roßen unb ©angen wir, bie ©ebilbeten, ben moraltier» 
neinenben geitftrömungen gegenüber behaupten; wir, bie mir I 
gerüftet finb mit ber Äenntniß alles ©roßen unb ©Uten, 
waS im ©erlauf ber Saßrßunberte gebacht unb gethan würbe. i 
©Bie aber müffen foldje geiftreieße ©Koralumwertßer auf i 
ben naiüeit ©Rann aus bem ©olle eüiwirfen, ber fie nicht 
fritifiren fann, unb ber ihren gtäugenben ©opßiSmen gegen» 
über wehrlos bafteht? SS giebt ba nur gweierlei Möglich 
leiten. Sntweber er wirft fich rüdhattloS bem tir^ticheu 
■Dogma in bie Slrme. Dann hot er aber überhaupt baS 
©ertrauen auf eigene Äritil unb fomit Diel bon feinem inbi= 
bibueüen ©Berthe berloren; ober — unb baS ift bei ©Beitem 
baS Schlimmere — er berliert ben ©lauben an baS ©ute 
böüig unb ift bann ein gu 21 Hem fähiges ©Berfgeug in bet 
tpanb ber antimoralifchen 2lgitation. 9Kan wenbe nicht ein, 
baß bem ©Kanne aus bem ©olle nichts bon aßen biefen ger* 
ftörenben Denbengen gu Dh ren tomme. Dem ift burchauS 
ni^t fo: SS ift fchon biel mehr bon ben moralfeinblichen 
Denbengen eines unberbauten SKtefjfdieaniSmuS, eines fälfh» 
li^er SEBeife auf moralifcheS ©ebiet übertragenen Darwinismus 
unb noch betriebener anberer gefährlicher SSmen ht bie 
unteren ©olfSfc|ichten burdjgefidert, als man gemeiniglih 
annimmt. Die ©djulb baran liegt gum Dheil an bet 
©leidhgittigfeit unb bem ©Kangel an Snergie, ben bie 
®efetlfd|aft in ber ißopularifirung ber mobernen ©Übung 
bewiefen hot, gum Dheil ober auch ber feljr energifchen, 
aber tenbengiöS befchränlten Wiffenfchaftlidhen ©ropaganba 
ber ©ocialbemofratie. gür biefe fßartei ejiftirt näm¬ 
lich bie gefammte ©Biffenfdjoft gu bem alleinigen gfoede, 
ihren ©enoffen baS Sllleinfeligmachenbe beS focialbemo» 
Iratifchen Dogmas gu beWeifen. ©Kan nehme boch einmal 
ein in focialbemofratifchem ©erläge erfchieneneS Sehrbuch 
irgenb einer ©Biffenfcfjaft in bie ßanb unb übergeuge ftch, 

Wie tenbengiöS gugeftugt unb abfidjtfich entfteQt ber betreffenbe 
Sehrgegenftanb oorgebracht wirb. Sine berartige Seßrmethobt 
ift nun gerabe wie gefdjaffen bagu, jene an unb für fich 
fchon fo gefährliche ^albbilbung burch Aufnahme unoerbauter 
moberner ©erfaUgeitelemente gu einem ©tabium gu entwideln, 
baS DöUige moralifche ^altlofigteit nach fich gieljt- Stuf einem 
folchen ©oben lann natürlich ^ e ' ne öoltswirthfchoftliche ©t» 
tehrung mehr gebeihen. feier ift erft wieber bet (glaube au 
bie fittliche ©Beltorbnung neu gu raffen, gu biefem gweefe 
müßte ein warmhergiger ©elchrter, auSgerüftet mit bem gangen 
©Biffen feiner geit, ein im oben näher begeichneten Sinne 
populäres ©abemecum feßreiben für ben einfachen ©Kann, 
bamit er fich gurcdjt finbe in ben moralifthen ©Birren bet 
geit. Die Derfchiebenen Denbcngen wie ©KarjiSmuS, DatWi» 
niSntuS, ©iiehfcheaniSmuS, ©effintiSmuS, SnbiDibualiSmuS :c. 
finb barin lurg unb Kar gu befiniren unb ebenfo im ethifchen 
Sinne gu fritifiren. Die Sritif gefchehe nach ben neueften 
gorrungen unter ©eDorgugung foldjer Argumente, welche 
ber ©olfSfeele am ft»mpatf)ifä)ften finb. Sine folche Sfpologie 
beS ©Uten, bie gugiei^ eine praftifclje ©ittenlehre fei, müßte, 
maffenWeife Derbreitet, unenblichen ©lugen bringen. 2111er» 
bingS ift baS eine fehr fchwere Aufgabe. Slber Warum foHte 
nicht auch einmal ein ©ertljeibiger beS ©Uten fo Diel ©eift 
unb hinteichenbeS geuer hefigen wie fo Diele feiner Singreifet? 
Sarlple hatte biefe großartigen ©Inlagen, aber er war nie* 
mals populär, ba er Diel gu fchWerDerftänblich fchrieb. Sntmer» 
hin mag er als ©orbilb bienen, er unb ber wunberbar Bare 
Smerfon. SebenfaHs ift baS eine Aufgabe beS Schweißes 
ber Sbelften wertß. ©Bern biefer ©Burf gelingt, wahrlich» 
ber hätte auf ethifegem ©ebiete leinen geringeren ©uffm, als 
auf mebicinifchem beifpielSweife ber Srfinber ber 2lntifep{tS. 
Diefer fdjügt ben Jförper Dor lebengerftörenben Sleimen, jener 
aber bewahrt bie Seele Dor morattöbtenben ©KiaSmen unb 
macht fiejwieber aufnahmefähig für alles Dasjenige, waS ben 
fRuhm unb ben ©tolg beS ©KenfchengefchtechteS hübet. 


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d 


Nr. 19. 


Die (j&egtnwart. 


291 


Dir Warme ntrt) bte Ütaffenatfraction. 

Sott 3ngenieur (SnftaD £j. Caft. 

SS ift ein bcbeutfameS Problem ber allgemeinen ipbftfif, 
baS SBefen ber SRaffenattraction ju erforfdjen. SBir miffen, 
bafj bie SDfaffenattraction ben feften unb ben ftüffigen Slg* 
gregatjuftanb bebingt, aber üielfad), ja fogar allgemein, neigt 
man ju ber 9Tnjtcf)t, bafj jtoifdjen ben einjelnen ÜRotefülen 
ber Safe bie SRaffenattraction aufgebört habe. auch jtöifc^en 
ben einjelnen SBeltförpern mirb wobt bie ÜRaffenattraction 
mitten; bei ber Sonne, ihren ^taneten unb beren Trabanten 
ift eS ficber ber gaU. SBir rotffen beute mit Sicherheit, bafj 
bie phbfifalifhe ^C^eifurtg ber SRaterie ihre beftimmte ©renje 
bat. «uf hemifhem SBege ift allerbingS noch eine toeitcre 
Verlegung möglich, aber auch biefe bat eine beftimmte ©renje. 
TaS le^te p^gfifalifc^e Tbeildjen ber ÜRaterie ift baS SJioIetül, 
beffen IcftteS djemifdjeS Tbeildjen baS atom ift. innerhalb 
bet SRaterie fuhren bie ÜRolefüle beftimmte ©emegungen aus 
unb innerhalb beS SDfotefütS bie atome. Tiefe finb mate* 
rietle Körper, fie befiften eine getoiffe auSbepnung unb eine 
beftimmte gorm; fie nnterfdjeiben fiep burcb ihre relatioen 
©emicpte unb burdj bie 93emegungen, meldje fie auSfübren. 
Sie finb unjerftörbar unb unheilbar burcb Pbbfifalifcpe unb 
djemifcpe Äräfte, für meldje fie fojufagen als SlngriffSpuntte 
bienen. Tie ©erfdjiebenpeit ber SWaterie beruht auf utfprüng* 
lieben, bem SBefen ber atome cigentbömlicben Unterfcbieben 
unb ben Sigenfcbaften, burcb toelcbe ficb biefe Unterfdjiebe 
geltenb machen. — Tie atome jiepen ficb gegenfeitig an, toir 
tennen biefe Sigenfcbaft als djemifcbe Sfffinität. Ünjtoeifel* 
haft ift biefeS eine gorm ber allgemeinen anjiepung. Sie 
erjeugt aggregate bon atomen, ©ifolefüle, djemifdje Serbin» 
bungen. Sn biefen finb bie atome nicht mehr frei in ihren 
©emegungen, fie führen biefeiben unter ben gegebenen Um* 
[tänben aus, unb bilben ein für ficb abgefdjloffeneS, aber 
jebenfaHS fein unabhängiges Stiftern, b. p. ein SRolefül. Sin 
9Ro(efü( hat eine beftimmte SJfaffe, einen eigenen Schmer* 
punft unb feine eigene ©emegung. Tie Snergie biefer mole* 
fularen ©emegung beftimmt eine feljr miebtige, phbfifalifdje 
Sigenfdjaft, bie Temperatur. 

3toifdjen ben atomen unb jtoifepen ben ÜRolefülen be* 
finbet fic| jenes übergafige SRebiunt, baS baS all erfüllt 
unb alle Sfräfte übermittelt, ber aetber. Ter aetber ift 
nicht baS ßeete, mie man ficb leicht OorjufteHen neigt, er ift 
Oielmehr ein ÜRittel, melcbeS oon einer unenblid) feinen, 
etaftifheg 3Raterie gebilbet mirb, melcpeS in ununterbrochenen 
Sdjmingungen begriffen ift, bie ficb t>on ber atomiftifeben 
SRaterie bem aetber, unb Oon biefem ber atomiftifdjen Materie 
mittheilt. Db ber aetber ein continuirlidjeS 2Rittel ift, ob 
er ähnlich ber getoöbnlidjen ÜRaterie biScontinuirlicb ift, unb 
aus atomen jtoeiter Drbnung, eine SIrt oon ÜRonaben be* 
fteht, toer fann barauf eine Slntmort geben? SebenfatlS ift 
es toafjrfheinlidjer unb fpridjt ©ieleS baffit, bafj ber aetber 
eine biScontinuirlidje Sonftitution befiftt. SBir erflären uns 
heute bie Slafticität einer Subftanj burcb bte ÜRögtidjfeit, 
burdb Trud bie ©emegungSfpljäten ber SJtolefüle beeinflußen 
ju fönnen, pört ber Trucf auf, fo tritt ber urfprünglicbe 
3uftanb ber SRotefularbemegungSfpbäre rnieber ein. Stefmlidj 
mirb eS mit bem aetber fein. Terfelbe muh, um feine 
enorme gortpffanjungSgefdjminbigfeit ber SBeQen erflären ju 
fönnen, aufjerorbenttid), napeju ooHfommen, elaftifcb fein. 
§ietburdj finb mir berechtigt jur annafjme feiner TiScon* 
tinuität. äueb fßriffon neigte ficb ä u biefer annabme, in* 
bem er für unmabtfdjeinlicb hielt, bafj fid) bie ßidjtfcpmin* 
gungen in einem continuirlidjen SRittel tranöoerfal fortpflanjen 
fönnen. fiafage erneuerte bie ipppotpefe ber tranSmubanen 
atome, unb nah feiner anfidjt ift eS baS ffleftreben biefeS 
gluibumS, toeldjeö bie gegenfeitige anjiehung ber SBeltförper 
betotrft. Ter aetber oerbinbet olle Tpeile beS aus mit* 
einanber. Sr empfängt bie Sdjmingungen beS ßicptS, ber 


SBärme u. f. m. unb pflanjt fie mit enormer ©efdjminbigfeit 
burcb ben fRaum fort, ©ne SBeQe, bie beifpielsmeife oon 
ber Sonne auSgept unb auf feine SRaterie trifft, mirb ficb 
in ber Unenbtidjfeit oerlaufen, OorauSgefefct, ba| ber Slether 
ein abfotut elaftifcpeS SRittel ift. Tie atome unb äRolefüte, 
melcbe fidp mit oerfhiebenen Sefhminbigfeiten in biefem 
ÜRittel bemegen, theilen bemfetben einen Tbeü ihrer Snergie 
mit. ÜRad) ber 3ntenfität biefer SDtittfjeüung, refp. ber Sn* 
tenfität ber SBette, b. h- ber Sefdjminbigfeit ber ©ibration 
unb ber hierburdj bebitfgten SBeQenlänge unterfheiben mir 
SBeHen beS SicbtS, ber SBärme, ber Sleftricität u. f. m. Um* 
gefebrt bemirfen jene SBeHen, rnenn fie auf atome unb 
Sftolefüfe treffen, eine ©erftärfung ber amplitube ihrer 
©apnen unb ber Snergie ihrer fdjmingenben ©emegung. Unb 
biefe unaufhörliche SRittheilung oon ©emegungen, biefer be« 
ftänbige auStaufh Oon Snergie jmifhen bem aetber unb 
ber atomiftifepen SRaterie ift eS, metdjer bie miebtigften Sr* 
febeinungen ber iphhf'l u °b ber Shemie betöorruft. 

Tie Sohäfion, fagen mir, hält bie SRolefüle in ihren 
Sphären, bie affinität bie atome in ben engeren (Srenjen 
beS SRolcfülS. SS ift oiel SBaprfcbeinlicbfeit oorljanben, bafe 
beibe Srfheinungen im ®runbe genommen bie gleichen finb, 
nur mirfen Oetfdjiebene SRaffeti unb Sntfernungen unb machen 
fidp unter bem Sinftufj berfelben Urfahen in üerfdjiebener 
SBeife geltenb, inbem bie einen bie pbbfifalifdjeit, bie anbere 
bie hemifdjen Srfheinungen bebingen, melh’ lefctere bemnacb 
gemifferrna|en bie gortfebung ber erfteren bilben. gührt 
man einem Körper 23ärme ju, fo fann biefe, abgefeben oon 
äußerer arbeit, brei Oerfhiebene SBirfungen auf bie 2Raterie 
felbft auSüben. — SrftenS mirb bie Sntenfität ber mole* 
fularen ©emegung größer merben, b. fj- fo oiel mie, eS er* 
folgt eine Steigerung ber Temperatur. — gmeitenS nimmt 
baS ©olumen ju, maS barin feine Urfadje hat, bafe fiep, be* 
bittgt burd) bie größere Sntenfität ber ©emegung, bie SRote* 
fularbemegungSfpbäre oergrö|ert. Srreicpt bie Sphäre für 
eine beftimmte ÜRaterie eine getoiffe ©röfje, fo tritt eine 
Slenberung beS SIggregatjuftanbeS ein, ein fefter Sförper mirb 
flüffig, ein ffüffiger gasförmig. Sn bem lebteren gälte ift 
bie Sntfernung ber SRolefüle fehr bebeutenb im ©ergleidp ju 
ben Timenftonen berfelben gemorben. ©leidjoiel mel^e SBir* 
fung eintritt, bie fdjmingenbe ©emegung ber SBärme mirb 
jur beftimmten Ueberminbung ber ÜRofefularfräfte oermenbet, 
fann aber jeber 3 e ü al^ fofehe mieber frei merben. — SS 
giebt jebodj noch eine britte SBirfung, nämlich bie ber djemifdjen 
arbeit. SS liegt auf ber §anb, bafj bie SBeHen beS aetherS 
nicht allein bie Tidjte einer üRaterie bebingen, fonbern bafe 
fie auch auf bie atome in ihren gegenfeitigen Slbftänben 
mirfen mirb. Sludp b' et merben bie ©ahnen ber Sttome burcb 
Steigerung ber Temperatur eine ©ergröfjerüng erfahren. Sr* 
reichen bie ©ahnen eine getoiffe ©röfje, fo fann baS ©leih* 
gemidjt ber ÜRotefülS geftört merben, eS müffen fih anbere 
Spfteme bilben, b. b- neue üRolcfüle merben entftehen. ^»ier 
beginnen bie Srfheinungen ber TiSfociation, ber 3 er l e 9 un 9 
unb ber ©ereinigung, methe bem ©ebiete ber Shemie an* 
gehören. 

Tie SBeKen beS aetherS finb eS, melcbe bie atome in 
©emegung feften. Snbem fih bie atome ju anberen SRole* 
fülen aggregiren, mirb SBärme, b. h- ©emegung, abforbirt, 
inbem bie Slufhebung beS molefularen ©teihgemidjtS, melhe 
baS aufhören ber djemifdjen ©erbinbung bejeidjnet, ben ©et* 
brauch einet gemiffen SBärmemenge erforbert. Tiefe fo ab* 
forbirte SBärme hat ben atomen bie Snergie miebergegeben, 
melhe fie oor ber ©ereinigung befafjen uni» melhe bie Slffi* 
nität repräfentirt. Sie oerlieren biefelbe oon neuem, menn 
fie in bie SBirfungSfpljären anberer atome fommen, biefelben 
anjieben unb Oon benfelben angejogen merben, fobafe fih 
neue ©leidjgemihtöfbfteme, neue ÜRolefüle bilben. Tiefe 
SBirfung ift eine gegenfeitige. Tie neue ©erbinbung fann fih 
nur unter ber ©ebiitgung bilben, bafj fih bie ©emegungen ber 


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202 


Du (Segen wart 


Nr. 19. 


baS ©JZolefül bilbenbett Sltome fich gegenfeitig anbequemett, ttnb 
fid) fo oereinigen fönnen, inbem fie einen »Hjeil ber fd)Wingenben 
©nergie ttnb ihrer potentiellen Energie oerlieren. 2>ie golge biefeS 
©ertuftcS ift baS $reiroerben ber ©Bärme. ©Sir feljen hieraus, 
bafe Wrbeit, unb jwar in einem ganj gewiffen SRaafeftabe, 
geleiftet werben muß, unt ben Slbftaub »on, Atomen unb 
©Rolefufen beeinfluffen ju fönnen. SluS ©orauSgegangenem 
geht hetüor, bafe Slrbeit entgegen ber SRolefularfraft geleiftet 
Werben mufe, fod fid) ein Körper auSbefenen. llmgcfefjrt 
wirb fid) ein Körper auSbeljnen, fo wirb ©Bärme aufgeroenbet 
Werben, um bie Slttraction ber SWolefiile ju iiberwihben, um 
bie ®id)te ju oerringent. @8 ift f)ierau8 ju erfefjen unb 
liegt auf ber £anb, baß ein ßufammenljang äwifdjeu ©eiben 
ejiftiren muß. ©erfudje man ©Bärme ober SÖfnffenattraftion 
nach bem heutigen ©tanbe ber ©Biffenfdjaft jebe für fidE) ju 
betrauten, bürfte e8 Wofjl nidjt angängig fein. — Stimmt 
man einmal an, bie Slttraction ejiftire für ficf), ba8 Reifet, bie 
©Raterie fei oon Urfpntng an ju Körpern aggregirt, alfo 
ohne jegliche Kraft allein burd) bie Sage §u Körpern aufge» 
baut, fo wirb man leid)t einfefjen, bafe bie ©Bärme feine 
Slrbeit, e8 fei benn bie ber in ©ewegungfefeung ber ©Rolefiile 
unb Sltome leiftet, fo wirb alfo, ba fid) fein ©Btberftaub 
bietet, biefe Kraft bis in8 Unenblicfee anwadjfen, bie8 ift aber 
unmöglid), ba e8 feine uncnblidje Kraft geben fann, benn bie 
Kraft, baS ift bie ©ewegung ber ©Raterie, ift an biefe ge» 
bunben, unb ba biefe enblicf) ift, refultirt fid) auch für bie 
Kraft, bafe biefe enblidj fein muff. Stemmen wir an, oon 
biefem ©tanbpunft weiter auSgefeenb, bie ©Raterie erhalte if)rc 
größtmögliche innere ©ewegung burd) bie ©Bärme, fo mufften 
offenbar alle ©Rolcfiile unb Sltome fid) im unenblid)en Staunte 
Oerlieren, ba8 ift fo Oiel wie, ein Körper wirb nid)t rneljr 
möglid) fein. ®iefe finb jebod) oorljauben, unb e8 gef)t hieraus 
hetoor, bafe eS eine ®egenfraft ber ©Bärme giebt, bie bie 
Körper bebingt. Sä c8 Wirb fogar bie ©Bärme bie ®egen« 
fraft unb bie ®egenfraft bie ©Bärme bebingeit, eine wirb offne 
bie anbere ein Unbiug fein. ®ie.©egenfraft ober bie Slttrac» 
tion allein Würbe einen ^ufammenfturj be8 ©BeftadS in fid) 
felbft bebeuten, alle ©Raterie müfete fid) gleichmäßig um einen 
gemeinfamen ©Rittelpunft lagern. ®ie ©Bärme allein in ihrer 
©Birfung hätte, Wie bereits gefagt, eine $erftreuung ber 
©Raterie im unenblidfett Staunt jur golge. ®urcf) biefe ©e* 
trad)tung Wirb eS unS mögtidf, einigermafeen bie ©onftitution 
ber ©Raterie beS ©BeltadS ju begreifen. Slber nod) Weiter, 
ber ©au bcS ©BeltadS utufe burd) Kräfte feine ©onftitution 
erhalten. $>ie Slbftänbe ber ©Rolcfiile unb Sltome ju einaitber 
haben wir eben erflärt, baff biefe einerfeitS burd) bie Slttrac» 
tion, anbererfeits burd) bie ©Bärme bebingt werben. 

©Ran Wirb oerftehen (erneu, bafe bie ©Bärme bie Slttrac» 
tion, unb biefe bie ©Sänne bebingt. ©Sir miiffen feeute an» 
neunten, bie Slttraction fei bie reactionäre Kraft ber ©Bärme, 
benn wäre biefe nidft oorfeanben, fo Wäre bie ©nergie, bie 
Wir mit ©Bärme bezeichnen, unbenfbar. ©ie wäre eine Kraft, 
bie nidjtS leiftet, unb bie feinen ©Biberftanb überwinbet, fie 
wäre, fürjer gefagt, nicf)t oorfeanben. Xemt wir fönnen uns 
nur eine ©nergie oorfteden, bie etwas leiftet, baßer ja ber 
Stame unb ber ©egtiff. ©benfo mit ber Slttraction. ®äbe 
eS feine ©Sänne, fo müßten bie fleinften SOtaffetfjeildjen eng 
fid) berühren, bie ©nergie ber einen würbe bie beS anberit 
auffeebeit, eS gäbe feine Slttraction. ©Sir feljen feierauS, bafe 
biefe zwei ©nergieen fiefe ftetS gegenfeitig beeinflußen ntiiffen, 
unb bafe im Kampfe biefer zwei fjaftoren bie ewige ©e» 
wegung ber ©Raterie i^re Urfadje feat. ®ie oon wiffeit» 
fcfeaftlidjer ©eite bcS feäufigen aufgeftellte Sntropie beS ©Seit» 
allS, baS feeifet eine gleidjinäfeigc ©rwärntung ober ©rftarrung 
beS SBeltaHS, ift nid)t möglid). ®cnn baS oodfommeite lieber» 
gewillt ber ©Sänne über bie Slttraction, ober umgefeljrt, würbe 
baS Sluff)ören beiber Kräfte nad) obigen SluSfuferungen be* 
bingeu. ©So bliebe ba baS ®efefe ber ©r^altung ber ©nergie? 
©ine abfolut tobte SDfaterie ift aud) nid^t benfbar. 58 wirb 


alfo begreiflidj fein, bafe baS ©Seitgetriebe eilte ewige ©t= 
wegung ift, bie nie einen Slnfang fjatte uitb nie ein ©nbt 
feaben wirb, ©ine ewige ©erwanblung oon Kraft unb ©toff, 
ein- ewiges ©Serben unb ©ergeben, eine ftetige UmWäljung 
unb Slenberung, beren ©iitn wir nie begreifen werben, baS 
für unS alfo feinen ©inn befi^t, fid) ©elbftjwecf, ein 3nbi« 
oibuum für fic^. 


Literatur unb <ßunjl. 


3u legel's fetten. 

SSon CDtto DttPfcn. 

©Sie fefer audb bie intedectuedcn Strömungen oon bem 
politifdjen unb focialen $eitgeifte beeinflußt unb bebingt finb, 
erfennt man am ©cfjidfal p^ilofopfeifdjer fieferen. S)ie un= 
gefeeure ©Sirffamfeit ber £egel’fd)eu ©feilofopfeie ift unS feeute 
gerabe fo fdjwer fafebar, wie bie oier^igjäferige ©erfcfeodfii'- 
feeit oon ©djopenljauer’8 ©eferiften. ©Bid man berlei 9iätf)fel 
berftefjen, fo mufe man als Sulturfeiftorifer Urfadjen unb 
©Sirfungen betrachten, unb bie Söfung ift bann nidjt fefewer. 
©rünblicfe ift neuerbingS Kuno gifdjer bem ©roblem |>egel 
(in ber Jubiläumsausgabe feiner „®efd)id)te ber ©feilofopfeie", 
^eibetberg, ©Sinter) itäfeer getreten, inbem et ber ©Sürbigung 
Oon §egel’S ©tjftem eine auSgejeichnete ©iograpfeie ooran» 
febidt, bie ade Schriften oon unb über Spegel berüdfieptigt, 
jumal bie jüngften ©eröffentlidjungen beS auSgebreiteten 
©riefwed)fels. Unb waljrlirf), biefeS einfame, einfache ©e- 
lehrtenbafein ift gar nid)t fo unintereffant, wenn eS ein 
Künftler, wie ber fpeibelbergcr ^ßfjilofopl), fd)i(bert. 

^egel’S Jugenb unb ©djuljcit in Stuttgart fädt mit 
bem grofeen Slnffd)Wung ber beutfdjen fiiteratur jufammeu 
unb erftredt ficf) oon ©oetfee’S Slufentfjalt in ©trafeburg bis 
ju feiner 9tücffel)t aus Jtalien. Slber ade biefe ©Berte 
eines @d)ider, ©oetfee, Seffing, ©Berte oon unoergänglkher 
©ebeutung unb h'nreifeenber Kraft, gingen an unferem 
nafiumSfd)üfer in Stuttgart unbemerft Worüber, wenigftenS 
finb oon iferen ©Birfuitgeu unb ©inbriiden auf benfelben feine 
©puren anjutveffeu; in feinen ©ammlungen unb Slufjeich» 
nungeit wirb beS Srud)ftiideS einer Slualpfe bcS republifanifdjen 
EErauerfpielcS fficSfo gebucht, aber cS fefelt jebe nähere Kunbe; 
in feinen fpäteren Tübinger Slußeidjnungen finbet fich baS 
©itat einer angeblichen ©teile aus Seffing’S 9?atf)au, aber 
bie ©teile felbft finbet fich 11 id)t io bem Öeffing’fdjen ©Berf. 
dagegen (efeit wir mit einigem ©efrembeit in feinem 2dge» 
bud) ooin 1. Januar 1787, bafe er au biefem SteujajjrStage 
oieferlei ju thun ©BidenS geWefen, aber oon ber fieetüre eines 
IRomaueS bergeftalt gefeffelt worben fei, bafe er fich nicht 
habe loSmad)eu fönnen. tiefer fRoman war „©ophien’S 
Üfeife üoit SRemel nad) ©achfen 1 ', eines ber elenbeften unb 
(angwciligften ©Rachwerfe unferer bamaligeit öiteratur, eine 
in fed)S biden ©änben, in jafjllofen ©riefen mit jahllofen 
Slnhängfeln unb gortfefeungen Oerfafetc ®efd)ichte ber ©d)id* 
fale unb Slbenteuer eines jungen ©JfäbdjenS, Welches in ben 
lefeten ßeiteu bcS ficbenjährigett Krieges wäljrenb ber Dceu» 
pation ÖftpreufeenS burd) bie muffen oon SDtemel nach 2>reSben 
reifen fod, um bie @d)idfale unb ben Slufenthalt beS Oer» 
loren gegangenen ©ofeneS ihrer Pflegemutter ju erfunben. 
©liemaub hätte bamals geahnt, bafe in biefem fcheiulofen 
Jüngling, ber fich ' n einen fo elenben unb langweiligen 
(Roman oertiefen fonnte, ein tiefer genfer oerpuppt war, 
welcher fid) emporringen unb eines JageS als bet erfte 
Phiiofnph beS Zeitalters crfcheinen werbe. SllS Schopenhauer 
in ber oon (Rofenfranj oerfafeten SebenSbefchreibutig ^egel’S 
jene 2)?ittheilung aus bem Tagebuch beS lefeteren gelten 
hatte, f^rieb er triumphirenb an feinen Schüler K. ©äfit: 


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Nr. 19. 


Die 8re$ettt»art 


298 


„SReiit Seibbucß ift Ipomer, tpegel’S Scibbuct) ift ©opßien'S 
Weife üon ÜRemel naeß @nd)feufeiet treffen wir atfo 
fcßon baS üöüig Unfünftlerifcße, baS ficß in §egel’S Sefen, 
wie befonbevS iit feinem ©til auSbrüdt'. 

3mci feiner afabemifcßeit Sugenbfreunbe finb non ßerüor* 
ragenber, aucß im ülnbcnlen bet Seit fottlebenber, auf ißn 
felbft einflußreicßer ©ebeutung geroefen: bcm ©inen mar baS 
unfeligfte aÖer SRenfcßenloofe, bem Slnberen eines bcr glütf* 
licßften befdjieben. ®iefe beiben Sünglinge rcaren £>ölberlin 
unb ©cßelling: jener einer ber gleidijeitigen ©tubiengenoffen 
tpegel’S. ®ie entßufiaftifcßen ©efüßlc, rnelcße burcß bie fran= 
äöftft^e fReüofution erregt maren, Ratten ficß bis in baS ©tili* 
(eben beS Sübinger ©tifteS fortgepflanjt, unb befonberS bei ben 
©tubirenben aus ber fiberrßeinifdßen ©raffdjaft SRömpclgarb, 
rnelcße bamalS nocß jum ^erjogtßum Sürttemberg gehörte, 
bie feurigfte Sßetlnaßme gefunbcn. Tübingen galt als ißrc 
SanbeSuniüerfität unb bot ißnen ©tipenbicn. fjier mürbe 
nun ein Politiker Slub gegrünbet, bie SagcSjeituitgcn eifrig 
gelefen, bie ©reigniffe befprocßen, unb bie ©egeifteruitg ging 
fo meit, baß eines ©onntagS-au einem ßeitcren grüßjaßrS* 
morgen bie jungen grcißeitsfcßmärrner ßinauSjogen unb auf 
einer Siefe bei Tübingen naeß franjöfiftßem SEWnftcr beit 
grcißcitSbaum pflanken, darunter maren aucß ftegel unb 
©cßelling. ®ie ©acße mürbe rncbbar, unb ber fier^og ßorl 
erfeßien felbft, um ben ©turnt im Saffergtafe ju befeßmören. 
Saßrfcßeinlicß fiat bie ßarmlofe geier an einem grüßjaßrS* 
fonntagc beS SoßrcS 1791 ftattgefunben, nod) in ben fo« 
genannten gotbenen ‘Sagen bcr franjöfifcßen fReüolution. 
^egel’S ©tammbncßblätter au§ jener 3 e *t finb üoü üon 9luS* 
rufungen, bie jum greißeitSbaum paffen. ®a fteßt baS 
£uttcn*@cßiller’fd)e Sort: „In tyrannos!* 9luf einem anberen 
©latte: „V ive la liberte!* Stuf einem britten: „Vive Jean 
Jacques!* unb fo fort. 5luf £>egel’S äußere Grfdjeinung 
unb Gattung ßabcti bie ©itten ber neuen ßeit unb beS 
afabemifeßen SebenS feinerfei umgeftaltenben ©influß aitSgcöbt. 
©r blieb in ben förperlicßen unb ritterlichen fünften unbegabt 
unb ungemanbt, er ßat baS fReiten unb gelten lieber unter* 
laffen als geübt, mit ben SRäbcßen lieber ©fänber gcfpielt 
als getanjt unb fid) naeßläffig unb altmobifd) gelfeibet. ®aS 
?lettlicße unb Sattgfame in feinem Sefen mußte in Tübingen, 
in ber SRitte feiner afabemifeßen Sugcnbgenoffeit nod) auf* 
faUenber unb abfteeßenber erfdjeinett als in Stuttgart. ©r 
ßieß im ©tift „ber alte 2Rann" ober ;,bcr $tltc“. Sitbcffcit 
mar Ipegel feineSmegS ein Sudmäufer, ber in murrifeßer unb 
gebrfidter ©erfcßloffenßeit abfeitS ftanb, fonbern ein ßeitcrcr 
©efeUffßafter, ben man. lieb ßatte, ber bei einem frßßlidjen 
3e<ßgelage ftößließ mittßat, bei einem gefeUigen Sfiitt über 
fianb bie üorfeßriftSmäßige SUofterftunbc üergaß unb eine 
©arcerftrafe bafür empfing, ber fidj in ein ßübfcßeS ÜRäbdjen, 
mie ffagufte §egelmeier, bie Sod)ter eines üerftorbenen ©ro* 
fefforS ber Geologie, leibenfcl)aftlich üertiebte. 

©in üielfagenbeS ©tammbudjblatt aus ber Tübinger 3^9 
ßatte fiölberlin feinem greunbe ftegel gemibmet: eS enthielt 
oie 2Raßnung ju großen !Eßaten mit ben Sorten beS ©oetße’fdjen 
fß^iabeS, benen mie ein geßeimnißüoßeS 3 e ^ cn ^injugefügt 
mar: „©tpnbolum. xat näv.“ Dljne 3 tt?e if c f hatte biefeS 
Sort für fitegel eine ganj anbere unb tiefere ©ebeutung, als 
eS tooljl beim erften iffnblid fjaben modjte. Sar eS niefjt in 
ber bünbigften fjormel baS Jßema ber neuen unb neueften 
^itofop^ie, ber ©runbgebanle aßet ^Religion unb ißljilo* 
baS 3^^™ if)rer ©intjeit, baS große SDfpfterium ber 
SBÄt? Sn einem formell unreifen ©ebießt: „©leufiS" feierte 
fdjbn ber junge Jpegel jielbemußt baS göttliche 9Ißleben in 
ben ©rfcfjeinungett ber Seit: 

®Wtt Slug’ ergebt fid) ju b«8 ew’gett |»ttnniel8 ©iitbung 
i8u btr, o glänjenbtä ©eftirn b(t Statut! 
ißitb aüft feiinjde, atter Hoffnungen 
SBergeffen ftrönit ati8 betner ©nitgfeit herab. 

®er ®titn verliert ficfi in bem Slnfdjau’n, 

2Ba8 mein ich nannte, jdjroinbet. 


34 gebe tnief) bem Unermeßlichen bdhin, 

34 bin in ihm, bin 9IIIe8, bin nur e8. 

®er Seg eines mürttembergifc^en Geologen füßrt in 
bcr fRcgel üom ©tift unb ber Sanbibatur burd) baS ©icariat 
junt Pfarramt, ©in fol^cS 3> c ^ ober ßatte |itr unfeten 
$egel gar itidjtS SocfenbeS, ba ifjnt bei feiner pßtlofopßif^en 
®enfart baS geiftlidje ©atf)oS, bei feiner perfönlicßen lang* 
famen unb unbeßülflid^en 9lrt bie ©oben ber geiftlitßen ©ereb* 
famfeit mangelten. ®aber faßte er für bie 3 u ^ ,,, f t baS 
pßilofopßifc^c Seßramt, für bie ©egenmart unb nädjfte 3«t 
bie baju nötßige miffcnfd)aftlid)e unb öfonomifdje ©orbereitung 
in’S 9(ugc, bie fid) mit ber ©tefluug unb Sirlfamfeit eines 
§auSlcßrerS ober §ofmeifterS am füglidjften üereinigen ließ. 
3uerft ging er als ^auSle^rer nadj ©ern, mo fein 9tnge unb 
£crj eine pßiliftröfc Uitempfängli^Eeit für bie ©djönljeitSrounber 
bcr 9üpeinocft jeigten, bann in gleicher ©teßung nad) granffurt, 
mo fein ffjreunb ^ßlberlin im |)aufe beS ©roßßfinblerS ®on* 
tarb als ©rjicßer mar unb bie tragifd)e 2iebesgefd)idjte erlebte, 
grau ©ontarb mar üön einer fo fettenett unb üoflenbeten 
©cetcn* unb ßörperfcßönßeit, baS Sort im claffifcßen ©inne 
genommen, baß ißt 9lttblid unb Sefen ben an Saßren 
jüngeren ©rjießer ißrer Äiitber, biefen ©eßmärrner für §eßaS 
unb „bie ©arabiefe ©latoS" in einen fRaufcß beS ©ittjüdenS 
ücrfefjte, üon bcm feine gleichzeitigen, üevtrauteften ©riefe er* 
füllt finb. ®ie jmifdßen ©eiben ßerrfeßenbe SBaßlüermanbt* 
fd)aft mürbe burd) geiftige Sßlittßcilungen unb ©efpräcße täg* 
lid) genährt unb erßößt. 9(uf tiidifeße 9lrt, üon ©eiteh, mie 
eS feßeint, einer boSßaft unb eiferfücßtig gefinntcu ©efefl* 
feßafterin mar bie ©iferfudjt beS üon 9luSbrücßen jüßer §eftig* 
feit ßeimgefueßten SRattneS erregt morben, unb eS fam im 
©eptember 1798 eines 9IbenbS ju einer plößließen, ßöd)ft 
peinlicßen ©eene, §u einer fdjnöben, üielleicßt feßimpfließen 
©eßanbluitg ^»ölbertin’S, naeß meteßer biefer fofort baS £auS 
für immer üerließ, oßnc baß bie leibcnfdjaftlicße Se^ießung 
amifdjen ißm unb grau ©ontarb unb ber briefließe ©ctfeßr 
©eiber einen 9tbbrucß erlitten, ©ic ift bie ®iotima feiner 
®icßtungen unb ßat bie Äataftropße nur menigeSaßre überlebt. 
®er einzige greunb, bcr bie granffurter ©pifobe (1797), 
in näd)fter iJiäße miterlebt unb miterlitteu ßat, mar £>egel. 
©ein oertrautefter Umgang mar ^ölberlin, ber in feinen 
bamalS ßödjft aufgeregten ©emütßSjuftänbcn bie 92fißc biefeS 
grcunbcS gemünfeßt unb ßerbcigefüßrt ßatte. Sn einer folcßcü 
©emütßSlage fanb er ^tölberlin; er mar üon einer Scibcn* 
feßaft bemältigt, mefeße fein ©emiffen ju betäuben, ißn felbft 
in ©cßutb unb ©erberben ju ftiirjen broßte. 9(ud) $eget, 
bem er fid) gemiß anüevtraut ßat, üermoeßte nid)t, ißn ber* 
geftalt ju „ovientiren", baß er bie ^errfeßaft über feine Sage 
gemann. ©eit jener Slatnftropße im §aufe ©ontarb, mekße 
ben ®ob ®iotimaS unb ben Saßnfinn §ötbevlin’S in ißrein 
©efolge geßabt ßat, tuar granffurt aueß für ^»egrf ew um 
glüdlicßer Drt gemorben unb bcr 9(ufentßalt ißm ücrlcibct. 
@r jog naeß Sena. ®cr ^luS'orud) beS ÄricgcS mar aber 
fißoit ba; er ftanb nidjt bloß üor ben 'Sßorcit ScnaS, fonbern 
mar feßon in feinen SRaueru. ?(m 18. Octobcr mürbe bie 
©tabt üon ben gvaujofen befeßt, Napoleon mar felbft er* 
fd)ienen. „®en Äaifer, biefe Scltfeele, faß icß bttrdß bie 
©tabt jum fRecognoScireu ßinauSreiten; — cS ift in bcr 
®ßat eine munberbare ©mpfinbung, ein foldßcS Sttbiüibuum 
5 u feßen, baS ßier auf einem ©unft cünccutrirt, auf einem 
©ferbe fißenb, über bie Seit übergreift unb fic bcßerrfdjt." 
„©oit ®onnerStag bis SRoittag finb folcßc gortfdjrittc nur 
biefem außerorbent(id)e fDiamtc ntöglicß, ben cS nitßt mögtid) 
ift, nießt ju bemunbern." ©on feiner Soßnung auS fießt 
$egel um 11 Ußr ÜRacßtS auf bcm ganjen SRarftc bie geucr 
ber franjöfifißen ©ataiUone, üor fieß baS leßtc nod) übrige 
SRanufcript ber ©ßäuomenologie. 

9lm 18. Octobcr rießtete ©octße ein fRunbfdjreibcit au 
bie greunbe in Scna, um ju erfaßten, mie eS ißncit geße unb 
maS fie in ben Sagen ber ©djladjt ju erleibcn gcßalit. ©ine 


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294 


Die töegenwart. 


Nr. 19. 


feiner 3fbreffen lautete: „Sn ©errn ißrofeffor Riegel anf bem 
alten gedjtboben." ©egel gehörte jn ben ©eplünbertcn unb 
befanb ficß in einer folgen ©elbnotß, baß ©oetße Änebel 
beauftragte, ißm „bis ju jeßn Xßalern" ju geben, ©nblid) 
am 20. Dctober tonnte er ben SReft beS URanufcriptS, bie 
testen menigen Sogen, melcge er feit ber SRacgt beS breijeßnten 
in ber Xafcße mit ficß ßerumgetragen gatte, in bie Srucferei 
fcgicfen. 3m 3anuar 1807 folgte bie Sorrebe. 9113 er bie 
3ufenbung beS ScrfeS feinem greunbe ©cßeding in SRüncßen 
antiinbigte (1. ÜRai 1807), bemerlte et im ©inblicf auf 
bie ©cglußabfcgnitte: „Xie größere Unform ber legten 
EBartieen gälte £»eine ÜRacgficßt au<g bem ju ©ute, baß icg 
bie SRebaction übergaupt in ber 2Ritternacgt oor ber ©cßlacgt 
bei 3ena geenbigt gäbe." 

SRacg ber unglüeflidgen ©cglacßt mußte ©eget auf eine 
Senberung feiner äußeren SebenSüergättniffe Sebacgt negmen. 
©ein Keines Vermögen mar längft oerbrauegt unb feine Sin* 
nagmen bureg ©Triften, Sorlefungen unb Sefotbung oiel ju 

e , um bation leben ju tönnen:<bie Unioerfität mar im 
w mge begriffen, bie Frequenj gefunlen, ©tabt unb Sanb 
in ßriegSnotß unb Slenb. fßreußen, ognmäcgtig, jerriffen, 
üon SfriegSfdßulben erbtüeft, tag barnieber unter ber Saft 
beS griebenö üon Xilfit (3uli 1807), moaegen bie SRgeinbunb* 
ftaaten unter bem Sunbe mit Napoleon florirten, mie Sägern, 
Sürttetnberg, ©aeßfen unb baS neue fturfürftentgum Saben. 
|>egel fpägte naeg einer angemeffenen 5ßtofeffur, bergeblicg! Sr 
mar julegt frog, baß er unter bie 3eitung3fcgreiber gegen fonnte: 
in bie Stebaction ber Samberger 3eitung. ©egon auf eine 
erfte Anfrage gatte Riegel geantroortet, baß ign baS SRebactionS* 
gefegäft intereffiren merbe, benn er gäbe bie Seltbegebengciten 
ftetS mit IReugierbe berfotgt. Sr fam im 9Rärj 1807 unb blieb 
bi§ Snbe SRoüember 1808, alfo ettoaS über anbertgalb Sagte. 
SEBägrenb beS erften Sagreö (bon Dftern 1807 bis Dftern 
1808) galt er als beurlaubter fßrofeffor in Sena, fo baß er 
noeg ein Sagr lang feine bortige Sefolbung bejog. SRacßbem 
bie Sinfünfte ber ^eitung fo georbnet maren, baß ber ©e* 
toinn jmifeßen Seftger unb SRebacteur ju gleicgen ©äfften 
bertgeilt mürbe, fo fonnte ©egel feine Samberger Sinnagme 
auf 1300—1400 ©ulben jägrlicg beranfcglagen. ®ie „Sam* 
berger 3 € ^ tun 9 m 't Stöniglicß*aUergnäbigfter greigeit", in 
Duartformat auf Söfigpapier gebrueft, etfegien tägtieg im 
Umfange eines halben SogenS, ber auS jroei Slättern ober 
aeßt ©palten beftanb, beren legte unb (tgeilmeife) borlegte ju 
flein gebrueften Socalnacgricßten unb Sefanntmadßungen ber* 
menbet mürben. Serlag unb SRebaction blieben ungenannt; 
fogenanitte Seit* unb Sorrefponbenjartifel gab eS fo gut mie 
feine, bie XagcSercigniffc gerborragenber 9trt, an benen bie 
3eit reieg unb überreieg mar, mürben aus anberen Slättern 
gefammelt, in ber Stürze mitgetgeilt, überficßtlicg jufamnten* 
geftedt unb georbnet. Siner bet mießtigften ©auptqueüen 
mar ber „Eßarifer Boniteur". Sin einziges 9Ral rnerft man, 
mie Stuno gifeger erjäßlt, ben pgitofopgifcgen SKebacteur: 
in ber Sericgterftattung über einen ©ebäcßtnißfünftler, ber 
in fßariö feine Sunftftüdfe jum Seften gegeben gat, in ber 
Seurtßeilung biefet ÜRnemotecßnif, „bie ein 3 e i<g en ber Ser* 
rücftgeit märe, menn fie niegt gefliffentfieß unb fpiefenb, fon* 
bem unbemußt unb gleicgfam im natürlidgen ©ange beS 
©eifteS auSgeübt mürbe". 

31 ber eine foldße.abgefcgiebene Unabgängigfeit, beren fieg 
ein 3 e ’ tun 93tebaeteur in einer bagerifeßen ^Erodin^iatftabt 
erfreuen fonnte, mar feineSmegS natg ©eqelS Sunfcß unb 
©inneSart, benn er mar, mie feine Segre, Diel ju ftaattieg 
gefinnt, um in einer Arbeit Sefriebigung ju finben, bie niegt 
in bie Dtbitung unb baS ©efüge ber öffentlicgen Sntereffen 
eingegliebert mar unb niegt felbft an igret ©teile förbernb 
unb leitenb in baS ©anje einjugreifen üermoegte. ©egr halb 
feufjte er über baS „3eitungSjocß", über bie „3eitungSgaleere“. 
®aju tarnen Sonfficte mit ber clericalen ©tnatSgcmalt, unb 
baS Slatt mürbe fufpenbirt. ^egel mar frog, als igrn fein 


greunb IRietgammer baS SRectorat beS SRümberger ®gm* 
nafiumS oerf(gaffte. $ier oerliebte unb oergeiratgete er fug. 
®ie Sebeutung, ben 3°uber biefeS ÜRanneS gatte 3Karia 
Oon Budget empfunben, bie Xo^ter eines berügmten, frei* 
gertlidgen ©efcgle^tS ber alten SReicgSftabt IRürnberg. 3gt 
Sater, 3- 2S- Sari greigerr Lueger üon ©immelSborf, toar 
Senator ber SReicgSftabt gemefeit, igre HRutter ©ufanne, gef», 
gteiin ©aller üon ©allerftein, mar bie Xoegter beS Sieitgs* 
fcgultgeißen, ber erften obrigfeitlicgen tßerfon Don Nürnberg, 
fie felbft, geb. ben 17. 9Rärj 1791, bie ältefte üon fiebern 
©efdgmiftern. SBir fennen niegt bie Soraefegicgte igrer Ser* 
lobung, bie naeg längerem gefedigem Serifegr im Mpril 1811 
ftattgefunben gat unb oon ©egel mit jubelnbet Seele in @e* 
biegten gefeiert mürbe, bie uns megr bureg bie Xiefe igret 
Smpfinbung als bureg bie ©lätte unb ben SBoglflang igrer 
Serfe anmutgen. 3n ben üertrauliegen 9luSfptcegungcn ber 
Sertobten finb au(g in ber ©eele ber Staut mitunter 3®fifcl 
an ber ©iigergeit igreS mccgfelfeitigen ©lücfS erregt morben. 
SS gatte igr meg getgan, in bem Sriefe, metegen fte an 
©egel’S ©egmefter gefegrieben gatte, folgenbe oon feiner ©anb 
ginjugefügte SEBorte ju lefen: „X»u fiegft barauS, mie glüd* 
lieg icg für mein ganjeS übriges SBefcn mit igr fein fann, 
unb mie glüeflieg mieg folcger ©eminn einer Siebe, auf ben 
icg mir faum noeg ©offnung in ber SBelt maegt, bereits fegon 
maegt, infofern ©lücf in ber Seftimmung meines Seben# 
liegt.“ Xiefe Sinfcgränfung, biefeS „Snfofem" mar igr fegnterj* 
lieg aufpefaüen. Sin Sräutigam, ber in begeifterten Serfen igr 
feine Siebe betgeuert gatte unb nodg im 3®eifet fein fonnte, 
ob eS in ber Seftimmung feines SebenS liege, glüeflieg ju 
fein! X)aS SRicgtigfte mar, baß adern enblofen ÜReflectiren unb 
3meifeln über glüeflieg fein unb glüeflieg maegen babuteg 
naeg eegt ©egel’fcger 3lrt ein Snbe gefegt mürbe, baß man jut 
©a^e fegritt. 3lm 16. September 1811 mürbe jmifegen bem 
41jägrigen ?ß^ilofopgcn unb bem 20jägrigen gräulein ber 
Sgebunb gefcgloffen, ber in jmanjigjägriger Xauer einer ber 
benfbar glücflicgften fein fodte. 

SBieber mar in feinem Seben ein SEßcnbepunft eingetreten, 
melcger igrn, ber fieg nicgtS oon fünftigem SSBeltrugm träumen 
ließ unb gar niegt barnaeg geijte, mie ein Slbfdgluß etfegien. 
„ÜRein irbifcgeS 3^ ift erreiegt," fegrieb er am 10. Dctober 
1811, „benn mit einem 9lmte unb einem lieben Säeibe ift 
man fertig in biefer 2EBelt; eS finb bie ©auptartifel beffen, 
maS man für ein Snbioibuum ju erftreben gat, baS übrige 
finb feine eigenen Sapitel megr, fonbern nur Eßaragrapgen 
unb Snmerfungen." 31 ber bie Sieaction ließ ign ju feiner SRuge 
fommen. Xie altbagrifege ginfterniß mar bem Siegt ber 9?eu* 
jeit niegt bloß abgemenbet, fonbern dueg Oon ©runb auS ab* 
geneigt unb erboft über ade bie neuen SRänner, melege man 
pr ©rünbung unb Serbreitung jeitgemäßer Silbung in’S 
Sanb gerufen gatte. Siner ber gögeren Seamten in HRünegen, 
Sgriftopg üon 9lretin, gatte eine fogenannte S a ttiotenpartci 
geftiftet unb gegen bie neuberufenen proteftantifegen ©elegrten 
gegegt. Sacobi mürbe im Xgeater öffenlticg befegimpft, 
31. geuerbaeg bureg fßöbelgaufeit in feiner Säognung geimgefugt 
unb infultirt, Xgierfeg bureg ein mörberifcgeS Attentat be* 
brogt, SacobS fegrte fo fegned als möglidg naig ©otga ju* 
riief u. f. f. ©egel bejeiegnete biefe unergörten ©eenen, ÄuS* 
briiege ber IRoggeit unb beS milben Fanatismus, mit bem 
Sorte „©go^oiSmuS", um niegt in gutem ©egmäbifcß „@au< 
roirtgfeßaft" ju fagen, maS er übrigens aueg fagte unb mit 
aden baju gegörigen fennjeiegnenben Sorten aueg auSfflgrtc. 
SDtit taufeno Freuben nagm er eine Setufung naeg ©etbel* 
berg an, roo er jtoci 3agre bocirte unb atSbann bem Stufe 
an bie junge Serliner Unioerfität folgte. 

3nbeffen maren feine pßilofopgifcßen ©auptmerfe er* 
fdgienen unb gatten mäegtig gemirft. Son aßen ©eiten 
brängten fieg ©egüler unb F reun & c an ig» getan. Äug 
an ©egnerfegaften feglte eS niegt. Sfuno ermägnt 

befouberS auSfüßrticg beS F^ßeS Senefe, ber fo oft feint»* 


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Nr. 19. 


Die (Segenwttrt 


295 


fetig gegen $eget auSgefpielt würbe unb nod) fjeute wirb, 
^^atfac^e ift, baß bem ©ribatbocenten ©enefe bie venia 
legendi entgogen unb fünf Safere fpäter Wiebergegeben würbe 
(1827), unter unb bon bemfelben SDtinifterium. Hat bie ©nt* 
Ziehung auf föegel’S ©eranlaffung ftattgefunben, fo Wirb aucfe 
bie ßirtücfgabe zur 3«t feiner buHften SBirffamfeit nicfet ofene 
fein ©inberftänbniß erfolgt fein. SEBetd^e Stolle |>egel bei 
biefen fonberbaren Vorgängen gefpiett E>at, barüber ift bisher 
auS urfunblidfeen 3eugniffen nicfetS befannt. Slofenfranz fagt 
nichts bon ber Sache, Hufem ebenfowenig, bocfe fcfereibt Soll). 
®b. ©rbmann, ber treue Sdjüler unb ©erehrer §egel'3, in 
feinem ©runbriß, baß ^egel’g Hnbenfen burdfe fein ©erhalten 
gegen ©enefe beflecft worben fei, er feat biefeS fcfetimme 2Bort 
niebergefcferieben ofene jebe nähere, gefdjweige urfunblicfee ©e* 
grünbung, er hat in feinem früheren auSfüferlicfeen Sßetfe 
nichts bon ber Sad)e gefagt. Kuno giftet feat bie mieten 
im ©ultuSminifterium geprüft unb fcfereibt: „®ie barüber 
lanbläuftg geworbene ßegenbe ift falfdj unb ftammt auS 
felbftgefäUigen Heufeerungen ©enefe’S, wie man auS ben 
ßobfeferiften erfennt, bie ifeit jum ©egenftanbe haben. ©ie 
pfeilofopfeifche gacultät, über ©enefe unb feine ©orlefungen 
ju gutadfetlidfecr ©rflärung aufgeforbert, feat einftimmig ge* 
urtfeeilt, bafe ©enefe ein fleißiger, unbemittelter ÜJtann fei, 
beffen Wiffenfcfeaftticfee ©ebeutung naef) ■ feinen bisherigen 
Seiftungen nur mittelmäßig erfefeeine unb auch nicht z« 
größeren Hoffnungen berechtige, ©(eich im ©eginn beS ®ut* 
achtens würbe erflärt: „®ie ÜJtitglieber ber gacultät finb 
weit entfernt, ihre Hnftdfet ber ©hilofopfeie monopoliftifet) als 
bie einzig richtige aufjuftcllen." Unter ben Unterzeichneten 
SJtitgliebern ftehen bie tarnen ©ödffe, ©elfer unb H f 9 ri- 
2J?an wirb bem H er uuSgeber unb ©rfläret ber Fragmente 
beS ©fetfeagorecrS ©hüolaoS, bem Herausgeber ber SSetfe beS 
©lato, beS HriftoteleS unb beS SejtuS ©mpirifuS wofel nicht 
baS Stecht unb bie gäfeigfeit beftreiten, objectiü über bie 8e* 
beutung eines philo|opfeifdfeen ©ocenten ju urteilen, ©iefe 
ältänner finb wegen ihres abfdjäßigen UrtfeeilS nicht als bie 
Sßiberfacfeer ©enefe'S ju betrachten, ©affclbe gilt Ooit H e flel." 

Huch anbere ©erbrießlichfeiten fehlten bem berühmteren 
ßehter ber ©erliner Hocfefcfeute nicht. Huf ber Stiicfreife bon 
©ariS hatte Hegel in (llberfetb (12. Dctober 1827) feiner grau 
fdjergenb getrieben, baß et bie fcfeönen UniberfitätSgebäube in 
ßüttufe Wie in ßöwen unb ©ent betrachtet unb fid) bort nach 
einem bereinftigen Stufeeplag umgefefeen habe, wenn bie ©faffen 
in ©erlin ißm fetbft ben Kupfergraben boHenbS entleiben; 
bie „Kurie in 3tom wäre auf jeben gall ein ehrenwertherer 
©egner, als bie Hrmfeligfecten eines armfeligen ©faffen* 
gefö^S in ©ertin". Seine Seßre war Wegen Uncferiftiicfefeit 
bei bein Könige berbädjtigt unb bon fatfeolifcfeen Kirchen* 
behörben bei bem SJtinifter berflagt Worben wegen gewiffer 
Heußerungen, bie über bie fatfjolifcfee Hbenbmat)tSlehre in 
feinen ©orlefungen borgefommeit fein füllten, ©er ©enun» 
ciant unb Hnfläger War ein ©aptan ber St. H e ^U)igSfird)e 
in ©erlin, ber auf ber Duäftur einen ©la^ im Hubitorium 
Heget’S belegt hatte unb in fpionirenber Hbficht regelmäßig 
unter ben ßußörern erfchien, bis eine ©emerfung ^>ege! T S auf 
bem Katfeeber eine Scene hetborrief, bie ißn für immer ber* 
fcfeeuchte. Sn feinem 9ted)tfertigung8fdfereiben, baS er auf 
amtlich Vertraulichem 3Bege an ben SWinifter gelangen ließ, 
hat er fi<h fo entfliehen wie treffenb gegen folcfee Hngebereien 
berwahrt. ,,©aS Hmt eines ©rofefforS, inSbefonbere ber 
©hitofopfeie, würbe bie penibetfte Stellung fein, wenn er fid) 
auf bie Hbfurbitäten unb SoSfeeiten, bie, wie Hnbere unb 
ich genug bie ©rfaßrung gemacht, über feine ©orträge in 
Umlauf gefefct werben, achten unb einlaffen wollte. So finbe 
id) unter ben mir angefcfjulbigten Heußerungen ©ieleS, waS 
ich mit ber Dualität bon üftißberftänbniffen furz abweifen 
unb bebeefen fönnte, aber eS mir fdjulbig zu fein glaube, 
näher einen ©ffert für Unridhtigfeiten unb SKißberftänbniffe 
eines fdjtoachen ©erftanbeS, eine anbere nicht bloß bafür, 


fonbern für Unwahrheiten, unb einen ©heil auch uidjt bloß 
für falfdje Sdhtüffe aus falfchen ©rämiffen, fonbern für boS* 
hafte ©erunglitnpfungen z« erflären." Satholifdje gußörer, 
bie an gewiffen Heußerungen Hnftoß nehmen, würben beffer 
tßun, „ phitofophifche ©orlefungen auf einer eoangetifchen 
Uniberfität bei einem ©rofeffor, bet fid) rühmt, als Sutljeraner 
getauft unb erzogen zu fein, eS ift unb bleiben wirb", nicht 
ZU befudjen. 

„es war“, fo fcfjilbert uns Hotho ben erften ©inbruef 
beS SJJanneS, „noch i m ©eginn meiner Stubienjahre, als ich 
eines SKorgenS, um mich *h m borzufteÜen, f^eu unb boch 
ZutrauungSboU zum erften SD?ale in Hegel’S 3immer trat, ©r 
faß bor einem breiten Schreibtifdje unb wühlte foeben in un* 
orbentlich übereinanber gefeuchteten, burcheinanber geworfenen 
©iicfjern unb ©apieren. ©ie früh gealterte gigur war ge* 
beugt, boch öon urfprüngtidjer HuSbauer uno Kraft; nach* 
läffig bequem fiel ein gelbgrauet Sdjlafroc! bon ben Schultern 
über ben eingezogenen ßeib bis zur ©rbe herab; Weber bon 
imponirenber H°heil noch bon feffelnber Hnmuth zeigte fich 
eine äußerliche Spur, ein 3 u g altbürgerlich ehrbarer ©rab* 
heit war baS ©ächfte, was fid) am ganzen ©ehaben bemerf* 
bar machte. ®en erften ©inbruef beS ©efi<ht8 werbe idh nie* 
mals bergeffen. gahl unb fc^faff hingen alle 3üge Wie er* 
ftorben nieber, feine zerftörenbe ßeibenfdhaft, aber bie ganze 
©ergangenljeit eines ®ag unb ©acht berfeßwiegenen fort* 
arbeitenben ©enfenS fpiegelte fich in ihnen Wieber; bie Dual 
bes$ 3 l °eifelS, bie ©ähtung befd^WichtigungSlofer ©ebanfen* 
ftürine fchien biefeS bierzigjährige Sinnen, Sud)en unb ginben 
nicht gepeinigt unb umhergeworfen zu haben; nur ber raft* 
lofe ©rang, ben frühen Keim glüdlid) entbeefter SBahrheit 
immer reifer unb tiefer, immer ftrenger unb unabwenbbarer 
ZU entfalten, hatte bie Stirn, bie ©langen, ben SUZunb ge* 
furcht... 2Bie würbig war baS ganze Haupt, wie ebel bie 
©afe, bie hohe, wenn auch in etwas zuriiefgebogene Stirn, 
baS ruhige Kinn gebilbet; ber Hbel ber ©reue unb grünb* 
liehen 9ted)tlichfeit im ©rößten wie im Kleinften, beS Karen 
©eWußtfeinS, mit beften Kräften nur in ber 2Bahrf)eit eine 
legte ©efriebigung gefueßt zu haben, war allen gormen auf’S 
Snbitoibueüfte fprc^enb eingeprägt . . . HlS td) ihn nach 
wenigen ©agen auf bem ßef)rftuhle wieberfah, fonnte ich mich 
ZUitäihft Weber in bie Hrt beS äußeren ©ortragS noch ber 
inneren ©ebanlenfolge h’ueinfinben. Hbgefpannt, grämlich 
faß er mit niebergebüeftem Kopf in fich ZufammengefaBen ba 
unb blätterte unb fuchte immer fortfprechenb in ben langen 
golioßeften öorWärtS unb rücfwärtS, unten unb oben; baS 
ftete ©äufpern unb Hüften ftörte allen gluß ber Siebe, jeber 
Sag ftanb tocreinzelt ba unb fam mit Hnftrengung zerftüdt 
unb burcheinanber geworfen herauf; jebeS SBort, jebe Silbe 
töfte fich nur wibetwillig loS, um bon ber metallleeren 
Stimme bann im fchwäbifd) breiten ©ialect, als fei jebeS 
baS 2Bid)tigfte, einen wunberfam grünblicßen Slachbrua zu 
erhalten, ©ennoch z'uaug b<e ganze ©rfcheinung zu einem 
fo tiefen Siefpect, zu foldt)’ einer ©mpfinbung ber SBürbigfeit 
unb zog burch eine Slaibetät beS überwättigenbften ©rnfteS 
an, baß ich müh bei aller ©iißbehaglichfeit, obfcßon idh toenig 
genug bon bem ©efagten mochte berftanben haben, unab* 
trennbar gefeffelt fanb. Kaum war ich jebodf) burd) ©ifer 
unb ©onfequenz in furzer 3eit an biefe Hußenfeite beS ©or* 
tragS gewöhnt, als mir bie inneren ©orzüge beffelben immer 
heller in bie Hugen fprangen unb fich mit jenen SDiängeln 
ZU einem ©anzen berwebten, welches in fich feI6er allein ben 
ÜWaaßftab feiner ©ollenbung trug. @t hotte bie mächtigften 
©ebanfen aus bem unterften ©runbe ber ©inge heraufzu* 
förbern, unb füllten fie iebenbig einwirfen, fo mußten fie 
fich, menn auch Safere lang zubor unb immer bon Steuern 
burefefonnen unb berarbeitet, in ftetS lebenbiger ©egenwart 
in ifem felber wieber erzeugen, ©ine anfefeautiefeere ©laftif 
biefer Schwierigfeit unb fearten SOtüfee läßt fidfe in anberer 
SGBeife, als biefer ©ortrag fie gab, nicht erfinnen. SBie bie 




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296 


Die ®ege«warl 


Nr. 19. 


ätteften Propheten, je brangbofler fic mit bet (Sprache ringen, 
nur um fo ferniger, waS in ihnen felber ringt, bewältigen!) 
palb unb palb überwunben perborarbeiten, fämpfte unb fiegte 
auep er in fepwerfäßiger ©ebrungenpeit. ©anj nur in bie 
Sache berfenft, fepien er biefelbe nur aus ipr f ihrer felbft 
mißen unb faum auS eigenem ®eift bet §örer megeti ju 
entwideln, unb boep entfprang fie aus ipm aßein, unb eine 
faft bäteriiepe Sorge um Ätarpeit milberte ben ftarren Stuft, 
ber bor ber 9lufnapme fo müpfeligct ©ebanfen patte jurüd« 
fdpreden fönnen. Stodenb fdjoit begann er, ftorfte weiter, 
fing nodj einmal an, pielt toieber ein, fpraep unb fann, baS 
treffenbe Sort fdpten für immer ju fehlen, unb nun erft 
fdjiug eS am fieperften ein, eS fd^ien gewöpnlicp unb toar 
bodp unnachahmlich paffettb, ungebräuchlich unb bennodj baS 
einjig Steckte. ®aS ©igentlidjfte fdjien immer erft folgen 
ju foßen, unb boep War eS fdjon unbermerlt unb fo boß« 
ftänbig als möglich auSgefprodpen. ÜRun patte man bie tlare 
Sebeutung eines SageS gefafet unb hoffte fepnlicpft Weiter« 
jufepreiten. SergebenS. ©er ©ebanfe, ftatt borwärts ju 
rüden, breite fiep mit ben äpnlkpen Sorten ftetS mieber um 
benfelben punft. Schweifte jeboep bie erlahmte 9lufmerffam« 
feit jerftreuenb ab unb lehrte nacp Wiuuten erft plöglid) 
aufgefepredt ju bem Sortrage jurüd, fo faitb fie jut Strafe 
fiep ai» aßem gufammenpange perauSgeriffen. ®enn leife 
unb bebaeptfom burep fepcinbar bebeutungSlofe Wittelglieber 
fortleitenb, patte fiep irgenb eiH öoßer ©ebanfe jur ©infeitig« 
feit befdjränft, ju Untcrfcpieben auSeinanber getrieben unb 
in Siberfprüdje oerwidelt, beten fiegreidje ßöfuitg erft baS 
Siberftrebenbfte enblicp jur Sieberoereinigung ju bejmingen 
fräftig war." 

Sie man fiept, mar ber gauber, ben ^>eget auf feine 
grofee ©emeinbe auSübte, burcpauS niept eine golge feines 
lebenbigen SortrageS unb rtjetorifcfjetr fünfte. $Rur feine 
ßepre mar ber Wagnet, ber feine 3 e 't fo mastig anjog. 
©anj gewife niept ber Sepriftfteßer, ber Stilift, ber nad) 
Scpopenpauer’S geugnife „ein barbarifcpeS ©eutfdj" feprieb. 
Senu Äuno gifepet alle Siberfprücfje in ßeben unb ßepre 
beS granffurter ppifofoppen baburep löft, bafe er ipit als 
Äunftler auffafet, fo Oerfagt bieS Wittel bei Riegel. Sr mar 
9lßeS, nur fein Zünftler, fogar ein gutes Stüd ppiliftcr. 
Unb boep ^aben feine Sbeen bie Witmelt aufgewühlt, fo bafe 
bei feinem plöglidpen ©obe — er ftarb 1831 an ber Spolera 
— eine namenlofe Stauer fiep funbgab. Sir erflareit unS 
feine Srfolge aus ihrer Uebereinftintmung unb ben Sebiirf« 
ttiffen ihrer geit. 9l uc P ft'utto gifeper meint fühl genug, 
bafe ber grofee ppilofopp nicht blofi fanft, fonbern auch red)t« 

S geftorben fei, in ber üoßften Ära ft ber Sapre, ber 
e unb beS BtupmeS. SRocp mar nichts an ihm überlebt, 
als er ftarb. 


3lu0 ber Wiener ftljeatergefchichte. 

S3on (Ebuarb von Bamberg. 

(6c^lu6.) 

9luS ähnti^en ®rünben Wie ©riflparjer War aud) 
Schrepoogel mürrifch unb gtieSgrämlid) geworben, fräufelte 
jubem 1823 fchon mehr, als feine Sahre erwarten liefen. 
Snbeffen fchlug bet ursprüngliche §umor immer mieber burch 
unb entlub fidh in fßointen unb SBonmotS, bann aber jeigte 
er fidh noch ganj anberS ju §aufe unb in bem, aßerbingS 
fpätli^ bemeffenen, gefeßigen SSertehr als in ber Äanjlei unb 
bei gefdjäftlicher Shätigfeit. Senn man ben Wann mit ben 
berben 3u9 e n, ber gebräunten ®efidjtSfar6e unb bem fd)lid)ten 
©ebahren erblidte, mufete man ihn für einen ©eoatter 
Sdjneiber unb |>anbfd)uhmacher halten; fobalb er fptad), ent« 
puppte fid; freilich auS ^ e,n ^tefenbacher ber Pappenheimer. 
Unoerglci^lich, mit welcher (Sieloffenheit er bie trcffenbften 


Pemerfungen abroßen lief), nodh ftaunenSmerther, mit melier 
geinheit er einem Sturm fteuerte. „Wit bem wirb fein 
Sdjmein fertig!" jürnte ^»elrnina, als fie ihm fein Sörtlein 
über ihr eingercid)teS ßuftfpiel abringen fonnte; er enoiberte 
biefe ^Berliner ßiebcnSart inbe| ganj gemüthlid) mit ber St« 
merfung, baff er, SlfieS in Slßem genommen, in feinem ßeben 
Wohl bereits mit einer ganjen beerbe fertig geworben fei, 
unb lenfte baS ©efptäd) unOermcrft in neue Sahnen. „Ser 
oerflu^te Serl!" polterte §elmina bann ju §aitfe; „aber er 
hat ©eift für Oier, man fann ihm nicht gram fein." Unter 
competenten fRid)tern herrfcfjte nur eine Stimme, bafe bie 
boßenbete Weiftcrfdhaft, mit ber fomohl bie Xragöbie aß bal 
bürgerliche Scfjoufpiet unb bor ßlßem baS SonoerfationSftücf 
egeben mürbe, nidht jum ße^ten feiner bramaturgifchen Hr- 
eit ju banfen mar. 9tud) er mufßte fein fRepertoir auf bem 
Wittelgut aufbauen, aber Welches reijoofle ßeben gewannen 
Sfflanb’S häuslicher Jfahenjammer, Soßebue’S breite Settel« 
fuppen unb Scribe’S lofe Saare burd) erlefene Äunft unb 
woljlgeleitete Uebung! 9luS ber Wannheimer Schule wirften 
noch Äoch unb trüget; Äorn, bet bie alte Sienet SJi^tung 
repräfentirte, ging mit feinem gefrorenen ßiebäugeln fchon 
bergab, hatte aber eine jahtreidje Partei, Welche immer noch 
baS ©ewefene bewunberte. dagegen fah Sophie Schreibet 
hinter ben ßampen Wie eine grau bon breifeig Safewn aul 
unb behauptete mit ungefdjWächter Straft bie |)öhe ber neuen 
Shinftrid)tung, welche 9(nfchüh, bamalS im fräftigften Wannes« 
alter, bewufet übernahm, währenb fich ihr bet §eifefporn ßflwe, 
ber neue Srfah für bie jugenblid)en gelben, unfefwer anglieberte. 
Sophie Wüßer mit ihrem anerfannten unb woljlberbienten 
grofeen 9iuf war ganj bie Sünftlerin nach Schretjbogd’s 
|)erjen. 3u einer ebenmäfeigen, ftoljen unb fräftigen ®e« 
ftalt, eblen gugen mit einem wunberfam beilchenblauen 9tuge 
unb gläitjenb fdjwarjett §aar gefeßte fiep eine urfprüngliche 
Segabung, weld)e nach feiner Seite berfagte. Sdjon ber 
blofee Älang ihrer Stimme brang jum ^»erjen, unb Wenn fee 
im häuslichen Greife fang, fdfeen fie ber Sthröber«®ebritnt 
nid)ts nachjugeben. 9ltS ipr bieS jemanb inbefe einmal au»« 
fprach, eittgegnete fie mit bem geflügelten Sort „Warum hat 
er nid^t Sd)rot geloben?" — baffelbe entftammte einem ©c« 
biepte ©rißparjer’S, worin ein Säger mit ber Äuget im fRoprc 
aitSjiept unb auf niebereS Silb ftöfet. Spr perfönlicper 9int 
war fledeuloS, waS bamalS bei Scpaufpieterinnen als 9luS« 
napme galt; bon 9lnbctern umfepwärmt, bon felbftlofen 
greunben bereprt, War fie eine g^rbe ber guten ©efeßfepaft 
unb ber gute ©cift ipreS SaterS, richtiger bießeidjt Pflege« 
baterS, bem fie jebe finblid)e 9füdficpt erwies, auep nadpbem 
er ipre 9ldptung bermirft patte. 

®aS ßämtnertportpeater ftanb unter ber ®ircction 
Sarbaja’S, ben man feltfamer Seife als päcpter bejeiepnete, 
obwopl er bom §ofe einen für jene geit bebeutenben gufcpuß 
erpielt. S)aju famen überfüßte Käufer unb erpüpte Sin« 
trittSpreife, unb boep fegte „ber grofee Smprefario" große 
Summen ju, ba ©nfemble unb 9lnSftattung auf ju grojjem 
gufee eingerichtet waren, ©liidliiper Seife oerfügte et über 
bie Wittel unb fonnte fiep feinen Üfupm etwas foffen taffen; 
in ber Spat pat aber auch ®eutfdjlanb eine wälfdpe Cper 
wie bie mit ßabtaepe, 2)abib, 3)onjeßi, fRubini unb ber gobor 
webet borper noep nachher gepört. Sn fRebenroßen erfepien 
pier im Sommer 1823 eine jugenbtiepe Sängerin mit perr« 
tieper Stimme unb reijenber ©rfepeinung, welcpe man inbefe 
niept fonberlicp adptete unb fcplecptweg „bie fleinc Spntag' 
nannte, wäprenb fie fRäperftepenbe fogar als einfältiges 
©änScpett betrachteten. 9lflerbingS war ipre ©ntwidelnng in 
einigen punften jurüd, weil fie 9tfleS fiep felbft bevwnte 
unb bie Wutter eS an erjieherifdper fRacppitfe feplen liefe- 
Sepr bejeiepnenb, bafe fie mit neunjepn Sapren noch bor« 
wiegenb laut badpte, unb opne jebe ßebenSerfaprnng, Vni fee 
war, fepltc eS audp niept an fomifepen ©ebantenfprüföKti 
9llS ipr gorti nad)fteßte unb bie Wutter bor bem ©on Span 


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297 


Nr. 19. 


Die ©ejjenwart 


Warnte, fonnte fie fiep trop aßet fc^fcnbcn Neigung unb ©e* 
legenpeit ber gurcpt üor Singen niept entfcfjtagen, bie nur 
golge ^ödjfter Intimität gu fein pflegen, unb gab baS aud) 
noep mit aßet Offenheit gum S3eften. ©elbfloerftänblid) 
amufirte fic^ baS publicum barob pöcplicp, unb als fie bie 
©urpantpe creirte, fanb baS SBonmot aßgemeinert Stnflang: 
„baS ©anferl wäre mir lieber als aße hinten". Snbeffen 
patte §enriette Äopf unb Iperg fepon bamalS auf ber recpten 
©tefle, unb bie gunepmenbe Äenntniß ber SBelt tilgte niept 
. bloß jebe ©pur jener reinen Sporpeit, fonbern reifte Saft 
unb 3Serftanb mit ü6errafcpenber @cpneße. ©o fonnte fie bei 
ipter S&rpeiratpnng ben Uebergang Doni glängenben ©cpein 
gum Wirflicpen ©lange opne ©djroinbef iiberftepen, aber, waS 
mepr ift, nad) bem Umfcpwuitg bet ©lüdSumftänbe ipreS po>cp* 
gefteflten ©atten fanb fie auep ben DRutp, gu iprerftunft gurüd* 
gufepren, unb waprlicp, Same unb ßünftlerin paben fiel) in ipr 
nie befepbet, fonbern non einanber ben größten 5ftupen gezogen. 

Ser eben genannte SBaffift gorti, ein pocpgebauter SDZann, 
fdjwarg bon Sluge unb £>aar, fucpte aßerbingS feine SSorgüge 
bei ben grauen opne moraltfdje ©crupel gu Derwertpen, war 
aber webet ein ©ecf, noep eine SRatur gemeineren Schlages. 
^Begann feine ©timme fcpoit gurüdgugepen, fo peifdpte fein 
(Spiel bafür bie pöepfa Siewunberung; ümgefeprt ließ ber 
Scnorift ^aiginger als ©finget nichts, als Sarfteßer 9lßeS 
gu wünfepen übrig. Urfpriinglidj ©epulmcifar, beit man feiner 
petrlicpen ©timme falber gum Sweater Ejatte preffen muffen, 
war er aucf) fonft baS SBiberfpiel feines grunbgeWaltigeu 
Soßegen, benn feine freie $eit wibmete er lebiglicp ber fiunft, 
uermicb Slßeö, waS feiner ©efunbpeit fepaben fonnte, unb be= 
fteißigte fiep eines mufarpaften SebenSWanbelS. Söeibe ©änger 
gehörten ber beutfepen Dpeii an, welche im §erbft 1823 bie 
italienifcpe ©tagione abtöfte; wäprenb aber §aiginger ben 
Slbotar, gorti ben Spfiart als itt ifjr Sioßenfacp gehörig über» 
nahmen, Ejatte SBeber bie ©urpantpe ber ©ontag gerabegu auf 
ben Seib gefeprieben. Sie Seute meinten freilid), baS erreg* 
* bare Iperg oeS 9D?aeftro fei burep baS nieblidje Särucpen bc* 
ftoepen worben, er aber patte fepon auf ber fraget ®iipne 
in ipr ein HinftlerifdjeS Sfleinob entbedt unb prophezeite ipr 
allem SBibetfprucp gum Srop bie glängenbfte ßufunft. 

Sa bie ißreciofa bereits erfolgreich gewefen war, patte 
man fiep Dom greifepüp niept Wenig Derfprocpcn, inbeffen im 
©eringften niept ben Sttumpp erwartet, ben er aßüberaß 
baoonitug. SBenn nun aber auep bie greunbe beS Sibrettiften 
bie SBißfrage aufwarfen, was SJiaria opne Sfinb wäre, unb 
biefer fiep mit SBeber entjmeite, Weil berfelbe niepts gegen bie 
ipm wiberfaprene ©eringfepäpung tpat, fo blieb bod) bie 
öffentliche üReinung unentwegt babei, bem ©omponifan baS 
gange SSerbienft guguetfennen. ©elbft Siteraten Derfannten, 
baß ber ©toff ber mufifalifcpen SBcpanblung oorgüglicp eut* 
gegenfam unb ber ftreng bramatifepe Slufbau baS Sntereffe 
oerboppelte, Wäprenb bie profaifepe Siction fein fiemmniß, 
fonbern gerabe SBeranlaffung gu fcpwungpafter SDfelobif ge* 
worben War. ©elegentlicp meinte -2Beber wopl einmal, baß 
ein gebanfenpafter Sejt bie reepte Unterlage für ben mufi* 
falifdpen ©efüplSauöbrud bilbe, ließ fiep aber für bie SJfeinung 
^»elmina’S unb ipreS Ä'reifeS gewinnen, welcpe baS 2Öefett= 
pafte eines guten Sibretto anberSwo fueptett wie ber iprer 
SJfeinung naep eines bebeutenben ©omponiften unwürbige 
Sicpter beS „greifepüte". 9llS 93arbaja für feine beutfepe ©e* 
fettfepaft eine große Dper bei ipm befteßte, trat er beßpalb 
frifepgemutp mit §e(mina in Unterpanblung, bie er gubem 
in bem „Sieberfrang" ber SteSbener |>ofrätpe, ber biepte* 
rifepen Sßfitarbeiter ber Don Speobot |>eß unb grang Stinb 
geleiteten, Don Ä. 91. SBöttiger patronifirten „9lbenbgeitung" 
als gefdpmadDoße Söersfünftlerin fennen gelernt patte. 
SJJeprete Stoffe, bie fte ipm tpeitS rop, tpeilS im fjßlane, tpeilS 
in begonnener SluSfüprung Dorlegte, fanb et für feine 9lb* 
fiepten niept geeignet; enbltcp ftimmte er bei, baß bie „histoire 
de G4rard de Nevers et de la beUe et vertueuse Euryanthe 


son amie“ gu ©runbe gelegt Würbe, bie bereits in ber Don Ipel* 
mina unb Sorotpea überjepten, Don griebriep ©cplegel 1804 
perauSgegcbenen „©ammluitg romantiftper Sicptungen beS 
SJfittelalterS" in Seutfcplanb befannt geworben War. Sie 
alsbatb burdj bie fßreffe Derbreitete ßfa^riept erwedte große 
©enfation. Sa ÜBeber trop eingelner abfpreepenber Urtpeile 
ber ©omponift beS SageS unb §elmina namentlich burep bie 
Sfopeßen „Emma" unb „Sie 3 «t ift pin, wo öertpa fpann" 
fowie baS romantifepe ^elbengebiipt „Sie brei Weißen fßofen“ 
in bie erfte fffeipe ber Stipterinnen getreten war, erwartete man 
Don biefer ßufatnmenarbeit bie ungtaublicpften SBtrfungen, unb 
fpecieß bksiepterin pat nie eilten größeren 9fuf genoffen als in 
ber 3^iP wo ©urpantpe noep ein ungeboreneS Äinblcin war. 

Sie gorberung, ben Sejt für eine große, burdpeomponirte 
Dper gu geftalten, ließ fidp natürlicp leiept erfüßen, bie Um* 
geftaltung, welcpe ber 9lngelpunft ber ©efdjicpte unbebiitgt 
gu erpeif^en fcpieit, bot bagegen feine geringe ©cpwierigfcit. 
Sm Original brept fiep nämlicp 9lßeS um baS ©epeimttiß, 
baß ©urpantpe unter ber reepten SBruft ein SJfat in gorm 
eines 9Seild)enblatteS trägt; burep ©elb beftoepen geftattet bie 
9lmme, baß ber SBöfewicpt bie §etbin im fflabe belaufet, unb 
biefe fdjweigt fpäter fepampafter SEBeife auf bie 9tnflage. Sie 
SBerwanblung ber fcpwappaften Sitten in eine junge SBer* 
traute, welcpe öerfepmäpte Siebe gu rädpen fuept, war fo 
brauepbar wie itapeltegenb; wie aber foflte man baS SBeildjen* 
motiü wenbenV ©owopl ^elmina als SBeber fapen bar in 
troß ober üieltnepr im §inbtid auf ©pafefpeare’S ©pmbcliuc 
eine naturaliftifepe ßfopeit, unb fo mußte bie erfte gaffung 
aus bem ©ommer 1821 mehrmals Dößig umgeftoßen werben, 
bis mau in ber SRinggefcpicpte ©mma’S unb Ubo’S Slbolar 
ein ©epeimitiß guwieS, WelcpeS ©urpantpe ber greuubin auS* 
plaubern mußte. 2Bie freiliep barin ber JBeweiS einer Untreue 
gefunbeit werben fann, ift ebenfo unflar wie baS bebingungS* 
tofe unb bem 9lnf(äger gegenüber niept angebrachte Singe* 
ftänbniß beS ©ibbrucpS. ©enug, 9tbolar füprt ©urpantpe 
(wie ©erarb) gum Sobe, fommt aber auf anbere ©ebanfeu, 
naepbem er eine ©cplange erlegt' pat, ber fiep bie ©eliebte 
opfern woßte. Sn ber ©infamfeit ber Silbniß fommt nun 
auep biefe Wieber gu SBerftanb unb fann bem Äönig erftären, 
baß ipr ©gtantine baS ©epeimniß abgelodt pat, waS pin* 
Wieberum fofort ipre Srcue beweift. SiefeS tragifdjc 2Wiß* 
Derftänbniß unb jenes mpftifepe ©epeimniß pat ber Sicpterin 
unenbliipeS Äopfgerbrecpen Derurfad)t; auep bei ber SEBapt beS 
UitgetpümS war fie fange im ßweifel, enblicp wäplte fie einen 
Söwen, SBeber bie ©cplange, ber Slnabe SBilpetm aber lidjerte 
im §intergrunb, baß eS ein Sinbwurm ober ein JBär feilt 
müffe, ba webet Söwe noep Solange in granfreiep Dorfätnen. 

©owopl wäprenb ber 9tuSarbeitung beS SibrettoS als 
ber ©ompofition forberte SBeber unabläffig Heinere ober 
rößere SejtDeränberungen; bie lepte fanb benn auep glüdlicp 
ei ber Srudlegung beS 93ucpeS ftatt. §elmina fügte fiep 
bereitwißig, boep fanb ber SSerfepr fepon bei SBeber’S 
SBieiter 9lufentpalt im Sapre 1822 nur noep fipriftlicp ober 
burep SJfittelSperfonen ftatt, ba fie fiep töbtlicp entgweit 
patten. Naepbem öarbaja ber Sidpterin 30 Sufaten ©pren* 
folb für bie SBiener 9luffüprungen überfanbt patte, erbat 
fie nämlicp Don SBeber einen $orfcpuß auf bie Honorare 
ber anberen SSüpnen, waS biefer aber niept etwa, wie 
er burfte, ablepnte, fonbern mit bet ©rflärung beantwortete, 
baß fie überhaupt nicptS mepr gu erwarten pabe. Sa 
ber ©elbbeutel bei beiben Sünfttern, wenn auep in Der* 
fdpiebener SBeife, bie SlcpifleSferfe bßbete unb pier wie bort 
ein auSgiebigeS 2Raß Don Seibenfcpaftlicpfeit Dotpanben war, 
fo wogte ber SEampf lange utterquidlicp pin unb per. SRerf* 
würbig, wie SBeber, ber fepon feit Sapten baS SluSfepen eines 
©cpwinbfücptigen patte, in angenepmer ©efeßfepaft bis gut 
SluSgelaffenpeit munter fein unb wie in ben Sarraftäbter 
Sugenbtagen mit feinet tonfofen ©timme gut ©uitarre bie 
loderften ©cpelmmlieblein anftimmen fonnte, bann aber wieber 


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298 


Die (Segeimiart 


Nr. 19. 


bei ber geringften Serftimmung aufbraufte unb mit fc^neibenber 
SiücffichtSlofigfeit feinen ©egnern ju Selbe ging. Dbmofel er 
fich oft mit SinbS Seifpiele bertheibigte, ber nie auf Sinjel* 
Honorare SInfprucf) gemalt ^ätte, ließ er fidf am Snbe übet 
ba« SiechtSberhältnife belehren unb erlegte fogar bte belangten 
100 ®ufaten; inbefe tarn bamit feine Serföfenung ju ©tanbe, 
benn ^elmina, melche in ber §i|e feine Sernunft annahm, 
aber ein Unrecht batb bergafe, mar burch bie Irt unb SEßeife 
bieSmat fo erbittert, bafe fie bem SKeifter felbft nach feinem 
Xobe nic^t bergeben mochte. 

9}a<h fangmierigen groben, in benen SBeber ber S)irection 
unb Sftegie, ben ©fingern, ©boriften unb SDfufifem ben Äopf 
gehörig marm machte, fam enbtich bie SorfteHung am 
25. Dftober 1823 ju ©tanbe. $a8 HauS mar überfüllt, bet 
Seifall ftürmifch unb bie ffiritifen lobten fiberfdjmänglich; 
inbeffen hotten biefe fcbon borher ber Senfur borgetegen unb 
bei jenen leufeerungen mar Neugier unb perfönlidje eil* 
nähme mafegebenb gemefen, fo bafj bie Oper in SBaljrheit 
nur einen SlcljtungSerfolg aufjumeifen hotte, Helmina fträubte 
ftdh lange gegen bie (Srfenntnifj unb beutete fogar bie %t)üU 
fadje ( bajj SBeber bie ©ontag bor bie Stampe geführt hotte, 
bahin aus, bafj ba« jßublicum bor lauter SBonneraufcfj bie 
Hauptperfon ju rufen bergeffen h°be; bei ber britten Sor* 
fteUung, melc|e ju Henrietten’« SBenefij ftattfanb, ging ihr 
inbeffen ein Sicht auf, benn bet (SrlöS braute faum bie 
laufenben fioften, unb um ein gia«fo ju bermeiben, mufete 
bie gfihnenbe Seere noch * n le|ter ©tunbe burch reichliche 
greifarten berbecft merben. Slun fe$te auch SBeber mieber 
mit feinem Unmuth ein unb flagte jebem, ber eS hören mollte, 
bafe et feine Sfunft an einen unheilbar fd^tcchten Xejt ber* 
fchmenbet habe, mährenb Helmina metterte, bafe fie ihre jßerlen 
— feinem ÄönigSfohn in ben ©choofj gelegt hätte. inber* 
märt« fanb bie Dper freilich mfirmere Aufnahme, mürbe, als 
fie fpäter an ben Drt ihrer jßremierö jurüCffam, mit großem 
SBofelmoßen beljanbelt unb erfreut ftch eine« claffifcf)en Stufe«, 
feitbem ihre Sejicfeungen jur SBagneroper aßgemein in bie 
lugen fpringen. $afe baS Such trofc monier hübfchen 
Iprifdhen ©teile an biefem (Snbrefultate unfchulbig ift, braucht 
nicht betont ju merben; bocf) foßen fdjlechterbingS bramatifche 
Infähe burch SBeber'« (Singriffe bermifcht morben fein. Unb 
ift bie Stomanje: „Im lebten SJtai, in banger Trennung 
©tunbe" fo componirt, bafe bem 3»h öter ih rc bramatifche 
Sebeutung jum Semufetfein fommt, ja nur fo, bafe er bie 
einjetnen ßüge flat aufjufaffen im ©tanbe ift? 

Satbaia’S Stachfolger mar SouiS ®uport, metdjer jmar 
nicht fo übetfchmänglicheS Sob mie biefer geerntet, bafür 
aber ein Sermögen berbient hot. Sine Keine, jierliche gigut 
mit feingefdhnittenem ©efidjt unb lebhaftem SBefen, mar er 
1780 in jßari« geboren, entfloh im Unterrocf ber lu«hebung 
unb machte barin manche (Srobetung, bis er auf ber jßeterS* 
bürget Hofbüfene als ©ototänjer Sorbeeren pflücfte. SJach* 
bem er bon Stapoleon, mahrfcheinlich gegen baS übliche Söfe* 
gelb, parbonnirt morben mar, fam er nach SBien unb heiratfeete 
bie fünfjehnjäljtige EJherefe Steumann, eine fchöne unb an* 
mutfeige SCänjerin, im Seben eine ftolje unb ablige Statut 
bon tiefer Silbung, ju melier ihn Siebe unb ©eminnfudjt 
ju gleichen 'Jhetlen h' n 9 € ä°9 cn hotten. ®aS in Infefeung 
ihre« SerufS beiberfeits mit feltenen (Sigenfdjaften auSge* 
ftattete Äünftlerpaar machte ju SJturat’S geiten in Steapel 
gurore; in SBien bauerte ber gleiche (Srfolg nicht lange, aber 
nicht etrna meil bie Seiftungen nadjlkfeen, fonbern meil Sarbaja 
bem gefchäftStüdhtigen unb fpatfamen ®uport bie öfonomifcf)e 
®irection übertrug unb biefer feine grau ohne SBeitereS bon 
ber Sühne entfernte. (SS gab nämlich bei ihm eine Seiben* 
fchaft, meldje fogar ben aus ber ©parfamfeit alsbalb ent* 
fprungenen ©eij übertrumpfte, bie (Siferfucht. Unb jmar 
richtete fich fein £afj nicht blofe gegen beftimmte ÜJtänner unb 
feine Srutalität nicht auSfdjliefjlich gegen bie arme grau, 
melche, frei bon aller Äofetterie, bon ihm felbft für einen 


(Snget an Steinheit erflärt mürbe; er eiferte bielmehr gegen 
baS ganje männliche ©efcf)letht, bie Säuglinge eingefchloffen, 
unb YlfleS, maS ju $h ere fe Sejiehung hotte, felbft ©piegel, 
Such unb EEhierlein, betftel feiner Sergemaltigung. S« ber 
Hifce, erflärte er in feinem Skutfchfranjöfifcf), „gebe ihn bie 
Seibenfchaft boflftänbig närrifch jurücf“ unb er miffe nicht 
maS er thue; bann f^merje ihn fein Senehmen fo, bafj et 
fich tobtfchiejjen mödhte, aber bie Steue holte nicht bor — 
„mollte ©ott, meine grau märe nicht jung unb fchön, fonbern 
häfjlidj unb bermelft!" Sange Sohre hotte grau ®uport 
biefen fchmählichen 3 u flonb mit SammeSgebulb ertragen, ba 
auf einmal fteflte fie fich ä ut 2ö e 9 r un l> marf baS Soch ab; 
fchäumenb bor SSuth unterlag ber Xprattn unb ging nach 
^ariS, mährenb fie in ihrer reijenben Sabener Silla ber* 
blieb, gür fogenannt realiftifche 3)arftetter beS Othello mirb 
bie Xhatfadje Sntereffe hoben, bafe ®uport an ber Seber litt 
unb früh gealtert mar; inbeffen h°t er mit feiner Sranfljeit 
noch 9 °nje breifeig Sahre gelebt unb ift erft 1853 geftorben. 

Sludj bem Xf^oter an ber SBien hotte ipelmina ein 
©efeoufpiet eingereicht, meldjeS nach einem fpanif^en ©runb* 
motib bie ®efchi<h ( e einer erbidjteten jßrinjefftn „Siofamunbt 
bon ©hpern" behonbelte. ®affelbe mürbe ohne (Srfolg auf* 
geführt, hoch lebt bet lEitel heute noch meiter, ba ©djubert 
auf ©raf ißalffp’S Seranlaffung bie SDhifi! baju hatte fchreiben 
müffen. SMefer I^oterenthufiaft mar ftetS in ©elbberlegen* 
heit unb hoch immer mieber obenauf, ©inmal mürbe bie Ser* 
jmeiflung fo grofe, bafe er mit Silla unb ©<hmucf auch ^>0® 
Etheoter in einer Sotterie, mie fie bamals üblich toaren, aus* 
fpielen tiefe; nach Söurjbach foH ber ©eminnet gegen eint 
IbftanbSfumme jurüdgetreten fein, nach ©h e ih ölieb ber 
Haupttreffer im unberfauften Slefte bet reifeenb abgegangenen 
Soofe. Sfuch baS SfinberbaHet hat hier einmal ben Sretter 
gefpiett, bis eS überhaupt berboten mürbe — in ominöfer 
Sejiehung ju Saunifc, ber auch ben unfchulbigen „©ecretären“ 
feinen Siamen geliehen h°t. ®ann maren eS mieber bie 
boHenbeten machanifchen HülfSmittel, bie Serfenlungen, glug* 
merfe unb Sermanblungen, melche bem Etheater an ber SBien 
eine jeitmeife InjiehungSfraft liehen. Manchmal mürben 
auch 9 r °fk Särmftücfe gegeben, ju benen fich bie äufeerorbent* 
liehe $iefe biefer geräumigften SBiener Sühne befonberS eignete, 
unb in „ÄaSpar ber jth or i n 9 et " lamen j. S. fünfjig ®t* 
harnifchte ju ißferb mit einmal jur (Stfdjeinung. $a$ 
„Siehftüd" mar aber etmaS ganj InbeteS, inbem nämlich hier 
itbiere bon ©chaufpielern gegeben mürben, unb jmar bor* 
miegenb Iffen unb Staubtljiere. ©o machte im SBinter 1823 
bis 1824 SDiaperhofer in bem SMobtam „®er SBolfSbrunnen* 
mit bem SBolfe grofeen ©ffect, bann übernahm er in „$unb 
unb Seoparb" ben Sefeteren, mährenb (Srfterer bon einem „un* 
münbigen Sruber ©afteüi’S" gegeben mürbe — fo hotten bie 
SBiener ein (Sitat beS thierf^uhfreunblichen jßoeten barürt 
SBie man fieht, lonnte fich boS „Siehftüd" auch mit bem 
„Hunbeftüc!" berbinben, melcheS nicht blofe hiftorifch früher, 
fonbern auch berbreiteter mar, in ber Xheatergef^ichte eine 
ganje „Hunbeperiobe" h etl, orgerufen hot; bie ©djaHfpieler 
haben fi^ inbeffen nie an biefe gelehrigen SRitfpieler ge* 
ftofeen, jmei SluSnahmen abgerechnet: ben SBeimarer ®enh — 
aus Siefpect bor ©oetlje — unb ben ©tuttgarter ©felait — 
aus Siefpect bor fid) felbft 

®aS in ben SBinter 1828 faHenbe ©aftfpiel beS Sefeteren 
bot übrigens eine ber menigen luSnahmen, mo baS Uheater 
an ber SJien bei ernften ©tfiefen nicht bie berlehenbc Seere 
jeigte. ^eigentlich h ätte haffelbe in baS Surgtheater gehört, 
aber ber $eQ, mit melchem (Sfelair feinen Sogei abfdjofe, nwr 
nun einmal bort berboten, obmoht Äaifer granj nicht begreifen 
fonnte, maS bie (Senfur gegen baS ©tüa höbe.' ®ie anbere 
Serfion, bafe ber ©aftfpieler megen feiner Ibftammuna bon 
bem gräflichen ©efdjtecht ber ÄhebenhüQer bie f. t Hofbühne 
nicht betreten bürfe, mar mofet nur als Sieclame auSgefprengt; 
ju gleichem 3ü»ed liefe Ißalfft) eine Stod)ure Hetmina’S „Sfelair 


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Die ®e$etttoart. 


299 


in SBien“ brucfen, pnb Wenn aud) baS entjünbltche ©emüth 
bet SSctfafferin nicht befannt wäre, müßte ißt Sob fchon 
aus biefem ©runbe mit ©orficht aufgenommen »erben. Sn 
SBa^tbeit ging bet ÜRtme, bem ade äußeren SRequifiten beS 
gelbenfptelerö in fettenem SRaße ju geböte ftanben, bantatS 
ftatf bergab unb war in feinet SRanitirtßeit bereits „Der« 
foffen". „@r ließ gar ju ftar! betDortreten, baß bie fRoUe 
für feine wertlje ©etfon, nicht er für bie SRoUe Dorbanben 
fei unb bie Sucht nod) Slbfonbcrtid) feiten tßat ber Äunft 
metflichen ©intrag, obroobt fie im 9lugenblicf ben Srfolg beim 
Raufen Derftärfte." SBar baS bamalS bei einem ernften 
Xorfteßer etwas StbfonberticheS, fo paßte eS -hoch ju ©alffq’S 
SCbeater nicht übel, welches nach einer rühmlichen ©eriobe — 
ungefähr feit jener Sotterie (1820) — jur ®ecabence über« 
ging. SBilhelm ©ogel, ber biefefbe aufeuhalten berufen »urbe, 
Wäre auch bei größerer ÜRacßtbefugniß baju nicht mehr im 
©tanbe geroefen, benn er fränfefte fcßon bebenflicf). @o frei« 
Ucb arbeitete er nur nach beS ©rafen Intentionen; fomifcb 
aber »ar eS, »ie er babei feine §artbörigfeit benufcte, benn 
wenn er etwas nicht böten woflte, fo »ar er taub, unb foflte 
et etwas nicht hören, fo Dernabm er eS gewiß, ©eine grau, 

a nb oor ©efunbljeit unb güfle, fab in ihren älteren 
n trefflich aus, mußte ftch aber Dorber in ber ©arberobe 
burch j»ei ^attbfefte ^auSfneqte jufammenfchnüren laffen, 
eine ©rocebur, welche lebhaft an bie golterfammer erinnerte, 
aber in Sßien feitbem mebr bewunbert worben ift. 2tn be« 
fannten 'Kamen Waren außerbem nur ber föelbenfpielet SRott 
ju nennen unb gichtner, ber als blutjunger 2Renfd) bie 
ßiebbaber gab unb eines „außeramtlichen" Derwanbfchaft« 
liehen ©erijältniffeS ju ©ogel befcßulbigt würbe. 

3m ßcopolbftäber Xh eoter waltete SRaimunb, beffen 
geniale ®arfteUungen unb glücflichen ©tücfe Don ganj Söien, 
ben -oberen wie unteren, gelehrten wie ungelehrten Äreifen 
gleichmäßig ^oe^gehalteit würben. $ln §umot war ihm fein 
©oflege 3gna$ ©djufter noch etwas über; wußte er hoch 
fogar feinen ©ucfel fo trefflich ju tragen, baß grembe manchmal 
meinten, er habe ihn fidj eigenS für ben Slbenb angefdjnaßt. 
«uch Don ber Siebe h°t et ihn nicht im ©eringften auS« 
gefchloffen; bamalS gerabe mar feine ßiaifon mit ber ©omteffc 
XeSfouS ©tabtgefprädj, welche fi<h jum ©erbruß beS SIbelS 
unb jum ©ergnügen ber Officiere wie beS ©ublicumS ben 
„roilben ©räfinnen" jugefeflt f) Q tte, wie man bie' feine 
Xemimonbe ju nennen beliebte. 3)ie SfroneS »ar eine anbere 
©pecialität, eigentlich eine ©pecialität für fid), eine über« 
müthige, lebenSfräftige, jügettofe ©cßönheit, bie jum DolfS« 
tfjümlichften ?(uSbrurf gebrachte ©t)iline. 3h te ©efc^ic^te 
mit bem polnifcßen Slbenteurcr SaroSjßnSfi, welche in jene 
3eit fällt, ift befannt genug; baß fie feinen ßßäracter nicht 
erfannte, war aber Derjeif) lief), benn er fpielte ben ©aDalier 
fo täufchenb, baß auch foltere ©etrachter ihn Don „anberen 
©aoalieren" nicht ju unterfcheiben Dermochten. Sille fotdje 
Xfjeateraffairen erregten baS lebhaftefte Sntereffe unb würben 
mit einer Unbefangenheit befprodjen, bie heute nur — ber 
SSBiener begreifen fann. dagegen giebt cS feine fdjlagenbe 
Analogie mehr für baS Seopolbftäbter Theater, welches baS 
etreue Slbbitb beS SBienerS unb ben unDerfälfcßten SluS* 
tue! feiner Stnfchauungen unb ©mpfinbungen Dorfüf)rte. ®aS 
Sofefftäbter bagegen trug baS ©epräge einer fleinen ©ro« 
mnjialbfihne; bort würbe SlüeS gegeben, ÜJiaria ©tuart unb 
bie XeufelSmühle, bie Ä'leinftäbter unb Ääthjhen Don §eil« 
bronn, franjöfif^e Suftfpiele, ©allete, ©antombnen, unb $fleS 
in einet gorm, bie jum ©urgtfjeater wenig ©ejiehung auf« 
Wies. 3njWifcf)en wollte baS ©orftabt=©ublicum auf bem 
Saufenben erhalten werben, unb fcßtießlich gehört auch baö 
|u einer X^eaterftabt, baß bie unteren Schichten Don ben 
bramatifchen ©enüffen nid)t auSgefchloffen bleiben. Saffen 
biefetben bann auch ju münfdEjen, etwas fontmt boch babei 
heraus, unb ift baS Sntereffe einmal rege, fo fteht ber Uebet« 
gang jum Sefferen ja offen. 


- Ra^bnuf »erboten. 

Golfes Spiel. 

SSon £outs (Eouperus. 

9lu$ bem ^ottänbifc^en. 

(Sortfejung.) 

-3m SBoubotr, einem Meinen fec^ecfigen ©aale, beffen 

®ctfe mit einem gflecfjtmcrf bemalt »ar, baD bie fiuft blau burebftbintmern 
liefe, unb »oran ja^llofe Jütten berumfletterten, »artete Siena, ©ie 
»ar Idngft fertig mit bem 9lu&fucf)en ber Silber, barunter Dielen nach 
SBalter Srane, beffen .Floral Feast 4 ber ftönigin ben Sebanfen ein? 
gegeben, bie fülle 3nfel bureb einen auägelaffenen SlumenbaH ju be^ 
leben. 3)a8 junge SWäbt^en liefe ben Süd träumertfdj über bie rofa 
unb gelben Sbr^fantbemensSoftüme fcb»eifen, afö ©dritte ertönten; fte 
glaubte, eö fei bie Königin. S)o^ e8 »ar ber tföntg, ber bie rofa 
©ammetportifcre, bie jwiftben ben ^bürpfoften bing, em^orbob. ^3b re 
9Wajeftät noch nid)t fax?“ 

„mn, HÄajeftät. 11 

„Slber fte fommt bo<b halb?" 

„S^b glaube »obl, Siajeftät." 

Sr näherte fidj ibr. „^Barum, aJlaj^ftät?" fragte er. 

S)a8 5Käb<ben erfebraf. *3$ weife nicht.. " ftammelte fte. 

„3)u nannteft mi^ bocb früher anberö, Siena." 

„Öritber?" fragte fte mit mattem ßädjeln; w ba» ift febon fo 
lange her." 

„9ttcbt fo febr; »ie lange benn?" 

„Sabre febon, Sttajeftät; aI3 »ir Seibe noch Äinber »aren." 

Sr^fiampfte mit bem Sufe auf unb fcbnaljte ungebulbig mit ber 
3unge. „®ör ; nun enblidj auf mit deinem ewigen ,9Rajeftät‘!" befahl 
er. w 9^enne mich SBlabimir." ©ie sögerte. w 9ienne mlcb SMabimir!" 
brang er in fte, faft brobenb. 

„3Blabimir!" ftammelte fie. Sr lächelte unb flaute fte lange, 
lange an; fte gitterte am ganzen Körper unb mufete ficb mit ber einen 
^anb feft auf ben $tfcfe ftü^en. ®abei waren einige Silber auf ben 
Soben gefallen, ©ie wollte ftcb barnacb büden. 

„Safe baS," befahl er. „3<b werbe fte aufbeben." 

„SRajeftät!" ... 

„Xeufel!" fluchte er unb brobte ihr mit bem &inger. „SBenn 
$u'8 noch einmal fagft... unb wenn $u biefe Silber aufbebft...!" 

©ie »ar gan^ rotb geworben, aber Derfucbte ju lächeln. $ann 
hob er bie Silber auf unb legte fte auf ben fcifcb- „3<b i>an!e Sbncn 
febr," fagte fte (eife. 

Unb »ieber blidte er fte an mit feinem übermütigen Süd eine« 
»ilben Knaben. w 3Ba«?" fragte er. 

„3<b ^ante 3b«cn, Ä wieberbolte fie in Serwirrung. 

Sr batte ftcb ingefefct. w 5Bie .. ,? Ä brang er noch einmal in fte. 

„3cb Derftebe ©ie nicht... ©ie fcfeer$en ja immer." 

^Slena," fagte er, „fomm mal ir ju mir unb gieb mir 
einen Äufe." 

„$ein, netn," wehrte fte ihn ab. 

„äomnt, fag f ich ®ir!..." ©ie fing an ju lachen, au« fterDo* 
fttät. „hierher!..." befahl er ihr, faft wie einem #unbe. ©ie fühlte 
ftcb fetne«»eg« berieft, benn fte batte ihn lieb, fo »ie er »ar, fo über* 
mütbig unb tbrannifcb; fte liebte feine Rohheit unb fühlte in ftcb eine 
feltfame SBärme. Unb fte fam näher. 

„Mber ... aber SBlablmir!" ... 

„äomnt, fef' 9)icb ju mix unb füffe mich. Slber fcbneU, fonft 
fommt Sfama." ©ie lam noch näher, unb plöflicb sog er fte an ftcb, 
auf feine $nlee unb fügte fte mit »Uber Seibenfdjaft. ©ie fcblofe bie 
Eugen, halb ohnmächtig. ,,©teb auf, fdjneli!" befahl er »ieber. „©cbneU! 
SWama fommt!" 

ßitternb erhob ftcb Siena; fte »ar noch gans berioirrt unb fcb»an!te. 


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800 


Nr. 19. 


Die Gegenwart 


©dritte famen näper. SIS bic Königin unb ©riani etntraten, machte 
pd) ©lena am Xifd) mit bett Silbern gu fc^affcn f mäljrenb 2Blabtmir 
ein ©oftürn betrachtete: ein |>arnifch mit Bornen unb 9fofen unb am 
$>elm ein groper nieberhängenber ©lüthenbüfdjel. „2Bie fänbeft Xu 
bieS für mid)?" rief er feiner SRutter gu. Xtefe batte erft auf ©lena, 
bann auf ihren ©opn geblidt. ©tmaS hämmerte in ihr auf mie eine 
Shnung. Sber pe antmortete nur: 

„9Jein, für Xtdj nicht, 2Blabimir, baSift gut für Xeine $agen." 

„9fcin, nicht luftig genug für bie $ogen," entgegnete er fdjToff. 
„gür ©agen ift bieS fytv hübfd), biefer 9ttohn; bie 92eger mit rothen 
£>üteu unb trommeln." 

„3dj mürbe Xidj fehr gern als 9?ofen!öntg jehen in biefem ©oftürn." 

„3a, ba$ märe reigenb für mich!" lachte er fie auS. „3d) banfe 
beftenS, baS ift mir gu fentimental." 

„Xann als ©onne, 28labtnür. Xu bie ©onne mit einem infolge 
non ©onnenblumen." 

„Xie ©onne?" überlegte er. „3u, aber in melchent ©oftiim 
beim?" 

©lena llatfd)te luftig in bie #änbe. „Sd) ja, bie ©onne!" rief 
fie entgüdt. „(Sure SJtojeftät als bie ©onne!" 3Pre Gingen begegneten 
©riani'S feft auf pe gerichtetem ©lirf, aud) bie Königin fah fie burd)* 
bringenb an, unb fo fuhr fie benn ruhiger fort: „Xeun baS CToftünt 
müpte fehr hübfd) fein!" 

„Sber mie?" fragte er. 

„XaS merben mir fehen," beruhigte ihn Slejranbra. „XaS lägt 
fich nicht mit etnemmal entfdjeiben. (Selber StlaS mit ©olb unb eine 
gvope Aureole um ben Hopf; unb bann nieüeicht ein ©onnenmagen 
ober fo Sehnliches." 

„Unb Xu als IHofe?" fragte er. 

„92eiit, liebes Htnb," Jagte fie lachenb, „ich banfe gleichfalls; mir 
fmb bie IRojen aud) gu fentimental, mie Xlr. ©Ijer als gelbeS ©ljrt)s 
fanthetnum." 

„Sch ja, flttajeftät!" jubelte (Siena. 

©riani lachte. „2BaS für Umfiänbe, biS alT bie tarnen ihre 
©oftüme h«ben!" 

„XaS mup noch ^eutc gefdjehen", entfehieb bie Königin, v ^cute 
Sbenb. SRorgen fonimt ein Regiment ©djneiberinnen. Suf alle gälle 
ift eS recht fpiepbürgerlidj, fo ein ©lumenball auf ©ayoS!" Unb fie 
lächelte bitter ivoutfd). „3*, t>ie ©ache mürbe ihr noch öiel 9J2ühe unb 
Svbeit machen, benn binnen einer 2Bodje mupte SHeS befchafft fein. 
Xie ©oftüme in einem ©efd)äft beftellen, baS moHte bie Königin aber 
nicht, benn fie mürben bann nicht fo merben, mie fie münfd)te. (SS 
follte SfleS unter ihrer perfönlichen fieituug entftehen, barauf hatte fie 
fid) nun einmal capricirt. 

Graupen crflangen ©chritte; bermorrene fröhliche ©timmen hallten 
mie ein Sßroteft auS her hinteren ©alerie. 2Han flopfte an bie. Xhür. 

„2BaS gtebt’S?" rief Slejanbra ungebitlbig. Xie Xhür mürbe 
borfichtig unb leife geöffnet, jßring ©bgarb hob bie ^ortiäre hod), unb 
bahinter mürben bk Höpfe ber Xamen pdjtbar. 

„Sber meine liebfte SRajeftät, maS foll benn baS?" rief er aus. 
„(Sine ©erfdjmörung ohne unS? dürfen mir benn unfere (Softüme 
nicht auch tnit aufehen?" 

„£eut Sbenb!" rief Slejaubra unb mieS ihnen bie Xljüre. 

UngufriebeneS Durren mürbe laut. „£>eut Sbenb, bor heut Sbenb 
nicht? 2Ba8 macht man benn jept hier?" 

„XaS geht Such nichts an. #eut Sbenb finbet bie ©eneraU 
berfammlung ftatt. 3*pt SJtorfdj unb fort!" Unb mit lautem £änbe* 
flatfchen trieb fie bie gange ©efeflfdjaft ^inauS, mie man einen Xrupp 
$ühner berfcheucht. ©bgarb protefttrte laut unb rüttelte an ber Xhüre. 
Xodj Sleganbra fchob ben Stiegel bor. 

„2Bir moffen aber fehen!" fdjrie ber $ring. 

„(SS ift noch nichts gu fehen, fort!" 

„2Btr mollen aber hinein!" Unb babei trommelte er mit beiben 


gäufien auf bie Xpiir. Slcjnnbra 1)1*6 ©lena mit einem SSWnf bie 
©ilber fortnehmen, fchnett, fchnell! bann fchob fte ©Habimir unb baS 
junge Räbchen burch eine anbere Xhür in ihr ©djlaf= unb Snflefoe* 
jimmer ... Xann gab fte ©riani einen SBinf, machte (elfe ben Stiegel 
jurüd, trat in ihr Snfleibejimmer unb berriegelte bie Xhüre. Xer Junge 
J^önig unb (Siena amüfirten fich h^rrlic^. 

„Wajeftät! 2Kajeftät!" riefen bie Xamen. 

„Xie Xhür ift offen!" hörten pe ©rin$ (Sb$arb rufen. 3«t felben 
Sugenblid öffnete er fte auch fchon, unb nun ftürmten SCle h*n*in in 
baS leere ©ouboir. SuSrufe ber (Snttäufdjung mürben laut, auch Ser* 
münfdjuugen gegeiu©riani, ber behauptete, er miffe nicht, mo bie Königin 
geblieben. 

„^inbifch!" rief (Sbjarb auS, „höchft abgefchntadt!" 

Sber bie Xanten magten nicht meiter gu bringen, obmohl ber ?rin^ 
pe aufhepte, unb fo traten benn Slle unter lauten ^roteften ben SRüds 
gug an, gefolgt non’©riani. 

„92a, ich banfe!" fagte Königin gu ©lena unb ihrem ©ohne; 
„menn mir fie hinein laffen, bann hot 3«öer oon ihnen eine anbere 
Meinung, unb bann mürben mir ja nie fertig. 2Bir beftimmen StteS 
feI6ft, mie eS fein foll. $unftum! 28er bamit nicht gufrieben tft, ber 
fanit fchauen, bap er meiterlommt." 

Unb alle Xrei, bie Königin in ber 9Witte, liegen pd) luftig auf 
einem Xiöan nieber unb bejahen pch bie ©ilber, mähten bie (Softüme 
unb entmarfen baS ©rogramm für ben ©all. Unb immer mieber be¬ 
rührte ber Honig mit feiner #anb bie beS jungen SfläbcpenS, meldjcS auf 
fchrieb, maS bie Hünigin ihm bictirte. ^lleyanbra^ ©ebanfen aber mellten 
gang auberSmo, als bei bem ©lumenballe. 

-(Sine gropc Unruhe, bie non all' ben ©orbereliungen 

auSging, erfüllte baS ©dpop: ©djneiberiitnen maren gefomnten, StelicrS 
mürben eingerichtet, unb bie Königin mar fehr befchäftigt, ba fie-SfleS 
felbft gu übermachen münfehte. (SineS 9)2ovgeitS gab pe ©riani ben 
Suftrag, eine grope Sngahl ©inlabungen gu fepreiben unb gu nerfenben 
nach aßen am SWittelmeere gelegenen Drten, ooit mo aus man binnen 
Hurgem ©a^oS erreichen fonnte. Unb obmopl pe gang anbere ©e* 
bauten im Hopfe patte, fühlte fte pch hoch fepr gefd)iueid)elt, als bie ge= 
farnmtc treffe einige Xage barauf ihren ©fumenball anffinbigte unb 
fogar fleine ©eheimniffe Oerrieth: bie 92amen ber hohen ©elabenen, bie 
eigens.gu biefeut gefte nach ©ajoS gehen mürben, uub als ihr ©djlop 
ber „3anbergarten ber fcfjönen nerbannten gürftin" genannt mürbe, bie 
bort ihre 9toandje in einem ibealen gefte nahm, ©ott fei Xanf! man 
begann pch alfo in ©uropa mieber um pe gu fümmern; bie hödff* 
8eit! . .. 

SIS pe eines 2J?orgenS ©riani noch eingelne 92amen Don Wenfdjen 
nannte, an meldje bie lepten ©inlabttngen gefchicft merben follten, ba 
fragte er fte: „$at ©eine SJJajepät benn noch immer bie Sbfidjt, nach 
Siparien gu gehen?" 

*3o, ich glaube eS," ermiberte bie Hönigin. „©S märe nur auS 
S)öflichfeit, meil mein ©ohn gerabe in ber 92ähe ift. Sber am ©ttbe ffi 
eS auch unuöthig. Xagu fommt noch ©tnS: üiparien ift nach ber flkuo* 
luttoit noch faum beruhigt, ©riani, ich habe 3h nen lüngfl einen ©or= 
fchlag machen mollen. SllerbiugS mürbe tch bann felbft ein gropeS 
Opfer bringen." 

„©in Opfer?" 

„So, 2Blabintit tft mit feinem ^rioatfecretär nicht gufrtdeu. 
Möchten nicht feine ©teile cinnchmen?" ©r berftanb fie gleidj. 
©ie gaben fich, maS ©chlauheit betraf, nichts nach- ©r begriff mit 
einem fKale, bap pe feiner überbrüfftg mar unb bap bei biefer Sn* 
gelegenheit noch etmaS 91nbereS auf bem ©piele ftaitb: maS, fomrte« 
noch nicht feftfteflen. ©ein ©erhältitip mit ber Königin mat femt 
fieibenfehaft, auch nie gemefen. Xie Hönigin hatte thn in einem SogUt 3 
bltd ber ßangemetle genommen, meil pe pd) gerabe in feine Sagen btt* 
liebt hatte, ©te mupte baS genau; er hotte einen gang befonberen 
unb biefer patte eS ipr angetpan. XaS mar SfleS. 9hm mar berlWj 


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Nr. 19; 


Die (Begennjart 


301 


berflogen. 3«ßt mar fein Stüde* ipr mit einemmal unauSftepllcp. 3eben 
Dag langmeilte biefer Siüden fie mepr unb mepr, mit jebem Dage brängte 
er ßdj ipren ©liden beutlidjer auf. Sr patte etmaS ©efcpmeibtgeS, fepr 
©ornepmeS, UnmtberfteplicpeS in ben Slugen, aber biefer Stüden...! 

„©epen Sie," fupr fie fort, „für micp märe baS ein Opfer, benn 
icp mürbe ©ie bann berlieren. Slber bei mir paben Sie feine 3utunft, 
bei ©einer SRajeftät aber mopl. Unb barunt mürbe icp mit greuben 
bied Opfer bringen." Sr bemeigte ßcp mit leiept ironifcpem Säcpeln, 
aber fein Sprgeij mürbe madj. SllS bie Königin Oerbannt mürbe, ba 
batte er nur fie gepabt, unb barum ^atte er ßcp auch an fie geflammert. 
Slber menn nun bie ©tettung eines ©ribatfecretärS bei bem $öntg in 
t£rage fam, ja bann atterbingS... „Unb beßpalb tonnten mir boep 
immer gute Sfreuube bleiben, niept?" fragte fie fcpnteicplerifcp. 

„Slber mie benft ber Äönig über mich?" fragte er mieber. 

„Der $önig mürbe ©ie fepr gern um ßcp haben." 

„©praepen ©ie bereits mit SRajeftät barüber?" 

„3<i, fo nebenbei." O, fie fonnte ipn rupig bem ©opn über* 
laßen; ihre ©epeimnlffe fannte ja ©riani nicht, benn bie fannte fein 
. SRenfd). ©ie fdjrieb feiten ©riefe unb beobachtete ungemöpnlidj Diel ©or* 
ficbt, auch berftanb fie meifterbaft, etmaige ©puren $u bermifepen. Stur ein* 
mal in ihrem geben, bantalS bei bem SRtntßerfcanbal in Dpracien, mar 
fie tpöriept unb unborßeptig gemefen ... Damals hotte ihr ©tern fie 
oerlaffen, aber fo ift baS geben, fo mechfeln ©liid unb Unglüd. Unb 
©riani, ber ihr, mie ße mobl mußte, in gemißer §inßcpt febr jugetpan 
mar, mürbe im Dienfte beS SfönigS ein ihr freunblicheS Element reprä* 
fentiren. Riffen ©ie auch, marum cS gut fein mirb?" fuhr fie fort. 
„Der Äönig ift jung unb immer geneigt, Dummheiten ju machen. 3<P 
• bitte ©ie, ©riani, geben ©ie Sicht auf ihn. SRelben ©ie eS mir, fobalb 
er mieber Dummheiten begehen miß. O biefer ©all, ich münfepte, er 
märe borüber! Der $önig ift burep biefe ©orbereitungen immer mit 
Siena jufammen." 

©riani lächelte, „©eine SRajeftät ift leiept ent^ünbbar." 

©ie $udte bie Stößeln. „Söenu cS meiter nidjtS märe!.. . Slber 
er ift — ich meiß niept, pat er eS bon feinem ©ater ober bon mir — 
er ift romantifep." 

„©eine SRajeftät romantifep?" 

„grinben ©ie baS nid)t?" fragte ße lebpaft. „Sntfinnen ©ie fiep 
niept, mie er jiingft behauptete unb niept babon ab^ubringen mar, baß 
nur einige römifepe tfaifer mirflicp ipr geben auSgefoftet hätten unb 
fonft fein SRenfcp ...?" 

„3cp nenne baS niept romantifd)." 

„©ietteiept ift eS etmaS SlnbereS. Slber Steua ift mopl romantifd). 
fie ift eS gan$ opne 3^eifel. DaS tput niept gut, baß bie ©eiben fo 
biel jufamuien ßnb." 

„3cp mage niept $u berftepeu, morauf Sure SRajeftät anfpielen." 
„Sluf eine Steigung, bie id) eutftepen fepe." 

©riani tnaepte eine nacpläfßge ©eberbe. „Unb maS mürbe b«S 
fepaben? Derlei fommt unb gept." 

„Stein, ©ie irren. 3a, menn ber Sfönig niept fo jung märe, aber 
io!-... Obmopl eS mir großes ©ergnügen maept, ipn pier ju haben, 
märe eS mir boep lieber, er märe fort." 

„©ie motten boep niept behaupten, baß ber tföntg eine ernftpafte, 
tiefere Steigung &u Siena näprt?" 

„Srnftpaft ober niept, icp bin feft babort überzeugt, baß er in 
biefem Slugenblide an eine ... an eine $eiratp benft." 

©riani fap fie forfepenb an. ©ie fonnte biefem burepbringenben 
©lide niept ©tanb palten unb manbte ßd) ab. Sr fepmieg noep immer, 
benn er patte niept ben SRutp, ipre gepeimften ©ebanfen perauSjupolen, 
boep glaubte er, ße ju erratpen. „Sure SRajtßät bermutpen," fagte er 
enblicp langfam, jebeS SBort betouenb, „Sure SRajeftät bermutpen, baß 
feine SRajeftät an eine ©erbinbutig mit Siena benfeit föunten?" 

„Sr pat mir noep niept babon gefpredjen, aber icp füple eS: er 
benft baran." 


„©oflte ber Äöntg mirflicp fo unbernünftig fein, fepon mit aept* 
jepn 3apren baran $u benfen, eine morganatifepe Spe ein^ugepen, bie 
ipn fieper jmeifelloS in Ungnabe ftürjen mürbe? ©an$ gemiß fogar, 
meil man in Stpatien feine ©erbinbung mit ber ©rinjefßn bon Sttprien 
lebpaft befürmortet." 

„Der ^önig benft niept fo meit, benn er ift berliebt unb im ©e* 
griff, einen tpöriepten ©treicp'ju maepen." 

„Diefer ©treiep fönnte ipn ©ieleS foften." 

„3a, aber mottte man ipn babon jurüdpalten, fo märe baS erft 
reept ein ©runb für ipn, biefe Dummpeit um jeben ©reis ju begepen." 

„Unb mie benfen Sure SJtajeftät fiep $u berpalten?" 

„DaS foftet mi^ eben einen fepmeren Äampf. ^mlte icp ipn ju* 
rüd, bann fe$t er eS burep unb ßür$t ßcp blinblingS in fein Unglüd; 
laffe icp ipn gemäpren, bann mirb ipn fein SRenfcp jurücfpalten." 

„3cp berftepe: Sjire SRajeftät münfepen miep jum ©ribatfecretär 
3preS ©opneS gu ernennen, bamit biefe £eiratp niept ju ©tanbe 
fommt." 

Sluf biefe lebten SBorte legte er einen befonberen Stacpbrud, mobei 
er bie Königin feparf ßjlrte. „3a", ftwaep ße leife, „©ie paben reept 
erratpen. SBenn eS niept fepon $u fpät ift. ^ier mirb feineSfattS etmaS 
gefepepen: bafür merbe icp forgen. Slber fpäter, in Dpracien, menn 
Siena $u ben SP^lQcn jurüdfeprt." 

„Siena feprt $urüd?ü" 

„SS mar fepon öfter bie Siebe babon; ipr ©ater fepnt fiep 
naep ipr " 

©ie fdjmtegen nad)benf(id) einen Slugenblid. Dann fpraep ©riani: 
„SBenu ©eine SRajeftät ßcp $u biefer unßunigen ^eiratp entfeplöffe, fönnte 
eS ipn feinen Dpron foften." 

„D ftitt, ftitt!" rief bie $ön*gin erregt, „©agen ©ie baS niept!" 

„3n Dpracien giebt eS eine ©artet, mefepe bie ©erbannung Surer 
SRajeftät auf baS 2ebpaftefte bebauert." 

3ept blidte SUeianbra ipn rupig an, urtb mepmütpig fpraep ße. 
„Siein, eS ift gut fo, mie eS ift: mein ©opn fott Äönlg fein. 3d) 
münfepe nidpt mepr $u regieren." SRit einem tiefen Don ber SBaprpeit 
patte ße bieS gefproepen. Unb fo blieb fie bor ipm ftepen in iprer, eine 
unauSfprecplicpe Söepmutp auSbriidenben Haltung, als pätte fie abge* 
fcploffen mit ber SBelt unb aller irbtfeper ©röße. Slber ein felneS 
fiäcpeln umfpielte ©riani'S fcpmale Sippen. Sr laS fo flar, fo beutlicp 
in iprer ©eele, als läge ße offen bor ipm: er mar ipr gemaepfen! Sr 
fanb bie .tfeprfeite eines jeben iprer ©orte perauS unb fanb, baß ße ipr 
©piel gar ju fein fpiele. 3 w* aff$u große fteinpeit mar fepon ein SRal 
ipr Unglüd gemefen unb mürbe ße immer berberben. S?ur über SineS 
mnnberte er fid) aufridjtig: fottte ber Äönig benn im Srnfte an biefe 
£>eiratp benfen? Slber er rieptete feine Srrage mepr an ße, benn er 
mußte mopl, baß er ipr niept gar $u fepnett in bie farten fepen bürfe. 
Unb fo fagte er nur, ipr bie £>anb füffenb: „3cp merbe ftetS Surer 
SRajeftät ergebener Diener bleiben." Sr neigte ßcp über ipre $anb, 
unb mieber fap ße feinen SHiden, biefe untevmürßge Sinie, bie ße 
nerböS maepte. ©ortfepung folgt.) 


jlu$ bet ^auptflabt. 


Der ©tabt ©erlin feplt eS niept an etnem ©alon, barin ße Äaifer 
unb Könige empfangen fann. DaS ift ber ©arifer ©laß. SlbelSpäufer 
im altmärfifcpen ©Ule umftepeu ipn; man fiept pier unb bort noep ben 
eigenartigen, fätilengetragenen ©orbau, ben unfere Sunfer au tpren länb* 
liepen ©opnßßen lieben. Sfiemanb merft eS ben fcplicpt bomepmen ©c* 
bäuben an, baß bie moberne 3*1* ß c jum Dpeil iprem früheren 
©erufe entfrembet pat, baß etliche bon ipnen ftatt greifet ©ranbeu unb 


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302 


Die O&egettwart 


Nr. 10. 


Blonbcr gretfräufetn Beute Actiengefetffcpaftett unb bewegliche ^oepftnanaer 
beherbergen. ©o neuberltnifdber Särm immer über ben alten $lap pin~ 
mögt, bie jurüdpaltenbe IRupe, ben ©Bataver freunblicp=felerlicper ©tWe 
Dermag er iBm unbjeiner Arcpiteftur niefit ju rauben. digentlicp wäcpft 
au<B Beute nocB ein bipepen ©raS jwifepen ben Steinen, wie e$ fiep für 
jeben rieptigen ©djloppof, ben niefit ^retfii unb Sßletfii betreten Dürfen, 
gejiemt. #errlicp muß eS fein, Dom Spiergarten ficr f ber jefct im burcp= 
fieptigen ©olbgrün beS jungen ÜÄai ftefit # Durch baS Branbenburger Spor 
aum erften 2Ral einen Bild in bie ©tabt $u werfen. Sa beBnt fiep bie 
breite geftftrape, bon beren flimmernbem ©rau jwei ©cpnüre grüner 
ßinbenbäume malerifcp loSgepen; ba öffnet ficfi bie prächtige gernfiept 
auf baS Iebenbig bewegte ©tabtbilb. Unb man gentept fie läcfielnb wie 
Dom Altane eines märftfdjen dbelpaufeS auS . .. 

Aber bie fcfiöne SBirflicfiTeit ift nie tpeaterwirlfam genug. SRoberne 
Brunfftüde Derlangen auch grell gefepmtnfte ©cenerien. 

Sem Branbenburger Spore gegenüber ift*ein ^weites ©tabttfior 
aufgetBürmt toorben, mit mächtigen ^oljgliebern, pruitfenben Balbacpinen 
in fcpwiitbelnber £>öpe, gewollt plumpen 3^uen recptS unb ltnfS. Sie 
ßorbeetbäume, bie baS ©er! IrÖnen, fcBeinen benfelben Sienft fepon beim 
Dergeffenen „£>auptpalaft" ber Dergeffenen berliner ©ewerbe^AuSfiellung 
getpan ju Baben; bie prunfenbe Berfleibung, biefe Waffen Don buntem 
Sucp, Berfcpnürungen, fcpabloniftrien Soppefablern unb Dor allem biefer 
blinfenbe Ueberflup an billigem Broncegolb maepen ben dinbrud, als 
pabe ein beliebter fRamfepbajar baS ©anje in dntreprtfe genommen unb 
ber Bpantafie feiner jungen ©cpaufenfter*Secorateure bie Bügel fepiepen 
laffen. Älofcige ObeliSTen mit fcpreienb buntem, palb Derfcpliffenem 
Blumenfcpmud ftelfen fiep wie doultffen Dor bie grauen Käufer unb jer« 
ftören, waS Don ber ftrengen Harmonie ber Sinie noep übrig geblieben 
ift. ©ie maepen ben breit auSlabenben Blafe fcpmal unb engbrüftig, fie 
bewirten, bap baS Branbenburger Spor Derlegen unb unmaprfcpetnlicB 
auSfiept inmitten alT biefeS tpeatralifcpen ©cpetneS. 

* 

&err Äirfcpner ift ber reefite 2Rann für Berlin. Seinesgleichen 
fiätte niept ein DolleS 3apr lang unbeftätigt bleiben bürfen. ©unberbar 
repräfentirt er bie SRetropole ber greifinntgen Bereinigung, bie ihren 
Trieben mit ßrone unb ^Regierung gemaept pat, weil opne Strone unb 
^Regierung nlcptS für bie glorreicpen Sbeale ber Partei $u erreiepen ift. 
©aS £err Äirfcpner tput, um bem gebietenben ftaifer feine drgebenpeit 
ju jeigen, baS fiifirt fein £>ofmann beffer auS. Qm ftrömenben SRegen 
grübt er barhaupt ben peimfeprenben ^errfeper, unb im ©onnenbranbe 
parrt er, nerDöS jitternD, boep gebulbig an ber ©pifte feiner ©etreuen, 
um bie beorberte geftrebe pünftlicp an bie Abreffe beS Derbünbeten 9D?o* 
narepen ab$uliefern. Qwar erbofte fiep baS waprpaft liberale Bürger* 
tpum über bie SRapen, als fein drwäplter fo Diele qualDoüe Monate 
pinburep DergebenS beS taiferlicpen BeftätigungSfcpretbenS parren mupte, 
unb poep auf loberten bie glammen mutpigen BonteS, als bie Urfacpe 
ber Berjögerung befannt würbe. <Rut eines faepten ftrafcenS bebarf eS, 
um bie antiropale ©efinnung beS SReuberlinerS unter’m girnip perDor* 
treten ju laffen. ®ocp folcpe Slugenblicfe ber UnDorficptigfeit gepen rafcp 
Dorüber. Opne bafj ipm S^atanb wiberfproepen pätte, tonnte $err 
^irfepner neuliep ben ©tabtDerorbneten ertlären, ber 9Ragiftrat pabe 
niept nur auf baS portal für bie SRärjgefatlenen, fonbent auep auf bie 
Anbringung einer funplen ©ebenftafel Dergicptet, obglei(p bafür feines 
(SracptenS leine BerbotSgrünbe pätten geltenb gemaept werben fönnen. 
Aber man wolle jebem neuen (Sonflicte, felbft jeber (SonflictSmöglicpfdt 
aus bem B3ege gepen. $er Berliner ©emeinberatp ftimmte feinem 
Obriften fcpweigenb ju. 9?ur bie UnDerföpnlicpen, ber couragirte Berg 
nur pielt naep ©eplup ber ©tfcung eine gepetme 3«fanimentunft ab, 
worin befcplpffen warb, am näcpften 18. SRärj als B^icpen beS unge* 
broepenen greipeitSfinneS unb ber unauSlöfcplicpen 3)anfbarleit ber Be* 
Dölterung einen niept ju tpeuren Äranj auf bie ©ruft ber SRärjgefaflenen 
legen $u laffen. ©elbftDerftänbltcp anonpm ... 

♦ 


9JHt Qntereffe laufepten bie beiben Äaifer ben per$li<pen Begrü&ungS- 
Worten beS OberbürgermeifterS. BefonberS gran§ gofef liep fein Äuge 
Don ipm. dr pat bapeitn einen Bürgermeifter, beffen bpnaftifdje Xvtnt 
jwar jeben ©türm überbauem würbe, ber jeboep mit unbequem gäpem 
Xrof fein DermeintlicpeS 9tecpt gegenüber ber fatferlicfien Regierung 
5 U Derfecpten gewopnt ift unb Don ^irfcpner'S doncllianj noep OTeS 
lernen fönnte. Bielleidfit badfite granj Qafef auep ber faum Derfloffenen 
2age, ba im SBiener SReicpSratpe bie beutfefie Obftruction mit Stinten* 
fäffern jonglirte unb alle mapgebenben Berliner Blätter ben nwpl* 
meinenben SRonarcpen felbft für bie peillofe Berwirrung Derantwortll^ 
maepen wollten, damals regnete eS feparfe unb unfreunblicpe ©orte, 
bamalS galt ber Beftanb beS S)reibunbeS als ernftpaft bebropt, unb bie 
Berliner Bttff* baute ben parlamentarifcpen geinben ^abSburgS ragenbe 
Altäre, ©o grop war ipr §ap, bap bem wilbeften SRufer im Streite, 
^>erm Ä. ©olf, fogar fein antifemitifcpeS ©elüfte naepgefepen unb 
er als 3ung ©iegfrieb ber beutfepen ©emeinbürgfepaft bergöttert mürbe. 
Unb nun Dor wenigen Sagen pörte grau$ 3afef im tarnen Berlins 
ein fcpwärmerifcpeS ßtebeSlieb an fein Opr Hingen: 

Surcp unfre poepgebauten fallen 
3iepft, poper ^err, gebietenb ®u perein. 

Sap einen ^weiten ©iütomm Sir gefallen: 

3n unfre ^>ergen, lieber $err, tritt ein. 

©ir möcpten Sir ein 28ort, ein einiges, fagen, 

SaS man niept taut, nur leife fagen barf, 

Sap Suft unb ßeib, waS jemals Su getragen, 

Sen ©iberpaH in unfre $er$en warf. 

Socp weil bie $er$en f^weigen, wenn fie lieben, 

©o fei bie ftumme Blume unfer 9Runb ... 

„©epr fcpön, fepr fdpön," fagte bantbar ber greife gürft, maS fiep 
fidfierlicp niept auf bie gorm beS ©ebicpteS bejog. BieHeicpt audp niept 
einmal auf bie ©eftnnung. Am dnbe wollte er nur bie woplgelungene 
SpeaterDorfteÜung loben, bie Berlin ipm ju dpren gab, bie grell bfr= 
malten Berfafcfiüde unb ^rofpecte runbum, bie fcpmeljenben Arien ber 
Sänger unb Sängerinnen. 

* 

„SBaprlicp, biefer Bunb ift niept nur eine llebereintunft ber @e= 
banten ber gürften, fonbem je mepr unb mepr er beftanben pat, pat 
er fiep tief eingelebt in bie Ueberjeugung ber Bölter, unb wenn erft bie 
$erjen ber Bölter gufammenfcplagen, bann tann fie nichts mepr au& 
einanberreipen." ©o feierte im Srinlfprucp ©ilpelm II. ben Sreibunb, 
unb fein faijerlicper Berbünbeter nannte antwortenb bie AUianj ein 
Bollmerf beS griebenS. ©eitbem gilt ben Siefblidenben, bie trof ber 
erpöpten $oftgebüpr in fepöner ©elbftertenntnip ben AbonnementSpreiS 
für ipre SBelSpeit no^ immer perabfepen, ber Sreibunb wieber einmal 
als gefidfiert. AHer ©arineDorlagen ungeachtet bleibt unS ber ©eit- 
frieben erpalten, unb mit ipm bie günftige Börfenconjunftur. 

dinen minber optimiftifcp geftimmten S^ftpauer, ber Don befepefe 
benem ©allerieplap auS baS farbenprächtige Speater mit erlebt, mag 
leifer 8ro e if e f an & cr geuerfeftigfelt aller douliffen befcpleicpen. Sem 
Sreibunbe leifit Bebeutung niept bie felPftlofe Abficpt ber dontrapentm, 
ben fepönen grieben ju erpalten, fonbern bie allgemein betannte Spatfa^e, 
bap fte einanber gegebenenfalls mit ber ©affe in ber gauft unterftüpen 
werben. Sie geftigteit biefeS BoltmerlS, ber fRefpect, ben bie ©eit Dor 
ipm empfinbet, pängt einzig unb allein Don ber UriegSftärfe feiner Ber- 
tpeibiger unb ber Schwere ber Belaftung ab, bie ipre BunbeStreue er* 
tiägt. 9tfocp ift folcpe BelaftungSprobe niept gemaept worben. Socp 
tann ipr taum 3emanb mit unbebingt fiegeSficperem Bertrauen entgegen« 
fepen. 3m öfterreiepifepen fRetcpStage paben bie Parteien, Denen ber 
Sreibunb unbequem ober fogar Derpapt ift, unbeftritten bie Oberpanb. 
Ser tfepeepifepe Sauerteig pat bie ^Reprpett wieberpolt peftig aufgerüprt 
unb $u ^unbgebungeu Deranlapt, bie einen BiSmard Dielleicpt bebentlicp 
gemaept pätten. ©eher bei ben bit bem ©rafen Spun ©elegen* 



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Die ©egetuoari. 


303 


I tt ju feiner famofen, letber im ©oncept beworbenen ©eciprocttät«s 
ebe gaben, noch bet bem öfterreidjtfdjen ©entrurn unb ihren SBählers 
Kiften ifi ber S)reibunb8gebanle jemals populär gemefen. S)ie &er$en 
r ©öller miffen nichts oon thm. 3h« flügften Sü^rer Oerlemten 
ine materiellen 5Sort^eiIe nicht, aber tfjre empfinbfamen Regungen 
Iten anberen ©egenftänben. 

S)e« geehrten publicum« halber gtebt man ©ernunftehen gern für 
ebe«hcirathen aus. Unb ber gemixte Sttplomat unterfdjäpt bie 3m* 
mberabilien nicht, trachtet bielmebr banacb, ben Anfcpein $u ermeden, 
8 befeuerten fie juft feine SBagfcpale. S)ie ©djmäche be« S)reibunbe8 
igt barin, baß bon ben brei bereinigten ©ölfern gtoei unb ein halbe« 
jentlid) nichts bon ihm toiffen tooHen. ©8 ift leine geringe Äunft, 
n unter biefen Umftänben al« ©djlufceffect einer herabemegenben, ju* 
Ittbe ©egeifterung auSlöfenbett ©alasOper ju Oermenben. Unb ich 
tute bon ben Sebenben Wietnanben, ber fid) mirflidj auf biefe $unft 
rftänbe. 

Auf bem $ur ©üpne umgetoanbelten ©arifer Sßlap fcpmlrrten bie 
oppelabler an ben §ol$bogen unb $ol&obeli$!en ju ^unberten umher, 
tb ©chmar$s©elb mar bie ©runbfarbc be« baburch ein bifcchen ftumpf 
tb unfroh gebliebenen S)ecoration8prunfeS. Stofe bie ©erliner gefttage 
ne Apotljeofe beS S)reibunbe« bebeuteten, bafe mir unfagbar glüdllcp 
tb aufrieben feien in ber thurmhohen F«unbf<haft mit Oefterreidj, bie« 
sttmotto Hang immer Oon feuern in ber ©artitur auf. Alle ©oliften 
itb ber ganje joumalifiifcfje ©hör fangen biefelbe ÜÄelobte. S)ie Sßferbe 
r ©djupleute mieherten, bie ©loden läuteten, ba« entjüdte ©olf fdjrte 
urrah — noch nie juoor hoi bie Aufführung fo gut gefloppt. Fuft 
eit man'« für eine unlünftlerifche ©törung, al« mitten in ber fchmel» 
nbfien ©antilene bie Äunbe Oon bem Stelegrammmechfel amlfdjen bem 
ntfehen Äaifer unb bem ©icefönig oon 3ubien erfchoH. SMe Allianz 
e £>err ©hamberlain beim Steup & ©elbermann fchmörmerifch begrünbet 
itte, marb beträchtlich gefeftigt burch ba« tiefe 9Ritgefühl, ba« ©erlin 
- mW fagen, eine £anb ooll ©erliner ©iefenfirmen — für bie Oon 
nglanb in ©runb unb ©oben regierten, ausgehungerten Subier empfanb. 
iefe halbe SRlüion fam ben ©nglänbern um fo überrafdjenber, al« fie 
rerfeit« noch nie eine 3Rarf für 3ubien gegeben haben. Unb fie 
littirten banlenb. ©ine Allianz auf ber ©runblage, bie bie ©crliner 
anfierfpenbe fo hübfeh fpmbolifirt, ift ihm burdjau« angenehm. Steutfdj* 
ttb fpenbet benen milbe ©oben, bie ba« eitglif^e SRaubfpftem in ben 
ungertob treibt; Steutfcplanb §ahlt, mo ©nglanb einfädelt. Ob aber 
ben in ber glanjoolten SteeibunbsOper SRitmirfenben unfere Opferungen 
» an 3<>bn ©uü'8 Altar nicht auf bie SRerOen fallen merben? SBir mühen 

■ un«, fofte e«, ma« e« molle, eine neue Attianj ju ©tanbe $u bringen, 

mährenb mir bie alte btthprambtfch preifen. ©8 merben foftfpielige An? 
Raffungen, au«gebehnte föeclame mirb für ein neue« ©tüd gemacht — 
alfo geht man hoch emftlich mit ber Abficht um, ba« alte halb üom 
©pielplan ab$ufepen. 

* 

Ster ^räfentirmarfch ift intontrt morben, jurn 8 a Pfenft«ich 
brängen ftch fchwarj mimmelnb 3^«taufenbe, unb in baS impofante 
■ (Skmühl funfeit ber neue S)om, beffen mei^e Ouabem bengalifche« Steuer 
: umfpielt. 3« geifterhaftem ©runf fchimmert be8 alten 2Betjjbart$ un^ 

toilhelminifche« S)enfmal, mährenb am oberen ©nbe ber fjrefiftrafee, auf 
• bem ©ranbenburger bie ©ictoria funfeit. SBelche ©ühne fann 

* fteft eine« eyacter arbeitenben Apparate« rühmen? S)ie ©cheinmerfer= 
* (Einrichtung ift über alle SReininger^Xechnif erhaben. Unb curio« — 
ba« berbe ©ouliffenmerf be« ©arifev ^ßlape«, all' bie tobte Xheateret, bie 
| üorhin, al« gefunber, h*lfcr ©onnenfehein nieberriefelte, ihre auf bring- 

j Uc^e Unechtheit freifchenb in bie SBelt fchrie, fie nimmt fuh jept, in ber 

cffectooll fünftlichen ©eleuchtung, ganj erträglich au«, medt jept 3üu- 
> fronen, bie fie üorhin jerftörte. 2Ran follte eben ©ala^Dpem nie bei 
5 Xage fplelen. Caliban. 




„Allgemeine« ©anbbuch ber Freimaurerei" (öeip^ig, 9Raj: 
$effe'8 ©erlag). S)a« ^anbbuch erfdjeint al« britte Oöüig umgearbeitete 
Auflage Oon Senning'8 „©ncpflopäbie ber Freimaurerei" unb al« neue 
Auflage be« „Allgemeinen ^anbbuch« ber Freimaurerei". S)a feit be« 
lepteren ©rfcheinen brel&ig 3ohre oerfloffen fmb, hat Ttd) mancherlei oer= 
änbert, bie gefchichtliche Forfchung ift meiter fortgefdjritten, unb ©icle« 
jeigt gegenmärttg ein anbere« ©epräge. ©« ift in ber ftauptfache ©iid* 
ficht auf beutfehe ©erhältniffe genommen, ohne bafe ba« AuSlanb, namenU 
lieh in &er gefchichttichen ©ntmidelung, oemachläffigt märe. SBeggefallen 
fmb aber bie au«länbifchen Orte mit nichtbeutfchen Sogen, mährenb um- 
fomehr Aufmerffamfeit ben beutfehen Sogen unb ihren ©rofjlogen ge= 
mibmet morben ift. ©ei ben SebenSbefdjretbungen ift in ber ftauptfadje 
ber freimaurerifchen Shätigfelt gebacht, bie fonftigen SebenSbejtehungen 
fmb nur furj berührt unb, mo fie fonft leicht ju erlangen finb, ganj 
meggelaffen. ©orjügliche ©eachtung haben bie etlichen ©ejlehungen unb 
bie ©inrichtungen ber Freimaurerei gefunben, fo meit folche allgemeine« 
Sntereffe haben. S)le SteirfteHung ift auch für ba« .©erftänbnife ber 
nichtmaurerifchen SSelt berechnet. 3)er Freimaurer mirb eine reiche 
Funbgrube ber ©elehrung finben, mie fie ihm fonft faum anberSmo 
geboten erfchelnt. Alle« ift auf ben neueften ©tanb gebracht morben, 
unb eine 3Renge neuer Artilel fmb eingefügt, bie für eine gerechte ©e^ 
urtheilung ber freimaurerifchen ©adjlage nothmenbig fmb. ©8 mirb 
mit ooüer Offenheit bie gefchtdjtltche ©ntmidelung ber Freimaurerei bars 
gelegt unb felbft beren ©erirrungen nicht oerfchmiegen, benen jebe« 
SRenfchenmer! mehr ober meniger au«gefept ift. 8ugleich ergiebt ftch au« 
ber ©ehanblung ber Inneren ©eftaltung be« ©unbe« unb feiner ©in= 
richtungen, bafe biefer fein geheimer ©unb ift, al« ben man ihn oielfach 
noch heut* htasuftellen fudjt, unb feine ibealen Siele unb ethifch=reli= 
glöfen, mahrhaft erjieherifchen ©ebräud)e treten in'8 re^te Sicht unb 
thun bar, ba& ber Freimaurerbunb meber bem ©taat, noch ber ftirthe 
feinblich gegenübertritt, beibe oielmehr förbert unb unterftüpt unb noch 
gegenmärttg eine ©Inrichtung bilbet, bie, mie Fichte etnft fagte, ebenfo 
nüplid), al« münfchen«merth für bie 3Renf<hheit im Allgemeinen ift. 
2Bir lommen auf ba« im ©rfcheinen begriffene SBerf nach feiner ©oßs 
enbung jurüd. 

©riefe ber3Rabame Strome ©onaparte (©lifabeth 
^atterfon). §erau«gegeben Oon £>enrp$ßerl. (Seip^ig,©chmibt&©ünther.) 
S)ie romantifche ©eirath oon 3Ri6 ©atterfon au« ©altimore mit bem 
jüngften ©ruber Napoleon'«, fomie ber traurige AuSgang biefe« halb 
gefchtebenen ©hebunbe« ift allgemein befannt. S)te hier oeröffentlichten 
©riefe ©lifabeth« an ihren ©ater mürben in ben ©iebjigerjahren beim 
Abbruch be« oäterlichen £>aufe8 in einer SRumpelfammer aufgefuuben. 
©ie geftatten un«, einen ©inblid in bie glänjenbfte ©poche biefe« Flauem* 
leben« $u thun, mo Äönige ihre ©efanntfehaft fuchten unb Fügten fuh 
um ihre gfteunbfchaft ftritten. ©8 mar eine echte Amerifnnerin, energifch, 
OergnügungSfüchtig, ehrgeizig, jumeilen auch geizig, smart, emancipirt 
unb hoch tugenbhaft, aber jiemlich h^^lo«, fogar ihrem „entarteten" 
©ohne gegenüber, Oon bem fie fidj fofort loSfagte, al« er ihre hohen 
$Iäne burch feine Siebe«heirath mit einer amertfantfehen „ÄrämerStochter" 
jerftörte. ©ie ftarb, 94 3ah*e alt, 1879 ju ©altimore. S)ie Uebers 
fepung ift bi« auf einige Auftriact«men (am Sanb, am ©ontinent) 
fehr gut 

flürfchner’8 Siteraturfalenber, ben mir in einer furzen 
Aotij über ein ©oncurrenjuntemehmcn al« „menn mir nicht irren" eins 
gegangen be^eichneten, ift auch in biefem 3ah^ pünftlich erfchienen. 3Bir 
entnehmen biefe Nachricht einem launigen^roteftfchreiben unfere« Fteunbe« 
Äürfchner. Unfer 3^rthum rührte baher, bah & a « oertraute 3u0entar= 
ftüd unfere« IftebacttonSttfcheS jum erften 3Rale nach smanjig 3ah^n 
un« nicht mehr jugeaangen mar, — ohne ßmeifel eine Folge feine« 
Uebergange« au« Äurfchneri« ©elbftoerlag in ben ber Setp$iger Finna 
©. 3- ©öfchen. 2Bir münfd)en ber Oerbienftlichen ©chöpfung $ürf<hner'8 
ba« fprichmbrtliche lange Seben ber fälfehlich Xobtgefagten. 


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G o }gle 


304 


5 D t e ©etjentnart. 


Nr. 19. 


Jtngeigen. 

Sei BePEUungen beruhe man prfj auf btc 
„(ÄegMuoarf". 


... 


imaiii!iiuiiisiii;i;iii:;:;i:;üa:fa:ua;iiiiiiniiuiiimuiiiiiiiiiuiiii ; ;i. 


itianurdt 

im 

Urteil 

ffiirr 3 (itjewffe«. 


$unbert Original * ©n tagten 
u. ftreunb u. frehtb: »jörnfon 
»ranbeS »ücfjner C£rtdpi $abn 
2>aubet ffigibb Montane ©rotb 
tfaecfel Cartmann §et)[e 3or* 
ban Ätyltng fieoitcatjano Sin= 
bau Sombrofo BWefc^tfdberöfi 
97igra Vorbau OHlaier fetten* 
fofer ©attSburt) ©tenfietoici 
©inton ©benccr ©pielbagen 
©tanleb ©toeder ©trinbberg 
Suttner ©llbenbrudj ©enter 
Bola u. b. Ä. 

l Perl«« ber 6«am wart. 


©leg. gef). 2 SRI. bom Perl«f ber 6efetn»«rt, 


»erlin W. 57 . 


!' i:ll]li!!i!lilif!lllümil!IWI|| 




Bad Reinerz, 

klimatischer, waldreicher Höhen -Kurort — 568 Meter — in einem 
schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Glatz, mit kohlen&äurerelchen Eisen-Trink- 
u. Bade-Qnellen, Mineral-, Moor-, Donche- u. Dampf-Bädern, Kaltwasser-Procednren, 
ferner eine vorzügliche Molken-, Milch- u. Kefyr-Kur-Anstalt. Hochquellenleitnsg« 
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmungs- u. Veidaunngsorgane, zur Ver¬ 
besserung der Ernährung u. der Constitution, Beseitigung rhepmatisch-gichtischer 
Leiden u. der Folgen entzündl. Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang Mai« Prosp. gratis. 

Königliches Bad Oeynhausen. 

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bi§ (Snbe Seht. Alinterfur vom 1. Cft. bi$ Witte Wai. Ätttmittel: Aftturtv. foblenf. Xbctmalbäber, 
©oolbäber, 6ooI=3itfjalatorium, ASeßenbäber, (örabirluft, Webtcomecban. ganberinftitut, 9Röntgen= 
fammer, vorjügl. Wolfen- u. Wild)fnranftalt. Sieued fthermalbaDebauö am 15. Wal lOOOerdffttft 
Jnbifattonen: ßrfranfungen ber Heroen, bed ©ebirnS u. ßiücfenmarfd, ©idjt, u. ©elent* 

rbeumatiSmuS, 5)erjfranff)ei(en, ©fropbulofe, Anämie, ebron. ©elenfentaiinbungeu, Swuenfranf^. ic. 
flinfapeße: 42 Wufifer, 120 Worgen tfurparf, eigenes äurttjeatcr, Säße, $on*erte. Allgemeine 
Atofferleit. n. ©cbroemmfanalifation. $ro[p. u. SBefdjreibung überf. frei bie ftgl. ©abeVeNPültung. 


Oesacht 

ioirb ein JUbaciettr für eine 
berliner grauenaeitung. £äglkb SSormittagö 
brei ©ureauftunben. Scrtjreögebalt 4800 War! 
unb jährlich gmeimal vieren £age Serien. 
Angebote mit Angabe bisheriger $ebactionS= 
Stellungen nnb perfönlicber mie brieflicher 
©djriftftefler=$Bef an ittf duften unter U. II. 972 
bureb Waasenstein & Vogler, A.-G«, Ber¬ 
lin, W« 8. 


©erlag Don SBiUjelm §ev<5 in ©erlitt, 
©oeben erfebien: 

#eorg non ^uttfen. 

Sin (Sbarafterbilb aud bent Säger ber 
©efiegten, gegeidjnet non feiner Xodjter 

Pari« tum Ottttfen. 

22 Sogen Oftav. 

Wit 33ucbfcbniuc! hon Warie Don SBunfen 
unb einem Porträt in Heliogravüre. 
(Geheftet 6 W. ©ebunben 7 W. 


Afab. geb. ©dbrlftfteßer, bföb- H^hlicift. 
(liter. Sritif) in Berlin tbätig, energ. geioiffen= 
Hafte AvbeitSfraft, Vorj. ©praebfenntniffe (fran- 
Jöfifcb, engltfcb), trerfeftcr etenograpb, 
SRafdlitienfchreiber (Hamntonb), fud)t unt. 
befch. Anfpr. in fRcDaftton, $tjcafterjcf retariat, 
5BerU©udjbblg., litcrar. Snftlt. k. ©teßung. 
Offert, an b. fejp. b. ©egenroart unt. A. Ö. 

Stottern 

heilen dauernd Dir. Denhardt’s 
Anstalten Dresden -Lo schwitz und 
Burgsteinfurt r Westf. Herrl che Lage. 
Honor. nach Hei lg. Prospecte gratis. 
Aelteste staatl. durch S. M. Kaiser 
Wilhelm X ausgezeichn. AnsL Deutschi. 


Manuscripte. 

3ur $erlag3übernabme von Wanu^ 
feripten bifiortfdier, poütifcber, fd)ömviffen= 
fdjaftlidjer *c. Dichtung empfiehlt fid) bie 
SBerlagSbucbbanblung hon 
Richard Sattler, grtmnfiijrodg. 
(ÖJegrünbet 1883). 


„Bromwasser von Dr. A. Erienmeyer .“’S 

Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitsersohelmmgen.' 
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürliohem Mineralwasser hergestellt und dadurch 
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der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Bhein). Dr« Carbach A Cie. j 


$te Segentoart 1872-1892. 

Um uafer £ager ja räunua, bietta mit tmjemt äüuajuuatcit tuu gfiaBiy 
(Gelegenheit jnr ©erbollftänbigang ber SoHtctton. @o weit ber ©orratlj rei^t, 
liefern wir bie Jahrgänge 1872—1892 ä 6 St. (ftatt 18 ®t.), $albia^rt> 
Sättbe ä 3 SW. (ftatt 9 ÜJ7.). Sebnnbene Jahrgänge k 8 SR. 

»erlag &ct ©egetttoart in »erlin W, 57 . 








v 1f A lp y\ ir y 


— Thlrlifflsthu | 

Technikum Jlmensn I 

flr luüiiu- kbI Ikklre- 
Inyiilur t, "THliftor t.-W>r ta<iit>rJ 
Director J«atzen. ■ 


fisnatihs Kaijifolgrt. 

9 iomatt 

Von 

^oCCtttg. 

'WW 9elbaafg<ibe. *e| 

$rcid 3 Warf. ©d)ön gebunben 4 War!. 

2)iefer S3iSmarcf=ßaprivi-Vornan, ber in 
ivenigen fahren fünf ftarfe Auflagen erlebt, 
erfebeint hier in einer um bie Hälfte bißigeren 
93olf§au8gabe. 

^)urcb afle Sucbbcmblungen ober gegen @ins 
fenbung bed 93etrag§ poftfreie gufeifbung Vom 

UerUg der Gegenwart, 

Berlin W. 57. 




.\4L\f4 


(•*l i.'\^t '/a i» \ « 4 . l . v -4 






3n unferem Verlag tft erfe^lmen: 


Pie ©(geiumut 

ßnlfiti-Wfl fftr ?iirr«:Br. »milt *b> UMfles tfk*. 


•eienl>|le|iper 1872 — 1896 . 

Stifter fttd füufjtgffter ©ank. 

Wit Wacbträgeu 1897-99. ®eb- 5 JT 
Sin bibltograpbiftbeS ©«t! erften 
ßftanged über ba$ gefammte öffentliche, 
aeiftige unb fünftlertfcbe Sehen ber lepten , 
25 9?otbtnenbiged 92adbfcblögeoudb 

für bie Sefer ber „ÖJeaenmart", fotme 
für »viffenfdbaftlicbe ?c. Arbeiten. Ueber 
10,000 Artifel, nad) gäcbern, ©erfaffern, ] 
©cblagmörtem georbnet. 2)ie Autoreir 
pfeubonpmer unb anonpmer Artifel ftnb 
burebn?eg genannt. Unentbebrlicb für ; 
jebe ©ibliotbe!. 

Auch btreft gegen ^oftanmetfung ober * 
9?acbnabme Vom I 

Derlag ber (Segtitmart. .| 
»erlitt W 57. 


XX 


XX"A A A"X 


XX 


»eranttoortltih« Webactcur: Dr. ßoUtng in »erltn. 


Slebaction unb ejpcbitton: »erlin W., SRanftelnftra^e 7. 


SDrud bon A »edex ta 


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M 20 . 


aJSerCttt, Öen 19. jjflat 1900. 


29. Jahrgang. 
Band 57. 


pc aknciinimt 


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äßocßenfcßrift für Siteratur, Äunft uni» öffentli^cS Sebett. 


i^Cr 




«^erauögegeßen hon ^op^Kf ^otthtg. 


jeden Smmöfitii rrfnetot etae ynnur. 

Hu bestehen burt$ alle »udftyanMungen unb ^oftftmtcr. 


©erlag ber ©egennmrt tn ©erlüt W, 57. 


yUrtelfHttltdi 4 9« 50 Vf. ftw ftnuur 50 »f. 

Sitferate Jeher Ärt pro 8 gehaltene q$ettt*eile 80 9f. 


5>er SanuSfopf einer $u8ftanb«daufcl in ben ©autoerträgen. ©on SFreiSgeric^tSrot^ Dr. ©enno #tlfe (©erlin). — 

Ql n fi preu&tfdje 3a$r$unbert. ©on Herbert gifc^er. — Ötterötnr nnt Ätlttft. Sluguft JReld)en8perger unb bie Äunft. ©on 

DltnaLf S ttl)lol 0 tfolpitig. — Social *$lefiljetit. ©on tfatl Sftoepet. — geuilletott. £o5e8 Spiel, ©on SoutÄ ©ouperttS. Nu* 
bem ©ollänbifdjen. (gortfepung.) — tttsd der $auptftabt. $>er jüngfte tfraep. ©on ©rln^ ©ogelfrei. — S)ramatifd}e 9fofs 
fü^rungen. — ißotijen. — feigen. 


Der 3amtskopf einer äuBftottkclaufel in kn Dan- 
uertragen. 

©on $tret$geridjt«ratl) Dr. Benno fjilfc (©erlin). 

©oetße fteHt in feinem ßouberleßrling bar, toie leicht 
eg fei, bie böfen ©elfter heraufjubefeßmöten, baß aber erft 
bem SJtachtmorte beg SOteifterg eg gelingt, biefelben mieber ju 
bannen. ®er tiefe Sinn unb bie ernfte SEBaßrßeit, meldje in 
biefer 2eßre liegen, pflegen bebauerlicßer SBeife red)t oft feiteng 
$erer öerfanitt ju merben, melcße jur Söfung focialpolitifdjer 
Aufgaben ober bocß menigfteng jur AbfteUuug gefeUfdjaftlicfyer 
SJiifeftänbe fidf berufen galten. ®er ©runb hierfür ließt 
batin, baß fie bie Unterfcßiebe jmifeßen Xfjeorie unb ©rajtg 
mdjt gehörig ttmrbigen, nodj meßr aber, taeil fie eg unter« 
taffen, bie SBedhfelbejießung jmifeßen Urfadje unb SSirfung 
in bag tintige 2icf)t ju feßen. ©benfo toie ber Arjt, melcßer 
ben ©ifc ber ftranf^eit meßt feftgefteüt unb beren ©ntfteßungg» 
urfaefjen nicf)t ergrünbet bat, nur fetten bag richtige Sföittel 
finben toirb, Sinberung ju fd)affen, beren derßeerenbe SBirfung 
aufjußeben unb Teilung ju bringen, ebenfo mirb ber ©ocial* 
polttifcr leidet »on bem ridßtigen Sßege abirren unb ftatt ju 
bem ißm leucßteitben ßiete in einen Abgrunb geratßen, meldjer 
blinblingg bem üetlocfenben 25rrlict)te folgt, anftatt oorforglicß 
unb bebaut ben befcßmerlidjeren SEßeg einfcßlagenb bie gefaßt* 
dollen Klippen unb Abhänge ju meiben. ©inem berartigen 
SDtißerfotge bfirfte bag beutfeße ©augemerbe entgegengehen, 
toenn e8 nicht rechtzeitig nodj ju ber ©rfenntniß gelangt, don 
ber Äugftanbgclaufel in ben ©auderbingunggoerträgen Abftanb 
ju nehmen, melcße bereitg ju einem ernfteren ©onflicte jmifeßen 
ber ©autiermattung ber «Stabt Berlin unb ben in bem ©er« 
banbe ber Saugefdjäfte oon ©erlin unb ben ©ororten der« 
einigten ©aubetrieben geführt ^at. 

©ie arbeitgtämpfe ber lebten Satire ^aben namentlid) 
innerhalb ber ©aubetriebe ju nadj^altigen toirtfjfdjafttidjen 
S^Äbigungen geführt, unb burep Sodterung ber guten ©e* 
jie|nagen jtpifdjen ben ©ruppen ber Arbeitgeber unb Arbeit« 
nefjmer bie getoerblid^en ©er^ältniffe beeinträchtigt. SBenn« 

§ lei«h übertoiegenb bie meift grunblog unb frtdol feiteng ber 
führet ber Drganifation angeorbneten ArbeitgeinfteQungen 
nicht jum ©iege ber organifirten Arbeiter führten, dielmehr 
für biefe ergebnifelog derliefen, fo haben fie bennodj ben ©au« 
getoertemeiftern infofern große ©erlufte jugefügt, alg biefe 
burch kg erjttungene ©uhen ber Arbeit mährenb ber ©au* 
faifon ißre übernomineneu ©erpflichtungen gemiffenhaft ju 


erfüllen außer ©taube gcfe&t unb beßhalb dielfach in bie 
Sage aerfefct mürben, bie für ben ffertigfteQunggderjug der* 
tragggemäß jugefidßerten Uebereintunftgftrafen jahlen ju mfiffen. 
Sn golge beffen gelangten fie ju ber Ueberjeugung, ber feft« 
gefdhloffenen Drganifation ber Arbeitnehmer auch e «ne fefte 
^Bereinigung ber Arbeitgeber entgegenfe^en ju müffen, um 
mit gleichen SEBaffen fämpfenb jur ©elbfthülfe in Abmehr 
ungerechtfertigter Angriffe jener geeignet fein ju fönnen. ©g 
mürbe beßhalb am 6. (September 1898 $u ©reglau befdhloffen, 
bie in ®eutfdhlanb bereitg befteßenben Arbeitgebertierbänbe 
im ©augemerbe in einen beutfdßen Arbeitgeberbunb für bog 
©angemerbe jufammenjufchließen. Seßterer trat im. 3Kärj 
1899 in bag Seben. ®aß eg ißm gelingen mirb, bie gefteHte 
Aufgabe ju erfüllen unb bag gefterfte ßiel ju erreidhen, menn 
er jielbemußt dorgeßt, bafür bürgt auch bie jCßatfacße, baß 
bie Arbeiterorganifation eg für geboten eradßtete, im SDtörj 
1899 einen Songreß ber gefammten ©auorbeitneßmer ®eutfdß* 
lanbg nadß ©erlin ein ju berufen, beffen ^auptberatßungg* 
aegenftanb ber 5)eutfdße Arbeitgeberbunb für bag ©augemerbe 
bildete. Angeficßtg biefer immerhin fdßon greifbaren ©rfolge 
bleibt eg ju bebauern, menn einjelne Socaloerbänbe ju SDZitteln 
ißre ßuflu^l nehmen, bei melcßen bie üiedßnung offne ben 
SBirtß gemacht unb dermöge beter leidßt bog ©augemerbe aug 
bem Stegen unter bie Traufe gebraut merben fann. 

©in berartigeg gefäßrli^eg äJtittel ift bie Augftanbg* 
ctaufet in ben Sauderträgen, melcße ber ©erbanb ber Sou* 
gefdjäfte don ©ertin unb ben ©ororten feinen SKitgliebern 
gut ©flid|t gemacht hat. Stach § 14 beg ©erbanbgftatuteg 
mirb jebem ©erbanbgmitgliebe unterfagt, eine ißm angetragene 
©auaugfüßrung ju übernehmen, menn in bem fdßriftlidj ab* 
gefeßtoffenen ©audertrage nießt bie ©eftimmung Aufnahme 
fanb: „Sei einem Augftanb ober einer ©perre ber Arbeit» 
nehmet ober ber Arbeitgeber derlängerf fid) bie ©aujeit um 
bie $)auer beg Augftanbeg ober ber ©perre, gleicßdiet ob 
biefelben einen gänjlidßen ober einen tßeilmeifen ©tillftanb 
ber übernommenen Arbeiten ßerbeigefüßrt haben.“ $>iefe 
©taßnaßme mirb in einem an bie ©audermaltungen beg 
Steidjeg, beg ©taateg unb bet ©emeinben, fomie an fonftige 
©aufreife gerichteten Schreiben alg ein Act ber ©elbftßülfe 
bezeichnet, meldßer geeignet fei, jur friedlichen Abmeßr gegen 
ben Serrotigmug ber Arbeiter ju bienen. Staß biefe An* 
feßauung feiteng ber ©audermaltungen nießt getßeilt mirb, 
dafür fpridßt bag ©erßalten ber ©tabtdermaltung don Serlin, 
melcße barauf einjugeßen ©ebenfen trägt. Unb in ber Sßot 


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806 


Die (üegettttari 


Nr. 20. 


erfdjetnt bie Anfchauung beS Sauarbeitgeber* SerbanbeS als 
eine einfeitige, nicE»t OorurtheilSfreie unb bebenfenoofle. 3» at 
muß jugegeben »erben, baß bie AuSftanbSclaufel ben z»eifet* 
lofen ©rfolg hat, ben Uebernefymer einer S3auauSfüE)rung 
gegen bie @efaf)r ju fdjühen, eine auf Sßerjögerung ber gertig* 
ftellungSfrift oereinbarte SertragSftrafe unwirlfam ju modjeu 
unb bamit einen oft recht empfinbtic^en, brojjjenben, »irth» 
fchaftlidjen SRad)tt)eil aus* bet ©treifgefahr üon fid) abjutoenben. 
Unb bieS ift bie 2id)tfeite beS SilbeS. Allein biefe erftrebte 
Säirfung »irb bod) nur erreicht, toenn bie Saugerren barauf 
eingef)en, aber toerfefjft, wenn fie beffen fid) weigern, unb bieS 
ift bie $eljrfeite beS SanuSfopfeS. ®enn als unabweisbare 
golge ber Steigerung muß fid) herauSftellen, baß entweber 
bie SaugcWerlmeifter auf eine ihnen in AuSficht gefteÜte 
tofjnenbe Arbeitsgelegenheit Oerzidjten Ȋffen, ober, um fold>e 
übernehmen ju tönnen, auS ber Sereinigung austreten, ober 
enblirf) bie Bauherren gezwungen »erben, »ie bieS bie Ser* 
liner Sauoerwaltung plant, bie Arbeit in ©elbftrcgie auS* 
jufühten. $aß eS ju biefent testen fdpoerften SRittel fommt, 
ift uot ber £anb aber noch gar nic^t ju befürchten. ®cnn 
bie ©e»erbefreif)eit f>at baS freie ©piel ber Kräfte entfeffelt 
unb bie blinbe Sagb nach einer Arbeitsgelegenheit gefrfjaffen. 
®ie AuSwüdjfe ber Unterbietungen im ©ubmiffionöwefen be» 
»cifen jur ©enüge, »ie ridjtig ©corg üon ginde in ber 
fReidjStagSfifjung beS 9?orbbeutfd)en SunbeS prophezeite, als 
er ben »irthfdjaftlidjen 9Ruin beS IpanbWerfeS in AuSftdjt 
ftcÜte. Unb fie fprechen Ijinlänglid) für bie SRidjtigfeit ber 
Sehauptung, baß ein capitalSftarfer, jahlungSfidjerer Sau* 
herr ftetS einen tauglichen Säerfmeifter jur Uebentahme feiner 
Sauausführung fitiben »irb, ohne fid) bie Ipänbe binben unb 
fid) »itlenloS bie »irtljfd)aftlid)en SRadpheile aus einer Arbeiters 
bewcguitg aufbürben ju laffen. 

Sm ©nberfolge bcbcutet bie AuSftanbSclaufel nämlid) 
nidjtS AnbereS, als ben Sauherrn mit bem fRifico aus ber 
©treifgefahr ju belüften, aus »eldjem baS Sauge»erbe ent* 
laftet »erben fotl. Unb biefeS fRifico fann für ihn beßhalb 
ein »eit erhöhtereS unb folgenfcfjwerereS fein, »eil er fein 
SRittel hot, auf beffen Abfdjwäd)ung hinjuwirfen unb ihm 
foldjeS felbft in bem gälte beüorfteljt, »o fein Säerfmeifter 
bcj». fein Sau gar nidjt Don bem ArbeiterauSftanbe utt* 
mittelbar betroffen »irb. Ster fich an Seifpieten bieS Oer« 
gegenwärtigt, »irb leid)t ju biefer ©rfenntniß fommen. ©in 
©efcßäftSmann, welcher eines ber fegt entfteljenben großen 
SBaarenhäufer auf einem feljr »ertf)üolIen Sauplafce mit einem 
erf)eblid)en ßoftenaufwanbe [ich erbauen läßt, bebarf beffen 
gertigftellung ju einer beftimmten grift, um baS §aupt* 
gefd)äft zu geeigneter 3 e ' 4 barin aufnehmen ju fönnen. @r 
muß burch SäaarenbefteDungen unb burch SRiethen beS er* 
forberlidjen IpülfSperfonalS fich barauf borbereiten. Um nun 
nicht in feinen Seredjnungen unb ifjlänen getreust ju »erben, 
Oereinbart er eine gertigftetlungSfrift unb j»at unter geft* 
fe§en einer SertragSftrafe, »eiche ihm einigermaßen für einen 
ju erleibenben ©chaben fdjabloS holten foll. ®ie SluSftanbS* 
claufel berechtigt ben auSfüfjrenben Säerfmeifter zur grift* 
üetlängerung. ®er Souherr oerliert jeboch bie 9Röglid)feit, 
baS SäaarenfjauS friftgereeßt ju eröffnen, er muß aber bie 
befteUten Säaaren abnehmen unb bejahten, bie gemietljeten 
Slrbeitöfräfte auStohnen, ohne ben erwarteten Umfa|} erzielen 
ju fönnen, oießeirijt fogar noch Säoaren, »eiche ber SRobe 
unterworfen fiitb, als wertljlofe Sabeithüter behalten. Säer 
fann eS ihm öerbenfen, wenn er Oorforgfid) unb »ohl* 
bebacht bie SluSftanbScIaufel ablehnt? @S braucht ein gabrif* 
unternehmet neue gabrifräume, »eit bie feitherigen für ihn 
unzulänglich ober »oht gar burch 3 euet oerni^tet finb. 
3»edS friftgerechter ©röffitung beS SetriebeS fichert er fid) 
burch Sereinbarung einer gertigftetlungSfrift. (Sitte öerjögerte 
©ebrau^fähigfeit berfelben oerhinbert, ihn übernommene 
Serpftid)tüngen auf friftgerechte Lieferung ber gabrifate ein* 
juhalten. SluS bem fiieferungSOerjuge h°t er bent SefteUer 


Schobenerfah ju leiften unb oft genug Oerliert er in ijjm 
einen guten jahlungSfäljigen Äunben, aus beffen ©efhäft^ 
Oerbinbung i|m ein fieberet ©e»inn beüorftanb. ©S nimmt 
enblich Semanb auf feinem umfangreichen ©runbftücfc bie 
Ausführung bon gabrif* unb Säohnrämnen jtoecfS beten 
CermiethenS in AuSficht unb erhält auch bon feinem an*= 
füljreuben Säerfmeifter bie fefte, burd) SertragSftrafe gefieberte, 
gufage, folche am 1. October in ©ebrauch nehmen laffen ju 
fönnen. Um bieS ju ermöglichen, muß bis jum 1. April 
ber Sohbau bcenbet fein, liefet 3 c 'tpunft »irb auch inne 
gehalten. Staburd) fidler gemacht, fdjließt et arglos 5D?ietf)S* 
üerträge ab, überfef)enb, baß fein Säerfmeifter ben ganjen 
Sau in ißaufd) unb Sogen übernahm. Sn bie fommertidje 
Saufaifon fällt ein üierwöchentlicher ArbeitSauSftanb. Um 
biefen Oertängert fich bie grift jur @d)lüffelabgabe. ®tr 
Säerfmeifter nufct bieS auS. ®er innere Ausbau »irb nidjt 
rechtzeitig Ijergcfteflt, bie ©ebrauchnahmc am l.Dctober polijei« 
lieh unterfagt. 2)ie SRiether fönnen in ihre SRiethSgelaffe 
nidjt einjicljen unb machen oon ihrem 9fied)te ©ebrauch, für 
Segnung beS ScrmietherS anbere theurere ju beziehen unb 
fonftigen ©chabenerfaß ju beanfpruchen. Säer entfd)äbigt ben 
Sauherrn hierfür unb für bie entgangenen SRicthSauSfäUe? 

derartige ©rwägungSgrünbe müffen bie prioaten ©au» 
herren beftimmen, auch ihrerfeits auf ©elbftßülfc Sebad)t ju 
nehmen. @S wirb ©ache ber ©runbbefiher*Sereine fein, bic 
©efaljren beS ©runbbefi|eS aus ber AuSftanbSclaufel oor» 
urtheilSfrei unb unbefangen feftjuftcUcn unb ihrerfeits ge¬ 
eignete Abwehrüorfdjläge ju machen. Severe »erben oorauS» 
fidjtlich barauf hinauSfommen, ihren SJiitglicbern ju empfehlen, 
burch felbftgebungene unb auSgelohnte Souarbeiter unter 
Seitung eines ihrerfeits befteUten ücrant»ortlicf)en Sauleitcrs 
ben Sau in ©elbftregie auSjuführen, Wenn bie gewerfe 
mäßigen Saubetriebe ftaubhaft feien unb bie Uebentahme 
»irflich ablehnen foUten. Sn noch »eit höherem ©rabe ftnb 
bie SReichS«, ©taatS« unb ©emeinbe*Sauöertoaltungen aber baju 
gezwungen, »eiche nicht SorteifteUung ju ©itnftcn ber Arbeit* 
geber gegen bie Arbeitnehmer im Saugewerbe nehmen börfen. 
AIS golge beffen »irb fich ober herauSfteUen, baß ber er 
ftrebte ScfähigungSnadpoeiS z um felbftftänbigen Setriebe beS 
SaugewerbcS oerfagt bleibt, um ben Sauöerwoltungen bie 
50?öglichfeit beS ©clbftregiebaucS offen z u holten. ®aranl 
entfpringt aber bie »eitere ©efaljr, baß ber Sougewcrfenftanb 
in feiner ©elbftftänbigfeit bebroht, in feiner »irthfehoftlihen 
CciftungSfähigfeit nnb gefeUfdjaftlichen ©teUung üentichtet, 
jum Sohnarbeiter ber ©apitalmacht h cl 'obge»ürbigt toirb. 
Unb AfleS bieS toegen einer unöorbebacfjten SRaßnahme, 
»eldhe gar nid)t crforberlidj ift, um ju bem gleichen gifte 
ju gelangen. ®emt baS SReid)Sgerid)t |at in einem Urt^eile 
üom 15. Suni 1891 redjtSgrunbfäfclidj erfannt, baß ber ©treil 
unter Umftäitben ber höheren ©ewalt gleich S u achten, u»b 
beßhatb geeignet ift, auS üertragSmäßigen Serbinblidjftilcn 
ju befreien. ®urdj eine Serficherungnahme gegen baS SRifteo 
auS ber ©treifgefaßr »irb ber gleiche »irthfdjaftfidje ©rfalj 
fidjer erzielt, »eldjer auS ber AuSftanbSclaufel nur erhofft 
»irb. ©efahröoü ift jeboci) bie fcitenS beS SerbanbeS ber 
Saugefdjäfte oon Serlin unb ben Sororten aitgebroijte Sot)‘ 
fottirung ber $änbler Oon Saumaterialien, wenn fte ben 
fRegiebauunternehmeru folche liefern nach bem Urt^eilc bd 
fReichSgeridjteS oont 22. Saitnar 1900. 


Da* prenßifche 3ahrh«nktt. 

Son Herbert fifdjer. 

SRan hot baS officieU abgelaufene 19. Soljrhunbert bid» 
fach öaS militärifdje getauft. 2Rit SRed^t, benn fein Anfang 
ftanb unter bem ©terne beS genialen laftiferS SRapdtoa 


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Nr. 20. 


Dte töegetuoarf. 


307 


unb [einer Krieg«thaten, au« benen bie preußifhe Schöpfung 
ber allgemeinen SBehrpftiht, be« SSolfe« in SBaffen, be« 
ÜJ?ilitär|taate« ßeroorging, beffen SBehtüerfaffung heute non 
faft aßen europäifcßen Staaten nachgeahmt ift. SBenn man 
alfo non einem militärifhen Sa^rt)unbert fpricfjt, fo fönute 
man e« ebettfo gut fcfjtehtmeg ba« preußifdje taufen. SBenn 
nur SRapoleon nicEjt märe. S)ie grage ift freilich, ob feine 
KriegSfunft eine fo neue unb originelle mar, mie feine Se* 
munberer behaupten. SBir glauben e« trojj allebem nidjt. 
@r fteht auf ben Schultern be« alten grift, unb alle ©gen* 
feiten feiner Strategie, Xaltif unb Drganifation finben mir 
fo jiemlid} boUftänbig in ber preußifhen Kriegöfunft be« 

fiebenjährigen Kriege«. Seine Xedjnif ift ganz unb gar bte 
fribericianifdje; bie ©efhüjje unb ©emefjre maren im SSJefent* 
Itd^n bie gleiten, unb Napoleon füllte gar fein SBebürfniß, 
fie ju berbeffern. ©lehr, biel mehr lag iljm baran, bie 

ShneHigfeit für Seitung unb öemegung be« feeres ju 

fteigern, bod) folgte er auch Ijierin nur attpreußifher Strabition. 
©njig feine Drganifationen, bie grig §oenig „nicht biel 
mehr al« große, rohe 3mprobifationen" nennt, gingen über 
ben alten grifc ^inauS, beffen Sölbnerljeer bon ben „Ohne* 
fjofen" be« rebolutionären S3olf«heere«, bann bom napoleonifdjen 
Sonfcription«heer abgelöft mürbe; bod) fdjloß auch Napoleon’« 
(Spotte mie bie griebrih’« mit einem befonberen Solbaten» 
ftanbe ab. ®ie nationale Staatämefpr, bie ©arnot beabfihtigt, 
ift eine ganz preußifhe Schöpfung. Sdjarnljorft fhuf bie 
S3eßrgefe|e unb ba« 2Rilitärbitbung«mefen, ©neifenau unb 
©aufemifc bilbeten bie Slapoleonifcpe Kriegöfunft im friberi* 
cümtfhen ©eifte au«, ©rolman organifirte bie ©eneratftab«* 
tljätigfeit im grieben, unb SBilßelm I. unb ÜJJoltfe fhufen 
bie preußifhe Kriegöführung unb Kriegöfunft, bie SBemaffnung 
unb taftifhe Stuöbilbung be« ipcerc« unter Slu8nufcung ber 
mobernen *£ed)ttif: §interlaber, Shnellfeuergcfdjüt}, Mein* 
calibergeme^t — Kartographie, Statiftif, Xelegrapfjie, ©fen* 
bahnen. 

@8 ift ganz n üblich, menn einmal auf ben altpreußifhen, 
ben fribericianifchen Urfprung be8 mobernen SWilitärmefen« 
hingemiefen mirb, benn öon gemiffer Seite mirb immer mieber 
oerfu^t, ba8 fd)öpferifd)e ©enie be8 gelbherrn griebridj II. 
ju bemängeln unb ihm feine Krieg« tun ft, ja fogar feine (Sr* 
folge abjufpredjen. 0iadh bem Urteil biefer £>iftori!er unb 
Salonftrategen foll er nur im SWanöbriren bebcutenb gemefen 
fein unb feine Schlachtenerfolge contre cceur errungen hoben. 
SBie falfch ba8 ift, lehrt un8 ber gerabe jeßt erfchienene 
jmeite Saab bon Steinholb Kofer’8 SD?eifterbiographie: 
„König gricbricf) ber ©roße" (Stuttgart, (Sotta $Rad)f-). 
@8 ift ein maßrer ©enuß, au« biefer glänjenben ®arfteHung 
be8 fiebenjährigen Kriege« unb feine« föelbcn bie auf beffen 
Krieg8funft bezüglichen Selbftbefcnntniffe unb Operationen 
jufammenzufteäen. 

' 3m Slntimacchiaoell hat ber Kronprinz griebrid) fjabiu« 
unb Ipannibal einanbet gegenübergefteßt at« bie Vertreter 
jmeier ftrategifcher üJfethoben: ber (SrmattungSftrategie unb 
ber Strategie bc« Silagen«, „gabiu« ermattete ben £anni= 
bat burch feine Sangfchmeifigfeiten; biefer SRömer berfannte 
nicht, baß ber Kalßager be8 ©elbe« unb ber SRelruten er* 
mangelte, unb baß e«, ohne zu fotogen, genügte, biefe« £>cer 
ruhig megfchmelzen zu fehen, um e« fozufageit an Slbjeljrung 
fterben zu laffen. §anniba(’8ißolitif bagegen mar, zu fragen; 
feine 2Racht mar nur eine auf zufälligen Ümftänben beruhenbe 
Stärfe, au« ber fchleunigft jeber erreichbare SOortheil gezogen 
»erben mußte, um ihr burch bie S(f)teden8mirtungen glänzen* 
ber gelbenthaten unb bie $ilf«quetten eroberter ©ebiete Söe* 
ftanb zu geben." Slu« griebrid)’« großem militärifd^cn Sre* 
bier bon 1748 miffen mir, baß er für bie Kriege feine« 
eigenen Staate«, bie ba furz unb lebhaft fein müßten, bie 
©rmattungöftrategie at§ unzmedrnäßig betrachtete, ebenfo 
aber bie „ifßointen'S jene ftrategifd)en SSorftöße, bie ba« §eer 
aDzumeit in geinbe«lanb hineinführen. Sfachmal« mieberum 


hat er brei Sfrten ber Krjeg«führung unterfdhieben: bie Offen* 
fibe bei entliehener Ueberlegenheit, bie fiejj bie höchften Äiclc 
fehen muß, bie 1741 in bem (SoaIition8friege gegen Oefter* 
reich ba« franzöfifche §eer gerabe8meg« anf SBien hätte führen 
muffen unb in einem fünftigen 6oalition8frieg gegen [Jranf* 
reich ben 3Rarfch nach $ari8 erheif^t, an Stelle bon fieben 
gelbzügen im Stile be« fpanifchen Grbfotgefrieg« mit je einer 
Schlacht uitb je einer ^Belagerung; bie $>efenfibe, bie bo<h nie 
in reine« Slbmehren unb Slbmarten au8arten barf; bie Offen« 
fibe bei gleich bertheilten Kräften, für bie e8 gilt, bie (Snt* 
mürfe ben Kräften anpaffen unb nicht« auf gut ©lüd unter* 
nehmen, menn zur Slu«führung bie SRittel nicht zureichen. 

Sftach griebtidh’8 Sluffaffung, mie fie fich ftet« gleich geblieben 
ift, mar ein ©n§elfrieg zuüf<h en Preußen unb Oefterreich aQemal 
foich ein „Kampf mit gleich bertheilten Kräften". So menig er 
e8 fich Z utrQ ute, biefen ©egner, ber in ber erften ^älfte biefe« 
3af)rhunbert8 einen breizehnjährigen nnb einen fiebenjährigen 
Krieg geführt hatte, ermatten zu fönnen, fo menig bot fich 
bie SluSficht, ihn bernidjtenb nieberzufämpfen; aber er burfte 
hoffen, ben ©egner zu entmutigen, in großen Schlachten 
burch gtänzenbe Siege, mie e« ihm burch ^»ohenfriebberg, 
Soor unb Keffelöborf fchon einmal gelungen mar, eben biefen 
©egner zu entmutigen, bon ber Slu8ficßt8fofigfeit eine« mit 
Seibcnfchaft ergriffenen ©roberung«pIane« z u überzeugen. 
fRieberfämpfen, töbtlich treffen fonnte man bie Oefterreicher 
nur — ba« hat griebridj am Anfang feiner getbherrnlauf* 
bahn ebenfo beftimmt crllärt mie am Schluß — menn man 
fie in ihrer Jpauptftabt SBien auffud)te. SBien aber hat er 
immer nur, fo 1741 unb 1744, mie 1775 unb 1779, unter 
ber S8orau«fe|jung einer mirlfamen Unterftüfcung burch SBunbe«* 
genoffen in ben Bereich feiner ftrategifchen (Sntmürfe gezogen. 
(Srft in biefem 3ufammenhange ermeffen mir ganz, uteßhalb 
ba« politifche (Eeftament bon 1752 für einen Singriff«* unb 
@roberung«frieg gegen ben SBiener |)of, ber ben Oefterreichern 
SBöhmett loften unb ben fßreußen im (taufch gegen SBöhmen 
Saufen einbtingen füllte, erft in ber ©eburtöftunbe einer 
neuen großen Koalition gegen ba« (Srzhau« bie 3^1 fl e * 
tommen fieht. 

3n beiben fcblefifdjen Kriegen foH ihm eine Schlacht at«balb 
für ben ganzen [jelbzug bie Ueberlegenheit betfehaffen. ©ine ent* 
fdjeibenbe Schlacht- Kein unnüge« Slutbergießen, eine Schlacht 
mit nahbrüdlidjer SSerfotgung, anber« al« bie Bobofi^er 
Shlaht, mit ber er nachträglich fo unzufrieben ift: „3ebe 
SBataille, fo mir liefern, muß ein großer Schritt bormärt« 
Zum SSerbetben be« geinbe« merben." SD?an mirb ba« feinb* 
lichte §eer, menn e« irgenb möglich ift, bernidjten, „abimiren". 
®er zeitgenöffifhe ®efd»tc^tcSfeftreiber be« fiebenjährigen Kriege«, 
lempefhof hat feinen König at« einen gclbherrn bezeichnen 
ZU bürfen geglaubt, ber nicht bloß Schlachten fhlägt, um 
einmal ba« Tedeum laudamus anftimmen zu laffen, fonbern 
allemal ein totale Siieberlage be« g«inbe8 zur Slbfidjt hat, 
unb SBamerp hat getabezu gefagt, griebrih’« SBemühen fei 
ftet« barauf gegangen, ba« feinbliche $eer gänzlth j« ber* 
nihten. §ier hören mir bon griebrid) felbft, baß er fih 
biefe« 3beal ber Shlaht in ber $h°t bor bie Slugen fteQt. 

So ergab fih h m für ben zweiten fhlefifhen Krieg 
eine Strategie, mie fie ihm fdjon für ben Slnfang be« f^elb* 
Zuge« al« zt®«<Iuiäßig borgefhmebt hatte: bie ftrategifdje 
©efenfibe, bie auf einen SBorftoß- in geinbe« Banb, auf 
bie Uebermältigung meiter ©ebietöftreden berzihtet unb ihr 
^ieit in bem SBortheil ber inneren Dperationölinie fuht: 
„SJieine Sage ift berart, baß ih nur auf bie (Defenfibe 
auögeßen lann, ba ih ben geinb bon bier ober fünf Seiten 
habe. ... 3h gebenfe alle meine Shritte nah benen be« 
geinbe« abzumeffen." Ober, mie fein bezeihnenber Slu«* 
btud ift. „ih bilbe bie Dteferbe ber Strmee, bereit, bahin mich 
Zu fehren, mo bie bringenbfte ©efaljr mih h' n Z' e h en mirb." 
Stiht ohne ©runb nahm er an, baß feine neue SRetljobc ben 
geinb, ber feit je Offenfibftöße an hm gemohnt mar, unfidjer 




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308 


Die (ßegetiroart. 


Nr. 20. 


machen, „beroutiren." Werbe. 21 ber er jagte fidf jugleidj, baß 
biefer ©ortheil nur ein erfteS dRal ju erhoffen fei, baß baS 
„©tratagem" fid) nicht Wieberfjolen (affe; benn ber geinb »erbe 
halb lernen, fid} banadj einjurid)teti, unb bann »erbe eS feljr 
böfe läge ge&en. ©8 bermaß fid) alfo nicht, bei feinen befdjränften 
Kräften bon feiner (Jefenfibe bie SSirfungen einer ©rmattungS* 
ftrategie int Stile be8 gabiuS unb im ©inne ber (Jar* 
(egungen be8 2lntimacdjiaBeß ju erwarten. 3m ©egentljeil: 
je mehr er mußte, baß gerabe fein (Segnet, biefer unerträglich 
langweilige (Jaun, fiel) in ber Stolle beS gabiuS ftarf fühlte, 
um fo mehr mußte er banadj trachten, auch ber ftrate* 
giften (Jefenfibe taftifdlj bie Dffenfibe feftjuf)alten unb mit 
bem geinbe ju fchlagen, wo irgenb bie (Gelegenheit fich bot: 
„Sch Warte auf einen 2lugenblicf, um ba§ wenige Del ju 
nufcen, baß ich nodj auf meiner ßampe habe." 2lflerbing8 
berhehlte er fid) nicht, baß bie erfeljnte ©elegenfjeit fich immer 
feltener einfteden werbe. (Jie unoerfennbaren gortfchritte, 
welche bie „mobernen Defterreidjer" in ber SbriegSfunft feit 
bem erften fdjlefifd)en gelbjuge gemacht, erheifchten auch für 
bie ©reußen 2lenbetungen in ber bisherigen (Eaftif. (Sie 
Oefterreicher haben e8 in ber ©ertheibigung jur dReifter* 
fchaft gebracht, burch ihre Sagerfunft, ihre dRarfdjtaftif, ihr 
2lrtifleriefeuer. ©on unenblichen (Gefcßüfsmaffen umgeben 
unb unterftüfct, ftehen fie regelmäßig in brei ßinien: bie 
erfte am guß be8 2lbl)ang8, gleichfam auf einem ©laciS; 
bie jweite auf ber £>öf)e fo oerfdjanjt, baß hier erft ber 
fchwerfte Kampf entbrennen wirb; fie ift mit Saoaüerie 
oermifcht, bie bei bem erften UBanfen be8 2lngreiferS alsbalb 
öorbred)en unb einhauen wirb; bie britte ßinie ift beftimmt, 
ben ©unft jü oerftärfen, auf ben ber Singreifer feine ß)aupt* 
fraft richtet. 6aBaflerie*2lngriffe, wie fie noch bor Kurjem 
für bie (Einleitung bet ©d)ladjt bie (Regel bilbeten, er* 
fdjeinen 2tngefid)t8 folcher ©tellungen unb foldjer 2lrtiflerie* 
maffen al8 ganj unlhunlid); bie (Reiterei ift üielmehr junädjft 
ju „tefufiren" unb erft für bie (efcte ©ntfdjeibung unb für 
bie Verfolgung einjufefjen. S)a8 ©d^icffal ber Staaten hängt 
Bon ben ©ntfcheibungSfdjlachten ab, eine cinjige falfdje ©e* 
wegung, ba8 dRißberftänbniß eines Unterführer« fann aße8 
oetbetben; fo löblich e8 ift, eine 2lffaire fjerbeijuführeit, wenn 
man feine ©ortljeile finbet, ganj ebenfo muß man fie Ber* 
meiben, wenn ba8 (Rifico ben ju erljoffenben ©ewimt über* 
fteigt. „@8 giebt", fagt griebrich auch in biefem ßufammen* 

f iang, „mehr al8 einen SEBeg, ber jum 3'ele führt; man wirb 
ich barauf (egen müffen, ben geinb ftücfweife in bie ©fanne 
ju hauen, feine (JetadjementS ju ©runbe ju richten, bie er 
oft unb nicht immer mit gleicher ©orfidljt auöfenbet." 

(Jie ©trategie, bie er für foldjen ©erjweiflungSfampf 
gegen eine SReljrjahl mächtiger (Gegner in ber Theorie fich 
Borgejeichnet hatte, „bem einen geinb eine ©robinj preiSju* 
geben unb injwifdjen mit ber gefammten Streitmacht gegen 
ben anberen ju marfdjieren, ihn jur ©djladjt ju nötigen, 
aße Slnftrengutigen ju machen, um ihn ju bernidjten" — er 
hatte fie in biefen brangboßen Sahnen, fo biel an ihm war, 
in bie ©rajiS ju überfefcen geftrebt. „@r, ber ben ÜBertlj be8 
dRanöBerS neben ber Sebeutung ber Schlacht feljr wohl ju 
fdjäj}en wußte, ber, wenn e8 galt, fid) auf baS dRanöbtiren 
unb Sluöweichen ebenfogut Berftanb wie bie großen dRethobifer 
©rinj Heinrich unb (Jaun, er hat boch in Der KriegSfüljrimg 
ebenfo Wenig Wie in ber ©olitif fich auf ba8 Hinhalten unb 
2lbwarten, ba8 fchwächliche beneficium temporis, bie unbotljer* 
gefehene 3wifcf)enfäfle Berlaffen woßen, fonbern ba8 ©djicffal 
wieber unb wieber jur- großen ©ntfd)eibung herauSgeforbert 
unb babei nur immer beflagt, baß er nicht ba8 ©Iijir befaß, 
bem ©egner jebeSmal, Wenn et e8 woßte, bie ©<hladjtentfd)eibung 
aufjunöthigen. Sßenn ©rinj Heinrich in feiner ©eborjugung 
be8 dRanöbetS unb SlngefidjtS feinet meift befenfioen Stuf* 
gaben fich geringerer gäfjrniß auSfefcte, bie ©djlappen feines 
föniglidjen ©ruberS glüdlid) oermieb unb beßhalb wohl ge* 
neigt war, fich für ben trefflicheren gelbherrn ju halten, fo 


unterfchähte er ba8 ungeheure moralifdje Uebergewicht, Welches 
griebridj’S SBagemuth, ©d)tad)tenfrohheit unb KampfeSfdjtei* 
fid)feit ben preußifdjen SEBaffen in einem ©rabe berfd)äffte, 
baß bie ©egner nach ben erften fdjlimmen ©rfahrungen einen 
politifchen Dffenfiolrieg, wiberfinnig genug, anbauernb in ber 
taftifdjen ®efenfioe führten, ©or bem Urtheil ber ©efhichte 
hat nicht ber ©rinj recht behalten, ber ba meinte, baß baS 
|)eer bie gehler bc8 ÄönigS Wett machen müßte, fonbem 
Bietmehr (Rapoleon, wenn er fagte, nicht ba8 |)eet habe fiebtn 
Sahre h^burch ©reußen gegen bie brei größten 2J?äd)te 
©uropaS Bertheibigt, aber griebridh ber ©roße." 

Sllfo auch au8 biefer ®arfteßung Äofer’8 geht flat her* 
Bor, baß ber große Stönig nicht nur ju manöoriren, fonbem 
auch S u fchlagen wußte, afleS ju feiner 3«t. Ohne 3®«jel 
hat (Rapoleon Bon ihm Biel mehr gelernt, als er jugeben 
woßte; auch feine berühmte ©toßtaftif in’8 ©entrum beS 
geinbeS finbet fidh ln griebtidj’8 ©flachten unb SBerfen als 
gelegentliches ©orbilb. Slber bie fittliche ©röße griebridj'S 
|at (Rapoleon nidht erreicht, am wenigften im Unglücf, too 
gerabe griebrich am größten war. ßieft man bei Sfofer, mit 
welcher §elbenhaftigfeit bet Äönig bie ©cßicffalSfchläge ertrug, 
fo fommt man unwiflfürlidj auf ben ©ebanfen, baß bem Oft* 
preußen Sfant fein fategorifdjer SmperatiB ber ©flicht im 
Slnblicf biefeS gelben(ebenS aufgegangen fein muß. Äofer ur* 
theilt: „3Ber fo, ganj erfüßt Bon einem hohen ©eruf, tn ftoljer 
erhabener ©infamfeit fieben Sahre hinburch fein Socf) getragen 
unb (lag für (Jag, inmitten immer neuer SEBiberwärtigfetten 
unb ©nttäufdjungen, nur bei fich felbft (Rath un b fchneßen, 
tapferen ©ntfchluß gefmiben hatte, ber burfte nachmals ohne 
Ueberhebung fidh rühmen, baß jwei ©erbünbete in biefem 
Kriege ihm jur ©eite geblieben feien: SRuth unb Sehatrlih« 
feit. (Bit finb 3 eu g en geworben, wie biefe ©egleiter, auch 
wenn fie in bunfelfter ©tunbe feinem ©lief entfd)Wanben, fich 
immer wieber ju ihm gefeßten; wie er, reijbar, aufgeregt, 
nicht gefdjaffen, baS Unglücf mit ©elaffenheit ju ertragen, 
boch bie Zweifel feines jagenben ßRenf^enherjenS fieghaft m 
feiner ÄönigSbruft nieberjufämpfen unb aßen ©erfudjungen 
jur glucht aus einem anfdjeinenb hoffnungSlofen Seben ju 
Wiberftehen Bermochte, bis enblidh ein errettenber 3wifchenfaÜ 
feine ©tanbhaftigfeit belohnte, jenes beneficium temporis, baS 
er bei feinen ©ntfdf)lüffen nicht hatte in Slnfafc bringen woßen. 
©rft im Unglücf offenbarte fich griebridj’S eigenthfimlidjfü 
©tärfe, feine unBergleichlidhe ©röße. ®er ben (Keiften als un* 
beftänbig unb dRandjen als unentfchloffen galt, bewies je^t, 
baß ©ntfchloffenljeit unb ©tanbhaftigfeit gerabe bie hfttor* 
ragenbften feiner ©igenfehaften waren. (Rieht baß griebrich 
jebeSmal ben richtigen ©ntfdjluß gefaßt hätte; mehr als ein* 
mal hat er in entfcheibenbenSlugenblidfenburdjauS fehlgegriffen. 
(Rie aber hat ihm Berfagt bie gäfpgfeit unb firaft jum ©nt* 
fdhluß, unb, WaS mehr ift, nie bie Bon einem dRoltfe an ihm 
bewunberte gähigfeit, ben ©ntfchluß bei fich felbft ju finben, 
„2lfleS Bon fich felbft ju nehmen". (Rieht baß er feinen ©nt* 
fchtuß nun jebeS 2Ral auch feftgeljalten hätte; was ihm ben 
(Ruf ber Unbeftänbigfeit eingetragen hatte, war eben jener 
rafdhe ÜBechfel feiner ©olitif geWefen; aber in geringeren 
(Jungen oft an ihm Bermißt, hat feine ©eharrlichfeit jenfeitS 
einer gewiffen ©renje auf bie fjärtefte ©robe gefteßt, fich 
um fo unerschütterlicher erwiefen. ©eibe, ©ntfdjloffenljeit unb 
©tanbhaftigfeit, Wulfen ihm mit ben (Gefahren. (Jie ^öchftc 
©robe beS geibherrn, baS §eer nach ber (Rieberlage jum 
Siege ju führen, griebrich h°t fie fedjS Sahre hinburch 
immer Bon (Reuem abgelegt. „@r ift Bornehmlidh groß ge* 
Wefen in ben entfdjeibenbften 21 ugenbilden, unb berö ift bie 
fdjönfte Sobrebe, bie man auf feinen ©harafter halten fann* 
— fo, bei fcharfer Ifritif ber einjelnen Schritte, baS @e» 
fammturtheil (Rapoleon’S über griebri^. 2ln folgern 2ob 
aus folchem ([Runbe wirb ber größte §elb fid) genügen lato 
bürfen, ob immer griebrich bem ©roßen ber Uebereifer »er 
dRobernften ©igenfehaften unb ©ntwürfe leihen ju müffen 



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Ute detjenwart. 


309 


Nr. 20. 


geglaubt hat, burd) bie er noch größer, gewaltiger, bämo* 
nifcher hafteten fofl. ©ämonifcße Naturen in feinem ©inne 
beS ©egriffeS, als ©efäße ungeheurer, ben ßauf ber gefehlt* 
liehen Sntwidelung burchfreujenber SDjatfraft unb raftlofcn 
©djaffenSbrangeS, h at ©oethe fowoljl griebrich ben Orofeen 
wie ©apoleon genannt; aber ein geiftooßer ©eurtheiler hat 
ben Unterfcfjieb jwifdjen ©eiben gerabe barin fehen wollen, 
baß griebrich fidi) »on feinem ®ämon, anberS als Napoleon, 
nicht Wie »on einem ©turmwinb regieren ließ. AflerbingS, 
gar HRandjer War Wäljrenb bcS langen Krieges geneigt, ihm 
eine Steigerung ber ©JiflenSftärle in baS ©genfinnige »or= 
juwerfen unb einen neuen Karl in ihm ju fehen, ber nur 
noeh ben ©ngebungen feiner ßaune folge. ®er ©ebanfe an 
Kart XII. lag nahe, ßlber beßhatö unb weil er eine »er* 
wanbte Sfber in fid) fühlte, h°t griebrich felber um fo ent» 
fdjiebener baS Xafeltuct) jwifdjen ihnen ©eiben entjwci ge» 
fchnitten unb ben ©djwebenfönig fich alle 3eit als watnenbeS 
©eifpiel »orgehalten." ©ehr fd)ön fehilbert ©einljotb Kofer, 
wie feltfam gewanbett fein £etb auS ben furchtbaren ©rü* 
fungen i)er»orging, nicht mehr hell unb freubig, nicht warm 
unb milb, fonbern trüb, falt unb hart wie ein fonnenlofer 
SBintertag. ®aS glüdlid)fte aller ©lüdsfinber, Wie ber junge 
König tachenben SRunbeS fich fetbft genannt hatte, ift ber 
alte grifc geworben, grämlich, »erbarmt, »erhärtet, fo wie in 
bem Antlijj bie Weiche IRunbung ber ßüge ben aübefannten 
ftrengen unb fpifcen ßinien gewinn ift. 31 ber wie bie ©timme 
ihren alten einfchmeichelnben Klang, „weich felbft beim gludjen", 
behalten hat, fo glimmt bodj noch im ©runbe beS JgierjenS 
ein gunle warmer, weicher Smpfinbung. 9lod) immer wirb 
baS Auge leicht ihm feucht. Sr felbft fd)ilt auf biefe Smpfinb* 
famfeit, auf biefe ÜRadjgiebigleit gegen äußere Sinbrüde, ba 
fie ihm bie ©d)Were beS ®afeinS, bie Aufregungen beS Augen* 
blidS nur um fo peinüoKer macht. Sr giebt feiner ©eele 
„©todfehläge", er benft, baß ©tjilofophie »nb Srfahrung feine 
natürliche ßebljaftigfeit gebänbigt haben füllen, unb muß fich 
enbüdj boch fagen, baß ein mit fo tjeifeen ßeibenfdjaften ©e» 
borener bie erfehnte „Unempfinblichfeit beS ©toiferS“ nicht 
erreichen fann. Unb wäre er noch eine ^atur gewefen, bie 
an bet $h°t unb am Sinfafc aller Kräfte, am ©letten unb 
©lagen, am Ijelbenhaften Gingen mit bem feinbfeligen ®e= 
fdjia innerliche unb auSfchließliche greube, leibenfdjaftlidjeS 
©enügen, ©eligfeit empfunben hätte. Aber immer wieber 
lommt bie ©ehnfudjt nach bem Stillleben, nad) ber ©n* 
famfeit beS ©tubierjimmerS jurn 2)urch6rud), bie fentimen» 
täte ©eljnfucht beS adjtjehnten SaljrhunbertS, bie baS befte 
Üljeil in befdjaulidjer ©efteflung beS ©ärtleinS fieht. S)er 
ÜRann, an bem bie Anberen bie „mehr als menfchtiche" 
geftigfeit bewunbent, feufjt: „3)er ©eift ber großen Scanner 
ift nicht ber meine", unb bezeichnet fich als ben, bem ©lagniffe 
unb ©lüdSfpiet »erljaßt finb. AIS ©torthrium, als gege* 
feuer beflagt er fein £elbentf|um; „ein .geidjen me hr beS 
ßeibenS als beS ©lüdS" ift ber ßorbeetfranj aud) ihm ge* 
wefen. Sr ift aßmälig ber Kataftrophen fo gewohnt, baß er 
bie fommenben Sreigniffe „nur noch fürchtet"; et bebt. Wenn er 
einen ©rief erbricht, unb erfdjridt, wenn bie S£f)üre fich öffnet. 
Unb Kofer fragt: „§at griebrich, wenn er fich einen tragifdjen 
©harafter nannte, auch baS ÜRoment ber eigenen ©erfdjulbung 
bamit anerfennen woflen? ©ewiß hat er ben ©türm, ber fein 
ßeben erfüßt hat, felbft entfacht. St hat einen ©egner auf 
$ob unb ßeben Ijerauögeforbert, unb bann, ba er eS noch 9 e= 
lonnt hätte, ihn nicht ju ©oben geftredt; benn wohl bürfte 
eS in feinem erften Kriege bei ihm geftanben haben, bie §anb, 
bie nachmals ihm fo fcfjmere SBunben gefchlagen hat, ganj 
unb für immer p entwaffnen. SS hat nicht an Stimmen 
gefehlt, Weber bei feinen ßebjeiten noch in ber golgejeit, bie 
aß’ fein $h un f e it ber Sroberung »on @d)lefien auS ber 
Unruhe eines böfen ©emiffenS haben herleiten woflen. griebrich 
hat als großer IReatpolitiler bie ©renjen beS politifdj Sr* 
taubten weit geftedt unb hat bem einft öffentlich »on ihm 


»erurtheilten SOtocchiaoefl fpäter eine förmliche ©hrenerflärung 
gegeben; aber eS unterfdjeiben fidj ihm hoch beim SRüdblia 
auf feine eigenen §anblungen fotcf)e, bie ihm burchauS un< 
bebenfiieh unb gleidjfam felbftoerftänblid) erfcheinen, unb anbere, 
bie er entfchulbigcn ju müffen glaubt, ©d)on ber alte @ar»e 
hat treffenb bemerlt, baß griebrich, fo oft unb fo angelegent* 
lieh er feinen erften grieben, ben ©onberüertrag »on ©reSlau, 
ben Abfafl »on bem ©ünbniß mit grantreich, ju rechtfertigen 
gefucht hat, boch nie ein Sßort ber Sntfdplbigung für.feinen 
erften Krieg, für bie Sroberung »on ©chlefien übrig gehabt 
habe, unb baß ißm »oßenbS im fiebenjährigen Kriege nie, 
felbft in ben größten ©ebrängniffen nicht, ber geringfte 
3weifel an bet ©erechtigfeit feines S£h u nS aufgeftiegen fei. 
SS ift nicht anbetS: in bem ©efifc »on ©chlefien, bem noli 
me tangere feines politifchen ®afeinS, hat et fich burdj 
©ewiffenSbebenten ebenfo wenig beirren taffen, wie burch baS 
dräuen unb Anftürmen beS »erbünbeten SuropaS, unb mehr 
noch als feßon fein jweiter Ärieg 1)at ihm ber britte immer 
als ein ihm anfgejWungener ©ertheibigungStampf gegolten. 
SS wäre benn, baß man auS aß’ ben unüergteichlichen 
©riefen, bie »ielmeljr als ©elbftgefpräche benn als 2Mit* 
theilungen an^ufehen finb, entweber bewußte Heuchelei, ober 
ben ©erfuch, baS ©ewiffen ju betäuben, ober »oflenbeten 
©elbftbetrug herauSlefen woflte — ba, wo wir ben tobt* 
müben Kämpfer bewunbern, ber in Srübfat unb ©angen unb 
ben fdjwerften Anfechtungen fich immer wieber aufrichtet an 
bem ©ewußtfein, feine ©flicht getßan ju haben, unb an bem 
©orfah, feine ©flicht Weiter ju thun, ober, wie Sarlple ein* 
fach unb fd)ön gefagt hat, „an ber Hoffnung auf fein eigenes 
befteS Semühen bis pm Sobe". 

®er Äönig hat fich feines enblidtjen ©iegeS, feines reich* 
licken ÜtuhmeS alfo nicht »ofl ju freuen »ermocht. „Unfer 
SricgSruhm," fo befanntc er, „ift fehr feßön auS ber gerne 
angefehen; aber wer 3euge ift, in welchem Sammet unb 
Slenb biefer ©uhm erworben Wirb, unter welchen förperlichen 
Sntbehtungen unb Anftrengungen, in ftihe unb Äälte, in 
junger, ©chmug unb ©löße, ber lernt über ben ©uhm ganj 
anberS urtheilen." „Alt, faft finbifdj, grau wie ein ÜWaul» 
thier, tagtäglich einen 3 a h n cinbüßenb, »on ber ©idjt jum 
halben Krüppel gemacht," meinte er nur nodj auf einen ©la^ 
im Snoalibenhaufe Anfpruch ju haben. Sr wolle ben ©er* 
linern, fctjrieb er noch auS ©achfen an b’AtgenS, ihren Subei 
über ben grieben gönnen, aber „maS mich anbetrifft, mich 
armen ©reis, fo fehte ich in e i ne ©tabt jurüd, »on ber ich 
nur noch bie SHauern fenne, wo ich Ütkmanb »on meiner 
alten ©elanntfdjaft mehr toorfinbe, wo unermeßliche Arbeit 
mich erwartet, unb wo ich binnen Kurzem meine ©ebeine 
einer 3 u fiuchtSftätte übergeben werbe, bie nicht mehr geftört 
werben fofl, Weber burch ben Krieg, noch burch bie UnglüdS* 
fdjläge, noch burch bie ©chlecfjtigleit ber SRenfchen." Unb 
fein jüngftcr ©iograph fchließt: „Sr lehrte gealtert jurüd 
in eine fich »erjüngenbe ©Seit. Sin neues 3 e italter brach 
an. SBährenb biefeS Krieges hatten bie ©hhfiphaten ihre 
©rogrammfehriften unb fRouffeau feinen Emile unb ben ©e* 
feüfd)aftS»ertrag »eröffentlicht, unb halb Würbe auch ®eutfch* 
lanb »on ber Sinwirtung Sfiouffeau’S unb »om ©türm unb 
prange erreicht. ®ie Sugenb ftürmte über ben „alten grifc" 
hinaus, et felbft ging feinen eigenen ©leg weiter, hanbetnb, 
fcßaffenb, »oßbringenb, feine ©klt formenb nach feinem ©ilbe," 
©5ir fügen h' n i u > baß er auch unferem ablaufenben Saht* 
hunbert, bor beffen ©chwefle er ftarb, noch baS ©epräge 
feines ©eifteS gegeben hat, unb wenn wir eS baS militärifdje 
ober baS preußifdje nennen bürfen, fo »erbanlen wir eS mit 
bem noch h eute ewigjungen alten gri$. 


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310 


Di« töjgentttt'tt. 


Nr. 20. 


Literatur unb <£uttft. 

Ättgnft Heidjenspertjer ttnb bie finnfi. 

®on fubroig Kolptng. 

K)aS abfc^eultc^e Sittentat auf beutfdjen ©eift unb beutfche 
Sunft, baS mit ben 3 11 holtet* unb Äunftparagraphen ber 
lex ^einje t>erübt »erben foßte, ift non ben Ginfichtigeren 
in ber ^auptfa^e als eine ultramontane £>erau3forberung 
erfannt roorben, obwohl auch eDangelifdjeSSRuderthum (©toeder) 
unb — maS immer lopal Derfcßmiegen mürbe — ^ödjfte 
Ijöfifdje Ginflüffe fräftig mitgeholfen t)a6en. Sßenn man ba* 
bei bie täppifd)*breifte Äampfroeife unferet heute leibet auS* 
fchlaggebenben KentrumSpartci unb ihrer SBortfüfjrer betrachtet, 
fo fann man nicht umhin, einen bebeutenben geiftigen, ora* 
totifdjen unb tactifchcn Verfall unferer päpftlidjen parlamen» 
tarier ju conftatiren. ©erabe je$t ift eine grofje Biographie 
SteidjenSperger’S auS bef gebet non Prof. Submig paftor 
(2 Bänbe, greiburg. gerbet) erfdjiencn, bie unS bie fdjmarjcn 
Heerführer im Kulturfampfe jeigt,unb menn mir auch ber 
beaeifterten ©chilberung mit gemifd)ten ©efühlen folgen, fo 
muffen mir bod) geftehen, bah mir ber UeberjeugungStreue, 
bem ©laubenSeifer, bem 'latent unb ber ©efchicflidjfeit biefer 
gührer unfere Sichtung nicht oerfagen fönncn. Bergleichen 
mir aber bie bamaligen KentrumSleiter, ben fud)Sfdjlauen 
Söinbljorft, bie beiben fernbeutfd)=eljrlid)en SleidjenSperget unb 
ben feurigen SRaflintrobt mit ben heutigen gührer, einem 
fRoeren, ©roeger, porfch unb fogar Sieber, fo fönnen mir, mie 
fd)on bemcrft, nur einen Ijcillofen fRiidfdjritt feftftellen. SBir 
behaupten, baß unter bem Kommmtbo ber oier claffifdjen Kultur* 
fampf-Befämpfer eine lex Hcinje nicht möglich gemefen märe unb 
ganatifer miefRoeren unb ©roeger gar feine Stoße hätten fpielen 
bürfen. 2Bie mürbe ber funftoerftänbige Sluguft StcichenSperger 
ju biefen funftfeinblidjen SluSfäßcn feiner gractionS=S?adjfolger 
ben ftapf gerüttelt ^aben! SSoinit mir aber nicht fagen 
moßen, bajj er bem Städten in ber Sun ft ftjmpatfjifch gegen* 
über ftanb, nur fdjüttete er baS Äinb nie mit bem Babe auS. 

gmar galt aud) ihm bie Slunft nicht als eine blofje 
äfthetifche Siebhaberei, fonbern als eines ber midjtigften Gle* 
mente ber öffentlichen ©efittung, geeignet, in rociten greifen 
Derebelnb ober aber auch oerberbenb ju mirfen. „®ie Slunft* 
Übung," fagt er fe^r richtig, „ift mit nickten eine ifolirte 
SChätigfeit; bie Slunft als ©aitjeS genommen ift ju feiner 3eit 
baS probuct einzelner Snbioibuen; in ihrem tiefften ©runbe 
fd)lingen »ielmehr bie SBurjeln aller Berhältniffe fid) inein* 
anber, meldhe bie betrcffcnbe Periobe überhaupt bebingen unb 
djarafterifiren. ®ie Slunft ift bie feinfte SBlütfje beS Kultur* 
tebenS, fie fann bem aufmerffamen Beobachter als ©rabmeffer 
für ben ^erjfchlag eines BolfeS bienen, ©ie h at barum 
auch eine hohe Bebeutung für baS öffentliche SBohl unb ge* 
hört in ben ÄreiS ber Slngelegenheitcn, bie ber Dbforge unb 
Pflege ber ©taatSregierungen anoertraut merbeit. ‘Jnefe foßen 
unterftühenb, aufmunternb unb fjelfenb eintreten, mo biefiräfte 
ber Ginjclnen ober ber Kommunen nicht auSreidjen; fie merben 
bieS aber nur bann mit Krfolg tf)un, menn fie babei Don 
richtigen Slnfchauungcn auSgehen, menn fie, mo eS nöthig er» 
fcheint, and) ben SRutf) hoben, ber herrfdjenben ‘SageSmeinung 
entgegenjutreten unb unter aßen Berhältniffen ben hödjften 
ibcaten ©tanbpunft als baS giel ber Begebungen aufjufteflen." 

SReidjenSperger mar aber nicht aßein mit bem SBort für 
bie Slunft, mie er fie oerftanb, tljätig. Sieben feiner an* 
geftrengten, fo Diele unb berfdjicbenartige ©egenftänbe um* 
faffenben partamentarifchen £l)ätigfeit fanb SteidjenSperger 
nodj immer SRufje, um theilS burdj Borträge, tfjeilS burdh 
Stecenfioiten, Slbljanbtungen ober befonbere ©c^riften für bie 
Berbreitung richtiger ©runbfäfjc über Slunft unb Äunftgeroerbe 
unb für bie SBieberbelebung ber d)riftlid)*germanifd)en Slunft 
ju mirfen. Submig paftor giebt uns aus ben Derfdjoßenen 
gtogfd)riften unb ßeitungSartifeln reichliche groben. 


ÜRit föftlichem §umor, feinfter ©atire, Dernichtenbem ©pott 
muftert fReidjenSperger einmal bie berunglüdten Slachahmungen 
ber Slntife, in golge beren „bermalen Don Petersburg bis 
nach ©enf, Don Philabelphia bis nach trieft unS aßer Orten 
faft biefelbe ,claffifd)c Sangemeile 4 angähnt." „®er SSeltum= 
fegler Koot erjählt irgenbmo Don ber überaus burleefen Kr* 
fcheinung einiger Häuptlinge milber ©übfee*3nfulaner, bie in 
europäifdjen Uniformfräden mit Kpauletten unb mit brei* 
edigen £üten bebedt, Slubienj gegeben hätten, mäf)renb ihr 
übriger ftörper fid) im heintathlidjen SJaturjuftanbe gezeigt 
habe. GineS nid)t minber ergöglichen GinbrudeS mürben fid) 
jmeifelSohne bie Baumeifter beS Parthenon unb ber Proppläen 
ju erfreuen ho^n, menn biefelben Dor bie Xraoeftien ihrer 
©chöpfungen beträten, mit melchen baS miebet aufgemärmte 
Heßenenthum unfere mobernen ©tragen, benen bet Polijei* 
ftod bie ©chönheitSlinie uorgcfd)rieben, fort unb fort beoölfert, 
menn fie bie ©^ornfteine unb ®adjfenfter über ben grontonS 
uon plattgcbrüdtcn Xempelfaffaben h^rDorlugen fähen, bic 
©äulen, bie nid)ts ju tragen, bie angeflebten ©efimfe, bie 
nichts ju ftüfcen h«ben; menn fie bie brei bis Dicr fReiljen 
Dierediger genfterhöhlen übereinanber in ber SRauermaffe 
erblidten, melche bie fchlanfen ©äulenfchäfte gefangen holten; 
menn fie fid) enblid) gar baoon überjeugten, bafe aße biefe 
,in ihrem ©eifte* gefchaffcne Herrlichfeit jumeift auS bannen* 
brettern, Badfteinen, Dfürtel nnb Oelfarben coinponirt ift" 
Sticht minber humorDofl ift bie ©chilberung, melche SteidjenS* 
perger Don ber H cr fteöung ber mobernen Bauten entmirft 
®en Gntmurf beginnt ber Baumeifter „immer juerft mit ber 
gaffabe, in ber Slrt, bafe, je nach bem Betrage ber ju Der* 
»enbenben ©untme, brei, Dier, fünf ober auch noch nicht Dier* 
edige genfteröffnungen jmei, brei obet Dier Btal übereinanber, 
immer hübfeh fhmmetrifd) unb ja in gleicher ©ntfernung Don 
eiuanber in eine glatte SBanb re^tminflig eingefchnitten merben 
unb bie Xl)üre in bet SRitte ber untern genfterreihe an* 
gebracht mirb, mährenb oben ein auS Bignola copirtcS, meift 
auS Brettern jufammengenagelteS, antififirenbeS ©efimS bie 
geniale Konception mürbig frönt unb enblidj einige 9?eif)cn 
Don $ad)fcnftern unb ©chornfteincn ben untern genfterreihen 
gemiffermafeen correfponbircn. lOemnä^ft geht ber SReifter 
baran, ein biefer granbioS gebachten Slufjcnfcite cntfpred)cnbeS 
SnnereS ju fchaffen. 3 U biefem Gnbe merben mit bem Sineal 
fo Diele Bierede (benn ber pijilifter begreift, mie KlemenS 
Brentano fagt, nur Dieredige ©achen, unb fclbft biefe finb ihm 
nidjt feiten ju ntitb), als gefonberte SJäume notljmcnbig finb, 
in bie Dcrfchiebenen ©todmerfe eingejeichnet, jmifdjen mclcben 
bann bie kreppen unb bie Sfamine fid) piafc fud)cn unb (ich 
einflammern, fo gut eS gehen miß." Sn überaus padenber 
SBeife mirb bemgegenüber gejeigt, mie baS SRittelaltcr feine 
Häufet nicht Don aufeen hinein, fonbern Don innen ^erauS 
fchuf, fo bafe bie gaffabe baS Probuct beS SnnenbaueS mürbe, 
mie ber Slufrijj baS probuct beS ©runbriffeS. „SlßeS ge* 
ftaltet fid) burdjauS natürlich, gleichwie nach einem organifchen 
©efege; jeber ^heil, ber größte mie ber fleinftc, giebt burch 
feine Grfcheinung fofort feine Bestimmung unb ben ©rab 
feiner Bebeutung ju erfennen, nichts ift oerfleiftert unb 
maSfirt, unb enblid) geftaltet ein natürliches &unftgeffif)l bic 
Ginjelheiten ju einem malerifdjen, auSbrudSDoflen ©anjen, 
meines überbieS möglidjft mit ber Umgebung in Ginflang 
gefegt mirb. ©o muhten fich, umgefehrt mie foldheS bie 
heutige Baumeife lehrt, bie genfter in Bejug auf ©eftaß, 
©röhe, 3 a hl not* Slnorbnung nach ber StaumDertf)eilung im 
Snnern rieten; bie kreppen lagen in befonbern, ben ganjen 
Bau überragenben 3:härnten, fomohl gefd)üfct gegen geuerS* 
gefahr als mohlerleudjtet unb bie freie Beroegung im Snnern 
nid)t t» emmen b; bie Slamine traten fräftig unb entfeßieben 
aus ben SBänbett unb Fächern unb brachen fo, mie bie eben 
gebachten Sreppenhäufer, nicht blofj bie SRonotonie ber gro|en 
gfädjen, fonbern fie boten auch e * nen freiten Spielraum für 
ornamentale SRotiue aßer Slrt bar." ÜRan fann fich fe‘ nf 


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Nr, 20. 


Die (ßegentoari. 


811 


fcßärfere, aber auch nicht leicßt eine im ©roßen unb ©anjen 
beffet berechtigte Satire auf unfere moberne Vaufunft beuten; 
fie ift heute noch getabe fo am Ißtaße wie üor Saßrjeßnten, 
at8 fie gefdjrieben würbe. Kein Sßunber, baß feine Kunft* 
autorität juleßt auch iw Parlament ertannt würbe. 

Sleidßengperger gebot über eine unuergteichticfje, bureß 
eigene 9tnfcßauung gewonnene Kenntniß bet Kunftwerfe. 
©ag ganje beutfeße Kunftgebiet üon SJlarienburg big nach 
Vafel, oon stachen unb SJlünfter big nach SEBien hat er nach 
allen Stichtungen hin burchfaßren, unb nur wenige Orte mit 
bebeutenberen Kunftbenfmälern mögen Don ihm nicht befugt 
worben fein. Stucß ben angrenjenben Sänbern, namentlich©etgien 
unb §oÜanb, ftattete er wieberholt Vefucße ab. ®r hielt auch 
jafßrctche ©orträge, bie ade auf grünblichen ©tubien beruhten: 
fie fanben bielfacß fo großen Entlang, baß Sleicßengperger fich 
wieberholt jur Veröffentlichung bcrfelben entfdjließen mußte. 
3unäcßft war bieg ber gall bei bem im SJlärj 1875 in Köln 
gehaltenen Vortrag «lieber bag Kunfthanbwerf“. 3n ber ©in* 
leitung Dariirt Sleicßengperger fein Sieblinggtßcma Don bem 
Derberbüchen ©tnfluß' ber Slcnaiffance. ©aftor gefteht, bah eg 
hier nicht an fchroffen, ju weit geheitben Vehauptungen fehlt; 
unbebingt beiftimmen aber tann man ben Slugführungen über 
ben Verfall beg beutfehen Kunftgemerbeg, ber — nach bem 
3eugniffe Don Suliug Seffing — auf ber SBiener SBelt« 
augfteflitng ju einer „bößigen Slieberlage" ber beutfehen Slug* 
fteller geführt h atte - 3« fehr jeitgencäßer SBeife gibt nun 
SReicßengperger mancherlei ganj Dortreffliche SBinfe, auf Welche 
SBeifc ber ^anbwerterftanb fich weht unb mehr üon ber 
§errfcßaft ber Schablone unb beg ©urrogatcntßumg eman* 
cipiren unb Wicber ju einer würbigen tiinftlerifchen ^^ätigCett 
gelangen tönne. @r hebt mit Siecht heroor, wie bem Kunft* 
ßanbwerf noch immer neben ber in neuerer 3eit fo fehr Der« 
DoUfommneten Üftafcßine eine berechtigte unb eßrenuolle Stellung 
gebühre, unb Wie baffelbe ber (extern nicht leichten Kaufg 
bag gelb räumen bürfe. ©amit aber ber Kunftßanbwerler 
ju Wirßich fünftlerifcßen-Seiftungen auf ben Derfchiebencn 
©ebieten befähigt unb angeregt Werbe, fei ein ©oppelteg er« 
forberlidj. @8 müffe bie Kluft, welche ben Künftler Dom 
^anbwerfer feßeibet, noch Dieleg bon iß«r Schroffheit bet« 
lieren unb beibe mehr £anb in £>anb gehen, ©ann aber fei 
unbebingt nötßig, baß Kircßenüorftänbe, Woßlßabenbeißribatetc. 
getabeju unlünftlerifchen ©ebilben in Oelfatbenbrucf, ®uß« 
eifen, ©h on ober „SJfaffe" leinen ©ta| mehr in Kirchen unb 
ffioßnungen gönnen, baß fie üielmehr bei etwaigem ©elb* 
mangel lieber einige geit jögern, big bag ©elb für ein Wirt« 
licheg Kunftmerf augreiche. 

©inen £auptgrunb für bag aflfeitig bellagte ©anieber» 
liegen ber beutfehen Kunftinbuftrie erblidl Sleicßengperger 
barin, baß man fich gewöhnt habe, Don einem unb bemfelben 
Künftler Seiftungen aug ben berfdjiebenften ©tilarten ju 
berlangen. ©reffenb wirb herborgehoben, baß wirtliche, auch 
bag Kennerauge befriebigenbeKunftleiftungen ohne übermäßigen 
Äufwanb bon 3 ß rt« Talent unb ÜJlüße nur erreicht werben 
tönnen, wenn bem betreffenben Kunftßanbwerler ein beftimmteg, 
mit ihm gleicßfam berwachfeneg ftiliftifcheö Vilbungggefefc alg 
Stichtfchnur bient, „©ag wirb aber erft erreicht werben, wenn 
man in unferen gortbilbungg*, ÜJleifter» unb 3tt<ßenfchulen 
barauf bereichtet,'im wilben ©ureßeinanbet nach Lobelien unb 
Stbgüffen aug allen möglichen ©tilen faubere 3 e *thuungen 
mit großem 3 e 't au fwanb anfertigen ju laffen. ©erartige 
©inge nehmen fich au f Sdßulaugftellungen jwar recht ßfibfcß 
aug, aber bie ju lange Vefchäftigung mit bemfelben macht 
bie §anb beg angeßenben SKeifterg für feine eigentliche Ve* 
rufgarbeit ungeeignet/ ganj abgefeßen babon, baß fie ber 
Stilmengereien unb bem ©üntel gleicher SBeife Vorfcßub 
leiftet. ©etedte 3ci<ßn ungen unb blenbenbe ©ntwürfe haben 
unfere „Väter", beten Sßerte wir heute noch ftounenb Der« 
ehren, fo gut wie nie angefertigt; aber bafür beßerrfeßten fie 
mit boßfter Sicherheit ihr SRaterial, aug bem fie ihre ÜReifter* 


wette heraugarbeiteten." Von ben ©alerien, SWufeen wie Don 
ben SBeltauöfteHungen erwartet Slekhengperger teine Hebung 
ber Kunft unb beg Kunftgewerbeg. Vejüglicß ber großen 
SlugfteQungen, biefer „unüberfehbaren SBeltjaßrmärfte", |at 
bie feitßerige ©rfaßrung feine Slnficßt glänjenb beftätigt; für 
bie ©alerien unb bie nicht augbrüctlich erwähnten ©pecial« 
augfteHungen muß man inbeffen bocß eine höhere Söertß» 
fdßäfcung beanfptuchen, alg ihnen Sieichengperger ju ©ßeil 
werben läßt. 

„®ie ©enbenj meiner Kunftfdjriftfteflerei," fagt er in 
feiner Schrift „SlUerlei aug bem Kunftgebiete", „geht nicht 
bahin, bie Kunftgelehrten noch gelehrter, wohl aber etwag 
praftifcher ju machen; ich h a ^ e wir an meinem geringen 
©heile Don jeher nur bie Slufgabe gemacht, bag SBefen ber 
chriftli^en Kunft ju möglichft allgemeinem Verftänbniß bringen 
ju helfen, ganj ingbefonbere aber bie opferwillige Eingebung 
an biefelbe ju beleben, fowie bem ©inbringen beg mobernen 
©djwinbelg in bie SDlaffen entgegen ju arbeiten." Unb in bem« 
felben Sinne gefteht er unumwunben, „baß er mehr Sßerth 
barauf legen würbe, eine einzig alte ©apelle Dor bent ©in* 
fturje ju retten ober bie ©rbauung einer neuen funftgeredjten 
ju beranlaffen, alg auf ben Sluhm, bie Vibliotheten mit einem 
Vanbe bott nagelneuer ©efinitionen unb Slbhanblungen über 
bag ©laffifche, bag Kunftibeal, bag ©rhabene unb ©chöne u. bgl. 
bereichert ju haben". 3 ut richtigen Veurtijeitung ber funft« 
fchriftftellerifchen ©hätigfeit Steidjengperger’g will ipaftor biefen 
©efichtgpunft ftreng fefthalten: „er war fein eigentlicher Kunft* 
hiftorifer oberStrchäologc, auch fein Kunftphilofoph; er war Diel« 
mehr hauptfächlich Vraftifer unbSlpoftel für bie SBieberbelebung 
einer echten bolfgthümlichen, beutfehen, bie chriftlichen 3been 
Derförpernben Kunft. ©ag 3beal hierfür erblicfte er in ber 
gothiiehen Kunftform — für ihre SSiebcraufnahme in Slrchiteftur 
unb Kunftgewerbe wirfte er gemiffermaßen alg Kunftagitätor. 
3m tiefften ©runbe fpifcte fj^ für ihn 91 lieg auf bie grage ju: 
SS3ag Jollen wir gegenüber bem Sug unb ©rüg ber mobernen, 
efleftifdjen gabrifgfunft unb bem Vaufdjwinbet thun, um 
wieber ju einer nationalen unb chriftlichen Kunftweifc ju ge« 
langen? Slatürlicf) mußte Sleidhengperger bie hiftorifdje unb 
äfthetif^e ©eite beg Kuitftproblemg immer wieber berühren, 
allein afieg hierher ©ehörige war ihm ftetg in leßter Sinie 
nur bag SWittel jum ßwed, nur ©infleibung unb Vegrünbung 
feiner praftifdEjert ©runbfähe. 0h ne eingehenbere fachmämcifchc 
©efchidjtgarbeit unb beeinflußt bon bem hiftorifdjen Urtheile 
feiner greunbe unb ßeitgenoffen, hat Sleidhengperger in h<fiO' 
rifdjen ©ittgen ukht feiten Vehauptungen aufgeftellt, bie thnt« 
fächlich nicht haltbar jinb. Vei feinem lebhaften ©emperament 
unb feiner Sleigung jum ©ebattiren hat er fich juwerlert ju 
nicht ftichhaltigcn 9luffteüungcn hinreißen laffen. ©eine 
©egner haben folche ©inge aufgegriffen unb in einer SBeife 
berallgemeinert, welche bem unermüblichen Sachwalter ber 
©othif fd)wereg Unredht jufügt. 2BoE)C bag ©tärffte in biefer 
§inficht hat fich Sübfe erlaubt, inbem er behauptet, „Sleicheng« 
perget halte alle funftgefchichtliche ©ntwidfelung ber lebten 
bier Sahrhunberte für ©eufelgwerf". 

„®ewiß," entgegnete Sieichengperger mit boßem Siechte, 
„ift ber ©on folget Volemif nichtg weniger alg einlabenb jur 
©egenrebe, unb ich Weiß auch f«h r Wohl, baß cg unmöglich 
ift, aug gewiffen Köpfen gewiffe Vorurtheile ju bertreiben. 
Allein barum foll man boch eine fich jufällig bietenbe ©c* 
legenheit nicht ungenu|t laffen, um Vorfeßr ju treffen, baß 
jene Vorurtheile nicht Immer weiter übcrfiebeln. ÜDfan hat 
überbieg auch boßauf genug an feinen wirtlichen gehlem unb 
Schwächen ju tragen, um fich beranlaßt ju feßen, ber an* 
gebießteten fieß nach Kräften ju erwehren. Unb fo möge 
benn bie runbe ©rflärung h*ff ^jßlaft greifen, baß icß nid)t 
bloß bie Slapßael unb SDlicßelangelo, bie ©ijian unb ©ürcr, 
fonbern auch bie Slubeng unb Slembranbt, bie ©enierg unb 
®ow, bie ißotter’fcßen Vieß* unb bie ©egßerg’fcßen Vlumen* 
ftüdte, ja felbft bie SBatteau unb bie fonft neben ißm ßerbor* 




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312 


$it d&ejenwart 


NtSO. 


tagettben SJleifter bet einen |eben in feiner 9(rt 

genommen, godj in ©gren gälte, baß i<g eS aber für eine 
raum erträgliche Anmaßung erachte, wenn bie geifteSmatten 
Scgaufünftler, bie ©ußeifen*©efliniS unb fonftigen Surrogaten* 
jäget ber ©egenwart ihre ftil* unb cgarafterlofe SluSfteflungS* 
®ugenbwaare burch bie flaggen jener ©enieS ju becEett füg 
unterfangen. Von ,'ieufelSwerf 1 lann ba wahrlich nicht bie 
SRebe fein, nicht einmal Don einem falfehen ©efegmatf, ba 
eben gar feiner ju oerfpüren ift. So ich au<g ben ©runb* 
anfegauungen jener großen SReifter nicht beipflicgten ju fönnen 
glaube, bringe ich bodj ihrem ©enie foruie ber foliben Fracht 
ober ber Doßenbeten Stecgm! ihrer Serie ben ßofl aufrichtigfter 
Vewunbetung bar. Ober gäbe ich etwa, wie ein anberer 
Äritifer mir nachfagt, mich jemals bahin Dernehmen laffen, 
,baß bie S'unft Don ber Sfircge nicht getrennt werben fönne, 
baß alle echte Sunft fatholifch fei 1 ? £abe ich enblich fcglecgt* 
hin über bie gefammte heutige Äunft ben Stab gebrochen 
unb ,nur allein Don ihrer fRüdfcgr ju irgenb einer ^ß^ofe 
ihrer früheren ©nttoidelung baS £>eil erwartet 1 ? SRein, folcher 
ftarrer SluSfcgließlichfeit höbe ich wich i u feiner 3eit fcgulbig 
gemacht. @S ift mir feljr wohl bewußt, baß unfet Sagt* 
gunbert nicht wenig burdgauS berechtigte ©lemente in fich 
fdjließt, Welche eS mefentltd) unb notgmenbig, nicht bloß Dom 
SRittelalter, fonbern fetbft Don ben brei legten Sagrgunberten 
unterfcheiben; ftetS hübe ich bie lebenSDofle Vermittelung ber 
neueren ©ultur mit ber beS SDlittelalterS für unfere Aufgabe 
erachtet; nie ift eS mir in ben Sinn gefommen, Don einer 
SReprobuction beS legieren, bem Vucgftaben nach, Don einem 
ftbflatfcgen feiner |>erDorbringungen baS £>eil für unfere 
Äunftübungen ju erwarten, ©benfo wie bie nicht jur SfreujeS* 
fagne galtenben 9leftgetifer bin ich i u ben fRuinen beS fßäftum* 
Stempel unb beS ©oloffeumS gingepitgert, gäbe ich meine 
^ulbigung ben @(gin*2Rarntoren unb ben bilbnerifdjcn Schagen 
beS VaticanS aus ber Vlütgejeit oorcgriftlidjer Sunft bar* 
gebraut. ÜRur hat ber fReij aller biefer ^errlidjfeiten mich 
nicht ganj unb gar ju btenben Dermocht; Dielmehr ift mir 
baDor erft recht ber Sinn für bie eigentümliche ©röße unb 
bie ©ebanfentiefe beS flRittelalterS, namentlich im Vergleich 
mit bem fubalternen ©harafter ber weiften fßrobucte ber 
©egenwart aufgegangen, bie in ber aHerneueftcn photographifcf)en 
Schule ihren fegönften Triumph ju feiern im Vcgriffe ftegt." 

®er SRann, ber bieS getrieben, war bot nicht ber 
gotgifdje ganatifer, als welchen manche feiner ©egner ihn 
ginjufteflen beliebten. 9Iße wahren Äunftwerfe fanben feine 
9lnerfennung: bie echte 9lntife mar babon ebenfo wenig auS* 
genommen wie bie eigentliche fRenaiffance; ja fetbft gewiffe 
Vorzüge beS Varod* unb fRococoftileS erfannte er an unb 
warnte bor ber Vefeitigung ber ©rjeugniffe biefer jßeriobe, 
Wenn man nichts VeffereS an beren Stelle ju fegen habe. 

SaS bie eigentliche ober italienifche fRenaiffance an* 
belangt, fo überfegägte er mit faft aßen feinen ßtttßeuoffen 
bie geibnifeg * materialiftifcgc Seite berfelben. 9(lS fßaftor 
unter bem Veifaß eines Vurdgarbt unb be fRoffi baS Ve= 
ftehen einer cgriftlicgen neben ber geibnifdjen fRenaiffance 
nadgWieS, berfcgloß fic| fReicgenSperger gegen biefeS gorfcgungS* 
ergebniß nicht; inbeffen fonnte er fich Don ber 9lnfid)t einer 
principießen Verfnüpfung Don fRenaiffance unb ÜReu*f>eiben* 
thum nicht mehr ganj loSmadgen. „Stgeilweife," erflärt fßaftor, 
„hing bieS mit feiner Vetradjtung ber ©otgif jufammen: in ihr 
fah et baS göcgfte Sbeat djriftlicger Vaufunft. ©r begrünbete 
bieS bamit, baß biefer Stil auS ber chriftlichen Sbee geboren, für 
ben üluSbrud berfelben eine neue, angemeffenfte, Doßfommenfte 
gorm gefegaffen habe unb beßgalb unbedingt DorjUjiegcn fei 
ber fRenaiffance, welche fich 3 U bem angegebenen ßweefe ber 
fchon Dom fpeibentgum gebrauchten formen bebient habe, 
fßiit feuriger Vegeifterung betonte er, bajj feine anbere Jfunft* 
ridjtung fo wie bie ©otgif geeignet fei, ben „©eift auS ben 
engen ©renjen beS Srbifcgen ginauSjufügren unb mit ber 
Vorfteßung beS ©rofjen, Unübcrfegbaren, Unmeßbarert baS 


©efügl anbäegtigen Staunens unb ehrfurchtSDoßen Vt* 
munbetnS", „©wigfeitSgebanfen" ju erweden. Seuu man 
auch für ’&eutfcglanb biefen Stanbpunft fReidgenSpergeri 
tgeilen faitn, fo ift berfelbe boch für Stalien fi«her nicht ju* 
treffenb. ÜRag auch für baS beutfehe ©efühl bie ©othif ben 
religiöfen, chriftlichen ©ebanfen am reinften auSbrüden, fo fann 
behhalb unb Dießeicht gerabe befehalb biefer Stil nicht für alb 
SänberalSber aßein giltigeGanon cgriftlicher Vaufunft hingefteüt 
unb bie Don Italien auSgegenbe Äunftrid)tung ber fRenaiffance 
als mit bem chriftlichen ©eift im SBiberfprucf) ftehenb be* 
trachtet werben. Sn biefer Ipinficht hat einer ber 
ragenbften Äunftforfcher unferer 3«t mit Siecht betont, bafj 
bie fatholifdje Äircge fich niemals ber SRenaiffancefunft gegen* 
über auf jenen Deraßgemeinernben Stanbpunft gefteflt 
habe. fReicgenSperger hat bieS mehr als biflig gethan, toie 
er benn ber Don Stalien auSgehenben Äunftricgtung über* 
gaupt nicht immer gerecht geworben ift. SBährenb feines 
ganjen ßebenS war feine Ülufmcrffamfeit faft beftänbig ben 
SBerfen ber gotgifchen 3cit jugewanbt, bie SBelt ber Slenaiffance 
blieb igm mehr ober weniger fremb. 

Um feinen auf tieffter Ueberjeugung wie reichfter ©r* 
fagrung beruhenben 9lnfcgauungen Don wahrer unb falfcget 
Sfunft bie weitefte Verbreitung ju geben unb fie jur Sn* 
erfennung ju bringen, gab eS wogt faum einen wirtfameren 
Drt als baS Parlament. ®ie SSaftif beS SgnorirenS unb 
XobtfchweigenS gatte ign bei feinen fehriftfteßerifegen SBe* 
ftrebungen fegwer getroffen; nun machte er eS fich J u 
bafe fßreffe unb 3ritf<hriften wogt Vücger übergehen fönnen 
nicht aber fReben, bie Don ben Vertretern beS VolfeS gegolten 
werben. 3nt ®eutfcgen fReicgStage wie im Vreufeifcgen Sanb* 
tage mar er benn auch faft anbertgalb ®ecennien lang in 
biefer ^infiegt uitermüblicg tgätig. ©ifrig ergriff et jebe fug 
barbietenbe ©elegengeit jur Vefprecgung ber fünftlerifcgen 
3uftänbe in ©eutfcglanb, befonberS in fßreufjen, wobei et 
bann mit gewohnter Sllargeit unb niegt feiten mit berechtigter 
Scgärfe bie gier oorganbenen grofjen Scgäben aufbeefte. Die 
geringe Sorge für bie ©rgaltung ber Stunftbenfmäler ber 
Vergangenheit, bie bureaufratifege Drganifation beS ftaat« 
liegen VauwefenS in ißreugen, bie jaglreicgen ftaatlidjen 9leu* 
bauten beS jungen fReicgeS gewährten bem erfahrenen nnb 
weitblicfenben Slebner reiegtiegen Stoff, um ben auf biefen 
©ebieten gcrrfcgenbeH falfcgen Slicgtungen auf baS entfegiebenfte 
entgegenjutreten unb beffere 3«ftänbe wenigftenS anjubagnen. 
®afe er juweilen in feinem ßJfifjmutg über mobernen Jfunft* 
unb Vaufcgwinbel, in feinem geuereifer für bie Sieber* 
belebung ber ©otgif ju weit ging, leugnet auch fein Viograpti 
ißaftor niegt Sn mannen fünften fann man feinen Sus* 
fügrungen nur beiftimnten; nadg ben Derfcgiebenften 9Kcg* 
tungen gat fReidgenSperger fegenSDoß gewirft, in Dielen ftnb 
feine Sbeen trog bet leibenfcgaftlichften Vefämpfung Seiten! 
ber ©egner fiegteieg jum ©uregbrueg gefommen. 

$)ieS gilt namentlich Don feinen Vemügungen }um Scgn| 
ber alten wfonumente. Sie bereits in ben fünfjiger Sagren, 
fo wieS er audg jegt immer wieber barauf gin, wie Diel megr 
in biefer ^infiegt in granfreieg unb ©nglanb, felbft in bem 
fleinen £>oßanb unb bem gewiß niegt reichen Spanien ge* 
f^egen fei, als in $)eutfcglanb. ®ie moberne 3 er ftb run 9^' 
wutg fanb in igm einen niegt minber fWarfen ©egner toie 
ber „fRcftaurationS*VanbaliSmuS", bie „Sleumacherei*. 9Rit 
glügenber ßiebe für unfere oaterlänbifcgen Jfunftbenfmäler 
eine erleucgtete ©infidgt in bie 9lnforberungen einer aflfeitig 
Doßenbeten Sieftauration Dereinigenb, magnte er wie ein 
treuer ©cfart, wo füg ein 9lnlaß fanb, für eine befonnene, 
aßmälige, ftilgeredgte ^erfteßuna ber alten Vaubenfmälet- 
Seine Verbienfte auf biefem ©ebiete finb faum goeg genug 
anjufcglagen, ift boeg, wie ein mit fReicgenSperger befreunbeter 
Äunftfenner erften fRangeS betont, eine aud) nut minber 
gtüdlicge fReftauration in igren folgen oft Dergängnißoollet 
als bie fegwerften Unfäße. 


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Nr. 20. 


Die ©ejjettttart. 


313 


Sine Aufjäplung aller Saumerle, für bereu Steftauration 
SteidjenSperger imlßarlament auftrat, finbet man bei Saftor; 
als bic peroorragenbften feien pier genannt: bie Abteifircpe 
ju Jtnecptfteben, bie Satparinenfircpe ju Oppenheim, bie Sinnen« 
fircpe ju ®üren, ber Äaiferpalaft ju ©oSlar unb baS SRarien» 
burger @d)loß. ©o fepr er fonft auf ©parfamfeit brang, fo 
tonnte ihm für bie Spaltung beS Sitten nic£)t leicht genug 
gefcpepen; infolge beffen befürmortete er j. S. am 80. Slpril 1877 
im Steicpstag bie Semilligung einer größeren ©umme jur 
Spaltung ber Jtunftbenfmäler in @lfaß«ßotpringen. ®en 
Sormurf, baß SteidjenSperger fiep nur für bie ©otpif intereffire 
unb „alle Stenaiffance Deracpte", miberlegt bie 'Ipatfacpe, baß 
er im Parlament unter anberem marm für bie ©rpaltung 
eines StenfmaleS ber ©pätrenaiffance in Syrier eintrat. Aud) 
burdj 3 e * tun 9 gart ^ c ^ Wat er in ber angebeuteten 3tidjtung 
tpätig: fo unter anberem für bie Steftauration ber Äircpen 
ju SBraumeiter, ©etigenftabt unb ©t. SIpoftetn ju Stöln. 
Stamentlidj auf feinen Dielen Steifen ift er nneberpolt für bie 
(Spaltung alter Saubcnfmäler unb beren ftilgeredjte Steftau« 
ration ttjätig gemefen. Sticht menige fircpticpe mie profane 
Saumerfe, in beren Sefeitigung ber (Seift einer falfdjen Stuf» 
ftürung etmaS SerbienftlidjeS fap, pat er gerettet. SBenn er 
Don biefen ®ingen ju etjäplen anftng, mar er unerfdjöpflicp 
unb oft — mie Sßaftor erjäplt — bitter farfaftifdj. „@<pon 
ber ©djatten, melcpen folcpe ©ebäube matfen," ftagte er, „ge« 
nügte ju ihrer Serurtpeilung; man gtaubte fie mie Seichen 
bepanbetn ju bürfen, melcpe man ju begraben Dergeffen pat." 
„Salb finb eS ©emeinberätpe, beren SerfdjöncrungSbrang 
burd) altes, baju Dielleicpt fogar nocfj UnterpaltungSfoften 
beanfprucpenbeS Saumerf gehemmt mirb; batb ift eS bieißotijet 
ober eine anberc Sepörbe, beten Alignements« ober fouftigen 
tßrojecten ein folcper Sau im Stege ftept, bie überhaupt auf« 
geräumt jepen möchten, um nicpt mit „unnupcn" ©Treibereien 
über „jroed« unb mertplofeS ©emäuer" beseitigt ju merben." 
©3 mar feine befonbere „Siebpaberei", auf feinen Dielen Steifen 
foldjen bebropten Sterten nacpjugepen unb für ipre ©rpaltung 
aufjubkten, roaS in feinen Kräften ftanb. 3n nieten gälten 
maten feine Semüpungen Don ©rfolg gefrönt, unb mit Se» 
friebigung pflegte er barauf pinjumeifen, baß iljm an ber ©rpat« 
tung beS impofanten ^olftcntporeS ju Siibecf ein nicpt unmefent« 
tiefer Antpeil gebühre. ißaftor gebenft aud) StcidjenSperper’S 
gorberung, baß baS Stmt eines ©onferoatorS nicpt tanger ein 
Nebenamt bleibe; bie Stegierung, meldje fiep fonft nirfjt fdjeue, 
mit SRittionenforberungen Dor ben Sanbtag ju treten, müffe 
pier SBanbel fepaffen AngefidjtS einet ganjen Steipe „6ebropter, 
bem Stuin entgegengepenber, pöcpft merfroürbiger germanifdjer 
fiunftmerfe". Sielfad) mürben bie ©elbmittel ganj fatfep 
angemenbet; pabe man boep j. S. ben ©oSlarer Staiferpataft, 
ftatt in feinem urfprüngtiepen 3uftanb mieberperjuftellen, ju 
einem „toopnlicpen unb fiirftlic^en Stbfteigequartier eingerichtet" 
unb bie STuSmalung beS alten ©aalbaueS mit großen Soften 
einem afabentifdjen ©taffeteimatcr überantmortet. SJtan möge 
in Sermenbung ber für Stunftjmede Derfügbaren Stiftet mit 
mehr Umfiept Derfapren, enblicp einmal „eine fefte, um« 
faffenbe Drganifation" bitben, bamit „bie ©djöpfungen ber 
grojjen Sunft unferer Säter", fomeit ber „SanbatiSmuS ber 
lebten Sabrbunberte unb auch ber Se^tieit" fie noch nicht 
bemühtet tyabt, „als 3 eu 9 etl beS SebenS unb SBirfenS unferer 
Säter ber Stachmelt" erhalten btieben. 

©rtebte SteidjenSperger in feinem Sampfe gegen baS 
„preujjifcbe Saumanbarinenthum" ungeahnte ®rfotge, fo unter« 
lag er in einer Angelegenheit, für bie er fich feit Dielen Satiren 
bemüht hotte: in ber jReid)Stag3gebäube«grage. „SltS ©hmbol 
bet beutfehen Sraft, ber beutfehen ©inheit" fottte ein SRufter« 
bau erften StangeS errichtet merben, für melden ohne SBeitereS 
24 SRiHionen SRar! bei ©eite gelegt mürben; batb barauf 
marb jur Schaffung eines planes eine allgemeine ßon« 
currenj auSgefchrieben. Sefanntlich trat Sieid)enSperger im 
SteichStage mie als SRitglieb ber Surp, melthe bie fßläne 


ju begutad)ten hotte, mit aller 2Racf)t für bie SBahl bei 
gothifdhen ©tileS ein. ©o fchon im grühling 1871. Sn« 
beffen betonte er fpäter (19. 2Rai 1878), fich gegen bie moberne 
ißfeubogothif auSfprechenb, ba§ baS neue §au3 nur bann 
gothifch gebaut merben bürfe, menn man einen ÜReifter erften 
SiangeS baju befäme. 2)ie in großer 3 a hl einlaufenben 
ißläne ju bem neuen SieichStagSbau „gaben fo jiemlich baS 
©egentheil beutfeher ©inheit ju erfennen; eS mar ein buntes 
jDurcpeinanber üon ©tilen, ©tilmifchungen unb ©tillofig« 
feiten", gür ben einjigen im gothif^en ©til ausgeführten 
ißlan beS berühmten ©ilbert ©cott legte SteidjenSperger Der« 
geblidj eine Sanje ein. Stm 9. Suni 1888 befchlofe ber 
SteichStag, ben Sau burch ben Slrchitelten SBaQot jur SluS« 
fiihrung bringen ju taffen. SteidjenSperger, „fo jiemlich ge» 
roohnt, gegen ben ©trom ju fchmirnrnen“, gab nun noch e ' n * 
mal feine bisherige SteferDe auf. 3Rit berebten SBorten trat 
er „für bie @f)te ber gähne ein, unter ber er beinahe ein 
halbes Sahrljunbert auf bem ftunftgebiete geftritten hotte". 
@r erfannte an, baff SBallot’S ®ntmurf ber befte Don ben 
concurrirenben ©ntmürfen gemefen fei; allein bie Don bem 
©enannten gemählte „italienifirenbe Stenaiffance" Dermarf er. 
„©ie ift ficherlidj nichts StationaleS, fie hat nicht ihre SBurjetn 
in unferer beutfehen @efchid)te, in unferem SolfSteben, ent« 
fpridjt nicht unferen Sebürfniffen, unferem Stenten unb gühlen, 
unferem Älima unb unferem heimifchen SRaterial." „Slber 
freilich," meinte er, „bie Stenaiffance ift jefct SWobe. ®em 
£errn SBaQot blieb meiter feine SBaht, als entmeber abju« 
ftehen Don ber Setheiligung an ber Soncurrenj ober in ber 
Slrt einen S^ an ä u entroerfen, mie er ihn gemocht hot; baS 
®rfte mirb gemi§ einem fo begabten ÜJtannc Stiemanb im 
ßrnft rathen motten." Stach einer eingehenben- Stritif beS 
SntmurfeS mieberholte er: ,,3d) glaube, ba| bie Stachmelt eS 
nicht begreifen mirb, bafj hier bk gemiffcrmajjen neu aufge« 
richtete beutfepe Station in iprem fo berechtigten ©iegeSgefüht 
fiep boju h er 9 a b, einen italienifirenben Sau als ihren be= 
beutenbften Äunft« unb tßracfjtbau aufjuridjtcn." 

gür bie Stnregungen, bie SteichenSperger bem ©rbauer 
beS neuen SteicpStagSgebäubeS namentlich für beffen innere 
SluSftattung gegeben patte, fpraep biefer im Stecember 1894 
bei bet ipm Don ben Serliner Zünftlern Deranftalteten 6pren* 
feiet feinen ®ant auS. „SJtan glaubt bei unS in Steutfdj« 
lanb," füprtc SBaüot aus, „fo häufig, baff in ber ©cpute 
SlUeS fepon geleprt unb gelernt merben tönne. ®em ift aber 
teineSmegS fo. ®ie befte ©djule ift baS Seben, unb gerabe 
ber Slrcpiteft mirb am beften burch baS prattifdpe ßeben ge« 
fdjult: mit poep unb niebrig pot er ju tpun. Scp möcpte 
beppolb roopl münfdjen, bafs ber ganje SteicpStag mit Sau« 
teuten befept merbe: baS Steicp mürbe babei gut fapren. 
^ebenfalls fipen peute gar ju menig Sauleute im SteicpStage: 
ein SJtann mie Sluguft SteidpenSperger, ber Sbeale befipt, mar 
eine Dafe. SRit ®anfbarteit gebenfe icp beS popen 3ntereffeS, 
baS SteicpenSperger bem SteicpStagSbau mie ber Sautunft be« 
micS, ber Anregungen, bie icp ipm Derbanfe." 

Unb bamit tommen mir auf SteicpenSperger’S im @in* 
gang ermäpnte ©tettung jur lex §einje jurfid, menn er fie 
erlebt pätte. Stun, er pat barüber leinen gelaffen, 

bap er ein ©egner beS „jumat in Serlin fo fepr perDor« 
tretenben Unfuges unjücptiger ®arftellungen auf ben öffent« 
tiepen ißläpen unb in ben SRufeen" mar. ©o fabelte er im 
SteicpStage bie Aufhellung ber „Saccpantin" in ber Stational« 
galerie, fogar gegen bie giguren ber ©cplopbrücfe feprieb er 
einen übrigens confiScirten (!) 3 e * tun 9 Sa rtifel in bie Äreuj« 
jeitung. Aber er mar bod) fein ganatifer ber S*uberie unb 
mußte fepr mopl jmifepen „ntobernen auSgetleibeten ÜRobell« 
SZubitäten" unb antifer, jumal grieepifeper nadter Stunft ju 
unterfepeiben, unb bie pergamenifepen SteliefS Derperrlicpte ber 
©otpifer mit peHer Segeifterung. Stocp einmal: SteicpenS* 
perger märe für bie lex Ipeinje gemiß nidpt ju paben gemefen. 


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314 


Die töerjenttMtti. 


• ^e • 


Nr. 20* 


<$ocial-3leftl)etik. 

SSott Karl Hoefctl. 

Sie fociate grage ift niept nur eine Sßirtpfcpaftsfrage, 
fonbern iin eminenten Sinne aucf) eine ©ulturfragc. Senn 
ift bet Arme erft einmal ttor birectem p^t)fifcf)en Wangel 
gefcpüftt, fo unterfcfjeibet fiep feine 2e6enSfüprung non bet 
beS SRei<pen in lebtet Suftang nut barin, bafe ber £Reicpe 
in oiet poperem Wafee im ©tanbe ift, an ben ©ultur* 
errungcnfdpaften tpeil'gu’’nehmen, oor allem an Stunft unb 
SBiffenfcpaft. SBäprenb bemnadj bet ©ocialpolitifer burd) 
©tubium berAStfcpeinungen beS toirtpfcpaftlicpen SebenS bie 
Armutp befämpft, fucpt bet ©ocialetpifer bie Speitnapme an 
ben ©ulturgenüffen immer meprtoon bet toirtpfcpaftlidjen Sage 
unabhängig gu machen b. p. oor allem Sßiffenfcpaft unb 
Äunft auch bem Firmen gu erfdpliefeen. ©ein leitenbet @e» 
banle ift babei ber: Ser Bilbung erftrebenbe Wann auS bem 
Bolle wirb halb ertannt haben, wie üerpältnifemäfeig gering» 
merthig bie nur für toiel ©etb gu erftehenben ©innengenüffc 
finb gegenüber ben ©eifteSgenüffen, bie er fid) für billiget 
©elb — j. SB. burch Anlauf einiger Bänbcpen ber Oieclam* 
fchen ober ^enbel’fcpen BoltSbibiliotpef — bereiten fann, 
fofern er nur ©nergie unb AuSbauer gum ©elbftunterrirfjte 
befiftt. @r fieht ein, bafi er audh in feiner Sage fid) fort* 
bilben fann unb mufe. SaS Oertieft fein Seben, hebt fein 
Streben, hebt fein ©elbftgefiihl, unb er roirb ben focialen 
©egenfaft nicht mehr als einen fo brutalen empfinben tote 
bisher, $afe unb SReib gegen ben SRcicptpum toerben fchtoinben. 
3n einem ober bem anberen gälte mag er fogar aufrichtiges 
Witgefüpl hegen für bie geiftige Debe getoiffer lapitaliftifcper 
Äreife. SaS Hingt üielleicpt gu optimiftifcp, entbehrt aber 
nicht gang ber Berechtigung. — gragloS ift ber eminent öolfs* 
ergieperifdpe SBcrth ber SEBiffenfcpaft. Sähet baS beftänbig 
toacpfenbe Verlangen nach BoltSbibliotpelen, billigen BoltS* 
auSgaben, gortbilbungSfcpulen, BollSuniüerfitäten. Biele 
biefer ©riinbungen finb noch im AnfangSftabium, aber fo 
gefunbe Unternehmungen bleiben niept auf halbem Sßege fielen. 
Wäcptig regt fich allenthalben baS fociale ©etoiffen, unb 
barum toirb eS halb eine Suft fein gu leben. — 

SRäcpft ber SEBiffenfcpaft ift auch bte Äunft in peroor* 
ragenber SEBeife gut etpifcpen BollSergiepuitg berufen, ©ie 
hat bor ber SBiffenfdjaft ben Borgug, bafe ihr ©tubium gu* 
gleich ein ©enufe ift unb barum oiet mtipetofer. 3 lDe *f e ^°^ 
gehört üiel toeniger ©nergie bagu, fich beifpielStoeife in ein 
fchöneS Bilb gu oertiefcn, als fid) burd) eine toiffenfcpaftliche 
Sheorie burcpguarbeitcn. AuS bem Bitbe fpridpt bie ©ftm* 
patpie beS WeifterS, bie liebenb bem Berftänbnife beS Be* 
fcpauerS entgegenfommt. Sarum hat aber ber ©enufe eines 
BilbeS ebenfalls burcpauS bilbenben SBertp. 3 un “<hft ift 
jeber ©cpönpeitSgenufe an fich fdpon eminent bilbenb; ferner 
aber regt nichts fo fehr bie SSißbegterbe an, als eine fcpöne 
bilblicpe Sarftellung. 2Bir fepeti baS täglich beim AnfdjauungS* 
unterrichte ber Äinbet. Ser SEBiffenfcpaft unb Sun ft gegen» 
über ift aber ber unüovgebilbete Wann aus bem Botfe toie 
ein Sinb. ©r fieht baS Bilb. ©ttoaS barin berührt eine 
fftmpatpifcpe ©eite in ihm; er fragt: „2BaS ftellt baS Bilb 
oor? SOBer war ber Weifter? SEBann lebte er?" @o bürfte 
fiep bietfach auS einem OerftänbnifeüoU geleiteten Sunftunter* 
ricpte beS BolfeS in entfprecpenben ÄunftpaUen, oon benen 
Weiter unten bie fRebe fein toirb, leicht bie Brüde fchlagen 
laffen gu allgemein menfcptidper unb wiffenfcpaftlicper Be* 
leprung. 

Safe bie Sunft ihrem innerften SSefen nach etpifcp ift, 
ift eine fo uralte SEBaprpeit, bafe eS tribial wäre, fie gu 
toieberholen, wenn nicht jeftt bisweilen taut toürben. 

Saran ift allein ©cpulb bie Afterlunft ber Secabence. Sie 
ift aber eben nur ein ßtoitterbing. Ser Äunft entlehnt hat 
fie gorm unb ©innlichfeit. SBäprenb aber bie Sun ft biefe 
ipre AuSbrudSetemente burch bie etpifepe ©runbibee abett, 


bienen biefelben ber Secabenj enttoeber als ©elbftgwed ober 
gu antimoralifchen Sunbgebungen. ©benfo unlogifdj toie 
bemnacp ber ßroeifel an ber Woralität bet Sunft fich «noeift, 
bleibt auch baS ©efchrei Oon ihrer ©jclufioität, beS „l’art 
pour l’art“. ©ine fotdje Strlehre tonnte nur auffommeit in 
einer 3 e tt, welche ade Äräfte beS ©injelnen im ©jiftenj* 
tampfe berart aufbraucht, bafe ifem toeber Wufee noch ©tim* 
mung gu üerftänbnifeooBem Sunftgenufe bleibt. Sic wenigen 
Beoorgugten, bie fich bemfetben ^tngcbert tonnten, erlangten 
baburd) eine ©uperiorität, bie fie in ber SDSeife auSnupten, 
bafe fie fich für bie allein Sunftberufenen erttärten. ©o 
entftanb bie Secabence. ©ie tonnte nut eniftefeen, nachbem 
man ber Sunft baS auSgleicfeenbe Woment ber allgemeinen 
Slntheilnahme genommen patte, ©ie bebarf berfelben aber 
ebenfo fetjr, wie ein jeber Wenfd) fiep in einem genriffen 
©rabe oon feiner Umgebung ergiepen laffen mufe, Wenn er 
niept ein ungeniefebater unb unbrauchbarer ©onbetling werben 
will, ©ine Snbiüibualität fommt bodp blofe gu ©tanbe ba* 
burch, bafe fiep ber ©ingelne mit feiner Umgebung in ber 
ipm eigenen SEBeife abfinbet. BJarum finb benn bie meiften 
alten Sunggefeüen ©onberlinge? Socp nur beSpalb, weil 
ÜRiemanb an ipnen fotoeit Sntereffe nimmt, bafe er fie auf 
ipre ©onberbarteiten aufmerffam maept. ©o ift auep bie 
Sunft in ber Secabeng fcprutlenhaft geworben, nachbem bie 
©efeUfcpaft, Oom ©jiftengfampf übermübet, fein lebpafteS 
Sntereffe mepr an ipr napm. Umgefeprt tonnte bie ßunft 
ber SRenaiffance ipre unerreichte §öpe nur beSpalb erlangen, 
weil fie wirflidpeS SebenSelement war, niept nur für bie 
©ebilbeten, fonbern auep für baS Bolf. Wan Oergleicpe boep 
nur gunt Beifpiet jenen ©fetStreiber, mit bem Sante in ©treit 
gerietp, weil er einige feiner Berfe falfcp recitirt patte, mit 
mobernen ©feltreibern, auep poep befolbeten. — 

2llfo bie Sunft ift teineSWegS baS ©igentpum einiger 
SBeniger, fonbern burep unb burep ©emeingut, baS peifet im 
pöcpften ©inne fociat unb nur auS ber etpifepen, ber attruifti* 
fcpcit SBeltanfcpauung gu ertlären. Ser Siinftler erftcebt 
möglicpft oerbreiteteS Befanntwerben feines SßJerfeS in ©legen* 
Wart unb 3 u ^ un ft- gtebt barin bet Allgemeinheit fein 
BefteS unb ^eiligfteS, unb, wenn er ein grofeer Äünftler 
ift, giebt er eS gang felbftloS. ©r tritt hinter fein SSert 
gurüdE. 

Siefer leptere Umftanb ift inbeffeit auep ©djulb baran, 
bafe wir oft über baS Seben ber gröfeten Weifter faft gar 
niept unterrichtet finb, unb uns fo unermefelicpe etpifdje 
Schäfte oerloren gehen. Senn ber etpifepe SEBertp eines 
SunftwerfcS liegt niept nur in ipm felbft, fonbern audp barin, 
toie bet Äünftler eS fcpuf, toie er gu feiner Sünftlerfdjaft 
gelangte, toelcpeS feine 3beeit waren, unb wie et biefelben 
oerwirflid)te. Sie ©röfee unb ber etpifepe Waafeftab eines 
jeben inbioibueHeit SebenS überhaupt liegt boep blofe barin, 
toie weit ber ©ingelne feiner innern Berufung, feinen (eitenben 
Sbeen gum Siege oerpalf, natürlich mit Berücfficptigung aller 
aufeer feiner Wadpt liegenben ©eptoierigfeiten. — 

@S feplt uns aber noch an e i net ber Sunft". 

Siefelbe müfete gum ßiele iprer gorfdpung toeniger baS 
Äünfttoerf felbft maepen als bie grage, wie bie Äünftlet eS 
fepufen, unb toaS fie fdpaffen Wollten. Siefe UnterfucpungS* 
metpobe müfete, auf aÖe Sänfte, bei allen Böllern unb gu 
allen 3 e ' letl angeroanbt, unermefelicpe etpifepe ©dpäfte gu 
Sage förbern, bie jeftt latent finb, ©cpäfte oon poper werben* 
ber, oorbilbtieper Sraft. 3m Anfcpluffe an eine foltpe 
funbamentale „@tpil ber Sunft" wären in bemfetben ©inne 
lurge Wonograppien eingelner Weifter gu Oerfaffen. Senn 
wer bie Ißerfon beS ÄünftlerS menfplicp näher rücft, bet be» 
förbert gunäepft in popein Waafee baS Berftänbnife für feine 
SBerfe. Sie ffunft ift ja burdpauS perfönlicp, bie perföntiepfte 
SBiüenSäufeerung überhaupt, unb ©pmpatpie für bie Eßerfew 
beS StünftlerS läfet uns mitpin in oiet pöperem Wafee feine 
SBerfe üerftepen unb geniefeen. Senn: 


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Nr. 20. 


Die (Begenwart. 


315 


©lücfltdj b«r 9Ktnfdj, ber frembe ®rö{se fiiljlt, 

Unb fie burrf) Siebe madji ju {einer eig'nen. 

(örillparjcr) 

Vor allem ober würben wir burdf berartige Ginsei« 
fotfcßungen um eine SReifjc Don S^ationalfjetbcn bereichert, 
beren fittlicßeS Sßorbitb weit über ißre !ünft(erifcl)e Sphäre 
ßerauSreicßt. Sft benn ViSmavrf bloß ein Vorbilb für Staats« 
männer? ßutßer nur für ©ßeologen? {Rein! — ©ie ftnb 
Vorbilbet für uuS 21 He unb jmar für baS rein 23^enfcf)tid)e 
in unS, loSgelöft non aller VerufSbilbung unb atlen Ve« 
rufSuorit «heilen. ©benfo fittlicl) Dorbilblicß finb unS auch 
VeetßoDen, ©oetße, ßeffing. ©enn auch f* e waren gelben. 
21 ber wie wenige fennen 5 . V. VeetßoDen’S wahres großem, 
ßerrlicßeS Sieben, nicht fein eiitfameS, ärmliches, DerärgerteS 
Sunggefcllcnbafein! — 

?lußer aller gtage fteht atfo ber üolfSersießevifdje Sertß 
ber Sunft im Allgemeinen. Süoit ben einseinen fünften finb 
bie populärften ©icßtfunft unb ©onfunft, bie unpopulärften 
SRaletci, Viibßauerei unb Vaufunft. ©aS liegt an ber größeren 
©cßwierigfeit beS ©enuffeS ber leßteren brei fünfte. Skr 
Sort» ober ©onbicßter fcßreibt fein Sert auf; baffelbe wirb 
butch Abfcßrift ober ©rud üernielfältigt, unb nun ift eS 
gattj gleicßgiltig, ob baS Originalmanufcript längft Dermobert 
ift; baS Serf fann aller Orten gleichseitig recitirt, nufgefüßrt, 
gefungen ober gefpielt werben, dagegen ift ber ©enuß eines 
SBerfeS ber bilbenben Slunft immer nur an bem Orte mög« 
lieh, wo eS fuß gerabe befinbet. ©enn bie §onb beS SDfeifterö 
felbft hat bie eine Seinwanb, bie eine |>ol}tafct, ben einen 
SRarmorblod bearbeitet. {Run finb aber Seinwaub, ^olj 
unb SRarmor oergätiglicß, unoergänglich nur baS ©eiftige 
beS SftinftwcrteS, ber Seelentßeil, ben ber SReifter hinein« 
legte. SRan fönitte bemnach überhaupt nicht Don ber Un* 
fterblidjfeit eines bilbenben StünftlerS fpreeßen, wenn nicht 
baS ©wige feines SerfeS, bie ber SRaterie anoertraute Sbce, 
Don ber {Reprobuction bis ju einem gewiffen ©rabe wieber« 
gegeben unb Deroiclfältigt werben fönnte. Am objectioftcn 
bem ©eifte beS SReifterS gerecht Wirb Wohl bie meeßantfehe 
{Reprobuction burch bie Photographien Verfahren. ®ie 
fünftlerifcße {Reprobuction oermittelft ber ©riffelfunft fteHt 
baS Sert in ber fubjectio erflärenben Auffaffung beS repro« 
bucirenben ÄünftlerS bar. ©aburcf) wirb wohl baS Ver» 
ftänbniß bafür beförbert bei bemjenigen, ber baS Original 
nicht Derftanb, aber biefer fieht eS aisbann mit ben Augen 
eines 3 weiteu, Dicht mit ben eigenen, ©er fünftlerifchen 
{Reprobuction fommt alfo ein fclbftftänbiger Stunftwertß ju; 
jur {ßopularifirung ber Äunft aber ift bie mechanifche, jubem 
niel billigere SReprobuctionSweife Dorjujiehen. {Racßbem nun« 
mehr bie ©eeßnit biefer {ReprobuctionSfunft in ber lebten 
3eit fich in ungeahnter Seife Deroollfommnet hat, tann man 
faft fagen, baß bie Serfe ber bilbenben fiünfte burch bie 
{Reprobuctionen, ebenfo wie bie ber ©ießt* unb ©onfunft 
burch Vücßet unb {Roten, gleichseitig aus ben »erfdjiebenften 
Orten genoffen werben fönnen, alfo bie geffeln beS {Raumes 
enbgiltig überwunben haben. 

§ierburd) erftehen aber ber {ReprobuctionSfunft unüer« 
gleichlich größere focialetßifcße Pflichten wie bisher. Sh« 
nächfte Aufgabe wirb wohl immer bie fein, baS inbioibuelle 
Sehen fünftlerifdj auSsufcßmüden unb felbft in bie befrei« 
benften Soßuungen ArbeitSermübeter einen Strahl s u tragen 
ber göttlichen Äunft, bie baS öeben in reinem,. heiterem, 
jauchsenbem ©lanse erfchaut. 

Aber noch eine anbere große Aufgabe ift ber {Repro« 
buctionSfunft Dorbehalten. ©S müßten, etwa im Anfcßluß 
an bie VolfSlcfeßalleu, VolfSfunftfammlungen aus {Repro« 
buctionen begrünbet werben, ©erartige VolfSfunftßaHeu hätten 
nor ben öffentlichen SRufeen mancherlei Vorsüge. 9Rufeen 
befinben fich our ’ n wenigen großen Stabten unb finb subem 
nteiftenS Sonntags, wenn baS SßolC allein 3eit h at , nur !urse 
3eit geöffnet, ©ann Dcrfügt ein SRufeum auch meiftenS nur 


über eine befeßränfte 2lnsaht Don SBerfett beffelben ÜReifterS. 
©agegen bie SBolfSfunfthallen: SRit Derhältnißmäßig feßr ge« 
ringen Soften laffen fid) lȟbfc^e {ReprobuctionSfammlungen 
anlegen. Sn jeber noch fo Keinen Stabt ift fomit eine ber« 
artige SunfthaQe möglich. {Rehmen wir noch an, baß fid) 
mehrere benachbarte Stäbte in ber 2luSWat)l ber 5D?eiftcr 
einigen, fo bürfte in Keinem UmfreiS ein recht ^öbfe^er lieber« 
btief über bie ©ntwicfelung ber bilbenben Sunft gegeben 
werben, ferner geftatten folcße Sammlungen, in bisher un« 
befannter, DoUftänbiger SEBeife bie einseinen Sunftepocßen in 
ihren prägnanteften Vertretern unb biefe Wieber in ihren 
cßronologifch georbneten §auptwer!en Dorsuführen. {pierbutd) 
Wirb glei^seitig bargeftellt, wie ber einseine SReifter an fich 
gearbeitet unb fich DerDollfommnet hat, unb baS wirft als 
fittlicheS Vorbilb weit über bie Sphäre ber Sunft hinaus. 
{Run finb bie großen Sünftter alle Sbealiften unb ©lite« 
menfdjen gewefen; ißr ganseS SBefen liegt aber in ißren 
SBerten. ©in DerftänbnißoolleS Vertiefen in biefelben ift baßer 
Don hohem ethifeßen 3G3ertE>e, üerbunben mit löftlichftem ©e« 
nuffe. ßur genaueren SUuftrirung bürften Dielfach auch 
©etailS ber einsetnen Vilber in Originalgröße ansuwenben 
fein, ©iefem Vebürfniß l)ätte fich bie {ReprobuctionSfunft 
ansubequemen, fowie überhaupt biefe VolfStunfthallen ißrer« 
feits einen äußerft fruchtbringenben ©influß auf bie weitere 
©ntfaltung biefer ©ed)ntf auSüben müßten. ©aS ift ein 
inbirecter Vortheil ber angeregten Snftitution; ebenfo wirb 
öermuthliclj ein ungeahnter Sluffdjwung beS SunftgewerbeS 
eintreten müffen burch baS erhöhte tünftlerifche Verftänbniß 
unb entfpreeßenbe Vebürfniß beS VolteS. SBie manches Sunft« 
genie, baS bisher ungeweeft unb ungeahnt in gewöhnlicher 
©ageSarbeit lebte unb ftarb, bürfte burch ben frühen Slnblicf 
ber haßen 9Reifterwerfe fidß plö^licß über feine {Berufung Kar 
werben, ©och teßren wir su ben Sunftßallen felbft surüd: 
©ie VilberDerseicßniffe müßten Keine SReifterwerte fein unb 
in tnapper, öerftänblicßfter gorm ber fittlichen unb fünftle« 
rifchen Vebeutung jebeS {IReifterS unb jebeS feiner SSBerte ge« 
reeßt werben. Sobann müßten häufige Vorträge Don Äunft« 
leßrern bie ootßanbenen Schöße bem Verftänbniß beS bodj 
äftßetifcß gans ungeübten {ßublicumS näßer bringen. SEBaßr« 
ließ ein weites gelb für unfere fo tüchtigen jungen 2 teftße« 
titer, bie fieß in ben ©ienft bet großen focialen Sache ftellen 
wollen. SEBaS nun bie SluSwaßl ber Sünftler unb ißrer 
SBetfe anbetrifft, fo feßeinen mir am meiften sur etßif^en 
VoltSersießung berufen bie italienifcßen SIReifter ber Vor« 
renaiffance. ©enn in ißneit lebte noch & ie ganse Eingabe 
einer unangefochtenen, naiD innigen grömmigteit, unb ba= 
buteß wirb ißt Schaffen bem VoltSgemütße am Derftänb« 
lidjften bleiben. Ueberßaupt Wären religiöfe StRotioe im 21H« 
gemeinen Dorsusießen; eineStßeilS, weil baS Volt bie heilige 
©efcßidjte boeß unDergleicßlicß beffer fennt, als bie Seit« 
gefeßießte, unb bann bieten bie religiöfen Stoffe an fieß bem 
SReifter bie tieffte Veranlaffung sur Snnerlicßfeit. Snbeffen 
finb felbftoerftänblidj aueß Weltliche Stoffe in reießfter 2luS* 
waßt su bieten mit VeDorsugung ber etßifcßen ÜRotiDe: bei» 
fpielSweife beS ^elbenßaften in ber ^riftorie, beS ßiebenS« 
Würbig«®utmütßigen im ©enre, beS SraftDoU=SnbiDibueHen 
im {ßorträt {Ratürtidft muß in leßter Snftans ber äftßetifcße 
Sertß bie StuSwaßl folcßer Serie bebingen. Sn ber Sanb« 
f^aft erwäcßft ber {ReprobuctionSfunft noch eine befonberS 
ßoße Verufung: Sie foQ im Volle ben Sinn für 5Ratur« 
fcßönßeit Weden, ber in fo unoergteicßlichem SRaaße baS Seben 
beS ©inseinen oertieft unb innerlich reid) gcftaltct. — ©ans 
SU Oermeiben wären {Rubitäten. SRicßt aus {ffrüberie, aber 
ber rein tünftlerifche, rußige, bureß fein Vegeßren getrübte 
©enuß ber nadten menfcßlicßen Scßönßeit Derlangt eine Diel 
größere äftßetifcße {Reife, als man berechtigter Seife bei Un» 
gebildeten DorauSfeßen lann. ©aS Voll würbe babureß nur 
üerwirrt unb in feinem ©lauben an bie SRoralität ber ft'unft 
überhaupt irre gemaeßt Werben. ©iefeS, einige Vemertungen 


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316 


Die (Gegenwart 


ju ber angeregten Sbee non 93olf«funftljanen. berufeneren 
überlaffe id) bie »eitere ?ln«arbettung, oor 9lüem bie ftrenge 
Sritif in ber 9lu«Waljt unb ?lnorbnung be« überreichen 
Waterial«. 

SRadjfolgenb jur SOuftrirung bie ©djitberung einer 
grä Gingettco ge»ibmeten $lbll|etlung einer fotcfeen $8olf«» 
funftljalle: Wit befonberer ©rwartung betritt ber fonntäglidj 
gefteibete Arbeiter biefen 9?aum. §at er hoch im berjeid)» 
niffe üon einem frommen Wöttdje gelefen, grä ©iooamti 
ba giefole, ber oor 400 Sauren in glorenj lebte, unb ben 
feine geitgenoffen „tl ©eato ?tngetico“ nannten, „ben Seligen 
©ngel": „©enn grä ©iooanni lebte nid)t nur rein »ie 
ein ©ngel, fonbern er falj aud) bie ganje Seit mit Ißara« 
biefeäaugen, b. Ij. er faf) nur ba« ©ute unb Schöne auf ber 
Seit, unb für ba« böfe unb §äfeltd)e fehlte ihm einfach ba« 
SBerftänbnife. @r hat nie gemalt, ohne oorljer gebetet ju haben 
unb auf feinem ©rabftcine fteht gefdjrieben, bafe er ein noch 
befferer ©Ijrift al« Waler ge»efen fei." — ©rft oerwirrt ben 
befchauer bie Wenge ber fleinen giguren. ©r tritt näher 
feinju unb oertieft fich in biefelben. ®a »irb e« ihm flar, 
Wefeijalb fie „beato ?lngelico" nannten ben frommen, lieb* 
reichen Wönd). Sie jterlid) halten fich h’ er öie ©ngel an 
ben jarten ^änben unb »anbeln einen Üteigen auf blumigen 
Sßarabiefe«wiefen! Unb bort ber junge Wönd) in inniger 
Umarmung mit einem ©ngel! Unb »eiter ber ^eilanb felber 
a(3 ißilger, »ie ihn jroei ©ominifaner mit unau«fprecf)lid)er 
greunblidjteit widfommen feetfeen. ©ajwifdien jaf)llofe©ngelDon 
himmlifchem Siebrcij. ©ie einen ftreuen mit »eifeen, fcfelanfen 
gingern föftlicfee blumen, anbere muftciren in lieblichem ©nt* 
jüden jum Sobe be« §öd)ften! Unb nun erft feine Wa* 
bonnen! So feljr toar grä Slngclico’« ©eifteSWelt eine Seit 
be« ©uten, bafe er Söfewidjter nicht malen tonnte, unb bie 
göltenbewohner feine« jüngften ©eridjte« ben ©inbrud machen 
oon luftigen Säujen, bie fich einen gaftnadjt«fdjerj ertauben. 
— Wit folgen lieblichen Silbern fdjmüdte oor mehr al« 
400 fahren ber fromme Wönd) bie fahlen gellen feiner 
Drben«brüber. ©urdj ba« offene genfter fdjaute Italien« 
leuchtenber blauhimmel hinein, unb ferne üerloren fich im 
blauen ©ufte bie fanften Seitenlinien oon giefote’« bügeln, 
©a« ade« flaute ber Weifter mit ©ntjüden unb malte 
barabiefe«fcenen. Sftodj lad)t un« berfelbe blauhimmel, unb 
geblieben ift un« auch, »a« ber fromme Weifter mit (iebenber 
Seele gefdjaffen. bertiefen »ir un« in feine bilber, fo leben 
»ir auf Womente ein reinere«, holbere«, faft unirbifdj jarte« 
©afein, unb bie ©rinnerung baran macht un« beffer. ®a« 
alle« ahnt ber einfache befchauer, heiter fchreitet er hinau«. 
©ie Sonne fcheint ihm leuchtenber, er freut fich unb toeife 
nid)t »arum. — 

©iefe« eine beifpiel möge illuftriren, in welcher Seife 
bie ©iuroirfung ber bolf«funfthallen gebacht ift. 

3ch faffe jum Schlufe meine SBorfdjläge turj jufammen: 

©ie Sänfte finb Diel mefer wie bisher jurn ©enufe unb 
jur ethifchen ©rjiehung be« bolfe« Ijcranjujiefeen. £nerju 
ift e« burchau« erforberlich, bafe bie Sunft wieber in weit' 
höherem Wafee ihrem etfeifdjen Sern nach erfannt unb beur* 
thcilt werbe, ©ie 2lu«arbeitung einer „@thif bet Sunft" fteht 
noch au«; ebenfo fehlen un« Sünftlermortograpljien, Welche 
bem tiefinneren gufammenljang jwifdjen ber Seben«fü§rung 
unb ben Serien ber Weifter gerecht werben unb al« botf«* 
hetbenbüchcr grofeen oorbilblidjen Sertlj erlangen fönnteit. 

Specied bie bilbenben Sänfte finb burch bie grofeartige 
berooDfommnung ber 9teprobuction«ted)nil ju Diel gröfeerer 
focial*etl)ifd)er ©inwirfung al« bi«t)er berufen, ©in Schritt 
üorwärt« bürfte hierin mit ber begrünbuitg oon bolf«funft* 
hallen gemacht werben, Welche bie Slufgabe hätten, mittelft 
Sieprobuctionen ba« 2eben«Werf einjelner Weifter in ihren 
§auptmerfen barjufteden, unterftüfct burch entfpredjenb ab* 
gefafete Söilberocrjeidjniffe unb häufige erläuternbe borträge, 
bielleicht bürfte fich ein ©eil unferer jungen 2Ieftl)etiler biefen 


focialen beftrebungen »ibmen unb fomit eine Socijj 
tif begrünben, welche in hohem Wafee oerföfjnen 
müfete. ©enn fie führt bie Schönheit, bi«her nur ' 
thum« Dornehmfter ©chmud, aud) in ben Srei« 
ju föftlicher beglüdung unb tiefinnerer berebelung.’ 


<HH- 


gfeuiffeiott. 


Ijofjes 5pitl. 


»adjbrurf 



(Bon fouis <£onperns. 

AuS bent Hoflänbifchen. 

. p 

(Jortfepung.) 

-9(n jenem 9?ac6miltage r al» ber $önig (ein 

Sonnengott probirte, plelt feine Butter i§n nodj einen ^ugenbRin 
ihrem Söouboir jurücf. „fBiabimir," Jagte fie örgerfid^, „ic % bab%||nf 
93itte an 3Md), nun mir einen Singenblicf allein fmb." 

©rftaunt fah er $u ihr empor: fie ^atte mit bem gröfetenfe 
bie Anprobe Übermacht, unb fo überrafcfjte ihn benn ihr jäher ärgej 
Xon. Schon als ganj fleineS Äinb hatte fie mit biefem Xone 
nie auch nur baS ®eringfte erreicht, im ökgentheil, er hatte ftetS 
ben SBiberfpruch gemedt. Sie fannte ihren Sohn genug, um __ 
miffen, unb [it mufete eS auch- «tBaS benn? fragte er 9l«#S 
9 erc ^t. 

Sie mufete baS, unb hoch fuhr fie in ber nämlichen SdpjjjBeit 
fort: „ÖS ift felbftoerftänblid), bafj Qu in Xh^acien thun unb laffen 
maS Du min ft. Du bift fein £inb mehr, unb menn Du einmal bo^Mft, 
habe ich nichts $u fagen. Aber h^er in meinem $>aufe bift unb HÄft 
Du mein Sohn, unb ich oerfange oon Dir, bah Du Dich htcr «Ken 
©ünfehen fügen mirft." Schon runzelte er bie trauen, hoch fßjefe 
ihm feilte Qt'xt jur örroibevung. „3<h muh frcunblichft bitten’' 
fo oiel mit ölena Rammen j c ( nf n ^t fo oft mit ihr $u 
unb $u liebeln. Du foinpromittirft fie, unb ich hin, ihrem $ater j 
über, für fie oerantmortlich.'* 

„3ch flüfterte nie mit ihrl' 4 

„Du meifet felbft, bah Du lügft, bah Du immer ein Alleinfein mit 
ihr fuepft unb erjmingfl. Du bift ein fchlecpter SRenfd), menn Du ihr 
ben $opf üerbrehft. Du fannft fie nicht h^irathen, alfo barfft Du and) 
feine Hoffnungen in ihr meefen." 

„3ch lann Alles, maS ich mW!" rief er ihr h°<hmütbig iu. 
„A3enn ich maS mW, bann fann ith'S auch- Aber ich metfe feine H# 
nungen in ihr." 

„DaS thuft Du mohl; ich meih, bah eS thuft." 

„A3aS hat fie benn gefagt?" 

„Nichts, aber ich h°he ®cenfchenfenntnih genug, um mir ein ite 
theil ju hüben. 3<h ntuh Dich alfo nochmals freunblichft bitten, fte 
fchonen." 

„34 fchone nichts unb $lemanb, menn eS mir nicht paht.* 

„3fh liebe fie mie eine Dochter. ÖS mürbe mir meh thun, 


menn ...” 

©ereilt burch ihre S5oite, mar er feuerroth geroorben, unb ein 
milber gorn entftedte fein fur^eS profil, feine lauemben fleinen Augen, 
feinen ftnnlichcn SDcunb. Die Abern auf feiner Stirn fchmotten an. Ör 
fluchte unb metterte. „Du haft nicht baS (Recht, fo mit mir $u fpredjen!" 
rief er auS. „3<h oerbrehe ihr ben Stopf nicht. Aber ich tljue, maS ich 
miß. 3ch - . ." Schon mollte er fagen: ich hin ber Ä6nig; aber er 
hielt baS graufame SBort jurücf. So ftanben SRutter unb Sohn ein* 
anber gegenüber, mie $um Kampfe gerüftet. Aber nun er fich i<> ftampf* 
haft beherrfept, fonntc er feine ©orte mehr finben, unb fo Derfich ff 


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Nr. 20. 


Die töegentoart 


817 


benn mit einem mütfjenben Sltcf unb einem 3rlu4, ba« Sinter, inbem 
et bie %f)üxt mit einer SBudjt in’8 warf, ba& ba« ©au« bröhnte. 

Sie fanf auf einen Dioan unb ftarrte not ftd) §tn; ein heftiger ©türm 
tobte in ihr, allein biefer 3 u f*anb bauerte nur einen Slugenblicf, 
bann ftanb fie auf unb flingelte. ©ie wünf4te Siena gu fehen. 

Slet4 barauf erfeftien ba« junge 2Räb4*n. 3n unterwürfiger ©al* 
tung 6Ueb fie am Eingänge flehen. „Siena," fpra4 bie Königin, „14 
bin fehr ungufrieben mit Dir." 

Da« 2Räb4en erfdjraf heftig unb faltete wie gu einer ftummen 
Sitte bie ©änbe, benn fte liebte bie Königin fo, wie ein f4wa4e« SBefen 
ba« ©tarte gu lieben pflegt, unb fte fürstete fi4 oor ihrem Unwillen. 
„2Benn ba« fo weiter geht," fuhr bie Königin fort, „f^iefe t4 Di4 nad) 
Dhracien gurüd." Dte tränen traten Siena in bie klugen unb ihre 
©tintme oerfagte. „SBenn Dir an meinem SBohlwolIen ba« Oeringfte ge* 
legen ift," fuhr Sllejanbra fort, „fo meibe ©eine SRajeftät; i4 bitte Did) 
barum!" 

„©eine SRajeftät . . .?" 

„34 bulbe nicht länget, bafj et Di4 überall fu^t. 34 bin für 
Di4 oerantwortlidj, deinem Sater gegenüber. Der Sfönig compromtttirt 
Di4* 34 will TÄte-fc-täte mehr in meinem Souboir, ^örft Du?" 
Da« ^Räbchen rang bie ©änbe unb f4lu4$te laut; bann fanf fie neben 
ber Königin nieber unb oerbarg ihr Sefidjt in ben ©änben. SUejanbra 
legte ihr bie ©anb auf ben ©djeitel. „9Ba8 ift benn? SBarum weinft 
Du?" Slber (Siena fonnte tein SBort h«roorbringen unb erftidte faft an 
ihrem ©4luchgen. ,,©aft bu ben Sfönig benn, wirtlich fo lieb?" 

(Siena fonnte ihre garte ©eele nicht oerbergen unb ntdte ftumm. 

„Du fiehft both ein, bab Du ihn nicht lieben barfft, ni4t wahr? 
2Ba« foö benn barau« werben? Dein eigene« Unglücf unb ba« ©einet 
SRajefiät." Siena fdjluchgte noch immer. 

„SRetn eigene« Unglücf?!" rief fie au«. ,,2Ba« liegt baranl aber 
warum muß benn ber Äönig baburd) unglücflich werben?" 

„SBetl Du Sebanfen ln ihm wedfi, bie er ni4t haben barf. (Sr ift 
ein ftürft unb Du nur ein einfache« 2Räb<hen." 

„9lber welche Sebanfen?" fragte fte Ooller Unfchulb. S« fam ihr 
ni4t in ben ©ittn, baran hatte fte nie geba4t. 

„Die Serbinbung be« fönig« mit ber Sringefftn oon 3ö^tctt ift 
fo gut wie abgemacht." 

„3a . . . aber ich berftehe (Sure SRajeftät nicht ... 34 weib 
wirtlich nl4t . . 

Die Königin erhob ftch. „©ei nicht fo uuoernünftig, Siena. Der 
ftönlg barf nicht an ein anbere« ^Räbchen benfen, währenb er im Se= 
griffe fteht, p4 gunt SBohl feine« Sanbe« unb gu feinem eigenen mit ber 
$ringefftn oon Sorten i u oerloben." 

„3u feinem eigenen 2Bohl unb feine« Sanbe«? . ." Da« war bie 
Sßolttif, bie Siena ni4t Oerftanb, unb bie fie ftet« für4tete, wie eine un* 
befannte 3Ra4t. Unb fo bra4te fie nur f4ü4tern bie SBorte herüor: 
„Slber ber Äönig benft ni4t an mid), SRajeftät!" 

„*Ri4t, mein $tnb?" fagte Sllejanbra mit einem fonberbaren 9lu§= 
bruef in ber ©timme. „Dann um fo beffet!" ©ie nahm Siena’« Äopf 
gwif4cn ihre fchönen ©änbe, an benen ungählige Singe bltpten, unb 
füfite fte auf bie ©tim. „Äontm, mein $Hnb, fei ni4t traurig; unb 
güme mir nüpt, bab ich etwa« hart gu Dir fpra4- 34 habe ba« 
©lüd meine« ©ohne« im %uge; Du oerftehft ba«, nicht wahr? Sergieb 
mir, Siena." 

„O SRajeftät! . ." 

„&ber Oergib nüpt, worum ich Di4 bat: meibe jebe« 3ufammenfein 
mit ©einer 3Rajeftät." 

„3a, SRajeftät, ja, ja . . ." 

„©ooiel wie Du fannft. Unb nun la|’ mich allein, mein Liebling. 
34 habe Uopff4mergen. Sitte, rei4e mir ba« 5läf44e« bort... banfe... 
Du bift mir bo4 ni4t bbfe?" 

„34/ BRajeftät? £) nein ..." 

„tfontnt, einen Äup." Shmbietig bot Siena ihrer fürstlichen Se* 


bieterin bie SBange, no4 immer letfe fd)lu4genb, in ben fmaragbgrünen 
klugen einen feltfamen $lu«brucf. „Seh nun, mein Äinb." Unb ba« 
3Räb4cn floh glei4fam ^intoeg, gang erf4üttert, elenb bi« in bie Diefe ihre« 
Knbli4en Semüthe«. Unb oor ihrem geifttgen 5luge ftanb ba« Silb ber 
ißringe|fin Oon SUhrien. Die Königin aber, al« fte allein war, ftreefte 
P4 bequem auf ben >Dtoan, orbnete bie ©pifcen ihrer 3Ratinde unb ro4 
mehrere 2Rale an ihrem g-läfd^c^en. ©ie hatte mirtlüh Äopff4mergen 
unb war fehr mübe. (ffortfepung folgt.) 


Jtu$ bet ^auptftabt. 


Der jönjfte Äradj. 

Die ftarfe ©anb. 

?lu«f4nitte au« bem $>anbel«theil einer unabhängigen 3 cltun g. 

I. 

Die Äur«ftürge bauern an unb werben fortbauern, bi« überall 
wieber ber fünfill4 überfdjraubte $ur« bem inneren ^Berthe be« Rapier« 
entfpri4t. @in Serbre4en an ben Keinen Sapltaliften aber begehen 
bie, bie oon 3nterOention«fäufen ber ftarten ^anb phantafiren. Die 
großen Sanfen haben lein 3«tereffe baran, oon ber ©peculatton bie 
©träfe abguwehren, bie fte für ihre 2lu«fchrettungen oerbient hat; 
aufeerbent aber liegt e« ihnen au4 fern, fi4 auf Soften ber Keinen 
Sapltaliften gu bereichern unb gu billigen greifen bereu ^Berthe an ft4 
gu bringen. 

II. 

9Bir haben währenb ber gangen Jhtfi« bem Keinen Sapttalifien, 
beffen Sntereffc wir gang befonber« oertreten, niemal« geraden, feine 
Rapiere lo«guf41agen. Unferem haften 31>eale, ftrenger,' beutf4er 
SBahrhaftigleit, unentwegt getreu, Oergeichneten wir ben ftänbigen, no4 
lange ni4t beenbeten SRiebergang ber ^urfe, liefen a6er immer bie 
Hoffnung hoffen, ba| ein Stngreifen ber ftarten ©anb fie unter Um« 
ftänben halten, ja wieber bebeutenb emporfchrauben würbe. $Bir haben 
gu ben Seitem unferer groben Santen ba« fefte Sertrauen, bafc fie e« 
ni4t ruhig mit anfehen werben, wie eine gelbfdjwache, aber fre4e Saiffe^' 
fpeculation SRiüiarben an 9tationalOermögen oerni4tet, unb obgleic© 
wir bie Keinen Sapltaliften, wie wir fehl* wohl wtffen, nicht baoon ab* 
halten fönnen, fi4 jept mit beträ4tli4e«i Serluft ihrer guten ^Berthe gu 
entäubern, fo fönnen wir ihnen, reblid) wie wir nun einmal finb, bo4 
auch fetne«meg8 bagu rathen. 

III. 

Der fleine Sapitalift (affe fi4 ittc©t oerängftigen! 9?a4 bem 

jepigen fchledjten Sörfenwetter mub e« wieber grrühling werben; bie 
ftarfe ©anb, ba« fönnen wir mit aller Seftimmtheit oerfichern, wirb 
eingreifen unb ben einftweilen noch anbauernben ^ur«fturg aufhalten. 
9?ur ni4t bange ma4en laffen, Jonbern bie Rapiere ruhig im ©4ranf 
behalten. Der Umf4wung fteht beOor, bie ftarfe ©anb wirb helfen. 

IV. 

2Ba8 wir feit 28o4en oorherfagten, ift geftern eingetreten: bie 
$urfe ftürgten in einer SBeife, beren fi4 bie älteften Seute ni4t gu er* 
tnnern wußten; ^Riüiarben an 9?ationaloermögen fmb in wenigen 
©tunben oerloren gegangen unb werben weiter Oerloren gehen. Denn 
bie Ärifi« ift noch lange nicht beenbetü llnfre fiefer wiffen, bab unfre 
Srophegeihungen eintreffen; mögen fie fief) gu ihren Sortheil bana4 
einri4ten! Sieber jept ein Keiner Serluft al« fpäter ba« gange, fauer 
erworbene Sermögen geopfert! 

V. 

9ln ber heutigen Sörfe fanfen bie ^urfe abermal« rapib, eine 
^anif ohne glei4en bra4 au«, infolge maffenhaften Angebote« ©eiten« 
be« Keinen Sßrioatpublicum«. 


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318 


Die (SegeiuDart 


Nr. 26. 


VI. 

3Bq§ wir feit Wochen fo beftimmt vorljerfagten, ift geffern eiit= 
getreten: Me ftarfe £attb bot untfaffenbe fäufe vorgenommen, alle 
ßurfe, befonberS bie ber Vergroer!S= uub £>ütten=Actten, gingen enorm 
in bie #öhe. Unfre Sefer entfinnen ft cf), baß wir baS balbige Eingreifen 
ber Hochfinanz als feföftverftänblidj, als nnbebingt ftdjer ntefbeten unb 
beßhalb Don überwürzten Angftverfäufen reblicf) abriethen. Wir freuen 
unS, unfre Sefer, $an! unfrer Erfahrung, wieberum Vor großen Ver* 
lüften bewahrt zu haben unb bitten, auS Erfenntlichfeit bafür, unferem 
Platte trofe beS erhöhten AbonnementSpreifeS aud) in ßulunft treu ju 
bleiben. 

VII. 

5)ie $urfe ftiegen heute abermals beträchtlich. £er Gewinn ber 
Wannfeegruppe an ihren 3uterVentionSfäufen ift ganz ungeheuer. 9Ran 
erfuhr heute übrigens Abfdjlußziffern, in beren Sichte fi<h bie Gefd)äftSs 
tage ber leitenben 5Rontanwerthe als unerhört gläuzenb barfteflt. Eine 
Hauffeperiobe erften Ranges ftebt bevor. 

* 

$)ie $iScouto=Eommanbit=Gefelif<haft, beren ShtrS feit 1895 um 
60 V. Hunbert gefunfen ift, foH wieber auf bem Sprunge [tehen, tedj* 
uifche Erpnbungen non großer Vebeutung ju pnanjitren. 3Me lebten 
bebeutfamen Erfinbungen, benen bie Van! fich wibmete, waren Popp'S 
3)rucfluft=Patente unb RtanneSmann'S nahtlofe Mähren. ®urch fie unb 
burch bie Vetheiligung an ben Venezuela=Eifenbahnen hot bie Van! f. Ql 
faft bie Hälfte ihres ActiencapitalS eingebüßt. 

Smmerhin bleibt noch bie anbere Hälfte übrig. Eine gtnanziirung 
ber Snternationalen Eontpagnie zur Einführung von märtifchem Streu* 
fanb in bie Wüfte Sahara, fowie ber Actiengefeüfdjaft zur AuSnufjung 
ber patente betr. £erftetlung automatifch einfrierenber Wärmflafd)en 
fönnte auch bie noch übrig gebliebenen SftiHionen ber Antheilhaber ge* 
räufchloS um bie Ecfe bringen. ®ie fdjließliche Siquibation unb AuS* 
fchüttung ber „URaffe" hätte bann entfbrechenb ben erhöhten Grunb* 
fäßen ju erfolgen, nach benen ber leitenbe $)irector beS Unternehmens 
bisher feine Verfügungen über baS Gelb ber Acttonäre traf: nämlich 
mir nichts, bir nichts. 

* 

— Sie füllten RJontanroerthe laufen, #err Rath — eS ift jejjt 
eine günftige Gelegenheit! 

— ®an!e — mein bißchen Gelb bringen meine SungenS fchon 
burd) — ba^u brauche ich feinen Vanfier! 

* 

An ber lebten Generalüerfammlung einer großen hefigen Van! 
fotT ein Aktionär theilgenommen haben, ber im bringenben Verbacht fteht, 
bie betten, bie er bepontrt hat, aud) wirllicfj felber zu befi^en. Strenge 
Unterfudjung ift eingeleitet. 

* 

Radjbem ber H crr $lrector unter minutenlangem, braufenbent 
Veifall ber anwefenben Actionäre bie leiber noch immer wenig glänjenbe 
Sage ber GefeUfchaft gefchilbert hot, erhebt fich «*n ^hsilnehmer. „3$ 
glaube", fagt er, „im tarnen aller Anwefenben ju fpredjett, wenn ich 
bem hochverehrten §errn Präfibenten für bie gerabeju geniale Seitung 
ber Gefchäfte unb aufopfernbe Wahrnehmung unferer gntereffen meinen 
aufrichtigen, bewunbernben $>an! auSbrücfe." 3)er 2)irector winft be= 
fdjeiben unb gerührt ab. Seiber Verfteht ber Zehner bie Honbbewegung 
falfch unb ruft ärgerlich auS: „Ra, hören Sie mal — für jehn 9Ra rf 
fönnen Sie hoch nicht mehr verlangen!" 

* 

Unter ben Sinben h°t ein geriebener Spipbube fchon wieber ein 
Vanfgefchäft aufgemad)t. 

diesmal mit bem Stemmeifen. 

* 


Währenb ber bevorftehenben Wahlcampagne in 3lolien beobfi^Ugt 
Signor EriSpi fich in Vegleitung mehrerer Vanlbirectoren, Senatoren 
uub Abgeorbneten nad) Apulien unb Von bort nach Sicilien ju begeben. 

3Me vorjährige SeitungSnadjricht, baß in jenen Ve^irfen halb wieber 
Vrigantenhorbcn auftauchen würben, hat fid) alfo überrafchenb fehnefl 
beftätigt. 

* 

Eine anntuthige Scherzfrage unterhielt neulich aufs Vefte bie 
jurn Iepten Saifonbiner zahlreich tvie immer erfdjienenen greunbe unb 
greunbinnen eines ber beliebteften Wannfee=Elubbiften. 

„Warum taugt Raphael viel mehr zum 9Raler als zum Vanfier?" 
fragte Herrn Greifzu ein 9Ritglieb ber oberen 3 c $utaufenb, bie bei ben 
Pfunb=9Riflionären anfangen. 

„Raphael wäre befanntlich auch ohne ^änbe ber größte SRaler 
geworben; ein großer Vanfier hätte er bagegen ohne £änbe nie werben 
fönnen/ 1 war bie von einer bezeidjnenben Gefte begleitete Antwort beS 
gefchäftSfunbigen Herrn. 

* 


Xroft in 

Wer fich als Gauner 
'neu tarnen macht, 

2)er nehme bei Seiten 
Auf bieS Vebacht: 

Er laffe liegen,' 

WaS allzu flein 
Unb ftehle niemals 
3m 3Ronbenfchein. 

Er thu’S nur bei 2:age; 

Unb eiferbefeelt 
Veacht' er, baß nie ihm 
$ie Vörfenfart' fehlt. 

5)enu wer zur Nachtzeit 
®en Dietrich umfrallt, 

5)en ftedt in’S 3u<htb a uS 
$)er Staatsanwalt. 


% hränen. 

Wer frentber Xajche 
Entnimmt'S Portemonnaie, 
3Ruß Wolle zupfen, 

Unb baS thut weh, 

Wirb Von ber Gefeflfchaft 
AuSgefpien, 

ES fümmert fein Teufel 
Sich mehr um ihn. — 

Wer aber Millionen 
Stiehlt, fo lang'S tagt, 

Unb brelften $iebftahl 
Ganz öffentlich wagt, 

S)eß 9?ame wirb ewig 
£>ellglänzenb ftehn, 

S)em fattn eS ruhig 
3Ral f^lecht ergehn. 


5)enn faßt man ihn bod) mal 
Unb fällt er hinein, 

3)ann rettet unb fdjüpt ihn 
$er StempeUVerein. 

prtn 3 Pogelfrei. 


Dramatifdje ^nfffi^rungen. 

„Onfel Xoni." ^omöbic in vier Aufzügen Von E. ÄarlwciS. 
(Gaftfpiel beS ^eutfepen VoIfStheaterS in Wien am hiefigen j^eutfdjen 
X§eater.) — „Scpwarmgeifter." ^ragöbie in fünf Aufzügen von 
$arl Weitbrecht. ($gl. SchaufpielhauS.) 

®ie Herren Vrahrn unb Vucowicz hoben heuer für bie grüblingfc 
Zeit, wo baS Gebränge in ben Viergärten erfahrungsgemäß immer 
größer ift als an ben Xheatercaffen, einen ganz befpnberen Xricf er* 
funben. Sie vertaufdpen einfad) bie Stätte ihres gefegneten XhunS; 
Vrahm fuhr mit feinen realiftifd) erzogenen TOmen, feinen Probe* 
canbibaten unb Gefpenftern nach bem Wiener Weghuberparf, unb bafür 
famen grau Obilon, bie Von Manchem nod) Unvergeffene, unb grau 
jRettp nach ber Scbumannftraße. AIS befottbere Senfation ^at baS 
Gaftfpiel bis jept aHerbiitgS nidjt gewirft, unb bie fpeculatioen 3)irec= 
toren hoben vielleicht einen Rechenfehler mehr zu bereuen. Ric^tSbefto* 
weniger verbient unfern ^anf, wer Äünftler wie Riartinelli ihr großes 
können auch einmal in Verliit zeigen läßt. 3ut $inblid auf bieftn 
wunberfanten Anzengruberfpieler überfahen wir milbe bie ^hatfacht, 
baß bem Enfemble von feinen früheren Stiipen bie ftärfften verbrat 
gegangen fiub, unb baß bie beiben Samen, um berentmiüen Enterich 
eigentlich ben 3 u g unternahm, bisher zkmlich hochgrabig enttäufc|tai. 


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Nr. 20. 


Ute <$e$etttt>ari 


319 


grau Dbiloti ßat Vracco’S befamtten Eßebrud)Sfpaß „Untreu" 
grünbitt mißberftanben, inbem fie bie magßalfige italienifcfte Gräfin 
im ©tßl eines Verliner ©oppegartenS=3RäbelS gab, bent nid)tS 9)ienft= 
lüßeS meßr frcmb ift, unb grau IRcttp ift anpßeinenb auf ber ©tufe 
ber Entmidlung fielen geblieben, bie fie unter L'Arronge erflontmen 
ßätte. greilit bot ißr baS erfte ©tücf, morin mir fte mieberfaßen, 
ftarlmeiS' „Dnfel $oni", fauttt eine Eelegenßeit gur Entfaltung jd)au= 
fpielerifter Talente. $arlmeiS ift, mie ntan miffen follte, ber Siener 
AriftopßaneS, unb baS in bemfelben 9Kaße, mie Ebermann ber Siener 
©tiHer, ©ofmannStßal ber Siener Eoetße ift. deiner biejer $>onau= 
bitter, bie fit bot anefamntt fo erpßredlit mobern geberben, ßat bon 
ber neuen Shtnft etmaS ^rofitirt ober fit im Ernft mit ißr auSeinanbet* 
gufepen berfutt. 2)er AriftopßaneS ftarlmeiS feßöpft nußt nur feine 
©toffe, fonbem auch feine Xetnif auS bem 3aßre 1873. Er ßßeibet 
bie Erbenbemoßner in Xeufel unb Engel; grauSlite Vöfemitte bebroßen 
bie phneemeiße Xugenb, bie aber in ber berlotterten Umgebung, in 
©tmup unb ©tmat ihre Vlanfßeit ffedenloS bemaßrt. 1873 mar eS 
au<ß dRobe, VolfSftüde in ber Sei je gu ergeugen, baß man unbermittelt 
an roilbe ©arlefinaben unb unmögliche Affentßeaterei ©eenen bod 
ßötfter ©entinientalität unb getragenen EmfteS heftete. 9Ran hielt 
biefc abpßeulite ©t^Ilofiafeit bamalS für bie rechte SRipßung, unb 
o teunber — ©err flarfmeiS ^ält fie aut heute noch bafür. 9htr 
nennt er, maS früher VolfSftüd ßieß, jept bomehnt „ßomöbie". Er hat 
eben hoch etmaS bott ber SRoberne proptirt. 

92och immer fehlt unS baS Luftfpiel ober bie ^offe bon ber Vörfe. 
Unfere ©djmanfmaeßer gleichen fcheu an bem prächtigen ©toffe borbei 
unb begnügen fit meiter mit ber ©djmiegermutter, bem Lieutenant, 
bem Vadfift unb bem gerftreuten Vrofeffor. 9hir bie gang Sage- 
muthigen riSfiren gumeilen eine Anfpielung auf Miguel unb bie bbhen 
©teuem ober einen ©terg über bie Vlöp^Eigarre. ©ie bergeffen nie, 
baß baS Eaffenbudetin bon ber ©tintniung ber ginangßerren abhängt 
unb baß fein dichter beliebt toirb ohne fie unb ihre kanten. Unfere 
©pehilanten genießen baSjclbe Vorrecht toie bie ©oßengodern=giirften: 
man barf fie nicht ohne ihre ober ihrer Erben auSbriidlite Eeneßmigung 
auf bie Sühne bringen. 5)ie Vörfe ift, fo hören unb lefeu mir alltäg? 
lieh, baS ©erg beS mobernen SirtßphaftSlebenS; Vörfeninterefjen ent= 
fcheiben über bie ©chicffale ber Völfcr, über $rieg unb grieben — 
für ben $)ramatifer aber finb fie nicht borhanben. Sel)e bem $eden, 
ber bie SDtyftcrien ber Vurgftraße unb beS ©tottenringeS luftig im 

t oßlfpiegcl feiner $omöbien mieber gäbe! Voßfott unb lebenslängliche^ 
objeßmeigen märe bie Antmort. $a fcheint eS benn faft todfüßn bott 
$ar!meiS, baß er fid) an bie Eemaltigen magt. Aber er meint eS nicht 
böfe. Er beftränft fich barauf, einen Qobberer gu geitnen, ber mit 
feinem grieblänber ober ©otnmerfelb aud) nur entfernte Aeßnlitfeit hat; 
beim Setradjten biejeS SaumauS tann fich SRiemanb pßotograpßift ge=* 
troffen fühlen. Unb alle ©djärfe feiner ftmatmütßtgen ©atire gießt ber 
Verfaffer über ben bemußten gräflichen $)umntfopf auS, ber fich öaju 
üerleiten läßt, gegen geringes ^rinfgelb mit feinem abligen Hainen bie 
anrüchigften ©peculationen gu beefen. gßu läßt $arlmei3 faum minuten^ 
lang uon ber ©eene Oerfcßminben — bann bie mitleiblofe Verhöhnung biefeS 
Oerlumpten ^Iriftofraten^rottelS muß im bürgerlich refpectablen $arfett 
miehemben 3ubel entfachen. Seil aber hoppelt genäht beffer hält, mirb 
bem oerfommenen Erafen noch ein ebenfo elenbeS, jüngeres greiperrn^ 
3nbioibuum attaeßirt, baS unter braufenbem Eelädjter erflären muß, auS 
©tanbeSrüdficßten ba$u gejmungen ju fein, ben gebanfenlofen ©eßmaroper 
unb hoeßnäfigen 3bioten j*u fpielen. Er ßat außerbem bie eßrenoolle Auf¬ 
gabe, fieß Don bem ßoeßanftänbigen jungen Vepräjentanten beS aufgeflärten 
unb freifinnigen SitrgerthumS, bem freu§braoeit ©oßne beS obenermähnten 
Sörjenbanbiten, bemüthig bie gröbften Seleibigungen fagen ju laffen 
unb bem Seleibiger obenbrein feine greunbfcßaft au ben ©als §u merfen. 
®en lepten ^rgmoßn, ben ein SDTißtrauifd^cr ßinficßtlicß feiner Ee= 
fmnungStücßtigfeit ßegen fönnte, jerftreut ^arlmeiS baburd), baß er ben 
SlufficßtSrath feiner ©cßminbelgefellfchaft mit Serien ooit polijeimibriger 
©cßäbigfeit bejept. ©armlofe Leute mögen baS für bejonberS feßarfe 
©atire halten, in Sirflicßfeit breeßen fo unfinnige unb burcßficßtige 
Uebertreibungen ber ©atire ben ©als. 

ES feßlt bem ©tüd nießt an guten unb mipigen Einfällen, aber 
eS feßlt ißm boflfommen an lünftlerifcßer Eßrlicßfeit unb Eemiffen= 
ßaftigleit. ÄarlmeiS fdjiebt bie Sßerfonen mie S u ßß en bureßeinanber: 
gtoei junge Leute nobelfter $rt oerßeirathen fid) auf Sefeßl ißrer 
gaunerifcßeit Väter, baS ftolje ^äbcßeu nimmt innerhalb fünf Minuten 
ben aufgebrungenen, irrtümlicher Seife Oon ißr oeraeßteten 9ftann, 
gönnt ißm jeboeß nießt einmal $mei Sorte, bie"er gu feiner 9?ecßt= 
fertigung fagen mill. S^acß ber ©ocßjeit amüfirt fie fid) auf eigene gauft 
mit Vettent unb Vafen, unb ber belifate Eatte rüßrt fie fo menig an, 
mie SßiUpp Verblaß bie marmorfcßöite Elaire anriißrte. Von irgeitb= 
melcßer ptpcßologifchen Entmidelung unb Vegriiubung ift nießt einmal 
üorübergeßenb bie 9tebe. 3^an möchte Don einer naiben Xecßuif fpreeßen, 
aber Unfäßigfeit unb bilettantijcße plumpe Eeriffenßeit ift feine 9?aibetät. 

Senn man fdßon baneben ßaut, bann foll man'S eßrlicß unb oßne 
Umftänbe tßun, mie ber ©tuttgarter Seitbrecßt in feinem betrübenben 
f oßlßaaS^rama, baS in fcßlecßten 3amben gefcßricben unb beßßalb Dom 
föniglicßen ©cßaufpielßaufe jur §luffüßrung angenommen morben ift. 
$)ie ÄoßlßaaSmär fennt aut ber 57icßtmärfer auS ©einridjS D. $leift 
prächtiger, in’S 3J2arf beS ©toffeS bringenber 9ioDede. S)er feelenfunbige 
$oet ßat mit feiner unb boeß fo fcßlicßter Äunft alle gäben bloßgelegt, 


barauS fieß ber ftarr fein Vecßt begeßrenbe Vecßtfenner felber ben ©trid 
breßt. Seitbrecßt mar mit ber Einfachheit beS VormurfeS menig jufrieben. 
©ein 5loßlßaaS läßt fit Don einer irrfinnigen ©tmärmerin überrebcit, 
nitt nur baS eigene jftett, fonbem überhaupt aller Vebrängten, aller 
Unterbrüdten 9tett 511 forbern unb ju Dertßeibigen. Nebenbei münftt bie 
junge 2)ante, Don ißm jur Königin beS neu $u begrünbenben EotteS= 
reiteS gefrönt ju merben. 97ad) ermiibenbem ©in unb ©er, uatbem ber 
immer gefabene, nie fdjiebbare ©elb jreulid) getobt unb mit holten nnb 
Siftolen bie s D^enftßeit auf ber Vußne über Eebüßr geängftigt ßat, 
beläftigt er nod) einen ganzen 91ct ßinburt ben guten Dt. Lutßer in 
Sittenberg. Dr. Martin Derfpritt, ißm fein 9lett beim Surfürften ju 
ftaffen, maS ÄoßlßaaS abmedjfelnb freubig unb Derbrießlit ftimint; im 
ilebrigen ftellt fit ber Slufjua als ein jornmütßiger Vingfampf 
gmiften ben ©timmmittelu ber ©erren SRolenar unb ÜlfatfomSft) bar. 
3eber Don ißnen fepte bie lepte $raft baran, ben Eegner ßeifer 5 U 
maten, bot blieb baS ©teten unentfeßieben. ^atßer befamen mir not 
ftoßlßaafen'S Einfall in Sittenberg, feine Eefangennaßme unb feinen 
2:ob ju feßen; aut bie curiofe junge $ame, bie ißm raftloS natüef 
unb ißn am Enbe bot nitt mollte, erlag Derßältnißmäßig früßgeitig 
einem erlöfenben 2 )oltftoße. — ©err Seitbrett fteßt ben gorberungen 
beS $)ramaS mit faft imponirenber ©iilflofigfeit gegenüber. Er ßätte 
unS geigen müffen, mie feoßlßaaS gum ratfüttigen Verbreter marb, 
mie man ißn fpftematift, bunß unerhört freeße IRettSbeugungen in 
9?att unb Vergmeiflung ßineinßepte. ©tatt beffen ergäßlt er unS un= 
aufßörlit Don feinen fleinen unb großen SRiffetßaten, bie unS ben 9ftann 
als eine unfpmpatßtfte, morb^ unb frafeßduftige Veftie erfteinen laffen. 
©tatt beffen geigt er ißn als ßaltlofen Xropf, ber fit leicht jebem Ein* 
fluffe beugt unb feinen ßiftorifdßen ©tarrfinn nur bureß fortgefepte, miifte 
unb brößnenbe ©tintpfereien gu erfennen giebt. ©ton eße ißm Lutßer 
im britten ?lcte bie feßönen ftraftmorte: „©alt 3)ein ÜRaul, 5)eiit lofeS 
ÜJfaul!" guruft, ift ber geplagte ©örer bagu geneigt. 3 ^mer nur Dteben, 
feitenlange 9teben in einem guge, praffeln auf ißn nieber; niemals geftaltet 
pt aut bloß eine eingige, bramatift gebatte ober menigftenS tßeater= 
mirffame ©eene. Sir emppnbcn Dor ©erm ^Srofeffor Scltbrett unb 
feinen fonftigen Leiftungeu eßrüte ©oeßattung. liefen Dtefpect ßätte 
aut baS föuiglite ©taufpielßauS ßaben unb beßßalb baS Döflig Der= 
‘fehlte 3)rama nitt gur Aufführung bringen follen. ©errn Seitbrett'S 
Anfeßen märe bann unerfeßüttert geblieben. 






Vurenlieber. .Von grip Lienßarb. (Verlin, E. ©. 5Jteßer.) 
®er junge Elfäffer Witter, ber fo mutßig unb unermüblit für beutfte 
Art unb ßunft fogar in Verlin, biefer ©tabt ber ©eimatßlofen, fämpft, 
mo er mit feiner nationalen ©tmärmerei fo gang unb gar nitt ßin= 
paßt, ift unferen Lefern fein grember, benn mir ßaben mieberßolt auf 
feine S)id)tungen ßingemiefen. ®iefe Vurenlieber ftücßen pt mürblg 
feinen ftönen SaSgaufaßrten unb föorblanbSltebem an. ©eine Verfe 
pnb in ißrer Vegeifterung immer eßrlit unb pßrafenfrei, lebenSfrift 
unb menn eS fein muß berb, fnapp oft bis gum LaconiSmuS, formpßön 
unb ftimmungSreit, empfunben unb barum gum ©ergen geßenb. $>er 
entlegene fübafrifanipße ©toff ift intuitiD erfaßt, unb tppipß mie 
inbiDtbuell mirb baS fRUßtige getroffen, menigftenS geßt unfere Emppn= 
‘bung immer oßne Vebenfen mit, unb baS Vilb runbet pt farbig unb 
ßarmonift- ^ßrättig gelungen ift ber rßptßmift beflügelte 9?eitcr= 
marft, ergreifenb baS furge Eebet, „baß mir mit Eßren faden 9J?anit 
für SRann", ftlitl öaS Lieb Dom San Äof, ber bei ElaanbSlaagtc mit 
ber Vibel unterm Otode pel, fangbar ber ^reiS ber Vurenfrauen, 
„braun Don Luft unb Sinb, ßot unb unbergagt unb ftarf genug", 
unb Dor Allem padenb 2)er junge Vur, bot ftört unS ßter „beS 
Vurften IRaufer in bie $tefe fpritt" unb „Er flogt mit feinem 
dftaufer", meil bei bem urprofaipßen tarnen alle ©timmung gum Teufel 
geßt. „^Rit feiner beutften glinte" märe Don unmittelbarerer Sirfung. 
2)aS Vütlcin erfteint gum Veften beS nieberbeutpßen VruberDolfeS 
unb fei [ton barum marm empfohlen. 


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320 


ie C&egetuflttrl. 


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Nr. 20. 


jtnaetn««. 

»ei »«Bettungen berufe man (Wj auf bte 
,.®tgemoart , ‘. 


eyMyagkek gkgyyagkekgk 

iiiHnttgTnmüi]jiiiiiiiiiiiiHnBiinininiiiHiiimuiiiiinniHiiiiiitutniiiunnunm!Mutwiiii;uiniimmnnimtiiiM^>: i 


$unbert Oriatnal«©utatften 
o. ftreunb u. getnb: ©jörnfon 
©ranbel ©firner ttri«pt X)a^n 
Raubet Cgibb gontane ®rotb 
§aetfel fcartmann $ebfe 3or= 
tm ban JHbltnfl ßeoucQüaüo Sin* 

bau Sombrofo WefätfcberMl 
t IRigra Vorbau OUtDter fetten» 

4 ,vE-itivll- fofer ©aiigOuxb ©ienfiewici 

©tmon Cpencer 6plel$agen 
©tanleb ©tocder ©tTtnbberg 
|CIICI 4|UI|CII(fCI. 6uttner ©tlbenbrud) ©enter 

Bola u. b. Ä. 

Sieg. gelj. 2 SRt. oom 8«v(«f l«t tttwart, 

©erlln W. 67. 




Verlag oott Söil^elttt £erfc in Berlin. 

©oeben erfd)ien: 

#eorg oott ^uttfett. 

©in Sharafterbilb au« bcm Säger ber 
©cfiegten, gezeichnet Oon feiner Xorf)ter 

Part« oon 

22 ©ogeit Dftaü. 

Mit ©udjfchmucf Oon Marie Oon ©uitfen 
unb einem Porträt in £>eliograoüre. 
©eheftet 6 M. ©ebunben 7 M. 


€res acht 

toirb ein ^ebactenr für eine 
©erltner grauenzeltung. Xäglidj ©ormtttag« 
brei ©ureaufiunben. 3ahre«gehalt 4800 Marf 
unb jährlich zweimal oterzehn Xage Serien. 
Angebote mit Angabe bisheriger Nebactton«? 
©teüungen unb perfönlicher wie brieflicher 
©chriftftefler=©efanntfchaften unter €. H. 972 
burtf) Haasenstein & Vogler, A.-G., Ber¬ 
lin, W. 8. 


Manuscripte. 

3ur ©erlag«übernabnte öon Manu? 
feripten hiftorifdber, poltttfcfjer, fd)öniüiffen= 
fdjaftlidicr tc. Nicfjtung empfiehlt fid) bie 
©erlag«tnid)haubhing oon 
Kichard Sattler, $raunfrijnmg. 
(©egrünbet 1883). 


Stottern 

heilen dauernd Dir. O. Denhardt’s 
Anstalten Dresden-Los ob wltz und 
Burgateinfurt, Westf. Herrl che Lage. 
Honor. naob Hei lg. Prospecte gratis, 
▲oltdste ataatl. durch S. M. Kaiser 
Wilhelm Z aosgezeichn. Anst Deutsch!. 


^Ifab. geb. ©chriftfteüer, bi«h- publtcift. 
(fiter. flrttif) in Berlin thätig, energ. getoiffen? 
hafte ?lrbeit«fraft, Oorj. ©prad)fenntniffe (fran? 
jöfifd), engiifcf)), #e*fefter etenograpb, 
ÜRafdiittestftfireifrer (.frammonb), fucht unt. 
befd|. fcnfpr. in fflcDattion, Xhcaterfctrrtarlat. 
©crl. ©uchbblg., lirerar. Jnftit. tc. ©teflung. 
Offert, an b. ©£p. b. ©egemonrt unt. A. (*. \ 

©cronnoorUlc^er ttebacteur: Dr. S$eop$U ßoHIng tn ©erlht. 


„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“ 

Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen KranKheitsersoheinungezi 
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Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmnngs- u. Verdauungsorgane, zur Ver¬ 
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Königliches Bad Oeynhausen. 


©ommer* u. SBinter=ffurort. ©tation 
ber fiinien ©erlin=£öln unb Söhne? 
#ilbe«heim. ©ommerfaifono. lö.Mai 
bi« ©nbe ©ept. SBinterfur oom 1. Oft. bi« Mitte Mat. fturmütel: Saturn, fohlenf. Xhwmalbäber, 
©ootbtiber, ©oof=3nhalatorium, ©SeQenbäber, ©rabivluft, Mebicomechan. 3anberinftitui, Nöntaen? 
fantmer, oorjügl. Mollen? u. Milchfuranftalt. Neue« Xijrrmalbubcfjaua am 15. Mai 1900 eröffnet. 
3nbifationen: ©rlranfungen ber Heroen, be« ®ehimS u. dürfen mar f«, ©icht, Mu«teU u. ©elcnfc 
rt)euinati«mu« f ^crjfranfhetten. ©frophulofe, Shtflmie, djron. ©elenfentiiiiibungen, gfrauenfranfh- 
V urfapede; 42 Mufifer, 120 borgen Sfurparf, ctgeneö Rurthrater, 53äfle f Äonjerte. «Ugemeine 
^afferleit. u. ©chioemmfanalifation. ^rofp. u. Sefchreibung überf. frei bie Egl. ©aDfOrrmaltusig. 


rAi *y\i*/\y r/ VV^r\v +y \TPy\v *■ At e* /\y */SJ*y V»’ir r/ v 7» ir ' r 


S)it @c«cnU)art 1872 - 1892 . 

Um unfer Säger jn räumen, bieten mir nuferen Abonnenten eine gftnfUge 
(Gelegenheit jur ©erooüftänbigung ber SoOcction. So meit ber Sorratb reicht, 
liefern mir bie Jahrgänge 1872—1892 & 6 SW. (ftatt 18 SW.), $a(bjahr*< 
Sänbe k 3 SW. (ftatt 9 SW.). (Gebunbene Jahrgänge k 8 SW. 

©erlag Bet ©egeirtuart in ©etlin W, 57. 



Qn unferem Söerlag ift erfcf)tenen: 

»«» fcii 

pe (Kegeimmrt. 

|t für eitetofai. fluuft not Iflrtthtbrf teben. 


Sfifrel-fitfliftr 1872 - 1896 . 

(Shrfter biü fünfsigftcr ©anb. 

Mit Nachträgen • 1897—99. ©eh- 5 Jf 
©in bibliographifche« 2Serf erften 
Nange« über ba« gefammte öffentliche, 
geiftige nnb fünftlerifche fieben ber lepten 
25 Qahre. Nothtuenbige« Naihfcblagebucb 
für bie 2efer ber „©eaenroart", foroie 
für ttJtffenfchaftliche k. arbeiten, lieber 
10,000 9lrtifel, nach Rächern, SSerfaffern, 
©chlagmörtern georbnet. Xie Autoren 
Pfeubonpmer unb önonpmev ^Irtifel finb 
Durchweg genannt. Unentbehrlich für 
jebe Sibliothef. 

9lud) bireft gegen $oftanwetfung ober 
Nachnahme oom 

Oerlag ber C&egenroart. 

»erltn W 57. 


— TkfliinflB«kH • 

Technikum Jlmenaal 

fli IinIIim- ul Btklr«- 
lagfUtr y-T—kiftf ■.~Work»#lst«r.| 

1 Dlrcclor 


Jisntdt« llichfolgrt. 

o nt a n 

Oon 

■gl^eop^iC ^oltirtß. 

19" Dclkaudgabc. 

?Jrci« 3 Marf. ©chön gebunben 4 Mart. 

Xiefer 53i«ntarcf=©aprloi?Neman, ber in 
inenigen fahren fünf ftarfe Auflagen erlebt, 
erfcheint hier in einer um bie £>älfte billigeren 
53olf«au«gabe. 

Xurch ade 33uchhanblungen ober gegen ©in» 
enbtmg be« betrag« poftfreie 3 u f c ttbung oom 

Uerldg 4 er 6 egeiWdft, 

©erltn W. 57. 



ftebaettott unb $£pebttton: ©erltn W. t Wanftrinftrabe 7. 


Snu! Don A ©eder tk'fi 


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M 21 . 


33er Cut, ben 26. $ttai 1900. 


vs* 


9 29. Jahrgang. 

/J^pd 57. 


Pie Gkrpumrt 

2ßodjenfdjrift für Siteratur, Kunft unb öffentliche^ geben. 


/X 


O/' 




^etausgegeßett t>on $0eof>QU ^offlng. 


, leben Imnubenb erfdjttot etne pnratr. 

8» beiteten burc$ alle ©u<$lj(mblungen unb ©ojldmter. 


Vertag ber ©egenroart in Berlin W, 57. 


#tfrM|ii&rttd) 4 ». 50 *f. §tiu immer 50 #f. 

3n|erate lebet ttrt pro 8 gehaltene ©ettt^eile 80 ©f. 


5)a8 ©djttffal ber lex $ein$e. ®on SKidjatb ?8ulcfcni>. — ©ine ©mancipirte. $on $arl 3agufc6. — Literatur nnb Run ft. 
Qt tL Ci. f van iönid)e Malerei auf ber ^arifer SBcttauSftenung. SSon 91. 93runnemaim ($ari$). — Xolftoi’ä Stellung, $ut Runft. 

litt Mt* ^ on Dr * SBobe (Weimar). — ftcntllfton. £>ol)e§ ©pief. $on 2oui$ ©ouperuS. 9lu8 bem £olIänbtut)en. (&orts 

fepung.) — 9ht£ Der (anjitftaDt. $er ftarfe Sflann. SBon Jtmon b. 3. — SSon ben großen berliner ©ommer=Runftau8= 
ftettungen. $on 3- korben. — Sinnigen. 


Das S<fetdt|al ber lex tjeittje. 

Sou Hidjarb IPulrforo. 

‘©ie unglüdfelige lex ,<peinjc b at unter onbern t)5c£)ft 
unerfreulichen (Srfdjein ungen aud) bie einer parlamentarifdjcn 
Dbftruction gejeitigt, jum erften Vfale in unferem Der« 
faffungSmäfeigen politifdjen geben. ®et Vorgang ift beadjtenS« 
mertf) unb nid)t fo leidjt ju nehmen. ®enn eS galt biötjcr 
als unumftöfelicher ©runbfag im Parlament, fid) unter allen 
Umftänben bem Votum ber VbftimmungSmafchine ju unter« 
teerten unb bamit bem Parlamentarismus bie unbebingte 
f>od}ad)tung ju erteeifen, bie er ju beanfpruchen bat. @3 
läfet fid) nun aber nidjt leugnen, bafe biefe tpodbacfetung beS 
Parlamentarismus in ber legten $eit fo manchen empfinb« 
lieben Stofe erlitten bat, bafe befonberS ber parlamentarifcbe 
■Jon bereits auf einen geteiffen Siefftanb gefommen ift, ber 
ju 3eiten eines ©imfon, Vamberger, SaSfer, SBinbt^orft un= 
möglich gemefen wäre. VJenn fürjlid) ber confcroatiDe ?lb« 
georbnete Kropatfcfeef ber oppofitionellen Sinfen „3Kaul halten" 
jurief, fo ift baS ein um fo mehr betrübenbeö ßeidjen, als 
ber Stufet als ©feefrebacteur ber Kreujjettung eine öffentliche 
perfönlidjfeit ift, bie bie Verpflichtung bat, baS decorum 
unter allen Umftänben aufrecht ju erhalten, überbieS aber 
feines 3eid)en8 fßäbagog ift. ®eteife ift einem Sieben ber 
Dbftructioniften ftar geroefen, bafe burdj fein Vorgeben ber 
conftitutionede SRedjaniSmuS (ahm gelegt unb baS Derbrieftc 
fRetijt ber fDiajorität fchrcer oerlegt toirb; eS ift aber als er« 
tlärenbcr unb milbernber ®runb geltenb ju machen, bafe baS 
berjweifelte 3Jfittel tbatfädjlicfe bie (egte 9luSfunft unb baS 
einjige ÜJtittel toar, um bie nötige 3eit für baS Vnwacfefen 
ber enblich erwachten unb ftarE arbeitenben Vercegung ju ge« 
Winnen, unb fich Don ber momentanen, ber Vorlage günftigen 
SDtajorität nicht überfluten ju (affen. (SS war ju baffen, 
bafe ber gewaltig fich regenben Dppofition gegenüber ber 
VunbeSrath, Dielleicht aud) eine anbere bofee ©teUe, Don bem 
®efeg Slbftanb nehmen mürbe, wie eS ja Dor Dier Saferen 
mit bem rüdläufigen 3eblig’fcfee n ©chulgefegentteurf ber gaü 
gewefen war. 

©ölte Hoffnungen hatten um fo eher Verewigung, als 
bie ®enefiS ber Vorlage eine gar feltene unb eigenartige war. 
äJtan wollte junäefeft nichts VnbereS, als burch eine ftrengere 
®efeggebung bie SRißftänbe unb Vlibetwärtigfeiten ber lauf« 
lieben „Siebe" (3ubä(tertbum) einfehränfen, unb man gelangte 
baju, biefeS an fich einwanbfreie Vorgeben in einen Kampf 


ju Derwanbeln, gegen eine, geteiffen geftrengen sperren un« 
bequem ober bebenflich erfebeinenbe fRicfetung in ber Kunft 
unb Siteratur. Um biefer überrafefeenben üluSbefenung beS 
Kampfgebietes nun flüglidj Dorjuarbeiten, bebiente man fich 
immer unb immer wieber beS VJorteS „©innlichfeit" als 
eines böfen geinbeS, bem ber Kampf gelten fode. 50?an that 
fo, als fei ©innlichfeit an fid) fc^on eine ©ünbe unb ein 
Kampf gegen fie ein DerbienftlicheS VJerf. ®a War eS benn 
nid)t wunberbar, bafe bie gegen bie Vorlage mit feltener unb 
begeifterter (Sinmüthigfeit gront macbenben Künftler, ©ebrift« 
ftellcr unb Kunftfrennbe baS Kunftoerftänbnife ber „®eftrengen" 
in 3toeifel ä°9 en l, nb eS jum ®egenftanb ihrer mehr ober 
weniger teigigen Kritif malten. Sfeatfäcfelicfe bebeutet ©inn* 
lid)feit aber nichts 9lnbereS, als bie unbewufete greube unb 
©mpfänglicbfeit, bie unS bie ©inne Don ber ©Wnbeit ber 
28elt unb ber Kunft Dermitteln. SBer bie ©inne nidbt burefe 
frohes 9lnfcbauen unb ®eniefecit Don Vielt unb Kunft übt 
unb empfänglich macht, beffen Organe Derfiimmern, in beffen 
3nnetn fann fein reines äftbetijcbeS ©mpfinben ber Kunft 
feine ©tätte finben. ®icS (Smpfinben bat aber mit ber 
„©innlichfeit" im DorwurfSDoOen ©inne nicht baS fDfinbefte 
ju tbun; baS äftbetifd)e ®eniefeen, beffen mir uns im 9ln« 
flauen eines 9lpollo Don Veloebcre ober ber VenuS Don 
SJfeloS bewufet werben, liegt weit ab Don bem Vegriff ber 
©innlichfeit, wie fie fid) bie „©eftrengen" im DorwurfSDolIen 
©irme conftruirt haben. ‘SaS fnnftfreubigfte Volf ber Vielt 
batte bei bem fftadten, waS eS in fo herrlicher Vollenbung 
fchuf, gewife nicht ben £>au<h eines lüfternen ®ebanfenS in 
fid), eS fdjnf nur baS, waS baS innere 9tuge fdjaute. Unb 
fo geht eS mit jebem echten Künftler. 3)ie fünftlerifche ®at« 
ftellung rüdt bie «Dinge aus bem Vereich unfereS VSiOenS, 
unfereS ^rieblebenS, wäbrenb im Sehen jebe fReijung ber 
©inne fich einer ©rregung beS VliOenS, beS VegebrenS 
Derbinbet. Sn ber fünftlerifcfeen Arbeit, wie im Kunftgenufe 
fällt aber biefe (Srregung fort, Weil feine ©aefee, fein ju be« 
gebrenber ®egenftanb ba ift, fonbetn nur fein ?lbbilb, fein 
©Win. Unb fo barf man bie ®rnnblage beS KunftgenuffeS 
als eine ©innlichfeit ohne Vegebren, als eine echte reine 
©innlichfeit anfeben, bie ben SRenfchen bebt, ba fie bie rohen 
Snftincte auSfcbaltet unb ihn an ein Verbältnife ju ben 
Gingen gewöhnt ohne materielles Sntereffe. hierin liegt 
allein bie ÜJiöglidjfeit begrünbet, bafe ber Künftler auch ohne 
Vegeljren mit Doller Ütufee nach bem weiblichen SRobeU arbeitet, 
bafe fein ©inn unb üluge beim fiinftlerifchen Schaffen Döllig 


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322 


Die ©egetimart. 


rein bleiben fann. ©obalb er beim ©d)a ffen bemüht irgenb 
einer unreinen lüfternen Senbenz 9iaum gicbt, hört er auf 
Zünftler ju fein. 358er aber bie fünftlcrifdje SarfteHung ber 
blühenben @djönl)eit be# menfdjlidjen Seibe# nicht mit un» 
befangenem reinen ®enujj aufnehmen fann, ift fittlid) nicf)t 
gefunb, er feibet an jßrüberie, unb ißrüberie ift bie äRutter 
ber Sßerborbcnljcit unb liegt weit ab non Äeufdjf)eit unb 9Rein= 
heit. ^ubert ^erfomer hat ein# feiner fdjönften Silber mit 
bem 2ßort uuterfdjrieben: »All beautiful in naked purity“. 

Sem reinen 2luge be# griedjifdjen Slünftler# (unb wof)I 
and) ber erften Sliinftler unfcrer 3eit) bürfte ba# Söatlcoftüm 
einer mobernen fyofbame in feinem oölligen ÜJiangel an fftatur 
unb fRaioetät anftößig crfdjeinen, wäl)rcnb ber nadte Körper 
in feiner reinen Schönheit if)nt feinen 2(nftofj erregt unb feine 
lüfternen ©ebanfen naf)elegt. 9Ran tonnte ganz mof)l ben 
Sab aufftellen, bah maßre ectjte ©innlicfjfeit eine fyörberung 
unferer ©ittlidjfcit bebeutet unb bah man befefialb banad) 
trachten muffe, burd) eine, ba# äftf)etifd)e ©lement mefjr be» 
riidfidjtigenbe Sugenberjiefjung eine 2lnnäl)erung unb h fl r= 
monifdje Serbinbung oon ©ittlicf)feit unb Siitnlidjfett anju» 
ftreben unb oorzu bereiten. 9fur fo fönnen bie ©d)äben geteilt 
werben, gegen bie man jeßt bie monftröfe lex Ipeinje in 
©eene ju fegen fudjt. ÜRun tonnte man fteg nad) bent bei» 
fpiellofen ©ntrüftungSfturm, ber fid) gegen bie beabfieptigte 
Slnedjtung be# freien ©ebanfen# in St'unft unb Siteratur all* 
überall erljob, ber Hoffnung ^ingeben, baß ber un# oon ben 
„funftoerftänbigen" ßentrumSmanncn befdjeerte ©efeßentmurf 
niemal# thatfäd)lid)eS ©efeg werben, ja bafj er nad) bem be» 
fannten ißrincip interim fit aliquid gar nid)t mcljr in bie 
britte Sefung gelangen »erbe, bafj ber 2lnfturm al# abgefcf)lagen 
anjufe^en fei. 3Bir bürfen un# fjeute nict»t mehr biefer 
Hoffnung l)ingcben; oon feuern mufj burd) alle beutfdjen 
©aucn ber @d)lad)truf ertönen gegen ben jum legten ©djlage 
au#l)o(enben geinb. Senn bie Sage hat fid) in ben legten 
Sagen wefentlich oerfdjoben; bie lex $einje ift burcf) bie rafd) 
cntfdjloffene Saftif be# ßentrum# oor bem glottengefeg auf 
bie Sagcöorbnuug gefegt unb in bem 2lugenblid, ba »ir 
biefe 3 e ^ en fctjreiben, fann fftiemanb bie enbgiltige ©ntfdjei» 
bung Dorau#fef)en. 2Sir laffen bagingeftellt, ob gier nid)t 
im §intergrunbe ba# Programm lauert: ogne lex ^teinje 
feine glotteuoermeljrung, aber ba# fann feinem ßroeifel unter» 
liegen, baft ba# ßentrum fid) neue Srümpfe für ba# gefaxt» 
tict)e ©piel ju oerfefjaffen gemußt gat. Sie Herren fRocrett 
unb ©enoffen »iffen ganj genau, bafi bie Oppofition ent» 
fdjloffen ift, mit einet ^Injaljl wof)l oorbereiteter Einträge 
ijeroorjutreten, um burcf) beren notljmenbige eingeljenbe Se» 
grünbung bie ©ntfegeibung nad) Kräften aufyufdjieben. Sor 
Kurzem beutete nun bie „Scrl. fßol. 9Rad)rid)ten" an, bajj 
bem gegenüber bie fyreunbe ber lex alle »eiteren Einträge, 
welche eine ©rmeiterung ber Sorlage beamteten, auf ©runb 
bet ®efd)äft#orbnung oon ber Schwelle jurüd^umeifen, um 
beren ©rörterung ju oerljinbcrn. Siefe ©efdjäftSorbnung bc» 
ftimmt nämlich, baff jebem 2lntragfteller am Seginn unb am 
©d)lufj ber Sebatte ba# 28ort erteilt »erben muh; außer» 
bem aber fönnen Einträge auf motioirte SageSorbnung jeber» 
Zeit oor Sdjlufj ber 8erf)anb(ungen eingebraegt »erben unb 
finb oor allen übrigen 2(menbement# jur 2lbftimmung ju 
bringen. 2(uf ©runb biefer Seftimmungen glauben alfo bie 
^einje»9)?änner jebe ®i#cuffioit über einen Slntrag ber ©egner 
erftiden ju fönnen. 

9Kan f)at baljer feine#»eg§ ba# SRecfjt, jegt ber ©nt» 
»idelung ber Singe rul)ig jujitfcbauen, fonbern e# liegt bie 
Pflicht Oor, im Stampfe gegen ba# „gefeßgeberifdje SRonftrum" 
au#ju^arren, bi# bie ©ntfdjeibung gefaüen ift. 

©efegt nun aber aud), ba§ bie lex tfjatfäd)licf) ©efeße#» 
fraft erlangt, fo ȟrbe fie boc^ nie bie gehoffte 3Bitfung 
^aben. ©ie ftcüt ben e»igen Stampf bat j»ifd)en j»ci un» 
Ocrcinbaren Sßcltanfdjauungen: ber bc# frei fetjaffenben ©eifte# 
in Stunft unb Siteratur unb ber polizeilichen Ueber»ad)ung 


Nr. 21. 


unb Üftafjregelung. Sa fie bebeutet einen plumpen Singtiff 
in bie ©nttoidelung unfere# ®eifte#lebcn#, ba# fid) nad) ganj 
beftimmten inneren ©efefcen organifd) entroidelt, nic^t aber 
polizeilich lenfen unb reglementiren läfjt. 

3lber ber ©efeßentmurf wirb nach»irfen, auch »enn er 
nicht thatfächliche# ©efeg wirb. @r wirb ba# ©ute hoben, 
baß er in ben Stünftlern unb ©chriftfteHern ba# ®efül)l für 
bie ^>ol)eit unb 3Bürbe ber Äunft neu belebt unb fie oon ber 
Setonung be# aUju 3 tt,an 9^°f en u °b hoffen in ber Sar» 
fteüung ber fogen. 328irflid)fcit abhält. Sene „gemeine Seut» 
iichfeit ber Singe", mit ber fid) ber moberne fftaturali#inue 
bi#»ei(en Prüftet, ift nicht bazu geeignet, für £>cbung unb 
23ertf)fd)äßung ber Stunft ju »irfen; ja fie ftöfet fo SDtanthen 
ab, bem eine echte unb wahre ©mpftnbung inne»ol)nt. Sticht 
alle# „Statürliche" pafet in ba# ©ebiet ber Äunft, »eil ^icr 
bie ®cfaf)t nahe liegt, bie ©renze zu überfdjreiten unb ba# 
©ebiet ber ©d)amlofigfeit zu betreten. 3luch bie greiljeit ber 
Stunft hot ihre ©renze, unb je mehr fich Stünftler unb ©chrift» 
fteHer bemühen fie innezuhalten, befto weniger werben bie 
' mobernen Sartüffc# ©elegengeit hoben, burch ihre ©nt» 
fteüungen unb Uebcrtrcibungen ÜWifetrauen unb 33orurtf|eil 
gegen bie Stunft bei allzu zort befaiteten ©emüthern hetoor» 
Zurufen. 

3Benn nun im Sntereffe ber SSiirbe unb ©elbftftänbig« 
feit ber Stunft eine 9(blchnung be# ©efeßentmurf# geboten 
crfcheint, fo erfdjeint berfelbe in noch uiel bebrohli^erem Sichte 
angefidjts ber fRedjtfprechung. 9tiemanb fann heute über» 
fegen, wa# bie fünftigen @ntfc£)eibungen bet dichter in ©achen 
ber Stunft un# bringen werben, wa# nach igrer 21 uf ja ff ung 
2lergerni6 erregt unb wa# nicht, wa# ftraffäOig ift unb wa# 
nid)t. Sa# hoben heroorragenbe SWicgter in überzeugenber 
2Beife bargethan, ja bie tfiebe be# ©taat#anwalt# Sunggann#, 
bie er fürjlicg im liberalen SScrein zu ffreiburg i. 8. gehalten 
hat , beweift, bafj man fogar in‘ben Streifen ber öffentlichen 
2(nflagebehörbe ber lex fteinzc mit gröfjter 8eforgni& ent» 
gegenfiegt. ©r erflärte, bah ba# oorhanbene ©efeß (§ 184 
be# ©trafgefeßbudj#) oollfommen auSreidje, um Unfittlid)feiten 
in 2lu#fteUungen, auf ber Sühne unb fonftigen ©chauftel« 
lungen zu üerhinbern unb z» treffen, bah ferner ber ©taats» 
anmatt in oielcn gällen gcnötljigt werben bürfte, ben SRinifter 
um ßufenbung eine# „ s J(ormalmenfd)en" z u bitten, ber als 
©adjoerftänbiger zur ©infdjäßung oon ivgenbwie beanftan» 
beten ©egenftänbeu zu fungiren hätte, ba ber 9tid)ter in oielcn 
gällen gar nid)t wiffeit fönne, wa# ftraffäüig fei unb wa# 
nicht. — @# liegt auf ber £anb, bah ©efeße, bie einem h°ä) ! 
gebilbeten 8olfe eine fo augenfällige Siecgt#unfiegergeit in 
2lu#ficht fteüen, wie fie fogar oon fRidjtern unb ©taat#« 
anwälten zugegeben unb gefdjilbert werben, baffelbe mit 9fotg» 
wenbigteit auf einen bürgerlid)en unb fünftlerifdjen Siefftanb 
führen tnüffen. 9legnlicgen ©rwägungen gegenüber bemerfte 
nun freilich ber ©taatSfccretär ÜRieberbing währenb ber 8e» 
rathung be# ©efeßentwurf#, bah bie 2lu#legung, bie ba# 
SReicgögericgt bem begriffe bet unzüchtigen ©chriften unb 
bergteidjen gegeben höbe, noch einen Strei# oon ©chriften, 
Sarftettungen ftraffrei laffe, welche ba# Schamgefühl gröb» 
lieh Oerleßen. Siefe Süde folle ber „Äunftparagraph (§ 184a» 
ber lex Ipeinze au#füHen. ©erabe zur rechten 3eit wirb 
nun eine SReidjögerichtSentfcheibung befannt, welche bie üoK« 
fommene Ueberflüffigfeit biefe# Ä'unftparagraphen Hat oor 
bie 2lugen fteüt. ©S war bie grage zu entjdjeiben, ob eine 
Schrift unzüchtig fei ober nicht. Sie untere Snftanz h° tte 
bie Unzüchtigfeit oerneint. 3 lBa r fei — fo war Oon ber 
unteren Snftanz feftgeftellt — ber Snfjatt ber ©chrift wohl 
geeignet, in gemiffent ©rabe ba# ©d)ant» unb ©ittlichfeit#» 
gefügt in gefcgledjtlid)er Beziehung zu oerleßen unb bie iJMjam 
tafie be# ßefer# nach biefer Dichtung in fittlicg oerWerflith« 
Sßcife anzuregen, allein bie SSerleßung be# Scham» unb ©itt» 
licbfeit§gefüf)tS fei nidjt al# eine fold) gröblicger 9?atur zu 
erachten. Siefe# Urtgeil würbe oom 9!eid)Sgericht aufgehoben: 


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Nr. 21. 


Die töegenroart. 


323 


63 fei redjtsirrig, baff nur gröbliche öerlefcung beS ©cham* 
unb ©ittlidjfeitSgefüfilS unter baS ©trafgefeh fielen. Daran 
würben folgenbe 9luSfüf)rungen gefnüpft: „Die öeftimmung 
beS § 184 |at ben 3med, bie int SBolfc allgemein beftepenben 
begriffe non ©cham, Sitte unb Änftanb, in gefd)ted)tlicf)en 
Dingen baüor gu fdjü^en, baf) ein ©ingelner fie uerle^c. Da 
cö fid) hierbei um eines ber ibealen ©fiter hanbelt, Sie bem 
gangen öolfe eigen finb, fo muff notfjroenbigermeife baS 
DurchfchnittSempfinben ber ©efammtheit für 3ud)t unb 
Sitte als ©egenftanb biefeö ©chufjeS angefef)en werben ... 
grage ift, wo jenes iRotmalmaafj beS allgemeinen ©d)am* 
unb ©ittlidjfeitSgefühlS in gefchledjtlicher öegiefjung liegt. Die 
Slufgabe, f)ier bie richtige ©ntfdjeibung gu treffeti, fällt bem 
$l)atrid)ter gu. @r wirb biefe @ntfd)eibung auf einer 
SJiittellinie fudjen, bie im Uebrigen nicht näher ge« 
fenngeichnet werben fantt, unb gwar fcf)on be§hatb nicht, 
weil fie bei feinem öolf unb gu feiner 3eit abfolut 
unDeränberlidj ift." 

Sßir fragen: welkem „Dhatridjtcr" giebt wohl biefe 
SöegriffSbeftimmung einen feften SRaafjftab an bie §anb, unb 
wie fott er im ©tanbe fein, feftguftellen, wa§ ein tieffdjauenber 
©efchidjtSphilofoph bieileidjt mit 3 a 9 en uur hhPothetifd) an« 
gubeuten wagen würbe? Ipier liegt ber gefährliche ißunft ber 
lex ^eiitje. SRach bem SBortlaut beS Sunft« ober meinetwegen 
„©d)amgefüf)l3"paragrapf)en fott baS Verbot gefd)lecf)tlicf) 
fd)amlofer 9lu8ftellungen u. f. w. auf ©djriften, Slbbilbungen, 
Darftellungen auSgebef)nt werben, beren ©djamlofigfeit nicht 
gcfchledjtlicher ÜRatur ift. 933ogu in aller SBelt eine berartige 
9luSbef)nung? 9(üe bie fchamlofen 9lbbilbungen unb ber« 
gleichen, welche bie SReichStagSmehrhcit gur Segrünbung beS 
ftunftparagraphen in’S Treffen führte, betreffen gefrfjledjtliche 
©chamlofigfeiten, fallen alfo fchon unter baS bisherige 
@ttafgefe|. 5Reu getroffen werben alfo nur Derbheiten 
unb ißatfirüchfeiten beS 9tu8brudS, unb biefe hat bie Sunft 
Don ben ßeiten beS 9lriftophanc8 bis auf uttfere Dage nidjt 
entbehren fönnen. Der dichter wirb nun in feiner fchlitnmen 
Sage annehmen, bafj fich bie äRittellinie beS ©cham« unb 
©ittlidjfeitSgefühlS nach unten oerfchoben, baS helfet: bafe fie 
bie freie Sunftübung eingefchränft höbe. Unb wenn er baS 
©efuhl ber officiellen SBcrtretung beS beutfdjen SSolfeS als 
baS noch am eijeften gu ermittelnbe beutfehe iRormalgefühl in 
Dingen ber ©cham unb ©ittlid)feit betrachtet, fo wirb man 
nah ber eben angeführten SReidjSgeriditSentfcheibung nicht ben 
leifeften öorwurf gegen ihn erheben bürfen. ©erabe aber 
aus biefem ©runbe müffen alle freien ©eifter, alle uorneljm 
empfinbenben Seelen, 9IUe, bie überzeugt finb, bafe bie unge« 
feffeite Sunft nicht nur ber ©d)önheit, fonbern auch ber oon 
fo Dielen gefürchteten ÜBaferheit bient: fie 9lfle müffen bet 
beutfhen $Red)tfpred)ung bie SRidjtung geigen, bamit ber Stifter 
erfährt, bafe biefe 9lbgeorbneten in fragen ber Sun ft bie ge« 
biibeten unb gefunben Steife beS Golfes nicht hinter fich 
haben. @3 ift hocherfreulich, bah fid) noch im lebten 9lugen« 
Mid bie angefehenften ©trafrechtSfehrer ber beutfdjeu Uni« 
Derfitäten gu einer ißroteftfunbgebung gegen lex $einge gu« 
fammengethan hoben, in ber fie erflären, baff baS fchon je^t 
gefährbete SSertrauen beS öolfeS gu unfercr IRedjtpflege burch 
Einnahme ber lex einen neuen horten ©tofe erleiben müffe, 
toaS einer ©djäbigung unferer ibealften ©üter gleich fomme. — 

9fad)bem Wir ben 93erfuch gemacht hoben, bie lex fpeinge 
nach ihrer fünftlerifchen ©eite als eine Verirrung, nach ihrer 
juriftifdjen ©eite als ein pödjft beben fl idjeS ©jperiment gu 
fenngeidjnen, mag nocl) mit einigen SSorten auf i|re unglaub« 
liehe politifche Ungwedmäfeigfeit hingewiefen Werben.' 

©S ift fef)t fchwer ju Derftehen, wie ©eitenS ber Regierung 
gerabe in biefer für bie lebhaft entfachte glottenbewegung fo 
überaus wichtigen 3 e ü biefer ©efehgebungSDerfudj gemacht 
»erben lonnte. ©S gehörte wahrlich fein tieferes politifd)eS 
93erftänbnih baju, um DorauSjufehen, bah biefer unglüdliche 
©efehentwurf eine gewaltige ©rregung gerabe ber intellef« 


tueQen Schichten herDorrufen unb baS glottenintereffe ganj 
in ben §intergrunb brängen würbe. 9Wan ift ja troh ber 
officiöfeif 93erfidjetungen einer „einheitlichen ^Regierung" an 
mancherlei Sprünge unb ©chwenfungen in ber IRegierungS« 
leitung gewöhnt, aber baran muhte fie boch unter allen Um« 
ftänben fefthalten, bah bie geforberte glottcnöermehrung, 
bie an bie finanziellen Sräfte ber Nation, fei eS in biefer, 
fei cS in jener gomt, fc^r bebeutenbe Slnfprüche macht, nur 
unter bem ungeteilten Sntereffe beS gangen 93olfeS gu ©nbe 
geführt werben fonnte. ©ine ©taatSweiSheit ift nid)t leidet 
fahlich, bie jegt in einem wahrhaft fritifchen ÜRoment baS in 
fo erfreulicher Söeife rege geworbene Sntereffe nach einem fo 
entlegenen fünfte hrnjulenfen unternahm. Die oben er« 
wähnten ©erüchte unb ülnbcutungen holbofficiöfer ölätter laffen 
oermutljen, bah mQ n fich jefct beS Ungefchicfien unb Ungeit« 
gemähen ber SSorlage in IRegierungSfreifen immer mehr bewuht 
wirb unb nach einem gangbaren SBcge ber ©rlebigung fu^t, 
ber bodh noch Dielleicht gum erfehnten 3iele — ber lex §einge — 
führen fönnte. 91 ber eins ift fidjer: bie ©iegeSguDerficht ift 
entfehwunben; bie ,<peinge«ölätter finb v»orfict>tiger, fleinlauter 
geworben. SRod) Dor wenigen 9Bochen fonnte man folgenbeS 
lefen: „Die focialbemofratifd)en Quertreibereien mit ihren 
beutliih heroorleuchtenben 9(bfid)ten werben in einer öegiehung 
ihr ©uteS haben: fie müffen ben gegen bie lex Ipeinge mit 
folgern ©ifer proteftirenben beutfefjen Sünftlern unb ©chrift« 
fteHern bie 9lugeit barüber öffnen, in weld) gefährliches gaf)r= 
waffer fie fiih hineinbegeben haben, als fie auS ihren 9ltelierS 
unb ©tubierftuben auf ben SRarft beS politifchen SebenS unb 
bie 9fgitationSfteDe beS SRabifaliSmuS (!) hinaustraten, um 
ihre ©timme gu Sunbgebungen gegen eine öorlage gu Der« ' 
einigen, bereit Dragweite fie gewaltig überfc^ä(jtcn unb DöDig 
falf^ gebeutet haben." 

9llfo: SRommfen, SOfenget, öegaS, ©berlein, ©ubermann 
urtheilSlofe Sbiotcn. — i)Sunftum! 

§eute würben fie fo etwas nicht mehr wagen. 


(Eine (Emancipirte. 

SSon Karl 3<J9»f4(- 

3n unferer 3eit ber äfthetifdjen unb bid)terifchen 3 er " 
fahrenfjeit, wo bie ©chlagworte fid) in finnDetWirrenber §aft 
ablöfen, fcheinen bie 9tomantifer wieber mobern gu werben, 
bie wir feit fiebgig fahren überwuttben gu haben glauben, 
obwohl unfere Dergleid)enbe ©prach« unb 2iteraturgef<hicf)te, 
unfere UeberfehungSfunft, unfere Sunft» unb ©ulturgefchichte, 
unfere ©ermaniftif unb golfloriftif ohne fie faum benfoar 
Wären. 9lber nicht bem wiffenfdjaftlichen ©treben jener 
genialen jungen Seute gelten bie neueften IRefurrectionS« 
Derfuihe, fonbern gerabe ber fchwächften ©eite ihrer Dfjätig« 
feit: i|rer ißoefie. ©eit ber „belgifdie ©hafefpeare" ÜJfaeter« 
lind fid) für ÜRorali8«§arbenberg begeiftert hat, hulbigen ihm 
auch unfere bisherigen öerlaine« unb öaubelaire«3mitatoren; 
feine Sprit wirb analpfirt, feine ÜRpftif Derhimmclt, unb fo« 
gar bie poetifdjen 93erfud)e Don örentano unb Died finben 
öewunbercr. 91 ber auch Scr hochbegabten JRkarba §uch, bie 
ber „ölütljegeit ber fRomantif" ein begeifterteS Such wibmet 
— fie foö einen Italiener geheirathet unb fatholifd) geworben 
fein — wirb cS fchwerlid) gelingen, eine unfereS ©rachtenS 
Doriibergchenbe SDfobeftrömung auS bem engen Steife fritiflofer 
Dilettanten unb impotenter 9(eftheten hinauSguführen. 3BaS 
foH auch unfere trofc allebem realiftif^e 3eit mit ben Dheo« 
retifern ber romantifd)en Sronie unb ber fublimirten „ißoefic 
ber öoefie" beginnen? gang gu fdjWeigett Don ben hoepft problc« 
matifchen Dichtungen, bie blojj in Stimmungen unb ©pmbolen 
; fchwelgen unb jeber ©eftaltungSfraft entbehren. Die Dergüdte 


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324 


Ute ©egentoart. 


Nr. 21. 


©onuertitentprif gtiebrid) ©cptegel’« ift un« gerabe fo un« 
genießbar, wie ber bicptenbe Xiecf, unb fogat „Weinriep 
0. Dfterbingen" mar nur al« gragmcnt empfangen, tote grau 
Wucp jugeben mufe. ©on ber ganzen fRomantif ift für bie 
©egenwart nur nod) ein Sicpter tebenbig, ber abfeit« non 
ipr ftanb unb ip'rem ©influfe nur fetten naepgab: Weinricp 
non ftteift. ©ämmtticpe Sicpterwerfe ber Uebrigen (non 
ScplegeS« ©pafefpeare«Ueberfefeung abgefepen) geben wir pin 
für bie perrtiepen Briefe, bie fie einanber feprieben, bie 
©cptegel’«, ©djeßing, 'Sied, SRooali« unb bie ftarfgeiftigen 
grauen ifjreö Streife«: bie 9ta pet, ©ampagen, .St)erefe fietjne= 
gorfter=gilbet unb Dar Slflem St'arotine 2Ricpaeti««©öpmcr« 
©epeßing, bie un« feit SBaipen« ißubticationen üertraut unb 
trop aller großen ©cpwäcpeit lieb geworben ift. SR. £apm 
in feinem nod) immer beften SBerf über bie fRomantif pat 
Stärotinen« ©riefe niept mepr gefannt, wopt aber grau £)ud), 
bie fje congentalifcp bewunbert. Unb nud) bie ©eftatt biefer 
oielgefdjmäpten „©mancipirten", bie ©epißer „Same Sucifet" 
nannte, ift un« napet gerüdt bur<p ^aljtreidfe SRonograppien 
unb fogat SRomane. SBir finben fie in W- Sfönig’« „ßlubiften 
t>on SRainj", in einem SRoman Slug. §effe’§ (i878), in ben 
gorfter «Sramen non ßubmig ©darbt unb be« Sanbratp« 
Sttfreb Sacpmann, be« ©atten uon Sopanna 3ad)mann=3Bagner. 
öderen SBertp paben bie Seben«bilber uon Stein, ^»ermann 
opp, Sop. Sanffen, ber gemife weniger abfäßig über fie ur* 
teilte, wenn fie bem ©eifpiet if»rer greunbe ©rentano, 
griebriep ©erleget, Stbam SRiilter gefolgt nnb fatpolifcp ge» 
worben Wäre. Sic fepönfte ©parafter^eiepnung Sarotinenö 
finbet fiep aber in ber au«gejeicpneten ©epeßing «©iograppie, 
, bie man in ber Subitäuin«au«gabe Uon Stuno gifepet’« ©e« 
fc^id^te ber neueren ©pitofoppic (Weibelberg, SBinter’« Uni« 
oerfität«bucpp.) naeptefen mag, — nur wenige ©eiten, aber 
3 um geinften nnb Sreffenbften jäplenb, wa« ber berühmte 
Weibelberger Wocpfdjulleprer gefdjrieben bot. 

St'arotine war bie Socpter be« ©öttinger ©rofeffor« 
Sopatm Sauib äWidjacti«, berühmt at« Crientntift, an« 
gefepen irt feiner afabemifeben ©teßung, unter ben erften, 
bie, Seffing fdjon in feinen Stnfängen gewürbigt patten. 
3f»r erfter SRann, ber ©ergarjt ©öbnier in ©tau«tpaf, war 
im ,'perbft 1788 geftorben. ©on ihren brei Sinbcrn uertor 
fie ben nadjgeborenen ©obn halb nad) be« ©atten Sobc, 
bie jweite Socbter Sperefe ein Sohr fpäter (Scember 1789) 
unb blieb fo allein mit ihrer älteftcn Socbter Stugufte. 
Sn ben oertrautid)en ©riefen, bie fie ihrem .greunbe g. 
S. SB. 2Repcr febreibt, finben fid) häufig Steuerungen über 
ihre ©mpfinbung«art, bie natürliche unb treffenbe ©etbftbe« 
fenntniffe finb. ,,3d) Weib nicht, ob id) je ganj gtüdticb fein 
werbe", febreibt fie in ber erften 3 c i* iprer SBittwenfcpaft, 
„aber ba« weife icp, bafe icp nie ganj unglüdtid) fein Werbe." 
„2Ran tiebt miep fepr, weit mein tperj ein ©ewanb über bie 
©or^üge be« Stopf« wirft, ba« mir beiber Steufeerungen at« 
©erbienft anrecfeiten täfet." „©« ift eine ©igentpümtiepfeit 
meine« Stopf«, wetebe oft Urfacpe würbe, bafe man mid) falfcb 
beurtbeitt: trejfenben ©eparffinn mit unfebutbigfter ©egrenjt« 
beit p uereinigen." „©öttern unb 2J?enfd)en jum Sro^ Witt 
ich gtüdticb fein, alfo feiner ©itterfeit SRaum geben, bie mich 
quält, id) witt nur meine ©ewatt in ihr fühlen." „Seber 
angenehme Slugenbtid h«t SBertb für mich, ©lüdfetigfeit be« 
fteht nur in Slugenbliden, ich würbe glüdtidi, ba ich baö 
lernte." „ÜRein Siebeämantet ift fo weit, at$ ^icrj unb ©inn 
beö Schönen gehen." „©in Strom ber reinften Weiterleit 
fonnte ficb über mich ergiefeen, Wenn bie ©onne febien, ober 
amb nur, wenn ber SBinb an baö genfter ftürmte unb id) 
aud) nur über einer Strbeit fafe. 3Rit ift jebe ©tunbe wobt 
^ewefen, bie mir wobt fein fonnte. ©in ich e§, bie nad) 
trud)t(ofem ©vam jagt? SRein! SDlein ©inn gehört jeber 
möglichen ©lüdfetigfeit." „©ebanfenlofigfeit ift mein Seicfet« 
finn nicht." 

Sh« SBittwcnfcbaft war feineöweg§ einfam unb Oer« 


fcbleiert, fonbern ooU Unruhe nach innen unb aufeen, ttoll 
abenteuerlicher unb fcblimmer ©rtebniffe. Saö erfte 3af|r 
batte fie bei ihren ©item in ©öttinaen, bie beiben fotgenben 
in SRarburg bei ihrem älteren ©ruber pgebradjt. Sie 
gamiüenuerhältniffe wareri jerrüttet unb unerquidlid). tn 
©ater ftarb 1791. ©ie fehrte uon SRarburg im ^>crbft 1791 
für einige 3eit nach ©öttingen priid unb ging im griiljjafir 
beö fotgenben 3oh rc ^ ,,ac b SRein^. wo ihre Sugenbfreunbia 
Sberefe Wcpne in einer fcbiffbrücl)igen ©pe mit ©eorg gorfter 
unb iu oertrauter greunbfdjaft mit W»ber lebte, ber um ihrer« 
willen feine oertobte ©raut, bie ©di)Wägerin Sörnet'l, bie 
greunbiu ©cbiüer’ö, Uertiefe. Sw ©ftober 1792 würbe Dfain., 
uon ©uftine eingenommen. Scpt fam hi«r bie franjöfifch unb 
repubtifanifcb gefinnte Partei jur W err f c h a ft, unb gorftei, 
einer ihrer gührer unb ©icepräfibent be§ SRainjer Sonnentf 
ging im SRärs 1793 na^ fßariS, um bort bie ©inoerteibung 
beö beutfdjen Sanbeö in bie franpfifd)e 9?epubtif ju bewirten, 
©eine grau pottc fepon gegen ©nbe beö oorhergebenben Sapr« 
SRainj uertaffen, um mit W 11 ber in ber ©cpweij jufammen« 
juteben unb ^war, wie auä ©ömmerring’g unb gorfter« 
©riefen jefet beutlicb heruorgeht, mit be« ©bemann« ©itligung. 
9?ad) Spercfen« SBeggang gog fie mit gorfter pfammen, 
um ipn ju tröften. ©djitter unb fein greunb ftörner ur= 
tpeilten natürlich ebenfo part über fie, wie ber IRainjer 
fttalfcp. SBaprfd)einticb ift fie e« auep, bie gorfter in bie 
franjöfifcpe ißolitif bineinbefete, wie fie bie Srennung feiner 
©pe mit uerantafet pat, eine eepte unb reepte Same Sucifer. 
Suno gifeper ibeatifirt baper ftarf, wenn er fepreibt: „Sic 
tpat ba« ©djlimmfte. Spre Woffnung«lofigfeit ueduanbctie 
fiep im Sturm jener Sage in Seicptfinn, unb eine Selben« 
fepaft, über bereit nähere ©erpältniffe wir nid)t aufgeftärt 
finb, bie fie wie ein ptöfetieper SRaufcp erfafet paben muf 
unb, wie man fagt, einem granjofen galt, ftürjte fie in ben 
Slbgrunb." 

Sn ipren eigenen oou SBaife perau«gegebenen ©riefen 
finb alle auf biefen ©unft bepgtidjen ©teilen weggetaffen; 
bocp erfennt man, bafe in ben ©riefen, wetepe bie SRainger 
©d)idfate betreffen, nidpt Stile« gefagt ift. Sic im panbfcprifu 
Iid)en SRadjtafe St. SB. ©djtegel’« an feinen ©ruber erpetten 
bie Spatfacpen, aber bie näpern Umftänbe, auep ber 9?amc 
bc« granpfen, bleiben uerborgen. Wapm pat wopt noep uon 
anberen Socumenten Sfenntnife gepabt, auf ©runb beren et 
beridjtet: fie pabc eine grau uon fepteeptem 3iuf in ipre 
Wauögenoffenfcpaft aufgenommen unb au« 3 e tftreuung^facht 
ipre ißerfoit oerfepenft: „fie entfd)äbigtc fiep für ba« gepl« 
fdptagen iprer peifeeften SBiinfcpe unb ipre aufreibenbeit Sorgen 
um gorfter, für aßen ©cpmerj unb aße Sangemeile in ben 
Sinnen eine« granjofen." ©eitper finb wir freitiep fo jiem« 
liep aufgeftärt, ma« Stuno gifeper wopt entgangen ift. Saro= 
tine maepte aflerbing« eine in fepteepteftem SRufe ftepenbe 
grau gorfet ju iprer Wau«genoffin, unb bie beiben grauen 
fepeinen fiep in ben ©efip be« ©tropmittwer« gorfter getpeilt 
p paben. SBenigften« madpen fie fiep in einer anonpmen 
©pottfomöbie „Sie Stubiften in Äönigftein" (1793) gegen« 
feitig Wegen iprer Neigung ju gorfter ©orwürfe, auf bie fid) 
grau gorfet niept ju Uertpeibigen weife. Unb nach gorfter 
fepeint ber erwähnte granpfe an bie fReipe gefommen ju 
fein, fcpwerticp ©uftine felbft, wa« bocp faum oerpeimlictjt 
worben wäre. Siefer fonnte Caroline niept faßen, unb bie 
©üpne beginnt. 

SU« äRaiitj im grüpjapr 1793 wieber uon ben 9?eicp3> 
truppen belagert würbe, wollte fie bie ©tabt oertaffen (ben 
30. 9Rärj(), um in bem W au ) e 'pret Sugenbfreunbin Souife 
©otter in ©otpa eine 3 u ffacpt ju finben. Sei iprer Slb« 
reife gerietp fie in bie Wänbe ber ©reufeen; fie war potitifdi 
uerbätptig, at« gorfter’« greunbin, al« ©öpmer’« ©cpwägerin, 
ber ©uftine’« ©ecretär war,* e« patte fiep fogat ba« ©erüdjt 
Oerbreitet, fie fei ©uftine’« ÜRaitreffe. Sie Spatfacpe iprer 
grennbfepaft unb iprer ©pmpatpien mit gorfter genügte, um 



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Nr. 21. 


Ute ©etjenroarl 


325 


fte gefangen p neunten unb ofene weitere Unterfucfeung als 
©eifeel p begatten. Weferere Wonate mußte fie in $önig« 
ftein eine 6efcf)tt>er(tcf)e geftungSfeaft leiben, bie fie in ber pein« 
üollften Sage unb in ber ängftlidjften (Sorge für itjr Scfeidfal 
ertrug. Slacfebem fie nod) einige 2Bod)en p Kronbevg eine Art 
Stabtarreft gehabt, mürbe fie auf bie gütbitte ihres jüngeren 
©ruberS burd) einen Scfefel beS Königs oon ©reufeen in 
greifjeit gefegt, weit „fie* nichts oerfcfeulbet habe". Snbeffen 
war iljr politischer Stuf fo üetbädjtig unb anrüchig geworben, 
bafe iljr wieberfeolt, als fie befucfeSweife nad) ©öttingen fam, 
baS jtoeite Wal nod) im September 1800, baS Kuratorium 
ber Uniüerfität ben Aufenthalt in ihrer ©aterftabt unterfagte. 
AIS fie, jweifad) in ihrer bürgerlichen ©jiftenj üernicfetet, bie 
.viaft oerliefe, fanb fie einen Wann, ber an ihre ©eite trat 
unb grofemütfeig, wenig befümmert um baS Urteil ber 2Belt, 
ihr bie ipanb pm ©cfeufc unb pr @tüfee reichte: Auguft 
äBilfeelm @cfelegel. ©d)on in ©öttingen hatte ©chlegel wäferenb 
feiner lebten ©tubienjcit bie junge (bier Saht ältere) SBittwe 
fennen gelernt unb war burd) ihren perfönlicfeert ganber, burd) 
ihre geiftige Wad)t unb ©ilbutig gcfeffelt worben; er hatte, 
als fie nach Warburg ging, brieflich mit ihr üerfefert unb 
roieberholt um ihre £anb geworben. Sie liebte ihn nicfet 
unb fpottete gegen ihre ©djwefter in einem ©riefe jener 3eit 
über ben ©eba eilen, ihn pm Warnt p nehmen. 

@S ift nicht blofe Witleib für bie unglücfliche grau, waS 
ben jüngeren ©chlegel einnimmt, ieS ift pgleid) ihr 3 Q uber, 
ber ihn beftrieft. @r hatte fie fchon aus ben ©riefen, bie 
ber ©ruber ihm pfenbete, fennen gelernt; ben 2. Auguft 1793 
machte er in Seipjig ihre perfönlidje ©efanntfefeaft. „Ter 
©inbrud, ben fie auf mich gemacht hat, ift toiet p außer« 
orbentlid), als bafe ich it) n felbft fefeon beutlich überfehen unb 
mittheilen fönnte." „Sch fdjreibe Tir nichts Weiter über fie, 
feine ©eurtfeeilung, feine ©rjäfelung, feine ©ermuthung. Alles, 
was id) noch fagen fönnte, würbe oerworren, oberfläch(id) fein, 
unb oieKeicfet fönnte ich in ©efafer fommen, mich fcfewärmerifcb 
auSpbrütfen, unb mir beucht, für fie p fefewärmen heißt fich 
an ihr berfünbigen. ©ieHeicfet gelingt eS mir, fie gleich ohne 
©erblenbung p faffen." „Tie Ucberlegenhcit ihres ©erftaubeS 
über bem meinigen habe ich fefer früh flefö^ft. ®S ift mir 
aber noch P fremb, p unbegreiflich, bafe ein 2Beib fo fein 
fann, ats bafe id) an ihre Offenheit, greiheit Oon Künft recht 
feft glauben bürfte." „Sch bin gewife, bafe man wahr gegen 
fie fein barf, unb ©röfeereS läfet fid) Oon feinem Wenfdjen 
fagen." „3fete Urtljeile über ©oefie finb mir fet»r neu unb 
angenehm, ©ie bringt tief in’S Snnerc, unb man hört baS 
aud) auS ihrem Sefen, bie Splpgente lieft fie herrlich- Wenn 
ihr Urtfeeil rein wäre, fo fönnte es oielleicfet nicht fo unauS« 
fpredjlid) Wahr unb tief fein, ©ie finbet Suft an ben ©riechen, 
unb ich fdjicfe ihr immer einen über ben anbern." „Wein 
3utrauen p ihr ift ganj unbebingt. ©ie ift nicht mehr bie 
einjige Unerforfchliche, oon ber man nie aufhört p lernen, 
fonbern bie ©ute, bie ©efte, üor ber ich mich meiner gehler 
fdjärne." ©o feeiratfeetc er fie alfo unb fam mit ihr nach Sena. 

©ie befafe, wie ihr ÜJfann am beften wufete unb felbft 
gefagt hat, alle latente, um als ©chriftftellerin p glänjen. 
griebrid) ©chlegel erfannte ihre fchriftftetlerifche fflegabung 
ganj richtig, wenn er in einem feiner ©riefe bemerft: „id) 
|abe immer geglaubt, Sh« Sfaturform — benn id) glaube, 
jeber Wenfd) oon Straft unb ©eift hat feine eigentümliche 
— märe bie SRfeapfobie. ©ebenfen ©ie, bafe ©riefe unb ffle« 
cenfionen gormen finb, bie ©ie ganj in ©ewalt haben. . Tiefe 
Talente p bewähren, fanb fie in ber ©fee ade ©elcgenfeeit. 
©ie war nicht blofe bie poctifdje Siatfegeberin ifereö WanneS, 
fonbern half ihm bei feinen äftfectifdfeen unb fritifd)en Arbeiten 
in ben §oren, ber Siteraturjeitung, bem Athenäum. 

„©eibe ©feen," fefereibt Kuno gifdjer, „hatte fie nicht 
auS ieibenfchaftlicher Neigung gefchloffen, auch nicht wiber= 
willig, fonbern lebenSmuthig, wie baS ©cfeidfal fie trieb. 
3Rit betfelben ßeichtigfeit wufete fie fich früher in bie engen 


unb langweiligen ©erfeältniffe eines fleinen ©ergftäbtcfeenS, 
jefet in baS literarifche ©etriebe einer geiftig oielbewegten 
Unioerfität einpleben. ©S ift erftauntich, welche güDe oon 
Seben unb' unjerftörbarem SebenSmutf), Wie oiel Talent 
p geniefeen unb gtüdlid) p fein in biefer grau lag. 
©ie war gegen bie inneren Wänget, gegen AÜeS, was fie 
leer unb unbefriebigt liefe, feineSmegS unempfinblich, aber fie 
fönnte leicfet batüber hinmegfeben ohne irgenb welken fefewer^ 
mutigen ®rud. ©elbft wenn nieberfcfelagenbe ©djidfale 
ober ein gewaltiger ©chmcrj fie erfafeten, enthielt bie aufeer* 
orbentlidje Sebenbigfeit unb ©hantafie ihrer ©mpfinbungen 
fogleich bie aufrichtenbe unb wieberherfteHenbe ^eilfraft. ©ie 
befafe wirflid) jenen holb'en Seicfjtfinn ber Statur, ber bie ge» 
banfenlofe Art auSfdjließt unb in jebeftt Älima ber geiftigen 
SBelt fich wohljufühlen unb Anberen Wofetthuenb p leben oer» 
mag. Unb weil in biefer glüdlicfeen Temperatur ihres SBefenS 
aut ade höhnen SebenSgeifter fich anmutfjig unb leicht ent« 
falteten, fo mußte fie, wohin fie reichte, wedenb unb belebenb 
Wirten. ©S lag in ihrer ganzen Statur 'etwas ©lernentar= 
geiftigeS, Womit baS ©lementarfinnlid)e fich toohl oerträgt, 
etwas ©irenenartiges im guten wie im üblen ©inn." 

AuS ben ©riefen, bie Carotine bamalS an ihre Tochter 
Augufte nach Teffau fehretbt, fieht man, Welche Steigungen unb 
Abneigungen in bem fleinen greife fpielen, Wie bie 3> e lfd)eibe 
ber le^teren namentlich @d)iller ift, unb auf Welche SEBeife 
man fich ' n biefer Oon perfönlichen Affecten übler Art feines» 
wegS freien Antipathie ©enüge tfeat. AIS ob fie eine luftige 
unb gute That p* berichten hätte, erjäljlt fie ber Tochter, 
wie WittagS ben 20. Dctober 1799 gr. ©chlegel unb Toro« 
tfeea ©eit, 2öilf)elm ©chlegel unb fie felbft nebft ©chcQing 
beifammen faßen unb fich an bem eben erfd)ienenen Wufen« 
atmanach ergöhten: „aber über ein ®ebid)t oon ©dfeiller, 
baS Sieb üon ber ©lode, finb wir geften Wittag faft Oon ben 
Stühlen gefallen üor Sachen, eS ift a la ©ofe, ä la Tied, 
ä la Teufet, wenigftenS um beS Teufels p werben", ©ing 
bod) baS oon £>afe oerblenbete Urtheil gegen ©djitler in beut 
©dhlegel’fdhen greife fo weit, bafe man fid) fogar ben SEBatlen« 
ftein weglacfeen wollte, noch heute baS befte beutfdje Trama, 
neben bem alle Tid)terei ber Stomantifer in wefenlofem 
Scheine üerfinft! 

Toch nun fommt eine neue Äataftrophe in ÄarolinenS 
Seben. Ter um jwölf 3af)re jüngere ©h'lofoph ©chetling 
tritt ihr nahe unb näher, unb @d)legcl’S ©tern üerblafet 
für fie. Auch bafür finbet ®uno gifcher gute SBorte: 
„Äaroline ©chlegel gehörte, um mit Scan ©aul p reben, p 
ben geflügelten SJaturen, bie ben ©inn für ©oefie mit auf 
«bie SBelt bringen. Ter natürliche glug ihres ©eifteS trieb 
fie weiter, unb fie fuefete auS poetifefjem Trange ben ©ingang 
p ben höchften ©ebieten fpeculatioer ©rfenntnife. fiier fam 
ihr Stelling entgegen in ber ganzen grifdj^ unb güfie feiner 
erften Äraft, fiegreiefe im philofophifchen Sßettlauf, grofee @r« 
Wartungen erfütienb, größere fpannenb. ©o erfaßte fie ifen 
unb lebte mit ganzer ©eete in feinen Arbeiten unb Aufgaben, 
©ie fühlte fich «höbt unb in ein neues ©lement emporgehoben, 
auS bem fie auf bie poetifdjen ©efchäfte, bie fie mit @d)tegel 
betrieben, h«abfaf) wie auf ihre geiftige §auSarbeit, bie fie 
fefeuf, wie ber ©ogel fein SJeft. „©chlegel", fefereibt fie in 
einem ihrer ©riefe an ©cfeelling, „ermangelt nicht p benterfen, 
wenn ich widj boch nur jemals einer Sache fo ernftlid) ge« 
wibmet hätte, bie feine ©efchäftigungen anginge! SEBaS wäre 
baS benn auch Wohl gewefen aufeer bem, baS ich nicht P 
lernen brauchte, bie ©oefic!" ©on ber bloßen äfthetifefeen 
Sfritif oermochte fie nicht p (eben, ©ie begehrte ben fdjaffen« 
ben ©eift, baS lebenbige Sunftwerf unb begriff, waS ©cfeelling 
leferte, bafe biefeS bie feöd)fte Offenbarung ber Slatur unb ber 
SBelt fei. Sn einem ber feerrlid)ften SBorte iferer ©riefe läfet 
fie bie Wohnung an ©cfelegcl ergefeen: „eS bauert midfe, bafe 
ich wir nicfet einen SteüerS oon Tir feabe geben laffen, Tich 
aller Sritil fortfein p enthalten. O mein greunb, wieber» 


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326 


Die töegetuoart. 


Nr. 21. 


pole e« Jir unaufhörlich, tt>ie furz ba« Sehen ift, unb bah 
nichts fo maljrhaft ejciftirt al« ein Sun ft wert. Sritif geht 
unter, leibliche ®efc£)led)ter berlöfcpen, Spfteme mccpfefn, a6et 
trenn bie EBelt einmal, aufbrennt, mie ein ©apierfdjnifcef, 
bann merben bie Sunftmerfe bie lebten lebenbigen Fünfen 
fein, bie in ba« fpau« ©otte« eingefien — bann erft fommt 
ginfternih". 3J?an erfennt fcpon au« biefen (Stichproben, 
baff bie ®atten fid) entfrembet mären. Elber bie Trennung 
unb bie ^Bereinigung füllten nicht fo teidjt bon Statten gehen, 
benn romantifd) mar bamal« auch bie Siebe. Karolinen« 
Tochter Elugufte mar ba« £inbernih. @« E>ei§t, ba§ fie 
Sdjefling'ö ©raut ober fo gut al« feine ©raut mar, bah 
ber gemeinfdjaftfiche Schmerz über ihren plö&lidjen 'Job ihn 
ber ©Zutter näher brachte unb fo nah, bah *ufefct bie 
ÜJJutter an bie Stelle ber Jocpter trat, bah feine Siebe 
ju jener burch feine Siebe z» biefer bebingt mar. 9^acf)= 
bem aber bie ©riefe Karolinen« Veröffentlicht finb, erfcfjeint 
bie Sache ganz anber«. EU« Scheßing bie $D?utter fennen 
lernte, mar Elugufte breizepn Sabre alt, unb c§ ift meber 
anjunehmen noch irgenb mie bezeichnet, bah feine erfte 9?ei» 
gung biefem Sinbe gilt, „dagegen h cr rfcf)t zmifcpen ihm unb 
Caroline fogleich eine gegenfeitige, au« ben Naturen ©eibet 
bemegte unb leicht erflärbare Einziehung bon fteigenber Sraft 
unb SBärme; bie ältere, melterfahrene, geiftig bebeutenbe grau 
bemächtigt fid) feiner ©mpfinbungen, ihre greunbfepaft thut 
ihm mohl, ihre b°b e Meinung unb ©infidit bon feinem 
©eift unb ©eruf fdjmeicpelt feinem Selbftgefiihl, fräftigt unb 
treibt feinen Gfjrgeiz, fpornt unb infpirirt feine Jljatfraft. 
Shre begeifterte, bon ihm gleichfam trunfenc Siebe bringt auch 
in feine ©efühle bie ©luth ber ©rmiberung; fie rooßte biefen 
9Kann in ihrem Seben«freife fefthalten, unb e§ mar halb ein 
bon ©eiben empfunbener SSunfdj, fich anzugehören unb feft 
berbunben zu fei», ohne fid) einer Untreue fdjutbig zu machen. 
EBarunt foßte nicht ber fo bicl jüngere 3J?ann, ba, er ihr 
©atte niept fein fonnte, if>r Sohn merben? ©tma« in ihrer 
3ärtlicf)feit für ihn mar mütterlkber Elrt, unb menn aud) 
noch anbere ©mpfinbungen bamit fich mifdjten, fo lag eben 
in ber ßKifdjung bie bießeidjt täufdjenbe Unfchulb. Jet ®e» 
banfe, Scheßing mit ber Jodjter z» berheirattjen, entfprang 
gemi| zuerft in ber 3J?utter, bie ba« Spiel ber Seibenfchaften 
ju lenfen, ihren Eßunfcf) Scheßing mitzutheilen, in ber Jocpter 
ZU meden unb biefer, mie e« einem überlegenen mütterlichen 
©influffe leicht gelingt, ihre ©emunberung für ben EBanit ein» 
Zuflöhen muhte.* So urtheilt Suno gifeper. Jafs Saroline 
mirflicp ©orfteßungen biefer Elrt in ber Jocptcr genährt haben 
muh, geigen beutfid) genug bie ©riefe, bie fie ihr im tperbft 
1799 nach Jeffau fepreibt. Jie Elrt ihrer ©ertrautichfeit, ber 
Jon ber ©riefe, ber ungehemmte Elu«brud ber ©mpfinbungen 
Karolinen«, felbft bie äuhere Sßcife be« ©erlehr«, be« 3ufammen* 
fein« unb ßufammenleben«, ift niefjt benlbar ohne ein engere« 
©anb, morübet fie im Stiflen einöerftanben maren, unb ba« 
bamal« nur bie ernfthaft beabficfjtigte ©erbinbung gtt»tfc±)en 
Scheßing unb Elugufte ©öhmer fein fönnte. SSarurn hätte 
auch Scheßing für bie Einmuth biefe« aufblühenben Sinbe« 
meniger empfänglich fein foßen, al« griebrid) Schlegel, al« 
Steffen« unb Etnbere, bie in ihre ©äpe tarnen? Jafj er fie 
al« bie Seinige betrachtet hat, läht fid) au« manchen feiner 
Eteufjerungen ertennen; er muhte ihre« ©efifce« fieser gemefen 
fein, fonft hätte er in einem feiner ©riefe nach bem Jobe 
Karolinen« nicht ben fdjmerzlicpen Elu«ruf tijun fönnen: „nun 
erft hatte ich auch Eluguften ganz berloren". ©ine fofehe ©er» 
binbung erflärt gifd)er al« bie natürlichfte unb hefte Söfung 
problematifcher ®emüth«oerhältniffe, in bie fich Scheßing 
üerftridt fah, er mar an bem gaben ber ßauberin in ba« 
Sabprintp einer Joppelliebe gerathen, au« bem er burch bie 
tpanb Eluguften« befreit mürbe. Ja tarn ba« bunfle ©efehief 
unb lieh bie tpanb, bie er fchon ergriffen hatte, plöplidj er« 
ftarren! @r mar mie bernieptet. ©on ber Sranfpeit genefen, 
lebte er einen einfamen SBinter in Sena unter ben fepmer« 


müthigften Stimmungen, bie fid) in manchen Stunben bi« 
Zur jobe«fehnfudjt üerbüfterten. 3 U bet ©rfepütterung über 
ben Job, zu bem Schmerz über ben ©erluft tarnen quälenbe 
©ormürfe, bah er nicht forgfältiger gepanbelt, nicht jut 
rechten 3 e 't einen anberen Elrzt gerufen, bem oorhanbenen 
ZU fehr getraut habe. @« tarn mohl auch ein Schatten, ben 
ba« Etnbenfen Eluguften« marf. „EBie fich bie ©mpfinbungen 
zmifdjen ihm unb ber SDEutter geftaltet hatten, mar am ©nbe 
boch gegen bie Jochtet eine Elrt Schutb unb Unmahrbeit 
entftanben, bie jefct, nachbem jene plöplich pinmeggerafft toar, 
fchmer auf feine Seele fiel. G« gab Elugenbticfe, roo »hm. zu 
SWutpe mar, al« ob er fich an bem 9J?äbdjen berffinbigt, ai« 
ob im ©runbe ein frebelhafte« Spiel mit ihr getrieben morben.“ 
El ber Saroline finbet leicht bie Elrt ber EUrögleidjunq unb 
Söfung, mie bei ber unzerftörbaren Seefenoermanbtfchäft ihr 
©erhältnih miebet hergefteßt unb fo erneut merben fann, ba| 
felbft bie petfönlidje SBicberbereinigung möglich mirb. Jer 
©eliebte foßte ber ©atte bet Jodjter merben; bon jefct an 
foß er ihr gelten al« Sohn, al« ©ruber ihre« Sinbe«. „Sdi 
fdjeibe nicht bon Jir, mein Eiße« auf ©rben", fcfjreibt fie im 
gebruar 1801, ,,ba« EDEittel, ba« bie Seele ergreift, um fid) 
ber ©ettmeihung be« ©unbe« zu entziehen, ftettt Eiße« her, 
ihn felbft in feiner ganzen Schöne unb bie gärtlichfeit, bic 
ihn unterhält. 3d) bin bie Jeinige, ich liebe, ich achte Jid), 
ich habe feine Stunbe gehabt, mo ich nicht an Jid) geglaubt 
hätte, e« finb Umftänbe gemefen, bie Jcinen ©tauben an 
mich trübten, e« mirb nun heßer merben. Eli« Jeine W littet 
begrüfte ich ®id), feine ©rinncrung foß un« zerrütten. Ju 
bift nun meine« Sinbe« ©ruber, ich gebe Jir biefen heiligen 
Segen. ©« ift fortan ein ©erbrechen, menn mir un« etwa» 
Etnbere« fein rnoßten". „Sch habe Jid) fchredlidj lieb, un» 
begreiflich lieb, unb nun mirb e« erft ganz an ben Jag 
fontmen. Sönnte ich ®i r » ur meinen Sinn einflöfjen, alle 
Spannung meghaudjen, Jicf) felbft fefthalten in Jeitter Ein« 
mutf), bei Jeiner leichteren Stimmung, ©emifj, menn Ju 
Jid) jefct nicht mehr trauernb an Unmöglichfeiten menbeft, 
fo fönnen mir urr« nodj ein fdjöne« Sehen bifben. Ecitnm 
unfer munberbarc« ©nubnifj, mie e« ift, jammere nicht mehr 
über ba«, hm« e« nicht fein fonnte." 

Unterbcffen napm ba« ganze ©erhältnih Sarolinen« zu 
Schlegel einen rnflben, abgefpannten, übcrfättigtenEtu«brucf au. 
EBie fie gemcinfdjaftlicf) ba« neue Sahrljunbert begrüben, fdjilbcrt 
Sarotine btm greunbe Scheßing lacheitb mit einer ©ergleidjung, 
bie feine fortbauentbe ©emeinfehaft bebeutet. „Jer Schlag 
ßmölf übcrrafchte un«, ich moßte Schlegel ttod) meden, ehe 
e« auögcfdilagen, benn e« mar mir, al« fönnten übte golgen 
barau« entftehen, menn einer babei nidjt machte, gleichfam al« 
ob er ba« 3»lammenf(ingen feiner Sterne öetfd)liefe, — 
alfo lief ich h<»a»f, er halte ben Schlag gehört, fi<f) ,zu> 
famtnengcrafft unb z» »n« hinuntergehen moflen, alfo be« 
gegneten mir un«, mie bie beiben 3ahrfj»»berte, auf bet 
Jreppe." Ja« ©ine fommt, ba« Elnbere geht, unb bie Sterne 
ber beiben ©atten flaugen nicht mehr zufammen, bemerft Suno 
gifcher. „Saroline hatte ben Srei« ber Setbfttäufchungen 
burchtaufen; fie meinte bie Siebe zu Scheßing unb bie ®he 
mit Sd)leget gut bereinigen zu fönnen, fie jene mütterlich, biefe 
freunbfehaftlid) halten unb träumte fich mirflid) einige 
hinburch fiefjer in biefer Joppelempfinbung. 5e freunbfehaft« 
licpcr fie an Schlegel fcf)reiben fonnte mit marrner, in ber 
Jpat ungeheudtelter Jheilnafjnte, um fo unfchulbiger nahen 
fie felbft ihr ©erhältnih z» Scheßing, unb je intimer biefe« 
©erhältnih fid) geftaltete, um fo lebhafter fudjte fie in ben 
freunbfchaftlichen ®efüt)len für Schlegel ba« au«gteichcnbe 
©egengemidjt. Jie innere Unmahrheit, bie in ber Sache lag, 
machte ben 3»ftanb unerträglich- Sept ergriff fie bie Schei’ 
bung mie ein gugfeid) unfelige« unb befreienbe« Sdjidfal- 
Shre erfte Stimmung mar, fich nie mieber z» berheirathen. 
Sie gehört z» jene» „problematifcheit Naturen", mie ©oethe 
fie nannte, irt benen üßatur, barum auch Seibenfchaft unb 


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Nr. 21. 


327 


Die (Begcntuttri. 


Sdjidfal mächtiger finb als ber ©Bille mit feinen Abfid)ten 
unb ©orfäfeen, bie befhalb beim bcften ©Billen nicht beftimmcn 
fönnen, wie fie morgen empfinben merben. Solche Staturen 
haben fein SebenSprogramm ober machen eS nur, um ei p 
änbern; ihre SebenSfaljrt gleißt einer ©hantafiereife, bie auch 
fein Programm bulbet. ©Ber mit! bei fotcfjer ©euiüthöart 
öorherfagen, Wo ei ihm in ber unbefannten ©Belt, in bie er 
geht, am heften gefallen wirb? Unb fo begreift fief) auch, 
ioie in affen ihren SebenSwanbfungen unb tro£ affen uitge» 
Wollten ©djidfafen biefe probfematifchen ©Ijaraftere bennod) 
baS ©efiifil hoben, fich felbft treu geblieben p fein." 

®ie »eiteren ©chidfafe ber romantifchen (Smandpirten 
mag man in Stuno gifdjer’S „©chclfing" nadhtefen. Jame 
Sucifer war tobt, eine tapfere, ibeafe ©elehrtengattin halte 
fich in ©türm unb Jrang, in ©ünbe unb ©ühne auS ihr 
entwiefeft. prächtig fchreibt gifd)er: „Die @mpfängtid)feit, 
wefche nur eine grau befifct unb geben fann, unb bie für 
ben Auffcfjwung beS männlichen ©eifteS bewegenber unb p» 
gleich beruhigenber unb fixerer ift, als febe fiulbigung ber 
SEBeft: eine ©mpfänglidjfeit, bie ben ©fann nicht bloff in 
bem, WaS er feiftet unb erftrebt, fonbetn in bem, waS er ift 
oermöge feiner hödjften S?aturbeftimmung, in feiner eigenften 
perfönlichen Art erfaßt unb fefbft nur möglich ift burch bie 
innigfte, perfönfiefje Jheilnehmung, burch bie Siebe, bie auch 
in ber ©lenbung h e Q ficht unb oiefleicht bie ©Pfaden oer» 
fennt, aber nie baS ©olb. ©Benn eine grau biefen fetten 
Slid für eine hochbegabte männfiche Sfatur hot, ben ©inn 
für ben ®ämon biefcS ©fanneS, woburcfj fie unmittelbar 
weil, „waS ©uteS in ihm febt unb glimmt", fo fann 
fie wie eine ©fufe auf ihn »irfen. ©ine fofcfje ©Birfung 
ijinbert nicht bie Ungleichheit beS Afters unb bie Trübung 
ber ©chidfale. Unb -©chelling bei feiner ©eifteSart beburfte 
eine ©fufe unb fonnte fie weifen." ©eine ©he mit ßaroline 
mar unb blieb gfödlich- @ie begleitete ihn in feine neuen 
2e6enSfteUungen nach ©Bür^burg unb ©tünchen. greifidf) 
war grau ©chelling, wie fie ipobeft in feiner Autobiographie 
fdjilberte, gar nicht geeignet, unter ben ißrofefforenfrauen 
einer fleinen Unioerfität eine fluge unb gefällige SfoKe p 
fpielen. „Sie wollte bie Stoffe einer Ja me fpielen; wie 
©chelling bet erfte ©fann auf ber Unioerfität fei, fo Wollte 
fie bie erfte grau fein. @ie wollte eben oornehme ©efell» 
fefjaften befuchcn, fie wollte ©efellfcbaften bei fid) geben unb 
in ©eiben als bie grau beS erften ©fjifofophen in Jeutfdjlanb 
unb in ihrer eigenen ©erfon als eine ber geiftreidjften, ge» 
bifbetften unb geleljtteften grauen gfänjen" u. f. f. Sn ben 
©riefen an ihre greunbin ©Ijarlotte üon ©dtjitler in Sena hat 
Henriette oon §oüen baS ©ilb biefer ihrer „tugenbljaften fiauS» 
prinjeffin", biefer „®ame Sucifer", Wie fie biefelbe üor fich 
fab, in ihrem eitlen, fofetten, puhfüdjtigen, anmafienben, rüd* 
fiditslofen, bei aller ©Bett, namentlich bei allen grauen oer» 
halten ©ebahren in ben ergiebigften ©Sorten gemalt, ©ogar 
bie ©Itcrn ©dhelling’S, feit früher Sugenb i|r wohfgefinnt, 
hätten ihr gleich bie Befürchtung auSgefprod)en, bafc „biefer 
böfe Jämon" ihren grieben ftören würbe. jaS Silb ift 
nicht gerecht, aber auch nicht unrichtig; eS ift ber SteoerS ber 
WebaiHe, bemerft bap Sfuno gifeber. Aber waS fie ihrem 
Satten unb waS er ihr war, finbet man in ihren ©riefen. 
SBährenb ©chelling in ©tünchen feine neuen ©erhältniffe 
p grünben fudjt (grüfjjahr 1806), fchreibt fie ihm in ben 
33oc|en ber Trennung bie feitrigften unb ^ärtfichften ©riefe, 
jeher AuSbtud leuchtet oon ©ehnfudjt unb Eingebung. „Sehe 
wohl", enbet ber erfte biefer ©riefe, „lebe wohl, mein fperj, 
meine Seele, mein ©eift, ja auch mein ©Bille. Sd) habe 
Jein ©ilb p mir genommen unb fpredje mit ihm." Unb 
einige Jage fpäter: „J)u liebfter greunb, wenn id) nur erft 
weif, ba| eS ®ir gut geht, fo will ich auch einfam fröhlich 
effen, trinfen unb fd)lafen. JaS Alfcineffen ift baS ©chlimmfte 
für mich- wäre thöricht, wenn id) ®ir erzählen wollte, 
Wie ich $)ich in ©ebanfen lieblofe, Ju weift eS wohl." 


©titten in ber fcichteften ©lanberei, »eiche bie Sfeuigfeiten 
beS JagcS burcfjläuft, brechen ©Borte flammenber ©ehnfucht 
herüor: „0 J>u füfeS, liebes fperj$! ©Bann »erbe ich bod) 
bie Anbadjt pm .fterpn meines fettet wieber halten! föaft 
Ju aber wohl gehofft, bafj ich eS fo ertrüge?" ©ie hat 
bie bepubernbe ©obe, auch bie aHergewöhnlichfteit Jinge fo 
anmuthig p fagen, baf fie wie poetifch erscheinen. @S ift 
bie ©ebe oon ihrer fünftigen ^auSWirthfcfjaft in 9J?ünd)en: 
„®aS wünfdie id) fehr, baf wir unS üor’S ©rfte fpeifen laffen 
unb ich bie Art ber ©orglofigfeit üben fann, bie man auf 
ber Steife hat. ©Bo friegteft ®u benn auch eine Äüd)e h et ? 
Ober haft ®u etwas bergfeichen, wo man geuer p ©Baffer 
machen fann?“ Sm festen ©riefe Oor ihrer Abreife Wirb 
auch ber Drt befprodien, wo fie baS erfte ©Bieberfehen feiern 
wollen: „®u fommft mir anf jeben gafl nur fo Weit ent» 
gegen, wie ber Sönig ber Königin — bis ®ad)au." Sft eS 
nicht, als ob unter ber leichten ©erüfrung ihrer geber fich 
bie gewöhnlichften 2)ingc in ©ebiefte oerwanbeln wollten? 

Aber ba trat jäh ber jEob bajwifchen unb enbete 
nach fed)Sjähriger @h e (1809) baS Seben bet merfwürbigen, 
genialen grau. ©Bir fönnen nicht beffer ooit ihr Abfhieb 
nehmen, als Wieber mit Sfuno gifdjer’S ©Borten. ,,©ie 
hätte auf bem öffentlichen gelbe ber Siteratur fich Stuhm 
erwerben fönnen, wenn fie gewollt hätte, unb eS ift in ber 
©eurtheilung biefer grau nicht h oc h 9 e oug anpfdjlagen, 
baf fie, mit allen Talenten bap auSgerüftet, ben ©amen 
unb ©lanj einer ©dEjriftftetferin oermiebeit unb nie ein ®e= 
lüfte barnach empfunben hat. $eute ift ihr ungefucht unb 
ungewollt biefe ©ebeutung jugefalfen, benn bie ©Belt wirb 
Caroline ©chelling nnb ihre ©riefe nicht wiebet oergeffen. 
©o lange fie lebte, fud)te fie baS ©lüd echt weiblicher ScbenS» 
befriebigung mit einem ©eelenbebürfnifj, einer ©eifteSempfäng» 
fi^feit, einer (Stregung unb einem Auffdjwunge aller ©emütljö» 
fräfte, baf fie 'Eäufchueigen erfahren muffte unb burch Srrungen 
hinburdjging. 3 u ^ e ht ift ihr baS SReifterftüd ba gelungen, 
wo fie eS allein erftrebt hat, Wo cS am fdjwerften unb 
feltenften ift: im Seben felbft,* fie hat im Stampfe mit bem 
©djidfal, ber nie ohne ©djulb auSgeht, ben ©ieg unb nach 
bem ©Borte beS Richters bie edjtcfte aller grauenfronen 
baoongetragen: „5}aS AHerhödjfte, waS baS Sehen fchmüdt, 
wenn ficfi ein ^erj entpdenb unb entpdt, bem fierjen fchenft 
im füfen ©efbftüergeffen!" 


Literatur unb £unft. 


Die franjöfifdje Jtaletei auf her fJarifcr WJelt- 
üttslieüttng. 

SBoit 2t. JSrmtnemann (©artS). 

S)en enttäufchten ©efuchern ber ©arifer ©BeftauSfteHung, 
biefeS p früh geborenen ÄinbeS, wirb, fofern fie Stunft» 
freunbe finb, feit einigen 'Jagen ganj ^erüorragenbeS ge» 
boten. ®aS Grand Palais, ein ©radjtbau, ber an ©teile 
beS alten Palais de l’Industrie treten fotl, ift eröffnet worben 
unb bamit wirb ein Sinblid in baS moberne franjöfifche 
ffunftfehaffen erfdjfoffen, wie er ju feiner ßeit umfaffenber 
unb lehrreicher gewefen ift. $)ie ganje ©ntwidelung ber 
franjöfifchen SJtalerei beS 19. SahrljunbertS jeigt fidh unS, 
oeranfchaulicht burch 9)?eifterwerfe aller ft'unftrichtungen, oor 
Allem aber burcf) bie ©Berte fühner ©aljnbrecher, beren 
©dhaffen fo bebeutfant für bie ©ntwidelung ber ©falerei 
überhaupt geworben ift. $>ie Exposition Centenale greift 
fie als SRarffteine fjrrauö, bie Exposition decennale, bie 
ihre gortfejjung bitbet, legt Oon bem @d)affen ber lebten 
jeh" Saljte Siechenfchaft ab, um barpthun, wie fich 


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!T r 


328 


Die ©egenroart 


Nr. 21. 


jüngeren SDZaler bie beften ©rrungenfdjaften ihrer großen 
gfihrer ju SRuge malten. 

@S gilt nun, in bem riefengroßen, burd) jaljlreicbe 
majeftätifeße Treppenaufgänge mit kuppelmölbungen unter* 
broeßenen Sau, bem bie Sauftßle SouiS XIV. unb SouiS XV. 
ju ©runbe liegen, nach ©litemerfen ju fuc^en, bie mir 31 n* 
fangS in ben meiten fßarabefälen, erfüllt non berber koft für 
baS große fßublicum beftimmt, fanm bemerfen. Tro^bem man 
eine febr üorficfjtige 3luSmahl getroffen fyit, finb bie §aupt* 
fäle bocß gefüllt mit Wiefengcmälben, bie auf ben groben 
äußeren ©ffcct ^inauSgielen, ein umoillfürlicber Seitrag jur 
(St)arafteriftif beS franjöfifcßen SolfeS, baS einerfeitS an 
marftfd)reierifcben Tingen mit ber na inen 3lrt eines bar* 
barifeben SoltSftammeS ©efatlen finbet, anberfeitS baS bis 
jur SRaffinirtljeit gefteigerte kunftempfinben eines febr alten 
©ulturftaateS an ben Tag legt, ©ine franjöfifcße ©emälbe* 
auSftellung ohne ein paar „grandes maebines“ politifdjer 
Watur — 3 Qt WifolauS II. bilbet hier felbftoerftänblicb ben 
SRittelpunft beS SntereffeS — ift nicht benfbar, ferner muß 
ber febau* unb fpectafelfücßtigen 2Renge noch immer jenes 
©emifcß oon SBolluft, Slut unb ©reuel aufgetifebt rnerben, 
baS jur 3 e *b ba bei uns baS Tiiffelborfer ©enre blühte, 
Triumphe feierte. Tie Sorliebe hierfür ift wohl im barbarifdj* 
feltifcben ©lement beS franjöfifcßen ©ßarafterS ju fueben. 
Wad) biefer Dichtung hin teiftet Wodjegroffe baS Sefte, 
beffen anfprucßSoolle, auf ben ©ffect componirte Silber boeb 
Oon einem tüchtigen können 3eugnife oblegen. 

Sornebm abgefonbert, in Heineren Seitenfälen »erteilt, 
finben ficb jene trefflichen SBerfe, bie in ihrer einheitlichen 
©ruppirung — ganj feltenc Schöpfungen mürben oon ißrioat* 
galerien jur Serfügung geftetlt — ein üoUftänbigeS Silb 
ber heutigen ftanjöfifcben ÜKalerei geben. 

©S ift mit ©infcßluß ber großen Sorläufer, ber fraft= 
oollen Scanner oon Sarbijon, beren SBetfe mir als ju be* 
fannt übergehen, eine febnfüdjtige SBanberung ber freien 
Suft unb Sonne entgegen. Tod) fautn ift baS 3iel erreicht, 
fo fegt baS übercioilifirte franjöfifdje künftlertemperament 
ein unb beginnt an ber £>anb einer toüf öffnen Technif ein 
Srillantfeuermerf jitternber Strahlen ju entfalten unb ftatt 
ber 2Babrl)fit eine 9Belt trügerifchen Scheins heruorjujaubern. 
©S ift bie kunft ber Ueberreife unb Uebercultur, bie alT baS 
Unbcfinirbarc micbcrjugeben fueßt, maS franfhaft überreijte, 
für alle Nuancen ftart empfinblidje SRcrücn erregt. Tie 
Stärle ber jüngeren SReifter ift im SmpreffioniSmuS ju 
fud)en. ©outbet mirb burch baS berühmte Silb, „bonjour 
Monsieur Courbet“ (SRufeum oon SRontpellier), ferner bur<ß 
la Sieste, la Vügue unb les Cribleuses de bie Oertreten; 
baS Stubium feines herben, groblörnigen fRealiSmuS ift lehr* 
reich, hoch feffelt eS nicht lange neben bem 3 au ber ber im* 
preffioniftifdjen kunft. Slud) SRanet’S berühmtes „dejeuner 
sur l’herbe“, foroie feine Salconfcenen gefallen jmar burch 
ihre rüdficßtSloS ehrliche SBaßrheit, mir fühlen uitS jebodj 
mehr oon ihm angejogen, ba, mo er bie alljufräftigen harten 
©onture, bie falten, freibigen Töne meibet unb, feine 2Ral* 
meife unenblidj oerfeinernb, nichts körperliches, fonbern nur 
©inbrüde ber körper unter bem Spiel oon Suft unb Sonne 
ju geben fueßt. Trefflich ift in biefer £>infid)t baS fßorträt 
einer Tarne, an einer Staffelei figenb, ferner eine nachläffig 
ßinfdjreitenbc 2Rännergeftalt. 

Sßnr reihen fich an einige naturatiftifch behanbelte 
Silber ber fßlainairiften Saftien*Sepage, fRoll unb 
t’^ermitte unb bann thut fich SBunbermelt ber 2fm* 
preffioniften auf. Ta ift baS große Trio, ©laube ÜRonet, 
Siffaro unb SiSlet), Tichter ber tadjenben ftanjöfifcben 
Sanbfdjaft, ber maigrünen Saubmälber, ber fonnenüber* 
flutßeten liefen, ber etmaS monotonen Törflein an blauen 
glüffen, ber leichten 3 e Ph'rmolfen, ober ber alles Seben 
bämpfenben ÜRittagSglutß, mo ber große San fcßläft unb 
nur baS reine Sonnenlicht gligert unb flimmert. Sin ihrer 


tpanb [türmt ber leibenfdjaftlidh empfinbenbe 2Renfd) nid)t 
mehr hinaus in bie Watur, um mit elementaren ©etoalten ju 
ringen, ein oerfeinerter, allen milben kontraften feinblidjer 
kulturmcnfch fiu de siede (egt fich mit offenen 3lugtn 
träumenb inS grüne ©raS unb läßt bie flüchtigen ©inbrüde 
eines golbigen Sonnentages über fich binbuföheit. 

Tie Smpreffioniften jerlegen bie garben in ihre ©ompo* 
nenten unb fegen fie bergeftatt an einanber, baß fie, aus 
einiger ©ntfernung gefeßen, in ein bemegteS ©anje jufammen* 
fließen unb fo bie Süufion bet über bie ©egenftänbe hin* 
tanjenben licßtburchflutbeten Suft herborgerufen mirb. Tie 
©onture jerfließen; nichts körperliches mehr, fein Silb, ein 
äRomenteinbrud! SRiemanb hat, mie ©laube ÜRonet oerftanben, 
SBiefengrün, fonnige Suft, blauen Ipimtnel unb leicht hin* 
fegelttbe SSolfenflocfen ju malen, um bie buftige Stimmung 
eines fonnigen SenjtageS feftjußalten. 

TegaS, fRenoit unb fRaffaelli oerlaffen bie roeittu 
©efilbe unb menben fich bem fßarifer Treiben ju. ©rfterer 
mahlt fich Tänjerinnen jum üRobeH, bie ihm beim Sicht bei 
Wampen bie fchmierigften jeidjnerifcßen unb coloriftifcfjen 3luf» 
gaben fteQen; eine jebe roeiß er burchauS inbioibueQ bei 3luS* 
Übung beS gleidhen SerufS ju oerförpern. TegaS ift SReifter 
in ber Tarftellung meibli^er ©rajie unb ber .camation 
civilisee <( , um mit £>ut)SmanS ju reben. 

geurige®luth beS ©otorits, meieße, abgerunbete gönnen, 
marme Sinulidhfeit jeigen bie grauenbilber SRenoirS. SBie 
ber große englifcße SanbfchaftSmaler Turnet hat er fuh an 
glühenbem Sichte fattgetrunfen unb läßt eS nun (euchtenb 
aus feinen Silbern heröorftrömen. — 31US ben fahlgrauen 
UebergangSftimmungen ber Sannmeile oon SariS, bie meber 
Sanb nod) Stabt ift, fchöpft fRaffaedi eine güHe lebenSmahrei 
unb in ihrer SBaljrheit berebter ©eftalten. Stubien auf bem 
gleichen noch toenig bebauten Soben machen fRene, SiDotte 
unb Sinet. 

2Bir haben unS barauf befdjränft, auS ber Exposition 
Centenale bie feften ©runbpfeiler h«rauSjugteifen, auf benen 
baS jeitgenöffifche franjöfifche kunftfehaffen rüftig meiter 6aut. 

Tie franjöfifche kunft ber legten jeßn Sahre gipfelt 
im Stubium oon Sicht* unb garbenproblemen, ein paar 
ältere SReifter ausgenommen, bie oeraltete kunftübungen 
fortfegen: Sonnat mit glatter menig eigenartiger SRalmeife, 
bie feine tüchtigen SorträtS berühmter ^ßerföntic^feiten ettuaS 
beeinträchtigt; Wohnet mit Scenen in ber fleifdjftrogenben 
niebetlänbifchen ÜRanier, Souguereau unb ©abanel mit roeich 
liegen Sieten oon einem porjellanigen Sncarnat. 

SBie bie jüngeren Sdjriftfteller liegen bie jüngeren 
künftler faft alle im Sanne beS [ßariferthumS. gabelhaftcä 
jeicgncrifcheS können, große Trefffidjerheit merben aufgeboten 
um ben ©hie, bie ©rajie ber fßariferin barjufteQen. Wicht 
baS ffleib an fich feffett fie, fonbern nur jenes gefdhmeibige, 
neroöfe ©efehöpf, baS meber fchön no^ ebel erfcheint, aber 
burch bie auSgefucf)te ©leganj feiner kleibung, bie ber* 
fühterifdje ©rajie feiner Seroegungen immer intereffant unb 
reijbott ift. TaS ift baS grauenibeal, baS bie ißhantafie ber 
granjofen befchäftigt, baS ihnen, eine mobeme Soconbe, ettig 
neue SRäthfel ju löfen giebt unb eS oerfteht, burch taufenb 
unbefinirbare Weije ben 3Rann an fich 5 U Stegen, ©inen 
munberbaren 3°uber meiß ber farbenprächtige SeSnarb ber 
toeiblichen ©eftalt ju oerleihen — hier feine ftreng gegebenen 
gormen, feine flaren garben mehr, fonbern ein berücfenbeS 
Spiel Oon Sinien unb garben, ein Schillern beS Siebtes auf 
j arten feibenen ©emänbern, bie ihre Wefleje mieber auf bie 
neroöfen, fchfangenhaft gef^meibigen ©lieber, auf baS pidonte 
Slntlig roerfen. SeSnarb meiß eine beftricfenbe Smpreffion 
ber ißarifer SBeltbame ju geben, ein ©nfemble oon taufenberlei 
üerführerifdjen ©injelheiten, baS jeboch jeber Slnatpfe fpottet 
SernerfenSmerth ift baS fßorträt ber Schaufpielerin Wejant 
unb einer Tarne im rofa Seibenfleib. 

Tie anmutige ©rajie ber SBettbame befchäftigt ferner 


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Nr. 21. 


5Die ®egenwart 


329 


£>umbert, ber im bie?jäßrigen Salon ben erften ©rei? et« 
galten ßat Un? fcßeint ba? Porträt be? Scßriftfteder? 
Sfule? Semattre feine ja^lreidjeit grauenporträt? an Sdjärfe 
ber Sßarafteriftif unb fprecßenber Sebenbigfeit weit ju über« 
treffen. Der bon ben Snglänbern beeinflußte, feinfinnige 
Schöpfer weiblkßer Slnmutß, 9lman«3ean, opfert bie ßolbe 
Siebließfeit, bie er früher feinen SRäbcßenbitbern ju üerleiEjen 
wußte, mehr unb mehr bem Sßic. ® on feiner TOirflic^ fein 
burcßyeiftigten ÜRalroeife tßut er einen Schritt in'? ©anale. 
Die ganze feelenbode 3nnigfeit ber Duatrocentiften weiß 
bagegen ©outet be dRonbet in feine grauenporträt? ju legen. 

dReifter jWeiten unb britten Kange? tifeßen un? mit 
großem ©efeßid ba? auf ben Sinnenreiz f)inau?zielenbe auf; 
ihren ©itbern entftrömt eine entneroenbe Defabenz»9ltmfopßäre. 
Koch an ben würzigen grüßting?obem beutfeßer Srbe ge« 
wöhnt, noih ber auffteigenben Sonne zujubelnb, will un? 
bie fcßwüle Treibhausluft be? ©arifertßum?, in bie fieß bereit? 
bie mannigfachen Uebergang?töne be? Sßelfen? mifeßen, nur 
wenig zufagen. 28ir werben überrafd)t, aber nicht bauernb 
gefeffelt ober erquidt. Sin oerblüffenbe? tecfjnifdEje? Sännen 
wirb an herzlich unbebeutenbe Dinge oerfcß werbet; ftatt auf 
freie ®aben einer freubig feßaffenben ©ßantafie ftoßen wir 
auf mühfam 3 u fcunmengeflügelte?. ©eraub , meint ben 
ßeitgeift zu treffen, inbem er (S^riftuS auf bem äJtontmartre 
für theatralifch pofirenbe Arbeiter fterben läßt, ober un? 
eine Sßebrecßerin in mobernem ©ewanbe z e >9t. bie fieß 
mitten in einem Salon bod befradter Herren za Süßen be? 
§eilanb? nieberwirft. Dagnan«©ouberet giebt mit feinem 
„Slbenbmaßl" eine Scene, in ber er bie ©üßneneffecte ber 
©ralentßüdung gefeßidt berwertßet unb Sßriftu? in einem 
pßo?pßore?cierenben Sichte barftedt, ba? oon bem Selch in 
feiner Ipanb au?geht. S? ftedt Weber Seele noch Straft in 
biefern anfprucß?boden ©itb; betrachtet man baneben feine 
frifdjen, läftlichen Dppen au? ber ©retagne, fo tann man 
nur bebauern, baß ber tüchtige Sfinftler ben fräftigen iRäßr« 
hoben feiner engeren §eimatß berlaffen hat. 

Da? Sßmboliftentßum, ba? troß ber SRäße Snglanb? 
unb ©elgien? wenig ©oben in granfreieß gewonnen hat, 
oertritt recht eigentlich nur ©uftabe SRoreau. Die 9tu?« 
ftedung zeigt feine fetten gefeßene „Salome“, feine gewöhn« 
ließe Scene orientalifeßer Fracht mit einer Süße bon forgfam 
gemalten glißernben Steinobien, fonbern eine ©efeetung aß’ 
biefer ©radjt, fo baß fie zugleich mit ber ©eftalt ber fdßönen 
Dänzerin eine fcßwüle Sinnlichfeit unb etwa? dRpftifcß 
©eheimnißboße? au?ßau<ßt. Da? ©ilb finbet feine parallele 
in ber Sprit SSungfranfreitß? in §enri be Kegnier’? franf« 
ßafter, mit Spmbolen übetlabener unb boch fo beraufeßenber 
©oefte. Die übrigen ©ilber SRoreau’? zeigen, abgefeßen bon 
bet ©irtuofität, mit ber ißt äußerer Detor beßanbelt ift, eine 
große innere Seere. Den Don ber Sßmbotiften unb Quatro« 
centiften berfudjt ber ©ointidift §enri dRartin zu treffen in 
ben großen ©emälben: Serenite, l’Apparition de Clemence 
Isaure aux Troubadours unb la Chimere. Sr h°t feine 
luftige Dedjnif bon ©ilb zu ©ilb berboßfommnet unb berfteßt 
ben Sinbrud be? ptößlidj Stfdjeinenben, fieß ©erftücßtigenben 
ßerborzurufen. 9lucß ißm feßlt e? oft an feßöpferifeßer Ur« 
fprünglicßfeit, unb fein Stjmboli?mu? ift zum Dßeil au?« 
geflügelte ffierftanbe?facße. Um bie? reeßt zu beurtßeilen,- 
müßte man ißm ben ©ebantenreießtßum ©ubi? be Sßaoanne?, 
biefe? echten tief innerlichen ©ebanfenmaler? gegenüberfteden. 
Seiber ift er nur mit ein paar Sntwürfen zu älteren SEßetfen 
bettreten, bie faum annäßernb einen ©egtiff bon feinem fo 
reießen Sdjaffen geben. Sie wirten auf ber rotßen Dapete 
eine? Saale?, in bem fieß biel marftfeßreierifeße SBaare breit 
maeßt, grau unb unanfeßntieß. ©uni? be Sßabanne? geßört 
in weite Ipaflen unb in ben Kaßmen einer großzügigen 
Srcßiteftur. f)iet wäre ba? feinbureßgeiftigte ©orträt bon 
be? dReifter? ©attin an feinem ©laße gewefen, ein ßerrlicße? 
SEBerf fünftlerifdjer Keife unb dlbgefcßloffenßeit. 


dtdmäßlidj finb wir Wieber au? bem ©annfrei? be? ein» 
feitigen ©arifertßum? ßerau?getreten. Der Deutfcße fann fuß 
woßl eine SBeile bon bem Sprüßfeuer geiftreicßelnber Sßam« 
pagnerfaune ßinreißeit taffen; er fann bie finnbetßörenbe 
dltmofpßäre bet ©arifer Dreibßau?luft eine SSeile atßmen; 
halb aber feßnt er fieß naeß beutfdjen SBälbern, beutfeßer 
Sonne, naeß beutfdjen Stürmen unb Unwettern, wenn e? 
fein muß, aueß naeß beutfeßer ©lumpßeit; bor allem aber 
naeß beutfdjem ©emütß. Sännen ißm woßl foldje Däm« 
merung?naturen wie Sortiere zufagen?' SEßir meinen e? 
immerhin, benn troß ade? Srantßaften, wa? Sortiere’? Sunft 
entßält, troß feine? manierirten ©orgeßen?, ©eftalten faft 
mit ganz ließet Unterbrüdung ber Sonture wie ©elfter« 
erfdjeinungen au? graubraunem Kebel auftaueßen zu laffen, 
weiß er bie Seele zu feffeln. SlUe? SRatericHe bannenb, 
maeßt er ben etat d’äme zur §auptfacße; feine ©eftalten 
finb nur Sßmbole, Dräger einer Smpfinbung, eine? ®e« 
banfen?. Sr weiß un? bie tiefften menfeßließen Smpjin« 
bungen: ©tutterliebe, Drennung?fcßmerz, ÜRitleib unter So?« 
löfung oon adern Kebenfäcßlicßen, gerftreuenben mit au?« 
brud?boder SBaßrßeit naße zu bringen, ©anz ßerborragenb 
ift bie Sßiebergabe be? 3 u fchauerraum? in einem ©olf?« 
tßeater, bie ben Sinbrud ber Darftedung auf bie oerfeßiebenen 
3ußörer mit ben einfaeßften SKitteln in übertafeßenb treuer 
SBeife beranfeßauließt; tiefe ©erinnertießung unb ©efeetung 
Zeigen bie ©orträt?: ©roßmutter unb Snfelin, ©ater unb 
Dödjtercßen. 

Die jüngfte franzöfifdje Sunft Weift nur feiten bie 
großen Sigenfcßaften ber füßneit, energifeßen ©aßnbre^er 
auf. ©ewuuberung?wertß ift bie manuede ©efcßidlicßfeit, 
bie ©razie ber Sompofition, ber ©efißmad in ber S°tben» 
Zufammenftedung. ©eifttofigfeit bezüglich be? tieferen 3n= 
ßalt? aber unb ein ungefunber Säulnißgcriuß finb ein faum 
trügenbe? 3eicßen, baß fie bie innerliche 3ufammengeßörigfeit 
mit Sultur, ©olf unb Sitten ißrer engeren ipeimatß berloren 
ßaben, unb in bem fcßwülen Dreibßau? ©ari? auf Soften 
ißre? beften Seben?marfe? zu feltfamen ©flanzen ßeranwaeßfen, 
benen ein fräße? SBelfen beborfteßt. 

Dennodß maeßt fieß bei einer Steiße bon jüngeren 
Sünftlern Wieber ba? Dureßbreeßen be? Snßalt? bureß bie 
gorm bemerfbar. Der Sanbfcßafter ©ointelin (früßer fett« 
famer SBeife ©rofeffor ber SDtatßematif), berfteßt al? SReifter 
in ber ©efeßränfung mit wenigen, feften 3ügen eine ftimmung?« 
bode, feßließt unb eßrlicß empfunbene Sanbfd^aft zu geben. 
Da? berüdenbe Spiel ber Smpreffioniften meibenb, feßilbert 
er jene Dage, wo Wir ftatt zitternber Sonnenweden, ftide, 
große Sinien unb rußige emfte garben f e ß en . <j)t C giguren« 
tnaler Sucien, Simon, Sßarte? Sottet unb Kene 
SRenarb geßen zumeift wieber auf bie ßeßre Sinfacßßeit 
oon ÜRidet? ©olf?malerei zurüd. Der 9tennen?wertßefte, 
Sottet, matt Dßpen au? ber ©retagne unb feßilbert mit 
ßerbem Srnft bie frommen, tücßtigen ^ifeßer unb ©auern 
au? ber ©egenb be? Sap giniftere. Sein Driptßcßon: 
„Da? ülbf^ieb?maßl ber 3?Ianbfifcßer" ift ein SReifterwert 
oon Sßrlicßfeit unb menfeßließ ergreifenber SEBaßrßeit. 3Rit 
biefen SReiftern feßeint fieß bie franzöfifeße HRalerei wieber 
gefunbem, fießerem ©oben zuzuwenben, bem SRäßrboben ber 
ßeimatßliißen SRatur. 


Sülltors Stellung jnr Ännlt. 

5Son Dr. IDUijelm Bobe (SBctmar). 

Dolftoi’? „Sluferfteßung" ßat in einem einzigen Saßre 
eine ©erbreitung gefunben, wie fein anbere?, gteieß ernfte? 
SBerf borßer; in Deutfcßfanb adein finb ein Dußenb lieber« 
feßungen erfdjienen, unb Deutfcßlanb fteßt in ber SBertßung 


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330 


Die ftegenttHtri. 


Nr. 21. 


beS ruffifcpen EidjterS hinter Gngtanb unb ?lmerifa nocp 
3 uriid. Sin ©tfid biefeS GrfolgeS ift bem „3eitatter 
©erfeprS" 3 U 3 ufcpreiben, ber in bet ganzen 2Belt wadpfenben 
3apt bet (efenbett unb Sitter faufenben Wenfcpen; ein ^tueiteä 
großes ©tüd beS GrfolgeS fommt bem Umftanbe auf SRecl)- 
nung, baß Eotftoi bie gefcpäftticße 9tuSnußung feinet SBerfe 
Sebermann frei giept, bafe atfo bie ©ectam, frenbet, Äürfdjner ic. 
feine ©ücber billig auf ben Warft Werfen fönnen; aber in 
ber frauptfacpe rüiprt *ber Grfotg boep baper, baß man Eotftoi 
jeßt in ber ganzen lefenben SBelt fennt, baß man Don Dorn» 
herein etwas Werfroürbige«, geffelnbcS, ütnregenbcS Don ibm 
erwartet. 

®ennt man Eotftoi? Eie ibn wirtlich fennen, ärgern 
ficb oft über bie fralbfenner, bie ben eigenartigen Wann mit 
rafeben SBorten abtbun. ©ie haben in ber ©egei bie „Äreußer» 
fonate" getefen unb biefeS fcbwäcbfte SÖerf Eotftoi’S DiefleicEjt 
nocp fatfdp Derftanben; fie ^aben auch noch einen ©oman 
Don ißmgetefen, „9tnna Sarenina", ober jeßt bie „?tuferftepung", 
unb finb jurn SBefen Eotftoi’S noch niept pinburdp gebrungen. 
©ie tractiren ihn immer als Eichtet unb Zünftler unb meffen 
ihn an ihren Shmfttpeorien; er aber erfennt biefe Epeorien 
nicht an unb will fein Sünftter fein, fein ©dpönpeitSfcpaffer, 
fein ©efriebiger äfthetifcher ©etüfte, noch weniger natürlich 
ein ©tauberer unb ^eitDertreiber. Sr miß oietmepr a(S ein 
SBaprpeitSfudjer 3 U anberen nach ©aprpeit fed^enben Wenfchen 
fpredpen, ats ©ruber 31 t ©rübern, unb wenn er, ber ©rebiger, 
©omane unb ©ooeflen fdjreibt, fo gehört er fo wenig unter 
bie Kategorie ber Ekpter, wie ber Urpebec ber ©teidiniffe 
im ©euett Eeftament ober wie ber ©erfaffer beS ©ucpeS friob. 
©ie finb nkpt ©oeten, fonbern ©roppeten, bie getegentlid) 
in ben formen reben, bie fonft ben Eicptern geläuftg finb. 
Ob nid)t Eotftoi weitigftenS in jüngeren fahren mehr ©oet 
atS ©roppet gewefen fei, biefe grage Weibe pier unerörtert; 
ich finbe in aßen feinen SÜSerfen ben Worafiften als ben 
eigentlichen ©erfaffer ober .frelben. Unb eS fei bemerft, baß 
Eotftoi fdpon als ©tubent in Safan über bie größten Eid)» 
tungen feines ©otfeS fpottete, weit fie in ©erfen, b. t). in 
einer unwahren Sprache, gefeprieben feien, baß ipn batb nad)= 
her in einem ©eterSburger ©epriftfteßerfreife nidjts fo fehr 
Don feinen ©enoffen untcrfcpieb, als baß jene bie Sleftpetif 
über bie Gtpif, baS ©djönc über baS SBapre fteflten. Unb 
wieber einige Sapre fpäter, im Dctober 1860, fdjreibt er an 
ben Sprifer gjet: 

„Eer Sffiunfdp, bie SSaprpeit ju fennen unb ju fpreepen, 
baS ift baS (Sinnige, waS mir aus ber moratifepen 2Bett ge» 
blieben ift. £öper fann icp mich nicht hinauf fdjwingen, 
unb biefeS (Sine werbe id) tpun, nur nicht in ben formen 
eurer Äunft. Eie Äunft ift Süge, unb ich fanitfbie fepöne 
Süge nicht mepr lieben." 

Eodp fepen Wir ju, wie ber heutige Eotftoi, ber ©djöpfer 
ber „9fuferftepung", über bie Äunft benft. Scpon 1882 fing 
er an, fiep mit ber mobernen Äunft unb ipren Epeorien mit 
ber t^eber in ber franb auSpfpredjen, aber erft 1897 würben 
einige größere 2luffäße („SSaS ift Äunft?" Eeutfcp Don 
Dr. fJUejiS Warfow. — „©egen bie moberne Äunft." Eeutfdp 
Don SBifpetm Epat) fertig, woju bann unb wann fteinere 
Stuffäße, 3 . ©. über SBagner unb tybfcn, famen unb fommen, 
bie in ruffifcpen ober ftan^öfifepen ober engtifepen ßcitfdjriften 
erfepeinen. UnS (iegen teiber nur ^iemfiep mangetpafte Ueber» 
feßungen Dor, aber waS Eotftoi benft unb wifl, wirb boep 
auep auS ipnen ftar. 

©rünbtieper ©rübter, wie er ift, fragt er juerft: was ift 
Äunft? Unb er prüft aße biöper gemachten Antworten, um 
jn einer Eefinition ju gefangen, bie wir auch bei anberen 
ßeitgenoffen finben. Eie Snnft ift eine ©praepe, ein Wittel 
ber Wittpeilung, eine Steigerung unb (Srgänjitng ber aß» 
täglicpen 2tuSbrudSformen, eine ©praepe nanienttidj für ®e» 
füpte unb Stimmungen, ©o fagt Eotftoi:' 

„ 3 n fiep baS einmal empfunbene ©efüpt wieber peroor» 


rufen unb, naepbem man eS in fid) perDorgerufen pat, eS 
mit f)ütfe üon ©emegungen, fiinien, färben, Eönen ober in 
SBorten fo wiebergeben, baß anbere baffefbe ©efüpt erfahren 
— barin beftept bie Epätigfeit ber Äunft. Eie Sunft ift 
ein Epätigfeit bcS Wenfcpen, bie barin beftept, baß et burep 
gewiffe äußere 3 e ' c P en Öen 2 fnberen bewußt bie Don tpm er¬ 
fahrenen ©efüpte mittpeilt, wobei bie anberen Wenfcpen Don 
biefen ©efüpten angeftedt werben unb fie ebenfaßS empfinben." 
SBenn man nun Don §au 8 aus ©tpifer ift, fo gefangt man 
Don foteper Eefinition teiept ^u ber Folgerung, baß bie 
Jhtnft etpifdjen (SparafterS fein müffe. SfbeS Wittpeifen Don 
©efüpten ift eine 9trt Ginigung: berjenige wirb atfo ber 
größte ffünftler fein, ber bie mciften Wenfcpen in gleichen 
©efüpten einigt. Eer ©eruf beS SiinftterS ift atfo ein fociater, 
er bient ber ©erbrüberuitg ber Wenfcpen; er wirb beßpatb 
fotepe ©efüpte unb ©timmungen in fiep näpren unb in Ütnbem 
erweden müffen, bie bem Sbcat einer Dößigcn Ginigung bet 
Wenfcpen förbertiep finb. ©ein ?lmt ift: retigiöfe ©efüpte 
311 Derbreiten, eprifttiepe 3 u fß>nbe Domi bereiten. 

Ob biefeS fRäfonncment richtig ift. fei pier niept erörtert; 
wir fagten Dorfiditig: ber Gtpifer gelange p foteper 2teftpetit. 
GS ift niept bie flitnftauffaffung, wie fie ©oetpe unb ©epißet 
patten. 

Eotftoi wirft Don biefein ©tanbpunfte einen ©tid auf 
bie Stunftgefcpicpte: bis jur fRenaiffance war bie ffinnft eept 
unb religiös, aber feitbem patten bie Gfaffen, bie Äunft 
fepaffen unb aufnepmen, im fierjen bie fRetigion niept mepr, 
bie offiäeß peute noch gitt, bie bem ©otfe erpatten werben 
foß; eine griinbtidje Gorruption ber Äunft mußte bie gotge 
biefer retigiöfen Unaufricptigfeit fein, .freute paben wir eine 
&unft, bie beS ©elbeS wegen perDorgebracpt wirb unb jum 
3eitDertreibe eines fepr ffeinen unb niept fepr nüptiepen EpeiteS 
ber ©eDötferung bient, ©ie ift fdioit beßpatb bösartig, weit 
fie bie ©ctaDerei ber Waffen, bie GapitatSfctaDerei, jur ©or» 
auSfeßung pat. SBelcpe ungeheure 2 lrbeit erforbert 3 . ©., 
wenn man’S reept bebentt, bie 2tuffüprung einer neuen Oper 
unb Wie Wenige Wenfcpen paben in ber ©eget baDon einen 
©enuß! Gbenfo ftept bie Arbeit, bie bie frerfteßung eines 
©ebidjtbudjeö maept, gewöpnticp in einem reept fepteepten ©er» 
pättniß 311 ben angenepmen unb güten ©efüpten, bie eS peroor» 
bringt. „Wan befreie bie ©ctaöen beS GapitalS, unb eS wirb 
ebenfo unmöglich fein, eine fotepe Sunft perDorsubringett, atS 
eS peute unmöglich ift, biefetben ©ctaDen an ipr tpeitnepmen 
3 U taffen ... griipet feprieben bie ©oeten auf tateinifcp, 
bod) jept finb bie fünftterifepen Gr 3 eugitiffc ebenfo unDer» 
ftänblicp für ben gemeinen Wann, als wären fie in ©anferit 
gefeprieben." 

2Bir paben nur eine Äunft ber pöperen Gtaffen, bie auf 
ben 3 e ü Der freib unb bie ©erDenerregung btafirter Seute be« 
baept ift. Eapet rüprt aud) ipre erfepredenbe ©toffarmutp, 
ipr Wanget an SnfpirationSqueflen. ©ie fennt eigenttidj 
nur brei ©efüpte: bie Gitetfeit, bie finntidpe Siebe unb ben 
ÜSettfcPme^. 

„3uerft fepen wir in bet neuen Äunft baS ©efüpt ber 
Gitetfeit, beS GprgeiseS unb ber ©eradptung ber 9tnbern Dor« 
perrfepen. 3n ber Gpocpe ber ©enaiffance unb noeß fange 
nachher ift ber frauptgegenftanb ber Äunftwerfe baS Sob ber 
• Wäcptigen ... ©päter begann baS Gtemcnt beS feyuefleii 
©ertangenS in bie jfunft mepr nnb mepr einsubringen; eSift 
feitbem mit fepr wenigen 9fuSnapmen in aßen fünftterifepen 
©robucten ber reichen Gtaffen unb im befonberen in ben 
©omanen ein .frauptefement geworben, ©on ©occaccio bis 
Warcet ©reDoft brüden aße ©omaitc, ©ebiepte unb Gt 3 äp» 
tungen baS ©efüpt ber finnlicpen Siebe unb iprer Derfdjiebenen 
formen auS. Eer Gpcbrucp ift baS SiebtingStpema, um niept 
3 u fagen: baS einsige Epenta ber ©omane. Gine tpeatratif^c 
©orfteflung pat 311 r unerfaßfidpen ©ebingung, baß unter 
irgenb einem ©orwanbe grauen mit nadter ©üfte unb nadten 
©tiebern auf ber ©üpne erfepeinen. Eie Opern unb bie 


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Nr. 21. 


Die (ßegenwart. 


381 


Sieber, STEfeS ift ber Sbealifirung ber Ueppigfeit unb SföoHuft 
geweiht. Die grofje Weljrgaht ber Silber ber frangöfifdjen 

Wafer fteden bie Weibliche Nadtljeit bar.-DaS brüte 

.ber großen ©efüljle, baS bie Sunft ber Neichen auSbrüdt, 
baS bet allgemeinen Unjufnebenbeit, h Q t feine bolle Se* 
beutung erft gu Anfang unfcreS SSaljrhunbertS hefommen, eS 
bat feine ftärfften Sertreter in ßorb Stjron unb Seoparbi 
unb bann in £>eine gefunben." 

Obwohl bie mobernfte Sunft fo arm an Stoff unb 9luf= 
gäbe ift, muß fie auS oerfdjiebenen ©rtinben ‘immer neue 
ÜBerfe auf ben Warft bringen: weil bie 3ahlungSfäf)igen fid) 
langweiten, Weit Daufenbe auS ber Sunft einen ©elberwerb 
machen, Wa8 fie nicht fein follte, u. f. w. Sie fommt auf 
bie abfonbertidiften Wittel, fcfjeinbar Neues gu probuciren. 
Sdjtiehlidj ift fogar bie Unflarljeit unb UnOcrftänbtidjfeit ein 
Sbeal geworben, bei Walern wie fßoeten unb Wufifern, ja 
eS giebt fogar fdjon Nomane, wo man nicht entbeden fann, 
toa§ paffirt, wem ober wo etwas paffirt. (Sgl. „Derre 
promife" bon (5. Worel). Die üblichfte Wetljobe, faffdje 
Sunft auf ben Warft p bringen, ift freilich noch bie Nadj* 
afjmung alter poetifdjer Sujets, baS Neprobuciren beffen, wa§ 
conoentioneQ für poetifch gilt. @S finb baS g. S. junge 
Wäbchen mit watlenben paaren, Srieger, .fjirten, ©remiten, 
©ngel, geen, Nachtigallen, Wonbfdjein u. bgl. SBagner g. S. 
häuft fotdhe falfdje Wittel gewaltig an,, um ©ffecte p erreichen. 

‘Doch waS ift nun nah Dolftoi wahre Sanft? 2Sir 
hörten fdjon: bie religiöfe: aber woher foDen wir benn heute 
Neligion nehmen? ©ewih haben einzelne Sreife aud) heute 
bie eine ober anbere fReligion, aber Dolftoi oertangt' boef) 
eine Sunft, bie grofje Waffen, am liebften bie gange Wcnfdj* 
heit einigt. Nun antwortet unS Dolftoi gu unferer lieber* 
rafdjung: SSir haben heute eine allgemeine Neligion, fo gut 
Wie fie baS Wittefafter hatte. 2Bäre Dolftoi ein Deutfd)er, 
fo würbe er fortfahren: biefe Neligion ift baS cble Serlangen, 
waS ber Socialbemofratie, ben anberen gormen beS SocialiS* 
müS unb hunbert fonftigen Neformbeftrebungen gu ©runbe 
liegt. Diefe ©egenwartS* unb 3ufunftSreligion ift bie ent* 
fteijenbe Serbrüberung ber Wenfchen. Unb fie rft feine 
anbere als bie alte, ed)te d)rtftlicf)e Neligion, bie bisher bon 
ben Sirdjen berbunfett unb Oerborben würbe. Sille gute 
Sunft mufe befehatb eine d)rifttid)e fein, djriftlicf) in betn an* 
gegebenen Sinne. 

„Die djriftlidje Sunft ift biejenige, bie alle Wenfdjen 
ohne ?luSnaf|me bereinigt. DiefeS 3iel fann fie auf gWeier* 
fei Steife erreichen: inbem fie bei alten Wenfdjen baS Sewufct* 
fein ihrer SerWanbtfdjaft mit ©ott unb mit einanber wach* 
ruft, ober inbem fie bei allen Wenfdjen ein unb baffclbe 
noch fo einfache ©efüljl Wachruft, baS fid) auf alle Wenfdjen 
ohne SluSnahme erftreden fann ... ‘Die erfte biefer beiben 
gönnen ift bie ber retigiöfen Sunft in ber engeren Sebeutung 
beS SBorteS, bie gweite bie ber Uniberfalfunft. .. Die höhere 
religiöfe Sunft ift bie, bie birect unb unmittelbar ©eföfjfe 
auSbrüdt, bie ber Siebe gu ©ott unb ber Siebe gum Näcijften 
entfpringen; bie untergeorbnete religiöfe Sanft ift bie, bie 
©efüfjte ber Ungufriebenheit, ber Gnttäufchnng, ber Serachtung 
gegen SltleS auSbrüdt, WaS ber Siebe g'u ©ott unb bem 
Nädjften guwiberfäuft." 

Deutlicher wirb unS Dotftoi baburch, bah er unS einige 
befannteSunftwerfe angiebt, bie feinen gorberungen entfpredjen. 
3uerft nennt er Sictor £mgo mit feinen „©lenben" unb 
„Firmen Seuten", bann ©hartes DidenS („SBeiljnaditSgloden", 
„3toei ©täbte" unb oieleS Slnbete), ©ebrge ©fliot (9(bam 
Sebe), grau Seeeber Stowe (Onfet Dotn’S £>ütte), DoftojewSft) 
(DobtenhauS). DaS finb moberne religiöfe Snnftwerfe. ?t(S 
Seifpiele ber Unioerfalfunft fönneit etwa ©brifti ©leichniffe 
ober auS bem Sitten Deftament etwa bie ©efdjidjtc Sofeph’S 
genannt werben. 

Unb nun entwirft Dolftoi ein Sitb Oon ber guffinftigen, 
ed)tjh*iftfüfjen Sunft. 


„Die 3ufunftSfunft wirb Oon allen Wenfdjen auSgeübt 
werben, bie ben Sßunfdj banach empfinben werben, unb biefe 
Werben fid) nur in bem Stugenblicfe bamit befdjäftigen, ba 
fie baS Serlangen banach oerfpüren werben ... Der Sünftler 
ber 3ufunft wirb baS' gewöhnliche Sehen beS Wenfchen leben, 
inbem er fid) mit irgenb einem ftanbwerf fein Stob Oerbient. 
So wirb er üorbereitet, ben ©rnft beS Sehens fennen gu 
lernen, unb wirb fid) bemühen, einer mögtidjft groben 3°$ 
üon Wenfchen bie grüchte bet höheren ©abe gu übermitteln, 
bie bie Natur ihm gefchenft hat; biefe Uebermittelung wirb 
feine greubc unb fein Sohn fein. So lange man bie jpänblet 
nidjt auS bem Dempet gejagt hat, fo lange Wirb ber Dempet 
ber Sunft fein Dempel fein." 

©egenftanb biefer gufünftigen Sunft ift nach allem Sot* 
aüfgehenben baS Sehen ber fdjlidjtcn arbeitenben Wenfchen, 
befeuchtet Oon bem Sichte d)riftlid)er ©otteS* unb Wenfchen* 
liebe; eS ift ja auch fchon angebeutet, bah bem geringen Stoff* 
Oerluft bei Sfufgabe ber SujuSfunft bie ©rfdjliehung unge* 
heueret ©ebiete gegeniiberfteht. 

„3Sn unferer gegenwärtigen Sunft betrautet man nur 
bie befonberen ©efiihte einer Glaffe Oon Wenfchen in einer 
beftimmten SluSnahmSftetlung Würbig, burdj bie Sunft auS* 
gebrüdt gu werben, unb gwar wünfdjt man, bah fie in f)öd)ft 
raffinirter Slrt gum SluSbrud gelangen, bie ben meiften 
Wenfchen ungugänglidj ift. Wan hält baS gange ungeheure 
©ebiet ber SotfSfunft für unwürbig: bie Sprichwörter, bie 
Sieber, bie Spiele u. f. w. Doch ber Sünftler ber 3 u ^ un ft 
wirb begreifen, bah cS unenblicf) fruchtbarer unb wichtiger 
ift, eine gäbet, ein Sieb gu oerfaffen, oorauSgefefct, bah fie 
ben Wenfchen rühren, einen Sdjerg gu fdjaffen, üorauSgefefct, 
bah et beluftigt, ein Silb gu geichnen, baS WiHionen Sinbet 
unb ©rohe erfreut — als einen Nomatt ober eine Spmphonie 
ober ein Silb herüorgubringen, baS wäljrenb einiger 3eü eine 
Keine Sfngafjf Seute amüfiren unb bann auf immer in bie 
Sergcffenfjeü öerfiufcn wirb ... 

,Slbet es ift unS bei unferer gegenwärtigen ©ioitifation 
unmöglich, gu ben UrfprungSformen gutüdgufehten!‘ werben 
bie Sünftler bagu fagen. ,®S ift unS unmöglich, heute Sr* 
gählungcn Wie bic ©efdjidjte gofeph’S ober wie bie Dbpffee 
gu f^reiben, Wufif wie bie ber SolfSlieber gu componiren! 1 
— DaS ift ben Sünftfern unferer 3eü in ber Dhat unmög* 
lieh; bod) bem Sünftler ber 3 u K>nft, ber ben Sopf nid)t 
mehr mit einem Strfenat Oon tedjnifdjen gormeln OoQ ge* 
pfropft hat, ber lein SerufSlünftler mehr ift, bemüht für 
feine Schöpfungen begaljlt wirb unb nur Sunft fdjaffen wirb, 
wenn er burcfj ein unwiberfteljlicheS inneres Sebürfnih bagu 
getrieben wirb, Wirb eS nidjt unmöglich fein.-- 

Die Sunft ift fein ©enufj, fein Sergnügen, auch fein 
Slmüfement; bie Sunft ift etwas gtofjeS. Sie ift ein Organ 
ber Wenfdjljeit, baS bie SEuffaffungen beS SerftanbeS in baS 
©ebiet beS ©efüljtS überträgt. Sn unferer 3 e it hat bie 
religiöfe 9Iuffaffung ber Wenfchfjcit bie allgemeine Serbrüberung 

unb baS ©tüd in ber Sereinigung gum Wittelpunft.- 

Die Sunft muh bie föerrfefjaft ber ©ewalttljat unb beS 
3wangeS in ber SBeft oernichtcn. DaS ift eine Slrbeit, bie 
fie aÜetn gu ooübringen im Stanbe ift. Sie allein fann 
bewirten, bah bie ©efiihle ber Siebe unb Srüberlidjfeit, bie 
heute nur ben heften Wännem unferer ©efellfchaft gugäng* 
lieh finb, bet allen Wenfdjen beftänbige, uniOerfeÜe unb 
inftinctiüe ©efüljte werben." 

Sßenn man biefe Sähe getefen hat, weih man, WaS 
Dolftot mit feiner „?luferftetjung" gewollt hat. Unb nicht 
nur feine „SolfSergäljtungen", fonbern auch manches anbere 
frühere SGSerf hat er unbewuht ober bewufjt in gleicher ©e= 
finnung gefchrieben. . 


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332 


Die ffiegetttoari 


Nr.«; 


gfeuifltfott. 

- 3?ad}Dtud wer boten. 

tjojjes .Spiel. 

©on Jfouts (£onperus* 

©uS bem ^oflänbifdjen. 

(gortfe|ung.) 

—-Siena flüchtete burd) bic Valerien, aber bor fich felbft 

formte fie nicht fliehen unb auch nicht bor ihrer eigenen ©ngft. ©uf 
ber Steren Xerraffe begegnete fte bem ©ringen Sbflarb unb ber $er$ogtn 
bon Suca unb hemmte plöpltd) ihren Sauf. „©ber, meine ©erehrtefte, 
welche Aufregung!“ rief ber ©rin$. „Unb fogar Xljränen?" 

„Siena, mein liebet ftinb, warum weinft Xu?" fragte bie ©erjogin. 

„SfidjtS, mirflidj gar nichts, Roheit," unb fie berfuchte §u lädjeln, 
„entfdjulbigen Sie mich, bitte, id) Wollte in ben ©arf. . 

„Um ben ©arf fönnen Sie bod) nicht weinen! . .©nbere Säfte 
famen inbeg bie Xreppe hinauf. „3ft eS wahr, Siena, bab Xu 3h re 
SKajeftät berlaffeit widft unb nach Xhracien aurüeffehrft?" fragte bie 
$er$ogin weiter. „£>eute Vormittag fagte Sh** SJtejefiät fo StwaS?" 

„SS wäre nicht unmöglich, ^erjogin .. . ©ber bitte, entfcbulbtgen 
Sie mich jefct.. Unb wie ein fcheueS Bögelchen floh fie weiter, bie 
Xreppen hinunter, an ben blüljenben Magnolien borbei. 

(Sin Schwarm bon Säften ^atte ftch um bie £>erjogiu unb ben 
©ringen gefdjaart. „©tos giebt'S? ©tos giebt'S?" ©on allen Seiten 
ertönte biefer SRuf. 

„Siena geht wa hrfdjetnlich nach Xhracien aurücf. Sie ift gan* 
ber wirrt." 

„Sewib beS Königs wegen," flüfterte eine Xame, „fie wirb fort= 
gefd)icft." 

„XeS Königs wegen?" fragte ber ©rinj. 

„3a, beS ftönigS wegen . .Sangfam jerftreuten fie ftch ffüfternb 
über bie Xerraffen, aber Siena lief weiter burch ben ©arf. Unter ben 
üppigen ©aumgruppen, burd) ben Drangengarten irrte fie einfant bahin. 
Unb bie Sanbfehaft lag in ber grühüngSluft wie eine 3bt)He, Wie eine 
Strophe auS einem Sebid)t. Unb brüben behnte fid) baS 9)teer, weit 
unb füll. 3wei weifee Segel tauchten in baS SBaffer wie bie glügel 
großer ©ögel unb hoben fid) bann wieber im SBinbe. SKübe, oerftört, 
niebergefchlagen warf fich Siena in baS SraS, bie Ster$tffen unter fich 
fchottungSloS fniefenb. Sttit ihrem ber$errten Sefidjt, $itternb am ganzen 
Körper, fchaute fie nach ben Seglern auS. Xie ©fumen ringsum er= 
füllten bie Suft mit ihren betäubenben Xüften, unb bie Sebanfen beS 
armen ÄinbeS flogen weit fort über bie blaue ©3eite hinaus. Stech nie 
hatte fie in ihrem ruhigen, unbebeutenben lleinen Seben folche ©e= 
ftiirjung, folcheS Slenb empfunben. S?te gebacht, grobe Xinge würben 
jemals ihr Xafein berühren. SÜd)tS, als bab fie am |>ofe ber Oers 
bannten Königin immer fo weiter leben, fpäter vielleicht heiraten würbe, 
wenn eS fein mübte unb bie Königin eS wollte, unb bab ft* ftetS in 
bem groben Seben flein unb unfeheinbar bleiben werbe. Xer $önig ... 
ja, fte liebte ihn mit ihren füblidjen Sinnen, bie halb fchlummerten 
unter ihrer hülflofen ©nmuth, bie feine Schönheit war. Sie liebte ihn, 
unb er hohe ihre Siebe erobert burch bie S)tifd)ung oon ungeftütuer 
Änabenhaftigfeit unb Sftännlichfeit, womit er fie beherrfdjte, als mübte 
eS fo fein. SBäre er ihr gegenüber niemals wilb unb brutal gewefen, 
bann hätte fte ihn vielleicht nie geliebt. Sie war eine fdjwad)e Stetur, 
bie ber ftärferen fich unterorbnete unb fie in ihrer einfachen, offenen 
Seele bewunberte. Unb fie bacfjte gar nicht nad) über ihre Sefühle. Sie 
hätte bem ßönig feinen lub oerweigern fönnen, unb wenn fie auch 
wubte, bab ein Sfläbdjen begleichen nicht thun barf. Sie badjte nicht 
tief, analpfirte nicht. Sie wubte nur, bab fie ben $önig heimlich liebte. 
Unb niemals hatte fie eine Hoffnung genährt. Sin $ub, ben ihr ber $önig 
in einem ©ugenblitfe brutalen UebermutheS geraubt, war ihr größer 
Stolj. SJtehr hatte fie nie gehofft ober erwartet; fie wubte ja, bab er 
bie ©rinjeffin oon Sühnen heiraten wubte ber ©olitif wegen unb weil 


Steifer Dthomar bon Siparien eS wünfdjte, — unb baS Stiles hatte f« 
ganj natürltdj gefunben. ©bei; nun bie Ungufriebenheit ber fönigm 
©lejanbra, ihre hingeworfenen ©Sorte, ihre ©itte, Siena möge in $** 
funft ben $önig meiben! . .. ©toljl war fie bumm, ein tljöTühteS' 
SKäbdjen, eine fleine fdjlichte §ofbame, bie gar nicht begriff, warum 
©üabimir bie ©rinaeffin oon 3üh r ten h«rathen müffe, aber ebenfo wubte 
fie wohl, waS Siebe war unb bab her £önig fie liebte. Niemals haü« 
fie baS hoffen fönnen, niemals, aber wenn eS fo war, bann war eS ein 
grobes Slütf! Unb fte lächelte burch Xhräneit. 3a, bann war eS.ern 
grobes Slücf. Xer föntg fte lieben .. .! Sfauben fonnte fte eS noih 
nicht. Slber bie Königin oerficherte eS ihr, unb bie Königin wubte SllleS, 
SllleS! Slber wenn ber Äönig fie liebte, oorauSgefefct, bab bem fo wäre, 
bann ... er war ber ftönig unb mächtig unb fonnte SllleS... 3Benn 
ber Äönig fie wirf lieh liebte, bann brauchte fte ihn nicht aufougebeit jn 
Sunfien ber ^rinjeffm Oon 3Üptien. 5Benn ber Ä2mig fte liebte... 
warum bann bie ©rinjeffut? . .. Um ber tßoiitif, um beS ÄatferS 
Dthomar willen? Stein, baS fonnte fie unb wollte fte nicht: ihren 
$Öntg, ben fte liebte, um ber Sßolitif willen aufgeben, um StmaS, baS 
fo unbeutüch, fo unflar war. SBlabimir war hoch auch ein gürft, aber 
auch mächtig, wenn auch $aifer Dthomar noch Oiel mächtiger war. Xoch 
ein gürft lägt ftch nicht bon einem anberen gürften beoormunben. Unb 
Slabimir ganj gewife nicht! Sie lachte bei bem Sebanfen. 3hn auf* 
geben, wenn er fie liebte? Stein, nein, niemals! 

Starf bufteteu bie Sfarjiffen um fte her, unb ber Xuft rief fte ju ftch 
felbft jurücf. Sie erfdjraf üor fich Tclbft r Oor ihren eigenen ©ebanfen. 
D, wenn bie Königin wüfete, an waS fie bad)te! ... Sie bebte Oor 
ihrem eigenen Ueberntuth. Stein, bie Scbanfen waten ihr hoch, ju 
unerreichbar; fie berurfachten ihr Schwinbel. Xer Xuft ber S?ar^ifjen 
machte fte ftanf, erregte ihre Sterben. Sie wollte nach femtfe. Sti 
einer Stunbe würbe bie Königin ihrer bebürfen jur Xheegefeöfchaft. 
Unb fie mufete nod) Xoilette machen. Sie ftanb alfo auf unb ftrirf) 
ftch bie £>aare auS ber Stirn; ihre Singen waren leidjt geröthet bom 
^Seinen. Söie unorbentlich fte auSfah! 3h^ SBangen glühten, ihr 
£mar war jer^auft, ihr weißes ^leib bom Srafe befledt. SSenit fte nur 
S^iemanb in biefem 3 u f*onb begegnete .. . Sie begann bie £>änge hin* 
auf ju ftünpen. SS machte fie gaitj athemloS. Xoch beeilte fie ftch. 

„Siena!" Sie glaubte eine Stimme $u hö^n, aber eS mochte 
wohl ein Schäfer fein, ber in ber gerne $u feinem ftunbe fprad), unb 
fo bliefte fte fich betm nicht um. „Siena, Sletta! . . ." S3ar baS nicht 
ihr Slame? Sie blidte fich um unb fab ben Äönig, ber ben Söeg hiw 
auf eilte, ber juttt Straub führte. Sie erfcbral heftig, ihr ^>er$ pochte 
laut. Unb als hätte fte niemanb gefeben unb nichts gehört, lief fte 
weiter, immer fthneüer unb §ö^cr. 

„Siena, hötft Xu mich nicht?" rief er ihr nach, unb wie eine 
brobenbe Sefahr fam er ihr immer näher. 3h re wanften, fte 
fonnte nicht weiter. Sie blieb fteben unb er rief ihr ju: „©aruin 
thuft Xu, als hörteft Xu mich nicht?" 

„Sttajeflät, wirf lieh ..." 

„5SaS fagft Xu ba?" Sfun war er ihr gaitj nahe, unb fchimpfte 
fie auS, holb ernfthaft, fyalh im Scherg. ©ber fte war plöfelitb fehr 
ernft geworben. 

„3cb bitte Sie, SKajeftät," flehte fie ihn an, „laffen Sie mich 
allein ... 3h re SRajeftät will nicht..." 

„SBaS will 3hre Slfajeftät nicht?" 

„3hfe SJfajeftät will nicht, bafe ich noch mit 3hnen jufärnmen Bin, 
unb ba {3 ich ©ie beim- Sternen nenne .. . unb noch f° oieleS Slnbere.. 

„So? baS will 3hre SJfajeftät nicht? 5>at fte. Xir baS gejagt T 

„3a, unb auch • • • bafe .. . bab eS beffer wäre, wenn .. . wenn ... 
ich nicht mehr mit Surer SJtejeftät fpräche." 

„Unb wefehalb nicht?" 

Sie würbe feuerroth, benn im Snnerften empfanb fte bic ^crrlwöc 
greube, bie biefe grage in ihr weefte. ©ber fte wubte nichts $u ant' 
Worten unb wagte auch nicht ju fagen, bab & nm beS MferS Sßrinjefjin 


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Nr. 21. 


$it ö&egnttDart 


333 


oon Sß^rien unb ber Sßotitif mitten fei. ©ie fam jept fieg felbft fegr, 
fegr wichtig nur, unb in igretn ©eficgtcgen erfcgien ein feierlicher Srnft. 

„SluS oerjcgiebenen ©riinben, Wajeftät, unb cS mufj unS genügen, 
baj$ 3h* e Wajeftät eS wünfdjt. 3$ bin bon Shrer Wajeftät abhängig, 
unb Sie als 3h™r Wajeftät ©ogn. . . fottten bie ©efügle 3h^r 
Wajeftät ehren/' 

„©o, finbeft ©u baS? ©ag' mal, (Siena, ©u bift wirflieg impo* 
fant geworben. SBo gaft nur ©eine ©gronrebe ger? Slber ich 

fümmere mich nicht um ©einen feierlichen ©on, mein liebes Äinb. Unb 
eS f(habet ©ir auch nichts, wenn id) mal ein wenig mit ©ir fcgerge." 

„Wir nicht, Wajeftät: aber 3bnen." 

„Sich waS, höre /auf mit ©einer SBeiSgeit. SBaS fcgabet'S mir? ... 
©u bift berrücft! Ober finbeft ©u bietteicgt auch fegon, bafc ich ®i* 
ben Äopf berbrege?" 

©ie fliegen nebeneinanber weiter. „Slber, Wajeftät, natürlich nicht/' 

„Ober glaubft ©u etwa, ba& ich mich um WamaS ©efdjwäp 
fümmere? ©ie wirb alt unb fcgwacg, gang einfach 1 /' Siena erfchraf. 
„Ober barf ich etwa nicht mehr fagen? SSittft ©ü auch fchon 
anfangeu, mir bor^ufcgreiben, waS ich thun unb taffen fott? $8emt & 
hier auf Surer 3nfel fo langweilig wirb, bann geh' ich fort, görft 
©u? . .. 3<h habe fchon bie gange ©efcgicgte hier fatt." 

3a, fie fah eS, er war berftimmt, ben ©on feiner Butter unb 
nun auch uoch (Siena mit ihrem ©cgulmeifterton! ©o ein Äittb ...! 
Sr fönnte fie gerbredjen, wenn er fie ein wenig fefter umarmte, unb 
ba förberte fie eine SBeiSgeit gu ©age, baß man babei einfchlafen fönnte! 
©aS wollte er ihr aber fchon gehörig auStreiben . /. Unb er fegob 
feinen Slrm in ben ihrigen unb fo rannten fie gufammen 'hinauf. 
(Siena war fchon atgemloS bor Srmübuug unb Erregung. 

„©erfiegft ©u mich?" tief er unb fcgiittelte fie am Sinne. „3cg 
gehe einfach fort, wenn ihr Sille fo langweilig fetb, unb laffe euern ©all 
im ©tieg." 

„Sich, nein, Wajeftät, baS wäre hoch gu fchabe." 

„92un bann fei lieb unb gieb mir einen Äu&." 

„Stfein, Wajeftät, nein . . . unb ich muh fort; eS ift fchon fpät 
unb 3b*e Wajeftät.. ." 

,,©ieb mir einen Äug! fage ich ©ir!" (Sr hielt fie feft, unb fie 
mugte ftehen bleiben. 

„Wajeftät, Wajeftät!" 

„©cgnett!" ©ie fügte ihn; er lachte laut auf unb ge eilten 
weiter. ,,©u haft mich boeg ein wenig lieb, nicht wahr, Siena?" 

„©ewig, Wajeftät." 

„©Jollen wir ©eibe buregbremten, Siena?" 

„Sieg wie fönnen ©ie nur fo etwas fragen?" 

„©aS ift fein ©egerg." 

„Stfein, icg will mit 3huen niegt buregbrennen!" rief fie lachenb. 
„Unb waS würbe bann aus ber ©ringeffiu bon Sßgrien, wenn wir baS 
tgäten?" 

,,©ie laffe icg einfach fipen." 

„Weinetwltten?" 

„3a, ©einetwillen." 

„3*pi fönnten ©ie mir boeg wirflieg ben Äopf berbregen, wenn 
icg nidjt gar fo bemünftig wäre.". 

„Sfun, fo lag micg'S tgun!" 

„Sieg, Wajeftät, bitte, wir wollen jept weiter!" ©ie waren in ben 
Orangengain gelangt, bon wo man fegon bie weigen ©erraffen beS 
©cgloffeS bureg bie ©aumgruppen fegimmern fag. 

„©erfteg' mieg, Siena: icg laffe ben gangen ©lunber im ©tieg, 
unb wir geiratgen." 

„Sieg, Wajeftät, ©ie galten mich immer gum ©eften." 

„SBeig ©ott, icg gälte ©icg niegt gum ©eften. Unb geiratgen tgue 
itg ©icg, benn icg tgue waS icg will!" 

©ie antwortete niegt megr. ©ie war gang rotg geworben; eine 
ungefannte, heftige Srregung, ein freubiger ©tolg Heg igr §erg Hopfen 


bis gum 8 e rfpringen unb umwölfte igre ©ebanfen. Unb gleichzeitig 
fiel igr auch etar mie fpät eS fegon fei — fegon läutete bie ©locfe gum 
elften Wale — unb bag bie Äönigiit fte erwarte. „ 3 dj bitte ©ie, 
Wajeftät, gegen ©ie einen anberen SBeg! ©onft fiegt man unS gu* 
fammen unb ..." 

©timmen gattten auS bem ©arten herüber, unb alle begerrfegte 
bie beS ©ringen Sbgarb. Unb SBfabimir bog in etne ©eitenaüee ein, 
Siena in eine anbere. ©ann eilte fte in'S ©cglog unb fcglicg über eine 
©eranba in igr $immer, & Q 3 neben bem ©emaeg ber Äönigin lag. 
©ott fei ©anf, eS war noch niegt gu fpät: fie gatte noeg gegn Winuten, 
um fieg untgufleiben. Unb nerböS gaftig gog fie fieg um. ©o ftanb fie 
mit bem offenen $aarba, um eS neu gu orbnen, als plöplicg fteg bie 
©güre öffnete, ©ie Äönigin ftanb auf ber ©cgwette unb igre getrlicgen 
Slugen blipten. ,,©3arum bift ©u fo fpät?" 

„Wajeftät. . ." 

,,©u warft mit bem Äönig gufammen." 

„Wajeftät, icg begegnete bem Äönige gufättig, unb ba brang ©eine 
Wajeftät in mieg ... 3 cg gäbe ©einer Wajeftät foeben gefagt, bag 
Sure Wajeftät..." 

„©u tguft niegt, waS icg ©ir befegle. ©leicg nach bem ©all mugt 
©u naeg ©graclen gurücf." 

©ie Äönigin war oerfegwunben, noeg ege Sletia ein entfcgulbigenbeS 
SBort geroorbringen fönnte. Sinen Slugenblicf war fie beftürgt unb im 
©egriff, in ©gränen auSgubrecgen. Söilb ftürmten bie ©ebanfen in 
ihrem £>itn, unb babei würbe fte Oon ber Slngft gefoltert, mit igrer 
©oilette niegt fertig gu werben. Unb bann, mit einem Wale, fugr fie 
rugig fort, igr fcgöneS .£>aar gu bürften. 9?un gut benn, nach ©graqen!... 
baegte fte wie in einer plöplicgen Singebung. ©er Äönig würbe ja auch 
nid)t auf ©ajroS bleiben! (fjortfepung folgt.) 


Jtn$ bet ^auptfiabt. 


Oer ftarke Ülantt. 

SgrgfoftomoS ©cgulge war in jener Qeit gur ©Seit gefontmen, ba 
bie brutale Sifenfauft ©iSmarcfS centnerfcgwer auf ben beutfegen fianben 
laftete unb jebe freigeitlicge Regung, jeben lenggaften Sluffdjwung germa^ 
nifeger Sultur, jebe ©etgätigung inbioibuetten Uebermenf^entgumeS un= 
möglich maegte. Unb baS war fegabe, weniaftenS im gatte SgrgfoftomoS 
©cgulgenS. 3hm gatte bie Sfatur ©aben befonberer Slrt in bie SBiege 
gelegt, Oor Sittern eine felbftftcgere, unerfcgütterlicge ©reiftigfeit, an beren 
alängenber ©etgätiguna ign nur bie Wiggunft beS oben egarafterifirten 
^riebricgSruger ©ewaltgerrfcgerS ginberte. Sr war ber ftarfe, wenn 
aueg niegt intelligente Wann, ben ein fpätereS, aufgeflärteS Sagtgunbert 
fegnfucgtooll gerbeiwünfegte. SS gab feine Slufaabe in ber ©Belt, feine 
Slrbeit, ber er fidj niegt gewaegfen wu&te. freilich badgte er nie baran, 
fieg einer folcgen Slrbeit aud) wirflieg gu untergiegen; igm genügte eben 
bie überragenbe Smpfinbung, SlfleS gu fönnen. ©ein Söagemutg war 
ognegleicgen, gerrlicg wie fein ©elbftoertrauen. gür ign gab eS feine 
Slutorität, unb ba er auf allen ©ebieten menfcglicgen SBiffenS gleich un« 
unterrichtet war, fo füglte er fieg auf allen in gleicher SBeije gu £>aufe. 

SgrgfoftomoS ©cgulge wartete gebulbig, bis feine* Summen 
war. ©ie Sntlafjung ©iSmarcf'ö unb ber ©eginn beS neuen ÄurfeS 
gaben igm baS ©ignal, in'S öffentliche Seben eingutreten. ©ropbem 
igm alle näheren ©efannten gerglicg unb gänberingenb babon abrietgen, 
flieg er gelbengaft in'S Sinjägrig=greiwilligen=S{amen, baS er in feiner 
bamaligen, entfcgulbbaren Sfaioetät als unentbehrlich für bie ftaatS= 
männifege Saufbagn anfag. ©Jenn eS igm nun aueg niegt gelang, biefe 
erfte unb fegmerfte Prüfung feitteS SebenS gu beftegen, fo erregte feine 
©ottfügngeit bod) in weiten Äreifen gerechtes Sluffegen, unb fegon ba=‘ 
malS würben ©timmen laut, bie ign, fobalb er fein ©tammlofal betrat, 
ben fommenben Wann nannten. Äaum gäglte ber ritterliche 3üngling, 
in bem offenbar ©raegentöbterblut wallte, gwangig Senge, fo erfanb er 
bereits eine neue ©cgnurrbattbinbe unb baegte an'S geiratgen. Sr 
fegreefte in feinem ©Jagemutg unb Äraftgefügl nidgt einmal baoor gurücf, 
bag feine SluSerwäglte gwar feinen Dörfer, bafür aber 200000 Warf 
Witgift befag. Seiber gatte baS gfräuleiit einen fcglecgten ©efegmaef unb 
mochte SgrgfoftomoS niegt, fo bag ber Souragirte in feiner ©ergweifs 
lung ben bentbar pgantaftifcgften ©ewetS non Unerfcgrodengeit gab, 
einen ©anb Iprifcger ©ebiegte fegrieb unb fie im SommiffionSoerlage er= 
fegeineu lieg. HebtigenS bewog ign gu biefem geroifegen Siete au^ ber 
Umftanb, bag furg Dorger Sulenburg’S ©falbenlieber unb ber ©ang an 
Slegir gerauSgefommen waren, ©rei 3ögte fpäter gätte er fieg oieueiegt 


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384 


Die töcgentnart, 


Nr. 21 


als ©ilbpauer unb Xorfo=©rgänger, naep weiteren bret 3o§ren als Uui= 
bitter unb Umcomponift Weber’jcper Opern betpätigt. Der ftarfe 
Mann ber 3 u ^ un f t muh eben immer up to day fein, ©prpfoftomoS 
betitelte baS prächtig Dergolbete ©udj mit ben ßinbern feiner bebauernS* 
wertpen Muje „©elfter, bie icp rief", offenbar mit höflicher unb apnungS« 
Doller ©egugnapme auf jenen ©oetpifcpen 3 au ^erle^rling, ber auch bie 
©eifter, bie er rief, niept loS werben tonnte. ©prpjoftomoS patte 
baS ©ucp anonpm erfepeinen laffen, was Döüig unnötpig gewefen mar, 
ba fiep boep fein Menfcp um ben Söevfaffer fümmerte; ebenfo wenig ber« 
fucpte 3emaub ben Scpleier, ber um ben 3npalt gebreitet war, gu 
lüften. ©prpfoftomoS fpielte groar wieberpolt in ben greunbeSfreifen, 
bie an feine grofje 3 u f un ft glaubten, auf baS 'Bert an; aber fei eS 
nun, bah feine ©ereprer au acuter Taubheit litten ober bafj fie ipm fo 
biel berwegenen Mutp boep niept gutrauten unb ipn minbeftenS in biefer 
Angelegenheit für einen blaffen Wenommifteit hielten — genug, fein 
einziger pörte auf feinen uneigennüfcigen Watp, fiep bie „©eifter, bie 
id) rief" angufepaffen. Unfer §elb fap fiep gegwuttgen, burep anbere 
Wagniffe unb ftraftbetpätigungen bie Aufmerffamfeit ber leitenbeit 
gactoren auf fiep gu giepen. ©r befuepte griebenScongrefje, riSfirte 
fogar, in einer fortfcprittlicpen ©erjantmlung fortfcprittlicpe Anfiepten gu 
entwicfeln, fiep im „greibenferclub gur ©öttin ber Vernunft" bemünftig 
gu benepmen unb befam bafür natürliep in allen gällen fureptbare 
Prügel, ©enau fo erging eS ipm, als er auherpalb ber Jüprenbett 
©anffreife eine Sammlung für bie pungernben Snbier in'S Wer! fepte 
unb bei biefer ©elegenpeit ber Hoffnung auf ben Sieg ber englifepen 
Waffen bereiten AuSörud berliep.’ Drei Monate lang muhte ber ftarfe 
Mann in ber ©paritä gubringen, opne bah feine ©rwartung, ber WeicpS« 
fangier werbe nun enbliep auf ipn unb feine Wegierungsfreunbliepfeit 
aufmerffam werben, in ©rfüüung gepen wollte. 

Die Anpänger ©prpfoftomoS Scpufgen’S bewunberten ipn weiter, 
gewöpnten fiep aber allmäüg an feine £>elbenqualitäten unb feine 
etfeme Stirn unb hielten eS am ©nbe für felbftöerftänblicp, bafj er 
auS Wütfficpt auf feine ©arrtäre beftänbig fein Sebett auf'S Spiel 
fegte. Man münfepte ipn fcpüeplicp gar niept mepr anberS als 
mit gejcpwollener ©ade unb oerbunbenetn ^interfopf gu fepen; bie 
Damen patten fid) fo an ben ©arbolgerucp, ben er bauernb auaftrömte, 
gewöpnt, bah eS pöcpft unangenepm auffiel, als er einmal ©eilcpeneffeng 
benufcte. Der ©aUpräfibent bat ipn, nie wieber ben öffentlichen Anftanb 
berartig gu oerlepen. ©prpfoftomoS erfannte, bah er eS feiner ©arriäre 
fdjulbig war, Xpaten gu tpun, bie über bie normale ©ronceftirnigfeit 
unb Dicfföppgfeit pinauS gingen, ©r berfapte eine ©roepure, worin er 
bie Wotpwenbigfeit barlegte, bie Xantiemen beS AufficptSratpeS unb beS 
©orftanbeS ber ©ropen ©erliner Strapenbapn A. = ©. gu erböpen, baS 
©epalt ber Wagenfüprer aber entfprecpenb perab^ufepen. Seiber fanb 
aud) biefe Seiftung niept ben erwarteten Anflang. Die Direction ber 
©efeüfcpaft fanbte oielmepr baS ManufcrLpt mit bent ©emerfen gurüd, 
bap eS gwedloS fei, fie auf einen ©ebattfett aufmertjam gu maepen, an 
befjen Serwirflicpung fie feit jwanjig Sapren raftloS unb erfolgreich arbeite. 

Mittlerweile war im beutjepen ÜteicpStage ber erbitterte Stampf 
um bie lex ^peinje entbrannt. ©S glüefte ©prpfoftomoS, bie einzige 
Petition gu Staube ju bringen unb an baS iöureau ju leiten, worin 
ber Meprpeit beS Kaufes unb ber Regierung ber pingeriffene Danf 
beS SSolfeS üotirt würbe. ^ atte au 4 bieS politifepe Söagnip feine 

Berufung itt’S Minifteriunt, fonbent nur eine pöfliepe Anfrage ber 
fjirma SBarnum & SBailep jur &olge, ob ber ilrpeber ber SBittfcprift ge= 
neigt fei, gegen popeö ©epalt im ©ircuS ber girma neben ben anberen 
menfcplidpen unb animalifdpen Abnormitäten, ber Dame opne Unterleib, 
bem ©fei mit jmei Seinen jc. auf^utreten. ©prpfoftomoS überlegte fiep 
baS Angebot grünblicp, fam aber ju bem ©ntfepluffe, eS ab^ulepnen, 
ba gürft ^openlope wegen, feines DaueraufentpalteS in Alerft, Sabe 
Saben unb ^ßariS boep nie naep Serlin unb bem ©ircuS am Äurfürften^ 
bamrn fommen, alfo auep ©prpfoftontoS niept entbeefen tonnte. Mit 
biefen traurigen ©rwägungen bejepäftigt, luftwanbeite ber trop aHebem 
feineSwegS ©ntmutpigte im Stabtparfe. ^löplicp fap er auf einer San! 
einen öornepm gefleibeten ©entleman fipen, mit jplipSlofem Saumwoüpemb 
unb auffatlenb poper Müpe, ber anbäcptlg in ein fcpwer oergoIbeteS 
Sucp bliefte. Qepn Sdjritte pinter bem Oornepmen gremben ftanb in 
bemütpiger Haltung ein miitbig auSfepenber, älterer ^>err mit glatt 
rafirtem ©efiepte, offenbar fein Sieibbiener. Stürmifcp flopften bie ^iulfe 
beS ©ppfoftontoS Scpulje, feine breite Sruft pob fiep, unb Dpränen feliger 
Stpöpferfreube glänjten in feinen Augen. Der oomepnte §err laS in 
ben „©eiftern, bie'icp rief". 

©ine geraume 2Beile umffriep ©prpfoftomoS ben gremben, ben er 
mit oerliebten Sliden betrachtete unb boep niept im reinen £>ocpgenuffe 
ber Seetüre ftören wollte. Sor Sergnügen errötpenb, fap er, bap ber 
aufmerffame Sefer auf jeber Seite nteprere Stellen mit bem Sleiftift 
anfreujte. ©r fämpfte mit fiep, ob er gleich öor ben SÖacferen pintreten 
unb fein 3 nc ognito lüften forite, napm aber fcpliepltcp Abftanb baoon, 
weil er beforgen rnupte, bap ben Anberen oor lauter freubiger Ueber= 
rafcpuitg unb Semunberung auf ber Stelle ber Scplag rüpren würbe. 
So begann er beim, feine wilbe ©rregung müpfatn nieberjwingenb, ein 
parmlofeS ©efpräcp mit bem netten $ernt, unb fobalb eS fcpidlicper 
SBeife gefepepen fonnte, fragte er peudjlerifcp naep bem Xitel beS „ati= 
jepeinenb fo ungemein intereffanten SudheS". 

„©S ift ein DtecenfionSejemplar, icp pabe eS mir auSgeltepen," 
fagte ber grembe, als wollte er fiep entfcpulbigen. „UebrigettS pabe icp 


feiten fo etwas oon unfreiwilliger Sfontif gelefen. Steine Sette opne 
übermenfcplicpe Dummheiten! ©S ift ein 93ucp, baS, opne unjücptig $u 
fein, burep feine Albernpeit boep baS Scpamgefüpl jebeS Menfcpen grÄ= 
itdp oerlept." 

©prpfoftontoS war fepr bleicp geworben. „Unb fonft, meinen Sie, 
befäpe baS 3Bert {einerlei SSorjüge?" 

,,©S fdjeint preiSwürbig gu fein," entgegnete ber Anbere. „Ater 
eS tauft, pat gut unb gern ein ganzes 3<tp* öaran $u lefen; eper fomnn 
er niept burep, weil er fkper naep jeber palben Seite entfcplummert." 

„So jäpleit Sie biefe Serfe ^u ben Schlafmitteln?" 

„3a. Aber niept ju ben angenepmen." 

„$err!" braufte ©prpfoftomoS auf. „Sie werben baS jurüdnepmen! 
Denn wipen Sie, icp bin ber Dicpter! Unb wenn Sie mir feine ©pren- 
erflärung geben, paue icp Sie ju Sörei ~" 

„Aa^bem icp 3Pre ©ebiepte gelefen pabe, fdpredt miep audp baS 
fureptbarffe Sepidfal nt^t mepr," geftanb ber grembe mit eblew greimuth. 

©prpfoftomoS bezwang fiep, mit 9tüdficpt auf ben 2eibbienec im 
^intergrunbe. „3cp fap Sie einzelne Stellen in meinen Siebern am 
ftreiepen?" 

„©ewip. 3cp erlaubte mir fepon ^u bemerfen, bap bie ©ebiepte 
iprer Miferabiütät wegen baS Scpamgefüpl jebeS gebilbeten Menftpeit 
gröblich oerle^en, opne unjüeptig ^u fein. 3«P werbe baS 93uep bem 
iKeiepStage als Material überfenben." 

„Alfo ein Denunciant finb Sie auep?" fragte ©prpfoftomoS erbittert. 

Der grembe jupfte an ber Stpnur beS AaumwoÜpembeS, baS 
feinen Körper farbenbunt umfpann. „Sie würben niept fo fpreepen, 
wenn Sie wüpten, wen Sie oor fiep paben. ©S ift gerabeju meine 
etpifepe ^flicpt, baS 3uft<mtefommen eines ©efepeS ju förbem, baS..." 
©r bratp jäplingS ab. „9?ein, iep will niept in ben 9tuf eines eitlen 
©eden geratpen. 3 ^P pabe beriet IReclamerebereien auep niept nötpig. 
Atenn mau ftdi," unb ber bornehme ^>err warf bei biefen Atorten läffig 
baS ©aupt jurüd, „eines AleltrufeS erfreut, wie icp, wenn man aleiep= 
fam bem ganzen IHeicpStage Directioen giebt unb feit 3 a Pren öon 3^= 
mann, |)open unb ©eringen, genannt wirb, bann ... pap!" 

©prpfoftontoS erfepraf. ©r patte augenfepeinliep eine etnfluprekpc 
^erfönlicpfeit bor fid) unb war im ©egriff gewefen, fte fcpwer ju be= 
leibigen. „C>aben Sie Mitleib mit mir," fiepte er. „Seit 3upten be* 
reite tep miep auf bie Nachfolge ^popenlope'S bor. 3«P bin nämlich ber 
ftarfe Mann, naep bem erft neuliep baS AbgeorbnetenpauS berlangt pat; 
ben erforberlicpen popen Mangel au SnteHigenj fann iep jeber 3eit natp= 
weifen. Atenn Sie nun bie ,©eifter, bie id) rief 4 , bem ÜteicpStage bor= 
legen, oerberben Sie mir rettungslos bie ©arrtöre, ftürjen miep Don ber 
müpfatn eiflommenen ^öpe in bie s J?acpt beS ©ergeffenS ptnab, maepen 
mid) unmöglich im Sanbe —" 

„38aS 3P^e SttteHigenj anbelangt, fo finb Sie wirfliep ber ge* 
wünfepte ftarfe Mann," entgegnete ber grembe, bebäeptig feine weiepe, 
pope Müfce jureeptrüdenb. „Dagegen bezweifle icp naep ben ©roben, bie 
Sie mir eben gaben, bap Sie auep über bie anberen notpmenbigen ©tgen- 
fepaften beS fommenben fiarfen Mannes oerfügen, fo über poepgrabige 
Unucrfrorenpeit unb Scpeinpeiligfeit. Sieber greunb, wie tep Sie pier 
bor mir fepe, palte icp Sie für bie Stellung, Me Sie anftreben, noep 
für $u jung unb oerfepärnt. 3 puen feplt offenbar noep bie ©ourage jur 
auSgefeimten |>eucpelei." 

„©rlauben Sie!" rief ©prpfoftomoS entrüftet. „Sie glauben ja 
gar niept, waS icp im Seben fepon ^ufamniengefcpwinbelt pabe! Mein 
ganges Dafein ift eine einzige ©erfteüung. 3« biefer ©egiepung neptne 
icp eS mit 3^bem auf, mein bereprter §err — £>err —" 

^ 4 >einge ift mein Warne. 3<P befinbe ntid) augeublidlicp auf Ur= 
laub. Sie wiffen ja, bah eS mobern geworben ift, Strafgefangenen, bie ftd> 
gut füpren, SonntagS=Urlaub, aflerbingS noep opne ^pauSfeplüffel, gu geben. 
ÜDpne Ueberpebung barf iep wopl fagen, bap icp bet ©eiepstag nnb Wegie- 
rung etwas gelte, ©erbanft baS ©efep, baS bie Ungucpt ber Äünftler 
unb Dicpter gu oerpinbern berufen ift, niept mir feinen Warnen? Seien 
Sie befjpalb Dernünftig, junger Mann, Dergiepten Sie auf übertriebene 
^ünfepe, unb icp werbe Sie meinen parlameutarifepen greunben empfeplen. 
Sie wiffen, ©uepfa wadelt fo wie fo. AMr brauepen balb einen neuen 
©olonialbirector, ber abfolut nieptS Don ber Saepe Derftept. Unb baS 
tpun Sie boep?" 

„©oll unb gang," rief ©prpfoftomoS mit Uebergeugung. 

„Sie finb alfo gum ©olonialbirector gerabegu geboren," fagte ber 
grembe, fiep bie £>äitbe reibenb. „Mit ben ftarfen Männern bagegen, 
Me fiep um Me pöperen Stellen bewerben, fönnen Sie jegt noep niept 
concurriren. Der Mann ba, bem iep auf fein inftänbigeS ©Uten erlaubt 
pabe, fiep mir angufcpliefjen, weil eS ipn fo mäepttg gu mir plngog" — 
^>err £>einge wieS bei biefen Alorten auf ben ptnter ipm ftepenben, 
refpectooüeu ©lattrafirten —, „ber Mann ift bebeutenb ftärfer als Sie, 
aber meines ©racptenS auep noep niept etngeteufelt genug." 

„SSer ift eS?" fragte ©prpfoftomoS. 

„Sie werben Don ipm gelefen paben. grtbolht Knittel, fatpolifeper 
©farrer a. D. ©r muhte Dor mepreren 3 a Pr eit wegen unfagbar ge« 
meiner unb ungücptiger ©anblungen, bie er mit einer noep niept Mer* 
gepnjäprigen Scpülerin Dorgenommen patte, naep ber Sepweig entfliegen. 
Württemberg wollte ben ^aßunfen auSgeliefert paben, ba fprang biefem 
Scpweineferl — baS Wort ift ja parlamentarifcp geworben — ein fatpo* 
lifcper Swrift bei unb rettete ipn mit einem WecptSgutaepten, baS bie 
Auslieferung auS formalen ©rünben nnmögliep nannte." 


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Nr. 21. 


Die töegenroart 


335 


„Vfui Xeufel!" fcprie EprpfoftomoS. §err C>ctn^c tonnte ipn niept 
jur Drbnung rufen, ba auep biejeS SBort jum parlamentarifcpeu ©prad)* 
fdjaße gefcplagen roorben tft. 

„3a, unb maS bie .frauptfadje ift — ber betreffenbe £>err DfecptS* 
gutacpter roirb peute im VeicpStage eine pißige, eine fulminaute unb 
jeben DBiberftanb nieberfcpmetternbe SHebe für bie micp Dereroigenbe lex 
palten, für bie Verfolgung ber 3 ucptlofen Vörflinbilber, ber Diömijcpen 
Elegien unb aller fcufünftigeit ©ittenftütfjcpreiber. ©ie fönnten eS fiep ja 
beifaüen taffen, bie £>elbentpat meinet bie föinber unb bie ©cproei 3 
liebenben greunbeS Sxibolin Änittel 3 U bepanbeln." 

EprpfoftomoS ftarrte Dernicptet ju Voben. „^erfelbe £>err, ber baS 
befreienbe JHecptSgutacpten auSarbeitete, fpricpt beute für bie lex £ein$e?" 
fragte er nach einer langen $aufe. „“Sann aßerbingS . . . bagegen 
fomme iep mit meinem bifedjen Souvage niept auf. 3>enn baju gepört 
ein Dftutp. . . Vor biejem ftarten s U?anu muß felbft iep miep beugen." 

(Eimon b. 3 - 


Don btn großen ßerliucr Sommer-lunftansfiellnngen. 

i. 

Plus 9 a change — plus 9 a la meine chose. Sin alter Vers 
llner er^äplte mir neulicp, rote eS einft, üor ein paar 3 apr 3 epnten, nur 
alle jmei Sapre eine fogenannte „große" $unftauSftellung gab. Unb 
in ber $roifcpen 3 eit, ba roaren ja aitcp nur ein paar „©alonS" Dor^ 
panben, mit mepr ober roeniger „permanenten" DluSfteflungen baS 
Äunftbebürfniß beS Verliner VubliiumS ju beliebigen, damals be* 
beutete benn auep bie ©ontmer=DluSfießung etroaS. Dftan burfte er* 
roarten, baß fie unS roaS 3 U fagen patte, unb man täufepte fiep niept. 
Ditept bloß neue Vilber gab eS ju fepen, fonbern auep neue itnb jebe 
einzelne biefer periobijep roieberfeprenben Zustellungen mar förmlicp ein 
Ereigniß. Unb peute! DJkpr als ein palbeS $5ußenb ernft 3 U nepmeitber 
©alonS Derfenbet Dom Dftober bis Enbe Dlpril alle brei Dßocpeu Ein- 
labungen gut Vcficptigung einer neuen „DluSftcßung", unb Dom Dttai 
bis jum Dftober, mäpreuD roelcper $eit jubem jenje ©alonS auep nur 
auSnapmSrocife feiern, paben mir bie „große Verliner ÄunftauSfteflung" 
unb feit Dorigent 3apr aud) bie ber „©eceffion" baju. Unb auf beiben 
befommen mir gar noep mand)eS mieber gu fepen, maS DBinters über in 
Den ©alonS auSgefteflt mar ober maS uns Don beit QapreSauSfteßungen 
in anberen großen bentfdjen ftuuftftäbten befamtt ift. s Bie foß man 
ba niept auSrufen: „plus 9 a fchange, plus 9 a la meine chose.“ 3Bo 
joßen fie benn jd)ließüd) perfommen — bie neuen ilunftmeife? 3 n 
einer Qeit jubem, mo, mie iep Dor einem 3apre auSfiiprte, irgertb roelcpe 
ftampfberoegung längft fepon aufgepört pat. Xpatfäcpltcp ftnbert mir ja 
auep jeßt mieber eine ganje Stn^apl Don Vierten in bent DluSfteflungS= 
bau ber „©eceffion" auf Sparlottenburger Voben, bie ebenfo gut im 
„^alaff in Dlit=Vioabtt ipren $laß pätten finben fönnen. Unb um- 
gefeprt. VejonberS fpaßig nimmt fid)'S auS, menn einer ber güprer 
unb VorftanbSmitgliebet* ber „©eceffion" Dorübergepettb auS ipr auS- 
tritt, um feine Vilber in ber „©roßen" auS^ufteßen. greilicp peißt'S, 
er „bürfe" fie nur bort auSfteßen, meil fie im Aufträge beS preußifepen 
©taateS (unb ber ©tabt Dlltona) gemalt feien. $)cm mag fo fein unb 
— unb aflerbingS pätten bie Mettmann'jcpeti DOanbgemälbe für baS 
DiatppauS in Altona im ,,©ecejfionS"-Vau überpaupt gar feinen V^tß 
gepabt. Dlber biefer gormaliSmuS, bat er beSmegen für ein %at)X aus 
feinem Verbanbe austreten mußte, ift unb bleibt fepr fpafcig. 

$>eS ©pa&igen giebt r S auep fonft noep ntancperlei. ®ie „Eröff¬ 
nungen" beiber 9luSfteßuugen merben, mie fattfam befannt, mit einer 
gemiffen geierlicpfeit Doß^ogen, unb $u einer fold)en Seierlicpfeit gepören 
natürlicp auep „muntere Dieben". s Dtan erinnert fiep mopl nod), mie 
$rofeffor fiiebermann bei biefer Eelegenpeit im Dorigen 3 a P re erflärte: 
„3ür unS giebt eS feine aßeiiufeligmacpenbe Diieptuitg in ber Äunft, 
jonbern als Äunftmerf erfepeint unS jebeS Vlerf — melcper Diicptung es 
auep angepören möge — in bem fid) eine aufrichtige Entpfiitbung Der? 
förpert." Unb mie jagte Vrofcffor dotier jüngft bei ber Eröffnung ber 
„©roten"? . . . „Verfdjloffen finb bie DlusfteßungSpaßen geblieben 

nur aßen $)enen, bie nur beute Dom publicum fo gefügte DJiarftmaare 
liefern." — melcp 7 principießer Unterfcpieb beftept benn eigentlich 
jmifepen ben leitenben Dinjepaitungen püben unb brüben? DlUenfaflS 
blot noc P in ben engeren ober meiteren ©renjen, bie man bem Vegriff 
ber „DJiarftroaare" aiept. Unb mie neulicp Siebermann bie „aufrichtige 
Entpfinbung", alfo baS Vetjönlicpe in ber .ftunft betonte, fo ®oner jeßt 
bie „perfönlicpe Eigenart", bie man niept aufjugeben brauche, menn man 
in ben ©alerieu Don alten SJieiftern ju lernen fuepe. Enblicp marb 
auep bei beiben Eröffnungen ben gremben manch' pübfcpcS Eompliment 
gefagt. Dllfo abermals: „plus 9 a change, plus 9 a la meine chose.“ 
UebrigenS fanb ber ^räfibent ber ©eceffion ein treffenbeS SSort. 3d) 
meine niept baS Don ipm citirte beS ^eiligen s ^uguftinuS: „Äunft ift 
für unS, maS bie großen ftünftler gemaept paben," benn eS ift eben 
niept feines, fonbern jenes anbere: „eine jebe $unft pat baS V^licum, 
melcpeS fie Derblent. Dficpt ein na^ficptigeS, fonbern ein einficpligeS 
publicum münfepen mir unS für unfere Veranjtaltung." drüben, am 
Seprter Vapnpofe, piet eS gan^ im ©egenfaße ba^u: „möge unfer Unters 
nepmen mit Dftilbe aufgenommen merben ..." 

3Bie ficp’S für einen gemiffenpaften Vericpterftatter giemt, mütte icp 
nun etmaS ftatiftifcp fomuteu, miitte bie brittepalbtaujenb tfunftmerfe 


ber „©roten" unb bie mehr als Dierpunbert ber „©eceffion" piibfcp 
fäuberlicp nach ©attung, ?lrt unb ^perfunft clajjificireu unb rubriären. 
Zber märe eS aud) gemiffenpaft — einen richtigen hätte eS 

bod) niept. Unb barunt begnüge icp mi(p für biejeS Dftal mit einer 
aßgemeinen Ueberficpt. Einzelnes foß bann fpäter perauSgepoben 
meiben. 

®ie „©rote" macht in biefem Qapre opne einen befferen 

Einbrucf, als im Dorigen. $ie 3utp P^t ftrenger ipreS DlmteS ge^ 
maltet unb menn auep baS 9Bort Don ber gernpaltung „jeglicper DKarft- 
maare" eine Derjeiplicpe ©hP^rbcl unb menn auep DfeueS faum ju ent= 
beefen mar bei ben beiben erften immerpin flüchtigen Dfunbgängen — gan$ 
Unerfreuliches ift mir bod) nur jiemlicp mentg aufgeftoten. Ein be= 
fonbereS gntereffe Derleipen auep biefer DluSfteUung mieberum bie jap U 
reidjen SoflectiD^uSfteflun^en einzelner peroorragenber Zünftler, mie bie 
beS ^oflänberS ©ari DftelcpetS, ber roäprenb feines langen 5lufent= 
palteS in Dlnterifa unb obfepon er feinen SBopnfiß in VoriS pat, bei 
afler unDerfennbaren franjöfifcpen ©d^ulung in DJiotiDen unb Dluffaffung 
boep nie feine |>er!unft Derleugnet; ober Emile SöauterS, ber als 
Velgier nun fepon auep eine SBefenSoermanbtfcpaft mit ben granjofen 
jeigt, unter benen er fo lange bereits lebt. Wtt biefe ©onber4luS= 
fteßungen frember Zünftler fcplieten fiep bie einiger beutfeper an. Von 
ipnen beanfpruepen bie Vilber= unb ©tubienfammlungen Eugen VracptS 
unb £>ugo Vogels, ber u. Dl. auep feine DHerfeburger ©tänbepauS^ 
Sanbgemälbe Dorfüprt, ein erpoptereS Qjntcreffe, meil man eS pier mit 
einer tiefer gepenben ßennseiepnung einer fünftlerifcpen Verfönlicpfeit 5 U 
tpun pat, maS fiep Don ben DluSfteßungen Don 3^ m ^cl ©enß, V a ^l 
Vorgang, jum Speil auep Don Di'ummelSpacper meniger behaupten 
lögt, roäprenb ber alte DSroalb Dlcpenba^ mieberum auep auS früperen 
3aprgängen groben bietet. Dbfd)on bie plurige DluSfteßung feine tnter* 
nationale ift, paben fiep boep, troß beS großen DBeltjaprmarftS in VariS, 
auep bie IHinftler frember Sänber ju größeren ©ruppen=DluSfteßungen 
bemegen laffen. DfamentUep bie (^canbinaoier fmb reept japlreiep er- 
fepienen, ©epmeben unb 2)änen; manep' DfeueS ift mir ba aufgefaflen, 
obfepon iep bie leßten größeren DluSfteßungen biefer Äünftler in iprer 
5>eimatp gefepen pabe; aber auep einige Dielgereifte — foß iep fagen 
$arabeftücfe ober Sabenpüter? — unb Derfcpiebene Vilber auS borttgen 
©taatSgaflerien. Dlucp bie Velgier unb ftoflänber geigen rege Vetpeiligung 
unb eine größere Dlnjapt Don granjojen pat eS ermöglicht, troß beS 
„©alonS" unb ber Dcrfepiebeneu anberen DluSfteflungen ju V^nS, auep 
für Verlin Einiges übrig $u paben. Mitunter ift'S freilich auep banaep. 
®ann fommt bie Dritte DluSfteflung beS „ VerbanbeS beutfeper Sßuftratoren" 
pm^u, bie DfeueS natürlicp nieptS jagt, fommt bie .froepflutp Verliner 
Äunftbefliffener, fommen bie ®üffelborfer, bie mit Otto ^eiepertS 
„VeteranenDerfammlung* eines ber beften Vilber ber ganzen DluS= 
fteßung beigefteuert paben, bie „Dliüncpener Äunftgenoffeujepaft", bie fiep 
nid)t jonberlid) angeftrengt pat, u. f. m. ©efcploffen finb anbere beutfepe 
5tünftlergruppen biefeS DJtal niept aufgetreten unb bie Defterreicper feplen 
noep. „D?ur immer langfam Doran" — fo peißt'S ja im alten Siebe. 
Dlrepiteftur unb Äunftgemerbe — im ©anjeit perjlicp unbebeutenb; 
©culptur — nun baS übliepe Vorperrfepen ber ftaatlieps monumentalen 
DluftragSfunft unb ber Dortpeilpaften Vüften^DKobeflirung; immerpin aber 
pier unb ba eine erfreuliche Ueberrafcpung auf bem ©ebiete ber $lein= 
funft, bie ben Uebergattg jum ^unftgemerbe bübet. Eines ift fepr er= 
freuliep bei ber bieSjäprigen „©roßen". $Ran pat fiep beim „Rängen" 
Diel ^Dtüpe gegeben. i)aS national ober fepulmäßig 3 u f a,nmen g e hörige 
pat man pübfcp bei einanber placirt: jur greube ber Herren Ä'ritifer 
unb jur Veleprung beS VublifumS. Dfur pier unb ba 'mal eine Siegel 
Don ber DluSnapme; bann nimmt biefe fiep aber auep auS, mie irgenb 
ein aufgefeßteS Sicpt, mie ein „dernier coup de pouce“ auf einem 
Vilbe: baS ©an$e beS EinbrucfeS biefeS ober jenes ©aaleS rotrb baburep 
enlfepieben gepöben. 

©anj anberS mar baS ©pftem ber Herren Don ber „©eceffion". 
DlfleS funterbunt unb roiflfürlicp burepeinanber gepängt. DIuSfteflungen 
finb aber boep niept bloß für ben fpbaritifcp genießenben feineren Shinft= 
Derftanb beS DKäcenS unb ©ourmetS ba. Unb anbererfeitS pat boep 
auep gerabe baS feinfte 3)iner feine rooplabgemogene ©peifenfolge. ' $ier 
aiebt's ein fortmäprenbeS ©erenue unb ©etpue, miß man eine rieptige 
Vorfteflung Don ber Verfönlicpfeit biefeS unb jenes MnftterS geminnen. 
DJlancpe 3 ufammenfteflung ift aan 3 raffinirt; manep anbere minber 
gliidlicp. s Dian benfe fiep 3 . V. SaDerp unb Siebermann, DBpiftler 
unb Eorintp jufammen in einem fleinen ©aal, ober Nobler neben 
Vrangmpn. Diiept einmal bie 6 auS ber ©cpleißpeimer ©aflerie ent^ 
liepeneit ©emälbe beS 3 U früp Derftorbenen unb bei Seb 3 eiten fo menig 
Derftanbenen §anS Don DftareeS, bie bie ^great attraction“ ber 
DluSfteßung bilben foflen, pat man beifammen gelaffen. 2Bir müffen 
unS biefe Vilber in brei Derfcptebeneu Dfäumen 3 ufammenlefen . . . . 
©ei)t man aber auf'S Ein 3 elne ein, fo giebt’S aßerbingS Diel ©epenS* 
meitpeS, geffelnbeS Don ca. 110 beutfepen Zünftlern, Dornepmliep Ver= 
linern unb DKüncpenern, benen ungefäpr 50—60 fremblänbifepe gegen* 
iiberftepen, barunter aßein gegen 30 gran 3 ofen. 9?ur glaube iep niept, 
baß biefe DluSfteßung angetpan ift, einen richtigen Vegriff Don bem 
heutigen ©tanbe ber „©ecejfionSmaierei" in $eutfcplanb 3 U geben. 9Äir 
feheint aber noep immer, baß baS ber §aupt 3 roecf biefer DluSfteßung 
fein feilte. 

Von ben perDorragenbereit Ein 3 elerfcpeinungen baS näepfte 'U?al... 

, , , 3 - korben. 


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336 


Die Gegenwart. 


Nr. 21. 


Jlngeiaen. 

Sei SrfMhmgen btrufe num |t4 auf btt 
„•rgmtmarf“. 


Urteil 


^ $unbert Ottainal * ®utagten 

W1 * am ^ 44 JL o. frreunb n ffetnb: ©jörafoit 
Wk IH Hl II L IR BranbeS ©fl^ner (IrUpt $a$it 
" * •* n* ■* ♦ Raubet (Sgtbb gfotttatte #rot$ 
$«ee!d ßartmamt #el)fe Jjor* 
tut ban fttpltitg Seoitcabaüo «in* 

bau Sontfrrofo 9Wffc$tfc&er«ft 
i ftigra Vorbau OÜibiet fetten« 
4#¥wit- lofer ©alUburt) ©totfierolcj 
©tmon ©pwteet ©piel&ageit 
li{n« Stautet) ©toeefer ©trtnbberg 

flllll ömirilfir«. ©uttner ©tlbenbntcp »enter 
ßola u. b. Ä. 

Mm. g t%. S SRI. bom Ut*f«§ b«r 6 <ftKt»«rt, 
©erlin W. 57. 


VA« 6^ «'M tAl t^M «/.V* l/.V« «U« 

T I I T i T T I I T I T T 

Gesucht 

wirb ein Hekcteur für eine 
Verlinet grauenjeitung. £ägltcp Vormittags 
brei Vureauftunben. 3 apre 8 gepalt 4800 9Rarf 
unb jährlich zweimal öierje|n Xage teerten. 
Angebote mit Angabe bisheriger SRebactionS^ 
©tettungen unb perfönlicper toie brieflicher 
©cprtftfiefler-Vefanntfcpaften unter U. H. 972 
burep Maasenstein & Toller, A.-G., Ber¬ 
lin, W. 8. 


93ct(ag Don ©MHjeltn |>er% in ©erlin. 

Soeben erfdjien; 

#eorg non Fünfen. 

©in (Efjarafterbilb aus bem fiager ber 
Veftegten, gezeichnet öon feiner Xocpter 

Parle »au Umtfett. 

22 Vogen Oftab. 

SRlt Vudjfdjmucf non ÜRarie non Vunfen 
unb einem Porträt in £>eltograöüre. 
©epeftet 6 3R. ©ebunben 7 


Königliches Bad Oeynhausen. 

** * §llbe$petm. ©ommerfaifonn.15.3Rat 

bis ©nbe ©ept. SBinterlur nom 1. Oft. bis SWitte 3flai. ftnnntttfl: Vaturio. foplenf. Xpermatoäber, 
©oolbäber, ©ool-3npQtatonum, SBeüenbäber, ©rabirluft, ÜRebicomecpan. ganberinftitut, SRöntgem 
fammer, norjügU 9ttolfen= u. Sttilcpfuranftalt. Mtued Xfjermalfabefjau* am 15.Mat 1900rr£|ftct 
3nbt tattonen: ©rfranfungen ber fernen, beS ©epiruü n. Vücfenmarf«, ©iept, SWuStel* u. ©clenl* 
rheumatiSmuS, $erzfranfpeiten, ©froppulofe, Wnämte, thron, ©elenfentzünbunaen, ftrauenlranflj. ic. 
ßurfapelle: 42 9Rufiter, 120 borgen ßurparf, eigenes fturtfpeater, Välle, Monierte, «flgemeinc 
©afferleit. u. ©chmemmfanalifation. fßroff). u. Vefcpreibung überf. frei bie ftgl. Sabet»ern»tltitt|. 

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Manuscripte. 


3ur Verlag^übernabme oon 2Ranu= 
fersten f)iftorifd)er, ^olitifcfier, fd^öntDiffen- 
fdjaftlid)er 2 c. 9iid)tung empfiehlt fiep bie 
Verlagäbucbbonblung ton 

Kicliard Hattier, graunlrtjuiftB. 

(©egrünbet 1883). 


Stottern 

heilen dauernd Dir. C. Denhardt’s 
Anstalten J>readen-I«oschwltz und 
Burgsteinfurt, Weatf. Herrliche Lage. 
Honor. nach Heilg. Prospecte gratis. 
Aelteato staatl. durch S. M. Kaiser 
Wilhelm I auagezeichn. An st. DentachL 


?lfab. geb. ©ctjriftfteüer, bi^b- publicifi. 
(liter. Äritif) in Verlin tpätig, energ. geroiffcn= 
bafte iKrbeitöfraft, öorz- ©pracpfenntnifie (fran= i 
Zöftfcf), englifd)), perfetter ©teuograpb, 
'PlafdiiitenfTreiber (.^arnmonb), fuetjt ntit. 
befd]. Vlnfpr. in fllcDaftion, Xpcatcrfcfrctariat, 
Verl.-Vudibblg., litcrar. 3nftit. ?c. ©teaung. 
Offert, an b. ©fp. b. ©egemoart unt. A. 6. | 

©erantoortltcher Webacteur: Dr. ßoHtng ln ©erlitt. 


3n unferem Verlag ift erfeptenen: 


pic ©egcmuml 

e«bad4rin für Süttarm. »vrt urt Woitlbbt« Mm 


(Scnfffll^tgiflfr 1872 — 1896. 

Grftcr bid fünfzigftrr VanD. 

mt 9?ad)trägen 1897—99. ©eb- 5 Jt 
©in bibliograppifcbesS 5Öerf erften 
9 ?ange§ über ba§ gefammte öffentliche, 
qeiftige nnb fünftlerifcpe Seben ber leftten 
3 obfe. 9?otptuenbige§ 9iad)fd)lagebucp 
für bie öefer ber „©egemoart", fotoie 
für loiffcnfctiaftlicpe ?c. Vlrbeiten. lieber 
10,000 9lrtifel, naef) gäcpern, Verfaffern, 
©cplagtoörtern georbnet. ^Die Autoren 

pfeubonpmer nnb anonpmer ^Irtifel finb 
bureproeg genannt. Unentbeprlicp für 
jebe Vibltotpef. 

5lnd) bireft gegen ^oftanmeifung ober 
URacpnabme oom 

Oerlag kr ©egemuart. 

Verlin W 57. 


$i 6 marik 0 Jladifolgft. 

Montan 

öon 

^cfCittg. 

W Oolfsauicjabc. '"WC 

^PreiS 3 ^D?arf. ©cpön gebunben 4 2Rart 

tiefer Vi§marcf = ©apriOi = Vornan, ber ln 
loenigen Salden fünf ftarfe Auflagen erlebt, 
erfepeint pier in einer um bie Hälfte bitttgeren 
Volf^auSgabe. 

^Durcp alle Vucppanbfungen ober gegen Sin- 
fenbung be§ VetragS poftfreie 3u| c nbimg oom 

Uerlag der Segenwart. 

SBerlin W. 57. 


IRebactton Uttb (Jjpcbttton: ©erltn W., SWanftetttftrafee 7. 


Drucf oon £effe A ©eder tn Setpitg- 


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M 22 . 


3&erCitt, Öen 2. |fum 1900. 


♦ l»l' *L :b 29^ 


29r Jahrgang. 
Band 57. 


& 'iS eJvr.* )9 C C k 


pic 

SBodjeitfdjrift für Siteratur, Kunft unb öffentliches geben. 


Jtoaitfgtgefkii non $otftttg. 


W« §rnmim «IdjHlrt et» §wmt Berka ber ®e 9 emmrt In ®«ftn W, 57. •‘““WW* 4 ». SO if. «M |lWWt 50 |f. 

8u bestehen bur<$ alle ©udtöanblungen unb ^oftämter. ° ° 3nferate ieber ftrt pro 3 gehaltene tßetttsetle 80 tpf. 


$n(falt: 


Sehren au$ bem Jöurenfrteg. Söott Germanicus. — ®ic 2BoI)lt!)ättgf eit im mobernen Seben. $oit $art Woefcel. — 
gttrratnr unb Huts ft Oberoit’8 fiebenSfdjicffafe. $oit Dr. SBüljelm SHeefelb. — @tn „beutfdjer ©olboiti". $on Dr. ©urt 
&einrtdj. — ftentUeton. ®obeS ©Diel. S3on 2out$ (Sou^eruS. 2lu8 bem ©oflänbifdjert. (gortfefcung.) — Htt£ bet 
$<mbtftabt. SBilljcIm« $afaHen. $on ^rinj ^ogelfrei. — 5Son ben groben ^Berliner ©ommer^lunftauSftettungen. II. SBon 
3- Worben. — S)ramatif(be Euffübrimgen. — Offene Sörtefe unb Antworten: Wod) einmol ber „Uebcrmenfd)". »on Wuguft 
Öörte. — Woti$en. — Sinnigen. 


feßten ans bem Burenkritge. 

Die friegerifdjen ©reigitiffe in ©übafrifa forbetn jutn 
cmften SRacßbenfen über bic eigene militärifcbe 9lu$bilbung 
Unb Kriegsfertigfeit auf. 3 loar finb bie ©erßältniffe auf 
ben bortigen Ktieg8[d)aupläßen anbere als auf uitfcren 
europäifeßen; nicßt8 beftoroeniger taffen fief), unb jttrnr fdjon 
jeßt, wichtige Sehren aus ben ©reigniffen unb ©tfeßeinungen 
sichen. Die Summe ber ©rfaßrungen tann natürlich erft 
nach ©eenbigung beS Krieges, befonberS nad) Ülnßören unb 
bureß bie Ülugenseugcn beffelben feftgefteflt werben. Die üRilitär« 
©erroaltung roirb nicht oerabfäumt haben, jum ©tubium beS 
Krieges ^erüorragenb begabte unb tüchtige Offiziere alter 
©Baffen, forooßl in baS Säger ber ©riten atS ber ©uren ent» 
fanbt ju haben. Die Koften fönnen nicht in ©etradjt fommen 
im ©ergleicß mit bem S33ertf)c fo mannigfaltiger unb gewichtiger 
KriegSetfaßrungen, wie fie fein ßRanöoer, fetbft in noch fo 
großem ©tife, fetbft bei nodj fo tooßenbeter Einlage für baS 
.§eer zeitigen fann unb jttmr ßauptfäct)tic£), weit in teueren 
feine Granaten plaßen unb leine Kugeln pfeifen. SRan barf 
biefe ©orauSfeßung woßl um fo eher machen, als ber lürjtich 
erfdjienene tReuabbrucf ber gelbbienft«£)rbnung anfcheinetib 
bem fübafrilanifchen Kriege fchon fRecßnung trägt. 3n ihrer ©in» 
leitung fagt biefelbe nämlich: ,,©eim ©jerciren unb beim ge» 
fecßtSmäßigen ®cßießen roirb ber SRann jur geuerbiSciplin 
angeleitet. $ößer aber noih fteht feine ©rsießung 
S«m fetbftftänbig unb überlegt ßanbelnben Schüßen, 
ber auch bann, wenn ber güßrer gefallen, ober beffen ©timme 
nicht mehr bureßbringt, unbeobad)tet unb fich allein über» 
laffen feine SSaffe geroiffenh«ft ßanbßabt." ©tatt 
biefeS SRacßfaßeS „ber auch bann, wenn" lönnte man heute 
furjtocg fagen, ber fein Gewehr roie ein ©ur ßanbßabt. 
hiermit foß nicht etroa ber Kriegsführung ber ©uren im 
9lßgemeineu, ber getoiß große SRänget anhaften, ein Soblieb 
gefungen Werben. 

Ifunächft mufe ber ©olbat burch SluSrüftung unb ©e= 
lleibung in ber Sage fein, überhaupt bie Sßaffe jWedent» 
fprechenb haubpaben ^u fönnen. @S ift baS alte Ktagelieb, 
Welches mit fRe^t jegt roieber angeftimmt roirb. @S ift ein 
ceterum censeo, baS nicht eher oerftummen barf, bis man 
fagen fann: @8 ift erreicht! Geheiligte Xrabitionen fönnen 
ernfttich geroife nicht als Gegengrünbe einer burchgreifenben 
SReform auf bem Gebiete ber StuSrüftung unb ©efleibung 
angeführt werben, ©ei ber. StuSrüftung bürfte nießeicht ber 


Gebanfe in ©rtoägung ju sieben fein, ob man nicht eine 
Unterfdjeibung unb Xh e >l un 9 beffelben in SRarfch» unb Gefechts» 
9luSrüftung oornehmen fann. ©ießeicht werben unfere mili* 
tärifchen 2lugenscugen auch i» biefer fRidjtung wetthooße ©r= 
fahrungen im ©urenfriege fammetn. 

SBaS bie SluSbilbung ber Gruppe für ben Krieg anbe» 
trifft, fo fagt bie gelbbienft»Orbnung in ber ©inleitung: 
„$)ie §lnfprüd)e, bie ber Krieg an bie Gruppe fteßt, finb 
mafjgebenb für ihre SluSbilbung im grieben." ®aS ©jercir» 
JReglement fchliefet feinen jtoeiten Sheil mit ben SBorten: 
„'Die SluSbilbung ber Gruppe ift nach richtigen GeficfjtS» 
punften erfolgt, wenn fie bäS fann, roaS ber Krieg er» 
forbert, unb wenn fie auf bem GefedjtSfelbe nichts 
oon bem roieber abjuftreifen ^at, roaS fie auf bem 
©Ecrcirplafje erlernte." ®iefe gorberungen erfdeinen 
ganj felbftüerftcinblicf). Unb hoch — baS erfte, roaS auf bem 
GefechtSfelbe roerthloS roirb unb abgeftreift werben mufe, ift bie 
^ßarabe, für welche bie ©eftimmungen im @jercir»fReglement 
gleich obigen ©afje folgen. SBic tiiel unenbliche 3Rühe unb 
oor 9lßem roie Diel w,r ^ QU f ^ fn ^ßarabebrill 
oerroanbt. 3 e ^ aber hierfür ift bei bet jroeijäljrigen Dienft» 
Seit abfolut feine mehr oorhanben. 3Ran roirb entgegnen, 
bafj bic fßarabe, wenn nicht in birectem, fo bodj im in» 
birecten 3"f a,nni enhange mit ben friegerifchen 3 tt, eden ftef>e, 
inbem fie ein bebecctfamer gactor bei Slnetsiehung ber SRanneS» 
Sucht fei. Unbebingt ift bie ßRanneSsudjt ber Grunbpfeifer 
ber 9lrmee; aber biefelbe (äfet fich ebenfo unbebingt aufbauen 
mit Uebungen, auS benen gleichseitig IRuheit für baS Gefechts« 
felb, für bie Gefechtstüchtigfeit unb KriegSfertigfeit gesogen 
werben fann. ©oldje Uebungen unb ersieherifchen ßRittel 
giebt cS in großer 3 a ^- feien h*er nur bie turnerifchen 
Uebungen erwähnt, welche bei ejacter Ausführung, Oöfliger 
©eherrfchung beS Körpers unb ber Gliebmaßen unftreitig 
ebenfooiel ßRanneSsucht prebigen, als s- ©• ber ^ßarabegriff: 
„Dichtung! ^ßräfentirt baS — Gewehr." SRan roirb weiter 
entgegnen, bie fßarabe fei erforberlid^ auS IRepräfentationS» 
sroeefen. ®aS ©rforberniß friegSgemäßer 3luSbitbung ift fo 
hoch ansufdjtagen, baß fRepräfentationSrüdficßten ernfttich 
nicht in 3 ra 9 e fommen bürfen; überbieS bieten bie gewaltigen 
Gefechtsübungen im ÜRanöoergelänbe hinlänglich Gelegenheit, 
fremben dürften unb 3 u f^auern einen impofanten ©inbrud 
bon unferer £>eereSmad)t su berfchaffen. ®ie fßarabe mit 
ben ißt anßaftenben seitraubenben ©orübungen unb ©jercitien 
muß alfo fortfaßen, aßeiu feßon, um bic gorberung ber 


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338 


Die (Segcnmart. 


Nr. 


22 . 


gelbbienft»£)rbnung, tuefcfie pöper noep als geuerbiSciplin bie 
©rgiepung gum fetbftftänbig unb überfegt panbelnben ©cpüpen 
fteßt, gu genügen. SBaS bem Sur ber Kampf um’S £afein 
in Dieljäpriger ©dpulung geteert pat, baS fofl unferen Leuten, 
bie in biefer Segiepung opne jegticfje Sorbilbung finb, inner* 
palb eines ßeitraumeS non grnei Sauren anergogen merben. 
®aS ift eine gemaltige Aufgabe, melcpe niept burep neben» 
fädplicpe Uebungen, bie nicptS mit ben gorberungen beS 
©efedptSfelbeS gu tpun paben, befcpmert merben barf. 

3eit erforbert ferner bie friegSgemäße SluSbilbung beS 
Snfanteriften bebeutenb mepr als bisher für ben ißionierbienft, 
üor Slflem für bie fjelbbefeftigung^funft. Slucp baS ift eine 
Sepre, bie uns ber 83urenfrieg an’S §erg legt. SBir finb 
babei meit entfernt, ber ©efenfiDe ^ulbigungen barbringen gu 
moßen, unb nichts märe unpeiloofler, mußte man bem Dffenfib* 
geifte unfereS $eercS einen Kämpfer auffepen. Smnterpin 
mirb man auep ber ©efenfiüe Dolle Slufmerffamfeit Renten 
müffen, befonberS aber bem ©emifcp bon Dffenfibe unb 
®efenfibe erfüllte Sebeutung beiiegen. fieprreiep mirb eS ba» 
per fein gu erfahren, mie eS mit ber StuSriiftung ber Suren, 
melcpe in ber getbbefeftigungSfunft fiep als ÜÄeifter gezeigt 
paben, ftept. SBidptig merben fein bie formen, bie Sßtofife 
ipret SefeftigungSfunft. ®aS ungefünftelte unb offenbare 
Srftaunen eines .fteerfüprerS mie baS fiorb SRobertS bürfte 
fcpließen laffen, baß mir eS mit bisper Dößig fremben ober 
boep ungebräueptiepen formen biefer Kunft gu tpun paben. 

®em mit militärifepen ®ingen nur einigermaßen Ser« 
traupen ift eS fein ©epeimniß, baß bie Snfanterie unb be» 
fonberS bie (Spargen biefer SBaffe einen Slöfcpeu Dor bem 
Spaten unb ber §acfe paben. ®em aufnterffamen Seobacpter 
mirb aßerbingS auep niept entgangen fein, baß gang aßmäfig 
ein {(einer gortfepritt gemalt ift, baß mepr ©inn unb Ser* 
ftänbniß für biefen mieptigen ®ienftgmeig ermaept. @S ift 
niept fepmer ben Slbfcpeu gu Derftepen; baS pergpafte unb 
füpne SormärtS unb ®raufloS liegt im (Sparafter unfereS 
SotfeS begrünbet. Oftmals mirb bem ein £a(t entgegen 
gerufen merben, fei eS burep ben feinbliepeit ©efcpoßpagel, fei 
eS burep Slbficpten unb Sefeple beS eigenen fjüprerS. 2)ie 
gemaltige räumlicpe Stuöbepnung unferer ©eplacptfelber forbert 
päufig an einer ©tefle baS pinpattenbe ©efeept, üießeiept bie 
reine ®efenfioe, auf anberen fünften ben entfepeibenben 
Offenfioftoß. ®ort gilt eS rnaefer bom ©paten ©ebrauep gu 
maepen. Seber ©tiep ift eine ©rpöpung ber eigenen geuer* 
fraft unb eine ^erabminberung ber feinblicpen; inbem fo ber 
©paten benupt mirb, panbpabt ber ©olbat gleicpgeitig feine 
SBaffe. ®er SluSbilbung beS Snfanteriften in biefem 2)ienft» 
gmeige muß baper bie aflergrößte Sorgfalt gemibmet merben. 
9Wit bet Sßioniertruppe fann, bei ber geringen ©tärfe biefer 
SEßaffe, burcpauS niept gerechnet merben. Unb boep beftept 
noep päufig bie Slnficpt, ber ißioniet fei baS ©dpanggeug beS 
Snfanteriften. Sielleicpt märe eS bortpeilpaft, ben Pionieren bie 
gelbbefeftigung gang gu nepmen unb fie bößig ber Infanterie 
abetreten; bann meiß ber Snfanterift, baß er fiep unbebingt 
auf fidp felbft berlaffen muß, baß fein Anbeter für ipn ein* 
treten fann. 2)em ißionier aber mürbe biefe (Srteicpterung gu 
önnen fein, benn er meiß fepon lange niept mepr, moper er 
ie Seit gut SluSbilbung in ben mannigfadpen $)ienftgmeigen 
nepmen foß. 

SBaS alfo gegenmärtig SRotp tput, maS fepon peute ber 
Surenfrieg (eprt, baS ift für ben Snfanteriften bor Slflem 
gefteigerte StuSbilbung in ben beiben bislang niept genügenb 
beaepteten SluSbilbungSgmeigen, einmal ©rgiepung juin felbft* 
ftänbig unb überlegt panbelnben ©cpüßen unb gmeitenS ernfte 
unb boßenbete StuSbilbung in ber SefeftigungSfunft. ^)ier» 
für ift erforberliep Seitgeminn, ber aber nur noep ju erretepen 
ift burep (Sinfcpränfung bejm. Sefeitigung beffen, maS auf 
bem ©eplaeptfelbe abgeftreift merben muß, nämlicp beS ißarabe* 
brißeS unb beS ©amafcpenbienfteS. öermanicus. 


Die tDopitpätigkeit im mobernttt febeu. 

SSon Kart Hoepet. 

2)ie SBopltpätigfeit entfpringt bem SWenfdpliepften im 
SRenfdpen, ipre Sebeutung ift mitpin immer biefelbe, aber 
auep jte pat ftep ben mobernen SebenSformen anpaffen muffen, 
alte Aufgaben aufgegeben unb neue großartige empfangen. 
®aper finb Siele an ipr irre gemorben, bot Slßem fol^e, 
mel^e SBopltpätigfeit mit Sllmofengeben ibentificiren.' 2)anf 
ber ftaatliepen unb communalen Slrmenfürforge ift inbeß 
peute ßfiemanb mepr jum Settein gelungen, baS Settein 
bementfprecpenb berboten morben, unb fo pat baS Sllmofen* 
geben, biefe müpelofefte, aber audp pödpft perfönlicpe 9lrt be$ 
SBopltpunS im principe aufgepört. 3)er ®urdpf(pnittsbürgei 
ift baper feft überzeugt, mit feinen Slbgaben, auS meltpen 
ja aud) bie öffentlidpe Slrmenfürforge beftritten mirb, fiep 
aßet SBopltpätigfeitSberpflicptungen erlebigt ju paben. Sem 
ift jebodp burcpauS niept fo. Keine Seit mar mepr beredjtigt 
als bie unfrige, erpöpte Slnforberungen an bie perfönlicpe 
SBopltpätigfeit ju fteflen. ®er aßgemeine SBoplftanb pat 
fidp in ungeapnter SBeife bermeprt, unb banf einer biel ber* 
breiteteren Silbung paben fiep bie berechtigten Slnfprücpe unb 
Sebürfniffe ber unteren ©laffen bementfprecpenb bebeutenb 
erpöpt. ©epabe nur, baß mir feine anbere Sejeidpnung paben 
für bie freimißige tpätige Slntpeilnapme an ber förperlicpcn 
unb geiftigen 9cotp unfereS ßtäcpften als SBopltpätigfeit 
Senn ber Segriff SBopltpätigfeit ift ein für allemal ftarf 
biScrebitirt morben.. 9Wan pat ipn banalifirt unb (äcpcrlicp 
gemadpt burep bie SBopltpätigfeitSbajare, *bäße, »concerte, 
«banfette rc., mo überaß baS Sergnügen bie ^auptfadpe ift, 
bie SBopltpätigfeit nur ber Sccfmantel. ©cpmerlicp mirb bet 
Sefucper berartiger Seranftaltungen ben ©inbrudt mit naep 
|>aufe nepmen, baß er mopltpätig gemirft pabe; ein perfön* 
licpeS 3Bop(tpätigfeitS«3ntereffe pat er nicht babei; maS mit 
bem ©elbe gefiept, meiß er nidpt unb fragt anep niept ba* 
naep. ©benfo empfinben bürfte ber reidpe ßRann, ber mit 
einem geberftridpe Diele Saufenbe einem SBopltpätigfeit«* 
inftitute Derfcpreibt, um geabelt ju merben, einen Orben ju 
erlangen ober menigftenS in afler Seute ÜJ?unb gu fein. 6« 
ift ja gar niept ju beftreiten, baß auep auf biefe mepr 
ober minber äußerliche SBeife fepr Diel ©uteS gefdpiept, unb 
baper muß bet SRealpoIitifer in bet Slrmenpflege burepaus 
auf bie menfcplidpen ©cpmäcpen ber ©itelfeit unb ©enußfuept 
fpeculiren. SaS fo gefdpaffene ©ute bient aber niept gur 
fjörberung beS SBopltpätigfeitSgebanfenS, fonbern ju feiner 
SiScrebitirung. Sin fiep ift bie ©pöttelei über bie SBopl* 
tpätigfeit fepon populär in manepen Kreifen, mopf mit in 
golge falfdp Derftanbener Srodfen auS ber SRationalöfonomie, 
eines nicptDerftanbenen ®arminiSrnuS, ber quietiftifdpen fiepten 
eines mobernen ißeffimiSmuS unb ber franfpaften Siipfepeanif^en 
SBopltpätigfeitSüeracptung. ©roßen Slntpeil an ber Un* 
Popularität ber peutigen SBopltpätigfeit pat aber auep ipre 
in lepter $eit fo ftarf perDortretenbe ienbenj beS SSor» 
perrfcpenS bureaufratifeper teepnifeper ©lemente auf Koften 
ber perföntiepen Slntpeilnapme beS ©ingelnen an ber gu 
fepaffenben SBopltpat. ®aS ift jeboep ber gang natürlidpe 
UebergangSguftanb jeber Snftitution, bie fidp plöpliep t»r 
ungeapnt große Slufgaben gefteflt fiept unb nun Dor SWent 
banaep ftreben muß, ben teepnifepen Slnforberungen eine« 
großen SermaltungSapparateS geredpt gu merben. S)anatp fragt 
aber baS publicum menig. ®aS SBopltpun ift bei ipm Dor* 
miegenb ©emütpsfadpe unb baper auf’s Seicptefte Stimmungen 
unb Serftimmungen untermorfen. Sorperrfcpenb ift auep 
noep bie befepränfte Sorfteßung, baß nunmepr ber Staat 
aße SBopltpätigfeit übernommen pabe, unb baß perfönlitpe« 
SBopltpun baper falfdpe ©entimentalität fei. 2)aS ift burep* 
auS unlogifep. Ungmeifelpaft ift eS bie moplDerftanbene Sluf* 
gäbe beS Staates, fämmtlidpe feiner Stngepörigen Dor bireetem 
pppfif^en SRangel gu fepüpen. SBie mir fapen, paben tnir 


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Nr. 22. 


Die fljcgcnwcirt. 


339 


biefeg giet feßon faft erreicht unb Werben eg fieser nod) ganz 
erreichen. $ann aber ber Staat SBoßltßat ü6en? Siientalg! 
®ag liegt aueß bureßaug außerhalb feineg SBirfunggfreifeg. 
SBoßltßat ift ja bie perfönlicße, baßer feetifeße Autßeilnaßme 
an ber ßtotß unfeteg 0?äc^ften. Selbft wenn eg bem Staate 
gelänge, äße pßßfifdje SRotß feiner Angehörigen ju befeitigen, 
wirb bie pribate, perföntidje SBohltßätigfeit burdjaug nidjt 
aufhören', nietmehr wirb ihr ©ebiet ungemein erweitert unb 
bureßgeiftigt. S)enn erft bie perfönücße 'Sßeitnaßme ^ßrtüater 
an ben bom Staate ©erforgten fann bet gürforge beg Staateg 
ben ©ßarafter ber SBoßltßat berteißen. §iet liegt bie Ouint* 
effenj beg Unterfd^iebeg gtoifeßen früherer unb moberner 
SBoßttßätigfeit, worauf wir noch angführticher jurüdfommen 
werben, tßorerft fottten btoß bie ©rünbe bargetegt werben, 
aug benen fieß bie merfwürbige ^Eßatfadje erftärt, baß jeht 
mehr benn je SBohtthätigteit in großartigen Anftatten geübt 
wirb, unb ben noch bie SBohtthätigteit im ©ribatleben beg 
©injetnen eine berfeßwinbenb fteine fRoße fpieft gegen früher. 

©in jeber cutturefle gortfeßritt ift mit zeitlichen SRacß* 
tßeiten oerbunben, SRadjtßeilen, Wetcße oft niete Sturzfic§tige 
an bem gortfeßritte atg fotzen bezweifeln taffen. So war 
cg auch mit bem Aufhören beg Atmofengebeng. Seit ber 
Staat bie ©ettetei nerbot, woju et in gofge feiner ©or* 
tehrungen bureßaug berechtigt war, würbe bag Atmofengeben 
atg bemoratifirenb berpönt. Sehr mit Siecht lehrten bie 
Armenpotititer, baß eg beffer fei, ein Atmofen ju wenig ju 
geben alg eineg ju niet; ferner folle man einen ©ettler elfer 
mit Arbeit alg mit Sebengmitteln, aber lieber noch mit Sebeng* 
mitteln atg mit ©etb unterftüßen. ®ag teudhtet ja aud) ein. 
Aber eg liegt einmal in ber menfehtidjen Sftatur, aug ber 
©efeßränfung perfönlicher Triebe, namentlich ber eblen, rabicate 
©c^täffe ju ziehen. ÜJian hatte einfachen Seelen bie greube 
am Atmofengeben genommen; baraug feßtoffen fie, baß jebe 
perföntidje SBohtthätigteit jwedtog fei unb befeßränften fich 
bon nun an auf bag 3°hf en üon ©eiträgen an einen Armen* 
herein. Atg ob eg feine ©etegenheit mehr gäbe für jWed* 
mäßige perföntidfe SBohtthätigteit? ®aran ift inbeß bureß* 
aug fein dRangel, nur muß man jefet bie Armen felbft 
auffueßen, Wäßrenb fie früher in bie Käufer tarnen. ®ie 
perfönlicße SBohtthätigteit ift affo unbequemer unb müßebofler 
geworben, aber barum eben wertßboßer unb vertiefter. ®ag 
Almofengeben brachte nur einen furjen perföntießen ©erfehr 
mit bem Armen unb befeitigte außerbem nur augenblidlicße 
Aotß. §eute ßanbelt eg fich nieiftentßeilg um berfdjämte 
Arme, affo burch Ungfüd mittetfog ©eworbene, benn nur 
für fotdje fommt bie ftaattirfje gürforge nicht in ©etraeßt, 
Weit fie biefetbe nur in äußerfter ©otß beanfptudjen. SRatür* 
ließ »ft eg in fofehen gälten nicht mit einem Atmofen getljan. 
'Ber moberne Armenpfteger muß bietnteßr burch perfönticheg 
©ingeßen auf bie ganzen Sebengberßältniffe beg SRotßteibenben 
hetaugjufinben fueßen, wie berfetbe bauernb oon SRotß befreit 
werben fann; ob burch eine einmalige Unterfiüßung, ob burch 
©erfeßaffen oon Arbeit, Sßffegc franter Stinber, beg SRamteg 
ober ber grau ic. 2)iefe inbioibuatifirenbe Art ber Armen* 
pftege ift Denn and) bag ©riitcip mehrerer moberner Armen* 
bereine geworben, welche ben ^auptwertß legen auf einen 
perföntießen ©erfehr jwifdfen ©fleger unb ©erpftegtem. $)a* 
her werben biefe ©ereine wohl immer in ber Sage fein, 
SBoßltljungwißigen gute ©etegenheit ju betfeßaffen. Ader* 
bingg muß ber ©injetne toiet größere perföntiche Opfer bringen 
alg früher. @g ift bemuach reießtidjer ©rfaß borßanben für 
bag perföntiche ©tement beg Atmofengebeng, auch auf bem 
gelbe ber fetbftftänbigen ©ribatwoßttßätigfeit. ©ine weitere 
hph* Aufgabe erfteßt aber ber mobernen SBohtthätigteit barin, 
bie mehr ober ininber unperföntidje Staatgfürforge burch 
perfönlicße Antheitnahme an ben ftaatlich ©erpftegten erft zu 
einer wirtlichen SBoßttßat ju geftatten. SBie fchon erwähnt, 
haben Staat unb ©emeinbe im ©rincip bie gürforge für 
alle ihre notßteibenben Angehörigen übernommen. Augen* 


blidtießer 9lotß begegnen bie ©aturatberpftegungganftatten, 
fowie bie Verbergen jur $eimatß. gür bauernb Strbeitg* 
unfähige forgt bie ^eimatßgemeinbe, wozu bei Arbeitern noch 
bie Atterg* unb 3nüalibitätgrente tritt. 2)ie oorübergehenbe 
Arbeitgtofigfeit Slrbeitgwißiger fuchen bie Arbeitgbermittefungg» 
bureaug pribater unb, neuerbingg in ber Sdjweiz, auch ftaat* 
tidjer ©inrießtung ju befeitigen ober wenigfteng mögtidjft 
abjufürjen. Natürlich ift troß aßebem (eiber noeß (ange 
Hießt für aße pßhfifd) ÜRotßteibenben geforgt, aber fießer 
werben wir noeß baju fommeit. £>at bann bie ©ribatwoßt* 
tßätigfcit nießtg meßr ju tßun? 3m ©egentßeit; ißr SBir* 
funggfreig wirb ein größerer, Wie ja auch feßon bie jeßt 
befteßenbe ftaatlidje gürforge ben SBirfuitggtreig ber SBoßt* 
tßätigfeit bebeutenb oergrößert ßat. Aße bie Äräfte, Wetcße 
früßer jur ßiitberung lebigticß pßßfifcßer Stotß nötbig waren, 
finb jeßt frei geworben ju einer intenfioeren feelifchen An* 
tßeitnaßme an ben Siotßleibenben. SBie oben erwähnt, fäßt 
pßhfifcße ©ftege mit feefifeßer jeßt meift äufammen. SBirb 
aber bie pßßfif^e Siotß überhaupt befeitigt fein, fo bleibt 
noeß bag weite SBirfunggfetb ber rein feetifeßen gürforge für 
bie pßhfifcß ©erpftegten. ®iefe eminent moberne Art ber 
SBohttßätigfeit ßat jubem ben großen ©ortßeit, baß aud) ber 
finanjieß feßwadß ©efteßte fie im weiteften 2Waße üben fann, 
ba fie faft nießtg foftet. hierum ßanbelt eg fieß feßon jeßt 
bei ben in Staatganftalten ©erpftegten. Sießmen wir jum 
©eifpiet bie SBaifcnfinber. ®iefctben finb in ben SBaifen* 
ßäufern gewiß gut üerforgt. Äann ißnen aber bet Staat 
aud) Siebe geben, bag ©rob ber Ä'inbegfeete? Siein! Sorgen 
wirb er gewiß für gute, gewiffenßafte Seßrer unb §üter ber 
Sinber, aber beren ßaßt ift im ©erßättniß ju ber ber Sttnber 
viel nt ftein, atg baß fie, oßne ungerecht ju werben, jebem 
einjelnen ißrer Sdjüßlinge bie nötßige inbibibuatifirenbe Siebe 
entgegenbringen fönnten. ®ag tonnte nur ein ©enie wie 
©eftatojji. §ier atfo ßat bie ©rioatwohttßätigfeit ein weiteg 
SSirfunggfelb, benn: 

„6ine8 ÄinbesS Seele 6raud)t bie Siebe, 

Sowie bie Slume broudjt ba8 Sonnenlicht, 

Um ju entfalten if)i'e8 Welches Fracht." 

©eßmett wir nun an, eine gamitie Wäßtt fieß aug ber $aßt 
ber SBaifenfittber einen Scßüßting, ben fie Sonntagg ju fidß 
eintabet, mit Wetcßem fie Spaziergänge maeßt, furj, an bem 
fie fcbßafteg Sntereffe nimmt, wäßrenb fie ißn aber rußig in 
ber ftaattießen Slnftatt läßt, fo ift biefe SBoßttßätigfeit ju* 
näcßft mit feinertei Äoften berbunben, atfo aueß armen 
gamitien bUrcßaug mög(id). ®ag fo befeßüßte SBaifenfinb 
ßat aber ptößtieß eine gamitie befommen, eg wirb mit Siebe 
umgeben, mit freunbtidßer ‘Sßeitnaßme. ®ag wirb bag $inb 
bor ©erbitterung fdjüßen, feinen ©ßarafter freunbtieß maeßen 
unb ißm ben ©tauben an menfeßtieße ©üte beibrittgen, ber 
fo oft bei (iebfog ©rjogenen früße unwieberbringtieß berforen 
geßt, wag biefe ju jeber aßgemein nüßtießen Xßätigfeit un* 
braueßbar maeßt. ®ocß au^ bie betreffenbe gamitie wirb 
ben größten Segen bon ißrer SBoßftßat haben, inbem ißre 
Äinber fid) früße an SBoßttßun gewößnen unb jenen einzig 
haftbaren Stanbpunft anneßmen, ben SKenfcß im SRenfcßen 
ju aeßten, ein Stanbpunft, ber fie für bie ßufunft befäßigt, 
in aßen ©erufgarten principieß bag ©efte ju teifien. 

3n gleicher SBeife, wie beit ftaatlicß berforgten Äinbern, 
ift aber aueß ben fo untergebraeßten ©rwacßfeiten, armen 
Äranfen unb Altergfcßmacßeit, perfönli^e gürforge bon pribater 
Seite angebeißen ju taffen. Stucß ßier tßut ©etb wenig, bie 
©erfönti^feit aßeg. ©aßer fann aueß bet wenig ©egüterte 
eg fieß ertauben, feinen Jtreig bon Scßüßtinaen ju haben, 
bie er befudjt, bei fieß aufnimmt, benen er fteine greuben 
bereitet, furj an benen er perfönlicßen Antßeit nimmt. So 
wirb in maneßeg trübe unb einfam berbraeßte Seben, bag bie 
greube faum je erßeflt ßat, noeß in teßter Stunbe ein freunb* 
ließet Straßl ber finfenben Sonne faßen, derart im Stißen 



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340 


Die töegenmart 


Nr. 22. 


geübte ©opltpat birgt ipren ßopn in fiep, unb ber ©ebenbe 
ift f)ier ber ©mpfangenbe. 

StuS aßebem gept peroor, bafj im moberaen Sinne nur 
bet mopltpätig genannt merben fann, beffen Seele ftetö 
{(ütföbereit ift unb tßeilnaßmSüoß gegenüber allen pppfifcßen 
unb feelifcßen Seiben feiner Umgebung. Der näcpfte ÄreiS 
ber ©opltpätigfeit ift baßer ungmeifelpaft bie gamilie, bie 
Sermanbten unb bann bie Dienftboten, Slngefteflten, bann 
priüate |)ülf§bebürftige unb fcßliefeticp bie in ftaatticpen Sin* 
ftalten Untergebracpten. Stber fcpematifiren läßt fiep bie mapre 
©opltpätigfeit niept, fie ift ein fpontaner Drang: 

63 fei bie SBofylt&at eine freie 2§at 

Unb tenne feinen ßo(|n unb fiirdfte nieste: 

©in jjtojjer freter ©djafjenStrteb ber Seele! 

(Sine pübfcpe Difinition ber ©opltpätigfeit giebt ber grofee 
Socialäftpetifer ©uSfin: „®ute3 auf fitperem ©ege gefepiept, 
inbem man ©Mcnfcßen näßrt, ©Menfcfjen tleibet, ©Mcnfcßen be« 
pauft unb fepliejjlicß mit ben fünften, SEÖiffenftpaften unb 
anberen Slnregungen ©Menfcßen greube bereitet.“ — 

Den eminent ergießerifeßen ©ertp ber ©opltpätigfeit 
paben mir fepon berüprt; berfelbe ift um fo mepr gu berüd« 
fießtigen, als es fiep batum ßanbelt, einen ©rfaß gu fepaffen 
für baS unftreitig pöepft ergieperifeße ©Moment beS nunmepr 
oerpönten SllmofengebenS. g-rüßer fapen bie JJinber, mie 
ipre ©Itern ben Sirmen bie ©aben einpänbigten unb mürben 
auep rnoßl felbft bagu angepalten. DaS maepte ©inbrud. 
©ie finnig mar g. S. bie altfrangöfifcpe Sitte, naep meleper 
gum fßatßen eines S'inbeS ber erfte Settier befteüt mürbe, 
bcr naep ber ©eburt an bie Dpüre Hopfte. DaS foQte Segen 
bringen. Der gemijj niept fentimentale ©Montesquieu ergäßlt 
niept opne ©üßtung, bafe auep er einen Settier gum fßatpen 
gepabt pabe. — 

3s«t bie ©rgießung burep ©opltpätigfeit, bie natürliep 
auep eine ©rgießung gur ©opltpätigfeit ift, paben fiep §au3 
unb Scpule gu tpeilen. ©atürließ faßt bem ©fternpaufe bie 
Hauptaufgabe gu. H* er w ' e überaß ift baS mießtigfte @r= 
gicßungSmittel baS Seifpiel. grüß muß baS Äinb baran 
gemößnt merben, ben ©ingelnen niept naep äufeeren ©fitem, 
©eicßtßum, ©ang, Ditel gu beurtpeilen, fonbern naep feiner 
©Menfeplicpfeit. Sluf biefe ©Seife bürfte ber bei Äinbcrn mopl* 
pabenber ©Item fo natürliche naioe H oc ß mut ß ärmlicpen 
Sinbern gegenüber gar niept auffommen. DeS ©eiteren märe 
burep beftänbigeö SInßalten gur ©efäßigfeit unb greunblicß* 
feit früpgeitig ber Slict gu fepärfen für frembe ßeiben. H* erQn 
feplt eö fo unenblitp oft, unb fo unterbleibt ber größte Dßeil 
beS mögliepen ©oßltßunS meniger auS böfem ©iflen als 
auS ©Mangel an Slief. Die oben angefüprte gaftliepe Sluf* 
napme oon in öffentlichen Slnftalten untergebraepten ©aifen* 
finbern ober auep anberen armen JUnbcrn bürfte pierbei oon 
grofeem ©ußen fein. 3nbefe müfete babei ftrengfte Slufficpt 
perrfepen, ba biefe armen ©efeßöpfe natürlicper ©eife oft fepr 
grofee Unarten unb Sugenblafter an fiep paben, oor bereu 
Serbreitung gemaprt merben mufe. Slßein bieS fepcint bei 
tücptiger Sluffiept burcpauS burcpfüprbar. ©iner folcpen ©r« 
gießung müfete eS gelingen, bem Äinbe fepon früpe bie @pr* 
furept oor bem, maS unter unS ift, beijubringen, maS naep 
©oetpe bie Ouinteffenj beS ©priftentpumS ift unb beffen ein« 
jiger, aber eminenter Sorjug oor ber fo popen (Stpif beS 
claffifcpcn SlltertpumS. ©benfo roirb ein fo erjogeneS Sfinb 
fpäter einmal oiel leidjter jur ©rfenntnip fonimen, bap bie 
pbepfte Slufgabe beS ©injelnen in ber beftänbigen fünftlerifepcn 
SluSarbcitung feines etpifepen SebenS beftept. 

3n bemfelbcn ©eifte pätte natürliep auep bie Scpule 
einjumirfen in ber ©rjiepung burep unb jur ©opltpätigfeit. 
3u empfeplen märe pierju ber öftere gemeinfame Sefuep oon 
©aifen* unb 9tettung3päufern unter oerftänbnipooßer @r= 
flärung unb aßerbingS fepr gut beauffieptigten gemeinfamen 
Spielen. Das müpte entfepieben auf ein junges ©emütp 


gropen ©inbruef maepen unb ipm mepr als afle tpeoretifiper 
©rörterungen jur ©rfenntnip bringen, mie jufäßig ber SReidj* 
tpum ift, unb in mie glüdlicper Sage eS fiep opne aHtö 
eigene Serbienft befinbet. DeS ©eiteren müpte bicS bie 
Sfinbet banfbar ftinimen gegen ©Item unb fieprer unb jenen 
oben ermäpnten fo oerblüffenben H°^ mut P gegen äratlupe 
JHnber mirfungSooß befämpfeu, furj auf bie gange feelifdje 
©ntroiefelung ben mopttpätigften ©influp auSüben, ba be= 
lanntliep bie ^ugenbeinbrüde bie beftimmenben ftnb. 

©ine fold)e ©rgiepung burep bie ©opltpätigfeit erteilt 
fiep fieper auep als baS befte ^Jroppplaftifon gegen einige 
moberne päpüepe unb moralifcp unlogifcpe ©rfepeinungen. 
Hierzu gepört in erfter Sinic bie ©prfurept oor bem Selbe. 
Das Äranfpafte biefer ©rfepeinung geigt fiep gunäepft batin, 
bap bem Sefiper beS ©eibeS gefcpmeicpelt mirb, opne bap 
ber Sepmeiepier bamit irgenb roetepe reeßen Slbfiepten oer- 
bänbe; bap man fiep geeprt füplt, mit einem reiepen ©Manne 
befannt ju fein, bon ipm gegrüpt ju merben unb mit ipm 
gufammen gefepen ju merben. Diefe moberne Sbeotogie fepeint 
blöp entroürbigenb unb im pöcpften ©rabe läcperliep. 
©efäprli^e berfelben liegt aber barin, bap eine Suggeftion 
ftattfinbet, inbem baS Urtpeil über perfönlicpe ©igenfepapen 
ber ßMeiepen in feltfamfter ©eife ju ipren ©unften beeinflußt 
mirb. So rneit gept bie Sßogif, bap einem Seiepen, ber mit 
einem bebeutenb Slermeren freunblicp oerleprt, bieS gerabep 
gum Scrbienfte angereepnet mirb. Diefe moberne Stranlpeit 
ift alfo niept nur unenblicp läcperliep unb entmürbigenb, 
fonbern fie pemmt auep bie freie firitif, ift fomit pöepft ge« 
fäprtid). Slber noep fcpäblicper pat fiep biefe ©rfepeinung für 
bie SReicpen felbft ermiefen, inbem fie fiep burd) bie fie um* 
gebenbe ©prfurept unb Sdjmeicpetei oielfaep fuggeriren ließen, 
bap reich i u f e i n f><P ei« Serbienft fei, unb ber SReiep* 
tpum feine Serpflicptungen in fiep feplöffe. DaS fo, toenn 
niept grop gegogenc, boep minbeftenS ftarf ermurpigte geift* 
lofe unb pöepft unmoralifeße fßropentpum gab natürlidp immer 
bet anticapitaliftifcpen Agitation bie beften ©affen gut’pöepft 
unfogifdjen DiScrebitirung aßer JReicpen unb beS ©apitoli 
als folgen. So mürbe auep jener feltfame, focial unb 
etpifcp fo unenblicp fcpäblicpe, aus fReib, Semunberung unb 
Seraeptung gemifepte Hofe ber ©Mitglieber bet nieberen Stänbc 
gegen bie eingelnen ©Mitglieber ber pöperen Stänbe perfön* 
liep ergeugt, mooon noep mciter unten bie fRebe fein wirb. 
©cnigftenS liegt ftänbig bie ©efapr nape, bafe bet ©fiepe 
burep bie ipn umgebenben Scpmeitpeleien leiept bie fßfßdjten 
beS fReieptpumS üergipt. Sefanntlicp ift eS ja oiel feßmicrigcr 
geroiffenpaft reiep gu fein als reich toerben. Dpeoretijtpc 
Slufflärung über bie fßfli^ten beS ©eicptßumS feplt notp 
Haben felbft bie ©iffenfcpaftler cS niept mit ben ©eitpen 
oerberben moßen, ober pielten fie bie Seantmortung biefer 
fjrage bei gutem ©ißen für gu eiufaep? Das märe jeben* 
faflö auep niept rieptig. ©ie öielen mirfließ Strebfamen ift 
niept ber ©cicptpum gunt glucpe geroorben; ipren Arbeiten 
mürbe gefcpmeicpelt, aber fie mürben niept ernft genommen 
unb fanben baper niept baS reepte Sntereffc oon Seiten ernfter 
©Männer. Sießeicpt and) paben fiep Oiele empfinblicpere Sc* 
mütper oon ipnen fern gepalten aus Slngft für Sepmaropcr 
gu gelten, — biefe Scpeu oor ben ©eiepen ift atteß eine 
moralifepe 3eitfranfpeit — unb fomit maren unb finb ßäufig 
reept ftrebfatne ©abobS auf ben Serfepr mit geiftlofen 
Scpmaroßern angeroiefeit unb bleiben geiftig frucptloS. © 
gept ipnen — icß pabe biefen Sergleicp irgenbroo gelefen — 
mie bem ftönig ©MibaS, bem SlßeS, maS er berüprte, gu Soli» 
mürbe, unb ber barum faft oerßungert märe. 3 um 
befreite ipn ein Sab im Cueß fßaftotuS Oon biefer unfeligen 
SegenSgabc. Dodp bem mobernen ftrebfamen ©abob fprubett 
faum eine paltolifcpe Duefle, naepbem er einmal bie @oß>* 
gauberfraft feiner Hänbe erfannt pat. Dann ift fepon p 
Oiel ©ntpufiaSmuS oerpulocrt morben, unb eS bleibt nur bie 
unfrueßtbare ©efignation. ©Mit ber ©rgiepung gum ©enuffc 


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7 


Nr. 22. 


Die tötgenroart 


841 


unb ju ben Pflichten beS 9f?eic^t^iimS muß eben früher be» 
gönnen »erben. Sin junger Wann, bem im oben ermähnten 
@inne eine Srjiepung burcf) bie SOSopltpätigfeit ju Streit ge* 
worben ift, wirb niept ber paftolifcpen Duelle bebürfen. Sr 
bat frühe eingefepen, baft ©eicptpum nur in ben $änben 
©ebilbeter unb SBoplwoüenber niept unmoralifcp wirft, unb 
baß ber SReid^e beftänbig feine ©erecptigung betoeifen muß, 
reich ju fein. Slußerbem ^at er Stic! für frembe ßeiben; er 
geht mit offenen klugen burch bie Seit unb bebauert nur, 
baß er nicht noch tote! reicher ift, um biel mehr nüplüpe 
Xpätigfeit ju hoben, benn baran ift nur ju großer Ueber* 
flufe. ©ie SBopItpat biefeS Reichen toirb fiep freilich nicht 
auf bloßes ©elbberfcpreiben befcpränfen, fonbern er toirb mit 
feinet ganzen perfönlicpen ©eifteSfraft, bie er ja umfonft an* 
bieten fann, für bie jWeduoüe Slnwenbuitg beS gefpenbeten 
Selbes cintreten unb fein ßeben wirb arbeitsreich unb barum 
föftliep fein. Sin foldjer Reicher lönnte eS auch tiSfiren, 
feinen ©opn ju nichts Ruberem ju erziehen als jurn ©enuffe 
beS ©eicptßumeS im eben gefdjilberten Sinne. Natürlich 
müßte eine folcpe ©orbilbung eine fe^r umfaffenbe fein, ba 
fie bem jungen Wanne baS ©erftänbniß geben müßte für 
alle 3*ueige menfchlicher ©pätigfeit unb mettfcplicpen ©trebenS. 
®enn nur fo fann er feiner Snbibibualität nach entfcpeiben, 
too er mit feiner unentgeltlichen SlrbeitSfraft unb mit feinen 
Wittcln einjutreten höbe. — 

©ocp eine weitere Teilung Wäre ber Srjiepung jur 
SBopltßätigfeit borbehatten; eS honbelt fich pier nicht um eine 
moralifcpe Kranfpeit, als welche bie Sprfurcpt bor bem ©elbe 
anjufepcn ift, fonbern um ein tief eingeprägteS altes ©or* 
urtheil, baS niept mehr jeitgemäß ift, bä jeglicher ßogif ent* 
beprenb. 3ep meine bie grunbfalfcpe ©orfteüung, welche fo 
oiele, namentlich pribatc, SBorgefe^te bon ber ©tctlung ihrer 
Ungeteilten hoben. SBäprenb hoch in ber 51hat biefe ?ln* 
ftellung eine reine ©efchäftSfache ift, — ber ©erlauf ber 
ftrbeitsfraft Wäljrcnb ber bafür feftgefeptcn ©tunben — alfo 
mit ber ©erfon beS Untergebenen gar nichts ju thun hot, 
bilben fich Diele ©orgefepte, namentlich im faufmännifcpen 
fieben, ein, bafj fte berechtigt feien, ihre ebentueHe Unjuftiebeit* 
heit auch in perfönlicp fränfenber SEBeife borjubringen. Wan 
lönnte einwenben, baß eS ja bem Ungeteilten frei ftänbe ju 
tünbigen. ©aS ift leicht gefagt. ©ewiß ftept cS einem Seben 
frei ju berhungern — mit feiner gamilie, wenn er ber* 
heiratetet ift. ©ei ber ungeheuren UeberfüQung beS SlrbeüS* 
marfteS wirb er aber lieber eine güüe perfönlicper Äränfungen 
einftecfen, als fich unb bie ©einen biefer ©efahr auSfepen. 
Natürlich Wirb baburch ber Sharafter berbittert, bie ©elbft* 
achtung erniebrigt unb ber Wann unglücf(id) gemacht. ©aS 
toar in ben metften gäUen jwar nicht bie 21bftcpt beS bc= 
tteffenben Sontortprannen, aber er würbe eS für eine große 
gumutpung polten, baß er, eine fo wichtige, in Slnfprucp ge» 
nommene ißerfönlicpfeit, auch noch auf folcpe Äleinigfeiten, 
Wie baS ebentuelle gairtgefüpl feiner Ungeteilten, ©üdficpt 
nehmen follte. Ipier wieberum liegt ein ©ilbungSfepler bor; 
eS feplt ber ©lief für ülnberer ßeiben. Sin im oben be* 
jeiepneten ©inne burep SOßopltpätigfeit Srjogener wirb nie in 
folcpe gehler berfaüen, oielmehr ftets barauf bebaut fein, 
burep freies menfcplicpeS Sntgegenfommen feine Ungeteilten 
füplen ju laffen, baß er fiep feinerfei ©echte über ipre ©erfon 
anmaßt unb fich burdjauS für nicptS ^öpereS pält als fie. 
^Beiläufig bemerft, wirb ein fo gehaltenes ©erfonal auch biet 
eifriger unb pewiffenpafter für feinen Spef arbeiten. §ier 
Wie überall jetgt eS fiep, baß Humanität bie größte Klugpeit 
ift Srwacpfene Wenfcpen finb niept, wie gewiffe Überfluge 
„ßeute ber fßrajiS" meinen, burep gurept im ©efpect ju 
erhalten, — biefe erjeugt innerlich fpaß unb äußerlich §eucpelei 
— fonbern nur burep aufrichtige ©pmpatpie für ben Spef 
unb burep beffen ©eifpiel in ber Pflichterfüllung, ©a wir 
fo nun einmal bet ber leibigen grage ber fpanbelSgepülfen 
angdangt finb, fo fann icp niept baran borbeigepen, opne 


beren preeäre, uns ©eutfepen burcpauS niept jum ©upme 
gereiepenbe ßage ju berüpren. SS giebt ja leiber biele wirf* 
lidj flemeine Wenfcpen, in beren ©atur eS liegt, gegen 
Schwächere fiep nieberträdptig ju benepmen. ©aß fiep ber* 
artige Sreaturen gerabe in ben fubalternen ©ureaufteöen 
finben, mag wopl mit ber meepanifepen, geifttöbtenben ©e* 
fcpäftigung jufammenpängen. ©immt man pier noep bie 
oben erwäpnte mepr gebanfenlofe ober nerböS überreijte' 
©prannei ber Sontorregenten pinju, fo erflärt fiep baS mora* 
lifcpe Slenb unferer Keinen Sonforgepülfen boüauf. ©e* 
rufeneren überlaffe icp bie ©cpilberung ber ßage unferer fo* 
genannten ßeprlinge, bie unter bem ©orwanbe geleprt ju 
werben, auf’s ©iebrigfte auSgenupt, niept bejaplt unb babei 
noch bielfach gemein bepanbelt werben, ©iele ber „©tüpen" 
unferer ©efeÜfcpaft finb SpefS berartiger, größtentpeilS mit 
ßeprüngen pöcpft woplfeil arbeitenber girmen. ©aS finb 
bie ©iebermänner, bie als ©orftanb angefepener SBopltpätig* 
fcitSbereine, bie iptien ©elief geben, große ©öne reben bon 
Wenfcpenliebe unb ©ereeptigfeit. Db ber projectirte ©efep* 
entwurf pierin biel 31bpülfe bringen wirb, bejweite id). 
Sinftweilen Wäre eS fepr förberlicp, Wenn bie jept noch ein* 
gefcpücpterten ßeprlinge beranlaßt würben, berartige gäQe 
tpatfrätigen ©ubliciften ju unterbreiten, bie bann ourd) bie 
niept manepeftertiepe ©reffe orbentlicp bie öffentliche Weinung 
in 3lufrupr fepen müßten. — ©ieS 3lHeS foUte illuftriren, 
»aS eine Srjiepung jur SBopltpätigfeit berpinbern fann; 
bielleicpt bin icp etwas ju Weit bom ©pema abgefepweift, 
aber icp glaube, baß man jebe ©elegenpeit ergreifen muß, 
um auf berartige blutenbe SEßunben im ©olfSförper pinju* 
weifen. — ©oep gegen ein Weiteres moberneS, moralifcpeS 
©orurtpeil bon großer ©cpäblicpfeit wirb ein jur SSopl* 
tpätigfeit erjogeneS Wenfcpenmaterial mit Srfolg anfämpfen. 
SS ift bieS ber fepon erwäpnte, in ben unteren ©olfSfcpicpten 
bielfacp berbreitete ^»aß gegen bie einjelnen Witglieber ber 
oberen Slaffen. ©erfelbe Wirb Weniger burep ben ©eib per* 
borgerufeu als burep bie pöcpft unlogifcpe ©orfteüung, als 
billige jeber Sinjelne — eS panbelt fi^ pauptfäcplicp um bie 
Witglieber ber ©ourgeoifie — alle $anb(ungen feines ©tanbeS, 
alfo beS SapitaliSmuS, unb fei beßpalb mit fcputb an allen 
wirfliepen unb bermeintlicpen ©cpäben, welcpe bie ©enbenjen 
beffetben über bie Waffen gebraept paben. SBaS fönnen aber 
junäepft grauen unb Äinber bafür, baß fie im ßujuS ge* 
boten finb? 3BaS paben fie ferner für eine ©orfteüung oom 
9lrbeiterleben ober Don ber ©örfenfpeculation? 3lußerbem 
wirb ©iemanb bie 3luSwücpfe beS SapitaliSmuS — j. ©. 
^Irbeiterejploitation unb gewiffenlofe ©örfenmanöDer — fepärfer 
oerurtpeilen als ber eprbare Sapitalift, unb fo weit bürftc 
bie ©olfSDerfüprung benn boep noep niept oorgefepritten fein, 
baß baS ©olf in jebem Sapitaliften gleicp einen ©cpuft fäpe. 
Sft fcpließlicp ber als ©opn eines Kaufmannes geborene 
3wifdpeitpänbler, ber in reblicper 3lrbeit, meiftenS fcpwer ge* 
nug, fiep unb bie ©einigen erpält, auep bafür oerantwortlicp, 
baß fein ©tanb, baS ßwifcpenpänblertpum, bie ßebenSmittel 
beS ^Proletariats um baS brei* unb bierfaepe bertpenert? ©oü 
er etwa barum felbft 3lrbeiter werben? 3lußerbem ift in 
ben Sonfum* unb ©robuctionSgenoffenfcpaften fepon ber S03eg 
jur Slbhülfe gefunben. SOSeldper ©rutalitäten bet Slaffenpaß 
fäpig ift, paben bie wapnfinnigen anarcpiftifd)en ©omben» 
attentate auf baS boep bielfacp aus grauen unb Kinbern be* 
ftepenbe ©peaterpublicum in ©arcelona bewiefen. ©leibt 
bieS auep ein eiitjelner SOSapnfinnSfaü, fo ift boep barin 
beutlicp bie Weitberbreitete ©enbenj ausgeprägt, grauen unb 
Kinber als mitfcpulbig ju betrachten. (@d)tu| folgt.) 


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Die (Segenmart. 


Literatur unb .ßuitft. 


©beroti’s febettßftbifkfale. 

8on Dr. HJi»ietm Kleefell». 

3m ÜRittelpunft ber ©ühnenfeftfpiele, bie SßieSbaben, bie 
freunblite QueBenftabt, ju einem preußiften 93at>reut^ er* 
loben, fteßt |euer Sßebcr’S „Oberon". $>urdj bie Snitiatioe 
beS ftaiferS toutbe bie romantifdje gauberoper einer Um* 
arbeitung unterzogen, bie ®e£t unb SDtofif in neuem ©e= 
manbe zeigen. Sntenbant Don Hülfen, SWajor ßauff unb 
SapeBmeifter ©tlar finb bie Specutiuorgane beö futferlidjen 
SBiBenS. 

Armer Oberon! wie oft fton ift bir ein mitleibSOoBer 
Srlöfer genagt, ber beiner oorjeitigen ©ergeffenheit baS ernige 
ßeben ju geben toerfprad^! ©eine ©ticffale öerbicfften fit ju 
einer getoottigen 'Jiagöbie, mie bie SBetfelfäfle beincS Ur* 
heberS, ben bie Ungunft ber ©erhältniffe bom ©Buttberfinb 
jum fßianiften, oom Jonbitter jum ©rioatfecrctär unb bom 
©cbulbgefangenen jum fäc^fifc^en Hofcapeflmeifter ftempelte. 
®er „Oberon" mar beS SD?eifterS legteS 28erf; bie ßeimtüctifte 
Äranfljeit, bie ißn befallen, fe^tc feinem ßeben ein OorzeitigeS 
3id. SEBeber fühlte eS unb betrachtete eS als feine heilige 
©fließt, bie furze Spanne fo auSzunu|}en, baß er feine gamilie 
in leiblidb angenehmen Sßcrhältniffen jurücfliefe. So fam ihm 
baS Anerbieten, für baS ßonboner Covent Garden Theafcre 
eine Oper ju componiren, fe^r gelegen. 500 ©funb Sterling 
maren ihm bafür jugefagt. 3- ©landje bearbeitete baS ®ejt* 
buch nach SBielanb’S „Oberon" unb Söeber machte ficb mit 
eiferner Snergie an bie Ausführung. 28e(d)e ©tmierigfeiten 
maren ju überminben! ®ie ©tofif mufjte auf englifdjen ®ejt 
gefegt merben unb Sßeber fannte bie Sprache nid)t. Sftit 
gerabeju erftaunli^er ©rünblidjteit lernte er Snglifd) unb 
brachte eS in furjer geit fo mcit, fction mit ©landje in beffen 
äKutterfprache cortefpembiren ju f(innen, ©eine fdjriftlichen 
Ucbungen, eine namhafte Anzahl goliobogen utnfaffenb, be* 
ginnen mit Sliebcrftrift beS englifeffen Alphabets nnb beffen 
AuSfptache. SS maren 153 ßectionen, bie er bei bent Sng* 
länber Gart) in ben frühen ©torgenftunben nahm, bie erfte 
am 20. October 1824, bie leßte am 11. gebruar 1826, fünf 
Stage uor feiner Abreife nach Sonbon. Anfang beS SaßreS 
1826 mar ber „Oberon" fertig gcfteHt unb ber SWeifter fonnte 
bet Sinlabung ber engliften Unternehmer golge leiften, bie 
Sinftubirung felbft ju leiten unb bie erften Aufführungen ju 
birigiren. 

®rofc beS bebenflidhen ©efunbheitSzuftanbeS reifte er am 
16. gebruar oon ®reSben ab. AIS bie ®hüre feines SBagenS 
jugefchlagen mürbe, bemächtigte fuß feiner ©attin eine furcht* 
bare Erregung, fie ftürmte auf ihr gimmer, fant in bie 
Sfnie unb rief ftlucßzenb mie in graufamet ©elbftanflage: 
„SS mar fein ©arg, ben ich äufchlageu hörte." Sßee Ahnung 
foBte fich teiber erfüllen, fie fah Söeber lebenb nicht mehr 
mieber. 

Sn ßonbon mußte er anftrengenbe geiten burdjleben, 
bie feine zerrütteten Kräfte um fo fcßneBer bem ©erfaß ent* 
gegenführten. ®aö neue 2Berf beftäftigte ihn, mandherlei 
gmeifel ftiegen toor ihm auf. Schon mährenb ber Gompo* 
fition hotte ihm baS Etejtbudj ©ebenfen bereitet. „®ie (Sin* 
mifdjung fo bieler ©erfonen, melche nicht fingen" — fchrieb 
er 1825 an ©lante —, „bie SSeglaffung ber ©tofif in ben 
midhtigften ©tomenten, alle biefe ®inge berauben unferem 
„Oberon" beS SfamenS einer Oper unb merben ihn untaug* 
iidh machen für alle anberen ©üßnen GuropaS." ®ie Stolle 
beS GlfenfönigS mürbe gegen SBeber’S SBiBen für männliche 
Stimme unb gigur jugefdinitten; er mufjte gegen feine Ueber* 
Zeugung unb innere Eingebung feine ©tofif barnadfj feßen. 
®ieS mar bem fiitnoollen Äünftler fo empfinblich, bafj er 
gegen feine greunbe in ©reSben mehrfach fein SRifefatlcn 




äujjerte unb erflärte, eS fönne nie „etrnaS AnbereS als em 
blofjeS ©emachteS" merben. Auch ift eS feht mahtfchtinlith, 
bah er jur beutfdhen Aufführung biefe Stolle für eine Sängtiin 
umgearbeitet hoben mürbe, menn fein ßebenSfaben nicht jer* 
fchnitten morben märe. ®ann mar er oöUig überzeugt, ba| 
mit ber ^Befreiung ber ßiebenben unb ber grofjen ©fen* 
erfcheinung ABeS gefdhloffen merben müffe, ber „dumb-Bhew 
beS §ofeS Äarl’S beS ©rojjen aber ein fehr ftörenbeS unb 
finnlofeS ©uppenfpiel" fei. ABein Sohn ©ufl forberte bieS 
unerläßlich, unb fo erhielten mir menigftenS noch eine hen* 
lidt) fd)öne SDtarfchfcene als gugabe. 

SBeitere SJtühen fdjufen ihm bie englif^en Sänger. SDer 
©ertreter beS §üon, 5ütr. ©raham, meigerte fich, öie groß 
Arie z« fingen, beren gemaltigen Anforberungen feine Äunft 
nicht gcmachfen mar. So fa| fich SSeber gezmungen, noch 
in lebtet ©tunbe für ben (Sriglänber eine neue Arie zu com* 
poniren. @r fchrieb batüber feiner grau: „©raham bettelt 
um eine große Scene ftatt feiner erften Arie, bie aBerbingS 
etrnaS hoch ift- @rft mar mir ber ©ebanfe ganz fötal unb 
ich moBte nichts babon höten. 2BaS ift aber zu tf)un? 
©raham fennt fein publicum unb ift ber Abgott beffelben. 
Sch ntuh bem (Srfolg zu ßiebe überhaupt ein ©tücf Arbeit 
mehr nicht Jcheuen — alfo — frifch hi ne ingcbiffen in ben 
fauren Apfel. Unb bie erfte Arie hob’ ich fo lieb! — für 
®eutfd)lanb taffe id} ABeS, mie eS ift, benn ich h a ff« bie 
Arie im ©orauS, bie ich — hoffentlich heute noch — machen 
merbe." Stoch am gleichen ©ormittag fügte er hinzu: „9tun! 
bie ©d)tacht ift zu ©nbe, b. h- bie £älfte ber Scene. Stach* 
mittag hoffe ich noch, bie SEürfinnen jammern, bie granjö* 
finnen jubeln unb bie Sfrieger ©ictoria fchreien zu laffen." — 
®iefe nachcomponirte Arie ift, fozufagen, im englifchen Stil 
gehalten, mit eigentümlichen ©chnörteteien auSgeftattet, aber 
OoB oon herrlicher ÜDtelobie unb oon hohem lünftlerifchen 
©dhmung. 

Aut mit ber ©ertreterin beS ÜJteermäbchenS hotte ©eher 
SDtanteS auSzuftehen, er fah mit angftooBer ©t«u ber ferft* 
aufführung entgegen, bie enblid) am 12. April ftattfanb. 
®er Srfolg übertraf jebot feine lüljnften Hoffnungen, er 
nahm gormen an, bie man in bem nebeligen Jtlima beS 
SnfelreiteS nitt gemohnt mar. Ueberglüdflit fd>ric6 ber 
SJteifter not in berfetben Statt um ®/ 4 12 Uhr an feine grau: 
„SJteine innigftgetiebte ßina! ®u«h ©otteS ©nabe unb ©ei* 
ftanb höbe it benn heute Abenb abermals einen fo ooflftän* 
bigen Srfolg gehabt, mie oieBeitt not niemals. ®a$ 
©länzenbe unb Stüljrenbe eines folten üoBftänbigen, unge* 
trübten XriumphcS ift gar nitt Z u beftreiben. ©ott aflein 
bie Shreü! 2Bie it tn’S Drtefter trat, erhob fit baS ganje 
überfüBte HouS unb ein unglaubliter Subei, ©ioat* unb 
Hurrah=Stufen, Hüte» unb Slüterftmenfen empfing mit UI| b 
mar faum mieber zu ftiBen. ®ic Ouoerture mußte midier* 
holt merben; jebeS SJtufitftütf jtoei bis brei ffltal mit größtem 
SnthufiaSmuS unterboten. ©raham’S Arie da capo. 3m 
2. Act gatime’S Stomanze unb baS Quartett da capo. Am 
Snbe mit SturmeSgemalt mit heouSgerufen, eine Shte, bie 
in Snglanb not nie einem Somponiften miberfahren ift 
®aS ©anze ging aut üortrefflit, unb ABe maren ganj 
glüdlit um mit h eru m. — So Oiel für heute, mein ge» 
liebteS ßeben, oon ®einem ßerglit müben SJianne, ber aber 
nitt hätte ruhig ftlafen fön nett, hätte er ®ir nitt gleit 
ben neuen ©egen beS Himmels mitgetheilt. — ©ute, gute 
3?att! *3)?ötteft ®u bot l cu te ben glüdlichen AuSgang 
ahnen fönnen!" 

Sefet hatte fit bie erftaunlite Snergie eines ©terbenben 
aufgerieben; ber SKeifter moBte nitts oon meiteren ©erpftidj' 
tungen hören. ®ie ©erliner H°f°P cr hotte ihn eingelaben, 
not im Sommer ben „Dberon" zu birigiren. — „©ein, ich 
müßte nitt, maS mit bazu bemegen fönnte. Stoße, Stuße 
ift je^t mein einziges gelbgeftrei unb foB eS moßl für lange 
bleiben. St h Q be all’ baS Äunftgetreibe fo fatt, baß ich 


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Nr. 22. 


Die ffiegennart 


348 


feine größere Jperrfkfjfrit fenne, als wenn ich ein 3af)r ganj 
unbemerft als ©chneiber leben tonnte, meinen Sonntag hätte, 
einen guten SRagen unb heiteren, ruhigen ©inn." — (DaS 
3ah r ® ar ih m nicht mehr gegönnt, @d)on am 12. Suni 
fenfte ber (Dob feine bunfeln ©chatten über ihn; eine große, 
innere Sefriebigung genährte ihm bie ßuberficht, feiner gamilie 
im „Oberon" ein fd)öne8 unb werthboHeS S3ermäcf)tmß hinter* 
laffen ju haben. 

90?it großem ißomp tourbe bie Seiche in ber 90?oorfielbS 
Sapeüe ju Sonbon beigefegt; man beranftaltete aller Orten 
Äunbgebungen nnb ©unftborfteHungen für feine hinter* 
btiebenen. Slber fein ©chwanengefang fanb nur langfam 
Eingang ju ben Sühnen, mühfam mußte er fich jeben fjuß 
breit ©rbe ertämpfen. Sftiga war bie erfte ©tabt, bie baS 
SBeifpiet SonbonS nadjahmte; in Seipjig fanb bie erfte Stuf* 
führung auf beutf^em Soben ftatt. am 24. (December 1826 
würbe bafetbft jur geiet beS ©eburtStageS be$ königS nach 
einem fßtolog Don SRethufalem äRüHer baS SBerf in glanj* 
Doller Snfcenirung borgeführt. Hamburg, SreSlau folgten; 
überall ermedtten bie SBeber’fchen (Döne einen begeifterten 
SBiberhatt. SRur in SBien fanb baS SBerf wenig Stnftang. 
kein SBunber! h^r glaubte man fc^on SBeber berbeffern ju 
müffen. Sluf bent (Eheaterjettel bom 20. 90?ärj 1827 heißt 
eS: „nach ber JSeU’fchen Ueberfegung aus bem ©nglifdjen beS 
(ßlandj£ bon STOeiSl bearbeitet. SWufif bon 6. 3Jf. b. SBeber; 
nach bem 6labier»Slu3juge inftrumentirt, bermehrt unb 
abgeänbert bon granj ©läfer jum Senefij beffelben." Unb 
ber ©cifteSmörber Würbe nicht auf’s SRab geflößten?! — 

Serlin hinfte, wie gewöhnlich, langfam hinterbrein. 3m 
berliner ©onberfationSblatt bom 3anuar 1828 fragt ein SBiß* 
begieriger: „SBarum ift ber Oberon bon 6. 90?. b. SBeber 
noch nicht ju Serlin jur Slufführung gefommen?" 3®ei 
Jreunbe unb SeboHmäd)tigte ber gamilie SBeber gaben ben 
Sefcheib: bie ffwfoper habe juerft 800 jCEfaler als tponorar 
in StuSfidht geftellt, bann aber nur 500 geboten. (Die Sor* 
mftnber . ber SBeber'fchcn kinbet glaubten in beren 3ntercffe 
ein möglichft fyotyeS Honorar erwirfen ju folleit unb machten 
einen Sontract mit bem königftäbtifchen Theater, baS fich 
bereit erflärte, 800 (Dhaler gijum nebft entfpredjcnben (Dan* 
tiemen ju jaulen, ©egen bie Slufführung proteftirte bie 3n* 
tenbanj, unb eine fef)iebSridt>terticf)e ©ommiffion oerbot bie* 
felbe im königftäbter XEtccxter. ©o fam enblid) bie ©rft* 
aufführung auf ber königlichen Sühne am 2. 3uti 1828 
ju ©tanbe. 

(Der ©rfotg war wieber außerorbenttich. 9D?idjael Seer, 
ber Sruber 9Keherbeer’S berichtet barüber: „(Die Siebe, mit 
ber fich SltleS beeiferte, ben ©chwanengefang unfereS Der* 
ewigten greunbeS wieberflingen ju laffen, hatte etwas SRüh* 
renbeS unb ©ifd)ütternbe8. (DaS publicum empfanb es unb 
rief Sille Ijfrbor. 3nt Saufe ber (DarfteUung würbe au her 
ber Ouoerture baS reijenbe Ouartett im 2. Stet unb baS 
(Duett jwifchen ©cheraSmin unb gatime da capo berlangt 
unb gefungen. (Der ©ntfjufiaiSmuS, ber baS SBerf erregt hat, 
war nicht, wie man glauben bürfte, ein ©rjeugniß ber Offen* 
tation unb ^ßarteifucfjt. — <53 war bie ■ reinfte ©mpfinbung 
ber erheiterten §erjen, bie fich wenigftenS beS geiftigen, 
ewigen SebenS beffen erfreuten, ber un3 Stilen leibet ju früh 
entriffen worben." 90fan war allenthalben oon ber SBieber* 
gäbe fehr befriebigt; felbft „bie Serliner ©ftaffette, ein lite* 
rarifcheS OppofitionSblatt" bergaß ihre Oppofition unb fagte: 
„kunft unb Fracht haben fich bereinigt, um ba3 legte SBerf 
be3 unterblieben SBeber fo auSjuftatten, wie bie himmlifchen 
(Döne, mit benen ber 9D?eiftcr fein fdjöneS, ber Harmonie ge* 
WeiljteS Seben enbete, e3 toerbienen." 

3n ißaria würbe fchon 1827 bie Oberon*OuDetture jwei 
9Ral in ben Concerts da Conservatoire gefpielt unb mit 
inniger SBärme aufgenommen. 2)ie Oper foöte erft fpäter 
folgen. „<5ine Keine beutfehe Gruppe lieh 1830 ben ooH* 
ftänbigen »Oberon* im Tbe&tre Favart (ber heutigen Opöra 


comique) jWei ÜWat hören. ®ie SRoKe ber fRejia fang bie 
berühmte ©gröber* ©etirient. Slber bie Gruppe Wat fe^r 
unooHftänbig; ber ©hör ärmlich, baS Drchefter miferabet, bie 
$>ecorationen burchtöchert, wurmfrähig, bie ßoftüme jämmer» 
(ich, jertumpt; ba3 einigermahen einfichtSooÜe, mufifalifche 
fßublicum war gerabe nicht in fßariS, ber Oberon blieb un* 
bemerft" — fo fdjreibt Serlioj in wehmütiger ©rinnetung. 

Slber nicht nur in ißariö, auch ' n ber beutfd)en ^eimath 
lieh ber ©rfolg aümälig nach, unb bie 9?örg(er unb Seffet* 
wiffer fugten ben ©runb bafür in ber mangelhaften (ton* 
ception be3 SBerfeS. 9D?an hatte ja bie hanbfdhriftli^en Se* 
Weife in $änben, bah SBeber mit jener Raffung, bie er bem 
®rama für ©nglanb gegeben, feine Slrbeit gegenüber ber 
beutfehen Sühne feineöwegS für abgefchloffen hielt. 9D?it 
biefen ®ocumenten glaubte man fich juglei^ bie Sefugnih 
unb wohl auch bie Sefäljigung erworben ju haben, na^ 
eigenem ©utbünfen Slenberungen unb Umgeftaltungen oor* 
junehmen, bie eine thatfädjtiche Serbefferung bebeuten feilten. 
Sll3 ob e3 fo leicht wäre, im ©inne eine3 @eniu3 wie SBeber 
)u benfen unb ju componirenü 

90?an beeilte fich, ä«nächft ben ©ialog in SRecitatiue um* 
juwanbeln; ©ir 3uliu3 Senebict, ein ©dhüler SBeber’ö, hielt 
fich baju am erften berufen, ©ine jeitgenöffifche kritif fchreibt 
über biefen Serfucf): „Senebict’3 fRecitatioe finb wohl ju 
lang, unb e3 war gewifj unnöthig, bafür etwa3 auö @u* 
rpanthe ju entlehnen. Oberon mit feiner Sartitur in erfter 
©eftalt ift ein Wunberoolleö SBerf. ©3 würbe begonnen, alö 
SBeber fchon recht franf, unb tooHenbet, a(3 et förperlich fchon 
faft gänzlich erfchöpft war. Slber e3 ift nicht ©ine fRote 
batin, bie bie Schwäche be3 ©terbenben Derrätlj. 3n Oberon 
ruht eine berfdjwenberifche gülle Don melobifdhem fReidjthum 
unb neuen formen ber Snftrumentation in ber Segleitung. 
©3 ift ein Setbredjen, fotdh’ ein 9D?eifterwerf irgenb* 
Wie ju mihhanbeln." 9D?it ben fpäteren Umarbeitungen 
hatte man ebenfo wenig ©tüd. ©ranbaur unb SBüQner 
bereinigten- fich jar festlichen wie mufifatifd^en fRegenerirung: 
bie ©efdgidlichfeit unb ©innigfeit be3 9D?ufifer3 würbe aner* 
fannt, ber „oft fehr glüdlich mit Seitmotiben operirte, bie 
er au3 ber reichen 9D?elobienfammer ber SBeber’fchen Opern 
entnomfnen unb in günftige orcheftrale Seleuchtung gebracht 
hat ."' (Doch auch biefe Raffung fonnte fidh nicht auf ber 
Sühne behaupten. (Die SBiener Slu3gabe bejei^nete man 
gerabeju al3 „ein Sittentat auf SBeber, ba3 einen glänjenben 
®urdhfatl jur golge hatte. 9Ran hatte au3 ber Oper ein 
gtofje3 SaUet mit (Dioramen unb etwa8 SBeber’fcher SRufif 
jur Segleitung gemacht unb fie unter Seitung eines alten 
SaDetbirigenten geftellt." ©o war auch fp et ein SRifeerfolg 
unausbleiblich- ■ 

SlngefidjtS aQ’ biefer trüben ©rfahtungen bliden bie 
SBeberfreunbe ängftlich unb beflommen nach SEBieSbaben hin* 
über, wo man abermals burdj einen operatiben ©ingriff ba8 
©chmerjenSfinb ber SBeber’fchen SRufe für baS moberne kunft* 
leben ju erhalten fuchte. (Der momentane, patriotifdje @ntf)u* 
fiaSmuS fann hier nicht auSfdjlaggebenb fein; erft bie 3u* 
funft wirb lehren, ob ber fü|ne SBurf gelungen ober ob 
man ber 74 jährigen Oberon *(£ragöbie nur einen neuen Stet 
hinjugefügt. 


(litt „bettifther ®olbotit w . 

Sion Dr. Curt f]*inrtd;. 

„... Um mich einigermaßen ju jerftreuen, legte ich ntief) 
bep müßigen ©tunben mehr als jemals auf unterrid)tenbe 
Seetüre, unb jum Umgänge wählte ich, ®eit mir jegt aQe 
raufdjenben Sergnüguttgen äußerft juwiber waren, einen 
©irfel bon ©eiehrten unb künftlern, worin ich m ir unter 


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344 


Die (Segenwart 




2lnbem auch ben berühmten ©eiehrten unb Dichter ßeffing 
gum greunbe erwarb. Er gab fidj oiel SRühe, mid) burd) 
feinen Unterricht gu einem bet)faflSmürbigen Scßaufpieler gu 
bitben; weil er aber gu biefem gad)e mehr guten SBiden als 
wahres latent bet) mit bemerfte, fo lenfte er mich gugteidj 
auf bie, meinen gähigleiten me h r angemeffene ßaufbahn eines 
bramatifdjen Did)terS unb gab mir bagu bie erften mistigen 
gingergeige." 

Dies gef^ah gu SreStau im 3ahre 1763, unb bet eS 
fpäter als ftotgefte Erinnerung feines ßebenS aufgeidjnete, 
ift ber Sd)aufpieler unb Sdjaufpielbid)ter Sohann Gh r ’ft- 
SranbeS, geboren 1735 gu Stettin. 2ÜS et oot hunbert 
Sahren, ein miiber SRann, in Serlin ftarb, t)i nter ließ et 
noch «ine breibänbige ßebenSgefdjichte, bie fich h cute ei” 
attmobifcher, liebenSmürbig gefdjwäfciger Vornan tieft, SBahr* 
heit unb Did)tung auS bem Dafein eines fahrenben SRanneS, 
ber nach einer fangen Sugenb „auf ber SBalge" Oott wunber* 
barer ßwifdjenfäHe unb 21 ben teuer, Satire hiaburd) fe'«e 
Wänbe üergeblich nach bem Drange beS SRimen auSftrecfte 
unb bann hoch Sahrjeljnte lang SRitglieb faft aller bebeu* 
tcnben Gruppen unb Sühnen beS beutfdjen SaterlanbeS unb 
über feine ©rengen hinauf toat, oor 2lflem moht babei ge* 
fdhä|)t als SRann feiner grau, ber talentooflen, tiebenSWiir* 
bigen, aud) oon ßeffing bewunberten*) Sharlotte SranbeS 
unb als beliebter, routinirter Sühnenfd).riftfteIIer. 

Daß er als folget nicht umfonft in bie Schute ßeffing’S 
gegangen ift, geigen bie 1774 in gmei Sänben gefammettcn 
ßuftfpiele. Einige frühere Serfudje wie „Der Zweifler" 
trugen noch gang frangöfif<h*fäd)fifd)en Eharatter. §ier 
fommt unS überall bie Erinnerung an ben Dichter ber 
„SRinna" bei, in braoen aber unfäglid) matten DurchfdjnittS* 
toerfen treten unS „SRüljrftüd" unb „comedie serieuse“ ent* 
gegen, unb in feiner SRecenfion in ber „2lHgemeinen beutfchen 
Sibliothet" burfte Efchenburg ben 2lutor wegen ber Seidig* 
feit feinet Dialogführung unb feiner großen Seliebtljeit beim 
publicum atS „beutfchen ©olboni" feiern. gmangig Starre 
fpäter hat SranbeS bann feine „Sämmtlidjen bramatifdjen 
Schriften“ in gehn ftarfen Sä üben hcrauSgeben f Annen. 2lbcr 
bie Schtager feiner „SRufc" waren bodj bie Stüde jener erften 
Sammlung gebtieben, ihnen hatte er bie ®unft beS Dagcs 
gu ücrbanfen gehabt. Unb beßhalb finb fie unS heute oießcirijt 
ein wenig intereffant atS DurchfcßnittStunft eines Durd)* 
fchnittSmenfäjen, boppctt charafteriftifch für ßiteratur unb 
ißublicum feiner Epoche. 

Eines fehen wir ba fofort ftar: wie fchr ber Weite Sßeg 
bon ber „Sara Sampfon" gut „SRinna üon Sarnhetm" nur 
ber fräftigen ißerfönlichfett ßeffing’S fetbft möglich war; äße 
bie Keinen Nachahmer unb Siachciferer auf ben Sahnen, welche 
brüben in Engtanb unb granfreid) guerft eingefchtagcn worben, 
blieben in enblofett Dhränen unb Seufgern ftäglich fteden, 
ober aber fie glitten halb auf bie bequeme Sahn beS alten 
Scf)lenbrianS gurüd unb boten, unbefümmert um bie „niebrige 
fRangorbnung ihrer Eprobucte" bem Sublicum, waS eS eben 
bod) h°^en wollte, „anftänbige Weiterleit“ unb platten Sd)erg, 
wobei eS ja auch feineSWegS neuen SBein unb neue Schläuche 
oerlangte. Segeidjnenb hierfür ift Soh- Ehrift. ©tanbeS, ber 
nach beiben Dichtungen hiu feit 1763, eben ber für ihn 
bebeutfamen Sefanntfdjaft mit einem ber ©rößten, fleißig 
unb gelehrig tfiätig war unb ficf), für bie gwei nächften Saht 5 
gehnte wenigftenS, SRuf unb Epiafc in ben ^Repertoires aller 
namhaften Sühnen DeutfdjlanbS erwarb. Sefcheiben, ent* 
gegenfommenb, unb üon fcf)Wächli<her Unfelbftänbigfeit, ließ 
er fid) babei oon SBinfen literarifcher greunbe, gu benen in 
Sertin befonberS auch ®ngel unb fRamler gehörten, unb ben 
SEBünfdjen ber Sühnenteiter immer leidet beftimmen, unb 


*) ®ie mußte in SreStau auf ßeffing’8 SSunfcf) als SDtitglieb ber 
©tf)ucf)’f(i)en Gruppe bie Sophie im „gamtltenBater" fptelen unb ber 
berühmte „Uebcrjeper" forgte perfönlid) babei für ihre ioilette. 


manche feiner Stüde, wie „Der geabette Kaufmann" ober ber 
„SRamenStag" finb an oerfchiebenen Orten — W am burg unb 
SBien — unter oerfchiebenen Diteln mit oerfchiebenen SJkr* 
fonennamen unb 2lcteinthei(ung gegeben worben, ohne baß 
ihr eigentlicher Äern baburd) beränbert war. Diefer, alfo 
bie Wanblung beS Dramas, war babei immer feine fd)Wäd)fte 
Seite. So meinte Engel fdjon, ber, nachbem er ihm ein 
Eompliment über feine leichte Dialogführung gefagt hotte, 
hingufügte: „... aber einen guten fßtan gu erfinben, ift Sh« 
Sache nicht". Sn bem ernfteren ©enre, bem er felbft hin unb 
her fd)Wan!enb bie Ditet „Schaufpiel" unb „Suftfpiel“ leiht, 
lehnt SranbeS fich babei eben gang an bie „comedie serieuse“ 
unb „larmoyante* an unb faft überall entbeden Wir ohne 
ÜRülje befonberS Ceffing’fche unb Diberot’fd)e Einflüffe. Sm 
Winblid auf ben „pere de famille*, neben ben ja ber greis 
ßerr o. ©emmingen halb feinen „Deutfdjen W auöDa ter“ feßte, 
hat fo SranbeS noch ’ n fpäteren Sohren einen „Sanbesoater" 
gefeßrieben, beffen erften Seim er felbft auf ben perfönlidjen 
Einbrud gurüefführte, Welchen griebrich ber ©toße unb „fein 
würbiger SRachfolger, mit aßen Eigenfd)aften unb gürften= 
tugenben gefchmüdt" ihm gemacht hatten. 

2lm beiiebteften waren ber „@raf oon Disbach" unb „Der 
©afthof", bie unS nun birect oon ber„ÜRinna" infpirirt erfcheinen. 
ES ift berfelbe neutrale Sobcn, ber bie Einheit ber Wanblung 
fo feljr erleidjtert; ber ÜBirth im „©afthof" tritt unS als guter 
Sefaitnter: ein farifirter „Wert ©robian", entgegen, „ißipS" 
geheißen; ßend)en ift als treue Äammergofe unb greunbin 
Ihrer Werrin nach ber grangisla gugefeßnitten, unb ein weicher 
Ebetmuth fließt unb tröpfelt burch baS aange Stüd, ebenfo 
wie burch ben „©raf oon OlSbach", beffen „üerabfdjiebete“ 
Dfficiere fich unS gerne als Stameraben Deüheim’S oorftellen 
möchten. 2BaS aber gang fehlt, ift baS, woburd) fi<h fieffing 
auS ber feuchten Dhränenatmojphäre beS reinen JRührftüde# 
emporgehoben hatte, bie männlich frohe ßaune, ber freie unb oft 
auch latente Wumot, ber auS ber „ÜRinna“ baS erfte beutfdjc 
ßu ft fpiel gemacht hatte. Dafür entfdjäbigteSranbeS fein Sßubli* 
cum burch f e * nc Ännft ober auch Ä'ünfte, welche er in feinen langen 
ßeljr* unb SBanberjahren erworben hatte unb bie befonberS 
barauf auSgingen, burch „fomifche Situationen" baS ©elädjter 
gu erregen. Unb waS fanb baS begopfte, tleinftäbtifd)e 
©ublicum ks achtgehnten SahrfjmtbertS nicht alles belachenS 
werth- 2Bie oiele gute Sefannte würben immer wieber als 
urfoinifd) angeftaunt unb wie oft noch rief eine uralte WanS* 
Wurftgrimaffe bonnernben 2lpplauS heroor. Sei SranbeS geigt 
fich babei aber bod), wie gut er bie 2lufgabe ber lebenbigen 
Sühne begriffen hatte, unb biele Semertungen, befonberS in 
ben Sorreben gu feinen Stüden taffen ben erfahrenen D^ato* 
mann erfennen. Er weift auf bie große Sebeutung beS 
feenifeßen SilbeS hin, erörtert bann eingehenb ben Unterfchieb 
gwifdjen Such* unb Sühnenbrama unb hübfd) ift eS, wenn 
er eS für nöthig hält, jebem Stüde eine 2trt oon „Älingtlang 
oorgutoeben", Weil burch baS ©eräufd) ber 3«fpätfommenben 
unb bie lauten Segrüßungen ber Damen bie erften Scenen 
ber Ejpofition bem publicum faft jebeS SM oerloren gingen. 
So fchauen mir im „©eabelten Kaufmann" beim Weben beS 
SorhangeS auf ein buntes SRaSfentreiben h<rab, baS an fich 
fd)on bem fRegiffeur ©elegenheit gur Entfaltung groteSfer 
Eoftümfomif barbot. 

Einen tjübfehen Sd)Wan!ftoff, ber — mutatis mutandis 
— üießeicht auch n0(j h J u einer mobemen SurleSfe bienen 
tönnte, enthält „Die Woehgeitäfeper" ober: „Sft’S ein SRann 
ober ein SRäbchen?" Der junge ©raf hält ftd) eines DueUeS 
wegen auf bem Schlöffe feines greunbeS, beS SaronS, ängft* 
lieh oerborgen unb wirb beßhalb oon ber einen fßartei, b. h- 
befonberS oon einer ber beiben SdjwiegermamaS, welche gur 
geier beS W°fhg e i^lageS auf bem S^loffe eingetroffen finb, 
für bie oerlleibete ©etiebte beS SaronS; oon ber anberen — 
Sartei unb Schwiegermutter — für ben ©eliebten ber Saronin 
gehalten. Daraus ergiebt fich e io ganger fRattenlönig tomifcher 


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Nr. 22. 


Die ftegetnoart 


845 


©ertoedjfefangert, beten Stufftärung am Schluffe ein alter 
$iener ermöglichen mu|. S)aS ©tüd mar recht beliebt unb 
eß beburfte ja and) feiner befonberen ©djaufpielercapacität, 
um bie Storni! feltfamer Srrtljümer unb complicirter ©c^lüffel* 
(ochbelaujchungen genügenb hetuortreten ju laffen. ©iel feiner, 
man fönnte faft jagen, mobern muthet uns bagegen bie Sbee 
beä breiactigen Suftfpieleö: „33aß bem Sinen recht ift, ift 
bem Slnbetn bittig" an; t>ieÜeid)t gerabe befsljatb, weil ber 
Jtutor e§ „unferer naterlänbifdjen ©cnfungöart nicht oöllig 
angemeffen" finbet. Sarott ©altnour ift feinem jungen 
brauchen bon £>erjen jugett)an, hält cS aber nicht für „bon 
ton“, biefe feine Siebe ju geigen, fonbern er proflamirt — 
öorläujtg für fich — ba§ 9?ccf)t, um bie SKinne beö grau* 
leinS Henriette bon Siubenhapn, einer greunbin feiner grau, 
roerben gu bürfeu. SKit £>ü(fe biefer munteren ®ame unb 
ifpreö emfthaft ©eliebtcn übernimmt bie ©arontn aber halb 
bie Teilung beö ©rillenhaften, inbem fie fcheinbar ruhig auf 
feinen ©orfcfytag eingeht, bann aber baffelbe ©echt auf Slujjeit* 
liebe auch für fich in ?lnfpruch nimmt. 2Benn in ber ®h c 
„duo facinet idem, est idem* 1 , ift bie äWoral beö ©tücfeö, 
baö unö am ©djluffe bie Sßerfpectibe in ein ^armonifehcS, 
„unferer naterlänbifchen ®entungöart angemeffeneö" ©heleben 
eröffnet. 

®iefe beiben Snhaltöangaben roerben genügen, um einen 
SSegriff bon bem SJübeau unb bem Inhalt biefer Suftfpiet« 
probuction ju geben, roie fie fünfbiertel Sahrhunbcrt bor 
©lumenttjal unb &abeiburg ba$ publicum ergöfcte. ©ei ber 
hartnäefigen STrabition aller Äomif finben roir benn and) bei 
©ranbeö ohne ©errounberung noch berfdjiebene ©tanbart*©h° l 
rattere ber Sffieltliteratur toieber. ©o lieh et fid) burd) 3Ko» 
liete unb bier uerfchiebene „avari“ bcö ©olboni nicht ab* 
fdjrecfen, einen ganj abfeffeulidjen „jungen ©einigen" auf bie 
©ühne gu bringen; roeiter treffen roir ben „|)ageftolgen", 
ben „©eabelten Kaufmann" afe „bourgeois gentilhomme“, 
unb ber fomifche ©ontraft groifchen „©tabt unb Sanb" ober 
bie..„©rofeftabtluft" finbet eine brabe ©earbeitung in bem 
„Sanbjunfer in ©erlin", roo auch ein etroaö roeitläuftiger 
©etter SRiccaut’S be ta dftatlinierc auftritt. UeberaH hier 
ift bie fcenifche 2)etailroirfung be§ ?lutorö ©tärfe unb bie 
bon Äritifern gerühmte Seichtigfeit „macht fich borthcilljaft 
gettenb.“ 

—--—MH- 


gffutffetou. 

- 9tad>bru<t verboten. 

ijoljeß Spiel. 

Son £onts Conperus. 

9lit« bem ftottänbifchen. 

(Jortfefrung.) 

-Son allen ©eiten waren bie gum Satt gelabenen ©äfte 

herbeigeftrömt. Siele wohnten im föniglidjen ©Stoffe unb leinen 
biffon«, bie meiften aber blieben auf ihren galten im #afen ober auf 
bem ber Königin gur Serfügung geftellten Dampfer. 3eben borgen 
führten bie SBagen biefe göhllof«n ©äfte nach bem ©djloffe, roo fie ben 
ganzen Jag Oerlebten, unb bie $irteninfel mit einer feltfamen SBeltlid) 5 
feit erfüllten. Ja fah man elegante (Squipagen, bie müfjfam Me fteilen 
SBege ljinaufrotlten, bann in eleganten Jotletten, bei beren Slnblid bie 
Snfelberoohner ihre klugen roelt aufriffen. (Sine tolle Seftluft umfehroebte 
ba« ©d)lofe. 3« einem einigen Jage improbifirt, foHten lebenbe Silber 
geftellt roerben, bon berühmten ttRalern arrangirt, bon berühmten (£om= 
poniften begleitet. Jie benegiantfehe 9?acht roar roie ein Jraum. Unter 
bem Haren ©ternenhimmel, auf bem amethhftfarbigen SReer fdjroammen 
bie gefdjmüdten ©onbeln, belebt burch bie herrliche 3ßumination, bie 
buntfarbigen (Softiime, ben JJlirt unb ©efang. Unb ba« (Sd)o jener 


Sefte fanb man in ber JageSpveffe roieber, in ben Sfertcpten berühmter 
3oumaliften. Jer Slumenbatt aber follte an Fracht affe« übertreffen 
unb etwa« märchenhaft ©cpöne« roerben. Jie Königin flleyanbra hatte 
Sitte« gethan, um einen glängenben (Erfolg gu ficpern, unb hoch! rote 
roenig gehörten ihre ©ebanfen bem Sefte. ©ie bachte an ganj anbere 
Jinge. ©ie hatte burch jene turje, heftige ©eene in SBlabimir eine 
ftitle geinbfeligfeit geroedt, bie mit jebem Jage ftärfer rourbe unb immer 
roieber in ttnehrerbietigen Porten, in einem Sluche, in einem Jhür$u* 
fchlagen fich üujjerte. 3)ie ®äfte merften e« rooljl: ber junge Ä'önig 
roar ber ganzen ©ache überbrüfftg. Unb man erzählte fich, er fei in 
(Siena oerliebt unb roolle fie um jeben S*ei$ heiruthen. Stan bachte 
jroar, ba^ e§ bahin nicht fommen roürbe, aber ehe er roieber $ur Se« 
finnung fam, fonnte Siele« gefchehen. Jer Äönig, gu beffen Safftonen 
e« gehörte, glängenbe gefte gu feiern, roar fehr lieben«roürbig gu allen 
®äften, nur bie Gräfin (Softi bentachläffigte er auffaHenb, gur groben 
Seluftigung ber übrigen ^errfchaften. Unb fie amüfirten fich bamit, 
ba« ©charmüpel ber Slide groifchen ber‘©räfin Softi — einer Stalicnerin, 
bie fich am römifchen ^önig«hafe unmöglich gemacht — unb (Siena hciui^ 
lieh gu beobachten. 9tte fprachen bie beiben Jamen miteinanber, nur 
hodjmüthige, roüthenbe Slide roarfen fie fi<h gu, roährenb fie mit iro* 
nifchem fiächeln gegenfeitig ihre Joiletten mufterten unb fritifirten. 
Unb $ring ^bgart unb bie $ergogin bon fiuca roaren entgüdt bon 
(Siena, ©ie roar fein fchüchteme« Räbchen mehr, obwohl fie bei ber 
Königin in Ungnabe gefallen roar unb gleich nach bem Slumenbaü nach 
Jhracien guriidlehren follte. (£8 lag in ihrer Haltung, ihrem ©ange 
etwa« Jriuraphirenbe«; fie trug ben $opf hö^r, roar felbft- 

beroubt, unb, ohne gegiert gu erfdjetnen, fonnte fie, wenn ber ßönig fie 
anrebete, allen jenen SRenfchen ringsum, bie fie beobachteten, burch einen 
eingtgen Slid gu berftehen geben: Jer Äönig beachtet mich, ber ßöntg 
liebt mich unb ber ftönig thut roa8 ihm gefällt unb roa« er roiü. Wa$ 
er will, berftanben?! £)hue fuh roeiter um $aifer Dthomar unb bie 
Sringeffin bon SDp^cu gu fümmern. ©ie war gang beränbert. ©ie 
fepergte mit einer geroiffen graeiöfen Seichtigfeit, ohne gu flirten, unb 
nur wenn fie mit bem tfönig fprach, lag in ihrem fdjergenben Jon ein 
gärtliche« (£troa8, ba8 nur fie Seibe, fie öeibe gang allein, berftehen 
follten. 2ln ihrer ^anb funfeite ein herdidjer ©tein, ein ^Ingebinbe 
be8 Äönig«, unb al8 bie ftergogin bon Suca, fich ^aib fteflenb, fie ein* 
mal fragte, bon wem fie benn ben 9Ring befommen, antwortete fie 
triumphirenb unb hoch gehetmnifjboll: „Jiefen SRing? Jen habe ich 
bon ©einer SRajeftät. Slber bitte, liebe ^ergogin, fprechen ©ie nid)t 
barüber, benn bie Königin weife e8 nicht." 

Jer Königin gegenüber blieb ©lena ftet« ehrerbietig, aber fühl 
unb referbirt. ©ie bat nicht um Sergethung, auch uicht um bie ©nabe, 
fie bennoch bei fich gu behalten auf ?ayo8. Unb Wleyanbra, bie wohl 
roufete, bafe (Siena 1 « Sater — ein armer (General, ber eben gum $frteg&= 
minifter beförbert roar — feinen Pfennig befafe unb froh roar, feine 
Jodjter al« ßofbame, auf $ayo§ g U t nerforgt gu roiffen, roar ber ?lnficht, 
groifchen bem $önig unb (Siena fei bereit« ein btnbenbe« Serfprechen 
au«getaufcht worben; ferner glaubte fie, Sriani, einmal Srtoatfecretär 
be« Äönig«, roürbe bem $önig fchon bon biefer unftitnigin Serbinbung 
abrathen, worauf ber Sfönig bann erft recht biefe (Sh« eingehen roürbe. 
@r roar ja noch ein unbefonnener 3unge unb roürbe Siparien faum 
fürchten. (Sr fühlte fich iuit feinem Satbenü s jfönig«blut btel gu fehr 
gum ^errfdjer geboren, al« bafe er Siparien gefürchtet hätte. Unb er 
roürbe bie $ringefftn bon Serien Pb«» taffen unb . . . 3h*« ®ebanfen 
fchweiften immer weiter, ©ie liebte ihren ©ohn, aber auf ihre SBetfe: 
erft fam fie felbft. (Sr mochte nach ih*«ui Jobe h«**fth«n: roar er hoch 
biel gu jung für ein fo fchroierig gu regierenbe« SRetch roie Jhraden. 
©ie aber roürbe Siparien« ©unft roieber gewinnen, fobalb ihr ©ohn bie 
©unft be« ÄaiferS berlöre. Unb Siparien war für fie Sille« .... 

Slm Sorabenb be« Satte«, roährenb affe ihre ©äfte mit ben Sor* 
bereitungen gu thun hatten, fchrieb fie an Äaifer Othomar einen Srief. 
©ie fonnte Sriefe fdjreiben, wenn fie nur wollte. Unb fie fchrieb ihm, 


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346 


Die töegenroart. 


Nt. .21 


bafe fic 04 unenblicp freue über ben ©cfucp tpreS ©opneS, aber fie, fei 
ebenfo fe^r beunruhigt über feine aü§u große Unbefonnenpeit, unb bafe 
fte eS ebenfo gerne jähe, wenn pep balbmöglicpft feine ©erbinbung mit 
ber ©rinaefpn bon Serien nottaöge, biefer bernünftigen unb bocp jugenb* 
licpen ©rinaefpn, bie ihn geroife auf ben richtigen fÖeg führen würbe.. 
©Ie la$ ihren ©rief noch einmal, fein überffüfpgeS SBort ftanb barin, 
aber ©ieleS liefe pep awifcfeen ben geilen lefen, g. 8. bafe ©ßabimir ju 
ber ©erbinbung mit ber ©rinaefpn burcpauS feine Steigung berfpüre. 
Senn fie hoffte, bafe ber Äönig, wenn er, fchon gereift wie ein junger 
©tier, in biefen Sagen, wo er pep fo oftentatio um Siena bemühte, 
einen ungnäbigen ©rief bom liparifcpen $of befäme, gan$ gewife fchon 
auS ©HberfbruepSgeift ben bummen (Streich begehen werbe, ©ie wägte 
ein hohe* Spiel, mit aß’ ipier ©tenfcpenfenntnife, aber eS war für fie 
ein pridelnber ©enuß; ein nieberer Sinfap hotte für fte leinen Sfeia- 
Unb am ©torgen bor bem ©aß, in aller grüpe fchon, machte fi<h ein 
©ourir auf ben 2Beg mit bem ©riefe ber Königin an ben Äaifer. 

3m grofeen ©orppptfaale, ber jugleich eine ©erbtnbung ber bor* 
beten unb hinteren Serraffen beS ©cploffeS perfteflte, war e$ an biefem 
Äbenb, als ein langanpaltenbeS ßäuten ertönte, faft ganj finfter. Surcp 
bie berfchiebenen Spüren traten lautlos bie ©tosten ein unb berfchwanben 
in ber Sunfelpeit: fte würben auf ihre ©lä&e geführt, mit einem Ieifen 
glüftern, einer berhaltenen Suftigfeit. Äaum lonttte man baS fehett, 
waS eigentlich loS war. SS war eine merfwürbige SrÖffnung eines 
©alles . . . Snbeffen berrieth fleh eine grofee ©eugierbe in ben ftißen 
Oruppen, benn man fannte baS ©rogramm ber Königin nicht. ©tan 
liefe fuh alfo burch bie Sermonienmeifter feinen ©lafc anweifen unb ge* 
horchte bem ©tanfepe, nicht ju fprechen. ©tumm unb ftifl wartete man 
ab. ©aepbem bie ©ruppen placirt waren, erflang ein träumerifcheS 
©orfpiel, ju welchem bie grauen ©elfter ber Stocht mit glebermauS* 
flugein wie Stodjtbögel burch ben ©aal fcpwebten, ein ©aßet tankten. 
Sann aber fchwofl bie ©fupf an, unb peflflingenbe ganfaren fchienen 
aus ber gerne periiberautönen. ©on aßen ©eiten begann baS Sicht 
auS, Äränaen bon eleftriicpen ©luraen ju praplw, unb iß bem rpfen* 
farbigen Sicht erblidten fich bie ©äfte enblüp. Unb fchon biefeS ©ich* 
fepauen wirlte überrafchenb genug. 2Bie ein gaubergarten erheßte fich 
ber ©aal, unb bie ©taSfen bilbeten wie ein bichteS ©lumenbeet, bon 
bem man noch nicht gauj beutlich bie garben. unb gornten unterfcheiben 
tonnte. Unb jebeS biefer ©eete war ein lebenbeS ©ilb, unb jeber ©aft 
war bem anbern eine Ueberrafcpung. Sin lauter ©eifaß begann burch 
Me Suft ju fcpwirren, unb man hörte ben Stuf: „SS lebe bie Königin! 
hoch!" Äber plöplicp erflangen bie ganfaren eines nahen OrcpefterS, 
unb bie gelben unb rofafarbenen ©ortiferen ber ©orberterraffe würben 
gelüftet. Sann erftrahlte baS ©chlofe Don aßen ©eiten im heßgelbem 
Sichte eleltrifcher ©onnen, bie überaß hin ©tröme Don ©lan$ warfen. 
28ie ein grofeer SopaS glänzte baS ©chlofe, unb betäubenb laut fepmet* 
terten bie ganfaren. Unb bie ©onne ging auf über bem gaubergarten 
ber Königin Älepmbra. 3iu golbenen ©tagen, hier golbge^äumte 
©chimmcl lenfenb, fuhr SBlabimir hoch aufgerichtet wie ein SSirbelwinb 
herein. SBilb, ungeftüm fuhr er über bie borbere Serraffe, unb erft als 
er in ben ©aal einfuhr, a«>ong er feine ©ferbe jum ©epritt. Sort hielt 
er nun mit feinem bon greube unb ÄuSgelaffenpeit glühenben ©epepte. 
Sr gefiel fich auSnchmenb in feiner Stoße. Sr trug ein SBamS auS 
©olbbrofat mit einer ©onne non Sbelfteinen auf ber ©ruft über einem 
bergolbeten ©anaerpemb, baS feine Ärme unb ©eine umfpannte. Sine 
riefige Äureole bon ©onnenftrahlen umfing fein furaeS, fraufeS §aar, 
unb fein rotpeS, fröhliches ©eficht mit ben fleinen, lauernben, lachenben 
Singen prahlte. Sin golbener Hantel waßte bon feinen ©epultem herab, 
unb in ber #anb trug er einen golbenen ©ogen unb Äöiper. ©einen 
©tagen umtanaten bie fwren, buftenbe Stofen ftreuenb. Sie ©tupf 
fpielte einen ©tarfcp, unb ein Spor erflang. 

„©afet mal auf, gleich totrb er toß unb fährt unS Äße noch über 
ben Raufen!" rief ©rina Sbaarb. 

Sept herrfchte eine laute gröhlichfeit im ©aal, aber bie berfepie* 


benen ©ruppen erinnerten immer noch an lebenbe ©Uber, ©ölabimir 
fuhr rücffichtSloS burch fte pinburep, bie Äreua unb Ouer, aum grofeen 
©ehrten ber Samen, bie ängfitiep auffreifepenb fiep aneinanber brängten, 
fobalb er pep näherte. Sr fuhr bis au einem Sprone: bort fafe bie 
Königin als golbgelbeS Sprpfantpemum, umgeben bon rofa unb weifeen 
unb gelben Stiefenaftem. Shnjfantpemum hotte an biefem Äbenb bie 
Stofe entthront; pe war aur Königin fämmtlicper ©lurnen erforen. Set 
Äönig ftteg auS feinen ©onnenwagen, fniete bor ber Königin nieber 
unb füfete ihr bie #anb. Sa ertönte lauteS ftoeprufen, ©iutter unb 
©opn au Spren, bie eine wunberbare ©ruppe bilbeten; ber ©opn in 
feinem golbenen ©tantel unb ©traplenfranae, unb bie SRutter in ihrem 
golbgelben, mit Sprpfantpemen burepwirften SltlaS!leibe, ben Stuart* 
Äragen oon Slftent um bie ooßen ©cpultem, eine Ärone Don bupigen 
©lurnen auf bem Äopfe, einen ©lüthenfäcper in ber £anb. Unb ein 
©efolge bon rofa unb weifeen unb gelben Shrpfantpemen fepaarte unb 
brängte pep um pe. 

Srft hielten ©Blabimir unb bie Äönigin eine Sour ab, bann eröff; 
neten pe ben ©aß; bie lebenben ©ilber löfteit pep wieber auf, unb bie 
berfeptebenen ©lurnen bilbeten ein lebenbigeS, ftetS wecpfelnbeS Stiefen- 
bouqet. 2lb unb au bereinigten pe pep wieber au ©ruppen, unb bann 
würbe ein Stofenwalaer getagt unb ein Shrpfantpemen * SRenuett ober 
ein Silientana. Sinaelne ^errenfoftüme waren pumoriftifcp, fo a- ©• 
Steger mit Älatfcprofenpüten, bie auf eine Srommel auS Älatfcprofen 
loSfcplugen. Sine wilbe gröplicpfeit braep jept burep. ©tan begann 
aße Stiquette au bergeffen. Ser Äönig patte ben golbenen ©tontet unb 
bie ©traplenfrone abgelegt unb tanate mit ber ©räpn Softi als Sonnen* 
blume, fowie mit Siena, bie als rofa Sprpfanthemum aßerliebft auSfap. 
§lucp bie Äönigin entaüdt bon iprem gefte, baS, wie ipr bie anwefenben 
3ournaliften berpcperten, bon einer nie gefepenen Originalität unb ©raept 
war. ©ie war niept nur Äönigtn, fonbern auep SBeib, unb in biefer 
Sigenfcpaft füplte pe pep baburep fepr gefcpmeicpelt. Unb läcpetnb wie 
ein junges ©täbepen näherte pe fiep ©rtanl, ber als 3*t$ tnit einem 
©cpwarme bon Stittern auf ©ferben eingeritten war t bereu Äopfs «IS 
SriSblumen maSfirt waren. Ser Seplirmarfcp würbe mit lauten gu* 
rufen begrüfet. ©obalb er beenbet unb ©riani abgeftiegen war, napm 
Slleyanbra feinen 2lrm. 

„Sin glänaenbeS geft/ fagte er fcpmeicpelnb, aber opne jebe ©er* 
traulicpfeit, beim er war ipr gegenüber niemals familiär, waS pe ipm 
poep anrecpnete. 

„©länaenb," wieberpolte pe mit blipenben Äugen unb wie Verjüngt 
in iprem ganaen ©efen; aflein feinem fbäpenben Äuge entging eS niept, 
bafe hinter biefer gefcpmeicpelten Sitelfeit ein geheimer ©ebanfe feptum* 
merte. 

„3cp höbe Sure ©tajefiät ben ganaen Sag niept gefproepen. SS 
war niept möglich; ©tojeftät waren burd) bie ©orbereitungen a« 
biefem gauberfefte fo gana in Änfprucp genommen, bafe . . ." 

„3cp patte wirflicp feine gelt.* 

*3(p begreife baS Ooßfommen. Äber Sure ©tojeftät tpejlten mir 
noep immer niept mit, wer mich in Surer ©tojeftät Sienfte vertreten fofl?" 

©ie lacpte laut. „Sine inbiScrete grage!" 

„Speilnapme, nicptS als Xpeilnapme, antwortete er." 

„©iS jept noep ©iemanb; icp wiß erft etwas Sfupe paben. gür 
ben Äugenblid pabe icp feinen ©ecretär unb Don morgen an auep feine 
£>ofbame mepr." 

„Sure ©fajeftät laffen pep bon bem Äönig ÄßeS nehmen." 

„Saran bin icp fepon gewohnt." 

„Surer ©tojeftät ©ecretär unb . . 

„©feine #ofbame?" 

*3o ..." 

„3cp hoffe, bafe baS niept ber gaß fein wirb, „antwortete pe opne 
innere Ueberaeugung unb brüdte feinen Ärm. „Spun ©ie, waS pe 
fönnen, ©riani." 

„ÄßeS, ©tojeftät." 


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Nr. 22. 


Hie Gegenwart 


34? 


„©pratgen ©ie fdjon mit bem König?" 

„Heute (Racgmittag einen Slugenblid, al« ©eine dRajefiät mich Z u 
ftdj befohlen, ©eine SRajeßät {dpenen e« febr anjuerfennen, bog Sure 
SRajeftät* mich 3h» überlaffen." 

„Da« fft lieben«»ürblg Oon ©einet SRajeftät", murmelte pe bitter. 
„Unb »eitet...?" 

„©eiter . . .? ©ie meinen Sure SRajeftät?" ... 

„(Rietben Sie ihm" — fie bämpfte ihre ©timme — „rietben ©ie 
ihm Oon biefer unftnnigen £eiratb ab?" 

©ie blidten einanber an. „(Rein, wie ^ätt 7 id) auch fdjon bei 
biefer aHererften Unterrebung . . ." 

©ie fab, baß fie ibn fdjon ganz oerloren batte; einmal im ®ienftc 
bei König« würbe er SWe« baran fepen, ftcb bie Sunft bei König« zu 
erbalten, fei ei burd) tböricbte (Rathfcgläge ober burd) unftnnigei Slufs 
befen. Unb fte »ar überzeugt, baß ©riani fie burdjfcbaute, baß er bie 
(Rcbenbebcutung jebe« ihrer ©orte »obl oerfianb, unb bag er ben Sba= 
ralter bei König« genügenb fannte um zu »iffett, bag ibm Stmai ab« 
ratben fo nie! b^ß »ie ei ibm einreben. Slber jegt fab fie ja bie ftrab* 
lenbe Fracht ibrei gefte«, unb fte bedang bie in ibr auffteigenbe ©utb 
unb ©Itterleit, unb fie glänzte »etter in ihrem ftrablenben Slanz ali 
ein golbgelber Shrpfanthemum. Unb ali »ären lauter ©(unten ringium, 
fo neigte pd) Shrtffanthemum zur 3n$ hinab, im Slngeßcpt all biefer 
SRenßhen. Sincn Slugenbltd fd)»iegen fte ©eibe, bann fragte er: 

„Slber »ann fofl Siena nach Dlpacien geben, ba bocb bet König 
in einigen Dagen bortbin zurüdlebtt? 3ft bai nicpt unoorfichtig?" 

Slnfdjeinenb bezog ficb feine grage auf bie zulept gefprochenen 
©orte, aber bennocb erbleichte fte, inbeß. eine maglofe ©utb in ihr 
aufwaHtc, bie fte nicht mehr zu unterbrüden oermochte, bie Oon ihrem 
ganzen ©efen ©eftp nahm. Denn fte fühlte, bag er fte quälte, aui 
bloger graufamer greube. ©ugte er hoch recht »obl, bag fie biefe Hit* 
üorßcbtigleit mit ttbpcbt beging, unb bag fie fte oon ganzem &ei*$en 
»finfcbte — in Db*acien, gerabe in Xbracien, nicht hier, bamit fte fid) 
bem Kaifer gegenüber nicht bloßßetlte. ©enn ihr ©obn mit ihrer Hof* 
bame in Db ra cien einen bummen ©treicg beging, fo lonnte man un* 
möglich f» bafür Oerantwortlicg machen, unb in biefem galle »ürbe ber 
Kaffer ohne gmetfel geneigt fein, ihr (Recht »iberfabren zu laffen. £), 
©riani »ugte, bag ihr bie« Sille« im Kopfe berumging, unb hoch richtete 
er au« lauter Sraufamleit biefe grage an fte. Sr quälte fte. ©arum, 
»arum? O über bie Unbanlbarleit unb Sieblopgtelt ber SRenjcpen! 
©ie bltdte ihm in bie Slugeit unb fab ein, bag fte ihn burcb eigene 
©cbulb, burch ein falfche« ©piel fdjon ooöftänbig oerloren batte. Unb 
fte ant»ortete febr oon oben herab „Sraf ©riani, ich möchte äh* 1 « 1 
hoch mtttbeilen, bag ich betreff« meiner Hofbamen fo banble, »ie e« mich 
gut bünlt. fiaffen ©ie mich Sbnen zugleich bauten für 3b rc IRatb 5 
fdjläge, bie ich in Sulunft leiber nicht mehr befolgen tann. ©ie ge* 
hören fortan meinem ©ohne, nicht »abr? unb ©eine SRajeftät »irb 
ficber fo hohe Slnforberungen an ©ie fteHen, bag ©ie nicht auch noch 
mir 3bre Dienfte »ibmen lönnten — au« reiner llneigennüpigleit. 
Unb nun bitte ich ©ie, mich $u meinem Db r °ne zu begleiten — ich 
meine $u meinem ©lumeittbrone, bem throne oon b«ut' Slbenb . . . 
©erfteben ©ie mich ganz . . ." fte betonte jebe« ©ort fdjarf — „weitere 
(Ratbfdjläge, »eitere Dienfte, »eitere ©egleitung, außer biefer lebten, 
ßnb nicht mehr Oon (Röthen." 

3Äft einer ftummen ©erbeugung geleitete er pe ju ihrem ©i$e. 
$ort Oemeigten pch ©eibe, unb fte lieg pdj lächelnb nieber, unb ehr¬ 
erbietig, mit brei ©erbeugungen zog er ßcb aurüd. Slber fein ironifdjer 
Sug mar ihr nicht entgangen. Unb fte haßte ihn. Slm liebften hätte 
ße ihn oon ihren fialaien fortpeüfdjen laffen. ©te fanbte ihm einen oer= 
ältlichen S31lcf nadj, al« er pch in bem SRenfdjengeroübl Oerlor. Unb 
über ihre blaffen Sippen jifchte e«: „Sr ift lein 2Rann . . . 9lur 
©eiber begeben folcße Seigbeiten." 

Unb nun faß fte »ieber auf ihrem $b ron * anb »urbe Oon aßen 
©eiten umringt: oon ihrem Sefolge unb einer großen 3Renge anberer 


©Junten, ©ie fbradj geiftreich, mit cnt$üdenber 2fröblichleit. Unb pe 
ließ ben ©lid über ihr (befolge febroeifen, ba« meift au« jungen 
thracifchen äRäbchen beftanb; aber auch einige anbere waren barunter, bie 
ftcb au« Höflichkeit ju bem (befolge ihrer erlauchten Saftgeberin gefeilten. 
Slber SUejanbra oermißte Siena, ©ie tan&te mit bem ßönig, unb nun 
embfanb Slleyanbra e« red)t beutlich, baß fie nur noch ben flöntginnen* 
2:itel führte. Unb lein 3Renfdj ahnte et»a« Oon bem namenlofen 
Slenb, in toeId)em ihre ehrgeizige ©eele erftidte. ©ie blieb bie fdjöne 
grürftin ber Sbrhfantbemen, unb al« (ßrhtz Sbjarb Oor ihr auf bie 
Äniee fanl, um pe zum $anze aufzuforbern, banlte fte mit lädjelnber 
Srazie. (gortfefcung folgt.) 


jttt$ ber ^>öupt)ta6t. 

UHUjelm« OafaUett. 

S)em 9Ranufcrif)te eine« Sefd)id)t3»erte« au« bem nächften 3agr s 
Zehnte entnehme ich folgenbe Darlegungen: 

... Die gefte, womit ber ©erliner ^of ben achtzehnten Seburt«» 
tag be« Kronprinzen ©ilhelm feierte, batten offenbar eine befonbere 
©ebeutung gewinnen foHen burch bie Slnwefenheit zahlreicher befreunbeter 
unb oer6ünbeter (ßotentaten. ©eiten« ber bauptftäbtifchen treffe, bie 
bamal« bem £ofe faß uncingefcbränlt zur ©erfügung ftanb, »ar immer 
oon (Reuem auf bie hohe ©idßigteit biefer ©efuthe hiugewiefen worben, 
unb lange, beOor ©ilhelm II. pe in begeiftertem Doafie al« »eltgefchicht* 
liehe« Sreigniß erfter Sröße gelennzeichnet hotte, waren bie (Rebactionen 
ber maßgebenben ©lätter ü6ereingelommen, noch »eit wuchtigere ©uper* 
latioe anzuwenben. Da bie SRenge fich im Saufe ber Sabre baran ge* 
»öbnt batte, ba« glänzenbe ©ort unb ben prunlenbeti ©djein für Dbat 
unb ©irllichleit zu nehmen, folgte fte auch bie« 3Ral geborfam ben Sln^ 
»eifuitgen ihrer ©orbenler. Sännenber Subei brach au«, unb bte ©tabt 
fchwamm in oerftiegener Sntzüdung, al« ofpcieü belannt gegeben würbe, 
baß Kaifer granz Sofef am Shrentage feine« (ßathenliube« in ©erlin 
fein »ürbe. Sin Db^atergang ohne Sleichen, »ie man ihn in jener Seit 
v liebte, mit falfcpen Sorbeerbäumen, ©cpablonen-Dufcherei unb cpllopifchen 
Holzbauten, »urbe entfaltet, um bem greifen gürften für feinen Snt= 
fchlug zu banlen. gefter al« je fchien ber grieben begrünbet, ftärler al« 
je bie SRacht be« fogenannten Dreibunbe«. (Rieraanb bachte mehr baran 
ober wollte pch baran erinnern laffen, baß »ährenb ber Sabenl*©irren 
alle« ©ertrauen auf bie öfterreichifche Suuerläfftgfeit Oerloren gegangen 
»ar. 3ept plöplicb hielt man ba« 9?achbarlanb nicht mehr für rettung«= 
lo« oerflaot, fprach nicht mehr mit überlegenem Sldffelzuden Oon feiner 
Slgonte unb bem totalen ©erlufte feiner SroßmadjtfteUung. S« aoancirte 
oielmehr »ieber zu einem Sulturfactor erften (Range«, — unter'm neuem 
Kurfe »ar betanntlicb ade« erften (Range«, »a« man felbft that ober 
in ben Krei« feiner politifihen ©ereegnungen zog — unb btefelben ©lätter, 
bie Dhun'« (Reciprocität«=(Rebe einen laum 'oerblümten Slnfcbluß an ben 
(ßanflaoi«mu« genannt hatten, erfdjöpften fich i e 6l iu farbenprädjtigen 
©erftcherungen, baß lein ©etterfturm fdjwer genug fein lönne, um ben 
ragenben Dhurrn ber beutfchöfterreichifchen grennbfdjaft auch nur lei« 
erzittern zu machen, ©türm unb Dhurm reimte ftd) fogar in Oerfchie- 
benen geftgebiebten febr gut. Sil« bann Kaffer granz 3ofef bem beutfeben 
Kaifer bie ©ürbe eine« öfterreiebifeben Seneralfelbmarfchall« Oerlieb, 
lannte ba« ©onnegefchrei leine Srenzen meßr. ©ermochten bte loyalen 
Organe ber ©erliner öffentlichen SReinung hoch feßzufteßen, baß feit bem 
Dobe (Rabebth , « leinem ©terblichen mehr eine foldje Shrung »iberfabren 
war. Unb baß bie ©erletbung nicht« al« eine Höflicblelt, bte ©ürbe 
eben nur ein Dttel »ar, gepel ben für Ditel unb Höflkblelten fo febr 
empfängltdjen (Reubeutfchen ganz befonber« gut. 

3n b|e geftfreube mifchte fich aflerbittg« ein ©ermuth«=Dropfen: 
ber (ßrinz Oon ©ale« blieb ben geierltcbleiten fern. 3Ran batte eigent= 


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34$ 


Ute (Stgettroari 


Ha"«, 


li<p angenommen, bag er fiep für bie Altonaer 3 u f ammcn ^ u nft banlbar 
ermetfen unb menigftenS auf ein paar Doge ben fcpmärmerifcpen £ulbi* 
gungeit beS gutgefinnten Berliner BublifumS auSfefcen mürbe. ©r 
oerfcpmäpte eS leiber, ben ©lang ber benlmürMgen Btattage zu erböten 
unb burc^ feine ©egenmart bie oortrefflicpen Beziehungen zunfcpen beiben 
Sänbern zu fpmbolifiren. Da jebocp ©rogbrttannien gerabe um jene 
Qeit zum entfcpeibenben Schlage gegen bie rebellifcpen Buren auSpolte, 
mar bie oor nehme gurücfbaltung beS ^ringen burcpauS begreiflich- ©r 
mottte nicht einmal ben Anfcpein ermeden, als müfje baS ftolje ©nglanb 
im entfcpeibenben Augenblide um bie ©unft irgenb einer Bladjt beS 
Kontinentes buhlen unb fich burcp irgenb melcpe ©onceffionert freie |>anb 
in Afrifa ficpern. Den Berliner Diplomaten imponirte ber feine Daft 
ber britlfcpen* Regierung, fie mürbigten Oottauf ihre Bemeggrünbe unb 
liegen fiep ^ aran genügen, bag Deutfeplanb jenfeitS beS Kanals mie 
überhaupt in ber ganzen Seit nur greunbe patte. Btit Borbamerifa 
ftanben fie auf bem Dupfuge, ba ber BeicpStag entfcploffen mar, beut 
Import einbalfamirten Kabaoer^ötelfleifcpeS auS ©picago (eine mie 
immer gearteten ©cpmierigfeiten ju bereiten unb beS lieben griebenS 
halber bie ©picanen amcrtfanifcper 3ottmäcpter beutfcben Saaren gegen¬ 
über auf fiep beruhen 311 laffen. Bocp freunbfcpaftlicper unb oertrauter 
mar unfer Berhältnig ju granfreidj. Dem Blanne, ber mit Becpt ben 
unglüdlicpen Strieg Don 1870 auf bie „tief beflagenSmerthe ^oliti! 
BiSniardS" zurüdgefüprt hatte, bem achtzigjährigen SangerpanS gratu* 
litte ©raf Batteftrem im Barnen beS BeicpStageS mit bemegten Sorten, 
unb ein fepmuder Blumenftraug oerooHftänbigtc bie ©prang. ©ie eni= 
pfing 3nhalt unb Bebeutung buvch bie Dpatfacpe, bag berfelbe BeicpStag 
einem anbern Achtzigjährigen, ben oben ermähnten BiSmartf, menige Qapre 
früher bei gleichem Anlag ©liidmunfep unb ©rüg oerroeigert patte, 
©eban mar baburep geräept, bem Oeriefeten geingefüpl ber granzofen 
eine elegante Berbeugung gemaept unb bie oon SangerpanS oft perbei* 
gefepnte Berftänblgung mar enblicp angebapnt morben, maS in bem BariS 
ber SeltauSftettung befonberS bie ©aftmirtpe fepr angenehm berührte. 

Btan tonnte fiep niept bar über im Untiaren fein, bag alle bie 
genannten unb noep mehrere anbere Böller mit bem Kerzen bei ben 
Berliner ©rogjäprigleitS*geften maren, menn fie auep barauf Oerzieptet 
hatten, oiele Sorte zu maepen ober gar foftfpielige Bertreter zu ent* 
fenben. Qebem lopalen Deutfcpen genügte biefe fpmpatpifcpe Dpeilnapme 
beS AuSlanbeS. Blepr noep, fie ftimmte ipn ftolz unb fröplicp. 3n 
folcpen ©mpfiitbungen fcpmelgenb, beaeptete er faum bie auf ben erften 
Blicf befrembenbe Sntereffelofigfeit ber regierenben BeicpSfürften, benen, 
üon ganz wenigen Ausnahmen abgefepen, alles Berftänbnig für bie 
©röge beS plftortfcpen BorgangS zu fehlen fepien. ©lildltcper Seife 
patte fiep bie aufgeflärte Bürgerfcpaft längft ber neuen Sepre oon ben 
eigentlichen Surzeln unferer Äraft zugemanbt. ©ie mugte, bag niept 
fomopl ©intraept unb inniges ©inoemepmen gtüifchen ben ©liebem beS 
BeicpeS feine ©tärfe oerbürgte, fonbem bag unfere Seltmacptftettung 
mefentlicp oon ber Siebe unb ©emogenpeit abping, mit ber unS bie 
grembe beeprte. ©S ift baS unoergänglicpe Berbienft ©aprlOi'S gemefen, 
burep feine ^anbelSoerträge ben richtigen Seg befepritten unb gezeigt 
ZU paben, mie man mit fleinen unb manchmal aifcp grogen ©efepenfen 
treue greunbfepaft erzeugt unb erhält. SaS patte biefer eminent feral* 
tifepen SeiSpeit eines melttunbigen ©taatSmanneS gegenüber bie rüd= 
ftänbige Uroätermeinung BiSmard'S zu befagen, ber fiep ängftlicp müpte, 
alle BunbeSfürften bei guter Saune zu erpalten, ipre ©mfefinbllcpfeit zu 
feponen unb ipnen beinap tagtäglich zu oerftepen zu geben, mie un* 
gepeuer üiel ipm an iprer BeicpSfreubigfeit gelegen mar? BiSmarcf oer* 
möpnte bie beutfepen ©ouOeräne berart, bag Ooüe zwanzig Supte lang 
niemals eine ernftpafte Berftimmung unter ipnen auSbracp unb ber 
BarticulariSmuS, ben er gerabe bei ipnen gut aufgepoben mäpnte, oon 
ben #öfen in ben BeicpStag manberte, in benfelben BeicpStag, ber ein 
©egengemiept zum gürften*B<HrticutariSmuS patte bilben foHen. Dafür 
brutalifirte ber erfte Kanzler baS AuSlanb, maS ipm, menn $errn 
SangerpaufenS Barifcr Dante gut unterrichtet mar, ben £>ag aller ge= 


bilbeten Äreife jenfeitS ber beutfepen ©renze eintmg, einen £ag, ber 
fcptieglicp feinen ©turz i«r ©taatSnotpmenbigleit maepte. 

Die ©ntfemung biefeS gefäprlicpen Cannes auS Amt unb Sürben 
trug benn auep erfreulich oiel bazu bei, baS überfepraubte ©elbftbemugk 
fein ber beutfepen gürften naep ©ebüpr perabzuntinbern. Senn SKig= 
trauen unb Unzufriebenpeit mirtlicp bie Oomepmften Dugenben beS 
BolitiferS ftnb, fo barf man tüpnlicp behaupten, bag Dugenb unb 
feolitifcpe Begabung an ben nieptpreugifepen #öfen DcutfcplanbS binnen 
menigen Qapren in beängftigenbem Blage Zunahmen, ©pannungen unb 
Bestimmungen jagten einanber, mie ©emtttermolfen im ftocpfommeT. 
Der ©rafregent oon Sippe, ber Begent $opann oon Btedlenburg unb 
ber Begent oon Bapern, ja, neben ben Regenten auep etlicpe Begierenbe 
patten reichlich Urfacpe, bie Begenfcpirme aufzufpannen. Unb menn 
preugtfepe Btinifter ober ©taatSfecretäre gelegentlich einen ber bei ipnen 
fo beliebten, feefen ^ufarenritte über bie fepmarzmeigen ©renzpfäple 
pinauS unternahmen,' um traft ber £>errltcpfett iprer ©rfepeinung rafcp 
eine ^anb 00 U poepftepenber Sorbeeren zu pflüefen, bann fliegen fte in 
ber Begel auf eine geinbfeligfeit, bie fte Oeranlagte, mit oerbupten @c= 
fieptern oon ber fo pübfcp abaepten, fleinen Beiterattade abzufepen. 
Ferrit 0 . BobbielSfi oerbitterte ber ©ebanfe an bie ©inpeitSmarfe bis 
an fein SebenSenbe alle greube über feine anberen moplgelungenen 
9leformtpuereien. Unter allen Blintftern tarn er Danf feiner ©inpeitS^ 
marfe zuerft auf ben ©ebanfen, bag eS mit ber beutfepen ©inpeit niept 
mepr allzu meit per fein fönne. 

Die unzufriebenen ©etrönten aber begnügten fiep am ©nbe niept 
mit fpmbolifcpen Aeugerungen ipreS BligfallenS. Qut Bapern=B*tuzen 
Submig erftanb ipnen ber temperamentooHe ©preeper, ber einem lang 
Oetpaltenen ßorne zuerft in BioStau bie Qügel fepiegen lieg. Damals 
mugte ein armes fleineS Äaufniänncpen ben Bucfel barreiepen, roeil eS 
tm patriotifepen Dufel, angefteeft oon ber Bilberfucpt ber mobemen 
Xrtnffprucp*©iceroS, bie freien beutfepen BunbeSfürften Bafaüen beS 
ÄaiferS genannt patte, ©cpärfere Däne noep fanb ber ergrimmte Sßrinz, 
ber fo gar feine Anlage zum Bafaüen befag, in ©traubing unb 
Börbltngen. 3Ber bie Bitnen unb ©cpleicpgänge unter Dage niept 
fap unb niept mugte, bag bie Suft gelaben mar mit ©leftricität, ber 
üerftanb feine reicpSOerbroffenen Aeugerungen faum. Aber er Oerftanb 
boep, bag bie foepenbe SButp grog fein mugte, bie bem ©rben BapernS fo 
harte unb rücfficptSlofe Sorte in ben Blunb legte, ipn z« Befenntnijfen 
zmang, mie fte offenherziger felbft in ber Blüncpener Äammer noep niept 
gepört morben ftnb: „Bor Aüem oermapre icp Bapern gegen ben Bor* 
murf, bag eS eine ©nabe fei, bag mir zum Beicp gepören. Denn baS 
Deutfcpe Beicp ift ebenfo gut mit baprifepem Blute zufammengefepmeigt 
morben, mie mit bem Blute irgenb eines anberen beutfepen ©tammeS 
unb barum motten mir niept als minbere Brüber, fonbern als oolle 
Brüber angefepen merben; unb mie mir für baS ganze Deutfcpe Beicp 
einftepen unb eingeftanben ftnb, fo oerlangen mir auep, bag baS 
Deutfcpe Betcp unfere baprifepen gntereffen ebenfo mapre, mie bie 
Sntereffen oon benen an ben grogen ©trömen, bie ftep in bie Borb* 
unb Oftfee ergtegen." ©icperlicp niept allein um eines armfeligen ©analeS 
mitten fcpleuberte ber Btann, ber einft Silpelm II. gleichberechtigt zur 
©eite fiepen mirb, fotepe Bermü^e in bie erftaunt aufporepenbe Seit, 
^ier bapnte fiep zontmütpige ©m^örung Oulfanifcp einen Seg in bie 
Deffentlicpfeit, rang fepmer Oerle^ter ©tolz naep bajuoarifcp fräftigem 
AuSbrucf. Der föniglicpe ^Srinz maepte Deutfeplanb zum Dlicpter über 
fiep, inbem er ftep mit feiner Anflage an Deutfeplanb manbte. ©S mar 
niept gut, bag bie anbere Bartei fepmieg. gpr ©epmeigen beeinflugte 
entfepeibenb ben UrtpeilSfprucp. 

DeS Brisen Angriffe maren fepr offenherzig gemefen. „Senn 
bie beutfepe Berfaffung beffer betannt märe", fo patte er in WörbUngen 
auSgerufen, „bann mürbe man gar oiele falfepe Anftcpten in Sieben unb 
©epriften niept pören unb lefen. 34 nenne mit Abfupt leine Barnen. 
Denn bann hätte man eine groge Aufgabe zu erfüllen." ©S mar opne 
SeitereS flar, mopin ber ©cpüfce zielte. Dag bie Blätter ber Berliner 


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Nr. 22. 


Die ©egetuüttrt 


349 


Fretftnntgen Äammerfnecpt« =fßartei feine 9lu«laffungen bmtfel unb un* 
öerftänbllcp galten, geigte bi? gange Sucht be« ßernfcpuffe« an. Saijem 
toar tief oerftimmt, wie anbere Sunbe«ftaaten Oerftimmt waren. Man 
fanb allgemein, baft bie au«länblfcpen Motiarcpen gu gut, bie inlänbifcpen 
wenig al« bie gleichberechtigten Surften bepanbelt mürben, bie fte 
hoch nach bem Sortlaute ber non Si«mard entworfenen Serfaffung 
waren. Man wehrte ftch oergweifelt gegen bie neue ftaat«recptliche Sehre, 
baft Teutfcplanb« unabhängige Sunbe«fürften Untergebene be« Königs 
öon fßreuften feien, gwar lag bem Äaifer felbft eine folche 9luffaffung 
fern, aber ferOtler Uebereifer mehr ober minber fjochftehenber Safaien 
bienten bagu, ba« Mißtrauen in ©übbeutfcplanb gu fchüren. ©« fanb 
feine #auptftüpe an ben gahlreichen regierenben Fürftlicpleiten, bie fleh 
non Silhelm’8 II. ©igenart oerlept wähnten unb ber aüerblng« fonber* 
bare Umftanb, bah ber neue Flottenplan in halbamtlichen geitungen 
veröffentlicht würbe, ehe bie oerbünbeten Fürften Äenntnift Oon ihm 
erlangt hatten, Mcfcr fchwerc Mifcgriff gab bem fladernben Argwohn 
neue Nahrung. 

Ter waebfenben ©ntfrembung gwlfchen ben &öfen fahen bie rabi* 
talen £ppofttion«parteten unb bie Sartifulariften aller Serben niept nur 
mit Vergnügen gu, fonbern fie fugten ba« F^er nach Kräften gu fchüren. 
$ring Subwig« Siebe gab ihnen bie ©emiftbeit, bah bie geitweilig fo be* 
liebt gewefene Drohung mit bem ©onflict, ber gewaltfanten Aufhebung 
be« beftehenben Seicp«tag«-Sablre<pte8, hinfort nicht mehr möglich fein 
würbe. Tie fübbeutfehen Segierungen, bie burch $ring Subwig« Munb 
fo hochgeftimmte Soblieber auf bie Serfaffung fingen liehen, hätten einem 
33rud)e be« ©taat«grunbgefepe« nun unb nimmer fchmeigenb gugefehen. 
T>tefe ©rfenntnift ftärfte bie 91gitation«fraft ber entfehiebenen Dppofttion 
berart unb erfüllte fie mit foldjer ©iegedguoerftept, bah bei ben aH= 
gemeinen Saplen oon 1903 .. . (§ier bricht ba« Manufcript ab.) 

Prtit 3 Pogelfrei. 


Oon ben großen Berliner Sommer-BnnflanofleUnngen. 

ii. 

3n Som, wenn ich nicht irre, liegt er begraben, feit gerabe 13 
3apren fchon. $eine langathmigen Sefrologe <jab e« bamal« unb erft 
toter Sopre fpäter „entbedte" man ihn auf ber Münchener internationalen 
StuSfiellung 1891, ihn, ben bamal« längft Sergeffenen, für bie Äunft* 
toelt, auch bie engere, wohl fchon an 20 fahren tobten ©Iberfelber 
Zünftler, ber im 9llter oon 27 Sohren nach ber „ewigen Stabt" über= 
gefiebelt war unb ftch bort Oon ber Seit, bie ihn nicht oerftanb unb 
über feine oft unfertige Tecpnif fpottete, halb abfchloh. Sd* nieine 
£>an« Oon Mar de«, oon beffen ©jifteng auch ba« befannte Müfler’fche 
iHinftlerlejicon nicht« weih; Oon bem frangöftfepen ©la»maler „Marecpal" 
geht e« gum batjerifchen 9lrcpiteften „Marggraff" über ... 9(ber ba« 
ift nicht fehr oertounberlich. ©inmal fchloh fiep Marde«, wie gefagt, 
felbft ab Oon ber 9lufjenwelt unb bann — wenn man ihn nicht oer= 
ftanb — e« waren ja bie 60 er unb 70 er Söhre fo recht eine Slütpe= 
$eit ber technifch |ochftebenben ? im Uebrigen aber feetenlofen romantiftp= 
tpeatrallfchen ©efepteht«* unb Änelbotenmalerei. Marde« wanbeite anbere 
SEBegc. ©r ging oon ber ftntite au«, wie ber bamal« auch gerabe in 
SRom ftpaffenbe Schweiger Södlin, bem er fo wefen«oerwanot. Tie 
Slnttfe lehrte ihn bie granbiofe Sirfung ber Sinienruhe. SBei ihm ift 
Sille« tbplltfch, nicht« — bramatifch. Sn biefem SbtJÜifchen bethätigte 
fleh feine beutfepe ©«eie. ©leid) Södlin, hot auch er bie ©efepmäjjigfett 
bet Slntife mit beutfehem ©elft unb beutfehem ©mpfinben burepfept, aber 
93ödlin war ber größere Gönner, ber gröbere ©oiorift unb — ein be= 
freienber £>umor half ihm, ba« maferifd) gum 9lu«brud gu bringen, 
wa« ihn bewegte. 3<h möchte faft glauben, bah Marde« a!« Saufiinftler 
bei Sebgeiten mehr 9lnerfennung gefunben hätte, benn al« Maler. 3)a« 
Slrchitettonifche unb SRonumentale feiner Silber, bie in erfter Sinie 
immer becoratio wirfen, fdjeint mir bafür gu fprechen. SWan nennt ja 
wohl SlrchiteJtoni! ©tein geworbene SRuftt. Unb mufifalifch auch ift ber 
(graftet 9Jtaree«'fcher Malerei. $a ift nicht« realiftifch ober gar natu= 
raliftlfch; oerfchmähte er hoch fogar SKobefle. Sn ibeale Sanbfdjaften 
fefte er oon allem Srbifchcn lo«gelöfte giguren hinein unb metfterhaft 
touhte er immer Seibe in einen inneren gufammenhang gu bringen. 
Sttan ftubire nur barauf hin feine „$)rei Sünglinge", ben „SRaub ber 
Helena 1 ', bie „'Jtuhenbe &iana", bie übrigen« technifch unb coloriftifd) 
eine« feiner beften Silber ift. ‘Sie „©eceffion" hat fich ein grofje« Ser= 
bienft erworben, baburch, bah F lc für ihre neue 2lu«fteüung einige 


SJtarde^fche ©emälbe au« bem ©djleihheimet SJlufeum entlieh- 2Rit 
tiefer SBehmuth fteht man oor biefen Xafeln. Sa« wäre au« biefem 
Zünftler in einer oerftänbnihüoHeren Umgebung geworben! 2)?it tiefer 
Sehmuth fteht man oor feinem ©elbftyorträt, oor bem ®oppeIbi(bnift 
feiner felbft unb Senbadj'« unb bem Silbnih Slbolf ^ilbebranb 7 «, ba« 
in garbe unb 9lu«brud eine« ber aüerbeften auf biefer Slu«ftellung ift. 
Unb unmiWürltch benft man baran, wa« Senbach unb ©ilbebranb alle« 
erreicht hoben. Sie oerwanbt ber Florentiner Silbhauer feinem einftigen 
Sehter Äaree« ift, ba« emhftnben wir auf berfelben Slu«ftefluitg, wo 
audh ^ilbebranb mit einer gröberen Slngahl oon Süften unb melief« 
angutreffen ift. ©o glängenb, wie im oortgen 3 a h^ auf feiner ©onber= 
au«fteüung in 5)re«ben ift er hi er wohl nicht oertreten, aber hoch geben 
g. S. bie Sorträt« Semer Oon Siemen«’ unb #an« oon Sülow’«, ber 
„glötenbläfer" unb oor Slflem ber leben«grohe marmorne „Ihtaelwerfer" 
mit ihrer immer auf’« ©ange au«gehenben Sirfung unb bem Sergichten 
auf arüblerifche« ©ebanfenfpiel einen guten Segriff Oon ber ^unft biefe« 
SReifter«. 

^ilbebranb ift befanntlich ©hrenmitglieb ber ©eceffton, ebenfo 
wie auch Södlin unb wie Seibl. $)er ©infame Oon Slibling hot in 
biefem 3ohre nicht« gefanbt, bafür ift Södlin mit fünf ©emäIben Oer= 
treten, meift älteren, üon benen ba« Porträt feiner Ftou, eine 3 c üh= 
nung oon grober ©infachbeit unb ftarfer SnbiOibualität, am meiften 
interefftrt; weit mehr jebenfaH« al« ba« 1899 entftanbene Triptychon, 
ba« ein Siebe«ibpÜ etwa« fehr philiftrö« unb rein malerifch langweilig 
behanbelt. 9Ran braucht eben nicht oor jeber Seinewanb be« Schweiger« 
gleich in ©ntgüden gu geratyen. „Ter Kentaur am gifdjbadh'S ber 
„©remit an ber Ouefie", ber „Sogbgug ber Tiana" finb belannt. SRit 
biefer w ?lttraction" ift alfo biefe« SJcal nicht oiel lo«. Slud) oon Slltmeifter 
Thoma ift oiel Seiannte« gu fehen, barunter aber beftnben folche 
Serie, wie ber „Torfgeiger", „Siebe«frühling", ,,©ngel«wolfe", „Sätyter 
be« Siebe«garten«", alfo oon feinem SWerbeften. ©ehören auch folche 
Tafeln fogufagen gum eifernen Seftanbe aller „Salon" *Thoma=9lu«= 
fteliungen — man fteht fie immer gern wieber. 3” ben ©puren biefer 
Jtünftier wanbeln otelfad) bie Steinhaufen, graitg ©taffen, F^ong 
Sippifch. ©taffen’« „Flora" ift gang birect oon Tpoma beeinflußt, a6cr 
e« ftedt hoch auch Oiel Setfönliche« barin, giebt e« ftch gleich ftilifirt. 
Tap ©taffen oortrefflich geitynet, wiffen wir fchon lange * — ber geityner 
ftylägt fogar mitunter ben SRaler tobt, ©ehr finnig ift Sippifch’« 
Flügelbilb: „©horiner ©ee"; fein empfunben bie ©ommerluft unb bie 
beiben SRäbchengeftalten, bie „Fifcherin" unb bie „Schnitterin", colo= 
riftifch gut gum SWittelbilbe paffenb. Seniger befreunbet man fity mit 
feilten „©efreugigten". Tie meiften ber „Märtyrer" fehen noch fehr 
tebcn«ooü au« unb ba« ©ange macht ben ©inbrud be« ©rgrübelten. 
Tarunt läßt un« ba« Silb falt, wenn e« auch in lanbfchaftlicher Se= 
giehung retyt toirIung«oolI ift. ©ine begliche Fnube bereiten einem 
©raf Äaldreuth unb Freiherr o. ©leichen=9tu&wu.rm. Tie „Seih* 
nacht", ber „Tengler", bie „Scheune mit ©nttemaaen" — fie gehören 
gu ben feltenen Silbern, bie un« in ein intime«, perfönlicpe« Serhältnifj 
gu bem SRaler bringen. Tie Sirfung ift aber erflärlich, benn ßald* 
reuth fteht gu Slllem, wa« er malt, felbft in einem foldjen Serhältnip. 
Tarum ftrömen feine Silber au« bem Solf«leben immer einen fo träf= 
tigen ©rbgeruty au«, wie etwa bie ber Sorp«weber unb bie be« Oer* 
ftorbenen ©eaantini, oon bem hier auch ein Silb gu fehen ift, obfdjon 
fie alle technifch grunbüerfdjieben ooneinanber ftnb unb ihre Sortrag«= 
trag«wetfe be«gleichen. Seim alten Seimaraner, ber fonft fo fühn ber 
beutfehen 3mpteffton«malerei bie Sege ebnen half, fcffelt un« oor Willem 
feine unüerwüftliche Sugenbfrifd^e. ?luch er ift mit mehreren Silbern 
erfd)tenen: wie Siele Oon ben Sangen wiffen fo ber Suft am Sicht 
2lu«brud gu geben, wie ©leichemSufwurm im „Sommermittag" ober 
„?lm Seiher" ? Unter ben Sanbftyaften mit guter Staffage ragen auch 
bie oon £)«far Frengel unb bem mir bi«her unbefannten $annoOe* 
raner-ßugo Friebrity $artmann heroor. ^ortmann’« „Sflüger" geigt 
eine Sefen«oerwanbtfchaft mit ben Äaldreuth’fchen Silbern, ©prechenb 
ift bie Haltung ber ©äule. 3« bem gleichen 9Rotio geigt fich &rengcl 
oon einer neuen ©eite. ©« ift interepant, wie biefer Äünftler aflmälig 
immer tiefer in ba« ©eelifdje einer Sanbfdjaft einaebrungen ift. Frengel 
ift eine Säule ber „©eceffton". ©ine anbere ift 3Ray Sieb er mann. 
9lud) er giebt fich biefe« 9Ral fehr ernfthaft. ©eine „babenben Knaben" 
ftnb ohne 3 roe tfel eine« feiner aHerbeften Silber unb babei coloriftifd) 
weit reigOoüer, al« Siele«, wa« er in ben lepten Sehren gemalt hot. 
s JRan riecht unb ftymedt förmlich biefe Seeluft, unb bie Semegungen 
ber Änaben ftnb wunberootl aufgefafet unb au«geführt. Sei anberen 
„Säulen* be« Serein«, wie bei Salter Seiftilow, Dtto Heinrich ©ngel 
(bie , Pieta", biefe« fo ungeheuer oielfeitigen Äinftler« gehört leiber 
nicht gu feinen beften Sachen), ©urt permann, Frang ©farbina, 
auch Shtlipp Frand, Süll) Felbmann, Siftor Freubmanit, bem 
Äarl«baber ©arlo« ©rothe, S. o. ^ofmann, bem Tauer Subwig 
Till, Frang ©tud, Seinholb unb Sabine Sepfiu«, £>an« Soofchen, 
ben Münchenern fRicharb Äaifer, Sityarb Stepfch, Heinrich Bügel mufe 
ich tniep bloß mit einer ©rwähnung begnügen, obfepon fte 91 Üe, wie auch 
oiele niept einmal hier ©enannte, ©ute« unb ©työne«, aber eben boep 
niept« 9Jeue« beigefteitert hoben. 9lu« bemfelben ©tunbe muft ich bei 
bem fo eng bemeffenen Saum auch bie 9lu«länber, Meunier, Slancpc, 
Saffaeli, Senoir, ©ameron an ber ©pipe, übergehen. Sefonber« 
aufmerffam gemacht fei aber immerhin auf ben Schweben 9lnber« 3°rn, 
ber freilich m *h r Sarifer, al« ©djwebe ift, unb ber in ber ^orträtftubie 


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350 


Die (Siegenwarf. 


Nr. 22. 


„Waja" eine Seudjtfraft ber Düne unb eine Harmonie ber gatben ent* 
midelt, bie ba« Bilb in Me aßeiDorberfte 99ei^e rüden. Auch bie 
Uhbe'fdfeen ÄinberfiubensWotioe feffefn burdj bie fdjlidjte Bovtrag«* 
meife unb ben lieben«mütbigen ©umor be« Zünftler«, ber ja jtnifeben 
% feinen realifttfdjen, * religlöfen Bilbern immer mieber fotc^e gamilien* 
ibpHen auf ber Seinemanb fefthält. Am meiften publicum finbet man 
aber mobl ftetS Dor ©orinth'« „©alome". Wicht nur ber unleug* 
baren ntalerifdjen Borzüge be« ©emälbe« mißen, an ba« er Diel ©tubtuin 
unb Wü^e gemanbt hat. Der ©toff iff« — bie perDcrfe „Wofe Don 
©aron", jene eigentliche ©elbin be« ©ubermann’fdjen „QobanneS". iiinfö 
ber thierifdje, grinfenbe genfer, ein Dortreff lieber Act, in ber (5batnfte= 
riftif ber Wohheit ein ©eitenfttic! jum genfer auf Qlja SRepin'« ,,©t. Wico* 
lau«"; recht« tragen ©daDcn ben Seidjnam 3obannt« ; fort; in ber dritte 
tniet ein Anberer unb hält auf bem $opfe in blauer ©djüffel ba« fdjmarz* 
haarige ©aupt be« ©rmorbeten ber blonben, tanzerhipten ©alome hin, 
bie, halbnaat, mit lüfternem ©rtff ber jumefengefchmüdten Singer ba« 
Auge be« Wärtt)rer« aufreifet unb mit hünenhaftem, ^alb neugierigem, 
balo moflüfttgem Au«brud betrachtet. Den ©inbrud Mefe« ©eftdjt« 
mirb man nicht fo leicht lo«. Dahinter eine emft, faft furdjtfam blidenbe 
©claoin mit bem Bfuuenmebel unb bie DerftänbntfeDoß lädjelnbe ©erobia«. 
Seiber brüdt ber Sftabmen bie giguren etma«. Diefe felbft finb Doß 
intereffanter Detail«; ba« ©anze febr flott unb in gut jufantmenbän- 
genben heßen Dünen gehalten. ©« mei)t un« h^fe unb — uitgefunb 
Don biefer Seinmanb an. Sie ganz anber« ift hoch bie Sitfung Don 
Woreau T « berühmter „©rfdjeinung" (©alome unb ba« leudjtenbe |>aupt 
Sobanni«) im Sufembourg, an bie man unmißfürlid) benft. 

3 . Horben. 


Dramatifdje’^ttffttljrungen. 

„Suigi ©afarelli." Sufifpiel*itt brei,Acten DomSotljar ©djtnibt. 
(berliner 3I^eatcr.) — „$Ünig ©arlefitt.".. ©in Wa«fenfpiel in Dter 
Aufzügen Don Wubolph Lothar, (©ejammtgaftjpiel be« beutfeben 
Bolf«theater«, SBieit, im Deutfdjen Dheater.) 

Der WoDitätenfegen ber ©aifon miß fiel) nimmer erfd)üpfen unb 
leeren, ©d)on ift bie Baumblüthe Darüber, unb memt bie ©rbbeerbomle 
ben Waimein noch nid)t abgelüft h<*t, fo trügt aßein ber Umftanb 
©chulb baran, bafe man zur Qext beiben ©etränfen nod) ben ©liibmein 
Dorjiebt. Die herrfefeenbe teilte hält and) ba« Qnteveffe für’« Dheater 
frifa), menigften« nach Anfidjt ber Bühnenleiter, unb fo Dergebt beim 
feine Sod)e, bie un« nidjt jmei ober brei echte Neuheiten auftifcht. 
Suigi ©afareßi, bie lepte Darbietung be« noch immer febr entfigen 
Berliner Dheater«, bat fiel) mobl nur zufäßigin bie ©fjarloitenftvafee 
Derirrt. Da« barmlofe Ding ift ber grau Bupe auf ben Seib ge- 
fdjneben unb hätte bei ihr Subiläunt über Jubiläum erzielt. gern im 
beiden Abeffhnierlanb, Dor Wafaße, bat Sieutenant ©afareßi ftch im 
©ifer be« ©efedjte« z u einer Sufuborbtnation fjiureifeen laffen, bie jmar 
ber italicnifdjen gähne ben ©ieg bradjte, beit feden ©türmer aber ba« 
£>fficter«patent foftete. ©in entmurjelter Dranaenbaum, mußte er nun 
im fimmerifeben 92orb fein Seben biirftig al« ©pradjlebrer frifteit, unb 
nur bie aßgemeine Bergötteruug, bie ihm bie beutfebe unb amerifanifdje 
Dantenmelt angebeiben lä&t, Derfüfet ihm ba« ©yil. gn ber Dbat, aße 
SöeibUchfeit, Don ber ßKiflionärin bi« b^ r ab Sur ^ünftlerirt, 3t m mer= 
Dermietberin unb 3nftitut«üorftcberin, Badftfch unb Patrone Derbimmein 
ben „febmarjen italienijcheit Deufel", ftürinen il)m bie Bube, laffen fich 
Don ihm ^ßripatftunben geben unb lechzen feinem Äu& entgegen. ?lber 
aufcer feiner jungen BJirtbin bebenft er nur ba« befannte Doßarmäbel. 
ßftifj 9iemman foftet benn auch bie ©üße ber ©afareßi^fchen 9?eiguitg 
au«, macht ihm eine inbrünftige Siebe«erftärung unb fügt ber Orbnung 
halber gleich btngu, ba& fie ihn unter feinen Uinftänben §eirat^eu merbe. 
Denn fie miß fid) eine £>erjog«^ ober hoch im fcblimmften gafle eine 
©rafenfrone auf« £>an{)t briiden. ©afareßi hört e« Derfteinert, reifet 
bann eine De^efche auf, bie ihm bie praftifefee Wmerifanerin übermäfeig 
lange Dorentbalten bat, unb lieft, bafe 9ie llmberto gnübig gemefen, 
bem gelben Don ßflafaße Der^ieben unb ihn aufeerbent jum ©abitän be- 
förbert bat. Qefct ift er mieber mer, unb jejjt mürbe ibu auch ^ife 
9?emman nehmen. Doch nun meift ber frifd) gebadene ^au^tmann 
feinerfeit« ftolj bie juritd, bie ben armen ©pracblebrer übermütbig Der- 
fefemäbte, unb ßWantfeß Reumann mufe fich mit einem fd)on parat 
ftebenben ©tafen tröften. Der 9lutor ulft in feiner grißenbaften unb 
urDäterlidjen Seife über Die« unb Seite«, ma« fo juut 9ltltag«leben 
eine« ^rofeffor« ber italienifchen ©prache gebürt: über Derliebte junge 
ßltäbcben, bie ftatt in bie ©rammatif in bie 9tugen ihre« bübfeben 
Seferer« feben unb nur ein fjmuptmort feniten: Fainore; über bie ©ifer= 
füd)teleieit jmifdjen jebn grauen, bie aße bemfelben Wann tiachfteüen; 
über bie 92iebrigfeit gräflicher Witgiftjäaer, bie fich jur ©träfe bafür 
Don einer 9?em=9orfcr Wiflioneufe fcbänbliche ©ottifeit fagen laffen 
müffen. SU« §err Sotbar ©djrnibt feine Wife 9Zemman Don roftigen 
Sappenfcbilbem fpredjeit liefe, gab e« lauten Beifaß bei offener ©eene. 
Sir haben ja fein fünftlerifd) gebilbete« publicum, leiber nein, aber hoch 
ein febr ^ gefinnung«tüd)tige«. 3m Uebrigen ift bie Arbeit ftredenmei« 
ganj fpafeig, ftredenmei« jebodj auch unbejcbreiblidb übe. Befonber« ber 


britte 9lct leiftet in biefer Begebung ©rfledliche«. Unb mar e« fchon 
niefet leicht, bie übermäfeig breit au«gefpoiuienen ©prachunterricht«=©<herje 
iu erbulben, bereu 9?ant r unb ?lrt mir Don ber Urahne fennen unb bie 
ben erften Wufoug füßten, fo fefemedten bod) bie ernften ©eenen be§ 
Suftfpiel« loeit bitterer. DaDon foßte ©chrnibt, ber mirflidj Dalent bat 
unb ein gemütlicher §err ju fein fefeeint, in gufunft bie ^änbe laffen. 

Sirb auch SRubolpb Sotbar, auf beutfeh ©piper, nicht enbUcb 
einmal aufbüren, bie tragifdje Wufe ju benupen? ©einem w Äonig 
^arlefin" ift Don ber Siener unb ber Wailänber ©enfur eine fReclame 
gemacht morben, bie beträchtliche ©rroartungen meden mufete. ©efeabe, 
bafe man in Berlin bie«mal meniger prübe mar, ba« ©tüd freigab unb 
un« in ohnehin ißupon«lofer 3 *tt um eine fcfeüne Däufcpung ärmer 
machte. Sotbar^©pijjer« „^arlefin" ift betrüoenb faft= unb fraftlo«. 
©« liegt bem ©tüde berfelbe ©ebanfe ju ©runbe, ben #auptmann in 
„©chlud unb 3au" fo bilettantifch Derpfufcfete. ©pi^er hat ihn mobl 
llarer entmidelt, aber ebenfo menig mie ^auptmann ju bichterifcher 
^Infcbaulichleit erheben fünnen. 

£>arfe!in ermorbet feinen |)erm unb büßt ftch ta fem fonigliche« 
©emaitb. Wan bulbigt ihm, er geminnt eine ©flacht, unb bie SSntgin- 
Wutter, ber er fich entbedt, h^ifet ben Betrug aut, meil fie ihr Sonb 
liebt unb Don ihrem getübteten ©obn, ber ein ©djlemmer unb Buhler, 
ein graufamer Sütbericfe mar, nur Unheil für ba« SReid) ermartete. 
^parlefin fchmelgt eine Seile im fRaufcfee ber Wa^t. Doch « ur S u Wb 
mufe er erfennen, bafe Winifter unb ©chranjen in ihm nicht« al« bie 
Buppe ehren, beren Drahtzieher fie ftttb, bafe er ^mar aße« unter= 
fdjreiben barf, ma« man ihm zur Unterfdjrift Dovlegt, auf ben guhalt 
ber ©chriftftüde felbft aber nicht ben geringften ©influfe hat. 3 m 
meiteren Berlauf ber Angelegenheit, bie baburch ungentütblich mirb, bafe 
©ift, Dolch unb Weuchlerfchmert ben armen .tartenfünig bebrofeen, merft 
er aufeerbem, mie Diel rafefeer man mafere Siebe im bunten $arle!in= 
ober zerlumpten Bettlerfleibe geminnt, al« im {öniglicben Hermelin, 
©r mirft alfo bie gleifeenbe Saft mieber Don fich, nicht ohne Dorber ber 
efammten .^ofgefeflfdhaft im ©chalt«gemanbe grünbfiefe unb grob bie Safer» 
eit gefagt zu haben, gabellanb, mo .^arlefin .§errfcfeer mar, mtrb eben 
fo conftitutioneß regiert, bafe bort ber Boffenreifeer zehnmal beffer baran 
ift al« ber Wonardfe. Wan erlaubt bem ßomübianten, über bie Wacfet 
ber Ärone, über bie ©taat«nothmenbigfeit unb anbere geheiligte Dinge 
mehr in einer Donart zu fpreefeen, Me jeben freiftnnigen Bubliciften 
unb jeben Berfaffer politifeber Äomübien mit tiefem 9?eib auf bie glürf- 
licheit ©oßegen in gabellanb erfüllen mufe. $err ©piger bcnujjt auefe 
fonft jebe ©elegenheit, ber ©djattenmonarefeie grünblich feine Weiitung p. 
jagen, ©r erfpart un« feine Don ben zweifello« fefer richtigen Anfidjten, 
bie er im Dertrauten Umgang mit ben Siener ©ocialreformem fc la 
BhiltppDDich gemortnen bat. Da« märe ja nun an unb für ftch reifet 
jcfeün, mettn man in T « Dfeeater ginge, um fpottbiüige Seitartifel^Bhrafen 
beclantirt z u hören unb ftunoeitfang einem gar nicht furameiligen 
Seber 3 ette l ju laufchen, ber mie ein Süme brüßt. Born brantalifcfeett 
Dichter begehrt man inbeffett etma« Anbere«, etrna« Iüftlid)ere«, unb 
fterr ©piper foßte ba« rniffen. ©eftalten mufe ber Dichter, ido ^tea 

©piper rebet unb immer mieber rebet. Blutleere ©chatten jmb aße 

feine B^rfonen, belanglofe Webenfachen, mäferenb bie Bbrafe mit ber 
gemiffen majeftätijehen Attitübe bie §auptfa<be ift. ©« fehlt bem Dichter 
bie Äraft, ben grofeen Bormurf zu meiftern, fattm hier unb ba ift e« 

ihm gelungen, lebenbige guttfen au« bem ©tein zu fd)lagen. ©0 Der; 

liebt mar er in bie tobte unb leere ©atire, bie er über ba« neuntobifdje 
monarchtfdje Brincip au«gofe, bafe er fogar bie tedfenifche ©eite be« 
Drama« arg Dewachläffegte, nur um ja reefet halb mieber Demoftfeene« 
fein z u fünnen. Wicht allein bie lieberlidje ©cenenfüferung unb bie 
oberflächliche 3 eic 6uung ber ©fearaftere Derftimmt Don Anfang att, 
fottbem mehr nod) eine gemiffe unbegreifliche ©orgloftgfeit tn ber 
WotiDirung, bie bem £ürer ba« Unmüglicfee zu glauben zumutfeet. Unb 
babei nirgenb« eine frifefee, Don iriinftlerhanb gemifefete garbe, nitgenb« 
eine perfünlicfee Wote, nirgenb« bie ©pur au« bem Boßen fefeaffenber, 
urmüefeftger Dicfeterfraft. Au«brud«lo« matt fcfeleppt fich ba« ©piel 
Dormärt«; munter mirb #err Sotbar blofe, menn er eine nach feiner 
Weinung geiftDoße Senbung abbrennen fann, mie man einen geuej* 
merf«fürper abbrenttf. ,,Die Siebe be« Seibe« fommt entmeber zu früh 
ober zu fpät." Bon jold)em ©ebattfenabraum mimmelt e« in bent 
©tüde. ©in gemaltiger ©toff ift einem Wid)t«=at«=©<hönrebner in bic 
£>änbe gefaßett unb jämmerlich Don ihm Derzettelt morben. 


Offene Briefe ttitft Jtntworten. 


einmal ber „Ueberracnfä". 

©ehr geehrter ^terrl 

3n einer bet lepten Wummern ber „©egenmart" mürbe fchon auf= 
gebedt, bafe ber Au«brud „Uebermenfch" feine ©chüpfung Don Wiepfcfee 
ift. Uebermenfch ift nicht nur ein Sort, ba« bet ©oethe Dorfommt, 
fonbem auch ©erber bebient ftch beffen. 3n ben ^Briefen zur Beforbe* 


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Nr. 22. 


Hit Cftegetttoart. 


351 


rung bet Humanität", 1794; Nr. 28 unb 32. geruer gebraucht e« 
3apn in „Xeutfdje« Vol!«tbum", IX. #äu«licbe« ßeben, 7. £>ulbigung 
be« weiblichen Gefcplecpt«. Unb ftc^er liegen fiep bie Velegfteßen für 
ba« frühere Vorfommen oermepren, — wenn bei* Xeutfcpe bie ©Triften 
bcutfdjer Wäitner beffet lernten würbe. 

£>odjachtung«Ooß 

Kuguft Kürte. 

—-- 


SCotijm. 

211« foßte ba« faft ober ganj abgelaufene 19. Sahrpunbert noch 
mit fcpweren golianten tobtgefcplagen werben, fyit e« ber junge berliner 
Verleger Georg Von bi unternommen, nocp iepnen eine Sammlung 
bidleibiger Wonograppien über afle 3weige-be« öffentlichen unb geiftigen 
Seben« feit hwtbert 3opren erfepeinen ju laffen. Xamit ba« Unter» 
nehmen nur ja recht unprafttfep, obenbin unb überflüfjig au«faße, pat 
er $um spiritus rector — fein SBortfpiel! — ben rechten Wann ooran» 
gefteflt, ben fattfam befannten Vurgtpeaterbirector, $auptmannapoftel 
unb Scberetfcbüler $aul Scblentbcr, ber auch biefe fterauSgeberfcpaft 
oon ber Vierbanf au« beforgen a« fönnen glaubt, Xaufenb Seiten 
Zqct in Groft»Cctaü ober brei Kilogramm Gewicht flehten ben Wit» 
arbeitem Oorgefcpricben; wenigften« tbut e« feiner ber bi«per in ber 
Sammlung Vertretenen unter 700 Seiten. Natürlich ift folepe« Sllejan» 
brinertbum auf Eommanbo auch bem ftngerferttgften Scpneßbicpter un» 
möglich, unb fo oerfielen benn VonbUSdjlenther'« ßeute ganj oon felbft 
unb gewiß nicht auf Verabrebung auf ba« bequeme 2lu«funft«mlttel, 
einfach ihre alten 3 e U«ng$artifel aufammenaufteßen, mit ben nötigen 
Uebergängett au oerfeben unb al« aufgewärmte Schüffel bem publicum 
nochmals üorjufe^en. So fammelt Vrof. Xpeobalb 3iegler in Straft» 
bürg ben wefentlichen 3npalt feiner beutfeben Eulturgefepidjte, fo liefert 
$rof. Eomeliu« Gurlitt in Xre«bcn nicht oiel mehr al« einen Neubrud 
feiner Nrtifel unb ßunftreferate au« ber „Gegenwart", unb fo ftellt auch 
Nicparb W. Weher bloft feine gefammelten Nuffäfce unb Necenfionen au 
einer beutfeben ßiteraturgefepiebte jufammen. „SBirtpfcpaft, £>oratio, 
SBirtbfdjaft!" Xaft bei einer folcpen Slbfchriftfteßerei Oon einer lünftle» 
vifchen Eompofttion feine SRebe fein fann, liegt auf ber $anb. E« fmb 
hure Waterialfammlungen, djaottfep, confu« unb Ooßer SBiberfprücpe 
unb SBteberpolungen. Xie befte fieiftung ift noch ba« Vud) üon Gurlitt, 
weil hier eine ftarfe, eigengeartete, tapfere Verfönlidjfeit bapinter fleht, 
freilich ift auch wieber aü^u üiel ermübenbe V*>fcmif au« alten 3*it» 
fepriften mit herüber genommen — eben um bie oerwünfdjten 700 Seiten 
üertragSmäftig ju liefern! ©anje lange Ejcurfe mit ihren enblofen 
Hnefboten unb Eitaten liegen unoerarbeitet unb unoerbaulidj ba, unb 
nur ju oft begegnet e« bem fiefer, baft er SBibetfprücpe unb äitgftlicpe« 
Scproanfen finbet, wo er ein bünbige« Urtheil fuept. Gurlitt, ber ja 
ton Äritif unb Sleftpetif fehr gering benft, macht bann ben Einbrud 
eine« launenhaften, unentfdjiebenen, faft bilettantifchen Äunftfreunbe«, 
bei beffen Urtheilen, $umal über Walerei unb ^laftif, man immer 
wieber baran erinnert wirb, baft er oon Veruf 9lrcpiteft ift unb fiep 
eigentlich nur im Vaufacp gana gu $aufe fühlt. Noch fchlimmer tautet ba« 
Urtheil über Nicparb W. Weher unb feine „Xeutfcpe Siteratur 
be« 19. 3nf)rbunbert«", — Vonbi’« neuefte Ntefenfdjartefe Oon faft 
1000 Seiten! Xer ^Berliner ^rioatbocent gehört $u ber Scperer’fcpen 
Schule, bie fleh um Erich Scpmibt geflüchtet, unb fein 2Berf fotl be« 
fcltmeifter« fitteraturgefchichte, bie mit ©oetbe # « Xob abfcblieftt, ergänzen 
unb bi« in unfere Xage fortfepen. ?lber wa« fdjon SBilbelm Scherer troft 
aller SReclametrompeterel feiner Schüler n.icbt gelungen ift: bie $opu» 
Caritöt feine« Vudje«, fie wirb ber 9kd)fommenbe noch weniger erreichen, 
^aju ift fein Vudj ju breit, $u langweilig, ju theuer. 3lucb wiffen» 
WaftUcb ift e« unbrauchbar. Um feinen Stoff ju meiftern,_tbetlt Weher 


ba« fiiteratnrfäculum einfach in feine einzelnen 3ab^but«, über 
jebe« ©apitelbecennium einen möglicbft unpaffenben, aber impofanten Xitel 
unb bringt bann bie oerfdjiebenften dichter ber oerfebiebenften Epochen 
wie Äraut unb SRüben barin unter, j. V. neben ben Xicbtern be« Vor» 
mär* einen ©rotb, ^>ebn, Tagner, ^ebbel, $ rufe, Schad, Sdjerr, ^eßer, 
Sontane, Sorban, Stoim, <L ®. Weper — atte im fetben dapitel unb ’ 
Sabraebnt ber Oierjiger 3abrc! ÖefenSwertb fmb nur bie paar ab* 
gerunbeten Üffah« S- V. über Äcffer, gontane, ^Iniengruber; man merlt, 
baft fie bei einer früheren Gelegenheit nach guten Vorftubien entftanben 
unb wörtlich übernommen fmb. Um fo oerfe^lter fmb bie Urteile über 
Hebbel, Uhlanb, SRaabe, fiubwig, Groth, Geibel, Senfen, Xreitfcbfe, für 
beren Vebeutung Weper offenbar gar fein Organ befipt. Xann bie 
geiftreieb fein fotlenben, immer weit h«9 e ^ olten uni) f cttcn baffenben 
Varallelen la Gricb ©cbmibt. Xabin gehört ber Geniebli^ t>on Veiten’« 
„materifchem Xob", ber Oiel eher fläglicb unb tragifomifcb war, benn 
in grote«fer gurept Oor ber ©h°^era floh ber Unglüdli^he Oon Neapel 
nach Sprafu«, wo er bucpftäblicb au« «ngft an einer leichten Grfältung 
ftarb. Unb nicht einmal feine SRuheftätte barf man materifcb nennen, 
wa« Weper oieUeicht gemeint hat. benn ber Xicbter liegt wopl tm 
blühenben Garten ber Vtüa fianbolini, ber ift aber nur ein englifcber 
Vrioatfirchhof mit ©anbel«gärtnerei, unb Vtaten^« awei(!) Grabftetne ftepen 
an ber Wauer jwifchen lauter gleichgiltigen Wifter« unb Wiffe«. Xaft bie 
9?ahel unb fiewatb, §eine unb Vöme, Sluerbad), ßinbau, gulba, Vamberger, 
Vranbe«, fcirfdjfelb, ebenfo wie Subermann unb Xehmef(!) al« Gatten 
jübifcher grauen überfchä^t werben, ba« wirft um fo fomifcher, al« Weper 
gern mit feinem Germanenthum unb fogar „märfifepen 2ocalpatrtott«mu«" 
renommirt. 3n ben feftten Gapiteln ift ba« Vucp nur noch ein Sarnmel* 
furium Oon Eigennamen, nicht Oiel mepr al« ein Sdjriftftellerlejifon, 
wo faft Seber genannt wirb, ber einmal etwa« bruden lieft, unb 3eber 
gelobt wirb, ber oon ^ermann Grimm ober Erich Scpmibt empfohlen 
ift ober im £aufe Weper Oerfeprt. Unb gerabe h^ c ^» wo e« eigene 
Urthett«fähigfeit ju jeigen gilt, tappt Weper faft immer baneben, a* $• 
in ber Verhimmelung oon Vuffe unb Stephan George, tfura, Weper^S 
Vanbwurm fcplieftt fiep würbig Vonbi’« anberen Unbänben an, unb wir 
würben unfere fiefer Oor bem Slufauf .warnen, wenn c« fiep niept um 
einen fepon äufterlicp abfepredenben fiabenpüter banbeite. 

„Xa« ^eunaehnte Sahrpunbert in Vilbniffen", perau«» 
.gegeben Oon farl SBerdmeifter (Verlin, Vpotograppifcpe GefeUfcpaft). 
Xa« beliebte Vilbniftwerf enthält in feinen lepten ßieferungen manchen 
intereffanten Eparafterfopf in fepöner %u«füprung unb mit guter blogra« 
ppijch»fritifcher Erläuterung. Xöir nennen opn «iffenfcpaftlem: Elaube 
Vernarb, ben „eifernen ViOifector", Vettenfofer, ben Schöpfer ber mobernen 
£>pgiene (Vilbnift oon fienbaep), ©ilpclm VJunbt, SPering. Xann bie 
großen Erfinber: Samuel Worfe, ben «utor be« erften Scpreibtelegrappen, 
3acquarb, ben eigentlichen Vegrünber ber Xejtilinbuftrie (nach einer 
Sponer Sitpograppie). hieran fcpliefteit ftep eine Veipe berühmter gran» 
jofen: ber geniale Satirifer unb Volemifer Eoutier, Emil be Girarbin, 
ber Sournalift, Scribe, Xuma« fit« (Voiträt oon S*on Vonnat) unb 
^llpponfe Xaubet (nach einer eparafteriftifepen Naturaufnahme). Xann 
mit einem Sprung in bie neue XBelt bie amerifanifepen ^eerfüprer 
Grant, Sperman, Speriban, enblicp ßincoln. $lu« bem jüngften ^eft er» 
wähnen wir ben Vhhf l0 ^°fl cn Voi«4Repmonb, gemalt Oon Woj ^oncr, 
unb ben mit 37 S^pren oerftorbenen genialen VPhf*f er 8t- na(t l 
einer Naturaufnahme. ScplieftUcp noch einige V oc i en ^^ cr: ^«erbaep, 
bie Xrofte»$ül«poff, Rialen unb SBilbenbrucp. Wit ber «ufnapme be« 
lejrteren oielumftrittenen Xramatifer« ift Äarl SBerdmeifter feinem guten 
Vrincip, bie fiebenben niept ober nur in 9lu«napm«menfchen Oon bleibenber 
Vebeutung aufaunepmen, untreu geworben. 3 U wenig berüdpeptigt 
iepeinen un« bagegen bie Waler unb Vilbpauer. Von Septeren füllten 
SBerner unb Vega«, Wenael unb Scpißing niept feplen. 5lucp ^einriep 
0. Äleift gepört mit aßen feinen Werfen bem 19. 3nbtpunbeit an. 


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352 


Die ©egettroari. 


Nr. 22. 


linseigen. 

Btt Btfellungen knuffe man ßdj auf Mt 
„flStgtnmarf“. 


SBetlag uon Jflofjberg&gltrger itt fetpjig. 
Soeben ersten: 

i&ZX M|Uf| 

tftv Jfrauen unb Binder 

flfgtn 

BHUfianblimgrn. 

§£uf ©runb 

amerifaniftber u. europäischer Waterialien erörtert 
von 

Dr. Bari 

Brivatboaenten ber ©taaMtvtff. an ber Uuiv. fietpilfl, 
orbentl. SRitfllteb ber internationalen Bereiniqung fiir 
vergletcfyenbe ÄedjMiviff. nnb Bol!«n>irtfn<tiaft*le&re $u 
Berlin Ultb ber American Academy of Political and 
Social Science. 

$rri£ 4 Warf. 

$>er SSerfaffeT bat üon 11 Äinberfchup=93cr- 
einen u. f. ro. in 9?eto ?)orf, SBofton, Sonbon, 
$ari8, öerftn, Äcujebltfe, SBien intereffanie 
Waterialien befonimen. (£i bebaubeit auch bte 
grage be« ©infebreitenä ber £mu$gen offen gegen 
begonnene Wifjb<inblungen. 


JL JL JL JL JL JL JL JL JL JL JL JL JL 


jütiarik 

im 

Urteil 

jriitr 


£unbert Oriqinnl»©utaditrn 
o. ftreunb u. ftetnb: BjÖrmon 
»ionMS Büchner üriSp! Bafcn 
Baubet ©gibt) Montane Qkotlj 
$actfel vartuiaun fcepfe ior» 
ban SHpltng ßeoticavaflo ßin= 
bau ßombrofo fRefdufcfierftfi 
Äigra ftorbau Oüioier Betten« 
tofer ©allSburl} ©tenfieroica 
©inten ©pencer ©vielten 
©tanteh ©toetfer 6 trtnb 5 erq 
©uttner ©ilbenbrud) Hemer 
Bola n. V. M. 


©leg. geh. 2 SRI. vom OcrUg ber itgmwtfh 
Berlin W. 57 . 




®erlng üon SöiHjelm in ©erlitt, 

©oeben erfd)ien: 

$eorg non ^unfen. 

©in ©barafterbilb au© bem £ager bei 
93efiegten, gezeichnet non feinet Tochter 

Pari« tum $ uit fett. 

22 Sogen Oftao. 

Wit 53uchf(hmucf non Warie noit Sunfen 
unb einem Porträt in £>eliograüürc. 
©ebeftet 6 W. ©ebunben 7 W. 


Stottern 

heilen dauernd Dir. O. Deiülardt'f 
Anstalten Dresden - Losohwltz und 
Burgsteinfurt, West!. Herr! che Lage. 
Honor. naoh Hei lg. Prospecte gratis. 
Aelteete ataatl. durch S. M, Kaiser 
Wilhelm X ausgezeichn. Aust. Deutsch!. 


91 fab. geb. 6d)rififtefler, bi§b- publicift. 
(liter. Äritif) in Serlin tbätig, energ. geroiffen* 
hafte 9lrbeit3fraft, norj. ©prachfenntniffe (fran* 
$öfi[ch, «nglifcb), *e*fetter ©tenoaraph, 
SHafdiinenfdirei^er (ftammonb), fuept nnt. 
befrh. fcnfpr. in MeDatttim, £beatrrfr!rrtariat, 
8crl.=©u(hbMß., literar. Snftit. jc. Stellung. 
Cffert. an b. ©jp. b. ©egemoart uut. A. (5. | 


Berantaortlttb« Hebacteur: Dr. Stoppt! BoUtng tn Berlin 


Bad Beinerz, 

klimatischer, waldreicher Höhen-Kurort — 568 Meter — in einem 
schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Glatz, mit kohlensäurerelehen Eisen-Trlnk- 
u. Bade-Quellen, Mineral-, Moor-, Douche- n. Dampf-Bädern, Kaltwasser-Proeeduren, 
ferner eine vorzügliche Molken-, Milch- u. Kefyr-Kor-Anstalt. Hochqnellenleitimg. 
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmungs- u. Yerdauungsorgane* zur Ver» 
besserung der Ernährnng u. der Constitution , Beseitigung rheumatisch-gichtischer 
Leiden u. der Folgen entzündl. Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang Hai* Proep. gratis. 


Königliches Bad Oeynhausen. 


©ommer= u. 9Binter=$hirort. Station 
ber Sinien Serllnstföln unb Söhne; 
^ilbcÄbcim. ©ommerfaifonü.l5.Wat 
bi8 ©nbe ©ept. SEBinterfur oom 1. Oft. biö Witte Wai. ftttrmtttrl: 9faturm. foblenf. X^ermalbüber, 
©oolbdber, ©ooLSnbalatorium, SBeflenbäber, ©rabirluft, Webicomecpan. 3anberinftitut, 9löntgeib 
fammer, norgügl. Wolfen- u. Wilcpfuranftalt. Mtntd Shftmalhabeband am 15. Wai 1900 erdffart. 
Snbifationen: ^rfranfungen ber Heroen, be$ ©ebimS u. SRücfenmarfS, ©iebt, WuStcl* u. ©elenf* 
rbeumatiömus, Ö€rjfranfbeiten # ©fropbulofe, 9lnÖmie, ebron. ©elenfentsünbunaen, grauenfranfb. ic. 
Inrfapefle: 42 Wnfifer, 120 Worgen Äurparf, dflrne* ftnrtS)(atrr, ©äde, Äon^erte. «flgemeine 
9Bafferleit. u. ©cptoemmfanalifation. $ro[p. u. Beitreibung überf. frei bie ÄgL dahehermaltiuii. 


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mTv.!*/ ^4." v»7 xc 'XX 'Xi?- vhmT'' y* *. ■ -<». ^ -4., 


®ie ©eactmiart 1872-1892. 

Um unfer ßafltr 3 « riam», kitte» wir Mifttt« Utoimttitca ti*e gi»pi§r 
©elefltnhtil jnr fiennoUftänbtgiuig bet Soüection. @0 »eit ber Sorratb tri^t, 
Itcfent mir bie Jahrgänge 1872—1892 & 6 SW. (patt 18 9t.), §a(b)aljr4- 
Sftnbe k 3 SW. (fftatt 9 9t.). üebunbene Jahrgänge k 8 9t. 

Bcrlag ber ©egenttiatct in Berlin W, 57 . 



> TkftrlnfflftkH • 

iTedmlkarnJlmenanl 

flr liMhlaM- n« IMWt- 
ftiltirt,-TMkiEktr i.-W>r ketl»ttr.| 

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SW* P«lba»tgakt. ~WS 

^rciS 3 Warf, ©cpön gebunben 4 Warf. 

tiefer 93i8mard=©apriüi=Vornan, ber in 
wenigen fünf Ü ar ^ e Auflagen erlebt, 

erfebeint ^ier in einer um bie Hälfte billigeren 
SBolföauögabe. 

S)ur(p alle $8ud)banblungen ober gegen ©in= 
fenbung be8 betrag« poftfreie 3ufenbung üom 

Oerlag der 6 ege»wart. 

»erlin W. 57. 


3n unferem »erlag tft erf^tenea: 


pir 

«UBaggrtfl fSr Sttcratir. Ml u» SaaSB MB 



Seieril*|e|iffr 1872 — 1896 . 

(Shrfter hid ffinftigftcr Satth. 

Wit 9Ja<bträgen 1897—99. ©eb- 5 ui 
©in bibliograpljifdjeS 98crf erften 
9fanged über baS gefammte öffentliche, 
geiftige unb fünfttertfd)e Seben ber lepten 
25 3apre. 92otbwenbiged ^acpfcblagebutb 
für bie ßefer ber „©eaemoart", fotoie 
für miffenfcpaftlidje k. arbeiten, lieber 
10,000 fcrtifel, nach 3rdcbem, Serfaffern, 
©djlagtoörtem georbnet. SDie Äutoren 
pfeubonpmer unb anonpmer Irtifel ftnb 
burebmeg genannt. Unentbehrlich für 
jebe Bibliothek 

9luch bireft gegen $oftamoeifung ober 
Nachnahme üom 

Üerlaa ber Oegemoart. 

»erlitt W 57. 



IHebactton unb ©ipebttion: Berlin W. f SRanftetnfnafee 7 . Baut Von ^effe A Bedfer tn Selp»i|. 


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M 23. 


^SerCirt, ben 9. §uni 1900 




29. Jahrgang. 
Band 57. 


pe dpwrt 

Vtodjenfchrift für Siteratur, tuitft uni» öffentliches Seben. 


^erausgegeßc« non ^eop^lf ^ottlng. 


}rtn imdat trfdjetnt (tu glrasn. 

flu bestehen buw$ alle Cu^anbtungen unb ^oftftntter. 


Verlag ber ©cgemoart in JBerttu W, 57. 


ffermfillrcltdi 4 H. 50 ||f. «tue ftunur 50 Vf. 

3nfetate Jeher Ärt pro 8 gesattelte ^ctttgetle 80 $f. 


|nh<iß: 


5)ie SBorbilöung bcr Cfficiere bc8 beutfdjen £>eere8. 93on ftreibauf. — ®fe 5BoIjItf)ätigfeit tm moberncn Seben. $8on Äarl 
oet?ct- (Scblufe.) — Safleijraitb al$ bramatifdjer Stoff. SBon ©ottlieb $>auih.— SSoIf^öorfifcf)ulfurfc unb .ftocbfcfjulbäbagogif. 
$3on S JOtaj s D?at) (§eibelberg). — fteuiUetoit. £><%§ Sbid. SSon SouiS Goupevuö. Sluä bem .^oüänbtfdjcn. (Sortierung.) 
— Der (MUptftaDt. $>er Zeitige Ärieg. $on Caliban. — Hotten. — ftnjeigeit. 


Die Dorbilbnttg bet Affinere bes bentfchen leeren. 

®ie ©infchränfung bet SSerabfcEciebung Don Offerieren 
wirb bon ben DppofitionSparteien feit Sauren in regelmäßig 
wieberfef)renbcn Anträgen im 9leicf)Stage unb in ben Sanb» 
tagen einzelner VunbeSftaaten bedangt, unb bie beinotratifche 
iJSreffe, ju beren eifernem Veftanb biefe grage rechnet, be= 
fchäftigt fidj häufig mit berfelben, inbein fie forgfältig oon 
Saljr ju Sa^r bie eingetretenen Vcrabfdjiebungen aufjählt 
unb ^Berechnungen barüber anfteUt, wie hod) fid) für baS 
Aeidj bie Äoften ber innerhalb einer gewiffen grift erfolgten 
DfficierS»fßenfionirungen belaufen. ®aß eine Aenberüng biefer 
Verljältmffe wünfdjenSwerth wäre, wirb allgemein unb ge» 
miß auch üon ben maßgebenben ®ef)ötben anerfannt, unb 
wer eine befrtebigenbe Söfung biefer fd)Wierigen grage ju 
finben ber möchte, mürbe fi<h ein großes Verbienft um baS 
9ieidj unb beffen ©teuerpflidjtige, ein noch größeres um ben 
DfficierSftanb fefbft erwerben. Alljährlich ift eine große 
Anjahl bon Dfficieren gejwungen, auS bem ®ienft auSju» 
fdjeiben, in einem SebenSalter, weldjeS man mit ben heften 
ÜRanneSjahren gu bezeichnen pflegt, lebiglid), um noch jüngeren 
Straften Sßlajj ju machen, nicht etwa um baS DfficierScorpS 
ju „berjüngen", fonbern um eS nicht alt werben ju laffen. 
Aiemanb 6e[treitet, baß fefjon für ben griebenSbienft, nod) 
meßt für bie Anforberungen beS Krieges, ein h°h e§ 
förderlicher 9lüftigfeit unb geiftiger griffe erforbertief) ift, 
welches fich iw Allgemeinen bei ben höheren SebenSjaljren 
nicht meßr finbet, wenn auch einjelue berühmte Ausnahmen, 
Wie SBlücfjet, SRabehfi, SWoltte, baS ©egentheil ju beweifen 
fcheinen. 3ebe ipeereSberwaltung, welche nicht für rechtzeitige 
Vefcitigung überlebter führet beforgt gewefen ift, h at bie 
Unterlaffuhg tljeuer ju bejahten gehabt, fo ißreußen 1806, 
Defterreich im fiebenjährigen Strieg unb in ben Kämpfen 
gegen grantreich um bie Sßenbe beS 18. unb 19. Sahr» 
hunbertS, Defterreich unb feine Verbünbeten im lefcten Kampfe 
gegen Preußen, unb ber SBunfdj 9?apoleon’S I., „alte @ol< 
baten unter jungen ©eneralen" h Qt heute noch feine öolle 
^Berechtigung. 

Um bie höheren gührerfteUen mit SJiännern bon nid)t 
ju hnh en Saljren unb -bon ungebeugter Xhatfraft beferen ju 
tönnen, muß, wie erwähnt, alljährlich ein hoher fßrocentfajj 
bon Dfficieren aller ©rabe auS bem ®ienft auSf Reiben, in 
erfter Sinie natürlich alle biejenigen, welche an förperlicher 
ober geiftiger SRüftigleit eingebüßt hoben, fernerhin aber auch 


eine große flaljl fotd)cr Dfficicre, welche bermöge ihrer 'Sang» 
lichteit wohl noch weiter bienen fönnteu, aber bei bem großen 
SBettbewerb fähigeren ober für fähiger gehaltenen hinter» 
männern Sßfa^ madjen muffen, ©in Vergleid) mit ben Vcr» 
hältniffen beS SBalbeS liegt nahe: 9iid)t ade gleichzeitig 
gepflanjten jungen Säume tönnen fich J u §ochftämmen ent» 
wideln; bamit bicS einigen berfelben möglich wirb, muß all» 
jährlich eine gewiffe Anjahl bon — an fiel) brauchbaren — 
(Soucurrenten befeitigt, unb ben übrigen baburd) Slaum, Stift 
unb Sicht jur weiterett ©ntfaltung gegeben werben. 

3eber greunb beS feeres wirb ben gcfchilberten liebet» 
ftanb bebauern, aber bei ber Unmöglichteit, ihn auS ber 
Söclt ju feßaffen, fich darauf befeßränten muffen, übet bie 
ÜKittel nachjubcnten, woburch bie fchlintmcn golgen biefer 
9?otljwenbigfeit für bie baoon Setroffenen abgefd)Wäd)t werben 
tönnen. 3ti bem frattjöfifd)cn .fteere forgt, wie befanut, bie 
gefc$lid) feftgelcgte AlterSgrenje in ber SBcifc für beit er* 
forbertidjen Abgang an Dfficieren, baß ohne Ausnahme jeber 
Dfficicr, bcr in einem beftimmten Alter ben bcmfelbcn ent» 
fprcd)etiben ®icnftgrab noch nicht erreicht h«t. aitSfdjeibet. 
®ie genannte ©inrichtitng hat ben 9tachthcil, baß auSnahmS» 
weife aud) hochbegabte $erfönlid)feitcn jur Unthätigfeit ge» 
jwungeit«werben, lebiglid), weil fie ein gewiffeS SebenSalter 
erreicht haben. Auf ber anberen ©eite ift mit bem fran* 
jöfifd)en Verfahren bcr Sortheil oertnüpft, baß fich Ö er Heber» 
gang junt Siuheftanb für ben ©injelnen ohne bittere ©efüßte 
uolljicht, baß ber außer $)icnft gcftcHte in ber öffentlichen 
Meinung im Vergleich mit gliidti^eren fiämeraben nicht als 
minberwerthig angefchen wirb, häufig hört man in Streifen, 
welche bem $eere ferner fte|en, ben SSorfcßlag, foldje Dfficiere, 
welche für ben näd)fthöheren ®ienftgrab nicht als geeignet 
befunben werben, wenigstens in ihrer jeweiligen Stellung fo 
lange ju beiaffen, als ihre geiftigen unb förpertidjen firäftc 
fie baju befähigen; unb biefer $Borfd)lag hat auf ben erften 
SBlid etwas SBeftedjenbeS, in ®ejug auf bie in öetradjt 
tommenben ißerfönlidjtcitcn fowohl, wie auf bie ©teuertraft 
beS ÜieidheS. Allein eS wirb babei überfehen, baß mit ber 
borgefchlagenen äMaßregel ber §auptjwed beS gegenwärtigen 
Verfahrens, bie ftetige Auffrif^ung beS DfficiercorpS, bod) 
nicht erreicht wirb. Außerbem aber fchejnt es mit bet (Sr= 
haltung ber SeiftungSfähigtcit unb SltannSjucht im §eere 
unoereinbar, jwei Äategorien bon Dfficieren nebeneinanber 
ajifjuftellen, bon benen bie eine bon ber SBeförberung auS* 
• gefdjloffen ift, wäßrenb ber anberen bie Streichung höherer 


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354 


Die tötgentoart. 


Nr. 28. 


©rate nodj bcüorfleljt. (Sogar bcr ©emeine tit 3f?cit) unb 
©lieb wirb bei ber geinfühligfeit, welche er für berartige 
Bergältniffe befigt, alsbalb bcn Unterfchieb ber beiben State« 
gorien erfennen unb bem üon ber Beförberung auSgefdjloffenen 
Sichrer in fd)Wierigen Sagen nidjt mit bemjenigen Bertrauen 
folgen, meines unter allen Umftänben ben ©rfolg oerbürgt. 
9Utcl) bie ©inheitlidjfeit unb Samerabjdiaft innerhalb beS 
DfficiercorpS, beren Bebeutung für bie SeiftungSfähigteit einer 
Gruppe nidjt unterfdjägt werben barf, würbe bei ber er« 
wägnten 3 tt ?eittjeilung einen unberechenbaren Scf)aben erleiben, 
die ©rfagrungen, welche grantreich — auch io Rufjlanb 
befielen ähnliche SSerJjältniffc — mit feinen zwei Slrten Oon 
Officieren, ben aus bem Unterofficierftanb geroorgegangenen 
Croupiers unb ben tjötjer gebilbeten BerufSofftcieren aus ber 
S’riegSfcgule, gemacht hot, finb Wenig geeignet, ein ähnliches 
Stjftem ber gweitgeilung bei unS ju empfehlen. 

©S foll nun berfucht werben, ben gufammengang bet 
gefcgilberten Bergältniffe mit ber grage ber Borbilbung 
ber Officiere ju erörtern. Statiftifdje Berechnungen ergeben, 
bafj non fammtlichen in ben dienft getretenen BerufSofficieren 
burdjfcgnittlich 8 / 10 nicht bie IpauptmannSftellung erreichen, 
währenb weitere 3 / 10 bor ©rreidjuug ber Stellung als Batail« 
lonSführer, unb ein weiteres Biertel bor ©rrcidjung berjenigen 
eines RegimentSfügrerS auSfdjeiben, fo bafj bie höhnten Stcl« 
lungeit, uont RegimentSfüfjrer einfdjliefelidj aufwärts, nur 
bon x / 7 ber Officiere erreicht werben. diefe ßahlcn fegen 
bie grage nahe, welches SooS ben bor^eitig auS bem dienft 
©etretenen zufällt. die Statiftif giebt barüber feine 5luS« 
funft, eS ift aber ju bennuthen, bah bet jüngere dgeil biefer 
theilS mit, theilS ohne Ruhegehalt ?luSgefd)icbeneit fich anber« 
weitigen Berufsarten unb nugbringenben Befcgäftigungen ju« 
wenbet ober im SluSlaitb unb in ben bcutfdjen Schuhgebieten 
Berwenbung fucht, währenb ber ältere SLheil, in ber Regel 
auf ben rneift unjureidjenben Ruhegehalt angewiefen, nur 
auSnahmSWeifc ©clcgenheit finbet, noch einen neuen Beruf 
ju ergreifen, ba auch bie pweilen mit ber Berabfdjicbung 
ertgeilte üluSficgt auf Berwenbung im ©ioitbienft in ben 
meiften gällen eben eine — üluSfidjt bleibt. ^ebenfalls bürfte 
eS feine unbillige gorberung fein, bah fi<h bie £>eereSoerwal« 
tung auch mit ber ßutunft biefer zahlreichen, gröhtentheilS. 
ohne eigenes Berfdjulbeit frühzeitig aus ihrem Berufe ge« 
brängten Rfänner ernftlidj befdjäftigt, foll nicht atlmälig ein 
^urüdgcljcn im 9lnbrang junger Seute jum Officierftanb fich 
fühlbar madjeu. diefe unfidjete ©cftaltung ber ßufunft bet 
Officiere legt bie grage nahe, ob igre gegenwärtige Borbil« 
bung uor bem ©intritt in baS £eer geeignet ift, ihnen ben 
für einen groben dgeil in Betracht fommenben fpäteren lieber« 
tritt in einen anberen Beruf ju erleichtern, unb biffe grage 
muh für bie SRegrzagl ber Officiere, nämlich für bie auS 
bem ©abettencorpS .'peroorgegangeneit unb für bie nach 
?lbtegung ber gähnridjSprüfung ©ingetreteuen, berneint 
werben. Rur für bie in ber Rfinberzagl befinblicfjen Officiere, 
welche baS Reifejeugnih für ben Befuch einet §ocg« 
fdjule erworben haben, befteht, OorauSgefegt, bah fie nicht 
in einem ju weit borgefchrittenen SebenSalter ftehen, bie ?luS« 
ficht, fidj ohne grojje Sdjwierigfeiten noch einem anberen 
ihrer Bilbung cntfprcdjenben Beruf jujuwenben. die Bor« 
Züge ber ©abettenhauS’Grziegung fotlen um fo weniger 
oerfannt werben, als befanntermahen eine grohe 3agt be« 
fonbcrS tüchtiger, in Srieg unb griebcit bewährter Officiere 
auS bem GabettcnhauS geroorgegangeit ift.. ©in frühzeitiges 
©ingewöhnen in folbatifdje ©efinnuitg unb gorm, Orbnung 
unb glicht, Bflege bon militärifcher Uebcrlieferung, Samerab« 
fchaft unb ©orpSgeift befähigen ben auS ber Gabettenfchule 
,<peroorgegangenen in hohem ©rabe, bie bafelbft erworbenen 
©igenfdjaften zum Rügen beS IpcereS in biefeS zu übertragen, 
ülber audj bie Schattenfeiten ber ©abetten «©rziegung bürfen 
nicht unerwähnt bleiben. der Snabc wirb bem ©influjj beS 
BatcrhaufeS in einem ?llter entrüeft, in Weldjem bie forg« 


faltige, inbiuibualifirenbe, auf baS ©emüth einwirtenbe ©r« 
Ziehung Seitens ber ©Item bureg eine, wenn auch nod) fo 
gewiffenhaft burchgeführte SRaffenerziegung nicht erfegt »erben 
tarnt; er wirb frühzeitig einem, beftimmten Berufe zugefüfjtt, 
Währenb er noch flat nicht in ber Sage ift, bie Bor« unb 
Radjtgeile ber betriebenen Berufsarten zu beurtfjeilen, unb 
für ihn bei bcr Berufswahl aujjer bcr etwaigen gamilien« 
Ueberlieferung faft nur nichtige 9leujjerlicf)feiten, ber ©lanj 
beS SolbatenrocfeS u. bgl. in bie SBagfcgale faßen lönnen. 
Rach mobernen 2fnfcgauungen ift eS überhaupt zweifelhaft, 
ob bie üätcrlidgc ©ewalt heutzutage noch berechtigt ift, ohne 
Rücfficht auf ben erft fpäter erfennbaren ÜBillen beS Sinke- 
bie ßufunft beffelben in eine ganz beftimmte, fpäterhin aber 
um fo unsicherer fich geftaltenbe Bahn zu lenfen, ebenfo, »ic 
eS am ©nbe beS 19. SäagtgunbertS faum mehr bon ber öffent« 
liehen SDteinung gebilligt werben würbe, wenn ©Itern ihre 
Tochter gegen ben auSgefprodjenen SBillen ber Segteren jur 
Einnahme eines ihr bon ihnen beftimmten ©h e 9 °tten zwingen 
Wollten. 

Beibe Rüdfidjten, bie freie Berufswahl in gereifterem 
SebenSalter unb bie Riöglidjfeit beS fpäteren UebertrittS aus 
bem Officierftanb in einen anberen Beruf, würben »efentlid) 
baburch geförbert werben, bafe audh beim Austritt auS kr 
Gabettenfchule nadj einer Prüfung bem ©abetten baS boll« 
gültige R'eifezeugnifj für ben Befuch einer Scodjfdjule, ent« 
fprecgenb bem beim Slbgang auS einem ©hntnafium okt 
auch Rcalgtjmnafium z« erwerbenben Reifezeugnis, ausgefolgt 
Würbe. ®er Sehrplan bet Gabettenfchule muffte biefem Gr« 
forbernifj gernäfe umgcftaltet unb ausgebaut Werben, aud) wirb 
ZU erwägen fein, ob ber ©intritt in bie ©abettenidjule Z u 
©unften ber häuslichen ©rziehung nicht in ein fpätereS Sebent 
jahr, baS 14. bis 16., oerlegt werben follte. 3m Rnfcgluf, 
an bie borgefchtagenc fßrüfung fönnte bem einzelnen jungen 
Riann, welcher nadj feiner eigenen inzwifchcn gewonnenen 
©inficht, ober nach berjenigen feines BaterS, ober aber nad) 
bem llrtljeil feiner militärifchen ©tzieher für ben militärifcf)en 
Beruf in geringerem 3Jtaa|e geeignet ift, bie 2Baf)l einer 
anberen ihm mehr zufagenben Saufbahn ohne SBeitereS geftattet 
werben, gegebenen gaüs gegen Rfiderftattung ber im ©abetten« 
hauS oon Seiten beS ReidjS für ifjn aufgeWenbeten ©Tjic« 
hungSfoften. 

Rad) biefen ©rörteruugen bleibt über ben zweiten SBeg 
Zur OfficierS«Saufbahn, bie gähuridjSprüfung nadj zuöor 
erlangter Reife für ^ßrima eines ©hntnafiumS ober Real« 
gpmnafiumS, nur wenig zu fagen. 2)aS burch ben Befud) 
ber Secitnba unb bie nadhfolgenbe weitere Borbereitung in 
einer „fßreffe“ gewonnene SRaaS oon allgemeiner Bilbung 
genügt für ben OfficierSftanb heutzutage nicht mehr, um fo 
weniger, als bie in ber „fßreffe" meift rafch unb ohne ©rünb« 
lidjfeit erlernten Senntniffe, welche lebiglich auf bie ?lblegung 
ber nicht allzu fdjwierigen 2fähitrid)Sprüfung zugefegnitten finb, 
fich Wohl ebenfo rafch wieber oerflüchtigen, wie fie eingebriDt 
worben finb. Riemanb wirb im ©mfte behaupten wollen, 
baff bie Senntniffe, welche beim üöQigen durchlaufen eines 
©omnafiumS erworben werben, für bie wiffenfehafttidje Bor- 
bilbung eines fünftigen OfficierS ein 3 u 0iel bebeuten, im 
©egcntgeil, fie genügen nur gerabe, unb burch bie Unter« 
brechung beS in fich abgefchloffenen unb abgerunbeten ®pm« 
nafial«UnterrichtS oor Beenbigung ber beiben legten Scgul« 
jagre entfteht eine Süde in ber Bilbung, bie fich burch fpäteren 
Selbftunterrid)t nicht auSfüHcn läfet. der lünftige Officier 
foll in bie Schäge beS claffifdjen ?UterthumS fo grünblich 
wie möglich einbringen, feine Bhantafie an ben Borbilbent 
heroifchcr 9D?annhaftigleit begeiftern unb — um aus Bielem 
nur noch ®*uS h etau Szugreifen — feine SRutterfprache an 
ber Smnb ber lateinifdjen unb womöglich auch ber gried»ifdjen 
fennen unb hanbhaben lernen, ©ine berartig oeroollftänbigtc 
Borbilbung Wirb ben Officier in höherem Riaafee befähigen, 
ben fegwierigen Aufgaben ber ©rziegung unb üluSbilbung bei' 


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;nw 


Nr. 23. 


Dü töegcnmart. 


355 


jungen ÜRannfcßafteit gerecht ju werben, unb ißn für spätere 
bcfonbere S3erwenbung im dienft als Abjutant unb ©eneral* 
ftabSofficier, als Seßrer unb ©rjießer an militärifcßcn S3it» 
bungSanftalten u. bgt. grünblicßer üorbereiten. 

daß im Ipeere biefe Slnfcßauung jiemlicß Derbreitet ift, 
geht unter Anbcrem barauS ßetDor, baß fdjon jcßt ein dßeil 
ber ^Regimenter, befonberS biejenigen, weiche ficß beim Dffi» 
ciererfah in Folge günftiger ©arnifonSDcrßältniffe eine ftrengcre 
AuSmaßl erlauben bürfen, ben Sefiß beS fReifejeugniffeS für 
eine ^»odjfcßute als Söebingung beS Eintritts als Sunfer 
forbern, abgefeßen Don ben ben ^Regimentern auS ber ©abetten» 
fcßule jugewiefenen Fäßnrid)en. 

9iad) ben in ben bisherigen ©rwägungen enthaltenen 
SJorfcßlägen mürben fünftig ftatt brei nur noch jwei SBege 
jur DfficierS»2aufbaßn führen: bic AbfolDirung eines ©ßm» 
nafiumS ober fRealgßmnafiumS, unb baS durchlaufen ber 
Sabettenfdjule mit ber am @cßluß abjulegenben ^Reifeprüfung 
für bie ^ocßfcßule. güt beibe Kategorien würbe fiel) eine 
einjährige militärifcfjc AuSbilbung bei einem druppentßejl 
anfcßließen, nach beren Seenbigung bie Setreffeitben nochmals 
üor bie Frage gef teilt werben fönnten, ob fie bei ber SBaßl 
beS OfficierSberufS bleiben ober etwa, unter Anrechnung beS 
abgeleiteten dienftjaßreS als ©injäßrig=Freiwilligen=®ienft, 
51 t einem anberen Söentf übergehen wollen. 3 m erfteren 
Fade würbe fid) an baS in ber Front jugebraeßte Saht eine 
etwa einjährige AuSbilbung in ben SRilitärwiffenfcßaften auf 
einer KticgSfdjule anjdjtießen, unb barauf nach SRaßgabe 
beS ©rgebniffcS ber DfficierS»ißrüfung unb ber freien ©teilen 
bic ©tnennung jurn Dfficier erfolgen’fönnen. daß bie Seßterc 
fich auf biefe SBeife gegen bisher um 1 / i bis l 1 /., Sahre Oer» 
jögert, fann als ein 0 ?acf)theit nicht angefeßen werben. 3 m 
SSergleicß mit anberen 93erufSarten ift bie (Streichung einer 
jeften, befolbeten Stellung noch eine redjt frühzeitige, unb eS 
wirb für ben jungen Dfficier felbft wie für baS £>eer nur 
oortheifhaft fein, wenn ber ©rftere in feinen uerantwörtnngS» 
ooHen SBeruf ein etwas höheres SRaaß toon Förperlkßer, fitt» 
lieber nnb geiftiger fRelfe mitbringt. ^reibanf. 


Die tDoijlthätigkeit int ntobernen Ceben. 

$on Karl Hoetjel. 

(©d)I u&.) 

die Urfache aller biefer untogifdjen gcinbfeligteiten 
bürften Wir junäcßft ju fueßen hoben in ber ^albbilbung 
beS SBolfeS, welches bie ihm meift noch in tenbenjiöfer SBeife 
jugeführten SBirtßfdjaftSbegriffe naturgemäß burchauS einfeitig 
auffaßt refp. total mißoerfteßt. daß aber berartige lädier» 
li(h unlogifcße SSorurtßeile fich f° lange behaupten fonnten, 
fdtteint mir auSfchließlich an ber faft DöUigen Abgefcßtoffen» 
heit ber üRitglieber einer Slaffe oon benen ber anberen ju 
liegen, diefelbe erllärt ficß wohl junäcßft auS bem SitbungS» 
unterfeßiebe, bann aber auch aus ber Snbotenj unb bem 
fcoeßmutß, bie in ben höhnten (Staffen häufig ju finben finb. 
der perfönlicße 93erteßr mit bem nieberen SSolFe erforbert 
freilich ein feines dactgefüßl, ba bet ÜRann auS bem Sßotte 
fich feßr leicht beleibigt glaubt unb überall erniebrigenbe 
tperablaffung üermuthet. ©in löblicher Anfang nach biefer 
©eite hin fdjeint oon einer SRicßtung ber Frauenbewegung 
auSjugcßen, Welche bafür cintritt, baß ÜRäbcßen unb grauen 
ber höheren (Staffen in regen pcrfönlicßen S3erFeßr mit ben 
Arbeiterinnen unb SRäßerinnen treten, um beten SBebürfitiffe 
auS eigener ©tfaßrung Fennen ju lernen unb fomit wirtfame 
Abßülfe ju feßaffen. diefe Sbee ift eine äußerft gtüdlidje 
ju nennen, ßunäcßft ßinficßtlicß beS Dielen wirtlich ©uten, 
baS auf biefe SSeife getßan wirb, dann aber bebenfe man 


nur, wie fo manche junge Derlaffene Seele bureß freunblidje 
dßeilnaßnte im geeigneten ÜRomente Dor bem Abftnrj in baS 
Saftet gefeßüßt werben Fann. ÜRan mache fich herbei feine 
ju fdjleißten SSorfteHungen über bie ©ittlicßfeit ber Arbeiter» 
freife. ©in fo grünblicßer Kenner bet Arbeiteroerhältniffe 
wie £erfner äußert ficß barüber in feiner nicht genug ju 
empfeßlenben „Arbeiterfrage"*) wie folgt: „Unb bennoeß, wie 
gräßtieß bie äußeren Sebingungert aueß für bie ©ittlicßteit, 
für baS Familienleben unferer arbeitenben ©taffen oft fein 
mögen, fo erflärlich fie jebe fRoßßeit, jebe Ausbreitung biefer 
Kreife maeßen: immer nod) fteßt ißre burdjfcßnittticße ©itt» 
licßfeit überrafeßenb ßoeß über bem SRioeau ber äußeren ©e= 
bingungen. Seber, ber einmal einen 93lid in baS Seben 
unferer Arbeiterbeoölterung geworfen hat, wirb auf eine Fülle 
Don rüßrenben ßügen, ßägen ber Anßängtichfeit, ber §in» 
gebung, ber Siebe unb dreuc geftoßen fein." demnach bürfte 
atfo ber perfönlicße SBetfeßr mit Arbeiterinnen burißauS nidit 
fo abftoßenb wirten unb eßer noeß baju angetßan fein, bic 
Achtung Dor einem ©tanbe ju erßößen, ber in fo bebrängter 
Sage noch eine folcße Füße braDer, tücßtiger ©cfdßöpfe ßerDot» 
gebracht hat, beren dugenb natürlich l n ö ‘ c l ßößerem 9Raße 
ein SSerbienft ift, als bie ber ßößeren ©tänbe. ©in berartiger 
theilneßmenber, perföntießer Umgang mit ben SRäbdjcn unb 
Frauen ber arbeitenben ©taffen ßat aber aud) noch bie große 
Berufung, Dielen aKeinfteßenben, pecuniär unabhängigen 
damen eine fißöne SebenSaufgabe ju bieten, wäßrenb bie» 
fetben bisher ißre innere Unbefriebigtßeit unb baS ©efüßt 
ißrer focialen SRußlofigfeit Dielfacß mit meßt ober miitber 

riSfanteit äftßetifcßen ober erotifeßen ©jperimenten ju betäuben 
fudjen, babei moralifcß oft ju ©tunbe geßen, etßifcß aber 

ftctS unauSgenußt bleiben. Unftreitig ift ja eine grau immer 
Diel beffer ju praftifeßer atBoßltßätigfeit geeignet als ein 9Rann: 
fie erfaßt felbft Alles perfönlicßer unb ßat barum aud) ein 
erßößteS SBerftänbniß für bie perföntießen Sebürfniffc Anbcrer. 
daßer wirb eine grau einem gefellfcßaftlicß unter ißr fteßenben 
SRäbcßen Diel näßer treten Fönnen unb bemgemäß in ganj 

anbeter Sßeife im ©tanbe fein, baffelbe fittlicß ju förbern, 

als ein gebitbeter 2Rann gegenüber bem 2Ranne auS bem 
SBolte. die grauen ber ßößeren ©tänbe finb baßer junäcßft 
baju berufen, bie perfönlicße Annäherung jwifeßen ben 2Rit= 
gliebern ber Derfcßiebeiten ©efcUfcßaftSctaffen anjubaßnen unb 
auf biefe SBeife baS SBorurtßeil ju befämpfen, baS bie ein» 
jelnen ÜRitgtieber ber ßößeren ©taffen für baS ©tenb ber 
nieberen Dcrantwortlicß maeßen will, dg bie fociale Frage 
gewiß nicßt burd) gewaltfame Umwäljung gelöft werben Fann, 
fonbern nur auf bem 2Sege ber ©oolution burd) aHmätigeS 
größeres SSerftänbniß ber einjelnen ©tänbe für ißre Wirt» 
ließen berechtigten Sntereffen, fo bürfte eine mögtidjft weit» 
geßenbe perfönlicße Annäherung ber ÜRitgtieber ber einjelnen 
©taffen Don bem größten ©influß fein. Ütur auf folcße SBeife 
Fönnen biefe eine SBorftellung oon ißren gegenfeitigen Söebürf» 
niffen unb Sntereffen erlangen. S$or Adern bürften bann 
aud) bie burcßauS unnötßigeu unb ber jeßigeit 33ilbung un» 
würbigen geinbfetigteiten, bie ben ©laffentampf fo gefäßrliiß 
maeßen unb ungemein hemmen, — §aß unb iReib auf ber einen 
©eite, SSeracßtung nnb §ocßmutß auf ber anberen — barauS 
Derfcßwinben unb an ißre ©teile gegenfeitige Achtung unb 
perföntidjeS SBoßlwoHen treten. diefeS Sbeal Fann nur bureß 
eine mögtidjft Derbreitete ©rjießung jur SBoßttßätigFeit in bem 
oben gefcßilberten ©inne erreicht werben. 

©o Diel über bie SBoßltßätigFeit als ©rjießungSmittel 
unb bie ©onfequenjen biefeS ißrincips. SBenben wir nnS 
nun jur SBoßltßätigFeit als SebenSjWect unb SebenSfdjmud 
für aUeinfteßenbe $erfönlicßfeiten, alfo SBittwer, SBittwen, 
alte Sunggefeüen unb alte Sungfern. feoßl ßat man nament» 
ließe Seßtere feit Unjeiten jur ßielfcßeibe meßt ober minber 
woßlfeiter Spöttereien gemacht, aber ungewürbigt bleibt meiftenS 


*) II. Sluflagc. ®ctlin, ©uttcntag. 


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356 


Die (ftegentoari 


Nr. 28. 


bie ftiße ®taaif igrer einfamen ©jifteng mit bem 6 ogrenben 
©efügle ber ÜRuglofigfeit, üerfpäteten, fjoffnungötofcn @egn= 
fucgt«träumen ober gar üöttigcr£>er 3 en 8 üeröbung. ttRaupaffant 
ergägtt tu einer feiner SReifterffiggen, wie eine einfame alte 
Sungfer in ber Agonie bie Borftettung gat, fie fei Derlei ratzet 
unb gäbe ftinber uitb rebc mit biefen. Sgre legten Sßorte 
finb: ®u ein ®ucg mitnimmft, bamit ®u ®icg nicgt 

erfälteft." — 3lugenfdjeinlicg - fpracg fie 'im ®obe«fampfe 
langjährige ftille £)etgen 8 Wünf<ge au«. -2Selcge fragil liegt 
in biefer furgen ©rgägtung! ©o ift e« gewijj Ungezählten 
gegangen unb geht c« nod) Ungägligen. 3ltten biefen müfjte 
geholfen werben. $Run ift aber bie 3(boption eine« ftinbe« 
eine foftfpielige ©acge, bie aufjerbem ein Vermögen oorau«* 
fegt, bamit aueg in ber golge für ba« Slboptiofinb geforgt 
fei. 3lufjerbem ift bamit gleich eine berartige Umwälzung 
be« bisherigen Seben«gange« ocrbunben, baß bie an ihren 
alten ©ewogngeiten gängenben Bereinfamten fd)on oor bem 
©ebanfen baran oftmal« gurüdfcgrcden. Unb bud) fönnte 
gier Oiel gefcgegen. ©« müfjte biefen großen Bebürniffen 
gegenüber eine Bereinigung gegrünbet werben mit bem ßiele, 
bie Gelegenheit gu gwedmäfjiger SBogltgätigfeit 31 t fcgaffen. 
derartige Bereinigungen tommen gunäcgft folcgcn entgegen, 
benen c« nicht am SBillcn, fonbern nur an ber Gelegenheit 
gum SBogltgun fehlt; ferner folcgcn, bie nidjt ©elb geben 
“wollen, beffen Berwenbung fie nicht fegen, fcgliejjlicg allen 
benen, beren SRittel 311 gering finb 3 U felbftftänbigen 3lu«= 
Übung ber ignen 3 ufagettbcn SBogltgätigfeit. gür einfame 
Sunggefetten ober alte Jungfern tarne befonbcr« bie an 
ftinbern au« 3 uübenbe SBogltgätigfeit in Betrad)t. 3 ui, öcgft 
fönnte alfo ber Berein ftaatlicg nntergebracgten ftinbern 
Befdjfiger beforgen in bem oben nägcr au«gefiigrten Sinne. 
®ann aber fann ber Berein felbftftänbig bie ©rgiegung oer« 
waifter ober non igren ©Itern mifjganbelter ftiitbet in bie 
fjanb negmen. fRegmen wir an, bafj bie 3 ur ©rgiegung 
eine« ftinbe« monatlich erforberlicgen ftoftcn in eingelne 31 n» 
tgeilfcgeine getgeilt werben, aßerbingS nicgt 3 U niete, etwa 
brei bi« fünf. ®ie 3 e >d)ner ber 3lntgeilfcgeine, bie fid) ba« 
mit für eine fReige uon Sagten 3 U bem beftimmtcn SRinbcft« 
beitrag Oerpflicgtcn, wäglen au« igrcr ÜRitte ©inen, welcger 
bie Gelbeinjiegung, unb einen, ber befonbet« bie Ucberwacgung 
be« ftinbe« übernimmt. ®ie Bcrein«oerWaltmtg notirt nur 
bie einseinen gälte unb nimmt einen gewiffen ^rocentfag 
ber 3lntgeilgaglung für fid) al« SReferoefonb«, um im gatte 
bet 3 a gl un ü$ un fägigfcit fine« ber 3lutgeilgeicgner bie einmal 
begonnene ©rgiegung in gleicher Steife weiter fügten 3 U fönneit. 
■Die betreffenben ftinber fönnten entweber bei einem ber 31 n« 
tgeilgeidjner felbft untergebraegt werben ober bei fegt gut 
beleumunbeten, in befcgeibeiten Bergältniffen lebenben Brioat« 
leuten, benen au« ber anftänbig bemeffenen ißenfion noeg 
eine ©rwerbgquctte entftegen Würbe. ®ie ftinber werben 
alfo in ber betreffenben gamifie exogen, bie Slntgeilgeidjner 
aber oertreten bie ©teile ber Berwanbten, bie bie ftinber gu 
fid) einlaben, mit ignen fposieren gegen, fie aueg wogt ein 
wenig oerwögnen. ®cnn ficgerlicg wirft e« wogltguenber 
auf ben ©garafter, etwa« oerwögnt su werben, al« gar teilte 
Berwögnung fennen su lernen. ©0 würbe bie gugenb 
mandjc« armen, ocrlaffenen Gefcgöpfe« 00 m ©onnenftragl 
tgeilnegmcnber Siebe unb greunblicgfeit beftraglt werben. 
®en Sßogltgätern aber, namenttieg wenn e« atteinftegenbe 
9Rcnfdjen finb, wirb erft ber tiefere ©inn be« Seben« auf« 
gegen, unb igr oorger frcublofe« ®afein ficg reieg unb glücf-- 
licg geftalten. ®cnn ^eiligere« giebt e« nidjt unb nicgt« 
©cgönere«, al« eine junge ©cele gu betraegten, wie fie fid) 
allmälig ber SBclt erfdiliejjt, unb ber Blict in ein unfegulb« 
uotte«, bantbare« ftinberauge fann in ben oeröbetften fersen 
blügeube äRenfcgcnlicbe erweden. ®enfen wir un« biefen 
Bcrfegr aueg fortgefegt, nadjbem ba« ftinb feine engere ©r* 
Siegung oollcnbet gat unb irgenbwo sur Segre untergebraegt 
worben ift. — geg möcgtc gierbei betonen, bajj e« buregau« 


untogifdj ift, nieberett ftreifen entftammenbe ftinber göger 
au«bilben su laffen. ®a« lognt nur bei au«gefprocgenem 
®alent ober Bilbung«trieb. ©onft fommt e« bodj nur barauf 
an, bafj ba« betreffenbe ftinb in feinen Streifen ein tütgtiges, 
egrengafte« SRitglieb ber menfcglicgen ©efettfegaft werbe. 
®arauf mujj uatürlicg bie ganse ©rgiegung oon oorngereia 
ginsielen. ®ann aber wirb ber erroadjfcne ttRenfcg fpäter 
oiel sufriebener fein in feiner eigenen ©pgäre, al« wenn er 
mit ©ewalt in eine gögere oerpflanst würbe, mit ber 
nagenben, unau«gefprocgenen ©egam über feine niebrige 31b« 
tunft unb ber ©ntfrembung gegenüber eoeutuetten 3lngegötigen. 
®icfe« fei nebenbei bemerft, weil getabe gierin oft in btt 
beften Slbficgt fegr oiel Ungeil angeriegtet wirb. — Renten 
Wir un« alfo ben perfönlicgen Berfegr aueg weiter fortgefegt, 
fo ift e« eoibent, welchen wogltguenben ©influfj ber 3lufent= 
galt im §aufe eine« gebilbeten SBogltgäter« au«übcn mu§, 
namentlicg auf §aubwert«jungen unb gabrif«mäbcgen, beren 
Sartere ©eetenbebürfniffe — unb folcge gat ein jebeS junge 
©efdjöpf — fo oft bnrd) bie roge Umgebung unterbrütft 
Werben, fegr gum ©(gaben ber gangen ©ntwidelung. 

• ®a bie Boraugfegungen 3 U berartigen Bereinen überall 
reid)lid) üorganben finb, inügten biefelbcn in grofjer 3lngagl 
gegrünbet werben, gumal ber Berwaltung«apparat fo un« 
enblicg einfach ift. Sn einem fleineu gemietgeten Bureau 
ober aud) in feiner ißrioatwognung fönnte ein eingetner Be« 
amter täglicg in wenigen 3lrbeit«ftunben bie Berwaltung 
felbft einer fegr auggebreiteten Berein«wirffamteit erlebigen, 
ba ja nur über bie Besorgung jebc« eingelnen ftinbe« Sud) 
gu fügren ift. SJfan fönnte biefe teegnifege ©eite nod) megr 
oereinfadjen, inbem jeber £>auptpfleger für ba« betreffenbe 
ftinb ein ©pecialbucg fügrt, au« welcgem nur attmonatlid) 
einmal in ba« Ipauptbucg Uebertragungen gemaegt gu werben 
brauchten, ©olcge Bereine müfjtfcn in gogem ©rabe baju 
angetgan fein, ben ©inn für Söogltgun gu oerbreiten, ben 
gogen, unuergleidjlicgen ©enug beffelben oerftegen gu legren 
unb fomit oerebelnb auf ba« gange Bolf einguwirfen. 9?atüi« 
lieg müfjten berartige Bereine im ©tanbe fein, allen Sil« 
bung«= unb BermögcnSoergältniffen entfpreegenbe ©elegen« 
geiten gu oerfdjaffen. ©ie gätten üor ben bi« jegt beftegenben 
Bereinen ben Borgug, bag bei ignen am confequenteften bas 
Brincip ber Befcgränfung be« bureaufratifegen ©lemente« gu 
©unften be« perfönlicgen burcggefügrt wäre. ®enfcn mir 
un« foldje Snftitutionen in öerfegiebenen Sänbern beftegenb, 
national centralifirt unb biefe ©entralen wieber gu einem 
internationalen Berbanbe oereinigt, beguf« 3lu«taufcg ber ge« 
maegten ©rfagrungen, fo biirfte folcge frieblicge Bereinigung 
gum 3wede ebler Betgätigung in legtet Snftang aueg ein ■ 
gut 'Sgeil mitwirfen gut Üeberwinbnng tgöridgter nationaler 
Borurtgeile. 

Unftreitig ift ja bie SBogltgätigfeit ebenfo international 
unb bagcr ebenfo gur Berfögnung nationaler ©egenfäge be« 
rufen wie Söiffenfcgaft unb ftunft, welcge bem ©ebanfen ber 
Bölferoetfögnung fegon fo eminente ®ienftc geleiftet gaben, 
©in jebe« Snbioibuum betradgtet fidj boeg erft al« SRenftg 
unb bann erft al« 3lngegöriger biefer ober jener SRation. 
®cm SOienfcglicgften im TOenfcgen entfpringt aber ber ®rang 
nadg SBogltgätigfeit. — 3lnfänge gu internationaler SBogl« 
tgätigfeit fegen wir in ben internationalen 3 lrbeit«conferengen, 
wo g. B. aueg bie grage ber grauen« unb ftinberarbeit auf 
internationalem SBege geregelt Werben foßte. Setbet fam d 
nicgt fo weit. iRegmen wir aber an, bie eingelnen innergalb 
beffelben Sanbe« beftegenben SBogltgätigfeit«anftaltcn unb 
Bereine berfelben 9tid)tung feien centralifirt, g. B. ©entral« 
ocreinigung ber beutfcgeit SBaifengäufer, ber SRettungsgäufer, 
ber gürforge für entlaffene ©träflinge, ber Bolf«lungen« 
hcilftätten, — fo liegt e« boeg fegr nage, biefe nationalen 
©entralen wieber untereinanber gu einer internationalen Ber« 
einigung gu oerbinben. ®iefe internationalen ©entralen 
müfjten abwecgfelnb jebe« Sagt Oon einer anberen ber natio« 


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1 





Die ffiegetttoari 


357 




Nr. 23. 


naten Eentralen geleitet werben. SJatürlid) ift ben nationalen 
Eentralen, fowie auch ben bief eiben bitbenbcn einzelnen 93er= 
einen möglichftc ©elbftftänbigfeit ju gewähren. Die Ipaupt* 
aufgabe ber internationalen wäre ber AuStaufdj bcr gemachten 
Erfahrungen, möglid)fte pflege perfönlid)er Beziehungen 
jwifchen ben Seitern unb Beamten, fowie SluStaufdj berfelben 
jum 3wede beS StubiumS befte^enber Einrichtungen unb 
ber Errichtung neuer. Sicherlich Würben bann unfere Sirmen* 
politifer nicht mehr bariiber ju Hagen haben, baß cS fo nit* 
enblich lange bauert, bis eine im SluSlanbe längft mit Er« 
folg angewanbte Neuerung im SBohlthätigfeitSbetriebe auch 
bei uns befannt wirb. ES fäube Dielmef)r eine beftänbige 
gegeufeitige Befruchtung ftatt, unb biefeS fowohl im rein 
ted^nifcheit XEjeile ber Derfdjiebeuen beftefjenben Snftilutionen, 
als aud) in ber Ausarbeitung bcr Theorien, wobei bann bie 
tüdjtigftcn ß'öpfe aller Nationen concurrireu würben. SBie 
nujjbringenb wäre j. B. eine internationale Bereinigung für 
BreiSauSfdjreiben jur Söfuitg fittlidher, wirthfe^aftlidjer, 
roiffenfchaftlichcr unb DolfSfünftlerifcher B r °bleme. 3 U uer* 
meiben Wären natürlich alle Dh e mata, bie ber retigiöfen 
Ueberjeugung einer ber Stationen ju nahe träten. 3 un äd)ft 
würbe eS fic| barum hanbeln, ben in ber jejjigen UebergangS* 
jeit oorübergehenb fchwanfenb geworbenen Ela üben an baS 
©ute neu ju ftüjjen burch eine praftifdje ©ittenlehre für 
baS Bolf mit ©rflärung unb SSiberlegung aller ntobernen 
moralfeinbliihen Elemente, ferner wäre es wohl zur B r opa* 
ganba beS 3BohlthätigfeitS=©ebanfenS Don großem 2öcrtt)e, 
wenn eine Sncpflopäbie ber SBohltfjätigfeit in ber populärften 
aller formen, ber Bomanform, gefchrieben würbe, etwa nnter 
bem Xitel: „3ur Bertiollfommriung ber menfc±)lie£)eti Baffe." 
3um ©tubium ber SBohltfjätigfeit für bie Fachleute aller 
Stationen fehlt noch eine ümfaffenbe wiffenfchafttichc „®e* 
fdjichte ber SBofjlthätigfeit", wooon auch eine Keine BolfS* 
auSgabe ju üeranftalten fei. Anbere für internationale 
BreiSauSfdjreiben geeignete Dfj em ata Wären: Erziehung jum 
Steidjthum, Ethif beS BeichtbumS, Anleitung jur 3Bohlthätig= 
feit, bie Etjieljung zur SBohlthätigfeit, bie SBohlthätigfeit 
als flebenSjwecf, BollSfunft, ffinftlerifche AuSfdjmücfung ber 
SBoljnungen, bie Äunft als SebenSelement, Ethif bcr ftunft, 
ffünftler als fittliche Borbilber k. ferner Wären bie beften 
BolfSbüdjer, Erzählungen, Bomane, ©ebidjte aller Stationen 
in billigten Ausgaben maffenhaft ju oerbreiten. Eine weitere 
fjeroorragenbe Aufgabe Wäre baS BreiSauSfdjreiben Z ur populär« 
barftcllung fämmtlicher SBiffenfcf)aften, fowie periobifche Er* 
fcheinungen jum ?ßopularifiren bcr neueften wiffenfctjaftlidjen 
Ergebniffe jc. 

DaS mag Silles wie Utopie flingen, ift aber bod) nur 
bie höchft einfache logifdje ©djlußfolgerung beS einen SBoht* 
thätigfeitS*©ebanfenS. ÜJtan wenbe nicht ein, baß ber moberne 
Ejiftenzfanipf unb baS rafttofe ©treben nach Beidjtfjum biefeS 
elementare ©eclenoerlangen herabgebriirtt haben. Dem wiber* 
fpricht bie SBahrneßmung, baß gerabe in ben ßänbern beS 
brutalften SBirthfdjaftSfampfeS, Amerifa, Englanb unb Deutfdj* 
lanb, bie SBohltfjätigfeit zu hödjfter Blütlje gelangt ift. 
Amerifa, welches für bas rücffidhtSlofefte Sanb gilt, oerbanfeit 
wir nicht nur bie fräftige Beuanregung beS ethifdjen ©e* 
banfenS, fonbern cS hat j. B. auch ä u aüererft baS aud) 
unS fo quälenbe B r °W em ti on bem Elenb in ber £muS= 
inbuftrie mit beftem Erfolge in Singriff genommen. Der 
SBofjlthätigfeitStrieb ift eben burchauS elementarer Statur unb 
barum nicht §u unterbrüden. SBo er eine 3eit fang unter« 
brüdt würbe, fommt er fpäter um fo mächtiger unb fieg* 
reicher zum AuSbrud, unb Weber pfeubophilofophifche Ber* 
höfjnung^n beS SJtitleibeS nodj auch DiScrebitirnng bcffelben 
als Dedmantel für Eitelfeit unb ©enußfudjt finb im ©tanbe, 
ben ©eelenruf nach SBohltfjun jum Schweigen zu bringen. 

Becapituliren wir. Der Unterfchieb jwifchen ber SBoIjl* 
thätigfeit üon [früher unb bcr oon heute befielt barin, baß 
heute ber ©taat bie pflege ber pljhfifdjen Botlj feiner Sin* 


gehörigen im B r *ucip übernommen hat. Daburd) ift aber 
baS Bereich ber ^ßriüatwohlthätigfeit nicht uerengt, fonbern 
im ©egeutheil fehr erweitert worben. 3 ur, äd)ft bleiben ber* 
felbcit alle bie g-älle oorbehalten, welche fid) bet ftaatlidjcn 
Jiirforge entziehen. DeS SBeiteren hat bie prioate SBohl* 
thätigfeit bie große Slufgabc, burch pcrfönlidje Slntheilnahine 
an ben ftaatlich Berpflegten bie ^ürforge beS ©taateS erft 
ZU einer richtigen SBofjltfjat umzügeftalten. Biel mehr zu 
wiirbigen ift bie SBohlthätigfeit als Erziehungsmittel, zumal 
baS pcrfönlidjc Beifpicl beS SllmofengebenS jejjt wegfäHt. 
Sn biefe Erziehung zur SBohlthätigfcit haben fief) Elternhaus 
unb Schule zu theilen. Eine berartige Erziehung erweift 
fid) als baS befte ©egenmittel gegen oie moralifchen Bor* 
urtheile bcr Ehrfurcht Oor bem Bcichthum, ber unlogifchen 
Bchanbfung ber Untergebenen unb beS £>affeS ber nieberen 
©tänbe gegen bie höheren, ^ierburch wirb eine perfönliche 
Slnnähcrung ber SWitglieber ber üerfchiebenen Eiaffen an* 
gebahnt, welche bie wohlthuenbften focialen folgen haben 
müßte. Sine weitere Aufgabe ber SBoljlthätigfeit ift bie, baS 
Sebeit üereinfamtcr SJfenf^en jwedooll unb innerlich glüdlich 
Zu geftalten. Schließlich ift bie Sßohltljätigfeit ißreS inter* 
nationalen SharafterS wegen in gleicher SBeife Wie Äunft 
unb SBiffenfdjaft bazu berufen, bie nationalen ©egenfäfce unb 
Borurtheilc auszugleichen. AHeS in Allem ift ber SBohl» 
thätigfeitStrieb eine unüberwinblid)e Elementarfraft bcr ©eele, 
üergleichbar berjenigen beS Kampfes, ben wir in eiferne 
Sfcffel fperren, unb welcher nun in raftloS unaufhaltfamem 
greiheitsbrang bie fdjwerfteit Saftzüge über ben Erbball ba* 
hinrollt. ®arum bietet ber SBohlthätigfeitSbrang einen feften 
moralifchen ©tü&punft; er ift gleich e *uet fidjeren f^anb, bie 
fid) aus §immelShöheu uns entgegenftredt, bamit wir, Don 
ihr gefügt, glüdlid) bie antimoralifdjen Sümpfe biefer Ueber* 
gangSzeit überfchreiten, bem feften Boben einer neubegrünbeten 
ethifchen SBeltauffaffung entgegen. — 


Äflllehranb als katnaltfther Stoff. 

55on (ßotfliet Daum. 

Unter ben welthiftorifchen ©harafterföpfen beS 19. Saht» 
hunberts ift fanm einer intereffanter, als ber beS großen 
franzöfifdjen Diplomaten Dallcpranb*Berigorb. Er ftept auch 
nod) heute neben einem Bonaparte, ©oetfie unb BiSmard im 
Borbergrunbc bcr wiffenfdjaftlidjcn unb allgemeinen Sluf* 
merffamfeit, unb bie ßitcratur über ihn wäd)ft täglich mehr 
in’S Biefige. 3?ad)bem feine 1837 erfd)ienenen SJfemoiren 
(Extraits) als unecht erfannt würben, hatten feine Dielfach 
retoudjirten unb barum auch zweifelhaften SJfemoiren, bie ber 
Herzog Don Broglie in ben achtziger 3aljren herauSgab, einen 
Biefenerfolg; fie finb in’S Deutfche überfe|t worben. |)ifto* 
rifch werthDoller finb bie üerfdjiebenen Bricffammlungen, 
bie ißallain unb Diele Slnberc Deröffentlichten. Slbcr auch 
bie Siteratur über ihn ift faft unüberfehbar unb zum Dheif 
fehr WerthDoU. So Bcrtranb’S ©tubien über bie Sonboner 
©efanbtfdjaft, bann bie Derfdjiebencn ißublicationen ber ©räfin 
SBirabeau. Sogar Bulwer, SBignet, ©ainte*Beuoe haben 
fein ©haralterbilb gezeichnet, unb neuerbingS fdfloffen ficf) 
ihnen bie Deutfchen ißrof. 3'ournier in SBien unb ßabt) Blenner* 
haffett in München, würbig an. SBir wollen im Badjftehen* 
ben Dbrfuchen, nach aH biefen jüngften Duellen fein fchwanfenbeS 
Efjaralterbilb neu z« z c ^ nen unb bie taufenb zerftreuten 
SWofaiffteinchen zu einem Ipftorifdjen ^ßorträt zufammenzu* 
fügen, baS bie bramatifdjen SWomente heraushebt unb mit 
theatralifdjer ©chlagfraft wirft. Atfo DaUepraitb als ^>elb 
eines Eharafter* unb ©pcctafelftüdS etwa im ©cfdjmad beS 


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358 


Hie töegcnwart. 


Nr. 23. 


alten ©arbou, ber fieß ben banfbaren (Stoff bis ßeute, wunber» 
lief) genug, ßat entgegen taffen. 

©cßon fein allererfteS Auftreten ift wie ein effectüolIeS 
©orfpieL Sie ©räfin ©lenorc Don ©erigorb, geborene Mar» 
quife be SatnaS, bie burdj ©cßönßeit unb Sugeuben aus» 
gejeießnete ©emaßlin beS im ficbenjäßrigen Stiege abwefenbett 
©eneralleutenantS, ftanb eben im ©egriffe, in intern (Salon 
ju ©ariS ben ©efud) einiger tarnen üom §ofe Subwig’S XV. 
ju empfangen, als bie Sßür aufging unb jum ©ntfejjen ber 
ßoßen herrfdjaften ein feßmußiger, mit Surnpen befleibeter, 
ßinfenber Straßenjunge an ber £>anb eiltet 9D?arineoffijierS 
eintrat, welker ben ©ettclfnabcn mitten in ben Salon ftettte 
unb golgenbcS fpradj: „Meine ©eßwefter, bieS ift ber birefte 
Abförnmlitig ber dürften üon GßalaiS, bie brei golbene, ge» 
frönte 2öwen mit ©djwcrtern unb ßerauSßängenbcn 3ungen 
im SEBappen, eine gürftenfrone auf bem ©cßitb unb eine 
herjogSfrone auf ben Mantel ßaben mit bem SBaßlfprucß: 
„Re que Diou" ober überfeßt: ©ott üot 21 Hem! ©orwärts, 
mein SRcffe, ©raf Dort ©crigorb-Safleßranb, umarmen Sie 
biefe feßöne Same ... eS ift Sßre Mutter!" SiefcS gamilien» 
bilb, baS Meifter Scan 3aqueS entjüdt ßätte, ber bamals 
feinen „ ©mile" feßrieb, worin bie Mütter, bie ißre 
Sinber Ammen anoertrauen, gegeißelt werben, ßatte jur 
golge, baß ber öon feinem Onfel in ©efeUfdjaft feines 
nießt weniger jerlumptcn MildjbruberS auf fdjneebebedtcm 
gelbe aufgefunbene zwölfjährige Snabe üon einigen .Aerjten 
unter)ud)t würbe, bie fein gußübcl für unheilbar er» 
Härten. ©in gantilicnratß befeßloß, baS ©rftgeburts» 
recht feinem jüngeren ©ruber, bem ©rafen Ardjambaub, 
ju ertßeilcn, bamit biefer, ber Srabition gemäß, in ben 
SBaffcubienft trete, wäßrenb ber als S'rüppel ißm nadjgefeßte 
ältere GßarlcS Maurice für bie Sircße beftimmt würbe. 

Ser erfteAct: Ser ©ifcßof. 3m Sollege b’harcourt gelang 
eS bem ©nterbten halb, einer ber beften ©cßüler ju werben, 
©päter, im Seminar ©aint ©ulpice, erregte fein SiSputir» 
talent, baS mit feinem feßweigfanten, in fieß gefeßrten JBefen 
fcltfam eontraftirte, baS aUgemeinfte Auffeßcit; bodß mißfiel 
ben Oberen ßöcßlicß bie Dffenßeit, Womit er feinen Abfcßeu 
üor bem aufgejwungenen ©eruf auSfprad). 3m 3aßre 1773 
erßiett er bie ©riefterweiße. Ser faiun jWanjigjäßrige Abbe 
be ©erigorb würbe halb ©tabtgefprädj. Man faß ißn überall, 
nur nießt in ber Sircße. @r antießambrirte bei Miniftern, 
intriguirte ju ©etfaiHeS unb amüfirte fieß bet fönigtießen 
gaooritinnen. ©ineS AbenbS fragte bie Subarrß, Warum er 
fo traurig fei. „Acß Mabamc", erwiberte baS geiftlicße 
herreßen, „wie finb boeß in ©ariS bie grauen weit leidjter 
ju ßaben, als bie Abtein!" Ser Sönig beloßnte biefe fedc 
Antwort mit ber gewünfdßten ©frünbe. ©alb barauf erßiett 
SaHeßranb bie auSgejeicßnete ©teile eines ©encral»Agentcn 
beS franjöfifcßen SleruS, als welcßer er für 18,000 grancS 
©eßalt bie ©inlünfte bet ©ciftlicßfeit oerwalten mußte. Nebenbei 
rüftete er ein greibeuterfd)iff gegen ©nglanb aus, für baS 
bie ^Regierung fogar bie Sanonen feßenfte, unb naßm es naeß 
wie tor in galanten Abenteuern mit jebem 2aien auf, 
©idjetieu unb ßaujun inbegriffen, ©o brachte er eS benn 
richtig baßin, baß ber injwifcßen gefrönte Snbwig XVI. fieß 
cntfdhiebcn Weigerte, ißm ben oafanten ©ifdjofSfiß üon Autun 
ju übertragen. ©S genügte ber Atiblicf beS fterbenben ©eneral» 
teutenantS be ©erigorb, ber fieß als leßte ©nabe jenes ©iS» 
tßum für feinen Maurice erbat, um bert fdjwacßen Sönig 
aueß ßier umjuftimmen. Ser Abbe be ©erigorb warb jum 
©ifcßof üon Autun geweißt, üier Monate fpäter oertrat er 
feine ®iöcefe in ber SReießSüerfammlung. 

®er eßcmatS junge unb muntere Abbe, ber einft mit 
furjem SDJantel unb toefigem $>aar ben tarnen im ©arten 
beS Sujembourg naeßlief unb mit ben ©rifetten fdßäferte, war 
ein gefeßter günfunbbreißiger geworben, ber für noeß älter 
gelten fonnte. ©oit feinen ßageren SBangen wid) ber legte 
Abglattj ber rofigen 3ugenb; fie naßmen jenen bleicßen, ab» 


geftorbenen Son an, ber fieß auf feinen ©ortraitS aus allen 
SebenSjaßren bemerfbar madßt. ®ie „arrogante", etwas auf* 
geftülpte SRafe war feßtanf geworben, unb bie feingefeßlißten 
Lüftern üibrirten nerüöS. Sie enblofe ©time jeigt ftßon 
jeßt jene oeraeßtenbe gälte, üon ber ©eorge ©anb fpäter 
fprad). ®aS ©ßarafteriftifdße war feine conoeje, feßmale, 
faßenäßnlicße Oberlippe, bie fieß mit ber biefen, ßängenben 
Unterlippe eines ©atirS bereinigte. ®ie Augen waren üon 
ßeller, burdjficßtiger ©läue, unb ißr berüßmter fReptilienblid 
feßien falt, gleicßgiltig, inbolent. ®ie ganje gigur lang, 
ßager, baS Sbeal eines SRepßifto, nur baß fieß baS ®iabolifeße 
feines SEBefcnS ßinter ber üerfiißrerifcßen SRaSfe eines SBclt* 
manneS unb bem würbigen Ornat eines ©ifdjofS üerbarg. 
©eine haare bufteten üon taufenb SBoßlgerüeßen, feine 
SBangen glänjtcn üon gettfeßminfe, fein ganjeS ©eßaben 
atßmete SBeltluft, Soüialität, SiebenSwürbigfeit unb arifto» 
fratifeßeit ©eßliff. 35ie feinen, woßlgepflegten hänben ßatten 
offenbar meßr in SBßiftfarten, als im Sreüier geblättert. 3u 
ben crnftßaftcften Singen fanb er ©elegcnßeit ju einem 
SBiß. ©eine geiftlidjc 9?olIe fpielte er mit ©rajie unb oßnc 
Salbung unb Augcitücrbreßen, unb boeß imponirte feine eie» 
gante grömmigfeit bem gemeinen 2Rantie, wie bem Höfling. 
©eltfameS 3 u f amTnen * rc ff en I © e * n ©orgänger im Autuner 
©if^ofSfiß war SRoquette, baS Urbilb beS Sartüffe! 2Wit 
fRecßt ßeißt cS baßer in einem ©pigamm ©ßcnier’S: 

„Tartuffe est le portrait de l’un, 

Ah! Si Moli^re eüt connu Tautre!* 

2luS Snbolenj unb gaulßeit lag er oft ganje Sage ju Sett, 
bann burdjwacßtc er wieber bie SRädjte, um einen Hirtenbrief 
ober eine Senffdjrift jn bictiren. ©etreu feinem ©runbfaße: 
nießts fetber ju tßun, waS burdj 2tnbere gefdßeßen tonnte, 
begnügte er fieß, bie ©laborate feiner Mitarbeiter mit be-- 
WuubernSwertßem ©cfdjid ju rebigiren. SEBaS er üon ftnan» 
jieQen Singen Wußte, ßattc er weniger burdj ©tubium er» 
worben, als gatßfennertt abgeßoreßt, weßßalb man ißn, gleiß 
Mirabeau, als ©lagiar üerfeßrie. ©ein Müßiggänger» 
SEBaßlfprud) ßieß: Pas trop de zele! Sodj ßatte er fofort mit 
Wünberbarent Snftinct erfannt, WaS bem ruinirten Staat 
fromme, unb gleicß in feiner erften SEBaßtrebe fpraeß er nießt 
üon ©ölferüerbritbcrung, ewigem grieben unb anberen lanb* 
läufigen ©d)lagWorten, fonbern empfaßt für concrete Miß» 
ftänbe concrete ©erorbnungen: ©leidjberetßtigung Aller oor 
bem ©efeßc, ©reßfreißeit, Steuerreform, ginanjwcfen mit 
öffentficher ©ontrole, 3°öf re iße^it innerßalb beS SanbeS u. f. ro. 
©cßon ber geniale ©erfaffer ber Laisons dangereuses, ©ßober» 
loS be SacloS, jäßlte ißtt ju ben bcbeutenbften Staatsmännern, 
üon benett fieß in ber neuen ©eidjSüerfammtung ©roßcS er* 
Warten laffe, aber nur, wenn er nicht bem ©eifte feiner Sfaftc 
folge. 2lbet biefe ©efaßr beftanb nießt: ber Abel ßatte ißn ja 
wegen feiner Mißgeftalt auSgeftoßen, unb in ben Sicnft ber 
Jtirdje war er gejwungen worben, ©r rädßte fieß an ©eiben, 
©ein Snftinct witterte bie 3ufunft beS britten ©tanbeS, ber 
naeß bem ©orte feines ©oUegen ©ießeS AHeS bebeuten fofl. 
©r feßloß fieß ißm an. Am 22. 3uni 1789 gelang ißm 
bie ©ereinignng feiner geiftlicßen ©tanbeSgcnoffen mit ben 
bürgerlicßen, unb bamit war bie Madjt beS Abels gebroeßen. 
3n einer ÜRacßt Würben alle ©riüilegien ber Sunfcr ßin* 
Weggefegt unb in Sallcpranb’S gaffung bie Menfeßenreeßte 
proclamirt. Sann redjnete er mit bem ©leruS ab. ?lm 
2. SRoüembcr beantragte er, allen geiftließen ©runbbcfiß als 
ÜRationalgut ju erflären; bann feßlug er baS ©rjbiStßum 
©ariS auS, fegte bie ©iüilconftitution beS ©leruS bureß unb 
beftieg am g e fte beS 14. 3uli 1790 mit ©capulier, Mitra 
unb ©tab, an Safapettc üorbei, bem er jurief, ißn ja nießt 
latßen ju maeßert, bie ©ftrabe int SDcarSfelbe, üon wo er in¬ 
mitten breißunbert weißgeflcibeter unb breifarbig umgürteter 
©riefter mit patriotifeßer ©erftßWcubung ganje Ströme üon 
ABeißwaffcr fegnenb auf baS befreite ©ol!, bie üerbrüberte 


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Nr. 23. 


Die ©egenwart. 


359 


Slrrnee unb ben ganzen $of perabfanbte. ©r patte fiep alfo 
audp an ber Slircpe gerächt, unb eS üerfcplug ipm nidjtS, bafe 
ec feines bifcpöflicpen 9lmteS enthoben unb ejcommunicirt 
würbe. 

Son nun an mar aß’ fein Streben barauf gerietet, 
ben getocfenen ©lerifer oetgeffen ju mailen unb ben SBiirger 
peroorjufepren. 3m herein mit SDiirabeau unb ©icpeS trug 
er am meiften bajn bei, bem SSotf in ber Sammet jum ©iege 
ju Oerpelfen. ®ie Sbee einer 9?epubltf, bie bamatS ermiefener» 
mafeen nur in ppantaftifcpen Söffen fpufte, tarn ipm ebenfo 
wenig, als SRirabeau ober ©iepeS. ©ine Nepräfentatio»Ser» 
faffung mar fein ganzer ©unfcp. ®afe ber ftets oerfdpulbete 
SRirabeau in geheimen Schiebungen jum §ofe ftanb, b at *e 
bet fcEjlaue Saßepranb oiefleiept erratbett; fo mürbe ficb 
wenigftenS ßRirabeaü’S inftinctioe Abneigung Oor bem Gj» 
bifepof er Hären. 91(3 einmal Saßepranb auf ber Tribüne 
gemiffe Sepauptungen ßRirabeau’S miberlegte, (prang biefer 
plöplidp bott feinem ©ipe auf unb fc^rie: „©arten ©ie! 
Scp merbe ©ie in einem Circulus vituosus erbtücfen!" — 
,,©ie," manbte ficb & er febagfertige Saßepranb gegen feinen 
Unterbrechet, „hätten ©ie etma Suft, miep ju umarmen?!" 
?l(S SRirabeau plöplicp erfranfte unb febon in ben erften 
Slpriltagen fterbenb am genftcr feines fwufeS in ber ©pauffee 
b’9lntin lag, liefe er Saßcpraub rufen. ©aS ba oerpanbelt 
würbe, bot Niemanb erfahren; boep ftebt fepon bie Spatfacpc 
beS erbetenen SefucpS mit ber auSgefprengten gäbe! in 
©iberfprudj, bafe ber fiep burep feine Unterpanblungcn mit bem 
.£>ofe comproinittirt glaubenbe Saßepranb ben SRitmiffer bei 
einer Partie carree üergiftet pabe, morauf SRirabeau mit ben 
©orten geftorben fei: „Der ©cpurle Saflepranb pat wir baS 
lepte Sränflein gewürjt; feine Waitreffe mag ©uep baS 
Uebrige fagen." Einige 'Jage fpäter mürbe er a(S ©irector 
beS einflufereidpen ßRunicipalratpeS oon ißaris SRirabeau'S 
Nacpfolger. 

Son bem Serbacpt, an ber mifelungencn gludjt beS 
ftönigSpaareS mitgernirtt ju paben, reinigte fiep Saßepranb 
jur ßufriebenpeit ber NationalOerfammlung; es ift aber 
toaprfcpeiulicp, bafe er barunt gemufet pat. 9HS er bann 
fepmere Serwideluitgen DorauSfap, begab er fiep naep Sonbon, 
opne 3 lDC *f e l in biplomatifcper ©enbung, obmopt eS amtliep 
bementirt mürbe. @S panbelte fiep oermutplicp barum, mit 
©ngtanb eine 9lflianj ju fcpliefeen, fei es jum ©cpupe 
ber franjöfifcpen Srone, fei eS jur Neutralität bei bem 
fepon beftploffeneit Sriegc mit Oefterrcicp, morin man baS 
einjige ÜRittel fap, granfreiep auS ben inneren ©irren 
ju retten unb ben Sönig oor ben ©infliifterungcn ber 
©migrirten unb beS ©iener £ofe3 fieper ju fteßen. £>ocp 
biefe unb eine jmeite SRiffion Saflepranb’3 patten feinen 
©rfolg, meil ber §of öon @t. SameS ben „unmoralifdpen" 
©jrbifcpof „fdpnitt", unb meil ber Serlauf bet Singe in SßariS 
jeben franjöfifcpen 9lgenten biScrcbitiren mnfete. SRittlertoeile 
war in ben Suilerien ein ipn compromittirenbeS ©epreiben an 
ben Sönig gefunben morben, fo bafe ber Gonbent eine Sin* 
flage gegen ipn. erpob unb ipn auf bie ©migrantenlifte fepte. 
Saßepranb blieb alfo nicptS 9lnbere3 übrig, als nacp'ülmerifa 
ju reifen. 

Obmopl ©afpington ipn „aus Semeggrünbeit politifeper 
Natur" niept empfangen woßte, fo mar boep feine 9lufnapme 
in ben Sereinigten ©taaten eine faft fcpmcicpelpafte. Sort 
traf er ben ©pebalier be Seaumep. Sic beibeit greunbe 
trugen fiep mit |>anbelSpläncn unb ftanben im Scgriff, einen 
Dftinbienfaprer auSjurüften, als bie Nacpricpt oom lEobe 
®anton’S unb NobeSpietre’S unb furj barauf bie ©rlaubnife 
jur ^eimfepr 2aßepranb bemog, ben borauSficptlicp reactionären 
Nüdfcplag ju benupen unb noep einmal auf bem politifepen 
©epauplap naep ®lücf unb Nupm ju traepten: Surj bor 
bet Stbreife fpajierten bie jmei greunbe auf bent ^>afen» 
bamm bon Nem=9)orf, als $aflepranb plöplicp ftiße ftanb, 
feinem greunbe fdparf in bie 9lugen fap unb fagte: „Unfeliger, 


®u traepteft mir naep bem Scben unb mißft midp in’S ÜReer 
ftofeen." Seanmep erbleicpte unb gab jurücf: „Sa, cS ift 
mapr; biefer ©ebanfe befepäftigt miep feit geraumer 
bis jept miberftanb tep ipm, aber id) moßte ipn gerabe in 9luS» 
füprung bringen, als ®u ipn errietpeft. ^öffentlich ift biefe 
fije Sbee für immer aus meinem ©eifte berbannt." Dpne 
3meife( ftireptete ber reactionäre greunb, Saßepranb gepe 
naep $ranfreicp, um bie Umfturjpartei ju berftärlen, in ber 
er granfreicpS SRuin fap. Swmerpin mürbe Slaflepranb in 
ber Näpe bon Seaumep unbepaglid). ©r fanb einen Sor» 
manb unb liefe ben ungemütpticpen ©efäprten aßein abreifen, 
unb feltfam: ber ©egler, auf bem Seauntcp fiep eingefepifft, 
ging unter mit ÜRanu unb SRauS, mäprenb ^aßcpranb 
im Suni 1796 moplbepatten in Hamburg anlangte. I 

®er jmeite Stet: Sonaparte. Naep einem Slbftcrfjer 
über Serlin erftpien Saßepranb mieber in ißariS, als fid) 
ber Subei über ben ©rfolg ber franjöfifdjen ©affen in bie 
greubenbejeugungen 9111er über baS ©nbc bet ©cpretfenS* 
perrfepaft mifepte. ©ine ungebunbene ScrgnügungSfucpt er= 
madpte mit bem ©efüple ber ©ieperpeit. S)ie ©öttin ber 
Sernunft mürbe peintlicp auSgelaept. ®ie fepmärmetifepen 
Upeoppilantpropen piefe iaßeptanb einen Urupp ©pipbubett: 
filoux en troupe, unb fein ©ip mürbe aflentpalben mieber» 
polt. S)ic oberen ©(piepten napmen naep unb naep mieber 
ipren $ßlap in ber ©efeßfepaft ein, unb bie Jeunesse doree 
trat an ©tefle ber fepmupigen unb ungefämmten Glubbiften. 
Sn ben neu eröffneten ©alonS füplte fiep STatlepranb fepr 
bepagliep. ®ie ©ipe unb ©alanterien beS Slbbe oon ©aint 
$)eniS unb fpäteren SifepofS oon ?lutun patten fidp über bie 
reoolutionäre ©ünbflutp pinübergerettet, unb naep feiner Sit» 
ftitutSrebe über bie Golonifation, morin er jum erften SRal 
bie Slufmerffamfeit feines SanbeS auf ©gppten unb Sllgier 
lenfte, munberte fiep Niemanb, als brei ©odpen fpäter baS 
9Rinifterium beS 9luSmärtigen ipm jnfiel. ©äpreitb bie 
©tael biefe ©rnennung mie Xaßepranb’S 9lmneftirung unb 
©apl in’S Snftitut auf ipren ©influfe juriidfüprte, erjäplte 
Xaßepranb bie unmittelbare Seranlaffung baju in feiner 
launigen ©eife. oiel gcntütplidjer: „Scp fpeifte bei einem 
greunb unb fanb bafelbft, aufecr grau uon ©tael', SarraS 
unb eine Heine 3°Pl ^auSfreunbe! ©in junger greunb oon 
SarraS mar oor Xifep in’S Sab gegangen unb ertrunfen, 
unb SarraS, ber ipn fepr liebte, jeigte bie gröfete Setrübnife. 
Sdp tröftete ipn'— mar icp boep feit meiner Äinbpeit in 
fold)en Gingen geübt! — unb fupr mit • ipm in feinem 
©agen naep S ar '3 jurüdf. Salb naepper mürbe baS aus» 
märtige Winifterium frei. SarraS mufete, bafe mir bie ©teße 
ermünfept mar, nnb ®anl meines alfo ermorbenen ©influffeS ' 
mürbe fie mir ju Xpcil." 

9lber bie Urfacpe lag tiefer, als in SarraS’ ®anfbar* 
feit für $aflepranb’S SCroft. ®ie Sage beS SMrectoriumS 
mar in golge ber immer ftärferen Neaction gefäprbet. @S 
beburfte eines gefepidten Diplomaten, um bie Unterpanb» 
lungen mit ©rofebritannien unb Oefterrcicp junt erfpriefe» 
lidpen Gnbe ju füpren, unb einer energifepen gauft, um ber 
Dppofition bie ©emalt ju entreifeen. 9Rit einem Slid burep» 
fepaute Xaßepranb bie Sage unb rietp ju einem ©taats» 
ftreiep. Sn ber Spat fteßte fitp SarraS an bie ©pitie ber 
idrmee, napm feine Ipauptgcgner ißicpegrn unb Sartpeleinp 
gefangen unb trieb ©arnot in bie glucpt. 9lber nod) immer ge» 
lang eS Xafleptanb nidpt, ben ®emofraten Sertrauen einju» 
flöfeen, unb als er oon Neuem angegriffen mürbe, gab er 
feine ©ntlaffung. Netobefl, ein SNitglicb beS ©irectoriumS, 
fdjrie ipm oon ber Tribüne ju: „geiger ©migrant, ®citt Ser» 
ftanb ift ebenfo Iruntm, als $ein Sein!" 91 ber Siaßepranb 
räcpte fiep, benn als furj barauf ber fdjielenbe Nembcß ipn 
fragte, mie bie ®inge gepen, antmortete et ipm: „Scrfeprt, 
|>err, mie ©ie fepen!" 

Üaßepranb befplofe, baS bereits manfenbe S)irectorium 
ju ftürjen. @r braudpte einen SNann ber Spat unb patte 


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3G0 


Die töesenwart 


Nr. SS. 


bereits feine SBaljl getroffen. AIS ©onaparte plöfelicf) mit 
llcbcrtrctung ber 0,uarüntaiiic*©efe|jc feine Armee oer liefe 
unb in ©ariS erfdjien, ba gelang eS if)m, SiepeS mit ©ona* 
parte ju oerföfjnen. Sic Stepubli! enbete unter ben Streichen 
beS 18. ©runtairc. Sm ©amen ber einen unb unheilbaren 
©epublif mürbe ©onaparte erfter (Eonful auf jefen Satire 
unb Satlepranb ©Zinifter ber auswärtigen Angelegenheiten. 
Sein Salon mürbe halb ber .frauptfainmelplafc ber bornehmen 
ober cinflufereidjen ©arifer 2Bclt. Obgleich SaKepranb ein 
grofeeS ^HUtStocfen führte, fo mar er fetbft immer bon auS* 
gefudjter (Einfad)f)dt. ©eroöhnlid) trug er an (Empfangs* 
abenben einen langen, bis h°d) hinauf jugefnöpften blauen 
grad. ©Zit ben Saferen mar fein „flediges 2eicf)engefid)t" 
noch fahler gemorbcit, bie mulftige Unterlippe noch oeraefeten* 
ber. Srat ber angemelbetc ©oft ein, fo feinfte er ihm ent* 
gegen, mechfelte einige SSorte mit ihm unb Hopfte fid) babei 
mit betn Äriitfftod auf feine ©einfefeienen. ©Säferenb bis 
bahitt eine gefellfchaftlichc ©leicfehdt regierte, bie feinen ©ang* 
unterfd)icb juliefe, fo bafe j. SB. in ben SalonS bie Zünftler 
mit ben ©Ziniftern berfehrte, fo änberte SaHepranb bieS ©er* i 
hältuiS juerft. 3 lt rinem iit feinem £>otel gegebenen Salle | 
waren bie länger unb Sänjerinnen ber Oper in grofeer 
A tippt eingelaben. AIS fich aber bie (perrfefeaften pm Souper 
begaben unb ©eftriS unb feine Sättjer ben oornefeniften 'Samen 
ben Arni reichen mollten, ba liefe Satlepranb bie Zünftler 
miffen, ifer Sifcp befinbe fid) in einem anberen Saale. Siefer 
gatl, ber bamals Auffehen erregte, mar aber nicht etma eine 
berechnete Unhöflichfeit, fonbern eine inbirecte Scction, bie 
SaUepranb ©onaparte erteilen mollte, ber furj juoor bei 
einem gefte in ©crfaiUeS bie Scfjanfpielerin gontat ju Sifd) 
geführt hatte. SaS Staatsoberhaupt befolgte ben SEBinf feines 
©ZinifterS nur atlju gelehrig. SSier ©conate fpäter mufete 
Satlepranb waprenb eines ©ala*SincrS hinter bem Stufelc 
beS A'aifcrS fielen! 

Set ©Zaun ohne ©orurtpeil hatte übrigens bie arifto» 
fratifdje Neigung jur (Eitelfeit unb Ueberfeebung. Sie 
StanbeS* unb ©angunterfepiebe hielt er genau ein, fogar bei 
Sifcpe. ©Zan crjäfelt, er habe baS gleifcp immer felbft trän* 
chirt unb fich bann in fofgenber Drbnung an feine ©äfte 
gemenbet: „$err Ipcrjog, mürben Sure Roheit mir bie (Epre 
erroeifen, ein Stüd gilet bc ©oeuf anjunefemen? — ©Zein 
gürft, habe ich bie ©fere, Sfenen mit gilet be ©oeuf auf* 
märten ju bürfen? — §err ©ZarquiS, ermeifen Sie mir bie 
(Epre, non biefem gilet be ©oeuf ju foften? — fterr ©raf, 
habe ich baS Vergnügen, Sfenctt mit gilet be ©oeuf aufp* 
märten? — §crr ©aron, motlen Sie gilet be ©oeuf? — 
Äatn er pm einfad)en ©Zonfiettr ganj p unterft am Sifdje, 
fo Hopfte er mit ber ipanb auf feinen Seiler, fijirte ihn fo 
lange, bis biefer merfte, bafe ber ©aftgeber fich an ihn menbe, 
unb tief in fragenbem Sone blofe: „Soeuf?" 

©ur rcer oon Abel, mar für ihn „quelqu’un". - Sie 
ftitnblid) aus bem ©oben fdjicfeenben (Emporfömmlinge lachte 
er heimlich aus unb pflegte oon ihnen p fageit: ,,©Zatt fiept, 
fic gehen erft feit Ammern auf bem ©arquet!" Soch felbft 
fein eigenes ,f?auS oerfeponte er nicht mit folcpen Redereien 
unb betrachtete eS als eine (Eprenfadje, übet bie ältere ßinie 
ber ©erigorb’S p gebieten. AuS biefem ©runbe liefe er ben 
dürften oon (EpalaiS, ben (Epef feines Kaufes, pm (Eontman* 
bauten eines Ä'üraffierregimentS unb beffen SReffen pm (Som* 
manbanten ber ffirigobe ernennen, p melier jenes Regiment 
gehörte, fo bafe alfo fein ©ruber unter bem ©efepl eines 
©liebes ber jüngeren Sinie ftanb. ©ne fpäte ©adje für 
feinen ©erluft ber (Srftgeburt! Sa, einmal beroieS er, bafe 
er bie ©onaparteS als ber ©erigorb’S unmürbige (Empor* 
fötnmlinge betrachtete. Napoleon wollte fein $auS mit oor* 
nefemen ®efcpled)terii oerbinben unb münfehte eine ^eiratp 
jwifchen feinem ©ruber Sudan, bamaligem ©Zinifter beS 
Sitncrn, unb ber (Eomteffe Stefanie be ©erigorb. SSährcnb 
Saüchranb biefem ©lan anfepehtenb günftig mar, oermählte 


er ©? ela nie in aller ©le mit einem tfterjog oon ©oaiHeS. 
Natürlich ermangelte er nicht, bem aufgebrachten erften (Eonful 
ju oerfichern, eS fei gegen feinen SBiuen gesehen. 

©ei bem fcfeönen ©efchfechte galt Sallehranb für einen 
„AUbefieger in ber Siebe", unb bie geiftreidje ©erfafferin ber 
Memoires d’une Contemporaine, Sba be Saint*@lme, erflärte 
feinen ßauber mit feiner „fcheinbaren 2eidjtigteit, bem unbe* 
flimmerten Laisser-aller in mistigen ©efchäften unb ber Auf* 
merffanifeit, ja faft ©efpanntheit, momit er auch in ber un* 
bebeutenben Sntimität p hören unb p reben oerftanb." Sie 
mar ebenfalls bie §elbitt einer galanten 2aune SaHet)ranb’S, 
bet einmal ihre ^»aare jerjaufte unb roieber in Drbnung 
brachte, inbem er als ©apiUoten — SaufenbfrancSnoten 
Dermenbete. Sie blonbe Sba bemerfte eS unb hielt ihm, mie 
er felbft erphlt, noch eine Sode unb noch e i ne h' n m it ben 
SBorten: .Monseigneur, en voila encore une!“ Um jene 
3eit loderte fich auch fein ©erhältnife p grau oon Stael. 
©neS SagcS fafe er fcufjenb jmifchen ihr unb ber fRecamier 
— „entre l’esprit et la beaute, mais sans posseder ni l’nne 
ni l’autrel* aber halb ging er in baS 2ager ber nicht weniger 
geiftrqichen Sulie über, maS er ber Stael auf feine SBeife 
p merfen gab. „SBeldje Oon unS ©eiben mürben Sie retten, 
menn mir bem (Ertrinfen nahe mären?" fragte fie ben ab* 
trümiigen Siplomaten. „Natürlich grau ©ecatnier", war bie 
trodene Antwort, „benn Sie föntten ja fdjwimmen!" AuS 
fRadfec jeichnete bie ©erfafferin ber „Sclpljine" in biefem 
Üiomanc fid) felbft als Sitelhelbin unb Sallehranb als 
SWabatne be ©ernon, maS hinwieber ben 31?inifter p bem 
pteibeutigen Drafel Oeranlafete: „2iebe greunbin, man oer» 
fichert, bafe mir bort ©eibe, Sie unb ich, als grauen Der* 
Heibet finb!" ©eroife mochte bie geniale Sodjtcr SReder’S fpäter 
ironifch an fein graufameS: „Vous savez nager!“ beiden, 
als ber ewig ©erftänbige eine anbere grau, bie aUerbingS 
manche Schiffbrüche beftanben, roirflich „rettete". 

(Sr mar 9J?inifter, als er ©Zabame ©raub fennen. (ernte., 
SochteP b^S ,*pafencapitänS Oon ©ottbi^erp, mar fte mit einem 
Schwerer oerpeirathet uttb bann bie ©eliebte eines geiftreiepen 
SnglänbcrS, beS muthmafelid)en ©erfafferS ber SuniuS*©riefe, 
Sir ©fpftPP grancis, ber in leichten 2iebeSabenteuern eine 
amüfante Ablenfung oon feinen Streitigfeiten mit bem inbifdjen 
©eneralgouoerneur Raftings fuchte. Sie fcfeöne Snbierin 
liefe fich aber oon einem anberen Anbeter nach (Europa ent* 
führen, fam ohne alle Subfiftenjmittel nach ©ariS unb mürbe 
fogleid) ber ©olipi auffällig, bie in ihr eine englifcpe Spionin 
Oermutljete. Auf ben ©atp einiger um ihre Sicherheit bc* 
forgter greunbe fuhr fie in’S ^totel ©aHifet unb üerlangte 
beit SJZinifter beS Auswärtigen ju fprechen, bem fie intereffantc 
SOZittheilungen ju machen fyabt. (ES mtir jeh n Uh r ©achte. 
Sie Hagte bem aHmächtigeu SaHepranb, welchen ©erfolgungen 
unb 2ebenSgefahren fie auSgefcpt fei unb bat um ein Aft)l. 
Ser SDZinifter fürchtete fich P compromittiren, aber ber An* 
blid ber roeinenben fdjönctt grau erweichte fein £>erj. JEt 
gab alfo ©efehl, baS erbetene Afpl im oberen Stodmerl ju 
bereiten unb führte fte felbft baljin. Am folgenben Sage 
üerlangte bie ^töflidjleit, bafe ber £err beS Kaufes fich 
feinem S^üpling erlunbigte, mie fie bie ©acht pgebradjt 
habe. Sie mar fdjöner als je unb mürbe pm grühftüi 
geloben, bann pm Sincr, unb enblich Oerliefe SDZabame ©ranb 
baS ftotel nicht mefer. SaS Auffehen mar um fo gröfeer, 
als ihr ©eift ihrer Sdjönljeit bebeutenb nadiftanb. Sie 
fann man nach einer Stael eine ©ranb lieben, riefen bie 
©arifer. „SaS ift’S gerabe", pflegte alSbann Sallepranb 
p ermibefn, „man mufe eine geniale grau geliebt ty&m, 
um bie ÜSonne p empfinben, eine ©anS p lieben". 3«, 
als in golge beS (EoncorbatS ber ©apft ben allmächtigen 
©remier oon bem ©ann ber (Ejfommuntcation befreite unb ihm 
geftattete, weltliches ©emanb p tragen, ba fafete Sallehranb 
baS ©reüe als eine (Erlaubtiife auf, 2aie p werben unb eine 
grau ju nehmen. So ebnete er fich °Q e Schmierigfeiten, um 


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i 



Nr. 23. 


Die (ßtgenwari. 


361 


Kabame ©rattb — ^etmjufü^rcn. SaUetjranb rechtfertigte 
feine SBaljl. mit ber Aeufeerung, ein geiftreicheS SBeib tönne 
mitunter ihren Mann compromittiren, ein albernes nur fid^ 
felbft. ®ie Dummheit ber nunmehrigen grau non lEallehranb 
fdjeint freilich ein ftagwürbiger ißunft. dagegen fpridtjt fchon 
bie Slrt unb SSeife, mie fie nach IßariS fam unb bort unter 
Borfpiegelung wichtiger Mitteilungen einen ber abgefeimteren 
Äou£S ju fangen wufete. ©pater würbe fie fogar üom Ipofe 
üerbannt, weil fid) bie angebliche ®umme üon ©enuefer 
Saufleuten, bie gewiffe $anbe(Spriüilegien üon ihrem ®emaf)l 
ju erhalten hofften, 400,000 grancS BeftechungSgelb auS« 
zahlen liefe. Jhotfache ift, bafe fie non jwei ber geiftreicfjften 
9J?änner ihrer ßeit geliebt worben ift unb unter bem Satfer» 
reich mit einem SoljrcSgehalt oon 60,000 grancS nach Snglanb 
oerbannt würbe, ©o enbetc ber „Siebesfrühling" Xaflehranb’S. 

(@cf|Iu6 folgt.) 


DolhstjodifthniHurfe tmb fpotfdjulpäbajotjiit. 

9Son Iflaj Htay (£>etbeI6crg). 

„©in SeglidjeS hat feine 3eit", E>eiftt eS im ißrebiger 
©alomonis, unb fo ift bei unS jejjt auch bie 3eit ber BolfS* 
hochfchulfurfe gefommen. Sn anberen Staaten, gana befonberS 
in Slmerita war man unS, bie wir im beutfdjen Batertanbe 
mit Becht ftolj fein fönnen auf bie allgemeine BolfSbilbung, 
auf bie geringe 3ahl bet Analphabeten, mit biefem BilbungS* 
mittel weit OorauS. SBaS man aber einmal in biefer £nnficf)t 
bei unö angreift, greift man tüchtig an unb ein ebler SBett* 
eifer entftef)t in unferen ©n^clftaatcn unb an unferen jahl» 
reichen oomehmen BilbungSftätten, ben UniOerfitöten unb 
technifchen ^ochfdjulen. ®ie ÜJfehtjahl unferer ^ochfdjulen 
hat benn auch bereits BolfShochfchulfurfe eingerichtet, an 
welchen ihre ßehrer oortragen unb fie. finb nid)t etwa babei 
ftefeen geblieben, foldje Surfe im ®oinicil ber lpod)fd)ulen 
felbft abjiuhalten, fonbern man geht hinaus, wohin man be» 
rufen wirb unb eS erfolgten Bufe auS manchen gröfeeren 
Stabten, burd) mancherlei — oorjugSweife auch Arbeiter» 
Bereinigungen — Korporationen. 

An einzelnen Orten beftehen befonberc Surfe für ge» 
roiffe Berufe — ipanbettreibenbe unb Snbuftriebefliffene —, 
an anberen für tarnen, im llebrigcn finb bie Surfe all» 
gemein jugcinglidj unb fpecieK für Arbeiter gebacht unb fo 
eingerichtet, bafe Sebermann, ber eine abgefc^foffene BolfS* 
fd)ul*Borbilbung h at > ben Borträgen folgen lann. @S ift 
aber nicht nur ber Unterfd)icb awifefeen £>od)fd)ulüorträgen 
unb BolfShod)fd)u(furfett in bem Umftanbe ju fuchen, bafe 
hier ein gcwiffeS, gröfeereS Maafe oon Borbilbung bei ben 
Zuhörern geforbert ober üorauSgefefet wirb, bort nur BolfS» 
fcfeuloorbilbung, fonbern bie BotfSljochfcfeulfurfe müffen fich 
auch auf einzelne, Wenige, wichtige Kapitel beS SBiffenS in 
irgenb einer ®iScipfin befchränfen unb felbft baS SBenige mufe 
in conbcnfirter gorm unb bod) gemeinoerftänblich oorgetragen 
werben. 

©ne ganje Beilje üon folgen Surfen Oermag für feinen 
noch fo eifrigen unb leicht erfaffenben 3 u §brer etwa ein 
©tubium beS betreffenben SBiffenjweigeS ju erfefcen, er mufe 
fich begnügen bamit, bafe er baS SBichtigfte auS berufenem 
Munbe oorgetragen erhielt, unb mufe ergänzen, waS ihm an 
SBiffen fehlt burch ©etbftftubium nach Anleitung ber ßehrer, 
benen er juhörte. ©S wirb fein ©elefjrter auS BolfShodj» 
fdpclfurfen heroorgehen, aber eS Wirb auch nicht gcfprochcn 
werben fönnen oon §albbi(bung, Wenn bie ßefjrenben jeweils 
betonen, bafe eS ihnen in folgen Surfen nur oergönnt ift, 
Brucfjftücfe i|rer SBiffenfchaft üorjutragen, bie jur allgemeinen 
Bilbung gehören. AQcS ju lernen unb AHeS ju wiffen, ift 
heute eine Unmöglichfeit, unb auch ber ©ebilbetfte unb ©e» 


lehrtefte fann nicht üon fich behaupten, auf irgenb Welchen 
©ebieten mehr als föatbbilbung ju befifcen, ja er wirb oon 
manchem SBiffenSjweig fogar wenig ober nichts wiffen. Bei 
einer üerftänbigen Auswahl aber wirb jeber ©eiehrte im 
BolfShochfchulfutS als ßeferer baS oortragen, was Sebcr 
wiffen foÜte, unb er wirb für ©frige jugleich bie 2Bege an* 
geben, wie burch ©etbftftubium ein höheres Maafe oon 
SBiffen auf bem ©ebiete noch h> n i u erworben werben fann. 
Man ift heute auch Stemlidj einig barüber, bafe mit biefer 
Borbereitung oon SBiffen nichts gefdjabet werben fann, wofel 
aber unenblicfe üiet genüfct ju werben oermag unb fowohl 
gemeinnüfeige Bereine Wie ©emeinbeoerwaltungen, benen eS 
ernft ift, Bilbung ju oerbreiten, wetteifern in ihren An* 
reguhgen unb Opfern für bie BolfSfdjulfurfe. 

Am 23. unb 24. April tagte in Berlin eine grofee Ber» 
fammtung oon ©eiehrten, BerwaltungSbeamten unb gemein* 
nüfcig benfenben unb wirfenben Scannern unb grauen, bie 
fich unterhielten über ba'S, waS bisher auf bem ©ebiete ber 
BolfShochfdjutfurfe gefdjehen ift unb weiter gefd)ehen fann, 
unb biefe Berfammlung war berufen unb burch 9 ute Referate 
oorbereitet Oon ber KentralfteHe für Arbeiter »SSoljlfahrtS* 
©nrichtungen. ©S ift barauS erfennbar, bafe man biefe 
Surfe als eine @inrid)tung für Arbeiter*2Bohlfahrt erfennt 
unb bezeichnet wiffen will. ®ie ©efeQfchaft für Berbreitung 
üon BolfSbilbung, bie nun faft brei Sahrjehnte an bem 3tocd 
arbeitet, ben ihr SRame funbgiebt, hot bie BolfShochfd)ulfutfe 
ebenfalls biefeS Saljr jurn ©egenftanb ber Befprechung in 
ihrer SahreSüerfammluitg (19. unb 20. ÜKai ju .^eibelberg) 
gemacht, Weil auch f« einen eminenten gactor ber Berbrei» 
tung eines grünblidhen SBiffenS in ihnen erfennt. ©S ift 
feine grage, bafe, wenn SRänncr, bie in irgenb einem fpecieHeit 
3weig ber SBiffenfchaft fojufagen baS ©anje beherrfchen, WaS 
man jur 3eit als SBaferheit erfannte, auf, manchen ©ebieten 
ein anbereS Sictjt für bie Mehrheiten au oerbreiten oermögen, 
alS'eö auf allen anberen SBegen benfbar ift unb bafe nament» 
lid) ber münblidje Bortrag unb bie ®iScuffion ober Beant» 
Wortung oon gragen jeber anberen Art ber BilbungSücrbrei» 
tung überlegen ift. / 

Unfere 'JageSliteratur, unfere fteine Sßreffe ift gewife 
nid)t als ein gutes BilbungSmittel für wahrhaft SBifebcgierige 
au betrauten, unfere Büd)er ftnb oielfacfe a u theuer, um für 
fleine Seute augättglid) ju werben unb an Sefcaimmern nnb 
Bibliothefen für Sebermann ift nod) ein grofeci; Mangel. 
Slber aud) ber, bem unfere guten 3 e 'tfd)riften unb gute 
Bücher leichter augänglich finb, wirb erfennen, bafe er ohne 
Anleitung üicte Strgänge mad)t unb er wirb fogar burd) 
eine falf^e SBaljl feiner Seetüre nur aum 3toeiflcr werben 
unb aeitweilig burd) ein Sefeftüd, ein Buch, wieber aufheben, 
waS er in anberen ©tüden unb Büßern gelernt hot. SBahr* 
haft nüfelich fönnen aber bie BolfShochfdjulfurfe nur bann 
fein unb werben, wenn fich für biefelben nur ßehrer melben, 
benen eS gegeben ift, wirflid) gemeinoerftänblich ä 11 fprechen, 
baS für Sebermann SBidjtige, baS SBidjtigfte auS ihrer ®is* 
ciplin herauSaufinben unb fo eingchenb unb hoch fo fura a u 
behanbeln, bafe burd) einen SurS oon Wenigen (4—10) ©tunben 
bet ©egenftanb fo erfdjöpfenb burdjgearbeitet ift, bafe jeber 
$örer baS rechte Berftänbnife baran hot unb auf feinem er* 
worbenen SBiffen weiter bauen fann. 

©S flieht befanntlich fefer berühmte gorfcher unb ©elehrte, 
welchen bie Menfdjheit AufeerorbentlicheS oerbanft, bie aber 
noch nicht einmal bem üorgebilbeten ©tubenten einen leicht* 
fafelichen Bortrag a« holten üermögen, Weit fie auweilen a« 
wenig, zittocilen au oiel beim §örer üorauSfcfcen. SBic fd)Wcr 
Würbe eS folgen ©eiehrten werben, einem fd)tid)ten Arbeiter* 
publicum mit BolfSfcfeulbilbung oerftänblich 3 lt werben. ®er» 
artige ©elehrte mitffen felbftocrftänblich barauf oerjichten, 
a«m „gemeinen Botf“ au reben, BolfSho^fchulfurfe abauljalten. 
Aber wenn wir aud) oon biefem ©jtrem abfehen, eS wirb 
ficher auch üielen anberen $od)fd)ulprofefforen unb ®ocenteu 


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362 


Die ©egenroart 


Nr. 23. 


jcber 3«t fcf;tner, populäre ©orträge 5U galten unb bobei ift 
ein (SiitjclOorttag uoc£) feine?wcg? ba?, wa? ein folcßer Äur? 
fein foÖ. SDfnn erwartet Don einem ©ortrag, ber 45 bi? 
60 ajiinuten bauert, nichts ©rfdjöpfenbc?, wenn ba? Xßema 
mcßt ein folcße? ift, baß man eine ©fijje in ber angegebenen 
3 eit 311 DoUenbcn Dermag, Don einem ft'ur? aber öerlangt 
man, baß er ba? SSejentlidje be? ganzen ©ebiete? bearbeitet, 
ba? burcf) Xitel gefennjeic^net ift. |>ier giebt e? alfo jwjeierlei 
SRüljen be? Seßrer?, er muff Hießt nur gemeinDerftänblidj für 
Scbermann fprecßen unb in beleßrenber gorm fprecßen, fonbcrn 
er muß aud) au? bem betreffenben 8Biffcn?gebiet ba? SBicß» 
tigfte, ba? 9 Jotßweubigfte l)erau?jufud)ett oerftanben haben, fo 
baß feine §örer etwa? ©anje? ßetmtragen ober bod) bie ge» 
füllten Süden burd) eine Seetüre ju ergänzen oetmögen, bie 
er felbft ißnen empfahl. Db Sille, bie fuß berufen füllen, 
bei ©olf?hochfchullurfen mitjuioirfen, aud) wirtlich berufene 
finb, barf man, offne ben DerbiepftDoUeit Scannern, roeldje 
fidj jur 9lbßaltung Don ©oll?ßodjfä)ulfurfen bereit erflärten 
unb folcße «-bereit? abgcßalten haben, irgcnbtme ju naße 31t 
treten, bodj im ©runbe in 3 toc *f e ^ sieben. SSeiß bod) aud) 
jcber ©tubent unb ber, ber e? einmal mar, ju erjäljlen Don 
guten unb fcßlecßtcn Settern, öon folgen, bei benen Seber 
leicßt unb Diel lernte, unb foldjcn, bei benen er nidjt? ober 
wenig lernte, Don Settern, bie man entweber nur formell 
^ßrte ober bei benen man nur belegt ober gar mcßt ßörte 
unb beren ©pecialfadj man au? Südjerit fiubiren muffte, 
wenn man ba? SSiffen erwerben wollte, erwerben muffte, 
ba? fie eigentlich p Dermittelu gehabt hätten. ®? mangelt 
manchem UmDcrfität?lel)rer, ber ein großer ©elchrter unb 
gorfdjer fein lann, an Seßrtalent, e? gehen ißm fogar 311= 
weilen bie clementarften päbagogifcßen ©runbfäße unb ©igeu» 
fdjaften ab. ÜKan Wählt bie UniDerfität?lehrer ja nidht au? 
nadj ihrem größeren ober geringerem ©rab Don gäßigfeiten 
3unt Scßren, wenn man e? auch mit in ©etraeßt sieht, fonbcrn 
weit mehr ober juweilcn ganj allein nach *h rec ®eleßr» 
famleit 

SSar e? ja bi? Dor turser 3 c *t auch & e * beu ©ßmna» 
fiatlehrern unb ÜDiittelfcßullehrern DOn größerer SBidjtigfeit, 
rc<ßt gelehrt 3U fein, al? gut lehren 3U fönnen, unb man 
forberte fßäbagogi! eigeutlid) nur Dom (Slementarleßrcr. 6? 
ift ba? anber? geworben uitb heute wirb Schrtalent unb Sehr» 
Übung Don alten Schrern geforbert, am wenigften aber ober, 
noch gar nid)t Don £>odjfd)uIlehrern. 6? hat fidj ja befannt» 
lieh beßhalb ein SSerbcDerbanb für §odjfchulpäbagogit ge» 
bilbet, ber subem nur feßr langfam 311 einem gebeißlicßen 
SBitfen unb Seben gelangt. SSer fich bem afabemtfeßen Sehr» 
beruf wibmet, wirb fid) allemal bie gragc auch Dorlegeit: 
bift bn auch ein Sehrer, fannft bu auch tu beiner SSiffen» 
fdjaft lehren? ®ie Antwort wirb bann jcbenfaÜ? beeinflußt 
fein Don bem jebem SDtenfdjen inneWöhnenben SDfaugcl an 
©elbftcrfenntuiß unb ebenfo Don bem (Sifcr, einmal Ipocß» 
fdjulleßrer 31t werben, unb fie wirb Dielfach falfdj ober bod) 
theilweife falfch au?fallen. £at ber junge ©elehrtc fonft 
Xiicßtige? auf3uweifen, ift er etwa fdjoit ein gorfdjer, bann 
wirb man, wenn man auch feine geringe Sehrbefähigung er» 
fennt, ifjn boch nidjt abljalten fich ber Xocentenlaufbaßn 3U 
wibmeit. 

Seiftet er in ber ÜBiffcnfdjaft ^erDotragenbc?, fo wirb 
aud) bie geringe Sehrbefähigung bie weitere ©arriere nicht 
aufßaltcn unb ber ©eförberte wirb fid) üicHeicht nie bewußt, 
welche geringe gäßigteit er sum münblidjeit Sehren hat. ©eine 
©orlefungen werben feiner ©eleßrfamfeit halber befugt, wenn 
fie auch »ließt ben 3 Bertß haben, ben fie haben fönnteit, wenn 
ber Sefjrenbe päbagogifdje? Xalcnt hätte. 

2Ba? aber an Xalent mangelt, läßt fid) sum Xßeil 
burdj gleiß unb Hebung erfeßen, auch »»» ber ©äbagogif, 
aber e? muß üor 2lHem ber SDlangel erlannt fein unb be= 
aeßtet werben. 

©0 lange man ber fßäbagogif beim §odjfdju(profeffor 


nod) fo wenig SSertf) beimißt at? bi?her, wirb e? batin nicht 
Diel anber? werben, aber gerabc bie ©olf?ßod)fd)ulfutfe fönnen 
oiellcicßt Reifer sum ©effeten werben, ©in föhlccßter $äba» 
goge al? Seßrer im ©oll?fcf)u{fur? wirb halb oor leeren 
©änfen reben, bie in ber §od)fd)ufe uiclleicht nur beßljalb 
befeßt finb, weil ber Seßrcr aueß ©jaininator ift ober weil 
©tubenten DieUeicßt eine gewiffe ©ßifurcßt Dor ber ©elcbr 
famleit be? ^Jrofeffor? haben. ®ie i^örer eine? ©olfeßocb» 
fdjulfurfe? werben ben unDerftänblicßen ©orträgen ber (ge¬ 
lehrten aber balb ben Ütüden feßren, weil fie {einerlei 9füd» 
fießten 3U neßmen haben, ba? UuDerftänblicße mit anjnljötcn 
unb gewiffermaßen 3 e *t su Dergeubeit. ©0 wirb bann leicßt 
eine Siücfroirfung Don Worein auf Seßrer ftattfinben unb 
mancßer ©eleßrte wirb fieß bemüßen, für ben Grwerb päba= 
gogifdjen Sönneu?, für populäre? ©ertrag?wcfcn unb er tuitb 
nitßt nur ber ©ebenbe, fonbcrn aud) ein ©mpfangenber fein 
?ludj biefe ©eite ber ©olf?hod)fd)utfurfc ßalten wir für 
ßöcßft beadjtcn?wertß. 


- 1 -* > 


^feuiffeton. 

- ^adjbruct ütrboter 

fjjoße« 5ptel. 

^un fouis <£oupcrus. 
bem .^oörtnbifcfjen. 

(&ortje|un 0 .) 

(£Iena aber füllte ftdb an jenem 5lbeitb fo fremb, fo ganj anbei* 
al§ fonft, al^ märe fie ju einer fc^minbelerregcnben ^)ö§e geftiegen, als 
attjinete fie eine betäubenb bünne 2 uft. 9?ocb nie batte man fie fe 
lebhaft gefeben: ihr (Softiim fleibete fie öortrcfflid), unb man batte 
beinah fetlön nennen fönnen. 3 h re Klugheit mürbe noch gefchärft bunö 
biefe ©timmung; fie blieb feine einzige ^Intmort fd)ulbig. ©ie beftanb 
fogar einen heftigen SBortmechfel mit ber Gräfin (Softi, über bie fie ficb 
immer luftig machte unb in ber berbften SSeife fcher^te. ©o äuserif 
fie, bafj bie ©onnenblumcit fid) oft oergeblich ber ©onue ^umenben, unb 
ihre SSorte Hangen fo feinblid), fo triumpbirenb, bafe bie (Gräfin öor 
3orn erbebte. Unb immer mehr unb mehr febmanb (Slena’d ©djüdjtein 
heit. Qmmer mieber mürbe fie angefeuert burd) ben Äönig, ber ftd) in 
auffaßenbfter SBeife um fie bemühte, ©ie lachte laut, fte tankte fa f : 
mie eine Bacchantin, fie tranf 6h am P a 9 nev - Unb bei aOebem hod c f K 
eine feltfante (Snt^finbung. W18 ber Stönig fte in einem ^lugenbliiff, 
mo fie allein maren, auf bie Xerraffe, in bie frifche 9lbenbluft begleitete, 
ba führte fie bie £>anb an ihr Köpfchen unb lachte. 

„SSirflich, SBlabimir, ich *ege wich su fehr auf. £>ier ift eS föftlitü." 

„ 3 a, brinnen ift e§ fo fdjmül in ber parfiimirten 2 uft. ^Iber 
marunt fagft S)u, bafi 2 )u ^td) ju fehr aufregft? 2 )u bift atterliebft, je 
mie bift." 

„Bin ich ba3? 9fur 3)u ma^ft mich fo .. .." 

'„<£lena!" Gr rt^ fie ftürmifch an fid} unb fchlofj fie in feine Ärmc. 

„92ein, nein, nimm $>ich in ?lcht!" 

„Äontm mit, mir rnoßen fpa^ieren." 

„9iein, mau mürbe un§ nermiffen." 

„Glcna, gehft $)u mirtlich morgen nad) 3:ht’acten?" 

„ 3 a, morgen." 

„ 3 « brei Sagen lontrne id) auih borthin." 

„3n brei Sagen ... ach, wie lange!" 

„$ein, nein, brei Sage bauern nicht lange. Unb bann, Gleua 
nicht maljr, bann mirft Su meine 5rau?! Su mei^t, Königin fannft 
Su nidht merben, ber ©efefce megen. §lber meine grau ..." 

„ 3 a, ja .. 



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‘ Hie (ßegentoart. 


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Nr. 23. 


„Siebft 3)u mich, (Siena?* 

„Dlj...!" 3n ber S&unfelgeit warf fie ficg an feine Sruft unb 
umarmte unb fügte ign Iciöenf4aftü4. „3a, ja, id) liebe 3)id), id) bete 
2>tcg an." 

„(Siena, wollen wir (jcut’ 2lbeitb jufaniuien fort auf meiner 2)acgt? 
Heber unfere .fteiratg wirb ja bod) genug geflatfcgt werben, ba fattn id) 
3)t4 ebenfo gut gleid) entführen." 

„Wein, nein, ba« niegt." 

„Wein? Wber bod), fage id) SHr. Serftebft 3)u, td) fage:'e« mug 
fein! 34 fann unb will nid)t länger warten. Sin i4 erft wieber in 
^gracien, wer weig, ob mir bann nidjt bie Wttnifter aße« WiÖglüge in 
ben 28eg legen, fie fönnten etwa« gegärt gaben, ober e« gefegiegt foitft, 
roa« wir nidn Oorgerfebeu founten. Unb bann wirb nid)t3 brau«. 
2Bir miiffen um jeben S*ei« uoef) beute fort: oerftegft $>u mid)?" 

„34 gäbe uicht ben Waith, 2Biabimir." 

„E« utug fein. E« gebt niegt anber«, Elena. 34 werbe 3>id? 
nad) bem S3all im SaDißon oben im Drangengaiue erwarten; 5)u weigt 
bod): im grogeit Sabißoit! CS« mug fein ... oerftegft $u?" 

„D 2Blabintir, wie fiiidjt’ i4 mi4! 2lber wenn e« fein tuug." 

„3a, e« mug fein." 

„^aitn werbe id) fommen. 21ber ad), toa« tgun wir, roa« tguit 

mir!" 

„ftüregteft £>u 2)i4?" 

r,3a." 

„^a« braudjft 3)u iiic^t. 34 bin ber ilönig. 34 faun 2(ße«." 

„Unb ber ftaifer oon Siparien?" 

„©laubft 5)u, bag ber aud) nur fooiel" — er f4lug ein ©cgnippdjeu 
— „über mid) $u fagen bat? 34 wirfle ibtt ganj einfa4 unt meinen 
ginger, wenn icb ba« wifl." 

„28irfU4? Wein, nein, ba« fann nid)t fein." 

„$)o4 ift'« fo, wenn i4 e« 3)ir fage." 

„Äoinm, wir wollen nun hinein. 34 füregte tnid) fo, SMaöintir, 
mir ift fo bange. 2Benit Semanb fänte! ©o fpri4 bod) ni4t fo laut!" 

„Wlfo beute Wad)t, na4 beut Sali, im Saoiflou." 

„28ann?" 

„Um fünf libr." 

„$>ann ift e« £ag; bann fann icb nid)t bur4 ben ©arten geben." 

„$)u rnugt, Elena, $)u ntugt, 5)u mugt!" heftig ftampfte er mit 
beut Suge auf. (Sr war miitbcnb über igre Unentf41offenbeit, über 
igre Wngft. 

„©ei ftiü, 2Blabimir, id) werbe fommen." 

„Sag' auf, wenn $u ni4t fommft. .." 

„34 werbe fommen!" Unb nun brängte fie ibn, er foßc bo4 
wieber $urücf itt ben Saß (aal. 

3n bent Xrttbcl, ber bent Seginn be«' ©ouper« oorangiitg, war 
igre 2lbwefengeit uubemerft geblieben. 3)er ftönig follte Elena ju Sifcge 
jübren, fßriuj (Sbjarb bie Königin. „2Sie bie Seiten fi4 betragen!" 
läftcrte ber ^ßrin^, ber fid) felbft an biefem 2lbenbe febr bewunberte 
in feinem Julpencofiüut. 

„Sagen ©ic fie nur . . !" murmelte bie Stönigin ücrä4tüd). „$)ie 
Seiten finb nod) ttiitber." 

— — — (Sä war in ber rofigen Dämmerung nach bent Sali, 
uitb bie fämmtlid)cn Sewobncr be« ©cbloffe« lagen ttoeb in tiefem 
©cglummer, wie itad) einer Drgle. 5)ie abgebrannte SHumination mit 
ben ©erippeit ber erlofdjenen ©onnen unb Wateten machte einen fd)Wer= 
ntütbigen Einbrud. S)ie ^erraffen waren mit weifen, jertretenen 
Slurnen bebeeft unb mit beit traurigen Ueberreften oon Eotißonorben, 
wäbrenb oon ber oorberen ^erraffe bi« in ben ©arten no4 bie Sretter 
lagen, über bie 2Blabimir auf feinem ©onnenwagen in ben ©aal gefahren 
war. Unb ring« um ba« ©4log, ba« wie bon bem JJefte ermübet ba* 
lag, breitete fid) ber ©arten au« in feiner füllen, feuf4en Slütgenpra4t. 
28eitab lag ftiü, enblo« ba« Wceer. $)ie Xl)üre bon ©lena'« 3^ mTn er 
fnarrte lei4t, unb ba« junge 2JJäb4en trat auf bie ^erraffe biuau«. 


©ie trug ein einfa4e« SRetfefleib, unb, obwohl febr bfei4 uub nerbö«, 
berfud)te fie bo4 leife um bie ^erraffe berumjugeben, um ni4* an ben 
3itnmern ber Königin bori'tber ju müffen. Sangfam ging fie weiter, 
faft gleidigiltig. ©ie batte fid) borgenommen, wenn fie irgenb Semanb be* 
gegnen follte, ju fagen, fte fönne ni4t f4!afen unb wolle lieber bie 
frifdje 9?ad)tluft geniegen. ©ewig würbe ba« ganj barmio«, gan$ na= 
türlid) flingeu. 91ber igr ^erj flopfte, ihre Ihtiee wanfteit, unb e« 
fehlte niept biel, fo wäre fie geftrau4elt, al« fte über ba« Srett ber bor* 
beten ^erraffe fdjritt. ®od) im ©cbloffe blieb ?lüe§ ruhig; fte begegnete 
feinem 2)ieitf4en. 5)a bbrte fte plöpli4 int ©arten ©timmen; anfang« 
crf4raf fie aber glei4 beruhigte fie fi4 wieber, al« fie bie ©timmen 
bernabm. (S« waren ©ärtner, bie tu aller ftrübe fdjon bei ber Arbeit 
waren. 5)o4 wählte fie ben 5Beg bur4 einen Drangengain, um bie 
Segegnung mit ihnen ju bernteiben; bann begann fie f4ueller ju gehen. 
Unwiflfitrlid) beflügelte fid) ihr 64ritt ju einer nerböfen JJlu4t, unb 
inbem fte fo mit ihren bünnen ©4uhett über beu itie« f4ritt, war ba« 
©(hlog ihren Slicfen entf4wuuben. 3br $et*ä flopfte junt 3*rfpringen. 
3n einer ©tunbe, in einer halben bietleübt fdjon würbe fte mit bem ft'önig 
auf bem 2!leere fein unb gurüeffebren na4 Xhracien!... ©tc überlegte 
fid), wie fie fid) betragen, we!4e ©altuitg fte bem £önig gegenüber be= 
wahren wollte, ©ie wollte ni4t mehr fo aufgeregt fein, wie auf bem 
Salle. SBitrbiger wollte fte fein, unb bod) mit einem 8ä4*ln auf ben 
Sippen, ©o jiemte e« fi4 für bie fünftige grau eine« $önig«. 5)ic 
grau eine« Äönig« ...! (S« flang ihr wie ein 3Wär4en, au4 wenn 

fie gar nicht Königin würbe. ©« war wie ein Sraum. 28a« ihr Sater 
wol)l baju fagen würbe. . .! Unb fie bereitete ft4 f4an auf bie oor- 
nehme Haltung öor. gür einen 2lugenblicf mägigte fte ihren ©4ritt, 
uut etwa« freier athtiten ju fönnen. 3)ort auf bem ©ipfel eine« breiten 
£>ügel« lag ber Sabülon, ein jierlidje« Suftbäu«4en, fe4^edig, bon feinem 
©itterwerf umgeben, att bem p4 rofenfarbige Slütben rauften. $>ort 1 
wollte ber Äönig fie erwarten, ©ie fpäbte hinauf in ben S a &iÜ°n, im 
fic^evcn ©lauben, ihn bort ju fehen. 2lber fie fal) ^iemanb. Unb lang- 
fant ging fie weiter unb ba4te, e« fei wohl noch ju früh- ©o errei4te 
fie ben Sauilion, ber weit hinau«ragte über ba« 2J?eer. drüben, nügt 
fehr weit, aber bem Slnfdjein na4 In fegr groger Entfernung, lag ba« 
©cglog. ©cbü4tern flopfte fie an bie Xbür be« Sauißon«. ji'eine 
Antwort. ^Danu öffnete fie ttnb trat ein. 2Blabimir war nod) uic^t ba, unb 
bod) mugte bie oerabrebete ©tunbe längft Uorüber feilt. Erntübet Don 
bem Sali, oon ihrer glu4t, ftreefte fie fi4 auf ben rofafeibeneit S)ioau 
bin. E« war ein ibealer 2(ufenthalt; mit Slumen unb Sutten bemalte 
©piegcl blipteit an beu 28änben, unb rofafeibeite Sorhäitge liegen ba« 
matte Sügt be« bäntmernben borgen« gebämpft hinein. Elena fd)log 
bie 2(ugen. $ocb einmal jogen bie Silber be« Salle« an ihrem geiftigen 
2luge Doritber. Allein bie golgen ber f 41 aflofcn 2facgt blieben nicht 
au«; fie batte eine unangenehm fdjwebenbe Empfinbung in aßen 
©liebem, unb unfähig, ft4 uo4 länger $u beberrf4en, f4luutmerte fte 
fipenb ein. ©ie war Dößig im füeifccoftüm unb trug ^aubfegube unb 
einen grogeit £mt mit ©c^Ieter. ©o f4lummerte fie ein, unb wägrenb 
igre« ©4lummer« Oergag fie nugt, bag fie auf ben ftöntg wartete; in 
einer ©tunbe würbe fie mit igiit auf bem ßJfeere fein . . . SUtyli4 f l 4 r P c 
auf. ©4ritte fnarrten auf bem feinen $ie«. Unb ito4 ege fte fi4 Don 
igrer Seftür^ung erholt, trat 28labimir ein. Eine befriebigte Ueber= 
raf4uttg fpiegelte ficf> auf feinen 3ügen wieber, fobalb er fie crblicfte. 

„D SJlabitnir!" rief fie au«, „©ott fei ®ant, bag $)u fomntft! 
34 bin fo erregt." 

Er fügte fie. „2Barum?" fragte er. 

„34 habe mi4 fo gefüi*4tct. 5)eitf 2)ir bo4, menn bie Königin 
Etwa« gemerft hätte ..." 

„Unftnn! $ab' üg ^)i4 tauge warten lagen?" 

„Wiegt fo fegr. .." 

„3d) gäbe gebabet, im W2cere, i4 woßte mi4 gern no4 ein wenig 
erfrif4en. E« bat bod) itidjt fo fegr lange gebauert?" 

„Wein. 2lber Jag mir, 281abimir, wann gegen wir fort?" 


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364 


Die Gegenwart 


Nr. 28. 


„3g, ba« ift nun bie grage; bei* Kapitän meiner ?)acßt ßat fagen 
laffen, bie Wafcßiue fei befcßäbigt . . ." 

„92uit. . . unb?!" ... 

„3g, tjeule borgen fönnen mir eben nidjt fort." 

„§eute nicht, Slabintir?" 

„Wein, lieber finb. Sie miöft Xu beim uad) Xßracien fotnmen 
mit einem untüchtigen Scßiff?" 

„91 ber mann benn?" 

„Wutt, ba« merben mir nod) feßen." 

„9lbet id) muß bann beute febon nad) Xßracien gurürf . .., adeiit?" 
©ine große ©nttäujdmng ftieg in ibr auf, laitgfam, gang langfam. Sie 
baeßte moßl, baß e« itid)t feine Sdjulb fei, benn loa« fonnte er bafiir, 
menn bie Wafd)ine bejcßäbigt mar? 9lber bod) mar unb blieb e« für 
fie eine große, große ©nttäufeßung. 

„9hm," fagte er, mie einer plöplicßen Eingebung folgcnb, „bann 
geb gurücf nad) Xßracien, mie Warna e« münfeßt, unb bteibe rußig bei 
Xeinent ©ater. llnb in ein paar Tagen foutme icß nad), uub bann 
beiratßeu mir. ©iedeießt ift e« fo noeß beffer, al« menn icß Xicß ent- 
ftißre, meiuft Xu nicßt'aucß?" 

„©iedeießt moßl, aber icß ßatte fo barauf gerechnet, mieß fo gefreut. 
3cß mtll alfo jept in'« Sdjloß gurücf, Slabimir." 

„Sarum benn? Sir finb ja ßier fo gcmütßUd) beifammen." 

„Xie Königin mirb rnid) Oermiffeit." 

„9lcß, Warna jd)läft. Sie feßlafen je^t 9lde nod) unb merben and) 
maßt ben gangen Tag fd)Iafen." 

„D Slabimir!" 

„Sa« benn?" 

„3dj ntöcßte bod) lieber gurürf." 

Statt jeber 9lntmort jeßloß er fie in feine 91rnte unb brüdte fie 
feft an fid). „Santm . . . modteft Xu . . . benn . .. fort?" fragte er 
gmifcßcit feinen fiiffeit bureß. Sie ßatte ißn gu lieb. Sie füßlte fieß 
gu feßmad) in feinen Ernten. Sie legte ben fopf an feine ©ruft, gber 
mit tßränenfeucßteu klugen megeu ißrer ©nttäufdjung, baß fie nießt auf 
Weifen gingen. 

Unb er gerrte an ißrem Scßleier. „Xer langweilige £>ut!" 
feßergte er. 

So blieben fie beifammen unb hielten fid) feft umfcßlungen. Sie 
gum Sdjerg ßatte er bie Xßiire oerriegelt. Unb eine mattrofige Xara= 
merttng ßerrfdjtc gmifdjeit ben Spiegeln, auf beiten bie Jütten gmifeßen 
ben ©lumengemiubeu tangten unb f (eiterten, maßrenb braußen über beut 
opalfavbetten Weere bie Sonne aufging. 

-— Wan mar an biefein Tage feßr fpät im Scßloffe, unb 

fogar ber Sund) mürbe nicht gemeiufam eingenommen. Unb ba aueß 
bie f onigiit nießt in ber Stimmung mar, fid) gu geigen, fo blieb fie in 
ihren öemäcßern, in (Grübeleien oevfnnfeu, oßne einen Wenfd)en bei fid) 
gu empfangen. Unb itnabläffig fdjwebte Oor ißrem geiftigen 9luge ba« 
©ilb oou ©rianf« galfcßßeit uub grinfte fie an. Um oier Ußr befaß! 
fie einen Safaieu gu fid). 

„bringen Sie mir ben Xßee unb fagen Sie bent Qnteubanten, 
baß id) ißn gu fprecßeit miinfeße." 

Unb fo lag fie bort auf ißrem Xioan ßingeftrerft, mit ißren ans 
tifen Spipen, bie ?lugett halb gefcßloffeit. So ßatte fie feßon ben gangen 
Tag gelegen. 9113 ber Satai ißr ben Xßee braeßte, rießtete fie fid) ein 
menig auf. Xer ftntenbant erfeßien. 

„Um mieoiel Ußr geßt ber Xampfer naeß Xßracien ab?" 

„Um acht Ußr, Wajeftät." 

„£>at ©aroneffc ©fena ©efeßl ertßeilt megen ißrer 9lbreife?" 

„3g moßl, Wajeftät. 9lud) ttießrere oon ben anberen $errfcßaften. 
-frier ift bie Sifte." 

(?r iiberreießte ißr einen ßettef. „3 g, bie modten fort, ade naeß 
Tßracien." 

„Xa ©ure Wajeftät mid) hoch einmal befohlen ßaben, möchte icß 
mir erlauben, ©urer Wajeftät nod) etwa« mitgutßeilen." 


„Wun?" 

„Seine f öniglicße froßeit ©ring ©bgarb oon farl«frona ßaben fufc 
mir gegenüber gu oerfeßiebenen Walen in abfädiger Seife über bie 
©cmäcßer au«gcfprocßen, bie Seine f öniglicße froßeit ßier berooßtien. 
froßeit fiitben bie Wäume gu Flein unb gu roarm. froßeit befaßlen mir, 
Sure Wajeftät nidjt bamit gu beläftigen, aber ba nun fo üiele ber 
frerrfeßaften abreifen, tonnten Seine froßeit üicücicßt boeß ein anbere* 
gimnter befommen." 

Xie Königin fann einen 9lugenblicf naeß. „Xie 3 imme * ^ 
©ringen fittb aderbing« nießt feßr feßön. gragen Sie Seine froßeit in 
meinem kanten, ob froßeit ba« 3' mmer ber ©aroneffe ©lena münfeßen. 
Seine froßeit ßaben bann gmar nur ein 3intmer, aber e§ ift feßr 
geräumig." 

Xer 3ntenbant oerneigte fieß ftumm. „gcß merbe nießt oerfeßlen, 
Seiner froßeit fofort ben ©orjeßlag ©urer Wajeftät gu übermitteln,“ 
fpraeß er feierlich mie ein frofmürbenträger. ©r mar für ben 9lugen= 
blict ber eingige Beamte ber Königin; unb im ©ewußtfein feiner Sürbe 
gog er fieß lautlos gurücf. (Schluß folgt.) 


JUts ber ^auptflabt. 

Der tjetlige f rieg. 

ift mit ißnen Oorbei, enbgiltig Oorbei," fagte ber JReicßStag« 
abgeorbnete unb fußt fieß melancßolifcß mit ber Seroiette über ben Wunb. 
(£r ßatte trop feiner feßr traurigen (GemütßSftimmung boeß einen äußerft 
achtbaren Appetit cntmirfelt, unb bie Wannfchaft ber Xorpeboflotte, bie 
gmifdjen Äülit unb SormS fiebenunbgmangig Wal Spargel mit Seßinfen 
Oorgefept befain, hätte unter feiner anftacßelnben giißrung unb bei ge¬ 
eignetem Safferftanbe ficßerlicß bis Scßaffßaufen meltergefämpft. „Gin 
fo tapferes, macfereS ^olf — unfere StammeSgenoffen bagu!" (h 
fdjüttete mit fcßnellem ©ntfd)luß ben 9teft beS 3oßanni3berger ^>öde hin¬ 
unter. „£>ier, Xoctor, füden Sie noeß einmal! Weine ^errfeßaften, 
meißen mir ben (Gefcßlagenen, aber nießt 93eüegten, ein ftideS ©laS!" 

„^erfeßlte Xattif, nießt« meiter, ift an bem gangen Unglütf fd)ulb“, 
ftieß ber eßolerifeße Süngling neben ber X)ame be« §aufe« ßeroor, bie 
ißrer Sßmpatßie mit ben ©uren babureß 9lu«bruct gab, baß fie heute 
ben berüßmten $imberleb=93ridantfcßmucf ßatte im ©eßeimfeßranf liegen 
laffen. „i8ei (Solenfo, bei Stormberg, bei WagerSfoittein ßatte man oor- 
ftoßen unb bie britifeßen ©eneräle Oernicßten müffen — paß, läcßerlidj! 
Statt beffen aber. . . ba fießt man eben, baß bie Wilig nicht« taugt! 
feine $oßnc!" 3w neroöfen Berger riß er eine dtante Oon bem milbeu 
Sein ab, ber mit feinen garten 93(ättern ben SBalfon umfpann. Wabame 
legte begütigenb bie fleifcßige ^anb, beren fieß feine ©urenfrau gu feßämen 
geßabt ßätte, auf bie guefenben ginger be« ©rregten. 

X)er Stabtratß faß aufmerffam gu. „Sie merben fieß erinnern, 
meine ^errfeßaften, baß icß biefen STitSgang Oon Anfang an propßegeit 
ßabe. Wan brauchte ja nur in'3 Seyifon gu guefen, um gu erfennen, 
baß ber englifd)en Wacßtentfaltung gegenüber jeber Siberftanb oergeblidi 
fein mußte. 3 g, mären bie ©roßmäeßte ben ©uren beigefprnngen! 9lber 
fomoßl Stußlanb mie granfreieß magten ja nießt gu muefen, unb nun 
erft bie ©ereinigten Staaten! ©3 ift eine Scßmacß unb Scßaitbe! 
freue mieß nur, baß menigften« bie beutfdie ©reffe fieß ißre« ßoßen Be¬ 
rufes mürbig gegeigt ßat unb mie ein Wann für bie Scßmacßen unb ©e* 
brängteu eingetreten ift." ©r manbte fuß mit guderfüßem Säeßeltt an 
ben ©ßefrebacteur. „©roftt!" 

„Unb bie beutfdje Regierung?" fragte ein ^>err im §intergnink. 

Wan iiberßörte ben ©inmurf. „§icr mie in ber gangen Seit 
baffelbe triibfelige ©ilb", meinte ber £>att3ßerr, fteß behaglich guriicfleßnenb 
Xer fühle Suftgug, ber über [ein meingerötßeteS 9lntlip meßte, tßat ihm 
moßl unb er feßloß für eine Secunbe bie Uelnen_;9lugen. „Soßin wü 


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Nr. 23. 


Die ffiegentvart 


865 


aud) bilden, allenthalben fehen mir eine Stafffucpt, bic feine ©rennen 
unb feine fittlicpen SBebcnfen fennt, an ber Arbeit. Mentpalben Der? 
roüftet fie bie Seelen ber Völfer, gerftört mit begehrlicher gauft ihren 
Trieben." (Sr bliefte fdjwärmerifd) gur 5)etfe auf unb fuhr bann mit 
erhobener (Stimme fort: „Sie werben eS ein ^arabojon nennen, meine 
verehrten ©äfte, wenn id) bie imperialiftifchen ©elüfte, bie fich gur 3 e ü 
in (Snglanb, in $lmerifa unb fonftwo breit machen, auf eine Stufe ftelle 
mit ben abfdjeulichen Veftrebungen, benen eS in ben lebten SBodjen teiber 
gelang, gmei europätfepe §auptftäbte gu erobern. 3$ meine VariS unb 
SBien. $)ie ©emeinberäthe beiber Metropolen finb in bie &anb Don 
Parteien gefallen, auf beren gähne rübe UncuUur, |>ah gegen Vilbung 
uitb Veftp gefchrieben fteht. Sie prebigen ben Äampf Mer gegen Me. 
(£§ thut mir bitter roch, (Snglanb mit ihnen auf eine Stufe [teilen gu 
muffen, aber naebbem bie Sonboner ^Regierung trop ber £>aager (Son= 
fereng baS Schtoert gog, um ein harmlos Volf Don Wirten gu befriegen, 
feitbem bin ich an biefem einft fo grohhergigen SSoIfe irre geworben. 
38äre ein liberales Minifterium in S)omning=Street am IRuber gemefen, 
bann hätten wir eine folcbe MenfchhettSfcpmach nie erlebt." 

,,©ang gemih nicht!" beftätigte ber ®hcftebacteur. „2Bo begiehen 
Sie nur bie petit fours her, gnäbigfte grau? VariS fann fich baoor 
Derfterfen... Mer waS ich fagen wollte: baS unglücfliche (Snbe beS Krieges 
evflärt ftch allein auS ber empörenben ©leidjgtltigfeit ber öffentlichen 
Meinung. SBir geitungSmenfdjen tragen ©ottlob feine Verantwortung 
bafiir. 3Bir haben unfere Schulbigfeit gethan. Mer 3hnen Men, bie 
Sie um biefen feftlichen $ifcp herumfipen, fann ich ben Vorwurf nicht 
erfparen, baf* Sie beni gegeft XranSDaal Derübten hintmelfchreienben 
Unrecht ohne bie genügenbe (Sntfcploffenheit unb geftigfeit entgegentraten. 
3hnen Sillen nicht. 3)ie Mmefenben finb natürlich ausgenommen." 

„erlauben Sie!" unterbrach ihn ber Stabtrath. „3d) habe felber 
ben Scatgewinn eines gangen MenbS, brei Marf unb gwangig Pfennig, 
itt bie Vurenfammlung abgeführt." 

„Unb waS mich betrifft, fo glaubte ich guoerfichtlich an ben Sieg 
btt Vuren", Dertheibigte fich ber Hausherr. „3hr militärifcher Mit¬ 
arbeiter hat unfer einem baS fo plaufibel gemacht,, unb mit fo Dielen 
tfartenffiggen, Verichten Don Slugengeugen unb ^riDat=Xelegrammen be= 
legt, bah id) Ö a r nicht gu gweifeln wagte." 

„Mcp ift ^ranSDaal nid)t berloren", beruhigte ihn ber (Spef s 
rebacteur, ber gute ©rünbe hatte, bie Debatte nicht abfehweifen gu laffen. 
„%tx griebenSfchluh fteht erft noch beoor. Mpen wir greunbe ber 
greiheit unb Wahrheit unfere Macht bis bahin gehörig auS, forgen wir, 
3cber an feiner Stelle, bafür, bah eine gewaltige, burenfreunbliche Ve= 
toegung burch alle fiänber geht, bann ift baS Verfäumte glorreich wieber 
gut gu machen, (Snglanb muh bem einftimmigen Votum ber (Sultuts 
nationen nachgeben, muh fein blutiges Schwert in bie Scheibe fteefen, 
wenn bie gefammte gebilbete Menfchheit ihm ben heiligen ftrieg erflärt." 

„28ie benfen Sie ftch baS?" fragte ber Mgeorbnete, ber eben ein 
neues fttfleS ©las getntnfen hatte. 

„$>arf ich @tc baran erinnern, welchen Xriuinph wir gntellectuellen 
in ber $repfuSs9lffaire errungen haben? 3ft gpnen ber unerhörte 
Siegeslauf beS ©oethe*VunbeS nicht mehr im ©ebädjtnih? Shmpathi* 
firten nicht alle Völfer beS (SrbbaHS mit ben fühnen Vorfämpfem, bie 
ben brachen ber fiüge unb ber ©ewiffenSfnedjtung erlegten?" 3)er (Sljef 5 
rebacteur hatte eS feiner 3eit mit herglichem Vebauern Dermerft, bah 
ihm anbere Vlätter mit ber hübfepen tReclame*gbee ber Vuren jamm- 
lungen guDorgefommen waren, unb gerabe barurn gefiel ihm jept fein 
Surrogat.- „SBie wir unS im gafle beS unglüdlidjeit MärtprerS Don 
ber XeufelSinfel einmüthig gegen ben berbred)erifd)en Militarismus er= 
hoben, wie im ©oethe=Vunbe ber geiftDoKe SBolgogen gum Kampfe gegen 
bie Pfaffen aufrief, fo wollen wir ben heiligen $rieg erflären gegen bie 
unwürbige ^igarro^olitif beS SRäuberS (Shamberlain." (Sr fdjmieg einen 
Äugenblicf. 2>odj ber erhoffte Veifall blieb auS. 

„9hm?" fragte er etwas gcreigt. 

„VMr $eutfdjen allein fcpaffen'S nicht", entgegnete ber ^auSperr 


fleinlaut. „Unb ben grangofen finb bie (Snglänber, bie gut* SluSftellung 
fommen, lieber als bie Vuren, bie gu .§aufe bleiben ober pöcpftenS nach 
St. Helena gehen. Von SRujjlanb erwarte ich fepon gar nichts, grau 
Sllif hat ihren Mann fo in ben garten gingern, bah bie &uecn aud) 
weiterhin ruhig Soba fchlürfen barf." 

„Döe Lamellen!" brummte ber (Spefrebacteur. „Officiell machen 
biefe Staaten freilief) nicht mit. dagegen werben fich ptioate 3toeig= 
Dereine unferer heiligen $riegS=ßiga auch bort gu J&unberten bilben. 
Unb bann rechne ich ftarf auf Slmerifa —" 

„Slmerifa, uüt bem wir binnen Bürgern im fdjönften unb gar nicht 
heiligen 3oflfriege liegen werben!" erwiberte ber DteichStagSabgeorbnete. 
„Sie finb ein Scpwarmgeift, ^err ®octor. 'Sie Dergeffen aud) gang unb 
gar, bah 3h re Sbee aud) bei unS gu Sanbc unburchfiihrbar ift. Ober 
Sie mühten fich gerabe barauf capriciren, fich bei £wfe bauernb mih= 
liebig gu machen." 

„SSeil ber Äaifer im Sommer nach ©nglanb gu gehen beabfidjtigt? 
0, ich glaube, feiner Veliebtheit .brüben fdjabete unfere Stga gang unb 
gar nicht. Man würbe eS ihm Dielnietjr hoch anrechnen, wenn er ©ng* 
lanb gu £iebe bie burenfreunblidje Strömung im Volfc unbeachtet liehe." 

„Sie Dergeffen nur," warf ber Slbgeorbnete ein, „bah folcpe Sigen 
ohne faiferliche Unterftüpung höchftcnS in Sübbeutfcplanb populär werben 
fönnten. 3h^ Kollegen würben baS Unternehmen ausnahmslos tobt- 
fcpweigen ober fid) bumm fteüen, wie fie eS ja mit anerfeitnenSwertper 
SBeiSheit ben Sieben beS ^ringen öubwig gegenüber tpun. SBer heute 
in $>eutfd)lanb noch ernftpaft für bie Vuren eintritt, ber tritt birect 
gegen Seine Majeftät auf. ©r brüeft in unfeiner 5öeife auf bie wunbefte 
Stelle unferer auswärtigen ^Solitif, erinnert an baS $rüger=Xelegramm 
Don 1896. Man barf ja fagen, bah bie Vuren ohue bieS Telegramm 
unb ohne bie barauf gegrünbete, fefte Hoffnung, bah wir ihnen gu .^ülfe 
fommen würben, niemals ben $rieg gewagt hätten." 

„9?uj, bann muh (Snglanb unS ja hoppelt banfbar fein. $>anit 
wäre eS ohne unS ja nie gu bem Kriege unb folglich nie gu ber Slnneyion 
bet* SRepubüfen gefommen." 

„Sie finb friDol," gürnte bie .JpauSfrau bem Sprecher im ^)inter= 
grunbe. 2)ie Herren bagegen fagten nichts unb befchäftigten fich mit 
ihren Zigarren. 

„Ratten bie Äerle wenigftenS (Sourage gegeigt, gohanneSburg unb 
bie Minen in bie ßuft gefprengt!" lieh fich ber iterDöfe 3üngling Der= 
nehmen. ,,^lber ihre $aftif ift ja Don s )l bis 3 lächerlich gemefen." 

„$>ie Minen?" $>er Stabtrath machte ein (ehr ernfteS ©eficf)t. 
„(Sin folcher VanbaliSmuS hätte fte mit einem Sd)lage aüer europäifdjen 
Spmpathien beraubt. Vebenfen Sie bod), bah bei ben rapib weidjenben 
Surfen unferer Dfentenpapiere Xaufenbe ihre Spargrofcpen in ©olbminen= 
ShareS angelegt hoben. 2)ie 3crftÖrung ber gohouneSburger Minen — 
um ©otteS VSiHen, ich wage gar nicht an bie Vörfenpanif gu benfen, 
bie banach auSgebro^en wäre! Sie finb ein Umftürgler, §err Sanbibat." 

„geh fehe, eS ift feine Stimmung mehr für ben heiligen $rieg 
Dorhanben," murmelte ber ©emafjregelte mit einem matten Verfuche, 
gu fepergen. „^iefelbe fiogif führt auch bahin, baS llnwefen ber Herren 
ßueger unb S)rumont fcpweigenb gu ertragen. (SS fönnte ja eine Vaiffe 
in £rambahn4(ctien herbeiführen, ober bie <Siffelthurnu©efeHfd)aft fönnte 
heuer fdjlechte 2)ioibenben gahleu, wenn man bie Herren Don V3ien unb 
Var iS hart anfahte.^ 

^5)er $>err im ^intergrunbe räufperte ftd). „$>aS mit bem heiligen 
^rieg ift eine bortrefflidje gbee," fagte er. „Schabe nur, bah eS erftcnS 
Don jeher Schicffal ber heiligen Kriege war, gwar oft geprebigt, aber 
nie geführt gu werben, unb bah gweitenS bie $>errfd)aften im Vegriffe 
ftanben, unfere nächften Verbünbeten mit ^rieg gu übergtehen. Meine 
Derehrten ^Inwefenben, waS befämpfen wir beim an ßueger unb ©e= 
noffen mit fo gerechtem 3ome? S)och nicht etwa ihren 9lntifemitiSmuS? 
geh bitte Sie, über bergleidjen fonüjche Verirrungen lacht man im geit* 
alter ber neuen 2lriftofratie unb ber Maffentaufen. SBenn wir bie 
Sueger unb 3>rumont als rücfftänbig, mittelalterlich, Derpfafft, unbulb* 


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366 


Die (Scgctiuiart. 


Nr. 28, 


farn unb waS weife id) fonft nod) befepben, [o meinen wir aflemal ihren 
§nfe gegen beit Kapitalismus. 92id)t bafe fie antiliberal finb, üerbriefet 
unS, bentt in politifcpeu gragen laffen wir längft gebermann nad) feiner 
gn$on felig werben. 9lber bafe fie, wie eS bei unS gu Sanbe bie junfer* 
lüpen Agrarier tpuu, breite SolfSfcpidjten gegen bie Mmacpt beS 
SwifcpenpanbelS unb ber Sörfe aufwiegetn; bafe fte unfere ftcherfte Sfüpe 
im frönen (GegenwartSftaat, bie gegen alle Sörfenfteuern ftimmenbe 
Socialbemofratie, mit (Gefcpicf unb (Glücf befäntpfen — baS mad)t fte 
unS fo gefährlich unb fo unangenehm. 9luf bem ©ege gur grafe* 
capitaliftifdjen SWeinperrfcpüft, gur Tictatur beS 3 lüi f c ^ en ^ an bel«, bie 
wir bereits für gefiebert galten, roäfgen unS biefe Seute plöplid) febwere 
Steine entgegen. Tie bumpfen, fo lange gutgläubigen unb gebulbigen 
Waffen beS ÄleinbürgertpumeS bewaffnen fte wiber unS. Unb mit 
fteigenbem (Erfolge! 9lrn eigenen Seibe oerfpüren Sie eS bereits — £>err 
SWiquel, ber bocp wahrhaftig ein wohlmeinenber SDknn ift, mufete boeb bem 
fanatifeben Trängcn ber erregten Spiefeer geborgen unb bie ©aaren* 
hauSfteuer borfcplagen." 

„©apr, leiber nur gu wahr," betätigte ber SReicpStagSabgeorbnete. 

„Unb nun erflären Sie mir, meine £>errfd)aftett, weldjer fpöttifdje 
Satan 3pnen bi* Surenliebe in'S E*rg gepflangt bat? ©er finb benn 
bie Suren, waS wollen fte? Unb waS wollen bie (Englänber? 3<h 
möchte Shnen ^ier nichts Don ben Scbwinbelrebeit ber mafeloS über* 
fepäpten „TimeS" nacbplappern, unb ifp behaupte mit feinem ©orte, 
bafe gopn Süll ba unten in Siibafrifa Kioilifation unb Silbung gu 
oerbreiten gebenft. SRein (Gott, tbun wir benn öaS in Kamerun unb 
ftiautfepau? 91 n Kamerun oerbienen unfere Kolonialfpeculanten, bie 
bie Srüffeler Sörfe fennen, unb in ,fiautfd)au nimmt man bie mili* 
tärifebe Einrichtung Oon fieben ober acht Kpinefen mit bem Moment* 
Photographen auf. 92a ja! ©te bie 9iigger unb bie Kpinefen, fträuben 
fiep bie Suren gegen bie Segnungen ber europälfcfeen (GrofecapitalS* 
©irthfehaft. Sie fträuben fid) bagegen, Wie ber bumme fterl Oon ©ten, 
Wie ber preufeifebe Saner unb Eanbwerfer, bie immer noch nicht ein* 
gefehen haben, bafe fie in'S Proletariat gehören, bafe bie 3ufunft feinen 
fetbftflänbigen TOitelftanb, fonbern nur E*rren unb Unechte, greie unb 
Unfreie fennt. 9J2eine E*rrfd)aften, in unferent Säger ift (Englanb! 
Seien wir bod) ehrlich, emancipiren wir unS bod) Oon ber finblicheit 
(GefüplSbufelei, bie bem 92ormal*8eitungSlefer trefflid) frommt, unS aber 
bie Schamrütbe in'S (Gcfidjt treiben mufe. Zehnten wir bie Tinge, wie 
fie finb. gür biefelben Sbeen, bie wir in ber inneren politif oertreten, 
oerbluteten eben KnglanbS Sölbner auf bem fübafrifanifeben Selbt! (ES 
war ein heiliger ftrieg, meine Eerrfc^aften! Eaben Sie nod) einen 
tropfen extra dry ba, bafe td) feinem Slnbenfen ein fiifleS(GlaS weihe?" 

Tie am Ttfd) fagten wieber einmal nichts. 92ur ber E^perr, 
ber feinen ©irtpSpflicpten eifrig oblag, winfte bem Sobnbiener, bafe er 
bem Eerrn im Eiatergrunbe eingiefee, unb meinte bann: „Trinfen Sie 
fleifeig fo lange bie Steuer noch nid)t erhöht ift! 9ludj ein abftrnfer 
(Gebanle, bafe wir Kpainpagnerfreunbe bie glotte, bie wir braunen unb 
ftürmifd) oerlangt haben, nun auch fclber begabten foOen. (ES wirb 
recht ungemiithlich unb antiliberal in Tentfcplanb." Caliban. 

-- 


TaS Teutfcptpum in Kpile. Son 3- Unolb. (München, 3* 
g. Sehmann.) Ter Serfaffcr, ber fccbS 3<*pre im Aufträge ber cpile* 
nifchen Regierung als Sebrer an einem StaatSlpceum gewirft, giebt gu* 
nächft einen furgen piftorifepen Südblicf über baS Teutfcptpum in Kpile 
feit ber (Eroberung beS SanbeS burd) bie Spanier. 92ad)bem er in all* 
gemeinen Umriffen bie Sebeutung unb Sefcpäftiguug ber Teittfdjen im 
mittleren Kpile bargefteQt, gebt er gum Eauptgegenftanb feines ©erfdjenS 


über: Tie Kolonifation oon Süb* Kpile burch bie Teutfcpen 1850—60 
unb bie Scpilberung biefeS ßleinbeutfcplanb in feiner gegenwärtigen 
Slütbe. 51n ber Eanb eines begeifterten 3*ugen, beS bamaligen cpile* 
nifchen 5lnfiebelungSeommtffärS, wirb ber 3 u ftanb biefer prooingen oor 
unb nad) ber Seftebelung burch unfere SanbSleute gegeiepnet; auf (Gntnb 
perfönlicher Seficfettgung wirb baS rege, geiftige unb wirtpfcpaftlidje 
Seben in biefen btübenben beutfehen Kolonien am ftiflen Ocean gefebilbert, 
baS bunfle Treiben ber gefährlichsten geinbe unfereS SolfSthumS (ber 
gefuiten) beleuchtet unb auf bie hohen wichtigen Aufgaben pingewiejen, 
gu beren Söfung baS Teutfcptpum im romanifepen 9lmerifa berufen wäre, 
oorauSgefept, bafe eS bie Oon jenen Kulturpiouieren bewiefene geiftige, 
fittliche unb wirtbfchaftliche Tiicpttgleit fich gu erhalten oerfteht Seiber 
fteht eS hier unb bort bamit nicht gum Seften. 5lucp in Kbile finb bie 
beutfehen Kolonien burd) confefjioneüe (Gegenfä&e oielfach unb tiefgepenb 
gefpalten; eS ift nicht btofe ber (Gegenfap gwifchen freiftmügen unb ftreng: 
gläubigen Proteftanten, ber trennt, fonbern noch ntepr berjenige gwifchen 
Proteftanten unb ßatpolifen. ,,^5)abei tann man b^* toi* überall iiu 
9luSIanb bie betrü6enbe Krfabrung madjen, bafe unfere fatbolifchen SanbS* 
leute, benen nad) ihrer gangen Krgiebung natürlich bie Sircfeengemein* 
fdjaft höh** fleht als bie SolfSgemeinfcfeaft, ftd) rafdjer unb leichter an 
bie einheimifchc fatholifche Seoölferung anf^liefeen unb fefeon in ber 
gweiten (Generation ihr $>eutfcbtl)um, bamit aber auch &aib ihre cultureüe 
Ueberlegenheit einbüfeen." 3)er Serfaffcr ergählt traurige Seifpiele oon 
confeffionellem unb politischem ganatiSmuS unb hebt b**Oor, wie bie 
Oon unferen Ultramontanen begünftigte 9luSwanberung ftorffathoUfcber 
Scplefier unb ©eftpbalen bie beutfebe Sache in gang Sübamerifa fdjioer 
gefchäbigt hot- N „5)ie ,©eftphälinger‘, meift .tleinbauern unb *hout> s 
werter, fmb fefeon in golge ihres befchränften confeffionellen ganatiSmuS 
nicht bie Seute, um 3nbuftrie unb Euubel emporgubringen. 9Benn man 
biefe beutfehen Sfänner an ber Seite ber gang ungebilbeten gerlumpten 
chilenifdjen 9?otoS (Tagelöhner) in Proceffion geben fieht, oon ben patveS 
geführt, gebanfenloS ihre (Gebete murntelnb, fo begreift man mit tiefftem 
Schmerge, bafe biefe geiftig Firmen feine geweeften, rührigen Pioniere 
beutfefeer Kultur feijt nod) werben föunen." 9luch bie beutfefee Schule 
Oermag nicht überall mit (Erfolg in ber nachwachfenben (Generation 
beutfdjeS ©efen gu erhalten unb gu pflegen. „K)ie Schule in Salbiota 
g. S. würbe oon ben proteftantifchen beutfehen gegrünbet unb erhalten. 
Ta aber bie (Gemeinbe gu wenig gasreich unb wohlhobenb ift, um 
ßirdje unb Schule gugleid) gu förbern, fo ift ber enangelijebe Pfarrer 
aud) ber Seiler uttb erfte Seljrer ber Schule. Taburd) erhält biefe einen 
auSgefprochen confeffionellen Kfearafter, imb fclbft ohne bie E e b ercifn 
ber gefuiten würben fid) fatljolifche beutfdje Klterit fdjioer entfdjliefeen, 
ihre ^inber in biefe ntel)r protefiantifche als „beutfehe" Schule gu fd)iden. 
So fomrnt eS, bafe bie flets fid) oergröfeernbe Sdjule unb KrgiehungS' 
anftalt ber 3*fuiten, bie wie eine Kitabelle, ein geiftigeS „3 ! otnguri M , 
Oon ihrer Eöh* ouS bie ©egenb behcrrfdjt, immer gahlreicheren Sefuth«^ 
ftd) erfreut unb fdjon burd) ben Serfehr mit ben einhetmifdjeu Äinbem 
gang bagu aitgethan ift, beutfehe Sprache unb beutfdjeS ©efen im tfeirne 
gu erfiiefen. ©eitn alfo nicht frifd)er 3^5^9 ouS bem proteftantifchen 
Teutjd)lanb nachfommt, werben an biefer h«roorragenben Stätte beutfeher 
Kulturarbeit fpanifepe Sprache unb fpanifepe Trägheit, jefuitifepe ©eifteS= 
oerbummung unb ©ißenSlähntung halb bie Uebcrpanb gewinnen." Unb 
baS ift fepr Scpabe, benn in ben fpanifch*amerifanifcpen Sänbern haben 
bie beutfepen Kinwanberer niept eigentlich einen Äampf um bie Krpaltung 
ihres TeutfchtpumS gu füpren, wie in benen mit englifcp fpreepenber 
oölferung. 3nt Wegentpeil — auch aufri^tigem, unoermeiblicpem 
Sid)*Kinleben iu bie neuen Serpältniffe, auch nach Aneignung ber 
fpaitifchen ober portugiefifepen Sprache unb Einnahme ber unentbepr* 
licpften Sitten unb Umgangsformen Oermöcpten bie Teutfcpeit im roma* 
uifepen Hmerifa redjt gut ipre (Eigenart, fogar ben politifcpen 3oiommen* 
paitg mit ber E*ltnatp gu bewahren. Tagu wäre nötpig, bafe baS Dieich 
felbft beit 3ofammenhattg mit ben fernen Söpuen (g. S. burd) jährliche 
3ufcitbung oon Sürgerliften) aufreept git erhalten fud)te, ftatt bie ®e* 


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Nr. 2S. 


Die ©egenwart. 


fepeSunfunbigen nach 10 Qa^rcn de facto ihre ©eichSangehÖrigfeit Der= 
Heren gu Taffen, forote ba& eS für ©äter unb Söhne bie bet ber (Ent* 
fernung fo läftigc Militärpflicht bitref) eine mäßige ^rieg^fleuer ablöfte, 
uwS bet unferer gegenwärtigen Ucbergahl an blenftfähtgen Manüfchaften 
ohne ©achtheil für baS (Gange gu bewerfftelligen wäre. 

Siber bte (Englänberei in bet beutfehen Sprache. ^ on 
$rofeffor Dr. £>• Junger. (©erlin, g. ©erggofb.) Ster ©erfaffer geigt, 
in welchem Umfange firf) in nenefter 3eit bie auS bem (Englifchen ent= 
lehnten grembmörter Vermehrt hoben. Säfjrenb man Dor 100 3oh™n 
nur gmöff englijehe Wörter im $)eutfdjeti gählte, ift jept ihre ßabl au&er= 
orbentlich grofj, unb fie »erben Don 3al)r gu 3&h r immer gasreicher. 
$agu fommt, bafc fie mcift Döflig entbehrlich ftnb, g. ©. AuSbrücfe wie 
fair unb unfair, allright, fashionable, gentlemanlike, shocking, 
Outsider u. 51. S)iefe ©orliebe für baS (Englifche ertennt man fchon 
auS ben englifchen Vornamen unferer Äinber (John, William, Mary, 
Lizzy, Ellen) auS ben englifchen tarnen für .fcunbe unb ©ferbe (Fly, 
Fox, Miss), für Sagen (Brake, Dog-cart), für ©Reifen unb (Getränte 
(Irish-stew, Mock turtle-soup, Oxt^il-soup, Sherry für ben fpanifchen 
Jerez-Sein), auS ben Anfimbigungen ber Shmftreiter unb SingfpieL 
hallen, bie jept Don englifchen Sörtern wimmeln. Sogar leicht gu über= 
fepenbe AuSbrücfe wie Self-mademan für felbftgemachter Mann, Self¬ 
government für ©elbftregierung, Lift für gahrftuhl, Meeting für ©er= 
jammlung, werben unS in englifcher Sprache geboten. And) (Ergeugntffe 
beutfehen (GemerbfteifjeS werben auf beutfd)eni ©oben unter englifchen 
kanten Derfauft, wie bte befanuten ©letftifte Koh-i-noor, Made by 
L. & C. Hardtmuth in Austria, British graphite pencil, Com- 
pressed Lead. Am iippigften wuchert baS engltfche llnfraut auf bem 
(Gebiete be$ Sportes unb ber ©emegungSfptele, befoitberS bei bem Sawn* 
XenniSfptel (©cpbaflfpiel), bei bem nidjt nur alle 3nrufe ber Spielenben 
in englifcher Sprache erfolgen, fonbent fogar englifd) gegählt wirb! 3)iefe 
loiberwärtigc. neue AuSIänberei hat ihren (Gritnb in ber ©orliebe unferer 
höheren (GefeflfchaftSf reife für englifdje Spradje, Sitte unb Wöbe, für 
englifche (Einrichtungen unb SebeuSgewohnhetten. Auch in biefer Sprach- 
erfcheinung geigen ftd) wteber bie alten (Erbfehler beS beutfehen:, ©er= 
götterung beS grembeu, Mangel an beutfdjent Selbftgefühl unb Mtjj* 
achtung ber Mutterfpvad)e. (ES fteht gu befürchten, bah unfere Sprache 
eine ähnliche Ueberfluthung mit englifchen grembwörtern crletbet, wie 
in früherer ^eit ntit ben frangöftfdjen; benn auch biefe würben anfangs 
nur in ben- Dornehmen Streifen ber (Gefellfchaft gebraucht, bis fie all* 
mälig in alle Schichten beS ©olfeS etnbrangen. Soldjem Unwefen ent* 
gegengutreten ift bie Pflicht jebeS beutfehen, ber feine Sprache unb fein 
©olföthum liebt, unb barunt ift gu wünfehen, bah $unger’S AuSfüfj= 
rungen Don recht ©ieleit gelefen unb behergigt werben. 

2>cr ßatholtciSmuS unb bie moberne Dichtung, ©on 
ßrnft (Gi)ftrow. (Minbeu, ©ruiiS.) (Gpftrow will ben Nachweis liefern, 
bah eine Qnferiorität beS ÄatholiciSmuS auf llterarifchem Gebiete ange* 
nommen werben muh, bah fie feine gufällige ober Dorübergehenbe, Diel= 
mehr eine (Erfdjelnuitg ift, bie mit ©othwenbigteit auS beut (Geijenfap 
jwifchen ÄatholiciSmuS unb moberner Seltanfdjauung hettorgebt. 
unterfucht bie philofophifd)en (Gruitblagen ber mlttelhodjbeutfchen unb 
claffifchen Dichtung, ber 3Wobernen, ber Sßeuromantif, ber religiöfen 
2\)x\t unb humoriftifchen Siteratur unb ftellt fie öergletchenb unb ab* 
tüägertb ber officteHen ©hilofophte be8 ÄatholiciSmuS gegenüber, ©ieleä 
erfcheint babei in ungewöhnlicher ©eleudjtung; gang neu ift bie $uf* 
faffung ber neuromaittifchen Strömungen. 3)er 5lutor gelangt gu bem 
^rfirfmih/ bah bte moberne Seltanfchauung ein (Eontpromih mit ber 
fatholifchen nicht gulaffe, bah ber öermittelnbe reformatorifche £atholi= 
ciSmu§ bcTangloS fei unb eine geiftige ©arität gwifchen ben beutfehen 
^rotefianten unb Äatholifen immer mehr unmöglich werbe. 8ud) 
beft^t einen auSgefprochenen literar^philofophifchen Serth unb gewinnt, 
im ©rennpunft^ ber lex £>einpe gefehen, eine befonbere ©ebeutung. ®e= 
rabegu glängenb ift bie Don grober ©elefenheit geugenbe ^ritif ber beHe= 
triftifchen Siteratur be§ beutfehen Äatholici§mu§, fowie bie ©ewetSfiifp 


rung ber 3?nfcrioritätSt^efe, bie übrigens aud) Don guten beutfehen $atljo= 
lifen nicht beftritten wirb unb erft jüngft Don ©rof. Hermann Schell 
in Sürgburg mit OJritnben geftüpt würbe, fo bah ©pftrow eigentUdh 
offene ^h“^ einrennt. ?lber e§ ift gang gut, folche S)inge immer 
wieber gu betonen, unb wäre e£ auch mu, um unfer ftetö proDocato= 
rifcher auftretenbeS Zentrum gut Selbfterlenntnih unb ÜJfähigung gu 
Deranlaffen. 

©lattbütfeh Secberbof. 9lutgeben Don ben SWgemeeneit platte 
bütfehen ©erbanb. ©iert Uplag. (©erlin, ©erlag ^ülfSDerein beutfeher 
2el)rer.) 5)en plattbeutfdjen ßanb^Ieuten ift burch biefe prächtige Samm» 
lang (Gelegenheit gegeben, in frohen iheifen auch ln ben fiauten ihrer 
Sftutterfprache ^eitere unb ernfte Seifen ertönen gu laffen. 9?icht nur 
ben plattbeutfchen ©ereinen, fonbern auch ben SWännergefang-, Surn^ 
unb ^riegerDereitten in plattbeutfchen Sanben bieten biefe frifchen unb 
fröhlichen Sieber eine gunbgrttbe gur anregenben ?lu«geftaltung ihrer 
gefeüigen 3nfQ»n»nfnnfte. ‘Der reiche Qnhalt berücffichtigt alle Sebent 
unb ©ereinSDerhältniffe; bie 3nf a » me nftcüung Derräth eine glücfliche 
$anb. @ine 3?otenbei(age für bie nicht allgemein befanuten 3Mobien 
erhöht bie 8»«fmähigfeit be« ©üchleinS. 

(Elafficität unb (Germant$mu8. Einige Sorte über ben 
Seltfampf Don ©erner Don Reiben ft am. (Sten, 91. ^artleben.) 
©erner af .^eibenftam ift bei un8 burch feine ^iftorifc^e (Ergähluitg 
„Slarl XII." unb fleinere Sftggen befannt geworben. 3)ie Dorliegenbe 
©tubie entfpringt ber Auflehnung gegen ben 3xuf nach £mntor unb 
©oltöthümlichfeit in ber Dichtung unb Äunft. 9iach bem beutfehen be* 
fipt fein ©olf ber germaittfchen ©affe eine (Eultur Dott fo auögefprodjen 
clafftfdjem ©epräge, Derbunbeu mit einer fo natürlichen unb allgemeinen 
Auffläruitg, Wie ba£ fchwebi[che. ÄeineÖ SanbeS culturelle (5ntwicfe= 
hing, ©olf^geift, nationale (Ergiefpmg, fitnftlerifche unb literarifche 
SchaffenSfraft warb in fo hohem (Grabe Don claffifchem (Geifte befruchtet. 
3n ben Achtgigerjafjren jeboch würbe bieS (Element gum AngriffSpunft 
für eine ©ethe junger fünftler unb Schriftfteüer, bie unter bem (£tn= 
fluffe auSlänbifcher Strömungen unb ber bamalö noch neuen unb lebend 
fräfHgeren naturaliftifchen Xheorien gegen bie fünftlerifchen unb poetifchett 
Xrabitionen, bte claffifchen unb mehr ariftofrattfehen Seiten unb gormen 
ber fchwebifchen ^unft unb Siteratur Sturm liefen. Sirfte biefe 
©eform auch gweifelloS günfttg unb förbemb, fo brachte fte bod) mährenb 
ber erften 5)ecennien eine ©erftärfung beö Materialismus, eine benton- 
ftratiDe ^ehäfftgfeit gegen alle geiftigen unb ibeefleren Aufgaben h^rDor 
unb gab bem ©erfafftfr Anlafe, biefer Strömung fchroff entgegengutreten. 
5>eibenftant, ben fein ©atcrlanb baS größte Iprifche (Genie, bie „centrale 
©erjönlichfeit" ber jungen fchwebifchen Dichtung nennt, ift aber nicht 
nur fchönheittrunfener Hellene, fonbern auch & er warmblütige Sohn 
feiner gelt. Steht bie Antife als ©lüthemonat Dor ihm, fo fann auch 
feine Seit nicht im fahlen &erbftfchmiicfe Dor ben Augen ber rtchtenben 
©achwelt erfchetnen. Unb Derföhnenb flicht er feinen $rang für baS 
fterbenbe 3oh r hunbert, mährenb feine, Hoffnungen bem CGenittS beS 
gwangigften SäcttlumS entgegenjtibeln. 

Alle geschäftlichen Mittheilungen, Abonnements, Nummer¬ 
bestellungen etc. sind ohne Angabe eines Personennamens 
zu adressiren an den Verlag der Gegenwart in Berlin W 9 57. 

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bänder,Bücher etc.(unverlangteManuscripte mit Rückporto) 
an die Bedaction der „Gegenwart“ in Berlin W, Xansteinstr» 7« 

Für unverlangte Manuscripte übernimmt weder der Verlag 
noch die Redaction irgend welche Verbindlichkeit. 


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368 


Die ffiegentoari 


Nr. 23. 


Jlngeigett. 

Sei BeßtUimgen beruft man |td) auf Die 
„(Begenmatt“. 


JL JL JL JL JL JL JL X X X X X i 




lHUHlllIHMHIi 


iüsmardt 

im 

Itvtcit 

feiner 3 til|enjft«. 


gunbert Original* ©utadjten 
ö. fjreunb u. freinb: »jörnjon 
Cranbcft »iicfiner C£ri 8 pi T>aün 
Xaubet öflibi) gontaite ©rotfj 
fcaecfel $artmann 3 ou= 
bau äipling Ceoucaüallp fiin* 
bau fiombrofo SNefötfdierBli 
9 iigra Vorbau Ottiüier fetten« 
lofer ©altSbur^ ©teitfiewicj 
©imoit ©pencer ©pietyagen 
©tanlep ©toecfer ©trinbbcrg 
©uttner ©ilbenbrud) ©enter 


Sola. u. b. Ä. 

(Sieg. ge^. 2 SD?f. bom P«rlae ber (fccgcmuart, 

»erlitt W. 57 . 




Vertag oon ftofberg&glcrgcr in Jctpjtg. 
Soeben erfd)len: 

3tx 

ber trauen unb Hinber 

gegen 

IDißljanblmtgen. 

9fuf ©runb 

amerifamfdjcr u.europäijd)er Materialien erörtert 
bon 

Dr. Hat! Z&aUtcx, 

'$ripatbo$enten ber ©taatStoift. an ber llnib. Seip^la, 
orbentl. SHitglleb ber Sntemattonalen »ereiuiguitg für 
beugleie^enbe SRecfjtSroiff. unb »oiWloirtljfrtiaftSleljre in 
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Social Science. 

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&ilbe3beim. ©ommerfaifonu. 15. Mai 
btd ($nbe ©ept. Binterfur Dom 1. Oft. bi§ Mitte Mai. jhtrutittfl: Naturtu. foblenf. Xljermalbäbei, 
©oolbäber, ©ool=3ttfjaIatoriunt, Bellenbäber, (ihabirfuft, Mebiconicctjan. 3aiiberinfHtut, 9föntgen= 
fammer, oorjügf. Molfen= u. Mifcpfuranftalt. Hcurö XhcrmalbabchauS am 15. Mai 1000 eröffnet. 
Quotationen: drfranf ungen ber fernen, be« ©eljirnÄ u. Mücfenmarfö, ©id)t, MuäfeU u. ®elen!= 
rbeumatiSmuö, $>er$franf beiten, ©fropbulofe, ?(nämte, djron. ©elenfem^iinbungen, grauenfranfb. k. 
Äutfapefle: 42 Mufltcr, 120 Morgen fturparf, rigrned Äiirtpcater, 5öätte, ftonjeite. Vtflgemeine 
Bafferleit. u. ©cbroenunfanalifation. $rofp. u. SBefdjreibung überf. frei bie figl. ttabchcrmaititng. 


/Ji.V Wv'*4.\'^4- ^4A -k 

V*r A***yY* *yV**/' y r'V» *y.‘•."* ' ,f - 


$ie Segentoart 1872-1892. 

Um nufer Saget ju räumen, bieten mit uufereu Abonnenten eine gSaftige 
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Sänbe k 3 SR. (patt 9 2Ji.). üebuubent Jahrgänge 1 8 SH. 

»erlag ber ©egenttiart ln »erlln W, 57. 


5l!ab. geb. ©cbriftfteKer, bi«b- publicift. 
(fiter. $ritif) in fBerfin tb^tig, energ. getniffen^ 
bafte ^hbeit^fraft, oorj. ©pra^tenntniffe (fran= 
jöfifcb, englifd)), petfefter Stenograph, 
ilHrtfdiincttfdirdPcr (.^ammonb), fuept unt. 
befdi. ^infpr. in 91cDaftion r Xbcatcrfcfrctariat, 
Slcrl.=33u^bblg., Ittcrar. Snftit. k. ©tefhmg. 
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Wilhelm I ausgezeichn. AnsL Deutsch!. 


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Soeben erfct)ien: 

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C£*in ßboraftevbüb au§ bem Öager ber 
!s8efiegtcn r gezeichnet non feiner Xori)tcr 

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Mit 33ud)fcf)mucf oon Marie oon Söunfeit 
mtb einem Porträt in £>eliograüüre. 
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t&Xbnitönlfi fit i'fifrotM. ffunfl m iftrnrfWbt» ftboi 

»"••»(*> ■> IM» 

«tntrflhßrgiPfr 1872 -1896. 

Grftcr biö fünfetgftcr ©anb. 

Mit Nachträgen 1897—99. ©eb. 5 Jt 
(Sin bibfiograpbifcf)e§ Berf erften 
5Range§ über ba§ gefammte öffentliche, 
qeiftige unb fünftferifebe üebeu ber lepten 
25 3abre. NotbmenbigeS Nacbfcblagebud) 
für bie öefer ber „©egennmrt", foiuie 
für miffenfcbaftlicpe :c. Arbeiten, lieber 
10,000 Nrtifef, nach gäcbern, S^erfaffern, 
©cplagiuörtern georbnet. Xie Autoren 
pfeubonpmer unb anonpmev Wrtifel finb 
burcpioeg genannt. Unentbebrlicb für 
jebe 33ibliotf)ef. 

'ülud) bireft gegen ^oftamoeifung ober 
Nad)nabme nom 

Oerlag ber O&egenmart. 

»erlitt W 57. 


— ThftrlBffMliM« 

Technikum Jlmensu] 

flr lAeeUnen- ul Itoktu- 
bftaUire.-Teekifter i.-WerkiitliterJ 

■ Dlrector Jentsen. \~ 



fSismiirita flatpfolget. 

JRotnatt 

oon 

^ßeop^tC JSofCtrtg. 

W 9el(iauigahc. "WS 

Spreiz 3 Marf. ©d)ön gebunben 4 Mail 

Xiefcr s Jli§niavcf=GapriOi'Noman, ber in 
mentgen Sauren fünf ftarfe Stuf lagen erlebt, 
erfdjeiut hier in einer um bie .ftälfte billigeren 
^olf§au§gabe. 

Xurd) alle 93ud)banblungen ober gegen ^in : 
fenbitng be§ ©etrag§ poftfreie 8 u f cn ^ un 0 1,01:1 

Ucrlag der Gegenwart, 

»etltn W. 57. 



»erantmortltcüfr Ofebactcur: Dr. XbeopijU Soüing tn »crltn. IRcbaction unb (Sjbcbttion: »etlln W., Wanfteinflrabc 7 . Dvutf non A ©ftfrr tn firtwtfl 



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M 24. 


29. Jahrgang. 
Band 57. 


3 &etrCut, 6 m 16 . §uni 1900 » 


c 


: V *- 


fie Gkjpumrt. 

Söodjenfdhrtft für giteratur, Äunft unb öffentliche^ geben. 


£ettttt*0tgt8en hott ‘gQtopQU ^oCfhtg. 


leben lonnabenb erfdjftat eine |tamwr. 

8u fc$ie$cn bur$ alle ©itdtöanblmtgen unb JSoftfimter. 


Verlag ber ©egenttiart tn Serltn W, 57. 


Vtertelt)l||tltit 4 V. 60 ||f. fta gxua 50 Vf. 

Snferate jeber Ärt pto 8 geflatterte JtetttyeUe 80 


$)ie Regelung be8 &uSöetfauf8njefen8. öon Otto Sretfjerrn bon ©oentgf (#aI6erftabt). — 2)ie grauertbetoegung unb bte 
A* /» I»/ 3)ienftbotenfrage. $3on ©Itja Sdjenbaeufer. — föeaigtytnnafium unb SÄebicinflubium. SBon föeatyrogtymnafialsSDtrector 

Bui&Lt’ ®* (Watibor). — Unbenufcte 9?aturträfte. S3on ©uftab #. (Saft. — Literatur unb ftmtft S)ie ©eige al8 tnoberneS 

©oloinftTument. 93on $ebtt>tg bon grieblaenber*$lbel. — £attel)ranb al$ bramatifdjer ©toff. $on ©ottlieb 3)aum. 
(©djlufj.) — geuUletütt. $o§e8 ©Jjicl. 9Son 2out$ SouperuS. $u8 bem ^offänbifcften. (©dtfufj.) — Wnjeigen. 


Die Hegelutuj be« IttßoerhattfBtoefens. 

3$on 0ito (fretljerrn oon Boentgf ($alberftabt). 

3n golge einer Anregung beß 9lbg. Doeten im Deicf)ßtage 
bat ber ©taatßfccretär beß inneren Grhebungen über baß 
Slußoerfaufßwefen in ®eutfdjlanb angeorbnet, bie jur 3eit im 
-Gange finb. 9lußgef)enb Don ber ©eljauptung, bafe bie Ge* 
richte, inßbcfotibere fogar baß Deichßgericht, nidjt fähig finb, 
ben Geift unferer „©chufcgefetje" ju erfaffen, bielmehr fic£) 
ftrict an ben SBortlaut halten, ohne ben SKotioen beß Gefefj* 
geberß ftadjjufpüren, roieö bet genannte 9l6georbnete befouberß 
auf ein 9teichßgerid)tßurtheil bom 21. ©eptemöer 1897 f)in, 
in Welchem ber Slngeflagte freigefprod)en würbe, fich gegen 
§ 1 beß ©efefceß jur ©efämpfung beß unlauteren SBettbeWerbeß 
bergangen ju haben, obwohl er einen tfjeilweifen Slußüetfauf 
angetönbigt unb boch gcwiffe SBaaren währenb ber ®auer 
beß Slußberfaufß „nadjgefchoben", b. h- ^injugefauft hatte. 
?luth ber Vertreter ber Deidjßregierung, Graf ©ofabowßfp, 
fprad) ficE) baljin auß, bafj bieS Urtheil nicht feinem Gmpfinben 
entfpreche, unb fo ift man in Grwägungen eingetreten, wie 
bem Uebelftanbe abjuhetfen fei, ob man bteß am beften butch 
eine anbere Raffung beß § 1 beß Unlauterfeitßgefcheß er* 
reichen wollte, ober aber, inbern man in einem befonberen 
Gefefce baß SlußüerfaufßWefen unter 3 u hülfenahme ber Ge* 
toetbepolijei regeln foUe. 

®afj in ber E£l)at ein Uebelftanb oorliegt, bürfte nicht 
jweifelhaft fein, nachbem man gewöhnt ift, an allen Gtfen 
unb Gnben ©tacate unb Slnnoncen gu begegnen, in benen 
man auf bie ganj bef.onberß günftige Gelegenheit, SBaaten ju 
erwerben, burch baß oerlodenbe SEBort „$ußoerfauf" hinge* 
toiefen wirb, greitibf) ift eß bei unß fdf)Werer, baß SDaterial 
ju fammeln, wetdjeß ben Unfug nach °Qen Dichtungen ju be* 
teuften oermag, aber wir fönnen unß bieß SKaterial auß 
Defterreidj oerphaffen, ba bort bie Abhaltung eineß Sluß* 
Oerfaufß oon ber Genehmigung ber Gewerbebeljörbe abhängig 
ift, biefe alfo in ber Sage ift, bie SSerhältniffe ju überbliden. 
®a hat eß fidj benn heraußgefteHt, bafj alle möglichen unb 
unmöglichen Stnläffe ju einem Slußberfauf benu^t werben, 
nicht nur etwa bie Verlegung beß Gefchäftßlocalß ober bie 
Buflöfung beß Gefdjäftß, fonbern auch t>' e Aufgabe einjetner 
ürtifel, ber Umbau beß Sabenß, SBefdjäbigung oon SBaaren 
burch Seuer ic. jc. (Sin SKipftanb liegt fonach reiflich oor 
unb eß oerfohnt bemgemäp, ber grage an biefer ©teile näher 
ju treten. 


Sillen jenen SDiahnahmen ber Sfaufleute liegt ber eine 
SBunfcf) ju Grunbe, bie SBaaren mittelft bcfdjleunigten 83er* 
fahrenß an ben ÜJfann ju bringen unb man hat in Öefterreich 
baher neuerbingß neben bem Slußbrucf „Slußoerfauf" häufig 
bie ©ejeidjnung „©chnellüerfauf" angeWenbet, um auch 
biejenigen SBorfommniffe ju treffen, Welche nicht auf ein 
ööÜigeß Sluß*, b. h- 3 Us ® n ^ e '® er f au f £n kiß jur (Srfchöpfung 
beß Sagerß hioaußlaufen, fonbern nur bie Sefchleunigung beß 
SSerfaufß im Singe haben. ®a eß fich alfo immer um 
©chnetloerfäufe hanbelt, fo ift eß aud) erforberlich, bap ein 
fchnelleß Gingreifen gefe^lich möglich ift. SBir haben gälle 
beß unlauteren SBettbewerbß erlebt, beten gerid)tlid)e Grlebigung 
fich Saljre lang hinjog, fobap baß fdjliejjlidje Urtheil für baß 
pulfierenbe geben ber ißrafiß abfolut feinen SBerth mehr 
hatte. SBürbe man alfo baß Unlauterfeitßgefeh bahin er* 
gänjen, bap feine Seftimmungen auf bie ©dhnefioerfäufe — 
id^ will bicfen Slußbrud acceptiren — Sfnwenbung finbe, fo 
bliebe 91 Heß beim Sllten. Dur bann fann baß Uebel befeitigt 
werben, wenn man bei ober noch oor (Sröffnung beß ©djneü* 
Oerfaufß fofort einfehreiten fann. Gin ©chneüüerfauf bejWedt 
felbftüerftänblid), fchneH ju üerfaufen unb wenn baher bem 
fd)neHen SSerfauf ein langfameß Geridjtßoerfahren gegenüber* 
gefteQt werben foK, fo ift bie ganje Motion jwecfloß. 

Sft man alfo ber Ueberjeugung, bap auf biefem Gebiete 
etwaß gefchehen müffe — unb biefer Ueberjeugung neigt ja 
bie Deid)ßregierung, wie eß fd)eint, ju — fo empfiehlt eß fid), 
einen anberen 3Beg einjufchlagen unb befonbere ©eftimmungen, 
fei eß burch Ginfügen eineß weiteren gledenß auf baß bunt* 
fdjedige fileib ber GeWerbe=Drbnung, fei eß burdh ©dhaffung 
eineß ©onbergefeheß, betr. baß Stußoerfaufßwefen nach öfter* 
rei^if^em üttufter, ju treffen. 

®aß ift freilich nicht fo einfach, ba bie begriffliche 
gaffung ber ©djneHüerfäufe unter ©erüdfidjtigung bet ©e* 
bürfniffe beß ©erfehrß mandje ©chwierigfeit bereiten bürfte 
unb boch anbererfeitß unfere Dichter oon ben gefejjgebenben 
gactoren eine ftricte gaffung öerlangen. Smmethin aber 
wirb eß, jumal ba Wir in ber gage finb, Defterreidjß Gr* 
fahrungen für unß nujjbar ju machen, nid)t unmöglich fein, 
ju einer befriebigenben göfung ju gelangen. 

gunächft ift feftjufteHen, bafj eß fidh oid)t barum Ijanbeln 
fann, baß ©chneäoerfaufßwefen gänjli^ auß ber SBelt ju 
fchaffen, benn eß bürfte feineß ©eweifeß bebütfen, ba| gätle, 
fogar häufig, eintreten fönnen, in benen baß SWittel, einen 
©djnellocrfauf oorjunehmen, thatfächlich angewenbet werben 


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370 


Ute d&egenroart. 


Nr. 24. 


muß, wenn ber SBerfäufer nid)t cmpfinblid)cn ©fabelt teibeti 
foH. ®aS ift 3. ©. bet gaH bei SBaaren, roetdje feirfjt Der» 
berblicß ober bet ©eeinfluffung burd) bie SBitterung feiert 
jugänglid) finb. ®aS ift aber ferner burdjgeßenbS bei ben« 
jenigen Artifeln ber gall, we(d)e ber SRobe unterworfen finb, 
atfo — obwohl böllig unueränbert — lebiglicß babureß an 
SBertß bebeutenb berlieren, baß fic nid)t 311 einer beftimmten 
3 eit -oerfauft worben finb. 35 ic ©onfectionSgefcßäfte ßabeu 
baßer baS berechtigte ©erlangen nach fogenannten „biQigen 
'Sagen“, ,,©aifon«SlnSuerfäufen" jc., welche fic 311t Slbftoßung 
bon altmobifcßen ober an ber ©renje ber neuen SEWobe 
ftehenben SBaaren benußen müffeti. ©ine Säufdjung beS 
©ublicumS braucht mit biefen ©cßnelluerfäufen feineSwegS 
berbunben 311 fein, auch feine auf Unlautcrfeit jurfidjuführenbe 
unb unberechtigte ©enacßtßciligung ber ©oncurrens- ©S ßieße 
baS ftinb mit bem ©abe ausfdjütten, wollte man berartige 
in ber fRatur beS ©efdjäftsbetriebs gelegene ©cßneHucrfäufe 
oerbieten ober überhaupt aud) nur conceffionSpfücßtig machen. 
— Sicfe Slrt ber SluSuerfäufe betämpft ber Sleinßanbel auch 
nicht, ba er fief) bamit naturgemäß empfinblid) in’# eigene 
glcifd) fdjneiben würbe, ©ci ber Ausarbeitung einer bejüg* 
lidjen ©orfeßrift wirb baS 311 beachten fein unb ift audß 
gelegentlich ber ©orberathungen beS öfterreidjifeßen ©efeßeS 
uom 16 . Januar 1895 (fR@©(. fRr. 26 ) in fRüdficßt gezogen 
Worben. 

ferner ift auf bie 'Jßatfadjc jit oerweifen, baß aud) bet 
SRachfcßub bon SBaaren bei einem SfuSoerfauf nicht abfolut 
3U berbieten fein bürfte. @S ift nidjt 311 leugnen, baß bei 
folchen ©eranftaltungen ber Unternehmer oft ( in großem 
Umfange eine Säufdjung beS ©ublicumS babureß Ejerbeigefiihvt 
hat, baß er Slrtifel, beren ©orrath burd) ben befdjleunigten 
©erfauf erfeßöpft war burd) 3 u feuf, fügen. fRadjfcßub ergän3t 
unb biefe Artifel gleichfalls als SluSöcrfaufSartifel abgegeben 
hat. Saß biefer ©iißftanb einen ber ©arbinalpunfte ber 
gansen Angelegenheit bilbet, unterliegt feinem Zweifel, unb 
aud) barüber bürfte eine SReinungSoerfcßiebeuheit nid)t befielen, 
baß biefem Sreibcn ein energifdjer SKiajel borgefchobcn werben 
muß. Aber man barf anbcrerfeitS nicht oerfennen, baß in 
einzelnen gälleu ber gufauf bon „couranten" SBaaren notß« 
wenbig ift, um auberc, -nicht courante abfeßen 3U Reifen. 
SBenn 3. ©. .ein SBäfdjewaarenßäublet ftirbt unb feine ©rben 
beranftaltcu einen AuSberfauf, ba fic baS ©efcßäft nicht 
weiter 3U führen gcbenlen, fo wirb man eS ihnen nicht ber= 
argen fönuen, baß fie 3. ©. einen {leinen ©often Safdjen» 
tiießer 3ufaufen, ba fonft bielleidjt ber erwünfeßte ©rfolg beS 
AuSbcrfaufS in gragc gefteflt wäre. (©twaS AnbercS ift eS, 
ob unb in wcldjcr SBeife bie ber AuSberfaufSmaffe angehbrigen 
SBaarenbeftänbe bon ben bem AuSberfauf nicht unterliegenden 
SBaaren, be3W. beit nad)gcfihobenen < 2 afd)entüd)ern getrennt 
ober boeß unterfchiebeit werben.) Auch bieS Moment, weldjeS 
in gewiffen, im ©efeß genau 311 präcifirenben gälten ben 
ÜRacßfdjub ein3elner SBaaren in einem befdjränlteu Umfange 
geftattet wiffen will, muß bei ber weiteren ©ehanblung 3U 
©runbe gelegt werben. 

Sowohl ber Aba. ÜRoeren Wie ©raf ©ofabowSfß haben 
in ihren ©eben im ©eidßStage bem ©egriff beS AuSberfaufS 
einen Snßalt gegeben, welrijer ben tßatfädjlichen ©erhältniffen 
nicht entfprießt. SS wäre nad) ben oorftehenben Ausführungen 
weit über baS giel hiuaitSgefdjoffcn, wollte man im Anfd)luß 
an bie Slnficßten ber genannten beiben ©eießstagörebner nur 
foldje AuSberfäufe als beredjtigt anerfennen, Welche auf eine 
gäii3lid)e ©äumung beS borhanbenen SBaarenbeftanbeS unter 
oöfliger AuSfchtießung bon nadigefchobenen SBaaren ab3ieten. 

©in wichtiger ©unft ift ferner bie bereits berührte Unter« 
fcfjeibbarfeit ber SluSüeffaufS* unb ber anberen SBaaren. 
Sn Cefterreicß ift ber SluSberfauf, „wenn er nicht auf bie 
urfprünglid) angemclbeten SBaaren befeßränft bleibt", fofort 
ju fcßließen u. f. w. 2)iefe gorm ber au fich berechtigten 
©orfeßrift ift nicht empfehlenSwerth, ohne baß — waS bort 


nicht ber gall ift — gleichseitig Oorgefcßrieben wirb, in 
welcher SBeife bie 311m AuSberfauf angemelbeten SBaaren als 
folcße fenntiid) gemacht werben Jollen. Oft fießt fid) ein 
Kaufmann genötßigt, feinem Söctriebe infofern eine anbere 
©ießtung 3U geben, als er einseine Artifel „aufgiebt", b. f). 
auSberfauft. SBürbe er aus biefem Anlaß anfünbigen „Aus 
berfauf einiger Artifel wegen Aenberung beS ©efcßäftS“ ober 
bergleidjen, fo liegt eS naße, baß er aucf) feine anberen Artifel 
an ben 2 Rann 3U bringen fueßt. ©S muß ißm aber oenoeßrt 
Werben, bieS in ber SBeife 3U thun, baß er baS ©ublicum 
in ben ©lauben üerfeßt, aud) biefe Slrtifel unterftünben ben 
AuSberfaufSbebingungen. ®aS 3U erreichen, crfcheint eine 
©eftimmung 3wedmäßig, gemäß Welcher in jeber auf ben 
©cßneUoerfiuif ßinbeutenben ©eröffentlicßung bie betreffenben 
SBaaren genau bezeichnet unb in bem ©erfaufslocale bic 
SluSberfaufSwaaren bon beu anberen ficßtlid) getrennt finb. 
SBic baS gefcheßen fann, baS barsulegen, ift 1 )kx fein 9 faum. 
©S genügt hier feftjuftetlen, baß bei gutem SBillen fitß auch 
ein SBeg fiuben wirb. 

©ine weitere Beßre geben unS bie ©rfaßrungen in Geiler 
reicß, wc(cf)e fid) in ben ©rotofollen ber bortigen §anbet»= 
fammern genau wicberfpiegeln. ®aS mehrfach citirte ®eftt 
unterwirft obrigfeitlicßer ©eneßmigung bie „©eranftaltung 
bon angefünbigten öffentlichen AuSberfäufen". Diefe SluS 
brudSweife ßat bie finbigen ©cßwinbler üeranlaßt, baS SBott 
SluSberfauf in ißren Slnfünbigungen fortsulaffen unb on= 
Suneßmen, baß fie bamit burd) eine SRafcße beS ©efeßeSne^ee 
burchfchlüpfeit fönnten. 3 Ran finbet ©eseießnungen wie „lieber 
fiebelungSberfauf", „fRotßberfauf", „©aifonberfauf fämnit 
ließet Nouveautes" (!), „Dccafion", „SBeißnacßtSoccafion“ ober 
ganse ©äße, beren Snßalt baS ominöfe SBort „SluSoerfoicf' 
bermeibet. ©0 hatte ein Kaufmann sur SBeißnacßtSseit für 
Wenige SBocßen einen Saben gemietßet unb placatirt: „©ämmt^ 
ließe im Socale befinblicßen SBaaren werben wegen wr 
gerüdter ©aifon 3U tief rebucirten ©reifen berfauft". © 
würbe baßer ein ©rlaß ber ßößeren SSerwaltungSbeßbrbe 
nötßig, welcher auch biejeuigen ©cßncllberfäufe als bem frag« 
ließen ©efeß unterfteßenb cßarafterifirt, in beren Slnfünbigungen 
baS SBort AuSberfauf nießt gebraucht Wirb. — SBir »erben 
baßer in ®eutfcß(anb gut tßun, auch baS SBort „AuSberfauf“ 
aus bem ©efeß 3U berbannen ober begrifflich feftjulegen, ba 
wir fonft bei ber bereits angebeuteten Steigung unferer fRicßtct 
311 formeller SluSlegung beS XejteS aueß weiterhin triebe 
©rfaßrungen machen bürften. ®aS muß um fo meßr ge« 
feßeßen, als fonft ber Untcrfcßieb swifeßett AuSberfauf unb 
anberen auf einen fcßneHeren ©erfauf gerichteten Seftrebungen 
böUig berwifeßt ift unb ber SRicßter fidjerlicß bem gefeßmäßten 
SBort eine 3U enge SluSlegung geben Würbe. 

®ie wießtigfte grage ber gansen Slngelegenßeit: ob man 
SluSberfäufe concefftonSpflidßtig maeßen ober fieß bamit be= 
gnügen fofl, gewiffe ©orfommniffe unter ©träfe 3U ftcQen, 
läßt fid) naeß ben obigen ©inselßeiten betreffenben SRittbd 1 
lungen leicßt beantworten unb swar bureß folgenben Aor= 
fcßlag. Seber Unternehmer eines ©cßneUberfaufS, auf »elcben 
Anlaß biefer aueß surüdsufüßrett fei, füllte berpffießtet fein, 
einige Sage bor ©röffnung beS ©erfaufS ber SSerwaltungS 
beßörbe genaue Angaben über Umfang, Slrt, ©igeutßümet 
unb ©erfäufer ber auSsitberfaufenben SBaaren, ©cfcßäftSlocal, 
®auer unb Anlaß ber ©eranftaltung rc. 3U maeßen unb fid) 
eine ©eglaubigung biefer Anseige anSftetlen 3U laffen. ®icjf 
©eglaubigungSnrfunbe, auS welcßer alle Details beS €cßnd! 
berfaufS auSreicßenb 3U erfeßen finb, muß bann ber Acr ; 
anftalter an ber Slußenfeite feines ©erfaufSlocatS wäßrenb 
ber S)auer beS ©djneUberfaufS öffentlich auSßängen. Aci 
ßuwiberßanblungen fann bie ©olisei oßne SBeitereS ein« 
feßreiten. 

SBenn man biefe ©orfeßtift sum ©efeß erßebt, fo er« 
reießt man baS ©ewünfeßte, aueß oßne ber ©erwaltungS&eßßrbe 
bic Sonceffionirung anßeirn su ftellen. ®en £>anbels£ammeni 


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Nr, 24. 


Die (Gegenwart. 


371 


biefe ©onceffionirung anheim ju geben, geljt ntcfjt an, einer» 
feit«, »eil leibet and) nod) nid)t überall folc^e Körperfdjafteu 
beftegen, unb sWeitenS, tocil btefelbeu igrer ganzen Drgani» 
l'ation nad) für eine folcgc Slufgabe meinet ©racgtettS jur geit 
wenigftenS nod) nid)t recgt brauchbar erfcgeincn. (53 blieben 
alfo nur bie unteren VerroaltungSbegörben, bie aber befamtt» 
lidj oft über baS, waS bcm Kaufmann frommt, .nicht orientirt 
finb. das ©onceffionirungSfgftem ift batjer in biefem gatte 
nicht ju empfehlen, ba man auf anberem SBege aud) 3um 
giele gelangt. 


. Die -Frauenbewegung unb bie Dienftbotenfrage. 

SBoit (£[130 ‘ 3 d)ettl)aeufer. 

Sn einem Vortrage, ben ein befannter ^Berliner SRebner 
in einem grauenberein jüngft hielt, empfahl er ber grauen» 
beWegung, fid) ber dienftbotenfrage ansunefjmen, unb machte 
ihr einen Vorwurf barauS, ben @djäben im dienftbotenftanbe 
fo Wenig Veadjtung unb ©gmpatfjie ^ujuroenben. diefer 
Vorwurf unb bie ©rmiberung ber Vorfigenben beS Vereins, 
bah fie erft im begriffe fei, bie dienftbotenfrage ju ftubiren, 
ftnb ganj geeignet, - im publicum ben ©tauben ju erweden, 
als ob bie grauenbewegung einer fo Wichtigen grage, bie 
eine fo große grauengruppe betrifft, in ber dgat gleidjgiiltig 
qegenüberftege. diefe Sinnahme ift eine abfolut irrige, unb 
ich fllaube, eS ift ^flid)t, biefen Srrtgum tlarjuftelltn, bamit 
einerfeit« bie ohnehin häufig ansutreffenbe falfcgc Sfnfkgt, als 
erftrebc bie grauenbewegmtg nur fRecgte unb feine Pflichten, 
als wolle fie nur für bie grauen einer beftimmten ©(affe 
cintreten, nicht nod) mehr genährt werbe, unb anbererfeitS 
ber in 9 iebe ftegenbe Siebnet unb feine etwaigen SRacgfolger 
fid) mit ihrem Slppefl an biejenigen grauen Wenbeit mögen, 
bie außerhalb ber graueitbewegung ftehen unb nod) mibe» 
rührt Don all’ ben bie ©egenwart beWegenben gragen finb, 
beten Summe bie fociale grage barfteilt. Sie finb eS, bie 
nicht begreifen fönnen, baß in ber gägrcnben geit, in ber wir 
leben, SlfleS nach oben brängt, baß auch diejenigen, bie 
bisher nur bie trübe ©eite beS ScbenS gefannt, bie in ber 
Tretmühle einer ftetS ftcfj gleidjbleibenben enblofen SIBtagS» 
arbeit jum SlrbeitStgiere hinabjufinfen broljten, bon ber Sonne, 
bie für Sitte ftgeint, ebenfaES ein dfjeilcgen hüben WoEen, 
baß auch ißt Körper unb ©eift ©rgotung braucht, um frifd)c 
SebenSfraft unb ScbenSluft 31t fdjöpfeit, baß auch f' e 3J?enfcf>en 
unter SRenfcgen fein woEen. 

SBie mandje darne, bie ihre gangen läge mit ©posieren» 
gehen, Xoiletten unb Vergnügungen »erbringt, ift gans empört, 
trenn ihr SRäbdjett einmal wöchentlich au 3 gegen möchte, ja, 
eS giebt fogar foldje, bie eS fdjon 3U Diel finben, wenn baS 
^erfonal einmal in biersehn »Tagen auSsugegen begehrt, unb 
bie, ehe fie fich felbft ber 3 Rüge untersagen, swei 2 Ral im 
SRonat bie Ueberwacguug ihrer Kinber borsunegmen, lieber 
baS abgeljegte, lufthungerige SRäbdjen bcranlaffen, auf ihren 
SluSgegetag 3U bergidjten. grauen, bie brei ERäbcgen hoben, 
hörte id) fchon gans empört übet bie grechheit ihrer SRäbdjen 
(lagen, bie nach getfjaner Sir beit um acht Uhr Slbenbs fid) 
in ißr gimmer surüdgögen, um ihre KleibungS» unb Sßäfdje» 
ftüde auSsubeffern. SRodj gerrfdjt bie ominöfe Slnfidjt in ber 
SRegrsagl unferer grauenfreife, baß eine gute fpauSftau nur 
bie fei, bie ißr ißerfonal ftänbig gut Slrbcit angalte, unb 
baß eS ein fd)led)te£ gengniß für igre ^auSfrauenqualität 
fei, wenn ihr SRäbdjen aud) 'mal ber fRuge pflege, gär bie 
abfolute Verftänbnißlofigfeit, bie Weitefte Kreifc ber dienft» 
botenfrage entgegenbringen, lieferte auch bie dgatfadje ein 
tgarafteriftifdjeS Veifpiel, baß, als bie auch ber treffe 
tiielbefprocgene ©nquete über bie Verliner dienftbotenberfjält» 
niffe fftrslicg beranftaltet würbe, eine Steige bon danten aus 


gebilbeten Kreifen bie gragebogen 3U SlmüfementösWeden be» 
nulten, fie mit atterlei unwahren Slngabeit auSfüEteu unb 
biefen (SinfaE göcgft geiftreid) fanben. diefen Kreifen foflte 
ein ißrioatifftmum über pflügten uitbSlufgaben einer mobernen 
.'pauSfrau ihren dienftboten gegenüber gehalten werben, biel» 
leicht an einem ber mobifdjen VortragSabenbe 3U fechS SRarf 
pro ‘rßerfou, bamit fid) baS geeignete publicum fidjer einfinbe. 

die grauenbewegung aber hot baS nid)t nötfjig, fie hot 
fid) bon Slubeginn an ber dienftbotenfrage angenommen, als 
biefe im Sommer lebten SahreS auS beit Kreifen ber dien ft» 
boten heraus aufgeworfen würbe, fie hot ben berechtigten 
Kern auS ber großen gafjl ber gorberungen, bie geftettt 
Würben, gcrauSgefcfjält unb fich S u eigen gewacht, ©djreiberin 
biefeS hat im herbft legten SahreS im berliner grauenberein 
in ©erlitt unb im dreSbner fRedjtSfdjußberein in dreSben 
einen Vortrag gehalten, ber in feinen gorberungen fo weit 
ging, baß, als er füglich als Vrofdjüre im drud crfdjien, 
ber „Vorwärts" ign „eine ber berftänbigften ©cßriften über 
biefeS naeggerabe brennettb geworbene dljcma" nannte. Unb 
trogbem, wie baS focialbentofratifdjc Sob gur ©enüge beweift, 
meine Sieformborf^läge geniigenb rabicaler 3 ?atur finb — 
ich »erlange Slbfdjaffung ber ©cfinbe»Dtbnungen unb ber 
dienftbücher unb an ©teile ber legteren facultatibe geugniffe 
für bie majorennen unb obligatorifcfje SlrbcitSbiichcr für 
bie minorennen dienftboten, bie (Sinbesiehnng perfelben 
in bie obligatorifdjc Krönten» unb UnfaEberfidjerung, fowie 
ihre Unterftettung unter bie 5 Reicl)S»©eWerbeorbnung, ©infiih* 
rung einer geregelten SlrbeitSseit mit einem SBochenminimum 
an greigeit, ©ewährung bon gefunben unb freunblichen SBogu» 
räumen, Slbfdjaffung ber drinfgclbcr unb bafur angemeffenc 
©egahlung »on Ueberarbeit, Umwanblung ber Vescidjnung 
dienftbotc in „|)auSgehülfin", obligatorifdjc gortbilbungS» 
fdjuten mit fiauShaltungSunterricht unb communafc SlrbcitS» 
itad)Weifc — trogbem biefe Veformborfchläge giemlid) weit 
gegen, finb fie »on ber aflgemcin als fehr gemäßigt geltenben 
Vorfigenbcit beS Vcrliner graucnuercinS, gräulcin fpclene 
Sange, feßr warm befürwortet worben, ift bie Vorfigenbe beS 
dreSbner JBecbtSfdjugbercinS, bie gegenwärtig gleichzeitig Vor» 
figenbe beS VunbeS beutfeger grauenbereine ift, über meine 
gorberungen noch h'aauS gegangen, grau ©tritt erflärte 
nämlich, baß fie fid) nicht allein meinen gorberungen boE 
unb gans anfdjließe, fonbern, baß ein SBodjenminimum an 
greiheit ißr noch itidjt qenüqc unb fie ein daqeSminimum 
ftatt beffen wünfdje. 

die am Sonboner Sntcrnationalen graueu»6ongrcß theif» 
nehmeitbcn güßrerinnen ber grauenbewegung gingen noch 
ein ©tüddjen weiter: ©lementinc Vlad fagte unter Slitberem 
golgenbcS: „die gegenwärtige Sage ber dienftboten giebt 
ben SRäbdjcn unb grauen berjenigen (Stoffe, auS ber fich bie 
dienftboten*rccrutiren, ©runb sur Unzufriebenjeit, unb in 
golge beffen finft baS Slngebot. ©S janbelt fich h> er nicht 
bavum, ob biefeS Vorurtgeil berechtigt ift ober nicht, dhat» 
fad)c ift, baß cS borganben ift unb bleibt. SBenn wir mit 
igm anfräumen WoEen, bann müffen wir bie Sage berbeffern, 
b. g. wir müffen bie SlrbeitSbebingungcn beS dienftboten» 
ftanbeS bcnjenigeit anberer Vernfc näger bringen, dies fann 
nur baburd) gefd)egcn, baß man ben dienftboten feftgefegte 
greiftunben unb innerhalb biefer ©elegeitgeit 311 gefefligem 
Vcrfegr giebt, unb ein für aBemal ben ©ebanfen aufgiebt, 
baß bie detailS igrer gügrung, fo weit fie außerhalb igrer 
VerufSpflidjt liegen, bon igrem Slrbcitgebcr geregelt 311 werben 
gaben. daS cinfacgfte Vfittel, biefen SBccgfct gerbeisufügren, 
ift in bielen gäflen, unb befonberS für Seute mit befegränften 
Mitteln, ben dienftboten außer bem häufe wognen 3U taffen, 
wie eS baS gabrifmäbdjcn, baS 9 lägmäbd)en, bie Segreriit 
ebenfaflS tgut. daß biefer SBedjfel ben dienftboten con» 
beniren würbe, beweift ber Umftanb, baß eS fcgon heute feine 
©cgwierigfeiten berurfaigt, außer bem häufe wognenbe dienft» 
boten 3U finben." 


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372 


Ute ©egetuDart. 


Nr. 2i 


SRrS. ©3ifliam ©teab fteljt auf bemfelben ©tanbpunft, 
unb weift barauf bin, bag ein ©erfuch nach biefer fRid^tung 
bon ber Dom „Women’s Industrial Council* in’S fiebert ge* 
rufenen ©ereinigung öon IReinemachenfrquen (Association of 
Trained Charwomen) gemacht unb gelungen ift unb bag bie 
Sitte, Äoftgelb an ©teile Don ©eföftigung ju geben, in 
Sonbon fiel) immer mehr einbürgere. Sie ©rfinbung ber 
Sedjnif f>at in ber Arbeiterfrage Umtoälgungen b«norgerufen, 
aber bie ©BirthfdjaftSancjctegenheiten finb nicht reorganifirt 
worben, um mit ber geit @d)ritt galten ju fönnen. Arbeit 
unb ©tubium brängen h eute nadf ©pecialifirung, um bie 
beften IRefultate ju erzielen. Siefe ©pecialifirung mug auch 
im häuslichen Sienfte tote! mefjr ©la$ greifen, ehe biefer 
Sienft für moberne SRenfchen ber ©egenwart befriebigenb 
gestaltet werben !ann. ©Bir fönnen nicht erwarten, bag baS 
jwanjigfte 3ahrf)unbert mit einem ©pftem arbeitet, baS bem 
SRittelalter (Dark Ages) angeljört. 

SD?rS. ©ufan 2)oung ©ateS aus ben ^Bereinigten ©taaten 
»erlangt jur fiöfung beS ißroblemS eine tüchtige fac^licfje, 
fjau8Wirtljfcf)aftticlje @rjief|ung, aber nicht allein beS Sienft* 
mäbdjenS, fonbern aud) ber ßerrin, unb als ecf)te Semofratin 
fügt fie f)inju: „gür America mürben bie Äurfe für $errin 
unb Wienerin bie gleiten fein, benn bie Wienerin öon h eute 
ift bie Herrin bon morgen unb bie ©etufsföd)in ift fef)t ge* 
fcf|ä|jt toon ben grauen unb befleibet niefjt feiten einen Sehr* 
ftu^t an einem ßoUege." 

• Auf gleicher ©runblage befanben fiel) bie ©orfdjläge ber 
Samen ©Barb unb ©lapperton, bie baS ©pftem noch weiter 
auSbauten, inbem bie ©rftere eine SReorganifation beS §auS* 
haltungSbetriebeS Ejerbeifüfjren wollte burcfj eine Unterfchei* 
bung »on Sienftboten in folcfje, bie im |>aufe unb folctje, 
bie außerhalb beS fpaufeS wohnen, unb jWar foßten ben 
©rfteren bie perfönlicheren Sienftleiftungen unb bie lieber* 
wadjung beS SjauSfjalteS anbertraut, ben gweiten bie gröbere 
unb unperfönliefere Arbeit jugewiefen werben. 2RrS. ©fap* 
perton brachte bie grage ber Kooperation Wiebet auf’S Sapet 
unb woßte »ermittelft biefer eine Ummäljung im £auöf)al* 
tungSbetriebe unb eine fiöfung ber Sienftbotenfrage erzielen. 

SebenfaflS beweifen aß’ biefe ©orfdjläge bon grauen* 
redjtlerinnen unb bie guftimmung, bie fie in Streifen ber 
grauenredjtterinnen gefunben haben, bag bie grauenbewegung 
längft in bie Sienftboten bewegung eingegriffen hat unb bag 
fie nidjt fcheut, aße ©onfequenjen auS ihr ju gieren unb bie 
©erfud)e ju ihrer fiöfung am eigenen Seibe ju erproben, ©ie 
wirb jebod) groge ©chwierigfeiten ju überminben haben, ehe 
fie baS grofje publicum oon ber SRothwenbigfeit ber geplanten 
^Reformen überzeugen wirb unb wirb aße ©nergie einfegen 
müffen, um befriebigenbe 3iefultate ju Sage ju förbern, benn 
fo fel|t baS publicum auch über ben SRangel an Sienftboten 
flagt, fo miß eS boch nicht einfefjen, bag ber ÜRangel an 
Arbeitsangebot bei einer fo enormen Nachfrage mit 2Radjt 
barauf hinweift, bag bie ©ebingungen, unter benen biefer ©e* 
ruf auSgeübt wirb, einer Aenberung bebürfen, baff nur eine 
foldje, auch für bie Arbeitgeber, beffere guftänbe herbeiführen 
famt. £ier aufftärenb ju wirfen, ift eine ber Aufgaben ber 
grauenbewegung — aber auch berjenigen, bie fich irrtfjüm* 
lieber ©Seife an bie grauenbewegung gewanbt. 


Healghrnnaftnitt unb Jtcbicinftubium. 

$on föeatyroQtjmnaftals^irector <E. Kttape (SRatibor). 

Am 21. 2Rärj b. 3- hielt bie fchlefifdje Aerjtefammer 
in ©reSlau eine ©igung ab. Sn berfelben brachte ißrofeffor 
ißartfdj jur Sprache, baff unter ben ^Regierungen bereits 
©erffanblungen fchweben, inwieweit bie ©efugniffe ber SReat* 


ghntnafien betreffenb bie gulaffung gum mebicinifihen 
©tubium auSgebehnt werben foßen. AuS ben Srflärungen 
beS SRinifterS gehe heröor, ba| bei unS (Geneigtheit beftehe, 
einem folgen Srängen ber fRealgpmnafien entgegenjutommen. 
Ser ärjtliche ©tanb habe aber boch bie ©flicht, eine foldje 
grage nicht entfdheiben ju laffen, ohne feine Anficht baju ju 
äufjern. IRebner beantragte eine IRefolution, Weld^e an ben 
UnterrichtSminifter, ben fReidhStag unb ben AuSfchug bei 
Aerjtefammer übermittelt werben foß, unb folgenben Sott-- 
laut hat: „Ohne in ber grunbfäjjlithen grage ©teßung jn 
nehmen, ob bie realghmnaftale ©orbilbung jum mebicinifc|cn 
©tubium jWecfmäfjig fei, erflärt bie fchlefifche Aerjtefammei; 
bafe fie eine Erweiterung ber gulaffungSberecfjtigungen bet 
fRealgpmnafien nur bann gutheigen lönne, wenn fie nicht 
aßein auf baS ntebicinifche ©tubium befdjränft, fonbern. auf 
alle gacultäten auSgebehnt wirb." Siefelbe würbe audi 
einftimmig angenommen. 2Kan fann gerabe nicht behaupten, 
baff fich biefe fRefotution burdj Älarheit unb Siefe bet ©e* 
banfen auSjeichnet, fie ift, wie man ihrem ganjen Senot 
anmevft, burch oerhaitenen Sngrimm beranlafet worben. Sie 
Aerjte erführen, ba| fie gegen bie 3ulaffung ber SRealgpumQ= 
fiaI*Abiturienten ju allen gacultätSftubien nichts eintoenbai 
Würben, baff fie aber bie gulaffung berfelben jum ©tubium 
ber SRebicin allein nicht wünfdjen. Sßarum benn? Ipabcn 
fie fachliche ©rünbe? SBohl faum. Senn bie grage, ob bic 
fRea(ghmnafiat*©i(bung für baS ©tubium ber SRebicin jtbed* 
mägig fei, ift längft bejaht worben. Sorpphäen ber SRebicin, 
wie gief, Rüther, ©ißroth, ©Smarch, ©irchow, SuboiS*9Jep* 
monb unb Anbere, auch namhafte Schulmänner haben ftcb 
im günftigen, einige fogar in bem Sinne geäugert, bag real» 
gpmnafiale ©orbilbung ber ghmnafiaten für baS 3Rebicin= 
ftubium botjUjieljcn fei. Unb wenn enblich nach langem St 
benfen auch bie preugifdje UnterrichtSberwaltung, ber man 
eine Ueberftürjung in ©etreff beS höheren ©dt)ulwefenS nicht 
borwerfen fann, fich ber ©ache freunblich gegenüberfteßt unb 
ben ©ealghmnafien, nachbem fie fid) feit bielett Sahren fit 
baS ©tubium ber SRathematif, fRaturwiffenfchaften unb neuem 
Sprachen boßauf bewährt haben, aud) baS ßRebicinftubiui 
berfchaffen wiß, fo fann man Wohl mit Sicherheit anne^m®, 
bag jwingenbe ©rünbe hierfür borliegen, bag bie Sache fprudf 
reif ift. SBohlWeiSlich bermeibet eS benn auch bie fchlefifche 
Aerjtefammer, auf ben Ä'ernpunft felbft einjugehen. 3leue 
©rünbe für einen ableljnenben ©tanbpunft würbe fie nicht 
borbringen fönnen, unb bie alten finb längft wiberlegt 
worben. 

©Senn tro^bem bie fchlefifche Aerjtefammer eS unter* 
nimmt, baS ©orhaben ber preugifd)en ^Regierung noch in 
le^ter ©tunbe ju berhinbern, fo nimmt biefer ©etfuch fich 
um fo eigentljümlicher auS, als bie Aerjtefammer fich 
©orauS fagen mug, bag er ein ©chlag in’S ©Soffer ift ©an; 
auffällig aber ift bie oberflädjlidje, faft nidjtSfagenbe 8e> 
grünbung, bie mit bürren ©Borten auSfpricht, bag, wenn bie 
5Realghmnafial*©ilbung jum ©tubium ber Sheologie unb 
SuriSprubenj genügt, fie auch für baS ©tubium bet 
3Rebicin geeignet ift. Saburch begeben fidh bie Aerjte jebes 
eigenen UrtheilS über bie für baS SRebicinftubium jtoeef» 
mägigfte ©Übung; fie finb mit ber ©ilbung jufrieben, bie 
anbere gacultäten für fich beanfprud)en. ©ine anfheinenb 
recht befcheibene gorberung, hinter ber aber nichts weiter aß 
felbftgefäßiger ©tanbeShodiwuth unb enghetjiger Äaftengeift, 
bie nadte ©itelfeit fteeft. Ser ©tanb oer Webiciner uritb 
fither baburch, bag einige berfelben auf bem SRealghumafium 
borgebilbet finb, ebenfo wenig an Anfehen berlieren, wie bei* 
jenige ber ©hmnafialoberlehrer, ber©aumeifter, berUniberfitäts< 
profefforen, ber Sehrer an technifdjen §ochfchulen, ber Cfficiete 
bisher eingebügt hat. Au<h in beS ArjteS ©ruft mug ja fibea« 
liSmuS wohnen, wiß anberS er mehr fein als ein gelbgieriger 
©ewerbetreibenber. Sag aber SbealiSmuS nur oaS h umßs 
niftifche ©hntnafium erjiegt, ift eine höchft thörichte ©ehaup* 


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i 



Nr. 24. 


Die (Hegentoari 


373 


tung, benn bie ibeale ©Übung hängt burdjaug nicf)t (mie 
6. ©tufcer in bem ©renzboten oom 30. Ulooember 1899 richtig 
bemerft) Oon einer beftimmten ©djulgattung ober Don einzelnen 
2e^rfäc|ern ob. Darum roirb berjenige 2tqt am meiften ©et« 
trauen unb Sichtung geniefeen, ber feinen ©eruf mit Ipin* 
gebung unb ©efchidlichfeit augübt. Denn ber ©atient fragt 
nidlt, ob ber Strjt, ben er »u SRatlfe jiet)t, fidh bor Satiren 
einmal, oiefleidjt ohne ©rfolg, mit ©riedjifch abgemüfet hat, 
fonbern, ob er etroag Düdjtigeg teiftet.' 

Da finb bod) bie Suriften, bie unter güfjtung beg Ober* 
bürgermeifterä StbiCeS bon granffurt a./W. für 3 u faff un 9 
ber fRealghntnafiat*Abiturienten jum juriftifchen ©tubium 
petitionirt haben, bei SBeitem nic^t fo fleinlidh; fie befürchten 
baburcfj burefjaug feine Winterung ifjrcS ©tanbeganfeljeng, 
oerfprechen fid) bietmehr eine gütiftige SBirfung auf baffetbe. 

Sft ben SReatghmnafien erft bag Webicinftubium frei* 
gegeben, fo toirb bie Surigprubenz nicht lange auf fid) märten 
taffen, unb eg roirb noch eine 3eit lommen, roo eg eine 
©)re fein toirb, bie heut noch teiltoeife berachtete fRealghmnafial* 
©itbung ju hefigen. Denn SIfleg brängt bahin, bafe alte 
neunclaffigen ©chuten bie gleichen ©eredjtigungen ju toiffen* 
fdjafttid)en ©tubien unb hörten Saufbahnen erhalten. 

Die Uniberfität mit ihren bier gacultäten ift tängft nicht 
mehr bag, mag fie urfprünglich fein fotlte unb aud) fein 
tonnte, unb fie mirb eg bon ‘Sag ju Stag um fo meniger 
fein, nämlich eine universitas literarum, ein Snftüut, mie eg 
©Seifer nennt, beftimmt jur freien, fetbftftänbigen Sugbilbung 
unb görberung ber gefammten f)ö^ercrt ©ilbung unb jur 
miffenfchaftlidjen Seitung ber ganzen Kultur. Die tedfjnifchen 
£od)fd)ulen haben fid) neben bie Uniberfitäten gefteHt, fie 
bilben getoiffermafeen bie fünfte unb fedjfte gacultät berfetben. 
Die Uniberfitäten finb befanntlidj burch 3 w f amm enlcgung ber 
einzelnen gacuftätgfchulen entftanben; bie Dheotogie aber blieb 
für lange 3 e ü ber Wittelpunft aller- ©Biffenfcfjaften, erft 
fpäter fonnten Surigprubenz unb Webicin fi<fj afg felbft* 
fMnbige, mähte ©Mffenfdjaften erheben. Dementfpred)enb mar 
alle Unioerfitätg»©orbilbung für bag theologifdlje ©tubium 
Zugefdjnitten. Da bie ©Biffenfdjaften im Wittelalter noch fehr 
unentroidelt maren, mag namentlich in ©ejug auf Webicin 
unb Surigprubenz ber galt mar, fo gab eg bielfad) Seute, 
bie in aßen 2Biffenfcf)aften ju §aufe maren. ©Bie menig 
brauchte bamatg ein Surift unb ein Webiciner ju miffen, 
unb mag mirb heute bon ihnen bedangt? 2Ber ben pt)tf)a* 
goräifchen Sehrfag bemeifeti fonnte, galt im Wittelalter alg ein 
gelehrter Wann, heute beroeift ihn jeber, ber eine gute ©olfg* 
fcf)ule befudft hat. 

2tug aHebem erhellt, mie gering bamalg nach heutigen 
©egriffen bie ©orbilbung für bie Uniberfität mar. SBenn 
baher in früheren 3eiten eine gleidje ©orbilbung für alle 
Jacultäten gut unb möglich mar, fo mufe heutzutage bei bem 
gemaltigen Umfange, ben jebe ®injelroiffenfcf|aft angenommen 
hat, bon einer ©leidjheit ber ©orbilbung abgefehen toerben. 
Die ©orbilbung, bie jur 3eit für bag tljeologifdhe ©tubium 
bie befte ift, tann für anbere ©tubien eine höcpft mangelhafte 
fein. Uniformität ift ber Dob jebeg gortfdjrittg unb Sebeng, 
unb barunt fann Ungleichartigleit ber ©orbilbung felbft 
für einen 3weig ber SBiffenfdjaft nur nüglidj unb förberlid) 
fein. ®erabe bag mebicinifd)e gad), bag oon allen bag um* 
fangreidjfte ift, bürfte ooraugfidjtlid) fomohl in ©ejug auf 
28iffenfd)aft, mie auf praftifd)e Slnroenbung burch ^* e 3 U * 
laffung ber 9tealgt)mnafial=2lbttu.rienten nicht unbebeutenb ge* 
minnen. Dafe aber burch bie $Realgt)mnafial<Stbiturienten ber 
ärztliche ©tanb an Slttfefjen abnehmen foHte, ift gänzlich 
auggefchloffen, benn, fo fagt ein grünblicher Senner unferer 
höheren ©dfuten, ber ehemalige ©rooinjiat«@chulrath unb bor* 
tragenbe SRath im preufeifchen ©ultugminifterium, ©eheimer 
fRath §öpfner: „Die fRealghmnafiat*2lbiturienten merben, mo* 
hin fie audh öcftellt merben, niematg ben jmeiten ©lag 
einnehmen." 


Snzmifdjen Ijat bag preufeifdje ©taatgminifterium fidh 
bereitg für bie 3ulaffung ber SReatghmnafial* Abiturienten 
jum ©tubium ber Wcbicin auggefprocf)en, unb ba bie fRegie* 
rungen ber übrigen beutfehen Staaten fidh Jtoeifellog an* 
fchtiefeen merben, fo ift bie Freigabe ber Webicin an bie 
Ütealgpmnafien burch ben ©unbegrath in ber näd)ftcu 3 C > 1 3 U 
ermarten. Sn biefer Gsrmartung hat bereitg ber Srieggminifter 
o. ©ofeler ben 2lntrag gefteßt, bafe bie 3öglinge beg Kabetten* 
haufeg, in meinem nach bem Sehrplane Der fRealgpmnafien 
unterrichtet mirb, jum ©tubium ber Webicin jugelaffen merben. 


Dnbeitnhte Itatnrkrafte. 

Son (dnfiao f?. Cajl* 

SBenn mir fehen, mie ein oon ber ©leftricität beeinflußter 
©tatinbraht aßmäfig glühenb mirb, menn mir ung oorfteßen, 
mie bie ungeheure Straft in einem Dampffeffel, ober in einer 
Dpnamitmaffe jur SBirffamfeit gelangt, fo finb mir ung 
heute bemufet, bafe eg feine übernatürlichen Strafte finb, bie 
ung entgegentreten, fonbern bafe aße bie jur ©eltung fommenben 
©rfcfjcinungen bem aflumfaffenben ©ebiete ber ©hhf’f unb 
ber Shemie angehören. 

SBelche fic^tbaren unb für ung itnfidhtbaren ©rfdheinungen 
treten auf, bamit jener Oon ber ©leftricität erregte ©latin* 
braht ©trahlen augfenbet? Wan fönnte glauben, mir ftänben 
oor etmag Unerflärlichem. ©Bir müffen oon bem Drahte 
alg ©andern auf feine Waffetheilchen, bie Wolecüte übergehen, 
unb müffen ung bergegenmärtigen, bafe bie fteinften Waffe* 
theilcfjen nicht feft aneinanbet liegen, fonbern bafe fie burch 
3mifd)enräume oon einanber getrennt finb, unb bafe biefe, 
mie ber ganje SRaum oon bem ©ether erfüßt finb. Die 
Wolecüte unfereg ©latinbrahteg finb fdjon in ©emegung, 
b. h- ©djU)ingung, menn auch noch ^ e * n deftrifdjer Strom, 
mie man geroöhnti^ fagt, ihn burdhfliefet, benn ber Draht 
befifct eine Demperatur, mag fo Oiel fagt, alg, mir fennen 
bie Sntenfität ber molecülaren ©dhminaung. ©epon oon 
Soule ift biefe Sbee außer 3 roe Ücl gefteßt. „Die Sßärme," 
fagt Sode, „ift bie fehr lebhafte ©emegung ber unmahrnehm« 
baren Dheildjen eineg ©egenftanbeg, toeld^e in ung biejenige 
©mpfinbung h er uorruft, monadh mir ben ©egenftanb h e *& 
nennen; fo bafe bag, mag mir alg SBärme empftnben, für 
ben ©egenftanb felbft nur ©emegung ift." SBenn ber noch 
fdjmache etettrifche Strom anfängt, burch ben Draht ju gehen, 
fo fteigert er junädhft nur bie bereitg befteljenben ©emegungen, 
inbem er bie ©chmingungen ber fleinften Waffetheilchen Oer* 
gröfeert, ober mie man gemöljnlich fagt, er ermeitert bie 
Stmplitube ihrer Sahnen. Der ©trom bemirlt bieg jebodh, 
ohne bafe bie ©dhmingunggjahten ober »©erioben ber älteren 
©chmingungen, ober bie 3eit, innerhalb metcher fie auggeführt 
merben, fidh oeränberten. Die ©chmingunggintenfität mirb 
jeboch größer merben unb hat biefe einen gemiffen ©rab er» 
reicht, fo mirb ber Draht ju glühen beginnen. Dag erfte 
Sicht, nadhbem ber Draht h e '6 mirb, mirb bag tieffte Ultra* 
roth fein, mag bet niebrigften ©chmingungggefchminbigleit 
für bie ©rfdjeinung ber molecülaren ©emegung, bie mir alg 
2idjt bezeichnen, entfpridjt. ©ei znnehmenber ©tärle beg 
eleltrifdien ©tromeg, mag fo oiel heißt mie: bei größer merben ber 
©nergie, meldje bie Waffetheilchen in höhere ©djmingungg* 
perioben bringt, mirb bag Sicht fämmtliche ©tpaljfen beg 
©pectrumg burdjlaufen, big ber Draht in ffolge ber gleich» 
Zeitig ftarfen ©rhi^ung fdjmelzen roirb. Sft biefe hier fo 
furz mie angängig gefdjilberte Sidhtentftehung auch ber ©in* 
fadhheit megen oon ber ©leftricität auggeheni) gefefeilbert, fo 
lonnten mir ung biefeg befehalb geftatten, toeil eg fid) zunädjft 
nur barum hanbelte, bag SBort Sicht zu erllären. 


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374 


Die töegtnroart 


Nr. 24. 



Ter „ftrahlenbc 3 u ftanb", wie mir mit GroofcS baS 
2eucE)ten einer SRaterie bejeidjncn fönnen, ift alfo ber Uv» 
fad)e nad) eine eigenartige Bewegung ber fleinften Waffe- 
theilcpen; ber ©irfung naef) bic iuirci) biefe Schwingungen 
im Sletfjer erregten ©eilen in ihrer ©irfung auf unferc Sicß» 
fjaut beS 2lugeS. ©ie uer^ätt fiep eS nun mit bem Scudjten 
beS SeucfjtfäferS? ©irb audj Energie ucrbraudjt, um beit 
ftraplenben 3 u ^ an ^ ^ertoorjurufen? Dpne jeben 3weifcl, 
aber mir roiffen uod) meljr, näin(id), baß ber Siußeffect beS 
SidjteS ober beS SeucptapparateS beim Seirdjtfäfcr ttacti Der* 
fepiebenen Angaben 90 bis 95 °/ 0 ift — unb mie »erhält eS 
[ich mit unferen heutigen Sicpterzeugern ber Tedjnif? 8 °/ 0 
ift ber pöcpfte Siußeffect einer Beleuchtung, mie mir fie bis 
heute im Betriebe E|a6eu, bie übrigen 92 °/ 0 finb für uns 
oerloren, fie uerfdjminben als ©arme, einerlei, ob mir bas 
Sicht auö ©leftricität ober d)emifd)er Ära ft erhalten, 92 °/ 0 
gehen als ©nergie oerloren. TaS Sid)t ift für unS noch 
Ißroblem, oieöeicht gelingt eS je^t, nadjbem man baS ©cfeit 
ber elementaren Siaturfräftc fennt, ein napeju ooUfomnieiteS 
2id)t ju erhalten. 

@3 ift menig SluSfidjt oorhanben, irgenb einen fogc= 
nannten Brenner ju oerooHfonimucn, nicht bcSmegcn, meil 
fid) ber menfd)lichc ©rfinbungSgeift burdj Sahrpunbertc wit 
biefem Problem bcfdjäftigtc, ohne einen größeren Schritt 
qctijan ju ^aben, fonbern meil in einem Brenner jene 
Scpmingungen niept heroorjubringen finb, melche ein uotl» 
fommeneS Sicht barftellcn. Siiebere Schmingungen ftellcn 
©arme bar, unb folche finb nur mit großer ©nergieaufmenbung 
unb als Seitdjtförper mit großem SRatcrialaufmanb ju er» 
halten. ©3 fann nur einen ©eg geben unb biefer ift heute 
böÜig erfannt: man muß einen höheren ©lühgrab ju erzielen 
ftreben. ©in höherer ©lühgrab fommt fchnclleren Schmingungen 
gleich, waS mehr SidjtauSgabe unter 9lufroenbung beffelbctt 
SRaterialS bebingt, unb bas bebeutet auch erhöhten SWu^cffect. 
Tpeoretifri) fönnte man auf biefem ©ege ein nahezu abfoluteS 
Sid)t erhalten, in ber PrajiS jebod) ift hier fehr halb bic 
SRöglidjfcitSgrenje gefteeft. Ter ©lüpförper, ben mir als 
Präger bcS ftraplenben 3 ll ftanbeS ju betrachten hoben, mirb, 
mie oben jener piatinbraf)t, fd)neU fdjmeljen unb fdjließlid) 
oergafen. @S liegt nun fehr nahe, einfad) ©afe in’S ©lühen 
ju bringen, maS, mie man fdjon länget meiß, au fich feine 
Sdpoicrigfciten befißt. 

„Tic finetifche Theorie ber ©afe" — fagt ber befanntc 
Phhfifer ©roofeS — „lehrt uns, baß beren SRoleciilc fid) in 
allen möglichen Diidjtungcu mit großen, aber fortmährenb 
mcdifeluben ©efeproinbigfeiten bemegen unb faft unaufhörlid) 
in gegenfeitige ©oßifionen miteinanber foinmen. Tie ©nt» 
fernung, melcpe jebeS Woleciil juriidlegt, ohne an ein anbereS 
ju ftoßen, mirb freie Bahn genannt, Tie uon ber ©efammt» 
japl ber SRolecüle eines ©afeS unter jebem Trud unb bei 
jeber Temperatur ohne Gotiifion jurürfgelegte ©ntfernung 
mirb als ,burd)fd)nittlicpe freie Bahn 1 bezeichnet. Tie SRole» 
cülc üben nad) allen ^Richtungen piit einen Trud auS unb 
merben bloß burd) ©raüitation uon ihrer ßcvftreuung im 
SRaume abgehalten. Bei ©afen unter gcmöhnlidjem Trud 
ift bie freie Bahn im Bcrgtciche ju ben Timcnfioitcn fcl)t 
flein, unb bie in biefem ßuftanbe an ihnen beobachteten ©r» 
fcheinungen finb bie beS gcmöhnlidjcn gasförmigen guftanbeS. 
©irb aber bie 2lnzapt ber SRolcciile in bemfelben Siaumc 
Ucrminbert, maS fo uiel heißt, als, uerminbert man bic Tid)tc 
beS ©afeS, fo mirb bie freie Bahn ber SRolcciile unter 
elcftrifcpen Swpulfcn berart lang, baß in einer befannten 
3eit bie 3 rt pl 'h rc t gegcnfeitigeit 3ufantmcnftöße, im Ber» 
gleidj mit jener 3 n ht> wie oft fie biefe Uerfchten, unberüd» 
fidjtigt gelaffen merben fann. ©S mirb bemnad) ein SRoleciil 
eine Bahn ohne ©ollifiou jurüdlcgcn fönnen. ©S mirb je» 
hoch nid)t beßpalb eine gerabe Bahn bcfdjriebeu, meil cS auf 
fein Jpinbcrniß trifft, fonbern mopl nur beßpalb, meil feine 
Bewegungsenergie groß genug ift, um eS eine gerabe Sinic 


befdjreiben ju taffen. Unter biefen Umftänben erreicht ba$ 
®aS unter elefrifdjen Smputfen ben ,Ultragasförmigen 3*t 
ftanb 1 . ©in unter eleftrifdjen Sntpulfcn leuchtenbeS ©aS mirb 
als Sichtcrjeuger einen fehr hohen Siußeffect haben. 

Um alfo jene großen Berlufte an ©nergie bei ber 2icpt» 
erjeugung ju umgehen, um biefe, man fann fagen, unbenußten 
SRaturfräfte nußbar ju machen, ift uns gunächft nur ber eine 
©eg geboten: ©leftrifdje ©eilen in Sid)tmellen urnznmanbelii. 
©S hanbelt fich alfo nur barum, eine Slenberung ber (Eigen» 
fdjoftcu ber ©eilen heröorjubringen. SRan fann cleftrifche 
©eilen uon ein taufcnbinillionftel Seeunbe unb fomit ©eDen» 
längen uon 30 Gentimetcr heruorbringen. Tic ©eile eines 
2id)tftrahlS ift im Wittel jeboch nur 0.00005 ©entimeter, 
fie ift alfo 600.000 fleiner als jene eleftrifche ©eile. Ge 
haubett fid| alfo nur barum, ben Apparat ju erfinnen, mit 
beffen ©inrichtung eS möglich gemacht mirb, biefe Umiuaub» 
lung ju errieten. 

21 uf biefem ©ege ließe fid), mie TcSta nachgemiefen hat, 
eine flamme hrrfteUen, in melri)er fein SRaterialUerbraucf) 
ftattfänbe; unb maS für eine fonberbare glamme mürbe c? 
fein, ^ebenfalls märe fie ftarr. ©S mürbe nämlich biefer 
hohen B3cd)fclsahl bie Trägheit ber fleinften SRaffctheifchen 
in’S Spiel fommeit. 9lad)bem bic Sichterfcheinung, ober bic 
glömme, ihre Starrheit in golge ber Trägheit ber Theddcn 
erlangen mürbe, mürbe ber 2luStaufch berfelben uerminbert 
merben. Tiefes Stabium mürbe beßhalb eintreteu, meil ba» 
burch, baß bie Slnjahl ber Smpulfe uermehrt mirb, bie poten» 
ticlle ©nergie eines jeben berfelben uerringert mirb, cS fönnte 
alfo nur eine atomifdje Bibration exttfteljen fönnen. Ter 
fRuhcffect einer gemöhnlicheit gfamme fönnte auf biefem ©ege 
bis ju einem gemiffen GJrabe erhöht merben. 21 ber bic Gr» 
neuernng beS Stoffes mürbe fdjmicrig merben, maS bod) 
leßt zur ©rhaltung ber glammc nothmenbig ift, unb fd)ließ» 
lid) mürbe fie erlösen, uorauSgefeßt, baß man barunter baS 
2luSfcßen beS djemifdhen proccffeS uerfteht. 

©irb eS einft, auf biefem ©ege mciter arbeitenb, möglich 
merben, bic uitbenüfcte, ober beffer gefagt, bic bei ber Sicht» 
erjeugung Oerloren gehenbe ©nergie nußbar ju machen, fo 
mirb offenbar ein großer Schritt nad) uortuärts gethan 
merben. 

?(bcr bie Technif hat noch ein fotdjeS SdjmerjenSfinb, bic 
Tantpfmafd)ine. Profeffor Oftmalb fagte einftmats in einem 
Boitrage: „SRan oergegenmärtige fid), maS für ein unoolb 
fomnteneS Ting noch tu nuferer 3«it ber hochftehcuben Technif 
bic mcfentlichfte ©nergiequelle ift, beren mir uns bebienen, 
nämlich bic Tampfmafchine. Bon ber oerbrennenben ftohlc 
erhalten mir in ©eftalt med)anifd)er Arbeit im allerbeften 
galle nidjt mehr als 10°/ o (biefer ©erth ift für heute aller» 
bingS nießt mehr ganj jutreffenb, man baut heute Einlagen, 
bie, uou uerftänbigem Perfonal bebient, 14 —15 °/ 0 Icijten 
fönnen. Ter fRef.) ©ir miffen heute allerbingS, baß eS nicht 
möglich ift, ade ©ärme in mechauifd)e ©nergie umjufehen, 
aber mir fönnen annähernb ben Brud)tf)cil berechnen, ben 
mir aus einer gegebenen ©ärmemenge uon gegebener Tempe 
ratur erhalten fönnen, menn mir fie auf eine anberc, gleich» 
falls beftimmte Temperatur abfinfen taffen unb auch m 't 
9?iidfid)t auf biefen Umftanb finben mir noch immer, baß 
mir nur etma ein Siebentel ber unmanbelbaren ©nergie auS» 
mißen. 21 n ber Tampfmafchine als tedjnifchen 2lpparat liegt 
biefcS fläglidje Siefultat nicht, fonbern eS liegt öiclmchr barin, 
baß uon ber h°h en Temperatur beS Brennmaterials, bie 
mir niebrig auf 1000° fräßen fönnen, nur ber aflerfleinfte 
Tßeil auSgenußt mirb, nämlich ber jmifdjen ber Temperatur 
beSÄeffelS unb ber beS GonbenfatorS. Terganje riefige Tempe» 
raturunterfd)ieb jmifcheit bem Ipeijraum unb bem fieffet 
geht oöllig uerloren; eine Berbefferung ber thermobpnamifchen 
3Rafd)iuen ift nur auf bem einen ©ege möglich, *>aß man 
bei höheren 2lnfangStemperaturen arbeitet. 2(bet bie thermo» 
bpnamifepen Sliafcpinen finb niept bie einzigen, bie eS giefit, 


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Nr. 24. 


Dte Gegenwart. 


375 


unb Temperaturen Oon 1000°, bereu praftifd)e §anbhabung 
allerbingS (eine einfache ift, finb nicht unumgänglich- TaS 
SWajimum ber Snergie, bie man auS irgenb einer Umroanb* 
(ung gewinnen tann, ift theoretifdj ganj unabhängig von bein 
SBege, auf meinem bie Umwanblung erfolgt. Rönnen mir 
atfo bie dhemißhe Energie beS Brennmaterials auf irgenb 
eine anbere SBeife, bei ber SBärme nicht in f^rage fomnit, 
in mect)anifc£)c Arbeit oermanbeln, fo finb mir an bie unbe* 
quem hoffen Temperaturen nicht gebunben unb tönnen ben 
ganjen Betrag geroinnen." ÜBäre atfo eine falte äjemifdje 
Verbrennung ber Rohle möglich, b. h- mürbe man ein galoa* 
mfdjeS ©tement conftruiren, roeld)eS aus Roßte unb bem 
©auerftoff ber Suftbeftänbe unb oielleidjt einem billig erfef}* 
baren ©leftrolpten, fo märe baS (ßroblem ber SBärmeauS* 
nußung ebenfalls entgiltig getöft, fobatb bie gerooitnene clef* 
trifte Energie nur in einem annehmbaren Berhältniß jur 
aufgeroenbeten SBärmemenge ftctjt. (Sin folcfjeS (Stement märe 
genau einem Dfen, eS mürben Roßte unb ©auerftoff jugefütjrt 
werben müffen unb Roßlenfäure mürbe als SBei^felprobuct 
entweichen. Tiefem großen Problem ift bis h cu te jebenfaHS 
Dr. BorcßerS am näcßften gefommen. (Sr felbft fagt: „TaS 
Refultat ift aud) mit meinem (Stemente bis ß eu te noch fein 
günftigeS ..., aber ein Nußeffect non 27°/ 0 beS ©lementcS 
läßt fich ermatten. 93ei Benußung eines ©afeS, unter beffen 
brennbaren Beftanbtßeiten außer Rohlenojßb aud) SBaffcrftoff 
unb Roßtenwafferftoffe Oorfjanben finb, fdjeinc bie SBirfung 
eine noch günftigere ju fein. 2se nachbem man ben minbeft« 
ober höchftmcrthigen bieferBrcnnftoffe su ©runbe legt (nämtich 
ber (Berechnung beS NußeffecteS ber Vorrichtung), mürbe bie 
SleftricitätSaitSbeutung swifeßen 38 unb 26°/ 0 ber oorhan* 
behen (Snergie liegen 1" TaS ift boch menigftcnS eine (Sr* 
muthigung. 

®S ift fidjer, baß mir heute Oor ben ©tufen einer groß« 
artigen ©tflimmung ber ßöcßften Probleme ber SBiffcnfcßaft 
ftehen. Tie oollfommcne (Srjeugung t»on 2id)t, bie Nuß« 
tarmaeßung ber SBärme mit höherem Nußeffect, als bisher, 
wirb auf ben genannten SBegen jebenfalls gelingen. 9lud) 
bem Thermoelemente mirb mit ber 3«t eine praftifche ©teile 
in ber Tedhnif jugemiefen merben. (Siehe Nr. 4 ber „©egen* 
wart"). <SS finb gewaltige unbenußte Naturfräfte, bie unS 
jur Verfügung ftehen, aber teiber finb mir bis heute noch 
gejwungen, 95°/ 0 berfelben als SBärme unbenußt ju 0 er* 
lieren. 


Literatur unb 


Die ®etge als tnoberttes ^oloinflrutnent. 

Bon Ejetmng oon frieblaenber • Übel. 

UZerfmürbig, eS giebt wirflich SNenfcßen, jufunftSmufi* 
falifche, bie fich mit ber ©eige auf SebenSjeit terbinben. 
Unb eS giebt roirflich ©chriftfteUer, sufunftSliterarifcße, bie 
Bücher über bie ©eige feßreiben, als gäbe eS noch gar feine 
einfcßläjjige Siteratur. TaS ift eben eines ber ewigen Themen, 
Wie etwa bie Siebe. Ter englifdje Neoerenb, 2 Jir. Ramels, 
ift freilich fein moberner Siterat. Tennoch entfprußt fein 
Buch „Music and Morals“ (beutfeh oon SBorfßarb, rebactioneU 
bearbeitet oon Sllejanber WoSjfomSfi) ben Bebürfniffen 
beS TageS. (Sin barin enthaltener 9lbfcßnitt „SnftrumentaleS" 
ift fogar oon ftarfer ltnmittelbarfeit. 9Nan fpürt noch bie 
SBärme beS fünftterifchen ©rlebniffeS unb befommt baS SBort 
frifch Oom ©inbrud weg. Namentlich für bie Befonberßeiten 
ber Snftrumente finbet Ramels bie feinften unb tiefften SBorte. 
Seine gäßigfeit, in ben ©eeten ber Oerfchiebenen Snftrumente 
ju lefen, ift fo groß, baß er 3 . 93. bie ^ßfhchologie ber Warfen 
unb ©laöiere genauer fennt, als mancher Warfen* ober ©laoier* 


fabrifant. Unb über ©locfen hat er eine grünbliche ©tubie 
gefchrieben, bie Oon einem ©lodengießer fein fönnte, ber ju* 
gleich e * n ©dhriftfteUer ift. 9lm ftärfften sieht eS aber Ramels 
3 ur ©eige. Ter Oerftedte ©inn feiner fuperlatioen Nebe 
lautet eigentlich: ©ine ©eige ift mehr roertß, als ein SNenfcß. 
SRenfcßen finb erfeßtid), ©eigen nicht. Tie ©eige ift über* 
haupt baS Sncommenfurable. Sie ift göttlich in ihrer BoQ* 
fommenheit: ein ooin £>immcl gefallenes 9Rirafel; fie ift 
menfcßlidh in ihrer 93erftimmungSfähigfeit: ein SBeib mit ben 
Saunen eines 9BeibeS. Nach §amels giebt eS neroöfe, ja 
fogar ßhfterifcße ©eigen. ©S müßte baher eigene ©eigen* 
curorte . geben unb Therapeuten, bie bie Rranfßeiten ber 
©eigen {feilen. 

SBaS übrigens Ramels am meiften entjüdt, baS ift bie 
©eige an fich, i )a§ Snftrument fdjlechtweg. 3 n ihre 9ln* 
betung oerfunfen, mirb er IjeUfic^tig unb tiefblidenb, impulfio 
unb inftinctio, mirb er, mit einem 9Bort, sum Sünftler. 
Natürlich fennt er bie SBreScianer unb Sremonefer SReifter* 
Werfftätten grünblich. 9tm tiefften ift er aber in baS Seben 
unb SBirfen beS 9lntoniuS ©trabioariuS eingebrnngen. TaS 
mar nämlid) ber ©röfete oon Men. Ter grofje ^olsmenfdh 
mit jenem rounberbaren ^olsinftinct, welcher nachgerabe oötlig 
auSgeftorben ift. Unb nun fchilbert Ramels eine ©trabioari* 
©eige mit beinahe bichterifjhem ©dhmung. 9Belche ßierlidjfeit 
ber 9Bölbungen unb ©inbiegungen! ruft er. 9Bel<he ©lätte 
beS föolseS, welche ©pmmetrie ber ^=Söd)et! Unb ooüenbs 
ber girnip! Tiefer weltberühmte Sad, ber baS §013 00 t 
3 euc|tigfeit unb jäuluijj fd)ü 6 te. @r lag batauf, „mic eine 
Schicht burchfichtigen 9ld)ateS", man fonnte in ihn hinein* 
fehen, roie in ben ©chatten beS oon ber ©onne befdjienenen 
SBaffetS." Seiber hot ÜJieifter 9lntoniuS fein ©eheimnifj nicht 
einmal feinen ©djülern Bergonsi unb ©uarneri anoertraut. 
9Bohl aus bem ©runbe, Weil er bie „SNifdjung" unb auch 
baS „©hftem" ftets oon Neuem fdjuf, immer aus ber 
Stimmung beS gegebenen 9(ugenblidS herauS: in jenem 
munberfamen 3 u fmnb t)ellfe^erifcf)er Sölinbheit, ber eigentlich 
eine wohlige Trunfenheit beS ©eifteS ift unb ben man 
Snfpiration nennt. 

91 ber aud) ohne Ramels, gans objcctio gefehen, mar 
©trabioariuS ber größte ©eigenbauer aller 3 c i tcn ' mar 
eigens geboren, bie ©eige auf bie höd)fte ©tufe 31 t heben. 
Ta 3 u befaß er bie ftarre ©infeitigfeit beS ©enieS, bie ihn 
für jeben SebenSgenuß untauglich machte. @r mar gepansert 
gegen Siebe unb ipaß, ja gegen baS unenblidje §eer ber menfd)* 
li^en Seibenfdhaften überhaupt, ©in Uebermenfch Oor ©oethe 
unb Niehfcße, eine Uebernatur, bie einem allmächtigen Triebe 
alle anberen opferte, ©iner jener Tprannen beS Schönen, 
Wie fie bie Nenaiffance hecoorbradjte unb bie Mtife. „ 3 h m 
mar bie SBelt nichts, als eine große SSerfftatt," fchreibt 
Ramels. Unb bie ganse ©djöpfung bebeutet ihm nur ein 
großes SNagasin für ©eigenbeftanbtheile. 

MeS in 9lUem ein gewaltiges ©djaufpiel. ©ine hödhfte 
BoHfommenheit mirb erreicht, bie oor faum mehr als hunbert 
Saßren höchfte Unoollfommenheit geroefen. ©aSparo ba ©alö 
in öreScia legt bie erftc §anb an, 9lntoniuS ©trabioariuS 
in ©remona bie feßte. Tasroifchen liegen bloß hunbert 
SSaljte. Äinbheit, Sugenb, Neife: ©d)lag auf Schlag. Tann 
nichts mehr, ©in Häuflein ©pigoneu, baS fid) erfolglos müht 
baS 3 fl ubermort 3 U finben, baS ber 9Neifter niemals aus* 
gefprodjen. 9ludh ©oethe i»at fein Necept hinterlaffen, roie 
man einen „fjauft" fchreibt. 

Snbeffen bauert baS ©jperimentiren fort. Seben Tag 
, erfinbet Semanb eine unfehlbare SRethobe neue ©eigen 3 U 
machen, bie gans ult Hingen unb läßt fie fogleicjj patentiren. 
Tiefe ©opiefüdjt hat fogar berühmte Birtuofert ergriffen, unter 
ihnen §enrp ©chrabied, ber mit ©ifer ben ©eheimniffen bet 
©remonefer nacßfpürt. Unb bie ÜReiftcrfchaft beS berühmten 
Beriot im Smitiren oon N!aggini*©eigen ift ja befannt. 91 (S 
SNufter benüßte biefer feine eigenen foftbaren SNaggini’S, bie 


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■ t*-“j 


1 


376 


■Die töegentoart. 


Nr. 24. 


fpäter in ben ©efiß beS ©ringen oon Sfjirnat) öberginflert. 
Unter ben eEperimentirenben ©eigenbauern ber ©egenmart 
ift ber ©Heiter Sari 3od) einer ber maghalfigften. St ift ber 
SRarfchaB ©ortoärtS, ber immer nach rüdmärtS blidt. 3 a( § 
behauptet nämlich ernft^aft, baS große SRät^fet enträtselt gu 
haben. ?lmati unb ©trabibari feien enttarnt. Das fei gang 
einfach gemefen, toie fchließlicf) alle großen Dinge. ©iSljet 
habe man baS §olg ber ©eigen gu entßargen gefudjt, moburch 
biefe fogufagen anämifch mürben, benn §arg fei baS ©tut 
beS $olgeS. Seßt flirre er, 3 QC h< umgete^rt bem §olge §arg 
ju. Voilä. ©eine SBiener ©eigen Hängen, mie bie ätteften 
aus Sremona. Der Srfolg h fl t freilief) gegeigt, baß bie 
©irtuofen bie guten unb billigen 3och’fd)en ©eigen nur fo 
lange benußen, bis fie bie SWittet hoben, fid) alte Stolienerinnen 
gu taufen. 

Unb nun fragen mir: Sft eS überhaupt gtoedmäßig alte 
©eigen nachgumadjen? SS fällt bocß fRiemanben ein, ein 
©irginal ober ^arpfießorb gu copiren. SRan mirb uns barauf 
antmorten: ©irginal unb ^arpfiefjorb finb tobte Snftrumcnte, 
bie ©eige aber ift lebenbig; in iEjrer Unmanbelbarteit, bie 
ben Sahrfjunberten troßt, bietet fie baS ©ilb geßeimnißootler 
SebenSfraft: fie ift ©erfaßt unb SRacßtomme gugleicß- Darauf 
entgegnen mir: ©etoiß ift bie ©eige lebenbig: als ebelfteS 
unb unentbeßrlicßfteS ©lieb beS DrcßefterS nämlicß. Sßrc 
concertirenbe Signung geht aber hier Ooüftänbig unter; fie 
tritt djorifd) auf, als SRummer unter ÜRummern. ÜRiemanb 
mirb eS einfallen im Drcßefter lauter foftbare italienifc^e 
©eigen gu berroenben, außer oiclleidjt einem SröfuS, ber 
©anberbitt heißt, ober Slftor, ober ©outb. DaS liefe auf 
einen mißglücken ©erfucf) hinaus. DiefeS ©robuct geheim* 
nißüotler langtoicriger 3 uc ht ift oon ben großen äReiftern 
nur als Singelinftrument gebaut morben. Da eS aufßört, 
foliftifdj etmaS gu bebeuten, lohnte eS aud) niefjt SniitationS* 
fabrifen gu errichten, baS ift, mirthfchaftlid) genommen, bie 
reine Straftoergeubung. Denn täufdjen mir unS nidjt: bie 
©tunbe ber ©eige als ©otoinftrument fcßlägt beutlicß. Sie 
mirb immer mefjr oom Slaoier begmungen, beffeit gigantifdje 
SRecßaiüf ben SjpanfionSgelüften ber Somponiften oon heute 
ooKfommen entfprießt. Die ©eige ift eine ©ettlerin im 
©ergteieße gum mobernften Slaüier, beffen Umfang unb 
macf)fenbe Donfütle ben ©runb gu einer neuen Slaoiertecßnif 
gelegt ßabeit, beren ft'ern eine auöbrudSootle ©olßphonie ift. 
Dagu meßren fid) bie ©erbefferungen oon Soßr gu Saßr, 
benn bie Sfaoierbauerei fjat fid) bie finbigften Äöpfe erobert. 
§ier ift 3 u ^ un ft • bis auf SBeitereS. Die ©arole oon heute 
unb morgen lautet: Donfütle unb SReßrftimmigfcit. Die ©eige 
aber mar oon Oornßerein gebadet als inftrumentale SRenfdjen* 
ftimme gleidjjam, als vox hnmana, bie in ißt ßölgerneS ©e» 
ßältniß geborgen, allen .SRäcßtcn beS ©erfaUeS troße. DaS 
mag ungefähr ber buntle Draum beS alten ©aSparo ba ©alö 
gemefen fein, ber bann immer beutlicßer ©eftalt gemann. 
SSenn einer ber großen ©reScianer ober Sremonefer feinem 
ßUnftmerf eine „©ebraucßSanmeifung" beigefügt hätte, mürbe 
er barin üor ?UIem bie ©olßpßonie oerboten ßaben, als 
©egücßt beS Teufels, ©olhpßone ©tiiefe auf ber ©eige 
machen nodj tjeute ben Sinbrud oon meßr ober minber miß» 
gtüdten ©erfudjen. ©elbft bie berühmte „Sßaconne" oon 
©ad) nimmt fief) auS, mie ein intereffanteS unb — ebenfalls 
mißgliidteS Sjperiment. ®enn bie SRecßanil beS SnftrumenteS 
geftattet eS nid)t einmal, mef)rftimmige ülccorbe gu gleicher 
3cit anguf^tageu. SBie ärmlicß, ja fjöcfjft armfetig nimmt 
fi^ baS 3lrpeggiren auf ber ©eige auS! Unb mer !ann fieß 
rüfjmeit, eine ootlfommen reine Steife oon Doppelgriffen ge» 
ßört gu ßaben? SBir ßaben ©aganini nidjt gehört, aber feine 
3citgenoffen rüßmen bie ©ic^er^eit feines boppelgriffigen 
©pieleS. 316er ©aganini mar ein ©ßänomen unb entgießt 
fi(^ bafjer bem gemößnlid^en ©rabmeffer. SBenn gegen einen 
©aganini, ber Doppelgriffe rein fpielt, eine Segion bebeutenber 
©eiger geugt, bie fämmtlid) Doppelgriffe unrein fpielen, fo 


ift baS ein SemeiS für bie fpecififdje Untauglidßfeit beS Sn» 
ftrumenteS. Äein Somponift oon ©ebeutung Ijat auf ber 
©eige Doppelgriffe als befonbere ©djßnljeitSmittel angemenbeL 
Siner ber gefdjmadöodften Somponiften feines SnftrumenteS, 
©ieujtempS, ßat feine reigenbe Dcc^nif nur menig mit Doppel» 
griffen befdjmert. Sie bilbeten nur baS ©erüft für ben gier* 
lidjen ©affagenfdjmud, ber an geeigneter ©teile bie Santilene 
unterbrach- 

^)ier loßnt eS fid), auf ben 3 e itP un ft gurüdgubliden, ba 
bie ©eige baS ©chooßfinb ber fpeculatioen Sföpfe fein tonnte, 
©ie lag ba, bereit, fich üerebeln, oerbeffern unb Oerfchönern 
gu laffen. SBelcher ©chmauS für ©enieS! Unb als fie bann 
ein OotlfommeneS Äunftmert gemorben, mefdje Donfüüe für ba* 
malige Dhten! Unb abermals: Sßelche reigenbe fjorm, bie bie 
©eige gum unentbehrlichen fRequifit ber SRaler merben ließ. 
SS entftanb jene Ungaßl geigenber ©föndje, Snget unb grauen, 
gange ©alerien über baS Dhema ©eige. SS entftanb auch 
bie hochberühmte itatienifche ©eigerfdjule, mit SoreKi, „bem 
QrpheuS ber ©eige", an ber ©piße. Sr bilbete ©thöler, 
mie ©eminiani, SocateQi unb ©omiS. Unb Seßterer tourbe 
mieber ber Sehrer ©ugnani’S unb biefer mieber ber ße§ro 
©iotti’S u. f. m. Die Sompofitionen biefer Söieifter geigen 
fämmtlich baS feinfte ©efüht für baS, maS man ben ®eift 
beS SuftrumentS nennt, ©ie feßrieben nicht eine ÜRote, bie 
nießt geigenmäßig mar. Unb ba fie gumeilen ftärtere SBir* 
Jungen oertangten, als bie tonarme ©eige teiften fonnte, er* 
fanben fie fid) bie Concerti grossi, bie gleich einen ©ßor 
oon ©eigen iit Slction feßten. Damals, gegen Snbe beS fieb* 
geßnten 3ah r ^ un bcctS, alfo gu einer 3 e ^ mit mingtgem 
Äiangbebürfniß badjte fein Somponift baran, eine ©eige allein 
mit einet ©ruppe oon Snftrumenten dämpfen gu laffen. 
SRan nahm gu biefem 3>oed minbeftenS brei ©eigen, bie man 
bem Sßor ber übrigen ©ogeninftrumente gegenüberfteüte. 
Die Concerti grossi roaren halb ber tägliche ©iffen örob 
großer Somponiften. §änbel unb ©ach benußten biefe gornt für 
ißre heften ©ebanfen, mie fie auch P ^ en fielen „Siaconna’S", 
beren ©orbilb Slntonio ©itali’S „Siaconna" gemefen, gahtreidje 
neue hinjufügten. ©iel früher maren bie berühmten Polies 
d’Espagne oon SoreUi SRufterftüde ihrer ?trt. Soreüi’S 
Santilenen geigen gang befonberS ben frönen runben Sontour, 
jene itatienifche ©chönheitstinie, bie bann in granfreich unb 
Deutfchlanb fo getreu nadhgeahmt mürbe. Der größte beutfdje 
©eiger unb ©cigencomponift, SouiS ©pohr, mar ein birecier 
SRacßfomme ber Staliener, unb Siotti, ber ©chüter beS Ultra* 
italienerS ißugnani mar ber ©rünber ber frangöfifeßen ©eiger* 
fdjule unb Sehrer ber Ultrafrangofen Streuger, ©aillot unb 
Üiobe. 

Sn biefe feßöne gotgeri^tigfeit fiel eines DageS ©aga= 
nini. SBie ein geuerftern fchoß er nieber auf eine aljnungS* 
lofe SBelt, ber feiner Unerljörtheit ben Sltßem benahm. Sn 
biefer allgemeinen Uebertriebenljeit thaten ©poljr’S gemäßigte 
3luSfprü(^e hoppelt mohl. 3tlS ©eigenpotentat mar ©poßr 
nämlich oerpflichtet, feiner beutfehen 3Witmelt über ©aganini 
etmaS oorguorafeln. Sn feiner ©etbftbiographie hot er biefe 
Sinbrüde feljr genau oergeichnet. 3luS biefen gepflegten, ßöf* 
tidtjen Urtheilen meßt eS feßr füßl heraus. Äein SBunber übrigens, 
benn eine SBelt lag gtoifcfjen ©eiben, ©poßr, biefer Dtabi* 
tionclle bureß unb burd), ber gortpflanger oon Sterbtem unb 
Ueberfommenem, fonnte ©aganini, ben fjohnfpredjer aller 
©djulmeisheit, biefen Srgfubjectioen unb oor SlÖem ©ug* 
geftioen, ben erften 3 u ^nnftSmufifer auf bem'iSnftrumente 
ber ©ergangenßeit, meber begreifen noch nach feinem SBertfje 
fdjäßen. Sigentlid) mar ja ©aganini ein ©ielgufrühgeborener 
mie ©oetße. ©eine Slerüenbefdjaffenheit unb feine ungeheure 
fuggeftioe Straft hätte gu anberen feiten gang anbere Dinge 
bemirft. Slber felbft in einer geit ber füßlen flbftraction 
unb ber erftarrten Sehrbegriffe ßot ©aganini auS feinen 
IReroen heraus gefiegt. ©eine Driuinphe maren lauter SferOen* 
triumpße. Sin ©aganini Oon heute mürbe übrigens gar nießt 


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Nr. 24. 


Ute töegetttoart. 


377 


Sioline fpielen, fonbern etwa« weit ÜJfobernere« tßun, j. 93. 
einem Sarbeß b’Mreoißß ober b’Slnnunjio ÜWobell figen ju 
ein paar gefpjenftifc^=fc^aurigctt Stomancapiteln, in benen e« 
mögiidjft pfßtßopatßifcß juginge. Ober er Würbe ©eigen 
bauen, bie unferen moberneu Slangburft befriebigen tötinten; 
er würbe ein Donfucßer unb ginber fein, ein genialer teufet, 
ben mir aber gar nießt al« Teufel empfänben, fonbern bloß 
al« ©enie. 

SBir haben früher toon ©poßr gefproeßen, al« beni 
größten beutfeßen ©eiger unb ©eigencomponiften feiner 3eit. 
Sn ber Dßat ßat ©poßr bie Seben«jeit ber ©eige beträchtlich 
erweitert burch f e ' n claffifcße« ©piel unb bureß 3°^ unb 
SBertß feiner Sompofitionen. Snbem er unaufhörlich ben 
uoHen ©tront feiner Srffnbuitg auf bie ©eige nieberfprubeln 
liefe, fchuf er ein mächtige« ©tnef claffifdjer ©eigenliteratur. 
©eine 3 e * t fl e noffen Mbrea« Nürnberg unb SWaurer oer* 
fchwanben neben ihm; granj 93enba, Quanj unb ©taniig 
oergafe man feinetwegen. ©o grofe war fein Sinflufe, bafe 
fiep an folibem Stußm mit ihm nur Martini rneffen fann, 
beffen 93ogen brei SReidje heßerrfeßte, beffen 93eifpiel in ber 
ganjen 9Be(t Nachahmer fanb. Unb nun muffen wir e« er* 
leben, bafe ©pohr’« ungeheure unb, wie e« fchien, unerfeßütter* 
licfee Popularität langsam oerfiefert, währenb Paganini ton 
Steuern aufjuglänjen beginnt. Sft ba« nicht fpmptomatifcß? 
©ewife. S« beweift, bafe ©poßr bie natürliche ßeiftung«* 
fähigfeit ber ©eige in jeber Stiftung erfchöpft hat unb bähet 
hier nicht« weiter ju thun übrig blieb. 23äre bie« möglich 
gewefen, fo hätte unbebingt Soacßim ©pohr’« Stachfolger 
werben müffen. Smmerßin ift e« ein unermeßlicher ©lücf«* 
faß, bafe fo fpät nach Paganini noch ein Soacßim möglich 
würbe, ein SJtann, ber bie Srvungenfcßaften ber italtenifcßen, 
franjöfifcßen unb beutfeßen SWeifterfcßufen in fieß oereinigte, 
um mit beren 3J?it£)ülfe eine neue perfönlichfeit ton inbioi* 
bueUftem Dteij ju formen. Soadjim war bie Statur, in bie 
alle alte ©eigencultur einmünben fonnte, wie in ein natür* 
liehe« Sett. 90? it ©cßägen ton Sergangenßeit beloben, blieb 
er bodj immer ©egenmart unb 93ehorcher ber ßufunft. 9Ba« 
et erhorchte, hat er beutlich auSgefprocßen burch bie Stiftung, 
bie er feinen ©cßülern gab, unb ber er in fpäteren Sohren 
felbft folgte. Soacßim ljat ffcß auS ber flachen unb beengten 
Sirtuofenfpßäre aümälig jutücfgejogen auf ba« ©ebiet guter 
SDtufif, bie er aöerbing« in ben legten Saßrjeßnten nur im 
Sereicß ber Äammermufif fanb. Sr mürbe nießt nur §aupt 
ton Quartetten, er würbe in erfter Sinie Ouartettfpielet, 
mit gelegentlichen 9lu«flügen in ba« foliftifcße ©ebiet. Da« 
war nur natürlich, benn Soadjim war ton |>aufe au« ein 
}u guter SOtufifer, um ben SerfaH ber SSiolintirtuofität nießt 
ju bemerfen. Defeßalb füßrte er feine beften ©djüler rafcß 
unb fießer ber Sammermufif ju. Die beften Quartettfpieler 
finb entweber ©cßöler Soacßim’« ober bodj ton feinem ©eift, 
feinen Slnfcßauungett beeinflußt. §ier ift Seben, bewie« ißnen 
ber SJieifter, benn hier ift eine lebenbige Siterat ur. 

©o geljt ba« ©otogeigenfpiel feinem Snbe entgegen au« 
Sftangel an einer neuen Siteratur. Die Sirtuofen befcßul* 
bigen bie Somponiften, bie nießt« für bie ©eige fdjreiben, 
benn Soncertc ton 93rucß unb ©olbmarf, ein paar ©tücfe 
ton ©aint*©aen« bilben jufammen nocij feine Siteratur. 
©ie Sille benfen nießt au« ber ©eele ber ©eige ßerau«; fie 
fdjreiben Dinge, bie oft ber reine Serratß an ber ©eige finb. 
SBenn man fie befcßulbigt legen fie äße ©djulb auf bie ©eige 
felbft 9ßie foH man für ein Snftrument fdjreiben, heißt e«, auf 
bem man nießt mobern fein fann, oßne mifeflingenb ju werben? 
Die ©eige fegt bem feßaffenben SKufifer ton ßeute ©cßranfen 
entgegen, bie um fo unüberfteiglidjer finb, al« fie ben fReij 
unb Sorjug be« Snftrument« bilben. Die guten Däne ber 
©eige woßnen fo enge beifamnten, in ben mittleren Sagen, 
bafe bie SEBeitgriffigfeit, biefer tornehmfte Srwerb ber SWobernen, 
ton felbft au«gefcßloffen ift. Da« wußten bie älteren Som* 
poniften feßr gut unb unternahmen nießt« gegen ben ©eift 


be« 3nftrument«. ©ie gingen Weber ju ßodj hinauf, noch 
ju tief hinunter: fie mieten fowoßl bie ©cßnart* al« auch 
bie Duietfcßregion. Der Srfte, ber ben ©egenfcßlag füßrte, 
war ber Decabent Paganini. Sr ift auch ber Sater aller 
Decabenten geworben, ton ©itori, Die Sufi unb — ©cßcller 
bi« Sefar Dßomfon, San Äabelif u. 91. m. paganini’« ßal«* 
breeßerifeße Sfünfte, bie angeblich eine ^Bereicherung unb Sr* 
Weiterung bebeuteten, waren fämmtlicß gegen bie ©eige ge* 
rießtet. Sr war ißt geinb, ber fie ju fatanifeßen Seiftungen 
jmang: ju Doppelgriffen, benen ißr jarter Sau nießt ©tanb 
ßielt, ju glageoletteufeleien, bie einer ganjen ©eneration ben 
Süßem oerfeßlugen, ju paffagen, bie weit über bie Seiftung«» 
fäßigfeit ber Slpplicatur ßinau«gingen, enblicß jur ftnnlofen 
Stacßaßmung ber terfeßiebenften Snftrumente. Diefer Snju« 
an Dedjnif, bie feinem Sebürfnife entfprang unb ju feinem 
mirflicßen gortfeßritt füßrte, wa* ba« erfte 3 c ‘^ en i ei, e« 
Stiebergange«, ben bie SEßelt fegt mit anfießt. Sin eble« 
Snftrument geßt feiner ©elbftßerrlicßfeit oerluftig, bie e« 
burdj brei Saßrßunberte behauptet, um nur al« Dßeil eine« 
©anjen weiter ju leben. S« ift beinahe wie eine Stacß* 
aßmung moberner ©taatenbilbung. Der Äleinftaat geßt unter 
in ber ©rofemadjt, ba« Sinjelinftrument oerliert fieß im 
Orcßefter. Da« beweift eine gefunbe SRücffeßr jum Sfatür* 
ließen, jur Statur, bie. ja aueß nießt ©etbftjwecfe fennt, Dinge, 
bie fieß felbft oerßerrlicßen, fonbern nur ein Unterorbnen, 
ein Sneinanbergreifen, beffen grueßt bie ©efammtßeit ift. 

Sin legte« wuchtige« 2Bort in Dingen ber ©eige ßat 
Sraßm« gefproeßen. Sr fpraeß e«, inbem er fein Siofin* 
concert feßrieb. Sin SBiener ftritifer (Subwig ©peibel) meinte, 
biefe« Soncert fei nießt für, fonbern eigentlich gegen bie ©eige 
gefeßrieben. Da« ift woßl bie grimmigfte Serurtßeilung ber 
©ologeige, bie je gefeßrieben worben. S« war Sraßm« 3'oecf, 
mit feinen hornigen ©eßwierigfeiten bie Spieler abjufeßreefen, 
er wollte parobiftifcß bartßun, Wie feßr ßeügefcßmad unb 
©eigenmäfeigfeit einanber jumiberlaufen. S« ift gelungen. 
Sraßm« ßat mit einem £iebe ben ©tamm umgeßduen, ben 
fcßwädjere ^»äiibe tangfam ©tücf für ©tücf burdjgefägt ßätten. 


ftaUeßraitb als bramatiftßer Stoff. 

SSon (Sottlicb Daum. 

(©«lug.) 

Der britte Stet: Stapoleon« reeßte ^>anb. Der ehemalige 
Sifdjof abfoloirte feine biplomatifcße Seßrjeit. 9Bie er feßon 
bamal« feinem berühmten 9lu«fptudj, bafe bie ©praeße nur 
ein SDtittel jum Serbergen feiner ©ebanfen fei, nacßjuleben 
begann, beweift bie folgenbe Slnefbote. Der fpanifeße ®c= 
fanbte, Sßeoalier b’Sljara, ßatte bureß Seftecßung bie SDtit* 
wiffenfeßaft an einem Oom Sonful unb feinen SKiniftern Daließ« 
ranb unb goueßö ftreng geßeim gehaltenen Project erlangt. 
Die Solijei befam 933inb baoon, unb Dalleßranb’« alter greunb 
goueße wußte nießt« Siligere« ju tßun, al« bie« bem erften 
Sonful mitjutßeilen. Sonaparte liefe feinen Premier fommen 
unb madjte ißm Sorwürfe über ben Serratß ober wenigften« 
bie 3nbi«cretion feiner Slgenten. DaÖeßranb crßolte fieß 
fcßneU Oom erften ©cßreden unb meinte, nidjt« fei leidßter, 
al« Sille« wieber in Drbnung ju bringen, ©ogteieß fußr er 
jum fpanifeßen ©efanbten unb fagte naeß ben übließen gor* 
malitäten, er ßabe ißm ein beibe Sabinette iittereffirenbe« 
Project üertraulicß mitjutßeilen. Sr oertraute ißm hierauf 
Me« an, wa« ber ©efanbte tängft Wußte, fo bafe biefer feinen 
Mgenblicf jweifette, alle mit fo ungewohnter Offenheit ge* 
machten SKittßeilungen feien ebenfo falfcß, wie bie früßer 
erfauften gleicßtautenben Documente. Sr melbete alfo unoer* 
jflglicß bureß einen Sourter naeß 9Jtabrib, bie Dag« oorßer 


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378 


Die ftegettwarl 


Nr. 24. 


abgefdfidten Depefdjen feien als apofrt)Ph ja betrauten. 
DiefeS biplomatifcf)e SBunftftücf pflegte Dadepranb fpäter 
gerne ju erjagten unb mit bem claffifchen ©tat ju befdjliefeen: 

En me däguisant moins je les trompe mieux. 

©S liegt auf ber §anb, bafe burd) foldje Dalentproben 
DaQet)ranb bem erftcn ©onfut roertf)boll würbe. Seiber 
bebfitirte Vonaparte als ©elbftherrfdjer ber SRepublif mit ber 
©rmotbung b’©ngf)ien’S. Dafleptanb Ijat in biefer Dragübie, 
feinem borficf)tigen ©harafter gcmäfe, mahrfdjeinlid) feine 
actibe 9RoUe gefpielt. ^ebenfalls lernte er ben if)m bon 
greunben jugemutljeten SRücftritt mit ben SBorten ab: „SBenn 
Vonaparte fidj eine« Verbrechens fdjulbig gemalt, fo ift bicS 
für mich fein ©runb, mich einer Dummheit fcfeulbig ju 
machen." Von Sena bis Dilfit war er im ©efotge beS ÄaiferS 
unb bie ©eele aller Unterhanblungen. Die SReuorganifation 
bon Stalien unb SDeutfcfjla nb ift fein 2Berf. SBenn Napoleon 
einen fremben Diplomaten auSholen wollte, liefe er ben mit 
allen Reinheiten ber «Sprache unb beS SnftinctS bemanberten 
SRinifter rufen. 3h m tiertraute er feine gefeeirnften ©ebanfen 
unb ißläne an, unb wenn er auch DaUehranb’S ©harafter 
mifeadjtete, fo bewunberte er bis jum Dobe feine aufeerorbent« 
liehen gä^igfeiten. — Die fdjwache ©eite beS grofeen Diplo« 
maten war feine ©elbgier. «Seine h°h e «Stellung betrachtete 
er als eine ©olbminc. ©r war ber Veftecfjung jugänglid). 
©eine ©efätligfeit wollte er nicht nad) ber Drabition in 
DabafSbofen unb VriEanten belohnt haben, fonbern in Hingen* 
ber SRünje. ©raf ©enfft berfidjert freilich, DaHepranb fei 
felbft burefe bie gröfeten ©ummen nicht ju bewegen gewefen, 
feinem §errn fdjäbliche Sntereffen ju begünftigen; er t^abe 
ftetS jum grieben geraden unb auS biefem ©runbe ben S|?olen 
feine Unterftühung berweigert, obwohl ihm bie ©chlachjijen 
hier SRiHionen ©ulben boten, dagegen würben bie fleineit 
beutfdjen gürften, beten ©djidfal in feine Ipanb gegeben war, 
furchtbar gefeferöpft. gür bie Unterhanblungen bon 1806, 
bie ben grieben bon V°fen h er & e *fühden, erhielt er eine 
ÜRitlion grancS, unb er felbft fehlte fpäter bie bon grofeen 
unb deinen 9JJäd)ten erhaltenen „Douceurs" auf fecfejig 
TOiflionen. Napoleon wufete bieS 3lllcS unb liefe eS gefdjef)en. 
Sn SRainj fragte er ben Äönig bon SBürttemberg: „Combien 
Talleyrand vous a-t-il coute?" Vielleicht War ifem biefe 
Habgier gerabe erwünfdjt, um ben fonft jubertäffigen Diplo« 
maten an fid) ju feffetn. UeberbieS bediel) er if)m ben Xitel 
eines gürften bon Venebent, ben XaUepranb mit auffaöenber 
©leichgiltigfeit empfing, „kennen @ie mich nidjt jjoheit", 
fagte er ju ©agern, „fonbern einfach 3Jfonfteur Xaüehranb; 
biclleicht bin ich wehr als eine i>of)eit, bielleicht weniger." 
Slngeblich auS ©efunbheitSrüdfidjten, aber Wie Napoleon auf 
©t. Helena berfidjerte, wegen feanbalöfer Veftecf)ungen, trat 
Xaflepranb nac£)bem Xilfiter grieben mit bem Xitel eines 
Vice«©rofewaf(lherrn bon feinem ißoften jurüd. „C’est un 
vice de plus", fagte fein gleichseitig entlaffener Stntagonift 
gonefee, „dans le nombre cela ne parattra pas". ©lcid)Wohl 
berblieb er im. faiferlidjen SRatfe unb ftimmte, obfdjon er für 
bie Vertrdbung ber VourbonS war, hoch gegen ben fpanifcf)en 
gelbjug, gegen bie Veraubung beS ißapfteS unb gegen bie 
Verbinbung mit bem §aufe Oefterreidj. „äReint man benn", 
pflegte er malitiöS ju fageit, „baS §auS §abSburg fühle fid) 
burd) eine ^eiratp mit bem §aufe Vonaparte geehrt? ©ebt 
ihm lieber feine Vrobinjen wieber". @o fam eS, bafe er ju* 
le^t in llttgnabe fiel unb fogar bie ®rofefammerf)errenwürbe 
wieber aufgeben mufete. «Sein focialer unb fogar politifcfjer 
©nflufe blieb aber nad) wie bor bebeutenb. ©ein «Salon 
würbe halb ju einer 3lrt $of, ber bem faiferlidjen ©oncurrenj 
machte. 3 war hörte er nicht auf, Napoleon unb ben beibeit 
Äaiferinnen bie ©out ju fcfenciben, bod) Napoleon begegnete 
ihm utib feinen Anhängern nur mit bem gröfeten SRifetrauen 
unb 3lerger. Vielleicht entfprang bieS ber richtigen @rfcnnt= 
nife, bafe allen feinen Xfenten bon nun an baS Vleigewicht 


biplomatifcfeer Vernunft fehlte. „Napoleon", pflegte Xattep* 
ranb ju fagen, „war berloren bom Xag an, wo er eine 
Viertelftunbe früher tfeun fonnte, WaS ich bewirfte, bafe er 
eS eine Viertelftunbe fpäter ausführte". 

Vierter Stet: Der SfönigSmadjer. Xrofcig ftürjte fich 
Napoleon in ben ruffifcfeen gelbjug unb berief feinen 
Diplomaten erft, als ber Untergang begann. ©r bot ihm 
baS ißortefeuiUe wieber an, aber nur unter ber Vebingung, 
bafe er fRang unb ©efealt beS Vice=©rofewahlherrn aufgebe. 
XaUepranb erfannte augenblidlich, bafe Napoleon ifen Wieber 
abhängig machen wollte unb antwortete ftolj: „§at ber Saifer 
Vertrauen ju mir, fo foll er mich nicht begrabiren; bertraut 
er mir aber nicht, fo foll er mich nicht anfteQen." @S fam 
; ju heftigen ©eenen. 9?a<h ber ©djlacfet bei Seipjig berfammelte 
Vapoleon feinen «Stab unb flagte Sille beS VerratljS an. 
Dann ging er auf DaUcpranb ju unb apoftrophirte ihn 
folgcnbermafeen: „Unb Sie . . . wefehalb lommen ©ie feer? 
5!)iir Sf) r en Unbanf ju jeigen? ©ie ftellen fidh, als ob ©ie 
jur Dppofition gehörten! ©ie glauben Wohl, wenn ich nicht 
mefer Wäre, würben ©ie baS Jpaupt einer Vegentfdjaft? ©eien 
©ie berfidjert, wenn ich gefährlich erfranfte, fo würben ©ie 
bor mir fterben!" Daüegranb erwibertc mit ber ©tajie unb 
Slufee eines ^öflingS, bet eine neue ©unftbejeugung erhält: 
„©ire, ich bebarf feines foldjcn ©runbeS, um bon £erjen 
ju wünfdjen, 9D?ajeftät möge noch red)t lange am Sebcn 
bleiben!" Napoleon ftu^tc einen Slugenbtid, fufer aber bann 
fort, jehtt Sdinuten lang mit ben ärgften Vcleibigungen gegen 
ihn ju wüthen. ©r befchulbigtc ihn beS VerratpS, beS TOcineibS, 
legte ifem bett fpanifchen gelbjug jur Saft, machte ifen für 
alles Unglüd in fKufelanb berantwortlich unb nannte ifen ben 
iDförber ©nghien’S. Unterbeffen ftanb Xallepranb neben bem 
©amin unb fchüjjtc fiep mit feinem £>ute gegen bie |)ihe 
beS geuerS. @r rührte fein ©lieb, berjog feine SKicne. 
SBer ifen fah, h“ ttc “irfjt im ©eringften bennuthet, bafe ber 
Äaifer mit ihm fpradj. «Sein ewig gleiches ©cfid)t war fo 
theilnahmtoS, bafe nichts barauf ju lefen war; ganj wie 
ÜJlurat bon ifem ju fagen liebte: „3Wan fann ifem h*nteu 
einen gufetritt geben, ohne bafe eS fein ©eficht borne ber» 
ratf)en würbe." 31 iS enbfid) Napoleon hinausging unb mit 
^eftigfeit bie Xhiirc jufcplug, ba ergriff ber gürft ganj ruhig 
ben 3lrm eines Sollegcn unb fünfte bie Dreppe hinab, ©r 
wufete aud) hinter feinem ©chweigen beffer als irgenb Semanb 
feine ©ebanfen ju berbergen. — Durch foldje Auftritte wären 
felbft djarafterfeftere greunbe abgeftofeen worben. DaDehranb 
fah ben „3lnfang bom ©nbe" borauS unb fühlte nid)t ben Ve* 
ruf, fich unter muinen mit begraben ju (affen, ©ein häufiges 
Drängen, um jeben V*eiS mit ben 3tQürten grieben ju fdhliefeen, 
War bon Ulapoleon mit §ohn erwibert worben. Seber Ver< 
jug mufete bie Vebingungen erfchweren unb bie Opfer ber= 
gröfeern. DaHepranb lehrte alfo nach V ar i § jueüd, um ge« 
legentlidj mit ben 3lKiirten ju unterfeanbeln. @r fanbte 
VitrotleS in’S Säger ber Verbünbeten, um ihnen mitjutfeeilen, 
fie würben in VoriS, falls fie nicht gegen gtanfreidj, fonbern 
nur gegen Napoleon Ärieg führten, gute greunbe finben. 
Der Verrath nahm feinen Slitfang. 

Sn V at i^ commanbirte Sofeph im Flamen feines VruberS; 
bereits waren ber ©rjfanjler, bie ÜJfinifter unb biele SRegierungS« 
mitglieber auf SRapoleonS Vefehl nach VloiS gejogen. Die 
Äaiferin liefe burd) bie £>erjogin bon SRontebello DüHepranb 
fragen, um wiebiel Uhr er ebenfalls bafein abjureifen gebenfe. 
„Du lieber ©ott", antwortete ber guefeä, „baS weife id) noch 
nid)t; bie SScge finb überfüllt, aber id) werbe nachfolgend 
Dann begleitete er bie §crjogin bis jur Dreppe, brüdte ihre 
beiben §änbe unb fagte gerührt: „ÜRcine gute §erjogin, feien 
©ie überjeugt, bafe baS faiferlidje V aor öaS Opfer einer 
abfdjculichen Sntrigue ift!" hierauf ging er in feine ©emädjer 
jurüd, um fich J u überjeugen, bafe nichts jum ©mpfange beS 
SaiferS 3ltejanber fehlte, ©ine ©tunbe fpäter fuhr er in 
feinem ©taatSWagen mit ©clat jur Varriere be l’Stoile. 


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Nr. 24. 


Die ffiegemtMtri 


379 


„3f)re Sßäffe", rief bic 2Bad)e. — ,,©d ift ber ©ice=®roferuaf)l= 
Ijerr!" gaben bie Safaien jurüd. — „Sßaffirt!“ — „SRein", 
fagte ber Sßrinz, „id) habe feinen Sßafe unb will bad ©efe|j 
nicf)t übertreten.“ ©r teerte in fein §otel jurüd — ald ber 
U)id)tigfte SRepräfentant öoit granfreich. 

©id jut 9lnfunft bed Äaiferd bon SRufetanb unb rootjf 
auch noch fpäter mar feine SBohnung ber ©ammelpunft non 
catitinarifdjen ©jiftenzen, barunter ber berüchtigte SDlarquid 
SDlaubreuil, ber beim ©injug ber 9lKiirten bad Srcuj ber 
©hreitlegion an ben ©chwcif feines Sßferbed gebunben unb um 
bie ©tatue Napoleons einen ©trid gezogen hatte. 3n bicfcr 
unheimlichen ©efellfdjaft fonnte man wahre SDlörber»©ialoge 
hören. „SEBieniel wollen ©ie für ben ©treid)?" — „3ef)n 
iRillionen." — „Sine Äleinigfeit, wenn cd granfreich bon 
einer foldjen ©eifeel zu befreien gilt!" ©er Sßolizeipräfect 
9tngled niufete SDlaubreuil eine jWeibeutige ©otlmacht aud» 
ftellen unb eilte gleich barauf ju XaHct)ranb, ob er fie 
beim wirtlich befohlen habe. ©er SDlepljifto antwortete mit 
feiner gleichgiltigften SOliene: „SDlein ©ecretär ift nicht ba, 
um und 9luffd)tufe ju geben. 2Bollen ©ie SDlaubreuil arre* 
tiren laffen, fo thun ©ie ed meinetwegen." @d war ju fpät. 
SDlaubreuil War fcttoit auf bem 2öege nad) gontainebleau. 
9tber nicht SRapoleon würbe fein Opfer, fonbevn bie Königin 
uon SEBeftfalen, bie eben burd) ben SBatb ftt’d ©jil fuhr. ©er 
eble SDlarquid bemächtigte fid) ihres ©epädd, ihrer ©iamanten 
uub einiger ©elbfäde mit 84,000 grancö. 

9lm 31. SDlärz 1814 hallte bad §otel ©aint glorentin 
uon ben ©ct>ritten bewaffneter SDlänner wiber; bic ©d)lepp= 
fäbel raffelten über bad Sßflafter bed Ipofed, unb St'aifer 
Sllejanber üon SRufelaub mit feinen Slofacfen unb ber $önig 
uon Sßreufeen mit feinen ipufareit zogen in bie ©hreit* 
halle ein. ©alb eilten auch Stetternich, SReffelrobe, Sßozzo 
bi ©orgo, gürft ©chwarjenberg unb bie anberen ©efdjäftd* 
träger ber fiegreidjen Sßotentaten herbei zum SRenbez^boud im 
Öaufe eined SDlanncd, ber hoch nur nod) ein ©jminifter 
war. 91 n jenem ©agc ftanb biefer fpäter ald gewöhnlich auf, 
fdpninfte fein ©efidjt rofa unb liefe fid) bie langen Soden 
jorgfältiger pubern. ©ann begab er fid) ju ben harrenben 
Königen unb SDliniftern. „SDlein £>err," rebete ihn ber Äaifcr 
uon SRufetanb an, „wir finb nach Sßarid gefommen, um 
granfreid) unb ©uropa ben grieben ju geben. 23ir wiffen 
aber nicht, mit wem wir unterljanbeln follen, unb bcrlaffen 
und auf ©ie. 3n ber einen f)anb haben ©ie bie SRapoleo» 
nibeit, in ber anberen bie ©ourbonen: wir nehmen, wad ©ie 
und geben!" ©er 2lngefprod)ene ftraljtte jum crftenmal in 
feinem Seben bor ©lüd. @r fühlte, bafe er in biefem 9lugen= 
blid ben Spöfeepunft feiner Saufbahn erreicht hatte, ©ie 
Sieger beugten fid) oor bem ©eifte bed Sperret Don XäHet)ranb. 

Untcrbeffen fiel bie ©ioifion bed SDlarfcfeallö SDlannont 
uon SRapoleon ab. 91 m 8. 9lpril Deröffenttid)te ber ©enat bie 
uon Xattepranb entworfene ©onftitution, woburd) eine SDfonarchie 
unter Subwig XVIII. gefdjaffen würbe. 9lm 11. 9lpril würbe 
ber Vertrag unterzeichnet, ber SDlarie Suife unb ihrem ©ohne 
bad gürftentfjHm Sßarma unb Napoleon — bad 3nfcld)en 
©Iba juwied. ©ann hielt ber ©raf Don 9trtoid ald „©eneral» 
Seutenant bed Sönigreid)ö" feinen ©injug in ber Spauptftabt. 
©r war babei fo gerührt, bafe er fein 23ort über bie Sippen 
bringen fonnte. ©aHepranb fam ifem jur ,§iilfe, inbem er 
für ben „Boniteur" ben berühmten ©prud) erfanit: „©nblich 
fehe id) mein granfreich wieber, unb niefetd hat fid) geänbert; 
cd giebt bfofe einen granjofen mehr." 

Xrofebem Souid XVIII. ben Söuigdmacher ju feinem 
SOiinifter bed 9ludwärtigcn ernannte, war er boch niifetrauifch 
unb eiferfiiehtig auf ihn. ßwifdjen ©eiben, bie, jeber in 
feiner 9lrt, Douenbete Sfomöbianten waren, fpielten fich einige 
©onuerfationdfeenen ab, in benen ber burefeaud geiftreiche 
Monarch faft immer refpectuoll aber entfefeieben ben fürjeren 
i°8- „Sch bewnnbere," fagte einmal ber Äönig ju ihm, „id) 
betounbere Shren ©influfe auf all’ bie testen ©reigniffe in 


granfreich- S33ie haben ©ie ed nur angefangen, um erft bad 
©irectorium unb fpäter bie gewaltige ÜRadjt ©onaparted ju 
ftiirjen?" — „3Weiit ©ott, ©ire,“ antwortete ber SWinifter, 
„ich ^abe wahrhaftig nid)td bafür gethan; ed mufe etwad Un= 
erflärliched in mir fteden, bad alle SRegierungen in’d Unglücf 
bringt, bie mich hintanfeien." 3Rit biefer ©rmahnung nahm 
Xatlepranb Dom |>ofe 9lbfd)ieb unb reifte nad) 9Bien, wo ber 
ßongrefe SDiitte ©eptember eröffnet würbe. 

@d ift befannt, bafe ©allepranb fich bort auf ber ^)öhe 
feiner Äunft zeigte, ©^on war ed ifem gelungen, grqnfreichd 
©influfe auf bie Unterhaltungen zu fiebern unb bie heilige 
9ltlianz z u fprengen, ald bie SRacfericht Don SRapoleond SRüd= 
fehr eintraf. 3e§t ftob bie ganze erlauchte ©erfammlung 
auöeiitauber; fein niühfam burd) Sift aufgebauted ©ebäube 
brach Z u f om nten, unb Don 9tdem blieb ihm nicht einmal fein 
geflügelted 2Bort: „Le congres ne marche pas, il danse," 
welched er an ben gürften le Signe abtreten mufete. SBähtenb 
Subwig XVIIL Dor bem heranziefienben „©riganten" nadh 
©ent floh, begab fich fein SOiinifter nach Äarldbab, benn nach 
einem ©ongrefe fei ed eined ©iplomaten erfte Sßflid)t, feine 
Seber zu pflegen. Ob er bort nur feiner ©efunbheit lebte, 
ftef)t bahin; ebenfo bie SSahrfecit beffen, Wad SRapoleon fpäter 
auf ©anct §elena bem ©octor 0’äReara mittheilte, wonach 
ifen ©atlepranb bamald brieflich um ©erzeihung gebeten höbe, 
©d ift wohl möglich, bafe ber ©iplomat an ben ÜBieberaufgang 
bed napoleonifcfeen ©terned glauben mochte, ©er weife, ob 
ber „Xiger" flug feanbeite, inbem er ben „gud)d" — wie 
man SRapoleon nnb ©adepranb niefet unzutreffenb genannt hat 
—‘ abwied; fonft hätte Dielleicht ber Staifer nicht fein ganzed 
©efchid auf einen SEBurf, eine grofee ©d)lad)t gefegt unb 
nicht nöthig gehabt, z«m ztueitemnal in bie ©erbannung zu 
gehen mit ben 23orten: „Quitte ich ©adet)ranb unb goud)e 
hängen laffen, fo fäfee ich uod) heute auf bem ©h ron -" 
SBofel möglid), bafe Subwig XVIII. Don biefem ©errath 
erfuhr, benn bamald würbe am £>ofe zu ©ent ©adehranb’d 
Ungnabe befchloffen. ©et feine ©taatdmann witterte bied 
unb reifte — DieHeid)t Durch SRapoleond 9lbweifung beftimmt 

— nach ©ent, .um enblich über ben 2Biener ©ongrefe ©ortrag 
Zu halten unb um bie ©rlaubnife zur gortfefeung feiner ©ur 
Zu bitten, ©iefe Würbe ihm beinahe aufgebrängt; aber faum 
auf ber SRüdreife begriffen, erhielt er ben Auftrag, mit bem 
Sönig in ©ambrat) zufatnmen zu treffen, ©er lluge Souid 
mochte eingefehen haben, bafe ed ohne ben Sönigdmacher ein» 
mal nicht gehe. @d Derlautete aud), SBedington, ber auf bem 
SBiener ©ongrefe ein ©ewunberer ©aUehranb’d geworben, 
habe bem Don ben 9llliirten wieber zu ©naben angenommenen 
©jfönig geratfeen, feinen Dertrauendwürbigen SOiinifter aber» 
mald an bie ©pijje bed ©abinettd zu fteUen. gür bie üor* 
übergehenbe Ungnabe räd)te fich aber ©adepranb baburch, 
bafe er in feinem SßroclamationdentwurfbedSönigdSingeftänb» 
nife begangener gefeler aufnafem. ©ied führte zu einer, bon 
bem ©ecretär ©eugnot überlieferten bramatifdjen ©eene, ©er 
©onfeil hatte fich Derfamtnelt. 2lld bie Seetüre bed ©ntwurfd 
Zit ©nbe, bat ber Äönig, ohne innere ©ewegung zu Derrdthen, 
ben ©ecretar, er möge ©aUepranb’d ©c^rift noch einmal Dor» 
lefen. 9lld ed gefächen, bellagte fich l>er Herzog Don 9Irtoid, 
ber nachmalige Äarl X., bafe man feinen föniglich'en ©ruber 
barin um ©erzeihung bitten laffe. ©allet)ranb erwiberte: 
„SDlonfieur Werben bergeben, wenn ich anberer 2lnfid)t bin. 
3ch halte biefe Studbrüde für nöthig unb gut angebrad)t. 
©er ffönig hat gehler begangen, feine Umgebung hat ihn 
irre geleitet; barin ift niefetd zu Diel gefagt." — „@oU ich 
bamit gemeint fein?" fragte ber Herzog Don 2lrtoid. „SRun, 
ba boch SDlonfieur bie SRebe barauf bringen: ja, SDlonfieur hat 
Diel berfdjulbet." — „©er gürft XaUepranb bergifet fich!", 

— „3ch fürchte ed, aber bie Sßahrljeit reifet mich fort." — 
,,2Sahrlid)," rief jefct ber Herzog Don ©ent) mit mühfam 
Derhaltenem 3° rn , „blofe in bed Äönigd SlnWefenfeeit bulbe 
ich, & a fi Semanb Dor mir meinen ©ater fo behanble, unb 


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380 


Die Gegenwart 


Nr. 24. 


icf) möchte wiffen . . Sei biefeit nodj lauter geferkenen 
Sßorten ttjintte ber König bem ^>crjog unb fagte ruhig: „®e* 
nug, mein SReffe, mir ftefyt über baS, waS in meiner ©egen* 
toart unb in meinem ©onfeil gefügt wirb, baS alleinige Urteil 
ju. 2Reine Herren, ich fann Weber bie 2luSbrüde noch bic 
Kritif ber ißrodamation gutljeifeen. ©er fRebacteur fofl bie 
Arbeit nodjmalS Oornehmen unb babei bie ©chidlidjteit nicf)t 
oergeffen, bie man in ljof)em ©rabe ju wahren bat, wenn 
man in meinem ÜRamcn fpricht." ©er §erjog non Serrtj 
beutete auf ben ©ecretär: „2lber oon biefem rühren bie Unge* 
jogenbeiten nicht ©er König erwiberte noch ruhiger: 
„ßieber SReffe, taffen ©ie gefätligft 3b re Unterbrechungen. 
HReine Herren, ich wieberbole, bafe ich biefe (Erörterung mit 
grofeem Sebauern oernommen habe. ©eben wir ju einem 
anberen ©egenftanb über." ©ie Sßroctamation würbe mit 
einigen unwefenttidjen 2lenberungen angenommen. 

fünfter Stet: ßlpotfieofe unb Eöflenfahrt. 2lm 6. 3uli 
1815 hielten bie Slüiirten ihren zweiten ©injug burch bie 
Sarriere be l’@toile. 2Ran bemerfte in ber SBagencolonne 
mitten unter erbeuteten gourgonS mit ber Ueberfcbrift: „®arbe 
Smperiale" eine ben ißreufeen gehörige Kutfd)c, in welcher 
eine ißerfon fiel) jurücflehnte, bie fict) ben Süden ber neu* 
gierigen 2Renge mögticfjft ju entziehen fuc^te. ©S war ©aßet)* 
ranb; mit ib>n hielt bie zweite fReftauration ihren ©injug. 
©ogieich fehlte er fich an, fein ÜRinifterium ju bilben, in 
baS er auf 2Beüington’S ©mpfefelung auch feinen geinb, ben 
fähigen, aber intriganten goud)e, anfnehmen mufete. 21 ber 
mit ben reactionären ©migranten, bie nach ©aßehranb'S bc= 
rühmten 2luSbrud als Etrangers de l’interieur „nichts gelernt 
unb nichts bergeffen", liefe fich fehler regieren, obwohl „bie 
©änfe baS ßapitol auch gerettet hatten." UeberbieS fteflten 
bie Stüiirten unb namentlich Kaifet 2llejanber, ber ©afleferanb 
fein Serhalten beim neuerlichen ©ongrefe nie berjieh unb ihm 
feinen perfönlichen SBiberwißen uitumwuitben ju erfennen gab, 
fo hatte griebenSbebingungen, bafe ber Sßeemier feine ©teile 
gerne bem SertrauenSmannc SRufelanbS, SRidjelieu, abtrat, 
„©er pafet ja oorjüglid) jum ÜRinifter oon grantreich," fagte 
er malitiöS, „benn er fennt am beften — bie Krim.“ ßub* 
wig XVIII. belohnte feine ©ntfagung mit einer SafereSpenfion 
bon hnnberttaufenb grancS unb ber hofjen, bem gürftenhaufe 
Oon Souiflon faft erbrechtlich zufommettben ©teße eines ©rofe* 
tammerherrn. Seim 2lbfd)iebe äufeerte ber König: „©ie 
Umftänbe etforbern 3h re ©enüffion, aber ich bante 3h°en 
für ben ©ifer. ©ie finb über aßen ©abel erhaben unb tönnen 
ruhig in SßariS bleiben." — „©ire," erwiberte ©afleferanb, 
„icf) hatte baS ©lüd, bem König aflju gewichtige ©ienfte ju 
leiften, um annehmen ju tönnen, bafe fie bergeffen finb. 3ch 
fefee nicht ein, waS mich nötigen tönnte, ifßariS ju bertaffen. 
3<h werbe alfo bleiben unb gtüdlich fein, wenn bie SRathgeber 
be» SönigS bie ©bnaftie unb granfreid) nicht in ©efafer bringen." 

Son 1815 bis 1830, alfo bis z»tr ©ntthtonung Karls X., 
blieb ©afleferanb btofeer 3 u fdjauer beim Sjßrocefe ber con* 
ftitutioneßen ©rjiehung ber SRation.» 2lb unb ju befuchte er 
zwar noch bie SßairSfammer, würbe auch manchmal ju SRatlje 
gezogen; fo j. S. als man in ben König brang, bem $erjog 
bon 2lrtoiS einen Slafe in ber Regierung ju geben, ©er 
König fträubte fich — „ce sera ü abdiquer“ — unb Würbe 
bon ©aBeferanb unterftüfet, waS biefem Sorwürfe bon ©eiten 
beS 4>erjogS jujog. ©er finge Höfling erwiberte aber: „SineS 
©agcS wirb mir ©ure ÜRajeftät für baffelbe banten, WaS jefet 
©urer töniglichen Roheit mifefäflt." 

SßJittlerweile war er bom König bon Neapel mit einer 
reichen ©otation für baS ^»erjogthum Seneoent entfdjäbigt 
unb pm E er i°9 oon ©io ernannt worben. 2Ran fa| ihn 
bei aßen grofeen ^offeften, wo er als Ka mmerherr unbeweglich 
hinter bem ©tnf)te beS Königs fafe unb ben falten Süden 
feines £errn unb bem höhtüfehen ©tolje feiner geinbe bie 
berühmte fReglofigfeit feines ©efichtS entgegenhielt. „9?ie war 
ein Slntlife weniger Sarometer," pflegte ßabfe SRorgan ju 


fagen. Sei 2lnlafe beS bon ©hateaubrianb befürworteten 
fpanifchen gelbjugeS hielt er noch eine grofee fRebe, worin er 
benfelben 2luSgang wie 1789 prophezeite, ©ie ©rbitterung 
beS .fjofeS gegen ben alten ©iplomaten wuchs. 9Ran fprach 
fchon bon feinet Serbannung, als ob man einen Sßair bon 
granfreich ohne Urtheil auSWeifen tönnte, unb ber König fragte 
ihn pifirt: „SBann werben ©ie benn anf’S ßanb gehen?" 

„©aS beabfichtige ich flat nicht," antwortete ©aßepranb, 
„eS fei benn, bafe ©ure ÜRajeftät nach gontainebleau gehen, 
Wo ich bie ©h« beanfpruchen Würbe, bie Obliegenheiten meiner 
©rofefammerherrenwürbe ju erfüflen." 

„9?cin, neip, bieS woflte ich nicht fagen. 3d) frage ©ie, 
ob ©ie nach 3h*er Sefifeung Salen 9 ap abreifen werben?“ 
„ÜRcin, ©ire." 

,,©o! . . . 2lber fagen ©ie mir hoch, wie weit ift cl 
benn bon fßaris nach Salen 9 at)?‘‘ 

„©ire, eS finb . . .," erwiberte ©aßeferanb höflich, „eS 
finb — bierjehn ©tunben weiter als bon ißariS nach ©ent." 

2tlS bann bie fpanifche ©jpebition gleichwohl gut berlief, 
berföhnte fich ber |>of wieber leiblich mit ihm. 3a, ber König 
nahm ihn fogar ritterlich in Schüfe, als er baS ßiel ber* 
fdjiebener Eingriffe würbe. 2llS ber föerjog bon gife*3ameS 
ihn befdjulbigte, SRebolution unb fReftauration auSgebeutet ju 
haben, ba bemerfte er blofe ju feinem SRachbarn: „©er ^erjog 
hat ©alent, unb mit 2luSnahme einiger etwas grober Kleinig* 
feiten ift feine fRebe fogar feljr gut." 2luf bie Sefchulbigungen 
beS föerjogS bon fRobigo, fein ?lnberer als ©aßepranb fei an 
©nghien’S Einrichtung fchulb, forberte er mit würbigem ©tolje 
bie fßairSfammer auf, eine Unterfudjung einjuleiten unb fdjrieb 
an ben König eine jwölffeitige fRcd)tfertigung, bie mit ben 
Söorten anhob: „Sire, je n’apprendrai rien a Votre Majeste!“ 
3n bet ©hat würbe man gar nicht flug barauS. ©inmal er* 
jählte ihm ein greunb, bie E er i°9' n be ©enliS habe ihn 
fdjlecht gemacht. „©aS fchabet nichts," tröftete ihn ©aßefe* 
ranb, „bon zwei 2Renfc£)enfotten barf man bef^impft werben, 
ohne fich belcibigt z« fühlen, bon grauen unb Sifcfjöfen.* 

» I bachte ©aßehranb, man brauche fich feine Ohr* 
iflen zu taffen, wenn man zugleich ©beimann unb 
Sifdjof fei. 21IS nämlich ber elenbe äRarquiS be 9Raubreuit, 
ber einft fRapoleon in gontainebleau ermorben woflte, ihm 
2lngefid}tS beS ganzen EofeS währenb ber ©obtemneffe für 
ßubwig XVI. eine folche äRaulfdjefle gab, bafe ber lahme ©reis 
ZU Soben ftür^te, ba fagte ©aßehranb zum Könige mit bem 
©tolz eines ©belmanneS, ber eine Srutalität, aber feine Se* 
teibigung erträgt: „©ire, eS War feine Ohrfeige, eS war ein 
gauftfd)lag!" 

Serftimmt über ben 3Rifeerfolg feiner fRebe für bie fßrefe* 
freifjeit, zag er fich bom öffentlichen ßeben immer mefer zurüd. 
@r lebte bon nun an meift aufeerhalb ber Eauptftabt, bie 
gröfete 3 e ü auf feiner Sefifeung Satenhafe. SBenn er aber 
nad| ffSariS fam, lebte er auf fehr hah em gufee, obfehon fein 
Ser mögen burch baS gafliment eines SanquierS ftarf gelitten 
hatte. Umgeben oon SRänncrn ber Sergangenfecit unb ber 
3ufunft, fafe er bis tief in bie fRadjt zunächft feinem genfter. 
2Bar er aßein, fo begrub er fich einen Serg oon 3eitungen 
unb laS mit bem gröfeten Sergnügen, wie unter Kart X. 
ein SRinifterium nach bem anberen ftürzte. 2ludj wieberholte 
er nach fpolignac’S ©rnennung bic Srophezeihung, bie et nach 
bem rufftfdhen gelbzuge gemacht hatte: „©S ift ber 2lnfang 
üom ©nbe!" ©ein SRegtige war oon berühmter Originalität: 
ein geblümter ©djlafrod unb über bem Keinen, regtofen, oon 
langen grauen ßoden umgebenen ©eficht ein ©(jurm oon 
fünf bis fechS übereinanber geftülpten SBoflenmüfeen. Ser* 
rfeer zählte einmal fogar beren oierzehn! gragte man ihn als* 
bann um feine SReinung über irgenb eiit politifcheS ©reignife, 
fo antwortete er wohl fchalfljaft, inbem er bie halboffenen 
2lugen ganz jufniff: „©eS fDiotgenS habe ich eine 2Rei* 
nung, id) habe eine anbere fRachmittagS, aber 2lbenb8 ha6e 
ich 9 at leine mehr." ©amalS lernte er auch ben oon 2lif 


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Nr. 24. 


Die töegenwcut. 


381 


lommenben JhierS tennen, beffen grofee 3 u lunft er mit ber 
igm eigenen Jibination«gabe borau«fagte. Später al« Jgier« 
Minifter Würbe, äufeerte Jattegranb ju einem Mifegfinftigen, 
ber ben Keinen ©roben?alen einen ©arbenu nannte: „Dites 
qu’il est arrive." ©öfe 3 un 8 en behaupteten aüerbing«, 
JaHegranb habe Jgier« unb Eignet bloß ben £>of gemalt, 
um in ihrer ©efcgicgte ber ^Revolution gut weg ju fommen. 
Obgleich ©onrmanb, lebte er nur mäfeig unb afe nur einmal 
täglich- äRit SluSnagme feiner Seibenfdjaft für ba« fchöne 
©efcglecgt, maren alle feine greuben rein geiftig, bi« auf feine 
©orliebe, für ba« Kartenfpiel. 3n Sßien hotte er im SBgift 
ÜWetternich befiegt, aber mar vom ©rafen ©alfh gefcglagen 
tporben, ber bem gürften Sogattn non Siecgtenftein an einem 
einzigen 3lbenb eine fo grofee Summe abgewann, bafe er fich 
barau« ein Schloß erbauen unb au«ftatten fonnte. „Sag," 
pflegte JaHepranb verächtlich babon ju fagen, „ein Karten» 
hau«!" Jafür nannte’ man bie probiforifcge Regierung bon 
1814 ben ©Jgifttifcg JaHegranb'«. ©equem, ja felbft faul, 
blieb er bi« jum ©nbe; immerhin gelohnte er fid) baran, 
täglich einige Stunben an feinen Memoiren ju arbeiten, bie 
fein ©garatterbilb, ba« fcgon ju feinen ßebjeiten bon ber 
^Karteien ©unft unb tpafe entftellt war, in möglicgft günftiger 
^Beleuchtung jeigen follten. 3hm bangte bor bem Urtheil 
ber Fachwelt, namentlich wegen feine« SlbfaH« bon Napoleon. 
„ 3 ch wor immer confcquent unb ben ©erfonen fo lange treu, 
al« fie ber ©eruunft treu blieben. Jer hanbelt fchlecht unb 
oerädhttich, ber feinen ©erftanb unb fein ©aterlanb einem 
noch fo hochgeborenen ober genialen Menfdjen unterwerfen 
roollte." — Unb merfwürbig! Jet bom $ofe berbannte ober 
roenigften« gemiebene ©reis, ben mancher Machthaber jegt 
bögnifcg ol« eine unfchäbliche Sftuine anfah, fpiette noch ein* 
mal feine SRolle at« Königämacger. 

3ln ben beiben erften “Jagen ber 3uti*SRebolution fprach 
Jallehranb wenig ober nicht«, blieb ruhig ju #aufe, unb 
entzog fich allen ©efucgen. 3lm britten Jage lieh er feinen 
Sßoftfecretär rufen unb bat ihn freunblicgft, nacf) Saint Sloub 
311 gehen, um fich bon ber 3Inwefengeit ber föniglichen gamilie 
SU überzeugen. Jer Secretär machte ben gefährlichen 3lu«* 
gang unb melbete, Karl X. flehe im ©egriff in’« ?(u«Ianb ju 
reifen. Jallehranb blieb zwei Stunben allein in feinem 
Sabinet, bann bat er ben Secretär, nach SReuillh zu gehen. 
„Suchen Sie auf irgenb eine SBeife zu Mabame 3tbelaibe, 
ber Scfjwefter be« Herzog« bon Drlean«, zu gelangen; geben 
(Sie ihr biefe« Stücf ©apier unb bitten Sie fie, e« nach 
Sefung bor Sgren 3tugen zu ber brennen." Ja« ©apier ent* 
hielt nur bie SEBorte: „Mabame fann zum Ueberbringer biefe«, 
ber mein Secretär ift, bolle« ©ertrauen haben." Jann inftruirte 
JaHepranb weiter: „Sobalb Mabame e« gelefen, fagen Sie ihr, 
e« fei lein 3tugenblid z« berlieren. Jet Herzog bon Drlean« 
müffe morgen in ©ari« erfcheinen; er bürfe aber feinen 
anberen Jitel annefjmen, al« ben eine« ©eneralleutenant« 
be« Königreich«. Ja« Uebrige Wirb fich finben." — 3n ber 
Jgat gegorcgte ber bi« bagin berfteefte Soui« ©gilipp Per 
äBeifung JaÖehranb’«, unb ba« Uebrige ergab fich, mie er e« 
öorauögefagt hatte, ©r nahm eine bom ©olfe au«gehenbe 
ßonftitution an unb würbe ©ürgertönig. Jallehranb war 
einer ber ©rften, ber bem neuen Monarchen ben @ib fegwur. 
„Sire," fagte er babei, ,,e« ift ber Vierzehnte, unb ich bin 
froh, benn breizegn ift eine fcglecgte 3 ogl- hoffentlich ift er 
ber legte." SEBie leicht er über biefen ©unft baegte, beweift 
feine Jefinition: „©in Jreufcgwur ift ein SBiHet, ba« man 
an ber Jgüre löft, um eintreten zu lönnen." Unb al« er 
einft ben gromage be SBrie ben König ber Käfe nannte, bem 
er fein Sebtag Jreue . bewahrt, ba bemerfte ©ugöne Sue: 
„©ieUeicgt Wäre er biefem einzigen Königreich nicht treu ge* 
blieben, wenn er igm jreue gefegworen hätte." 3 um allge* 
meinen ©rftaunen lehnte aber Jaßegranb ba« angebotene 
Ministerium ab unb ging al« engtifeger ©efanbter nacgSonbon, 
um bie 3lnerfennung ber 3ulimonarchie z u erwirfen. Jort 


gelang ihm überbie« bie DuabrupelaQianz ber weftlichen con* 
ftitutioncQen ^Regierungen ©nropa«, unb mit biefem ©rfolge 
fchlofe er feine biplomatifche Saufbahn. SRadh $ari« zurüa* 
gelehrt, wottte er bon ber SGßelt auf imponirenbe SEBeife Slbfcfpeb 
nehmen, ©r that bie« mit feiner fRebe im 3nftitut über ben 
eben Verdorbenen ©rafen SReinljarb, ben belannten beutfeh* 
franzöfifchen Jiplomaten unb greunb.©oethe’«, unb h°b bort 
u. 31. hervor, bie Jiplomatie fei eine 2EBiffenfd)aft ber iRücf* 
haltung, nicht ber hinterlift. 

©alb barauf nahm feine Kranfheit einen bebenllichen 
©erlauf. Seine gamilie bemühte fich, 'h n D °r bem Jobe 
mit ber Kirche zu berföhnen, unb er wollte bie Unterfchrift 
be« bom ißapfte felbft borgefd)riebenen SEBiberruf« bi« zum 
legten 3lugenblid berfchieben. Jraufien im ©orfaale feine« 
Sterbegemach« wimmelte e« um ba« ©aminfeuer von greunben 
unb ©erehrern be« Sterbenben. Jie Jhü re fli n 9 au f- 2 oui« 
EßhiüPP unb Mabame 3tbelaibe erfchienen zum legten ©e* 
fudh. JaHepranb erhob fich mfihfam auf feinem Säger. Jer 
©tiquette gernäfs unterbrach ber König ba« Schweigen. „©« 
thut mir Weh, Sürft, Sie fo leiben zu fehen." Jallehranb 
mit feiner tiefen, ftarlen Stimme erwiberte: „Sire, Sie finb 
gelommen, ba« Seiben eine« Sterbenben zu fehen; 3tUe, bie 
ihn lieben, lönnen nur ben einen SEBunfch h a & en > bafe e« 
halb zu ©nbe fein möge. 3 «h leibe wie ein ©erbammter." 
— „Schon?" foH ber König farfaftifch gefagt haben(?) SRach 
einigen tröftlicfjen SBorten würben ihm bon bem Sterbenben, 
ber felbft im 3tngefidjt be« Jobe« bie ©tiquette nicht ber* 
gaff, bie 3lnwefenben borgefteUt. „Sire," fagte er, „heute ift 
unferem $aufe eine ©hre wiberfahten, bie in unferen 3lnnalen 
verzeichnet zu Werben berbient, unb beren meine ©rben mit 
Stolz unb Janlbarteit gebenlen werben." 311« ber König 
gefegieben war, begann bie 3luflöfung. SEBährenb braunen im 
©orfaale ba« glüftern unb ©taubem wieber anhob, würbe 
ber fRödjelnbe bon feiner IRichte, feiner ©ntelin unb bem 
Slbbä Jupanloup, ber hier feine ©ifct)of«müge berbiente, auf’« 
Sfteue zum SEBiberruf gebrängt. Mit tegter 3 tnftrengung 
unterfchrieb er ign ogne jebe« 3 e ^ en P et 3faue, nur ben 
Seinen zu lieb. Sn biefem 3lugenblide traten ber 3lrzt unb 
bie greunbe in’« ©ernad). Jallehranb ergob fid) noch eiu* 
mal, um bie langen grauen Soden, bie feinen ©lid ginberten, 
nacg rüdwärt« zu fdgütteln unb blidte befriebigt uinger. Jann 
fiel er zurüd; fein Kopf fentte fieg wieber auf bie ©ruft; 
e« war borfiber. ©in ©ierteljagr fpäter würbe bie einbalfa* 
mirte Seiche zur Seftattung bon ©ari« nach ©alen^aq über» 
fügrt. Jie Kutfdje glich e i ncm ©ulberWagen; e« war biefelbe, 
bie lurz borger bie Seicge ber ©jrtönigin bon §oüanb, ber 
Mutter ERapoleon'« III., au« ber Schweiz gebracht gatte. 
311« ba« ©efägrt ben ©orgof ber Kircge verliefe, fragte ber 
©oftiüon, nacg weldgem Stabttfjor er fagren müffe, um nach 
©aienhag z u lommen. ©ine büftere Stimme au« bem Snnern 
be« ©Jagen« rief bie SBeifung: „Barriere b’©nfer!" 

So ftarb ber Mepgifto ber Jiplomatie. 

- -I •» l- - 

^fcuifTcton. 

- 9ta<ftbru<f »erboten. 

^oges Spiel. 

3Son Conts Couperus. 
luS bem ^oQänbifc^en. 

(©djlufe.) 

2)ie Äöntgin blieb in einer f^tec^ten ©timmung jurücf. 9ltte8 
langroeilte f ic * empfanb ein gro&eS SSerlangen nac^ ©ulbigung, 
nac^ Vergötterung, unb — e8 mar Wiemanb ba. $rinj ©bjarb mar 
fe$r Uebendmürbig gegen fie . . . aber ba8 genügte iljr nicht, ©ie mufete 


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382 


Ute ©ejenroart. 


Nr. 24. 


eilten 8n>ecl, ein 3*el ^aben für ihren (Shrgei*. Sic fühlte eine $raft 
in ficb, *u Ijerrfdjen, unb fonnte bodj nur über ihr Schloft unb ihren 
SBlumenbatt gebieten. Du« öangemeile, au« Spleen n>äl*te fie fidj auf 
ifjrent Dioan herum. Dann, roie in einer plöplichen (Singebung befahl 
fie (Siena *u fid). ©leid) barauf trat ba« junge Diäbdjen ein. Dn bei* 
Dhür blieb fie fteljen, ehre$ietig, aber hod)aufgerid)tet. 

.„(Siena", begann bie Königin, „Du »erläfjt mich heut Dbenb um 
acht Uhr. Sabrelang marft Du bei mir. 3<b hotte ®ich Heb mie eine 
Dodjter..." ®ie fcfjmieg einen Dugenblid. (Siena ftanb in ftifler (Sr= 
martung. „Sa, mie eine Dodjter", mieberbolte fie mehmüthig. „Dl« 
$inb febon baft Du mit bem Äönig .gezielt. Dafc Du eine Neigung 
für ibn begteft, mar üiefleidjt ein ^erhängnifj. Dber Du bötteft Dieb 
nicht *u »ergeffen braud)en; ba« mar nicht nöthig. Du bätteft nicht fo 
mit bem $önig [brechen, Dich ibnt nicht aufbrängen foßen mit Deiner 
raffinirten (Soquettcrie. Unb bennoch, menn Du nur ein Hein menig 
Deue gezeigt IjcHteft, fo hätte ich ®tr »ergeben, Dich hier behalten bei 
mir; — ba*u batte ich 5)i<b Heb genug. Dber nach bem geftrigen Dbeitb, 
nach bem 93aH, mo Du Dich in gerabeju fchamlofer ©eife mit bem jtönig 
eingelaffen, ift ba« unmöglich gemorben. Sch habe Dich rufen laffen, 
um Dbfdjieb »on Dir *u nehmen, ftür immer, (Siena." 

(Sie fab ba« junge Räbchen an unb mnnberte fich, bafj e« burch 
ben Sauberflang ihrer Stimme nicht gerührt mürbe, früher märe (Siena 
bei folchen ©orten in Dhränen au«gebrocpen. Dun blieb fie unbemeg? 
lieh fteben, mit ber größten Duhe auch auf ihrem ©efid)t. Unb au« 
biefer Dulje leuchtete etma« mie ein Driumpfj. Dlejaubra begriff e«. 

„Dlajeftät", fpradj (Siena gelaffen, „niemals merbe ich oergeffen, 
ma« ich ©urer Dlajeftät ju baitfen habe für alle bie ©unft, bie (Sure 
Dlajeftät mir ermiefen haben." 

„Da« finb ©orte, (Siena, leere ©orte." 

„Dber ich glaube felbft, e« ift beffer, ich öerlaffe (Sure Dlajeftät." 

Die Königin bltclte auf. Du« ihrem 93licf fpradj eine aufrichtige 
©ebntutb. „Dun fo geh benn. TOdj öerläftt mein fianb unb Dfle« 
unb Seher." (Siena »erftanb felbft nidjt, baß fie nicht in Schlurften 
au«brad) über ben Schmer* ihrer ©ebieterin. Sie begriff nicht, mie fie 
fo ruhig bleiben fonnte unb fo triumphirenb. „So geh benn", mieber= 
holte bie Königin. 

(Siena »erneigte firf) ftumm unb *og ftch *urücf. &aum mar fie 
gegangen, reefte fid) bie Königin auf au« ihrer ntüben Haltung, unb 
mit einem milben ftohne lachte fie über ben Driumph biefe« ^inbeö. 
Denn e« mar ja nicht anbei*« möglich. So fonnte fie fich nicht irren. 
(Siena unb ihr Sohn batten ba« (Shet>erfpred)en au«gctaufd)t, ba« foar 
gereift. $er $önig mürbe biefe Dollbeit begeben unb fich in bc« ßaifer« 
klugen unmöglich machen, (Sr mürbe bem Könige, mie einem uit»er= 
nünftigen Knaben, bie Dbronbefteigung oerbieten. Unb Dbracien mürbe 
ihr bann offen fteben, e« mar nicht anbei*« möglich, fo muhte e§ 
fommen . . . Sie atbmete erleichtert auf unb hoffte mieber, unb mieber 
erfehien ihr bie 8ufunft in hellem Sichte. Sie mollte ©labimir fagen, 
bafe fie Iranl fei, bah bie Unbanfbarfeit ber Dtenfd)en fie elenb gemacht 
habe. Dah fie allein fein rnolle in ber (Sinfamleit Don $ajo«, ohne 
©äfte, Ohne Sfefte, ohne Sohn. Sie mürbe ihm fagen, bah er fobalb 
al« möglich *urücf miiffe in fein Sanb. 

Saugfam fdjleppte ftd) ber Dag bin. 3 um $iner erfehien auch 
bie Königin, um fich Don ihren ©äften *u Derabfrf)ieben, bie mit (Siena 
abreifen mollten. Sbr Dbjdjieb oon (Siena mar jebr fühl. Dann *er= 
ftreuten fich bie ü&rigen ©äfte in alle Dichtungen; (Sinige ruberten ober 
angelten, Dnbere machten einen Du«flug. Unb mäbrenb biefe« ftiffen, 
frieblirfjen D6enb«, inbeh ba« Schloh noch im ftalbbuitlel lag, tbeilte 
bie Königin ihrem Sohne mit, bah bie Unbanfbarfeit ber Dfenfdjen fie 
franf unb elenb gemacht habe, baß fiejort mühten, er unb Söriani; aber 
noch einmal befdjmöre fie ihn, nicht mit (Siena Sßläne meiterjufpinnen, 
mie fie auch fein mochten. (S« fei ber Datfj einer Butter! 

(Sin ?lu«brucf ^efttgftcn Unmiüen« entfteüte feine 3üge. «3^ 
banfe'^Dir für Deinen Datb, 3Kama ... Slber ich höbe feine $(äne, 


unb menn ich mirflirf) b^ttc, fo meiht Du ja, bah ich borf) tbue, n m 
ich mifl." Unb ob fie e« muhte! unb gerabe ba« mar fo fchmer*lich für 
eine SWutter. „Unb ich begreife, bah ^“b c brauchft nach aU’ ber 
Unruhe, ©ir merben übermorgen abreifen." 

-Da mar nicht« mehr ju tbun: bie Königin muhte ab- 

märten. Unb am Dage ber 9lbreife, al« fie fd)on über ihre ^ofjnnug 
jubelte, mürbe fie noch erfreut burch bie Dücffebr be« (Saurier« au4 
Si|)nvien. (Sr brachte ihr ein Schreiben be« $aifer§ mit, ba« fehr 
freunbfchaftlich lautete. Dun in ber Stille ihre« Souboir« la« fi« froh 
locfenb ba« ^anbfehreiben immer unb immer mieber. Unterbejfen faß 
©labimir in feinem 3* mmer - Du^ für ihn hotte ber (Sourier ein 
faiferliche« Schreiben gebracht. Unb auch e * unb la«. 3« ber 
lieben«miirbigflen ©eife enthielt e« eine (Sinlabung be« ^aifer« Dthomar 
an ben ftönig ©labimir Oon Dhracien, nach Siparien *u fommen unb 
bort, fo lange e§ ihm gefalle, be« $aifer« ©aft *u fein im faiferlichen 
Schlöffe, mo man auch ben giirften Oon Serien mit feiner Dochter *um 
SBefuch crmartc. Sange fämpfte ber junge Jfönig einen heftigen Äambf 
mit fich felbft. Sollte er jeinen thörichten $lan Oermirflichen unb (Siena 
heirathen, nur meil feine Dtutter fo fehr bagegeu mar? Cber foßte er 
ber (Sinlabung be« SSaifer« Solge Iciften? Die (Sinlabung lautete toolü 
fehr herzlich, ober jugleidj fehr bringenb. ©labimir mar alt genug, um 
ba« *u Derftehen. Unb plößlirf) mit einer (Snergie, bie einen fcharjen 
t^tgenfaß bilbete *u ber il)m eigenen Unbebachtfamfeit, mit einer plöfc 
lirfjen ©anblung feine« Denfcn« faßte er einen (Sntfdjluß. Äur* unb 
praftifch, mie er Selber mar. ©r glaubte aber — nur um ben Schein 
*u mähren — erft 93riani r « Dath einholcn *u utüffen. 6« fonnte iüm 
fpäter noch nüßlich fein, menn biefer Sutriguant hoffte, irgenb melthen 
(Sinfluh auf ihn au«*uübcit. (Sr befahl ihn fich, Io« ihm ba« Schreiben 
oor unb fragte um feinen Datl). 

„Sure Dtajeftät föniten gemib nicht umhin, biefer auberorbentlidi 
lieben«mürbigen Sinlabung Seiner Dtajeftät &olge *u geben", fprach ber 
Höfling mit feiner matten Stimme. Der $öitig fah ihn jmeifelnb an. 

„deinen Sie ba« mirflich, öriani ?" fragte er, feine fleinen klugen 
halb *ufncifeitb. „Dun beim alfo, menn Sic biefer Meinung finb!...* 
hierauf begab er fich, & €n Örief in ber Jianb, *u feiner SDutter. 6r 
fanb fie ftrahlenb in Sugenb unb Schönheit. 

„Sch höbe einen 93ricf Oon Sfaifet £)thomar", rief fie, fobalb fie 
feiner anfichtig mürbe, unb ihre Stimme jubelte. 

„Sch ouch, D?ama", lautete feine lafonifche Dntmort. 

Sie erfchraf, beim in ihrem 53rief fehlte jebe Dnfpielung auf ben 
feinigen. ,,©a« fchreibt ber taifer?" fragte fie hoftig. (Sr überreife 
ihr ba« .^anbfchrciben. Sie la« unb erbleichte. „Dber Du mißft ja 
nach Dhracien juriief, nicht mahr?" 

„©a« räthft Du mir?" Seine Dugen fniff er nun faft gan* *u. 
Sie *itterte mie im g-ieber. 3^ biefent ?lugenblicf ftanb c« um i^r 
hohe« Spiel fehr fchlecht. „Sch hoHe bafür, bafe Du biefe (Sinlabung 
nicht annehmen fannft, ©labimir, nun Du [djan fo lange au« Dhracien 
fort bift. Dort ermarten Dich bringenbe Gkfd)äftc, bie Dtinifter.. ." 

„©arten auch", ergänzte er trorfen. „3d) glaube, ich toerbe gehen, 
Dtama. CS« märe uitoernünftig Oon mir, ftaifer Dthomar *u er*ümcn." 
3hre S^niee maulten unb feufoenb fanl fie auf ben Dioan. Schon im 
begriff fortjugehen, maitbte er noch einmal um: „A propos, ®?anta, 
ich modle Did) fo gern nod) etrna« fragen, ©iirbeft Du mir mohl einen 
großen ©efaßen ermeifen?" 

Sie hoftte ihn in biefem Slugenbltcfe. „©a« benn?" fragte fie. 

(Sr fepte fich, ergriff ihre ftanb unb ftreid)elte fanft ihren fd)öncn 
Drm. Dabei lachte er unb *uc!tc bie 9lchfeln über ftch felbft. 
bin thöricht gemefen. Dtama. Sch höbe mi^ *u Diel mit ©lena bi= 
fd)äftigt, mährenb fie hier mar. Sie hot fich Q ße« Dtögliche in ben 
tfopf gefept. So ein Köpfchen ift fchitell oerbreht. $ur* unb gut, ue 
rechnet beftimmt barauf, baft ich nach Dhracien lomme. Sie benft, 
bah .. • nun ja, fie beult, baß ich fie heirathen merbe." 

So mar^e« alfo hoch mahr! badjte bie Königin. 


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i 



Nr. 24. 


■Die töegenroart 


383 


„Wun moßte id) Xicp bitten", fiipr ©labintir fort, „ob Xu bie 
(Mte pättcft, ipi* mal ju fcprctben? Xaß eS natürlich nicht gebt, baß 
e$ eine Xporpeit wäre . . . Schreibe ibr nur, Inifer Ctpomar mürbe eS 
nicht bulbeit. .. ©S märe für mich peinlich, einen folgen '-Brief zu 
fdjreibeti. Xu mirfi bie Sache mopl orbnen, nicht mapr?" 

Saft märe fic-in Ohnmacht gefallen; ein heftiger Scbminbcl befiel 
fte. 3Pr mar, als mären feine ©orte ein eiSfalteS Sturzbab. „Xu 
bift ein jcbled)ter 3unge", ftammelte fte, „aber id) merbe tpr fchreiben." 

„3<h bin nicht fo fd)Iecf)t", antmortete er gutmütig. ,,3d) palte 
(Elena für ein febr liebet Wäbdjen; ich höbe auch an eine ©erbiubung 
mit ihr gebadjt. Wber eS märe eigentlich hoch zu toll, nid)t mabr?" 

©r liefe fie allein, beim er fab, baß fie fid) nicht mobl fühlte. 
SSerftepen fonnte er fie nicht. ©j: batte ihr Spiel nicht burchfcbaut. 
9?ur eine plöplicpe Ummanblnng feiner ©ebanfen batte ihn oor einer 
unbefonnenen $anblung bemabrt. Wber biefe ©anblung batte pe nid)t 
fcorpergefepen, nicht öorperfepen fönnen. Sie batte ihr Spiel fein be= 
rechnet, aber bie ©irfltcpfeit batte fie überliftet. 

$alb opnmädjtig fan! fte bin. Sie batte öerloren. Wit peber= 
jitternben $änbeit ^erfnitterte fie bett 5Brief beS Staiferö, mit ihren 
9?ägeln ^errife fic bie Seibe beS HiffenS. WÜ' ihre Hoffnung fchmaitb 
babin. „XaS fieben ift gegen mich", murmelte fte. „Schon längft ift 
baS fieben gegen mich, aber ich gebe bie Hoffnung noch nid)t auf. ©iel* 
leicht ein anbei* Wal! . .." Unb bann brad) fie jufammeu, unb hinter 
ihren in ©erzmeiflung oorgepaltenen §änbeu tbat pe, maS fie fonft 
nie tbat: pe meinte bitterlich- 

-3mei ©od)en maren feitbem oerffoffen. Xer junge 

Slönig mar nach fiiparien gereift, unb bor einigen Xagen mar feine 
Verlobung mit bei* ©rinzeffin boit 3ßl)ri«u ben europätfepen $>öfen 
notipeirt morbeit. Sämmtliche ©äfte ber Königin Wlejaitbra maren 
abgereift, auch ©rinz @b$arb. (Eigentlich batte er nod) länger bleiben 
ttmilcn, bod) baS leere, einfame Schloß, mo fich bor Burgern nod) fo 
tiiel fröhliche Wenfcpen ^ufammeitgefunben, machte ihn ntelancpölifd). 
llnb fo bcrliefe aud) er bie Königin, mie Wße fic berliefeen. 

Wlejanbra hatte nach ©fabitnir'S ©unfd) an ©lena gefchrieben. 
3« bem ihr eigenen ftoljen, bormurfäboßen, leicht mebmütbigen Xon 
hatte fie ihr mitgctbcilt, .baß ber Honig in einem Wugeitblide jugenb« 
lieber llnbefonnenbeit ihr ein ©erfpred)en gegeben habe, baS er mit Wüd* 
ficht auf fein fianb nicht etnlöfen fönne. Wocp einige ©orte beS ©or* 
nmrfS für (Elena, unb bann fcplug fie einen anberen Xon an; pe fragte 
(Elena, ob fie beim gar leine Weue emppnbe, unb tbeilte ihr mit, baß 
fie pe geitiigenb liebe, um ihr ju beleihen, unb baß fie fie rnieber in 
©naben aufnebmen mürbe, falls fie zuriidfepren moße. Xcnn bie ber= 
bannte Sürftin bermißte in ihrer troftlofen ©erlaffenbeit ihre £>ofbame 
fchtnerglich, unb fic mußte Wiemanb, ber pe erfepen fonnte. 

(Elena mar bößig gebrochen, unb filngefichtS ber ju (Ehren ber ©er- 
lobung beS Königs feftlid) ißuminirten uitb bepaggten §auptftabt litt fie 
ihren erften ßebenSfdjmerz. Wein, pe moßte nicht zuritd; fie moßte lieber 
in Xpracien bleiben unb nur ihrem großen Hummer leben. Qfcboch ipr 
©ater, ber nicht mußte, maS fonft auS ihr merben foße,.zmang fie, bie 
©erzeipung ber Königin anzunepmen unb zu ipr zuriidzufepren. Unb 
fte laut rnieber. Weiter, gereifter, naepbenf lieber, bont Wäbcpen zum 
©eibe gemorben, erfüßte pe ber Wnblicf beS großen, meißen, oben 
Schlöffet, mo bie Königin feine ftefte mehr feierte, mit tiefer ©eprnutp. 
llnb nun erft mürbe ihr fo recht flar, mie bie Königin afle jene Wenfcpen 
an pd) ju loden gemußt batte, aber aß' bie ©arafiten beS ©enuffeS 
gingen, fobalb eS für pe feinen ©enuß mehr gab. Xer Wnbfid ber 
Königin, bie ihr mie immer majeftätifch, aber ttaurig entgegenfam, mit 
ber Unbemeglichfeit ber Warmorbilber auf ber Xerraffe, rührte pe.fepr, 
unb pe fanf ju ihren Süßen pin unb meinte, unb bie Königin fchloß 
pe in ihre Wrme unb tröftete fie. Wber (Elena baebte auch nach über 
bie Königin unb beren ©enebmen, unb mit ©emalt brängte pch ipr bie 
Ueberjeugung auf, baß bie Königin nicht aufrichtig mar. Sie merfte, 
baß ihre fepönen Umarmungen nur Homöbie maren, bie nicht öon ^erjen 


fatnen unb auch nicht ju ^erjen gingen, ©infam uttb trübe floffen bie 
Xage baljin; oft med)felten J bie beiben Stauen oom Worgen biö Wbeub 
nur roenige ©orte, ©lena mürbe pnfterer unb bitterer. ©ineS WorgenS 
ging fie langfam, mie tned)anifch, ju jener mit Warjiffen bemachfenen 
©iefe, bis jum Stranb. Sie mar auSgegaugen, ohne 3 lüccJ / °h nc 3^1* 
aber als fie baS Weer aor fich fab, ba überßel fie ein ttamenlofeS §eim= 
meb unb ein rnilbeS ©erlangen, fich & eni aerlodenben ©lentente anju= 
aertrauen, baS fich fa ruhig wnb enbloS auSbreitete, mie ein langer 
Xraum, in ben pe fich aerlieren mürbe. Xiefer unb tiefer ftieg fic hin¬ 
ab. So gelangte fie $um Weere. .fjter mar bie Steße, mo ber Sönig 
einft babete unb meit binauSfchmamm. 2)ort, mo feine ©lieber -momtig 
fich auSgeftredt, bort moßte auch fie fich auSftrcden. WuS bem Weere 
ftieg bie Sonne, in'S Weet oerfauf fie rnieber. Wudj fie moßte bort 
bineinßnfen. tiefer ©ntfehluß ftanb feft in ihr. Sie trat aor bis an r S 
Ufer. 5)och als bann baS ©affer fchäumte unb hoch auffpripte bis an 
ihre Knöchel, ba fcheute fie jurüd. Ober füllte fie in baS Weer hinein* 
laufen? Sie glaubte niept, ben Wutp gu haben. Sie machte noch «inen 
Schritt, ihre Schupe mürben naß ... 5)a fühlte pe eS, baß ißt ber 
Wutb fehlte, baß pe feige unb febmad) mar. Wein, pe moßte leben 
bleiben. Wber 1 nun mar pe niept mepr baS fcplicpte junge Wäbcpen, 
eine kleine im großen fieben .. . 

fiangfam ging pe bie Wnpöpe rnieber pinanf. 3 u tüd in’S Schloß. 
Wber pe mußte nun, baß baS fieben nicht leicpt fei, unb baß man tüchtig 
unb ftarf fein müffe, um nicht untergugepen. Sie mürbe eS lernen, 
bie Königin mar eine treffliche Seprmeifterin . .. 5)ocp nein, nein: bie 
patte jept feine Wad)t, feinen ©iitßuß mepr; pe trug nur nod) ben 
Xitel einer Königin, ©lena füpltc nun, pe fonnte bei ipr niept bleiben. 
Xenit pe moßte lernen, baS Spiel beS SebenS gefepidt ju fptelen: pe 
moßte geminnen. Sie tooflte bie Xrünxpfe in bie $anb befontmen, 
moßte peiratpen, eine gute ©artie machen. X)aS aber mürbe ipr pier 
auf ©ajroS nie gelingen, ©in ehrgeiziger Xraunt umpitg ipre Sinne: 
ber Äönig mürbe peiratpen, ber tpracifcpe .§of mürbe in ber ©raept* 
entfaltung ber jungen Königin erglänzen. Unb pe moßte ba*u gehören, 
moßte ^ofbarne fein bort. X)aS menigftenS mar ipr ber Honig fcpnlbig, 
baß er pe jur 5)ofbame feiner jungen S*au ernannte. So foßte eS 
fein! #ier bei ber Hönigin Wleyanbra patte pe gar feine 3«funft. Unb 
pe füplte einen ©gotSmuS in pd) ermaepen, ber pon ihrem ganjen 
©efen ©epp ergriff. Wber mar benn baS ipre Scpulb? Wein, eS mar 
bie Sdjulb beS falten, perz* unb lleblofeit SebenS. Unb mit Senti¬ 
mentalitäten unb Selbftmorbgebanfen fam man nicht rneiter. Sie läcpelte 
bitter — über fiep felbft. Wun, fo mürbe pe eben niept mepr fenti* 
mental fein, fiep niept mepr einbilben, baß Hönige pe peiratpen moflten. 
Sie mürbe fortan perz= unb lieblos fein mie baS fieben . .. 

Sie patte baS Schloß erreicht. X)ie Hönigin fcblief nod). Unb 
©lena feprieb einen langen ©rief an ihren ©ater: baß pe nicht Suft 
habe, anf ©ayoS zu bleiben unb ipr fieben in ber ©erbattnung ber 
Hönigiu bapinmelfen zu fepen. X)aß fie anbere ©ebanfen, anbere ©länc 
habe unb nun energifcp öerfuepen moße, pe zu öermirflichen. Xaß fie 
fein Hinb mepr fei, nnb baß baS fieben pe geleprt pabe, baS pope Spiel 
beS SebenS mltzufpielen mit ben Wnberen. 


Alle geschäftlichen Mittheilungen, Abonnements, Nummer¬ 
bestellungen etc. sind ohn-e Angabe eines Personennamens 
zu adressiren an den Yerlag der Gegenwart in Berlin W, 57. 

AUe auf den Inhalt dieser Zeitschrift bezüglichen Briefe, Kreuz¬ 
bänder, Bücher etc. (unverlangte Manuscripte mit Rückporto) 
an die Redaction der „Gegenwart“ in Berlin W, Munsteinstr, 7. 

Für unverlangte Manuscripte übernimmt weder der Verlag 
noch die Redaction irgend welche Verbindlichkeit. 


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384 


Die dt eg eit wart. 



Ilngeigen. 

Set *tü*IIustgtti beruf* man f\d) auf bis 
„Gegenwart“. 


Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift¬ 
stellers sind zu Gunsten der Hinterbliebenen 
folg. Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden¬ 
preises in schönen, geb. Ex. zu verkaufen: 
Brockhaus ’ Conversationslexikon. Neueste 
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände 
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei 
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬ 
gabe 30 M. — Hch. Kurz: Geschichte der 
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. v. 
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild- 
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder- 
bde. 50 M. — Lacroix, Les arts au Moyen- 
Age; Directoire Consulat Empire, 2 Lieb- 
hbde. 80 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬ 
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde. 
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner 
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl. 
Text m. deutsch. Erklärungen v. Delius, 
Hfb.' 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel 
(Pfeilstücker) Lwbd. 10 M. — Bestellungen 
pr. Nachnahme durch Vermittlung der 
Expedition der „Gegenwart“ in 
Berlin W. 57. 




un 


Junten Ortqinal * ©utadjten 
o. ftreunb u. ftetnb: ©jönnon 
©xonbei ©Udjner üridpi Dabn 
Raubet Sgtbp Montane 
$aecfel fcartmamt 3 0Cs 
bau SHpIing fieoucavallo Hin* 
bau Sombrofo Stttfd)tfröerßtt 
Slißra Worbau OOlvier fetten» 
tofer ©aliMuity ©tenlieiuici 
©men ©pcncer Spieltagen 
Ietaer 9«tb#nS«i ©tanlep ©toeder ©trinbbeeg 
!«■« 4 |Ul|lll||ri 6uttner ©tlbenbrudj ©ferner 

ßota u. ». Ä. 

®(ea. gep. 2 SRf. bont Werl«« btr eiginwarl, 
©erlin W. 57. 


Urteil 


betrag ton §l<jf berg&f erger in üetpjig. 

©oeben erfepten: 

irr ^rfjufi 

her 3i rau eit unb Binber 

gegen 

HHUpanblrotgon. 

Nuf Grunb 

anierifanifcper u. europäifeper Materialien erörtert 
Don 

Dr. JUarl 2$al(fcr, 

^rioatbojenteit ber ©taatsroiff. an ber Unlb. Setpjig, 
orbentl. SRitglteb ber internationalen ©ereintgung für 
ocrglcidjenbe JRedjt«roif|. unb »olMn>trtljf<t)aft*leöre ju 
©crlin unb ber American Academy of Political and 
Social Science. 

^reiö 4 Marf. 

Der 2$crfaffer fjat oon 11 S?inberfcpup^Ber= 
einen u. f. m. in New ?)orf, 53ofton, Sonboit, 
$aii«, ^Berlin, Neugeblip, 9öien tntereffante 
Materialien befommen. Gr bebaitbelt and) bie 
grage be§ Ginjcpreiten« ber £>au«genoffen gegen 
begonnene Mijjpanblungen. 


Verlag ton Sötlljclm Jperft in Berlin. 

©oeben erfcpieti; 

$eorg non ^uttfeti. 

Gin Gborafterbilb au« bent Säger ber 
SBefiegten, gegeiepnet oon feiner Docpter 

Ptarie turn gtanfett» 

22 Sogen Dftao. 

Mit 93ucpfcpmucf oon Marie oon Sunfcit 
unb einem Porträt in ^eltograoüre. 
Geheftet 6 M. Gebunben 7 M. 


3n tP* t> erlag in IPeimar erfepien foeben: 

nie Celjren Idftois. (Sin (äebanfen*9lu3jug auö allen feinen SBerfen. 
SSoit Dr. SB. ©obe. 8°. 189 ©eiten. ÜWit jttei Silbern. 2 ÜJJt, ge* 

bunben 2 2J?f. 70 $fg. 

„{Jroecf btefe« 93ucpe« ift, Dolftot als SBaprheitöfucher unb Seprer ooflftänbig unb 
richtig gu geigen; ich labe bie fiefer ein, mit mir afle feine 2Berfe in ber ^Reihenfolge $u be; 
trachten, roie fie entftanben finb. Dann toerben mir i§n oor unferen Bugen emponoachfeu 
fehen, feine erfte Bnlage, feine fpätere Gntmicfelung, feine fdjmeren inneren ft'ämpfe mitlebenb. 
G« lohnt fiep ba«, ebenfo mie e« fich lohnt, Goethe« gauft gu lefen, ift boch Xolftoi ein Sauft 
höheren SRange« al« ber Goetpefcpe. Der dichter Dolftoi mirb un« Nebenfache fein; mit 
tonnen feine Dichtungen oiel höher fcpäpeit al« er felbft e« heute tput, aber Diel höher al« 
feine poetifche ^unft erfcheint un« boch feine nach bem göttlichen Sichte firebenbe 0eele unb 
fein gemaltige« $rebigeramt." 


Königliches Bad Oeynhausen. 


©ommer* u. fBinter=Äurort. ©tation 
ber Sinien ©erlinsÄöfn unb fiöhne= 
£>ilbe«b«im. ©ommerfaifonö.l5.3Rai 
bi« Gnbe ©ept. SBinterfur Oom 1. Cft. bi« Mitte Mai. fturmittfl: 9?aturm. fohlenf. Dhermalbäber, 
©oolbäber, ©ool-3nhalötorium, SBeHeitbäber, ©rabirluft, Mebicomecpan. 3^öerinftitut, Mdnmt n= 
fammer, oorgügl. Molfen= u. Mildjturanftalt. Äene6 Dhrrmalfcabchatiä om l5.Mail»00erif(»ft. 
gnbt tat tonen: Grtrantungen ber Heroen, bei Gepirn« u. IRüdenmart«, Gicpt, Mu«tel« u. Gclest» 
rbeumatt«mu«, C>ergfranfhetten, ©troppulofe, Bnämie, epron. Gelenfentjünbungen, grauenfranfh. ic. 
.Üurfapefle: 42 Mnfiter, 120 Morgen ßurpart, rigenea ftttttheater, ©Alle, Sfongerte. Bflgemeiue 
Safferleit. u. ©cpmemmfanalifation. $rofp. u. ©efepreibung überf. frei bie Xgl. tjflaDetierioaltlMg. 


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Leiden u. der Folgen entzündl. Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang Mai. Prosp. gratis. 


3n unferem Verlag tft erfeptenen: 


Die ©egeuuiflit. 

SfitcnlBt tfiMifl an» 



®fnrrfll=gtgiftfr 1872 — 1896 . 

Grfter bi« füufgtgftcr ^anD. 

Mit Nachträgen 1897—99. Gep. 5* uT 
Gin btbliograppifcpe« 3Öerf erften 
fRange« über ba« gefammte öffentliche, 
geiftige unb füuftlerifd)e £eben ber lepten 
25 3öpre. Notpiuenbige« Nacpfcptagebucp 
für bie üefer ber „Gegenwart", foioie 
für miffenfcpaftlicpe jc. Arbeiten, lieber 
10,000 Brtifel, nach gäcpern, Serfaffern, 
©cplagmörtern georbnet. Die Autoren 
pfeubont)mer unb anonpmer Brtifel finb 
burepweg genannt, llnentbeprlicp für 
lebe 33ibIiotpef. 

Bucp bireft gegen ^oftamoeifung ober 
Nachnahme oom 


Perlag ber töcgenumrt. 

Berlin W 57 . 



Stottern 

heilen dauernd Dir. G. Denhardt’s 
Anstalten Dresden-Losohwitz und 

Bärgsteinfurt, Westl. Herrliche lAge. 
Honor. nach Heilg. Prospecte gratL^. 
Aelteste staatl. durch S. M. Kaiser 
Wilhelm I auagezeichn. Anst De utacliL 



ßiemardiB fladjfolgrt. 


9 ioman 

oon 

W OolfsaMrrtatc. ’Wfi 

^rci« 3 Marf. ©d)öit gebunben 4 Marf. 

Diefcr $i«marrf = GaprioUNoman, ber in 
wenigen 3 a h« n fünf ftarfe Auflagen erlebt, 
evfepeint Pier in einer um bie £)älfte billigeren 

s -8olf«au«gabe. 

Durch alle 53ucphanblungen ober gegen Gin= 
fenbnng be« betrag« poftfreie 3 u f en bung oom 

ücrlag der Gegenwart, 

SBerltn W. 57. 


ICctq nrroonltdjn- SRrbacteur: Dr. X&eoptjtl golltng lit ©rrltn. IRcbactlon unb ®fbebUton: Bnltn W., SRanftelnftiate 7. 2)nnt Don * B«dn In Üftbim 


i 


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M 25. 


29. Jahrgang. 
Band 57. 


^ßerCtn, ben 28. §unt 1900. 


pte dcocmrmrt. 

2Boc|enfcl)rift für ßiteratur, funft uitb öffentliches geben. 


^rattögfgeßeti bon 


Jtba Snatni nfUjelnt ttw Himmt. 

Hu besiegen bur<$ alle Sugljanblungcn unb $oßfimtcr. 


Verlag bcr ©egentoart in Scrlin W, 57. 


Vtntdt&tllUl 4 ff. 50 |f. ftM glKXtt 50 yf. 

Snftrate jtktt Hit pro > gehaltene Vetttjrfte 80 VI- 


5 nßaft: 


WeidjSleucfjenßefefe. $on Dr. med. Äfp^ond gulb. — Ueberfe&ung bcr jiibifcben ©c^cimfdjriftcn. SSon SljomaS. — 
Siteratur nni tauft* WadjträglidjeS $u Xolfloi’S „Äuferftebuitg". $on .ftetnridj Wei)er=©enfei). — $)ie $ünftler-©iebe= 
hing in 5)cirmftabt. $Bon Dr. SBUljelm <öobe. — ^ettUfetolt. (Sine 9Reife6ilb auS benx ruffifc^en Sitauen. SBon 3ofef 
©tußin. — Änd Der $anj)tftaDt. $)er hungrige Wann. SBon $imort b. 3- — 2Son ben großen ©erhner ©ommer;=$un)i= 
auSftellungen. III. SBon 3 Worben. — Offene ^Briefe unb Äntroorten: ganni) Sienwlb unb bie ftrauenbetoegung. 93on Warie 
©tritt. — ^ottjen. — Sinnigen. 


Das bletcbfifeufbengefe^. 

SSou D'r. med. 2((pf;ons fulb. 

Krantfjeit ift immer baS ißrobuct mehrerer, itt berfd)ie» 
bener SHic^tung mirfenbeu gactoren; baS lehren unS gerabe 
bie in iljrer ©ntftetjungSweife am genaueren crforfdjten Sn» 
fectionöfranffeiten. £>eute giebt eg nur nod) wenige Vacterio» 
logen, bie in ben parafitären Organismen baS einzige tranfljeitg» 
etjeugenbe üJloment feilen; ofpte ben Söegriff berKranltjeitSanlage, 
bet 2>iSpofition, fönnte bie SBiffenfdtjaft nidjt auSfoinmen, 
müßten unS bie aHtäglidjften ©tfafjrungen bcr ^rajiS un* 
oerftünblich 6teiben. ®er Kranll)eitSerreger ift aüetbingS baS 
urfädjlidje, baS patt)ologifd)e ©efdjctjen auSlöfenbe 9Koment, 
aber bamit er im Organismus fiel) anfiebetn unb jur SBirtung 
gelangen fönne, baju möffen notier bie Sebingungen gegeben, 
ber ÜBiberftanb, ben KörperjeHen unb Körperfäfte normaler 
Seife bem (Einbringen frember CebeWefeit entgegenftellen, mufj 
tierabgefejjt fein. S)aS ift eben ber Huftanb, ben mir „®iS* 
pofition" nennen, ber Vegtiff, mit weichem jeber Slrjt, ber 
inbibibuelle ißtoptfplajiS treibt, fortroä^renb red)nen mufj, 
wenn er aud) nidjt im ©tanbe ift, ben ©omptej ber (Sr* 
Meinungen in feine einzelnen Komponenten ju jerlegen. 
SiSpofition ift ein befonberet ^luSbrud für bie inbioibueQen 
®igentf|ümticf)teiten ber ©onftitution, bie tljeilS erblich über» 
fommen, tljeilS im fpäteren ßeben erworben finb. ©inflüffc 
ber näheren unb entfernteren Umgebung, ber Kleibung unb 
Soljnung, ber SBitterung, beS KlimaS, beS VerufeS, ber ge» 
feüfdjaftlidjen Sitten unb Vejieljungen, bet ©rnäbrung unb 
root)l nod) eine Steife anberer SDZomente beftimmen neben ben 
ererbten (Eigenfc^aften ben ©rab ber iubiuibuelten SBiberftanbS» 
fä^igteit gegen franlmad)enbe ©ittwirfungen, bie KrantfjeitS» 
biSpofition. 

®er Kampf gegen Kranfljeiten, befonberS gegen übertrag» 
bare Kranlljeiten muff nad) jwei fRidjtungen geführt werben, 
er mufj eincrfeitS bie Vernichtung ober f^rn^altung ber 
ffranf^eitSerreger unb anbererfeits bie Verbefferung jener 
äu&eren ßebcnSbebingungen junt 3iele ^aben, welche bie 2Biber= 
ftanbsfä^igteit weiter SeoölferungSfd)i^ten ^erabjufe^en Oer» 
mögen. Keiner ber beiben üBege barf unbegangen bleiben, 
aber es ift audj lein möglich, baff bie SBefeitigung 

ber bisponirenben ©inflüffe an erfter ©teile fteljen füllte. 
®ie Kr^ö^ung ber 3BiberftanbSfä^ig!eit einer Seüölferung 
>oirb immer bie befte ©dju&Wefjr bilben, namentticb gegen 
biejenigen Kranf^eiten, über beren Kntftef)ung unb SBerbreitungS» 


weife wir noc^ unboKfomnten unterrid^tet finb. greili^ ift 
baS ein 3^» bem wir nur ganj aQmälig nä^er rüden 
lönnen, eS f^Iiefet nic^t allein Ijpgienifd)e Sieformarbeiten 
im engeren Sinne ein, wie bie Einlage centraler SEBafferber* 
forgungen ober bie jwcdmäfeige Organifation beS SbfufirwefenS, 
fonbern namentlid) audj SBerbefferungen ber ölonomifc^en unb 
focialen SebenSbebingungen, bie .^ebung ber SSolfSernä^rung 
unb SSoIlSbilbung, bie gürforge für gefunbe SBoIjnungen, 
bie Sefämpfung gefeDfcfjaftlidjer Unfitten unb bieleS Stnbere. 
Unb weil im ©runbe aÖe (jiet in Setrac^t fommenbeit ©d)äb» 
lic^feiten bie golgewirfung wirt^fc^aftlid^er SKififtänbe finb, 
Wirb fd)Iiefjlid) ein großer EE^eil ber focialen f»pgiette erft 
mit ber Söfung wirt!jfd)aftlid)ct unb focialet fragen feine 
(Erlebigung finben lönnen. 

$raltifc§ genommen Wirb ber Kampf gegen bie Kran!» 
IjeitSerreger nod) auf lange liinauS bie fmuptfadje bleiben 
müffen, aber man füllte fid) boc^ ftetS bor ülugen Ratten, bafe 
er in gemiffem ©iune nur einen iWot^be^elf barfteDt, bcnit 
baS ibeale 3'^- &< e ®£tnid)tung unb gern^altung alter 
Kranlljeitgerreget, ift mit unferen unjulänglid^en SRitteln bod) 
niemals ganj ju erreichen. SBaS bon ber öffentlichen ©efunb» 
lieitSpflege ^eute berlangt Werben lann, ift bie möglic^fte ©in» 
bämmung ber Seuchen auf i^ren £>eerb unb bie ißer^ütung 
maffenfafter 2Beiterberfd)leppung. ÜJIan wirb gut t^un, 
biefen ©efidjtspunlt feftju^alten, wenn man fid) bor Süufionen 
bewahren will. 

5lud) ber neuefte ©ntwurf eines 9ieid)Sfeud)engefe&eS, ber 
feit furjer 3eit bem SReidjStage borliegt, erlennt auSbrüdli^ 
.an, ba§ eS bei ber heutigen ©ntwidelung beS SSerle^rS un» 
möglidj ift, bie Sßerfd)lcppung ber ©eueren burc^ ben menfeb* 
licken $Berlel)t ganj ju ber^üten. 3lBerbingS bürfe auc^ wieber 
bie ©efa^r nicht überfdjäfjt werben, fofern nur bafür geforgt 
fei, bafe bie erft cingefdjleppten göße rechtzeitig erlannt unb 
fofort mit allen berfügbaren ÜWitteln unfc^äblid) gemalt 
werben. STber gerabe bie (Erfennung jener erften gätle in 
einer bisher feudjenfreien ©egenb bietet bie größten ©^wierig» 
leiten. (SS Werben barum aUgemetne ©inric^tungen, bie ber 
Verbreitung ber KrantljeitSerreger ein für alle ÜJIat gewiffe 
©fronten fe^en, ben beften ©djufc bieten. ®ie allgemeine 
Verforgung mit einmanbfreiem SBaffer unb bie rationelle 
Seitung beS ?lbfuljrwefcnS geböten ju folgen crfolgrei^ften 
Vorbeugungsmitteln; fie finb bieöeidjt mistiger, als bie 
ganje Ueberwadjung beS ißerfonen» unb ©üterberfeljrS. Sn 
ber Vcgriinbung ju £ 34 Reifet eS aucl), bajj bie Vcruoll» 


jr 




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386 


Hie Gegenwart. 


Nr. 25. 


fomntnung bcrartiger ©inridjtungen eines bcr wirffamften 
©cßußmittef gegen bie ©eueren bilbet. Seiber hat matt aber 
aus biefeit ©rfaßrungen rticf)t bie richtige ©ottfequenz gezogen, 
eS ift in bem betreffenben Paragraphen nur auSgefprocßen, 
baß bie ©emeinben jur IperfteEung folc^er ©inridjtungen 
angeßalten werben „fönnen". ©S wirb atfo auf bie Auf« 
faffung ber nach SanbeSredjt juftänbigen Vcßörben uttb auf 
ihre hhgienifeße ©infießt anfommen, ob biefe Veftimmung, bie 
in anberer Raffung üiefleießt bie wicf)tigfte beS ganzen ©nt« 
Wurfes fein fönnte, eine praftifdje Vebeutung überhaupt erlangt. 
§ier hat offenbar bie ©cljeu, im Sntereffe ber VolfSwoßl« 
fahrt ben Kommunen finanzielle Opfer aufzulegen, ben Vlid 
ber Autoren getrübt. Die gleiche Aengftlicßfeit athmet aud) 
ber § 23, ber ben SanbeSbeßörben bie Vefugniß zufprießt, bie 
©emeinben ober bie weiteren ©ommunaloerbänbe jur £>er« 
fteflung berjenigen ©inrichtungen enthalten, bie für bie Ve« 
tämpfung ber gemeingefäßrlid)en SÜranfßeiteit nothweitbig er« 
fdjeinen. Die wefentlicßften Veftimmungen beS ©efeßeS, bie 
^Beobachtung, Abfperruug, Sfoftrung,- ber ftraufentranSport, 
bie z»angömeife DeSinfcction tc. fönnen nur bann in humaner 
Seife burdjgefüßrt werben, wenn alle baju erforberlichett 
©inrichtungen, VeobacßtuttgS« unb SfolirungSräunte, Sfranfen« 
tranSportinittel, DeSinfectionSapparate tc. oon langer ftanb 
her oorbereitet finb. ©ine fdjätfere fjormuliruttg, bie gefc^j« 
ließe Verpflichtung wenigftenS ber größeren ©emeinben, bei 
ßeiten bie nötßigften Vorfehrungen ju treffen, wäre barum 
ficherlich am piaße. 

Sn bem neuen ©efeßentwurf haben nur fünf epibemifetje 
Äranfßeiten Verüdficßtigung gefunben, nämlich AuSfaß, ©holcra, 
glcdfieber, ©elbfieber, Peft unb poden, alfo lebigtich e£otifd)e 
Äranfßeiten, oon benen einzelne, wie ©elbfieber unb poden 
für unfere gegenwärtigen Verhältniffe faum in Vetradjt 
fommen. Der ©ntwurf wollte nur z ut Vefämpfung ber 
fdjwerften, grofie Sänberftreden überziehenben VolfSfeiußen, 
bie am eßeften einheitliche äWaßnaßmen nöthig machen, bie 
Saffen liefern; ben cinheimifchen SnfectionSfranfßeiten gegen« 
über, bie bodj aEjäßrlid) ^a^lreicf)c Dpfer an SDienfcßenleben 
erforbern, fchien ihm ein foldjeS Vebiirfniß nicht uorzuliegen. 
Sicherlich hat biefe Auffaffung itt weiteften ärztlichen Greifen 
Vefrembcn erregt. Die ungeheure Vuntfcßedigfeit ber in ben 
oerfchiebenen VunbeSftaaten geltenben Veftimmungen, bie halb 
außerorbcntlicß rigoros, balb allzu weitherzig gehalten finb, 
ift fidjer fein befriebigenber, ber ©rßaltung würbiger 3uftanb. 
©S wäre fein Schabe, wenn bie ©efießtspunfte, bie bei Ve« 
fämpfung biefer Äranffjeiten maßgebend fein müffen, einmal 
oon ber breiteften Oeffentfic^fcit z uc ®iöcuffion gefteUt würben. 
Daß burch bie einzelnen SanbeSgefeßgebungeit ober gar burdj 
polizeiliche Verorbnungen überall baS Nichtige getroffen wirb, 
fann man bodj faum annehmen. ©S wäre erwünfeßt, wenn 
man fich einmal wenigftenS über bie ©renzen einigen wollte, 
bis z u benen ©ingtiffe in bie perfönlidjc Freiheit beS Pub« 
lieumS unb ber Äerzte notßwenbig erfcheinen. Daß bie ein« 
ßeimifdjen SnfectionSfranfßeiten gewöhnlich nur in bcfdjränftem 
Umfange, an einzelnen Orten unb ©egenbett auftreten unb 
bei ihrer Vefämpfung bie befonbere Verüdficßtigung örtlicherVer« 
hältniffen erßeifeijen, fann feinen ©egengrunb bilben. Die Dpfer, 
bie biefe ©eudjen aEjäßrlid) forbern, finb wahrlich groß genug, 
um aEer Orten eine bem heutigen ©taub ber SBiffenfcßaft an« 
gemeffenc Vefämpfung zu erzwingen. Außerbem wirb bie 
energifdje ©eudjenbefämpfung an einem befaEenen Orte immer 
baS befte Wittel fein, um bie weitere Verbreitung zu oer« 
hüten; eS liegt alfo gewifs ein aBgemeineS Sntereffe Oor, baß 
in aEen VunbeSftaaten zwedinäßige Veftimmungen getroffen 
werben. Der ©ntwurf hat auch für b' e üon ihm aüfgenom« 
menen Stranfßeiten feine aflgemein giftige Schablone auffteBen 
fönnen, er hat nur bie äußerften ©renzen marfiren fönnen, 
bi§ zu benen überhaupt üorgegangen werben barf unb bie 
3(uSfül)rung in ben ©inzelfäEen ber ©infidjt ber SanbcS« unb 
VerwaltuitgSbeßörben anheimftcEen müffen. Sn gleichem ©imte 


hätten wohl auch bie einßcimifchcn SnfectionSfranfßeiten be« 
ßanbelt werben fönnen. ©S erwedt barum ben ©inbrud. Wie 
wenn ber ©efeßentwurf, ber nach langer VerfchoEenheit z«nt« 
lieh uuoermuthet wieber aufgetaucht ift, gewiffen äußeren Ver« 
häftniffen feine Vefchränfung oerbanfe. Die furchtbaren 
SBunben, bie bie tuberfulöfen unb oenerifeßen ffranfheiten 
bem VolfSförper fchlagen, erheifchen bringenb gefehlte @d|u|« 
unb ©icherheitSmaferegeln. ®iefe Äranfheiten bürften in einem 
©euchengefefje nicht fehlen; aber jebet gefejjgeberifche Singriff 
muh auherorbentlid) leicht zur ©inmifchung in bie intimften 
Angelegenheiten beS SnbioibuumS unb ber gamilie terleiten. 
©§ erforbert bie größte Vorficht, h’W bie richtige Wittelftrahe 
cinzuhalten. Vebenfen biefer Art mögen wohl bie lange 
3ögerung ber Regierung öeranlafjt haben, anbererfeitS erfdjien 
cS auch gefährlich h eute - bie ©holera wieber bis an ben 
perfif^en Weerbufcn oorgebtuttgen ift unb bie peft an ben 
$h° re n ©uropaS fteht, wo in einzelnen VunbeSftaaten, nantent« 
lid) in Preußen, nod) ganz oeraltete, burchauS ungenügenbe 
Vorfchriften ©efcheSfraft befigen, noch langer mit ber ©in« 
bringung eines ©eudjengefeljeS zu warten, ©o hat man fich 
benn z« biefem Storfo ent|d)loffen, ber auf feiner ©eite fo 
recht befriebigen fann; man hat Sfranfheiten zufammengeworfen, 
bie nur baS Aeufjcrlid)e ber ejotifdjen §erfunft gemeinfam 
haben unb baburch aEerbingS ben ©efeßgeber weniger leicht 
in bie ©efaljr bringen, partifulariftifche ©efühle zu oerleßen. 
9Bir müffen unS nun freilich. Wie bie Verhältniffe liegen, 
auch oiit biefem Vrudjftüd etneS ©euchengefeßeS zufrieben 
geben unb cS wirb bie'Aufgabe ber mit ber Prüfung bc« 
trauten ©ommiffion fein müffen, wenigftenS in bem eng« 
begrenzten Eiahmen etwas VtaudjbareS zu ©tanbe zu bringen, 
©iner ©orrcctur bebürftig ift ber ©ntwurf an bieten ©teEen, 
ich »iE nur noch einzelne, befonberS wichtige Punfte hier zur 
©pradje bringen. 

Ser erfte Abfdjnitt regelt bte Anzeigepflicht, bie erfreu« 
lichcrweifc oom VunbeSrath auch noch auf anbere als bie 
fünf aufgeführten ®ranff)eiten auSgebehnt werben fann; nicht 
nur bie fieberen, aud) bie bloß ocrbäd)tigen ÄranfheitS« unb 
lobcSfäfle unterliegen bcr 3lnzeigepflid)t. $ie praftifche 
Durchführung biefeS ©runbfaßeS bürfte recht fdjwierig fein; 
ber Arzt, ber in feinem Snnerften einen gewiffen Verbacht 
hegt, wirb fich bod) nur fchweren .^erzei'tS entfdjließen fönnen, 
feinen Patienten ben Unannehmlidjfeiten einer amtsärztlichen 
Untcrfuchung auSzufeßen, er wirb auch für feine eigene 
©teEung fürchten müffen, wenn ber Verbaut unbegrünbet fein 
foEte. 3m gegebenen ffaEe wäre eS auch faum möglich eine 
Veftrafung burdjzufeßen, benn eS ift immer mehr ober weniger 
©acf)e ber fubjectioeit Auffaffung, ob gewiffe SranfheitS« 
fhmptome einen Verbacht bis zu bem ©rabe rechtfertigen, 
baß fich bie Anzeige empfiehlt. 9fa<h gesehener üjfetbung 
hat ber beamtete Arzt an Ort unb ©teEe ©rmittetungen an« 
ZufteEen unb eS muß ihm zu biefem 3»e& ber 3 u * r itt junt 
Slranfeit ober z u ber Seiche unb bie Vornahme bet noth« 
wenbigen Unterfudjungen geftattet werben.. Aud) biefe Ve« 
ftimmung giebt z« manchen AuSfteEungen Anlaß; nicht etwa 
weil eS für ben Priuatarzt peinlich ift, wenn ihm ein con« 
currirenber ©oüege am Sranfenbett als Autorität entgegen« 
tritt; foldtje Vebenfen müßtet h'uter ber SRüdficßt auf bal 
aBgemeiite äSoßl unbebingtf zurüdtreten, wenn bamit eine 
größere Sicherheit in bet ge' tfteEung bet Slranfheit oerbürgt 
werben tönnte. Aber baS ift nießt ber gaE: Aus eigener 
Anfdßauung fennt bie üfteht^aßl ber ßeute lebenben Aerzte, 
beamtete ^unb unbeamtete, bie in fjrage fommenben firanf« 
ßeiten nur wenig ober gar nid)t; bie Diagnofe auS ben 
flinifcßen ©ßmptomen wirb barum für beibe Dßeile bie gleichen 
©eßwierigfeiten bieten. Der beamtete Arzt ift buteß feinen 
VilbungSgang in biefer Vezießuitg feineSwegS beffer gefteflt, 
er überragt Weber in feiner ©tfaßrung ttoeß in ber biagno« 
ftifeßen f^ertigfeit ben ärztlichen Durcßfcßnitt. 9iun liegt 
aEerbingS bcr ©eßwerpunft ber Diagnofe tiidßt in ben flinifcßen 


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Nr. 25. 


Die Gegenwart. 


387 


©hmptomen, fonbcrn in bcr bacteriologifdjen Unterfudjung 
ber ÄranffjeitSpröbucte. Aber wenn aud) in ben ftaatSärzt« 
Iidjen Prüfungen bie Äenntnifj ber elementaren bacteriologi« 
l'cfjen llnterfucfjungömethobeu geforbert wirb, fo genügt bieffe 
bodj nod) lange nicht, um in gragen bon fo mcitrcichen bec a 
öebeutung eine autoritative ©ntfdjeibung ju treffen. 3wr 
gleichen ßRafje roie bie bacteriologifdje SBifjenfdjaft mehr unb 
mef)r auSgebaut wirb, roächft auef) bie ©d)Wierigfeit in ber 
Srfcnntnif} ber einzelnen ÄranfljeitSerreger, ihrer Unterfdjeibung 
oon ähnlichen, Verwanbten aber nid)t pathogenen Organismen. 
Ger Amtsarzt — icf) rebe aud) fjier nur Don bem Gurclj 5 
fc^nitt — ift in ber Vafteriologie toefentlid) Gf)eoretifer; 
praftifdje ©rfahrung befi^t er gewöhnlich nur fo Diel, als 
man in einem mehrwöchigen geriencurfuS erwerben fann. 
Um auf bem ©ebiete ber Vacteriologie in zweifelhaften gragen 
ein mafjgebenbeS Uttf)eil abzugeben, baju gehört aber ganz 
entfdjieben eine langjährige, fpecialiftifche Vefcfjäftigung mit 
ber SJiaterie; ber fixere ©ntfdjeib fann barum nur in einem 
fadjmännifd) geleiteten Snftitut getroffen werben. Gie notlj« 
toenbigen 5ßrobeobjecte ju entnehmen, baju wirb ber „gewöhn« 
liehe" Slrjt wohl auch ' m ©tanbe fein unb man fönnte be&hutb 
bem Äranfen in ber Siegel bie für einen feinfühligen feines» 
»egS angenehme SRotfjwenbigfeit erfparen, einen fremben Arzt 
an feinem Äörper fjerumhantiren zu taffen. GeS beamteten 
Slr^teS Hauptaufgabe fotlte eS bagegen fein, über Herfunft 
unb Verbreitung ber Sfranfheit, über bie hhgienifchen Verhält» 
niffe ber SBoljnung unb beS SBoljnorteS beS Ä'raftfen, über 
Sfotirung, GeSinfectionSmahnaljmen tc. bie nothwenbigen Sr« 
hebungen unb Aitorbnungett ju treffen. 

SBährenb auf ber einen ©eite bcr beamtete Arzt ganz 
unberedjtigter 23eife feinem Sollegen Don ber VrajiS als 
Autorität übergeorbnet wirb, ift anbererfeits feine eigene 
SBirffamfeit gerabe bort, wo fic fidj am fräftigften entfalten 
fönnte, in engherjigftcr SBeife bcfchränft. 9iadj ber erften 
geftfteßung ber Äranfheit fann ber beamtete Arzt nur im 
©inverftäubnifj mit bcr unteren VerwaltungSbef)örbe weitere 
©rmittelungcn anftellen, er barf ferner nur wenn ®efaf)r im 
Verzüge ift üor bent @infcf)reiten ber ^olijeibehörbe bie er« 
forberlidhen Wafjregetn anorbnen unb muff biefer unverzüglich 
bavon $Dlittt)eitung machen, bamit fie, wie cS in ber Ve» 
grünbung fo fchön helfet, bie getroffenen Anorbtiungen „mit 
ihrer Autorität bedt." SBorauf fief) biefe Autorität ber hohen 
Dbrigfeit in fragen, benen fie ohne Unterftiifeung beS fach» 
manneS ohnmächtig gegenüberftänbe, eigentlich grünbet, wirb 
allerbingS nid)t verrathen. SRan barf freilich nicht ben 
Autoren beS ©cfefeentwurfeS allein ihren SRangel an 33er« 
ftänbnife für Stellung unb Stufgaben beS ©efunbheitSbeamten 
jum Vorwurf machen; ihre Auffaffimg ift lebiglid) bie ©onfe» 
quenz beS auf fo vielen ©ebieten l)errfd)enbctt GogmaS von 
ber juriftifchen Unfehlbarfeit, bie aUc ©lieber beS Veamten» 
förperS bis jum lebten 9lad)twäd)ter herab mit ben Strahlen 
ihrer höheren ©inficht erleuchtet. ( 

ü)?it ben ©d)ugmaferegeln gegen bie Verbreitung ber 
Seuchen wirb man fid) im Aßgemeinen einverftanben er« 
flären fönnen; fie entfprechen ben gegenwärtig herrfdjenben 
Anfcfjauungen unb finb aud) weit genug gefafet, um in ber 
praftifdjen Ausführung ben fortfdjritten ber 28iffenfd)aft 
folgen ju fönnen. @S fommen f)«y in Vetradjt bie Veob» 
achtung franfer, franfheits« unb aiTftedungSverbädjtiger ißer« 
fonen, ihre Abfonberung unb nötljigönfalls jwangSweife Ueber» 
fühtung in ein ÄranfenljauS ober in anbere, eine Ab« 
fonberung geftattenbe Väumlid)feiten, bie Veauffidjtigung unb 
Vefdjränfung gewiffer gefährlicher ©ewerbebetriebe, bie Ueber» 
wadjung beS V e rfvnen=, 2Baaren« unb SchifffahrtverfehrS, 
bie ©ontroüirung beS VetriebSperfonalS, ber AuSfdjtufe franfer 
unb franfheitSVerbädjtiger fßrrfonen von ber Vcförberung, bie 
Slbweifung von ©ffecten, bie als Präger beS ÄranfheitSftoffeS 
DerbädjHg finb, bie SJäumung von SBoljnungen, bie jwangS« 
weife Vornahme ber GeSinfcctioit u. f. w. ©erabe in ber 


festeren Vcjiehung war eS nothwenbig, bem Uebcreifer unb 
ber viclgefdjäftigen Slengftlidhfeit untergeorbneter ©teilen 
©djranfen ju gieren, um jene empfinbtidjen Veläftigungen unb 
fdjWeren materiellen ©chäbigungen beS reifenben V u ölicumS, 
wie fic zurgdt ber Hamburger ©holera»©pibemic vorgefommen 
finb, in ßufunft ju verhüten, ©egen verbächtige SBaaren 
follen im Sltlgemcinen nur Ausfuhrverbote erlaffen werben 
unb bie ®eSinfection von SBaaren unb fReifcgepäd barf nur 
bann ftattfinben, wenn bie ©egenftänbe als Präger beS An« 
ftedmtgSftoffeS verbäcfjtig finb, b. ff- bei ©h°f £tfl » ©elbfieber 
unb AuSfajj nur, wenn bie Vcrmuthung einer Snfcction 
näher begrünbet erfetjeint, wäljrenb bei fj-fedffieber, ^eft unb 
Voden auch fchon bie 2hatfad)e genügt, baff ein Äranfer 
mit ben ©egenftänben in Verührung gefommen ift 5)em 
VunbeSrath finb nod) Veftimmungen Vorbehalten über bie 
Vehanblung von Seichen, bie Vertilgung von Vatten, SJiäufen 
unb anberem ber Anftedung verbäd)tigen Ungeziefer, fowie 
bie Anorbnung von ©idherheitSmaftregeln bei Vornahme 
wiffenfchaftlidjer Unterfudiungen an ÄranfheitSerregern. 

Sluffäüig erfdjeint eS, bafe bcr § 16 nur jugenblidje 
Verfonen, in bereit Veljaufungen ©rfranfungen vorgefommen 
finb, vom ©chutbefudj auSfchliefeen wiU; baS Sehrperfonal 
bürfte hoch in folchen gälten nicht weniger auftedungSgefährlid) 
fein. ®aj? ber Vollzug ber im ©efefje enthaltenen Vcftim« 
mungen im ©ebiete beS VerfehrS» unb H eetroe f e,, ö beit Ve« 
triebsbehörben, bezw. ben militärifdjen ©ommanbofteHen vor« 
behalten ift, bürfte im ^ntereffe fowohl ber militärifcheit 
®iSciplin als bcr georbneten Seitung beS VerfehrSwefeitS ge» 
rechtfertigt fein. Völlig unverftänblid) erfcheint eS aber, bafj 
baS Verbot ber Abhaltung von SReffett, ÜJcärften unb SRenfdjen» 
anfammluitgen überhaupt auf Gruppenübungen feine Anwen« 
bung finbeit foß. 3n bcr Vegrünbung. hdfet eö ztvar, eS 
fei Slufgabe ber militärifdjen VefehlShaber unb Vehörben, 
unter eigener Verantwortlichfeit barüber ©ntfdjeibung z it 
treffen, inwieweit foldje Uebuitgen mit ber Vüdficfjt auf ben 
©efunbheitSzuftanb bcr Gruppen unb auf baS öffentliche 
28of)l vereinbar finb; eS ift aber nidjt abzufchen, warum 
ÜRafjnahmen, bie ficherlich nur auS zwiugenben ©riinbeit für 
bie gefammte ©ivilbevölferuttg eines SanbeS angeorbnet würben, 
noch öer befottberett ©rwägung militärifcher VefehlShaber in 
Vezug auf ihre 9iotf)Wenbigfeit unterliegen foßen. @S feheint 
faft, wie Wenn in bcr Stufenleiter ber Stutoritäten bie mili» 
tärifdje noch über bcr juriftifchen ftehen foßte. 

GaS finb im ©anzen bie wichtigften Vünfte, bie z ur 
Stritif hcrauSforbern unb cS bleibt auf’S Snnigfte zu wünfehen, 
bafe bie von verfd)iebenften ©eiten erhobenen ©inmänbe nicht 
aßzu leichtherzig bei ©eite gefrfjobcn werben, nur bamit ein 
©eudjengefeh überhaupt zu ©tanbe fomme. Sn jebem gaße 
fann ber ©ntmurf nur als eine AbfdjlagSzahlung h' n ge= 
nommen werben, als ber erfte Anlauf zu einer Viel weiter 
in’S ©inzclne burchzufüfjrenben ©cudjengefehgebung. ©anz 
abgefehen Von ben übrigen einf)eimifchen SnfectionSfranf« 
heiten finb Gubcrfulofe unb ©tjphiltS fo furchtbare gefcll» 
fchaftlidje liebet, bafe energifche Sfbwehrmaferegcln unbebingt 
geboten finb. Sn ber Vefämpfung ber Guberfulofe ben pri« 
Daten SBohlthätigfeitSbeftrebungen bie Hauptarbeit zu über» 
faffen, wäre ebenfo verfeljrt, wie wenn man bie Sinbäm» 
tnung ber vencrifchen Äranfheiten, bie hoch nur auf ber 
©rnnblage internationaler Vereinbarungen möglid) ift, von 
ben SanbeSgefehgebnngen erwarten woßte. ©o fpröbe bie 
SWaterie auch ift, bie üleidjSregieruug wirb fief) auf bie Gauer 
ber ^fließt nicht entziehen föhnen, ihr näher zu treten, ©o 
lange baS nicht gefdjehen ift, wirb bie ©efeüfchaft gerabe 
gegen bie tüdifdjften unter ben gemeingefährlichen Äranf» 
heiten beS auSrekf)enbcn ©dju(jeS ermangeln. 


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388 


Die (ßegentoari 


Nr. 25. 


Keberfe^ung ber jübif^eti <8el)eimfd)riften. 

Sie ©rmorbung beö ©pmnafiaften Sinter ju Sftmifc in 
Seftpreußen fjat bet ber eigentümlichen Art unb Seife, wie 
ber SJZorb not fich gegangen fein muß, iit einigen Greifen ben 
SSerbac^t erregt, baß eö fid) um einen jübifd^eu Sütualmorb 
ßanbelt. diaburd) ift benn bie ganje grage nad) bem SBor* 
tommen unb SZidjtoorfommeu non Slitualmorben einmal mieber 
brennenb geworben, unb wieber einmal wirb baö Verlangen 
geftellt, bie jübifchen ©eßeimfehriften ju überfeßen. 

dient gegenüber wirb behauptet, baff bie Suben nid^t im 
S3efiß oon ©eßeimfehriften finb, baß ihre Steligionöurfunbc 
baS Alte deftament ift, unb baß Alles, waö barüber ßinauö* 
geht, für baS heutige Subentßum nicht ntehr recßtSOerbinblicß 
ift. d>em gegenüber fteht aber baS beftimmte 3eugniß jübifcher 
SZeligionöleßrer, nach bem ber dßalmub noch in allen feinen 
Sortierungen anjufeßen ift alö bie Summe göttlicher Offen» 
barungen an 3)?ofe, münblicß überliefert burch bie Aelteften 
beö SSolfeS unb alfo auch binbenb für bie Suben, unb bafj 
ber Scßuldjan Arud) anjufeßen fei als bie Summe beö notß* 
wenbig ju Ipaltenben. Senn überhaupt ber dßalmub für baS 
heutige Subentßum nicht redjtöoerbinblidj ift, warum ftubiren 
ihn benn bie Subeit unb namentlich bie jübifchen Stabbinen 
fo eifrig? Aus rein ßiftorifdjem Sntereffe hoch gewiß nicht. 

SZun finb freilich weber dßalmub uoeß ©djulcßan Arucß 
baö, WaS man im ftrengften Sinne beö Sorteö ©eheimfehriften 
nennt. Sie finb im ©egentheil eigentlich Sebcrtnann ju* 
gänglicß. Senn trofcbem fein Sleligionö* unb Siedjtsbucß 
ber Seit AnberSgläubigcn fo unbetannt ift, .wie ber dßalmub, 
fo liegt baS jum dßeil fchon an ber junghebtäifcfjext, mit 
aramäifeßem unb c^albäifd^em Sprachgut ftarf oermengten 
Sprache, bie auch demjenigen nicht ohne Seitcreö üerftcinblicß 
ift, ber baS §llthebrätfcf)e oerfteßt. ®abei ift in manchen 
Partien bie Saßconftruction eine fo oerjwidte, unb es finb 
Sonn unb Üicbemenbuttgen fo eigenthümlich, baß bie be= 
treffenben Abfcßnitte nicht leicht ju oerfteßen finb. SDZancßeS 
ift wieber fo langatmig unb weitfehweifig unb ben bcßanbelten 
©egenftanb fo wenig förbernb, baß ein mehr alö gemößnlidjeö 
SWaaß oon ©ebulb baju gehört, eö nur ju lefeit, gefeßweige 
benn, eö ju Oerftehen. ©ö gehört ber ganje Scharffinn beö 
nachdjriftlichen jübifchen SJabbiniömuö baju, ber hinter bem 
Slidjtigften nod) große ©eheimniffe oermuthetc unb fanb, ber 
nach Sefu Auöfpritch SWücfen feihte unb Stamecle oerfchludte, 
um folcß’ ein SG3erf ju Stanbe ju bringen. 

Ueber bie ©ittfteßung beö dßalmub fönnen wir uns hier 
nur oberflächlich auölaffen. der ortßoboje Silbe betrachtet 
ihn alö eine oon ©ott bem SIZofe geoffenbartc genaue AuS» 
legung beö ©efeßcö. Stfofe höbe biefe Auslegung bem Aßaron, 
biefer fie feinen Söhnen unb biefe fie ben Aelteften beö Sßotfesö 
mitgetheilt. dureß öftere Sieberholung fei benn biefe AuS* 
legung bem ©ebäcßtniß ber Aelteften eingeprägt worben. SSon 
©efdjlcdjt ju ©efchlecht fei fie weiter überliefert worben, Oon 
ben Aelteften auf bie Propheten, oon ben jßropßeten auf bie 
ülfänner ber grofjen Sßnagoge, bis man im ßcitalter nad) 
ber 3 er ftörung Serufalentö burch dituö anfing, ©injelneö 
aufjujeicijnen. die enbgiltige Stebaction gefchah um baS Sahr 
200 burd) Siabbi Seßuba §a»9Zafi. Saö fo entftanb, nennt 
man bie SJZifctjnah- ©ie ift baö Sefanntefte unb oerljälttiifj* 
mäfjig ©eniefjbarfte am dh a ^ mu b, am Icichteften oerftänblich 
unb enthält 9(nfichten unb SDZoralfäjje, mit benen auch wir 
unö einoerftanben erfläreu lönnen. Seit umfangteidjer alö 
bie 9JZifd)iiah ift bie ©ctuara, bie eine ©rflärung ber 93Zifd)nah 
ift. l£ö liegt im dh n ^ inu b eine hoppelte ©entara oor, eine 
fürjere unb ältere jerufalemitifdje unb eine längere unb jüngere 
babplonifche. ipier werben bie Ausbeutungen beö ©efegeö 
in ber üDZifdpmh burch Auöfprtidje unb Anfichten oerfdjicbener 
9iabbinen weiter erflärt unb ber ganje (Srflärungöapparat 
wächft an Stellen in’ö Ungeheure, woburd) baö ©anje bann 
manchmal einen ßharafter annimmt, ber eö für ben mobernett 


Sefer unenblidh langweilig erfdjeinen läßt. ®amit ift nun 
bie thatmubiftifche Siteratur nidht am ©nbe. ®aö ganje 
93Zittelalter hinburdj ift am dhalmub weiter erflärt worben, nur 
baß biefe ©rflärungen einen mehr profanen Sharafter tragen 
unb natürlich in ben dhalmub felbft nicht aufgenommen werben. 

2)ie jübifche Ambition über bie ®ntftef)ung ber SÜZifchnah 
ift wiffenfchaftlich unhaltbar. 2)ie moberne 99ibelfritif fpricht 
bem SlJZofe bie Urheberf^aft beö fogen. mofaifdien ©efegeö 
entweber ganj ab ober befdjränft bie Xhätigfeit SDZufe’S alö 
©efeggeber um ein Grheblid)eö. Selbft aber wenn bie alte 
Srabition Siecht h®tte, wenn 9JZofe wirtlich ber alleinige 
©efeggeber Sfraelö wäre, fo läßt fich bie ununterbrochene 
Äette: 3Jiofe»Ae(tefteSfraetö=ißropheten»Shnagoge nicht wißen* 
fcpaftlich erweifen. llebrigenö haben bie jßropljeten fich w e 
alö Ausleger beö ©efejjeö, fonbern alö felbftftänbige SDiänner 
©otteö gefühlt. Aber auch bie einjelnen ^orfeßtiften ber 
ÜDZifchnah fet»en burchauö nicht nach uralten Ausführung«* 
beftimmungen jum ©efe$ auö, fonbern oielmehr alö SSerfu^e, 
baö ganje menfcßliche Seben unb alle menfeßtichen ^lanblungen 
oon ber ©eburt beö SOZenfchen biö ju feinem dobe gefehlich 
ju regeln, fo baß fcf)lechterbingS nichts ber SiUfür beö ©in* 
jelnen überlaffen blieb, fonbern jebeö einjelne dhun unb 
Soffen alö geboten ober oerboten bejeicf)nct werben fonnte. 
daju reidjte nun freilich baö ©efe(j an unb für fich üt 
feiner Seife auö. SDian mußte oielmehr burch füf)ne mehr 
ober minber wiüfürliche Siegeln auö ben oorfjanbenen ©eboten 
neue ableiten, diefe Siegeln werben oon ber jübifcljen dra* 
bition nießt etwa auf göttlid)e Dffenbarung jurüdgeführt, 
fonbern auf ben Siabbi ^liHel, einen älteren geitgenoffen 
Sefu. Saren mithin bie Siegeln jung, fo fann nicht baö 
burch biefe Siegeln ©efunbene uralt fein. Unb weil wir auch 
oon anberen $eugen wiffen, baß man erft um bie ßeit ©h r ‘fü 
anßng, auö bem ©efeß neue ©ebote abjuleiten, unb fo einen 
3aun um baö ©efeß ju machen, fo fann man wohl barauö 
fcßließen, baß bie SDZifcfjnah im Sefentlid)eit in beit beiben 
erften nadjchriftlichen Sahrhuitberten entftanben ift. die 
©emara enthält auch Auöfptüche auö biefer 3«*/ ift fonft 
aber jünger. 

Um biefe 3 e >t aber waren bie Suben bereits ü6er alle 
Seit jerftreut, bei ©haften unb Reiben Oerf)dßt unb oon 
ihnen gemiebeit. ©ö wäre alfo oom rein menfchtichen Stanb» 
punft ganj begreiflich, wenn ber für biefe 3 e it nachweisliche 
unb aud) ju oerftchenbe .'paß ber Suben gegen Anbcrögläubige 
im dhalmub jum Auöbrud gefontmen ift, wenn ber dhalmub 
ben Suben geftattet, Anberögläubige anberö ju beljanbeln alö 
jübifeße 58olfögenoffen. ©twaö AeljnlidjeS fommt gelegentlich 
auch Alten deftament jum Auöbrud. Safob betrügt 
feinen Schwiegeroatcr Saban um feine beften Schafe; bie 
Sfraeliten leihen beim Auöjuge auö ©gppten oon ben ©gpptern 
golbene unb filberne ©efäße in ber Abficht, fie nicht wieber 
ju geben, daö ©efühl ber Auöerwähltfieit macht fich 9«9 cn ' 
über SSolföfrentben alfo auch au f biefe Seife bemerfbar. 
3)Zan fann alfo, ohne baö Subentljum alö folcheö an ben 
ifSranger ju ftcllcn, oermuthen, baß im dhalmub Aefpt* 
lid)eö befohlen ober erlaubt wirb. Sn ber dßat wirb bie 
^Behauptung oon oerfchiebeneit Seiten aufgeftellt, baß ber 
dhalmub gerabe beßhalb nießt einwaitbfrei ift, weil er ben 
Suben gegenüber Anberögläubigen dinge erlaubt, bie, an 
Suben begangen, Sünbe finb. Seiter aber fdjloffen fich t*‘ c 
Suben gerabe in ben Sahrhuitberten, in welchen ber dhalmub 
entftanb, feft gegen Reiben unb ©haften ab. dicren Sdßriftcn 
würben nießt nteßr gelefen, ^tofclpten würben nießt mehr 
gemadjt. Sn folcßen 3eiten ßat aber gerabe ber Aberglaube 
am weiften Siaum in ben Äöpfett, unb eö wäre gar nießt 
oerwunberlicß, wenn irgenb ein SSlutaberglaube aud} im 
dhalmub jum Auöbrud gefommen Wäre, ber jum Sütual* 
niorb führen fönnte. 2JZan bebeitfe boeß, baß in ben dagen 
SBlut alö ein ganj befonberer Saft galt. SDZan bebenfe ferner, 
baß gerabe ber ©laube, bie Suben töbteten gelegentlich Anberö* 



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Nr. 25. 


Die OGegettroarf. 


389 


gläubige, um ihr ©lut ju rituellen gtvccfcn ober old sauber« 
fräftige ÜJfebicin ju oerwenben, oon Slpion au bid auf unfcre 
Sage immer wieber laut geloorben ift. $lpiou mag feine 
Äenntnife non foldjen Singen in bett ^afenfdjenfcn toon 
?llei - anbrien erfahren haben unb ift fidfcr ebcnfo wenig eine 
glaubwürbige Duelle, wie bic ©rfinber bed im SDfittefalter 
oft bernommenen ©erüdjted, bie Suben Ratten bie ©runneu 
öcrgiftet unb baburcf) bie ©eft oerfdjutbet. Slber während 
oon ©runnenoergiftungen feilte nicht mehr bie Siebe ift, erhält 
fich bie < 5 age oon 9iitualmorben unb wirb auch üon foldjcn 
geglaubt, bie fonft nid)t jebem ©erficht blinblingd glauben. 

©ewiefen ift bamit nicfjtd. Sag bad officieÜe Suben* 
tf)um ©hriftcnblut su rituellen ßwerfen ober ald 3 auber* 
mebicin gebraucht, ift and) wof)l nidjt bic ©ieiitung Screv, 
bie ftd) and ooHer Ueberjeugung Slntifemiten nennen unb 
oon ben Suben atled Sd)(cd)tc glauben. 9lber gewiffe jiibifcfje 
Seelen unb Goitoentifel fönnen bod) immerhin irgenb einen 
©lutaberglauben fjegen. unb man tann ed ben ©ölfern, unter 
beneit Suben leben, nicht oerbenfen, wenn fie barüber Stuf» 
fehlufe haben möchten. Sad fann aber nur gefcfjeljen, Wenn 
bie einfdjlägige Siteratur Sebermann in richtigen unb ocr- 
ftänblidjen Ueberfejjungen sugänglitfj gemacht Wirb. 3 U ber 
einfcfelägigen Siteratur gehören in erfter Sinie ber Sfealntub 
unb fein Sludjug, ber Sdjuldjan Sfrudj. Saju gehört weiter 
bie gaiije tljalmubiftifdjc Siteratur, bie entweber ben S^almub 
ergänjen ober erflären will, bie jWar fein fanonifdjed 9ln* 
fefen f)at, aber bod) bic ©olle ber Schriften oon Sfirchcn* 
leerem unb Äirdjenüätern in ber (S^riftenJjeit fpiefeit. Saju 
gehören enblid) wirtliche ©eheimfdjriften, bic oielleicht bad 
offtciellc Subenthum ald apofrtjph oerwirft, bie aber bei 
Secten unb ©onoeutifeln in ähnlichem ?lnfef)cn ftehen mögen, 
wie 3 . ©. bie ^»enocfjbiichcr bei ©ffäern 3 ur 3 e *t Sefu. SBad 
unb wie oiel oon foldjen Schriften Oorfjanben ift, weife man 
freilich nicht. Sad officieUe Subenthum leugnet ihr ©or* 
hanbenfein unb fann cd oielleicht auch tf)un, ba ed ihnen 
nicht mehr SBcrtf) beimifet, ald 3 . ©. bad officiellc Gf)rifteu= 
thum ber fogen. SRormonenbibcl. Sfnbererfcitd berufen fich 
boch mitunter bic eiu 3 elncn Suben ben ©hriften gegenüber 
auf geheime Schriften unb beren SBeidljcit. Ob bad nur 
Prahlerei ift, ober ob noch etwad Slnbered bahintcr ftccft, 
müfete suerft unterfucht werben. 

Sad ©erlangen, bie jübifchen ©eheimfdjriften, Wie man 
gewöhnlich Sf)älmub, thalmubiftifchc Siteratur unb etwa Oot* 
hanbene wirtlich geheim gehaltene Schriften mit einem SBortc 
nennt, ift burdjaud fein unbiüigcd. Sen Suben ift ja auch 
unfere ganse religiöfe Siteratur zugänglich uitb 3 War in 
Slitdgaben, bie Sebermann Oerftänblich finb. SBir Oertangen 
alfo nur, bie Suben foHen und gewähren, wad wir ihnen 
unb aller SBelt längft gewährt haben, ©igentlidj hätten bie 
Suben eine folche Ueberfehung aud freien Stiiden oeran* 
ftalten unb oorlegen muffen, ald fie um ooKed ©ürgerrecht 
bei ihren 3Birtf)doölfern nadjfudjten. Saburcfe allein tonnten 
fie ben ©adjweid liefern, bafe ihre SJcligion ed ihnen ge* 
ftattete, ©ollbürger eined fremben Staated 3 U werben unb 
allen ©flidjten nad) 3 ufommen, bie ber Staat unb feine übrigen 
Sürger oon ihm üerlangten. Sad hat man bamald Oer* 
fäumt, unb cd ift nicht einsufchen, warum ed jefct nicht nach* 
geholt werben fann. 

Sad ©erlangen hat auch gar feine jubenfcinblidje, anti* 
femitifdje Senben^. Snt ©egentfeeil, ergeben bie Schriften 
in ihrer Ueberfejjung, bafe ber Sube nicht berechtigt ift, bie 
©haften anberd 3 U beljanbeln ald feine ©otfdgenoffcn, bafe 
in ihnen nidjtd Oon ©itualmorb unb ©lutaberglauben fteljt jc., 
fo fönnen bie Stntifemiten ruhig einpaden, bann haben fie 
fich mit ihren ©efdjulbigungcn fo lädjerlidj gemacht, bafe fie 
fich öffentlich nicht mehr feljen laffen fönnen. SDfan wenbe 
aber auch nicht ein, ber ©erbacht, bafe etwad Scrartiged ftcljen 
fann, fei für bad Subenthum fdjon belcibigenb unb um feiner 
Sh 1 * Willen fönne bad Subenthum auf eine ernfthafte SBibcr* 


legung eined foldjen ©erbachtcd nicht eingehett. Sad ift 
lächerlich. Sludj ald OöQig Unfdjulbiger fann ich in ben 
©erbacht fommeit, eine ftrafbare fcanblung begangen 3 U haben. 
£>abe ich aber ein reined ©ewiffen, fo beantrage ich fetber 
eine Unterfuchung, ba eben baburdj am beften meine OöHigc 
Sdjulblofigfcit erwiefen werben fann. ©d ift wirflidj nicht 
einsufehen, warum bad Subenthum, um allerhanb ©erbad)* 
tigungen ab 3 uweifen, nicht felbft eine genaue Unterfuchung 
feined einfdjlägigeit Sdjrifttfjumd beantragt. 

Statt beffen fudjt bad Subenthum mit allen Sfräftcn 
Slnberdgläubige 3 U hinbern, ben Shalmnb fennen 3 U lernen. 
Shatfädilid) fliebt ed in feiner Sprache eine Uebcrfefeung bed 
Sljalmub unb felbft bie Uebcrfefeungen ein 3 elner Sheilc, mit 
Sludnahme einiger Sammlungen oon aud bem 3»famtneuhang 
geriffelten Sprüchen k. pflegen fo fchnell aud bem ©ud)* 
hanbet 3 n üerfchwinben, bafe man fdjon an ein Sluffaufen 
burch Suben gebaut hat. Unb wenn jefct wieber bie lieber* 
fefeung ber jübifchen ©eheimf^riften in ben Äreid ber @r* 
örtcrungert gesogen wirb, fo finb ed in erfter Sinie Suben, 
bie fo etwad für oöHig unnötljig halten. @d ift niefet su 
leugnen, bafe bie Suben gerabe burch ein berartiged ©erhalten 
benjenigett Seuten SSßaffcr auf bie 90?ühlett liefern, welche be* 
haupten, im Sfealmub ftefec etwad, Wad ein 9 ?i<htjube nicht 
wiffen bürfe. Safe bie Suben foldjcd ftetd geleugnet haben 
unb noch leugnen, beweift boch 9 °r nichts. So peinlich ge* 
nau nehmen ed alle Suben mit ber SBahrljcit nicht, bafe man 
ihnen einfach auf ihr SBort hin glauben fönnte. SSir haben 
oben ben ©ebanfett geftreift, bafe ed wenigftend möglich ift, 
bafe int Shalmnb etwad ftef)t, wad bie Suben nicht gern au 
bie Deffentlichfeit haben möchten. Sollen wir nun bie Suben 
ald oollbercdjtigte beutfdjc 9 teid)dbiirger anfehen, fo müffen 
wir Wiffen, bafe fie und nidjt mit anberetn SJlaafe meffen, 
ald ihre ©taubend* unb Stammcdbrüber unb bie gewinnen 
wir nur burch e iite Polle ©inficht in ihre ©eheimfdjriften. 
Sad fann man audfpred)eu, ohne irgendwie in ben ©crud) 
bed 2 tntifcmitidmuÖ 3 U fommen. 

Soll aber bie lleberfe(jung einen SBerth haben, fo mufe 
fie unter ftaatltdjcr Stufficfet, .oon gelehrten unb unparteilichen 
SJfännern gemadjt Werben, ©etraut man Suben allein bamit, 
fo fommt man um bic ©efatjr nidjt h et um, bafe biefe im 
Sntereffe ihrer ©otfdgenoffen Singe audlaffen, bie fie nicht 
veröffentlicht haben mögen, ©d ift Shatfadje, bafe in einer 
Shaimubaudgabe in hebräifcher Sprache ber Sractat 9lbobah 
sarafe, alfo Oom ©öfeenbienft, audgelaffen war, weit etwad 
baraud auf bad ©hriftentljum besogen Werben unb ben Suben 
©crfolgungcn eintragen fonnte. SBir müffen volle ©arantie 
bafür haben, bafe ohne ©üdfidjt auf bie folgen 9lDed über* 
fefet wirb, wad in biefen Schriften fteht. SBir wollen üoU* 
ftänbige, feine üerftümmelten Sludgaben unb wollen und auch 
nicht bamit begnügen, bafe Sied unb Scned nicht mehr bin* 
benb fei. SBir wollen aber auch nidjt etwa lauter Suben* 
feinbe mit ber Ueberfefeung betraut wiffen, ba biefe einjetnen 
Stellen einen Sinh unterfdjieben fönnten, ber fjetaudgeprefet 
wirb, aber nicht barin liegt. SBir Wollen fein Senben 5 Werf, 
fonbern eine finngemäfee Ueberfefeuitg. 

SBir fprechen ed 31 cm Schlufe' noch einmal aud, unfer 
SBunfch entfpringt feiner ffeinbfdjaft gegen bad Subenthum 
unb gegen bie Suben. SBir glauben aud) niefjt blinblingd, 
wad und Subengegner ald Sehren bed Sfealmub unb bed 
Schuldjan Slrudj Oerfaufen wollen. SBir wollen gern glauben, 
bafe bad SlKcd nur ©ntfteöungen finb, aber man mufe ed und 
beweifen, wir Wollen nun einmal erft feljen unb bann glauben. 
SBir Wollen ben alten Streit für unb gegen bie Suben gern 
einmal aud ber SBelt haben, unb bad mufe ben Suben aud) 
lieb fein, benn trofe iljred ©elbed unb ifjred ©influffed auf 
bie ©reffe müffen fie in biefem Streit fdjliefelidj boch beit 
kürzeren ziefjen, benn ber Slntifemitidmud wädjft. SBir haben 
ben SBeg öorgefdjtagen, ber 3 um grieben führt, ©inen aitbcren 
wiffen wir nicht. cbomas. 


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390 


Die (ßegenroart. 


Literatur uttb «^unft. 


tttußträgUcßes jm tolftai’s „iÄtiferfteßuntj“. 

SBott £}etnrtdj IHeyer * 33enfey\ 

Sn einet $eit, bie an politifcßen ©reigniffen fo atm ift 
wie bie unfere, — fo arm, baß eine elenbe Scanbalaffaire 
wie bet SE>reifuS«SBtozeß Saßre lang ton ben ßeitnngStefern 
aller SBelt mit fieberhafter ©pannnng berfotgt mürbe — einer 
3eit, mo ©ferne erfter ©röße nur am £>immel ber Kunft 
lenkten, ba finb bie großen Kunftraerle, mie fie naeßeinanber 
an’S Sicht treten, eigentlich bie roid^tigften ©reigniffe. Sßon 
ihnen ^ängt in erfter Sinie ber ©eßalt unb 2Bertß eine« 
3eitraumeS ab; an fie merben mir in erfter Sinie benfen, 
menn mir uns fragen, maS mir z- SB. im terfloffenen Saßre 
im meiteren Kreife SöerthboUeö erlebt hoben. Unb menn mir 
einmal mit ben Slugen ber 3 u lunft ii« fef)cu terfueßen: was 
man in ßunbert fahren noch öon ben lleinen Kriegen an 
ber Sßeripßerie ber Gitilifation, bon ben tedjnifcßen gort« 
fchritten unb ©tfinbungen, bon ben ©nt bedungen ber 3Biffen= 
fdjaft lennen mirb, baS fönnen mir unS nicht oorftetlen; aber 
bie großen Offenbarungen unferer dichter, bie SEBerfe Sbfen’S 
unb SEotftoi’S, bie mirb gewiß aud) bann jeber ©ebilbete 
fennen nnb lieben unb fie merben herrlich fein mie am erften 
SEag. ®a ift eS nun ein eigenes, bebeutfameS 3 u fammen= 
treffen, baß gerabe jur 3eit ber improtifierten Saßrßunbert« 
menbe uns zwei folcher untergeßlicßeit SEBerfe gefdjenft finb, 
jmei SEBerfe, in benen biefe größten unferer SDZitlebenben, bie 
eigentlichen füJjrenben ©eifter beS auSgeßenben neunzehnten 
SaßrßunbertS, beibe im 72. SebcnSjahre, noch einmal in boller 
Kraft bor unS hintteten, als gälte eS, ein leßteS SEBort, ein 
heiliges SBermäcßtniß bern fommenbeit Saßrßunbert ju über« 
geben. ®aß eS gleichmoht nicht ein aOerlc^teS SBort fei, 
bürfen mir rnohl bon ihrer ungebrochenen DZüftigleit erhoffen. 

SDZit ungebulbiger Spannung merben alle bie zaßllofen 
SBerehrer SEolftoi’S feinen großen SRoman „^luferfteßung" er« 
märtet, mit freubigein SEaitfe ben erfdjeinenben begrüßt haben, 
greiließ, baß feine moralifcß=reJigiöö«gcfellfd)aftSfritifcße ©djrift« 
fteHerei nicht aus ber mürrifdjen, fauertöpfifeßen SebenSuntuft 
unb ©chmäche beS ?KterS herrühre, baß fie teineSmegS ben 
SBerfaQ feiner fiinftlerifchen Kraft bebeute, bielmehr bie un« 
tergleicßlicße ©abc beS großen, tiefen ©cßauenS unb beS 
reinen ©eftaltenS ißm unberminbert fei, baS hatten unS fdjon 
bie fleinen ©rgäßlungen unb DZotcüen ber lebten Saßre, 
namentlid) baS ÜJtciftermer! „Jperr unb Knecht" gezeigt. ©S 
mar fogar bie ©rwartung auSgefprocßen, baß „feine ganze 
tßeoretifdje ©djviftftetlerei nur ein SEurchgnngSpunlt zu einer 
neuen bießterifeßen ?lnfdjauung ber SEinge" fei. Silber auf 
ein fo ftattlicßeS SEBeißnadjtSgcfdjenf hätten mir unS bod) faum 
Hoffnung gemacht. Unb bennoch müffen mir zweifeln, ob 
jene ©rroartung nun mirflid) beftätigt unb bie DZiidfeßr 
SEolftoi’S zum Kiiuftfcßaffen großen ©tils befiegett ift. SluS 
ben SBrieffteUen, bie im DZacßmort ber beutfdfen Ueberfeßung 
Don SEßlabintit Gzunritoro mitgetheilt finb, erfahren mir, baß 
ber SSerfaffer auch biefeS SEBerf, baS in frühere Saßre zu« 
rüdreidjt, zu ben „Sachen in meiner alten Spanier, bie ich 
jeßt nicht mehr billige", rechnet unb nur aus äußeren 
©rünben, halb mibermiHig, eS abgefdjloffen unb oeröffent« 
ließt hat. ©o fdjeint eS faft, als ob biefer fpätgeborene 
SBruber zu „Krieg unb grieben" unb „3lnna Karenina" 
toielleidjt eine ©pifobe in ber ©ntmidelung SEolftoi’S bleiben 
foHe. ?lber wie bem fei, mir haben zunäcßft ©runb genug, 
unS ber herrlichen ©abe ton Kerzen zu freuen unb auS ber 
unerfdjöpflidjen Quelle, bie in ihr rinnt, äftßetifcßen ©enuß, 
SBeleßrung unb Anregung z u feßöpfen, foüiel unfere ©eele 
ZU faffen üermag. 

©ine öotlftänbige ©ßaralteriftif beS SEßerfeS zu geben, 
mürbe meine Kräfte überfteigen. Sie hätte oor SElllem nach« 



Zumeifen, mie fid) bie gorm j, e g neuen SRomanS tion bei; feiner 
SBorgänger unterfd)eibet, fie hätte bem ©inftuffe feiner tet« 
änberten SebenSanfdßauung auf bie fünftlerifcße ©eftaltung, 
ben etwaigen ©puren ber ftüdweifen Ülbfaffung mit Unter» 
bredjungen naeßzugeßen je. SBieKeicßt mirb eS nodj lange 
bauern, bis wir SlUeS baS flar erfannt ßaben unb ein befi« 
nititeS Urtßeil über SEBertß unb ©eßalt möglich ift- ®eß6rt 
boeß bie SEticßtung fießer nießt zu benen, bie baS Snterefjc 
einer ©aifon bilbeu, um bann tiergeffen zu Werben. 9Zur 
einige beiläufige ©ebanlen, bie mir mäßrenb beS SefenS ge» 
fommeit finb, fann ich ß' er barbieten; mögen fie nießt ganj 
mertßloS für Sßerftänbniß unb SBürbigung beS SEßerfeS er» 
feßeinen. 

SDZein erfter ©inbrud mar ber, baß bie Kraft ber Sehens» 
erfaffung unb «barftellung im ©anzen ßier auf ber gleichen 
Ipöße fteßt, mie nur in irgenb einem SEBerfe SEolftoi’S, b. ß. 
auf einer §ößc, mie fie außer ißm oielleicßt 9?iemanb erreicht 
ßat. Slucß ßier fießt er ben SDZenfcßen, bie er feßilbert, bis 
in ben innerften ©runb ißreS §erzenS, unb er ftellt fie fo 
lebßaft unb lebenbig, fo fießer unb natürlich bor imS ßin, 
baß mir fie zu fennen glauben, mie mir nur unfere näcßften 
greunbe unb SBermanbten lennen, ober auch biefe nießt ein« 
mal. — 3m Uebrigen freilich fdjeint eS Xolftoi mit bet 
lünftlerifcßen gorm beS ©anzen leidjter genommen zu ßaben, 
als in ben früheren SRomanen. SBir ßaben ßier nießt bie 
gleichen räumlicßen unb zeitlichen ®imenfionen: mir bettegen 
unS in einem biel enger begrenzten Kreife, äße ©eftalten 
gruppiren fieß um einen SÖZittelpunft, aßeS ©efeßeßen fpiclt 
fieß ab in einem 3eitraum, ber naeß SEBocßen zäßlt, unb ben 
mir größtentßeilS SJag für SEag miterleben, unb berläujt 
überhaupt gcrabliniger unb einförmiger. 

3lber bießeießt fdjeint baS nur fo. ®enn WaS fieß ßict 
bor unferem ©eifte auftßut, baS ift boeß mieberum eine ganze 
SEBelt mit einer erftaunlicßen g-üße inbioibueßett SebenS. ®ie 
SBebölferung ber ruffifeßen ©efängniffe, unter ber mit uns 
ßauptfäißliiß bewegen, ift ja nießt eine einheitliche fociale 
©djießt; Sßertrcter ber berfeßiebenften ©efeßfdjaftSclaffen fuiben 
fidj in ißuen zufammcit. ®a finb neben ben eigentlichen SBer« 
breißern fdjlicßte Sanbleute, bie tßeifS fdßulbig, tßeits unfcßulbig, 
tßetlS burcß ©efdjid, tßeilS bureß 3 u faß ober SBetfeßen, ßier« 
ßer geratßen finb. Unb bann bie Sßerbrecßer, SDZenfcßen uon 
berfeßiebenftem ©ßarafter, bie auS ben berfeßiebenften SBoraus« 
feßungett burcß bie berfeßiebenften Urfadjen (nur nidjt gerabe 
burdß angeblidß angeborene ober ererbte Veranlagung) ju 
folcßeit geworben finb, unb bie tßcilweife an bie äufeerften 
unteren ©renzeit beS ÜJZenfdjlicßen reidjen, — eine ©efell« 
feßaft, bie fonft nur gelegentlich geftreift, in feinem früßeten 
SEBerfe fo felbftftänbig unb bielfeitig borgefüßrt ift. 2)a fmb 
ferner bie „Sßoiitifcßcn", bie SRebolutionären unb DZißiliftcn, 
Zit benen stolftoi erft jeßt ein inneres Sßerßältnifj gemonnen 
ZU ßaben feßeint, mtb zwar ein SBerßältnifj unbertennbarcr 
©ßmpatßie unb |iocßad)tung, — gewiß eine ßöcßft mertßbollc 
unb bebeutfame ©ebietSermeiterung. daneben treten akr 
aueß bie Kreife, bie SJolftoi fonft mit SBorliebe gefcßilbert ßat, 
breit unb fräftig genug ßerauS: bie ariftofratifeße ©efeßfeßait, 
bie „große SEBelt", baS SBeamtentßum einer«, baS Sanbuolt 
anbererfeits. @o entfaltet ber SMcßter aueß ßier eine ganze 
SEBelt üor unferett Slugen, bie fogar eine nicfjt unroefentlicße 
©rroeiterung beS ©eficßtSfreifeS zeigt. 

SDZit Welcß’ fießerem lünftlerifcßen SEact bei ber granbiofen 
©infacßßeit baS SEßerl aufgebaut ift, wie ooit bem einmal 
angenommenen StfuSgangSpnnfte, ber ©cßmurgeridjtSfcene mit 
bem uerßängnißOollen Sßerfeßen bei ber ©^ulbigfprecßung, 
fieß bie §anbluitg natürlich unb ungezwungen naeß allen 
©eiten entwidelt unb alle biefe ©eiten roieber ineinanbet 
greifen, baS mürbe fdjoit meßrfadß bargetegt; aueß natß biefer 
©eite ßin ermeift fid) bie SEicßtung als baS Sßrobuct einer 
oielleicßt unbewußten, aber burcßauS reifen unb ooKenbeten 
Kunft. 


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Nr. 25. 


Die (Gegenwart. 


391 


©ang im ©egenfaße gu ben früheren Romanen ßat 
“Dotftoi hier eine ©eftalt in ben Wittelpunft gerücft, bie alfo 
als ber eigentliche Ipelb beS fRontaneS erfcheint: ben gürften 
Stecßljubow. Sitte anberen fjiguren, alles 3 u flänblid)e ü n & 
aHeS ©efcßehen gruppirt ficß um ißu unb ift nur feinetwegen 
ba. (Sr ift faft ununterbrochen auf ber ©üßne (bie Wenigen 
SluSnahmen befdjränfen fiel) auf ben Stufang): aDeS Slnbere 
ejiftirt eigentlich baburch, baß, unb infofern, als eS Don ihm 
pefehen toirb; MeS, WaS Dor fid) geht, ift fein (Srlebniß. 
Der fRornan nähert fich baburch einer Äunftform, bie befon* 
berS bei ben norbifdEjen Autoren fehr beliebt ift, wobei mir 
bie Sßclt überhaupt nur mit bem 2luge unb burdj baS 
Webium einer beftimmten SSnbioib.ualität fehen. (So Dieöeidjt 
am confequenteften Änut Jpamfun.) Dolftoi nähert fich biefer 
Dedjnif; er führt fie nicht ftrenge burdt), benn er unterteiltet 
fich nicht öon feinem §elben in ber 2lrt beS ©djauenS unb !ann 
baßer birect in eigenem tarnen barfteHen, maS ber gürft 
SRedjljubow fieht unb erlebt. — Sieben ihm bleibt eine anbere 
©eftalt Don Slufang bis gu (Snbe beS 93ucßeS, Wenn auch mit 
Unterbrechungen, Dor unferen Slugen unb im ©orbergrunbe 
beS SntereffeS: bie unfchulbig Derurtheilte Dirne WaStowa, 
bie jener früher oerfiiljrt hat. 2We Slnberen finb nur Sieben* 
figuren, fie treten nur geitweife unb nur in 93egug auf jene 
auf. Stber auch fie» fo erftaunlich groß ihre 3 a ht ift fie 
Stile finb gang inbioibueU lebenbig unb mit tieffter SBaljrheit 
unb (Sdßtheit ausgeführt; fie leben Dor unS in ihrem Dollen 
WenßhheitSgehalt unb ihrer gangen ©efonberßeit, fie werben 
unS in ihrem inuerften SBefen burdjftcßtig. 

Sene ©eiben aber, beren Sehen fo eigentümlich inein» 
anbergefchlungen wirb unb bie fich int Dollen Sinne ihr 
ScßWfat finb, fie überfehen mir in bem gangem Verlaufe 
ihrer (Sntwicfelung. Die paar SBodjen, wäijrenb beren wir 
fie auf ihrem SebenSWege begleiten, finb für fie nicht eine 
(Spifobe, fonbern bie große SfrifiS, wo fich 3iel linb Stiftung, 
©efdjicf unb SBertß ihres Sehens entfdjeibet. SBaS DorauS» 
liegt, ift bie unentbehrliche ©orauSfeßung; WaS nachfolgt, 
ergiebt fich barauS als nothwenbige (folge. Daher hat Dolftoi 
auch barauf uergießten tonnen, bie äußere ©efcßidjte gang gu 
(Snbe gu ergählen.. Denn bie innere (Sntwicfelung ift wirtlich 
DoHenbet: wie auch ihre äußeren ©erhältniffc fich geftalten 
mögen, — WaS ber eigentliche Inhalt unb Sinn ihres SebeitS 
fein wirb, barüber fann fein 3weifel beftehen. UebrigenS 
laßt fich ja auch ber äußere 2lbfdjluß leidjt ergängen. 

2tiS fie fich gntn erften Wate trafen, ba entftanb hieraus 
ber erfte SBcnbepunft ihres SebenS: ber ©ünbenfaü, ber 
eigentliche Slufang unfereS (SrbenbafeinS. ©iS baljin hatten 
fie im UnfchutbSparabiefe ber ßinbßeit gelebt; inbem fie nun 
burch unb miteinanber fdjulbig Werben, werben fie in baS 
©etriebe ber ÜBelt ßineingegogen; ihr Sehen wirb wie baS 
aller Stnberen. Unb ihres eigenen lydßS Derluftig, finfen fie, 
immer tiefer, beS feften §altS, aller SSiberftanbSfraft beraubt, 
unb bie mahne.itbe ©timme ihres Snnern, baS nagenbe ©eWußt» 
fein ihrer Sage betäubenb: fie, eine öffentliche Dirne, — er, 
äußerlich h 0( h angefehen unb achtbar, innerlich leer unb fittlich 
toertßloS Wie fie. Unb nun — bamit 6eginnt bie eigentliche 
(Srgäßtung — treten fie einanber gum gweiten Wale gegen* 
über, er als ©efeßworenet unb fie als Slngeflagte. Unb 
toieberum wirb biefe ©egegnnng für fie entfeßeibenb. Snbent 
e6en burch bieS SBieberfeßen bie (Srinnerung an bie 3eit, wo 
fie noch re i n nnb eigen waren, Dor ißre Seele tritt, beginnt 
ber innere Wenfcß, bet fo lange im bumpfen Traume unb in 
Ohnmacht barnieber gelegen hatte, in ihnen wieber aufguteben 
unb gu wirten. Slber bei ©eiben nicht in gleicher SEßeife, — 
auch hierin befteßt eine genaue parallele. SBieberum ift nur 
bei ihm fpontanc (Sntwicfelung unb Snitiatioe. Sei ihr wirb 
biefer ißroceß erft burch fein (Singreifen herDorgerufen unb 
hat ein langes, heftiges Sträuben gu überwinben. 3Sie einft 
auf ben 2Beg ber ©ünbe, fo wirb fie jeßt burch ißn wiber 
ihren SBiQen auf ben ©)eg gur (Srtöfung mitgegogen. Der 


©laube an bie unbebingte Wadjt beS ©Uten im Wenfdßeit 
bricht mit fieghaftcr, freubiger ©ewißheit burch- — ©ang 
unWiHfürlidj ftellt fich hi et ber ©ebante an ein anbereS 
Weifterwerf ber ruffifdjen Siteratur ein, an DoftojeWSftj’S 
„Scfjulb unb Sühne". (SS ift nicht nur bie äußere Slehnlidß* 
feit, baß eS beibe Wat ein Wattn unb eine Dirne finb, um 
bie eS fich hanbelt, baß bie entfdjeibenbe SrifiS in beiben 
(fällen auf bem 2Bege nad) Sibirien eintritt, Wohin fie gießen, 
ber eine Stheil als Derurtljeilt, ber anbere jenem gu Siebe 
(mit ber fehr djarattcriftifchen Sßariante, baß fich für ®ofto* 
jewstp bie 93erberbniS ber ©efetlfchaft Dertörpert in einem 
9fuSnahmeinenf<hen, einem notorifd)en 9Serbred)er, einem un« 
gewöhnlich üeranlagten, aber burch ganger unb ©pintifiren 
gerrütteten ©ehirn, für 'Solftoi bagegen in einem gang ge* 
wöhnlichen ®urd)fchnittSntenfchen, ber lebt wie Sitte feines 
Stanb.eS unb fich burdjauS ber Sichtung feiner Witmenfchen 
erfreut), — entfd^eibenb ift eben biefer beiben Richtern ge* 
meinfame ©taube, baß in jebem Wenfdjeit eine Äraft ber 
(Srneuerung lebt, bie ihn audh aus bem tiefften Stbgrunb ber 
Sünbe gu retten unb gu einem neuen Seben „in ©eredjtigteit 
unb fReinigfeit" gu ftärfen Dermag, unb gugleid), baß eS eine 
Wacht ber Siebe giebt, bie auch ben Slnbern, burch alle 93er* 
ftocftljeit beS §crgenS hinburch, gu retten unb gu entfühnen 
im Stanbe ift. (SS ift Dor 21 Hem biefe ©runbübergeugung, 
biefer fefte ©taube an ben Sieg beS ©Uten unb bie SlUcS 
überminbenbe Wacht ber Siebe, ber in ber $h a * ©eele 
biefer Äunft ift, unb, wie fich leicht geigen ließe, audh bie 
Sluffaffung unb ©eftattung ber eingetnen Wenfdhen wie ber 
3ufammenhänge unb 93erhältniffe beftimmt, waS biefen größten 
$>id)tern SRußtanbS ben urchrifttichen' ©harafter giebt, ber unS 
in ihren SSerfen fo eigen überrafcht unb ergreift. (Sntfcheibeitb 
ift einerfeits bie auSfdjließlidje (Sttcrgie ber fittlidjen SBerthung, 
anbererfeitS, baß bie eigentlichen ©ulturproblente fo Dollftänbig 
außerhalb beS ©efichtSfreifeS bleiben. ®aß aber gerabe bie 
beiben SMdjter, bie am tiefften im ruffifdjen SSolfStfjum wurgeln 
unb bie gewaltigften Offenbarer feiner Seele finb, mit fotetjer 
©utfehiebenheit Don ber ihm innewohnenben fittlidjen Straft 
fünben, — .einet Straft, bie man in breiten Strichen ber 
wefteuropäifdjen Siteratur DergebenS fudht, — baS ift für 
baS rufjifdje 93olf ein h er rlictieS 9tuhmeSgeugniß unb eine 
fidjere Sürgfchaft feiner 3wfunft. 

SBenn man bie beiben tpauptgcftalten ber „ Sluferfte^urtg" 
nebeneinanber hält, fo nimmt fich ber gürft Stedjljubow, 
ber bodj ber eigentliche Sßrotagonift ift, neben ber überaus 
lebenbigen unb mit ftärfftem inbiDibuedem fReig auSgeftatteten 
WaSlowa unleugbar etwas matt unb unintereffant auS. 
93ieHei<ht fönnte man hierhin wirtlich eine gewiffe fünftlerifche 
Schwäche fehen. Der ©runb aUerbingS ift beutlid). UnDer* 
tennbar will Dolftoi in biefer gigur fich felbft barfteHen; ba 
er fie aber alles beffen enttleibet hat, waS ihn gu einer fo 
eingigen ^Serfönlichteit macht, fo erfd^eint ihr inbiDibueller 
©chalt etwas bürftig. Sludj bieS ift berftänblicß unb bebeut» 
fam. (SrftenS ift bem naiöen Zünftler — unb biefe ©e* 
geidjnung gilt ja Don Dolftoi im allerhöchften Waße — baS 
eigentliche ©eheimniß feiner SnbiDibualität, b. h- feiner tünft* 
lerifchen Sßrobuctiüität, nidjt bewußt. Unb gerabe bei Dolftoi 
ift feine gange SBelt* unb SebenSanfcßauung baburch beftimmt, 
baß ‘er, felbft Snbioibualität in hödjftcr cßotcng unb mit ber 
unDergleicCjticfjen ©abe, SnbiDibuen gu fchaffen, in feiner 
Schälung, feiner Dh^rie biefem ©rincip gar feine Üte^nung 
trägt, fonbern ben eingetnen Wenfdjen lebiglidj als eine 
befonbere Darftellung ber Wenfcßheit nach feinem Wenfcßheit^“ 
geßalt wertßet. Somit fann in einer ©elbftbarftellung Dolftoi’S 
baS gar nießt ßerauSfpringen, waS ißn als ben (Singigen 
cßaralterifirt, alfo in unferer Schälung feinen SSertß auS* 
macht. Zweitens aber Wirb jeber bebeutenbe Stünftler mit 
©ewußtfein unb Stbficßt in feinem ©elbftporträt bie aHgu 
inbiüibuelleu 3äfl e auSlöfdjen unb fid) bem DurdjfcßnittS» 
meiifdßcn anäßnlicßen, fdßon um feinem SBerfe ben ©ßarafter 


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302 


Die (ftegettwarl 





öon $lßgemeingiltigfeit ju geben, ben afle waf)rfjaft große 
Sunft ueefaugt. So in bem jüngften ©elbftbefenntniffe Sbfen’S. 
Unb tüte tief fielen bie ©eftalten, in benen ©oetlje bem 
publicum feine Seid)te abgelegt hat, ftehen ein SSBciSlingen, 
ein ©laöigo unter bem wirftid)en ©oetlje! dagegen finb bie 
unechten unb falben ftünftler immer barauf auS, ihre gelben, 
jumal folche, in bie fie it)t werttjeS 3d) oerf (eiben, nad) 
Kräften ju fteigern, als ungewöhnliche, über baS ÜRenfchen* 
maß ^inauöragenbe ©eftalten ju malen. (Ser ttjpifdje 
„fRomanhelb", non bem felbft ©ubermann fiel) nid)t frei* 
gemalt tjat. Ober man benfe gar an SBilbenbrudj’S „©djwefter* 
feele".) ©S jeugt alfo auch bieS non Solftoi’S Äiinftlergröße, 
wenn er in bem dürften SRec^tfubotx», fei eS in unbewußter 
SRotljwenbigfeit, fei eS mit bewußtem Jßißen, ftc^ auf baS 
SRtoeau beS SurdjfcfjnittSthpuS ^erabgebrüeft tjat. 9lber eS 
fann als ÜRanget wirten, wenn bie SRotibirung unb bie 9Ser= 
ftänbtidjfeit ber |>anblung barunter leibet. Unb baS fdjeint 
hier ber gaß ju fein. Seitn bem dürften IRechljubow trauen 
tnir allenfalls bie immmer^in fef)t bebeutenbe fittlidje ©nergie 
ju, womit er, unbeirrt burd) bie entgegenwirfenben ©inflüffe 
ber Umwelt unb ber ©ewolinfjeit, unb nur ganj norüber* 
geljenb noit ber Schwäche ber menfdjlidjen SRatur angcfodbten, 
bie 2Rad)t beS SBöfeit in fief) unb in ber KRaSloWa befiegt. 
Senn wir wiffen auS aßen ©djilberungen beS ruffifdjen 
SBolfeS unb fetten auef) aus biefem Üloman, baß ber fRuffe in 
niel höherem ©rabe bereit unb geneigt ift, aßeS 2lnbere unb 
aud) fid) felbft feiner fittlid)en Ueberjeugung ju opfern, unb 
baß Wir bafjer nicht non unS auS urteilen bürfen. 5Rid)t 
gtaublid) erfdEjeint eS bagegen, baß ber SurdjfchnittSmenfd) 
fRedjtjubow aud) jenen eigentpümlidjeit Siefblict befijjen foß, 
mit bem er bem Seben unb ben SRenfdjen immer unb 
unmittelbar auf ben ©runb ifjreS ÜBefenS fdjaut Ser ift 
oielmeljr baS auSfchließlidje SBorredjt beS ©enieS Solftoi. 
Unb bod) ift er im gufaminenfjange ber Epanblung nicfjt p 
entbehren, benn fdjwerlid) würbe ohne ifjit baS 33erl)ältniß 
jur SRaSloWa ungetrübt bleiben unb bon fo tiefet SBirfung fein. 

SEBir haben gefeljen, baß bie ganje pier bargefteßte SBelt 
ein ©rlebniß 5Red)ljubow’S ift, baß ber Sid)ter aber fid) nid)t 
non feinem gelben fonbert unb pm Ooflen SBerftänbniß für 
biefen cinpfeßert ift; fie ift alfo bod) mit Solftoi’S Singen 
gefeljen. SEBetdjer Slrt aber ift nun baS äufjere fflilb, baS er 
gefetjen hat, unb wie Ijat er eS gefepen? @S ift ein Silb 
non einer grauenhaften. Sroftlofigfeit, unb eS Wirft um fo 
nieberfdjlagenber, als aud) Pterin Solftoi nirgenbS ejtreme, 
befonberS marfante ©injetfäfle barfteßt, fonbern ftetS baS 
ganj ©ewöhulidje, baS, waS aße Sage gefd)ief)t unb non Slflen 
fo hingenommen wirb, als müßte eS fo fein. ÜRan fage nicht, 
baß Wir SRnßlanb p wenig feitnen, um p einem Urtf)eil 
berechtigt 311 fein. 3 d) möchte im ©egentheil behaupten, 
San! ben großen ruffifdjen Srphlern, bie mit fo unüer* 
gleichlidjer Unbefangenheit unb Sicherheit bie SBelt, in ber 
fie leben, gefdjaut unb Wiebergegeben haben, fennen Wir fein 
Sanb unb fein Sßolf fo gut, wie baS ruffifdje, Uteßeidjt nidjt 
einmal unfer eigenes. Sie Diel tiefer unb gebiegenet ift bie 
Äeuntniß, bie wir auS einem SBerfe SoIftoi’S fd)öpfen, als 
baS ©rgebuiß einer fitrjeren StuStanbSreife, Wobei wir für 
ben fleinen SluSfchnitt, ben unfer Sluge umfaßt, fo fef)r auf 
ben ßufaß angewiefen finb unb eS wieoerum ganj Don unferer 
gähhjfät ju fehen abhängt, wie Weit unfer Süd unter bie 
äußerfte Oberfläche bringt. Unb baS Silb, baß Wir fo bon 
SRußlanb erhalten, ift überafl baS gleiche, — bebürfte eS nodj 
einer 93eftätigung außer bem Siegel ber ©chtljeit, ben biefe 
Äunft fo unberfennbar an ber «Stirn trägt, fo wäre baS eben 
biefe ©inftimmigfeit, — baS 93ilb eines ebfen, tüchtigen, wenn 
auch noch theilweife unentwidelten SßolfeS mit einem unernieß» 
liehen gonbS bon ernftem ©treben, bon Siebe unb ©üte, baS 
unter bem unerhörten Srucf eines barbarifdhen ©taatSfhftemS 
barnicberliegt unb bon bem erbannungSlofen Sfoloß jermafmt 
Wirb. Sie ruffifdje ©taatSmafchine ift bietleicht bie entfe$lid)fte 


Sarbarei, bie bie 3Belt bis je^t gefehen hot, benn fie ber- 
binbet mit ber boßenbeten Hoheit unb fRüdfichtSlofigfeit ber 
primitiben ©ewaltfjerrfdjaft bie in’S Unermeßlidhe gefteigerten 
SRachtmittel unb bie jeben SBibcrftanb unmöglich machenbc 
Omnipoteitj beS mobernen ©utturftaateS. Saturn ift ihr 
SlßeS, was irgenbwie über baS niebrigfte SRittelmaß h‘ n ö ug: 
ragt, an tßerftanb unb Salent, an tßorjügen beS §erjen§ 
unb beS ©eifteS, an ©eetengröße unb ©harafterftärfe, an 
fittlidjem ober reügiöfem ©onberftreben, bon politifdjen 
Senbenjen gaitj ju gef^weigen, bem Untergange geweiht, 
einem (angfamen, unenblicf) qualboßen ^pinfterben; benn biefe 
SobeSurttjeile werben nicht mit Strang unb Seit boflftredt, 
fonbern lieber mit bem ©djmuh unb Unrath, ber feuchen- 
gefchwängerten ©tidfuft ber ruffifdjen ©efängniffe, wo nach 
bem SSolfSauSbrud „bie Säufe mitßRenfdjen gefüttert werben*. 
SBieber fei an eine anbere, leiber in Seutfdjlanb p wenig 
gefanute ®id)tung erinnert, „SBjera töaranjow" bon Sophie 
ÄowatewSfh (beutfd) als „bie fttihiliftin" bon Souifc glachS- 
gotfehaneanu, SBien 1896). Stucp l)i et '»erben jwei treffliche, 
bom ebelften ©treben befeette SRenfchen fcßulbtoS hingerichtet, 
bie eine burd) Sinodjenfraß, ber anbere burd) ©chwinbfudjt; 
unb am Schluffe djan wir einen flüchtigen ©inbtid in bie 
berüchtigte tßeter=fßaul=3fcftitng, jene unheimliche ©rabhöhlc, 
worin ber ©efangene bon jeoem 3 u f ammen h an 9 mit ®klt 
unb Seben für immer abgefdjnitten ift, unb wo eS feiten 
länger als Wenige SRonate bauert, bis SBahnfinn unb ©elbft* 
morb feinem ©terben ein ©nbe machen. — Uebcrfeheu wie 
baS nid)t: Siejenigen Sichter, anS beren Söerfen wir biefes 
öilb ruffifdher 3uftänbe gewonnen hoben, bor Slßem Solftoi 
unb SoftojewStl), fie finb gerabe bie rnffifchften ber SRuffen, 
bie fich am meifteit als folchc fühlen unb ber wefteuropäifdp 
©uttur gegenüber ablehnenb ober gfeidjgiltig berhalten, benen 
jebe ©ittfteflung ber Sh at f ac hen (jumat ju IRußlanbS Ungunfleiti, 
jebe untiinftlerifd)c Senbenj, jebe potitifd)e ißarteirichtung 
gänjlich fern liegt. Sßenn ein Sotftoi, ber früher bie 
liften entfehieben berurtheilte, ba ja auch fie ©ewalt gegen 
©cwalt fehen unb baS ®öfe mit SBöfem befämpfen Wollen, 
jc£t für fie eine fo auSgcfprochene ©hmpathie berräth, — 
eine ©tjmpathie, bie fich Weniger in ben aßgemeinen Stu»= 
einanberfehungen, als in bet ßewhnung ber Vertreter äußert, 
non benen nur einer nicht baS SEBohlgefaßen beS Sid)tcrä 
hat, — wenn auch er ju ber Slnficfjt gefommen ift: „Der 
einjige gejiemenbe Ort für ehrliche 9Renfd)cn ju je^iger 3 e > ! 
in SRußlanb ift baS ©efängniß," fo liegt bariit eine Der-- 
nid)tenbe Sterurtheilung ber ruffifcEjen ©taatcS, gegen bie nichts 
einjuwenbeu unb bon ber nichts abpbingen ift. 

916er foßen wir nun in 5ßh ar ifäerfinn baS ?luge jum 
$imincl erheben unb fprechen: „9iein, ©ott fei Sant, wir 
finb nicht fo" —? 93ieflei<ht fönnten wir bod) ü 6 er bem 
Salten im 9(uge beS 9?ad)6arS ben Splitter im eigenen (wenn 
fdjoit nicht umgefehrt) überfehen hoben. — ©icherlich hätten 
wir bamit bie Meinung Solftoi’S grünblich berfehlt, benn er 
Wiß ganj gewiß nicht fpeeieß SRußlaitb, fonbern bie heutige 
Serfaffung ber menfd)(id)en ©efeßfehaft überhaupt treffen. 
Unb wenn wir ernftlid) prüfen: feine Sfritit ber ©efeßfehaft 
trifft wirtlich auc h bei unS jit. 3 Wnr h fl t bie ältere ©ultur, 
bie in ben ©injelnen unb burch bie ©injelncn ooßjogenc 
fittlicpe ©ntwidelung, ber größere ©influß biefer ©injelncn 
unb ihrer Silbung bie brutale fRoßeit beS ©taatSthumS gc- 
milbert, bie ärgften ©hmptome befeitigt ober öerfteeft. Slber 
ber fiern ber Sache ift hoch berfelbe. 3 m fßrincip ift unfer 
©taatswefen überhaupt burchauS unfittlich, benn eS grünbet 
fich nicht auf Freiheit unb fRedjt, fonbern auf 3Ra^t unb ®e= 
Walt, eS befolgt nid)t baS ©runbgefeh aßer focialen ©itt= 
lichteit: bie unbebingte ?ld)tung ber üRenfchheit im ©injelncn, 
eS behanbett ben IRenfchen nicht als ßwed, fonbern a(v 
SRittcl. 3ch glaube nicht, baß man bem mit ©runb wiber* 
fprechen, nod) auch irgenb etwas in Sotftoi’S ©efeßfehaft^ 
tritit als unjutreffenb ober übertrieben bejeidjnen fann. 2 Benn 


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Nr. 25. 


Die (ßegcnmart. 


398 


ttrir baö aber eingefehen unb anerfannt Reiben, baitn ergebt 
fid) broljenb unb unabmeiöbar üor unö ein Sßrobtcm, oon 
bem man heute nid)t gern ^ören mag unb an bem man 
ftetö forgfältig toorbeige^t, fo oft mir aud) fdhon feinen Saum 
geftreift hoben (j. 93. anläfjlich ber armcnifchen ©reuet): bet 
©onflict jmifchen SRorat unb (jßolitif (ober (Staat). (Sott ich 
bic (Schmierigfeit auf einen fefjarf paraboj jugefpifcten Sluö* 
btuef bringen, fo möchte ich f° fagen: alle fittlidje ©ntmide» 
tung üottjieht fid) im ©injelnen, er ift baö Subject beö fitt= 
liehen S3erouhtfeinö, ber Präger beö gortfdhrittö. Staat unb 
©efeUfdhaftöform bagegen finb bie in ©pftem gebrachte Un* 
fittlichfeit. Unb bod) foU bet ©injetne fictj biefer ©efammt» 
heit unterorbnen. Unb jmar nicht blof? ber üftacht meicheub, 
fonbetn im tarnen ber Pflicht. Sllfo: bie ©ittlid^feit Oer» 
langt oon bem fittlichcn ©injelnen, baff er fein fittlidjeö 93e= 
touftfein bem fcf)ted)thirt unfittlichen ©anjen opfere unb unter» 
toerfe! ®aö ift eine Slntimonie, bie mir töfen müffen, menn 
mir meiterhin ein Seben im Semufetfeiit führen motten. 

‘(Solftoi ift bie Söfung feht einfach: ihm ift ber ©taat baö 
9Jeicf) beö SBöfen fd)te<±>tl)in, nur mit bem ©injelnen hot eö 
feine Üttorat ju thuit. @r fann fo entleiben, meit bei ihm 
bie ©ultut nicht fitttich gemerthet mirb, überhaupt alö be» 
fonbereö Problem nicht ejiftirt. 2öir fönnen unb motten 
biefen Stuöroeg nicht annehmen. Stber ba mir bie grage 
hoch nidjt abmeifen fönnen, fo bteibt bie Nötigung, eine | 
beffere Söfung ju fuchen. 333ie ich mi* biefe möglich benfe, 
fann id) hier nicht anbeuten; nur auf ihre SBidjtigfeit foUte 
f)ittgemiefen merben. SBir (Seutfchen finb noch Neulinge in 
ber ißotitif, unb eö mirb oietteicht noch fange bauern, biö 
bie 9J?affe beö 93olfeö potitifch reif ift. (Sa ift eö oerftänb» 
lief) unb entfehutbbar, bah mir unö mit ungeteiltem ©ifer 
unb bem Ungeftipn ber Sugenb in bie fo lange entbehrte 
■Ülhätigfeit ftiirjen unb unö Stßeö Oom Selbe hotten, maö 
unferc potitifche ©nergie fcfjmächen fönnte, atfo befoitberö 
biefe grage nach SBerth unb Stecht ber (jßolitif überhaupt. 
Slber eö mirb ber 3e>tpun!t fommeit, mo auch bie (J3olitit an 
biefer fjrage nicht mehr öorbei fann, fonbern fit mit ihr 
toirb auöeinanberfehen müffen, Unb id) glaube, auch He fann 
am ©nbe babei nür gemiitnen. 

Stoch eine anbere ©emiffenöfrage richtet bie „Stnferftehung" 
an unö. ÜBit hoben eö gelernt, — menigftenö biejenigen 
unter unö, bie oon ber mobetnen SMlbung berührt finb, nicht 
natürlich bie ©efolgötruppen bet lex feeinje, — bie Sunft 
nur unter äfthetifchen @efid)töpunfteit ju betradjten unb alle 
moralifche Seurtheilung abjumeifen. ©ilt baö nun auch 
toott biefem Nornan? ©ollen ober bürfen mir audj ba bloß 
bie (Sedjnif, bie munbetbare (Sreue unb (Siefe ber Scbenö» 
barfteHung, bie erhabene ©infadjheit unb golgeridjtigfeit beö 
ganzen 93aueö u. f. m. in banfbarcr Semunberung gertiefjeti, 
unb alle fociale Sritif, alle fittlichcn Neformgebanfen bei 
©eite taffen? Sicherlich märe baö nicht in (Solftoi’ö Sinne. 
(Senn man fann nicht jtoeifeln, bah et mit feinem SBcrfe 
toirlich eine 2Woral, eine fittlidje ©efammtanfehauung prebigen 
toill. Ober fotlen mir baritm fein SSÖerf aiö (Senbenjroman 
branbmarfen unb oon ber ©phäre ber reinen Sunft auö» 
fdjliehcn? Sluch bieö märe ungerecht, benn man mürbe SDtüfje 
haben, ju jeigen, baft bie fittfichen Ueberjeugungen (Eolftoi’ö 
irgenbmie bie Neinheit feineö ©djauenö ober bie Streue ber 
SDarftetlung getrübt, ba| alfo bie äfthetifchen Dualitäten im 
©eringften unter bem moratifchen ®chalt gelitten hätten. 
Unb fönnen mir felbft mit gutem ©emiffen bie ©idjtung 
lefen nur mit bem ©ebanfen: „2Bie fchön ift baö gefchrieben!", 
fühlen mir unö nidht unmittelbar gebrungen unb oerpflichtet, 
audh gu ben fittlichen Slnfchauungen barin Stellung ju nehmen? 
95ei biefer gragefteQung mirb unö ftar, bah bie grojje Äunft, 
bie Sfunft, morin fich baö innerfte Seelenleben einer 3 e ‘* 
offenbart, unb melche in erfter Sink ben bauernben SBerth 
einer ©poche für bie SBeltgefchichte beftimmt, jmet ©eiten 
hat. SBaö ihr biefe hohe, einzige SBürbe oerleiht, finb im 


©runbe hoch nicht tedjnifche SBorjüge, fonbern eben, bafj baö 
Sebenögefühl unb bie Sebenömerthung ihrer ßeit in ihr in 
bleibenbe ©eftalt gebannt ift. ßier jeigt fidh baö h eu te fo 
beliebte becabente ©chlagmort „L’art pour l’art!“ in feiner 
Unjulänglithfeit: eö fann bie Äunft nicht bapor fdiüfcen, ein 
fchöner Sujuö, ein müßigeö ©piei ober gar ein cfoterifcher 
©port gemiffer ejcfufiüer Greife ju merben. Unb gerabe ba» 
gegen richtet fich iolftoi’ö S3erbammungöurtheil über bie 
moberne Sunft; unb mir merben nicht umhin fönnen, ihm 
fomeit Siecht ju geben: mie bie Sfunft eine Angelegenheit ber 
9J?enfchheit ift, fo muh f* e ftef) an bie ganje ÜJienfchheit 
menben, fie muh jtoar nicht nach SlügemeinOerftänblichfeit im 
äufjeren SBortfinne, aber nach Slügemeingiltigfeit ftreben^ Sn 
biefem Sinne mirb fie unö baö teiften, maö in früheren SBelt» 
altern ©ache ber Sieligion mar. Auch bieö für baö 33er* 
ftänbnih unferer 3eit fehr intereffante Problem fann h* et 
nicht aufgerollt merben. Slber bie S£f)atfache liegt oor Silier 
Äugen: Unfere ßeit ift Oon einem getoaftigen, urfprünglidjett 
religiöfen prange erfüllt. SBir fehen ringö um unö, mie eö 
fich * n ollen ben älteren Sieligionöformen unb »gemeinfdjoften 
mächtig regt; aber bie eigentlich neuen, eigenen, originalen 
Schöpfungen unferer 3 e *t entftehen auher|alb ihrer. Unb 
menn mir unö fragen, moburd) unfer ©taube, unfer SBiffen 
unb 3#lH en oon ©inn unb 3med beö Sebenö beftimmt ift, 
! fo benfen mir in erfter Sinie an bk groben Sfünftler, Oon 
beneit unfere Seele lebt, ©oethe, Sbfcn, Slolftoi. ®iefe reli» 
giöfe ©runbanfehauung oom Seben brauet nid)t birect auö» 
gefprochen ju fein; fie fann rein unb OoQ in ben ^ßroceh 
beö fünftlerifchen Silbcnö felbft eingehen, mie eö bei ben 
früheren SBerfen Solftoi’ö, bei Sbfen ber galt ift. Slnberer* 
feitö fann ber (liefe unb ber SBudjt beö ©effihlö nur eine 
unooHfommene ©eftaltungöfraft beigefellt fein; bann entftehen 
bie groben |>a(bfünftfer, bie neben jenen ben religiöfen unb 
ethifchen ©ehalt unferer 3eit oerförpern, SJJänner mie ©arlple, 
SJiehfche, SWaeterlind. Slber baö ift beiben ©ruppen gemeinfam: 
gerabe bah in ihnen baö Seben felbft, ber tieffte Sebenögehalt 
unb eigenfte Scbenöfinn unferer 3 f it fidh üertfinbet, baö ift 
eö, maö ihnen ihre metthiftorif^e ©röhe, ihren ©migfeitö» 
charafter üerteiht. 


5Dte ÄüttfUer- Sicklung in DarmflttM. 

58on Dr. UWfielm Bobe. 

S)er junge .feetjog Start Sluguft Oon SBeimar, ber einft 
in feinem fRefibensftäbtdhen bie größten (Sichter (Seutfchlanbö 
ju oereinigen muhte, finbet je^t feinen Nachfolger in bem 
jungen ©rohherjog ©rnft Submig oon Reffen. (Senfelben 
(Sienft, ben Äarl Sluguft feinen (Sichtern unb bamit jualeich 
ber beutfdhen Sfunft unb auch feinem Sanbe leiftete, miu ber 
heffifche güvft feinem Sanbe, feiner Nefibenjftabt unb bem 
beutf^en Äunfthanbmerf leiften. „üfteiit §effenlanb blühe 
unb in ihm bie Sunft!" ift ein SDfotto, baö er bei feierlicher 
©efegenheit gefprochen hot. 3 U Äarl Sluguft’ö 3 e *kn mar 
bie (Sichtfunft baö fraftooHfte Stinb unter ben fünften; fie 
oerfprach ant meiften, für ihre Sluöbitbung maren bie SSor» 
bebingungen am günftigften. (Sann hoben mir erlebt, bah 
bie SWufif jur SSor^errfd^aft gelangte, unb jefct barf man 
moht fagen, bah bie fogenannte „angemanbte ßunft", b. h- 
baö Sünftlerifdhe an allem Saumert unb §anbmer! bie Äunft 
ber 3 { il ift; auf feinem anberen ©ebiete jeigt fidh fo oiet 
neueö Seben, fo üiel fräftigeö SBolIen, fo Oiel üerheijjungö» 
oolleö Slitfangen, fo menig Ueberfättigung. ©ö märe gemih 
nicht ju beflagen, menn anbere giirften fich 8 U @<huhpatroncn 
anberer fünfte machten; aber eö ift bod) aujkrorbentlich 
glüdflich, bah ©rnft Submig gerabe für baö merbenbe Sunft» 
hanbmerf baö fein miü, maö Sari Sluguft für bie beutfdhe 
Siteratur mar. Db er fo hochbegabte SDJänner bereitö an 
fich flegogen hat ober nod) geminnt, bah fie fpäter in ihrem 


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394 


Die (ftegentoari. 



: ■* 


Nr. 25. 


t\ad^e mit ©cßißer unb ®oetße bergtidjen merben fönnten, 
mirb freitict» erft bie ßeit teuren, ^ebenfalls giebt et ißnen 
bie atlerbeftcn äußeren Sebingungeit, ißr Sbelfteg augpbilben. 
©ie mancher ©icßter, Sfufifer, ÜJZalet, mie mancher Sünger 
bet anbeten Sänfte ßat fid) nach einem folgen S?äcen Der» 
geblid) umgefeßaut! ©ie Herren Seßreng, Soffelt, Sßriftianfen, 
Dlbridj, Sürcf, £>ubidj, fmber fügten aber aud), baß fie nun 
jut Anfpannung aller beften Kräfte berpfließtet finb. 

©et ©roßßergog giebt ißnen erfteng eine foltße Unter» 
ftüßung an ©elb ober ®etbmertß, baß fie nidjt aug Srob» 
forgeit ju 3toanggarbeitett fieß Derbingen miiffen. Sr raubt 
ißnen aueß nießt ißre 3 e *l bureß Seßrämter ober anbere 
Aemter; toie toeit fie ©djüler augbilben roollen, ift ißre ©aeße. 
Sr läßt ißnen ferner bolle greißeit, fdjüßt fie oor Sureaufraten 
unb Sfiniftern, bie eg moßl immer gut meinen, aber nießt 
immer mit jungen Sünftlern ßarmonireit mürben; nur ißr 
gürft ift ißr £err unb fie berfeßreit oßne SHttelgperfon mit 
ißm. Sr giebt ißnen ferner bie günftigfte ®elegenßeit, Don» 
einanber ju lernen, aneinanber ju maeßfen, fid) gegenfeitig 
anjuregen unb anäutreiben; mie ©exilier unb ®oetße bureß 
einanber größer mürben, fo bürfen aueß fie eg. Unb eine 
Sevfucßuiig Dermeibet er, bie bei einem gürftcit naße liegt; er 
niacßt eg ißnen nidjt jur ißfließt, feine ©eßlöffer ju berjieren, 
feine Umgebung mit ®lanj unb Sujug anjufüUen, fonbern 
in feinem ^cffenlanbe foll bie Sunft blüßen; bag gange Sanb 
foll Don Siefen ©äeleuten befruchtet merben. Unb feine 
Sünftler benten audj Diel tneßr an Solfgfunft alg an §erren= 
Eunft. Eßrofeffor £mitg Sßriftianfen ßat bie ©age noeß nidjt 
Dcrgeffcn, mo er mit Dgcar ©djminbraäßeirn im Hamburger 
Solfgfunft »Serein fich an neuen Sbealen ermärrntc; noef) 
ßeute greift er bag Suitftgcmerbe ber Seidjcn unb ©cfdjäftg» 
leute fdjarf an: „©tatt fdßiüter Sinfacßßeit— Sujug, ißomp, 
ftatt frifeßer Saturftubien — ©rabition, ftatt ,<perjeng» 
fache reine ©efcßäftgfadje: fo feßaut eg in unferem Sunft» 
ijanbmerE aug, unb beßßalb muß eg Slage» unb ©eßeit» 
morte über fiel) ergeben laffen: „©reibßaugpflanje, Sujug» 
gemerbe, Ornamentflunferei, SSummenfdjanj Don ©tilarten!" 

— Sod) ßeute begeiftert er fid) an bem ©treitrufe „£>ie 
Solfgfunft!" „Sine Solfgfunft! bag ift eg, mag unferc 
Sunft fein follte, mag fie fein muß, mag fie merben mirb! 
Sine Sunft, bie allem Solfe biene, ber aber audj atleg SSolE 
ßnlbige, eine freunblidje, millige ©ienerin, bie bem Aermften 
greube fpenbe, mie aueß eine aÜßerrfd)enbe, erßebettbe Söttigin. 
Sin ftoljer, immer grünenber Saum, murgelnb im feigen 
atleg Solfeg, aber aud) burd) feine grüdjte aller §ergen er» 
freuenb! Sine Sunft, gegrünbet auf brei einfadjc, uitum» 
ftößließe, eng Derbunbene ©tiijjen, auf Sinfadjßeit, Satur, 
ißoefie, fid) baburd) in £>erg unb Serftanb beg SSenfdjen 
eroigeg Sebeu fidjentb — bag ift bie Sunft ber 3ufunft!" 

Unb ebenfo benfen audj anbere Siitglieber biefer Sünftler» 
Solonie. SRubolf Soffelt gum Seifpiel, ber Silbßauer, toenbet 
feine Siebe ber SKebaille ju, alfo einer SEleinEnnft, bie jmar 
ßeute bem Solle ganj entfrembet ift, bie bag aber nidjt 
bleiben mirb. ©ie SRebaitle ift bag bauerßaftefte, biUigfte, 
bemcglidßfte Eleine Sunftroerf; man Eaitn fid) ßiftorifeße, literar» 
ßiftorifeße, Eunftßiftorifcße SWebaiCtenfammlungen in allen 
©djuleu benten, familiengefcßidjtliiße in abtigen unb Sßatrijier» 
ßäufern, nadj ber einen ober anbereit Siebßaberei jufammen» 
geftellte in ^riDatftcfig; unb Scanner mie Soffelt arbeiten 
mit aller Äraft baraufßin, bie .fpinberniffe, bie ißrer Ser» 
brcitnng im Siege fteßeit, megjuräumen. 

©er Saumeifter ber Solonie ift Sofepß Olbrich; er ßat 
bie Oberleitung bei ber Stnlage ber Sünftler»Solonie, bie 
bemnädjft ju beit ©eßengmürbigteiten ©eutfeßlanbö geßören 
mirb. Sie entfteßt auf ber ÜWatßilben».höße, einem früßeren 
Sode, ber 5Erone geßörig. ,'picr leueßten bereitg bie Der» 
golbeten Suppein ber grieeßifeßen SapcHe, unb einige Sillen 
Don ßcroorragenben Saumeiftcrn mie Steffel unb SSallot er» 
ßcben fid) ßier bereitg. ©er öftlidje ©ßeil beg ^iigelg, etma i 


10 000 Ouabratmeter gfäcße, fteßen ben Sünftlern jurStt» 
fügung. £ier mirb Don bem Samme beg fjügeig bag ?lrbeiK» 
ßaug ber Solonie ßerunterfeßauen, ein SBaßrjeicßen, baß fie 
jur gejneinfamcn Arbeit ßier Derfammelt finb. Slcßt große 
9ltelicrg naeß Sorben, Heinere 3> mmer für bie Sünftler bo» 
ßinter, ein Eleineg ©ßeater, ©um» unb geißtfäle, gaftlicße 
Säume, ©ufeßen unb Säber, bag alleg entßält ber ftattlidje 
Sangbau. bem abfallenben ©elänbe füblicß baDon grup= 
piren fid) um einen birnenförmigen )|?laß bie SBoßnßäujer 
ber Sünftler, unb fie foßen ©djmudtäftcßen für ben Seftßc» 
tifer, ©cßengroürbigEciten merben, ju 3 e iten jebem Sunit» 
freunbe jugänglicß. ©enn nur in mirflicß bemoßnten Raufern 
tönnen mir SBoßnunggfunft lernen unb bie SraucßbatEeit ber 
einjelnen Srjeugniffe beg Sunftßanbmerfg beutlicß feßen. 
ift beßßalb feßr banfengmertß, baß biefe Käufer mit Doller 
Sinridjtung ben mefcntlicßen ©ßeil ber 3lugfteHung bilben 
merben, ben bie Solonie für ben ©ommer 1901 Dorbereita 
ißeter Seßrcng mirb fein ^>aug felber bauen unb augftatten; 
bei ben aitberen mirb Olbricß alg 9lrcßitett mitrnirten. 6in 
©tüd ißoefie mill er bauen, mie man aug feinen ©orten 
ßerauglieft: „3lüe bie ^äugeßen, um ein gorum gruppirt 
mit eigenartig angelegten ©egen, ®ärten, Seleucßtunggförpern, 
Srunnen unb Slumenbeeten jur Sinßeit Derbunben. Sm 
tpäusdjcn felbft ein eigenartigeg ©oßnprincip. ©er große 
Saum (alg Saum beg Sebeng) birgt alleg ©oßntidje. ©ort 
foü Sun ft in glätße unb gönn oertreten fein, Stufit geßört, 
Seben gemeeßfett, ©äfte empfangen, ftßöne ©tuttben »erlebt 
merben. SlßeS anbere Saumgebilbe betont meßr ben ßtwet 
in einfaeßfter ©cßönßeit. ©ag ©djlafäimmer nur ein Cd 
beg ©dßlafeg, einem rußigen 5lbenblieb gleicßenb; für ©peife 
unb ©rant ein feftlicß frößließer ©rintliebraum; bag Sab 
alg perleitbe Seinßcit. Sig unter bag ©aeß eine Seiße oon 
Stimmungen. Sicmalg babei bie ®cbraucßgfäßigEeit Der» 
geffenb; ftetg bebaeßt, baß jebcg ©tüd feinem 3 We( ^ ents 
fpreeße, jebcg bie ißm pgeroiefene Solle jur Srreießung ber 
beabfießtigten ©irtung Doßenbet Dertrete." 

©ie geplante StuSfteüung mar eben ermäßnt; „©ocu 
mente ©eutfeßer Sunft 1901" foß fie ßeißen unb mie ba 
Same, fo foß aud) bie ülngfüßrung eigentßümlicß fein, ©ct 
?lugftcllungggebiet fdjlicßt fid) oßtie Abtrennung bem ©oßn- 
unb Slrbcitggebiet ber Sünftler an, unb aueß ßier ßeißt eg: 
„Sein Ouabratcentimeter foß gorm unb garbe erßalteit, bie 
nießt Don fünftlerifdjem ®eifte burißbrungen finb." Unb 
meitcr: „Aucß bie Stalerei unb Sloftit, beten beftc Sciftungen 
ßier jur Augfteflung gelangen, foßen in inobcrner Art bem 
publicum gugänglicß gemaeßt merben." „gort mit ben großen 
meiten ©älen, in beiten ber Staßftab für Eleine ©djönßeit 
Derloren geßt! gort mit ber ©almiftimmung, bie folcße 
Säume menfcßlkßct maeßen foß! gort mit bem großen Der» 
ßängten Sod) an ber ©ede! ©ie große 3auberin, bag Sicßt, 
ßole man Doit linfg unb redßtg ßerbei, feßaffe Saummaße, 
in benen ber Sienfcß nießt ju Derfcßroinben broßt... Siel 
®liid fpinnt bort bureß ©ßür unb genfter, mo einfache ©(ßßn; 
ßeit ben niidjteruen 3 ro ed abelt. Unb fo bem Sebürfiiiß 
folgenb, reißt fidj Sinßeit an Sinßeit jum einfaeßen ^auf. 
Sidjt ju jenem tpaug, bag Seicßbemittelten ju Saft unb 
Aerger mirb, bag Dießeidjt oft Don außen mit ftummem 
©tarnten befeßeti, burdß lügnerifcß feelenlofe ißraeßt ba? 
Sntiete fälfeßlitß prägt. Sein, ju jenem §aufc, bae bureß 
innereg Smpfinbcn entfteßt, bag in feiner Sinfadjßeit fo reitß 
ift, Diel ftifleg ©lüd in feinen Sden unb ©infein ßerbergt, 
fo Diel, um enblog baraug bie golbenen gäben ber ©imfd» 
lofigfeit ju fpinnen." 

©ag ift bie ©praeße beg ©eßmärrnerg, boeß „ßart im 
Saume ftoßen fieß bie ©aeßeu". ©ie nötßige ißrofa mirb 
mäßrenb ber ?(ugfüßrung biefer ißoefie feßon beigemifeßt 
merben. ©aß ein gürft inmitten einer begeifterten Sünftler» 
friiaar folcße ©räume ju Dermirflkßen fueßt, bafür merben 
Siele banfbar fein. 


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Nr. 25. 


Die töegettroart, 


895 


gfeuiffeton. 

- 9tft<$brucf »erboten. 

(Ein tteifcbilb ans bem rnfftfdien fitanen. 

Son 3°f c f Stuftin. 

?US wir, mein futfeßer unb icß, in ben ©glitten fliegen, mar ber 
Jjpimmel ein einziges, bleigraucS ©tücf. (Sin heftiger SBinb fcßlug unS 
feftgefrorene ©djneeflöcfcßen in'S ©cficßt, bie wie fabeln [tacken. ©$ 
nmr bereits fd)ön fall, 21 0 R. üflacß einer ßal6en ©tunbe bracß bie 
9?acßt herein. (SS war gegen WonatSenbe. Ter £>imniel war im ganzen 
©orijont ftarf umwölft. ©tocffinfter. 9Jicßt einmal ben ©cßnee fonnte 
man feßen. Tabei blieS unS ber 2Biub bie Slugen toott mit barten, 
fpißen ©cßneeförnern, unb ohne klugen unb nod) baju im ginftern läßt 
ficß’S fcßroer {eben. 2Bir müffen unS an bie Tetegrapßenftangen galten, 
um Oom großen SBege nicht abjuweußen. $un, wir ßalten un$ .. . 
SSBir guden unS bie klugen blinb. TaS $ferb watet im ©djnee. 
„gaßren wir gut?" — ,,©ut, £err." 

Wein futfeßer ift ein ^b^gmatifc^cr litauifcber Sauer, ben nichts 
aus feinem ftarven, gebanfenlofen ^ßlegrna ßerauStreiben lann. ©8 ift 
feßon eine geraume 3cit, feitbem ich bie bunflen Umriffe ber Xelegrapßen= 
ftangen nicht waßräuneßmen glaube, geh fange an ju jweifeln, ob wir 
richtig fahren. 

„gaßren wir noch immer gut?" — „ftodj immer gut, £>err." — 
,,gcf) W Me Telegrapßenftangen nicht." — „geh feß' fie, $err." — 
Hub baS fprießt er mit einer fo großartig einfachen, unerfdjütterlidjen 
©eraißßeit, baß fie felbft bie ängfilicßfteu ©emiitßer beruhigen fönnte. 
Werfwürbig, jag' ich mir, welche klugen biefe Sitaucn haben! (Sr fießt 
unb ich feße, ober umgefeßrt, weber er fiebt noch i*ß fc^e, unb troßbem 
fiebt er ja unb id) nicht... gd) lege bie .fpanb fchrög üor’S Sluge, 
ftarre mit halb äufatnmengefniffenen Sibetn in bie bleigraue ginftemiß 
hinein: ich feße leine ©pur, fein 5(tom einer Telegrapßenftange. geh 
feße bie £>anb freiSförmig oor’S $luge, ftarre wieberum mit halb ju^ 
fammengefniffenen Sibern in bie bleigraue ginftemiß hinein: id) febe 
ttneberunt feine ©pur, fein 2ltom Don einer Telegrapßenftange... unb 
mein futfd)er, ber fecßjigjäßrige litauifeße Sauer, fiebt fie. .. flar, 
beutlid), beftimmt. . . ohne „optifeße .fmlfSmittel" . . . 

geh siebe ben tragen meines SReifepeljeS in bie £>öße, febiebe bie 
<Jte4müße auf bie ©tirne herab. Sßun bin ich gan$ Oermummt, auch 
9?afe unb klugen finb üerbüllt. 38 a rum aud) nicht, ©eben faun ich 
„ ja fo wie fo nießt... gd) höre, wie mir eine Unmenge oon ©cßnee* 
ftücfcßen gleich £>agelfürnern um bie Dßren fauft, auf ben ^elj tan^t, wie 
baS ^ßferb burch ben ©djnee patfeßt, ber futfdjer mit ben Sippen fdjmaßt 
unb mit ber gunge fdjnaljt, wie ber ©eßlitten quietfeht . . . Tie ton= 
reiche feßwitrenbe Wufif fenft fieß mir bleifcßwer auf bie Siber. Tie 
f älte faugt unb sießt mir au ben ©liebem ... (SS fcßläfert mieß. gcß 
träume, büffele. .. 

„9lun ja .. . natürlich müffen fie gute klugen haben .. . £>aben 
nicht 9?äcßte lang oor ber Santpe gefeßwi^t.. . ipaben fieß mit ,fleinen 
Sucßftaben*, üerfrißelten £anbfcßriften, bacteriologifcßen Unterfucßungen 
unb bergleicßeu Teufelszeug nießt abgeblagt.. . 28arum fallen fie feine 
guten klugen ßaben . .." 

^lößlicß ßält mein futfdjer baS ^Sfei'b an. „3Bir irren, $err..." 

Unb baS fagt er mit berfelben großartig einfachen, unerfeßütter* 
liehen ©emißßeit, mit ber er bor gwei Winuten oerfießert, bie Tele= 
grapßeuftangen $u feßen. gcß f(ßlage meinen Seläfragen ä ur ^d. 3Bie 
eine ßeulenbe Seftie fällt ber 38inb über mein ©efießt ßer. TaS Sferb 
fteßt. ©eßmar^e ginftemiß ringS ßemm. 

„grren wir feßon lauge?" 

„28—a—a— a—S?" Ter SBinb läßt nießt ßören. 

„g—i—ir—rr—en wir feßon la—a—ange?" feßreie idß lauter, 
jebe ©ilbe beßnenb. 

„©egen eine ßa—a—albe ©tu—u—unbe —." 

„5Ba—rum fa—a—gten ©ie, baß ©ie g—u—u—t faß — ß—ren?" 


„$atf midj gei—i—i—rr—t—t." 

SSieberum biefel6e großartig einfache, unerfdjütterlicße ©ewißßeit, 
gegen bie nießt anjufommen ift. gcß befomme bie Seine in bie £anb, 
wäßrenb er felbft, mit bem ^eitf^enftil in ben ©cßnee fcßlagenb, mit 
^afe unb klugen faft ßart an ber (Srbe fßürenb, na<ß 3Q3eg fließt. 
(Sinige Minuten bleibe id) allein im ftürmifeßen ®unfel. ^Taufenbe 
glüßenbe fabeln feßeinen mir baS ©efießt ju jerfteeßen. 5)er groft 
„brennt". 2Keine iRafe, mein ©dmurrbart werben ju ©iSjapfen. falte, 
eifige ©tröme umjießen mir ben Seib. 3ttein futfeßer fommt Oon feiner 
„SRecognoScirung" jurüd. .gcß feße nur, wie ein bunfler ©egenftanb 
bureß bie ginftemiß, auffteigenb unb Oerfmfenb, fieß näßer wäl^t, immer 
näßer, bis an meinen Seljfragen. 

„§aben ©ie ben 5Beg gefunben?" — „$ein." — „S?aS werben 
wir alfo tßun?" — w gaßren ... Ober belieben ©ie, ßier ju naeßten?" 

2)ie gronie meines futfcßerS feßmeeft mir gar nießt. gcß feßlage 
wieberum meinen fragen auf, btücfe wieberum meine ^efjmüfce auf 
bie ©tirn ßerab, feßiebe eine §anb in ben ^eljärmd beS anberen, 
murmele ein OerbiffeneS „fwl S)icß ber Teufel" swifcßcu ben 3üb n en 
unb feßließe bie klugen. 2)er futfeßer f^ma^t mit ben Stylen, ber 
©cßUtten fdjwanft weiter. Salb fenft er fieß auf bie eine, halb auf bie 
anbere ©eite. gaßr r id) über Serge, über $ßä(er, ober faßre idj gar 
(SarrouffcH? 3Bieberum überfommt mieß meine friißere Salbtraum- 
ftimmung. gcß bewege mich in einetji ©ewüßl oon ©ebanfen, ©efüßlen, 
Träumereien, ^ßantafien. ©ie breßen fieß ßin unb ßer wie ein 9fab, 
aber langfam, fcßwerfäHig unb ba$u fo unbeftimmt, fo abgeriffen, fo 
Oerfcßleiert. .. Tie falten, eiftgeu ©tröme jießen fieß mir enger, immer 
enger um ben Seib ... ©in merfwürbigeS SBoßlgefüßl übevflutßet mich, 
fo eine ^Irt beßaglicßeS fifeln ... ©S wirb mir fo lieb, fo füß um'S 
£>er$ ... gdß möcßte nur fo fortträumen, in aller ©wigfeit.. . 

„SB—e—e—e—e—r b—a—a—a?" ßöre icß blö&Ucß meinen futfeßer 
auS allen Sungen feßreien. 

„S5—a—a—a—S w—i—i—iHft Tu?" antwortet eine ftarfe, siem* 
ließ naße ©timme. 

„SHr i—i—irr—e—n .. . fontm ße—e—er ... 

Oßne Suft feßlage idß meinen ^ßeljfragcn juriief unb öffne bie 
klugen. 5Bie mit glüßenben 3ongen reißt mir ber groft am förper. 
2Bie mir nur MeS fo feßwer ift, fo floßig fdjwer, ber M'pf, bie 9lrme, 
bie Seine, bie ginger .. . Sieberum feße icß einen buntleu ©egenftanb 
burcß r S ftürmifeße Tunfel fieß näßer wälzen, a6er ber bunfle ©egenftanb 
feßeint mir fo groß, fo gewaltig, fo riefig .. . „3Boßin wiflft Tu?" 
fagt ber bunfle, riefige ©egenftanb mit ßeiferer ©timrnc ju meinem 
futfeßer. 

„9lß ^Kaufcßfe!" antwortet mein futfeßer in plöplicßcm ©ntäiicfen. 

„SRaufcßfe — Tu biffS!. . . TaS ift SRaufcßfe, £)err — ein 
gube... fennt auf aeßt Weilen in ber 9iunb' jeb’S Säumlein, jeb f S 
©räSlein .. . ©in SudjS ßat nießt beffere Sfugen als er . .." 

„Wa — moßin wiHft Tu, greunb? ... Ter ßat feine 3 eit ..." 

„9?a — wenn Tu feine geit ßaft — naeß © ..." 

„9^a^ © . . .? ^Barum fäßrft Tu nießt mit bem großen 2Seg?" 

„2Bürb r feßon faßren, greunb ... SBo i ft er aber — baS ift baS 
funftftiief! ..." 

,,^ier ift er ja — gleicß linfS .. . ©in Slinber fann ja bie 
Telegrapßenftangen feßen." 

Waufcßfe nimmt bie Seine unb futfeßirt. 9?acß einer 5®eile fdjlägt 
er mit ber ^eitfeße an eine Telegrapßenftange. „©ießft Tu, ßier ift fie!" 

„2Bo warft Tu, Waufcßfe?" fragt ber Sauer nad) einer Saufe, 
„gn T. .." — „SBoju?" fragte er wieberum naeß einer ^aufe. 
„9Jacß'm gläfeßeßen SSein . . . mein finb ift franf. . ." Wan ßört eS 
Waufcßfe an ber ©timme an, baß er nießt gern antwortet. 

5Bir erblicfen ein Sicßtlein. ©S feßeint trüb unb ungewiß. Salb 
war eS ba, halb Oerfdjwanb eS. „Tort — ba ift mein ©tübeßen," er= 
flärt Waufcßfe. ,/© liegt im Tßal." 

©in ©tübeßen — baS war ein richtiges ©rlöfnngSwort für 


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396 


Die ©egentoari 


Ife 25. 


micf). $a wirb man ftdj enblid) ein wenig erfeolen Fönnen nach einer 
fo leibigen gafert, bie gar nid)t ju enbeit fcfeeint. $agu empfinbe id) 
heftige grofifcfemergcn an ben 3efeen* itnb gingerfptpcn unb bie 9?afe 
brennt mir wie eine glüfeeitbe Äofele. „5Birb man bei Sfenen für einige 
©tunben abfteigen Fönneu?" frage id) unferen güfercr. 

„SSie’S Sfenen auSFömmt, perr . . . id) weife ’S auch nicht... bie 
9?äuntlid)Feiten finb nic^t fo . . . fecfeS Fleine Itnber, eins ift FraitF. .. 
9J?ctn’ grau ift and) nid^t fo ... Iber wenn’« bem perrn beliebt..." 

„’© ift mir fcfeeufelidj !a(t.. ." 

„9Fa — gewife ... wenn’S ber perr will..." 

3Bir fahren an 9)FaufdjFe’S SSofenung heran. 5)urdj ein wingigeS, 
mit einer biden ©iS= unb ©cfeneefchidjt umpaitgerteS genfierlein fällt 
ein trübeS, matteS £id)t. SttaufdjFe fpringt aus bem ©dfelitten heraus 
wie ein pafe, hinter ihm wadelt mein Shitfdjer. 90?it fdjwerer 3Jlühe 
fteig' ich nuS. 3<h Fontrne mir üor wie ein eifig erftarrter $tlop. 
9)toufdjfe ift aufeergewöfenlidj grofe unb muSFulöS. ©ein ©eftdjt ift 
lang unb abgemagert. Um bie Ohren trägt er ein rotfjeS, fabenfcfeeinigeS 
Xiid)lein. ©ein gclblidjbrauner Hantel ift mit ben üerfcfeiebenfarbigften 
Sappen auSgeflidt. $>er Stiemen ift um bie Taille fo feft gefdjlungeit, 
bafe er ben langen JtÖrper in gwei Xheile gu geriegelt fcheint. ©eine 
SBofenuttg ift ein armfeligeS polgfeäuSchen. 3)te SSänbe finb auS rohen, 
unfeehobelten, hier unb ba noch fogar ungefchälten $löpern gufantmengefügt. 
Verfaultes SJtooS füllt bürftig bie Oeffnungen. ItiS bem regengefdjwärgten 
©trohbäcfelein hat ber SBinb mehr als eine ©trofegunge IjerauSgegupft 
unb bfeift nun in bie SuFen feine fdjauerlicfe quieFenben Welobien. 
©in Peftgerudj fdjlägt mir entgegen, wie id) bie SDjüre öffne. geucfe= 
tigfeit, Staud), ©taub unb ©efeweife hn^en fich gu einer eingigen athem* 
benehmenben 5)unfhoolFe gufamntengeballt. 3)ie ©tube ift ungcbielt, ber 
gufeboben eiSFalt. ln ben imgetünchten SBänben ftarrt ein eifiger Steif. 
®urch grofee, öbe gimmer tönt baS quieFeitbe ^Seinen eines ©äuglittgS. 
©S Flingt fo fdjauerlicfe, fo feergbeFlemmenb! .. . Itt einem genfterlein 
brennt ein bünneS 2Bad)Slid)tlein. ©S ift im ©rlöfrfjen begriffen unb 
finFt wie ein ©terbenber; ^in triibeS glämmdjett flacfert auf unb finFt 
feerab, flacfert auf unb finFt herab ... Sn einer ©de liegen gufammeu* 
gebrängt einige ©eftalten, eine grofee fefewangere grau unb um fie einige 
fealbberftorene Äinbercfeeit. ©ie feakn ihre rothaufgefaufenen pänbdjeti 
unter bie Snde ber Butter gefiedt, um fiefe an ihrem nadten gieifd) gu 
erwärmen . .. SBeldj' fcferedücfeeS 3nntmerbilb biefe grau, biefeS lange, 
enbloS lauge ©erippe, in ifetem hoefeftfewangeren gufiaitbe!.. . $)agu 
Fräcfegt fie fortwährenb... 3)ie VadenFuocfeen ihres ©eficfetS ftarren 
feerauS, wie bei einem ©Felett, 3 Wei fd)Warge lugen bliden glangloS, 
wilb, bergweifelt um fic^ . . . llnb feft an fie geFlantmert eine ©efeaar 
halboerfrorncr $tnberd)en, abgemagerte, oevfinfterte ©efiefeter, fdjntupig, 
gerlumpt. .. Unb feart neben ihr, an ber feucfetelfigen SBanb, mit einem 
©trohfad bebedt, ein langer, etwa aefetgefenjähriger 3nnge, fieberfranF, 
belirirenb. 5)ie grau bleibt fifeen, feebt nur träumerifd) ben $opf, als 
SJtaufcfeFe hereintrat. 3>ie fiitber aber liefen ihm fcfenell entgegen. 
Qehn blutrothe, aufgebunfene ^inberfiifecfeen, nadt in flacfee polgfdjufee 
geftedt, trippeln über ben eiSFalten, fteinharten gufeboben. 

„Xate, woS feoft 2)u itnS gebradjt? . .. poft 3)u Vrob? . .. poft 
2>u Vrob, Xate?" 

„Stinber, tofe't ben Xaten in Stufe" — ruft Fräcfegenb bie Butter 
— „feht 3fer nit, bafe er müb iS, oerfroren? ... Oi, bie 3äfen’, bie 
3äfen’! ... ift halb fd)ier Oerbrennt.. . poft $)u bie giäfcfeele?" 

^Faufcfefe fpriefet Fein 58ort. ©r gefet an’S STifdjlein hin, wo baS 
3®ad)Slid)tlein in ben lefeten 3iigen liegt, unb giel)t ein mit ^afeier um= 
widelteS giäfcfecfeen aus ber $afd)e. 

„giir’S piihn'bele" — fagt er leife — „hot mer nur gWaitgig ge^ 
geben, für 3)ein Ringele a 9tubl — a Dtubl gwangig Foft f ber 9Sein." 

„Unb Vrob feoft $)u nit! ... bie ^inber, lieber ©ott... bie 
ßinber!" ©in qualooüer Snmmer legt fiep auf ihr ©efidjt. 3hre lugen 
(deinen Oerglaft. ^aS 9l>eineit in ber 2Biege Wirb lauter, quieFenber. 
,,©ieb ihr* bie Vruft", fagt*SJJanfcpfe. 


„SBaS fott id) ihr geben, bie Vrufi? ... 9Mn’ Sruft ift leer m 
mein Sflogen . . . ©oll id) ifer geben mein Vlut? ... oi, bie 3ä§n r , 
bie gähn’! ..." SftaufcfeFe widelt baS ^afeier Oom giäfcfedjen ab. & 
war ein giäfdjdjen Ungarwein mit einem grünen Vled) um ben Sorf. 
„1 fcfeöne giäfcfeele!" riefen bie $inber. „1 fcfeöne giäfdjete!" cr^ 
feob ftd) plöfelicfe ber giefeerFranFe. ,,^)ie giäfcfeele!" fdjrie er, parbfifsenb, 
mit ber feofelen, fdjriüen ©timme eines 3rrfinnigen. „$)ie giäfcfeele!!... 
®ie giä—fefee—leü!" 

,,©ieb ifem nit," fagte StfaufcfeFe. ,,©r wirb'S gerbreefeen." 

„5)ie giäfcfeele! 5)ie giä — fefee—TeU" feferie ber ßranFe immer 
lauter, fcferitler. 3)ie grau nafem baS giäfcfecfeen unb gab eS ifem. 3m 
felben lugenblid .fefelug eS FnaHenb auf ben Voben. ©in ©rferei, ein 
qualOoll oergweifelnber ©eferei fdjoK burcfe’S gimmer. 3)ie Butter mar 
eS, bie marFerfcfeütternb aufgefeferien. 2^aufd)Fe aber, ber riefige, lange 
3WaufcfeFe, ftanb einige Minuten Freibefeleicfe unb lautlos Oor bem ©trolj: 
lager beS ÜhranFen. 2)ann lacfete er bitter auf. „3h feätt' mir bie 
ffeoren Fönnen." 

©rofee, bunFelfte ©tröme XoFaierweinS fliefeen burcfe’S gimmer, bie 
©djerfeen fcfeiüern. luf einer VanF liegt bie Butter unb weint Frambh 
feaft, gudeitb: „©rbarm ®icfe, lieber ©ott, erbarm $>icfe ... wir ftnb 
fo elenb ...!" 

„©rbarm 3)icfe, wir finb fo elenb!" Flang eS mir feeFlemmenb in 
ben Oferen, als id) fefeon weit, weit weg war üon biefem päuScfeen. 


Jlus bet (Äauptftabf. 


Der hungrige Jlann. 

©ine unpolitifepe, aber boefe fefer leferreidfee geriengefefeiefete. 

US ©ruft am borgen wieber baS unerträgliche Vrennen im ^Kagen 
uttb aufeerbem einen boferenben ©efemerg in jener Partie feines Körper# 
fiifelte, bie Oon felumfe Oeralfgemeineritben Inatomen „ebel" genannt 
wirb, blidte er wehmütfeig in fein Portemonnaie, begwang fedfe aber unb 
ging gum Irgte. Dr. Padan, ben er confultirte, ftanb im wofelbc 
griinbeten 5Rufc eines ftreng recfetlicfeen 3)?anneS mit feften Preifen. 
tiefer peroS uneigennüfiger 3Siffenfcfeaft patte fogar feiner eigenen 
Vraut, naefebem bie Verlobung gurüdgegangen war, Rechnung über alle 
ihr gemachten StfadjmittagSbcfucfee gugefanbt. Dr. Padan befanb fiefe. 
Wie baS feeute gur unumgänglichen InftanbSfeflicfet jebeS 3KebicinerS ge^ 
feört, im gliidlicfeen Vefifec einer ©feecialität. ©r unterfuefete niefet erft 
lange, Flopfte unb auScultirte niefet, fonbern fafe 3^crmann feine ge 
heimften ^ranFfeetteu birect an ben lugen ab. ©eine peilerfolge waten 
fcfelid)tweg munberbar; er pflegte jährlich 30000 SDFarF gu oerbienen. 

,,©ie tragen eine Partie auf ber linFeit 2öange, Fein gmeifel," 
fagte er bebäefetig gu ©ruft, naefebem er ifem lange prüfenb in bie lugen 
geblidt hatte. 

©rnft nidte, üon Vewnnberung ergriffen. 

„lucfe fdjeint ihre ©tim niefet befonberS feotfe gu fein," fufer bet 
Irgt gewichtig fort, „gefeit Sfenen üieltcidjt fonft noch etwas?" 

S)er ÄranFe bemerFte, bafe er feit ad)t Xagen ^FacfetS Fein luge 
mehr feabe fcfeliefeen Fönnen, oerfebwieg jeboefe, bafe fidfe bieS Phänomen 
fefer einfach burefe näcfetlicfeeu lufentfealt in fibelen VierFneipen erflaren 
laffe. ,,©ut, gut, iefe weife fdjon," unterbrach ifen ber ©eleferte naefe ben 
erften SSorten. „3<h fefee eS Sfenen lugen an, waS Sfenen fefelt. Sie 
feaben fiefe geiftig überaitgeftrengt, feaben Oielleidfet üerfuefet, ©inn unb 
Verftanb in ben d)inefifd)cn 9ftafenafemen nuferer Regierung gu jinöen 
ober fonft bergleidjen. ©ie bebiirfen bringenb ber 9^ufee unb meiner 
Sfraftpillen 9Fr. 008. gaferen ©ie in ben weltberühmten ©rften S)eutfcfecn 
Äiefern^ unb ©anb-©ur=Ort gum pungrigen ^DFaun unb geben ©ie bort 
biefe meine VifitenFarte ab. ©S wirb ©ie fofort wieber feerftellen. 3roeif 


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Nr. 25. 


Die töegetnoart 


397 


Ritten täglicp; baju eine Maß ©ier, unb btefc ©onfultation foftet 20 Mf. 
3cp ban!e Spnen." 

©rnft berlteß feinen ßebenSretter, legte baS KranfpeitSatteft bem 
Xirector ber Minifterialabtpeilung bor, Don ber er jeben Xgg pünftlid) um 
brei Upr gum Mittageffen zu geben pflegte, unb erhielt trop ber bebrop* 
licken Sage in geling unter Döfliger ©erfeponung mit bem üblichen 3n- 
ftanjengang auf ber ©teile einen Urlaub non brei Atacpen. „ABenn mir 
un$ nicht mteberfepen follten, £>err ßepmann," fagte ber Xirector babei 
in feiner fcplidjten, aber geminnenben ABelfe unb atbmete podj auf, 
, f jo feien ©ie boeb überzeugt, baß itb im (Steifte 3b rcm ©arge folge. 
Unb im llebrigen benfeit ©te baran, baß fein Menfcp unerfeplid) ift." — 

Xer XobeScanbibat nahm im näcbften ©räu gemiffenpaft bie bor* 
gefebriebene Arznei, mobei er leiber bie Schien bermecpfelte unb nur eine 
$iüe, bafür aber jmölf Maß ©ier öerfdjlucfte. Möglicpermeife hätte 
ber furchtbare Kater, mit bem behaftet er im hungrigen Manne eintraf, 
Anlaß z u bauembent ©ieeptpum gegeben, wenn ber Anfömmling nicht 
fo raffinivt flug gemefen märe, bem ärztlichen ßeiter beS ©rften Xeutfcpen 
Kiefern* unb ©anb*©ur*£)rteS zwei Xage lang ängftlicb auS bem ABege 
ju geben. 

9tacpbem er biefe KrifiS fiegreid) übermunben batte, begann er ficb 
uorfieptig in ber ©egenb umjufebauen. 92ocp niemals im ßeben mar er 
auf eine folcpe Menge bon Kranfen unb Krüppeln geftoßen, bon un* 
heilbaren Patienten, bereu ©eringfter feine fieben bis acht ©rofefforen 
hinter ficb batte. Um fo angenehmer berührte eS ben non ber ©erliner 
fcocpfultur auSgiebig ©elerften, baß auch in biefem berlaffeneit unb hoff 5 
mmgSlofeu ©rbenminfel ber benebeite ©port unglaubliche Triumphe 
feierte. ©rnft batte baS alfmälige ABadjStputn ber für Fabrifanten unb 
Aeparatur*A3erfftätten fo unfäglicb peilfamen ßuft an gefunber Körper* 
betoegung Sapre lang mit ©erftänbniß unb ßiebe beobadjtet. 3 c *> cr 1)011 
Aabfaprern niebergemorfeite unb berftümmelte ©affant batte ihm ©djreie 
beS ©ntzürfenS entlocft, jeber £>alSbrud) eines .{meptourifteu ihm baS 
.perz gebrochen, jeber im Fußbatlfpiel feiner Aafe beraubte beuchte ihn 
ein gröberer pelb als 9?elfon, ber eS boeb bloß jum ©erluft eines 
5(ugeS gebracht batte. Alles baS gefdjap, er bebaepte eS mopl, beS 
heiligen ©porteS megen, unb barunt fanb ber größte Unfinn, einfcpließ* 
lieb ber ©d)üler*SRegatten, feine Billigung. A3aS er aber im hungrigen 
Mann febaute, Verblüffte ihn im elften Augenblirf boeb einigermaßen. 
$aß ber ©port eS bereits ju foldjer 3Beltperrfd)aft gebradit batte, mar 
ihm trop feines Abonnements auf bierzepn cinfd)lägige Blätter bisher 
unbefannt geblieben. Xer ßeiter biefer ©ommerfrifdpe batte in ©r* 
tnangelung anberer ©runbfäpe ben aufgeftellt, baß eS münfdjenSmertp 
fei, meun alle feine ©enfionäre ausnahmslos einem ©port im lieber* 
maße bulbigten, tbeilS bebufS Kräftigung ihrer MuSfeln, tbeilS meil eS 
bämpfenb auf ihren Appetit mirfte. Unb mit Feuereifer erfüllten bie 
Uranien ben ABunfcp beS bereprten Oberarztes. Xer ©port lag eben, 
feitbem ipm non poper Stelle auS naebbrüefliebe Förberung zu Xpeil 
getuorben mar, in ber ßuft beS 3aprpunbertS, unb jeber ©ebilbete put* 
higte ipm bis zum Untergange. ©rnft lernte im hungrigen Mann einen 
Bafferfücptigen fennen, ber Dom Morgen bis zum Abenb ruberte; einen 
Gtentleman mit hoppelt gebrochenen ©einen, ber trop beS ©ipSberbaitbeS 
öoeprab fuhr, ferner zmei ßungenfranfe, bie ©pilipp ©ulenburg'S neuefte 
^ompofüion für bie Xrontpele eingerichtet batten unb fie raftloS bliefen. 
So Diel ©port in fo großer AbmedjSlung auf einem F^de ging felbft 
hem bnrd) bie Kieler 5Bod)e bermöhnten ©erliner über bie putfepnur. 
Unb ungeachtet beS liebebollen 3afprucbeS, ber ipm bon allen ©eiten zu 
£f)eil marb, unb ungeachtet ber flebenben ©liefe beS ArzteS, beffen Xable 
h’hute er fd)auerlid) bermüftete, griff ürnft zu feinem ber fo beliebten 
«port=Apparate. Aach ©erlauf einer SBocpe galt er für einen ©onber* 
^ng- 2Jfan erging fiep in taufenb Sflutpmaßungen über bie gepeimniSs 
boflen ©rünbe feines unerftätlichen ©erpaltenS. ©inige meinten, er 
»uärc offenbar fo pumperlgefunb, baß er bon bornperein an allen ©er* 
fließen, fiep fcpminbfüdjtig, magen* ober perzfranf zu maepen, berzmeifeln 
bdifje. Anbere mieber erzählten romautifd) bon einem ©elübbe, baS er 


bei feiner ©eburt getpan unb mobei er gefepmoren pätte, niemals zmetf* 
loS feine gefunben ©liebmaßen in ©efapr zu bringen. Unb in einem 
fleinen, aber mächtigen unb töcpterreicben Kreife brang bie Anfcpauung 
burd), ©rnft märe ein berfappter inbifepsruffifeper 92abob, benn fonft 
märe niept abzufepen, mit melcpem SRecpte er eine fo beborzugte ©onber* 
fteüung in ber menfcblicpen ©efeUfcpaft beanfpruepe. — 

Xie fiep um ben ©rften beutfepen Kiefern* unb ©anb*(Sur*Drt 
Zum hungrigen HRann meilenmeit erftredenben ©rifapeiben boten ben 
©äften reicplicpe ermünfepte ©elegenpeit, einanber auS bem SBege z u 
gepen. 9HcptSbeftomeniger roollte eS ©mftenS ©cpicffal, baß er eines 
Borgens halb naep bem erften Ftüpftücfe — eS pieß offiziell fo, ob* 
gleich eS nie ein ^iveiteS gab — unbennutpet auf £>erm Käfepuber 
ftieß, ber einen fteilen ©anbpügel perabgerannt fam. ©ebiifcp mar nid)t 
in ber 92äpe, fcpnelle F^ucpt unmögli^, meil ber ©egner leibenfcpaftlicp 
bem Xiftanzmarfdjfpiele pulbigte — fo ließ ©rnft benn bie bon 
Xöcptcm begleitete unb Käfepuber getaufte ßebenSgefapr miberftanbSloS 
über fiep pereinbreepen. 

„ÜRan pat ©ie peute borgen beim ©runnentrinfen allgemein ber* 
mißt, £err Affeffor," begann Käfepuber mit peucplerifcpem ©cplangen* 
läcpeln bie Unterhaltung. 

„3«P trinfe principieü fein ©taffer, unb bann immer nur ge* 
nießbareS," entgegnete ©rnft heftig. „ÜRir pat mein ©erliner Ober* 
leibarzt uicptS als ©infamfeit berorbnet, abfolute ©infamfeit, .f)err Käfc* 
puber. ©ie geftatten beßpalb —" 

„©infamfeit — o, bann füllten ©ie boep ja fegein!" rief Käfc* 
puber'S ältere Xocpter, fofett baS bunte ©tollmüfccpeu zureept rüdenb. 
„34 fegele ben ganzen lieben Xag, naep Xifcp gleich mieber. Xcr 
Xoctor in ber Anftclt pat eS mir bor Xifd) berboten, meil bie ASaffcr* 
Iuft ben 9Ragen zu fepr reize. SRacpt eS 3Puen ©paß, $>err Affeffor, 
fo meipe icp ©ie pepf ein bißdjen in bie ©epeimniffe ber ©egelfunft ein —" 

„3tp bräuge mid) nie in bie ©epeimniffe anberer ©erfonen, nie, 
unter feinen Umftänben — nein, icp tpu' eS uiept," fiel ipr ©rnft in 
bie s Jfebe. ©r fap babei fo energifcp, fo rücfficptSboH unb bornepm ent* 
fcploffen auS, baß Fräulein Amalie fofort allen 5)tutp finten ließ. 3*u 
felben Moment aber ging eine feltfame ©eränberung mit ©rnft bor. 
Auf ber §öpe beS öiigelS mar eine junge Xame im Xumgematib er* 
fepienen, beren Anblicf ipm alles ©lut in bie SBangen trieb. 

„Aber XenniS fpielen ©ie boep, baS füße XenniS?" pob nun bie 
anbere Käfepubertn im fcpnuirfen Flaneflfleib an. 3P r ItnfeS Auge mar 
blutunterlaufen unb ber fepöne 9Runb ein menig gefcpmollen — bie erfte 
©erlepung rüprte bon einem feplgeflogenen ©alle per, bie jivette bon 
ber Kelle einer ARitfpielerin, bie rnopl nur irrtpümli^ auf Fräulein 
ßueie ftatt auf ben ©all loSgefcplagen patte, ©rnft betrachtete baS un* 
fcpulbige Opfer eept ariftofratifeper unb ftreng ppgienifcper ©ergnügungen 
mit SBepmutp, bereepuete im ©tiden, mie lauge bie zarten 9feize ßucienS 
mopl noep bem Anprall ber ßamn* XenniS *3uftrumente trofcen mürben 
unb bltcfte bann mieber naep bem polben Kinbe auS, baS langfam ben 
©erg pinabftieg. 

„Xu meißt, ßuy, ber .^err Affeffor treibt burcpauS feinen ©port," 
beleprte Käfepuber fein Kinb, unb beS ©tarieren ©timme gitterte bor 
§ocpadptung unb ungebänbigter ©emunberung. „A3o jeber beliebige 
©Jenfcp feinen Körper ftaplt unb fein ßeben unter All ©ut ©aÜ^ 
unb .^ipp pipp purrap*9tufen auf'S ©piel fept, müffen fiep bie ejrclufiben 
©lemente notpmenbig zurüdpalten." 

„Acp — ber £err Affeffor!" mifepte fiep ba bie Xurnertn in T S ©e* 
fpräcp, bie mittlermeile bie ©ruppe erreicht patte. Unb bann mürbe fie 
noep rötper als ©rnft. ©mmi — ©mmt pieß fie nämlicp — ftanb in 
iprer Suflenb Maienblüte, aber baS graue, fcplottrige Xurnerinnenfleib, 
in bem ipre meißen ©lieberepeu fteriten, eutfteHte mit ©rfolg alle An* 
mutp ber jugenbfrtfcpen ©eftalt. 

„ABie fommen ©ie pierper, Fräulein ©mmi?" erfunbigte fiep ©rnft 
tpeilnapmSboll. ,,©S tpat mir immer fo furdjtbar leib, ©ie feit jenem 
©alle völlig auS ben Augen berloien za haben —" 


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398 


Ute (ftegenroart 


Nr. 25. 


„3cP bin feit beute borgen pier. ^er hungrige Wann gehört 
meinem ißapa. $>arum muf 3 ich ja aucp turnen." Sie feufzte laut. 

„68 fcpeint faft, Sie turnen opne befonbere ßeibenfcpaft?" fragte 
©rnft, ficptlicp intereffirt. 

„68 ift mir in bei* Seele zumiber," erioiberte 6mmi. ,,©enu 
Ißapa niept fo jtreng barauf beftünbe. . 

„3P* ^ crr Ift bollfommen im SRecpt," mahnte ba Släfepuber 
öäterlicp. „Riffen Sie nicht, bafe bie Wöbe heutzutage minbeften8 einen 
Sport tmn un8 bedangt?" 

„Slber tdj fühle mich zunt Sterben elenb babei," fagte ©mmi. 
„68 befommt mir nicht." 

„S)a8 ift hoch ganz gleidjgiltig!" rief Sucie. „(Glauben Sie benn, 
Sport fei zur 6rhotung ba unb foHe 6inem befommen?" 

•&err fäfepuber mar bei ben lepten ©orten auffaüenb unruhig 
gemorben. Seine 53litfe fchieiten in ber näheren Umgebung etma8 zu 
fucpen, ma8 fie nicht finben v fonnten. 6r begann eifrig bie Wagengegenb 
Zit maffiren, mährenb fein ©efidjt fich fcpmerzpaft Herzog, „geh bin 
3)iftanzläufer, mie Sie miffen," prefjte er bann mühfam perbor. „Unb 
bei biefer fo gefunben 53emegung — ich mache jeben Xog ztueiunboierztg 
Kilometer — habe ich utir öor ztuei ©oepen Wagen unb Vieren berart 
öerborben, bafj ich uie bor Ueberrafchungen fidjer bin. 3cp mer!c jept 
mleber, bafj e8 fepr eilt. Slbieu." 6r rannte babon, gefolgt bon feinen 
Pächtern. Slmalie fonnte alterbing8 nur miipfam pinterper puntpeln. 
68 patte ipr bor einer ©oepe beim Segeln eine nieberfcpinetternbe ©ante 
brei Qepen zerquetfept. 


$>er Oberarzt, 6pef ttnb 53efiper be8 6rften $>eutfd)en tofern* unb 
Sanb-6ur=Drte8 zum hungrigen Wann patte fid) peute uoep früper al8 
fonft Don ber gemeinftpaftlicpen Xafel erpobeit unb bapurd) bie ©äfte 
geztouttgen, mit noep leererem Wagen al8 fonft bon ben einfaepen, ba= 
für aber fcplecpt gelochten greuben be8 Wittag8tifcpe8 5lbf<pieb zu nepmen. 
3>ocp fei zu feiner 6pre betont, bafj ipn peut' bei biefent Scpritte uid)t 
bie 5lbficpt leitete, ben 6rnäprung8ftanb ber bebingung8lo8 in feine 
£>änbe gegebenen Sommerfrifcpler noep meiter perunterznbringen. 5lnbere 
Sorgen bebrüeften ipn. 6r patte feit einiger Qeit betnerlen müffen, 
bap ber Appetit feiner Pflegebefohlenen zufepenb8 mucp8, bafj felbft 
complicirtc Wageubefcpmerben unpeimlid) fcpnell miepen unb neuerbing8 
fogar ber auS ScprippenabfäKen componirte 53robpubbing begeifterte 
ßiebpaber fanb. Wit SRecpt erblicfte er bie Urfadje biefer erfdjr'ccfenben 
grefjeptbemie in 6rnft, bcffeit Seifpiel allmälig Sdjule maepte. 68 
tarn ipnt fauer an, aber er mujjte e8 fiep etma8 loften laffeit, ben ge= 
fäprlid)en Sportfeinb fcpleunig mieber lo8zumerben. 5>efjpalb lief? er 
gleicp naep Xifch 6ruft zu fiep bitten. 

„68 pat Spneit peute mieber fepr gut gefepmeeft," begann er ba8 
©cfprtid) mit fauerfiifjer Wiene. 

„©fjfreubige SRacpbam ntatpen Appetit," entgegnete 6mft fcplicpt. 
S)er Oberarzt fap ipm lange traurig in'8 ©efiept. „Sie paben am 
Sonntag zmei Wal gifcp genommen, geftern bie Spargelfcpüffel berpeert 
unb peute felbft ben IReft ber $alb8feule niept gefepont. Qn golge 
biefe8 böfen 53eifpiele8 merben meine anberen Patienten rcbeüifd). Sie 
bedangen immer bringenber SRation8erpöpungen. Unb mie foH icp ba8 
bei einem <|kufion8preife bon zwanzig Warf fünfzig Pfennig täglich bor 
meinen 6rbcn berantmorten? $>a8 ift e8 inbefj niept allein, ma8 mir 
Sorge rnaept. 3cp rutnire miep mit ©oKuft materiell für meine lieben 
©äfte, boep id) fann niept zufepen, mie fie fid) förperlicp rntniren. Unb 
bie8 gefepiept jept. $)er Sport gept rapib zuriief. Baratt finb Sie unb 
nur Sie fcpulb. Sogar ben grieben meiner gantilie paben Sie bergiftet. 
©iffeit Sie, bafj, bon 3pnen betpört, meine 6mmi nid)t ntepr panteln 
mtb am Darren turnen mill, ,£>err 5lffeffor?" 

„©a8 glauben Sie, bafj icp tpun foH?" fragte 6rnft ergriffen. 
„Steifen Sie unberzüglicp, reifen Sie nod) in biefer Stunbe ab!" 
rief bei Oberarzt, pingeriffeit bon bem fepönen ©ebanfen. „Wein 


^utfeper pat fdjoit angefpannt. Sie aptten niept, melcpen ®ienft Sie 
bamit ber ©iffenfepaft ermeifen." 

„Sein 3)ienft opne ©egenbienft!" antroortete ©ruft. „5Bcrä 
bieten Sie?" 

„6in reblicper, nur feinen Stubien lebenber Wann, mie icp, ber= 
fcpmäpt e8 bornepm, 5lnberen materielle 5$ortpeiIe zu berfepaffen ,* er= 
miberte ber 5lrzt. 

„So bleibe icp," erllärte ©ruft entfepieben. 

„9licpt boep — ba8 um 5We8 in ber ©eit niept!" jammerte ber 
53efiper be8 ©rften Steutfdjen liefern s unb Sanb=6ur=Orte8 zum 
$unrigen Wann. „kennen Sie mir 3P*e ©ebingungen. ©a8 bei; 
langen Sie?" 

„$)ie £>anb 3P^ Xocpter ©ntmi!" fagte ©rnft. 

3>er 6pef barg fein ©efiept in beibe ^änbe. „3(p pnbe ba8 tob 
fepr gern," ftöpnte er bann. 

„3cp audp," beftätigte ber ?lffeffor. 

„Sie ift ber einzige Xroft meine8 ?Uter8," fupr ber ©igentpümer 
be§ hungrigen 3Ranne8 befüntmert fort. „3cp biete 3puen etroaS 
?lnbere8. ©erben Sie mein Sociu8! willen neuanlommenben ©äfien 
ftefle icp Sie a!8 bei mir gepeilten 9Rageitfranfen unb ^ßarabeeffer bor 
— aber laffen Sie mir meine ©ntmi!" 

©ruft jeboep blieb unerfcpütterlicp. Selbft ba8 Ocrlodenbe 
erbieten lebcn8länglicper $enfioit an einem Siebentifcpc, mit 2(u8napmc 
ber oier Satfonmonate im 3upr, lepnte er ftarr ab. 2lm ©nbe mupte 
6mmi8 Sßater naepgebett. 

„3n einer |>inficpt barf icp mir gratuliren," fagte ber ©pejarzt 
am 5lbenb be8 Xage8 zu fid), an bem ba8 junge $aar ben hungrigen 
3)lann auf immer oerlaffeit patte. „Seitbem fie feinem Sport mepr 
pulbigte, ap fie mir z« öiel. Unb fie fonnte icp boep niept gut au3 
bem &aufe metfett. ?Ufo bin 4cp meinem Sd)miegerfopne im ©runbe 
noep zu $anf oerpflicptet. 9htn mag er fie ernäpren." 

^5)er ©eleprte berftummte unb überliefe fiep auf feinem Soppa abs 
grunbtiefeu toiffenfcpaftlidjen ©ebaufeti. (Timon b. 3- 


Don kn großen berliner 5ommcr - InnftanoftcUnngen. 

ui. 

bereits im erften Slrtifel ftellte icp feft, bajj ba8 allgemeine Dfiüeau 
ber ,,©r. 53. Ä." in biefem 3&pre beffer ift, al8 bie lepten ®tale unb 
bap namentlich maneper ber Sonberau8ftelluugen auep ber beffere ©e- 
fammteinbruef zu banfen ift. $>a fomntt bor 5lHem bie unfere8 $rofeffor8 
unb afabemifd)en 2eprer8 ©ugen 53rad)t in Setracpt. 5)er nimmer 
raftenbe Zünftler ift einer ber inbibibuellften 53erliuer ßanbfcpafter älterer 
©eneration unb nimmt ztuifd)en beit SBertretern biefer, mit iprer auf ba8 
„$ittore8fe" unb „IRomantifcpe" au8gepenben 9lid)tung unb bem oft etma$ 
troelenen unb nü^ternen 9?aturali8mu8 ber Sungen unb Süngften eine 
bermittelnbe Stellung ein. 53om rein $)ecoratiben in ber Öanbfd)aft gept 
er au8 unb ba8 2)ecoratibe ift audj ber ©nbzmecf feiner IRalerci. ©in 
immer Sucpenber unb Strcbenber, erftarrt er babei nie in einer Sanier 
unb ba8 $ecoratibc in feiner 5Ralerei ift niept ba8 ber Stiliftcn, ettoa 
im Sinne eine8 ©alter fieiftifom, ober aber eine8 Submig öon $>ofi- 
mann. ^5)enn er bleibt ftet8 S^ealift unb fud)t ftet8 aitcp im ©inzelnen 
ba8 ©parafteriftifepe zu mapren, im Uebrigeu aber ba8 ©anze auf ftarfc 
©egenfäpe ber garben unb oon Sid)t unb Scpatten piuau8zuarbeitcn. 
9fie mieberpolt er fid) in feinen s 3Rottoen, objepon er fie zumeift immer 
mieber au8 ber Siineburger ^aibe ober au8 ber Warf fiep polt. Unb 
mag man and» mitunter mit ber ©apl be8 einzelnen 92aturau8fcpuitteö 
niept übereinftintmen, ben er pur et simple, in ber SRegel opne irgenb 
melcpe Staffage miebergiebt — immer mirb man perau8füplen, mie ber 
Mnftler jebe8 Wal feüt 5l0e8 pineinlcgt beim Schaffen, im ©egenfafc 
Zum }eelenlo8 fabrizirenben Arbeiter. 

9iicpt minber bead)ten8mertp ift bie Sonberau8fteHung be8 un¬ 
geheuer bielfeitigen §ugo SSogel. $iefe feine 53ieljeitigfeit ift mirfliep 
erftaunlid). 3m Vergleich zu ipm erfepeint 53racpt gerabezu einförmig. 
Wit feinen Wotioen bemegt er fiep halb im £>iftorifdjen, halb im 5lHtag$= 
leben, pier im rein Sigiirlicpen, bort im Sanbfcpaftlicpen; unb er giebt 
fiep ebettfo gut al8 garbenimpreffionift, mie al8 ftrenger 3 e ^ ner un ^ 
bie Spracpe eine8 abgeflärten 9teali8mu8 ftept ipm niept minber zu ©<= 


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Nr. 25. 


Die ftegettmari 


399 


böte, aI3 bie ftrenger Monumentalität, ©crabe biefe feine 30—40, 
tum Xf)eü fd)on ältere unb mieberholt gejetjene Silber unb ©tubien 
bietenbe 3luSftelIung bemeift baS. Unter Slnberen führt fie feine großen 
©anbgemälbe für baS Merfeburger ©tän behaus öor, bie, gan$ abgesehen 
üoit ber gefchmad? unb öerftänbiiißöollen Herridjtung beS ganzen ©aaleS, 
einen feljr guten ©inbrud mactien. ©ie behanbeln öomehmlid) ©pifoben 
auS bem Seben Heinrid) beS gintlerS, nachmals Heinrid) I., unb Otto 
beS ©roßen, in berfelben 31 rt etma, mie Hermann $rell feilte. SBanb? 
gemälbe für ben $010330 ©afarelli in Wom: in einer 3luSbrudSmeifc, 
bie ben älteren ©til ber ©iftorie unferem blutigen ©mpfinben näher ju 
bringen metß, unb babei in einem (Kolorit öon fcböiter moblabgemogener 
§iube unb öoritehmer ©djlidjtljeit... 3n ben übrigen Silbern, Sanb? 
f(b«ften unb gigurett, grauen?, ftinber? unb Männerbilbniffen, ilirthen? 
interieuren unb SoIfSfcenen auS bem ©üben geigen ficb unberfennbar 
bie ©puren feiner ©tubienaufentbalte in $ariS unb Wom, aber feine 
Snbibibualität hat ftd) baburd) nie untcrbrücfen laffen. 

©anj anberS geartet finb bie neulich fcßon fur$ ermähnten SBanb? 
gemälbe £ubmig Xettntann’S für baS WathhauS in 3Utona. tiefem 
luftigen ©pringinSjelb, ber als £anbfd)after unb ©enremaler in ^uttbevt 
Sätteln unb — Manieren 3 U Haufe ift, einmal als Monumeutalnialev 
ju begegnen, iß gemiß intereffant. Um fo iuteveffanter, als er feine 
Sache recht gut gemacht hat. freilich ben großen monumentalen gug 
öermiffen mir. 3lber obfcpon er ihm fehlt, bat er feine Motibe hoch 
gejcbidt gewählt. ©8 finb hier realiftifche ©enrefcenen auS ber Ser* 
gangenbeit 3UtonaS. gunädjft bie Aufnahme bon boflänbifchen ©laubenS? 
genoffen, bie, int 17. 3abrl)unbert, 31 t ©d)iff herüber gefommeit finb — 
ein gvüblingSbilb mit mariner, grauer Suft unb luftigen Xönen in ben 
bunten Xracpten ber Menfchen am SSaffer unb ber Käufer im hinter- 
grunbe. X)änn bie @inäfd)erung 3lltonaS bttrd) bie ©djmeben im 3aljrc 
1713 — ein SSinterbÜb, flammenbe Soben, rotb bestrahlter Waud), bie 
9tod)t burchleuchtenb, auf ben ©d)nee, baS SBaffer 6 lutige Wefleje merfenb; 
flücbtenbe Menfchen gu Sanbe unb ju SBaffer. 3lu8 bem 19. 3abrbunbert 
bie beiben le|ten ©emälbe — Oberpräfibent öon Slüdjer=3lltona begegnet 
einem gugc ber Don Xaüouft auS Hamburg Sertriebenen, bie 3lltona 
aufnimmt; toieberum ein SBinterbilb, mit ©turmeSmütben unb groft* 
jatnmer; auch h^* ein Sorberrfdjen rotber unb meißer Xöne unb als 
Sinbeglieber graue Nuancen, rote bort mehr triofette. Unb bann ber 
23. Xecember 1863 — baS ©nbe ber bäntfdjen Herrfcpaft unb ber ©in» 
jug ber SunbeStruppen: bie Menfchen auf ben flaggengefchuiücften 
Xädjern, oom 3lbenbfonnenfd)ein golbig umfloffen, bantitter bie genfter,’ 
bie SalconS, alle öon 3ubelnbett gefüllt unb „in gleichem Schritt unb 
Xritt" burch bie engen ©traßen bie Xruppen marfchirenb. Mettmann 
bat feine Aufgabe öor 3lflem coloriftifcb gut gelöft, bie Silber harmoniren 
miteinanber, benn bie ©ontrafte finb fepr mobl abgemogen. Wur fo 
gelang eS ihm, trop 3Weni einen palbmegS monumentalen ©inbrud $u 
erzielen. 3lad) baS Stumpfe ber $ur Sermenbung gefomntenen ©afein? 
färben bat hierzu beigetragert. 

3luf bie ©onberauSfteffungen ber 3luSlänber, bie id) im erften 
5lrtifel alle fchon fui ‘3 gtt tenn^eichnen fudjte, aurücfyufommen, Hegt fein 
?lnlaß oor. 9?ur ein paar 3Borte über bie ©chmeben finb am ijMape. 
33enn man tuifl, bilbet ipre SluSfieflung eigentlich ben 8 clon Ä beS ganzen 
großen Sa^arS am Sebrter Sahnpof. 3lHerbingS fehlen einige febr 
namhafte Maler, mie 5 . S. gorn, bem mir aber fepon auf ber ©eceffiott 
begegneten, mie SiljeforS, ber unvergleichliche Seobadjter beS Xb^c^benS, 
mie Osfar Sjörcf, ber brillante Silbnißmaler, ober Sarffen, ber gemütb 5 
Dolle ©djilberer ber gamilienibpHen, unb 3lnbere noch. 3lber gerabe 
biefe fünftler finb tneiftenS inbioibualiftifch fo ftarf ausgeprägte Naturen, 
baß fie bei einer Seurtbeilung beS nationalen ©efammtcbarafterS ber 
Walerer ©chmebenS nicht mefeittlicb in Setrad)t fontmen. Unb anberer= 
feitS begegnen mir bafür neben altbefannten tarnen einer SReibe öon 
jüngeren Zünftlern, mie Änut Sorg, ©ottfricb .tallfteniuS, ©merif 
Stenberg, 2BUb. ©mitb, $elle ©ueblunb u. 31., bie mit einigen 
unter ben kelteren, 5 . S. 3(nfarcrona ober 3lrborelittS, febr mobl 
eine Sorfteflung baüon geben, mie bie©tnfliiffe öon5)üffelborf unb München, 
fpater aber öoruebmlid) öon SariS, nicht mehr unüermittelt 31 t Xage treten. 
Xle empfangene 3luregung ift umgemertbet morben unb bie einmal er* 
morbene feine Xecbnif bat man in ben X)ienft einer föunft geftellt, bie 
bem ©mpfinben beS SolfeS ihrem innerften 3Sefen nach burcbauS öer= 
ftänblich tft. grembe merben fchmerlid) je fo ben SReij einer fpecififcb 
febmebifeben Sanbfd)aft miebergeben fbnnen, mie 3 . S. ^lallftentuS ober 
©chulpberg in ihren bacbfommerlicben unb tiefrointerlicben Motiöen, ober 
bie Sauerntppen unb SolfSfcenen, 3 umeift auS 2)alefarlien, mie 3*>ar 
Upberg ober ©tenberg. X)aS ©infache, Schlichte in ber 3luffaffung 
unb 39tebergabe, fo 3 ufagen ohne trgenb roelcbe ©chminfe einer ©ebanfen^ 
arbeit — baS ift’S, maS biefe 3üngeren öon ben 3lelteren öor 3lllem 
unterfcheibet, obfehon auch unter bcu 3lrbeiten biefer 3leltereu Silber 
öon pacfenbfter ©irfung öorbanbeu ftnb, mie 3 . S. Slnfarcrona'S: 
„Xie ©vften im Sanbe". ©ine fternflare ©pätfommernacht, fein 28ölfd)en 
am Fimmel; fdjarf bebt ftch bie fchlicbte Sogenlinie einer tiefbunflen 
flachen SSalbinfel, mie fie in ben ©färett öorfommen, öon bem leuebtenb 
grüngelben §ori 3 ont ab, ber roeiter hinauf in baS Stahlblau beS 
^immelSgemölbeS übergebt; burdrS bttnfle SSaffer öor ber 3 n fel gleiten 
lautlos ^mei 2 Bifingerfd)iffe, ©ilberftreifen in ber faft glatten Sfutb 
binterlaßenb. X)iefe ©iufamfeit einer jungfräulich unberührten SRatur, 
in ber auch bie Xbiermelt in nächtlicher ©tiHe uufichtbar geroorben unb 
öerftummt ift, mirft mabrbaft feierlich, unb mie einfach bie Mittel, mit 


benen ber ftünftler eine foldje 3Birfung erhielt! X)aS öermögen nur bie 
©roßen ... 

Unb hiermit fdjlicße ich biefe fursen Setradjtungen über unfere 
©ommerauSfteüungen ab. 3« bem engen Nahmen, ber mir hier g*= 
3 ogen ift, Faun ich nicht gut noch wehr auf ©i^elneS eingeben, obfehon 
fo 3 iemlicl) boeb in allen Sälen baS ©ine unb 3lnbere beröor 3 ubebeu 
märe unb namentlich auch auf bem ©ebiete ber Sfleinplaftif ©rfreulicheS 
geleiftet morben. 3lber Warnen unb Xitel nennen — ID 03 U ift benn 
ber iiatalog ba? Sapienti sat. 3- Xlorben. 


Offene Briefe unb Jlntworten. 

$ann^ ßctemlii unb bic ^raucnbctocguitg. 

©ehr geehrter ^err! 

3n bem leibet öerfpätct in meine ^)änbe gefomntenen 3lrtifel 
„3luS Jannp Semalb'S Xagebucb" beißt eS: „Sogar als Sorfämpferin 
ber Srauenrecbte mirb bie befonnene, nüchterne, logifdje Sorfämpferin 
ber ©mancipation 3 ur — 3lrbeit öon ben unbanfbareit grauen? 
rechtlerinuen 3 unt alten ©ijen gemorfen u. f. m." X)ieS ift nid)t 
richtig. 3 d) lebe unb arbeite feit 3 ebn Sahren in ber beutfcheit grauen? 
bemegung, bie grauenred)tlerinnen aller Wichtungen unb ©djattirungen 
finb mir genau befannt, aber id) habe gönnt) Semalb’S Warnen, mo er 
genannt mürbe, nie anberS als in Xanfbarfeit unb ©brfurcht nennen 
hören. ©S ift ridjtig, baß unfere fchnelllebige geit fchnell öergißt — 
baS gedieht aber aud) mit anberen ©roßen unb ift fidjerlid) nicht gleich? 
bebeutenb mit „ 3 um alten ©ifen merfen". 2Bie meitig biefe 3lnnobme 
hier 3 utriß‘t, bemeift u. 31. ber Umftanb, l>aß mir 3 ur'©infübrnng beS 
im 3lpril ö. 3- gegrünbeten DrganeS beS „SunbeS beutßher grauen? 
öereine", ber beute in feinen 123 ©in 3 elöeretnen fomobl „gemäßigter" 
mie „rabicaler" Wichtung bie beutfdje bürgerliche grauenbemegung 
repräfentirt, nichts SeffereS 3 U ftnben mußten, mie — gannt) üemalb'S 
„Ofterbriefe", gunt ©d)luß geftatten ©ie mir, febr geehrter £>err. bie 
Seinerfung — bie ficb wir ebenfalls auS meiner genauen äeuntniß ber 
beutfeben grauenbemegung unb ihrer Sertretertnnen aüfbrängt —, baß 
aud) bie rabicalfteu uuter uufereu heutigen graueitrecbtlcriunen uid)tS 
aubereS gemollt haben unb moHen als — in Uebereiuftintmuug mit 
ganitt) Semalb, unb mie fie eS u. 31. tu ihrem einbrucfSöollen 3lrtifcl 
über baS grauenftimmreebt auSfpricbt, — bie „©mancipation 3 ur — 
3lrbeit" auf allen liebenSgebieten. 

Mit bem 3luSbrucf öor 3 Üglidjer Hochachtung 

ergebenft 

XreSben. HTartc Stritt. 


-- 


^otijen. 

^laubereten über baS neue Wecbt. Son 3lbolf 2obe. 
( 2 eip 3 ig, g. SB. ©runom.) ©pftematifche Xarfteflungen beS DiecbtSftoffeS 
finb, auch menn fie noch fo Har gefdjrieben fmb, immerhin für ben, 
ber nicht jurtftifd) 3 U benfeu gefcbult ift, febmer öerftänblidj unb leicht 
ermübeub. 3)iefe SHiubereien per 3 ichten beßbalb auf eine fpftentatifd)e 
Xarftelluug beS gefammten WecbtSftoffeS, bagegen bebanbeln fic in an? 
regenber ©efpräcbSfornt, anfuüpfeub an Sorfommniffe beS täglichen 
SebenS, mie fie mobl öon Männern gelegentlich an ihrem ©tammHfd) 
befproebeu merben, bie midjtigften unb praftifebften ©ebiete beS neuen 
WedjteS. Xer Kaufmann, ber 3lpotbefer, ber ?lrjt, ber $aftor fragen, 
unb ber 3lmtSricbter antmortet unb erflärt uuter fortmäbvenber Se 3 ug? 
nähme auf Seifpiele. wirb auch SBertb barauf gelegt, bie fociale, 

fittlidje unb mirtbfdjaftlidpe Sebeutung einer gefeplidjen Seftimmung 
beröor 3 ubeben unb fo bie ©efepeSöorfdjrift nicht a!S miUfiirlidpe gorutel? 
öorf^hrtft, fonbern als notbmenbigeS ©ebot beS SebeitS unb SerfeljrS 
öerftänbli^ 3 U machen. ©S ift ein mahreS SolfSbuch, baS mir in recht 
öielen Hänbeu miffen möchten. 


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400 


Nr. 25. 


ie ©egenrourt 


Jtngeigen. 

Bei BelfeOungen beruhe man fWj auf bfe 

Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift¬ 
stellers sind zu Gunsten der Hinterbliebenen 
folg. Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden¬ 
preises in schönen, geb. Ex. zu verkaufen: 
Brockhaus' Conversationslexikon. Neueste 
(14.) Auflage mit Supplement. K7 Bände 
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei 
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬ 
gabe 30 M. — Hch. Kurz: Geschichte der 
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. v. 
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild- 
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder- 
bde. 50 M. — Lacroix, Les arts au Moyen- 
Age; Directoire Consulat Empire, 2 Lieb- 
hbde. 30 M. — Henne am Rnyn: Kultur¬ 
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde. 
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner 
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl. 
Toxt m. deutsch. Erklärungen v. Delius, 
Hfb. 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel 
(Pfeilstückerl Lwbd. 10 M. r- Bestellungen 
pr. Nachnahme durch Vermittlung der 
Expedition der „Gegenwart“ in 
Berlin W. 57. 


„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“ 

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Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch 
von minderwertigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre 
Über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von */ 4 I 75 Pf. in 
der Apoth. u. Mineralwasserbandl. Bendorf (Rhein). Dr. Carbaeh & Cie. 


Qn W* Verlag in tPeimar erfdjien f oeben: 

Die Cefyrett (Totftois. 6in ©ebanfen^Iudjug äu3 allen feinen Serien. 
8Son Dr. SB. Sobe. 8°. 189 ©eiten. STOit gtoei ©übern. 2 SD?!., ge* 
6unben 2 90?f. 70 $ßfg. 

„3mecf biefeö 93uche$ ift, Dolftoi al§ 3Bobrbeit8fu(hcr unb fie^rcr Dollftänbig nnb 
richtig ju zeigen; ich labe bic Sefer ein, mit mir alle feine SBerfe tu ber Reihenfolge ju be* 
trachten, roie fte entftanben finb. Dann merben mir ihn hör unjeren Äugen empormachfen 
fehen, feine erfte Änlage, feine fpätete Gntroicfelung, feine ferneren inneren Kämpfe mitlebcnb. 
GS lohnt fid) ba§, ebeufo mie e$ ftch lohnt, ©oetheS Sauft ju lefen, ift bod) Dolftoi ein Sauft 
höheren Ranges als ber ©oethefche. Der dichter Dolftoi mirb uns Rebenfache fein; mir 
fönnen feine Dichtungen Diel höher fchäpen als er felbft eS heute tljut, aber Diel höher all 
feine poetifche Jhinft erfcheint uns bod) feine nach bem göttlichen Sichte ftrebenbe Seele unb 
fein geroaltigeS ©rebigeramt." 


Königliches Bad Oeynhausen. 

u * ^ilbeShetm. ©ommerfaifonD.15.9Xat 

btS Gnbe ©ept. SBinterfur Dom 1. Oft. bis Rtttte RJat. Jhirmtttfl: Raturm. fohlenf. Dhermalbäber, 
©oolbeiber, ©ooLSnhalotorium, SBeüenbäber, ©rabirluft, Rtebicomechan. Sanbcrinftitut, Röntgen^ 
fammer, Dor$ügl. Rfolfen* n. Rttldjfuranftalt. Rcueö Dbermalftabebaud am 15.9Rflrt190© eröffnet. 
gnMfatlonnr: Grfranfungen ber RerDen, beS ©ehirnS u. RücfenntarfS, ©icht, SRuSfeU u. ©elenls 
rheumatiSmuS, .fterzfrantljetten, ©frophulofe, Änämie, chron. ©elenfentgünbungen, grauenfranflj. x. 
Äurfapefle: 42 Mlttflttr, 120 borgen Äurparf, eigtned jhtrttjrater, S3äHc, #on$erte. Äflgemeine 
SBafferleit. u. ©chmemmfanaltfation. ©rofp. u. ©efdjreibung überf. frei bie jtgl. ©abrberrottlfnni. 


$unbert Original * ®u tagten 
Jff 1 j* 4 M am JL b. grfUTtb u. fretnb: ©jörnfon 

WI % Hl 0 £ m ©ranbe« ©flauer drispi SDa^it 

CT * ^ w w v w Staubet ©gibt) ftontane Orotb 

, $aetfel fiartraann £ebfe 3 or* 

tm ban Stibling ßeoitcatwtto Sin* 

bau ßombrofo IPIefgtfdicrÖti 
1 fttgra Vorbau catntec fetten« 

fofer ©altflburt) ©ienttewlcj 
©tmon Spencer epteltjaflen 
©tanlep ©toeder ©trtnbberg 
fflRCl Suttner SBUbenbrug ferner 

Sola u. b. tt. 

«leg. gef). 2 2Rf. t»om Otvlag btr SigitmMiri, 
©erlin W. 67. 


Verlag Dort Jtofjibfrg&l!rrger in iripjig. 

©oeben erfchten: 

$zx Sd|uh 

ber Tratten unb Hinter 

gegen 

B)itll|aublxuu\en. 

Ruf ©ritnb 

amerifanifcher u. curopäifdjer Rtotertalien erörtert 
bon 

Dr. Statt W&alätt, 

^ribötboACUten bet ©taatSiniff. an ber Ititib. SeibAifl, 
orbentl. SWitglieb ber 3nternationalen ©ereinigung für 
uerglel(tenbe Wetbt^miff. unb ©oUSmtrtbfrtjaftSlebre iu 
©erlin unb ber American Aoademy of Political and 
Sooial Science. 

$rri£ 4 Rtart. 

Der ^erfaffer hot Don 11 $inberfchup=Rer= 
einen u. f. m. in Rem ?)orf, SBofton, Sonbon, 
$ariS, SBerlin, ReusebUp, SBien intereffante 
Rtaterialien befommen. Gr behanbelt auch bie 
grage beS GinfdjrettenS ber $auSgenoffen gegen 
begonnene Rlifchunblungen. 


SSeriag bon SÖil^dm in ©crlin. 

©oeben erfchien: 

^eorg von ^Sunfen. 

Gin Gharafterbilb aus bem fiager ber 
^Beftegten, gezeichnet Don feiner Dochter 

Parte »an gltmfeit. 

22 Sogen OftaD. 

Rlit Suchfdjinucf Don Rfarie Don Sunfen 
unb einem Porträt in ^eliograDüre. 
©eheftet 6 R 2 . ©ebunben 7 9 R. 


©erant»Dorni(f)fc Stebncirur: l>r. Xbcob^il flolllng In ©erlln. 


Bad Reinerz, 

klimatiacher 9 waldreicher H5hen-Karort — 568 Meter — in einem 
schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Glatz, mit kohlensäurerefehen Eisen-Trink- 
u. Bade-Quellen, Mineral-. Moor-, Donche- u. Dampf-Bädern, Kaltwasser-Procednren, 
ferner eine vorzügliche Molken-, Milch- u. Kefjr-Knr-Anstalt. Hoehquellenleitog. 
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmnngs- u. Verdaunngsorgane, zur Ver¬ 
besserung der Ernährung u. der Constitution, Beseitigung rheumatisch-gichtischer 
Leiden u. der Folgen entzündl. Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang Mai. Prosp. gratis. 



gn unferem Setlag ift erfchienen: 


pie (ßcgcmunrt. 

fB^ruianfi «8: L'Jirrn!«. Jhmfl #rt «Iknrtl^* 


ifHeril* flffipft 1872 —1896. 

Grfter bid fünfzigfter Sanb. 

m\ Rachtrftgen 1897—99. ©eh- 5 Jf 

Gin btbliographifchcö Setf erften 
Ranges übet baS gefammte öffentliche, 
aeiftige unb fünftlerifche öeben bet lepten 
25 gahte. RothmenbigeS Rachfchlagebuch 
für bie Sefet bet „©egenmatt", foroie 
füt miffenfchaftliche ic. Ätbeiten. lieber 
10,000 Ättifel, nach Sächcrn, Serfaffern, 
©chlagtpöttern georbnet. Die Äutoren 
pfeubonhmer unb anonpmet Ärtifel ftnb 
burchroeg genannt. Unentbehrlich füt 
jebe Sibliothel. 

Äuch bireft gegen ^oftanmeifung ober 
Raihnahme Dom 

©erlag ber (Rcgeitaari. 

»rtUn W 57. 


Stottern 

heilen dauernd Dir. O. Denkardt’e 
Anstalten Dresden -Dosohwltz und 
Burgstelnfurt, WestL Herrliohe Lage. 
Honor. naeh Heilg. Prospecte gratis, 
▲eiteste stastl. durch S. M. Kaiser 
Wilhelm I auagezeichn. Amt. DeutschL 


$t$natiks fladifelirt. 

Sloman 

Don 

^eop^tC ^oCCtng. 

BW* 09tf#aM»gat>e. 'WB 

^teiÖ 3 R?atf. ©chön gebunben 4 Rlarf. 

Diefet 93iömatcf=GaptiDi=Roman, ber in * 
menigen Suhlen fünf ftarte Äuflagen erlebt, 
erfcheint hier in einet um bie §ülfte billigeren 
93olf&au$gabe. 

Durch alle 93u<bhanblungen ober gegen Gin* 
fenbung be$ Betrags poftfreie 8 u f en öung Dom 

Oerlag der Gegenwart, 

SSerün W. 57. 




mrbaction tirtb tfjpiMtlon: ©erlln W., Wanftelnitrate 7 


Tnid ton veffe A t>edrt tn veip:*®* 


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M 26 . 


33 er Cirr, bert 80 . gwti 1900 . 


29. Jahrgang. 
Band 57. 


Pie #ejei mmt 

SBochenfchrift für Siteratar, Shinft trab öffentliches geben. 


£erau*gege&ett toott 'peopöif £offhtg. 

»• 


leben Snaubenb erfdjetnt eine gramer. 

gu btjlt^tn bttn$ alle BwftatiMuntai unb ^oftärater. 


SS erlag b« (Segensurrt in Berlin W, 57. 


glerWmrlUl 4 ff. 50 Jf. ftne gnnmer 50 |f. 

Snferate Jeher «rt pro 3 gehaltene $ettt*ei(e 80 $f. 


$)eutfd)lanb8 fünftige ©anbefö^olitrf. ©on ßurt ©aul 9fto!jr. — $alte§ 2id)t. ©ott 31*9*™«** ©uftaö $. Saft. — 
C ft Biletatttt unb Ättttft. £>ie auSIänbifdjen Zünftler auf ber $8eltau$ftellutig. ©on 91. ©ruitnentann ($ari3). -p (Sin eng* 
I/tlDdLI * lifeber Srilifct ®otte9. ©on SRarcuö £anbau. — ®ht fat^olifc^cr ®rj(i§Ier. ©on Martin ©reif. — fteutlleton. Cum 
C- -f*** • infamia. ©on (Sugett ftoramann. — fcttö bet $ttttj)tftabt. $)le rotlje &auft. ©on Caliban. — 5)ramatijrf)c 9(uf= 
füfjntngeit. — Offene ©riefe unb Slniroorten: 3ur $ienftbotenfrage. ©on Älara Seemann. — Zotigen. — Sinnigen. 


Dentfthlanbs künftige IfattiielBpoUfih. 

Bon Kurt panl OTotfr. 

Näher unb näher rücft ber Termin beS Ablaufs ber 
fianbetSOerträge, unb wenn unS auch nodj eine geraume 
Spanne 3 e it Uom 31 - ®ecem6er 1903 trennt, fo tjerrfept 
both fc^on jeftt überall eine fieberhafte Dljätigfeit unb ein 
regfameS Sntereffe für bie jufünftige ©eftaltung ber beutfehen 
fcanbetSpolitif, Wie eS fo aQgemein im ©olle ber dichter 
unb Denier bisher noch nirgenbö $u Dage getreten. Die 
©iSmarcffche NeqJpoUtil trägt ihre grüdjte unb mohloor6e= 
reitet, foweit eS nur irgenb möglich gewefen, wirb Deutfeh 5 
tanb bieSmat an bie Neuregelung feiner $anbelsbejiehungen 
jum SfuSlanb treten. 3War ift noch ein fef)r großer, wenn 
nicht ber gröfjte SC heil ber Arbeit erft ju leiften, — bisher 
fteljt man nod} mitten in ber ©erathung übet bie £>öl)e bet 
gotlfäfte — ja, man ift fich noch nicht einmal barüber jur 
ooHfommenen Ätarheit gelangt, welchem Dariffftftem man ben 
©orjug geben fott — ob Weift* gtir Winbefttarif, ob auto* 
nomer ®enerat= unb ©ertragStarif, ob 9lbfd)affung bej. be* 
fchränltere ?lnwenbung ber WeiftbegiinftigungSclaufel, ob 
SBerttj* ober fpecififche 3ööe. Schon feit brei Saljren werben 
bie ©orarbeiten regierungSfeitig auf baS (Sifrigfte betrieben, 
ba bie neuen ©ertrage feine „blofje 3lbfchrift “ ber alten 
Werben foHten. 3 uer ft h at ntan fämmtlid)e mit bem Deutfdjen 
Seich abgefchloffenen fpanbetS* unb SdhifffaljrtSOetträge oer* 
öffentlicht. Dann Würbe in 24 $eften ber §anbet Deutfch 5 
lanbs mit bem SluSlanb Oon 1880—1896 jur DarfteQung 
gebracht, bie 3oQtarife aller Sänber nach beftimmten SBaaren* 
gruppen jufammengefteKt unb fchliefelidh im SSahte 1897 eine 
eingehenbe mühfame ©robuctionSftatiftif aufgenommen, beten 
^wuptergebniffe jeftt oorliegen. Droftbem ein PoHfommeneS 
©ilb noch nicht gegeben ift — einige Snbuftrien, barunter 
bie eleftrotechnifche, SbetinetaU«, 8eberwaaren*3nbuftrie fehlen 
noch, auef) finb mandhe Angaben augenfcheinli^ ju niebrig —, 
fo ergiebt fich baS intereffante gactum, bafe bie ©ütererjeuguitg 
DeutfchlanbS gegen 9 Vs SNiKiarben an SBerth fich beziffert, 
eine ftafyt, bie im ©ergleich mit ber @in= unb SuSfuhrftatiftif 
aufs ®eutlidhfte jeigt, weldh’ eine h 0 ^ ©ebeutung ber 
innere Warft für S)eutf^lanb felbft gewonnen hat, eine %f)at= 
fache, bie ein jeber ^anbelSpolitifer auf baS @rnftf|aftefte 
wirb ju wütbigen wiffen. ülufter ben erwähnten ©orarbeiten 
brachte noih ber Anfang biefeS SahreS ben nach mancherlei 
©orentwürfen enblich fertiggefteßten „Entwurf einer neuen 


3lnorbnung beS beutfehen 3oKtarifS". SSelcfje S^wierigfeiten 
hier ju überwinbeu waren, ergiebt fchon ein einfacher ©er* 
gleich ber SBaareitgruppen beS alten unb beS neuen Schemas. 
Sßährenb baS jur 3 e it giftige 3°ötariffchema 43 Ipaupt* 
nummern mit 340 Untergruppen aufweift, wirb baS neue 
mit ben Sbftufungen ber etnjeliten UBaarengtuppen 1365 
Nummern enthalten, wenn nicht bei ber enbgiltigen Sbfaffung 
noch einige Senberungeit gemacht Werben, ferner aber ent* 
hält ber neue ©ntwurf jum erften Wal eine fpftematifche, 
Wiffenfchaftlich bearbeitete Snorbnung beS Stoffes, wobei 
man nach bem ®runbfa{j oerfuhr, juerft bie Nohftoffe einer 
Snbuftrie, bann bie ,'palbfabrifate unb jule^t bie ®aitj= 
fabrifate barjufteflen. ®anj natürlich Wenbet fidj nunmehr, 
nachbem bie fjrage beS SCariffcfjemaS mit ben betheiligten 
Greifen bon Snbuftrie, ßanbwirthf^aft unb §anbel erörtert 
Worben ift, bie §auptaufmerffamfeit ber Sntereffenten bett 
3oQfrögen im engeren Sinne, ber £>öl)e ber 3oflfähe unb 
ber 9lrt unb SBeife beS 3°Qf c h u ^ e3 ju. SBie fchon oben 
heroorgefjoben, wirb barüber noch eifrig bebattirt, ob man 
ju einem Doppeltarif übergehen ober bei bem autonomen 
Darif berbleiben foU. ferner, ob man fpecififche 3öüe be* 
halten ober ®ewi<htSjöHe einftihren foU. Die Slnfichten hier 5 
über fcheinen noch nicht genügenb geflärt ju fein. ®S ift 
baher ganj nulltet), einmal sine ira ac studio baS gilt unb 
Sßiber ju beleuchten. 

Sntangenb bie grage beS Weift» unb WinbefttarifS, fo 
laffen fich hier geWiffe ©orjüge nicht beftreiten. Der Weifttarif, 
ber bie hödjften 3oÖf ä h e enthält, finbet auf alle Nichtoertrag* 
ftaaten, ber Winbefttarif mit ben geringftbemeffenen (Sähen 
auf alle ©ertragSftaaten Slnwenbung. Der ^auptoorjug eines 
Doppeltarifs befteht aber barin, ba§ ber betreffenbe gabrifant 
ftetS nach feften 3°Hfähen rechnen fann. @r ift gefiebert 
gegen plöfcliche Senberungen, wie fie beim Neuabfchtufi oon 
|>anbelSüerträgen möglich finb, unb ein beftimmter Schuft ift 
iftm auf alle gälte gewährleist, gerner wirb eine Negie* 
rung bei ©ertragSüerhanblungen gan^ wefentlicft baburch 
unterftüftt, ba& i|r eine fefte ©renjtinie gezogen ift, bis ju 
Welcher eine (Srmäfeiguttg ber goöfäfte ftatthaft ift. ©erabe 
bei parlomentarifdhen Negierungen wirb auf biefe Söeife ein 
großer Stein beS ©nftofjeS befeitigt. ®egenüber biefen ©or» 
jügen ftehen aber ganj erhebliche Nadjtheile- ©ei ©ufftel* 
lung eines Wajimat* unb WinimaltarifeS befteht nämlich 
alljulei^t bie ©efahr ber Ueberfpannung beS fchuftjöDnerifchen 
©ogenS. Denn ba ber Winimaltarif bei etwaigen ©ertrag* 


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1 


402 


Die (Gegenwart. 


Nr. 26. 


abfdplüffen auf bie terfcpiebenften Sänber gleicpmäfjig Stn» 
wenbung finben mufj, fo wirb ganj felbftterftänbtid) ber 
2Rinimattarif ftet« fo gemäht »erben, bafj er auep bem 
ftärfft concurrirenben Sanbe gegenüber einen Scpup gewährt, 
©iefer Umftonb aber pat leicht jur gotge, bafj ba« beireffenbe 
Sanb fic^ Wirtpfcpaftticp auf etnen Sfotirjcpemet fept. Sepr 
teprreicp ift in biefer £>inftcpt ba« ©eifpiel granfreiep«, bem 
bie Spre ber Srfinbung biefeS ©ariffpftem« jufommt. graut» 
reicp führte feinen ©oppettarif 1892 ein. ©eit Jpauptgrunb 
bitbete feine Abneigung gegen JpanbefSterträge, ba an ben 
©ortpeiten biefer ©eutfcptanb traft be« ipm im granffurter 
grieben jugeftanbenen emigen SReiftbegünftigungSrecpt« ©peit 
patte. Salb aber gerietp granfreiep mit berfdpiebenen Staaten 
»ie Scpweij, Spanien, Stfltien in erbitterte 3°Hfri e 9 e > auS 
benen e« fiep fcptiefjticp nur burd) Srmäfjigung feiner SRini» 
mattarife retten tonnte. ©a« gleiche Scpidfat traf Spanien, 
ba« fogfeicp bie franjöfifcpe 3bee aboptirt uub ju einem 
©oppettariffpftem übergegangen war. Stucp Spanien muffte 
unter feine ÜRinimattariffäpe peruntergepen, fo baff jept mit» 
unter brei ©arife in ©eitung finb. Srwägt man nod), baß 
granfreid) .unb Spanien in iptem auSlänbifcpen föanbel feine 
günftigen SRefuttate aufroeifen*) — im ©ergteicp jum Sin» 
warfen be« §anbel« ber übrigen Staaten ift ein relativer 
SRficffcpritt unberfennbar — fo ermuntern biefe Staaten nidpt 
jur SRadpfotge. Sluffer ben erwähnten pat nocp SRufftanb in 
gotge be« 3°flfr* e 9 e8 mit ©eutfcptanb ju biefem Spftem ge» 
griffen unb neuerbing« (1897) Norwegen; jept fcpidt fiep, »ie 
foeben Oertautet, auep ©ortugat an, neben feinem jepigen 
popen ©arif einen ÜRinimattarif auöjuarbeitert, auf ©runb 
beffen e« £>anbet«berträge mit ©eutfcptanb, Sngtanb unb 
granfreiep abjufcpUejjen gebentt. 

SS erfepeint baper naep Sittern in etwa« eigentpümlicpen 
Sidpte, wenn peute ton agrarifeper Seite für bie ©orjüge 
eine« ©oppettarif« geftritten »irb. Sicper ift, baff bei Stuf» 
ftettung eine« ©oppettarif« jeglidpe ©ertragSterpanblungen, 
bie fpecialifirett unb einen beftimmten Scpup ben entwide» 
tung«fäpigen 3 We '9 en t>er peimifdjen ©robuction gewäpren 
foüen, fo oiel e« im allgemeinen Sntereffe erforbertiep ift, 
ganj ungepeuer erfepwert, wenn niept gerabeju unmögtiep 
gemaept »erben. Sollte etwa biefer SSunfcp be« ©ebanfen« 
©ater fein? Sludp in Oefterreicp pat man biefe gragen fepon 
eifrig bepanbett, auep pier fepeint man auf ben Sßegen eine« 
©oppettariffpftem« ni(pt »anbetn ju »oQeit, wenn auep pier 
»ie bort unleugbar ftarfe ©enbenjen oorpanben finb, bie auf 
eine Srpöpung ber biSperigen gotlfäpe abjielen. SBie jüngft 
befamtt würbe, pat man fid) in Oefterreicp jur Stufftettung 
eine« pöperen allgemeinen ©arif« unb eine« gepeimen 3Rini» 
mattarife« entfeptoffen, bet niept gefeptiep feftgetegt nur ben 
Unterpänbtern at« dRaterial bienen foQ. Stuep in ©eutfep» 
tanb foEt ber gteiepe ©erfucp gemaept »erben. 6« bteibe pier 
bapingeftetlt, 1. ob niept bamit boep ein SRinimattarif unb 
feine SRacptpeile jur ©ettung tommen, unb 2. ob e« niept 
unmögtiep fein »irb, bie ÜRinimattariffäpe üor bem Stu«tanb 
ftet« gepeim ju patten. 

Sine fepematifepe Stufftettung ton 3°ßfäpen tt>äre ja 
überpaupt ba« bentbar ungfinftigfte, »a« un« paffiren fönnte. 
Sine etfäffifepe SSnbuftrie j. ©. »irb anbere SBünfcpe bei einem 
§anbet«tertrag mit ber Scpweij ober Oefterreicp paben, at« 
mit fRufftanb. ÜRit anberen SBorten, e« tommt niept fo fepr 


*) granfreid)« ©efammtaufjenfjnnbel betrug: 

1889: 8020 3M. grc8. 

1891: 8337 „ 

1893: 7089 „ 

1897: 7554 „ 

1898: 7879 „ 

Spanien patte einen ©efammtumfab: 

im Sapte 1896 Don 1403 uRitL. ißefebaS 
„ 1898 Don 1417 „ 

„ 1899 Don 1661 „ 

baDon 1899: 936,5 SM. (Slnfupr unb 724,8 SM. Süuäfupr. 


barauf an, btoff ju fragen, »ie poep muff. ber 3ottfcpup fein, 
fonbern »ie poep muff ber godfdjup gegen bie« ober jene« 
Sanb fein, ©abei »erben fiep ganj natürtiep auep Stpebungen 
barüber anjufeptieffen paben, inwieweit bie Sntereffenten eine 
Stenberung ber 3°flfäp e be« Slu«tanb« »ünfepen, ein SBor» 
fdjtag, ber jüngft ton Seiten ber Sjportinbuftrien gemaept 
würbe, unb ber, fad« niept babei ganj unbereeptigte unb un» 
mögtid)e SBünfdpe taut »erben — j. ©. Slbfepaffung jegtieper 
au«(änbifd)er, aber Slufred)terpattnng ber inlänbifcpen 3ott s 
feprauben — ernfte Seaeptung terbient. ©ie grage be« 
©ariffpftem« fann aber niept für fiep allein betraeptet »erben, 
fie pängt auf’« Snnigfte mit ber SWeiftbegünftigung jufammen. 
©ie Staufct ber SWeiftbegünftigung ift betannttiep eine SBet» 
trag«terabrebung, burep bie fid) ein Staat terpflieptet, bem 
Sertrag«ftaat jebe Segünftigung ju ©peil werben ju taffen, 
bie er einem britten Staat gewäprt pat ober noep getoäpren 
»irb. 3m Stilgemeinen ift peute bie Sortiebe für bie ftpema» 
tifepe unb unterfepiebötofe SlnWenbung ber SReiftbegünftigung 
fepr gefepwunben unb e« ftept »opt ju erwarten, bafj »ir bei 
unfern neuen tpanbel«terträgen fie nur mit grofjjer Sorfitpt 
jur SlnWenbung bringen. 3pre uubebingte Stbfipaffung ift jur 
3eit ja niept mögtiep, ba fidp im Slrtifet 11 be« granffurter 
grieben« granfreiep unb ©eutfdptanb für ewige 3eden bie 
fflSeiftbegiinftigüng jugefagt paben unb fiep auep bie Weift» 
begünftigung«ftaufel bei Verträgen mit aujjereuropäifcpen, 
wenig entroidetten Staaten burepau« empfieptt, ba ber Slb» 
feplup ton ©arifterträgen mit berartigen Staaten fiep niept 
topnt, anbererfeit« ber Stbfafemarft erpatten bteibt. 

Sine anbere grage ift aber bie, inwieweit Sefepränfungen 
ber 3)feiftbegünftigung, wie fie fepon jept feit Saprjepnten 
übtidp geWefen finb, auep fernerpin in befonbern gälten not» 
genommen werben fönnen. So befepränft ber granffurtce 
grieben bie SDSeiftbegünftigung pinfiepttiep terfepiebener Sänber. 
9Jur wenn ©eutfcptanb Sänbern »ie Sngtanb, ©etgien, Slieber» 
tanbe, ScpWeig, Oefterreicp, tRuptanb ^anbet«begünftigungen er» 
tpeitt, ntüffen biefe auep granfreiep eingeräumt werben, ebenfo 
umgefeprt. S« fönnte alfo ©eutfdptanb 3?eciprocität«terträge 
naep Slrt ber jept ton ben ^Bereinigten Staaten beliebten mit 
Spanien, Portugal, Statien, Sepweben»9?orwegen, ©ürfei, ben 
©atfanftaaten unb ber Union fetbft re. abfcpliefjen, opne bafe 
baburep granfreiep baran ©peit pätte. 

gerner finben fiep ©urepbreepungen be« ißrincip« ber 
SDJeiftbegünftigung bapin, bap in gewiffen ©ertrügen für 
einjetne Slrtifet bie SReiftbegünftigung au«gefeptoffen 
ober auf einjetne Slrtifet befepränft wirb. S« Würbe atfo 
wopt mögtiep fein, ber fepon jept übtieperen Sinfepränfung 
ber SReiftbegfinftigung eine beftimmte engere ober weitere 
gaffung ju geben, um bie grofjen Scpäbigungen, bie burep 
eine unterfdpieb«tofe Stnwenoung entftepen, ju terpinbern. 
©eifpiet«weife fönnten auep ©orjugäjöße, Wie fie im beutfep» 
öfterreiepifepen ©erfepr fepr itüpliep wären, bon ber Weift» 
begünftiguug ausgenommen werben. Slucp fRuptanb gegen» 
über fönnte eine berartige bifferentiette 3ottbepanbtung j. 8. 
für ©etroteum jur SlnWenbung gelangen, opne bafj auf ©runb 
ber SReiftbegünftigung noep anbere Staaten (Slmerifa) baran 
©peil paben bürften. 

SSa« nun Weiter bie grage ber ©ewidpt«» ober fpeeififepen 
gölte betrifft, bie peute gleid)fatl« im ©orbergrunb ber ®i«» 
cuffion ftept, fo bürfte fiep im grofjen ©anjen bie Seibepaftung 
ber ©ewieptSjöHe empfepten unb nur ba, wo eS bem 3®^ 
entfpriept, fönnte man äpntiep wie im ©ingteptarif eine 
Sombination ton ©ewiept«» unb SBertpjötten tefp. Staffel» 
wertpjötle für einjetne Slrtifet aufftetten. Opne g ta 9 e 
in bem ©ewiept«joflfpftem eine ropere gorm ber ©erjollung, 
unb e« fommen bei fummarifeper ©epanbtung grobe Unju» 
trägtiipfeiten tor, bennoep taffen fiep bie großen Sammet» 
pofitioneit unfepwer fpecificiren unb fo bie meiften SRacptpeife 
einer fummarifepen ©erjollung aufpeben. ©agegen paffen 
bem Spftem ber SBertpjöHe gewöpntiep fepr groffe Wiffffänbe 


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Nr. 26. 


Hie Gegenwart. 


403 


an, obtt>of)[ eS nnbeftreitbar ift, baß bic Staaten, in benen 
SBertßzöße erhoben Werben, (bereinigte Staaten, Velgien, 
§ollanb, 3apan, in geringer Anzaßl in Sdjmeben, iRormegen, 
Vrafilien, ©riedjenlanb, Italien, granfteieß) fieß babei feßr 
Woßl befinben. Dodß muß bemgegenüber ßeroorgeßoben werben, 
baß gerabe burdj ein SBertßzoUfpftem eine Verleitung zu $oH* 
eßieanen ftattfinbet mit ben fonftjgen unangenehmen Sieben* 
folgen, ber Veftrafung ju niebriger SEBertßangaben unb bem 
üblen Einfluß auf bie ßofibeamtenfcßaft, ber in einigen Sänbern 
ein VorfaufSredjt auf unrichtig bcclarirte SÜBaareit zufteßt. 
Ue6tigenS ift oor furjent bem fReidjStag jur grage ber 3Bertß* 
Zölle ein Antrag unterbreitet worben, ber gewifferniaßen ©leicßeS 
mit ©feießem ju oergelten ftrebt. Der Antrag lautet: Von 
zollpflichtigen SBaaren, welche aus Staaten ßerftammen, in 
welken beutfeße SBaaren ber Verzollung nach ^ eni SBSerth 
unterworfen finb, fönnen, infoweit nicht VertragSbeftimmungen 
entgegenftehen, an Stelle ber tarifmäßigen Eingangsabgaben 
SBerthjölle erhoben werben." 

Damit würbe Deutfcßlanb eine föanbßabe gegeben fein, 
fitf) gegen eßieanöfe Vehanblung bei Verzollung feiner AuS* 
fuhrerjeugniffe beffer feßüßen ju fönnen, wenn auch ber ßoö* 
prajiS ber Antrag in feiner Ausführung große Schwierig* 
feiten bereiten würbe. Sebodj biirfte bie Sbee felbft nicht fo 
ohne weiteres Pon ber £anb ju weifen fein. 

IRocß aber harren alle biefe öerfeßiebenen ißrobleme ißrer 
enbgiltigen Söfung. SRocß fteßen wir in bem Stabilem einer 
aßfeitigen unb forgfältigen Vorprüfung. Sßenn aber Deutfcß* 
lanbs ßufunft als bie einer SEBcltmadjt geförbert werben fott, 
bann ergeht auch an alle probuctiuen Stänbe bie ernfte 
ÜRaßnuug, ißre fpeciellen Sntereffen nießt überwudjern ju 
(affen, fonbern eine weife SRüdfidjt ju üben auf baS, was ber 
Allgemeinheit frommt, fRur in biefent Sinne fann bie VolfS* 
roirtßfcßaft, ber ftarfc ©runbpfeiler bcS nationalen 2Boßl* 
ergeßenS, gepflegt werben, unb in biefent Sinne foH aueß 
weiterhin SÖJeltpolitif, beutfeße SBeltpolitif getrieben werben. 


kaltes fid)t. 

S8on 3iigenieur (ßußaD <£aft. 

Verfdjiebene Dßeile unfereS ÜRerOenfßftemS finb Per* 
fcßtebenen Sinbtüden angepaßt. So neßmen wir gewiffe 
Erregungen ber Suft als ScßaU waßr, fo erfennen wir Per* 
möge beS DaftfinnS jene Vorgänge, bie wir als Sßärine be* 
jeießnen, unb auf äßnlidje SBeife empfangen wir audß bie 
©inbrüde, bie wir als Sicßt befiniren. ÄuS ber jebcnfaüS 
feßr auSgebeßnten SReiße ber StraßluugSerfcßeinungen nimmt 
jeber SRero nur bie Empfinbung auf, für bie er beftimmt ift. 
Dbwoßt ber SeßnerP Pon einer wunberbaren ©mpfinjblicßfeit 
für bie UBaßrneßmung Pon allen StraßlungSpßänomcnen ge* 
baut erfeßeint, fo nimmt er boeß nur biejenigen waßr, bie 
mir als Sicßt bezeichnen, wäßrenb er für alle anberen, unb 
roäten fte biefen nod) fo naße perwanbt, itnempfinblid) ift 

Unter Sicßt fönnen wir nur jette Steiße ber Energie* 
ftraßtungSfcala Perfteßen, bie an ber ©renje beginnt, an ber 
mit bie erfte Sicßtempfinbung, baS ultrarotße Sicßt, waßr* 
neßmen, unb bie fieß bis ju ber ©renje erftreeft, bie mir als 
tieffteS ultraPioletteS Sidßt bezeichnen. Veginnt ein Körper 
ju glüßen, inbem ißm auf geeignete Sßeife Energie zugefüßrt 
wirb unb analßfiren wir ben Vorgang priSmatifdß, fo nimmt 
unfer Seßorgan bie ganze Scala jener Empfindungen waßr, 
bie Wir als Sicßterfdßeinungen bezeichnen. Straßlt ber Körper 
für ein unbewaffnetes Auge weißes Sicßt aus, fo erfennen 
wir Permittelft beS SpectrofcopS jenes j^arbenbanb, baS wir 
als Sicßtfcala ober als Spectrum bezeichnen. Unfer Sicßt* 


fpenber, ben man gewößnlicß fdjledßtßin als glüßenb bezeichnet, 
fenbet aber nießt nur Sicßt, fonbern aueß unfießtbare Straßlen 
auS, unb zwar ßauptfäcßlid) folcße, bie gemeinßin als SBärine* 
ftraßlcn bezeichnet werben fönnen. Aitcß biefe Straßlen werben 
Pon bem VriSma gebrodjen. SBiHiam $j>erfcßel war ber Erfte, 
ber biefe Erfcßeinung beS fRäßeren unterfudjte. Snbem er ein 
Dßermometer ben Perfcßiebenen Straßlengattungen beS Spec* 
trumS auSfeßte, fanb er, baß in ben Pioletten, baS finb bie 
am ftärfften gebrochenen Straßlen, bie SSärmeWirfung ge* 
ringer mar, als naeß bem rotßen Snbe ßin. Diefe SBaßr* 
neßmung war feßr Wichtig, unb babureß angefpornt ging er 
noeß weiter. Er braeßte baS Dßermometer in bie bunfte 
Verlängerung beS SpectrumS über baS fRotß ßinauS, unb er 
fanb, obgleich fein Sidßt auf baS Duedfilber wirfte, baß bie 
ftraßlenbe SBärme ßier ftärfer war, als an irgenb einem 
fünfte beS leueßtenben SpectrumS. fRitter ift ber Entbecfer 
ber AuSbeßnuitg beS bunffen SpectrumS über bie leßte 
Piofette Sinie ßinauS. Alfo befteßt ein Spectrum auS brei 
Slßeilen. ^unäcßft auS biefem, ber über bie ultrarotßen Straßlen 
ßinauSliegt, unb ben man als benjenigen ber Sßärmeftraßlung 
bezeichnen fann. Sobamt fommt bie Scala ber Sicßt* 
erfeßeinungen, worauf bann übet baS ultrarotße Enbe ßin* 
weg jene Straßlen folgen, bie eine nur feßr geringe er* 
Wärmenbe Energie befißen, fid) aber burdß ßoße eßemifeße 
gäßigfeiten auSzeicßneit. SÜSeber bie erfteren noeß bie leßteren 
finb für unferen ©efidßtSfinn maßrneßmbar, obwoßl feine 
feßarfe ©renze, webet in Vezug auf ißre Eigenfcßaftcn noeß 
gäßigfeiten, gezogen werben fann. 

AuS biefer Definition beS nnS betreffenben DßeileS ber 
StraßlungSerfdjeinungen geßt nur foPiel ßdrnor, baß ein 
abfolut falteS Sicßt zu erzeugen naeß bem heutigen Staube 
unfercr Erfenntniß als auSgefcßtoffen angefeßen werben muß. 
ferner läßt fid) ßierauS erfeßen, baß. ein V roce 6» ber alle 
aufgemenbetc Energie in Sicßt umfeßt, nie erfunben werben 
fann. 

SBir finb in ber Sage, auS allen Energieformen Sicßt 
Zu erßalten. Aber einerlei, ob zu* öerPorbringung' beffelben 
eßemifeße ober medßanifcße ober cleftrifcße Kraft in Anwenbung 
gebraut wirb, ber SEßeg zum Sidjt führt über bie SBärme, 
ober bie SBärme ift eine unbebingte Vegleiterfcßeinung beS 
SicßtS. Dicfer gactor will aHerbingS unter günftigen Um* 
ftänben für eine praftifeße Sicßterzeugung nießt Piel be* 
beuten. Denn unfer ®aS unb cleftrifcßeS Sidßt, fo unPoK* 
fommen unb unrationell fie aueß finb, finb boeß immerßin 
Sonnen gegenüber bem brennenben Kienfpaßn unb ber Del* 
lampe, ©elingt eS nur einftmalS, ben ÜRußeffect einer Ve* 
IcucßtungSart auf 75 ißrocent zu erßößeu, fo erßalten wir ein 
Sid)t, pon bem man zu fagen berechtigt fein wirb, cS foftet 
nkßtS; benit bei ben heutigen, fagen wir eleftrifdjen Vogen* 
lampen, fofteu bie taufenb iRormalferzen pro Stunbc bei bem 
fo geringen SRußeffect bet Sampen boeß nur wenige Vfeunige. 
Stellen mir unS Por, baß ber V re ' s beS SicßteS, fobalb 
ber ^ußeffect ber fiebenfaeße wirb, in bemfelbcu Verßältniß 
billiger wirb. 

Die SBcgc, bie man zur Verbefferung ber Sicßterzeugung 
eiitgefcßlagen ßat, geßen auSeinanber. VefonberS unterfeßeiben 
Wir zwei Veftrebungen. Die eine geßt barauf ßinauS, bie 
Sicßterzeugung auf <ßcmifd)cm SBege z« PerPoHlommnen, bic 
anbere fuefjt ißr giel auf elcftrifcßein SBege zu errekßcn. DaS 
erftere 3*ei ift nießt crrcicßbar, obwoßl noeß einige Ver* 
befferungen gemaeßt werben bürften, benn man ift beftrebt, 
auf eßemifdjem SEßegc ßößere ©lüßgrabe z« erzielen, waS 
atlcrbingS eine günftigere Sicßterzeugung bebingen Würbe, aber 
cS wirb auf biefe SBcife feßmer gelingen, eine ßößere Ipiße 
ZU entwicfeln als bis ßeute feßon gefeßeßen ift. Aueß auf 
Seiten ber eleftrifdjen fRicßtung uerfueßt ein Dßcil ber j|orfcßer 
immer ßößere ©lüßgrabe zu erreichen, nießt ganz oßne Er* 
folg, wie bie neuen Auer* unb ÜRernftlampen z e '9 en - Aber 
ber anbere Dßeil ber gorfdßer auf eleftrifdßem ©ebiete per* 


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404 


Die Gegenwart. 


Nr. 26. 


fudjt einen anbeten SBeg. ©uögeßenb oon bcn cleftrifd)cn 
©ntlabungen im luftüerbünuten OJaum finb fie 6cftre6t, ein 
falte« ßid)t p erzeugen. 

Tcöla ift e« gelungen, eine elcftrifdje flamme p er* 
jeugen, eine Spenbcrin non SBärme unb ßid)t. Sie ftraßltc 
Wenig bemerfbare SBärmc au«, aber aud) ba« ßidjt war nid)t 
befonber« glänpnb. ?(bcr war fie beßßalb weniger eine glamme, 
Weil fie bem ©jperimcntirenben nid)t bie §anb oerbrannte? 

— Te«la behauptet, baß man, inbem man eine ähnliche 
gtamme in einer ®la«fugel ^croorbringt, bie jwar {(einer 
aber fräftiger wirft, eine rationelle ©eleucßtung8art hätte. 
JtuSgeßenb oon ber Srfenntniß, baß ber geringe SRußeffect 
einer gewöhnlichen ©lüßlampe baburd) bebingt ift, baft bie 
eleftrifcße ©nergie in ber gorm, wie fie ißt pgefüfjrt wirb, 
95 ©rocent berfelben in langen ober SBcirmcweflcn wieber oer« 
au«gaben muff, gelangt er p ber ©nfdjauung, baß man nur 
nötßig pat, bie ©efammtüibrationcn unfeter ßicßtqueße p 
jener Äfirje ber SBeße fjerabpminberit, für wcldjc unfer Scf)= 
organ empfinblidj ift. Tiefe« glaubt Te«la buvcf) mädjtigc 
eleftroftatifdje ©ffeete ßeroorbringen p fönnen. 9Ran fann 

— fagt er — beifpielSweife einen au« feuerbeftänbigem 
9Raterial ßergefteßten ßencßtförper in eine gefd)loffene Hof)!« 
fugel einführen, in bet bie ßuft meßr ober miitber oerbünnt 
würbe. Ter ßeudjtförper wirb mit einer Stromquelle üon 
tjofjcm rapib Wedjfelnbem potential oerbunben, mib e« werben 
ßierbureß bie SRolecüfe be« ©afe« oeranlaßt, oielc SRal in einer 
Secunbe, mit enormer ©efdjwinbigfeit an ben Sförper anp« 
prallen unb ifjn ßierbureß glüßenb p machen. Tie erhielten 
fRefultate mären bann pfriebenfteüenb, wenn feilte fo ftarfe 
©rfjißung eintreten mürbe, ba« heißt, wenn fie etwa« ge* 
ringer Wäre, wa« fiep aber burrij geeignete ßampen mit Sicher* 
Oeit auöfüßren läßt. 

Tie ©nwenbung fo popet Spannung unb SSecßfclppl 
be« Strome« macht e« möglich, burd) geeignete Wnorbnung 
ber eleftroftatifdjen unb eleftromagnetifcßen Apparate, burd) 
ba« ©la« einer ßampe ßinbureß, genügenbe ©nergie p über« 
mittein, um burd) biefelbe bcn betreffenben ©egenftanb erglühen 
ju laffen. 

Tie ©jperimente, bie ben gorfdjer jebenfall« am meiften 
antegen, unb bie p ben intereffanteften gewählt werben ntüffen, 
finb jene, welche mit luftleer gemalten Ütößren oorgenommen 
werben. ®« unterliegt feiner Schwierigfeit, bie SRößren fo 
hell leuchten p laffen, baß man bei ihrem ßitßte arbeiten 
fann. ©ringt man pßogpßoreöcirenbe Körper wie Yttrium 
ober Urattgla« in ©nwenbung, fo föniten bie ßicßteffectc oon 
ungewöhnlichem ©lanje fein. Ta« Sbcal irgenb einer ©e« 
leuchtung wäre, im SRaunie, ber erleuchtet werben foß, fclbft 
einen folgen 3uftanb ä u fc^affen, bamit, fobalb bie ßampe 
in ben SRaum gebracht wirb, biefe p leuchten beginnt. ©8 
ift nun in ber Tßat gelungen, einen foldjen, biefen SBünfdjen 
aitgepaßten SRaum p fchaffen. Te«ta hol e« erreicht, in* 
bem er in bem betreffenben p erleudjtcnbcn SRaum ein 
fräftige«, rapib Wechfelnbe« cleftroftatifdje« gelb gefdjaffen 
hat, in ba« ber ßeuchtförper nur hineingebracht p werben 
braucht, um p leud)ten. 

SRoore ßat einen Apparat conftruirt, oennittelft beffen 
e« möglid) ift, ohne Sßcitere« falte« ßicht mit bem Strome, 
Wie ihn gewöhnlich bie @feftricität«merfe liefern, p erzeugen, 
©nberen ift e« gelungen, inbem fie ben eteftvifefjen gunfen 
burch Haarröhrchen fcßlagen liefen, ein helle« bleitbenbc« ßicht 
p erzeugen. $lud) biefe« ©apißarlidjt hot eine 3nfunft, fein 
SRußeffect ift ein Ocrßältnißmäßig hoher, obwohl fein Sßrei« 
bi«, heute noch ein p großer genannt werben muff. Tie 
2Reinung unfere« ®ewähr«manne« Te«(a über ben SRu^effect 
biefer Oerfdjiebenen neuen ßiehte ift, baß mit ber 3 lllia ß mc 
ber äBecßfeljaljl unb be« potential« bie ßichtmivfungeu rapib 
intenfioer werben, unb c« mag nicht al« überfchwenglichc Hoff® 
nung au«gelegt werben, wenn wir annehmen, baß e« auf 
biefem Süßege getingen wirb, cinft eine practifche ©eleucßtung«» 


art p fdjaffeu. ©8 fönntc möglid) gemacht werben, glommen 
hcrOorpbringen, in welchen fein djemifeßet ©roceft, fein ©er« 
brennen eine« Stoffe«, fonbern nur eine ©nergieumwanblung 
ftattfinbet. 

®ie ©rfdjeinungcn be« falten ßiehte« finb alle auf 
molecufarc ©orgängc prüefpfühten, bie burch eleftrif^e 
SSeQen entfielen, aber feine«weg8 ohne SBärme oor fid) gehen. 
®ie ßiehtbibrationen in einer glamme cntftchcn burch bie 
©otlifioncn ber einjelnen 3)folecüle. 3Bir fönnen burch ?ln« 
wenbung oon Smpulfcn hoh er SBechfelphl bie ©a«rao(ecüle 
in einem luftoerbünnten (Raum in ©oüifionen bringen unb 
hicrburih ben ©organg in einer flamme nachahmen. Ob« 
wohl bei biefen ©otlifioncn ber fleinftcn SRaffethcilchen ohne 
allen 3weifel fehr h°h« Temperaturen entfielen, fo wirb boch 
bie Särme gröfctentheil« al« ßicht ücrau«gabt. hierauf 
Weiterbauenb fönnen wir fügen, wir mfiffen boch höhere 
Temperaturen anwenben, aber unter anberen Umftänben oU 
gewöhnlich- 9luf Welche Süßcife entftehen bie höchftcn 
Temperaturen? fRnr bei ©ollifionen. 2Benn fich SBajfer« 
ftoff unb Sauerftoff oereinigen, fo ftürjeu, anfdjaulich ge« 
fprodjen, bie §ttome unb SRolecüle auf einanber lo«, bie 
mccbanifdjc ©eWalt wirb in SBätme unb ßicht umgewanbelt 
Sn einem Ofen, in einem ©ebläfe fönnen wir feiue hohe« 
Temperaturen heroorbringen, aber in einer Inftleeren |>ohl« 
fugel fönnen wir einem äRolccül eine beliebige (Bewegung^ 
energie mittheilen unb folglich bie höchftcn Temperaturen 
auf biefe SÜBeife erhalten. So fann man, wie bereit« weiter 
oben befdjrieben, in bie SRitte einer Hohlfugel ein ©ircomum« 
fügeld)en bringen unb ba« Cjt)b wirb im naf)ep luftleere# 
IRaum unter bem 9lnpraQ ber eleftrifch erregten SRolecüle ein 
intenfioe« ßicht auöftrahten. 3e üollfommener ba« ©acuusi 
ift, um fo höher fann bie ©rhijpng getrieben Werben, um fo 
leichter erglühen nach ben ©rgebitiffen ber Te8la’fdjen ©jpeti» 
mente bie ftörper. So intenfio bie ©orgänge irr ber Äugd 
auch finb, fo große Temperaturen in ihrem Stauern aud 
herrfchen mögen, bie ftrahfetibe 2?ärm'e ift gering. 

5föir erfehen au« biefen 2lu8führungen, baß ber Kamt 
„falte« ßicht" nicht ganj berechtigt ift; al« tedjnifdjer Sin«* 
brud mag er gelten. Tenn hat unter ben günftigften Qm« 
ftänben ber ßampenförpet bie Temperatur ber Umgebung, fc 
ift bamit noch nid^tö gefaßt, benn wir wiffen, baß ein afejptat 
falte« ßidjt ni^t möglich ift; felbft wenn e« jemal« gefhtga 
folltc, ©leftricität mittelft geeigneter ©orridjtungen birett i# 
ßicht umpfeßen. Taß bem „eleftroftatifchen ßidht", wie »er 
c« oielleiäht beffer bejeichtten, einmal eine große 3 u f un f* ^ 
Oorfteßt, läßt fid) heute fcljon abfe^cn; e« ift nur nöthift W 
fich bie ©rjeugungSfoften unb ber SRußeffect noch um «W |t 
©rocente üerbefferu laffen, wa« allerbing« noch SchwWf 
feiten macht. 


cfiteratttr unb £iutff. 


Die auslänbifcßen länger auf ber 

®on 2t. Brunnemann ($arl8). 

©Selbem ßanbe gebührt ber ©rei«? So fragt iMh W 
immer unb immer Wieber beim Turdjwanbem ber geilWin 
Exposition däcennale; man bilbet fich e * n Urtßeil, Mt & 
wieber um — e« ift fo f^Wer, üöÜig geregt p fm. 
wo bie '3ranpfen alle Seiten ißre« können« entfalten tefki 
nitb mit einer feiten gefeßenen ©lite oon SReiftcrWerfeu Off 1 
treten finb, ßinberten ^Raummangel ober eine aDp etafeitige 
Surp anbere ßänber Oießeicßt, einen Ooßfommenen ©inbW 
in ißt fünftlerifcße«’ Scßaffen ju ermöglichen. H* er “"ö 1» 


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Nr. 26. 


Die töegenwarf. 


405 


h°t man wohl baS altbewährte ©utc gur ©eltnng fommen 
laffen, aber t>em SReuen, mächtig aufftrebenben, bem gort» 
ft^ritt Derljei&enben ju wenig SRechnuug getragen. Das fd)eint 
uns namentlich bei Deutfchlanb bev gau ju fein. 

3Bic oiel ©uteS ift ba — nnb wie biel noch SeffcreS 
fehlt! EBerben wir aufgeforbert, nuferen franjöfifchen greunben 
ein genaues Silb beS äugen blidlidjen beutfehen KunftfchaffenS 
ju geben, fo blicfen wir, nactjbem SRenjel, Sen ba ch, ©tue! 
unb einige anbere bewährte ©röfeen gebfihrenb bewunbert 
worben ftnb, Dergeblid) fuchenb nach rechts unb linfS: aber 
eS giebt bod) noch biel mehr, fo Diele Süchtige, fo Diele 3«' 
funftSauSblicfe unb barunter einige ©enieS. Dod), ba fitib 
bie Karlsruher! ©in Dhoma ift ba, unb ein Ut)bc. ©in 
paar anSgejeid)ncte Serliner finb Dertreten, unter anberen 
§errmann; ein paar gute DreSbener: Kuehl, ©tremel, Saum 
unb Sßietfdpnann. Stoch wo finb bie SBorpSweber? Sft baS 
©elbftporträt Dljoiua’S burdjauS charafteriftifd) für bie ©igeit* 
art beS. nationalften unferer SIRaler, beS SIRalerS ber beutfehen 
Sanbfd)aft unb beS beutfehen ©emfithS? Dro$ ber trefflichen 
Karlsruher HJfeifter fehlen fo manche Vertreter unferer in* 
timften |>eimathfunft, bie [ich mit liebeooder Eingabe in ein 
echtes ©tüd beutfdjer SRatur, in eine d)araftcrifti|cf)e 9leufeerung 
beutfehen ©eifteS berfenfen. ©ewig ift Uhbe'S „ Zeitige 
SRacht" ein liebliches Silb, baS bie gange beutfdje 2Beif)nachtS* 
poefie in uns Ijerborjaubett, aber giebt es nicht noch anbere, 
tief ernfte, Silber beS SReifterS, bie gerabe hier in SßariS, 
wo Sercrub einige armfetige Serfuche gemalt höh ©hriftuS 
in mobernem ©ewanbe unter mobernen SRenf^en auftreten 
ju laffen, geeignet Wären, foldjcn theatralifdjen 9leufecrlid)= 
feiten tiefe Snnerlichfeit, ein fd)lichtcö ©rfaffen bom ©eifte 
beS ©DangeliumS gegenfiberjufießnt. £>ier, wo eine geiftige 
©lite befonberS warm neuchriftlidjcn unb altruiftifdjen 3been 
juneigt, bürften Silber wie bie Sergprebigt unb anbere baS 
größte Sntereffe erregen. Unb Wo blieben unfere SReifter, 
SÖdlin unb Klingcr? SBic ift cS möglidj, einen Segriff Dom 
heutigen Kunftfdjaffen Dcutfd)lanb8 ju geben, wenn fie fehlen! 
Sa, all’ baS ©ute ber bentfdjen ÜRalCrei«Slbthei(ung, Don ber 
leibet einige ©äle recht fehlest beleuchtet finb, oermag unS 
nicht über bie mannigfadjen Süden ober bie mangelhafte Ser* 
tretung einjelner fünftlerifdjer Snbiüibnen hinwegjutäufchen. 
©egenübet ber fo jielbewufet unb mit energifdjer unb Der*, 
eintet ©ntfaltung aller Kräfte aüftretenben beutfehen Sn* 
buftrie will unS bie beutfehe 9Ralerei*9luSftetiung etwas uu* 
bodfommen erfdjeinen. SEßir bürfen bod) auS bem Sollen 
fchfipfen — warum haben wir- es nicht gethan? 

®iefeS Seifpiel warnt unS, etwaige ftrenge Allgemein» 
heiten über anbere Sänbcr auSjufprcchen, bie vielleicht mit 
ähnlichen ©d)Wierigfeiten ju fämpfen hatten, ©elbftoerftänb* 
lieh intereffiren uns bie Sänber am meiften, bie auf eigenen 
(föfeen ju ftehen wiffen, bie gliidliche unb überjeugenbe 9lu8* 
brudsformen für bie ©igenthümlid)fciten ihrer hdmathlid)cn 
fRatnr, ihres SotfeS gefnnben haben unb fo jum ©tubium 
ber SSlferphfd>ologie beitragen, ober bei benen fich in einer 
genialen Sßerfönlid)feit jener grofee fchöpfcrifdje 3 l, 8 offen* 
bart, ber neue ©eiten beS SIRenfchenthumS, ber SRatur erfchlieft 
unb bie Kunft burch fichere SBirfnngSmittel bereichert. SRur 
Wenig ift bieS bei ben puffen ber ftall. 2BaS fie bieten, ift 
junädjft ein ©rgebnife ihrer 2Ründ)ener ober SBarifer ©tubien, 
ein unfelbftftänbigeS ?lnlcbuen an bewährte SReifter, ein ©c» 
raif<h Don ©h'c unb ßonDentioncflem, ohne ben echten ©hic, 
°hne bie echte ©rajie, mit SluSnaljmc einiger Dorjüglicher 
v&rtraitS Don Kaja!, bie treffliche ©harafterifti! unb Dorneljme 
®‘eganj jeigen. Das, was bie Muffen ans fich fctbft haben, 
Darfteflungen heimatlicher ©eenen, ift jum Dheil groteSt ober 
banal, platte SldtagSfoft für bie breite SRaffe. SRur einige 
ftimmungSDoOe SanbfchaftSbilber Derrathen ein tieferes, bcfeeltcS 
©inbringen in bie SRatur. ERan burfte boppelt gefpannt fein 
auf bie national* ruffifche Kunft, bie ber gröfete ruffifche 
©djTiftftcUer nnb mangelhafte 9lefthetifer in feinen 9luS* 


Inffitngcn über bie ifolirt*ariftofratifd)c Knnft unferer Dage 
als fo ooltsthümlich gerühmt hat. SBohl ift es eine SolfS* 
lunft, aber für beS SolfeS naio ftaunenbe, äfthetifch unge* 
fdptltc Singen, nicht für beS SolfeS ©ecle. §ocf) über ben 
ERalent ftehen bie befannten Silbhauer Slntofolöft) nnb 
Drubehfop. ©rfteter jeigt fich immerhin etwas conbentioned, 
hoch rufen feine beiben grofeen ©tatuen: Sucifer unb ©pinoja 
eine cinbringlidje SBirtung h crl)0t - SErubefetop fteht DöUig 
auf mobern* impreffioniftifchem Soben. Ked unb pitant 
hingeworfen, geben feine ©tatuetten bie tötette, weltmännifche 
©rajie, baS tnifternbe frou-frou ber ©eibentleiber wieber. 
SemerfenSwerth ift ein Sruftbilb SEolftoi’S unb eine ©tatuette, 
bie ben grofjen ®idjter in ERujitfleibung ju Sßferbe barftellt. 
©in eblcS SIReifterwerf ift baS SJJortät beS genialen, früh 
Derftorbencit SlRalerS ©egantini. 

SDfit ber rnjfifchcn SluSfteKung Derbunben finben fich bie 
SIRaler unb Künftier JintanbS, barunter SIRänner Don gtofjer 
©igenart bei benen nach langjährigem Slnletjnen an bie 
Sfiarifcr ®d)u(cu jeßt baS national* finifdtje ©lement ju 
flberrafchenbem ®ur<hbruch gelangt. ®er charaltcriftifchfte 
Scrtrcter ift 9fjel ©allen, ber Slluftrator fiitlänbifcfjer ©agett, 
beffen Silber in fcltfam ardjaiftifchem ©til Don großem SRatur* 
ftubiunt unb einer, tiefernften ©eifteSoerfentung, ja einer 
fchwertnüthigen ©röfee 3 ell fl n ’S oblegen. 6r weife bie tief* 
finnige Stjnibolif ber SD^rjttjen feines SanbeS in ihrem gangen 
©rnfte wieberjugeben. ©eine Silbniffe, mit fidjerem ©rfaffen 
beS feetifefeen SBefcnS feiner ernften Sanbslcute gemalt, gehören 
ju ben heften ©rjeugniffc« im Sporträtfach überhaupt. SBeit 
Weniger national ift Ulbert ©belfelbt; biefem feinfinnigen 
Künftler merft man überall bie Sßarifer ©djute an, bie nach 
ber „art pour l’art“, nadh fünftlerifdjer SluSgeglidjenheit auf 
Koften beS ftreng SRationalen ftrebt. SIRoberne ®arftetlungen 
finifdjer SolfSfcencn unb eine 91 rt religiöfer SIRalerei im 
Uhbc’fchen ©innc finb gute reife Seiftungen ©belfelbt’S; noch 
bebeuteuber finb feine SporträtS, bie bie treue SBahrheitStiebe 
ber erften franjöfifchen Sßleinairiften befeelt. 

Die füblidjen Sänber, Stalien, Spanien unb Sßortugal, 
haben nur wenig, waS ihrem alten SRuhme rnürbig jur ©eite 
ju ftellen Wäre. Siel Ueberlleferung, Diel Sanalität, Diel 
©efdjmadlofigtcit, both feine Offenbarungen ber SolfSfeele, 
faum ein paar djarafteriftifche Dppen ihres SanbeS. Die 
neuen ©rrungenfefeaften ber SIRalerei werben nur ju grellen, 
unharmonifd)cn ijarbenimpreffionen oerwanbt. ©retle ©onne 
unb bunte fonnige ^eiterfeit ohne Diefe ber ©harafterifti!; 
ein fünftlerifeheS dolce far niente, b. h- ein ©ichgehenlaffen 
ohne Kunft. Unb bod) ift ber ©röfeten einer unter ben 
Staliencrn: ©egantini. SergebenS juchen Wir in ber gangen 
EluSftedung nach einem Silbe, baS unS fo unmittelbar in 
bie freie ©otteSnatur treten liefee, wie feine brei gewaltigen 
9Upcnlanbf<haften: SRatur, Scben unb Dob, bie ju einem 
Drt)ptid)on Dereinigt werben füllten. SR och W* h' c unb ba 
bie lefcte ^»onb beS SReifterS, benn ber Dob rife ihm ben 
Sßinfel auS ber §anb, als er broben in ben Sergen ein 
©tüd Swigfeit nadjfdjaffen Wollte, aber bie ©röfee ber 9luf» 
faffung, bie ibeale SBahrheit ber Darftedung jeugen Don 
einer SRciftcrhanb unb Don einer SReiftcrfeele. Dem SIRittel* 
bilbe, bem £>ofjenlicbe an bie ©onne, niufe ber Sorjug ge* 
geben werben, boch weht unS aus aden breien bie föftlid)e 
grifche ber 9llpenluft entgegen; wir tauchen in bie frpftadne 
Klarheit ber Suft beS ©ngabin. SIRan barf biefc unDod* 
enbeten ©emälbe getroft ju ben grofeartigften Schöpfungen 
ber gangen SluSftedung jählen. 9Bcm cS Dergönnt ift, einen 
foldjen ©chwanengefang gu fingen, ber hat ein ©tüd ©wig* 
feit errungen. Der Staliencr Splbini gehört ber franjöfifchen 
Kunft an; er fteht gang auf bem Soben beS SßarifcrthumS. 
©r ift ber SIRaler beS wcltmännifihen ©hicS, beS ncrDöfen 
pridelnben SReigeS wciblidjer ©rajie. ©eine wunderbaren 
grauenbilbet geben baS Seftridenbe, Kagenartige im SBeibe 
wieber, fie fc^tlöcrn bie jolie bete de luxe, bie, feclculoS, 


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406 


Die töegtnwart. 


Nr. 26. 


1 


boep mit ber ©rajie ißreS ganjen SörpetS bis ju bem nerböfen 
©piet iprer fcplanfen ginget ju feffeln Weiß. ©eine männ» 
licken ©ilbniffe, auSgefteilt finb baS f)Sorträt SSßiftler’S unb 
beS ©rafen SRonteSquieu »gejaitfag, beS ©icpterS ber „blauen 
§ortenfien", geben opne ©rnft unb ©iefc, aber mit einem 
fabelhaften Sännen unb einet berblüffenben Süpnpeit eine 
©eite biefer fßerfönlicpfeiten mieber: baS geiftige ©igcrl» 
tpum. 

Saum einen Stamen bon SSertp ßaben We ©panier 
unb ißortugiefen aufjuweifen. ©ie fcßwelgen in ^ß^antaftif, 
Sßifioncn, religiöser SISfefe; fie finb bon ber piftorifeßen fßofen» 
maeßerei noep nicht frei unb gefallen fid) in fraffer Sffect» 
pafeßerei. Sßiet für baS Sluge, boep feiten etwas SEBopltpuenbeS. 
gut ©eift unb ©emütp fo gut wie gar nichts; fcßledjter 
Slbflatfcß ber fcßlecßteften franjöfifcßett ©achen. ©er große 
©entliure p ©il mieberholt fidj mit jäher ©eparrlicßfeit in 
ber ©arfteUung unheimlicher ©ifiouen, benen eine gewiffe 
©enialität ber ©ompofition unb büftere Sraft nicht abju» 
fpreeßen ift. Sette fübiießen ©öltet, nad) blenbenbcn 9leußer» 
ließfeiten t>afcf)enb, ber feelifchen ©erliefung abpolb, wenben 
bie ©rrungcnfcßaften bet neueren ©eeßnifen, bie fo betinner» 
lichte SBirtungen herborbringen tönnen, jumeift nur meeßanifeß 
an; eS ift ©amburinmufif. ©anj anberS bagegen im Storben, 
too bie tiefften ©aiten ber ©fpcße aitgefcßlagen, bet Statut 
ipre gepeimften ©timmungen abgelaufdjt werben. 

©oeß bebor wir in ben gewaltigen SBettfampf ber mädjtig 
aufftrebenben norbifepen Stationen einbringen, ein SSort übet 
bie ©eßweij. ©ie befißt gute ßanbfdßaftSmaler, bie bennoep 
auS ber ©roßartigfeit iprer Statur längft ni<pt baS ju 
fepaffen berftepen, was ein ©egantini wieberjugeben wußte; 
fie befipt ein paar Sünftler, bie über eine gute, in ©ariS 
erworbene ©eeßnif berfügen, wie gräulein ©reSlau, bie einftige 
Stibalin ber leibet ju früh beworbenen SDtarie ©aSfirtfeff. 
©ie giebt feine ©orträtS bon tarnen, bie mepr burep ipre 
ßiebenswürbigfeit als burep ihren ©eift feffeln; über bie 
©arfteUung beS anmutßig=weiblicßen im banalen ©efeüfdjaftS» 
finne gept biefe Sunft niept hinaus, gerner finben wir gute 
©cpilbercr bon ßanb unb ßeuten, bie mit einem gefunben 
fmmor unb einer warmen ©efnütßlicßfeit malen, etwas alt» 
bäterifcp unb bod) aitjießenb. Um ben internationalen ©pa= 
ratter, ben bie ©eßweij nun einmal in jeber Söeife jeigt, ju 
berbollftänbigen, bemüßt fiep ©ieler, mit ben ©emälben: ,,fal» 
lenbe ©lätter" unb bie „Duellen" bon polber Slnmutß unb 
jarter ßinienparmonie, bie föftlicße ßinienanmutp ber eng» 
lifdjen ©rärappaetiten nacßjuaßmen. 3 rocir gefeßießt eS mit 
treffliepem ©elingen, bodp brängt fiep unS fofort ber Stame 
Surne» SoneS auf. ©er Sünftler ift niept fclbftftänbig genug, 
©ie eigenartigften fünftlerifepeit Snbioibuatitäten ber ©eßweij 
finb Nobler unb ©arloS ©cpwabe. 

©S ift niept leiept, fid) fofort mit ben feltfamen ©ifbern 
beS gebanfentiefen §obler ju befreunben, bie fo wenig für 
baS Sluge bieten, unb bodp, wenn man fiep ernfttiep in fie ber» 
fenft, fo mäeptig einbrudSboU finb, inbem fie in iprer perben 
©eplicptpcit unb garbentrodenpeit pßpfifeße unb pfpdßifcße $u» 
ftänbe wiebergeben. ®ie ©infacßßeit ber fünftlerißßen SRittel, 
bie eper art ©artonjeießnung erinnert, befrembet junäcßft, 
boep balb jwingt unS bie ©inbringlicpfeit iprer ©praepe, unb 
bieS befonberS bei ben ©arftcDungen ber Stacpt unb beS 
©ageS, in ipren ©ann. ©S ift pier eine tiefe ©ßmbolif, bie 
fiep auS ber SSirflicßfeit felbft perauSlöft: ein natürlicher 
©organg wirb pier nur burep Steigerung unb baburep größere 
©eranfepauliepung beS £>auptniomenteö jum ©pmbol. SlnberS 
bei ©arloS ©cpwabe; bei ipm ift baS ©pmbol ©elbftjwecf. 
©r bebient fiep einer litcrarifcp»fpmbolifepen ©pradpe, bie erft 
eines ©omnientarS bebarf, um fie bem ©erftänbniß näper ju 
bringen. ©er Stapmen ber SBirflicßfeit berfeßwinbet faft poU» 
ftänbig; baS Sluge wirb nur uoep burep eine große ^jein^eit 
uttb Slnmutp ber ßinien, burep eine gefällige Slnorbnung ber 
©inge erfreut. 9lm flarften unb beßpalb am aujiepcubftcn 


finb bie betannten Sttuftrationen ju ßola’S Sioman: 
le reve. 

Defterreiep* Ungarn feffeln nur Wenig, ©ie bieten ein 
©emifcp öon allen Stationen, Diel SJtünepen, biel ©aris. 
©elbft ber toielgefeierte ©orträtift ßaSjlö läßt falt neben ben 
franjöfifepen SReiftern im ©orträtfaep. ®ie Kamelie pat ipren 
eigenartigen gauber, nur bürfen wir fie niept neben bie 
bollerfcploffene buftenbe Stofe fteUen. 

3e weitet wir nadp Storben bringen, befto mepr flößen 
Wir auf fünftlerifepe ©elbftftänbigfeit, auf baS, was bie 
©öller auS fiep felbft unb auS ber innigften ßufammen* 
gepörigfeit mit ber Statur ipreS ßanbeS fepaffen. ©S foÜ 
ben ©egenftanb einer jweiten ©etradptung bilben. 


(Ein ettgliftper Äritiker (Pottes. 

$oit HTarcos Canbau. 

, SBaS mag wopl ^>crr Stöbert Slnberfon ju ben gegen* 
wärtigen ©orgängen in ©pina fagen? ß>at ipn boep frfjon 
bie üor einigen Saprcn erfolgte ©rmorbung einiger eprift* 
lieper SRiffionäre unb iprer grauen in ©pina beinape ju 
einem SRißtrauenSootum, niept für bie engtifepen ÜJtinifter, 
fonbern für ben lieben ©ott felbft, öeranlaßt. ©ie euro* 
päifcpen SRäepte fepiden ipre SriegSfcpiffe unb ©olbaten ouS 
jum ©cpupe iprer in ©efing bebropten ©efanbtfdjaften, unb 
bie SDtifftonäre, „bie accrebitirten ©efanbten" ©otteS (His ac- 
credited ambassadora), paben mit ipren grauen unb unfepul* 
bigen Sinbern bcrgebeitS jum ßtimmel um f)ülfe gefeprien! 
„2Bo ift ,ber wapre ©ott‘, bem fie bienten?" fragt er. ©nt» 
fcpäbigung für bie Opfer, ©eftrafung ber SRörber genügen 
§errn Slnberfon niept. „©er ©ott, auf ben fie oertrauten,“ 
meint er, „pätte boep bie £erjen ber SRörber ertoeiepen, ipre 
•t'änbe läpmen tönnen. Sann man fiep geeignetere Umftcntt 
für baS ©ingreifen ©effen Dorftellen, ben fie als im £uiu®ci 
unb auf ©rben Sltlmädptigen anbeteten? 9lber bie ©rbe bot 
ipr ©lut getrunfen unb ber fepweigenbe Fimmel fcpieit ipre: 
ju fpotten," flogt er. Unb nid)t bloß in ©pina gefepepet 
folepe ©räuel, noep feplimmer gept eS in Armenien ju; p, 
wie Diel Unrecpt, Summer unb ßeib giebt eS in „ber gläif 
ließen ^auptftabt beS poepbegnabeten ßngtanb, ja in Po 
ganjen 9Belt," fäprt er fort, obwopt er fein ©uep noep l»r 
bem fübafrifanifepen Sricg gefdprieben pat. „SRenfiplidx 
§erjen unb menfdjlicpe ßiänbe tpun wopl SRanepeS, um ba» 
große ßeiben ju linbern, SRenfcpengefepe leifteit Diel juji 
©epupe ber ©cpwaepen, jur ©eftrafung ber ©öfetmepfct 
Slber ©ott — baS ßießt beS SRonbeS unb ber ©ferne i*i 
niept fo falt unb mitleiböloS als ©r ju fein fepeint.“ - 
„3n grieben unb unauSlofcplicpcr ©lorie tpront er im 
^irnntcl unb fepweigt." — „Ober ift ©r gar perjloS ober 
inaeptfoS?" fragt $err Slnberfon, faft wie bet Sapujiner im 
SBaflenftein: 

^ätte ber aHmäc^tige ®olt 

Gfjiragra, fönntc nic^t breinft^lagcn?" 

3a eigentlidp, meint er, fepweigt ©ott fepon feit aeptjfpu 
Saprpunberten. ©amalS pat er noep SBunber getpan, bann 
aber fap er rußig ber ©etfolgung ber ©priften burep bie 
Reiben ju; SRiQionen Don SRärtprern, bie ©eften, bie ©beiftrn, 
bie Sicinften enbeten unter fcpredlicpen Dualen, berfpottet 
unb Derpöpnt Don ben römifdpen Reiben. SBeiß ©ott iritßtS 
Don aü.’ bem ©Öfen, baS feit acptjepn Saprpunbertcn ge= 
feßießt? unb wenn er Weiß, warum fepweigt er? ®a beginnt 
ber Unglaube in unferen §crjen ju feimen, wir Detlieren ben 
©lauben unferer Sinbpeit, alle bie SBunber unb Spaten 
©otteS, doh benen unS bie peilige ©cßrift erjäplt, Derblaffen 
ju jübifd)en ßegenben unb präpiftorifdßen SDfptpen. 9luge» 


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-JT». 


! 


Nr. 26. JHe Gtetjenwart 407 


ftcfjtS ber unerbittlichen Xhatfachen, ber bitteren SebenSerfah* 
rungen verliert fitf) ber ©laube, benn ein ftetS paffioer, 
fid) um SRidjtS fümnternber ©ott ift für äße praftifdjen 
3wede fo oiet wie gar feiner (is for all practical purposes 
non-existent). ©on fotzen argen 3 toe if e ^ n Ö^pfagt, griff 
(perr Slnberfon jur gebet unb fdjrieb in feinen ÜJfujjeftunben 
ein öucf): „XaS Schweigen ©otteS" (TRe silence of 
God; London, Hodder arid Stoughton, fünfte Sluflage, 1899). 

§err (Robert Slnberfon ift nicht, wie ber Sefer etwa 
tiermutt)en fönnte, Xheolog ober fßbilofopb, fonbern (ßolijei* 
eommiffariuS. 3d) feige baS nid)t, um SRifjtrauen gegen 
feine Xbeologie ju erregen, benn menn bie ßoUbcamten |>aw* 
tt)orne unb Slpoftolo 3eno red^t gute (Romane unb Xramen 
f(^reiben tonnten, warum foß niept ein (ßolijeibeamter über 
(Religion unb SRctapppfit fepreiben fönnen? 91 ber et fdjeint 
fetbft ©ewiept auf feinen ©eruf ju (egen, ba er fid) auf bem 
Xitelblatt feines SBerfeS Assistant Connnissioner of the 
Police of the Metropolis nennt. Unb bann betrachtet er 
auch ®ott unb SBett getoiffermafjen Oom ©tanbpunfte ber 
(ßoltjei. Xafj bie SBelt non ewigen (Raturgefepen regiert 
wirb, fiept er wopl ein. Slber er betrachtet biefe ©efepe ge* 
wiffermafien als eine hon ©ott ber SBelt öerliepene ©erfaf* 
fung, bie er auch, Wenn er eS für paffenb erachtet, aufheben 
ober fuSpenbiren fann. SBenn eS bie 3Renfd)cn gar ju arg 
treiben, wenn fie Dbftruction machen, foß er, wie eS in 
Defterreich gefd)ieht, mittelft eines (ßaragtapp oierjepn „für 
bie SBeltnotpwenbigfeiten forgen", mit einem SBunber brein* 
fahren, wie in ber guten alten ßeit, als bie SBelt nod) e * n 
(ßolijeiftaat war. Slnberfon mag eS nicht leiben, bafj irgenb 
ein ©olf ober irgenb ein ^errfeper groben Unfug treibe, ohne 
fofort nach ©cotlanb S)arb ober hör bie 3urp gebracht unb 
abgeftraft ju werben. Sollte man bem ©olijeibeamteu feine 
tpeologifcpe unb philofophifche ©epriftfteflerei als (ßfufepen 
in frembeS öanbwerf borwerfen, fo fönnte er freilich erwibern, 
baf) bie „ (Religionsbeamten" noch fiel früher angefangen 
haben, ber (jßoltjei unb ben ®crid)ten in’S (partbwerf ju 
pfufchen. §icr aber liegt auch bie fcpmadje ©eite feiner 
Xpefe hon ber ad)tjepuhunbertjährigen wunbertofen 3 e *t- 
©eine SlnitSgefcpäfte fcpeineu ihm wohl feine 3 e 't gelaffen 
ju haben, bie ©eprift beS SactantiuS: De mortibus perse- 
cutorum ober aß’ bie bieten §ei(igenlegcnben ju lefen, in 
benen hon feindlichen ©eftrafungen ber ©erfolget Unb ©ott* 
lofen, hon ber wunberbaren Srrettung berfolgtcr grommcv, 
hon bem (Behagen, baS manche dRärtprer in ben glommen 
ber Scheiterhaufen fühlten, hon ben Sngeln unb tpeiligen, 
bie fid) an bie ©pipe ehriftlichcr §eere fteßten, um ihnen 
jum Siege über Reiben ober ©araceiten ju berhelfen, erzählt 
wirb, Sr fcheint auch nicht ju wiffen, baf) bie fjeilig* 
fprechungen nicht aufgehört haben unb bafj ber (ßapft Seinen 
heilig fpriept, hon bem niept bewiefen wirb, bafj er ein SBunber 
gethan hat. Unb weif; ber £>crr (ßolijeicommiffar nichts hon 
SourbeS? Sr fcheint barauf anjufpielen, wenn er fagt: 
„SRancpe behaupten, baff überhaupt nie SBunber gef^epen 
finb, Slnbere, bafj noch ) e pt an geWiffen ^eiligen Stätten 
SBunber gefepepen. Slber wir hier in Snglaub finb Weber 
ungläubig (in ©ejug auf bie biblifdpcn), noch abergläubifcp 
(in ©ejug auf bie mobernen SBunber)." Sllfo baS ift eS: 
3n Snglanb unb im ©ereid)e ber englifchen Sntercffcnfppäre 
gesehen feine SBunber mehr. Unb ein gläubiger Satpolif 
fönnte ihm jur Srflärung fagen, bafj für Äeper feine SBunber 
gefchehen. Slnberer SReiming war freilich ßöttig Sllfoufo 
hon Portugal, als er hör ber Schlacht bei Durique (25. Suli 
1139) gegen bie ÜRauren einer göttlichen Srfdjeinung ge* 
Würbigt warb: „SBarum erfcheinft Xu mir, $>err, ber id) 
ohnehin an Xid) glaube?" fragte er, „Wäre eS nid)t beffer, 
®u erf^ieneft ben Ungläubigen, um fie ju befehren?" 

SS ift aber auch falfd), wenn Slnberfon meint, bafe je^t 
nur an gewiffen Orten SBunber gesehen. Sa, eS gefd)ehen 
SBunber, bie, was ihn befonberS intereffiren foflte, mitunter 


bie (ßolijei überflüffig madjen. Xarüber belehrt uns ein bor 
einigen Sahnen bei granj förchheim in SJfainj mit firchlicher 
Slpprobation erfchieneneS Keines ©üchlein: „Xie SBunber beS 
heiligen SlntoniuS hon fßabua in unferem Sahthunbert." 
Sr hätte barauS erfahren fönnen, wie ber am 14. October 
1890 in SlmbierS beftohlene §err ®uironet anftatt ber (fjolijei 
bie Slnjeige ju machen, für baS „Slrmenbrob" beS ^eiligen 
SlntoniuS 25 grancS gelobte. SllS er ftch am nädjften 
SRorgen auf bie (ßolijei begab, fanb er bort bereits ben 
arretirten Xieb nebft bem geftoljlenen ®ut. Unb auf wunber* 
bare SBeife hatte au^ bie (ßolijei erfahren, ba% er ber ©e* 
ftohlene fei. „§err ©uironet begab ftch fogleicf), begleitet 
hon einem ©oli^eibeamten, in baS Oratorium beS ^eiligen 
SlntoniuS, um ihm für bie gewährte Störung hon Iper^en 
ju banfen." ^öffentlich hat er aud) bie 25 grancS pünftlid) 
befahlt. SllS gräulein ©ouffier, ©efi^erin eines SBeifiwaaren* 
gefchäftS in Xoulon, am 12. SWärj 1890 baS Sdjlofe ber 
Babenthüte nicht öffnen fönnte, fdjidte fie — bie Sleingläit* 
bige! — um einen Sdjloffcr. Xer fam, probirte mehrere 
Schlüffel ohne Srfolg unb ging weg, um SBcrfjeuge jum Sr* 
breepen ber Xhüre ju holen. SBäijrenb feiner Slbwefenheit 
wanbte fid) gräulein ©ouffier an ben ijeiliqeu SlntoniuS, 
herfpraih ihm ©rob für bie Slrmcn, unb als ber Sdjloffer 
bann jurüeffam, öffnete er bie Xl)üre mit bem erften beften 
Schlüffel ohne jebe Sdjwierigfeit. — SS ift leibet niiht an* 
gegeben, Wie hiel fie gelobt hatte, fo bafe wir nicht Wiffen, ob 
fie für baS Srbredjen ber Xhüre bem Schlöffet mehr ju 
jahlen gehabt hätte, als bem heiligen SlntoniuS. 9lu<h bie 
©rämie für Unfafloerficherung fann man erfparen: „Solbaten, 
Officiere, welche fich auf bie See begeben, herfprechen bem 
heiligen SlntoniuS monatlich fünf grancS, wenn ihnen auf 
ber (Reife fein Unglüd juftöfjt", erjählt uns weiter baS ©üch* 
lein. Sin ^>err aus SRontpcflier bat ben heiligen SlntoniuS, 
bie „®ewiffen feiner Schulbner aufjurütteln", unb herfprach 
ihm eine Xantieme hon fünf ©rocent. ©alb barauf erhielt 
er hon einem fäumigen Schulbner 300 grancS unb fanbte 
bie bafür gebiihrenben 15 grancS prompt an bie ©robeaffe 
beS ^eiligen. „Sludj für ben Srfolg bei Sjamen ift ber 
heilige SlntoniuS ein horjüglicher ©atron." gür 25 grancS 
haben aße Sjaminanbeit einer geglichen Slnftalt in SanneS 
mit glänjenbem (Refultat bie ©rüfung beftanben, berichtet 
baS erbauliche ©üchlein. SBenn ich Slbreffe beS §errn 
Slnberfon Wüfete, möchte ich ih m einf^iden. Slbcr wirb 
eS ihn auch überjeugen? Xafe ber fettige SlntoniuS gegen 
ein ©ißigcS auch aße Äranffjeiten curirt, ift felbftoerftänblid), 
unb ber gtiiblerifche (ßolijeicommiffar brauchte fich niefjt mehr 
ben Ä'opf barüber ju jerbrechen, ob ®ott wunberbare ^>ci* 
lungcn jefct nidjt uerrichten fann ober nicht wiß, er hätte 
baS gewünfdjte „beweifenbe Sjperiment" (practical test). 
Slber würbe ber neugierige fromme Snglänber fich tiabei be* 
ruhigen? SBürbe er bann nidht fragen: SBenn bie Sfranf* 
heit burch ein SBunber geheilt werben fann, warum gefchieht 
baS SBunber nid)t früher, inbem überhaupt gar feine Sr* 
franfung erfolgt? 

Slbcr Slranfheiten, Xiebftähle, Slrmuth unb bergleichten 
finb für Slnberfon eigentlich nur Äleiftigfeiten. SS ift niiht 
fo fehr bie pfiffe für bie grommen unb ©läubigen, bie er 
oermifet, als bie ©eftrafung bet grofjen ©öfewid)ter, ber 
«hinefifchen Sßfanbärinen, ber türfifd)en ©afchaS in Slrmenien 
unb ... hoch fein ©ucf) würbe ja noch DOt t>em fübafrifa» 
nifeßen Sricg gefchrieben. Unb wenn wir genauer jufehen, 
fo finben Wir, bafe er gewiffermafjen nur auS ^öflichfeit fich 
fo fteßt, als ob er au ber Slßmadjt ®otteS jweifelte. ©laubt 
er hoch, bafj auch ber Xeufel SBunber thun fönne. Sr 
fchreibt ihm bie SBunber beS Spiritismus ju unb glaubt, 
ba| eS noch anbere „unreine ©eifter" gebe, bie in üRenfdjen 
„hineinfahren". Slber er unterfdjeibet jwifchen ber Xaftif 
biefer orbinären ^ößenbrut unb ber feinen ÜJlanöorirfunft 
feiner fatanifcheit UWajeftät: „Sr oerführt nicht ju ©ünben, 


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40$ 


Die CÜtgenmart 


Nr. 26. 


bic ’unS gut get'lnirfcßung führen unb uns unfere ©cßmacf) s 
t)eit erfennen taffen, fonbern }Ur bloß menfcßtichen ÜRoral 
ober SReligion, jur $|$ljilofopf)ie, }ur 9Ibtöbtung unfereS ©e« 
füf)fä ber 3lbf)ängigfcit t»on ©ott. ®tücftxcJ)er Sßeife, meint 
er, ^aben bie Dämonen feit ber SRenfcßmerbung ©ßrifti fid) 
manci)e©infd)ränfung gefaUen taffen muffen,aber „eS giebt feinen 
bernünftigen ©runb, an ißrer ©giften} unb 2Racf)t }n }meifetn". 
©bettfo }meifett er nicht, baß ber ©ünbenfaß ber erften 
SRenfcßen im tßatabiefe burd) bie Sift beS böfen geinbeS 
ßerbeigcfüßrt mürbe; aber et gefaßt, baß ©inS ißm nocß 
buntel fei, freilich nur eine Kleinigleü — ber Urfprung beS 
Sööfen. „SBarum geftattetc ©ott, baß aus bem erften unb 
bor}figlict)ften feiner ©efeßöpfe ber ©eufet marb?" fragt er. 
®ie gragc ift nidjt müßig, benn gerabe biefem ©eufet felbft 
binbicirt Stnbcrfon nod) eine große SRoße im SBettbrama. 
©er fdjlaue ©oti}eimann ß“t unS nämlich bisher nur }um 
SBeften gehabt, ja gemiffermaßen als agent provocateur ge= 
ßanbelt. SBir glaubten einen mit ber SBettregierung un}u» 
friebenen ÜRörgler }U ßören unb am ©itbe entpuppt er fid) 
ate frommer ©icner ©otteS, an beffen Untßätigfeit, an beffen 
„@d)meigen" mir böfe ungläubige ßRenfcßen allein ©cßulb 
tragen. „SBenn ©ott feßmeigt, fo ift eS, meil er ber ßRenfcß 5 
heit fd)on StfleS gefagt hat, maS er ißr }u fagen hatte. ©or 
meßr ate ad)t}cl)n Saf)rt)unberten hat er ißr fein legteS 2Bort 
ber Siebe unb ©nabe berfünbet, unb menn er fein ©eßmeigen 
brechen mitb, fo mirb eS nur gefeßchen, um baS ©trafgerkßt 
im SBeltuntcrgang }u boflgießen." §aben mir ben ißolijeU 
mann recht berftanben, fo meint er, baß in ©rmartung fotdjer 
©eneraloernicßtung, bon ber nur 6in}elne auS befonbercr 
©nabe ausgenommen merben foflen, bie ©eftrafung ein}elner 
©ünber überftüffig märe, mic ja aud) bie meltlicßen ©eßörben 
einem }um ©obe ©erurtßeilten nid|t nocß einige Satire 3ud)t= 
l)auS t)in}ubictiren. 2Bann biefeS Strafgericht bor fid) gehen 
mirb, gefteßt Stnberfon nicht }u miffen, unb prophe}eien miß 
er aud) nid)t, meil er meiß, baß bic ungläubigen Sefer ihm 
feinen ©tauben fchenfen merben. (In these pages I have 
kept clear of prophesy for they are addressed in part to 
those who have no belief in prophesy.) Slber etmaS bon 
bem, maS uns beuorfaßt, berfünbet er unS bocl), unb baS 
fieht, menigfauS für bie näcßftfommenben ©encrationen, gar 
nicht fo fd)tecflid) auS. „®ie STbnaßme beS ©laubenS in 
bett testen fünfunb}man}ig Saßven ift erfchrecftich," flagt er, 
„unb id) wage eS borauS}ufagen, baß, mer nod) ein ©iertel* 
jaßrßunbert leben mirb, ben Stbfaß bieter K'ircßen bom 
©tauben an bie ©ottßeit (£^rifti miterteben mirb. Sn ob« 
fehbarer ßeit mirb bet ©uttuS beS ©atanS — eine ^Religion 
hoher URoral unb ernfter 2JIenfdjenlie6e, aber ohne ©pur 
bon ©hriftentfjum — aßgemein berbreitet fein ..." „fRacß 
einigen fchredlid)cn, bon ipungerSnotß gefolgten Kriegen mirb 
ber fdrftmenbe 2Rann ber SBett ben grieben bringen. ÜRicßt 
bloß burd) feine fatanifeße gaubcrgemalt, fonbern auch burd) 
feine gtänjenben menfdjtid)en ©igenjeßaften mirb er aßgemcinc 
^ulbigung erlangen, ©eine ^Regierung mirb- bie 3 e 't beS 
menfchlichcn SRißeniumS, eine 3 e it ber Drbnung ynb noch 
nie gcfchcncn SSohtftanbeS fein; aße Kiinfte beS griebenS 
merben blühen unb bie Utopien ber fßhilofophen unb ©ocia= 
tiften bermirflicht merben. fRur bie menigen, burd) bie ©nabe 
©otteS 3lu3ermählten merben bon ber hohen SRoratität unb 
ber fdheinbaren @ötttid)feit beS ©atanSbienftcS nicht getäufebt 
merben. ©o fteht eS gefd)rieben unb fo taffen e$ auch bic 
gegenroärtigen Vorgänge beuttiih borauSfehen." Db biefcS 
2Rißenium mirftich taufenb Sahre bauern mirb unb ob eS 
gar fd)on mit ber ^aager gricbenSconferen} begonnen h°t, 
jagt Stnberfon unS nidjt. ©agegen fagt er richtig botauS, 
baß SSiete in feinem 93ud)c nur unfinnige 3Rt)ftif, Slnbcre 
gar feinen ©inn fittben merben. 31 ber er tröftet fid) befdjeiben 
bamit, baß auch baS ©bangetium „ben Suben ein 3tergeruiß, 
ben ©riechen eine ©h or h c *t" gemefen ift. 

Sn ber ©h at h ät auch t>aö ©ud) große Stufmerffamfeit 


in ©ngtanb erregt unb fcharfe Kritifen herborgerufen. ©hon 
nach toenigen SBodjen erfchien eine }meite 3tuf(age unb jc^t 
ift eine fünfte biflige 3tuSgabe erfhienen. 28ie ber Slutor 
angiebt, hat ihm ©Iabftone getrieben: „GS freut mich, boß 
biefe gragen bon fo befähigten unb mohtmeinenben tperfonen 
mie. ©ie grünbtich behanbett merben." Uns erfcheint bet 
Sßerfaffer, befonbetö in ©e}ug auf ©ibetfritif, nicht gerabe 
fetjr competent. SlnbererfeitS fteßt er aber aud) an bie ofß» 
ciefle Kirche recht berfängtichc gragen, mie }. ©.: „Shr fagt, 
bie ©ibet ift nicht unfehlbar, aber bie Kirche ift eS unb in 
ihrer Autorität haben mir eine fiebere ©tüfte für ben ©tauben. 

— 3lber morauf grünbet fid) bie Unfehlbarfeit ber Kirche? 

— „Stuf bie ©ibet," tautet bie fige StntmorL — „9I(fo ftügt 
fich bie ©ibet auf bie Kirche unb bie Kirche auf bie ©ibet!“ 
Sn feinem ©emifd) üott ©tauben, ja Slbergtauberi unb ßineifet 
ift baS ©uch ein 3 e * t h en ber 3eit, in ber ehrlichen Uebet-- 
}eugung unb reinen ©eitben} beS ©erfaffcrS bietet eä einen 
erfreulichen ©egenfajj }u ben recht materieße 3®ede öerfob 
genben „SSunbern beS ^eiligen SlntoniuS Uon ©abua“, unb 
feine 2Bunberlid)feiten mähen eS }u einer intereffanten &c-- 
türe. ©eßhatb glaubten mir auch bie beutfd)en Sefer barauf 
aufmerffeyn machen }u bürfen. 


(Ein kail)oltfthfr (Erjahltr. 

SBon XHartin <5rcif. 

3tte bie mobernc Semegung tn ber Siteratur mit fo biet 
Särm hereinbrach, fegten bie Slnftifter berfetben bie ad hoc 
erfunbene ©eßauptung in Umlauf, baß bie ©pigonen unfercr 
ctaffifhen ©ic^ter aßgemach }U gebanfentofen 5Rachtretcrn 
biefer perabgefunfen feien, bähet fie nicht mehr ate maßre 
©raget unfereS geiftigen SebenS gelten fönnten unb eS noth-- 
menbig fei, bon ihrem Schaffen fürbertjin gän}tich abgufehen. 
©lidt man nun aber heute, nach ber tur}en, in SRitte lieg«' 
ben Spanne 3eit auf jene ungeftüme ©thebung jurüd, fi 
finb eS gan} anbere ©erföntihfeiten, ate bie gegenmärtig « 
©orbergrunb ftehenben, melche fich unferer ©rinnerung 
brängen,. fo baß fich *>ie Umftür}ler bon bamatS }u Ayt 
fRachfolgern nicht anberS, benn ate bie fetbft abgetanen ff* 
läufer berfetben berhatten, fofern fie nicht etma gar in ftr« 
geffenheit gerathen finb. SBaS fie alfo 3tnberen }u yMut 
gebacht, baS haben fie an fich fetbft erfahren, unb bieJMf* 
nung, baß eS ihren untreuen ©unbeSgenoffen halb fffffo, 
mie ihnen ergehen merbe, ift ihnen aßein als traurig4^M> 
berbtieben. Uns hingegen lehrt bie ermähnte ©hatfu^-^4 
eS leine inneren ©rünbe gemefen finb, melche biefe oufajpft- 
boße ©emegung berurfachten, unb baß nur betJjfcs 
©rab ber ermorbenen ©efchicfli^feit bei ber ge ( thiP|m 
3tuSnugung ber herbeigeführten Sage ben ©rfolg ber ' 

ben berbürgte. ©rieht alfo mit biefer 9Bahtnehm»iir<»4 
baS ganxe ©ebäube ber bamals berfünbigten netten JPMftiv 
bon felbft }ufammen, fo bleibt gteidjmoht bie grege mo, 
ob nicht hoch ein gefunber ©ebanfe jenem 
©runbe gelegen habe, ber auch fernerhin feine ©eäjMKSng 
in fich trage. IBir mürben nun in ber ©hat 
grage fofort bejahen, menn eS nicht für unS nffiffilbac 
märe, baß ber 3lnftoß }u jener berfuchten fRefoan afft bon 
benen, bie ißn fich anmaßen, fonbern bon }um ©heil f^Ssfent» 
lieh berteugneten ©orgängern henrührt, baß alfo qtgityige 
äRacher fi^ ber grudjt fehmeigenben ©erbienfteS in trüge» 
rifeßer 3lnmaßung bemächtigt unb fieß ben Schein fdjöpferifher 
©hätigleit baburch erfcßtichen Baben. SSBaS cS alfo mit bet 
fogenannten mobernen ©echnif auf fich h“t, baS läßt fid) 
feßon aus bem oben ©orgefüßrten bestimmen; fomeit fie bon 
erprobten ßRuftern abgeleitet morben, ift fie nießt neu, unb 


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Nr. 26 . 


409 


ie (ßegenmart. 


WaS anbcrmcitig piujugcfommen, war bon Slnfong an profcle* 
matift unb pat fiep nat ber £mnb als berfeplt erroiefen. 
S>ot baS paben bie ÜRoberncn unter fit au^umachen. SBenn 
bagegen Bon aufeertjatb ihrer Steife ftepenben 3Bäd)tern 
ber Literatur nitt nur eine Sebattnapme auf fie unb ihre 
^jerborbringungen geforbert, fonbern ihr ©Raffen, unb fei 
eS auch nur in formaler §infic£)t, als bapnbre(penb unb baper 
ber SRatapmung mertp bargefteßt mirb, fo ift gegen biefe 
93erfeprung ber magren Sßerpältniffe Ginfprucp ju ergeben, 
ba toir unfere Siteratur nitt nur Bor fatfc^cn Soctrinett, 
fonbern aut bor neuer irriger Ableitung bon ben nid^tigert 
ju bewahren paben. ©8 mürbe fonft eine nidjt mehr ju ent* 
roirrenbe 58ermecf)8lung beS natürlichen unb fünftlidpen gort* 
f<tritteS Ißlap greifen unb mir mürben ftatt ber echten ®or= 
bilber nur bie fjrälfdjer unb Sßermüfter beS ©Uten ju ben 
Seprmeiftern beS aufftrebenben ©eftletteS erroäplen. 

Giner fotzen freilid), mie mir immer mehr bejmeifetn, un* 
freiwifligen Säuftung finb aut bie beiben, nid)t nur in ber 
fatpolifcpen fßreffe biel befprodjenen SBeremunbuS*SBroturen mit 
entfprungen, meiere in golge biefer unfi^eren ©runblage SBapreS 
unb galfteS in !aum mehr trennbarer SSermifc^ung mit ein* 
anber berbinben unb baper in beteiligten unb unbeteiligten 
Steifen ebenfo biete guftimmung gefunben, als Sefremben 
erregt paben. ® er in ber älteren SBeßetriftif überhaupt biel* 
fat bemertbaren 33etlnöcf)erinig pat ber SSerfaffer ba in ber 
beften Slbfic^t, bot opne ben Singen auf ben ©runb ju gepen, 
bie SRobernen in iprem blinben Stange nat unmittelbarer 
SEBiebergabe beS SebenS in ber Sunft gegenübergefteilt unb 
barauS bie ftmermiegenbften Folgerungen gezogen. §ätte er 
bot lieber bie Duellen aufgefutP auS beneit bie SRobernen 
felbft geköpft paben, bie fie aber notier ju berftütten fiel) 
anfdpicften! Dpne ben §inmeiS auf jene menigen aber un* 
trüglidjen Seitfterne, mar leine ÜRorm ju geben, geftmeige 
ein Ganon aufjufteßen. SRit einer blofe allgemeinen Slnlei* 
tung mar jenen, benen geholfen merben follte, feine görberung 
ju erroeifen, benn bie blofee Speorie bermag feine lebenSbolle 
_?ßrobuctiop ^ernorjurufen. GS bliebe nun allerbingS ju er* 
örtern übrig, mie fit pier Seiftung unb 9lnforberutig ju 
einanber bcrpalten, b. p. ob roirflit aut innerhalb eines be* 
grenjtcn ©ebicteS ftriftfteßerifter Spätigfeit peroorragenbe 
SRepräfentauten ber gleiten ober ber furj borauSgegangenen 
Gpote fo leitt aufjufinben maren. Siefe ©arbinalfrage ju 
beantmorten, mürbe eine gröfeere Selefenpeit borauSfepen, als 
fie nnS, auf biefem gelbe jumal, ju ©ebote ftept, aber Ginen 
SReifter ber GrjäplungSfunft, ber fit felbft als fatpolifepcr 
Grjäpler befennt, müfeten mir boeft bem meit gelehrteren 
SBetemunbuS ju bejeitnen: eS ift Dtto bon©t a t* n 8> 
bem G. ÜR. ^amann in feinem 9lbrife ber beutften Siteratur* 
gef title folgenbeS 3 eu 9 l iife auSfteßt: „Otto bou ©djating, 
ein marfiger, ett bitterifcp berantagter Grjäpler, ein Ißunf* 
tnrjeüpner erften fRangeS. SReben feinen bem tägiiten Seben 
entnommenen ©cfepidjten auS bem SSolfe: „©tafi", „Ser ©eift 
bon ©ailSberg", „SSorn Surroenbet unbSBenbelftein“, „SeufelS* 
gretpl" :c. fiepen boflmertpig bie Ejiftoriften SSolfSerjäplungen, 
in benen er mit fünftlerifter Sraft ben gemailten Stoff 
beperrftt, ben er auf ein äufeerft gemiffcnpaftcS unb umfang* 
.reiteS Dueflcnftubimn gegriinbet pat („Saperhtreue", „9luf 
9iufe(anbS GiSfelbern", „Ißeter öutwalb"). 9llS ein fühner, 
»ofelgclungcner 3Burf ermeift fit ber unlängft boßenbete 
„SBibufiitb, ber ©atfeitelb", ber erfte Sfeeil eines monu* 
mental angelegten ©ammefrnerfeS: „9(uS SeutftlanbS Saifer* 
jeit". Ser grofee 3 U 8 fällt fofort iu’S Stuge. ÜJiit h°h er 
Sanft fteßt ber SBerfaffer bie beiben gemaltigften gelben einer 
gewaltigen 3 c ’l einanber gegenüber, läfet fie bie ©eftiefe 
i^rer SSölfer beftimmen unb mngiebt fie mit einer ©taar 
-lebenSbofler Gfearaftere." 

SBir moflten unferen fubjectiben SJfaafeftab nitt juerft 
^ier anlegen, um ben Ginmurf einer parteiiften SBürbigung 
pon uns fern ju halten, bot fönnen mir nitt umhin, uufer 


oben auSgefprotencS Sob jum ©tluffe burt ein eigenes 
UBort ju .begrünben. 3n ber Sljat, maS bon einem mit einer 
gebieaenen unb gemife nitt beralteten Setnif drbeitenben 
unb Dabei mit urfprüngtiter Äraft ber fphantafie geftaltenben 
Grjähter nur ermartet merben fann, baS finben mir bor 
9tflem in beffen jmei gerüfemteften Grjählungen: „©tafi“, 
eine ©eftitte aus bem baperiften 35ßalbe (Scutfte SBerlagS* 
Slnftalt, Stuttgart) unb „Sie SeufelSgretpl", Sauernroman 
aus ben oberbaperiften Sergen, boßauf geleiftet Sem ©toffe 
nat teils anf Ueberlieferung, tpeilS auf ©elbfterlebtem unb 
©elbfterftautem betupenb, bepanbelt eine mie bie anbere ©e* 
fepitte ein pfptologiftef Problem banfbarer 9lrt, bem eS 
feineSWegS an einet gemiffen Süpnpeit aueh in ber Sitten* 
ftilberung gebritt, baS aber burdpauS etpiftet Äüffaffung 
entfpringt unb baljer aut Derföpnenb, ja etpebenb auf unS 
mirft, juntal eS burdjauS aut ^ em ®ebot ber poetifdjen ©e* 
rettigfeit ©enüge leiftet. fjeifle Singe finb ba eben mit 
reinen §ünben angefafet unb fefcen jum ©enuffe bafiet un* 
berborbene, aber mrftfunbige Sefer borauS, benen bie Slogrünbe 
beS SebenS nitt betborgen finb. Siefe 9tufrittigfeit erfreut 
unS aber um fo mehr, als eS aut unter bem, bon ber 
Gultur erft rnenig belecften Sanbboll unferer ©egenben, baS 
fit im ©anjen feine ©ittlidpfeit bemaprt bat, lafterpafte unb 
raffinirte SRenfcben giebt, bie nitt einmal bereinjelt baftepen, 
uitb bie, menn fie niept bon bem gefunben ©inne ipter Sieben* 
menften, epe not bie Gntpüßung ihrer SRiffetjjaten geftiept 
unb baS <&eritt über fie pereinbritt, inftinctio berabfdjeut 
unb gemieben mürben, baper leitt eine moralifte Ißeft er» 
jeugen fönnten. Son biefen bunflen ©eftalten pebt fit 
eine gröfeere Slnjapl mopl mit SRängeln bepafteter, aber bot 
im ©runbe redpfftaffener SRatbarperfonen um fo mopl* 
tpuenber ab, als mir feine eigensten Sbealfiguren ipneit 
gegenüber gefteßt finben unb überhaupt nirgenbs leibiger 
©tönfärberei begegnen. Sn feinen piftoriften Grjäplungen 
befleifeigt fiep unfet arünbliter Grjäpler ber piftorifepen Sreue 
mit nidpt minberer Sorgfalt, als er in ber Sarfteflung aßet 
...Gparaftcre,.ber überlieferten,Wie frei empfmtbenen,, fit.an bie 
unberbrütlit en ®«ffpe ber ^fpdpologie unb bie feftftepenben 
Grfaprungen beS SebenS binbet. Sabei berftept er eS, bie 
3eitfarbc aut ' n ^ er ©pradpe meifterüt mieberjugeben, maS 
bei einem SBerf, baS einer fo entlegenen geitperiobe angepört, 
.mie fein „UBibufinb, ber ©atfenpelb", eine ungemeine Se* 
perrftung biefer borauSfept. SBer mödpte einem Dtto bon 
©taeping baper ben fRamen eines etten fßoeten ftreitig maten? 


^fettUTetott. 

- WaQktvd ocrbotcit. 

Cnm infamia. 

SBon €u 9 en ^orsmamt. 

DaS eigene $au$ ber 9?§enania, beS erften CTor^S ber Uniöerfttät 
ibt)Hifd) auf einer $ln^b§e r am 2Baibe$ranbe, mit bem freien &u$bli<t 
auf baS fleine, abrette ©täbtdjen unb baS liebUd^e grlngt^al gelegen, 
ift im Snncrn prunfnoE überlaben eingerichtet. Natürlich dioeutfeb! 
3n jenem fattfam befannten Sierpalaftftile, ber unferen gedjent ber 
gebildeten ©tänbe als mürbigfteS Milieu für afle officietten unb 
§ibelitätö-3 cc ^ crct en gilt. 3u bem unumgänglichen dtequifit bon biefer 
Ärt Einrichtungen, mie^obbertäfelung, unbequemen Jieiflehnigen Stühlen, 
plumven ©teinfrügen, unjthönen wnb SBugenfcheiben, fommt 

noch te* fpccififch alabemifche 3 imTrt erfchmuc! tu Seftalt bon ^arabes 

S ern, Drinfhbrnern, fahnengefchmüdten ^abpenfchilbeni unb ben 
ijen, mehr ober toeniger naib gefchmacflofen ©ruhpens unb ^aufs 
bübern hinju. Dajtolfchen bic obligatorifchen SKonarchenbilber in ber» 
golbeten Nahmen unb Stiche bon sßiSmarcf. Sehr biel ©tSmarcf, als 
helläugiger, raufluftiger Stubent, als fraftftrogenber, nur Eott fftrehtenber 
Äanjler unb als berärgerter, gelbjüchtiger je m’enfiche-Ullter auS bem 
©achfentoalbe. Äuf gefchnigten 3Sanbregalen fteht bie foftbare ©ibliothef: 
9ttei)er'& EonberfationSlejicou, bie neuefte ^Irmee^^angiifte, bie Fracht* 


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410 


Die (Segenmart 


Nr. 26. 




auSgabe Dort „Unfere glotte", ^opfen’S „fiepter £>ieb", ©artleben’S 
„Gastfreier Pfarrer" unb circa punbert EommerSbücptt- 

AIS bcr EorpS^Eonoent bcr SRpenania einfiimmig ben ©efcplufj 
über bie 3ubi3penfabilität eines eigenen £>eimeS faßte unb bie Alten 
Herren zum 3 ro ecfe ber Grünbung eines ©aucomit 6 S unb ©ontapme 
ber Gelbfammlungen pierDon benachrichtigte, fanb biefcr Sippen an bie 
alte ©urfepentreue ber Qnactiben felbftDerftänbltcp baS freubtgfie (Scho 
in allen $er$en, unb bie mürbigen Herren zögerten feinen Augenblicf, 
in Erinnerung beS al$ gücpfe abgelegten ScpwureS: „treu ju bleiben 
ben blau*meifcgrünen garben bis jum Sobe!" ihre ©anfb'epotS, britteu 
unb vierten £)ppotpefen, fomie fonftige Erfparniffe auf bem eirfel? 
gefepmiieften Elitäre ihrer Sugenbibeaie zu opfern, ober hoch menigftenS 
— in AuSficpt ju [teilen. ©on ber gerabeju ergreifenben Selbfc 
Derleugnung mancher Snactioen bei btefer Gelegenheit jeugte am 
eclatanteften bie Spatfacpe, bah bet ben Sammlungen zum ©aufonbS 
fogar baS Sparcaffenbucp eines 5Rem=2)orfer Kellners unb bte SBocpen? 
EommiSlöpnung eines ÜnterofficierS ber algerifcpen grembenlegton in 
bie pänbe beS EaffirerS fielen. Sen einzigen SJiißton in biefem eblen 
SBettftrette unb ber allgemeinen parmonie oerurfaepte ein gemiffer 
3Rt. SRemman, ein fteinreicher Seutfcpamerifaner, ber lüä^renb feiner 
Stubienjeit in Seutjcplanb bem fafpionablen EorpS angehört patte unb 
ju ben wenigen bürgerlichen ttRitgliebern beffelben jählte. Sie Auf= 
napme biefeS ©arDenüfprö&lingS mürbe im EorpS allgemein als ein 
fcpltmmer Schier ber bamaligen EorpS=2eitung angefepen unb foöte [icp 
nun mirUicp bitter rächen. SlIS nämlicp bie Sammlungen ungefähr ben 
vierten Speil ber $um ©au unumgänglich uotpmenbigen Summe 
erreicht patten unb für SBocpen, ja Monate ein Dollftänbig unerflär? 
liehet, pöcpft roaprfcpeinlicp nur zufälliger Siiflftanb in ben Gelbs 
fenbungen eingetreten mar, traf ein Schreiben biefeS 9Rr. SRemman ein, 
in bem er mittpeilte, ba& er zum Anbenfen an bie ipm uuDerge&Iicpe 
Stubien? unb ActtDzeit, um bie Epre bitte, bie ganze noep gum ©au 
feplenbe Summe bem EorpS bebiciren gu bürfen. SiefeS propige An? 
erbieten erregte einen Sturm ber Entlüftung, befonberS bei benjenigen 
Alten Herren, bie bisher mit ber Einfenbung ipreS DboluS gezögert 
patten, unb eS ftettte fiep nun perauS, bap bie Erfüllung beS Dollftänbig 
unqualifteirbaren SBunfcpeS beS ganfeeS gerabe diejenigen Herren Don 
ber Speilnapme an ber GorpSpauSftiftung auSfcpliepen mürbe, bie 
eigentlich gewillt gemefen waren, gerabeju überraf(penb pope Summen 
ju opfern. ttRerfroürbiger Söeife mürbe jeboep ber Eintrag beS AmerifanerS 
in ber pauptoerfammlung ber Sllten Herren, in gepeimer Abftimmung, 
beinape einftimmig angenommen. 

Qum fiobe ber jungen Bauherren mufj jeboep benterft merben, 
bap fie fiep trop ber oerfüprerifcpen Sage ber ginanzen, einer meifen 
Sparfamfeit befleipigten, Don allen überflüfftgen Anlagen, mie jum 
©etfpiel bon StuMer? ober Sefejimmern, SIbftanb nap’men unb fiep mit 
einem-grofjen Kneipfaol* C. C.^immer, geeptboben unb Sobtenfammer 
(für fepeintobte Alfopolifer) begnügten. Sämmtlicpe Gegenftänbe ber 
Einrichtung, bom Spucfnapf unb bem Apparate für „Seefranfe" bis 
ptnauf jum SlUerpciligften, bem C. C.=S<pranfe, tragen baS SBappen 
ober bocp miubeftenS ben Eirfel ber SRpenanta. ES ift biefe ©orfepritng 
burcpanS niept etma auS bemfelben Grunbe getroffen morben, mie in 
©apnpofmirthfepaften, EafäS u. f. m., bie 3cicpnung ber ©eftccfe unb 
Xifcptücper jur SBaprung beS EigentpumSrccpteS erfolgt, fonbern allein 
bon bem er^ieperifepen GeficptSpunfte auS, um ben Anmefenben unb 
befonberS ben oft pöcpft uueomntentntäpigen „Kameelen" ftetS por 
klugen zu palten, meffen Gaftfrcunbfcpaft ju geniepen fie bie Epre paben. 

ES ift Abenb unb fämmtlicpe 9?äunilicpfeiten beS EorpSpaufeS 
bis auf ben geeptboben fmb pell erleuchtet. Sluf bem Gebäube mept 
ftolj baS blau'-meipsgrüne ©anner jum 8 ci 4 en r bie 3Kitglieber beS 
EorpS jit irgenb melcpem „löblichen $pun" berfammelt finb. 3m 
gropen Äneipfaale pält an einem Enbe ber langen, pufeifenförmigen 
Xafel ber zweite Epargirte, vulgo gufpSmajor, mit feinen 8 öglingen 
einen 9tenoncen=Eonbent ab. ®ie fteben poffnungSbotten &ücpfe beS 
EorpS berfuepen, mie 2ls©=E=Scpüpen mit eingeflemmter 3«ngenfpipe 
unb frampfpaft um ben geberpaltcr gefcploffenen Ringern, bie üer= 
fcpnörfelten Eirfel ber japlreicpen beutfepen EorpS nacpjumalen. Unter 
ben jungen fieuten perrfept peute eine geörüefte Stimmung, ba fiep ber 
„Ueppigfte" bon ipnen, ber junge o. iweinerS, bort brüben im ©er* 
fammlungSjimmer öor bem pöcpften ?lreopag beS EorpS ju berant* 
Worten pat. .ßin unb mieber pebt ftep einer ber tabelloS gefcpeitelten 
Äöpfe unb por^t auf bie erregten Stimmen, bie auS bem C. C.=3intnter 
perüberfcpallen; ein Seufzer entringt fiep ber jungen ©ruft: „ 9 lcp, wenn 

4) u bocp fepon bort brüben fäpeft als ftimmbereeptigter ©urfepe unb 
fönnteft mitberatpen über baS ? 8 opl unb 5Sepe ber geliebten Sftpenania!" 

5) ocp ber gucpSmajor ift ein gar geftrenger £>err, ber eS gewaltig ernft 
nimmt mit feiner erjieperijcpen Xpätigfeit. „©albenfteiit! 2>en Eirfel 
ber fuSpenbirten ©oruffo = Suebia in 3K!" gebietet er mit etwas 
belegter Stimme. Allgemeine ©eftürjung unb Scpmcigen! E)iefe oer= 
fliyten SuSpenbirten! „E)en paben mir noep niept gepabt, gucpSmajor!" 
wagt fcplieplicp fcpücptern ber fonft fo oorlaute jüngfte guepö 51 t er= 
mibern. 

3m Gegenfape 51 t biefer 3&pHe int ^neipfaale perrfepte im EorpS= 
Eonnent^intmer eine poeperregte Stimmung. Sämmtlicpe SHecepirten, 
bie inactioen EorpSburfcpen unb unaefäpr ein 5)upenb Alter Herren, 
unter biefen auep ber ju ©efuep in ©. meilenbe 3 ftr. 92cmmau, paben 
an bem Eonoent tpeilgenontmen, als beffen Ergebnip fiep bie Spore beS 


ber gefeHigen greunbfepaft gemeipten ©aufeS für immer hinter bem 
föücfen eines Unmürbigen gefcploffen paben. ES mar eines jener im 
Stubentenleben leiber beinape aKtägliien Ereigniffe. Ein blutjunger 
gucpS, Soppelmaife, beffen ©ermögenSeinfanfte in feinem ©erpältnifie 
ju bem im EorpS unumgänglichen Aufroanbe ftanben, patte Scpulben 
gemaept. 9?a, baS ift ja fcplieplicp niept nur alltäglich, fonbern in 8. 
fogar obligatorifcp. 5)er ©ormunb, ein pöcpft eprenmertper ©anaufe, ber 
eS für feine einzige, peiligfte ©fliept pielt, feinem ^Wünbel einft beffen 
UeineS ©ermögen böllig intact ju übergeben, mar allen ©itten gegen 
über taub geblieben, unb fo mar, ba ber junge Seicptfup gum Ueberfluj; 
auep noch bie intimere ©efanntfepaft einer liebreljenben, aber fepr 
prätentiöfen Äünftlerin maepte, bie ^ataftroppe unoermeiblicp. Sie 
Hauptrolle in biefer SragifomÖbie mar einem bieberen Scpneibermeifter 
äugefaHen, ber bie.Gefcpmacflofigfeit begangen patte, bie AutpenticüSt 
feiner Unterfeprift refp. Dutttung auf einer bem ©ormunbe Dom 
jungen EReinerS überfanbten Rechnung ju beftreiten unb ber, mit jener 
folcpen fieuten in GefcpäftSfacpen eigenen unangebrachten Dbftmation 
birect jum Gericpt gelaufen mar, felbftoerftänbli^ mit augenblidlicpem 
Erfolge beim ©ormunbe. 

Ser erfte Epargierte, Pon 9loben, ber SppuS eines jener femmel- 
blonben, aber energtfepen, millenSftarfen oftelbifcpen 3^nfer, fepritt 
poeperregt in bem langen Gemache auf unb ab. „34 m u P ÖPnw 
geftepen," manbte er fiep mit rotpem ftopfe an bie anmefenben Alten 
Herren, „bap icp 3pte Oppofttion gegenüber meinem Anträge auf Der-- 
fepärfte Ei'cluftou niept begreifen fann unb biefe TOIbe, gelinbe gefagt, 
beplacirt pnbe. Ser £>err mar alt genug, um ftep über bie eoentueüen 
golgen feiner Spat, bie icp nur als grobe Urfunbenfälfcpung bezeichnen 
fann, im klaren z« fein." 

„Ser Scpneiber mar feines GelbeS in jebem gatte fieper! ttRan hätte 
bem jungen ttfteinerS eben oorper, ba feine ©ermögenS- unb gamilien; 
oerpältniffe in ber EorpSleitung befanut waren, ernftlicpe ©orftettungen 
über feinen SebcnSmanbel maepen fotten. Seine Strafe, bie Entlafiung 
alS ,unbrauchbar*, pnbe icp noep z« f^enQ unb unzweefmäpig; acht 
SBocpen EorpSöerruf unb nacpträglicpe, forgfältige Uebermacpung mären 
baS SRicptige gemefen." Ser Sprecper mar ttJir. ^Remman, ber bequem 
in einem Seftel zurürfgelepnt, rupig an einer Eigarre Don unäftpetifdjen 
Simenponen, aber äuperft Dertrauenermectenbem Aroma 509 - 

„Sann pabe icp als 3urift anfepeinenb meinen ©eruf t>erfeplf!" 
grollte ber EorpSpräftbe. „3m Uebrigen märe auS ttReinerS niemals 
ein tabellofer Eorpfier geworben! Erinnern Sie pep noep feines 
oftentatiDen gernbleibenS bei unferem lepten ©iSmard^EontmerS?* 

„Sein oerporbener ©ater mar einer ber güprer ber freifinnigen 
©artei unferer ©rooinz, icp glaube fogar, eine ^eriobe lang 9ieicp«tagS- 
abgeorbneter," bemerfte ein Alter $txv. 

„SaS ift Dollftänbig gleichgültig unb 'nebenfäcplicp! gn bem 
Angenblicfe, ba ber junge ttRenfcp pep baS blau^meip^grüne Ättb nr 
bie ©ruft fcplang, patte er fiep ganz feibftDerftänblicp auep Don 
bentagogifepen Öepren feines Alten zu emancipiren. Unb bann fr 
immermäprenben SiebeSapären! Sogar mit grauenzimmern befr* 
Stänbe! Sie ge|cttfcpaftlid)en ©erbinbungen beS EorpS geben u 
oottauf Gelegenheit z«m glitten mit jungen Samen, aber natü::. 
bocp nur in ben engften Grenzen unb auf ber ©apS ber ... bet 

„Ser Lex £>einze!" routbe ber EorpSgemaltige fcpücptern tmir- 
broepen. 

„Ser attgemeinen ttRoral unb AnftanbSregeln! Sie SBeibcr bebt 
überhaupt im Öeben bcr Actioen nur eine ganz untergeorbnete, cfr; 
noep beffer, mie zum ©eifpiel bei mir, gar feine ttiotte zu 
Sort mo ein unüberroinblicpeS ©ebürfnip Dorliegt, ift biefem r.r 
unferen Statuten, burep greigabe ber Sonntagabenbe Don ben foulci 
Derpflicptuugen, genügenb ^Rechnung getragen. Unb icp gepe fogar 
weit, Don bem AuSfüpven Don 3Robifltnnen, Kellnerinnen tt. f. m ' 
biefen Abenben bringenb abzuratpen, ba eS leiber fepon mieberpolt w 
gefommen ift, bap folcp 7 fcpamlofe Gefcpöpfe fiep natipträglicp erb®eifütru 
ipre EaDalicre, felbft wenn biefe in EouleurS waren, z u gripen, ^ 
anzufpreepen. ES ift baper baS ©ernünftigfte für ben Eorpfier, L ‘ 
pin z» gepen, mo er bebingungSloS Dor allen unangenepmen Rol^i 
fieper ift." 

„9?a, ttfoben, baS ift nun GefcpmacfSfacpel" meinte ein for 
patenter 3uöctiüer unb ftriep fiep ben ü la J&abp brefPrten Scpuunba:: 
noep unternepmenber in bie Höpe. 

„92ein, Graf, baS ift niept GefcpmactS^, fonbern Anftanb$iaä\ 
Einfache StanbeSpflicpt! ES ift bicS gerabe eine berjenigen Seiten tc; 
beutf^en StubentenlebenS, bie unfer ©olf berechtigen, mit Stolj ol 1 
feine afabemifepe Sugenb zu bliefen. SBäprenb unfere Eottegen b« 
flaDifcpen ttnb Dor allem ber lateinifepen ttfaffe ben UeberfcpuB ß n 
3ugenbfraft, ben mopl ein 3^ber Don unS auf bie $>ocpfcpul c mit; 
bringt, in ber ©etpättgung einer unreifen $olitif unb im flänbigen 
©erfepr mit allerlei Grifetten unb fonfligen niepr ober weniger leicht 
Zugänglichen Gefcpöpfen Derpuffen, bemaprt baS beutfepe ©erbinbungS= 
mefen ben Stubenten Dor biefen ©erirrungen. Unfere ^flicpt ift eS, ben 
jungen 9?acpmncpS z u bebingungSloS patriotifepen, fönigStreuen ©ürgem 
unb zu Männern, bie ftetS ipre fieibenfepaften im 3 au me Z u ^ tf ” 
miffen, zu erziepen. Unb fo lange icp bie Epre paben werbe, ba« 
^räfibium . . . 

„SRein lieber tttoben," unterbrach ipn pier 3Rr. ttfemntan unb 
begann, bie §änbe auf bem tttücfen, im Gemacpe auf unb ab i“ 


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Nr. 26. 


Hit C&ejjenroart. 


411 


fcgreiten, „negmen ©ie eS mir nicht übel, aber ©ie fpredjen wie eilt 
©Jenjcg ber noeg fegr wenig Don ber SBelt unb ber ©lenfcgen Sieben 
unb Xreiben gefegen bot- Sitte nid)t aufbraufen! ©ie gaben ein für 
Siebefcaffären fegr glüctlidjeS, ober fagen wir richtiger, fegr bequemes 
Naturell. &ifd)biütig! ?Mc^t? ©a, fo fcglimme Erfahrungen avec 
ces dames-lk werben ©ie bod) wohl auf bem ©ittergute SgreS $errn 
©apa, in ber Elaufur beS EpmnafiumS ober fpnftwo nicht gemacht 
haben, um fegon ben Angeetelten, ben ©lafirten fpielen ju tönnen. 
2)od) u>aS bie Angelegenheiten beS ©JeinerS anbelangt, fo geftatten ©ie 
mir, 3gnen eine Heine Eefcgwgte auS meinen ©tubentenjagren, bie noch 
nie über meine Sippen gefommen ift uub lange ^eit mein Eewiffen 
fegwet, febr fchwer bebrüeft hot, zu erzählen. ©löge meine ©eichte, bie 
mir fogar jept, nach ad)tzegn Sohlen, burcgauS nicht leicht fällt, 3h ncn 
Zeigen, wie mächtig, ja unwiberftehlich bie ©erfudjung an 3eben 
herantritt, ber einmal auf abfegüffige ©ahn geraden ift, unb ben Einen 
ober Anberen oon 3gnen oeranlaffen, fieg Oon bem armen Heiners, wenn 
©ie ihm auf ber ©trage begegnen, weniger oeracgtungSoott abjuwenben, 
als eS wohl nach ber heutigen ©erbanblung ber gaü fein wirb." 

„©ie tönnen ja 3h*cn ©rotdgä mit nach ,brüben‘ nehmen unb 
ihm bieüeidjt eine Eaffirerfteüe in einem 3h™r ©anfgäufer anoer* 
trauen!" behüte &err oon ©oben. 

„All right! 2>aS fann ich mir ja überlegen, wenn er fid) an 
mieg wenben wirb! (Glauben ©ie mir, meine Herren, baß ber weitaus 
größte Xgeil ber ©Jenfcgen, fogar jener, bie burd) ihre fociale ©tellung 
unb pecuniären ©ergältniffe über jebem ©erbaegt erhaben bazufiegen 
fcheinen, in ihrer ©ergangenheit, in ihrem ©erufSs unb ©efcgäftSs, 
Sicbeö* unb Familienleben, fowie in ihren fonftigen ©affionen, alS 
©pieler, Sammler, SportSmen, wunbe ©untte hoben, bie, wenn fie 
betannt würben, fie in Eonflict, wenn auch nicht gerabe immer mit bem 
Strafgefepbud)e, fo hoch mit ben clementarften ©egein ber allgemeinen, 
lanbläufigen Ehrbegriffe bringen würben. ABir futb meiftenS nicht nur 
Oor bem ©udje ber ©iicher allefammt ©ünber, fonbent . . ." 

„©ach biefer Einleitung ju urtheilen, oerfprid)t 3hre ©eichte ja 
febr intereffant zu werben, ©er. ©ewman! ES wäre blefleicbt an= 
gebracht, fie AngeficgtS ber oorgerüdten ©tunbe auf eine anbere 
Gelegenheit ju oerfegieben," unterbrach ben Sprecher ein anberer Alter 
JperT, mit beforgten ©eitenblicfen auf bie fpöttifdjen ©efiegter feiner 
jüngeren EorpSbrüber. 

„©ein! £>ören ©ie benn! AIS mich mein ©ater oor nunmehr 
achtzehn 3ohren nach £>eutjd)lanb 511 m UnioerfitätSftubium fegiefte, würbe 
bieS allgemein als ein Reichen feiner Anhänglichfeit an fein alteS 
©aterlanb angefeben. $)er wahre ©runb war jebodj, baß wir ©eibe, 
mein ©ater, ber ben bieberen beutfegen £>anbwerter trop feiner 
granbiofen inbuftrieüen Unternehmungen niemals ganz abftreifen 
tonnte, unb icg, ber bereits in ber fünften Aoenue aufgcwachjen, unS 
nicht uerftaüben, unb ba meine Stiefmutter nebft ganzem Anhang AöeS 
aufbot, um biefe fluft noch zu erweitern, fo würbe mein ©ergältniß 
Zum ©ater halb ein febr gefpannteS. ©Jeine ©tubien^eü in ©. foüte 
bager houptfäd)lich eine ©rüfungSzeit für mich fein, ob ich würbig 
fei, einft baS Erbe meines ©aterS anzutreten. tiefer fepte mir einen 
für beutjege ©erbältniffe febr bebeutenben ©JonatSwccgfel aus, machte 
fug jeboch jmet ©ebingungen auS, bie id) bei Strafe ooüftänbiger Ent* 
erbung zu erfüllen hotte. ErftenS mugte ich unter Eontroüe eine 
beftimmte Anjagl oon ©orlefungen rcgelmägig befuegen unb zweitens 
burfte icg unter feinen Umftänben Scgulben contragiren. E)ie erfte 
©ebingung erfüllte icg leiblich, bei ber zweiten würbe icg wortbrüchig. 
SMe Aöeiber unb baS Spiel, biefeS erft gelegentlich im EorpS, mit 
Offizieren, bann göger unb regelmägig im nahegelegenen ©abe E., 
brachten mich tu Oottftänbige Abgängtgfeit oon SBucgerern, bie fcglieglicg 
niegt mehr prolongiren wollten uno befcgloffen, fieg gemeinfam an 
metuen ©ater, beffen Starrföpfigfeit bei einem gefaßten ©efchluffe icg 
nur zu wogl fannte, zu wenben. Ein ©ergältnig mit einem ©Jäbcgen 
auS befferer Familie, baS oon ben Eltern, ba bie kleine niegt oon mir 
Taffen wollte, oerftogen würbe, oerfcglimmerte noeg bebeutenb meine 
fowjefo fegon göcgft preeäre Sage, ba baS ©Jäbcgen nun ooüftänbig auf 
mich unb meine .ftülfe angewiefen war. 3 « meinem unoerzeiglicgen 
jugenblicgen fieügtfinn befegloß id), einen #auptcoup z u wagen unb 
reifte mit meinem gerabe fälligen ©ierteljagrSwedjfel unb einer ziemlich 
bebeutenben, gier unb bort, tgeilweife unter faifegen ©orfpiegelungen 
Zufamniengeborgten Summe birect nach ©Jontc Earlo. 3cg fpielte unb 
— Oerlor AüeS! AIS ber Eroupier meinen lepten SouiS eingezogen 
gatte, waT icg ooüftänbig gebrochen; ben ©lief ftarr nach ber Steüe, Oon 
ber baS ©olbftücf oerfegwunben war, gerichtet, niegt im Stanbe, aueg 
nur ein ©lieb meines ßörperS zu rügten, war id) ftpen geblieben, ganz 
erfüüt oon bem einzigen ©egriffe, in bem fid) mein ganzes Qmb 
Oermögen, concentrirte: ,3cpt ift AüeS auS! ©tach 7 ein Enbe, ein fcgnefleS 
Enbe!^ 3)aS ftrenge Antlip meines ©aterS tauegte entfeplid) beutlicg, 
wie eS in ber XrennungSftunbe mich angeblidt, zu mir gefproegen 
gatte, gart, unbeweglidg, unerbittlich üor mir auf. ES gab feinen 
Ausweg mehr, baS Fürcgterlicgfte, Septe fegien mir unoermeiblicg. 

$>a gefegag etwas, waS icg heute geneigt bin, für baS ^Balten 
cineS mir günftigen FotumS zu galten. 3Rein ©adgbar am grünen 
Suche war z u fäüig ein ©ew=0orfer ©ttüionär, Epncurrent unb perfön^ 
Ucher.Feinb meines ©aterS, ber, obwohl er fegr erregt unb oerwegen 
jpielte, beinahe fietS gewonnen gatte, wenn icg meine Golbfücgfe bagin= 
fegwinben fag. AIS er feinen lepten Eerninn, einen ganzen Stog oer= 


fegiebenwertgiger ©anfnoten einzog, entglitt feiner bebenben #anb ein 
^unbertfrantenfegein unb blieb, wie gewöhnlich in ber 3Ritte zufammen* 
gefaltet, an meinem Seinfleibe, ganz * n ^ er uteiner ©anb hängen. 
^)iein erfter 3mpulS war natürlich ben ^egein abpfcgütteln! Xropbem 
blieb id), wie einem geheimen unwiberfteglicgen $)rucfe folgenb, uns 
beweglich fipen, unb Durch mein gemartertes $irn zogen wirre ©es 
banfen, baß nun bodj AfleS auS fei, unb eS ganz gkicggiltig fei, waS 
id) noch beginnen rnoOte. 3<h baegte an bie egrlicge Trauer meiner 
Freunbe ,brüben‘, int EorpS, an bie ©egabenfreube meiner SBiberfatger, 
befonberS in ber ©erwanbtfcgaft, bei ber ©aegriegt oon meinem fläglicgen 
Enbe, unb bann erftanb oor meinen Augen baS ©tlb eines gübfegen 
fleinen ASognzimmerS, in bem ein OerlaffeneS ÜRäbcgen, baS mir AOeS, 
Dtiif, Egre unb Familie, geopfert gatte, oerzweifelnb auf bie ©ücffegr 
beS beliebten waTtete. Unb als icg mieg auS biefem EgaoS zufammen* 
ganglofer ©orfteüungen unb bem 3uftanbe fegeinbar ooüftänbiger phhfifcger 
Erftarrung wieber einigermaßen aufraffte unb zur ©eftnnung fam, ba 
war baS Entfeplicge bereits gefegegen — medjantfeg, unbewußt einer 
gögeren Eewalt ober oteüeicgt au^ bloß inftinctio meinem ©elbfts 
ergaltungStriebe folgenb, gatte icg ben ©egein ergriffen, gefept! $ie 
Erfeuntniß ber ganzen Tragweite meiner Xijat, hü Angfl oor ber Ent« 
bedang unb eine überwältigenbe ©eue unb Scgam lägmten Oon ©euem 
ooüftänbig meine ABiÜenSfraft. 2)ie ©timmen ber EroupierS, baS 
Eeflüfter meiner ©aegbarn, ber ganze gebämpfte fiärm beS ©pielfaaleS 
fcglugen wie auS weiter tyrnt an mein 0gr, unb erft ber wiebergolte 
Anruf eines EroupierS gab mir einigermaßen meine äußere fRuge unb 
Zugleich eine Klärung ber ©ituatton. $te ©anfnote beS ©ews^orferS 
gatte bem Spiele eine mir günftige ABenbung gegeben, unb icg gatte 
Schlag auf ©d)lag gewonnen, fo baß ber Raufen ißapiergetb Oor mir 
bereits ben Oorgefcgriebenen £)öcgfietnfap überfegritt. 3Rit zittemben 
§änbeit z°9 i«g «inen Xgeil meines E)ewinnfteS an mieg, ogne z u 
wagen, an einigen ©unbertfrancSnoten, unter benen icg ben ents 

wen beten ©egein oermutgete, z u rühren. 3cg gewann wieber unb 
wieber! 3*u ©erlaufe etwa einer ©iertelftunbe gatte icg unter aflgenteinem 
Auffeben ein fleineS ©erntögen, baS bie Eefammtfumme meiner Scgulben 
weit überftieg, gewonnen. AIS icg mieg fegwanfenb, noeg galb betäubt 
ergob, um ben ©aal zu oerlaffen, buregzuefte mieg ein alüdltcgcr 

Eebanfe. 3ä) beugte mich *afdj, wie zufäüig zu meinem ©aegbar gins 
über unb ließ feinen ©anffegein, icg glaubte wenigftenS tgn wiebers 
erfannt zu gaben, niebergleiten. 5Docg fegon im näcgften Augenblide 
gatte einer ber Saalauffeger benfelben ergriffen unb überreizte ign 

mir, trop meines ©rotefteS, mit ber liebenSwürbigen, aber feften ©es 
gauptung, er gäbe baS &inabfaüen beS ©apiereS genau beobachtet. 3<g 
entflog! ©eitbem gäbe icg niegt megr gefpielt, obwogl meine ÜRtttel 
eS ntiriept . . ." 

©er. ©ewman mußte feine Erzäglung unb bie ©romenabe unters 
brechen, ba igirt ©err gon ©oben in übertriebener Erreguna mit einem 
garten, fuffifanten AuSbrucfe ber ftaglblauen Augen ben feeg oertrat, 
„©arbon, mein £>err, geftatten Sie mir eine Frage! £>aben ©ie 

wirflicg niegt ben ©tutg gefunben, bem &ertn — fpäter, unter Oier 
Augen, ein offenes ©efenntniß abzulegen unb igm baS ... baS 
genommene (Selb zurüdzugeben?" 

„©ein, ©eregrtefter," gab 3Rr. ©ewman lacgenb zurüd, „benn 
wie icg 3guen bereits gefagt gäbe, war mein ©aegbar ein perfönlicgcr 
©egner meines ©aterS — waS leiber meine ©tiffetgat nur noeg erfegwert 
— unb gätte bager als prattifeger ?)anlee trop feines toloffalen ©er= 
mögenS zugleich mit bem #unbertfrancSfdjein aueg zweifellos ben bas 
mit gemachten bebeutenben Eerninn zurücfoerlangt. Unb baS wäre bod) 
fegabe gewefen! Renten ©ie etwas über meiner ©eiegte nach, meine 
jungen Freunbe, unb möge baS ©efultat 3grer ©tebitattonen bem 
armen ©teinerS z« ©ute tommen. S)odj eS ift fpät geworben! Auf 
ABiebe.rfegen morgen beim Frügfcgoppen, meine Herren!" 

♦ * 

* 

Am anberen ©Jörgen faß ©Jr. ©ewman in feinem £ötel, augens 
fcgeinlidj rofigfter ßaune, oor bem ebenfo reichhaltigen als appetitlichen 
Breakfast unb ftanb eben im ©egriff, trop ber frügen ©lorgenftunbe 
eine gewaltige ©ortion Ham and eggs in Angriff zu negmen, als fein 
©lief auf bie igm mit ber Frügpoft überbracgten ©riefe .fiel. „Aga! 
Sicherlich eine officteüe $antfagung ber lieben Sungen für meine 
5)ebicationen!" Er ergriff baS oberfie, mit einem pompöfen ABappen 
gefegmüdte ©egreiben, öffnete eS unb laS: 

P. P. 

Saut ©efegluß eines Oon E. ©. Oon ©oben x geftem Abenb 
10 Ugr c. t. einberufenen außerorbentlicgen EorpS*EonoentS, bin icg 
beauftragt, 3guen mitzutgellen, baß, auf Erunb einer Oon Sguen felbft 
mitgetgeiltcn Epifobe auS 3grer Actiozeit, 3gre ©treiegung in ben 
EorpSliften c. i. erfolgt ift unb ©ie ben ©ertegr mit ben Actioen 
fofort einzufteüen gaben. 

p. C. C. ber ©genania 

Oon ©Jüüer x x x. 

©Jr. ©ewman ftrieg fug einige ©Jale mit ber flacgen ^>anb über 
©tim unb Augen, überlaS bann nochmals aufmertfant bie wenigen 
Beilen, fcgüttelte ben $opf, laS zum brüten ©Jale unb gatte enbUcg 
begriffen. 

„C. i, Goddam! S)aS geißt ja cum infamia! Ag! ^5)aS ift ftart!" 


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412 


Die föecjenaört 


Nr. 26 . 


Wa<ßbenfliiß fc^vüt et eine Beile im gimmcr auf unb ab, holte 
fid) bann Dom ©cßreibtijcße bie ©orpSlifie bei* iHlteu getreu unb begann 
bariu zu blättern. Beßmütßtg fcßmeifien jeine ©liefe über bie moßl* 
betannten, ißm tßeilmelfe lieb unb treuer gemorbenen tarnen feiner 
©lubienfreunbe. 3>od) ein ©lief auf ba$ Dor ißm liegenbe ©djrclben 
qenügte, um jebe meießtjerzige Wegung §u Derjagen. ©r ergriff einen 
©Iau|tijt unb bureßftrid) mit einem forctrten «eßmung jeinen tarnen. 
$11$ er baS §eft mieber zuflappte, fielen jeine Augen auf eiuen fleinen 
©erS, ber beu ©orpSberid)t an bie Alten J>erren einleitete: 

Auf baß fte niemals fällt, 

3)ie blau*meiß-- grüne ga^ne, 

3 Wit Watß nicht nur, — mit (Mb 
©ie unterftüße 3)u, Wßenane! 

„Wa, biefer Pflicht mären mir ja Teblidj nadjgefommen," rief er 
beluftigt. Unb bantf bvacb ber geroiffen* unb nunmehr auch ebrloje 
jjanfee in ein brößnenbeS ©dächtet au$, jo baß %tan, ber gimmertedner, 
melcßer gerabe baS ©cbtüfjellocb einer ©orribortßür einer eingebenbeu 
Snfpection unterzog, §u F*iß bem Cperfedner, ber ficb an ber näcbften 
$ßüre auf biefelbe Beife bie geit Derfürzte, erfeßreeft auffaßrenb 
bemerfte: „Wa, ber 3Wr. Wemman ift heute aber luftig. $er 3)oüar* 
faßte fcheint ficb jo großartig hier bei nn$ in ©. z« unterhalten!" 

Unb 3ean ber gimmertedner hatte Wed)t. 


i 


JOiö bet ,Ättupt|tabt. 


Die rotlje Janfi. 

Ade bie je ©rjcßüttetungen hatte baS Weid) fraftood überftanben, unb 
ber jubelnb begrüßten Wtorgentötbe einer befjeren geit mar enblicb ber helle 
Wcittng gefolgt. $)ie furchtbaren jocialen unb mirtbfebaftlicben Kämpfe 
hörten auf. (£8 mar nicht möglich geroefen, ba$ focialiflijcbe 3 i>eal ju 
Dermirf ließen; bei ber ©erjebiebenheit ber menfeßließen Xriebe unb An¬ 
lagen ftrebten immer ©inzelne nach großem Weicßthum unb berftanbeit 
ihn ju erlangen. Aber man lag bor biefen ^abgterigen nicht mehr auf 
ben Jlntcen, mie in früheren Sabrtaufenben, man beneibete fie nicht mehr, 
noch erhob man fie lobpreifenb über alles ©olf. 3Jtod)ten fie immerhin 
golbene ©cßäße ^ujammenraffen unb angftood einen ©cfiß bemachen, 
befjen ©röße fie am ruhigen üebenSgenuffe ebenjo ßinberte, mie ba$ ©e= 
.mußtjän feiner ©ergäfoglicbfeijt.-- man lief*,bie bebauernSmerthen JDßfer 
bc$ ©eizeS ruhig gemäßren. $>er großen Mehrheit, ben ©erftänbtgen 
genügte e$, baß für ihre« £eibeS Nahrung unb Wotßburft gefolgt mar. 
Währte bod) jebe reblicbe Hantierung ihren Wtonn. 2 >ie entjeßlidjen 
geiten maren übermunben, mo fleißige Wtcnfcßen feine ©efebäftigung 
fanben,’ mo in ben Siefen bleicher Hanger mütbete unb jeber Sag ©elbft* 
morbe auS WaßrungSforgen faß. 3eßt gab c $ 9 enu 9 für aüe 
Wienfcßcnfinber, mell eS Arbeit genug gab. AUerbingS erniebrigten ficb 
nur ihoren zu ihren miUenlojen ©elaoen unb heßten ficb in Äranlhett 
unb iterböfen Babufinn hinein. Sie Belfen tarnen rebltcb ihren ©er* 
pflidjtungen nach unb tbaten DoUauf ihre ©djulbigteit, legten aber ebenfo 
großes (Vernicht auf bie ©tunben fröhlicher (Erholung, ©o mürbe baS 
©olf an Mb unb ©eele gefunb unb in ©Jahrbett ein freies ©olf. 

®S oerjebmanben benn auch bie Webel, bie früher fein (MftcSleben 
umzogen hielten, ©o lange bie iofle ©ter nach (Mb aUe H et i c n ocvbrannt, 
alle Straft beS HimS begehrt hatte, maren $unft unb Biffeitfcbaft eitel 
fiuyuSgegenftänbe gemefen. Wur Wciflionäre ober unpraftifeße ©eßmänner 
hatten ficb mit ihnen befaßt. 3 e ßt, mo ber abfdjeulidje „Stampf um'S 
Safein" ju ©nbe v -gegangen mar, mo bie beutfebe Wfenfcßbeit ihr ©liicf 
nicht mehr in milbem 3 agen nad) bem Srrenhaufe fanb, jeßt erft blühte 
beutfebe ©ultur auf. Unb fie überblühte aDeS ©olf, nicht nur ben Hof 
unb bie H 0 ( hfinan$. Itnfere dichter unb Genfer mürben nicht länger 
bon ben ©tammfunben Habi) r S fpöttifd) über bie ©djfeln angefehen. ©ie 
nahmen hinfort bie erfte ©teile in ber ©efellfcbaft ein, genoffen all' ber 
@b?en, bie man bor geiten etma ben fogenannten ©ffefforen ermiefen 
hatte. Unb fie banften'S überreichlich ihrem ©olfe. ©in lachettber grüh- 
ling beutfeber Ännft brach an, unb föftlicbe ©JeiSheitSIehren ergoffen fidj 
auö bem 9)iunbe ftrahlenbcr Genfer über bie gan^e Wation. §n biefem 
(Ölanje bermehte ber müfte fßarteisanf, ber einft bie ©äter gegen bie 
©öbne gemaffnet unb jroifdjen ©rübern unüberfteigbare ©chranfen auf* 
getürmt hatte. ©S bermehte aller religiöfe Ho^er, unb für ein geicben 
fnecbtifdjer Unbilbung galt eS hinfort, menn man frenibe Meinungen 
berachtete ober berfolgte. ©JaS bor enbloS bielen Sahren ber geliebte 
Wajarener gebrebigt hotte, baS mar bem ©olfe jeßt in &letfd) unb ©lut 
itbergegangen. 9Ran befolgte feine ©ebote unb blicfte mit ©djaubern 
auf eine berfloffeue geit jurürf, mo bie ©fetifcben ficb ebenfalls ©hriften 
genannt unb einanber hoch mit 2:ücfe unb Hinterlift ermiirgt unb bieS 
gemeine ©erbrechen noch als ^GJefcbäftStücbtiafeit" unb heroorragenbe 
„faufmännifebe ©egabung" geßriefen hatten. ©Jo man ben als ^jebneibig" 
feierte unb mit tiefer ©erbeugung grüßte, bet unter ©Jabrung gemiffer 
Formalitäten eiuen Wäcbfien gelobtet hotte; mo ber ©hebrueß als eine 


liebenSmürbigc ©erirrüng, bie Uiige für geifireid) galt. Wiemanb öets 
achtete bie ©orrnelt, beuu geber mußte, baß bie ©ßnen troß ihrer tnon= 
nigfaeßen Feßler tüchtige ©fänner gemefejt maren unb in ihrer ©rt baS 
©efte erftrebt hatten. Xroßbcm begriff man ihre ©erirrungen nicht, be= 
griff nidjt, mie fte, benen bie fießren beS HeilanbS biS auf’S leßte ^ünft- 
eßeu genau befannt maren, fo gebanfenloS an ihnen batten oorüberge^en 
fönnen. ©oflte benn mirflich unter biefen Millionen deiner bie Borte 
ber ©ergßrebigt Oerftanben, deiner im ©bangelium ©fattßäi beS $zrm 
focialeS unb fittlicßeS ©rogramm: „EWicß jammert beS ©olfeS* gelefen 
haben? 3)iefe unerhört blutigen Kriege, ‘bie nichts maren alS fchmac^ 
bolle Waub^üge im gntereffe beS gelbfcßarrenben ©abitaliSmuS, mie burfte 
man fie bulben? 3)er freie ©tonn ber neuen geit feßauberte gurücf öor 
ber ©cßärfe beS ©(ßmerteS — bo<ß mahrlicß nicht aus Feigheit, dr 
tonnte fid) eine ©föglicßfeit beuten, aDerbingS nur eine einzige, mo et 
mit ©egeifterung jur Flinte gegriffen hätte. ®och anberen ©tenfthen, 
bie ftill unb gufrteben baßinlebten, bie ißm nie ein SeibS getßan hatten, 
mit bemaffneter Fouft bie Freiheit ju nehmen, Wabotß'S Betnberg an 
fid) ^u reißen unb unfcßulbigeS ©lut ju oergießen — gegen biefen ab* 
fcßeultcben GJebanten empörte ficb fein ganzes Herj. 

Bie bie ©ürger, jo mar bie Wegieruitg. ©mft unb gemiffenhaft, 
boeb in Wuße, fo baß man ißre ©fiftenj taum bemerfte, tßat fie ihre 
©fließt- 3)ie fieiter beS ©taatSroefenS mußten genau, melcßen Beg Rc bie 
Wation $u füßren ßatte, unb eS gab fein ©eßmanfen in ißrem Xßuri. ©ie 
oermieben alle geräufcßoollen fteußertießfeiten, ade äugenblenbenben mtb 
oßrenbetäubeuben, pomphaften ^unbgebungen; fte fdpoiegen, mßßrenb 
fie ßanbelien. 3)er ©erfpreeßungen, bie fie gaben, maren Benige, aber 
überall, mo eS notß tßat im £anbe, fpürte man ißre ßelfenbe unb ftfißffnbe 
Hanb. ©ie machten baS beutfeße ©olf unabhängig oom ©uSlanbe, fie 
jorgten für bie ©rßaltung feiner ©tärfe, inbem fte ber fianbmirthWaft 
unb mit ißr bem fleinen ©emerbe bie troßige, gefunbe ©elbftftänbigfeil 
bemaßrten. 3 ßre meife ©olitif träftigte ben inneren Wtorft fo feßr, baß 
ade ©erufe unb ©rmerbSfcßicbten ^ureießenbe ©rbeit unb genügenben ßoßn 
im ©aterianbe fanben unb nicht ängftlicß über bie G)ren&en gu fcßielen 
brauchten, ©o fonnte baS. Weid) mit aden Wacßbarftaaten im FTieben 
leben, oßne Don einem ©innigen in irgenb einer ©e^teßung abhängig $u 
fein. ©S ftanb ftol^ unb frei ba in ber Belt, auf Wiemanben ange* 
miefen als auf feine Ätnber, unb fein ©lücf, fein Boßiftanb mueßfen 
mit ben Sahrßunbeilen. 

H: 



3)ie ©ereinigten ©taaten Don $luftralien mürben um jene geit 
mieberum Don einer ber feßreefließen HoobelSfrifen zerrüttet, bie baS 
fianb in immer förderen groifeßenpaufen heimfueßten. 3Ran hatte ftdj 
fo oönig auf bie ©ebiirfniffe beS BeltmarfteS unb ißre ©efrieh 
eingeridttet, baß ber Äbfaß im 3nnern faum noch in 3hrageJ 
WußraltenS Weicßthum floß aus ber F«mbe. &uv bie Frctttbc gn A 
bie ©cblote feiner Fobrifen, fliegen feine ©ergleute in bie ©d 
bem Baarenoerbraucß ber Frembe ßingen Wfatiht unb gufnnft beS I 
ab. ©in atßemlofer ©oncurrenjfampf bureßtobte feine ©labte; 
beutenben tedjnifcßeu Weiterungen, ade inbnftricden Fortfcbritte \ 

Don $luftralien auS. $ie gelehrten ©olfSroirtße auf ben Utita 
nannten biefe ©ntmicfelung bie einzig menfeßenmürbige, unb feil 
Wegieruug gefdjah $ldeS, fie ^u fövbern. $luftralien mar flol^ 
Hocßcultur, Me fid) oormiegenb in unabfeßbaren ©cßornftein* 
ftarfer miUtärifcßer Wiacßt unb überlegener ©eraeßtung beS fo 
©eßimfapfeißumS barftedte. ©eine ©emoßner blieften ßoßnlää 
bie rücfftänbigeu Wationen ßerab, bie fieß noeß ben gufäQigfcM H 
©etreibebaueS auSfeßten, bie in ißrer Unmiffenßeit Don ©gnbifgü gab 
XruftS fo menig $lßnung hatten mie Dom $erminßanbel, unb tg 
©ßrbarfeit ftatt ber billigen auftralifcßen Wamfcßfabrifate gebieMlt 
fünftjeßöne, aber tßeure unb beßßalb concurreniunfäbige Baaren [ 
üDte auftvalifcße HonbelSbilanj übertraf gemeinhin bei Beitem J 
aller Webenbußler. Unb fo roütßenb fteß bie ©arteien autß 
barin flimmten fie faft ade überein, baß $luftralien gar i 
ÄtiegSjcßiffe bauen fönne, um feinen ©eeßanbel unb feine 
gu f^üßen. Honb in Honb bamlt ging ber brennenbe Bunf^, 
meßr ©olonien ju ermerben; bebeutete boeß jebe neue©oloniei 
größerung beS auftralifcßen WtovfteS. Füt bie raftlofe Äif "* 
neuer Sänbergcbiete, bie jofort ber capitaliftifcßen Ausbeutung 
mortet mürben, hatten bie auftralifcßen üeitarttfelfcßreiber ei 
uenbe ©ßrafe erfnnben: fie fpraeßen immer Don ber AuSbreii 
ließet ©ultur, unb meinten bamit unbarmherzige ©emid 
frembeit ©igenart, graufame gerftörung fremben ©igentßumS . . 
unb ©ranb. ©S flang poffterlicß, bieS ßabfücßtige WaubgefUM 
hörlicß Don feinen ©nltur*Äufgaben fpreeßen unb p<ß ©toniere"Rt w* 
lifation nennen zu hören. £ßatfäcßlich aber magte Wiemanb, ihnen in 
ben Beg zu treten unb beu Sügnern bie SJtoSfe Dom ©efteß* |U reißen. 

3>er äußeren Wtocßt beS ©taateS entfpradjen bie guftänbe im 3imem 
menig. ©äßrenbe ©erbitterung unb gereiztes SWißtratien trennte bte 
©laffen, unb bie mirtßfcßajtlichen ©egenfäße naßmen mit jebem an 
©cßärfe zu, fo baß man forimäßretib mit bem Ausbruche ber focialen 
WeDolution rechnen mußte, gmar geigte bie Wegterung, bte in allen 
anberen Flogen Don bejeßämenber ©cßmächlicßfeit mar unb haltlos $toifd)fn 
ben ©ytremen einßertaumelte, ber Arbeiterfcßaft ftetS ein finfterefc ©«rubt 
unb brangfalirte fie mit brafonifeßen Ausnahme* ©efeßen, Me bcifpielS^ 
meife auf ben ©treif bie £obe8ftrafe feßten unb jeben ©erjueß, eine 




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Nr. 26. Hie ftcgenroart. 413 


Sofjnerfjöpung perbeizufupren, als SaubeSVerratp bepanbeltett. Aber 
bicfc blutige Strenge, bie notpwenbig war, um Me auftralifcpe Qnbuftrte 
auf betn SBeltmarfte concurrenzfäpig $u ermatten, trieb baS Proletariat 
%\\x 9$fr$welflung, opne boep auf ber anberen Seite bie gewaltigen 
©eptoanfungen ber non taufenb uncontroltrbaren 3ufüßen abpärrgenben 
©anbetöbilana verpinbern zu fönnen. AIS in golge ber lepten fcpweren 
Stifte Daufenbe non gabrifen ftifl ftanben unb £>unberttaufenbc non 
SSerfleuten bie Sanbftraften beVölferten, wäre baS Wtniftertum trop ber 
{mtrtotifdjen Aeben unb febönen Serfpredjungen feiner Seiter bem Sin* 
fturme ber renolutionären Dcmofratie erlegen, wenn eS ber maftgebenben 
treffe nicht in elfter Stunbe gelungen wäre, bie entfiammte SButp ber 
Waffen auf baS AuSlanb abjulenfen. Die meiften fremben Staaten 
batten fiep admälig buvcp ScpupZ ö ü e ber Ueberfcpwemmung mit ben 
billigen unb fcplecpten gabvtfdlen AuftralienS ju erwehren Verftanben; 
nur Deutfcplanb, ba$ überhaupt feine ©infupr brauchte, war bem gret* 
pantel treu geblieben. Unb währenb bie Auftvalier fiep mit ben er* 
brüefettben 8oHtarifen ih*« Aacpbarn abfanben, richtete fiep ipt £>aft 
gegen bie „barbarifdje Sebürfniftloftgfeit" ber Deutfdjen. Shre groften 
3 eitungeit würben nicht mübe, bie „germantfepen gopfträger" als eine 
©efapr, als ein ftpwerfädigeS £>inbernift für aff unb jeben ©ulturfort* 
fepritt ju branbmarfen. Sie beffagten eS lebhaft, baß btcS reactionäre 
Sott noch immer fürlieb nahm mit ben gebiegenen, febönen ©rgeugniffen 
bte eigenen gleifteS, ftatt fremben Scbnnb ju faufen, unb fte nannten 
cS eine gefchicbtlicbe Aotpwenbtgfett, „oftlänbtfcpe ©eftttung" nach bem 
* Oerrotteten Abenblanbe ju tragen. Sie preMgten ohne Unterlaft ben 
„p«Uigen ffrteg ber Silbung unb Humanität gegen ein hinter feinen 
dauern geifttg erftarrteS, ftttlid) unentwirfelteS Soll. 9Bir leben," fo 
feprieb mit glammenworten bie „Poft", baS Welbouruer Organ ber ©roft* 
inbuftrieQen unb Sörfenfpecufantfcn, „im 3Mtalter beS SerfeprS, unb bie 
motorifchen Kräfte, welche unfere Dage unb unfer Dagcwcrf beberrfeben, 
butben feine chinefifcben unb feine bentfdien dauern, hinter benen 
Despotismus, Unfreiheit unb Barbarei perrfdjen." Wan müffe, pteft 
eö weiter, bie Deutfcpen in ben gefunben Kreislauf beS mobemen Gebens 
einbeziepen unb ihr Sanb bem Serfepre öffnen, wenn erforberlicb, mit 
©ewalt. Son bem £anbel mit Deutfdftanb verfpraep ftep baS mobile 
Kapital golbene Serge, unb jeber 3nbuftrielle war überzeugt, baft er 
hier einen in alle ©wigfeit fauffräftigen Warft für feine Probucte finben 
würbe. AIS Dcutfcplanb inbeft jebent Sorftofte ber auftralifcpen ©elb* 
mftdjte fchweigenben PSiberftanb entaegenfepte, würbe bie Sprache ihrer 
Solbfdjreiber täglich brohenber. „An Der Unnahbarfeit beS beutfeben 
SBefenS, an feiner grenjenlofen Unaiifricbtigfeit, an ber jähen Cppofition 
gegen jebeS ©inbringen auftralifeben ©eiftcS fdjeitert ade Wüpe, Ser* 
trauen unb Spmpathie gu er werfen zunt ßwtdt frieblidjer Sntereffens 
gemeinfehaft," febrieb ein befonberS VovitepmeS Platt. „Paffiue Dppofition 
ift baS A unb D btefer verlogenen, um taufenb Ausflüchte nie verlegenen 
beuifcpen StaatSfunft, unb lange genug haben bie Wäcpte fte gebulbet. 
Da frcanblicbe Ueberrebung nicht verfängt,, fo bleibt baS ©eltenbmacpen 
beS phbfifchen UebergewicbteS baS einzige Wittel, welches ©rfolg ver* 
fpridjt." — „Aacp beutfeber ScbenSauffaftung," fo lieft fiep ein anbereS, 
frelfinnigeS Organ vernehmen, „ift ber entfcploffene Stiflftanb bie wahre 
Aufgabe bei WenfcpengejcblecbteS. 9lun, baS neue Qaprhunbert wirb 
bie Antwort auf bie &rage geben, was mächtiger ift, bie 3äptgfeit itnb 
Schlauheit ber Deutfcben, ober ber Sturmeseifer unb bie vergeiftigte 
Anffaffung ber Auftralier. Auftralien will baS Deutjcpe Aeicb für bie 
©ultur erobern, bieS Aeicb Von gewaltiger SolfSjahl unb ungeahntem 
SReicpthum an Aaturfcpäpcn." 

Die einmal entfachte Segeprficbfeit, bie in ber Sefepung Deutfcb= 
UnbS baS lepte unb einjige .f>ülfSmittel 3 ur Sfettung auS focialer 9?otp 
unb ben Scbrerfniffen ber Ueberprobuction fap, febrie nach Dhaten. Salb 
aeiug bot fiep bie p«i6 erfepnte günftige ©elegenpeit. Auftralifcpe 
Wifftonare patten an ber Dftfeefüfte Verfcpiebene Abarten beS ©priften= 
tpumS geprebigt, peucblerifcbe iiepren, wie fte bem in ©runb unb Soben 
oerkorbenen auftralifeben SolfScharafter entfpracben. Anfangs fapen bie 
beutiepen Sepörben lacpenb bem Unfuge $u. Sie wuftten, baft 3efu 
reines ©Vangeliunt juft in Deutfcplanb mit reblicbcm Semüpen erforfdjt 
unb befolgt würbe, unb fte vertrauten bem gefunben Sinne ber Se^ 
Völferang, bie mit Seracptung bent wiberlicpen confefftoneHen ^aber unb 
bem «tcprifllicben ©ejän! ber auftralifeben Wifftonare äufap. ©ineS 
DageS feboep warb ben pommerfeben Säuern baS Xreiben ber Sremben 
ju bunt. Sie fepaarten fiep jufammen unb jagten bie Ueberläftigen, 
bie ben peimifepeu ©ott befepimpft patten, jum Sanbe pinauS. 

DeS lieben ^iebenS wegen bot bie beutfepe Regierung ber auftra= 
lifcpen jebe gewünfepte ©enugtpuung. Den Welbournem aber jepien ber 
©tern ber Stunbe günftig. ©ine glotte erfepien auf ber Stettiner 9tpebe, 
fepoft bie Stabt in Sranb, Verjagte bie fleine Sefapung unb erklärte bte 
gan^e ^rovinj für eine auftralifcpe ©olonie. ©leicp^eitig würben ftarfc 
Druppenabtpeilungen gelanbet, bie, alles vor fiep nieberbrennenb, auf 
^Berlin loSmarfcpirten. ,,©S giebt fein DeutfcpeS fEetcp mepr," jauchzten 
ber Scpreibfnecpte ber auftralifeben Wacptpaber. „Aucp am beutfeben Solfe 
erfüllt ftep baS Sepirffal jeber Aation, bie bem ©ultnrfortfcpritt pemmenb 
ln bie SRabfpeicpc fällt. Unferer Qnbuftrie aber ift ein neuer Warft er= 
öffnet, bie Ärife barnit ftegreiep überwunben." 

♦ 

©S fam anberS. 3n fdtrerfUcper ©lorie ftieg ber längft verloren 
geglaubte furor teutonicuü empor. Wörbcrifcpe 5Butp paefte baS 


ber Stoffen halb entwöhnte, friebferlige Soff, als eS bte geliebte 
$etmatp von ben fremben Sarbaren bebropt fop unb erfennen muftte, 
baft man opne ©runb unb Urfarfj fein ftilleS ©lürf jerftören, baS 
alte 9teieb entepren, ben alten ©ott entthronen wollte. Deutfcplanb 
befann fiep auf feine Sergangenpeit. ©ine grofte Partei, bie „rotpe 
Sauft beS SriebenS unb ber Saterla^^tte!^, tauepte auf, wie auS 
ber ©rbe geftampft, unb jwang bie aUju verföpnlicpe, afl^ufepr um 
baS Slut iprer Sürger beforgte Regierung, bei* ©ewalt ©ewalt 
entgegenjufepen. Die Dicpter hüben wieber an, Von bem benf* 
würbtgen, unVergeftlicpen 3ab*e 1813 fittgen, wo ein friegSgewaltigcr 
Dämon in’S Sanb gebroepen war unb eS unterjocht patte. Damals ftanb 
auf, wer einen Drefcpflegel fcpwingen, eine Sücpfe an bte Sarfe reiften 
fonnte, unb Vor ben Äolbenfcplägen ber tapfern Apnen war ber lieber* 
menfep Aapoleon gufammengebroien. Unb weiter fangen bie Ißoeten Vom 
fagenpaften ftaifer 3Beiftbart unb feinem ©epiilfen, bem 9?iefen SiSmarrf. 
©ine Aaiion, bie folcpe Wänner gezeugt patte, ein uraltes, ewiges 
©ulturvolf fonnte niept fcpmatpvoll untergeben vorm Anprall golbgieriger 
Sarbaren. Die neuen Sorten unb ^ijarro, bröpnte eS burcp'S Sanb, 
werben feine 3hfaS finben. Unb gottbegeiftert jogen bie .^eere in’S ©e* 
ftlb. ©in 3<>rn ohnegleichen war über Ade gefommen, ein rüprenber 
Cpfermntp Dabei, unb auS jebem ©eftdjte fpraep finftere ©nfcploffenpeit. 

w Ade Driften, alle Stätten 
järbt mit ipren Änocpen weift, 

Atoltpe 5Wab’ uttb SucpS verfepmäpten, 

©ebet fte ben 3if<Pen preis! 

Scplagt fte tobt! DaS Stoltgericpt 
gragt euep nach bew ©rünben niept." 

Aun erft Verftanb man wieber ben Ieibenfdjaftliehen Dieter, bem 
vbie Aotp beS SaterlanbcS einft in trüber 3*it baS ftol^e &ev$ gebrochen 
patte. Unb man tpat, wie er befohlen. S3enn bie ©efebieptsbüeper 
3Baprpeit melben, pat fein Aufiralier lebenb ben beutfepen Soben ver* 
laffen. Unb Aientanb pat jpäter mepr einen Serjuep gemacht, oftlänbifche 
©ultur, Humanität, ©efittung, gräljeit unb Speculation in’S Abenblanb 
ju Verpflanzen. Caliban. 


Hratnatifd)C Anffuljrimgen. 

9liicfblicf auf bie Dpeaterfaifon. — „Stanbpafte Siebe." Suflfpiel 
in Serfen von ^einrirf) -Ärufe-.'■— „gremblittge." Sdjaufpiel von 
Waf Sepolb. (ffgl. ScbnufpielpauS.) 

Unfere Scbaufpielpäufer blirfen faft ade auf eine fcplecpte Spielzeit 
zuritrf. ©ine Ausnahme macht nur baS dieftbenztpeater, baS mit 
gepbeau’S löftlicher „Dame Von Wafim" ben Sogei abgefchoffcn pat, 
wäprenb baS Deutfcpe Dpeater wenigftenS mit Dreper’S tapferem Denbenz* 
ftiirf „Der ^robefanbtbat" unb baS ffgl. ScpaufpielpauS mit SBtlbenbruch'S 
„Docpter beS ©raSmuS" unb Ctto ©rnft’S SufadSerfolg „3«Ö^nb Von 
peute" ff affe machten unb baS Seffingtpeater bie fürchterliche AöftUgort* 

S ung „AIS ich wieberfam" bem Sublfcum mit mepr AuSbauer als 
tief aufbrängte. Der Seft ift Schweigen. Dobt, maufetobt liegen ad 
bie bramatifd)en ßetchen neben unb über einanber: gulba'S übcrzierlicheS 
Wärcpenfpiel „Schlaraffenlanb", ftauptmann’S Spiel ju Scherz unb 
Schimpf „Schlurf unb 3 m\ Sctuff’S bt)santinifd)er „©ifenzapn", ©ott* 
fdjad’S entlegener „JEapab", Stnbau’S fcplechte ^arifer 3ntitaüon „Der 
£>err im $)aufe", ß’Arronge’S altgewohnt triviale „Otto Sangmann 
SBittme", Sfowronnel’S „Dugenbpof", 3bfen'^ überfpannter ©ptlog „Stonit 
wir Dobten erwachen", Sjörnfon’S unbramatifcpeS ?Bunbcrftürf „Ueber 
unfere ffraft" unb Sapr’S, von ^piltppi u. A. gu fcpweigen, „3ofeppine" 
unb „Der Atplet". Unfere bewäprteften Dicpter haben vodftänbig ver* 
fagt, unb bie neuen Dafente haben fiep um aden ©rebit gebracht. So 
muftten benn unfere Süpnenleiter ju ben älteften Stürfen ipre 3ufl U( Pl 
nepmen, unb biefe 2BieberbelebungSverfucpe ftnb nicht bie untnterefjanteften 
Dpeatereigniffe ber verfloffenen Spielzeit. SefonberS ^aul Sinbau pat 
fiep eifrig foiepen Ausgrabungen gewibmet, tnbem er naep Sautenburg’S 
Sorgang literarifcpe Watineen veranftaltete unb bie Stürfe bann tn einer 
Abenbauffüprung vor bem groften Dpeaterpublifum erprobte, ©in fünft* 
lerifcper ©ewinn für baS lebenbige Dpeater würbe habet niept erhielt, 
aber immerpin banfenSwertpe üterarifrf)e Anregung geboten, bie bem 
peruntergefommenen Serliner Dpeater fepon ber Sleclame wegen nüplicp 
war. Sonft pat weber bie von StolterS fepülerpaft überfepte alt* 
franzöftfepe garce vom Abvocatcn Satdi«, noep ffleift'S tncommenfurabler 
„Amppitrpon", noep ©einc’S „Almanfor" ober ©ridparzer’S perrltcpe 
„Sibuffa" fiep palten fötmen. Aepnlicp erging eS ber alten Söffe „Serlin 
bei Aacpt", womit Sinbau baS Anbenfen feines Schwiegervaters Davib 
ffalif^ „in banfbarer Pietät" — il riy a pas de quoi, weprt ber 
granzofe in fo peifeln gäden ab — neu beleben wodte. ffalifcp war 
ein fpecififd) jübifeper AJipbolb wie Sappir, nur aefepmarf* unb cparacter* 
Voder, aber jum Dramatifer feplte eS ipm an Spantaftc unb Scpöpfer* 
fraft. Seine Stürfe ftnb fammt unb fonberS bloS gelungene Serliner 
Socaliftrungen franzöftfeper Sorlagen unb itberbieS fehlte ipm ber ccpte 
Junior eines Autmunb, Aeftrop unb Anjengruber. Drop ader aufge* 


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414 


Nr. 26. 


i 


Die ©egenmort. 


frifdjten ABiße, einer forgfältigen Siegle unb ber Mc^tcrift^en Rfitpülfe feiner 
ftarf auS ber Art gefcplagenen Racpfolger Xrojan, ©tettenpeim, ©ermann 
u. f. w. mutzet unS MefeS fleinbürgerlicpe ^eriinertbum wie eine 0ebe 
an. Äalifcp fanit nichts bafür. benn Vetlin ift mittlerweile wirflicp 
ABeltftabt geworben unb ftrebt mit Riefenfdjritten borwärtS, fo bafj fogar 
bie hoffen ber biel (Röteren $opl, Sacobfon, ABilfen unS beute fcpon als 
antiquirt miberftreben. ABomlt niept gejagt fein foß, bajj bie mobernen 
AuSftattungSpoffen ber Abolpp ©ruft, Ären, ©djönfelb unb Rfannftäbt 
beffer finb. 

XaS Enbe ber ©aifon würbe bon ben Xirectoren noch fcpneß zum 
©djleuberauSberfauf abgelagerter Robitäten benußt, bie in golge irgenb 
einer Rücffidjt oberUnborficpiigfeit angenommen worben waren. VefonberS 
baS Ägl. ©cpaufpielpauS lieb bei biefer nicht ganz würbigen Erlebigung 
ihrer Verpflichtungen jebe ©orgfalt ber Aufführung, jebe Achtung bor ben 
dichtem bermiffeit. XaS bteö ©efcpicf baS VerSluftfpiel „©tanbpafte 
Siebe" unb feinen halb 85jährigen Verfaffer traf, geht unS befonberS 
nahe, betin eS ift jwar eine fepwäcplicpe unb parmlofe, aber liebenSwürbige 
uttb fcpalfpaft gefällige Xid)tung. Xer treue ©olbfdjntieb, bie ftnnige 
Xinette unb ber fluge Abt, ber baS SiebeSpaat* auf bie Vrobe [teilt unb 
bann bereinigt, — baS war wenigfienS ein ecpteS, naibeS, poetifdjeS 
Härchen, baS unS nach all ben gefpreijten ober rohen Rfärcpenfptelen 
weniger ju ©cperz, als z u ©djtrnpf (im mobernen ©inne) eine (Sr* 
quicfung bot. 

Ritt befferen ©rünben würben bie „grembltnge" beS ©aßettfer 
©cpriftfteßerS zur ©odpfommernobität gemacht, ©err gehört in 

bie Älaffe ber Mitläufer, bie aße Siteraturmoben mümadjen, jebe neue 
Sanier nachahmen unb jeber Xantiämenftrömung folgen, aber im ©runbe 
nod) in ber alten Rid)tuna ftecteu, bie fte zu berleugnen fudjen. Er 
ift Xpeatralifer im ©inne Vpilippi'S, unb ber äugenblicfliehe Effect geht 
ihm über AßcS; ihm opfert er Sogif, Eparafterzeicpnung unb Voefie. 
Xer unreblidje Vormunb, ber mit ben ©elbern feiner ^iffegctoc^ter 
fpeculiert unb MeS unzeitig auSplaubert, weil er fieper ift 511 gewinnen; 
ber ^Bräutigam ber Rtünbel, ber ihn barübet öffentlich zur Rebe fteßt, 
unb ber fepneibige Affeffor, ber fid) für bie bermeintlicpe Epre feines 
VaterS fcplagen wiß unb in fcpmerzlidjer ErfenntniS ber Wahrheit bann 
fnh unb fein Seben opfert — nicht hoch, man blofc feine Ricptercarri&re! 
— biefe ganze in ihrer VorauSfeßung, Entwicfelung, Rtotibirung unb 
Söfung unmögliche ©efepiepte mutbet unS wie bie Xramatifirung eines 
VlauftumpfromanS auS einem unferer gamilienblätter an. lieber biefeS 
alte (Bericht ift freilich eine pppermobern pifante ©auce gegoffen, bie aber 
Riemanb zu täufdjen oernrag. Vjömfon'S ungeftüme Rtoralpaufen 
beS „gaßiffementS" unb bie ttefboprenbe, herbe Xialeftif QbfenS unb fein 
überempfinblicher ABaprpeitSeigenfinn ftchen mit Vefcolb'S forglofer Suft 
an padenben ©ewaltfcenen hier in unlösbarem ASiberfprudj. 

Webt Diel giücflicber, als unfere Xicpter waren bie gaftirenben 
©cpaufpieler. Xie immer fränfelnbe Xufe berfcpwanb faum gefepen 
wieber, unb tpr großer SanbSmann Robeßt fepeiterte an feinem ab* 
gebrojepenen Repertoire unb ben ebenfo unflug erhöhten EintrtttSpreifen. 
Xer richtige berliner pat nur bann für einen fremben Äünftler etwas 
übrig, wenn eS fid) um bie Cper banbeit ober eine intereffante Xante 
mit grobartigen Xoiletten ober um eine wirtliche ©enfatton. Sine 
fpldje bof grau ©orma, bie im frifdjen ©epimmer ihrer Varifer 83erühmt= 
peit bei unS gaftirte. A3aS eS mit biefern mehr politifcpen als fünfte 
lertfcpen „Erfolge" auf fiep hat, würbe bon einem franaöfifdjcn Mitarbeiter 
an biefer ©teße oerrathen. Xhatfäcplich mupte ihr ^ßarifer ©aftfpiel auS 
Mangel an Xhcilnahmc f^on nach ber britten Vorfteßung abgebrochen 
werben. XaS hinberte nicht, bap ber gefammte beutfrfje 93lätterwalb bon 
bem neuen Rupme ber „erften beutfepen ©cpaufpielerin" wieberpaßte, 
unb biefer Särm ermunterte baS Seffingtpeater p bem niept erfolglofen 
©orma^aftfpiel, bei bem fiep bie Äünftlerin wieberum als eine gewanbte 
©cpaufpielerin erwies, wenn fte aud) bet ©anbrorf niept baS Söaffer reicht, 
bie im ^Berliner Xpegter einige 3Rale auftrat. AIS berunglücft fattn 
man auep baS ©efammtfpiel beS Wiener Xeutfcpen ^olfStpeaterS be= 
^eiepnen. Xirector VufobicS mag ftep bamit tröften, baS eS bem Xeutf^en 
Xpeater, baS unterbeffen im S3ol!Stpeater gaftirte, auep nid)t biel beffer 
ergangen ift, fünfilerifcp wie gefcpäftlicp. Xer berliner, ber fiep niept 
fo leicht imponiren läpt, fanb bie Önfembletunft ber Wiener niept ein= 
wanbfrei unb jumal bie ^in^elleiftungen fepr ungleich. Unb baS ift umfo 
empfinblicper, afS bie SBiener noch immer baS ©auptgewiept auf bie 
Xarfteßer legen, ftatt wie wir auf Xicptung unb Xicpter. Aber aud) 
biefe SBirtuofen boten wenig ©eroorragenbeS. ©err Äutfcpera ift ein feptoer^ 
fäßiger ©cpönrebner, ber Vonoißant ©err Äramer mittelmäClg, unb fjrau 
Cbilon — „bie ©cpulreiterin!" pflegte fie unfere Riemann=Raabe mit 
einem unnachahmlichen Rafenrüntpfen ju nennen — ift gtoar in SSien 
5 U einer Wrtuofin auSgewacpfen, boep ipre brißante Routine ift opne 
Xiefe unb ©emütp. bleiben nur bie Xamen Rettp unb ©lödner unb 
©err Rtartinefli, bie gute Seiftungett boten. Xer einzige Ueberragenbe 
ber Xruppe, ©irarbi, war leiber 511 ©aufe geblieben. Unb eben fo un* 
glücflid) waren bie Wiener in ber ßufammenfteßung tpreS Repertoires. 
mit 93apr’fcpen ©tücfen foßte man in 23erlin nicht mepr frebfen, unb 
wenn man unS fepon mit Anzengruber erfreuen wiß, fo barf man niept 
fein fcpwäcpfteS 5Bert wäplen. ..Xie SPoffe „Alte SBiener" würbe nur um 
beS lieben SBrobeS wegen gefmrieben, unb wenn fie auep ©eenen unb 
Äernworte enthält, wo ber prächtige SBolfSbüpter unberfennbar ift, fo 
ift boep bieS grobe Wiener 55olfSftüd eine feiner unwertpe Arbeit. Rocp 
elenber war eine anbere Robität, baS ©cpaufpiel „Xie Sügnerin" bon 


ober bielmepr naep Alpponfe Xaubet. (Sin plumper Xpeaterjcpneiber pat 
ba auS ber entzüdeuben fleinen (Srjäplung La menteuse (auS ben 
„Femmes d’artistes“) ein Sntriguenftüct boß alter Figuren unb tinbifeper 
Verwictlungen berfertigt. ©epon für biefe Vorführung, worin grau 
öbilon pöcpft birtuoS unb frei maep ber Xufe ftirbt, berbient bie topf- 
unb planloje Seltung beS ©aftfpielS baS pöcpfte fritijepe ©trafmafj. AIS 
milbernber Umftanb mag gelten, bafj unfere (Senfur ben Söienetn bie 
witptigften Robttäten wie ©an&Subaffp'S „Sepien Änopf" unb AbamuS ? 
„gamilie SBawrocp" berbot, bon benen man unS SBunberbinge berfpraep. 
Racp Sefung beiber ©tiide glauben wir, bap aud) pier baS ^Sunberbare 
auSgeblieben wäre. 


ir 


Offene unb Antworten. 


3ur ^icnftbotcnfragc. 

Xer in Rr. 21 beröffentlicpte Auffap bon grau Dr. (Sli$a 3d)cn= 
paeufer über bie grauenbewegung unb bie Xienftbotenfrage pat unS 
auS bem Äreije unferer Seferinnen eine grope Anzahl .ftufcprijten 
eingetragen, fepr wenige 3 uftlmro u n 9 e n, wie wir geftepen müffen. biel= 
ntepr meift recht entfepiebene V^otefte bon ©auSfraucn aßer ©tänbe unb 
auS aßen beutfepen 4touen. Aber auep manche Xienftmäbcpen felbft 
fepeinen bon ben Vorfcplägeit ber befannten grauenrecptlerin wenig ober 
nichts ju palten, wie u. a. auS bem fqlgenben offenen Vrief auS Leipzig 
perborgept, ben Wir als fcpäpbaren Veitrag zu ber niept unwichtigen 
grage etwas gefürzt zum Abbrurf bringen. X. R. 

©epr geeprter ©err! 

3cp bin als „Rtöbcpen für AßeS" gegenwärtig hier in Seipzig im 
Xienfte bei einem jung berpeiratpeten epepaare.* Xa bie ©auSfrau reept 
freunblicp zu mir ift, fo pabe icp auep bie (Srlaubnijj, bie 3 oumale, 
welche meine ©errfepaft hält, zu lefen. Racp Abenbbrob maepe icp oft 
unb gerne bon biefer Vergünftigung ©ebrauep. Veint Xurcpblättem 
3prer ASocpenjcprift erregte ber Auffaß bon grau Dr. (Slifa 3fP«npaeufer 
über Me Xienftbotenfrage mein 3ntereffe auf’S ©öepfte. Rad) meinen lang= 
jäprigen Erfahrungen cllS ©auSmäbcpen berutag ich aber bie unS Xienfc 
boten bropenbe Eefapr, zum ArbeitStpier perabzurtnten, niept einzufepen 
unb fatm miep niept babon überzeugen, bap wir Xienftboten biSper nur 
bie trübe ©eite beS SebenS tennen gelernt unb unS niept als Rtenfcpen 
unter Rtenfcpen gefühlt hätten. — 3<P btn bie Xocpter eines ©cpneiberS 
in einer fleinen gabrifftabt, unb biene nun bereits feit 15 3<$ rei: 
Rteine hier ©cpweftern ftnb au^ fepon lange Xienftmäbcpen ober 
Äöcplnnen. 2Bir Afle haben aber berart tprannifepe ©auSfrauen, 
grau 3<Peupaeufer fte fepilbert, noch niept fennen gelernt. 3 m 
tpeil pabe icp immer fo biel freie 3 eft gepabt, bap icp niept nur wies 
Äleiber unb ÄBäfcpe felbft auSbeffern unb fogar anfertigen tonnte, jonbent 
bie Abettbe pabe icp aud) bazu benußen bürfen, meine lücfenpafte ©djul 
bilbung auSzufüflen, 8 e ^ungen unb Vücper zu lefen. Uebunglmapig 
ift pier jeber britte ©onntag für bie Xienftboten frei, es ift nur aba 
faft nie paffirt, bap mir eine ©errfepaft bie Vitte um einen befonberer 
AuSgeptag abgefcplagen pätte. Vor meiner jeßigen ©teße war itp japre 
lang bei einer woplpabenben ASittwe, bie fiep mir gegenüber gerabe d u 
mütterli^ benapm, mich reich befepenfte, bie icp fogar auf RÄfeu les 
gleitete unb bet icp nur niept bei iprer Ueberftebelung in’S tn^ 
fanb bauernb folgen woflte. Rteine ältefte ©cpwefter bient feit einer 
Reipe Don 3 Q h^it bei einem alten Epepaare, bei bem fte ftep mepr toie 
Zufrieben unb glücflid) füplt. ©elbft meine jüngeren Eeftpwifler paben 
aße fiep als Xienftmäbcpen gefpart. Xer XurcpfcpnittSlopn beträgt pier 
20 Rtf. monatlich unb 50—60 RM. zu SBeipnacpten nebft freier'Sopnung, 
Verfügung unb ASäfcpe. Xie Äranfen* unb AlterSoerftcpetung trägt 
gewöhnlich bie ©errfepaft aßein. Xaju treten noep bie unter Umßänben 
fepr popen Xrinfgelber. Eegen bie bon grau Dr. 3<PenPtttufer öe= 
fürwortete Abfcpaffung berfelben mup icp entfepieben Einfpw^ erbeben. 
Xer Eonbulteur ber eleftrifcpen Vapn, ber Xrofcpfenfutfcper, Xienftmann, 
Äeßner, ©auSfnecpt, Eontptoirbote, Sabenbiener, jebeS SabettmäbcPcn baS 
©aepen in'S ©auS bringt :c., rc., fie aße nepmen niept nur' Xrinfgelber, 
fonbern bedangen foldpe ftißfcpweigenb. ABarum foß unS Xienftmäbcpen 
bie Annahme bon Xrinfgelbem berfagt fein? Unfere Epre leibet ba^ 
runter niept, wenn wir fie nur fonft mafelloS zu erhalten berftepen. 
Unb anbere SBebenfen, bon ©erren, bie wir an ©efeßfcpaftSabenben be= 
bienen, Xrinfgelber zu empfangen, liegen meines EradptcnS niept bor. 
Xamen aßerbingS paben aflgemetn gegen Xrinfgelber eine grofee Ab= 
neiguitg, bie leiber unS gegenüber am ©eplufje bon geftlicpfeiten zum 
AuSbrucf zu fomnten pflegt... Rteine hier ©cpweftern unb icp finb, wenn 
eine jebe auep ipre gepler befißt, aufjerorbentlicp arbeitfam unb um= 
fidhtig in ber ABtrtpjcpaft, moralifcp unb eprlicp, bafür werben wir auch 
gut bezaplt unb gerabezu bon unferen ©errfepaften berwöpnt. Xie an 
unS ©^weftem gerühmten Eigenfcpaften beftßen aber nur wenige Xienfc 
mäbepen. Xie meiften finb faul unb berliebt unb, ba fte für Äleümng 
über ipre Mittel auSgeben, unreblicp. ABie oft pabe icp ©errfepaften 
be&palb lebpaft bebauern müffen! 3^P ulS Xienftmäbcpen fann boep 


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Nr. 26. 


Die ©egenmart. 


415 


Diel letzter bie Scplicpe ber Eolleginnen im felben £aufe ober bei 9kcp= 
barn burepfdpauen, als bie eigene Hausherren Derntag. 9?acp meinen 
langjährigen Erfahrungen fällt eS einer anftänbigeit, guten gamtlie be* 
beutenb feproerer, ein tücptigeS unb manierlicpeS Tienftmäbcpen zu be= 
tommen, als eS umgefeprt einem fleißigen unb zuDerläfftgen Wäbcpen 
möglich ift, einen pajfenbeti unb angenehmen Tienft ju finben. — Benn 
ferner mit Büdficpt auf englifepe guftänbe empfohlen mirb, baß mir 
Tienftmäbcpen außerhalb beS ipaufeS mopnen, fo. tarnt MefeS Dieffetcpt 
für bort paffen, darüber pabe ich fein Ürtpeil. 3<P mürbe aber pter 
feine Stellung annebmen, bei melcper idj miept in ber Bopnung logiren 
bürfte. ^Bie ungefunb unb unbequem märe eS fonft, im fterbft unb 
Binter frühmorgens bei Tunfelpett, Scpnee ober Stegen in ben Tienft 
zu geben. Ermübet unb fröftelnb mürbe man hier bie Arbeit be= 
ginnen, ©eine Sachen hätte man mäbrenb beS TageS nid^t zur ^anb; 
unb maS für Scblafräume erhielte man Don armen Leuten, auf bie 
man boep beim Ouartiermletpen angemiefen märe! TaS beengtefte 3immer 
felbft müßte man momöglicb noch mit ber ganzen gamilie theilen. ©e= 
rabe^u prächtig bagegen mopnt man bei Herrfcpaften. gür gefuttbe unb 
luftige Tienftboten=Scplafräume forgt fepon bie bieftge Polizei. TaS 
Selbftftänbigmohnen hätte mir in jungen Suh^u nur Derberblicb merben 
fönnen, mie eS bod) eigentlich ^ufammen mit ber auSgeartcten Bufc unb 
BergnügungSfucpt ber ©auptgrunb ift, baß fo Diele gabritmäbchen — 
einem Tpeile ber fiabenmäbepen ergebt eS nicht beffer — ber fßroftitution 
anbeimfaHen. — UebrigenS fteHt ein Tienftmäbcpen, baS etmaS auf ftep 
hält, ficb nicht auf eine Stufe mit ben meiftenS in ihrem Betragen am 
ftößigen gabritmäbchen. Stie höbe ich Tanzoergnügungen mitgemaebt, bie 
auep Don gabritmäbchen befuept merben. Bir Tienftmäbcpen motten beS* 
halb auch gar nicht ben Beftimmungen ber ©emerbcorbnung unterftepen, 
Dielntebr palten mir megen ber Don unS gemünfebten HuuSgemeinfcpaft mit 
ber ^terrfepaft bie Don grau Dr. 3d)enpaeufer Derurtfctlte ©efinbeorbnung 
für notpmenbig. ©egen bie Dorgcfdjlagene Bezeichnung „HauSgepülfin" 
ftatt „Tienftmäbcpen" bube ich nichts einzumenben; inbeffen ift bieS nicht 
fo erheblich. Tie Borfteffuugen ber grau Dr. Don unferem angeblichen 
Elenbe unb ntenfd)etiunmürbigen Tafein ftnb alfo im Allgemeinen febr 
übertrieben, derartige Auffäfce, melcpe boep bitrcp gewerbsmäßige §eper 
bei ben Tienftboten leicht Eingang finben, tonnen bei unerfahrenen 
SMbcpen nur Unzufriebenheit an ber Hausarbeit - erregen unb fogar 
berbeifübren, baß biefelben in bie gabrifen gehen unb bann Diefleid)t 
in'S fiafter Derfinfen. Sagt unS Tienftmäbcpen im £>aufc etmaS nicht 
Zu, fo finb mir auch nicht auf ben Sftunb gefallen unb miffen unS fepon 
allein ju helfen! Tie grauenbemegung mirb aber bürep berartige Sin* 
feinbungen ber grauen höherer ©tänbe bei biefen niept an Spmpatpie 
geminnen. 

TOt Dorzüglicper «Hochachtung 

Klara £epmann. 






Bon ben zahlreichen jüngften BomanDeröffentlicpungen ber Teutfcpen 
BerlagSanftalt in Stuttgart greifen mir einige Bänbe heraus, bie baS 
S?iDeau ber lanbläufigen gamillenblatt*2iteratur überfdpretten. Ta ift 
einwal „ttttaler ginge" Don ©eorg SßorbenfDan, ein prächtiges, 
PerzerfrifcpenbeS Buch* Sn geift* unb hnmorDoller Beife fepilbert ber 
Berfafer baS fieben unb Streben beS fcpmebtfcpen ÄünftlerDölfcpenS in 
Stodpo'm unb in $ariS, ber hohen Schule beS norbifdjen 9MerS. Tie 
liebenStmrbige Hauptfigur beS BucpeS, ber geniale giage, „eine fperfoni= 
fication jener ftarfen, unbänbigen fiebenSfreube, bie ftd) niemals fniden 
läßt", i t ein SJtelfterftücf ber Eparafterfcpilberung. TaS Buch ift in 
Scproeber längft zu großer Popularität gelangt unb mirb auch in Teutfcp* 
lanb einen $reiS bantbarer fiefer ftnben. Ter Epefrebacteur beS StutU 
garter Sleuen Tageblattes, 2lbolf ÜKülIer=Palm, ber jüngft fein 
SoumalißensSnbiläum feierte, zeigt fiep in bem Banbe „3m ßinbenpof" 
als temperamentDotter Erzähler, ©r pat bie Eonflicte, bie er fcpilbem 
»ill, mit fieperer Hanb auSgemäplt unb bemäprt in ihrer Tarftettung 
ben fünftr?rifcpen Eeftalter, mag er nun in bie Greife ber gefettfcpaft= 
lidpen Belt einfüpren ober baS harmlofe Treiben im fübbeutfepen Hocp = 
lanb Dergegenmärtigen. Enblicp ermäpnen mir noep bie SMncpener 

t umoreSfen „TöS giebt'S!" Don Sttafimilian Strauß. 5luS ber 
ütte origineller Eeftalten, mie fie bie fdjöne Sfarftabt bietet, pat ber 
Berfaffer eine Steipe befonberS erpeiternber giguren perauSgepoben unb 
mit ficperen Stricpen, in flotter Eparafteriftif gezeichnet. So brottig 
bie einzelnem SubiDibuen fiep auSnepmen, finb fie boep ber Äaritatur 
Döllig fern unb tragen burdjmeg ben anpeimelnben gug treuherziger 
Eemütplicpfeit, ber bem SJtüncpener BolfSfcplag eigen ift. 5lucp läßt 
manche Sfizze unter bem Eemanbe beS Scpalfpaften baS tiefere Empfinben 
perDorleucpten. Ter Banb ftettt ftep neben bie Dermanbten ttJtüncpener 
HumoreSfen Don Benno Staucpenegger, ber ipm übrigens eine collegia* 
lifcp4iebenSmürbige „Einführung" DorauSfcpicft. Einen Stubelmaier ober 
eine grau Bürzel pat $rauß freilidp niept entbedt, aber auep er mirb 
fiemiß noep eine tppifepe Sttüncpener gigur erfinbjm. 


Otto Don BiSmarcf, fein fieben unb fein Bert. Bon 3o = 
paitneS Äreuper. 2 Bänbe. (fieipzig, B. Boigtlänber.) Vergäben, 
bie BiSmard unb baS beutfepe Bolt Derbinben, finb unzählige, unb mie 
man ipn noep fuepte, als er fepon in ber ©ruft rupte, baS pat ber beU 
fpiellofe buchpänblerifcpe Erfolg ber „©ebanten unb Erinnerungen" be^ 
miefen. Unb neben biefen, melcpe gütte Don BiSmardsfiiteratur! ?lber 
Wittes mar noch Stüdmert, mertpDotteS zum Tpeif, aber unzufammens 
pängenb, unb Don ben „©ebanten unb Erinnerungen" felbft pat ein 
bebeutenber Hiftoriter unmiberfproepen gejagt, für fiep allein, opne Ber* 
gleicpung mit anbeten Ouetten, feien fie mit Borficpt zu benupen. So 
fepr au$ BiSmard’S eigene Aufzeichnungen eine 3mt fang alle anbere 
BiSmardsfiiteratur zurüdaebrängt patten, fo fonnte eS nur eine grage 
ber 3*it fein, bis eine BiSmard^Biograppie ba mar, melcpe bem beutfepen 
Bolfe baS Bilb feines Hdöen als ©anzeS fo Dor Augen ftettt, mie eS 
ipn mirfliep fiept unb fepen mitt. Benn niept AtleS trügt, mirb bie 
hiermit angezeigte erfte Doflftänbige unb fritifepe Biographie BiSmard'S, 
bie erfepeint, auch mit glüdlicpem Burfe aßen Anfprücpen gereept, bie 
xu ftetten finb. Bie ein Biograph fiep mit fo peiHen Abfcpnitten, mie 
bem Eulturfampf unb ber Socialpolitif abfhtben merbe, barauf burfte 
man gefpannt fein. Sfreufcer pat eS gefonnt; fo ift z* ber Abfcpnitt 
über ben Eulturfampf gerabezu ein ttftetfterftüd forglicp abmägenber 
Äritif unb glänzenber Tarftettung. Ebenfo moplmottenb unb gereept 
naep allen Seiten ift bie Tarftellung Don BiSmarrf'S Entlaffung. So 
mirb baS Buch in feinem zmeiten Tpeile zu einer ©efepiepte ber neueren 
3eit, unb gerabe in unferen Tagen, in benen baS B^rpältniß Teutfcps 
lanbS z u Eriglanb im Brennpunfte ber Beltpolitif fiept, mirb man 
gerne nacplefen, mie BiSmard eS in ben achtziger Sup^n Detfianben 
pat, bie beutfepe Eolontal* unb Afrifapolitif gegen EnglanbS Uebelmotten 
auS ben Anfängen heraus $u entmideln. TaS Ber! ift ein BolfSbucp 
im beften Sinne. 

Btaurertpum unb BtenfcppeitSbau. greimaurerifepe ©e= 
banfen zur focialen grage. Bon Tiebricp Bifcpoff. (fieipzig, 9Äaz* 
Heffe'S Berlag.) Ter Berfaffer beleuchtet Dom Stanbpunft ber ©efett^ 
fcpaftslepre auS Befen unb Bertp ber greimaurerei unb erörtert in 
einer etpifep^praftifepen Betra^tung bie heutigen Aufgaben beS grei= 
maurertpumS. Er meift naep, mie im greimaurertpum ein focialer ©e= 
banfe Don aemaltiger Tragtueite ftedt: Tie 3öee Dom SRaurertpum unb 
2)tenfcpheitS6au. Tabei panbelt eS fiep um bie Erfüttitna eines aß= 
gemein ntenfcpltcpen Berufs; „bie greimaurerei ift," mie fieffing fagt 
„nicptS BtttfürlicpeS, nichts EntbeprllcpeS, foribern etmaS BotpmenbigeS, 
baS in bem Befen beS ttttenfepen unb ber bürgerlichen ©efettfepaft ge^ 
grünbet ift." Opne baß bie ttttenfcpen ben Einfluß, ben fie auf bie 
Baufteine ber menfcplicpen ©efettfepaft unb bamit auf baS Berben ber 
focialen guftänbe, auSüben, rieptig geftalten, fann bqS ©lüd ber Bölfer 
unb ber SubiDibuen niept maprpaft gebeipen, benit tpm fe^lt bann bie 
reepte fociale Unterlage. Tiefe ©efinnung unb ^pflic^tcrfüffung, opne 
bie eine mirflicpe, bem 2Nenftpenglüd maprpaft bienlicpe Söfung ber 
focialen grage gar niept benfbar ift, mirb burep fociallftifcpe —- ben 
Staat zum Baumeifter ber ©efettfepaft maepenbe — ttRaßnapmen nies 
malS in'S Tafein gerufen; fte lann, meil eS fiep ba um bie Ausübung 
eepter, autonomiebebürftiger Äunft panbelt, nur bei greipeit bet am 
©efettfcpaftSbau fepaffenben Einzelmenfcpeit mirfliep gebeipen. Aucp baS 
Berpältniß beS freimaurerifepen ©ebanfenS zur materlaliftifcpen ©efcpicptSs 
auffaffung, zum SocialiSmuS unb zum Äircpentpum, ber heutige gu* 
ftanb beS fiogenlebenS unb Aepnli^eS mirb erörtert, maS zur Ber^ 
ftänblicpfeit beS ©anzen mefentlicp beiträgt. Ter Berfaffer pat fiep einer 
ilaren, pprafenfreien, DoUSDerftänbllcpen Spracpmeife befleißigt unb ein 
reicpeS literarifcpeS Material Derarbeitet. Seine fociologifcpe Auffaffung 
unb Tarftettung ber greimaurerlepre bringt Dielerlei neue ©eficptSpunfte 
unb pat ben Borzug ber ©rünblicpfeit unb fiebenSmaprpett, ber Turcps 
ficptigleit unb UeberzeugungSfraft. So bürfte baS Bucp mopl geeignet 
fein, in fiogenfreifeu fomopl mie bei Außenftepenben z u einer^ z c ür 
gemäßen Aufflärung über Befen, Bertp unb Beruf beS greimauter= 
tpumS reiflich beizutragen unb gleichzeitig baS bunfle ©ebiet ber focialen 
grage aufflären zu helfen. 


Alle geschäftlichen Mittheilungen, Abonnements, Nummer¬ 
bestellungen etc. sind ohne Angabe eines Personennamens 
zu adressiren an den Yerlag der Gegenwart in Berlin W, 57. 

Alle auf den Inhalt dieser Zeitschrift bezüglichen Briefe, Kreuz¬ 
bänder, Bücher etc. (unverlangte Manuscripte mitRückporto) 
an die Redaction der „Gegenwart“ in Berlin W, Mansteinstr. 7. 

Für unverlangte Manuscripte Übernimmt weder der Yerlag 
noch die Redaction irgend welche Verbindlichkeit. 


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• 

t 

* * 

416 


«rle töegntmart. 

Nr. 26. 


Btt Btßtlbmgttt beruft matt fhh mif bte 
„•sgnmiarf“. 

Aas dem Nachlass e. bekannten Schrift¬ 
stellers-, sind zu Gunsten der Hinterbliebenen 
folgl Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden- 
f^preises in schönen, geh. Ex. zu verkaufen: 
Brockhaus’ Conversationslexikon. Neueste 
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände 
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei 
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬ 
gabe 30 M. — Hch. Kurz: Geschichte der 
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. v. 
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild- 
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder- 
bde. 50 M. — Lacroix, Les arts au Moyen- 
Age; Directoire Consulat Empire, 2 Lieb- 
hbde. 80 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬ 
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde. 
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner 
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl. 
Text m. deutsch. Erklärungen v. Delius, 
Hfb. 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel 
(PfeilstÜcker) Lwbd. 10 M. — Bestehungen 
pr. Nachnahme durch Vermittlung der 
Expedition der „Gegenwart“ in 
Berlin W. 57« 


tm 

Urteil 

friiet 


Rimbert Oriqinal«entarten 
d. fjhreunb u. ftcittb: ©jörnfon 
©raube« ©fl<$ner CtiSbi 
Doubet tgibty gfontane Orot % 
$aetfel ftartmann #ebfe 3or= 
bait ftipliitg ßeoncatmflo Sin* 
bau ßombrofo SRcfötfäerStt 
Ätgra Vorbau OQtbier fetten» 
tofer ealtsburb ©tenfietoicj 
eimon 6bencer ©ptelbagen 
etanleb Stocder ©trlnbbetg 
©uttiter ftitbenbrud) ©enter 
Bol« u. b. Ä.- 
: Pttlma btt Stßtnwmti, 


Sieg, gelj. 2 SRI. born Pertmg btt Statnwmti, 
©erlitt W. 57. 


Serfog öon ftöfjbfrg&gfrjer in fripjtg. 

(Soeben erfdjien: 

Sd|u!| 

her Jfrauen unb Rüther 

gegen 

^fuf ©runb 

amerifanifcher u. europälfcher Materialien erbtet 
bott ; 

Br. Karl SBalder, k 

^rloatbojenten ber etaatfttuifi. an ber Unit. fieipsta, 
orbentl. OTltgiteb ber 3itternatiPitalen ©eretnigung für 
bergleit^enbe WedjtSmtff. uttb ©olfStoirtbfrtiaftSlebre p 
©erlitt uttb ber American Academy of Political and 
Social Science. 

$tetö 4 Mart. 

Der ©erfaffer hat bon 11 Sfinberfdjup*©er* 
einen u. f. m. in Nem ?)orf, ©ofton, Sonbon, 
©an 8 , ©erlin, Neu$eblip, Sölen intereffanie 
Materialien bekommen. dr behanbelt auch bie 
grage be$ ©infchreitenS ber $auggenoffen gegen 
begonnene Mifehanblungen. 


f -'K ii- 4 ü' 1- ifr ?■ y- 7 j -V f Ü' 


Abonnement 

auf das 

III. Quartal 1900. 




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„3mec! biejeö ©udje8 ift, Dolftoi al$ SBahrheitöfudjer nnb ßehrer Dollftönbtg unb 
richtig ju geigen; ich labe bie ßefer ein, mit mir aOe feine SBerfe in ber Neihenfolge $u be* 
trachten, mie fte entftanben jinb. Dann merben mir ihn tmt unferen Äugen emporroachfen 
fehen, feine erfte Änlage, feine fpätere ©ntmicfelung, feine fchmeren inneren Kämpfe mttlebenb. 
@8 lohnt fich ba$, ebeitfo mie e$ fid) lohnt, ©oetheä Sauft gu lefen, ift hoch Dolftoi ein gauft 
höheren Nangeö alö ber ©oethefche. 2)er dichter Xolftoi mirb unö Siebenfache fein; mir 
fönnen feine Dichtungen ttiel höher fchäpen al8 er felbft e8 h««ft ihut, aber öieljböher alö 
feine poetifche Äunft erfdjeint un8 bo<h feine nach bem göttlichen Sichte ftrebenbe Äele unb 
fein gemaltigeö $rebigeramt." 


Königliches Bnd Oeynhnusen. Sr^Tn^StÄ 

^ * #ilbe$fjeim. @ommerfaifonö.l5.Möi 

bi8 ©nbe @ept. SBlnterfur öom 1. Oft. bi8 Mitte Mai. fturmtttrl: Saturn, fohleitf. Dh^nrnlbäber, 
©oolbftber, 6ool=3nholatorium, ÄSeüenbäber, ©rabirluft, Mebicomechan. 3onberinftitut r SRöntgen^ 
fammer, Dorgügl. Motten* u. MUcpfuranftalt. glcucd Dhrrmalbabthaug om 1 5. Möt 1000 eröffnet 
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3tt nuferem ©erlag ift erfchienen: 


Pc ®rgnrannt. 

IMniMrlf] «r nm:ui. fünft m» WnüTk&tf Srtfa. 


9nttd*9tMtt 1872-1896« 

trftef'bt« fünfgigfter ©aub. 

Mit Nachträgen 1897-99. ©eh- 5 M 
©in bibliographifche8 SBerf erften 
Nangeö über ba8 gefammte öffentltdje, 
aeiftige unb fünftlerifche fieben ber lebten 
25 Sahre. NothmenbigeS Nachfehlagebuch 
für bie ßefer bet „©eaenmart", fomie 
für mifienfcbaftliche k. arbeiten, lieber 
10,000 Ärtifel, nach gächern, ©erfaffern, 
©chlagmörtern georbnet. Die Äutoren 
pfeubonpmer unb anonymer Ärtttel ftnb 
burchmeg genannt. Unentbehrlich für 
febe ©ibliothef. 

Äuch bireft gegen ^oftanroeifung ober 
Nachnahme Dom 

Verlag ber ©egetwart. 

»ftlü» W 57. 


Stottern 

heilen dauernd Dir. O. Denhardfa 
Anstalten Drasdtn - Itoaohwttx uad 
Bnrgateinftirt, W'cstf. Herrl che Lag* 
Honor. naoh Hei lg. Prospecte gratis, 
i älteste staatl. durch S. M. Kaiser 
Wilhelm X ausgezeichn. Aust. DeatschL 


▼ ▼ T T T 


1 


Sisiirit itadrfolfri. 

Stontan 

öon 

SW n«UsaM*0at>e. *W 

$rci 8 3 Mart. 8 d)ön gebunbeit 4 'J 8 arf. 

Diefer ©i 8 marct * ©apritii * Noma« , ber in 
menigen 3 öh*en fünf ftarte Äuflage.r erlebt 
erfcheint hier in einer um bie #S1 fte btlligCTWi 
©olf 8 au 8 gabe. 

Durch alle ©uchhanblungen ober a^en ©in* 
fenbung be8 ©etragö poftfreie güfo^nng 

Uerlag der 6egctvart f 

©erlin W. 57. 




’i- ! !j ij 1 H 'i> t i ’i >1' ^ i t d !r *14 -lj: t 1 j 1 if : 'i '[ 4 -lj - 'l! 'Ii‘ li f ;ii il' 1' i' il - i' ’ii’ I.V f ! ?i 


Mit dieser Nummer schliesst das II. Quartal der „GGQGII^Wart“. Die¬ 
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Verlag der Gegenwart in Berlin W, 57. 


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Btranto«tlt$er «ebactcur: Dr. *4e«p$U BsBtng tu ©crlttt. 


ftebaetton unb Gtpebttton: ©erttn W., 8Ranftetn^rabc 7. 


Dtutf von * tkftev tu Sdpiig. 


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