Google
Über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin¬
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http : //books . google . com durchsuchen.
i ' : : §Im.
; - i . j_r -
, V-' ~ ■ J •-
§ i
■ y, ■ 'Änrrryr** y
P X , f /? 7 ,|||S -V'
: ■ | . r w . .
p -..-I S.l
■ PvW^ ft 5 /v
' V'- * • -.
vS 1
cP
<f\
v -i ‘ ' ' f ;-. ;
yy ■ ■/&/
•• >• •
S s ^ 01 '■ L -\ \ ' < h '•>c 1 f V' ' AN Pr,
; A' ,•«<»« ' V •. / -£ jvWt“-;''
V'":Po !'Vp Ap V|;imi'V P
;!y ■.-rfjr.-.r W:
Oa ..i- . ;~
o-■ V-V < * 7 T* . xV
.r. ' " ' f 1 1 : 1 r \V V
' / ^ 1 M 't \,• ^ I • 1 ' 7 1 lOV?
J
• P- ; ; *?'
\ r . /.*;■.' , .^;y
>'/-/ v p
, :/s><^N^>- N y
\y ^Pa V
I
V^.'\
x'.
>P':\
~r
* V . ■ P ' °
'Fl • ■ - fl
'■p
/>
> ! “•< / u . . <;*■
'■•5 • l | V; .-;
,’V .0
P>/ vN
,*<SS£> .P
.PV/ 1
V? ■ •
\\J\V
/ <’
/ ;
I z
'PccC'P- \ y' A, ‘ : fAy
•■'y. ■ ' 4rt,^* u »r
. o. ;. 1 :i,;H
^ I
0''
—'' ./p
: ';^V
~S' r
V*,
AA-
n ■
■'-p\ \
; ; ; i • - ... .-n
__ ]■'" :a,
, '+\*'Z
/;. C
. ' r> -, . r
- Mio\ s ...-
||a i > m: a
\\AV.y ■ rc : !i O
X^P' ■P : ’ f*’; t' 4 l ; - A 'K/V _ ^
^ iL ^-x'A^ccc>P^.>^ AN Ar / ;. *•'
//A. . : ^ . ,/ r ^ '
tef-^ iimi h j ^!i - '
W.| - .JiiiHll;::-;/y
\A ; ■ vTr*' ■■ vv V v//
a| 1M i i!
£: I
■'T\ /
___ V^c, ! , f
'xA J N v ■■■'^ X . + ' 0 C 7 710 O
//A/'
' //Pf-, •SAA‘?|- Ä’..'
'/xT' ,<?y
! *J|
*V ; /
A ; o ,
1^.
AA>\
: ,->P^Py'"'^ccc
• x“> ,
/.. A' . , • ■ :. ^
.'{•• £nöf.Vflrrn
.07 • ' • 1 , ,,,.,!- : '
•cp/
/^V
O/,-.
-Z'
Vy^’- 7 - 1
vw v.' '-
P-
0'
aA
i ,r A :
Kv;
->j K! ::'f; V;
' Ur^ii '- ' - P"
/ -
/:tv
ki:
V' ■ „ 1 .P - -P
o /
\\TW 1
V;p,.;
Ip
' ■ • P v \
’ -o
/-•;
n a Pv
x m
• ' v ■
'A'jp
11 ^ r:
hi■
- r] ■ ■ ■ ■ f {• ■ v-
:#
v>/
v
'AlAliib- o
\ v'
. ";»^nnrn.v
’& \b
s'< . \\ <
. ' / ‘ • ■■ - A /
, ... . • ^ • -•
py Ny .<
• ' A-
• ’P ”7'
’ • - ' J ■>
l":
o,'
\ S'
p.\
•Pm
, . x //
^occcPo ", P'-> ANt V;
/'rv ■A'f h ”'* W! j
i’rvj -
P>
^ _
,0.0 y*
v-" , ;pvfRpo,
V ' ..-•: -.- . . <>• \
' Pv,
Ir- -il
\\ov-- ■
\ ■* . •
\W'o
V
p -
; O ■ -■ ;
•-
*, V'
Wtht^W ' P"
• A N
: 1 B
^ Ar- /
^’P'. . A v "/
- , V'-V A •: 'O^ßrrcV * ' VA' an A
VV- ■ . , ' ,v :, • ' -••" //> v . ., 7 '
(&:/■:. fPPlo P\\
t> a.
' ;a
|A.;p' ^ 0 ly + . P; 7 7 | CJ \S
‘ ^ * ' ' * s / ^ =
\ \ ^ ; W
VP>A ' /
/•-^" • ,
/y>- • y. j
• > /
tYittbWA
MW.,
,o;
!;. : ! i
y>> -;•
t
y ► \' •";;
ll! ; 1::
PaP
A^P/
‘ n - j nv\ f p> : ' y //'-^ 10- J 3 ° ; v .\ x v 7 71 o y
' ^ /'/^t : • ' v / . •' • ^ "
- y
•,y.v
AOP
'Ui
O.;
•/>■ ■ ' . aP'-;/
4 ' - -• p« N P ;
■ y- ' .y /: - ■ vp. L/ ' pcpP
.v-eaatsss?.
sä
v'
,o
■*/
,’#' AN ^%;x
■ • ;\^V
;' , : %- 7 110 '"’
: l . T.fTr.rjW ■ //.rr/.
%-' ' ; ^ v/
%, B !:--= !-i|
_ . \,<U'.' ' (T VI •
5 - %, 1 - '
Digitized by
Digitized'by
Digitized by
Stillt ffff
2Bod)ettfd)rift
für
Xitcraiur, Hunji mtb öfßntltdjBö Xebm
$erau§gegeben
öon
^^.cop^iC JJoffing.
©iebeitunbfttnfeigfter 93attb.
(9h. 1—26.)
Berlin 1900.
SSertag bcr ©egenroart.
Digitized by
Google
Digitized by
Google
f
I ■
t
! ^Jtegißetr.
SiebettttttMttttfaigftct SBattfi.
1. l&Dlimäje unb rerijfBnjippmrrf) afüirfj* JÄutTä^t.
L ©eite
$eutfd)lanb im jmanjigften Sa^unbctt. bon ©buarb bon
§atimann .. 1
Sie befampfung bcr QingocS. bon ÄarlSBalcfer . . . . 83
3ur englifdjen befdjlagnabme beutfdjer Sdjiffe. bon granj
©i&enbarbt..84
Sad coloniale „Sdjarlacbfieber". bon ©uftab SReinetfe . . 49
Sie 3ufunft ©übafrifad. bon 2boma§Öcnfcbau . . . 65
f ©olonialjjolitifdje gragen. bon ©b. SSiecf.81
eine ©ontinentalunion. bon ©b. Siebter.. . 97
SBürttembergifdje barteiberbältniffe. bon [Rubolfßraufc . . 100
Sie neue SEBaarenbQudfteuer. bonOttogreiberrn bon boenigf 129
Bosnien unter öfterreidjifdjer bertoaltung. bon gr. ©untram
Sdjultbeifj. 181
gnteroention unb ©efiibldpolitif. bon Otto Urnfrib . . . . 145
Sie bereinigten Staaten, %apan unb bie [Philippinen. bon Ex-
pertus.161
Ser 2fadfteUungdf<bnnnbel. bon Otto greiberrn oon boentgf 177
Unsere bolfdbertreter unb bad grauenftubium. bon tRid^arb
SBulcfoto . . ...198
öanbeldpolitif unb Sßeltmadjt. bon 21. £>uman.209
[Rufrlanb in Elften, bon Sp. SlSmuffcn.225
Sie lex $einje unb bic bilbenben fünfte, bon ©uftab ©ber*
lein 230
Sie bobenreform in ben ©olonien. bon ©uftab Slroerboncf . 241
2lüerlei Socialreformen, bon ©. [R. ©bell.257
©rtedjenlanb feit bem Äriege. bon Qofefbecfmann . . . 273
Sad Sdjicffal ber lex f)einge. bon [RidjarÖ SSulcforo ... 321
Sie [Regelung bed Sludberfaufdroefend. bon Otto greiberrn
bon boentgf .. 369
Seutfcblanbd fiinftige $anbeldpolttif. bon $urt [ßaul 9Robr . 401
2 . IBaJunotlJienl'tfiapittfje«] Mebtnntftfjes unb (EedjntJtfjes.
Sie Xedjnif an ber S^^nbertmenbe. bon SStlbelmberbroro 8
©leftricität birect aud SBärme. bon ©uftab ©aft.51
2er är$tlid)e [Rotbftanb. bon Slipbond gulb ...... 148
©ntlarbte Spirttiften. bon [Rubolf Äleinpaul.150
Sad 3 a ^ enoer ^ tn % ber ©efcblecbter. bon ©buarbbon^art*
mann. 211
bon ber Sübpolar*©jpebition. bon ©eorg bon • •, • 227
Sie SSärme unb bie SRaffenattraction. bon ©uftab $. ©(jft . 291
SRealgpmnaftum unb SDfebicinftubium. bon ©. $nape . 4 . . 372
Unbenufcte fRaturfräfte. bon ©uftab £>. ©aft.373
Sad fReidjdfeudbengefep. bon Slipbond gulb ..385
Äalted fiid^t. bon ©uftab §. ©aft.403
3. Bermifdjte JRuffä^e.
\
29eltauSfteHung unb gubelja^r. bon SRarcud San bau . . . 4
^anb= unb 9ttafdjinenarbeit. bon b^uISrnft.17
p Ser ^reiöfad im lebten 3abrbunbert. bon 9?. ©prfin ... 19
|Sle Officiere unb ber 2ll!oljol. bon SS. bobe. 20
|$ie ©noeiterung ber Unfaflfürforge. bon benno $>ilfe . . . 35
jjjfft ba$ burenbeer eine SRilfy? bon Hoplites 67
pne Slfabemie für Socialroiffenfdjaften. -bon SSK bobe ... 84
Bad lehrt und ber burenfrieg? bon Hoplites.113
»eutfdje bolfdtradjten. bon bert^olb Süefftebt.115
■er galt SSetngart. bon [Ricbarb SSulcforo 163
©eite
. vcut
©ine [Reform ber bolfdfcbute. bon 2Raj -äRat).166
Sie bfpdjologie in ber focialen gorfdjung. bon ßarl SRoepel 179
blacat unb [Reclame. bon ©mil bitter .196
Ärupp unb Stumm, bon gran§ ©ifeen^arbt ..... 212
2lud bem 2lrbeiterleben in [Rufelanb. bon Äarl 9loe^el 243. 260
$>ad ©e^eimnife ber gro&en b^ rani ^ Oon ©i$efj. bon ßubtoig
S)ein5arb ..267
3ur beru^igung bed focialen ©etoiffend. bon Äarl $oefcel . 289
S)er Sanudfopf einer 2ludftanbdclaufel in ben bauöerträgen. bon
benno £ilfe .. 305
Stad preufjifdje Qa^unbert. bon Herbert gif^er . . . . 306
Sehren aud bem burenfrieg. bon Germanicus.337
£)fe SBobltbätigfeit im mobernen Sehen, bon $arl9?oejzel 338. 355
S)ie borbtlbung ber Officiere bed beutfc&en ^eered. bon grei«
banf. 353
bolfdljodjfdjuffarfe unb ^ocbfdjulttabagoglf. sß on 3Ray 2Raty . . 361
S)ie grauenbemegung unb bie S)ienftbotenfrage. bon ©lija
S^enbaeufer. 371
Ueberfefcung ber jübifd^cn ©ebeimfdbriften. bon Xljomad . - . 388
SHe ^ünftler-Siebelung in S)armftabt. bon SBilljelm bobe . 893
©in englifdjer ^ritifer ©otted. bon 9Rarcudßanbau . . . 406
4. ©ebitfjfe, BooeHen, Jeuifleton«.
3um Antritt bed neuen Safjrbunbertd. bon SStlbelm genfen 10
Qn ber 9?eujabrdnacbt. bon 2 inton 2 fdjed}ott>. 12
SSeibnacbtdibblle am dRobberriocr 1899. bon SSHIbelm Qenfen' 22
©in fcblecbted ©nb r . bon ©. SSürtbmann.26
S)er SSertoolf. bon ^llejanber bubif(btf<bcio. 43
S)er Streif in ber Sd^ule. bon ©mile 3*>la ...... 58
©ine begegnung. bon ©bgarSlllanbo*.75. 91
©in ganj fleiner [Roman, bon SS. ©arfd)in.108
2 lm ^aiferbenfmal; bon 3ubani9lbO'.123
£>er [Rebner. bon Slnton Sfdjedjon) .*.140
S)er ©affenljöuer. bon 9Rarf2main.155
S>ie befebrung. bon ©ut) be ÜRaupaffant.170
Uebereilung. bon [Robbty 3oned . ..188
Sammelnmtb. bon 9Rarf2main . ... . 204
beim brofeffor ber ©rabbologie. bon Äarl baull . . . ; 220
S)er SSurm. bon [Rubt)arb Äi^ling.234
2ie Uniform, bon 9lnton2fcbecbom.253
$obed Spiel, bon Souid ©ouperud 268. 283. 299. 316.
332. 345. 362. 381
©ine [Reifebilb aud bem ruffifdjen Sitauen. bon Sofef Stulln 395
Cum infamia. bon ©ugen gordmann.409
Slud ber ^auptftabt. bon Caliban: 9Ränner bed oergangenen
gabrbunbertd 13. S)ie [Rotbbelfer 28. 2)ie Stummen bed
Seraild 44. S)ie oorübergebenbe ©rfebeinung 77. S)er ftarfe
Bermel 94. S)er SSonnegand ©nbe 109. SSilbelm ber gauft
156. Unfere liebe grau Oon 2Rilo 189. börlamentdbämmes
rung 205. $>ie abfteigenbe Sinie 221. S)ie gnteroention 235.
S)ie 3«funft auf bem SSaffer 270. börfen=3bbtt 285.
©ala^Oper 301. Star heilige $rieg 364. S)ie rotbe gauft 412.
— bon Simon b. 3 .: bolitifdjer gafeping 59. bon btimten
unb braunen 124. Ser ftarfe 9Rann 333. Ser hungrige
9Rann 396.
Digitized by v^.ooQle
*
SU c ß i ft e r.
©ette
AuS ber #auptftabt. ©on ©rin$ ©ogelfrei: glotten*Agitation
254. S)er jüngfte &racp 317. SBilpclmS ©afaüen 347.
— ©on Mile8 non gloriosus: Aucp eine glottenbebatte 141.
— ©on Nemo: Sölbner unb Solbaten 171.
5. Itferariftpe J&uffäpe*
a. GffapS.
*S)ic ©pifobe 3^[en. ©on Artpur ©olbfepmibt.23
*Änut $amfun. ©on Otto Stoefjl.37
2Bar Spafefpeare in Stallen? ©on gr. SBilp. Alt mann . . 55
Sdjillcrbiogtappien. ©on £arl ©gon Sanbpop.72
S)ie ©pilofoppie im neunzehnten Saprpunbert. ©on ©buarbbon
#artmann. 86
f Srte Sapanifdpe ßiteratur. ©on Gpr. ©apprip. 88
j ©ebolution bcr ßprif. ©on $anö ßeufc. 102
©ine poHänblftpe Dpm #rügers©iograppie. ©on 9KayA. ©efeU
fdjap.105
Sttepfipe ber grauenfeinb. ©on fteinriep 2Kepers©enfet) . . 117
Sur ©efdjtcpte bcr djriftlicpen Religion. ©on ©buarbbon£art*
mann. 133
Stpleiermacper unb bie mobeme Religion. ©on §einri<p9tteper:=
©enfep.184
^ ftunft unb SRoral. ©on A. v. H.• . . 198
^ ©abriele b’Annunzio unb fein ncucftc§ SBerf. ©on 9ttarcu$
Sanbau. 202
AuÄ gannp Semalb '8 Xagebucp. ©on Jpeoppil 8 oüing . . 215
SacpäuS auf allen Älrcpmeipen. ©on Robert 2Balbmüller=
5>uboc.232
$>a 8 ©mig*2Beiblicpe. ©on 9R. Xrepmann.248
3ur Sdjopenpauersßiteratur. ©on 3. 9Ä. bonSe&ut* • • • 263
$>a 8 junge Sttäbtpen in ber ßiteratur. ©on granj ©reef . . 277
3u ^eger 6 ßeben. ©on Dtto SMrffen.292
- Social=Aeftpettf. ©on Äarl SRoepel.314
©ine ©manctptrte. ©on $arl 3<V9uf<p . . . . ■ — . . 823
-Xolftoi '8 Stellung jur Jhtnfl. ©on ©Hipelm ©obe . . . . 829
©in „beutfdjer ©olboni". ©on Gurt^einricp.343
-®to(pträgli(pe3 $u Xolftoi '6 „ Auferftepung ©on §einricp
2Reper*©enfep.390
J ©in fatpolifeper Gr$äpler. ©on Martin ©reif.408
b. ©üpne unb ©üpnenfritif.
Speaterftattftif ..15
©on jmei $ofburgf<paufpielern. ©on Otto Stübben . ... 39
3ungfranfreidj auf ber ©üpne. ©on A. ©runnemann. . . 53
©rlnnerungen an ©iiparb Steerfcpmann. ©on $atparina 3 UeU
mann.. . 152
©rmete Sftobelli im ßefftngsXpcater.191
Au 3 ber SBiener £peatergef(pi(pte. ©on ©buarb bon ©am*
berg.. * .. 281. 296.
XaÜepranb als bramatifdjer Stoff, ©on ©ottlieb $)aum 357. 377
©üdblid auf bie fcpeaterfaifon.413
5>ramattfcpe Aufführungen: Otto ßangmann 2Bme (ß’Arronge) 15.
Ster Stugenbpof (Sfomronnef) 30. Ster ©telgeprüfte (©teper-
görfter) 30. S)a8 beutfepe 3aprpunbert (Weimar) 45. ßorb
Ouef (©inero) 46. ^ie Sterne bon SKayim (gepbeau) 46.
Steö ©ärcnfell (^abelburg) 79. gaftnaebt Oaffe) 79. S)er
golbene ^äfig (©bMWO 7 9- ©thlwl unb 3 öu (^auptmann)
95. 3«9cnb bon heute (©rnft) 125. S)ie brei Xöd^ter be$
§errn S)upont (©rieuy) 126. S)a8 taufenbjährige Dieicp
(§albe) 143. £>er Athtet (©ahr) 144. S)er Gifenjahn (ßauff)
159. greilitht (©eide) 173. ©in Ateltergehelmnife (Verfall)
174. SBenn mir lobten ermaepen Öbfen) 190. SHe ^oepter
beö ©ra6mu6 (SBübenbrucp) 190. ©ebatter S:ob (lönig) 237.
SDer Äönig bon ©om (^forbten) 286. Ontel S^oni {ftaxU
€><tie
meiS) 318. S(pmarmgeifter (SBeitbrecpt) 319. ßuigi GafareHi
(Scpmibt) 350. Äönig ^arleün (fiotpar) 350. Stanbpafte
Siebe (tfrufe) 414. gremblinge (^ßepolb) 414.
6 . BUtenbe Mnpe.
©ergangene unb jutünftige Äunft. ©ou ©uftab ©berlein . . 11
3urp unb Seceffton. ©on 3« korben.29
$unbert 3beutfeper Äunft. ©on Anton bon ©etner . 68
Sur Submig Änau^AuSftennng. ©on 3* korben.110
S)enhnal ober Stenhnünje? ©on SBlIpelm ©obe ..... 121
©eforrn ber ©ilbpaueret ©on ©milbonSpbom.13b
©in einfamer 3Raler. ©on 3- korben.172
Aubrep ©earb4Iep r ber ®7aler ber Sünbe. ©on ©ubolf Älein 180
3 ur ©eform ber ©Ubhaueret. ©on ©einpolb ©ega«, ©uftab
©berlein, 3Jlay Jünger.218
©egen ba$ 3Jtäcenatenthum. ©on ©buarb bon ©iaper ... 218
S)ie Seceffton in SBien. ©on OttoStoepI.245
Auguft ©ei(penöperger unb bie äunfi. ©on Submig tfolping 310
S)ie franjöftftpe Malerei auf ber ©arifer SBeltauSftellung. ©on
A. ©runnemann.327
©on ben großen ©erliner Sommer *Äunftau8ftettungen. ©on 3-
korben. 335. 349. 398
2)ie auSIänbifcpen Äünftler auf ber SBeltauSfiellung. ©on
A. ©runnemann.404
7. Mupfu
Gdctle ©huutinabe. ©on ^ebmig bon grieblaenber*Abe( . 24
Opemftatifti!.61
©uccini unb feine neue Oper „Xo3ca\ ©on ©mil 3Rauerhbf 135
SRellie 3)telba unb ber ©oloraturgefang. ©on ^ebmigbongriebs
Iaenber=Abel.168
£>an8 ©fipner unb ©i(parb Straufc. 206
Oberon^ Seben4f(picffale. ©on SBUpelm ^leefelb .... 342
S)ie ©etge afö moberneS Soloinftrument. ©on #ebmig bon
grieblaenbersAbel.Ö75
Opern unb Operetten: Äönig S)roffelbart (Äulenfampff) 61. dlaU
bolb (©erfer) 61. 9Mni(pe (fteuberger) 62. S)er ©ärenhäuter
(SRenbelSfopn) 157. Äain (b'Albert) 158. S)er ©ärenpäuter
(S. SBagner) 206. SXe ^eiratpSluftigen (3Reper=§eßmtinb)
223.
8. Bottjen.
©ilp 238. ©ifepoff 415. ©obe 47. ©op*©b 81. Junger 367.
©ber$ 127. Girier 175. gebern228. greife 238. gucp«239. ©au«e31.
©emmel 174. ©pftrom 867. £eibenftam. 867. ©effe 303. $off« 31.
§ucp 288. ®ülf4berein 367. 3ucobom«fi 127. Knauer 175. fiöfter 174.
Äreuper 415. Äürfcpner 308. Sienparb 819. ßobe 399. SRaffon 68 .
2Jtaurel80. 3Jteper351. ÜWultatuli 238. 9?orbenfban415. Oertmannl75.
©enjler 127. ©er! 803. ^eterfen 159. ©iper 286. ©ofepinger 159. 286.
©iemann 127. Salomon 63. Stpiff 239. Stplippenbacp 68. Stpmibt 223.
Scpnebermann 63. £poma$ 207. Unolb 174. 166, SBattner 127.
SBebetinb 175. SBerdmeifler 351. Sabel 63. 3ola 228.
9. Bflfm Briefe unb JUtfroorteru
BiotpmalS bie w beliebtefte beutfepe Scpriftftellerin". ©on ©l^putb
5Buldom 47. ßorb fßalmerfton über bie militäriftpe Scproätpe ©ng«=
Ianb4. ©on Äarl SBalder 62. ©buarb b. ^artmann unb bie „2ime$*.
©on Dr. Gar! ©eter§ 126. ©eorg ©üepner unb feine ©rüber, ©on
Alejc ©ü(pner 143. „3)er Uebermenftp" unb ba4 „©migsA&eiblitpe*.
©on ©rof. ©aul ^eim 174. 9?ocpmal3 bie beliriftpen S)tcpter. ©on
9ü(parb Scpmibt-Gabani6 207. Scplupmort jur ©eform ber ©Ub^
pauerei. ©on G. ©eUrner 287. 9tocp einmal ber „Uebermenftp".
©on Auguft Äörte 350. gannp ßemalb unb bie grauenbemegung.
©on Sparte Stritt 389. 3 u t S)ienftbotenfrage. ©on Älara ßep'
mann 414.
Digitized by v^.ooQle
’gSerCht, ben 6. gkmuar 1900.
29. Jahrgang.
Band 57.
J» i."
Pie #egemunrt
2öoc^eufc^rift für Siteratur, tunft unb öffentliche^ geben.
^emusgegeßen tum £o£tfng.
Jenen fmmaleiür erfdietnt etne pmnn.
#11 bestehen bntdh alle ©w$f)anbIunQen unb ^ofittmter.
Setlag bei Oegenmart in Berlin W, 57.
Iterteltnwim 4 flü 50 Vf- «ne monier 60 #f.
Snferate jebet Utt pro 3 gehaltene fctttseüe 80
®eutfd)Ianb im gnmngtgften Qa^unbert. SSon (Sbuarb t>on §artmann. — SBeltauSftellung unb Qubelja^r. ®on SKatcuS
C CI Sanbau. — $ie Xeajnlf an ber 3aWunbertiuenbe. SSon 3ngenieur AHIffelntSöerbrotö. — Siteratur unb ftnuft. ftum
Antritt beS neuen 3<djtfjunbert3._ 33on 3SiI§eIm^3cnfen.—^ergangene unb^gufünftige Jhinft. SBon^rofeffor ©uftab @bers
lein. — §euU(eton. 3n bei* 9?eujaljr8na<j£)t. 2$on Anton Sfcbedjoro. — Au$ ber $auptftabt.
3a^r§unbert8. Son Caliban. — $>ramatifcf)e Aufführungen. — Angeigen.
Dinner be$ vergangenen
5Deutfd)lanb im jwflttjujflett 3a^ri)tinbert.
§8on (Ebnarb non Fjartmann.
SEBir (Deutfdjen leben ber Hoffnung, baff unfer Sßater*
Ianb neben ben (Bereinigten «Staaten, Nufelanb unb ©nglanb
fict) bie Stellung als uierte Söeltgrojsmacht werbe erringen
unb behaupten fönnen; eS ift aber eine feljr ernfte grage,
ob biefe Hoffnung nicht auf ißuforifdjen (BorauSfehungen ru|t.
SBenn ber beutfdje (Boben nicht mehr als 42 SNißionen er«
nähren tann unb fcfjon jefct 14 Millionen öon eingeführten
Nahrungsmitteln (eben muffen, fo mürbe bie ©infuhr öon
Nahrungsmitteln fich öeröieifachen muffen, menn bie (Be*
DölferungSjunahme im bisherigen (Berhältnifj meiter gehen fofl.
SBomit foß aber biefe ©infuhr begaf|lt merben? (Doch nur mit
Snbuftriijprobucten, beren (Berfäuflichfeit baöon abhängt, baff
wir einen ermeiterten, aufnahmewißigen 3lbfaftmarft finben.
SEBo aber fott biefer SNarft hertotnmen, menn Die Strömung
ber 3eit bahin geht, unS fogar bie bisherigen SNärfte immer
mehr gu öerfchltefeett, menn bie brei größeren SBeltgrofjmächte
fnh als brei gcfchloffene SßirthfchaftSgebiete conftituiren unb
ihre Uebermacht auch für ben SEettbemerb um bie noch übrig
bleibenben (£f)eile ber ©rbe rüdfid)tS(oS auSbeuten, menn Nufj*
lanb Norb* unb SNittelafien, bie (Bereinigten Staaten Süb«
unb aWittelamerifa, ©nglanb Sübafien, Sluftralien unb einen
großen (Dheil öon Slfrifa für fich mit (Befdjlag belegt? SEBoher
foflen bie eingufüljrenben Nahrungsmittel genommen merben,
wenn bie jefcigen (BegugSqucßett burch ben (BeöölferungSguwachS
an ber ©rgeugungöfteßc öerfiegt finb unb bie eiferfüd)tigen
Nebenbuhler unS burch ©etreibeauöfuhrgöfle auShungem woflen?
Unb rooher foß bann bie Snbufirte bie tropifchen unb fub=
tropifchen Nohftoffe nehmen, bie fie gur ©rgeugung ihrer
SBaaren braucht unb ohne bie ihre 9J?afd)inen gum Stiflftanb
unb ihre Arbeiter gum feungertobe öerurtheilt finb? SBäre
eS nicht bie fchmerfte (Däufcf)ung, gu glauben, baff bie beutfchen
©olonien in Ülfrifa, in ©hina unb in ber Sübfee auch nur
annähernb auSreichen fönnten, bie nötigen Nahrungsmittel
unb gabrifationSrohftoffe für ein ©roffmachtSöolf gu liefern,
ober baff bie ©ngtänber, Nuffen unb Slmeritaner unS gut»
toiflig im (8efi$ biefer ©olonien laffen mürben, fobalb fie auch
nur annähernb biefem 3töecfe entfprächen? SBirb ba nicht
(Deutfcfjlanb genöthigt fein, entroeber mie granfreid) auf roeitere
SBolSöermehrung gu öergid)ten, ober feinen Ueberfcfju^ als
©ulturbünger an engtifd) rebenbe ober flaöifche Staaten ab*
gugeben, mie eS ihn in ber (BölferWanberung an romanifche
Staaten üerloren hot? SEBirb eS nicht ebeiifo mie ffranfreiefj
unb Cefterreich gum SNittelftaat herobfinfen unb genöthigt
fein, befcheiben ein befcfjaulidjeS SEßinfelbafein ju führen, etma
mie je^t bie ffunbinaöifchen Sänber?
(Die griebenSträumer unb §umanitätSgläubigen merben
folche Sdhred6ilbet öerlachen; mer aber nüchtern bie Sehren
ber ©efdjichte beherzigt, mirb bie ©röfee unb Nähe biefer ©e*
fahren ju mürbigeit miffen. SBenn baS SNittelalter haupt»
fäihlich Sel)nSfriege führte unb mit ber überfpannten (ßh an=
taftif ber Sreujjüge fd)lo|, njenn im 17. Sahrhunbert bie
NeligionSfrtege, im 18. bie ©abinetSfriege um ©rbfolge»
ftreitigfeiten, im 19. bie (Bolföfriege auf ©runb beS Natio«
natitätSprincipS öorherrfchten, fo jeigt fchon baS ©nbe biefeS
SahrhunbertS, bafe mir in eine (ßeriobe eintreten, mo bie Kriege
um ©olonialbefih unb (panbelsintereffen geführt mertüCuhb
bafe babei an bie Steße biplomatifcher Nänfe unb iftfMonaler
(Naffeninftincte bie rüdfidjtSlofe (Brutalität eine#' corrnpten
SobberthumS getreten ift, meldjeS bie (eitenben Staatsmänner
in fein Sntereffe ju jiehen unb bie öffentlidbe SNeinuifg burc)
feine (ßreffe ju fabrijiren öerfteht. (Drifft tau gar bie^Nadjj^'
folcher (Börfenfpieler mit bem ©Epanfionarielv unb beh‘®r*
oberungSfucht ber (Beöölferung jufammei ' ban\ DcrhhJjt bie
Stimme ber ©eredftigfeit, (Bifligfeit, Niiifchlidjfeit, ruhigen
(Bernunft unb meitblicfenben ÜJ?äßigung ungehört, unb ber
Starte ftür^t fid) räuberifd) auf ben SdinÄWttgJber auf ben,
ben er für fd)roach hält unb ungeftraft auSpluMIffn ju fönnen
glaubt. (DiefeS Schicffal, öom Stärferen beraubt ju merben,
fteljt unweigerlich Q ß en Ä'leinftaaten unb ÜWittelftaaten beöor,
menn fie noch im (Befifc öon ©olonien finb, meldje bie ^>ab*
gier öon UBettgrojjmächten reifen. (Bei biefem ungenirten
3ugteifen hat Nufelanb noch ftets ben §o<hmuth beS afiatifd)en
(Defpoten, ?lmerifa baS Nombiethurn beS projjigen ©mpor*
föihmlingS, ©nglanb bie Scheinheiligfeit beS frömmelnben
§eud)lerS, granfreid) bie ©rimaffen beS fanfaron unb poltron
jur Schau getragen, unb fie merben aud) mohl ferner ihren’
©emohnheiten treu bleiben.
SBenn Deutfdjlanb, obmohl gu Sanbe eine europäifche
®ro§mad)t, hoch gut Sec ein Äleinftaat bleibt, fo merben
früher ober fpäter feine ©olonien biefem Schicffal aßer kleinen
nid)t entgehen, fobalb ihr (Befift für ©nglanb ober Sämerifa
münfchenSroerth erfcheint. (Denn beibe Staaten finb für unS
unangreifbar, nnb unfere ©olonien fönnen mir gegen fie nicht
öertheibigen, fo lange ihre flotte ber unferigen überlegen ift
. unb mir bloß auf unfere eigene Straft angemiefen finb. Nufj*
Digitized by v^.ooQle
2
Nr. 1.
Die (Sttgenwart.
3 /
lanb bagegen, beffen ©renje unserem Angriff offen liegt, wirb
bei feiner Kolonialpolitif immer ju einer gewiffen Nüdficßt
gegen ®eutfcßlanb genötigt fein. Wie feßr Wir unS aueß
anftrengen, fo fönnen wir bod) nid)t hoffen, eine Kriegsflotte
31 t erlangen, bie allein ber englifdjen ober ber fünftigen ameri»
fanifcfjen geWacßfen wäre, weil beibe Sänber reicßet unb
günftiger gelegen finb, größere Küftenentwidelung ßaben nnb
nicht genötigt finb, ißre Kräfte auf eine glotte U1, b ein
großes Sanbßeer ju jerfplittern.
Der biebere greifinn finbet, baß ber beutfeße ^anbel ficß
ganz woßl babei befunben ßat, als er Don ben ©rofgnäcßten
nur bittweife gebulbet würbe unb fid) allerlei gußtritte ge»
fallen taffen mußte; er ßätte es für beffer gehalten, biefen
3uftanb jn DereWigen, als ficß eine Keine Kriegsflotte unb
(Kolonien jujulegen, welche bod) nur unbefcßüßbare Angriffs»
objecte unb oerwunbbare fünfte barbieten. (Ir uergißt nur,
baß er bann aud) bie ftaatlicße gerriffenßeit unb SDßnmacßt
©eutfcßlanbS ßätte Derewigen muffen, welche bie ©orauSfcßung
für bie gnäbigc ®ulbung beS beutfdjen ^anbelS bilbeten. (Sr
Dergißt ferner, baß felbft beigortbauer ber ftaatlidjen gerriffen»
ßeit unb Dßnmacßt biefe Deräcßtlicße 2)ulbung ein (Snbe ge»
nommen ßätte, fobalb ber beutfeße Hanbel fid) als gefäfjrlidfer
Nebenbuhler entpuppte, unb baß ber bisherige gortbeftanb
beffetben naeß biefer (Snthüllung boch auSfcßliefeltd) bem 9ln«
fehen «DeutfdßlanbS als europäifdjer ©roßinadjt unb feiner, wenn
auch Keinen Kriegsflotte ju banfen ift. (SS ift immerhin ein
Unterfdjieb, ob ein Sßolf freiwillig auS bebientenhaftem Klein« *
mutß auf feine WeltfteEung unb feine ganze 3 u f u,l f t üer=
jit^tet, ober ob eS WenigftenS ben ©erfueß mad)t, zu retten,
waS eS 311 retten bermag, mag immerhin ber ©erfueß miß«
tingen. ©rabe bie neuerliche Stnerfennung ber mannigjadjeu
lleberlegenßeit beS ®eutfdjen bureß feine (Soncurrenten, bie
an bie ©teile ber früheren ©eringfcßäjjung getreten ift, follte
unS bie 3 utoer ficßt geben, baß ber Wettbewerb für uns feines«
wegS auSficßtSloS ift, wenn wir nur unfere ganzen Kräfte
einfeßen.
©eutfeßlanb fann Don feinem eigenen ©oben erßeblicß
mehr N?enfd)en ernähren als jeßt. gunäcßft harren noeß be«
beutenbe Deblänbereieit (ÜJfoore unb §aiben) ber (Sultibirung;
ber Dbft* unb ©emüfebau, bie SNileßwirtßfcßaft, bie'©efliiget«
jueßt unb bie Hodjfeefifcßcrci ift nod) einer bebeutenben
Steigerung .fähig unb ber bereits in Senußung genommene
©oben fann bei capitalintenfioerer unb arbeitsintenfioerer ©e«
wirthfeßaftung Diel höhere (Srträgc bringen, ©egenwärtig feßlt
nur baS Kapital Ju eingreifenben ?lme(iorationen, weil ber
£>ßp£»rt)efencrebif fiii unprobuctiDe .gwede (Srbtßeilung, Neft*
faufgclbcr unb Kottfolibirung perföntießer ©cßulben) bereits
iiberanftrengti ift; cienfo feßlcn im Dften bie ÜtrbeitSfräfte
ju arbeitSintenfioere/©cwirtßfcßaftung, weil ein SNißoerßältniß
jwifeßen ©rpß» unb Klcinbefiß b.efteßt. ©obalb ber £>ßpo=
tßefencrcbit etuf-SIlmeliorationcn eingefeßränft wirb unb bie
Wieberanfiebelung Don Säuern einen genügenben Umfang
erreicht, müffen beibe Uebclftänbe feßwinben.*) Wenn bie
bicßlofe 2 anbwirtßfd)aft mit bloßer SNineralbünguitg unb
fßflanjenbiingung bureßbringt unb ftatt ber ©obcnprobucte
©ieß unb gefrorenes gleifd) eingefüßrt wirb, fo fönnen Don
bemfelben ©oben, ber jeßt ber ©ießjud)t bient, Diel meßr
SNenfcßen leben. $)ie Kßemie ßat baS Problem ber ©pirituS«
bereitung auS ©flanjenfafern (Holzabfäflen, ©troß u. bcrgl.)
bereits gelöft unb ift naße baran, aud) baS ber ßudergewinnung
auS foteßen billigen Noßftoffen zu (Öfen; fobalb bie ©pirituS*
unb ßuderinbuftrie feine Nüben unb Kartoffeln meßr braueßt,
Wirb wicberunt eine große ©obenflädje für bie Srnäßrung
Don SJfcnfdjenjuwacßS Dcrfügbar. $)ie Snbuftrie ber (Siweiß*
ftoffe, bie auS tßierifdjen Abfällen ober pflanzlichen Materialien
gewonnen Werben, ftedt jeßt noeß in ißren Anfängen, Wirb
*) 3Sg(. meine „Socialen Kernfragen" D I. „Tic SSobenfrage",
D II. „Die SBcuölfermigifragc". 3. 440—571. 340—.ICO.
aber in Kurzem ber ©olfSernäßrung neue Hilfsquellen et«
öffnen unb bie (Sinfußr Don (Siweißnaßrung jum (Srfaß felbft« ,
gezogenen ©ießeS feßr erleichtern. 9Wan braueßt -nicht erft
an etwaige fünftige fpntßetifcßc NaßrungSmittelprobuction aus
Koßle, Waffcr unb atmofpßärifeßem ©tidftoff zu benfen, um
fieß zu überzeugen, baß in ßunbert Saßren eine (Srnäßrung
größerer SNenfcßenmaffen als ßeute Don bemfelben ©oben
möglich fein wirb.
Wäßrenb bie beutfdje 9luSfußr in ben leßten üKenfcßen«
altern ißrer abfoluten ©röße naeß beftänbig geftiegen ift, ift
fieißrer relatiDen ©röße naeß gefallen; b. ß. ein immer fteinerer
‘Jßeil unferer nationalen ©robuction wirb auSgefüßrt, ein
immer größerer Ußeit wirb im Sntanbe Derbraucßt. diejenige
Sinfußr, bie Wir mit auSgefüßrten ©robucten bejahten, ift
abfolut genommen im Waffen, aber relatiü im Slbneßmen
(uon 100 auf einige 70 ©rocent), weit biejenige Sinfußr, bie
wir mit ben (Srträgen üon Kapitalien auSlänbifcßer Anlage
bezahlen, immer meßr jugenommen ßat (bon 0 auf einige
20 ©roccnt). (SS läßt fid) ein 3 u ftonb benfen, in welcßem
bet größte Xßeil ber Sinfußr bureß auSlänbifcße 3inSgutßaben
unb ©ewinnantßeile beglichen wirb unb nur ein geringer
©ebarf für 9luSfußr übrig bleibt. Snimerßin wäre cS irrtßümlicß,
barauS, baß bie 9(uSfußr unter Umftänben entbeßrlicß werben
fann, barauf ju fdjlicßcn, baß aueß bie Sinfußr eS werben
fönne; bielmeßr bleibt eine wadjfcnbc Sinfußr üon NaßrungS*
mittein unb Noßftoffen ttncittbeßrlicß unb bamit bleibt aueß
ber 3 1DC iffl befteßen, wie wir unS beim joOpolitifcßcn 9lb*
feßluß ber bvei erften Weltgroßmädjte bie ©ejugSquellen für
bie uuentbeßrlicße Sinfußr unb ben Ülbfaßmarft für einen
Ußcil unferer Snbuftrieprobucte fießern foBen.
?ln Solonialprobucten werben bie bereits in unferem
Scfiß befinblid)en Kolonien mit ber 3 e >( boeß feßon eine ganj
beträdjtlidje Menge liefern fönnen; cbenfo werben fie unferen
©ebarf an ©ieß, gleifcß unb tßierifeßen ©robucten jum
guten 'Jßcil beefen fönnen. SS ift nießt auSgefcßloffen, baß
wir biefen Kolonialbefiß bei giinftiger ©elegenßeit in ebenfo
frieb(id)er Weife erweitern, wie Wir ißn erlangt ßaben. WaS
wir auS eigenen Kolonien cinfüßren, fönnen wir aueß mit
eigenen Snbuftrieprobucten bezahlen; um biefen ©etrag muß
fid) alfo ber ©ebarf naeß frembftaatlicßen Ütbfaßmärften Der«
minbetn. Smmerßin ift jujugeben, baß bie Kolonien, bie wir
befißen unb etwa noeß ju erwerben ßoffeit bürfen, in feiner
Weife auSrcicßen, um ein gefcßtoffeneS WirtßfdjaftSgebiet ßer*
fteEen ju fönnen. Namentlich feßlt in ißnen eine auSreicßenbe
©etreibcerzeugung, unb ba baS europäifeße Nüßlanb, Norb*
amerifa, Sgppten unb Oftinbien in 10 bis 20 Saßren nießt
meßr in ber Sage fein werben, erßebtidje ©etreibeüberfcßiiffc
abzugeben, fo müffen wir unS üot aüen Gingen naeß neuen
KornbezugSqueBen umfeßen. ©olcße bürften in erfter Neiße
in ©übamerifa, ber afiatifdjen Jürfei unb ©übfibirien ju
fudjen fein. SS finb in biefen Weiten Sanbftricßen noeß
©obenfcßäße z i > heben, bie für ben 3 ultia ^ ber Kultur«
menfcßßeit auf meßr als ein Saßrßunbert auSreidjen bürften,
unb auf weiter ßinauS braueßen wir unS woßl nießt ben Kopf
mit ©orgen z» zerbreeßen. ®ic grage ift nur: wer biefe
©obenfcßäße ßeben wirb.
Sn ©übamerifa mifeßt fid) italienifcße, fpanifdße, beutfeße
unb polnifcße 9luSwanberung auf baS ©untefte; afle biefe
9(uSwanberer Derlieren nießt wie in Norbamerifa ißre Natio«
nalität, fonbern bewaßren fie, unb namentlidj bie Stalieucr
’ unb ©ölen fließen fid) in gefcßloffenen ©ruppen anzufiebeln.
®ic beutfd)cn Sinfieblcr überwogen bis 1860 bafelbft bie
©limine ber nicßtbeutfd)en, Derfeßwinben aber feitbem meßr
unb meßr gegen bie leideren, weil bie beutfeße 9luSwanberung
in ben lebten Sctßrzeßnten bureß bie giinftige Konjunctur in
ber Heimatß überhaupt inS ©toden geratßen ift. Wenn aber
bie ©eDölferungsfpanuung-Weiter junimmt, fo ift aueß wieber
eine glutß in ber beutfeßen SluSwanberung bei finfenber
inbuftrieBer Konjunctur zu erwarten, unb eS ift nießt unwaßr»
Digitized by v^. ooQie
Nr. 1.
Die Gbegenwart
3
fcpeinticp, bap ficf) bann aucp nacp ©übamerifa ein ftärferer
«Strom ergiept. ©S fie^t faft fo auS, als rooßte ficf) in ©üb»
amerifa ein neues ©Ijftem Don Nationalftaaten bilben, äpnlicp
roie in ©uropa, unb eS ift roopl anjunepmen, bap barunter
aucp beutle ©ebiete niept fehlen werben, unb bap bicfe aucp
opne jebe ftaatSredjtlicpe gufammengepörigfeit mit beut SNutter»
tanbe bodj gern engere £>anbelSbejiepungen mit ipm unter»
palten, werben.
©ine größere A6gabe beutfcper VolfSbeftanbtpeile nach
Sübftbirien wäre fepr ju bebauern. ®ie ©efdjicpte ber beutfdjen
©olonifation in Nuplanb jeigt, bap Nücfroanberung ober
Untergang fdjlieplicp immer baS ©nbe ift für. biejcnigen,
welche nicf)t gemißt finb, in bie ruffifcpe Nationalität auf»
jilgepen. dagegen bietet bie afiatifdje Uiirfci in ber Nidjtung
t^ep - tyeutfcpeit ©ifenbapnen eine treffliche ©elegenpeit für
beutfcpe Aderbaucolonien, bie nach Voflenbung beS VapunepeS
fchmerlich unbenupt bleiben mirb. ©eutfd)lanb hot im 19. Sapr«
hundert über 5 SNißionen AuSWanberer abgegeben; bemnach
würbe eS im 20. Saprpunbert über 12 1 /,, SNißionen abgeben
fönnen, ohne feine Vermehrung auf baS 3 roe > l,n b€inhalbfachc
ju beeinträchtigen, ©rcijepn SNißionen ©oloniftcn tönnen
aber fcpon etwas liefern für ben Vebarf beS SNutterlanbeS,
wenn fie fich auf geeignetem Voben anfiebeln.
SGBerben aber bie brei erften SBeltgropmäcpte ein folcpeS
Vorgehen ©eutfcplanbS butben unb feinen Ipaitbel ungeftört
laffen? 2J?it ben Vereinigten Staaten haben mir faum eine
Sntereffencoßifion ju fürsten, ©oüten folche in ber ©iibfec
eintreten, fo metben fie fiel; ebcufo gut frieblicp beilegen laffen,
wie ber ©treit um ©antoa. Sn ©uropa unb Afrifa haben
bie Vereinigten ©taaten feine Sntereffen waprjunepmen, in
Afien befchränfen fich biefelben auf bie Dftfüfte, mo ohnehin
fchon öier SNäcpte barauf angemiefen finb, fid) mit einander
ju oertragen. Nur menn 5)cutfcplanb Derfudjcn faßte, in
Amerifa ftaatSrecptlicp feften gup ju faffen, fönnte fid) barauS
ein ernftiieher ©onflict mit ben Vereinigten ©taaten ent»
micfeln. Sm Uebrigcn fönnen mir eher barauf red)ncit, im
gafl eines ©treiteS mit ©nglanb an ben Vereinigten ©taaten
einen Nüdpalt als einen ©egner jit finben.
NuplanbS Sntcreffenfphäre ift auf Dfteuropa unb Norb»
afien befchränft, bas feinem VetpätigungSbrange ein uuge»
heureS gelb eröffnet. ©S mürbe au ber ©übfüfte beS feproarjen
NfeereS, in Armenien unb Verfielt feinen ©oncurrcnten bul»
ben; aber ben {üblichen Xpeil ÄlcinafienS, ©prien unb SNefo»
potamien fann cS rupig ber roirtpfcpaftlicpen Ausbeutung
Anbeter überlaffen, um feine jhäftc oot afljugroper 3er=
fplitterung ju roahren. ©ofltc cS aber beutfepen SebenS»
intereffen in ben Sßeg treten auch ba, mo fie bie {einigen
niept freujen, fo muh eS beffen eingebenf bleiben, baff cS
einem Sanbangriff beS beutfepen NacpbarS offen liegt unb
nidjt mie ©nglanb unb Amerifa burep SNeere unb Cceanc
oon ipm getrennt ift. Se ftärfer 2)eutfcpfanb jur @ee mirb,
befto mertpoofler mirb feine VunbeSgenoffenfcpaft für Nup«
lanb gegen ©nglanb unb befto weniger mirb Nuplanb barait
benfen, ipm ben unentbehrlichen Antpeil an Aderbaucolonien
ju oerfagen.
®er einjige ©egner, ben unfere ©olonialauSbepnung unb
unfer ßolonialpanbel ju fürepten pat, ift fonaep ©nglanb.
Nun ift aber junäepft bie grage, ob ©nglanb ben ©ntfeplup,
fiep ben beutfepen ßoncurrenten grünblid) bom £>alfe ju
jepaffen, reeptj^tig fapt, fo lange fein labiles ©leidjgeroicpt als
5Beltgropmacpt noep beftept. SBenu eS baS tput, fo biirfen
mir barauf reepnen, bah int gegebenen gaße bie geittbe unfereS
©egnerS unfere VunbeSgcnoffen fein werben, unb baS um fo
fieperer, je gröber bie ©eemaept ift, bie mir aflein fepon gegen
©nglanb einjufepen paben. ®iefe geinbe ©nglanbS finb Nup«
lanb unb granfreiep. ©elingt 'c$, bie franjöfifcp»ruffifcp«
beutfdje SEriegSflotte ber englifepen gleich ju madpen, fo mirb
©nglanb fiep roopl hüten, biefen ®reibunb perauSjuforbern,
ba felbft fein ©ieg gur ©ee ben fieperen Verluft SnbienS in
folcpem gaße niept auSgleicpen fönnte. ©o bürfen mir benn
auep bie SNipgunft ©nglanbS mit rupigen Vlicfen betrachten,
menn mir nur fortfapren, unfere Nüftung jur ©ee ju Der«
ftärfen, roo^u mir ja auf bem beften SBege finb.
©S bleibt baS Vebenfen beftepen, bah ®eutfcplanb mit
unjureiepenben eigenen ßolonien unb angemiefen auf bie er«
gänjenbe 3 u f u P r aus ©iibamerifa unb ber afiatifepen Sürfei
fiep boep in einer fepr prefären Sage befinben mürbe im
Vergleich mit ben brei erften SBeltgrohmädjten, beren jebe
anS eigenem ©olonialbefip ipren ganjen Vebarf ju beefen
oermag. ©iefer Uebelftanb ift jugugeben; er mup aber pin«
genommen werben als eine golge ber 3erftücfclung ®eutfcp«
lanbS, bie eS ju fpät übermunben pat, um bei ber Speilung
ber ©rbe einen feiner ©röpe entfpredpenben Antpeil ju er»
langen. Aber mir bürfen barum niept oerjagen. ©epon
mepren fiep bie Anzeichen, bap ben abgefprengten ©liebem
beS ehemaligen NeicpeS in ber fcpuplofen ©elbftänbigfeit iprer
fleinftaatlidjen ©jiftenj bange mirb, unb bap fie fid) mit bem
©ebanfen einet politifepen unb mirtpfcpaftlicpen Anlepnung
an bie beutfepe ©ropmaept befepäftigen.
Nacpbem bie tpöriepte AnnejionSfurcpt ber 70er Sapre
in £>oßanb gemiepen ift, pat man bort mit ©epreden mapr«
genommen, wie furjen ^Srocep Amerifa mit ben fpanifepen
ßolonien gemalt pat, unb mie liebreiep unb milbe ©nglanb
gegen bie ftammDermanbten ©laubenSgenoffen in ©übafrifa
Dorgept. SNan roeip ganj genau, bap man bie poflänbifepen
ßolonien gegen ben räuberifdjen ©riff einer SBeltgropmacpt
noep Weniger ju fepüpen üermag als ©panien bie feinigen.
®er ®ortmunb»©mScana(, ber in Sfurjem ju einem Npein*
| ©mScanal Derooßftänbigt Werben Wirb, unb leicpt für bie
gröpten gaprjeuge benupbar gemaept werben fann, füprt ben
|)oßänbcrn oor Augen, mie leicpt ®eutfcplanb feinen Npein»
ocrfep'r nad) ber @mS ablenfen unb burep 3°öfcpranfen Don
ber Npeinmünbung abfepneiben fann, womit bann §oflanb
bie |)auptqueße feines SBoplftanbeS abgegraben Wäre, ©ben
fo gut roeip man, bap bie Kräfte eines SleinftaateS niept aus»
reiepen, um fo bebeutenbe ßolonien wie Sana unb bie
Nacpbarinfeln uoß auSjunüpen, bap eS bafür beS guffuffeö
oon ßapital unb ArbeitSfräften aus einem gröperen Vor«
ratpsbepälter bebürfte. Afle jene ©efapren liepen fiep ab«
roenben unb aße biefe Vortpeile fiep erlangen, Wenn §oßanb
ein ©cpup» unb Urupbünbnip unb eine 3°öeinigung mit
3 oflparlament oon ®eutfd)lanb naepfu^te, alfo in ein äpn»
licpeS Verpättnip jum Neicpe träte, mie bie fübbeutfepett
©taaten Doitl866—1870 jum Norbbeutfcpen Vunbe. ®eutfcp«
lanb mirb fid)erlicp Nid)tS tpun, ipm folcpen ©ittf^lup auf»
Subrängen, fonbern fann abmarten, bis er fiep Don felbft
burd) bie Sogif ber Spatfadjen in ben köpfen ber fioflänber
Vapn brid)t. S)ap burep folipcn 3 u fammenfcplup bie ©rop»
madjtfteßung ®eutfcplanbS ebenfo gewinnen mürbe mie feine
©eegeltung unb fein coloniales SSirtpfcpaftSgebiet, ift un«
jmeifelpaft; aber ein fid) felbft genügendes SBirtpfcpaftSgebiet
mürbe aud) bamit noep nid)t erreicht werben.
®ie gröpte europäifepe grage beS näcpften SaprpunbertS
bietet, nacpbem bie europäifepe Uürfei auf ein SNinimum re«
bucirt ift, Defterreicp bar. ©S giebt VP ailt aften, bie eS für
®eutfcplanbS Aufgabe palten, Oefterrekp«Ungarn unb baS
türfifepe Neicp beiber ©rbtpeile mit ben ©cpwerte ju erobern,
unb baöei Dergeffen, bap eS weit fcpwerer ift, ju erpalten unb
ju oermalten als ju erobern, unb bap Dom Vöpmerroalb bis
jum fepmarjen SNeere ju einer mepr als fporabifepen ßolo«
nifation gegenwärtig gar fein V^ a P mepr ift. ©d)on be«
fdpeibener ift ber fleine Ueberreft bereinftigen „©ropbeutfepen",
bie btit AuSfdplup ber $)eutfcpöfterreicper Dom neuen ®eutfcpen
Neicpe niept uerfepmerjen fönnen unb üerlangen, bap ®eutfcp=
lanb Defterreicp mit ©eWalt jertrümmern unb bie epemalS
jum beutfepen Vnnbe gehörigen V r °öinjen erobern foße.
Sie weifen barauf pin, bap mir opne einen SNittelmeerpafen
feine geograppifepe VafiS für bie mirtpfd)aftlid)e ©rfcpliepung
Digitized by v^. ooQie
A
4
Die Gegenwart.
Nr. 1.
Sleinafieng unb Sprieng fjabcn. ©ie Oerfennen aber, bajj
e8 eine Sluglieferung ber beutfehen Politif an Nom wäre,
»nenn ein neuer fathotifdfjer Sunbegftaat in bag Sfteic^ unb
eine weitere ftarfe ©ruppe fatholifcfjer Slbgeorbneter in ben
Neidjgtag einzöge. SGSir fjaben an ber jegigen Sentrumg*
herrfehaft im Neidjötag unb in Papern einen genßgenben
Porgefcljmacf beffen, wag wir bann p erwarten hätten, ©o
lange nidjt ®eutfehöfterreich ein paritätifdher ©taat wirb, fo
lange bie „Sog oon Nom"*Bewegung nicht wenigfteng bie
größere $älfte feiner Petoohner oon bem Sinflufe ber römi*
fdjen priefter befreit, fo lange üerbietet ung unfere ©elbft*
erhaltunggpftidht, $)eutfdföfterreicf) in bie beutfefje 9?etc^SOer*
faffung alg gleich berecffeigteg ®lieb aufpnehmen, fo lange
lann immer nur oon einer loferen Perbinbung mit ihr bie
Nebe fein.
3u einer folgen bebarf eg aber buregaug nicht noth*
Wenbig eineg firiegeg. ©dhon Pigmard hatte gewünfeht, bag
Pünbnifj jwifdhen S)eutfcf|lanb unb Defterreich ber ©anction
ber Parlamente ju unterbreiten unb womöglich oerfaffungg*
mäfjig feftjulegen. ®er beutfeh*öfterreichifehe poft» unb
JelegraphenOerbanb zeigt, bafj eine engere wirthfefjaftliche
Perbinbung auch °h ne ftaatliche ©erfchmeljung möglich ift.
SBir fönnen nicht ahnen, Wie rafeh unb big ju welchem
fünfte bie centrifugalen Senbenjen in Defterreid) führen
Werben, wann ber ©uatigmug in Sßerfonalunion unb biefe in
©ecunbogenitur ober in Spaltung ber ®pnaftie umfchlagen
wirb, ob nicht ein Pürgerfrieg unter ben Nationalitäten fehon
halb nach bem Jobe beg jegigen Äaiferg augbrechen wirb,
unb welche neuen Pilbungen aug einem foldjen heröorgehen
mögen. SEBir fötjnen nur wünfehen, bafj eine öfterreic^ifcfje
Sataftrophe, falls fie unabWenbbar ift, nid)t fo halb eintreten
möge, bamit wir big bahin noch mehr ßeit unb Nithe haben,
unfere Äraft ju fammeln unb ung in bie Neichgüerfaffung
einzuleben.
®g fann ja fein, bafj bie ehemalg pm ©eutfdjen Punbe
gehörigen weftlichen $h e ‘f e Defterreidjg fich in friedlicher Slug»
einanberfegung Oon ben öfttidjen trennen unb bann eine
engere ftaatgrechtliche Perbinbung mit bem®eutfef)en SReiche nach*
fud)en; eg fann aber auch fein, bafe biefe $h e ü e fich nad) beenbetem
Pürgetfriege alg felbftänbigeg ©taatgwefen conftituiren unb
Stnfehlufj bei ung fuchen. gür folche gäHe fönnen wir ung
nicht oerfagen, muffen oietmehr bereit fein, einen etwaigen
Pranb im Nachbarhaufe rafcher löfchen p Reifen. 2)urd)
ein oerfaffunggmäfjigeg Schuh* unb Jrugbünbnifj mit ®eutfcf)=
öfterreidh, burch Sintritt beffelben in ben beutfehen ßoQoerein
unb burd) eine SNilitär» unb 3Jiarine»Sonoention würben wir
für ben §anbel mit bem Dftufer beg SNittelmeerg biefelben
Portheile erlangen Wie burd) OöIIige Sinoerleibung; bagegen
Würben wir allen ben ©chwierigfeiten entgehen, bie mit ber
festeren oerfnüpft wären. Sin freunbfehaftlicheg Punbegoer*
hältnife mit Ungarn würbe um fo fixerer fortbeftehen, je
grünblicher bie Sinflfiffe ber weftlichen Nei^ghälfte auf Un*
garn befeitigt wären.
®afj 2)eutfehlanb in engerer ftaatgre^tli^er 3ufammen*
gehörigfeit mit Jpollanb unb ®eutfchöfterreid) erft red)t eine
©rojjmadjt barfteUen Würbe, bürfte in ben Nacffearftaaten
fo Wenig bezweifelt werben, bafj bie Neigung energifd) fjeroor*
treten Wirb, eine folche bebenflidje SNacljterweiterung p Oer*
hinbern. £)b biefer SBunfdj aber fich in friegerifche Jhoten
umfegt, bag wirb hoch noch fehr baoon abhängen, welche
militärifehe ©tärfe ®eutfdf)lanb in jenem ßeitpunft im 23er*
Ijältnifj ju bet feiner Nachbarn aufpweifen haben wirb. ®ag
Königreich preufjen hot big jegt Perioben oon einigen fünfzig
Sahten für fein Singreifen in bie ©efdjidjte innegehalten:
1704, 1756, 1813, 1866. 3 toe i fnappe SNenfdjenalter haben
ftetg genügt p einer Polfgoermehrung unb Äraftanfammlung,
bie eg neuen, größeren Aufgaben gegenüber leiftunggfähig
machte. Stwa um bag 3ai)t 1920 würbe biefe Periobe
Wicberum p Snbe fein. ®eutfd)tanb wirb bann etwa bie
hoppelte Sinwohnerpfd hoben wie 1870 bei Peginn beg
franjöfifchen Ätiegeg unb fein SBoljtftanb wirb in noch
rafeherer progreffion gemachten fein. Sg bürfte bann wohl
in ber Sage fein, etwaige Sinfprüdje ber Nachbarn gegen bag
©elbftbeftimmunggrecht ber beutfehen Stämme mit Nachbrwcf
pritefpweifen. 2)efjholb bürfen wir aber auch feinegfaHS
über bem Slugbau ber Srieggftotte bie Pflege beg Sanbljeerg
unb feinen gortfdjritt nach HRaafjgabe ber Polfgoermehrung
aug ben Slugen oerlieren.
Solche Pünbniffe unb Singlieberungen ber 3ufunft mögen
geeignet fein, auch folche ©emüther ju beruhigen, bie an ein
fortoauernbeg Slnwachfen ber 58eoölferungggiffer im nächften
Sahrtjunbert nicht p glauben wagen; fie werben aber faum
augreidjen, bie ©eforgniffe p jerftreuen, bah ®eutfchlanbg
Solonialgebiet auch bann noch nidht augreidhenb fein würbe,
um ein fich felbfe genügenbeg, gefd)loffeneg SGBirthfchaftggebiet
barfteUen p fönnen. ®iefe Slufgabe fann in ber 5£h Q t nur
burch «inen mitteleuropäifd)en 3oHöerein gelöft werben, ber
aüfjer S)eutfchlanb unb ^jotlanb auch Sranfreich unb ©elgien
mit ihren Sotonien umfaffen müfete.*) Se mehr fich bie brei
erften SBeltgrofcmächte in ihrem aEßirthfdhaftggebiet abfchliefeen,
befto bringenber wirb ber hanbelgpoiitifche 3 u fammenfehfufj
ber oier continentalen Norbfeeftaaten im Sntereffe ihrer ©elbft*
erhaltung. ®er 3 u fl ber 3eit geht nun einmal auf 93e=
feitigung ber fleinli^en 3°ilf c h ra nfen p ©unften grofjer
3ollgebiete; ber reactionäre SBiberftanb ber particulariftifdjen
Sntereffen Wirb fich hier ebenfo Oot ber Sogif ber hatfachen
beugen müffen, wie in Sepg auf bie politif^e Slgglomeration
unb bag Wa^fenbe Uebergewicht ber grojjen Perfehrgfprachen
über bie fleinen Nationalfprachen. granfreich, SBelgieit, ^»oQanb,
®eutfchlanb, ®eutfdhöfterrreidh unb bie ©dhweij fteljen fich in
wirthfchaftlicher §inficf)t fo nahe, bafj fie feinen oemünftigen
wirtschaftlichen ©runb mehr haben, ihre ©renjen burch 3ö^ c
gegen einanber abpfperren. Sn finanzieller §inficht aber
würben fie allen Siebenten pm Srofc butdj Pertheilung ber
gemeinfamen 3 0 H üere ' nge * nna h nie n nicht oerlieren, fonbern
gewinnen, gerabe fo wie bie beutfehen SHeinftaaten ber einft
burdh Slnfehlufj an ben pteufeifchen 3oßoerein gewonnen haben.
Sin folcher mitteleuropäifSer 3olli>erein wäre zugleich bie
befte Porbereitung auf eine 3 c it, wo ein bebenflicheg lieber»
gewicht Nufclanbg bie ©elbftänbigfeit ber europäifchen Staaten
in ©efaljt bringen fönnte, wenn fie nicht burdh Sinigfeit er*
fegen, wag ihnen an natürlichen HRachtgrunblagen fehlt. ®er
3oHoerein wäre zugleich ber fjriebengbunb, ber ben euro»
päifchen Sulturoölfern bie Pürgfehaft gewährte, ihren grofjen
Slufgaben in frieblichem SBettbewerb ungeftört burch Äriegg*
gefahren nachgehen zu fönnen.
WeltansfieUtmg unb Jubeljahr.
S8on HTarcus £anbau.
®ag erfte Saht beg zwanzigften Sahthunbertg — ich
rechne nämlid) bag neue Sahrhunbert oon bem ‘Jage an, ba
bie 3iffe r Sicht iu ber Sahregzahl ber Neun plag macht —
bag erfte Saht hot, wie Sanug, zwei ©efichter: eg zeigt mit
ber SBeltaugfteDung in parig unb ben bort erfcheinenben
mobernften Srfinbungen nach ber 3 u funft, währenb bag
Subiläum in Nom in bie fernfte, Sahrtaufenbe zählenbe Per*
gangenheit zurüefweift. Sch betone „SBelt" bei SlugfteHung,
ben beftimmten Slrtifel bei Subiläum. Nachbem wir fo Oiele
prioate unb locale Subitäen, Subitäen oon Pfarrern unb
©dja ufpielern, oon profefforen unb Slmtgbienern, Such*
*) SSflt. ntetn 53ud): „gwei Qafirpjiite beitif(f)er tgotteif unb bie
gegenroäinge SSeltlage", @. 133—135, 400 - 401.
Digitized by v^. ooQie
Nr. 1.
Die (Gegenwart.
5
mauern unb ©udjßattern, Oon Äretßi unb Sßtetßi, oon ber
©rünbung ÄräßroinfctS unb bet ©infüßrung bet ©aöbeleudj*
tung in ©cßilbburg jc. gefeiert haben, füllen wir unS wirtlich
gehoben, baS Subiläum kat exochen mitjuerleben ©ö ift
baS Jubiläum, auf beffen Saturn mit nicht etft burd) ge«
fällige geitungäcorrefponbenten, flute greunbe beS SflmtSüor«
ftanbeS X. ober beS ©rofefforS 9). aufmerffam gemalt gu
werben brauchen. Unb eS ift audj baS einzige Subiläum,
baS ben geiernben meßr ©ortßeil bringt als bem ©efeierten.
Slber baS ©räbifat Wett gebüßrt nic^t bem römifcßen
Subiläum, fonbern ber fßarifer Stuäfteflung. Ser ©apft
füßlt fid) nur als Oberhaupt aller ©ßriften, unb im Subei«
faßr ruft er nur bie Äätßolifen ju ben ©räbern ber 9Ipoftel«
fürften, nur ißnen öffnet bie römifche Äircße it)re ©naben«
fcßäße. Sie „Exposition universelle de 1900“ toenbet fiel)
a 6 er an bie gange Welt. ©aftlid) öffnet fie bie Sßore ißrer
Sßaläfte ben Reiben unb Seßern, ben SRoßammebanern unb
©ubbßiften, ben ©treßrern beS ©onfuciuS unb ©raßma fo
gut wie ben frömmften ©Triften unb Suben. Unb baju
öeranftaltet fie nocß einen internationalen ©ongreß für
SletigionSgefcßichte, in bem bie ^Religionen beS alten ©gtjpten,
©ffßrienö unb ©ßatbäaS fo gut ißre befonbere ©ection haben.
Wie baS Gßriftentßum. ©djeiterßaufenwürbiger ©pnfretiS*
muS! Sn 3iom wirb fo etwas nicht paffiren, wenn ficb
nidjt ein paar ©erwegene finben, um am 16. gebruar ben
breibunbertften SaßreStag ber ©erbrennung ©iorbano ©runo’S
gu feiern. ©ariS baut Sticfengebäube für feine Stuöfteüung,
Slom bat für fein Subeljabr feit Saßrßunberten bie ©eterS«
ftreße fertig, ©S braucht nur bie feit 75 Sohren oermauerte
Porta santa geöffnet ju werben, fobalb ber ©apft mit feinem
golbenen Jammer baran fchlägt.
©iet ju [eben unb ju bewunbern ift in ©ariS unb in
Slom. Sie Ville lumiere beut willig all ihre Schäle bar,
labet bie gremben gu ihrer ©efießtigung ein. ©ine Sidjtftabt
nennt aud) ©apft Seo XIII. in feiner baS Subiläum oet«
fünbenben ©utte „Properante ad exitum saeculo“, bie ewige
©tobt, wo „baS Sicht ber biwmtifcben Sehre, heilig unb un«
berieft, gehütet wirb unb oon wo eS, wie auS feiner oor«
nebmften Duelle weithin über alle Sanbe ficb Verbreiten foH".
3lber er ermahnt bie jum Subiläum Äommenben, baS für
biefe ßeit nicht paffenbe ©efeßauen gerftreuenber unb weit«
lieber Singe auf baS Sleußerfte ju bekrönten ober gang ju
unterlaffen. Stießt bie herrlichen Slefte antifer ftunft, nid)t
bie Senfmäler ber Saiferftabt follen fie auffudjen — nur
bie oier ©afitifen ber heiligen ©etruS unb ©autuS, @t. So«
ßanneS im Sateran unb ©t. SRaria SRaggiore, füllen fie an
gehn Sagen minbeftenS ein SRal täglich mit Slnbac^t befuchen
unb bafelbft für bie ©rböbung ber Äirdje, StuSrottung ber
Srrlehren, für bie ©intracht unter ben fatbolifcben gürften
(alfo nicht für ben grieben gwifdjen ©nglanb unb ben Suren)
unb für baS Woßl beö cbriftlidjen Sollet beten. 51 ber,
woßtgemerft, „wer oom römifdjen ©lauben abweicht, ber
trennt fich oon GßriftuS felbft", helfet eS in ber ©title.
Stußerbem bebarf eS noch für „alle ©ßriftengläubigen beiberlei
©efdjlecßtS" ber wahrhaften Sieue unb beS ©mpfangeS ber
heiligen ©aframente ber ©uße unb beS Slltarö, um ben „Ooll«
fommenen Slbtafe aller ©iinbenftrafen, ©ergebung itnb ©er«
geißung" 51 t erlangen. Sa bieS für baö ganje Sahr oon
äBeihnadjten 1899 bi§ Weihnachten 1900 gilt, fo fann Seber«
mann etwa biö jum itächften fRoüember in aller ^erjenöruhe
fünbigen unb mit jiemlicher ©icherheit barauf rechnen, burch
eine Meine fRomfahrt fid) oollftänbig reinjuwafchen.
Sitliger alö nach SRom wirb wohl eine Steife nad) ißariö
nicht ju ftehen lommen, unb bei ber SluöfteQung mu§ man
noch aufeerbem ©intrittögelb bejahten. 3 U Ifrnen wirb freilich
in ißariö oiel mehr fein alö in fRom, befonberö wenn man
fich an Oom ißapfte Oorgefthriebene ©efd)ränfung hält,
©agte bod) Oon bet ^>auptftabt granfreidjö fd^ort oor gwei«
hunbert Saljren bie Sanbgräfin ©lifabeth Sorothca oon
Reffen: „e§ fei fein Ort in ber Welt, ba Sugenb unb Saftet
in größerer Sßcrfection ju finben, unb ba einer, oon wejj
©onbition er auch fei, mehr profitiren fönne." Unb hoch
fühlt fich ber Seutfdje unb ber ©nglänber bort frember alö
in bem, befonberö in früheren 3 e iten, recht finfteren fRom.
Se^t wirb bem frommen ißilger bort noch ©rbauung unb
reichliches ©eelenheil geboten. Wirb eS ba nidjt ber Wett«
ftabt an ber ©eine ben Slang ablaufen, bie größere, wenn
nicht bie reichere SRenge ber gremben an fich reißen? @3
jießt ja ben Slorblänbet feit Sal)ttaufenben nach Statten,
nach Sfom: feit ben Sagen, ba bie Simbern mit Weib unb
Äinb über bie 5ltpen jogen, burch baS gange ÜRittefafter hin«
burch, — bis gu ben mobernen ^odjgeitreifenben, bie mit
ihrem breißigtägigen Slunbreifebillet Slom in acht ober gar
in fünf Sagen „abmaeßen".
©0 neigt fid) in pecuniärer ©ejietjung anf^einenb bie
Wagfdjale gu ©unften fRomS, Wenn wir nur bie Sleifefoften
in ©etradit giehen, unb in ber SubiläümSbuUe ift ja oon
fonftigen Soften nicht bie Siebe. 91 ber ber ißapft begießt fidß
barin auf baS ©eifpiel feiner ©orgänger, unb für bie meiften
berfetöen waren ja bie Subiläen ßuuptfächttch SRittel, ißre
Weltßerrfchaft gu ftärfen, ihre unb ber Slömer ©infünfte gu
Oermehren. Unb ebenfo finb bie §ebung ber Weltftellung
beS eigenen SanbeS, baS oiete ©elb, baS bie gremben in’S
Sattb bringen unb. Wie jeßt in granfteieß, innerpolitifcße
©erhältniffe bie §auptmotioe gur ©eranftattung oon Welt«
auSftellungen. „^ebung oon Snbuftrie unb Sunft" ßeißt eS
freilich in bem einen, „bie Heilmittel ber Sircße gegen bie
Sranfßeiten ber ©eele anguwenben" in bem anberen ©rogramm.
Sie WeltauSftellungen finb noch feßr jung, bie erfte
fanb 1851 in Sonbon ftatt, unb mit biefer begannen eigentlich
erft bie ÜRebenjwede fid) ßeroorjubrängen. Sie früheren par«
tieUen SluSftellungen ßatten rein nur bie Hebung Oon Sn*
buftrie ober Äunft jum 3>oed. Unb eS ift bie teßtere, welcße
überhaupt ben 9lnftoß gu ben SluSftellungen gegeben ßat.
Statienifdje SRaler ßaben einjelne ©emälbe feßon im fecß«
geßnten Saßrßunbert auSgefteüt, bie erfte SunftauSftellung
würbe 1673 in ißaris, bie erfte SnbuftrieauSftellung erft
1756 in Sonbon öeranftaltet. ©tets aber war eS bie Sluf*
gäbe ber SluSftettungen, baS Sleuefte, baS SRobcrnfte gur Sin«
frißauung gu bringen. Sie fogenannten retrofpectioen unb
ßiftorifeßen 5luSfteCungen finb eine ßöcßft moberne ©rfinbung.
Sem gegenüber ßaben bie römifeßen lircßlicßen Subiläen
feßon baS refpectable Stlter Oon fecßsßunbert Saßren erreießt
unb finb, obwoßl man eS Hießt gern eingefteßt, nur bie gort*
felgung einer oiel älteren Snftitution. Sn ber Sßat reicht
ihre Würget tief in baS antif ßeibnifdje Slom ßinein, unb
nur ben Slamen ßaben fie oon bem altjübifdjen Sobeljaßr
ober HuHjaßr, wie eS in ber ©ibetüberfeßung Sutßer’S ßeißt.
©S giebt feinen größeren ©egenfaß, als ben jwifdjen bem
päpftlicßen Subeljaßr unb bem bibtifdßen ©rlaßjaßt mit feiner
agrarfocialen Senbenj; nießts ift bem päpftlicßen Subeljaßr
ähnlicher, als bie ©äcularfeier im ßeibnifeßen Slom. Unb
Wäßrenb bie weltlichen 5tu3ftetlungen mit ber 3 e 't fort«
feßritten, ift baS Subiläum feinem urfprünglicßen ©ßarafter
treu geblieben. Wie fo maneßer ßeibnifeße Sempel SlomS
gur gfirdje umgeWanbelt, fo mancßeS päpfttidje ©ebäube aus
©teinen antifer ©anwerfe errießtet würbe, fo erfeßeint baS
„große Subiläum", baS „heilige Saßt" als mittelalterlicher
©au auS antifen Werfftücfen in unferer ©egenwart, gleich«
geitig mit ber allermobernftcn 5IuSfteHung an ber ©cßwelle
beS neuen SaßrßunbertS.
Sie auS Subäa gefommenc Sleligion ift erft gur weit*
beßerrfeßenben Sleligion geworben, als ber römifeße Smperator
fieß gu ißr befannte unb ber ©ifcßof oon Slom baS ©rbe
ber ©äfaren antrat. Sanfbar ßat bie Sircße bafür ftets bie
©röße unb baS Wettrecßt SlomS anerfannt, bie ©tabt beS
SlomuluS als gur H au Ptftabt beS ©ßriftentßumS präbeftinirt
erflärt. „Hier ßat ©ßriftuS ben ©iß feines SleidjeS errießtet,
Digitized by v^. ooQie
6
Die tötgtnwart.
Nr. 1.
feier fod nacfe feiner 9lnorbnung ber Kferon feines Sted«
üertreterS für alle 3 e * ten ftefjen, hier fall, fo feat er gewodt,
baS Sicfet ber feintmlifcfeen Sefere feeilig unb unüerlefet gehütet
Werben," Reifet eS in ber SubiläumSbude Papft Seo’S XIII.
Kie Zfircfee betrachtete freilich baS t>eibrtifd^e römifefee SReicf)
als bloß irbifche Hpacfet, als dRittel, um bie 2luSbreitung
beS KferiftentfeumS ju bcförbern, aber bie (Römer, fo fef»r fie
and) ihre ^crrfcfeaft auf URacfet unb Kroberung grünbeten
— Tu regere imperio populus, Romane memento —
Wollten aud) auf bie tperrfdjaft über bie ©eifter nicht oer«
jichten. @ie oerlangten, bafe bie Unterworfenen ihre oer«
götterten $aifcr anbeten foHten unb nahmen bie fremben
©öfter tit ihren Kienft. „Dignus Roma locus, quo Deus
omnis eat“ fang Doib unb „bie ©öfter fjabett ftetS bie
Sieben tpügel geliebt" §oraj. (Rom muffe ftetS bie gröfete
unb mäcfetigfte, oon ben ©öttern geliebtefte Stabt fein unb
alle ©öltet ihr bienen unb Tribut zafeleit. Selbft in ben
3eiten beS Verfalls unb ber dRacfetlofigfeit hat fie auf ihre
2 lnfprücfee nicht üer$icf)tet, unb noch iw achten Saferfeunbert
wieberholtc man bie Prophezeiung: „Solange baS Koloffeunt
fteht, Wirb (Rom ftehen, wenn baS Koloffeum einftiirzt, fällt
(Rom, unb wenn (Rom fällt, geht bie 2Belt ju ©runbe."
So erfcheint in allen Scjiefjungen baS päpftlidjc (Rom
als Krbe unb gortfefeer beS feeibnifdjen faiferlichen. Kie
^errfefeaft über Sanb unb Seutc entwifchte ihm manchmal,
aber nicht bie über bie ©eifter unb bie Seutel. „(Rom hat
nie Oon ber Arbeit, fonbern ftetS oon (Raub, 2llmofen unb
Sporteln gelebt," fagte ber italienifcfee ©eiehrte Settembrini,
unb am Knbe beS üorigen Saferfeunberts berechnete ein beut«
fefeer publicift, bafj oon Keutfcfelanb allein oon 1500—1789
für Konfirmationen, KiSpenfationen, paHien, Slnnaten, 3n«
bulgenjen u. bergf. 120 üRillionen ©ulben nad) (Rom ge«
gangen feien. Sn biefer (Rechnung fehlen bie Pilgerfahrten,
bie fchon im frühen URittelalter begonnen hatten unb oiel
©elb nach 9lom brachten. KS war eine Steuer, bie baS
d)riftlid)e Kuropa fich willig auferlegtc, benn eS war bod)
etwas fehr ©equemeS, fich burch eine (Romreife, ©ebet in ben
römifchen Äirdjen, an ben ©räbern ber 9lpoftel unb ©elb»
fpenben oon allen Sünben z u reinigen. 91 ber im zwölften
unb breizefenten Saferfeunbert hatten bie&reuzzüge bieSchaaren
ber Pilger oon (Rom abgeleitet, währeitb wieber ber ©erfefer
mit ben äRofeammebanern im Orient, bie oollftänbigc 2oS»
löfung beS bhzantinifchen (ReidjeS oon (Rom unb bie in SBeft»
europa fich auSbreitenben feßerifdjen Selten, fowohl baS
SRacfetgebict ber Kurie über bie ©eifter einfcfjränften, als
ihre Kiitfiinfte oermiuberten.
_ 9Rit bem Jade oon 9fcre, beS lefeten Sollwerts ber
Khriften in paläftina (1291), war auch ein Koncurrent
(RomS gefallen. Kie Pilgerzüge tonnten wieber nad) (Rom
geleitet, bie £>errfd)aft über bie ©eifter wieber geftärft werben.
©cibeS tonnte burd) eine neue großartige ©eranftaltung, burd)
ein Scfeaufpicl, wie eS nur (Rom zu infeeniren wufete, erreidjt
werben. 3Ber weife, wenn man fefeon bamals oon 2tuS«
ftellungcn gewufet hätte, man würbe oicUeicfet eine foldje üer»
anftaltet, baS Koloffeum jum 2 (uSfteUuiig 5 pa(aft gemacht
haben. Unb in ber Kfeat würbe aud) oor feefesifeunbert
Saferen ausgeftellt, wie wir halb fefeeu werben. 9lber bie
römifefee ft'ircfee ift eine geiitbin üon Steuerungen; felbft wenn
fie etwas ganz SRoieS cinfüfert, beruft fie fid) gern auf eine
alte SOrabition, eine alte Sitte. (Run war ja freilich baS
SBadfaferen nach (Rom etwas 9!lteS, aber eS ging langfam
unb unregelmäfeig, bie ©oben floffen feit einiget 3 eit fpäriid).
KaS füfelte bie Kurie unb oiellcidjt noefe mefer füfelten eS
bie (Römer. 3Bie arm war jefet bie Oon ben 5efeben ber
grofeen 2lbelSfamilien zerrüttete Stabt, im Vergleich mit bem
gewerbfleifeigen glorettz, mit beit grofeen Seeftäbten ©enua
unb ©enebig. 2lber arbeiten, fiefe müfeen unb plagen, baS
mar nicht nach bem ©efefemaef ber Quiriten, oor fecfeS Safer«
fennberten ebenfowenig als oor zwanzig. Segionen unb pro»
confulen auSfenbeu, um ©öltet ju unterwerfen unb Tribut
511 erfeeben, tonnte man auch nicht.
21 ber man hatte bie Krabition, bie feeibnifdje unb bie
djriftlicfee: bie incfer als ein fealbeS Safertaufenb alten Pilger«
faferten unb bie angeblich in ben erften 3dt en ber (Republit
entftanbenen, oon 2luguftuS im S- 17 0 . Kfer. erneuerten
Ludi saeculares. Sie waren julcfet im Safere 1000 ber
Krbauuug ber Stabt oon bem, wie man glaubt, fefeon cferift«
licfeen Zlaifcr Pfeilipp mit adern feeibnifefeen KeremonieU ge«
feiert worben. Kine bunflc Sunbe baoon mag fiefe roofel
burd) baS ganze URittelalter erfealten feaben, unb wie (Rien 3 i
ein fealbeS Saferfeunbert fpäter feine (Reform an bie Krabition
ber römifefeen (Republit anfnüpfte, fo mag audfe Papft SBoni«
faciuS VIII. im Safere 1300, als er zum erften 3Rale baS
9lb(afejafer oon Sßeifen achten 1299 bis bafein 1300 oerfünbete,
an bie Ludi saeculares gebaefet feaben. Sn feiner barauf
beziiglidjeu ©ude ooin 22. fjebruar 1300 fagte er freilich
nid)ts baoon; aber and) nichts 00 m jübifefeen Krlafejafer, wie
beim aud) ber Scame Subiläum erft fünfzig Safere fpäter
auftaud)te, als bie 3 ro ifd)enzeit oon einem Krlafejafer zum
anberen oon feunbert auf fünfzig Safere rebucirt würbe.
2 )er gelefertc fromme Senebictiner Xofti, ber ©iograpfe
SonifaciuS VIII., lobt ifen fefer ob biefer zur Hebung ber
finfenben 2J?acfet beS papfttfeumS eingefüferten „frommen
unb großartigen Snftitution, beren (Rufern biefem Papfte
allein gebüfere", ba feine $unbc eines früheren SubiläumS
ejeiftire unb fie bie oornefemfte Stfeat feiner (Regierung fei.
Kin 3 e ' t 9 eno lf e < Karbinal StefaneScfei, berichtet aber, eS
habe fid) zu Knbe beS Saferes 1299 tn (Rom baS ©erficht
ucvbreitet, bafe ade feunbert Safere ein Oodfommener 91 blaß
burd) ©efuefe ber PeterStircfee zu erlangen fei unb befefealb
habe aud) zu (Reujafer 1300 ein ungeheurer 3 l, brang zur
ftirefee begonnen. KS fanb fiefe auefe ein ©reis oon 107
Saferen, ber angab, im Safere 1200 mit feinem ©ater nah
(Rom gefommen zu fein, um ber Snbulgenz tfeeitfeaftig zu
werben, 1111 b äfenlicfee ©reife mit gutem ©ebäd)titife foden ftefe
and) in granfreid) gefunben feaben. (Run nafem fiefe auefe
ber Papft ber Sacfec an unb erliefe nach ©eratfeung mit ben
Karbinäleit bie bereits erwäfente ©ude.
Tue feeibnifdje römifefee Säcularfeier fanb niefet regel«
mäfeig ade feunbert Safere ftatt, fonbern halb nad) 110 ober
119, ja in ben fpätcrcit 3 e i tct R fdjoit nah 40 ober 50 Saferen.
?lufangS war cS ©rauh, wenn man bie ©eneration, Welche
an einer foldjen J-eier tfeeilgenommen featte, fh°n auSgeftorben
glaubte, bie fibtjdinifhen ©üher zu (Ratfee zu Z' c l en unb
barnad) ben lermin für bie nädjfte 3 e * et Z u beftimmen.
Kann zogen bie 9IuSrufer burh ganz Stalien, um mit ber
formet Convenite ad ludos spectandos, quos nec spectavit
quisquam nec spectaturus est, bie übrigens, Wenn bie freier
frijon nah vierzig Saferen wieberfeolt würbe, etwas läherlih
flong, nad) (Rom eiitjulabeit. Ker Papft z°9 flott ber
Sibfeden bie Karbinäle zu (Ratfec, unb weit beffer als bie
2luSrufcr biente ifem bie ©eiftlidjfcit. Sn jeber Pfarre wurbe
bie ©ulle oerfiinbet, unb beffere (Reclame als 3 c ttungSartifel
nnb piatate für bie 9luSftedungcn tonnten bie in ader (Belt
fecrumzicfeenbeit ©cttelmöncfee für baS Subiläum mähen.
Säcularfeier unb Subiläum featten ifer feftftefeenbeS, im
Saufe ber Saferfeunberte nur wenig geänberteS Programm.
Kic Reiben fannten feinen 9lbtafe, ifere geier war Kant für
(Bofelftanb beS Staats, ©itte um 2lbwefer Oon Unglüd
unb ferneres SBofefwoden ber ©öttcr für ©olf unb Staat:
„Alme sol“, feeifet eS in ^orazenS prahtoodem Carmen
saeculare, „possis nihil urbe Roma Visere majus.“ Unb
2lpodo wirb befonberS gebeten, (Rom unb Satium immer
mefer zu beglüden. 3 l, erft waren bie unterirbifefeen ©öfter,
fpäter 2lpodo unb Kiana bie oorzüglihften protectoren
ber Säcularfeier unb ifenen wurbe am meiften gefeulbigt.
2 lber man oergafe babei auh niht ber anberen ©ötter. Sn
ähnlicher SBeiJe ftedte ©onifaciuS VIII. juerft nur ben ©efuefe
Digitized by v^. ooQie
Nr. 1.
Die föegentoan.
i
ber ^ßcterS* unb ber )ßaulsfird)c an breifeig 'Engen für Siömer,
an ffinfgefen für grembe gur Sebingung beS AblaffeS. ©bötet
tarnen nof bie Sateranfirfe unb Santa ÜJfarta SJfaggiore
bagu. Auf feob ber )ßapft in feinet 8uüe feeroor, bafe
häufigerer Sefuf (alfo längerer Aufenthalt in Siom) baS
Serbienft ber tilget oergröfeere unb ben Ablag itod) mirf*
famer mache, dagegen tonnte Manchem felbft ber fleifeigfte
Stirfenbefuf nicht Ijelfen. Sou ber SSofeltfeat beS ©naben*
jafereS feat Sßapft SonifaciuS ben König griebrif non Sici*
lien, bie gamilie ©otonna unb ihre Anhänger, alle, bie mit
©aracenen ftanbel treiben, fomie feine unb ber Kirf e geinbe
gänzlich auSgeff (offen.
SBie jebe moberne Aufteilung, fo hatte auch baS Subi*
läum toom Safere 1300 feinen „©lou". @8 mar baS fogc*
nannte ©fmcifetuf ber heiligen Seronifa, baS ben pilgern
in ber SßeterSfircfje gegeigt mürbe. Sei fpäteren Subiläen
mürbe eS nur jeben Sonntag, bie Häupter ber Apoftel jeben
Samftag, alle anberen Reliquien täglif auSgeftellt.
So mar alfo baS Subiläum auch mit einer Aufteilung
öerbunben, unb eS ift fein SBunber, bafe eS glängenberen ©r*
folg hotte, al§ alle unfere mobernen Aufteilungen. 'Ser ßu*
brang oon gremben nach 9iont war ffon im Safere 1300
ein ungeheurer unb mürbe noch bei manchen ber fpäteren
Subiläen übertroffen. ®ie 3 a fel ber Pilger foll beim elften
Subiläum ftf auf gmei ÜJiillionen belaufen hoben, unb ber
©feronift Sitlani maft bie faum glaublkfee Angabe, bafe
gu SBefnaften 1349/50 fid) gmiff en einer 5D(illion unb
1 200 000 grembe in SRom befanbeit. Sei folchem Aubrange
unb ba auf ©reife unb Kittber fid) unter ben pilgern bc=
fanben, ift eg, begreiflich, bafe UnglüdSfäHe faft bei jebem
Jubiläum oortamen. SonifaciuS VIII. hotte Setanlaffung
getroffen, bafe auf ber ©ngelSbriide bie nad) ber Sch¬
ürfe 3iefeenben refts, bie ßurütffehrenben auf bet anberen
©eite gehen füllten. ©ieS ffeint bie eingige 3Jiafercgel gur
Erhaltung einiger Orbnung gemefen gu fein, unb fie mufe
bamalg als eine gang neue ©rfinbung gegolten hoben, ba
©ante fie in feiner ©öttlifen Komöbie (f)öHe, ©efattg 18)
beff reibt, ©rofebem mürben mieberholt SWänner unb grauen
tm ©ebränge gertreten, unb ber ©feronift Sentura oon Afti
ergäbt, er felbft fei mehrmals in großer ©efahr, erbrüdt gu
merben, gemefen. SefonberS arg mar eS in ber Kirfe bei
AuSftellung bes „Sf meifetucfeeS", mo faft jebeSmal einige
SJienffen erbrüdt mürben, ©inmal (am 19. ©ccember 1450)
hatte ber Sßapft eine Segenfpenbung in ber SeterSlirfe an=
getünbigt unb bann mieber abfagen laffeit. ©ieS üerurfad)te
gmiff en ben §in* unb 3urüdgel)cnben auf ber ©ngelSbriide eine
folcfee Sermirrung, bafe bei gmeifeunbert SJienff en baS ßeben
oetloren, feilS erbrüdt, theils in ben ©iber geftürgt mürben,
©iefem ungeheueren grembenguflufe entfpraf baS finatt*
gieße ©rgebnife ber Subiläen. ^eutgutage finb bie Seran*
ftatter oon AuSfteHungen froh, ®enu fie ohne ©eficit burf=
tommen, für ben )ßapft unb bie Siömer ging in einem ©r*
lafejahre ein mahrer ©olbregen nieber. @§ mar gmar oon
ben pilgern fein ©intrittSgelb mie bei AuSftellungen gn gahlen
unb auf fein bestimmtes Dpfer mar oorgeffrieben, aber eS
galt als felbftoerftänblif, bafe Seber etmaS fpenben merbe,
unb fo geffah eS auf. ©ag unb Siaf t ftanben gmei ©eift=
life mit Siefen an ben Altären, eingig unb allein bamit
beffäftigt, baS bargebrafte ©elb gufammenguffarren. Unb
obmoht ©arbinal StefaneSf i flagte, bafe nur Atme fpenbeten,
mährenb bie Könige bem £errn feine ©aben mehr braf ten,
fo fam bof, mie ein (SEjronift beriftet, im Sah re 1300 eine
unenbtife SDienge ©elbeS in ben päpftlifen Sfafe unb „alle
Siömer mürben reif". 2Sar bof baS ©ebränge bei ben
SBirtfeSfeäufern — eS gab beren im Safere 1450 über taufenb
— fo ftarf, bafe fefer Siete felbft bei ber ftrengften Kälte
im greien übernaf ten mußten. ®a bie SSirtfee feine geit
hatten, abgurefnen, legten bie gremben baS ©elb für bie
erhaltenen SJebenSmittel auf ben ©iff unb gogen fort, ©>afe
bie guten Siömer bie greife gang tüftig erfeöfeten, crgäfelt
ber ©feronift SJiatteo Sillani, ber gang genau bie gegafelten
greife angiebt. Sieben ben SBirtfeen maf ten bie ©elbroef Sler,
bie Scrfertiger oon Abbilbungen beS SfmeifetufeS unb,
mäferenb ber S^ft, bie Apotfeefer bie beften ©effäfte. ©fließ*
lif mürben faft alle Siömer mäferenb OeS SubiläumSjafereS
gu SBirtfeen.
Unb ein folfer ©olbregen foHte nur einmal in feunbert
Saferen niebergefeen? ©8 füllte Generationen geben, bie eines
folfen £jeilS nif t tfeeilfeaftig merben fonnten? ©)a8 fonnten
bie frommen Siömer nift ertragen. Sie ffidten bafeer im
Safere 1343 eine ©efanbtffaft an ben in Aoignon refibirenben
Sapft ©lernenS VI., um ifen gu bitten, ben ßeitraum gmiff en
gmei Subiläen auf fünfgig Safere gu rebuciren. Unb nun
erinnerte fif ber gute ißapft, bafe ja baS Subeljafer naf ber
Sibel alle fünfgig Safere ftattfinben follte. „©rliefe bie
mofaifd)e ©efefegebung bie irbiff en Sf ulben fo erlaffen mie
bie ©ünbffulben", fagte er, unb beleidigte bie Sitte ber
Siömer. Sie maften gute ©effäfte, unb auf bie Gurie
fam bamatS unb fpäter nift gu ©faben. SlifolauS V.
fonnte auS bem ©rträgnife beS SubiläumS große Sauten
beftreiten unb feinterlegte nof 100 000 ©otbgulben bei ber
Sanf ber SDlebki. So mürbe benn im Safere 1475 bie
Snteroalle auf fünfunbgmangig Safere rebucirt, mie ja auf
jefet bie AuSftellungen immer häufiger roerbett. ©benfo mürbe
fpäter baS SJfiniinum beS SfirfenbefufS oon breifeig, be*
giefeungSroeife fünfgefen iEagen auf groangig unb gefen rebucirt.
ÜJlan fann bemttaf feine ©üttben in Sioin in üiet fürgerer
ßeit loSmerben, als gut grünblicfeen Sefiftigung ber SBelt*
auSftellung in ijßatiS erforberlif ift.
2 Ber jefet biefe oerfäumt, barf hoffen, in fünf ober gefen
Saferen eine SBeltauSfteöung in Serliit, Sonbon ober irgenb
einer anberen ÜBeltftabt befufen gu fönnen; baS Subiläum
fann nur in Siom ftattfinben unb eS ift nift gu ermarten,
bafe eins oot bem Safere 1925 ftattfinben merbe. 28er jefet
baS fiinfgigfte Safer überff ritten feat, ber feat roenig ©feancen
ein gmeiteS feeiligeS Safer gu erleben. Sa, felbft oiel Süngere
fönnen barauf nift refnen, giebt eS bof jefet nur menige
©reife, als beren üornefemfter Seine Jpeiligfeit Seo XIII.
felbft erffeint, melfe ein folfeS Subiläum erlebt haben.
®aS Se|te feat näntlif im Safere 1825 ftattgefunben, bie
Oon 1850 unb 1875 unterblieben auS potitiffen Siüdftften.
Slur eitte ftiUe geier feat in lefeterem Safere ftattgefunben.
Slad) ber Sefefeung SiomS burd) bie Staliener moUte
ber „©efangene im Satican" im Safere 1875 fein feierlifeS
Subiläum featteu. Unb ift benn jefet Siom nift mefer bie
§auptftabt StalienS? refibirt bort nift mefer König ^uimbert?
Aber man füfelt fid) tro^bem im Satican oiel ftärfer, als
oor fünfunbgmangig Saferen, unb man erneuert bie Anfprüf e
Oon ©regor VII., Snnoceng III. unb ber Säpfte ber $ät ber
©egenreformation; ja, man fönnte fagen, auf bie beS antifen
SiomS, ber feeibniffen Gäfaren. 3 e ig* un ^ bie AuSftellung
bie ficfetbaren gortff ritte oon Snbuftrie unb Kunft, fo mafent
uns baS Subiläum an bie oielleif t nof größeren gortff ritte,
melfe KlerifatiSiuuS unb UltramontaniSmuS im lefeten Siertel*
jaferfeunbert gemaft feaben.
©ie AuSftellung, bie gortfd)ritte ber lefeten Safere oor
Augen brittgenb, meift auf ein unenblifeS gortff reiten ber
gangen SJienfffeeit fein, baS Subiläum, an bie Sergangenfeeit
anfnüpfenb, oertritt baS ftarre geftfealten am Alten. Sn
bem „feinem ©nbe gueilenben Saferfeunbert", mie eS im Gin*
gange ber päpftlifen Süße feeifet, ftefeen gmei ißrincipien
einanber gegenüber: baS ber gufunft unb baS ber Sergangen*
feeit. 28em mirb ber Sieg gufatten? UnS ift um ben 2luS*
gang nift bange.
Digitized by v^. ooQie
8
Die <&c§ettt»art
Nr. 1.
Die SrdjniR ott kr 3al)rl)tinkrtwetik.
Soit Sngenieuv HMIfjelm Serbroro.
®a8 19. Sahrfjunbett, ein jweiteS „gectalter ^ et ®nt*
bedungen unb ©rfanbungen", hat bie 25?ett mit einer $odj»
fluth tec^nifcfjer unb inbuftriefler Umwälpngen ubcrftfjüttet,
Welche p über6ieten nicht feiert fein Wirb. ©rfanbungen wie
bie ©ifenbaljn, bie bie Sänber ganzer Sclttfjeilc commerciefl
unb inbuftrieß gleidjgeftattet unb iE)re ©eoölferung unerhört
burd) einanber gerüttelt tjat, erfdjöpfen ifjre fRoße nidjt in
einem Sahrhunbert unb werben wohl unabläffig auSgebaut,
aber nid)t leicht burdj anbete, größere tierbrängt. ©ie ®ampf»
fdjifffa^rt, bie jWifchen ben einzelnen Selttheilen biefelbe
innige ©erbinbung herbeipfüf)ren berufen ift, geigt ficf) bis
jeßt fo wenig alterSfdjWacf), baß it»re ©lanjjeit erft fegt mit
ber ©infiiljrung ber fdpeflen unb fturmfidjern jRiefenbampfer,
in beten ©au ®cutfd)lanb jebe anbere ©eemadjt überflügelt
hat, p fommen fcfjeint. ®a aber bie ©leltricität Weber im
betriebe ber großen Socomotioen für bie gernjüge, noch im
©djiffSbetrieb nach ben ©rfahrungen ber lebten Sal)re AuS»
fad)t tjat, ben ®ampffeffel p öerbrängen, fo wirb baS 20. Safjr*
ijunbert tooljl noch ebenfo unter bem „geidjen beS ®ampfeS“
fielen, wie baS abgelaufene. Stuf einem ©ebiete aflerbingS
mirb bie ©teinfohle einen ftarfen ©oncurrenten finben, of)ne
baff man beßhalb eine Abnahme ihres ©erbraucßS ober
wenigftenS eine erhebliche ©infeßränfung ber bisherigen ©er»
braudjSjunafjme p ermarten hat, bie ja fowoßf in hhgienifeßem
Sntereffe ber ©egenwart, als im öfonomifeßen ber 3 u funft
liegen Würbe. Sd) benfe hier an bie pneßmenbe ©erwenbung
beS fließenben SafferS, oor allem ber ©tromfdjneHen, Saffer»
fäfle, ©ebirgSflüffe unb Söäcfje, bie man neuerbingS wißig
als bie „toei|e ©teinfoßle" ber ©egenwart bezeichnet h at »
eine Neuerung, bie neben anberen guten folgen auef) biejenige
haben wirb, etwas pr ®ecentralifation ber Snbuftrie bei»
ptragen. Senn ber gegenwärtig unoerfennbare 3 U 9> W*
©tätten beS inbuftrieflen ©roßbetriebS aus bem Scicfjbitb
ber großen «Stabte p entfernen unb jwifdjen ©tabt unb
Sanb im Aflgemeinen unb inbuftrieUer unb lanbwirthfehaft*
lieber Arbeiterbeoölferung im ©efonberen überall jene Woßl»
tßätige Mifcßung unb Secßfclbepßung b e Tbeijufübren, bie
jeßt ben Seften S)eutfcßlanb8 fo oortbeilßaft oom Often unter»
fdjeibet, — wenn biefer rooßlthätigc 3 l *g, begünftigt burd)
bie AnjießungSfraft ber ©ebirgSwäffer auf bie Snbuftrie, im
20 . Sahrßunbert allgemein unb entfeßieben pm AuSbrud
fäme, fo wäre baS eine ber frudjtbarften Umwälpngen, welche
bie Snbuftrie noch irgenb fönnte burchpmacßen ßa6en. @8
wäre fogar p bebauern, wenn eine oortßeilßafte Söfung ber
gegenwärtig noch immer febwierigen grage, ro ' e berartige
gleicßfam in ber Silbniß geborene Ä'räfte auf weite ©nt»
fernungen oerpflanjt werben tonnen, biefem 3 u 9 e entgegen»
roirfenb pr ©eltung täme. dagegen bürfen wir eS, wieber
im ©inne einer gleichmäßigeren ©eoölferungSoertßeilung über
©tabt unb Sanb, über fruchtbaren unb unfrudjtbnren ©oben,
freubig begrüben, baß noch weitere gactoren aus bem ©ebiet
ber jEechnif biefem nationalötonomifeben 3 u f un f tö f , ilbe ä ur
©erwirflicßung oerbelfen wollen. $>aßin gehören bie Auf»
ftauung ber gewöhnlich geringfügigen, jeitweilig gefährlichen
SBilbbäche unfercr SRittelgebirge ju bauernben, technisch nujj»
baren SBaffermengen, bie 2luSbeutung ber Torfmoore in gorm
oon ©nergiequeßen für große, an Drt unb ©teile beheimatete
Snbuftricanlagen, bie motorifche 2tu8nujjung beS SBechfelS
bon ©bbe unb gluth unb einige ©robleme geringerer Sichtig»
teit, bie baS 19. Snh r ^ un krt an feinem Schluffe noch auf»
gefteüt, ja theilweife not ber tedjnifcben Söfung entgegen»
geführt hat, bie eS aber ju turj war, aud) noch Ä ur sollen
9leife unb jur allgemeinen praftifdjen ©erwirtlichung ju
bringen.
@8 feheint überhaupt, wenigftenS auf einige 3eü h' nau§ «
baS ©djidfal beS 20. SahrhunbertS werben ju fotlen, bie
große Sbeen jum botlen 2luSleben ju geftatten, bie fein ©or»
gänger noch oor feinem .fjinfcfjeiben, man möchte fagen juleßt
in überftürjenber Sile, aufgeworfen unb tljeilweiS jur erften
2 lu8führung gebracht hat. ®ie ©leftrodhemie unb ©leftro»
metallurgie, fcheinen fie unS audh bereits ©roßeS geleiftet
p haben, ftchen hoch ohne 3>seif«l erft am ©eginn ihrer
9RolIe unb finb oicüeidjt beftintmt, jwei ber größten Snbuftrie»
gebiete, bie djemifchen ©ewerbe unb baS §üttenwefen, oon
©runb auS umjugcftalten, unb bap bebürfen fie noch e * net
technifchen ©utwidlung unb einer intenfioen ©eifteSarbeit, bie
Sahrjehnte füllen wirb. Sie eleftrifdje ©ifenbahn, im ©rincip
aßen anbern ©tjftemen überlegen unb ihrer in ben ©täbten
bereits £>err, bebarf ebenfaßs, um jebem ©inwanb gewachfen
ju fein, noch wandjer wichtigen technifchen ©erbeffernng,
beoor fie namentlich geeignet ift, ben Stteinbahnoerlehr auf
bem Sanbe, in ben Tropen unb ©olonien, für ben fie prä»
beftinirt feheint, ohne ©törung unb mit entfdjieöenen öfo»
nomiften ©ortheilen p übernehmen. ®ie eleftrifche iEele»
graphie ohne pfammenljängenbe Seitung ift eine ©rfinbung,
bie, obwohl fie üoflfommen gelöft p fein feheint, bodj ihrer
AuSgeftaltung unb praftifchen ©erwerthung noch 9 an S in’S
neue Sahrhunbert fallen wirb, benn fdjon in wenigen Sahr»
jehnten bürften bie heutigen @inrid)tungen ber brahttofen
gernfchreiblunft mit ben bann gebräuchlichen Apparaten nicht
mehr Aehnlidjfeit befaßen, als mit bem erften unbeholfenen
SD?orfe«Älopfer ber ©chnellfcßreiber ber ©egenwart.
Sie Photographie, bie oon fdjattenhaften 9lnfängen in
jwei SRcnfchenaltern pr Xrodenplatte, pr SRomentaufnahmc
unb pr ooßenbeten Siebergabe lebenber ©orgänge fach ent»
midelt hat, muß freilich ihre leßte unb fdjönfte Aufgabe, bie
SReprobuction in natürlichen garben, bem 20. Sahrhunbert
überlaffen, aber auch fa e h at bemfelben nicht aflein feine
Slufgabe oorgejeießnet, fonbern bereits einige tüchtige ©djritte
pr Söfung berfelben gemacht. ®em fchönen unb ber Sßatur
wenigftenS recht nahe lommenben ©reifarbenbrurf hat fach in
ber ncueften, oon Soll) hetrührenben ©rfinbung biefeS ©e-
bicteS, bem S)reifarben»9 f iegatiü in einer Platte, ein weiterer
fchäßbarer ©rfolg hi n ä u 9 e faOt. ®ie fogenannte SRöntgen»
Photographie, bie unfer Sahrhao^ett als eine feiner Werth»
ooflften ©rrungenfahaften, wenn man fo fagen barf, noch
glüdlich öor 'Xh ore ^f«htafe in’S iErodene gebracht h Q t, Wirb
hoffentlich nicht baS ©efchid fo oieler anberer ©ntbedungen
auf bem ©ebiete mebicinifcßer ober ihnen oerwanbter gort»
fdjritte theilen, nach einer lurpn, mehr in Sort unb ©Ub,
als in ber Sirflichfeit erlebten ©poche glänjenber ©rfolgc
in’S fRidjtS ber Serthlofagfcit jurüdpfinfen. Natürlich
rebe ich h' er nur mit ©epg auf praltifche ©rfolge, ba übet
bie hohe wiffenfchaftlidje ©ebeutung ber ©ntb.edung nur eine
SReinung herrfaht-
©o ließe fach nodh eine lange, lange Peihe oon ©rfin»
bungen unb ©ntbedungen aufphlen, mittelft berer baS 19.
bem 20. Sahrhunbert ben ©ußnt ober wenigftenS feine größere
Hälfte oorweggenommen hat. ©elbft baS naljep berüchtigte
©ebiet ber Suftfchifffahrt, biefeS unglüdliche Problem, baS,
wenn wir baoon einen ©rfolg für ben ©erfeßr unb nicht
nur für bie 3n>ede ber Meteorologie, beS MilitärwefenS unb
ber ©enfation oerlangen, nicht leben unb nicht fterben fann,
felbft baS gehört in biefen gufammentjang. ®enn mag baS
Problem ber Suftfahifffaljrt als ©erlehrSmittel nach hunbert
oergeblichen ©erfuchen unb blutigen Opfern gelöft werben,
wie eS wifl, fo wirb fach hoch ber Seg, auf bem bieS ge»
fdjehen, in ben Oerfcf)icbenen Anfäßen beS 19. SahrhunbertS
jebenfaflS oorgejeichnet finben. Ob bie hödjfa unwahrfchein«
liehe ©erwirflichung beS lenfbaren, b. h- auch 9 e 9 C11 bie Suft»
ftrömung faeuernben SaflonS gelingt, auf welche feit ber
Snfcenirung ber geppelin’fchen ©erfueße wieber fo große $off<
nungen gefeßt werben, ob bem perfönlicßen Äunfaflug, bem
Silientfjal unb Oicfe 2lnbere pm Opfer gefaßen finb, ob ber
großen 2>ampf» ober eleftricitätsbefdjwingten glugmafd)inc
\
Digitized by v^. ooQie
Nr. 1..
Die ©egetnoart
9
bie ßöfung ber märchenhaften Aufgabe gelingt, fo werben eS
tDaßrfcßeinlicb meßr gortfcßritte ber ©ejchidlicßfett unb
TRedjanif fein, als große tecßnifcße Sbeen, oon benen bie
weitere Sntwidlung ber glugtecßnif obßängt. Troßbem würbe
biefe Aufgabe, wirflid) gelöft, zweifellos bie größte Srfin*
bungStßat beS 20. SaßrßunbertS bebeuten, benn bie non ißrtr
SBerwirfücßung nach fid) gezogenen Umwälzungen fönnten
benjenigen im befolge ber Stfenbaßn nid)t nacßfteßen, ja
würben fie bieHeidjt nod) weit übertreffen. Dßne unS in bie
gräfjtidjen ^ßfjarttoftcn äWajim'fcßer fliegenber ©atterien unb
Suft»©anzerfd)iffe ju oertiefen, tönnen wir bod) nid)t über»
feßen, baß ein tragfä^tgcö, juoerläffigcö unb bem SBitfen
feinet ßenferS unbebingt geßorcßenbeS ßuftfcßiff baS ßanbeS»
öertßeibigungSwcfen unb ben ftrieg ber 3ufunft grenzenlos
öeränbern würbe. Tie ©egriffe 9tufflärung, ©lodabe, ©e=
lagerung, Sernirung u. 91. müßten tßeils oon ©runb auS
umgeftaltet, tßeils woßl gar gef trieben werben, unb bie Unter»
febiebe eines Sanb» unb ©cefriegeS würben oerfeßwinben oor
bemjenigen ^trjifc^ert bem Äriege ber ©egenwart auf bem
ßanbe unb SBaffer, unb bem ber ßufunft, ber baS febranfen»
lofe Slement ber ßuft ju fjülfe nehmen würbe.
9lber wirb nicht auch baS 20. Saßrßunbert feine eigenen,
großen, eS fennjeidbnenben Srfinbungen unb Umwälzungen
haben, oon benen bie frühere geit nichts ahnte unb wußte?
3Wan muß fid) beS ©organgeS einer großen technifchen
Steuerung, wie fie hier gemeint finb, überhaupt erinnern, um
fich barüber flar zu werben, baß „ungeahnte" Srfinbungen
recht feiten finb, unter benen beS größten ©tilS aber faft
gar nicht oorfommen. Umwälzungen wie bie Sifenbaßn, baS
Tampffcßiff, bie Telegraphie, werfen ihre ©chatten jaßrzeßnte*
lang, ja zuweilen ein Saßrßunbert oorauS. Tie Tampf*
mafeßine ift länger als 100 Sabre „erfunben". Sftenfcßen*
alter hinburch hat f* e Dot SBatt bie Tecßnifer befchäftigt, unb
SBatt felbft bilbete auS ihr zunäcßft ein plumpes, gefräßiges
Ungeheuer, baS mit unferen heutigen Tampfmafcßinen wenig
$tßnlicßfeit hatte. ®ie Sbee ber Sifenbaßn ift nicht fertig
auS ©tephenfon’S Äopfe entfprungen, — hnnbert gute ®e=
banlen, hnnbert Heine unb große Srfinbungen, hnnbert ©eifter
unb lange 3 e < ten mußten fich bereinigen, um bie Steuerung
jutoege zn bringen, bie ben ©erfehr beS SSaßrßunbertS be»
ßerrfeßen foflte. ©o werben auch bie ©roßtßaten beS näcßften
SSaßtßunbertS entftehen, unb barauf allein beruht bie EDfög»
lichfeit, einige oon ihnen oorher anbeuten zu fönnen.
2BaS baS ©ebiet ber Sleftricität betrifft, beten SBunber
bie beS TampfeS ablöfen z« follen fcheinen, fo finb bie fehn*
lichft erwarteten Srfoige, bie unS baS 19. Saßrßunbert ber»
fagt hot, bie birefte Erzeugung ber Sleftricität unb baS
„falte Sicht", ©eibe werben ohne 3weifcl e iueS TageS
erreicht werben. Tie Erzeugung großer SleftricitätSmcngen
ohne bie ©ermittelung ber Tßnamomafdjine unb ben Umweg
über bie mechanifche 9lrbeitSleiftung weift uns zurücf auf
bie urfprünglidjcn chemifdjen unb tßermifchen SBege zur Sr»
Zeugung galoanifdjer Sleftricität, ober anftatt foftfpieliger
SWetaöe ift cS jeßt bie Äoßle, bie in ftiOer chemijchet 9lrbeit,
nicht mehr umgefeßt in bie Slafticität beS TampfeS, bie
Snergie beS eleftrifcßen ©tromeS liefern foQ. Tie 9lufgabe
ift zweifellos feine leichte, fonft wäre fie bei ber großen
SWenge oon 9lrbeit, bie fchon in unferem Saßrßunbert barauf
oerwanbt ift, bereits gelöft, aber man fann faunt baran
Zweifeln, baß fie bennod) gelöft Werben wirb. Tie Um»
wätzung, welche baburcf) im ^auSßalt ber Snbuftrie herbor»
gerufen werben mag, ift feßwer ooUftänbig zu fc^itbern. 9lm
wenigften würben oon einer folchen Steuerung biejenigen
SleftricitätSanlagen berührt werben, bie ihre Snergie nicht
auS bem Tampfe, fonbern auS ben Turbinenwerfen ber
Ströme, Äatarafte unb ©äeße fchöpfen. 9llle Tampffeffel»
unb ©fafeßinenan lagen jur SleftricitätSerzeugung bagegen
würben bem einfacheren, öfonomifcheren ©roceß ber 3 u funft
Weichen, ber auf djemifeßem SBege aus bet rohen ober ge»
mahlenen ©teinfohle bie gefchmeibigfte unb nüßlidjfte Snergie»
form ßeroorbringt, bie bem äWenfcßen je geboten würbe, ©o
Werben bie beiben gewaltigften 3™eige ber Snbuftrie, Shemie
unb Sleftrotechnif, ein neues unb innigeres ©ünbniß ein»
gehen unb fich gegenfeitig noch mehr als heute befruchten.
Taufenb raueßfpeienbe Schlote würben aufhören, bie 9ltmoS*
phäre nicht allein für ben SD?enfd)en, fonbern in noch höherem
©rabe für bie Pflanzenwelt zu oergiften, unb felbft eine
ungeheure 9luSbeßnung in ber ©erwenbung ber Sleftricität
überhaupt müßte bie gotge eines folchen gortfcßritteS fein.
Schon jeßt werben bie heröorragenben Sigenfcßafteit beS elcf»
trifeßen ©tromeS bei ber ©ertßeilung unb ©ermittelung
mechanifchcr 9lrbeit fo feßr geflößt, baß Taufenbe oon
gabrifen, £unbcrte oon §afenbezirfen, SBerften, ©adßöfen,
Speichern u. bgl. bie Sleftricität anftatt beS TampfeS zum
©iafd)inenantrieb benußen, obwohl fie fie felbft erft auf bem
Umwege ber Srzeuguug burd) Tampfmafcßinen ßeroorbtingen
müffen. SBie aÖgeniein müßte biefer ©ebraudj beS eleftrifcßen
©tromeS werben, wenn man jenes Umweges nicht mehr be»
bürfte, fonbern bie gewünfeßte Äraft birefter noch, als bisher
nur ben roßen Tampf, auS ber ©teinfoßle ßeroorbringen
fönnte! 2Bie ooUftänbig müßte bie Sleftricität Dom ßütten*
unb SBalzwerfSbetriebe ©efiß ergreifen, wenn gleichzeitig bie
eleftrifcße Srfd)melzung ober eleftrolptifche TarfteUung, bie
fieß üi ber ^erfteUung beS 9l(uininiumS, ÄupferS, 3*°^
bereits ©aßn gebrochen ßot, fieß fämmtlicßer ÜJietaUe bemäcß»
tigt t)aben wirb! Unb felbft bem eleftrifcßen Sifenbaßn»
betriebe bürften auS ber bireften Srzeugung ber Sleftricität
wichtige ©ortßeile erwaeßfen.
TaS fogenannte falte ßießt ift bie anbere große 9luf=
gäbe, welcße bie Sleftrotecßnif ber ©egenwart ungelöft an
bie ber 3 u £unft oerweift. ©inb eS nießt fdjon ber gort»
fdßritte auf bem ©ebiet ber ©eleucßtung z« Diele? ®aS,
Petroleum, eleftrifcßeS ©lüß» unb ©ogeulicßt, baS ©aSglüß»
ließt unb feine Soncurrenz, bie ©egeneratiolampe, jeßt auch
noeß öaS neue eleftrifcße ßießt oon 9luer unb bie 9ternft»
ßampe, baS ift nur eine 9luSwaßl auS ben Srfotgen ber ©e»
leucßtungStecßnif beS 19. SußrßunbertS. Troßbem ift nicht
baran zu zweifeln, baß aud) baS leßte, größte Problem biefer
©ießtung, bie Srzeugung oon ßicßtftrahlen oßne glekßzeitige
ÜBärmeprobuction, nießt rußen wirb, beoor eS gelöft ift. SS
ift ja meßt z« leugnen, baß bie ©emüßungen oon TeSla,
Sbifon, SDtoore u. 9t. — eS ift auffaüenb unb nießt eben ein
günftigeS 3”^ en / baß biefer 3weig faft auSfcßließlicß oon
amerifanifeßen Technifern unb pßhfifern cultioirt wirb —
Zu gewiffen TageSerfolgen bereits geführt haben. Taß fid)
burd) außerorbentlicß ßoeßgefpannte'Sleftricität oon ungeheurer
rapiber SBecßfel» refp. UnterbrecßungSzaßl eigentßümlicße ßießt»
wogen, bem Tageslichte ähnlicher als ben befannten fünft»
ließen ßießtarten, oßne ober faft oßne meßbare 28ärme»
feßwingungen erzeugen taffen, muß woßl zugegeben werben;
fottte eS ba nießt auch gelingen, ber teeßnifeßen ©cßwierig»
feiten ^>err zu werben, mit benen bie Srzeugung unb ©e»
ßanblung biefer merfmürbigen eleftrifcßen ©ibrationen nod)
fämpft? Unb ber Srfolg biefer langen ßiebeSmüße? 9?un,
er Würbe oieüeicßt größer auSfaÜen, als man bem bereits
Dorßanbeuen fReicßtßum an ©eleucßtungSmitteln gegenüber
glaubt. 3ntmer oorauSgefeßt, baß fid) bie tßeoretifiße Oefo»
nomie beS TeSla* ober 2Roore*ßicßteS gegenüber bem ge*
Wößnlicßen eleftrifcßen ßießte aud) in bet ©rajiS bewaßrßeitete.
Tann möcßte eS baßin fomnten, baß zum ©peifen einer
ßampe ein galoanifcßeS Slement ober eine Trodenzefle auS*
reießenb wäre, unb bie grage ber Tecentralifation beS elef»
trifeßen ßicßteS wäre gelöft. Tie bequemfte, reinlicßfte, effect*
ooQ-fte unb bann oietleicßt obenbrein billigfte ßicßtqueüe ber
SBelt wäre oom ©etriebe unb ben ßeituitgen ber Sentral»
ftation unabhängig, wäre frei, tragbar, überall anmenbbar
wie eine Petroleumlampe unb erlöfte unS boeß befinitio oon
ber unerträglichen Tßrannei beS amerifanifdßen SonfortiumS,
Digitized by v^. ooQie
10
Nr. 1.
Die Gegenwart.
bag heute ben Sßetroleumpreig beg SBeltmarftg unumfdjräjtft
bictirt. 216er eg ift gu fürcßten, baß, tt»ie bet ber Suftfc£)iff=
fahrt, auch hier nocß mancßeg lange Saßrgeßnt üergefjen wirb,
beoor bie Stufgabe gelöft ift, unb bann — bann werben
Wieber anbere xöünfche, anbere Slufgaben am Snbe beg mit
fo biet äRüße gurüdgelegten SBegeg emportaudjen unb ebenfo
unerbittlich, ebenfo ungeftüm ifjrc Erfüllung ßeifcßen.
SBetdjeg werben bie auffäK’igften Veränderungen fein,
bie bag tecßnifcße Sieben beg 20 . Saßrßunbertg äußerlicß in
unferem Treiben ßeroorrufen wirb? kennen wir ißrer wenig»
fteng eine SReitje. ÜReßr unb meßr, wie bag gaßrrab ben
jReiter unb SBanberer, fo berbrängt bann bag Slntomobil,
bet 9Rotorwagen bag 3 ugpferb aug ben Straßen ber Stäbte
unb beg platten Sanbeg. 'Die Vertreibung beg fßferbeg bon
ben (Schienenwegen ber SRittel» unb ©roßftäbte ift naßegu
b öden bet, bie 3°^ ber eleftrifc^ert Vaßncn wirb gegenüber
ben fßferbebaßnen fo übermächtig, wie ihre öfonomifeßen Sr*
folge bie Sener erbrüden. 3 eßt beginnt ber Slccumulator
ben Dmnibug, bie Drofcßfe gu erobern, ben ©efcßäftSwagen;
ben V»ftberfef)r ift er wenigfteng in ben ©roßftäbten im Ve=
griff, ebenfaÜg gu üerfdjlingen. Sg nußt nidjtg, fid) biefer
Sntwidelung entgegenguftemmen; über ben Vefcßluß quer»
föpfiger Stabtberwaltungen, um bie ber 3 e 'tgeift im Vogen
herumgegangen ift, ftatt fie mit feinem ^lügelfcßlage gu
ftreifen, gehen Ded)nit unb ßößere Snftangcn lächelnb gut
Dagegorbnung über. So fehen mir bag SfSferb oerfeßwinben
auf ber gangen Sinie, unb wenn jeßt noch bie 3ntereffen ber
Sanbegoertßeibigung feine Sßflege unb 3 uc ^) t forbern, fo ift
nicht gu oerfennen, baß 5Rab unb SRotorwagen, baß bie fRiefcn»
traft ber Dedjnif im Vergleich mit ber armfeligen SRugfet»
traft beg ©efcßöpfg auch h' et ben Sieg gu erringen be»
ginnen.
Slucß bag Sifenbaßnwefen wirb manche Slenbetung über
fich ergehen laffen müffen. 3 U bet (S)efcE)Winbigteitgcrt)öt)uiig
aller, ja fetbft ber ©ütergüge auf ben großen Sinien, bie im
Sntereffe ber Verfeßrgbewältigung ebenfo wie in demjenigen
einer ötonomifchen Slugitußung beg rollenden unb liegenden
ÜRaterialg nicht länger aufgußalten ift, wirb fich ber eifrige
Slugbau ad’ ber Heineren unb tleinften Sinien über bag
platte Sanb, jeneg engmafeßige SReß ber blanfen ©leife ge»
feilen, denen fcßließlicß feine fleine Stabt, fein größereg
Dorf mehr entgeht. Unb wie taufenb unerfdjöpfticße gütt»
hörnet, werben alle biefe flehten, nad) heutigen Vegtiffen
aug ber Sinöbe fommenben 3 u l ,r i n 9 er in bie großen 33er*
fehtgabern eine güde oon Saften unb Schößen augfeßütten,
bie felbft ben weitfichtigften SRationalöfonomen in Srftaunen
feßen wirb.
©efteigerte Sd^nelligteit in allen tedjnifdjen ^Betrieben,
bag wirb eine ber Ipauptbeoifen beg 20 . Saßrßunbertg fein.
3Bie ber Delcgrapß in immer größerem Umfange tiom ge»
Wößnlicßen Schreib» gum Scßnelltelegrapßen wirb, ber jeßt
nach bem ißolIaf*Viräg*St)ftem bag Ipunbertfacße beg SRorfe»
feßreiberg leiftet, wie bie SRafdjinen unb SRedjanigmen ber
gabrifen, bie Dampf» unb Dßnamomafcßinen, bie SBerfgeug*
mafcßinen, §ämmer unb ißreffen, Voßrer unb fRietmafdjinen
mit immer ungeftümerer ©ile ißr lauteg SBerf oollenben, wie
ein Srieggfcßiff, ein ^anbelgbampfer in ber halben 3 eit gegen
früher üotlcnbct, eine Socomotioe in wenigen Dagen gleidjfam
aug bem fRidjtg gefeßaffen wirb, fo brängt eg im gangen Um»
fang ber Decßnit unb 3 nbuftrie gäßrenb, unaufhaltfam nach
ber äußerften, angefpannteften Seiftung.
-
Literatur unb
3nra Antritt i»e« neue« 3ahrhtttti>ertß.
SSie fdjön, o 2Renfcß, mit Deinem ißalmenwebel
Vom §aag fteßft Du am Singanggtßor
Deg gwangigften Saßrßunbertg; ebel*
Utib reießgefeßmüdt wie nie guoor.
Sluf welchen 2Bunber»Vlütßenflor
Vlidft Du gurüd, für ©eift unb Seib,
Sluf SBagner unb Sifgt, auf SRießfcße unb Äneipp.
3n SBörigßofen unb Vaßreutß
$aft Du Dir ©öttertempel gebaut,
Drin überläuft eg Dir bie §aut
SDZit Schauern ber Srha 6 enßeit.
©g meßrt fid) Dir oon Saßr gu 3aßr
fRinggum bie ^oßenpriefterfeßaar:
Die ftniee beugft Du auf ben Stemel
SSor £>auptmann unb §albe, Scßlaf unb Deßtnel;
Vift Du fein ftumpfer Votofube,
Vlidft Du mit Slnbacßt auf Sttinger unb Ußbe;
Du näßrft Dicß an bem Sßeigßeitgbrobe
Unb Slunftgebäd Oon SRutßer unb Dßobe
Unb ried)ft, oont tiefften ©emütß oerbaut,
Sluf ber Vüßne Sinbeln unb Sauerfraut.
Dn fießft bie Sbelften ber SRation
Smpfangen ben ßöcßftoerbienten Soßn,
3 u ißnen erblüßn für ben 3 u looftgftaat
Den neueften Slbel auf bem fRab,
Die großen Vanfierg* unb Vörfenmagnaten,
Die SReßger» unb Vrauer»Slriftofraten;
2Ber ein Vcrbienft erwarb an Von’,
Drägt’g auf ber Vruft unb a(g §err oon,
Unb wen nießt Drben unb Ditel ehrt,
3eigt, baß er ^ßlebcjer oßite SS3ertß.
3 u wanfen nießt im rechten §alt,
^>aft Du, o 2Rcnfd), ben Staatganwalt;
Du ßaft bag ßöcßfte Vei^ggericßt,
Dag unfeßlbareg Urtßeil fprießt.
Sg forgen für Deine Sittlicßfeit
3 um minbeften fünfgigtaufenb V a fi° retl
Unb ßalten ben 3 u g an g ä um Senfeitg bereit
Dir an eben fo oielen Äircßentßoren.
Sg regiert mit Unoerborbenßeit
Dag beutfeße fReidß ber treue Vauer;
Veftellt ißm feine frommen Veratßer,
Unb läcßelnb bagu, wie SRannafdjauer
©iebt feinen Segen ber heilige Vater.
SBie flein, o SRenfcß, mit Deinem fargen ß^eige
Sin jeneg oorigen Saßrßunbertg SReige
Stanbft Du in Deiner Slermlicßfeit!
SRit ißrer fläglid) engen Seibegßürbe
9Rit ißrem Stammeln oon Vernunft unb SBürbe
Unb ©eiftegauffdjwung befferer 3 e *t.
Srft unfer §eer, mit flingenbem Spiel
Sntgegen gießt’g folcß ßoßem 3^1-
Unb wie’g begeiftert unb bewunbert
Sinrüdt in’g gwangigfte Saßrßunbert,
Dedt ißm ben fRüden alg Soutien
Der Sßrenboctor Sßamberlain.
„greut eud) ber eßrenOoUen Stufe,
SBorauf bie ßoße Drbnung eud) gefteKt!
3 n bie erßabene ©eifterwelt
Seib ißr ber SRenfcßßeit erfte Stufe."
tPtlßelm 3enfen.
Digitized by Vj ooQle
Nr. 1.
Die Oßegetnoart
11
Vergangene unb zukünftige &unft.
SSoit ^rofefjor <5uflar <£berlem*
2 Wag ein Sßeifer, ein gorfcper ober ein Äünftler an ber
Saprpunbertwenbe ftepen, ftill ^irta bfdja uenb oont ©ipfel beS
Erlebten unb ©rbadjten feiner ßeit, in jebem 2Iuge wirb fid)
bie unabfepbar im grauen Nebel ber Vergangenheit oor ihm
(iegenbc ©bene anders jurüdfpiegeln. Do cp SlUen gemeinfani
ergeben fiep auS bein ©rbenftaube einjelne große ©reigniffe
unb Dpaten als leud)tcnbe geuer, bte aud) fernen Saßr*
hunberten ben 28eg toeifen, als SRarffteine ber ©efcpicpte, bte
ficf» mächtig ber ©wigfeit entgegenreden.
Die Straße ber Äunft burcpjiept in unbegreiflichen
Sßinbungen, über Jpöpen unb Siefen bie unenblicpe gerne;
fie ift in ihren erfteit Decennien burdjfurdpt Don ben aus»
getretenen Srrpfaben fcpablonenpafter, feelenlofer 2lnfcpauung
unb Nacpapmung gtiec^ifc^er Äunft. Obwohl bie oornepmften
©eifter, ein SBinfelmann, ©arftenS, Seffing, Scpinfel unb
©oethe, Stufen ju ben erhabenften Äunftwerfen, bie je oon
Sftenfcpenpanb gefchaffen, in bett gclS ihrer 3 e ^ f«±»lugen, über*
wucherte bod) ’baS Vpitifterium ber Viebermeierjeit, welkes
in einer gewiffcn Nüchternheit beS ©mpireftils fc^on feine
©chatten ootauSwarf, ben flar oorgejeidjneten SBSeg jur £öpe.
SNüpfam waitb fich bann bie Äunft burcp bie SSilbniß ber
Nomantif, oerjweifelt faft unb traftloS fcpleppte fie fich burct)
bie folgenben 3 c ^ cn ber Neaction, um eublid), am ©nbe beS
Saprp'unbertS, einem ungezügelten Dilettantismus, bem mirrften
üJipfticiSmuS, einer erfünftelten Naioetät unb bem gefeß* unb
regeltofeften ©paoS ber ®egenwart*Shinftanfcpauung jum Opfer
ju fallen.
aBoQte man nun unferem entfchwunbenen Saprpunbert
einen ©tempel aufbrüdcn, fo müßte man eS oornepmlicf) baS
mufifalifdje heiße«- ®ie Nfufif, bie Vad) erfdjöpft ju haben
fdjien, hat unS noch üiele unfterbliche Sßerfe befct»ieben. Die
^>anb lann eS füpn nieberfchreiben, baß bie Schöpfungen oon
Veetpoüen, SDiojart, Nichatb SBagner unb VrapmS ewig finb,
unzerbrechlichen ©ranitfäulen gleichen, bie, umfloffen uom
SNorgenroth ber Neuheit, ftolj baS ©ebäube ber Äunft trägem
Die SNufi! ift bie freiefte unb gebunbenfte ber fünfte, bie
©ngfte unb Snternationalfte, fie ift weicp wie SBacpS unb
hart wie ein gelS, fie fniet als Sflaüin oor ihrem lieber*
winber unb ftept unantaftbar in göttlicher Roheit not bem
Unwürbigett. Sie wirb üon Äinberpänben bcjroungen unb
oon ihrem Nteifter aller geffetn entlebigt. Der auSgebilbetfte
©inn unferer Nation ift barum jeßt ber mufifalifdje. ÜJJit
Seidptigteit finb bie perlen aus ber UeberfüHe beS ©ntftepenben
ju fiepten; pier ift faum ein Schtoanfen möglich. Der ©runb,
baß fid) bie übrigen Stünfte, bie Didjtlunft, Nfalerei, Vilb*
ßauerei unb 2lrcpitectur im 19. Saprpunbert nicht auf biefe
£öpe gefchwungen, ift barin ju fudjeu, baß ihnen im ©oncert
ber gormen ber Sontrapunct, ber ©enetalbaß fehlt.
Stußer ©oethe’S „gauft" hat bie Dichtlunft biefeS Saßt 5
hunbertS fein fraglos ewiges SBert gefchaffen. ©r reiht fich
würbig ben größten Vücpern, ber Vibel, ber Sliabe unb
Dbßffee, ber ©öttlichen Äomöbie unb ©hafefpeare’S Schöpfungen
an. 3war will eS fdjeinen, baß einjelne Sterne am Äunft*
himmet pellet leudpteten, baß eine 2lnjapl bidpterifdper ©r=
jeugniffe biefer punbert Sapte, etwa biejenigen Schillers unb
Seffing’S, fpäter eines ©onrab gerbinanb Nieper, ©ottfrieb
5feHer, juleßt Nießfdpe’S, bie ©igenfchaften befaßen, als J?öpe*
puntte unferS ÄönnenS in baS ©rau ber ©wigfeit hinüber*
juragen, — jebocp 3 foe 'f e l befchleichen wieber unb wieber
bie Seele beS gorfdjenben. ©injelne ©ebichte ©oethe’S fiepen
als OoDenbete NZufter ba:
„Sütteft wieber SBufcf) unb Jf)al — StiU mit 9Zebelg(anj,
Söfeft eublid) aud) einmal —Weine Seele ganj."
Siegt nidpt um biefeS einfache Sieb an ben 2Nonb ein
unfagbar beftridenbeS Seucpten, baS nicht oon biefer 23ett ift
unb fein milbeS Sicht noep in fernere feiten fenben fönnte?
SebeS 2Berf, weldpeS baS SDlat beS ©wigeit an ber Stirne
trägt, ift ein Stüd Saprpunbertfeele. Nidpt aHetn pat eS
ben Nero feiner 3 e *t getroffen, ipm wopnt aud) bie gäpigfeit
inne, jeber neuen ©eneration neu geboren ju werben. Sieg*
paft burcpleudptet feine innere ©cpönpeit bie ©rbfrufte, welcpe
^llitäglicpfeit, Unoerftanb unb SBlinbpeit ber fort unb fort
wedpfelnben Slnfcpauungen barum gebilbet patte. SlUeS ©egen*
wärtige ftept auf ben Niefenfdpultern ber Vergangenheit. Die
Äunftform, bie ©ebanfenwelt, bie ißoefie beS gauft ift beßpalb
niept allein Nefultat beS ©oetpe’fdjen ©eniuS, auS ben perr*
liehen ©troppen fepaut unS feine 3 e it, antife Äunft unb
©pafefpeare’fcpe ©röße entgegen.
9Benn bie Dichtung ber jepigen 3eit glaubt opne ctaffifdpe
©efeplicpfeit, opne bie ©runbpfeiter ber Vergangenheit, in ber
Suft fcpwebenb, allein burdj Naioetät unb ©infalt jur SBeiSpeit
ju gelangen, fo irrt fie fiep gewaltig. Nur bie ©infidpt, baß
in allen fünften ©efepmäßigfeit unb Orbnung perrfepen
muffen, baß biefel6e Straft, bie Sterne unb Sßelten nadp oor*
gefdpriebenen Vapnen am §imntel jiepen läßt, aud) DauernbeS
im £irn beS ÄiinftlerS erfepafft, fann unS oom gänjlitpen
Verfall retten.
©ine fept merlmürbige SQuftration pierju ift ber 2luf*
unb Niebergang ber Najarener. ©ine Heine Schaar podp*
begabter Äünftter patte fiep in Nom im Slofter ©ant Sfiboro
jufammengefunben, um mit ipren Veftrebungen bem anti*
rcligiöfen ©eift ber, oon ben ©ncpclopäbiften auSgepenb, bie
©rruption ber franjöfifcpen Neoolution geboren patte, ein
©egengemiept ju bilben. 3Nit ©iotto einfepenb, glaubten fie
eine gänjlidp neue Äunftanf^auung gewaltfam fepaffen ju
fönnen. Durch bie fctaoifdpe Nacpapmung einer wiHtürlidp
perauSgeriffenen ©poepe, beraufept oom SfatpoliciSmuS, auf*
gegangen in ben Slnfdpauungen beS heiligen granjiScuS üon
Slffifi, pafften fie bamalS fepon im prärafaelitifcpen Stil ber
Slntife gleicpgefommen ju fein. Sie gebaepten baburep wieber
auf bie gewaltige Jpöpe rafaelifdper unb micpelangeleSler Äunft
gelangen ju fönuen. 21 ber ipren Veftrebungen feplte bie
VafiS, fie begriffen nidpt, baß fepon bie Vorgänger biefer
großen SNeifter ipre Schöpfungen auf ber ülntife aufgebaut
patten. Die gefammte Ä'unft gleidpt einem Soratlengebirge,
baS in unabfepbarer Verjweigung, taufenbfältig üeräftet unb
gefügt, troßig auS bem SNeereSgrunbe auffteigt. Die 3 e > ten
umbraufen eS in mächtigen SBogen, Vranbungen umtofen
eS. £>ier reißt ein Ssaprpunbert einen Dpeil ab, bort baut
baS folgenbe einen neuen gelSblod. 2lber fidper wirb baS*
jenige Stüd Äunftgefdpidpte in NidptS pinabfinfen, wetcpeS
fcpled)t gefügt opne ben ewigen Äitt ernfter, claffifcper ©tubien,
nur mit ber SBillfür roper Natur bem ©anjen angebaut
würbe.
Die Veftrebungen ber Najarener, bie noep in ©artonS,
greSfen unb ©ntwürfen erpalten finb, einen fo popen unb
weltabgewanbten ©eift fie and) belunben, paben fidp bennodp
oon unferem DenEen unb ©mpfinben bereits loSgelöft. Seiber
oerpinberte ber wirtpfcpaftlidpe Niebergang DeutfcplanbS, burd)
bie greipeitSfriege peroorgerufen, bie 2luSfüprung ihrer Sßerfe;
bie greSfenentwürfe blieben ungemalt unb ipre ©artonS üer*
ftaubten. Droßbem pebt in ipnen bie $?unft großen Stils
noep einmal, — baS teßte SNal, ipr gigantifcpeS |>aupt empor,
um bann für baS 19. Saprpunbert ganj ju entfdpwinben.
Der Vitbnerei aber ermucpS aus ben Kämpfen mit bem
Sorfen Seben unb ©ntfaltung. Naudp unb Nietfcpel paben ipren
monumentalen Sßerfen leiber eine burdp Dporwalbfen’S feidpt
antififirenbe Äuuft ftarf beeinflußte ^ßppfionomie gegeben.
SJJilitärifdpe SiegeSbenEmale, Statuen im ©oftüm beS 3opfeS
unb bet Viebermeierjeit, geftatteten eS ipnen nidpt, fiep an
bem NaturqueH aller Äunftfdpönpeit, ber nadten menfeptidpen
©eftalt, ju beraufepen.
Seit ©tiecpenlanbS Vlütpe burdpirrt bie Ä'unft, tief*
OerpüHt, 2lpaS0eruS gleicpenb, Norb unb ©üb. 2luS unferen
©emälben ift fie unoerpüHt faft ganj entwiepen. 3n ber
Digitized by v^ooQie
12
Nr. 1.
Die Gegenwart
©laftif fü^rt fie in nadtet ©Sönpeit ein fümmerlkpeS
©alonleben. Die 2lrSiteftur nimmt if)re ©eftalt nur ganj
ober pal6 oerpüUt auf als @d)mucf ber ©tebeftale.
ÜRaS bem SRiebergang ber ©ornetiu3*©Sule entwidelte
fid) in Düffelborf eine auf fein gefistetem IRaturftubiunt
berupenbe unb burd) franjöfifcfje SDRattec^nif bereicherte 5Rid)=
tung, wäprenb in ERütiSen burcp ©iloti ber ERalerei bie garbe
Wteber erobert tourbe. ©injtg ber bem Srrfinn berfadene Ditatt
SRetpel ergebt fid) im größten Stil auS biefer 3^1 unb ift
unS noS feeltfcp, teSnifS unb menfd)(id) eng betbttnbett.
SRit. ber ©eburt unb bem 3Bad)fen beS ©inpeitgebanfenS
in Deulßplanb raufet auS ein frifdjeS (Bepen butS bie
Äunft unfereä ©aterlanbeS. 2lÜeS ©roße, baS burd) bicfe
3 ufammenfSweifeung erwaSte, gut ©ntfaltung gelangte
unb ©eftalt gewann, ftept ttoS lebenbig ba. ©eit ben
perrliSett Stampfen unb Siegen 1870 — 71 ift eS wie
eine Stunftfturmflutp über DeutfSlaitb peretngebroSeii. 21(3
ob baS jurüdgebrängte Seben ber größeren (pälfte beS
19.SaprpunbertS nun urtaufpaltfum fich ©apn bredjen möSte,
als ob bie aufgefpeidjerte Straft, bie unfi^tbar gefangen ge*
paltene ©Sönpeit, nun noS ant ©nbe unferer 3 e tt ade
geffeln brechen möSte. (Die (Bogen fommen befruStenb unb
jerftörenb baperge$ogen.
21(3 ©egaS in ber SBifbnerei feine erften lebenSpeiß
putfierenben ©ruppen unb ©tatuen, au3 (Rom peimgelepit,
fd)uf, — a(3 ©ödltn bie farbenfatten, ebenfalls ber Spät*
renaiffance entnommenen adegorifdjen SRotioc brachte, in
benen ba3 (RaufSen ber ©irten, ba8 ©Sweigen be3 SBalbeS,
bie ©oefie ber über mofigeS ©eftein riefefnbcn Duelle
unb bie tiefe, lebenbige ©laue beS EReereS munberbat
uns berührte, ging grenjenlofeS Staunen burd) bie ©pt*
(ifterfeeten. Unb nun begann unter ben Sungen ein
WilbeS Sagen naS Originalität, nacf) einer eigenen ©pp*
fiognomie. Donatedo, ben lang Oergeffenen großen gloren*
tiner, ftedte man nun als ©orbilb für bie ©ilbnerei ptu.
©oticeüi mürbe in DeutfSlanb mobern. ©ebeutenbe Talente
bilbeten fiS ju ©pecialitäten auS. Seber begabte ober audj
unbegabte junge Stünftler fdjuf ftcJ) einen ©til ober min*
beftenS ein ©tilSen. Die 2lrd)iteltur glieberte unb fSmüdte
ipre ©auten halb nad) jener, halb naS biefer ©Sule; am
meiften ©rfolg patten bie ©Söpfungen, weldje feiner ad*
gemein befannten SRicptung anjufügen waren. Die Ärttif
oerfünbete ber ftaunenben (Belt, baß ber einzig richtige SEBeg
jur ÜRatur gefunben, unb man einem gänjlkp neuen ©til
auf ber ©pur fei. ©rft leife, bann laut tönte e3 bis
jum Ueberbruß auS aden Stunftpofaunen, baß fSon ERidet,
ERanet unb ©ourbet bie (Ratur enbgiltig entbedt patten unb
man ipnen nur ju folgen braudje, um fie beim ©d)opf ju
faffen. Dieter fingen an feffelloS ju ppantafiren, ipr §irn
glich einem ppotograppifepen 2lugenblid3apparat, ber baS
lebenbigfte 2eben fijiren wodte. ©in feliger Daumel, ber
SBapn fdjritt burd) bie gefammte Stunftwelt, baß man baS
po^enbe, taufenbgeftaltige, farbenfprüpenbe Dafein, bie aden
©ölfern oder 3 e den ein ©epeimniß gebliebene ÜRatur, in
jeber iprer gormen, iprer färben unb ©eftalten nun opne
©ebenfen, opne ERaaß, opne geile ober Stlärung, unb opne
©ilbung auf bie ©üpne, in ein ©entälbe ober eine ©tatue
gwingen fönnc, fo baß barauS mit ßeidjtigfeit ein oodenbeteS
Stunftwerf mürbe. Die ©ergangenpeit, welcpe man in aden
Stilen, in ipren garben unb gormen, Stünftlern unb EReifiern
inSgepcim ängftlicp copirte, leugnete bie Sugenb öffentlich ab.
©Seinbar neue garbenprobleme, bie früpere Saprpunberte
längft gefunben, würben auSgegtaben. ©benfo frueptbar wie
naiu fcpmelgte bie ©ilbnerei in ber ©pät* unb grüprenaif*
fance. Die 2lrSiteftur fam ganj aus bem ^ȊuSSen unb
gelaugte, naSbem fie ade ERöglicpfeiten burSfoftet, bei ben
©canbinaoiern, Snbern unb Sapanern glüdliS an- SBenige
2Rcifter ber legten Decennien werben fiS in golge biefeS
IRangcle an flarcr ©parafteriftif bauernb bepaupten; einige
Stünftler aber fdjeinen ben Sorbeerjmeig bcS ©wigen noS
errungen ju paben, bieS finb OornepmliS ©ödlin unb SöegaS.
^nbere SRamen ju nennen, wäre fiSetliS öerfrüpt, benn
biefe Äämpfenben finb noS S« fepr im S em ifS en ©roceß
ipreS (BerbenS begriffen, ju ftarf umbrobelt öon ben Dämpfen
fie umftreitenber moberner Stritif, um ipre SRangftedung für
bie 3 u fnnft peute fSon feftfteden ju bürfen.
Die Äunft beS 19. SaptpunbertS flingt auS in einem
ERonftreconcert, in bem fein Snftrument, welSeS jemals, fo
lange eS eine $unftgefSiS*e giebt, gut ober fSleSt gefpielt
Würbe, feplt. ©etäubt baoon fliept bie ERenfdppeit in baS
grüpliSt beS 20. SaprpunbertS. Unentweipt, in überirbifSem
©lang beS jtt ©rpoffenben, liegt eS oor unS, feine gotbenen
Dpore finb weit geöffnet. SBirb baS lebenbe StünftlergefSl«pt
ade Srrtpümer, ade ©Sloden unb betten, mit welcpen eS
beloben ift, in wirrem (Boden unb in unjulängliSeut können
mit pinübertragen? SBirb eS mit ber Äinberfeele bie SBeiS*
heit beS 2llterS oerbinben fönnen? (Berben feine güpret
ipm lepren, baß nur ein ©ott eine (Belt aus bem 9?iStS
erfSaffen fann? Daß 2ldeS, wie im SBeltad, fo in ber
Stunft unumftößliSeä ©efeft, eiferne golgeriStigfeit ift? Daß
fSon ber SBide jum ©efep ein ju fSaffenbeS Stunftwerf
abelt, eS in eine pöpere ©cpönpeits* unb ©eifteSfppäre rüdt?
Die beutfSe Stünftlerfcpaar möge nur ernft woden, unb
fie pat eine Stunft, bie ipre ©belften in bie erfte (Reipe ber
©treiter für ©Sönpeit unb EBaprpeit rüdt. 2lde ©tätten
finb bereitet, unabfepbareS ERaterial liegt burdhftdptig ba, bie
5Rife minft mit bem golbenen SorbeerreiS! — f)iuan! —
^rcutlTcfon.
- Wathbrud beeboten.
3tt kr ÖcnjaptsnaSt-
SSon 2lnton Cfd^e^otp.
tft bie junge $od)ter beö alten (^ut^befi^erS unb
Generals a. 5). gan$e8 ©innen unb ^rac^ten gebt auf eine batb=
mögücbfte §eirat^ r unb je$t in ber ^euja^nac^t fifct fie nac^ rufftf^er
SSolf^fttte üor bem buri ^mei Äerjen erfaßten ©pieget, um barin jur
2ftitternad)t3ftunbe ben Qufünftigen ju erbtiefen, ber fie im neuen 3a&re
jum SUtar führen mirb. Sftegloä roie eine Sitbfäule, bla& f miibe unb
abgefpannt, ftarrt fie auf bie ©piegefflädje; ^tuter ihrem bilden fteijt
noch ein jroeiter ©pieget, unb nun fcheint eS, al§ ob au$ einem enb^
tofen ®ang ein liebliche^ 3tnttip f oon einer hoppelten Sfteihe brennenber
Äerjen beleuchtet, ihr entgegenbüefte. Sßom langen £inftarren auf bie
unbegrenzte gerne fieht fie jule^t 3llle§ mie burd) einen grauen ©djieier,
unb bann fdjeint mieber SlUeS in ein roogenbeS, braujenbeS, oon SBli^en
beleuchtetes ifteer ju oerfinfen.
©ieht man biefe ftarren Stugen unb ben halb offenen SJlunb, fo
roeifr man nicht, ma^t ober träumt baS tDläbdhen; ba^ e3 aber jeßt
etioaS Ungemöhnliche^ erblidt, ift untoertennbar. Sßerfiihrerif^e Slugen
lächeln ihr entgegen, oom mogenben grauen ^intergrunb heben fich bie
Sinien eine§ ÄopfeS ab, eine§ bärtigen 9Kännergefid)teS. 5)a8 mufe ber
ihr Dom ©d)icf)al Seftimmte fein, ber ©egenftanb ihres ©ebnend unb
£offen3, ba^ ®lürf ihre« fiebenS, ihr ®efd)icf, ihre ßufunft, ihr (Srbem
bafein. ^lußer ihm ift nid)t8 al« ginfternife unb Seere für fie, mie auf
jenem grauen £intergrunb. Unb im 2lnbltcf biefer fanft lädjelnben,
herrlichen 3Ü9 e Derfunfen, empfinbet fie eine füge SBonne, eine um
befchreibliche Suft. ©ie hört feine ©timme, lebt mit ihm unter einem
$ad), ihr ganzes bafein bisher entfehminbet, um fleh unauflöslich mit
ihm za bereinen. deutlich unb in allen Einzelheiten fieht ^ellp, mie
bie Monate unb 3®hre Dor ihren ©innen bahtneilen unb ihr öebett
fleh geftaltet.
Eine Shräne quillt au8 ihrem ?luge; bem unfägltdjen Wonnegefühl
folgt bie Empfinbung eines quälenben ©djmerze$. 5)a« Räbchen fieht
hinter bem lieblichen gauber etroaS UngeheuerlidheÄ, einen graufamen
4rug. günf bis fech§ Qahre ziehen über ben grauen §intergrunb.
3§r ©atte ift noch immer fchön unb flug unb fein fanfteS Sädjeln ent-
ZÜrfenb, aber fie hat fleh baran gemöhnt. 9?ur roenn fie ihn z« öer-'
lieren fürchten mu|, empfinbet fte noch ba$ Elüd in feinem öefip. Sfi
er abmefenb, ift fie unglüdlidj, hoch in feiner Eegemoart fühlt fie fi^
Zmar beruhigt, allein baS frühere Wonnegefühl hat fie nicht mehr. 5>er
graue ^intergrunb zeigt ihr, bafj bie 9?atur fie frech betrog, unb bat,
Digitized by v^. ooQie
n*
Nr. 1.
Sie $egeit»art
13
wäre er fogar ein ©ngel ober bte SeiShett felbft, in ihm bodj nicht aüeS
©lüd enthalten ift. Tie Harmonie beS 3 lüc i^ an fl e ^ befriebigt fie nicht
mehr, fie erfepnt noch etwas anbereS, baS wahre Seben, nnb baS menbet
ftd) non ihr ab unb witt fiep mit ihrem SBunbe nicht oereinigen,
fotibern geht feine eigenen Sege. ©ie fanb in ihm nicht baS erfepnte
3beal r beS SebenS Neiz ift ihr Oerfagt, fie fühlt nur noch Ungemach,
Öitterfeit unb Saft beS TafeinS.
©in 33ilb nach bem anbern sieht über ben grauen §intergrunb.
9hm fieht fie fiep in einer falten Sinternacht, wie fie an baS genfter
beS SBezirfSarzteS flopft. 3m 3iwern beS fpaufeS ift eS ftodbuhfel,
ringsum ^crxfc^t lautiofe ©tltte, nur burch baS ©eheul eines alten,
heiferen §unbeS unterbrochen.
„Um £>immelSwitten öffnet! $ülfe, $ülfe!" ftöhnt Neüt). ©nb=
lieh fnarrt bie Thür, unb ein Ttenftmäb4en erfcheint. „3ft ber §err
Toctor ju #auS?"
„©r fdjläft," ffüfiext bie SWagb, als ob fte ihn $u Weden fürchtete,
„©r ift eben erft zurüdgefeprt... man barf ihn nicht ftören!" Neüp
achtet ber Sorte nicht, ftöfjt bie Wienerin weg unb bringt wie wapn=
finnig in bie Sopnuna. ©nblt4, nachbem fte mehrere finftere Sommer
burcheilt, erreicht fie beS ToctorS ©cplafzimmer. ©r liegt angefleibet
auf feinem Pette. Nur ben Nod pat er abgeworfen: er ift wach unb
haucht in bie erftanten §änbe. ©in trübes Nachtlicht oerbreitet einen
Tämmerfdjetn. Neüt) ftnft wortlos auf einen ©tupl unb fcplucpzt bitter*
lieh, unb ihr ganzer Körper zittert.
„SÄein Ntann ift Iran!! Äommen (Sie gleich!" ftöhnt fte enblich.
Ter 9lrjt richtet ftch langfam auf, ftüpt ben Äopf auf bie #anb unb
blidt ben ©inbringling mit fcplaftrunfenen äugen fchweigenb an.
„9Rein Ntann ift franf!" ächzt Neüt) unb will ihr (Schlurften
unterbrüefen. „Um ©otteSwiÜen, fommen (Sic mit. .. fcpneÜ, fcpneÜ!"
„ 0 h-" ftöhnt ber 5lrjt unb paud)t in bie §änbe.
„kommen ©ie flinf! auf ber- ©teile! ©onft.. . fonft... eS ift
fürchterlich! .. ." Tie angftgequälte Neüp will athemloS unb ihre
Tpränen surücfbrängenb bem Toctor baS plöplidje ©rfranfen ihres
SRanneS unb ihre eigene fchrecfliche Sage begreiflich machen, ©ie leibet
unenbiid) — ber Slr^t aber ftarrt fte an, paud)t in feine §änbe unb
rührt ftch nicht Oom gled.
„34 fomme morgen $u 3 bnen" • • • bringt er enblich perüor.
„Unmöglich!" fchreit Neüp in Slngft. „Ntein Niann pat b«n
TpppuS — id) weife eS... ©ie müffen fofort mit!"
„34 hin eben erft nach ©aufe gurücf.. . brei Tage im ©pibemie*
bewirf ... bin tobtmübe unb felbft fchwer hanf. ©S ift mir unmöglich!
Sin felbft inficirt — ba fehen ©ie!" ©r fdjiebt ihr baS Thermometer
bin. „Nieine Temperatur nahe an 40 ©rab ... id) tann jept abfolut
nicht... ©ntfcpulbigen ©ie... ich muh mich wieber pinlegen." Unb
et fmtt auf fein Äiffen jurüd.
„Elber ich P e h e cm, Toctor!" ftöhnt Neüp oerjweifelt. „34
befchwöre ©ie, Reifen ©ie mir um ©otteSwtüen! Nehmen ©ie ftch
gitfammen unb fahren ©ie mit mir ... 34 bo^k, waS ©ie oerlangen,
Toctor!"
„©ott, ©ie fehen hoch, bah 14 ni 4 t tann!"
Nettp fpringt auf unb raft in pöcbfter Aufregung im 3'mmer
herum, ©ie will bem Slrjt ertlären, ihm begreiflich machen .. . Sühte
er nur, wie lieb ihr ber ©atle ift, waS eS für ein Unglüd wäre, er würbe
gernih alle ©rmübung unb feine eigene $ranfpeit oergefjen . . . aber
fte ftnbet feine Sorte.
„fahren ©ie zum Kreisarzt!" flüftert ber Toctor.
„Unmöglich! ©r wohnt fünfunbjwanjig Serft oon hier, unb bie
3eit brängt. 9luch tonnen bie !ßferbe nicht mehr ben Seg machen.
33on unS hierher ftnb oierjig Serft! Nein, unmöglich! kommen ©ie,
T>octor; erbarmen ©ie ftch meiner!"
„©ie wiffen nicht, waS ©ie Oon mir oerlangen! 34 liege felbft im
gieber ... Ntein $opf glüht!... begreifen ©ie baS nicht? 34 fcmn
nicht! ©eben ©ie!"
„©ie müffen mit mir! ©ie bürfen eS mir nicht abfdjlagen! TaS
wäre gemein! Ter 9Ir$t muh ft4 für feinen Nächsten auf opfern unb
©ie ... ©ie weigern fief)! So ift 3h« N?enfchli4feit, 3^« ©tanbeS*
ehre? 34 werbe ©ie oerflagen!"
Neüt) fühlt, bah fte ihn beleibigt, bah fte unbefonnen h^nbelt, aber
um ihren Niann gu retten, ift fie MeS im ©tanbe. SaS ftnb ihr noch
Sogif, Tact, Ntitleib! 9ÜS einige Antwort ergreift ber Toctor ein ©laS
Saffer unb trinft eS gierig auS. 5lber Netlp fährt fort, ihn abermals
angupehen unb an fein 9J?itIeib gu appeütren. ©nblich giebt ber Toctor
nad). Sangfam erhebt er p4, «dt unb ftredt ftch unb fieht fi4 tm4
feinem Nod um. „£>ier ift er!" ruft Neüt) unb hilft ihm beim
fleiben. „©o ... nun fommen ©ie! 34 werbe ©ie glängenb honoriren,
S^ttcti ewig bantbar fein!"
Slber wel4« fRein! £aum hat ber arjt ben Norf angejogen, ba
finit er wieber auf fein SBctt ^urüd. Neüt) muh ihn aufriepten unb in r S
SSorjjimmet fcpleppen. Tort wäprt eS wieber lange, MS er mit ihrer
£ülfe ^elg unb Ueberfchupe angejogen hat. ©chliehli4 tann er bie
Nfü$e nicht pnben. ©nblich finb fie SBeibe im Sagen, ginfternih überaü
. .. man pept bie £>anb nicht üor ben äugen. Ter Sinb brauft ihnen
eifig entgegen. Ter Sagen fommt auf ben holperigen, gefrorenen Sanb=
wegen nur langfam oorwärtS. Ter 5httfdjer muh oft abfieigen, um ben
Seg 511 fnepen. Neüt) unb ber $lr$t ftjjen fchweigenb ba unb fühlen
Weber bie 51 ölte, noch bie ©töhe beS SagenS.
„©0 treibe hoch bie Sßferbe an! ©cpnett, oorwärtS!" ruft Neüp
bem Ihitfcher gu. ©nblicp gegen fünf Upr NtorgenS fommen bie ab»
gehegten ^ferbe an ben $of. Tort tft ber Siehbrünnep, f)kt bie (Stätte
unb ©epeunen .. . Neflp ift in ihrem Taheim.
„Sarten ©ie ein wenig, ©err Toctor, icp geh' öorauS," fagt pe
unb läfjt ihn im ©aft^immer auf'S ©oppa nieberfipen. „©rwärmen
©ie fiep, icp wiü fehen, waS er macht..." gurüdtebrenb, pnbet pe
ben Toctor auf bem ©oppa Itegenb. ©r laflt unoerftänblicpe Sorte.
„Sitte, fommen ©ie, §err Toctor. . . Toctor!"
„SaS? .. . gragen ©ie bie fNagb ..."
„Um ©otteSwtüen . .. waS ift mit 3hnen?"
„3n ber ©i^ung fagten pe ... Slaffom meinte ... Ser ba? ...
SaS giebt'S? ..."
Neüp pept ju iprem ©4«d, bah ber Toctor pebert, — ganj wie 1
ipr Ntonn. SaS tpun?
„3nm ftreiSarjt!" ruft pe furj entfcploPen. Unb bie gaprt gept
nun wieber in bie pnftere Nacht hinaus, über bie gefrorene, holperige
Sanbftrafje, bem eipgen ©turmwtnb entgegen, ©ie leibet an ©eele unb
Seib, unb bte unbarmherzige Natur pat mit ipr fein Sttleib, noch gönnt
pe ipr täufepenbe 3Unponen. %ein, nein, lieber ewig eine alte Sungfer
bleiben, als no4 einmal eine folcpe Na4t erleben! ...
©in anbereS 93ilb.
Neüp pept nun auf bem grauen $tntergrunbe, wie ihr Sann mit
©elbforgen fäntpft. ©r foü für bie ©chulben auf iprem ©ute 3i n f en
bezahlen. 93eibe zermattern pdt in f4lafIofen Nächten ipr ©eptm, um
einen 5luSweg z« pnben, bem ©ericptSooüzieher zu entgehen.
Unb jefct pept pe ipre JHnber ... ©ie ift in fteter &ngft 00 t ©epar^
la4, Tiphtperie unb anbern tobbringenben Äranfpeiten. Senn pe fi4
Oon ben Äinbem trennen muh, füplt pe jebeSmal £>öüenqualen, fogar
üor ben ©cpulzeugnipen ängftigt fie fiep. 93ei ber geringften ©rfältung
eines iprer kleinen zittert pe für fein Seben.
Tann erblidt pe auf bem grauen $intergrunbe ben Tob. ©ie ift
barauf üovbereitet. ©S ift ja natürli4, bah eines oon ben ©atten zu*
erft fterben unb baS Ueberlebenbe ben grauenooüen 9lct ber ©eerbigung
burepmaepen muh- NeÜp pept im ©eift ihren SNann fterben. Ntit
aüen qualooüen (Einzelheiten baS für4terlicpe ©reignijj an ipren
äugen üorüber. Ter ©arg, bie brennenben Äerzen, bie ©eiftlUpfeit, fo«
gar baS $ämntern beS ©aratifd)lerS — NicptS wirb ipr erfpart.
„Sozu baS aüeS? Tie ©pe ... baS ganze Seben ... waS foü
eS? SaS pat eS für einen Swed, welchen ©inn, wekpeS 8^1?" fragt
pe unb ftarrt bem tobten ©atten in'S antlip. 3pr ganzes epeU4eS
Seben fepeint ipr nun eine pnnlofe Tragifomöbie, wie ein unnüfeS SBor=
wort zum unerbittlichen ©cplupact beS TobeS.-
^lö^licp ein ©eräufep. ©S ift etwas gefaÜen. Nettp f4ridt
fammen, jpringt auf unb öffnet bie äugen, ©in ©piegel liegt zu ipren
güfjen, ber anbere ftept noch aufrecht Oor ipr. ©ie blidt hinein unb
fepaut ipr bleiches, üerweinteS ©efidjt. Ter graue ftintergrunb ift üer^
fcpwunben. „Selcp ? ein grauenhafter NeujaprStraum!" flüftert pe unb
atpmet erleichtert auf. Tann gept pe zur Nupe. TaS eifrige ©innen
unb Trachten nach bem erhofften ©peglüd ift ipr zum ©fei geworben,
auf wie lange? .. . armeS Nienf4enperz! . ..
|lu$ bet ^auptflabt.
Ütanner be« »ergangenen 3abri)nnberta.
©in Heiner ^lutarcp.
auf aüerpöcpften öefepl ift inzwifepen baS zwanzigfte Sapi'punbert
angebrochen. Sir finb wieber einmal früher als ©pronoS aufgeftanben.
©ornopl unfere ©eieprten wie bie weltlichen unb geiftlicpen autoritäten
paben fiep mit bem liebenSmürbigen fleinen Ne4enfepler einoerftanben
erflärt; nur ein Ntedlenburger ©onfiftorium unb ein Äaffeler ©cput
meifter wagten baS öanner ber gronbe z u entfalten. Ter ^pilolog
unterwarf p4 inbeffen noch rechtzeitig unb führte zu feiner ©ntfcpuU
bigung ben ^auptmann oon Äapernaum in'S gelb, einen biblifcpen
gelben, bem hoffentlich au4 baS Ntedlenburger ©onpftorium ben ©e=
porjam nicht oerweigern wirb, gügt eS fiep ebenfaüS no4 in le^ter
©tunbe, fo giebt eS im Sanbe feinen Stberfpru4 ntepr gegen einen
Zwar unleugbaren, aber obrigfeitlicpen Srrtpum, unb waS unfer matpe=
matifcpeS können an anfepen oerliert, baS gewinnen wir auf ber anbern
©eite burd) unerhört glänzenbe Tocumentirung ber beutfepen ©inigfeit.
Ntögen wir auep in taufenb unwichtigen gragen oon Parteiungen zer=
riffen fein, in ber grage ber 3ohrpunbert=Senbe fiepen wir zufanimen
wte ein 9Kann. Sir fönnen heute, ©ottlob, mit Nupe unb ber Sapr*
peit gemäjj faaen, bafe unS ein Saprpunbert Oon ©iSmard trennt. aüer=
bingS pat eS Seute gegeben, bie baS fepon oor zwei unb no4 mepr 3opren
behaupteten.
£>aben wir fomit baS Tpor burepfepritten, baS zwei 3ritalter f4eibet
unb oerbinbet — man geftatte unS, einftweilen im ©til ber Neujahrs^
Seitartifel zu bleiben —, fo brängt fiep unS bie Pfli4t auf, bie Bilanz
Digitized by v^.ooQle
14
Die <ftegeo®art.
Nr. 1.
beS versoffenen 3öp*punbert3 ju stepen, epe mir bem eben begonnenen
baS $mroffop fteßen. AuS ben ©eficptSsügen ber Männer, in benen fiep
bie Vergangenheit verförpert, fönnen mir unS baS 93ilb sufünftiger
©rößen conftruiten. Die cparafteriftifchen Umriffe ber Heroen, beren
Wupnt bie leßte ©ocpe beS alten SohrpunbertS erfüllte, bringen ©eftalt
unb Klarheit auch in bie mogenben Webel beS mit poper obrigfettlicper
©rlaubniß foeben gans neu eröffneten ©äculumS.
*
Wocp fein ©taatSfecretär beS Aeußern pat un$ fo viel fcpöneS
©elb gefoftet, aber bie Weben, bie er rebet, finb munberfam. gut großen
gufelsAuSVerfaufe, ben Spanien vor Kudern su bebeutenb peraufgefeßten
greifen Vornapm, blieb er ber WJeiftbietenbe, unb ein fo fluger Mann
mie Auguft ©cperl traute ihm erft unlängft toieber bie fünfunbsmanstg*
miflionenfache lleberjahluttg ber Aracmüfte ©oa su. Aber bie Weben,
bie ber $err ©taatSfecretär rebet, finb munberfam ©ie funfein von
Silbern, bie entmeber ©emeiitpläße an ber ©onne ober geifitgeS
©tgentpum beS erften KanslerS ftnb, unb ein ebenfo gemütvoller
toie pointenlofer #umor leiht ihnen noch befonbere ©iirse. ©cpabe,
baß mit nieblichen Wad)tifcps0päßen feine ernfthafte ©eltpolitif su machen
ift. Deutfcplanb mußte, fürs nacpbem ber ©taatSfecretär eine befonberS
mißige, bilberreiche unb gut gefprocpene Webe gehalten hatte, fcpmeigenb
ben ©amoafdjimpf hinnehmen, unb Deutfcplanb empfing bie 3nfel auS
©nglanbS §anb, nicht meil bet ©taatSfecretär abermals im WeicpStag
allerlei Kursmeil Vorgetragen hatte, fonbern meil mir unS su ber Weife
nach ©tubfor verftanben. Kein 3)veifel baran, bie güße ber Drinfs
aelber, bie ©aliSburp unb ber fionboner ^rocurift beS §errn ©ecil
WpobeS für unS bereit halten, ift ebenfomenig erfchöpft mie bie gapl
ber unS von ihnen sugebadjten Soyerftöße. Domning ©treet rneiß feine
Anmutp in baS ©eben sw legen. Wegeimäßig bemüthigt eS ben ©e=
feßenften, unb fein Afliirter muß ihm gleichseitig als ©tiefelfnecht bienen.
3n ber beutfepen Diplomatenfpracpe nennt man berartige Wrißpaitbhtngen
„©epeintverträge". Die beutfepe Diplomatie nimmt jebeS gafepoba pin,
menn ipr nur bie föftlicpe greunbfepaft ©nglanbS erhalten bleibt, greis
ließ haben eben erft ©ronje am Wfobberfluffe unb ©cpalf Surger am
Dugela fehr anfcpaulicp gezeigt, maS biefe greunbfepaft mertp ift unb
mie unmeife unfere pocpmoplmeife Diplomatie mar, als fie mit fröhlicher
3uverftcßt alle CbbS auf poftmenbenben Sieg gopn Suü'S legte. Die
©runblage unferer gansen DranSoaal=$olitif ift grunbfalfcp unb mußte
eS fein, meil bie Wfaßaebenben in Sertin gefcplafen patten. Unb bamit
unfere ^Blamage t>or ©uropa unb Afrifa ben §öpepuitft erreiche, ließ
bie verbünbete mißige ©roßmama beutfepe WeicpSpoftbampfer aufpeben
unb nach Durban fcpleppen. Aber bafür finb bie Weben unferS ©taat3=
fecretärS munberfam.
Auch baS gefällige Arrangement feiner fleinen ©rfolge oerbient
aUeS £ob. 9Wan benft gar niept an bie baaren Millionen, bie fie beit
©taatSfäcfel foften; man fiept nur baS flacfernbe Wotpfeuer, baS fte um-
ftraplt. Unfer TOnifter beS AuSmärtigen meiß fiep feinen ^ßlaß an ber
Dpeaterfonne sw fiepern. ©ie reisenb mar niept ber ©amoa=©cpers ins
feenirt! Die Wfißpanblung beS beutfepen Kreuzers im §afen oon Apia,
bie SBefcpießung beutfeper Vflansungen mit englifcpeit unb amerifamfepen
©ranateu Vernichteten jebe Hoffnung, baß unfere Diplomatie fiep sur
Sertpeibigung unferer verbrieften Wechte aufraffen ober fie gar geltenb
macpeit mürbe. Dann nahm bie giufterniß smifepen ben ©ouliffen itocp
SW. Der ©olonialratp erflärte mit großer Wfeprpeit, bie ©rmerbttng
©amoaS burep Deutfdjlanb nid)t befürmorten su fönnen. Damit fepien
bie Swfelgruppe enbgültig verloren. Unb nun brad) plößliep in greüem
©lause bie ©onne burcp'S fepmarse ©emölf, eine ©onne von fo fiegpafter
Äraft, mie fie nur gans gemiegte Wequifiteure swr Verfügung pabeit.
Wun serfiatterten plöplicp bie ©epatten ber Wacpt, unb baS palmen*
umfränste ©ilanb mar unfer! 9Öenn bie gefd)icfte mise-en-scene ber
Diplomaten unb ber Sortrag beS WUnifterS ©liicf machte, bann müßte
unferm ©taatSfecretär beS Sleußern vor ber ©ötter Weibe grauen.
©in ©uteS pat bie amiifante Wfeiningerei boep: mir bürfen popen,
baß fiep auep ber ©epeimvertrag mit ©nglanb als ein reisenber ftnalls
bonbon ermeifen unb uitS bunte gafdnngS=Ueberrafd)ungen bringen mirb.
©erabe Von ben gwbiScretionen beS fifett Wuguft ©cperl, bie ber ftaatS*
ntännifepen ©infiept unb ©emanbtpeit unferer Wtaßgebenbcn baS©terbes
Wtteft auSfteöen, mirb fiep in leucptenber ©cpönpeit abpeben, maS fie
mirflicp erreicht haben. Dpite biefen graugrauen ^intergrunb, ben bie
Sefcplagnapme beS „SunbeSratp" noch troftlofer macht, näpnten fiep ihre
eublicpen ©rfolge Vießeid)t ungemein armfelig auS: jeßt aber, mo alle
5BeIt baS ©cplimmfte ermattet, fann alle 3öelt nur itocp angenepnt ents
täufept merben.
Söer mill nod) in Wbrebe fteßen, baß bie Dpeaterfunft bie .^unft
beS neuen 3 a P l hwnbertS ift? DeS neuen 3 a P r PwnbertS, mie mir eS
verftepen?
*
DaS preußifepe CberVermaltungS=©eri(pt pat feine ©^iftens=Serecps
tigung auch für baS smansigfte ©äculunt ermiefen. ©eine Ünentbeprlicps
feit ftept feft. 9ftan feße nur ben gaß, eS märe nicht auf ben ©ebanfen
gefommen, ber SausSotisei politifdje Sefugniffe 3usufprecpen unb ipr su
geftatten, fimple Saumerfe, gegen bie teepnifep WicptS einsitmenben ift,
auS ©riinben von Wuno Wdptunbviersig s u verbieten — maS pätte bann
ber jeßige Dberbürgermeifter von Serlin anfangen foßen?
Der jeßige Dberbürgermeifter Von Serltn ift baS felbfts
ermäplte .J)aupt einer SWißionenbevölferung, beren SWännerftols vor
Königsthronen mepr als fprtcpmöttltcp ift. WZan erinnere fiep nur, baß
freifinnige Wfitglieber beS ^Berliner ©tabtparlamenteS einft ipren ©öpnen
verboten, an einer ftubentifcpen^uIbigungSfeiertpeilsunehmen, bie bem alten
Kaifer galt; baß ber Serliner SJiagiftrat 3öpre lang bem gürften SiSs
marcf, bem Weubegrünber ber preußifepen Monarchie, mit rafßnirt auSs
geflügelten ©teuerplacfereien ben Slufentpalt in ber £>awptftabt su vercleln
fuepte. Dielen guten Wepublifanern, bie eS ftols verfepmäpten, fiep auch nur
Sernunft= s JWonarcpiften su nennen, troß ber in bem ©orte üegenben, in
iprem befonberen gafle freilich beplacirten ©cpmeicpelei, biefen Aufrechten
begegnet eS, baß ipr ©ommunepapft anbertpalb 3wpre lang bie faiferlicpe
Seftätigung niept erpält. 3w» fcplintmer noch — überhaupt feine SWits
tpeilung erpält. ©te Doggenburg martete er, bis baS genfter flang,
anbertpalb 3öpre pinburep, unb anbertpalb 3 Q h^ e pinburep flang eS
niept. Dem Wionarcpen ftept verfaffungSmäßig baS Wecpt su, bie Se=
ftätigung su Verfagen, unb felbft ber llnentroegte mirb bieS Wecpt ans
erfennen. Dagegen mußten bie aufgeflärten, freiheitlichen unb frei=
finnigen ©tabträtpe, mußte ber aufgeflärte, freiheitliche unb freiftitnige
Wtagiftrat eS als eine fepmere Seleibigung betrachten, baß £err Von ber
Wecfc nid)t einmal einen ©runb für bie befremblicpe Sersögerung ber
©ntfepeibung ansugeben für nötpig pielt. Droßbem magten meber bie ©tabts
verorbneten nod) ber üKagiftrat, auch nur su muefen. §err Kirfcpner,
ipr felbftermäplteS, unbeftätigteS ^aupt, empfing barhaupt, im ftrijnten=
ben Wegen, ben von ber 3enifalemfaprt peimfeprenben föniglicpen £>errn.
Die aufgeflärte, freiheitliche unb freisinnige Sßreffe baepte fo menig mie
bie fiiprenben Wfänner baran, ftdp su entrüften. Unb ipre ©ißblättlein
machten fiep gar über ben unglüdfeligen Sürgermeifter luftig, ©potteten
iprer felbft unb mußten niept mie.
Die Dragifomöbie beS unbeftätigten OberbürgermeifterS von Serlin
ift bie Dragifomöbie beS verfommenen pauptftäbtifepen SiberaliSmuS.
Da roßt fein Dröpflein rotpen SluteS ntepr in ben greifenpaft verfallen
Abern, ba lobert fein gunfen beS männlichen gorneS mepr unb beS
felbftbemußten ©toIseS, mie er bie Säter befeelte. griebfertig bietet man
naep ber erften Dprfeige, bie man erhalten pat, auep bie linfe ©ange
bar, unb je länger man im Süßerpemb frierenb auf bem ©cploßpofe
ftept, befto untertpäniger geberbet man fiep in bpsuntinifcp verfcpnörfeiten
©eburtStagSabreffen. Witr niept auftoßen, nur um £>immelSmiflen niept
anftoßen! ©cpeint’S Wotp su tpun, bann faßen ben Aufgeflärten, ben
greipeitlicpen unb greifinnigen fogar fepmülftig = peudplerifcpe grömmlers
pprafen ein, unb fie nehmen ben berben Wippenftoß, ben ber Dberceres
monienmeifter ihnen falt läcpelnb Verfeßt, als eine ©epiefung ©otteS pin.
DaS ift bie entfepteben liberale Partei, bie baS ©rößeresDeutfcplanb
regieren miß unb beßpalb bie neue glotte bauen hilft; baS finb bie
liberalen Wiänner ber 3ufunft. ..
*
Der ©taatSanmalt ruft mit fdjmungvoflem 95atpoS auS, jtpänb=
lieper unb gefährlicher als Waub unb Wtorb unb Diebftapl fei bie ©r=
preffung; man müffe, fofte eS, maS eS moße, ben WeVolverjournaliSmuS
ermürgen unb ein unb für aße Wfal ein abftprecfenbeS öeifpiel ftatuiren.
©rgriß'en laufept baS publicum, unb bie ^Berliner 93örfen= unb ^anbelSs
3eitungen fpeitben ^eifaß . . . ©aS ift baS? ©ie fpenben SBeifafl, nun
eS einem ber gerifjeiten ©cplauberger an ben Kragen $ept, bie ftep
Wubliciften nennen unb bie fepmußigen ©efepäfte ber £mcpfinans beforgen,
bie mit gtoei- ober breipunbert Wtarf Monatsgehalt prächtige SSiflen
bauen unb als Wtiflionäre felig verenben? Der SournaliSmuS, ben
man mit feltenlaugen, fetten 3nferaten besaplt, bamit er fepmeige, unb
ben man am ©rtrage ungeheuerlicher ©aunereien betpeiligt, bannt er fte
überfdimäuglicp lobpreife unb bie ©irnpel auf ben fieint locfe — biefer
aße ^Brunnen vergiftenbe 3^urnaliSmuS fißt auf ber Anflagebanf, unb
bie ©örfenpreffe ruft bonnerub 95ravo?
Ad) nein — nur ein Siümpcpen, ein armer bummer Deufel ift
eingefangen unb 3U anbertpalb 3 a P r ^u ©efängitiß verurtpeilt morben.
£>crr 3^fid)im ©eplfen, ber ehemalige WeicpSglöcfner, beffen paßgefepmoßene
9MSmardbefcpimpfungen ben vornehmen Vlättern mie ben vornehmen
Wolitiferit ber Wefibens einftmalS ©onnefpeife maren, patte naep feiner
Amneftirung mit feparfem s ^licf einen für feine Strategie fepr geeig=
rieten berliner Sorort auSfinbig gemacht. ^)ier grünbete er, unbe=
fümmert um baS Werbot, ©urft unb Käfe in bebrucfteS Rapier eins
Stimidelit, etliche 3 e tff c P r iften unb befäntpfte barin auf feine grißenpafte
©eife ben SafiliSfen ber ©orritption. Wfan fann fiep auS ben ©ericptSs
Verpanblungen fein 93ilb Von ber ©cpulb ober Unfcpulb beS jebenfaüS
fepr unmobernen WfaitneS ntaepen. ©emiß fepeint, baß er felbft 9Hes
ntanben um ©elb anging, fonbern baß bie '-Berfucper su ipm in ? S £auS
fameit unb beit in füntmerlicpcn Scrpältniffen öebenben anföberten.
©r verbiß fiep in ben ©iberpafen, mie folcpe Dölpel fiep verbeißen,
junger tput mep, unb einen neuen Ansug braudjte er auep — fo ließ
er ab von bem Kampfe gegen bie ©orruption, bie ipm ^pofeit unb Wocf
annteffen ließ unb feiner grau baS erforberlicpe ©irtpfcpaftSgelb eins
pänbigte. ©r rnarb bafür von WecptSmegeit su anbertpalb 3&pren © e '
fängitiß Verbammt. Db in bem beroußteit Vorort feitbem abgesogene
Dugenb graffirt, ob bie bortigen ©rebit= unb gutmobilien=S8erfepr§«
hänfen eine ©efprecpitng iprer ©epcitnniffe meniger su fdjetten haben
unb bie Anbeter ber ASppalri©Öttin uid)t mepr im Dentpel fnieit, baS
AßeS ift an ©ericptSfteße unerörtert geblieben.
Digitized by v^. ooQie
Nr. 1.
Ute <8> eg eit »au.
15
Xie empörte öffentliche Meinung, an iprer ©pipe bte Meprzapl
ber Aörfen* unb §anbelSzeitungen, pat ben ertappten IRevoloermann
getpeert unb gefebert, gelpncpt unb aufeerbem ber Aeracptung aller ans
ftänbigen Elemente überliefert. granz Moor ift mit iRecpt entrüftet.
©r pat ftep nie mit töleinigfeiten abgegeben, roie ber jammervolle $Reid)S=
glödner, bem vor Qapren ber s Jtiefe AiSmard nicht zu grofe unb un=
angreifbar bünfte unb ben bie 9?emeftS nun über ein paar jmeifelpafte
Stuergs^fiftenjen ftolpern liefe. ©r oerbient fein ©cpidfal, benn er pafet
in feiner Qurücfgebliebenpeit, mit feiner plumpen unb auf fümmerlicpen
SRaub gerichteten Xaftif nicht in baS vorgefeprittene, grofe angelegte neue
3aprpunbert. Caliban.
Dramatiftfye Äuffüljningen.
Xpeaterftatiftif. — „Otto Sangmann 28roe." ©cpaufpiel von Abolpp
S'Arronge. (Ägl. ©cpaufpielpauS.)
©troaS Xpeaterftatiftif 511 m 3aprpunbertmecpfel ift nicht ohne
SReiz, unb fo mögen unS benn bie naep Aenzenberg „beroeifenben*
3aplen fagen, roer peute ber Liebling beS beutfepen AolfeS ift, foroeit
eS menigftenS baS Xpeater befuept. 3Ber Vor punbert Qapren bie grage
naep bem meiftaufgefiiprten beutfepen Xrantatifer unterfuept hätte, märe
opne Qroeifel zu bem ©rgebnife gelangt: ftopebtte, bann naep ipm 3 fflanb,
felbftverftänblicp neben ben granzofen, bie auep bei Sebzeiten unferer
(Ilaffifer bie beutfepe Aüpne beperrfepten. Aon unferen ©rofeen mar
roopl — aber ein gutes ©tüd pinter ben beiben Mataboren — ©epilier
mit feinen Sugenbftiiden ber meiftgefpielte; nael) ipm Sefftng mit
„ s )iatpan* unb „Minna Von Anvnpeim"; ©oetpe, ber im Stfoman
pBertper) einen SBelterfolg errungen, mürbe verpältnifemäfeig feiten
aufgefüprt; am beliebteften maren mopl „©lavigo" unb „©tefla", meil
fie bem bürgerlichen 3 eitgefcpmad befjer entfpraepen, als ber fvafts
genialifepe ,,©öp". Unb patte man vor fünfzig fahren mieber naep
bem Siebltng ber beutfdien Xpeaterbefuepcr gefragt, bie allroiffenbe
©tatiftif pätte ficperlicp geantmortet: Sparlotte AivcpsAfeiffer unb ©cribe.
5Bie eS peute befteKt ift, entnepmen mir einem ftatiftifepen SRüdbltd auf
baS Xpeaterjapr 1898/99: unter 30 795 Aufführungen beS QapreS —
Oper, Operette, ©aßet niept mitgeredmet — entfallen auf OScar
Alumentpal'S brantatifepe Xicptungen 3076 (in ^Sorten: breitaufenb^
fiebrig unb fecpS!), bavon allein auf baS „53eifee Aöfel" runb 1700 Aors
fteüungen. 9?äcpft biefem unfterblicpen SBerf patte fiep ber „©cplaf=
ivagencontroleur" mit 769 ber pöcpften AuffüprungSzapl zu erfreuen.
Xann folgen „guprmann ^enfdjel" mit 716, „§ofgunft" von Xrotpa
mit 642, baS „©rbe" von Apilippi mit 610 (in Berlin burcpgefaüen),
„Auf ber ©onnenfeite" mit 506, „Soja" mit 409 Aufführungen. 3n
ber Autorenftatiftif folgt auf Alumentpal: ©erpart |>auptmann *(1294
mal, unb *roar naep bem „guprmann ^enfcpel" bie „Aerfunfene ©lode"
mit 220 , ber „Aiberpelz" mit 192 Aufführungen); bemnäepft ©epilier
(1102), ©ubermann (998), ©cpöntpan (971), Mofer (914, meifienS
nur in ber „^rovinj"), ©pafefpeare (788), ^pilippi (719), S’Av=
rouge (589), gulba (569), ©arbou (472), Anzengruber (336), ©oetpe
(326), Airep=Pfeiffer (294), 3bfen (269), Scffing (231), XrnnaS (202),
©cribe (128). Einbau, Subliner, Aofe, SBilbranbt tommen faum
noep in Aetracpt. Unter ber ©efamnttjapl von 30 795 befanben fiep
nur 4733 Aitffitprungen frembfpracpiger Aterfe, movon 3162 auf frans
jöfifepe ©tücte fommeit, bie benmaep im SiurS Vorübergcpenb niept
mepr fo poep ftepen mie früper. Xen SRecorb pat, mie gejagt, Alumen=
tpal, aber eS fallen, roaS ber ©tatiftiter überfiebt, verfrijiebene fepr
bittere Xropfen ABerntutp in feinen ©iegerpofal. Aon ben 3076 Auf=
füprungen mufe er bie Xantiemen von 2926 Aorfteflungen 51 t feinem
tiefften ©cpmerze mit feinem Mitarbeiter ftabelburg tpeilen. XaS
©eplimmfte aber: eS finb fogenannte formte ©rfolge. Xie Aorftel=
lungen entfallen in ber föauptmaffe auf baS 2effingsXpeater, beffen
©igentpümer unb (menn auep niept mepr nomineller) Seiler Alumentpal
noep peute ift. ©in fepr meifeS $arifer Xpeatergefep verbietet jebent
Xirector, ein eigenes ©tüd auf feiner eigenen Söiipne zu fpielen, momit
Verptnbert mirb, bafe ber Autors Xirector feine Macproerte auf Äoften
feiner bramatijepen Soncurrenten pouffirt. XaS mar unb ift aber ge=
rabe 93lumentpars befannter ©efdjäftStniff. 3nt Seffing*Xpeater merben
auep feine abgefpielteften ober burcpgefaüenften ©tücfe mit Olemalt auf
bem (©pielplan erpalten, — fogar vor ganz °& er halb leeren Käufern;
fo fpart man boep menigftenS bie Xantiemen unb fpiegelt ben ^rovinz^
birectoren einen jum Anlauf animirenben Äi affenerfolg vor. grembe
©türfe aber merben nur mibermiHig angenommen ober gar verbaüpovnt
(„©ertrub Antiefe") unb Verfcproinben fofort, um toicber bem lieben iiau$=
clafftfer ^Pla^ z u utaepen. XaS rächt fiep natürlich, benn fo ftiefmütter=
lieh bepanbelte Antoren merben fiep in ber ßrolge püten, ipre Novitäten
biefem Xpeater $u geben. 3 U & en Abtrünnigen gepört auep ©uber=
mann, ben Slumentpal mit ber jßadjtübergabe'an beffen Manager 9?eu=
mann=^ofcr, unb burep bie SulnläiimSauffüprung ber ,,©pre w , fomie
ein fepmeicpelpafteS geuitteton mieber z« geminnen fuept. XaS mirb
aber nicptS an ber Xpatfacpe änbern, bafe nur noep Anfänger ober
von allen anberen Xirectoren zmrüdgemiefene gflanuferipte ipren 2Beg
imS SBIitmentpaU Xpeater finben. Unb verfagt bann fein ©aifonftürf,
mie bie überall abgelepnte erfte gortfefeung ber feplau erbaepten IRöfels
Xrilogie ober Xetralogie, bie breiactige Oebe „AIS ich mieberfam", bann
ift baS §auS auep mit fämmtliepen Xurner= unb ßeglerverelnen ©erlinS,
benen 5 « palben ©affenpreifen vorgejpielt mirb, niept mepr $u füllen.
Xer fepönfte SRecorb beS ftatiftifep beglaubigten „Stebling beS s $ublicuntS"
Pat alfo für ben Kenner ber S3erpältniffe eine fepr bebenlliepe Äeprfeite,
unb gerabe fein Xriumpp als meiftgefpielter Xrantatifer ift Alumen=
tpal'S SSerberben. 9hept viel anberS liegen bie Xinge bei ^auptmann,
beffen ©rfolge fiep faft ganz au f berliner Xeutfepe Xpeater be*
fdiränfen, bem er niept nur als Autor, fonbern auep als Antpeilpaber
ober fo ähnlich jjapeftept. ©ine tiefer bliefenbe ©tatiftil mürbe baper als
beliebteften Xrantatifer gernife eper ©ubermann proclamiren, ber auep
in ben Seips unb SSolfSbibliotpefen (neben ber ©fcpftrutp) ber melftver=
langte Autor ift, unb zmar obgleich feine lepten ©tüefe, von 93erlin ab»
gefepen, mepr ober ntittber alle verfugten. Xer ©rfolg in ber SReitpSs
pauptftabt ift eben entfepeibenb. ©in berliner Mißerfolg tann burep
©affetterfolge in ©ien, Hamburg, Müncpen, granffurt, Seipzig k. niept
mepr mett gemaept merben. Xie DieicpSpauptftabt ift peute auep bie
beutfepe Xpeaterpauptftabt, mie fie fepou jept ber gröfete Äunftmarft ift
unb trop Müncpen unaufpaltfam bie beutfepe ftunftftabt mirb.
Xer Aefiper beS Xeutfcpen XpeaterS pat eS längft niept mepr nötpig,
unb boep bidptet er immer noep gemütpvolle ©epaufptele. Xafe ipn ber
©eift bazu treibt, ift faum anzutiepmen, menigftenS verrätp fein an*
geblicp neues XBerf feine ©pur von ©eift. ©0 bleibt benn nur bie
Annapme übrig, bafe ber alte S'Atronge auS Sangermeile ©tücfe fepreibt,
maS allerbingS fein fcpötteS Sicpt auf feine Angepörigen mirft. ©ie
foüten für beffere Unterpaltung beS gamilienoberpaupteS 6orgj tragen
unb ipn gar niept erft auf trübe ©ebanfen fommen laffen. ASie märe
eS, menn fein ©opn §anS unb fein greunb Subliner, bie ja beibe au<p %
bid)ten, ein für allemal ipre jßoefies^ureauftunben bent Xauerfcat mit'
Abolpp S'Arronge mibmeten? Xabutcp märe niept nur bem alten £>errn
geholfen, fonbern auep mir fönnten, von brei Xramatifem ober boep Von
ipren ©cpöpfungen befreit, pörbar aufatpmen!
Abolpp S'Arronge füüt müfeige ©tunben mit ber SRieberfdjrift
feiner gefamntelten 3Serfe auS unb vertreibt fiep fo bie Sangemeile, bt=
benft aber niept, bafe er biefelbe Sangemeile anberen Seilten zutreibt.
Unterm verföpuetiben ©influfe reichlich genoffenen ^SfefferfuepenS moüten
bie maeferen Abonnenten beS ©cpaufpielpaufeS nidpt öirect grob merben
unb antmorteten ntitleibvoü ben 3if4 crn mit S3cifallrufen. Xennocp
verpeplten fie unter einattber ipre Unzufriebenpeit niept. ©ie alle patten
bteS ©tüd fepon öfter irgenbroo gefepen, unb eS mar ipnen bamalS frifdjer,
natürlicher, ipafeiger vorgelommen. ©0 eine grau, roie Sangmann'S
SBittme, giebt eS ja gar niept. Xiefe Xame, bie eitel, genufefüeptig
unb aufeerbem gnpaberin eines altberüpmten MoberoaarenpaufeS ift, pat
trop tprer faufmännifcpeit S3ergangenpeit feine Apnung Von ber Aebeus
tung eines ©ecpfelS, unb ungeadjtet ber bringenben Bitten beS ^rocuriften
roiö fte tpren iReft an baarem ©elbe zum Anfauf einer SStfla in Akmnfee,
ftatt zur Aezaplttng eines mieptigen AccepteS verroenben. Xafe fie unter
folcpen Umftänben ber ©oncurrenz 3®ertpeim'S erliegen mufe, ift niept
roeiter verrounberltcp. Xie girma Ctto Sangmann Sroe. liquibirt, unb
ber gefaöfücptigen alten ©epacptel roäre eS verteufelt fcplecpt ergangen,
roenn fte niept einen ©ngel von Xocptcr gepabt pätte, eine ebenfo fluge
mie liebenSmürbige Xocpter. XieS Muftermäbel evnäprt bie verarmte
gamilie glänzeub burep Älavierftunbeit unb ftenograppifepe Arbeiten.
Subliner lofte bie fociale Stage burep ©rünbung Von gortbilbungS*
fcpulen, S'Arrottge rnaept bie ©aepe mit ÄlaviersUnterriept. Xropbem
fipen Aetbe immer noch nicht im SReicpStage. XaS gute unb fromme
Xorepen mirb am ©nbe für ipre Xugenb föftlicp belopttt, fie friegt
nämlicp grip Aorftel, ben guten unb frommen ^ortierfnaben. Ueber=
paupt bie SÖorftel’S! An benen pätte fid) Dtto Sangmann 23me. ein
Aetfpiel nepmen foüen. AJie bie Xurteltauben leben fie ntiteinanber,
arm, aber eprlicp unb glüdliep, unb ber liebe ©ott zeigt fiep für ipre
Xugenb erfenntlid), inbem er ipnen bemufeten grip zum ©opne gab.
Xamit aber Wiemanb von ben ^ßerfonen beS XpeaterzettelS Anlafe pabe,
unzufrieben mit bem Autor zu fein, verpeiratpet ber mtlbpevzige $oet
Xorcpen'S tpöriepte ©cpmefter glordjeit am ©nbe rafcp noep mit einem
fteinreiepen Aaron, unb Mama ziept zu bem abligen ©cpmiegerfopne.
Xcnn ba fie fiep felbft im lepten Acte nicht gebeffert pat, fonntc ber
Autor fie für bie parabiefifepe ©eligfeit ber Portierloge niept für reif
erflären, fo leib eS ipm aud) tpat.
©onft genügte baS Xrama allen geregten Attfprüepen ber gereepten
.liammmaeper. ©eine rüprfdtge Areite, fein mäfferiger ^untor, bie lln=
ntögliddeit aller, aber auep aller AorauSfepungen, bie tpöriepte ©pa=
rafteriftif unb baS greuliche Xeutjd) beS XialogeS fiepern bem Aerfaffer
einen ©prenplap unter ben Xicptern ber lepten beiben SBoepen beS neun=
Zepnten 3a^tputtbertS.
- Xi** -
*
Digitized by v^.ooQle
1 iGg; {Q£>: S9; ’G£>i Q£» i
. *K ei! TJT . M* * M; ’Ä: 'Ä; ;Ä v TJ’
Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Ejrankheitserscheinungen.
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von ®/ 4 1 75 Pf. in
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Beildorf (Rhein). Dr. Carbach & Cie.
$unbert Drtainal * ©utadjten
o. Orrcwnb u. getnb: ©jörnfon
JBranbeS ©üdjner £rt8pt Dapn
Raubet Cgtbp Montane @rotö
$aecfel ftartmann §ci)fe Sor*
bau ftipling SeoncanoUo üins
bau Comärofo 2Jiefcf)tfc6er8ti
97igra SRorbau OUtbicr fetten»
fofer ©altsfmrp ©tenfieinlcj
©imon ©pencet ©pielbagni
©taitlet) ©toeefer ©trittbberg
©uttner ©Mlbenbrud) XBenier
Bola u. P. «.
Dcrlag ber tfegemuart,
Urteil
Nahrungs-Eiweiss
1 Kilo Tr opon hat den gleichen Ernährungswert wie 5 Kilo
bestes Rindfleisch oder 180—200 Eier. Tropon setzt
Bich im Körper unmittelbar in Blut und Muskelsubstanz um,
ohne Fett zu bilden. Tropon hat daher bei regelmässigem
Genuss eine bedeutende Zunahme der Kräfte bei
Gesunden und Kranken zur Folge und kann allen Speisen
unbeschadet ihres Eigengeschmacks zugemischt werden.
Bei dem äusserst niedrigen Preise von Tropon ist dessen
Anschaffung einem jeden ermöglicht (80)
Zu beziehen darob Apotheken und Drogengesohäfte*
Tropon-Werke, Mülheim-Rhein.
Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift¬
stellers sind zu Gunsten der Hinterbliebenen
folg. Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden¬
preises in schönen, geb. Ex. zu verkaufen:
Brockhaus’ Conversationslexikon. Neueste
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬
gabe 80 M. — Hch. Kurz: Geschichte der
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. v.
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild-
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder-
bde. 50 M. — Lacroix, Les arts au Moyen-
Age; Directoire Consulat Empire, 2 Lieb-
hbde. 30 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde.
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl.
Text m. deutsch. Erklärungen v. Delius,
Hfb. 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel
(Pfeilstücker) Lwbd. 10 M. — Bestellungen
pr. Nachnahme durch Vermittlung der
Expedition der „Gegenwart^ in
Berlin W. 57.
Um ntifcr Säger ju räumen, bieten mir unfcrcu Abonnenten eine giinftige
(Gelegenheit jnr ®erooUftänbiguug ber Collection. So meit ber 2$orratb reidjt,
liefern mir bie Jahrgänge 1872—1892 ä 6 SW. (ftatt 18 SW.), ^olbjabrb*
Öiinbe a 3 SW. (ftatt 9 SW.). (Gebunbene Jahrgänge ä 8 Uli.
©erlag Der ©egenumrt in ©erlin W, 57.
Abonnement
Mit dieser Nummer beginnt das I. Quartal der „Gegenwart“. Die¬
jenigen unserer geehrten Leser, deren Abonnement abgelaufen, bitten wir um so¬
fortige Erneuerung, damit die regelmässige Zusendung nicht unterbrochen wird.
Bei verspäteter Bestellung können oft nur unvollständige Exemplare nachgeliefert
werden. Alle Buchhandlungen, Postanstalten und Zeitungsexpeditionen
nehmen Abonnements zum Preise von 4 Mk. 50 Pf. entgegen. Im Weltpost¬
verein 5 Mk. 25 Pf.
I. Quartal 1900
Bl Verlag der Gegenwart in Berlin W, 57,
zum 56. Bande der „Gegenwart“,
zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwe
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und ver
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden i
Buchhandlungen entgegengenommen.
Bestellungen auf die
«erannuonUdjfr Wcbacteur: Dr. IpeopljU Bölling tn ©erltn. »tebaetton unb (Sjpebttton: ©erltn W., SRanfteinftrafce 7. S)nttf oon fceffr & öccfer tn ßetpitg-
M 2 .
^SerCrn, Öen 18. Januar 1900..
29. Jahrgang.
Band 57.
pic dcpmmnt
Sßwhenfdirift für Siteratur, Straft unb öffentliches Selten.
Jtcransgegeßen Dort ‘gQeopQtt ^offtng.
feien Smmabenb erfdjetnt ttot fnaraer.
•{u bcjle^en burdj ade Su^banblungen unb ^oftämter.
©erlag her (Segentrart tn ©erlin W, 57.
SUrtiimtiD 4 *. 50 »f. «tat pvmer 50 «f.
Snferate lebet «rt *to 3 gehaltene qßetttjette 80 $f.
£>ank unb 9Rafdjincnarbett. @tn focialer AuSblicf. ©on ©aul @rnft. — S)er ^retöfatl im lebten Saljr&unbert. ©on 92. ©tjrfin.
(jn /» /•/ — 5>ie Offtctere unb ber Alfoljol. ©on Dr. 28. ©obe (28eimar). — 5Öei^nacf)t§ibplIe am SftobberttüeT 1899. ©on SBilfjelm
iMtM F Senfen. — $)ie föpifobe SMeu. ©in furjer ©pilog. ©on Arthur ® olbfcfjmibt. — (5^ctle (S^aminabe. ©on $ebiüig
C> V** *• öon grteblaenber=AbeI. — $euUteton. ©in ftf)led)te3 @nb\ ©on ©. SSürt^mann. — Ah$ Der £>auj)tftabt. $ie
92otfföeIfer. ©on Caliban. — 3urt) unb ©eceffion. ©on 3- 92orben. — $>ramatifif)e Aufführungen. — 92otijen. — Anzeigen.
Ijonii- ttttb Ütafdiinenorbeit.
(Sin focialer SluSfOitf.
Son paul <£rnft.
Sie Slmeritaner finb fetir fleißige ^atiftifer. ÜRit uit=
gebrochenem SRuthe unb großer tpartnäengfeit machen fie [ich
baran, bie fchtnicrigften unb Derwitfettften focialen Probleme
ftatiftifch ju ergrünben. Sehr oft gehen fie freilich habet
üb«r bie ©renjen hinaus, bie ber ftatiftifdfen SRethobc gc=
jogen finb; eö macht Dielleicht oft ben ©nbrurf ju jtigeub»
lic|er Segeifterung für eine frifch gemouneite ©inficht, waS
man bauott oft lieft; aber auch bei Derfet)lten Serfitdjen bleibt
boch noch genug übrig, was ber ernfteften ^Betrachtung wertl)
ift. SaS arbeitSftatiftifdhe 9lntt 511 2Baf£)ington f)ot foeben
eine jweibänbige Unterfuchung hetauögegeben auf ©runb eines
Auftrages bcS SoitgreffeS, baS Serhältnifs jwifchen £)aitb«
unb 9J?afd)ineuarbeit ju erforfchen, ihren Giitflufj auf bie
'ißrobuctionSfofteii, ihre relatiDe ißrobuction^fraft, bie 9frbeitS»
foften in beiben gälten, ben Gittflnfj auf bie Söhne in 55otgc
ber burch bie 2Rafd)ineit ermöglichten grauen» utib Sinber»
arbeit, unb enblicf) ob SRangel ober Ueberflufj an 9(rbeitS»
fräften bie ©inführung ber üRafdjinen beförbert. Sie beiben
lebten gtagett liefen fid) nicht beantworten anf ftatiftifcEjem
SÖege, ba hier ä u oiei oerfdjiebenartigc fid) freujenbe, h ctn »
menbe unb beförbernbe gactoren in grage fommen, bereit
relatiüe Sebeutuitg fich nicht sahlenrnäfig feftftcUen läßt.
9fuf bie anberen grageit finb 9lntworten gegeben auf ©runb
Don eiugehenben ©rhebungeit in allen möglichen Snbuftrien.
©8 ift anjunchmen, baff biefe itidjt alle im ©injelneti ganj
einwurfsfreie fRcfultate erjeugt haben, unb man tann beßhalb
nicht auf bet einzelnen 3 Q ht beftehen; ittbeffen gewinnt wan
boch einen fehr fdjönen ©efammtcinbritd, eine fd)nelle lieber»
ficht über ein fonft ganj unüberfidjtlichcS ©ebict. Sou biefem
©efichtSpunft aus muff man auch hie im golgenbctt repro»
bueixten Eingaben au§ ber Unterfuchung Derftchen.
SBenn eS j. S. in ber „9(epfclprobuction" £)cißt in einer
©cgenüberfteQung ber „.ftanbprobuction" auö beit Sahreti
1869/71 unb ber „SÖZafdpncnprobuction" 1893/95 (für 1 9lcre):
„SSerfchiebenartige Dperationen" 17 refp. 20; „oerfthiebene 9(r»
beiter“ (bie jufammenarbeiten miiffcn) 37 refp. 125; SlrbeitS»
ftunben 1240 unb 40 ÜWinuteit vejp. 870 ©tunben 24 ü)li»
nuten; Äoften ber Arbeit 193,4934 Xoll. refp. 111,6334 ®oQ.,
fo oetbhtben webet bie merlwiivbigeit SH'ucLjtfjeilc nub Minuten, j
noch bie fahlen überhaupt. 91 bet offenbar hat man in ben ,
fiiufunbjwangig iahten aflerhanb arbeitöDerbilligenbe SUethoben
unb 3Berljeuge eingeführt, unb e§ ift erreicht, baß bie Arbeit
heute ungefähr nur noch bie §älfte Don bent foftet, wa 8 fie
früher loftete. 3)as fUefultat ift, baf auf bem europäifchen
lülarlte plößlidt) amerüaitifche 9lepfel erfdheinen. Unfere
Agrarier, Welche fidh einbitbeu, baf bie Sltnerifaner uu§
lebigtich burch natürliche iöorjüge überlegen finb, fönnen fich
ba fagen, baß wir boch hie Ülepfel billiger liefern fönnten;
benii wie uiel fonft faft wcrthlofer SBoben fönnte mit Dbft»
bäumen bepflanzt werben; unfere Söhne finb billiger; unb
wir hohen nicht bie in biefem gatle boch nichtigen STranö»
portfoften ju tragen. 91 ber bie 9lmeri!aner finb un$ über»
legen in ber intelligenten Seitung ber wirthfchaftli^en Sthätig»
feit. 93 ei unS würbe boch Dliemanb baran benfen, bei einer
berartigen Unterfuchung auch bie „9lepfelprobuction" mit hin»
ein^uäiehen, benn nid)t nur mit fünfunb^wanjig Sohren,
fonbern feit ÜJJenfchengebenfen werben folcfie ®inge immer in
ber gleichen 9Seife abgethan, unb ein SO?ann glaubt fdhon
weit mit bet ßeit fortgefchritten ju fein, wenn er etwa bie
2 Burje(fcheibe be$ SBaunteS umgräbt unb bie fRaupennefter
abfengt. fRach h cutc form man überall bei unS bie ^peu»
ernte oor fid) gehen fehen, wie fie Dor Sahrhunberten ftatt»
fanb, unb wenn etwa einmal ein amerifanifcher fieuwenber
in Setrieb ift, fo gilt ba§ fchon alö etwaö Sefonbere«.
©öentueD beneibet ber ©utäbefißer fogar ben Äned)t, ber auf
bem ^euwenber bequem fißen fann, ftatt bafe er fonft mit
ben ÜJlägben im (Schweife feines 9(ngefid)tö rechen muffte.
Sie 9lmerifaner erzählen un§, baff für 1 9lcre bei ber £eu*
ernte erforbcrlich waren 1860 unb 1894: 35 ©tunben unb
30 SRinuten refp. 11 ©tunben 34 ÜRinuten unb bafe bie
9lrbeit$foften 3,0606 Soll, unb 1,2849 Soll, betrugen. Sei
unä finb bie SrobuctionSfoften geftiegen in golge ber ge»
ftiegenen Söhne, bort finb fie gefallen. fRefultat: eö wirb
|tcu äufammengepreit uttb in Schiffen nach ®utopa gebraut;
ein 9lrtifel, wie §eu!
©twaö über bie wahren Urfadjen ber lanbwirthfcßaftlicßen
©onciirrenj ber Ser. Staaten fann man erfahren, Wenn man
bie Bahlen über bie SBeijeitprobuction burdjfieht. ^)ier hot
ja bie amerifanifche ©ntwicfelung ganj unüberfehbare golgen
für bie wirthfchaftlichen unb politifchen Scrhältniffc ©uropaö
gehabt. Sie Boh^ en gelten hier für 20 Sufhel, bie als ©rtrag
Don 1 9lcre genommen werben, unb e§ finb bie Satire
1829/30 unb 1895/96 gegeniibergeftellt. waren nöthig
Derfdjiebennrtige SRanipnfationen: früher 8, heute 5; hier hot
»
Digitized by v^.ooQle
18
Die O&egenwart
?
\
alfo bie SRafdjine Bereits üereinfacßenb gewirft, inbem ber»
feßiebene £>ajjtierungen jufammengejogen finb. grüner war
nötßig: 1 . iß flögen, 2 . Säen, 8 . Gggen, 4. 3 Dfät»en, Sinben,
3ufammenftetlen; in bie ©eßeune faßten, 5. ©refdjen unb
baS ©troß in ©iemen Bringen, 6. SBorfeln, 7. ©djaufetn
unb Ginfaden. Ipeute Brauet man nur: 1 . ißflügen, 2 . ©äen,
3. Gggett, 4. 9Rä|en, ©refeßen unb Ginfaden, waS burd) eine
comBinirte 3Räß= unb ©refdjmafdjine beforgt wirb, 5. ben
Seijen in ben ©peußer fahren, grüner waren 4 üerfdjiebene
Arbeiter nötßig, ßeute 10 : ber SDiann, ber fräßet mit Dcßfen
pflügte, Wirb burd) einen 2Rann erfeßt, ber mit ißferben
pflügt; an ©teile beS SRanneS, ber früher mit ber $>anb
fäte, treten jeßt jwei 2Rann bei ber ©ämafdjine; beSgleicßen
Beim Gggen Beute jwei 9Rann mit ißferben ftatt früher ein
9Rann mit Ocßfen; bie comBinirte 3Räß= unb ©refdjmafdjine
erforbert Oiet ÜRamt unb ißferbe. ÜRan fießt bie ©enbenj,
an ©teile ber oereinjelten SIrBeit bie 3 u f Q wmenarbeit 3 U
feßen. grüner erforberte bie SlrBeit 64 ©tunben, Beute brei
unb foftete 8,7 ©oll., Beute °> 7 - 9Ran uergleid^e, weldjer
ber Beiben gefdjilberten 3lrten felbft auf größeren Gütern
unferer ütrbeitSWeife in ©eutfeßlanb äBjnlic^er ift. Ganj
gleicBgiltig ift eS babei, ob manefje ber gefefjilberten 9lrbeitS=
metBoben auS irgenb welcBen Grünben bei unS nicBt prafti*
fabet finb: bie ©ßatfaeße bleibt, baß burcB eine große Ser*
einfacBung ber Ülrbeit unb Slnwenbung oon 2Rafd)inerie
bort bie ißrobuctionStoften niebriger werben als Bei unS.
§ätte baS ar 6 eitSftatiftifcBe ?lmt bie leßte aufgegebene grage
Beantworten fönnen, fo würben wir einen ©cfjlüffel erBalten
für bie Urfadjen, auS beneit ficB bie mafd)inelle ißrobuction
gegenüber ber §anbarbeit entwidelt Bat. GS war ber ÜRanget
an 9lrbeitSfräften, refpectioe bie ßoße Gntloßnung berfelben.
Sei unS moeßte lange 3 £ ü ßinburd) in golge ber niebrigen
Sößrte immer nocB bie §anbarbcit Billiger fein; bann fam
aber ber ißunlt, wo fie bocß tBeurer würbe; unb nun feBlte
bet intelligente, ßocßbejaßlte U1, b juoerläffige Slrbeiterftamm,
bem man bie complicirten 2Rafd)inen in bie £>anb geben
tonnte. ©cBon ßinter bie ©ämafeßine muß man bei unS
tpofmeifter ober Verwalter ßergeßen laffen, wenn man nidjt
will, baß im fperbft lange SReiBen leerfteBen; für bie 8 e*
bienung fo feßwieriger 9Rafcßtnen wie bie amerifanifdjeu
Grntemafdjinen feBlt eS ein fad) an Seuten bei unS. ©ie
SImerifaner finben feine Arbeiter für baS Serßaden unb Set*
jießen ber 5Rü6en, weil bie Arbeit ju ftumpffinnig ift; Wir
finben feine Seute für bie Sntelligenj erforbernben Arbeiten,
©o fontmt bie SRotßlage unferer Sanbwirtßfdjaft fdjließlicß
auf fociale Grünbe jurüd unb wirb eine Analogie jener all»
gemeinen GrfcBeinung beS 3utüdbleibenS unb SerfümmcrnS
ßanbarbeitenber Seoölferungen gegen äRafcßinenarbeitenbe,
Wie ber ^»anbweber gegen bie 2Rafcßincnmeber: aud) wenn bie
gabrif oor iBrem §aufe fteßt, fönnen fie nicßt in iBr arbeiten,
weil fie meßt weBr bie nötßigen gäßigfeiten aufwenben fönnen.
Unb wie unfere gegenwärtige 3 £ <t fuß baburcB auSjeidjnet,
baß alle früBeren ©enbenjen ficB im größten SRaßftabe wicber«
Boten, fo fteBen wir eben im begriff, biefe GrfcBeinung aus
bem Serßältniß einzelner SeöölferungSfategorien innerBalb
ber Sßölter übertragen ju feBen auf baS SSerE)ältnifj ber Sölfer
unter einanber. Dber ift eS nicBt Har, baß biefer tiefe Unter»
feßieb in ber Sanbbebölferung aucB einen Unterfcßieb im
GefammtBabituS ber beiben Nationen auSmadjen muß? ©aff
baS amerifanifdBe Solf ju Bötjcrer 9(rt ficB entwideln
Wirb, baS beutfeße jurüdgeßen? GeBen wir Oon ber Sanb*
Wirtßfdjaft jur Snbuftrie über, fo finben wir nidjt meBr bie
großen UnterfcBiebe jWifcBen amerifanifdjen unb beutfcBen
®erBältniffen; in mancBen Snbuftrieen finb entfdjieben wir
überlegen, in mancBen fteBen wir gfeicB mit ben ?(merifanern;
unjWeifelBaft aber beBaupten bie 9Imerifaner aucB B' er ben
SSorrang. GS ift ja burcBauS nicBt immer gefagt, bafe bie
BöBere wirtBf^aftlicBe Gntwidlung fociat oorteill)after fein
muff. SWeBnten wir bie föetftelluna oon ©tiefeln. GS Werben
Bier bie SaBre 1859 unb 1895 öerglicBen. ©ie §anb macBte
83 Operationen, bie SÜfafdjine 122; eS waren früBer nötBig
jwei öerfd)iebene Arbeiter, B £ ut £ müffen eS 123 fein; bafüt
ift bie 3aBl ber 9trbeitSftunben für 100 ißacit oon 14S6
auf 154 B«runtergegangen, unb bie ÜIrbeitSfoften oon
408 , / 9 ©oU. auf 35‘/ s ©oll. Sei unS wirb aucB B eute tooBl ber
gröfete ©B e ^ ber ©cBüB £ burd) ^anbwerfer BergefteQt, wäßrenb
in ben bereinigten ©taaten faum nocB ein BßubwerfSmafjiger
©djuBmacBer, aufeer für bie oberften 3 £ B'daufenb, eyiftircn
wirb. Slber wenn auf bem ©orfe ein SÖfann ein |)äuScBen
Bat unb ein paar SDforgen 9lder, unb öieüeidjt bie §älfte
feiner 3 e <t oerwenbet, ben anbern Seuten im ©orfe ©tiefe!
unb ©djuBe ju macBen unb ju fliden, unb bie anbete $älfte
auf feinem fjelbe arbeitet, fo ift baS fidjer eine gefünbere
GrfdBeinnng, unb eine für baS gefammte bolfSleben Wertf)*
ooflere Gi'iftenj, als ein nocB f° 9 ut bejaBIter Slrbeiter in
einer fjabrif, ber in einer engen SBoBnung mit fcBtecBter Suft
woBnt, burcB ben rafdjen Gang ber 2J?af^ine ge|e|t ift unb
in beftänbiger Aufregung unb UnruBe lebt: unb bie Ääufet
fteBen ficB ojoBI eben fo gut, wenn fie i^re ©djuBe oon
iBrem fjreunb bejieBen, bem fie üieHeidjt baS Seber oom
eigenen SieB geliefert Boben, aud) wenn feine ©tiefet nocB
einmal fo tfjeuer finb, wie wenn jener gabrifarbeiter für fie
arbeiten Würbe: benn fie acBten meljr auf baS Getaufte unb
finb einer forgfältigen ^Reparatur fidler; oBneBin Würbe ja
ber 3ojifcB £ nBanbel bie SEBaare bocB feBt oertBeuem, unb, ba
er ftetS bie ©enbenj B at » bie SBaaren ju üerfdjledjtern ju
Gunften bet SiHigfeit unb beS äußeren ©cBeinS, fo wäre fic
oieüei^t aucB nut B°t& f° B a ^bar.
Sn ben Ser. Staaten giebt eS nicBt bie alten perfönlidjen
SejieBungen ber Seoölferung unter einanber, unb beftBalb geBt
auc| ber Heinfte wirtBfcBaftlicBe Sorgang leicBt in bem großen
wirtBfcBaftlid)cn Kreislauf auf. SBäBrenb bei unS nocB auf Weite,
abfeBbare 3 £ it £ n eine große SRenge WirtBfc^aftlic^er Gjiftenjcn
oorBanben finb, wcldBe nid)t in SerüBtung fommen mit bem
großen WirtBfdjaftlicBeH Seben unb feinen GrfcBütterungen
taum auSgefe^t finb, ift bort alle Ära ft ber SRenfdjen ju«
fammengefaßt, lebt iRiemanb abfeitS. ©o lange man nur bie
materiellen Ütefultate biefer 3nftänbe betrautet, unb baS muß
man, fobalb ißre ißrobucte benen ber anbern gegenüberfteBen
unb auf ißren ißreiS einwirfen, Weil baburcB j° bie Gjiftenj
beS SerfertigerS tief beeinflußt Wirb, !ann eS feine fjrage
fein, baß wir mit unfrer größern wirtBfd)aftlicBen 3 cr=
fplitterung weit nacBfleßen. Ganj anberS wirb aber bae
Silb, fobalb man fragt, Wetcße 3uftänbe bie größere GewäBr
innerer ©tabilität gegenüber mögti^en Ärifen bieten, unb 06
unter allen Umftänben gefteigerte SebenSßattung unb intefli*
genter geleitete Slrbeit für bie bauernben Sntereffen einer
Nation fo WertBooll finb, falls fie burcB gefteigerte 9lbBängig<
feit ber Gjiftenj unb gefteigerte UnruBe ber Se 6 enSfüßruitg
erlauft werben. Slmerifa Bat einen großen ©tamm oon um
abhängigen, woBlßabenben, gebilbeten unb babei felbft ar»
beitenben garmerit, unb wirb in biefen immer eine fReferoc
für feine SotfSfraft Ba^en; bie übrige SeOölferung aber
feßeint bocB nicht fo ganj ein aucB fünftigeS Geheißen beS
SolfeS ju garantiren.
Unfere SEßünfcße unb bie SReinungen über baS, WaS bem
Solt als Ganjem unb für fünftige 3 £ iten nüpfieß ift, fönnen
auf bie Gntwidelung nidßt einwirfen; benn baS ift ein §aupt=
merfmal unferer Gegenwart, baß fie immer nur an ben
Slugenblid unb an ben Ginjelnen benft; aueß ba, wo fie
focial empfinbet, ßat fie ja nicht ben SolfSjufammenBang im
Singe, fonbern nur bie Sntereffen einjelner benacßtBeiligter
©djießten ber Seöölferung. 3 n ben Sereinigten ©taaten
treten biefe ©enbenjen am ftärfften B ££ Oor, unb in ißnen ift
bamit aud) ber ßöcßfte ®rab moberner wirtßfcBaftlicBer Gnt*
Widetung überhaupt erreicht. GS ift ein eigentBümlicßeS Ge»
füßl, baS einen befcßleidjt, wenn man in ben Sänben ber
Unterfucßung blättert, ©ie erbenflidjften ©inge finb ßier be»
Digitized by v^. ooQie
Nr. 2.
Ute (Jbegenwan.
19
trachtet: ©djacbteln, Stob, SBagen, Söpferwaaren, Upten,
Slnjüge — auch b' et finb bie Arbeitslosen auf 1 / 8 gefallen
— unb fo fort. UeberaH ift bk ÜRafcpine an bie ©teile bet
£>anb getteten; in beit nteiften füllen feinen fiep bie 2öpne
etpöbt ju paben, fo bafe junt Seifpiel bei Slumentöpfen bie
StrbeitSfoften geftiegen finb, trogbem bie ArbcitSjeit Don 3‘/ s
anf 2 ©tunben fiel; unb in gor niept abjufcpäljenbeT SBeife
pat fiel) bie SDiaffe bet erzeugten ©egenftänbe Dermeprt. ®S
fdjeint, bafe baS Sbeat fetoft berjenigen erreicht ift, hielte bie
SlUeribeatiftifcpften ju fein fepienen: 5Rid)t nur eine unge*
peure Sermeprung beS fReidjtpumS b Q t ftattgefunben, fonbern
eS paben auch bie atbeitenben ©laffen einen Antpeil an bein
Sluffcpwung gehabt; biefer wirb ja wopl niept fo grofe ge*
toefen fein, wie berjenige bet pöperen ©taffen; aber, Wie beute
bie gefeUfdjaftlicbe Seitung bet STrbeit ift, wenn man bie
großen ©ewinne bet höheren ©taffen an bie Arbeitenben Der*
teilte, fo !äme bodt) für Seben nur ein wertplofer geringer
<Sap, ber in feinem Serpältnife fiept ju ber fonftigen Steigerung.
Aber wetten ©inn t>at benn biefe ganje ©ntwide*
tung? Sie ©egenwart f|at gaitj Dergeffen, bafe wir boep
niept leben, um ju arbeiten, fonbern wir arbeiten bodt), um
ju leben. SSeldjen SRupen puben benn bie ÜRenfdjen baDon,
bafe fie ^eute jwei paar @d)uhe jährlich Derbraucpen fönnen
unb früher nur ein paar? Um bkfen ©ffect ju erreichen,
paben fie ifjre frühere fRupe unb Unabpängigfcit aufgegeben
unb fief) Seber in baS wilbe ©etriebe ber SBettprobuction be*
geben, baS SRiemanb beperrfebt, SRiemanb aud) nur überfielt.
Sie 3Renfd)en oon früher überfallen nur ifjr Sorf; aber fie
Ratten SRupe unb ©icf)erf)eit; bie Don beute fe^en in 2Birf*
liepfeit audp nid^t mehr, unb machen fidb nur einen Wüften
Sunft Dor, unb fie buben feine SRupe, fonbern müffen ihre
SRetDen immer bis auf beit lebten punft anfpannett, um niept
Don Anbern Derbrängt ju werben; unb and) bann noch leben
fie in beftänbiger Unfidjerpeit, benn bie ihnen unDerftänbtidben
Sötäcpte ber SBeltmirtbfdjaft buben ipr ©efebief in ber £>anb;
unb wäbrenb fidb W« SRenfcpen früher abhängig glaubten Don
einem gütigen ©ott, ber immer AHeS jum Seften führte, finb
fie beute abhängig Don einem falten unb erbarmungSlofen
3ufammenbang ber Singe: Don 3öflen irgenb welcher Sauber,
beren SRamen fie faum fennen, Don Stiegen in ben entlegen*
ften ©egenben, Don Ueberprobuction unb ßaplungSftodungen
auf ©ebieten, mit benen fie nicht bie geringfte Serüprung
haben. Unb waS buben bie SBenigen erlangt, bie nun ganj
oben ftehen auf ber focialen Seiter? ©ie buben fabelhafte
SReidjtbümer; aber bie ©enufefäpigfeit ber SIRenfcpett ift be*
greujter, als bie gäpigfeit beS ©elbeS, fidb aufjufjäufen. ©ie
fönnten Alles faufen, wenn fie wollten; aber wer AHeS hat,
ber but iRicbtS, benn erft burdh baS Sewufetfein, baff man
baS ©ine niept but, but man baS Anbere. Sebiglidp auf ©inS
fommt ungeheurer Sefifj pinauS: auf 3Rad)t. Aber um Don
ber SKadpt etwas ju haben, muff man frei fein, fie auSüben
ju fönnen. 2Rit befangenem ©eift fann man finntofe Ser*
fdpwenbung treiben, propenpafte ffefte geben unb frembe Sor*
nebmbeit naebäffen: wer fidb perfönlicb äufeern will, muff
nicht mit ben unaufhörlichen Sorgen beS SefipeS beloben
fein, ihn immer Dertbeibigen unb bermebren müffen, nie einen
ruhigen Augenblid buben. SBenn bie alten ©fjriften baS SReicf)
beS Anticpriften auSgemalt hätten, Don bem fie ppilofoppirten,
fo hätten fie DieHeicpt gefagt, bah eS bie SfRenfcpen burdj
einen trü^erifepen ©dbein bienbet, bah fie fiep einbilben, gliirf*
lieb ju fein, wäbrenb fie clcnb finb, frei ju fein, wäprenb fie
©claüen finb, baff fie ein SRittei beS SebenS für einen 3'oecf
halten, unb am ©nbe fo betrogen finb, Wie Semanb, ber ein
©urrogat lauft für ben wirflicben ©toff. Sann würben fie
baS wahre Sitb unfercr $eit gegeben buben.
Der JJreisfall im lebten Jabrbnnkrt.
SSon Zt. Svcftn.
Ser fociale ißeffimiSmuS, welchen bie Sourgeoifie burd)
bie 9lnerfennung ber ÜRalthuS’fcben Sehre Don ber Ueber*
Dötfernng unb baS Proletariat bureb baS ©dhwören auf bie
abfolute SerelenbungStbeorie hegten unb jum Sbeil noch je^t
hegen, Derliert immer mehr an Soben. Sie Sehre Don SRattbuS
hat fief) als eine SBahnibee berauSgeftellt, benn nicht nur bafe
ber SBoblftunb burd) eine Sermebrung ber SeDölfetung nicht
Derringcrt Wirb, fonbern im ©egentbeil eine ßunahme ber
©eoölferung ift überall mit einer gunalfme beS 3Reid)thumS
ibentifd), iubem bei ber gegenwärtigen fortgefdhrittenen Sedbnif
unb capitaliftifdhen ©efeUfcbaftSorbnung ber SRenfcb Weniger
Derbraucht, als er betftellt. Sie fatfeben Propbejeiungen Don
SRaltfiuS loaren o6erfläd)liche ©rwägungen, für weldje im
©runbe genommen feine ßeit wirtliche ?lnbaltSpunfte geboten
hat. Sagegen traf bie abfolute SeretenbungStbeorie für be*
ftimmte ßeitperioben ber capitaliftifd)en ©ntwidelung ju, weldhe
als llcbergangSperioben auS einer Sedbnif in bie anbere ober
auch als Srifejeiten charafterifirt finb. 3m Allgemeinen but
bie mobernc fßrobuction bie Senbenj, ben abfoluten ■ SBofil*
ftanb aller ©laffen ju fteigern. gatfd) ift aber jweifelloS
ber ©eblufe, ber auS ber ©infi^t in biefe Sbatfadhe mehr*
fach gejogen wirb, baff biefe SGBoblftanhSjunabme jur focialen
Sefriebigung führt. Sie Sefriebigung ift bereits eine pfpebo*
togifdje Kategorie unb £)ängt' nidjt allein Dom materiellen
SBohlftanb ab, fonbern Don ber ©efammtbeit ber pfpcbifdjen
unb etpifdjen gactoren, weldhe baS Seben bebingen. Set ab*
folute Sßoljlftanb ber arbeitenben SeDölferung ift Don ber
Sobnböbe unb bem preiSniDeau für bie notbwenbigen Ser*
brauchSartifel abhängig, greilicb müffen auch bie ArbeitS*
gelegenbeit, ber bbgienifdk 3 u f tan ^-' t>k birecte unb inbirecte
©teuerlaft bei ber Seurtbeilung beS SolfSWoblftanbeS mit
in Setracbt gejogen werben; allein fie fpieten, Derglidjen mit
ben obenerwähnten Jfpauptfactoren, bei ber SBoblftanbSfdhäpung
nur eine untergeorbnete 9iolIe. UebrigenS ftebt bie ArbeitS*
gelegen heit auf bem ©ontinent ©uropaS im gleichen Serbältnifj
jur Sohnhöhe; nimmt bei größeren Söhnen ju, um bei ge*
ringeren Söhnen fid) ju Derminbern. 3n ©nglanb unb in
ben Sereinigten Staaten AmerifaS bagegen ift ArbeitSlofig*
feit eine beinahe ftänbige ©rfdbeinung in ben Sßintermonaten,
welche in faft allen Arbeitsberufen auftritt. Sagegen ift ber
mangelhafte ©efunbbeitSjuftanb ber arbeitenben 9Raffen, welcher
in Dielen fällen ben ©harafter djronifdber Äranfbeit an fiep
hat, eine groffe wirtbfcbaftlidbe ßalamität. Welche nidpt feiten
bie fonftigen giinftigen gactoren compenfirt.
Safe bie Arbeitslöhne im Saufe beS SahrpunbertS unb
namentlid) ber lebten Seceitnicn niept unerpeblicb geftiegen
finb, unb jwar auf bem flachen Sanbe fowopt als in ben
©täbten, ift befannt. SBeniger befannt ift aber bie Spat*
fache, bafe audj bie preife für bie notbwenbigften Serbrau^S*
artifel im fortwäprenben ©infen begriffen finb, fo bafe ber
SReallopn, b. b- ber Sopn in fRüdficpt auf feine Kauffähig*
feit nodp mepr geftiegen ift, als ber ÜRominallopn. Unb
merfwürbiger SBeife ift biefer fRüdfaü ber Preife in ben
lepten Saprjebnten niept nur für bie Snbuftrieerjeugniffe,
fonbern ebenfo auep für bie SanbrnirtpfcpaftSprobucte ju con*
ftatiren. SBenn nun bie naiüe ©rfaprungSweiSbeit Don bem
fabelpaft billigen Seben in ber guten alten $eit fpriept, fo
ift pier in ben meiften fällen bie Sebürfnifelofigfeit unb bie
billige Arbeit in ben früheren einfacheren Serpältniffen mit
billigen SebenSpreifen Dcrwedpfelt, wäprenb anbererfeitS bie
©rinnerunglanbrnirthfcpaftlicbeArtifel fiyirt, bie unter mangel*
paften SerfeprSDerpältniffcn noep fein ©egeitftanb beS nationalen
ober internationalen SWarfteS waren unb an mandjen Orten
wirflidp niebrig im Preife ftanben. Sic ftatiftifdpen ©rpebungen
bagegen über bie PreiSfcpwanfungen ergeben ein fepr bebeutenoeS
©infen ber preife, namentlich in ben lebten fünf Sabrjepnten.
Digitized by v^. ooQie
20
Die (Segenwart
Nr. 2.
Um mit ben lanbwirthfchaftlichen Sßrobucten ju beginnen,
geftaltete fid^ bie SßreiS»erfd)iebung im Hamburger §anbcl
folgenbermafeen: 50 SEilogramm SSeijen fofteten in ben Sahren
1847—50: 9,7 5D?arf, 1891—95 nur 6,7 SD?!.; bei SRoggen
waren bie enlfpredfenben 3*ff ern 6,1 : 6,2; bei ©erfte 8,2:
4,9; bei £>afer 5,6: 5,9; bei S£atg 41,1: 28,8; bei ©clfntalj
46,6: 38,4. Sw Sahre 1896 waren bie Sßreife bei allen
biefen 2lrti!eln noch niebriger, alS^im Satjrfiinft 1891—95.
©e£t man ben burcf)fd)nittlidjen SßreiS aller erwähnten Sßaaren
für ben ßeitabfdjnitt 1847—70 gleich 100, fo ift ber burd)*
fd)nittliche SBeijenpreiS für 1891—95 im procentualen ©er*
hältnife 61, ber SRoggenpreiS 77, ber ©erftenpreis 59, ber
Käferpreis 80, ber SjßreiS für 'Saig 61, für ©dEjmalj 70.
§ier ift ein SßteiSfaQ »on mehr als 1 / 3 ju beobachten. Ser
burchfehnittliche SßreiS für SButter geftaltete fid) in ben Sagten
1847—70 unb 1886—90 wie 100 ju 87. Ser SßreiS für
©etreibe fteht am ©nbe beS 3ahrf)unberts eher niebriger,
als in ben erften Sahrjeljnten beS SahrljunbertS. Sa*
gegen war im preufeifdjen ©taat baS gteifd) bis juni Satire
1870 billiger als je^t; eS hat fid) aber feit jener ßeit auch
nicht »erneuert, fonbern behauptet ungefähr baffetbc SRioeau.
@o foftete ein SRetercentner SRinbfleifd) im Surchfchnitt in
ben Sahren 1821—30: 46 SD?!.; 1851—60: 70 SD?!.; 1871
bis 1875: 114 ,SD?!.; 1881 — 85: 118 SD?!.; 1886 — 90 :
117 SD?!. Sn ben 90er Sahren ftieg alterbingS ber SßreiS
bis 124 unb 126 SD?ar! pro SD?etercentner.
ÜluSführtiche unb fritifdj »erarbeitete Säten giebt bie
englifdje ©tatifti! über ben SßreiSfaU. Ser ©tatiftifer 21.
©auerbed unterfudjte ben SßreiSftanb für 45 2lrtifei in ben
lebten brei Sahrjehnten in Sonbon, wobei er bie Sßreife für
baS Sahrjehnt 1867 — 77 = 100 fe(jte. gür bie ©cgeta*
bilien unb befonberS für baS ©etreibe fanten bie Sßreife im
©erhältnife ju 100 für 1878—87 auf 79, für 1888 — 97
auf 62. gür thierifcfje SRahrungSmittel ergab fid) in ben
brei Sahrjehnten ein ©erhältnife Don 100 ju 95 unb 81,
für Koloniatwaaren »on 100 ju 76 unb 66. Sie SRafjrungS*
mittel überhaupt fanten in ben lebten brei Sahrjcljnten im
©erhältnife oon 100 ju 84 unb 70. SaS SßreiSberhältnife ber
SDfineralien war 100, 73, 70; baS ber Segtilwaaren 100, 71,
59; baS bet »crfdjiebenen anbeten ©egenftänbe, wie fieber, Saig,
Del, ©oba, SRitrate, ©aufeotj, Snbigo, gellere., 100, 81, 66.
©ämmtliche »on biefer ©tatifti! berüdficfetigten 2lrtifel fanfen
im SßreiS in ben lebten brei Saljrjehnten im 9?ert)ältnife »on
100 ju 79 unb 67. Sie Sßreife gingen fomit für alle bie*
jenigen SBaaren, welche als ©ebraudjSartifel am meiften für
ben Konfum ber Scbölferuug in SSetrad^t tommen, um */ 4
bis 1 / 8 jurüd, unb jwar fielen fie in ©nglanb tiefer als in
ben übrigen Sänbern.
Sie Sßreife für Snbuftrieerjeugniffe finb üiel erheblicher
aefunten, als bie für lanbwirthf^aftliche 2lrtifel. ©o ge*
ftaltete fid) ber SßollpreiS auf bem berliner SSotlmarfte
für ben Kentner (50 Silo) mittelfeine ©Solle in SD?arf
folgenbermafeen: 1875—79: 169/179; 1890—94: 111/129;
1895: 111/124. ©erabeju erftaunlicfj ift aber ber SßreiS*
niebergang für 3«der in ben lebten Sahrjehnten. Ser SßreiS
für einen Soppelcentner (100 Silo) SRohjuder auf bem Sßlajje
SD?agbeburg fanf »on 64 SD?arf in ben Sahren 1877—80
auf 30 5D?ar! in ben Sahren 1891 — 95 unb 21 SD?arf im
Satire 1895, um im Sahre 1896 auf 23 1 /«, SD?arf wiebetum
ju fteigen. ©beitfo finb bie ©pirituSpreife fehr erheblich
gefunten.
Sft aber bie Sauffähigfeit beS ©elbeS in 2lttwenbung
auf bie ©erbraud)3artifei geftiegen, fo hat fie fid) anberer*
feitS infofern berringert, als bie ©SohnungSpreife im fiaufe
beS SahrhunbcrtS ungeheuer in bie §öl)e gegangen finb.
$ohe SIRicthSpreife fallen aber mit ihrer ganjen Söudft auf
bie arbeitenbe ©e»öl!erung, Welche für gewöhnlich 1 / 4 bis '/ 3
ihres ©intommenS für beit SD?iethjinS »erwenbet. 2lud) ift
eS eine befannte Shatfadje, bafj bie SD?icthe für Heinere
SSohnungen »erhältnifemäfeig h»h er ift, als für größere
SBohnungen. Ser Sßrocentfa£, welchen ber 5D?ieti)SpreiS »om
©intommen auSmad)t, ift im 2lßgemeinen um fo Heiner, je
größer baS ©intommen ift. Sie Steigerung ber SRiethSpreife
in SBerlin »eranfchaulicht folgenbe tabeUarifc^e 3ufammen*
fteßung:
©o^nungen in öerlin 1 mit einem 3Riet^jin8 bi$
1815 1891
300 SKarf toarett
89 °/ 0
49,9 °/ 0
300—600 rr
7,6 °/ 0
26,3 ®/ 0
600—900 w
2,0 °/ 0
M °/o
900—1200 „
0,7 °/ 0
4,7 °/ 0
1500 „ „
0,4 °/ 0
7,4 °/o-
Ser burd)fchttittliche!2Rieth3preiS einer ©Sofenung war in
©erlin 1815 : 117 SD?f., 1830 : 255 SD?!., 1873 : 513 5D?t,
1892:674 SD?f. Ser SIRiethSpreiS ift bemnach im fortwährenben
©teigen begriffen unb »erringevt bie 2Bot)tftanbSjunahme ber
arbeitenben i 5D?affen, welche fich aus bem SßreiSniebergang für
©erbraud)3arti!el ergiebt. Siefe Steigerung erflärt fid) aber
theilS burd) bie ©erbefferungen bet ©Bohnungen unb ihn
bequemere ©inridfeung, ttjeilS burch bie ungeheure Steigerung
beS 5D?iethSjinfeS in golge toergröfeerter Nachfrage. Sie
jweite Urfacfje ift hier jweifelloS »on Weit größerer Söitfung,
fo ba| bie 3 un °h me beS SD?iethSpreifeS eine wirthfd)aftlid)
negatioe ©rfdfeinung ift, inbem fie ben SReallohn ber arbeitenben
©ebölferung »erringert.
Ser D?iebergang ber Sßreife unb bie Steigerung ber
2lrbeitSlöhne, bie trog ber Steigerung beS 5D?iethSjinfeS boch
jWeifeKoS ben ©Soljlftanb ber arbeitenben SD?affen erhöhen,
finb eine # gfänjenbe ©Überlegung ber peffimiftifchen Sh 0 ^
ber ©ourgeoifie fowoht als auch beS SßroletariatS, ber lieber*
uölferungStheorie als auch ber ©erelenbungStljeorie. ©on
einer abfoluten ©erelenbung tann nicht mefr im ©rnft We
SRebe fein. Safe ber Wirthfd)aftlid)e Unterfchieb jwifchett kn
focialen ©faffen tro^bem Wächft, ift inbeffen nicht stabet
wafer, benn oon bem wirtfefchaftlichen Sluffcfewung jiehen bit
höheren focialen Klaffen einen gröfeeren ©ortheil, als bie
nieberen. Sie Sejeidjnung: relatioe ©erelenbungStheorie für
biefe Shatfache ift aber nur noch ein temporäres haften an
ber bereits überlebten Sf)eorie überhaupt. Safe ber Klaffen*
tampf unb bie fociale ©d)öpfungStraft wegen ber abfoluten
SßJohlftanbSjunahme erlahmen foÜten, ift eine logifd) nicht ju
rechtfertigenbe SBehauptung, benn SBohlftanbSjunahme unb
fociale Söefriebigung finb nicht ibentifd): erftere ift eine
öfonomifche, ledere eine pft)d)ologifd)e Kategorie.
Die ©freiere unb ber Alkohol.
S5on Dr. JP. 23obe (3Seimar).
SBenn innerhalb eines 3af)teS jwei penfionirte Dfficien,
unabhängig »oneinanber, 2luffäj^e über bie ©efährlicfefeit bet
2(lfoholgeträn!e für Den Dfftcierftanb berfaffen unb unter
ihren ftameraben ju »erbreiten fuchen, fo hat baS was ju
bebeuten. Senn fo leicht bertraut ein beutfd)er Offener bie
SD?ängel unb SD?afel feiner greife bem Srud nicht an;
l’honneur de l’armee ift nid)t blofe in granfreidh ein ©egen*
ftanb beS ©ötjenbienfteS.
Ser eine ©erfaffer ift ber 3nfanterie*§auptmann SSü*
heim Ucberhorft, feine Schrift „2lmethhfea" ift bei Sienleu
infieipjig erfdjicnen; ber2lnbere ift ein ungenannter Kabatterie»
offecier, fein .'peft über „Sie Srinlfetten im §eere" ift aß
„2lnfpra(he an bie DffecierSfrauen" burd) D. 23. SQöhmert in
SreSben junt Srud gegeben unb »on biefem ju bejiehen, ein*
jelne ©jemplare unentgeltlich, ©eibe haben offenbar eine
pcrfönlkfee 2lbneigung gegen bie geiftigen ©ctränfe, weil fie
Digitized by v^. ooQie
Nr. 2.
Die Gegenwart.
21
felbet barunter gelitten fabelt; jebod) mären fic feine Printer,
fonft mürben fie weniger offen reben. ©er Gaöallerift fdjreibt,
baß er ftets ein gewifjeS Gefühl für bie Gefahren beS ÜllfoholS
|atte, „unb beßljalb War id) mäßig, fo biel als eS bie
gefellfdjafttidje Sitte erlaubte". ®a haben mir fdjon
beS Rubels Sern. ®ie gefeHfhaftlid)e Sitte ber Officieröfreife
erlaubt eben bie SÜRäßigfeit nur in mäßigfter 9lnwenbung.
Unb fo erfranfte benn auch unfer GabaÜerift troß feiner
SWäßigfeit fd)on als Bierziger an einem Rlagenfatarrh, ben
er namentlich) bem 9llfol)ol jufc^reibt unb ben er erft nad)
Zehnjähriger ftrenger ©iät unb liebeboller pflege über*
munben hat.
6 r behauptet, Wie ber Snfanterift Ueberhorft, baß baS
befannte unb bocf) immer wieber erfhredenbe fd)tietle 93er*
brauchtmerben bielet Dfficiere fetjr mit ißten ©rinffitten ju*
fammenhänge. Ueberhorft meint: „Sn ber Blühe ber Straft
tritt ber junge Rfann in baS DfficiercorpS ein, unb oft ift
er fc^on als §auptmann berfd)liffen. ©ann fcßreibt man eS
natürlich auf Gonto beS ju anftrengenben ©ienfteS. Sft eS
tool)l bie SEBahrheit? Shtoertid)! ©er ®ienft mit feiner heil*
famen Bewegung in frifher Suft hat ben BerfeuhungSproceß
beS Körpers nid)t herbeigeführt — pflegen bod) Sieferbe*
officiere eine fedjSWödjige Hebung gern eine Babecur ju nennen
— er hat ben Verfall fogar nod) aufget)atten. ©er Berberb
ber Säfte unb Strafte ift in ben Störper l)ineingebrad)t morben
burd) ben SllfoholiSmuS unb anbereS ©ift für ein blühenbeS
2e6en". ©er GabaHerift fährt fort: „Slber ber Genuß geiftiger
©etränfe jerftört nicf)t nur bie ©efunbtjeit beS Körpers, fon*
bern führt aud) jum Spiel, ju SEBetten, jum Berfdjroenben;
er ift faft immer bie Urfadje jum Streit unb ©uell unb
lodert namentlich bie ©iSciplin."
Sinn haben mir fcl)t eljrenwertf)e unb erfahrene Officiere
aufrichtig behaupten hören, bie Unmäßigfeit fei im Dfficier*
corpS außerorbentlih feiten. Sin Artillerie=Oberft unferer
äBefanntfd)aft urtheilt: „Sn einzelnen fßerioben, namentlich
nach ben großen Kriegen, mag hier unb ba ju biel getrunfen
morben fein, aber eS mürbe bem auch mieber gefteuert, ober
öfelmefjr, eS regulirte fid) bon felbft. Rah meiner 30 jährigen
Erfahrung fann ein einigermaßen felbftftänbiger Gharafter
fich jebe Eigenart bewahren, bie mit ben allgemeinen mili*
tärifdjen fßrincipien nicht im SEBiberfprud) fteßt. ©iefe
Eßrincipien berlangen burd)auS nicht eine fßflegung bet ©rinf*
gewohnheiten. 2)?an fann fich nicht principiett bon ben
famerabfchaftlid)en Bereinigungen unb fjeftlic^fcitert aus*
fließen, aber man fann an ihnen theilneßmen unb fich öa=
bei baS SDZaß beS ©tinfenS borbehalten."
So urtheilt ein Seber nach feinen perföntichen Sr*
fahrungen. Unfer GabaHerift geht bon feinen Erinnerungen
auS, bie freilich anberS Hingen. „Snt Saßte 1859 trat ich
als Sunfer in ein pteußifdjeS Regiment ein. 3 U tiefer 3 e <*
toar eS in einigen SScabronS Sitte, baß ber Sunfer einen
folgen SchnapSüorrath ju ben SScabronS*Sjercieren brachte,
baß er für fämmtliche Dfficiere genügte. SS mürbe aber eine
@hte barein gefegt, baß baS Duantum nid)t nur groß, fon*
bern auch möglid)ft ftarf mar. So entfinne ich mich, baß
bon einzelnen Sunfem zuweilen Eau de Cologne ober SBein*
geift unter ben Sognaf gegoffen mürbe. 91 IS ich unbewußt
einmal einen Schlurf bon biefer 5Dfifd)ung nahm, burhfufjr
eS mid) rote ein eleftrifdjer Schlag, unb ich mar noch einige
Stunben nachher noch ganj benebelt babon. ©iefer Säjerz
fanb aßgemeinen Beifall. — SEBäßrenb beS SEBaffenftiUftanbeS
nah bem bänifcßen gelbjuge machte ein preußifher Artillerie*
^rauptmann bie SEBette, 14 läge lang jeben ‘Sag 14 g-lafdjen
Borbeauj ju trinfen. Sr gewann bie SBette unb mürbe
wegen btefeS Erfolges bon bielen jungen Officieren als §elb
angefehen; feine Seiftung trug biel jur ÜRachahntung bei, er
ftarb jeboh einige Sahre fpäter in ber Blüthe ber Sahre am
Delirinm tremens. — Sin höherer fübbeutfcßer Dfficier tranf
bei Gelegenheit einer Befichtigung in fR. im Sahre 1881 etwa
10 glafchen SBein (Bowle) roäljrenb beS ®inerS; nahher
menigftenS 10 ®laS nerfhiebene Siföre unb gleich darauf im
Saufe weniger Stunben etwa ein ®ußenb ®faS Bier. AH*
gemein mürbe auh biefe Seiftung als Brabonrftürf bewunbert.
— Bei einem SaoaHerie* Sjercieren in ben fiebriger Sahren
mürben bei bem 3merfeffen bon ben anmefenben 120 Officieren
mehr als 500 glafdjen 3Bein unb ungezählte gäffer Bier
an einem fRahmittage getrunfen. — fRoch biele ähnliche
Beifpiele fönnte ich angeben; wer bem Officierftanbe nahe
ftefjt, Wirb jebocß felbft oon foldjen ®rinfgelagen unb feinen
folgen jur Genüge gehört hoben." Ueberhorft fpticf)t aud)
bon ber fhmählihen EJIahlommenfhaft bieler Dfficiere. SGBir
mähten fragen: woher fommt eS, baß bie Unterofficiere nah
ihrer GefihtSfarbe unb Bewegung einen biel gefünberen
Sinbrurf mähen als bie Seutnantö? ©ocß toohl babon, baß
ihnen ju einem gleih unhhgicnifhen Seben 3 e >t unb SO?ittel
niht zur Berfügung ftehen.
SBihtiger als 9lnflagen finb BefferungSborfhtäge. Beibe
Berfaffer fommen auf biefelben ÜJfittel ber 9lbhütfe. 9!acf)
Ueberhorft müßten bie Dfficiere unb SDIannfhaften in ber
GefunbheitSlehre beffer unterrichtet werben, wobei baS Sapitel
bom 9llfof)ol befonberS auSführlih Z 11 behanbcln fei. gür
ben Sehrplan ber Sabettenfhulen wirb baS Gleiche berlangt.
®ie Srziehung ber Sabetten müßte mehr eine ttiffenfhaftltdj*
innerliche, als eine militarifh*äußerlid)e fein. ®ie Santinen
biirften feinen ShnapS führen, bie SafinoS feine Sifßre,
fhwere SBeine unb englifhe Biere. Alfoholfrcie Getränte
müßten an beiben Stellen biel mehr gepflegt werben. ®aS
auf Bon nehmen follte bei geiftigen Getränten nur in ge*
•ringem SDfaße geftattet fein, ber Dberft follte baS Safino
baf)in überwachen, baß wenig getrunfen wirb. ®en Officieren
müßte mehr wiffenfhaftlihe Befdjäftigung geboten werben,
bamit fie niht in ber Ginförmigfeit beS SafernenhofeS unb
beS StoppeladerS oberflächlich merben unb im Sommiß er*
ftirfen.
®iefeS le|te ©henta führt ber SabaHerift gut auS.
„®ie aBerthfhöhung beS 9llfoholS zeigt fi<h gewöhnlih bort
am meiften, wo Genußempfinbungen eblerer Art unb geiftige
3erftreuungen fehlen. Se mehr ein TOenfh eine höhere Stufe
ber Bilbung erreiht h at - Sntereffe an geiftiger ©Ijötigfeit
nimmt unb ber Arbeitstrieb entmidelt ift, um fo mehr wirb
baS Bebürfniß, fiel) burd) 9ll£ol)olgenuß z u entfhäbigen,
fdjroinben. So ift eS erflärlih, baß jüngere Dfßciere in
Keinen Garnifonen, wo fie nur wenig geiftige Slnregung unb
fonftige Unterhaltung hoben, häufig bie Abenbe in ber Kneipe
Zubringen. Sn öier Regimentern, benen ih angehörte, ift eS
nur fetten »orgefommen; baß ein Borgefeßter ober ein Kamerab
einen Bortrag wiffenfhaftlidjer Art hielt ober baß wir
jüngeren Dfficiere eine 9lnregung geiftiger Art gehabt hätten.
Ueber bie Gefahren, weihe baS übermäßige ©rinfen mit fid)
bringt, ift nicht ein einziges ÜJIal ein Bortrag gehalten
worben; auh entfinne icf) mich, baß, wenn ältere Dfficiere
baöor warnten, bieS nur im Scherz gefd)ehen ift. Sn jebem
Regiment ift minbeftenS ein Dfficier, ber wirflicf) wiffen*
fhaftliheS Sntereffe hat unb ber ein guter Rebner ift. 9Wan
follte biefen Borträge holten laffen unb ißm möglihft bie
9BaI)l beS ®h ema § überlaffen. Sft baS geiftige Rioeau im
DfficiercorpS beffer geworben, fo wirb aud) bie Unluft zu
foiefjen BortragSabenben fhroinben unb bie regelmäßige
SSinterarbeit niht meßr eine Saft für itjn fein wie bisher."
Sehr gut wirb ber Ginwanb abgewehrt, baß ber Dfficier
burd) ben ©ienft zu feßr abgefpannt werbe, um fid) baneben
nod) geiftig z u befhäftigen. „GS giebt befanntlid) üiele
Arbeiter, bie nah einer zehn* bis zroötfftünbigcn anftrengenben
©ageSarbeit am 9lbenb zroei bis brei Stunben in ben Sefe*
hatten burh geiftige Arbeit fid) befhäftigen ober öffentliche
Borträge mit anhören, fich on ©iScuffionen in Bereinen leb*
haft betheiligen unb fid) auf biefe ©Seife ein oft erftaunlid)eS
SBifien aneignen. SBarum follte eS alfo ein Dfficier nkl)t
Digitized by v^. ooQie
22
Die (5 eg ein» (tri
Nr. 2.
Eönnen, her burdg ben S)ienft bocf) weit weniger angeftrcngt
ift alg ein Arbeiter?"
Unfere beiben Dfficiere reben feiber niegt oon ber Slb*
fonberung igreg ©tanbeg Oom ©ioil; eine fotcfje Saftenbilbung
Eann natürlich niegt geizige DtegfamEeit, weiten ©eficgtgfteig
unb Oietfeitige SilDung geroorrufen. SBeibc SSerfaffer Elagen
bagegen über bie ©efeüigteit ber „©efellfcgaft", bie ja an bie
Dfficiere bie gödgften Slnforberungeu ftellt unb bie einen
gggienifdgen ©garaEter beEanntlicg niegt trägt. 2)fan lägt ba
reidglicg oft einanber leben, wägrenb man einanber bie Sebeng*
Eraft fcgwädgt. S)er ©aOatlerift fügrt fegt richtig aug, bag
bie in Skutfcglanb übliche Trennung beiber ©efcglecgter an
bem 93erberb unferer ©efeüigfeit eine ^auptfcgulb trägt, Herren
unb S)anten gaben fcglieglicg nur noeg eine fegt geringe geiftige
©emeinfegaft nüteinanber, fo bag fie wogl noeg miteinanber
effen, trinEen, flirten unb ber SRebifance fidg ergeben Eönnen,
aber Eeine wirElicg oornegme, feingeiftige ©efelligEeit gaben.
Sei gut unb gleicg gebilbeten HRenfcgen würbe bag bloge
ßufammenfein Vergnügen geroorbringen unb ber ütlEogol
ganj überftüffig fein. S)ag aug biefem 93itbiuiggfegler oiele
unbefriebigenbe ©gen gerüorgegen unb baraug wieber ®runE
unb Sneipenleben, fei nur geftreift.
©in mutgigeg Stuftreten ©injelner oetlangen beibe Slutoren.
©in abftinenter Dfficier erfegeint bem ©inen freilieg noeg ein
Unbing, ©dgreiber biefeg gat ben tarnen eineg actiüen
Württembergifcgen Dfficierg gegört, ber bie gänjlicge ülbftinenj
burcgfügrt, unb ein 99ruber oon ©ergart <pauptmann fotl fie
alg fReferbe*Dfficier burdggefegt gaben. Dberftleutnant
0 . Snobetgborff mugte freilieg abgegen, weit er aug guten
©rünben jeben tropfen beg für ign giftigen ©etränteg eer=
fegmägte, unb fo ift er nur bei ber Slrrnee beg 93fauen
Sreujeg ©eneral geworben. §ier wollen wir bie grage ber
totalen Stbftinenj niegt erörtern; ein fRecgt, alfogotifege ©e=
tränte gu oerweigern, follte Seher gaben, fefbft ein Dfficier.
Unb wer alg Dfficier biefe Slbftineng ein Sagt lang burdg*
fügrt, Oerbient bag ©iferne Sreu$, benn er gat eine groge
STapferteit oor bem geinbe bewiefen, einen focialen ÜJhitg,
ber wegen feinet ©eltengeit befonbere ©gre oerbient.
S)ocg bie Ipauptfacge ift oortäufig Ülufflärung ber Dfficiere
über bie gggieniftge unb patriotifege ©eite ber Sttfogolfrage.
Unb baju gaben beibe SSerfaffer bag Sgrige getgan. ®g wirb
boeg manegem Sefer }u benten geben, wenn er in ber S)regbner
Slnfpracge lieft, bag bag Sielüertragenfönnen, wag geute noeg
fo bemunbert wirb, im ©runbe megr ein Regler alg eine
©tärte ift. „ÜRacg ben ^Begriffen, bie wir Skutfdgen oom
Xrinfen gaben, gilt eg alg ein ßeiegen oon Eörperlicger Sraft,
oiel trinEen ju Eönnen. S)ie ÜBertgung ber ©onftitutiong»
traft naeg ber Quantität altogotifcger ©etränEe ift aber Eeine
riegtige, benn bie gägigteit oiel ju trinEen ift weniger ein
ßeidgen oon Straft, alg ein 93eweig ber ©ewögnung an
SUEogol. Scg eittfinne mieg, bag icg alg gägnricg mit oielen
anberen S'ameraben Wöcgentlicg ein big jWei 9Ral jufammen
tarn, um Oiel ju trinEen. Sn ben erften SBocgen gerrfegte
fegon naeg einigen ©tunben allgemeine 93etrunfengeit. SRacg*
bem biefe SWeetiugg megrere 9Ronate fortgefegt worben waren,
Eam bieg bei gleicgem Quantum nur feiten unb fpäter faft
gar niegt megr oor. ©iefelbe ©rfagrung gat jeher ©orpg*
ftubent gemaegt. ©in notorifeger ©cgwäcgling Eann eg in
ber Sunft beg S^rinfeng bureg Uebuitg weiter bringen a(g ein !
Eräftiger 93auer ogne eine folcge." i
SEBir möcgten unfere beiben Autoren unb ung oor einem
3Rigoerftänbniffe feg eigen. SRientanb begauptet, bag bag
Dfficiercorpg in auffälligem, oermuuberticgem ©rabe unmägig
fei; eg ift im ©egentgeil reegt gut erflärlicg, bag bie all*
gemeinen beutfegen Xrinffitten gerabe in Steifen junger,
Eräftiger, woglgabenbcr SRänner, bie wegen igreg fonft ge*
funben 99erufgtebeng ein 3 uü ' e ^ Icicgt oerwinben, bei bem \
jebe törpertidge Seiftunggfägigfeit goeg gefegägt wirb, bag biefe j
Skinffitten gier gerabe in beutlicgen formen fid) finben. j
Stber bag ©ntfcgulbbare mug juWeilen boeg befämpft werben,
unb bei bem ©tanbe, ber bag göcgfte Stnfegen geniegt, beffen
Sßorbilb im ©uten unb ©cglecgten fo fegr beaegtet wirb, ift
bie SritiE am nötgigften. ®ie Dfficiere wollen ja boeg bic
©rjieger ber jungen SRannfcgaft fein, fie werben in igrem
intimften Seben oon igren 93urfdgen unb allen ©olbaten
fleigig beobachtet unb igre ©efunbgeit unb SebengEraft finb
ju wertgöoH, um bureg oerEegrte ©itten üerfdglecgtert ju werben.
flJetgwugtsiliijUe atn ÜloWerriacr 1899.
Unb alg nun am Dranjeflug
3Rit weigern Silienftengel
ßum cgriftlidgen 93erbriiberunggfug
©inlub ber SBeignadgtgenget,
SBarb’g plöglicg ftiU, wo aug bem ©traueg
SBigger bie Sugeln gepfiffen,
S)er 93ur warb fegt bewegt, unb aueg
Sogn Süll war tief ergriffen.
©ie’ madgten beibe ©eWegr bei Snie
Sor bem Ipeifgbotfegaftbringer,
3 ufammengefaltet legten fie
Um igre Sücgfen bie ginger.
Unb igr ©efang Elang in bie 9?acgt:
„Ung ift bag §eil erfdgienen!
Som ©eift ber Siebe warb’g gebracht,
S)em alle ©läubigen bienen.
„®ir jubeln SfSreig unb S)anE wir gu!
SBir wiffen’g, aueg auf ©rben,
®ie an S)icg glauben, täffeft ®u
Sa niegt ju ©dganben werben!
„D, geitige ülacgt — §aDeluja —
IRitgtg Eann ®ein §eit ung rauben!
S)ie ÜWenfcgen all’ finb Seither ja,
Vereint im Siebegglauben."
@o flang’g, wie’g biefer 9iacgt gebiigrt;
Sm Sufd) bei’m ©ternenglimmen
©in ^Saittheic laufdgte, tief gerügrt,
®en weigeooüen ©timmen.
Suft gielt fein Slbenbbrob er fegon
©epadt am glatten gelle,
®odg laufen bei bem frommen Jon
SRafcg lieg er bie ©ajetle.
?(ud) bie am 2Wobberrioer fag,
SMe fledige |)t)äne,
3 erEnirfcgt lieg fie üom ledern grag
®ie giergefletfegten 3“gue.
9 lur feitgwärtg fegnob ein plumpeg 9J?aul:
„®ag füge Drgeltaften»
©eleier bünEt rnid) etWag faul;
Scg gatte nidgtg oom gaften."
®ag mar ein alteg Ütginocerog
50?it hoppelt gegöderter 9?afe;
gortftapfenb, frag eg an hoppeltet Soft
©id) üoll im fetten ©rafe.
Digitized by v^. ooQie
Nr. 2.
Die <8>e$ettwart
23
„Sch weife eS, auf mich loSgerannt
©Zit feinem ©tofejahn unb ©üffel
Sommt morgen früh ber ©lepljant;
Srum halt' ich mich fjeut’ an bie ©Rüffel,
„Somit itf) gehörig bei Kräften bin,
Sfeit mit bem Iporn ju üerfjauen."
©in ©irf^äuter war’S offne 6§riftenfinn,
©ich Weid) im ©emütf) ju erbauen.
Unb als er ifen fo beim futtern fafe
Sn üotlen, praftifdien ßügen,
Ser aCte Dtjm in Pretoria,
@r grinfte mit ftittem ©ergnügen.
HMÜjelm 3cnfcn.
Die flfpifobe 3b(ett.
(Sin turjer @püog. Sßon llrtfynr ©olbfcbmibt.
SaS neuefte Srama: „SBenn wir lobten erwachen"
ift, wie mehr ober weniger jebeS SBerf Sbfen’S, ein perfön*
lit^eS ©efenntnife; aber jugleidj, wie ber Sichter angebeutet
(jat, ein ©djlufebefenntnife. ®S ift eine SebenS* unb SBelt*
anfchauungSbilanj, bie für fpätere 3 c *ten öieHeic^t mistiger
unb intereffanter fein wirb, als fo rnandje Greigniffe ber
§fcfjla(fetfetb*©efci)i(ijte. Sie Sichtung be^anbelt im ©e*
jortberen bie Sragöbie beS SünftlerthuntS; aber fie madjft
barfiber f>inauä unb erfdjeint wie ein ©pilog ju jebem
Seben unb jebem ©treben üon feö^erer ©ebeutung. SBie
ein ®rabgefang über Sebenbe gefet ber©efrain: „Ser ©harn*
pagner war ba, bod) bu trantft itjn nicht" burd) baS
®rama, baS eine Söfung beS SebenSproblemS a posteriori
ift ©on ber SBarte beS 2llterS fdjaut Sbfen jurücf unb
preift bie SBeltanfchauung ber Sugenb. Sic ©et»nfuct)t nad)
ber SBicbergeburt ber altgeworbenen ©eele ju wifingcrlühner,
fdjönerSugenbtid)feit ftrömt auS üon allen feinen Schöpfungen.
Sein Sbeat hat eine lange ©efdjidjte, eine bange ©ntwidelung
butchgemadjt. UeberaH mit bem lichten Sbeal tätigt büfter
unb bämonifcf) baS „jWeite ©efidjt" beffelben auf — bie
tragifd)e ©eite ber freien Seibenfdjaft bet freien ©erfönlicfe*
feit. SBoljl finb bie ©Zenfdfen „üertoanbt mit Fimmel unb
©leer", aber fie finb unb bleiben erbgebunbene SBefen. Unb
bie Sebeitben werben Don ben lobten regiert. Ser unauS*
toeidjliche 3 Wan 9 ber Srabition frifet Wie ein ©eier an ber
©rometbeuSfeele bet Sterblichen unb betrügt fie um iJjre
natürliche, fröhliche Sugenb.
®S galt Sbfen, mit ben ®efpenftern ber h>ftorifd)en
Uebetlieferung fertig ju werben, unb was mehr ift, mit ben
eingeborenen Sämonen ber ©eele: ben blonbhaarigen Seufeldjen
unb fchwarjhaarigen Seufeldjen ... „gutmütigen Seufelcf)en
unb bösartigen Seufetd)en. SBenn man nur wüfete, ob’s bie
blonben finb ober bie fei)warben, bie einen in ihrer ®ewalt
haben. Sa, bann wäre baS Sing ganj einfach!" ®r hat
ben ©goiSmuS unb ben SlltruiSmuS in ihrer ewigen fßroble*
mati! analpfirt. SBie bie Häupter ber lernäifchen Solange
warfen bie- fragen immer wieber empor auS bem ©roblem
beS ®lüdeS. Unermüblidj hat Sbfen mit ber immanenten
Xragif beS SebenSproblemS gerungen. ®faubt ber Sidjter
noch an bie ©löglidjfeit einer ©Zenfdjhcit „in Schönheit unb
®leidjgewicht" ? SebenfaUS glaubt er noch an bie ©Zögtidp
feit non ©djönljeit unb ©leichgewicht im ©lenfdjen. Gr hat
bie Sugenb* unb ©djulbwertlie umgewertljet unb oerfünbet als
bie hödhfte ©loral bie fdjöpferifdje ©ntwicfelung ber fßerfön*
li^feit in Freiheit unb unter ©erantwprtlichfeit ihrer felbft.
®ie einzige ijobfünbe, üon ber eS feine ©rlöfung giebt, ift
— baS Seben nicht 311 leben. ®enn baS Seben ift gnaben*
reich u °b öoU ©rneuerung unb üoU Stbfolution. ®ie beiben
grofeen ©ünber unb 9J?ärthrer in „SBenn wir Stobten er*
toa^en" wollen fief) — ju fpät — bem Beben hrng^en.
„SRögen alle 9Räcf)te beS SichtS auf uns fehen! Unb alle
3Jiächte ber ginfiernife auch!" — ift ihr tiefer unb ftotjer
®rufe unb ©tfjeibegrufe an baS Seben. 2)er befreienbe ®taube
an bie ©elbftherrlichfeit unb ©rlöfungSfraft beS SebenS ift
Sbfen’S ©ermächtnife.
SBohl hat er bie SSiberfprüdje in ber meitfdhlichen ©eele,
bie ©ämonif ber SHufion auch in feinem lebten SBerfe an*
gebeutet. ©S fcheint eine billige SBeiSheit ju fein, bafe ber
©pilog gum SebenSführer, jum ©rolog genommen, baS'®lüd
gewefen wäre. ©S erhebt fich bie grage, ob wirf lieh baS
®tüd gewefen wäre, was jur gegebenen ©tunbe, bei gegebener
2RÖgli<hfeit baS ®lücf nicht war. ®er grofee Srrthum beS
©tofeffor ©ubef üon einer Äunft jenfeits beS SebenS unb
einer ©einheit jenfeits ber ©atur erfcheint als bet lauterfte
ÄünftleribealiSmuS. ©eine ibeale SHufion wirfte in ihm
ftarf unb unbejwinglich Wie eine ©aturfraft, unb bodj War
fein SbealiSmuS wurjelfranf burch unb burch- ©ein ©efühl
folgte nicht feinem eigenen tiefen ©efe^e, fonbern einer ge*
fchichtlichen Determination; eS ftanb unter bem ©ann einer
üerhängnifeüoUen SBeltanfchauung — üerhängnifeüoü nicht ju*
le^t für ben geborenen Äünftlec in ihm — bem ©ann ber
aSletifchen chriftlichen Sbee üon ber reinen Sungfrau.
Sbfen’S SluSgangSpunft unb ßiel ift ber Äampf gegen
bie ©eligion ber ©erneinung beS SebenS unb ber ©atür,
gegen bie aSfetifdje SRoral unb ihre tragifdjen Gonfequenjen
gewefen. $at et fein 3 W ber ©efreiung erreicht ober |at
er wenigfteitS irgenb etwas mit feinem Kampfe, bem Äampf
eines ganjen SebenS, erreicht? ®ie le^te, nicht bie einzige,
Slntwort, bie er auf biefe fjrage giebt, ift: „SBenn wir Xobten
erwägen." @r hat ben ©anferott feiner ©Ziffion, wie er fie
üerftanb, barin angefagt.
„SBenn wir lobten erwa«hen" ift ein ©pilog, ben Sbfen
fich fetber fpric^t — unb ber 3 e ^t- ®er ©chöpfer eines
unettblid) reichen unb gewaltigen Sehenswertes fdjaut ntübe
unb bitter auf bie SBelt, bie er gefchaffen. ÜRan hat bafür
bie bequeme ©rflärung bon ber „SRelandjolie ber ®enie 8 "
— einem ©chlagwort, mit bem ®eneration um ®eneration
bie grofeen SRänner abfpeift. ©0 wirb im ^anbumbrehen
auS ber ©djulb ber 3 e ‘t gegen bie ©röfee ein mpfteriöfeS
Slttribut berfelben gemacht, ©rünblich enttäufcht fdjaut Sbfen
auf fein SBerf — baS ein ftunftwerf, ein „ÜReifterWerf", erft
burd) bie innerliche ©erbinbung mit bem Seben werben follte
— unb fagt fich: ©3 War eitel... unb mit einem Slnftug
oon 2 >egout blidt er auf feinen ©ufern, ber noch ü * e t eitler
ift. SBie in einem wunberlichen SRufeum wanbern bie Seute
in feiner ®icf)tung umher. ®er Sichtet hat gewartet auf
baS „Sßunberbare"; auf baS SBunber ber SranSfubftantiation
— hoch er hat umfonft geharrt. Seine 3luferftehung ber
©emütfjer hat fich üolljogen; bie Sobten erwägen nicht. Sie
„©eüolution beS ©ZcnfchengeifteS", üon ber Sbfen geträumt
hat, ift ein einfamer poetifd|er Sraum geblieben. Unb hoch
beftanb biefe ©eüolution in nichts Slnberem, als bafe bie
©Zenfehen fich ausleben foHten im ©eifte unb in ber SBafer*
feeit ihrer ©eele, if)ter ©eele. @r wollte „in baS lebenbige
Seben eingreifen, in baS lebenbige Seben beS SageS. SBie
ein befreienber ©eift wollte er üon einem £erb jum anbern
gehen. Sen ©eift unb ben SBiHen für fich erobern. SlbelS*
menf^en fchaffen runb umher — in weiteren unb immer
weiteren Steifen. SlbelSmenfdjen — frohe SlbelSmenf^en...
Senn eS ift bie greubc, welche bie Seele abelt." Slüe Iperr*
licflfeit ber SBelt hat er üon feiner §öfee auS ben ©Zenfdjen
jeigen wollen — aber fie finb nicht jum ©ergfteigen ge*
fchaffen ... Unb fo wenbet fich ber ©eformatorbichter bon
ber 3 «it ab, bie ihm nicht gefolgt ift... für bie er nur
eine ©pifobe gewefen ... Sie „ ©pifobe Sbfen" — bie er
mit ber ©tuth eines ganzen SebenS befahlt hat. Sarum ift
Digitized by v^. ooQie
24
Die ©egettwarl
.Nr. 2.
fein Gpiloa tragifd) geworben, „^eimftätten für SRenfdjen
ju bauen, oaS ift feine fünf Pfennige mertfj. $)ie SRenfdjen
laben bie $eimftätten gar nid)t nötfjig. SebenfaÜS nicht,
um glücflicf) ju fein."
Auch ©oetlje h at biefe Abrechnung mit ber 2 ßett ge*
haften. $od) ©oetfje ftanb ifjr als ber große intuitive
fRealift gegenüber, ber erfannte, wie fid) bie äRenfdjett mit
ihrer GrlöfungSbebürftigfeit abfinben — unb ber befefjafb
refignirte. Gr fdjreibt einmal an Schiller: „35?enn ich öon
einem 9*fefultat tebett fofl, baS fidj in mir ju bifbeit fd)eint,
fo fieht eS auS, als Wenn ich Suft fünfte, immer mehr für
mich 5 M theoretifiren unb immer weniger für Anbere. ®ie
2Renf<hen fcfjer^en unb bangen fidj an ben 2e6enSräthfeln
herum, wenige fümmern fid) um bie aufföfenben SBorte. ®a
fie nun färnrntlidj fe^r recf)t baran thun, fo muß man fie
nicht irre machen." Unb in einem anberen Srkfe fjei&t eS:
„Sehr fchtimm ift eS in unferen Xagen, baß jebe Äunft, bie
hoch eigentlich mir suerft f ör &> e öebenbeu wirfcn fofl, fid),
infofern fie tüchtig unb ber Gwigfeit Werth ift, mit ber 3eit
in SCBiberfprudj befinbet, unb baß ber echte Zünftler oft ein»
fam in Serjweiflung lebt, inbem er überzeugt ift, baff er baS
befifct unb mittheifen fönnte, waS bie üftenfcfjeu fucfjett."
S5ie aufföfenben SBorte — baS, WaS bie 2Renfdjen
fudjen — h at Sbfen mit einer IReformatorenliebe, bie in
feinem ^erjen brannte, ben SRenfdjen mittheifen wollen,
©oetlje lebte föniglich fein Seben; unb feine Sunft war —
für ihn — nur ein Schatten baüon. ®er große egoiftifrije
ffiünftler, ber große egoiftifdje SRenfdj war Ggoift aus ©enie.
Sein GgoiSmuS hat i|n Uon bet Sßeft erföft unb mit biefent
GgoiSmuS h°t er ü01t fl ar SSiefem erföft. Gr hatte nidjt nur
ein SRobeU — wie ißrofeffor fRubecf; feine reiche Seele be»
herbetgte gar biefe Sbeafe; er hat fich nicht hingegeben an
bie ÜBelt, fonbern an baS Seben. ®ie fdjönen SBorte aus
ber „Serfunfenen ©focfe":
. <Sd)Iägt mir ber ©d)macf)tenbe,
bem idj mit trügen füllen SBeineS nctfye,
fo $rug unb $ed)er, 6eibed auS ber §anb —
nun benn: öerfdjmadjtet er, fo ift’3 fein SBitte,
t>iefleid)t fein @d)icffaf; icfj Oerfc^ulb e3 nid)t.
9lud) bin icb felbft nicht burftig, benn id) tvanf!"
fönnte jeber große dichter als Gpitog ju feinen SBerfen
Wahlen, foweit eS bie SBirfung berfefben betrifft. SBelje ben
Äünftfern, benen bie febenbige SBirfung ihrer Schöpfungen
am Iperjen liegt! ®ie über bie praftifdje grudjtbarfeit unb
SuggeftionSfraft ber Sfunft fich SUufionen hingeben! £)aS
, 1 ’art pour l’art“ ift gewiß nicht bie äRiffion — aber immer
unb ewig baS Sdjjicffal aller Sfunft. SBie ungeheuer ftarf
in Sbfen ber fReformatorenbraitg unb *©laube gewefen, fiefjt
man auS feiner ungeheuren ©itterfeit. GS geht ihm, wie
feinem Sbeenmärtprer IRoSmer: er fann nidjt lachen. Unb
baS 91effentiment feines SbealiSmuS, bie „hinterliftige Sfunft“
hat ihm Weher gethan, als ben ißorträtirten, bie burd) baS
3 bfen* 2 Rufeum gegangen finb, ohne ihre 3 *i 3 e erfannt 31 t
haben in ben „ehrenwerden, rechtfcfjaffencn Sßferbef roßen unb
ftörrifchen GfelSfdjmiten unb hängo|rigen, niebrigftirnigen
^unbefcfjäbeln unb gemäfteten SchweiuSföpfen unb ben blöben,
brutafen DchfenconterfeiS". Som ©eftdjtSpunft feiner ibealen
gorberung aus betrachtet, ift ber SbealiSmuS unb »iealiömuS
feiner Äunft unfruchtbar geblieben — ber IReft ift Schweigen.
Sbfen will nichts mehr fdjreiben, wie eS ben Anfchein fjat;
wenigftenS Wo|l nichts mehr, waS ber großen SReffiaS*
hoffnung entfpringt. ©ieffeidjt Wirb er joologifdje Abfjaitb*
iungen üerfaffen; fich m 't ^hierrettungeit befc^äftigcn, um
„bie lieben , Sht ere " 3 U rehabilitiren, „bie ber SRenfcp nach
feinem Silbe öerpfufdjt hat".
©äcile Cl)flminak.
®on ^ebruig oon fricblacnber * 2lbel.
Gine jener Grfdjeinungen, in benen baS Xhierifche fich
noch nicht bis jur Unfenntlichfeit Ocrmenfchfidjt hat. Segli^he^
SRenfchenantliß ift ja befanntfich bie Garricatur einer < Jh* er=
phhfiognomie. 2 !em Ginen hat fie Stiefmutter Statur predjt*
corrigirt in’S ®ußenbmiißige, ber Anbere trägt fie offen jur
Schau i$ur gefälligen Segutachtung.
Gecife Gfjaminabc ift baS beöorjugte ©efchöpf, baS fich
feines angeborenen < £h* ereä nießt fchämt. SBenn fie auf bem
©obium eines GoncertfaaleS erjeheint, ruft SfRandjer bei fich
auS: Gin SBinbljunb! Sn ber Xhat erinnert bie Ghaminabe
burd) ben gertenartig gebogenen Stücfen, bie feife unb oor»
fießtig tretenben giiße, baS langgejogene ©efic|t unb bie
hellen glaSfugcfartigen Augen an biefeit ariftofratifdjen Sier*
füßter. SergebenS blättert man in ber 9Rufifgefcf)id)te nach
etwas Aehnlichem, ba ift ber 2öwe Seethoben, ber Siber
^jatjbit, ber §abid)t Martini, bie Sfobbe Sach, ber ge*
wattige Auerodjfe feänbef, aber nichts, waS ber Gf)atni=
nabe gliche.
So ift fie eigentlich ganj feceffioniftifch anjufchauen in
ihrer unherfömmlidjen Art. Allein fie ift bloß eine 9Wo=
berne ber Grfdjeinuttg; in ihrem Snneren ftedt merhofirbig
biel ©nucj'cueS. Sh« Äunft grünbet fidh ganj auf Ser*
gangenfjeit. Unb eS ift boppett feltfam, baß gerabe baS
Srabitionelle, gortgeerbte an biefer Sunft ißt Stuhm unb
Anfeßen brachten. Sie ift fo fefjr Sergangenheit, baß fie
gar fein £)fjr h Q t für bie 3 u ^ un f t - Unb bie ©egenwart ift
ipr nur eine febenbiggebliebene ©eWefenheit, ein Smperfectum,
baS bor fo unb fo bieten Safjten ©efagteS in aller AuS*
füfjrüd)feit wieberhoft. Auch Ahnen ift ihr fremb unb jeg*
liehe Seljnfucht unb ber füße ßwiefpalt, ber auS bem ^>eÜ*
bunfel ber Seele ftammt. ®ie Ghaminabe ift bielmehr fo
pofitib, wie man eS Anno Schnee ju fein pflegte, wo ber
$ag immer tjell war unb bie SRadjt noch bie „jur ©efellig*
feit gemähte" IRaht IßhUinenS.
Sor allem Anberen aber ift Greife Ghaminabe Soff*
1 blutpariferin. ®aS heißt fo biel, wie auSgeftattet fein mit ben
feinften Snftinften für aüeS ißouffirenbe, Snbiefjöhebriugenbe.
©rößere latente, ftärfere Segabungen lagen gefeffelt in ber
SEiefe, währenb Gäcilc leicht unb frei bie 2eiter beS fRuhmeS
emporftieg. Seit Safjren wirb ihr IRame „auf ftarfem fjittig"
burd) bie 2Belt getragen, bie frembeften 3 un gen fpredjen i|n
richtig auS. Sh^e Gompofitionen werben in ben borneljmften
Goncerteit gefungen unb gefpielt, noch mehr: fie Werben ber»
legt unb — gefauft! Unb bie ©rünbe biefer zahlreichen
2)3unber? Gecile hat eben ben „flair“. Seber richtige ^ßarifer
ftiinftfer hat ihn. s IRan überfeße baS 2Bort beileibe niht
mit bem beutfdjen „SBitterung". GS berträgt überhaupt fein
beutfdjeS Äleib, wie eS benn nur baS Angebinbe urftanjö»
fifefjer Staturen ift. Soielbieu hat ben „flair“ gehabt unb
Auber unb SCljamaS unb Sijet unb SRaffenet unb Slofj,
ber Selgier, ber ein granjofe fein fönnte unb mit feiner
„Sriuceffeb’Auberge" einen echt franjöfifdfjen 2Burf gethan hat.
Sh'wn Aden ift eine ftarfe Sewußtheit gemein für baS, waS
ihnen taugte, waS fie wollten ober follten. S)ie Ghaminabe
tritt tapfer in biefe berühmten Spuren. Sei ihr paaren fid)
eine ftarfe 2öeltlid)feit unb ein gewiffer fpeculatiber Sinn
mit angeborenen mufifalifcfjen ©aben. Sie hat eS babin ge*
bradjt, bie erfte (ebenbe Gomponiftin — auch außerhalb
graufrcidjS — genannt ju werben. ®iefer Jitel ift wohl
faum ihrem Gomponiftentl)um allein entfproffen. An fidh
finb ja componireitbe grauen feit 2angem nichts Seltenes.
SRau benfe an 9RHe. Sertin, bie Serlio.V fogar (in einem
feiner Sriefe) jur etfolgreidjett Aufführung einer Oper beglüd*
wünfeßt unb an bie begabte HRündjnerin Sofephine 2ang, bie
fpätere grau beS Tübinger ©rofefforS ftöftlin, nach ©fenbelS*
foßn „ein Wahres mnfifafifdjc§ ©enie", beren 2iebcr ihn
Digitized by v^. ooQie
Kr. 2.
DU (Ptgettwart.
25
„fo innerlich unb Wopltpuenb berühren, wie feit längfter 3 e 't
feine neue SRufif". tlnb in granfreic^ unb in 2)eutfcplanb
leben, feeren unb compottiren 2lugufta §olme3 unb Fnge»
borg Don Vronfart, um nur gwei ber lebenbigften Seifpiele
angufüpren.
SEBaö ©ecile ©haminabe Don allen anberen ©omponiftinnen
unterfReibet, ift ifjre bcoorgugte äußere Stellung. Sie ift
bie ©rfte, bie wirtlich ernft genommen mirb uon ben Scannern,
bis gut geinbfelig« unb Unpöflicpfeit. 3)a3 ift iljr t)öc£)ffer
Xriumpp, bafe fie feine jener ©alanterien geniefet, bie ber
Stärfere bem Schwächeren bereitwillig gugeftept. So fiept
fie, opne beftimmteS ÄampfmotiD, auf bem ©unfte, auf ben
bie gange Frauenbewegung pinfteuert: nämlich burtp üöUige
©leicpftellung ber mitleibSuoffen §öflicpteit unb galanten ©a<p»
fiept ber ÜJiänner gu entratpen. Sobutcp aber ift ©ecile
©pantinabe ben Scannern ebenbürtig geworben? ®abur<p, baff
fie mit ipnen nie in ben engeren Wettbewerb eintrat. Sie
ift SBeib geblieben burep unb burep, SBeib in ben engften
©reitgen ber SBeiblicpfeit. 21 uff) in biefem 3 u 9 e weifet ©etbft*
befcpTänlung tritt unS gugteiep ein nationaler Vorgug ber
Frangofen entgegen: ipte unbeftedplidpe Dbjectioität gegen baS
eigene geiftige ©rgeugnife. Vlofe SBerlioj, in feiner gangen
SSirffamfeit überhaupt ein 2lntifrangofe, entbehrt biefeö Vor»
gugeS.
Sie bie ©paminabe eine üReifterin ber Selbftfritif, fo
ift auch in aß’ iprem ijfjun ein ftarfeS 3w?d» unb 3'el=
betoufetfein. 3)a3 offenbarte fiep fepon in ber Sapl iprer
früpeften Vefdpüper unb Vewunberer. ©iept etwa Verliog
ober Saint»Saen3, fonbern ©eorgeS SBiget, ber geniale ©legaut»
ridj, tput ben Sptudj, auS ©ecile müffe etwas Vebeutenbes
Werben. Feber begabte ©fenfep begegnet in feiner Fugenb
einmal einer Verüpmtpeit, bie biefen Spruch fpriept. i$)afe
e$ bei ©ecile juft SBiget tput, ift eben baS VemerfenSwertpe.
3war wirb er niept ipr Vorbilb, benn fein Fortfcprittlertpum
taugt i^rer ©üdfcprittlicpfeit nicht. 91 ber in einem fünfte
treffen fiep bie ©eiben: in bem Streben nach eleganter Volts»
thümlichfeit. ÜJiit ben neueften unb älteften SZitteln wirb
bäS 3iel gu erreichen gefucpt. Söiget’ö halbe Etiefe, feine
pifanten Formen unb Ütpptpmen wirfen gwar ftarf auf ©ecile,
affein fie entrinnt feinem ©influfe, wie fie fich auct) unbewußt
bem ©influffc Sifgt’S entgieht, obgleich fie eine geborene ©ia»
niftin ift. Sifgt ift auch niemals in bie Sage gefommen,
©äcile auf bie Stirn gu füffen. ©in fotcher Jtufe pätte fie
bieffeicht in anbere ©ahnen gebrängt, ©änglicp unbehelligt
öon Sifgt’S fuggeftiber EEprannci lonnte fie ihre pianiftifcfien
Sege gehen. Sie führten Don EEpalberg, bem Platten, auS
über Äalfbrenner unb §erg, weit ab oon affen mobernen
Slaoierbeftrebungen, gu längft Derfchoffenen ßielett. Sa3 bie
©paminabe fepafft unb noch fd) a fft, ift burcpwegS vieux jeu.
©ne ©eipe Don StaoierDariationen, bie fie in Sien unb ©erlin
fpielte, erinnerte an £>enri §erg, ben berüchtigten Variationen»
fabrifanten, gu beffen 3eit jüngfte ©pmnafiaften ben lateinifdpen
Spruch: Variatio cor meum delectat mit „bie Variationen
toon §erg belectiren mich“ gu überfepen pflegten. 9luch
bie gange fpiegelblante Fmg erte d)ml ber ©haminabe ift auf
bie Ueberlieferungen ber gwangiger unb breifeiger Fahre auf»
gebaut. 9Ran hört peutgutage fepr feiten fo ©laoier fpielen.
SRit biefer gierlichen SRettigleit, biefem feinfchmecfetifchen Fn=
ftinft für ben muftfalifdpen Stern beS Vorgetragenen. @e=
wife, unfere mobernen Virtuofen fönnen Diel mehr, als ©ecile
©haminabe, fie fönnen aber auch wieber nicht fo Diel, wie
biefe ©ianiftin mit ben 9fffüten einer Derfunlencn ©taoier»
fpielerepoche. Sur ber alte Seinede fpielt noch fo. ©in
.fjjauch SienbelSfohn’fdjer ©infatt unb SiebenSwürbigfeit liegt
auf bem ©laoierfpiel biefer ©eiben. ®ie Frangöfin ift Diel»
leidht bie gröfeere Virtuofin, obgleich fie baS ißebal mit einem
„unmobernen Fufe" tritt. @3 ifi ihr noch feine FarbenqueHe
ä la Subinftein, fie weife auch nid)t, bafe auS ber „Verfcfeie»
bnng" bei richtigem ©ebraud) bie garteften unb gepeimnife»
Doffften SSirfungen fliegen. “Die Verfärbung ift jene oiertc
©imenfion beS ©laDierS, bie Sifgt unb Subinftein aufgc»
fcploffen haben, ©ine ewige polbfelige ®ämmerung ift in
ihr, Don ber bie ©haminabe nicptS weife. Sie fpielt auch
nie ©laoier um biefe 3^» in ber fiep bie Fmpreffioniften
ber Siufif, fo gut wie bie ber SRalerei, gum Scpaffen an»
geregt füplcn.
91uf benfelben Jon oerftänbigfter Ätarpeit finb im
©runbe auep bie ©ompofitionen' ber ©haminabe geftimmt.
Siemanb wirb in ihnen Diel Originalität entbeden. ®ie
„Fbee" ift überhaupt niept bie Sache biefer F rQ ngöfin.
L’idee, l’invention! meint fie wopl acpfelgudenb. SEBaS finb
ipr Fbeen, ©ebanfen? Fh r 3 roe£ f ift» wie bereits gefagt,
elegante VolfStpümlicpfeit. Sie fepreibt in gemeinDerftänb»
lieber, gwanglofer 9Irt — für ben Salon. Fn ihren Siebern
braut — trofe aDer Soquetterie beS ©infaepen — jene fpecififcpe
frangöfifepe Salonluft, bie fiep auS fßarfüm unb Weipraudp
mengt, »biefe Iprifcpen Stüde finb eigentlich gang lörpertoS,
fie paben niept einmal ©ppftognomie, fonbern blofe Sltmo»
fppäre, falonpariferifcpe; fie finb auS einer Subftang bereitet,
bie beinape aufeerpalb ber ÜKufif liegt. ®er Saum für bie
fogenannte Fnnerticpteit bleibt bei ©ecile immer leer, um
biefe Seere gruppiren fiep, Don fipöner §anb georbnet, jene
Stimmungen unb ©ffecte, bie einem Dornepmen ißublicum
am beften taugen. 2>iefe3 beftimmte fßublicum beeinflufet aud;
bie üBapl Don ©paminabe’S EEejtten. F r °wmer 9tugenauffcplag
unb füfelicpe Sentimentalität finb bie beiben fßote ihrer 23irf=
famfeit. Fpre ®icpter paben affe etmaS ftarf WeiblicpeS,
auep wenn eS niept F rfl uen finb, wie Sofemonbe ©eratb,
bie ®icpterin beS Dielgefungenen „Anneau d’argent* ober
©paminabe felbft, bie Verfafferin Don „Noel des oiseaux“.
91Qe biefe ©efänge, fei eS „L’anneau d’argent*, „Nuit dete“,
„Sans amour“ ober baS Don Saimunb Don 3 ur SSüpIen
gefungene „Tu me dirais“ bebeuten nur ein Ad Libitum
für ben jeweiligen Sänger. ©S ift &eclamir», Ülccent», am
wenigften ÜRelobiemufif. ©eniale Sängerinnen, wie g. ©.
©amiffa Sanbi, gemütpDoffe, wie ©ecile Äetten, raffinirte
wie 3ur ffRüplen ober neefifepe, wie Siffian SlauDelt, Der»
ftepen eS, gewiffe ©efänge ber ©paminabe, namentlich „L’anneau
d’argent“, „Lete“ unb „Sans amour“ gu wapren Sepertoir»
folitärS gu maipen.
Viel mehr eepte SRufif, als bie Iprifcpen enthalten bie
SlaDierfacpen ber ©paminabe. ®a pat fie namentlich ein
eigenes ©efepid, in fleinfter Form etwas SöefentlicpeS gu fagen.
Äein 3weifel, bafe pier ipr SReifter ©obarb auf fie gewirft.
2tber eine gange moberne Somponiftenphalanj fiept wieber
in iprem Scpatten: SJuboiS unb Faure unb ©uget u. 21.
®ie ©paminabe übertrifft fie 2llle an ßwrlicpfeit ber Form
unb an fcpmetterlingpafter Seidptigfeit. ©ewiffe ©ffecte meiftert
fie im F^ u 9 e » mnn benfe an ipre fo rafdj populär geworbene,
Don ipr felbft, Wie Don ßlotilbe Äleeberg gefpielte „Pierrette“.
3)aS ift ein Keines ffffeifterwerfdpen in feinem gragiöfen ®a»
pinflattern, bem boep niept fein Ouentcpen Fnpalt feplt. 5)iefe
Seidptigfeit in ber ^»anbpabung fdpwieriger F otnien ifi baS
©rgebnife ftrengfter 2lrbeit. Sie ift um fo pöper anguf^lagen,
als ja ber moberne Äunftgeift bie 3 er ftörung ber Form er»
ftrebt. ®aS mufterpafte äufeere ©ewanb ber ©paminabe’fdpen
©laoierftüde fidpert ipnen einen feften ©la| in berüpmten
Vepertoiren. 3 U ip rer Verbreitung pat bie poepbegabte Slo»
tilbe Äleeberg Diel beigetragen. Sie ift bie Dorperbeftimmte
Spielerin ber ©paminabe’fcpen ©faDierftüddpen. Von gröfeeren
©ompofitionen ber ©paminabe ift nur eine (in SEBien Don
ipr felbft Dorgetragene) ©pantafie für ©laoier unb Drcpeftcr
op . 40 befannt geworben, ©in in feiner gangen (beträept«
liepen) Sänge Don pompöfem Figurenwert überwuchertes Stüd,
baS fiep Don 3 eit g u 3 eit wit groteSfen magparifepen
fRpqtpmen fcpmüdt. S)ie ©pantafie tönnte naep ber Seife
Derfloffener Saloncomponiften gang gut „Hommage ä la
Hongrie“ peifeen. 2)aS VemcrtenSwertpefte bartu ift eine
s
Digitized by v^ooQie
26
Die $ege«»att
Nr. 2.
tiort bijarrett örc^eftereffecteit umfd)toitrte, 6i3 gut @rm Übung
toieberholte ©caleitreihe. ®et eigentliche 3 mec f einer fotzen
Sompofition: ben ©latoierpart butch geiftoolle ißoltjpbonte
mit bem Drdjefter ju »erbinbeh, ift unerreicht geblieben,
gür folche STufgaben fehlen ber (S^aminabe ber männtidje
ÜRert) unb ber SBagemuth ber großen Sonception. Sftodj ein=
mal fei eö wieberhott: bie ganje 3lrt ihres StalentS ift auf
bie fleine gorm, ba§ görmtfjen, geftimmt. ®iefer entfpricht
eS DoUlommen. @3 genüge ihr, auf biefer ©eite SSollfoni=
meneS ju leiften.
■*-*-*•
Feuilleton.
- SRacfcbrud verboten.
€tn fd>led>ies €ttb’.
Son €. XDfirtpmann.
„©3ie ®u nur, gar fo fcplecpt fein fannft," fagte bie 2tpnbl uit=
gezählte 2Ral gur ©tafi unb längte baran unmittelbar bie büftere $ro=
ppezeiung: „©Zit 3)ir nimtnfS einmal fein gutes ©nb\"
„©Zeinetpalben," pflegte bie ©tafi ungerührt barauf ju fegen,
menn fie aufjerpalb beS SereicpeS non ber Slpnbl richtig ftrafenbem Slrm
fiep fanb. ©Zit bem „©Zeinetpalben" gab fie aber meber bem £rog nocp
einer beabfnptigten Sergöpnung Sleufjerung;, fie lieb nur iprer lieber-
Zeugung SluSbrucf, bafj, falls eS überhaupt zum ©nbe fam, eS ipr gleich
mar, ob gut ob fcplecpt, baS ©nbe mar ja immer fcplimm. $ie ©tafi
lebte fo gern, niept einmal ber Sfpnbl fnocpige gauft fonnte biefe ihre
unbezähmbare SebenSfreube, ja SebenSgier, nieberbalten. ©in ©tücf
banon patte ihr Dietteicpt bie ©Zutter nererbt, bie im $)orf nimmer ju
halten gemefen mar, fonbem in einen $)ienft in ber ©tabt gemufjt hatte,
, morin fie oerborben unb — mit £interlaffung ber ©tafi — geftorben
mar. 3m Sater bagegen fah bie 9lpnbl bie ganze ftäbtifcpe 9Ziebertra<pt
nerförpert ©auber banon gemacht hatten fiep bie jmei, bie ©Zutter in'S
3cnfeitS, mo ihr fcpIecpterbingS niept mehr beijufonimen mar, ber Sater
in mer meifj roelcpen unauffinbbaren ©rbenminfel, unb bie ©tafi, ihrer
©cplecpttgfeit^robuct, hatten fie ber ^l^nbl aufgehalft. £>art ift eS jehon,
menn man für frembe ©ünben büfcen muff; eS giebt ©icptS, maS einen
mehr Derbriefjen fann. Unb ber ganze Däterlicpe Seicptfinn, mie er nor
ber Sttpnbl geiftigem $uge ftanb — ihre leiblichen ©ehorgane hatten ben
fpurloS ©ntfepmunbenen nie gefepaut — lebte in ber ©tafi, ihrer
ftrengen Slnoermanbten ©träfe, mieber auf unb lieb fiep ni<pt nieber=
halten, fo fauer eS fiep auch bie Slpnbl merben lieb, ign bem 2>irnbel
abzutpun. ©Zocpt eS fein, menn bie ©äperzenz niept gemefen märe, bab
eS pätte glüefen fönnen; eS mar ein $reuz, bab bie grab' über'm 2Beg
brüben paufen rnubte. 2>er 3 en 8 traute bie 9lpnbl niept, menn ipr jene
auep noep fo fcpön tpat, ipr noep fo bemütpig in ©ttem ©eept gab. 2)aS
mar nur galfcppeit nnb Serftetlung Don megen ber ©tafi; bie Slpnbl
patte eS lang burepfepaut, menn fie'S auep gnäbig burepgepen lieb, weil
ipr bie ßenz umfonft bie alten SRöcfe fliefte unb ipr Dom eigenen bibepen
Slrmutp zutrug, maS fie ni<pt notpgebrungen zum täglicpen Seben nötpig
patte. $afür braudjte bie Slpnbf ipr noep niept einmal „©elt'S ©ott"
ZU fagen, benn fte tpat eS nur ber ©tafi megen. 3)ie mar noep ein
minzifl fletneS 2)ing gemefen mit einem feefen Subengefiept, ba patte bie
Qenz fepon angefangen, ipr Simen unb Slepfel gu^ufteden, bie bie
©äperiit peimliep unter ben Säumen aufgelefen, in ben Sauernpöfen,
roo fie tagüber in Arbeit mar, unb patte ipr eine ^uppe gefügt, momit
bie Benz am ©onntag aber felber fielen rnubte, unb bie ©tafi fap ipr
Zu unb commanbirte, mie fie’S maepen follte. 3« ipren finblicpeit
©ötpen rannte bie ©tafi immer zur 8 en S hinüber, unb bis bie baS
abpelfenbe ©Zittel gefunben patte — benn fie mar fozufagen fepmer^
fälligen ©eifteS — lacpte bie ©tafi fie Dergnüglicp an unb fagte: „Safe
fein, icp mach' mir ja fein bifferl mepr barauS". %a, arg mar T S mit
ber ©tafi unb ber 3 eit Zf re tn Derrücft, baS peibt, bie mar Derrücft, bie
©tafi aber mar fdplau. $rum patte eS bie Slpnbl niept gern zugeiaffen,
bab bie ©tafi bei ber 3*nz ßleibermadpen lernen burfte, nur mar'S
bequem unb trug fpäter auep maS ein. gür bie 3«uz fing aber bamit
ein neues fieben an, ein munberfcpöneS Seben, menn nur feine ©ünb’
babei gemefen mär\ S)enn eigentlich mugte bie 8*uz eS ja ber Slpnbi
pinterbringen, bab bie ©tafi ben ©Zütterfepp am Sacp trifft, inbeb bie
alte grau fie eifrig über ; m ©äpen meint. Unb bie Sriefe unb SefielU
Zettel burfte fie ipr auep niept tragen, menn fie, bie 8enz, in bie ©Züple
Zum 9Zäpen gept; ba plntergept fie ja obenbrein bie ©Zütterin, ipre
©uttpäterin, bie eS ganz anberS Dorpat mit bem ©opn. Unb pätte
auep niept pinter ber $au8tpür Sßoften ftepen bürfen am 9lbenb, als ber
©epp zuüfcpen bunfel unb fiepftmiepnit in bie ©tube gefcplü^ft fam —
lang paben bie zwei fie brauben ftepen taffen felbigeS ©Zal, fie müfjen
fie rein Dergeffen paben — baS 2tHeS burfte fte nidpt tpun, bie 3«*$,
unb tput eS boep, unb pat einen ©ifer bei bem §anbel mit bem ©Züller=
febb, fepier gröber als bie ©tafi felber. Unb reepnet ipr Dor, maS ber
©epp einmal fbäter MeS friegt; er ift ber (Sinzige in ber ©Züple, unb
bringt immer mepr perauS, befonberS feit fie zu merfen angefangen
pat, mie angelegentlich bie ©tafi naep bem görftermartel fbäpt, ber bod)
feinen rotpen Reiter befigt. 9Zur mar ber ©tafi ©icptS einzureben, nie
nicptS. $>ie patte ipren ftarren 5fobf bei allem Seicptfinn. ©Zan burfte
nur bie pellen SZingel fepen, bie ipr fo eigenmillig in bie ©tim gingen
— mie baS $aar, fo ber ©inn. Slucp bie Slpnbl patte eS öorbem auf
geben müffen, fie in ben blonben 8^f z u cürfz u 8Wingen.
„5Bie alt bift benn?" fragte bie ©tafi über iprer ©äperei.
„©iebenunbDierzig," befannte bie 3*nz.
„§errfcpaft, mie alt!" rief bie ©tafi, „fo alt möcpt J icp fepon gar
nit merben, bann ift'S bod) nimmer fcpön."
„Sei mir mar'S Donper auep nit fepöner," meinte naepbenfliep bieBwj*
„ s 2lber Derliebt bift boep gemefen, mie $u jung marft?" begehrte
jegt bie ©tafi zu miffen; „ba ma^S boep fcpön gemefen, nit?"
„$>er ^lettenbauer pat miep füffen moUen," erzäplte bie 3«i$f
bin ipm aber baDon."
„S)er ^lettenbauer mit ber ©lagen?" rief bie ©tafi erftaunt.
„$5ie pat er nit gegabt zur felbigen 3 C ^»" beleprte fie bie 3«Vv
„^5)er ift fein fauber gemefen!" ©ie läepclte erinnerungSfelig unb fegten
niept abgeneigt, einem mittigen Dpi* bie näperen Umftänbe auSeinanber-
Zufegen. S)ie ©tafi aber mar eine feplecpte B^pörerin.
„SBarum paft ipm naepger feinen Äu& nit 'geben?" fragte fie unb
ftredte, opne eine $(ntmort abzuroarten, ipren glaipSfopf zum genfier
pinauS. 2)rauüen ging ber frembe glofelnecpt Dorüber, ber patte gejagt,
fie pätf grab' klugen mie ein ©amferl.
„©oflteft nit natp einem 3«ben fepauen," meinte bie 3^z mife-
bittigenb.
„©tab fein," fepnitt ipr bie ©tafi bie moplgemeinte 9Zebe Doni
©Zunb ab; „feinen ©cpnaufer meiter tpun." ©ie lacpte übermütpig jur
©Zapnerin hinüber. „£>aft 2)ir deiner Sebtag nicptS getraut unb famft
jegt auf einmal über miep . . . toeifjt, fo bin icp leine mie £>u. Unb
menn ^)u ftab bift, fag' icp 2)ir auep maS. ©eit, ba fpigeft bie ßgr*
mafepeln? SeffeS, mie 2)u neugierig bift" — bie ©tafi fieperte — „fo
neugierig giebt'S fepon ©iemanb mepr!"
,,©o reb’ boep," brängte fie bie B^z- „Reifet, icp pab' ja ©ie-
manb fonft mie 2)iep, gab' ja meiner Sebtag fonft ©temanb g'pabt, unb
?lngft ift mir auep immer, $u paft maS Don .. ."
„$)ie 3lpnbl mitt, icp fott mattfaprten gegen."
,,©ar," meinte überrafept bie 3 e «Z- «8« mein benn naegger?"
„3ur neuen ©ZuttergotteS naep ©Zäring."
„3u einer neuen?" fragte bie ©äperin bebenfliep.
„SJeifjt, fie ift fdpon alt," berichtigte fie bie ©tafi, „fie pabenS
nur neu pergeviept'."
Digitized by v^. ooQie
j
Nr. 2.
Die Gegenwart
27
,,©o waS follt' man fdjon gar nit ttyun."
*
„Sie Kapellen hoben fle neu hergerid)t’ unb angenehm fd)Ön, einen
blauen £intmcl mit golbene ©tern’. 3 U öer KtuttergotteS hot fiep *üe
Kpnbl öerfprodjen ton wegen ihrem Sein.. ."
„3<h hält' ja audj §in fönnen," erbot ftd) bienftfertig bie 3 en 5?
„fag'S ber Kpnbl, ich bet' Kofenfräng' am gangen 2Beg."
,,©ang ftab fein/' gebot bie ©tafi bieSutal im (Srnft. „Ser 3*örfter=
martel nimmt midj mit in bie ©tabt," feßte fie mit geheimnißooH ge~
bämp>fter ©timme Ijingu, unb ihre ooni gloßfncdjt gerühmten braunen
Kugen funfeiten oor erwartungSOolIer Suft.
„Kenn' nit in Sein Unglüd," rief erfdjroden bie ßenj. ,,2ld),
hätt'ft mir bod) nidjtS gefagt!" weljflagte fie, „jeßt hob’ id) feine ruhige
©tunbe me^r . . . ba hött' id) lieber gar nichts gemußt.. . unb mann
benn nadlet? ..."
„SBann holt bie SSatlfahrt ift, es wirb erft abgereb’t, eS geben
ihrer mehrer mit."
„Sa fannft bodj nit wegbleiben, baS fommt ja ’rauS", wanbte bie
3eng aufatbmenb ein.
„3mmer ^aft fo ein ©ereb'," ^ielt ibr bie ©tafi übettaunifcb oor,
„eS tommt nit auS, unb wenn auch, bann hob' ich bocb mein' ©paß
gehabt, ben fantt mir feinS mehr nehmen, ©ar nid^tö trauft Sir fcpon,
unb wenn Su mtd) oerratbft.. ."
„SaS glaubft ja jelber nit," fagte ungefränlt bie Qtny, „nur
fein gute§ (Snb' nimmt baS nit," gebrauchte fie beforgt ber 2lljnbl
SieblingSmenbung, aber tröftete fich. „SSaljr ift’S wohl, bie fchled)ten
Scut', bie hoben immer ©lüd. Kber ber SKülleipfepp .. fiel ihr barauf
wieber fchwer auf'S £>erg — „eS ift fdjon wahr, feinem KtannSbilb ge=
fdjieljt gu weh" .. .
,SaS ©chaf," fagte geriugfchäßig bie ©tafi.
„2BaS baff g’fogt?" fragte bie Käherin, bie nicht redjt gehört gu
haben oermeinte.
„(Sin ©chaf ift er," wieberholte bereitwillig bie ©tafi, „unb ber
SReßnertoni auch." ©ie lachte auSgefaffen über ihrer 3uhörerin oer=
NüffteS ©eftd)t.
„©uten Slbenb, £>ochwürbeti §err Pfarrer! hob i£ h am Slbenb
neulich in bie Äirdj' gerufen, wie bie Sotennanbel grab über ben iHrd^
hof 'gangen ift, wenn fie mich etwa brinn guoor §ätt r reben hören.
Sa ftreeft ber Kteßnertoni feinen Äopf gur Spür heraus, weil er einen
©chreden friegt, ber $err Pfarrer möcht' uns aufgepaßt hoben."
„0 mein, o mein!" ädjgte bie 3eng, ba mm fepon wieber ein neuer
Bewerber um ber ©tafi wetterlaunifche©unft auftauchte; „überall fdjlupfft
bo<h herum, io fcie Äirdj' gor .. ."
„(Sr muß hoch läuten um holb 2ld)t, ber SReßnertont," war ber
©tafi Antwort.
-Sie SSatlfabrer, bie fich gur frommen gaprt gufatnmen=
gethon, waren abgewogen. Sie 3 eil 5 hotte in ber SageSfrüpe fie „außt-
beten" hören, gum Sorf tjtnouS, unb mit oerfdjlafenen klugen burd) bie
Sabenriße gefpäpt, benn fie trug einen uugerftörbar hoffnungSfreubigen
©tnn burd) ihr fümmerlidjeS (Srpenleben. könnte ja hoch fein, baß bie ©tafi
unter ihnen war. SorauS fam bie grau beS 3iotmerinannS gekritten,
oon ihren Sorfgenoffen furgweg „baS 28ei" geheißen. SSeßpalb fie
folcher 2(rt aus ber übrigen grauenweit b c rOorgehoben unb gemiffer=
maßen als SppuS ihres ©efdjledjteS begeiepnet würbe, hätten gene felbft
nicht fagen fömten, bie fte guerft fo genannt, ©ie war bie Sorbetedn
am SlntlaS bei ber ^roceffion, bie ©borfübrerin bei allen ^Bittgängen,
in ber Setftunbe, bie allabenblicb im ©terbebauS gehalten würbe, folang
eine Seiche noch über ber ©rbe war. 3So fein ©eiftlidjer bei einer
Wallfahrt mitging, nahm man befdjeiben mit bem „$Bei" oorlieb. S)ann
famen ihrer fünf, 21 He, bie bie ©tafi angegeben, fogar ber §unbSbarteI
hatte SSort gehalten, naebbem er geftern Slbenb ber 3^05 anoertraut,
er fänbe eS jefct an ber 3 e ü f fi^ ^brüben" um ein gutes $la^erl um=
^uthun, uni fo mehr als eS „herüben" hoch ein elenbigeS „©efrett" für
ihn gewefen. $ie ©tafi aber war nicht barunter.
$obffd)ütte!nb frod) bie 3en$ in'S Sett jurücf unb nahm fich oor,
am borgen gleich ber SRuttergotteS ein ^er^erl anjujünben, um für
beS KtöbdjenS fträflich unterlaffene |>ulbtgung bie £immelSgewaltige f<hab=
loS ^u holten unb ihre einflußreiche SBohlgefinntbeit nicht Oölltg ju Oer*
f ehernen.
-Kein, bie ©tafi war nicht mit gewefen, unb ber #unbS=
bartel wär' auch gefdjeibter babeim geblieben, fanben feine 2öallfahttS=
geführten, ©ar fo gewalttätig war er holt. Kicbt anberS, als ob er
im fteifwattirten fadleinenen ©ewanb auf ber SBiefe ftänbe, ben biden
Prügel in ber §onb, unb feinem ^erm bie $unbe auf ben SÄann
breffiren helfe. (SS war ein $reu$ mit ihm. (St wußte nicht, waS bei
einer SSallfabrt Stauch unb wollte fich öer 2lnbem befferer (Sinftd)t bot
nicht fügen. 2Bär’ ihm fchier, weil eS regnete, ber fleine Umweg ju
ben „©ieben ©chmerjen" ju weit gewefen, bie hoch 3 ebeS auf bem ^eint*
weg mitnabm, ba aber gab baS „2Bei" nicht nat- @r fefete bafür
wieber burch, baß fie überfahren wollten, ftatt betenb einebolbe ©tunbe
am Ufer entlang unb unten über ben ©teg $u geben. Bitten in bie
Sitanei hinein fchrie er ben gäbrmann an, ber gerab' ein Sßärdjen über*
führen wollte. Unb bieS faubere Sörchen wäre guerft wohl lieber allein
geblieben, brauf aber lachte bie ©tafi unb meinte befriebigt gum görfter^
martel: „ 3 ejt !omm' id) ja bodj mit ber ©allfabrt heim, weißt, ©lüd
haben muß ber Kienfcf)."
5)er Bartel hotte feines lieber fonftwo gefunben, weit aber nichts
baran gu änbern war, nahm er'S, wie er'S friegte, unb baS war bie
©tafi um bie üttitte. (SS fdjwanfte nämlich ber Äahn fo ftarf, weil
2lüe ftanben, benn gum ©i£en war'S gu naß Oon ben Kegenfdjouern,
bie am borgen niebergegangen waren. S)aS „S3ei" fuhr fort mit ber
Sitanei, unb bie ©tafi fiel mit ber ©efettfdjaft antwortenb ein unb flüfterte
bagwifdjen bem görftermartel gu, baß fte fdjon eh gebaut, fie fönnten
bie 2 lnbem unterwegs „berwif^en".
SSie'S bann fam, hot fein'S mehr fagen fönnen. 0b ber $ahn
umfippte, weil ber Sartel, bem ber §ut in'S SSaffer gefallen, fich bar*
nad) hoftig büdte, unb bann baS ©eil erft riß, ober ob baS ©eil guerft
geriffen, unb ber Sahn baburdj baS ©leichgewicht Oerloren — nicht ein=
mal ber gäljrmann fonnte eS beftimmt behaupten, bem als bem ein*
gigen eS glüdte, baS Ufer fchwintmenb gu erreichen. 3)ie 2lnbem fanben
alle ben feuchten $ob, ber görftermartel auch, um ben bie ©tafi }idj
geflammert hielt. 5>en feuchten Xob, hoch ein gottfelig (Snbe, fagte ber
§err Sfarrer in feiner Seichenrebe, benn fie würben glüdlidj 2llle auS
bem SBaffer geborgen, baß fie hoch ihr djriftlicheS Segräbniß finben
fonnten. ©in gottfeligeS (Snbe auf frommer gahrt, ©ebete auf ben
Sippen — eS ließ ftd) Oiel barüber fagen, unb ber geiftlicße Kebner that
eS auch.
-*£>ätteft nur ben ^errn Sfarrer hören foHen," h ie ^
bie 3^ng ber 2lhnbl Oor, bie'S nid)t mit eigenen 0hren hotte üemehmen
fönnen Ooit wegen ihrem Sein. Unb baS war fdjab’ unb wurmte bie
3eng. §ören hott' fte'S ntüffen, bie 2lhnbl, bie ber ©tafi immer ein
fcfjledjteS (Snb' prophegeit, fie, bie bem SMrnbel 2UIeS gewehrt im Seben,
gar 2lüeS. 3ft'S ba gum Sßunbem, wenn fid) eins fein Kedjt nimmt
unb babei auch wohl baneben greift?
Kur um ißr Oon ber fdjönen Keb' gu fagen, h fl t bie 3*ng bie
2 lhnbl nochmal aufgefucht, bann nimmer. 3 eßt budt fie fich utdjt
mehr unter beren horten ©igenwillen, unter ihr UebelwoHen, ihre Un=
oernunft, jept fürchtet bie 8 e ug fie nimmer, feinen fürchtet fte mehr.
3ept fann ihr feinS mehr wehthun — wohlthun auch nicht, fo nicht,
baß fie'S freut. Kein, wehthun fann ihr Kiemanb mehr, benn Kiemanb
weiß, wo bie ©tafi bie lebten greuben ihres jungen SebenS
auSgefoftet hot. 3hrer brei nur wußten brum; bie Seiben, bie nichts
mehr baoon ergäben fönnen, unb bie dritte, über beren Sippen eS
niemals fommt. 3n ihrer §ergenSleere, in ber 0ebe ihrer einfant
trüben Sage ift ber 3eng als leßter Sroft oerblieben, baß fie ber Sobten
bie Sreue holten fann.
Digitized by v^. ooQie
28
Bit ttegettnarl
Nr. 2.
Jliis bet jöauptftabt.
Die ttotl)l)elfer.
i.
.Der (Gefcpidlicpfeit, womit ©ie bie befreunbete euglifche Negie?
gieruitg boju gezwungen paben, bic geplante Berftärfung ltnferev glotte
niept übel zu nehmen, will ich alle Anerfennung wiberfapren laffen,
wenn e« aud) unleugbar ift, bah Sie bie Anregung ju tiefer Bolitif
ber pöcpften ©teile öerbanfen unb bah bemnacp ber pöcpften ©teile ba«
Hauptberbienft an beni fo erfreulichen biplomatifcpen Krfolge gebührt.
Auf ber anberen ©eite aber fann faum in tlbrebe gefteHt werben bie
betrübenbe (Geringfügigfeit ber gortfcpritte, welche bie glottenibee in
Deutfcplanb felbft gemalt pat. $on ben beiben gactoren, auf bie wir
nothgebrungen Nüdficpt nehmen müffen, ift bisher nur ber eine ge?
Wonnen, unb ba ^ier r wie gefagt, bie pötpfie ©teile felbft bie Hauptarbeit
gethan pat, bleibt für ©ie, mein lieber Herr (Graf, recht wenig be«
Nupme« übrig. ©a« ift gefcpepcn, um ben beutfcpen Reichstag gefügig
$u machen? 3Pr Harnet« auf bie lopale Hutung ber groben treffe
fcheint mir feine«weg« geeignet, meine Bebenfen ju zerftreuen. ©o gern
ich 3hrer ©irffamfeit Beifall zolle, fo unmöglich ift e« mir, bie allere
bing« begrühen«wertpe glottenfreunblicpfeit ber au«fcplaggebenben Ber=
liner gdtungen Sprem Konto gutzufcpreiben. Seicht bie Nüdficpt auf
©ie’, fonbern allein bie aufrichtige Siebe unb Khrfurcpt, welche biefc
Blätter öor ber pöcpften ©teile empfinben, ficfjert un« ihre Hülfe. Alfo
auch hier hot bie höchfte ©teile ba« meifte gethan, währenb 3hnen zu thun
noch Alle« übrig bleibt. Seiber reicht ber Kinflujj ber gutgefinnten Sour?
nale nicht fo weit, wie e$ im Sntereffe ber ibealen ©acpe wünfcpen«?
werth märe. Unb bie Greife, beren ©prachorgan bie erwähnten 3eitungen
ftnb, hoben fcpwer mit bem Don gewiffenlofen Demagogen gefcpürten
3Kigtrauen ber Waffen zu tämpfen. 9Nan wirft ihnen bor, bah fte ftch
nur be« Profites ober eine« erhofften aflerhöchften (Gnabenbeweife« wegen
für unfere Bläne in’« 3 c ug legen. 3a, e« befiehl bringenbe (Gefahr,
bah bie glottenbegeifterung ber ralliirten haute finance unb ber ©cpiff«?
bau?Vlctiengefettfchaften un« ©chooren öon begriffSftuptgen Unintereffirten,
bie wir bereit« gewonnen hotten, wieber abfpenftig macht. Sch fehe
alfo einftweilen feinen ©eg, ben nötigen Hotpbrud §u erzeugen, ber
bie 9tetdj«tag«mehrbeit zwingen lönnte, auf unfere ©ünfcpe einzugehen.
SRepr noch: ich beforge fogar, bah bie ganze Angelegenheit grünbüch ber?
fahren worben ift Bielleicht hoben ©ie, lieber greunb, bie (Güte, mir
recht halb brieflich 3pre Meinung unb, wa« wichtiger fein wirb, 3h re
Kntfcpltehungen mitzutpeilen. 9Rit meinem Befuge möchte ich ©ie
nicht eher behelligen, al« bi« bie« unumgänglich nöthig geworben ift.. .
II.
..... 3m Uebrigen pflichte ich 3h rer geiftbotten Analqfe ber
gegenwärtigen Sage bott unb ganz bei. Bi« auf ein«, ©ie fennen
mich Jur Genüge unb wiffen, bah ich fein greunb bon frönen ©orten
bin, befjpalb barf ich mir wohl erlauben, unummunben auf bie nach
meinem Dafürhalten entfcheibenbe ©chwierigfeit pinzuweifen. ©ie wollen
©ie ben politifch böllig unreifen SWichel für unfere wohlburchbachte ©elt=
politif gewinnen? Die wahlberechtigte $leb« hanbelt nicht nach ftaat«män?
nifcpen Krwägungen, fonbern nach ©timmungen, unb wenn fie fchon fo
hanbelt, fo fpricht fie erft recht barnacp. ©eit Sängern ift in Deutfcplanb
nicht« fo unpopulär, ja fo berpafjt gewefen wie biegreunbfcpaft, bie un« amt?
lid) mit ber Regierung unb ben Unterthanen Shrer britifchen ttttajeftät
berbinbet. Die Beforgnih, bah unfere glotte bielleicht baju beftimmt
fein fönnte, ber englifcpen bie gepanzerte Houb ju reichen, fcpretft ba«
ftaatSmännifch fchlecht berfirte Bolf jurüd. ©ie fhabet un« mehr noch
al« bie Bunbe«genoffenfcpaft be« tnbuftrietten Kentraloerbanbe« unb ber
Banf?Komptoir«. H crr SWarfchaÜ hätte 1896 jebe glotte bewilligt
erhalten; mir aber machen bie bernagclten Buren mit ihrem ftfjledjtpin
unbegreiflidjen Ktgenfinu zehn ©triebe burd) bie Nedjnung.
Dod) hoffe ich immer nod), bah wir heute borgen nicht umfonft
im 3eughaufe gefniet haben, ©a« burd) ben Bhotograppen alle ©eit
erfährt, fann auch (Gott nicht berborgen bleiben. Unb ftet« ift feine
Hülfe am nächften, wenn bie Notp am größten ift. Kr wirb un« einen
retten ben (Gebauten ober, wa« leichter unb bequemer wäre, eine rettenbe
Dhat befcpeeren.
Bei bem jepigen 3nfluenza=©etter würbe ich Spnen, berehrtcr
greunb, ganz entfcfjieben babon abrathen, ftd) ben Unbilben be« Sanuar«
au«zufepen unb mir einen Befuch zu machen. 3pre 3apre zwingen ©ie
Zu peinlicher Borftcpt, unb auherbem ift bie ©eit immer gleich z u 3Rtfe=
beutungen bereit...
III.
00 / 24311 .
«ei ttnttDorteu bittet man bie Berlin W., ben 8. Sonuar 1900.
3oitrrtat = Kummer anpfleben.
Herr HKinifterpräfibent!
Die Aufbringung unfere« Beich«poftbampfer« „Bunbe«rath" erregt
hier bebauerlicpermeife böfe« Blut, unb bie choubiniftifche burenfreunb*
licpe H e frpreffe wirft bie Sfrage auf, ob bie Regierung 3h^er britifchen
9J?ajeftät auf biefe Art Bebandhe für 9Jfager«fontein unb Kolenfo nehmen
wiU. ©elbftoerftänblich liegt e« un« fern, un« in eine Amt«hanblung
Kw. K^cellenz einmifepen zu wollen, unb wir erfennen bie innere Berech¬
tigung be« ©epritte«, ben ber Kapitän ber SRagicienne gethan hat, un-
bebingt an. ©agte hoch fepon Koetpe, ber Borläufer 3hre« erlauchten
Darwin: $rieg, Hanbel unb Btraterie, breieinig ftnb fte, niept zu trennen.
Die beutfepe Regierung ift abfolut niept gewillt, au« ihrer Neutralität her-
au«zutreten unb weih jebem Berfucp einer Socferung ber freunbfepaft^
liehen Beziehungen, bie ba« beutfepe unb ba« englifcpe Neicp öerbinben,
nacpbrüdlicp entgegenzutreten. Dehholb aber erfepeint e« un« unbillig
unb in Sprem eigenen Sutereffe unratpfam, wenn ©ie bie öerbünbete
Deutfcpe Negierung beftrafen wollen für Uebeltpaten einzelner ihrer
Untertpanen, bie oieHeicpt niept fo poepgrabig angloppil wie wir ftnb
unb e« mit ben rebeHifcpen Buren palten, ©ir hoffen alfo feine gfepl'
bitte zu thun, wenn wir Spnen pöflicpft anpeimgeben, unfere ©tellung
burd) rafepe Beenbigung ber Unterfucpung unb fcpleunige BeröffentUcpung
be« Befunbe« im gaHe „Bunbe«rath" z 11 befeftigen. 3 n bem wir SPuen
nachträglich bie perzlicpften Krüfce zum Sahrpunbertwecpfel übermitteln
unb ber fröhlichen Hoffnung Au«brud geben, auch im neuen ©äculum
auf 3§r gefepäpte« ©oplwollen rechnen zu bürfen ic. tc.
IV.
3. 9h*. 00,24321
B
Bei «tntmorten bittet man bic Berlin W., ben 4. Sanuar 1900.
Journal = 9?untmer amugeben.
Kw. Kfceüenz!
Unfere Note öom geftrigen Dage, 3-^r. 00/24311/A, ift Oon ber
Negienmg 3prer britifepen 3Wajeftät bi«per unbeanttoortet geblieben, ©tatt
beffen läuft foeben bie Reibung ein, bah aufjer bem „BunbeSrath* noch
ber Neicp«poftbampfer „General", waprf^einlid) auep ber „Herzog", auf¬
gebracht worben ift. 3fp Bitte ©ie! Kin paar ©epiffe muh utan bem
Slopb boep laffen! Haben ©ie bie ©üte, ©e. Kycellenz Sorb ©ali«burp
in ben burep bie intime greunbfepaft beiber ©taaten gebotenen formen
barauf aufmerffam zu machen, bah eine balbige Aufflärung unb Kr-
lebigung be« gatte« ber faiferlidjen Negierung infofem Don Nupen fein
würbe, al« fie ben Bewei« bafür ergäbe, bah bie innig freunbftpaft*
liehen Kefinnungen, bie bie faiferlicpe Negierung für Knglanb pegt, öott
unb ganz Krwibentng finben. ©ir würben ergebenft oorfcplagen, bie
günftige (Gelegenheit, ben piefigen Knglanbfeinben ein für allemal ben
ttflunb zu ftopfen, grünblicp au«zunupen unb baburep eine ©treitfrage,
beren Bebeutung wir feine«meg« überfepäpen, zunt ©egen für beibe Ne?
gierungen au« ber ©eit zu Waffen.
Digitized by v^.ooQle
Nr. 2.
Bit «egenwatt.
29
y.
»ertrautt^. SBerUn f ben 7. Sanuar 1900.
fiieber ©raf!
£>ie Sache ift mir fürchterlich unangenehm. 3mmer noch feine
Elntroort! Selbft bie juverläfftge treffe beginnt unS in ben dürfen
ju fallen unb fcpimpft fo gotteSläfterlidj, baß ich allen ©liebem jittere.
Sehen Elugenblic! fann bie Meinung laut merben, baß man einer ©egte?
rang, bie fiep begleichen bieten laffe, feine Srlottenverfiärfung beroidigen
bürfc. Unb bann paben »ir ben Salat — um ein beliebtet ©leicpntß
anjutoenben. SaliSburp foUte boep vernünftig fein! dS ift roapr, mir
müffcn jebe $emütpigung, bie er unS antput, gebulbig hinnehmen —
aber ich brauche jefct Schonzeit in feinem eigenen Sntereffe! Senn ich
falle, — unb ber Siebentöbter fiucanuS hot fchon böfe Einbeulungen ge?
macht — bann fann er, roaS $)elagoa anbelangt, in bie Ofenröhre guefen.
Xpun ©ie mir ben ©efaHen unb gehen Sie einmal ju ihm herum.
Sie imffen ja, roaS auch für Sie auf bem Spiele fteht, wenn mir unS
hier abermals blamiren.
VI.
fionbon, ben 8. 3anuar 1900.
5)omning Street.
Dear Sir,
3eitmangel ptnberte mich baran, ben (Impfang 3Prer drgebenen
sub 3 * s 9ü. 00/24 311 bis 24 329 früher $u beftätigen, auch mar geftem
Sonntag, vorgeftern poper Seiertag; an ben übrigen EBocpentagcn hotte
ich mit meinem ©tagen gu tpujt. EBaS baS ©teritum ber Sache an?
belangt, fo biene 3h n en mitfolgenber, blau angefirlchener fieitartifel ber
XimeS jur 3nftruction. I remind, Sir, etc.
VII.
$tttraultd). ©erlin W., ben 9. Januar 1900.
Sieber ©raf,
34 höbe meine Koffer gepaeft. ®er rohe %on, in ben jefct auch
bie fonft lopale Sßreffe verfallen ift, bie roilben Drohungen gegen einen
befreunbeten Staat, mit bem uns nicht nur ©anbe beS ©luteS, fonbern
auch heilige Sntereffengemeinfchaft u. bgl. m. verbinbet, biefe EluS?
fepreitungen gaben mir ben ©eft. ©fit ber glottenverftärfung ift eS
natürlich auS. 3<P mage ©iemanbem mehr in bie klugen ju bliefen.
SfaHS noch ein ©eicpSpoftbampfer von ©remen abgehen barf, nehme ich
$>anbgelb für XranSvaal. 3<P höbe dnglanb ju fehr geliebt.
VIII.
.$)aS mar ein ©teifterftücf! ©feine unterthänigfte ©oep?
achtung, lieber greunb! ©un erft verftepe ich bie Einbeulungen in
Sprem lebten ©riefe, nun erft roeiß icp, roelcpen unerhört füpnen ©lan
Sie fepon bamalS, als Sie noch völlig hoffnungslos fchienen, mit ftep
herum mälzten. 3a, baS mar baS einzige ©Uttel, bie EBiberftrebenben
ju jroingen, bie Sfrofcpfeelen ju entflammen! So mußte ben ©örglern
unb fianbratten im ©eichstage bie unbebingte ©otproenbigfeit ber glotten?
oerftärfung vor Elugen geführt merben.
3ch höbe 3P*en dinfluß in fionbon nie unterfepäpt. $>aß eS
3hnen aber glüefen mürbe, SaliSburt) $u einem foldjen fiiebeSbienfte ju
bemegen, dpamberlafn jurn ©auptagitator für unfere neue glotte gu
machen, baS hotte ich fogar 3pnen nte jugetraut. 3*fet erft bin ich
über Scproeinburg’S Heimgang getröftet.
©erfleinere mir noch diner dnglanbS grreunbfcpaft ober fpredje
mir vom perfiben Ellbion! EBelcpe Uneigennüfigfeit bei biefen britifchen
Staatsmännern, roelcpe Seelengröße unb außerbem — melch' rührenbeS
©ertrauen auf unfere $reue! EBoper miffen fte, baß mir bie neue glotte
nie gegen fte benufcen merben? $od), by .Toe, fic feilen fiefj nicht ge=
täujept hoben.
$)eibelSferl, ber Sie finb! 3)aS müffen Sie mir ausführlich er?
jäplen, roie Sie auf ben gloriofen ©ebanfen famen, SaliSburt) unb
dpamberlain um bie EBegnapme einiger beutfeper ©eicpSpoftbampfer $u
bitten!
SebenfallS mille grazie unb aderperjUcpften ©lücfrounfcp! ©iadjen
Sie ftep nur immer fepon auf ben dürften parat!
IX.
3.»9h. 00124560.
Sei Änttuorten btttet man bie ©erlin W., ben 13. Sonuar 1900.
Soumat* Stummer anjugebea.
dm. djceHenj!
©eranlaffen Sie SaliSburt), unS menigftenS eine formelle ©enug?
tpuung ju geben. EBeiter verlange ich nichts Von ipm. Unbanf mag
ber EBelt Sopn fein, aber 5)eutfcplanb lopnt feine greunbe niept fo.
Deutfcplanb liegt ja auch eigentlich außerhalb ber EBelt.
(©ertraulicp.) ©efteüen Sie bie englifcpen dravatten unb dtjlinber
mteber ab, um beren ©eforgung icp Sie vor ©eujapr bat. 3Bir be?
fommen pier eine anbere ©?obe. ©orbbeutfepe Slllgemeine bringt
morgen jmei ©ebiepte beS dürften dulettburg, „d)ie SBacpt am ©tobber"
unb „Krüger über EWeS". Seien Sie boep fo gut unb verbrennen Sie
bie ^rivatbriefe, bie icp 3hn* n nach Eteujapr feprieb. Caliban.
3uri) unb Seceffton.
3 m „©erein ©erliner Zünftler" brobelt bie 3nrt)?3rage abermals
unb mirft ©lafen auf. ‘SMefeS ©tal panbelt eS ftep niit um ättüfttfl 5
feiten ^roifepen ben ©fitgliebem, felbft, mie im vorigen Sopre um biefe
3eit, fonbern man möchte bie gleichen EluSftettungSrecpte haben, mie bie
©fitglieber ber Elcabemie, mit ber jufammen ja ber ©erein bie große
SommerauSftellung veranftaltet. Sttefe ©Htglieber ber Elcabemie paben
befanntermaßen baS ©e^t, je brei SBerfe jurpfrei auSjuftellen unb baS
ift T S, maS jept im „©. ©. ebenfalls beanfpruept mirb.
gür unS pier pat biefe Streitfrage, bie jubem, einftmeilen menigftenS,
fepon in negativem Sinne entfepieben ift, benn fomopl bie Elfabemie,
mie bie ©roße EluSfteQungScommiffton paben baS ©efuep ber unju=
friebenen SHinftler bereits abfcplägig befepieben, nur in gemiffer ©e=
giepuna ein Sntereffe.
Unleugbar ift bieSorp, mie nun einmal bteEluSfteflungSeinricptungen
befepaffen finb, für ben Zünftler von großer SBicptigfeit. dr fann bod)
niept immer gut allein auSfteHen, in einem ©efcpäftSfalon, ober mo fonft
eS fei, unb tput er baS boep bauernb, fo fomntt baS ©ublicum am dnbe
gar auf ben ©ebanfen: ,,©a — ber X. fepeint ja nichts ju taugen — man
begegnet tpm ja auf feiner großen EluSftellung!" 5)aS ©ublicum ift nun
einmal fo. Elber anbererfeitS fiept manche 3ufp manchem auSfteHungS^
feligen .tünftler gegenüber auf bem Stanbpunft beS Je n’en vois pas
la necessitö!“ Eurj — für biefe „manchen" Zünftler ift bie Sage in ber
$pat mitunter fcplimm. S)te Unjufriebenen finben fiep alfo jufammen
unb eine Seceffion ift fertig — bis $ur näcpften EluSfteÜung etma, mo
baS Sfeb im Stpooße ber neuen ©enoffenfepaft auf’S ©eue beginnen
fann. $enn ebenfo unjmeifelpaft, mie bie ©otpmenbigfeit einer 3»orp,
ift, baß heute bie adermeiften Shmftgenoffenfcpaften richtiger nur EluS?
ftellungSverbänbe finb, baß $unftprincipien, Äunftanfcpauungen u. f. m.
nur inbirect in einem 3uf a mmenpang mit folcpen ElbfonberungSbeftreb?
ungen fiepen. 3# foge „heute", meil bie Sachlage eben jept, gegen bie
vor nach jepn 3 a hren etma, fiep grünblicp geänbert pat unb, rote
icp pier fcpon einmal auSfüprte, jebe rein fünftlerifcpe ßampfberoegung
aufgepört pat. EluSftedungen, mo man j. ©. ©ödlin unb Siebermann,
fieibl unb Slevogt, ©fengel unb Upbe beifammen finbet, ober folcpe,
mo dfter unb Einton von EBemer, Elrtpur ^ampf unb dbuarb von ©eb=
parbt, ©anS ^poma unb fiubmig ÄnauS anjutreffen ftnb — fte paben
boep roopl leine gemeinfame fünftlerifcpe ©i^tung? Unb roollte man
boep ©emeinfameS auSfinbig maepen, fo märe eS nur einerfeitS baS©e=
ftreben, tönenbe ©amen peranpjiepen opne Elnfepen ber „©ieptung" unb
anbererfeitS bie ©eanfpruepung völliger firveipeit für bie gegebene 3«bi=
vibualität. Elber ift biefe benn irgenbmie befepränft, menn, mie icp eben
citirte, auf §roei fiep angeblich „funftprindpiell'' gegenüberftepenben EluS?
fteüungen foviele ganj unb gar verfepiebene dlemente gufammen an?
getroffen merben?
dS fltngt viedeiept fepr parabof, menn icp behaupte, „Seceffionen"
giebt’S peute gar nicht mepr, Seceffionen ber inneren SBefenSbebeutung
beS SBorteS naep. „©arabo^:" — roei! ja thatfäcplicp noch immer fo unb
fo viele feceffioniftijcpe EluSftellungen ftattfinben, b. p. folcpe, bie fo ftep
Digitized by v^.ooQle
30
Bit 6>e$ett»art.
Nr. 2.
nennen. UnS 3)eutfdjen liegt non ber clafftctfttfdjen ©cpulbanl per nod)
immer baS ©pftcmatiftren unb Efaffificiren fo fepr tm Vlute, baß unfere
ßrittl mit nur gar wenigen AuSnapmen fiep wopl ober übel in tiefen
Vapnen bewegt, opne baß fie felbft eS merft. „Dlit SBorten läßt fiel)
treffltd) ftreiten, mit SBorten ein ©Aftern bereiten" — niept opne Erunb
bat Eoetpe baS bem 9Hep^iftop§eIe§' in ben D?uub gelegt unb läßt er
bcm gehanten A&agner gegenüber gauft fageu: „ES trägt Verftanb unb
rechter ©inn mit wenig töfunft fiep felber vor". ©o werben wir benn,
je nacpbem, noch lange mit Eprfurcpt ober aber grimmem 3orn oon
„Altem" unb „feuern", non „AcabemiciSmuS" unb „©eceffion", „Dou*
tine" unb „SnbiVibualiSmuS" lefen, reben unb pören müffen als be*
ftimmenben SHerlmalen biefer ober jener Äunftricptung, anftatt bie ©acpe
an unb für fiep betrachtet zu fepen, einerlei im Dapmen welcher „Ee=
noffenfcpaft" fie unS entgegentritt. 3$ meine nicht, baß tiefe VegriffS*
beftimmungen auS unferem SBortfcpag z u befeitigen wären — ich meine
nur, baß fte nie unb nimmer bie Vebeutung non fcpulntäßig AnSfcplag
gebenben Eenfuren erhalten bürfen.
Eerabe bie lederen größeren Ausheilungen, bie pier 8« feben
waren unb bie ich jüngft zum $peil Pier befprodjen pabe, wie bie
„Dftuupener ©eceffion* bei ©cpulte unb bie legte $ünftlergruppe, bie
im ©alon Eaffirer auSfteHte, legten Einem fofcpe „feceffioniftifcpe" Ee*
bauten nabe.
©inb Wir erft einmal fo weit, baß aud) jebe 3uri) jenes [cpul*
• mäßige „Programm "*2Bieberfäuen aufgiebt, fo wirb auch bie unliebfame
Erfcpetnung ber „©eceffionen" aufpören, unb wenn’SEruppenauSftetlungen
eben wirb — unb baS wäre burcpauS erforberlid), um ben Dfaffen*
ajaren entgegenjuarbeiten — fo tragen fie bann ntd)t mehr ben Stempel
beS EliquenwefenS an fiep, fonbern banten Iebiglicb bequemlicpfeitS*
rüdftcpten auf bem Eebiete wahrhaft freien ÄunftbienfteS ihre Entftepung.
3- Horben.
Dratnatifdje Äuffülftmtgett.
„$)er £ugenbpof". Suftfpiel non Dicparb ©lowronnef. (Seffing*
Xpeater.) — „$er Vielgeprüfte", ©djwanl in brei Aufzügen non
SBilpelnt Dleper=görfter. (2)eutfcpeS Xpeater.)
Ein bißchen mehr auf feine Deputation als S'Arronge hält
$err ©fowronnef, ber gleichzeitig mit ihm Vremterenfreuben erlebte,
benn hoch noch. Dicht, baß bie SDunterleit unb Veweglicpfeit feines
SBigeS mit ben Sohlen zugenommen hätte ober baß er plögltd) gejepiefter
unb ppantafteVofler in ber Erfinbung feiner fomifepen $anbluitgen ge*
worben wäre. £) nein, bieS 5tHeS ift eS nicht. X)ie 3^e beS „Xugenb*
pofeS" ift nielmehr bie gbeenlofigleit felber, unb mit ber $tnetnzerrung
burleSfen, nicht jur ©ache gehörigen EpifobenlrameS bat fiep ©fowronnef
auch noch bie legte Dlöglicpleit nerborben, feinere literarifche SBirfungen
auS bem abgeftanbenen Vorwurfe gu ziehen. 55er bewußte ntedeln*
börgifdje Ebelmann, ber beftänbig im Summ ift unb fpät DacptS nur
beßpalb mit bem „©upen" aufbört, um SDorgenS recht früh wieber
bamit beginnen z u fönnen, muß baS non ihm für feinen ©obn ver*
waltete Eut in golge richterlichen ErlenntniffeS einer reizenben Dichte
überlaffen. 5)ie Dichte liebt aber zum Elüd ben Vetter Dtolte mit ben
intereffanten klugen, unb fo befommt Varon Soudjim'S ©prößling
ftpließltcp hoch noch ben $of. Dacp nieractigem Sträuben unb gerreit
nereinigt bie ©djmaebtenben ber Dfonbfchein unb baS be*i e *roärmenbe
Sjempel, baS Ä’uh s unb anbere Dtägbe im trauten Vunb mit ftrammen
Unterofficieren ber abligen Sungfrau geben. 5)ie fpannenbe unb be^ I
wegte ^anblung würzt ber untftänblich gefchilberte Verfuch einer fttten* I
ftrengen 2)ame, ben berüchtigten $neip§of beS alten VaronS in einen
^ugenbhof umzuwanbeln; ben $htedjten wiH ße baS ^rinfen, ben
SDägben baS Ganzen unb ©ebarmuziren abgewöbnen. ©elbftoerftänblich
fcheitert bie Viebere, unb Varon Soacßim fann neuerbingS bie $errfchaft
beS § 11 proclamiren. ©o lange ©fowronnef ben waeferen ©aufauS
unb feinen nicht minber torfeligen, mit ber üblichen Vauernfdjtaubeit jc.
begabten Wiener auf ber Vübne h^t, amüfirt baS SBerf leiblich; in
biefen beiben Kerlen fteeft bumoriftifcpeS 2eben, fo wenig originell fie
auch aufgefaßt unb gezeichnet fein mögen. Sille auberen Siguren unb
aHeS anbere ©efpaß ift eitel Voffenblenbwerf, mübfelige ^Dacpe, unb er*
mübet bann am meiften, wenn ber Verfaffer fiep fo ju fagen beibe Veine
auSreißen möcpte, um ein Sachen zu erzwingen.
(Ibenfo umftänblicp unb lauwarm, wie ber §umor ©fowronuef’S,
ift DfepersSörfter'S 28ip. Dacpbem er in ©emeinfd)aft mit bem betrieb*
famen ^>errn SanbSberger*See gezeigt bat, baß er uns auch franjofifcp
fommen unb ßcp ben Voulebarbbriüanten btS auf pierre de strass-
§öpe annähern fann, glaubte er eS feinem litcrarifcpen Dufe fcpulbig
ZU fein, bur^ eine Verliner Aufführung beS „Vielgeprüften" zu beweifen,
baß er eigentlich boep ber alte, behäbige beutfepe Äuefboten*drzäbler ge*
blieben ift. 2)er Auefboten*(5rzäbler, bem bie Vointe immer zu früh
perauSptapt unb ber fiep bann mit verlegener Umftänblicpfeit auf Deben*
fächelcpen Verfteift. 3u SSien fiel ber „Vielgeprüfte" unter ©cblentper’S
glorreicher Seitung polternb burch; bie bebeutenb beffere Verliner 5)ar*
fteüung rettete ipm mit Acp unb $racp baS Seben. Dfeper ift ein ©atirifer,
bem all' unb jebe Kühnheit unb Sonfequenz fehlt, ©erabe wie er eS in
„Vufcp & Deicpenbacp" bei einer halben Verspottung beS greulichen Stren-
arzt*UnwefenS bewenben ließ, nur um Dientanbem wep z u tpun, fo
fcpltff er feiner Verhöhnung beS (gramen*UnwefenS beputfam cingftlicp
alle fcparfeit @cfen ab. ^)er Vielgeprüfte ift ein beneibenSmertb heller
Äopf, ber eS nach feinem zweiten Durchfall im ^anbumbrepen zum et=
folgreicpen geitungSrebacteur bringt; aber wie biefer $Iuge unb ©enjifite
Von ben fßrüfungSmaitbarinen für bie 2)auer einer ©tunbe ibiotifcp
bumm unb confuS gemacht wirb, baS fepen wir niept. SBir nepnien im
— übrigens reept fauber gearbeiteten unb verpältnißmäßig luftigen —
erften Act an all’ ben ©orgen unb Aufregungen tpeil, bie bem s Jküf*
ling unb feiner bereits fünfföpßgen gamilie auS ber 9?äpe beS gefürch¬
teten (SfamenS erwadjfen; Vom ©cpwiegerVater bis perab zur Antme
befepäftigen fid) alle Vetpeiligten auSfcpließlicp mit feinem (Sfenb: „Vater,
fall nicht burd)'S ganten! 5)iefeS wüttfepe icp S)ir. Amen!" beclamüt
fein Stammhalter — aber bie ^auptfeene, in ber fid) baS fatirifepe Oie*
Witter in gewaltigen ©cplägen entlaben müßte, bleibt auS. ©tatt beffen
flieft ber Verfaffer bie umftänblicpe Scpilberung ber fepon zepntaufenb
Deal gefepilberten Abenteuer eines bejaprten ÄleinftäbterS in ber ver*
berbten $>auptftabt ein unb legt baS Scpicffal feines StücfeS vertrauend
voll in bie ^>ättbe ber prächtigen Amme (£lfe Sepmann. S)ocp wenn eine
Amme auch Viel vermag, unb wenn bie Diännlkpfeit im Sßarquet auch
Von Clim’S 3 c tten per ungemein empfänglich ift für jebe ulfige An*
fpielung auf ihren nahrhaften Veruf, fo rupen alle ScpicffalSfterne be§
Autors bod) niept in ihrer Vrnft. S)er Vielgeprüfte ging fcpließlicp au
Zuriidgetretener Sangeweile ein.
^ottjen.
3epn Sapt’c auS meinem Äunftlerleben 1887 — 1897.
Von Victor Dlaurel. Ueberfept unb mit Anmerlungen unb einem
Vorwort von Silli Sebmaitn (Verlin, Dabe & $lotpow). ©eit Sagten,
fo erflärt grau SiÜi Sepmann*^alifch in ber Vorrebe, trägt fie fiep raii
ber 3bee, ©tubien über einige ihrer Dollen, mit beuert fte ftep a»
meiften befepäftigt pat, tiieberzufcpretbcn. ®a fällt ipr l>aS Vncp Dk
D^aurel in bie £mnb. Sie weiß nid)tS VeffereS zu tpun, als e§ zu
überfegen. „5>aS Vud) fonnte icp felbft SBort für 23ort gefeprieben
paben." Subeffen, fie pat ipren eigenen Vfatt niept aufgegeben. 5Bir
warten gebulbig unb palten unS inzwifdpen an ben DJaurel. S)öS Vudj
panbelt mit einem SBort Vom „betifenben Zünftler". 2)en breiteften
Daum nepmen Vetracptungen über bie Sufcenirung von Dtpello, gal*
ftaff unb $)on 3«an ein. Vbi^foppifcpe ©peculationen wecpfeln mit
Erörterungen ber „neuen" ftunft. ES fällt mand)’ flugeS SBort über
bie ibealen gorberungen unb materieHeit Vefriebigungen beS moberneit
SängerS. gebe ^erfon beS 2KufifbramaS befommt ipre Einzelftubic.
?Bie man fiep fepminfen foll, wo in bem unb bem Act bie unb bie
Eouliffe fiepen muß, wann bie VeleucptungSeffecte z u fpielen paben unb
baS S)onuerblecp erbröpnt, alles baS erfährt man Pier Von einem Dfanne,
ber eS auS bem Erunbe ftubirte unb niept will, baß eS ungenupt von beit
Zufüuftigen Sängern in nid)tS zerrinne. Dod) niemals ift bem „Star",
ber unbefümmert um ©tüd unb Dfitfpielenbc an ber Datttpe feine glän*
Zenben Xöne in baS entzüdte publicum fcpleubert, fo energifd) ber ^rieg
angefagt worben, wie pier. ®er Säuger fofl niept allein feine Dolle
inite paben unb füß zu läcpeln Verftepeu. Er foll baS SBerf, in bem
ZU wirfen er bie pope Epre genießt, genau lernten unb jebe fßerfon auf
ipre piftorifdje unb pfpcpologifdje Vejcpaffenpeit piit geprüft paben. Unb
obenbrein muß er noch ein trefflieper Degiffeur, ein genialer S)ecoratcur
unb raffinirter VeleucptungSinfpector fein. ®er ©tar ift alfo tobt unb
— baS ift mein Vebenfen — ein neuer ©tar ift im Entftepen, einer,
ber wie jener um nichts, fid) jegt um alles forgt. 9Bie jebe Deuerung,
fo ift aud) biefe SDetamorppofe beS Sängers mit Uebertreibungen ver*
fnüpft. Sfp meine, ber Sänger pat fid) Vor Allem um ben Eparafter
ber ^ßerfon, bie er barfteüen wiß, zu fümmeru. Um bie Stellung im
SBerf unb bamit um baS SBerl felbft. 2)ie rein tecpnifdje DJeifterung
einer Partie ift nur VorauSfegung unb in jebem galle ber erfte ©epritt.
Erft baS ©tubium unb bann bie Vegeifteruug, bie fi^ auS einem innigen
Digitized by v^.ooQle
Die d&egetttpart
31
gufammenffaug mit bem Sßer! ergiebt. 5)iefe ©ebanfett, bie in bem
SRaureffcpen Vutp unter Veiffüffe oon grau Seemann mit großer Energie
oerfocpten werben, pnb »«rliid^ eine befreienbe £ffat. SBie oiel Sänger
pnb überbauet fraft tprer allgemeinen (Sultur unb tprer mupfaltfdjen
VUbung im Vefonberen befähigt, ein SBerf in feinem tieferen ©effalt
ju erfaffen, feinen SBertff aud) nur zu affnen? 3)er Sänger ift inftinctib
ftetS ben SBetfen am meiften juget^an, bie ihm bie beften Sollen bieten.
Siucp will eS mid) fonberbar bunten, baff SBerbi mit feinem „Othello"
etwa bie „neue". Äunft erfunben haben foll unb jenfeüS bon reiner
SKelobie ben ©efang als bramatifepen 9luSbrud zum fföcpften Vrincip
erhoben. Unbeftreitbar ift bodj ber (Sinfluff SBagner’S, unter bem Verbi,
freilich in fföcpfi eigener unb genialer SBeife, feinen Stil gewanbelt bat.
3)ie Vetracptungen beS SRaurePfcpeit VudjeS über bie „neue" jhmft
mutben unS in $>eutfd)lanb etwas fomifcp an. 3)a8 eine ift jebeitfaHS
wahr, baff Verbi nicht mit berfelben SRüdficptslopgfeit bis an baS (Snbe
gegangen ift, raie Vtogner. (Sr blieb immer Qtaliener, eine Vemerftittg,
bte SRaurel ju ben Porten Slnlaff giebt: „granf reid) fann SSagner be*
rounbern, auch tffeilweife berftebn; niemals aber wirb eS ibn fid) ganz
ZU eigen machen. S)ie 2Ruftf ift woffl eine unioerfelle Sprache, bie feine
©rengen fennt; biefe Sprache fann aber in biefem ober jenem eigen*
tpümlicpen Qbiom gefprochen werben, je nach ben Legionen, fo baff fte
aufferffalb faft unOerftänblicp toirb SSagner’S 3Rupf hübet einen eigenen,
tief germanifchen 5)ialect. Seiner Neuheit wegen mag er im lateinifchen
Solle einen 9lugenblicf goutirt werben, wie bte feanbinaoifepe Literatur
für ben SRoment in 3Robe ift, aber er wirb fid? niept feftjufepen oer*
mögen, weil er im SBiberfprucp mit ben #aupteigenfcpaften beS lateU
nifepen SBefenS fteht, baS ba ift: Klarheit unb ©efcpwinbtgfeit . . . Cp ne
mich Z u einem Vergleich ffinretffen zu taffen, halte ich baS SBerf (gal*
ftaff) für einen Triumph beS weichen ©efangeS über ben Äraftgefang,
einen Triumph beS SiebreijeS über bie $ärte, unb Weichheit unb Sieb*
reiz entsprechen unferen lateinifchen fehlen beffer als bie wueptigen
Sttängt ber breiten germanifchen Vruft." Erich Urban.
5)1 e Sampe ber Vfpcpe. Von Qba Vop*(Sb. (Stuttgart,
Uotta SRacpf.). Ser baS Schaffen ber begabten Wählerin mit einiger
Slufnterffamfeit Oerfolgt, wirb an biefem neueften Vornan feine greube
haben. $>a3 |>erzlicp*©eraüthOolle, baS fiep in warmen Sorten äuffert,
giebt audj biefem Serfe feine anmuthige Signatur. 9lber nicht allein
bie mohlthuenbe, warme (Smpffnbung, bie ftch ganz befonberS in ber
5J>arfteHung ber graueneparaftere, Oor Willem ber im Sttittelpunft ber
^anblung ftehenben SRagba jeigt, bilbet ben ^auptborjug beS SRomanS,
fonbern eS fielen ihm ebenbürtig zur Seite bie äufferft gefehlte gührung
ber §anblung unb eine bemerfenSwertffe Vertiefung ber feelifcpen Vor*
gänge, bie unS beutlich $eigt, baff 3ba Vop*(Sb ftch ihren gefieberten
^piaff unter ben beutfepen (Srzäfflerinnen errungen h Q t unb m nocp
immer auffteigenber Sinie fortfehreitet. VefonberS angenehm berührt
bie bornehme Schlichtheit beS 2:oncS, bie jebe geläufige [Romanphrafe
gefliffentlich ab^ulehnen feffeint unb nur ©igeneS bieten will. $>er $elb
ber ^Hinblung, |wfcapetlmeifter glemming, mit feiner glühenben Zünftler*
feele, feinem ungezügelten (Smpfinben, baS nach einem fchweren grrthum
burch bie reine feelenftarfe 2Jiagba ln ruhige unb ftetige Vahnen geleitet
wirb, ift ein mit gröffter fünftlerifdjer Sorgfalt auSgearbeiteter Sharafter*
fopf, ein JtjpuS beS nadh ben hödtften ffrebenben ÄünftlerS. Ob
eS wahrfcheinlich ift, baff ein SRann, wie er, fich burch einen fofetten,
unbebeutenben Vacffifch, ber fid) bem berühmten Äünftler jur äugen*
blicflicffen Äurjweil an ben #al3 wirft, ohne an eine Vereinigung für'S
geben auch nur entfernt ju benfen, ob ein foldjer reife 2J?ann ber ge*
prüften SluSerforenen feines $erjenS zeitweife ben dürfen wenben fann,
obwohl er wiffen muff, loelch fepmeren Sdptnerz er ber fo tief empfinbenben
Seele bereiten muff, — muff eine pfpchologifcpe Streitfrage bleiben. 3n
jebem gaHe ift eS ber Verfafferin burd) ihre ^arfteüungSfunft geglüdt,
btefer Sahrf^einlichfeit möglichft nahe zu rüden. 5lud) §ortenfe oon
ßfeffen ift eine lebenSöoH hingefteHte, tief fpmpathifihe grauennatur.
(Sbcnfo i{^ bon eigenartigen! Oteiz baS Vilb beS hochftrebenben, burch fein
förperlidjeS Seiben bem Xobe geweihten 9Mer8 9fifolai unb fein weh=
muthSbolI ftimmenber Heimgang in ber 9?ähe ber ihn beglüdenben SRagba.
Sehr angenehm berührt eS, wenn bie Verfafferin ba unb bort an
paffenber Stelle zeigt, baff ber 3auber ber SWuftf ihr lein leereB Sort
ift, baff fte bielmehr ein feines Verftänbntff für ihr Sefen unb auch ihre
Xechnif befipt, waS bei einem (Sapettmeifterroman eine gute Veigabe ift.
2)er Xitel beS fRomaneS ift ber Sage oon Slmor unb Vff)4e entnommen.
(SS war befanntlidj ber Vfpdje .Oerboten, ben $lmor zu fchen; fte aber
befcplich ihn 9facptS mit ber £ampe unb als fie ihn gefehen h^tte, ent*
floh er. $>ie grauen oertragen nidhtS, waS ftpwer begreiflich ift; ffe
wollen jebeS ©epeimniff, jebe Stimmung, jeben (Siebanten beS geliebten
SttanneS ergrünben unb Oerftehen. $aS gelingt ihnen aber niCpt, unb
leiber entflieht ihnen oft bei biefem Suchen bie Siebe. 9(18 Sehre foll
unS Oermittelt werben, baff bie Siebe ftarf fein muff, wie ber ©laube,
auch n?o man nicht fiefft unb nicht oerftefft. Richard Wulckow.
Vunte Schmetterlinge. Sieber unb Schwänfe. Von griebrich
oatt .£>off8. (Seipzig, ©b. 9loenariu8.) ©in atterliebft auSgeftatteteS
Vüdjlein mit allertiebftem, nedifchem gnhult. Unb baS will in unferer
bitteremften 3«t wirflicp etwas fagen. 2)urd) bie Stilen ber Schelmen*
lieber gudt ein fröhlich lacpenbeS ©efidjt ffinburch, unb eS Hingt in ihnen
ein feiner muftfalifcher %on, ber zum Singen reizt. „Vunte Sdjmetter*
linge!" 3a, baS ftnb biefe Sieber unb Sdjwänle. Sie umgauteln unS
in allen garben unb ©eftalten. 58iffige ^mitten (,kleiner Unterfdhieb",
„^erme unb Amazone"), urbroöige Situationen, fpaffige ©infälle — tep
nenne baS föftltche „9lbfd)ieb8lieb beS ©aftwirthS unb neugew&hlten
StabtratpS §errn 3obofuS 9Rütfer an feinen alten grad" —, fatirifche
Ausfälle gegen Unfftten ber geit, z-V. bie granzöfelei („ber Otecpen")
ober bie Xeutfc^thümelei („^unfenlieb"), weinfrohe gecplieber — befonberS
ein OortrefflidjeS SRofelweinlieb, baS bie prämiirten jebenfallS burch feine
Socalfarbe übertrifft unb baffer fdjon wader an SRffetn unb SRofel ge*
fungen wirb —, ffumonftifepe 9lnecboten auS älteffer, alter unb neuer
Seit („£erjeS unb VfftffiuS", „ber Streif ber römifeffen- Vfcifer", „ber
Vrofeffor in ^oftraept"), luftige geftcarmina, Schnurren unb VurleSlen
(„SinuS unb ^erfuleS", „©ambrtnuS"), bie fepon in ben „gliegenben
Vlättern" iüuftrirt erfepienen, moberne Segenben („ber ©eilige Oon
(Sggelbrüd") unb auep fepr gef^idte Schüttelreime. 3u Summa: ein
liebenSwürbigeS, fröfflicpeS Vücpfein eines liebenSwürbigen, fröfflicpen
SCReufcpen. Alfred Biese.
5)ie Äunft beS 9lltertffumS. Von 3*>ffanneS ©aulfe.
(Verlin, 3off. Saffenbacp.) ^5)er ben Sefern ber „©egenwart" woffl*
befannte ^unftfritifer unb Vilbffauer giebt in bem fepmuden ©eft einen
überaus praftifepen unb oielfacp beleffrenben SRufeumSfüffrer. 3)aS
Stubium ber Äunftfammlungen fept, wenn eS für ben Vefucper einen
bleibenben SBertff ffaben foü, eine gewiffe Vefanntfcpaft mit bem ffifto*
rifepen ©ntwidelungSgang ber tunft OorauS. 3)aS ift ber ©effcptSpunft
gewefen, oon bem fiep ©aulfe ffat leiten laffen. 3u erfter Sinie ffat er
baffer auf eine furze (Sffarafterifirung ber fferOorragenbften (Srfcpeinungen
ber Äunftgefcpicpte Vebacpt genommen. (Sinzeine SSerfe mufften oft
übergangen werben, bamit ber Vlid ftetS auf baS ©anze gerichtet blieb.
9lnbererfeitS ffaben aber auep bie $auptwerfe ber groffen SReifter, bie
niept in ben Verliner SRufeen oertreten ftnb, eine Verüdpcptigung er*
faffren. Xiefe Scprift ift fonüt fein aRufeumSfüffrer im engeren Sinne,
fonbern ein funftffiftorifeper Seitfaben, ber bem SRufeumSbefucper bie
Anregung zu einer felbftftänbigen Vetracptung ber ihinftwerfe bietet.
Alle geschäftlichen Mittheilungen, Abonnements, Nummer¬
bestellungen etc. sind ohne Angabe eines Personennamens
zu adressiren an den Yerlag der Gegenwart in Berlin W 9 57«
Alle auf den Inhalt dieser Zeitschrift bezüglichen Briefe, Kreuz¬
bänder, Bücher etc. (unverlangte Manuscripte mit Rückporto)
an die Redaction der „Gegenwart“ in Berlin W, Mansteinstr« 7.
Für unverlangte Manuscripte übernimmt weder der Verlag
noch die Redaction irgend welche Verbindlichkeit.
Digitized by v^.ooQle
32
Die ffiegettvarl
Nr. 2.
Jlngeigen. 1
Sei SeihUungen berufe man Jhb auf bis
„Orgtranarf“. 1
fttsnarib flodifolgrr.
Vornan
DOIt
< §$eopl?iC JioCCing.
Wm~ O©lt«a***0a&«.
5$ret8 3 SRarf. ®d)ön gebunben 4 3tfarf.
3)i«fcr $Bi8marcf=©QprlDt=Vornan, ber in
wenigen Sauren fünf ftarfe Auflagen erlebt,
erfdjelnt hier in einet um bte Hälfte billigeren
SBolfSauSgabe.
$urdj alle S3u(b^anblungen ober gegen ©in*
fenbung beS S5etrag§ ^oftfreie 3ufenbung Dont
UCTlag der Gegenwart,
©erlln W. 57.
■ TkftrliffUfhti •
| Technikum Jlmenau |
flr IsMäiati- ul llsklrs-
lUfiiUar«. -TMhitksr ■.-W«rk*#liter.|
, Dlreotor Jeaties. |
$i$noriH
im
Urteil
[diti 3rit|mfn.
§unbert Original * ®uta$ten
b. ftreunb u. getnb: ©jörnfon
©tanbeS ©üt&ner 5£ri«pi J>abn
Staubet ©gibü ftontane ©rotb
$aetfel Oartmann ^epfe 5or*
bau fttyling SeottcabaCo Sin*
bau Sontbrofo MefdjifräetSfi
9?tgra SRorbau ODtbier fetten*
fofer ©allS&urij ©ienfieroica
©tmon ©peitcer ©pteibagen
©tanlep ©toetfer ©trinbberg
©uttner SBUbenbrud) SBerner
Sota u. P. 91.
Steg. ge$. 2 SRI. oom Pettag ber ^tgemoart,
©erltn W. 57.
Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift- |
stellers sind zu Gunsten der Hinterbliebenen i
folg. Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden- |
preises in schönen, geb. Ex. zu verkaufen:
Brockhaus’ Conversationslexikon. Neueste
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬
gabe 30 M. — Hch. Kurz: Geschichte der
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. v.
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild-
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder-
bde. 50 M. — Lacroix, Les arts au Moyen-
Age; Directoire Gonsulat Empire, 2 Lieb-
hbde. 30 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde.
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl.
Text m. deutsch. Erklärungen v. Delius,
Hfb. 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel
(Pfeilstücker) Lwbd. 1Ö M. — Bestellungen
pr. Nachnahme durch Vermittlung der j
Expedition der „Gegenwart“ in
Berlin W. 57, 1
„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitserseheinungen.
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von s / 4 1 75 Pf. in
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr» Carbacli & Cie.
Nahrungs -Eiweiss. *
1 Kilo Tr opon hat den gleichen Ernähnmgswert wie 5 Kilo
bestes Rindfleisch oder 180—200 Eier. Tropon setzt
sieh im Körper unmittelbar in Blut und Muskelsubstanz um.
ohne Fett zu bilden. Tropon hat daher bei regelmässigem
Genuss eine bedeutende Zunahme der Kräfte bei
Gesundeu und Kranken zur Folge und kann allen Speisen
unbeschadet ihres Eigengeschmacks zugemischt werden.
Bei dem äusserst niedrigen Preise von Tropon ist dessen
Anschaffung einem jeden ermöglicht (80)
Zn beziehen durch Apotheken und Drogengesohäfte.
Tropon-Werke, Mülheim-Rhein.
3 n unferem Verlag ift erfdjiaten:
Pii atgeumtk
&o4utf<ftti!i ffii ?!ifroiar. Ämift tm» 2rtm
#nm:al«|f|tflfr 1872 — 1896 .
©rftcr bis fünfotgfter ©anb.
97ad)trägen 1897—99. ©el). 5 M
©in bibliograpljifcW 38erf erften
langes über baS gefammte öffentliche,
geiftige unb fünftlerifd)e Seben, ber lebten
25 3abre. 9?otf)tüenbige8 föadjfdjlagebud)
für bie öefer ber „Gegenwart", foroie
für roiffenfcbaftlicbe k. Arbeiten, lieber
10,000 Vrtifel, nach Sägern, ©erfaffern,
©djlögmörtern georbnet. S)ie Autoren
tofeubonbmer unb anomjmer 9lrtifel finb
ourdpoeg genannt. Unentbehrlich für
jebe Sibliotbef.
9lud) birelt gegen ^ßoftanioeifung ober
9?acf)nabme Dom
Derlag ber Gegenwart.
©erlitt W 57.
|>as §ttynm nadj
ntU)
attbere <&mtßfragen.
Original s©utad)ten Don 2tb. 2ttenjel, Hein-
tjolh Degas, Böcflitt, 2X. v . tPemer,
Knau*, Itffbe, Stucf, Shilling,
Scf?aper, iE. t>. #ebfjarht, ^erh. Keller,
Defregger,. Gabriel Klag, tHjcma,
Ciebemtann, 2X>Uf{. Sufdj, $itger, <Braf
Qarradt, UTaj Krufe, KniUe, Ceffer
ttry, Doepter, pedtt, Kue^C, Center,
3ügel, parlagfft, Ulacfenfen, Sfarbltta,
teiftifem, <5aulfe, pliitfe, Stallt.
?reb biefer brei Äittiflfer-dummem ber
,,0rgemoarf u 1 p:. 50
9lucb birect Don unS ju beheben nacb 93rief=
marfeit=©infenbung.
Derlag ber (Begemrart, Derliit W. 57.
Demnächst wird auf Verlangen rereandt:
Antiquariats-Katalog 92.
Staats- und Socialwissenschaft.
Nationalökonomie. Finanzwesen.
Etwa 1200 Nummern.
Leipzig. Oscar Schack.
Bestellungen auf die
sowie
©nbanbbecfe
zum 56. Bande der „Gegenwart“,
zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwei Bände
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und vergoldeter
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden in allen
Buchhandlungen entgegengenommen.
©erantoortltger ffiebacteur: Dr. golltng in ©erlitt.
Webactiott uitb ®jg>ebltton: ©erlin W., SRanUrinftrafre 7.
S>rucf uon $effe ä Bettet W»
Digitized by
Google
29. Jahrgang.
Band 57.
M 3 .
^SerCitt, Öen 20 . Januar 1900.
SBodjenfdjrift für
er
&
■s v .
akgcmuiut
Siteratur, funft uni» öffentliche^ Beben.
<!
^erattsgegeßro oon £offbtg.
feint $mmoknH trfdntot ctne fnmmer.
3u bestehen burdj alle ©u djbanblrnigert unb $oft8mter.
Verlag bcr ©egcnwart in Berlin W, 57 .
VterttlfltrlUQ 4 ü 50 r- *to Warnt 50 |f.
Sfnfcröte jeber Ärt *ro 8 gehaltene fdttaette 80 $f.
gnfeafl:
Die Sefämfefitng bcr 3tngoe§. 58on $arl 3BaIcfer (Seidig). — $ur englifdjen 83efcf)tognabmc beutfdjer (Skiffe. $on fjrang
©igenbarbt. — 3)tc (Sriueitcrung bcr Unfallfurforge. $on ÄretögertdjtSrath Dr. SBeitno $>tlfe (SBcrliii). — Siterattt? itttä
Innft. £wut $amfun. $Bon Otto Stoefjt (3Bieit). — $on groei §ofburgfd)m!ft)tefent. $on Otto ©tübben. —
2)er SBerroolf. 3Son Aleyanber ©ubtfdjtfdjero. — Aitö Der (mujitftaDt. S)ie Stummen beS SerailS. $on Caliban. —
$ramatifdje Aufführungen. — Offene Briefe unb Antworten: Nochmals bte „beliebtere beutfdje ©djriftfteHerin". $oti SHdjarb
Söulcfom. — Zotigen. — Angeigen.
Oie Bekämpfung bet 3iit$oes.
9 ?on Karl IDalcfer (Seipjig).
„@te wollen e3, fo reifee benit, beutfefee ©ebulb!" fang
ein beutfefeer ®icfeter 1870 naefe ber franjöfifcfecn 5Trieg8=
erfläutng. ©iefe SBorte paffen auefe auf eine befonnene,
frieblicfee SIbwefer ber befannten englifefeen ißroüocationen
beS beutfefeen SoIleS unb anberer Sßölfer. ©in franjöfifcfjeS
Sprücfemort fagt treffenb, bie IRacfee fei ein ©eriefet, Weilte«
tatt genoffen Werben müffe. SBenn (?) e« irgenb einmal in
3 utunft ju einem beutfcfe*englifd)en Kriege fäme, fo miifeten
bifc SDeutfcfecn früfeer ober fpätcr fiegen, benn ba3 IReicfe
SiSmard’3 unb SRoltfe’S ift Weit mächtiger, als (Snglanb
unb ©cfeottlanb, bie überbieS burefe bie „Irish Difficulty“
uitb biete anbere Slengfte unb SRötfee mefer ober minber in
©djaefe gehalten werben. ®ie englifefeen Gfeauüintficn praßen
mit ber ©röfee iferer flotte, ©ie bergeffen, bafe bie Sßerfer bon
ben ©rietfeen, bie Sartfeager bon ben fRömern auefe jur ©ee
gcjcfelagen Worben finb; bafe ber feotlänbifdje Slbmiral SW. be
fRufeter bie ©nglänber 1666 im ©anal brei 9D?at fefefug unb
1667 in bie f£feemfe eintief. ®eutfd)e faefemän: fefee Slutori*
täten feaben fefeon bor mehreren Saferen auögefüfert, bafe eine
Eroberung ©nglanbö burefe eine feinblicfee Strmee fefer wofet
möglich ift. füefenlicfe fpriefet SB. X. ©teab, ber feerborragcnbfte
englifefee Sournatift ber ©egenwart, im ®ccemberfeeft feiner
bict gelefenen fReoieW of SReoiewä (©. 648, 549) bie 33c*
fürefetung auö, bafe 100,000 granjofen fefer halb in ©ugfanb
lanben lönnten. Surj, bie 3)eutfcfeen bermöcfeten fefer wofel,
in Bonbon fclbft ben ^rieben ju biltiren, aber fie würben
nom Kriege ebenfalls fRacfetfecile feaben. SRicfet blofe Äunben
ber ©nglänber, fonbern auefe ber ®cutfcfeen würben wäferenb
beö Äriegeö fo *u fageit abfatlen, fiefe für bie ®auer an
ameritanifdfee unb anbere Sieferanten wenben. ®a3 euro*
päifcfee ©leiefegewicfet würbe ferner burefe bie engtifefeen unb
beutfefeen ©inbufeen an ©ut unb Söfut niifet unbeträcfetlicfe
ju ©unften granfreid) 8 , 3iufelanbS, bcr Scfuiten, beö Sßapft»
tfeumö, ju Ungunften bc§ ©ermanentfeumS unb Sßroteftan*
ti 8 mu§ berfdfeoben werben.
©tücfttcfeer SBeife tann man ben Singoeä ofene Ärieg
empfinblidfe auf bie ginger Hopfen. 1780 bis 1788 beftanb
bie f..g. ^Bewaffnete Weutrafität, b. fe. fRufelanb, Sßreufeen,
S)änemarE, ©efeweben unb ißortugat traten gemeinfam ben
feereefettiefeen Hebelgriffen SnglanbS entgegen. @S liegt nafee, ein
äfenticfeeS SSorgefeen fRufetanbS, beS ®entfd)en SReicfeeS, granf*
/
reiefes, ber norbameritanifefeen Union unb anberer SRädfete ju
empfefeten. @S fragt fiefe aber, ob unb wann eine fotdfee
bipfomatifdfee (Koalition ju ©tanbe fommen wirb. ^Beiläufig
bemerft, feaben beutfefee ßeitungen mit fReefet feeröorgefeoben,
bafe bie ruffif^e Sßrobemobitmadfeung an ber ©renje oon
Stfgfeaniftan bie ©ngtänber oielleiefet jWingen wirb, mit ben
Suren gtieben ju macfeen, ifere oerfügbaten Gruppen naefe
bem bebrofeten, fogar oon Slufftänben ber ©ingeborenen be*
brofeten, Oftinbien ju fenben.
©ine internationale iRotabelnerflärung 3 U ©unften ber
Suren, gegen bie englifefeen ©eeübergriffe unb bergleidfeen
wäre ferner unfefewet in ©eene ju fefeen. Sn ber Ser*
urtfeeilung beS Santefon’fcfeen ©infatlef unb beä englifefeen
griebenSbrucfeeS oon 1899 ift bie ungefeeuere SReferfeeit ber
©ebilbeten aller Söller einig. SBenn namfeafte, jum Slfeetl
weltberüfemte Suriften, SRationalölonomen, ^iftoriler, 2 lb«
georbnete, ©^riftfteüer, Sournaliften ÜDeutfefelanbö, gtanl*
reiefes, SRufelanbS, ber Sereinigtcn ©taaten unb anberer Räuber
eine mafeooü gefealtene, bie berechtigten Sntereffen beS eitg*
tifefeen SolleS nnb ©taateö hiefet oerlefeenbe ©oHectioerflärung
erliefeen, fo Würbe fie wie eine Sombe in’S Bager ber SingoeS
einfifelagen. ©ie finb fefeon jefet in taufenb SRötfeen. 2)ie
englifefee griebenSpartei ift nur jurfid gebrängt, nidfet tobt.
Slucfe ©teab feebt (@. 553) treffenb feeroor, bafe fie bei ben
näcfeften SBafelen Oon ber ShriegSpartei ©enugtfeuung oerlangcn
wirb, ©ine ©nquete über bie inteKectueQen Urfeeber beS
Krieges, ifere 3 i e ^ un b ÜRittel Wirb früfeer ober fpäter
lommen. S)ie belannte ißferafe „The era of impeachments
is gone“ ift auefe auf bem geftlanbe oon Iritillofen Slnglo*
manen naefegefpro^en worben. Sn SBirllicfefeit mufe e§ aber
feeifeen: „The era of impeachments is not gone.*
©in Sri eg wegen ber ägfeptifdfeen grage Wäre niefet
wünfefeenöwertfe. ©ö fragt fiefe auefe, ob bie 'Sürlei, ber ®rei=
bunb unb ber 3 ü>c»l>onb officieK, gemeinfam, bie fRäumung
Slegfeptenö forbern werben; aber bie feefefte ©rofemaefet, bie
Sreffe, tann in ber ganzen niefet englifefeen SBelt biefe
fRäumung forbern, bie ja oon ©nglanb felbft wieberfeolt oer*
fproefeen worben ift. ®aö würbe ben SingoeS fefer peinliefe
fein. SRur fefer Wenige englifefee SBaaren, 3 . S. Südfeer,
feferiften, 3 e ( tun 9 en fiob für bie übrige SEBelt unentbeferlidfe;
aber uitjäfelige anbere SBaaren ber fEejtil» unb ©ifeninbuftrie
wie anberer Srandfeen lönnen noefe beffer unb billiger anberöwo
feer, 3 . S. auö ®eutfdfelanb unb ben Sereinigten ©taaten,
be 5 ogen werben. @3 Wäre bafeer jeitgemäfe, in ©uropa unb
Digitized by v^.ooQle
34
Die O&egenwati.
• Nr. 3.
Ülmerifa bie SefteHungen englifcf)er SBaaren fo lange ju
unterlaffcn, bis bie SingoeS gebemütf)igt finb, bis ble ge»
rechten Sefdjwerben ber Suren, ber©eutfd)en, Nmerifanet,
Nuffen u. f. tu. abgeftellt finb. Sn ©elbfachen fyört bie ©e=
müthlichfeit befanntlid) auf. 25enn man ben SingoeS ben
Srobforb höhet hängt, fo toirb iljr, an ßubtuig XIV. unb
Napoleon I. erintternber iwdjmuth halb oor bem galt fommen.
„5Ben ©ott uerberben will, ben fcfjlägt er mit Slinbheit"
jagten fc^on bie alten ©rieten unb SRönter.
3ttr englifdjen Def^lagnalftne bcuifdjer
SSon Jrattj €tgenl}arM.
©ie injWifchen aufgehobene Sefchlagnaljme beS „^erjog"
ber 35eutfch‘0ftafrifa»2inie burch ben fireujer „©hetiS" giebt
Seranlaffung ju einet ganjen SReifie uon ^Betrachtungen, bie
toofjt geeignet erfcheinen, et»a§ näher auf fie einjugehen.
Nicht baS Inhalten beS Kämpfers an fich ift befonberS auf»
fallenb, benn baS ©djifj führt nicht bie Neid)3poftflagge,
feine £abung ift baher n{dht, uom Nei<h garantirt, frei uon
(Sontrebanbe unb er !ann baher nad) foldzer Sabung in nicht
neutralen ©ewäffern burd)fud)t werben, fonbern bafj eS bie
„XhetiS" ift, Welche ben Kämpfer anhiett, ift uon SBidjtig»
feit. 35er moberne, 8400 ©o. grofee fireujer jtoeiter fitaffe
„©hetiS" gehört nämtich nicht jum Sap»©efd)Waber, fonbern
jum britifchen 3Rittelmeer»©efchwaber. Son biefem finb uier
©chiffe in baS Notlje ÜReer gefanbt: ©orpebofd]iff „Sulcan",
6600 ©o., fireujer „Nftrea", 4360 ©o., ©orpebolanonenboot
„$ebe'', 810 ©o., unb fireujer „©hetiS'', alles fchnette ©chiffe.
©ie Seftimmung biefer ©djiffc ift augenfdjeinlid) bie, genau
bejeidjnete ©chiffe anjuhalten unb ju unterfuchen, aber bie
©rünbe, wehhalb man ju biefem ßwecf gerabe in baS fehr
heifee Notlje ÜReer ©chiffe entfenbet, um biefe nur uon
Suropc her ju erwartenben 3)ampfer bort ju treffen, finb
eigener ülrt. ©8 liegt uiet näher, biefe betannten ©ampfer,
welche ganj beftimmte Nouten einhatten, längft uor ihrem
©intritt in baS Nothe ÜReer, fpäteftenS in fßort ©aib, bem
erften $)afen beS ©uej»©ana(S, ju ftellen, anbererfeitS fie
furj uor ihrem ©intaufen in bie ©elagoa»Sai bort in
©mpfang p nehmen, als bah man gerabe im Notljen 2Recr
firiegSfchiffe ftationirt unb bort Sagb auf frembe ©chiffe
machen täfet.
Sn SBirflidjfeit hanbett ©ngtanb, wenn eS einmal fein
Unterfuchungörecht bei ben beutfcfjen ©Riffen auSübcn Witt,
? ,anj richtig, aber bei biefer ©etegenheit jeigt ©ngtanb aud)
tipp unb ftar alter ÜBelt feine perfiben fnntergebanfen, bie
eS gehabt h Q t, als, ^auptfäcf)tic£) auf feine Seranlaffung, bie
Neutralität beS ©ucj»©anals auögefprochen würbe, ©iefe
fogenannte Neutralität ift nichts als ein ©heatercoup ben
anbern ©taaten gegenüber, fie nüfjt ganj allein nur ©ngtanb,
benn fie wirb Uon ihm fo lange aufrecht erhalten, betont
unb befdjirmt Werben, als jwei anbere ÜRädjte fich in Öen
paaren liegen, fie ift aber überhaupt nicht oorhanben, wenn
©ngtanb eS für gut befinbet ober eine ber friegführenbeit
ÜRädjte ift. ©arüber ift uiet gefdjtieben, auch häufig genug
Würbe auf biefe ©hatfaclje h'ugemiefen, fowie noch barauf,
ba§ Sngtanb fich woljt hüten werbe, in firiegSjeiten, b. h-
wenn eS fich fefbft im firiegSjuftanb befinbet, ben ©anal uon
©uej al§ eine unter allen Serhältniffen fidjer ju paffirenbe
Straffe anjufehen. ©aff aber ©ngtanb fo offen, wie es je|jt
gefchieht, feine fiarten- aufbedt unb jeigt, waS eS fetbft uon
bem SBerth beS ©anatS unb uon bem SBcrtt) feiner fReutra»
tität im firiege hätt, war nidjt anpnehmen unb wirft baher
gewiffermafcen iiberrafchenb. ®ewi|, bie SBege uon ©ngtanb
nach ®utban um baS ©ap herum unb burch ben ©uej»©anal
haben ungefähr gleiche Sängen, aber es fleht feft, bafc ©ng»
lanb, falls einmal Snbien ober feine Sefifcungen in Dftafien
unb Stuftratien gefährbet finb, alle ©ranSporte, * uon beren '
uorauSberechnetem ©intreffen etwas abhängt, nicht burch ben :
©uej»©anal, fonbern um baS ©ap herum gehen läfjt. Mer=
bingS haben fhon herUorragenbe SRänner ben letztgenannten
3Beg als ben einzig fieberen erflärt, aber erft bie Setfolgung
ber jefct nach ©übafrifa gegangenen unb gehenben ©ran^
porte jeigt, bafe man in ©nglanb fid) über bie fiebere Raffer»
barfeit beS ©uej feincrlei Sßufionen hingiebt. Wenngleich man
ben ©anal natürlich auch tüchtig benu$t.
©ie ©efahr ber ©uejpaffage befteht batin, bah bie enge
©ttaffe uerhältnifemähig leicht gefperrt werben fann, fei e$
burch ein Naturereignis ober fei eS, bah man ber Natur
etwas ju £>ütfe fommt unb fo ein fünftlicheS Naturereignis
fdjafft. ©efchieht eine fol^e längere 3 e it anbauernbe ©per»
rung in einem firiegSftabium, wo unenblich uicl uon bem
mögtichft frühen ©intreffen uon ißerfonal unb SRateriat ab
hängt, fo fann eine Setjögerung pr fiataftrophe führen, unb
baher .ift bet SBeg um baS ©ap ber einzig fidjere. ©olangc
aber ber ©uej*©anal befahren werben fann, foll er neutrat
fein unb bie ©chiffe aller Nationen foflen auch * n Ärieg«»
jeiten harmlos unb ungefährbet ihren $>anbelSintereffcn auf
ihm folgen fönnen — fagt bie internationale Seftimmung.
S,n 2öirf(id)feit aber ift ber ©anal englifdjeS ©igenthum,
unb jebeS ©chiff, baS ihn benutzen will, muh in britifdjc
|>änbe faden ober fidh öon britifchen ©Riffen unterfuchen
laffen, wenn eS ©nglanb paht, benn ber ©anal uon ©uej
befi^t einen ©chliiffel, ohne ben er gar feinen 3^^ H
unb biefer ©djlfiffel ruht ficher in englifdjen ^änben. 6r
heiht: ©ie ©trafze uon Sab et SRanbeb, mit fßerim, ©h 0 ^
©aib unb ?lben.
Nicht etwa, um im Nöthen üReere $anbelsplät|e j«
grünben ober ,§anbel ju treiben, ift ber ©uej erbaut
beiben fiüften beS Nöthen üReereS giebt eS feinen eitlen
Slah uon Sebeutuitg, felbft baS iürfifche ©febebbah, b«
^afenplatz uon 3Recca, ift ganj uerlobbert unb ohne ffieitl),
unb fo ift baS ganje Nothe SReer eigentlich nur eine S33ett»
©urchgangSftrahc, beren 3tuS» ober ©intritt im ©üboften bie
©trahe uon Sab et ÜRanbeb, im Norbweften ^ort ©aib
bilben. @S muh bemnadh jebeS ©d)iff, welches überhaupt
ben ©uej paffirt, auch burch öie ©trahe uon Sab et SRanbeb,
mit ben winjigen Ausnahmen, bah eö fich ftänbig im Nöthen
ÜReer aufhält. SBcnn baher auch ber ©uej neutral ift, Sab
et ÜRanbeb aber englifcf), fo ift felbftrcbcnb, je nach GnglanbS
©Billen, ber ©uej neutral ober nicht neutral, benn eS fann
in ber ©trahe uon Sgb el ÜRanbeb alle ©chiffe uon @uq
unb nach ® ue i abfangen. ©omit ift ©ngtanb unjweifelhaft
§err beS ©analS.
©ie Sefd)lagnahme beS ©ampferS „^erjog" fonnte
felbftuerftänblich bereits im ÜRittelmeer, etwa nach ber 8b»
fahrt Uon Neapel, uor fich gehen. Nber im ©Wittelmeer
frettjen fich e i ne f° 0 r °6 e 3°^ uott Sntereffen uerfchiebenet
Nationen, bah bort eilt folcheS Sorgehen untiebfameS 8uf»
fehen erregt, unb baS ift gegenwärtig nicht gerabe oortheilfjaf 1
für ©nglanb. Sn Sort ©aib, im ©uej»©anal aber barf ein
Schiff nicht mit Sefdjlag belegt werben auf ben Serbadjt
hin, firiegSfontrebanbe ju führen, benn eben — ber 6ue$
ift ja neutral! — 3« bem breiten Nöthen ÜReer fönnteman
weiter baS ©cf)iff leicht Oerfehlen', unb fo ift eS benn am
einfachften unb fidjerften, man fängt eS in ber ©trahe uon
Sab et ÜRanbeb ab. ©ie ©trahe befteht aus brei getrennten
©heilen, ©ie eigentliche gahrftrafje liegt im Dften, gwifdje 11
bem geftlanb ülrabienS unb ber Snfel ^3erim, unb ift etwa
1800 ÜReter breit, ©ann folgt eine wenig befahrene, etwa
jwanjig fiilometer breite ©trede jWifchen Ißerim urfb b fn
brei ©uba»Snfe(n, unb ber britte ©heii, bis jur Norbfüfte
beS ©ebieteS uon Dbod auf bem afrifanifdhen geftlanbe, h 0 *
eine Sreite uon Uier bis fedjö ftitometern. ©er Sanbftreifen,
Digitized by v^. ooQie
Nr. 8.
Die Gegenwart.
35
welker an ber arabifdjen Küfte ©crint gegenüberliegt, ift baS
oor einigen Sauren häufig genannte Ehaif Saib, eine 3«t
fang Streitobject jmifchen granfveicf), ber Sürfei unb Eng«
taub, biö legtereS im 2Rai 1897 ben ©unft an fid) braute,
©erim, bie Snfet beS Siobor, bitbet einen getfenttumpen Bon
47 Kilometer Umfang unb mürbe 1857 Bon Englanb annec*
tirt. Sie Snfcl hat einen ßeud)ttf)urm mit fcfjroachen 8e*
feftigungen, etma 50 üWann ©efagung unb an ihrer ©üb*
feite einen jmei Kilometer fangen guten frafen mit 700 fDfetcr
breiter Einfahrt. @3 liegt auf ber |>anb, baft biefe gänzlich
unpreidjenben Söefeftigungen ©crim’S in feiner SBeife im
©tanbe finb, bie Surd)faf)rteH p befjerrfdjen, gar mit ®e=
fd)ügen, aber ebenfo, mie ©ibraltar bie Strafte im SBeften
jum SRittelmeer fperrt, obgleich es aud) nicht mit feinen
©efd)ü$en bie bort 23 Nitometer breite ©affage beberrfcf)t,
fdjtieftt ©erim unb meiterpin 9lben bie 9luSfaf)rt auS bem
5ftotf)eu SReer. SaS gefd)ief)t bei beiben fünften burd) 3Rit*
roirfung eines ©efcproaberS, baS bie feften £täfen als
jeine ©afiS betrachtet. 2Bof)cr Englanb biefeS ©efepmaber
im ©ebarfsfaße nehmen mürbe, mar jmeife(f)aft. 3m 9111»
gemeinen nahm man an, baft baS Oftinbien-©efepmaber,
toeldjeS bis Bor furjer fljeit auch bie Oftfiifte ?lfrifaS über*
machte unb eigentlich feine fonftigen Aufgaben p erfüllen
hat, ©ebiffe nadj 3lben unb ©erim pr ©emachung ber
Strafte abpgeben hätte. fRun ift eS baS 2Rittelmeer*©e*
fehroaber, baS bie nötigen ©djiffe fteQt, unb baS ift aud)
roofjl baS ©raftifdjere infofern, als bie Sd)iffc ber SOtfittel«
meerflotte jeber 3 e it fdjneü auS bem 5Ref€röc»2Raterial ber
§eimath ergänzt merben fönnen. 3n biefer Schiebung finb
nun einmal bie englifcpen ©erpältniffe beneibenSmerth.
Sie Sperre Bor bem fRothen ÜRcer unb baburch beS ©uej*
(lanatS, bie ©efterrfdjung ber Sabel nach Dftafien, 9luftra*
lien, 3nbien unb ©übafrifa burch ülbeit, fann als ein
Heiner ©orgefthmad baoon bienen, mie fid) bie ©erhält*
niffe geftalten merben, tnenn mirftich einmal ein SBeltfrieg
auSbrhht, ■ftatt beS KleinfriegeS im ©üben ?lfrifaS. Set
fann roopl ben fRuf EngtanbS als ßanbmadjt ftarf erfdiüttern,
aber bod) nur bei benen, tocldbe überhaupt an einen guten
Stof beS britifdjen IpeereS, ernftlidjen ©egnern gegenüber, je
geglaubt haben, benn in 2Birflid)fcit ift er nie oorhanben
geroefen. ©ber Englanb «iS mächtiges ^aitbelSoolf unb
Kolonialreit mirb burch ben ©uren in ©übafrifa nidjt
ftürjen, faum feinem Sturze mirftich näher gebracht. Sap
gehört, baft bie Kolonien fid) felbftftänbig machen, unb baft ber
ruffifdje ©ät fid) langfam aber mit grofter ©Jucht näher mäljt.
9Ran oergeffe nicht, baft EnglanbS ©olitif mit ganzen Erb*
tbeilen gerechnet hat, nicht mit ßänberfegen. 9?orbamerifa,
Oft*3nbien, 9luftralien! Unb jegt redjnet man mit ülfrifa als
mit einem engüfdjen Sefig. — SSJarten mit ab, ob ber ?tuS»
gang beS Krieges berartig fein mirb, baft meitere britifepe ©iänc
auf Sfrifa faUcn gelaffen merben. Sdiroerlid); benn cS fann
nid)t abgeftritten merben, baft baburch bie meitere Erfdjlicftnng
beS bunflen Erbteils nicht geförbert mürbe; aber baft ber ©ur '
in feiner ganzen jegt fegt berounberten Eigenart ein befonberer
©eförberer europäifcher Kultur ift, fann aud) moftl uon ben
Anhängern, bie er Bor SluSbrucp beS Krieges befeffen hat,
feine); behaupten.
Sie Borftefjenbe fleine ©etraeptung bcftanbelt nur bie
SSidjtigfeit eines einzigen jener meerbeherrfchenben ©unftc,
bie Englanb fich auf ber Erbfugel, feineSmcgS mühelos unb
ohne Biet ©lut, gefefjaffen hat: 9lbett ©erim. ES giebt aber
noch «ine ganje ?lnpi)l anberer, bie faum miribeten SBertft
unter Umftänben befigen, mie beifpielSrocife Samaica, fconfona,
9Bei*hci*SBei, ©ermuba unb ©ibnet). Seber berfelbcn ift
mehr mertft als alle portugiefifchen ©efißitngen in Snbien
unb Oftafien, bie bodj nur ©nflaBen in gtoften ©eichen bilben
unb oftne ftarfe ©eemacftt nicht behauptet merben fönnen.
Die ßnoeiieruttg ber ItttfaUförforge.
33on SteiSgericbtSratb Dr. Benno Ejtlfe (©erlin).
Set ©ei^Stag anerfannte bie STuSbeftnung ber Unfall«
oerficherung auf bie in gemerbtid)en unb lanbmirthfdjaftlidhen
©etrieben befd)äftigten Strafgefangenen in fjolge einer baftin
gerichteten ©orftctlung Born 20. §fpril 1890 am 17. ÜRooem*
ber 1891, fomie auf baS gefammte tpauSgefinbe gemäft einer
©orftednng Born 30. ffioBember 1894 am 4. H)?ai 1895 als
eine unabweisbare golge beS bie gefammte 2lrbeiterterfid)erung
beherrfchenbcn ©rnnbgebanfenS, ben Slrbeiter unb beffen auf
feinen (Srmerb angemiefenen Familienangehörigen in benjenigen
3eiten Bor 9?oth unb Sntbchrung üu bemaftren, in melchen
er megen Störung feiner förpctlichen ober geiftigen Unoer*
fehrtheit aufter ©tanbe gefefct mirb, burch ©ermerthung feiner
SlrbeitSfraft bie SDfittel ^um ßcbenSunterhalte fich ju Ber*
fdjaffen. Sie Seitens beS ÜieichStageS gehegten ©rmartungen
haben bisher fich nicht erfüllt. SBeber mürbe in ben 1894
neröffentlid)tcn ©runb^ügen einer Slbänberung ber Unfall*
oerfid)erungSgefefee unb einer©rmeitcrung ber UnfaHuerficfterung,
nod) auch in ber UnfalluerficherungSüorlage, roeldje ben fReicftS*
tag 1896/97 befeftäftigte, bem Rechnung getragen, ßefctere
befdjränfte fich einfach barauf, bie burch bie fRecbtfpredjung
beS fReichSoerficherungSamteS gefd)affene Unpträglichfeit auS
ber SBelt ju fcfiaffen, roonach eS für ein ©efinbe, meldjeS
theilmeife ju gemerblichen ober lanbmirthfehafttichen, theilmeife
p rein häuslichen ©errid)tungen Berroenbet mirb, bebeutungS*
boH fein follte, ob baS feftäbigenbe ©reignift bei ber erfteren
ober ber leftteren Sfjätigfeit eintrat, um feine ©chabloShaltnng
p bebingen ober Berfagen p follen, inbem fie ben ©runbfaft
auffteHte, baft in jebem jalle unb unabhängig um bie p*
fällige 3lrt ber non feinem Sienftgeber ihm angemiefenen
©efeftäftigung eS Slnfptucf) auf ©ntfdjäbigung hot, fobalb eS
überhaupt nur p ©etriebSarbciten feines SienftgeberS heran*
gepgen ju merben pflegt. SBenngleid) bamit fchon ein grofter
©d)ritt pm ©efferen gethan, fo reid)t berfelbe bod) nod)
lange nicht aus, um einen empfinbfamen gegen ©echt unb
©iÜigleit nerftoftenben 3Riftftanb p befeitigen. Unb meiter
als bie ©orlage non 1896/97 geht in ben gerabe hier in
©etradjt fommenben ©erhältniffen ber ©ntrourf auch nicht,
mefcher nach 3 u ^ Qmrnent ritt beS IReidjStageS biefem pgetjen
fott. «lieh er erfüllt noch nidjt bie gelegentlich ber jüngften
SnBalibenoerfidjerungSBorlage in Erinnerung gebrad)te F or *
berung einer gefcßlidjen Siegelung bet Entfdiäbigung ber im
Sienfie ber Snbuftrie ober ber ßanbrnirthfeftaft unfallBer*
legten ©trafgefangenen.
©emcingemöfinlich pflegt bie üluffaffung Bertreten p
merben, eS fei nicht gerechtfertigt, ©erfonen, Welche gegen bie
öffentliche SRnfje, Sicherheit unb Orbnung in einer ©Seife fich
Bergangen hätten, baft fie befthalb ©träfe p nerbüften hoben,
baburch eine ©ergünftigung p gemähten, baft fie ber Unfall*
fürforge theilftaftig merben follen. SUIein bie ©ertreter biefer
3lnficht Berfennen ben Kernpunft ber F ra fl e> ® enn baBon
lann unb barf gar nicht bie SRebe fein, bie greBler gegen baS
3lllgemeinmefen bafür belohnen p moQen unb beren ©träfe
p milbern; uielmeijr mirb bloS beredt, baS als ©Ahne ber
begangenen ©djulb abgeroogene unb Seitens beS ©trafridjterS
ihnen perfannte ©trafübel nicht baburch ü» Berfchärfen, baft
fie eine ©traffolge erleiben, roetefte übet baS feftgefegte SRaaft
hinauSgeftt unb fie felbft noch befaftet, nachbem fie bie Frei*
heit miebererlangten, aber auch bie unfehutbigen unb ftraffreien
Familienangehörigen in üRitleibenfdjaft jjieht. SRicht mährenb
ber Sauer ber ©trafoerbüftung, Bieimeftr erft nach mieber*
erlangter Freiheit, alfo nach gefühnter ©dhuib follen fie in
ben ©enuft beSjenigen ©ortheils treten, toelcher jebem Arbeiter
jjugebacht ift, ber burch bie eigentümlichen ©efaftren einer
©erufSthätigfcit in feiner ErmerbSfähigfeit, alfo ber SRöglicft*
feit geminbert mirb, feine SlrbeitSfraft pr ©efriebigung
feines ober ber ©einigen ßebenSunterhalteS auSnugen ju
Digitized by v^. ooQie
36
Dt t tötgenwart.
Nr. 3.
fönnen. Auf ©runb U. *95.«©. § 9 gilt afg Setricbgunter«
neunter berjenige, für beffen SRecßnung ber Setrieb erfolgt,
bent atfo ber öfonontifdje Erfolg aug ber eingefeßten Arbeitg*
traft gufällt. Unb gwar würbe er gcrabe um beßßalb ber*
pflichtet, bie SRittel gur ©cßablogßaltung feiner Wrbeiter afleiit
aufgubringen, Weit ißm ber Stufen gu ®ute tommt unb weil
bie8 alg ein geeigneteg SRittel erfcfjien, ber übermäßigen
Augnußung ber Arbeiter entgegengutreten begw. ißn für bie*
jenigen wtrtßfcßaftlicßen Sacßtßeile berantwortlidj gu machen,
Weld|e aug einer Ueberanfpannung ber Kräfte ober aug einem
Sorentßaften ber gebotenen©cßußborricßtungen unbSicßerungg*
einricßtungen gu beforgen finb. Sur alg ein Auggleicß ber
geminberten gu ber Hollen Arbeitgfraft, nießt aber alg ein
©etoinn fott bie UnfaHabfinbung ißter rechtlichen Satur nacß
fieß fenngeicßnen. Unb gernbe Wegen biefer ißrer fittlicßen
unb wiTthfdjaftlicßen ©eite ift eg burcßaug ungerechtfertigt
unb bem ©ebote einer Sedjtggleicßßeit eitler oor ber ©efc^e
boüftänbig Wibcrftreitenb, biejenigen ©trafgefangenen bon ber
Unfattffitforge augfcßließen gu wollen, Welche bei Einfeßen
ihrer Arbeitgfraft für ben inbuftrieÜen ober lanbwirthfchaft*
liehen fßächter berfelben gelegentlich einer mit ßößerer Unfallg*
gefaßt berbunbenen Serricßtung bon einem fcßäbigenben Sr*
eigniß betroffen würben, welcßeg in urfadjlicßem 3ufammen*
hange gu bem Setriebe ftanb.
Sotß mehr ungerechtfertigt ift eg aber, ben Setriebg*
Unternehmer Dermögengrecßtlicß für bie Unfälle haftpflichtig
gu erflären, wenn er freie Arbeiter befcßäftigt, aber bann gu
berfeßonen, Wenn er bie wohlfeilere ©efangenenarbeitsfraft
berwenbet. 3n biefem leßteren galle bag ©emeinwefen, alfo
bie ©efammtßeit ber ©taatgbürger am Aufbringen ber er*
forberlidjen ©elbmittel gu betheiligen,-inbem bie öffentlich*
rechtliche Armenpflege an ©teile beg Setriebgunternehmerg
bie Unfallfolgen fcßablog gu halten hat, entbehrt jebeg Secßtö*
grunbeg. Unb in ber Dßat ftüßt biefe Auffnffung fid) audh
nur auf bie Scdjtganfcßauung beg Seicßgoerfidjcrungsamteg,
weicheg bon ber Anfi<ßt auggeht, eg bilbe ein Arbeitgbertrag
bie unabweigbate Soraugfeßung für ben Eintritt ber Unfall*
ffirforge, ben abgufcßließen ber außer ©taube fei, ber gut
$eit in ber freien SBiHengentfcßließung über Serwertßung
feiner Arbeitgfraft befeßränft, ber Anorbnung ber ©efängniß*
berwaltung [ich wiOenlog gu unterwerfen habe, gür biefelbe
bietet aber aueß Weber ber SBortlaut noch bie Sntftehungg*
gefchichte ber einfehtäglichen Secßtgregeln gwingenbe Anßaltg*
punfte. 3n golge beffen ift auch bag höchfte ©prueßgerießt für
UnfüHfacßen feinem ©runbfaße nicht treu geblieben, hat ben*
felben bielmeßt in allen benjenigen gälten berlaffen, in welchen
eg Serfonen eine Unfallrente gubiüigte, beren Abficßt niemalg
bahin gegangen war, einen Slrbeitgbertrag eingeijen, b. ß. in
ein Abßängigfeitgberhältniß gu einem Arbeitgeber treten gu
wollen, wie g. S. ©traßengängern, welche bei Aufridjten
eineg gefallenen ißferbeg ober bei gortbewegen eineg feßwer
belabenen ipanbwageng ober bei gortfeßaffen eineg Salfeng
hilfreich §anb anlegten unb babei eine Serleßung erlitten.
Auch in foldjergeftalt gearteten gäöen fehlt eg nämlich an
ben Segriffgmerfmalen eineg Sertrageg über ipanblungen
nach älterem begw. eineg Dienftbcrtrageg nad) bem gufünftigen
Secßte beg § 611 S.*®. = S. Unb begßalb muffen fie alle
auch mit gleichem SSaaße gemeffen werben. -Run ift eg aber
wiberfinnig, weßßalb eg einen Unterfchieb ßinficßtlicß ber
©cßablogßaltung eineg SetriebgunfaUeg machen fott, ob ein
gWecfg ^tilfeleiften gu ben Srntcarbeiten beurlaubter ©olbat
ober ein bagu angewiefener ©trafgefangener in einer feine
Erwerbgfäßigfeit gefäßrbenben SBeife üerlet^t Würbe. Seibe
finb, jener nach Secnbigung feineg SSilitärbienfteg, biefer
nach Serbüßung ber gnerfannten ©träfe auf Serwertßung
ihrer Arbeitgfraft gur Sefdjaffung beg Bebengunterßaltcg
angewiefen. Unb in biefem gefommenen ßeitpunfte muß bei
Seiben ber gefeßließ geregelte, bureß bie Unfallöerfidjcrung
geplante, Perm ögengreeßt ließe Auggleicß gwifeßen ber Hollen
unb ber tßeilweife geminberten Srwerbgfäßigfeit eintreten.
Dem eingelnen ©trafgefangenen folcßen borguentßalten !enn=
geießnet fieß alg eine ©cßärfung beg ©trafübelg über bic
©trafgeit ßinaug, mitßin alg eine Serleßung ber ©leicßftellung
aller ©taatgbürger bor bem ©efeße. Unb biefer Erwägunge*
grunb an fieß gwingt mit logifdjer Sotßwenbigfeit gut Sr*
Weiterung ber Unfaöuerficßerung auf bie wäßrenb ber ©traf*
Herbüßung betriebgberleßten ©trafgefangenen nach beenbeter
©trafgeit. ©cßwierigleiten tann aber auch beren Setficherung
nicht machen, Weil alg beren Dräget bie Unfallnerfießerungs*
genoffenfeßaften, Weld)e bie ErWeiterunggoorlage Hon 1894
in ben §§ 5 unb 23 in bag Auge faßte, nermenbbat unb
bie Sachter ber ©efangenenarbeitgfraft nach ben ©runbfäßen
in ben §§ 16 ff. beg Sauunfallnerficßerungggefeßeg bom 11.
3uli 1887 mit Seiträgen ßerangießbat finb.
Die Etwägungggrünbe, weteße aug bem Serlennen beg
©trafgweefeg für ben Saien blenbenb gegen bie ©cßabloghaltung ,
oerleßter ©trafgefangenen fi^ aQenfaQg in bag f^etb füßta
laffen, berfagen jeboeß bureßweg bei ißrüfung ber 3 0t bermtj
auf ^ineingießen beg gefammten ^auggefinbeg in ben ftreie ■
ber berficßerunggpflicßtigen S er f onen - C'infidßtli^ biefer fw* ,
feßränfte bigßer man fieß barauf, bag Sebürfniß unb bie
3 wcdmäßigfeit gu begWeifeln, au^ auf bie ©eßwietigfeite»
ßinguweifen, welchen bie Durchführung praftifcß begegnen
fönnte. Allein beibe Einreben berfeßlen ißr 3> e i unb finb :
meßr bag Ergebniß felbftfücßtiger, eigenniißiger SBünfcße alg
eineg borurtßeilgfreien, unbefangenen Urtßeilg. SBenn ge*
legentlicß ber Äranfenberficßerunggborlage bon 1891 fieß nodj
bie Slnficßt redßtfertigen ließ, eg fei in gälten ber Sfranlßeit
naeß fämmtli^en in Deutfcßlanb geltenben ©efinbeorbnungoi
genügenb für bag ^auggefinbe geforgt unb beßßalb entbehrlich,
folcßeg ber Sranfenberficßerunggpflicßt gu unterwerfen, fo
tonnte hierfür bie ißr beigefügte Denffcßrift ben Seweig er«
bringen. Allein feitbem haben fieß bie Serßältniffe mefentft#
geänbert, weil bigßer nießt befannt gemefene ©efaßair in
golge ber mobernen Serfeßrgeinricßtungen bemfelbea.rob
ftanben finb. 9Zacß Art. 95 beg Sinf.*®. gum S.*®.*S. frei)
im SBefentlicßen bie Seftimmungen ber feitßerigen ®e*
finbeorbn ungen aufreeßt erßalten. 9?acß ißnen ift ou8*
einanbergußalten, ob bie Stranfßeit bfog in ober bei ®e*
legenßeit beg Dienfteg entftanben, ober ob bie Äranfßeitg*
urfaeße barin gu frnben fei, baß bag ©efinbe bie beftimmte
Sorfcßrift beg Dienftgeberg, oßne fidß ber ©efaßr einer
folcßen Sefcßäbigung auggufeßen, nießt ßat befolgen fönnen.
3 m erfteren gatte enbet bie Sfließt ber £>errfcßaft gur gür*
forge mit bem Slblaufe ber Dienftgeit unb tritt Überhaupt
nur infoweit ein, alg bag ©efinbe für fieß felbft gu forgen
außer ©tanbe ift, wäßrenb im Seßteren fie über bie Dienft*
geit ßinaug auf Secßnung berfelben erfolgt. 3n gleicher
Steife regelt § 617 S.*©.*S. foteße. Auggefcßloffen bleibt
mitßin bie ©cßablogßaltung für eine nach Secnbigung beg
fjeitberfaßreng fortbauernbe ©törung ber rörperlicßen Unöer*
feßrtßeit, gleicßbiet ob folcße einen nacßtßeiligen Einfluß aui
bag fpätere gortfommen begfelben augübt. Dieg ift ein HJfife*
ftanb, welcßer nießt fortgebulbet werben barf. SBenn biege*
werblicße Arbeiterin in golge Serricßteng ißrer Scrufgtßätig*
feit einen Unfall erlitt, beffen Serlauf gu einer Serftümmelung
führte, fo erlangt fie nach ben 9Jef.*Sntfcß. 9tr. 570 Dom
2. Suli 1888 unb Sr. 911 bom 24. gebruar 1890 einen
Anfprucß auf Unfallrente, wenngleich biefelbe fieß bloß unter
ben Segriff eineg ©chönßeitgfeßlerg unterorbnen läßt, weil
baburd) ißr bag Erlangen einer 9lrbeitggelegenßeit auf bem
allgemeinen Slrbeitgnrarfte unb erft recht ber Abfcßtuß eineg
Sßebünbniffeg erfd)Wert werbe. Senn ein ©efinbe gleicßgeitig
für gewerbliche unb ßäuglicße Dienftberricßtungen gemietßet
wirb, fo genießt nad) ber feftfteßenben 9?ed)tfprecßung beg
Sreußifcßen Dberberwaltungggericßteg g. S. in bem Erf. bom
25. gebruar 1899 unb beg Saßrifcßen Serwattungggeridjts*
ßofe# in bem Erf. Horn 16. Januar 1899 eg bet gleißen
Digitized by v^. ooQie
Nr. 3.
Die fctgenwart.
37
Sergünftigung, unabhängig baüon, in welchem ©erhältniffe
bie gewerbliche gu ber häuslichen SThötigfeit fleht. ©nt»
bchten foH eS berfelben aber, wenn innerhalb ber ©rengen
rein häuslicher TienftOerrichtungen eS gu Schaben fommt.
SlieS finbet feinen ©runb barin, Weil gemeingewöhnlich
Don ber Sinnahme auSgegangen gu werben pflegt, ba| bie
bei folcher ©elegenheit gugegogenen ÄranfbeitSerfdjeinungen
unbebeutenber Slrt feien unb ohne nachtheilige folgen Der«
laufen. ©ieS ift aber ein Srrthum. ©enn wenn ein ©ienft»
mäbchen beim genfterpujjen aus beträchtlicher flöhe auf bie
Straffe ober ben fiof hinabftürgt ober wenn eS beim Slb»
ftauben ber ßimmer, ©ecfen unb SBänbe Oon ber Seiter fällt,
ober bei bem ßiwmerbohnern auSgleitet, fo unterfteht eS ber
gleichen Unfallgefahr wie ber ©auanfd)täger, ©apegirer,
ßimmerbohner, welche nach bem ©auunfafl*©erfi<herungSgefefce
oom 11. Suli 1887 wegen beS baburch gugegogenen ©enicf*
brucheS, ©einbrudjeS, SeiftenbrudjeS fchabloS gu hatten finb.
ginem bei SluSridjten eines gewerblichen SluftrageS burch
Sturg mit einem Sßetocipcb oerunglüdten gewerblichen Strbeitcr
fpricht bie fRef.»@ntf<h. SRr. 727 oom 20. 2Rai 1889 Unfall»
rente gu. ®aS Stuben mäbchen, welches bei ©rlebigung oon
Aufträgen, bie Äinbermärterin, welche bei ^Begleitung rabeln*
ber Äinber beS ßroeirabeS fich bebienen mufj, entbehrt gur
3eit noch bet gleiten gürforge. Unb hoch hat baS ent*
tnicfelte ©erfefjtSgefeh eS gu SBege gebracht, bafj beim SRiethen
weiblichen ©efinbeS als ©ienftüerrichtung neuerbingS aus*
bebungen gu werben pflegt, fich beS ßmeirabeS bebienen gu
miiffen, eine gwar erft neugefdjaffene, aber bereits in wieber*
holten gäßen oon fdjweren Unfallfolgen begleitete ©ienft*
uerpflichtung.
Seit ©infteflen ber elementaren Ära ft als ^Betriebsmittel
für gafjrgeuge jeber Slrt oermehrte fich gleidjgeitig bie Unfall*
gefaxt für baS männliche ©efinbe. Soweit eS im ©ienfte
eines gewerblichen ober lanbwirthfchaftlichen Unternehmers
fleht, Wirb ihm bie Unfaßfürforge nicht üerfagt, wenn eS bei
(Gelegenheit enter berartigen ©ienftoerrid)tung gu Schaben
fommt SInberS liegt bieS, wenn eS bei Sebienung eines
SKotorgefährteS oerunglüdt, welches eine ©rioatperfon als
SefötberungSmittel in ihren ©ienft fteHte. ©ann fteht ihm
nur bie fehr fchwache SluSfi^t einer SdjabloShaltung im
Umfange beS heutigen ©efinberechteS gu, welche einmal ihrer
flöhe nach weit niebriger als bie Unfaßfürforge, fobann aber
bcfchalb merthlofer als biefe ift, weil fie oon bem höheren
ober geringeren ©rabe beS 3ahlungSoermögenS unb ber
3al)lungSWtfligteit beS ©ienftgeberS in ihrer Erfüllung ab»
hängig, wäljrenb bie Unfaßrente oon ber ftetS leiftungSfäfjigen
SerufSgenoffenfcfjaft gewährt wirb, Sefjtere ift auch in ber
Sage, burch ©rlafj oon UnfaflöerhütungSüorfchriften bem ©in»
tritte eines SchabenSfaßeS mehr Oorgubeugen unb beffen 58er»
laufSgefahr abgufchwächen, mogu bie ©elegenheit in fonftigen
ffäßen fehlt. Sßie bie „3lergtlicf)e Sach0erftänbigen*3eitung",
3af)rg. V, S. 445 auSführt, ift aber auch baS ©ienftperfonal
eines SlrgteS bei Peinigen ber oon ihm gebrauchten bisweilen
Bon SlnftedtungSftoffen nicht freien ©efäfje unb Sßäfcheftüde
einer nicht gu berfennenben GrfranfungSgefahr burch ©lutoer*
giftung auSgefefct, welche gur ©ntfernung eingelner ©liebmafjen,
alfo gur ©erftümmelung begw. gur 2Rinbetung ber ©rwerbS*
fähigfeit führen fann. Slud) f)' et mufi bie öffentlich*red|tliche
Sfranfen» unb Unfaßfürforge eintreten, um bie oermögenSrecht»
liehen fRa^theile barauS bemjenigen ©heile ber arbeitenben
Seoölferung gu fichern, welcher barauf angewiefen ift, eine
©ienftfteßung gu übernehmen. ®ie 5Red)tSregeln über bie
■ßertretung ber folgen beS aufeeroertraglichen ©erfd)ulbenS
in ben §§ 823 ff. beS SB.»©.»©, reichen nicht auS, einen SluS»
gleich gwifcfjen ber geminberten gu ber üoflen ©rwerbSfatiig»
feit gu fefjaffen. linb befchatb barf ber gegenwärtige geit»
fünft, in welchem eine ©orlage über bie Slbänberung ber
ßnfaßoerfi<herungS»©efe{}e unb eines ©efefceS über bie Unfaß»
fürforge für ©efangene bem ^Reichstage am 12. b. 2R. gu»
gegangen ift, nicht oerpafjP werben, um bie aßgemeine Sluf*
merffamfeit hierauf gu lenfen, fornie bafür eingutreten, biefe
fühlbare Süde in SluSgeftaltung ber Slrbeiteroerficherung aus«
gumergen, b. h- biefen ©tuppen ber erwerbSthätigen ©eöölfe»
rung bie 2Bohltf)aten einer gefefclich geregelten Unfaßfürforge
gu ©heil werben gu laffen.
Literatur unb $unft.
Ätwt
8 on ©tto Stoegl.
®aS Sdjidfal beS ©ingelnen bilbet fich in ben SünglingS*
jahren. So oon fechgehn biS" in bie ßwangig hinein, biefe
blühenbe, lebensreiche 3eit bauert bei ben oerfchiebenen 2Renfd)en,
je nach if)ter SRaffe, Nation, Ipeimatlj, Temperament Oer*
fchieben lang. SBenn auch nicht aße ©lütljenträume reifen,
fo beftimmen biefe ©lütfjen bod) bie grucht ber ©eneration.
Sein Seben, feine beftimmenben geiftigen unb finnlichen
©motionen h at man in biefen fahren, hier fnüpft jeber bie
ff-äben. $>ann fpäter werben fie gum ©ewebe gufammengeWirft.
ytut gang feltene SRenfchen haben ©rlebniffe in biefem Sinn
noch fpäter, nur SBenigen wadjfen ^fammenfäulen leuchtenb
auf bem fpäteren SBeg. ®aS finb bie SluSnahmen. Sooft
beftimmt bie Sugenb aßeS künftige. ®ie fommenbe 3 e 'l fdjätt
bann bie S5inge; Stetion, SEhätigfcit ift hier üot Slßem, frei*
lieh meift oon föftlicher Unbewufjtheit. 9Ran lernt SRenfchen
fennen — baS ift aber nur fo gu oerftehen, baff man erfährt,
wie fie heifjen, waS fie gu fein oorgeben, nicht wie fie finb.
3Ran beginnt Stubien, fnüpft Segnungen an, geräth in
©efeßfehaften, auS benen man fich entwirtbet, bie man aber
bodj niemals loS werben fann. SlßeS gefdhieht hi ct nac^
fcheinbar freier 2Bat)l unb Ooßer ©ier nach SReuem, nach
©eränberung, man rafft wie ein ©eigljalS Schäle ber @r*
fahrung gufammen, aßeS was blinft, wenn man auch fpäter
erfennt, baff eS Scherben Waren. ©aS fpätere fieben oet*
arbeitet baS bann. ©aS ift bie „Sammlung". SBunbertidjeS
2 Bort, man müfete fagen: Sluflöfung. ©enn bann ift bie
gange ©efchäftigung: baS ßoSwerben, bie ©rfenntnife. 3 um
Schluß fteßt fich «ine ©rfenntnife, ein SBefenSgug, ein
tppifcheS Schidfal h er auS, baS unerfannt im ©runbe jebeS
SRenfdjen geruht h at » nnb baS nun langfam heroortritt, ©e»
ftalt unb garbe annimmt, barauf wirb bann baS begrünbet,
waS als SBeltanfdjauung begeichnet wirb. Slber bie reiche'
3 eit fäßt in bie Sugenb. fiier finb bie beftimmenben ©e*
banfen. fRicht um bie fReife unb ©auer oon SBerthen hanbelt
eS fich, benn wer baS Seben betrachten gelernt hat, erfennt
gang gut, bafj eS nur oon Scheinwerthen erfüßt unb beftimmt
wirb, nicht 2Baf)rheiten finb ihm fo fehr nöthig, aber ©nergien,
Seibenfchaften. ©ie garöe, ber fReichthum beS ©angen, wirb
hoch unb hoch oon ber 3ugenb beftimmt. Sie fnüpft auch
bie ©lemente einer 3^ unb läfet ber fommenben Sugenb
wieber baS ärgerliche ©efchäft beS StuflöfenS unb beS ÜReu*
fnüpfenS fchimmernber Srrthümer. Sehen mir uns bie SBüdjer
einer 3«it an, bie beftimmenb für fie waren, ihr innerfteS
SBefen wiebergeben, fo finb eS immer bie SSerfe oon jungen
Seuten. Älopftod war ein junger ©urfdj, bem würbigen
©obmer oiet gu leichtfertig für einen Sänger beS „ßReffiaS",
Sdjißer’S „SRäuber" unb „Äabale“, ©oethe’S „SBerther". Sa
©oethe’S „SBerther" unb im höheren Sinne ber erfte ©h«^
feines „SReifter" brüden feine 3 e *l auS. ©er ©ppuS eines
jungen SRanneS, ber in bie SSelt auSgieht, um gu lernen,
auS ©rfahrung in ©rfahrung, auS ©egierbe in ©nttäufchung
unb SRefignation, in biefe männliche Sammlung, bie feine
Sluflöfung unb ©ntmerthung bebeutet, biefe ftänbige ffigut
*
Digitized by v^. ooQie
38
Die Gegenwart
Nr. 8.
macpt unS baS befte SEÖefen einer $eit, ipt ©treben, itjren
(Slanj, itjre Energie, ©epnjucpt, ipre eigenfte garbc begreiflidj.
SDie Jöiictjer unferer (Generation ftnb gejcljrieben worben,
©ie werben einer 3 u£unft unjere 3«t War machen. Ueberall
begegnet man bem &ppus wieber. Mei ben Muffen in 2urgen*
jeff’s „Mäter unb «öpne", in (Sontfcparow’s „Dblomoro",
tn Xoljtoj’s „?lnna Marenina" unb in bes grei|en MianneS
leßtem ilSert „tüujerftepung". S9ei ben ®änen in beS wunber*
ooUen Sens ?|ieter Satob|en „Miels Sppne", einer SünglmgS*
geftalt, bie toir ntcpt mepr oergeffen tonnen, bie ein Söeal*
bitb entworfen pat, ein ©cpidjal oon folcpem Selb unb foldjer
(Slutp, bag bie ganje ©entimeutalitut unb Megietbe einer
3eu jolcpes Selb unb joldje (Gluti) wteberjuerleben wünjcpen
mochte, Mei ben Morwegern in Mnut ipamjun’s jämmtlicpen
Muetjern. ®en ®eut|cpen, welche jeit Meller’s „(Grünem
£>etnrtcp" feinen enbgiltigen Zeitroman peruorgebracpt paben,
feplt btejes tWerf ooUtg. Miog (Gerpart jpauptuiann’s Sugenb*
brarna, tneUeicpt begpalb jetn be)tes: „2)as griebensfejt"
foniuit bie|em tlöunjcpe jo nape, als es eben bie concentrutere
bramatijcpe 301111 erlaubt.
Skn reiujten ^lusbrncf bes fpecififcp germanifdjen SßefenS
bürfteu wopl ui un|crer 3< lt bie Moroianber gegeben paben.
®te jwjitiuijtijcp aiijangeuoe, pe|fumjti|cße unb Dod) ftarfe
Matur (Gabriel (Grum’s (bei Vlrne (Garborg), bie bann in
oerjweifeite (Glaubigteit auslauft, ftept neben ben träumerijd)ene
irnbanbelubeu, un| 0 )iu||igen unb bod) |id) jelber treuen
Mteujcpen uon 3aiou|en unb jpamfuti. Miels 2 ppne ftirbt
„ben aujreqjten Xob“. Unb qpum|un’s gelben ftiio troptg
m ipreui (Glcuo, bas wtoer fie tarnpft, jie tn uucrmeBlicpe
Dualen treibt unb bennoep ipren irop niept bnept. Mun
ijt bas «eUJame au biejen ^eufiguren, oaß jie nid)t bie ge*
wopulicpen 2 Utcn|Cßeu jmo, niept Appen, |onbern Subiuibuen.
£ie|e riusnapmemcu|epen |inb aber immer bie, weld)e bie
3eit bejtunmen, bas Meue, Unerpörte an ipnen brudt bas
^etteigcutlicpe aus, bie (£tfta|e, lüiunberlicpteit, Merjüdung
eines* Saprpuuberts ift bejjen waptpa|tet .£>crj|cplag ptnter
ber iieoemen ^iaut.
S)ie|e großen 3Bunbcrlidjen finb tpamfun’S gelben.*)
Spr (Gruubeleiucut ijt bas notpioenbige Vlnbersjein, als alle
üüibercu, bas (Gegen=VlUe*«eiu, bas ewtge ÜlUeuijein unter
beti icteil, oas Mctue* 2 örude*ginöen. Mein iWeg, leine Mer*
buioung uejtept jiotjtpeu ipui unb ben Ruberen, wöbet er fiep
bic|er isuijamtcu freut, ui feiner ilbutp, in 30 m unb £>ü 13
wupit uuo mcpi geoioepen werben latut. (Er ftirbt, aber er*
giebt |icp uicpi. Aie jiarten jocialeu Snftincte, bie int wapr*
paft bebeuieuben Üieujdjen immer leben, erzeugen immer
wieber feuicu (iin|üuiteitsbrattg. ©eine frierenbe, pungernbe
l£>ulflo|igteit treibi ipn wieber jur Mienge, ein bejtunbigeS
«piel oon Slu^iepung unb 'Jlbjtoßung wieberpolt fiep, ©eine
Sebensucrucpiuug bebaij bes tagliepeu MroDes bes Sebcns; fo
bleibt er, ber gute liitamer aller Miebrigfett, ber wütpenbfte
«cpmarmer. «eine Mcjiguution pat immer MüdjaUe. Üiiie
ein Jöiauutweiuiriuter jur ^lajepe, feprt er jur (GefeUfcpaft
immer wicoer jurud. (£r glaubt |id) burep Sugc, Merftcden*
jpieten, gutmuipiges (Eingeßcn in bie allgemeine (Erbärmlicp*
tat nut ben M(eu|d)cn beitrugen ju fbnnen, aber bas blojje
3 u|ümmenlcben muß tpn mit ipnen entjweien. Sinnier pofft
er auf eui Miunoer, weltpes bie Mienjcpen cnblid) einmal
men|(plicp jagt, aber jtepujcp genug, pat er ein wütpenbes
Sacpeu über bieje uerrudte ^Öffnung, er ift ironifd) aus
gurept uor beu Vluberen, aus uerlegcuer ipüljlofigfeit, immer
junbigt er aui meiften gegen feinen eigenen Snftinct. Mid)t,
baß er ipnt juwibcrpunoeite, aber er folgt ipm immer nur
palb. $as niucpt feilt tragifcpcs ©epidjal> wenn man uon
©cpulb jpreepen faun, feine ©cpulb aus. Unb bei aller
feßiieiöenben Malte ber Meracptung betet er baS Seben an,
*) „junger", „Meöacteur filjnge", „9icue Sibe", „Wijfterien",
,,']3an", (SRoutaiie) „Äomgin oon Saba", „^icioria, bie ©efcljtdjte einet
2iebe“ (iMooeUen), jdmmUict) bei '.Hlbeit langen, Diündjen.
immer mai^t er StuSnapmen, unb mit einer rüprenben ®on
Duijoterie meint er: (Gemeinpeit, — ÜlOgeineiiipeit, — fange
erft naep bem Mtenfcpen an, mit bem er fiep gerabe abgiebt,
unb bie beftänbige, perrlicpe ütuSnapme ift ipm baS ©eib.
Mun wirb er oon Strtpum ju Strtpum burep feine leiben*
fcpaftlicpe (Energie gepept, fo bon ©cpulb 3 U ©d)ulb. Äönnte
er fiep felbft bergeffen unb ganj bem Sebctt pinwerfen, mit
jeber beliebige, jo wäre er ja glüdlicp. S)aju ift er
anberS, ju jepampaft. Mun rennt er wiffenb, flaten Set*
ftanbeS in bas Merberben, fonimt immer wieber lebenb peraiii
unb fcpämt fiep bis jum SSapnfinn bor fiep felbft. (Segen
bie Slnberen ift er niept fonbcrlicp erbojt, pier ift feine Sritil
tpeoretijcp, aber gegen fiep wütpet er. 3)aS ift bie einzige
ipm gegönnte SBolluft: bie ©elbftanflage. SBaS Slnbere an
ipm fünbigen, räcpt er — an fiep felbft. 2luS Merjweifetimg
an ber SSelt — legt er £>anb an fiep, fein Seben ift bol.
gewaltfamct Müde, unbegreiflich in jebem Slugenblitf, confe* *
quent in ber Snconfequenj. Smmer ift er notpwenbig anbet^
als ber gute Mormalmenfcp, anberS, als „man" ipn erwartS"
M 3 o er borfieptig fein jollte, fepläft er arglos wie ein ftüj
uor bem Slbgcunö, wo er reben foUte, wo enblicp ein SBoö,
ein SSort tommen follte, fcpweigt er läcpelnb, wenn jeW
(Gebot ber ©d;am gu fcpweigen forbert, wirb er bemoftpenifH
berebt. SBaS er fagt, meint er niept, aber biefe Unaufricpt^ ■
feit ift fein waprfter Slusbrud. (Ir berfleibet fiep auS w * 1
fdjeu uor jeber fjiofe, wie ein Mönig liebt er in Sumpen p
gepeit, aus ©epufuept, fiep ju uerlieren, biefeS unglürffeligt
©elbft. ©0 giebt es (Epnifer auS Scpam, Stonifer um
2 lrrogante aus geinpeit, Mejcpeibenpeit unb 3lngft unb §ülf
loftgfeit, Mrutale auS ©epwaepe, geiglinge aus ^eroismuJ,
(Gemeine, ©ittenloje aus (Ebelmutp; fo ift er, immer ein
lebenbes SSiberfpiel feiner (Gefinnung, niept, beileibe niept
aus ISuelfett ober i|>ofe ober ^»eucpelei uor fiep felbft, fou«
beru aus einer peruerfen Meufcppeit, auS beftänbigem
trauen gegen fid) felbft, aus ber ©epnfuept feinet (EiufjKfot
nad) iliigleidjung art bie. Slnberen, aus
trauen gegen fiep. Miepjdje fpriept einmal in einet'Pitt
großartigen (Erlcucptungen baoon, wie ber (Segenfaß bie W|te
Merfleibung fei, iiK ber eines (SotteS ©epam einpergin^t
„(Es giebt Morgänge fo jarter Slrt, baß man gut tput, ji«
burep eine (Grobpeit ju oerfdjütten unb unfcnntlicp ju madjtu,
es giebt ipanblungen ber Miebe unb einer auSfcpweifenlKu
(Großmutp, pinter benen niepts rätplicper ift, als einen Stad ,
ju nepmen unb ben i’lugeujeugen burdjjuprügeln; bamit trübt
man beffcii (Gebädjtniß. Mtancper uerftept fiep barauf, ba4
eigene (Gebäcptniß ju trüben unb ju mißpanbeln, uni wenigftenS
an biefem einen iliitwiffer feine Macpe ju paben: bie Scpau
ift erfinberifep. (Es finb niept bie fcplimmften ®inge, beta
man fid) am fcplimmften fcpämt, es ift niept nur Slrglift
pinter einer ÜWasfe, es giebt fo piel (Güte in ber Sift. 34
fönnte mir benfen, baß ein äWenfcp, ber etwas Ä’oftbareS unb
Merleßlicpes ju bergen pätte, grob unb runb, wie ein grüneS,
altes, fdjwerbefeplageneS SBeinfafe burep baS Seben rollte! ;
2 )ie geinpeit jeiner ©epam will eS fo."
©0 ift ber $ppus ber Magel, (Slapn, beS §etrn
ber gelben ^amjun’s unb ^amfun’S felbft. Mun paben bieje
ganj aus aller Mapn gemiepenen großen Megellofen eine ganj
befonbere, ataoiftijepe Meigung ju reiner (Sinfacppeit oon Ut< :
ftäuDeit bcS SJajeinS. ®as wirb freilich nur bei bem größten
S)octrinär Slolftoj praltifep, bie beftänbige ©epnfuept bet
Uebrigen bleibt es immerpin, wenngleicp fie niepts baju tpuu.
2)er MabicalismuS wirb ber Xon ber $lllgemcinßeit,_ eS $
faft fdjidlid), ipn recl)t enetgifcp mitjumadjen, fie paffen ip«
unb finb eigentlich conferuatio. ®aS (Safe (Sranb unb fei«
überfeinerten Siteraten oeraepten fie grünbtiep. §amfitn paßt
gut unb fommt immer wieber auf ben (Segenfaß gurücf: piw ,
abgcfdjmadtes ©timniungS* unb ©eelenftanbSgewinfel, bort
einfältige, uertrauenbe unb trauliche (Sefinnung. Uroäter*
pausratp, llroäterpeimatp. Mospaft auS .^offiiungsfeligfcii
Digitized by v^ooQie
Nr. ?.
Die G&egttuoan.
39
Jjeßt er fjarmlofe ÜRenfdjen in ©efaßr, Süge, Sergweiflung,
in Kampf gegen ficfj unb 9lttbcre, bloß um oieüeicßt bocß
enblicß jenes Köftlicßfte ju erleben: einen menfcßlicßen SSenfchen,
einen, ber waS werth ift. Et leibet waßrlicß nocß tiefer an
intern Sehen, als fie fetber. Sr leibet um fie, wahrhafte
§eilanbSleiben, aber aus ßöcßft felbftifcßen ßwecfen, nur um
feiner felbft willen; fo wirb alles, was er mit ben SSenfcßen
treibt, eine jiellofe gaQenfteQerei itacß ber lieber tratet, aus
tßöricßter Hoffnung enblicß einmal eine ©fite, eine öerirrte
Steinzeit, eine wunberbare ^erjlicßfeit ju fangen, einen
Sunberfifdj, ber niemals in biefe ©ewäffer fommt, niemals.
Unb et fißt Wetter am ©tranbe unb ftfdjt. (Sin Slnberer
würbe nun nicht gerabe bei ben ^offnungSlofen Hoffnung
jueßen. (Sr oerfeßrt faft nur mit ben Ueberfeinerten, Ueber«
bilbeten, bei benen ber ©egenfaß jwifeßen ber natürlichen
©emeinßeit unb ben fünftlicß gefteigerten (Smpfinbungen unb
(Sinbilbungen ganj entfeßlicß ift. Sßre berben SücffäQe finb
um fo efelßafter. ®a<jegen hängt fein £erj an ben Sücf«
ftänbigen, ißrimitioen, fte ftnb jwar bumm, meiftenS, aber es
ift bocß möglich, baß fie gut finb. §filfloS fiepen fie in«
mitten ber f lugen Silbung unb fehnen fiep barauS weg, Wie
et felbft. ®aßer flammt auch feine jornige unb oerjücfte
grauenanbetung, er ift gar nießt geminift, EmancipationSfragen
ftnb ihm außerorbentlicß gleicßgiltig. ®ie Seibnatur, barum
ßanbelt ficß’S. $)aran fpfirt er Satur. ®aS einfache unb tiefe
ffiort eines anberen Richters paßt ^ier^er: „baS Seib ift
ber Satur näh«" (©erßarb Öucfama). ®iefe Srbennäße
unb Saturoerwanbtfcßaft fpfirt er; bei allem Schein ber
Suance ift Einfachheit, ja Einfalt baS Sefcit beS SeibeS:
©eßmiegfamfeit, Empfänglichfeit, Sreue gegen ben Snftinct.
(Darin liegt ihre Schönheit, Sun beobachtet er biefe galtet,
wie fie immer in bie glamme taumeln; Dom Snftinct gerabe
ju ihren geinben mit bämonifcher Slnjießung getrieben, ftürjen
S ibe biefe einfachen, geraben ©efeßöpfe in bie Siebe über«
erter SRännet, berer, bie er fo paßt. Salb erfennen fie
biej|iebrigfeit ihrer ©eliebten, feßeiben ober werben mit ber
pfjt^SBrütafität, beten nur „Seroenmenfcßen" fähig finb,
meggcjbßen, unb nun haben fie einen Sprung. ®ie am reinften
ihrem innerften ©elbft ju folgen bereit finb, welche als
wütter bie Sertße ber ©eneration fchaffen, finb wertlos
geworben.
(Der einzige pofitioe Sertß ift biefeS fureßtbare Erfennen,
bor bem ringsum bie (Dinge ihr „an fich" enthüllen, unb
bocß ift SlUeS wieber nur bie Subjectiüität beS (DicßterS.
(Die Seit ift fo, wie wir fie fehen wollen. (Der Snßalt
ber Somane geigt immer ein Erlebniß biefeS (DßpuS, bei aller
SKaSfe ift eS immer baffetbe tppifeße Erlebniß. 3m „junger“
bie guftänbe beS armen, frierenben Siteraten, ber ftolj in
feinem Slenb, oerjficft in feiner Slrmutß ift, lügt, um nobel
ju erfcheinen, felbft hungert unb feine Sefte oerfeßenft, als
fei er im Ueberflnß. 3n ben „äfißfterien" unb im „ijßan"
bie hoffnungSlofe Siebe. 3a, biefe erotifeßen Scßicffale finb
feftfam. Er litte am ©lücf; baS Elcnb, bie IpoffnungSlofig«
feit macht ihn reich unb ftolj. SaS ift in Saßrßeit biefeS
fchöne, einfache, bumme (Ding, baS ißn nicht lieben mag,
gegen ihn? Unb bocß ift fie bie Königin, er ber Sarr. SS
giebt SSäbcßen, bie ißn lieben, aber ba haben fie fchon ben
SSertß für ih n »erloren. ES hot nur Sinn, ber Hoffnung
nadjjujagen, weil fie ja nicht erfüllt werben fann. (ßfui
über bie SSöglicßfeiten unb Erreichbarfeiten! Sur baS Un«
mögliche, baS Sunber ift ber 3Süße werth, barfiber ßinju«
fterben, bie ©räfet, ben Erbboben im (Dobe noch füffenb,
Weil barfiber einft baS große ©lücf gegangen ift. (Das ift
echte 3ünglingSromantif unb Sehnfucht, unb hierin berührt
fich ©egenwart mit Sergangenßeit. (Die Sugenb bleibt immer
bie Sugenb. Ober im Sebacteur Sßnge, wo fich jroei SSenfcßen
erft fiuben, naeßbem fie fo umhergeirrt, in Sfinbe unb Ser«
brechen gejagt worben.
(Den©ipfel biefeS SebenS feßeint baS lefcte Suih „Sictoria"
ju bebeuten. §iet feßeint ber dichter ^Ibfcßieb oon ber
3ugenb ju nehmen, bitteren, feßweren Slbfcßieb. 9lie finb
feine Sorte fo ju i>erjen gegangen. §ier hat er im Stoff
gu höchft gegriffen, bis in bie äußerften Sipfel nach einer
golbeneit grueßt. §ier put er fidh felbft, bem Süngling,
biefer fehnffi^tigen, wunberbaren ©eftalt ein gleiches grauen«
wefen entgegengefeßt. ©leich wunberooD, räthfelhaft,. einfach,
rein, flat, wie ber Duell unb bunfet, fraghaft unb an fid)
felber irre unb irrelenfenb, wie eine S^acfjt. gwei ©leicße,
Ebenbürtige unb Serwanbte in Siebe an einanber oergweifelnb.
3ßr ©lücf ein Kampf, eine beftänbige Sehnfucßt. Sie meffen
fiel aneinanber. Sie lieben einanber fo fehr, aber fie finb
jo ftolj in ißrer hetrifeßen Ülrt, baß fie nicht ju einanber
fönnen, fie lügen, finb treulos, ffinbigen gegen einanber aus
Siebe.
„Siebreicfjtr $afc! ©treltfücfjt’ge Siebe!
i)u SUle«, au8 bem 5tid)t2 juerft erf(baffen!
©Wwermütb’ger Seidjtfinn, ernfle länbelei! •
(SntfteQteS C£baoS glänjenber ©eftalten!
Sleijdjroinge! Siebtet Diaud) unb falte ©lutb!
Stets madjer ®d)laf! Sein etg'neS SBiberfpiel
<Bo fühl’ itb Sieb' unb ßaffe, roaS ict) fühl’!* ...
Unb bann fRomeo’S Seßnition Oon ber Siebe:
„SSerftänb’ge SRaferei
Unb efle ©all, unb fuße ©pejerei" ...
Sie beibe Sefen an biefer Dual ihr SigenfteS gut
wunberooUften Slfithe fteigern, in ihrem Elenb felig, in ihrer
Erbitterung glücflich, treu fich felbft bei ißrer Untreue, wo
ißre ewige Trennung beffer ift, als Erßörung, ißre glucßt
oor einanber meßr, als ein armer fEriumpß, baS ift oott
wunberoollem Klang. $ier tönt baS SönglingSlieb oon ber
ßoffnungSlofen Siebe, oon ber Siebe, beren Schönheit fo un«
ermeßlicß, weil fie oßne Erfüllung ift, ein grenjenlofer Sunfcß,
eine unerfättigte Seßnfucßt. SS giebt nichts SrgreifenbereS,
als ben Stief, ben Sictoria, baS Stäbchen, ißm, bem 3üng«
ling, fchreibt unb beu er erft befommt, naeßbem fie geftorben
ift. 9tacß ißrem ’Sobe giebt fie fieß ißm ßin. ®ieS ift einer
Seßnfucßt Erfüllung, ein Schotten giebt baS enblicße ©lücf,
unb Scßattenglücf ift baS SJöglicße, baS allein uns genügen
fann, bie wir noch ftolj oon Sünfcßen unb unnachgiebig
in unferen träumen finb. Sun mag §amfun ben feßmeren
Seg aufwärts gehen, wo bie Sonne fteiler auf ben Scheitel
brennt. Sun muß er mit bem Seben etwas anfangen, eS
neßmen, irgenbmie, SSann werben, SDtann fein, in Sefignation
giele fueßen, ber Stenfcßßeit SWöglicßfeiten läcßelnb in bie
§anb brüefen, geprägte Sertße, gültige SSünjen. ES mag
fein, baß ißn babei Serjweiflung erfaßt. SSancße finb erft
in biefer ßeit, an biefer Senbe waßrßafte ©ießter geworben,
wenn fie, ben SSenfdßen fennenb unb oeraeßtenb, boeß bie
SSenfcßßeit anerfannt haben. Stancße ßaben fieß felbft oer«
loren unb ßaben aufgeßött, ©ießter gu fein, fie waren nießt
ftarf genug. Unb wieber ülnbere wußten nidßt alt ju werben
unb finb 3ünglinge ber ©eberben unb beS SerSfußcS, beS
äußerlichen SßßthmuS geblieben, bei feßwanfem ©ang unb
grauem fjaar. 31 uf biefen brei SSöglicßfeiten berußt biefeS
außerorbentlicßen SSanneS gufunft. Soßin er immer gehe.
SaS er bis jeßt gegeben ßat, war groß genug, ißm banfbar
ju bleiben. ES waren Sünglingswerfe, einer jungen ©ene«
ration aus ißrer innerften Seßnfucßt heraus geboren unb
gefeßenft.
Dp« jtoti jjjofbnrgfcßflttfpulern.
SSon 0tto Stfibben.
Senn eine Siograpßie irgenb eines jüngft oerftorbenen
ober lebenben ScßaufpielerS auf unferen Secenfententifcß
fommt, fo fagerr wir unS gleich: gewiß ein Siener ißrobuct!
benn nur bort in beutfcßcu Sanben ift ber Komöbiant noch
Digitized by v^. ooQie
40
Die Gegenwart
Nr. 3.
eine fo mistige Sßerfon, bafe fte ihren £iftoriographen finbet.
Sei un3 im SReich geht man juerft in’S ©heater, um ein
©tüd fennen ju lernen; in SBien aber, um ben unb ben
SRimen in ber unb ber fRoße ju fefjen. ©ewife, auef) Sertin
batte feine 3 e *l ber Ipelbenfpieleruergötterung, wo man fid)
für bie fünftlerifchen ©l)aten unb ehelichen SBirrungen ber
@tidj bueßirte, für öubmig ©etrient im allgemeinen Taumel
begeifterte unb wo SRötfdjer jungl)egeliani,fcfe unlesbare bide
Südjer über ©etjbelmanu unb bie „bramatifefeen (St»arafter-
entroitfelungen" eines Sra Sllbribge unb ©amifon ober einer
Seebad) unb Särnborff febrieb, aber baS waren bod) 3eiten
ber politifdjen unb mirthfd)aftlid)en ©tagnation. §eute ift
baS StöeS anberS. Söelc^e befdjeibene fRoße fpielte im Serliner
öffentlichen öeben fogar ein Sfünftfer wie Äainj (mefehalb er
benn auch neulich in bie „banfbarere" ©onauftabt überfiebeltc),
unb wer fragt aujjerfjalb beS ©heaterS nach 9RatfomSfh ober
unferen Heroinen?! ©ie grünbfid)e ^^eaterbericOterftattung
oon einft ift jur flüchtigen SRitternachtfritif geworben, unb
in geitfehriften werben bie ©arfteßer faum noch erwähnt;
fogar bie SnterDiewS Don Sühnengröfeen, fofern fie nid)t
orbinären Älatfd) bringen, regen baS große publicum berj»
lid) wenig auf. Unfere politischen, Wirt hfcha ft liehen, rotffett»
fd)aftlid)en Sntereffen h a & ett eben bie fünftlerifchen unb
iiterarifchen Derbrängt, bie Sühnen hefteten einen immer
fchärferen fiampf gegen bie leichteren UnterfealtungSftätten,
unb bie SarieteS unb ©oncertfäle triuinphiren. ©aS ift ge»
toife ju betlagen, benn auch bie SSienerifcf)e Uebetfdjäfeung
beS ©chaufpielerS hatte eine liebenSWerthe unb fdjöne ©eite,
©a ftarb j. S. nach einanber baS §ofburgfd)aufpieterpaar
ßerline unb öubwig ©abißon; fie, eine treffliche ©alonbame,
er, ein auSgejeid)neter Spifobenfpieter, eine nie uerfagenbe
utilitö, bie beim ©l)eater oft mehr Werth ift, als mancher
star. 3n Serlin hätte ihr 'Job in ben 3 e *tungcn einige
IRotijen unb etwa ein fßaar furje Sluffäfce unter bem Strich
oeranlafet, unb bann wäre bie Sache erlebigt gewefeit. Sn
SBien aber festen fich beibe SRale jahltofe fiebern in Sewegung,
fein Slatt erfdjien ohne lange ÜRcfrologe, Nachrufe, ©rinne»
rungen, ©^arafteriftifen; man wunberte fid) fchon faft über
ben fehtenben ©rauerranb. Unb nun fommen gar nach Saht
unb Sag jwei umfangreich« Siographien, bie fid) umftänblid)
mit ber beiben Serftorbenen, ihrem öeben, ihren ©baten unb
Meinungen, ihrem fßrioatleben unb ihrem ©barafter befchäftigen
unb ganje ©orrefponbenjen Don unb an Serüfemte unb Un»
berühmte im SBortlaut abbruefen. SBir mären ju einem
SBorte ber Slbmebr gegen biefe neuen Slüthen ber SBienet
©bea terfimpelei geneigt, wenn — nun wenn beibe Sücher
-nid)t fo gut unb liebenSWürbig wären, kennen wir ben
Serfaffer ber „3erline ©abißon"*), nämlich öubmig £eoefi,
einen unferer entjüdenbften ©Wähler, geiftreichften Feuilleton»
meifter unb beften §umoriften, fo wirb unfer Öob feiner Schrift
ohne SBeitereS begreiflich- Slber auch b’ e Siographie öubmig
©abißon’S ift ein gutes unb trofc aller SBeitfcfeweifigfeiten
gar nicht langweiliges Such- Slud) bafür wiffen wir ben
©runb: eS ift mit bem 4?erjen gefeferieben, ÄinbeSpietät hat
bie geber einer geiftreichen Frau geführt.**) SBäferenb ipetefi
mehr mit ber capriciöfen ©timmung beS Feuißetoniften feinen
®egenftanb behanbett, geht ^»elene Settelheim=©abillon
grünblicher, ernfter an ihr biograpfeifcfeeS 28ert. ©ie giebt
©agebud)blätter, Sriefe unb ©rinnerungen in fünftterifch ab»
gerunbeter Faffung. ©ort bei £>etefi baS F eu ^ et01t < b* er
ber ©ffafe, unb bie menfd)tiche unb fünftlerifdje ißerfönlidjfeit
ber ©efchilberten fommt in beiben Fällen gleich plaftifd) heraus,
©ie F r «unbe unb Serehrer beS ftünftlerpaareS werben ihre
Freube baran haben. Für baS grofee publicum „braufeen
im fReich" greifen mir hier baS Sntereffante heraus.
öubwig unb 3erline ©abitlon geb. SBürgburg waren Don
*) Stuttgart bei Üb. $8on$ & (£om£.
**) 4>erau§gegeben Don ^eiene 33eiteIf)eim=©abiIIon. SBien, ü.
§artteben.
©eburt fReichSbeutfche, SRedlenburger, fogar aus bemfelben
Ort: ©üftrom. Öubmig, ein ÜRacbfahr franjöfifcher SSefugieS,
hat Don feiner unglücflidhen ffinbhett ein crfchütternbeS Sr»
innetungSblatt hrriterlaffett, baS feine iJodjter abbrueft.
SRach furjem SBanberleben auf Sühnen jweiten ober noch
geringeren fRangeS würbe er Don öaube entbeeft unb an ’5
Surgtheater gebracht, wo er halb fid) eine geachtete Stellung
fdjuf unb feine junge SoHegin 3 er line 1885 heitatljete.
2Rit ©arl öa fHodje tarn eS gleich ju Derftänbnißinnigctn
Slitfd)lu§. ©iefer überlegene .^umorift war im Ißrioatlebcn
ein ©pifuräer, bem ungemein h oc h 3 c h a ltene Xafelfreubcn
nur bann Dollen ©inbrud machten, wenn fie mit würbigen,
für gute Siffeu, feine SJropfen unb DirtuoS erzählte Sinei»
boten gleicherweife empfänglichen 'Sifcljgenoffcn geteilt
würben. ®a§ Öubmig ©abiUon aber als munterer ©efell
fchafter unb tapferer 3 ec h et feinen SRann fteßte wie feiten
©iner, hatte öa fRod)e halb heraus. 2>er junge 3)?ec!lenburger
hörte mit immer neuem ©enujj bie immer auf’S 9ieue wieber»
holten ©efd)ichtchen Don öa SRoche’S SBeimaranet 3 C ** un#
beffen afleverfter ®arfteflung beS „3Rcphifto" unter ©oetfjc
an; bei bemfelben Slnlafe Dernahm er auch eine gaftronomifdje
öieblingSgefd)ichte beS |>auSherrn, bie bisher aßen ©oethe»
Forfchern glüdlich entgangen ift: öa fRoche war einmal ©oetljrt
3Reifegefährte auf einem SluSflug; als SBegjehrung hotte ber
©chaufpieler eine SBurft mitgenommen, bi? er, unterwegs
hungrig geworben, heroorholte. »Der .fperr ©eheimrath, ber
SBurftmerf faft ebenfo h a 6 te , wie Sriflen unb Xabafraucf),
uerhehlte feine 3Ri|ad)tung Dor Öa fRoche’S öeibfpeife nicht.
»Der ©chaufpieler, ber aber fchon bajumal Don feiner geilt»
fdjmedetei nicht geringer bac£)te, als Don feinen fünftlerifchen
öeiftungen, oerfuchte eS, baS Sorurtheil beS |»errn ©eheim»
ratheS burch einen ©egenbemeiS ju entfräften. ®et Dlgmpicr
liefe fid) benn auch herab, ein bifecf)en Deräcfetltch Don ber
SBurft ju foften; bie fßrobe munbete bermafeen, bafe ©oetfe
fich Don Siertetftunbe ju Siertelftunbe angelegentlicher banwih
umfafe unb juguterlefet öa fRocfee nicht einen Siffen übrig
tiefe. „SSer biefe SBurftgefcfei^te Don Öa fRocfee nicht gehört,
wer feine ©oethe abgegudtc ÜRimif beim erften geringfc^h’9 en
unb jebem folgenben, immer wohljufriebeneren ©inbife nicht mit
angefehen, hat eines bet luftigften unb Doßenbetften ©a&inete»
ftüde feinet ©fjarafterfomif oerfäumt," behauptete ©abillon.
S)er Zünftler ftanb Dom Slnfang feines Aufenthaltes in
SBien auch mit §ebbel in perföntichemS3etfef)r. ©r fanntebie
„iRibelungen" noch tat Sßfanufcript. 3h m war Slrt unb ftunft,
baS irtnerfte SBefen beS öanbSmanneS, bie gefeeirnfte Slbficht
beS 3)id)terS Dertraut. ®er ®ithmarfd)er fanb folcheS SBohl*
gefaßen an bem SRedlenburger, bafe er ifern auf ftunben
langen ©pajiergängen aße möglichen SlrbeitSpläne entrollte,
über aße $inge beS Rimmels unb ber ©rben philofophirtc
unb jwifchenburch Diel auS feinem öeben erjählte, fo oiel,
bafe ©mil Äufe, als et an bie SluSarbeitung feiner Siographie
ging, ©abißon um eine ®cnffcf)rift bat. @t Wißfaferte biefent
2Bunfd;e fofort, unb einer ber merfmürbigften 3üge auS bem
Sugenbleben beS ©icfeteS ftammt auS biefem SRemoranbum:
wie ein Dor ©eridjt gefabener Stnecfet, auf wieberholteS ©rängen
beS SlirchfpieloogteS SRofer in SBeffelburen, ju antworten,
enblich fagte: „SBatt fdjuß if benn feggen, if bun ja all
boob!" unb nach biefeit SBorten Wirtlich Dom Schlage gerührt
jufammenftürjt. ©ie anberen Stätter Don ©abiflon’S Sluf»
jeicfenungen finb, nach ©mit Stuh’S ©ob an fRubolf Salbei
gelangt, webet in beffen ÜRacfelafe, noch in fjeli? Samberge
papieren ober Don ^ebbel’S SBittwe wiebergefunben worben-
§ebbel’S Sriefe an ©abißon finb Derjettelt worben, fo bafe
Don ihren Dielen gemeinfamen ©rlebniffen nur ein paar Sinei
boten burch gelegentliche Ueberlieferung fich erhalten haben,
©o bie ergöfelicfee ©efcfeid)te, wie ©abißon ben ©ichter einmal
wieber in feinem Drther Räuschen befucht, unb $eb&el in
hefler Serjweiflung finbet. fiebbet wollte einen fleinen 3“‘
bau aufführen taffen, ton bem er fetbft erflärte: „So fiel
Digitized by v^ooQie
Nt. 3.
Sit Gegenwart
41
HJiüfye bat mir fein Stet eines TrauerfpieteS gemalt, mit
biefer Sntfdjlufe.“ 3 u00t biefe ft aber, ben SauconfenS boit
bem juftänbigen ©cjirfSamte ju erroitfen. Unb ber grofee
Genfer unb Siebter roar ooüfommen ratlos, wie eine folcbe
(Eingabe ju ftilifiren fei. Ungläubig unb oertounbert fab er
©abiQon an, als ficb biefer erbot, ibm aus ber ©erlegenbeit
ju helfen- Unb als ber ©urgfdjaufpieler gar mit bem juft
jur §anb liegenben ©leiftift baS ®efud) ju ©apier braute,
fagte £ebbel im Tone tieffter Ueberjeugung: „3<b banfe
S^nen! baS ift febr bebeutenb!" — ©eroiefeiiger roar baS
©Bort beS did)terS, als ©abiQon bei ber ©eneratprobe ber
„SWibelungen" roiffen wollte, ob fjebbel mit feiner £>agen=
9J?aSfe jufrieben fei. Stuf bie grage: „SBie feb’ idj aus?"
folgte bie lapibare Srtoibetung: „SBie ein ®eroitter!“ Wan
fann bie Srfcbeinung beS ©abiüon’fcfeen „$agen" nicht
bfinbiger unb marfiger ebarafterifiren. tiefem Tronjer
glaubte man Wirflicb unbefeben, bafe nur ein ©iegfrieb il)m
an Sörperfraft geworfen fei, bafe er im Stanbe fei, gelS»
blöcfe fpielenb in ben 9Ftf)ein ju f^leubern. der „§agen"
blieb benn auch ©abiüon’S befte unb beliebtefte Nolle,
©tbon auf einer ber erften „Nibelungen"»©toben er*
eignete ficb ein 3 ro ifcbenfaQ, ber burdjauS ebarafteriftifeb für
ben darfteQer roar: im legten Siete, ba „©iegfrieb" jur
öueQe ging, um ju trinfen, löfte ficb „£>agen“ oon ber
©ruppe ber ©utgunber unb ftellte ficb mitten auf bie ©übne,
um mit weit auSgreifenber ©eroegung ben ©peer nach bem
®racbentöbter hinter bie Souliffe ju fcbleubern. da unter«
brach Saube bie ©eene mit ben ©Sorten: „das gebt nicht,
©abiQon, ©ie muffen hart an bie Souliffe treten, benn wenn
ber ©peer in bie Souliffe fliegt, fo ift baS ©tücf auS.“
©abitlon fab ihn fd^arf an unb erwiberte: „da hoben ©ie
recht, 4?err director, aber wenn ich ben „§agen" fpiele, fliegt
ber ©peer nicht in bie Souliffe!" Unb in ben 31 Saferen,
in benen er ber „§agen" beS SurgtfeeateTS geroefen, traf et
nicht nur richtig, weit hinter bie ©eene, fonbent er machte
.. jfcfe fogar ben ©pa& babei, roirfticb baS Wal eines Sinben*
Wittes, wie eS ficb auf „©iegfrieb’S" ©djulter befinben foQte,
ju burdjboferen. Sr liefe nämlich auf jenem ©trofefad, ber
ben ©peer aufjufangen hotte, ein bunfelgemalteS Sinbenblatt
befeftigen unb traf ftetS mitten hinein, fo bafe ficb i u jener
©eene gern mehrere 3ufcfeauer hinter ber Souliffe einfanben.
Wit grofeer ©ortiebe betrachtete dingelftebt biefeS £>agen*
„©tiidtel", aber mit befonberer ©pannung bovrte ber Sn*
fpicient Wiebelt) jebeSmal beS SBurfeS, unb fagte barnacb be*
friebigt unb triumphirenb: „Segt hot er ihn 'troffen!" Wan
erjäfelt fogar, bafe ®abiHon ben ©peer einmal fo fräftig ge*
fcbleubert höbe, bafe biefer bur<h ben ©trofefad fuhr unb an
baS Wauerroerf anpraQte, oon bem ein ©tücf polternb jur
Srbe rollte, unb baS ©ublicum ficb fefeier barob oerwunberte,
wie hott „©iegfrieb’S" Sörper auf bem SBatbboben auf*
gefallen fei.
Ueber folgen Nebenfacfeen würbe bie £auptfadje nicht
oergeffen. ©abiQon’S „£agen" befafe nach £>eoefi’S 3eugnife
„ben feödjften, patbetifchen ©til. SBer bat oor feinem „Tronje"
nicht gefdjaubert? Sr hotte eine Slrt, mit allem blutigen
Srnft ju machen, bafe er nur ju erfefeeinen brauchte, um ben
©aal mit SQufion ju füllen. SQufion, baS ift ja baS legte
©efeeimnife ber ©ühnenroirfung. Jpeute fagt man bafür
©ttmmung, aber SQufion ift beim Tfeeater richtiger, benn eS
brfidt baS ©ortäufeben aus, ben Äunftbetrug als SSefentlicfeeS
in ber ©cbaufpielerei. SluS ®abiQon’S perfönticbem SBefett
floffen ihm bie £>ülfSmittel baju. SBenn „fragen" in boQer
Nüftung auftrat unb feinen grofeen eifernen ©efeitb leife oor
[ich au f öen Boben ftügte, fo hörte man beim Sluftappen
ber unteren ©djilbfpige auf ben ©oben fofort an, bafe biefer
©ebilb jroanjig ©funb fdjroer war. Noch roar fein SBort
gefaflen, unb baS ganje §auS hatte bereits ben Sinbtucf oon
etiPaS aufeerorbentticb kräftigem. SEßenn „§agen" Äönig
Sgel’S ©öhntein bom Äiffen nimmt, mit einem raubthier»
mäfeigett 3 u 8 te Ü en feinet beiben Jpänbe, fo jagt man ficb
unroißfürlicb: ®er fommt nicht lebenbig auS biefen ^änben."
SS entjiebt ficb unferem Urtheil, ob unb wie weit ®a«
biUon in bie ©arfteüung beS „Sagen" Srinnerung an SBefen
unb ®ehaben beS ®id)terS aufgenommen; ©peibel nannte
feinen „Sagen" in biefem ©inne ein lebenbigeS ©enfmal
Sebbel’S. ®eroife ift, bafe ©abiQon in biefer Aufgabe als
Nfenfcb unb Äünftter fein SefteS einfegte.
3iemlicb unerquidlicb roar aber baS ©erbältnife beS
@cbaufpieler*ShepaareS ju feinem ®irector. Saube bot in
feinem ©urgtbeater*©ucfe benn auch bie „febarfe" ®ame unb
ihren ®emahl nicht gefdjont. ©itber ift, bafe 3erline bie
©eele aQer gegen ben jfeeatertbrannen gerichteten ©erfchroö*
rungen roar, unb bafe ©abiQon, ber feinem Sntbeder boch
®anf fchulbete, aQju bereitwillig feiner leicbt beleibigten
©attin fecunbirte. 3Wit ben Sahren milberte fleh bann bie
Spannung im äufeeren ©erfebre. Saube lub ©abiQon auf
feine Sagben, unb in feinen „Srinnenlngen" war ber ©tolj
auf bie burd) feine Snitiatioe bem ©urgtheater gewonnenen
Talente beS ShepaareS ©abiUon ftärfer als ehebem baS
Neffentiment beS bartbebrängenben unb hartbebrängten, eben
entlaffenen SJireetorS. SBie febr ©abiQon felbft aber bemüht
roar, im Saufe ber 3«t ä“ einem unbefangenen, ©uteS unb
minber ©uteS ber Saube’fcben ©urgtbeater»©eriobe gerecht ab*
roägenben Urtheil ju gelangen, jeigt ficb in manchem ©rief unb
E£agebucb*Sintrag. Sm ©efpräch fafete er feine fNeinung über
Saube in bem fnappen, erfeböpfenben Sag jufammen: „®er
gehört ju unS!" (©ebaufpietern.) S)aS roar bei aQebem baS
hoffte Sob, baS ©abiQon einem Theaterleiter fpenben fonnte.
®enn feines SracbtenS waren echte Tirectoren nur diejenigen,
bie wie ©chrehboget unb Saube berftanben, ©chaufpieler m
entbeden, ju erziehen unb im dienfte echter dichter ju aQ*
feitiger Sntroidelung ihrer SSünftlergaben ju führen.
Studb ju Otto Subroig unterhielten ©abiQon’S freunb*
fchaftlicbe ©ejieljungen. Sr war, erjählt bie Tochter, ein
aufeergewöbnlidj befebeibener unb jurüdbaltenber Wann,
ohne ©ofe, ohne Äomßbianterei, echt, flar unb wahr —
roie fein „Srbförfter" — oieüeicbt auch ebenfo eigenfinnig.
Saube meinte, ©efcheibenheit fei gewöhnlich Scheu, Unfi^er»
heit. Otto Subroig aber imponirte ihm: baS roar ein noch
nicht bageroefener Wenfcb! SBie fann man ben „Srbförfter"
gefdjrieben hoben unb befebeiben fein? das roar gerabeju
beängftigenb! Sr nannte ben „Srbförfter" bie bebeutenbfte
Schöpfung ber Neujeit. die ©reffe mit wenigen Ausnahmen
roar gegen baS ©tüd. der gröfete Tfeeil beS ©ublicumS
ebenfaüs. Wan nannte eS roh, gtaufam, ben legten Siet
haarfträubenb. du lieber ©ott! SBie fonnte einem ©ubli*
cum, baS für Solm unb Wofenthat fchroärmte, manchmal
auch Otto ©redjtter ein bifedjen gelten liefe, ber „Srbförfter"
behagen? Nach Saube’S Weinung roar ein Srfolg nur bann
ein wirf lieber Srfolg, wenn er reiche Tantieme im ©efolge
hatte. Sr befdjroor Otto Subroig, aus bem Trauerfpiel ein
©djaufpiel ju madjen, baS ©tüd gut auSgehen ju taffen.
„daS wäre ein neues ©tüd", meinte Otto Subroig; „wenn
man nicht nach bem erften Siete fühlt, bafe ein tragifcher
SluSgang nothroenbig, bramatifch geboten ift, bann bewältigt
ber darfteQer beS .SrbförfterS* feine NoQe nicht. Slnfdhfig
giebt mir mit feiner darfteQung recht!" — „Sowohl", ent*
gegnete Saube, „Stnfcbügü Unb »er noch? STnfdjüg ift ber
Sinjige, ber baS fann. der alte Jperr ift jur ^älfte ein
Söroe, jur ^älfte ein ©teinbod, unb, roaS bie ^auptfa^e,
burch unb burd) wahr! fjinben ©ie einen 3*®eiten, fo
bringen ©ie ihn bet — ich wiege ihn mit ©olb auf, unb
wäre er noch bider als ber Sitte." —Saube rebete oergebenS
in Otto Subroig hinein- die StuSficbt auf fünfjig grofee
Tantiemen lodte ben Wann nicht, ber, bnngtifl unb frierenb,
in elenber daebfammer, mit glühenber ©egeifterung niete
Tage unb Nächte gearbeitet.
Sin fjübfcbeS ©cifpicl, roie ein Äomöbiant auch einen Waler
Digitized by v^. ooQie
42
Die Gegenwart
Nr. 3.
leferen faitn, weife grau Ipelene oon intern SSater unb HRafart
anjufüferen. SineS JageS, eS war im Safere 1873, äRatart malte
eben an „Satfearina ©ornaro", traf ©abiHon ben greunb
ganj Oerftört unb in feiner leifen, nadfe langem ©cfeweigen
fc^nell feeroorfprubelnben Strt flagte er: baS S3ilb fei ber
©oHenbung nafee, nur eine gigur, bie beS Senators ber
fRepublit ©enebig, WoUe ifem niefet gelingen, unb er fönne
burefeauS lein paffenbcS SRobeH bafür finben. ©abiHon über*
blidte rafd) bie (Situation, warf baS ©urpurfletb beS ©ene*
jianerS über fiefe, baS noefe auf einem ©tufele lag, unb fagte:
„Sefe wiH bir ju bem SRanne Derfeelfen, aber bie ©teflung
wafele iefe felber!" Saum war er feintet ben ©effel getreten,
Don bem auS SfepernS gürftin anmutfereiefe baS ©ilb be=
feerrfefete, unb !aum featte er fiefe auf bie Sefene geftügt, wie
eS ber ©organg feeifefete, fo rief HRafart fefeon feoefeerfreut:
,,©o bleib ftefe'n!!" 3m SRu feielt er auefe ein §oljbrett oor
fiefe unb malte unb malte ofene Unterbrecfeuug, ofene feine
auSgegangene Sigarre auefe nur wieber anjujünben, fcfeweigenb
unb glfidliefe jwei ©tunben lang. Senige Jage barauf ftanb
Senator ©abiHon im grofeen ©ilbe. Jie ©Eijje aber fefeenfte
2Ra tart feinem HRobeH.
SReefet intereffant ift enbliefe bie ©tedungnnfeme ©abiUon’S
ju ben „neuen fRicfetungen", bem iRaturaliömuS unb 3bfen.
äBofel gab eS einen Naturalismus, ber ifem üolllommen
feomogen War; mit ipebbel, Otto Subwig, Steift, §anS
©aefeS, §ebe(, fReuter, ©ifefeer ging er gern, fpäter auefe mit
Ülnjengruber, beffen „©ternfteiiifeof" ifem einen öieHeicfet noefe
gröfeeren Sinbrud maefete als bie bramatifefeen SSerfe, für
beren Sluffüferung im ©urgtfeeater er fiefe naefe SRögliefefeit
einfegte. 9llS aber bie neue Strömung üon SRorben feer
©üfene unb ©üefeermarft überflutfeete, Sbfen’S jerfefeeube
ÜRacfet fiefe entfaltete, unb mit ifem all’ bie ©rofeen unb
Steinen, bie ifem folgten, unb bie wie ÜRepfeifto jum „ipertn"
tarnen, um „nur immer anjutlagen" — ba erflärte ©abillon laut
unb grab feerauS, wie immer, biefe fRiefetung oerftefee er niefet!
Sr meinte: anjutlagen gäbe eS leiber genug auf ber SBelt,
unb feat eS immer gegeben, aber bafe nur bergleicfeen ganj
troftlofe unb enge menfefeliefee guftänbe, wie fie ben ©eriefets*
faal, baS Sriminal, baS Sranten* unb SmnfeauS, bie ©er*
fammlungSorte ber ©ocialiften füllen, juft ben Sern ber
mobernen Sunft auSmadjen follten, in einer 3 e ’t» in ber eS
Weltumwäljenbe, ganje SReidfee erlöfenbe Stiege gegeben, unb
grofee Srfcfeeinungen auf allen ®ebieten tnenfcfeliefeer Jfeat*
unb ®eifteSfraft, baS tonnte er niefet faffen, ber ben Sbeaten
feiner Sugenb untrennbar treu geblieben, unb in bem fcfeönen
ÜBafene lebte unb ftarb .. unb bie ©onne §omer’S, fiefee,
fie leudfetet auefe uns — —" 2llS ©efeaufpielcr freiliefe
feätte er in feinem reiefeen SRatureH aHe Stimmungen unb
garbentöne für fRoHen jener neuen fRicfetung in bollern HRafee
gefunben — burdfe bie ©ertörperung beS HRaurerS „HRattern"
in „Ipannete" featte er baS bewiefen, bie als eine feiner un*
oergefelicfeften Seiftungen auefe bon ben güferern ber SRobernen
anerfannt würbe. „J)aS fonft fo eble 3nftrument feines
Organes," fefereibt grau £elene, „wufete er auf bie ber*
rofeten, raufeen Saute beS oerfommenen ©äuferS umju*
ftimmen, unb — bem Jraumbilb angemeffen — etwas
potppfeem*cfetlopenfeafteS war barin, ber fefereefliefee HRcircfeert*
■IRenfcfeenfreffer, bem man nidfet entrinnen tonnte! ©benfo
fefeauberfeaft war auefe bie HRaSfe, bafe, wer ifen felbft in ber
SRäfee fafe, wo ber Sinbrud beS ©efefeminften, ©emaefeten un*
oermeibliefe wirb, fiefe beS ®rauenS niefet erwefereit tonnte!
SBeldfe’ luftiges ©egenftüd jurn bösartigen Säufer fteUte er
in ber HRaSfe beS bümmften ber ©ierpfeiliftcr als 3>mmer*
mater „©eifert" in „SoHege Srampton" auf bie ©üfene. So
flein bie Stolle aud) ift, er erjielte burdfe baS ®roteSfe feiner
Srfdfeeinung, burefe baS gutmütfeige, bornirt*felbftgefälIige ©e*
feagen, baS oon ifem auSging, bie OoHfte ©Jirfung." Jicfe
beiben Printer üerfdjiebencn ©rabeS Waren bie einzigen Stollen,
bie er in ^auptmann’fcfeen ©tüden fpielte.
SReferere Safere oorfeet, Äprit 1891, war 3bfen in SBien
gewefen bei ber erften Sluffüferung feiner „Sronprätenbenten"
im ©urgtfeeater. Naefe ber ©orfteHung würbe bem gefeierten
®icfeter ein grofeeS ©anfett gegeben, bei bem befonberS bie
afabemifefee 3ugenb eS ftefe angelegen fein liefe, ifem ju feul* I
bigen. ®abiüon fafe bei Üifdfe in feiner näcfefteu 9täfee, ooll
Sntereffe ben eigenartigen Sopf beS StorblänberS ftubirenb,
in bem bie geiftfunfetnben Sfugen reefet oon oben feerab ju*
flauten: „wie baS ©öltlein ber ©fegmäen unten bumme
©aefeen maefet!" unb um ben ÜRunb feerum bittere, ironifefee
galten, fo tief eingegraben, bafe man fafe, er felbft mürbe fo
wenig einmal feerjfeaft lacfeen fönnen, als irgenb ein 9Renftfe
in einem feiner Stüde. $ber trinfen tonnte er! Unb jmar
mit einem ©leicfemutfe unb einer ftiüeu SluSbauer, bafe man •
babei an ben „©enator SBaltfeer" in |>auff’S „©remer
SRatfeSteEer" benfen mufete, ber einen tleinen filbernen Ipafen
im Sopfe featte, burefe ben er ben SSeinbunft wieber feinauS*
taffen tonnte, unb fo ganj gemätfelicfe ©eefeer um ©eefeer ju
leeren üermod)te. 3Rit ebenfo grofeer gaffung nafem 3bf«n
bie feodfeftrebenben geftgebiefete feiner jungen Slnbeter entgegen, j
er featte unter feiner meifeen Söwenmäfene bafür waferfefeein*
liefe ein anbereS ©entil, um auefe jenen ‘Eunft fcfeneU loS ju ;
werben! SllS ber ©orratfe an Slnfpradfeen, SToaften unb
©ebiefeten erfcfeöpft war, unb baS ungeftörte Printen begann,
würbe auefe Sbfen, ber bis bafein gefefewiegen, enbliefe reb> j
feliger, unb mit feinem leifen, eigentfeümliefe fefenarrenben !
Organ bantte er ©abiHon bafür feerjliefe, bafe er mit ber
Uebernafeme ber winjigen SRoHe beS ©etruntenen im „©oltS*
feinb" ber ©eene ein feumoriftifcfeeS Sicfet aufgefefet fea6e.
Slber trofe aller guten SSorte beS SicfeterS legte ©abiHon bei
bem x*ten ©lafe unauffealtfam loS: ba er 3bfen nun boefe ein*
mal als SBaferfeeitSfanatifer tennc, fo müffe er ifem auife
waferfeeitSgetreu geftefeen, bafe er bis auf bie „iRorbifefee $eet*
fafert" unb bie „Sronprätenbenten", mit feinem feiner Stüde
cinüerftanben fei! Unb fefete baS fo flar unb umftänbluj
auSeinanber, als cS bie fefeon öorgerüdte ©tunbe geftatäfc!
®ocfe ber grofee SEBaferfeeitSapoftel würbe nun erft reifet ijt«
mütfelicfe, fo fefer er eS nur fein tonnte, unb bie beiben
5Redett tränten wie bie alten ©ermanen „immer nodfe Sin8‘
— bis fie enbliefe mit ganj wenigen ©etreuen einfam an ber
langen, leeren gefttafel fafeen, unb als ber grüfeliitgSmorgen
feeU feerauf gefommen war, umarmten fie fiefe ©eibe warm
unb feft jum Slbfcfeiebe! iErofe biefer Umarmung im 3 t '^ en
beS SfeampagnerS, notirte ©abiHon in fein üagebudj an ben
barauffolgenben Jagen mit grofeer ©enugtfeuung bie leeren
Käufer bei ber „Sßilbente" unb bem „©olfSfeinb". SD?it ber*
felben §erjenSfreube oerbreitet fi<fe baS Jagebud) auefe über
Ipauptmann’S Ntifeerfotge im ©urgtfeeater j. ©. über bie „Sin*
famen SRenfefeen“ 189i.
„Stbgefefeen oon ber fRicfetung, weldje miefe perfönlitfe an*
wibert, ift ?lfleS flein ittib auSgetiiftelt. J)ie giguren fmb J
aüe mefer ober weniger wafer, aber bie Situationen finb bei ]
ben fiaaren feerbeigejogen. SS fefelt jebe ©pur oon fjanb* ’
lung. J>ie Sonflicte, bie baS Jrama in gtufe bringen foflen,
finb uns fefeon in ber erften Ipälfte beS erften 3lcteS OoH*
fommen flar. 21 ber niefets gefet oorwärtS, nidfetS entmidelt
fiife, ?UIeS läuft feintercinanber im Sreife feerum, bis fefeliefe*
liefe ber SreiS ein Sod) jeigt, in baS 2lüe feineinfpringen unb
— oerfefewinben. ®er §elb, ben oieHeicfet wofelgejäfeUe günf*
unbjwanjig grünbliefe curiren würben, erfäuft fiefe, feine grau
ftirbt bemnäefeft, unb bie alten Sltcrn, bie furefetbar fromm
finb, gefeen natürliefe an bem gottlofen ©ofen ju ©runbe.
JaS fleine Sinb mufe fo fränfliefe fein, bafe eS beim erften
©efenupfen bie JipfetfeeritiS befonimt; §err ©raun unb grau*
lein SHfafer werben fiefe in nifeitiftifefee Umtriebe oerwideln,
er fontmt nad) ©panbau, fie na<fe Sibirien, übrig bleibt nur
bie 2lmme, bie aHerbingS ferngefunb fefeeint unb waferfefeein*
lid) noefe oiele Sinber auffäugen wirb. 3d) oerliefe bie ißrobe
in jornigem Sagenjammer." Unb jwei Jage fpäter feeifet ee
Digitized by v^. ooQie
Nr. 3.
Die Gegenwart
43
»on bet Sfuffüferung: „©etljetlter Srfofg. ®ie ®aüerie mit
ben' unreifen, neubramatifdjen S9uben befefet, applaubirte big
jur ©eroufetlofigfeit; injtoifdjen würbe gejifdjt, unb bei ben
ernfteften ©eenen gelacfet, man liefe fiel) bie ÜKarterei nid)t
gefallen." (Sineit literarifc^en klopffester uitb ®efcfeäft§=
agenten Don §anptmann unb Sbfen als ©irector feineg lieben
$}urgtljeaterg ju feljcit, — biefen ©djmerj nod) ju erleben,
blieb ©abillon erfpart. @r ftarb nad) 42 jäljriger önrgfunftler*
fefeaft im gebruar 1896. ©eine grau ® Qr tfjm Di« 3af)re
früher uorangegangen.
+ 4 - 1 -
3?cuiITrton.
- Waltrud verboten.
Der ODertuolf.
©on Ulejanber Bubtfcptfcpeu).
fianbridjter Xalibin, ein blonber, nerüöfer junger Sttann, figt in
feiner ©anzlei on bem mit rotpem Xucpe gebedten Xifcpe. ?fuf feiner
©ruft bligt eine noch ganz neue SRebaiüe. Sn ber Stube ift eS febwül
unb bmtftig; eS riedjt naep Schafspelzen unb Schmeiß. ©or bem 2anb==
rieptev, zroei Schritte üom Xtfd) entfernt, ftehen ein noch junger ©urfepe
oon etwa zmeiunb^roanzig S^h^n, podenttarbig unb finfter, unb ein
Wann in reiferem SUter, mit fcpmeichlerifd) läcpelnben klugen. Xer
Sungere pat einen jerriffenen Schafspelz an, ber SUte einen langen
fRod an, wie ihn bie ftäbtifchen Kleinbürger tragen. Leiter hinten auf
ben ©äitfen an ber ©anb figen einige Säuern in Schafspelzen, mit
beigen fcpweifjtropfenben Stirnen. Xer fianbriepter blättert in ben
Elften, erhebt bann enblicp feine klugen unb menbet fich an ben ©urfepen
mit ber grage: „9llfo Sie finb 2lgap Xubirin? So? Unb Sie ber
Kleinbürger ^jScftrjaiuotfdjftn ? y/ ©eibe niden mit bem Kopfe. „9llfo
Ägap Xubirin", fährt ber 2anbricpter fort, „Sie finb, wie id) fepe, an=
geflagt, in ber 9kcpt born 27. auf ben 28. Xecember auf ber ©emetnbe=
tenne burep einen glintenfepufe ein bem Kleinbürger ©eftrjawotjepfin ge=
höriges fchedigeS Sdjmein oerwuitbet zu paben. Räumen Sie baS ©er*
j$etjt>ein?"
Xer finftere ©urfepe blidt eine XBeile auf ben Sanbricpter unb
nxnbet bann feinen Süd zur Seite. „©uer ©opigeboren", beginnt er
enblicp, bie ©orte mit Wüpe peroorftofcenb, „icp pabe, ©uer ©opigeboren,
ihr ja fdjon früper gefagt: lag baS, Slgafcpfa, füpre mid) niept in ©er=
fucputig . .. ©aS geroefen, ift gewefen, genug jegt. . . Slber fie, an=
ftatt..."
„©elcpe Sie?" unterbridjt tpn ber 2anbricpter.
„ s B£eine grau, natürlich, Slgafcpfa", antwortet ber ©urfepe.
Xer fianbriepter zudt ungebulbig bie Schultern. „Sch frage Sie
nicht nad) Sprer grau", ruft er auS. „Sie pabett bitrcp einen glintens
jcpuB ©eftrjarootfcpfin'S Scptoein oerrounbet, unb barum paben Sie fiep
bor bem ©efeg zu oerantworten, erftenS für bie ©erftümmelung eines
XpiercS unb zweitens für ben bem Sefiper zugefügten Scpaben im ©c=
trage oon brei Rubeln. ©aS fönnen Sie alfo zu SP^er ©ertpeibigung
oorbringen?"
Xer ©urfepe fepmeigt unbatpmet fepmer, Scpmeife 5 eißt fiep auf
feiner Stirn wie tropfenbe ©acpStpränen. „XaS !ann id) oorbrittgen",
ftö&t er enblicp perauS, „bajj icp tpr fepon früper gefagt pabe; lag biefe
Xumntpeiten, Slgafcpfa, fagt y icp . .."
„Sie fagen ja immer baffelbe", fdjreit ber Sanbricpter. „§ören
Sie mal, ftellen Sie fiep niept bümmer als ... unb erzäplen Sie ber
Steige nad). ©aren Sie in ber 9?ad)t bom 27. auf ben 28. Xecember
auf ber ©emeinbetenne? 3<* ober Stein?"
„Sa."
„©aS madjten Sie bort?"
„SlicptS machte icp • • •"
„©ozu patten Sie benn eine glätte in ber £>anb?"
„Kann man einen &afeu etwa mit bem Stode fepiegen?" ant=
roortet ber ©urjepe. „3<h lauerte auf ber Xenne einem £>afen auf,
benn zu ben £itfepaufen fcplicp ftd) immer ein £>afe."
„9ia, ba paben wir’S ja", ruft ber fianbriepter, offenbar erfreut,
einen gaben gefunben zu paben. „Sepr gut. Sie fapen alfo auf ber
Xenne unb lauerten einem £>afen auf. ©aS gefdjap naepper?"
„Xa fommt fie auf bie Xenne pergelaufen."
„©elcpe — Sie?"
„Wgafcpfa, meine grau. 3<P f^ring y auf fie loS: Slgafcpfa, fag'
icp, laff 1 biefe Xumntpeiten, füpre bie Wenfcpen niept in SSerfucpung ...
&ber fte gminfert blop mit ben klugen. S^P wieber: lap baS, ^Igafcpfa,
fei tlug .. . Sie aber maept nur fo unb wadelt }o mit bem Kopfe."
Xer SBurfcpe apmt baS ©runzen eines ScpweineS naep unb berbrept
feinen Kopf. Xann fäprt er fort: „So brept fie alfo ipren Kopf unb
grunzt, baS peipt fo Diel alS: ,3<P ?ann r S niept laffen/ Xa überlieFS
miep unb icp tnallte baS ©ewepr ab. Sluf meine grau, baS peipt, fie
gept alfo als Scpmein um. "
Xer Surfcpe fepmeigt. Xer Sanbricpter fiept ipn mit weitgeöffneten
klugen an, feparf unb lange, als befäntte er fiep auf etwas, unb fagt
bann langfant: „Sie fepoffen alfo auf ^eftrjawotfcptin'S Scpwein, weil
Sie meinten, eS fei 3^*e grau, bie als Scpwein umgepe? 9?icpt?"
Scpwer unb zö 9 entb ftöpt ber Sanbricpter biefe ©orte perbor, als fürepte
er fiep bor bem Klange ber eigenen Stimme, unb zule&t gueft er gar in
ben Scpultem zufantuten. „$idjt wapr?" fragt er beinahe ängftlicp.
„Natürlich fap icp, bap fte eS war", antwortete ber Surfcpe fepnier-
fällig. Xer Sinn feiner ©orte fepeint ipn gar niept zu beunruhigen.
„Unb waS bann weiter?" fept.ber fianbrtepter fein SSerpör fort.
„Xann rief icp alfo jroei geugen", antwortet finfter ber ©urfepe,
„wie ficp'S gehört naep bem ©efe^, unb wir traten in’S §auS. Wgafcpfa
lag auf ber 33ant. Sch fagte: ?lgafcpfa, fagt' icp, Xetnen 9?od
auS. wir wollen Xicp unterfuepen! 9ln ber £>üfte, baept' icp nämlicp,
mupte man Scprotlabung fepen ..." ®ier unterbricht ber öurfepe feinen
fRebeflup, benn bön ber ©an! an ber ©anb erpebt fiep ein langer ©auer
mit einem Solbatengeficpt unb ruft:
„©uer ©opigeboren, Spuren (onnten ba gar niept fein, ba er bie
ganze Sacpe falfcp angefangen patte. Sch patte tpm gefagt: 9?imm, patt’
icp gefagt, eine glode ©oüpaar, tränt* fie mit Xerpentin unb nimm
fte bann als ©olzen zur Scprotlabung "
„Scp tonnte feinen Xerpentin befontnten", antwortet ber ©urfepe
pplegmatifd), „auf bem §errfcpaftSpof, nirgenbS frtegte icp ..."
„©er ftnb Sie benn?" fragt ber Sanbricpter ben Solbaten.
„Scp? ©olizift. 3cP war alS 3 eu ge bei bem Slgap, alS wir feine
grau unterfuepen wollten."
„Unb finb Sie jept auep in biefer Sacpe citirt?"
„gu ©efepl, nein; icp bin wegen beS ©ferbegefcpirrS ba."
„Xann warten Sie unb fcpweigen. ©aS war benn weiter?"
wenbet ftd) ber 2anbricpter an Slgap, unb fein ©efiept fpriept wieber
oon Scpnterz unb ©ntfepen.
„34 fagt* ipr alfo: ziep’ Xicp auS, Slgafcpfa", fäprt ber ©urfdpe
fort, „unb ba wirft fie fiep üor mir nieber unb jammert: befepäme mich
niept oor ben Seuten! peult fie. Xa würbe eS mir bor ben 5(ugen
bunfel; icp padte fte an ben göpfen, bamit fte gefepeit fein foll.. •"
„©olizift!" fepreit ber Sanbricpter unb feine Slugen funfein,
„©ofizift! er pat eS gewagt, feine grau in 3P*er ©egenwail z u ntip=
panbeln? Sie waren geug baoon."
Xer Solbat erpebt fiep fcpnell Oon ber ©ant. Sein ©efiept ftraplt
felbftzufrieben; er ift offenbar glüdlicp, fiep jept Oor bem ©ublicum pro=
buciren z u bürfen. ©inen Slugenbltd zupft ftep zureept unb fagt
/ bann: „gu ©efepl, ©uer ©oplgeboreit, aber in jenem ?Iugenblide war
icp niept im £>aufc, fonbern nad) bem Sattelriemen pinauSgelaufen. -
„TOt bem Sattelriemen banben wir 91gafcpfa bie |>änbe", erflärt
finfter ber ©urfepe.
„Xamit fie uns niept fragen foll", fügt ber ©olizeiauffeper läcpelnb
pinzu, „benn baS weiß icp natürlid), bap wer oon folcp* einem ©eibe
gefragt wirb, leicht bie Xoüwutp befontnten fann ... 34 beziepe mein
©epalt auch niept umfonft", fdpliegt er, bie ©attern fel&ftbewufjt an=
fepenb. Unb bie ©auern fepauen auf ipn mit üerftänbnifjüoller 3u=
ftimmung.
Unterbeffen fommt eS bem Sanbricpter üor, als Oerbreite ft4 in
ber ©anzlei eine grope biepte ©olfe, bie SUIeS zu Oerfdjlingen brope.
©ntrüftet i’iberblidt er bie Stube unb wieber erfepetnt auf feinem ©efiept
ber SluSbrud beS ScpredenS. ,,©ört mal," fagt er, „ift eS beim mög=
liep, bap SPr 9lüe, 9Ule bie Spt picr feib, aufrichtig baran glaubt, ein
9Renfcp fönne ftd) wirfltcp in ein Xpier Oerwanbeln?" Xie Seute
fcpweigen uitb atpmen fcpwer. „Unb Sie, Sie glauben auep baran?"
fragt ber Üiicpter mit einem ©lid auf ©eftrjawotfipfin.
Xer oerneigt fiep leiept unb antwortet: „ÜRein, icp glaube eS niept;
ein SRenfcp fann fiep nicht in ein Xpier üerwanbeln."
XaS ©efid)t beS ÖanbricpterS flärt ftep etwas auf. „9fa alfo,"
ruft er, „bann ift boep wenigftenS einer unter ©uep, ber an folcpeS geug
niept glaubt!"
„©in SRenfcp fann fiep niept in ein Xpier üerwanbeln," fäprt
©eftrjamotfepfin bebäeptig fort, „wopl aber ein Xpier in einen ©tenfepen.
Xa patten wir zum ©jem^el im Xorfe ©enfepow einen ©od . .
Xem SauDricpter wirb eS grün unb gelb Oor ben klugen; fein
©efiept fepeint plöglicp abzumagern, ©inen vlugenblid fdjweigt er unb
fegt bann baS ©erpör fort: „Unb Sie prügeln 3P*e Swu fdpon lange
auf folcpe 21rt?" fragt er ben ©urfepen.
„XaS britte S&pr fepon fuep* icp fie zur ©ernunft zu bringen unb
$WeS umfonft. Sag eS! fagen bie Seute, aber icp famt’S niept, weil fte
mir leib tput. gür nicptS unb aber nicptS rüpr* icp fie mit feinem
ginger an; aber in biefer Sacpe will icp, bafc fie *mal aufpört!"
,,©o ift fie benn jegt?" fragt ber Sanbricpter.
„Sie liegt int Scplitten, icp braepte fte mit. Soll icp fte polen?"
„©olizift, rufen Sie bie tlgafcpfa Xubirin", befiehlt ber Sanbricpter
unb fcpliegt fcpweigenb bie 5lugen. 3P«t bangt baoor, biefe Seute an=
Zufepen.
9iacp einer ©eile erfepeint 5lgaf4fa. 9?iept älter alS gwanzig, ein
bla^eS, mageres, fteüenweife blau angelaufenes ©efiept, unb auS ipren
großen klugen bliden ©ntfegen unb ginfternife. SP^ ©ang ift unnatür=
Digitized by v^.ooQle
44
Die Gegenwart
Nr. 3.
lief), in fielen ©inbungen, alß ginge fie unbewußt unb ohne jebe eigene
©ittenßäußerung. Sin bern ©ange, ben fc^recferfüllten Slugen unb ben
feft oufeinanber gepreßten Sippen erfennt man, baß fte ganz, biß gum
lefcten ©rabe oerquält unb gefoltert ift. Sie tritt näper, wirft fiep ju
©oben unb beginnt ppfterifcp ju fcplucpzen.
„©ereepter, barmherziger SRidJter," murmelt fie unb fcpüttelt baß
©aupt, „ftraf* rniep niept, icp pabe feine Scpulb . .. ©ine Sante ^atte
icp freilich ... baß min ich nicht leugnen ... bie ging alß ©erwolf
um ... baß paben SIUc gefepen .. . Slber icp . . . baß ift Süge, ©er*
leumbung .. “ Sie fcplucpzt; im conoulfiüen 3ucfen gleitet ihr baß Such
Dom $opf unb entblößt ihren weißen, oon Sattelriemen blau gepeitfepten
©alß. „Saß ift ©erleuntbung, &üge. . . befepäme mich nicht bor ben
Öeuten, barmherziger SRicpter! ...." fepreit fie auf, ppfterifcp fcplucpjeub
unb ipr (Gefiept Derbecfenb. Sie ift überzeugt, bafe man fie zur ©eftep*
tigung ipreß Äörperß per gefcpleppt pat. ©inige Minuten lang fcplucpzt
fie, opne fiep Dom ©oben zu erheben unb frümmt ftep roie ein bünner
3weig im geuer.
Sa reifet bie ©ebulb beß Sanbricpterß. ©leiep unb mit bebenben
Sippen fpringt er auf unb fpriept, lange naep Suft ringenb unb oft roie
ein ©eib auffepreienb: „Scpaut per, maß 3pr auß biefer grau aemaept
pabt! ©ofür pabt 3pr ft« gemartert? ©ie burftet 3Pr baßV ©er gab
©uep baß SRecpt bazu? 3P* feib Sille, SlUe, Sitte fcpulbig unb 3Pr Sille
habt eß zu berantroorten! ©iß jept roar icp zu ©uep gut unb nach*
fieptig, weil icp baepte, bafe 3P r SRenfcpen feib. 3«fet aber fepe icp, maß
3Pr feib! Spiere feib 3Pr, ©eftien opne SRitleib, opne ©erz unb ©er«
ftanb ... 3« ©ifen mufe man ©uep aber legen ... icp ... icp roerbe
©uep geigen! 3pr glaubt baran, bafe SRenfcpen fiep in Spiere Der*
roanbeln fönnen, unb icp, icp pabe biefen ©lauben naepgerabe auep,
roenn icp ©u$ anfepe! Spiere feib 3Pr, Don JEopf biß zu gufe,
©eftien!. ."
©äprenb biefer fRebe feproeift fein ©lief über bie SRenge, unb eß
fepeint ipm, bafe alle biefe zerlumpten ©auem unb ©eiber benfelben
Slußbrud beß ©ntfepenß unb Scprecfenß annepmen, roie ^gafepfa, aber
er fann nlcpt mepr feproeigen. ©ie eine ©eile fcproillt feine fRebe an.
©ei ben lepten ©orten reifet feine Stimme unb flüftemb, faum pörbar
befiehlt er:
„güprt biefe SRärtprerin um ©otteß ©itten roeg!"
Ser ©olUift füprt bie fcplucpzenbe Slgafcpfa niept opne affectirte
©ürbe zur Spur ptnauß. Sllß er zurücffeprt, fepreibt ber Sanbricpter,
freibebleicp, mit neroöfer ©anb über baß ©apier faprenb, fein Urtpeil
nieber. 3« ber Slmtßftube ift eß feitt.
Ser ^olizift fept fiep zu einem oerbunbenen ©auem unb flüftert ipm
leife zu, mit einem Äopfnicfen auf ben fRicpter roetfenb: „Slm Sonn«
abenb fottte er lieber nitpt zu ©eridpt fipen, roeil er boep oott ift. günf
Sage pält er'ß auß — niept einen tropfen, aber am feepften fäuft
er wie ein Socp ... glafcpe auf unb bireft in ben ©alß . . . glucf*
glucf=glucf."
Ser ©auer pört zu unb antwortet, bie ©anb Dor ben SRunb
paltenb: „Slpa, alfo barum auep! Unb icp fonnt' eß niept begreifen:
rebet, rebet, opne bafe man auep nur ein ©ort baoon oerftept. Slber
baß mufe man ipm laffen: ein ftrammer $erl, fo befoffen zu fein unb
boep niept zu modeln!"
3ept wirft ber Sanbricpter bie geber weg unb beginnt baß Urtpeil
Dorzulefen: „3m Warnen Seiner SRajeftät..." ©r lieft laut, mit
bebenber Stimme. Slgap Subirin ift zu zwei SRonaten ©efängnife unb
fünf Wubel Strafe Derurtpeilt.
Ser ©erurtpeilte frapt fiep lange ben Äopf unb überlegt, ©nblicp
gept er finfter zur Stube plnauß. Sin ber Scpmefle flüftert ipm ber
©olizift zu: „$u Warr, pab' icp Sir niept immer gefagt, nimm Ser*
pentin bazu ..." Sie finb ©eibe feft überzeugt, bafe Slgap blofe wegen
Slufeeracptlaffung biefer ©orfeprift Derurtpeilt worben ift.
Unterbeffen oerlieft ber Sanbricpter mit immer noep bebenber
Stimme bie näcpftfolaenbe Sacpe. Sa feplägt an fein Opr ein entfep*
lieper Scprei. Slgafcpfa wirb naep ©aufe gebracht...
Jlit$ 6« ^auptjtabt.
Die stummen bes Serails.
„3«P laffe mir unferen beutfepen fReicpßtag niept Don 3Puen oer^
fleinern", attaefirte bie junge grau ©elbftem ipr läcpelnbeß ©egenüber.
Sie maepte feit ber Hamburger fRebe in ©olitif, befonberß wäprenb beß
günfupr=Xpeeß. SRein ©ott, ^auptmann unb feine orbinäre ftanne
Scpäl waren mit ber 8 e ü langweilig geworben wie baß Sprupß = fRau«
tenbelein, unb für Subermann zu arbeiten, patte fepon gar feinen ftroeef
mepr, fett er Döttig im Sanbe Don ©lanfenjee oergraben lag. „S^ein,
®«rr fRörgler, bem Sffcicpßtage barf man SRanneßmutp waprpaftta niept
abfpreepen. ©r wirb'ß peute wieber beweifen. Seiber fonnte icp bieß«
mal niept babei fein; meine Scpneiberin ift fo fomifcp, wenn man fie
warten lägt. Slber icp wopnte ber glorreicpen Sipung bei, — eß toar
ein nebliger Xag, unb bie #iebler trug Slbenbß ein fo merfroürbigeß
©oftüm — wo bie gnterpetlatton über ©ißmarcf'ß fRücfoerficperitngß=
oertrag zur ©erpanblung ftanb, über bie berüchtigten zwei ©ifen im
geuer, Sie erinnern fe^P »opl noep?"
„3cp erinnere miep noep", beftätigte ber Suterpettirte unb blidte
anbäeptig in bie Xiefe feineß ©plinberputeß.
^fRun, wie gefielen 3Pnen bamalß unfere tapferen? ©ißmanf
war boep eine SRacpt unb patte eine gute ©reffe, aber nieptß beftoroeniger
gingen ipm ber greife ©raf #ompefcp wie ber Sübbeutfcpe ^Miufemann,
gingen ipm fRicfert unb fRtcpter mit einem ©lan zu Seibe ... 34 «wr
paff. 34 hätte bie ©ourage niept gepabt."
„Slnbete Seute auep niept", ftimmte ber $err mit bem (£plinber=
pute wieber bei.
^©ß waren Slnflagereben größten Stilß, eß waren oernidjtenbe
©orte. Unb fie würben gegen einen überragenben Xitanen gefcpleubert,
gegen ben 3uprpunbertßmenfcpen — ap! ©ollen Sie roirfliep behaupten,
biefelben 3Ränner, bie an jenem fRacpmittag ipren 9^uf, ipr Slnfepen bei
ttRit« unb fRacpwelt, fozufagen ipre ganze bürgerliche fReputation aufß
Spiel fepten, ftep peute feig berfrteajen, nun eß weit geringeren ©in=
fap gilt? ^afe bie, benen Otto ©ißmarcf nidpt z u po4 ftanb, Dor bem
©rafen ©ulow zurüeffepreefen? 34 4^ ben ©rafen ja poep, er ift ein
fo geiftreieper SRenfcp — wiffen Sie, feine ©Uber, feine, ©ergleicpe! ©ie
geuittetonß, über benen „fRacpbrud oerboten!" ftept —"
„©eil fie opnepin SUemanb naepbruefen würbe. $enn 3«ber pat
fie fepon irgenbmo oorgebrueft gefepen."
©)ie gnäbige grau roar etwaß ungnäbig. „©ott! Sie fönnen niept
einen Stugenblicf ftiH palten! Sebenfaflß, baß müffen Sie mir zugeben,
moralifepen s IRutp barf man ben geinben ©ißmarcfß niept abfpreepen.“
i)er Cpponent betrachtete niept mepr baß Seibenfutter feineß §ute$,
fonbetn baß große Oelgemälbe über ber Spür, beffen SRaler bem S4nun'
barte ©ilpelm’ß II. aßen Scpwung poepftrebenber Äünftlerppantafie Der*
liepen patte. „Sie oergeffen üor $ttem einß, tpeure greunbin unb Sinti*
pobin: ©ißmarcf war zu jener 3*U niept mepr im Slmte, wäprenb ©raf
©ülow eß peute noep fepr ift."
„0, baß ift ein päfelicper ©inwurf."
„Slufeerbem aber wiberfepte eß fiep bem alten $aifer unb feinem
alten Äan^ler üiel leichter alß bem jungen Äaifer, ber zugleich fein eigener
Kanzler ift. ©on ©ilpelm 1. patten, menfeplicpem ©rmeffen naep, bie
©arteten nieptß ntepr z« hoffen. Seine Slnfcpauungen ftanben feft nrfe
ber rocher oon bronce, unb bie 8apl feiner SRegierungßjapre war natnr*
gemäfe begrenzt, ©ie anberß peute! Sßocp immer ift bie enbgiltige
politifdpe SRicptung ©Upelm'ß II. unentfepieben, wirb eß möglicperwdje
auep immer bleiben. Siefer üRonarcp ftept bie ©eit gern einmal burdj
anberß gefärbte ©läfer an. ©ebenfen Sie nur ber bitteren ©nttäufepung,
bie er bem armen Stumm neulich wieber mit feiner SRebe oor ben
teepnifepen SRectoren bereitete. „Sie bange ^aept ift nun perum. ©e*
grüßt fei baß äRorgenrotp", fang ein befonberß gläubiger ©priftliefr
Socialer. 9?un, ber ©laube gepört zum ©priftentpum, unb er maept felis*
Slber Dom $aifer erwarten noep alle ©arteten baß $etL Sarum roiH
eß feine mit ipm Derberben. Sarum faßt auep feine feine 3Rinifter
übermäßig an, befonberß niept feinen ttRinifter beß Slußmärtigen. Senn
jebe weife, bafe bie Spielbofe fatferliepe Gelobten wiebergiebt."
grau ©elbftem brepte unrupig unb neroöß an tprem großen
©rittantrlng. Sie warf einen ©lief über bie Umgebung, benn fie wollte
ftep bie SRücfzugßlinie fiepern. 2Rtt biefem ©erbiffenen maepte felbft baß
3anfen feinen Spaß.
„Stellen Sie ftep boep einmal bie Situation rteptig oor", fupr ber
©robian fort. „Unfer gefammter außwärtiger ^anbel ift feptoer bebropt.
©ß liegt in ©nglanbß £>anb, unb eß fepeint burepauß ©nglanbß SlbftCpt
ZU fein, ben ©urenfrieg wenigftenß bazu zu benufeen, überläftige ©oncur*
renten auf bem ©eltmarft loß zu werben. So fuept eß benn bie Schlappen,
bie ipm Soubcrt'ß unb ©ronje’ß rafep zufammengeraffter Sanbfturm bei*
bringen, auf poper See außzuwe&en. Unb bie pöcpftenß mit einer ©ogel*
flinte armirten beutfepen fRelcpßpoftbampfer fepeinen ipm mit SRecpt fepr
geeignete Dbjecte. Sabei ift bie ©roberung beß ©eltmarfteß feit einem
gaprzepnt unfere Schwärmerei; unfere ganze ©efepgebung ^telt barauf
pin, unb mit feinem fcplagenberen Slrgument glaubt man bie Sfotp*
wenbigfeit ber glottenoerboppelung beweifen zu fönnen, alß mit ber
gürforge für Seutfcplanbß überfeetfepen ©anbei. üRun fäprt Sowning
Street bazwifepen. Sie Sacpe liegt tpatfäcpliep fo, bafe peute fepon jeber
Waget in unferen SEauffaprern, jeber SEaferlaf barin ben ©nglänbem ge*
pört. Sie brauchen ficp'ß nur zu nepmen. Sie fönnen unferem ©anbeiß*
oerfepr fo fcpwere ©unben fcplagen, wie pc nur immer wollen, fönnen
alle gaprpläne unferer Slfrifa* unb Slmerifalinien burepfreuzen, natürlich
Zum Wufcen ber brttifepen ©oncurrenz«Unternehmungen, ©er mag ftd)
unb fein ©ut bann noep einem beutfepen Sampfer anoertrauen, wenn
er mit Sicherheit weife, bafe ber $apn morgen aufgebracht unb ©oepen
lang mit SRann unb SRauß in einem weltfernen englifcpen ©afen ein*
gejperrt wirb? Sin unferer empftnblicpften Stelle alfo, in unferem Stolj
unb unferer faufntännifepen ©pre pat unß ©nglanb oerlefet, bie fegenß*
ootte ©änblerpolitif beß Weiepeß ift plöplid) in'ß ©anfen gebracht —
unb tropbem feproeigen wir? Srofcbem finbet Wiemanb im SReicpßtag
ein ©ort beß 8orneß ober auep nur beß lauen ©rotefteß? Wfan unter*
hält fiep bort Sag für Sag über atterpanb gleicpgiltige Socialreformerei
brüten Wangeß, unterfuept mit peinlicher ©ewiffenpaftigfeit bie Cuerelle,
Digitized by v^. ooQie
Nr. 3.
Die Gegenwart.
45
ob gegebenen galleS, nämli4 wenn eS je fo weit Jäme, audj Me Stttwen
unb Saifen ber länbltdjen Arbeiter ju Derftcßem feien, ob man 15000
RtotJ $u einem SRufterlager tßüringif4er ©r$eugniffe bewilligen ober
bie Vatentgebüßren um 2 —2 1 / 2 °/ 0 ermäßigen folle. Von ber SebenS?
frage beS Ret4eS aber, Don ber Scßma4, bie uns $um ©efpött ©itropaS
mac^t, wagte bolle brei Socßen btabur4 Rtemanb auch nur in Ietfen
Anbeutungen $u fpre4en. 6te war für bie jitternbe VolJSDertretung
am ftöntgSplape einfach ntdjt Dorßanben."
„©arbon," mtfcbte ficß hier ein würbig ? ftattlidjer £err in r S ©es
fprä4- „Sie übertreiben, lieber greunb. ©erettS hieran Sage nach
ber erften ©efcßlagnabmung — ober waren eS hieran Sage nach ber
^weiten unb britten — foüte bie Angelegenheit im Reichstage $ur ©r=
örteruna Jommen. Sie fennen baS pinbemiß, baS bann jwifeßen Ab*
ficht uno Ausführung trat?"
„Rein. 34 Jann mir auch gar Jein foldjeä phtberniß benfen."
Mehrere ernfthafte Herren waren ju ber ©ruppe getreten, unb
grau ©dbftern Jonnte fteß rafch bon bem feceffioniftifch unbequemen
Sabourct erheben.
„Aber ich Bitte Sie! ©raf ©ülow mußte jufälfia am felben Sage
nach Stettin fahren, um bort an ber Saufe ber Seutfcßlanb tßeil?
äuneßmen!"
„Rlußte er? Riir fällt augenblicflich tein ©aragrapß ber Ver?
faffung ober beS Sienft-StatuteS ein, baS bem RJinifter beS Auswärtigen
bie Verpflichtung ju blumigen Saufreben auferlegt, befonberS bann,
wenn anberwärtS wichtige ReicßS?3ntereffen auf bem Spiele ftehen."
„©raf ©ülow hat biefe Reichs ?3tttereffen in Stettin auf'S ©efte
gewahrt, beffer bielleicht, als eS ihm in ©erlin möglich gewefen wäre,"
Hang bte tyüt Stimme eines jwar noch jungen, hoch bereits einfluß?
reichen, natürlich entfeßieben freifinnigen ©ublictften. „3m ©letfe ruhiger
Stetigteit, frieblicher ©efonnenßeit, fefter Sicherheit unb Sürbe, fo führte
er auS, werbe er unfere auswärtige ©olitif erhalten. SaS war ein
beutlicher SSint nach innen unb außen. Unb ich rufe 3hnen baS weitere
Jöftliche Sort in r S ©ebäcßtniß: Seit unfer Voll bie nationale ©tnßeit
errungen Ijat, befinnt eS (ich Wieber auf bie alte panfeatenparole: 93Rein
gelb ift bie Seit — unb betritt wieber baS X^eater ber SeltpolitiJ.
Dßne Seegewalt aber werben wir befcheibene Statiften im £>intergrunbe
bleiben, wäßrenb Dorn auf ber ©ühne bie großen Rollen agiren."
„©in erfahrener Sßeatermann, ber ©raf! Rlan erJennt feine
innerften Neigungen unb bie Art feiner ©egabung beutlich aus biefen
unaufhörlichen Sßeater? unb ©oncertfaal?©iIbern. Sie ©lipmafchine
raffelt, baS Sonnerblecß grollt, unb fo wenig wie bie Sttafdjtnen werben
bie fßrofpecte aefeßont. Saß unfere Auswärtige ©olitil aeßn 3oßre nach
ViSuiard ein AuSftattungSftücJ mit ©efang, San$ unb Soaft geworben
\m würbe, wer hätte baS felbft in ber feßwerften 3 eit beS bunJlen
SahreS gebacht?"
„Urlauben Sie!" fagte ber einflußreiche Vubllcift wieber, unb
feine Stimme Hang heller noch als Dorßer, faft brohenb. „©erabe in
Stettin bat ©raf ©ülow erJtärt, baß er unfere Auswärtige ©olitiJ in
bem ©Ieife holten Wolle, baS ber größte Staatsmann unferer unb
wohl aller 3*iten, gürft ©iSmarcJ, Dorgejetcßnet höbe. SieS urJunblich
feine Sorte ftnb."
„©r fprach im felben Athem bon ber rußigen StetigJeit beS neuen
Wurfes," entgegnete ber ©eiehrte. „Sie feßen, ©raf ©ülow hatte nicht
nur feinen bilberreicßen, fonbern auch feinen bemießtenb ironifeßen Sag."
„3nrnierßin," warf ber SürMg? Stattliche ein. „Seine Saufrebe
unb fein Srinffpru4 fanben in Stettin jaudj$enben ©eifaD. Senn er
fte mit einigen Meinen formellen Aenberungen am ÄönigSplafce gehalten
hätte — baS falfcße ©itat bom ©eter in ber grembe Jonnte fortbleiben,
unb ber Jtnblicße ©efeßwifterwiß beffelbigen gleichen — glauben Sie, baß
ihr bann nicht ebenfo laute unb begeifterte ©raborufe gefolgt wären?"
«34 zweifle Jeinen Augenbljc! baran. 34 feße bielmeßr ben Sag
näßen, wo ber Reichstag fieß als perpetuirli4e Sifcßgefellfchaft conftituirt,
ber bie Rtintfter beim ©ßampagner bie fcoafte halten unb na4 bem
Ääfe bie ©efepentwürfe unb neuen 9ttarineforberungen oorlegen. ©S
fommt bann immer nur auf ben ©rab ber inbibibueüen SeiftungSfäßigs
Jeit an, ob bie ©eifaHSJunbgebungen lärmenb ober bloß entßufiaftifch
ßnb, ober ob man etnftimmig ober gegen eine ftarte Rtinberßeit bie
neuen ©efepe botirt. 3o, i4 hoffe fogar, baß ß4 bann entließ eine
crnftßafte Oppofttion ßerbortraut. 34 re4tte nämlich mit ber beJannten
$ßatfa<he, baß biele im nüchternen guftonbe feßweigfame, berträglicße,
um nießt ju fagen jämmerli4c Äcrle in ber XrunJenßeit rebfelig, Jiap^
bürftlg unb wagemutßig werben. S4on auS biefem ©runbe wäre eS
ratßfam, Me umfängltdhen JageSorbnungen im Saüotßaufe bureß ebenfo
reichhaltige RJenuS ju erfeßen."
„Sie benJen bo4 afl^u gering bom beutf4en Rei4Stage," unter?
hraeß ein anwefenbeS ÜRitglleb biefer Äörperfcßaft ben Sprecher. 3)ie
^uttbe ntdte energifcß mit ben köpfen. „Aflju gering. 34 Pfli4te
Sßnen bartn bei, baß eS falfch war, So4en lang bie S4otocß hinunter?
junritrgen unb, ftatt ben amtlich pribilegirten englif4en Seeräubern ein
berbeS beutfcßeS Sort ju fagen, berleaen bei Sette bttefen. ©S war
baS fo grunbfalfcß wie unfer S4roetgen na4 bem 2)iebericßS=Unglücf
öor AJantla, wie unfer S4n>eigen bet bem bummbreiften ©ombarbement
®omoaS. gtfeße unb ©orallenftetne hätten bamalS baS Reben gelernt
~ wir aber blieben ftumnt. 2)en ©innigen, ber im Rei^Stag ein Sort
joflttt wagte, fteinigten wir. Sie miffen, weßßalb. Sir naßmen
^ücJftcßt auf Me Regierung unb ißren guten Rebner. Sir naßmen fte
aueß bieSmal. 2ttir fefber ift üom SKiniftertifcbe auS naße gelegt worben,
ber jielbewußten ©olitiJ Sr. SRajeftät beS ÄaiferS Jeinen Stein in ben
Seg ju werfen. ©S f4o>ebten ©erßanblungen, Me ni4t geftört werben
bürften unb über bie man na4 altem biplomatifcßen ©rau4 Jeine AuS?
Junft geben Jönne. 3)er ?Ronat4 Tcfe meine ArtiJel gur Sa4e mit
boßem Sntereffe, boeß würbe ©oreiligJeit auf unferer Seite na4 jeber
Richtung ßin unnennbaren S4aben tßun. Run, fo f4&>ieg i4 benn
auch. ©S ift waßr, babur4 haben wir unS beS Rechtes begeben, na4 5
träglicß gehörig aufjutrumpfen unb bie englif4en Uebergriffe ju branb?
mar Jen. ©ntrüftung ift auch Jeine §äring$maare unb ebenfaüS fcßlecßt
einjupöcfeln. 5)ocß bieS eine glauben Sie mir: $)er Rei^Stag wirb
heute Re4enf4aft ton ©ülow forbern. 3« oller Ruße, bo4 mit aller
@ntf4iebenßeit. §eute nüßt ißm feine ganje ©emälbe*AuSftelIung ni4t,
benn heute haben wir Rüdft4t auf bie jornige ©rregung ber Ration
u neßmen, unb unfere Säßler ßnb unS näßer als ber ©raf Staats?
ecretär/
„S4obe, baß Sie felbft ber Sißung fern blieben, #err Ab?
georbneter! Sie wären ber re4te RJann gewefen, bem ©olJSunwiHen
AuSbrud ju oerleißen!"
„3a ... ber tfaifer lieft meine ArtiJel... ba §og i4 cS auS be?
greiflicßen ©rünben uor..."
©r ftri4 ß4 ben S4nurrbart jure4t unb fcßloß Me Augen.
„3ft bie Sißung f4on beenbet?" Jlang eS einem neuen Antömm?
ling entgegen, auf beffen Antliß no4 bie Seiße ber Stunbe auSge?
prägt lag.
„Run, unb baS ©rgebniß?" fragte grau ©elbftern erregt.
„©ülow ßat geffrochen ... nein, fo wißig unb elegant wie no4
nie! Sttan merJt, er füßlt ft4 wirJU4 moßl in feiner Rolle. S4eitt 5
bar alles ©ytempore unb babei S4loget auf S4loger! SaS ift er boeß
für ein famofeS ©laubertalent! Unb bann wieber bie wahrhaft er?
ßebenben ernften Xöne in feinem Repertoir! Sie Jönnen ft4 benJen,
baß er einen lärmenben ©rfolg erhielte, einen ©rfolg Wie RtotJoroStß
im Serail. ©S war eine prächtige ©orfteüung!" Caliban.
Dramatifdje
„5)aS beutf4e Sohrßuitbert". günf ©inacter auS bem 19. 3oßr?
ßunbert, gufammengeftellt öon Ayel Weimar: 1) Seimar. geftfpiel
tion ©rnft Sichert. — 2) Vorwärts! ©in oaterlänbifcßeS Spiel
bon 3ofef Sauff. — 8) Sturragloden. S4oujpiel bon ©eorg
©ngel. — 4) Sörtß. Acßtgehnßunbertriebjiiger JtriegSfcenen bon
©eorg b. Dmpteba. — 5) Arbeit, ©ine ^anblung bon Subwig
SacobowSJi. (©erliner Xßeater.) — „öorb Ouej". Suftfpiel bon
A. S. ©inero. (2effing=$heater.) — ,,©)ie ®ame bon Rlayim".
S4manJ bon ©eorgeS geßbeau. (Reftbeng?Xßeater.)
2)ie ©ilanjenüießer ftnb feit ^wei So4«n gewaltig an ber Arbeit,
unb wenn cS nach ißnen ginge, bann ftünbe ßeute bereits für alle
©wigfeit feft, waS baS bergangene Soßrßunbert ber RJenfcßßeit unb ber
©ultur gewefen ift. gür §errn Ajel S)etmar?©)emanbowSti ift eS baS
beutfeße Soßrßunbert gewefen. Au4 ißn gelüftet eS natürlich bana4,
Soll unb ^aben beS SäculumS fäuberli4 jufammen gu fteüen, unb bem
aefeßidten ©üeßerrebifor f4ien baS Xßeater bie günftigfte Stätte für bie
Veröffentlichung ber ©ilanj. 3m Uebrigen ließ er bie Arbeit felbft bon
fünf anberen .perren beforgen, bie er junt S)ant für tßre Aufopferung
in ber ©u4ouSgabe bei Reclam eine „erlefene S4oar, jeber bon ißnen
ein Siebig" nannte. 3Ran fießt, Vorreben ftnb noch immer trefflich
eignet, übertriebene ©rwartungen ju erweden unb Me Autoren $u
blamiren.
5)a ber ©runbgebanJe beS ©üßnenwerJeS Jeiner weitf4i4tigcn
©rJlärung beburfte unb Jeine SJlißbeutung guließ, ßanbelte eS fteß für
Ayel S)elmar'S erlefene S4oar nur barum, äußerlUß einigen 3ofommen*
ßang ju bewahren. 34 meiß nicht, ob ber ©Infall bon luSJar ©lumen?
tßal ftammt, jebenfaÜS ßat er ißn neulich unter feinem Ramen bruden
Iaffen: ein ©inacter?Abenb ift eine ©ifenbahnfaßrt, bei ber man auf
jeber Station umfteigen muß. 3 U biefem Umfteigen ßat unS ber ©e?
triebSMvector Afel fo ausgiebig gezwungen, baß eS immer f4m*rer fiel,
ben Anfcßluß wieber^ußnben.
Solfgang ©oetße bie erfte Station! §erm St4crt imponirt unb
freut am meiften ber ©eheimbberatßS?XiteI beS gauftM4terS; babureß
wirb er ben anbern elenben Spießern, bie baS geftfpiel bur4Jrt«h*n,
menfcßlich, aüju menfcßli4 naße gebra4t. 3« «n^r berühmten Kneipe
Alt?SeimarS brießt ein Streit auS jwifeßen Jneipenben ©ürgern
unb Stubenten einerfeitS unb einem grembltng anbererfeitS, ber Don
3)eutfcßlanbS politifcßer Dßnmacßt ärgemißeriegenbe S)inae fpriebt unb
©oetße ni4t als ben leßten ©ipfcl gelten Iaffen wiH. 5Cer greeßling,
bem bie Stubiofibi Dorßer f4on arg ntitgefpielt ßaben, wäre erfcbredlicß
Derßauen worben, wenn im entftßeibenben Augenblide ni4t ber ^>err
©eßeimbberatß felbft unter bie farbentragenben unb farblofen Vßilifter
getreten wäre, ©r giebt bem gremben Recßt unb entwldelt bei ber ©e?
legenßeit politif4e ^ebanfen, bie fonft leiber in feinen fämmtli4cn
Digitized by v^.ooQle
46
Die Gegenwart.
Nr. 3
Söerfen nicht Dorfommen. Neben ißm würzt Me 2>ummßeit eines Soßn^
bienerS, ber unS noch rafd) Don ©cßtfler, Berber unb ©ielanb berichtet,
8 wie ber Sambenfotter eines grunbföplicß in Blanfoerfen fprecßenben
djaufptelerS ben fd)änbltd) biirftigen Brei. 2)iefe bramatifc^e NNßs
ßanblung fjut ©oetße nicht um unS oerbient, unb cS wäre nur gerecht,
wenn im Sabre 2000 ein anberer fjeftfpielbicßter ben §errn ©eßeimbbe*
ratb SBidjert ebenfo erbarmungslos Dermöbelte. $ann wüßte er hoch,
wie eS tbut, Don einem ^b^ifier unter ©eoatter ©cßneiber unb $anM
fcßuhmacßer geftecft ju werben.
Sßäljrenb man fid) über SBicßert'S ©eiftloffgfeit wenigfienS noch
red)tfd)affen ärgern fann, empfinbet man bei ©ngel'S „©turmgloden" unb
SacobomSfi’S „Arbeit" fcßon gar nichts mehr. $)ie Mächtige SrühlingSs
jeit Don 1848 muß bei bem ©inen ben blutroten ^intergrunb für eine
Derlogene, an brutalen Snaßern reiche SiebeStragöbie abgeben, unb ber
Anbre läßt in ber <S>l)It»efternac^t beS QabreS 1900 noch vafcf) eine Ber*
.fößnung jmifchen Arbeit unb ©apital eintreten. ^>err ©ngel belehrt
unS, baß bie Berliner Neoolutionäre entweber großmäulige SBicßte nach
Art jener fpäteren SrreifinnSgröße waren, bie ben B^P unter einem
©troßfad ben Barrifaben uor^ogen, ober baß fie in ber ©traßenfcßlacßt
nur priDate Nadjegelüfte fühlten, fein Serl Don Steuer unb Blut, fein
lobernber Branb — mahrbaftig, feitbem ©ngel gejprodjen bat, Derfteht
man bie Waltung ber Beßörben in ber ärgerlichen ^ortalfrage. $err
’3ocobowSfi feinerfeitS ift, ehe er an fein ©)rama ging, mit bem Nottz^
buch in ber ^anb burcb eine mittlere NkfcßinenfabriF gegangen; baß er
babei nicht auch noch rafch in ben $er$en ber Arbeiter lefeu fomtte,
fcßetnt Derftänblicß. Sropbem foHte ber junge 3Rann, ber bocß Sieber
für’S moberne BolfSgemütß zufammengefteßt bot, etwas mehr fociale
©rfenntitiß unb etwas weniger Deilchenblaue Naioetät befipen. 5Seit=
auS am beften waren bie militärifchen ©aben beS AbenbS. $>er
gefürchtete Urheber beS Burggrafen unb beS ©ifenzaßn fteflte einen
ganz paffablen Blücher auf bie Beine, einen Blücher fo nach ber Art
unferer ©cßullefebücßer: lauter Anetbötcßen unb „ßiftorifche AuSfprücße"
nicht immer fauber, aber wirffam aneinanber gefleht. Wellington hot
Blücher bei Stgnp im ©ließe gelaffen, unb ber Alte will fich rächen,
inbem er ihn bei SBaterloo im ©umpfe ftecfen läßt. ©)od) fiegt am
©ttbe baS preußifche Bflichtgefübl, ünb Napoleon wirb nun baran glauben
müffen. Nicht minber lebenbig, aber trop ihrem fentimentalifchen AuS*
hauch unbergieichÜch echter unb $um Xheil roirflid) ftimmungSootl finb
Jömpteba’S ÄriegSfcenen. $ie fleine Arbeit mit ihrem flotten Dialog
Flirgt faft ergreifenb auS unb beweift mehr für baS Talent beS Autors,
als bie gwar ben Abenb, aber nicht baS ^Sarfett füflenben ©tücfe, bie
wir auS feiner geber faßen. „SBörtß" toirb wohl baS gefammte geft=
fpiel überleben.
Stft Sefftng^fjeater Fam mittlerweile mit Rängen unb SSürgen
bie 75. Aufführung ber SBeißen Nößl=3ortfepung ju ©tanbe; ihr folgte
bie Bremtere beS „Sribelen Sorb Guej", ben ber febr unfibele Ncr.
Binero auf bem ©ewiffen hat. ©S ift nett Dom SMrector Reumann,
baß er über feinen frampfbaften Bemühungen, bie beutfchen dichter auS
bem Blumenthal = Theater ebenfo fortzugraulen wie baS publicum, bie
auSlänbifdjen Boeten nicht Dergeffen hat. AßerbingS zeugt fein Qnlereffe
für Biaero Don einer feßr unglüdlichen §anb. $>er Sonboner ©arbou
ijt nur im Sanbe beS NumfteaFS unb beS ungefal^enen ©emüfeS genieß=
bar; fchon bie Ueberfejung unb nun gat bie $)arftellung burd) möglichft
unenglifche ©chaufpieler ruinirt baS le^te biSchen ?)umor unb ©igenart,
baS feinen f omöbien innewohnt. Sit folchen ©tiicfen muß man SrDing
unb feine Gruppe feßen; fte bebeuten bie 58orcefierjhires©auce für
baS halbrohe Srleifcß. 2)ie ©päßchen, bie fleinen, auf Sonboner 2RiffeS
berechneten Anfpielungen, bie jwerghafte ©atire unb bie fcpamßafte Un*
anftänbigfeit, bie fid) am ©djluß als djemifch reine £ugettb offenbart —
fte paffen nicht in unfer Älitna. 2Bie Dößtg mißlang hier ber Act, ber
im Atelier ber Wanicure^ünftlerin fpielt, wie grob unb ungefdjicft fam
ba jebeS SBort heraus! A3enn man bte Albernheiten ber $inero'fchen
^anblung unb bie antebiluDianifche Plumpheit feiner ^echnif noch bicf
unterftreicpt; wenn man baS bißchen ©rajie, baS ber englifcßen BenuS
trop 3BiHette unb feines „ VMä les English!“ eignet, tolpatfchig Der^errt,
bann ift ber bröhnenbe S)urchfatt gewiß. $)ann ift eS aber auch gerechte
©träfe. 2)ie Qbee, bem angejahrten, enblich nach legitimen ©heftanbS*
freuben trad)tenben Sebe=@entleman Oue? einen ©oncurrenten gegenüber^
juftellen, ber für ebenfo feufd) gilt, wie ber fibele Sorb lafterhaft fein
fofl; bie gortfpinnung ber gabel baßin, baß bem Ouef Berfuchungen
unb ftaUftricfe gelegt, pifante ©ituationen bereitet werben, auS bencn
er fieghaft herDorgeßt, wäßrenb fein tugenbreicßer 9?ebenbußler als pari=
fifch angefaulteS ©ubject entlarDt wirb — biefer Finblicße Borwurf ift
nur auf ber Sonboner ©ant = Bühne Don heute möglich. Unb nur bie
tdjamßaften Xöcßter Don Xbemfe-flartbago Derfteßen bte halben ßätchen
Binero’S, feine immer mit ©trumpf unb 9?achtßemb angetßanen mageren
BebenflicßFeiten ju würbigen, bie, wie fid) gulept herauSfteflt, hod)=
moraltfd)e Sntecfe Derfolgen unb nur ber guten ©ittlid)feitS=©ad)e wegen
einmal beinah nadt he^unifpajiert fittb.
„Bufdß & Oieichenbach" haben fid) troß beS ©rfolgeS am erften
Abenb nur mit 9Rühe auf bent ©pielplan ber beiben aßerbingS immer
fcßlecßten Xßeatermonate beS QahreSfchluffeS gehalten. $irector Sauten=
bürg ift alfo Don ber Berliner Smitation ju ben echten Barifer B^obeßen
jurüdgefeßrt, benen er eigentlich nur bann untreu wirb, wenn an ber
©eine ein ©cßlager Derfagt ßat ober feine Ueberfeper unb 2)ecorationS=
malet mit ißrer Arbeit noch nicßt fertig finb. diesmal wirb baS lange |
©äumen woßl ben Septeren jur Saft faßen, benn ber $)irector hat feinen
fieberen Bomben *©rfolg längft DertragSmäßig erworben, ©tetjt bo^
,La dame de chez Maxim 11 feßon feit Saß* wnb 2ag auf ben Barifet
Blacatfäulen en vedette unb wirb Dermutßlich auch ben ganzen gefeg=
neten SBeltauSfteßungSfommer über bort ju lefen fein, ©in ähnliches
©lüd fcheint bem ©eßwanf tn Berlin ju blüßen, benn baS fRefiben^
tßeater, baS hoch feßon manchen 3ubelfturm ßörte, hat einen folch’ uw
auSgefept lad)ßaften Abenb gewiß nod) nie erlebt, ©ogar ber geftrengen
^ritif foflerteit bie $ßränen itur fo in ben Bart, wenn fte fieß aud)
hinterher meift etwas ißreS SacßenS fcßämle unb zuweilen fogar fittlid)
entrüftete. Wenn aber bie ©enfut bie BorauSfepungen unb erftm
©eenen beS erften ActeS, baS anzüglich stugenbßafte ©ouplet Don ber
armen kleinen unb ben obligaten ©ancan im ^weiten Act, ju bem fogar
ein gütigsmilber Abbe auffpielt, gewähren ließ, fo braudjt bie Äritif
nicht jimperlicßer z« fein. WaS ba nod) jonft pafffrt, ift fießer nießt un-
anftänbiger, als in manchen beutfchen hoffen, unb babei taufenb HKal
natürlicher unb logifcßer, geiftreießer unb wipiger. AIS Büßnenftücf
betrachtet, läßt eS AßeS hinter fid), was tm leicßteften Suftipiel*®enre
gemacht würbe. SBir feßen babei ganz ab Don ben beutfchen Boffa ;
fabrifanten, Don benen äalifcß, Berg unb aße früheren faft auSfd)iiefr
lief) nur wipige Socaüfatoren franzöfifeßer Borlagen waren, wäßrenb
unfere mobernen ©eßwanfbießter Don Wofer unb ©cßöntßan bis Sauf§
unb Blumentßals^abelburg neben einem &ei)beau wie geiftDerlaffenc
^aubwerfer bafteßen, bie itad) zmei Acten — oft feßon im erften —
Dößig auSgepumpt finb unb bloß noch einen britten Act feßreiben, um
bie iantifcme beS ganzen 3:ßeaterabenbS za retten. Aber auch an ber
9fteiftern ber BalaiS=9?ot)aUBoffe gemeffen, wäcßft ber junge gepbeau
unheimlich, ©eine an ben Altmeifter ©cribe ßinanreießenbe ©Jefd)idli(h=
feit unb fein unerfcßöpflicßer Dieicßthum an ©infäßen übertrifft ben alten
Sabicße, ber freilich ber größere #umorift war, unb ben beweglichen
Bieilßac, ber ißm nur als ffeptifeßer ©atirifer überlegen ift. ©S mag
ja fein ($enre ber ©ituationSfomif fünftlerifcß nießt ßoeß fteßen, obwohl
baS Outproquo feit BlautuS unb Wolt^re claffffcße ©eltung ßat, aber
bei S^ß^au ift eS boeß nicht ber bloße büßnentecßntfche ©alcul, bie
blöbe unliterarifcße 3arce, wie bei Anberen. Wofer unb 9iofen ßaben
ben ßvequifitenwip bei unS eingefiißrt unb fozufagen um eine ©ießfanne,
einen beweglichen hohen Spiegel, um eine einzige ©eene ein langes ©tiid
herum gefeßrieben. fjepbeau aber zieh 1 auS bem feenifeßen Xruc in um
erfchöpflicßer Weiterleit aße ©ffecte, bie überhaupt benfbar unb ßalbnwgS
möglich finb. Wiet ift eS ber eleftrifcße ©cßlafftußl, auf bem man beim
^ieberfipen augenblidlicß, wie bie Bewohner Don 3)ornvöSd)enS 0d)loß,
mitten auS bem wachen Seben heraus etngefcßläfert wirb, unb nicht
nur ber Qnfaffe felbft, fonbern auch Seber, ber biefen berührt, fokj
einmal bie ©ingefcßläferten eine eleftrifcße Sette hüben,. bie fnh.toccfc
jeben Winzutretenben Derlängert, biS bann auf ben Sttopf gebrürft imtb
unb bie ©ewedten unter angenehmen Borfteßungen auSplaubernb aui
ihrer ^ranfe erwachen.
3*rtljum, laß loS ber Augen Banb!
Unb merft eud), wie ber Teufel fpaße!
gepbeau beftreitet mit biefem ©tnfatt ben erften Actfcfjluß, wo bie
fromme ©ßefrau zu Waufe feftgehalten unb auS ihren Derzüdten Xrnumcn
Don ber hbd)ft uuheiltgen ©eftalt eines ©traßenfehrerS aufgewedt wirb,
ber im Aufträge beS bureßgegangenen ©atten auf ben befreienben fiitopj
brüdt; unb auS bem ©cßlafftußl gie^t noch her flanze lepte Act Be=
wegung unb unfinnige Wetterfeit. 3mmer wieber geratßen bie
fonen unb immer wieber anbere unb unter anberen BorauSfepungen in
ben Bann beS gefährlichen SRöbelS, unb jebeS Bial wirft eS erfcßütterw
ber auf baS 8 ra erd)feß beS B u <cunt3. 2)aS probire einer utiferet
©eßwanfbießter einmal, unb er wirb halb ben Ueberbruß unb Unwillen
ßerauSforbern. Aber ber erfinbungSreicße gepbeau ßat nod) anbere
Fomifcße XrucS, fogar eine WMligenerfcßeinung, womit auf bie berühmten
Befucße beS ©rzengelS ©abriel bet 3Rabemoifefle ©oudbon angefpieü
wirb, bereu gut bürgerliches W*im eine 3 e ttlang z« einem monbänen
BtaßfaßrtSort mitten tm ©einebabel würbe, ©olcße Actualitäten, bie
jeber ^ßarifer Derfteht unb, faßS er ein Boltaireaner, belacht, fowte za^ s
reiche anbere ©ptpen unb SBipe Derlieren natürlicher SSeije Don ihrer
©cßlagfraft außerhalb granfreicßS unb Derflauen auch in ber beften Uebet'
fepung. Sutmerßin bleibt noch genug unb übergenug eeßt attifeben
©alzeS ober gaßifeßer SebenSfreube. ©o bie genial Jede ©efeßfcßafl^
fatire beS zweiten ActeS. 2Bte ba bie Dorneßmen Sleinfläbterinnen, bie
man auf gut £>eutfd) woßl W^noratioren nennt, bie Dorneßme B 0 ^^ 11
bewuubern, wäßrenb fie boeß nur eine Xingeltangeltänzerin unb Siebet
ßänblerin tft, unb wie biefe nun aßen Bfännern ben Sopf tocrbrcßt,
liebenbe Bräutigams, grüne SuitgenS unb fogar einen tapferen ©eneral
Der führt, eßrbare 3)cäbd)en Derbirbt unb mit bem grand äcart auS bent
Moulin rouge über ©tußlleßnen Doltigirt, waS bann Don ben
bamen als ßücßfter ^arifer ©ßic nacßgemad)t wirb, felbft Don bem obem
genannten geiftlicßen W err u unb fogar mit bem obligaten ©prueß habet:
Woppla, Bater ffeßt’S ja nießt! Unb aud) wir beutfdje ßteicßShaup^
ftäbter unb 5ßrot>in5ler werben halb überafl ben frechen SBaßlfprud) bee
Nachtfalters auS bem Neftaurant SRafint ßören, ein neues ©ricri, Don
aßen Brettern unb Bretteln unb auS ben poetifeßen Annoncen ber
®olbenen 110, — unb bie alte ©ünberitt an ber ©eine wirb ihre
Neoancße nod) einmal genommen haben.
3>aS Uebrige ift ftüfljel: B er f oncnüer ® c ^ un 9 cn r h«f öm,ni
Digitized by v^.ooQle
Nr. 3.
Die ®tgrtu»arL
47
Kd)en $ueHVerwitfelungen, Wißverftänbniffe unb Berbrepungen, eine
©cfpenfterentlarvung unb onbere fomifcpe ©eenen unb verwegene Sppen,
ein oft faft beängftigenber Unfinn, aber Voll Wetpobe unb nie lang*
tvciltg. Bor Allem herr Alejcanber. Er fpielt immer biefelbe SKoÜe
unb ift auch immer berfelbe, aber mie Viel fomifcpe Straft liegt bod> in
btefem trefflichen ©djaufpieler, ber mit feinem Wienenfpiel, feinen über*
beiueglicpen ©eften, feinen ©cpnarcptönen tief in ber BurleSfe fiecft unb
hoch ein Eparafteriftifer vom erften Dfang ift. Wan muß fein ftummeS
©?t>iel wäprenb beS BortragS feiner angeblichen grau fepen, wie er an*
fangS angftoofl beobachtet, nad) bem parmlofen erften BerS fiep etwas
beruhigt, bann in waepfenbe Aufregung, je beutlicper bie gefungene QrvcU
beutigfeit wirb, mit einem entfeßten Blirf auf bie ©ängerin unb einer
immer verlegen*eprbaren hcucpelmiene bie 3 u börerfchaft ju fragen fepeint:
fcerftepen ©ie'S benn nicht?!,.. unb entlieh baS Uff! ber Erleichterung
beim auSbrecpenben Applaus, in ben fogar hocpwürben einftimmt!
Xreffitch auch grl- Dtita 2eon, freilich mehr fepnobbrige berliner 3öpi‘ c
als fßarifer möme, bie troß allebem noch liebenSwurbig bleibt. Unb
bann jeugt ein Debütant, hert* DfoinanowSfp, in ber föftlidjen Eparge
eines herzoglichen ©igerlS wieber für 2autenburg ? S Entbecfergenie, oon
bem ja fämmtlicpe berliner Theater leben. Ueberhaupt welches gu=
fammenfpiel, weldje Einzelfräfte, felbft bie unbebeutenbfte Epifobe an
ihrem Blaß, — fogar bie tarnen jroeiter ©arnitur, bie fid) fonft mehr
burch ihre Toiletten als ihr Xalent auSzeicpnen. Ohne grage ift eS bie
einzige berliner Büpne, bie einen eigenen ©til pat, — freilich ben
^ßarifer ©til, aber hoch berliniid) gebämpft, ohne babei ben ©pirituS
jum Teufel ju fepiefen. $aS Diefibenztpeater ift auch bie einzige Ber*
Uner Büpne, bie nicht nur in ber öon gepbeau Verhöhnten „^rovtna*
ein ©efammtgaftfpiel unternehmen bürfte. 3« SBien finbet fie ihres
©leiepen nicht, ©ogar auf ber SBeltauSftellung bürften fiep 2autenburg
unb feine Seute (eben laffen, fogar mit bem gepbeau'fcpen ©tüd. $enn
einen Alejanbcr hoben bie Barifer nicht.
Offene Briefe unb JUtfroorfen.
9todjina(3 bie „fieliebtefte beutfdje <2^riftfteUerin“.
Verehrter ^err!
AngeficptS ber wiberwärtigen Dteclamen, mit benen vor einiger
3ft&bie BerlagSbucppanblung von Baul 2ift in 2eipzig zum „25jäp*
rigen $icpter=3ubiläum" ber grau DJatalp von Efchftrutp eine ifluftrirte
©efam nt t=Ausgabe ihrer SRomane unb Novellen anfünbigte, hielt ich eS
fÜT zeitgemäß in Shrer „©egenwart" V. 28. Cctober bie fchriftftellerifche
Unnatur ber „beliebteren beutfehen ©cpriftftellerin" in bie rechte Be*
leuchtung ju fteflen unb zugleich bie grage aufzuwerfen, ob nach ben
von mir citirten groben ber Efdjftrutp'fcpen „Sanier" bie Bkrfe tiefer
„©cpriftftellerin" thatfächlich als „eine Bibel für baS heramoachfenbe
meibtiepe ©ejepfeept" angefehen werben fönnten —* eine SBenbung, beren
fiep Me ermähnte Dfeclame neben vielen anbern bebient hotte. $acp ber
ungewöhnlich großen 3apl freunbllcper 3uftimmungen, bie fich Z um $peil
recht beutlicp unb braftifcp gegen baS eigenartige „Talent" ber grau
oon Efchftrutp wanbten, barf tep annehmen, baß ber Artifel feine ©cpulbig*
teit getpan pat. Aber auch Von anberer ©eite wanbte man fid) publi*
Ziftif^ gegen jene unerhörten SRecIamen unb wieS ben tpatfäcplichen
fieiftungen unferer ©chriftftetlerin gegenüber auf baS Unpaffenbe bers
felben in mepr ober weniger fcpaifer Seiie pi«. ©ogar ber 2)eutfcpe
©cpriftftellerDerbanb erließ eine bünbige Erflärung, bafe „eS ipm niemals
eingefallen, btefe ©cpriftfleHerin in irgenb einer 2lrt zu empfehlen,
fieiber fonnten wir nicht feftfteUcn, wer etwa unberechtigt im tarnen
bcS SöerbanbeS bie ©efcpmarfloftgfeit begangen pat, für bie SBerfaffertn
beS »©änfeliefelS 4 einzutreten." Xrop allebem ging bie Dteclame beS
Verlegers rupig ipren s ©eg weiter, nur baS Eine würbe erreicht, bafj
man fortan ben $eutfcpen ©cpriftftellerverbanb auS bem ©piele lieb unb
gr. von Efchftrutp einfach als bie „laut Urtpeil auS ©cpriftfietlerfreifen
beltebtefte beutfepe ©cpriftftellerin" ertlärt wurb?. 34 ^onn ben 9?acp-
roetS führen, baß beutfdje ©cpriftftellerinnen von S3ebeutung unb Sertp
über bie Arbeiten ber Efchftrutp bie benfbar ungünftigfte Meinung
haben unb offen erfläreti, baß ©cpriftfieDerinnen, wie fie, ben ganzen
©tanb fcpäbigen, wetl in weiten ©d)i4ten anbere fcpriftftellernbe grauen
nach ihr gemeffen unb beurtpeilt werben.
2lber bie greunbe ber berühmten Dichterin rupten nicht unb in
ber Seforgnifc, bafe baS bevorftepenbe 25jäprige „dichterjubiläum' # boep
vielleicht ben gehofften Einbrucf niept mad)en unb baS literarifcpe Untere
nepmen ber großen illuftrirten 3ubiläumS=?luSgabe nicht im erwünfebten
SRaaße reüffiren fönnte, fcplug man neuevbingS wieber einen 2on an,
ber bie früheren SReclamen burep ernftpafte ^ofaunenftöße übertönte.
Son befreunbeter $anb ging mir ein in ber 3*tt]4rift „^tjgiea" ab=
gebruefter Sluffaß z u unter bem ^itel: 9?atnlp von Efchftrutp, zu ihrem
25jährigen 3ubiläuni, von feebwig von WabicS=$alten6runner. 92icpt
genug, baß bie Serfafferin auf bie ©unft pinweift, bie 92atalp am ©cpweriner
^ofe genießt, erzählt fie unS in Voller Unbefangenheit, baß ber „$erzog"
fürzlicp einmal bie 3^ ec angeregt pabe, „aüe bie von auswärts ein=
eingelangten ©aben, Epren unb Auszeichnungen in einer Art gubiläumSs
Aufteilung zu Vereinigen, welcher ©ebanfe vielleicht feine SBerwirflicpung
finben wirb". $>abei ift zu bemerfen, baß biefeS „®icpterjubtläum" erft
iommen foll! ($adj bem puncto ©cpriftfteHerinnen=©eburtSbaten aller*
bingS unzuverläffigen unb aHz« galanten 2iteraturfalenber ift grau
von ^nobelSborf^Efcpftrutp am 17. Wai 1850 geboren, aber nicht ipr
50. ©eburtStag foH ja gefeiert werben.) 5)ie greunbin tpeilt unS ferner
bie überrajepenbe 92euigfeit mit, baß S^atalp'S ©epriften „Von allem
Anfang an in ber beutfehen Metropole inSbefonbere geltebt, verehrt unb
gejcpäfct würben", ferner, baß fie ein erflärter 2iebling am berliner
3pofe unb ber beutfepen Äaiferin fei, welche ihrem popen ©e^
rnapl mit Vorliebe beren Sücper Vorlegt, unb fo perab bis zum
einfachen w 9?äp=®täbcpen", benen bie Efchftrutp als ipre „92ational=
.^eilige" gilt, ^un, baS 2eßtere mag ja fepon richtig fein, wenn unS
auch bie Bezeichnung „9?ational=§eillge" nicht zu paffen fepcint, an bem
Erfteren inbeffen erlauben wir unS einftweilen mit aller Entfcpiebenpeit
Zu zweifeln unb zwar auS ben verfepiebenften ©rünben. UebrigenS fäme
eS boep eigentlidi barauf an, ob ber $aifer bie Efchftrutp’fcpen Romane
auch Heft, baS aber ift bei feiner fo unenblicp in Anfprucp genommenen
3ett unb feinem pocpgebilbeten tünftlerifcpen ©efepmaef niept benfbar.
ES fepeint ein Bebüvfniß von 9?atalp'S greunbin zu fein, immer möglicpft
poch zu greifen unb iprem auSerforenen 2iebling möglidpft pope SRupmeSs
fiaffeln zu bauen. Eparafteriftifcp bafür ift fepon ber einleitenbe
©aß. „3nt gänner f. 3- begeht, in ber BoIIfraft ipreS 2ebenS unb
©cpaffenS ftepenb, bie berühmte beutfepe Vornanfcpriftftellerin ^atalp
von Efchftrutp, eine ber bebeutenbften literarifcpen Erfcpeinungen beS
19. 3 a PrhunbertS, ipr in allen 2anben frop begrüßtes unb Von Xaufen=
ben unb iaufenben tprer zapllofen 2eferinnen unb 2efer im ©eifte mit=
gefeiertes 25jäprigeS EMcpterjubtläum . . ." 5)ann folgt ein furzer
2ebenSabriß in ©eftalt einer von Ueberfd)Wänglicpfeiten ftrofenben ©cpiU
berung tprer unvergleichlichen „ütupmeSlaufbapn". „3n jenem zarten
Alter, wo anberer junger gräuleiit Äöpfcpen bloß Von Ballfreuben
träumenb, war ber reifenben Sbicptertn ©inn auf bie AuSgeftaltung ipr«r
©toffe unb giguren gerichtet. 3« vafepefter Aufeinanberfolge befepenfte
fie bie 2anbSleute mit ipren, peute einen Weltruf genießenben retzenben
§of* unb AbelSgefcpicpten, bie man in allen Greifen gern lieft unb bie
ingefammt fepon vielfache neue Ausgaben erlebten, ©o würbe biefe gott*
begnabete Dichterin populär in beS SBorteS waprfter Bebelttung ...
3mmer voller, immer auSgereifter treten bie giguren biefer großen
Dichterin unS auS bem Üiapmen iprer SBerfe entgegen unb ipre Bte(=
feitigfeit fepeint opne ©renzen! ^)aS iüngfte Bud) („E)ie JRegimentS=
tante") in bem alle ftobolbe Efcpftrutp’fcper 2aune unS umganfeln, ift
3prer §opeit ber Herzogin Sapann Albrecpt Von 3ttecflenburgs©cpwerin,
geborener ^rinzeffin oon ©ad)fen4Beimar-Eifenach zugeeignet; baS unter
ber SBibmung befinblicpe Wotto auS ^efioel ($rutffepler ftatt J^efiob?):
„©lüdfelige, welcpe bic Sttufe liebt" beutet eS an, welcher Art bie
„©cpweriner £>ofluft" ift. $em popen ©emapl ber geiftvollen gürftin,
welche in ipre medleitburgifcpe $eimatp ben $aucp unb baS güplen ber
Alt=SBeimarer-*3^t gebracht, ben (!) leutfeligen Befcpüßer unb görberer
beS ©trebenS ber Von ipm fo pod) gefepäßten ©cpriftftellerin, bem Herzog
3opattn Albrecpt erfepeint (?) hingegen ein früherer großer zweibänbiget
Vornan „grüplingSftürme" gewibmet, ber ju ben erfolgreidjften ©aben
ber 5)icpterin zählte. Wöge bie fommenbe SBeipnacptSzeit alle biefe, auep
perrlicp auSgeftatteten Büd)er unferer jungen grauen^ unb Wäbcpenwelt
unter bie bufienbe 3:anne zaubern, als befteS, fcpönfteS, verebelnfteS (!)
©efepenf."
E)er 3teft ift ©cpweigen!
hochachtungsvoll
Hicparb IDnlcfom,
^tottjen.
Weine ^Religion — Wein politifcper ©laube. 3®ci vertrau*
liepe Dieben Von 3- 28* *>. ©oetpe. 3ufammengefteHt unb perauSge*
geben von Dr. SBilpelm Bobe. (Berlin, E. ©. Wittler & ©opn). ES
finb pier bie Aeußerungen ©oetpe'S auS zahlreichen Briefen unb ©e*
fpräcpen auf'S ©orgfamfte, ©aß für ©aß zufammengeftellt unb fo folge*
richtig zufammengefügt, baß baS ©anze wie ein Wofaifbilb erfepeint, in
bem man gugen nidpt gewahr wirb. Wan fonnte biSper nur auS ge*
legentlicpen, weit zerftreuten Aeußerungen ©oetpe'S 2ebenSauffaffung unb
©runbanfepauung über bie ©teöung beS Wenfcpen zu ©ott unb zur ©e*
fellfcpaft entnehmen. DJirgenbS bot ftep ein ©efammtbilb. Um fo mach*
tiger wirft eS, hier in enggefcploffenem Suiammenpange zu erfennen,
wie ernft unb tief ©oetpe lebenslang über biefe größten gragen unb
Bflicpteu beS $afeinS naepgebaept unb wie vorbilblicp, wie unbergleitp*
lid) groß er fiep über fie auSgefprocpen pat. ES ift eine ber einbrucf*
reüpften ©epriften über ©oetpe, ba fte nur ©oetpe felbft zum Berfaffer
pat, unb wirb baper ficperlicp, wie ber h c ^auSgeber feine DfacpwortS*
bemerfung fcpließt, „bem großen Weifter neue ©cpüler" erwerben unb
in unferen gebilbeten ©tänoen von hanb zu h an ^ g^reiept werben.
Digitized by v^.ooQle
Bit ftegentsart
Jlna«tfl«n.
Set SeffeQimgen berufe man ftth auf btt
„(Segrraoarf“.
Utsittik
$untert Ortflinal • Qutadjten
o. gfreunb u. g«tnb: ©ißrnfon
»Taube! ©üt&ner ttrityi S)abn
Stautet ißitnj gontane Qrotlj
$nec!el fcartmamt £ebfe gor*
Mn fttyling ßeoncaoaüo Sin*
bau ßombrofo SRefötfAerMi
»tgra ftorbau OHinter fetten«
toter ©ali«burb ©tenftewici
©tmon Bpenctr ©ptelljagen
©tanlcb ©toeder ©trinbberg
Suttner Zöllbenbrudj SBerner
Sola u. n. Ä.
Wmlmm betr Btgtawavi,
Bt0««tdt0 Jidifolgft
9fontan
Don
^eop^tC ^oCCmg.
W P«ltMM00h. "^|
$retB 3 ÜJJarf. 6d)ön gebunben 4 ÜRarf.
SNefer 8t$mard=(&hrÜ)L8toman, bcr in
wenigen JJabren fünf ftarfe Auflagen erlebt,
erfäeint hier tn einet um bie Hälfte billigeren
$otti*tt£gabe.
5)urtb alle SBud$anblungen ober gegen ©in*
fenbung beB ©etragS poftfreie gufenbuitg pom
Utrlag der Gegenwart,
©erlitt W. 57.
Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift*
stellers sind zu Gunsten der Hinterbliebenen
folg. Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden¬
preises in schönen, geb. Ex. zu verkaufen:
Brockhaus* Conversationslexikon. Neueste
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬
gabe 80 M. — Hch. Kurz: Geschichte der
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. v.
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild-
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder-
bde. 50 M. — Lacroix, Les arts au Moyen-
Age; Directoire Consulat Empire, 2 Lieb-
hbde. 30 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde.
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner
Kunst, Lwh. 10 M. — Shakespeare. Engl.
Text m. deutsch. Erklärungen v. Delius,
Hfb, 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel
(Pfeilstücker) Lwbd. 10 M. — Bestellungen
S r. Nachnahme durch Vermittlung der
Expedition der „Gegenwart“ in
Berlin W. 57.
„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“
Empfohlen hei Nervenleiden und einzelnen nervöeen Krankheitaerschelntmgen.
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwertigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von Ä / 4 1 75 Pf. in
der Apoth. n. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr. Carbach A Cie.
TRPPON
Nahrungs-Eiweiss. •
1 Kilo Tropon hat den gleichen Ernährungswert wie 5 Kilo
bestes Rindfleisch oder 180—200 Eier. Tropon setzt
sich im Körper unmittelbar in Blut und Muskelsubstanz um,
ohne Fett zu bilden. Tropon hat daher bei regelmässigem
Genuss eine bedeutende Zunahme der Kräfte bei
Gesunden und Kranken zur Folge und kann allen Speisen
unbeschadet ihres Eigengeschmacks zugemischt werden.
Bei dem äusserst niedrigen Preise von Tropon ist dessen
Anschaffung einem jeden ermöglicht (80)
Zu beziehen darob Apotheken and Drogengeaohäfte.
Tropon-Werke, Mülheim-Rhein.
Jasj ktri jnt nna rij^yps i
anbere Rundfragen.
Original *©utadjten bon TLb. TlenjeL, Hein-
Ijolb &e£a», &ddliit, TL t>. tPcnter,
Knaus, Utjbe, Stud, 3 oft. Schilling,
Sdiapev, & v. &cbl \atbt, gerb. Kettet,
Defregger, ©ahriet Hfar, tXhoma,
Ciefcemtann, tPUh.Dufd?, Jitger, <Braf
Qarradj, Jltay Krufe, Knitte, Ceffet*
Ury, Doepler, pedjt, Kneftf, Cedjter,
3ügel, parlaght, Htadenfen, Sfarfcina,
Ceiftifot», Gaulle, pUnfe, StabL
Sfreis biefer brei Rnnftfer - stummem 6er
„Gegenwart“ 1 50
9lud) birect pon un$ ju bejieljen nach ©rief-
marfen^Stnfenbung.
Vertag her <5egemt?art, Berlin W. 57.
Demnächst wird auf Verlangen versandt:
Antiquariats-Katalog 92.
Staats- und SociAlwissenschnft.
Nationalökonomie. Finanzwesen.
Etwa 1200 Kümmern.
Leipzig, Oscar Schack.
pc ®£0cmuort.
fBtdjwfefrift für nicratit fmdl ■© I
§e«ttil'|fgtfUf 1872 — 1896.
(Srftrr fti* fünfatgfter ©an6.
9»it Nachträgen 1897-99. ©e$. 5
©in bibliographiffcS 39er! erften
NangeS über Sa8 gefammte öffentliche,
aefftige unb fünftlerifdje fieben ber lebten
25 3abre. WotbroenbigeB Nacbfdjlagebudi
für bie Sefer ber „©egenroart 1 ', fonric
für roiffenfcflöftlidje jc. Arbeiten, lieber
10,000 Slrtüel, nadj Sröcfjem, ©erfaffern,
©djlagroörtem georbnet. SDie Kutinen
pfeubon^mer unb anonymer Krtifel frnb
burebtneg genannt. Unentbeljrlid) für
jebe ©iblfotfjef.
Äu^ btreft gegen $oftan»eifung ober
Wacbnaljme pom
Berlag ber (Segenroart.
»erlitt W 67.
Bestellungen auf die
€inhan55ccfc
©eranttnortlt^rr Webacteur; Dr. ZteofW ßoatng tn ©erltn.
zum 56 . Bande der „Gegenwart“, sowie
zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwei Bände
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und vergoldeter
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden in allen
Buchhandlungen entgegengenommen.
Webactlon unb ttjbebttton: fetrltn W., aRanftetnftrafee 7.
2)ru(f non fceffe
Digitized by v^.ooQle
i*kr\
M 4.
j$evCtw, 6ett 27 . §cmu<*v 1900.
29. Jahrgang.
Band 57.
pc (fcpiittmit
SBodjenfchrtft für ßiteratur, Smtft ttnb öffentliches Sehen.
^etausgegeßett hott ^eop^U £oCtfttg.
lehnt Sotraihndi nfdjetnt etne pmmn. SSetlaa bet ©eaennmrt in Serltn W, 57. •*?«*« 4 * 60 »; !|HK 50 ff-
8u bestehen burt$ alle 8u<$ljanblungen unb Ißoflftmier. ö ° 3n|erate jeber Ärt pro 3 gehaltene $ett4ette 80 $f.
S>a$ coloniafe „©djarladjfieber". ©on ©uftaö TOetiteefe. — (Sfeftricität birect auä SBörntc. S8on ©uftaö (5aft (granffurt). —
GtC.Pl ßtteratur unb Stanft. 3ungfraitfretdj auf ber ©ii()ne. ©on 51. ©runnemaitn (©avtä). — 2Bar ©Ijafefpeare in Italien? ©on
i/ttodli 3*- S31IF). entmann (9tom). — fteulKetöit. $>er Streif in ber Schule. ©on (Smtle 3oia. — ln# bet $attj>tftabt.
^♦♦Y**** • gajdjing. ©on Ximon b. 3- — Opern unb (loncerte. — Offene ©riefe unb Introorten: fiorb ©almerftoit über bie
militärifdje 6djiüäd)e (SngtanbS. ©on Dr. $arl SBaicfer, ®ocent an ber Uniöevfttät Öeipjig. — $otl$en. — Injeigen.
Das coloniale „ädjarladittebei:“.
©on (Sufiao HTetnecfe.
Sin SJtitglieb beS SReitStageS, beffen 2Si|$ ni<f)t immer
üon einer üerlefcenben ißointe frei ift, hat jüngft in ber
®eneralbe6ottc über ben SReid)ShauShaltSetat bie Hoffnung
auägebrücft, bafe baS „@d)ar(achfieber" in unferen Solonien
nid|t nod) Weiter um fiel) greifen unb unfere (Solonien weg»
raffen tnöcje. ®er (Bericht beS SReid)StageS üerjeicf)ttet Reiter«
feit,obwohl bie SBorttoige befanntlid) bie biüigfteu finb, unb
l«a®eid^net bie ©ettügfamfeit ber SBerfammluitg fefer treffenb.
Obwohl nun baS ©charlachfieber gewöhnlich eine Sinber*
ttaritf>eit ift, bie häufig jur ©enefung führt, unb alfo ber
Aejcgfetch nad) biefer 9tid)tung Ijin hfaft, fo ift et auch bann
falf<|, wenn ber ißatient, alfo ^ier bie Solonien, fterben
fouten. SBir galten eS bafier für burdjauS notfjwenbig, bie
Snttoidelung ber wirthfdjaftlicfeen 9tid)tung, weldje §err
Siebermann hon ©onnenberg als ©djarlad)fteber be^eicfjnete,
beS Genaueren ju beteuerten, um baburcf) nacf)juweifen, bafe
man einem weitbtidenben unb erfolgreichen Solonialpolitifcr
fdjwereS Unrecht thut. ®ie ©pi($e beS Angriffes richtet fid)
betannttid) gegen Dr. ©charlad), einen Hamburger 5Red)tS=
antoatt, ber als fotdjer ,£erüorragenbeS geleiftet bat unb als
SBrcthfchnftSpolitifer nad) engtifd)em ÜJtufter bie Sntwidelung
ber beutfdjen Solonien ju förbern bemüht ift. ®arin weife
er fid) ein« nicht nur mit ben Hamburger Saufleuten, weld)e
ettoaS mefer üon cotoniater 2Birtf)fd)aftSpolitif ju toerftefeen
pflegen als bie burdjfd)nittlid)e 9J?affe ber QJerufSpolitifer,
fonpern and) mit einer ganjert 9teil)e unabfeängiger Soloniat=
potitifer unb in ber ipauptfadje mit ber (Solonialabtl)eilung
beS Auswärtigen Amtes. SSJenn man bebenft, bafe Dr. ©d)ar«
lad^ feit ber $eit, ba er für bie beutfdje coloniale @ntwide=
fang fich—mtereffirt, in beftänbiger güfjlung unb im Sinüer»
neljmen mit bem Auswärtigen Amt gearbeitet feat, füllte man
bodT mit ben Angriffen etwas fparfamer fein.
3n einem früfeeren Artifel „®ie angebliche SBerfdjenfuiig
Kameruns" (©egenwart Dom 9. December 1899) feabe i^
bereits barauf feingewiefen, bafe baS (SonceffionSwefen eigent=
li^ fchoit mit ber Segrünbung ber beutfdjen Solonialpolitif
Ntnnt, unb feabe auch futj angebeutet, bafe eS für bie @nü
toidelnng ber beutfefeen Solonien üon grofeem SBertfee fei,
jurnat unferen Solonien noch fo gut wie AHeS fehle, ©o
toot audh hie Soge in ©übwejMlfrifa üor etwa jehu Sahren
ow gerabeju troftloS p bejeichnen. Sn ber erften ßeit beS
Sapriüi’fd)en ^Regimentes beftanb bafeer belanntlidh bie ©efafer,
bafe ©iibweft=Afrifa als Sompenfation befeanbelt werben Würbe,
unb liefe alle Sotonialfreunbe auf Abfeülfe finnen. Aber
man fani hier nicht red)t Weiter, benn im 3?eid)Stag Würbe
über ben SSerth ber Solonic änfeerft abfprei^enb geurthcilt,
unb ber beutfdje ißhilifter hotte für feine Solonialbegeifterung
üorläufig genug getf)an. Auf ber einen ©eite fonnte fich ber
beutfefjc Solonialfreunb an bem öehageit ber ifeatfadhe, bafe
wir Solonien hefigen, auf ber anberen ©eite jeigte er aber eine
lebhafte Abneigung, etwas mehr ju thun, als etwa auf ein
coloniales 93lättlein ju abotmiren unb in einem herein eine
fRotle ju fpielen. ®ie lobenswerten Ausnahmen üon Seuten,
weldje ®elb in bie Solonien ftedten, reiften bei SBeitem nicht
auS, um einen Wirtschaftlichen Auffchwung feerbeijuführen,
benn eine jebe Solonie ähnelt in ber §infi^t einem un=
geheuren @d)Wamme, bafe fie gewaltige ÜRcngcn einer 3 Us
fuhr aufnehmen fann, che fie gefättigt ift. \
®ie ®eutfdje SoloniatgefcÖfchaft für ©übwefüAfrifa nun
hatte bereits im Sahre 1889 mit einem gewiffen ©roll unter*
hanbelt, einem ÜJfanne hollanbifcher Abfunft, über ben 93er*
tauf ihrer 93efi(jungen unb Siechte in ©übWeft»Afrifa üon
ber nörbtidjen ©renje beS ©djufegebieteS bis jum 26. ©rabe
füblidjer 93reitc. ©roQ üertrat ein Sonfortium, welches an*
geblich auS englifd)en unb hollänbifdjen, in SBirflidjfeit jebot
auSfchliefelich auS engtifchen 21)eilf)abern beftanben hoben foll.
ßwifchen biefer ©efeflfdjaft unb ©roQ fam e.in Vertrag ju
©tanbe, nad) welchem bie Säufer baS Stecht haben foüten,
ihren Srrnerb einer ju bilbenben engtifd)en ©efeHftaft ju
übertragen. £>infid)tlid) ber Ausführung beS Vertrages war
bie ®eutfche SolonialgefeQfchaft für ©übweft*Afrifa an bie
ßuftimmung beS 9teid)SfanjferS gebunben. f^ürft SiSmarcf
üerfagte bie 3 ll ftimmung, Weil er AuStänbern fo Weitgehenbe
Stedjte in ben Solonien nicht einräumen wollte. ®iefe Snt*
fd)eibmig bürfte etwa im 9J?ärj ober April 1890 abgegeben
Worben fein, unb bamit war natürlich & er 93(an ber Solonial*
gefeüfchaft begraben, ba SRiemanb Verlangen ju bejeigen ftien,
iit einer neuen 9Beife ju beginnen, eine neue „issue* jet
wagen. Sinige Herren beS üerfloffenen SonfortiumS wanbten
fid) nun an ben Hamburger StechtSanwalt, um feine ÜRit*
Wirfung für ein cnglifdj»beutfd)cS Sonfortium ju gewinnen,
weldjcS ben ©roll’fdjen 9?ertrag übernehmen unb bie ©e*
nehmigung beS 9teid)SfanjlerS jur llebertragung an eine
engti)cl)c ©efcllfdjaft erftreben füllte, in beren Verwaltung
ftatutengemäfe beutfd)en SRitgliebern eine mafegebenbe ®e*
Digitized by
Google
50
Die ffiegettwart
Nr. 4.
Heiligung »orzubeßalten fei. ©ie gorrn einer engltfcßen Ge*
fettfcfjaft würbe als notßwenbig bezeichnet, weil nur für eine
folcße mit ©icßerßeit baS erfotbetlicße Gapital aufgebracht
Werben fönne, wäßrenb bieS für eine in ©eutfcßlanb unb
nacß beutfcE)em 9ftecßt ju grünbenbe GefeEfcßaft immerhin für
Zweifelhaft gehalten würbe.
Sffacfjbem Dr. Scßarlacß fieß über bie Sage ber colonialen
Sntereffen unterrichtet hatte, übernahm er eS, in erfter 3?eiße
bafüt einzutreten, baß jur Ausführung beS mit ber ©eutfcßen
GolonialgefeEfcßaft für ©übweft*Afrifa abzufcßließenben 53er*
trageS eine englifche GefeEfcßaft gebilbet werbe. Sn biefer
foEten bie Gnglänber ben ©eutfcßen gegenüber bie SWeßrßeit
in ber Verwaltung etwa im Verßältniß ooit 6:5 haben.
gaES jcboch bie Genehmigung für eine englifcfje GefeEfdjaft
auch unter ber Vetßeiligung non ©eutfcßen nicht zu gewinnen
fei, füllte bie Uebertragung an eine ju bilbenbe beutfcße Ge*
feBfcßaft gefthehen, in welcher bie SJfeßrßeit ber Verwaltung
aisbann in bem oben angebeuteten Verßältniffe ben ©eutfcßen
Zufteßen foHte. SRacßbent burch Vorüerßanbiuugen mit ber
©eutfcßen GolonialgefeEfcßaft für ©übweft=Afrifa feftgefteEt
War, baß biefe ißrerfeitS nad) Wie oor bereit fein würbe,
ißre fRedjte unb Vefißuitgen einer englifcßen GefeEfcßaft ju
»erlaufen, legte Dr. Scharlach bem §errn General *©irector
ßeibemann aus Göln unb §errn Abolf SBoermantt auS §am*
bürg baS ißroject »or, überzeugte biefelben, wie feßr beffen
Ausführung in einer ober ber anberen gorm ben Sntereffen
unferer Golonialpolitif bienlid) erfcheine, unb gewann biefelben
für baS Unternehmen. Sn erfter Sinie würben bie ©e*
ftrebungen barauf gerichtet, bie Grlaubniß jur Uebergabe ber
»on ber ©eutfcßen GolonialgefeEfcßaft für Sübweft*Afrila ju
erwerbenben Rechte an eine eitglifcße Gefellfchaft ju erhalten,
bocß ftanb General ü. Gapriüt burcßauS auf bem ©tanbpuntte
beS fjötften ViSmard unb erflärte, bie Uebergabe an eine
englifche Gefellfchaft nicht geneßmigeu ju wollen. GS ift
nun »on hohem Sntereffe, ben Gebanfengang biefer Gingabe
fiel) wieber ju »ergegenWärtigen, ba er auch heute noch »on
©ebeutung ift.
©ie Gingabe geht ba»on aus, baß nach geftfteEung ber
beutfeßen Golonialgebiete in Afrifa bureß ben Vertrag mit
Gnglanb üom 1. Suli 1890 bie innere Gntwidelung biefer
Gebiete, ißre wirtßfcßaftlicße Grfcßließung unb ^Urbarmachung
baS Qiel ber beutfeßen Golonialpolitif fein müffe. VefonberS
feßwer erfeßeine biefe Aufgabe ßinficßtlich beS beutfeßen Schuß»
unb SntereffengebieteS »on SübWeft*Afrifa. ©enn bie ©e*
fdjaffenßeit beS SanbeS bringe eS mit fieß, baß baffelbe nur
mit bem Aufwanbe feßr großer Gapitalfummen erfcßloffen
Werben fönne, »on welchen zweifelhaft fei, ob fie jemals ren*
tiren Würben. ©aS beutfche Gapital fei einer folcßen Auf*
gäbe, Wie bie bisherigen Grfaßrungcn zur Genüge bewiefen,
nießt gewaeßfen, unb man müffe fid) »or Augen halten, baß
bie coloniale ©epreffion nad) Abfcßluß beS beutfef)* engtifeßen
Vertrages auf einen tiefen Stanb angefommen fei. SEBertn
bie Grfcßließung beS Gebietes, namentlich bureß Vergbau unb
bureß europäifeße Anfieblung in abfeßbarer 3 e 't gefeßeßen
foHe, fo fei eS nötßig, auSlänbifcßeS Gapital ßeranzuzießen,
unb zwar müffe babei »orpgSweife englifcßeS Gapital in’S
Auge gefaßt werben, weil in Gnglanb leichter als in irgenb
einem anberen Sanbe Gelb zu colonialen Unternehmungen
aufzubringen fei. hierzu fomme, baß unS ©eutfcßen auf
biefem Gebiete noeß bie Grfaßrung, bie gefcßulte Sntetligenz
ber Gnglänber feßlen. ©onaeß würbe cS für unfere colo*
niafe Gittwidelung zweifellos ermünfeßt erfeßeinen, wenn man
jenes Gapital unb jene Grfaßrung in ißren ©ienft fteEett
fönnte, fofern eS gelänge, gleichzeitig bie nationalen unb
wirtßßßaftiicßen Sntereffen ©eutfdjlanbS genügenb zu fießern.
GS würbe bann eingeßenb naeßgewiefen, baß in Politiker £nn=
fi<ßt feine Gefaßten zu befürchten feien, wenn ein größerer
©ßeil beS GigentßumS an Grunb unb ©oben unb ber Verg*
werfS'Verecßtigungen einer beutfeßen Golonie an eine aus*
länbifcße GefeEfcßaft übertragen würbe, baß aber in ttnrtß*
fcßaftlicßer ©ezießung ber SBertß unfereS GolonialbefifceS erft
bureß beffen Grfcßließung gefießert werbe, ©ie fßftematifcße
©ureßforfeßung beS SanbeS auf feinen natürlichen SReicßtßmn,
bie Gröffnung genügenber VerfeßrSmittel, baS ^eran^'i ^
»on Anfieblertt, bie ©ewiüigung »on Vorfcßüffen an' 3 *
felben, bie Vilbung fleinerer Genoffenfcßaften zur Gjploitimng
einzelner Gebietsteile: baS AEeS geßöre zur cultu. Jen
Gntwidelung einer Golonie. Gewiß fei eS »on ©ebeutung,
baß baS SDJutterlanb ben Angehörigen feines VolfeS baS öofle
Efecßt an aEem Gbenerwäßnten fießere unb forge, baß bie
Vrobucte unb gabrifate beS SOfutterlanbeS einen Abfafc naeß
ben Golonien finben, fowie baß bie Verbinbung zwifeßen bem
SJiutterlanbe unb ben Golonien, wenigftenS z u einem ange*
meffenen ©ßeile, bureß bie nationale ©cßifffaßrt ßergefteEt
Werben. ©aS AEeS aber Werbe nießt beeinträchtigt, toenn
man als SDJittel für bie Gntwidelung ber Golonien frembe
Sntefligenz unb frembeS Gapital benujje. Unfere Gefeßgebung
unb bereit fernere Geftaltung ßabe bie »oBe 2J?acßt, unS ba*
gegen zu fießern, baß ©erjenige, welcher bie Auffcßließung
einer unferer Golonien in bie £>anb nimmt, babei Angehörige
auSlänbifcßer Staaten unb auSlänbißße ißrobucte beoor^ugen
fönne. ©iefe Veßauptung bebürfe feines weiteren 9?acßn>eifeS.
Gitte GefeEfcßaft, welcße fieß um ben Anfauf beS SanbeS unb
ber VergmerfS*Gerecßtfanie einer beutfeßen Golonie betoerbe,
fteße unter ben in biefer Golonie geltenben Vecßten. @o
feien fieß bie englifcßcn sperren, welcße bie in grage fteßenbe
GefeEfcßaft mitbilben woEten, benn aueß »oEfommen Aar
barüber, baß bet »on ißnen erßoffte Grfofg in erfter Sinie
barauf beruße, baß fie zu ben beutfeßen Gefeßen unb beitn
Ausübung üofleS Vertrauen ßaben bürftert. AnberetfeitS
ßätten bie beutfeßen Herren ber GefeEfcßaft felbft»erftä«Mnß
bie ©idßerung berjenigen Vebingungen »erlangt unb erßafien,
welcße fie im wirtßfcßaftlicßen Sntereffe ©eutfeßtanbs für ge*
boten hielten, eine genügenbe Vetßeiligung bei ber VeiWfth
tung ber GefeEfcßaft, bie Grricßtuitg einer groeignieberfäUmtg
in Hamburg unb feßließließ eine entfpreeßenbe Vctßeilignng
©eutfcßlanbS an bem Vcrfcßt mit ©übweft-Afrifa. Abgefeßen
»on »orfteßenben fünften würbe noeß golgenbeS bemerft.
©elbftoerftänbli^ ßätten bie englifcßen ©ßeilßaber fieß bamit
eiit»erftanben erflärt, baß baS Gapital ber zu grünbenbett
GefeEfcßaft aueß in ©eutfeßlanb zur ßeießnung aufgelegt Werbt
Seiber fönne man nießt bie Hoffnung ßegen, baß ein größerer
©ßeil beffetben ßier gezeichnet werben werbe. gaES aber im
Saufe ber $eit baS beutfeße Gapital fieß für coloniale Unter*
neßmungen entfeßiebener intereffiren unb fpäter bie Actien ber
Zit grünbenben GefeEfcßaft aufneßmen foEte, fo Würbe in 3 U ‘
funft mit ber SRajorität im Actiencapital bie entfeßeibenbe
Stimme bei ben ©eutfd)en liegen. GS ßanbele fieß gewiffer*
maßen nur um ein Vaßnbrecßeit bureß baS engtifeße Gapital,
oßne baß man bemfelben eine bauernbe Gewalt einräume.
Außer bem Gapital gehörten zur Grfdjließung eines weit*
läufigen GolottialbefißeS Äenntniffc unb Grfaßrungen, welcße
unS ©eutfdjen naturgemäß noeß abgeßen. ©arattf beruße
wieberum bie mangclnbe Geneigtheit beS beutfeßen GapitalS,
fid) an berartigen Unternehmungen zu betßeiligen. 2Bir müßten
unS beßßalb ißre Sfenntniß unb Grfaßrung, welcße eine ßunbert*
jäßrige ©ßätigfeit ben Gnglänbcrn »erfdßafft ßat, aneignen,
©ureß bie SWitwirfung bei ber Grünbung ber beabfießtigten
GefeBfdjaft unb bei beren fernerer Verwaltung würben bie
beutfeßen 3J?itglieber üom erften ©cßritt ab lernen, wie »or*
gegangen werben müffe, um Gapital unb Arbeit zur orga*
nifeßen Gntwidelung »on colonialem Vefiße ßeranzuzießen unb
erfolgreich Z u »erwenben. Gnblicß follte noeß barauf auf*
tnerffam gemacht werben, baß ber unmittelbare Ginfluß ber
beutfeßen ÜRcdjtS* unb 2Birtßfd)aftSanfcßauungen babureß ge«
fi^ert erfeßeine, baß bie gefammte ©ßätigfeit bet GefeEfcßaft
in Vezug auf baS Goloitiafgebiet unter bie ^errfeßaft ber
beutfeßen Gefeße faBen unb baS Vermögen ber GefeEfcßaft,
Digitized by v^. ooQie
Nr. 4.
Die Gegenwart
51
möge baffetbe in ßanbbefißen, in ben üßacßterträgniffen, ©in»
nahmen aus ©ifenbahnen, ober worin immer fonft beftefjen,
unter ber §onb ber beutfdjen Regierung liegen werbe.
©S mürbe in ber ©ingabe aud) nict)t bergeffen — im
«tief nnf eine feinblidfe Stellungnahme Seitens mancher
*=. ;!dhialfreunbe, baß bie möglichen Siebenten bom nationalen
<S»P:tbpunfte auS feßwer ju formuliren feien, foweit fie lebig*
tiflU' äuf allgemeinen ©efühlSanfcfjauungen beruhten. Solche
blirien aber nur übrig, wenn politifcße unb tuirt^fchaftlidje
SSebenfen nicht oorhanben feien. 916er troß biefer Darlegungen
beharrte ber Seicßsfanzter b. Kapribi auf feiner 9lnficf>t unb
eS begannen neue Sertjanblungen unter bem ©efießtspunfte,
bafc jur Huöführung beS Übertrages eine ©efedfdjaft in
beutfeßer gorm, toenn auch mit englifchem Kapital gebilbet
»erben foüte. SBir woden auf biefe Serßanblungen hi er
nicht näher eingehen; ber oon Seiten ber Deutfchen Kolonial*
ßefedfehaft für Sübweft*Afrifa erftrebten, oon ber Regierung
tfjatfräftig geförberten unb bon bem englifch'beutfdjen Kon*
fortium mit aller Knergie betriebenen Ausführung beS Ser*
trageS ftellten fich unüberwinblidhe Schmierigfeiten burdh bie
Soge beS englifcßen ©elbrrtarfteö entgegen.
Um biefe $eit fielen bie SeichStagSberf)a nbtu ngen Dom
Frühjahr 1891, in beren Serlauf Don einem heroorragenben
Parlamentarier, welcher ber Serwaltung ber Deutfchen Kolo»
nialgefedfchaft für ©iibweft* Afrifa angehörte, unfere Kolonie
in ©übweft» Afrifa bom bergbaulichen Stanbpunfte auS als
mettfjloS bezeichnet würbe, Wähtenb ber iperr ÜReichSfanjfer
gegenüber Denjenigen, welche ben Ktat für unfer Scßußgebiet
in ©übweft*Afrifa befämpften, bie Krftärung abgab, man
foUe ber Segierung in Sejug auf baffelbe nur noch ein Sah 1
3*it taffen. KS fam fobann bie Serhaublitng Dom 7. ÜWärj
1892, in ber bei ben greunben wie bei ben geiitben unferer
KolonialpolitiE bie Uebcrjeugung jum AuSbrucf gelangte, baß
bie großen Kapitalien, welche gut ©rfcßließung beS fübweft*
atrijanifchen ©ebieteS im großen Stile erforbetlich erschienen,
in Deutfdjlanb nicht aufzubringen feien. 3n biefer Sißung
toar eS auch, baß ber §err SegierungScommiffar ©eheimratlj
Dr. Jfapfer bie Krftärung abgab, in ©nglanb halte man nach
wie bot unferen Sefiß für wertßbod, neue Anerbietungen
feien bon bort gemacht, aber wie immer fich bie Kntroicfe*
lung auch geftalten möge, niemals werbe bie beutfehe Segie*
rang bie Kolonie aufgeben. ÜBereitS bamalS hatte Dr. Scharfad)
bem Setter ber Kolonial »Abtheilung wie nicht minber ben
Seilern ber Deutfchen Kolonialgefedfchaft für Sübweft»Afrifa
erflärt, baß er Alles baran feßen Werbe, wenn auch borläufig
nur in fleinerem Umfange, eine ©efedfehaft für Sübweft*
Afrifa zu bilben, um neues Kapital unb neue wirtschaftliche
Bewegung in bie Kolonie z u bringen. Dr. Scharlach er*
fannte inSbefonbere ber Koloniat*Abtheilung feine moralifche
Sßerpflichtung an, AdeS zu thun, um eine arbeitenbe unb
genügen!) capitalfräftige ©efedfeßaft in’S Seben z u rufen,
nachbem bie Regierung auf bie burch ihn geführten Ser*
hanblungen hin beranlaßt worben war, zuuerfichtlidje Krflä*
rungen über bie erhoffte Kntwidelung in Sübweft»Afrifa ab*
Zuge6en. DaS enbtiche Krgebniß biefer mühfeligen unb lang*
wierigen Arbeiten War bie fogettannte Damaralanb Konceffion, .
welche feiner geit bielfach angefeinbet worben ift, obwohl bie
©outhWeft*Africa*Kompanh, bie Sefißerin ber Konceffion,
burdh ihr Serhalten bewiefen hat, baß fie in burcßauS lotjaler
Steife ihren Serpflichtungen gegen bie beutfehe Segierung
nachgefommen ift.
SBir fönnen biefen Artifel, ber fidh auf bom Kolonial*
rath felbft als burcßauS richtig anerfannteS SRaterial ftüßt,
nidht beffer fchließen, als burdh Krwähnung ber Dßatfacße,
bie unS ber befte SeweiS für bie SorauSficßt unb Krwattung
ber fieiter biefer ©efedfehaft ift, baß man nämlich baS beutfehe
Kapital gewinnen werbe, wenn baS englifche borangegangen
fei. ©S prägt fich bieS bornehmlich in bem Directorium auS,
in bem bet immer mehr beutfeh werbenbe Kharalter ber South*
weft*Africa*Kompanh am beften zum AuSbrud fomint, fo baß
eS beute auS fieben Deutfchen unb brei Knglänbern befiehl.
Diefer üffiecbfcl ift barauf zurüdzufüßren, baß bie DiSconto*
©efedfehaft mittlerweile ber ftärffte Actionär ber ©efedfehaft
geworben ift. Aber bamit fließt bie SBirffamfeit biefer ©efed*
feßaft, welche bebeutenbe Summen in baS Schuhgebiet hinein
geftedt hat, bei weitem nicht ab, fie hat bielmeßr eine neue
beutfehe ©efedfehaft, bie Dtabi*©efedfehaft, zur Ausbeutung
ber DtabUKupferminen gebilbet, unb ihr ift auch ber ©ebanfe
beS SertrageS mit ber Khartereb*Kompant) zuzufchreiben, burch
welche unferer Kolonie ber ÜBeltoerfeßr burch ©übafrifa
ZWifcßen SBeft* unb Oftafrifa zugefteßert ift.
GleKtrirität bittet aus Wärme.
SJon cSuftao £aft (fjranffurt).
SedjSunbzwanzig Saßrßunberte finb bergangen, feit ber
dRenfcß bie erfte eleftrifcße ©rfcfjeinung näher in’S Auge
faßte. Der erfte, ber eine eleftrifche ©rfeßeinung betrieb,
war DhaleS bon ÜRilet ©t ermittelte bie Dhotfache, baß,
Wenn man Sernftein an einem Stoff reibt, berfelbe befähigt
würbe, fleine, leichte Körper, Wie üßapier ober Korfftüddjen,
anzuziehen. — günfunbzwanzig Saßrßunberte fpäter erft
machen ©albani unb Solta bie ©ntbedung, baß "eleftrifche
Ströme erzeugt Würben, fobatb fid) j»ei berfdjiebene dRetade
berührten ober in eine glüffigfeit getaucht würben, üßjir
haben bei unfern Siefenfcßritt non zweieinhalb Saßrtaufenben
einige 3aßrßunberte übersprungen, bie ebenfadS wichtige 2Ro=
mente für bie ©efchichte ber ©leftricität barfteden, beren
Arbeiten bis heute aber noch 8 U feiner ptaftifdjen Serwen*
bung famen, aber fpäterßin einmal fommen Werben. Die
wießtigften üßunfte für bie moberne ©teftroteeßnif faden in
baS ©nbe unb in bie ganze Sänge bicfeS SaßrßunbertS.
Die Aufzählung ber Samen unb ber Daten fönnen wir hier
in biefem Auffaße nicht beforgen, eS Würbe unS bon unferem
eigentlichen Dßema zu weit entfernen.
SBir bebienen uns berfeßiebenet dRetßoben ber ©leftri*
citätSerzeugung. gunäcßft haben wir ba bie alten dRetßoben
ber ©leftrifirmafchinen, bie bis heute noch feine praftifdje
Anwenbung erlangten. Sßeiter wären bie galoanifcßen ©le*
mente zu erwähnen, bie heute nodj in großen Satterien in
Setrieb finb. 3 ur größten Kntwidelung gelangten bis jeßt
bie Dpnamomafchinen, beten Ströme zu ben Derfchiebenften
ßweefen angewenbet werben unb benen ein immer größer
werbenbeS gelb fießer ift Außer biefen dRethoben giebt eS
inbeffen no^ eine weitere, bie biedeid)t einmal berufen ift,
eine gewaltige fRode in ber Decßnif z u fpielen. ©S finb
bieS bie bon Schweigger unb Sitter im erften Sahrzeljnt
unfereS SahrhunbertS erfunbenen Dhermobatterien. ©eebed
behnte bie Sjperimente auS unb ftedte bie berühmte tljermo*
magnetifche Seihe auf. Sobili ftedte im Sahre 1832 bie
erfte praftifd) berwenbete Säule auf. Sie biente bazu, ge*
ringe Demperaturbifferenzen anzuzeigen. Der ©rfinber be*
feßreibt fie folgenbermaßen: „2Ran benfe fich berfchiebene
Sabieu in einer ©bene bon ein unb bemfelben Sunfte auS*
gehenb, unb auf^jeben berfelben eine thermoeleftrifche Kette
gelegt, beftehenb auS einem SBiSmutfj* unb Antimonftäbchen.
Ade Stäbchenpaare feien an einem üßunfte zugefpißt unb
mit biefem gegen ben gemeinfchaftlidjen SRittelpunft gerichtet,
fo entfernt jeboch boneinanber, baß fie fich nicht berühren,
auch fei bie Crbnung ber dRetade in jebem fßaare biefelbe,
fo baß fich in aden z- Ü8. baS ÜEßiSmuth rechts Dom Anti»
mon befinbet. Die Serbinbung ber benachbarten üßaare ge*
fchehe (am Sanbe) burch Sogen ober Streifen entweber bon
Antimon ober SEBiSmuth, mittelft z'uedmäßiger Söthung."
Digitized by v^. ooQie
52
Die fl&eaetnoart
■ . i4.
Nr. 4.
©ie ißote biefer Satterie finb mit einem feßr empfinbticßen
©atoanometer üerbunben, beffen Stbtefefcata entfprecßenb ein*
geteilt ift, unb mit beffen §ü(fe man in bie Cage oerfeßt
ift, feßr geringe ©emperaturunterfcßiebe ju meffen. Sunfen,
SRarfuS, Stfoe unb Slnbere fonftruirten in ben barauf fot=
genben Sagten ©ßermofäuten, bie aber alle ben in fie ge*
festen Hoffnungen nicßt entfpracßen. Sn fjrantreid) mar eS,
mo jum erften SDiate eine 6ebeutenbe Batterie aufgefteßt
mürbe, ©tarnonb mit oerfcßiebenctt bebeutenben SWitarbeitern
mie Sfture, ©unbre, ©ßanbron unb Sßarpentier, fteßten eine
Satterie oon 3000 ©tementen ßer. ©iefe Batterie geigte
eine Sftemmenfpannung oon 218 SSott bei einem innern
SBiberftanb Oon 31 Dßrn. ©ie Sftetaße biefeS ©tementeS
beftanben aus 2 feilen Antimon unb 1 ©ßeit 3inf, anberer*
feitS aus einer Segirung Don 10 Steilen Steiglang, 1 ©ßeit
Äupferfutfat unb 1 ©ßeit Stntimonium. ©iefe Segirungen
maren nicßt birect aneinanber getötet, fonbern eS maren
fogenannte Sntercontacte bajmifcßen gefügt, bie abmecßfetnb
ßeiß unb falt gehalten mürben, ©er betannte ©teftrifer
©ütdßer fteHte ebenfalls eine ©ßermobatterie ßer, mit ber
anfdjeinenb gute Sßirfungen ergiett merben. SBeiter märe eS
nicßt unintereffant, einer in Slmerifa erfunbenen Satterie
©tmäßnung ju tßun. ©iefe Satterie oon H- ©• So? befielt
aus ringförmig angeorbneten ©tementen. ®aS einjctne ®te=
ment befielt aus einem feitförntigen Stocf non jufammen*
gefcßmoljenem ßint unb Slntimon, an ben ein Äupferftreifen
angefcßroeißt ift. üftad) ber Sßatentfdjrift fott eS babei mit
bem 3>ntantimon eine Segirung bitben. @S merben fo niete
©cßidßten Oon ©tementen übereinanber angeorbnet, atS bie
H<>ße ber Spannung auSfaßen fofl. ©ie Satterie ift innen
unb außen mit einer ifotirenben, feuerfeften SWaffe betteibet,
bie man burcf) Sergtafung eines patentirten SRateriatS im
Neuer erhält. Son außen mirb bie Satterie abgefüßtt, non
innen mirb fie oermittelft eines ©aSbrennerS gezeigt, ©ine
Satterie, bie 5 Sott unb 5,5 Stmpere giebt, fott ungefähr
1,5 ©ubiffuß ®aS pro ©tunbe Oerbraudßen. Sei biefer
©etegenßeit motten mit uns nocß eines ©ßermogeneratorS
Oon Stuft erinnern, ber aus einem Ofen befteßt, in bem
6000 ©temente eingebaut finb. ©iefer Apparat, „SJtagno*
pite" genannt, entmidette eine Spannung non 96 Sott unb
befaß einen innern SBiberftanb non 11,5 Dßrn. ©er SBir*
tungSgrab ift nacß miffenfc£)afttic£»en SDfeffungen ein feßr ge*
ringer, ©erfetbe beträgt bei ber Säule non ©ütcßer 4,3l°/„.
Sergleidjen mir biefe 3aßl mit ben mobernen ©ampffeffel*
^eijungen, bie bis über 70°/ o herauffommen, fo ergiebt fid)
non felbft, baß ber SBirfungSgrab nerbeffert merben fann.
@S fommt uns unmißfürticß bie grage, merben bie
©ßermobatterien jemals in ber Sage fein, mit einer ©ampf*
mafcßine, bie eine ©ßnamo treibt, ju concurriren? gür bie
beften ©ampfmafcßinen regnet man einen SBirfungSgrab non
10°/ o . Sfteßmen mir ben Sftußeffect ber ©ßnamomafcßine
ju 90°/ o , fo ergiebt fid) ber Stußeffect ber ganzen Stntage
ju 9°/ 0 . Hinaus ergiebt fieß, baß, menn eS gelingt, ben
Stußeffect ber Neuerungen unferer ©ßermofäuten ju oer*
beffern, biefetbcn berufen fein merben, eine bebeutenbe Stoße
ju fpielen; benn eS ift aueß in Setracßt ju giefjen, baß bie *
Stntagefoften auf jeben Naß bißiger mären, fcßon meit fie
nicßt fo complicirt finb mie eine ©ampfmafcßinenantage unb
ferner meit fein ©cßmier* unb ißußmateriat nerbraucfjt mirb.
©S ift nun ungefähr fünfjeßn Satire ßer, baß Saron not»
gefcßlagen ßat, in ben Staucßjügen unb SJtauern non Neue*
rungen ©ßermoelemente einjubauen. Sis ßeute mürbe nocß
nicßt ber fteinfte Serfucß nacß biefer Slicßtung ßin auSge*
füßrt. 916er in ber ©ßat finb fo niete SBärmeoertufte nor=
ßanben, in ber ©edjnif mie braußen in ber Statur, bie man
nußbar madjen foßte. 3d) ftimme nun aflerbingS nicßt mit
in ben Sorfcßtag ein, ©ßennoetemente in ben Steffetfeuerungen
einjubauen, ba biefe ja ben Stußeffect gerabe bei ©ampffeffet*
feuerungen gu meit ßerunterfeßen mürben. Sn ben Siaminen
fotcße Satterien unterjubringen, baS märe jebenfaßS boi
Sortßeit. St ber menn man große Satterien über ben H«j| !
Öfen anbringen mürbe, ober menn man biefe Stbgafe buttß
große, meßrere SJteter ßoße ©anäte ober ©emötbe ftreidjen
ließe, in benen an ben SBänben tßermoeleftrifcße Satterien
angebracßt mären, beren eine Steiße ber Sötßfteßen in bie
ßeißen ©afe ragen mürben, mäßrenb bie anbem außerhalb
in ftießenbem SBaffer mären, fo fönnte man auf biefe Sri
unb SBeife große ©teftricitätSmengen mit menig taufentw
Äoften erjeugen.
©in anberer Naß märe ber, in ber Stäße beS Stequaiorj
»iefleicßt in einem ©ee, ben man etoentuefl ourcß ein fließen*
beS SBaffer ßerfteßen fönnte, ober am Ufer beS SJteereS üfc
gemaltigen tßontonS eine ißtattform ju erricßten, auf ber man
tßermoeteftrif^e Satterien Oon großen ©imenfionen auffteüen
fönnte, Oon benen ber eine Sntercontact in baS SBaffer, btt
anbere in Norm einer H«S t iPt ,e Soft ragen mütbt
Sta^ ben Strbeiten üerfcßiebener ©eteßrten fofl bie ©oimt,
auf jebe (beutfcße) Ctuäbratmeite eine Straft oon über 5 9KU* ’
tionen Ißferbefräften auSüben unb jmat in Norm oon SBättnt
Sltfo fetbft menn ber ©otatnußeffect einer fotdien Satterie,
beren H^srippen eine Duabratmeite Dberftädße ßätte, um
l°/o märe, fo ßätten mir 50000 fßfcrbeftärfen in goto
eteftrifcßer ©nergie jur Serfügung, bie man beliebig in
Stccumulatoren auffpeicßern fönnte. @S ift nicßt nötßig, eine
Stnlage oon einer foldßen ©röße ju bauen. SJtan fönnte
aber j. S. eine fotcße erricßten, bie ungefäßr 1000 ÄilotMä
teiftete. Sei ©age, menn bie Sonne fcßeint, mürbe fie frei*
tief) meßr teiften atS bei Stadßt, üoßftänbig ftromteis träte
bie Satterie nur bann, menn baS SBaffer unb bie Suft \k
gfeieße ©emperatur aufjumeifen ßätten, biefe Unterfcßiebe
ließen fieß aber feßr teießt bureß SIccumutatoren*Satterien ai*
gteießett. ©benfo fönnte man bie ßeißen SDueßen auf
tidje Strt nußbar madßen, inbem man baS SBaffer iu fws
langen ©anate fortteiten unb paraßet baju fatteS SBafftt ti
eben fotdßem ©anate fließen taffen mürbe. Ueber biefe»
jmei ©anäten fönnte man berart Satterien aufbauen, bab
ber eine Sntercontact in baS ßeiße, ber anbere in baS tato
SBaffer taudßen mürbe, ©elbft menn ber Slußeffed ei«
außerorbentlidß geringer märe, fo ßätte baS meßt bid j«
fagen, benn bie SetriebSfoften mären ja aueß feßr gering
Stnbere Norfcßer moflen mieber auf einem anberen Siege
ju bem Niete gelangen, SBärme in ©teftricität ju oerttaitbetn.
©ie ©ßatfaeße, baß ©ifen unb anbere magnetiSmuSfäßige
Körper bei gemiffen ßoßen ©emperaturen benfetben oertieten,
ßat ju üerfdßiebenen Serfucßen Seranlaffung gegeben, bie
barauf abgietten, bureß ©rmärrnen unb SBieberabfüßten non
SDfagneten Strom ju erjeugen. ©ore mieS im 3aßre l868
barauf ßin, baß bieS unter gegebenen Umftänben mögtid) ift
©bifon conftruirte im Saßre 1886 einen „Ißpromagnetico«
generatot", ber auf ber ÜJBeltauSfteflung Oon tßariS 1889
ju feßen mar. Stntßonß, 9J?engeS, ©eSta, ©ßompfon unb
Stnbere maeßteu fidß bis jeßt auf biefem ©ebiete feßr net«
bient, boeß finb biefe Serfucße ßeute noeß ju feinem ?lb*
feßtuß gelangt, ©in anbereS ©ebiet, auf bem oiel gearbeitet
mirb, bei bem aber bie betreffenben Serfucße aueß noeß}»
feinem Stbfcßtuß gelangten, ift baS tßermoeßemifeße Söerfaßren.
3Kan bringt Sloßle in einem gefeßtoffenen SRecipienten W
ßoßer ©emperatur mit itgenb einem SWetaBojßbe, fagen wir
Ninf, jufantmen, baS feinen ©auerftoff an bie Äoßte abgitß,
fo baß baS frei mirb. ©iefeS ßat nun einen $$etf
ber Soßtenenergie in fieß aufgenommen unb fann nun «
gatoanifeßen ©tement atS SöfungSeteftrobe Sermenbung ftnbet-
©ie bieSbejügti^en Serecßnungen füßrten für bie
aber aueß ein negatiüeS Stefuttat g« ©age.
®aS größte Problem ber eteftrifeßen SBiffenfdßaft iß
3eit „©teftricität birect aus Äoßte". Siocß finb bie
futtate ber Serfucße ttaeß biefer Sicßtung unfeßeinbar.
ßaben ben Slampf oorjeitig aufgegeben, um fidß praftifeßeren,
Digitized by v^. ooQie
Die #egeti»ari
leicpteren ßielen gugutoenben. STber immer treten neue Sträfte
für bie gagpaften ein unb gefpannt oerfolgen mit i£)re ©e=
ftrebungen. Uebergroßer ©ntpufiaSmuS non ber einen, nör*
getnber mißgünftiger ßmeifet auf ber anbern ©eite, finb bie
©jtreme, bie ben ©inen anfpornen, ben Slnbern gurüd*
ftptecfen. ©ormärts fei unfer Sßaplfprucp, einerlei, maS bie
3ufunft bringt.
Literatur unb $unft.
3ungfrttttkreid) auf ber tBüifttc.
SSon 2(. Brnnnemann (tßariS).
©ine bemunberungStoürbige ©ebulb fegte bie frangöfifcpe
&ritif an ben Dag, als fie. mit gefteigerter ©rmartung unb
gütigem Sßoplrootlen jebeS bramatifcpe ©rgeugniß ber jungen
©djule begrüßte, baS über bie ©retter bet ©etfucpSbüpne beS
„Theatre libre“ ging. SRan meinte ©eftrebungen ermutigen
ju müffen, bie, roie eS längft in ber bifbenben Sunft ge«
fdjepen, abfolute SBaprpeit unb ccpte jftaturlaute auf bie mit
personnages ä idees (oon DumaS fils gefcpaffen) bis junt
Ueberbruß gefüllte ©üpne gu bringen oerpießeit. Unb bod)
ging bie greie ©üpne mieber ein, benn fie fam über ein
ÜiterarifcpeS ©iperimentiren nicE)t pinauS unb baS neue Drama
ttmrbe nicpt geboren. Die junge ©eneration mißbrauchte baS
nacpjtcptige ©ntgegenfommen unb feprte nur bie brutalfte
©eite beS ÜRaturaliSmuS peroor. ©ie fcpmelgte förmlich in
SBodpeit unb ©goiSmuS unb affen 2(bfcpeulicpfeiten beS animal
humain, unb übertraf fo bie auf bie ©üpne gebrachten 3°fa’3
unb ©oncourt’S („Therese Raquin“, „Germinalt 1 — „Germinie
Laeerteux“), ohne beren ©roßgügigfeit gu erreichen. 2Hit
©oüiebe bepanbelten bicfe Süngften bie in’S 3 0ten P a ft e 8 Cs
fteqmen. ßiebeSabenteuer beS mittleren unb Reinen ©ürger*
ftanbeS, Dpemen etma, mie fie 3°^ a ’^ „Pot-Bouille“ bietet,
ferner baS 2trbeiterleben in brutalfter gorm. ©o mirb unS
in „l’Argent“ oon @. gabre eine gamifie borgeführt, bie
burdj gälfcpung oon ßebenSmitteln reich (jemorben ift. 211§
ber ©ater fein Deftament macpt, bricht 3mift unter ben ©rben
au3, benn bie Sünber haften fich ber SWutter gegenüber für
üerfürgt unb rächen fich, iobem fie bem ©ater oon ber Ün*
treue Der ßeßteren erfühlen, ©ie aber erffärt ben ©atten als
gälfcper unb gießt ihre Ütnfdjulbigung erft gurüd, als ihre
Slnfprücße oofl gemürbigt morben finb. — Dies eine ©eifpief
möge gur ©ßarafteriftif beS fogenannten „ Th&xtre rosse“
ober „Theätre cruel' (mie eS ßeoit ^enuique, ^>enri
©earb u. 2f. pflegen) genügen, baS in bem ©eftreben natiir*
tidj gu fein, ©räuet auf ©rauet häuft unb SDJenfcpen unb
SebenSoerpältniffe ohne tieferes ©inbringen in bie ©haraftere,
ohne übcrgeugenbe ©fpcßologie meit unter ihr ÜUltagSnioeau
herabbrüdt.
Sngmifcßen geftaltete fid) unter ber Seitung beS ©cpau*
fpieferS 2fntoine bie grneite ©arifer ©erfudjSbiißne, baS
„Thä&tre de l’Oeuvre“, gu einer meit günftigeren ©flangftätte
neuer reformatorifcher ©eftrebungen, meil fie nicht in ein«
feitiger ©Seife bem naturaliftifcpen ©riitcip hulbigte unb gubein
eine glüdlicpe 2Inleipe beim 2luSlanb machte, ba eS im ßanbe
fetbft an ftarfen regenerireitben Straften fehlte. Spr oerbanft
^frantreicß bie Sefanntfcpaft mit Sbfeit, Dolftoi unb Dofto*
lemSfp; beibe fotlten umgeftaltenb auf benjenigeit 3meig ber
oratnatifcpen ßiteratur mitten, auf ben fich bie gefammte
©ühnenthätigteit ber grangofen feit Saßrgepnten concentrirt:
baS ©ittenbrama. 9?acpbcm bie Dragöbie ju einem bloßen
©ffectftüd (©arbou) ober ju trafttofer Nachahmung ber
9tomanti£er (©oppee, ^>enri be ©ornier, ©arobi) herabgefnnten
ift, nimmt baS ©ittenbilb, biefer fräftigfte jRieberfrfjlag beS
©ariferthumS, bie erfte ©teile in ber bramatifcfjen ßiteratur
unferer Nachbarn ein. §ier ftoßen mir auf bie echten Keinen
unb großen Dalente, auf gallebittere ©atirifer: ©ecque,
ßaoeban, auf liebenSmütbige ©pötter: Donnap, §ermaitt,
auf feine ©fpchologen: ©rcöoft, ßemattre, be ©urel, auf
mutige Stämpfer für bie ©ed)te beS SnbioibuumS: ©aul
fieroieu. Die ©ittentomöbie mirb mohl immer baS @d)ooß=
tinb ber franjöfifchen bramatifchen SWufe bleiben, benn in
ihrem ©ahmen taffen fiep bie glänjenbften geiftigen unb
bichterifcpen ©igenfepaften beS ©allierS entfalten: tüpne
©ftjdjologie, feparfe ©paratteriftit, geiftfprüpenber Dialog,
grajiöfe ©emeglicpteit; ©orjüge, bie felbft über ftarfe fjeplet
beS bramatifepen SlufbaueS ptnmegtäufdjen; enblicp eine nn«
erfdjtodene, fcpatf pointirte, oielbeutige Knappheit ber ©praepe,
bie mit menig aitfdjeinenb parmlofen ©Sorten fepr ernfte
©(haben ber ©efettfepaft aufbedt unb geißelt unb babei —
menn mit eS nidjt mit gan^ feproffen ©olemitern ju tpun
paben — immer tiebenSmürbig bleibt.
lieber ?tlej.'anber DumaS’ Piece ä these ift baS heutige
©arifer ©ittenftüd ein gutes Dpeit pinauS gefommen. Die
©erfonen, bie einer Dpefe ju ßiebe ba toaren, leben jept ipr
eigenes ßeben, ein beffereS feiten, aber ein glaubmürbigercS;
niept burep lange moralifcpe 2lbpanblungen, fonbern burep
peinlicp«genaue ©cpilberung ipreS DpunS unb DreibenS mirb
biefeS gerieptet. Dennoch ift baS moberne ©ittenftüd fepon
bei DumaS im Seime üorpanben; tpeuer mar iprn bie neu*
eüangelifcpe Dpeorie beS SliitleibS mit allen ßeibenben, inS*
befonbere mit ben ©ariaS ber ©efeUfdpaft, unb er mar eS,
ber guerft für bie SRecpte beS burep conoentioneüe ©epranfen
unb gärten unterbrüdten SnbioibuumS eintrat. §eute ent*
nimmt man ben oon Cften unb SRorben eingebrungeiten
Sbeenftrömungen, in grünbli^et üftieptaeptung DumaS’, bie
§auptingrebiengen, mit benen biefe eept franjöfifcpe Soft ge*
miirgt mirb, bamit fie eine über baS eng begrenzte ©arifer*
tpum pinauSgepenbe ©ebeutung erpalte.
21 m lebpafteften paben fiep gcrabe bie perOorragenben
Dalente ben großen flaüifdpeit unb germanifepen Sbeenfonb
gu eigen gemaept, mäprenb Dalente gmeiten 9iangeS, mie
Donnap, |>crmant, nur mit c<pt gallifdjen ©igenfepaften
reigen unb burep fede ©eitenfprünge in’S ßaSciüe geigen, baß
man in grantreiep noep oerftept, ftdp, opne Oiet gu analpftren
ober gu ppilofoppiren, über flott unb pridelnb bargefteüte
galante Abenteuer gu beluftigen. Denn in granfreiep, baS
unferer üluffaffung oom Dpeater entgegen, bie ©üpne ent*
meber als titeravifcpeS Snftitut ober lebiglicp als Unter*
paltungSftätte anfiept, malten feine äftpetifepen ©erböte ober
üolfSergieperifcpen ©orfepriften; eS gilt pier ber ©runbfap:
ertaubt ift, maS gefällt, ©o paben mir, mie mir fpäter fepen
merben, neben cinanber auf erften ©üpnen baS ftarf ppifo*
foppifd) gehaltene ©tüd, maS bei unS nur als ©uepbranta
möglid) märe unb baS oberftäcplidjfte ©atonbilb, baS nur
burep feine flotte 3D?acpe giept unb bejubelt mirb. 3 U lepterem
©enre gepören ©laurice Donnap’S „Amants“, eine ent*
giidenbe Somöbie oollet ©onmotS, geiftüoDer ©taubereien unb
oielfagenber ©ouleüarb * ©arifiSmen. 2lQcS fpielt fiep im
eleganteften ©afon ab; bie §elbin erfepeint unS als gragiöfe
©ariferin — bis mir gang uerbußt bapinter tommen, baß
unS £etr Donnap nur eine picante ©eene aus ber £mtb*
meit oorfüptt.
$enri ßaoeban aber ftellt fid) pöpere Slufgaben. ©r
mit! als ©ittenriepter auftreten unb fepmingt bie ©eißel ber
Satire (»le Prince d’Aurec“, „les Yiveurs“, „les Deux
Noblesses“). 3 um Dpeil ben Don feines fraftooHen ©or*
gängerS ^cenri ©ecque anfcplagenb, nimmt er biefem bie
troftlofe ©itterfeit unb ernüdpternbe 2lbficptlicpfeit; er ftidjt
mit feinen ©abelfpißen, mo jener mit ©friemeit ftiept. ©ie
alle eifern gegen bie oerlotterte ©efellfdjaft, gegen bie genuß*
fücptigen ©elbleute, bie eine allen 2lbelS ber ©efinnung bare
?lriftofratie oor iprem Oöüigen 3Ruin in’S ©djlepptau nimmt.
Digitized by v^. ooQie
54
■v
flie Cegetutri
Nt. 4.
gegen bie leichtfertigen ©attinnen, bie Sebentänner, bie Halb»
meltbanten, bie jungen unb alten ßRonbänen, bie nicht beffer
finb mie jene, bis herab gut „ingenue“, einftmalS meiß unb
unfchutbig, roie bie stauben unb nun als „halbe Unfdjulb"
nach bem reifen freier fifcßenb. SaS erfte 93?al reigt
ein folchcS ißarifer ©tüd bie ifteugier, baS gtoeite SJfal lang*
»eilt eS unb baS britte SWal efelt eS uns an. Äfime ein
ftarfer Sturmminb unb fegte biefe Slätter non bannen — bie
SBeltliteratur mürbe nicht niel oerficren. SaS eine ober
anbere Stüd mag eine fittengefd)id)tliche Sebeutuitg haben,
hoch ber Socumente ftnb fcßon übergenug borhanben — faum
eines er}d)ließt uns neue SebenSbert)ältniffc, ethifche Sßertbe,
beaditenSmürbige ©eelenäußerungen, Steigerungen ber $ßer=
fönlid)feit — mir erfahren nichts non focialen Serhältniffen
unb ernfteit ßeitproblemen. Sann man einem geminnfüd)tigen
Santier, einem berlumpten ©rafen, einer Socotte unb einer
9J?arquife, bie nicht niel beffer ift, auf bie 'Sauer ein tieferes
Sntereffe mibrnen, felbft menn bie geheimften Sriebfebern
ihres groeifelbaften fianbelS mit bem fdjärffteit Secirmeffer
pfhcßologifcher Analpfe bloSgelegt mcrben? Unb menn bie
Sfjilieufd)itberung noch fo treu ift — müffen mit ber Halb*
mc(t=©aIonS, ber Chambre separes nicht mübe merben!
SBelcßen Antbeil bat bie benleube unb füfjtenbe SD?enfd)t>eit
an ber ©enußfucht ber Sßarifer oberen .gebntaufenb? Höd)ftenS
ben einer flüchtigen Neugier.
lieber baS Sarifer Srciben felbft erheben fid) nur menige
frangöfifcße Sramatifer unb jene, bie unS burdj ihre tiefen
gebantlichen ®aben ungleich merthnoKer finb, bie fid) an ben
ganzen 9Renfd)en menben, bfirfen mir in unferem Sinne nicht
eigentlich ä u ben geborenen Sühnenfehriftftellern gäljlen:
SuleS Semattre, Saul Herbieu, gratt^otS be Surel.
©S finb feinfinnige Sfritiler, Senf er unb ißbifofophen, feine
Sramatifer, benn fie tljeoretifiren, analhfiren unb pt)ilofopf)iren
biel, ohne unS rafch pulfirenbe Hanblung, bühnengerechte
SMrlungSmittef, gefdjloffenen Sau, Steigerung ber Spannung,
fürs etroaS nach unferen Segriffen fpecififcß SramatifcheS su
geben. Um ihnen wolle ©ered)tigfeit miberfahren gu taffen,
müffen mir uns auf ben ©tanbpunft ftetlen, ben, mie bereits
ermähnt, ber Rrangofe feiner Sühne gegenüber einnimmt.
(Sr mürbe bie befannten Stüde biefer Autoren als „comedies
litteraires“ (Suchbramen) beseichnen, fie jeboch, trog ihrer
©igenfeßaften als folche, ebenfo gern auf ber Sühne fehen
mie lefen; ja bie Seetüre eines StiideS — unb nicht mie bei
unS bie Aufführung — gilt ihm als eigentlicher ißrüfftein
für feinen SBertl). (Sin Sud)brama bdü literarißher Se=
beutung — bieS besieht fich freilich in erfter §infid)t auf bie
eble Sprache unb ben poetifd)en ©eßalt beS SerSbramaS, —
fd)ä|jt er höher ein als ein nach ftraffen bramatifdjen (Som«
pofitionSregeln aufgebautes Sühnenftüd, baS nur ein foldjeS
fein miß.
Stuf bie genanten Autoren haben Solftoi unb Softo*
jemsfh einen tiefen (Sinbrud gemacht, unb als Sbfen baS
Äampfgefchrei beS SnbibibuumS gegen bie ©efeflfehaft erhob,
unb fleißig aufgeführt unb commentirt mürbe*), ging ein
menig oon feiner Streitbarfeit auch auf fie übet. (Sine neue
fßh°f c für bie (Sntroidelung beS frangöfifdjen SittenbramaS
bebeutet SuleS Semaitre’S „ißarbon". (SS ift ein fchlidjteS,
furseS Drame d’analyse, tiotl tiefer pfhcholoqifdjer Reinheiten.
Sie Sbeorie ber Sergebung, ber ruffifchen SRitleibSflutb ent=
ftammenb, bilbet hier bie Söfung ber nicht aßgu neuen @he=
bruchSgefd)ichte unb entrüdt fie fo bem parifer Soben in
eine Sphäre allgemeiner SWenfchlichfeit, bie ©t)mpathien unb
Antipathien aller SKenfchen anrufenb. ©atte unb ©attin,
bie Seibe beS SreubrudjS fchulbig finb, bereinigen fich S um
Schluß in erhabener Serföhnung unb Sergebung. Sie eblere,
*) SJon Q6fen führte ba§ TheAtre de l'oeuvre bie „©efpeitfltt",
„$ie SBilbente", „SKocmerütjoIm", „SBaumeifter ©olnefc" auf. „Oiora"
mürbe im SBaubeoitte burctj bie Dtöjane creirt.
milbere ©eite beS SKenfdjenthumS mirb mieber herborgefdjtt
— freilich finb eS roeidje, fchmanfenbe ©boraltere, hie mit
bulbfam unb uerföhnlich merben fehen. SBeil fie aßgu leicht
bet Serfudjung unterlagen, prebigeit fie ÜRitleib mit alle«
©djulbbelnbenen, unb auS bem nieberfdjmetternben Semußtfei«
ber eigenen S<hmacf)heit heraus mirb ^ier bergeben, ©ne
aUsu ftarfe Neigung gum Analhfiren ber ©efül)le unb eine
SU große SSeidjheit ben ernften Rorberungen beS Sebenj
gegenüber burchgießt baS gefammte bidjterifche Schaffen bee
feinfinnigen SritiferS Semattre, ber bei einem überrafeßenb
tiertieften iRachempfinben unb Seurtheilen frember Schöpfungen
ber fräftigen (Sigenart entbehrt; barum gingen feine übrigen
Slomöbien: „läge difficile“, „le depute Leveau“ unb „les
rois“ (bramatifirter fRoman), siemlich einbrudSfoS ‘borübet.
Äiihn unb energifd) tritt bagegen fßaul ^erbieu auf
mit felbftftänbigen ©eftalten, bie eine fefte, fidjere Spradje
leben. Sei ihm befinbet fidh baS Snbibibuum in boflem
Sampfe gegen - bie ®efeUfd)aft; allen Schranfen ber Sitten
unb ©efefce gum Sro§ pocht eS auf fein 9ted)t an baS
®(üd. @r |at eine burchauS moberne AuSbilbung ge<
noffen unb ift mit aßen aufregenben Sbeen ber jüngften
3eit, mit ben Sbeen bon perfönlicher Rreiheit, bm
ber (Sntmidelung beS Sch mohl bertrant. Soch Serbien
bleibt ftetS in gemäßigten (Stengen; er geigt uns ben furcht¬
baren Srud ber ©chranfe unb baS bergroeifette Auflehnen
ber ©ebrüdten, nicht aber baS leichtfertige Sprengen bet
Reffein. Sormiegenb ift eS bei ißm baS SBeib, baS fich
gegen eine gefe^mäßige, lieblofc Unterbrfidung empört ®k
„SenaiüeS": 3rene lebt unglüdlich mit ihrem (hatten $a«l
Rergan, einem (Sgoiften bom reinften SBaffer. 3hr Rugenb«
freunb, ÜRidhet Sabernier, ben fie liebte, lehrt bom AuSlonbe
gurüd unb baS erfte SBieberfeljen offenbart ber jungen grau,
baß SRicßel nur in bie freiroiUige Serbannung ging, nm fie
gu betgeffen, ba er fich ®h ne ©teßung unb Sermögen n«h
als Rreier nahen burfte. Sie alte Seibenfchaft flammt m&M
empor, hoch Seibe finb nicht bon ben ©emiffenlofen, bie ««
mariage a trois führen fönuen. SKichel miß. mieber «fj
AuSlanb. Srene mirft fich bem ®atten gu Rußen unb fleft
um Rreiheit, hoch er, ber leine Spur bon Siebe gu feine»
SBeibe befigt, bleibt unerbittlich — auS Sequemlidjleit 3^
Sahre fpäter. Rergan miß Sabernier’S IränllicheS Söhncho
(baS er für fein eigenes hält) in eine ftrenge ißenfion geben,
um ber mütterlichen Sergärtelung ein (Snbe gu machen. ®ie
ÜJlutter fämpft mie eine Söroin für ihr SungeS, unb in ihrer
SobeSangft um ben kleinen gefleht fie, baß er ber ©oh«
beS RreunbeS ift, ber nach furgem Sefudj in ber ^eimath
in bie Rerne gog unb halb barauf einer bergehrenbe«
Sfranlheit erlag. Rergan miß SJJutter unb Sohn auS be»
£>aufe roeifen, hoch je^t ift eS Srene, bie bon einer ©cheibung
nichts hören mag: „SJleine Sugenb ift entfdjmunben; meint
Hoffnungen finb tobt. Sch meigere mich, mein Sehen noch
einmal gu änbern. SBo ich bin unb maS ich bin, toiH i(|
bleiben ...
Rergan: Unb idh? SBeldjeS Sehen foß ich ffih ren » n ®
immer unb immer Si^ bot Augen?
Srene: Saffelbe, baS Su mich bis auf ben h^ubj®
Sag gu führen gmangft. 2Bit finb an bie gleich« Slette ge-
fchmiebet! So fühle enblich ihre Saft unb giehe auch bora«!
Sange genug fchleife ich f’ e aßein fort.
Rergan: @S giebt leine ©ereeßtigteit!
Srene: @S giebt eine ®ere^tiglcit beS gemeinfanten Un<
glüdS.
Rergan: Su bift fchulbbetaben, ich aber unfchulbig. • •
Srene: SBir finb Seibe unglüdlich, »ab im Unglüd gief*
eS nur noch ©leichbeit!
2Bie biel höher ftebt Herbieu als bie Sittenbramötite
alten Stils. @S ift hier nicht mehr bie „femme ineompree“,
bie fich, gelangmeilt, nach ßerftreuung umfteht unb bahn f#
biel ÜRacbficbt finbet, als fie bon jeher in Rrantreich gn finb«
Digitized by v^. ooQie
Nt. 4.
Die Gegenwart.
55
gewöpnt war. GS ift bie gu tcofttofer Gntfagung Oerbammte
grau, bie fiep nur einmal gegen alle Ungcvecptigfeit auf»
bäumt unb eS ewig büßen muß. 3unge frangöfifcpe Vornan»
fc^riftfteUer paben mehrfad) begonnen, gleichfalls für fie in
bie ©d)raufen gu treten, fo 3u(eS Safe in „la Vasalle“. SS
ift ber 9lnfag gum neuen SBeib Sbfen’S, baS fiep gegen bie
orientalifdje 9tuffaffung beS WanneS üom ffieibe empört;
nur fehlen ben grangöfinnen bie feften ©runblinien gu einer
tßerfönlicpfeit, bie [ich fidjer in ihrer ^cci^eit gu bewegen
oerftept; innerlich bleibt fie noch immer im elementarften
Sinne öom Wanne abhängig. Noch fchärfer geißelt „La
loi de l'homme“ ^peroieu’S jüngfteS SBerf, bie Uitterbriidung
beS SBeibeS. ®eS Richters Sprache ift fernig unb fcponungS*
loS; feine pfpdjologifcfjen 9lnalpfen finb bon größter gein»
heit, unb er hot fiep unftreitig bebeutenbe SSerbienfte um bie
Vertiefung beS frangöfifdjen ©ittenbramaS erworben.
Noch ftärfer geigt fiep baS Ucberwinben beS Iribialen,
baSVerüdftcptigen ber großen WenfcppeitSproblemc bei gtanpoiS
be Gurel, beffen 5)ramen freilich in erfter Sinie baS fßräbifat
„literarifcp" gufommt. 3m „Repas du Lion“ trat er bein
focialen Sß co ^ em ouf rein perfönlicpc, eigenartige SBeife
näher*); in „la nouvelle Idole“ oerfudjt er feinerfeitS bie
bon bielen Glitegeiftern granfreicpS erftrebte Verföpnung ber
SBiffenfdjaft mit bem geheimnißoollen, ungerftörbaren reli»
giöfen Urgrunb ber ©eele angubahnen. ©tarf bon «olftoi
infpirirt, oerherrltcpt er bie offenbarungsgleich peroorbrecpenbe
Wenfdjenliebe unb SlufopferungSfreubigfeit, bie er mit ihm
auf baS unS inne wohnenbe göttliche Glement gurüdfüprt
(oergL Xolftoi: Wacht ber ginfterniß; §err unb Unecht).
©n Slrgt unb Vacterienforfcper hot ÄrebSimpfungen an
Xobtfranfen eines ©pitalS borgenommen, um burd) baS
^Beobachten ihrer JtranffjeitSfhmptome bereinft 'Jaufenbe gu
retten, ©ein ©ewiffen ift babci gang ruhig. Nun aber ift
ein junges Wäbdpen, angeblich im legten ©tabium ber Sdjroinb*
fudjt, wieber genefen unb nur burcf) bie bon ihm borgenommene
Ginfprigung rettungslos bem »lobe berfallen. ®iefe furcht»
6art «hotfache gugletch mit bet freubigen Dpferwifligfeit beS
armen WäbdjenS, baS nur SBorte beS TrofteS unb ber
Wenfdjenliebe auf ben Sippen hat, erfcpließt ihm, bem Wate*
rialiften, bie mpftifdjen «liefen beS ©eins. Um fid) gu
ftrafen, hotte er fiep felbft baS ©ift eingeimpft — fein Un*
heil berwünfchenb — nun fieht er begeiftert bem fangfamen
quatboKen Dpfertob entgegen. 3e mehr fich gra^oiS be
Gurel, banf feiner grübelnben Gigenart, bom ^ariferthum,
bem er Anfangs feinen «ribut gahlte, befreite, befto mehr
ging ber Tramatifer in ihm berloren. Nocp aber ift „la
nouvelle Idole* fein rein ppilofoppifcpeS ®rama, wie wir
eS bei Grneft Nenan finben (le pretre de Nemi u. .91.) unb
mit bem fid) ber ernftgefcpulte ®cnfer auSeinanbergufeßen hätte.
SS haftet ihm bei Vepanblung philofoppifcpet gragen etwas
®irettantifd)e3 an; er wirb romanhaft weitfdjweifig, ja bis*
Weiten unflar unb obwohl ®ramatifer, fleht er bon feinen
3citgenoffen bem grüblerifdjen Nomancier Sbouarb Nob am
nächsten. ®ie ^Bühnenerfolge, bie ihm gu Iheil würben,
fpredjen für bie Ueberfättigung ernfterer ©eifter am Sitten*
ftücf nad) befannten Wuftern unb noch ftärfer für baS
wadjfenbe religiöfe Verlangen einer beftimmten geiftigen Stite
granfreicpS, bie burcf) opferfreubige Wenfdjenliebe bie ber*
loren gegangene ftarfe ©laubenSfeftigfeit erfegen möchte.
«liefen £>ang gur Wpftif geigt Waurice Voucpor, ber
in föftlkhfter SEÖeife bie alten Wpfterien unb SBeipnacptS*
fpiele Wieber erneut hat. „Noel“, „Tobie“, „Sainte-Cecile“,
,4’Aurore“ unb bereits ein gefeierter VolfSbicpter geworben
ift**) 3n antif*naibem ©ewanbe prebigen bie „Mysteres
d’Eleusys“ baS ebelfte läuternbe Streben ber ©eele nach ben
*) Sergl. ben Sluffafe „SoclaltSntuS auf ber fraitjöfifdjen Sühne"
(Oegennmrt 28. 3“brg. 9tr. 4).
**) Soudjor bearbeitete eine Steifte alter Solf?bid)tungen für 6<ftulen
unb biefe erfreuen fid; bet größten Beliebtheit.
hödjften ©ütern. Voucpor’S SSetSbramen bureproept jene edpte,
tief innerliche ißoefie, bie im heutigen frangöfifdjen VetS*
brama nur noch feiten gu finben ift, ba bieS gum «heil nur
in fcpwäcpticpen Nachahmungen beS Bebeutfamen früherer
©pochen befteji)t. 3Beber bie 9llejanbrientragöble großen Stils,
noch baS gebiegene SSerSluftfpiel h at bei ben jüngeren 9lutoren
namhafte Vertreter gefunben. SBahrhaft ©uteS ift nur bur<h
SBieberbelebung ber romaittifdjen Äontöbie geleiftet Worben.
«)ie SEßerfe Sbmonb fRoftanb’S finb gu hefannt, um ihnen
hier eine größere SBürbigung gu fdjenfen. 3h m gur ©eite
fteht Nichepin mit bem- „glihuftier". SBeibe gaben in ©e*
meinfehaft mit bem älteren ®idjter «h^bore be SBanöille
(„©ringoire"), eine glücflidje Vereiterung ber frangöfifhen
Siteratur, inbem fie eine fiunftform wieber belebten, für bie
baS frangöfifche Voll befonberS empfänglich ift unb in ber
eS oermöge feiner angeborenen ©ragie, ©alanterie, Seidjtig*
feit beS Temperaments unb feiner garten einfchmeidjelnben
eleganten VerSfunft fehr probuctio fein fann.
2BaS fich officieü ©pmbolift unb ®ecabent nennt, meibet
bie Vügne unb wenbet fich ber Sprit unb bem SRoman gu.
«)ie NarciffuSlcibenfchaft beS ©elbftbewunbernS, bie Smpfin*
bungSfünftelei oertragen fich nur fdjwer mit Vühnenfprache
unb feenifdjen gorberungen. gür wenig burd)ficf)tige @pm»
bolif aber hat bie clarte franfaise, fein Verftänbniß. ®a,
Wo 3bfen geheimnißooß wirb, hält eS ber $)urd)fchmtt8»
frangofe nur für feine ißflicht, ihn gu bewunbern — inner*
lieg tritt er ihm niept nahe; baS erflärt baS Scheitern
feiner Nachahmer, wenn fie einmal ben unoergeihlidjen SBer*
fuef) machten, ihr unoerfälfcpteS gaHifcheS Smpfinben in
„norbifchen Nebel" gu hüllen. SBer fiep nur einigermaßen
mit ber jüngeren unb jüngften Siteratur unferer Nachbarn
befdjäftigt, muß gu ber Uebergeugung gelangen, baß bie
füljrenben ©eifter, bie tieferen fd)öpferifd)en ©enieS nicht auf
ben SBrettern gu fuepen finb. Tie ©tärfe ber heutigen fran*
göfifchen Siteratur liegt im Noman. S)ie geiftreichen Wora»
liften unb 9lnalptifer finb feine ®ramatifer, unb bie wirf*
liegen ®ramatifer greifen oft gu erbärmlichen, niebrigen
Wittein, um bas publicum anguloefen. Unb boep ift eS ber
pöchfte Sptgeig, aufgeführt gu werben, benit eS ift leichter,
Diel leichter als bei unS, mit allen erbenflicgen bramatifd)en
Unterarten auf bie Vretter gu gelangen — unb nebenbei ein
fehr gutes ©efc^äft.
tt)ar 51)ttkefpettre itt Jtfllicti?
S3on $t. 2IItmann (SRom).
®ie alte Streitfrage, warum ©hafefpeare feine ©tüde
fo gern nach Stalien üertegte, ob er felbft bort geWefen, wie
Weit feine Socalfenntniß unb »treue reicht, ift bisher oon
unferen ©hafefpeareforfchern meift hinterm ©epreibtifeh unb
gur ©eite beS wärmenben DfenS „getöft" worben. Taper
bie bürftigen unb einanber toiberfpreepenben Srgebniffe. Tie
grage gehört aber, bie nötpige Senntniß beS großen Vriten
fetbftüerftänblicp oorauSgefegt, eper in baS SReffort beS Stalien*
funbigen. Seiber taffen unS bie gunäepft piergu berufenen
Sfenner, bie itatienifepen gotfeper, im ©tiep, unb WaS fie
unb auep &' e grangofen (niept gu Oergeffen ben ®eutftpen
SBaffermann) für ®ante üerfuept paben: bie Dertlicpfeiten
feiner ©öttlicpen Äomöbie in ber SBirflicpfeit aufgufuepen
unb feftguftellen, — baS feplt unS für ben unfterblicpen
britifepen Tarfteller altrömifcpen unb aititalifd)en SebenS auf
ber Vüpne. Srft gang neuetbingS pat Dr. «peobor Slge
oerfuept, in ©pafefpeare’S gußftapfen Stalien gu burepwanbern.
Gr bringt bafür atteS nötpige Niiftgeug ober, um im Vilbe
gu bleiben, einen tücptigen geleprten Nudfad mit unb einen
Digitized by v^. ooQie
56
Die ©egentoarf.
Nr. 4.
fcparfen SStirf für baS Sanbfcpaftlicpe, §iftorifd)e unb Eulturetle.
5 )ie Siebe für feinen 2 Iutor pat er im oätcrlicpeit §aufe beS
ausgezeichneten SfjafefpeareforfdjerS Karl Elje glcicpfam mit
bet SRuttermild) eingefogen, unb ein uieljäfjriger dlufentpalt
in Stalien — er lebt unfereS SSiffcnS in SBenebig — pat
ihm bie ?lrcpiDe unb Socalitäten oertraut gemacht. So fomntt
et benn in feinen bei (Epeobor Stdermann in 2Ründ)cn er=
fepienenen „(Benejianifcpen Stilen ju Spafefpeare" ber Ein»
gang« aufgeworfenen Streitfrage unb ihrer Söfung näper, als
irgenb einer feiner Vorgänger. (Sr jeigt, baß negatioe unb
pofitioe Socattreue nur in fept wenigen ber italienifcpen (Dramen
Spafefpeare’S ju finben, baß hingegen in beit meiften bie pofitioe
gar niept ober nur ^örf)ft mangelhaft oorpanbeit ift, wäprenb
gegen bie negatioe fepr t)äufig wiffentlid) Oerftoßen wirb. (Doper
oerwanbelt fid) für ihn bie (Behauptung einer näheren Kennt*
niß Spafefpeare’S oon Stalien in biejenige einer folcpen Don
(Benebig unb (ßabua, unb er hält fid) für berechtigt, il)m eine
folcpe Don Sicilien, Neapel, Eap SRifenum, (Rom, Jlorenj
unb fßifa, aud) Don SRailanb, (Bergamo, (Berona, (Bicenja unb
(treöifo böllig abjufpredjen. (Die Erwähnung einer Eigenheit
in ber 2luSfpracpe ber Neapolitaner, bie Eparafterifirung ber
(ßifaer (Bürger, bie Scpilberung einiger ©emälbe, bie (Sin*
führung bet (ßeterSfircpe in (Berona, u. bgl. m. beweifen picr
itid)tS, unb japlreidje Unäutreffenbpeiten, (Berfcpweigutigett unb
(Berwifchungen fpredjen bagegen. (Die nicht unähnliche (Dar*
fteQung ber Snfel (ßantalaria fcheint auf leicht begreiflicher
Sntuition jn beruhen, unb waS wir oon bent Dielgenannten
URantua erfahren, ift faum fo üiel, als ein in (ßabua ftubi*
renber (Snglänber oon einem Sluöfluge bahin erzählen würbe.
2lnbererfeitS aber ift eS über jeben ß^eifel erhaben, baß
Spafefpeare über (Bcnebig nnb (jSabua beffer unterrichtet war,
al§ bie meiften feiner jeitgenöffifepen SanbSleute ((Sorgat
u. 21.). (St tennt (ßabua’S (Bebeutung in ber Kunftgefcpicpte,
feine Unioerfität, baS Seben auf berfelben, ihre (fSrofefforen
unb Stubenten, ben SujuS feiner (Bürger, bie 9luSftattung
feiner Käufer, unb einzelne (Borfommniffe bafelbft. SBäptenb
ihm bie anberfeitigen Umgebungen ber Stabt nnbefannt finb,
fennt er genau ben oon hier oftwärts nach (Benebig ber (Brenta
entlang füpreitben 2 Beg mit feinen prächtigen Sanbpäufcrn
unb ©ärten. (St fennt (BenebigS (Rcicptpum, feine (Berfaffung,
feine (Radjtpolijei unb anbere öffentliche Einrichtungen, beit
(Rialto unb anbere Socalitäten, bie ©onbelit, bie Sitten unb
Gebräuche ber (Bewohner, bie ÜRoben, bie üblichen Eigennamen
unb beren (Bebeutung, bie Stellung ber Suben unb bet fremben
Kaufleute, gerichtlich« (Epatfacpen, örtliche Umftänbe, 91 n*
ftalten unb 9lu3brüde. Er finbet in (ßabuaner unb (Benejianer
(Borfällen, (ßerfönlicpfciten unb Socalitäten bie dRittel unb
(Borbilber ju feiner (Darftellung. Qpne feine Ken nt niß jur Schau
ju tragen, übertrifft er barin hoch folche, bie (Beliebig befurijt
hatten. Er befa%, meint Elje, eine genauere unb tiefer gehenbe
(Borftetlung oon (Benebig unb (ßabua, als Schiller oon Uri,
Scpwpj unb Unterwalben, bie befanntlicp burd) Stubien unb
münblkhedRittpeilungenSohanneS ü.dRitller’S erworben würben.
„Sn ber dluSfchließlidjfeit biefer Kenntniffe aber liegt eben zu»
gleich bet (Beweis, baß Shafefpcare bie gläiijcnbe Sngunenftabt
nicht felbft gefehen hot; beim auf welchem SSege immer er bahin
gefommen fein fönnte, fei eS über (f?aris, Sffailanb, (Berona,
fei eS übet ÜSien, (BiÜacp, (Ereoifo, fo erfdjeint eS unmöglich,
bafe er bie burdjreiften (Stäbte nidjt in entfprecfjenberer Sßeife
in feine (Dramen eingeführt hätte. ÜBien, (jjaris mtb dRailanb
finb ihm nur beliebige Scpaupläpc, (Berona war ihm burd)
(Romeo’S ©efepiepte aufgenötpigt, fonft aber ein unöcfannter
Scpauplap. Unb in ber rüpmeitSwertpen 9luSbepnung unb
©enauigfeit feiner Kenntniffe oon (Benebig liegt ein ^weiter
(Beweis gegen bie Einnahme einer italicnifchen (Reife Shafe*
fpeare’S, benn fie übertreffen um oieleS biejenigen, welche ein
(Reifenber in frembent Sanbe, 511 mal wenn er beffen Spradje
nicht üollfommcn inne h nf - fid) 311 erwerben pflegt. Stelle
man aiich@h a fefpeoi , e’S(BeobadjtitngSgabe uub genialen Scharf*
blief fo hod) man will, immer bebatf eS jur 2 lneignungpofititier
Kenntniffe materieller ßeit, unb nur ein längerer 2 lufentl|alt
üermag eine folche (Bertrautheit mit ben Socaloerhälttiiffcn
einer fremben Stabt ju erflärett, wie wir fie bei Shafefpeorc
hinfichtlich (BenebigS bewunbern."
Elje unterfReibet bei Shatefpeare’S italienifdhen ©tüden
nicht jwifchen localtreuen unb localuntreuen, fonbern jwifchen
foldjcn, bie wirflid) bort fpielen: S)er Kaufmann Oon (Benebig,
Othello, — folchen, bie jwar bort fpielen, aber neben 3talic.
nifd)cm mehr ober weniger grembeS enthalten: ®ie 3^h mun 3
ber SBibcrfpenftigen, (Romeo unb Sulia, bet Sturm, — unb
folchen, beren Schauplah nur beliebig bahin oerlegt ift: Sie
beiben (Beronefer, SBinterinärdfen, (Biel Särmen um (Ridjti
gür ihn geben bie erftgenannten ben 2IuSfd)lag. (Die ©<hil*
berung ber Sombarbei unb bie Eharalteriftif ber (Bewohnet
oon fflorens unb (ßifa fann Shafefpeare aus (Büchern ge*
fchöpft haben, — oon ber (ßeft fann er dRancheS gelefen unb
in Sonbon gehört, — bie Eigennamen fann er jum groben
(Effetl auS ©aitbeUo’S (Roüellen unb anbern Schriften ent«
nommen haben; allein feine genauen, ins Sinjelne gehenben,
bie gewöhn(id)en (Biicherfenntitiffe weit übertreffenben Angaben
über (Benebig uub (ßabua weifen auf eine reichhaltige, aul
biefen beiben Stäbten entfprungene Specialquelle hin- „Ssiefe
im Kreife ber oenejianifchen ?lgenten ju fuchen, berbietet beren
befannte Schweigfamfeit; fie fcheint aber auch nicht ini Streife
ber italicnifchen Eolonie in Sonbon ju liegen, barum nicht,
weil in berfelben gewiß oiele italienifche Stäbte Oertreten
waren unb fomit Shafefpeare’S Specialfenntniffe oon Stalien
wahrfdjeinlich nicht auf jene beiben Stäbte allein befd)Tänft
geblieben wären, fonbern fid) weiter auSgebehnt haben bürften.'
®arum erfd^eint eS Elje glaublicher unb rathfamer, fit in
fd)riftlicf)ett unb münblidjen (Dtittbedungen oon folgen Eng«
länbern ju fuchen, bie lange genug in (Benebig ober fßabiw
gelebt hatten, um mit bereit Socaloerhältniffen fo uertraut
geworben ju fein, wie Wir eS bei Shafefpeare gewahr »ettwi.
Unb wie Elje felbft einen nicht deinen Ihed ber in fön«
Sfijjen gegebenem Erläuterungen: ben nodj jeht -borljBtobcna
2lufjeichnungen ber beutfe^en Stubenten in (ßabua ocrbonfl,
fo erfdjeint eS ihm ganj benfbar, baß Shafefpeare auS einer
ähnlichen, nur Diel reichern Quelle gefd)öpft habe.
(Bon biefer 9lnficht auSgehenb, h Q t Elje bie pabuaner
(LRatrifel burdjgefehen unb feftgeftellt, baß im fcchjehnten So^r«
hunbert oerhältnißmäßig nid^t wenige Englänber fich fürjert
ober längere 3eit StnbierenS halber in (ßabua aufhielten. ®ewiß
haben biefe alle oon ba auS aud) (Benebig befuefjt, wie kenn
ohne B^eifel feßon bamalS bie ßaht englifdjer Neifenber in
ber ®ogenftabt Diel größer gewefen ift, als man geWöhnlM)
aitäunehmeu pflegt. Selbft eine, wenn auch deine engt#
Eolonie fdjeint bafelbft gewefen ju fein, ba fdjon 1604 ®iDiam
(Bebell (fpäter anglifanifcßer (Bifcßof Oon Kilmore) ben eng«
lifchen ©efanbten (peiirp SSotton (früher Secretär beS ©tafffl
Sffej' unb längere 3«it in Stalien) als ©efanbtfchaftSprebigcr
begleitete mtb acht Saljre bafelbft berweilte. 2Bie bie SBefuc|er
(BenebigS werben aber auch bie geWefenen Stubenten (ßabuaä
manche (Berichte unb Erzählungen über23enejianet unb$abuaiw
Qertlidjfeiten unb 3 u ftänbe, (Berljältniffe unb (Borfommnifi«
nach Englanb gebracht unb hier oerbreitet haben. ®ieD#
bilbeten fie auch eine Quelle ber großen Socalfenntniffe ©Ijak
fpeare’S oon (Benebig unb (ßabua unb beren Umgebung. 8 nf=
faüenber SBeifc befeßränfen fich biefelben auch auf biefe beiben
Qrte; (Ereoifo wirb oon ihm nie genannt, (Berona witb jbb
(E heil, dRailanb, glorenj, (Rom unb Sicilien werben ohne oue
locale (Ereue mit poetifdjer (ßhantafie bargeftetlt. ShafefpM 1 *
fannte Stalien nicht anS eigener 2lnf<hauung, auS ben Keife*
werfen SRorpfonS, SorpatS unb SanbpS fonnte er, weil fit
erft fpäter erfepienen, feinerlei Kenntniß fepöpfen, fein näfjem
(Bcrfepr mit bem Spracpleprer 3't°rio in Sonbon, eint»
Staliener, wirb nur oermutpet. ®aS gleiche (Red)t ber Set«
inutpung fann aber and) bie ftubentifepe Quelle in Än*
Digitized by v^. ooQie
Nr. 4.
Die O&egeaaart.
57
fprucfe neunten. (Sin Sßerfe^r ©feafefpeare’S mit einem ober
bem anbevn ber aus Sßabua 3 u rüdgefeferten, g. SB. mit bem
jungen ©feomaS ©adoifle, ber 1591 bort infcribirt war, feat
ntd^tS UnbenfbareS an fiel). ©effen SBater, ber ältere ©feomaS
©adfbifle, Sorb SBudfeurft, bann (Sari of ©orfet unb Sorb*
4?igfe«©reafurer oon Snglanb, ift berfetbe, welcfeer am
19. SRooember 1586 in gotfeeringfeafe ber Königin Sföarie
©tuart baS ©obeSurtfeeil berfünbet batte unb am 22. Sftotieniber
1587 gegen ©raf Seicefter aufgetreten war, [pater aud) bei
ber Unterfucfeung unb SBerurtfeeilung beS ©rafen Sffej
19. gebruar 1601 ben SBorfife führte, ©erfelbe hatte auch
in jungen Saferen (1561) jufammen mit ©feomaS Norton
bie ältefte regelmäßige englifdfee ©ragöbie „©orbobuc" (in
SB(anfberfen) berfafjt. SEBenn ©feafefpeare ein früheres SEBerf
biefeS SJianneS »Mirror for magistrates“ für feine ©tarnen
benüfete, fo fonnte bieS leicht gu einer SBefanntfcfeaft mit bem
©ohne führen, ber bann Don Sßabua unb Sßenebig erjäfelte.
Ober tonnte ©hafefpeare nicht 2J?ittfeeilungen oon bem 1593
infcribirten gfeneS SRorifon erhalten, wenn aud) beffen
urfprünglicfe lateinifch getriebenes, bann oon ihm felbft ins
(Sngtifche überfefeteS „Stinerarfe" erft 1617, nacfe beS 9Ser=
fofferS ©obe im ©rnd erfchien? 933ie man ficht, weife Slje
feine 2tnficfet Don ©hafefpeare’S SBeteferung Don folget ©eite
her mit Sifer unb ©adfefenntnifj Wahrfc^einlicf» gu machen.
2 lber auf feiner ©urdfeftöberung alter 2Ircfeibe macht er
aucfe noch anbcre intereffaute Sntbedungen. 21 m nächften geht
unS fein Hinweis auf eine feiftorifcfee Buefle ber Dtfeeßo*gabel.
©och hören wir ihn felbft: Sn ber alten ©rebifaiter ÜJfarf,
einige ©tunben nörblicfe oon ©rebifo, liegt an ben SBorbergen
ber benetianifcfeen 2llpen ber Drt (Soßalto. Sn entjüdenber
Sage erhebt [ich auf einem malerifchen §ügel über ber Sierja
unb bem jur Sßiabe feinabraufcfeenben gtü§cfeen ©otigo bas alte
©chlofe biefeS KamenS. ©feeilS ber [teile 2Ibfeang beS ©cfelofj*
bergeS, theilS lünftlicfee ©cfeufeWerfe gewährten ihm im ÜRittet*
alter feinreicfeenbe ©icfeetfeeit. 2ln feften SRauern unb ©hören,
‘an ©raben unb gugbrüde, an ©feurm, SBaftei unb geftung
"fehltet nicht. SBon ben 3ibtmern beS ©dfeloffeS unb Don
ben benachbarten §öfeen genießt man einen töftlidfeen SBlid
in baS reigenbe ©hat bon Sßiebe bi ©otigo, auf bie grünen
SEBalbberge unb weiter hinauf oftwärtS über bie fruchtbare
(£bene btS jum abriatifdfeen SWeere, weftwärts bis ju ben
©dfeneefpifeen ber ^ößeru 2llpenfette. §ier fifet feit einem
Safertaufenb baS ©rafengefcfelecfet bet Soßalto, welches ber*
mutfelidfe mit ben Songobarben über bie 2tlpen feierber ge*
fommen ift. SEBenigftenS übetliefeen Sßambalbo Soßalto unb
feine ©emafelin SRatfeilbe im Safere 1091 nacfe tongobarbifcfeem
SRecfet gewiffe SBefifeungen in ber Umgegenb ber unter ihrem
fßatronate ftefeenben, am gufje beS pracfetboßen, in unferer
3eit berfdfewunbenen 9J?onteflo*SEBalbeS gelegenen Slbtei Ket*
öefa. [Rambalbo VIII Soßalto, welcher 1308 in ben bene*
gianer Sferenabel aufgenommen würbe, erbaute ficfe einige
äReiten weiter gegen Sonegliano fein bei ©ufignana, oberhalb
bet toeinreidfeen $figet biefer ©egenb nocfe ein anbereS, feerr*
liefe gelegenes ©cfetofe, ©. ©albatore, baS noch jefet feinen
SRacfefommen als SEBofenfife bient. ®ie ©enealogen leiten ge*
toöfenlidfe ben Urfprung biefer gamitie bon ben Songobarben
her, aßein fie felbft rüfernt ficfe ein in ber Songobarbenjeit
nad) griaul gefommener Qtoeig ber §ofeenjollern gu fein,
Wofür SBerfcfeiebeneS gcttenb gemadfet wirb. ®ie germantfcfee,
beiben Epäufern gemeinfame gamilienfage bon ber „Sßetfeen
grau" erwcift beutfcfeen Urfprung, bie SBerfcfewägerung beiber
mit ber gamilie beS SDiarfgrafen Sberfearb bon griaul geigt
feeibe als gteidfeftefeenb unb ebenbürtig, bie fwfeenjoflern batten
im 14. Saferfeunbert aucfe felbft ©runbbefife in griaul, bie
■Kamen §ofeengoflern unb Soßalto ftimmen jufammen. (Soß:
8 oB), unb beibe füferen bon SltterS feer baS gteicfee, bon
©djwatj unb ©ilber gebierte SEBappen. 2Bie bem nun audfe
fein mag, bie gamilie Soßalto gefeört jebenfafls gu ben ätteften
unb berfifemteften 2tbelSgefdfeledfetern griauls. Unb in ber
gamiliencferoni! biefer feöcfeft waferfcfeeinlichen italienifcfeen
§ofeengoflern feat nun Slje folgenbe feltfame Btheßo*©efdfei^te
gefunben.
Sn ber jweiten $älfte beS fecfejefenten SaferfeunbertS
lebte auf ©dfelofe ©. ©albator ein ©raf Kambatbo Soßalto
mit feiner ©emafelin ÜKiranba aus bem ©efdfetecfet ber
©rafen Saobioacca. ®en ©iebjigjäferigen umbiüfeten jwei
tü^tige ©öfene 2llfonfo unb 2lntonio unb eine reijenbe®ocfeter,
SBianca SRaria. ©räfin SBianca war als einjige, ifem nocfe
fpät gebotene ©oefeter beS greifen SBaterS feerglicfee greube
unb gugteid) fein bitterer Summer. SefetereS barum, weil
fie iferen Sßetter ©raf Annibale Soßalto bon Sßal be SWarin
(bei Seneba) bon gangem bergen liebte, wäferenb ifer SBater
bon biefer SBetbinbung nidfets wiffen woßte. ©raf 2lnnibale
featte als tapferer Offtcier einige Safere ÄriegSbienfte getfean,
nun aber bereits bie SDiitte beS SebenS überfdjritten, er ftanb
im biergigften SebenSjafere. ©ein SBater, ©raf ©cipione, war
mit feiner ßKutter Seonore ©ongaga, ©oefeter beS ©rafen
Sßietro ©ongaga §ernt bon Kobeßara unb feiner ©emafelin
Satterina ©räfin ©orefli, gu bem ifem berfefewägerten §ergog
geberico ©ongaga nacfe 5D?antua gegangen, unb mar in beffen
©ienfte getreten. ®ic oeuejianifefee SRepublif, welcfee feinem
iferer 2tngefeörigen geftattete, ben ©ienft eines fremben gürften
angunefemen, featte ifen beSfealb auf ewig aus iferem ©ebiete
berbannt. ©ei nun biefeS, fei etwas anbereS ber ©runb ge«
wefen, ber alte ©raf SRambalbo berweigerte trofe mehrjähriger
SEBerbung beS tapfern SBetterS unerbittlich feine Sinmißigung
unb ßuftimmung gu beffen §eiratfe mit feiner ©oefeter. Sn
biefer auSficfetSlofen Sage erflärte ©onna SBianca ben ©dfeleiet
nefemen gu rnoßen, unb erhielt enblidfe audfe bon iferen Sltern
bie Srlaubnife gu einer gweijäferigen Sßrobe in einem Älofter.
Sfere 2J?ntter ©räfin SDiiranba unb ifer SBruber ©raf Slntonio
mit feiner jungen ©emafelin ©iulia ©räfin ©orefli bon ßttonte
Sfeirugolo füferten fie felbft iferem SSJunfcfee gemäfe nacfe Sßabua
in baS reiche Älofter ber SBenebiftinerinnen bon ©. ©tefano.
©raurig feferte bie SKutter gu iferem fränfelnben ©atten gurüd,
traurig blieb bie ©oefeter in iferer felbftgewäfelten Sbgefcfetoffen*
heit gu Sßabua. 2lflein bie junge Kobige fdfeien nidfet in ber
reefeten ©eelenftimmung gu iferem SBorfeaben gu fein unb liefe
ficfe nichts weniger als gu einem frommen filofterleben an.
@ie featte ifere fcfeönften Suwelen nnb ©efemudfaefeen' mit ins
Älofter gebracht unb unterhielt ficfe feier bamit, ficfe mit ©olb»
fetten, perlen unb Sbelfteinen gu fefemüden, War babei aber
einer unbegwinglidfeeit ©raurigfeit berfaflen. ©eit bem erften
©age ifereS Sintritts in baS Rlofter weinte fie unabläffig, fo
bafe ifere ©efunbfeeit barunter litt. 2ltS fie enblicfe einer be*
benllidfeen Sfranffeeit entgegengugefeen in ©efafer ftanb, fafe
ficfe bie 2lebtiffin beS SHofterS beranlafet, iferen Sltern babon
Sfenntnife gu geben, ©a jebodfe ber fränflicfee 3 u f tan ö öeS
©rafen SRambalbo fefetimmer geworben war, fonnte ©räfin
SDHranba iferen franfen ©atten nidfet berlaffen, um nacfe ber
©oefeter gu fefecn. hingegen fam am 10.?Iuguftl675 SBianca’S
Soufine Sucia, ©emafelin 2lnnibale ©erego’S in Sßabua, ins
Älofter um bie fränfetnbe SBerwanbte gu befuefeen. ©iefe
featte ficfe eben an biefem ©age ifere fcfeönften ©efemudfaefeen
angelegt, aber ifere feeflen ©feränen rannen auf bie Sßerlen
ber |>alSfcfenur feinab. SBenige 2lugenbtide nadfe ©onna Sucia
erfefeienen unerwartet aucfe ©raf ©uibo SBranbolin bon SBal*
marin, welcfeer fünf Safere früfeer SBianca’S Soufine SBiolante
gefeeiratfeet featte, unb— ©raf 2lnnibate Soßalto im Slofter.
®ie SBeiben wanbten ficfe an bie 2lebtiffin, wiefen ber bor
Ueberrafcfeung erftarrten Oberin bie gur ^eiratfe 93ianca’S
bon Korn gefomntenen fircfelicfeen ©ocumente bor, unb füferten
©onna Sucia unb ©onna SBianca mit ficfe aus bem Älofter.
©erabenwegS ging eS in bie nafeegclegene Sirefee ©. Sorengo,
wo fdfeon ber Sßfarrer bereit ftanb unb bie Siebenben traute,
©iefe begaben ficfe barauf in baS §auS ber Soufine ©erego
unb reiften am folgenben SRorgen nacfe SBal be SOfarin ab.
Sn bieS fcfeöne, ftifle 2Ilpentfeal, wo aus ben SEBalbfdfetudfeten
Digitized by v^. ooQie
58
Die 4>t$eswari
Nr. 4.
be# ÜRonte ©raffura üttb bc# 2Roitte Eroce bianca ber Siömoit
Ijerabraufdjt, an ben fteunblichen @ee Dort 2ago führte ber
ritterliche Stnni&ale feine fchwet errungene ©ianca. 21 bet
md|t fo halb Ijatte ber alte ©raf IRambalbo Don bent ©or«
gefallenen Äenntnifj erhalten, als er fich fofort mit einem
heftigen Sftagefd)reiben gegen ben Entführer unb ©atten feiner
%od)ter an ben SRatf) ber 3 e h n in ©enebig wanbte. Er
freute fief) nicht, barin ohne SBeitereS feine Softer angu«
flogen, bafe fie iljm auf Stoftiften be# ©rafen Stnnibale mittelft
ßaubereien unb ©iften („stregherie et veleni“) itad) bem
2eben getrautet Ijobe; ba biefer Unfdjtag aber nicht gelungen
fei, Ijabe ©raf Stnnibale fie au# bem Älofter geraubt; er bitte
bafjer um ftrenge# Einfehreiten, bamit er nicht genötigt fei,
mit feinen ©öl)nen fein ßeben unb gteifd) r feine Ehre unb
§abe noch in feinem Stlter eigenhänbig gegen feinen SSiber«
jadjer gu Dertheibigen. ©ermuthlict) bürfte bem ©rafen
$atn6ätbo feine Ätage toenig genügt haben. 9J?an fann fid)
leicht benfen, bafj bie Slntwort be# fRatlje# ber 3 e h” gang
fbarcfpearifch gelautet haben mag. „Seljauhtung ift noch fein
©etoei#; bie Dorgebrad)ten ÄReinungen finb nur fabenfd)einige
©rünbe; nehmt, wa# oerfehn Warb, Don ber beften ©eite; wo
nichts mehr hilft fann auch ber ©ram nichts nügen; ein Uebel
gu betrauern, ba# Dergangen, macht leicht gu neuem Uebel
un# gelangen; Dertiert man, wa# man nicht gu halten muffte,
macht bie ©ebulb ein 5Rid)t# au# bem ©erlufte." freilich
|alf folcfjer ©efd)eib unb Xroft gar wenig. ®er alte ©raf
jRambalbo ftarb nicht lange barauf am 6. Slptil 1576, gerabe
wie — ber greife ©enator ©rabantio nach ber Entführung
ber fchönen blonblodigen S)e#bemona. Unb Elge fd)lief}t feine
Ergätjlung: „Slber ba haben wir ja bie @efd)id)te ber geiftreicfjen
hodjgebilbeten ©atrigier#tod)ter, be# holben Stäubchen# au# bem
gothifchcn ©alaft am ©anal ©ranbe Dot un#, genau fo wie
©hafefpeare fie al# Ejpofition feiner Sragöbie in beren erftem,
feiner Erfinbung allein angehörenbem Slct gegeben hat- SDer
friegetifche ©eliebte, — ber Unterfchieb ber Saljre, — Ent«
führung ber eingigen Tochter eine# greifen Ebelmanne#, —
eilige, geheime Strauung, — be# aüen ©ater# Stbfidjt, mit
bem Entführer feine# Äinbe# gu fämpfen, — feine St nfläge
bei ber Denegiantfdjen ^Regierung wegen Slnwenbung Don ßauber«
mittein unb Slränftein, — Slngabe be# §aufe§, wohin fich
bie IReuDermählten nach & er Trauung begeben, — balbige
Slbreife be# jungen ©aare#, — unb enblicfj ber halb nachher
erfolgte Xob be# gefränften ©ater#: ba# finb bie ©tüde, bie
ber EoHalto’fdhen gamiliengefchid)te unb ber ©hafefpeare’fdjen
Dichtung gemeinfam finb. Slehnliche# läfjt fich unfehwer er«
finben, mag fich auch an anbern Orten unb gu anbern ßeiten
begeben. $ber immerhin bleibt e# hoch metfwütbig, bafe e#
nur ©hafefpeare erfunben hat, unb bafj e# gerabe in ©abua
unb gu feiner 3 e ü Wirtlich Dorgefaüen ift. Sollte etwa
©hafefpeare Don biefer ©efchicfjte Slenntnife erhalten haben?
Unmöglich erfcheint ba# nicht, ba biefer ©orfaU gewifj in
©abua unb ©enebig Diel Sluffeljen machte unb befprodjen
Würbe, fo ba§ ber dichter and) noch noch einigen Satiren
burd) einen ober ben anbern feiner Dielen 2anb#leute, bie in
biefen beiben ©täbten fich aufhietten, baDon gehört haben
fann. ©emerfen#werth ift auch noch, bajj mehrere ber Don
©hafefpeare Dermenbeten feltenen Eigennamen, namentlich
„SRiranba" unb „©iolante", in bem gamilienfreife ber oben
ergäf)lten ©efchichte fich öorfinben." Stuf alle gälte ift e#
für un# $eutfd)e nicht unintereffant, bafj bie OueUengefchichte
Don ©hafefpeare’# Söteifterftüd auf bie gamilienchronif be#
itatienifdjen §ohengoUern«3weige# hiuguweifcn fcheint.
■fr-*-*
^uilTefött.
- 9?adjtmi<f beeboten.
Der .Streik in ber Sth»le.
©on Smile gola.
3« einer WacpmittagSpaufe fragte miep einmal mein Scpulfamerab,
ber große, fauflgemaltige ©fctcpu mit feiner groben ©auemfümme: „©a,
maeßft $u mit?" Eefcpmeicpelt burep fein ©ertrauen, antmortete icp
tapfer Qa, unb nun fe&te er mir auSeinanber, baß e$ ftep um
fcbtoörung ^anble. SSa§ er mir anbertraute, erfüllte mi(!b mit einem
fo föftlicpen ©eroufetfein meiner Sflännlidjfett, mie i(b e« oieüeicbt nie
toieber empfunben ^be. Qa, baD mar ba$ erfe^nte ßeben mit feinen
Gefahren: icp §atte ein ®eb eimn ^6 b n bema^ren, einen Äampf §u bes
fielen! Unb gemife baS 93efte an ber greube über meine neue Wolle
als SSerfcptoörer mar bie §€imlid)e Ängft baoor, mic^ ju compromittiren.
Kein ©unber, bafe i(p in ©emunberung bor bem großen 3Rtdju ftanb.
StmaS barfcp unb etnbringlicp meipte er miep ein, etma mie einen Wc*
fruten, §u beffen ©ifer man nur mäfjigeS ©ertrauen pegt. S)otp ber
SBonnefcpauer, bie ber^üefte 3Wiene, bie icp mopl beim ^(npören patte,
braepten ipm juleft eine beffere Meinung bon mir bei. 811S mir auf
baS ^meite ©locfen^eicpen in ben fieprfaal jurücffeprten, flüfterte er mir
ju: „9lffo abgemaept, maS? 3)u bift auf unferer Seite. #offentli<p
paft 2)u feine Ängft unb pefeft ntept?"
„D nein, icp fcpmöf e$ 5)ir."
@r fap mir mie ein reifer, berftänbiger SWann mit feinen grauen
klugen feft in'S ©eftept unb fügte pinju: „Sonft — o nein, prügeln
merb' icp 2)icp niept, aber ?We foUen eS miffen, bafe 3>u ein ©errätper
bift, unb fein Sftenfcp mirb mepr mit 3)tr fpreepen." 3dj erinnere miep
noep, melcp' eigentpümlidpen @inbrucf biefe $ropung auf miep matpte.
Sie gab mir mapren Söroenmutp.
w 9Keinetmegen!" brummte icp bor miep ptn, „unb menn fie mir
ätoeitaufenb ©erfe ^um Wbfcpreiben geben, pol' miep ber Teufel, wenn
i^ 9Ri<pu berratpe!" ®?it fieberhafter Ungebulb martete icp auf bie
(SffenS^eit, bemt ber Äufrupr Rollte im Spetfefaat aüSbthpett.
-2)er große Wficpu ftammte au« bem Sfiben. Sein
©ater, ber einige borgen SanbeS befaß, patte bei bem burep ben Staats*
ftreiep perborgerufenen Äufftanb 1851 ben erften Scpuß getpan. {Jur
tobt auf bem flampfpfape Itegen gelaffen, patte er fiep in Sicperpett
bringen fönnen. 2US er mieber in ber ©egenb auftauepte, ließ man
ipn unbepeßigt. Wur bie ©ingemeipten flüfterten: 3Wtcpu ift ein ^fifficul!
@in ungebilbeter ©iebermann, fepiefte er feinen Sopn auf ein ßpeeum,
um feinen Sopn jum ©eleprten gu maepen. SBir Scpüler patten bon
ber ©efepiepte gehört, unb fo mürbe unS ber große 3Ricpu eine ge«
fürchtete fßerfönlicpleit. UebrigenS mar er btel älter als mir, — bei*
nap aeptgepn, obmopl er erft in ber bierten (Haffe faß. Äbet deiner magie,
ipn beßmegen ju neefen. @r gepörte gu jenen Scpülern, bie ipren ge*
funben SWenfcpenberftanb paben, jeboep fepmer lernen unb begreifen; aber
mag er einmal erfaßt patte, baS mußte er grünblich unb bergaß e$ niept
mieber. ©aumftarf unb mie mit ber Slft gegimmert, commanbtrte er
unS allen in ben Sreiftunben. 3)abet mar er bon großer Sanftmutp.
3cp pabe ipn nur einmal gornig gefepen. (£r motlte einen Unterleprer,
ber alle Wepublifaner S)iebe unb üftörber genannt patte, opne SSeiterel
ermürgen. ©einap pätte man ipn bamalS gefepmenft. (&cft fpäter in
ber Erinnerung berftanb icp fein gefegtes männlicpeS Auftreten unb be*
munberte eS. Sein ©ater patte ipn bet 3ri*en gum ©tarnte gemaept.
3u unferer niept geringen ©ermunberung »ar er gern in ber
ftnftalt. Wur eine ©harter patte er auSguftepen: er patte beftänbig
junger. 3<P ^nn mieß niept erinnern, je einen folcpen Äppetlt gefepen
gu paben. Er mar fepr ftolg, aber boep erniebrigte er fiep mancpmal
gu faulen Streicpen, um ein Stücf ©rob, irgenb einen 3^biß bon utt&
gu erfcpminbeln. Unter freiem Fimmel aufergogen, litt er unter ber
mageren SlnftaltSfoft noep mepr als mir. SBir anberen maren etwa!
mäplerifcpe Effer. ©amentlicp erinnere icp miep eines gemtffen Storf*
Digitized by (^.ooQle
Nr. 4.
Die Gegenwart
59
fifßS in brauner unb gcimffer Sonnen in meißer ©auce, bie ein (Stegen*
ftanb allgemeiner ©evmünfßüng maren. Sin ben Sagen, mo biefe Ge*
ri^te auf bem ©pelfegettel ftanben, nahm baS ©ßtmßfen fein Gnbe.
Stet große Wißu fßimßfte ehrenhalber mit, obgleich er gerne alle
©ortionen ber anberen verfßlungen hätte. Gr Wagte nur über bie
Quantität bei* ©helfen. Ster QufaH hatte ihn, um fein fieib Voll gu
machen, unten an ben Sifß gefeßt, neben ben ©tubienauffeßer, einen
fchmächtigen fötirpS, ber auf ben (B^a^icrgängcn^ gern ein Wuge gubrüdte,
rnenn toir rauchten. föun hatten nach ber §au$orbnung biefe Unter*
leßrer ein Specht auf gmet Portionen. ÜBenn dürfte auf ben Sifß
tarnen, bann tonnte man jebeSntal fehen, mit melß' gierigen Slugen
ber große Wißu bie beiben dürfte verfßlang, bie neben einanber auf
bem Heller beS ©ßulmeifterleinS lagen. „3ß bat boßbeit fo ftarf als
er," fagte er bann entrüftet, „unb er befommt groeimal fo viel mie ich-
Gr I5ßt nie ma§ übrig, alfo iffS ihm nicht gu Viel!"
-Slun hatten bie ©erfßroorenen befßloffert, baß man fiß
enbtich gegen ben ©todftfß in brauner unb bie ©oßnen in meißer ©auce
aufleßnen muffe. Unb gang natürlich boten fte bem großen Wißu bie
güßvung an. Ster SfriegSßlan mar munberbar einfach. GS genügte,
haßten mir, mit bem Gffen gu ftreifen unb jebe Stotßrung non uns gu
meifen, bis ber SMrector feierlich eine beffere ^oft verfßreßen mürbe.
Stoß ber .große Wißu in biefen ©lau einroiöigte, ift einer ber erßabenften
3üge Von ©elbftverleugnung unb $elbenftnn, bie mir befannt gemorben
ftnb. Gr übernahm eS alfo, bett Slufftanb gu leiten mit bem talt*
Wütigen £>erotSmuS jener alten Körner, bie ficß für baS ©aterlanb
opferten. Stobel toar ißm ja gar nißtS baratt gelegen, ben gtfß unb
bie ©oßtten verfßminben gu feßen, *enn er ßatte nur ben einen SBunfß,
nteßr bavon gu befommen, fo viel als er nur haben wollte. Unb nun
foHte er auß noß faften! Gr hat mir fpäter eingefianben, baß feine
republilanifße Sugenb, bie fein ©ater ißm eingeprägt, bie Gemeinbürg*
feßaft, bie Unterorbnung beS Gtngelnen gunt SBoßle ber Gefammtßeit, nie
auf eine härtere ©robe geftellt toorben fei.
Slm Slbenb beS ©todfifß*XageS naßm ber ©treif feinen Anfang
mit einer mirfltß großartigen Uebereinftimmung. %ur ©rob mar ge*
ftatiet. S)te Gerichte niarfcßirten auf, mir rüßren fte nießt an unb aßen
nur unfer trodeneS ©rob. Unb gmat mit ernfter Wiene, oßne unS mie
fonft leife gu unterhalten. Stur bie Weinen ©ßüler tigerten unb lachten.
Ster große Wißu hielt ficß famoS. Gr ging an biefern erften $lbenb fo
»eit, nicht einmal ©rob gu effen. S)te GUbogen auf bem Sifße, faß
er verächtlich bem ßeßrer gu, ber eifrig aß. Unterbeffen ließ ber bie
Wuffißt füßrenbe öeßrer ben Sttrector rufen, ber mie ein SBirbelminb
tn'S Sinimer ftürmte. Gr fragte unS grimmig, maS mir an bem Gffen
auSgufefcen ßätten, loftete eS unb erWärte eS für auSgegeißnet.
SJun'erßob fuß ber große Wißu. „£ert S)irector," fagte er, „ber
gtfß ift verborben, mir ftnb nießt im ©tanbe, ißn gu effen."
,,©o?" rief ber Weine Unterleßrer bagmifeßen, noeß eße ber S>trector
gu SBorte fomnten fonnte, „unb an anberen Slbenben ßaft S)u bie ©cßüffel
faft gang allein auSgegeffen!"
Ster große Wißu mürbe bunlelrotß. Wan fßtdte unS einfach
gu ©ette. ©Hr mürben unS bie ©aeße bi« morgen fßou überlegen,
ßieß eS.
-Btm näcßfteu unb übemäcßften Sage mar ber große
Wißu erßaben. S)ie ©emerfung beS ©tubienauffeßerS ßatte ißn tief
getroffen, boeß fpraß er unS Wutß gu. „SBir mären geiglinge, rnenn
»ir naßgäßen," fagte er. 3*fct fefcte er feinen gangen ©tolg baran,
unS gu bemeifen, baß er auch oßne Gffen bleiben fönne, rnenn e$ fein müffe.
GS mar Me reinfte Wärter. 2Bir Slnbern alle hatten Gßocolabe, Gomßot,
fogar 3Burftmaaren in unfereit pulten Verftedt, fo baß mir baS ©rob,
womit mir bie Xafcßen VoUftoßften, nießt gang troden gu vergeßren
brauchten. Gr aber befaß feinen Sermanbten in ber ©tabt unb hielt
Tuß alfo an bie ßaar ©robrinben, bie er friegen fonnte.
Um atternäcßften £age erWärte ber S)irector beim grüßftüd, ba
bie ©cßüler eigenfinnig alle Gerichte Vorübergeßen ließen, fo merbe fein
©rob meßr auSgetßeilt. 9htn braeß ber Slufrußr aus. GS mar gerabe
ber £ag ber ©oßnen in meißer ©auce. S)cr große Wicßu, ben ein
maßnftnniger junger moßl nießt gang gurecßnungSfäßig machte, fßrang
mie toll auf. Gr ßadte ben Seüer beS UnterleßrerS, ber gerabe nah
Kräften unb uns gum Sro^e barauf loS aß, unb fcßleuberte ißn mitten
in ben ©aal. Stonn ftiramte er mit mächtiger ©timme bie Warfetllaife
an. GS mar mie ein ©turnt, ber' alle mit fort riß. Seiler, Gtäfer unb
glafcßen flogen buvcß bie £uft. Unb bie Seßrer eilten über bie ©herben
meg unb überließen unS baS ©cßlacßtfelb. Ster ÄnirßS erßtelt im
gließen au bie ©cßulter eine ©cßüffel ©oßnen, beren ©auce eine große
meife #alSfraufe bilbete. Unb nun galt eS ben Paß gu befeftigen. Ster
große Wißu mürbe gum General ernannt. Gr ließ bie Sifcße vor ben
Sßüreit auftßürmen. 3cß erinnere mieß fogar, baß mir Sille bie Weffer
gur ^anb genommen ßatten. Unb bie Warfetüaife ertönte immerfort,
Ster ©treif mürbe gum Hufrußr unb btefer gur fReVolutiou. gum Glüd
ließ man unS brei lange ©tunbeu rußig gemäßren, unb biefer brei*
ftünbige Sumult genügte, um unS auStoben gu laffen.
hinten im Gßgimmer maren gmet genfter, bie naeß bem ^of ßtn*
auSgingen. S)ie Slengftlicßeren, benen eS uußelmlicß Vorfam, baß man
unfere Wiffetßaten fo lange ungeftraft ließ, öffneten eines baVon unb
verftbmanben. S)ie Uebrigen folgten naeß unb naeß. ©alb mar ber
große Wtcßu nur noeß von etma geßn Sluffäfftgen umgeben.
„Xßut mie bie Slnberu," fagte er ßelbenßaft; „eS genügt, rnenn
ein ©cßulbiger gurüdbletbt." Unb ba er mein 8 ö Ö ern beraerfte, fügte
er ßlngu: „3cß gebe S)ir Stein SBort gurüd."
SllS bie enbltcß ßerbeigeßolte SBacße eine ber Sßüren erbraeß, fanb
fte ben großen Wicßu gang allein, rußig auf einer Stfcßede ftßenb,
mitten unter bem gertrümmerten Gefcßtrr. Gr mürbe noeß am gleichen
Sibenb feinem ©ater gurüdgefeßidt. %
SBir anberen ©cßüler ßatten mit unterem ©treif menig gemonnen.
Wan fe|te unS freilich einige SBocßen ßittbureß feinen ©todfifcß mit
©oßnen meßr Vor. Slber bann famen fte boeß mieber auf ben Sifcß,
nur mar ber gifcß je^t in meißer unb bie ©oßnen in brauner ©auce.
-Grft naeß langen Sußren traf icß ben großen Wicßu
mieber. Gr ßatte fein ©tubtum nießt fortfe|en fönnen. 9fun bebaute
er bie etlichen Worgen ÖanbeS, bie fein ©ater ißm ßinterlaffen ßatte.
„3<ß märe ein fcßlecßter Slbvocat ober ein fcßlecßter Slrgt gemorben,
bentt icß begriff fureßtbar fßmer," fagte er. *S)er ©auerftgnb ift beffer für
miß. S)agu tauge iß. $ber im ©tiße gelaffen ßabt tßr miß boß
fßänblicb. Unb gerabe ©oßnen unb ©todfifß aß iß fo gerne!"
Jtttö bet
S)ie S)edung ber Soften.
Sirßih: 3ö& 5 U, meine Herren Gollegen — bie Äoften*
frage, baS ift ber eingtge unangeneßme ©unft bet ber ©aße. Slber
unfer ^err ginangmütifter mirb gemtß Wittel unb SBege ftnben.
Wiquel: ©ergeißen ©te, iß leibe an ber Grißße, fann alfo erfteitS
fßleßt ßören unb ßabe gmeitenS felber nißtS. ©ie müfjen ftß fßon
an ©ofabomSfß menben.
gürft ^oßenloße: 3u brei Sagen ßat ber ©unbeSratß bie gange
glottenVorlage erlebigt. SBenn bei ißm bie ©emilltgung fo rafß geßt,
marum fagte er unS bann nißt auß noß gleiß in aller Gtle, mo mir
baS Gelb für bie neuen ©ßtffe ßemeßmen füllen?
Sirßiß: S>a neue ©teuem naß Änfißt ber fianbratten ja letber
nißt mögliß ftnb, (Vergmeifelt) maS bleibt übrig? 2Ber metß eine
Stedung? GS müßte allerbingS etmaS voUfommen SfeueS fein.
M ■
Digitized by v^. ooQie
CO
Die «egen»ttri
Ter Sinn für bie atteS überragenbe ©ebeutung uttb SBlchtlgfei
Sports tft eben erft bem 20. 3oh*hunbert oufgegangen.
Stile (finnen angeftrengt unb fdjmipenb nach).
©ofabomsfp (triumphirenb): 3<h hob'S! ®inen neuen ©urnp!
gürft ^openlohe: TaS ift bod) bet unS nichts [ReueS me^r!
©ülom: SluS bem Tiefbrunnen ber Slnfeihe fönnen toir zur geit
nicht o^ne SBettereS mit golbenen ©imern fdjöpfen. ©ebenft man aber,
bafj TeutfdjlanbS §iilfSfräfte unerfdjöpflich finb —
©ofjler: 3« ber Tpat, fte finb’S, fo lange bie [ReichSbrucferet
nic^t abgebrannt ift unb unermüblich Taufenbrnarffcpeine berfteHt.
©ofabomSli): 3Retne Herren — ich hob'S mieberum! SBir be-
fdjaffen baS ©elb für bie neuen Schiffe, inbem mtr bie [Reichs f dp ul ben
tilgen!
SU Je (flehen vottfommen fpracploS).
fSürfi Hohenlohe: SBoflen mir nicht bie Sipung aufheben, lieber
tßofctf Sie fehen recht angegriffen auS, 3P« ©efunbpeit ift erfepüttert!
©ofabomSlp (unerfchütterlich): 800 SRittionen brauchen mir jus
nädhft einmal für neue Schiffe. Solche hohe Slnleipe bemitttgt ber [Reichs*
tag nicht, gorbern mir alfo 900 Millionen —
SUIe (merben fehr unruhig unb beforgt).
©ofabomSfp: Unb benupen bavon 15 SKillionen jur
OteichSfchulbentilgung! Tann ho&en mir immer noch 85 Millionen
mehr als mir SInfangS überhaupt brauchten. Seien Sie überzeugt, fo«
halb mir etmaS Von Schulbentilgung fagen, betfjt ber [Reichstag an.
SUIe (finben leine ©orte).
gürft Hohenlohe (bricht nach longer ©emunberuitgSpaufe baS
ehrfurchtsvolle Schmelgen): Sie finb groß unb erhaben, ©ofaepen! TaS
beutfehe ©aterlanb fchulbet 3h ne u emigen Tan!!
©ofabomSfp: ©iü ich 3huen gern glauben! Tenn maS Teutfrf)-
lanb einmal fchulbet, baS bleibt eS auch gleich emig fchulbig.
*
Ter ©erein für ©oltSbeluftigungen hot befcploffen, nunmehr auch
ben Sinn für fcpcrzhaft*natve grage* unb SIntmortfpiele ju pflegen, bie,
forgfältig unb biS in bie fleinften ©injelhetten borbereitet, fogar©rma<hfenen
großen Spafj machen unb gerabe befjpalb befonberS empfehlenSmerth
finb, meil zu ihrer SluSführung nur ^mei ©erfonen gehören.
§err ©ommerzienrath SRöHer=TuiSburg, ber Soterpettant in ber
„©unbeSratpS"*91ngelegenpeit, hot ben ©prenvorftp beS ©ereinS gütigft
übernommen.
*
©ie alle neubeutfehen $>aupt= unb StaatSactionen, ift aud) bie
Sipung beS [Reichstages, bie ber Suterpettation SRötter gemibmet mar,
©egenftanb einer photographifepen Slufnahme gemorben. Ter SIpparat
trat in bem Stugenbllrfe in Tpätigleit, mo bie ©efprechung ber 3oter=
pettation mit erbrüefenber ttReprpeit abgelehnt mürbe.
©ine pöcpft erfreuliche unb unwichtige SRafjnapme! Tenn fonft
mürbe nach fünfzig 3ahren [Riemanb mehr ben ©organg für mögltch
halten.
*
$err b. Senben*©ibran ging in befonberer 9Riffion nad) Sonbon,
als bie Erregung über bie gortnapnie ber beutfehen ©oftbampfer auf'S
#öcpfte geftiegen mar. ©fücflicpermeife fteHte fi<h noch rechtzeitig heraus,
bafj er ben Staatsmännern bon Tomning* Street fein Ultimatum zu
überbringen hotte, fonbern nur megen einer [Regatta [Rücffprache
nehmen fottte.
©te biel Unglüd märe berhütet morben, menn ©iSmarc! fich
Senben=©ibran zum ©orbilb genommen, Oefterreicp nicht in granffurt
brüSfirt, fonbern ftatt beffen ©euft T S [Recorb in Kniebeugen unb [Rieben
fnien zu brüefen verfuept hätte! ©enn er ftatt mit ©enebetti zu brechen
unb bie berüchtigte gefälfdjte Tepefche abzufenben, in ©mS bem Amateur*
©potograppen=Sport gehulbigt, alle ^offeierlicpfeiten aufgenommen unb
fich bann mit eigenen photograpptfepen Seiftungen an ben ©reiSauS*
fchreibungen beS Socal-SlnzeigerS betheiligt hätte!
* *
Ten pieftgen geitungen zufolge erfreuen fich bie ©erliner Turner*
bereine feit Kurzem eines ganz befonberS regen gulaufeS auS ©eamten*
freifen. Selbft ältere Herren in fehr angefehenen Stettungen treten ben
[Riegen zoplreicp bei unb befugen bie UebungSabenbe mit grofjer [Regele
mäfjigfelt. 3Ran führt biefe ©rfepeinung auf bie machfenbe Siebe jum
Sport zurücf, bem jept auch bie ejeluftve Schicht ber ©üreaulratie zu
hulbigen beginnt.
Tie ©rflärung trifft inbefj ben Kern ber Sache nicht ganz- Turch
bie [ReujahrS *©reigniffe im geugpaufe finb §a^Ireic^e ©eamte z« ber
Ueberzeugung gelangt, bafj auch on fte bie [Rotpmenbigfett, unvermutpet
nieberfnien zu müffen, über [Rächt herantreten fann. [Rur um biefer
SRöglicpfeit ruhig in'S Sluge fchauen unb bie betreffenbe Freiübung jeber
geit mit natürlicher (Grazie ausführen zu fönnen, hot man fich ent*
fchloffen, bie [Reihen ber früher mit [Recht als bemagogtfeh Verrufenen
Tumerfcpaft zu verftärfen. Toch beabfteptigt feinS ber neuen SRitglteber,
über ben geitpunft feiner ©enfionirung hiuauS bie mit mannigfachen
Unbequeinlichfeiten Verfnüpfte Saft auf fich zu nehmen.
*
Unfer ©iener ©otfdjafter gürft ©hüipp ®ulenburg pflegt, um
fein 3ucognito zu mähren, in KarlSbab unter bem reizenb auSgebachten
[Ramen eines [Rentiers ©ruenbuel aufzutreteu.
Tie ©orfichtSmaferegel märe überflüffig, menn ber [Rentner ©men-
buel nicht bie Gepflogenheit hätte, fich tut SBalbe auf bie nächftbefte ©anf
nieberzulaffen unb bort zu bidjten. Taburch fann in ber Tfjat ein Un=
befangener auf ben ©erbacht fommen, ben gürften ©ulenburg Vor fich
Zu hoben. 3ui Uebrigen braucht ©h'ti ober mirtlicp nicht zu befürchten,
bafj irgenb 3feinonb im Stanbe märe, fein Sncognito z« lüften. Unfer
SBiener ©otfehafter ift bem SBiener [ßublicum, baS bie ©evölfeuing
KarlSbabS bilbet, auS guten ©rünben völlig unbefannt.
*
$err ©homberlain ift ber £auptluhaber mehrerer englifcher
[DtunttionSfabrifen, bie ben ©uren gegen hohe ©ezahlung SchiffSlabungen
Voll ©atronen für ben gegenmärttgen Krieg geliefert hoben.
Sohn ©utt foflte ein UebrigeS thun unb Von ^errn ©hontberlain
nunmehr auch noch z u fluten ©reifen baS |>olz faufen, baS für ben
©algen biefeS Kernpatrioten gebraucht mirb.
*
Tie zahlreichen SBaarenhäufer, bie in golge lieberlid)er ©auart in
lepter geit total auSbrannten, finb faft fämmtlich hoch verwert.
SBohlthätig ift beS geuerS SRacht.
©S mirb gemelbet, ba& ber ©unbeSrath ben Ouebracho^gott enb=
gültig ablehnen unb baburd) bie Kleinbauern im Siegerlanbe völlig $u
©runbe richten lootte. ©inige ©ehelmräthe hoben ben ©ebrohten bereits
ben guten [Rath erteilt, ihre ©ichenfchälmalbuitgen nieberzufchlagen unb
bafür auf ben fteilen, fteinigen ©erghängen Korn zu bauen.
Ta eS ben beutfehen Sanbmirthen bereits mteberholt nahe gelegt
morben ift, ftatt beS unlohnenben ©etreibeS lieber roerthVotte unb gut
bezahlte ©emüfe, griiepte unb Sämereien zu ziehen, fo bebauern mir fagen
ZU müffen, bafj bie jept noch z u * Kornprobuction aufreizenben ©epeim»
rätpe einen etmaS zurürfgebliebenen ©inbruef machen. 3h^ grofje ©or*
liebe für Korn, menigftenS für gebranntes unb beftittirteS, erhellt ja
beutltch genug auS ihrem ©orfdjlage, ben ein nüchterner ttRenfd) un*
möglich machen fann. Tropbem hätten fte beachten müffen, bafj ©eträbe*
füntmel im Urzuftanbe nicht mit ©orliebe an Slbpängen gebeipt. SSBar
ihnen aber befonberS an einer für fie paffenben gelbfrucht gelegen, fo
hätten fie flüger baran getpon, ben Slitbau Von Tifteln zu
Digitized by v^.ooQle
4.
Sie $e$enwart
61
$>ocp werben bic ©tegerlänber autp nocp mtbcrrt ©rfap für ipren
ruinirten ©cpälwalb finben.
$a ift jucrft bte AnanaS, bic tpeucr bejaht roirb. gwar verlangt
fte im ©ansen ein milbereS Klima als baS ift r meines ipr im Sieger*
lattbc geboten werben famt, aber eS wirb ja auep Stein in Somft gebaut.
3)urcp ©inrteptung bon gelböfen unb grünblicpe Sepeisung ber Serg*
lehnen fann übrigens ben föftlicpen $ropenfrüdpten jeber geit bie Xent*
peratur berfepafft werben, beten fte bebürfen. Audp empfiehlt eS fiep,
bie einzelnen Sflansen in Sßel^e eingumicfeln. SefonberS fluge Säuern
werben fie gleich in ©läfern sieben, woburep fte fiep baS fpätere ©in*
machen erfparen. Sei ber ©rnte bot man ben Sortbeil, bab bie Ana*
naffe in golge ihrer runblicpen ©eftalt bon felber ben Serg bunter
foltern unb unten ohne jebe Stüpewaltung aufgelefen werben fönnen.
Am Kilinta Nbfcparo finb iteuerbingS Serfucbe mit ber ©trauten*
guebt gemacht worben, bie ficperlicp auch im bergigen ©iegerlanb nicht
gans erfolglos bleiben würben. 3)te ©ier beS ©traubeS erreichen
befanntlicb bie ©röfle eines KtnbSfopfeS, jener hob* Weisheit berratpen*
ben ©cpäbelfornt, non ber man fchöne ©femplare in bielen TOnifterial*
gebäuben borfinbet. ©ie werben bemnach aßen Nüpret= 3 ntereffenten,
bie grofje Portionen lieben, halb unentbehrlich werben unb bie ©oncur*
rens ber gewöhnlichen ßanbpüpner boflfommen lahm legen, ©ine sweite
lobnenbc ©rwerbSguette bilbet für feinen Seftper ber ©traub baburch,
bab er mit ©ier horte ©egenftäitbe, alfo berloren gegangene Sorte*
nionnaicS, Uhren, Sincenes, ©lüblompen, Negenfcpirme, Srtflanten,
Klpftierfpripen, ©efepentwürfe, ©epeim*©rlaffe unb ähnliches unberbau*
licheS 3 CU 8 nerfcpludft. 3Birb ber ©traubenbung jeben borgen geroiffen*
haft unterfucht, fo bermag ber intelligente Sauer febr halb, tbeilS $anf
bem gttibcrlopn, tbeilS ©>anf bem Honorar, baS ihm ber „SorwärtS"
für bie im Uebrigen mertblofen ©epeim=©rlaffe besohlt, ein Sotpfcpilb*
bermögeit ansubäufen.
©djlieblicp wäre eS biefleiept auch angebracht, bie einftigen ©iepen*
fchälwalbungen mit Kartoffeln sn bepflansen. $)amit biefe niiplicpe
gruept inbeb ben benfbar größten Umfang annebme, müßten fiep ihrer
©rseuguug auSfcplieblicp bie Herren wibmen, bie ben ©ieger Säuern
ben oben mttgetheilten weifen SRatb gaben.
*
©rfannt.
I.
Serebrter Herr ©oflege!
®iefe ArbeitSlaft! SBoflen ©ie niept bie ©üte hoben, wenn ©ie
morgen in ben Reichstag fommen, fiep auf meinen Pap 50 fepen?
TOt Arbeiten überhäuft, in ©ile banfbar
3br
©cpwenser.
II.
Serebrter Herr ©oflege!
£put mir fureptbar leib, fann aber niept! Aucp auS meinem
SBaplfreiS finb SBäpIer ba, bie mich niept perfönlicp, wopl aber meinen
Pap im Haufe fennen. Stellte ©ie gerabe bitten, morgen für mich S u
fipen, ba wir ja Seibe siemlicp biefelbe gigur haben. Sin eben genau
foein gauflenser wie ©ie!
3 b r ^rsUcp ergebener
0 . $)rücfeberger.
(Limon b. 3 *
®pent unb doncerte.
Opernftatiftif. — „König ®r off eibar t". Störcpenoper bon As*el
Weimar. flftuftf bon ©uftab Kulenfampff. — „Natbolb". Oper
bon fyc1 1 $)apn. SNuftf bon Setnpolb Secfer (Kgl. OpernpauS). —
„Ninicpe". Operette bon Sictor 26on unb H- b. SBalbberg. Stuft!
boit Nlcparb Heuberger (©entral*$peater).
Unfer ©oflege bon ber ©cpaufptelfrltlf pot *nr Sopfpnnbertwenbe
bie grage aufgeworfen: Ster ift ber beliebtefte ober meiftgefpieltc ©)ra*
matifer? ©iner ähnlichen Unterfudpung auf bem ©ebicte ber Oper, beS
mufifalifepen $ramaS unb ber Operette würbe bie snplenntäbige ©runb*
läge feplen, benn bie Herren ©tatiftifer, bie fdpon atteS Mögliche in
giffern umwertpen unb auS ipren Nunbfragen unb gelungen nur sn
oft bie falfcpeffen ©eplüffe sieben, laffen unS pier faft gans im ©ttepe.
$ie grage nach bem meiftgefpielten Opemcomponiften fann alfo nur
bon ungefähr fcpäpungSweife beantwortet werben, bodp bürfte man bei
genauerer Kenntnib ber einfdplägigen Serpältniffe unb ©plelpläne ber
Steprpeit siemlicp nape fommen. Ster biel mepr internationalen ©eltung
ber Oper entfprecpenb, liebe fiep fogar bie grage beantworten: welches
ift bte meiftgefpielte Oper überhaupt, bie SSeltoper? £>ier fommt ja
niept nur baS im geiepen Nicparb Stogner'S fiegreiepe Steutfcplanb in
Setracpt, fonbem bie Speater betber ^emtfppären, unb ba lautet bie
Antwort wopl niept anberS, alS: S)er Sroubabour, benn Serbin unber*
wüftlicpe Oper beperrfept nadp wie bor bie groben unb flehten Sühnen
ber gansen Stelt. S)ie §n>cite ©eltoper ift gans gewib ©ounob'S gauft,
bie 1893 in SariS aöein bie 1000. Sorfteflung erlebte unb auf allen
beutfepen, italienifcpen unb eugltfcpen Süpnen beftänbig auf bem Seper*
toire ftept. gür granfreiep folgt bann SlUgnon bon Slmbroife S^omaS,
bie 1894 in SariS in ©egenwart beS ©omponiften bie 1000. Sluffüp*
rung feierte, wäprenb fte als „tBilpelm ^ieifter" in Steutfcplanb eben*
faflS noch biel gegeben wirb, ©ine SBeltoper ift ferner Stset '8 „©armen",
bie befanntlidp in SariS suerft palb burepfiel, nurö übrigens audp bem
„gauft" paffirt war; bann folgen SRaScagnt'S „©abafleria" unb nadp
einigem Slbftanb Seoncabaflo'S „Sagliacci", bie beibe — wie lange nodp?
— bie Opernbüptten aller 2änber beperrfepen — ober peimfudpen. ©ludp
fllfeperbeer (Hugenotten, Sobert, Stoppet, Slfrifanerin), Äuber (©tumme),
Soielbieu (SBeifee S)ame) pnb SBeltopem geblieben, benen man all*
überall begegnet, unb bie älteren italienifcpen SBerfe (Srabiata, Sigo*
letto, ©rnani, Sucia, föornta, Sarbier, Seil), fowie ^i'ba werben nodp
auf lange pinauS lebenbig fein. SJfit Sedpt weift H^nSlicf auf baS Sei*
fpiellofe biefer SBelterfoIge pin, ittbent er baran erinnert, bafe bie gnnber*
flöte im Serliner Opernpaufe erft nadp punbert 3op^n bie 400., ©>on
3 uan bie 500. Aufführung erlebte, inbeft ber unftcrbllcpe greifdpüf
73 3npre brauchte, um in Serlin unb ©>reSben eS jur 500. Aufführung
SU bringen! Unb nun ber AfleS nieberfdpmettembe ©ieg Akgne^S.
3)ab Xannpäufer, Sopengrin unb H^flänber, bann bte SWeifterfinger bie
meiftgefpielten Opern in Steutfcplanb ftnb, beseugt bie ©tatiftif, nadp
weldper bei unS A3agner 1898/99 mit 1301 Aufführungen, wobon 277
auf Sannpäufer unb 273 auf Sopengrin entfallen, obenan ftept. Srtftan
unb 9?tbelungenring fteflen bagegen fo ftarfe Anforberungen, ba& nur
gröbere Süpnen bte Aufführung wagen. 2Bie weit ber auSlänbifcpe ©r*
folg ABagner'S — sttmal in S^rlS — nur borübergepenbe Stobefacpe ift,
wtrb bie 3 u ^nnft lepren. Xpatfacpe ift, ba& man Sopengrin unb fogar
ber Söaltüre unb ,11 Crepuscolo degU Dei 8 immer häufiger auf italie*
nifepen Süpnen begegnet, bon ben ©efangSfräften abgefepen, melft in
unsulängli^fter ©eftalt. ©ine wirfüdpe ©inbürgerung beS StuftfbramaS
pat biSper nur in gerntantfepen fiänbern ftattgefunben. §\tx ift biefe
Herrfcpaft ABagner'S freilich fo erbrüdenb, bab fte ben Nachfolgern fiuft
unb 2icpt sn nepmen fdpetnt. Nennen wir Nebler’S Trompeter bon
©äffingen, HnmperbincfS Hänfel unb ©retel unb etwa Kiensl’S ©ban*
gelimann, fo paben wtr alle nachhaltigeren ©rfolge beifammen; in weiter
©ntfernung folgen bann Srüfl'S ©olbeneS Kreus, ©olbmarfS H c ^nt(pen
am Herb un fc Königin bon ©aba^unb etwa H^ntann ©oep r Sesäpmte
t
Digitized by
Google
Ute legcnotrt.
Nr. 4.
82
SBiberfpenftlge. 93cffer fiept eS um ben NocpwucpS in granfreid) unb
Stalien, wo SBagner’S £errfd)aft nic^t überwiegt. Sieben $p° ma 8 unb
©ounob (bemt aucp tpr £amlet unb Nomeo finb in $ariS Niefenerfolge)
ift nocp für 354libe8 ((£oppc!ia, ©plüta), ©aint*©aenS, Neper u. 91. Pa&,
unb SNaffenet beperrfcpt bie franzöfißpe Oper faft unumfcpränft unb
bürfte fid) wenigftenS mit „Sßanon" unb „SBertper" nacp SBien auch
bie reiepSbeutfepen ©üpnen erobern. Nod) mehr Seben oerratpen bie
3taliener. ©oito’8 ©lefiftofele unb ©erbt'S OteBo unb galftaff taucpen
faft in jeber ©tagtone auf; aud) bie fpäteren SBerfe NtoScagnfS (greunb
gri|, Nattjau, 3^8) unb ^uccini'S „SopSme" bringen fammt ben
naturaltftifcpeu Etnactern non £aSca, ©iorbano, SJfugone *c. immer
mieber mit ben SBanberbüpnen tn'S NuSlanb. 3n ber Operette h*ttf<pen
als SBeltcomponiften noch heute Offenbad), Secocq (9lngot, ©troflä), ©uU
litoan (SRtfabo); auch bie Oier größten Erfolge ber SBiener Operette: gfeber-
mau$, gatinipa, ©occacdo, ©eitelftubent ermatten fid) in ber ©unft zumal
be8 beutfdjen SßubltcumS; bie mufifalifcp oielleicpt reicpfte Operette bon
©trauß „Eine Nacpt in ©enebig", bie bei un8 an ihrem btöbfinnigen
%egte zu ©runbe ging, erfreut fid) einer großen Popularität in —■ Stolien.
3u feinem SBelterfolg paben e8 noch bie Operncomponiften ber anberen
Nationen gebraut, obwohl Nubinfiein (NJaccabäer, 3>ämon) unb XfcpaU
fowSfp (Onegin) unb bie Xfcpecpen ©metana (©erfaufte ©raut, 3)alibor)
unb 3)Dofac (©auer aI8 ©d)elm) ba unb bort über bie ©rennen ihrer
ftetmatp gebrungen finb.
3>en beiben lepten NoOitäten be8 ©erliner königlichen OpernpaufeS
fann man aud) fein günftige8 §oro8fop ftetlen, bocp gebührt ber ©enerak
intenbanz 3>anl bafür, baß fie trop aller böfen Erfahrungen unferen
lebenben Eomponiften immer wieber gleid)fam ihre ©erfuch8bühne öffnet.
Ob fie bei ben neuen Opern oon Äulenfampff unb ©ecfer auf ihre Sofien
fommen wirb, ift zweifelhaft, aber gletcpgiltig; ba8 SBefentlicpe bleibt,
baß zwei begabte Xonfeper Oor ba8 Publicum gebraut unb ihre SBerfe
in würbigfter SBeife bargeftellt finb. 35er bühnenfuitbige 3)elmar hat
einen Nfärcpenftoff gewählt, wie e8 bie Ntobe oevlangt ober wenigfteu8
oerfangt pat, benn unfer wetterwenbifcpeS publicum ift oon feiner ©or*
liebe für bie ©eftalten finbltd)er ©orfteßung unb Poefie längft abgefommen.
SBaS im ©d)aufplel ben Entbecfern biefe8 ©enre8, ben gulba unb #aupt=
mann, Erfolg gebracht, ift ihren Nachfolgern ©oß, Engel k. mißglücft,
wie fiep in ber Oper ba8 ©lücf bon „$änfel unb ©retel" in ben „ÄönigS*
finbem" nicht fortgefept hat. derlei Ehancen finb eben rafch abgenupt
unb wieberholen ftch feiten ein zweites ober britte8 9ftal; hat hoch aud)
bie Neuheit ber realiftifchen Einacteroper nur SRaScagnl unb Seonca^
ballo genupt unb allen fpäteren Nadjapmern bloß geringere Erfolge ge=
bracht, ©o gefchicft nun auch Sljel 3)elmar ba8 aUbefannte Ntärcpen
bom könig S)roffelbart auf bie Opembühne berpflanzt, fo berrnag feine
©earbeitung unferen #erzen$antpeil, ben ein folcper ©toff berlangt, bocp
nur wenig z« gewinnen. Er hätte beffer gethan, ftch ganz eng an bie
finnteid)e 3)ramattfirung zu halten, bie ber 3)üffelborfer 3)ichter Biebrich
Noeber mit bleiern ©lücf bor etwa zwanzig Sahnen borgenommen hat.
3>od) ift nicht z u leugnen, baß bem Eompontften gut in bie ©änbe ge=
arbeitet ift, ber benn auch bie mancherlei banfbaren Partten anfpred)enb
bertont. ©iel melobifche Erfinbung beftpt er ja nicht, aber er fchreibt
fangbar unb wohlflingenb unb trifft ben ©olf8ton oft ganz überrafepenb.
E8 ift jebenfaH8 auch ein Seichen ber 3 e *t, bafj unfere Eomponiften
einer nach bem anbem ber ©olfSoper z«ftreben, fogar 5Bagner'8 eigener
©ohn. 3)arau8 fprid)t wohl weniger eine blo^e SRobeftrömung, al8
ein gewiffer Ueberbruft: bie berftiegenen gelben unb ©öfter au8 SBapn-
frieb ftehen unb bleiben un8 mobernen N^enfcpen z« feni. Nur fo al8
Neaction erflärt fiep ber grofee Erfolg bon Earmen, Eabaüeria, |>änfel
unb ©retel.
„Natbolb" ift fepon anber8wo aufgeführt worben unb hat überall
gefallen, ©eefer ift eine burep unb burep mufifalifepe Natur, niept bon
großer Erfinbung8gabe ober Originalität, aber immer bornehm unb
ipmpathtfd). Nur pat er al8 langjähriger Seiter ber 3)re8bener Sieber^
tafel eine zu große Neigung für ben NJännercpor unb ba8 Siebmäßige
überhaupt, bie ipm jept bei einer bramatifepen Eompofition im ®ege
fiept. 3)a ift 9ltle8 talentboü unb fleißig, auch ber Orcpefterpart wopk
flingenb unb mitunter reept complicirt unb lärmenb, aber ftet8 wieber
fällt ©eefer in bie 9lrt ber Siebertafelmußf zuxücf. Ntan merft e8 ipm
an, baß ipm nur im Sprifcpen ganz wopl wirb. 9Bie fcpön ift z* ©•
9ltta'8 Sieb in F-Dur unb ba8 ©cplußenfemble mit feiner maeptboßen
Steigerung! Ein befonbere8 Sob oerbient ber Xejt. Skr bie aud) in
feinen Nomanen (fogar im „$ampf um Nom") ftarf opernpafte 9lrt
Selij 35apn'8 fennt, ber merft unb weiß, baß 3>apn ber geborene
Sibrettift fein muß. ©epr [wirffam pat er pier ben oft bramatifiTten
©toff be8 Enocp 9lrben bepanbelt, in lunfiooll fnappem 9lufbau unb
auch pfpcpologifcp flar unb überzeugenb, wobei man freilich mit ber
allzu aufgeregt patpetifepen ©praepe biefer gifeper niept einOerftanben zu
fein braucht, ©ielleicpt bearbeitet 3)apn einmal ein eigenes ©er! für
einen Eomponiften. 3Btr benlen ba zuerft an feinen föftlicpen Noman
„3)ie fcplimmen Nonnen Oon ©oitierS" — ba8 wapre Sbeal einer
fomifepen Oper.
3n bem Keinen Eentraltpeater, wo 3)irector gerenezh ben Sßiener
OperettenftU „feef unb refcp" pflegt unb befonberS mit „©eifpa" eine
lange Neipe ©orfteBungen burepfepte, ift wieber bie ©iener Operette
eingezogen unb wieber auf franzöftfepen ©telzen, wenn man fo fagen
barf. 3)ie bewährten Sibrettiften Seon unb SBalbberg haben bie welt=
befannte „Nintcpe" oerarbeitet, bie aBerbing8 für ein munteres Seftbup
Oorzüglicp geeignet ift. ES fann bloß bebauert werben, baß ftdj bie
Herren weniger an baS graziöfere Original palten, als an bie plumpe
©earbeitung, bie ber oon SBiener unb ©erliner Eenforen beanftanbete
©toff bamalS burep Eb. Sucobfopn, wenn wir niept irren, erfuhr. Nicht
nur baß h^r bie faftigften grioolitäten z^ar gemilbert finb, waS ein
©erbienft wäre, aber an ipre ©teile treten orbinäre ©erliner ©offenmipe
unb abgefepmaefte feenifepe Einfälle, z* baß am erften Slctfcpluß alle
Kellner m benfelben UnauSfprecplicpen erfepeinen, bie ber nur ber unteren
körperhälfte nach entbedte Siebpaber trägt, unb äpnlicpe ©päße. ®lü&
lieper Seife ift ber talentoolle Eomponift beS „OpembaHS" auf ben
^offenton niept ganz cingegangen unb pat eine, befonberS in ber
3nftrumentirung, feine unb blScret heitere Partitur gefeprieben. 5)aS
©riefbuett, bie burfeSfe Nationalhymne fmb gute fomifepe Opemmufif
Oon frifeper Erfinbung unb fauberer gactur. 35ie Sluffüprung erinnerte
an bie beften gelten ber längft entfcpwunbenen grlpfcpe'fcpen Operettenära.
M.
Offene ^triefe «ttb Jlnttoorten.
Öorb ^almcrften über bie müitärifc^e <5iütoüd fft ©ttglanbö.
©epr geeprter perr!
Erft naep Slbfenbung meines SlrtifelS über bie 3^00^8 (in ber
lebten Nummer ber „©egenwart" abgebrueft) ift mir ein intereffanteS
©epretben Sorb ^almerfton'S zu ©efiept gefommen. 3)er berühmte
Nlinifter war feines SeüpenS 3)iplomat, aber beS 2RiIitär= unb SRarine^
wefenS niept unfunbig, benn er belleibete 1807—1809 bie ©teile eines
Lord of the Admiralty, 1809 —1828 bie ©teile eines Secretary at
War. Er rieptete 1851 ein ftreng oertraulicpeS ©dpreiben über bie
militärifepe ©cpwäcpe EnglanbS an ben ©cpaßfanzler ©ir E. Soob.
3)iefer ©rief würbe 1876 oon E. Slfplep in feinem Life of Palmerston
(I, 250^—258) oeröffentlicpt. 3)er Sorb füprt anS, baß bie englifcpen
ÄriegSwerften leicpt üon einem geinbe z^rftört werben fönnten, baß
biefer unfepwer lanben lönne, unb baß Englanb leiber leine .landwehr*
pabe. Er beziept fiep babei auf ©ir g. £eab T 8 Serf The Defenceless
State of Great Britain, 1850. ^almerfton meinte zwar 1852, Eng=
lanb fei niept mepr fo weprloS, defenceless, wie 1849 (Njplep, II, 6, 7).
Digitized by
Google
Die fficgettoMtri.
03
Xrofrbem biixften Me Augfüprungen gorb $almerfion’8 unb ©ir 5 . $eab'8,
mit Serärtberung be8 gu Seränbernbett f nocp peute beacptengwertp fein.
Aepnltcp betfte ber Abmiral ©ir ©. Papier in feiner ©cprift The Navy
its Past and Present State, 1850 bie ©ebrecpeu ber englifcpen $rtegg-
flotte auf.
§ocpacptuitg8bott
Dr. Karl IPalder,
Docent an ber Uniöerfttät getpgig.
--
Stottjett.
©efepiepte be8 beutfdjen 3 citun 9 ^ ttJc fen 8 Don ben erflen
Anfängen M8 gur ©ieberaufricptung be8 Deutfdjen 9?eicpe8. Sott
gubroig ©alotnon. (Dlbenburg, ©cpulge’fcpe ^ofbucppanblung.) gubwtg
©alomon entwirft picr gum erften Wal ein gro&e8 öoaftänbigeg SBUb
Don ber ©ntftepung unb ©ntwidelung beg beutfcpen SournaiiSmuS unb
füllt bamit eine tängft empfunbene güde in unferer piftorifdjen Literatur
au8. Wtt bem Seitalter ber ^Reformation begittnenb, wo fiep bie erflen
ßetme beg 3ournait3mu8 regen, unb bann fortwanbemb burep bie büftere
Sßeriobe be8 bret&igjäprigen tfriegeg, burep bie griebeiicauifcpe Seit, big
herüber in bie ©egenroart, führt ber Serfaffer un« eine SRetpe ber tnter*
effanteften ©ulturgemälbe, eine lange ©alerie ber eigenartigem ©parafter=
löpfe hör. (Sin gang neue«, bisher nur pie unb ba geftreifteg ©ebiet
ber ©efepiepte unferer Stlbung wirb un8 babei eröffnet, eine ber gewaU
tigften Wäcpte ber Gegenwart, bie öffentliche Meinung, fehen wir bon
ihrem erften (Smpormad)fen big gu ihrem heutigen gigantifepen (Stnfluffe
ft<h entwlcfeln, ja bag gange müpeboüe SRingett unb nicht raftenbe Kämpfen
ber lepteit brei Soprpunberte giept in einem eigentümlich fcharfen ©piegel
an un8 Vorüber, benn in einer fo untfaffenben unb erfepöpfenben ,©e=
f^ichte beS beutfehen 3 c i(unggwefeng", wie ber borliegenben, bietet ftd?
*n8 auch zugleich ein ©piegelbilb unferer gefammten nationalen ©nt=
foidelung. Der bi§her borliegenbe erfte Sanb geht big gum Auftreten
Napoleons unb enthält in anfprechenbfter gorm biel SReueg unb 3nter=
effanteg. ©ir tommen nach ber SoIIenbung be8 langen, bie hoffentlich
nicht lange auf ftch warten lägt, ausführlich auf bag ©er! gurüd.
Sur mobernen Dramaturgie bon ©ugett Sabel (Olben=
bürg, ©chulge) liegt nun boUfiänbig bor. Der eben perauggefommene
gweite Sanb enthält ©tubien unb Äritifen über bag beutfehe Xpeater,
roäprenb ftch ber erfte mit bem augfänbifepen Xpeaier befchäftigt hat.
Aeben allgemeinen gragen, bie ftch auf bie Äuitft beg Sortragg unb bie
©efepiepte beg Süpnenerfolgeg begiehen, behanbelt Sabel nach einem
©eitenblid auf bie bramatifchen $läne unb Äritifen bon Sertpolb Auer=
bath unb nach einer liebebotlen ©parafteriftit beg genialen Dramaturgen
Äarl ©erber bie tonangebenben Xalente unferer Sühne. ©epott ein
Slid auf bag SnpaltgDergetdjnifc beweift ung, wie wenig ftch ber Ser^
fafjer babei bon augenblidlichen Sarteiftrömungen leiten lägt, inbern
neben einem feinftnnigen Dichter wie ©ilbranbt ein gefehlter fiuftfpieU
autor wie ©uftab bon Wofer gu ©orte fommt. Die neueften Dramen
bon ©ubermann unb $auptmann, ©ilbenbruch, gulba geben gu aug=
ffiprltcpen fritifchen Attalpfen Anlafj. Defterreicpg Dramatiler giehen
bon ben S e Üen Saimunb’g unb Meftrot/g big auf bie jüngften an ung
borüber, woran ftch neuere norbbeulfche Drainatifer fcplie&en. Siel
?erfönlicpe8 unb Unterhaltenbeg enthalten bie Auffäfce „Sei ben WeU
Fingern" unb Emmanuel $ant auf ber Sühne unb im Seben". ©in
breiter Saunt ift namhaften barfteüenben Mnftlern gewibmet, bon benen
bie berftorbme ©parlotte ©olter ben Seigen eröffnet. (£8 folgen bie
^orträtg bon Wltterwurger, ©onnenthal, Saumeifter, J&aafe, Sarnap,
fcngelg, SoHmer, Watfowgfy ttnb ihfng Wan braucht niept mit allen
Urtheilen Saberg elnberftanben gu fein, um alt feiner e^rltc^en, grünte
liehen unb burdjmeg woplrootlenben ^Irt greube gu haben. Slucp ift ber
gufädige journaliftifcpe dparafter beg Sucpeg, bag bodp in ber £aupt=
fache nur eine gafammenftellung gelegentlicher Süchetbefprechungen unb
^remi^renberichte ift, burep fleißige Unt= unb Durdparbeitung beg ©toffeg
gu bleibenber unb literarifcper Sebeutung erhoben.
9118 ©trohwittwer nach 31 frita! SReifeerimterungen bon
Sllbert ©raf bon ©cplippenbach. (^renglau, Ä. Wied), ©ine
anfprucplofe, muntere unb angenehm gu lefenbe fReifebefchreibung eineg
fdjarfäugigen, liebengwürbigen eepten 3unferg. Der Serfaffer ift ein
©opn beg ©eneralg ber 3nfanterie ©rafen Äarl bon ©djiippenbach, beg
pelbenmüthigen güprerg beg Sataißong ber 52er bei 9Rar8 la Xour
unb wopl ein ^achfapr beg trefflichen fipriferg ber „gliegenben Slätter",
beffen ©ebiepte bielfach in unfete ©ommergbücher übergegangen ftnb.
9 lucp ©raf Ulbert pat ben hnmoriftifepen gamiliengug unb unterbrüdt
bie ©tromfcpneHen feineg lebengfropen Slutlaufeg nirgenb auf feiner
gangen Dieife bon ^renglau big Sigtra, Wonte ©arlo, 9?igga unb War=
feifle. ©apre perlen feinen |>umorg ftnb bie ©Üggen über Algier, über
bie ©tfenbapnfaprt nach ^öt^lra unb ben Aufenthalt in ber ©üftenftabt.
Dabei merlt man fofort, bafe ber Serfaffer ein feparfer Seobacpter ift,
ber opne fRüdficpt atierfennt unb geigelt r je naepbem fianb unb ßeute
ipn bagu beranlaffen, bafe er aber auep ein warmeg &erg unb offeneg
Auge für alle ©cpönpeiten beg ©übeng pat.
Napoleon I. unb bie grauen öon gr. Waffon. Uebertragen
unb bearbeitet oon Dgfar Warfcpall 0. Sieberftein. (öeihgtgr
©. ©cpmibt & ©arl ©üntper.) Dag Auffepen enegenbe Sucp .Napoleon
et les femmes“ in einer fepr guten Serbeutfcpung unb pübfcp iüuftrixt.
Waffon ift opne S^f 6 ^ e ^ ner & er ^ften Kenner oon ^Rapoleon'g in*
tintem geben; feine Segiepungen gu ben Sonaparteg paben tpm Duellen
erfcploffen, bie bigper überhaupt niept unb auep jept niept Sebent gu=
gänglicp ftnb. ©0 fonnte er ber fo oft ergäplten ©efepiepte bon Sof^pine
unb Warie=gouife burep eine fcparfftnnige unb gclftboHe Auffaffung neueg
Sntereffe leipen, bag £iebe8berpältnifj gu ber fepönen $olin, welche Me
Wutter beg ©rafeu ©alewgfi würbe, burep unbefannte Documente neu
unb überrafepenb aufflären. ©elbft unfere ÄenntniJ ber !Rapoleonifcpen
Solitif bleibt babei niept gang opne Sereicperung.
Die beutfepe ^Rationalliteratur. 3b^ innerer ©ang im 8u*
fammenpange mit ber ©ütengefepiepte bargeftedt bon grang ©cpneber*
mann. (Seipgig, Dörffling & grande.) Dem Serfaffer ift eg, wie er
berftepert, niept pauptfäcplicp barum gu tpun'gewefen, fiiteraturgefepiepte
gu lepren. An $anbbücpem, Me bieg wollen, ift lein Wangel; ja eg
giebt beren auggegeiepnete. ©eine Abficpt ging bielmepr bapin, eine ©e=
mütpgbetpeiligung an bem ©erben unb Offenbaren beg inneren beutfepen
Sebeng bei ben gefenben perüorgurufen. Watt fann bag ©erlcpen ben
Serfucp einer SfP^ologie ber beutfdpen giteraturgefepiepte im 8nfammen=
pang mit ber ©efepiepte ber ©itte nennen. Dabei entpält eg fiep ge=
fliffentlicp aller ftoffliefien ©eleprfamleit unb fuept niept blob gefer, fonbern
auep geferinnen. ©ine formelle ©igentpümltcpleit beg Sü<plein8 liegt
barin, bafi eg int Xejte auch gleicp groben aug ben befproepenen ©erten
giebt, unb barin unterfepeibet eg ftep bon ber geiftegberwanbten SiU
mar'fcpen giteraturgefepiepte. Wit befonberent Sntereffe paben wir bie
Äritif ü6er Älopftod gelefen, bie einer fepr übergeugenben ©prenrettung
gleicpfommt.
Alle geschäftlichen Mittheilungen, Abonnements, Nummer¬
bestellungen etc. sind ohne Angabe eines Personennamens
zu adressiren an den Yerlag der Gegenwart in Berlin W, 57«
Alle auf den Inhalt dieser Zeitschrift bezüglichen Briefe, Kreuz¬
bänder, Bücher etc. (unverlangte Manuscripte mit Rückporto)
an die Bedaction der „Gegenwart“ in Berlin W, Mansteinstr. 7.
Für unverlangte Manuscripte übernimmt weder der Verlag
noch die Redaction irgend welche Verbindlichkeit.
Digitized by v^.ooQle
64
Oie <Ke$enwart.
Nr. 4.
Bei BtPzUungen berufe man Jh$ auf bis
„(Begn u p a ri**.
„Bromwasser von Dr. A. Erlonmoyor.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitserseheinongen.
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergeetellt und dadurch
.. r < i l • 1 VIT *_1 £Ll 1 .1.. ....
giifiimh JUdifolgtt.
Montan
hon
^oCCittg.
IC VoUMMf^ok
$rci8 3 «Dfarl. ©d)ön gebuitben 4 Sttarf.
tiefer ©tSmarcf=6a^rttn=Vornan f ber in
wenigen Streit fünf ftarfe Auflagen erlebt,
erfebeint ^ier in einer um bie Hälfte billigeren
©otföauSgabe.
$urd) alle ©ud$anblungen ober gegen (Sin*
fenbung beS ©etragS t>oflfreie äufenbung bom
«erlag «er Gegenwart,
©erlin W. 57.
Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift¬
stellers sind zu Gunsten der Hinterbliebenen
folg. Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden¬
preises in schönen, geh.* Ex. zu verkaufen:
Brockhaus’ Conversationslexikon Neueste
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬
gabe 30 M. — Hch. Kurz: Geschichte der
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. v.
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild-
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder-
bde. 50 M. — Lacroix, Les arte au Moyen-
Age; Directoire Gonsul at Empire, 2 Lieb-
hbde. 30 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde.
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl.
Text m. deutsch. Erklärungen v. Delius,
Hfb. 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel
(Pfeilstücker) Lwbd. 10 M. — Bestellungen
pr. Nachnahme durch Vermittlung der
Expedition der „Gegenwart“ in
Berlin W. 57.
1 Kilo Tropon hat den gleichen Emährungswert wie 6 Kilo
bestes Rindfleisch oder 180—200 Eier. Tropon setzt
sich im Körper unmittelbar in Blut und Muskelsubstanz um,
ohne Fett zu bilden. Tropon hat daher bei regelmässigem
Genuss eine bedeutende Zunahme der Kräfte bei
Gesunden und Kranken zur Folge und kann allen Speisen
unbeschadet ihres Eigengeschmacks zugemischt werden.
Bei dem äusserst niedrigen Preise von Tropon ist dessen
Anschaffung einem jeden ermöglicht 4 (80)
Zu beziehen durob Apotheken and Drogenffesoh&fte.
Tropon-Werke, Mülheim-Rhein.
J>as geidjnett ttad)
ttttb
aitbere ^uttftfrageit.
Original »©utadjten Don 7tt>. ZTtenjel, Kein-
fcolt» Sega», ööcttin, 21. v. Werner,
Hnans, Uljbe, Stwcf, 3ot(. Schling,
Scbaper, (E. ». (EebbarM, 5eri>. Heller,
Befregger, ®at>riel may, Hfjcma.
Cfefcermann, tOUfj, »«fett, tfltger, Graf
Efarrad», JJtaj Hrufe, HniUe, Ceffer-
Ury, Vceylev, Cedit, Hneftl, Cedtter,
3üget, Carlagttt, fltactenfen, Starbina,
CeifHfow, Gaulte, plinte, StafjL
•»reis tiefer trei üünflfer-Hummern ter
„Gegenwart“ 1 fÄ. 50 1?f.
8tud| birect Don un8 ju fcejleljen nadi Srief=
matten=Etnienbutig.
Perlag ter Gegenwart, »erlin W. 57.
Demnächst wird auf Verlangen versandt:
Antiquariats - Katalog 92.
Staats- and Social Wissenschaft.
Nationalökonomie. Finanzwesen.
Etwa 1200 Nummern.
Leipzig. Oscar Schack.
3 n unfertm Verlag tft erfdjtenen:
pte (©tßcuiuirrl.
OktarfertR fit eitratat aat» WoOft» Ma
1872 —1896.
«rfter bis fünfoigfter »an*.
m\ 9tod)trägen 1897—99. 5 J*
(gilt bifcliograbljtfdieS ©ert erften
föangeS über ba8 gefammtc öffentlidje,
geiftige utxb !ünftlerifd)e ficben ber lejte«
25 Sabre, Wotf)iuenbige8 9todjf<blagebud|
für btc Scfer ber „Öeaenroart", fonrie
für miffcnfcbaftlicbe ic. arbeiten, lieber
10,000 Slrtilel, nach Srädjertt, ©erfaffent,,
©cblagmörtent georbnet. 3>ie Slutorwl
hfeubonbmer unb anonymer $Irti!el futb
burdjtoeg genannt. Unentbeljrlid) für
jebe ©ibliotbef.
2 Iud) Mreft gegen ©oftamoetfung ober (
«Racbnabme bom
Deriaa ber töegemnart.
SBcrlin W 57.
Bestellungen auf die
(Knbanbbccfe
©enmttoortltd&er Rebaciaw: Dr. 5üMp$U 89Üln% tu ©rrltit.
zum 56 . Bande der „Gegenwart“, sowie
zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwei Bände
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und vergoldeter
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden in allen
Buchhandlungen entgegengenommen.
Otebacthm unb CtfebttUm: ©erltti W., gRanftehtftra&e 7.
©ntd bon feffe *
Digitized by
Google
jV* 5 .
■gSetrCitt, ben 3. ^feßruatr 1900.
-$-
- 29 \ J^Öirgang.
, / Bancf£5£E.
Pe Gkjpuinrt.
2öo<henfdf)rift für Siterotur, Kunft unb öffentlid^e§ ßeben.
-*-*-■<-
^etousgegeßeit ton ‘SQeopQtf
Itöflt SoanatfH» erfHetnt (tu «erlag ber Gegenwart tn »erlitt W, 57. ItoMfültlUl 4 p. 50 Vf. ft» »MDKft 50 »f.
Su fe&te$en burtfj alle ©itcföanbtungen unb ^ofiftmter. ö ö Snferate Jebet Ärt $ro 8 gehaltene ^eti^eile 80 $f.
gn(jaft:
Die 3uhmft ©übafrifaS. SSon DfjontaS Senfdjau. — 3fi ba§ Söuven^eer eine SRtlia? Son Hoplites. — Sttfrotttr ttttb
Ättttft §unbert Qabre beutlet funft. S3on Litton bon ferner. — ©cfjtllerbtograp&ien. SBon $arl ©gon ©onb^op. —
fteutUeton. ©ine Begegnung. $on ©bgar SUIan $oe. Ueberfefct bon Qobanna öllcn^off. — fcttö Der $aujJtftabt.
Die norübergebenbe ©rfdjeinung. 9Son Caliban. — Dramatifdje Aufführungen. — Änjeigen.
Die 3nkmtft Südafrikas.
$Bon (Thomas £enfdjau.
Sßie nach ben ferneren Kämpfen im ®ecember, fo wirb
aucf) jefct, nach ber neuen ©Etappe üom©pionlop benSnglänbern
in einem ber feftlänbtfcpen fßreffe ber Satp gegeben, fie
fotlten fo halb wie möglich mit ben Suren einen billigen grieben
fchliejjen. 2)aS wäre nidjtS AnbereS, als eine SBieberpolung
non ©labftone’S Solitil nach SDJnjuba, nur in größerem ÜSaafj*
ftabe, unb wenigftenS barüber perrfcpt in (Snglanb allgemeine
llebereinftimmung, ba| jener grabe non 1881 ber fcpwerfte ’
geiler war, bet je in ©übafrila begangen warb. Ueberpaupt
aber lann fiep ©nglanb nicpt wie Italien nac^ bet ©dplacpt
non Abua mit einem faulen grieben aus ber Affaire gieren.
3n bem weiten britifepen SBettreidj perrfepen oiergig Millionen
©iglänber über 360 Millionen unterworfener Söflerfcpaften,
unb bie Sicherheit ihrer ^errfepaft beruht wefentfiep auf
ihrem fßreftige, auf ber Uebergeugung, bafj Sngfanb in jebem
Kampf mit untergebenen Söllern auf bie Stauer fiegen müffe.
©obalb biefe Uebergeugung fcpwinbet, ift bie SSögticfjleit
unabfepbater Serwidelungen gegeben, bie ben Seftanb beS
gangen 9teicpeS in grage ftefien. Stt ber Spät, was fief)
jefct in ©übafrita abfpielt, ift auch für Snglanb ein Kampf
um ©ein ober Sichtfein, unb in bem Augenbfid, wo eS
ber SEÖelt beweifen foß, bafj eS feine SEBelt^errfd^aft nicpt
(SuropaS Sacpficpt, fonbern eigener Kraft öerbantt unb baS
3eug bot, fie gu behaupten, rätp man ihm gum Sadjgeben?
Sein, bie Snglänber wiffen beffer, waS ihnen bient. ®aS
gefammte reguläre §eer ftebt am Sap ober ift auf bem Sßege
bortpin; bie Sertpeibigung bet fpeimatp ift ben SSiligen übet*
tragen, Srlanb broht fcpwierig gu werben; lurg, nicht einmal
im inbiftpen Aufftanb war bie Sage fo ernft wie heute. Aber
baS Sol! bewahrt feine entfepfoffene Haltung unb läßt leinen
3toetfel barüber, bafj eS gewillt ift, ben Kampf bis gum
guten ober bitteren Snbc burepgulämpfen, eS fofte benn, was
eS wolle.
Stann aber fann bet SluSgang beS Krieges faum gweifel»
haft fein. 3 to *f^ en dem weltumfpannenben 9teidh, bem felbft
bie Kolonien ihre Kräfte gut Verfügung fteUen unb bem
Keinen Surenboi! ftebt bie fßortie botf) gu ungleich, als ba|
Snglanb fie gang oerlieren lönnte. 3 tt)at an einen entfcijeibenbeit,
glängenben ©ieg glaubt heute Siemanb mehr. Slber ein 2Beg
bleibt, bet fidher gum ßiele führt, bie langfame Srbroffelung
ber Surenftaaten burch eine boÖftäubige Slofabe, bie jebe
3ufuhr abf^neibet Sor biefem ©djidfat lann bie Suren
nur eins bewahren: wenn nämlich SnglanbS alte geinbe feine
Sertegenbeit benu|en unb eine eutopäif^e (Koalition gu
©tanbe bringen, ßeicht ift baS freilich nicht, Wie bor gwei
fahren bet gafd)obafaH bewiefen hat, ber bielleicht bon £>ano=
tauj eigens für ein gemeinfameS Sorgehen SuropaS gefchaffen
war unb mit bem fRüdgug beS allein gelaffenen granlrei^S
enbete. 3lHerbingS liegen jefct bie Serhältniffe günftiger als
bamalS. Stet militärifche ßufammenbruch SnglanbS hat ben
Sftgwohn erwedt, als ftänbe auf feiner glotte auch nicht
ülQeS, wie eS fotle, unb bie Ausbreitung biefeS ©ebanlenS
bermehrt unleugbar bie ©efahr eines eutopäifdjen Krieges.
Aber bafe wir nicht anfangen, ift fo gut Wie fieser; ber fran*
göfifd)cn Regierung wirb fliiemanb bie nötige Kraft beS
@ntfc|luffeS gutrauen, unb fo ruht baS ©djidfal ber SBelt
Wieber einmal in ber fpanb beS 3®ten. SBirb er hanbeln?
Kann er hanbeln? S)ie Antwort auf biefe gragen hängt in
lebtet Sinie bon ben inneren Serhältniffen beS ruffifdjen
SieicheS ab, bie nur Stetigen genau belannt finb, aber aller*
bingS nicht bie günftigften gu fein fcheinen. ©o biel ift ge*
wij}, ba| alle bie ®ertid)te bon einet ©nmifchung ®uropaS,
bie beim Seginn beS Krieges umherfd)Wirrten, platt gu Soben
gefallen finb, unb leiber ift eS nur gu Wahrfdjeinlich, bafj
Sngfanb in ©übafrila freie §anb behalten Wirb, ©o mifdht
fich in bie gerechte greube über bie ©iege ber Suren baS
f^mergliche ©efühl, ba| alle ©folge fd)liej}li<h bodh umfonft
fein werben.
3ngwifd)en befchäftigen fich die englifihen Slätter in ben
gahlteid)en Kunftpaufen, bie in ben officieHen Kriegsberichten
eintreten, gang etnftljaft bamit, wie fich die Serhältniffe nach
ber 9?ieberwerfung ber Suren in ©übafrila geftalten werben.
Sn ber jefcigen Sage erinnert baS aHerbingS bebentfief) an
bie belannte Xh e ^ un 9 des SärenfeHeS, aber im ^inblid auf
ben enblidjen AuSgang beS Krieges oerbienen jene ©rörte*
rungen immerhin einige Seadjtung. Sor Allem gilt baS
üon einem Auffa| (Sbmarb ®icep’S, bet im IJtoOemberheft ber
ßeitfehrift „S^ineteenth ©enturp" erfchienen unb „Sach bem
Kriege" betitelt ift. ®icep ift einer ber erfolgreidjften Sor*
tämpfer beS britifchen SmpetialiSmuS, unb wenn er auch
mehrfach betont, bafs et nur feine petfönlichen Anfi^ten aus*
fpriept, fo finb boep feine Segiepungen gu ben leitenben
SSännern ber KriegSpolitif berartig, bafe fie unmöglich opne
©influfe auf feine Anficpten geblieben fein lönnen. ®a|er
werben fiep feine Sorfcpfäge im SJefentlicpen mit bem Programm
Digitized by v^ooQie
66
Oie (Üegetuoari.
Nt. 5 .
beeten, nacf) bem ©hamberlain itnb feine Seute bereinft bie
fübaftifanifchen ®inge ju otbnen gebenfen. ®ie ©runbjüge
biefeS Programms nun finb folgenbe. ©er fjwed beS SriegeS
ift, bie englifdje Sorherrfchaft in Sübafrifa unerfcfjütterlich
ju begrün ben; bieS aber ift nut ju erreichen, wenn fid) ©ng»
lanb in feinet ©roßmutl) nicht bethören läjjt, bem Keinen be=
fiegten geinbe einen eljrenöollen grieben ju gönnen. — Ueber
biefe Seforgniß $errn ®icetj’S ift eS einigermaßen fdjwer,
ein Sachen ju unterbrücfcn. — $ur Serwirflidjung beS QroedeS
ift bie öoüfommene Sefiegung ber Suren, bie Schleifung ber
Sefeftigungen üon Pretoria unb Johannesburg, fowie bie
jeitweilige militärifche Sefefcung beiber Surenftaaten noth«
Wenbig. AlSbann hoben alle Staaten in Sübafrifa SIbge=
orbnete ju einer ©onferenj ju entfenben, bie unter bem Sor*
fifc eines britifchen ©ommiffatS über ben ißlan einer Set»
einigung aller fübafrifanijchen Staaten unter englifcher
Oberhoheit p berathen ^»ätte. ©runbbebingungen jebeS
SlaneS Wären bie OöDige ©leid)berechtigung aller weißen
Sütger ohne Unterfcfjieb ber SRaffe unb bie ©rridjtung eines
ganj Sritifch»Sübafrifa umfaffenbcn 3ottoereinS. 2)ie meiften
Staaten, Wie ÜRatal, Shobefia, würben fich ohne SBeitereS
anfchließen; ernfthafter SBiberftanb Wäre allein oon ber Gap*
colonie p erwarten, wo feit Jahren ber Afrifanberbonb ben
©ebanfen ber Sereinigung oon Sübafrifa befämpft, fofetn
biefe bie englifcbe Sorherrfcfcaft begünftigt. Mein auch er
Wirb bor ber lEhotfacße ber britifchen Cberljerrfchaft bie
Segel ftreidjen müffen, baS Minifterium Schreiner wirb
burch ein fortfchrittlidjeS — fotl heißen imperialiftifh ge«
finnteS — erfefct Werben; nötigenfalls Wäre bie militärifche
Sefefcung ber beiben Surenftaaten fo lange auSpbehnen, bis
fich ^e r ©onb beit SBünfdjen ber Regierung gefügig erzeigt.
Jnnerhalb ber Sereinigung bleiben bie ©injelftaaten burcf)=
anS befteljen; nur finb fte in allgemeinen fragen an bie
Sefdjtüffe eines auS erwählten Mitgliebern beftehenben SunbeS*
ratheS gebunben, währenb bie locale Serwaltung ben ißarla*
menten ber ©injelftaaten oorbehaltett bleibt. Jn biefen wirb,
wie fich erwarten läßt, burch ©inführung beS gleichen SecfjtS
für alle weißen Sürger baS englifdje ©lement pm Siege
gelangen, auch in SLranSuaal, wo JdEjon oor bem Stiege bie
britifdhe Sebölferung bie hoÖänbißhe überwog; nur ber
Dranjefreiftaat mit feiner oorwiegenb hoflänbifdijen Seoölfe*
rung Wirb hteroon eine Ausnahme machen. ®ann wirb enb«
lieh in Sübafrifa bie Möglichfeit einer ftieblichen ©ntwicfelung
unter englifcher Oberhoheit gegeben fein.
SBoht auSgefonnen, ißater Samormain! möchte man mit
SßaHenftein auSrufen. @S ift ein fluger ©ebanfe, bie be«
fiegten Surenftaaten, bie ben ©roU gegen bie Sernidjter ihrer
Freiheit noch longe bewahren werben, politifd) babutch laßm*
ptegen, baß man fie als gleichberechtigte ©lieber einer fReifje
oon Sleinftaaten einorbnet, bie im englifcfjert Jntereffe regiert
werben unb im SunbeSrath ftetS bie Mehrheit bilben müffen.
Aber houptfächlich fomrnt boch ber ganje ißlan barauf hin«
aus, bie ungeheuren Sobenfdjäfce UtanSOaalS ©nglanb bienft*
bar p machen. Jener Sanbitengefinnung, bie in bem Sor»
fchlage gipfelte, ben Suren ihre ©olbfelber unb ©ifenbafjnen
ju nehmen unb fie bann ihrem Schicffal ju überlaffen, ift
fürjlidj SaliSburp mit bem ftoljen SBort gegenübergetreten:
„©nglanb fucht feine ©olbfelber unb feinen Sanbbefifc". ®e*
wiß nicht, benn hier ift etrt SBeg gegeben, auf bcm eS praftifd)
§u bemfelben 3iele gelangt, ohne birecten SRaub ju begehen.
@S Wirft unfäglid) fomifd), wenn §err ©icep ganj ernfthaft
oerfichert, Shobefia werbe fich fofort ber geplanten Sereinigung
anfchließen. Natürlich, was fann biefer „Staat" benn auch
SeffereS tljun? SlCle Die ungeheuren Summen, bie oon eng«
lifdjen Gapitaliften in bem noch uncntwicfelten Sanbe an*
gelegt finb unb bis jefct noch feinen Pfennig 3’ofen gebraut
haben — baS ®eficit beträgt annähernb 115 Millionen 9D?art
— finb boch nur in ber ©rwartung Ijineingcftedt, baß ber*
einft bei ber ©rtheilung ber Selbftoerwaltung am SRtiobefia
alle Actien, natürlich ju einem fefjr annehmbaren Surfe, als
Sdjulb auf ben neuen Staat übernommen werben. Unb ba
bie Sereinigung aßet fübafrifanifdjen Staaten fchließlid) bie
Unificirung ber ©injelftaatSfchulben nach f«h jiehen wirb —
bafür wirb £err IRhobeS fchon forgen, wenn er nur lebenbig
auS Simberlep herouSfommt, — fo wirb bie ganje Schuften*
laft bem reichen StranSoaal mit aufgehalft werben. 901er*
bingS ein oerwünfdjt gefcf>eiter ©ebanfe, ber ben britifchen
JingoS alle ©hre macht, unb ben fie jweifelloS, fo weit es
in ihren Sträften ftcht, burchfüljren werben.
©ennod) fragt eS fich, ob bie ßufunft SübafrifaS fich wirf*
lief) fo günftig für ©nglanb geftalten wirb, wie ®icep annintml
©S mag wahr fein, baß im XranSoaal bereits oor bem firiege
bie Suren in ber ÜRinberjaht Waren, unb baß nachher buch
bie fchweten Serlufte im Stiege unb maffcnhafteS ©inftrömen
Oon Seuten, bie aisbann wieber in ben ©olbfelbem ®c*
fchäftigung juchen, baS Serljältniß noch mehr ju Ungunften
bet Suren geänbert wirb. Mein bamit ift feineSmegö ge*
fagt, baß nun bie ©nglänber in ben inneren Angelegenheiten '
jtranSüaalS bie entfeheibenbe Stimme erhalten. 9Senn fie
fich nicht burch eine ganj befonbere ©intjieilung ber SBaljl*
freife baS Uebergewicht fiefjern, fo wirb im SBahlfampf faft
immer bie feft jufammenhaltenbe Sortei ber Suren ben @wg
über bie Seoölfetung ber ©olbfelber baoontragen, bie, ihrer '
fRatur nach unbeftänbig unb oon mancherlei Jntereffen ge* .
fpalten, feiten bie in ihrer §anb befinblichen politifch»
Machtmittel ju gebrauchen weiß. ®affctbe jeigt fich äugen*
blicflicf) in SSeftauftralien, wo bie ältere länbliche Seöölfernng :
burch ftrammeS ßnfonimenhalten unb eine intelligente
rung bie oiel jahlreichere Seüölfcrung ber ©olbfelber pohttfd)
oollftänbig im Schach hölt- Auf bie Stauer werben bahn
im Parlament beS SranSoaal bie Suren ebenfo wie feft in
©apparlament bie Mehrheit auSmachen.
Unb jwar wahrfcheinlich für immer, benn bie I
nungen ®icei)’S enthalten noch einen jweiten gehler, auffe
fdjon früher oon ©nglänbern felbft aufmerffam genaeh
worben ift. Man hot bie Sefürdjtung auSgefprocfjen, (Eng*
taub werbe fich m it ber ©roberung XtanSoaalS nut etnen
§eerb fortwährenber Aufftänbe, eine Art Solen, auf beu§al£
laben. ®icep hölt baS nicht für waljrfcheinlich; wären ein*
mal bie Sßürfel gefallen, meint er, fo würben fich lEtwö* 1
oaal» unb Cranjeburen genau wie ihre Srüber im Gap ju
Anfang biefeS JahrljunbertS aOmälig in ihr SooS fmben.
©r üergißt babet nur, baß bamalS ben Unruhigen unb grci*
heitSliebenben ber Ausweg über Draujeftrom unb Saal offen
ftanb, währenb heute ein neuer Surentrecf na^ Siorben un»
möglich ift unb jene ©lemente nothwenbig im Sanbe bleiben
müffen. Jnbeffen nehmen wir einmal an, baß bie Suren
fich wirtlich ber englifchen ^errfdjaft anbeguemten, — Suren,
b. h- ein in Sprache, Sitte, Seligion oerfchiebeneS Soll,
werben fie bodj immer bleiben, unb barin liegt bie Oenwbr
ihrer gutunft. ©S ift baS Ungliid ber englifdjen ^»errfhaft,
baß fie fid) im Jnnern wefentlidj auf bie Stäbte ftüjen
muß, bie gleichfam übet SRacßt in ber fRäbe ber ©olbfe&et
emporgefchoffen finb. Aber bie ©olbfelber rönnen nicht ewig
bauern. ©S giebt Seute, welche annehmen, baß fie in breijjig,
üierjig Jahren bereits erfchöpft fein werben; unb ob man
alSbann heue entbedt, ift fehr zweifelhaft, wenigftenS hat bie
ActiengefeOfchaft beS §errn IRhobeS, bie in ber Hoffnung
barauf gegrünbet warb, bis jefct jiemlid} tlägliche @rge6mffe i
erzielt. AlSbann aber ift cS mit bem Anwachfen ber eng*
lifcßen Seoölferung oorbei. ®cr AuSwanberer, ber nach 6®*
afrifa in bie Minen geht, will fich möglidjft fchnell^erei(h®i
unb möglichft halb baS Sanb wieber oerlajfen; bai^Ä
einförmige Seben beS garmerS, ber nicht einmal ben«8w4
eines IRachbargehöfteS fieht, h at für ihn feinen 5Reijfc3t t
einmal ber ©olbreichthum beS SanbeS erfchöpft, fo Wiw«
Strom ber ©inwanbening, ber fich jefct über iranSoa®^
gießt, Wieber in bie Stäbte jurürfebben, unb nur bzm®
Digitized by v^. ooQie
Die töegennum.
67
Nr. 5.
roirb bleiben, ber mit bem Soben betwadjien ift: wiebet wirb
tyrn mie not 9Uterö baS ßanb üom 9tgamifee biö gunt Oranje,
von ben Grafen bergen bis gur Sfalahari gehören. 9tur eins
fönnte hierin Slenberung fc^affen: wenn eö ©nglanb gelänge,
in großem 5D?aftfiab garmet angufefcen, wie bieö burch bie
5llgoa*SBai =>©efiebelungöacte bom Satire 1820 gefchaf), bon
ber ficf) bie 12—15 000 englifd)en garmer im Dftcn ber
ßapcolonie l)erfd)reiben. Slber Waö ©nglanb mit einer
blü^enben ßanbmirthfchaft im 3af)te 1820 bermodjte, baö
fann eö heute nicht mehr, ba feine länblidbe Seüölferung nur
noch gehn ißrocent beträgt,, unb fo mag fid) bie Sorauöfage
englifdjer ©d)riftfteßer erfüllen, baß in fünfzig Satiren bie
englifdje Seüölferung auf bie Sfüften unb wenige Sinnenftäbte
bcfd)ränft fein wirb, mätjrenb bie Suren im Snnern baö
Heft in ber $anb fjaben. Wögen fie aud) jeßt im ungleichen
Stampf unterliegen, ben Suren gehört bie 3ufunft ©übafrifaö.
Sergeffen mir aber barüber nicht, baß ihnen auch noch
bie Gegenwart gehört. Siodj flattert baö Sanner bon
Iranöoaal auf ben flöhen bon 9?atal, ja biö tief in bie
Sapcolonie hinein, unb manchen heißen Dag wirb eö noch
2orb Siobertö foften, ehe er bie ©affen auö ber fianb legen
unb in S ret oria ben grieben bictiren fann, wenn eö über*
baupt fo weit fommt. ©ir Deutfcfje aber mögen ©ineö bc*
benfen: Deutfeh=©übweftafrifa ift fo giemlidj unfere einzige
Solonic, bie Slrferbauern Unterfunft gewährt, unb bennodj
ift fie baö ©tieffinb unter unferen Sefifcungen. 2Jiand)e
meinen fogar,'eö lohne fid) cfar nicht, biel in baö Sanb
Ijincinguftccfen, ba eS boch nur fpäter einmal alö „©ompenfationö*
object" bienen follc. Diefe ßeute foflte boch einö ftu^ig machen,
baß 3ah r für Saht in (Snglanb ber ©ebanfe ouftaudjt, ©üb*
tteftafrifa angufaufen. Sie ©nglänbet werfen Wahrhaftig
ihr ©elb nicht Weg, unb eö wäre fo ziemlich baS Serfehrtefte,
»oö wir tßun fönnten, wenn wir ©übweftafrifa aufgäben.
Vielmehr ift eö bie fßflicht ber ^Regierung, bieö ©djußgebiet
mit allen SRitteln auögubauen, wenn fie bie gtoßgügige
ißolilit treiben miß, bie ©nglanbö unb Stußlanbö ©eit*
reich begrünbet hot, jene ^ßolitif ber ©ebulb, bie erft nach
3ahrjehnten erntet, waö fie gefäet. Unb bann mag fid) nach
Satjrgefinten einmal ber ©ebanfe erfüflen, ber in ben ©orten
„Sübafrifa nieberbeutfd) biö gum ©ambefi" einen je|jt noch
Derfrühten Sluöbrud gefunben ^at.
3ft bas Durenljeer ritte JWtltj?
Der 5trrcg in ©übafrifa hot ben ©ocialbemofraten eine
flute ©elegenheit geboten, bie Sorgüge ber SDiiligljeere, Welche
fie alö ©eljrtraft eineö Sanbeö für bie richtigen h<ßten,
gegenüber ben fteljenben fieeren, in biefem gaße nodj bagu
über ein fogenannteö ©ötbnerßeer, gu geigen, fiier foß nur
üom Surenheere ettoaö eingehenber bie Siebe fein unb ber
Stage, nicht näher getreten werben, inwieweit eine Ülrmee,
wie bie beö beutfehen Sieidjeö, im Kriege überhaupt alö
ftehenbeö fieer gu betrachten ift unb mit einem ©ölbnerheet
in Sergteid) gefteßt werben fann.
Der ©runbfäfc beö üWiligfhftemö ift folgenber: Seber
Staatsangehörige ift bienftpflid)tig, wirb, wenn er tauglich
ift, mit ber ©affe, fonft gu anberen, für ben Sfriegöfaß noth*
»enbigen Sefchäftigungen, eine furge 3 e ^ auögebilbet unb
fleht, abgefeßen oon gelegentlichen furgen Uebungen, nur im
Stiege gur Serfügung. Die gührer werben gum Df)eil 8 € =
WWh bie Sewaffnung unb 2luörüftung befchafft ber ©taat.
5>ie fmuptyügc beö gcubalfhftemö bagegen finb: ©ine be=
ftimmte ©laffe, ein ©tanb, ift im Kriege bienftpflichtig unb ’
aucin bereditigt bie ©affen ju führen. Die kuöbilbung
ift im ©rojjen unb ©anjen bem ©injelnen übertaffen, ber
für Üluörüftung unb Sewaffnung felbft ju forgen hat- Die
gührer werben gewählt.
§&t nun bie ©übafrifanifche ffiepubtif ein Wilijhcer im
©inne bet ©ocialbemofratie? 9?cin, benn ebenfo wenig wie
aße Sewohner beö ©taateö in anberer Sejiehung gleichgefteßt
finb, haben fie bie fßfli^t ober baö Siecht in bie Suren*
armee einjutreten. Diefeö Siecht oerbleibt auöfchliefjlich bem
©tanbe, welcher auch aßein aße Siegierungögefdjäfte führt,
aße ©taatöfteßen befe$t, nämlich bem ©tanbe ber Suren.
Der Uitlanber fann bie ©rlaubnifj erhalten, eigene ^lütfö*
corpö gu bilben, bie ja auch in biefem gafle crt|eilt würbe,
obgleich außer ber beutfehen Druppe, bie etwa 600 5D?ann
ftarf ift, mährenb man gtt ülnfang beö Jtriegeö oon 4000
fprach, anbere nicht gu ejiftiren fdjeinen. Die Hottentotten
unb Gaffern, bie Arbeiter nämlich, werben bagegen nicht in
baö §eer eingefteßt unb bürfen überhaupt feine ©affen be*
fi&en. ©ährenb alfo bie ©ocialbemofratie hofft, ihr fDiilis*
heer aum großen Dheil auö - Arbeitern ju formiren, fchließt
ber Sur ben Arbeiter Dom Äriegöbienft auö unb behält ihn
nur einem ©tanbe, nämlich feinem eigenen, oor, fo etwa,
alö wenn in Deutfdßanb nur bie Siadjfommen ber Officiere
griebrich’ö beö ©roßen jum Äriegöbienft berechtigt wären.
Die Sewaffnung ber Suren, bie Oorgüglich ift, gehört eigen*
tf)ümlich bem ©injelnen. ©ewiß hot wan fich über bie Se*
fefjaffung gewiffer ©affen geeinigt, um gleiche SJiunition ju
haben unb ©leidhmäßigfeit biö ju einem gewiffen ©rabe ju
erreichen, aber jeber. Sur ift bauernb, ob im Kriege ober im
grieben, im Sefiß feiner ©affen unb übt fich ftänbig in
bereu güljrung biö jur Soflfommenfjeit. Slehnliche ©in*
ridhtungen finben fich in feiner einzigen SRilijarmee, in benen,
nebenbei bemerft, ein fjeroorragenber Drang, fich in* SBaffen*
gebrauch Wirtlich ernftlich ju üben, noch nirgenb unb oon
Sliemanb bemerft worben ift. Sm ©egentheil hat man überafl,
wo eö SRilijen giebt, in bet ©chweij, in Hoßanb, in ben
Sereinigten Staaten unb auch in ©nglanb bie ©rfaljrung
gemalt, baß fich bie SRilijen jWar nicht üon fßaraben, geften
unb ähnlichen Seranftaltungen, Wohl aber oon ben Uebungen
ju ihrer üluöbilbung möglichft brüden. Sllfo auch i m Sanfte
ber Sewaffnung unb Sluöbilbung ift ber Sür grunbOerfdjieben
Oon ben gebachten SD?ilijfolbaten.
3luch für 3luörüftung, fowie gum Dheil für Serpflegung,
forgt ber Sur für feine Serfon felbft, in gerabem ©egenfafj
gum SRiligfolbaten. ©elbftoerftänblidh ift man über gemein*
fame Sefdjaffung üon ütuörüftungögegenftänben überein*
gefommen, aber bem ©efchmad unb ben ©ünfdjen beö ©in*
gelnen bleibt ein Weiter Spielraum, ©ährenb eö in ben
SRiligheeren unb auch fonft wo gur 9Robe ab unb gu wirb,
über bie SDiängel ber Äuörüftungöftücfe gu flogen, fäßt bei
ben Suren jeber 3lnlaß bagu fort. 9?och in höherem ©rabe
aber unterfcheibet fid) baö Unterbringunaö* unb Serpflegungö*
wefen bet Suren oon bem ber SRiligfolbaten. Der Sur
bringt fidh felbft unter. Hat er ein 3 e U» gut; hat et feinö,
auch fjut, unb waö bie Serpflegung anbelangt, ift er feljt
anfpruchöloö unb oerlangt feineömegö täglich gut beftimmten
3eit feine warme SRittagöportion. ©ö mag in biefem Sunft
mancherlei gefabelt werben, benn ob eö mit ber oiergehn*
tägigen Station, bie jeber Sur mit fich führen foß, feine üofle
Slichtigfeit hat, fdjeint boch etroaö gweifelhaft. ©enn auch
angenommen werben foß, baß baö Sferb auöfchließlidh oon
©eibe fich ernährt, fo braucht ein gefunber Surenmagen boch
750 ©ramm tägliche Raffung, unb baö ÜRitfchleppen oon
bemnad) 21 Sf un ö Sebenömitteln h at nichts befonberö
©mpfehlenöwertheö. Der Serfud» beim Infanterie*Siegiment
9ir. 156 mit ben concentrirteften Siahrungömitteln, mit
1200 ©ramm Droponpräparaten brei Dage lang ©olbateit
auöfd)ließlich gu ernähren, ift alö fehlgefdilagen anjufeben;
bie Heute befamen am Siadjmittag beö britten Dageö großen
Hunger unb erhielten oiel Srob unb Sutter, fo baß fich
baö ©ewidjt ber Dageöration wieber auf etwa 700 ©ramm
Digitized by
Google
'
68
flte d>e$entDitrt
Nr. 5.
fteHte. ÜJfiligtruppen finb, rote bie Störung lefert, in Segug
auf Serpflegung oertoöfent, toaS niefet roeiter auffällig ift,
benn fie eyiftiren gegenwärtig burefetoeg in Sänbem, roo bie
Seöölferung ber Stänbe, aus benen fie jufammengefe^t
Werben, materiell gut lebt. Dem berliner Arbeiter bon feeute
fefemeeft baS Äaferneneffen burcfeauS nicht, benn er fpeift für
fünfzig Pfennige mit Sier brei (Sänge unb roirb baju nod)
feöfliefe bebient. Sllfo audj barin müfete beim Diilizfeeet in
Deutfcfelanb SBanbel gefdjaffen roerben, aber roenn baS etroa
in ber SBeife geftfeefeen foüte, bafj man fid) bie Suren jum
Sorbitb nimmt, roürbe man roofel roenige ber jefeigen SWitij=
fcferoärmer fiefe ju greunben mailen.
lieber bie SefotbungSfrage bei ben Suren ift toenig bc«
tannt geworben, auf feinen gall aber begießen bie giiferer ein
feofeeS ©efealt, baS in irgenb einet SBeife baju angetan fein
fönnte, um fcinetroiKen nadE) ber ©teile ju ftreben. Stucf)
Zeidfenen fiefe biefe güfeter nicht burdj prunfenbe Uniformen
au§, unb grofee Ehrenbezeigungen erroeift man ifenen audj
nicht, fo baff aud) nach biefer SRidjtung fein ein bcfonbereS
Streben nach ben ©teHungen auSgefdjloffen ift, unb bie
SBafel ber güferer niefet auf Agitationen beruht, fonbern
tebiglidj nach Slnfidfet über bie Düdjtigfeit. SBie eS auf biefem
gelbe in 2J?ilijarmeen jugefjt, baüon fjat Slmerifa in fester
geit einige Srö6cfeen geliefert, unb roic eS in Deutfcfelanb
mit SRilizfeeer auSfefeen roürbe, roenn ber £>err SWitigmajor
unb Cberft bon feinen braben 9J?ilijen gerodelt unb abgefefet
roerben fann, baS anzubeuten roirft fefeon beluftigenb.
Die borftefeenben Ausführungen bürften pr (Senüge flar
gelebt haben, bafj baS Surenheer grunbberfdjieben bon einem
SJfilijljeer ift, fo roie man eS fid) gewöhnlich borftellt, roie
eS in einigen toenig borbilblid) guten Ejemplaren beftefet, unb
wie es bie ©ocialbemofraten als baS Sbeal ber SolfSroeht=
fraft ju preifen fid) angelegen fein laffen. Aber auf jtoei
fünfte fei nod) befonberS feingetoiefen, bie baS Surenfeeer
ganz unb gar nicht pm Sbeal bet ßuhmftSftaatler mailen
fönnen, unb bie fie bei ihren Sobpreif ungen ber Suren ab=
fidjtlicfe ober uuabfid)t(id), aber mit großer 3äfeigfeit, ber»
fefetoeigen. ©unft eins ift, bafe jeber Sur burd) unb burd)
religiös ift unb bafe jeber Anfeänger focialbemofrattfdjer
SReligionSanficbten aus ber Armee unb aus allen SRedfeten
feines ©tanbeS auSgeftofjen roürbe. ißunft jtoei ift fiterer
Art. Der bielgerüfemte Sbeal=9D?iliz=@ofbat aller ©ocial*
bemofraten ift bei Sichte betrachtet: ©rofegrunbbefifeer, Eapi*
talift, Arbeitgeber unb SourgeoiS! Das Sureni)eer ift fein
SRilizfeeer, fonbern ein ©tanbeSfeeer, roie eS bie geubaljeit in
ben fRitterfeeeren niefjt in ftrengerer Durchführung befeffen bat,
unb ein folcfeeS in Deutfcfelanb |eute einfüferen p wollen,
bürfte audb ben ©ocialbemofraten im Ernfte nidbt einfallen.
Hoplites.
Jfteratttr unb £imß.
Ijtutbert 3afere beatfdjer finnff.
SBoti ilttfon oon IDerner.*)
(Sin Saferfeunbert ift eigentlich ja nur ein gang will*
fiitlidber unb ^iffermäßiget 3eitabfcbnitt für bie Enttoitfelung
unb bie ©efetjichte ber 5D?enfd)feeit in Sultur unb ißolitif,
SBiffenfcbaft unb Äunft, toelcbe fid) nad) foldien (Stenjdn unb
ßeitabfebnitten nicht richtet. Aber eS ift Sitte, mit foldjen
*) Unfer bereiter TOtarbeiter überfenbet un§ ben Wortlaut feinet
Jeftrebe gum Sabrbunbertroecbfel, bie er al§ 5)irector ber $üniglid)en
afabemtfdjen ©ocbf<^u(e für bie bilbenben fünfte am 9. 3anuar im
berliner Äünftlerbaufe b)ielt r unb bie, non ben 3eitungen mannigfach
commenttrt unb meift entfteüt, ein allgemeine^ 9iuffeben erregt hat.
^ie JRebaction.
geitabfebuitten p rechnen, unb als bie DleujabrSgloden kii
Saht 1900 einläuteten, haben wir AUe unS .Wohl gejagt:
(SS geht etwas toor, toaS pm SJladjbenfen anregt. Sein bc=
fonberS marfanteS (Sreignife, roie etroa am 18. Dftober I81i
ober am 2. ©eptember 1870 unb am 18. Sanuat 1871.
Aber eine Spanne geit bon bunbert labten präfentirt unt
ihre ©djluhabrechnung, ibr ©eroinn= unb Serluftconto jui
gefälligen Seadbtung für baS neue SabthunberL Unb um
ftubiren eS, auf Sabrtaufenbe prücfblidfenb, unb fagen toobl mit
ÜJfepbifto: „Der Heine ®ott ber SBelt bleibt ftetS bon gleichem
Schlag unb ift fo rounberlid) als roie am erften Dag", beim
bie gortfd)ritte in ber fittlidfjen (Snttoidfelung ber SJfenjcb^it
fönnen uns fo gering erfefjeinen, bafj wir fagen müfjcn:
„Sor bem £>errn finb taufenb Sabre Wie ein Dag". Ta
Äampf um SD?ein unb Dein j. S. Wütbet feit bem trojanifetjeu
uitb ben fßerferfriegen (früherer gar nicht p gebenfen) bis
pm blutigen DranSbaalfriege munter fort, unb eS bürfte
barnadj nidbt p behaupten fein, bafj ein bemerfenStocrtfja
gortfdjritt in ber (Sntroicfelung unb SerboHfommnung bej
Wenfchcn pm ©öttlichen innetbalb jtoeier Sahrtaufenk
ftattgefunben bat, nur bafj, toaS bamalS WenelauS obet
XerjeS biefe, heute ©baroberlain beifet, unb bafe baS gegen=
feitige Dobtjd/lagen beutjutage, Danf unferen gortjd)rittot
in ben SBiffenftfiaften, etwas roiffenfdbaftlicher unb methobif^a
betrieben roirb als früher. Dies gilt aber nur bon btt
ÜWenfchbeit im SlUgemeinen. SBir Deutfdbe im ©efonbeten
fönnen mit bem ©ctoinnconto, welches unS baS berflojtene
Sahrbunbert • präfentirt, recht wobt pfrieben fein. Slidra
wir prüdf, fo feben roir an ber ®d)toelle beS bergangenra
SahrliunbcrtS jenen gigantifdjen Dämon unter Donner unb
Slijs erfdbeinen, welcher um SBeihnadbten 1799 feine fReftbeti)
im alten Duilerienfd)loffe in ißariS auffdblug, um eine neue
3eit p fdbaffen, ber im Dienfte unerfättlicfeen ©brgeitcj
unter ber Debife: „3unt §eile ber SRenfdjbeit" ^efedtenben
bon äWenfchen opferte, mit eiferner gauft alte ffteicfc
trümmerte unb neue fdjuf unb unferem Saterlanbe Df
tieffter ©rniebrigung unb ©chmach bereitete. 3ena 1806,
(Splau 1807 unb bie fdjmacbbolle ^»eereSfolge bon 1812
fteben auf unferem Serluftconto, ber 2. ©eptember 1870 uitb
ber 18. Sanuar 1871 auf bem Deutfdben ©eroinnconto, unb
ber Urenfel Äönig griebrich SBilbclm’S III. unb ber Slönigm
Suife, unfer erhabener fWonard), fteht am 9tnfang biefeS
neuen Safirbunbetts als „Deutfdtier Saifet", als gübrer b«
geeinigten Deutfchen SolfeS, beS Deutfchen 9teid)eS, ein«
neuen, nicht beS alterSfdjtoadjen, welches Siapoleon’S ffauit
zertrümmerte, madbtboH unb fraftboH im Sorbergrunbe bet
SBeltgef^ichte, unb feines erhabenen ©rofeoaterS ©elöbnif
am 18. Sanuar 1871: „SOfir unb ÜJieinen Slachfofgerti akt
möge befdjieben fein, aHjeit SDIebrcr beS SRcichS p fein, nicht
an friegerifdhen Eroberungen, fonbern an ben ©fitem unb
©oben beS griebenS auf bem ©ebiete nationaler SBoblfahn,
greifeeit unb ©efittung", bat im ßaufe non 30 Saferen feine
Seftätigung gefunben. SBir fefeen baS Deutfdje SReidj unb
baS beutfdie Sotf feeute als §üter unb Sefchüfeer be*
griebenS unb im ©lange mächtigen gortfdferitteS unb
beifeenS in ben SBiffenfchaften, in Subnftrie, ^anbel unb S?a;
fefer, unb eS ift feit Saferfeunberten wohl baS erfte SRal, baj
Wir Deutfchen beneibet roerben. Defe wollen toir unS freuen
unb banfbar beS oerfloffenen SaferfeunbertS unb feiner grofen
2)?änner gebenfen, welche unS bieS in fluger Seredjnung er>
rungen feaben auf ber fieberen ©runblage beS Anfagecapitale
oon Sernunft unb SBiffenfcbaft, Energie unb fittlid)er Ärafi
beS beutfehen SolfeS, unb ber Sbrlicfefeit, Sefdheibenfeeit unb
Sorfid)t im Slbroägen ber Äräfte beffelben burefe feine be¬
rufenen güferer. UnS Sünftlern aber gejiemt eS, feeute 9Jütf=
unb fRunbfchau ju halten über baS, WaS auf bem ©ebiete
unferer ftunft baS tier fl offene Saferfeunbert geleiftet feat, ba*
gacit p ziehen unb ben Üebertrag auf baS neue Saferfeunbert
gu maefeen.
Digitized by v^. ooQie
69
Nr. 5
die ®tgett»art.
3Rit ber elften frangöfifepen IReüolution mar bie Kunft
öei 18. SaprpunbcrtS gu@nbe, baS aiimiitpig’pcitere, lebenS»
luftupfrioole fRococo war inS ©rab gefunlen, unb bie fran»
jöfif^c SHepubtif patte baS ©rieepenthum in ipren ®ienft
gefteDt. Dian fudjte nach neuen äußeren formen für baS
neu geraffene ©taatSwefcn unb glaubte fie im 3urüdgreifen
in bie glorreiche 3 e *l ber griechifdpen unb römifetjen Siepublif
ju fiitben. Kunft unb Diobe wetteiferten, bie junge SRcpubftt
nach ihrer blutigen Sluöeinauberfepung mit bem ancien regime
mieber falonfäpig gu machen unb ihre ©mporfömmlinge mit
bem Sugcnbfchimmer unb ÜRimbuS antif»claffi[d)en ^euenen»
unb SRömertpumä gu umgeben. ®ie tarnen beS ®irectoire
unb beS GonfulatS wetteiferten in ber weiteftgehenben ÜRacp»
atpung gried)if<hen GoftümS; SBopnung, Diöbel — SlHeS würbe
antififirt; unb ®aoib b'SlngerS gwang ftd), ifSarifer ©rieche ober
auch tömifcher SfSarifer gu fein. SRapoleou fügte baä römifche
SSmperatorentpum pingit unb fchuf ben ©mpireftil, unb eS
bauerte nicht lange, fo habe biefer neue Stil beS Gäfaren*
tpumS bie SBelt erobert, unb felbft bie heilige SlUiang, bie
Sieftauration uon 1814/15 unb bie IRüdfepr ber SourbonS
auf ben Xpron öon granfreiep oermochten baran nichts gu
änbent. Slni ©nbe beS 18. SaprpunbertS fehen wir bei unS
nur wenige Zünftler in fubjectiüer ©igenart als SluSläufer
ber ©poche griebridj’S beS ©roßen tpätig, etwa: ©poboroiedi,
®. Schabow unb ©arften’S, erft fpäter erfcheint ©orneliuS,
?llle wenig heroortretenb unb inSgefammt unter ben fümmev»
liehen 93erpä(tniffen $)eutfcplanbS in jeuer ßeit unb ben fiep
im elften Saprgepnt beS 19. SaprpunbertS entwidelnben
fRapoleonifcpen Kriegen unb ihren fcpweren SRüdwirlungen
auf unfer Vaterlanb leibenb. ©elbft bie gebiegene Stedjnif,
welche noch SInton ©raff als lepter fßorträtmaler beS
18. 3aprpunbertS befeffen unb gepflegt hatte, hatten bie
3Mer oerloren, welche etwas SReueS als ©rfat) gu bieten
glaubten burch einen oben, freublofen ©ontourftil. Von
einem unmittelbaren ©influß beS nationalen SluffcpwungS ber
BcfttiungSfriegc auf bie beutfehe bilbenbe Kunft bemerfen
wir nichts —, eigentlich fönnen wir hiev ja auch nur bon
^reufjen fpredpen, benn bie tRheinbunbSgefiiple be^errfd^ten
bamalS unb noch lange baS übrige S5eutfcplanb, ja, granf»
reich rechnete gu feinem eigenen ©(haben noch 1870 bamit.
©rft oiele Saprgepnte nadj 1815 fanben bie VefreiungS»
fliege in eingelnen Künftlern, oor Sitten in ®. ©leibtreu
ihre lünftlerifchen Snterpreten, unb bie mit 1860 einfe^enbe
neue Slera machte bie preußifdje Sanbwept falonfähig.
Scpinfel grälifirtc wie/aHe^SBelt bamatS; er fchuf fein Ser»
liner Diufeum unb als arepiteftouifepen ^intergrunb für
Shr. fRaucp’S Sülow unb ©djarnhorft eine griedjifcpe Tempel»
iai;abe gu bem SBacptlocal für preußifepe ©olbaten. Slber
ISpr. fRaucp’S Königin Suife im Dia uf oleum 511 C££)artotten=
bürg ift oielleicht baS eingige SBerf, in welchem bie bilbenbe
Sunft ber traurigften 3 e it preu§ifd)er ©efdjichte ben er»
greifenbften unb für alle 3 e i ten ^iftorifchen SluSbrud oer»
liehen hat. iß. ©orneliuS, obgleich burepbrungen oon un»
tjegrengter ©prfurdjt oor ber Stntife, wanbte fid) als ©rfter
national»beutfdjen ©toffen gu unb fchuf feine SHuftrationen
ju ©oetpe’S „gauft“ unb ben SRibelungen. Die große unb
daffifdje 3rit unferer Literatur, Seffing, ©oethe unb ©epilier,
SJielapb unb Iperber übten naturgemäß einen antififirenben
Sinfluß auf bie bilbenbe Jtunft ihrer 3 e it auS, oor SlUem
gefhah bie SluSbilbung ber afabemifdjen 3ugcnb im afa=
bemifch’riafficiftifchen ©inne. ©oethe’S „gauft" würbe jwar
oon SorneliuS, ®elacroij, Slrp ©cheffer unb anberen beut=
fehen unb franjöfifchen Sünftlern oietfad) iHuftrirt, beS
großen ®id)terS ©inftuß auf bie bilbenbe ft'unft bewegte fich
iw ©an^en aber bod) in ber antififirenben ©timmung feiner
3 £ it. fRoch Oor ©oethe’S EEobe aber gewann bie 9üd)tung
in unferer Literatur ^Beachtung unb Slnhang, welche wir als
bie Tomantifdje ©dhule bejeidtnen. ©ie befämpfte bie an»
tififirenbe fRichtuitg, unb ihr ©influß auf unfere Dealerei
offenbarte fid) alSbalb unmittelbarer unb fichtbarer burch
erfolgreiches 3 urüdbrängen ber erfteren.
35aS Slufblühen ber S)üffelborfer ©dhule, ©nbe ber 20er
Sahre, fällt bamit jufammen, bamalS als Sßilfielm ü. ©chabow
mit einer fReihe oon ©chülcrn, wie 6 . 3 - Seffing, Slbolf
©chrocbter, ©enbemann, tpilbebranbt, §übner, Sorban u. a.
nach ®üffclborf überfiebelte unb eine ©chule grünbete, welche
eine 3 e it lang unbeftritten bie Rührung ber beutfdjen Äunft
in ihrer romantifchen fRidjtung übernahm. Unjufrieben mit
ber ©egenwart flüchtete biefe ©chule in bie SBergangenfjeit beS
romantifchen beutfefjen Äaifer», fRitter» unb SRönchSthumS
unb wanbte fich ^ em gothifdjen unb romanifchen Stile ju,
bis ber ©influß ber granjofen unb ©eigier nach ben 3 uli=
tagen oon 1830 aud) biefe ©chule auf ein anbereS ©ebiet
brängte.
2 )ie fßarifer Sulireoolution hatte bie Äunft, fo barf
man wohl fagen, in ben 2 )ienft ber fßolitif gefteUt, bie ©r»
innerung an eine glorreiche Vergangenheit reoolutionären
©harafterS beeinflußte oor SlUem bie fünftlerifche ’Jljätigfeit
oon Delarochc, ^iorace Vernet unb Setacroij in granfreich,
oon ©allait, SBapperS, be Slepfer unb be ©ifefoe in ^Belgien,
(gleichzeitig aber wanbten fich in granfreich wie in ^Belgien
beibe Schulen, bie claffifche unter SngreS, bie rontantifdje
unb coloriftifche unter ©ericault, 35elacroij: unb 2)ecampS,
bem ©tubium ber alten Dfeifter ju unb brängten in rieh*
tiger ©rfenntniß ihrer Slufgabe auf bie ©rfüüung ihres
Programms hin: ju malen, unb auf ber ©runblage fieberen
fjiaturftubiumS unb anSgebilbeten technifchen StönnenS für
ben ©ebanfen in ber fünftlerifdjen ©chöpfung bie ent»
ipredjenbe oollenbete fünftlerifche fjorm ju finben. ®er ge»
banfliche Inhalt ihrer ÜBerfe ftanb jenen 9Reiftern in erfter
2inie, er war unb blieb ftetS bie Quelle ihres lünftlerifchen
©enfenS unb Schaffens, fowohl für Iporace Vernet’S Ver»
herrlichung ÜRapoleon’S unb ber fran^öfifchen Slrmee, wie für
t)efarocfje’S: Sane ©rep, Sorb ©trafforb, ©romtoell unb
SRarie Slntoinette, unb für bie Schöpfungen üon ©elacroij.
Sn ©attait’S, be Viefoe’S unb SBapperS’ Silbern auS ber
nieberlnnbifdjcn ©efdjichte tritt bie politifche ‘Jenbenj noch
braftifcher heroor, aber gepaart in ^Belgien fowohl wie in
granfreidj mit bem Streben nach h°h er tecpnifcher, colorifti»
feper Vollenbung, welche baS bamalige Suttgbeutfd)lanb benn
auch jwang, bei ben granjofen unb Selgiern in bie ©dhule
ju gehen.
®ie ‘Düffelborfer ©chule blieb weniger berührt fperoon.
Sanbfchaft unb ©enre, auch bie fachliche ÜRalerei, baS
fRajarenerthum oon Sieger, Sttenbach unb ben ÜRüIler’S ent»
widelte fid) unabhängig oon biefen auSlänbifdjen ©inflüffen,
ebenfo Sllfreb fRetljel, 6 . g. Seffing unb ©. Senbemann, oon
benen Seffing fogar jeben außerbeutfdhen ©influß, fei eS ber
oon alten ober mobernen ftünftlern ober oon außerbeutf^er
ÜRatur mehr als energifch oon fich abjupalten wußte. ®en
fIRenfchen als mehr ober minber farbigen, WcrthüoDen ober
Wertplofen gled in ber ÜRatur aufjufaffen, wiberftrebte allen
biefen SReiftern. 6 . g. Seffing ftanb als ganger Sieutfcper,
mepr noch als V tcu fe e m lt feinem gangen ®enfen unb @m»
pfinben auf nationalem ©runb unb SBoben; ber Kampf
gwifdjen Kaifer» unb fßapftthum, gwifdpen Sieutfch unb fRicht»
beutfdj gab ipm bie SRotiOe für fein JünftlerifcfjeS Schaffen,
unb ^>uß unb Sutper, Sarbaroffa unb Kaifer ^inrich waren
ipm nicht nur malerifcf), fonbern oielmepr hiftorifch interef»
fantc ©rfdjeinungen. Sllfreb fRethel fdjilberte in feinen
fRathhauSbilbern in Stachen Kampf unb §errlichfeit beS alt»
beutfdjen KaifertpumS, @b. Senbemann ben Untergang beS
auSerwäplten VolfeS SepooapS. Sille biefe Künftler, auep
bie SRagarener, glaubten iprem Serufe niept gu genügen,
wenn fie nur ÜRaler waren, fie wollten auch ißrebiger
eines ©oangeliumS fein, fei eS beS ber Kirche ober beS
; ber geiftigen ^Befreiung unb oorapnenb ber politifepen ©röße
I ®eutfd)lanbs, fie wollten Sepver unb ©rgieper beS ®eut=
Digitized by
Google
M
70
Die töegtnwart
Nr. 5.
feiert ©olfcS fein, unb biejenigen unter ißnen, meiere icß
perfönlicß gefnnnt ßabc, unb beren Sugenbcrinncrungen
noeß in bie ©cfreiungSfriege gurücErei^ten, waren beutfeße
Patrioten unb energifeße unb überzeugte ©egner unferer
Weftlicßen ©aeßbarn, unb fie begrüfeten baS Saßr 1870 unb
feine folgen als bic ßeifeerfeßnte ©lfüüung aU’ itjrer 2e*
benSwünfcße. 9luS ber romantifeßen ©icßtung ßatte fieß eine
nationale entwitfelt. ©S ift Wöbe geworben, biefe ganze
Scßule ju tabeln, fie ißrer 'Jenbenz Wegen mitleibig über bie
9lcßfel anzufeßen unb ißre ©ebeutung für bie ©ntwidelung
ber beutfeßen Äunft überaus gering abzufcßäßen ober ganz
Zit negiren. Scß glaube, man tßut feßr Unrecht bamit. $>ie
beutfeße Äunft bewegte fief) in jener 3eit, in ben 40er unb
50er Satiren, zweifellos in auffteigenber Sinie unb würbe
oon ber ganzen SBelt ihrer beutfdjen ©igenart wegen an*
erfannt unb gefcßäßt. ©or 9tHcm aber würbe bie beutfefje
Äunft nach bem Urtßeile jener ßeit auf ihre £>öße geführt,
als ©eter ©orneliuS’ machtoolle ©rfeßeinung zur uoOen ©nt*
faltung fam, als bem Äünftler monumentale Aufgaben großen
Stiles geftellt würben, wie foldje in 2>eutfd)lanb bis babin
unbefannt gewefen Waren. ®er ©ame ©eter ©orneliuS ftrahlte
bamalS als erfter unb glänzenbfter Stern am Äunftßimmcl
®eutfcßlanbs, unb £>. Ipeine nannte ihn ben größten Waler
feiner 3«<t- Unb neben unb mit ihm in Wüncßen unter bem
Wäcenatentßum beS „teutfd)en" ÄönigS ßubwig I. oon ©atjern
unoergefelicßen 9lngcbcnfenS wirfenb 9Ü3. Äaulbaiß, Schnorr oon
©arolSfelb, 9)?. o. Schwinb unb anbere Weiftet — gewiß,
cS waren ©lanztagc bcutfdjer fiunft! (Gleichzeitig ßatte
in ©erlin ßlbolf Wenzel griebrieß ben ©roßen unb feine
gelben für unS neu lebenbig gemacht unb im Spiegetbilbe
bet gribericianifcßen 3eit uns ©reußcnS ©ebeutung unb ©e*
ruf oor 9(ugen geführt, feßon in jener 3 e it ber nationalfte
aller beutfeßen Äünftler, wenn aueß noeß weniger betannt
unb oerftaitbcn als naeß 1850 unb 1860. ©orneliuS’
„9lpo!alßptifeßc ©eiter" unb feine ÄartonS zur „SliaS",
Äaulbacß’S SSanbbilber im ©erliner ©euen Wufeum, Scßwinb’S
„Sieben ©aben“, Doerbcd’S, Scßnorr’S unb güßrieß’S SBerfe,
unb, einem anberett ©ebanfenfreife angeßörenb, S. g. Seffing,
©etßcl, ©enbemann haben ben beutfeßen tarnen bamalS rußnt*
ooll um bie ganze ©rbe getragen, unb man tonnte oon einer
beutfeßen Äunft fpreeßen, als baS ®eutfcße SReicß noeß in’S
©ebiet ber Xräume geßörte.
2)ie granzofen ßatten inzwifeßen auf ben fu'nbamentalen
Scßöpfungen ißrer ©orgänger unermüblicß weiter gebaut
unb nad) ®aoib, ©roS, @6rarb, ®4ricault, 2)elarocße unb
foorace ©ernet, SngreS unb Selacroij bezeichnen bie ©amen
©Zeiffonnier, ©krönte, gfanbritt, Sabanel unbip4bert, gromentin
unb ©reton, SDiaz, ©ecamps, ©ouffeau, ftaubigttß, ©orot
unb WiUet, SCroßon unb ©ofa ©onßeur bie ©liithezeit unb
ben ©ipfelpuntt ber ftanzöfifeßen Ä'unft, welcßer noeß nießt
überßolt zu fein feßeint. Unfere norbbeutfeßen Äünftler
waren feßon feit ben 40er Saßren bei ben granzofen unb
©etgiern in bie Scßule gegangen; oon ©erlinetn: 9lb. ©ßbel
unb Sul. Scßraber, ©arl ©eder, ®. ©ießter, 3B. ©enß,
Slmberg, ©. Spangenberg, ^enneberg, fpiiter ftnauS unb
oiele noch Süngere, fie ßaben 9llle in ©arifer Suft unb bei
©arifer Weiftern ober in Antwerpen ftubirt unb reblid) oon
biefen gelernt unb profitirt, oßne aber ißre nationale ©igen*
art zunt Opfer zu bringen, ©on Siibbeutfcßen gleicßerweife
©ilotß in Wiineßen, welcßem es befeßieben war, etwa um
1860 eine ber erfolgreicßften Walerfcßulen zu grünben, beren
©uf weit über ®eutfcßlanbS ©renzen ßinauSbrang. 3Me
©amen, Senbadj, Sefregger, Watart, g. 91. unb ©. Äaulbacß,
3S. ®iez, ©riißner, 91. ißagner, 2iezenntaper, Sinbenfcßmibt,
©abriel Waj u. 91. bezeichnen ißre (Glanzzeit, welcße uielfacß
als bie ©liitße beS ©irtuofentßumS in ber beutfeßen Walerei
bezeießnet worben ift, unb welcße feßon auf ber ©arifer
28eftauSfteUung 1867 zum erfolgreicßften 9luSbrud gelangte.
So ftanb eS mit ber beutfeßen Äunft, als 1870 baS
grofee ßiftorifd)e ©reignife eintrat, wefcßcS -Oeutfcßlant'-:
Stellung unb ©ebeutung in ber Sßelt mit einem Seßlagt
änberte. ©rßöbte 9lnfprücße auf allen, geiftigen wie
materiellen, ©ebieten traten an baS neue ®eutfcße Seut
ßeran. 9luS ©reufeen, welcßeS auf bem ©arifer Äongrej;
nur gerabe noeß fo als fünfte ©rofemaeßt zugeiaffen toorben
war, war ein 2)eutfcßeS ©eieß, eine erfte Wilitäv* unt>
©ulturmacßt ßerauSgewacßfen, aufblüßenb in ben 9lrbeiten te
griebenS, in Sßiffenfdjaft, §anbel unb Subuftrie, wie fitt
jefet naeß 30 Saßren upwiberleglid) conftatiren läfet. 91Ue
9Belt erwartete nunmeßr, bafe fofort ein tünftlerifcßer 9lur
fcl)Wung eintreten müfete, welcßer mit bem politifcßen uni
mirtßfcßaftlicßen §anb in ,^)anb geßen würbe, unb baß
©orneliuS, Äaulbacß, Scßwinb, Seffing, Watart unb geuer*
baeß zweifellos traft beS nationalen 9luffcßwungS '©a^jolger
ßaben müßten, welcße baS, was biefe begonnen, zur ßikßfieu
©oüeitbung füßren würben, ©ielleicßt batßte man aueß batei
an eine Stunft im nationaUbeutfcßen Sinne, welcße bas glüd=
lidß unter ßeroifeßen Kämpfen errungene 3^1 ber beutfeßen
©inßeit unb beS beutfeßen Ä'aifertßumS feiern unb ueeßerr
ließen fottte, Wie etwa ^omer’S SliaS baS grieeßifeße Reiben
tßum unb ben trojanifeßen Stieg. 3)ie Sunftentwidelung
maeßt aber nießt immer |'o mäeßtige unb plößließe Sprünge
wie bie ©olitif, unb obgleicß ben Sünftlern balb naeß 18i»
eine ©eiße oon monumentalen 9lufgaben, an Siegel
bentmälern, in ber ©ußtneSßalle in ©erlin unb an anberen
Orten geftellt würbe, fo läfet fieß boeß nießt behaupten, bafe
auffatlenb anbere fünftlerifcße 9lnfcßauungen als oor 187«
Zu Stage getreten wären. SDie beutfeße ft'unft bewegte iidj
nad) 1870 zunäcßft nod) in bem ©ebanfenfreife ber beut
feßen Weiftet ber erften Hälfte beS Saßrßunberts unb ißree
©acßfolger weiter, oon benen ja ©iele nod) ßeute unter mtc-
wirten. Sn ben 9leufeerungen einiger ßeroorrageitben Jfnnfi-
geleßrten begegnet man aUerbiitgS ber 9luffafjung, baß ber
^ößepunft ber beutfeßen Ä'unft mit ©orneliuS erreidjt fei.
©orneliuS ßat ©ewaltigeS gefeßaffen, wenn aueß zuzBgeben
nur zeießnerifd), unb meßr fufeenb auf ben literarifcßeu
quellen unferer ©ultur: Sibel, §omer, ben ©ibelungen unb
©oetße, ®ante unb Sßatefpeare, als auf unmittelbaren St*
Zießungen zur ©atur. 2B. o. Äaulbacß ßat in feinem ^aujst*
wert, ber malerifcßen ®etoration beS SEreppenßaufeS im
©euen Wufeum, bic ganze SBeltgeftßicßte mit weitem ©lief
umfafet unb, oon ber ©atur wie fauin ein 9lnberer mit bei
glüdlicßen ©abe auSgeftattet, feßöne Sinien unb gormen
feßen unb bilben zu fönnen, Ünoergänglid)eS gefeßaffen, trof
kÜem, waS bie zeitgenöffifeße Äritif an ißm bemängelte.
©. g. Seffing ßat, abgefeßen oon feiner Xßätigfeit aß
ßanbfdjafter, feine !ünftleri)iße Äraft ber 2)arfieUung beS
auf beutfeßem ©oben entfprungenen ÄampfeS um ©eift»*
freißeit gemibmet. W. 0. Scßwinb uitb 2. ©ießter ßaben
auS bem tiefften ©runbe ber beutfeßen ©olfSfeele unb ißrer
Sagen* unb Wärcßenweft gefeßöpft. Ooerbed, ‘ .^efe, güßridi,
®eger, Sdjnorr ßaben auf religiöfem unb biblijeßem ©cbieic
mit inniger Eingebung gefeßaffen. ©ilotß, Wafart unb
geuerbaeß ßaben oerfueßt, ber bentfeßen Walerei ©lutß unb
3auber ber garbe zu geben unb coloriftifcß zu feßen. **
Ueberlebenber unter biefen SDaßingeftßiebenen tßront in ein*
famer §öße unfer 9lltmeifter 9lbolf Don Wenzel, unberüßrt
oon allen ftemben ©inflüffen, in feiner ©igenart noeß ßeute
jugenbfrifcß auf allen ©ebieten ber Walerei tßätig, in feinem
Scßaffeu beutfeß bureß unb bnreß, ber Weifter, ber oor 9Hlem
bie ©rforfeßung ber ©atur unb ißr intimfteS Stubium nie
©runblage allen fünftlerifdßen SißaffenS protlantirte, unb
ißm gegenüber im fdjrojfften ©egenfaße 9lrnolb ©öcflin
©ine glänzenbe ©eiße oon ©enremalern, wie 9lb. Scßroebter,
©ub. Sorban, 2. ÄnauS, ©autier, Sefregger, Wajerßeim
u. 91., ßaben ben Wenfcßen im bürgerlichen unb bäuerlicßcn
Äleinleben unb in feinen intimen ©ezießungen zum gamilien
(eben belaufcßt unb ebenfalls auf ber ©runblage forgfältigen
Digitized by v^. ooQie
Nr. 5.
Die töegentoan.
71
'jfaturftubiumg alle Seiten beg menfchlidjen Safeing gur
®arftellung gebraut, immer ba§ Schöne in Snfjalt unb
gorm alg erftrebengwertl)e§ 3wf Dor Äugen. ©nblidj haben
Üanbichafter mie Seffing, bie Sldjenbach’g, S- 2S. ©djirmer,
gr. greller unb üiele 31 nbete bag weite ©ebiet fanbfcfjaftlic^er
Starftellung in einer Seife bearbeitet, mie eg bie beutle
ftunft beS 18. Sahrhunbertg, beg fjribericanifcfjen ßeitalterS
nicf)t fannte. 31 (leg in 31Uem bürfen mir alfo motjl fagen:
ffienn ung aud) in ber Malerei beg 19. Sahrhunbertg bie
Jrabition ber £ed)mf oerloren gegangen ift, mit meiner
nod) im 18. Satjrhunbert fdpoiertge 3lujgaben mit fdjeinbar
fpielenber £eid)tigleit bewältigt mürben, unb manc^eg Slnbete
ju bemängeln märe, fo weift bod) bie beutfdje üunft beg
19. 3af)rf)unbertg big ba^in gang gewaltige gortjdjritte ober
fagen mir gang befcfyeiben: einen mächtigen 31ulauf gu um*
faffenbfter Söfung ber Slufgaben ber bilbenben Äunft auf.
Sag haben mir alfo Wirflid) im 19. 3al)r^unbert erreicht
unb befeffen. Sag bietet fid) ung nun jegt bar, am
Schluffe beg 3af)tf)unbertg? Stegen mir im Vegriff, bag,
roag mir big fegt errungen Ratten, gu übertreffen ober gu
überbieten?
3m legten ober in ben beiben lebten $>egennien beg
Safirljunbertg macht fid) eine (Bewegung beinerflid), welche mit
ber hohen SBlüt^e 2}eut|d)lanbs in Siffenfdjaft, $anbel unb
3nbuftrie geitlid) gufammenfällt, eine (Bewegung aber, welche
meineg ©radjteng nicht auf ber §öije biefer fteljt unb welche
auch nicht beutfehen Urfprungg ift. 3 u näd)ft finb eg
literarifdje Greife, welche mit beinahe fanatifefjem ©ifer ber*
langen, — natürlich in (Radjahmung beg Äuglanbeg —,
baß enblid) in ber bilbenben Äunft mit all’ jenen lümmer*
liehen ©rfdjetnungen unb 3ln)d)auuitgen im (Ramen beg
gortfehritteg aufgeräumt werben müffe, weldje bie ft'unft
irrthümlidjer Seife früher in ben S)ienft beg ©uten, Schönen
unb.SEBahren geftellt hatten, ©ine neue 3«t wirb proflamirt,
welche aud) eine neue tunft burdjaug nöthig h at - SBtt
woben barauf Ipngemiefen, bafe eg fegt ©ecabenten,
Äanafthenifer nnb ©igerln giebt, meld)e auch ih re ft’unft
haben wollen, unb baff eg fowohl für Zünftler wie publicum
nothwenbig ift, gu begreifen, baß Vernunft unb Siffenjct)aft,
Klarheit im Renten unb ©nergie im Sollen, ©igenfehaften,
roelthe man 1870 nod) ben (Deutfcfjen nachgerühmt hat, in
ber Äunft ein ootlftänbig übermunbener Stanbpunft finb.
SSir müffen oor 3lllem mobern fein, unb bie beutfehe Äunft
(ich fpteche hier immer oon ber bilbenben, oornehntlich ber
SRaletei) braucht heute: ©efühl, Stimmung, Stimmung um
jeben (ßreig, irgenb etmag Unbegreiflicheg, Unflareg, Un*
befinirbareg, Stjinboligmug, äRpfticigmug, „mübe Sinien",
wie ein £>erolb beg neuen Stileg, natürlich gang ernfthaft,
bie Schlangen* unb Vanbmurm*£inien nennt, welche ung
jegt oon allen Seiten umwimmeln, unb noch oieleg Slnbere,
mag fid) mit ben beutfehen Sörtern: „häßlich unb wiber*
lieh", ohne gerabe beleibigenb gu werben, am ridjtigften be*
jeichnen lägt. Unb bag Sllleö fotl nun ber fünftlerifche
3lugbrud für bie SRadjt unb §etrlidjfeit beg neuen ®eut*
fegen (Reid)eg unb für bag ®eutfd)thum am ©nbe beg
19. Sahrhunbertg fein ? Sollte hier nicht etwa ein Strtljum
ober eine Sfrantljeit oorliegen? fo hört man oon allen
Seiten fragen.
316er mir leben ja entfpredjenb tieferer phil°f°Phif c f) er
©inficht in ber 3eü ber Ummerthung aller Sertlje: bag
Schlechte Wirb gut, bag galfdje echt, bag (päßlidje fchön, wag
gweifellog a(g recht bequem unb angenehm empfunben werben
muß. Ser hielte fich nid)t gern für einen Uebermenfchen,
ba eg fo fdjwer gu fein fc^eint, unter SRenfdjen 2Henf<h gu
fein? ©er moberne, ftoige Snbioibualigmug oerlangt fein
(Recgt, unb ber beutfehe Äünftler — ich weine natürlich
butdhaug nidht jeben — fucht junächft atg Äugbrud feiner
Snbioibualität SUleg eifrig itad)jumad)en, wag ung aug ^ßatig
ober fonft woher Oon Saljr ju 3ahr alg SÖfobernfteg ge*
melbet Wirb, nur nid)t bag ©ute, weil bag ju fchwierig ift,
aber: bie mißoerftanbene Plein-air-SKalerei, bie ©rau* unb
3Irme(eutemalerei, ben Smpveffionigmug unb Sntentionigmug,
(Berigmug unb ißrimitioigmug, auch bie Seceffion, welcbe
ung (ßarig 1890 üormad)te unb welche feitbem jebe beutfege
S£unftftabt haben mufe, unb fei eg nicht ’ne Seceffion, fo
bocf) ein Seceffiöncf)en, bag SUleg, SUleg ift bei ung ber
(Reihe nach nachgemadjt worben. Vielleicht wirb auch einmal
ber ©ermaniginug bei ung nad)gemad)t, wenn er an ber
Seine erft 3J?obe geworben ift. Sag man in ber SRalerei
früher alg roh nnb fd)mierig, alg hingefchlubert ober unbe*
holfen beneid)net hätte, bag nennt man heute bag fiegreidje
Ueberminben ber SRaterie, bie Vollenbung, unb bag finbifche
(Rachahmen längft Vergangener ^unftepo^en mit ber ganjen
Unbeholfenljeit ber bamaligen Ue^nif, g. V. im £)oIgfd)nitt,
gilt alg gortfehritt unb alg ho<hmobern: eg ift erreicht! Sir
finb mobern, inbioibueÜ!
31 ber nun unfer moberneg (Recht auf Snbioibualität, wie
fteljt eg barnit?
3n einem Katalog einer SonberaugfteUung lag ich Uor
einigen Salden im erläuternben Vorwort: „3ch bin Weber
(Dialer nod) Vilbhauer, aber ich bin 3ch unb ftelle meine
Serie aug!" darnach wäre bag objectioe können ein über*
wunbener Stanbpunft, unb bag fubjectioe unb inbiüibueQe
Sollen, Stimmung unb ©mpfinbung treten an feine Stelle-
unb follen alg berechtigte, inbioibueüe fünftlerifche Äeufterung
refpectirt werben. ®ag ift nun gweifellog ein fehr bequemer
Stanbpunft, in ber Schlußabrechnung beg 19. 3al)thunbertg
wirb er aber nicht bem ®ewinn=©onto ju ©ute lommen,
fonbern beim Verluft oergeichnet werben. Sir hoben im
Verlaufe beg leßten Sahrhunbertg gewaltige (Raturen gehabt,
Wie (Rapoleon, ©oethe, Veethooen, Vigntard, SDioltfe, (Richarb
Sagner u. 31., welchen oon ber (Ratur bag (Recht oerliehen
war, fubjectio unb inbioibueß fein gu bürfen, weil fi<h ihr
gangeg Sein auf ein übergewaltigeg Siffen unb können
ftüßte, gleidjfam auf eine ungeheure 3luffpeid)erung oon
geiftiger Sonnen*@nergie< Slber aug (Rechten, welche Sitanen
beanfpruchen bürfen, folche, nach bem angenommenen (Redjtg*
fage ber ©leichheit, auch für (ßtjgmäen herleiten gu wollen,
bürfte hoch faum alg ein aug bem alten Sahrljunbert über*
nommener ©eminn auf geiftigem ober fünftleri)d)em ©ebiete
in bag Hauptbuch beg neuen Sahrhunbertg übertragen werben
fönnen. (Run, bliden wir troßbem mit Vertrauen in bag
neue Salwhunbert unb hoffen mir, baß all’ bie (Rarrljeiten*),
welche ung bie legten (Decennien beg alten befcheert haben,
nicht nur unter bem fritifchen Sichte oon Verftanb, Vernunft
unb bei erwünfdjter ©efunbheit beg neuen Sahrhunbertg
bahinfcf)winben, fonbern oielmehr alg intereffante Veifpiele
bem gortfdjritte gu ©ute lommen werben.
Sch habe big hierher im ©angen fchon gu oiel nnb Oor*
miegenb oon bem mir perfönlich nahe liegenben ©ebiete ber
(Dialerei gefprod)en. Von ber Vilbhauerei will ich nur jeßt
nod) furg bemerfen, baß fie fich h® 1 in Verlin, oon ©.
*) fc^eint, oh neben üielem $lnberen ber öon mir gebrauste
?iu§brucf , f 9?anbciten w befonberen 3lnfto6 erregt habt. ©Düte e3
treffenber erjebeinen, bafiir w ^ranfbeiten" ober „SSerrürftbeiten" ju
fe^en, (o ^abe id) nichts bagegen. 3 U1 ^ ©rleicbterung für einen foidjen.
ßntfcblufe möd)te tdj mir erlauben, bie Seetüre ber öier bis je^t eT=
fdjienenen ^pefte be$ „Ouidborn" (natürlid) nid)t ben Oon ÄlauS (örotb,
fonbern ben im 2)eutfd)en ÄunftOerlag in Berlin erfd)ienenen unb leiber
bereits eingegangenen) unb befonberä beS £>efte$ IV mit feinen gerabeju
übermältigenben Süuftrationen mobernften 0til§ angelegentltd)ft $u em=
bfeblen. §lucb bürften oieUeicbt bie mobernen ©efeüfd)aft§abenbe
jüngerer Zünftler, roeldje auf einen beftimmten £on r j. 55. Violett ober
®elb 2 c. t abgeftiinmt finb unb bei benen als ©c^lufeeffeft ein $idjter
feine ©ebiete — auch auf Violett ober ©elb geftimmt — oorlieft, ein
Unheil erleichtern. SDaä feinfühlige, ftimmung^felige 5ßefen ber neuen
Shtnft foü in biefen Greifen fo entroicfelt fein, bafe ber dichter fürjlich
mitten im 33orlefen innehalten mufete, meil — er an einem ober einer
ber ^nroefenben blö&Hd) ettoaö entbeefte, mag auS bem ©efammtton
Violett hetauöfiel. llr tonnte nicht weiter!
Digitized by v^.ooQle
72
Nr. 5.
Die (Üegenwart.
©cßabow unb 6ßr. fRaucß unb feinet ©cßule angefangen,
bi« auf unfere 3^ mit JReinßolb Segag unb feiner Schule
auf gteicßmäßiger §öße erhalten pat, wenn aud) bet Unter»
fd^ieb jwtfcßen ber claffijiftifcßen Strömung im Slnfang
biefeg Saßrßunbertg unb bet realiftifcpen am ©nbe beffelben
in bie Slugen fpringt. @g liegen aber Slnjeicßen üor, welche
auf eine iRüdfeßr jur claffijiftifcßen Slnfcßaming pinbeuten,
mag für bie ©culptur nur begreiftief) unb faeßgemäß fein
!ann, weit ißr ber SRenfcß ber ctajfifcpen Stnfdjauungsweife
naturgemäß alg ©arftetlungöobject wertvoller fein muß, alg
ber moberne ÜRenfcß in Jrad unb ©plinberßut ober in ber
Slrbeitgßofe unb »blufe.
(Sine gewaltige Umwäljung paben wir im oerfloffenen
Saßrßunbert auf bem ©ebiete ber grappifepen ftünfte ju Der»
jeiepnen. 2)ie fßßotograpßie mit ipren tielen Abarten pat
einige Sitten fünftlerifdjer Xßätigfeit, wie j. ®. bie fßortraitg»
unb Sanbfeßaftgbarftellungen in ftupferftieß unb Sitpograppie,
wie fie noep big 1860 etwa öebürfniß waren, unb felbft
ben ^oljfcßnitt für viele Slufgaben oollftänbig vernichtet ober
überflüffig gemaept, wäptenb fie fiep ju immer erftaunlicperer
sßoüenbung entmidelt pat unb ber fepaffenben bilbenben
ftunft baburep wieber in erßößtem 2Raße bienftbar geworben
ift. Stuf bem früper bem ftupferftieß unb ber Sitßograpßie
üorbepaltenen ©ebiete ber SReprobuction oon ftunftwerfen
maept fie burep bie ©djnelligfeit unb S3iüigfeit ipreg £>er»
ftellunggoerfaßreng unb ipre fünftlerifcpe ÜioUenbung beben!»
licpe ©oncurrenj. Sin fiep alg eine ber größten unb weit»
tragenbften (Srrungenfcpaften beg oerfloffenen 3aptpunbertg
ju oerjeießnen, fragt eg fiep, ob bie fßßotograpßie in ber
3 u£unft auf bie in ben legten 3aßrjeßnten wieber erwadjte
greube am Habiten unb Sitograpßieren oon förbernbem ober
peminenbem ©influß fein wirb, unb ob man am (Snbe biefeg
Saßrßunbertg ©rjeugniffe ber grappifepen fünfte nur mepr
alg intereffante Dbjecte müpfamer ^mnbarbeit für Sammler
oon ©uriofitäten fünftlerifcper Slrt betraepten wirb; — mir
wollen eg niept poffen.
9Äein IRütfblid ift fdjon ju lang geworben, alg baß icß
auep noeß bag ©ebiet ber erften ber bilbenben ftünfte, bet
Slrcßiteftur, wenn auep nur ftreifenb, berüpren tonnte. Scp
pabe nur in gebrängter ftürje ©inigeg oon bem fagen
fönnen, wag ju einem fritifeßen ©ange bureß ein ganjeg
Saßrßunbert im ©ebiete ber bilbenben ftünfte geßört, unb
poffe, bamit ju eigenem ERacßbcnfen über ben ©tanb, bie
Slufgaben unb ßiele ber ftunft im neuen Saßrßunbert an»
geregt ju paben. S3or Slllem aber glaube icp, baß wir einig
finb in bem ©emußtfein, baß unjer geliebteg 3)eutfcplanö
aug bem 19. Saßrßunbert * n bas 20. in anberer SRacßt»
unb ©lanjfülle übergetreten ift, alg aug bem 18. ing 19.
Saßrßunbert, unb baß wir bieg oor StUem beni großen
ftaifer SBilßelm I. unb feinen fßalabinen: ftronprinj, ißrinj
griebriep ©arl, Sigmare!, äRoltfe, SRoon, ber Dpferwilligfeit
ber beutfepen dürften unb bem Sluffcpwuttge, ber ©inmütßig»
feit unb ber fittliepen ftraft beg beutjepen Solfeg jener Xage
ju banten paben. SBir fepen bie ©cßöpfung jener unoergeß»
liepen Sage peute in pop et SSlütpe; ©ott erßalte fie fo,
unb ber erfte ©prueß im neuen Saßrßunbert |oll beßpalb
lauten: „Stuf ftaifer unb fReicß!“
5d)ilUrbi®grftppün.
58oit Karl €gon Sartbljop.
©g ift gar niept lange per, baß bei unferen naturaliftifeßen
®icßterlingen ber „2Roberne" unb ipren äftßetifcßeu SBort»
füprern übließ war, fiep alg ©eßiUerpaffer unb ©epilier»
oeräeßter aufjufpielen. Sllg bann bie oöllige Swpotenj biefer
„Sieutöner" felbft bem naeßfießtigften üßublkum !lar würbe,
ba ftieg auep ©epilier wieber im fturö, unb bie ©epillerpafjet,
jumal ber ©cperer’fcpen ©cpule, waren bie erften, bie, weil e?
bag ®efe±)äft nun mal fo mit,) fiep braute, mepr ober minber
bicfleibige ©cpitlcrbiograppien auf ben Siteraturmarft brachten.
@g ift peute fein ftunftftiid, aug ben oorpanbenen felbft»
ftänbigen SBerfen eine „biograppifepe ©inleitung" jufammen»
jufeßreiben; gerabe in biefer ©attung oon Slrbeiten perrfept
bie ertlärte, Freibeuterei, unb feiten empfinben fie eg alg ein
©ebot beg Etacteg (ber boep auep in ber (iterarifepen ©efell»
fepaft eine fepöne ©aepe wäre), aud) nur an einet oerfteeften
©teile anjubeuten, Woper bag neue SBiffen gepolt ift $ajs
fie im tlebrigen an bie Seiftungen braoer Srimaner erinnern,
ift mepr bie Siegel alg bie Slugnapme. Slber auep alg für
fiep befteßenbes Sucp eine populäre ©epiUerbiograppie perau«>
jugeben, ift naepgerabe eine unfepwierige ©aepe geworben:
man binge fiep ben näcßften literatifepen ^anbtanger, gebe
ipm ju ben unOollenbeten SBerfen oon SJiinor, ton Srapm
unb oon SBeltricp bie ju ©nbe gefüprten oon ißallegfe»gif(per
unb ®ünßer — unb eine neue ©epiUerbiograppie, bie fiep
iprer fcßlicpteu SBeife rüpmt, ift nap einem palben Saßt fertig,
©o flogt einer ber am fleißigftcn SBeftoßlenen unb Slug»
geplünberten, ijßrof. Siieparb SBeltricp, opne beffen nun feit
Sapreit in ^atbbänben unb jept in einem ftattlitpen SBanbe
oorliegenbe ©epiUerbiograppie*) wopl niept eine ber fpäteren
©ompilationen erfepienen wäre. £>ier erfennt man — unb
SBeltricp weift mit Stecßt barauf pin —, baß bie Stufgabe: eine
ben ftrengen Slnforberungen ber SBiffenfepaft entfpreepenbe,
ipr Spema nad) aUen ©eiten pin erfepöpfenbe, auf eigene
gorfepung unb eigenes Urtpeil gegrünbete Siograppie ©epiliere-
ju fdjreiben, wopl ju ben feßwierigften unb umfangreiepften
gepört, bie man einem ©eleprten peute fteüen fann. „®enn
uiipt nur ift bie nunmepr punbertjäprige ©epiUerliterotur
bereits in’g faum mepr Uebetfepbare angefepwoUen, unb er-
mübenb wirft auep auf eine ftarfe ftraft bie ÜRötßigung, nein
ber ©efanimtpeit biefer literarifepen ©rjeugniffe, unter benen,
atp, fo oiele taube bluffe fiep finben, ftenntniß ju nepmtn;
fonbetn auep bie ©rmittlung beg SBaßrcn bebatf, fobalb man
in’g ©injelne gept, noep immer an japlreicpen fünften bet
müpfamften Uuterfucpungen. Unb wenn aUe biefe piftorijtpc
Slrbeit getpan ift, fo ift erft ber fRopftoff jur $anb, unb
bag ©rößte bleibt noep übrig: eine Snbioibualität, weltpe eine
SBelt oon ©eift bebeutet, naepjufepaffen unb in eben biefe
Söelt jugleicß mit aUer ©rfenntniß unferer 3eit einjubrütgen.
©g ift einleucptenb, baß SBerfe, welcpe biefen pödpften Sin-
fprücpen genügen möcpten, nur langfam ooUenbet werben
fönnen, baß, um mit ©cßiUer ju leben, „nur ber ©rnft, ben
feine SRüße blcicpet", biefe Slufgabe bewältigt; eg ift auep
einleucptenb, baß fie für ben Verleger gewagte, Slufmanb
forbernbe Unternepmungen finb. SBenn aber, fobalb fie nur
bie erften ©cßritte ing Seben getpan paben, bie fßopularifirer
unb Slbfcpreiber pinter ipnen per finb, fo fann man ja fagen,
baß eg löblicß unb ßübfcß ift, wenn bag SBiffen jum ©emein»
gut beg iöolfeg wirb, unb fann auep fagen, baß bag S$olt
auf bie SBollenbung ber, großen SJiograppien niept warten
fann; aber flar muß man fiep algbann autp barüber fein,
baß, weit SSücper — jum ÜRinbeften oom ©tanbpunft bes
Sjertegerg aug — eben boep getauft werben follen, bie ©jiftenj
ber größeren unb felbftänbigen SBerfe gefäprbet wirb; bie
SDtaffe beg ©eringen unb Söoplfeilen öerlegt ipnen ben SRarft.
©o fönnte eg geftpepen, baß bie bei ung aufbtüpenbe ftrupel-
lofe gabrifation leieptgefepürjter ©cpiQerbiograppien bie ftproer-
gepanzerten SSapnbreeper, beren biefe Snbuftrie boep felbft
niept entbepren fann urn’g Seben bringt. Unb,ba., mau bag
S3efte eineg Söucpeg ja boep niept abftpteiben fann, fo fommt
mit ber 'Jpätigfeit ber ißopularifiret eben biefeg SBefte juft
*) &riebrt(p ©(Ritter. ©ef(ptd)te feine« Seben« unb fibaratlcrifn.'
jeiner SBerte. Stuttgart, 3- ©• Sotta’jdjc Sutp^onblung Siaepfolget.
Digitized by v^. ooQie
Nr. 5.
Die tötgetnoart.
73
nic^t unter bas Soll. 'Über aud) oft rvid^t einmal bas
f)iftorifch Sichtige." SBie man fieljt, ift SBeltrich in golge
ber pünberungen, benen feine ürbeit auSgefejjt war, nicf)t
of)ne Sitterfeit, aber er ift bod) »ieber ju fetjr Künftler, um
feine tiefbohrenbe unb in jeher Sejiehung ausgezeichnete Dar»
fteQung burd) ißolemif ju trüben. ÜH’ feiner ©alle enttebigt
er fich in ben Sor« unb Sachworten, unb wenn mir an
feinem nach Stil, üufbau unb Durcharbeitung niefjt hoch ge»
nug ju preifenbe Siographie ettoaS auSjufefcen hätten, fo
märe eS nur eine aÜju behäbige Sreite, bie SBcfentlidjeS unb
llntoefentücheS mit ber gleichen Siebe unb SBid)tigfeit be*
hanbelt. @r ift eben ein Schüler Sifdjer’S, ber fich auch
nie genug thun fonnte mit immer neuen ©eficfjtSpunlten unb
übfthmeifungen, fo baß [ich ihm jeber 3 e itungSartifel un*
oerfehenS ju einer übljanbluug unb jebe übhanblung ju einem
ganzen Such auSwud)S. ©oll baS fd)öne SBerf roirflid) in
jtoei »eiteren Sänben boUenbet »erben, fo wirb fid) SBeltrich
einer größeren ©oncentration befleißen unb alle ©jeurfe in
ben Sachtrag oer»eifen müffen. SnjWifchen »ollen wir unS
beS erften SanbeS unb all’ feiner Schönheiten freuen.
Die ©ch»ierigfeiten einet Sdjtllerbiographie beginnen,
»ie bei Steine, fchon am ünfang mit bent ©eburtSbatum.
SBeltrich prüft alle mieten unb geugniffe unb entfcf)eibet auch
biefe grage enbgiltig ju ©unften beS nun ziemlich allgemein
angenommenen 10. Sooember 1759. Die SBagfdjale, in ber
ba§ hoppelte 3 eu 9 n ife bon Schißer’S Sater, bie 3eugniffe beS
Dichters unb feiner gamilie, bie 3eugniffe ipeterfen’S, ©treicher’S,
Seinwalb’S, Seinljart’S unb ©oetlje’S liegen, finft tief unter
bie SBagfchale ber bürftigen auf ben 11. Sooember lautenben
3eugniffe, unb baß baS $Rarbad)er ©chiHerbenfmal, baS ben
11. Sooember auf fein fßoftament gefchrieben hatte, biefeS
falßhe Datum austilgte, »ar nadjgerabc an ber 3 e ^- 51 ud)
bie Sehauptung pon einer abeligen §er!unft ©cpiller’S —
Bon ber SSerwanbtfchaft mit bem tiroler 3 we ifl e ber Schwer
t. Berbern — wirb Pon SBeltrich ein» für allemal grünblid)
abgethan. SBaS oon oornherein gegen bie ünnnahme eines
ücrlufteS ber tirolifd)en tpeimath unb beS Übels fpridjt, ift
ber Umftanb, baß in ber Sdjiller’fchen gamilie nicht bie ©pur
einer Draiition biefer ürt oorljanben »ar. „Die ©rinncrung
an ein fwldjeS ©reigniß, an einen ©laubenSroechfel unb eine
bamit Perfnüpfte Serfolgung ober üuSwanberung, geht itt
einet gamilie — baS lehren oiele Seifpiele — nicht oerloren;
fie erbt fich oon ®efchled)t ju ©efdjlecht fort. 3 uma l bei
einer gamilie, bie, foroeit fie fich jurüdoerfolgen läßt, niemals
ben untersten Schichten ber ©efeflfdjaft angehört hat, fonbern
aud) bei ihren ätteften erfennbaren ©liebem einen gewiffen
2Bof)lftanb, eine gewiffe Silbung aufweift. Sei ben Sor»
fahren beS Dichters aber, bei btefem felbft, bei feinen ®e»
fchwiftern, feinen greunben unb 3eitgenoffcn wirb, foweit
»ir wiffen, mit feiner Silbe oon ber Ser»anbtfchaft mit
einer abeligen gamilie DitoIS, oon einer ÜuSwanberung
infolge ©laubenSwechfelS gefprochen; jebeS 3 eu 9 n ‘| einer
folgen ©rinnerung fehlt. SBäre eine folche Ucberlieferung
irgenb Porhanben gewefen, fo wäre fie ohne 3n>eifel bei ben
urnftänblidjen fchriftlichen Serhanblungen, bie zwifdjen SBeimar
unb SBien gepflogen »urben, als bet tperjog Karl üuguft
im 3afjre 1802 Schiller’S Serje|ung in ben übelftanb betrieb,
erwähnt worben; aber auch in biefen ©djriftftücfen fehlt
jeglicher berartige §inweiS.“ Sater SchiQer’S ißetfehaft, beffen
SBappen mit bem ber tirolifdjen o. Schiller übereinftimmt,
ift allerbingS nicht bemeiSfräftig genug, benn baS SBappen
fann aus irgenb einem ber zahlreichen SBappenbücher ent»
nommen fein.
©ine echtfdjwäbifche gamilie ift eS, auS ber gtiebrich
Schiller heroorgegangen ift; benn in altfch»äbifchem ©ebiet
liegen ihre ©tammorte Seuftabt, SBaiblingen an bet SemS
unb (nörblich oon SBaiblingen in einem Seitental beS Stedars)
Sittenfelb. Unb einen Übel höherer ürt, als ihn ein Katfet
oerleihen fann, hat ißt ber Dichter gegeben. DaS bürgerliche
©ewerbe aber, baS fte erblich betrieb, ift baS fonberlich ehr»
famc Säcfergewerbe: jum äRinbeften 3 Üljnen, Pon benen ber
Dichter in geraber Sinie abftammt, übten eS aus, unb rechnet
man bie blutSoerwanbten Schiller ber Sebenlinien ein, fo
weiß bie Stammtafel feiner Sorfaßren Pon 10 Säefern.
Dem oon £aufe aus etwas träge rollenben Säderblut halfen
fie (wie 23eltrich in halbem Scherz beifügt) weife auf:
„aller SBahrfcheinlidjfeit nach befaßen fie im SemSthal, baS
ja um Stetten, ©nberSbacfj, SommelShaufen, SeutelSbach unb
auch um Seuftabt unb SBaiblingen einen hochpreislichen SBein
erjeugt, SBeingüter, unb »ie ber SegimentSmebicuS Schiller
ju Stuttgart einen guten Dürft hatte, fo Wirb fchon fein
Urgroßoater, ber 'bie SBaiblinger StabtfüferStocf>ter ^eirathete,
fein SBeinPerächter gewefen fein. @S war augenfcheinlich ein
aufgemecfteS, rühriges unb geachtetes ©efdjlecht, wie benn
gerabe jene 3 ül)neu nebenbei ©emeinbeämter unb »SBürben
befleibet haben." Sei ber geftfteHung ber ühnentafel hatte
SBeltrich oie bekömmlichen ©djwierigfeiten ju bewältigen.
Ungefchidter SBeife befiehl in Deutfdjlanb bejüglid) ber ün*
orbnung ober Seihenfolge ber Sornamen feine fefte Sitte,
b. h- ber ^auptoorname, bet Sufname, wirb bei ber Pollen
Sennung einer auf mehrere Sornamen getauften ißerfou häufig
nicht unmittelbar uor ben gamitiennainen gefefct (wohin er
gehört), fonbern an früherer, an mittlerer ober an oorberfter
Stelle; eine SBißfür, weldje bie Sicherheit unb ißräcifion ber
Sejeichnnng erfchwert unb bei ©enealogien unbequem genug
werben fann. Seifpiele bieten bie hetfömmlichen Samens»
uerbinbungen Johann ©hrpfoftomuS SBolfgang ümabcuS
Siojart, ©ottholb ©phraim Seffing, griebrich SBilhelm Sofeph
Scheüing, wogegen mit richtiger ünorbnung: Johann SBoif»
gang ©oethe, Sohanit ©hriftoph griebrich Schiller. Der
SSieberermeder ber beutfcfjen Diihtfunft »irb allenthalben als
„griebrich ©ottUeb" filopftod aufgeführt; wie Piele Deutfd;e
wiffen, ob fein Sufnante „griebrid)" ober „©ottlieb" war?
Sdhelling finbet fidj mitunter Pon Siterarhiftorifern „Sofeph
©chelling" genannt; ©Item unb £>eimatf) aber nannten ihn
griebrich, gri|. Solche Unficherßeit ift bie golge ber
herrfdjenben ©ebrauchSoerwirrung. ©ine Serichterftattung,
welche nicht irre gehen möchte, fieht fich oftmals gejwungen,
als SaHaft bie Sebeitoornamen mitjufchleppen, nur weil gerabe
nicht feftjuftellen ift, welcher unter ben überlieferten Samen
ben Sorjug Perbient hätte. „Säftig wirb hierbei inSbefonberc
ber Sorname Sohann, ohne welchen bie bürgerlichen gamilien
beS 18. 3af)rl)unbcrtS faum auSfommen ju fönnen meinten;
mit feiner ^äufigfeit Perliert er an SejeichnungSwerth, unb
nur ein PerbicnteS ©chidfat ift eS, baß er als etwas ©emcineS
heute ju einem ©attungSnamen, jum Sebientennamcn herab^
gefunfen ift. Bäftig ift auch öie ürmuth ber Samengebung
in mandien gamilien: fo begegnen unS bei ber ziemlich ftarf
berjweigten gamilie ber Sorfahren ©chiller’S immer »ieber
bie Samen Sofjann, ßafpar, ©eorg, Safob, audh bie Ser»
binbungen §anS ©eorg u. f. w. SBer mit ber Durchforfchung
oon Kirchenbüchern, alten ©emeinbeacten u. bgl. je ju thun
hatte, weiß, welche gaüftride bamit bem um ©rmittlung beS
Sichtigen Semüßten gelegt finb." SBeltrich erwähnt, baß gerabe
baS 18. Saßthunbert Piele ©leichgiltigfeit gegen ben Suf»
namen jur ©d)au trägt: bei Süchertiteln, in Unterfchriften
unb in amtlichen Segiftern mifd)t eS ihn jumeift mit Seben»
Pornamen, bei Süchertiteln erfcheint auch oft nur ber gamilien*
narne. @S ift, als ob man fich ßenirte, mit bem im gamilien*
unb greunbeSfreiS gebräuchlichen Samen oor bie Deffentlichfeit
ju treten; fdjamhaft wagt fich allenfalls ein ünfangSbuchftabe
hernor, ein © j. S., baS bann Garl ober ©onrab ober ©ßriftian
ober ©hriftoph bebeuten fann unb fich gleich feinen Such»
ftabenbrübern im Sewußtfein gar nidßt fijirt, weil eS nur
für baS üuge ba ift, nicht für baS 0h r » roe il eS innerlich
nicht gefprochen wirb. DaS 19. Saljthunbert jeigt in biefem
Sunfte einen weit größeren SWutf) ber ißerfönlichfeit, bod)
SBeltrich flagt, baß bei ben Schwaben mehr als bei ben
Digitized by v^. ooQie
74
Die töegenroart.
. Nr. 5.
Slngcfeörigcn unterer anbcrcit Stämme jener litcrarifcfec Horror
oor bem ©ufnamen geblieben ift. ES ift fein 3 u f fl fl. bafe
bie fefewäbifefeen Autoren ©efeubart unb ©traufe gaferjefentc*
lang in ber Siteratur als „Daniel ©djubart" unb „Xaoib
©traufe" gefebt haben, wäferenb bort Daniel, hier Xaoib nur
ein ©ebenüorname war unb richtig non „C£Ijriftian ©chubart"
unb öon „griebridj ©ttaufe" ober, ba biefe ©amenoerbinbung
SBieberfeolungen ^at, oon „Xaoib griebriefe ©traufe" gerebet
Wirb; SS ift au<fe fein 3 u faft< bafe griebrid) ©ifdjer ober,
wie ber ooüe ©ame beS grofeeit StritiferS unb 3lefti>etiferö
in ber herföramlicfeen ©erbinbung lautet, „griebrid) Xfjeobor
©ifdjer" noch i* 1 ©cfeaSler’S ?CeftE)ctif als „Xfecobor ©ifdjer"
aufgeführt wirb.
©ocfe auf einige anbere intereffantc fünfte in SBeltricfe’S
©iograpfeie fei feingewiefen. ©o ift nencrbingS eine Ehren¬
rettung beS £>crjogö ftarl unb feiner ©taatSmaitreffc ücr*
fudfet worben, meift üon fchreibenben Xamcit, wie E. SUelt)
unb Ottilie SBilbermutfe, benen fid) ju biefem ß^etfe fogar
bie ©tuttgarten 9lrrf)ioe öffneten. Aber ba fenitt SBeltridj
feinen ©pafe. „93?an fann," fefereibt er, „über bie ©erbinbung
beS §erjogS mit granjiSfa oon Ipofeenfeeim oerfdjiebencr SDici*
nung fein, fann fogar fagen, eine foldjc ©ewiffenSefec muffe
cntfcfeulbigt Werben, weil ©taat unb Äirdje mit SBiülür bie
Efeefcfeeibung oerbieten. Unb wenn ber ©und mit granjiöfa
bie Verbrechen ber grauenfefeänbung, wie fie ber §erjog
juüor begangen hatte, feltener madjte, fo fällt ja auf ihn
noch e >a ©lorienfcfeein. Um bie rächende Erinnerung an
jene 9lbfcf>eulict)fcitcn aber fei bie @e}d)icfete nicht betrogen!"
Aud) bafe griebrid) ©djiller oon bem anfprucfeeoollen unb
aufbringlichen ©runfe beS ^oflebenS ju SubwigSburg baS
©ine unb Anbere gewahren mufete, bafe bie Xheateroor*
fteßungen feine EinbilbungSfraft befct|äftigten, erwähnt SBcl triefe;
ob aber bem SubwigSburger Einzug ein jotefeeö ©ewiefet bei*
gelegt werben barf, Wie Äuno gifefeer will, bleibt fraglicfe,
unb wenn ber Aufenthalt beS $>erjogS in ©enebig bem Xicfetcr
wirflicfe in bergolge für beit „©cifterfeher" ©iotioe bot, fo featte
biefe Anlehnung boefe gerabe mit bem- EinjugStag nid)t oiel ju
fefeaffen. Stuno gifefeer fährt fort: „glätte ©djiller gugenb*
erinnerungen gefcferiebeit wie ©oethe, fo würbe feine SubwigS*
burger Sugenb^eit in magifefeem Sidjte ftrahlen, währenb wir
jefet immer nur biefelben fatgen unb trodenen ©otijen über
bie Eiaffen unb ©räceptoren ber SubwigSburger Sateinfcfeule
unb bie ©tuttgarter Sanbejamina jn feören befommen."
Auch mit biefer Anfidfet fann fid) SBeltricfe faum einoer*
ftanben erflären; ©cfeitler’S Aeufeerung: „Xurcfe eine traurige
büftere Sugenb fd)ritt iefe in’S Sebeit fernein, unb eine feer**
unb geiftlofe Erjiefeuitg hemmte bei mir bie leichte, fcfeöne
©eWegung ber erften werbenben ©efüfele" ftefet mit ifer in
ju feferoffem SBiberfprucfe." Ein richtiges ©egenftüd ju ber
Äaifctfrönnng, bie ber junge ©oetfee in granffurt erlebte,
boten bie SubwigSburger gefte bet gugenb ©cfeißerS fefeon
barum mäht, weil ihnen ber frohe ©harafter unb baS üolfs*
tfeümliche Gepräge fehlten. SllS ber £)erjog, gerabe in biefer
©cgierungSperiobe einer ber gewiffenlofeften ©raffer unb
©lutfauger, bie je auf einem Xferone ä u f e h en toaren, auS
©enebig äurücftcferte, empfing ihn ju SubwigSburg jwar ber
©pecial 3itling mit ben nieberträcfetigften ©cfemeicfeelrcbcn,
aber in ber ©title ber §äufct wirb gar manche ©crwünfdjung
unb gar mancher ©eufjer jum fiimmel geftiegen fein, unb
ber ju SubwigSburg „wie ein Xriumpfeator nad) glorreidjen
Xfeaten“ cinjog, featte beim 5tb^ug ans ber Sagunenftabt
feinen ^auSfcfemurf für 15 000 3ed)ineu oerpfänben müffen.
um feine ©cfeulben bcjafelen ju föttnen. 9iacfe bem ©innc
ber ©chiHer’fcfeen gamilie war biefe tolle unb frcticlfeafte
SBirtfefcfeaft am Wenigften; fie lebte in SubwigSburg in ge*
gebrüdten SBerfeältniffen, ber Änabe wucfeS unter ftrenger
feäuSli^er 2lufficfet, unter ber feärteften ©cfeuljucfet feeran unb
ber ©lan-j beS fürftlidjcn SBefenS bienbete fo wenig fein Auge,
bafe et oielmefer ber Xfeeotogie feine Neigung juwanbte unb
nur mit SBiberftreben ber ^Berufung auf bie ©olitube folgte:
bieS finb Xfeatfacfeen, über welcfee feine ©efeitberung feinweg-
foinmen wirb."
Xie 4 'crfucfee ferner, bie „Saura" ber ©ebiefete in einer
anberen ißerfon fuefeen, als in ber ^ßerfon ber grau Suife
SSifcfeer, entfpringen nadfe SBeltricfe nid)t einem ®ebürfnife beS
gefchicfetlicfeem SBiffenStriebeS, fonbern frauenjimmerlicfeer ©eit*
timentalität unb frauenjimmerlidjer fßrüberie: man möcfete als
bie Sugenbgelicbtc beS XicfeterS eine würbigere, anmutfeigere
unb „ibealerc" ©eftalt uor Singen haben als bie £>auptmannS*
wittwe, bei ber ©efeiüer 3 ur Siietfee wofente. Aber biefe ©tfeön*
fcligfeit feat oor ber 2 Baferfeeit bie ©egel ju ftreiefeen, unb
biefer „SbealiSmuS" ift ein falfcfeer SbealiSmuS. Xer ^aupt*
oerfeefeter ber üaura * Anbreä * Xfeeorie, ijBrofcffor §aaffe feat,
fo lange er lebte, gerabe in ©tuttgart wenig ©laubige ge*
funben: webet griebriefe SBifdjer Würbe oon ifem überjeugt,
noch ber erfte ber bamaligen ©efeiderfunbigen, SBilfeelm
Vollmer. SBejeicfenenb ift Vollmer’S briefliche Aeufeerung:
„^aaffe gab ausweichende Antworten unb oerwieS auj
eine oon ifem beabfiefetigte 93 eweisfüferung, bie er fcfeliefelicfe
mit iit’S ©rab nafem. Xie ©cfeiUer’fcfee gamilie, in specie
grau o. ©leid)en, griff ambabus naih ber Saurafefepotfeefe,
ba ifer begreiflicher SBeife bie £>auptmann SSifcfeerin fatal
war. Scfe war einmal babei, wie fie ein ©ebiefet recitirte,
baS üon Scfeiller fei unb fid) unter beffen gugenbpapieten
befunden feabe, unb baS bie Slugen ber Saura feiere, aber
jener Slnbreä; eS fing, irre id) niefet, an: ,SBlaue Augen,
cucfe ju preifen‘, unb war ganj unb gar unfdjillerifch- ©oebefc
nafem es nur mit SBiberftrcbeit unter bie gugenbgebiefete in
ber feiftorifefe = fritifc^en Ausgabe auf. SBäferenb beS Xrudes
(ober ©afecS) erfeielt er oon mir einen s .f$a<f ©tiefeet, ben iefe
für ifen bei einem feiefigeit Xröblcr erftanben. Xarunter @t*
biefete üon ©d)lotterbcd. ©leicfe beim erften Auffdfetagen fiel
ifem baS ©ebiefet ,blaue Augen 1 in bie Augen, unb er tde*
grapfeirte fofort an miefe, iefe foHe baS ©ebiefet nun auS ben
Eorrecturbögen entfernen lafjen." Xie feocfenotfepeinlidje
literarfeiftorifcfee Unterfncfeung, ob baS ©erfeältnife jur grau
©ifefeer p neun gefenteln ober 3 U ad)t ober nur ju fünf
gefenteln „platonifcfe" gewefen fei, überläfet SBeltridfe alten
SBeibern. ©ei §offmeifter, bem einzigen feiner ©orgänger,
beffen ©iograpfeic wiffenfdjaftlicfeen Efearafter feat, ftefet ju
lefeu, ber finnlicfe ejaltirte Siebestraum ber Sauragebicfete fei
alles anbere efeer als platonifd) ju nennen, ©iinor beinerft,
Umftänbe unb 3 ei, 9 n 'fi e liefeen ein intimeres ©erfeältnijj
jwifdjen ©cfeillcr unb ber jungen SBittWe als oöllig unmöglich
erfefeeinen; bennoefe fäfert er fort: „Aber fo ganj fearmloS,
wie cS nad) aufeen erfdjieu, war eS befefealb boefe niefet; unb
babei, bafe ©cfeiUer mit bem ©öfenefeen unb Xöcfetercfeen feine
©piele trieb, wenn er SlbenbS nach 4>oufe tarn, wirb eS
niefet immer geblieben fein. 9iocfe fpäter feat fid) ©cfeiller mit
üollem ©ewufetfein Oor den ©erlodungen jeder Äofettc unfiefeer
gefüfelt." ©uftao ©efewab feat allen ftlatfcfe, welcfeen bie
mutfewillige Ueberliefernng ber gugenbfremibe an ©cfeiUer’®
tarnen feing, für bare lülün^e genommen; er jeiefenet niefet
anberS, als feätte der Xicfetcr ber Anthologie ber ©innen*
luft bie Seele oerfd)ricben. Aber, entgegnete SBeltricfe fefet
fcfeön, „um ein goefe biefer Art ju ertragen, bafür n»r
©dfeiücr oon Anfang an ein 3 U geiftiger Stfenfcfe, unb gerabe
bie ©tuttgarter ©criobc, indem fie oon Entwürfen feine®
©enieS gäferte, bezeugt ein Seben in raftlofer Xfeätigleit.
©cfeiller feat den Anfturm ber Sinne empfunden; aber er
weferte fiefe eferlicfe. Xarin liegt baS SBefentlicfee. Unb bafe
er auS ben ©ebrängniffen beS günglingSalterS bie Sauterfeit
ber ©eele, bie ©efunbfeeit der ©feantafte fiefe gerettet feat,
baS feaben feine SBerte mit ©ternenfeferift an ben Jpimmet
gefeferieben."
Xie alte Streitfrage um ben päbagogifcfeen SBertfe ober
llnwertfe ber ÄarlSfdjule löft SBeltrid) mit ber ganzen Autorität
eines feierju ©erufenen. Eine lange ©eifee oon Saferen feinbutefe
Digitized by v^. ooQie
Nr. 5.
die Hegenaart
75
an einer niilitärifcgcn §odjfd)itlc (SlriegSafabemic) unb einer
militärifegen ÜWittelfcgule (ft'abettencorpS) im Segramt, begegnete
er an legieret Slnftalt mancherlei traditionellen Slnfcgauungen
nnb ©ütriegtungen, bte mit benen ber Scgule beö §erjogS auf* 1
fällig übereinftimmten, unb über igren gemeinfamen Urfprung
belehrte ign bic Encyclopedie frangaise. damit gatte er
oon ber Stuttgarter 3Jiilitärafabemic gewiß ein lebendigeres
Pilb als die übrigen Scgillerbiograpgen unb burftc uon be*
fonberen päbagogifcgen ©tfagrungen für bie Slbroägung beö
erjiegerifcgen PJertgeS berfclben Gebrauch maegen. „der Ge*
burtöfegler ber beutfegen S'abettenfcgulen beftegt barin, bafe
ben Scgrern (Siutlperfonen) bic bisciplinäre (Seroalt entzogen
ift unb bafe bie Leitung ber Slnftalt in ben £änben uon
Scannern liegt, roclcge niegt unterricgtcn unb anberen StanbeS
finb als bic Unterricgtenben. die mit biefer ©inriegtung uer*
bunbenen Uebelftänbe uerminbetn fid) jrocifelloö, roenn baS
^Regiment in eine auSitagmSroeife gliidlicge £anb gelegt ift;
gat aber ein unfägiger ober ungeeigneter Dfficier bie Scitung,
}o ergeben fid.) 3 u flönbe, bic für einen auf feine SManneS*
roiirbe galtenben Segrer unerträglich, unauöftcglicg finb: be*
raufet unb unberoufet finb alöbann Porftanb, SluffiajtSofficiere
unb 3i>glui8e gegen bie Segrer im Punb, unb bie Slnftalt
gleidgt einem mit 3ugtgietcn uerfegiebener Gattung befpannten
Pflug." ?lud) an ber SMilitärafabemie beö IperjogS Start
roirften Officiere unb militärifege Sluffeger neben ben öegrern,
unb uom s Xmte ber Segrcr roar bie ©rjicgung („Sluffidjt"
unb Strafrecgt) uöllig getrennt. £>ier aber trat eine @r«
fegeinung ju dage, ju ber fieg in ber Gefcgicgte beS beutfegen
Unterricgtöroefens faum ein Analogon finbet. ©ine militä*
rifege Slbtgcilung, b. g. eine Slbtgeilung, bie für bie Slusbil*
bung fünftiger Officiere beftimmt roar, beftanb jroar toon llr*
fprung an, aber ein militärifcgeS Stanbeögefügl lonnte in
ber Schule nidjt auffommen, ba bie ßüglingc ber überroie-
genben SDiegr^agt naeg für ben Staate* ober ©iuilbienft fieg
oorbereiten wollten. die militärifcgen Sluffeger roaren bei
ber Sugenb um beS uon ignen geübten garten unb oft rogen
SÄutfes Söillcn uergafet: fo fcgloffen fid) bie 3öglinge enge
unb uertrauenSooll an bie Segrer an als an diejenigen, uon
benen fie eine menfcglidjere unb würdigere Peganblung ju
erroarten gatten, unb bic militärifege Leitung unb 9tufficgt
bildete ju ignen eine ?lrt Gegenpartei. daß maneger Scgiller*
biograpg bie Satlöfcgule über Gebügr gefegmägt gat, maegen
bie darlegungen ftlaiber’S unb Räuber’« immergin begreiflitg,
aber Sßeltricg roünfegt jegt, bafe bcs Stügmenö nitgt all*
mätig ju piel roerbe, bafe auS ber Pertgeibigung ber fürft*
liegen Scgöpfung niegt unter £>anb eine, roieberum unge»
fegiegtlicge, Glorificirung roerbe. Unb ju betonen ift autg,
bafe bie ScgiUerbiograpgie igrerfeitö baö Stecgt, ja bie Pflicgt
gat, im Sluge ju begatten, in roelcgem 3uftanb fieg bie Scgule
befanb jur 3cit, als ber diegter igr angegörte, nnb mit pornegm*
liegerfRlieffiegt aufbiefen p fragen, oon roeldger Slrt igr©influfe
auf bie feelifcge unb geiftige ©ntroidelung ber Sugenb ge*
roefen ift. SKan erjäglt, granjisfa gäbe in fpäteren Sagten,
atä fie ju Äircggeim im SBittroenftanbe lebte, bie Sleufeerung ge*
maegt, jeben dag banle fie inbrtinftig igrem Scgöpfer für bie
goge Gnade,, bafe er fie auSerforen gäbe, in ScgiUer’S Sugenb*
gefegief SWancgcS ju milbern, manege £>ärte uon igm abju*
roenben, oielleicgt fogar $n feiner ©rgaltung etwas beigetragen
$u gaben. Slucg Ottilie üBilbermutg roeife Uon einer Gönner*
fegaft ober befonberen protection ju erjäglen, beren fieg
Scgiller oon Seiten ber Gräfin erfreut gäbe; gier roirb unS
beS Sßeiteren nod) aufgetifegt, bafe Scgiller ein fegroärmerifeger
Percgret ffranjiöfaö getoefen fei unb bafe fid) in 3 ra n^iötaö
tftacglafe einige Gebiegte SegiUer’ö gefunben gatten, in benen
er mit bem mafelofen geuer feiner erften Sugenbergüffe ber
gogen dame biefe SSeregrung auögefptocgen gäbe, ©rgüffe,
roelcge uermutglicg fo toenig bem Iperjog atö ber fltaegroelt
Oor 9lugen gefommen feien. ?llle biefe 9cacgrid)ten finb un*
glaubroürbig unb gegören in baö Gebiet jener mit 3ägigfeit
fortgcpflanjten Scgcnbcn unb anefbotengaften ©r^ägturtgeu,
an benen für Segitler’8 3»genb fein SRangel ift unb bereit
^luömerjung ber ernften Öiograpgie ju fd)affen maegte. ©ö
ift uon gefcgicgtlicgem Stanbpunfte auö ju bebauern, bafe
Saube’ö „Slarlöfcgüler" unriegtigen SSorfteUungen ber gefegil*
betten 3lrt neue Stagrung gegeben nnb fie in weite '-Bolfö*
treife getragen gaben. 9lbet biefeö drama entftellt ja über*
gaupt ben gefcgicgtlicgen Hergang unb ift in bem, roaö eö alö
ÜRitieu giebt, naturloö, wie SBeltrieg fieg auöbrüeft.
doeg genug ber Softproben auö biefer Sfteifterbiograpgie.
3tur eine fegöne Stelle fei noeg getauägegoben: „die literarifege
Sefcgäftigung mit Scgiller ift in neuerer 3 e ^ wieber*
um in lebgafter 3 unfl gme, in einem ftuffegroung begriffen,
bie giftorif^e unö tritifege Ülrbeit, bie an feinen vtamen
gefnüpft ift, gat fieg uertieft unb wirb naeg megreren 9ticg*
tungen gin abfegliefeenb. 3 ronr n °d) niegt ginter uns! liegt
eine Aufgabe, roelcge ber Geistesbildung ber deutfegen ein
Sagrgunbert geftellt gat: mit bem gleicgen Üiaafee ber
Gerecgtigfeit Goetge unb Scgiller, bie beiben Großen, ju
meffen, ben tiefen Gegenfag igrer geiftigen Staturen ju Per*
ftegen unb boeg eines empfängliegen Sinnes für beibe ju
fein. SEBir roiffen, roie oft ßeitftrömungen, parteiroefen, Sdjul*
anfiegten unb perfönlitge Steigungen Scgiller gegen Goetge
unb Goetge gegen Scgiller auSgefpielt gaben; baS ©ine ift
fo falfcg roie baS hindere. @S gat aber ben Stnfcgein, als
ob naeggerabe bie ©infiegt toaegfe, bafe, wenn aueg Goetge
ber Größere ift, Goetge als ©rjieger unb gügret ber Station
boeg ber ©rgän^ung burd) Scgiller bebarf unb wir ben ©inen
fo wenig entbehren lönnen roie ben Slnbern. Sie felbft gaben
fi(g in einein g^unbfegaftsbunb geeinigt, unb ignen naig*
roanbelnb jenen Gegenfag ju überbrüden, ift derer, bie fieg
mit SBortiebe ju Goetge, roie berer, bie,fieg mit SSorliebe §u
Sd)ider befennen, Pflicgt; eS ift ein ©ermäegtnife bet ^etoen."
©inen rooglgelungcnen Perfucg, bie beiben „^eroen" biogra*
pgifcg*!ritifdj im 3ufammengange ju fegilbern, gat neuerbingS
SJtorife ©grlicg in feinem fegönen Pucgc „Goetge und Scgiller“
(Perlin, Grote) gewagt, feine OueHenftubie, aber eine roarm*
gerjige unb feinfinnige darftetlung, ber mit an Stelle ber
ueralteten SBerfe Pon SeroeS unb palleSfe bie roeitefte Per*
breitung roünfcgen. Snjroifcgen möge ber trefflidje SBeltrieg
fein roiffenfcgaftlidgeS Scgillerroerf roeiter fügten unb uotl*
enden, unbefümmert um bie als Popularifirer ober SBiffen*
fd)aftler maSfirten Piraten. Stun roenigftenS fein erfter Panb
uorliegt, werben wogt aueg bie „roiffenfcgaftlicgen" Stiller*
biograpgien, bie bejeiegnenb genug ebenfalls naeg bem erften
Panb in’S Stoden gerietgen, piögticg roieber Stoff gaben
unb fortgefegt werben ... SJföge eS fieg üBeltricg niegt Per*
briefeen laffen!
-HH-
^feuilTeton.
- Watfibrurf verboten.
(Eine Begegnung.
53ott (Högar 2Jöan Poe.*)
Ueberfe^ung t»on 3obanna flT3ttenlioff.
D bu oom ©cftidfal verfolgter, rötbfelböfter ?Wann! Senoirrt
tmrdb bie Suffe betner ^bontafie! ^erje^rt Von ber fonmgen ©lutb
beiner eigenen 6eele! 3m Xraume erfdjeinft bu mir tvieber. 9iocb
einmol erbebt behte ©eftalt fid) Vor meinem inneren 2(uge. 9?tcbt
ettva fo loie bu roarft in ben falten Xbälern unb ben trüben
Debatten biefer Srbe, fonbem toie bu ^äHeft fein follen: ein Seben voll
*) tiefes ^bantarteftücf be§ berühmten amerifanifeben @r^äbler§,
bem bier bie ©eftalt v övron'§ vorgejd)tt>ebt bot, ift nod) nicht tn'3 Xeutfdje
übertragen morben unb fo gut wie unbefannt geblieben.
Digitized by v^ooQie
76
Nr. 5
Die $e$ettttttrL
glänjcnbcr Dräume Derfcpwenberifcp Derftreuenb, in jener Stabt nebcl=
paft fcpintmernber Bifionen, in beinern geliebten Beliebig. 3n biefem
Don ben ©fernen begünftigten ©otterfip beS MeereS. Benebig, baS Don
ben bo^n gcnftern (einer Sßaläfte finfter brütenb nteberbltdt auf bie
©epeimnifje feiner fcpwetgenben (55croäffcr. 3awopl, ich wieberpole eS —
wie bu ^ötteft fein foflen! ©ewift wirb eS anbere ^Selten geben, als
biefe — anbere ©ebanfen, als bie ©ebanfen ber Menge — anbere pptlo=
foppifcpe BetracptungSweifen, als bie (Grübeleien ber ©oppiften. SBer
alfo fönnte öicp tabeln wegen beiner traumoerfunfenen ©tunben ober
wegen jener litten, bie nur als ber überfcpweflenbe ©rguft beiner un=
erfcpöpflicpen Äraft ju betrachten ftnb?
©S war in Benebig, unter bem bebedten Bogengänge, welcher
ben tarnen ber ©eufaerbritde führt, wo ich ä u m britten ober Dterten
Male bem Manne begegnete, Don bem ich pü* tebe. einzelnen
Umftänbe biefer Begegnung tauchen Dor meiner innerlichen Slnjcpauung
nur noch in Derworrenen Bilbern auf. 5lber tn mir lebt bie ©rinne=
rung — ach unb wie fönnte ich baS SlüeS je Dergeffen? — an jene finftere
Mitternacht, an bie ©eufjerbrüde, an bie ©chönheit einer grau unb an
ben ©eniuS ber (Romantif, wie er an ben Ufern beS fcpmalen ©analS
auf unb nieber wanbeite.
©$ war eine ungewöhnlich finftere (Racf)t. Bon ber graften Upr
auf ber Biassa hatte foeben bie fünfte ©tunbe beS italienifcpen ftbenöS
gefchlagen. Der beS ©ampanüS lag in fchweigenber Beröbung
ba, unb in bem alten Dogenpalafte Derlofcpen bie Sichter rafd) nad)=
einanber. 3<P befanb mich auf bem groften ©anal, auf ber $>ciintepr
Don ber Bia^etta begriffen. 5lber als meine ©anbei gerabc ber Münbuitg
beS ©analS Don ©an Marco gegenüber angelangt war, würbe bie ftiUe
(Rächt plöftlich ierriffen burch einen frampfftaft wilben, langgcbehnten
©chrei, ber Don einer weiblichen Äeple auSgeftoften fchien. Durcp ben
Don erfepredt, (prang ich auf, währenb mein ©onbolier baS feiner £>anb
foeben entglittene einzige (Ruber in ber perrfcpeitben ginftemtft auS ben
klugen Derlor, ohne SluSficpt eS rnieber erreichen ju fönnen. ©o waren
wir ber 2Bitlfür bet ©trömung preisgegeben, welche pier burch ben
©intritt beS breiteren ©analS in ben fcftmaleren entfteht. ©leid) einem
groften fdjmarsgefieberten ©onbor trieb unfere ©onbel langfam bahin,
ber ©eufserbrüde su, als mit einem Male in ben genftern beS Dogen=
palafteS unb biß über bie kreppen hinunter taufenb flammenbe gadeln
aufblipten, bie tiefe Dunfelpeit ber (Racpt wie auf einen ßauberfcplag
in übernatürlid) blenbenbc DageSpelle Derwanbelnb.
2luS einem ber oberen genfter beS ftoljen Baues war ein Äinb,
ben Firmen feiner eigenen Mutter entgleitenb, in bie Diefe beS trüben
©analS pinuntergeftürst, unb bie ftiüen SBaffer hatten (ich fchweigenb
über ihrem Opfer gefchloffen. Obwohl meine eigene ©onbel bie einzige
ben Bliden erreichbare war, hatte fiep hoch mancher fühne ©chwintmer
bereits in ben ©trom gewagt, Dergeblicp an ber Oberfläche nad) bem
loftbaten Äleinob ber Dersweifelnben Mutter ju fuchen, welches leiber
nur noch in ber Diefe beS 2lbgrunbeS gu finbeit gewefeit wäre. 2luf
ben breiten fepmarsen Marmorflieften oor bem ©ingange beS (ßalafteS,
einige Stufen über bem SBaffer erhoben, war eine ©eftalt erfepienen,
welche deiner, ber fie bamalS bort ftepen fah, je wieber oergeffen fönnen
wirb. ©S war bie Marcpefa Slpprobite, bie Don gans Beliebig Der*
götterte Dogareffa, — bie £>eiterfte unter ben gropfinnigen — bie Sieb-
licpfte unter allen ©cpönen — aber trop allebem baS jugenblicpe SBeib
beS alten ränfefchmiebenben Mentoni, unb bie Mutter jenes (cpönen
ftinbeS, ipreS erften unb emsigen, welcpeS jept tief unter ben fcplanimigen
SBaffem in bitterer DobeSnotp ihrer füften Siebfofungen gebenfen unb
fein jarteS Seben in frucptlofen Kämpfen erfepöpfen moepte, um ihren
bauten ju rufett. ©ie ftanb allein. 3pr fcpmaler, fcpön geformter,
nadter guft malte fetu blenbenbeS ©piegelbilb auf ben glatt gefepliffenen
fcpwarsen Marmor, auf bem fie ftanb. 3hr £>aar, baS für bie (Racpt
erft halb gelöft unb noch niept Don feinem BaÜfcpmud befreit war,
ringelte fiep, Don diamanten überriefelt, um ipren clafftfcp geformten
ftopf in Soden, wie bie beS jungen ^pacintp. ©ine fdjneeig weifte ©e=
wanbung, wie Don sartem ©etbenflor, fepien faft bie einzige Umhüllung
ihrer sarten ©lieber gu fein. Die mitternächtliche Suft beS £>ocpfommetS
war brüdenb fcpwül unb unbeweglich; ebenfo wenig war in ber, einer
Statue äpnelnben ©eftalt eine (Regung ju erlennen, welcpe bie galten
beS wie auS Duft gewebten ©ewanbeS auch nur leife patte ersittem
laffen. Der fepöne Körper war fo regloS baDon umgeben, wie Don ber
ftarren Marmorgewanbung einer (Rtobe. ©S ift feltfam $u fagen, aber
bie Blide ihrer groften leucptenben klugen waren niept auf bie Diefe,
niept auf jenes ©rab pin gerichtet, welcpeS foeben ipre glänseubfte
Hoffnung Derfcplungen patte, fonbern fie waren in einer gans anberen
(Ricptung wie feftgebannt. 2Bie miep bünft, ift baS ©efängnift ber alten
(Repubüf baS ftattlicpfte ©ebäube Don gans benebig; aber wie war eS
nur möglich, baft bie Blide ber jungen Mutter fo unoerwanbt baran
hängen fonnten, wäprenb bort su ipren güften, tief unter ben fcplammigen
SBaffern, ipr eigenes Äinb mit bem Dobe rang? §lud) ift eS gerabc
ben genftern ipreS eigenen ©emacpeS gegenüber, wo jene Derftodte,
büftere (Rifcpe fiep öffnet. 23aS fann in ben fepattenreiepen SBinfelu
berfelben, in iprer ?lrcpiteftur, in ipren Dom ©ppeu umranften feierlich
ernften ©äulenDersierungen benn noch Derborgen fein, waS bie Marcpela
bi Mentoni niept fepon taufenb Mal suoor angeftaunt pätte? Docp wer
wüftte eS niept auS eigener ©rfaprung, baft tn ?lugenbliden gleich biefen
baS ?luge beS Menfcpen wie in ben ©eperben eines taufenbfaep %n'-
tinimmcrten Spiegels bic Bilber feines ©cpmerscS DerDielfacpt erblirft
unb an unsäpligen, weit entfemten Orten baS wepeDofle Seib s« * r=
• fenuen wäpnt, baS er fo gans in feiner unmittelbaren (Räpe pat?
Mehrere Stufen pöper, als wo bie Marcpefa ftanb, unb innerhalb
ber SSölbung ber Bkifferpforte, befanb fiep in Dollem Slnsuge Mentoni
felbft, an ©eftalt einem ©atpr äpnlicp. ^)in unb wieber in bie Saiten
einer ©uitarre greifenb, fepien er nur eine töbtUcpe Sangeweile ju
empfinben, wäprenb er Don Qtit s u Slnweifungeu sur ^luffucpung
feines ftinbeS ertpeilte. Boiler Beftiirsung unb noch gans entfett, wie
icp eS war, Derfagte mi^ bie £raft sur freien Bewegung, ©o fiiplte id/
miep geswungen in ber aufrechten Stellung su Derparren, wie icp in
meiner ©onbel aufgefprungen war, als ber erfte Schrei mein Opr be¬
rührt patte. Bor ber aufgeregten Menge muftte icp wie eine gefpenflijepe,
unpeiloertünbenbe ©eftalt erfepeinen, als ich fo mit bleicpem ^Intlif unb
ftarren ©liebem in ber bunflen ©onbel Dor ipren klugen bapinglitt.
?lüe Bemühungen sur (Rettung beS ^inbcS waren opne ©rfolg
geblieben. Biele Don benen, weldje fiep bei ber Sluffucpung am aller;
eifrigften gezeigt patten, crfcplafften in ipren Slnftrengungen unb gaben
fiep einer büfteren Berftimmung pin. ©S fepien für baS Seben bc$
SiinbeS nur noep wenig Hoffnung ba s« fein; wie Diel weniger noep für
baS $>ers ber Mutter! Docp fiepe! &uS bem ^intergnmbe jener
finfteren (Rifcpe, Don ber fepon bie (Rebe war, unb welcpe, $u einem Dpcil
beS alten ©efängniffeS ber (Republif gepörenb, ben genftern ben Marcpefa
gegenüber lag, fepritt plöplicp eine tief in einen Mantel gehüllte ©eftali
perDor. ©ie trat in ben ÄretS ber Beleuchtung, unb einen Wugenblicf
am (Ranbe ber jcpminbelnben Diefe Derweilenb, ftürjte fie fiep mit rafepem
©cpwunge in bie SBaffer beS ©analS hinunter. 2ilS fte fepon im näcpften
Slugenblirf, baS noep lebenbe, atpmenbe Slinb in ben Firmen paltenb,
neben ber Marcpefa auf ben Marmorflieften erfdjien uub ber Dom SBafjer
getränfte Mantel fiep löfenb, in fcpweren galten su ipren güften niebeT;
fiel, ba erfannte bie erfiauntc Menge in biefer fepönen ©eftalt einen
noep fepr jungen Mann, ber fepon bamalS ben gröfteren Dpeil ©uropaS
mit bem itlange feines (RamenS erfüllte.
(Ricpt ein SBort tarn über bie Sippen beS füpnen (Retters. ?lber
bie Marcpefa? ©ewift wirb fie jept iprem Äinbe bie 9lrme entgegen;
ftreden, wirb eS an ipr §ers brüden, wirb ben fleinen Körper um;
flammert palten unb eS mit ipren Siebfofungen su erftiden bropen.
Docp nein! Anbere ^äitbe paben eS bem gremben entnommen, anbere
kirnte paben eS umfcplungen, um eS unbemerft weit pinweg in ben
Balaft su tragen. Unb bie Marcpefa? 3pv Munb, ipre feinen Sippen
Sittern, Dpränen famnieln fiep in ipren jepönen ?lugen — in jenen
Digitized by v^.ooQle
Nr. 5.
Ute Gegenwart.
77
klugen, melepe gleid) bem SlcantpuS beS piitiiuS fanft unb faft oon
burepftcptiger ßlarpeit ftnb. ga, Xpvänen fammeln ftc^ in biefen klugen,
unb bic ganje ©eftalt erbebt bis in’S Riart hinein, — bte Statue ift oont
SßulSfeplag beS SebenS burcpjucft. $aS bleiche Rtormorantlife unb ben
fepmedenben Rtarmorbufen, ja fogar ben jepneeigen Rlarntor bet güfee
fepen wir plöplicp erglühen, als ob ein geuerftrom fte burepflutpe.
©in leifeS Schauem umfpielt ben jarten Körper, wie Neapels meiepe
Süfte bie üppigen $M<pe bet Silberlilien im ©rafe umfäufeln. Sarutn
roopl bie junge grau erröthen mochte? 3)aS ift eine grage, auf bie
e$ feine ?lntmort giebt, wenn nicht ettoa bie: bafe fic in ber plöfclicpen
©eftürjung unb in bem erften Scprecfen beS RhttterperjenS, tuomit fie
bet füllen Xraultepfeit tpreS ©entacpeS enteilte, niept etft mit ihren
garten güfeen in bie Pantöffelchen gejeplüpft mar, unb ebenjo menig
batan gebaept patte, übet ipre petrlicpen Schultern bie fcpicflicpe £üde
ju merfen. Selcp* eine anbete ©rflärung hätte eS beim geben fönneu
für ihr plöplicpeS ©rrötpen? güt beit leibenfcpaftlicp flepenben Plicf
bet fepönen Rügen? gür ben ftürmifepen Rufrupr ber heftig mogenben
SBxuft? güt ben frampfpaften 3)rucf ber jitternben £anb? — gener
4>anb, bie, als Rtentoni in ben Palaft jurücffeprte, mie jufädig, fiep
auf bie Hanb beS gremben fcpntiegte. Selcpe ©rflärung fonnte eS für
ben leifen — ben jo eigentümlich leifen $on jener bebeutungSlofen
&orte geben, melcpe oon ber jungen grau paftig fliifternb ju ipm ge=
fproepen mürben, als fie fiep Oon ipm Oerabfcpiebete? „$>u paft gefiegt"!
fagte Tie, menn niept baS ©eräufcp ber Saffer miep feltfam täufepte.
„^u paft gefiegt! ©ine Stunbe naep Sonnenaufgang merben mir uns
treffen-fo füll eS fein!" (Scpiufe folgt.)
Jltt5 ber i>auj)tflabt.
Die Mröbergeljettbe <Erfd>etmtng.
©anj begeiftert pob bet Rbgcorbnete für SacfermannSau fein frifcp
gefülltes SectglaS unb ftimmte in ben Ruf ein, ber braufenb um bie
Xafel ging: „Äaifer Silpelm II. — purrap, purrap, purrap!" $ie
auS poetifeper Septoärmerei unb eiSfaltem Raffinement feltfam gemixte
gfeftrebe beS Präfibenten ©raf Padeftrem patte ipn im gnnerften er=
regt, ipn mie alle feine Racpbarn, unb bie monarepifepen ©efiiple, bie
er für gemöpnlicp in beS PufenS $iefe fcplummern liefe, oom 0epein=
tobe aufermeeft. $er Pertreter beS Greifes SacfermannSau mar in ben
9fteiep8tag gefommen, et mufete fetber niept mie. Seine Partei patte ipn
a(3 Bäplcanbibaten, als puren, otbinciren gäplcaubibaten aufgeftedt, unb
ber Herr ßäplcanbibat mar bamit einoerftanben gemefen, meil er oon
bet regen Agitation, bie bie Partei fiep bei ipren Rütteln leiften fonnte,
erfpriefelicpe Reclame für fein ©efepäft erpoffte. Unb bann mar er in
ber Stiepmapl plöplicp $u allfeitiger peinlicher Uebettafcpung burcpge=
brungen. Smtäcpft patte et entrüftet ablepnen mollen. ©pte folcpe
fjoppetei brauchte et fiep niept bieten $u taffen. Schließlich aber fiel
ipm ein, bafe et ja opnepin bie ReicpSpauptftabt in gemeffenen 8mif<pen=
jpaufen befugte, um oon Seit $u 3 c *t menfcplicp effen unb baS Rülieu
bet lex ^einje ftubieren $u fönnen. 5)a3 Rtanbat gemäprte ipm freie
gaprt erfter ©laffe jmifepen bem peimatplicpen Stäbtcpen unb Perlin,
gleichzeitig auep eine famofe RuSrebe, ber fogar feine befremblicpev Seife
immer pöcpft mifetrauifepe HaitSepre fiep beugen mufete. RuS biefen
©rünben befcplofe ber Ueberliftete, gute RUene jurn böfen Spiet ju
ma^en. ®t mieS im $retSblatte bie ©efcpäftSfreunbe barauf pin, bafe
fie niept nötpig hätten, in golge)feinet SBapl ipre fcpäfcbaren Aufträge
bet ©oncuttenj ju überfepreiben. ©t merbe mir an ben mieptigften ?lb=
fttmmungen in Perlin tpeilnepmen unb auch bann immer mieber früh*
zeitig mit bem erften Riorgen^uge naep ^BacfermaitnSau gurücffeljren.
^)a er als ReicpStagSabgeorbneter bie Ä'often für bie Papnfaprt etfpate,
fei er in ber glücfücpen Sage, feinen Äunben alle Perliner Slrtifel billiger
als jebe ©oncurrenj liefern ju fönnen.
2)er ©rmäplte oon 3BacfermannSau fam ben Oornepmftcn Pflicpten
eines PolfSoertrcterS mit ©ifer naep. ©r gab feine ßarte beim Ober*
fjofmarfepafl unb beim ReicpSfanjler ab, marb auf jebem Parlamentär
rifc^en ?lbenb in bet Räpe beS PüffetS gefepen unb oerfäumte mebet
baS Stettiner Xaufeffen ber „^eutfcplanb" noep bie ©aoiarprobe im
?lguarium. ?lucp bem geftbiner, momit ber ReicpStag ÄaifetS ©eburtS*
tag feierte, mopnte er ftanbpaft bis jur Seerung ber grueptfepate bei.
Seine graction patte fiep in früheren gapren Oon bergteiepen Pcran=
ftaltungen fern gepalten. Sie oerleugnete niept Oödig bie ©trangen*
fepaften Oon 1848, unb aufeerbem mar bamalS Rubolf Rloffe noep ntept
erflärt fönigSfreunblid). Seitbem patten fiep inbefe bie tln^eicpen bafür
oermeprt, bafe langfam jmar, boep fieper eine entfepieben freifmnige ?lera
peraufjog. Unb peute, mo fämmtlicpe RÜtglieber ber graction — ein
fonft nie eintretenber gad — um ben £ifcp beS £>aufeS Oerfammelt
maren, lopte gerabe auS iprer R?itte ber pedfte ©ntpuftaSmuS, bie reinfte
Siebe für baS gefrönte ©eburtStagSfinb empor. Sie angenepm jepaart*
eS fiep bei SpitftableS, .^ängurufcpmanj=Suppe, gafan unb south down
um eine geiftige Stanbarte! ?US ©raf Padeftrem oon ber großen
gnbioibualität unb ben großen gntentionen beS perrlicpen ^aiferS
fpraep, baoor ade Seit in Pemunberung oetfunfen ftänbe, fupren
bie XemperamentOoden unter ben Radiirten jauep^enb oon ipren Sifcen
auf. Unb fie maren 9ldc temperamentOod. 3lm lebpafteften geberbete
fiep ber Slbgeorbnetc für SacfermannSau, ber jept fogar, in lopaler ©r=
innerung an bie ©nglanbfaprt, mit Pergnügen einen Peitrag für bie
Hinterbliebenen ber am Spionfop gefadenen Xommp HtfinS gejeiepnet
pätte. —
Sein Radbbar jur Sinfen fließ fröplicp mit ipm an. „Selcp’ er^
pebenbe Stunbe!" fagte er. ,,©S ift bie glängenbfie unb anregenbfte,
bie tep je im Reichstage erlebt pabe." ^5)a ber H^rr noep nie Oorper eine
gange Stunbe lang im ReicpStag gefepen morben mar, liefe fiep über
feine Pepauptung niept ftreiten. „Sie eine Offenbarung mirft biefer
Slbenb auf miep. Sie miffen, i<p bin etmaS nationalfocial angepauept.
($>er Pertreter Oon SacferntannSait mufete baS niept: er erinnerte fiep
fogar fepr beutlicp, bafe ber Sprecper früper bringenb oerbäeptig gemefen
mar, bem Punbe ber Sanbmtrtpe nape ju fiepen. ÄtferbingS patte feep 1
ber Punb feitbem manepe bebeutfame ©unft Oerfeperjt; Oiele feiner greunbe
maren gemaferegelt, anbere fogar oom H^flager Oerbannt morben, meil
fie adju ernftpaft an ber auep oom ReicpStagSpräfibenten ©raf Padeftrem
mit Recpt üerläfterten conftitutioneden 5)octrin feftpielten.) „Sie miffen,"
fupr ber Rationalfociale fort, „bafe icp miep meiner neuen unoerbrücp?
liepen lieberjeugung erft oon ber Stunbe an erfreue, mo Se. Rtojeftät
ben Stumm’fcpen Stanbpuntt aufgaben unb bie Rationalfocialen ftdp
gpnen näperten, inbem fie burep Pfarrer ^öpfcpfe'S Rlunb ben Slnfcplnfe
an ben Pauernoerein Rorboft empfaplen."
®er SacfermannSauer patte oon biefer piftorifepen 5:patfacpe feine
Slpnung, pielt eS aber für geboten, mleberpolt mit bem J^opfe $u niefen.
„SaSj^og miep fo übermächtig $u ber lleinen ©ruppe pin?" fragte
ber Slnbere unb fap ben Racpbar perauSforbemb an, ber oerlegen fein
©laS leerte, meil er abfolut unfäpig mar, eine paffenbe Slntmort gu geben.
„Run, maS fonft als bie Siebe jur glotte! H c «te ift eS ja fepr
leiept unb einfach, ben R?arine = 9lmant ju fpielen, peute ift bie Sacpe
fojufagen Sertpeim=Rlobe, Ramfcpartifel. Slber icp Oerfcpmäpe eS, mit
ber Rtaffe ju gepen. Unb eben barurn fcplofe iep miep ber fleinen ©ruppe
an, bie feit fecpS gapren ben glottengebanfen förbert. ©lauben Sie
mir, ipr gepört bie 8 ll hmft!"
„Sofern fte eine gufion mit ber greifinnigen Pereinigung eim
gept, aderbingS", glaubte ber SacferntannSauer bemerfen $u joden.
„Sepen Sie fiep nur an ber $afet um!" fupr ber glottenfreunb
mit erhobener Stimme fort. „Sopiit Sie bltcfen, lauter Anhänger ber
ScpiffSoerboppelung. ©inige Jägern unb fepmanfen noch, aber mirflicpc,
*
Digitized by v^.ooQle
78
Die Gegenwart.
Nr.
5.
entfdßoffene Siberfadjer finben ©ie feine. 3<b wifl mid) nid)t als
Prophet auffpielen, aber baS glauben ©ie mir: ber SReidjStag ber 3^=
funft wirb aufammengefe|)t (ein wie biefe geftgefeßfdjaft. ©agen ©ie
mir, waS fällt 3^nen bot Ment an ihr auf?"
$)em Snterbeütrten würben’? biefe Derawicften gragen nach bem
iiebenten Glafe ©ect ganj unfagbar Iäftig. 2>od) jmang er fid) ju einem
Säbeln, ba er feinen *Rad)bar für einen fommenben Wann ju galten
begann, für einen jener $aljlreid)en ©treber, bie ber SReidjStag nach
Mfidjt beS Grafen SBaßeftrem auSftrecft, um bie füfjn etnporragenbe
©pifce beS SDaiferthumS ju ftüfcen. „Gigentlidj nichts!"
„0! ©enterten ©ie nid)t, bafe fein ©ocialbemofrat unter unS
weilt?"
„Mer baS ift bod) jelbfiDerftänblidj!"
„©elbftDerftänblicf)? Weinen ©ie? 3<h fann 3huen n Ur fagcn,
mit biefer Mfdjauung fteT^en ©ie fogar in Sb^er gractioti, bie getuig
aufrechte Wänner unb gerabe dürfen in Süße birgt, feljr berelnjelt ba."
$>er SacfermannSauer erfdjraf. Unb ber ljevbe $)eup & Gelber^
mann fdjmecfte ihm plö^lic^ wiberlich füfe.
„©e. Wajeftät finb ber ©ocialbemofratie weit entgegen gefontmen,
inbent fie fie eine Dorübergebenbe Grfd)einung ju nennen geruhten, bie ftd)
auStoben mürbe, SRidjt immer batten ©e. Wajeftät biefe milbe unb Der=
(ähnliche Mffaffung. Renten ©ie an baS Sort Don ber (Rotte Wenfdjen,
bie nicht mertb feien, ben beutfdjen tarnen ju tragen; an bie (Rebe, bie
ber Monarch juft Dor 3ab r ^frift auf bem ©ranbenburgifdjen (ßroDin= i
giallanbtage hielt unb worin er baDon fprad), auf bie^^b^ erc S u gehen,
bie bie Sudeln ber (Retd)Setd)e benagen, unb fte auSjurotten. ©3 ift
unDev^eiblicb, bafe bie ©ocialbemofratie fo wenig biplomatifcheS Gefdptf
befifct unb fid) bie Sanblung in ben faiferlichen Mfd)auungen nidjt
ju 9hifte macht, ©eien ©ie überzeugt, wenn beute wenigfienS ein
$aar Don ben Seuten hier angetreten wären, um fo ben guten Sißen
ber Partei au bezeugen, ober wenn fie jept Wann für Wann bie neue
glatte bewifligten — wir Wobernen hätten Oberwaffer, unb eS gelänge
un8, bie conferDatiD=agrarifd)e (Reaction unb (Rebeflion enbgiltig §u er=
würgen. Met leiber — bie ©ebel unb Genofjen haben nichts gelernt
unb nichts Dergeffen."
,,©ie werbenJbaS Sort Don ber Dorübergeljenben Grfd)einung felbft
für eine Dorübergebenbe Grfdjeinung halten."
3>er fommenbe Wann lehnte ftd) behaglich weit in feinen ©tul)l au*
rücf unb liefe bie ©liefe über bie glänaenbe ©erfammlung fdjweifen. „Sieber
greunb — barauf fommt hoch im Grunbe wenig an. Genug, heute
bietet ftd) unS eine unerhört günftige Gelegenheit, ben ftatfer au bem
©djritte au Deraitlaffeu, ber nötljig ift, ber fornmen mufe, ben er auch
felber thun wiß unb Don bem er bisher eigentlich nur nod) auS Pietät
abgefebetv hat. ?ld), hätten wir mehr (ßolitifer Don ber Mt unfereS
Derehrten (ßräfibenten, Seute, bie ihre mobernen Mfchauungen bem ftaifer
munbgeredjt au machen Derftehen, beren UeberrebungSfunft 3abot unb
GScarptnS trägt! Manches läge anberS! GS ift hoch flar, wie bie 3)inge fid)
einmal entwicfelt haben, geht eS mit ber Herrfdjaft beS geubaltStnuS unb
ber ©eraärtelung beS ftgrarierthumS nid)t lange mehr weiter. Sir müffen
ben Uebcrgang auin 3ubuftrieftaate, ber thatfäd)lid) längft eingetreten ift,
auch afficiefl Doßaiehen. $)ie faiferlidje (ßolitif fteuert bahin. Glauben
©ie benn, gürft Hohenlohe habe auf bem Geographentage auS eigenem
Antrieb baS Sort gejprodjen, bafe bie ©ünbifefeen unb ihre £>ülfStruppen
fo übel Dernterft haben? Glauben ©ie benn, bie ftolaen faiferlichen
träume Dom Gröfeeren 5)eutfd)lanb unb beutfehev Seltpolitif wären er=
füflbar, wenn unfer Gjport ftd) auf SBrufeu, Gidjorie unb^artoffeU
fdptapS befchränfte? GS giebt in $>eutfchlanb feinen wärmeren, iiberaeugs
teren Anhänger beS GebanfenS, bafe wir mit allen Mitteln ben Söeltmarft
erobern müffen, als Wilhelm II. Sängft fdjou hat er mit fteigenbem
llnmiflen ben aähen unb trofcigen'Siberftanb Dernterft, ben bie länb=
liehen Vertreter ihm ttnb feilten 3bealett entgegenfteßen. f doppelt rei^t
feinen geredjtcn Qoru ihre cigenfiuitige Cppofition gegen ben granbiofen
Sanalplan; unb bafe fie nur lau unb halben &craen3 für bie fylotte
finb, ift tlpn ebenfaßS nicht entgangen. 3)ie inneren Sewcggriinbe, Don
benen bie Herren fid) leiten laffen, fennt er baau recht gut, unb biefe
$enntnife ift ihm ein noch fcfeärferer ©tachel in bie ©eele. Gtnmal roitt
man bie gortfefcung ber beutfehen ©eltpolitif, bie bod) 3BilheImII.
fo fraftDoß inaugurirt hat, unmöglich machen, unb aufeerbem ber firone
feine Wacht 2Beld)e Don beiben Söeleibigungen wirb ben Äaifer
wohl tiefer fränfen?"
„^IßerbingS," antwortete ber SBacferntannSauer auf biefe neue
rhetorifche 3rage.
„Unb nun bebenfen ©ie gefäßigft, waS für ein Mblicf ftd) tnt
Gegenfap a u ber nebelgrauen oftelbifchen Sanbfchaft bem Wonarchett
bietet, wenn er auf bie ladjenben Gefilbc beS neuen SiberaliSmuS
fchaut, ber 1 um ber |>errfchaft SBißen mit ßunftljanb fünf gerabe fetn
läfet unb echt bafleftrentifch auf aße conftüutioneßen Sa^en Deraichtet.
SBeltpolitif — hurrah’. 2)ie glottenDergröfeerung — hurrah! Groberung
beS SSeltmarfteS — btyb htpp hurrah! Unb nun gar ber Wittellanb=
canal! $aben wir ihm a n Siebe nicht ben lebten fReft unferer alt=
liberalen Geftnnungen abgeftreift, Seftrafung unb ^)ienftentlaffung ber
Beamten oerlangt, bie pfiichtgemäfe — ©ie Derftehen mid) recht, nach
ihrer Ueberaeugung pflid)tgemäfe — gegen ihn ftimmten? ^Ktben wir
nicht bie Regierung StbenbS unb WorgenS aum SSerfaffungSbruche gehest,
wir, bie Siberalen? Wit Seib unb ©eele ftehen wtr aum neuen Surfe,
ftüfcen ihn burch unfere treffe, leiften ihm jeben grohiu unb ©daoen^
bienft, ben er begehrt. 5öemt ber Wonard) tro^bem noch nicht unfere
geiftige ©tanbarte aufgepflanat unb fid) an unfere ©ptfce gefteßt hat, fo
liegt baS aßeitt an unferer ©chwerfäfligfeit. Sir finb nicht im ©taube,
ihm bie Derläfeliche Wehrheit au bieten, bereu er Durchaus bebarf, wenn
ber Srelbaug gegen ben rüdftänbigen SlgrarconferDatiSmuS erbarmungslos
unb erfolgretdrauSgefocfeten werben fofl. Sir hungern nad) ber politifchen
Wad)t, wir mobernen Siberalen; wir haben ein Wecfet auf fie, benn wir
finb bie wirthfchaftlid) Ueberlegenen. Unb hoch aerfefeeßt ?lüeS an unferer
politifchen ©chwädie."
^em Vertreter für SadermannSau imponirte fein ^adhbar immer
unjäglid)er. Gr bot ihm eine Don ben Gigarren an, bie er bem Soljl-
woßen beS üppigften 9iaud)er3 ber graction Derbanfte.
,,3d) begreife," fagte er. „‘DaS §inbernife ift bie ©ocialbemofratie."
„SaS ben Ganal anbclattgt, fo hat fie ja waefer für unS gewirft,
eine wißfommene 5>ülfStruppe, unb unS oben mehr Mfefjen Derfchafft,
als wir auS Gigenem je hätten erringen fönnen. Mer bie glotte!
Unb biefe intranfigente Haltung in ber gönn, währenb fie in ber ©ad)e f
in bem Sunfch, bie Oftelbier au aerfchmettern, bod) mit unS einoerftanben
ift unb fein mufe! Neulich, als ber ^räftbent bie ^rauerfunbe Dom
Ableben ber $aiferin-Wutter mittheilte, machten fie einen erften Sscrfuri),
fid) artig au betragen, unb er fab recht bübfd) auS. Mer Don HaifetS
Geburtstagsfeier gefliffentlid) fern a u bleiben... ©djabe, eS a^tftört
wieber blütbenaarte Hoffnungen unb Gntwürfe. GS hätte oben eine
noch friebfertigere ©timmung berDorgerufen unb unS ^erfpectioen er=
fchloffeit . . . ^erfpectioen —"
„Wir fcheint bod) — Wajeftät unb ©ie felbft, uerehrter
Goüegc, .untcrfchä^en bie tumultarifdje Unbänbigfeit unb Gefährlich^
ber ©ocialbemofratie!"
•3)er ?lnbere lächelte fehr überlegen. „Wit ©peef fängt mau Wäufe.
^er Slanonenheine aum ^eifpiel, glauben ©ie benn nicht, bafe ber Saft
hätte, ben beutfehen Wißeranb au mimen? Nachher a^h* man ^ öl,n
anbere ©aiteit auf." Gr griitfte förmlich Dor greubc. „Glauben Sie
mir, eS banbeit fid) hier thatfächltch nur um eine Dorübergebenbe Gr*
fcheinung. Nichts ift nadiher evforberlid) als bie eijerne gauft. Wit
©corpionen, nicht mit ^Ruthen mufe ber Umftura geaüdjtigt werben.
3ch fepe ben gaß, wir gewönnen bie ©ocialbemofratie als 93unbe&
genoffen für beit fantpf auf'S Weffer, beit wir mit bem ^Igrariertfjnm
au befielen haben; ich fefee ben gaß, wir aerftörten mit ihrer Hülfe
ein für alle Wal bie politifdje Wad); OftelbicuS unb fänten an f $
9iuber, ohne nod) einen 9iütffd)lag befürchten au utüffen',; fo bafe
Digitized by v^.ooQle
Nr. 5.
(ftcgritnuirt.
79
bann als geinb beS neuliberalen ©ebanfeuS, bei* börfencapitaliftifcfeen
2Birtbfd)aft$orbnung, nur unfere SSerbünbcte von geftern, bie SociaU
bemofratie, bie 2(rbeiterclaffe übrig bliebe. 3a, trauen Sie benn
liberalen Staatsmännern nicf)t ben 93?utfe ju, 3 u ä)t6auSgefepe §u geben
unb 3 uc Wäujer bis jum 9?anbe ju füllen mit miberfeaarigen perlen,
bie burcf) ben ©eroerffdjaftSrummel unb burcf) Streifs unfere blüfeenbe
5luSfubr=3nbuftrie geführten? 28 ir mürben ben Profit nid)t antaften,
unfere gonbSbörfe nicht tagtäglich beunruhigen unb flau machen taffen
burch eine jügellofe, begehrliche Proletarier* 23eroegung. 28ir mürben
bie Staatsmänner fteßen, bie eS heute nicht giebt, roeil unter ben 23?t*
niftern ber alten Schule noch immer bie Sentimentalität gvaffirt, meil
man hier noch immer im Arbeiter ben Stammes* unb PolfSgenoffen ehrt.
9?un, baS hüben mir 93?obenten Gottlob nicht nötljtg."
„3*pt oerftehe ich," meinte ber Störer unb neigte ftd) bemnnbernb.
Caliban.
Dramatische ättpljriiit&en.
„TaS ^Bärenfell". Sdjroanf von ©uftav $abelburg. (Ägl. Schaum
jpielljauS.) — „Saftnacht." Scfeaufpiel von 9?id)avb 3affe. (ßeffing*
Tljeater.) — „Ter golben e $ä f ig". Scfeaufptel von gel iy ph11ippi.
(^Berliner Theater.)
©ine Von 9?arrenljänben befdjmiertc ©ppSbüfte, einige ©igarren*
fiften unb ©ognacflafcfeen, ein Paar alte Stiefel, eine Pagobe, etliche
leicht umjumerfenbe Stühle, ferner ein Koffer, halfen unb Uhren —
baS ftnb, menn ich eS reept im ©ebäcfetitife behalten habe, bie ©egen*
ftänbe, morauS £>err töabclburg feinen neueften uralten Sd)maitf
Zufammengcfept hat. ©ppsbüfte, ©igarrenfiften, ©ognacflafchen, alte
Stiefel, Stühle, 23alfen, Uhren, Pagobe unb Koffer — baviu beftefet
ber 28ip unb bie bramatifche .^anblung eines TicfetermerfeS, bem Von
ber 3ntenbanft ber hiefigen föniglichen Schaufpiele bie ehrenvolle 9luf*
gäbe juertheilt morben ift, bie mahrfcheinlid) ftattlidje 9?eifee ihrer
literarifchen Seiftungen int ^manjigften Sahrljunbert ju eröffnen, .frerr
tfobelburg bebeutet ohne £)crrn Plumentljal foviel mie .£>err 23lumen*
tljal ohne .fperrn ftabelburg, nämlich nidjtS. 3a ihrem gaöe ergiebt
fid) erft auS ber 2lbbition ^meier Nullen eine ©inS.
CSfar Sölumenthal mag meiblidi gelacht haben, als er von bem
Schmant feines greunbeS ßunbe erhielt. 21 ufeer ihm aber rvirb „TaS
Bärenfell" 9?iemanb in bie je angenehme ©etnüthSberoegnng verfemen,
.perrn $abel6urg fiel eines TagcS, mie gcmöhnlich, nichts ein, unb
pleid) fchricb er brei Stete um bie fehlenbc Sbee herum. Ter üblirije
©rbonfel geht fterbefraut itad) bem Siiben, unb bie ©rben niften ftd)
fofort in feine leerftehenbe 23illa ein, mo fie, bie angeblich gebilbetcu
93?enjd)en, mie bie £>unnen häufen. Selbftvcrftänblid) fehrt ber Cnfel
öollftänbig gettefen jurüd, hält bem befdjämten ©rb*Pöbel eilte berbe
Paufe unb beivathet icfeliefelid) eine rüftige 28ittib, um jo alle ihre Hoff¬
nungen zu SBaffer ju machen. 23?an foü baS gell beS 23ären itid)t
eher thcilen, alS bis er erlegt ift. Schabe, bafe einem ber feübfcfee gibel*
Sinnfhruch burch ^abelburg'S brei Siete fo völlig verefelt mirb. Unb
fefeabe, bafe btefelbe SBitfene, auf bie bod) einmal Sd)ifler 7 S 2Bort von ber
moralifchen Slnftalt zutraf, jept ihren 23eruf bahin aufjafet, $abel*
burgtfehe 23?oral ju lehren.
2$on bem Tirector beS 23?i'mchner SchaufpielfeaufeS verlangten bie
geriebenen 28eifeen Üföfelseichter 12,000 23?arf Honorar für bie bisher
allenthalben burdigefallcne govtfepung beS ©iefeefe Schmarrn, unb als
ber arme 23?ann fid) gegen bieje bveifte gorberung mit ber befd)eibenen
23egrünbung mehttc, er fönne hoch fogar feinem anfpvud)Slofen Publi*
cum baS Stücf nicht öfter als vier bis fünf 2J?a( vorjpielett, ba ant=
roortete mau ihm: „Tann gtvingen Sie baS Publicum, iitbent Sie
baS Stücf ohne Unterbrechung gtuei 2)?onate lang auf bem SKepertoir
laffen. ©in Theaterbirector muß eben verftchen, fo ein Stücf in
Sdjroung ju bringen." 3ebcS 28ort DSfar ^lumenthal, mie er leibt
unb lebt. Seine 23erlincr $unft=Sd)menime, über bereu angeblichen
Setter er unbarmherzig bic fßaragraphen=5)ieitjche fchmingt, arbeitet lange
fd)on nach bem preiSmerthen principe, unb cS ift fein gutes 2?ed)t, fein
eignes Skater ju verfchanbcln. 5)afi es aber nötljig ift, baneben itod) eine
jmeite berliner ©iihne in ben 5)ienft ber rührigen girnta zu ftellcn unb
iht baburdj bie ^üptruitg ber Provinz noch mehr zu erleichtern, baS
barf biEtg bcztoeifelt merben. 23efonbcrS, meint biefe zmeite 23ühne von
bem preufjifchen Könige fubventionirt mirb unb fid) feines föniglichen
2?amenS bebient. ©S ift zu puffen, baft ber 23?onard) zum alten ^)of)en=
Zollem’fchen trüefftoefe greift, fobalb er einmal bie 3eit finbet, fid) ben
Scfjanbflecf näher anzttfehen, momit bie ^lumenthal=5?abclburg 7 jchc .J)alb=
toelh3)?ufe baS ehrmürbige öauS am ÖJenSbarnteitmarft befchmupt hat.
3u ben unvorftchtigen 5)id)tern, bie aüer 23arnungcit unerad)tet ihre
J^aterftücfc nod) in bie 23lumentl)nlia tragen,igehöven bie Herren 3 a ffo
unb 2?ubolf Strap, — ober eigentlich nur ber 2$erfaffer beS graulichen
Signoreöi=23ilbeS, benn ber fehr begabte ^eibelberger Schriftfteller Strap
hat zu biefer §>albbid)tercompagnie bloft feinen alten Seihbibliothefen*
rontan „2(rnte Xfjea!" als Vorlage geliefert. 3aff^ bramatifirt ihn fo
grünblid), bafe er nicht mir ein zmetactigeS Sdjaufpiel barauS fchneibert,
fonbern auch nod) ein Sßorfpiei „5)cr SluBenfetter", ben bie -Theaters
cenfur fnapp vor ber Slufführung verbot.. 5)aS übrige Stücf hätte fie
aud) gleich behalten Tonnen, benn bie 23üf)nenbefanntfchaft lohnt fid)
nicht. 2BaS in 2$racco’S „Pietro ©arufo", ben 3 QCC °ut nach ®etlin
brachte, in einem fchlagfräftigen einen Siet abgehanbelt mirb: ein öer*
lumpter SSater crjd)ieRt fid), um bem ©lücfe feiner Xodjter nicht im
28ege zu flehen, — bazu brauchen SBlumenthal'S dichter einen längs
mierigeu Vornan unb einen ebettfolchen Xheaterabenb. 53a& ber noble
23räutigam, ber ben compromittirlichen Schmiegervater faltlächelnb in
ben Xob treibt, ein ©fei ift, ber eher felbft eine $ugel verbient, als bie
£>anb ber lieblichen Sfiea, bic mit ihm gemi& ungeheuer gliicflich mirb,
baS fann nur ber OkfühlSrohheit fühl rechnenber fiiteraturfpeculanten
entgehen. 55ie vielleicht beabsichtigte Satire auf bie vornehme 28elt unb
ihre anrüchige SpieU unb Sponfehrfeite — ber $apa mar früher Slgent
eines 28ettbureauS —, bie pifante 23?ilieufd)ilberung unb baS ©hatafter*
ftücf gehen in einem 23rei von Führung unb falfd)er Seitfation unter.
5)ie Slufführung mar fd)on bösartig. IBefonberS ber bemährte Sonntag*
nad)mittagSprebiger mit ben Jhinftpaufen, £>err Slbolf $lein, jammerte
unb grimafftrte, bafe eS einen Stein ermetchen fonnte, liefe aber hoch
fogar baS SonntagSpublicum falt. ^ropbem conftatiren 23lumenthal T S
23?itverfd)morene im berliner Tageblatt einen „ehrlichen" ©rfolg. 5)iefe
©hrlidjfeit mirb, bis biefe geilen erfd)einen, mohl auch fdjon am längften
gelebt haben.
2lud) beim berliner Theater hat man, fauftifch gefprochen, baS
23?ifebehagen beS QJefühlö. 2?temanb metfe, mer boil Äod), mer Redner
ift, unb bei ment ftd) bie Äritif über bie bramatifepen 23ettelfuppen zu
befchmeren hat. bie bort zu haben finb. 5)irector $rafd) ift gegangen
morben, unb s £aul Sittbau, ber mit viel febönen 9?eben unter bem bei*
fälligen 9?aufd)en beS iölättermalbeS baS Scepter ergriff, ift aud) heute
nod) nicht iirector. pfeifen eS hoch bie Spapen von allen Fächern,
bafe ihm bie fittenftrenge s $vlizei bie ©oitceffion nod) immer vermeigert.
5)ie Theaterzettel verfchmetgen barttm aud) ben 9?amen beS SeiterS, unb
nur verjepämt erfd)eiitt er zumeilen hinter ber 9?otiz: in Scene gefe&t
von . . ., zumeift bei 21ovfteQungen, beren ftch baS 23erlincr Theater nicht
Zu berühnten braud)t. So bei gulba=23?olifcre , S Tartüff, bem ^peine*
unb bem 3ahrhunbert = &eftfpiel, — alles Snfcenirungen, bie uitS be=
meifen, bafe Sittbait boep nicht lauge genug bie fünftlerifche Suft
23?ciningeuS gcathmet unb zu lange in $ö'pfd)enbroba geroeilt hat. 3*ür
ben iächfifdien 23?arftflecfen pafet aud) ber ^^tlippUSiberib beffer, als für
bie 2?eid)Shauptftabt — fo Stücf mie Tarftellung. Ter fingerfertige
Theatralifcr ift von feiner Vorliebe für bialogifirte Seitartifel unb ßocal*
nadirid)ten nod) immer nicht curirt, unb nichts bereitet ihm eine größere
greube, als menn ipm ein naiver 3 u id)auer fagt: „3^h hab 7 erratfeen
— Sie meinen mit bem 28ohltfeäter ber 23?enfd)heit Scfemeuiitger unb
fein ftirchfeofabcnteuer!" So feat Philipp! uaefe einanber alle möglidjen
„hodjaetuellen" Stoffe ber TageSgefd)id)te in „picanter" SSerfcfeleierung
auf bie 23iifene gebracht, zulept fogar ben ©onflict beS jungen ÄaiferS
mit bem alten 2M$ntarrf („TaS ©tbc"). TieSntal fructificirt er in feiner
gefchmadvoflen 21 rt ben internationalen ^pofflatfcfe. ©in in ber feofeen
unb nicbereit s $olitif bemaitberter 3ufchouer neben unS brummte mäferenb
ber SSorftetlung bie verfefetebenartigfien Teutungen unb Söfungen Vor
fich fein: „Kronprinz granz gerbinanb ift gemeint! 9?ein, ^ronprinzefftn
Stephanie! 9?icbt bod), ber ©oburger in Bulgarien! 3^pt ift eS mieber
ber $rinz von Rumänien! 21 ba, 3afeanit Ortfe!" $>err ^fetlippt hätte
an biefent Sport gemife feine greube gefeabt, aber eigentlich beftefet bie
2lufgabe ciucS TvamatiferS fautit barin. unS tagcSgefd)id)tlid)e 'J?ätfeiel
aufzugeben. 3 a , menn menigftenS bie gorm litetarijd) märe ober aud)
nur untcrfealtenb. 2lber baS fchlechte Schaufpielerbeutid) beS &errn
5pfeilippi fchlägt einem gebilbeten 23?enfd)en auf bic 9?erven, unb fein
ganzes Stüd ift uninterefjant unb langmeilig. Ta mirb unS bie ©e*
fd)id)te von bem bemuftten ober unbemufeten beutfcheit Prinzen erzählt,
ber einen Thron im 23alfan auSfcfelägt unb bem golbenen Ä'äfig beS
.£>oflebeitS entflieht, meil er eine blonbgefärbte ©oa liebt, bie niefet blofe
SSorleferiu ber alten Herzogin, fonbern aud) bie Tochter eines alten
Tcmoftaten ift. Unb ba ber ßiebling aller Tfeeaterfaffirer nur einen
fogeitaumeit guten 2tu$gang brauchen fann, fo mirb ber fürcfjterlidic
©onflict im lepten Stete fpielenb einfad) gelöft: ber ergrtmnUe Herzog
mirb plöplid) fanft unb ebenfo ebelmütfeig, mie alle bie anberen ^erfonen,
uttb l^rinz 2lvthur befommt feine in ben 2lbel „abgefd)obene" 2?orleferin.
Unb barum vier lange 2lufzüge mit anfpielungSreicher ßeitarttfelei, auf*
geregtem 28ortfd)mall unb milben 2lctfchliiffen! 2lber ^Bhilippi ift un*
beletjrbar, mtb bemnädjft mirb et mofel aud) bie Trei)fuS*2lffaire ober
ben 23itrgermeifter Stiifdmer auf bie meltbebeutenben 23retter zerren, bie
ihm fein bis bann hoffentlich concejfionirter greunb gemife abermals
Zur Verfügung ftetlen mirb.
Digitized by v^ooQle
80
Die ffiegennart
Nr. 5.
Jlngcigen.
Bet BefteQungen berufe man ftrfj auf bte
„©egenroart“.
Slfab. geb. Sdjriftftefler, biälj. publinfi.
(titer. ÄritA) in «erltn tfjätig, energ. geroiffen*
bofte Slvbeitäfraft, tiorj. @ßrad)lenntniffe (fran=
jöfijrt), engtifcti), verfette« ®tenograt>5,
9tof4in<nf4«eibe« (.ftammonb), fudjt unt.
öcfd). tttfjnr. in tRebaftton, Ibeatcrfefrrtariat,
Strt.=©u^i)bfg., lltcrar. 3nfttt. 2 c. Stellung.
Cffert. an b. @n>. b. ©egenroort unt. A. «.
‘Qfyeatex =$ritifier
für ba8 rciitivcnbc 3)rama, Don einem ^eröor=
rogenben fubbeutfcben Organ gefugt. ©3 wirb
nur auf eine erfte $raft refCeftirt.
Offerten mit föeferenjen :c. unter M. N. 3882
an bcn Vertag ber „Gegenwart“, Berlin,
Mansteinstrasse 7, II.
|TNtalfiSjMen«n
4 Ounbert Original* ©utatbien
#i t ä ttt 1t V A% ®* Ofreunb u. $etnb: Sjörnfon
U I ft Ul II L IK »raube« »fldjner <Jri«bi Dabn
^ 3)dubet ögibb Sfoittane ®rotb
$aetfel £artmann $e$fe !3or=
lTn ban Äifrting Seoitcatmllo ßtn*
A . bau ßombrofo SRefätfcbersri
i Ütigra Vorbau OHtoier fetten«
**a*Vt* fofer ©aitsbur^ ©lenfiewica
. ©tmon ©bencer ©ptetbagen
feil« 3tit|<»fti. 1 ä MSJfSSS
Sola u. b. «.
Steg. geb. 2 SR!. Dom tUrleg ber #**««« teert,
»erltn W. 57.
Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift¬
stellers sind sn Gunsten der Hinterbliebenen
folg. Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden¬
preises in schönen, geb. Ex. zu verkaufen:
Brockhaus’ Conversationslexikon. Neueste
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände
Halbfranzb. 100 M. — Woichardt: Pompei
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬
gabe 30 M. — Hch. Kurz: Geschichte der
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. v.
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild-
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder-
bde. 50 M. — Lacroix, Les arte au Moyen-
Age; Directoire Consulat Empire, 2 Lieb-
hbde. 30 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde.
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl.
Text m. deutsch. Erklärungen v. Delius,
Hfb. 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel
(Pfeilstücker) Lwbd. 10 M. — Bestellungen
pr. Nachnahme durch Vermittlung der
Expedition der „Gegenwart 4 in
Berlin W. 57.
Hitiitikt fludtfolflct.
SRontatt
Don
^eop^iC JioCCittg.
IW t>olt*au*gabc.
$rei8 3 War!. 6d)ön gebunbcn 4 War!.
tiefer 5Bt8marrf = ©abriDt=9ftoman, ber in
wenigen 3^ren fünf ftarfe Auflagen erlebt,
erfdjeint f)ier in einer umbie^älfte billigeren
93ol!$au3gabe.
5)urcb alle 93ud)bowblungen ober gegen ©in*
fenbung be3 ©etragS poftfreie gufenbung Dom
Ueflag der Gegenwart,
Söerlin W. 57.
Itrteit
„Bromwasser von Dr. A. EHenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitserseheinnngen.
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von 8 / 4 1 75 Pf. in
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Ihr« Carbach 4b Oie«
J Nahrungs-Eiweiss. *
1 Kilo Tr opon hat den gleichen Ernährungswert wie 5 Kilo
bestes Rindfleisch oder 180—200 Eier. Tropon setzt
sich im Körper unmittelbar in Blut und Muskelsubstauz um,
ohne Fett zu bilden. Tropon hat daher bei regelmässigem
Genuss eine bedeutende Zunahme der Kräfte bei
Gesunden und Kranken zur Folge und kann allen Speisen
unbeschadet ihres Eigengeschmacks zugemischt werden.
Bei dem äusserst niedrigen Preise von Tropon ist dessen
Anschaffung einem jeden ermöglicht (80)
Zu beziehen dnrob Apotheken and Drogengesohäfte.
Tropon-Werke, Mülheim-Rhein.
$te ©egenttmtf 1872-1892.
Um nttftr Saget ja räumen, bieten mir unferen Abonnenten eine gönftige
(Gelegenheit jnr Ctroollftänbigung bet Sofiection. So meit ber Sorratb rei^t
liefern mir bie Jahrgänge 1872—1892 ät 6 SW. (jtatt 18 SW.), Halbjahr«.
Sänbe ä 3 SW. (ftatt 9 SW.). (Sebnnbene Jahrgänge & 8 SW.
»erlag bet ©egeittoart in »etlin W. 57 .
3n unfetem Setlag tft erfebtenen:
fioBnbbrtfi 1h Otrrnfw. Jhmn nflS Woiffl*! Mat
6r«tttl*$t|tfter 1872 —1896.
©rftcr hts ffinfjlgfter »anb.
Wit Nachträgen 1897—99. ©eb- 5 Jf
©in btbliogtaJ)t)if(öe8 28er! erften
«Range« über ba« gefammte öffentliche,
geiftige unb !ünftterifcbe Seben ber lebten
25 Sabre. NotbtDenbige« Nacbfcblagebucb
für bie Sefer ber „©eaentoart", fomie
für nuffenfcbaftlicbe k. Arbeiten. Heber
10,000 Ertifel, nach gä^ern, Sßerfaffern,
©cblagtpörtem georbnet. ®te Autoren
pfeubon^mer unb anonymer ?lrti!el fmb
burebwea genannt. Unentbebrlicf) für
jebe SBibliotbef.
$lud) bireh gegen ^oftanmeifung ober
9?adjnabme Dom
Derlag ber (Segettmari.
«erlitt W 57.
|las peidinen wach §vp
nnb
anbere ^unflfragen.
Original ^©utaebten Don 2lb. Ttlcnicl, Rein*
holb »öcfUn, 7L v. tPemer,
ünauö, Ulibe, Sind, Sd*UUn$,
Sdiapev, C. v. (Bewarbt, fetter,
Vefre$$er, Gabt iet HIar, Rfiomö,
Ciebennann, tPilfi* öufcb, (braf
Qarracb» Wag ürufe, llntlle, Ceffer-
üvy, Voepltr, pedti, Cedjier,
3üget, parlagitb Rtadenfen, Sfarbina,
Ceiftifow, (Baulfc, pUnte, Stabt
3frei$ Mefer Drei üüttfirer-?riitii«eni bet
? ,^egetut»art u 1 50
3lu(b btrect Don un§ beheben nad) S3rief=
marlen=©infenbung.
Perlag Der (Begeitwari, Berlin W. 57.
Stottern
heilen dauernd Dir. O. Denhardt’i
Anstalten Dresden -X>osehwltz und
Burgsteinfurt, Westt Herrliche Lage.
Honor. nach Heilg. Prospecte gratK
Aelteste staatl. durch S. M. X^lser
W Uhelm Z aasgezeichn. AnßL Deals chL
»traitöDortltcb« ftcbactenr: Dr. ßoHtng tn »erltn.
ftebaetton unb «jb«bttion: »erltn W., gRanftetnftrabe 7 .
J)rutf bon ^efe * Mer t«
Digitized by
Google
M 6 .
■gSerCitt, bett 10 . gfeßruar 1900 .
29. Jahrgang.
Band 57.
(flbmnmxL
äBot^enfd^rtft für Siterotur, 5hmft unb öffentliches Sehen.
^eictusgegefiett ton $QeopQtf ^offtag.
Ideen f onnaBnm rrfc&ttot (tue Jtoramet.
8u bestehen bur$ alle ©uc§banMuitßett unb $oftömtcr.
©erlag her ©egentoart ln ©erltn W, 57.
SlertelfiUtltUi 4 * 50 Df* «tat Hummer 50 #r.
Snferat* jebet Ärt pxo 3 gehaltene qjetttjetle 80
©oloniatyolitifdje fragen. ©on @b. 38ted. — @tne Slfabemte für 0ocialroiffenfd)aften. ©on Dr. 2B. ©obe (SBeintar). —
<jy f> /•# Slteratnr mtft Shtnft $ie ©Ijilofopljte im neunzehnten 3afjrf)unbert. ©on ©buarb bon £artmann. — $)ie Sapantfdje
I/ltudLl* ^ tcratur - $on ßljr. ©a^prt^. — geutlleton. ©ine ©egegnung. ©on ©bgar Slllan ©oe. Ueberfefet bon Softanna
& 9 Möllenhoff, (©djlufe.) — ftu£ De* ©auptftabt. 3>er ftarfe §ermel. ©on Caliban. — S)ramattfd)e Aufführungen. —
Anzeigen.
Colomalpolitifdje Jragtn.
SSon <£b. tüiecf.
Der ^auptgrunb bafür, baß es mit unferen Kolonien
nid)t recht öorwärtS Wi0, liegt im Ueberflujj ober im ÜRangel
an Vertrauen am Unrechten Drt. 3 U D > e l Vertrauen geigt
bie Verwaltung, bie öom grünen Difcf) auS bie fremben ®e*
biete regieren will unb gwar in ber bei unS beliebten omni*
potenten militärifch*polizeilich*bureaufratifdjen VSeife. Da
toerben oft gang junge Veamte unb Officiere hingefd)i<ft, um
MeS g.u reglementiren, unb wenn bann ber (Größenwahn in
acuten Dropenfoßer auSartet unb unS gäHe wie Seift, SBelan,
Urenberg öor aller 33ett bloßftellcn, bann Wunbcrt man fich
bajj in h°h en unb nieberen ^Regionen. Unb gu wenig Ver*
trauen hoben Wir wieber, wenn wir unfer ©elb nicht für
coloniale Aufgaben anlegen, fonbern lieber in ißortugiefen,
Spanier unb ©riechen fpeculirett. Doch biefe 3urücfhaltung
unferer ©apitaüften ift nur gu begreiflich- Statt öon ©ng=
lanb gu lernen, bafj eine $>anbetScolonie unter laufmännifcfje
Seitung gu ftetlen ift, wirb bei unS ber ^anbelSmann unb
ber ©olonift öon Einfang an beöormunbet unb chicanirt.
Ser hübfdje SEBifc eines gu unS reifenben gremben, ber eine
Dafel mit ber berühmten Stuffchrift: „®S ift öerboten" rc. für
bie beutfdje ®reng6egei<hnung hält, gilt auch für unfere Solonien.
3Iuch bort will man trofc aller gehlfdjläge noch immer nicht
einfehen, baß fich bie ^auptforge ber Verwaltung barauf rieten
muß, bie 2Röglicf)feit beS ©rWerbeS in jeber 93egte£)ung gu
förbem, unter Umftänben felbft auf $often ber ^Regelmäßig*
feit ihres eigenen VetriebeS. @S ift im Slnfang ber ©nt*
toicfelung einer ©otonie hödjft gleichgtltig, ob einmal ein
Schiff fich feiner Sabung ohne genaue ©rfüDung aßet §afen*
regulationen entlebigt, ob ein Slnfieblet Arbeiten auf feinem
©runbftücfe begonnen hot, ehe fein ©runbbuchblatt Dötlig in
Crbnung war, ob er bie (Gelegenheit benujgt hot, fich on»
bietenbe Arbeiter in Dienft gu nehmen, ohne fich öorljer mit
ben Vefjörben barüber ju oerftänbigen. Drbnung in folchen
Sötten ift gleichbebeutenb mit gefdjäftli^er Knebelung, Un*
regelmä|igfeit ein ©pmptom beS pulfirenben SebenS, unb nur
biefeS bringt ©ntwicfelung. (Srft wenn SBerthe üorhanben
finb unb beren Sntereffen coHibiren, wirb bie ftrenge Drb=
tiung jur iRothwenbigfeit, bie ©rfahrung lehrt aber, bafj fie
bann öon ben (Soloniften ebenfo eifrig öerlangt wirb, wie
man fie oorher gern umgeht. ift ein öiel richtigeres 93er*
fahren, cjnc grofec Slnjahl ißflanjer fich anfiebeln ju laffen.
fpäter ©runbbuchblätter für fie anjutegen, felbft auf bie ©e*
fahr ht»r anfänglich ein« Ungenauigfeit mit unterlaufen
laffen ju müffen, als öon öornherein bie peinlidjft genauen
SBorfchriften für SrWerb öon ©runbbefijj aufjufteHen unb
mit beren Durchführung 9lnfiebler bis jur ülbfchredung gu
langweilen. So man mnfj fogar bie fiScalifchen Sntereffen
hintanfehen, fo lange baburch bie ©rwerbSmögli^leit für
baS Snbiöibuum erleichtert unb geförbert wirb. Se mehr
91nficbler im Sanbe finb, befto fräftiger öoUgieht fich f e * ne
Sntwicfelung, waS in beren ülnfangSftabien bie Verwaltung
an ©innahmen im Sntereffe ber ©oioniften einbüfjt, trägt
in lürgefter 3 e ft taufenbfältige fruchte. SRach unferer 9In=
ficht bürfte bem ©rwerbe öon ©runbbefig gar leinerlei
©<hwierigleit gemacht werben, fo lange ber ©rwerber bereit
ift, fich barauf niebergulaffen. IReferöationen öon gtnB 5
ufern, üRineratien, 2Begcred)ten unb waS betgleidEjen Dinge
mehr finb, mögen ber Verwaltung gro|e Vortheile fid^ern,
ftefjen aber in feinem Verhältnis gu bem Vugen, welchen im
Stnfang ber ©ntwidelung beS SanbeS baS Vorhanbenfein einer
Regierung ben Stnfieblern gu gewähren im ©tanbe ift, fie
werben als btücfenbe Saften empfunben unb wirfen hinbernb
auf bie ©inwanberung. ©elbft bie ©peculation in ©runb
unb Voben foHte man nicht gang unterbrüefen. Der „nur
©peculant" läfet fich nicht auf bem Voben nieber, ben er bei
erfter ©elegenheit wieber loS gu werben Wünfcht, Unterfdjie»
bungen öon Verfonen finb nicht gu öerljinbern, unb felbft
wenn einige ©peculation mit unterläuft, fo wirb baburch er *
reicht, baff ein Snbiöibuum ober mehrere in ber ©olonie Ver*
bienft finben, baS locft anbere, unb einer mufj bodj fchlicfelich
auf bem ©runb unb Voben bleiben. Die Wüfte, ungefunbe
©peculation läfet fich öon öornherein unterbrüefen, felbft ber
gefunben fann man in fo unentwicfelten Sänbern noch jeben
91ugenblicf 3ügel anlegen. SRan glaube nur nicht, bafe Durch
bie ©ntäufeerung größerer Sänbereien an arbeitswillige ißriöate
bie Regierung fich felbft beraube. ülHeS, waS ihr an Vefi|
gufteht, fann fie gar nicht loS werben, ben heften Dheil für
fid) gu behalten unb nur geringere gu üerauSgaben, ift un»
wirtschaftlich, benn bie SInfiebier, nicht bie ^Regierung, ent*
nehmen bem Sanbe bie barin liegenben SBerthe, baher öon
öornherein baS Vefte ben SInfieblern gegeben werben foHte
unb je mehr, je beffer. ©rwirbt ber ©olonift, fo öermag er
auch Abgaben gu tragen, bleibt er fern, fo liegt baS befte
Sanb in ben $>änben ber ^Regierung wcrthioS.
91ud) ©belinetalle füllten freigegeben werben, ©inb fie
*
Digitized by v^. ooQie
82
Die (hegenwart
Nr. 6.
©egierunggmonopot, fo nimmt iRiemanb fid) bic ÜRithe, bar*
nach ju fudjen, gefunber Sgoigmug, nid)t Altrnigmug bewegt
annod) bie Welt. Wer ba weift, baft bie Sntbedung Don
©olb ihm felbft juerft au ®ute fommt, ber fucf)t eg auf, unb
ber Gewinn, ben bie ^Regierung baburcft perliert, baft fie bie
erften Slaimg ©riöathänben überläßt, fommt wieber babutcf
ein, baft eine folcfje Sntbecfung fofort Diele ÜRenfdjen in’g
Sanb bringt. (Gegebenen galleg ift eg immer noch möglich,
ben Srwerb fpäter gefunbener, ebelmetaUbaltiger ©teilen burcf)
©riüate ju berhinbern. 3>n beutfchen Kolonien neigt man au
einer Sontrole beg ©erfonenftanbeg, bie fo fcfjarf ift, wie in
ber ^»eimath, unb bei bem fonft Diel ungebundeneren Sebeng*
gufcf)nitt in xinciDilifirten Sänbetn hart empfunben wirb. Wag
wirb bamit bejwecft? S»ft ein 9SortE)eil für bie ^Regierung
bamit Derbunben, bient bie SRaftnahme bem witthfcbaftlicf)en
Wohlergehen ber Soloniften? Sin Weltreifenber meinte, baft
er bei feinem ©efudj einer beutfchen Solonie immer ben ©in*
brucf empfangen habe, er betrete eine im ©elagerunggguftanbe
befinblidje beutfche ©tabt, nicht aber ein in ben erften An»
fanggftabien feineg Wachgthumg ftefjenbeg, DöHig unciDili»
firteg Sanb. ©elbft militärifcfje ©rünbe fönnen nicht bie
©erantaffung folcher Sontrole fein, benn wer ficf) in ben
Kolonien bet ©efteüung entaiehen will, Dermag bag trog aller
polijeilirfjen AnmelbunggDorfdjriften.
@o urtheilt ber befannte gorfdjunggreifenbe Joachim
©taf ©feil in feinen hochintereffanten „©tubien unb ©e»
obachtungen aug ber ©übfee" (©raunfcfjroeig, gricbticf) ©ie=
weg unb ©ohn). Worin er ung Dort feinem längeren unb fef)r
gefahroollen Aufenthalt in ©eu-Suinea berichtet. Wir müffen
eg ung oerfagen, auf feine ©cftilberungen unb wiffenfchaftlich
werthoollen gorfdjungen hier einaugehen unb motten hier nur
einige allgemeine Solonialfragen berühren, bie er mit feiner
gangen Autorität unb mit lobengwertfjem greimutl) behanbelt.
Auch er ift mit birecten ©teuem nicht einoerftanben, bie im
Anfanggftabium beg SntmidEelungggangeg einer Kolonie beren
weiten ©ewoljnern aufertegt werben. „Sine gerechte ©er»
theilung nach SRaftgabe ber SEragfäljigfett ift faft unmöglich,
Jpintergiehungen in ben meiften gälten gänglich nncontrolirbar.
Sine jebe birecte Abgabe wirb aber atg brüdfenbe Ungerecfjtigfeit
empfunben, wenn bie ^Regierung, bie fie erhebt, nicht in ber
Sage ift, bie ©egenleiftungen au gewähren, beren SrfüOung
eigentlich bie ©oraugfefcung ift, auf Welche h* n bie Abgabe
bewilligt wirb. Wo eine ^Regierung noch nicht bie ÜRadjt
befiftt, Scben unb Sigenthum au fchüfcen, wo fie uerlefcteg
9te<htgempfinben nicht herguftellen Dermag, wo fie nicht über
bie SRittel Derfügt, ihren funbgegebenen Willen burdjauführeu
unb fich beftwegen oft genöthigt fieht, Wiüengäufterungen a«
unterlaffen, ba fehlt ihr bag 5Recfjt, Abgaben au forbern afg
Sntgelt für foldhe Seiftungen. 3)ag empfinbet ber Anfiebler,
wenn er eg fich auch nicht immer fo flar macht, er wirb
unaufrieben, feine Unternehmunggluft beeinträchtigt. $)ie
Solonialüerwaltungen anberer Sänber haben. biefen ©unft
mit Dollem ©ewufttfein erfafet unb wir finben baher in gana
jungen Sofonien faum je irgenbwelche birecte ©teuer. Wir
$)eutfcften brüften ung gern bamit, baft mir eine georbnete
©edjtfprechung in unferen Solonien eingeführt haben unb
glauben mit biefer ÜRaftregel fcf)on ein Anrecht auf ©teuer»
erhebung begrünben au fönnen. Wäre eg möglich, «nab»
hängige Urteile über unfere ©edjtfprechung in ben Solonien
au erhalten, fo würben fie nicht immer in ber ÜRote ber ©e=
friebigung ertönen, nicht weil Streben ober gähigfeit ber be=
treffenben ^Beamten irgenbwie antaftbar Wäre, fonbern weil
bie ©echtfpredjung Don Anfchauungen auggefjt, welche auf
gana anderen ©erhältniffen beruhen atg bie, auf welche fie
je§t Anwenbung finben fotten."
©raf ©feil eraählt Derfchiebene gälte, wo $anbelg»
ftationen in ihrem ©eftehen gefährbet würben, weil fie
ohne hinreichende Senntniffe ber umliegenben ®egenb er»
richtet waren. Sift hie ©eDölferung au bünn, ber Don
ihnen bebaute ©oben ober bewohnte Walb au arm, um in
hinreidjenber ÜRenge bag gewünfdjte ©roduct a u liefern,
fo muft ©erlegung ber Station erfolgen. $>ie entftehenbcn
Soften fchmälern natürlich ben Dom ^mnbelgprobuct abge»
wotfenen ©ernenn, ©on gana befonberer Wichtigfeit aber ift
bie ©efolgung feineg ©runbfafceg Don Srfunbung beg Sanbes
bei Augwahl folcher ©unfte, welche beljörblichen Organen als
Amtgfift bienen fotlen. 5« ©egenben ohne ©eDölferung fatm
bag Sanb noch immer burch feine fonftigen Sigenfchaften
entmidelunggfähig fein, Wo ihm aber bie grudjtbarfeit fehlt.
Wo beren ÜRangcl nid)t burch anbere fdjwcr in’g ®eroid)t
fall.enbe ©oraüge erfefct wirb, fann auch bie etwa Dorhanbene
©eDölferung bie ©egrünbung eineg Amtgfifteg nicht recht»
fertigen. ®ie Anfteracfjtlaffung beg fRecognogeirunggprincipj
muft namentlich im Anfänge colonialer Sntwidfelung au gehlem
©eranlaffung geben, bie fich völlig giffernmäftig augbrüefen
laffen. iRach Anficht beg ©rafen ©feil Wäre eg ein fparfamd
unb empfehlengwertheg ©erfahren, in ben Stat eineg Oe»
bieteg, wie bag ber noch DöOig unerforfdjten ©übfeelanbe
beutfchen ©efifceg, Wenigfteng für eine IReihe Don Stohren eine
©umme einauftelten, beren ©etrag hinreicht, eine behörblithe
©teile au fd)affen, Don welcher aug gemiffe Unterfuchungen
angefteOt unb beren Srgebniffe feftgehalten werben. Unter»
nehmern wirthfchaftlicher ©etriebe müßten bie Acten einer
foldjen ©teile, eDentueü gegen Sntgelt, augänglicf) fein, wo»
burd) ihnen unter Umftänben grofee fogenannte ©räliminar»
auggaben erfpart Werben fönnten. gwar finb in jüngftoer»
floffener 3 e 't mehrere ©orftöfee in bag SSnnere SReu»©uineol
gemacht unb baburdj höchft werthDoKe »Ehatfadhen a u unfern
Senntnifj gebracht worben, allein bie angefteKten Unterfu^ungcn
fotlten billiger Weife nur ber Anfang einer ©eifje ähnlich«
Unternehmungen fein. ®ie erforberlichen Aufwenbimgen ftnb
im ©crgleich a u bem ©efammtetat beg ganaen ©ebiete« je
Dcrfdhwinbenb flein, bafe fie gar nicht in grage fommen fön«.
jebenfaUg ftehen fie weit hinter ben. ©ummen auröcf„.w4|.
unwieberbringlich Detloren gehen, wenn Stationen, na#»
fie SSahre lang in ©etrieb gewefen finb, Dcrlcgt werben ntöffes,
Weil fich nachträglich heraugftellt, bafj ihnen bie Sebingungat
au gcbeihlidjer Sntwidfelung fehlen.
Weniger allgemeinen Anflang bürfte eine anbere Anregung
©raf ©feii’g finben. Sr Dertangt nämlich für bie beutfchen
Solonien, mithin auch für lReu»®uinea unb ben ©igmanfarcbipej,
nicht mef)t unb nicht minber alg eine gorm ber 3tt>anggarieit
für ben Singeborenen, welche für biefen bie SRothwenbigfeit
nach fich fich ber Sultur anaubequemen, bem Weiften bie
ÜRöglicfjfeit gewährt, auch foldje ©ebiete a u feinem WohnftJ
au Wählen, beren wirthfchaftlidhe Srfdhlieftung ihm nur mit
ßülfe ber Arbeitgfraft ber Singeborenen möglich ift ®
ift lebigtidj ^»umanitätgbufel, meint er, baft ein berartiger
3wang Dom fittlidhen ©tanbpunfte aug Derwerflich fei. _ 3e
freier ein ÜRenfch, ein ©ol! ift, befto mehr 3 toan 8 gegenüber
ber im SRenfdjen fteefenben tfjierifchen Triebe liegt bet grei»
heit a« ©runbe, fo baft man mit Dollem ©echt fagen fann,
erft auf bem Wege beg 3u»angeg, ber ©eawingung alleg beffen,
Wag gemeinfchäblich ift gelangt ber ÜRenfch S u wahrer grei»
heit, aur Sultur. Unferem eigenen Sulturteben fönnen mir
$unberte Don ©eifpiefen entnehmen bafür, baft 3 w attg nötljig
ift unb auggeführt wirb um ber Sultur willen. ®er ©djul»
awang, Smpfawang, bie allgemeine ÜRilitärbienftpflicht, Ucber»
nähme unbefolbeter Shrcnämter, Sjamengpflicht, ©ienftpffich 1
im ©eruf, ©teuem jeber -Art unb hunbert anbere 5>ingc finb
nur fo Diel gotmen, in benen bie Allgemeinheit jebem Sin*
aelnen Don ung ben 3^ang aufertegt, fich *h r nü|lijh 5 U
machen, um bafür bie ©ortheile au genieften, welche mit ber
gufammengehörigfeit unaertrennlich Derfnüpft finb. ®g ift
mithin nicht inhuman, bie Singeborenen bet Sänber, welche
unfer Sjpanfiongbebürfnift ung a u eröffnen treibt, gu ben
Seiftungen für bie Allgemeinheit mit heranaugichen, fo lange
fie bafür aud) bie ©ortheile ber gugehörigfeit gur Allgemein*
Digitized by v^. ooQie
Nr. 6.
Die (Begentoart.
83
Beit empfangen, bie innert flugemutßete Setßätigung in einer
gorm tierlangt wirb, bie ißten gäßigleiten angepaßt ift unb
festere nießt überfteigt. @3 mürbe im Ecgentßeil eine Un*
gerecßtigfeit gegen bie einwanbernbe SRaffe, gegen unS felbft
fein, wollten wir, bem unerbittlichen Sulturgefeß folgenb, bie
jur Srfcßließung Wilbev Sänber erforberlicße Eulturar6eit
allein tierrichten, bie Eingeborenen müßig flufcßauen taffen unb.
bie Errungenfeßaften unfereS SirfenS ihnen in ben ©d)ooß
werfen, gomler Sujrton’fcße unb fßeabobp’fche Anfcßauungen
muthen un£ heute weichlich an unb auch Uncle Dom’S £)ütte
ift unS fein wohnlicher fRaum mehr. SEÖir ftehen heute auf
bem tiieüeicßt hurten Soben ber Eefeße, welche ben Söllern
ihre ^Bewegungen tiorfchreiben, wollen jwar Sliemanbem ju
nahe treten, aber aud) tioHauf baS hüben, was unS nadf
Maßgabe ber DafeinSWürbigfeit unfereS SolfeS julommt.
®emjufolge forbert bie tßätige Weiße SRaffe, beren AuS6rei=
tung über ben Erbball wenigftenS augenblicfticß als 9?oth=
roenbigleit fidf tioHfließt, baß ber träge garbige mit ihr Ipanb
in ftanb gehe unb feinen gähigfeiten entfprechenb ficß.be*
theilige an bem Serie bet ^Urbarmachung ber Erbe, ober
baß er bie golgen trage, bie fein Siberftanb ober auch fein
(»affines Verhalten gegenüber ben fidj auSbeßnenben Kräften
ber fähigeren Weißen SRaffe nach fich fließen muß. ©ie heißen
für ißn Untergang. Da, wo ber garbige fieß bem Seißen
anbequemt, wirb fein ungeftörter gortbeftanb gefießert. Die
geßben ber ©tämme unter einanber hören auf, ber Sanniba*
liSmuS wirb unmöglich, ber 5D?enfcß nähert fieß bem URenfcßen,
bie SetiölferungSflaßl hebt fieß gewöhnlich halb. Alles bieS
finb Sortßeile, bie unS, bie wir fie bringen, jur gorberung
einer Eegenleiftung berechtigen. Sir tierlangen einen Entgelt
für ben ßulturfortfcßritt, ben an unferer |)anb, tion biefer
• qeftüßt, bet Eingeborene machen muß. 3 IDar empfinbet ber
[ Eingeborene biefen flunäcßft als eine Unbequemlicßfcit, allein
bie Eultur erfaßt ißn unerbittlich, unb aueß er muß unb
ntd» eS, wenn aud) erft in fpäteren Eenerationen, als An*
ndfmlfcßfeit empfinben, mit feinem Eebanfengange in höherem
Sfibeau fieß ju bewegen, auS ber 5Rad)t urtiölferlicher Un=
toiffenßeit bem Sicßt ciöilifirter Srfenntniß fieß genähert flu
hoben. «IS Eulturtioll liegt uns ob, bie Sitiilifation nießt
allein uns flu bewahren, wohin wir manbern, fonbern auch
fie folcßen Urtiölfern, mit benen Wir in Serüfjrung lommen,
mitflutßeilen." Diefe ^3flicBt ßat man jwar biSßer fchoit ftets
empfunben, allein ißre Erfüllung ift faft auSfcßließlicß auf
theoretifeßem Sege angeftrebt worben. SRan ßat geglaubt,
bureß baS «Kittel ber Setehrung unb beS Seifpiels ben wilben
Söttern ben Seg anweifen ju lönnen, ben ber gefittete
Kenfcß geßen muß, nnb flu bem 3wecf eifrig unb tiiel SJiiffion
getrieben. Eraf fßfeit fteßt ber ÜJiiffion als folcher außer*
orbentlicß woßlwotlenb gegenüber unb erfennt in ißr ein
ßocßbebeutenbeS «Kittel jur Serbreitung wahrer Eultur. «Dein
cc hat ju lange ißr Auftreten unter ben tierfeßiebenften Söllern
beobachten lönnen, um nießt erfannt ju haben, baß auch fie
in bielen gäden fieß mit Keinen Augenblickserfolgen jufrieben
Ä'ebt, wo fie unermeßlichen Einfluß auSüben fönnte unb
fällte, ÜRadj feiner feften «nfießt bleibt bei Sölfern fo
niebriget Stufe, wie j. S. bie ÜRelanefier, bie Sehre unb baS
“eifpiet oßne Sirfung. Dem banalen maeßt nur ber fatego*
cifcße 3mperatito Einbruch ES ift mitßin ticrlorene Siebes*
wüße, ißm anßaltenb ju prebigen, eS fei „dulce et decorum“,
Hß flu Reiben, bem SannibafiSmnS jn entfagen, Unterhalt
tur fid) unb bie ©einen flu tierbienen, ein nüßlicßeS «Kitglieb
njcnfcßlißen EefeKfcßaft flu fein. „.Reifet eS aber, bu foflft
Reiben unb bu follft aufßören, beinen SRäcßften als geinb
nnb als tßeure Delieateffe ju betrachten, unb wenn bu nicht
Wirb baS für bieß feßr unangenehm, fo maeßt baS
,°9 ®inbrucß namentlich, Wenn bie ßäßlicßen golgen wirtlich
einige SRnle eintreten. Die Uebertragung ber Eultur auf
°en «analen ift für uns eine Sfließt unb intioltiirt baßer
an unb für fieß feßon bie Ausübung eines 3wangeS, inbem
wir Seranlaffung werben müffen, baß ber banale fieß einem
innerlichen UmwanblungS* ober AnpaffungSproceß unterfließt.
Das hefte «Kittel ßierju ift bie Serpflicßtuitg jur Arbeit.
3ft bem Eingeborenen erft Har geworben, baß er im Saufe
beS SaßteS ober bet 3aßre unweigerlich eine beftimmte Seit*
periobe ber Arbeit im Dienfte beS Seißen wibmen muß, fo
ergiebt fieß bie Erfüllung anberer an ißn flu ftellenber An«
forberungen als felbfttierftänblicße Eonfequenfl. Der periobifcß
arbeitende Banate weiß genau, baß er jur Arbeit nießt nadenb
lontmen barf, fonbern mit einem ©djurfl ober aueß einer noch
reichlicheren Drapirung gelleibet fein muß; wenn er weiß, baß
et feines SRacßbarS ©cßinlen nießt meßr ju effen befommen
tann, ßört ißn auf barnaeß flu ßungern, unb baß eS noch
anbere als feine eigenen »erworrenen Segriffe tion Üiecßt unb
Unrecht giebt, ßört er tion bem ÜRiffiönar, beffen fßrebigt
fonntäglicß ju befudjen er angeßalten wirb. Sollen Wir unS
alfo nicht principieQ auf ben ©tanbpunft fteKen, baß bie
einjigen «Kittel, apatßifcße, finfterfinnige Eingeborene flu citii*
lifiren, in einer füßließen Stimme, himmelwärts gerichteten
Slugen unb Siebern aus ber Sfinberßarfe befteßen, fo faffen
wir ißn Kräftiger an, tieranlaffen ißn, wie wir eS flu tßun
geflWungen finb, eine «ufgabe im Sehen ju erfüllen, bie gu«
näcßft barin befteßt, feine pßßfifcße $raft itt ben Dienft
unferer Eulturarbeit flu fteKen. Die Dßeoretifer, welche eS
in fuperßumaner Empfinbfamleit für gänfllicß untiercinbar
mit bem Secßt ber freien ©elbftbeftimmung beS ©fenfeßen
erachten, freie farbige Söller in irgenb welches gwangS*
tierßältniß gegenüber ben Seißen flu bringen, mögen boeß
erft einmal begrünben, warum fie folcßen Snbinibuen gegen*
über baS für ein Unrecht erflären, waS jebem Eulturmenfchen
als ganfl felbfttierftänblidicS, berechtigtes «nfinnen gilt, ©ie
mögen aber aueß Dßatfacßen beobachten unb fieß tion folcßen
belehren taffen. So wäre bie ßoße Eultur SSaooS oßne baS
„Eultuurftelfel", wie hätte in ber üRineßaffa baS Eßtiften*
tßum fo rafeße Scrbrcitung finben lönnen oßne bie Einfüh¬
rung irgenb eines ähnlichen, 3wang entßaltenben SßftemS?
©oll man bie banalen Sölenfcßenfreffer bleiben laffen, nur
Weil eS in ben «ugen einiger «Kenfcßen für ungerecht gilt,
fie toor eine SebenSaufgabe flu fteöen unb beren Durchführung
ju übetwadien?" Son ben tiielen Erünben, womit Eraf ^ßfeil
bie Einführung ber 3wangSarbeit reeßtfertigt, wollen wir
nur noch einen anfüßren, ben Dricb ber ©elbfterßaltung.
Die Weiße Üiaffe folgt in ißrer «uSbreitung über bie Erbe
einem Eefefc, fie ift mitßin berechtigt unb oerpfließtet, fi^
aller «Kittel flu bebienen, beren «nwenbung flur möglicßft
weitgeßenben Erfüllung beS EcfeßeS beiträgt. 3ft bureß bie
ißr innewoßnenbe EjpanfionSlraft bie weiße SRaffe einmal in
bie Eebiete «frilaS unb ber ©übfee geführt Worben, fo muß
fie aueß bie «Kittel finben, fieß ißren gortbeftanb bafelbft flu
fidjern. DaS ßlima tierbietet bem Europäer bie lörpertidße
«rbeit im greien, ber Eingeborene erfeßließt Weber auS eigener
Snitiatioe bie tiorßanbenen $>ülfSqueQen beS SanbeS, noeß
will er freiwillig bem Europäer baflu beßülflicß fein, eS flu
tßun, mit tioHem fRecßt, welcßeS entspringt auS bem ©elbft*
erßaltungStrieb beS ©tärleren unb Sefferen, ma^t barum
ber Seiße fieß ben garbigen bienftbar, Seßterer Wirb babureß
in feiner Seife an feinem Sefiß, feiner Scvfon, feinem ©tamme
gefäßrbet, Erfterer gewinnt aber bureß beS «nberen Dienfte
baS «Kittel, feine ißm tiorgefdßriebene Ausbreitung in biefem
Dßeile ber Seit bureßflufeßen.
«Kit nießt geringerer Enfcßiebenßeit unb ©acßlenntniß
fleigt Eraf fßfeil bie Sege jur Einführung ber Arbeitstier*
pflicßtung. Eine folcße anflubahnen, ift nur möglich au f
Erunblage ßinreießenber ÜJiacßt, beabfießtigte SRaßnaßmen ge¬
gebenen galleS aueß bem Siberftanbe gegenüber burcßjufüßren.
Die SDfadjt muß in Semegung gefeßt werben Don ben Se*
ßötben, in beren Ipänben fie rußt, fie muß unterftüßt werben
bureß bie Anfiebler im Sanbe, beren Sntereffe fie bient. 3n
welcßer Seife baS gefeßeßen fann, feßt Eraf fßfeil feßr auS*
Digitized by VljOoq ie
84
Ute Gegenwart.
Nr. 0.
füßrlid) auSeinanber. 9?acß feiner SReinung ließe fiel) bie
Sluffteßung einet hinreichenden ©jecutiumacßt am (eießteften
unb bequemften in ber Seife oorneßmen, baß man Don auS*
WärtS SRefruten für eine ©chußtruppe einfü^rt. Mein er fann
fich auS mirtfifdfaftlidjen ©rünben mit biefem SSexfaEjren nicht
einoerftanben crllären, bie entfteßenben Soften mürben ben ©tat
ber ©cßujjgebiete in einem Umfange belüften, ber ben colonialen
©egnern ju Diel SlngriffSfläcße böte. ®r fcfjlägt nor, in ber
©übfee eine größere 3aßl ber IriegStücßtigen ©ingeborenen ber
©alomonSinfeln burd) Belohnungen ju bemegen, fid) mit ihren
gamilien bauernb in bem ©ebiete nieberjulaffen, in welchem
man bie Slnfänge ber ©jecutiDgemalt fich entroideln laffen miß.
SRatürlicß müßte ber Soßnfiß biefer Seute fo auSgeroäßlt merben,
baß fie mit ben ©ingebotenen ber Umgebung möglicßft menig
in Berührung fommen. ©ine folche Slnfiebelung, namentlich
menn fie mit einigen Borredjten auSgeftattet, bürfte balb an
Umfang wefentlicß zunehmen unb im Saufe meniger 3aßre
fdjon eine genügenbe Slnjaßl männlicher Snbioibuen zählen,
melche, menn fie ein menig gebrillt mären, nad) Maßgabe ber
Berßältniffe eine refpectable äRacßt barftellen mürben. 2Ran
hätte mittelft biefer ©iebelung eine ßRilitärcolonie gefeßaffen,
mie fie an Dielen ©teilen mieberjufinben ift. Scbigticß auf
bie foldhen Kolonien entftammenben Gruppen gtünben £>errfcßer
ßalbcioilifirter Böller, mie z- 93. ber Sultan Don SRarocco,
ihre Derhältnißmäßig anfeßnlicße 3D?ac£jt. Unter richtiger Ber*
maltung mürben berartige Sftieberlaffungen auch einen hohen
roirthfchaftlichen Sertß haben, benrt in ihnen märe am aller*
erften bie SRöglicßleit gegeben, roertfmoHe Eßrobucte burch bie
©ingeborenen felbft anbauen ju laffen unb fie ihnen gegen
einen feften SßreiS abzuneßmen, ber ben Eßrobncenten hin*
reichend lohnte, ber Beßörbe genügenben Berbienft ließe.
©nblid) fei noch ermähnt, in welcher Seife ©raf fßfeil
ju ber 2RiffionSfrage ©teHung nimmt. ®a§ Berfaßren,
farbige erft bem Khriftentßum p geminnen unb fie als
fertige Kßriften fo ju fagen in Umlauf ju feßen, hot fid) bis»
her nicht burch befonbere ©rfolge ausgezeichnet, fonbern eher
baju beigetragen, ben Sertß bet SRiffionStßätigfeit geringer
erfcheinen zu laffen, als er fein foll unb ift. Sann eS
nur allein ber fehler ber Slnfiebler fein, menn fie im M*
emeinen ungern SRiffionSzöglinge in ißren ®ienft nehmen,
eruhen bie über jene fo oft geführten Stagen megen auf
geblafenen SefenS, Unmilligfcit zur 21 1 beit, Unzuoerläffigfeit
lebiglidj auf böSmilligen ®arftellungen feitenS miffionSfeinb»
liehet Saien? Senn bei berartigen Behauptungen auch hier
unb ba Uebertreibungen mit untergelaufen fein mögen, fo
ßerrfdjt bodj nach ®raf ißfeil allgemein bie Slnficßt, baß ber
„belehrte" ©ingeborene ein Diel unfhmpatßifcheTer ©efelle ift als
fein in Dödiget Silbniß, fern Don allen BefeßtungSDerfucben
Derharrenber ©tammeSgenoffe. „©rößtentheilS zieh 1 ber farbige
auS ben <f>riftlid>en Sehren nur bie üftuganmenbung, melcße
mit feinen Steigungen hormonirt. ®a eS Dor ©ott leinen
Unterfcßieb ber ißerfon giebt, glaubt er fich als jebem ©uro*
päer gleichfteßenb betrachten zu fönnen. ®ie Sehre Don ber
Vergebung führt er fehr gefchidt in’S gelb gegenüber an*
gebrohten ©trafen für Slachläffigleit, unb bie ©onntagS*
ßeiligung lommt ihm feht gelegen, man int fich ja fo (eicht
in ben (tagen unb hält jeben ber fieben für Sonntag." ©raf
Bfeil glaubt baher, bie SRiffion mürbe ihren ßrned, bie Be*
feßrung, Diel fieberet erreichen, menn fie ihr 2lügenmerf mehr
barauf richten mollte, ben garbigen erft zu einem brauchbaren
unb nüßlicßen SRenfcßen unb banach erft zu einem ©hriften zu
erziehen, fo gut unb fcßlecßt er eben ein folget merben lann.
(Der erftere (tßcil ber 2lufgabe ift leicht, ber zmeite in feltenen
SluSnaßmcn z» erreichen. ®cr garbige, bet fich freimütig zur
Arbeit fteHt aus Ueberzeugung, eS fei nüßlid), eine 2lufgabe
im Scben zu erfüllen, ber ift fießer auch reif, alle Sehren beS
KßriftentßumS in fich aufzunehmen, liefen ©ebanlen haben
einige ÜRiffionen bereits erfaßt unb bringen ißn in praftifd)er
Sßeife zum SluSbrud. Stilen Doran fteßt in biefer £>infid)t
bie tatholifcße SRiffion in Bagamoßo in Dftafrila. 3®“
lehrt auch fie ihre göglinge fingen unb weißt fte in &
©runbzüge bet cßriftlicßen Sehre ein, allein maS mürbe bei;
nußen, menn nicht baS Banb gemeinfamer prattifcher Sntn.
effen ben ßögling an bie SRiffion tnüpfte. ©obalb ber titabt
fräftig genug ift, ein Sßertzeug führen z« lönnen, mirb er
einem ^anbwerfet, meift einem Saienbrubcr ber Diiffion,
überwiefen, ber ihm Unterricht ertheilt. üRit 16—18 Saßrcn
finb bie jungen Seute bann ganz brauchbare SlrbeitStae,
bie nidßt allein mit ihrer Sunft ihren SebenSunterßalt ja
ermerben Derftehen, fonbern auch &i e äußeren gormen dj#
lichen SebeitS lennen unb beobachten, ginberj fich uma
ihnen befonberS intelligente Snbibibuen, beren ©emfitß Don
ben Sßahrheiten ber heiligen Sehre getroffen mirb, unb bo;
lommt unter ben befähigteren Slegerraffen öfter Dor als unto
Sanalen, fo merben fie tiefet in bie Sehre eingeführt unb
ermeifen fich oft als ganz fähig» iu ber ©egenb, in welcher
fie fich fpäter bei ihrer Berheiratßung nieberlaffen, in djtri:-
iichem ©inne auf ihre farbigen 9lacßbarn einzumtrlen.
gut ©chulfrage meint ©raf fßfeif: maS foll bet Unter»
rieht im Schreiben, Sefen unb fRedjnen, menn jebe SRöglichfci:
jemaliger SSermenbung biefeS SßiffenS auSgefcßloffen ift? 3ft
eS Kultur, eine ©aeße zu lönnen, bie abfolut merthloS ift für
ben, ber fie lann? ©r antroortet, baß eS meifet märe, bie 3«t
meldße nötßig mar, ben ©chülern fo meitgehenbe ©chullennr»
niffe beizubringen, barauf zu Dermenben, fie in irgenb einem
^mnbmerl zu unterrichten. „Sßäre nur ein ®ujjenb 3' mtncr:
leute, Schuhmacher, ©djmiebe anS ber ©chule herDorgegangei,
fo hätten fie, auch Wenn ihr Sönnen nur gering gemefen
märe, fofort Slrbeit unb SSerbienft bei ben Slnfieblern gefunben,
benen §>anbmerler roittlommen unb nöthige ^>ütfe wären.
Sie Surfhen, bie ftd) für gelehrt unb ebenfo gut halten,
wie ber weiße ÜRann, weit fie roiffen, baß eS 3 a h^ cn
SSuchftaben giebt, miß SRiemanb in feinem ‘Dienft haben, (ic
finb Doßlommen unbrauchbar. 3 e *9 l biefeS ©erfpifl nicht
baß ©cßulung ein ©efcßenl Don zweifelhafter ©üte für bie
©djroarzen ift? 2Ran lann nicht aße Berechtigung bet
nung abfpredhen, welche bahin geht, baß @d)ulfenntniffe rat
bort beigebracht merben fofltcn, wo SluSficßt ift, fie einft w
Werthen zu lönnen. 9hm ift ja ÜRiemanb in ber Sage, hh>
auSzufagen, mann biefer Slugettblid einmal eintreten wirb,
eS wäre mithin laum richtig, bie Sinber auf ben 2Ri{fionen
ohne ©cßultenntniffe aufroachfen zu laffen. ©inb fie bereinf:
üRänner, fo ift Dießeicht ber ßeitpunft ba, Wo fie ihr ©ft®
Dermerthen fönnen. 9Ran lann aber auf ber anberen Seite
roofjl mit einiger Sicherheit behaupten, baß biefer 3**4®^
nicht eintreten mirb bei Sehweiten Don Seuten, bie heute im
SünglingS* ober gar noch Dorgcrüdterem Sitter ftehen. 3Rit-
hin ift nießt ganz erfitßtlid), z u Welchem 3wede man ÜRenfher
biefeS SllterS Slenntniffe beibringt, bie fie fich nur ber gönn,
niemals bem Sefen nach aneignen fönnen unb zu bereu SScr»
roertßung fie nie gelangen, menn bod) biefelbe Sehrzeit, ta
§anbmerf gemibmet, einen Kulturmenfchen auS bem Silben
gemacht hätte. 2Ran mirb bem üerbienftDoflen gorfdjurgi»
reifenben auch in biefer grage ooßftänbig Siecht geben muffen
Sögen feine Sinfe unb Siathfcßtäge offene Cßren unb $«5®
finben!
Cine fAhabemie für .Sonaltoilfeitfdjafteit.
®on Dr. JD. Bobe (SBcimar).
ÜRan weiß, baß Don ben amerifanifchen Sröfuffcn einige
ißr ©elb auf reeßt noble unb nüßliche Seife auSjugebcn
Derfteßen; eS geßt nießt SlßeS barauf beim Slnfanf ms
© eßmiegerföhnen auS ber europäifeßen Slriftolratie, eS werben
aitcß ungeheure ©ummen zur görberung Don Siffenfcboft,
Sunft unb BollSrnoßl ßergegeben. ®ie großartigften SBiblio
Digitized by v^. ooQie
Nr. 6
Die Gegenwart.
85
ttjcfen unb ßefehaßen, bie tljeuerften wiffenf<haftlid)en Unter*
fuc^ungen, neue £et)rftüt((e, neue Uniüerfttäten, neue Stern«
märten würben möglich, weit tit biefen reichen Emporfömm*
fingen ber ©runbfaß „9ieid)thum Derpflichtet" warf) geworben
ift. Sluch bet unS in deutfd)lanb fehlt eS nid)t an grei»
gebigfeit, aber Wer in ben gemeinnüßigen Veftrebungeu heimifdj
ift, mufj immer wieber bettagen, ba§ unfere SJeidjen faft nur
für bie birecte SE3o^ltt)ätigteit Verftänbnifj ^aben, für 9lBeS,
roaS fidf als 9lnftalt präfentirt, waS burcf). ein ©ebäube
fic^tbar unb plaftifch ift. dagegen für alte ber 9toth oor*
beugenbe Veftrebungen, für baS SBurjelauSgraben, für bie
Vermehrung ber guten Smponberabilien tjaben fie feinen
Sinn, gür irgenb ein wotjtt^ätigeö Snftitut ober eine Sirene
ober ein denfmat täfjt ftdj jiemlich teidjt fo Diel jufammen»
betteln, wie nötßig ift, braucht man aber ein paar taufenb
SRatf, bamit ein tüchtiger gacßmann eilte ©tnbie oornehmen
fann, bie jur görberung beS ©emeinwohlS fe^r wünfdjenS*
roertf) ift, wo finb ba unfer s Jteichen?
SBenn über biefen 3uftanb gettagt unb baS amerifanifche
Vorbitb gerühmt würbe, höbe ich fd)on öfters bie ©efcBfcßaft
erfreut, inbem ich Don einem deutfeßen erjählte, ber fein ©elb
fo weife unb anfprudfötoS für baS VolfSwohl oerwerthet wie
nur irgenb ein Slmerilaner, ber äußere Ehrung niemals begehrt
unb niemals erfahren hot, ber fef)t große ©ummen ^ingiebt,
o|ne bie greube an plaftifchem Erfolge ju haben: für nötßige
Stubien, für nüßlicße Vüdjer, für bie Arbeiten nüßlicßer jßer«
fßntichfeiten. ES ift ein ©rofjtaufmann in granffurt a. 9J?.,
beffen Rame auch hier nicht genannt fei, ba eS ihm äugen»
fheinlidj nicht lieb wäre. Er gehört noch nicht ju ben
fReidjften ber reichen ©tabt, aber er foE eines dageS feiner
©attin baS gemeittfame Vermögen Ddrgerechnet haben mit ber
grage: ift baS nun nicht genug? Obwohl eS an Stinbern
nicht fehtt, fanb auch fie eö auSreidjenb. „SRun, fo foE
Me$, was noch hinäufoinmt, guten 3toecfen gehören." SBenn
bie ©efchichte nicht wahr fein foEte, fo ift fie hoch gut er*
fimben, unb jebenfaES tebt £>err X. baS aufreibenbe ßeben
eine« ErofjfaufmannS, ber in ber ganzen SBett Sntereffen ju
überroathen hat, unb fchafft oon früh bis fpät, bafj fein ®e*
toinn ber ÜBelt nüße. da er fetbft ßeit uitb Ära ft wenig
übrig hat, hat er eine 9?eifje Don gutgebilbeten VolfSwirtßen
angefteßt ober er förbert fie unb ihre Arbeiten burdj ©ub=
Dentionen; ber 2Rittelpunft aEer biefer Arbeiten ift baS „Sn*
ftitut für ©emeinwohl" in granffurt, an baS fief) mehrere
Snftitute unb Vereine, jeitweilig auch 3 e itfct)riften unb ütnbereS
fo anfcßließen, baß fie ihre ßebenSfraft auS bcrfelben CueEe
begehen. Unb jeßt ift biefeS Snftitut im begriff, bie erfte
8fabemie für ©oeiatwiffenfehaften in ber ganjen Sßelt ju
begrünben. Unb waS wir 9lnbern uns in ber Vhantafie ju*
fnmmenbauen, um eS bann a(S ßuftfdjlojj mit einem Seufzer
oerwehen ju taffen, wirb bort getingen. 91 uS brei ftarfen
3«flüffen werben bie SRittel jufammengebracht werben: erftenS
Dom genannten Snftitut, b. h- Dom ungenannten ©rofjfauf*
mann; Dortäufig finb 30 000 9Rf. jährlich Derfprochen, hoch
ift baS nur ber Ülnfang. ßweitenS Don ber ©tabt granf*
tuet. beren SRagiftrat unb ©tabtoerorbnete fehr gern ©elber
bewiEigeu, um eine angefefjene Rfabemie ju befommen; brittenS
Don ben Dielen reichen Vewofjnern unb Vereinen biefer ©tabt,
bie burct) ih re OpferwiEigfeit, wie burdh ihr frifcheS Ver«
ftänbnifj für aBe fragen unb Strömungen ber neuen 3 e i*
fih bieBeicht Dor aEen ©täbten beS Reiches auSjeidjnet.
SWerbingS wirb bort gegen ben ifStan eine EinWenbung Diet
erhoben: ba fj man lieber eine ^anbetSafabemie haben WoBe
mit ber fociaten atS 9lnhang, als umgefehrt wie eS jeßt
fheine. 91ber ber ©ompromifj jwifchen bem Snftitut für
©emeinwohl, baS bie ©oeiatwiffenfehaften bertritt, unb ber
Vürgerfdjaft, bie für bie f)öh eten faufmännifchen SBiffen*
fhaften mehr Sntereffe hat, wirb leicht ju fchtiefeen fein.
Ser teitenbe ©enat wirb Don beibett ©eiten ernannt werben
unb ift jejft fcf)on im Sntftehen begriffen.
2)ie granffurter ©anbelSafabemie hat für unS weniger
Söebeutung als bie erfte beutle 9tfabemie für ©ocialwiffen*
fchaften. gür Wen ift fie beftimmt unb WaS foE ,fie lehren?
Starüber unterrichtet unS eine ®enffchrift, bie Dr. 9lnbreaS
SSoigt, ber ©efchäftSführer beS SnftitutS für ©emeinwohl
üerfafet hat. Seftimmt ift bie neue 9lfabemie nicht wie aBe
anberen für junge ©tubenten in erfter ßinie, fonbern Diel
mehr für höhere ©emefter, bie fd)on im ^Berufe ftanben:
für SSerroaltungSbeamte ber ©täbte, Streife unb 9?egierungcn,
für Sechster in priDaten ober öffentlichen S)ienften, für Sn*
buftrieUe, Saufleute, auch 9?i<hter, 9terjte, SSereinSbeamte,
ißhilantropen, fur$, für aBe diejenigen, bie in roirthfdjaft»
liehen wie focialpolttifchen 9tngelegeni)eiten eines Weiten ®e=
fidjtSfreifeS bebürfen. „ ©upptementäre Serngelegenheiten"
foE nad) 93oigt’S 9luSbrucf bie 9ltabemie bieten. 9ln S9ei*
jptelen fehen mit noch Mater. Unfere SermaltungSbeamten
haben entweber juriftifche Gjamina beftanben ober nicht,
jebenfaES tommen fie in ber ißrafiS an grofee SBiffenS*
gebiete, Don beiten fie fo gut wie nichts gelernt haben;
fie foBen ba befdjliefjen unb entfdjeiben, wo fie nur ein
paar fümmerliche Erfahrungen unb literarifd)e 9teminiScenjen
haben. 3- baS 9lrmenwefen ift eins ber fchwierigften ©a*
pitel, unb auf taufenb, bie bariit hrrumpfufdjen, fommen nur
Wenige, bie eS ftubirt haben, bie fid) nicht blofe auf ihre
paar Einbrütfe unb ihren gefunben ÜRcnfdhenoerftanb Der»
taffen. daS SßohnuitgSWefen, baS ©enoffenfehaftswefen, baS
IBerfidjeruhgSmefen, baS communale ginanjwefen, bie ganje
©ommunalDerwaltung: aBe ©ebiete, in benen wir eigentlich
nicht öaien ju ^Regenten haben foBten. gür ©tubenten eignen
fich biefe gächer wenig, fie haben auch genug mit ber aß*
gemeinen gadjbilbung ju thun; folche ©pecialfächer treibt
man am nü$lid)ften bann, wenn man in ber ißrajiS baS
Sebürfnife baju empfinbet. Sn früheren 3eiten tonnte man
wohl feine ©tubien mit bem 9lbfchieb Don ber Unioerfität
für foweit abgefdjloffen halten, baff man nur noch bie neuefte
Siteratur beS gacheS Derfolgte; jeßt finb neue Sntbedungen,
neue Probleme, neue ©efe^e, ja neue Sßiffenfdjaften fo fehr
an ber dageSorbnung, bafe bie geriencurfe unb ©peciatcurfe
in ber SBtebicin, in ben mobernen Sprachen unb anberen
gächern bereits entfielen mußten ober halb entfielen werben.
9(ud) bie Sanbräthe, SBürgermeifter, ©tabträthe werben bann
unb mann noch einmal mit SBortheil ©tubenten werben.
Einige Don ihnen werben fidf S. noch faufmännifche Sennt*
niffe aneignen müffen, benn wie Dr. Sßoigt ganj richtig aus*
führt, mu& ber moberne 5SerwaltungSmann fehr oft nach
taufmännifchen ©efichtSpunften unb ©runbfähen hanbetn.
die wirthfchaftlichen betriebe unferer Kommunen mehren fich
beftänbig; ju ben ©aSanftalten, EleftricitätSwerfen, SBaffer*
leitungen, drambat)nen, ©chlachthäufern u. f. W. mu| noth*
wenbig eine communale 9öoljnungSfürforge, eine ftäbtifche
Sobenpolitit unb manche anbere fommen. ©8 ift nid)t wün*
fchenSwerth, baß bie Erfahrungen, bie in folgen Unter*
nehmungen im Sn* unb 9luSlanbe gemacht würben, ben be*
treffenben gad)!euten unbefannt bleiben.
Sn ben mobernen 9liefen*Unternehmungen ber 3nbuftrie
haben wir Verwaltungen, bie an Umfang unb Vebeutung eS
mit Dielen communalcn aufnehmen fönnen. 9lber auch fie
Werben fehr oft Don Seuten geleitet, bie beim beften SBiBen
gehler machen müffen, weil fie nie auS ihrem fleinen Steife
focialpolitifcf) h erQ u3famen. Voigt betont mit Siecht, bafj
man bie 9lrbeiter nicht tennen lerne, wenn man ihnen nur
immer als Vorgefeßter gegenüber fteße; eS Würbe manchem
„erfahrenen Vraftifer" nicht f«haben, wenn er bie dinge auch
einmal Don ber £>ölje beS dfieoretiferS betrachtete. „2Ran«he
Wohlgemeinte Einrichtung hat ihren 3»ed Derfehlt unb manche
arbeiterfreunbliche Veftrebung ift ihres Erfolges beraubt
Worben, weil bie erforberlidje Senntnifj ber 9trbeiteroerhält*
niffe ihr nicht ju ©runbe lag. 9Rancher Streif ober fonftiger
Sonflict hätte oermieben unb mancher auSgebrocheue leichter
Digitized by v^. ooQie
86
Die töegenwart
Nr. 6.
beigelegt werben förmen, Wenn auf Setten ber beseitigten
Arbeitgeber bie nötpige ftenntniß ber Senfweife unb ©mpfin*
bungen ber Arbeiter üorpanben wäre. Unb jwar genügt rticfjt
bie itenntniß ber Arbeiter als ©injelejiftenjen, es muß auep
ipr collectiueS Renten unb ©mpfinben beriictfic^tigt werben,
Wie eS in ben Arbeitercoalitionen jum AuSbrud fommt.
Siefet 3weig ber SiBolfSfunbe wirb am beften oermittelft ber
©efepiept? & er Arbeiterbewegung beS Sn* unb AuSlanbeS ge*
leprt werben.“ SSoigt fährt fort: „9hcpt minber muffen biefe
Senntniffe auep Oon ben Beamten oerlangt werben, bie in
betriebenen ©igenfepaften mit Arbeitern ju oerfepren gaben.
. . . Auep manepes feplgreifenbe richterliche Urteil ift lebig*
lieg auf Unfenntniß ber Arbeiteroerpältniffe jurüdaufüpren.
ferner würbe, waS auf bem ©ebiete ber communaten Social*
politif bes SBopnungewefenS, beS ArbeiternacpweifeS, .ber
Siegelung ber AnfteUungS* unb Sopnoerpältniffe ber ftäbti*
fegen Arbeiter u. f. w. in einigen ooranfepreitenben Stabt*
gemeinben gejepepen ift, nie! leichter auch 111 anberen Stad)'
apmung finben, wenn nicht ben leitenben ^Beamten oielfacp
noep baS nötige IBerftänbniß für biefe Singe abginge. 9locp
mepr aber maept fich baS ibebürfniß naep jocialpolitijcp ge*
bilbeten Beamten in ber Sberwaltung ber länblicpen greife
geltenb. ... ©S fehlt an pinreicpenb oorgebilbeten ©ewetbe*
ridjtern, eS fehlt ebenfo an Beamten ber ArbciterocificperungS*
Anftalten unb SberujSgenofjenjdjafteu, fowie auep nod) an
©ewerbeaufficptßbcamten mit ber für biefen S3eruf notpwen*
bigen öolfSwtrtpfcpajtlicgen unb focialpolitifcpen 5$orbilbung."
Socp wir braunen peute nicht auf ©injelpeiten näper ein*
augcpcii; wenn erft einmal baS erfte IBorlejungö'SBcrjeüpniß
oorlicgt, barf man gewiß weitere Sünfcpe äußern. UnS
fcpcint, baß man an bie focialpolitifcpe AuSbilbung Oon
Sournaliften unb anberen ißubliciften fdjon fegt mit benfen
follte, jumal ba bere ©cficptScnge minbcftenS ebenfo gemein*
fdjäbticp ift Wie bie ber Arbeitgeber, Sanbrätpe unb Bürger*
meifter.
IBefonberS erfreulieg ift eS, baß bie neue Afabemie nicht
Don einem Staate gegrünbet unb unterhalten wirb, fonbern
in ber fpauptfadje non einem Snftitute, bas bisher auf feine
politifcpe Partei eingefcpworen war unb gewiß auep in 3 U *
funft bem Senfen, Sieben unb Schreiben feiner ©elcprten
feinerlei SDiarfcproute borfdjreiben wirb. Sie Socenten
werben nicht naep bem jeweiligen SWinifterium ju fragen
gaben unb auep ber jeweiligen Anfidjt pödjften CrtS über
bie Socialbcmofratie unb anbete Singe braudjt ipr Vortrag
niept angepaßt ju werben. ülicnjcplupe Snftituttonen finb
nie ganj frei; aber eine freiere Socialafabemie, als bie fyranf*
furter ju werben ocrjpridjt, fönnen wir nicht erwarten. 3p rc
Urheber oerbienen fiep beit Sanf ber Station.
Literatur unb £unß.
Di t ffpilofoppie tm neunzehnten ,3aprpuniiett.
SBon €&uar& oon ^artmann.*)
Ueberfcßauen wir bie ©ntwidelung ber ißßilofopßie feit
Äant, fo geigt fich, baß biefeS legte Saßrßunbert bie alten
Probleme grünblitger, oollftänbiger, untfaffenber unb auf
ßößeret Seroußtfeinäftufe burcpgearbeitet pat als irgenb eine
früpere ©poeße, b. p. bafe fie ber großen ©ntwidlungSfpirale
einen neuen ßößeren unb weiteren Umlauf pinjugefügt pat.
Sarüber ßinauS aber pat biefe legte ©poeße einen oöHigen
•) 9lu8 bem ju @nbe biefeS ffltonatS erfdjeinenbeit jroeiten SSattbe
feiner ,,©efd)td)te bev s Uieta))f)i)[it" (ßeipjig, $trm. (paarte). 38ir toinmen
nad) bem @rjd)einen beä epod)emad)enben SBerfeä Qu-ifiUnlitt) barauf
juriid. ®ie Stebaction.
Umfcpwung eingeleitet, ber mit einer Umfeprung ber '3t:
wegungSricptung ber Spirale ju oergleiSen ift. Alle ftüpm
SRetapppfif wollte apobictifcp gewiffe ©rfenntniß & priori fein
ober gar nicht fein; um bieö fein ju fönnen, glaubte \u
bebuctio ober conftructiü uerfapren ju miiffen. ©rft in biefet
©poepe non Äant big jum Agnoftijigmuö ift eS eoibent ge>
worben, baß bie SJfetapppfif burd) biefe Alternatine jum
Sfi^tfein nerurtpeilt ift, weil eine apobictifcp gewiffe SKeta*
pppfif a priori fcpledpterbingg unmöglicp unb ein bloße
ippantom ber ©inbilbung ift, non bem fiep bie früperen Sapr*
hunberte paben äffen taffen.
ftant glaubte an biefe Alternatine unb jerftörte bie
aptiorifepe SKetapppfif, bie fich au f etwag jenfeitg bes
wußtfeing Siegettbeg bejog. Aber er pielt an ber 2Jföglid)feii
einer apobictifcp gewiffen 3)tetapppfif a priori feft ltnb b
fSräitfle fie nur auf bie ©efege ber fubjectinen ©rgeiigune
ber bewußtfeingimmanenten ©rfSeinungswelt, b. p. er ging
jutn ippänomenaligmug über, um auf ppänomenatem ©ebiete
ben metapppfifdjen Urtpeilgapriorigmuö ju retten, gidiu,
Scpeßing unb .'Tiegel gegen bie fpftematifepen ©onfequenp
biefer Stellungnahme naep Seiten beS SSorfteHenS unb Sen*
fenö, Scpoppenpauer naS Seiten beö SBoUenä. Snbem m
fämtlicp bas menfcplicpe bewußte Senfen unb SBoUen mit bem
abfoluten unbewußten Senfen unb Söoüen nermengten uni
nerwecpfelten, erwedten fie bamit non neuem ben Scpein einer
conftructioen IDfetapppfif a priori, bie pinter bas SöeiDufetjein
bis jur abfoluten Spätigfeit jurüdgriff. Sie Speiften pielren
ebenfalls principiell an einer apobictifd) gewiffen SDZetappoftf
feft, fuepten aber ber ©rfaprung unb Snbuction fepon neben
bei eine gewiffe Slecpnung ju tragen. Sie Soppelpeü bei
auf* unb abfteigenben iieprgangeS bei, ffraufe, ber negatinen
unb pofitioen ippilofoppie bei bem fpäteren Stelling braepten
in bie ältere Auffaffung ber Slletapppfif bereits einen Srurf
unb enben mit einer jwiefpältigen ^albpeit. Sie Souberunc
beS ej-aclen SöiffenSgebieteS non bem bloß waprfcpeintidien
©laubenSgebiet bei ^erbart unb ©cnefe bereitete baS tneto
ftüdweife Abbrödetn ber apobictifcp gewiffen SMetapppfif w-
Ser atpeiftifepe ÜKaterialiSmuS ift ber legte StantopuidL
ber fiep mit ber ganjen öefepränftpeit feines nainen 9iflfe
muS an ben ©tauben flammert, baß eine apobictifcp geroiüc
SDfetapppfif möglich fei; aber er befdpränft ipren Snpalt te
auf, baß Straft unb Stoff ewig feien unb auS ipnen olle-
Slnbere peruorgepe, wäprenb für alles concrete SBiffen bic
inbiictinen Slaturwiffenfcpaften als einzige Quellt einer im»
pin nur wagriepeinlügen ©rfenntniß eintreten. Ser SlgtW'
fti^iSmuS enblicp fepränft baS ©ebiet apobictifcg*gewiffer fr
fenntniß auf Slull ein unb erflärt bamit bie Sßetapppfif für
unmöglicp, weil er noep immer in bem falfcpen ©tauben an
bie Slicptigfcit ber obigen Alternatioe befangen ift. Sie offen!
liege Meinung fpriept ipm biefeS Urtpeil naep, fepon weil e*
fo wenig Stopfjerbreepen maept, unb weil baS Ä'lügetfeiit als
bie ASeifeften ber ergangenpeit für bie Unweifen fo ange¬
nehm ift.
SaS ©eriept an ben legten Spftemen mit ©etoißgeitc-
anfpruep ift ebenfo üolijogen wie an ben früperen. Sie pgto
foppiegefcpicptlicpe Slritit patunwiberleglicp bewiefen, baß bie apt^
bictifcp gewiffe SJletapppfif a priori ein für allemal tobt in
ober nie wieber erwaepen fann, fo wenig wie bie Altpeniii
unb Aftrologie. Sie pat ferner gegeigt, baß Alles, waS frühen
Söletappßfifer bebuctio ober conftructio abgeleitet ju ge¬
glaubten, fiep boep nur auf fepr unootlftänbige ©rfapnmge»,
unoermerfte Snbuctionen, unbeftimmte Analogien ober gar
auf unbegrünbete 23orurtpeile unb Uebetlieferungen ftüftc.
unb baß alles faltbare unb SBertpooHe an ber biSgerip«
SDietapphfif inbuctioe ©rfenntniß oon bloßer SBaprfcgeinlidr
feit tuar. Aber baS Segtere giebt ber AgnoftijiSmuS au*
noep niept einmal ju, weil er auS feiner falfcpen ©rfenntnic--
tpeorie folgert, baß gar fein ^inauSfcpreiten über bie tri-
faprnng möglicp fei, baß alles ©rfeunen auf beferiptioe
Digitized by v^. ooQie
Nr. 6.
Die ffiegetttottri
87
Empirie eingefcgrönft unb fc^on ber inbuctiüe Empirismus
ein ^ß^antom fei. Ster SlgnoftiziSmuS mufete mit biefer
Uebertreibung auftreten, um baS eingewurzelte Sorurtpeil
üon ber äRöglicpfeit apobictifcp gewiffer Erfenntnife mit ©tumpf
unb ©tiel auSjurotten. ©eine Uebertreibung auf baS rechte
SKafe jurüdjufü^ren, batan arbeiten bie legten ©peiften eben
fo »nie bie Snbioibualiften, welepe fämmtlicp nur noch wapr»
fcpeinlicpe Ergebniffe opne ©emißpeit ju liefern beanfprucpen.
Sßarum fottte niept auS ber abgetanen bebuctioen SDieta=
pppfif a priori eine inbuctiüe ÜWetpapgpfif a posteriori fiep
entpuppen fönnen, ba boep auS ber Sllcpemie eine Epemie, aitS
ber Slftrologie eine Slftronomie peruorgegangen ift? ©ie Um»
fegt ber fRicptung pat fiep im legten SWenfcgenalter ganz un=
inerflieg, aber mit fortjcpreitenber Seftimmtpeit unb &larpeit
üoUjogen, nacpbem fie üon mir bereite bei meinem erften Sluf»
treten 1868 in ber ©cprift „Ueber bie bialectifcpe SRetpobe"
unb in ber erften Auflage ber „^pilofoppie beS Unbewußten"
als leitenber metpobologijeper ©runbfag aller lünftigen 5ppi»
tofoppie überhaupt unb ber meinigen inSbefonbere proclamirt
worben mar. 5Ran pat biefen ©runbfag aufs Eifrigfte be»
lämpft unb ift nocp f>eute fern bauon, ipn offen anjuerfennen;
aber man pat tpatfäcplicp in macpfenbem SRafee nacp ipm
gepanbeit, unb baS genügt uorläufig. ©ie näcpften 3>apr»
punberte »erben fiep feiner als beS wieptigften gortfeprittS
in ber ÜRetapppfif beS neunjepnten SaprpunbertS auep be»
mußt werben.
§anb in §anb mit bem Umfcpmung ber ÜRetpobe ging
auep ein folcper ber ©epreibmeife. Um fiep beffen bewußt ju
»erben, brauept man nur eine beliebig perauSgegriffene meta»
pppfifepe Erörterung üon fiant, giepte, ©cpelling, ©cpleier»
maeper, 4?egel, Saaber, Sfraufe ober §erbart mit einer eben
folepen Don ©cpriftftellern beS legten SRenfcgenalterS ju Der»
gleicpen, bie niept gerabe in afabemifeper Eorrectpeit, Sor»
nepmpeit, SEBeitfcpmeifigfeit unb fiangmeiligfeit fteden ge»
blieben finb.
• Seiber ift baS 9Rafe beS Talents, baS ben SRetapppfifern
bö neunjepnten Saprpunberts üon ber Sftatur jucrtpeilt ift,
niept mit ber Störung ber metapppfifepen Aufgabe in gleicpem
Setpältnife gewaepfen. Slm Einfang beS 3saprpunbertS ftepen
bie fpeculatinen ©enfer erften SRangeS, bie fßantpeiften. 3«
ben ©peiften finft eS ftufenweife bis zur ©cpmaeplkpfeit perab.
Sei ben SRaterialiften unb Slgnoftifern wunbert man fiep
über bie fünftlicpe Verengung beS ©eficptSfreifeS, unb je
weiter biefe Verengung fortfepreitet, befto mepr üerpärtet fiep
ber Eigenfinn im geftpalten biefer Enge, wie er ftctS mit
Sefcpränftpeit beS SerftanbeS üerbunben ift. ©ieS gilt für
bieSnbiüibualiften ünb pluraliftifcpenSBillenSmetapppfifer mit,
fo »eit fie üom SlgnoftkiSmuS burcpfeucpt finb; aber auep bie
niept mit ipm bepafteten etfepeinen iprem ÜReifter ©djopen»
pauer gegenüber boep nur als fcpmäepere Epigonen.
ES wirb bieS begreifliep, wenn man bebenft, baß ber
ganze ©peiSmuS unb SltpeiSmuS, ber auf bie pantpeiftifepe
Epoepe ber SDietapgpfif folgte, boep am Enbe nur bie Aufgabe
patte, zwei Irrwege nebft allen ipren Slbjweigungen möglicpft
grünblicp burd)guarbeiten, um fie für bie ©efepiepte als
grrwege ju erweifen, unb baneben beejenigen Ergänzungen
perauSjuarbeiten, butep beren §injufügung ber IßautpeiSmuS
gegen bie Sritif gefiepert unb allen Slnforberungen entfpre»
epenb würbe. ®aS Erftere ift nur ein negatiüeS Serbien ft,
baS Segtere allein eine pofitiüe Seiftung, aber boep immerpin
nur eine üon fubfibiäter Sebeutung. liefen Aufgaben waren
auep geringere ©alente gewaepfen; ja fogat für ipren nega»
tiüen ©peil war eine gewiffe Einfeitigfeit unb Sefcpränftpeit
beS ©eftcptefreifeS gerabeju unerläfelicp.
©ie naioen Ißantpeiften arbeiteten mit üerfeprten ÜJJe»
tpoben (©ebuction, Eonftruction unb SMalectif) auf ein un=
etreiepbateS giel (eine apobictifcp gewiffe SRetappßfif) pin.
©ie ftügten fiep auf eine üöllig unpaltbare Erfeuntnißtpeorie
(ben tranScenbentalen SbealiSmuS), welepe confequent burep»
gefüprt jum abfotuten 3dufioniSmuS unb SlgnofticiSmuS
füpren mu|te. ©ie bauten ipre ©pftente auf eine in ber
Suft fcpwebenbe abfolute Spätigfeit, opne ©ubftanj unb ©ub»
ject, unb fafjten biefe Spätigleit entweber einfeitig als ®enfen
ober einfeitig als SBollen auf, opne üon einer biefer ©eiten
per bie anbere witfliep ableiten ju fönnen. golge ipreS
tranScenbentalen SbealiSmuS blieben fie im abftracten iöioniS»
muS fteden, trogbem fie in ipren ©pigen (§egel unb ©epopen»
pauer) jum concreten SWoniSmuS pinftrebten; b. p. fie üer»
moepten bem Snbiüibuum in feinem Serpältnifj jur SBelt
unb jum Slbfoluten niept gereept §u werben. $aS Serpältniß
jwifepen abfolutem Sermögen unb SDtöglicpfeit' einerfeits unb
abfoluter Spätigfeit anbererfeitS blieb bei ipnen, fo weit eS
überpaupt ftpon Serüdficptigung fanb, im Unflaren. Spren
ißantpeiSmuS pielten fie für bie Erfüllung unb gereinigte
SJBaprpeit beS cpriftlicpen SpeiSmuS, opne ben principielien
Unterfcpieb jmtfdpen IfiantpeiSmuS unb SpeiSmuS ju bemerfen.
®er Einfluß ber materiellen Sebingungen im Organismus
auf baS bewußte ©eifteSleben finbet noip feineSwcgs bie ge»
nügenbe Seacptung unb SBürbigung (aufeer bei ©epopenpauer).
S)ie Speiften legten an bte Erfenntnifetpeorie nur üor»
fieptig jögernb ipre ftritif an, maepten aber boep ftüdweife
fepon bem tranScenbentalen Realismus 3 u 0 e f*önbniffe, bie
ben fpäteren Umfcpmung menigftenS üorbereiten palfen, wenn
fie ipn auep niept perbeifüprten. ©ie fügten jur abfoluten
Xpätigfeit baS fubftantieUe abfolute ©ubject pinju unb be=
gingen babei nur ben gepler, biefeS ©ubject als jelbftbemufeteS
unb perfönlicpeS 3cp zu benfen, um bie abgebroepeue Eonti»
nuitat mit ber cpriftlicpen Ueberlieferung mieber perzufteöen.
©ie fügten bie beiben Spätigfeiten beS ®enfenS unb ÜBollenS
als gteiep unentbeprlicpe unb coorbinirte Slttribute zufammen
unb legten Selbe ber abfoluten ©ubftanz als Slttribute bei.
33amit madjten fie eS möglicp, bie Einfacppeit ber äbjoluten
©ubftanz (unter Slbftraction üon ben Slttributen) mit ber
Sieleinigfeit beS abfoluten SSBefenS (©ubftanz fammt effen»
tiellen Slttributen) opne SBiberfprucp zu üerbinben, unb aus
bem üieleinigen SSefen einen ißrocefe zu erflären, ber auS einem
einfaepen SBefen für immer unerflärlicp bleibt, ©ie maepten
weiterpin ben Unterfcpieb gwifepen Potenz unb SlctuS, SBille nnb
SBollen, Inbegriff ber logifepen SRöglicpfeiten (gornten unb
©efege) unb actueüer abfoluter Intuition, b. p. zwifepen logi»
fepem gormalprincip unb Sbee foweit beutlicp, bafe er fünftig
niept mepr überfegen werben faitn. 2)aburcg ermöglicpten fie
eS wteberum, bie Unwanbelbarfeit beS SBefenS mit ber SKanbel»
barfeit feiner Spätigfeit unb bie potentielle Unenblicpfeit ber
effentietten Slttribute in Sezug auf etwaige Xpätigfeit mit
ber Enblicpfeit ipreS SlctuS felbft opne SSiberfprucp zu üer»
einigen, ©o erft würbe eS möglicp, bie SBiberfprücpe zu
überwinben, bie fiep in ber früperen SWetapppfif an bie Ein»
faeppeit, Unwanbelbarfeit unb Unenblicpfeit bes Slbfoluten ge»
fnüpft unb bie Sepre Dom Slbfoluten immer wieber zum ab»
ftracten SftoniSmuS zurüdjgebrängt patten, wie groß auep bie
Slnftrengungen gemejen fein moipten, ipm zu entfliegen. ®ie
Itpeiften förberten ferner baS Problem, wie fiep baS Snbi»
Dibuum z«m Slbfoluten üerpalte, inbem fie ben Segriff Der
gefepaffenen, fecunbären ober abgeleiteten ©ubftanz foweit
bearbeiteten, baß er bis biegt an ben Sun ft gefüprt mürbe,
wo et in ben Segriff beS SRobuS ober ber blofeeit Spätig»
feitSgruppe umfeplägt. Sei ben fpäteften Speiften, welepe
bie materialiftijepe Epoepe beS ßeitgeifteS bereits pinter fiep
gaben (z- S. üoge) finbet enblicp bie Slbpängigfeit beS be»
wufeten ©eifteSlebenS (®ebäd)tuiffeS, EparafterS u. f. w.) üon
teiblicpen gunctionen bereits grunbfäglicpe unb üollftänbige
Slnerfennung.
©er finnlicEje SRaterialiSmuS pat feine ättiffion barnit
erfüllt, bafe er fiep an ben ©ebanfen biefer Slbpängigfeit fo
gewöpnt pat, bafe feine fpätere fDletapppfif mepr fiep über ipn
pinwegzufegen wagen barf. ©aneben pat er auep baS ©ebiet
ber inbuctioen ÜDfetpobe erweitert unb bie Unentbeprlicpfeit
Digitized by v^. ooQie
88
Dt* QUgetttpari
Nr. 6.
eines erfenntniß*tßeoretifdjen fReatiSmuS für ben gefunben
ÜJienfcßenöerftanb wieber ßernotgeßoben, wenn er aucß, ftatt
gum tranScenbentalen fRealiSmuS übergugeßen, ben gelter
beging, in ben naben guriidgufatlen.
©er SlgnoftigiSmuS macßte nicßt nur SteßrauS mit allen
träumen öon einer apobictifcß gewiffen SRetapßpfif, fonbern
führte audj wiber SBillen ben tranScenbentalen SbealiSmuS
ad absurdum, inbem et ben abfoluten SQufioniSmuS unb
bie Unmögticßfeit itgenb Wetter ©rfenntniß als feine ßonfe®
queng aufgeigte.
©ie inbiöibualiftifdje unb pturaliftifdEje SBiHenSmeta»
pßßfif, unb ber tranScenbentale SnbinibualiSmuS beS über»
finnlicßen SRateriatiSmuS nollgogen, wenn aud) gum XfjeiC
nocß oßne recßte Älarßeit über ißr eigenes ©ßun, ben lieber»
gang bom tranScenbentalen SbealiSmuS ©cßopenßauer’S unb
ber übrigen ©antßeifteu gum tranScenbentalen SRealiSmuS,
Wie idj ißn bereits 1868 in ber ©ßilofopßie beS Unbewußten
proclamirt, 1871 in ber ©cßrift über „baS ©ing an fid)
unb feine ©efdjaffenßeit" *) näßer begrünbet unb feitbem in
gaßlreicßen ©djriften nertßeibigt unb genauer burdjgefüßrt
ßabe. ©er felbftßerrücße SnbinibualiSmuS ©tirner’S unb
fRießfcße’S, ber an bem tranScenbentalen SbealiSmuS gidjte’S
unb ©cßopenßauer'S unb an beffen agnoftifdjen ©onfequengen
feftßielt, beraubte ficf) bamit gugleicß ber SRöglicßfeit, für ben
gortfcßritt ber äRetapßßfif irgeub etwas ißofitioeS gu leiften.
©er iiberfinnficße SRaterialiSmuS £>ellenbadj’S unb bu
fßret’S ßat baS Sßerbienft, ben unfterblid)en SRetaorganiSmuS
als bie ©ebingung aufgegeigt gu ßaben, unter welker allein
an eine Unfterblidjfeit ber bewußten Snbioibualfeele gebacßt
werben !ann. ©a Weber bie Iqßpotßefe eines folcßen 9Reta=
Organismus irgenb welctje wiffenfdjaftlid;e Ipaltbarfeit tjat,
nod) aud) baS Snbioibualbewußtfein, bem fie bie gortbauer
nermitteln foll, fid) mit bem perfönlicßen ©ewußtfein beS
SReitfdjeu ober feinem Scß bedt, fo ift bie UnfterblicßfeitSibee,
welche geftüßt werben foÖte, bamit grünblicßer als je guoor
auSgefcßaltet; baburdj ift aber wieber ber Rem beS meta»
pßßfifcßen SnbinibualiSmuS überhaupt getäEjmt, ber gerabe in
bem ÜnfterbticßfeitSwunfcße wurgelt unb aus ißm feine Straft
empfängt.
gaßt man ben ©tanbpunft §amerling’S, nad) welchem
ber all»eine fubftantieüe Sßeltgrunb in ben Snbioibuen, in
benen er fid) fegt, fortbeftet»t, unb benjenigen SBunbfS, nad)
weldjem baS Snbioibuunt eine bloße ©ruppe non ©ßätigfeiten
ift, fpntßetifcß gufammen, fo ßat man bie ©runblage eines
concreten SRoniSmuS, nämlicß eine allgegenwärtige abfolute
©ubftang, beren atomiftifd) geglieberte abfolute ©ßätigfeit
relatin conftante ©ruppen non ©ßeiltßätigfeiten bilbet, bie
wir Snbioibuen nennen. Slber ber fo erhaltene concrete
SRoniSmuS ift nod) ebenfo neutraliftifd) wie ber §ßlogoiö»
muS Ipaedel’S, ©pencer’S unb SRaintänber’S, weil bie Snbi»
nibuen äußerlich wie innerlich bloße ©ummationSpßänomene
auS Sttomfräften unb Sl tombewußt feinen finb. ©er Snbioi»
bualiSmuS ßat biefem RaturaliSmuS gegenüber fo weit SRecfjt,
baß gu ber Summe ber Sttomfräfte unb Sltombewußtfeine
nod) eine leitenbe unb fie in fid) gufammenfaffenbe ©entral*
monabe ßingufommen muß; Unrecßt ßat er nur, baß er in
biefer ©entralmonabe eine Snbioibualfubftang fucßt, ftatt eine
©ruppe non ©Ijätigfeiten beS abfoluten ©ubjects, bie fid)
auf biefe ©ruppe non Sltomfräften leitenb unb oerfniipfenb
begießen.
3lHe Sücßtungen beS SltßeiSmuS Ijaben gemeinfam baßin
gewirlt, mit bem ©ebanfen an bie SRöglicßfeit eines SebenS
oßne perfönlidjen ©ott oertraut gu macßen, oßne barum bodj
bie ©eßnfudjt nacß ©ott auS bem menfcßlidjen Ipergen auS»
tilgen gu fönnen. ©ie ßaben baburd) barauf norbereitet, bie
biSßer allcingiltige, b. ß. bie tßeiftifdje ütuffaffung ©otteS
*) ®ie jroeite unb britte Stuflage biefer Schrift füfirt ben Xitel
„firitifi^e @runbtegung beä tranScenbentalen SleatiSmuS".
gu entbeßren, oßne barum ©ott als Object eines retigiöfen
^erßältniffeS entbeßren gu fönnen. Unwillfütlicß ßaben fie
bamit einer weiteren Läuterung unb Sßergeiftigung beS ©otteS»
begriffeS norgearbeitet, bie in ber Slbftreifung ber antßro»
popatßifcßen Seftimmungen beS SewußtfeinS, beS ©elbfP
bewußtfeinS unb ber ißerfönlicßfeit nom3lbfoluten befteßen muß.
SRacßbem nun bie tßeiftifcßen unb atßeiftifdßen fRid)tungeit
ber SRetapßßfif beS neungeßnten SaßrßunbertS fowoßl ben
negatiuen als aucß ben pofitinen ©ßeil ißrer Aufgabe erfüllt
ßaben, ift bie 3 e ü bafür reif geworben, um ben gaben ber
pantßeiftifcßen ©ntmidelung ba wieber aufguneßmen, wo §egel
unb ©cßopenßauer ißn ßaben liegen taffen. Slber biefe 9ln=
fnüpfung muß allen öericßtigungen, ©rgänguttgen unb gort»
füßrungen fRecßnung tragen, wetcße feitbem im ©ßeiSmuS unb
SltßeiSmuS gu ©age getreten finb. Sn allen fünften: in
ber ÜRetßobologie, ©rfenutnißtßeorie, Äategorienleßre, 5ßrin»
cipienteßre, in ben Slnleßnungen ber SRetapßßfif an bie SRatur»
pßilofopßie, ißfpcßologie unb fReligionSpßilofopßie unb im
SBerßättniß beS Slbfoluten jum Snbinibuum, finb wir öiel
weiter gefommen, als bie großen ©enfer im erften ©rittel
beS neungeßnten gaßrßunbertS eS waren unb fein fonnten.
Slber alle biefe gortfcßritte liegen gerftreut ßerum unb matßnt
fein fpftematifcßeS ©ange auS, weil bie ©egenwart entweber
überhaupt nitßtS meßr unb nod) nidjtS wieber non 2Reta=
pßpfif wiffetr will, ober aber bie ßeutigen SRetapßßftfer nitßt
auf bem ©oben beS concret»moniftifcßen ©antßeiSmuS fteßen.
©ie ©efcßitßte ber 2Retapßßfif läßt eS als bie nä^fte
Slufgabe erfennen, ben concretmoniftifcßen ©antßeiSmuS auf
©runb ber inbuctioen SDietßobe unb ber tranScenbentalrea»
liftifeßen ©rfenntnißtßeorie bureßgubilben, baS abfolute fub»
ftautielle ©ubject beS ©ßeiSmuS oßne beffen ©ewußtfein,
©elbftbewußtfein unb ©erföntießfeit in ben SßantßeiSmuS
ßereinguneßmen, ben einfeitigen ©antßeiSmuS unb ©anlogis»
muS oermittelft gweier coorbinirter Slttribute ber ©ubftang
gu überwinben, ber materialiftifeßen Slbßängigfeit beS bc»
wußten ©eifteSlebenS non organifdjen gunctionen uneinge«
feßränft fRecßnung gu tragen unb bem Snbiöibuum eint
würbigere unb relatin felbftänbigere ©tellung als im abftraä
moniftifeßen unb naturaiiftifeßen ©antßeiSmuS anguweifen,
oßne eS barum gu ßßpoftafiren. Sn biefem Sinne ßabe idj
bie Slufgabe ber ÜJietapßßfif feit ber ÜRitte ber feeßgiger
Saßre aufgefaßt unb mieß bemiißt, gu ißrer Söfung bei»
gutragen. Db idj bie Slufgabe bamit rießtig erfaßt ßabe,
unb in wie weit eS mir gelungen fei, ißrer Söfung näßet ju
fommen, baS gu erörtern, muß fiinftigen ©efcßicßtSfcßreibern
oorbeßalten bleiben.
Die Japanifdje Citeratnr.
JCon papprife.
SBenn man fieß ßente über ben beifpiellofen Sluffcßwung
SapanS wunbert, fo öergißt man, baß eS ben SRamen eines
uralten ©ulturlanbeS nerbient. ©ine reieße, bis in bie graue
Sßorgeit gurüdgufiißrenbe ©efcßitßte geugt bafür, bie groar
immer etwas feßwerflüffige unb nom Sßinefifcßen überwueßerte
©praeße ift alten UrfprungeS unb reidj auSgebilbet unb bic
©cßrift bebient fieß fogar breier ©attungen, Wonon bie
eßinefifeßen SBortgeicßen bie gebräueßließfte gorm bilben. ©enn
baS ©ßarafteriftifeße ßier wie überall ift bie mäcßtige ©eeitt-
fluffung burtß baS naeßbartidje ©ßina. ©rft feit ben legten
Saßren maeßt fieß eine rüdläufige ©ewegung gettenb, Wtlcße
bie ©cfdjränfung beS d)inefifcßen ©influffeS unb götberung
ber alten ©pracßreinßeit gum 3^1« ßat unb aud) bie ßiteratur
nom „Sanb beS 3opfeö" emancipiren foQ. ©aß baS ©cßrift»
tßum SapanS in allen gäcßetn feßr reieß ift, wiffen wir.
Slußer einer Slngaßl ßiftorifeßer SEBerfe nimmt bie große
Digitized by v^. ooQie
Nr. 6.
Die Gegenwart
$9
c^incfifd^*japanifc^e Sncpllopäbie (105 Sänbe, Sebbo 1714)
ben elften SRang ein; aud) bie ße^ilograppie unb Kartograpßie
paben bebeutenbe gortfcpritte gemacpt, tote bie 9iaturgefcpid)te
Diele Sertreter gefunben pat. Sine ganje große ßiteratur
paben bet SonfucianiSmuS unb SubbpiSmuS pertiorgerufen.
?lucp bie poetifcpe ßiteratur ift mannigfaltig unb gept mit
ißren Anfängen nocp weit über baS cßttoütbige 9Uter ber
ßeüenifcpen ßiteratur jurücf. gteilicp ift bie Kenntniß biefer
Sicptlunft nocp fo gering, baß unS ein Urteil über fie
niept möglid) war. Um fo mepr oerbient uttferen ©auf ber
in ßeipjig ftubirenbe ®eleprte Dr. Somitfu Qlafali, ber
foeben bei g 91. SrodpauS eine gut orientirenbe „®efcßid)tc
ber japanifcpen ßiteratur“ perauSgegeben pat.
Ser Urfprung beS ätteften japanifcpen ©ebicßteS t>er=
liert fiep nod) in baS mptßifcpe Sunfet ber Urjeit: eS Wirb
bem ißrinjen ©ufanoo äugefcprieben. 9118 biefer einen Sßataft
in ber ißrobinj S^unto gebaut unb bie ißrinjeffin Kufpinaba
peimgefüprt patte, fott er bie ©tropße gebietet paben:
9ldj, bie greube, mit bir oereint
8« leben, t>oIbe8, tljeureä SBeib,
Qit roolfenumpegtem ipaufe.
Dr. Qlafali erjäplt, baß ©ufanoo ber ©age nad) ein jüngerer
SBruber beS ißrinjen 0=4?irume war, beffen ©tanj unb SRajeftät
man ber ©onne üerglicp, unb bes ißrinjen Sfulupomi, beffen
Sracpt unb 91bel bem ÜRonbe gleicpgefteUt mürbe. 91ber er war
ftarf unb toilb unb würbe oon feinen Srübern unb ©cpweftern
ge^afet, tocßpalb er nad) Korea flüchten mußte; bocß roar er
woßl ein SEBeifet unter feinem Solle. SaS ©ebicpt, roelcpeS
unter feinem tarnen gept, würbe ein SRufter für Sicpterlreife
fpäterer 3«ten. ÜRacß ipm werben ad)t ßiteraten genannt:
fßrinjeffin ©pitateru, Dluninufpi, ^rinjeffitt Stumafapa unb
©uferi, ißrinj fpifopoßobemi, «ßtinjeffin Sopotama, Dfume
unb SRicpiomi. 3b« ©ebicpte finb enthalten in bem Kojifi
unb bem fftipongi, „ben beiben alten ©efcpieptswerfen, bie trofc
inancpeS ©agenßaften ebenfo wichtige Quellen für ben ipifto*
xiter, wie gur Srforfcpung ber moralifepen Sbeen, beS ßebenS
unb ber ÜBeltanfcpauung unferer Sotfapren finb." Som äftpe*
tifepen ©eficptSpunlte auS lann biefen Sicptungen freiticp nicht
oiel Sebeutung beigemeffen werben. Baratt finb jebocp weniger
bie Sicpter fcpulb als ber ßeitgeift. Ser erfte japanifepe
taifer, wenn bie Ueberlieferung Secpt bat: Simntu, ber 660
0 . Sßr. ©cpöpfer einer neuen unb ftarfen ^Regierung würbe, war
auch in ber ßiteratur oon epocbemacbenbem Sinfluß. Son
biefem Jfaifer an bis jum Sabre 600 n. Spr. f>ab 44 Sicpter
belannt.
Sie Selanntfcpaft mit ber djinefiftpen ßiteratur, bie fo
tiefgeßenbe golgen haben füllte, würbe Sapan burd) Korea
Oermittelt. Ser Serlepr gwifcpen beiben ßänbern beftanb oiel*
Ieicpt fdjon 1000 Sapre 0. Spr., wie ja auch ber erfte japa*
nifcpe Sinter ©ufanoo nach Korea geflüchtet fein fotl. Ser
Ueberlieferung nach würbe oon bort fcpon jwifipen 100 o. unb
100 n. Spr. bie epinefifepe 2Bortfcprift in Sapan eingefübrt.
9lber fie war bem Solle ju fcbwierig; e8 war eine leidster
faßliche ßautfcprift gewöhnt. Saber blieb fie unpopulär unb
fanb leine weitere Serbreitung, obwohl bie einpeimif^en Sud)’
ftaben ober beffcr ©cbriftjeidjen febr unjureidjenb waren.
Sag önberte ftd), al8 ber König Oon Kubara in Korea bem
Kaifet Qjin im Sapre 284 n. 6p r - baö dpinefifcbe SBetl SRongo
fcpenlte. ©eit biefer 3 e it üerbreitete fiep nadp unb nad) bie
ebineftfepe ©eprift in Sapan, Weil aud) ber Serlepr jwifepen
beiben ßänbern ein regelmäßiger würbe. SmSapre 402 n.ßpr.
erpielt jebe S r aöinj ein ®efd)icpt8amt, unb im Sapre 500 n. ßpr.
Würbe ein Ueberfepungäamt gegrünbet, beffen 91ngeftetlte meift
Koreaner waren, bie baS japanifepe Sürgerrecpt erworben
patten. Somit war ber ©ieg ber epinefifepen ©eprift enU
fepieben, wenn auep oorläufig nur auf bem ®ebiete ber ißrajig.
9luf bie japanifdpe ßiteratur bagegen pat bie epinefifepe SDioral»
ppilofoppie be8 Sonfuciug (550—478 o. ßpr.), mit ber man
butep jenes 933er! belannt würbe, bis jur bamaligen $dt nur
fepr geringen Sinfluß auSgeübt, ber aber fpäter gewaltig toucpS.
Dr.ÖfafaH fepreibt über bie jtoeite Siteraturperiöbe oon 600 bis
800 n. Spr.: „Sie epinefifepe SRoralppilofoppie auf ber einen,
bie Religion unb SpUofoppie beS SubbpiSmuS auf ber anberen
©eite paben ju bamaliger 3«it bie eigcntpümlicpen Sbeen unb
Sbeale bet Sapaner üeränbert, Wie fie auep baS ßeben beeinflußt
unb bie bisherigen ©ebräuepe tpeilweife jerftört paben. SaS
Soll trat auS bem ißarabieS in bie ÜBirlüdpfeit, eS warb ein
anbereS Soll, Odn bem man wopl fagen lann, baß eS in biefer
ißeriobe einer Sicabe oergleicpbar war, bie ipre £>aut abge=
worfen pat." Son ben fremben SPUofoppen unb Sßrieftern
Würbe ber gefammte ßiteraturlreiS jener 3«it beeinflußt. SS
war im Sapre 552 n. ©pr., als ber SubbpiSmuS, ber oon
Korea nad) Sapan getommen mar, officieU anertannt würbe.
Unb unfer Sapaner fäprt fort: „Sie ßeute, toelcpe bis bapin
nicptS §öpereS unb ©blereS als bie fipattenpaft toebenben
©epemen iprer ©eifter gelannt patten, fie lernten jept glauben,
baß eine perfönlicpe ©ottpeit ipr ©epidfat lenle, baß Subbpa
fie glüdlicp ober ungtüdliip maepen lönne, opne baß man ben
©runb baüon ju erlennen Dermöge, unb baß er bie ÜJlacpt pabe,
Kranfpeiten ju peilen, Seicptpum unb langes ßeben ju oet=
leipen. Sie ißrebiger leprten fie auep, Krante ju pflegen
unb mit 91rjneien ju peilen, pielten fie an, SBittwen unb
SBaifen mit ©elb unb Kleibern ju unterftüßen. Sie ißriefter
erfepienen felbft in ben Kranfen* unb SBaifen* unb 9trmen=
päufern. 91ucp um baS ©mporbliipen beS ßanbeS maepten
fiep bie Subbpiften oerbient, inbem fie ßanbftraßen, mit
Säumen bepflanjt, anlegten unb ben Serlepr burd) ben
Sau üon Srüden unb burd) ©inridjtung oon glußüber»
faprten poben." Ser Serlepr mit Spina würbe üon bem
größten Subbpiften, bem ißrinjen ©potofu (573—621), er*
öffnet, ber Sapan auep feine berüpmte erfte, bubbpiftifcp*
epinefif^e Sonftitution oerliep. Sie gelcprte Sugenb ftubirte
jahrelang in Spina; unb eS ift bejeiepnenb, baß in ber ßieber»
fammlung beS Kmaifuß (751 o. Spr.) meift epinefifepe unb
fepr wenige japanifepe ©ebiepte finb; nur baS japanifepe
ßieb, baS Uta, rettete fiep auS „bem Saifun epinefifeper unb
inbifeper 9lnfcpauungen", bie boep auip oiel corrupte Slemente
enthielten. 3 U Anfang beS 10. SaprpunbertS oerfuepte bie
cpineftßpe Ueppigleit unb Srunlfudjt — niept opne Srfolg —
jttar auep in Sapan einjubringen, aber je mepr bie ©eptoäcpe
unb Qberfläcplicpleit SpinaS pier belannt würbe, befto mepr
mürbe ßanb unb Soll ber Spinefen oon ben Sapanern miß»
aeptet; ein gefunbeS SRatioitalgcfüpl braep fiep Sapn, beffen
Sntmidelung noep baburep begünftigt würbe, baß mit bem
©turje ber So*Spnaftie im Sapre 908 ber Serlepr mit
Spina eine 3 e ‘t lang unterbrochen warb, ©o entfaltete fiep
bie -Kationalliteratur ungeftört mepr unb mepr unb lam
fipließliep jur 9lßeinperrfcpaft im ßanbe. ©epon im Sapre 905
erfeßien auf Sefept beS KaiferS Saigo baS Kofin=@pu (etwa:
„91lteS unb fReueS"), bie erfte laiferticpe ©ebieptfammlung.
©ie ift eilt berebteS 3«ugniß üon bem üBibertoiHen gegen ben
3eitgeift beS 9. SaprpunbertS mit feiner ÜJtacpapmung beS
Sßinefifcßen. ©o weift %. S. Ki*no Sfurapuli (882—946)
in ipr barauf pin, baß autp bie japanifepe fßoefie, fo gut
Wie bie epinefifepe, fed)S SieptungSformen lenne, unb ift beß*
palb ber 91nfidpt, ba bie altnationale Sicptlunft ebenfo auS*
brudSfäpig unb formenreiep fei, wie jene, baß man jept ipr
wieber Seaeptung fcpenlen unb im Uta*©tile bitten foUe.
Somit pat er in ber Spat bie Stimmung beS SolleS mit
liebeooHem Serfiänbniß erlannt unb auSgefprodpen. 3 U
gleieper 3^it würbe am laiferlicpen §ofe ber @pi=@efellfcpaft
(b. p. ber ©efeHfepaft für (pineftfdpe Sicptung) eine Uta*®e*
feüf^aft aegenübergeftellt unb im Sapre 951 aud) ein Uta*
91mt im raiferlicpen ißalafte errietet. 2Sie immer, fo ftanben
aud) jept Wieber bie grauen mit an ber ©pipe ber ßiteratur«
bemegung. Samen beS §ofeS waren eS, bie im Sapre 960
ein „Uta*91toafe" eröffneten unb jtoar mit ben SBorten: „Sie
5D?ämter paben nur ju oft einen Söettftreit auf bem ©ebiete
Digitized by v^. ooQie
s
90
DU ffitgetttoari
Nr. 6.
ber Siteratur unternommen, lafjt unS nun einen Uta»3Settftrcit
beginnen!" (Sin folcpeS Uta«2lroafe fönnte man, naep Br. Ofafafi,
mit einem Sängerfrieg Dergleichen. Seber Micptet bemüpte fiep,
baS fepönfte Sieb ju biepten. MiefeS mürbe bann, entmeber
auf buntes Rapier gefeprieben ober an einem gädjer, einem
©lumenftrauß befeftigt, an bje ©reiSricptcr gefepitft, melcpe
2lnfangS geregte Äritif übten, bis fic^ teiber aud) pier mit
ber ßeit ©arteilicpfeit unb ©orurtpeil einfcplicpen. Murcp
biefe SSettfämpfe fd^eint bie bicpterifdpe ©robuction feJjr an«
geregt roorben ju fein; bie ßapl ber Mupter unb bie gorm«
gemanbtpeit poben ftd). Mas 11. Saprpunbert mar fo reidj
an Micptetjt unb Mieterinnen, bajj ber ft’aifer Horifaroa Dier«
Zepit ©oeten — unb baS maren nur bie betannteften — ben
Auftrag geben tonnte, punbert ©ebiepte ju Derfaffen, unb
man muff miffen, baff eS am ©nbe beS 12. SaprpunbertS
Mieter gab, bie an einem Mage gegen taufenb folget epi«
grammartiger Uta ju fepreiben im Stanbe maren, um fiep
einen ©«griff non ber ©emanbtpeit ju inaepen, bie man in
ber ©epanblung ber nationalen MicptungSfotm erlangt patte.
3m 12. Saprpunbert DoUjog fid) eine noe ftärfere ©man«
cipation Don ©pina. Mie ©ioilifation beiber Sänber tjatte faft
biefelbe Höpe erreicht, unb man befaß jeßt in Sapan bie nie!
bequemere Jtanafcprift. Bugleicp trat e * n günfttger Untftanb
für beren ©erbreitung ein, nämlie jene Unterbreeung ober @r»
femerung beS ©erfeprS mit ©pina, bie auep ju bem 2luffcproung'
ber japanifepen Stationalliteratur beigetragen batte. Menn ba
mar eS blofj natürlich, mentt man bie einpeimifepen ©ebanfen
unb Saute auch burdj bie ein^eimifefje Scprift mieberjugeben
fuepte. ©alb begann man nun, bie pponetifepen Stanazeicpen
mit ibeograppifepen epinefifepen Scpriftzeicpen untermifept ju
gebrauchen (mie eS noep heutzutage ber goß ift), — unb baS
mar jugleicp ber äufjerlicpe 2luSbrud ber ©erfcpmelzung beS
japantfepen unb epinefifepen SbeenfreifeS, bie ficb jeßt Doll«
jogen botte. Miefe ©erfcbmelzung mar befonberS Dortpeilpaft
für bie grauen, gür fie mar ©pina nach ben bamaligen
©erpältniffen zu meit entfernt, unb fo tonnten nur febr menige
bort ftubieren ober auch nur baS poipgeaeptete „Steicp ber
SRitte" fepen. Sn golge beffen maren bie d)incfifcpen Scprift«
Zeiten boppett febmer für fie zu erlernen. Seßt bot ficb ihnen
bie längft erfebnte SRöglicpfcit, ihre ©ebanfen unb ©efüble
febr leiept auf bem Rapier feftju^alten. Mie ©lütbezeit ber
grauenliteratur zmifepen bem 10. unb 11. Saprpunbert Der«
banft baber Sapan mobt bouptfäcblicb ber ©infüprung ber
bequemen Stanafcprift.
MaS raube 13. Saprpunbert mit feinen Steoolutionen
unb Kriegen machte bem, menn eS Dr. Ofafafi auch Der«
tennt, ftarf fpielerifcpen unb roeibifepen ©parafter ber
japanifeben Mittung ein ©nbe. Mie Sänger finb jeßt nie!«
faep ©eneräle, unb militärifebe Stomane unb triegSgefcpicpten
roerben beliebt, ©rft im 17. 3aprpunbert, mo bie Mieter
unb Micbterfcbulen aller Orten blühten, beginnt bie claffifc^e
3eit ber japanifeben Micptung. Mer ibeale unb grojje ßug
tarn burep SRatfuo ©afebo (1644—1694) hinein, ber in bem
fo unfepeinbaren Haifei „bie 2lnmutp ber japaqifcpen Sprache
unb bie Schönheit ber ebinefifeben Schrift" §u oereinigen muffte.
MaS ^aifai ift objectioe Sprit; bie Micptet beobachteten bie
Statut meiftenS objectio, unb bie Sieber fpreepen Don ber
Sepnfucpt nach bem Ueberirbifcben, Don ber ©ntpebung aus
bem ©rbenftaube. Oft hoben biefe £>aifai auch ben 3med,
auf ernfte, bittere ober launige SSetfe bie gebier ober Mbor«
peiten ber SRenfcpen lächerlich z u machen unb zu Derfpotten
unb fie mit Sronie unb Satire auf ifc»re Unmiffenpeit unb
Ueberfpanntpeit aufmertfam zu machen. MaS Haifai bot
eine tnappe, lafonifepe gorm, fo bafj ipm baS fepöne, füefjenbe
©emanb poetifeper güüe abgept; in mandjen ftört auep ein
geringfügiger Stoff ober eine unfeine SluSbrudSroeife. 21 ber
ber feaifaUMicpter glaubt burep bie Sdjlicptpeit unb Änapp«
peit für folcpe SDfängel ooflen ©rfap z u geben. Miefe Micpter
gehörten ben Derfcpiebenften Stänben, ©erufen unb ©etennt«
niffen an. 2llS ^>aitai«Mid)terinnen mürben Sono (1653 bi?
1726) unb &'aga«no ©pipo (1702 bis 1774) poep gepriefen,
unb ein £>aifai ber Seßteren mutpet bie Japaner an ttie
„©lumenbuft unb Sercpenfang".
53eim Xobe ctncS Änaben.
0 fiebfteS Ätnb! Sibcflen ju fangen
SBie bift bu boeb beut' fo meit gegangen!
6o meit , gar fo meit!
©S giebt in Sapan teinen zweiten Micpter, ber fo poep
gefepäßt roirb mie ©aSpo. SBorauf beruht baS? „Seine
ipaifai finb ebenfo turz, bloß fiebzepnfilbig, mie bie bet anbera;
er patte meber ein eigenes popeS Spftem, noep Dorbilblicpe
Mugenb; er mar roenig belcfen, patte menig ©elb unb roenig
©erfepr mit ©clcprten unb ©bien. 2ßie tarn eS alfo, baß
er bis zum heutigen Mage als Scpußgott bet Micptfunft Der«
eprt mirb? — Mie nie oerfiegenben 0.ueHen ber Sprit, alfo
beS $aifai, finb bie SJiatur unb baS ÜRenfcpenperz: unb ge«
rabe biefe beiben ftrebte ©aSpo in feiner Micptung freubig
uttb unermüblicp zu ergrünben. Sein reiner ßparatter unb
feine fdjöne Einlage liegen ipn bie Statur in iprem innerften
SBefen erfennen unb in bie Miefen beS üRenfcpenperzenS blicten.
Mie eroig munberbare Statur mar fein Sbeal, unb fein ffiapl«
fpruep piep: „golge ber Statur!" Sein |>erz tonnte ipre
SBunber marm naepempfinben, unb er mar gemip mepr als
Slnbere baooit burepbrungen, bap ber ©enup ber fdpönen
Scpöpfung baS gemcinfcpaftlicpe ©efüpl ber ganzen 9)tenfd)=
peit ift, burep baS mir Derbrübert merben, ja, burep baS mir
alle, Dom fiaifer bis zum ©ettler, unaufhörlich zufammen«
gefettet finb."
Dr. Ofafafi nennt ben Micpter Äamono SJtabucpi unb
beffen Scpüler ÜJtotoori Storinaga (1730—1801) bie eigentlichen
SJteffiaffe ber japanifepen Stationalliteratur. Spre ^auptroaffe
mar bie ©aterlanbsliebe. 2tucp Mrama unb Stooetle mürbe ba<
malS gepflegt. 6pifamatfu«3Ronzaimon, ber gröpte Mramatifer
SapanS, fepilbert in feinen mepr als 100 äöerfen Äpoto mit
feinen traumhaften Sagen, mit feinen emig grünen ©ebirgen,
feinen uralten ftirepen unb ben lacpenben Mpälern, foroie boi
Seben bort unb feine eigenen Dielen ©rlebniffe, als er in biejs
Stabt mopnte. @r patte eine bubbpiftifdpe SBeltanfcpauunj.
Oft fragte er fiep, ob eS auf ©rben ©lüdfeligteit geben fönnt
„MaS SRenfcpenfcpidfal mirb, meines ©racptenS, faum Se«
friebigung gemäpren; gepet liebet in’S Senfeits!“ „®ein
lieber §err ©ater unb grau ÜJtutter, ipt merbet auep fterben
mie anbere SRenfcpen, boep lebet mopl auf SBteberfepen im
SenfeitS, roo mir unS bann ungeftört unterpalten fönnen!* '
211S Sprifer napm er einen popen Stang ein, unb Dr. Ofafafi j
bemerft, bap feine Marftetlung menig anftöpig unb niebrig ift; 1
inbeffen maprte auep er bie Mugenb niept genug, unb bie Se=
friebigung beS ©efüplS unb bie ©rfüflung beS ©JillenS fpielten
bei ipm immer eine grope Stolle. „21 cp, mir feplerpaften
ÜRenfcpcn leben jeßt in ber Deränberlicpen unb fcpicffalDoUcn ,
SSelt, mie fönnen mit nur baS Seben noep ertragen!" „Scp j
benfe, icp pabe meiner ritterlichen ©flicpt in biefer SEßelt @e« I
niige getpan, aber eS feplt mir nun bie Siebe unb ©üte; ad),
mit melcpen Hoffnungen lebe icp noep länger in einer folcpen
SSelt!" 2llS Mragöbienbicpter fepilbert er befonberS leben?«
mapr unb padenb ben Sturm ber Seibenfcpaften, ben Sclbft*
morb unb bie Scpmermutp.
Seiber mäprte bie japanifepe Slaffif niept allzu lange. 6?
tarn bie frioole Suft Don Stpoto unb Dfafa, motioirt eS unfer
Siterarpiftorifer. ßmifepen 1760 unb 1785 Dertrug fiep bic
Spogun«gamilie niept, unb eS gab reept Diele Parteien in bei
Stegierung. ©iner ber güprer, Manuma=2Rototfugu, mar ein
ganz ftttenlofer ©fenfep, rüdficptSloS, Derborben unb bereepnenb.
Murcp biefeS fcplecpte ©eifpiel üon oben Derfiel ganz Sapan
in ©itelfeit unb Unfittlicpfeit. Snfolgebeffen erfepienen gegen
1765 oiclgelefene ©rzäplungen über gemeine SBeiber unb un«
Zücptige Siebe, gegen 1770 mißelnbe unb poffenpafte ©Berte,
unb um 1780 tauepten unzäplige ©üeper erotifepen Snpalt?
Digitized by
Google
Nr. 6.
Die G&egettroart
91
auf. ®amt folgten 6iS 1806 „bem ttmnfetmütf)igen 9Wenfdjeit*
gcifte ju Siebe" feiert fajjlid)e gefd)id)ttitf)e Srjäljlungen, bte
meift oon ber üfacfye am geinbe banbetten. Sta ftef) aber
injroifcf)en bte potitifdjen 33ertjättmffe änberten, baS ©t)o<iunat
tm 3ctf)te 1786 meebfette unb fein Vertreter s JJafutuo SRoto*
tfugu’ö ©teile einnabm, mürben bie SRomatt* unb 9?oüetlen*
biebter auch in anbere Sabnen getenft. 3m $wmbumbrel)en
maren fie 2)ibalttfer geworben, unb jroifeben 1792 unb 1796
befebäftigten ficb bie Siebter jumeift mit ^etbengefebiebte ober
äRptbologie. S)tcfe SSerättbcrung ber Sntereffen mar eine er*
febnte ßuffodjt für bie bamatigen ©ebriftftetter. ©egen 1804
mar bie ©lütbejeit für bie Siteraten; bamatö mürben oon
jebem populären SBucf) etma 10 000 Sjemplare fyerauSgegeben.
SluS neuerer geit nennt Dr. Dfafati noct) ben Üftobe*
fcbriftfteQer Stamenaga ©banfui ‘(geft. 1842), ben SSerfaffer
moDüftiger ©rjäblungen, unb ben noch I)eute beliebten SRßutei
Stanefjifo. Staffen Stnficbt über bie UrtbeitSfäf)igfeit ber
SKenge tautet: „2Bcnn ein ©ebriftftetter heutzutage non neun
Sefetn gepriefen unb oon einem auSgetadjt mirb, fo fann
man fidjer fein, bafj feine SBerte nidjtS taugen, aber für i^n
eine ©otbgrube finb, mäbrenb umgefebrt bie SBiictjer guter
Autoren meift menig gefallen unb einbringen.“ • ®tejc bübfebe
©enteng paßt nicht nur auf Sapon ... Seiber fagt und
Dr. Dfafafi nichts über bie heutige Siteratur. Sollte bie
©uropäifirung SaponS feine Dichtung oerfümmern unb ju
©unften oon ÜWilitariSmuS unb SnbuftrialiSinuS nur noch
bie prattifeben Sbeate förbern?
■ f -A f.
^Feuilleton.
•* r **>-* . —- ...... »a<$brurf »erboten.
(Eine Begegnung.
Von (Edgar Ullan poe.
Ueberfeftung oon 3°^ anna HWUenpoff.
(Scpiu&.)
-$ie Unruhe war oorüber. $ie [IWenge ^attc fiep z ers
ftreut, bie Siebter im Sun*™ de« [ßalafte« waren erlofcpen, unb ber
grembe, ben id) nicht erfannte, fianb noch allein auf ben SWarmorfliefjen.
©ine räthfelpafte Aufregung fehlen feinen Körper zu burepfepüttern, unb
feine Sölidc richteten fich fuchenb umher nach einer ©onbel. geh tonnte
nicht umhin, ihm bie meinige jur Verfügung zu ftellen, unb er nahm
ba« Anerbieten an. Nachdem ber ©onbolier für ba« oerlorene [Ruber
an ber SBafferpforte ein anbere« befommen hotte, fuhren wir miteinander
bi« ju feiner 2Bopnung. 2)er grembe hotte feine gaffung rafch wieder
gewonnen unb fpraep bann mit anfehetnenb großer ^erzlicpfeit üon
unferer früheren flüchtigen Vefanntfcpaft.
©S giebt für mich 2>inge, bei denen ich mit grofjem Vergnügen
bi« in bie geringften ©inzelpeiten üevweile. S)er fremde — e« mag
mir geftattet fein, ihn, ber noch für alle SBelt ein grember war, auch
ferner mit biefem SBorte ju bezeichnen — bie [ßerfon de« gremben alfo,
ift eine oon ben mich befonber« intereffirenben ©rfepeinungen. 28a«
feine ©eftalt betrifft, fo mochte fte noch eher unter, al« über bem ge*
wöhnlichen ©rö&enmafje flehen, ©leicpwopl gab eS Augenblicfe inten®
ftoer ©rregung für ihn, in denen fein Körper thatfächlich 8 U wachfen
f<pien unb feinen erften ©inbruef wieder vernichtete- Sein fchlanter Vau
unb da« beinahe jarte ©benmajj feiner ©lieber beutete eher auf eine
ftet« bereite Xpatfraft piu, wie er fte eben auf ber ©eufjerbrücfe be®
wiefen hotte, al« bafj ft« jene ausdauernd perfultfcpe Äroft hätte ahnen
laffen, bie er, wie befannt, bei Vorfommniffen oon oiel gefährlicherer
Art, ohne bie geringfte Anftrengung an ben Xag gelegt hotte. 2Wunb
unbÄtnn waren bei ihm oon wahrhaft göttlicher Bildung; feine großen
Haren Augen mit bem eigentümlich wilden ©lief fchienen in ihrem
leuchtenden $)unfel bie ©djatttrung üom reinen hellbraun bi« jum
tiefften glänzenden ©cpwarz ju durchlaufen; au« einer güffe fdjmarz*
gelösten #aare« fchimmerte bie ungewöhnlich breite ©tim mit bem
matten SSeijj de« ©Ifenbeine« heroor. 3«^ Sorm feiner 3üge tpor oon
clafftfcher 9iegelmägig!eit, wie ich ft? nirgendwo gefehen höbe, aufjer
oieüeicht an ben 3Rarmorbilbern de« Äaifer« ©ommobu«. Unb dennoch
war fein Antlifc eine« oon denen, wie eS ben meiften 9Renf<ben ju
irgend einer 8 e tt lh*e« Sieben« einmal begegnet fein mag, da« fte aber
fpäter nicht wieder erblich hoben. ©« war ein Antlifc ohne einen be=
fonber« eigenartigen Au«brucf, ja er hotte nicht einmal einen beftinimt
oorherrfdjenben AuSbrucf, ber fich bem ©ebächtniffe hätte einprägen
töttnen. ©S war ein Antlip, ba« man fah unb wieder oergeffen mochte,
aber nur oergeffen, mit bem unwidfürlichen, nie fchwinbenben SSerlangen,
eS im ©eifte wieder hetaufbefchmören ju tönnen. [Rieht al« ob irgend
eine rafch entfeffelte Seibenfchaft je oerfehlt hätte, auf bem ©piegel biefe«
AntlifceS ihr öilb in unoerfennbaren ßügen aufleuchten ju laffen —
nur bafj biefer ©piegel, fobalb bie ßeibenfehaft oerfchwunbett war, auf
feiner glatten gläcpe auch nicht eine ©pur baoon jurücf behielt
Al« ich meinen greunb in ber [Wacht de« gemcinfam erlebten Aben=
teuer« oerliefe, bat er mich bringend unb in einer, wie e« mir fchien,
etwa« ungeftümen Art, ihn doch am nächften borgen fehr früh 8« be=
fuchen. S)emgemäb fand ich ntid) bald nach Sonnenaufgang in feinem
[ßalafte ein, ber eiüer jener gewaltigen ©ebäube war, bie ftch mit büfter
phantaftifcher [ßracht in ber [Wähe de« SRialto an ben Ufern de« ©anal
©ranbe erheben. 3Ran jetgte mir auf einer breiten SBenbeltreppe pon
3Wofaif ben A3eg ju einem ©emache, beffen unOergleichlicher ^runf f^on
durch bie geöffnete $hnr mit blendendem ©lanje auf mich einbrang.
3Wir fchwinbelte oon afl' biefer Oerfchwenberifchen Ucppigfeit. [5)er [Weich¬
thum de« ©igenthümer« biefer ^errlichfeiten war mir nicht unbefannt.
2)a« ©erüdjt hotte baoon in Au«brücfen gef proben, bie ich niir fogar
erlaubt hatte, al« bie Schilderungen lächerlicher Uebertreibung ju be=
jeichnen. Aber al« ich ftaunenb umherblicfte, oermochte ich nicht länger
ju glauben, dag eS in ©uropa einen Untertanen geben rönne, beffen
Schäfte auSreichen würben, biefen fürftlichen Suju« ju befchaffen, wie
er hier um mich funfeite unb firahlte. Obwohl bie ©onne bereit« am
öftüchen £immel ftanb, war hier Alle« noch glänjenb erleuchtet, tiefer
Umftanb in Verbindung mit einem AuSbrucf ber ©rfdjöpfung in ben
gügen meine« greunbe« lieg mich darauf fchliefjen, ba& er während ber
ganjen Oergangenen [Wacht ba« Vett nicht berührt hoben mufete. 3n
ber Architeftur unb bei ben Verzierungen de« ©emache« war offenbar
bie Abficht Oorwiegenb gewefen, ju blenden unb bi« jur Verwirrung
in ©taunen ju oerfeften. SBenig Aufmerffamfeit war darauf oerwenbet
worben, Harmonie in ber AuSftattung herrfdjen ju laffen ober ben
©igenthümltchfeiten der [Rationalität [Rechnung ju tragen. 2)a« Auge
wanberte oon einem ©egenftanbe jum anderen, ohne bei einem ju Oer-
weilen, — weder bei ben ©roteSfen ber gried)tfchen flRaler, noch &ci ben
©fulpturen au« ben beften S^ten ber italienifchen ^unft ober bei ben
coloffalen Vilbnereien de« alten Aeghpten«. 3« jedem SBinfel de« ©es
mache« fah man reiche Draperien fich leicht bewegen ju ben Schwül®
gungen einer fanft oerflingenben melancholifchen SRufif, ohne dag man
entbeefen fonnte, woher biefe fam. Au« feltfam geformten fRaudjgefäfjen
fprühte eine 9Wenge jüngelnber glommen oon fmaragbgrüner ober oio®
letter gärbung empor, einen wahrhaft finnbetäubenben ©)uft ber Oer®
fchiebenartigften SBohlgerüche oerbreitenb. 3)urch genfter, bie au« einer
einjigen ©epeibe glühend rothgefärbten ©lafe« beftanben, ergo^ fiep über
ba« ©anze btefe« ppontaftifepen ©emaepe« ber erfte ©epein ber 2Rorgen®
fonne. Ueberaü, bald pkr, bald dort, an ben Vorhängen, welche in
breiten ©treifen wie flüfftge« ©Uber oon ipren ©alerten niebermaßten,
in taufenb [Reflexen aufbliftenb, oermifepten ftep juleftt bie Strahlen ber
natürlichen ©onnenglorie in aufjuefenber ©lutp mH ber fünftlicpen Ve®
leucptung unb lagerten fiep brütend in gedämpften 3Raffen auf etnern
wie lautere« ©olb fepimmernben Seppicp oon cpUifcpem ©ewebe.
#
Digitized by v^. ooQie
92
Die Gegenwart
Nr. 6.
©löplicp bracp ber §err biefcr [Räume tn ein peßeS ©eläcpter auS,
fobalb icp in baS ©ernacp eintrat unb forberte miep auf, $lap ju nehmen,
©r felbft ftrecfte fiep ber ganzen Sänge nacp auf eine Ottomane bin.
„3<P fepe", fagte er, als er bemerfte, bafe icp mich niept fogleicp in bte
Art unb SBeife eineS fo fonberbaren ©mpfangeS pineinfinben tonnte,
„icp febe, Sie fmb erftaunt über meine ©inricptung, über meine Statuen,
über meine ©emälbe, über bie Originalität meiner ©ntwürfe, waS bie
©auart unb AuSftattung ber ©emäcper betrifft. SebenfaflS gerabegu
beraufcbt Don aß* ber ©racpt, waS? — Aber Derzeipen Sie mir, mein
befter £err", pier naprn feine Stimme ben Ton aufrichtiger ^erzltcpfeit
an, „beleihen Sie mir mein rücfficptSlofeS Gelächter. Sie fcbienen fo
ganz aufeer ftcp Bor ©erwunberung. Aufeerbem giebt eS einige Tinge,
bie fo Doßfommen läcperlicp finb, bafe ein SRann barübet lachen mufe
ober baran fterben. Sacpenb zu fterben, muß ber glorreicpfie aller glor*
reichen Tobe fein! Sir TpomaS SRoore — ein perrlüper ßRann ift
Sir TpomaS ßRoore — Sir TpomaS ßRoore alfo ftarb lacpenb, wie Sie
fleh erinnern werben. ©benfo giebt eS in ben »AbfurbitieS* bon [Ras
DtfiuS Tejtor eine ganze SRett^e ju ©paraftere, benen eS Dergönnt mar,
auf blefelbe prächtige ^Steife 5 K enben. 2Biffen Sie aber", fuhr er nach*
benfliep fort, „bafe in Sparta, weftlicp bon ber ©urg, unter einem
©paoS faum erfennbarer Ruinen fi<p eine Art Soctet befinbet, welcher
in noch lesbaren Settern bie Snfcprift A2M trägt? Sie fmb unjweifeU
paft ein Tpeil Uon rEAASMA (Gelächter). 9hm in Sparta gab eS
taufenb Tempel unb Elitäre für taufenberlei Derfcptebeue ©ottpelten. SBie
pöcpft fonberbar, bafe ber bem Sachen gewibmete Altar alle anberen
Altäre überbauert haben foflte. Aber in bem gegenwärtigen gälte", hob
er nach einer SBeile mit eigentümlicher ©eränberung in Stimme unb
SBefen wieber an, „patte icp fein [Recpt, miep auf ipre Soften luftig ju
maepen. Sie tonnten mit [Recpt erftaunt fein. (Europa pat nidptS fo
ScpöjteS aufeuwetfen, waS biefem meinem tleinen föniglicpen ©abinette ju
bergteiepen wäre. 9Reine anberen ©emäcper finb fetneSroegS bon ber=
felben SXrt — blofee Ucbertreibungen nicptSfagenber mobifeper ©efepmaefr
lofigfeiten. TteS picr ftept über ber 9Robe, nicht wapr? Unb boep
braucht eS nur gefepen zu werben, um ben SBetteifer zur [Racpapmung
perauSjuforbem. TaS petfet nur für Solche, bie mit Aufbietung ipreS
ganzen ©rbtpeilS bazu im Stanbe fmb. 3nbeffen, icp bin barauf be*
baept gewefen, einer folcpen ©ntwelpung bor^ubeugen. Abgefepen bon
einer einzigen AuSnapme finb Sie, aufeer mir felbft unb meinem Wiener,
baS erfte menfcplicpe Söefen, bem eS geftattet würbe, biefe [Räume $u
betreten, feitbem biefe in ber Art, wie Sie fie fepen, auSgefcpmiicft
würben?"
3um 3 eic & en meiner Anerfennung maepte icp eine ftumme ©er*
Beugung, benn bie [ßraept, bie beraufepenben Tüfte unb bie SRuftf, baS
AßeS jufantmen in ©erbinbung mit bem ©inbruef feiner unerwartet
ejeentrifepen SBorte unb feines ©enepmenS brang mit fo übermältigenber
©mpfinbung auf miep ein, bafe eS mir unmöglich war, meine Anerfen*
nung, bie icp fonft $u einer artigen Scpmeicpelei geformt paben würbe,
in ©Sorten AuSbrud ju geben.
„Sepen Sie", ergriff er wieber baS SBort, inbem er fiep erpob
unb auf meinen Arm fiep ftüpenb im ©ernaepe umperfcplenberte, „fepen
Sie, ba finb ©emälbe öon ben ©rieepen biS auf ©imabue, unb oon
©imabue bis ju ben mobernften SReiftern. 3Rancpe barunter finb, wie
Sie bemerfen werben, mit geringer ©erücfficptiguug ber gorberungen
ber 5Roval gewäplt worben. Sie finb inbeffen aße bie paffenbe Aus*
fiattung für ein ©emaep wie biefeS pier. 2)a ^epen Sie auep einige
3Reifterwerte Don unbefannten ©röfjen; unb pier unooßenbete Entwürfe
Don Männern, bie in ipren Xagen berüpmt waren, bereu tarnen aber
fogar bie Scparffüptigfeit ber Atabemien ber SSergeffenpeit unb mir über*
taffen pat. 28a3 palten Sie", fagte er, inbem er fiep plöfclicp abwanbte,
„waS palten ©ie Don biefer ßRabonna beßa $ietä?"
„Sie ift ein eepter ©uibo!" rief icp Doßer SBegeifterung auS, benn
icp patte miep gan$ Derfenft in bie AßeS übertreffenbe Sieblicpfeit beS
©emälbeS. „Sie ift ein eepter ©uibo! 28ie paben Sie fiep biefeS
SReifterwerf nur ju Derfcpaffen gewußt? Sie ift opne grage in bei
Malerei baffelbe, waS bie SSenuS in ber Sfulptur ift."
„3a!" fagte er nacpbenflicp, „bie SSenuS — bie fepöne SBenuS?
bie S3enuS Don SRebici? Sie, mit bem tleinen Äobf unb bem golbigen
©aar? ©in. Xpeil beS linfen ArmeS" — pier liefe er bie Stimme
finten, bafe er nur noep mit SRüpe ju Derftepen war — „unb ber ganje
reepte Arm finb reftauxirt, unb in ber $ofetterie biefeS rechten Armes
tft, wie icp meine, bie Ouinteffenj aßeS ©edierten enthalten, ©eben Sie
mir ben ©anooa bort? $>er Apoßo ift auep eine (Sopie — baS ift
aufeer aßem Qtottftl — blinber Xpor, ber icp bin! $)te praplerifcpe
Segeifterung beS Apoflo niept betrachten 5 U tönnen! 3><P ^nn ni^t
anberS — Beilagen Sie miep! 3<P fann niept umpin, bem AntinouS
ben SSor^ug ju geben. §at eS niept SotrateS gejagt, bafe bem 93ilb=
pauer feine Statue auS bem SRarmorblocE entgegengetreten fei? 3)ann
war 9RicpeIangelo teineSwegS original in feinen ©erfen:
5Ricpt pat ber gröfete Zünftler je ©ebanfen,
$)te rein unb teufcp ber SRarmor niept umfeplöffe!"
©S ift bemertt worben, ober eS foßte wenigftenS fo fein, bafe in
bem SSefen beS etpten ©belmanneS immer etwas Don ber Haltung ge-
wöpnlicper SRenfcpen ©erfcpiebeneS liegt, opne bafe fofort $u beftimmen
wäre, worin biefer Unterfcpieb beftept. 3Senn biefe ©emerfung in iprer
Doßen ©ebeutung auf baS äufeere ©enepmen meines ©etannten anju-
wenben war, fo füplte icp an jenem benfwürbigen SRorgen, bafe bieS in
©ejug auf fein ©emütp unb feinen ©parafter noep Diel mepr ber gafl
fei. Auep weife icp jene geifttge ©igentpümlicpfelt, bie ipn fo ganj be*
fonberS aufeerpalb ber gewöpnlicpen ©rennen aßer anberen menfcplicpen
3Befen erfepeinen liefe, niept anberS ju bezeichnen, als bafe icp fte eine
©ewopnpeit tiefen unb fortlaufenben 3)enfenS nenne, Don ber felbft feine
aßtäglicpften §anblungen burepbrungen waren; eine ©ewopnpeit, bie
fiep auep feinen müfeigen Aßgenbliden aufbrängte unb fogar in bem
feltenen Aufblifeen feiner £>eiterfeit perDortrat, ben Mattem Dergleicpbar,
bie an ben Äürnifen ber Xempet Don ©erfepoliS auS ben Augen ber
grinfenben ßRaSfen fiep perDorfcplängeln. 3cp tonnte jeboep niept um¬
hin, trofc ber leichtfertigen, oft wieberuni auep feierlichen Art, womit er
über $inge Don geringer ©ebeutung rafcp bapin blauberte, wieberpolt
etwas Don paftiger ©erwitrung ju bemerfen — eine reizbare fRupe=
lofigteit beS ganzen SBefenS, bie icp mir niept ju erflären Dermocpte,
unb bie miep manchmal fogar mit ängfttieper ©eforgnife erfüßte. ©äufig
gefepap eS auep, bafe er mitten in einem Sa£e abbreepenb, beffen An»
fang er offenbar oergeffen patte, mit aufmerffamfter Spannung auf
etwas ju porepen feiert, als ob er entweber einen ©efuep erwarte ober
Xönen laufepe, bie nur ln feiner ©inbilbung beftepen tonnten. SBäprenb
einer biefer Träumereien ober Raufen offenbarer Abwefenpeit fanb ich
beim Turcpblättern poetifeper unb geleprter 3Berfe in ber neben mir
auf bet Ottomane liegenben fepönen Tragöbie Don ©olijiano: „L’Orfeo“
(bie erfte italienifcpe fRationaltragobie) eine Steße mit ©leiftift untere
ftriepen. ©S war eine Steße gegen baS ©nbe beS britten ActeS, eine
Steße Don waprpaft perjbrecpenber SBirfung, eine Steße, bie, wenn
auep niept frei Don Unlauterteit, boep [Riemanb tefen wirb, opne einen
biSper unbefannten Schauer ber [Rüprung jn empfinben, fRiemanb opne
einen Seufzer ber Tpeilnapme. Tie ganze Seite war feuept Don Tpränen,
unb auf ben bazwifepen gebunbenen, unbebrueften ©lättem waren in
englifeper Spracpe bie folgenben Stroppen niebergefeprieben. Tie ^panb*
feprift war Don ben eigentpümlicp geformten ©uepftaben meines ©e?
fannten fo Derfcpieben, bafe icp anfangs grofee 9Rüpe patte, fie als bie
feinigen z« erfennen:
„Tu warft mir AßeS, WaS, o fiieb,
©rfepnt bie Seele mein;
3m ßReer ein grünes ©ilanb, Sieb,
©in Ouefl, ein ^eil'genfcprein,
©efränzt mit ©lumen unb mit füfeer gfuept,
llnb aß^ bieS ©lüp'n war mein!
Digitized by v^. ooQie
Nr. 6.
Dte ftcgetnourt
93
O $raum, gur $)auer oiel gu fc^ön!
0 Hoffnung, fiernenglei4!
$>u famft, un8 graufam gu oerwep'n,
9luS einem anbem Neid).
$)er 3ufunft Stimme ruft mit SDtadjt —
-5)od) bie Vergangenheit
Siegt fetter wie grauftg buntle 9?ad>t
muf mir mit ihrem Selb.
$)ann wepe! Bepe! Nimmermehr
Vlüpt Seben unb Sicht für mich!
(SS rauftet wie baS peirge 3Reer
Nteine Ätage fo fcpauerlup;
$enn nimmer !ann ber bürre Vaum,
$er blipgerf4ellte blühen
Unb nimmer gu beS ftetperS Naum #
3)er tounbe Nbler fliehen.
Vergaubert ftnb mir £ag unb Nacht!
3 « meinen träumen allen
Seh’ ich ber bunflen Slugen fßvacht
3)eS leifen (Schrittes Ballen.
Vpantafff4e £änge fdjweben facht,
Unb lelfe Sieber paßen.
0 wehe ber oerwünf4ten 3*it!
Sie brachten bich über'S ÜJteer,
Von meiner Siebe fo weit, fo wett
3u Verbrechen unb 2llterSbefcpmer!
UnhciligeS Säger wartete bein-
Nun bin ich lieber allein, allein
3n bem nebligen Sanb, wo bie Sonne matt fcheint,
Unb bie ftlberne Stpränen weibe weint."*)*
$>ap biefe Strophen in englifcher Sprache gebichtet waren, einer
Sprache, welche, wie ich geglaubt hotte, bem Slitior nicht befannt war,
erregte nur wenig mein ©rftaunen. Um über berartige ©ntbeefungen
erftaunt gu fein, war ich gu fehr vertraut mit bem Umfange feiner
Äenntniffe unb mit bem befonberen Vergnügen, welches er barin fanb,
»fic oor frember Veobadjtung Oerborgen gu holten. 2tber ber Ort beS
Datums oerfepte mich, tüie ich geftehen muß, in nicht geringe Verwun=
berung. Urfprünglich hotte Sonbon ba geftanben, war aber fpäter
forgfälttg burchftrichen — tnbeffen nicht wirfjam genug, um baS Bort
einem prüfenben £uge entgehen gu lönnen. 34 foge, biefer Umftanb
erregte mir nicht geringes ©rftaunen, benu ich erinnerte mich fehr wohl
baran, in einer früheren Unterhaltung mit meinem greunbe befonberS
bamach gefragt gu hoben, ob er gu irgenb einer 3eit in Sonbon ber
SRarcpefa bi Ntentoni begegnet fei. 3)iefe hotte ftch einige 3ohre oor
ihrer Vermählung in Sonbon aufgehalten. Seine Antwort, wenn ich
mich nicht irre, gab mir gu oerftehen, baß er bie Ntetropole ©top=
britannienS niemals befudjt höbe. 34 tonn hier gleich einflie&en laffen,
bap i4 mehr olS einmal gehört hotte, — natürli4 ohne einem ©e=
riuhte, baS mit fo Oielen Unwaprf4einli4feiten oerbunben war, irgenb=
wie ©lauben gu fepenfen — bap bie hier in Ntobe ftehenbe ^erfon,
nicht nur Oon ©eburt, fonbern au4 ber ©rgiepung nach ©nglänber fei.
-„©ier ift noch ein ©emälbe", fagte er, ohne meinen
©tnblic! in bie Xragöbie bemertt gu hoben, „hier ift no4 ein ©emälbe,
baS Sie ni4t gefehen hoben." Unb inbem er eine Draperie gur Seite
fcpob, enthüllte er ein in SebenSgröpe gemaltes Vilb ber Ntarcpefa
Äpprobite.
BaS bie 2)arfteflung biefer unoerglei4H4en S4önpeit betrifft, fo
hätte menf4H4e $unft ni4t mepr gu tpun ocrmo4t. $tefelbe pimms
Uf4e ©eftalt, wie fte in ber üergangenen Nacpt auf ben Stufen beS
3)ogenpalafteS geftanben hotte, fap i4 hier wieber Oor meinen 2lugen
*) Ueberfeßmig oon Vormann.
erf4einen. $tber in bem SfuSbrud beS SlntltpeS, baS über unb über
wie oon lieblichem. Sä4eln übergoffen war, f4lummerte benno4 jener
fonberbare Nnflug oon 9Nelän4olie, ber wie in ungertrennÜ4em Verein
mit ber S4önpeit Oerbunben gu fein pflegt. 3h r re4ter &rm rapte
auf ber Vruft, wäprenb fie mit ber Unten ©anb na4 abwärts auf
eine feltjam geformte Vafe beutete. 3)er eine ber f4ntafen, feenhaften
giipe, ber allein p4tbar war, berührte faum bie ©rbe; unb Oon bem
leucptenben ©intergrunbe, ber bie Sieblirpfeit iprer ©rf4einung gu um=
rapmen ober beffer gu umf4ntiegen f4icn, taum gu unterfepeiben,
fcpwebten hinter ipren S4ultern ein paar auperorbcntlup gart entworfene
glügel. SNein Vlid glitt oon bem ©emälbe auf bie ©eftalt meines
greunbeS, unb bie fraftooflen Borte Oon ©papman’S „Vuffp b’9(mboiS"
brängten p4 tnir unwiHfürli4 auf bie Sippen:
©r fiept bort
2US wie ein römif4 Stanbbilb! ©r wirb ftep'n,
ViS ipn ber Xob gu Ntarmor. ma4t!
„kommen Sie", fagte er enblnp, unb wenbete ft4 na4 einem
2if4e Oon rei4 emaillirtem, mafpoem Silber, auf bem einige ppan*
taftif4 bemalte Ve4er fianbeit, unb gwei grope etruStifcpe Vafen oon
berfelben ungewöpnli4en gorm wie bie, weUpe auf bem Vorbergrunbe
beS VitbeS gemalt waren; wie i4 oermutpete, waren pe mit 3opanni3=
berger gefüllt.
„kommen Sie", fagte er raf4, klaffen Sie unS trinten! ©S ift
aHerbingS no4 früp am Sage, aber laflen Sie unS trinten! — ©S ift
in ber Xpat noch früp!" fupr er na4benfli4 fort, als ein ©perub
einem J4weren ©ammer Oon ©olb baS ©ema4 laut erf4otIen liep oon
bem S4lage ber erften Stunbe na4 Sonnenaufgang. ,,©S ift aßer=
bingS früp, aber waS pat baS gu bebeuten? Saffen Sie unS trinten!
Bir wollen ein Opfer auSgiepen jener po4erpabenen Sonne, welcpe
biefe pruntpaften Sampen unb Nau4gefäpe mit einanber wetteifemb gu
oerbunfeln trachtet." Unb als er mi4 oeranlapt patte, ipm auS einem
üollen fötale Vef4eib gu tpun, ftürgte er raf4 na4einanber mehrere
Vecper Beins hinunter. „3 U träumen", fupr er fort, ben Xon feiner
unftäten Neben wieber aufnepmenb unb einen ber prächtigen Votole
gegen bie grelle Si4tfülle eines ber Nau4gefäpe paltenb, „gu träumen,
ift bie Aufgabe meines SebenS gewefen. 34 höbe mi4 beppalb in
meiner Bopnftätte wie mit einer Traumwelt umgeben, ©ätte i4 mir
mitten in Venebig eine beffere fepaffen tönnen? @S ift wapr, Sie er=
bliefen pier um fi4 per ein oerworreneS ©cmif4 Oon ar4itettonifcpen
3ierraten. S)er reine ßunftpnn StolicnS wirb beleibigt bur4 Oorwelts
licpe ©ntwürfe, unb bie Sppinye 5legl)ptenS liegen bort auf golbenen
Xeppi4en pingeftreeft. Allein bie Birtung beS ©angen pat nur für
ben Vebentli4en etwas Ungereimtes. 3)ie Uebereinftimmung beS OrteS
unb namentlüp ber 3 ei t pnb ber Vopang, wel4er bie 3Renf4pcit Oon
ber ^Betrachtung beS ^Sräc^tigcn gurüeffepreeft. ©inft war i4 fclbft mit
SluSfcpmüctungen bef4äftigt; aber jene Verperrlt4ung ber Narrpeit pat
meine Seele überfättigt. SlOeS baS bient jept bagu, meine ®bp4t gu
förbern. ©Iei4 bem Nau4 auS biefen arabeStenartig geformten Ampeln
winbet mein ©eift p4 im geuer, unb bie in biefer Umgebung perrfepenbe
fieberhafte ©lutp bereitet mi4 Oor auf bie ppantafttf4eren ©rfepeinungen
jenes XraumlanbeS, gu bem i4 otup jept raf4 emporf4totngen werbe!"
©ier hielt er plöpli4 inne, liep ben Äopf auf bie Vruft finfen unb f4ien
auf einen $on gu Iauf4«n, ber mir ni4t oernepmbar war. ©nbli4
bliefte er, feinen Körper po4 aufri4tenb, naep oben unb ftiep in ab*
geriffenen Borten bie Strophen beS Vif4of'S Oon ©pi4cfter perauS:
„S)ort warte mein! Naf4 werb' i4 g« ®ir cücn,
3n jenes XpaleS ©runb mit $ir gu weilen."
3nt nä4ften Slugenblicf ftreefte ftep fein Äörper, Oon ber ©ewalt
beS BeineS begwungen, auf eine Ottomane pin.
3ept liep fiep oon ber kreppe per ein paftiger S4ritt oernepmen,
bem glei4 barauf ein lautes $o4en an bie ^pür folgte. 34 eilte, um
eine weitere Störung gu oermeiben, barauf gu, als ein ißage auS bem
©aufe Ntentoni in baS ©emaep ftürgte unb mit einer oor ©rregung
Digitized by v^. ooQie
94
Die fegentoart.
^alB erfticften Stimme bie unzufammenpängenben ©orte perborftammelte:
„Weine (Gebieterin! Weine Gebieterin! Vergiftet! Vergiftet! 0, fdjöne
— perrlidpe Approbtte!"
©ntfe^t flop id) ju ber Ottomane unb bemühte mich, ben Schläfer
5 um Vewuptfein zu erweden, bamit er bie erfcpüttentbe Stadjricpt ber*
näpme. Aber feine ©lieber mären ftarr, feine Sippen entfärbt, feine
eben noch leucptenben Augen waren im Tobe erlofcpen. Qcp taumelte
Surüd gegen ben Xifcp, meine $anb gerietp auf einen gerfpruitgenen
unb gefdproärzten Vedper, unb wie ein Slip brang auf meine Seele ba«
Verftänbnth ber bolle n unb furchtbaren Akiprbeit ein.
JMts bet <Ättuptflabt.
Der Parke Ijermel.
Sch weih nicht, ob Sie fich meiner au« ber 3eit, roo Sie jung
unb ein felbftftänbiger ^Mittler waren, noch erinnern. 3ebenfaH$ barf
ich aber annehmen, bah Sie bamal« bon mir gehört haben. Ter Ums
ftanb, baj meine grau Warna mich bi« zu meinem ooKenbeten bier=
ahnten Seben«japre fäugte, hat mir in ber beutfchen Sage einen ©pren=
plap bcrfcpafft unb mich nicht minber berühmt gemacht, al« bie fpäteren
Ahnten meine« mu«fulöfen Arme« unb meine Erfahrungen al« ftutfcper
unb Sdjiebefärrner. Ter fernere tlmftanb, bah im Abgeorbnetenpaufe
nach einem ftarfen Wann gerufen worben ift, ber ja fein Uebermah an
Sntelligenj ju befipen brauche, foroie überhaupt bie ganje ©ntwidlung
ber neueren beutfchen ^olitif erfüllen mich mit ber ©ewihpeit, bah meine
3eit enblich gcfommen ift. 3th biete 3hnen befjpalb meine Staat«bienfte
hierburch ergebenft an.
©lauben Sie nicht, geehrter §err Dteicp«?anzler, bah ich mich über=
fdjäpe. Unter bem allzu gewaltigen ©ad)«tpum meine« 3 e ß 9 e wcbe« hat
ba«, wa« man al« ©eift zu bezeichnen übercingefontmen ift, bei mir
nicht unwefentlicp gelitten. 3ch bin im Stanbe, jebem gewünfchten Object
an bie ©urael ju fpringen unb e« zu erbroffeln, bafür aber mangelt mir
alle« Selbftbemuhtfein, alle eigene Ueberjeugung unb bie Scheu, officiöfe
Seitartlfel für bie berrufenften Tageblätter in ftöln, Hamburg, Wagbe=
bürg unb Verlin ju fchreiben. Ta ich, wie bereit« erwähnt, aud) fepon
einmal ßutfdjer gewefen bin unb gleich bei ber Probefahrt meinen Jperrn,
ben Suitfer, im tiefften Sdjmup a6gelaben habe, halte ich mich ferner
für einen ber jefct fo beliebten Tilettanten — furz, bringe Ade« mit,
wa« non bem fommenben Wanne erwartet wirb.
Xropbem wäre ich weiter befcpeiben in meiner Verborgenheit ge=
blieben, wenn ftd) nicht gerabe in biefen Tagen bie zwingenbe Aotps
wenbigfeit herau«geftellt hätte, einen Starfen wie mich mit ber Leitung
ber ©efchäfte zu betrauen. Ta« conftitutioneKe Spftent hat enbgültig
abgewirtschaftet. Tarüber ftnb fich bie Vorfteper aüer .©leinfinbersVes
wahranftalten flar. Säcpt nur ©raf Valleftrem, fonbern auch färnrntlidje
ScpulsStettoren. ©raf Valleftrem hat mit ©ntriiftung ben langjährigen
gebanfenlofen Sretpum zurüdgewiefen, ber beutfche i'aifer fei ein confti*
tutioneller gürft. Unb ©raf Valleftrem al« 9teich«tag«präfibent muh
bocp Wortlaut unb Sinn ber Verfaffung fennett. ©inige Stunben, be¬
vor er feine Tifchrebe hielt, liehen bie Scpulpräfibenten zu ©pren be«
faiferlichen ©eburt«tage« bie 3ubelpt)mne „£>eil Tir im Siegerfranz"
fingen, babei aber bie zweite Strophe be« Siebe« au«faQen. ©« finbet
fich bort befannter ©eife bie focialiftifcpe ^Behauptung, bah uicht Stop,
nidjt Seifige bie fteile .£>öp ftchern, wo dürften flehen, unb bah ^iebe
be« freien Wann« ben .frerrfepertpron grünbe. Sowohl bie 3ugenb, auf
ber Teutfchlanb« 3ufunft ruht, wie bie in anftrengenber ©apl au«=
gefiebte Volf«bertretung, ber unfere ©egenwart überantwortet ift, ftimmen
bem zu golge in ber Anficpt überein, bah ber Unberftanb be« ©onftU
tutionali«mu« nunmehr entweber tobtgefcbwlegen ober zwifchen beutfepem
glottenei« unb Ääfe erbroffelt werben müffe. 3ch fpüre bie flraft in
mir, biefen ©ebanfen in ©irfltcpfett umzufepen. Aber auch in anberer
Beziehung glaube id) befähigt zu fein, bie fommenbe 3 e *t heraufzuführen.
Ter politifcpe Xoaft, bie ©epflogenpeit, währenb eine« üppigen
Wittageffen« au«gebepnte Programme zu entwerfen unb ganze neue
Vieren zu inauguriren, hat ja erfreulicher ©eife überall im Reiche leb=
haften Anttang gefunben. Tem ©rafen Valleftrem ift e« fogar gelungen,
bie neue Uebung bi« zur Voöfommenheit zu berebeln. 3Ä glaube
faum, bah e« mir möglich fein wirb, mit gröberer fRupe al« er unterm
fdjüchternen ©eflapper ber lepten ©abein, bie rafd) noch mit bem Steft ber
Oftenber Steinbutte aufräumen möchten, ejaltirte t>erfaffung«rechtliche
Vorträge zu palten unb barüber zu fpredjen, wer feine Seit beffer oerftept:
ber Monarch, ber ba perrfepen unb nidpt regieren wiü, ober ber 9?eicp«s
tag«präfibent, ber in einem Sltpem bie« ^Sollen unb bie $errlicpfeit be«
beutfchen Parlamentari«mu« preift. 38enn ich aber, fepon meiner äuheren
©rfepeinung wegen, ben ©iertanz wäprenb ber SRaplzeit auch minber
gut oerftepe, fo bin icp bocp entfcploffn unb ooöauf befähigt, bie^RapU
Zeit jelbft zu einer noch wichtigeren Staat«action al« bi«per zu machen.
SBoran bie berzeittgen 2Jtinifter be« neuen Surfe« franfen, wa«
ben rupigen ©ang ber flRafcplne ftört unb bie allgemeine Unzufriedenheit
pergröjjert, ba« ift ipr fcpwacper 3Ragen. ©ine gefegnete Verbauung
Nr
hülfe ihnen über bie SBtberwärtigfeiten be« Tage« fort unb berati
fie, manche Stunbe, bie fte jept al« fterile« ^>upn am $rbett«tifcbe
brüten, ben fjteuben ber Tafel zu wibmen. Unfere SRinifter haben
Aufgabe noch immer nicht recht erfaßt. 9?ocp immer ertappt ma
auf ber beralteten Vorftellung. bah fie bie $Regierung«gefcpäfte zu leiter
bafür bie Verantwortung zu üoernepmen hätten. Sie begreifen nicht, bc
Veruf au«fdhliehlich barin beftept, bor 5Reid)8fag unb Sanbtag bit
wopnpeit«mähigen Sieben z« palten unb burep pübfcp gewählte SBorte j
mann zu überzeugen, bah biezurVeratpungftepenbenöefepentwürfegr
angeftrengter ©ebantenarbeit feien, unb bah bie Regierung bie Siotp
fianbwirtpfepaft ooll unb ganz anertenne 3thwieberhole, |)errSieich«tan
bie Kammern rnüffen burep bie SJiinifter bei guter Saune erhalten wei
Tie aufgeklärte Tefpotie ber Sutunft bebarf brlngenb ber Vol!§
tretungen, weil nur biefe wopltpätigen Suftitute ba« Obium n
Steuerauflagen, mihüebiger Knebels unb 3 u tpthau«s©efepe bon
abwälzen fönnen. SHerbing« ift e« ^flicpt ber Parlamente, eben)
ihre 3 e ü 8u berftepen unb bie Sipung«fäle in Spetfefäle umzuwani
SSie weit wir augenblicklich noch uon biefem 3beale entfernt ftnb, ,
mit feproffer Teutlicpfeit au« ber Tpatfa(pe perbor, bah bie ©egner
SRittellanbs^anale« bie 3uformation«reife nach Tortmunb nur unter
Vebingung antraten, bah man ihnen unterweg« nirgenbwo ein officie
Tiner ferbire ober gar einen Vierabenb mit faltem Vuffet anbiete. $
muh fcpleunigft ©anbei gefepaffen werben, am beften burep ein erheben
Vetfpiel. Ter ftarfe SRann ber Sufunft muh öor allem ein berbauun
ftarfer Wann fein.
Ueber meine Seiftung«fäpigfeit in biefer $>infidpt unterrichtet t
jeber ©ermanift. Tan! ipr wirb e« mir ein Seichte« fein, niept nur
Parlamente zu immer patriotifeperen Tpatcn anzufpornen unb bie Dp)
fition zu befepämen, fonbern audp bie in ben lepten Soh^n fo oft fdpme =
iiep bermihte ©inigfeit unb ©inpeitlicpfeit ber ^Regierung rnieber per^ =
fteüen. Ilm jeben 3 an ^ unb Streit zu bermetben, gebenfe ich • e
gemeinfamen ©onferenzen fogleid) naep ben gemeinfainen Waplzeiten o =
Zupalten. Vorher gebe ich vegelmähig bie Slnfcpauungen, bie bon b r
entfepeibenben Stelle zum fiegreiepen Turcpbrudte beftimmt worben ftti»,
in gorm eine« mepr ober weniger gereimten Toafte« bon mir. Ta al e
fcplecpten ©fjer unberzüglicp au« bem Winifterium entfernt werben, gu e
©ffer aber nicht opne Verbauung«fcpläfcpen fein mögen, leifte icp ©ewäl r
bafür, bah bie Winifters©onferenzen ftet« in ungetrübter Harmonie be
laufen. ©« fann fein, bah icp unb meine ©ollegen mitunter ben ©cg
eine« Strafforb ober ^olignac einfcplagen, niemal« aber ben eine« Vi«mard!
©eftatten Sie mir, epe icp zum entfepeibenben Vuntte übergepf,
noep in SHirze einige ber trefflichen ©igenfepaften zu berühren, bie meinen
Veruf zuw SÄinifterpräpbenten offenfunbig erpärten. 3 u börberft er^
wäpne icp meine unüberwinbüepe Abneigung gegen ba« Steifen. 3<h
war niemal« bazu zu bewegen, ba« Tpor meiner Vaterftabt aud) nur
au« ber ©ntfernung zu beficptigen. Veter in ber fttembe, ben ber pocp=
bereprte ©raf Vülow in einem feiner ebenfo geiftreiepen wie falfcpen
©ttate fogar an’« Weer gelangen läßt, war ein TpomaS ©ool im Vers
gleich mit mir. 3<P würbe alfo ben reifeluftigen Herren au« ber näperen
Umgebung Seiner Wajeftät, ben dürften gulenburg, ben Herren non
Sucanu«, o. ^tberlen unb fonftigen Äufternfreunben niemal« unlautern
©ettbemerb maepen, wa« ficper wieber zur ftolge hätte, bah fte auch
mir ohne Stotp feine Steine in ben ©eg würfen. So bräche, zum
erften Wale feit 1888, zwtfcpen ben oerantwortlicpeu unb unDerantworfc
lieben JRatpgebern, bet Stegierung unb ber Stebenregierung, licpterlope
greunbfdwft, ja zärtliche Siebe au«! 3cp überlaffe e« 3hnen, geehrter
$evr 9teicp«fanzler, ftep öon ben fegenboHen SRücfwirfuitgen biefe« 5rieben«s
fcpluffe« eine Vorlefung zu machen! Unb nod) ein«, wa« ba« Steifen
anbetrifft unb feine Scpäblicpfeit für einen wohlerzogenen Tiplomaten.
©ie biel Verftimmungen pat nidtt bie gaprt be« z- 8^ fiurfen Wanne«,
be« iperrn bon Vobbiel«fi, nach Stuttgart unb Wüncpen perborgerufen!
Äann e« einem Staat«fecretär gefallen, wenn fonft gewopnpeit«mähig
gütige Wonarcpen ipn wäprenb ber 9lubienz interbefliren: Sie finb fein
Üunftfreunb, lieber $obbiel«fi, nicht wapr? ©orauf er, über biefe Vrei«*
gäbe eine« 5lmt«gepetmniffe« erftaunt, lopal fragt: ©e«palb glauben
©w. Wajeftät ba«? unb bie Antwort erhält: ©eil Sie Shre ©inpeit«=
marfe fo gern anfepett!. .. Scpliehlicp weife icp noch auf bie böfen
©ommentare pin, bie zu ber Steife be« öerrn bon Xirpifc an bie füb=
beutfepen $öfe gemacht worben finb. ©ie e« fiep in einem nicht con*
ftitutionetlen Staate, beim Verfepr mit VafaOen bon felbft berftept,
erfuhren bie fübbeutfepen Sepn«männer Stäpere« über bie geplante Scpiff«*
bevmeprung erft au« ben in ipreit Stefibenzeit erfepeinenben Worgenblättem.
Ratten fte fo lange warten müffen, epe fie überhaupt bernapmenf, bah
bie Sawine unterweg« fei, fo hätten fie aud) bie ©inzelpeiteü be«
glottengefefce« erft au« ber Storbbeutfcpen Allgemeinen 3 e Uung ober bem
Verliner Tageblatt zu erfahren brauchen, gür ben berfpäteten unb
be«palb überflüfftgen 3 n formation«befucp be« Warine=Secretär« räcpten
fiep bie fübbeutjepen ^Regierungen befanntermahen fepr empfinblitp ba=
bnrep, bah Ü e ihre Vertreter im Vunbe«ratpe anwiefen, ben ©ntmurf
opne jebe weitere Prüfung binnen oierunbzwanzig Stunben anzunepmen.
3cp benfe, Sie fennen mich nun unb füplen inftinftib, bah unter
ben fünfzig Wißionen beutfeper Staat«angepörigen wenige in bett Wape
wie icp zu 3Preni Stad)folger qualificirt finb. Vei aller ^odaeptung
bor 3hren ©aben — in etlichen fünften genügen fie bocp ncht ben
Anfprücpen ber Steuzeit. ©« ift fepon niept 3 p bem gegeben, bie 99
Tugenben AElap« in ftch Z u bereinigen, unb ein Winifterpräftben^ unfrer
\
Digitized by v^.ooQle
Die (Segen wart.
95
\‘r
6 .
-C>
gelt bebarf beten nodj brci ober oter mehr. BefonberS nach ber nega=
tioen ©eite bin. 3n mir finben ©ie fie bereinigt. Muß id) ©ie auf
£ meine SBaben aufmerffatn machen, bie bie ©enfationSpibce jebeS §of*
^i/fefteS unb gadeltanzeS zu werben Oerfprecpen? Auf bie lobenben 3*ug*
' niffe, bie mir meine früheren Xienftgeber auSgefteflt haben — unb bie,
* e loenit fcpon weiter nichts, fo hoch meinen unbebingten ©eporfam rüpmenb
fr anerfennen? Auf meine ftaunenerregenbe ©ebäd)tnißfd)roäd)e, bie mtd)
r <b in ben ©tanb feßt, heute mit flamntenber 33 egeifterung ©efeßoorfagen
‘ * *u oertreten, bie id) geftern als uferlos bezeichnet habe, unb alle S 3 er*
fptedmngen, bie ich wirtpfdjaftlidj bebrängten 93olfSfcpid)ten gebe, fo rafd)
ßt. unb grünblich z u bergeffen, bah id) bereits Morgen in ber Sage bin, fie
fr neuerbingS zu geben?
ol SBon meiner SnteHigenz zu reben, berbietet mir eine natürliche
? Abneigung babor, ©te mit ^Bagatellen zu beläftigen. ©enug, wenn id)
- SPnen fage, baß fie ben berechtigten gorberungen, bie im Abgeorbneten*
4 häufe nt biefer -£>inficf)t an ben fommenben Mann gefiellt worben finb,
r' burcpauS entfprid^t. SebenfaHS fühle ich utid) ben bureaufratifcpen Obs
►* Iiegenheiten unb hauptjäcplicpen Pflichten, bie bem georbneten (Sang ber
r* ©efdjäfte entfprinaen, oöQig gewacpfen; id) werbe nie üerfäumen, piinft-
- lieh um brei Uhr oen ©tjlinoer aufzufeßen unb TOtttagbrob effert zu gehen.
(SS wäre unred)t, roollte id) 3 hnen berhehlen, bah fo biel Sicht
‘ auch ©chatten wirft. Noep fehlt mir jene fchmelzenbe $3erebfamfeit, bie
: an patriotifepen gefltagen ben Monarchen nicht als toeibgeborenen
ARenfcpen unb ftrebenben Kämpfer, fonbern als Ilchturnftraljlten, un*
begreiflichen Halbgott feiert. Mein beutfcheS SBlut fträubt fid) noch gegen
eine folche £>erabwürbigung beS beutfdjen #erzogS; benn eine $erab*
roürbtgung unb SBerfletnernng beS gührerS bet Nation fcheint eS mir,
wenn man fo tput, als höbe eine gee ihm baS alles fchon in bie SBiege
gelegt, waS er bod) in reblichem, raftlofem Gingen, im tapferen Xrange
nach eigener $eroollfommnung ertoarb unb noch erwerben [oH. Nun,
id) hoffe, burd) fleißige Seetüre ber oon fehr alten römifchen CSlaffifern
unb fehr mobernen beutfehen $>od)fdjul*Neftoren oerfaßten $aiferpi)mnen
31 t befferer ©infiept unb AuSbilbung zu gelangen, ©benfo bin ich ber
fröhlichen 3uoerficpt, im Saufe ber Seit jene alberne SBefcpeibenpeit ab*
äulegcn, bie eS mir heute, im ©egenfaß z u anbern ftarfen Männern,
beifpielSweife noch oerbieten würbe, oor oerfammeltem NeicpStag eine
hochbetagte, in Oefterreid) feit zehn gapren oolfStpümlicp geworbene 3bee
„mein eigenes $inb" z u nennen. Xod) jtueifle ich, Nie erwähnt, nicht
baran, eS auch noch zu ähnlichen $aterfreuben zu bringen.
Sei eintretenber Sacanz bitte id) ©ie, geehrte Xurcplaudjt, fiep
meiner zu erinnern unb oerbleibe bis bahin
mit großbeutfepem Apoi!
Xer ftarfe .ftermel.
gür bie richtige Abfcprift: Caliban.
Oramtttifdjc TCuffuljrnngcn.
„©cplud unb Sau." $offenfpiel in fünf mieten Obn ©erhärt £>aupt*
mann. (XeutfcpeS Xpeater.)
SBieber höt ©erhärt $auptmann ben glug in bie’^öpe berfucht.
lieber unternahm er eS, eine Dichtung zu fdjaffen, bie über gupr*
mannSfd)idfale unb Sfärnterlciben pinwegwetft unb fid) auf golbenen
gittiepen in’S Neid) Simini fdjwingt. Unb wieber ift er elenbiglid) ge=
fepeitert. Nur baß ihm bteSmal aud) baS Solf im ^arfett untreu würbe.
Xtefelben Seute, bie ben oertoorrenen Xriolalitäten unb aufgebonnerten
Unflarpeiten ber Serfunfenen ©lode zujauchzten, bie außer fid) waren
oor ©ntzüden über ihre ach fo füßen unb fo unbramatifchen SpriSmen, bie-
felben Seute zü^u am ©onnabenb bem überfchwänglich ©efeierten
höhnifd) tn'S ©eficht, als er ben wüthenben ^eroorrufen ber ©laque
mit fd)öner Ungenirtheit golge leiftete.
$aupftnann hat bie SCRinberwerthigteit feiner neuen Arbeit bei
Seiten ertannt. Ohue SBiberrebe ließ er einen ganzen, oiefleicht ben
wichtigften ^(ct bei ber ißremifere unterfchlagen. ©r flehte förmlich um
9?ad)ficht. ^icht nur bat ber s $rologuS für ihn, „bieS berbe ©tüdlein"
als einer „unbeforgten Saune ^inb" gnäbig anzufehen unb pafftren zu
laffen, fonbern eS war auch ber bieSmal ganz befonberS unoerfchämten
fReclamepreffe befohlen worben, alle ©<f)ulb an ber Aufführung beS ißoffen=
fpielS 4>erm Srahm zuzufchieben. @r habe bent dichter wiber feinen
©illen bie ©rlaubniß bazu abgezwungen, ^ieg eS. 2)ent füllen Poeten
bebeute baS 3Berf nicht mehr als eine ©rholung zwifchen aderhanb ernftem
©chaffen, unb einige wenige Wochen hätten ihm genügt, eS oon A bis
S nieberzufepreiben. Ungefchidtere A3afcf)zettel flub nie oerfanbt worben.
Seber rupige Seobachter erfennt fofort, baß „©dtfud unb Sau" ein
unter taufenb 9Äühfalen geborenes S)rama ift. 2 )ie unflnnigen iReclame*
fepreibereien aber mußten, foweit fie ©lauben fanben, notpwenbig oon
oornperein ©timmung gegen baS ©tüd auch bei benen machen, bie
©erhärt #auptmann zwar nicht für einen $)ratnatifer f aber boep für
einen 3)id)ter halten unb fiep nur nicht ein unauSgereifteS, paftig auf
ben SWarft gefdüeuberteS SBerf bieten laffen woüten. §auptmann bat
baS IRecpt, fo argumentirten fie, fiep in feinen ©rpolungSftunben nach
Selieben zu amüftren, 9iab zu fahren, auf bie Äoppe zu fteigen, zu
fcplafen ober ©tüde zu bichten. 9?ur follte er flep felbft zu lieb haben,
um biefe $inber feiner tfRuße profithungrigen ipeaterbirectoren auSzus
liefem^unb baS pauptflöbtifepe publicum mit Serfen zu martern, bie
auf bem ©oppa entftanben flnb unb ipm otetteidjt großen ©paß gemacht
paben, jeben Unbeteiligten aber graufam langweilen rnüffen .. .
©cplud unb Sau finb eine gewaltfame AuSfpittnung ber ppans
taftifdjen 3 ^^ e f b\t ©pafefpeare im Sorfpiele zur Sezäpmten SSiber«
fpänftigen entwidelt. $aS ©onoerfationSleyicon pat unfere maßgebenben
,fh:itifer außerbem noch barauf pingewiefen, baß biefelbe gabel fepon in
Xaufenb unb einer 9^ad)t auftauept unb baß bereits ©olberg unb
ben ©toff zu berben $omöbien Oerarbeitet paben. ©epr fepön. 3Wit
bem .^auptmann'fcpen ©tüde hängen biefe luftigen Xpeaterfpäße jeboep niept
entfernt zufammen, unb eS pat bie mirfungSooße 9iotiz wahrft^inlich
nur ben 3 N e( * Ö e habt, bie literarpiftorifcpe Silbung ber Maßgebenben
wieber einmal bengalifcp zu beleuchten. i>auptmann ift ganz fhftematifcp
ZU ®erfe gegangen, alS er ©Pafefpeare zu oertiefen trachtete unb ben
Ulfereien, bie Äeffelflidcr unb Sorb mit einanber treiben, pfpdjologiftps
fpmbolifd) auf ben Seib rüdte. ©r pat fein SefteS gegeben, pat mit
gewaltiger $raftanftrengung fid) unb feinen $egafuS & i a MÜncppaufen
am eigenen 3°Pfe aus bem ©umpf zu Z ie ^ cn fl^pofft. Xrofbem ift
©pafefpeare ©ieger geblieben. $>aS fleine ©laS Sranbt), baS er ein«
fepänft, munbet, unb baS flobige günflitergefäß £>auptmann’S, beffen
Snpalt auS jenem einen ©läScpen ©cpnapS unb fepr oielem ©dpreibers
pauer SBaffer beftept, maept mich noep in ber ©rinnerung fröfieln.
2)ie geringe ©rfinbungSgabe unfereS 3)id)terS ift noch uie glän=
Zenber peroorgetreten. ©ein ewig betrunfener Sfeffermün^fuchenmann
Sau wirb im ^erzogSfcploffe, wäprenb er feinen SHaufcp auSfcplftft, föfts
lief) als gürft anget’pan, unb wie er auS bem Sranntweinbufel erwaept,
als gürft bepanbelt. 92ad) etlichem $in unb £>er, baS ber ©eelenfenners
fepaft ©auptmann’S wenig ©pre maept, finbet Sau ftdj in bie neue Sage,
trumpft jeinen Untertanen gehörig auf unb geberbet fid) im ©Uten wie
im Söfen als ein rechter Sht^enbmonard). 9?ur baß er ben fcplefifcpen
3)ialect fpriept unb bie AHuren beS geborenen SumpenfammlerS zur
©epau trägt, ©ogar Mouarcpenwipe maept er. AIS man ipm oon feinem
Marftalle fpricht, wieberpolt er fpötüfcp: MaftftaD? Sä) ntäfte feine
^jSferbe. ©S fepeint, als pabe ftauptmann pier anfänglich eine Jede ©atire
auf bie legitimen ßronenträger geplant; mancherlei Segebenpeiten unb
Semerfungen in bem ©tüde, befonberS im geftriepenen Acte, beuten
barauf pin. 5 )ocp üerlor er halb wieber ben gaben unb begnügte ftd)
bamit, feinen Sumpenfönig einen unföniglicpen Surnpen bleiben zu laffen.
Sau’S ©nbe ift natürlich, baß er einen ©cplaftrunf frebenzt erpält unb
am näcpften Morgen wieber unter freiem $>immel erwacht.
gür fünf ober fecpS Acte reicht biefe 3&^ auep heutzutage noch
nicht ganz auS. ®eßpalb pat ber dichter ein nterfwürbigeS weibltcheS
SBefen ©ibfeliü, baS ber echte gürft Sopn 5Ranb liebt, in bie £anblung
Oerwebt, opne ttnS auch nur anbeutungSweife zu fagen, waS fie barin
ZU fepaffen Pat. gerner fam er auf ben pübfcpen ©infall, ©parlep’S
Xante oom feligen Xobe auferftepen unb einen Mann als SBeib baßer*
tänzeln zu laffen. Xer fepnurrige ©eperz, ber mit oöüig unzulänglichen
Mitteln unternommen würbe — benn $>err Xielfcper ift befanntli^ auS
bem Mitglieberoerbanbe beS 5)eutfcpen XpeaterS ausgetreten worben —
gerietp gänzlicp oorbei unb Oerfcpulbete reept eigentlich bie lärmenbe Se*
erbigung beS ©tüdeS.
^auptmann pat feine grob*fatirifcpe Segabung, bie ben unb jenen
Act beS SiberpelzeS unb ben ©ollegen ©rampton reept unterpaltenb
macht, irrtpümlicper SBcife für eine pumoriftifepe gepalten unb flep an
einen ©toff gewagt, ben zu bewältigen X)idenS unb Sftaabe im Serein
gerabe ftart genug wären, ©r fühlte feine ©cpmädje mit feinem 3 nfünct
heraus, als er an bie gefährlichen ©teilen fam, bie nur tiefer, treu*
herziger £>umor überbrüden fonnte, unb er oerfudjte, bie oerlorene
©d)lad)t baburep zu retten, baß er feinen Sfaifonneur Äarl reben, reben,
reben ließ, waS baS 8 *ug hält. Xiefe gefcpminlie ©eiftreicpelei, biefe
tiefflnnig flingenben AfltagS^pilofophiSmen, biefe holprigen ©tammbuep*
oerje oerratpen aber erft bie ganze 3)ürre unb Nüchternheit beS angeb*
liehen ©d)erzfpielS. Unb baS frampfpafte ©afepen naep elenbcn Äalauern,
bie jeber ÄaffeepauSbummler beffer macht, frifept baS jämmerlich öbe
Silb wahrhaftig niept auf. Xie fcplicptweg finbif^e ©eene, in" ber
3 au bem als 28etb angepußten ©cplud gegenüber tritt, feßte bann ber
fpaß* unb falzlofen $offe bie Sfrone auf. ©S war, als ob Äönig Sau
hier baS ganze ©tüd fpmbolifire. Xabei oerrätp fowopl biefer „4>öpe*
punft" beS 5)ramaS wie eine ganze Sapl anberer, weitfepieptig oor*
bereiteter unb offenbar häufig umgegoffener ©eenen, baß |)auptmann
auf baS „rafcp pingeworfene SSert" in ©aprpeit oiel liebeoollen,
feuepenben gleiß üermanbt pat. Nur baß er ipn nicht auf bie näcpft*
liegenben, wenigftenS feiner Segabung näcpftliegenben X)inge rieptete.
Nur baß er bie feelifepen ©rregungen, bie auf Sau einftürmten, allzu
oberflächlich, faft lieberlich bepanbelte unb bafür taufenberlei balbentbe
©piele trieb. 3BaS an ©cplud unb Sau fo appetitoerberbenb wirft, baS
ift einmal bie befrembltcpe, trifte Armutp ber ©rflnbung, bie ©reifen*
paftigfeit beS SStßeS, ber feinen MaraSmuS unter wtlben ©apriolen
oerbergen will unb nach jebem müpfamen Purzelbaum Minuten lang
oerfepnaufen muß. Xaneben aber giebt ftd) bie Arbeit, unb baS ift
beinah nod) fcplimmer, in oielen ©tüden alS ein Nacpflang jenes Nacp*
flangeS, ber alS Sßerfunfene ©lode unfere ©roßmütter — ach nein, oor
Zwei Sapren unfere ©cpweftern unb Xöcptern entzüdt pat. 2öir tpun
gut, baS ©piel zu ©eperz unb ©epimpf fo rafcp wie möglich zu oer*
geffen, fonberlicp, wenn wir bem Xicpter ein ©uteS tpun wollen, ©o
fcpwacp wie am oergangenen ©onnabenb paben wir Den ©imfon ber
neuen brapmatijcpen Shtnft noep niept gefepen.
Digitized by v^. ooQie
96
Die (Segen» art.
Nr. 6.
Jlnseigtst.
Sei BeßeHungen berufe man |t$ auf bie
„(gegemoarf*.
Mettueht
wirb ein für eine
©erliner grauen jeitung. $äglid) S3ormtttag§
brei SBureauftunben. QahreSgehalt 4800 Stfarf
unb jährlich jioct 9Kal bier$ehn Sage gerien.
Angebote mit Angabe bisheriger 9tebaction$=
Stellungen unb berföitlicher tote brieflicher
©4riftfteUerslöefanntfchaften unter F. N. 219
bnrd) bie Annoncen=(£fpebition non H aasen¬
stein & Vogler, A.-G., Berlin, W. 8.
I&fyeat er =$rif i&er
für ba$ regitirenbe $)rama, non einem herbor=
ragenben fübbeutfdjen Organ gefugt. @8 roirb
nur auf eine erfte Jfraft reflertirt.
Offerten mit Bteferenjen 2 c. unter M. N. 8882
an ben Verlag ber „Gegenwart“, Berlin,
Manstelnstrasse 7, 11.
<- ■ TkftrUflatkN.
Technikum Jlmenaul
I f&r luOlua- u4 Kkklrt-
[iBUiri,-TMhafk«r i.-W«rka<UUr.|
B Dlrector Jwiiei. I
flistnardt
im
Urteil
feiler 3 eii|ciifti.
$unbert Oriatnal = <Bu tagten
o. ftreunb u. geinb: ©j3vnfon
©ranbeS ©üdjner (ErtSpi 2)abn
2>aubet ttgibp gontane ©rotl)
4?aecfel fcartmann $e$je 3or=
ban ftipttng fieoncaoauo Sin*
bau Sombrofo aRefdjtfäergft
Wtßra Vorbau Otttoter fetten«
(ofer ©altöburp ©tenfieioicj
©irnon ©pencer ©Stellagen
©tanlep ©toetfer ©triiibberg
©uttner ©Ubettbrutb «öetittr
3ola u. P. K.
Steg. gelj. 8 SRt. Pom P«rl«g ber 6(g(n»«vt,
©erUtt W. 57.
Slfab. geb. ©djriftfteller, bi$h- publicift.
(liter. Ifrittt) in ^Berlin thätig, energ. gennffen=
hafte Slrbeitäfraft, borj. ©pradjfenntmffe (fran*
jöfifd), englifdj), perfetter etenograttft,
«Rafäinentareiber (fjammonb), iudjt «nt.
beftp. «nfjir. in »eDalrtott, X&eaterfefretartat,
S(rl.:©nd)i)bi(>., Utcrnr. 3nftit. k . Stellung.
Offert, an b. fejj). b. ®egentoart nnt. A. 6.
Demnächst wird auf Verlangen versandt:
Antiquariats-Katalog 92.
Staats- und Socialwissenschaft.
Nationalökonomie. Finanzwesen.
Etwa 1800 Nummern.
Leipzig. Oscar Schack.
$i 0 »«tdts Jadifol#«.
Wotnatt
bon
“g^op^iC JloCCmg.
SW PolhaMgat«. *ni
$ret$ 3 dftarf. ©djön gebunben 4 Sttarf.
tiefer 5Bt8marcf=(£apribi=9toman, ber in
wenigen Sauren fünf ftarfe Auflagen erlebt,
erfdjetnt hier in einer umbte£>älfte billigeren
2$olf8au8gabe.
$>urcb alle Suchhonblungen ober gegen (Sin«
fenbung beS 93etrag8 poftfreie gufenbung bom
Ucrlag der Gegenwart,
Berlin W. 57.
„Bromwasser von Dr. A Erlenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen TfrwnirhftU^ranhftinm^gmn
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwertigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von s / 4 1 75 Pf. in
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr. Carbach & Cie«
Nahrungs-Eiweiss. •
1 Kilo Tropon hat den gleichen Ernährungswert wie 5 Kilo
bestes Kindfleisch oder 180—200 Eier. Tropon setzt
sich im Körper unmittelbar in Blut und Muskelsubstanz um,
ohne Fett zu bilden. Tropon hat daher bei regelmässigem
Genuss eine bedeutende Zunahme der Kräfte bei
Gesunden und Kranken zur Folge und kann allen Speisen
unbeschadet ihres Eigengeschmacks zugemischt werden.
Bei dem äusserst niedrigen Preise von Tropon ist dessen
Anschaffung einem jeden ermöglicht. (80)
Za beziehen durch Apotheken und Drogengesohäfte.
Tropon-Werke, Mülheim-Rhein.
Sie ©esenmart 1872-1892.
Um nufer Säger jn träumen, bieten mir unfeten Abonnenten eine gftnfKgc
(Gelegenheit jnr DemoUftänbignng ber ßoflectiou. So meit ber Sorrotl» reiept,
liefern mir bie ^a^rgänge 1872—1892 a 6 SW. (ftatt 18 SK.), $albjatyr4<
Sänbe k 3 SK. (ftatt 9 SK.). (Gebnnbene Saljrgänge k 8 SK.
©erlag Per ®egentoart in ©erlitt W, 57.
3n unferem Scrlag ift erftfjlenen:
pic (Segfunurrt.
föefenfctitii Ite WriatBT. Arnifi unb tUntfd^e« Ma
©eueral'^egtftfr 1872 —
ßrfter bid fünfotgfter »attD.
mt ^adjträgen 1897-99. 5 uT
@tn bibliograbbifdjed 58erf erften
SRange« über baS gefammte öffentliche,
geifiige unb fünftlertfdje Sehen ber lebten
25 Safjre. 9?otf)h)enbige« 97ac^f41age6ud)
für bie ßefer ber „©eaemnart", fomie
für tniffenfc^aftliche 7C. ärbeiten. lieber
10,000 Slrtifel, nad) gäc^ern, SBerfaffern,
©cblagtüörtem georbnet. S)ie Autoren
pfeubon^mer unb anonymer 3lrtifel finb
burtbmeg genannt. Unentbehrlich für
jebe Sibliothef.
51uch btreft gegen ^ßoftanmeifung ober
Nachnahme bom
Perlag ber (Kegctimart.
»erlitt W 57.
Pas pridwen na<^
nnb
anbere ^unflfragen.
Original Gutachten bon Ttb. Uten^el Hein-
ffolb öcgas, ööcfUn, 7t. v. Werner,
Knaus, Uttbe, Stnd , 3ot*. ScttlRing,
Scraper, iE. v. iBcbttarbt, ^erb. Keller,
Defreddct, GJabriel 2tTar, (Ettoma,
Ciebermann, tPiltt* Sufct*, 5^9^ ® ra f
^arrac^, Xltag Krufe, KniUe, Ceffer*
Ury, Voepler, Cedit, Kueljt, Cec^ter,
3ügel, partagttt, Ttlacfenfen, Sfarbina,
Ceifttfcm, (Banlfe, pUnfe,
?frels biefet Drei eAünflfet - Stummem ber
„Gegenwart“ 1 SSI. 50
«uch birect bon und p beziehen nach SBrief*
marfen=©infenbung.
Verlag ber (Begemrari, Berlin W. 57.
Stottern
heilen dauernd Dir. O. DenliarAt'S
Anstalten Dresden -Zaosoliwitz und
Burgsteinfurt, Westf. Herrl che Lage.
Honor. nach Hei lg. Prospecte gratis.
Aelteate st&atl. durch S. M. Kaiser
W ilhelxn I ausgezeichn. AnsL Deuts chL
©erantoortlt^er Stebacteur: Dr. ßoatng tu ©erlitt. Webactton unb «jbebttton: ©erltn W., SRanfietnftra&e 7.
J)rucf bon Ocffe A ©eder te BMk*
Digitized by
Google
M 7.
■gßerCm, 6m 17. §?eßruar 1900.
29. Jahrgang.
Band 57.
K 7
C A
Pie #ejpwiut
aBod^enf^rift für Siteratur, trntft unb öffentliches Seöen*
*
‘o,
*
<$etttu0fwp6eit tun ‘gGeopflU ^otflng.
leb tu SonKbam trfdjetot etne promer.
Su bejtrijen bunf» alle ©u^banblungen unb ©oft&mter.
SSerlag bet ©egentoart in SSerltn W, 57.
«Urtelümritdi 4 V. 50 9 f. fto Kramer 50 Jff.
Sfnferate jeber Ärt pro 8 gehaltene ©etttjeUe 80 ©f.
Inljaff:
Sine Sontinentalunion. SSon Sb. 9fHd)ter ($ari8). — SSürttembevgifdje ^artetberfjäftniffe. S3on $lrcf)it>affeffor Dr. $RuboIf$rou&
(Stuttgart). — öttcratnr unb ftuttft. Stoolution bet Stjrif. SSon $>an3 fieug. — Sine IjoHäitbifcfye D^m $rügersS3iogra})l)ie.
SSon ufeaj % ©ejelfdjap. — ftcnlüetott. Sin ganj deiner Vornan. SSon 33. ©arfcfjin. — &ct ^anptftttbt. ®er
SSonneganä Snbe. SSon Caliban. — Qux Subnrig Sfriau8=9luäftenung. SSon 3- korben. — Sinnigen.
(Eine Continentalnnion.
'•8oit (£b. Hinter ($ariä).
Xie griebenSfreutibe unb SSölferüerföbner finb feit längerer
3ett nid)t menig in Aufregung, 3wav b at ber Ipaager ©ongteß
in ©übafrifa ein blutiges SRaGfpiel befommen, aber man
tröftet |id) bamit, baß an ©teile beö „ perfiben Albion",
beffen ßrämergeift unb ßänbergier ja nur im 3roift ber San»
tinentalftaaten mobl mürbe, jeßt XeutfdjlanbS SSerföEjnung
mit ober menigftenö Annäherung an grantreiG getreten fei.
Unb wenn man bermaten bie ißarifer Sölätter tieft, möGt’S leib»
lidj fGeinen. ,,©S ift nicht mef)t X)eutfd)lanb, baS ber geinb ift",
fGreibt ©rneft Xaubet im ,©auloiS‘, „fonbern ©nglanb". „X>ie
3«t ift gefommen", meint ber ,Watin‘, „jmifdjen ber greunb*
febaft mit ©nglanb ober mit XeutfGlanb befinitio ju mäblen".
„Sine SSerftänbigung mit XeutfGlanb", äußert ficb be ©auj,
„!ann für bie ©inen empörenb, für bie Anberen peintief) fein,
aber fie ift im Sntereffe granfreiG^ notbmenbig. Sn ©iam,
Warocco, ©gbpten unb ©bina muß granfreiG, menn eS ficb
gegen ©nglanb behaupten foK, auf bie £>ülfe XeutfGlanbS
jäj)len tönnen." 93aron b’GftourneHeS febreibt: „Xeutfd)ltfitb
bat biefetben Sntereffen, mie mir, unb mir müffen erfennen,
baß bie mabre ©jiftenj ©uropaS bon einer friebticben unb
für beibe Sänber eijrenDotlen ßöfung beS Problems (eines
©inOemebmenS jmifdjen grantreicb, fRußlanb unb XeutfG*
tanb) abbängt". Wan ift amb in grantreicb ßbifer SBittjetm
feltfamer SBeife früher gerecht gemorben, als in anberen ßänbern.
„SG glaube fef|r", äußerte ficb bor einigen Sabren ein geift-
reicher granjofe, „baß Jtaifer SBifbetm gerabe bort, mo er
auf baS größte SSerftänbniß Slnfprucb b a ^ n tönnte, nicht
gehörig begriffen mirb. ©ö giebt ein Spießbürgertum, baö
bor biefer großangelegten Statur jurüdfebeut, mie ber EEeufet
oor geroeibtem SEBaffer unb meld)e§ Genialität mit fauerer
2Wiene bödjftenö alö SBielfeitigfeit gelten laffen möchte. 2J?an
nimmt irriger SBeife für 3nfobärenj, maö eine meitfiebtige
Eßoliti! je nach ben metbfelnben Sebürfniffen beö ‘SEageö febein«
bar ju improoifiten, im ©rutibe jeboeb fbftematift b eroor=
jufehren gebietet. Saifer SBilljetm burebbriebt ba§ ©djema.
Non seulement il regne mais il gouverne aussi. ©r ift
auf allen ©ebieten beö cultureKen, fociaten unb politifdjen
, Sebenö ein SSorbenter feinet SBolteö. SBenn mir einen folgen
Wann befäßen — unb märe er bloß ^rätenbent —, ber
Gnthufiaömuö für ihn mürbe feine ©renjen fennen".
Gafton ©hoifb bereift ©eutfcblanb, er plaubert mit
beutfeßen ©elebrten, mie ß. Srentano, ©. ©üntßer, Slb- 3' e 9 ler
über bie geplante Annäherung unb läßt fein „9leue§ ©ünbniß"
mit beutft'franjöfifcbcn garben in beutfeber Sprache er*
fdjeinen. @t. ©roöclpube öeröffentlicfjt unter bem Xitel:
„La France, la Russie, l’Allemagne et la guerre au
Transvaal“ einen geiftöoÜen SBerfudj ber fleugeftattung ber
europäifeben Sßolitif. Sa, felbft ber fjarifer SRoman mirb
franco-allemand. „L’Oubli“, fo nennt ficb bejeiebnenber
SBeife eine elfäffifcbe ©rjäbtung non Xb- ©ahn unb 2oui§
goreft, ber alö SRotto baö SBort Suleö gerrp’ö öorongefebt
ift: „La France doit mettre une croix sur l’Alsace-Lor-
raine“. Unb eine @ad)e, bie feit breißig Saßten ju ben
Unmöglicbfeiten gerechnet mürbe, ( b fl t ficb neuerbingS ereignet:'
eine beutfebe ©cbaufpiclerin, Agneö ©orma, tonnte mit ihrer
Xruppe in EjSatiö gaftiren.
Auch auf beutfeber ©eite oerfebtießt man fid) feineömegö
ber ©infiebt in bie ©emeinfamfeit ber-Sntereffen unb ber
meltpolitifdjen 93erufung beiber ßänber. „ÜBeibe“, fagt ißro*
feffor ©cbmoller, „haben baffelbe enorme unb oitale Suter*
effe: jufammenjurnirfen, um bie brei 3Jiefenmäd)te, SRußtanb,
©nglanb unb bie bereinigten ©taaten in ©ebadb ju halten...
Sft bte Union nabe? SG wage ni^t ju antroorten. @ö ift
nidjt XeutfGlanb, baö jurüdbält". Auf biefer @inficf|t bat
auch bie beutfebe EjSotitif feit jeher gefußt unb hättp fiG, märe
ber Srieg niGt bajmifGen gefommen, fiGerliG in confequenter
SBeife in biefer fHiGtung betbätigt. Wan h°t fiG geroöbnt,
in bismard nur ben Urheber be$ beutfG’franjöfifGen Äriegeö
ju feben. Wan öergißt, baß Siömard oor mehr als breißig
Sabren auG ben Eßlan einer gemeinfamen politifGen Action
XeutfGlanbS unb granfreiGö gegen ©nglanb ernftliG in be*
traGt gejogen bat unb baß er biefe Sbee nie gänjliG fallen
ließ. Sie mar oieüeiGt für feine Haltung granfreiG gegen*
über naG bem Kriege beftimmenb. „SBir Don unferer ©ette",
erflärte er 1887, „haben AKeS getban, um baS franjöfifGe
bolf baßin ju bringen, baS bergangene ju Dergeffen. granf»
reiG tonnte auf unfere Jpülfe unb unfere Unterftugung jäblen
in allen beftrebungen, ausgenommen in folGen, bie auf bie
SBiebergeminnung ber bheingrenje gerichtet maren;... aber
in allen anberen gragen maren mir in bonnetefter SBeife be*
ftrebt, granfreiGS SBünfGe ju förbern unb ihm AHeS, maS
mir tonnten, ju ©efaüen ju Gun." Xiefe ißolitif XeutfG*
lanbS bat noch jur Qeit ber biSmard’fGcn SBirffamfcit in
granfreiG ein ©Go [gefunben. @S ift befannt, baß SuleS
gerrp in ben aGtjiger Sabren bie SlnnäberungSpolitif offen
Digitized by v^.ooQle
98
3Die d&ejcttrmrt
Nr. 7.
begünftigte, aber auefe ba% fie mit ein fiauptgrunb pm
©turje be« oerfeafeten Donfinoi« mar.
©cfeon biefc SEfjatfac^e fpric^t beutlidj genug bafür, bafe
biefer berühmten ©erföfenung«» unb AnnäfeerungSpotitif non
©eiten ber Diplomatie eine inftinctiüe £>erpn«abneigung ber
Nation gegenüberftefet, Weldjeeben ftärfer ift, als aOe momentanen
SiebeSbebiirfniffe. ©Ser mit ©ariö unb ^Jratifreid^ au« längerer
feefanntfcfeaft oertraut ift unb auch bie ©olfSfeele ftubirt
bat, ber weife wofel, bafe granfreiefe un« gegenüber immer
ein unfitfeerer Gantonift, ein böfer ©acfebar, fagen mir furp
ber Grbfeinb War unb bleiben Wirb. Die Nation mag ja
friebliebenb ober beffet friebenSbebiirftig fein, aber fie Würbe
p allen 3 e * ten immer nur üon einem Raufen turbulenter
(Seiftet angeführt unb nach ©elieben gelenft. ©aefe ben ibeaten
©piefebürgern Oon 1789 famen bie Aboofaten unb ©lut»
bunbe oon 1798, bann bie Generäle ber DteoolutionS^eere tc.
bi« p ben ä Berlin'.»Schreiern oon 1870, ben Gommu»
narben, ben ©oulangiften unb ben Drefefu«»®egnern. G« ift
überbie« eine fonberbare gunwtfeung, fo furj nach bem ©tocefe
Oon ©enne«, ber un« bie oon ben 3efuitcn gclenfte Armee
mit ihren meineibigen Generalen gejeigt bat, bie fogar ben
beutfefeen Kaifer in ihren ©efemufe p jiefeen oerfuebten, fefeou
an freuitblicbere Gefüfele un« gegenüber p glauben. An ben
griebenSfcfealnteien, bie jefet oon ber ©eine ertönen, finb nur
bie Gonflictc mit Gnglanb fcfeulb. Ohne bie Dferfeige oon
gafdjoba würbe granfreiefe nicht baran benfen, un« Aüancen
p madjeit. Unb ohne bie ©Seltau«ftellung, fügen mir feittp.
Auf bie Oerföfenlicfeen ©ferafen ber Gin gang« erwähnten ©ublt»
ciften legen wir feinen übertriebenen ©Sertlj. GS finb bie»
felben sperren, bie gegenwärtig wieber oerlangen, c« fei bie
Aufgabe, ja bie ©flicfet Deutfcfelanb«, bie egfeptifefee grage
aufjurotlen unb alfo für ben 3weibunb bie Kaftanien au«
bem geuer j U {j 0 ( etl g33i r wollen aud) nid)t oergeffen, bafe
bie franpfifefee glottenoermeferung mit ihrer 400 Millionen*
forberitng ni<fet nach gafefeoba, fonberit erft jefet angeregt
würbe, unb bie birecte Antwort auf bie beutfefee glottenüor»
läge ift. Unb wa« ben „©ieg" ber grau ©orma in ©ari«
anbetrifft, fo war e« niefet« weiter a(8 eine antienglifebe Kunb»
gebung, worüber bei feinem Augeitjeugen ein gwVifel E>errfd)t.
©aefebent bei ber erften ©orftellung „bemonftrirt" worben
war, tiefe man fpäter bie treffliche Künftlerin mit ben ©e»
fuefeern au« ber beutfefeen Golonie feübfcfe allein. Gewiß niefet
barum, weil ein antifemitifefee« ©lättdjen mittlerweile au«»
pofaunt featte, bie Dame fei bie Gattin eine« Italiener« unb
Oon .fjtaufe au« ein jlibifcfee« gräulein ©ormanit (?), fouberu
Weil e« fiefe eben um fein fünftlerifcfee«, fonbern pnäcfeft um
ein politifefee« Sntereffe feanbelte. G« wäre baßer fefet p
bebauern, wenn fid) burefe biefen „Grfolg" beutfefee Gaftfpieter
ober ganje Gefammtgaftfpiele oerfüferen liegen, auf ber
©SeltauSfteHung Aufführungen p geben, oor welchem Unter»
nefemen nur ernftfeaft gewarnt werben mufe. Die beutfefee
Golonie fann ein gröfeereö Unternehmen niefet allein ffüfecit,
unfere Anöftellungöbefucfeer in ©ari« feaben ©effere«(?) p
thun, al« in beutfefee DfecateroorfteHungen p gefeen, unb bie
graupfen bleiben erft reefet fern. ©Ser auf Grunb feiner
langjährigen Keuntnife ber feiefigen ©erfeältniffe p foldjen
Grgebniffen über bie faniofe franpfifefee Annäherung an
Deutfcfelaitb aburtheilen mufe, ber fann nur mit heiterem 8e»
hagen ober betrübter ©fepfi« auf bie ©erföfennugSfcfewärmer
feerabfeljen. 9Jiag e« auefe bem oberflädfelidjen ©eobaefeter
zeitweilig fo fdjeineit, al« ob ber Gebanfe an bie ocrlorenen
©rooinpn bie franpfifdjen Köpfe weniger befdjäftige unb
oor bem Gnglänberfeafe prürftrete, wir werben hier p Sanbe
ftet« an bie nie oergeffene Grmahnung Gambetta’S erinnert:
janiais en parier, toujours y penser. £)aubett e« fiefe boefe
niefet nur um Glfafe»2otljringen, fonbern um bie oerlorene
©rofe» unb ©Settniacfetftcllung, um bie Ueberffügelung burefe
Deutfcfelanb auf militärifdjem unb wirtfefcfeaftlicfeem ©ebiet,
itacfe Ginwofenerphl, Sfnbuftrie» unb ©eefeanbel. S23ir ftefeen
bafeer auefe bem gutgemeinten ©orfcfelage einer Gontinentab
Union, Wie fie ber ben Sefent ber „©egenwart" Wofelbefannte
©ationalöfonom unb ©ilbfeauer Dr. Alfreb ©offig in einet
gtugfeferift („Die ©olitif be« ©SeltfriebenS"; ©erlin, £>er=
mann ©?altfeet) oörfefelägt, burefeau« ffeptifefe gegenüber. ®t
meint, bei ber principieüen ©eneigtfeeit, bie auf beiben ©eiten
oorfeanben fei, feanble e« fiefe nur um bie ©eftimmung einet
billigen unb annehmbaren ©runblage bei bauernben 9Serftän»
bigung. Den ©tanbpunft Deutfcfelanb« in biefer grage tpbe
bereit« ©iSmarcf burefe bie ©Sorte gefennpiefenet: Alle« mit
Auönafeme ber ©euregulirung ber ©feeingrenje. An biefem
©tanbpunfte feabe bie beutfehe ©olitif confequent feftgefealten
unb unlängft noefe höbe bie „Äölnifcfee 3 e ' tun 9" > u unjtoei*
heutiger ©Seife e« auSgefprodjen, bafe eine beutfcfe«franpfi)d)e
Annäherung nur bann möglidj fei, wenn granfreidj Glfafe»
Cotferingett oon ber ©ecfeitung mit Deutfcfelanb geftriefeen feabe,
Wenn ba« ©Sort Glfafe»Sotferingen au« bem ©Sörterbudj ber
franpfifefeen Staatsmänner oerfefewunben fei. Auefe Sioffig ift
ber Anficfet, eine ©erftänbigung in ©ejug auf Glfa|»2otferingen
fei oorläufig fefeon barum faunt benfbar, weil man in granfreicb
bie Anfcfetiefeung biefe« Sanbe« an Deutfcfelanb al« Annexion, in
Deutfcfelanb al« berechtigte ©eltenbmacfeung älterer Gigentfeume<
rechte auffafet. „Dennocfe aber mufe man e« fiefe auefe in
Deutfdjlanb flat macfeen, bafe bie enbgiltige, bauernbe Aiiä*
föfenung mit granfreidj ofene jebe Gompenfation ebenfall« ju
ben politifefeen Unmögtid)feiten gefeört. Die« ift fo einlcucfetenb,
bafe felbft bie natürlichen ©egner ber beutfcfe»franjöfifcfeen ?ln»
näfeerung fiefe eine folcfee ofene Gompenfation niefet oorftellen. ■
„3gnotu8", ber Diplomat oon ber „National ©eoiew“ glaubt
aud) eine tn iferer Ginfacfefeeit rüferenbe Söfung ber grage
oorauSfefeen p föitnen. ©einer Anficfet naefe mufe Deutfd(
lanb granfreiefe eine Gompenfation auf bem curopaifcfecn
Gontinent gewähren: e« wirb ifent alfo geftatten, ©elgien —
mit bem Gongoftaat al« Anhang — an fiefe p jiefeen unb
bafür £o0anb — mit ben begeferenSwertfeen oftinbifdjeu
Golonien — fiefe p „affimiliren". Derartige Gompenfationl-
projecte müffen ben üon ben feumanften ©efiefetspunften ge’
leiteten beutfefeen unb franpfifefeen griebenSpolitifern ferne
bleiben, ©ieüeicfet Werben einft feeute ungeafente continentole
Arrangement« jwifefeen granfreiefe unb Deutfcfelanb möglich
Werben, Arrangement«, welcfee nur pr ÜKaefet unb jum
fRufeme beiber Staaten beitragen, aber feinen anbern fdjäbigen
würben. Sorläufig erfefeeint eine Gompenfation in Guropa
al« au«gefcfeloffen." G« giebt aber natfe fRoffig ein Derritorium,
auf bem Deutfefelanb granfreiefe« ©Sünfdjen entgegenfommen,
ja auf bem e« ifem ein Sänbergefcfeenf anbieten fönnte, ofene
bafe neue Groberungen, neue ©erlufte an 3Renfcfeenlckn
nötfeig wären: e« ift ba« bem franpfifefeen 2Jiabaga«far gegen*
überlicgenbe ©tüd ber Cftfüfte Afrifa«, ein Golonialbefiji,
ber ben ©ortugiefen eine Saft ift unb beffen fte fid) früfeet
ober fpäter entäufeern müffen. „Die ©ebentung biefe« @e<
biete«, inSbefonbete aber ber Delagoabai, für granfreiefe ift
gan;* unermefelicfe. SD?it bem $afen Souren 90 » 9 Warque« —
einem bet beften Srieg«feäfen ber ©Seit — Würbe ben grau*
pfen niefet nur bie langerftrebte, ootle ©efeerrfefeung boi
Ganal« oon SRojambique pfatlen; fie Würben niefet mit,
Danf ben reiefeen, benachbarten Kohlenlagern eine Sfofeleit*
ftation gewinnen, welche für bie Gntwidelung oon 3P?aba»
gaöfar unb für ben franpfifefeen ©eeüerfefer oon alletgröfeteni
©Sertfee wäre — fie hätten oor Allem einen leicfeten Abfaü
für aKe ©robucte 2ttabaga«far« nad) ben fübafrifanifdjen jfif-
pubtifen gefiefeert. 2Rabaga«far ift ber ©peidjer ©übafrife«,
unb feine 3 u f u,, fl wäre mit bem SBomente bebrofet, tje
Gngtanb bie Delagoabai erwerben würbe, ©o fann mnn
benn wofel fagen, bafe bie Küfte oon ©lopmbique für ba«
franpfifpe Golonialreiefe oon gröfeeret ©ebeutung fei, al«
Glfofe*Sotferingen für fein continentole« SRcicfe. ©nn finb tie
| beutfefeen Sntereffen an ber Cftfüfte Afrifa« berart befefenffen.
| bafe fie bie Grwerbung ber Delagoabai burefe bie granjopn
Digitized by v^. ooQie
Nr. 7.
Die Gegenwart
99
nidjt nur geftatten, fonbern gerabeju erwünfcßt machen.
9TnbcrerfeitS ift deutfdjlanb, danf feinem Vertrage mit @ng*
lanb für ben gatl beS ZerfaufeS bet portugiefifcßcn ©olonien
in bet Sage, bei bet Zeitteilung biefet Sänbcrftrcdeu ein
entfcßeibenbcS SBort mitjufprcdjcn. ©8 tann, wenn ©nglanb
uutet feinen Umftänben granfreict junt Äaufe julaffen wollte,
bie delagoabai felbft erwerben unb fie mit bet 3eit an
granfreicß abtreten. Unb ©nglanb wirb woßl, danf bet
fübafrifanifcßen ©omplication unb danf bet Ißolüif bet freien
£anb, bie Äaifer 3BifE)efm in bet dranSoaalfrage ficf) üor*
bemalten, mit ficf) reben laffen; eS wirb woßl ober übet fein
SBiberftreben gegen baS Zorbringen granfreidjS auf benr
genannte ©ebiete, unter bem ©influffe deutfdjlanbö. aufgeben
müffen."
933iff man in granfreiet biefet bereinftige 3 u f ammcns
geßen ttatfäcblidj ^erbeifü^ren, fo muß — baS fiett auef)
Dr. SRoffig ein — „bie offizielle Vtttitübe granfreicßS flatet
als bisher bejeigeit, baß bie füßrenben Steife bet fRepublif
ben StunäßerungSgebanfen in ernftlicßer SBeife toetfofgen.
Senn SRiemanb wirb leugnen, baß bist« bie ©ourtoifie
Diel metr auf ©eiten deutfdjlanbS, als auf bet granfreicßS
ju finben war. Slber ein großer 9tugen6ticf tücft für granf*
reict ßerau. die 9tuSftetIung oon 1900 muß, Wenn es ben
granjofen mit bet ©acte beS gtiebenS ernft ift, nidjt nur
ein ©efdjäft unb eine fßarabe, fonbern jugleidj ein weittin
fiettbarer SBenbepunft ber ^ßolitif fein. 2Rit bem eifernen
Saßrßunbert fott bie ÜRadjt* unb ©roberungSpolitif fdEjliefeen;
baS näctftfolgenbe foU bie ^ßofitif beS ZkltfriebenS inaugu*
tiren. 91ber nur, wenn man auf bet ^jßartfer SBeltauSftel*
lung bie beutfdj*franjöfifcf)e 9(nnätcrung in eclatanter SBeife
augebatnt feten wirb, wirb biefe SlnSftellung wirfiid) baS
werben, waS bie granjofen wüufdjen unb bie Zölfer toffen —
ein watreS ZerbrüberungSfeft bet 9Renfd)ßeit, eine bebeut«
jame ©tappe auf bem SBege jum ewigen grieben."
SBit fjaben natürlict nießts bagegen, wenn granfreid)
öS wirfiid) über fict gewinnt, auf feine 9Reöand)epoIitif ju
»crjictten. SBie gefügt, wir glauben nur nidjt reett baran
unb finb überzeugt, baß, wenn wir itm wirflict beiftetcu
Würben, bie ©nglänber aus ©gßpteit unb bem ©uban ßinauS
ju manöüriren, unb itm üRonjambique oerfdjaffen, baß bann
bie Seite bet Slbrecßmutg an unS fäme. A nous deux,
roonsieur le voisin! Sätet ttun wir gut, eilt jWciteS großes
SlUianjproject, welkes bie SBeltpolitif auf eine ganj anbere
©runbtage fteflen würbe, nid)t auS ben Sfugen ju berlieren.
SEBir fpreeßen oon bem beutfdj=englifd)*amerifanifd)en ©inuer»
netmen, einer ©ombination, bet ©tamberlain’S Sebe in Seicefter
eine unetmartete ^ßublicttöt oetlieten, wie wir oermutten
niett oßne bie ©onnioenj beS beütfdten SaiferS. Sn
bet luftigen diScuffion, Welcte ©tamberlain’S Siebe ßerbor*
gerufen, traten bie tiefen, treibenbeit Sntereffen, bie üerborgenen
©ßmpatßien unb Slntipatßien, bie geteimen Hoffnungen unb
Zefürcßtungen ber Nationen mit übertafdjenber SRadtßeit au
bie Dberflädje. Unb gleicßjeitig tat baS ©jpofe beS 2RinifterS
delcaffe über granfreidjS auswärtige ißolitif, ®r. ©oludjowSfi’S
Siebe in ben öfterreidjifeßen delegationen, bie Zotfdjaft beS
Sßr&fibenten 3Rac ftinlep an ben amerifanifdjen ©onqrep, enb*
lict — last but not least — ©r. 0. Zülow’S SRotioirung
ber glottenbermetrung licttbringenb gewirft. daß Dr. SRoffig
gegen ben Zorfdjlag beS feitter grünblidß blamirten ©tamber*
laiit ©tellung nimmt, ift nact bem ©efagten flar. @r feßreibt:
„diejenigen feten nid)t Weit, bie in bem Singriff auf,
dranSoaal nur baS Zeftreben erblicfen, bie SReicßtßünter ber
iübafrilanifcten SRinen ju erbeuten. @8 galt aud) bie ©r»
Werbung ber delagoabai, welcte mit bem Hafen öon Souren^o*
SRatqueS unb ben benad)barten ßoßlenlagern in bem ©piel
©nglanbS ein jweiteS ©ibraltar ju werben beftimmt war.
©8 galt bie Zegrünbung eines großen fübafrifanifeben SieicßeS,
ebenfo ftarf als baS inbifete, aber weniger bebrott als biefeS.
Unb felbft biefet ißtan, ber Königin oon ©nglanb neben bem
afiatifeten auit einen afrifanifeten Äaifertitel ju oerfetaffen,
erfetöpft noct lange nid)t bie Sbeen eines SlfjobeS unb eines
©tamberlain. denn baS fübafrifanifete Äaiferreid) unb bie
delagoabai, an bie fict «n beträd)tlicteS weiteres ©tüd ber
oftafrifanifdjen Zefitungcn Portugals angefctloffen t^tte»
tätten nur baju gefütrt, ben ißlan ber afrifanifeten dranS»
oerfalbatn ju oerwirflicteit, baS Sap mit Äairo ju oerbinben
unb mit biefem gigantifeten fRüdgrat bie ^»errfc^aft über ben
gangen afrifanifeten Sontinent ju erlangen. SRact Slmerifa,
Slfien, Sluftralien — Slfrifa. 2Rit einem ©ctjlage würben
bann Portugal, granfreict, deutfdjlanb unb bie fRieberlanbe
um bie grüctte itrer ©olonifationSarbeit gefommen feih.
SRinifter delcaffe tat in feinem ©jpofe über granfreictS
auswärtige ißolitif beutlicf) barauf tingewiefen, ba§ granf*
reid), beffen Zeoölferung faum noct junimmt, fict weniger
um eine Zergröfjcrung beS ©ebieteS, als barum bemüten
müffc, baS ju ertalten, was eS bereits befi^t. 9luc| Zalfrep
betont eS im ,gigaro‘, bap eine Weitere ©fpanfion bte actioen
Kräfte granfreictS überfteigen mürbe, daß granfreict fpecieß
auf bem ©ebiete ber afrifanifeten Sßofitif im ©eqenfafce ju
©nglanb baS griebenSprincip repräfentire, t at ©roSclauoe
überjeugenb nactgcwicfen. „die glänjenbe ©popöe ber fran=
jöfifd)en ©onquiftaboreS, fagt ©roSclaube, tat ein ©nbe ge=
nomnteu. H eute Vertreten wir in 9lfrifa baS ©leictgewidjt
unb bie frieblicte ©ntwidelung, mätrenb ©nglanb neue ©in*
fälle unb Umgeftaltungen anftrebt." daS gufammengeten
ber ©ontinentalmädjte fann oon Sillen, bie bie Sntereffen bet
einjelnen ©taaten riettig begriffen taben, nur als ein lofeS,
auf gewiffe Hauptpunfte ber SBeltpolitif befctränfteS gebadtt
werben. @id) bie Hä nbe binben laffen, wie eS granfreict
im Zertältnifj ju mufelanb gettan, baS mag fein ©taat;
and) baS ©etema ber dripelafiianj ließe fidt auf bie ©onti*
nentalunion niett anwenben. die franjöfifcten fRabicalen
fönnen atfo rutig bie beutfd) = franjöfifcte Slnnäterung unb
bie Sontinentalunion förbern: fie wirb auf bie innere $olitif
granfreictS oöüig oßnc ©influp bleiben." Unb bamit fommt
Sioffig wiebei auf fein afrifanifd)eS ©ompenfationSobject jurüd:
„SBenti bie beutfd)=frniijöfifcte Slmtäterung auf bem oon itm
Oorgefdjlagenen SBege ju ©tanbe fäme, wenn bie delagoabai
— auct na<t einer oorübergetenben Zefe^ung burct bie ©ng=
lätiber Wätrenb beS dranSoaalfriegeS — ben granjofen gefiltert
Werben würbe, fo wäre ber engtifc^e Zlan ber Umfpannung
beS ganjen fitwarjen ©ontinentS ein für allemal burdjfreujt,
unb eS wäre bie ©runblage für ein bauernbeS ©leictgewidjt in
Slfrifa gefitaffen. die beutfeten ßolonien tätten bann oon
©nglanb nidjt8 metr ju fürchten. Unb nodt ein 91nbereS tritt
tinju. 2Ran üergeffe nid)t, baß bie afrifaitif^e ßolonifation
für ben franjöfifcten ©Ijrgeij nad) bem Zerlufte Slfaß*
SottringenS eine S}eüand)e bebeutete, unb baß alle jene
©nergien, bie na<t biefet ©eite einen Slbflnß fanben, fid)
nact ©uropa wenbeit würben, Wenn baS unauftaitfame Zor*
bringen ber ©nglänber fie in Slfrifa beßinbern würbe. ÜRodj»
inalS: füll fidj granfreict bie ©ompenfationen nießt in ©uropa
fudjen, fo müffen fie itm in Slfrifa gegeben werben." den
Imperialismus ju läßmen, ben engfifdjen griebenSpolitifern jur
SRacßt ju oerßelfen, baS allein will Sioffig anftreben, benn
nur fo faun bie ©aeße beS SBeltfriebenS gefiltert werben. „SRan
Weiß eS in ©nglanb feßr woßl, baß eS Weber ben Sntereffen
granfreidjö entfprießt, mit ben ©nglänbern, bie ißaris unb
bie franjöfifcßen ßurorte beoölfern, auf gefpanntem guße ju
leben, nodj baß eS bem ©nfel ber Äaiferin Zictoria angeneßm
Wäre, bie beutfdj*engtifdje Spannung permanent ju feßen. Um
Zeilegung ber ßeutigen ÜRioalitäteu unb Zerftimmungen ßanbelt
eS fid), nießt um Zäßrung beS H°ffeS gegen ©nglanb. darum
Würbe aud) bie ©ontinentalunion ben fRaßmen einer potitifdjen
Zerftänbigung nießt überfdjreitcn unb fidjerlicß nie eine Son»
tinentalfperre jur ©djäbigung ber englifcßen HanbelSintereffcu
anftreben. 9Ran barf in ©nglanb überjeugt fein, baß eS ben
continentalen ißolitifern, bie SllleS, waS au Gnglattb groß
• Digitized by v^.ooQle
100
Oie Gegenwart
Nr. 7.
unb bemunberungSWü tbig ift, in aufrid)tigfter SBeife anju»
erfennen wiffen, in f)öc£)fteni SDaße peinlich ift, bie Dotlj*
wanbigfeit einet continentnten Union in biefem Ülugenblide
ju betonen, wo (Snglanb gegen afle Krmartuttg Dom SDfiß*
gefcßid Derfotgt wirb!" 2öie man fief»t, miß Doffig bie Kng*
länbet nicht briiSfiren; mit bejweifeln freilich, baß fie bie fo
fd)lou Derffißte ißiöe fdjmadhaft finben werben. Unb nun
entpuppt fid) Doffig plöglidj als glottenfhtoörmer: „2)et
©lan einet Kontinentalunion unb einer gricbenSpolitif fteljt
unb fällt — mit bem Verftänbniß unb ben Seiftungen bet
Kontinentalmächte für bie glottenerweiterung. Dur wenn biefe
3Wäd)te cS begriffen, baß (Snglanb fein SEBeltreid) bet glotte
üerbanlt, baß ‘Eieutfdjlanb feine einftige mächtige Stellung burd)
93ernad)läffigung ber glotte eingebaut, wirb bie Kontinental*
Union in ber SBeltpolitif etwas erzielen fönnen. granfreich
Derwenbe alle feine politifdje (Snergie auf bie Säuberung beS
SlugiaSftaQeS feiner ßJJarine, eS Derwenbe feine Deid)tl)üiner,
ähnlich wie ®eutfdjlanb, jum 3luSbau feiner glotte. ®enn
erft, wenn bie beutfdje glotte im herein mit ber franjöfifcpen
unb ber ruffifcgen (Snglanb auf bem SDeere bie Spige bieten
fann, ljot bie ©olitif beS SBeltfriebenS 5luSfid)ten auf Krfotg.
5)ann erft unb nid)t früher fönnten bie Kontinentalmächte bie
englifdje Kolonialpartei im 3oume galten, t)ätte bie offene
Slnnäfjerung biefer Wachte eine reelle ©runblage. $)enn ben
grieben fann nur ^Derjenige fiesem, ber im Kriege fiegen fann.
SD?it ben neuen Scpiffett, wcldje granfreid) baut, mad)t eS
nid»t nur fid), fonbern jugleid) 2>eutfd)lanb unb ben übrigen
friebliebenbeit (Sontincntalmädjten baS wiflfommenfte ©efdjenf;
eS förbert auf bie mirffamfte SBeife bie Sache beS 2Belt=
friebenS unb ber cultureßen (Sntwidelung ber gefammten
Wenfdjhcit. K)enn bie flotten — man Dergeffe eS nicht —
finb nicht nur ein SSeltmadjtmittel, fonbern jugleid) ein SBclt*
DerfcljrSmittel. ®ie neuen $friegSfd)ifTe Derbürgen eS, baß
biefer Verfefjr ein frieblidjer fein wirb. Unter intern Schule
werben bie neuen Rubels« unb ^ßaffagierfcfjiffe bie Konti*
nente enger als früher mit einanber Derbinben unb entlegene
93ö(fer einanber nahe bringen.“
So fdjließt alfo ber Vorfdjlag beS geifireidjen ©olitiferS
mit einer ISlufforberung an ®cutfdjlonb unb — granfreid),
ihre glottcn ju oermehren. Datürlid) nur gegen Snglanb!
®aS gatale ift inbeffen, wie fdjon oben angebeutet, baß
granfreid) nid)t nach ber „Sdjmacf) Don gafdjoba" bamit
beginnt, fonbern in golge unferer geplanten glottenberboppe*
lung. ®aS beweift eben, baß eS unS im ©runbe beS HerjenS
als ben eigentlichen geinb betrachtet, mit bem eS früher ober
fpäter abjuredfnen gilt. 33ir glauben baber, baß Wir gang
fiebere ©arantien Don bem unficheren Kantonift abwarten
müßten, ehe wir unS mit ben böfen englifcf)en Vettern Der*
janfen, unb auf beffen Koften granfreid) Detgrößern unb
ftärfen. Ktaß jebe franjöfifdje Kolonie unferem §anbel Der*
loten geht, Würbe fich auch ' n Wojambique geigelt, wenn wir
eS granfreid) jufd)anjten. Sltfo ift eS beffer, im nicht ju
Derfennenben Sinne ber ißolitif beS beutfeben KaiferS neutral
ju bleiben, foweit nicht fd^oit geheime Abmachungen mit Kng*
lanb unS Vortljeile Derfpredjen. Auf feinen gatl uns aber
fonft nach linfS ober rechts ju binben. Unb Dor Aflem immer
ftarf ju bleiben unb noch ftärfer ju werben. So werben
wir ftetS Don (Snglanb wie Don granfreid)'Dußlanb um*
Worben bleiben unb in fritifc£)er ßeit ben AuSfcfjlag geben.
Wärttembergifd)e fJorteinerhältniffe.
9Jon 9(rcf)iDaffeffor Dr. Hubolf Krauß (©luitgart).
®er aufmerffame unb unbefangene ^Beobachter ber württem*
bergifdjen Vartcioerf)ältniffe hot — unb jwar, fofern er auf
liberalem Stanbpunft fleht, mit Sdjreden — in ber testen
3eit ben fortfehreitenben 3eefeßungSproceß fowohl innerhalb
ber VolfSpartei als innerhalb ber ©eutfeßen Partei wahr*
genommen. $ie eine muß eS erleben, baß ein Don Saht ju
Salfr ftärfer werbenber ißrocentfag ihrer SEBählermaffen jur
focialbemofratifchen gähne übergeht, mäljrenb bie anbere
ben immer feder auftretenben Anfprücßcn ihrer bis*
herigen Aßiirten, ber mit bem 93unbe ber Sanbwirthe £wnb
in |>anb gehenben Äonferoatioen, einen nur fcßwachen, auf
bie Stauer nicht auSreichenben SBiberftanb entgegenjufeßen
Dermag. Sn ber SanbeShauptftabt hot bie 3lbforbirung ber
bürgerlichen ®emofratie burd) bie focialiftifdje ihren 3lnfanj
genommen. Schon feit geraumer 3 e 't fpielt fich h'er ber
ernfthafte potitifdfe SEßahlfampf auSfd)ließlich jwifchen ©eutfh*
parteilern unb Socialbemofraten ab. 99ei ben legten SReid)S*
tagSWahlen ift bie SSolfSpartei in brei weiteren, bisher Don
il)r befeffenen Sejirfen nicht einmal mehr in bie Stichwahl
gelangt, unb baS gleiche Sdjidfat ift ihr bei ber jüngften
Kßtinger Nachwahl wiberfahren. Süiefelbe Sntwidlung ber
®inge, baß nämlich ber jweite SBahlgang nicht mehr jwifdjen
S)emofratie unb einer recßtSftehenben Partei, Dietmehr jwifchett
Socialbemofratie unb einer folgen ftattjufinben hat, wirb Dor*
auSficßtlich nad) unb nach ' n aßen übrigen, noch bemofratifch
Dertretenen 9}eidh§tagSwahlfreifen ißlag greifen, wofern fich
nicht injwifchen bie SBejiehungen ber Parteien untereinanber
Wefentlich oerfchieben. ®ie ®eutfche Partei freilich hat fe* ne
Urfache, über biefen ßfiebergang ihrer bemofratifchen ©egner
ju frof)lodcn. 99iS Dor fiurjem hot ihr, in beren ScgooB
befanntlich nationalliberale unb freifonferoatiDe Slemente Der*
einigt finb, bie felbftftänbige fonferDatiDe ^Bartei jiemlid) un<
eigennügigen SBorfpann geteiftet. S)aS ift feit ben legten
IReidjStagSwabten ganj anberS geworben. S)ie JlonferDatioen,
geführt Don bem ehrgeijigen Agitator- Scßrempf, geftärft butch
bic9?Agrünbung beSSunbeS ber Sanbwirthe, haben nidjt nur Don
Dornherein mehrere SÜBahlfreife gegen ^»ilfeleiftung in ben übrigen
für fich beanfprudjt, fonbern finb aud) ba unb bort ber an cf)ro*
nifcher Kanbibatennoth leibenbenK)eutfchen Partei mitSlufftellung
Don99ewerbern juDorgefomntcn,bie biefe einfach acceptiren mußte,
Wenn fie nicht, äfjnlid) wie ber fräftigere babifdje SiberaliSmuS,
auf fich oßein ftehen unb nach aßen Dichtungen gleichjeitig
gront machen Wüßte. ®aju fehlten ihr aber mit gug unb
Ded)t ber SWuth unb baS SelbftDcrtrauen. UeberbieS mären
baburd) ihre 9lnhängcr, bie burd) baS langjährige, als felbft*
Derftänblid) betrachtete 99ünbniß mit ben ÄonferDatioen jwifchen
beiben Parteien nid)t mehr recht ju unterfdgeiben wußten, in
gefährlicher 9ßeife Derwirrt worben. Doch beutlidjere Sehren
haben fidß aus einigen, in legter 3«it burdjgefod)tenen Krfag*
Wahlen jur 9lbgeorbnetenfammer ergeben, unb WaS bie all*
gemeinen SanbtagSwahlen ju Knbe beS laufenben SahrtS in
biefer ^inficht bringen werben, ift nodj gar nicht abjufehen.
S)ie 9Serhäitniffe finb bereits an einem fünfte angelangt, too
fich bie ®eutfd)e Partei Don ihren früheren, burd) ihre rafdjen
Krfolge übermüthig geworbenen ©unbeSgenoffen trennen muß,
wofern fie fich ty nen oid)t Döflig unterorbnen unb ihre Selbft*
ftänbigfeit aufgeben miß. feie fönnte fie aber alfo ihre
ehrenDoße liberale Vergangenheit Sügen ftrafen unb jum
Sobtengräber an ben Hoffnungen ber eigenen 3 u f un ft frei=
wiflig Werben?
9SolfSpartei unb S)eutfd)e ißartei befinben fiel» bemgemäß
genau in berfelben Sage: bie eine ift in ©efahr Don linfS,
bie anbere, Don rechts her aufgejeljrt ju werben. Sich allein
ihrer Hont ju wehren, ift feine mehr mächtig genug. ®et
9Infd)luß nad) linfS bringt aber ber einen fo fidjereS Ser*
berben, wie ber anberen ber 9lnfd)luß nad) rechts, weil er ben
brohenben 9lbforbirungSproceß befchleunigt. 3)er auch ’ n
SBürttemberg unerfd)ütterlid) feftftehenbe Sh ut m beS KentrumS,
baS über feine beftimmte 3 a h^ rneift abfolut fidjerer @ige
gebietet unb in ber SDehrjahl ber übrigen 9ßaf)lfreife fein
ftarfeS ©ewicht in bie SSagfdjale werfen fann, barf bei biefen
'-Betrachtungen ganj außer Dehnung gelaffen werben.
Digitized by
Google
Nr. 7.
Die Gegenwart.
101
38aS ift bei biefer Sachlage natürlicher, fefbftoerftdnb*
lieber, als baß bie beiben liberalen Parteien, bie [ich tßeil*
toeife auS benfelben VolfSfreifen unb OefeUfc^aftSfcfjic^ten
refrutiren, miteinanber güßlung ju gewinnen fueßen? Sßeift
fie nicht fdjon ihre gemeinfame Vergangenheit barauf hi«?
|>aben fie nicht feit ben Sagen ber großen württembergifchen
VerfaffungSfämpfe faft ein halbes Saßrßunbert lang einer
oielgeftaltigen üieaction Schulter an Schulter mannhaften
SBiberftanb geleiftet? Stegen nicht biefelben Flamen oon
VolfSßelben auf ben ©ßrenblättern ihrer beiberfeitigen 9tnnalen
in unuerlöfcßlicßen 3ügen cingegraben? Sin Subroig Uhfanb,
ein 5ßaut 5ßfijet, unb wie fie fonft heißen, ipaben fid) felbft
mitten in ben Sagen bet erbittertften 3wietracßt bie einigenben
Momente, bie Siebe ju freier ©Übung unb ©efittung, ber
£aß gegen Sunfelmännertßum in jeber gotm, jemals ganj
auStilgen taffen? SRan Weiß, baß in ben feckiger fahren
bei ?lufroQung ber beutfeßen grage bie große gortfdßrittS»
Partei SßürttembergS in bie ©rüdje gegangen ift. 9lber bie
beutfeße grage ift ja jeßt, (Sott fei Sanf! gelöft, unb jwat
in einer fo grünblichen, enbgültigen Seife, baß auch ber oer»
biffenfte ©roßbeutfeße ben ©ebanfen einer Vemebur nicht mehr
auSjubenfen wagt. SS ßanbelt fid) nur noch um baS bisdjen
politifcßen fPartifulariSmuS hin unb hei — geiftige fßarti*
lulariften finb ja nun einmal bie Schwaben überhaupt unb
»erben eS hoffentlich bis in äße Smigleit bleiben. 2BaS Oer»
fcßlägt eS fooiel, ob bie württembergifchen ©riefe mit föniglicß
ttürttembergifeßen ober reichSbeutfdjeit ©riefmarfen beliebt in
bie Seit ßinauSgefanbt werben? SaS ift bodj wahrlich eine
grage, in ber jeber feine ©riöatmeinung haben, bie ülabemifcfj
erörtert Werben tann. lieber folcfje Sappalien brauebt man
fich boch nicht in ben paaren ju liegen, fich gegenfeitig „mäuber
unb ÜKörber" ju fchelten.
Sn einem Stüde freilich barf bie Seutfcße Partei unter
feinen Umftänben fich felbft untreu werben: in bet ©eßanblung
ber großen nationalen fragen oon ben ßöcßften aßgemein
politifcßen ©efießtspunften. 9Kit bem ©ewußtfein, baß eS
fich babei um fchmetjlicße, aber unoermeiblicße Opfer ßanble,
muß fie auch fünftig mit bet alten (Sntfcßiebenßeit für bie
Stärfe unfertr Sehrmacht ju Sanb unb See eintreten. SaS
ift ein Karbinalpunft, an bem ein ©ünbniß jnrifdjen Semo»
fratie unb Scutfdjer Partei leicht feßeitern lönnte. Von jeher
ift biefe gegen bie Verhöhnung ihrer patriotifeßen lieber»
jeugungen bureß jene empfinblid) gewefen, unb wer woflte eS
iffr oerübeln ? Snbeffen mehren fich allmählich bie 9lnjeicßen
bafür, baß eS ben Semofraten mit ihrer feßroffen Ablehnung
nationaler gorberungen nicht mehr fo recht ernft ift. gaft
macht eS ben Sinbrud, als ob ihre gußter <« beit ißarla»
menten, VolfSöerfammlmtgen, SRebaftionSftuben, Wenn fie
gegen $eer unb glotte bonnern, meßr noch einer alten, füß
geroorbenen ©ewoßnßeit, als ber Stimme ihres Snnern folgen,
baß fie nur auS falfcßem Schamgefühl ben 2ftutß jut Um»
feßr nicht finben, unb baß eS ihnen gar nicht unlieb ift, Wenn
ißre negatioen Slbftimmungen bie Sntfdjeibung nicht beeinfluffen
unb fie babureß fchwerer Verantwortlichfeit entjogen werben.
Sa, eS haben fich fogar innerhalb ber VolfSpartei Stimmen
erhoben, bie offen erflären, ba| bem Reiche bie notßwenbigen.
Summen jur nadjbrüdlicßen Rührung einer ©roßmachtSpolitil.
unbebingt ju bewifligen feien. Sie Seutfcße Partei hat aud)
ihrerfeits ein SJiittel in ber ipanb, um ber VolfSpartei bie
Umfeßr in biefen fragen ju erleichtern: fie braucht nur ben
finanziellen unb focialen StuSwüdjfen beS SKilitariSmuS, bie
fich ja unleugbar ba unb bort noch jeigen, energifeßer als
bisher auf ben Seib ju rüden.
Ser Heimgang beS dürften ViSmard hat eine Ver*
ftänbigung jwifeßen Semofraten unb SRationalliberalen bem
Vereicße ber 9J?öglidjfeit um ein gutes Stüd näher gerüdt.
SluS menfehlich Wie politifcß begreiflichen unb ßöcßft ehren*
toertßen ©rünben haben fid) biefe niemals baju entfdjließen
mögen, bem berehrten SRanne gegenüber ihre abweichenbe
Meinung in fragen ber inneren ißolitif ju entfehiebener
©eltung ju bringen, wäßrenb jene auf biefem ©ebiete feine
unoerföhnlichen SBiberfacßer gewefen finb. Slnbere 3 f * ten
erforbern inbeffen anbere politifdje ©runbfäße unb ©littet.
Ser Schatten beS dürften ©iSmard mirb bie National*
liberalen gewiß nicht baran ßinbetn, wieber baS „liberal",
baS fie in ihrem -Kamen führen, mit größerem Kadjbrude ju
betonen. SineS freilich wögen fich bie Semofraten gefügt
fein laffen. Sie müffeit in biefem fßunfte bie ©mpfinblicß»
feit ihrer weiter rechts fteßenben liberalen ©rüber fdjonen
unb fich fünftig jeglicher Verunglimpfungen beS größten
beutfdjen Staatsmannes enthalten. ©lan foflte benfen, baß
eS ihnen nicht allju fchwer fiele, großmütig bie Segenfpiße
oor einem Sobten ju fenfen, ber ja ihre 3irfel nicht mehr
§u ftören üermag, unb beffen Verbienfte um bie ©röße beS
VatertanbeS fie ja felbft — wenn auch mit Siberwißen unb
Siberftreben — anerfennen.
Schließlich ift eS boch immer nur ber Son, ber bie
SKufif macht. Vießeicht finb auch bie — Wenn man fich f°
auSbrüden barf — formalen Sifferenjen jwifchen Seutfdjer
Partei unb VolfSpartei größer als bie fachlichen. Segtere
gefäßt fid) theilroeife in forcirt OolfSthümlidjen 3Kanieten,
beren Serbheit ben ©ebilbeten leicht abftößt, wäfjrenb erftere
eine ftaatSmännifih üornehmtf)uenbe Haltung einnimmt, bie
feinen red)ten 3 u fammenhang mit bem VolfSbeWußtfein auf»
fommen läßt. ?(uf ber einen Seite ift ein gewiffer lieber»
fdjuß, auf ber anberen eher ein Stbmangef an fritifirenber
(Snergie ju fonftatiren. Sie beiberfeitigen ®epflogenf)eiten
einigermaßen ju mobificiren unb einanber auf halbem SEBege
entgegenjufommen, Wäre boch für ben ipreiS, ben eS ju et»
ringen gilt, fein aflju großes Opfer.
@S hat nun aßerbingS gang unb gar nicht ben Slnfdjein,
als ob bie maßgebenben greife innerhalb ber beiben Parteien
fchon jur flaren ©rfenntniß ber Sachlage unb bamit gut
Ueberjeugung burihgebrungen feien, baß ihr £>eil aflein auf
einem gegenfeitigen ©üitbniß beruhe. Vod) hat eS bie Seutfche
Vartei nicht über fich gewonnen, irgenb einmal fich affen für
bie VolfSpartei ju erflären. 3Beit fd)limmer treibt eS bie
bemofratifche ^Parteileitung. Sie fchlägt fich in Stichwahlen
principiefl auf bie focialbemofratifche Seite, wobei fie frei»
fid) nur bei einer SKinberjahl ihrer Slnßänger ©eßorfam
ju finben pflegt. Sie 3tngft, bie focialiftifd)en Stimmen tm
Kampfe gegen bie Seutfdje Partei entbehren ju müffen, be=
ftimmt bie bemofratifdjen güh ret immer wieber ju biefem
wibernatürlichen Vergalten. Senn baß bie Seutfcße ©artei
ber VolfSpartei weit näher fteht, als bie Socialbemofratie,
bebarf boeß nießt erft beS VeweifeS. SÜBenu einmal baS
Kriegsbeil jwifeßen ben beiben liberalen bürgerlichen Parteien
in SEBürttemberg begraben fein wirb, muß fid) überhaupt feine
üon beiben mehr nach ftembem ©eiftanbe gegen bie anbere
umfehen. Sie jeßt ttod) üon ben Semofraten beliebte Saftif
ift jeboch nießt bloS unnatürlid), fonbern ebenfo furjficßtig
unb uitflug, ja gerabeju felbftmörberifch- Senn eine große
Stnjaßl ißrer SBäßler, bie bei Stichwahlen ben fociatiftifcßen
©eroetbern jugefiißrt wirb, bleibt erfahrungsgemäß biefen baS
näcßfte 9Jial gleich beim erften SBaßlgange treu. Snbem bie
Seitung ber VolfSpartei ben Unterfcßieb jmifeßen Social»
bemofratie unb bürgerlicher Semofratie berwifdjt unb ißre
Slnßänger irre maeßt, leiftet fie ißrerfeitS bem fie bebroßen»
ben SlbbrödelungSproceß gewaltigen Vorfcßub.
@S ift bie alte ©efeßießte oon ben feinblicßen ©rübern,
bie fieß, wenn fie fid) einmal überworfen ßaben, um fo er»
bitterter befeßben, je unnatürlicher ißre geinbfcßaft ift. 9Kit
ber langjährigen ©ewohnßeit, fieß gegenfeitig fcßlecßt ju maeßen,
fann man nießt fo oßne SBeitereS brechen, baS Unfraut ber
3wietracßt unb beS paffes, baS man üppig wuchern ließ, ift
nießt fo leicßt mehr auSjurotten. 91 m meiften ßaben fid) bie
Parteiführer feftgebiffen, feftgerannt; Weit eßer bridßt fieß
unter ben ^ßarteigenoffen bie beffere ©rfenn.tniß ©aßn. Sa,
Digitized by v^. ooQie
102
Oie O&egeotDört
Nr. 7.
e3 mag fein, baß eine Serfößnung überhaupt unmöglich ift,
fo lange bie jeßigen Sänner an ber ©piftc ber Parteien
flehen. ®a§ märe für SBeibe gleich BerßängnißBofl. ©iefleidjt
hätten mir inbeffen ben Untergang ber alten ©arteien als bic
glüdlicßfte Söfung ju betrachten, meil allein baburcß Bon
©tunb auö ein neuer, fefter ©oben für gefünbere ©artei*
üerfjöliniffe gelegt mürbe. Vielleicht fönntc bann Siirttem«
berg ben übrigen fRekßgtßcilen mit ber ©Übung einer ein»
Zeitlichen liberalen ©artei ooranfcßreiten. ®cnn mie groß bie
jeitmeilige ©ebrängniß beg liberal gefinnten ©ürgertßumg er»
fcßeinen mag, fo Beitritt eg bod) noch loie anberroärtg auch
in ©cßmaben eine gemaltige Sacßt. Sine Stacht, bie eg
unter ben gegenroärtigen mibrigen Umftänben nur nicht aug*
juüben Betmag. ®ie beutfcßparteilicße ©reffe faßt nach jebem
unglüdlidjen Saßlauggang mit roaßrem Sngrintm über bie
Sauen unb ©auntfcligen ßer ( bie Bon ihrem Sahirecht feinen
©ebraucß gemacht unb fo angeblich ben Sieg ber ©egner
Berfchulbct haben. X^atfäc^lic^) bleiben aber viele Säßlcr
nicht foroohl aug ©Icicßgiltigfeit unb ©equemlichfeit als aug
Uebcrlegung unb ©runbfaß ber Urne fern. 2)a§ politifeße
©arteigetriebe mibert fie eben an. Sin ftarfer ©rocentfag
ber mürttcmbergifchcn liberalen SSäf)ter ift meber fchlcchtmeg
nationalliberal noch fcl)lecE)tmeg bemofratifd). ®icfe Seute —
unb eg finb feinegroegg bie ®fimmften — folgen feiner ber
beiben ©arteien blinbtingg, fchlageit fieß Bielmehr Bon gaß
ju gaß nach ben jemeiligen Umftänben ju ber einen ober
jit ber anberen. ®em ©ebaßren ber ©arteileitung fteßen fie
Biclfad) ganz Bcrftänbnißlog gegenüber. Sie begreifen Bot
Aflem nicht, roarum ©olfgpartei unb 3)eutfcße ©artei fich
gegenfeitig fo leibenfcßaftlid) befeßben. Sie hoben auch feine
Suft, in biefen ©treit einzugreifen, fie Reffen fich Bielmehr,
beffere ßcite» abmartenb, Bon ber ©etheiligung an ber ©olitif
Zurüd, ja fogar tßeilmcifc Bon ber Slugübung ihres Saht»
rcchtg. ©erabe bie ©ebilbetften innerhalb ber jüngeren
©eneration finb Bon biefem Sibermißen am ftärfften ergriffen,
meßßalb eg auch beiben ©arteien an tßatenluftigem unb
leiftunggfäßigem ßtacßmucßg fehlt. ®iefe ©erhältniffe mürben
fiel) natürlich am ficherften unb grünblidjften burch eine Um«
iulbung beg ein^eimifc^en ©arteimefeng änbern. 31 ber auch
fefjon etne Annäherung jmifdjen ben beiben befteßenben liberalen
©arteien fönntc Sancßeg baran beffern. 9lid)t etrna einer
Bößigen ©erfdjmeljung, nur einer ©erftänbigung foß bag
Sort gerebet merbeit. ®iefe mürbe zunäcßft in einem gcitereßen
©ünbniß bei ©ticßmaßlen — gleidßoiet ob gegen ©ocialbcmo«
fratic ober Sentrum ober ©unb ber Saubmirtße — ihren
praftifcheit Augbrud erhalten. Aflmälig mürbe fid) baraug
feßon Bon felbft ergeben, baff man and) bie ©efämpfung beim
erften Saßlgang p Bermeibeit fueßt. Scbenfaflg müßte aber
auch ba, roo bcmofratifche unb bcuifcßpartci(id)e ©eroerber
miteinanber jufammenftoßen, ber Slampf fünftig in bureßaug
ruhiger unb fadjlktjer Seife, in anftänbigem unb maaßuoßein
Xone geführt merben. ©onft fönnte fieß leicht ber gufammen*
halt bei ben ©tidjmahlcn als praftifeße Unmöglidjfcit er«
ermeifen. ©clbftoerftänblicß müßte auch ben fftebacteuren ber
©artei*©lättcr unb »©(ätteßen in ber ^auptftabt mie in bet
©rooinj bie Seifung jugeßen, fich in ihren vhetvrifcfjen Äraft=
leiftungen gegen bie alten geinbe unb neuen ©erbünbeten
fürberhin bie gebührenbe ©efeßränfung aufjuerlcgen.
SKicßt burch platonifdje ©efüßle, fonbern lebiglicß burch
ben realften aßet gactoren, ben ©elbfterßaltunggtrieb, mirb
biefeg ganze ©erhalten ber mürttembergifchen ©olfgpartei mie
$>eutfcßen ©artei oorgefeßrieben. ©ie merben fonft, menn
fie fortfahren, fich blinbtingg ju befehbeit, in ber Sitte
zmifeßen ber ©ociatbemofratie unb ber Rechten ©eibe un»
barmherzig zerrieben.
Literatur unb <£unft.
Ueooltttion ber £i)rik?
S5on Efatts £eu§.
Arno £>olz hat int ,,©u<h ber 3 e >l" einige 2öne an*
gejcßlagett unb eine ©praeße gerebet, Bon benen id) glaube,
baß fie nicht nur einen hohen äfthetifdjen Serth haben,
fonbern auch eine neue Srfcßeinung in unferer Siteratur finb.
ßtur etrna greiligrath h at tn „Srlanb" unb ber Ueberfeßung
„gabrifelenb" für ben- proletarifcßeu ©roß ähnlich herbe,
bumpfe Xöne gefunben, mie Arno |>olz in feinem erften
©udje. ®er aufmerffame Sefer mirb aber auch fchon in
jenem ©ueße bie Älippe erlernten, an ber Arno §olz ge*
fcßeüert ift: feine Neigung zum ©latten, Xrioiaten unb zunt
Abfonberlicßen.
Arno |)ofz ift nicht nur fehr felbftbemußt (mag ich liebe),
fonbern ftcifföpfig; an Sritifen, bie fein Schaffen erfährt,
intercffireit ißit nur bie ©lößen, bie fich feine ftritifer geben,
nicmalg bag ©eeßt, bag fie haben; an jene ©lößen anfnüpfenb,
erbrüdt er feine Slritifcr mit fehr mortreichen, manchmal fräf*
tigen unb intcreffauten, im ©anzen aber hoch Berfehlten Anti*
fritifen. Sine 9teil)e Bon folcheit hat er nun aug 3eitfchriften,
in benen fie feßon erfchicncn finb, gefamtnelt, mit einigen
3uthatcit Berfehen unb alg „SteBotution ber Sqrif" (©erlin,
©affenbach), ßerauggegeben.
3cß fche baraug, baß ein neuerer Siterarhiftorifer §enn
§olz für „einen orbnenben, conftructiBen ©eift", in bem ber
„©erftanb ftärfer fei alg bag ©efühl", beffett „Sogif außer*
orbentlicß" fei, erfannt h at - „©eBolution ber Shrif*
bemeift aber, baß ber SRattn §errn 3lrno §olz Unrecht tf)ut;
beffen ©efüßt ift groß unb ccf)t menigfteng einmal gemefen;
mag aber feine Sogif angeht, feine gäljigfeit, ein Urtheil,
einen ©ebanfen fräftig unb grünblich S u formuliren, einen
©ebanfengang zu orbnen unb z« conftruiren, fo ift $otj
bamit feßr roenig begabt. Sr fann rnoßl bialectifcß, polemifcß
an Slnbere anfnüpfen, aber er hat eine pofitioe, erf^öpfenbe,
flare ®arfteßung feincg ©trebeng nießt zu ©tanbe gebracht.
Sg gcßört eine forgfältige, immer zurüdblätternbe, Bergleicßenbe,
©roden fammelnbc Seetüre feineg ©ueßeg bazu, um zu oer*
fteßen, mag er miß. 9J?an mirb bann aber auch aug feinen
eigenen Antifritifen erfennen, baß bie ©cßulb an Bieleit S)iffe*
renzen zmifdjcn ißm unb ben Sritifern feiner ©eftrebungen
lebiglicß an bem unflareu, unBoßftänbigen Slugbrud beg $errn
§olz liegt. San mirb enblicß noch ben ©cßlüffel zu Arno
|)olzeng Sntmidetung geminnen. ©erfueßen mir bag.
„®ie ©onne feßien mir Sieber in’g ^erz, unb ber fHegen
tropfte mir Selobien in’g Oßt", fo fagt ^>olz Bon fid), bem
3manzigjäßrigen; mir finb biefe Sorte ©emeig genug für
ben ©oeten, ber in bem jungen Sanne ftedte. ?lber ali
fein ©uch tarn, „bag ©ueß ber 3 c ‘l"» bag auf bie Siebe ber
3eit rechnete, fein ©ueß, bag er felber liebte, in bem fein
großeg ^»erj fcßlug, — rietß ißm ber Sflabberbatfdß, Sfftg*
fabrifant zu merben. Unb fonft — mit Augnaßme Bon
einigen mohlmoßenben fritifen — „blieb Afleg ftiß". SDiefe
Srfaßrung unBerfeßrt zu überftehen, ift feßmer; §olz Bermocßte
eg nießt. „®ie erfte ©refeße in feine fRainetät mar gefeßoffen.“
„Sarum ßatte bag ©ueß nießt eingefcßlagen?... Ratten meine
greunbe 9tecßt, bie ben ©erg für bie übermunbene gorm
einer übermunbenen Spocße erflärten? ... Süßte i^ nun,
um meiner 3«it gereeßt zu merben, um ißr nießt gar zu feßr
ßinterbrein zu tappen, Bon Steuern anfangen? ©on ber ©ife
auf?" Sin zweiter ©erfueß, Bon bem £>olz ©roben mit«
tßeilt, mar naß biefen menigfteng eine aßzu fclaBifcße SJacß«
aßmung ^»eine’g. $arin finbet fieß folgenbelc für ung mertß«
Boße gingerzeig: ©oefien für ©ennäler — ftnb bereits genug
gebrecßfelt; — fieße ßier bag ©rog ber Serfe — unferer
beutfdjeu ®iogfureit — Nomina sunt odiosa.
Digitized by v^. ooQie
Nr. 7.
Die töegetnoari
103
3ep erinnere micf> einer Aeufjerung non ©erwart §aupt«
mann, ben §olj ju feinen ©Gütern rechnet unb ber felbft
befennt, non §olj angeregt ju fein; fie ging bapin: in ben
alten formen Ratten bie ©laffifer ben ©ipfel erftommen;
Seiner burfte hoffen, fie ju übertreffen, irrten nur ju gleichen.
$ej)palb lag c$ nape, burep neue formen Gebiete ju erobern,
auf benen man Senen niept begegnete. Scp glaube, man tput
ben beiben ©intern niept Unrecht, tnenn man piernaep be»
pouptet, bafj ipre ©uepe nach neuen SBegen in bem 93er*
langen wurjclt, auf irgenb eine SBcife über bie ©laffifer pinauS
ju tommen, unb bafj biefeS Verlangen junäepft feinen facti».
lidjcn, fonbern einen perfönlicpen ©runb ^atte. SRiemanb
wirb baS für einen guten Seitftern galten. ®ennocp patte
auep er auf Umwegen jum giele füpren mögen: ju ben
toitflicp „bebeutenben" ©toffen unb ©onflicten beS mobernen
SebenS. 3 U tpter ®arfteHung unb Söfung veidjen bie über*
lieferten Stunftformen oöllig auS; £olj felbft pat bewiefen,
baj) man auep in ipnen ber ©pradje ein neues Sebett fepaffen
lann. @r pat fiep jenen ©toffen ja auep fepon im „Sucp
ber äjeit“ jugewanbt. Seiber oerfiel er auf bie Meinung,
bafj bie ©ntwidelung ber Sunft, ber ißoefte aQeiit eine ©nt*
roirfelung iprer gormen, iprer ÜRittel ober ber ^»anbpabung
iprer SRittel fei. Ipolj prebigt biefen ©ap als etn üon ipm
feftgeftellteS UterarpiftorifcpeS Ajiom unb füprt auf iptt feine
©ntwidelung unb feine ©ntbccfung ber neuen Sprif juriitf.
„Seil jugleicp unb Sompajj" fei jener ©ap ipm gewefen.
Sin einer ©teile (©. 109) formulirt er ben ©ap fo,bafjbie ©nt*
roidetung ber Suuft „in erfter Siitie" auf ber ©ntwidelung
iprcS 2Rittelö berupe, ©. 23 fo, bafj fidp bie ©tappen „lebig*
liep" naep ben 2Retpoben ridpten, bap man eine Sfunft nur
reOolutionire, inbem man ipre SRittel ober bie §anbpabung
ber (immer gteidpen) SRittel reoolutionire. Unb ba §olj bie
Sprif reoolutioniren wollte, fo füprte ipn fein Srrtpum auf
ben 3Bcg, ben er cinfcplug. SRiept etwa nun fo gaitj willfürlicp.
3unäcpft leitete ipn ber niept ungefepiefte ©ebanfe, bafj cS
geboten fei, einen befferen, reidjereit ©ebrauep ber ©praepe,
eine IBerftärfnng beS „©pradpbluteS“ ju erftreben. ®ie SReime
feien alle abgenupt — Alles üerratpe einen „gepeimett Scier*
faften“; auf üiele SBorte gebe eS gar feinen SReim; fdpoit
©oetpe unb £eine paben bie ©praepe mippanbelt um ÜRetrum
unb 9teim. 3 U jenem 8 n,e(f Patten nun am ©nbe bie fo»
genannten „freien fRpptpmen" genügt, bie ©oetpe unb f>eine
fo rounberbat, fo föniglicp angewanbt paben. Aber §olj war
itijroifcpen baju fortgefepritten, etwas Originelles, SReucS ju
entbeefen. SRocp oor einigen ÜRonaten wenigftenS Oertpeibigte
er gegen 9Repring’S fepr woplwoüenbe, faepoerftänbige Sfritif
bie „SReupeit" feines rpptpmifcpen fßrincipS. Sn einer fpäteren
ißolemif giebt er biefen Anfpruep gegenüber Sean ^ßaul’S
„ ißolpmetern" anfdpeinenb preis, um fiep barauf jurütfju»
jiepen, bap Steoolutionen ju reepter 3eit fommen müffen;
in Sean fßaul’S Serfen fei baS neue Srincip ju früp auf»
getreten, um reoolutionirenb ju wirren, ©egenüber ben
„freien SRpptpmen“ erpebt Ipolj ben Anfpruep, bap fein
ApptpmuS niept ein freier, fonbern ein notpwenbiger fei.
®r fei ber bem einzelnen ©ebanfen unb feinem SluSbrudf
innewopnenbe, natürlicpe, notpwenbige SRpptpmuS. Sie freien
fRpptpmen feien nur „eine 91 rt ©ammlung ton metrifepen
Steminifcenjen"; eS werbe ba ber „ Slang um feiner
felbft willen" gewäplt unb gefudpt; unb barin beftepe bet
„peimlicpe Seierfaften"; fo wirte baS auf ein feineres Dpr
Wie eine 9lrt fiep „ fortWälgenbeS übleS ©erdufcp", — für
3aprmärfte paffenb; lepte formale Slbfidpt bleibe ftetS baS
Xetterettetätä. Unb als SBeWeiS bafür auS ©oetpe’S „ißro-
metpeuS":
3^ fenne nichts 9lerntere8
Unter ber ©onn’, alä euc^ Oötter!
Ipolj forbert „©onne". Offenbar pat aber ©oetpe ben
StactpIuS gar niept oermeiben wollen, WopI aber ben ^»iatuS.
§otj bleibt uns eine flare ®arftetlung feines natür*
liepen fRpptpmuS fdjulbig. ®aS ©injige, waS ju einem feften
üluSbrucf fommt, ift, bap bie äupere Slnorbnung ber SBerfe
bem Snpalt entfpreepen foH. Unb bieS $|3rincip, auf bie
freien SRpptpmen angewanbt, bebeutet einen gortfepritt. ©ine
fRegel barauS gu maepen unb biefen gortfepritt bann für bie
Umwälzung ber Sprif unb baS ©ewanb iprer 3 u ^ un f t au§ *
jugeben, baju liegt ein facplicper ©runb niept oor. SBenn
£olj über feinen fRpptpmuS unb beffen immanente SRotp*
wenbigfeit eine weitere flare SDfittpeilung nidjt ju maepen
weip, fo pat er boep oerfucpt, einem ©ebanfen ber 91rt fiep
ju näpern. @r pat baju jwei SBcge eingefepfagen. „®rüde
auS, waS ®u empfinbeft, unmittelbar wie ®u eS empfinbeft,
unb ®u paft ipn" — ben natürlidjen 3{pptpmuS. ©epon
ton anberer ©eite ift Slrno §olj auf bie ünpaltbare Raffung
bicfeS ©ebanfenS pingewiefen worben, WaS er fepr übel Oer»
merft. 5)aS fann aber niept änbern, bap in jenen SBorten
entweber nur oöOige Unflarpeit fiep auSfpriept ober ein ißrincip,
baS jeber Sfunft juwiber ift. Stepmen wir an, Ijjolj pabe
fagen WoQen, ber natürlicpfte SluSbrud einer ©mpfinbung fei
immer ber befte; irgenb naep befonberen Laoten unb SRetren
erft ju fuepen, fei ein Srrweg; — fo wäre eS beffer unb
Würbe eS SRipoerftänbniffe befeitigen, wenn er bie Sejeicpnung
StpptpmuS aufgäbe unb feines ÄritiferS S. o. Seoepow weit
flarere gormuiirung ciitfacp als eine befferc übernäpme. ©ie
lautet: „Stidpt bie ©ilben werben gejäplt ober gemeffen,
fonbern ber 9Bcrtp beS ©egtiffeö ift maapgebenb, bie Ser«
tpeilung unb ^tarmonifirung ber geiftigen Slccente."
feolj giebt ein Seifpicl feines SerfaprenS. 5ßrofa würbe
ipm fein: ®er 3Roitb fteigt pinter blüpenbenStpfelbaumjweigen
auf. ©eine ’Jecpnif formt barauS:
hinter blu()enben Styfelbaumjtueiöen
6tei^t ber ^Dioub auf.
$ie erfte 3 e '^ e fepilbert ben ©cpauplap, bie jweite ben
Sorgang. „®aS ift meine ganje SReoolution ber Sprif", ruft
er auS. @S bleibt alfo habet, bap feine ÜRctpobe in ber 9(it*
orbnung ber „Serfe" nad) bem Snpalt beftept. darüber
pinauS ift Don einem SRpptpthuS, unter bem man boep eine
golge Oon SRetren oerftept, nur infofern bie fRebe, als fein
©ort eS oermeiben fann, in irgenb ein SDfetrum ju paffen.
Sropbent aber §olj unS fo feine „ganje SReoolution" felber
fepilbert, tropbem er bem oben angeführten ©ape o. Seoepow’S
juftimmt, feprt er fiep peftig gegen einen jweiten ©ap bcffelben
0. Seoepow in einer fpäteren Sfritif, iu betn jeber Scfer nur
eine anbere 3 0tm ulirung beS erften finbet. (©. 40.)
®er jweite 2S3eg, ben §olj einfdjlägt, um fiep bem „notp»
wenbigen" SRpptpmuö ju näpern, ift biefer. @r fuept in ben
gönnen ber Sprif naep iprent lepten, tiefunterften gorm»
princip. 3)iefeS, baS einfaepfte, will er fuepen, um bie
Sprif ju bereiepern. SJäprcnb er in bem erften ber abge»
brudtett Sluffäpc noip erflärte, über bie niept niebergefepriebene
Staturpoefie niept unterrichtet ju fein (®ocumente feien niept
Dorpanben), pat er fpäter bei Berber meprere ©teilen über
folcpe ißoefie gefunben, auS benen ipm peroorgept, bap baS
©efep ber Suroe — jebe fociale ©rfepeinung feprt, fiep ent*
wicfelnb, auf ipr urfprünglicpeS iRioeau jurüd — fiep auep
tn feiner Sprif beweife. ©r finbet alfo fein tiefunterfteS
gormprincip in jener ißoefte Wieber, bie opne SReim unb
SCRetrum, „garniept ppperbolifep, poeptrabenb ober fepwulftig"
ift, ber ißoefie ber Snbianer ober ber „gebilbeteren ißrofa"
ber SDJabagaffen. ®aS Sob ^erber’S unb feine „©timmen
ber Sölfer" galten ben ungefünftelten gormen ber SolfS*
poefie; eS würbe SRiemanben cinfaQen, §errn |>olj ju tabeln,
wenn er in biefer $infidpt ben ©puren |ierberS folgte,
ipamann, bem gerbet feine Anregungen oerbanft, fagt: „poefie
ift bie SRutterfpradpe beS menfeplicpen ©efcpleeptS, wie SRalerei
älter als ©d)rift, ©efang als ®eclamation, ©leicpniffe als
©eplüffe" k . ©leicpniffe, Silber, Tropen, SRetappern, — fie
waren bie SRittel ber äfteften ißoefie.
Heber bem ©treit wegen beS neuen SRpptpmuS beriiprt
Digitized by v^ooQie
Die ©egenwart
104
Slrno f>otj nur nebenper unb ofjnc ben ßufammenpang ber
beiben Tinge fcftjupalten, feine ©runbfäpe übet bie ©prad)e.
SRan folgt aber bem ©erbegang feiner lleftpetif, Wenn man
junätft bie mieberpolte ©rmapnung ber ©ntmidlung auf anberen
©ebieten, bem Trama unb bem $oman, unb bie Vepgnabme
auf 3ota’S 3leftpetif in’ö Stuge faßt. £olj will ben „©eg
jur Statur prüd", ben jene beiben Sfunftformen beftritten
|aben, auch für bie Sprif. @r eignet fit .ßola’S: „Sunft ift
ein ©tüd Statur, gefe|en burt ein Temperament" an, aber
„um barüber pinauSpgepen"; — inwiefern, bieS wirb nitt
ganj flar; anfdjeinenb nur burt baS neue gorntprincip, öiel*
leicht auc| in Verbinbung bamit burt eine ©rfriftung ber
Sprache. ’©ie baS neue Trama, $u bem § 0(3 unb ©djlaf
mit iprer „gnmilie ©elitfe" ben Slnftoß gegeben paben, mit
neuen „SRilieuä" aut eine neue Sprache auf bie Vüptte
führte, fo will $olj mit feiner Steoolution im lebten ©ruitbe
aud) eine Vereiterung ber Ipriften ©pradje. Sn welcher
Stiftung?
SRan muß bon öoritperein annepmen: in ber „Slüdfepr
jut Statur", pr „©aprpeit". Unb ^>otj fagt eS ja aud)-
©t fpridjt fit not weiter barüber aus, inbem er fid) gegen
baS falfcpe fßatpoS erflärt, ba§ bie ©orte um i£jre urfprüng*
lkpen ober natürliten ©ertpe bringt. Tiefen SBcrtE) ben
©orten gerabe p laffen, fie „Weber aufppuften, nodj §u
bronciren ober mit ©atte p ümroideln", fei baS ganze @e*
peimniß, freilit ein fo „wcfenStiefes", baß eö erft ben ©nfeln
offenbar werben möge. £>err £>olj ift mir fein SRann, ben
icf) fpöttift bepanbele, aber pier fann it nitt umhin ju
meinen, baß bie ©nfel wobt aut nitt bal)inter fommen
werben, eS fei bemt, baß §err £>o(j unS betrat, toaS er
meint Tenn baß er mit jenen ©orten nitt jebeS fßatpoS
berwerfen will, betont er gegen b. Seoc^ow, ben er fepr mit*
nimmt, weil ber bie ©äpe fo aufgefaßt bat, Wie fie lauten,
alfo als ein Verbiet gegen jebc Veränderung, gegen jebeS ©piel,
gegen jebeö fßatboS, in beiten man bisher ein ©tüd ©efen
ber poetiften Verwertbung ber ©prate fab- Sit ^jeine’S
Slotbfeebilbern Hingt „SReer" Wie ülmppitrite; £ 0(3 wünftt
aber, wenn er bom SReere fpritt, feine anbere Vorftellung
ju erweden, als eben baS SReer. 9lut wenn man §olj für
einen bunflen ^perafleitoS anfiebt unb erwägt, ob etwa irgenb
etroaS SlnbereS gemeint fein fönne, finbet man in biefen
©orten bot nur eine Verwerfung beS metapporiften StmudeS
ber bitteriften ©pradje unb ber „Tropen". §otj felber
giebt p, baß feine ißrüjiS biefer gorberung nur mangelbaft
entfprete. ©S Würbe aber leicht fein p erweifen, baß er
biefe burtauS abfittlit berieft unb SRetapper unb Trope
liebt, wie eben ein Tidjter fie lieben muß.
£>err £olz wirb nie p überzeugen fein, baß bie ©eit*
geftitte, bie mit unS armen ©efepöpfen oft pumoriftift ober
wipig berfäbrt, — wie £olj an Slnbcren bemerft bat — aut
ibm folte Streite fpiele. Unb bot ift feiten einem ©terb*
liten ein gtaufamerer ©ip ber Slrt gefteben als ibm. @r
batte in feinem alten „fßpantafuS" nitt nur neue ©toffe, fon*
bern aud) eine neue ©prate gefunben. §113 er nun barauf
auSging, aut eine neue gorm ju entbeden unb burt fie p
einer neuen, einfaten, etten ©prate p gelangen, ba ent*
rann ibm ber ©ewitin feiner Sugenb; feine ©prate — oft
not immer ftön, oft SRufif, oft ülbet unb ©tlicptpeit 511 *
gleit — rennt ebenfo oft auf bie ©affe ber fßlattpeit ober
flettert auf bie ©ollen beS VombafteS, beS ©cpmuIfteS
unb einer „SRanier", gegen bie DpitjenS fünftliter ßierratb
mir ein Sabfal ift. Ta 3 ift ba 8 ©tidfal aller fßoeten, bie
bem 3lbfonberliten natftreben, um bie Vergangenheit ju
übertrumpfen. Tie ©adje wäre Weniger traurig, wenn e3
fit. nitt um ben £olj Ejanbelte, bem man aut | eu te nod)
Tanf ft ulbet. ©0 er wirftit einfat bleibt, wie in ben
brei Don ©tol^enberg componirten entjüdenben Siebern, bie
§olj mit Sloten für ©efaitg. unb ©laoier feiner fReoolution
mitgegeben bat, ba ift er ein SRann, bem man feine Slarr*
Nr. 7.
beit jugleit um bie Dbren ftlagen unb üerjeiben mötte.
Um biefer Sieber Willen follte man baö Vut taufen, beffen
unerquidlite Seetüre it fonft feinem ÜRenften anratben mag.
©oolution ber Sprit? Steue ©toffe, bie großen ©toffe
be 8 mobernen Sebenö, aber bie wirflid) großen! Unb eine
neue ©prate, aber eine an ©tönbeit reitere, eine fräftigere.
Steuer gormen bebarf eS bap nitt, ft°n au3 bem einfaten
©runbe nitt, Weil e3 feine mepr giebt. ©a3 etwa an einer
fleinen Tifferenj jwiften §oljenö „Sipptmen" unb älteren
Veifpielen übrfg bleibt, baö ift nitt ber Siebe Wert- ©oUte
aber §04 burt feinen gelbpg unfete Sieberfunft jur
©t(it t b e i t unb ©tteit ber VolfSpoefie prüdleiten, fo
würbe ber Srrtpum Wenigftenö bie SRutter einer ©apTpeit
werben.
$olj erwäpnt gelegentlicf) bie pebräifdpe alte fßoefie, an*
fteinenb opne fie ju fennen. ©ie ift in ipren ©urjeln e'me
eepte Volföpoefie. Slot b eu le bitten in jenem conferoatiuen
Dften bie arabiften ©eiber auf ber ©affe nat iptem SRufter.
Ter „fßaralleliömuö ber ©lieber" ift nidjtö als baS Slefultat
beS ©etfelgefangeö, in bem ein ©eib ben ©ebanfen, ben
ein anbereS fingenb geäußert, aufnimmt unb öariirt. @0
entftanb oielleitt ein Tpeil jenes uralten Siebes, baS ber
©jobuS ber SRirjam, ber ©twefter beS SRofeS juftreibt. 3I(s
ißparao’S ©agen im ©tilfmeer ftwammen unb bie Seit*
na me ber ©gppter an ben ©tranb trieben, ba ermatten bie
Snftincte ber Sloinaben. Unb SRirjam napm eine fßaufe in
bie §anb, unb alle ©eiber folgten ipr nat mit fßaufen unb
Steigen. SRirjam fang ipnen oor:
0d)iru Idjarocf), t( goof) gnäfj.
@uä rcerotfjebo rmnät) bajnm.
Singel nun 3a§iue§, ber ein SBunber (bat.
8 R 06 unb Jemen Hioitn warf er in'si SKecr.
Tie gortfepung beS fräftigen ©efangeS ift pötft leprreuf)
unb ftön jugleit. Ter SlpptpmuS wirb fton im näcpften
Verfe burt einzelne Tactplen belebt, Wie man etwa einen
ftnelleren Stnlauf nimmt:
9lft toefiniratb jäf)! SSäjelji It Itjdjud^.
(©efang mir unb firaft 3a^! Snl) mürbe mir, mir jum -tieit.)
SRan beachte ben Steim. ©aS fiep an ©tmud jwangloS
ergiebt, wirb öerwertpet. ©0 aut im nätften VerS:
©efi elf luednemcpu!
(Gr niein ©ott, icf) miH ifin preifen.)
mit ber ftärferen, ben weiten Ton in’S SRännlite über*
tragenben Slntippone:
Glolie abt, rodav6memenet)ü!
(JDteineS SBaterS ©ott! 3 f)n ergebet mein ©efang.)
Qaf)rae§ i\d) milcfjamdb, 3a(jme(j fdjemo.
*(3of)mef) Wann für ben Stieg! er beißt 3ab® c b0
Unb nun ein feiner ©etfei im StpptpmuS:
Wartebdtb pareo meepeid jard 6 ajdm
(5)ie 58agen ^3parao’8 unb feine Watt »arf er in’S Weet),
Wo bie brei Slnapäfte am Slnfang bie Trümmerpaufen ber
SRatt fßparao’S ertlimmen. TaS SRetrum unb ber ©ebanfe
Werben not einen VerS fortgefüprt; bann fammelt fit bet
VerS wieber:
3 emfned)d jafmei) neban bafoad).
(®ie red)te .jianb 3ab>»eb’8 tbut grofje SBnnbet.)
@0 Wetfelt ber SJpptpmuS mit feinem Tact. Ter ©efattg
terwenbet weiter oortrefflit ben Älang ber ©orte. 3 ®*
nat einem fräftigen Slnlauf im SlpptpmuS, ber bie Sfbfttpt
ber nateilenben ©gppter jekpnet, folgt wie ©elätter unb
Dbem Sapwep’S:
9?afd)afta bcrüdjadjä tifamo jdm.
3 )a blieS betn ßbem, baS Weer bettte fie.
Digitized by v^. ooQie
Die töejjeuttttft
105
Nr. 7.
3d) ^abe bieg Seifpiel einet alten Sßoefk ^ier angeführt,
»eil eg ben Äetn beffen, wag aug ^oljeng gotmprincip ju
gewinnen wäre, enthält: „freien", aber nicht wiMürlichen
9i^t)t^mug; feine Scl)eu vor bern äRetrum, aber auch feine
Unterwürfcgfeit unter eineg. Sei biefer greiljeit, bie AHeS
in Sefifc nimmt, wirb bie ÜRutter beg SBorteS, bie Dodjter
ber Schönheit, bie fjof)e Stjrif bleiben.
(Eine f)oUanbtfd)e ©f)tn trüget-ßiogtopljie.
33on UTaj 21. ©efelfdjap.
AngefidjtS beg SerzWeiflungSfampfeg, ben bie ©üb»
afrifanifdjen SRepublifen Ijeute um ifjre Unabljängigfeit führen,
eines ßampfeS oon we(tgefc£>icE)tlirf)er Sebeutung, gewinnt bie
Sßerfönlidjfeit ißaut Ärüger’S unb bie ©efchichte feineg SanbeS
um fo mehr an 3ntereffe aud) für bag beutfdje Solf, weil ißaul
ftrfiger bie ©igenart beg nieberbeutfd)en SolfeS auf bem f)ei|en
Sßoben ©übafrifaS in fo fraftüoHer SBeife jur ©eltung ge¬
bracht hat. Db cg wahr ift, bafj SiSmard ben £>h m ft'tüger
ben erften Diplomaten ber alten unb neuen SBelt genannt
Ijat, wiffen wir nicht, aber eg oerbiente Wahr ju fein. Sn
ber Dljat h ft t fich ber Alte fämmtlichen Staatsmännern @ng=
lanbg überlegen gezeigt. Aud) bie Art, wie er bie greunblid)*
feiten beg beutfehen ÄaiferS unb bie famofe Depefcfje aufnahm
mtb üerwerthete, ohne fid) unb fein Sanb im minbeften §u
enaagiren, bezeichnet fchlagenb feine Suren» ober Säuern»
fdjilauheit. Dafj er fchweigenb ben Sorwurf ber Korruption,
©cftechlichfcit, ja beS SetrugeS auf fich f*fc cn liefe, uw un»
beachtet bie heimlichen Lüftungen ju betreiben, f) Qt einen
3ug oon ©röfje. Dahin gehört fein wunberooÜeS ©ott»
unb SolfSoertrauen unb fein perföitlidjer äRutlj. Denn wie
jeher echte Sur ift er zugleich ein Krieger unb ein fpelb ober
war eg wenigfteng in jüngeren Sahren. ©g ift alfo nur
recht unb billig, bafj biefer aujjerorbentlidje 9Rann feinen
Siographen gefunben t>at. Dag SBerf ift in .jpollanb er»
fcf)ienen unb wirb in beutfeher Searbeitung bei Senno
©thumbe in Safel oerlegt Der Serfaffer, g. oan Oorbt,
Afrifaner oon ©eburt, h ot an Drt unb ©teile in Pretoria
bie Archive ftubiert; bie grennbe unb gdtgenoffen cßaul
Ärügerg haben ihn mit SRatlj unb Dhat unterftüjjt in feiner
Arbeit, grühere Serfuche, bie SebenSgefcfjichte beg ^ßräfi»
beuten barzuftellen, fcheiterten ftetg an ber Serfcfjloffenheit
*ßauf Sfrüger’g, unb boch fonnte nur allein ber DranSOnalfdje
*ßräfibent üiele wichtige gragen beantworten. Aud) hierin
toar ber Serfaffer beg SBerfeg, glüdlicf)er, benn ißräfibent
Shrüger hat wotjlwoüenb bie ihm gefteüten gragen beantwortet.
©übafrifa ift ein Sanb, wo bie ©efdjidjte in Dielen
fünften .eine ©adje ber perfönlidjen Ueberlieferung ift, wo
man in ben weiften gälten nur burch perfönlidje SMcffpradje
©rfunbigungen einziehen fann, wo wenig ober nichtg @djrift»
ficheg über bie §auptereigniffe z u finben ift. Unb wenn
fßaut trüget zur ewigen SRulje eingegangen ift, bann finb
leiber auch bie, bie oor ihm unb furz nad) tyrn waren, aud)
ZU ©rabe getragen, unb ihr 9Runb wirb ung nichts mehr
über bie intereffanten ©djidfale, bie fie erlebt haben, fagen
unb über bie wichtigen ©reigniffe, in benen fie eine Solle
gefpidt haben, erzählen fönnen. Unb bag ift ganz befonberS
oer gad bei ber ®efcf)icf)te ber zwei fübafrifanifchen Suren»
tepublifen. ©dhriftftüde über bie ©cfdjefjniffc beg „©rohen
gugeö" oon 1836—37 finb faft gar nicht oorfjanben, unb
Wie Wenige leben noch, bie an biefem $uge theilgenommen
haben! Der Sertuft, ben bie ©efdjidjte oon ©übafrifa im
befonberen baburd) erlitten hat, baff über biefen ©rohen ßug
feine auSreidjenben 9fad)rid)ten in fchriftlichen Aufzeichnungen
Porhanben finb, läjjt fid) faum berechnen. Die ^elbenthaten
ber Soreltern ber heutigen Sürger beg greiftaateö unb Drang»
oaalS, ihre Seiben unb Kämpfe, ihr Sehen unb Streben —
bag ift faft alles unwiberruflidj für bie SRadjWelt üerloren,
unb bie fomntenben ©efcfjtechter werben biefen Serluft be»
flogen, unb fpätere ©efchidjtfchreiber werben ihn nicht minber
fdjmerzlid) empfinben. ©S wäre in ber Dljat zu wünfehen,
bah ein ober ber anbere bazu befähigte Slfrifanber fich öie
Aufgabe fteHte, fo halb wie möglich münblidje ©rzählung
biefer ©reigniffe oon ben Sippen ber wenigen noch Sebenben
Zum fchriftlichen SluSbrucf zu bringen, um Wenigfteng für
fommenbe ©efchlechter noch etwas z u retten. Son jenen
erften ©migranten finft einer nach bem anbern ins ©tab,
ein Sfffunb nach bem anberen oerftummt auf ewig, £elbenthat
auf §elbentf)at wirb ber Sergeffenheit preiSgegeben. ©harel
©iÜierS, StnbrieS ißretoriuS, ^jenbrif ißotgieter, SJiarthinuS
Siljoen, granS Soubert unb fo Diele ^mnberte finb oom
©chauplahe oerfd)Wunben unb nahmen bie ©efchichte if|teS
Sanbeg unb Soifeg mit fich »ng ©rab. ©rft feit furzer 3eit
ift man auf biefen ißunft einigermtfhen aufmerffam geworben,
unb bie Drangüaalfdje Segierung h°t ben alten ©j»Stäfi»
benten SR. 2Ö. ißretoriug beauftragt, über baS, Wag er felbft
erlebt hat, Aufzeichnungen zu mad)en.
SÜBährenb ber erften 16 Sahre beg Sefteheng ber ©üb»
afrifanifdjen Sepubtif, nämlid) Oon 1848 big 1864, herefdjte
in bem jungen ©taate ebenfowoljl auf poHtifchem wie auf
firchlichcm ©ebiete eine beflagenSwerthe ßerriffenheit, unb
biefe nahm einen fo heftigen ©harafter an, bah ein förm»
lieber Sürgerfrieg auSbrach, wenn er auch glüdlidjer SBeife
nur üou furzer Dauer war. Siele oon benen, bie noch am
Seben finb, haben an biefem ungtüdlidjen Streite tljeil»
genommen, unb heute, wo bie ipeftigfeit ber Ißarteifudjt oer»
fdpunben ift, unb bie ©reigniffe, bie bazu bie Seranlaffung
gegeben haben, fdjon längft hinter unS liegen, Wünfdjt ber
tranSDaalfdjc Sur, ber feine Sötte barin gefpielt hat, lieber
nicht Oott jenen feiten zu fpredjen. ©r hanbett hier feiner
Sibel entfprechenb unb betrachtet alle biefe Dinge als oer»
geben unb öergeffen unb meint, bah bie Auffrifdjung ber @r»
innerung an ben „alten 3®ift" nicht gut thue.
3m erften Dlieile beS SBerfeg wirb ber grofje 3 u fl ber
Suren aug ber ffapcolonie behanbett, bie unaufhörlichen Kriege
ber ©migranten mit ben wilben Sölferfdhaften ber 3“tu»
faffern, ber Safutog u. f. w., ihre Kämpfe mit ©lenb, IRoth
unb Dob. 3Bir lernen bie madigen ©eftalten ber groben
gührer ber Suren fennen, einen AnbrieS SretoriuS, ^enbrif
fßotgieter, Bieter Setief u. A., bie mit feftem ©ottoertrauen
mit 3Beib unb Sinb in unbefannte gernen fpuauSgezogen
finb, fid) mit ihrem Sotfe neue SBohnftätten fuienb unb
neue ©taaten grünbenb, fo ÜRatal, ben Dranjefreiftaat, bie
Drangoaalrepubtif. SBir fef)en im Serlaufe ber DarfteHung
bie ©efdjid)te biefer Sänber fich entwideln, ihre Kämpfe mit
©nglanb, bie ©ntbedung ber ©olbfelber oon Drangoaal, bag
SBirfen Oon ©ecil 9Jf)obeS unb ber ©hartereb ©ompanp,
SamefonS ©infall u. f. w. Serfnüpft mit biefer wahrhaft
fpannenben ©efchichte Ocrfotgen wir baS Seben unb bie
Dfjätigfeit ißaul firüget’S, beS greifen Ißräfibenten, beS Söwen
Oon fRuftenburg, wie ihn fein Soll nennt.
g. Oan Dorbt hat aud) mit h<üh em Semühen bie graae
üon Ärüger’g Abftammung aufgeworfen unb entgiltig gclöft.
Ärüger ift üon beutfeher Abftammung, fogar Serliner!
3m ©tammbuche ber fübafrifanifchen ©efchlechter, baS Don
©fjriftoffel ©. be SiHierS begonnen unb fpäter üon bem
©efd)id)tfchreiber ©übafrifaS, Dr. ©. ÜR. Dl)eal, fortgefegt
Würbe, fommen oier gamitien Ärüger oor, bie alle aug
Deutfdjlanb flammen. Der ©tammüater beg ©efdhlechteg ift
3afob Srüger, urfunblich aug Serlin gebürtig, wo er etwa
1686 als ber ©ohn üon granz trüget unb beffen ©he»
ftau ©lifabetf) geborene ^artwigS geboren würbe. Safob
Sfriiger fam im 3ahre 1713 atg fiebenunbzwanzigjähriger
junger SRann in ber Sapftabt an unb ftanb im Dienfte ber
Digitized by v^. ooQie
106
Die Cßrgettwart.
Nr. 7.
Dftinbifcßen Sompagnie. Sr fdjeint jebocß burcß irgenb einen
UnglüdSfaH eine $anb oerloren ju haben, morauf er ben
Sienft ber Kompagnie oerließ unb bie Srlaubniß erhielt, fid)
in ©teHenbofcß als 99ürger nieberjulaffen. $ier heiratete
er Soßanna Kemp, unb biefer Sße entfproffen ad)t Kinber.
SaS fecßfte Kinb toar ein ©oßn, ber am 8. 2lpril 1725 getauft
tourbe unb ben tarnen §enbrif Strüger erhielt. Sr üerßeirathete
fid) fpater mit grancina Sloete. ©ein ©oßn, ©ert Krüger,
ber am 21. SPiai 1750 getauft mürbe, üerßeiratßete fid) be*
reitö am 12. DRooembcr 1769 mit ©ufanna Sacija 53ut)3, bie
einer gamilie entftammte, rnelcßc als eine ber erften nacf) bem
Dften oerjog, unb in ©raaff*8Reinet mürbe bann aud) am
15. 5D?ät$ 1778 ißr ©oßn ©tepßanuS Susannes Krüger ge*
tauft — ber ©roßoater beS fßräfibenten, ber geraume 3 c ’t
im jDiftrifte ®raaff*9ieinet gemoßnt ßat. Sr Oerßeiratßete
fid^ mit ©opßia SDfargaretßa ©teenfamp am 28. Januar 1798
unb moßnte fpäter im heutigen Siftrifte Sarfa. ©eine grau
fünfte ißm fecßS Kinber, bodj als er unb bie ©einen ficß
im 3at)re 1836 bem ßuge'lßotgieterS anfcßloffen, roaren nur
uocß brei ©ößne am Seben, nämlicß ©ert S. Krüger, ge*
boten 1799; SaSper San £>etibrif, geboren 1804 unb SßeuniS,
geboten um baS Saßr 1807. Sßon biefen ßeiratßetc SaSper
San £enbrif bie Sungfrau Stfie grancina ©tetjn, bie Sod)ter
Soum ©teßnö, auS Sutßoef, naße beim heute oftgenannten
SoleSberg, mo baS junge Sßepaar auch moßnen blieb. £ier
erblidte am 10. Dctober 1825 ©tepßanuS SoßanncS ißauluS
Krüger baS Sid)t ber SBett.
33iet SfteueS erjäßtt g. Dan Dorbt non Krüger’S Sugenb,
bie bisher faft ganj im Tuntel lag. 9113 ^otgieter’S 3 U 9 ’ n
ber Ställe oon SoleSberg ben Dranjeftuß überfcßritt, fcßloß
ficß SaSper Krüger mit feiner gamilie feinem 9fater, ber am
3uge tßeilnaßm, an. Ser junge ißaul mar alfo bamalS
menig über 10 Saßre alt. Saß an ben Ufern beS Oranje*
ftuffeS, §unberte oon SDteilen meit entfernt üom uäcßften
größeren Sorfe ®raaff*9Reinet — benn SoleSberg mar baniatS
eben erft im Sntfteßen — ber Knabe ein hartes" Seben führen
mußte, läßt fid) leidet beiden. 3 War fugten ißn liebe Sltern,
fo gut es unter ben obmaltenben SBerßältniffett möglich mar,
ju erjießen, aber biefe Ratten felbft mit mancher Piotß nnb
Sntbeßrung ju fämpfen. 2Ba3 ben Unterricht anbetrifft, fo
mar eS natürlich traurig bamit befteüt. Sn biefen fernen
©egenben hatte man feine Seßrer; baS SSBenige, maS ein Kinb
bamalS lernen fonnte, mußte eS oon feinen Sltern lernen.
Socß ber junge Knabe mürbe in einer ftreng djriftlidjen
gamilie erjogen, bie an ihrer SBtbel mie an ihrem alten
©tauben hing unb eine 9lbneigung hatte gegen Steuerungen,
mie 99. bie Sinfüßrung ber „Soangelifd)cit ©efänge" (neben
ben bis baßin auSfdjließlid) gebrauchten $ßfahnen), bie in
unferem Sahrhunberte in ber „DReberlatibfdje ®ereformeerbc
Kerf" Singang fanben, maS natürlidE) in biefen abgelegenen
®egenben, mo man mit ^rebigern faum in Serüßrung fam,
erft fpät befannt merben fonnte. §ier mürbe ohne 3 föe 'f e t
in ber ©ruft beS KinbeS ber ®runb religiöfen ©inneS gelegt,
ber für ben fßräfibenten ber ©übafrifanifcßen Stepubtif fo
dßarafteriftifdß ift. Saß bie Umftänbe ber fpäteren Saßre
biefen ©inn nicßt gefchmächt, fonbern nod) mehr Oerftärft
haben, baS fteht für ben 93iographcn fefi Statürlich mußte
ber Knabe, befonberS mie bamalS bie Singe lagen, fdjon
feßr halb feinen Sltern behilflich merben, benn Sienftboten
gab eS menige, unb bie man noch befommen fonnte, maren
faul, trogig unb treulos. SS bebarf benn auch Wahrlid)
feiner großen SinbilbungSfraft, um ftch oorjuftellen, mie ber
jufünftige ^Sräfibent ber fRepublif oielleidht feit feinem neunten
SebenSjagre bie Sämmerfchafe beauffichtigen ober bie 3ügel
eines DchfengefpanncS ergreifen mußte, ®aß er, nodh ju
fdjmadh, um baS fcßmere ©annagemehr ju regieren, mit
manchen anberen SSurenjungen fid) mit ^ßfeil unb 93ogen
übte unb bamit §afen, 9tebf)üt)ner unb anbereS Kleinmilb
erbeutete, baS ift auch feh r mahrfcheinlidh. 3m Sllter oon
gehn Saßten mußte ber Knabe ben Ort, mo er geboren mar,
Oertaffen unb mit in bie SBüfte jießen, mo auch für ihn ein
Seben oon Kummer, ©orge unb ®efaßr begann. ®aS mar
feine Sr^ießungSfchute, unb oßnc biefe ©dhute märe er fußet
nicht gemorben, maS er ift. Sn ben Saßren 1836—1852
unb in ber bann fotgenben 3 e *t nicht minber, lernte er bie
unerfcßrodene ®apferfeit, bie ißm ftetS eigen geblieben ift,
unb bie eS bemirfte, baß ißm fcßon in feinen erften ®ienft*
jaßren als gclbfornet bie gefäßrtidhften Aufträge anoertraut
mürben. ®icfen Saßren ift bie eigenartige SBiöenSfraft ju
banfen, bie alle ^linberitiffe unb ©cßmierigfeiten überminbet,
unb bie Sntfchloffenßeit, bie ftetS baS eine 3iel im 9luge be*
ßält, unb biefeS 3>el bann audß ju erreidßen meiß. 9luf*
gemacßfen in ben erften Sagen ber greißeit ber Smigranten,
befannt mit all bem Seib, baS über fie ergangen ift, 9tugen=
jeuge oon ben Strömen 93lutcS, bie mäßrenb beS 9tu8jugS
gefloffen finb, gegenmärtig bei bem 9tad)e$uge nach ber Sr*
morbung SRetiefS — baS aÜeS ßat bei bem Knaben unb bem
Spanne jene Siebe für bie Unabßängigfeit feines 9?olfeS ge*
jeitigt, für bie ißaut Krüger bereit ift, alteS aufjuopfcrn. Sn
feiner Sugenb mar er befannt mit SWännern mie tpenbrif
Sßotgieter, SlnbrieS IBretoriuS, ißiet UßS, Sßarel SidierS,
Saret Sanbman unb fo mancßem anberen, unb biefe SDRänner
müffen einen tiefen Sinbrud auf ben oerftänbigen Knaben
gemacht ßaben, ber moßl meßr als feine Kametaben unb
9llterSgenoffen bie Slugen unb Oßren offen ßielt 99efotiberS
muß ber fromme unb pgleid) fo mannhafte Sharet SidierS
einen bebeutenben Sinfluß auf ben Knaben auSgeübt ßaben,
benn biefer braoe SORann leitete gemößnlicf) bie fonntäglichen
®otteSbienfte, unb bie SBorte, bie er babei fpradß, müffen tief
in bie $erjen feiner §örcr gebrungen fein. Senn alle
Smigranten maren oon bem einen ©ebanfen erfüllt: Sie
maren ®otteS 93o(f, baS oon ©ott aus bem Sanbe ber Knecht*
fcßaft in baS Sanb bet greißeit gefüßrt morben mar. Su*
mitten einer milben Sßelt, jmifdßen brüHenbcn Sömen unb
ßeulenben SBölfen, füßlten fie, baß eS nur ®otteS §anb mar,
ber fie im Kampf mit ben 93arbaren in feinen ©cßutj naßm,
unb ein jeber mar überzeugt, baß ©ott mit ißnen ftritt, unb
baß ißm bie Sßrc beS ©iegeS gebüßre. SBenn eine große
©efaßr fie traf, ober öeimfueßung über fie fam, bann mar
eS berfelbe ©ott, ber fie rnegen ißrer ©ünben peßtigte unb
fie babureß anfpornen unb treiben mollte, auf feinen 3ßeg
jurüdjufeßren. gür Suropäer, bie mit ber 9lrt ber 99uren
ni(ßt befannt finb, mag baS übertrieben erfeßeinen, aber bem
ift boeß nießt fo, Oerfidßert oan Oorbt. Sie Smigranten oon
1836 lebten jmar im 19. Saßrßunbert, aber ißre ©ebanfen
maren bie beS 17. SaßrßunbertS, mie Dr. Sßeal fieß auSbrüdt.
SRur einmal ßat Oßm Krüger in einer feiner Sieben
feiner brangOollen Sugenb gebaeßt: „Sm Slnfang beS SaßveS
1839 jog icß, 13 Saßre alt unb im Saufe meines oierjeßnten
fteßenb, felbft mit aus unter bem Sommanbo Ißotgieter’S.
SS ging roieber norbmärts über ben 5ßaal*Siioiet, um ber
©pur ber geinbe ju folgen unb biefe ju jücßtigen. SaS
Sanb mar bureß bie milben ©dßmarjen mie auSgefegt unb
auSgemorbet. $ier unb ba fanb man fleine Srupps SPRafateeS*
faffern, bie oor ißren geinben gefloßen maren, Oon benen fie
mie $unbe unb ©claüen gebraueßt mürben, ©ie ßatten fid)
in Ipößlen unb jmifeßen ben gelfen oerftedt Siefe menigen
baten um ©cßug unb erjäßlten, baß bie ftarfen geinbe norb*
märtS über bie ©renje gejogen feien, ©ie berichteten meiter,
baß noeß ein großer Kraal in ©etfaatSnef, einer großen
©tabt fei, unb baß fid) aus biefem ©tunbe bie ÜJlafateefen
noeß in tpößten oerborgen hielten."
Ser ©treit jmifeßen ißotgieter unb IßretoriuS, ber auS
biefer 3 e ü batirt, ßat jene beiben Parteien gebilbet, bie,
menn fie aud) anbere SRamen unb anbere güßrer erßalten
ßaben, noeß heute in ber SRepublif befteßen. Seibe, ißotgieter
unb ißretoriuS, maren feine greunbe ber engtifeßen SRegierung,
aber ißotgieter üerfolgte eine 9lrt negatioe ißolitif; eS genügte
Digitized by v^. ooQie
Nr. 7.
Hie ®e$cowört
107
ißm, wenn er tßatfäcßließ non ben Englänbern unabhängig
War, unb wenn fieß bie englifcßc SRegierung nicf(t mit ißm
befaßte. ©retoriu? ßatte ieb°<ß einen fetteren ©lief in bie
3ufunft; et faß ein, baß bie Unabßängigfeit ber Emigranten
erft bann gefießert fein fönne, wenn fie non Englanb felbft
erft anerfannt worben fei. SBeibe tja ben in ißrer 2lrt für
bie Unabßängigfeit gewirft, aber e? ift boeß feßr ju bebauern,
baß fte e3 nießt in meßr ßarmonifdjer SBcife getßan ßaben,
unb baß perfönlicße Eiferfucßt ißre SKugen blinb maeßte für
bie jWeifeUoS tüeßtigcn Eigenfeßaften, bie jeber üon ißneit
befaß.
9lm Enbe be? Saßre? 1844 unb im Sttnfang üon 1845
fanb ein neuer Ejobu? au? ©oteßefftroom unb Sßinburg
nadß bem SRorben ftatt, unb biefem ßuge feßloß fieß aud)
©aul Ärüger an, bamal? ein junger 9J?ann Oon 19 Saßren.
@r war feßon in biefem Sftter ein SRann, ber bureß feine
ßerüorragenbe ©egabung bie ülufmerffamfeil feiner 3eitgenoffen
auf fieß jog. 911? Säger unb ©eßüße fanb er- faum feine?
©leießen, unb wieberßolt ßatte er ©eweife großen SIRutße?
unb entfeßloffeiter ©eifte?gegenwart gegeben. Er woßnte ba*
mal? auf ber SRieberlaffung 3°utpan?brift, naße am Sfrofobit*
SRiüier in Wagalieäberg, unb feßon im Saßre 1841 würbe
er al? ©ice*gelbcornet unter bem gelbcornet SRicßolaa? ©affon
angeftellt, fo baß er mit 16 Saßren bie eßrenüoöe Saufbaßn
begann, auf ber er nun 58 Saßre lang Weitergefcßritten ift.
Sw Saßre 1842 ßeiratßete er, 17 Saßre alt, bie Socßter be?
föerrn Eagper bu ©leffi?, ber bamalg im ßeutigen Oranje*
freiftaat woßnte; unb in biefer Eße Würbe ißm ein ©ößneßen,
San, geboren, ber aber in feßr jugenblicßem Sllter Oerftarb.
©in noeß traurigerer unb ßärterer ©eßlag traf ben jungen
Sßaul. Krüger im Saßre 1845, alg ißm feine geliebte grau
bureß ben Sob entriffen würbe, fo baß er im 20. Seben?*
jaßre bereit? Söittwer war. SRacß bem Stöbe feiner erften
grau feßrte er naeß SRuftenburg prücf, feßloß jeboeß fpäter
toieber eine Eße mit ©efina bu SßleffiS, einer Eoufine feiner
erften ©attin. Er füßrte nun Oiele Saßre ein fülle? Sehen,
obtooßl er an ben öffentlichen Sntereffen feine? Sanbeg
lebßaften 9lntßeil naßm unb al? ein eifrige? äRitgtieb ber
©otgieterpartei befannt war. Er jäßlte jeßt erft 27 Saßre,
unb Wenn aueß feine Sebeutung über allem ßtteifel ftanb,
ßatte er boeß noeß iticßt bie Saßre erreießt, in benen auf
politifeßem ©ebiete bie ©timme in’? ©ewießt fällt unb bie
©orfeßläge aßentßalben ©eaeßtung finben. Unb ba? galt üor
Stöem in ben Sagen ber alten ©or=Emigranten, al? nur bie
bebäeßtigen „9tlten ber Sage" in politifcßen Singen ©eßör
fanben. Sn biefer 3 e <t War trüget beim autß al? ein feßr
energifdßet äßann üon etwa? ßeftiger SRatur befannt. ©on
ßalben SRaßregeln ßiett er nießt?. Socß im Kriege War ein
foleßer Eßarafterzug nur wünfdjen?wertß, unb e? war alfo
fein SBunber, baß Der junge gelbcornet mit bem Eommanbo
augrüden unb feine junge grau mit ißren Slinbern üerlaffen
mußte, fobalb ba? ©aterlanb in ©efaßr ftanb. Eßarafteriftifcß
ift gteieß ftrüger’? biplomatifcße? Sebüt in ben ©treitigfeiten
Xraneoaal? mit bem Oranjefreiftaat.
Ser bamalige ©räfibent üon Sran?üaal, ©retoriu?,
ging oon ber falfeßen Slnficßt au?, al? ob er fieß auf
bie au?wärtige ©olitif üerlegen müßte, unb baß fein erfter
©eßritt im 91bfcßluffe einer Union mit bem Oranjefreiftaat
ju befteßen ßabe. Ein rein perfönließer SRißgriff be? ©räfi*
benten ift bie? naeß üan Dorbt nießt geWefen; „er ßanbelte
ganz im ©eifte ber ©urenpolitil, bie ungliirflicßer SfBeife aueß
’ßeute noeß nießt üöHig üon ber Sran?üaalfeßen SRegierung
aufgegeben worben ift, inbem nämlicß ein fräftige? Auftreten
gegen feinblidß gefinnte frembe SRäeßte, ba? 9lbfcßließen üon
Sractaten mit befreunbeten Staaten, aber ju gleicßer 3«1
ein ©ßftem be? laisser faire in ber inneren fßolitif be?
ßanbe? beliebt Wirb. Ser geßter ift jeboeß nießt bie ©eßutb
ber SRegierung, er liegt in ber 3trt be? ©olfe? felbft Ser
öur erfennt nur fieß auf feinem ©runb ©oben al? fiönig
an; er bejaßlt feine ©teuetn an feine SRegierung unb er*
wartet, baß bie SRegierung feine Sntereffen üertritt. Sltlcin
biefe SRegierung barf fieß nießt ju feßr in feine eigenen Sin*
aelegenßeiten mifeßen unb muß ißn rußig feinen SEBeg geßen
laffen, fo lange er fieß nießt einer ®efeße?übertretung feßulbig
maeßt. SIRan lieft oft in ben 3 e ‘t un 8 en ^ en a Qbe*
lannten feßlecßten inneren 3 u fWnb Sran?üaal?, unb man
nimmt bafiti bie innere Sßoliti! Sßaul Ärüger’? in Slnfprueß.
E? ift ja nießt ju bezweifeln, baß biefe Sßoltti! in einigen
Sßunlten üerbefferung?fäßig ift, aber wenn biefe ©erbefferungen
ober ©eränberungen, bie ein gewiffer Sßeil ber ©eüölferung
üerfangt, plößließ eingefüßrt Würben, bann ftänbe Krüger üor
einer SReüolution." Unb nun Srüger’? Sebüt! Er war al?
Eommanbant au?gezogen, um mit feinen ©uren bie Oranje*
©rüber §u feßlagen, aber er wußte einen befferen Äampf al?
ben ©ruberfrieg. ©einer Serebtßeit fiel e? nießt feßmer, bie
freiftaatlicßen Slnfüßrer baüon ju überjeugen, baß e? eine
Sßorßeit fein Würbe, ben Äampf im Ernfte ju beginnen
unb Ströme ©lute? gu üergießen. SIRan fam überein, baß,
ba? tran?üaatf<ße Aufgebot über ben ©aatfluß jutüdjießen
folle, unb baß üon jeber ©eite jWölf ©ertreter abgefanbt
Würben, bie bie grieben?bebingungen feftfeßen füllten. 91m
2. Suni würbe bie getroffene Uebereinfunft unterjeießnet,
unb unter ben SRamen üon tran?üaalfcßer ©eite finbet
fid) aueß ber @. 3- ©• Steiger’?. E? unterliegt leinem
3weifel, baß fieß ©aut Shrüger um biefe Slngelegenßeit üiele
©erbienfte erwarb, unb baß fein Einfluß jum gütlicßen Slu?*
trage be? Streite? üiel beigetragen ßat. SIRan fann faft be*
ßaupten, baß üon ber 3 e * fc Qn bie große friegerifeße unb poli*
tifeße Saufbaßn be? jeßigen ©räfibenten ber Sran?üaal*SRe*
publif begann, unb feit biefer 3eit ift er amß ununterbrodßen
im Sienfte be? Staate? tßätig geWefen. Sa? eine Saßr
finben Wir ißn an ber ©piße eine? Eommanbo?; ba? anbere
Saßr in einer Eommiffion für ©ren^SRegulirungen; ein
britte? Saßr ift er Slbgefanbter ber SRepubüt im greiftaate jc.
©ein regfamer ©eift war ftet? befdßäftigt, unb er ßat feinen
ißm angebotenen Sluftrag unerlebigt gelaffen ober üon ber
£>anb gewiefen. Unb babei betrieb er in auggebeßntem SIRaaße
Sanbwirtßfcßaft in ©oefenßoutfontein unb fümmerte fiiß üiel
um fireßliiße Slngelegenßeiten.
3um ©eßluß noeß ein ßöcßft Wicßtiger Eßarafterjug,
ber bie mßfüfcße ©eite in Slrüger’? SBefen offenbart. E?
Würbe wäßrenb be? buriftßen ©ürgerfriege? erjäßlt — unb
bie Er^äßlung würbe 1877 wieberßolt unb wirb e? aueß ßeute
noeß —, baß ©aul Steiger brei Sage in ber Einfamfeit auf bem
3Ragalie?berge üerbraeßt ßabe, um bort im ©ebete eine Offen*
barung üon oben ju erwarten, bie ißm ben reeßten SBeg
Zeigen foUte; ja, e? feßlte, wenigften? in ben älteren Er*
Zäßlungen barüber, nießt an einzelnen 3ögen, bie an’? Ueber*
natürtieße grenzten, wie beifpiel?weife eine wunberbare ©pei*
fung. Silber wenn fein ©iograpß ba? aueß auf fieß berußen
laffen unb nießt unterfueßen will, inwieweit bie ©aeße in
ben ©ereieß ber SD?öglicßfeit fällt, fo fann er boeß wenigften?
fagen, „baß oßne 3 We 'H Sf5aul Ärüger bamal? in einen
feßweren Streit in politifeßer unb religiöfer §infießt üer*
wiefeit war, unb biejenigen, bie ben ©eift biefe? SDianne?
Wie ben ©eift be? aftifanifcßeit ©olfe? im 9lUgemeinen
fennen, werben fidß barüber nießt wunbern". Sa ßaben
wir alfo wieber ben altreformirten ober puritanifeßen ©eift,
ber mit ber ©ibel in ber §anb bem geinb entgegenzießt.
©erabe in biefen Sagen geßt ein ©crießt bureß bie ©lätter,
baß ber greife Oßm Ärfiger ben Kämpfern üom ©pionfop
eine ftßarfe ©trafprebigt über ißren SIRängel an ©ottüertrauen
unb eine ©orlefung au? ber ©ibel geßatten ßabe. ©olcße
©eifter nieberzuringen, Wirb ben Englänbern aflerbing? feßwer
fallen.
-- —
Digitized by
Google
108
Die töegetttuart.
Ni-. 7.
gfeuilTeton.
- 9tad)brutf verboten.
(ftn ganj kleiner Hornau.
©on U>. (Sarfdjtn.
(S§ ift furchtbar falt. Der 3anuar ift nid^t nur ein fchlimmer
geinb für bie ©rtnen, fonbern auch für aße, bie im greien arbeiten
müffen unb fich nicht in ein warmes ©eft oerfriedhen fötuten. ©ud) ich
leibe unter ber tfälte, aber nicht weil mir ein warmes ©efi fehlt, fonbern
nur aus (Gigenfinn. Unb ich frage mich felbjt, weshalb ich benn auf
bem einfanten ©ewa=Ufer ruhelos umher irre? . . . Die (Gasflammen
leuchten $eß. Der ^eftigc ©Sinb möchte fie auSblafen, aber eS gelingt
ihm nicht unb fte fladfern nur um fo luftiger. 3 n i^vem ©chein tritt
ber große bunfle ßaiferpalaft riefenhaft unb büfter ^eroor. 3 n beit
großen ©dheiben fpiegeln fich ber ©<hneejturm unb bie Dunfelheit. Der
©Sinb ^eult unb (löhnt über ber oben, eiSbebedften ©ewa, unb burch
fein ©raufen Ijinburcfj fraßen non weitem bie (Glocfen ber geftungSfirdhe.
3eber Don beS meland^olifd^en (Geläutes — bingbang, bingbang — wirb
non bem klappern meines ©telgfußeS auf ben eiSbebedften ©teinfließen unb
nom Pochen meines tounben £ergen3 begleitet. ©ber ich muß mich jeboch
erft norfteßen ... 3$ bin rin noch junger ©tonn mit einem hölgernen
©ein unb eS ift noch gar nicht lange ^er, baß i<h ein Krüppel würbe.
Da flingt eS wieber bingbang, bingbang nom J?irc§tt)urm ^er.
DaS (Glocfenfpiel „$err, erbarme bi ä) unfer!" ertönt, unb bie Dhurm=
ufjr fdjlägt ©inS. ©rft ein Uljr! ©och fteben ©tunben, bis ber ©borgen
vbämmert; bann erft enbet biefe fchwarge, falte ©turmnacht, unb ber
graue Petersburger ©Sintertag beginnt. ©oß ich uad^ $aufe? 3$
weiß nicht, unb eS ift mir gang gleich; fd^Iafen fann ich ja bo<h nicht.
©u<h in ben ^eßeit grü^lingSnäd^ten fpagierte idf) oft am Ufer ber
©ewa. O, waS waren baS für ^errlid^e ©ädf;tel ßann eS wohl
fd^önere geben? ©Rit ben fd&wüfen ©ächten beS ©übenS, beren leud&tenbe
©terne am bunflen §immet unS mit ihren ©tiefen nerfolgen, finb ftf
freilich nicht gu Dergleichen. Uttfere grü^lingSnäd^te finb §eß unb Reiter;
an unferem ttörblid(jen §immel fieht mau bie nerfd^iebenften garben:
blau, weiß, grau, manchmal auch einen grünlichen Don. Die gange
©acht burch h crr Wt Dämmerung, unb halb nadh ber ©benbröthe im
©Seften färbt ber öjtliche £immel fich gelb unb roth- Die Suft ift fühl
unb labenb, ber flare, majeftätifche ©trom fließt ftotg bahin, unb feine
©Seßen plätfchertt leife am Ufer. Unb h* er an biefem Ufer ftanb idf);
auf meinen ©rtn ftüßte fich ein junges ©Räbchen unb biefeS ©Räbchen . ..
©<$, lieber Sefer, wogu ergäbe ich Dir nur oon meinen ©Sunben unb
Seihen? ©dj, baS arme, bumme ©Renfchenherg ift unbegreiflich; eS
wirft fich jcbem ©egegnenben an bie ©ruft unb hofft Droft unb Sinbetung.
Seiber fafi immer oergebenS, unb baS ift auch begreiflich- ©Ser
fümmert fich benn um einen armen Krüppel? ©erächtlidfj ober
höchftenS mitleibig wenbet man ißm ben ©iidfeti.
©13 ich ©tafcha im leßteti grühjahr fennen lernte, war mein $erg
nodh unoerfehrt unb brauchte noch fein ©titleib. ©on aßen ©tafchaS
auf ber ©Seit war fie bie aßcrbefte. §ier am Ufer ber ©ewa machte ich
ihre ©efanntfdhaft. @o falt wie jeßt war eS aßerbingS nicht, ©tatt
biefeS ©telgfußeS hotte ich n °dh mein eigenes, wohlgeformtes ©ein, gang
fo wie baS anbere gefunbe. 3<$ roQr überhaupt ein ftattlicher junger
©tann, fein foldfjer Ärüppel wie jeßt. ^in Krüppel! . . . 2öa3 baS für
ein garftigeS SÖort ift! ©ber waS fümmern mich ©Sorte!
3«h mürbe alfo mit ihr befannt unb gwar gang einfach-
begegneten unS gufäßig. 2öa3 mich fie angureben bewog, weiß ich nidht
mehr; ein SDoit 3uan war ich n k- 3^ begann bamit, ihr gu fchwören,
baß id^ nidht gu jenen frechen ©urfdhen gehöre, bie aßen ©täbchen nadh^
laufen. SDann fprach id§ non meinen ehrlichen ©bfuhten u. f. w. ©fein
gutmütiger ©efidhtSauSbrucf beruhigte pe. 3# begleitete fie bis an ihre
SBohnuitg; fie fam oon ihrer (Großmutter, ber fie aßabenblid^ was
oorlaS. SDie arme ©roßmutter war blinb, — jeßt ift fie tobt. 3 n
biefem 3 a h re ftarben feßr niele, unb nicht nur alte (Großmütter, ©uch
ich war bem lobe nahe. . . . Herrgott, wie mel Äummer unb ©lenb
fann ein ©tenfch ^och ertragen! . . . ©tafclja nerlangte non mir, ich
foßte ein $elb fein, deshalb mußte ich ©olbat werben. ©Senn £ir
ein geliebtes ©täbchen fagt: „$>iefer ©ing bin ich", 8 euer
wirft, wirft ©u ihm bann nicht nachfpringen, um ihn h^ouSguholen?
w J)aS finb Dummheiten", antworteft Du nießeidht unb fagft: w 3^
würbe einfach 3 um ©olbfchmieb gehen unb ihr einen anbern, niel foß=
bareren ©ing faufen". Darauf fönnte fie erwibern, eS fei aber nidht
ber nämliche, fonbern ein anberer, teurerer ©ing. . . ©egweifelft Du
baS, lieber Sefer, fo fmb wir eben nerfchiebener ©teinung. Dein ©Räbchen
wirb mit bem Daufche nießeidht gufrieben fein. ©Sahrfcheinlich bift Du
reich unb fannft Dich nach ©elieben amiifieren. ©ber nießeidht er=
innerft Du Dich auS Deiner Äinbheit etwa einer ©Rotte, bie in’S
Sampenlid^t flog. DaS machte Dich lachen. Die ©Rotte fiel auf ben
©üdfen uub fonnte mit ihren nerbrannten glügefn nicht wieber auf
flehen, ©obalb Deine ©eugierbe befriebigt war, brüefteft Du bie ©Rotte
tobt, ©un mußte baS arme ©efd&öpf nicht länger leiben. ©clj, mein
lieber Sefer, fönnteft Du mich koch auch mit bem tobt brüefen
uub meinen Seiben ein (5nbe madhen! I
©Rafd^a war ein eigenes ©Räbchen, ©ach ber tfriegSerflärung ging
fie tagelang finfter unb fchweigenb umher unb ich oermochte nicht, fie auf
anbere ©ebanfen gu bringeri. ©nblich fragte fie mich: „@inb @ie ein
©Rann?" — „DaS wifl idh meinen!" antwortete ich- — *©un, ein ©Rann
beweife feine ©efinnung burch bie Dhat. @ie bißigen ben ^rieg, alfo
miiffeu fie niitfämpfen." 0ie rungelte bie ©rauen unb ihr ^änbehen
briidfte meine ©echte. 3$ f a h f e ft ' II bie ©ugen unb fagte „3 0 -*
©uf bem ©ahnhofe erflärte fie mir: „©Senn @ie gurüdffehren, werbe
ich 3h r Rßeib", unb fie fügte hingu: „0ie werben gurüdffehren!" Dionen
erftidften meine ©timme, fafi hotte ich lout aufgefd^rieen, aber ich faßte
mid^ unb erwiberte ihr: „©ergeffen ©ie eS nie ©Rafcßa, ein ©Rann .. .*
„©eweift feine ©Sorte burch bie Dhat!" beenbete fie meinen ©aß.
„Unb ein ©Seib auch!"
3d) brüefte fie noch einmal an mein ^erg unb eilte auf meinen
plaß. 3ch woßte meine Pflicht erfiißen, nicht nur bamit fte mein werbe,
fonbern aud) um meinem ©aterlanbe gu bienen. 3 n ^taub unb ©egen,
in grofi unb ©Uith marfchirte idh burch geinbeSlanb uub nährte mich
oon ÄommiSbrob. ©IS wir bann auf bie Dürfen fließen, war ich nicht
feige. 3th erhielt baS tfreug unb würbe Unterofficier. ©ei ber gweiten
©chladht gab eS einen £radh, unb ich ftürgte nieber . . . Puloerrauth,
©töhnen, ein ©rgt mit weißer ©dhiirge unb blutigen ^änben, barmhergige
©dhweftern, mein abgenommenes ©ein — baS aßeS gog wie ein Draum
an mir oorbei. ^in ©ifenbahngug mit weichen ©etten unb einer oor=
nehmen Dame oon ber ©anitätScolanne brachte mich in furger nac §
Petersburg. ©Senn man eine ©tabt gweibeinig oerlaffen hot unb fehrt
bann einbeinig, mit einem neebunbenen ©tummel wieber, bann oergeht
einem ber ©paß. Du fannft eS mir glauben, lieber Sefer. 3 m 3 U ^ 1
fam ich io’ 3 ©pital. ©alb barauf bat ich weinen ©Särter, im ©breßs
bureau bie ©Sohnung non ©Rafcßa gu erfragen. (£r brachte miT bie ©ach ;
rieht, baß fie nodh in berfelben ©traße wohne. 3^ fc^ricB ihr einen
©rief, bann einen gweiten unb britten — befarn aber feine ©ntwort.
Sieber Sefer, Du ahnft wohl baS (Snbe. Ober oiefleidht glaubft Du mir
nicht? 3fi ^ en n bie ©efchichte oon bem ©itter unb feiner untreuen
(Gefiebten fo unwahrfdheinlich ? ©Rau ftnbet fie ja fo oft in alten ©omanen.
3weifelft Du au meiner ©Sahrhaftigfeit, fo hoft Du Unrecht, benn e§
giebt wirflich noch foldhe ©itterl
(^üblich war ich foweit, baß man mir einen ©telgfuß anfdhnaßen
unb ich wich felbft nach bem (Grunbe oon ©tafdhaS ©dhweigen erfunbigen
fonnte. 3^ nahm eine Drofchfe unb erflomm nicht ohne ©itfirengung
bie hohe kreppe ihrer ©Sohnung. ©or acht ©Ronaten war mir bei weitem
leichter, ©un ftanb ich oor ihrer Dljür unb flingelte mit flopfenbem
bergen. Dann hörte idh Dritte. Die alte ©Ragb öffnete, unb ohne auf
ihren freubigeti ©uSruf gu achten, eilte idh, fo fchneß mein ©telgfuß e§
geftattete, in ihre ©Sohnftube.
A
Digitized by v^. ooQie
Nr. 7.
Die Gegenwart
109
„2flafc$a!" Sie war ober nic^t allein. (Sin fe§r Brauer junget
üflann, ihr weitläufiger Berwanbter, her uor meiner Slbreife eben feine
UnioerfitätSftubien beenbigt unb jept eine gute ©teile in 9lu3ficht ^atte,
fa| neben ihr. Beibe grüßten mich fe^r beglich (ob bteüeicht mein ©tel^
fuft baju beitrug)?, waren aber bodj etwas oerlegeit. (Sine Biertelftunbe
fpäter rouftte ich 2We§. 3<h wollte ihrem (glücfe nicht im Sege fein.
Oein ironifd)e§ Säbeln, mein fluger fiefer, fagt mir, bafj ein 2Jtann
fein 2Häbc§en nid^t einem SBicht überläßt, darauf erwtbere ich: erjienä
ifi er fein SBidht unb äweitenS .... 3^ fönnte Oir baS alles erflären,
fürchte aber, Ou würbeft mich bod) nicht uerfte^en. 2>u glaubft mir
roo^l auch bef$alb nicht, weil Ou benfft, in uitferer 3eit gebe eS weber
(güte noch Opfermut^ Ober tneinfi Ou etwa, baS Unglücf breier
2flenfcf)en fei bem ©leitb eines (Sinnigen uorgugie^eit? Oann finb wir
eben oerfchiebener 2lnficht.
Borgejlern fanb bie ©odh 3 eit fiatt. 3$ war Brautführer unb er=
füllte gewiffenhaft bie ^3flid^ten meines ^^renamteS, tnbefj baS Sefen,
baS mir auf (Srben am theuerften war, einem Slnbern angetraut würbe.
Sie blicfte mich juweilen f<hü<htern an. OaS ©ochseitSmahl war fc^r
Reiter unb lebhaft, eS würbe fogar Champagner getrunfen, bie beutfchen
(gäfle riefen „©och" unb nannten mich einen ruffifchen gelben. 3ld),
lieber fiefer, fönntefi Ou in biefen Söintemächten mit mir am Dtfewaufer
auf unb ab fpagieren unb wüfttefi 5Du, was in meiner Seele borget,
roährenb ber Sturm heult unb baS ©locfenfpiel ber geftungSfirche herüber^
fcpallt, fo würbeft Ou mir oielleicht hoch glauben. Oingbang, bingbang
bie Uhr fdjlägt oier. (£8 ift 3eit, nach ©aufe 311 gehen, fich auf baS
Bett, baS einfame, falte Bett 311 werfen unb 3 U fchlafen! (gute ftadht,
lieber fiefer!
Jlus bet ^auptftabt.
Der Wonnegans (Ettbe.
3 eben $5ienftag borgen awifdjen acht unb neun Uhr erfcheint
ton meinem genfter ber Seierfaftenmann unb mufidrt. ©in befonberS
intim mit ©errn fftoeren befreunbeter, folglich funftfeinbltcher Sanbrath
hat baS Bribileg, aübtenftäglich Borgens Uor ben ©äufem unfereS Bor=
orteS 3 U brehorgeln, juft Mefem Birtuofen berfiehen. Unfer Vorort
fteht feitbem im (geruche beS Banaufen= unb ©unnenthumS, benn alle
muftlUcbenben Seute haben ihn berlaffen unb bem 2)ienftag=Xt)rannen bie
unumf<hränfte ©errfdjaft abgetreten. Sch fdjreibe auroeilen über Sttuftf.
3 ch Oerftehe alfo nichts babon. 5)efthalb bin td) wohnen geblieben.
$er 3)rehorgler pflegt ftitt an allen ©äujern borüberjugehen,
beren Snfaffen ihm reiche SlblöfungSgelber 3 ahlen; wo man ihm ben
Iribut berweigert, ba fpielt er radjjüchtig 3 wei Stücfe. Sei unS be¬
gnügt er fich mit einem. S)a3 macht, eS ift ihm plöplid) ein SHäcen
aus unferer SWitte erftanben. $)er* penftonirte SBirfliche (geheime ßanaleU
rath im britten Stocf ^ottorirt feine ftunftübungen regelmäftig mit
einem Silbergrofchen. grüher that er baS nid)t. grüher gab ber BirtuoS
auf ber Strafte fribole (gaffenhauer unb £anamelobien 3 um befteit, unb
ber SSirflidje (geheime Äanjleirath 30 g fich jebe$ 2 Raf, wenn er ben leidjt=
fertigen SWufifanten fommen hätte, in fein Berliner jurücf.
(SineS XageS aber fprad) er ernft unb einbringlich mit bem berfommenen
©enie. ßr weefte fein (gewiffen, nicht fein fünftlerifcheS, hoch fein
BatriotifcheS. SSon jener Stunbe an fchallt ®ienftag für 2)ienftag
jwifchen acht unb neun Uhr Borgens mifttönenb, aber hetserquirfenb
ber t>oHe Wdcorb über bie Strafte:
„gühl in beS XhroneS ©lan 3
2 )ie h°he ®tonne gan 3 ,
fiiebling beS 33oll3 3 U fein,
®eU, ^aifer, $ir!"
9?ach ber britten Strophe wicfelt ber ^BirfUche ©eheime ^an 3 leirath jebeS
Wat mit ber loyalen SBegetfterung, bie allen penftonirten ober auf 9$arte=
flelb gejeßten ^Beamten eigen ift, 3 eljn im Scat gewonnene Pfennige
forgfältig unb ehrlich ein unb fcbleubert fie, fobalb ber lefcte Hccorb ber
alten 5)änenhpmne uerflungen ift, bem lächelnben 2 Jhtfenjünger ju.
S)er üemeigt fich bann adjtungSöotl unb fudht alSbalb baS nächftgelegene
(Sonferuatorium für ftarfgeiftige ©etränfe auf.
*
2)ie Annahme ber glottenöorlage ift gefiebert. §err Dr. ©ahn,
ber mit bem biScreten 06erfchlefier Simula ein DielbeachteteS humoriftifcheS
^riuatgefpräch geführt unb babei &u feinem Schaben erfannt hat, baft
ber fromme Dberfchlefier 3 war bie OrbenSregeln ber Sefuiten, nicht aber
bie ber Xrapiften liebt, ©err S)ieberich ©ahn fcheint bie SBolfSftimmung
gwar, hoch nicht bie SBolfSbertreter ju fennen. Shnen 2Wen ift bie
neue glotte feineSwegS gräftlich. Sie fehnen Uielmehr ben &ugeriblicf
herbei, wo fie fte unter begeifterten ©urrahrufen annehmen fönnen. ^och
fperren fie fich fcheinbar unb fträuben fich, bodh uom altjüngferlichen
©ethue läftt fich fein SBeifer ©tnter'ö Sicht führen. SSemt in allen
gractionen Ssmufa'S erftünben, wenn wir bie ißrtoatgefpräche berer
um 3ttanteuffel unb S3arth, SBaffermann unb JBalleftrem uemähmen,
bann legten bie 2 Jtorine=@nthufiafien ficfterlich jufrieben bie ©änbe in ben
Schooft. Unb fie unterlieften eS bann, ihren eigenen 2Bünfchen unb ©offs
nungen burch ungefd^iefte 9Reclame entgegen ju arbeiten. 3)er Reichstag
in feiner groften Mehrheit will bie glotte. 92icf)t, weil ber StaatSfecretär
im Sftarineamt, ber 3 ur Qti t noch bürgerliche ©err Sirpip, ihre $ 0 th*
wenbigfeit in unerhört glänjenben Sieben erwiefen hat. 9Mdjt, weil
ernfthafte Männer ernfthaft an einen frieg mit ©nglanb benfen. Seicht,
weil bie nüchternen Seelen jä^Ungö ein blaugolbener romantifcher $)ufel
gepaeft hat, ober weil fie mit ©errnegh in ben gurren, bie ©olumb gejogen,
S)eutfchlanbS 3 u f un f* aufgehen fehen. Sie trauen bem baltenlofen
SSaffer heute fo wenig wie jemals, unb bie fchimmemben Sübfee=©eftabe,
bie uerfchwimmenben ©ren 3 en beS (gröfteren ©ermanien finb ihnen heute
ebenfo garcimentum wie früher. 9hir bie gbee leitet fie, baft eS fi<h
hier um eine Vorlage beS ÄaiferS hanbelt, unb ba wagen fte nidfjt aber*
malS S^ein ju fagen. Wbgefefjen t)on ber greiftnnigen ^Bereinigung hat
faft jebe Partei, bie an ihre föegierungSfähigteit glaubt, etwas auf bem
ßerbholje unb befthalb baS Sebürfttift, ben Monarchen ju uerföhnen.
5)iefe erinnert fi^ beS 3 uc ^fh au ^9 e f e fe e ^/ baS man Scftanben h a fber
glatt unter beit Xifcp fallen laffen rnuftte; jene beS ^ittellanbcanaleS.
$>ie heift erfehnte Stunbe ber Sftehabifitirung ift gefontmen, 9tiemanb
will fie ungenupt Uorübergehen laffen. ^aeftbem bie gtottem9ftecitatoren,
glotten^Schaufpieler, glotten*Sänger unb glotten^Xhcaterbirectoren ihre
reine Begeiferung auSfdjweifenb bargethan haben, bürfen bie kirnen
in SBaüot'S ÄontöbienhauS nicht länger gurüdbleiben. —
„gühl in beS XhroneS ©lanj
2)ie hohe dornte ganj,
Siebling beS BolfS ju fein . .."
%tx conferoatioe SHebner Sllbert örbmann u. Sebepow hatte SRecht, wenn
er bie $ecfung 3 frage für Döllig untergeorbnet edlärte unb fie fo flüchtig
unb tänbelnb beljanbelte, als wäre er ber Berfafier ber bem glotten=
gefep beigegebenen, officiellen Begrünbung. ©ört in ©elbfachen bie (ge*
müthlicpfeit auf, fo hört anbrerfeitS in ©emüthS^ unb SiebeSfachen baS
(gelb auf, eine ftotle ju fpielen.
2ln fich fcheint nun jwar bie Stellung ber Parteien jur glotten=
frage bon bornherein gegeben unb fo feft beftimmt $u fein,jlbaft nur ganj
übermächtige Slblenfungen fie beränbetn fönnen. ®ie gractionen, beren
23ähler ein herborftechenbeS, materielles ober ibeelleS Sntereffc an ber
beutfchen Seegeltung haben, finb berpflichtet, bie Berbopplung unfrer
Marine - unb auch eine Berbopplung ber Berbopplung gut ju heiften. 9Ber
©ifenwerfSbeftper ift ober_fid) mit wohlbegrünbeter Spannung ber Seetüre
beS ($ur§ 5 ettelS htngiebt unb ben berechtigten SBunfch nach angenehmer
Seetüre hat, bem fteht ber glotteneifer ebenfo gut unb natürlich $u (ge*
fichte wie b^nen," bie bie Seit für erfüllet unb unfre Regierung für ftarf
unb bertrauenSwürbig genug halten, baS beutfdje SReich in bie borberfte
Sfieihe ber Seemächte ju briiefen. ©S ift eine ber leiber noch immer
gäng unb gäben focialbemofrattfdjen Rohheiten, jeben reblichen 5ftarine=
Digitized by v^. ooQie
1
110 Oie 0&egena>art. Nr. 7.
fchwärmer al« erlauften ©Furien ober Hnopflocf)* hänfen ju branb?
marfeit. gür ftolge unb ftarfe SRänner bebeutet e§ beute eine weit ge*
fährlichere, unangenehmere Slufgabe, bem neuen glottenplane ju^u*
ftimmen unb ihm Anhänger zu werben, al« in überfüllten Berfammlung«?
fälen föefolutionen bagegen annehmen z u Iaffen. Mancher bleibt nur
be&halb ftiff zu Haufe, weil er ben Verbucht fcbeut unb bie ©emeinfchaft
ber ©chweinbürger unb 23anbetprebigcr. Tafj Teutfcf)lanb auf bie ©ee
htnau« muj$, weil feine ©renjen ju eng geworben finb unb weil
biefe ©rennen feine Volf«fraft auf bie $auer ftranguliren müffen, wer
wollte e« bezweifeln? Slber nicht eber fönnen wir bie Hanfa? Ueber?
lieferungen wieber aufnehmen, al« bi« unfre ^olitif reif baju ift.
BeOor wir nid)t bie $eHing« beftpen, auf bie ber !übne ©d)iff«bau zu
liegen fommen foff, wäre e« Tonquijoterie unb Banfathum zugleich,
an’« SBerf zu geben. Ohne gehörige« gunbament frachen fowobl Sanb?
wie ©eebauten zufammen. Unb oon bem gunbament beutfcher SReer?
berrfcbaft ift oorerft wenig noch z« fehen. Tie Beforgnijj, bafj auch ben
neuen ganzem ba« Soo« befchieben fein wirb, öorzug«weife blenben?
ben Barabezwecfen bienen, brängt fich übermächtig jebem fritifcben
Beobachter ber au«wärtigen Bolitif Steubeutfchlanb« auf. ©in fopf? unb
bülflofe«, überwürzte« Jpin unb ®er, haftige« 3ugreifen unb ebenfo eil?
fertige« Qurürfweichen, eine ©jperimental?Tiplomatie, für bie bie
fchwingenbe ©chautel al« ©i)ittbol erfunbeit werben müjjte, wenn e«
noch feine gäbe — hinter biefem ohnmächtigen ©effacfer barfSlffeö ge?
fudjt werben, nur nicht felbftbewufjte, ehern zuni giclc fchreitenbe Straft.
Von bem ©djufe be« beutfchen ©eebanbel«, ber Eroberung be«
SBeltmarfte« unb ber ©icberung ber ©etreibezufuhr harft c« melobifch
in. ben glottemnotioen. gür bie breizebn Wann ftarfe graftion ber
ywifchenbänbler unb Tiergarten »SRariniften mögen folche ©rünbe ent?
fdjcibenb fein, auch wenn fie nicht ba« heifje Verlangen Oorwärt« brängte,
bem Halfer ihre fdjranfenlofe Tienftfertigfeit unb hohe SBonne ganz S u
Zeigen. ?lu« anbern ©eftd)t«punften jeboch foffteit bie Parteien ben
©ntwurf betrachten, in beren £>änbe bie breiten Wittelftanb«fchichten
ihre Vertretung gelegt haben unb bie ftch Oor Sitten anbern zur SSahrung
ber altpreu&ifdjen Trabition berufen glauben.
Tag unfre immer gefährbete ©tetlung im Kerzen be« Kontinente«
un« zwingt, neun gebntel unfrer Slufnterffamfeit unb militärifchen
firaft bemSanbbeere zuzuwenben, biefen ©emeinplap braucht man nicht
bülowifch au«zufchmücfen, um ihn al« 2Bod)entag«wei«hett zu erfennen.
Ter Burenfrieg, ber zur Qtit affen, nur nicht ben englifdjett Wilitär«,
forgenOoffe ©tunben bereitet, leitet fchier unabfebbare ^Reformen ein, leitet
fie ein unb erzwingt fte. Stod) finb wir un« nicht über affe Sehren, bie
er erteilt, im klaren. Stod) fteben bie beften Sectionen vielleicht au«,
©o Viel aber ift fd)on jefct gewifj, bafj bie europäifdjen Heerführer an grunb?
legenbe Umgeftaltung ber Bewaffnung, ber Truppenerziehung unb ?Slu«bil?
bung zu benfen beginnen. 3m Hmtergrunbe lauert bie SBiebereinführung
ber breijäbrigen Tienftzeit, an ber unfer öfterreichifcher Verbünbeter gab
feftbielt, obgleich ober weil wir ihm lieben Sah« laug bie ©rfolge ber
Zweijährigen Oorgefübrt haben, ©ewalttge ©elbmittel müffen bereitgeftefft
werben, um eine HeereSreorganifatiou zu ermöglichen, ohne bie wir un?
merflich aber fidjer in bie 3 u Ttänbe Oor 1860 zurücfgleiten würben.
Unb nicht nur gewaltiger ©elbmittel bebarf e« — fie finb am ©nbe in
jebem gaffe zu befdjaffen — fonbern amh gewaltiger ©nergie unb böchfter
Slrbeit«fraft, gebulbig unb unerfchlafft in einem fünfte zu famnieln.
Sin glotte unb H«r ^ugletcH aber oermögen bie ©pigone nicht folche
©imfon«arbeit zu Oerrichten. Tazu fehlen un« augenblicflich bie geni?
alen Begabungen allzu fehr. Ten Hütern ber altpreufjifchen Trabition
liegt befehalb bie Bflüht ob, nicht zuzulaffen, bafj um be« jüngeren Sieb?
üng«tinbe« wegen bie ©tüfce be« Haufe« üernachläffigt wirb, bafj Phan?
taftifche Träume unb bunte Hoffnungen ben ©ieg gewinnen über bie
gorberungen ber grauen, bitteremften SBirffichfeit. Tie glotte mufj
warten, wenn ba« Heer e« oerlangt.
Unb ein Slnbere«, faum weniger Nichtige« fommt hinzu. Tie
glottenOerbopplung Oerfolgt eingeftanbener 9Ra|en ben3wecf, Teutfchlanb«
Ueberfeehanbel zu förbern, bie ©jportpolittf aufzupäppeln, ©ie ifl bie
3ffuftration zu Hohenlohe’« S&ort Oom Snbuftrieftaat. Stimmt bie Sanb=
wirthfehaft eine Warineoorlagt an, bie nach unumwunbenem ©in-
geftänbnifj ber SRafjgebenben z«ni Heil ber 3Baarenau«fuhr unb Horn»
au«fuhr bienen foff, bann folgt fo gewifj wie bie Hügel bem Hnall ber
Tag, wo ber Sanbwirthfchaft oöffig ber ©arau« gemacht werben mufi.
HanbeI«Oerträge, bie bie Brobeinfuhr erleichtern, müffen ba« au«fujjr=
freunbliche glottengefep ergänzen. Ter erfte (Schritt bebingt ben z»oeiten.
Bei halber Arbeit fann in biefem gaffe fogat bie ^Sotitif be« neuen
©urfe« e« nicht bewenben Iaffen. Ter urfprüngliche Trieb ber ©elbft=
erhaltung foffte be^halb bie Sanbwirthfchaft zwingen, feine Hähne ohne
Hanip z u bewilligen, ©pielt fte bei ber heutigen Partie ihren Trumpf
nicht au«, bann bleibt fte mit ihm ftfcen unb hat ba« ©piel oer?
loren. Tarüber ift ftch 9tiemanb mehr im Stocifcl r fann Sßtemanb im
3weifel fein.
Unb trop affebent unb tro^bem ber Wittellanbcanal in alter
Fracht hetanrüeft unb einen Harnpf auf Tob unb Seben bringt, ift bie
conferoatiöe Partei entfchloffen, H err « TirpiJ ben erbetenen ©efallen
ZU thun. ©ntfchloffeu wie ba« ©entrum unb ber weichmüthige, nach
©onne unb Hofluft fehmaebtenbe Siberali«mu«.
©raf Balleftrem hatte hoch Stecht, al« er ben ©onfUtutionalfömufi
oeräcbtlid) bei ©eite fdjob. Tiefe ©inrichtung hat ftch wirflidj über?
lebt. ?ln ihre ©teile ift ba« Hatafiri?©hftem getreten. Stach ben
©runbfäfcen, bie fte in ihren Ifkogrammen niebergelegt haben, ur?
theilen bie Barteten unb treffen il)re ©ntfeheibungen nur bann noch,
wenn bie ©runbfäfce ^ufäflig mit ben SBünfdjen ber höchften ©teile
übereinftimmen. SSenn nicht, benn nicht! ©in Uebereifer macht ftch
geltenb, eine Tienftbefliffenheit, Oor ber gribolin«, be« treuen Hne^te«,
Berbienfte erblaffett; ein Sticferthum, ba« nur noch in Stebenfragen
©cheinwiberftänbchen wagt, fonft aber bebingung«lo« Oor ber hörten
unb höchften ©inficht capitulirt. SRan hat’« z»oar ableugnen u>o0eit,
aber bie ©efdjichte üon ben ©djulreftoren, bie bie zweite ©trophe be$
„Heil Tir im ©iegerfranz" in ihren Slnftalten nicht mehr fingen Iaffen,
ift zu echt, zu ntobern, al« bafj fie erfunben fein fönnte.
„Sticht Stofj, nicht Steifige
©ichern bie fteile Höh ? ,
BBo gürften ftehn;
Siebe be« Baterlanb«,
Siebe be« freien SRattn«
©rünbet ben H err fdjcrthron
93ie gel« im SJteer."
Ter Trehorgler fchaute erwartitng«freubig zuut britten ©torf empor,
al« er bie ©trophe mit ?lu«brucf unb ©efühl ableierte. Tod) ba«
genfter be« 2Birflid|en ©eheimen Hauzleirathe« flang nicht mehr. Tie
aufbringüche Siebe be« freien SRattne« ift burchau« in SRificrebtt
rathen, unb bie wiberfinnige Behauptung nun gar, bie bie brei erften
Seilen ber oerbädjtigen ©trophe oentnziert, macht ba« ©ebicht bei jebem
ernften Batrioten anrüchig. Ter 3Birflid)e ©eheime Stath, ber feine
Seit unb ihre ©djwäcpen oerfteht, hat ben Trehorgler burd) ba« Tienft=
mäbihen Sette aufforbern Iaffen, wieber zu ben ©affenhauem unb Tanz-
weifen oon früher zuriiefzufehren. Calibao.
3ur fnbtoig Unaus-TlnsjieUting.
3n ber Slfabemie ber Hünfte, bie fdjon fo oft funjUjiftortJch inter?
eff ante 3u6el??lu«fteDungen oeranftaltet hat, ift zur 3 e it eine befonber«
gelungene zu fehen. SRan fann fie gelungen nennen, weil fte fehr boü?
ftänbig au«gefa(len ift. Subwig Hnau«, ber auf ein 50 jährige« Seben«*
wer! zurücfblicfen barf, ift hier mit 140 ©emälbeit oertreten (öaOott aller*
bing« 86 in Steprobuctionen). Tazu fommen 165 Blätter mit 3 e ifr
nungen in Hreibe unb Blei, meiften« giguren unb Höpfe, ©tubien zu
Digitized by
Google
Nr. 7.
Die Gegenwart.
111
[eilten Gemälben ober fdßledhtmeg fünftlerifcße Stotiaen. ^unbertunb^
bieraig Gemälbe, ble bie Dßätigfeit eine« galten Saßrßunbert« !enn*
S innen — ba« ift bocß etwa«. greilicß, fc^aut mon näher iu. [o
jmelaen biefe 140 Gemälbe [ehr beträchtlich aufammen, benn ber fo
überaus fruchtbare Künftler 6lei6t fid) boeß fcßließlicß [ehr gleich.
5)en Stußm eine« neulich bei ber großen Subeifeier inmitten [einer
©erle öon mehr al« 30 Deputationen rünftlerifdßer ü^enoffenfd^aften be«
3nlanbe« unb 9lu«lanbeS geehrten unb auSgeaeicßneten Reiftet« öon ©eit*
ruf trgenbmie fcßmälern moQen, märe ein ebenjo tßöricßie«, mie häßliche«
beginnen. Die geier, bie ja bereit« im Cctober ö. 3- om richtigen
Geburtstage be« 3ubilar« burch eine lange [Reihe Don Slrtifefn in ber
DageSpreffe unb gacßliteratur eröffnet mürbe, mar gemiß berechtigt.
Denn ein ganaev ftünftler ift SRetfter Knau«, unb [eine Berbienfte ftnb
nicht au öerfennen, felbft menn er minber fruchtbar gemefen märe. Unb
mie befeßeiben nahm er ble Ehrungen hin, mie einffcßtSöoll ließ er in
[einer Grmiberung auf aß’ bie jehtneießefhaften Begrüßungen burd)=
bilden, baß er [ich felbft fehr moßI beffen bemußt, baß feine Kunft ben
Aufgaben unb Qielen ber heutigen nicht mehr entfprießt. Tempora
mutantur. 3« biefer Beaießung ift biefe SRaffenauSfteHung eine«
©naelnen ungeheuer lehrreich unb — möchte ich hinaufügen — für ben
Jhmftler felbft bieöeicht nicht gana bortheilhaft. 58a« ich hier jüngft bei
anberer Gelegenheit öon ber ©ueßt ber Klaffificirung unb ©pftemati*
ftrung unb ber Geringmertßigfeit folchen Bemühen« fagte — ba« mirb
aueß roieber burch biefe MSftellung, bie ein reiche« bofle« Künfilerleben
umfaßt, genugfam öeranfcßaulicßt. ©elcße Güolution unferer Kunft=
begtiffe unb ber SRittel, fie aum SluSbntd a u bringen, hat [ich amifeßen
bem Beginn be« 2eben«merP8 bon Knau« unb feiner jeßtgen 70=3aßrfeier
bouaogen! Der alte Knau«, ben hoch heute Sttemanb einen moberneit
Äunftler nennen mürbe, galt bor naheau 50 Sahnen bem ©cßabomffcben
afabemifeßen BureaufratiSmu«. auf ber Düffelborfer Kunftafabemte al«
ein miberfpenftiger „©eceffionift" unb bermegener teuerer, unb er mußte
1852 ber Schule ben [Rüden lehren, um fich bie „Statur" aur alleinigen
reßrmeifterin au ermählen. Die „Statur"! Du lieber §immel — maö
nannte man bamal« in Bart«, mohüt er fich manbte, Statur! SRan ber»
mechfelte ben Begriff aumetft mit bem be« SlUtagS. Denn ba« mar e«,
ma« man bem jungen Kunftfcßüler nicht bergeben mollte, baß er all’
bem mßthologifdjen unb allegorifchen unb pfeuboßiftorifcßeu 9?cquifiten=
fram, bem figürlichen, mie bem fachlichen, behebt ben [Rüden lehrte,
nber amifeßen ben Bauern ber KnauSffcßen unb Bautier'fcßeit Bilber
unb a- B. benen eine« ©egantini unb SRiaet gähnt eine Kluft, fo groß
bei1 »paysans“ einer George ©anb unb bem gtrhrmann
penfchel eine« Gerhart «ftauptniaitn, amifeßen einer Dßeaterbecoratiou
unb bem echten Dorf braußen in ben Bergen ober im glacßlanbe. SRatt
coßumirt nicht mehr fein SJtobell, joubern man malt ba« unberfälfehte
Criginal man feßt nicht mehr im Atelier bie gtguren mifllürlich in
„freie 2uft" auf bem BÜbe — man fudjt fie unter Gotte« freiem
^immel felbft auf; man ftellt feine TOobeCle nicht mehr au gefälligen,
effectbollen Gruppen aufammen in einem aielbemußt erfonnenen unb
herau«ftaffirten SRilieu, fonbern man nimmt ben SRenfcßen in ber mir!-
litßerfd)auten©te(htng, bei ber mirf ließ beobad)teten£)anbtining, in ber mirls
ö0 ^ ön ^ cncn Umgebung . . . Unb bodj — man halte nur bie Knau«'*
. ^ cr betten ber ßerrfeßenben [Richtung unb Dogmen ber
icunft jener Daae aufammen unb mau mirb berftehen, miefo benn ber
junge Slpotßefeifoßn au« ©ieSbaben bon ben Kunftgeleßrten ber [RßeU
ntfeßen ^mdffcßule al« ein Keßer betrachtet merben lonnte. Denn feine
nrt iebenSbeobacßtung entfernte fieß noch weit nteßr bon ber 5ln=
jdjauungSmetfe ber ©oßn unb ©cßaborn, al« etma bie unferer heutigen
Mobernen bon ber be« alten Knatt«. ©o mar auch er in gemiffer Be=
Siebung ein Bahnbrecher. Mer er blieb fteßen, er machte bie Göolution
nteßt mtt, mar auch mohl, al« biefe fich ftärler, nibeötrenber au betßä=
tigen begann, feßon au alt baau. Stießt feine lünfllerifcße‘9lnfchauung«=
uteife entroirfefte fteß — nur feine Decßnil unb fein garbenfittn. 3Ran
bergletcße nur etma feinen „Dieb auf bem Saßrmarlte" au« bem 3- 1851
cm- im 58albe" au« bem 3- 1852 etma mit „£>oßeit
auf Stetjen" (1867) unb „Bcgräbniß in einem Dorfe" (1871), ober ben
„Morgen naeß bem Äircßmeißfeft" (1858) mit bem „^ieberfeßen"
©tubentenßeimleßr, 1884). «bgefeßen, toie gefagt, bon ber boTU
mmnteneren Decßnil be« ©tift« unb Biufel«, bott ber Läuterung be«
garbengefeßmad« — finbet fieß irgenb eine ©pur bon Gntmidlung?
«purt man nicht überall in gleicher 58eife bie lunbige $anb be« Siegifs
jeur«, baffelbe SReiningertßum in ber SRallunft? Da« „Begräbniß in
^torfe" ift oßne gmeifel eine« ber feßönften Gemälbe, bie ber
• k e Li c QjW a ff cn - ^ er berfeßneite Bauernhof unter trübem Fimmel,
tn Der Gde greunb ©cßulmeifter mit ben fröftelnben Äinbern, bie ben
^orgefang anftimmen; baßinter einige fcßlucßaenbe ober aber nur neu=
gtertge tRacßbarinnen unb Gebatterinnen; au« bem $aufe recht« tragen
te Den fcßmaraberßütlten ©arg mit ber fieteße ber |>ofbäuerin ßerau«,
mm boran feßreitet, gramgebeugt, ber alte SBitmer bie fcßliipfrigen
»US 1 innerltcß Gefcßaute« — oßne 3 wei f e ^- Ünb boeß!
ö artte eine Gruppe jener rofigen Minber, mie ÄnattS ffe fo
gerne matt, in „intereffanter" Bofe unb über ben §of ßin fteß jagenbe
vußner, aufgefeßeueßt bureß bie bielen SReitfcßen, ben Gefang, bie
• • • 34 weiß nießt, ob fteß ber 2cfer noch be« Bil= be«
m n t ern 5)üffelborfer« erinnert, ba« bor amei Saßren auf
«SLwÄ ro «?p Jt ® er ^ ner ^unftau«fteHung" a» feßen mar — Slrtßur
Kampf« „vlbfcßteb". 5lu« einem Gemacß, mo beim ©eßeine ber Dobten*
leraen ber ©cßreiner ben ©arg ber tobten $au«frau aufeßraubt, mie mir
unfeßmer erratßen, manlt ber alte bereinfamte Gatte auf ben Botflur
ßinau«. §icr leßnt feßon fdjlucßaenb ber ©oßn an ber SBanb unb fteßen
ftumm unb ernft awei treue greunbe be« §aufe«, einen S^ranj in ber
§anb. Sieben ber Dßür liegt noeß ein anberer Ärana. Da« ift Me«;
aber mie fein beobachtet unb mit mie borneßmer Schlichtheit ift Me«
miebergegeben, ber 9lu«brurf unb bie £>altung be« Men unb feiner
greunbe; baa« ber malerifcß fo mirlfame Gegenfaß awifeßen bem lalten
Dage«licßt auf bem rotßgepflafterten giur unb bem marinen gelbrotßen
Dutift brinnen, in bem bie ßembärmlicßen Geftalten be« ©cßreiner«
unb feine« Gehilfen erfemtbar merben ... GS ift berfelbe Borgang in
bem einen mie in bem anberen Bilbe, fogar in bemfelben Greife öon
Leuten au« bem Bolle. Unb boeß — roelcß 7 ein Unterfcßieb: bort eine
lünftlerifcß gemiß ßoeßfießenbe, fein componirte 3Huftration, hier ein
SluSfcßnitt au« bem’ SRenfcßenleben ohne äße« „Slrrangement" unb barum
noch einmal fo mirtfam; bort gemiß auch SBirllicßleit, menn man mill,
in gemiffer Beaießung fogar pßotographifcße SBirllicßfeit, mie aueß bei
ßampf, aber bort aufgefangeit im ©piegel be« Glafer«, ßier — feft-
gehalten in bem be« Geifte«.
$nau« ift unleugbar ein feßr gemiffenßafter unb feiner Beobachter
unb ©cßitberer, aber er fteßt immer über feinem ©toff; baß er je
mit £>era unb Demperament in ißm aufginge — biefe Gmpftnbung ßat
man bei ißnt nie. Gr ßat un« immer jo feßr öiel a« eraäßlen unb au
geigen, baß er eben felbft aum Gntpfinben gar nießt fornmt, unb er be=
fcßäftigt unfer Sluge mit fo öiel Ginaelßeiten unb Slebenfäcßlicßem, baß
mir au einem Genuß be« Ganaen meiften« gar nießt bureßbringen lönnen.
©ein öielgerüßmte« unb meßrfaeß öariirtc« „Äinberfeft" (in ber Berliner
Stattonalgalerie) unb ba« tooßl populärfte aller feiner Bilber, bt$
„Golbette ^oeßaeit" (in Slmerifa, ßier nur bureß ben ©tid) öon Baul
Givarbet öertreten), fiuö in biefer Beaießung befonber« cßaralteriftifcß,
auch roa« bie SReiningerei betrifft. SRan feße fteß a* int „Äinberfeft"
bie Gruppe an, mo ein Heine« SRäbel ein Babß auf bem ©cßooße ßat
unb eine große Dogge ißren $opf awifeßen bie föpfeßen ber beiben
Kleinen geftedt ßat — ift eine folcße ©ituation benn in SBirlltcßleit aueß
nur einen Slugenblid benlbar? merben bie Kleinen nidjt fofort au«=
einanberfaßren? Slnbererfeit« aber öerfügt Knau« über eine ftarle 51 u«=
brudSfäßigleit unb öor Mem über eine fo gefällige Komi! unb einen
fo frifeßen §umor, baß feßon babitrcß allein fieß ba« außerorbentlicße
58oßlgefalIen erflärett lann, ba« feine 58erle Sußraeßnte ßinburdß erregt
haben unb noch erregen. Unb in biefer Beaießung feßeinen mir feine
Ginaelfiguren am ßöcßfien au fteßen. 3d) meine nießt bie birecten
Bübnißarbeiten, bie, abgefeßen öon bem munberbaren Borträt be« alten
Kommeraienratße« [Raüene, bem Bilbniß feine« Bater« unb ©cßroieger^
öater« beim Damenbrettfpiel, unb etma noch benen oon ©elmßolß unb
SRommfen (in ber [Rationalgalerie), ben Kiinftler nießt auf ber £>öße
feine« Können« geigen, fonbern foldje Gßaralterftguren, mie ber „©taroft",
ber „3uöalibe", ber „Unaufriebene", ber „Seiermann", ber Subenlnabe
(„Da« erfte Gefdjäft"), ber alte SRartn in „3(ß fonn märten" (in ber
Galerie ©ad au ©t. BeterSburg). Da« ftnb lauter fo feßarf aufgefaßte
unb fo üiituo« miebergegebene Subiöibueit, benen gegenüber fteß bie
meiften ralrüicßen Bilbniffe öon Knau« ßölaern unb leblo« au«neßinen.
Unb in biefen Bilbern auch gumeift erreicht er ein meit einheitlichere«
Golorit, al« in ben Gruppen unb Geitrefcenen; aumal in benen unter
freiem benn menn ißm etma« gar nießt liegt, fo ift'S gemiß
ba« ßanbfcßaftlicße ... G« ßieß guerft, er ßabe fieß in Beaug auf ba«
Golorit mit ber $eit üerüolllommnet. Da« ift richtig, er mürbe gegen
feine erften Bilber au« ber B ari ftr 3 eit udmälig farbiger, menn aueß
nießt toniger, blieb aber in ber [Regel im Socalton fieden. Um fo über-
rafdbenber mirft ba ein fleine« Bilbcßett au« bem Sußre 1851, alfo öor
feiner Burifer 3 c t^ € i ne abmeteßenbe SBieberßolung ber „Kartenfpielcr"
in ber Düffelborfer Gemälbegalerie — „Die galfcßfpieler". G« tfiat
ein feßr feßöne« Gefammtcolorit unb babei eine meit breitere Biufel=
fiißrung, al« in bem größeren Gemälbe au« berfelben 3eit. Uebrigen«
ffnb auch bie „3igeuner im ©albe" (ebenfall« 1851) fein in ber garbe.
©ie fleißig ber alte $err noch ßeute ift, ba« bemeifen bie Bilber
Sh*. 101—104; fie ftammen au« bem öorigen 3aßre, Sh. 104 ift fogar
„1900" geaeießnet. 5lber ber „ruffifeße Bauer" fann ben erft ermähnten
Ginaelfiguren nießt ba« ©affer reichen unb ma« ben „Steigen" ber fünf
am SReereSftranbe tanaenben jungen SRäbcßen in bunten glattergemänbern
betrifft — nun, ein Knau« ßat eS boeß nießt nötßig, fteß an bie SRotiüe
eine« 2. ö. §ofmann anaulehnen. ©ie liegen ißm fo gar nießt. Gana
ebenfomeuig, mie etma Bödlin'fcße gaunsBfipe, in benen er fieß in ben
70 er 3oßren gefiel unb a u benen er 1896 in ber „grüßlingSlbpCfe"
noeß einmal aurüdfeßrte. Gr füllte ftet« er felbft bleiben: für bie Ge-
feßießte beutfeßer Kunft in ber ameiten Hälfte be« 19. 3aßrßunbertS mirb
er fo öiel nteßr bebeuten. 3- ZTorben.
Beridjtiguug. 3« beut Slrtifel in leßter Stummer: „Die Bßifo*
fopßie im neunaeßnten Saßvßunbert" oon Gb. ö. -Jpartntann ift a« lefen:
©. 86, ©p. 2, 3- 12 ö. unten unb (ftatt ober); ©. 87, ©p. 2, 3- 4
ö. u. ift fieß au ftreidßen; ©. 88, ©p. 1, 3* 18 ö. u. naturaltftifcß
(ftatt neutraliftifcß); ©p. 2, 3- 14 BantßeliSmu« (ftatt Bantßei«mu«).
Digitized by v^.ooQle
112
Ult Gugettttiuri.
Nr. 7. I
Jlnjeigen.
®tt »effeflungMi berufe man fldj auf bte
„«egenmarf“.
3m Verlage ton Jmbera u. Ceffon
yerltit ift etfdfienen:
in
^>ct ^orffdmlK
Komööie tn oier Elften
non
«arl 8iUj.
^reiö: elegant brofcfjirt 2 «Kf.
SJon bemfelben Serfaffer ftnb erftbienen:
5ramatifdfc fjumoresten (Serftn, 3 mberg
u. Seffern), brofä. 2 W. 3nfjalt: «Kein
»Kann ftbreibt Xragöbien. — 28er ift ber
SBerrätber. — Sfublifu« nnb feine SSermanbten,
§ifiorico=Äomöbie.
5er 3'itcntant in taufeub ttötfjen.
25offe (SBerltn, 3 .2f. ©targarbt), brofcf). 2 «Kf.
(Bomorrba’s «nbe. Sitteroriftfe ffiomobie
(Berlin, 3 . 81. ©targarbt), brofcf». 1,50 «Kf.
€in toller Sag. Sitterariftbe «Boffe (Berlin,
3- 21. ©targarbt), brofcf). 2 «Kf.
2(nno 3n»eitaufenb. fßoffe (Stuttgart, Union
Seutfcfje 23erlag8gefeflfcf)aft), brofcf». 2 «Kt.
5er cfürft »on Haiatea. «fSoffe (Stuttgart,
Union ®eutfcf»e SevlagSgefeBfcbaft), brofcb.
2 3ßf.
®ie norftebenben öiltifd)en .fjumoreäfen
bilbett einen »oefentlirfien gortfcbritt in ber
enttoicflung ber beutfcfjen ftomiibie, inbem fic
in geioanbtefter Sprache bie nietfadjen fomifd»en
9Koti»e, iteldje unfte 3 eit auf litterarifdjem,
focialem unb pofitifc&cm ©ebiete barbietet,
glücflid) terrtertfjen.
9lfab. geb. ©cijriftftettev, bi«b- pubticift.
(liter. Äritif) in Serlin tfiätig, energ. getoiffen»
f»afte Slrbeitäfraft, borj. ©pradjfenntniffe (frans
jüfifcb, engtifcb), >etfe«er SUaogtaptt,
9Rafd>inenf4»reii>ev (.ftamnionb), fud»t «nt.
M4- «nfnr. in KeDaftion, Stjraterfefrrtariat,
$trl.=©uWf»Mg., liternr. 3«ftit. tc. ©teflung.
Cffert. an b. ©xp. b. ©egenroart unt. A. 0.
^Istnatik
tm
Urteil
feiner 3 eit|(»ffei.
£unbert Ortatnal -- ®utac$ten
t>. ftreunb u. geinb: ©jörnfoit
©taitbeS ©ttdjncT GrUpi Sta^n
Staubet ffigtblj grontoue ©rotfc
^oecfel $artmann #et)fe Sor*
bau Ätyltng 2eoncat>aIIo Sin*
bou ßombrofo SWefötfcfierSri
ftigra Vorbau OUiuier fetten-
fofer ©altS&urty ©ienlteu>ics
©tmon Spencer ©pielfjagen
©tanteb ©toeefer ©trinb&erg
©uttuer ©ilbenbrud) ©enter
Bola u. b. “■
Sieg. geb. 2 SDtf. Dom Dirlag ber Stacnwavt,
©erltn W. 57.
. -Tkflrliclf«hMt--
ITectanlkam Jlmenti
1fr Iwiti a- u4 lltktn- I
Püifw «i-Twbzlk« «.-WtrkailtUr.l
| Dtreotor -
„Bromwasser von Dr. A. Erienmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankh eitaers eheimmg dfc
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwertigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
Über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von */ 4 1 75 Pf. in
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr. Carbach & Cie.
$ie ®egetmmrt 1872-1892.
Um unfet Saget ja räumen, fielen mit unfeten Abonnenten eine gfinfHgt
Gelegenheit jur Cetooüpnbigung ber GoKection. So weit ber Sorratft reicht,
liefern wir bie Jahrgänge 1872—1892 ä 6 SW. (jtatt 18 SU.), $a(bjabri‘
Sänbe ä 3 SW. (patt 9 SW.). (Sebnnbene Jahrgänge ä 8 SW.
©erlag ber ©egentoart in ©erlitt W, 57.
3 n unferem SBerlag ift erfdjienen:
pc ©rgciitunrt.
fBftkaltdp Wr fitnatui. Äunfl tftaffWfcrt Ertra.
@fnfrfll=Br(jiftfr 1872 — 1896.
©rftcr fünfjififter »ottD.
Wit 9?ac^trägen 1897—99. 5 Jt
©in bibliograp^ifcfie^ 5öerf erflen
9?ange§ über ba§ gefammte öffentliche,
geifftge unb fiinftlerifdje Seben ber lebten
25 Qabre. 9?otbuienbige§ 9?acf)f<f)lagebucf)
für bie Sefer ber „©egenroart", fomie
für iuiffenfcf)aftli(f)e 2 c. Arbeiten, lieber
10,000 ^Irtüef, nad) Sachern, ^erfaffern,
6chlagiüörteni georbnet. ®ie Autoren
pfeubomimer unb anoni)mer 9lrtifel finb
burchtueg genannt. Unentbehrlich für
jebe 23ibliothef.
s ?luch bireft gegen ^oftamoeifung ober
9?ad)nahme bont
Derlaq ber (S>egcnt»art.
»crlin W 57.
iüstnnrrite fladifalgrr.
Vornan
bon
JJofCmg.
9W DeKfantgabe.
$reiS 3 War!. Schön geöunben 4 Warf.
tiefer 53i8marcf=©ahribi=Montan, ber in
wenigen Qahren fünf ftarfe Auflagen erlebt,
erfcheint hier in einer um bie Hälfte billigeren
S 8 olf§au§gabe.
$)urch alle 23ud)hanblungen ober gegen ©ins
fenbung be§ ©etrag§ ))oftfreie 3 ufenbung bom
üerlag der Gegenwart,
Serltn W. 57.
§etd)nen naty
nnO
anbere ^mtfffragen.
Original * ©Machten bon Ub. ülen^el, Hein-
BocfUtt, 2t. v . tBcm«,
hinaus, Utibc, Stucf, Jotj. Scbtain^
Scraper, CL v . (Bcbt^arbt, Metten
ücfve^gcv, (Gabriel 2ltag t
Ciebermattn, tPUtj. Bufcb, 5itdcr,
Qarracb, BIay Tirufe, Ktittte, Ceffer*
Ury, Bocpter, Cedit , ^iuebl, Cecttfef»
3ft$et 9 parla<jbt t Blacfenfen^ Slarbina,
Criftffow, (Bautfe, ptinfe, StaffL
?rei5 hiefer brrl jünffte - ^ttmtnanv fcc
„^egnuvari« 1 JK. 50
Sluch birect bon unS ju beziehen nach Srief s
märten=©infenbung.
Berlar ber (Be^entrart, Berlin W. 57.
Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift¬
stellers sind zu Gunsten der Hinterbliebenen
folg. Pracbtwerke ünter d. Hälfte d. Laden¬
preises in schönen, geb. Ex. zu verkaufen:
Brockhau8’ Conversationslexikon. Neueste
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬
gabe 30 M. — Hch. Kurz: Geschichte der
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. t.
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild-
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder-
bde. 50 M. — Lacroix, Les arts au Moyen-
Age; Directoire Consulat Empire, 2 Lieb-
hbde. 30 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde.
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl.
Text m. deutsch. Erklärungen v. Delhis,
Hfb. 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel
(Pfeilstücker) Lwbd. 10 M. — Bestellungen
pr. Nachnahme durch Vermittlung der
Expedition der ^Gegenwarb 1 in
Berlin W. 57.
- " ~ --
Bestellungen auf die
zum 56. Bande der „Gegenwart*,
sowie !
©ttbanbbecfo
zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zjei Bände 1
i in einem), elegant in Leinwand mit blinder und ergoldeter 1
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werde in allen 1
OSaW „ tvc. _ n _ WI_ * _ m w«..
■ Buchhandlungen entgegengenommen.
1
©erantmortItt$cr Rcbacteur: Dr. 2$ej>p$U ßoHtng tu ©erlln. Kebactton unb Petition: ©erltn W., SRanftelnfttafc 7. ®rud tor SBwfcr tn ßetbfttg
1
Digitized by
Google
M 8 .
^ 8 erCm, Öen 34 . §fcßrwatr 1900 .
29. Jahrgang.
tf . 29. Jah
'-// » Band
'* M l * ■
57.
Pit 6 tncmuflrt.
'0j
SBocßenfcßrift für Siteratur, Sunft unb öffentlichem Sehen.
^ttai&gegeöett Don ^ßcopßif ^offlttg.
Jtfifn Somnbenti nfmeint (tu |tn»«ti.
8u bestehen burcfj alle ©ud^anbluitgett unb ^Softämter.
Verlag ber ®egemoart in ©erltn W, 57.
|tattl|l|iU| 4 *. 50 »f. «ta JUwnwr 50 |f.
3«ferate jebet Ärt pro 8gefbaltene qktttjdle 80 $f.
3Ba8 Ieljrt utiS ber ©urenfrieg? ©ott Hoplites. — Xenfmal ober Xenfmünae? ©oit Dr. ©Hlljelm ©obe (SB?imat). —
Cr £ Literatur unb äunft. Wle&fdje ber grauenfetnb. ©on $einrtd) Sftetjer (©öttingen). — Xeutfdje ©oIKtradjten. ©on
DflÖdLr ^ crt § 0 ^ Südfiebt. — $eitU(etOtt. Wm ftaiferbenfmal. ©on 3u§ani $Ujo. 9(u$ bem gimufdjen. — ©uä ber $<UU)t-
(5/ * ftabt. ©on brinnen unb braunen. ©on Ximon b. 3. — Xramatifc^e Sluffü^rungen. — Offene ©riefe unb Slntroorten: (Sbuarb
x>. §artmann unb bte „Xime3\ ©on Dr. (Sari ©eterS. — 9iotijen. — 9ln$eigen.
Was leljtt ttns ber ttarenkrieg?
©er Stieg in ©übafrifa ift nodß lange nicht ju Snbe.
“Sie Stichtigfeit ber fpärlidßen fRacßricßten, bie gum ©ßeil aus
$rit>atbriefen ftammen, ift nicht Derartig feftfteßenb, als baß
jeöt feßon bie 9Jiöglid)feit gegeben Wäre, eine Sefcßicßte beS
gelbgugeS gu feßreiben, bie einigen UBertß befißt, gmnal bie
nah ©>eutfhlanb gelaitgenben SRelbungen, weil faft nur Don
©eutfeßen unb öon Surenfei'te tommenb, reht einfeitig unb
tßeilWeife red)t ftarf gefärbt auSfeßen. SBenn aber ber Saug
ber Sreigniffe in feiner Sntwicfelung fuß Har noch nicht über»
feljen läßt, fo ßaben bie Sreigniffe fetbft burd) ihre gönn
gtoeifelloS fdjon jegt bagu geführt, baß man fid) bemühen fann,
aus ißnen Sehren uttb ©eßlüffe gu gießen, um liicßt biefelben
geiler gu mähen, bie in ©übafrifa wäßrenb beS gelbgugeS
unb namentlich Oorßer gemäht finb, mobei burdjaitS nod)
niht feftfteßt, baff bie Suren gar feine genfer begangen
haben, benn gang tabeUofe güßrung giebt eS niht. ©aß
ber Snglänbet ben Sur überfallen ßat, toirb Woßl jeber als
ein fcßöneS SRärcßen fegt erfennen, 2lngeficßtS ber oorgüglicßen
Sorbereitungen bet Suren in Segug auf Soffen, 2J?unition,
SriegSmaterial unb fßroöiant, wäßrenb anbererfeits Snglanb
feine feften fßläße, wie man fießt, trefflich üerprotiiantirt hat,
fobaß eS eigenartig berührt, wenn man Snbe gebruar 1900
große ©ageSblätter üon SRitte Dctober borigen SaßreS in bie
£xmb nimmt unb öon bem ftünblih gu erwartenben gall bon
Sabßfmitß, Sintberleß unb üRafefing lieft.
®aS britifhe $eer ift gegen Oegner europäifher 9tb-
funft ftets minberwerthig gewefen, fobalb eS fih um national*
englifhe ©ruppen ha übel te. 3n ben fRapoleonifhen gelbjügen,
»nie gegen bie Sereinigten Staaten bilbeten beutfhe fRegi*
menter ober beutfhe ©lut britifdjer ©ölbner ben Sern, waS
man übrigens englifherfeitS ohne Utnfhtoeife jugefteht. Snt
Srimfriege geigten fih bie grangofen ben Snglänbern in allen
fünften weit überlegen, unb feitt)er hat fih ln ber britifhen
'Ärmee niht biet geanbert. ©ie ©aftif ift fhiberfäKig ge*
blieben unb ber 3 e *t niht gefolgt, bie SluSbilbung gielt biel
JU fehr auf bie SeWegung gefhloffener Sbtheilungen hin unb
biel ju wenig auf ©elbftftänbigfeit beS Singeinen wie ber
Unterführer, ©ie ©htefeauSbilbung ift mangelhaft, bie Seute
finb niht gewöhnt fih gewanbt unb ohne biele güf)rer im
©elänbe ju bewegen, bie güßrer niht bie Seute gewanbt gu
lenfen. ©ie ©eneräle haben gar feine Uebung in bet Sei»
tung größerer ©tuppenförper. ©iefc frfjtoerfäfligc SRafdjinc,
Weldje noh bagu burdj bie Sigenthümlihfeiten beS DperationS»
felbeS an gang beftimmte Sormarfhftraßen gebunben ift, bie
bem ©egner bortrefflidje SertheibigungSfteHungen bieten, muß
bom üReere hcc» über Dceane, mit 9tÜem berfeßen werben,
unb bie reht großen Sebürfnijfe finb auf einer bünnen Sinie
jebem operirenben Sorps nahgufüßren. ©em gegenüber ift
ber ©egner gang unabhängig bon ©traßen. St bewegt fih
gewanbt, bie SingelauSbilbung im Seiten, ©djießen unb, niht
gunt SSenigften, im Srtragen bon ©trapagen, junger unb
©urft ift niht beffer gu wfinfdjen. 9tUe fennen einanber,
wollen baffelbe, fennen baS Sanb, haben bie ©pmpathieen ber
SeWohner unb, waS niht gu unterfhäßen, fie wiffht gang
genau, auf weihe SBeife fie ben Stieg in großen 3ügen gu
führen haben, ©hon auS biefem SBenigen ergiebt fih, baß
große Seßren für europäifhe Stiege faum fih gießen laffen,
benn eine foldje ?lrmee wie bie ber Suren, wirb eS niemals
in Suropa geben, ebenfowenig Wie Stiege, bie ein halbes Saßt
oßne größere Sntfdjeibung geführt Werben. Srft jefct, nah
bem iiberrafdjenben (Sntfatj bon Sintberlep, fheint ein fhnellereS
©empo angefhlagen gu werben, aber bie Sntfhcibung fann
fih unter Umftänben noh reht lange ßiugiehen.
Snglanb wenbet ben Suren gegenüber bie ©toßtaftif an,
einmal Weil man fih bagu gegwungen faß, wenn man bor*
bringen wollte, unb weil bie Suren nid)t umgangen werben
fonnten, ba man fih, oßne bie rürfwärtigen Serbinbungen gu
gefäßrben, nid)t auf Weites SluSßolen einlaffen burfte; bann
aber — weil man eS fo gewoßnt war, unb bie ©tuppen
eine anberc ber beS ©egnerS angepaßte gehtweife ebenfowenig
gelernt ßatten, Wie bie Dfficiere. ©er ÜRißerfolg ber ©toß*
taftif ben Suren gegenüber ßat nun bagu geführt, bie 2(n*
griffStaftif überhaupt in 9J?ißcrebit gu bringen, ja fie fogar
furgweg gegen bie heutigen fleincalibrigen SBaffen in ber £anb
gut auSgebilbeter ©djü^en für unburhfüßtbar gu erflären.
9J?eßr ober weniger berufene gebern ßaben fih bereits mit
biefem Segenftanb befdjäftigt, unb gang befonberS wirb barauf
ßingewiefen, baß ber ©irbar Sitcßener feine Srfolgc gegen
ben Salifen nur erreicht ßat, weil bie ©erwifdje niht fc^offeit
unb einfach nieberfartätfeßt würben, ©abei finb benn au<ß
allerlei 3 tt,c *^ auSgefprohen, ob Sitcßener ber gegebene
SRann für ©übafrifa fei: ®aS bleibt ja abguwarten, aber
jebenfallS ßat ber ©irbar im ©uban feine Aufgabe glängenb
gelöft, unb man ßat gar feine Seranlaffung, ißm gugumutßen,
er werbe ben Suren gegenüber biefelben ÜRaßnaßmen ergreifen
unb biefclbc ©aftif auwenben wie gegen bie ©erwifeße. 3 Us
Digitized by v^. ooQie
114
Ute dfegentoart.
Nr. 8.
bem ift niept ju oerwedjfeln: im Suban griffen bie ©erwifcpe
an, unb bie ©nglänber unb ©gppter fpielten bantalö bie SRolle
ber guten @djüßen, Wie jeßt bie Suren, atferbingS in anberen
taftifcfjen Formationen. Siber wenn aud) bei Dmburman bie
©tofjtaftif gegenüber gutem Feuer Oerfagt bat, fo ift bamit
noch lange niept betoiefen, bafj fie unter allen Serfjältniffen
nichts taugt unb ganj jum alten ©ifen geworfen werben muß.
©ewiß ift eS ju oetmeiben, auf bie Front ju ftoßen, aber
Wenn man geWanbte Gruppen unb Führer als ©egner bat,
bann ift, namentlich bei Heineren ©orps, 2lHeS Front, unb
baß felbft Stöße üerpältnißmäßig gefdjloffener Waffen auf
gut bewaffnete unb auSgebilbete, bewegliche, etaftifcbe Sinien
getingen, baoon bat man Seifpiele. Sft bie Sataftroppe oon
Abua bereits oergeffen? ®ort meßelten Wenelif’S Waffen
bie Staliener, troß Artillerie unb ©eweptfeuerS, nieber, Weil
fie fie jum ft'ampf mit blanfer SBaffe jwangen. ©o rectit
!lar ift eS nicht geworben, in welcher Formation bie Slbpffinier
borgingen, man Weiß nur, bafj eS in mehreren langen Sinien
hintereinanber gefchah, unb folcher Sinien follen bis acht ge»
wefen fein.
Unfer heutiger @jercirplaß='!£ürfe mit bem ©chlufjeffect:
Warfdh! Warfcf)! $urrap!! Wirb ja allerbingS noch geübt,
aber eS benft wohl ÜRiemanb baran, ihn als eine ©efedjts»
formation für ben ©rnftfaU anjufepen, unb Wenn auch S u
2lnfang eines ÄricgeS ein Sorwärtsbrängen ftattfinben unb
ficher mit großen Serluften Oerbunben fein wirb, fo ift hoch
anjunepmen, baß fiep fepr halb baS: „SBenn was fommt:
— ®rauf!" ganj legen Wirb. Sei ben ©nglänbern ift eS
bie höchfte 3 e iL baß fid) biefe ©inficht einfteHt. greilid^,
wenn biefe @infidjt ba ift, aber nicht bie Wöglicpfeit ber 9luS»
füprung fich jeigt, WaS bann?
3 )en Äern einer jeben Slrmee bilbet eine gute
Snfanterie! SBo bie berfagt, fei eS in Führer« ober
Wannfcpaften, nüßt feine „SieblingSwaffe", fie
möge heißen wie fie Wolle, noch fo fd)ön auSfehen
unb als SBaffe baS Sortrefflicpfte leiften. @S möge
nach biefer fRidjtung hin ber Shieg in ©übafrifa baju bienen,
baS Slugenmerf leitenber Greife baraitf ju ricfjten, ob bie Sn»
fanterie in Führern unb Seuten heute nod) in jeber SBeife
ooHfommen auf ber £>öpe ftefjt. Sn einem Snbuftrieftaat
finft baS Slnfepen beS Sanbfolbaten je mehr burd) Ejjanbet
unb Snbuftrie ber fReicptpum fteigt. ©o ift eS in ©ngfanb,
ber ©djweij, in ben Sereinigten Staaten — ber ©eefolbat
fteigt in bemfelbcn Waße in Staaten mit ©eehanbel. Wögen
biefe leitenben Greife fich ehrlich fragen, ob baS Slnfcpen ber
Infanterie in Seuten unb Dfficieren, gegenüber anbern SBaffen
— ganj abgefehen Oon ber Warine, bie ja fo nebenbei auch
ab unb ju Infanterie fpielt — nicht am, fagen wir mal-
Weniger hoch fleht. Sielleicht nüßt nach biefer Sichtung hin
ber Stieg in ©übafrifa, unb bann follen Sur wie Sohn SuH
gefegnet fein.
ÜRatürlicp, bie „beutfcpe" Snfanterie fteht in 2 lnfepen
unb Seiftung OoHfommen auf ber Ipöpe; bie ift nidht ge»
meint... Db ber ©übafrifafrieg aber baS ©rab ber GaüaUerie
wirb? Sch meine nicht ber Suren, benn bie finb nicht
©aöaHeriften, fonbem jReiter par excellence; fie festen ju
Fuß unb marfd)iren ju Sjßferbe, greifen Weber mit bem ißferbe,
noch auf bem fßferbe, noch in gefdjloffenen Waffen, Weber
mit Sanje nod) mit bem Säbel an. Sch weine Oielmepr jene
ftoljen, glänjenben, flimmernben fReitergefcfjwaber, bie mit
|>urrahruf unb fliegenben ©tanbarten raffetnb unb fiegreidj
über baS WanöOerfelb bapinfaufen ... ©inige 3 e ü oor ber
Sernicptuna ber Staliener bei Abua war ein fRaS — ben
Flamen habe ich Oergeffen — beS fReguS in 5Rom unb wohnte
einer glänjenben fßarabe bort bei. ®em abpffinifcpen ©eneral
imponirte aber bie Sache burchaus niept, unb er äußerte
faltblütig: „®aS War fegt fdjön, aber bamit fann man bei
unS nicht Srieg führen." Wit ben englifchen, glänjenben
Life Guards, Royal Horse Guards, Dragon Guards u. f. W.
führt man jeßt Wohl Stieg, aber — im Shafi»©oftüm, ohne
Sferbe unb blanfe 28affe follen bie armen Serie fechten, ju
Fuß mit ber Schußwaffe, bie einem richtigen ©aoalleriften
heutiger, europäifdjer 2 trt ein jiemlicher ©räuel ift unb nach
feiner SluSbilbung aud) fein muß. Xie Umformung btt
©aoaKerie ift eine fepr ernfte F ro 9 e ’ n allen Säubern,
namentlich, ba ihr aud) beit SluffläruitgSbienft ber fRabfaprer
wegnimmt, anftanbSloS jebenfalls bort, wo eS einigermaßen
gebahnte SBege giebt. 2Bo cS bie nicht giebt, nüßt bic
©aoallerie auch nichts — fiepe abt)ffinifd)en F^lbjug unb
fRapoleou 1807 in fRußlanb, wo feine ©aoallerie einfach
ftccfen blieb, weil er mit ben ©lement Sdjmuß unb Schnee
nicht gerechnet hatte. S)ie ©aoallerie üou fjeutc ift feine
Scbfacptettcaoallerie mehr; bie hat ihre Sorbeeren reichlich ge»
pflüeft, als man mit Steinfdploßgewepren ohne Sifir auf
100 ©cf)iitt fchoß, unb bie ©tfolge oon 1866 unb fpäter
finb nid)t cntfdjeibenbe, fonbem glänjenbe caoalleriftifche
Seiftungen, benen glüdlicher ÜBeifc auch ber ©rfolg nicht ge»
fehlt hat. "Ser Surenfelbjug wirb bie F r °ge ih rer Söfung
näher bringen, aber ob jur Spruchreife — baS fragt fich
heute noch- SBenn bie ©aoallerie feine blanfen 28affen
braucht, finb fie bei ber Snfanterie auch nicht notljwenbig.
3war nehmen bie ©nglänber bie oielen SopjeS, ben Welbungen
nach, weift mit bem Satjonnet, in 28irflidjfeit fommen fie an
bie Suren f|öd)ftcnö auf 50 bis 40 Weter heran, bann gehen
bic Suren entweber jurüd ober bie ‘Singreifer finb fampf»
unfähig, unb 40 Weter reicht fein Saponnet. SBenn man
ben Snfanteriften bie blanfe SBaffe nicht jum Staat ober
jum Srobfd)neiben, F^'fchHopfen, "poljhacfen laffen will,
fann man ihn ruhig um biefeS tobte ©ewidjt erleidptem., i
®ie fRcfultate überSerwenbung oerfchicbeiter Neuerungen,
wie Waufer»fRepctirpiftolen, Wajimgewehre, oerfeßiebene Ser-
pflegungSpräparate, unter benen bie alte amerifanifdje, früher
auS Sifonfleifd) unb F et t h er 9 e ftcllte Sonferoe ißemmico
wicber aufgetaud)t ift, finb nod) nicht ju überfehen. ©int
ganje Slnjahl oon Steuerungen auf militärifcheni ©ebiet, »on
Welchen Sapre h'ubuvch bie fRebe war, unb bie als bortreff»
lid) gepriefen würben, ift abfolut niept bemerfbar, ober ipr
©influß ift gleich SRuö. ®apin gehören 8 uftfchiffer«S)etache-
ments, Älappboote, Wotorwagen, Sorpoftenhunbe, ©anitäts»
punbe, Srieftauben unb — baS ßweirab. Sludj bie fürepter»
tidjen ©prengmittel, bic „S"te, jeigen fiep niept befonber»
furdjtbar, unb fogar bie SBirfung beS SlrtiUeriefeuerS macht
auf beibe ©egner feinen erpeblicpen ©inbrud. ©)er SErieg iß
einfach wie oon jeher, unb mit ben einfaepften Wittein muß
er geführt werben, aber in ber ©fite ber einfachen Wittel
unb in iprer, troß ber ©infaeppeit, richtigen Scrwenbung
liegt ber ©ieg. ®aS ftolje Sllbion wottte mit feinen pifto«
rifepen, fd)arlad)farbigen ^Regimentern, bie mit ipren Sären»
mäßen, nadten Sfnien, ßiegeteböden unb ©taplfüraffen, ipren
©tubentenfappen unb ©pajierftödcpen nach feiner Weinung
bie erfte Slrmee ber SBelt bilben, ben Suren imponiren; aber
bieS fReiter» unb ©cpüßenOolf pat gegen folcpe jßradjt einju»
feßen: beffere 9luSbilbung beS ©injelnett im Felbe überhaupt,
im ©djießbienft unb im Seiten, im Frieren unb im jungem,
beffere Äenntniß beS ©elänbeS, beffere Sewaffnung, Sater»
lanbStiebe, ©ottüertrauen. ®ie Surenarmee fiept eben einjig
in iprer Art ba, unb lieutfcplanb wirb fcpwertich in bie Sage
fommen, gegen fie feepten ju mtiffen, pat alfo auch leine Ser»
anlaffung, eine ipren ©igentpiimlichfeiten geWacpfene 2 lrmee
peranjubilben, wie baS ©nglanb hätte tpun muffen. Slnbere
Slrmeen paben aber aud) ipre ©igenarten, niept bloß bie ber
Suren ober Stbpffinier, unb baper muß man „Oor" bem Äriege
über bie ©igenarten beS eOentueQen ©egnerS wopl unter«
rieptet unb jugleicp gerüftet fein, ipnen entgegentreten ju
föntten. SBeil ber Abpffinier unb ber Sur mit ipren Slnneen
Sortpcife unb Siege errungen paben, muß ein europäifeper
Wilitärftaat nod) lange niept feine 2lrmee nach beren Wufter
uniformen. SBenn fiep aber, wie jeßt im ©übafrifa«Stiege,
Digitized by v^. ooQie
Nr. 8.
Die ®C0enroarf.
115
bic furchtbare, entfdjeibcube Sßirfuitg ber Snfanteriemaffe in
bet $anb geübter Seute gang flar immer mieber geigt, fo ift
eine fotc^e Jruppe mit allen Wittein gu fcßaffen. Db fidE»
biefe bei feljr fttrger ©ienftgeit in tabellofer SBeife fcfjaffen
lägt, barüber finb bie Weinungen belanntlidj feit einer Steife
oon Sauren geteilt. J)ie Waffe allein madjt eS md|t; bie
fpielt unter gemiffen Umftänben eine geringe SRoHe, unter
anberen, gerabe burd) iljre Waffe, fogar eine Ijinbernbe unb
gefährliche. Hoplites.
Detttfdie Doltatradjjen.
$Bon Berttjolb SiicffJeM.
Unfeve ©olfStrachten fitib entfd)ieben in Wöbe gefummen,
toenigftenS mifferifchaftlicf). Unferen Wufeen mirb immer
häufiger eine Jrad)tenabtheilung angegliebert, mie fie baS
Ägl. ©at)rifd)e Stationalmufeum in Wündjen längft befifct,
unb in bet 9ieidjSfjauptftabt ift fogar ein eigenes „Wufeum
für beutfche ©olfStracfjten" entftanben, baS fleißig bef ließt
wirb. Aucf) bie Jradjtenmerfe oon ^ottenrotlj, ßretfcfinier
unb föohtbacf), fotoie gaßlreidje Eingelbarftcflungen für ein*
Seine beutfche Sanbeötßetfe geugen für baS macßfenbe Sntereffe,
unb für bie erftaunlidje güHe oon alten unb neuen Duellen»
roetfen fpridjt ber im Erfd)eineit begriffene große Katalog
ber unoerßleidjlidjen Sipperheibe’fdjen Sammlung in ©erlin.
(Sei geht eben mit ben ©olfstracßten toie mit ben Wunbarten,
bic früher als gbiome nieberer ©efeUfdjaftSfcßichten ebenfalls
nicht ber ©eacßfling mertß gehalten mürben, bis bann ihre
'■Bidjtigfeit für ©efcßidjte, Sultur unb «Sprache erft oon ber
neueren gorfeßung ertannt mürbe. Auch bie ©olfStracfjten
ftnb hiftorifch unb culturgefchichtlich oon ©ebeutung, nicht
allein für bie ©efehießte ber Sleibung unb Wöbe unb ber
Sntoidelung oon ©emerbe unb §anbcl, fonbern auch gur
Scnntniß beS ©efeßmadeö, ber Sitten unb beS ©efeflfcßaftS*
triebeS. freilich mirb eine guoerläffige allgemeine ©efdjidjtc
ber beutfefjen ©olfStradjten erft nach noch anguftetlenben
genauen ©ngelfotfcßungen möglich fein, benn noch fehlen
uns fotche über midjtige trachtenfrohe SanbeStßeile. ®ie ©olfS»
trachten, in Dielen ©egenben ®eutfd)fanbS bereits oetfdjmun*
ben, finb 5 . ©. in ber ÜRähe oon Warburg unb ©ieben*
fopf noch reich entfaltet unb geigen bem SBanbrer, melcher
bie anmuthigen, oen SBalb umfäumten SBiefentßäler mit
ihren malerifdjen Dörfern burchftreift, ein lebenbigeS Stütf
beutfeher ©ergangenßeit, ja bie ®egenb geminnt für ihn an
Steig, roenn fie gut $eit ber AuSfaat unb Ernte oom Sanb*
oolt in feiner farbenheiteren Ä’leibung belebt ober in ber
SonntagsftiOe oon ©eftaltcn in fdjmarger geiertradjt auf
ben SBegen gut ©orffirdje burchmanbelt mirb. Ja jebocfj bie neue
3eit mit ihrem erleichterten Serfefjr unb ihrem Jrieb, ©egen*
fäfte auSguatei^en unb ©eralteteS gu befeitigen, auch in biefe
ftiuen jC^äler etngießt, fo mirb baS ©erfcßmitiben ber ßeffifchen
©olfStrad)ten, meldjeS bei ber männlichen ©eoölferung fchon
längft begonnen hot, unaufhaltfam oor fich gehen. ES ift
baljjer recht oerbienftooH, baß j)ie io Warburg beftehenbe
£iftorifdje Eommiffioit für Reffen unb Sßalbed, melche mit
Unterftüßung oon dürften, Stänben unb gaßlreidjen ©önnern
eine Angaßl größerer SEBerfe über bie ©efdjidjte beiber Sänber
bearbeiten min, ben gegenmärtigen guftanb tier ^efftfe^en,
gunädjft in ber Umgebung oon Warburg noch erhaltenen
ÄolfStTadjten einer genauen ©efdjreibung untergiehen unb
biefer eine größere Angaljf nach ber Statur aufgenommener
uttb in garbenbrud oeroielfältigter Aquarelle beifügen läßt,
©tofeffor gerb inan b 3 u ft i mürbe üon ber §tftori|d)en
Sommiffion mit ber ©earbeitung beS JejteS betraut, aber
er betoährt ficf> hier nicht nur als Scßriftfteller, fonbern auch
als Waler, als Äünftler, Jie eben ausgegebene erfte £iefe»
rung beS in ber 9t. ®. Elroert’fchen ©uchhanblung in War»
bürg erfdjeinenben „Ipeffifcßen JradjtenbucßS" enthält bereits
acht pradjtooQ in gar ben ausgeführte golio*Jrad)tentafeln,
bie nach Sufti’S außerorbentlidj djarafteriftifdjen ©orlagen in
bem befannten ©raphifeßen gnftitut oon Sul. Älintharbt in
Seipgig auSgeftihrt finb. Sn ber Einleitung fpridht fi<h ber treff»
liehe ©eiehrte über bie ©ntftehung. feiner föftlidhen S)oppelarbeit
aus. „®er ©erfaffer befanb fiefr in ber günftigen Sage, einen
Drt gu bemohnen, in beffen Umgebung bie mannigfaltigften
©olfStrachten mit einanber abmedjfetn, unb gugleidh eine ihre
grünbliche Äenntniß nur förbernbe ©efchtänfung auf ben
UmfreiS oon Warburg burdj bie pflichten feines ©erufeS fich
auferlegt gu fehen. 9lHe Orte, meldhe feine ©efd)reibung er*
mähnt, finb oon ihm an freien 'Jagen gu guß burchftreift
morben, unb bie ^ieröei auSgeübte fünftlerifche Jhätigfeit
brachte ihm nicht bloß eilte große Sammlung Slbbilbungen
oon Sanbfdjaften mit Dörfern, Stabten, Kirchen unb ©urgen,
oon ©eräthen, SleibungSftücfen unb Wenfchen ein, fonbern
bot auch ein mirfungSüoQeS ©egengemicht gegen feine ©c*
müßungen in ber ©elehrfamfeit, beiten er fid} in feinen oier
SBänben unter ©üchern uttb ©apiet fitjenb gu mibmen hatte,
©er Umgang mit bem anfänglich gurücfhaltenben Sanbüolfe
bringt % mand)e Unbequemtid)feit unb ©ntfagung mit fich, ber
Unterfajicb ber ©itbung unb ber ©efchäftigung läßt eine
bauernbe Annäherung nicht gu, bod) fobalb man fein ©er*
trauen burdj ein richtiges, ebenfo oon Oornehmer ^erablaffung
mie oon unfdjitflidjer ©ertraulichfeii freies ©enefmen erlangt
hat, erfennt man feine guten ©genfdjaften, ©ottüertrauen,
Anf)änglichfeit an bie greunbe unb eble ©aftfreiljeit, unb
fießt hinmeg über gärten unb mißtrauifdjeS SBefen, SBirfungeit
fehlerer ArbeitSlaft unb früher erlittener ©ebrüdung unb
UeberOortheilung burd) bie ,befferen l Stänbe."
©efonberS merthooH ifi bie Einleitung auch barum, meil
hier gum erften Wale ber ©erfuch gemacht mirb, bie ein*
getnen ©eftanbtheife ber länblidjen ©raeßt geitlich gu be»
ftimmen unb ißr ©orfommen in ber älteren Siteratur unb
namentlich auf ©udjiHuftrationen unb auf ©ilbern ber
©emälbefammlungen nachgumeifen. 2Bir rnüffen eS unS Oer*
fagen, bie Ergebniffe gufti’S an biefer Stelle gu erörtern
unb moUen nur einige allgemein, nicht bloß local intereffante
©nnfte herausgreifen, bie unfere aübeutfehen ©olfStrad)ten,
bie Urfachen ihrer Sntfteljung unb gortbauer, fomie bic
©rünbe ißreS ©erfchminbenS betreffen. SBir fehiefen oorauS,
baß auch gerbinanb gufti Die längft miberlegte Weinung,
als hanble es fich bei ben ©olfStrachten um beutfche
Siationaltradjten, gar nicht mehr beachtet, obmoljl fie noch
häufig genug auftritt. ®ie ©olfstracht ift, mie mir eS furg
formuliren motfen: eine beibehaltene alte Wöbe, unb gumeift
fo gut fremben UrfprungeS mie unfere heutigen im mefent»
liehen frangöfifchen ober englifcßen Woben. 9Jur einmal, im
16. Sahrhunbert, haben mit eine eigene, überall ben Jon
angebenbe Wöbe gehabt, unb Sufti bebauert eS lebhaft, baß
bie Oor einigen Safjrgehnten beliebte altbeutfdje ®retdhentrad)t
erft burdh ©ounobS „gauft" mieber gu unS fam, mie benn
auch bie noch heute g. ©. in Reffen oom ©otfe getragene
fleibfame Änjeljofe erft burd) bie englifchje §of» unb Spott*
mobe bei unS Eingang fanb.
Jen £auptunterfd)ieb gmifdjen Wöbe unb Jracf)t fieht
Sufti Darin, baß in ber ©olfStrad)t allen biefelbe Äopfbebedung,
berfelbe 9?od unb Wantel im Schnitt, oielfad) aud) in ber
garbe ein für alle Wal oorgefchrieben ift; „biefe mohltf)ätige
©efchränfung bemahrt bie Jracht oor miÜfürlidjen unb ftil»
lofen ©eränberungen unb läßt bem meiblidjen ©efcßlecht,
Wäbchen- unb jungen grauen, bie nod) gefallen motten, h< n =
reiefjenbe ©elegenheit, bie ftarre ©runblage ber altoäterifchen
Äleibung mit anmutiger gier gu umfpielen; fie oermag ißt
bureß ein mit gefunbem garbenfinn gemählteS ©anb, einen
bunten Saum, einen felbftgeftidten ©ruftfehmud ein ffinftle*
rifcheS, ja poetifcheS ©epräge gu oerleihen, benn fo meuig mie
Digitized by v^. ooQie
116
Die <8> egen wart
Nr. 8 .
bie poefie ift bet ©efdjtnad ein Sorrecßt bet gebilbeten
Stänbe, unb befonberS baS weiblicße ©efcßledjt geigt überall
einen angebornen Xact für baS ßierenbe. SZancße Xracßt
fann auf unfere Sorfteduttgen oon Sdjönßeit abftoßenb
witfett, aber überall giebt eS weiblicße SBefen, bie burdj
natürlichen ©efdjmad unb ungelernte Kunftgriffe ben ßwed,
in ihrem Greife gu gefallen, gu erreichen wiffen, unb burcß
ihr Seifpiel gu geigen, baß eS barauf anfommt, wie man bie
Sillen Oorgefcßriebene Fracht trägt; ein Sanbmäbcßen fann
mehr poefie entfalten, als bie grau, bie nur ängftlidj nacß»
ahmt, was anbere, beren SebenSgWed in Nepräfentation be*
fteljt, ihr ols Serwirflicßung mobifcher ^ßfjantafie oorgebilbet
haben.*
©rft bie neufte 3 c *t hat burch bie außerorbentlidje Um*
geftaltung ber SerfeßrSmittel bie utilitarifche Stiftung beS
beutfcßen Sauer! belebt, bie ihn für niete auf lanbwirtß*
fcßaftlicßen 9luSftedungen ihm entgegengetretene nüßlicße (Sin*
ricßtunaen rafcß gugänglicß macht, bebroßt aber bie Siracßt
unb anbere altoäterifcße Singe, wie ben faft nur auf ben
SreiS SZarburg befchränften SolfSgefang mit bem Untergang.
Siefer toirb oon Surfdjen unb SZäbdjen, bisweilen refpon*
birenb gefungen unb befunbet mit feiner Stimmführung im
Senor, mit feinem tion einer Stimme begonnenen Sluftact
unb mit ber feßtießenben germate feine SHtertßümlicßTeit; er
hat fieß troß bem Singunterricht in ben Sorffdjulen bis
heute erhalten, wirb aber jeßt burcß bie mobernen börflicßen
SZännergefangOereine nach unb nach auSgetilgt, wie Sufti mit
Sebauem feftftedt. S^icftt anberS fteßt eS um ben Stil ber
Sauernmöbel, unter benen nur Wenige, wie Sdjränfe unb
Kleiberlaben, in baS 17. 3aßrßunbert gurücfreichen; noch bis
heute werben Don ben ßeffifeßen Sorffcßreinern gaßlreicße Xßeile
Oon ißnen, ©efimfe, gläcßengierratßen, eingelegte Arbeit in
Noccocoftil angefertigt; mit bem Serfcßwinben biefer Stiftung
fällt bie länblicße Xifcßlcrei ber Stillofigfeit anheim, unb
bie Säuern taufen bie abgelagerte gabrifWaare ber ftäbtifeßen
Säben, wäßrenb ihre herrlichen gefdjnißten §ocßfiße in bie
Speifefäle reicher Seute wanbern unb ißre alten mit Sogen
unb £>o(gintarften gegierten Srußen gegen formlofe Spinbe
oon Sanneußolg eingetaufeßt werben. Slucß baS SauernhauS,
in feinen älteften Sertretern aus bem 15. bis 17. 3aßr*
ßunbert noch gotßifcß ober gotßifirenb, wirb tiom Noccocoftil
beeinflußt, wie namentlich an ben §auStßiiren unb gefcßnißten
(Scfbalfen unb ©efimfen erfenntlich ift, wirb aber ßeute oßne
gierratß, bodj mit höheren Sfnfprücßen an ©eräumigfeit unb
mit gefunbßeitlidjen Serbefferungen errichtet.
güt baS attmälige ©inbringen eingelner KleibungSftücfe,
bie inbeffen ben allgemeinen Sßarafter ber 5£vacßt nießt aufßebcn,
finbet Sufti Diele Seifpiele. So berforgen fieß bie ßeffifdjcn
Stäbcßeu mit tpatStücßern aus ben ftäbtifeßen Säben, tßeilS
mit billigen bunt gebrudten für ben tägtießen ©ebraueß, tßeilS
mit bunt feibnen gemufterten für ben Sonntagftaat; biefe an
fieß feßr ßfibfeßen ßaben bereits bie noch Weit fcßönerit fdjwarg*
feibnen mit Slumen geftidten berbrängt, bon benen man hier
unb ba geringe Nachahmungen in ben Säben finbet; ja biet=
faeß fießt man ftilwibrige aus anilingefärbten Sßodfäben ge*
ftridte llmfdjlagtficßer, bie im SBinter bie bon SZäbcßen nießt
getragenen Stäntel etfeßen. SefonberS bie SJtänner woHeit
nießt meßr börftieß erfeßeinen, fönnen aber bod) mit ber Stöbe
nießt Scßritt halten, bie ben noch eben im Sogar gefauften
Stngug rafcß beralten macht, ©ang befonbetS übel wirft ber
in Sanbftäbtcßen bisweilen auftaudßenbe ©ßlinberßut, beffen
meift borgeitlidße ga<;on unwiberfteßlicß gum Sacßen reigt.
Siefe häßliche „Slngftrößre", feßon in ber gweiten §älfte beS
15. SahrßunbertS getragen, ja in feßr ßoßer gorm bereits
Wäßrenb beS ©oncilS bon Konftang 1413 auf beit Jpäuptern
bon ©rieeßen fießtbar, ßat einen Seftanbtßeil ber ernften
fpanifeßeti Sracßt gebilbet unb biente im 16. ^aßrßunbert
als Srauerßut. 3m „Seuetband" trägt Unfalo, ber ?lnftifter
ber UnglüdSfälle ben ©ßlinber, bei Sürer unb feinen Nadj»
aßmern taueßt ber §ut in religiöfen Sarftellungen, wie iit
ber ©rablegung, auf, nießt gerate gur Sermeßrung beS ernften
©inbruds.
3ufti will inbeffen bem Sauer nießt berargen, baß er
beim Serfeßr in ber Stabt ober auf einer Seife nießt in
einer Kteibung erfeßeinen wid, bie aueß ber länblicße Soßn*
arbeiter, freilich in ärmlicher Setfaffung trägt, bie ißn naß
einem unausrottbaren Sorurtßeil unb nach bem Sprichwort
„Kleiber machen Seute", ja naß) feinem eignen ©efüßt in
eine niebrigere Stellung gu bringen feßeint, als er feit feinet
Sefreiung bon großnben unb Seibeigenfcßaft neben anbem
©runbbefißern einguneßmen berechtigt ift; (egen boeß fogat
frembe Nationen, wie bie 3apaner, beim Serfeßr mit ©uro-
päern beren Kleibung an. ®agu fommt, baß bie länblicße
Sracßt eine feßr umftänblicße Arbeit erforbert, unb babureß
foftfpielig wirb, baß bie Stoffe für fie nießt meßr burdj*
gängig bon ben Säuern felbft ßergefteQt werben; fo warb in
NacßelSßaufen am ®aubßauS, einem hochgelegenen S)orfe,
bor einigen 3aßren naeß einer Serabrebung ber wenigen
©inWoßner bie Xradßt mit einem Stal abgefeßafft, Weit fie
tßeurer als bie orbinäre Kleibung etfdjien; in SBommelS*
ßaufen trugen 1881 alle Sewoßnerinnen bie maletifde
SolfStracßt, 1899 nur nodß bie älteren grauen, benn bie ©hi*
füßtuitg ber ftäbtifeßen Kleibung beginnt bei ben Kinbern.
„gür ben greunb bolfStßümlidßen SBefenS ift ein fofcßeS Ser*
feßwinben altüberlieferter ©igentßümlicßfeit betrübenb, unb
felbft bie Sanbfcßaft büßt bon ißrem Neig ein, Wenn fie in
ben 3 e ^ CIt ö er ^uSfaat unb ©rnte nießt meßr bon arbeite*
froßen Stenfdßen in fleibfamer Xracßt belebt wirb, fonbern
Seute, beren unfeßöne KörperßüHen an Proletarier unb
gabriffclaben gemaßnen, bie eingige StaffirHng bilben.“
©ie ?lbgrengung ber Sracßt nadß ftaatlicßen ober con*
feffionetlen ©ebieten in einem bon bemfelben SolfSftamm
bewoßnten Sanbe erflärt 3ufti babüreß, baß in einem Segirl
eine neue Xracßt etwa auS ber in ißm ober in feiner Näßt
gelegenen größeren Stabt ©ingang fanb, wäßrenb btt br>
teaeßbarte tßeilS auS ber meift erflärlidßen Neigung beim Ältai
gu berßarren, tßeilS auS bem meift gwifdßen Na^barbegirlen,
fogar Nacßbarbörfern befteßenben geßbeguftanb, ber bei
Kirmeffen unb äßnlicßen Slnläffen gu Schlägereien führt, fieß
ableßnenb berßält, wte benn gwifeßen Kurßeffen unb groß--
ßer^oglicßeu Reffen Waßifßeiulid) auS ber ßeit ber bßnaftifcß*
confeffioneden geinbfeligfeiten beS 17. 3aßrßunbertS eine
foldje Abneigung befteßt, baß eS für ein Stäbcßen auS einem
©rengborf unmöglich ift, bie Kleibung Oon ber anberen Seite
ber SanbeSmatf angulegen.
Seßrreicß ift ßier bie ©ntfteßung ber Scßweiget ^Eradjtcn.
©egen ©nbe beS 16. SaßrßunbertS oerfiel bie mit bei
beutfeßen übereinftimmenbe feßweigerifeße Siobe ber fpaniftßen
Serfteifung, boeß beßielten bie Sdßweiger eingelne ^tßeile bei
ßerfönimli^eit Fracht bei, bie anberWärtS oerfeßwauben, unb
eS bilbete fieß mit ber $cit eine eigene SolfStracßt ßerau»,
bie fieß wieber in jebem ©anton oerfeßieben gcftaltete, fo»
baß man etwa feit bem Anfang beS 17. 3aßrßunbert8 jebem
Scßweiger anfeßen fonnte, welcßem SunbeSlanbtßeil n
angeßörte. §eute oetfeßwinben aKerbingS bie ‘Sracßten auch
ßier, faunt baß man noeß auf ben 3Bod)enmärften in 3üridj,
Sugern, Scßaffßaufcn unb Sern noeß ein älteres Sauetnroeib
in ber i£racßt fießt. S)ieS Setfcßwinben wirb neuerbing«
noeß baburdß befördert, baß fpeculatiüe SMrtße ißren Kellne*
rinnen, bie oft gar feine Scßwcigerinnen finb, eine Sank!»
tradjt oorfeßreiben. SBer auf bem Nigi ober am Sßeinfaü
ober in einer gürießer „altbeutfcßen Sauernftube" oon biefen
Scgimentern ltnecßter „Sernermaibli" bebient Würbe, begreift
eS aderbingS, baß babureß bie SolfStracßt aueß bei ben
Sanbleuten in SZißcrebit unb ?(bnaßme fommt.
Cb unb in wie weit bie SolfStradjt wieber adgemeinc
beutfeße 2racßt ober SZobe werben fönnte, Wer wagt baS gu
cntfdßeiben? ?tucß3uftibeultetwaSffeptifdjbarüber. ©rfcßreibt:
Digitized by v^. ooQie
Nr. 8.
Die (Begetittart
117
„SZBenn mir ®eutfche jemals ju bem ®rabe tion ©elbft*
gefügt gelangen mürben (wie bet bem juneljmenben Slnfe^en
unfreS ©aterlanbeS ju Ejoffen ift), baß mir bie frembe Wöbe
burd) eine beutle Fracht feljr aßmählid) ju erfefcen unter*
nähmen, b. h- unfete Wobenblätter, bie bis jejjt immer nur
Ableger ber ißarifer geblieben finb, nötigen, mit ber Unter*
ftiitjung non ©acf|Derftänbigen unb Walern für bie SoS*
trennung Hont SluSlanbe ju rnirlen, fo mürben bie mannig*
faltigen ©olfötrachten, meldje ja im lebten ©runb jmar auch
auf fremben berufen, aber bod) feit langer 3eit ben Söebürf*
niffen beS ©olfeS angepaßt unb baburd) Oerbeutfdjt morben
finb, fo jahlreiche malerif^e unb auch im toorneljmen Ä’leiber*
iujuS burct) leife Umänberungen unb ©ertoenbung loftbarer
Stoffe geeignete ©orbilber für eine gefdjmadoofle unb präd)*
tige ©eftaltung unfter Stleibung barbieten, baß fie mit ber
ju Anfang beS 16. SaßrhunbertS in ®cutfd)lanb auSgebilbeten
wetteifern tönnte; man benfe an bie tleibfamen heute ljie unb
ba burd) ben ©ergfport eingeführten ipfite ber £irolerinnen
ober bie mit rotten Sffioßbaßen bebecften ©fiepte ber
@d)roarjmatbmäbd)en, bie mit ©ilbcrletten unb alten Wüitjen
ftaffirten bahrifdjen unb fdjmeijerifdjen Wieber, bie reich
geftidten fübbeutfd)en Rauben, bie herrlichen meinen Sfragett
ber auSfterbenben jCradjt im ©raunfthmeigißhen unb ©d)aum*
burgifd)en. $)et ©nglänber, hierin unabhängiger oon ber
ißarifer Wöbe als ber ®eutfcf)e, legt bei ber 3agb im £>o<h*
lanbe bie fchottifdje Fracht an; bie ungarifdjen Magnaten
nötigen ihren Slönig, ben öfterreicfjifc^ert Slaifer, bei iljnen
im SanbeScoftüm ju erfdjeinen; bie ßlorblänberinnen führen
auf ben giften, bie ju ©hren beS löniglid)en ©efucheö Der*
anftaltet metben, ben Zeigen in ihren hohen Rauben, roetche
man fich gern auf bem glad) 8 haare ber gngeborg üorfteflt;
bie junge Königin ber 9heberlanbe erfcf)ten 1892 bei bem
Oolfsthümlidhen Ißferberennen in Seeumarben unter aßge«
meinem 3ubet in toftbarem friefifd)en Stnjuge. Wit greuben
begrüßt man auch bei unS ähnliche ©eftrebungen; jur $eit
ber ©dffihettfefte fah män fnrt unb 3 >aäe ber ©thü^en aud)
in bie tägliche Äleibung bringen, mährenb man anbrerfeitS
bie ftubentifche Fracht mehr unb mehr einem unauffälligen
Slnjug meieren ober gar fich bet ©arifer ©igerlmobe nähern
fiefjt. S)ie ©olfStrachten finb burchfehnittlich fleibfamet als
bie leicht in Uebertreibung oerfaßenbe mobifche Äieibung,
mie man auf ©oftümfeften mit ©Ifäfferinnen unb Salon*
tirolern ober im Sweater erfennen !ann, unb mie bie ©eoor*
jugung jeigt, mcld)e unfre ©ittenmaler für bie ©arfteßung
oon Vorgängen unter bem oon einfachen aber ftarfen ®e=
fühlen beherrfcfjten Sanboott ober für bie ©rfjöhung beS
Sinbruds bon Straft unb Schönheit ber menfchlichen ©eftalt
ihr ju Xheil merben laffen. 2)ie Slbneigung bieS anjuerfennen
rührt baffer, bafj bie ©auern gröbere Stoffe für ihre ftleiber
oermenben, unb bafj biefe auch öon $>ienftboten getragen
merben, bie freilich heute nach ber Slbfdjaffung ber SHeiber*
orbnungen mie bie §errfchaft gefleibet gehen, rnoburd) baS
bienftliche ©crljättniß bielfadj bermifcht unb bie Slnmaßung
ber Wägbe beförbert mirb. ®ie ©ollStracf)t hat fi<h niemals
burch Stinolinen lächerlich gemadht ober gegen baS Scham»
gefü|l oerftoßen unb ©ittenprebigern ju oergeblicfjen ßorn»
teben Slnlafj gegeben; fie hnt ben Stopf nicht mit fallen
paaren bebedt, baS ©eficht nicht mit Zeigen unb ißflaftern
oefc^miert, unb burch majjlofeS ©infehnüren bie ©efunbheit
gejdjäbigt; au^ h at nicht an ber Unterftüfcung beS
taufenbfachen ÜJtorbeS bon farbenprächtigen Sßögeln für ge«
fhmadlofen fßuh h°h^ et Stöpfe betheiligt.“
Literatur uttb
ber Irauettfrinb.
SSon ifeintid; ttTeyer (©öttingen).
Unlängft hat ftxau ©lifabeth görfter»9tiehfche einen Äuf*
fah mit ber Ueberfdjrift „fjriebrich 0tiehf<h« über SBeib, Siebe
unb ©h«" beröffentlidjt. Ueberrafchenbe ©nthüQungen finb
barin nicht enthalten, menigftenS nicht über -Jtiehfche; —
benn maS fie über fich fclbft, ihre eignen @d)idfale unb
Weinungen erjählt, lönnen mir hier bei ©eite laffen. ©e*
mifj mirb man für bie tapfere unb energifche grau, bie mit
ihrem Wanne unb nach feinem Sobe allein eine beutfdje
©olonie in ©übamerifa begrünbet unb geleitet hat, nur bie
tieffte öerounberung empfinben, nicht minber für bie un*
ermüblidhe Xhcitiöfeit, bie fie jefct in ber SBahrung unb SSer*
öffentlichung ber geiftigen §intertaffenfchaft ihteS SBruberS
entfaltet; ber SBegrünberin beS 9tiehfche»?tr(hiDS, ber heraus*
geberin ber ©efammtauSgabe unb ber ^Biographie mirb in ber
©efcpichte beS beutfdjcn ©eifteSlcbenS ftetS ein ehrentooQeS
?lnbenten erhalten bleiben. ©tmaS anbereS ift cS, ob man
fie beShalb auch al § berufene Interpretin ihres SruberS ju
refpeltiren hat; hierfür geben ihr meber SSermanbtf^aft noch
ihre ftaunenSmerthe $h at fraft bolle Slutorität, unb ber an*
geführte tluffah bürftc eher bagegen als bafüt fpredjen. SSBenn
Semanb oöüig unbefangen biefen ?luffah lefen mürbe, ohne
Uiiehfche ju lennen, ober menn er beim Sefen alles oergeffen
lönnte, maS er fonft oon ihm meifj, fo mürbe er etma ben
©inbrud haben: biefer SRie^fcfje mar gemijj ein herjenSguter
Wenfdh, eine mahre ©eele oon Wann, nur ein biSchen bumm,
leicht ju beeinfluffen unb an ber SRafe jü führen. Siament*
lieh bie unermübiief) mieberholten unb ebenfo beharrlich mifj»
lungenen SBerheirathungSoerfuche erinnern bo<h unmiQffirlich
etmaS an ben bummen §anS beS WärchenS, ber gern heirathen
möchte, aber nidht mei^, mie er eS anfangen foü. ©on ber
eigenthümlichen S 8 ud)t unb Originalität beS Siiehfche’fchen
®en!enS fpürt man hier nichts, ©benfo unterfdheibet fich,
maS bie SBerfafferin Oon eignen STnfidjten Oorbringt, burch*
auS nicht üon ben lanbläufigen beS beffern, gebilbeten ®urch»
föhnittSmenfchen. ©on biefer ©eite märe alfo laum ülnlafj,
fidh mit bem 5tuffa|je meiter ju befchäftigen, ©benfo lönnen
greunbe unb geinbe ber grauenfache ruhig an ihm Oorbei*
gehen. 3lber mir finb beim Sefen einige ©emerlungen ge*
tommen, bie oielleicht für baS ©erftänbnifj beS IßrobtemS
S^iehfche nicht ganj merthloS finb; für biefe erbitte ich au f
einige Slugenblide bie Slufmerffamfeit beS ScferS.
2Ba8 hält SWiehfche oom SBcibe, mie fc^ä^t er cS ein?
®ie ülntmort barauf ift nicht fo leicht, meil feine SBerle nur
eringeS Waterial für biefe grage bieten, bei bem aber, maS
ier barüber hinaus mitgetheilt mirb, fühlt man fidh nicht
recht fidjer, maS man 9tiej}fd)e felbft unb maS man feiner
©dpoefter aufs ©onto ju fehen hat. ®enn fie felbft ibenti*
ficirt ihre eignen 9lnficf)ten offenbar oollftänbig mit ben feinen
unb rühmt fich fagar, ihn h<et mefentlich beeinflußt ju haben,
maS für ihn atlerbingS nicht feht fchmeichelhaft märe. ®odj
eins ift junädjft unoertennbar: 9iiehfche fd)äht im SBeibe oor
Slllem — faft möchte man fagen: auSfcfjUefjUch — bie Wutter.
„©chöne, ftarte,. gefunbe Wütter" ift eS, maS bie Wenfchheit
brauet; »gebärtüchtig“ miß er baS SBeib;. ber Stnbtid ber
©ijtina entlodt ihm einen begeisterten ©rgufe über ben $ejt:
„@mig foßte unS bie Wutter mit bem Äinbe baS rüljrenbfte
©ilb fein unb ein ©pmbot, baS unS baS gortbeftehen ber
Wenfchheit ... in höchfter ©erflärung jeigt!" SBir finb
eS heute getooljnt, baß mit ber Wütterlidjleit als bem Serne
aßet SBeiblidjfeit ein (nicht immer gefchmadooßer) ©ultuS
getrieben mirb; fo confequent bfirfte er fich fonft nirgenbS
fitiben. 9hm finb mir ja Slße, bie mir hoch auch eine Wutter
gehabt haben, Oon £>erjen geneigt, für bie Wütterli^leit fef)t
oiel ©hrfurcht aufjubringen; nur — um uns bieS ju lehren.
Digitized by v^. ooQie
118
Die ffieaetuoari
brauchte nicfjt ein neuer ißroppet aufj»ftef)en. ®ie SRutter
ift ber IRenfdjpeit ju allen 3eiten eprwürbig gewefen, unb
bie Weniger cioilifirten Völfcr ftnb unS in biefem fünfte
meift bebeutenb überlegen. 35a jegt faft jebeS Scpulfinb bod)
wenigftenS einmal ben AuSbrutf „ÜRutterrecpt", „üRatriarcpat"
gehört pat, brauche kp bafür feine Seweife ju häufen. 5Run
aber werben bodj nicht alle Sßeiber SRfitter. ®iefe Unglüd*
liehen hatten bann alfo eigentlich gar fein Stecht ju ejiftiren?
3m ©runbe fepeint baS in ber £pat bie ÜReinung ju fein.
©S Wirb einmal im Vorbeigehen anerfannt, ba| pier wirflich
ein 9?otpftanb oorliegt, aber — be 5 eid)nenb genug! — auch
hier bie benfbarft flachfte ©rflärung gegeben: ber Ueberfcpu|
ber weiblichen Seoölferung. AIS ob biefeS — noch niept 2 °/ 0
betragenbe — !ßluS allein für bie ungeheure Steferoearmee
figen bleibenber üRäbcpen oerantwortlicp wäre. Unb nicht
uielmehr gerabe in ben gebilbeten Stänben bie Unluft beS
SDtanneä pm Ipeiratpen. Aber biefe mü|te bann bod) un*
bebingt oerbammt, bie @pe fot bett 9Rann jur unoerbrüd)lid)en
Vflicpt gemacht werben! 9Bie eS ja oiele alten Völfer unb
^Religionen ( 3 . V. bie inbifepe) in bet Spat gethan haben.
®ie Antwort lefen wir im ßarathuftra, fie wirb aud) oon ber
Scpwefter citirt: „3d) habe eine grage für $idj allein, mein
Sruber ... ®u bift jung unb wünfdjeft 35ir Sfinb unb
@pe. ?tber ich frage 35icp: bift 35u ein ÜRenfd), ber ein .Hinb
fiep wünfehen barf? Sift 35u ber Siegreiche, ber Selbft*
bejwinger, ber ©ebieter ber Sinne, ber $err 3)einer Sugenben ?
Alfo frage ich ®«p." 2Bie oiele hätten wohl ben äRutp, auf
biefe grage mit 3 a ju antworten, hiernach würben Der»
muthlich gerabe bie gewiffenpaften, ehrlichen, fittlich reifen
3 üngtinge ber ©pe fernbleiben müffen. @8 finb wunberbar
erhabene, tiefe, ergreifenb fepöne SSorte, bie in biefem ©apitel
„über Äinb unb ©pe" gejagt werben; aber ebenfo wenig, wie
im Etone, gehen fie im 3nhalt mit ben früheren AuSfüp»
rungen jufammen. T)em SBeibe bie ©pe al3 einzigen Sinn
unb 3wed beS 35afeinS aufjwingen, ben 9Rann oon ihr fort*
fcheuchen; ift eine wunberliche Sßolitif, benn, wie eine alte
f reunbin ju mir ju fagen pflegte: baS ipeiratpen ift nicht
ineö äRenfcpen SBerf. — 35ieje armen ©nterbten, bie nicht
jur ©h e unb pm ©ebäreit gelangen, inacpt nun SWie^ftfje für
alle ©reuel ber grauenemancipation oerantwortlicp. ®cnu
biefe ift ihm in ber Ipat ein ©reuel, ber fich feines glüpenbften
^affeS erfreut, „©mancipation beS SBeibeS — baS ift ber
3nftinftpa| beS mi|ratpenen, baS Reifet gebäruntüchtigen
VieibcS gegen baS wohlgerathene!" 28ir wollen bei bem fehr
böfen, bebenllicpcn Duibproquo, wonaih bie Unöerheiratheteu
nun auch gleich gebäruntücptig unb baher mi|ratpen fein
müffen (fpielt benn bei ben ©pancen pr ©he bie ®ebärtüd)tig*
feit irgenb welche SRolIe?), nid)t Derweilen. Sebeutfamer ift
bie naioe ©cfcpicptSauffaffung, wonach ein weltgefcpichtlicpeS
©reigni| Don folget ©reite unb folgern »Tiefgänge gewiffer»
ma|eit als ein boshafter Streich einiger fdjlechter SÖfenfdheu
erfcheint. 3Ran höre nur baS golgenbe: „®er Äampf gegen
ben ,2Rann‘ ift immer nur SRittel, Vorwanb, Staftif. Sie
wollen, inbem fie fich hinaufheben, als ,2Beib an fidj‘, als
,höheres 2Beib‘, als ,3bealiftin‘ oon SSBeib, baS allgemeine
SRang=!iRiüeau beS SSeibeS herunter bringen: fein ficperereS
SRittel bap, als ©hmnafialbilbung, .jpofen unb politifdje
StimmOieh*SRed)te. 3m ©runbe finb bie ©mancipirten bie
Anarcpiften in ber 3Be(t beS ,@wig SSeiblidjen 1 , bie Schlecht»
weggefommenen, beren unterfter 3 nftin!t fRa^e ift." 35 afj
hinter großen Umgeftaltungen ber SRenfdjengefchichte auch
entfprechenbe Urfachen ftehen müffen (wie hier eine gänjlidje
Sleoolution ber wirthfehaftlichen Sage unb pgleich eine faum
geringere Veränberung bet fittlichen Sltniofphäre), ober, wenn
man im ©influffe ©injelner baS Gntfdjeibenbe fieht, bann
bod) wenigftenS überragenbe fßerfönlidjfeiten, baoon weil
Stiehfdje hier nichts, ©in wiirbigeS Seitcnftücf bap ift bie
finbliche VeforgniS, biefe „2Wi|rathenen" fönnten burch ihren
©influ| auch Öen befferen grauen bie ©he oerefeln unb ber
gortpflanpng ber SWenfdjheit fchäblich werben. Sßenn bie
iRatur für ihren 3 ro ed (unb ber ift freilich bie ©rhaltung
ber ©attung) nicht beffer geforgt hätte, als ba| einige mi|*
rathene SEBeiber ihr baS Goncept oerberben fönnten, bann
ftünbe eS freilich fchlimm.
grau gßrfter conftatirt fclbft bei SRießfche eine jwie*
fpältige Vewerthung beS ®efd)lechtSleben«, baS halb als hö^fte«
unb heiligfteS SD?t)fterium gepriefen wirb, balb bagegen als
etwas ÜRiebereS erfcheint ®ifferenjen liegen in ber Xhat oor,
aber bie ©runboorftellung bürfte boch flat fein. SSoUufi
unb Verliebtheit finb baS Sliebere, baS balb oerurtheilt, balb
als unoermeiblicheS Uebel gebulbet wirb, h e ^'9 ift nur bie
gortpflanpng ber ©attung. deshalb finb auch jene (unb
mit ihnen bie Siebe, bie baoon nicht flefdpeben wirb) burch»
auS nicht pr ©runblage einer ©he geeignet. „Sei ©hen ...
im achtbarften Sinne beS SBorteS ,©he‘ hanbelt eS fich 9 an ö
unb gar nicht um Siebe, . . . fonbern um bie gefedfhaftlichc
©rlaubni|, bie jwei V er f oncn jur ©efchledjtSbefriebigung an
einanber ertheilt wirb, unter Sebingungen, . . . welche bas
Sntereffe ber ©efellfchaft im Ütuge haben. . . . Sei ber
©he im abeligen, altabeligen Sinne beS SBotteS hanbelt c#
fich um 3ä^tung einer SRaffe . . . 9llfo um Aufrecht»
erhaltung eines feften, beftimmten XppuS herrfcheuber 5D?enjdjen:
biefem ®efid)tSpunft würbe 2Rann unb 2Beib geopfert. GS
oerfteht fid), ba| hierbei nicht Siebe baS elfte ©rforbemi§
war, im ©egentheil!" u. f. w. hierbei fällt pnächft auf, ba|
bie ©he banadj gar nicht mehr als perfönlid)e Angelegenheit
erfcheint, fonbern als etwas, was bie ©ontrahenten in frembem
3ntereffe auf fich nehmen, ein ©otteSbienft, eine Art 2Renfchen
Opfer, bargebrac|t bem ©ößen ber ©attung. 3 a, ber ©injelnc
felbft erfcheint eigentlich als nur ber ©attung wegen ba. $r
erfte ©runblage moberner Sittlichkeit, bie Achtung 00 t ber
inbioibuellen ^ßerfönlichfeit als Selbftjwed, ift oerlaffen, unb
wir finben. uns mitten in ben Andauungen oorgefchichtlihd
oorfittlicher 3eitalter. SBir fönnen nod) mehr fagen: m
folche ©he, bie nur ber 3ndjtung ber SRaffe bient, uniä'
fdjeibet fid) in nidjts oon ber Paarung ber Sfcrbe unb §nnbe,
bei benen ber Abel ber fRaffc ja unzweifelhaft noch beftebt.
^tier ift ber äRenfdj noch nichts als ein Shier unter $hiercn
ÜRati barf fich Wunbern, ba| an Stelle oon ©rfjältung
beS Artttjpus auch ö °n ^)öher 3 üchtung gerebet wirb. 55cmi
ba moralifche ©efichtSpunfte, bie allein eine abfolute SBertfi»
beftimmung ergeben fönnten, nirgenbs erwähnt finb, bie ©utlur
als 3 wed in biefem 3 u fammenhange fogar auSbrüdlich ab
gelehnt wirb, fo weil man ja gar nicht, worin baS flöhet
ober fiebriger beftehen foü. Aber wenn wir lefen: „Gute
Hoffnung f)ei|e: möge ich be« Uebermenfchen gebären!" unb
unS erinnern, ba| 9?iefif<he anberSwo ein Voll befinirt ak
einen Umweg, ben bie Statut nimmt, um ju einigen großen
SRännern 311 fommen, fo fönnen wir biefe ©ebanfen hier ein»
fegen, unb als ben 3®°^ ber ©he in ÜRießfdjeS Sinne bie
3ü(htung ber gro|en 2Ränner, ber ©enieS, beS Uebermenfchen
anfehen. SBenn fich bergleichen nur eben süßten lie|e! Aber
fo fieper, wie bewu|te 3 üthtung beim phpfifchen 3;ppuS mög
lieh ift, fo auSficptSloS wäre fie bei jenen anbem Dualitäten.
35ie Söpne gro|er Vfänner finb ein eigenes, allbefanntei
©apitel; ba| fie fo feiten grö|er würben als ipre Väter, liegt
wopl niept in allen gätten an bem mangelnben 3 “thtwahl=
eparafter ber elterlichen ©pe. 35 a 3 U nun noch, ba| ja bie
höchflftepenben SRenfchen naep ÜRiegfcpe eigentlich niept ^eiratpen
bürfen; er erwartet in ber EJpat, ba| in gutanft bie grei»
geifter allein opne grau leben werben, unb pat burep feinen
eigenen Vorgang biefe VorauSficpt beftätigt. ÜReben ber lln
Würbigfeit bürfte alfo wopl auch bie Abfurbität biefer 3 ücfc
tungSepe auf ber foanb liegen. 33Bie bie 9?atur bafür forgt,
ba| „bie Säume niept in ben Fimmel warfen", fo pat i'tc
aud) Acpt, ba| immer wieber ©enieS entftepen, fpontan, uni 1
lä|t fiep babei niept oon unS inS ^anbwerf pfufepen. Saften
wir fie baper ipre ©efepäfte felbft beforgen, peiratpen wir im
Digitized by v^. ooQie
Nr. 8.
Die C&egenroart
119
eignen, t)ödjft perfönlidjen 3utereffe, unb flicken wir lieber in
unferer fßerfon bie Wenfchheit t)b{)er ju bringen !jft2>aju ift
aber bie erfte Bebinguitg, baß wir unS felbft als ©elbftzwed
fefcen unb achten unb unS feinem ©öfeen Don ©attung jum
Dpfer bringen.
@8 genüge, biefe fünfte herauSgegriffeu ju haben. ©elbft*
oerftänblid) fteljen neben ben erwähnten nod) uiefe anbere,
}. jfj- fefer tiefe unb nacfjbenffame, Aeufeerungen Don Biejjfche.
Sntereffant Wäre eS aud), manche Berührungen mit anbern
führenden ©eiftern, j. B. bem Berfaffer ber „Komöbie bet
Siebe" unb bem ber „Kreuzerfonate" aufzuweifen, intereffant
namentlich wegen ber burchgängigen funbamentalen Ber*
fchiebenheit ber Wotiue. SBir taffen baS bei ©eite unb [teilen
abfdjliefeenb bie grage: 5ft Biefefd)e nach alte bem ein grauen*
feinb, ein grauenDerächter? Sch glaube, wir muffen, fie un*
bebingt bejahen. Kann eS eine tiefere, furchtbarere Ber*
achtung geben, als bie im SBeibe nur ba» Wittel ju einem
fremben 3toede, bem Kinbe, ficht unb getten läfet, bie ihm
allen ©elbftwerth, alte ^erfün(id)feit im fittlichen Sinne ab*
fpricht? @8 Dcrfdjlägt nid)tS, wenn babei ab unb ju Don
weiblichen Sugenben bie Bebe ift, wenn befonber8 ba8 „fluge
23eib" faft ftänbigeS Beiwort ift, benn biefe Klugheit ift ber
Snftinft be8 jtfeicteS, ber e8 fieser ju feinen ßwetfen leitet,
fie ift bie ©elcfirigfeit be8 ®ienerS, ber weife, wa8 feinem
Herren gefällt, unb ifem feine SBünfcfee an ben Augen abtieft,
— eine ecf)te, rechte ©flaoentugcnb. £er greie braucht
biefe Klugheit nicht; er hat ba8 ißriuileg, wahr, b. \ er felbft
ju fein. 3 U biefer ©chäfjung ftinimt benn auch, 1000 ben
grauen aufecr bem ©ebären noch al8 Beruf jugeftanbeit wirb,
befonberS ben armen Bidjtgebärenben, bie ja gar feine Becpte
laben unb nur au8 ©nabe ein Almofen jugeworfen erhalten.
Natürlich bie ewig gleichen „weiblichen“ Berufe: Krauten*
pflege unb ftüdjc. hierbei fteigt bann ein begeifterter tpfemnu8
auf bie SBichtigfeit unb SBiirbe ber Kodjfunft unb bie fcpauer*
liehe ©ebanfenlofigfeit ber Köchinnen, grau görfter finbet
betjn amh; „©ne gefunbe wohlfchmedeitbe, ber Snbiüibualität
her einzelnen Wcnfchen ängepafete Ernährung, ein gut ge*
leitetet ^muSpalt überhaupt ift ein ebenfolcpeS Kunftwerf,
wie ein ©emälbe unb mit ebenfo Diel wiffenfchaftlichem Bach*
benfen Derbunben, al8 ju irgenbwelchem ®octor*Ejamen ge*
hört." Sch möchte einmal ben ©piefe umbrehen unb fie auf
i|r ©ewiffen fragen, ob fie glaubt, ber befte Koch, ber heute
in IßariS ober fonftwo lebt, bebeute für bie Wenfchheit ebenfo
Diel a(8 ifer Bruber. — Unb Wieberum, fanit ba8 SBeib einen
fd)limmem, töbtlichern geinb haben, al8 biefen, ber e8 fo un=
bebingt zum Wittel hetabwürbigt unb fremben Qwecfen opfert?
Smmer foll e8 fremben Sntereffen, beneit ber ©attung, benen
beö WanneS, bienen; nirgenb8 bie leifefte Ahnung, bafe e8
eigene Sntereffen haben fönne ober bürfe. hierfür noch
einen Beleg, wofel ben fraffeften. SBir haben gefeljen, wa8
bie Ehe nach Biefefche fein foll; nun lefen wir folgenbe ©teile:
„©ne fotche Ehe, welche ba8 Sinnliche gleidjfam nur al8 ein
felteneS, gelegentliche^ Wittel für einen gröfeeren ßwed ge*
braucht, bebarf Wahrfcpeinlich . . • einer natürlichen Beihülfe,
be8 6oncubinat8. ®enn wenn au8 ©rünben ber ©efunbheit
be8 WanneS ba8 Eheweib auch Jur alleinigen Befriebigung
be8 gefchlechtlichcn BebiirfniffcS bienen foll, fo wirb bei ber
SBapl einer ©attin fchon ein fatfeher... ©eficht8punft mafe*
gebenb fein ... Eine gute ©attin, welche greunbin, ©ef)ülfin,
©ebäretin, Wutter, gamilienhaupt, Berwalterin fein fo0,...
fann nicht zugleich Eoncubine fein: e8 hiefee im Allgemeinen
ju Diel Don ifet Derlangen." Wan möchte fragen, Wie Diele
grauen [ich wofel Z u biefer Bolle hergeben möchten, aber
freilich, fie werben ja nicht gefragt unb haben leine 3Baf)l.
Wan bemerfe erften8, Wie fdjneU unb leichtfertig hier, neben
ben erhabenftcu, überfchwänglicpften gorberungen, bie fd)lid)t
bürgerliche ber ehelichen £reue, bie gar nicht überfcpwänglich
unb in unzähligen gäden Derwirflicht ift, fallen gelaffcn
wirb; — ba8 gewöhnliche Ergebnife eine8 iiberfpannten
etfeifchen SbealS! — jWeiten8, wie bei ber grage: ©nehe ober
Eoncubinat? nur ©efunbljeitSrüdfichten mitreben bfirfen;
britten8, bafe^biefe nur für ben Wann Dorpanben finb, bei
ber grau bagegen ifere ©efunbheit ebenfo wenig wie ifere
SBürbe in Bechnung gefteUt wirb. — So wäre benn Biefefcfee
hoch ber Dielberufene gtauenfeinb. grau görfter glaubt bieS
Urtfeeil ju entfräften burch bie Wittheilung, bafe er [ich gegen
bie grauen, unb jwar nicht nur gegen bie jungen unb
hübfdjen, fonbern auch gegen „alte langweilige tpufeelweibchen",
ja fogar gegen bie Derabfcpeuten Emancipirten, ftet8 überaus
höflich, rüdficht8öoU unb zartfüfjlenb bezeigt habe. SBopl
Biemanb, ber Bie^fche irgenb fennt, wirb bie8 je bezweifelt
ober anberS erwartet haben. Aber wenn hier ^feearie unb
$J3raji8 fo weit au8einanber fallen, Wenn er gar eine oor*
nehme, feht elegante, aber fromme unb leibenbe Englänbertn
mit Spänen in ben Augen (!) bittet, feine Bücher niefet ju
lefen, fo Derräth ba8 hoch neben feiner echten §erzen8güte
auch eine Schwäche feiner wie fie ihm nicht in
fraglofer ©ewifeheit unb fteghafter ©elbftoerftänblichleit au8
bem Seben IjetauSgemachfen ift unb bafeer auch bor bem
Seben nicht ©tanb hält.
Bisher lonnte e8 fcheinen, al8 ob e8 mir niefet um baS
Berftänbnife, fonbern um bie Sßiberlegung BiehfcfeeS, um bie
Berfechtung ber grauenfache gegen ifen ju tfeun wäre. SBenn
ich bie8 nebenbei erreicht hätte, foQte eS mir recht fein; hoch
war e8 fpr nur Wittel jum gwed. ®a8 in grage ftehenbe
©ebict nimmt in Biefefche’8 ©ebanfenwelt eiuen oerfchwinbenb
fleinett Baum ein; um einen Einbrud Don feiner ©röfee ju
befommen, ift eö gewife ba8 aüerungünftigfte. Snbeffen ba8
fichere, ftarfe ©efühl für biefe barf id) heute wohl bei meinen
Sefern DorauSfefeett. giir ba8 Berftänbnife Biefef<he8 lann
trofebem auch biefe grage lehrreich fein, benn in ben ©d)ranfen
unb Süden zeigt fie zugleich bie feften Eonturen feiner Kraft
unb ©eifteöart. ©teilen wir znnächft feft, bafe Biefefcfee bie
Siebe be8 Wa nneS zum SBeibe, im Dollen Sinne be8 28ort8,
nicht fennt. Bicht nur, bafe er felbft fie nie empfunben hat
(bie8 Derfidjert un8 feine ©chwefter auSbrüdlich); nicht nur,
bafe er fie als ©runblage ber ©fee oerwirft; felbft ihr Begriff
ift ifetn unbefannt. ©ie Wirb batb als Beliebtheit befpöttelt,
halb als Brünftigfeit Derachtet; bei „Earmen" geht ihm bann
bie Siebe auf „als gatum, als gatalität, cpnijch, unfdjulbig,
graufam — unb eben barin Batur! ®ie Siebe, bie in ihren
Wittein ber Krieg, in ihrem ©runbe ber Sobfeafe ber ©e*
fdjtechter ift!" Aber biefe Siebe, bie fo ganz tü h e » ungebänbigte
Batur ift unb mit ber unwiberftehlichen Derhcerenbeit ©ewalt
eines DrfanS, einer Dullanifchen Eruption wirft, fie, bie im
Kerne wirtlich $afe, Begierbe, Egoismus ift, trägt eben nur
ZU Unrecht ben Barnen Siebe, ©ie ift minbeftenS nicht Siebe
im Eulturfinne, beren ©egenfafe zur Begierbe Schiller fo
prad)tDoH flat beftimmt hat:
„9Jed)t gejagt, Sttjlofjer! Dtan liebt, roa8 man |at, man begehrt,
mai man nid)t bat;
Senn nur baS reiche ©emiitf) liebt, nur baS arme begehrt."
gür biefe Siebe ift freilich fein Sßlajj in einer Efee, wo man
baS SBeib nur als Wittel braucht, Dom Sßeibe nur etwas
(baS Kinb) will, ©efliffentlich wirb bafeer baS SBort „Siebe"
gemieben. Anftatt „Boch habe ich fein SBeib geliebt", fagt
^arathuftra: „Boch habe id) nicht baS SBeib gefunben, Don
bem ich Kinber gemocht hätte." Aber bie Siebe ift eS boch,
bie im Wanne erft Berftänbnife unb Achtung für baS SBeib
wedt; ift eS Derwunberlid), wenn bei Biefcfche BcibeS fehlt?
SBir entbeden hier einen befonbeten ©eclentppuS. Wan
fann bie grauen — bie echten, bie zu lieben wiffen — in zwei
grofee Eiaffen tpeilen: bie eine will ben Wann, bie anbere
baS Kinb. Bicht in biefer fdjroffen ©onberung; immer ift
BeibeS Dereinigt, aber immer wirb auch hie eine ©eite über*
Wiegen. 5)ie Dotljerrfcfeenbe Bicfetung auf baS Kinb ift beim
Wanne uiel feltener, aber auch gefäjprlidier: benn ba er beS
. SBeibcS fonft fo wenig bebarf, ihm in allem SBefcntlidjcn fo
Digitized by v^. ooQie
120
Die töegenmart
unbebingt überlegen unb beDorjugt ift, fo ift ba, mo bie große
Auggleidjetin Siebe fehlt, unb bag Seib aud) in ber @|e
jum Wittel finft, jene ©eringfchäfcung beg Seibeg unDet*
meiblid). ©on biefem ©t)pug ift SRiehfdje (ber aud) beim
Seibe nur ben ©inen fennt) ein berebteg Söeifpief. ©er
Wann, ber bie grauenliebe nicht tennt, ift ja nicht überhaupt
unfähig ju lieben, nur baß feine ganje 3ärtlicf)feit unb Siebeg*
fülle bem Stinbe gilt. Aber ba biefe Siebe im Jfinbe bodj
nid)t ben Sörper roiB, bebarf eg ba überhaupt ber phhfifdjen
Beugung? genügt ba nicht bie geiftige ©aterfdjaft, ba« ©er*
hältniß beg Weiftet jum jünger? 3« ber ©hat, toeit öfter
als turnt Äinbe rebet Wiefcfche Dom greunbe alg bem großen
geft beg Sebeng, ber Ahnung beg Ucbermenfdjen. An feine
„©rüber" menbet fid) 3 arat O u f tra J ihnen offenbart er bie
begterbefreie ©etbftlofigteit echter Siebe, ben Seelenreidjthum,
ber ben Geliebten nur braucht, um fid) feiner eigenen lieber«
fülle ju entlebigen, ber immerfort fd)cnft, offne je ©egengabe
ober ©anf ju Derlangen, fid) ftetg pingiebt unb bod) nie aug*
giebt. ÜRun berfteljen mir bie feelifd)e ©genart 5Richfcf)e’g;
er ift ein Wenjd), beffen eigentliche Sebengatmofphäre bie
platonifdje Siebe ift. (Sir nennen fie fo im ©ebanfen au
bag Dertlärte Sbealbilb, bag ©laton Don feinem Weiftet
©ofrateg alg bem größten ©irtuofen biefer Siebegfunft ent«
morfen tjat, — ein ©ilb, bag bag Siegel ber Safjrheit in
fid) felbft .trägt, benn in if)m jittert nod) .bie OoEe ©lutf)
ber Siebe nad), mit bet er juerft geliebt morben ift unb bie
alg ihren Abglanj biefe Gegenliebe gemedt hat.) ©iefe Siebe
mar bag Se^ifel ber griecf)i}chen Gultur, gemiß ein eblereg
alg unfere Spulen mit allgemeiner ©djulpflidjt unb Normal«
le^rplänen; fie fjat nid)t jum menigften ihrer ©lütlje ben
ftifdjen Sugenbglanj, ben marmen Sebenghaud) gegeben. Aber
freilich — bag ift bie Äelprfeite — in biefer nur männlichen
©efeEfcßaft ift bie grau fdjlimm baran. ©ie lann, mie eg
in Sitten ber gaH mar, nur alg ©ebärmafdjine, f)öcf)ftenö
nebenbei alg ©claDin, ©ermenbung finben. Sie ein nad)*
geborener Spätling ber Antife erfd)eint hier SRie^fdje.
Aber 9tiefcfd)e’g ©tellung jum Seibe ift ja nicht ein
ifolirter ©unft; fie ftcht im 3 u f am menl)angc feiner ganjen
©ebanlenmelt, ift nur ein ©pecialfatl feinet „^errenmoral".
Um fie ganj ju Derftehen unb augjufcljöpfen, muffen mir
etmag meiter augljolen. Sir jäf)len 9tiehfd)e hcrfömmlidjer
Seife ju ben ©Ijilofophen, ohne ju üertennen, baff er fid)
Don allen anberen großen ©hilofophen djarafteriftifd) unter*
fdtjeibet: er tft lein ©pftematifer. ®ag ift meber eine belang*
lofe ©ifferenj, noch hoben mir hier eine neue, höhere ©pecieg
beg ©Ijilofophen Dor ung; eg üerräth einfad), baß bie eigent*
liehe Dichtung feineg ©eifteg bod) nicht philofophifch ift.
©enn bag Streben jum ©hftem ift nicht ein nebenfädjlidjer,
fonbetn gerabc ber entfeheibenbe 3 U 9 >n ber ©hpfiognomic beg
reinen ©enterg: gerabe bie urfprüngliche ©iefe unb Sucht,
bie formfd)öpferifche Jlraft feineg ©enfeng ift eg, meld)c bie
©nheit unb ©efchloffenheit beg ©tfftcmg forbert unb baut.
Sei SRichfdje bagegen münben bie ©ebanfengänge überhaupt
nid)t in ScitgcDanlcn bet ©lenntnifj, fonbern in ethifdje
3mpulfe; bag ©efüljl für bag, mag gcfd)cf)cn foE, bie ©in*
ficht in bag, mag baju nothmenbig ift, mad)t feine ©tärle
aug, ein (smperatio ift fein lefcteg Sort. 21 lg ein großer
©thiler, ©rebiger, ©ropljet fteht er Dor ung ba. gür fein
fittlidjeg Sbcal h°t SRie$fd)e einen Augbrud Don einziger,
munberbarer Wad)t unb Größe geprägt: Uebermenfch- 3d)
geftehe, mir ift eg unfafjbar, mie man an biefem Sorte fo
fehr h°t Stnftog nehmen, eg fo gröblich hat mi&Derftehen unb
mifjbeuten fönnen. ©g lünbet bod) nidjtg alg bie unDergleich*
liehe ©tärle feineg fittlichen ©efühlg, beg @efüf)lg für bie
unerreichbare Rohheit beg fittlichen Sbealg, beg unenblichen
Sbftanbeg jmiphen 3beal unb SBirllichfeit. @g ift gemiffer»
mafeen bie gorberung beg ©oangeliumg, Dom Ginjelnen auf
bic ©attung übertragen. Sie jeneg nicht eine ©efferung
ober ©efehrnng, fonbern eine Siebergebnrt beg Wenfdjcn
oerlangt, mobei „ber alte 2lbam in ung burch tägliche SRenc
unb ©ufee foE erfäufet merben unb fterben mit aEen ©finbtn
unb böfen Süften; unb mieberum täglich h erQ u3tommen unb
auferftehen ein neuer Wenfch, ber in ©eredjtigteit unb Steinig*
teit Dor ©ott emiglidj lebe," — fo mujj hier gleidhfam bk
ganje Wenfd)heit in ihrer abfoluten Unjulänglichleit unten
gehen, bamit ein neuer, fjfyttet Wenfd)hcitgtt)pug aug ihrer
2lfche fidj erhebe. 2lEerbingg, auch ^ er Snhalt beg Sbealg —
über ben bag Sort „Uebermenfdj" aEein gar nidjtg an?*
fagt — hat fid) gemanbelt: an ©teBe beg fünblofen, guten,
nnbifferenjirten Wenfchen tritt je|t bie fchöpferifche ©erfön*
licfjteit, bag ©enie, alg bie hödffte gorm beg Wenfchfeing,
bie mit lennen. Sie in feiner ©rhabenheit, fo gleicht 9Jie|f<he'«
Sbeal bem beg Urdjriftenthumg audh in feiner abfoluten
©rangfeenbenj. 3ft bag 3beal Don ber Sirflichfeit fo funba*
mental Derfchieben, fo unettblich entfernt, fo lann eg auch
nicht aug ihr entftehen, fo führt lein Seg Don hier nach bort
9?ur burch eine gänjliche SeltreDolution, burch e ^ n SSanber
fann eg tommen. Sie ein ©icb in ber 3Gad)t, fo lonunt
bag SReicf) ©otteg, plö^lich unb unermartet fährt eg fff unb
fertig Dom Rummel nieber; mie ber ©li^ aug ber buntein
Solfe judt, fo mirb bet Uebermenfch erfdjeinen. ®g liegt
hier eine Strt ©elbfttäufchung, beffer: ©elbftberaufd)ung bor.
©ie inbrünftige ©luth beg propljetifdjen ©chaueng, tDelcffe
bag Sbcal gebiert, überrumpelt bag flare ©elbftbemujjtfein
ber ©ernunft; mag nur ein Sitb ift, mirb alg Sirflichfeit,
bie gormel einer unenblichen ©togreffion alg eine enblidje
3 a hl genommen. SIber biefe giction ift gefährlich- ©enn
burch E c wirb bag 3beal unfruchtbar, gerabe megen feiner
fchmärmerifdjen Uebcrfähmänglichfeit Derfehlt eg ben 3®^
ju bem eg gefdjaffen ift: jum ^anbeln anjufpornen, bem
Seben 3’ e t aab 9iid)tung ju geben, ©enn mag lann bet
©injelne thun, um bieg Sunbet in bie Sirflid^teit über*
juführen? 9?id)tg, gar nidjtg, alg märten unb beten! ©anra
finben mir bei ÜRiehfdje bicht neben ben erljabcnften, tieffta,
begeifternbftcn aflgemeinen 3been, fobalb eg fief) um bie am
crete 2lnmenbung auf einjelne Sebenggebicte hanbelt, fo ^äuffg
bie niebrigften, roheften, jumeilen miflfürlichften gorberungett.
©ag ©hriftenthum hat Diel lernen unb fid) grünblich UDls
umnbcln müffen, ehe eg aug ber ^Religion ber Seitflucht jur
melterobernben unb meltbeherrfchenben ^Religion mürbe. ®ie
©ocialbemofratic franft nod) heute an ber ©rangfeenbenj ihre?
Sbealg, beg 3 u ^anftftaatcg. Such IRiehfche’g ©th^» f°fl f' c
anberg bie ©robe beg Sebeng hefteten, foE bie aemattige Sraft
beg fittlichen Smpulfeg, bie ihr innemohnt, oer Wenfchhf'*
mirllid) ju gute tommen, mirb ©ieleg, fehr ©ieleg abftreifen
müffen, fo jebcnfaEg auch bie ganje ©heorie Don Äinb unb
©he mitfammt ber baranhängenben ©emerthung beg Seite.
Senn fRiejjfdje nicht im ©tanbe ift, ben Seg ju feinem
3beal ju jeigen, fo liegt bag Dor SEem baran, bafj er bie
Sege, bie tl)atfäd(iidj bahin führen, nicht fennt, baß er mit
ben lebenbigen Kräften beg mobernen Sebeng leine gühlnng
hat. ©enn nicht nur bie grauenbefreiung, auch bie ganje
bemofratifdje ^Richtung unferer 3 e *h mit ihrem ftampf gegen
Autoritäten unb ihrer Achtung Dor ber 3nbiDibualität, mit
aBgemeinem Stimmrecht unb aEgemeiner Schulpflicht, ift ihm
jumiber. Wan mirb faum eine unter ben großen, originalen,
jufunftgmäcfjtigen Schöpfungen unferer 3 e *t finben, bie et
nicht mit öerftänbnißlofer ©eradjtung, mit bitterer ©eljäffifl“
feit Derfolgte. IRiehfche erfüBt hiev bag thpifche ©efchtd b^
©hitologen. ©enn auch bag ift ja neu bei ihm, baß et nicht,
mie feine ©orgänger, Don ber Wathematif ober SRaturmiffen«
fchaft, fonbern Don bet ©hilologie aug jur ©hilofophie lommt.
An ber ©röße Dergangener 3eiten hat er fich ju feiner §öhe
erhoben; an ber märmenben ©onne beg ©riechenthumg, bei
IRenaiffance ift fein 3beal gereift. Sie nun aber ber ©1)^
löge biefe früheren ©ulturcn unb ihre fd)affenben ©elfter in
ihrer pft)d)ologifchen unb focialen ©ebingtheit Derfteht, fo ift
er bann geneigt, bic hier Dorhanbcnen ©ebingungen alg all*
Digitized by v^. ooQie
Nr. 8.
Die (Rcjttttoari
121
gemein giltig gu feiert. Gr überfielt gang, bafe «nfere 3 e 'b
Me bocfe waferlicfe an ©enieg nicht arm ift, auf gang anbeten
SBegen gu bemfelben 3^1 gelangt, ©enn um eine öergangene
Reit fo tief gu etfaffen, ntufj man ihr Derwanbt fein; gerate
bur<b bie Arbeit beg Serftefeettg aber unb bie ©emöljnung
müffen biefe ©eiten beg eigenen SBefeng atlmälig bie
herrfcfeenben, wenn nicfet bie augfcfeliefelicfeen werben. ©o
wirb ber Sßfjilologe, in bemfelben ©rabe, wie er in einer
fremben ßeü Vertraut unb Ejeimifc^ wirb, teidjt gum gremb*
iing in feiner eigenen. ®iefer ©efa^r ift ©iefefefee ni(fet ent»
gangen. SSie fein Sbeal ungeftüm in bie gulunft brängt,
fo weifen feine concreten gorberungen fammt unb fonberg
in bie SBergangenfeeit, bie ©enaiffance, bie 2lntife, ja guWeilen
— Wir haben eg gefeiten — noefe barüber hinauf in ijßerioben
borhiftorifefeer SBarbatei. ©un ift in ber SBergangenfeeit bie
Serfaffung ber menfcfelicfeen ©efeHf«f>aft ftetg ariftofratifefe
gewefen; Sßenige gelangten gu bem ©rabe materiellen Sc*
bageng, in ber Gultur gebeiben fann, inbem fie bie Sielen
unterbrüeften unb augbeuteten. ®afe unter biefen wenigen
§ertfdjenben nur in gang wenigen fallen ein noch biel
wingigeret Srucfetfeeil wirflicfe ftdb gu fcfeöpferifcfeen fßerfön*
liefefeiten cutwicfelt bat, unb bafe bjefe SBenigen felbft in ber
Sergangenfeeit ni(bt immer aug ber ^errenfafte ftammten,
wirb nicht beachtet; eg wirb ohne Sßeitereg angenommen, baff
oligarchifcfee Serfaffung bag Gntftefeen bon ©enieg garantire,
bemofratifefee fie Ipnbere. ®af)er bie S^ie^fc^e’fcfje Herren»
moral. ©iefet bie grauen allein, au<b ber Weit überwiegenbe
$feeil ber ©Jänner ift bei biefer Stuffaffung nur bienenbeg
ffierfgeug, ohne SBertfe in ficb, nur beftimmt, ben wenigen
„Uebermenfcben" fidt) gu opfern, Don ihnen beberrfebt unb
berbrauefet gu werben, nur baburefe SBertfe unb ®afeing*
bereefetigung erbaltenb. ©ur bafe, wenn SRie^fc^e toom ©Janne
fpriefet, ficb ib m unwillfürlicfe bie SorfteUung biefer feltenen
Specieg ber fcfeöpferifcfeen ißerfönlidjfeit unterfebiebt, wäbrcnb
bag Weibliche ©efcfelecfet in feiner ©efammtfeeit unbefeben gut
massa perditionia geworfen Wirb. $llle bie größten Gtfeifer
aller 3 e 'ten, mögen fie Subbfea, Sefug, Stant ober Xolftoj
beifeen, ffnb barin einig, bafe üor bem ©ittengefefe alle
ffllenfcfeen gleich finb, bafe eg nur eine ©Joral, nur eine
lugenb giebt, unb gerabe, bafe fie ficb augfcfeliefelicfe nur an
ben ©Jenfcben alg folgen unb bamit an bag gange ©Jenfcfeen*
gefehlt wenben, macht bag ©ieget ihrer ©röfee aug. SRie^frf)e
bat in feiftorifefeer Sefangenfecit unb Surgficfetigfeit biefe Gr»
rungenfefeaft aufgegeben. Sch rechne auch feine §errenniora£
gu bem Sergänglicfeen an ihm, bem ©Jenfcfelicfe=2lllgumenfcfe*
licfeen. Wag iibetwunben werben mufe.
Scfe füge noch einen abfcfeliefeeitben 3 U 9 feingu., ®ag
unentbehrliche Organ gum Grfaffen fremben ©eetenlebeng unb
©eiftegfcfeajfeng ift bie Seobacfetung beg eigenen. 2lucfe bei
©iefefefee wirb biefer gactor nicht Weniger bebeutenb gewefen
fein; fo werben feine ©ebanfen auch in biefem ©inne erlebt
fein. SieHeidfet mehr alg bie Ginficbt in bie Scbingungen,
unter benen bie ©rofeen ber Sergangenfeeit fo grofe geworben,
Wirb bag quälenbe ©efüfel für bag, Wag bie eigene ©atur
bebürfte, um ficb gu iferet öoHen ©röfee augguWacfefen, bie
Duelle ©iefefcfee’fcfeer SBeigfeeit gewefen fein. SDagu gehört
nun freilich bag Gntrücftfein aug bem Sampfe um bag tag»
liebe Srob unb bem grofenbienft beg äufeeren Serufeg, bie
materielle Unabfeängigfeit, ©icberbeit unb Sehaglicfefeit, wie
fie bie SBürger $ltfeeng, bie Herren beg ©Jittelalterg, ®anf
ben für fie arbeitenben ©ebaaren bon ©claben unb hörigen,
genoffen unb wie fie ein fßrofeffor, Seamter, ©cbriftfteHer
bon beute in ber ©egel nicht haben fann. $>agu gehört auch,
bafe ein freunblicber bienftbarer ©eift in mütterlicher gür»
forglicfefeit einem bie ©orge um bag perfönlicfee SBofelbefinben
abnimmt unb att’ bie taufenb fleinen ßiebegbienfte erweift,
bie bag förperticbe unb feeiifefee Sßofelbefeagen, bag günftige,
fruchtbare Stima für geiftige fßrobuction, bebingen, — bie
ibeale Aufgabe beg Söeibeg im ©inne ©iefefcfee’g unb Der*
mutblicb ber weiften ©Jänner. Stber Diele ber ©röfeten haben
biefe Sertfeeile nicht gehabt, aber fie haben alle Schwierig*
feiten befiegt, ja nicht feiten hat ber Sampf um’g ®afein,
ber harte gwang ber Slmigpflidfet ihren Sßitlen geftählt unb
ifere ßraft gefteigert. SBenn ©iegfehe hier abhängiger unb
empfinbticber ift, fo liegt bag DieHeicbt an ber gröfeeren 3art*
heit unb Schwäche feiner phhfifcben Gonftitution. Se feiner
unb complicirter ein Snftrument ift, um fo jerbrechlicher pflegt
eg gu fein, umfomeht will eg gefront unb Dorficf)tig be*
banbeit fein; foHte bag nicht Don bem febaffenben ©ehirn beg
©enieg im böcbfteu ©rabe gelten? 3 to ar fehen wir Diele
ber ©röfeten unfereg Sabrhunbertg aufeer ihrem ©enie noch
mit einer eifernen ©efunbheit unb einer fester unerf^öpflichen
Sebengfraft auggerüftet: ©oetfee, Sigmarcf, Sbfen, Söcflin
unb Stnbere; unb gewife Wären fie ohne bag nicht fo grofe
geworben, ©ber eigentlich gef (hiebt ba ein boppelteg SBunber;
©obere, unb öermutblicfe Weit mehr müffen bie geinbeit ihrer
Drganifation mit ihrer SBiberftanbgfähigfeit, bie überwiegenbe
Gntwicfelung beg ©eifteg mit ber ©efunbheit beg Äörperg
begabten, ©enie unb SBahnfinn finb oft nicht Weit Don ein*
anber, unb wie Diele herrliche ©nlagen mögen bem Äantpfe
mit ber Schwäche beg ßeibeg unb ber ©aufeigfeit beg äufeeren
Sebeng erlegen fein, efee fie ficb ber Sßelt offenbaren tonnten.
$ier waren bie Talente früherer Reiten in ber 5h at vielfach
günftiger gefteüt, wenn fie nämltch alg ©Jitglieber ber be*
Dorgugten Saften geboren Waren. Snbeffett fönnen Wir ung
einfach ber Stbatfa^e aetröften, bafe bie ©enieg batum feineg*
Wegg auggeftorben finb, bafe bie mobernen ßebengDerhältniffe
ihnen in anbeten §inficfeten wiebetum günftig finb, unb bafe
fie eben anbere SBege gefunben haben unb finben werben, ficb
bie SBelt gu erobern. Snbeffen gefährlicher alg bie Üngunft
ber äufeeren Sebingungen ift ber fjeinb im eigenen Sufen.
§ier Derftefeen wir ©iebfcbe'g erbitterten Sampf gegen bag
©Jitleib. SGBie ber offene SBlicf für bie Unenblidfefeit beg
Gtenbg unb ßeibg ringg um ung her, unb bag tiefe ©Jit»
gefügt eiiteg §ergeng, bag alleg ßeib alg fein eiaeneg trägt
unb empfinbet, bie Sraft beg ©Jenfcfeen lähmt unb Die ßebeng*
freubigfeit töbtet, ohne Welche nidjtg ©rofeeg gefchaffen Wirb,
bag leuchtet obne Sßeitereg ein. ©ut ber ©tumpffinn tönnte
Detfennen, bafe ©iefefefee barum fo heftig gegen bag ©Jitleib
eifert, weil er eg felbft gu tief empfanb unb gu bitter unter
ifem litt, auch wenn wir nicht ©ngfprücfee hätten wie: „Sft
nicht ©Jitleib bag Sreug, an bag ber genagelt wirb, ber bie
©Jenfcben liebt?" @o ift ber ©iej}fcfee’fcbe Uebetmenfch in
manchen 3n0 cn nicht bag ©bbilb, fonbern bag Sßiberfpiel
feineg ©cböpferg.
®er gortfehritt ber Gultur Derlangt eine fortfctireitenbe
Serfeinerung unb ®ifferengiruitg beg menfeblicben ©eifteg.
SBirb biefe, gumal nach ber ©eite ber paffioen Gmpfänglicfe*
feit unb ©enfitiDität, fo febr gefteigert, bafe bie ©efunbheit
beg ©efammtiebeng unb in golge beffen auch wieberum bie
gruebtbarfeit unb ßeiftunggfäfeigfeit beg ©eifteg barunter
leibet, fo reben Wir Don ÜDecabence. SBenn ©iefefebe, ber
feine, febr nüancirte Gulturmenfcfe, Dielfadfe bie phtjfifdje Sraft
unb robufte ©efunbheit, bie iJüdfetigfeit ber ©affe, fo ha<h
einfdhäbt, fo bürfte few* auch bie ©ehnfudfet beg 2)ecabentg
nach ber rohen, noch nid^t ber Gultur unterworfenen ©atur
mitfpreeben.
Denkmal ober Denkmunje?
SJon Dr. IDÜhtlm Sobe (Sßktmar).
Sm Sabre 1803 famen mehrere penfionirte Seamte in
©Jannheim auf ben ©ebanfen, für Garl Don ®alberg ein
®enfmal gu errichten; fie fammelten ©etb, unb ihr führet
gerbiitanb Don ßamegan legte bie ©umme in bie §änbe
©oethe’g, feine Seratfeung erbittenb. ©oetfee nafem fiel) ber
©aefee Warm an, benu er fcfeäfete Balberg, Den er alg Statt*
Digiti; by v^. ooQie
* 1
122
Die 0>e$enwart
Nr. 8.
galter oon (Srfurt oft gefegen Ejatte, unb bie 5 ta 9 e » wie
bet mäßigen ©elbfunune, bie jut Verfügung ftanb, etwas
©uteS geleiftet werben fonnte, (ag fo recfjt in feinem @e*
banfenfelbe. golgenbeS mar baS (Srgebniß feinet iftacgbenfenS:
„Von allen 35entmalen, bie einem bebeutenben Spanne gefegt
werben tönnen, [jat freitief) baS p(aftifcg»ifonifcge ben Vor»
jug; allein welcg ein Slufwanb, welcg eine 3«^ welcg eine
©elegengeit wirb gierju nid)t oorauSgefegt! SJiur ber, bem
bie Ausübung ber ÜRajeftätSrecgte juftegt, barf an ein fold;eS
Unternehmen benfen. 35ie ptaftifc^ = arrfjiteftonifc^en
Sftonumente, wie j. 33. baS ©eßnerifge bei 3üticg, finb gleich»
falte großen ©cgwierigfeiten unterworfen . . . 35ie pur»
ardjiteftonifegen finb Oor ber Nullität fatun ju fegüßen:
bie babei anmenbbaren formen finb fdjon fo bureggebrauegt,
baß ein fegr genialifeger Äünftler unb reiche Unternehmer
oorauSgefeßt Würben, um etwas für ben echten ©efegmatf
nur einigermaaßen SrfmdidjeS ju leiften." 35a alte biefe
Vorbebingungen nicht gegeben waren, fo fam ©oetge auf ben
Vorfcglag ju einer ÜRebaiße unb er bat Samejan am
12. Sauuar 1804 um feine unb feiner Kommittenten 3 U '
ftimmung. ©r wolle bann Weitere Vorfcgläge maegen. „3)ie
großen Vorzüge, wefege unter ben gegebenen Umftänben- ein
folcgeS SRonument oor Stübern gat, werben atebann gleüg»
falls jur ©praege fommen." ©egon am 8. gebruar fam er
auf bie ©aege jurücf. „Sine SDfebaitte gat bureg igre mög»
tiege Verbreitung, bureg igre ®auer, burd; Ueberlieferung ber
fßerfönücgfeit in einem Keinen fRaum, bureg 3)ocumentirung
allgemein anerfannter Verbienfte, burd; Sfunft» unb SOietaü»
wertg fo Diel VorjüglicgeS, baß man, befonberS in unfern
Seiten, Urfadje gat, fie allen aitbern Monumenten oorju^tegen."
(Sr fdjlägt bann oor, baß baS Komite bie äRebaille in Vom
gerfteUen laffe unb ©einer Sturfürftlicgen ©naben WenigftenS
eine golbene, eine fegiefliege 3lnjagl filberner unb eine größere
3agl fupferner übergebe, Wägrenb ber übrige Vorratg an
üiebgaber oerfauft werbe. 3Bie bie ©aege weiter ging, braudft
gier niegt erjäglt ju werben, ©oetge lieg bereits für bie
Vücffeite, bie ÜDiofeS barftelleu füllte, wie er bem Reifen bie
Quelle entlodt, (Sntmiirfe maegen, aber ber ganze 5ßlan würbe
fcgließlicg niegt auSgefiigrt.
SBie fegr biefe befegeibenen Viünzeu jur fünftlerifd;en
Vilbung unb (Stquicfung beitragen fönnen, fegen wir wieber am
beften an ©oetge. Sw Keinen armen Söeintar war an ein
SRufeum, wie wir fie geute gewögnt finb, noeg niegt ju
benfen; er felber fammelte zwar aueg auS bem ©ebiete ber
Sfunft fo uiel, wie feine ÜRittel unb Verbinbungen irgenb
inöglicg inacgten, aber natürlich fonnte er oon größeren
plaftifcgen Söerfen in feinem £>aufe nur einige gaben. 3)a
er nun oollftänbiger Sammlungen beburfte, an benett er
bie (Sntwicfelung ber Sfunft burd; Sagrgunberte oerfolgen
fonnte, fo oerfiet er auf SRünzen unb anbere fleinfte ©egen*
ftänbe. Unermüblicg fammelte er fie, rnanege greunbe unb
greunbinnen fegte er in Kontribution, ©o fegrieb er am
25. 9lpril 1803 an üDtarianne Don (Sgbenberg: „35a icg mieg
oon bem 3(nfd;auen größerer Sfunftmerfe gier in meiner Sage
entfernt fege, fo ift bie Vetracgtung oon SRünzen eine be=
fonberS belegrenbe Untergattung, inbem man bie Sfunft»
gefegiegte auS ignen fegr gut ftubieren fann, befonberS, wenn
icg baS Üluge am SRarmor ginlänglicg geübt gat. Sn
rügerer 3 e it gatte id; felbft einiges gefammelt, giefige greunbe
jaben aueg Neigung ju folcger Sfenntnig unb folgern Vefig,
Wir gaben bie erfte ©ammtung ber mionnettifd;en Sßaften
angefegafft. ... Um aud; über bie neuere Sfunftgefcgicgte
mieg auf bemfelben SBege aufjuflären, gäbe id; gefuegt, be*
fonberS päpftlicge äRebaiden, bergleicgen in bem 15. unb 16.
Sagrgunbert gäufig in Sfupfer gefd;lageit würben, anjufegaffert..."
Unb nun fommen feine Sßetifa. ©aitj ebenfo fegreibt er am
25. Sanuar 1804 an SBilgelin ü. ^wmbolbt’S ©attiu über
feine moberne 2RebaiUenfammlung in (Srj unb Sfnpfer, „bie
oon ber zweiten ipälfte beS 15. SagrgunbertS angebt unb
fid; bis auf bie neueften Seiten erftreeft. Scg bin bei meiner
neuen Vearbeitung Kellini’S barauf gefommen: benn ba man
fieg im Vorbeit mit Vrofamen begnügen muß, fo fegien ei
mir nur möglidj, burd; DriginalmebaiHen auS ben »er»
fegiebenen Sagrgunberten, bie boeg immer, wie befannt, fieg
Zur Vilbgauerfunft igrer 3 e it anjunägern wußten, irgenb
etwas ÄnfcgaulidjeS über bie bitbenbe Äunft ju ergalten, unb
eS ift mir fd;on fegr, bureg ©emügung, ©unft unb ©lücf,
gelungen, etwas VebeutenbeS jufammen ju bringen."
35iefe Anregungen ©oetge’S füllten wieber erwogen werben,
einmal weil wir geute unter ber 2)enfmalmutg leiben unb
weil wir zweitens oiel megr als früger barübet naegfinnen,
wie mir bie Sunft ju einem ©emeingute beS ganzen Volle!
maegen fönnen, wie wir oon ber SujuSfunft jur VolfSfunft
gelangen. (SS follen natürlich niegt alle großen SDfonumente
oon ©tein unb (Srj oerbammt fein, obwogl wir niegt jweifcln,
baß neunzig oon gunbert baS ©etb niegt wertg finb. 3Bo
ein 3)enfmal ftegt, fann aueg ein gut gemaegfener Vaum auf
grünem fHafen ftegn, unb er wirb in ben weiften fällen .
fd;öner fein. 35ie alte ©itte, an benfmürbigen Sagen Väume 1
ju pflanjen, ift in igrer SBeiSgeit gewiß jmeifetlofer, als ba! f
geutige 9lnregen oon 93ionumenten, unb bie ViSmatcf«(Siegen !
(affen unS ebenfo oiel ober wenig an ViSmarcf benfen roie
bie tgeuren Monumente. Sa, finb benn 35enfmäler aueg
wirflieg Senfmäter? Scg füregte, baß in Verlin Saufenbe
Sagrjegnte lang neben folcgen ©enfmälern wognen unb leben,
ogne fieg aueg nur im geringften in igrem 3)enfen oon biefen
giguren berügren ju laffen. 3KancgeS alte VolfSlieb wie
„fßrinj Kugen, ber ebte fHitter“, ÜKofen’S Sieb: „ßu SRantua
in Vaitben", „3)er alte Varbaroffa" oon fRüdert, „Soacgim
SpanS oon ßwtgeu" oon gontane, baS finb wirf liege 3)enf»
mäler, unb noeg großartigere finb SBerfe wie ©cgiHet’S 2eß
ober ©oetge’S (Sgmont; bie Vilbgauer=?lrbeiten finb nur bann
in SBagrgeit ©enfmälet, wenn fie ju unS fpred;en, unb bal
fann man aueg an ben tgeuerften nur feiten rügmen. SNnn
aegte nur barauf, mit welcger©(eicggültigfeit gegen bie bargeftellte
©erfon fold;e 3)enfmäler oon Säuberen unb oon unS felber
betrad;tet werben, wenn man fie überhaupt beadjtet. Sollte
bie 9Renge ber Staifer V3ilgelm=3)enfmäier wirflieg feinem
©ebäcgtniß förberlidg fein?
©oetge war bamals, als eS noeg feine 3)enfmal=gabrifen
gab unb jebeS SRonument wegen feiner ©eltengeit noeg bie
Slufmerffamfeit auf fidg lenKe, gegen folcge 3Ronumente, toeil
baS ©elb fnapp mar, weil nur ein woglgabenber gürft fieg
baran wagen burfte. £>eute ift eS (Sgrenfacge geworben, bafe
gewiffe 35enfmäler reegt oiel ©elb foften müffen. Äug
fd;reden mir niegt megr wie ©oetge oor bem SlrbeitSaitfwanb
guriief, Wir laffen im ©egentgeil fegr bereitwillig gunbert
arme Äünftler fieg oergeblicg an ben ißreiSaufgaben abmügen
unb tgeure große 3)fobeKe einfenben. ©ollte alfo niegt aug
geute nod; bie 35enfmiin5e bem großen SRonumente juweilen
Dorjusiegen fein? 35aS 3)enfmal ift au ben Drt gebannt,
allermeift an bie große ©tabt; bie 35enfmünje fann igren
Viag aueg im einfainften 35orfe finben; fie ift oon allen
S'unftmerfen baS ganbliegfte, fie fann in jegntaufenb Drten
jugteieg betraegtet werben. 3)aS 3)enfmal muß, wenn eS
ingattreifg fein fod, fegr tgeuer fein; bie 35enfmün$e au!
Stupf er ober Vconce ift baS bittigfte plaftifege Stunftwerf. Scg
gäbe oor mir eine 35enfmünje, bie ben Stampf oon ©egleSwig»
|)otftein gegen 35änemarf beganbelt; wenn ber Sngalt igrer
Vorher« unbfRücffeitealS 35enfmal bargeftellt werben foüte, foftete
eS WenigftenS eine 9J?iüion. Unb wenn icg in Äiel baS 35enfma(
füge, gatte icg wagrfcgeinlicg feine 3«it e! gegörig ju betragten,
ober idg wäre nigt aufgelegt, ober eS wäre bunfel ober regnerifeg.
35ie 35enfmünse negme id; gier ju §aufe in bie §anb, wenn
ig gerabe in ber red;ten Stimmung bin, unb jeige fie meinen
greunben, wenn wir eine gute ©tunbe äufammeit gaben
wollen. 35a gäbe id; eine anbere 35enfntünje oon Sari
Äuguft, geprägt jur geier feiner fünfzigjährigen Regierung.
Digitized by v^. ooQie
Nr. 8.
Die ©egenwart.
123
/
3 <f) weiß nid)t, of» ber Kopf auf feinem 5Reiterftanb6Ubc nod)
beffer ift, als auf biefem Stupferftüde; jedenfalls f e e ich
biefen erheblich beffer, unb barauf fommt eS bod) an. ®ie
l)enfmä(er haben faft alle ben gelter, bajj man bem bar»
geteilten SRettfdjen nid)t ins, ©eficßt fdjaut; ^ferbefc^roan^
unb Kanonenftiefel !ann man red)t gut fetjen, fetjr fermer,
aber ben SInSbrud beS ©eficßtS. 2>ie ©ßriftuS* Statue oon
Xßorwalbfen ttmr mir feit Sauren fo geläufig mie ben Sefern,
aud) habe id) baS Original in Kopenhagen gefeben, um fo
erftaunter war ich , 1 als id) bei einet guten Stadjoilbung baS
9tnttiß ©^rifti einmal in Slugenßöße hatte unb niIn ©cßön»
(leiten entbedte, bie mir fo lange fremb geblieben waren.
8 on bem Sdjöpfer beS SSiener @oethe=3)enfmalS, baS nocß
ni<ßt enthüllt ift, berichteten bie Leitungen neulich, bafj er
feinen gelben auf einer SBant fißenb fo barftetlen wolle, baf(
ihm ber Sefcßauer, wenn er einige (Stufen ßinaufgeftiegen
ift, gerabe in’S ©eficßt fdjaue. ©nblicß einmal ein Künftler,
ber eS weiß, baß ber normale 9Wenfd) nicht fecßS ÜJfeter
gtofe ift unb baf) wir nicht alle weitfidjtig finb!
SllS jeßt baS ©oethe=3ubiläum gefeiert würbe, ift wohl
auch * n Sranffurt eine ÜWebaille geprägt worben; ich weine,
es gelefen ju haben. 9lber folche Kunftwerfe müffen, wenn
fie ihren $wed erfüllen füllen, nicht bloß in bie Käften
einiger reichen Siebhaber fommen, fonbern ju oielen laufen»
ben in’S Sßolf. ©in herein, ber feinen SDJitgliebern für ihren
Seitrag mufterhafte ®en!münjen aus früherer unb neuefter
ßeit lieferte, bem bie ©ultuS=ü)rinifterien unb Stäbte mit
ihren Schulen beitreten fönnten, hätte ben Anfang ju machen;
bie Dielen geftcomiteS, bie jebeS 3aßr entfielen läßt, fönnten
folgen. $ie ®enfmünjen = Sammlungen brauchen nicht fo
häufig 311 werben Wie bie uon Sr ief mar feit unb Siebigbilbern,
aber h»nbert äJZal fo häufig als heute möchte man fie f<hon
wünfeßen. ©oetße mochte nicht feine 3^* wit Sd)ad) unb
Karten Dergeuben, fonbern befaß fich lieber intereffante Sachen
auS ber SKatur unb Kunft, nitb wenn er ©efellfcßaft hotte,
ifidleidjt langweilige, fo holte er fid) einen Kaften Doll 2)en!»
münjen, wie unfere Sarnen baS pßotograpl)ie=91lbum, unb
jeigte feine Schöße, ihre Sorjiige preifenb, ißre ©eheimniffe
ertäuternb, fich felbft unb Slnbere an allen ben fleinen
Schönheiten begeifternb. 9llS er bie alte $reunbfd)aft mit
©ßarlotte o. Stein nach Saßren beS 3°meS wieber anfnüpfte,
war feine SRiinjen»Sammlung ein willfommener 3lnfafe, fie
in’S §auS 311 laben, unb wenige SEage nach ißt fonnte er
feine Schöße bem berühmten ©efcßidjtSfcßreiber SoßanneS
0 . SRüUer jeigen, ber aus feinem reidjen SBiffen heraus ihm
über bie bargeftelltcu Perfonen unb ©reigniffe oieleS Se=
lehrenbe mittheilte. 2lud) auS ben älteften ßeiten menfchlicher
©ultur war manches Stüd ba, benn bie SDfünje, baS fleinfte
Kunftwerf, ift oon allen Knnftwerfen baS unbergänglicßfte,
fie ift am atlerwenigften Sefcßäbigungen auSgefeßt unb auch
baburd) eignet fie fid) jum ®enfmat.
3d) gehöre ju ben Sd)wärmern, bie Kunftfammlnngen
in jebeS ®orf, jebe Schule ßineinsießen möchten; 'benfmiinjen
Wären gerabe für Schulen bie braueffbarften fleinen Kunft»
werfe. 3u ben ©efcßidjtSftunben fönnten fie ben Sd)ülern
in bie Ipanb gegeben werben, ba prägten fid) ßiftorifeße
Perfonen unb ßuftänbe hunbert 2 Wal leicßter ein, als beim
Dcßjen ber Seßrbu^paragrapßen, unb nebenbei bilbeten fid)
®ej‘d)mad unb Stilfenntnif). ?lud) eine „Siteraturgefcßicßte
in benfmünjen" läßt fid) benfeit unb Wäre ein gwedniäftigeS
pöbagogifcßeS Hilfsmittel. Unb wäre eS nicht möglich, bei
gtofjen feiern allen Schulfinbern folcße Kunftwerfe jur
bauernden ©rinnerung 311 feßenfen, fie sugteid) an fünftle»
tifeße Sammlungen gewöhnenb? Sielleid)t feiert man einmal
bie näcßfte Saßrßunbertwenbe Hießt mit einigen Standes»
etßößungen unb ber ©infüßrung ßäfjlicßer Sriefmarfen,
fonbern bureß allgemeine Sertßeilung einer feßönen Sdjau»
mün 3 e, bie bie gortfeßritte beS swanjiflften SäculumS Oer»
finnbilblicßt. i
^euiffeton.
- Wadjbrurf oet boten.
.Am Äatfertettkmal.
Pon 3u!jani
«u« bem Sinnigen.
Set im$ in ^clfitigforö ^aben mir bem guten $aifer Äleyanber n.
öon 9tu6Ianb ein fcböneS Stanbbilb gefefct, unb an bem XobeStage beS
allen ginnlänbern fo gütigen unb geredeten toonartben mtrb fein S)ent-
mal ftet§ mit rieftgen Äränjen unb Slumenfpenben jeber 5(rt gefdjmütft,
bie auS allen feilen beS bantbaren ßanbeS fommen. Slucb au biefem
13. 9Rär$ blieften bie aflegorifdjen giguren am 6ocfel r $umal bie meib*
liebe ©eftalt beS ©efe^eS, bie ihren ©cbüb auf einen mutigen öömen
ftüjt» auS ber S3IumenfüIIe era^or f abe^ ihr Slu&brucf mar bieSmal
emft unb finfter, benn ber 5Binb in Petersburg gemetbfelt, unb
man greift oon oben in bie beiligften 9ted)te unfereS PolfeS unb roiü
feinen Untergang. 3)ocb id) mtH febilbem, maS leb gefeben b<ibe.
*
5)er 5u& beS ^Uefanber^enfmalS ift Oon Plumen bebeeft Xaufenbe
oon Wenfcben erfütten ringsum ben großen piafc. Äein ftlüftern, ÄUeS
ftiH mie bei einer ©eerbigung. 92ur ba unb bort bemegen ficb ©enbarmen.
©in ©dju&mann, früherer ©olbat, ftebt als SBadje am ölumeit^
bügel. S'tublg unb emft ftebt er ba, fein @efid)t tyrtebt meber oon
greube noch Trauer, aber ich lefe feine ©ebanfen auS feinen blauen
Slugen.
„SBarum f)at man mich eigentlich hierher geftellt? Um Sache ju *
ftehen? ©tma üor beit ©lumeit? Äein SJtenfcb febeint fie megnehmen
5 U motten; 3eber bringt ja nur immer neue ... Ober um bie Orb=
nung aufrecht $u erhalten? .. . 3lber baS tbut ja Qeber am beften
felbft... 3cb f)abt ben öefehl, hier ju ftehen, bis ber lefcte äufeb^wer
fort ift. $ietteid)t muß ich bann mein Seben lang hier bleiben ... 9lber
fo mar ich benn menigftenS einmal ©hrenmacbe beS ÄaiferS — ©bren-
mad)e ber ©runbgefeße. . .*
®ie 9)tenge ftimmt einen £f)oxal an. ,,©in r fefte SBurg ift unfer
©ott" erflingt eS Oon ben £repj>en ber Unioeifität her, unb auf ben
©tufen ber SRicolaifircbe ftimmt man ein in ben ©efang. 3eber bat
fein feavipt entblößt. Äucb unfer ©d)ußmann nimmt bie SKüße ab unb
hält fie in ber linfen §anb, mie beim gelbgotteSbienft.
„5)aS mar ein feböner ©haral! ..."
fiangfam feßt er bie 9Rüße mieber auf. ©ine $bräne glänjt in
feinem Sluge. Um fte ju oerbergen, fehrt er fid) ab, als betrachte er¬
bte Slumen am guße beS S)enfmalS.
,,^£)aS mar ein munberbar feböner ©haral!..."
erbrauft plöfelicb ein neues Sieb. ©S ift „Unfer Sanb", bie
ftnnifcbe 9ktionalhbtnne, unb alle ©äu^ter entblößen fich auf'S 9ieue.
S)er ©d)ufcmann führt febnett bie ^anb an bie 3Küße. $od) gleich bar=
auf ftu£t er; er fenft bie §anb, h«öt mieber in halber £>öhe, fenft
fie mieber unb febeint nicht ju mtffen, maS er thun fott. $enn er er®
innert fic§ ja ber neueften Sßorfdjrift. ^at bodj ber jeßige ©eneral=
gouoerneur Oon gtnnlanb, ©eneral Pobrifoff, bem Militär Oerboten,
unferem 9tationallieb ben mtlitärifdjen ©ruß ju bringen!
„©S ift ja üerboten . . N * S)er äöefehl ift ba. SBir büvfen Oor bem
^ationallieb nicht bie $anb an bie 3)iittre legen. $)te ©enbarmen brüben
haben ja auch bie SRüfcen auf, unb ihre 2lrme rühren fich nicht..."
©r überlegt unb fömbft-nodj, bie ^nmb hebt unb fenft fich unb
Oerfud)t am tttonbe ber 3Jtüße gu bleiben.
„3<b merbe oietteiebt ben Slbfcbteb erhalten ... meiner 9(nftellung
beraubt. .. SBeib unb ^inber merben hungern • • • ßnntfeben
Patrioten merben oerabfebiebet unb meggefebieft, oietteiebt fogar ber PoligeU
birector... Unb mer fommt an ihre ©teile? — bie ©enbarmen
brüben ..."
©eine §anb ift herabgefunfen, fie hebt fich unb fällt mieber.
Digitized by v^ooQie
124
Die Gegenwart
Nr. 8.
Slber immer inniger, immer auberftcßtließer unb fraftbotter braufen
bie Söne au$ ber ©ruft Don Saufenben.
„68 ift ba$ Sieb meines SanbeS. @8 ift ba$ Sieb meines ©olteS.
fBem foE icß ©ßren erjeigen, wenn nießt ißm! 9ttag ba fommen, waS
will: t<ß grüße !*
Unb nun fliegt bie $anb an bie 2Rüße mit einem 8htd unb bleibt
ba. 911$ ßätte er ein ©ommanbo gehört, macßt er gront bor bem ©oll,
unb bi$ ber ©efaitg an baS ©aterlanb berllungen ift, fteßt er feie an*
genagelt an feinem Sßlafce,' ftol$ unb eßent wie eine ©tatue, mit bem
(Beeilte beS ©efefceS ßtnter pdj. Unb Stuße, grieben unb fießere 3u*
berficßt leueßten auS feinem 9tegefußt, unb ein ©cßitnmer bon ©lücf
glänzt in feinem ©lief, ©eine Sippen bewegen fuß im Xacte mit ben
leßten Xönen beS Siebes.
Srgenbtoo in ber SJfenge ergebt fteß eine SRäbcßenßanb. ©in
©lumenfträußcßen mad# über ben köpfen Sitter einen ©ogen in ber
Suft unb faßt neben bem ©eßufcmann jur ©rbe.
©r beugt fuß, nimmt bie ©lumen, unb inmitten ber §o<ßrufe auf
baS ©aterlanb legt er fte bem Söwen $u güßen — bem Söwen beS
©efeßeS.
Jtiw bet «Äaupfftabt.
Don kirnten unb können.
3)er ©cßillerpreiS.
Unb toieberum beS ©mpfängerS harrt
3)er üppige ©reis für großes ©oübringen,
gür ©eifteStßaten befonberer Slrt,
SBie ber SRenge fte nimmermehr gelingen.
$)od) nießt ben ©oeten, bie eßrgei^entflammt
SRit ©cßiüer’S Steif fteß bebiabemen,
3)er <ßrei$ gebüßrt eueß, bie bieS SMcßteramt
3n gufunft noeß einmal überneßmen!
*
$)te Reinigung ber Siteratur.
©et ber ©eratßung ber Sej £>ein&e ßat $err Sioeren mit Siecßt
bemerft, baß lein anftätibiger SRenfcß ben ©eßöpfungen ©ubermann’S
eine Sßräne naeßweirten toerbe unb baß bie ©laffifer ebenfo ftreng wie
mobeme $oeten beßanbelt ju werben berbienten, wenn fieß unaüdjtige
Sieber unb unreine Steinte in ißren ©efammelten ©Serien borfmben.
£err Sioeren beutet bamlt auf bie ©efeßlagnaßme unb ©in^ießung ber
$)icßtungen ©cßiller*$ unb ©oetße’S ßin; bietleicßt will er aueß nur ben
©erlauf ißrer Sßoroograpßie an ßinber unter 16—18 3&ßren Verbieten.
SebenfaHS ift ©efaßr im ©eräuge. Oßne bie ©lafftfer fommt man ßeut*
jutage nießt gut auS, feßon ber ©itate wegen, bie fieß in SieießStagSreben
immer fo gut rnaeßen. Sluf ber anberen ©eite muß bem fittlicßen Siuin
ber Greife, in benen fuß £>err Sioeren bewegt, gefteuert unb bie gejammte
©lajfif einfcßließUcß ©ubermann moralifcß auSgeräucßert werben. SBie
ift baS au bewerlftelligen?
SJtan weiß feit Saugern, baß fuß unter ben ßößeren ©eamten
3)eutfcßlanbS, befonberS unter ben richterlichen ober bo<ß juriftifcß ge*
bilbeten, gana ßerborragenbe 3)icßtertalente befinben. SBir nennen nur
bie tarnen SBübenbrucß, §ammerftein*Sojten, Sßßtli ©ulenburg. ©S ift
aueß gar fein SBunber, baß bie Ißoefte gerabe in biefen Greifen fo biele
Opfer forbert. 3)ie meiften ©eamten werben Ieiber babureß, baß fie
wäßrenb ber ©ureauftunben fortbauernb auS bem genfter ftarren, auf
bie Staturbeobacßtung unb bamit aufS ©erfemaeßen förmlich ßingewiefen;
Slnbere wieber reifen raftloS, waS gleichfalls feßr aum 3)icßten berleitet.
Sieben ben jeßöpferifeßen $oeftegenie$, bie wir eben nannten, giebt
eS au(ß befeßeibene Kräfte in Stmt unb SBürben, bie gleichfalls gern
einmal etlicße ©tropßen bon fieß geben, eS aber Ieiber nur feiten au
öffentlicher Slnerlemtung bringen. ©iSßer waren fte geawungen,
lebenS ungebrudt a u bleiben; ßöcßftenS in £>ocßaeitS=$1 abberabat jeßen
unb bei SobeSfällen fonnte ißre feufeße Sttufe auSarten. Sin Mefe füllen
3)ulber. ßat Stoeren offenbar in erfter Sinie gebaeßt. ©r miß bie minbet-
begabten Suriften an ber §anb fogenannter großer 3)tcßter auf ben
©arnaß füßreu. 3)aburcß wirb allen Xßeilen geßolfen. 3)ie ©lafßlet
entgeßen ber ©efaßr ber ©efdßlagnaßmung, baS ©oll fann nießt nteßr
ftttlicß bergiftet werben, empfängt fogar bon ben mit ber ttmbtcßtung
betrauten 91ffefforen, SReferenbaren ic. praltiftße jutiftifeße SBinfe in ber
fuß bem ©ebatßtniß leicht einprägenben ©erSform, unb ^err SRoercn
lommt noeß weniger als früßer in bie ©erfueßung, felbft in ©tunben
ber größten Sangweile ein ©ueß aufaufdßlagen.
hierunter geben wir a&w ©erwäfferungSproben auS ber neuen
SRoerenleltung aur geft. loftenlofen ©enußung:
@oetße.
3cß ging im SBalbe
©o für mitß ßin;
3u fueßen ßatte
3<ß nkßtS barin.
3m ©cßatten faß icß
7 ne ßübftße ©lum T ,
3)odß war fte fiScallfcßeS
©igentßum.
3cß toottf fie breeßen
3n fträflicßer ^>aft;
3)a ßat ber görfter
SJlicß abgefaßt.
$>rei SRarf mußt' icß blecßen.
35ieS ©elb — o rett f $
Unb benle immer
9ln’S gorftgefep!
©cßiller.
SBenn bein ginger bureß bie ©aiten meiftert,
Saura, ißt aur ©tatue entgeiftert
Saufcß’ icß btr! 3)ie SRutter, bie bieß ßegt,
^at r S ^labierftunbengelb gut angelegt.
©öttin Saura, bonnre mit ©ebrauS,
3)ocß nie werbe grober Unfug brauS!
£>oße ©trafmanbate bu erßieltft,
Saura, wenn bu SlacßtS itacß ©Ife fpielftl
©om lommenben SRontan^ßracß.
„©ilberneS Xafelgefcßirr ift billig au berlaufen, aueß umautaujeßen
gegen SlbonnementSfarte auf folibeS, einfacßeS SRittagbrob in reinlicßer
©ubile. ©cfl. Singebote unter ^oßlenarbeiterftreil an bie ©fpebltion."
— ©eftatten ©ie, baß icß mieß 3ßuen borfteüe: meine Stotne ift
Slron, ©anlier. ©ie werben bon meinen #au[fes Unternehmungen in
©ifenmerlSsSlctien geßört ßaben —
3>er Slnbere (feßr barfcß): ©ebaure, fann 3ßu*n nicßtS geben —
©ie rnüffen fteß feßon an einen 28oßltßätigleit$s©erein wenben.
Slbg. öattß berfel, wäßrenb 91bg. ©amp fpraeß, in einen tiefen
©(ßlummer. Unb ba wirb immer noeß behauptet, unfere Slbgeorbneten
berftünben ißre 3«it nießt rteßtig auSaunupen! ^)err ©artß beabfießtigte
übrigens mit feinem feligen ©ntfeßlafen nießt etwa gegen ben ©oHegen
Digitized by v^. ooQie
Nr. 8.
Die ffiegenuart.
125
Eamp gu bemonftriren, fonbern motlte pd) nur auf bie nädjfie Nebe
föicfert'S Dorberetten.
*
3n ©ubapeft ift ein ©ureau gur SluSfühtung fchriftlidjcr
Schularbeiten entbecft morben.
Wan glaubt nicht, bap bie ©egrünbung gut glottenDorlage Don
einem ©ureaufraten beS obigen ©ureauS ftaramt, obgleich ihre ©djülers
haftigfeit biefe Annahme als fehr naheliegenb erfdjeinen lägt.
*
T)ie neue Stlliang.
I.
„Unb baS ©ünbnip, meläjeS mir mit $eutfdjlanb etngegangen
ftnb ..." (Ehamberlain t m Unterhaufe, nach ber Greife $aifer ©if*
helm’S non Eitglanb.)
„ÄllerbingS ift unfer ©ünbnip mit 3)eutphlanb in ber beutfchen
©reffe Deileugnet morben ..." (Sorb töofeberrp im Unterhaufe.)
II.
Sorb ©altSburp an greiherrn D. ©ülom.
@8 mirb gut fein, menn ©ie unfere SUÜang=®erträge mit allen
3ahtcn nunmehr Der öffentlichen. 3h T
greiherr D. ©ülom an Sorb ©aliSburp.
©eiche Slüiang:©erträge? 3<h meip Don leinen. 3h r ®*
Sorb ©aliSburp an greiherrn D. ©ülom.
Thun ©ie hoch nicht fo. 3h* Golfer trägt fte in ber ©rufttafche.
3<h fafj beutlich bie 8 a hl 2 000 000, bie über unfere Derbünbete Wacht
Sfofphlup giebt, als ©eine Wajeftät beim ©erlaffen beS englifdjen ©obenS
bie ©ertrage noch einmal aufmerffam burdjtaS unb Derbarg. ©ie ftanben
ja felber babei! ©.
Freiherr d. ©ülom an Sorb ©aliSburp.
©ie irren. ©aS ©ie meinen, mar bie Slufftetlung ber Nelfefoften!
3>er engtifche EeneralftabSdjef: Werfroütbig, bap biefe 3«ö s
ochfen ihre größte $raft im $opfe hoben!
Ter englifche Oberbefehlshaber: 9?a jo — in einer §inpd)t
muffen pe ft<h bod) Don unS unterfdjeiben! .
*
§err <£hombertain lägt entfehieben in Slbrebe pellen, bap er ben
TranSDaalfrieg gum S^ecf t)on ©örfenfpeculotfonen entfeffelt höbe.
ES märe in ber T§at febr unDerftänbig Don .fterrn Ehamberlain
gemefen, erft auf bie ©örfe gu gehen unb fi<h baburch taufenb Umftänbe
gu machen, ©enn man, wie er, baran gemöhnt iff, gang ohne Sin*
menbung Don ©djluppheinen unb fturSgetteln gu fielen!...
*
Ter ©ring Don ©aleS hot pdj biefer Tage „einen holben ©oda*
lifieu" genannt.
©ahrfchelnlich megen ber für ben 3ufunftSftaat Dorgefchriebeuen
freien Siebe, für beren Einführung in bie heutige EefeüphaftSorbs
nung ber ©ohn ber Oueen atterbingS fein — Derhältnipmäptg — ©efteS
gethan hot.
*
Ertedjenlanb plant einen Aufruf an baS chriftlidje Europa unb
Slmerifa, um burdj ©ammlung Don Eelb bis gum ©etrage Don 250 bis
300 Willionen granfen ben türfifdjen Eruitbbepfc auf $reta in d)rtft*
liehe &änbe gu bringen.
Ta biefe djriftlichen §änbe ungemöljnlid) lange ginger hoben, be=
abpehtigen bie angefepnorrten ©ohtthäter in Europa unb Slmerifa, gu
bem ebeimüthigen 3*°ecfe nicht baareS Eelb, fonbern griechifche Rapiere
hergugeben. ©ie hoffen, ouf biefe ©eife enblidj Don ber Waculatur be*
freit gu merben unb freuen pch heute fchon auf baS bumme Eepdjt, baS
bie griechifche Regierung beim ©ieberempfang ihrer „©erthe" machen toirb.
*
3nterieur.
Er ft er Wtnifter: ES ift hoch eine alte Erfahrung — bie
Summen hoben immer baS meifte Elücf!
Streiter Win ift er: TaS tröftet mich auch ober ba$ ©(heitern
meiner lepten EefepDorlage.
Erfter Winlfter: D bitte — feine töegel ohne Ausnahme!
Eine ©djriftftetterin E., bie im ©agar ©ertheim ©elgmaaren ftahl,
mürbe nur gu einem $age ^ft Derurtheilt unb gleidjgeitig ber Enabe
beS ^aiferS empfohlen.
$)er EerichtShof billigte ihr milbembe Umftänbe gu, toeil pe nach 5
gemiefenermafjen Dorher ein Suftfpiel Derfapt hotte, ftdh alfo über ben
Unterfdjieb gmifchen mein unb bein nicht mehr recht llar fein fonnte.
dagegen hot baS EiDtlcabinett bie ©egnabigung nicht befürmorten fönnen.
3)ramatifchen ©chriftfteüern fei toohl baS ©tehlen, nicht ober auch baS
Witnehmen erlaubt. Cimon b. 3» ’
Dramati^e ^ttpljningen.
„3o9««b Don heute." Eine beutfehe Äomöbie Don Otto Ernft.
(ÜPal. ©chaufpiefhauS.) — „$te brei Xödhter beS^errn $)upont."
©chaufpiel in Dier 9lden Don Eugene ©rieuf. (2e|png=3:h c oter).
§err Dtto Ernft ©chmibt barf pch eines ungemein aufopferungS*.
fähigen greunbeS rühmen. 92i<ht attein mohnt ber junge Wann allen
©remtferen ber beutfchen Äomöbie „Sugenb Don heute" bei unb befchämt
fo ©Iatin ©afcha unb 9ieufelb, bie folche ©trapagen nicht ertragen
hätten, fonbern er Derfteht eS auch, olle mapgebenben ©erliner Rettungen
gum honorarfreien Sibbrucf ber Otto Ernft ©chmibt 7 fchen ©riDatbriefe
gu beroegen. ?luf biefe ©eife hot cS bie beutle tfomöbie bereits gu
einer ungeheuer gropen 3 a hl Don Slufführungen gebracht, menn au^
nur in ben ©palten ber ©erliner Tageblätter. Unb auf biefe ©eife
haben mir erfahren, bap Otto Ernft ©chmibt mit feiner beutfchen
möbie feineSmegS bie Wobeme Derhöhnen unb baS ©hilifterthum preifen
miß, fintemalen er pch fetbft als burchauS mobemer dichter fühlt unb
unerfchiitterlich entfchloffen ift, in Sofunft entfprechenbe ©djöpfungen
Don pch gu geben. ES ift ein Elüdf, bap ©chmibt'S greunb burch feine
©remiferentelegramme unb bie ©eröffentlicpung beS ©^mibffchen ©riefeS
rechtgeitig für eine erflecfliche ©ortion gefunben ^umorS geforgt hot,
benn fouft pnbet jich Don ßomif feine ©pur in ber bemupten beutfchen
Äomöbie. ©em bei ihrer Suftigfelt nicht ber gange bittere Ernft beS
S)afetnS gum ©emuptfein fommt, ber gehört gu ©djopenhauer'S ruch 5
lofen Optimiften.
Sin pch ift bie 3&ee, ben SluSfchreitungen unb Narreteien gemiper
Siteraturgigerl einen ©piegel Dorguholten, fo übel nicht, obgleich pe be*
reitS gu ben 3&een Don DorDorgeftern gählt. ^err Otto Ernft hot baS
aber gar nicht gemagt. Unb memt er in feinem ©riefe be= unb meh=
müthig erflärt, burchauS ni<$t ber Söme gu fein, für ben ihn etliche
ßritifer in TreSben ober Neutomifdhel gehalten hoben, fonbern 8 e ttel,
ber ©eher, fo barf man ihm baS auf r S ©ort glauben, ©ie fäme er
auch bagu, pd) bie Earrtfcre gu Derberben unb fdjäpbareS ©ohlmoDen gu
Derfchergen? Er fämpft ni^t gegen Neifige, auch nicht gegen ©inb^
tnixhlen, benn baS ift gefährlich; er befehbet nur ©apppguren, bie er
felber aufgeflebt unb betufdjt hot- Unb er bricht in jubelnbeS Eelächter
auS, menn ein ©d)lag figt unb ber WehWeifter gu Tage tritt. T)ieS
Eelächter ift eine Äranfheit, aber feine anfterfenbe.
Wit «jperrn Ernft über ©efen unb 3*oecf ber ©atire gu rechten,
halte id) für nuploS, unb ebenfo nuploS fcheint eS mir, ihm Don ben
einfachften Regeln ber bramatifdjen ^unft gu fprechen. SWerbingS §ätte
man fo unb fo Diele 3oh*e oad) bem Auftreten beS „©le^foppS"
©chiller, hotte man im Seitalter 3&f e n'8 eine berartige ^ülflopgfeit ber
©eenenführung unb berart jämmerliche ©ehanblung beS hiu unb her
taumelnben TiatogS nicht, mehr ermartet. T)ap ^err Ernft auper
©tanbe mar, eine intereffante gäbet gu erfinnen, fott ihm nicht gu hoch
angerechnet merben, obgleich bie bramatifche ©atire nur bann gehörige
©chlagfraft gu entmicfelit tut ©taube ift, menn pe feffelnbe ©egebenheiten
untranft. 3nbep bie ©hantape unferer Süngften tft bürr unb IcbloS;
erpnben fann nur ber dichter, nicht ber fterile geuittetonift.
^eine Sntfchulbigung giebt eS jebodj für bie technifche ©chluber^
Digitized by v^. ooQie
126
Die Gegenwart. Nr. 8.
arbeit beS #errn Ernft. Entweber bat er pd) bie ©acbe über=
mäßig leichte gemocht unb geglaubt, baß eS genüge, lieberlid) bin*
geworfene Eefprädje in Acte gu gerfebneiben, um eine tbeaterreife
beutfdje Äomöbie gu erbalten, ober aber er ift Don gerabegu pban=
tafiifcber Unfäfiigfeit, waS bie Erlernung beS einfad) $>anbwerfSmäßigen
anbelangt.f ®ie bloße Siebergabe ber ftanblung geigt biefe ©djwädje in
grellem Siebte. Xer §elb bringt auS Berlin gwei greunbe mit in'S
Elternhaus, beren Uebermenfcbentbum eS ibm fo angetban bat, baß er
bölltg in ihrem ©anne fiebt. Elara, bie befannte fluge, feböne unb
tugenbbafte Sugenbgefpielin, burdjfcbaut bie beiben „Efel", über bie fid)
fretlid) ber bümmfte ©pteßer in gwei Minuten Har (ein muß. 3uerft
wollte ber Autor nun ben brauen Dr. $röger bureb Elara au$ ben flauen
beS EpniferS ©oßler retten laffen. Er nimmt Anlauf auf Anlauf, bereitet
unfagbar umftänblicb wtlbeEiferfuchtSfcenen bor, um baS TOotit) bann plöp=
lid) fallen gu laffen unb gu berfuchen, ob ber Dr. ftröger fid) nicht abmed)^
lungSbalber auSEiaenem gur Säuterung burd)ringen fönnte. Aud) b^ aber
berfagt bem Autor baS bißeben EeftaltungSfraft, unb nun muß aflerrobefte
Xbeaterei, ein SWefferftidj, ben ber ©ruber wäbrenb einer ©ierreife mit ben
Uebermenfdjen empftna, berbalten, um bie Sanblung betbeigufübren.
Xerfelbe fd)mäblid)e XileltantiSmuS, biefelbe ErfinbungSarmutb berräth fid)
in ber Ebarafteriftif. Qebe, aber aud) jebe gigur ift grob bezeichnet,
©ie riechen fämmtUd) nad) Sampenöl unb gerfauen wie ©lunber, fobalb
man fie auf ihre SebenSmöglichfeit prüft, Eoßler, ber offenbar als
äußerlich ftreng correcter §err gebaebt ift, benimmt ficb bennodj, fobalb
bie plumpe ©atire ©djntibt'S eS berlangt, wfe ein ßnote, unb in bem
Dr. ÄrÖger, ber fid) bon feinem nerböS macbenben Eeroäfd) blenben
läßt, alfo augenfcbeinlicb ein ausgepichter ©djafsfopf ift, follen mir ben
raaenben Entbeder beS ©cbarlacbbacitlS berebren. ES ift eine ©init~
lojtgfeit uni) ©ebanfenarmutb, ein Mangel an garbe unb ©lut in bem
©tüd, baS gugleicb bleiern langweilt unb anwibert. An feinem befferen
©iertifebe ließe man fid) biefe mit grinfenber ©elbflgefäftigfeit bor=
getragenen EonimiSmipe gefallen, biefer geiftlofe UeberlegenbeitSbünfel
eines triften ©pötterS. Eine fo betrübenbe, gottberlafffne ®i£ettanterei
ift unS feit 3ab«n nicht mehr gugemutbet worben. Eingelnen £>err=
febaften, bie*wäbrenb ber Aufführung trop beS ErnfteS ber ©ituation
ein frampfbaftcS Sachen nid)t unterbrftden fonnten, ift hoffentlich nad)'
per baS alte ©priebwort eingefallen.
X)te ©atire beS ©ariferS ©rteuf — wie anberS wirft bieS 3 ei djen auf
mich ein! Sit unbarmbergigem, grimmigem, bie Xiefe burd)leud)tenbem
©pott geißelt ber in ben gußftapfen Xonnap’S baberfebreitenbe (Gallier bie
©erlogenbeit ber frangöfifeben ©ourgeoifie, bie ihre Töchter unb ©öbne um
beS Mammons Sillen berfuppelt unb berfcbacbert unb nachher ben betro=
gelten ©etriiger mimen muß. $ein Sicbtfirafjl fällt in baS bunfle (betriebe,
baS ©rteuf barfteflt, ©ebufte unb ©cbelme finb fte Arie unb fie Alle ber=
pfufdjen fid) ihr Xafein, erwürgen mit mörberifd)er £>anb ihr SebenSglüd.
X)er ©ater, ber feinem ftinbe einen reichen Dummrian gu fifdjen hofft, bie
Butter, bie ihrem ©eitgel baS ©olbfifcblein gutreiben will unb bann
erfenneu muß, baß fie gepreßt worben ift, wäbrenb fie gu prellen ge=
baebte! X)ie junge Ehe, bie nad) wenigen Soeben auSeinanber flajft,
in ber bie (hatten ficb tnit ©djirnpf unb ©d)macb überhäufen unb ge=
fliffentlid) jeben SReft bon gegenteiliger Achtung au$ ben ftergen reißen!
®ie berlorene Xod)ter, bie in ©ariS ohne Arbeit reich würbe, unb bie
eingefebrumpfte alte Jungfer, bie ihr ©liicf im ©etftubl finbet, bcimltd)
aber bod) einem gewiffenlofen Sumpen ihre paar ererbten ©rofeben gu=
ftedt! ©rieuf berfdjmäbt eS, im Dialog wipig gu fein, aber bie ©itua=
Honen feines 2)ramaS umleuebtet pboSphorifd) ein fdjauerlicber, wilber
^>umor. $>te 3ßad)e ift gwar nicht fo raffinirt wie fonft bei ben ©arifern,
aber feine ©ecunbe lang berliert man baS gefpannte Qntereffe an biefen
fd)redlid)en, quälenben QuftanbSfcbitberungen. 3)em ©ublicum beS Seffing^
$b eatei tö aQerbingS, baS an T S Seiße ©ößl gewöhnt ift unb an baS ent=
fpreebenbe ©ewieber, mißfiel bie bebeutfame, toeitn aud) gar gu finfter unb
gu wenig fpielerifdje ©efellfcbaftSfattre burcbauS.
Offene Briefe unb JUttmorten.
ebunrb o. unb bie „JimeS“.
beehrter ©err!
$te „XimeS" beröffentlicht foeben einen Seitartifel über bie Artifel
bon (Sbuarb b. $artmann in 9fr. 52 unb 1 ber „©egenwart", worin
berfelbe feine Anficbten über bie (£ntwitfelung beS ©erbältniffeS gwifchen
Xeutfdjlanb unb ^ollanb barlegt unb einen näheren Anfd)luß bon
^)oßanb an baS Xeutfcbe 9leicb in gonpoüttfdjer unb militärifcber ©e=
giebung für bortheilhaft im Qntereffe beiber Sänber hält. $oßanb ift
eines ber natürlichen AuSgangStbore für ben beutfdjen ^anbel, wäbrenb
Xeutjcblanb umgefebrt fein natürliches £tnterlanb unb Abfapgebiet ift.
3n biefer Xbutfache liegt für @buarb b. ^artmann bie ©egrünbung für
einen ^ollbunb gwifchen beiben Sänbevn. @S wirb auch bom intcr^
nationalen ©tanbtpunftc auS nicht geleugnet werben föunen, baß biefe
£>artmann'fd)e Auffaffung ben realen Xbatfadjen burcbauS entfpriebt 3^
ber Xbat ^at er bollftänbig redht, wenn er meint, baß Xeutfcblanb ben
hollänbifcben .fpanbel bureb einen 3°llfrieg, wie bie ©erbältniffc jept
liegen, jeben Augenblid ruiniren fönnte, wäbrenb umgefebrt fwllanö
unfern rheinifeben (%portbanbel burep feine ©Öfen in ber £>anb hat.
Xa biefe bblfSmirtbfcb&ftlid)e Xhatfadje fo außerorbentltd) einfach unb
plaufibel ift, fo ift bie .fpefttgfeit nicht recht gu berfteben, mit welch«
bie „XimeS" gegen eine Derartige AuSlaffung eines b er & orrQ 9 c ubcn
beutjeben belehrten polemifirt. ©cbeinbar ift bie „XimeS" auch nicht fo
febr bureb bie feartmann'fcben Auffäpe felbft, als burd) ihren Siebet;
abbrud in ber 9?orbbeutfcben Allgemeinen 3 e * tun 9 erregt. Senn fie
bie Srage aufwirft, ob ©buarb b. §artmann biclleicht gu ben offieiöfen
3eitungSfcbreibern wie S. ©ufeb gu gäblen fei, fo war id) bereits in ber
Sage, in SHeuter’S „ginang=(5bronif" gu betonen, baß @b. b. ^artmann
ein boüfommen unabhängiger Xenfer ift, unb waS er auSfpricbt, fei
waS er felbft benft, nicht waS ihm bon Anberen infptrirt werbe. Aud
ber Abbrud in ber „9?orbbeutfcben Allgemeinen 3*üuitg" brauche h^r
in Gntglaitb nicht gu beunruhigen, ©ermutblid) betrachte man bon
.’jpartmann'S Ausführungen in biefer Dichtung wohl nur als eine
iptereffante 3utbot gu ben Argumenten für bie ©erntebrung ber beutfdicn
giotte, mtb ficberlid) ftebe cS außer 3 lü eifel, baß in ber Silhclnt
©traße in ©erlin feine ©läne gegen bie Unabbangigfeit beS fleinen
befreunbeten 9fad)barftaateS gefebmiebet werben.
3fcb fürdjte freilich, baß bie beutfeben ©pmpatbieen für bie ©urm
hier in ©nglanb mit einer ftarfen antibeutfeben ©ewegung werben bf»
antwortet werben, unb baß auf biefe Seife bie griiebte ber politißben
Annäherung gwifchen beiben Säubern für bie ©egiebungen gwifchen Soll
unb ©olf wieber berloren geben werben. @‘S fcheint mir, baß ber füt^
afrifanifebe frieg bureb baS ©orgeben beS Sorb Roberts nunmehr in
ber Xbat eine entfdieibenbe Senbung erhalten bot, unb ber gettpuoft,
wo er fein önbe erreichen wirb, tritt in berechenbare gerne. (SS wäre
gu beflögen, im Sntereffe fo bieler £>anbeISbertnüpfungen, welche gwifcöcn
Xeutfcblanb unb ©nglanb befielen, wenn eine tiefgebenbe ©erftimmung
gwifchen ben beiben ©ölfern baS ©eblußergebniß biefeS jübafrifanifeben
Krieges werben füllte, ©o weit ich weiß, bot bie „XimeS" feit Sängern
biefen felben ©tanbpunft für bie beuifcb-englifcben ©egiebungen bertreten.
3<b glaube faum, baß btefem 3'de wefentlicb gebient wirb bureb eine
berartige (Srregung, wie fie bie „XirneS" in ihrem Seitartifel gegen bie
AuSlaffung eines pvibaten beutfeben (gelehrten, wie (Sbuarb b. ^>artmann,
geigt. XaS ofßcieüe Xeutfcblaitb bot ^nglanb freie £mnb in ©übafrifa
gelaffen, unb (Snglanb banft baS Ausbleiben großer europäifcher (£om=
plicationen im ©urenfriege fid)erlicb in erfter Sinie biefer wohlwollcnben
©olitif XeutfcblanbS. @S wirb aber bie öffentliche Meinung (SnglanbS
ficberlicb boeb Xeutfcben nicht berargen bürfeit, wenn fie ibrerfeitS
Erwägungen über bie Erunblagen ihres eigenen bolfSwirtbfcbaftlid)« 1
©ÜftemS auf bem Kontinent anftetten. 3d) glaube nicht, baß bie gu=
funft XeutfcblanbS auSfd)ließlicb über ©ee liegt, ja nicht einmal, baß
fie in erfter Sinie bort liegt. Unfere wefentlichften 3 nt ereffen liegen
immer noch unb werben für baS gange gwangigfle Sabrbunhert ÖDl;
pebntlich auf bem Kontinent bon Europa liegen. Senn X)eutfd)lanb
Englanb in ber ©efolgung feiner überfeeifeben ©läne nlrgenbS in ben
Seg tritt, fonbem rüdenbedenb gur ©eite ftebt, fo tarn Xeutfdjfanb
in gleicher Seife bon Englanb erwarten, in ber Entwidelung feiner
contiuentalen I^ntcreffen unbehelligt gu bleiben, folange eS nicht bagu
übergebt, an internationalen 9fecbten unb ©ertrügen gu rütteln.
§odjadjtuitgSboIl
Soitbon, 16. gebruar 1900. Dr. Carl peters.
■»- - *
Digitized by (^.ooQle
Nr. 8.
Die (Begcnroart
127
$to%n.
9Wufif*2ejif on. SSon ^ugo Niemauit. (ßeip^ig, Wa£ ^effe'S
Berlag.) $)a$ ausgezeichnete Sßerl, baS 1882 $um erften Wal erfcpien
unb nun fcpon in 5. Auflage borliegt, ift ju einem wapren BrobartiFel
beS beutfcpen BucppanbelS geworben. Unb mit Necpt, benn Berfaffer
unb Berleger loffen eS ftch angelegen fein, bei jeber neuen Auflage
immer neue Berbefferungen anzubringen. 3 U b*tn etwas größeren
gortnat, bem guten holzfreien Rapier, bem fcparfen, niept fleinen
3)rucf unb bem auf über 1200 ©eiten angemacpfenen Seft treten bie
inneren Borzüge einer forgfältigen Nebaction, gortfüprung ber Zünftler-
biograjrtjien bis in bie jüngfte ©egenwart, Bereicherung mit tpeoretifcpen
Arttfeln auf ber #öfje ber gütigen mufifwiffenfcpaftlichen ©rfenntniß :c.
Wan fann ja barüber ftretten, ob ber Berfaffer ftd) in einem foldjen
rein informirenben Nacpfcplagebucp nicht beffer aller KritiF enthielte,
aber mir Riehen hoch einem folgen farblofen Namen- unb ©achregifter
biefe djaratter* aber babei hoch .maßvolle Barteinahme vor. ©in fo
ausgezeichneter WuftfFenner tote Ntemann hat ein Necpt, feinen perfön=
liehen ©tanbpunft in ftrittigen gragen $u betonen unb gehört zu werben.
SBer mit bem ©tanbpunft beS BetfafferS nicht etnverftanben ift, Fann
biefe wenigen polemifcpen ©teilen ja überfragen, benn fie änbern nichts
an bem objectipen unb wiffenfcpaftlicben ASertp beS BucpeS, in bem eine
gemiffenhafte Niefenarbeit fteeft. Kein SBunber, baß auch bie englifche
unb frangöfifche Ausgabe einen groben ©rfolg hatte. 9Bie baS viel^
feitige, zunerläffige unb praftifepe Buch fich fcpon in bert ©änben aller
beutfcpen Wuftfer unb Wufiffreunbe befmbet, fo wirb eS balb auch ber
internationalen Wufifwelt unentbehrlich fein. Sie gebunbene Ausgabe
Zeichnet fich burep foltben ©efepmaef auS.
Aegpptifcpe ©tubien unb BerwanbteS non ©eorg ©berS. Qu
feinem AnbenFen gefammelt. (Stuttgart, Seutfche BerlagSanftaft.) 3m
Aufträge ber gamilie ©berS hat beffen greunb unb Nachfolger auf bem
Seidiger Seprftuple ber Aegpptologie, ©eorg Steittborff, bie Aufgabe
übernommen, auS ber großen 3apl mannigfaltiger, tpeilS längerer, tpeilS
fürzerer Abpanblungen bie bemerFenSwertheften auSzuwäplen. ©berS hat
bie fepöne ©abe befeffen, bie ©tubien, bie er felbft am ArbeitSttfcpe, in
ber Bibltotpef ober in Nuhtenftätten gemacht, ober bie ©rgebniffe, welcpe
bie wiffenfcpaftlicpe SpätigFeit ber gachgenoffen gezeitigt, in grünblidjer,
aber auch Flarer unb anmuthiger gorm einem weiteren Greife ber ©e=
bilbeten vorzufüpren. 3mmer fanb er babei ben A3eg, feine gorfd)tingen
auS ben engen ©renzen ber ©pectalwiffenfdjaft. hinaus mit anberen ©e=
bieten ber AltertpumSFunbe unb ber allgemeinen ©ulturgefcpidjte in S8er=
binbung zu fefcen. Sie veröffentlichten Aujfäpe befchäftigen fiep mit mich-
tigen ägpptifcpen gunben nnb Ausgrabungen, mit gragen ber ägpptifcpen
ober ber allgemeinen ©ulturgefchichte, mit SBerlen ber altägpptifcpen 2ite-
ratur ober mit ©cpilberungen aus bem neuen Aegppten, beffen ©ntwide^
lung er mit befonberem ©ifer unb größter Shetlnapme verfolgte; bapin=
gefchiebenen gachgenoffen, fotoie bem Anbenten an ben ©pebiw 3§mail
ift eine SReihe Biographien getoibntet. ©o werben biefe Sölätter neben
feinen reinwiffenfchaftlichen SBerfen unb neben feinen poetifepen Scpilbes
rungen gewiß bazu beitragen, fein Btlb zu ergänzen unb noep inter-
ejfanter zu machen.
SebenSerinnerungen von AgiteS SBallner, perauSgegeben
Don hon 8 351 um. (Berlin, Otto ©ISner.) Sie SBittroe beS Speaters
birectorS 2eibe8borf*3SallneT beginnt ihre Aufzeichnungen mit ber 3eit
ihter Kinbpeit in 2elpzig, i^rcr ©rziehung im häufe Nobert BlumS, unb
enbet fie mit bem Sobe ihreS ©atten 1876. SaS BMnertpeater hat
ftch einft unter bem gemeinfamen ©treben beS Sßariner’fcpen ©hebaareS
einen Nuf weit über bie ©renzen feiner SSaterftabt hinaus gefchaffen,
unb war e$ granz SBaHner, ber, einem 8 u ge ber 3«it folgenb, bie
berliner ^offe mit glüdtlichftem ©rfolge cultivirte, fo war eS AgneS
SBaüner Vorbehalten, bem franzöftfehen ©onverfationS- unb ©ittenfiücte
bie erfte Unterfunft in 5)eutfchlanb zu fchaffen. AgneS Sßallner war bie
Schöpferin ber „©ameüenbame", mit welcher fie bie glänzenbften Jriuntbhe
errang unb ihrem Namen für alle 3*iten einen feften ^lafc in ber
Xheatergefchichte fieberte, ©in breiten Naum neben ben ©rinneruitgen
ber bebeutenben J^ünftlerin beanfbruchen bie ©chilberungen beS SebenS
ber Hausfrau unb Wutter. Auch materielle ©orgen aller Art quälten
baS ©hebaar, Sutriguen unb Kabalen fbielten auch h ier t°i c tu jebem
ßüuftlerlebeit eine gro^e Nolle, gehlen bem 33uche auch bie großen
culturhiftorifchen Womente, fo ift eS hoch reich an ©chilberungen beS
bamaligen XheaterlebenS, an bebeutenben Begegnungen. Wit Antheil
Iafen wir bie ©chilberungen auS bem Nobert Blum’fchen .&aufe unb beS
SSallner'fchen ©alonS in ber Bfumenftraße, wo bie Wühlbach, gürft
Bücfler, bie Sewalb u. A. ein= unb auSgingen, befonberS aber baS auch
hiftorifdj nicht unbebeulfame ©abitel über granz SöaHner'S Berwicfe=
lung in ben ^voceß Arnim. ©twaS allzu bereit ift AgneS SBallner mit
bem Borwurf ber älatfd)= unb Nänfefucht; einmal wirb er auch gegen
©harlotte von .^agn erhoben, aber nachträglich z^tultd) ungefchidt als
„$)ritdfehler* z ur ürf 9 e uommen. §anS Blum h^ ben Nothftift int
Wanufcripte feiner greunbin noch viel auSgiebiger feines Amtes walten
laffen fönnen.
AuS beutfeher ©eele. ©in Buch BolfSlieber. - Bon Subrnig
SacobowSli. (Winbeit, 3- ® BrunS). ©ine ganz ausgezeichnete An*
thologie beS auch als golflorift bewährten SpriFerS unb NomanfdhriftfteüerS.
©eit ben Xagen ^erber'S unb Arntin=Brentano , 8 fmb an öOO Bücher er*
feßienen unb über 100 £>anbfd)riften Vorhanben, bie bie BolfSpoefte aller
Provinzen, ©tänbe, ©tämme, ©täbte ?c. gefammelt unb aufgezeichnet haben.
Aber bie A3iffcnfd)aft hat mehr Nufcen bavon gehabt, als bie Nation, wie
3acobowS!i mit Ned)t hetDorhebt. ®a war eS jept an ber 3 C H| e tne
Sammlung hevauSzugeben, bie, nach äfthetifchert ©eftchtSpunften ge=
orbnet, auS bem SSuft unb Wirrwarr beS angehäuften SieberbergeS
einen X^cil beS wirflid) SBerthvoHen unb herrlichen von Neuem bem
beutfehen Bolle barbietet. SBaS ©oetlje vom alten „SBunberhorn" ge=
münfeht hat, möge hier bei bem neuen in ©rfüüung gehen: „Bon Ned)tS=
wegen füllte biefeS Büchlein in jebem häufe, wo frifche Wenfchcn wohnen,
am genfter, unter'm Spiegel, ober wo fonft ©efang* unb Kochbücher zu
liegen pflegen, z« finben fein, um aufgefdjlagen zu werben in jebem
Augenblide ber Stimmung ober Unftimmung, wo man benn immer
etwas ©leid)tönenbeS ober AnregenbeS fänbe, wenn man auch allenfalls
baS Blatt ein paar Wal umfdjlagen müßte."
Kaifers uitb KanzIer^Briefe. Briefwecßfel ztuifchen Kaifer
Söilhelm I. unb gürft BiSntarcf. ©efammelt unb mit gefchicptlichen ©r=
läuterungen verfehen von 3oh^- Benzler. (Seipzig, SBalther giebler.)
hier wirb zum erfien Wate ber gefammte Briefmedjfel ztnifchen bem
Kaifer unb feinem großen Kanzler Wiebergegeben. ®iefe Briefe bieten
nicht nur ein gefdjichtlicheS ghtereffe, fonberit fmb Vor Allem auch Vom
rein menfehlichen Stanbpunfte auS intereffant: als ein 3 eu gniß beS
innigen unb fchönen BerhältniffeS ztuifcheu Kaifer unb Kanzler. Noch
einmal zieht BiSntarcf'8 reiches politifcheS Seben an unS vorüber unb
fehen wir Me ©rrieptung beS ^eutfepen NeicpeS Vor unS erftepen, z u
ber Beibe, Kaifer unb Kanzler, fiep bie h&nb zunt Bunbe reichten. Unb
niept nur baS amtliche Berpältniß beleuchten biefe Briefe, fie geben be=
fonberS 3eugniß von ber treuen greunbfepaft, bie in guten unb böfen
Sagen beibe Wänner für einanber pegten: leife ftieplt ftep auch in bie
amtlichen Wittpeilungen eine perfönlicpe Note, ber Kaifer 3Silpelm I. ben
ftärfften Nacpbrucf gab, als er auf baS ©ntlaffungSgefucp beS Kanzlers
auS bem ©nbe ber 70er 3apre fein „Niemals!" feprieb. ©emeinfame
Arbeit pat Kaifer unb Kanzler zufammengefüprt, unb auS ipr erwuchs
— tro£ ber Berfcpiebenpeit ber ©paraftere — ein greunbfcpaftSbunb,
ber auf gegenfettige 38ertpfcpäfeung unb Artung aufgebaut, erft mit bem
Sobe beS alten KaiferS fein ©nbe erreichte. Noch oft pat BiSmard nach
bem heimgange SBilpelm'S I. mit SSepmutp beS geliebten hemt gebaept,
ber ipm alle 3 e ti ein gnäbtger Kaifer unb moplwollenber greunb ge=
wefen. 3®ir legen baS Bucp von bem herzensguten unb banfbaren, aber
auep cparaFterVoüen unb geiftig burcpauS bebeutenben gürften unb feinem
gewaltigen Wttarbejter niept opne Nüprung auS ber hanb.
Digitized by v^.ooQle
128
Die <S>egenwart
Nr. 8.
Bei Bestellungen berufe man Jhfj auf bte
„^egenroart".
3m Verlage bon 3ntberg u. Ceffoit in
Berlin ift erfdjtenen:
$>e* 2>ovffd)ul$e.
Komöbie in nier Elften
t>ort
ftatl »«*♦
SßreiS: elegant brofdjirt 2 2Rt.
©on bemfelben ©erfaffer fhtb erfebtenen:
BramaHfche t^umoresfen (©erlin, 3mberg
u. ßeffon), brofd). 2 Nit. 3nbalt: Nietn
Wann fc^reibt iragöbien. — 2Ber ift ber
©erräther. — ©ubltluS unb feine ©erroanbten,
^iftoricosJfomöbie.
X>er Jntenbant in taufenb nötigen.
©offe (©erltn, 3. ft. ©targarbt), brofef). 2 Nif.
(Bomorrtfa’s (Ettbe. fiitterarifebe ßomöbte
(Berlin, 3- Stargarbt), brofd). 1,50 Nif.
(Ein fetter £ag. Sitterarifcbe ©offe (Berlin,
3- '<&• ©targarM), brofdj. 2 Nif.
2inno 3n?eitaufenb. ©offe (Stuttgart, Union
5)eutfcbe ©erlagSgefeüfcbaft), brofeb. 2 Nit.
Z>er $üxft t>oit Haiatea. ©offe (Stuttgart,
Union 3)eutfd)e ©erlag&gefeflfcbaft), brofdj.
2 m.
$)te Oorftebenben Biltj'fcben £umore8fen
bilben einen toefentlicben Öortfcbritt in ber
Gmtroicflung ber beutfeben $omöbie, inbem fte
in geroanbtefter ©pradje bie olelfacben fomifeben
Nlottöe, melcbe unfre 3^it auf litterarifcbem,
focialem unb politifdjem ©ebiete barbietet,
glücflicb herwertben.
ftfab. geb. Scbrififteffer, bi§b* publicift.
(iiter. ffrltit) in Berlin fbätig, energ. geroiffeu-
bafte ftrbeitöfraft, üorj. Spra^fenntniffe (fran=
aöpjcb, engllfcb), *erf etter etenograpb,
Ülaf<f)inenf4)reif>tr (#ammonb), fudjt nnt.
ftefd). ftttfpr. in ffleDaftion, Xbeaterfefretartat,
©e?L©ud)bMfl., litcrar. 3nfttt. jc. Stellung.
Offert, an b. fefp. b. ©egenroart unt. A. 6.
— ■■ TkftrlafiMhM •
Technikum Jlmenaa I
fftr IimUim- ui Ikktr«-
l»yf Um .-TwfcBftM 1 i.-W«rk«*l»t#r.|
| Director Jtatzem.
im
§unbert Original * ©u tagten
d. greunb u. fretnb: ©jörnfon
©tattbeS ©ücfcner SrlSpi 3)a$n
Saubet ©gibb Montane ©rotlj
$aedel £arttnann $epfe 5or=
bau Stipfing fieoncaoallo Öin>
bau Sombrofo SWtfdjtfäerSK
Wigra Vorbau Oßibier fetten*
lofer ©altSburp ©ienfietnica
©imon ©pencer Spieltagen
©tanlep ©toetfer ©trlnbberg
©uttner Sötlbenbrud) ©emer
8ola u. b. 8.
©(eg. gef). 2 SRI. Dom berlag ber Gegenwart,
©erlin W. 57.
Urteil
feilet
„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitsersoheinnngsn.
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürliohem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von 8 / 4 1 75 Pf. in
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr. Carbach A Cie.
$ie ®egetttoart 1872-1892.
Um unfer Saget jn rannten, bieten mir nnfetett Abonnenten eine gfinftige
Gelegenheit jnt ©emoUftänbignng ber SoKection. So mrit bet Sorratb rettet,
liefern mir bie Jahrgänge 1872—1892 & 6 SB. (ftott 18 8W.), Halbjahr!'
88nbe k 3 SW. (ftatt 9 SW.). Gebunbene Jahrgänge k 8 SB.
©erlag ber ©egeniuart in ©erlin W, 57.
3n unferem Verlag tft erfd^ieneit:
pi£ ©fgcnnmrt.
für ettrrow. tmifl ss» H»«!lt<W 2rtn.
erurrai-Prsiflrr 1872 —1896.
(Shrftrr &i5 fünfetgfter ©and.
mt Nachträgen 1897-99. ©eb- 5 Jt
(Sin bibltograpbififteS 3Bcrf erften
Nange« über ba§ gefammte öffentliche,
aeiftige unb fünftlerifcbe Seben ber lebten
25 3öb«- Nothtoenbige^ Nacbfcblagebud)
für bie 2efer ber „©egenroart", fomie
für mlffenfcbaftliibc k. ftrbeiten. Ueber
10,000 ftrtifel, nach Sfäcbem, ©erfaffem,
Scblagtoörtern georbnet. 3)ie ftutoren
pfeitbcnt^ircr nnb ammpmrr ftrtrW fhtb
burebroeg genannt. Unentbehrlich für
jebe Sibtiotbef.
ftueb bireft gegen ^ßoftamoeifung ober
Nachnahme öom
©erlag ber <®egetttoart.
»erlitt W 57.
ftttnatdis Hidifelgn.
Vornan
oon
^eop^iC
SW UolSanfgabe. ’WC
$rei8 3 Ntort. Schön gebunben 4 5Narf.
tiefer 33iSmarcf=Gaprioi = Noman, ber in
wenigen S^b^n fünf ftarte ftuflagen erlebt,
erfebetnt hier in einer um bie Hälfte billigeren
$olf£au8gabe.
2)urd) alle 53ud)hQwblungen ober gegen (Sin*
fenbung beS ©etragS poftfreie 3 u fenbung tiom
Utrlag der Gegenwart,
»erlitt W. 57.
Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift¬
stellers sind zu Gunsten der Hinterbliebenen
folg. Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden-
E reises in schönen, geb. Ex. zu verkaufen:
rockhaue 1 Conversationslexikon. Neueste
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬
gabe 30 M. — Hch. Kurz: Geschichte der
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. t.
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Büd-
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder-
bde. 50 M. — Lacroix, Les arts au Moyen-
Age; Directoire Gonsul at Empire, 2 Lieb-
hbde. 30 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde.
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl
Text m. deutsch. Erklärungen v. Deiius,
Hfb. 2 Bde. 15 M. — lllustr. Haushibel
(Pfeilstücker) Lwbd. 10 M. — Bestellungen
pr. Nachnahme durch Vermittlung de
Expedition der „Gegenwart“ in
Berlin W- 57.
Pas J5eid)tten ttad)
nnb
anbere ^uitflfragen.
Originale Gutachten hon 2lh. Htettjcl, Kein-
(tolh ^öeftin, Ä. r. tPcrttcr,
hinaus, Ul^he, Stucf, Sc^iUing,
Shaper, (E. v. (Beh^arht, $txb. Kcßcr,
tlcfr egget, (Bahrtet Blag, tZftoma,
Ciehermamt, tDUtj. $it$ex, (Braf
^arrad?, 2lTa£ ürufe, KniUe, Ceffer*
Ury, QoepUx, pedtt, ^Kue^t, Ced^tet,
3ü$et, parla^hh ntadenfen, Sfarhitta,
Ceiftifair, Baulfe, ptinfe, Sta^L
'greis biefer brei ^flnflfer - ^tnrnmerii bet
„^egennÄrt« 1 3*. 50 gf.
ftueb birect bon un$ gu beziehen nach ©rief*
marf en s ©infenbung.
Verlag ber (Begentrart, Berlin W. 57.
Bestellungen auf die
€inbanbbccfc
zum 56. Bande der „Gegenwart“, sowie
zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwei Bände
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und vergoldeter
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden in allen
Buchhandlungen entgegengenommen.
©terju eine Beilage bon <S. spierfott’O ©erlag, $rcSbcn. _
®erantttortlt$er Rebacteuc: Dr. X^eap^tl ßoHtng lit ©erltit. »Jfbaction unb ©jpfbttton: ©etltn W., SRanftetnfüatc 7. ©ruct Don $effe A ©trfer ta Sctfttfi'
Digitized by v^.oooie
M 9.
■gSetrCut, ben 8. 1900.
29. Jahrgang.
Band 57.
Pe
SßMhenfdjrift für Siteratur, Kunft unb öffentliche# geben.
* >
r
t
<
fT
'€?•
^etausgegeßen hon ^heopfjtr $otflng.
Itbra fuuuibmi tifdjrint rtne Jammer.
Hu bfitefcn kun$ alle ©u^^anblunflftt unb ©oftämtci.
SSerlag b«r ©egeimart in ©erltn W, 57.
»tfrWMrlUtj 4 «L 50 yf. dir inner 50 »f.
Snferatr lebet Ätt pro 5 gehaltene $ettt*etle 80 ©f.
X)ie neue 2Baarenfoui$fteuet\ $on Otto Srci^errn Don 93oenigt (§dberftabt). — $3o8nien unter öfter re tc^tf d)er SSermdtung.
92ad) eigenen ©inbrüdeit. Son ftr. ©untram ©djultfyeife. — Literatur uitD Äunft. 3 ur ©efd)ld)te ber djriftüdjen Religion.
Ct C ri ® on ®^ uör ^ öün Hartmann. — ^ucrint unb feine neue Oper „XoSca". $>on (Stnü 9Rauerl)of (fRont). — Reform ber
MDdLl * ©Übljaueret. ©on ©mil Don ©tjboto. — Feuilleton. X>er SRebner. ©on Anton Xfdjedjoro. — lud btx &öuj)tftabt.
eine gi 0 jtenbebatte. ©rudjflürf einer 9teid}8tag3fi&m i ß* ©on Miles non gloriosus. — Xrantattfdj* Aufführungen. —
Offene ©riefe unb Antworten: ©eorg JBüdjner unb feine ©rüber, ©on Alej Südjner, Professeur honoraire de l’Universite
de Caen.-— Anzeigen.
Die neue ttiaarenhausfleufr.
Son ©tto Jreilfetrn pon Boenigf (§alberftai>t).
®et (Entwurf eine# preußifdjen ©efeße#, betreffeub bic
2 Baarenhau#fteuer, ift am 8 . Februar bem ?lbgeorbnetenhaufe
pgegangen unb nad) ber erften Sefung foeben an eine
ßommiffion uerwiefeit worben, tiefer Sntwurf, ber aller»
bing# in Dielen fünften ein weit menfcßlidjerc# Steußere auf»
toeift, al# bie ®?ißgebnrt Dom oorigen 3ah t '<', ift bod) eigent»
l«b ber intereffantefte Sntwurf feit Sauren: benn jum erften
Stole fdfeint bet Kampf be# Kleinbetriebe# gegen bie Uebet»
rnacfjt be# ©roßbetriebe# ju greifbaren fRefultaten führen ju
foüen unb ju einer gemiffeit ©anctionirung «on ©eiten bet
preußifd)en ^Regierung. greilid) wirb bicfeS (ebenSrettenbe
SßülDercßen in allerennb fdjöne grunbfäßlidje (Erwägungen
wrfapfelt, — man fühlt bie Tragweite be# ©d)ritte#, ben
man ju unternehmen im SBegriff, (ehr woht unb gefteht ihn
l'ich feloft mit ängftlidjer ©d)eu nicht ein, — aber ba# hilft
Mc# nicht#; bie S£h at fache liegt not: ber ©roßbetrieb fall
ju ©unften be# Kleinbetriebe# befteuert werben!
©eht wichtig hierbei ift bie auffaUenbe c Eh flt f ac h e > baß
fottoljl bie SMerhöchfte (Ermächtigung jur (Einbringung be#
Snttourf#, al# and) bie 3 u f ert ' 9 ung an ben Sanbtag, al#
auch fd)ließlid) bie SBegtaubigung nur non ©eiten be# fjiitanj»
minifter# unb be# Snnerenminifter# gezeichnet ift, nidht aud)
non ©eiten be# 4 ?anbel#minifterS. bic# nicht gefchehcn
ift, öerbient beachtet ju werben — e# djarafterifirt ben 3 tncrf
ber Vorlage jur ©enüge; Wir fommett weiter unten barauf
Zurüct.
' ®er Inhalt be# (Entwurf# läßt fich furz, tnie folgt, z» s
fammenfaffen: Sr bringt feine Qtefteuerung fämmtlidjer ©rofe»
betriebe im Kleinhattbel, fonbern nur berjenigen, Welche ouf
bem „®emifchtwaarenfh(tem" beruhen, b. h-, welche SBaaren
flönj nerfchiebener Dfatur*) feilhalten, ©o bleiben 3 . SB. bie
SonfectwnSfirmcn $erhog, ©erfon fteuerfrei, währenb bie
5Sertheim, Slie^, ba fie bie nerfchiebenartigften ®inge feil»
bieten, ber ©teuer unterliegen Würben. SDie ©teuer ift eine
tfine „Umfaffteuer", wobei unter „Umfah" ber gefammte,
für bie neräußerten SEBaaren erhielte 3ahre#crlö# angefehen
*) S)*t Steuer foflen biejenigen Setriebe unterliegen, tn welchen
«aoten au8 roentgftenS jroet ber folgenben ©nippen oerfaiijt werben:
A. Qolontalioaaren unb Strogen. B. Jeptiliuaaren. C. 'Diöbel unb
y<wigtt8tl)e. D. SujuS» unb ©portwaaren, Siidier ?t. Qm Entwurf
|mt> bieje @tuppen naturgemäß genauer fpecialifirt.
Werben foD. ©3 werben aber nur biejenigen SBetriebe non
ihr erfaßt, weldhe einen llmfah non wenigften# 500 000 2)?f.
ini 3 ah re aufweifen. ®ie ^töhe ber ©teuer beträgt je nach
ber §öhe be# Umfafce# l*/ s — 2°/ 0 beffelben, jeboch niemal#
mehr al# 20°/ 0 -be# Srtrage#. ©ie wirb nur infoweit er»
hoben, al# fie bie erhobene ©ewerbefteuer iiberfteigt. SDer
©teuerertrag fällt ben ©emeinben ju unb fotl jur gteid)»
mäßigen fterabfe^ung ber ©ewerbefteuer in III. unb IV. (Eiaffe,
atfo ber mittleren unb Meinen betriebe, fowie in jweiter
ßinie jur SBeftreitung non ©emeinbebebtirfniffen benupt
Werben. — ®ie non ber ©ewerbefteuer befreiten Streife, ein»
getragenen (Sjpnoffenfchaften unb (Eorporationen werben and)
non ber SEBaarenf)au#fteuer nicht berührt.
®ie Sinfiihrung ber neuen ©teuer wirb in boppeltcr
95Beife begrünbet unb jwor einerfeit# focialpolitifd) burd) bic
SBcbrängitng be# Kleinhanbet# ©eiten# ber ©rofebetriebe, unb
anbererfeit# finanjpolitifd) burdh bie SWothwenbigfeit, ben
©taat nnb bie ©emeinben für bie ©teuerau#fällc ju cm»
fchäbigeit, welche burd) bie SE?aarenf)änfer birect unb inbirect
hernorgcbracht würben. ®ie Sapitalfraft unb bie ©röfee be#
Umfa^e# ber ©rofebetriebe erntöglidje billigeren Sinfauf,
größere Säger, reichere 91u#wahl, rafd>eren Umfah- ®aju
nermöd)(en bie Sßaarenf)äufer ba# Sßrincip ber SBaarjahlung
Durdjjufiihrcn, alfo 3’ n ^ ä uitb Sapitatnerlufte an ?lußen»
flänbett ju nermeiben, fönnten fid) mit einem geringeren
SRußen begnügen unb ihre ftäufer auch in höh cre " ©tagen
au#niihcn. ©eien biefe Sßortljeile bem ©roßbetrieb überall
eigen, fo fteigerten fie fich uod) bei ben ©cinifcht»SEBaaren»
häufern be# SDetailhanbel#, unb beßhalb fei eine f)öh erc
Seiftung#fähigfeit Oorhanben unb ber ©runb ju ftärferer
©teuerbelaftung gegeben. SBei Heineren ©efchäften gebe e#
oft gewiffe SRäume, weldjc fid) fcßletht für bie gerabe in SBe»
tracht fommenbeSEBaarcngruppe eigneten, währenb ba# SEBaaren»
hau# für alle Siäume wegen ber SRerfchiebenheit ber jum
SRcrfauf geftellten SEBaaren entfpre^enbe SBcrwenbitttg habe,
©ei in einet Sßaarengattung ber Sapitalumfah ju langfam,
fo gelinge er um fo beffer in einer anbern u. f. w. ®a#
©einifcht»SBaaren»@hftem fei bem ?lbfaß eben fehr bienlicf).
SBcuit man annehme, baß ein Kleinhänbter bei einem Sahre#»
umfaß non 80,000 ÜJ?f. fein SBrob finbe, fo oermöge ein
einjige# SESaarenhau# 3 ÜJEiHionen SD?f. Umfaß h un ^ ert f°f<h e
Kleinbetriebe ju ocrnichten, währenb e# eine weitere 2tnjahl jur
SBerfümmerung oerurtheile. ©0 werbe bie ©teuerlraft ber
SlWittel unb Kleinbetriebe ftarf beeinträchtigt, ohne baß bic
Digitized by v^. ooQie
W 1 " 1
130
Ute ©egenroart.
Nr. 9.
SBaarenßäufcr Grfoß (töten, bei ißr Grtrog nid>t im Serßnlt»
niß p ißrem Umfaß fteße unb fie borf) on bie Seranftalt*»
migen ber ©emcinbe große 9(nfprtiße ftelltcn.
Tiefe beiben als Porliegenb anperfennenben dRißoerßält»
niffe befeitigen, int Sntereffe ber allgemeinen ©ereßtigfeit
unb Sidigfeit einen entfpreßenben 9luögleiß ju fßaffen, fei
ber 3 we< i beS ©efeßeS. TieS ßcibc baßer feineSmegS eine
„GrbroffelungSfteuer" im üluge, tttaö übrigen^ ber 3‘tftänbig»
feit ein*e(ftaatlißer ®efeßcie6ung nißt unterliege, unb bem
berechtigten Sntereffe ber Gonfnmenten, möglißft billig ißre
Scbürfniffe *u befriebigen, miberfpreßen mürbe. Sine ratio«
neHe Steuerpolitik ßabe lebiglicf) bie Aufgabe, ade Setriebe
im Serßäftniß ißret SeiftungSfäßigfeit unb ißreS SntercffcS
an ben Seranftaftungen ber ©emeinben p belüften.
©o meit ber Gntmurf unb feine Seqriinbung. TaS neue
©efeß ßat hiernach auSgefproßcnermaßen nicht ben ßmeef,
ben Tetaidiften gegenüber ber Goncurreit* beS ÜBaarenßaufeS
p fßüßen. ©3 ßat nur bie OluSglcidjung in fteuerlidjer
£inficßt im ?fuge, ba baS UBaarenßauS erßößte Sortßcile ge»
nießt, alfo auß erßößte Selaftuitg tragen fann. Taß bie
fterbeifüßrung biefer 9(nSglcißung inbirect bie Soncurren*»
fäßigfeit ber SBaarcnßäufer p ©unften beS Kleinbetriebes p
fßmäßen geeignet ift, ift eigentlich ctmaS meßr 3»fädigeS,
jebenfads nicht in ber ?lbfißt ber (Regierung (iegenbeS. San
biefer Ißatfacße, bie für beri Snßaber e i ne § Mittel» ober
Kleinbetriebes aderbingS fd)mer*lidj fein mag, muß man auS»
geßen, um p einer richtigen SBürbigung beS GntmurfeS p
gelangen. Taß fie nnbeftreitbar feftfießt, bemeift adeiit fd)ou
baS oben angebeutete geßlen ber Unterfßrift beS föattbels»
minifterS. Tiefes fteßlen fod beutlicß bocumentiren, baß mir
eS ßier mit einer ?(ngelcgenßeit p tßun ßaben, mit me(d)er
ber (panbel nichts p tßun ßat. @o ift eS erflärlid), baß
bicfeS ®efeß nid)t ben £>anbelSfammern pr Segittaßtung
Porgelegt mürbe, mie ber üorjäßrige Gntmurf. Tie folgenben
9lnfüßrungen mögen ermeifen, mie ungerechtfertigt eine folße
fcaftung ift: eine befferc (Begutachtung ßätte bie Ulnffteduug
oon Seßauptuugen nach 9lrt ber in folgenben feilen mieber»
gegebenen unmöglid) gemadjt. Tic £)anbelSfammern mürben
jebenfads, mentt fie befragt morben mären, ben Serfaffer beS
neuen GntmurfS eines Sefferen beleßrt ßaben.
Steifer mirb man bie Grflätung ber (Regierung p be=
adjten ßaben, baß bie ©teuer feineSmegS ben ©roßbetrieb
als folcßen treffen fode, fonbern nur ben ®roßbetrieb im
„®emifßt»(E3aaren»@pftem", meit nur biefeS unOerßältniß*
mäßige Sortßeile mit fid) bringe unb nur gegen bieS bie
Agitation ber Kleinbetriebe fich richte. SBir beftreiten bieS.
Unb mie mir feßon gegenüber bem Porigen Gntmurf betonten,
baß bie Serfcßiebenartigfeit ber in einem SEBaarcnßaufe ge»
ftißrten SBaaren ein Kriterium für bie ©teuerpfließt nicht
bilben bürfe, fo müffen mir audj jeßt barauf ßinmeifen, baß
ber ©roßbetrieb im Tetailßanbel ben Kleinbetrieb, fcßäbigt,
gleicßgiltig, ob er Perfcßiebenartige SBaaren feilßält ober nur
eine 9lrt. SBir roiffen auS bem Sc*irf ber JpanbelSfammer
p ^alberftabt, baß bortige SRanufacturiften ebenfo über bie
Goncurten* Pon £>erßog flogen, als übet bie Pon Sßertßeim.
SBir glauben ferner nießt, baß bie Sortßeile, melcße ein
SBaarenßauS mit bem ©emifßt»2Baaren«©ßftem genießt, fid)
pon benen mefentlicß unterfdjeiben, melcßer fieß ein großes
Special»£>anS erfreut. Tie Unterfcßiebe finb für beibe fo
gering, baß fie irreleoant finb: benn ber (pauptoortßeil beS
©emifßt»28aaren»@ßftemS, ber 9luSgfeiß jmifdjen ben Gr»
trägen unb Sertuften ber Perfcßiebenen SSaarenforten, trifft
für jebcS @pccial=tpauS gleichfalls in gemiffern Umfange ju.
©o merben *. ®. bie ÜRcßreinnaßmen in ©eibe bei ^)erßog
beit SluSfad in ©ammet beefen müffen, bie Sßerlufte in bunten
Stoffen bie ®eminne in feßmarjen auSgleicßen tc. GS liegt
alfo fein ®runb Por, bie ©teuer auf ®emifcßt»3Baaren»©etriebe
p befdjränfen, man mirb fie entmeber aden ®roßbetrieben
int Tetailßanbel, ober gar feinen anferlcgen müffen.
TaS ift eS aber gerabe, maS bie (Regierung perßonelcin.
„Giue berartige SluSbcßnung ber Umfaßfteuer," foßeißtesin
ber Segriinbung, „mürbe (ebiglicß in ber ®röße beS Setnete
ißre Segriinbung fueßen fönnen. SBäre aber einmal bie ©roßt
beS (Betriebes als ßiitreidjenber ®runb für eine ©onber
befteuerung anerfannt, fo mürbe eS auf bie Tauet nießt mög
ließ fein, hiermit bei ben KleinßanbctS»93etrieben fpalt ju macbcri
GS mürbe an ftißßaltigen ®rünben feßlen, maS man ben
fleineren ^)anbe(Streibe«ben gemäßrt ßätte, ben fleineren 5n>
buftrieden, ^anbmerferit, ©anfierS, feßließließ andß ben deinen
Sanbmirtßen p oerfageit. Tie 3°ftl e ^^re ba§ Serlanp
nad) gleichen 9Raßnaßmen gegen bie ®roßinbuftrie, bie großen
Saufen unb ben großen ®runbbcfiß." TaS ift feßr ridjtig
— aber, fo fragt man fid) oergebenS, mo bleibt ßier bie preufjiidK
Gonfequen*? SBaS bem Ginen red)t ift, ift bem Slnbera
billig, ©roßbetrieb ift ©roßbetrieb: eS feßeint, als ßätte
mau mit Pieter ÜRiiße naß einem ©eßleier gefußt, ben man
bem bebenfließen erften Ser fuß einer Sefteuerung. beS ©roß-
betriebS Porftecft, um ißn unfenntliß p maßen.
3eigen biefe Setraßtungen fßon, baß ber Gntmurf nießt
auf bem reßten SBege ift, ioenn er bie befproßenen- Unter
fßiebe auSpgleidjen beabfißtigt, fo mirb bieS noß oiel beut»
lißer, menn man bebenft, baß er nur folße SBarenßäuie
befteuern mid, meld)e einen Umfaß oon meßr als einer ßalkn
SRidion 3Rarf jäßrliß oufmeifen. ©ßmerliß mürbe man
einen fßlagenberen SemeiS für bie Tßatfaßc finben, baß ber
grüne Tifeß, an melßem biefer Gntmurf entftanb, in ©erlin,
in einer ®roßftabt geftanben ßat. SBenn er auß nur für
fur*e 3eit fiß oon ber ©onne unferer SßroPinjialftäbte ßätte
befßeinen (affen, fo mürbe er jenem Gntmurf fißerlicß nießt
jur Gntfteßung Oerßolfcn ßaben. Sn Serlin freiliß gehören
*u einem SBaarenßaufe 9Ridionen»Umfäße, mir befßeiknen
Srooin*ia(ett begnügen unS aber mit meit geringeren ©umntm
Sn unferen ©täbten finben fiß SBaarenßäufer — felbft unter
biefem ßoßtöitenben (Rameit — medße gleißfadS baS 6c»
mifd)t»SBaren»©ßftem aufmeifen, gteid)fads bie oben ffiyirim
Sortßeile beS Tetail»®roßbetricbS beutliß erfennen laffen unb
gleißfadS in bebouerlißfter Steife ben Kleinbetrieben bal
färgliße Beben rcd)t fßmer maßen — aber Pon einer halben
dRidion SRarf Umfaß ift feine (Rebe, ©öden nur bie
Tetailßänbfer ber großen ©täbte bie ®enugtßuung ßaben.
baß ißre ©roßconcurrenj p entfpreßenben Saften heran-
gezogen unb ißnen in ber III. unb IV. ®emerbeftcuer<
claffe etmaS abgelaffeti mirb — füllen mir armen Ufinger
u. f. m. garnißtS abfriegen? GS ift bie Seßauptung in ber
Segriinbung *um ©efeßentmurf nißt rißtig, baß -bei einem
niedrigeren Umfaß als 500,000 SRarf Pon einem ©roßbe»
triebe moßl nießt bie (Rebe fein fönne. Sa, in Serlin gemiß
nißt, aber bei unS feßr moßl. „®roßbetrieb" ift eben ein
relatioer Segriff. (Roß fürßidß entfßieb ber |>anbelSminijter.
baß er Seftimmungcn über bie ®ren*e beS „Kleingemerkt’ 1 ',
mie fie bei ben Gintragungen in’S fpnnbelSrcgifter ßätten
©runbe gelegt merben fönnen, nißt erlaffen merbe, jebenfads
meit er ber 9(nfißt mar, baß in ben Perfßiebenen ©egenben,
in ben ©roß» unb Kleinftäbten unferer dRonarßie, anbere
©runbfäße gelten müßten, eine Tefinition beS Kleinbetrieb«
alfo nißt angängig fei. TaS ßätten fiß bie Serfaffer unferci-
GntrourfcS gefagt fein laffen foden. ©erabeju läßerlicß et»
fßeint für unS ber folgenbe ©aß ber Segrünbung: „ßßet
fönnte ber 3meifcl berechtigt erfßeinen, ob bie ©ren*e »o»
500,000 SRarf nißt p niebrig gezogen ift. Snbeß ift ju be«
riidfid)tigen, baß baS ©efeß für alle, auß bie ffeinen @e»
meinben beS SanbeS beftimmt ift, unb in folßen aderbinge
fßon ein Setrieb mit einem Umfaß Pon 500,000 SRarl bie
Gfiften* ber übrigen Kleinßänbler ernftliß gefäßrbet. @obann
aber mürbe ein Gingreifen ber ©teuer erft bei einem erbeb»
lid) ßößeren Umfaße bie meiften ber auß in größeren ©täbten
befonberS gefährlichen fogenannten (Ramfßbapre Perfcßoneii “
GS flingt mie fpßn, # menn uns ßier gefagt mirb, baß kr
Digitized by v^. ooQie
Nr. 9.
Die ©egenmttrt.
131
©ntwurf, tnetcfjer nur für 53etrie6e Don mcßr als SWillioit
2Warf in Betradjt fommt, „für Alle, auch bie ffeinen ©e*
meinben" beftimmt ift! 3m Dorigen 3afjre finb ber Begierung
fcßon bie ©eficßtspunfte, bie ich ß* er Dertrete, üerfcßiebetitlicß
bargeiegt worben; fie ift barauf tjingewiefen worben, eS möchte
j na cf) bet ©röße ber Stabt bie ©teuerßflicßt oon einem
beftimmten aögeftuften Umfaß abhängig gemacht werben.
9Ban f>at aber nichts babon wiffen wollen.
3» ber oorliegenben gorrn fann ber ©ntwurf beftimmt
nid)t jum ©efeß Werben, unb wenn audj ber BeidjStag in
ben lebten 3aßren uielfacß glidarbeit oerricßiet tjat, bie oon
recht fraglichem SBertß in ber SßrajiS war, fo wirb er bocß
nicht foldje Beftimmungeit genehmigen. 3 u nädjft wirb er eS
nicht gefd)eßen laffen, bafj ber ©tanbpunft ber Begierung,
als habe bie innere .fpanbelöpolitif unb ber $anbe(Sminifter
nichts mit ber ©ad)e jn thun, aufrecht erhalten wirb. Kein
Bfenfcß hätte an bie neue ©teuer gebacht. Wäre nicht auS ben
Leihen bet Kleinßänblet ber Buf nacf) einem ©cßuß taut ge»
worben. Die ganze Bewegung in biefen Greifen, eine Umfaß*
fteuer für ©roßbetriebe im Detailßanbel einzufüßren, ging
oon ber Anficßt aus, baß bie neue ©teuer auöbrüdlid) bem
K(ein*Detail*£)anbel in bem Kampfe ber ungleichen ©egner
eine wirffame §ilfe bieten foüte. 2Bäte man früher mit ber
Behauptung fjertwrgetreten, baß hier nichts weiter als eine
finan-tpolitifdje SBaßregel geplant ift, unb baß ber Klein*
betrieb int Detailßanbel, ber faufmännifdje SRittelftanb, hierbei
tut bie Bolle beffen fpielen füllte, ber bie Kaftanien auS bem
ifeuer holt unb bie wiQfommene Anregung bietet, bie be»
fannte ©tenerfdjraube noch , fefter anju^iehen, hätte man
ftfjwerltdj mit foldjer Beßarrlicßfeit an bem projeft ber SBaaren*
ßauSfteuer feftgeßalten. Bun foll plößlidj ber ^»anbelSminifter
nicht juftänbig fein. SEBatuin biefe Aenberung in ber Regier»
ungStaftif? Bei bem ©ntwurf Dom Borjahre war hoch ber
fjanbelSminifter fehr ftar! betheiligt. 'Die Begrünbung pm
Entwurf ftetit feft, baS 2 °/ 0 beS UmfaßeS baS <pöd)fte wäre,
WaS man, ohne bie ©jiftenz* ber SSaarenßäufer, bie wirtß*
fchaftlich wichtig feien, p gefährbcn, an ©teuer erheben fönne.
@8 ift flar, baß ein 3 u fcßlag bon 2 Pfennigen p jeber
2J?arf bie Sßaarenßäufer nicht fehr irritiren wirb! — ferner
wirb ber Reichstag hoffentlich feine 3uftimmung nur ertßeilen,
wenn bie Berhältniffe ber proüinzialftäbte in üerminftiger
SBeife Berüdficßtigung gefunben haben werben, bamit wir im
Sanbe nicht p Staatsbürgern jweiter filaffe^gemacht Werben.
Unb fcßließlidj brittenS wirb man bie BcicßStagSabgeorbneten
barüber informieren mfiffen, baß baS ©emifd)t»2Baaren»©t)ftem
nicht „baS Karnidel" ift, fonbern flipp unb ftar ber ©roß»
betrieb, in welcher ©eftalt er auch auftreten möge.
Den Kleinbetrieben mag aber biefer ©ntwurf bie wichtige
Sehre geben, baß fie t>on einer SBaarenßauSfteuer nichts ju
hoffen haben, eS fei benn, baß fie tßatfädjlidj p einer @r»
broffelungSfteuer geftattet Werbe. DaS aber wirb nicht ge»
fdjeßen unb barf auch nidjt gefchehen. Der Kleinfjanbel muß
ehrlich borgehen unb feine geinbc mit offenem Bifier be»
tämpfen. Dann aber wirb er finbcn, baß bie ©teuer eine
tüdifche, eine ßämifdjc SBaffe ift unb wirb in 3ufunft lieber
bie flare, ihren ßtoed fofort feindlich madjenbe gorberung
ftellen: ber ©roßbctricb im Detailhanbel ift p oerbieten.
— Stuf eine anbere SSeife ift bie grage nun einmal nicht p
löfen. Ob man freilich fid) entfließen Wirb, biefe unge»
fcßminfte gorberung freunblidj aufzunehmen, ift eine anbere
Sache. Borerft getraut man fid) noch nidjt, bem ©ebanfen
einer Befämpfung ber auf allen»©ebieten pm ©roßbetrieb
brängenben Kräfte näd)pgeben. SRanlmödjte par gern bie
neue ©teuer nehmen, aber man fürchtet fid) ficßtlidj oot ben
ßonfequcnjen.
Dosmeii unter ö(terretd)ifd)er Dertualtuucj.
9)ad) eigenen Sinbrücfe».
Son d r - cSuntram Schultheiß.
3m ©turmfcßritt holt Bosniens ©egenwart bie Ber*
fäumniffe ber 3afjrljunberte türfifdjer |>errfchaft nad). SßaS
feit ber öfterreidjifdjen Befe^ung in zwanzig 3ahren auf bem
©ebict ber Sultur gefchaffcn unb angebahnt worben ift, uoit
ber SanbeSregierung unb ber Bfilitärtoerwaltung, baS hat in
ber ©otonialgefchirhte aller Bölfer nicht feines ©(eichen. 3eber
Befudjer beS SanbeS, gleid)öiel weldjer Nationalität ober poli*
tifen Stellung fann bafür nur unbebingte 3lnerfennung
empfinben. (Sifenbaljnett in bet ?luSbehnung tooit über 60Ö
Kilometern (abgefehen oon ber älteren normalfpurigen Doberlin*
Baitjalufa) oerbinben bie größeren ^ßläße. 2Senn aud) bei
befeßränften SRitteln bie SanbeSregierung auS ber SRoth eine
Dugenb ma^jenb nur ©chmalfpurbahnen baute, fo bebeuten
biefe boch einen gewaltigen B r äd)tige Straßen
burdj^iehen bie einfamften ©egenben. Die (Sicherheit beS
SanbeS ift, banf einer üortrefflidjen Sanbjägerlruppe größer,
als in Oielen längft cultioirten — nach altrömifchem, h«t
ptreffenbem ?luSbrud — pacificirten ©ebieten (SuropaS.
Bfoberne (Srrungenfchaften, wie SBafferleitung, cleftrifdje Be«
leud)tung u. ?l. befißt uicf)t nur bie .‘pauptftabt, auch Heinere
©täbte hoben baS eine ober anbere mit anerfennenSwerthem
©ifer fid) beigelegt. Das KranfenljanS, baS SanbeSmufeum
in ©erajewo finb SRufteranftalten. 2luf bent ©ebiete beS
©djulWefenS war oorher fo Diel wie nichts gefchehen; heute
giebt eS zahlreiche BolfSfchulen, eine ?lderbaufd)ulc in 3libfche,
2Beinbau*9Wufterftationen in 2Roftar unb Saftoa (^erzego*
wina), Kunftfd)ulen in ©erajewo, 3olf^ a un b Siono. ©inen
wunberlichen ©inbrud macht eS auf beit Deutfchen, bie @l)m*
nafiaften SerajeWoS mit gej unb Sßumphofett, bie .Büdjer
unter bem Slrm jur Schule wanbeln ju fehen; beutfd) fdjeinen
fie nicht Diel p lernen; eine lange Beiße foldjer 3üng(inge
wußte wenigftenS auf eine beutfdje ^rage feine ?(nt wort ju
geben. Ober Wollten fie üieHcicf)t nid)t?
Die materielle ©ultur ift in regem f?ortfdjreiten be*
griffen. Die Dabafoerarbeitung ift felbftoerftänblidj in ftaat*
lidjem Betrieb, mufterljaft aud) in ber hhgieuifd)cn Borforge
für bie Slrbeiter. SHIenthalben erheben fid) inbuftrieüe 9(n*
lagen pt Ausbeutung beS natürlichen BeicßthumS beS SanbeS.
DaS Beifpiet ber ©ingewanberten h at auch fdjon auf bie
©ingeborenen gewirft. : Beweis finb bie großen SBeinfeHereien
oon SeHatfdjitfch bei Btoftar.
AuS Büdficßt auf bie Abgefcßloffenßeit ber mußameba*
nifeßen grauen, ba ber ©intritt eines ArjteS in ben patent
ganj auSgefcßloffen ift, ßat bie SanbeSregierung oorurtßeilS*
frei feßon z'oei BezirfSärztinnen angefteÜt, in SBoftar unb
Dolnji Dujla. DaS Bertrauen ber mußamebanifd)en Be*
OÖlferung zu bereit Dücßtigfeit foll in erfreulichem SRaaße
waeßfen, fo baß weitere Aufteilungen oon Aerjtinnen fießer
halb erfolgen werben.
Die weitauSgreifenbe Dßätigfeit ber SanbeSregierung
wirb in Oefterreicß oon flaüifcßen Parteigängern häufig genug
als „©ermanifation" bezeichnet unb bcßßaib getabelt. Der
bafür oerantwortlicße gemeinfame ginanzniinifter Benjamin
oon Kallat), ein BerwaltungStalent, wie eS bie öfterreicßifdj*
ungarifdie SBonarcßie bisher noch faum befeffen ßat, hatte
leichtes ©piel, zur ©ntfräftuug beS BorwurfS barauf hinzu*
weifen, baß bie Beamten faft burcßauS froatifeßer ober fonft
flaoifißer Bationalität finb unb fein müffen wegen beS Ber*
feßrS mit ber nurber'flaoifdjen SanbeSfpracße mächtigen Be»
OÖlferung; eS wäre bodj auSgefcßloffen mit flaüifcßen Be*
amten „germanifiren" z u WoÖen. SBenn man mit bem in
Defterreid) unb Ungarn Diel mißbrauchten ©cfjlagwort ber
©ennanifirung bet Begierung bie Abficßt zufdjreiben will,
nicht »beutfdje Beoölferungen ißrer ©praeße unb Bationalität
Zu entfleiben, fo ift bie ©ntwidelung ber Berhältniffe feit
4
Digitized by 3Qie
132
Die Gegenwart.
Nr. 9.
bem testen SRenfdjenalter ©egenbeweis gerabe genug för jcben
Urteilsfähigen. Unb felbft bie Söünfdje unb Berfudje in
bcn fündiger Sohren unfere« Sa^r^unbettö, ebenfo wie bie
Anläufe Sofeph’8 II. üon 1780 an, befchränften fic^ barauf,
bie Kenntnifj ber beutfchen Sprache ju Oerbreitern, um bie
Schwierigleiten ber ©entrafregierung ju oerminbern, — an
bie S'iöglichfeit einer burcfjgreifenben Berbeutfdjung ber oiel*
fpradjigcn Beoölferung in abfehbarer ßeit glaubten bie 93er»
tretet ber ©efammtftaatsibee fo wenig al« bie ©egner.
©ermanifirt im eigentlichen Sinne wirb alfo in Bosnien
gegenwärtig nicht. SBohl ober hat bie beutfdje Sprache hier,
wie immer felbftoerftänblidj bie Herzegowina Kürze halber
mit inbegriffen, feit bet Befe|ung 93oben gewonnen unb @r*
oberungen gemalt, fo baß man immerhin mit einigem Siecht
üon ©ermanifation ober bodj üon 9tnfäj}en baju fprechen
fann. Um ba« Berftänbniß bafür ju gewinnen, mfiffen wir
etwa« weiter au«holen.
Die ©efammtftaatsibee ber fünfziger Safjre war feine
neue wittfüriiche ©rfinbung ber Sieaction gegen bie reoolu*
tionären Bewegungen Ungarn« u.f.w.; fie war unb ift oiel*
mehr bie logifdje Gonfequenj ber gefchichtlichpolitifdjen ©nt*
widelung ber IjabSburgifchen SRonardjie au« einer jufammen*
geheirateten unb jufammeneroberten — fo Ungarn Oon ben
dürfen — Sänbermaffe ju einem geographifch abaerunbeten
©ebiet, ba« innerlich feljt Oerf«hieben geartet, bie hiftorifchen
©renjen hoch nach bem ©efefc ber Trägheit aufrecht erhielt.
Die ©leichartigfeit ber Berwaltung, bie Steigerung ber Sie*
gierung«macf)t nach bem SWufter ber beutfchen ©rblänber
würbe nie au« bem Sluge Oerloren, unb ber hiftorifchen Dh at *
fache gemäß, baß bie betriebenen „Königreiche unb Sänbet"
3 U beutfchen ©rblänbern tarnen, nicht umgefehrt, behauptete
bie beutfdje Sprache at« bie ber Dpnaftie ben gefcßichtlidjen
93orrang unb gewann barüber hinan« feit ber SJiitte be«
18. 3ahrh un ^ er t 3 — at« bie Sprache be« ^af)lreid)ften, ge*
bilbetften, fteuerfräftigften unb allenthalben fidj üerbreitenben
93olfc« ber SJionarchie, unb baju ber Deutfdjen im Sieidje,
bie fchaarenweife einWanberten — bie Bebeutung eine« über*
nationalen 93erfehr«mittel«. Sh«n rafch wachfehben 93or*
fprung fahen bie fecunbären Bölferfchaften mehr unb mehr
at« ßwang an — bie Trägheit, eine anbere al« bie oon
felbft anfliegenbe SKutterfpradje ju lernen unb ber Sieib auf
bie öom Sd)idfal begfinftigten Deutschen gehören neben ber
an fid) berechtigten 93orliebe für bie eigene locale Sprache
ju ben pfhdjologifdjen Driebfebern be« flaüifdjen unb magtja*
rifchen Deutfdjenhafieö- Sie werben übrigen« gefliffentlid)
oon allerlei Seuten aufgeftachelt, bie gern im drüben fifchen.
Den jäheften SBiberftanb gegen bie ©cfammtftaat«ibee
unb bie überragenbe Stellung ber beutfchen Reich«fpradje be»
tßätigten bie üftagparen, ihren ißartifutariämu« auf ba«
hiftorifdje Stecht ihrer mittelalterlichen „Berfaffung" ftüfcenb,
nach bem großen ©rfolg ber Sßieberljerftellung berfelben
wanbten fie fid) bann mit immer gewaltfameren SDtitteln gegen
bie bisherige Stellung ber beutfchen Sprache in Ungarn
unb Siebenbürgen, bie fie burdj SRagpatifirung ber bortigen
Deutfdjen böQig ju oerni^ten ftreben. Shrenx SBeifpiel folgten
bie ^jSolen in ©alijien, bie Dfdjedjen, bie Stooeneu nach
Kräften — bet ©rfolg ift unleugbar. UeberaQ giebt e«
heute Seute genug, bie Slnfprucfj auf 93ilbung machen unb
be« beutfchen faum mächtig finb, befonber« 'Beamte, währenb
Kaufleute, Ded)nifer u. f. w. fich beffen nicht entf^lagen fönnen,
wenn fie nicht zugleich ber Soncurrenj ba« gelb räumen
Wollen.
Die ©efammtftaatsibee hat außer bei ber Dpnaftie, ben
gemeinfamen SRinifterien unb einem jt^eilc be« Hodjabel«
nur noch tm gemeinfamen Heere einen Stücfhalt, ber nid)t
ju unterfdjäfcen ift. 916er wo immer Oefter reich* Ungarn al«
©efammtftaat auftritt, ba fann e« ber Slnwenbung ber
beutfchen Sprache nicht entrathen. Da« zeigt fich eben aud)
in Bosnien, ba« in golge beffen thatfädjlid) al« öfterreichifdjc
ißeooinj fich barfteßt. gür ben inneren Berfehr bet Regie*
rung, ber 93eljörben, ber ©ifenbahn ift ba« Deutfdje eingefß|«.
Die Stabtoerwaltung Oon Scrajewo hält zwar bie flaüifdje
SlmtSfpradje felbft ben eingewaitberten beutfchen gegenüber
Wenigften« in 3 u Wtiften feft, aber fie forbern Oon ihren
Beamten üotlc Beherrfcf)ung be« Deutfdjen in SBort unb Schrift-
ba« muß fdjon Wegen be« Berfehr« mit ber SRilitärbeljörben fein
Slmtliche Berorbnungen lieft man in ben boSnifdjen Stählen
beutfd) unb flaoifd) angcfdjlagen; man finbet bie Snfdjrift
„Bezirf «grenze" an ben einfamften Straßen, ebenfo bie ttnf*
fdjrift „©inräumerhau«" oft nur bentfeh; bei Dienftauffchriften
ber Bahnhöfe ift Deutfeh bie Siegel. Da« ärarifdje ©oft*
JjauSwefen — eine nid)t genug ju rühmenbe ©inrichtung —
ift bitrehau« beutfdj, benn Ejier fpricht einfach ba« prafttfeße
Bebiirfniß fein SMachttoort. Dhatfächlich ift ba« Deutf^e
überall in Defterreid)*Ungarn — wo einigermaßen oon ©ultur
bie Siebe fein fann — bie Sprache be« SBirth«* unb Kaffee*
häufe« geworben, ohne 3 twmg, ohne jebe Spiße gegen bie
locale Sprache: ein Kellner, ein Söirtlj, ber nicht beutfcf)
fönnte, wäre ein hülflofeö Söefen. Bor mir liegt eine Speife*
farte ber Bahnhofwirthfchaft in Kroatifdj Brob: bet Slufbrucf
ift magparifd!) unb froatifd), ba« erzwingt bie Berwaltung
ber ungarifchen Staatsbahn. Die gefdjriebenen Speifenamen
aber finb beutfcf) unb wenigften« in ber jweiten ©laffe he*
fteOt unb befahlt Sille« in beutfeher Spraye. Sn BoSnifdj
Brob fällt ber 3 roan 0 ber localen Sprache ooit oornberein
weg, bie höh«« ©ulturfprache J)c rr fcf)t uneingefchränh im
Sieifeleben unb 9Birth«hau«wefen erftcr unb ^weiter ©laffe.
9Benn ba« treffenbe SBort Kaifer SBilhelm’8 II.. unfere 3^it
ftehe im 3<i<ßca be« Berfehr« — auch für öfttid) ber Seitßa
28ahrf)eit wirb, fo muß ba« Deutfdje bort trog allet Se*
fämpfung erft recht fich al« übernationale Berfehr«* nnb
SBettfpradje burchfegen, je mehr Singehörige öerfd)iebener
Siationalität mit einanber in engere Beziehungen fommen.
Sn )oeId)er Sprache at« ber burci) ben ©ang ber ©ntwirfe»
lung gegebenen beutfd)en foKten Baien unb Staliener, Dfchecßen
unb Üftagtjaren, Kroaten unb Slumänen nntereinanber oer*
fehren?
Bor SlHein gilt ba« oon ber gemeinfamen Slrmee, fo
lange man fie aufrecht zu erhalten Oermag; benn thörid)ter*
Weife hat man ja ben Slationalitätcn feßon bebeitflidje 3*>‘
geftänbitiffe in ber Bilbung befonberer ©ontingente gemacht
greitiih gerabe in Bosnien nicht; bie au« ©inheimifdjen refnt*
tirten Regimenter ftehen außerhalb be« Sanbe«, bie bortigen
©arnifoneu aber ftammen an« aoberen Steidh«theilen. Sn
gewiffem Sinne fann man in Bosnien oon SOSilitärcotom*
fation im altrömifchen Sinne fpreeßen. Der ©ulturzuftanb
be« Sanbe« nöthigte bei ber Befeßung bie Druppen, bie Sorge
für ihre Bebiirfniffe im weiteften Sinne felbft zu übernehmen
— herunter bi« zur Slnlage oon ©emüfegärten. SJlan fennt
wohl oon Defterreid) tyx ben großen Umfang be« militä*
rifdjen Befige«, bie (ujeuriöfe Schwimmfdjute ber Klagenfurter
©arnifon am SBörtherfee, ben Sfelberg ber Diroler Kaifer*
jäger bei SnnSbrucf u.f.w., wobei man fich Wunbetn muß,
baß bie ©rrichtung eigener 9J?i(itärfd)ufen für bie Kinber ber
Dfficiere unb Unterofficiere in nichtbeutfdjen ©arnifonSorter
nicht burchgefegt Werben fann, — ein wahrhaft fdjreienbe«
Bebürfniß. gür bie ©rroadjfenen ift beffet geforgt, wemt
aud) nicht überall fo wie in Banjalufa, Wo eine förmliche
ÜJiilitärftabt im mittelcuropäifdjen Stil unb ©efehmaef ge*
baut worben ift, Kranfenhau«, Kafernen mitten in üppigen
©ärten unb Baumgängen. Der DfficierSgarten beim Kaftell
ift fogar berühmt. Slehnlich ift e« in Serajewo unb fonft;
nur in SRoftar ift bie Siatur ber Slbficßt, ba« Süb* unb
ba« Siorblager mit fdjattigen Slnlagen unb üppigen ©ärten
Zu umgeben, nicht entgegengefommen. So ift alfo ba« SJiilitär
in Bosnien überall oorbilblich in ©ulturbeftrebungen, unb
ganz oon felbft oerbreitet fid) baburch auch bie beutfdje
Slrmcefpvache al« höhere ©ulturfprache. Sch taufte in SKoftar
Digitized by v^. ooQie
Nr. 9.
Die Gegenwart.
133
bei einem einfachen Obftftanb geigen; bet üttanu luufetc nicgt
Diel mehr ald bic beutfcgen Namen uub 3ai)ÜDörter, aber
feine ©tranigen (ober norbbeutfdg Süten) jeigten feine girma
beutfdji an unb waren in Süßten gcbrudt!
Sie Stellung ber beutfcgen (Sprache beruht aber aucg
gutentgeild barauf, bafe gerabe bie Kroaten ungleich ben
anberen Nationalitäten in ganj überrafcgenber 9ludbegnung
bad S)eutfcge pflegen unb gegen. Sn Slgrant gört man in
befferen ©tragen, SEßingd* unb Kaffeegäufern faft fo Diel
beutfdj fpreßen, Wie froatifcg, bie ßabenaufjcgriften, 3 e ttel*
antünbigungen u.f.to. finb oft nur beutfdj. Sie gebtlbetcn
Kroaten fptecgen aud) unter fid) beutfd), unb galten bad
befonberd bann für felbftDerftänblid), tocnn ein grember ju*
gören fann. ©in Nebacteur in 91 gram erflärte cd tgeilweife
bamit, bafe fie feine mebicinifclje gacultät uub feine tcdjnifcge
ftocbfcgule befaßen unb fcgon befegatb üiclfad) auf beutfdje
©Übung angemiefen feien; icg bube aber ftetd gefunben, bafe
Pfarrer, gorftleute, ©eamte, ©tubenten, Kauflcute unb ebenfo
bie grauen ber fogenannten befferen ©(affen buregweg tabel«
lod unb accentfrei beutfd) fpreegen. SSeldjer Unterfdjieb Don
Dielen SÄaggaren! (Dian fann cd auch Don Kroaten felbft
gören, bafe fie gerabe, um fieg Don biefen abjufonbern, gern
beutfdj fprädjen. Nun barf man freilich nicfcit glauben, bafj
bie Kroaten, toeil fie beutfd) fpreegen, aufgören wollten,
Kroaten ju fein. Unb ebenfo bleiben bie beutfd)fprcd)enbeu
troatifegen ©eamten in ©odnien gute Kroaten. Sie Kultur*
fd)icbt bed Seutfchtgumd fann alfo bocg nur jiemlicg bünn
unb beweglich fein; inwieweit bie beutfe^e ©inwanberung bc=
fonberä bie blügenben 91 nfiebelungen SBinbtljorft bei ©anja*
luta, bem Seutfcgtgum fefte Sßurjeln fdjaffen »erben, ift ju*
näcbft eine grage ber ßeit unb ber politifcgcn ©ntwidelung
Vodniend.
Ueber bie 3 u fnnft bed ßanbed wirb ja felbftoerftänblicb
Diel gefprodjen. ©in NiidfaQ an ben nominellen Jperrfdjer,
ben Sultan, gilt allgemein für audgefcbloffen. ©ine Nege*
lung bed ftaatdrecgtlicgen Vergättniffed jur öfterrcicgifclpunga*
rifeben ÜNonardjie mufe früher ober fpäter fommen. Unb
»ad bann? Sßirb ©odnien gemeinfam Öfterreid)ifcg*unga*
rifebed Neicbdlanb bleiben? — Dber foll bie tgatfäcglicg
öfterreiegifege Verwaltung Don SBien aud nach bem ©prueg
gearbeitet gaben: sic vos non vobis — fo bafj ©odnien
ju Ungarn gefcglagen würbe? Dber... hätten bie ganj
Klugen recht, bie »iffen wollen, bafj man in Sßien 93odnien
für bie ©tärtung bed Kroatentgumd Dorbebalten habe? 2Büg*
renb metned 9lufcntga(td würbe bie flauifcbe Umbenennung
bteier bidber beutfd) benannter ©tationen ber bodnifdpgerje*
gowinifeben ©taatdbabnen Derfügt. Kohlengrube follte fort»
an Krefa, ©teinbrudj Kamen, 9lbjWeigung ©emijowaj beifeen.
SBäre bad ein Anfang ju atlmäliger Sludmerjung ber beutfcgen
Sprache? S33er Dermag bie jeweild legten ©ebanfen ber
öfterreiebifegen SNinifterien ju buregfefeauen? Von Slgrant
aud Derfucgt man ja in ber jungen ©encration bad füb*
flaDifcfedroattfcbe Nationalgefübl ju erWeden: bie bort ftubie*
renben jungen Söegd follen jum Sgeil bemfelbcn gewonnen
fein. Sn SEßien reDoltirten fürjlicb bodnifdje ©tubenten gegen
bie 9lnorbnungen bed „Vicetönigd" Kaüag wegen bed bod*
nifegen ©onDicted, bad ignen ju febr öfterreiegifd) geleitet er*
fegeint. Sie jungen Seute finb bemnacb ftarf im flaoifdjen
gagtwaffer unb „löten gegen ben ©tadjel". Sie panfla*
Diftifdje 9tuffaffung fiegt natürlich in ber fegendreicben öfter*
reiegifdjen Verwaltung ©odniend nur ©ermanifirung. Sieger
ift: Wenn man beute ben ©odniaten bie ©elbftoerwaltung ober
parlamcntartfdje gormen gewähren würbe, fo würben noch
Diel fcblimmere 3uftänbe ju Sage treten, ald wir fie bei ben
»befreiten* Vulgaren unb ©erben beobachten. Sie ©odniaten
fpreegen wohl eine gemeinsame ©pracbe, aber bie confeffio*
»teilen ©egenfäge finb Dor ber £>anb noch ftärfer, ald bad
nationale ©efügl ber 3 u f ammen gegörigfeit. Sa mach finb
bann auch bie Klagen über bic Umtriebe ber Sefuiten in
©odnien ju beurteilen, bie ihr 9lugennterf auf bie ©efegrung
befonberd ber ferbifdjorthobojen unb mubamebanifeben grauen
gerietet hätten, jum haften SNifeoergnügen ber SNänner.
SBie bie Sefuiten bad anfangen follen, mag igre ©orge fein.
Sgatfacge ift, bafe in ©odnien trog ber gewaltigen gortfebritte
unter öfterreichifcfeer SSerwaltung allgemeine Unjufriebenbeit
feerrfcht. Nur finb mir, ohne und bamit ein Urteil „für
ober gegen" anraafeen ju wollen, fefer geneigt biefe Unju«
friebenfeeit einfach ald eine nerDöfe Unbebagli^feit aufju*
faffen, wie fie in Uebergangdjeiten burd) bie SNüfee ber Sin*
paffung an neue Sbeen entftebt. Süßad ift benn bie Dielbe*
fprodjene NeicfedDerbroffenbeit bei und anbered, ald bad SNurren
bed über bad ©turmedweben einer nepen —
fo ©ott will — gröfeeren 3eit ber SBeltfteDung bed Seutfdj*
tbumd? Ser beutfefee ©b*ltftw empfinbet hinter bem Ofen
bad ©turmedweben ald läftigen 3 u gminb unb nörgelt: bad
ift STtled. Sn ©odnien aber ift’d wie in Deftetteidj unb
Ungarn; man fühlt, bafe SlUed noch unfertig unb miber*
fprucfedöoH ift; ©odniend ©teQung felbft ift ja ber fcfeärffte
Sßiberfpru^ jum audgebiftelten ©pftem bed Suaüdmud. 91 bet
wie bad noch »erben foll, bad mag bie ©orge ber, ©taatd*
männer fein: bem Seutfdjen, bet in ©odnien reift, wirb bad
Nebeneinanber Don 9lltem unb Neuem ald befonberer Neij
erfefeeinen. Unb wenn er eigentlich auch nur bad ©inbei°
mifefee, ©laüifcfeed unb SNubamebanifcbed, aufgefuefet but
fo wirb er befto mehr überrafcht fein Don ber ©eobaefetung'
wie hier bad alte Defterreich auf jungfräulichem Kolonial*'
hoben unbeWufet unb unWiCUürlicb ald beutfefee Ntacfet wirten
mufe, um gortfeferitt ju bringen. Sft ed ber Nacfeglanj
befferer Sage ober mehr?
Literatur unb £unft.
3ttr <6efibitfetc ber tbrifUttben Religion.
®on €bnarb oon ffartmanit.
Viele Slnjeicben beuten auf bad SEBiebererwacfeen eined
religiöfen ©ebürfniffed im Volte b»n. Ser fpmbolifcbe ©barafter
ber ueueften Kunft, bie Sbeilnabme, welche tbeofophifefeen,
occultiftifdjjen unb fpiritiftifc^en Schriften gefefeenft wirb, bad
Umfieggreifen ber ©Dangeiifationdbeftrebungen, bie ©rfolge ber
^»eildarmee, bad 9luftaucfeen religiöfer Nebner unb Neforma*
tiondtenbenjen aud Saientreifen, ber 9ludtritt eDangelifcfeer
©eiftli^en aud ihrem 9lmt, um fiefe ungebtnbert ihren refor*
matorifegen ©eftrebungen wibmen ju tönnen, bie maebfenbe
religiöfe gärbung ber antirömifegen ©ewegung in Seutfcg*
öfterreieg, bie junegmenben Uebertritte fatgolifcget ©eiftlicgen
jur eDangelifcgen Kircge in granfreieg — bad 9Uled läfet
einen Umfcgwung ber Stimmung ertennen, welker noch träf*
tiger fein würbe, wenn nicht bid jegt bie ©elbftgerecgtigteit
bed mobernen SNenfcgen ign ginberte, ©cgulbgefügl unb @r*
löfungdbebürfnife in gleicher ©tärfe wie in früheren Sagt*
gunberten unb Sagrtaufenben ju empfinben. Smmergin finb
biefe 9lnjeicgen für eine Vertiefung unb Verinnerlichung bed
ftart Dermeltlicgten unb üerflacgten 3^tgeifted mit greuben
ju begrüfeeit, unb ed ift nur ju bebauern, bafe fo Diel guter
SEBiHe, ibealed Streben unb tücgtige Kraft in unfru^tbarer
Seife Derfcgmenbet wirb, »peil bie gefcgicgtlicge unb wiffen*
figaftlicge ©ilbung feglt. Sad heutige ©ublicum ift in Dieter
fnnfiegt gebilbeter unb fenntnifereieger ald bad irgenb einer
früheren 3*it, aber in ©ejug auf religiöfe unb philofophifdge
©infiegt ift ed Don einer erfegredenben Dberfläcglicgteit unb
Unbilbung, weil beibe ju lange unter ber SWifjacgtung bed
3eitgeifted geftanben gaben, ald bafe ber Saie füg gatte Der*
anlafet fügten tönnen, fieg um gefcgicgtlidje unb miffenfegaft*
Digitized by v^. ooQie
IM
Die Gegenwart.
' r J^F T <
Nr. 9.
lidjc ©rfenntniß auf biefen ©ebietcn 311 bemühen, ©ie golge
bauon ift ein trauriger ©ilcttantiömuS berer, bte fiel) jur
©cleljrung ber Ucbrigen berufen glauben, unb eine Derblüffenbe
Urtheilslofigfeit ber 9Raffe, nid)t nur iit ungebilbeten unb
halbgebilbeten, fonbern auch in ben f)ödjftgebilbeten ©olfs*
fd)id)tcn. Sc trioialer unb abgeftanbener bie non 3Banber»
rebnern unb Sd)riftftellern Oerjapfte ÜBeiSheit ift, befto eher
fdjeint fie ben ipörern unb Sefern Derftänblidj unb beifaQS*
würbig, unbefümmert barunt, ob ihnen oft genug bagewefene
unb längft überwuubene Srrt^ümcr neu aufgewärmt, ober
fentimentaler ©hrafenbrei unb oertoirrter ©ebanfenmifchmafch
oorgefetjt wirb, liefen Uebelftänben abju^elfen, giebt eS nur
ein ÜRfttel: baS publicum muff fidj unter ©ortritt ber ©e*
bilbeten wicber mehr ©ilbung auch auf religiöfem ©ebiete
aneignen, bannt eS feine UrtheilSfähigfeit fteigert unb Seid)te3
unb Unhaltbares burd)fcf)aut unb jurlidweift. ©aß foldje
©Übung eine pl)ilofophifd)e unb fpeculatiD t^eologifc^e werben
fönnte, baran ift bei bem immer nod) ^errfc^enbcn 9 lgnofti=
ciSrnuS faum 311 beulen; Wohl aber ift bie 9(djtung üor ge*
fdjid)tlicf)er gorfdjung groß genug, um fiel) gegen eine ge»
fd)id)tlid)e ©ilbung auf bem religiöfeit ©ebict nicht ju Der*
fließen, Wenn folcfye in gemeinoerftänblic^er gaffung unb
ohne ju Diel geitaufwanb ermöglicht wirb.
9ln einem folc^ert ©uefje über ben ©ntwidelungSgang
ber d)riftlichen ©rfenntniß fehlte eS bisher, weil bie oortjan*
benen äöerfe theilS einen auöfcfjlieglic^ wiffenfchaftlichen
©harafter an fid) trugen, tf)eil 8 fd)on burch ihren Umfang
ben Saien abjehveeften. ©iS jum Anfang biefeS Sahrhunberts
war bie ©ogmengefchichte wefentlirf) 2 lufjählung; erft mit ber
gcfd)id)tlid)en 2 Beltanfct)auung lam ein anberer ©eift hinein.
SBährenb Sdjteiermadjer’S ©influß bahin ging, bie 2Birf»
famfeit bebeutenber geiftiger Snbibibualitäten mehr ju be*
tonen, lehrte §cgcl baS ©anje als eine ©utwidelung auf*
faffen, in welcher jebe Stufe fich burch ihre eigenen Unuoü*
tommenheiten bialeftifd) auflöfte, aber nur, um bie
Dollfoinmnere aus fich hcrDorsutreiben unb fo ftetig unb all*
malig ber inneren ©enüinftigfeit beS ©ebanfenS jum fort*
fdjreitenbert Siege ju uerhelfen. Sn ber ^egel’fchen Schule
würbe balb bie negatioc Seite ber Selbftjerfe^ung aller
©ogmen (Strauß), balb bie pofitioe ©ernünftigfeit ber ©nt»
widclung unb ihrer ©rgebniffe (©iebermann) betont, beibeS
aber in einer SBeifc burdjgeführt, bie für Saien wenig ju*
gänglich war. 91 ud) ber 91gnoftici8mu8 ber ÜReufantianer be*
mächtigte fich ber ©ogmengefchichte unb ftimmtc mit ber
§egel’jct)en Sinfen in ber Selbftjcrj'ehung aller ©ogmen über*
ein; er fah aber ben ©runb berfelben lebiglid) in bem
üerberblichen ©inbringen fpeculatioer Senbenjen aus ber
gvicdjifdjen ©hilofoplfie >n'S ©hriftenthum ‘unb baS §eil in
ber äiüdfehr jur ©iufalt beS UrchriftenthumS jenfeitS alles
hellenif<hen ©influffeS, b. h- in bem SluSlöfchen einer jwei*
taufenbjährigen ©ntwidelung (£>arnad). ©ei allen biefen
gorjd)ungen war baS SJfaterial immer grünblicher unb ejafter
burdhgearbeitet unb bie pragmatifchen gufammenhänge immer
flarcr gelegt worben. ©aS einzige allgemeingiltig feftfteljenbe
©rgebniß ift babei bie Unmöglichfeit jeber confeffionellen
Drthobojie, bie burch bie hiftorifdje Sfritif unb ihre 9Retf)obe
noch grünblicher unb unWieberherftellbarer cntwurjelt ift als
Dorher burch bie fpeculatiDe 5f3^ilofopf)ie. Slber baS ift bloß
etwas SRegatibcS; als ©ofitioeS fann unmöglich h eute uod)
baS Subendjriftenthum ber wiffenfdjaftlich ungebilbeten Spnop*
tifer ober baS ^eiben^riftenthum beS rein pharifäifdh gebü*
beten ©auluS genügen. ©8 bleibt für alle religiös Snter*
effirten baS ©ebürfniß beftehen, ben pofitiben, bauernben Sfern
ber jweitaufenbjähtigen djriftlichen ©ntwidelung in feinem
3Bcrben ebenfo bargeftellt 31 t fehen, wie bie hinfälligen Schalen,
in bie er fich ä u uerfdjiebenen geilen gehüllt h«t-
3)aS ®ogma ift ein ßwittergebilbe. Sebe ^irdje empfinbet
alSbalb baS natiirlidje ©ebürfniß, bie DorftedungSmäßigen
©oviiiK'fcpungcn beS icligiöfci4©laubcuS in eine allgemein
anerfannte gorm 31 t bringen, bie allen ©cnteinbcmitgliebcrn
Dcrftänblich fein joll. ®ie ©emeiuücrftänblichleit bebingt
einen phantaficmäjjigen 9?eft in ber gorinitlirung, tucil bas
wiffenfchaftlidhe ©rfennen jeber geit nur Sache einer SKinbetheit
ift unb Don ber äJfaffe nicht Derftanben wirb.^®iefer phan*
tafiemößige fReft wirft aber gleichzeitig mit bem gortfd|ritt
beS wiffcnfchaftlichen ©rfenncnS bahin, baß jebe jeweilig er*
reichte gormulirung nur eine gewiffe geit lang bem ©e*
bürfniß ©eniige tf>ut, bann aber eine SBanbcliing erheifdjt-
©er religiöfe ©laube bagegen bedangt Stänbigfeit unb Un*
wanbclbarfeit beS ©ogmaS unb fühlt fehr wohl, baß ber«
änberungSfahige ©ogmen eben feine ©ogmen mehr finb. 3fn
biefem gwiefpalt löft fich °HeS ©ogma auf. SBaS übrig
bleibt, ift bie ©ntwidelungSgefchichte beS religiöfen ©rfenncnS.
©aS ©ogma ift immer nur ber Sdjein eines SRuljeftanbeS,
ein DorläufigeS ©ompromiß 3 Wifchen ewiger SBaljrhcit unb
wcchfelitber SBahrheitSerfenntniß, bcni niemals ©auer be*
fd)icben fein fann. ©ic ®efd)ichtc ber ©ogmatif im engeren
unb eigentlichen Sinne ift nur bie ©efchidjte biefer unhalt*
baren ©ompromißDcrfuchc. ^idjt auf biefc aber geht baS ■
eigentliche Sntereffe ber Fachwelt, fonberu auf ben ©ntwiefe*
lungSgang beS religiöfen ©rfennenS, in welchem bie ©erfmlje
ber ©ogmenfijirung 3 War wichtige ©tappen unb 9 Beg 3 eid)cn,
aber feineSwegS bie eigentliche ©riebfraft unb höd)fte grucht
beS ©roceffeS barftcflcit. ©ic ©inficht ber bahnbrcchenbcn
unb fdjöpferifdjen ©eifter jeber geit reicht Diel weiter, als
bie fijirten ©ogmcit berfelben ©eriobe erfennen laffen. ©ic
Don ber Shrd)c ücrworfcncn ©cbaitfen ber £äretifer enthalten
SöatjrhcitSmomente, bie oft erft in einem Diel fpäteren Stabium
ber ©ntwidelung 3 U ihrem 9Jed)te gelangen. ©aS lebenbige
©emeinbebewußtjein Derfteht bicfelben ©ogmen 3 U jeber geit
etwas anberS, betont anbere ©unftc in ihnen unb fdjiebt
wieber anbere unbeachtet bei Seite. ©ieS 2tHeS gehört noch
3 ur ©cfdjichtc beS religiöfen ©rfennenS ober ber ©efcf)id)te
ber ©ogmatif im weiteren Sinne, Wäf|renb bie äußeren Schiel*
falc ber religiöfen ©emeinfehaften unb bie innere ?(uSgeftal*
tung ihres religiöfen SebenS in Sitte unb ©ultuS auSfchließlicb
Sache ber SUrdjengefchidjte finb.
.Sn biefem weiten Sinne hot 91. ©orner feine 9(ufgabe er*
faßt in feinem „©rnnbriß ber ©ogmen=®efchid)te. ©ntwiefe
lnngö=©efd)ichte ber chriftlichen Sehrbilbungen" (Berlin, ©corg
Sieimer, 1899). ©er IBcrfaffer hat in 3 Wci größeren philo*
fophifdjen SBerfen ,,©aS menfd)lichc ©rfennen" unb ,,©aS menfeh*
lid)e Raubein" feinen weiten philofophifdjen ©efid)tSfreiS unb
feine milbe, bulbfame unb üerföf)tilicf)e ©enfweife gegen bie
Derfd)icbcnften ^Richtungen bargelegt unb tritt beßhalb mit
grünblicher fpeculatioer ©ilbung an feine theologifctje Aufgabe
heran, was heute bcfonbcrS herDorgef)oben 3 U werben Derbient.
9lud) in ber ©Jürbigung ber religiöfen 9lnfichten fucht er überall
ben pofitiuen SBerth ber Derfchtebcnen ©ntwidelungSftufen in
baS rechte Sicht 3 U rüden, ohne barum ihre seitliche Unooll*
fommenheit, ©infeitigfeit unb fpnthetifche lleberwinbungS»
bebürftigfeit 3 U Derfd)leiern. ©ie guüerfid)t, baß ber gan 3 tn
©ntwidelung ein ewiger 2 Bahrf)cit 8 fern 3 U ©runbe liege,
entlehnt er 3 unäd)ft als unerwiefene ©orauSfe^ung aus ber
fpeculatiDen ©he°l°9ir» ober olS eine ©orauSfegung, bie fid|
burch bie gefd)id)tliche ©orftetlung 3 U beftätigen unb 3 U be*
währen h fl t. ©iefe SBahrheit ftnbet er barin: „baß bie
©otteSgemeinfchaft, welche alle fReligion anftrebt, in ben etljifch
beftimmten ©erfönlichfeiten als uniDerfalethifche ©ottmenfeh*
heit realifirt wirb", womit- einerfeits ber ©3erth ber ©injel*
perfönlichfeit unermeßlich gefteigert, anbererfeits ein ethif^r
UniDerfaliSntuS eingeleitet ift. ©iefe gaffung ift allgemein
genug, uni allfeitig acceptirt Werben 3 U fönnen, fo Weit über*
haupt eine’ religiös=fittlicf)e SEßeltanfchouung angeftrebt wirb,
©ine anbere grage ift eS freilich, biefeS ©rincip, wie
©orner annimmt, mit ©hriftuS in bie ©Belt getreten ift, ob
er eS bargelebt hat, unb ob eS beßhalb „baS d)riftli(f)e
©rincip" Ijcigcu fann. SRan famt bicS auch bann noch bc*
Digitized by v^. ooQie
Nr. 9.
Die ©egenwart
135
pucifcln, wenn man felbft bereitwillig gugicbt, bafj bcr tiifto-
rijdje SefuS jur ©ntwidelung biejeS aud) Dörfer fctjon uor*
hanbeneit üfßrincipS einen mädjtigen SmpulS gegeben tjat, bafj
bie ©Triften biefeS üßrincip in bem ibealen 6 ^riftu§ unb
feiner Sirene uermirtlid)t anfefjauen, unb baß biefeS ^ßrincip
feine bisher höchfte ©ntwidelungSftufe in bcr ettriftfidjen ßultur*
fpljäre erreicht hat. ©S fdjeint beßhalb, baff ®orner bei bem
Verfud), baS ctjriftüe^e üßrincip ju befiniren, bod) ju wenig
fpecififdje Unterfdjiebc fjinjugefiigt fj“t, als baff nid)t feine
gormulirung aud) manche außerd)rifttid)e ©tanbpunfte ein*
fd)I 0 ffe.
®ie pofitiue Vebeutung ber griedjifdicn Ä’irdfe finbet
Corner barin, baß biefelbe encrgifcf) auf eine ©otteSerfenntniß
als unerläßliche Vorbebingung ber realen ßebenSgemeinjchaft
mit ©ott bringt; fie f^at bamit ben ©runb gelegt für alle
jpäteren Stufen, unb es ift it)r feineSmegS jüm Vorwurf,
jonbern jum Verbienftc an^uredjnett, baß fie bie ÜJfittel ber
fpeculatioen ^Stjitofop^ie ihrer ßcit baju beäugte, ba felbft
eine unoollfommene unb irrige ©rfenntniß ©ottes eine mög*
liehe ©laubenSgrunblage bilbet, ber bloße ©fepticiSmuS unb
JlgnofticiSmuS aber gar feine liefert. 3h re ©injeitigfeit liegt
in bcin ju großen ©ewicf)t, baS auf baS Stheorctifche, auf
baS Schauen ©ottes gelegt wirb, weil barüber bie ©eite bes
SSiUenS oernachläffigt wirb. S)ie|e tl)coretifd)e ©infeitigfeit
jucht nun bie römifdje Slirdje burch praftifctje ‘iluSbilöung beS
. ©hriftenthumg $u ergänzen, inbem fie bas lpauptgewid)t bar*
auf legt, baß baS djriftlidje üßrincip ben ifüillen befttminen
unb in ber ©emeinfdjaft beS ÜKeid)eS ©otteS auf ©rben fid)
Dcrroirflid)en foll. ©ic ift bie große ©rjiehungSanftalt ber
barbarifchen Völler geworben, h at “ber aud) eben baburch
fid) ju einer flerifalen VeuormunbungSanftalt üerbilbet unb
ber einzelnen fittlicßen ffkrfünlichfeit unb bereu unmittelbarer
fiebeuSgemeinfdjaft mit ©ott nicht ihr uoüeS Siecht angebeiljcn
laffen fönnen. liefen ÜDfangel 311 ergänzen, war ber üßro*
teftantiSmuS berufen, ber bie fubjectiuc £>eilSaneignung beS
Sinjclnen im religiöfen ©lauben unb bas üUtoment ber ifier*
fönlichfeit fowohl im fittlichen Sieben wie im unmittelbaren
Sßerhältniß ju ©ott betonte. ®ie religiöfe SJiijftif, bie in
ber gried)ifd)en fficriobe noch wefentlicher Veftanbtheil beS
firchlichen Gebens felbft gewefen war, nach ber gijiruug beS
Dogmas aber namentlich in ber römifdjeu ftirdje fid) bom
Krchlichen ßeben jurüdgejogen Ejatte, würbe nun wicber bis
ju einem gewiffen ©vabe in bas proteftantifche Stirchenleben
hereingenommen. Slber bie proteftantifdje Ortljoöojie hielt
boct), an ber überfommenen bogmatifchen gormulirung ber
früheren üßerioben feft unb fonnte barum mit ber principiell
proclamirten Freiheit beS ©hriftenmenfd)en noch nid)t redjten
©rnft machen. . ®ieS blieb erft bcr mobernen ©ntwidelung
beS ißroteftantiSmuS oorbehalten, welcher für bie freie djrift*
liehe üßerfönlichfeit^aud) bie Freiheit religiöfer ©rfenntniß
forbert unb fich ebenfo üon bem $wange bogmatifcher gornteln
wie oon ber römifchen ©efeglidjfeit unb Veuormunbung frei
machen will. ®iefer moberne üfSroteftantiSmuS „befinbet fid)
jehon thatfächlich in bem ©tabium, baß er eine wirtlich all*
gemeingiltige ßelfre nicht mehr t) at > baß man auf bas ge*
meinfame ©runbprincip beS ©h.riftenthuinS jurüdgeht unb ben
Serjuchen ber ßehtuerbeffetung burch freie 35iScujfion ©piel*
raum läßt.“
3ebe biefer toter ^auptftufen bilbet bem Urd)tiftenthum
gegenüber einen neuen gortfd)ritt, ber nicht Wieber rüdgängig
gemacht werben fann unb foll. Scber biefer gortichvttte
hebt baS Dtioeau ber gansen ©tjriften^eit, inbem er burch
feine ©oncurrenj auch ben ftehengebliebenen Sieft ber über*
»unbenen ©tufen nötigt, an ber s duSgleid>ung ber ©infeitig*
feiten unb äWänget ju arbeiten, bie ju ihrer gefdjidhtlidjen
Ueberwinbung Slnlaß gegeben h“ben. ©o ift bie griechifdje
unb römifche ftirche heute etwas ganj anberS, als jur geit
ber Äirchentrennung unb ber Sieformation, unb felbft bie
protcftantijdje Drttjobojcic Ijat heute ein gan^ anbcrcS ©cficljt
als uor breihunbert fahren; wenn auch bie fird)li<hcn unb
ftaatltchen iöet)örben fid) noch fo fehr bemühen, baS lillte ju
conferuiren, fo forgt hoch baS einmal gefchloffene ©ompromiß
jwifchen Rheologie unb SSiffeufdjaft bafür, baß jeber l£h eo ’
löge, ber ber hiftorifch*fritifchen üJfethobe auch nur ben fleinen
ginger gereidjt hat, ihr fd)ließlich bie ganje §aitb überlaffen
muß. Sebe ber beftef)enben Sonfeffionen ^ält jwar an ber
Betonung beffen feft, woburch fie ihre gefchichtliche ©eben*
tung erlangt h“t, fudjt aber baneben fid) auch “HeS ®aS*
jenige fo weit als möglich anjueignen, waS bie anberen über
fie hiimuS^ugehen oeranlaßte. ©o bietet heute bie ©hriften*
heit eine innere ÜJlannigfaltigfeit bar, beren ©lieber fäinmt*
lieh ünioerfeU ju fein bemüht finb, ohne barum ihre fpeci*
fifcf)c ©igenart aufjugeben, unb fo ergänzen fie [ich gegenfeitig
unb fd)ügen cinauber baoor, ihre ©infeitigfeiten ju über*
fpannen. gugleid) fd)eint biefe IWannigfaltigfeit ber con*
feffionellen ^lusgeftaltung ber ethnologifchen Veranlagung ber
brei ^auptjweige ber europäifchen Völferfamilie, ber Slawen,
Siomanen unb ©ermatten gemäß ju fein. 2 )enn bie ©riedjen
finb gegenwärtig ebenfalls als eine übermiegeub flawifche
Siation ju betrachten, unb fatholifche ©ermanen finbet man
faft nur als Slachfommen gewaltjam refatholifirter ißro*
teftanten ober in ben ßaubeStt)eilen, bie jur 3 e *t ber Siefor*
mation unter geifttid)er §errjehaft ftanben, unb beren ©in*
wohner baburd) uerhinbert waren, fid) bem SßroteftantiSmuS
anjufdjließen. s Jiur bie Sßeftflawen bilben confeffionell wie in
ihrer ethnologifdjeu Veranlagung ein UebergangSglieb jwifcheit
ben Dftflauen unb Stomanen. ®ie Stellen finb ein wefent*
lieber Veftanbtheil ber heutigen romattifchen Völterfamilie
unb h“Uen felbft ba meift am römifchen Äirdjenthum feft,
wo fie alS oerfprengte ©lieber unter ©ermanen leben, j. V.
in Srlanb unb Slorbanterifa.
2luf bie gejd)id)tlid)e ®arftcüung ®orner’S ift hier nicht
ber £>rt, näher ein^ngehen. §ätte ber Verfaffer nur gebilbete
ßaiett als feine ßejer im §luge gehabt, fo mürbe er ohne
gwetfel manche gefd)id)tlid)e ©tn^elaugaben bei ©eite gelaffen
unb [ich noch me h r auf baS üikjentlidje befchränft haben; bie
Siüdficht auf theologifche ©tubenten forberte jebod) ein ge*
WiffeS üJlaaß üon ge)chidjtlid)en Eingaben. ®ie ©arfteQuitg
ift fließenb. Sßer über ben ©egenftanb Drientirung jucht
unb nach ben obigen Eingaben über ben ©tanbpunft beS Ver*
fafferS biefem gutjrer Vertrauen fchenft, wirb nicht ohne
reiche Velel)rung baS Vuch auS ber £>anö legen, baS trefflid)
geeignet ift, bem oben bcflagten ÜDiangel religiöfer Vilbung
abjuhelfen.
Jluccitti unb feine neue ©per „fcoaca“.
33on (Emil ITlauertjof (SRom).
®er ©arneoal ift herangefommen, unb bamit haben auch
bie Vorstellungen oon üßuccini’S „ÜJoSca" borläufig ihr ©nbe
erreicht, benen ja bie an ben auswärtigen Vühnen wohl
je^t halb folgen biirften. Sn ben mufifalifdjen Streifen
StalienS gilt üßuccini als ber ©rfte innerhalb ber neuen
italienifchen ©cpnle. 3 l) n fteöt man an bie ©pijje, bann
folgt ü)laScagui unb in britter SKeitje erft ßeoncaoallo.
S)aritm mag auch einiges Wenige auS bem ßeben biefeS
©rften intereffiren.
©iacomo ü^uccini ift auS ßucca gebürtig unb ent*
ftammt einer alten ÜDfufiferfamilie. Schon fein ©roßoater,
®omenico üßuccini, hatte eine Oper, OuintuS gabiuS, ge*
feprieben, bie and) in ßioorno mit jiemlid)etn ©rfolg über
bie Vühne ging; im Uebrigen aber finb bie Vorfahren unfereS
UonbichterS fel)r ftreuge Herren gewefen, bie fich mit leid)t*
fertigem Stram nicht einmal gelegentlich abgabeu, fonberu fid)
*
Digitized by v^. ooQie
136
$ic (j&egenwatL
Kr.fr
mit all’ ihren mufilalifdfeen Sorgen ftetS unentwegt inner*
fealb her ern|'tRaffen ftirchenmufif bewegten. Snjofern ift
freilich ber Jicfeter bev „SBitti", ber „fötanon SeScaitt"
unb ber „Pofeeme" gänzlich auS ber 9trt gefcfelagen. Jie
Sugenb ©iacomo’S oerlief mie bie eines armen ÄunftfdjülerS.
3unäcfeft befuefete er in feiner Paterftabt bas ©femnafium
mtb brachte eS feier bod) fo weit, tun Pirgil lefen nnb uer*
fielen zu tönnen. Jann ging eS non Succa auf bie £>oc£)*
fdjule für Sötufit nad) fötailanb, wo er mit feinem fürjlidj in
Winerifa uerftorbenen Pruber SDticfeele unb einem Petter ju*
fammen fein Quartier in einem möbtirten 3inuner auffc^litg.
©r bezog wäferenb biefer ©tnbienjeit aus Nom ein ntonat»
tidjeS ©tipenbium non 100 Sire, non bem aber bie je ganze
breiföpfige ©efeQfdjaft 31 t (eben batte, fo bafe gewöfenlid)
fefeon nad) ben erften “lagen beS Söfonats bie ©änge nad)
bent Seifeamte beinahe ebenfo häufig würben, wie bie nad) ber
Nfabemie. Srgeitbwie @d)u(ben ju machen, (ag außerhalb
aller SJtöglicfefeit. Jie 3Jiiett)e mußte ftets ooraitS bezahlt
werben, unb ber 3ufuü feotte eS f° gefügt, baß bie brei
jungen bei einem Poftbeamten wohnten, burdj beffen §änbe
auf ber £>anptpoft fämmtlidje einlaufenbeit ©clbbriefe gingen.
Unb fo tarn eS, bafe jeben Ntonat einmal ber §auSwirtf),
einen SBrief in ber §anb, in baS 3' mni er feiner brei Seib*
eigenen trat, not bereit begehrlich aufleud)tenben?lugen Kidjeltib
ben Umfdjlag jerrife, bie barin (iegenben 100 Sire fiel) in bie
Jafdje ftedte unb jenen barauf 70 Verausgab. 9lber and)
ber Söinter in biefent erften Sofere mar auSnefemenb fa(t,
unb geuer mußte ab unb ju gemad)t werben, wollten nid)t
alle brei felbft gelegentlich ju einem ©ist lumpen erftarren.
Um jebod) ben ^otjeinfauf, ber beften galleS immer nur ein
Silo betragen burfte, in würbiger SBeife ju bewerffteUigen,
trat ber jüngere Pruber Don 3eit i>* 3 f d mit einer alten
englifcfeeit Neifetafcfee eine Neije inS NuSlanb an, ging eilenbS
in bie erfte oerborgen gelegene Äofelenfeanblung, paefte bort
ein paar (polzfcfeeite in bie Jafdje unb feferte baniit in bie
foeben oerlaffene SBofpiung juriid, iubem er zugleich ber uer*
wunbert bareinfefeauenben Pförtnerin in f)öd)ft unbefangenem
Jone erllärte, baß er foeben eine Jepefdje erhalten tjätte unb
barmt» nid)t met)r oerreife. Ja fidf biefe getjeimnifjuollen
Nicfetreifeit aber 31 t häufig wieberljolten, unb ber 9frgwofen
ber Jbürfeiiteriit barum fefjon einen beforgnifeerregenbeit
©fearafter anjuneljmen begann, fo fafe fid) ©iacomo enblid)
genötfeigt, biefer unter bem «Sieget tieffter Perfdjmiegenl)eit
mitzutfeeilen, baff bie ganze ©acfje eine fije Sbee feines
PruberS fei, in ber man ifjn jebod), ganz fixeren ffiutfe*
anfallen oorjubeugen, um alles in ber 2 Selt nidjt ftöreu
bürfe. Jie brei jungen Seute waren jubem paffionirteNaucfeer.
Stuf welche Slrt war nun biefer Seibenfdjaft bei fo befdjränften
fötitteln ju genügen? Ja fommt eines fdjönen JageS ber
fetter nach (paufe unb wirft ftrafelenben 9lntlißeS einen
Raufen brauner Sßürfet auf ben Jifdj, bie baS 9IuSfefeeu
geröfteter §olzfpäfene ober Probfruften haben. feien
Gacaofcfealen, fo erzählt er eifrig, bie orbentlicb jerftoßen einen
herrlichen Jabaf abgäben: für 25 ©entefimi hätten fie alle
brei über einen ganjen Jag bin übergenug. Ntan gebt jubelnb
an bie 3ubereitung. Jaun ftopfen bie brei ficb ihre Pfeifen,
jiinben biefe an unb paffen auS ^erjenSluft barauf loS. ©in
peftilenjialifcber Junft erfüllt junäctjft baS 3'wnter. Jarauf
überfällt fie 9lHe auf einmal ein unwiberfteblicber, bartnärfiger
^uftenreij; fie feben einanber an unb bliden in oötlig er*
blaßte ©efidjter; juleßt fuebt ein Seber ftöbnenb unb mit
rebellifcbem SÖtagen fein Saget auf. Jie (pauSwirtfeiti, bie
im Nebenzimmer fampirte, brachte folgen SluSfdjweifungen
ber brei gourmets begreiflicher 2 Beife nur ein feöcbft geringes
Ntitgefiifel entgegen; als ganz befouberS unwütbig erachtete
fie eS aber, wenn man fid), wie baS oft genug oortam, bie
SDfablzeit, bie häufig nur aus brei Padeiern beftanb, über
Spiritus felbft jubereitet. @0 oft ba()er bie Putter in ber
fleiueu Pfanne über bem wadeligcn ©laoier in oerbäd)tiger
9lrt ju fingen begann, rief ber Petter, um bie argwöbniftb«
Ob«» ber baneben wobueubeu f^rau zu täufdjen, bem }u=
lünftigen Jonbicbter mit bonnernber ©timme zu: fo jpiele
bod) enblicb! willft Ju beun beute gar nicht üben? 93otauf
biefer bann unter 3ubülfenabme aller pebale auf ben Jaftai
eine Sinfonie beS SBeltenuntergangeS anzuftimmen pflegte,
bis ber oerrätberifdje ©efang im Jiegel oorüber war. fiu
biefer luftig barbenben SEßeife oergingeit bie Sabre unb bamit
auch enblid) baS ©tipenbium; unb als ©iacomo bie Stfabemie
oerliefe, b Q de ein Seber ber brei fortan für ficb a ^eiu p
forgen. Jent Jonbidjter ber „ JoSca" gelang eS zunäefeft, an
Zwei ©tunben in ber 2Bod)e Wufifunterricbt zu ertbeileu, moiüt
er jebeS 2)?al eine Sira erhielt; er war aber }d)on mit bea
Saferen in bef ÜKaitänberÄünftlerbofeOme befannt geworben unb
biefe oerfdjaffte bem zulnnftreidfeen ©enie in ber Dfteria bell’
einen ?lbenbtifd) mit aümonntlicfeer, nacfeträglicfeer SBezafelung,
wofür er täglich ein ©tiid Prob, ein ©tüd Äo^fteifdfe je»
feeimnifeuoUer Slbfunft unb 34 Pofeiten erfeielt. lliiterbefe
featte ©iacomo puccini jebod) fefeon an feinen „PiUi“ ju
arbeiten begonnen, mit benen er fid) an einem SKailäuber
PreiSauSfdjreiben betfeeiligen wollte. Pierzefeit Jage 00 t ber
ablaufeitben fjrift fefelte noch ber zweite 9lct, wie bie Orcfeeflri*
rung beS ganzen SßerfeS. Slber um üJfitternacbt beS 30. Jecem
berS 1883 war bie Oper fertig, bie balb barauf baS Preis»
geriefet befähigte, bem unglüdlicfeen Jicfeter fo gut wie alles
inufifalifcb * f^öpferifefee Jalent abzufpreefeen. ©lei^mobl
würbe einige SHonate fpäter biefelbe Oper auf einer ÜDJailänber
Püfene aufgefüfert unb erzielte ba ben beulbar geräufcfeoollften
©rfolg. Jerweilen war bie ©cfenlbenlaft in ber Dfteria bell'
Üliba auf 300 Sire angewaefefen. 9lm 9lbenb naefe ber erfleit
PorfteBuug aber gefet ber §elb beS SDZailänber JageSjc
fpräcfeeS Oon Neuem in bie oerräudfeerte ©pelunfc, betritt
fie feoefe erhobenen §aupteS, oerlangt gebieterifefe, noefe beoor
ber ÄeQtter 3eit featte, ifein toie gewöfenlicb baS fraftlofe
©tüd ftocbfleifcfe auf ben Jifcfe zu werfen, feine Necfenunj
inbetn er zugleich bor ben funlelnben 9lugen ber erftauni
feerbeigeeilten SBirtfein einen reefeten, eefeten Jaufenblirefdjein
tanzen läfet. Puccini felbft erzählt fo. ®S war bicS bie
gröfete, bie unoergefelid)fte ©enugtfeuung, bie ifem bislang bas
Seben gebvadjt feat. Stuf bie „Piüi" folgten aisbann „Wanuii
SeScaut" unb bie „Pofeeme". Seßt feat er fid), noch wty
als mit ben früheren, mit ber „JoSca" bie mufifalifcfec ffldi
erobern wollen. Sft ifem baS gelungen?
Jer Jejt zu ber Oper ift bem gleichnamigen ©cfenufpieU
©atbou’S entnommen, baS auch in Jeutfd)lanb aufgefüfert
würbe, freilid) ofenc ©rfolg nnb in Perlin mit Paulen unb Jrom»
peten burdjfiet; bod) finb bie fünf Siete im Sibretto in brei p»
fammengezogen. Jer ©cfeauplaß ber ^anblung ift Nom im
Safere 1800; bie £>elbin ierfelben ift bie ©ängerin fjloria
JoSca; neben ifer ftefeen in erfterNeifee ber-SNaler ©aoarabofp,
ifer ©eüebter, unb ber tpauptmann ber römifefeen polijei,
©carpia. Nngetotti, ein f^reunb beS SNalerS, ift auS bet
©ngeisburg entflofeen unb feat in ber Äirdje ©ant 9 lnbrea
beQa PaUe ©efeuß gefuefet, wofür ifem fefeon feit mehreren
Jagen bie ©efewefter eine anbere Äleibung bereit feält .Stier
in berfetben Äircfee arbeitet aber auefe zugleich an einem
9 lltarbilbe ber ÜJfaler ©aoaratroffi, ber bie Nnwefenfeeit bet
jungen ©räfin bazu benußt, um naefe ifer bie 3 uge öno
SNagbalena zu geftalten. 91 iS Singetotti bie Sfircfee betritt, ift
eS früfeer Nlorgen; balb naefe ifem fommt ber SKaler, bet
wofel bie btonbe ©räftn malt, in feinem fetzen aber baS
Pilbnife ber fcfeönen, feurigen JoSca trägt. Nad)bem bet
Slüfter ifem bie Pinfel bereit gelegt feat unb ftefe bann ent»
fernt, tritt auS einer Stapelte beS ©eitenfcfeiffeS ber entflogene
©efangene, ioäferenb zugleich an ber Ä'irdjentfeür bie Jo « 11
©inlafe begefert. Jer fötaler Oerfpricfet bem ffreunbe in aßet
©ile, ifett in feiner PiQa üor ben Jfeoren zu Verbergen unb
öffnet barauf, nadjbent fiefe Nngelotti üon Neuem in bie
Kapelle begeben, bie Jfeiir ber ©etiebten, bie fiefe infolge bcc-
Digitized by v^. ooQie
Nr. 9.
Bte töegetiwart.
137
langen SBartenS argwößnifd) im ftdrcßenranme umfdjaut.
Sie erblidt baS Wagbalcnenbtlb. „Oß! biefe Sogen ... bieje
Äugen!" fcufjt fie etferfiidjtig; ber Waler aber beruhigt fie.
SJladj einer ^ärtticT»en SuSfpracße «erläßt bie Sängerin ben
©eliebten, wäßrenb jugleidj bie Äanotteit ber ©ngelSburg bie
Fludßt eines ©efangcneit in bie SBelt bonnern. ©leicßwoßl
gelingt eS ben beiben greunben ju entweichen, beoor noeß
bie Eäfdjer beS EauptmanneS ©carpia in bie Äirdje bringen.
SIS biefer fießtere bei feinem Eintritte ben ^äcper erblidt,
ben bie ©cßwefter beS Flüchtlings bei ihrer lebten Snwefen*
heit oergeffen, folgert er fofort aitS biefem Umftanbe bie
Witwiffenfdßaft beS WalerS. Sni gleichen Sugenblide er*
fcheint 001 t ßleuem bie Sängerin, um ber Verabredung gemäß
ben ©eliebten abjußolen. Sie finbet ihn nicht mehr, unb
ber fßolijeißauptmann bebient fid) nun beS jutüdgelaffenen
gächerS, um in ber argwößnifcßen ©ame bie ©iferfucßt in
bem Waße anjuregen, baß jene wie befinnnngSloS baöoti
unb in bie SßiÖa beS angeblich ©reulofen eilt. 3ßr folge«
im ©eheimen bie ©birren. ©amtt enbet bet erfte Set.
©er jweite fpielt in bem ißalafte F ai ' lie fe. ©carpia ift
allein unb beim 9lacßtmdßle. ©ie ©chergeit finb jurüd*
gelehrt mit ber Nachricht, baß fie Sugelotti nid)t haben finben
lönnen, bafür bringen fie ben Waler gefeffelt herbei. SuS
einem unteren ©aale beS ißalafteS tönt bie Stimme ber
©oSca herauf, bie ba auf einem Fefte oor ©ingelabeneit fingt.
Vergeblich befragt ©carpia ben Waler nach bem Verfted beS
FreunbeS. ®a oerfäflt ber ©rftere auf ben ©ebanlen, bie
©ängerin auSjuforfcßen. ©r läßt fie ju fief) hinauf entbieten,
wäßrenb er zugleich ben Vefeßl erteilt, ben Waler in einem
baneben liegenden 3 l m, uer auf ein gegebenes Stidjwort hin,
ber ©ortur ju unterwerfen. Sber auch ber ©oSca gegenüber
fmb feine Vemiißungen uinfonft. ©ie Tortur nimmt alfo
ihren Fortgang. Wan hört bie Stimme ©aoaraboffi’S, ber
bie ©eliebte befdpoört, nidjtS ju oerrathen. darauf folgt
neuerbingS ein Schrei, uitb außer fid) oor ©ntfeßen ftößnt
bie Sängerin: „Sin Vrunnen beS — ©artenS!" ©a wirb
bie ©ortur abgebrodjen; unb fie fießt jeßt, wie ber ©eliebte
blutüberftrömt oon fJleuem in ben Seifer gefdjafft wirb,
„©hebt es eine fRettung?" äcßjt fie. „Sa!" antwortet ©carpia;
„fobalb bu mir angehören willft, wirb bie Einrichtung nur
jum Scheine oor fid) gehen." ©ie Sängerin ift ber Ver*
jweiflitng nahe, ©a fie aber gar feinen SuSWeg fießt, fo
Willigt fie fdjeinbar ein, unter ber Vebingung jebod), baß
ißr juerft ein Freibrief für ben Waler auSgeftellt werbe,
bamit biefer ungehinbert bie ©ngelSburg oerlaffen fönne.
©carpia fchreibt ben ©rief; als er fid) jeboch ihrer barauf
bemächtigen will, ergreift fie einen auf bem ©ifdje liegenden
©olch unb ftößt ißn bem ©bitten in bie ©ruft.
©er britte Set fpielt in ber ©ngelSburg. ©aoaraboffi
glaubt fid) turj oor bem ©obe — benn er foll erfeßoffen
werben — unb benußt bie leßten Sugenblide, um an bie
©eliebte ju fchreiben: ba erfdjeiut biefe felbft. Sie übergiebt
ißm ben Freibrief unb erzählt bem maßlos ©rftaunten in
bebenbet Sufregung ben Vorgang, ©a brießt ber Worgen
an unb mit ißm auch We ©tunbe ber Einrichtung, bie jebod)
nur in ber ©inbilbung ber fliehenden eine fcheinbare ift.
©aoaraboffi wirb in ber ©h at erfchoffen. SRadjbem bie
Soldaten fid) jurüdgejogen, eilt fcßleunig bie ©oSca herbei,
um mit bem ©eliebten gemeihfam 511 entfließen. 3 U iß rem
©ntfeßen finbet fie ihn tobt. Unterbeß haben bie ©birren
ben Worb ihres EauptmanneS entbedt, haben ber ©oSca
Spur «erfolgt unb finb bereits in ber ©ngelSburg, um fie
ju oerhaften, ©cßon üernimmt bie ©ängerin ißre Stimmen,
©ie rafft fieß auf unb ftürjt fief) oon ber Eöß e ßet Wauer
hinab in bie ©iefe.
Für Wenig anfprueßsooße ©emüther ift bie Fabel ber
Oper, troß mancher SBunberlidjfeiten, in ben Eaupttßeilen flar
unb überjeugenb genug. SEßaS ßat nun bie Wufit auS ißr
gemaeßt? Vielleicht ift eS am juträgtießften, biefcS altweife
ju oerfolgen, ©ie Dper ßat lein Vorfpiel; gleich bei ben
erften, fdjrocrcn Sccorben ßebt fid) bet Vorßang, unb bie
Wufif feßt fofort feßr glüdlidj mit ber Vomauje ©aoara*
boffi’S ein, in ber bie beiben feßönen Frauen mit einanber
oerglicßen werben, unb bie bann in bie ©etßeuerung auS»
Hingt: „©oeß ©u, 0 ©oSca, bift mein einjiger ©ebanle."
Von ba ab oerläuft alles, troß mancher reijootlen ©injel*
ßeiten jiemlicß einbrudSloS bis jum Finale ßin, baS aller*
bingS oon guter Söirfung ift. @S ßat fieß nämtieß bie 9lacß*
rießt oon einer Sftieberlage ©onaparte’S in bet ©tabt üerbreitet.
®aS Voll ftrömt in bie ftireße; bie ©eiftlicßteit jießt in all’
ißrem ©ompe ßerbei, um ©ott ju banlen. Unb während
nun bie Kanonen ber ©ngelSburg bonnern unb bie Orgel
tönt, öermijeßt fieß jugleicß mit bem ©ebeum beS VolfeS ber
Suftgefang beS naeß ber ©oSca fiebernben ©carpia. ©er
2 . Stt ift befonberS für fleute, bie in einer Oper oorneßm*
ließ feßen wollen, der weitaus bramatifcß träftigfte. Wufi*
falifcß wertßooU ift ber ©ingang mit bem Verßör beS WalerS,
ben üon unten herauf aus ben Säten ber Königin oon
Neapel Sßorgefang unb Orcßefterfpiel begleiten; aisbann noeß
ber 3n>*egefang ber ©oSca unb beS ©carpia während ber
©ortur. Sber in ber Srie ber ©oSca: „9tur ber Äunft unb
ber fliehe ßab’ icß lebt —" ßat ißuccini bie fleibenfeßaft beS
©cßmerjeS in leine Welobie ju bannen oerftanben — eS ift
bei bloßer töneuber fßßrafe geblieben; ber Wufit feßlt ßier
nießt bloß ber finngemäße ©timmungSgeßalt, fie ift jum
©ßeil fogar bebauerltcß fladj unb gar baS ©nbc beS StteS
wirtt abftoßenb unb beleibigenb. Stacßbem nämtieß bie
©oSca den V°l'ä e >ßauptmann erftoeßen ßat, bleibt fie noeß
etwa 15 Winuten in aller ©emütßSruße in dem ©obten*
jintmer, fcßleppt ein ßrucifij ßerbei unb jfinbet Slerjen an,
die fie bann in jwei feßweten ©anbetabern neben ber fleieße
auffteHt. SBie drei jurecßnungSfäßige ißerfonen, jwei an*
geblicße ©id)ter (SHica unb ©iacofa) unb ganj inSbefonbere
ber Wufifer, ber bamit jede frühere Sßirtung inS Slberne
oerleßrt, einen folcßen Vorgang nießt als wiberlicßen Vlöb*
fitin ßaben empfinden lönnen, ift in ber ©ßat ganj un*
begreiflich. F a ft ber ganje britte Stt ift mufitalifcß wertß*
Ooll: junädßft baS ©rwaeßen bet großen ©tabt, in baS ftim*
mungSooll ber ©efang eines Elften ßineintönt. ©päter beS
SDtalerS SbfdjiebSlieb an baS flebeit, oielleicßt ein wenig
weicßlicß, boeß ßöcßft wirfungSüolI, bem fieß gleich barauf
ber 3toiegefang mit ber ©oSca: „D füße Edube milb und
wonnereieß —" anfdßließt. t Sber eS ift feßabe darum, baß
aueß ßier wieber jum ©cßtilß bet Wufifer fßuccini oor bem
bramatifdjen ©ßarlatan ©arbou in fcßmäcßlidter SBcife fapi*
tulirt ßat. Sucß bem 8 . wie bem 2 . Sfte feßlt ber fieß ju
fteigernber äßirfung aufbauenbe mufifalifcß finngemäß mäd(*
tige Sbf^luß. ©ie Wufit berftattert mit bet ©oSca felbft
in aße Säfte.
©ie erfte Vorfteßung ßatte natürlich ein feßr großes
unb oorneßmeS Vublifum ßerbcigclodt. ©aS E auö «)ar
überfüßt troß bet unftnnigen'fßreife. ©ine Heine flöge im
erften fRange foftete 400 flire, ein erfter ©perrfiß aßein
60 flire. ©ie Sufnaßme ber Oper jeboeß ßielt fieß in ben
©renjen einer feßr maßooflen Vegeifterung — troß ber
21 E«fborrufe beS ©onbiißterS, bie man gejäßlt ßaben wiß.
©in großer ©ßeil beS fßublifumS ßatte erficßtlicß meßr er*
Wartet. Viefleicßt lag eS aueß an ben ©ängern; ©enor unb
©opran erfeßienen nießt imVoflbefiß ißrer gefanglicßen Wittel;
bie oielgerüßmte ©arclee, bie unlängft in Vertin gaftirte
unb abfiet, tremolirte und betonirte etf^redlicß in ber Eöße
ben ganjen Sbenb über — ßätte eine jiemlicß aufbringlicße
©laque nießt pünltlicß bei aßen jenen Hummern eingefeßt,
bie naeß bem Urtßeile beS ©onbicßterS ober Verlegers als
beifaßswürbig erfeßeinen, fo ßätte waßrfdjeinlidj nur baS
Finale beS erften SfteS ganj fteßer bureßgefeßfagen. fßuccini
ift mit feiner Oper eben an einem Oößig mufitwibrigen ©ejt*
bueße gefeßeitert, obfcßon in ber ißartitur felbft aße ©temente
j-
Digitized by v^. ooQie
138
Die (Gegenwart
Nr. 1
ju einem mufifatifegen SDieifterroerfe oorganben finb: fte
gaben fieg nur teiber niegt jujammciifiitben unb gegenteilig
öuregbrtngcn fönnen. Süian fann feine blojje unb noeg baju
überaus raffinirte Sntrigue in mufifalifcge Smpfinbung um*
fegen. VejonberS ungeilooll gat fteg biefet Umftanb gcrabe
bem jroeiten 'ilfte ertoiefen, ber feiner ganjen Anlage naeg
ber eigentlicge ^pögepunft beS SBcrfeS fein follte. Sr entgalt
nicgtS als Sntrtgue unb baju nod) ein paar bei ben paaren
gerbeigcjogeue Sluberngeiten. 3 roei Sßerjonen, ©carpia unb
bte Xosca, berfuegen einen ganjen 2lft lang nicgtS ÜlnbereS
als fteg gegenjeitig anjufügren; baju fingt noeg ex abrupto
ber gefolterte, blutüberströmte unb beroußloje SDfater mit
fegmetternber ©ttntme ein ©tegeSlieb, unb bie ©ängetin
fügrt bann julegt an ber Sieicge igreS Verfolgers jene fegon
erroägnte, ,ganj oerrüefte Äomöbie auf. ®ie Vorgänge auf
ber Vügne erfegeinen barum in jo Diel oerfegiebenartige unb
roiberfinnig gemifegte ©eenen unb ©timmungen jergaett, baj)
man julegt übergaupt niegt megr empfiitbet unb aueg bie
ajiufif niegt megr gört, ©cgliefjt man Dagegen bie Sllugen,
jo begreift man auf einmal ju feiner niegt geringen lieber*
rafegung, Daß jroar baS jeenifege Vilb nicgtS taugt, bafj aber
bie iüiuftf juni Xgeil fegr reijooll ift. S)aS ^ubltfum gatte
alfo Vecgt, weil es ein üfufitbrama ermattete unb oieUcicgt
aueg ermatten Durfte, unb biefeS niegt ju gören befam; unb
eS gatte Unrecgt, meil es über ben milben, aufgeregten unb
jerfplitterten Vorgängen auf ber Vügne julegt bie §aupt=
faege, nämlicg bte Sßfufif, jum Stgetl übergörte. Silber eS
hegt auf ber §anb, baß gerabe Deßgalb unb trogbent biefe
oorläufig legte Oper V ucam ’3 fieg boeg allerorten Diele
greunbe gemmnen mirb. Sie Unmufifaltjcgen roerben auf
Die Vügne jegauen; unb bie äJlufifoerftättbigcn roerben fieg
an Dielen, etnjelnen, großen muftfalifcgen ©cgöngeiten er*
freuen. Unb baS jegon muß als etmas gelten in einer 3«ü,
bie VeffercS niegt geroorjubrtngen Derftegt.
Heforrn ber jßilöljauerei.
33on <£mil oon Sybou).
Vor längerer 3eit iourbe in ber „Segenmart" bie gtage
aufgemorfen, marum bie ^laftif jo fegr im Sllrgen liege,
beim Volte fo roenig Vcrftänbniß finbe unb im Segenjage
jur SDiufif, Sicgtfunft, ÜWalcrei im Srogen unb Sattjen falt
taffe. Sie Sltntroort lautete, meil in ber Vilbgauerei Don
geute nicgtS gejegaffen mirb, baS bis in bie legte SluSgeftaltung
inbiüibuell bureggebilbet erfegeint unb als ÜtuSbruct Der 3 e >t,
in ber mir leben, freubig erfannt mirb. Äurj, meil bie Vilb*
gauerei Don geute feine Äunft unjerer 3 eit l Ü- 3 U biefem
Urtgeil gelangt nun ebenfalls ein geroorragenber Vilbgauer,
ber ÜBiener Sltabeniieprofeffor Sbmunb £>ellmet, in einer
Vrocgure „Segrjagre in ber S|jtaftif" (SBien, Ulnt. ©cgroll & So.)
unb ber Don tgm fegon im "Xitel angebeutete SKeformoorfcglag
beeft fieg jieinltcg genau mit unferen bamaligen s 4ioftulaten.
SaS plaftijcge Smpfinben rourjelt ini „SDiaterial"; aus
bem SDlaterial gerauS mufj ber Vilbgauer componireit.
©cgnigten bie Sllten igre Figuren aus ;polj, fo gaben fte bie*
jelben gauj anberS, bem yffateriale entfprecgenb, componirt,
als roentt fie biefelben in Vronce gofjen ober in älfarmor
meißelten. Ser faum ju bearbeitenbe Sranit ber Slegßpter
ift bie Srunburfacge jener granbiojen Sefcgloffengeit unb Sin*
faeggeit igrer monumentalen Söttergeftalten. Ser leiegter ju
meijjelnbc peutelijege Sülarmor ber Sriecgeit erlaubt igren Vil*
bungen roeit größere greigeit unb bie Vronce nageju Ve*
meglicgfeit. Smmer — an jeber grofjen ftunftepoege fann man
es uerfolgen — ift baS SDiaterial, bie Vegerrjcgung beS 3Jia*
terialS baS ÜJiaajjgebenbe für bie ßompofition. ©o roie bet
SDfufifer, bet in Sölten unb Harmonien Denft uuö Der
SeiftungSfägigfeit jebes SnftrumenteS (ber menfeglicgen ©timme)
entfprecgenb fein Vkrf'geftaltet, mie ber SDialer, ber in garben*
Problemen, auf roelcge bie Vtaltecgnif — in biefem gälte baS
„äliaterial" — beftimmenben Sinfluj) übt, feine Sebanfen
unb Smpfinbungen jur Slnfcgauung bringt, mie ber Slrcgiteft,
ber, bem 3 roecfe 1)61 Sfüglicgfeit Vecgnung tragenb, baS
ÜKaterial roäglt unb bann roieber aus Dem Viatenal gerauS
ben fünftlerifcgen tlluSbrucf finbet, fo füll aueg ber Vilbgauer
in gormen fügten unb Don oorngerein bie VilbungSfägigfeit
beS tülateriales in fein ©egaffen ein besiegen.
Um aber fo ju geftalten, gegört oor allem Dolle Ver*
trautgeit mit bem Viaterial baju. Unfere mobernen Vilb*
gauer finb aber nur ÜKobelleure. Xgon, JBacgS finb igre ®e*
ftaltungsfötper. ^pellmer fennt unter ben jegt fegaffenben
Äünftlern faum fünf ober feegs, bte ju meißeln oerftegen, faum
einen, ber im ©tanbe ift, fein V$erf in Vronce ju gießen, ju
cifeliren. ©eine erften taftenben Verjucge rnaegt ber Vilbgauer
Don geute in fcgmiegfamein ilegm ober VkcgS; er fennt unb
lernt niegt in Vetracgt jiegen bie ©pröbigfeit beS SefteineS,
bie ©cgmierigfeit, in Vronce ju bilben. ÜBiUig folgt bie
meiege ©ubftanj ber Sßgantafie beS ÄünftlerS, ja er lernt fie
teegnijeg begerrfegen, bringt es juni befteegenben Vortrag. 3ft
aber feine nrbeit oollenbet, fo muß fie erft in bauernbeS
iüi'aterial „übertragen" merbeit. Unb ift fie btoS erft „über*
tragen", mirb man igr eS für alle 3 e 'teu anfegen unb an*
fügten, baß fie niegt aus bem Seftein, bem ÜDfatmor geroor*
geroaegfen ift, baß fie aus Süfetall „gebilbet" morben. ®er
einige, nie ju uerbeefenbe iüfangel bes plaftifcgen Smpfinbcns!
„Unb mie fiegt eS mit ber ,Uebertragung‘ aus!" ruft tpollmer
aus. „Arbeiter, meift ogne fünftlenfcge VorbilDung, copiren
reegt unb fcglecgt bas üBerf. SllUe Snbioibualität ber gormen*
gebung, jeber Vortrag gegt Derloren. VicgtS Don jenem be*
rücfenben, ginreigenben Veroenfpiel, feine SluSniigung Don
3ufäUigfeiten, fein fraftooller SigenmiUe, niegt gmgebungS*
Dolle üiebe — einfaeg eine intereffelofe, jegmaege Sopie."
Bit miffen alle, mie ein plaftifcgeS Äunftmert ent*
ftegt. Bill ber Äünftler ein ÜMarmorroerf fcgaffeit, mobel*
lirt er fein „Diobell" baju in Xgon, aueg SBacgS, meift in
galber ober gar in berfelben Sröfje, in ber baS Bert auS*
gefügrt roerben foll. i)fun mujj bie SDfobellirtecgnif in SDiar*
mor „Ueberfegt" roerben; baS ift aber ebenfo fegroet mie baS
Ueberjegen in eine ftembe ©praege. SBaS gier ber ®aumen
brüeft, baS Diobellirgolj ftreicgt, mjife bort gegauen, gejegabt,
gebogrt roerben. gür geroiffe geingeiten gibt eS bager über»
gaupt fein Slequioalent; eS müßte Denn gerabeju neu erfun*
ben roerben. . Silber negmen mir felbft an, bafe ber Sfünftler
in eigener Sfierjon fein Bert in ©fein überträgt — roaS bei
ber geutigett Vorbilbung ein ®ing ber Unmöglicgfeit ift —
eS mirb gleicgroogl eine müjbe Ueberfegung bleiben. SS ift
eben ganj abjolut DerfegU, groge SlMobeUe ju ntaegen unb
biefe bann ju „übertragen", gleiegoiel mer biefe Uebertragung
Dornimmt. Xenn in jebem gaUe feglt bie nie ju copitenbe
„Singebung beS SlugenbliefeS". Unb §ellmer fügrt unS Dor
bie Arbeiten ber beften Sitten, Damit mir fie genau anfegen,
„©ie gaben naeg fleinen Sntmürfen, roelcge nur bie £>aupt*
mafjeit ber ßompofition feftlegen, frei im grofjen gemeifjelt.
SS ift aueg ganj unlogifeg, anberS ju arbeiten, benn SRicmanb
ift im ©tanbe, jroeimal etroaS „ganj gleicg" ju empfinben, unb
jebe äBiebergolung, aueg roenn fie ber Sfünftler felbft aus*
fügrt, ift eine Slbfcgmäegung." 3Die Sllten gaben alles prima
gearbeitet, (©iege SfjgibiaS unb feine ©cgule.) Von ben
Äünftlern ber SKenaifjance finb unS noeg einige ber fleinen
„©fijjen" ergalten, naeg melcgen fie gearbeitet gaben. Unb
Don bem Sröjjten ber Sro^en biefer 3eit, Vuonarotti, gaben
mir galbauSgefügrte, rog boffirte, ja „Dergaute" SUlarntor*
geftalten, an melcgen mir bas Vorgegen genau ftubiren fönnen.
— Xafj biefem §eroS in feinem Ungeftüm bei manegen gi*
Digitized by
Google
Nr. 9.
Die Gegenwart.
139
quren nnb (Gruppen ber SBfoef ju ffeirt würbe, jeigt genau,
baß er feine Arbeiten nidjt juerft im „SDtobell" ooüenbet ßat.
Sft baS SVobcll in ©ipS poltenbet, fo wirb eS beit £>ärtbeu
be$ StünftlerS entwunben unb bie weitere Veßanbluttg ßanb*
roerfSmäßig burdjgefüßrt. SSSirb eS in ©anb geformt, fo wirb
cS, wenn nießt jerfeßnitten — waö in ben meiften gäfleit
beö bequemeren ©uffeö falber gefdjießfr — boeß oon Slrbeitcrn
eingeformt, wcldje feine ©mpfinbung für gorm ßaben, voetdje
bie 9?aßtfüßrung rein im tpinblide auf baS teidjtere ©elingen
Dorneßmen, bic bann nach gefeßeßenem ©uffe aDe 9täßte mit
ungeübter £>anb tßcilö Pertlopfen, tßeilS Perfdjaben, nm fie
fcßiießlkß mit punjeit jufainmenjnjießcn, wie fie’S eben ber*
tteßen. 9luf biefelbe 2Beife roirb auch baS 3 u f ammen f c $ en
ber ©tüdc unb baS Verarbeiten ber 3 u 9 en bufeßgefüßrt.
ÜSirb aber eine Vronce nach unferen Gegriffen lujuriöS
bcßanbelt, fo roirb fie bou einem „anberen" ffiinftlcr (sic!)
„cifclirt", b. ß. in beit meiften gällen berborben, benn ber
Sifelcur tbnt bann nidjtS anbereö als etwa mutatis mutandis
ber Vetondjeur beim Pßotograpßen. „9(udj bie ©ufebjaut, roefcfjc
eine fo fd)fecf>tc, an unferen ®entmälern beutlidj fiebtbare
Patina anfeßt, fann nicht entfernt, weit nidjt berarbeitet
werben, benn nicmanb berftebt bie«, ohne bie ganje Arbeit
babei ju berberben. 2Sie ^crrlidt» finb bagegen bie gefeßfiffenen
Vronecn ber 9llten! — 9Set form aber beute nodj biefe fubtife
Jlrbeit?" Unb nach biefen burcßauS ben.Vagei auf ben Stopf
treffenben 9lu3füßrungen, feßlägt §oümcr eine Veform ber
plaftifcßen Seßr jaßre bor unb forbert eine ganj neue Äunftfcßule.
5)ie Vilbßauerfcßulc muff bor allem in eine „SBerfftatt" um*
gemanbelt werben. ®er cintretenbe ©djülcr muß in erfter
Sinie baS Sjmnbwcrf erlernen, benn Stunft unb ^anbtoerf
haben einen gemcinfamen 9täßrboben: bie Sedjnif. ®arum
barf ber junge Vilbßauer nießt auf ßeiebnen unb Vtobelliren
gebrillt werben, er muff bon Sugenb auf meißeln, für Sronje
boffeln, in äWetall gießen, cifeliren, feßnißen. „Vormittags
mobcfliren, 9taeßmittag3 meißeln!" — Sn ben erften Sof) ren
bürftc biefe ©encraleintbcilnng genügen, weil erfaßrungögeraäß
bei formgetoanbten Seuten nur einige Saßre erforberlict) finb,
nm in bic 2lnfangSgrünbe ber SVarmortedjnif eingefübrt ju
werben. S)ic weiteren Saßre müßte ber Vadjmittag abwecß*
felnb jur Erlernung ber Vronjetecßnif berwenbet werben. Sft
ber ©djüler fo weit oorgefcljritten, baß er an eigene ©ompo*
fitionen geben fann, fo muß er biefelben auch in bem be*
treffenben SWatcrial felbft auSfiiEjren. Vorträge über bie
leeßnif ber 91 (teil müßten mit ben practifdfen Verfugen !panb
in Spartb geben, ©obin wirb ber Stunftjünger fc^ort bei ber
Sotiception, ja fdjon in ben erften Pßantafien baran benfen,
wie nnb in welchem SDtaterial „finugemäß" fein ©ebanfe
Vertoirfließung finben foD. ©r fennt bie ©djwierigfeiten
ber Vcarbeitung, wirb Stünfteteien Permeiben, Weil er auS
eigener ©rfaßrung Wiffen wirb, wo bie natürlichen ©renjen
liegen. @3 wirb ißm gleidjfant in gleifcß unb Vlut über*
gegangen fein, WaS für äJtarmor, WaS für Sronje jc. fieß
eignet, unb aueb baS S33ie ber teeßnifdjen Vebanblung Wirb
ibm Pon oornßerein flar fein, ©o weit Speümet’ö Anregung.
Vun wirb aber bie Voutine bagegen einwerfen: woher
foüen wir ben foftbaren 9J?armor bernebmen, wo bie Vronce*
gießerei lernen? Vatürlidj auf einer Stunftfcßule ad hoc.
Unb Ipellmer entwirft unS in fübnen 3üfl en e ‘ nc f°^ e 8 e ' ts
gemäße SBilbnerfctjule: SKobeUirfäle in größerem 9lu3maaße,
©farmoratelierg, Verfucb«broncegießerei, ©ifelirabtbeilung,
djemifebeö ßaboratorium finb abfolut erforberlidj. ©in Stünft*
ler, ber fetbftoerftänblid) in ben Perf^icbenen ®isciplinen
ju §aufc fein muß, ftefjt ber @d)idc Por, ?lffiftenten, bie fpe*
cieflen gäcbcr in auögcjei^netcr SBeifc inneßabenb, fönnten
ißn nnterftüßen. 2Ba8 bie Vefcbaffung beö ÜWarmorä an*
belangt, fo Würben bie Sefißer großer ©teiubrüdje feßr gerne
bie Abfälle gegen mäßiges ©htgelb jur Verfügung ftellen, unb
bie ©inrießtung einer VerfudjSbroncegießerei jäbtt ja auch nidjt
ju ben Unmöglicbfeitcn.
2öie man fießt, ift bie SReform Weber einfach noeß billig,
benn bie neue ©djule müßte fdjon räumlidj größer fein, als
bie bisherigen. 2ludj beffer botirt. 21 ber abgefeßen uon
ißren Vortßeilen für bie Äunft, ßätte biefe ©cßule aud)
maneße Woßltßätige ©ntlaftung beS ©tatS jur golge. ©cßon
burdj eine Verfeinerung ber ©cbülerjaßl, eine beffere „®urcß*
fiebung". ^ellmer meint mit Vedjt, feßon in ben erften
Saßren würbe fieß in bem ©cßülermaterial eine woßltßuenbe
©onberuug PoQjießen. „2ltlc jene, weldße bic ißlaftif oßne
unbejwingbaren ®rang unb Veruf ju erlernen traeßten,
©cßwäcßlinge, Seute oßne baS nötßige Vfunb würben ab*
faüen, ^Dilettantismus Wäre auSgefdjloffen: bie ßeßrjaßre
finb ju anftrengenb! körperlich unb geiftig gefunb muß bet
junge Stünftler fein, will er baS feßwietige ipanbmerf er*
lernen,, will er auf VafiS beSfelben jur 30?eifterfcßaft gelangen.
91 ur fräftige §änbe perfteßen ben Ülteißel ju füßren, weieße
Ipänbdjen eignen fidj nidjt ju biefer ernfteften aller fünfte."
©päter, bei weiterem Vorfcßreiten, fäme eS unter ben
©cßülern abermals ju einer' ©ießtung, ba nur ber Waßrßaft
Vegabte bei ber Stunft auSßarren, ber minber Vegabte, Diel*
leidjt aber auSgejeicßncte Secßnifer fieß mit ©rfolg jum §ilfS*
arbeiter recrutiren würbe. „1)ie jungen Seute müßten nießt
fo wie jeßt, wenn fie fieß nießt jur ßoßen Stunft bureßgerungen,
Proletariat bilben, fie tonnten fieß als ©eßilfen bei einem
Stünftler nüßließ, ja unentbeßrlicß maeßen, in ber Äunftinbuftrie
^eroorragenbeS leiften unb fidj eilte gefießerte ©giftenj grünben.
®ic jurüdgebüebene Serntruppe aber, jur 9Jfeifterfcßaft ge*
leitet, wirb bie Vilbßauerei ju jener Vtünbigteit füßren, bie
Wir an ben Sitten bemunbern. ©ouoerän alle Sleißniten bc*
ßerrfcßenb, tönnte ber piaftifer tüßn feiner Pßantafie folgen,
oßne ©efaßr feiner Snbioibualität SluSbrud Perleißett. ®en
,,©til" würbe ißm baS SDfaterial fißon felbft aufjwingen.
greiließ bie SRaffenprobuction wirb bei berartiger tiinft*
lerifeßer probuction auSgefdjloffen fein. S)aS Slngebot wirb
infolge ber Sangwierigteit ber Arbeit, bie ber Stünftler nun*
meßr felbft oornimmt, fieß notßwenbigerweife Perringern. ®ie
Vacßfrage naeß eeßten, waßren Stunftwcrten wirb aber um fo
reger werben. Unb fo wirb fidj ein bem Stünftler günftigeS
conftanteS Vcrßältniß jmifeßen biefen beiben goctoren ßerauS*
ftellen, bie preifc werben entfprecßenb unb eines StünftferS
würbige werben. ®ann Wirb aueß ber Stünftler jene mate*
rielle Unabßängigteit erreidjen, bie allein bic tünftlerifcßc
„SJtuße", bie Vorbebingung freubigen StunftfcßaffenS, ge*
wäßrt."
2Sir finb begierig, welcße Slufnaßmc §eflmer’S Vor*
feßläge finben werben. Offen gefagt erwarten wir feinen
feßr großen ©rfolg, benn wir erinnern unS noeß lebßaft ber
allgemeinen Slbleßnung unferer erften ülnregung Por Saßren-
®ie ©ultuSminifter fdjeuen bie SluSlagen, unfere meßr ober
weniger oerfnödjerten Slfabemiter betraeßten jebe Veform als
unwillfommene ©törung. 9ticßt oßne triftigen ©runb. Von
unferen großen unb fleinen Vilbßaucrn oerfteßt taum einer
ben SJteißel ju füßren. Unfere marmornen ©iegeSbenfmäler
Werben meift Pon italienifeßen ©teinmeßen ober gar fdjon in
-ßarrata auSgefüßrt. 2lucß Prof, ©cßaper, ber ©cßöpfer beS
Vertiner ©oetßeftanbbilbeS, ben wir feiner 3eit um ein ©ut*
aeßten angingen, Perfpracß fieß Pon ber fKeform nießt oiel.
®ie Slitberen feßwiegen fieß oielfagenb auS. Um fo größer ift
unfere greube, baß nun enblicß aueß ein äftßetifcß unb prat*
tifdß beWäßrter gadjmann, ein eeßter Stünftler, unS Vecßt
giebt unb unfere flüdjtige Slnregung in geiftreieß*fadjgemäßer
ÜBeifc auSjugeftalten fudjt.
-
✓
Digitized by v^. ooQie
140
Die OßegntttHtri
'Sr.*.
Sfeuiffeto«.
- Wactf'rurf verboten.
Der Deiner.
©on 2lnton (Efegecgow.
SineS frönen ©lorgenS füllte ber Slffeffor $iril Stoanowitf^
SBawilonow begraben werben, gwei in ©ufjlanb ftarf verbreitete $ranf=
feiten gatten ign bagin gerafft: ber SUfogoliSmuS unb eine böfe grau.
Jhirg bevor ber fieidjengug fteg von ber Äircge auS gum griebgofe be*
wegte, ftieg ein Sollege beS ©erblidjenen, ©oglamSfg, in einen SBagen
unb befudjte feinen greunb ©rigort Sßetrowitfcg ©ogofin. 9Sie ben
fiefern befannt feilt wirb, ift ©opofin im ©efifc eines felteneit XalenteS:
er Verfielt auS bem Stegreif ^ocbjeitSs, SublläumS* unb ©egräbntjjreben
gu Ijaften. gu jeber ©elegengeit unb jeber geit fann er ©eben galten
— im £aIbfcSlaf, mit leerem ©lagen ober in finnfofer ©etrunfengeit
ober gar im gieber. 3mmer fliegt feine ©ebe ungehemmt unb reieglicg,
wie SBaffer auS ber ©rumtenrögre; in feinem oratorifdjen SBörterbud)
fmben fid) megr Häglid)e SluSbrüde unb rügrenbe ©ilber, als Sanken
in einem polntfigen SBtrtgSgauS. ©tancgmal fdriegt er fo auSgtebig,
bafj man fdjon bie ©oligei in Slnfdrucg nehmen mujjte, um feiner ©ebe
Singalt gu tgun!
„3d) lomme in ^öc^fter (Site gu $)tr, ©rüberegen," begann ©od=
lawSfg, als er feinen berebten greunb begriifjte, „alfo ffeibe $)icg rafeg
an unb fagre mit mir. (Sin College ift unS geftorben, eben geben wir
ignt baS ©eleit in bie anbere SBelt. Unb gum Slbfdjieb, ©rüberdjen,
mug man boeg irgenb etwas reben. S5a bift 3)u nun unfere eingige
Hoffnung. SBäre eS nur einer Von ben kleinen gewefen, niemals Sötten
wir 2)icg in Slnfdrucg genommen, aber fo ein ©ecretär ift fogufagen
eine ©tüje ber ©efeflfegaft, eine gierbe beS ©aterlanbeS. SS fegirft fieg
niegt, ein fo.grogeS $gier ogne ©ebe gu begraben."
„Sieg fo, ber ©ecretär!" rief ©ojwfin unb gägnte. ,,3d) weig
fegon, ein fcgredllcger Xrunfenbolb!"
,,©ang reegt, er foff etwas. Sllfo fomm, eS giebt liegen unb
traten .. . Slucg ber SBagen ift begaglt, affo fomm, liebe ©eele! ©tieffe
an feinem ©rab eine ©ebe ä la Sicero, unb ®u wirft riefigen Beifall
gaben!"
©ern willigte ©opofin ein. Sr orbnete fein &aar, fegnitt eine
jammervolle Stage unb ging mit s J$oJ)IawSfi).
„3a, ja, icg lannte Suren ©ecretör genau!" fagte er, als er ben
SBagen beftieg. „Sin ©auner unb ein ©inbvieg, wie eS nur wenige
giebt, — boeg fjricbe feiner Slfcge."
„greuubegen, eS fegidt fid) gar niegt, ©erftorbene noeg gu be=
fegimgfen,"
„3a, gewig, aut mortuis nihil bene, aber eS war bod) ein auS?
gewaegfener ©cguft."
©alb gatten fie ben Xrauergug eingegolt unb fieg ignt angefcgloffen.
3)a ber $obte laugfam getragen würbe, fo gatten bie greunbe reügltcg
geit, unterwegs eingufegren unb bem Slubenfen beS ©erftorbenen ein
ftilleS ©läSegen gu weigen. $)ann fang mau auf bem ftircggof bie
Sitanei. Sie eS nun einmal ©itte, weinten grau, Schwiegermutter
unb ©djwägerin fegr geftig. SUS man ben ©arg in bie ©ruft fenfte,
fdjrie bie grau: „Sagt mieg bei igm!" aber eS fiel igr niegt ein, ginein-
gufdringen. 3®benfalIS !am igr bie ©enfion in ben Sinn, gnbeffen
wartete ©opofin rugig ab, bis fieg bie Aufregung gelegt gatte. $ann
trat er vor, blidte fieg rings im Greife um unb begann feine Diebe:
„können unb biirfeu wir unferen klugen unb £)gren trauen?! 3ft
biefer ©arg, finb biefe verweinten ©efidjter, ift all' biefeS Klagen unb
©tögnen niegt nur ein böfer Xraum? Sieg nein, eS ift fein £raum,
unb von unferen Singen werben wir niegt getäufdgt! Sr, ber nod) Vor
gang furger geit fo frlfcg, fo jngenblieg unb fo rein unter unS weilte,
ber unlängft Vor unfer aller Slugen gleid) einer emfigen ©tene feinen
Honig in ben gemeinfamen ©ienenftod beS StaatSgauSgalteS trug, er,
ber ... bod) aeg! er ift jefct in ©taub Verwanbelt, in eine förderliche
gata DRorgana. Unb gerabe jefct gat ber unerbittliche £ob feine §cmb
auf ign gelegt, wo er, ungeachtet feines vorgerüdten SllterS, noeg in
Voller ©liitge feiner Kräfte unb feiner glängenben Hoffnungen ftanb!
SSer wirb unS biefen unerfeglicgen Serluft erfe^en? D, wir gaben
wogl viele gute ^Beamte, aber unfer greunb war eingig. SIS in bie
^iefe feiner ©eele mar er von feinem Sßfficgtbewugtfein erfüllt, er fegonte
feine Kräfte niemals, fcglief beS SlacgtS wenig, war ftetS uneigennü^ig
unb nie beftecglicg. D, wie tief verabfebeute er 3ene, bie fieg ber öer*
gebliegen SRüge untergogen, ign, natürlicg gum ©egaben ber aügemeinen
Sntereffen, gu befteegen, — 3^ne, bie bureg Verlodenbe Dietge beS SebenS
ign gum SSerratg feiner Sßfficgten beftimmen wollten! 3 ö, Vor unferen l
Slugen gat ber Sßerblid)ene, aeg wie fo oft! feinen geringen fiogn unter '
feine ärmeren Sollegen vertgeiltl 3g^ gabt ja eben felbft baS 3tower= j
gefegrei ber SSittwen unb SBaifen vernommen, bie alle Von feinen ©üben
lebten, ©ang feinem 2>ienftetfer unb bem SGBogltgun ergeben, famtte er
feine SebenSfreuben unb Vergütete fogar auf gamilienglüd, benn eS ift I
3gnen ja befannt, bafj er bis an fein SebenSenbe SunggefeHe war. Sieg, j
wer erfegt ign unS als ©enoffen, als greunb unb ©ruber?! $eutlid) i
noeg fege icg ign vor mir, wie er fieg mit feinem glattrafnrten ©efugt 1
unb mit gütigem Säcgeln unS guwanbte, noeg göre icg feine rnilbe unb
freunblieg tönenbe Stimme! griebe deiner Slfdje, ©rofod Ofipomitfeg!
Dluge auS, S)u getreuer, ebler Sirbetter!"
©opofin war noeg lange niäjt gu Snbe. Slber unter ben git
görern war eine gemifje Unruge bemerfbar. 3)ie Siebe gefiel ja, gatte
aitcg wogl manege Xgröne gervorgerufen; boeg mancgeS barin erfegieti
rätgfelgaft. ßuerft war eS jonberbar, bafj ber Dlebner ben ©erblicgenen
^rofog Dfidowitfcg nannte, wo er boeg $iril Stvanowitfdj giefe. ®ann
war boeg SlUen befannt. baj ber ©erftorbene mit feiner grau einen
lebenslänglichen Srieg gefügrt gatte, alfo boeg niegt lebig fein fonnte.
drittens aber befaß er einen ftarfen rotgen ©art, lieg rafften,
unb bager war eS gang unverftänblicg, warum ber ©ebner Von feinem
glattrafirten ©eficgte fpraeg. 3)ie 3«görer fagten baS SlÜeS niegt redjt,
taufegten untereiuanber ©Ude auS unb gudten verftänbnifjloS bie
©cguitem.
„^rofop Dfigowitfeg," fugr ber ©ebner unbeirrt weiter unb bliefte
begetftert in bie ©ruft, „wogl war Stein ©eftegt niegt fegön, eger gäjjlidj,
aueg fageft ®u finfter unb ftreng auS, aber wir mufjten Slüe, baj unter
ber unangenegmen ©taSfe ein treues, freunbliegeS H« r 5 fcßlugi^
Hier bemerften bie gugörer an bem ©ebner etwas ©eltfameS. Sr
ftarrte auf einen gled, bregte fieg unrugig unb gudte nervös. 5tenn
fegwieg er plöglieg unb wanbte fteg gu ©oplamSft). „Slber er lebt ja!*
rief er mit fegrederfüütem ©eftegt.
„SBer lebt?"
„^rofop Dfidowitfeg! ®a ftegt er ja beim näegften ©rabftein! -
„©atürlicg, benn ber ftarb ja gar niegt! SHril Sroanowttfcg ift ja
ber ^obte!"
„©agteft S)u niegt felbft, bafe Suer ©ecretär ftarb?"
„$iri( 3^önowitfcg war ja aueg ©ecretär. $u gaft fie ©cibe
verweegfelt! ©ewig, früger war aueg ©rofop £)fiJ)owitfeg ©ecretär bei
unS, aber feit gwei 3^gren ift er in eine anbere SCbtgeüung verfemt.*
,,©ei Such fenne fieg ber Teufel auS!"
„gagre nur fort, — warum bleibft 5)u fteden? S)aS ift b«b
unangenegm."
©ogofin wenbete fieg mieber gur ©ruft, unb mit ber alten
rebtfamfeit fegte er feine ©ebe fort. Slm näegften ©rabmal aber Iegnte
wirflicg ber alte ©eamte mit ber glattrafirten $gt)fiognomle,
Dfigowitfeg. SRit böfem ©efiegt fegaute er ben ©ebner an.
„SBie ift $>ir baS aueg nur gaffirt?" nedten ign bie ©eamten, aK
fie mit ©ogofin vom ©egräbnife geimfegrten. „Sinen lebenben ©lenfegen
tobt gu reben!"
,,©ar niegt fegön von 3g«en, junger SRann!" brummte
Cfigowitfeg. „gür einen ©erftorbenen gätte 3S^ C $R*be gefaßt, aber auf
einen Sebenben war fie ein bloßer Hogn! SBaS, unbefte^K^, ogne (Rgen*
Digitized by v^. ooQie
Nr. 9.
Die <$egenu>art
114
nup, niemals (föefdjenfe annepmenb! 3)a« fann man Don einem lebenden
©lenfcpen bocp nur im @pott fagen! And) pat Sie Niemanb um ihre
Meinung über mein ©eficpt gefragt! ©3enn eS nicht fcpön ift, eher
pählta), gut, — aber barum brauchen Sie mid) nicht bar allen Leuten
blcf$ $u fteüen. 3)a« ift eine ©eleibigung."
ber ^aupfßaM.
!Äud) eine itottettbcbatte.
©ruepfiüd einer $Reid)«tag«fipung.
Staatöfecretär D. ©ülow (eine feurige Siebe für bie glottenbor?
läge beenbigenb): ... unb fo gebe ich mich ZUDerficptlicp ber Hoffnung
hin, baß Sie, geehrte Serien, ohne Unterfchieb ber ©artet, in einmütpiger
©egeifterung unferer Negierung bie ©fittel bewilligen werben, welche
nöthig finb, um bie maritime ©Seprpaftigfeit be« Neicpe« auf bie impo?
nirenbe £>öpe h^n, welche bie Sanbarmee fepon feit geraumer
einnimmt; möge unfere unübertreffliche Schlagfertigfeit gu Sanbe ihr
imponirenbe« Spiegelbilb finben in einer ebenfo achtiinggebietenben
Seegewalt, bem beutfchen tarnen gum Nupme unb bcm beutfchen ©olfe
gum $eil!‘ (©raufenber ©eifall auf allen Seiten be« fpaufe«. $er
Nebner wirb umringt unb beglüdroünfcpt).
Äaffanbro« (feiner graction angehörig), ©feine Herren, ich be?
baure fehr, 3P*e ©egeifterung nicht theilen unb $>errn D. ©ülow nicht
©eifafl gollen zu fönnen (oho! linf«), ich ftehe fogar auf bem Stanb?
punft, bah gerabegu Derwetflicp wäre, jept auch nur einen Oirofcpen
für bie Statte ju bewilligen (Sachen linf«), obwohl ich zugebe, bah bie
glottenDerftärlung an unb für fid) gang wünfcpengwertp fein mag (Na
alfo! linf«). $)a un« aber ba« £>emb näher liegt al« ber Norf, fo
lönnen wir hoch nicht fo grofje Summen für bie Statte bewilligen, fo
lange ba« Diel wichtigere Sanbheer bie Dom £errn Staat«fecretär ge?
rühmte Sd)lagfertigleit gar nicht befipt (na nu! recht«), unb unfer £>eer,
meine Herren, (mit erhobener Stimme), ift augenbltcflich für ben Ärieg
beinah unbrauchbar! ((Er ift übergefcpnappt! linf«; er beleibigt bie Armee!
tecfjt«. Gelächter unb Tumult). Saffen Sie mich au«reben, bann werben
Sie fehr halb einfehen, bah ich Weber toll bin, noch ©eleibigungeit be?
abftd)tige, unb bah '<P nicht zu Diel behaupte! — ©3arunt faßen jept
in Sübafrita fünfzig ©fal fo Diel (Englänber al« ©uren? nicht nur
wegen ber otterbing« thörichten giiprung, fonbem Dielmepr barum, weil
bie (Englänber grellfarbige Nörfe, fowie blinfenbe Änöpfe unb feinte
ragen; nnb warum fallen 80 ©rocent ber Dfficiere? weil fie burcp
golbgefticfte Äragen unb (Epaufetten auf weite (Entfernung fenntlich ge?
macht finb unb ben geinben ein Dorzüglicpe« giel bieten, währenb bie
©uren im fchlichten grauen Äittel unb ebenfolchem £>ut Don ben (Erb?
hügeln unb gel«blöcfen erft in allemächfter Nähe unterfcpiebeit werben
fönnen. (Ebenfo flug wie bie ©uren finb aber fepon lange unfere Nach¬
barn, g. ©. bie Defterreicper unb Nuffen, befonber« bie Septeren, bereu
militärifche Xücptigfett Don unferen höheren Dfficteren Döllig gewürbigt
»oirb unb für un« eine grohe, Dielleicht bie gröfjte ©efapr bebeutet.
Nuffen hoben 1878, nach bem türfifcpen Äriege, eine burchgreifenbe
Reform in’« ©3er! gefepi unb tragen nun unfcpeinbare buufle Nörfe mit
fcefteln ober £ornfnöpfen, mit weichen bequemen Umlegefragen, unb
leichte müpenartige fiopfbebecfungen; wir bagegen hoben immer noch bie
unglaublichen #elme, beren blinfenbe Spipen unb ©efchläge auf 2500
SReter ju ertennen finb, fo bah ber geinb bi« zu unferer weiteren An?
uäherung unb (Entmicfelung recht gemächlich feine ©tahnapmen treffen
tawi — nämlich bie Artillerie in ©ofttion bringen, Scpüpengräben au«?
werfen unb über bie Neferüen bi«poniren, — währenb wir ihn erft
f«h«u, wenn wir in feine geuergone pineinplapen, unb Dielleicht felbft
bann noch nicht! ©3ir hoben ferner glängetibe ©fctaüfnöpfe, bei ben
2Ru«fetierbatailIonen fogar immer noch ba« wahnfinnige weihe Seber?
Zeug, fo bah ber feinbliche Scpüpe fich gar feine fcpönereu unb beut?
licperen $altepunfte für ba« 3 ie tan wimfcpen fann unb bi« auf 600
SReter ein gar nicht ju oerfehlenbe« Qkl hot, währenb er felbft ftd)
erft auf 200, höchften« 300 3Reter einigermahen Don feiner Umgebung
abpebt; bie beutfchen werben alfo wie bie Scheibenpuppen jufammeit?
gefcpoffen, ehe fie bie feinblicpe Schüpenlinie überhaupt unterfcpeiben.
ADe beutfchen Officiere, bie ruffifcpen SRanöDern beigewohnt hoben, finb
fiep herüber auch Döllig flar. Soll ich ©ie enblich erft an bie Derteufelt
„fcpöne", aöer ©ernunft §ohn fprecpenbe ©efleibung mancher Leiter?
regintenter erinnern? an fnaHrothe ^pufarenattila« unb weihe Äüraffter?
röcfe? 3Sie tölpelhaft muh öer S^üpe fein, ber ein fo e^quifite« Qitl
Derfehlt! ©lutige Xhränen möchte man um bie armen Äerle weinen,
wenn man fiep bie Dernicptenbe ©Sirfung ber mobernen ©ewepre Der?
gegenwärtigt unb erwägt, auf wie grohe (Entfernungen heutzutage ein
planmähige« geuer möglich ift. ©ebenfen Sie ferner, bah feil
bie gortfepritte ber ©3affentecpnif eine Döllige Umwälzung in ber geept?
weife bewirft hoben, bah bie ©Mängel in ber Au«rüftung, bie bamal«
Zur Notp noch paffiren fonnteu, heute unerträglich rnirfen, bah Z* in
golge be« raucplofen ©ulDer« heute feine mitleibige $ampfmolfe mepr
bie glipernben Sinien ber fämpfenben Gruppen DerpüCtt unb bie Nach?
tpeile ber unzweefmähigeu ©Jetaflzieraten tpeilweife befeitigt; fornit werben
Sie mir zugeben, bah im näcpften Äriegc unfere Xruppen Don Dorn?
herein bazu Derurtpeilt finb, minbeften« z^hn ©fal fo ftarfe ©erlufte zu
erleiben wie ber ©egner. Söelcpe furchtbare moralifcpe ©öirfung wirb
aber biefe Xpatfadje gleich in ber erften Scplacpt auf unfere Xruppen
au«üben! .£>abe icp alfo niept Necpt, wenn ich eine fepieuntge funba?
mentale Neform in ber ©efleibung unfere« §eere« für ungleich wichtiger
palte al« bie glottenDermeprung?
Nun werben Sie mir Dietteicpt einwenben: wenn ba« Ade« wirf?
licp fo fcplimm wäre, fo mürbe man boep an mahgebenber Stelle bie«
auep einfehen unb längft bie nötpigen Neformeit unternommen haben,
ga, meine Herren, eingefepen pat man bie« fcpoit längft, fepon Dor
40 gopteu erpob man ähnliche gorberuitgen, unb Dor 30 3opren er?
neuerte man fie mit au«füprlicpfter ©egrünbung, Aber nach ben groben
(Erfolgen be« Äriege« Don 1870 würben alle NeformDorfcpläge pocp=
mütpig zurüefgewiefen, w e« war ja auep fo gegangen!" unb bah ber
poepbetagte, Don §au« au« ftarf coitferDatiD beanlagte Äaifer ©Bilpelm I.
am Ueberlieferten niept rütteln unb auf feine alten Xage Don burcp?
greifenben ^Reformen niept« mepr wiffen wottte, ift menfcpUcp DoHfommen
begreiflich. Aber warum ift in ben feitbem Derfloffenen langen 13 gopren
niept« gefepepeu, obwohl tapfere ©3arner — felbft im urconferDatiDen
©filitär?©3ocpenblatt! — immer wieber Don Neuem ipre ntapnenbe Stimme
erpoben unb bie Unpaltbarfeit ber jepigen guftänbe unwiberleglid) bar?
getpan pabeit?! ©3arum finb bie Derantwortlicpen Natpgeber, Ärieg«?
minifter unb (Generale, niept Dor ben jungen Äaifcr getreten, um ipnt
ZU fagen: ©tajeftät, fo gept e« niept mepr! wir müffen ben neuen
©3affen, ber neuen Xecpnif Necpnung tragen, wir müffen bem ©eifpiel
folgen, ba« un« bie Nuffen unb bie Oefterreicper fdpon lange gegeben
paben, wir bürfen niept, militärifcper Sßrunffucpt unb ©arabeeitelfeit zu
Siebe, un« Don Dornperein in gewaltigen Nacptpejl begeben unb unfere
waeferen uppen nuplo« bem fidjmn ©erberben überantworten! ©3ir
bürfen niept fepönen glottenibealen naepjagen, fo lange bie Deraltete unb
unzweefmähige ©efleibung unb Au«rüftung unfer £>eer lapmlegt!
5)ie« bem Äaifer gu fogen, liegen aber nod) weitere bringeitbe
©rünbe Dor. ©3a« icp nämlich bi« jept angeführt pabe, bezog fiep nur
auf folcpe $)inge, bie bie felnblicpe geuerwirfung begünftigen; niept
minber DerpäugnihDott ftnb aber auch bie anberen Au«rüftung«fepler,
bie unfere Gruppe gu ©runbe riepten, fepon epe fie an ben geinb fomrnt.
geh meine bie unünnige (Eepädüberlabung im (langen, fowie bie un?
gwedfmähige ©eftaltuug einzelner Stüde, bie in bebenflicper ©3eife Äraft
unb grifepe be« Solbaten unnüp abforbiren. ©3er Solbat war unb
weih, bah int mobenteu ©efedjt für bie angreifenbe Gruppe alle« barauf
Digitized by v^.ooQle
142
Die (ßegetttoari
Kr.
anfommt, rajcf). Dorzugepen, fiep bli^fc^nefl nieberzuwerfeit ltnb fofurt
mit ©efcpirf unb ©epenbigfeit baS greuer aufzunehmen, ber weife aud),
Wie unfäglid) fcpwer fiep bieS auSfüpreit läfet, wenn borljer — unb baS
ift bod) bie Siegel — in Dielftünbigem RFarfd) ber (cpmere Dornifter ade
Shaft unb ©lafticität Derart pat; bev weife, waS eS bebeutet, bann nod)
beim ©djwärmen über ©turzäcfer zu traben. Senn bann enblid) baS
„Kalt, nieber!" bie Dorläitfige ©rlöjung bringt, ift ber ©olbat am ©nbe
feiner RFuSFelFraft unb feinet AtpentS. ©in befonbeieS Vergnügen bei
biefem Sauffcpritt bilbet baS (Seitengewehr, baS fo unpraftlfdj unb über^
flüffig wie möglidj ift unb bent öaufenben jwifchen bie ©eine tommt,
wenn er eS nid)t frampfpaft mit ber SinFen feftpält; beim Riebcrwerfen
ift cS noch befonberS läftig uitb ftörenb. DaS Furze, nur halb [o
fcpwerc ©ajonett wäre ungleich Dortheilhafter. Run fommt aber baS
©efie: ber langhingeftrecFte, oft pöcpft unbequem liegenbe ©d)üpe — im
mobernen ©efecpt werben 90 ^kocent aller ©cpüffe liegenb abgegeben!
— fofl nun, fo weit eS feine Atpemlofigfeit erlaubt, mit ©ebacpt
fielen, nicht nur in jwerflofer RhmitionSDergeubung in'S ©laue Fnaflen;
bamit aber DerftänbigeS 3iden t>olIenb§ unmöglich gemacht wirb, ftüfpt
mau bent ©olbaten ein Wöbet auf ben ©d)äbel, baS an UnzwecFmäfeig*
Feit nichts 31 t wünfepen übrig läfet. Qd) bitte aber nur biejenigeu, pier=
über mitjureben, bie felbft ©olbaten waren unb an einem heifeen ©ommer*
tage ben erwähnten ©organg auSprobirt haben; fie werben mir zugebeu,
bafe id) nid)t ein 3ota zu Diel fagc. ©nt weber feßt nun ber Keim feft
— bann prefet er ben Kopf ^ufammen unb lähmt baS Denfen — ober
er fißt locfer, bann rutfdjt er bent ©cpüßen beim Riebcrwerfen auf bie
Rafe; fchiebt mau if)it hinter in ben Raden, fo ftöfet er bort wieber an
ober ftaut ftch gar am Kocpgefdferr, baS hinten auf ben Xornifter ge=
fchnallt ift. Sie Diel leichter unb beffer hat eS unfer ©egner mit bent
bequemen Ifäppt, baS fid) bent Kopf anfehntiegt unb niemals pinberlicp
ift! ©orzüglicp hat fcpoit Dor langen 3apren im WilitärWochenblatt
ber Wajor Keim ben §elnt djaraftertfirt: „‘Ser Keim ift ein auS mehreren
Dußenb ^peilen zufammengeflitfteS unb baper ebenfo uufolibeS unb
rcparaturbebiirftigeS wie fdjwereS, thettreS unb gefunbpeitfrf)äblid)eS AuS=
rüftungSftüd; ein Fräftiger Kieb jerftört ben ganzen gufammenpattg beS
gebrechlichen KunftwerFeS; ein leichter g-ilzput ober ein Käppi fcpüßt ben
Kopf beffer, weil er bie Sucht beS KiebeS bricht, ftatt benfelbett hart
unb prcllenb auf ben ©cpäbel beS urtglücflicfeen Keimträgers fortzupflanzen.
UebrigenS ift ber ©olbat Derloreit, ber mit bent Keim ftatt mit bent
©ewepr ben Säbelhieb beS feinblidjeit Reiters pariren will . . . Sie
Diel ©erbrufe unb Aerger bereitet bem ©ompagniedjef baS „KetmDer=
paffen", wie Diel Foftbare 3 e it Qept bamit Derloren! (SS giebt Feine
militärifcpe Kopfbebedung, bie, in golgc ihrer nngiinftigen ©djwerpunFtS=
läge unb ber gatten ©onftntction nad), fo fcpwer einen correcten ©iß
erzielt, wie ber Kd*n. 2Be(d) ein gelb ber DpätigFeit für ©orgefeßte,
bie ben „correcten" Kelntfip zu ihrer ©pecialität gemadjt haben!" —
Sarunt tragen übrigens unfere Qäger unb ©arbefepüßen Feinen Keim?
ob fie wohl gern ihre DfcpadoS mit bem K e ^ m Dertaufcpen würben?!
Seber fepött noch jmecfmäfeig ift ferner ber fteife KalSFragett; er
ift bei peifeent Warjcp eine uttnüpe Oual unb beim Siegenbfcpiefeen ein
weiteres ärgerliches Kiubernife für bie freie ©eweglicpfeit beS KopfeS.
Run baS ©epäd. DaS Durd)fd)nittSgewicpt beS WanneS ift 64 kg, ein
erpeblicper Dpeil ber Seutc ift alfo leichter; etwa zwei ©rocent wiegen
nur 57 kg. DaS ©epäd wiegt heute burcpfcpuittlid) 34 kg, alfo reichlich
bie Kälfte bis faft 2 / 3 beS Körperqewid)tS, r troßbem bafe fepott 1838 baS
preufeifdje KtiegSminifieriuni feftgeftcöt pat, bafe nur Vs btä Körper¬
gewichts bie juläffige ©elaftung wäre unb bafe 30 kg baS „äufeerfte
Waiimum" (sic!) fein füllte, ©on attberen ©acpDerftäubigeit würbe aber
fdjon 1^62 bargelegt, bafe ber ©olbat nur bann leicht beweglich unb
leiftungSfäpig bleibe, wenn bie ©elaftung 22 kg niept übetfteigt; bemnaep
fd)leppt unfer ©olbat eigentlid) 12 kg = 24 fßfunb ju Diel unb felbft
nad) Weinung beS WinifteriitmS immer noch 4 kg ober 8 ©fttnb mepr
als baS „äufeerftei!) Wa^imum". QrS ift wopl aber felbft für ben Öaien
nid)t zweifelhaft, bafe mit jebem '$funb, um baS wir ben ©olbaten erleichtern,
feine phhlifcpe unb moralifdje SeiftungSfähigteit unb bamit fein OJefe^lS^
wertp erpopt wirb, ober bafe jebeS au bet ©elaftung gefparte $funb fo
unb fo Diel ©treiter mepr auf bem ©cplacptfelbe bebeutet, weil fo Diel
weniger Dorper auf bem Warfcpe liegen bleiben. Senn DollenbS nach
ber Slnftrengung ber ©cpladjt ein ©rocetttfap unDerwunbeler
2eute Dor (Srfdjöpfung liegen bleibt, bie Gruppe in einen 3 u tt° n b
taftifeper ^luflöfung gerätp, ber fie für bte Ausbeutung beS ©iegcS ober
bie Sieberaufnapme beS ©efecptS gleich unbrauchbar macht, fo ift bie«
in erfter Sinie ber übermäßigen ©elaftung juzufepreibeu. SaS nüpen
alle unfre Xufns uttb ©cpiefefcpulen, wenn wir fcpliefelicp bod) nur 2 aft=
träger erziepen müffen? eS hätte ebenfoDiel ©inn, Me s $ferbe ber Safitoogen
ber pöperen ©cpulbreffur ju unterziehen, ©ine ftarFe ©erminberung ber
2 aft ift aber fehr wopl möglich unb bnrepführbar, unb wieberholt ^oben
einficptSDoße Cfficiere ausführlich Dorgerecpnet, wie bieS gefepepen müfete;
aöer AutoritätStoapn ober ©igenfinn haben alle grünblicpen ^Reformen
Dereitelt; Heine unwefentlicpe Aenberungen, mepr Spielereien zu nennen,
fiitb wopl erfolgt, baS falfcpe ©rincip ift geblieben. Säprenb bie SRuffen
ben Xornifter niept Fennen unb pöcpftenS 29 kg ©epärf tragen, fcple^pen
wir nod) immer ben unpractifepen Xornifter, ber felbft in feiner neuften
„©erbefferung" mit bem ^raggerüft leer 1600 ©ramm wiegt; noch
immer fcpleppen wir felbft in ©ommerfelbzügeit unnüperweife ben SJlontel
mit, ber troefen 2900, nafe fogar 4000 ©ramm wiegt (Don April bis
CFtober wäre eine wollne ^)ecFe, toeun überhaupt nötpig, Diel zwedmägiger
unb leiepter); fobann ift eS überflüfftg, bie $>rillid)hofe in« gfelb init=
ZUttepmen, ba für ben ungleich wichtigeren SftocF boep auch Fein (Srfaß
mitgenommen wirb; aufeerbem Fönnte ein Xpeil beS ©u^ugS ebenfo
bapeim bleiöen wie baS ©efangbueb, — bie wenigen ©poTäle, bic ber
©olbat wiiflicp im gelbe fingt, Fann er auSmenbig — unb fcpliefelidj
Fönnte auch baS Kocpgefcpirr um ein drittel Heiner fein. Sieten enblicp
bie 3Retallfnöpfe ber Uniform (120 ©ramm) unb baS Koppelfcplofe (65 @r.)
weg, fo liefee pd) im ©anzen nad) SOtajor Jleint eine ©rfparnife Don reidjlicp
5 Kilogramm erzielen, wobei allerbingS bie Uniform burep bie Sitciofa
ober ©lufe erfeßt inerben müfete; biefe hätte aufeerbem ben bequemen
KlappFragcn fowie äufeere ^afepen, welche u. A. für bie Unterbringung
ber ©atronen Don 9?upen wären.
3 a, wirb man aber einmenben, wo bleibt bet folcpen ©otfeprägen
unfre überlieferte, piftorifd) geworbene Uniform? wo bie heilige ^ra^
bition mit iprent befanntlicp uitfcpäpbaren Sertp für ben ©eift ber
Gruppen? Um ©erzeipung, meine Kftren, ©ie fepeinen niept zu wiffen,
bafe bie ©olbaten beS grofeen $urfürften unb zum Jpeil auch bie beS
grofeen Sriebricp weber £ornifter noch Hantel, weber K e ^ m ua<P ©tep-
Fragen, noch ^oepgefepirr patten, bafe fte in allen ©unTten weit FriegS-
gentäfeer unb praFtifcper auSgerüftet waren als unfre heutigen ©olbaten.
©cplappput, UmlegeFrageit unb ©epnappfaef (SFucFfacF) perrfepten über
150 3apre lang im preufeifepen Jpeere; unb wäprenb in neufter
bie anbern Nationen gar eifrig fiep beftreben, alles ©ute unb 3 tucrfuiüfeige
uns abzuguefen, piiten fie fiep wohlweislich, unfre Dummheiten ’naefc
Zuapmen; ben K e ^ m r biefe „traurige 3 ro ittergeburt mobenter $arabc=
fuept unb mittelalterlicher SRomantiF", wie 9Rajor Don ^loennieS fepr
treffenb bemerFt, apmt unS Feiner nad) (ein paar englifepe Regimenter
abgerechnet), ©epon bei Abfcpaffung beS 3°Pf cg — QU d) ci ue „trabi-
tioneße" 3 ier ber fieggewopnteit fribericianifcpen ©olbaten! — befürdj*
tete baS pope ^riegSFollegium eines Fleineren beutfepen ©taateS „eine
ernftlidje ©efapr für bie woplüberlieferte Accurateffe ber Ka^füiftlicpen
Druppen" unb führte tpatfäcplicp bie 3äpfe 1814 Don Reuem ein.
Keute lacpen wir über folcpe Dutnmpeit, unb maepen eS mit bem
um Fein Kaar beffer. Darum fort mit ber Jrabition, wenn fie zunt
UuDerftanb wirb!
Dafe and) fonft ber ©antafepengeift in ©eftatt beS ©orfteffungS=
unb ©efid)ttgungSteufelS wieber gewaltig überpanb genommen pat, will
id) nur zum ©eptufe nebenbei erwähnen; alle benFenben Officiere finb
in bumpfer Refignation, tueil fee einfepen, bafe bei biefer ewigen nerDöfen
Kepetei Don einer „©orftellung" zur anbern alle rupige, jolibe AuS*
Digitized by v^.ooQle
Nr. 9.
JHe O&egettroart
143
bifbuitg ber Gruppe toernacpläfffgt mirb; aße« Streben ber Gompagnie*
d)ef« ntup notgebrungeit fiep barin erfchöpfen, bei biefen Sefidjtigungen
gut abzufcptteiben unb bie fieute bementfprecöenb äugerlid) zurecht*
Zuftujen; ba« pübfdje „Silb" wirb ©auptzmed, bie grünblidje, tiefere
Schulung gebt jurn Teufel. Xod) fdjeint e« unmöglich, gegen biefe«
Unheil an^ufämpfen. SRöglicp ift e« aber, menigften« eine toernunft*
ünb mirFlidj Frieg«gemäpe Su«rüftung unb SeFleibung unfrei ©eere«
$u ergingen, ittbem mir im SRcicp«tag aße anberen Sfönfcpe ber Se*
gterung abtebnen, fo lange man jene geitgemä&en Reformen nicpt burcfc
geführt pat. Xarum forbre idj Sie auf, bie glottentoorlage runbmeg
a&zulepnen. ©aben mir erft bie Srmeereform, bann lägt ficb über bie
glotte meiterreben, toorper nkpt! Miles non gloriosus.
Dramatifdje 3 «Porungen.
,,X)a« taufenbjäbrige SRetdj." Xrama in riet steten toon SFaj
©albe. (Xeutfcpe« Xpeater.) — „Xer Athlet." Scpautytel in brei
Scten toon ©ermann Sapr. (2efffng*Xpeater.)
S?a;r ©albe ringt toerzmeifelt um bie tfrone, bie ibm ein merF*
toürbiger 8ufaß toor fahren aff^u mißfäprig auf’« ©aupt brüefte unb
ber er jefet nicht mebr freimiflig entfägen Fann unb barf. ©eit ber
fepmeren Wieberlage be« „SmeriFafaprer«" bat ficb eine Partei gebilbet,
bic ben Erfolg ber „gugenb" an ©albe räcpen mill unb ibn mit un*
ermüblicber Shttp, mit'faft pößifeper SoSbeit toerfolgt. G« ift nicpt
leicht feftzufteflen. mobureb ffd) ber Siebter biefe au«bauetnbe unb jeben*
faß« eprentooHe geinbfdjaft toerbient bot. fßerfönlidje SÜberfadjer traut
man bem Sefcpetbenen, mit Ginfieblerneigungen Segabten Faum zu, unb
ba er fid) aßen berliner ßitteraturbar« gleichmäßig fern hält, [oßte
man annebnten, bap fie ibm auch aße gleicpmäpig objeFtito gegenüber*
ftünben. Sber gerabe bie ©albe’fdjen fßremifcren bröpnen regelmäpig
toon bem forcierten Särm, bem 8ifd)en unb pfeifen ber Su«fcplag=
gebenben, unb e« febeim, al« moße man Fein Mittel mitoerfucbt taffen,
ihrem Sutor ba« Xpeater zu toereFeln. G« ift etma« Schöne« um
Wpabamantpe«’ Strenge unb man möchte beinahe münfehen, bap* fie auch
*troa« Sßgemeine« mürbe. Xie Siirfcplein jeboep, bie toor bierzepn
Xagen Schlurf unb 3au bejubelten unb 3ebem, ber e« nicht hören
itooßle, ba« 2ob be« ©haFefpeare parobirenben SFeiftertoerFe« in bie
Obren febrieen, biefe gerabe nicht febr reinen Choren hotten Fein jRecpt,
©albe’« „taufenbjäbrige« Weid)" au3*ulacben. Sei aß feinen Sdjmäcpen
ift e« hoch eine burebau« eigengeartete Arbeit, unb ihr Serfaffer meip
noch (Eigene« zu fagen, ftatt ben $opagei toom Soon
fpieten zu müffen.
Xen dichter, ber in feelifche tiefen gu fteigen liebt, Fonnte bie
©eftalt be« febmärmerifeben ©eciirer« mohl loden, ber Saprsepnte lang
bumpf unb büfter über nid)t toerftanbenen Sibelfteßen brütet unb bann
plöpikb, al« bie erfüllet ift, feine Sranbfadel ent^ünbet unb
bie ©erzen toermirrt. ©albe bot bie ganze, mabrlich nicht geringe
ffraft feiner GparaFteriftiF baran toerfepmenbet, ben fanatiidjen Xorf*
febmieb Iebenfprübenb toor un« pinzufteßen, unb er erreicht e« mit panb*
fefter unb boeb mieber fubtiler $unft, bap mir ihm feinen ©eiben glauben.
Sber meber ©a^be , « ^unft noch ©albe’« ©elb taugen für'« trama. @«
ift ber ©runbmangel faft aß ber jungen ßeute, bie unfer tbeater retoos
lutioniren moßten, bap pe in ber düferttgFeit ihre« Stobuciren« nie
ba^u Famen, ba« trum unb trän ber Sühne, ba« rein ©anbmerF«*
mäpige be« bramatifchen ©chaffen« Fennen gu lernen. 9?ur ©auptmann
macht hier eine Ausnahme. @r hat bie technifchen Regeln burchau«
ftubirt mit heipem Semübn, unb menn ihm nicht feine epifcb = It)ri[cben
3nftinFte einen ©trieb burdj bie Rechnung machen, baut er ba« ©cenen=
gefiige toerbältnipmäpig Flar unb mirFfam auf. ©albe hat ba« nie toer*
mocht. Gr mirb technifch emig unzulänglich unb unbeholfen bleiben. Gr
hat, unb ba« ift fchlimmer, auch Feinen Süd für bie bramatifebe Schlag*
Fraft feiner Stoffe. Statt fie au«*ufd)öpfen, begnügt er pd) bamit, bie
unreife, bürre Sabel mit bunten SMlbenbrud^CEffttteu aufzupufcen. ^tber
anleimen heipt noch nicht organifch fchoffen. Statt ben torfapoftel burch
eine mirFlich roudjttg gegipfelte ©anblung zu bcleudjten, ma« mit einem
bi«chen Grpnbung«gabe leidjt möglich gemefen märe, ja, mo^u bie Sigur
unb ihr ©efepirf eigentlich herau«forberte, fucht er ihn un« in uneitblidjen,
notbmenbig ermübenben fReben näher zu bringen. Gbe mir bie feltfame
Sorgefchicpte be« trama« erfahren, toergept eine quälenb lange 8eit=
fpanne — fo müpfam brept pd) b^r SRab auf 9?ab, fo ftörenb zeigen
ffd) überaß bie ©upnäpte be« ÄunftmerF«. 3n bem Seftreben, bie
ppantaftifchen Serirrungen tremfm« 7 ja recht eingepenb zu begrünben
unb zu zeigen, mie bie« toergrübelte ©im z« feinem unerfcpütterlichen
©lauben gelangen mupte, ift ©albe fo übermäpig breit gemorben, bap
bie an pd) meift reiztooßen Ginzeljüge fcpltepüch toermirren. So bleibt un«
ber ©djmieb, aßer an ipn gemanbten Äunft ungeachtet, gleichgiltig; er
iiberfd)veitet nid)t bie Grenze, bie ben toerbiefterten Flein liehen 9?arreit
toom ftraucpelnben Wenfdiheit^pelben fcheibet. Unb feine Umgebung ge*
minnt un« nod) meniger Sntereffe ab al« er. Qmnter fepen mir ba« zu*
fällige, erbärmliche, intereffelofe Ginzelfchidfal, nicht« redt Pd) barüber
pinau« unb ermedt tragifche Schauer. 3m gaße be« guhrmann« ©enfchel
mag ba« bingeben, ber Stoff aber, ben ©albe fiep mäplte, toerlangt ge*
bieterifd) au« ber SauerFohl*?ltmofpbäre berau«gepoben zu merben.
Xrop biefer neuen Schlappe braucht man ©albe maprlicp nid)t toer*
loren zu geben. Um ©aupteSlänge überragt biefer ehrliche, ernfte unb
ftolze fßoet aß ; bie EIRitbemerber, bie in ben lebten fDFonaten zu ^Sorte
tarnen. Gr beugt fid) ber Glique nicht, unb fein Scheitern ift immer
ein Scheitern an gropeit Aufgaben. Stenn ©albe meniger hoftig probu*
cirte, mürbe er feinen eigenen Arbeiten toießeiept ein ftrengerer dichter
fein unb fid) einen freieren Slid für fie unb bie Grenzen feine« können«
bemapren. 2Bir poffen noch immer auf ipn, münfepen immer noch,
bap feine feine unb reblicbe $unp nicht in mipoerftanbener, unfrei*
miflig Fomifcp mirFenber Xpeaterei untergepe. derartige ©Öffnungen
unb 3Bünfche an ©errtt Sapr 7 « Schaffen zu fnüpfen, märe mehr al«
tpöriept. 2Ba« biefer epemal« begabte unb mipige Scpriftftefler
leiftet, feitbem ba« Xpeater ipn pat, fpottet fogar ber Sefcpreibung,
bie er felber 'batoon geben Fönnte. Gin mibermärtigere« unb trottel*
paftere« Stüd al« „Xer Stplet" ift nicht leicht au«beitFbar. Xer ^raft*
menfep bricht bie Gpe nach Steplgefafleit, in aßer ©erzen«güte unb
Unbefangenheit; [eine grau tput am Gnbe baffelbe, ebenfafl« in aßer
Unbefangenheit unb ©erzen«giite. 2>er ilraftmenfd) mürbe ipr nie toer*
Zelpen, menn nicht fein langmeilig correcter Sruber, ber trodene Schleicher,
ipm Flar zu machen toerfuepte, bap er bie Xreulofe toerftopen müffe. Xa
bepält er fie au« 2Biberfprud)«luft bei fid). 2öa« ba« punbert 9Ral
unterftrichene Stpletentpum be« lieben«mürbigen ©errn mit bem Stüde
Zit tpun pat, unb mie ffd) ber gcpltritt feiner ©au«epre erFlärt, ba« fagt
©err Sapr nicht. Sud) fonft ipart er fiep aße Grläuterungen. Siel*
leicpt foß ba« Ganze nur mieber ein 3Bifc toon ipm fein. '$8ie fepon
bemerFt, ©err Sapr mar friiper mifcig.
Offene Briefe uitö ilutiuorten.
©corg ©ü^ncr unb feine ©riiöer.
Geeprter ©err!
3n 9Fr. 49 toom 9. Xecember 1899 ber „Gegenmart" mirb ge*
legentlid) eine« fepr fcpmeicpelpaften SrtiFel« über meine gamilie gejagt,
e« fei toermunberlid), bap meber mein Sruber 2oui« noch icp bie ©erau«»
gäbe ber Sterte meine« Sruber« Georg übernommen, fonberit biefelbe
einer frentben ©anb überlaffeti pätten. Xie« ift ein 3^i^um. 3ut
3apre 1850 paben mir Seibe bie 9Fad)gelaffencn Sdjriften meine« Sruber«
bei Sauerlänber in granffurt perau«gegeben. 3ut 3opre 1879 erbot
fiep $arl Gmtl granzo« in bentfelben Serlag eine SolF«au«gabe zu
toeranftalten, beren Grfcpeinen fiep jeboep toerzögerte, fo bap Soul« bie*
felbe beenbigen mupte. S3ir paben alfo ba« SnbenFen be« Serftorbenen
in Feiner Steife toernacpläfffgt ober Snberen überlaffen.
©ocpacptung«tooß
2 lles Biicpner,
Professeur honoraire de TUniversite de Caen.
Ouistrehara s/m, Calvados.
Alle geschäftlichen Mittheilungen, Abonnements, Nummer¬
bestellungen etc. sind ohne Angabe eines Personennamens
zu adressiren an den Yerlag der Gegenwart in Berlin W, 57.
Alle auf den Inhalt dieser Zeitschrift bezüglichen Briefe, Kreuz¬
bänder, Bücher etc. (unverlangte Manuscripte mit Rückporto)
an die Bedaction der „Gegenwart“ in Berlin W, Mansteinstr. 7.
Für unverlangte Manuscripte übernimmt weder der Verlag
noch die Redaction irgend welche Verbindlichkeit.
Digitized by 3Qle
144
Die ©egttiwari
Nr. 9.
Jlngeigert.
fcn Peflellungcn bmxft man ftd) auf Mi
„O&egEiuoarf 1 *.
3ut ©erläge non Jmberg u. Ceffou in
Berlin ift erfdjienen:
$>et $ 0 tff 4 ml$e.
Komöbie in oter Elften
oon
Statl »«*♦
©relS: elegant brofdjtrt 2 Wf.
©on bemfelben ©erfaffer ftnb eTfdjienen:
Pramatifcbe ^umoresfen (©erlitt, Qmberg
u. fieffon), brojd). 2 Wf. 3nbalt: Weitt
Wann fdjreibt irggöbieit. — Ser ift ber
©errätljer. — ©ublifuä unb jeine ©enoanbtett,
$>iftorico=Sfombbie.
Per ^ntenbant in taufeitb Hötbeu.
$offe (Berlin, 3- 21. ©targarbt), brojd). 2 Wf.
©omorrba’s <2nbe. Sitterarifcbe ftomübie
(«Berlin, 3* 6targarbt), brojd). 1,50 Wf.
<Ein toller (Tag. ßitterarifdje ©ojje (Berlin,
3- 21. ©targarbt), brojd}. 2 Wf.
Pmto Stoffe (©tuttgart, Union
3)eütfd)e ©erlagBgefettfd)aft), brojd). 2 Wf.
Per £ürft non Haiatea. ©ofje (©tuttgart,
Union $>eutftf)e ©erlagSgefeÜfdjaft), brojd).
2 Wf.
^le Dorftefjenbeit Piltj'fcben .ftumoreSfeti
bilben einen roefentlicben goitf<f)ritt in ber
(£utiüicflung ber beutfeben ftomöbie, inbem fie
in geioanbtefter ©prad)e bie oielfacben fomifeben
Wotioe, meidje unfre $eit QU f lüterarifdjem,
jocialem unb politijdjem ©ebiete barbietet,
gliieflid) Denoertljen,
2lfab. gtb. ©djrtftfteflcr, btölj.- jmhltttft.
(liter. Äritif) in ©erlin tbätig, energ. gemiffen=
Ijafte 2lrbeit8fraft, oor$. ©praebfenntniffe (fran*
S^fifd), englijcb), perfefter ©tettograpb,
9Rafd)inenfd)reiber (ftammonb), iuebt unt.
2(nfpr. in ffleftaltton, 5tt|coterfcf rr tariot,
©erl.döttMblg., Itterar. Snftit. :c. ©tellung.
Cffert. an b. feyp. b. ©egemoart unt. A. 6.
iTechniknmJlMenaol
■Hi laatfctatt- u 4 Min- I
Hrars-TMtolk« «.»Wsrfc ntliUrJ
M Dlrsetor jiitu». ■ '
$ienrik
im
$unbcrt Oriainal * ©utatbten
o. ftreunb u. fretnb: ©jbrnlon
»ranbe« »firner tfrfSpt Dabn
Staubet ©fltbb Romane ®rot!)
£aedel fcarttnann 3° rs
ban fftpling fieoncaoaflo ßin*
bau Sombrofo SKefcfjtfcfierStl
9ligra Worbou ©Utaier fetten*
lofer ©aUSbutt) ©ienfieroic*
©imon ©bencer ©pieUjagen
©tanlcb ©toeder ©trinbberg
©uttner ©Ubenbrudj ©erner
Sola u. b. 91.
(Sieg. Qcfj. 2 SRf. üom Otrl«g ber G*t<nmavt,
©erlitt W. 57 .
Urteil
ftiitr 3 til|«iff(i.
Pr. €K Pie Wirtschaft der Welt am Aus¬
gange des XIX. Jahrhunderts.
einigen poftttoen Potrfdjlägen. Cey.- 8 °. brofdj. 5 UI. 50 pf.;
fein tn Ceinwanfc» geb. ? 2 ft.
.... „3ebe geile Dwfaff«» befunbet tfjren Urfprung aus lebenbiger, btm ijanbelnben (eben }«ge«
tnanbter <£mpfirbung unb aus brm {taffen Drange, ber Dlenf^belt burd? bie Uuftoeifung bes redjten tmrifd?aftüdj«
tDeges praftifdjen Hagen ju fdjaffen. Die ^teie bes Herfaffers befdjrdnfen ftd? nt<t>t auf bie dagespolitif ober
uereinielte ina§nal)men, fie finb uietmebr nmfaffew bfler Urt unb roollen ber gefamten ^nfnnfts#
entwitfluna bes OTen|.uena<> etoieefets bie flabw tpeifew. Dofe ein btrarrtges Bua> bas Jwtrtr^e
ber meitefien Krtife 3a fe{fein im^anbe ift, liegt auf ber ^anb; es tfl feine <DeIet)rtenfd}rift, fonbtrn fftr
bie (Defamtf^eit ber (Debilbeten befiimmt. Der Derfaffer tjat fd?on niancbe tnertpoDe (Haben bargebotm
unb uielfad? neuen leitenben Jbern önijn gebrochen, fa ba§ man audj von bem oorliegeubem tDerfe t^ocfcgefpanme
€rWartungen b^gin barf. Durd? bie (eftflre aber uHrb bie 8ered?tigang fold;er ©npartungeP/ wie mir ans jnoer>
fic^tlidi ju bebtup'en getrauen, an§er allen ^metfel gefegt. M ' p.
■T* Porftc^cn^c 2tu5fü^rttnacn aus befauuter, berufener 5efcer, ebaraf-
tertfleren treffUcb ben 3nbaU bes Wertes unb entheben uns jeber <Smpfeb(ung«
3u belieben bureb aUe Pucbb^nbluittjcn unb bei uorberiger €infenbun$ bc©
Petrag» portofrei von <£ari tPinter’s Unit>erfitätHbucbb<tnblund in etbelber^.
„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitserseheinungen.
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergeetellt und dadurch
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von */ 4 1 75 Pf. in
der Apoth. u. Mineralwasserbandl. Nendorf (Rhein). Dr. Carbach A Cie.
$ic Segntioart 1872 - 1892 .
Um unfei Saget ju räumen, bieten mit nnfeten Abonnenten eine gän9is e
(Gelegenheit jnt DetooUftänbignng ber ßoflettion. ©o mett btt Sorratb reicht,
liefern mir bie ^»bTflänge i8<2—1892 ä 6 4)t. (.jtatt 18 3R.), Halbjahr#«
ÜBänbe k 3 Sfl. (ftatt 9 ÜR.). (Sebnnbene Jahrgänge a 8 SR.
©erlag ber Qkgetttomrt in ©erlin W, 57.
3>as #pp$
nnb
anbere ^unjlfragcn.
Original «©utac^ten oon Pb. JHeitjcI, Heltt-
bolb 8e$as, Bödlin, P. r. tPcmer,
PitauH, lUjbe, Stucf, 3ol>. ScbUlitt^,
Scbaper, v. (Bcbbarbi, Peiler,
Pefregger, <5ab riei Play, Hboma«
Ciebermantt, tPiib« Pufcbt 5^^er, <5raf
ffarracb, Play Prüfe, Pttille, Ceffer»
Ury, Poepler, peebt, Puebl, Cecbter,
3ü$el, parla^b^ Placfettfen, Sfarbina,
CeifHfow, ©aulfe, pliitfe, StabL
^rei5 biefet brrl iiÄiifffet-Jlttmmmi ber
„girgemoart^ 1 50
2 lucft bircct oon un$ gu bejie^en nad) ©rief*
marfen=©tnfenbung.
Perlag ber <5e$eutrart, Berlin W. 57.
ßismardts Hälftiger.
Montan
Oon
^eop^tC JloCCing.
IS" boltMHfgab«. *ai
^>rci§ 3 Warf, ©t^ön gebunben 4 Warf.
$)iejer ©iSmarcf=(Iabrtoi?Vornan, bet tn
loentgen 3ßMen fünf ftarfe 2luflagen erlebt,
erfebeint bicr in einer um bie Hälfte biHigettn
©olf§au§gabe.
35urcb aUe ©ucbbonblungen ober gegen din*
jenbung be§ ©etrag§ poftfreie gufenoung Dom
ücrldfl 4er öcfleiwart,
©erlin W. 57.
Bestellungen auf die
©inbanbbeefe
zum 56. Bande der „Gegenwart 4t , sowie
zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwei Bände
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und vergoldeter
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden in allen
Buchhandlungen entgegengenommen.
©eratmoortltigtT ftebacteur: Dr. Z$coJ>$tl goQtng tn ©erlln.
Webaciton unb ®ipebttton: ©erltn W., SRanfteinftrabe 7.
Druct bon $effe # 1
Digitized by v^.oooie
M 10 .
^SerCitt, ben 10. ^{tärg 1900.
Stf 26. Jahrgang.
^ r C/j ®* n< * jp’
. ' 'Oo,
lie totyamtL
SEßod^eitfd^rift für Siteratur, tunft unb öffentliche^ Sehen.
^erau^öegeöm bon £ottttt0.
0 SS! *"“2*“ ** ft“* »erl«0 ber ©egenmart in Berlin W, 57. mmW 4 » 60 |f. «tat Jmmt 60 »f.
8u betteten bun$ alle ®u($$anblung«i unb ^oftömter. ö ° Snferate jeher Ärt pro 8 gehaltene $ettt}etle 80
Inhalt:
3ntcrtocntion unb ©efii^l^olitif. ®on Otto Umfrib (Stuttgart). — $)er är$tHcf)e 9?otl)ftanb. SBon Dr. med. AtyljonS gulb.
— (Entfärbte ©piritiften. Son SRubolf SHeinpauI. — (Erinnerungen an Dltdjarb £ueifd)mann. SSon $atf>arlna 3ttelmann.
— ftcuiUeton. $>er ©affentjanev. S3on-9)?arf Xroain. — Alt# btt (MUptftabt. SBttljelm ber Sauft. 9Son Caliban. —
Opern unb doncerte. — $ramatifd)e Aufführungen. — Wollen. — Anzeigen.
* 3nternentton unb ißefühlspolitik.
Bon CDtto Umfrib (Stuttgart).
„Der lefcte Stet beS fubafrifanifchen Drauerfpielö fd)eint
begonnen ju haben, unb bie gebilbete SBeft fißt auf ber 3u*
fchauer«Dribüne, um jujuje^en, toie baS loelterobernbe ©ng=
lanb hingeht’ um basi freiteitbärftenbe BurettVölflein ju er«
roürgen," fo ungefähr briieft fiel) ber rafd) befannt gemorbene
ÜRilitärfchriftftetler, ©eneral A. ißfifter, auS. 3«, mit fteigenber
Sntrüftung fie^t ber ©rbtreiö bein Verruchten ©djaufpiel ju,
»oie bie Riefenfdjlange baS Kaninchen untflammert, um e<3
ihrer Unerfättlicf)feit ju opfern. Aber fühlt bie cibilifirte
SBelt eigentlich bie (Schmach, bie ihr burd) bieS ©djaufpiel
gejjdjieht? SBenn in alter 3 e ü bie Böller hinten Weit in ber
2ütfei aufeinanber gefchlogen hohen, — wenn votlenbS bie
Radjridht aus einem entlegenen SBeltthecl tarn, bafe bort ein
blutiger BernidjtungSfampf begonnen habe, fo fonnte man
mit einigem Behagen bie Berichte bei bem blauen Dualm
ber DabafSpfeife lefen, in bem beruhigenben ©efül)t: „®ott*
lob, mir finb bodj toeit Vom Schüfe"; man tonnte auch mit
einigem Siecht erflären: „SBir finb ju weit baoon entfernt,
afe bafe mir baran benten fönnten, bem ©efemert, baS bort
gefcJjmungen mirb, §alt ju gebieten." §eute ift baS anberS
getnorben; bie SBelt ift fich näher gerüeft; bie Sulturmenfd)*
heit ift empfinblicher ge»oorben; fie fühlt gleich einem Sörper,
ber jufammenjuett, auch menn baS ©ifen nur bie 3eh en fpi$ e
treffen foUte. — ©ine Veraltete Anfchauung mag h e nte noch
fich in bie SBorte tleiben: „SBaS gehen uns bie Suren in
©übafrita an? SBir hoben teine Sntereffen am Stap ber
guten Hoffnung ju vertreten." SRan mirb biefe Behauptung
|d)on nicht mehr im Vollen Umfang aufrecht erhalten tönnen,
auch Wenn man nur an bie Diamantenfchleifer von £mnau
benft, bie arbeitslos merben, meil in Äimberleh mährenb ber
Selagerung feine diamanten gegraben merben tönnen. Unb
C abgefefeen bavon, fo fann eS beifpielStoeife ben europäifchen
onen fchmertidi) gleidjgiltig fein, ob ©nglanb in Aftifa
immer tonangebenber, immer auSfchlaggebenber mirb unb
fchliefetidj im ©tanbe ift, ben ganzen ©ontinent nach feiner
Bfeife tan§en ju laffcn. Aber 3ntereffe h»u unb 3ntereffe
her —: im Allgemeinen Verfolgt man bie ©reigniffe, bie fid)
auf bem feeifeen Boben Von ülfrifa abfpielen, faft mit berfelben
Spannung, mie menn ber Scfjauplah jenfeits ber SSogefen
märe. SBoher nun biefe fevchgefpannte ©hmpatfeie? ©rtlärt
fie fich allein barauS, bafe bie Bebrängten unfere ©tamm«
vermanbten finb, bafe nieberbeutfcheS Blut in ihren ?lbern
fliefet? Ober ift bie Siebe ju ben Buren nur« bie ©egenfeite
beS $affeS, ben mir ben ©nglänbern als unferen gefährlicfeften
©oncurrejiten auf be»n SBeltmarft entgegenbringen? 3ft eS
nicht vielmehr baS echt menfehtidje Bemufetfein ber 3ufammen«
gehörigfeit, baS fich in elementaren StfuSbrüdjen brnufenber
BermerfungSrncetingS gegenüber ber englifdjen ©olbgräber«
politif ju äufeern pflegt, unb baS fich ebenfo mächtig jeigen
mürbe gegenüber einem anberen JRaubjug, beit ein ©tarier
in bie SBeibepläfce eines fchmadjen IpirtenvoIteS unternehmen
mürbe? — SBaS ift eS, baS bie SRöthe fittlicf)er ©ntrüftung
unS in bie SBangeit treibt? ©S ift baS beutlidje ©efühl,
bafe in ©übafrita nicht nur ein tleineS Bolf um baö tfeeuer
ertaufte ©ut feiner ^reiljeit betrogen merben, nein, bafe im
SRorben beS DranjeftuffeS baS ÜJed)t in eclatantefter SBcife
in ben Boben getreten merben foU. 3d) glaube, alle ehrlich
bentenben Seute finb barin einig, bafe jroifchen 3omefon'S
©infall, ben baS faiferlidje Telegramm Verbammte, unb bem
©infall Von 150 000 ©nglänbern unter BobertS, Butler,
SOiethuen, unb mie fie 2lHe heißen, nur ein Unterfdjieb ber
©röfee befteht: ein Baubjug ift baS ©ine mie baS SInbere.
SGBirb aber baS SRecht ungeftraft Verlebt, fo ift baS nicht blofe
ein Unglüd für baS junä^ft Von bem Rechtsbrecher über«
fallene Bott — eS ift auch eine ©darnach für bie anberen
Rationen, bie ber ©emalttfeat jufehen, ohne helfen ju tönnen
ober helfen ju motlen. SBenn heute eine ©efcHfchaft von
hanbfeften SRännern auf ber Sanbftrafee bahin marfchirte, unb
fie fämen eben baju, mie ein Räuber ein fdjmacheS ÜRäbdhen
niebermirft unb mit bem SReffer bebroht: fie mürben fidh
mofel feinen Slugenblicf befinnen, im Ramen ber ■SRenfchlid)*
feit ben Unfeolb anjugreifen unb an ber Ausführung ber
fdjlintmen Abficht h'nbern. SBarum fehen nun oie ©rofe«
möchte unthätig ju, mie ber Räuber 3ohn BuH bie beiben
©chmeftern in ©übafrita mifehanbeln barf? können fie nicht
helfen ober motten fie nicht helfen ober haben fie am ©nbe
gar fein Recht ju helfen? ÜRoberne Diplomaten thun, als
ob eS eine burd) bie Roth flebotene meife ©elbftbefdhränfung
märe, audh in einem foldjen Ärieg, mie er vor ihren Dhoren
heute burchgefod)ten mirb, neutral ju bleiben, als ob fie
aufeerbem fich bamit auf bem Boben ftrengen Rechts bemegen
mürben: fogar ber 3 ar erflärt, er merbe bie ftrengfte Reu*
tralität ben ftreitenben Parteien gegenüber maferen, als ob
eS ju rechtfertigen märe, neutral ju bleiben, menn ber Ber*
berber ber ©rbe bie Unfdjulb verfolgt.
Digitized by v^.ooQle
140
Die ßegentoart.
Nr. 10.
SBie fteßt'S nun aber mit bet grage nach bem SRec^t?
@3 ift ja atlerbingS ein eigentliches Völferrecßt noch nicht
gefd^rieben, Die! weniger oon ben ©ewaltigen ber Srbe an*
erfannt. Sin Keiner unb unfeheinbarer SPerfnch baju ift im
£>aag gemacht worben. Vad) Slrtifel 3 ber tpaager Sonöention
ftnb bie Neutralen berechtigt, ben friegfü^renben Parteien
ihre Vermittelung anzubieten, ohne bamit in ben Verbaut
ju fommen, als ob fie einen Slct ber geinbfeligfeit be*
gehen wollten. SBarum macht feine bet IDtäcßte oon biefem
flrtifel ©ebraueß? ©otlte hier ber formaliftifche Sinwanb
in’S ©ewicht fallen, baß bie Vefdjlfiffe ber £aager Sonferenj
zwar oon ben Mächten unterzeichnet, aber — noch nicht
fanctionirt feien? SBarum, wenn eS ben Diplomaten Srnft
ift, beeilen fie fief) bann nicht, biefe ©anctionirung nad)zußolen?
Ober aber — follte bie §aager Sonferenj wirtlich nur eine
Somöbie gewefen fein, barauf berechnet, leichtgläubigen Dßoren
©anb in bie Slugen ju ftreuen? ©ei bem, wie ihm wolle;
eS ift SinS gegen £>unbert ju wetten, baß, wenn einmal bie
SriegSfurie loSgelaffen ift, baS Angebot einer Vermittelung
Oon ber ftärferen SRacßt jurüefgewiefen würbe. §at einmal
bie Veftie ihre Äetten zerbrochen, fo fann fie nicht mit feibenen
Vänbcßen wieber eingefangen werben. SBollte eine Stiadjt
fich bazu entfeßtießen, ihre Vermittelung anzubieten, unb Wäre
fie babei Oon ber Slbficßt geleitet, ben gcinbfeligfeiten wirflich
ein Snbe zu bereiten, fo müßte fie ent fehl offen fein, im gaQ
ber Slbleßnung ihres VorfdjlageS eine ißreffion auSzuüben,
bie wirffam genug wäre, um bie Vieberlegung ber SBaffen
herbeizuführen. Sftun feheint aber feine ÜRacßt, für fief) be»
trachtet, ftarf genug zu fein, um bem englifcßen Ütiefen mit
SluSficßt auf Srfolg in bie Strme fallen zu fönnen. DaS
meergewaltige Sllbion Würbe alfo jebeS Slnerbieten einer
„freunblichen" Vermittelung, Wenn baffclbe nur Oon einer
ÜJtacßt auSginge, mit Verachtung oon fich toeifen.
Sin SlnbereS wäre eS, wenn fich biefe übermüthige Nation
plößlicß einer Soalition ber SDSäcßte gegenüber fehen Würbe.
SS ift befannt, wie man zur 3<üt beS StuSbrucßeS beS DranS*
oaalftiegeS, inSbefonbere Oon Vußlanb unb Oon granfreid)
auS, auf ben 3 u fammenfcßluß ber Mächte hingearbeitet hat.
Deutfcßlanb hat ber fiodung wiberftrebt, fich int herein mit
bem öftlicßen unb weftfidjen Nachbarn bem Slnfturm beS
britifeßen SBeltreicßeS entgegenzuftemmen. inwieweit Der*
wanbtfdjaftlicße Vüdficßten hierbei eine Volle fpielten, entzieht
fich unferer Veurtheilung. gür Sille aber, bie auf einen
3ufammenfcßtuß ber SOSäcßte zum Schule beS gefränften
VecßteS hofften, war eS eine nichts weniger als angenehme
Ucberrafcfjung, als $err Shawberlain ber SBelt beit $bfcßluß
eines neuen, anglo*germanifcß*ametifanifcben DreibunbeS Der*
fünbigte. 3war haben fich bie Diplomaten an ber ©pree
unb in bem weißen §au3 zu SBafßington geftellt, als ob fie
nichts oon einem folgen Dreibunb Wüßten. 9J?erfwürbig
aber, feßr merfwürbig bleibt eS immerhin, baß auch bie
ruffifd) s franzöfifche Diplomatie, bie Ditßenbe oon ©rünben
habeu bürfte, ben Vormarfch Snglanbs aufzußalten unb feine
Verlegenheiten auSzunüßen, bis jeßt baS Wirffame SBort in
biefer ©ache nicht gefunben haben. Denn fo weitauSfeheub
auch bie ruffifeßen Druppenconcentrationen an ber ©renze
oon Slfgßaniftan fein mögen — fo lange Vußlanb, bezw.
ber 3ar, eS birect oon fief) weift, auf §erat zu marfchiren,
haben alle berartige Demonftrationen höchftenS ben SBertß,
eine fleine Sonceffion in alten Streitfragen ßerbeizufüßren,
aber feineSwegS bie Vebeutung einer tßatfräftigen Snteroention.
SBoßer nun aber biefe 3utüdhaltung auch auf ©eiten beS
3weibunbeS? Sollten Dielleicht Deutfchlanb unb Slmerifa
gegen 3 u fi<ßerung gewiffer tranSmariner Vortheile fich bazu
Oerftanben haben, bie übrigen Wüßte im ©chach z u halten,
bamit Snglanb ruhig bie golbenen Slepfel in bem füb*
amerifanifeßen ipef per ibengarten pflüden fönne? Dßatfaße
ift, baß ein ©eheimüertrag zwifßen Deutfchlanb unb Snglanb
befaßt. SBorauf er fich bezieht, barüber laffen fich fehlster*
bingS nur Vermuthungen anfftetlen, bie an ber SBhtflidjfeit
weit üorbeifdjießen föttnen. Slber unmöglich ift eS nicht, baß
bet faßrenbe ©efelle — bem faßrenben Vitter, ober fagen
wir ber gifßer am ©tranbe bieSmal bem großen ©eefaljm
oerpflichtet worben ift. 3m amerifanifchen Unterhaus Würbe
fürzlicf) geleugnet, baß ein ©eßeimOertrag ztoifeßen ber eng*
lifßen unb amerifanifßen Vegierung ohne 3uftimmung ber
gefeßgebenben Sförperfcßaften hätte abgefßloffen Werben tönnen.
SBev bürgt unS aber bafür — bei ber 3roeibeutigfeit mobenier
Diplomatenreben ift ja SUIeS möglich —, ob ßorb SaliSburq
unb ber ejpanfionSlüfarne SD?ac Äinleß nißt boeß — Want
aueß feinen ftaatlicß fanctionirten Vertrag, fo boeß ein ge*
ßeimeS Slbfommen miteinanber gefcßloffen ßaben — mit
Vezug auf bie Dßeilung ber SBelt? — Vißt eben unwaljt*
fdjeinliß ift eS unS, baß felbft ber amerifanifeße Senat in’i
Vertrauen gezogen warb. SBaS biefe Sorporation betrifft,
fo ift ein Vorgang, ber fich fürzlicf) in ißrer Witte abfpielte,
boß zum SDRinbeften feßr auffallenb. Der ©enator Sillen
bringt beit Slntrag ein, bie Üfegierung ber Oereinigten ©taaten
möge im DranSöaalfrieg oermittcln. Die Senatoren ftnb
einen Stugenblid „geifteSabwefcnb" uub erheben feinen SEBiber»
fprueß; ber Vorfißenbe erflärt: Sllfo fei ber Slntrag an*
genommen. Statt baß man fiß aber beffen gefreut unb mit
ber Durchführung beS VefcßluffeS Srnft gemacht hätte: lachen
bie sperren Senatoren, §err Sillen lacßt mit unb auf ben
Vorfcßlag beS tßräfibenten ßin wirb bie ©aeße ein anbermal
wieber auf bie DageSorbnung gefeßt. ©ießt baS nießt aueß
einer ftomöbie zum VerWecßfeln äßnlicß? Ob nun aber
wirflicß Weitergeßenbc Slbmadjungen zwifefjen Snglanb einer*
feitS unb ber beutfeßen unb amerifanifeßen Vegierung anberer*
feitS befteßen ober nießt, — wie erflärt fieß bie Dhatenloftg*
feit ber leßtgenannten SWäcßte, um Oor ber £>anb Oon allein
Slnberen einmal abzufeßeit? 3ft eS nießt immer Wieber baS
felbftfüdjtige 3ntereffe ber auSbeßnungSbebürftigen Nationen,
baS bei einer Uebereinfunft mit ber SBeltmacßt Snglanb auf
feine Vecßnung fommen mag, Wäßrenb bie fleinen fübafnfn*
nifeßen Vepublifen nicßtS zu bieten ßaben, baS ben colonien*
fücßtigen ©taatSlenfern in bie Slugen fteeßen würbe? ©o
muß benn Woßl DranSoaal bie 3e<ße zahlen für baS „SSer--
brüberungSmaßt", an bem bie ßoße Ißolitif bei oerfcßloffenen
Dßüren fieß ergößt. Snbeffen fann baS Vecßt zertreten werben.
„SBir ßaben ja fein Sntereffe in DranSoaal." ©oUte d
nun aber nießt möglich fein, ben Völfern unb ^Regierungen
flar zu machen, baß baS bringenbfte Sntereffe oon ber SBelt
barin befteßt, baS Vedjt aufrecht zu erhalten, baß eS eine
SebenSfrage aHererften ÜlangeS für alle Nationen ift, fteß ju
einem Vunb z»fammenzufcßließen, ber baS bebroßte Vecßt ju
feßüßen fößig wäre? SBo ift bie Vation auf bem ganjen
Srbenrunb, bie ftarf genug wäre, um erflären zu fönnen:
„3cß loerbe niemals feßwaeß barnieberliegen"? 3ft eS aber
ßeute erlaubt, baS fcßwadße DranSoaal zu oergewaltigen, ober
war eS geftern erlaubt, bie Slrmenier nieberzumeßeln, fo wirb
eS morgen ertaubt fein, irgenb fonft ein fcßwacßeS ©lieb ber
©taatengemeinfeßaft zu oertilgen. 3ft eS geftattet, naeß bem
©runbfaß z u ßanbeln: „3cß bin groß, unb bu bift flein,
brum mußt bu gefreffen fein," fo muß jebe Vation in 9fecß*
ttung neßmen, baß bie Steiße beS ©efreffenWerbenS an fie
fomme. Daßer bürfte eS woßl zeitgemäß erfeßeinen, in Sin*
fnüpfung au baS befannte Vilb beS ÄaiferS einmal Wieber
in bie Seit ßineinzurufen: Völfer SuropaS, oereinigt euch
Zum ©cßuß eurer ßeiligften ©fiter, zum Schüße beS be*
broßten VecßtS!
Derartigen SluSfüßrungen gegenüber pflegt man z« {r>
wibern, baS fei ©efüßlSpolitif, mit ber fein Staat befteßen
fönnte. Unb felbft wenn man ben Slnfturm ber Sngtänber
aufhatten wollte, fo fei man bazu gar nießt im ©tanbe:
bie englifcße glotte behaupte nun einmal bie unbeftrittene
Suprematie auf bem ÜJteer. Derartige Veßauptungen waeßfen
fießbureß öftere SBieberßolungen zu einer Slrt politifeßer Dogmen
Digitized by VjOOQie
I
Nr. 10.
Die (Segen wart.
147
au3, an benen nach ber IRetnung beS bereiten VublicumS
niemals flerüttelt werben barf. Sit wagen boef) baran ju
rütteln. Sir finb jwar überzeugt, baß ©nglanb jebem ein«
jelnen europäifdjen Staat jur See bebeutenb überlegen Wäre,
obwohl auch auf feiner bielgerüljmten glotte SRandjeS faul
unb brüchig ift. 3 u Jugeben ift» baß bie britifdje SRarine'
auch ben bereinigten flotten zweier Staaten wie IRußlanb
unb granfreidfj mehr als gewachsen wäre. Sit finb aber ber
Ueberjeugung, baß biefe fabelhafte Seefdjlange, genannt eng«
lifdje ÜRarine, einer europäifdjen Koalition unb ooHenbS einem
europäifd)«amerifanifd)en Seebunb nicht ©tanb ju hatten ber«
möchte. SRedjneit wir einmal bie SfriegSfdjiffe jufantmen, bie
bon ben europäifdjen SRäcfjten ber englifdjen glotte entgegen«
gefteUt werben fönnten, fo ergiebt [ich (ohne bah bie neuen
beutfdjen unb franjöfifdjen glottenoergrößerungSpläne in 93c«
tracht gezogen würben), auf ©eiten beS berbünbeten ©uropaS
eine 3 a hi bon 1786 Schiffen, gegen 910, welche bon ©ng»
lanb aufgefteQt werben fönnen. Soffen wir aber bie Heineren
9Rädjte außer Vetradjt, fo hätte ber bereinigte gweibunb unb
Dreibunb mit 1290 ÄriegSfaljrjeugen immer noch baS be«
beutenbe STOehr bon 880 Schiffen gegenüber ber englifdjen
Seemacht aufjuweifen. $äme boÖenbS bie amerilanifdje glotte
mit 129 ÄriegSfdjiffen hinju, fo Wäre bie Uebertegenfjeit auf
Seiten ber Koalition noch gewaltiger. Sill man aber nur
bie großen, nach neueftem DtjpuS gebauten fßanjerfchiffe in
betracht jießen, fo wirb baS Verfjältniß für ©nglanb eher
noch ungünftiger. Unb wenn enblidj auch jujugeben ift, baß
bie Rührung coalirter ©efdjwaber immer mit größeren ©djwie*
rigfeiten berbunben fein wirb, als bie Seitung einer einbeit«
liÄ organifirten nationalen glotte, fo wären bod), StlleS in
Slllem gerechnet, bie ©hancen auf ©eiten ber Verbünbeten
günftiger als auf ©eiten ber ©nglänber; ja man fönnte
hoffen, bafe bie Vriten eS gar nicht wagen würben, bem
berbünbeten ©uropa bie ©pifje ju bieten. Senn fie fchon
jefet bie gröfjte ÜRülje haben, um bie Keinen fübafrifanifcfjen
SRepublilen unterjufriegen, fo bürften fie boch faum deS
SBafjnfinnS fähig fein, mit ganj ©uropa anjubinben; fie
würben bietmehr einem berartigen Völferbunb gegenüber, wie
wir ihn im Stuge haben, einfeijen lernen, baß es eine 3lrro=
ganj bon ihren ©taatSmännern Wat, baS freie ÜReer, bie
gewaltige ^eerftraße ber Völfer, ju einem britifchen Domi»
nium machen ju wollen. Sllfo noch einmal: -Rur in ber 93er««
cinigung ift ber Schuh beS bebroßten IRedjtS ju finben, unb
fdjreiben wir’S ber Seit, um ein befannteS Sort ju bariiren,
mit golbener Schrift in’S ©tammbuch ein: L’alliance c’est
la paix.
Um aber auf ben Vorwurf ber ©efüßlSpolitif jurücf«
jufommen, fo glauben wir, gegen benfelben gewappnet ju
fein. ©3 giebt, um eS furj ju fagen, eine berechtigte unb
eine unberechtigte ©efühlSpolitif. ©efüljle, bie auS Vor*
urtheilen entftefjen, finb bon jeber politifcfjen Veratfjung fern
ju halten, ©efüljle, bie auS moralifchen ©rwägungen unb
auS bem SRedjtSbewußtfein entfpringen, werben aud) im fRatl)
bet hohen fßolitif nicht ungeftraft berachtet werben, ©ine
betlehrte ©efühlSpolitif ift’S geWefen, wenn in alter 3^t ber
Sägernherjog meinen fonnte, bie Schmach, bie feinem ©e*
fanbten baburch angetan worben fei, baß ihm ber Hurfürft
bon ber fßfalj im ©ifer beS ©efptächS ein Dintenfaß an ben
fiopf geworfen höbe, lönne nur burch Vlut abgewafdjen
Werben; ober Wenn in ben ÜReiningenfdfjen Sanben einmal
ein Stieg entftanben ift (ber Safungenfcfje Stieg) auS feinem
anberen Slnlaß, als weil bie grau Sanbjägermeifterin Slugufte
bon ©leichen fich mit ber SRegierungSräthin, grau bon Pfaffen«
ratfj, um ben 93ortritt bei Ipof ftritt unb fie bei ber ©elegen*
heit gar unfanft auf bie Hühneraugen trat, ©ine unbereefj«
tigte ©efühlSpolitif ift’S gewefen, wenn griebrich Silhelni II.
3lnno 1787 in ben ÜRieberlanben einmarfchirte, weil feine
©cfjtoeftet an ber ©renje ber fßrooinj §oHanb bon ber Bürger«
wache aufgehalten unb jum Umfefjren genöthigt worben war.
©ine unberechtigte ©efühlSpolitif war eS, wenn griebrich
Silfjelm IV. meinte, auS ber £>anb ber VolfSoertretung feine
Saiferfrone annehmen ju fönnen. Dagegen gilt bon ben
meiften 93ölfern, wenigftenS bon benjenigen, in benen baS
SRedjtSbewußtfein lebenbig ift, baß fie fich in ihrem bunften
Drange beS rechten SegeS wohl bewufjt finb. ©ewiß, baS
©efüfjl ber Völfer fann irregeleitet werben; aber wenn man
fie fid) felbft überläßt, fo finb fie bielfach e h et in ber Sage,
baS Süchtige ju treffen, als bie gewiegten, aber auch burch
ihre „große $unft" ber natürlichen Slnfdjauung bietfach ent«
frembeten Diplomaten. Um nur ein einjigeS 93eifpiel auS
ber fernerliegenben Vergangenheit h^auSjugreifen, fo giebt
eS faum ein treffenbereS ©jempel einer großartigen ©efüblS«
potitif als bie Äreujjüge. 2Ran mag unS über ihre ©nt«
fteßung fagen, was man will; man mag bon ^ßrieftertrug
unb päpftlicfjem £>errfdtjaft3gelüfte unb ritterlichem Sigennufce
reben: baS SlUeS mag mitgefpiett haben; aber bie Äreujjüge
Wären nie biefe weltbewegende ©rfdjeinung geworben, bie fie
thatfädjlidj gewefen finb, wenn fie nicht getragen gewefen
Wären bon bem gewaltigen Verlangen ber djriftlidjen Völfer,
bie Ipeimath ihres ©laubenS jurüdfjugewinnen. Slber treten
wir herein in bie neuere 3 e ü- Sir wollen nicht bon ben
potenfreunblidjen ßunbgebungen reben, bie in ber erften ^älfte
unfereS SahrfjunbertS ftattgefunben haben; wollen aber er«
innern an bie ©efühlSpolitif, bie für ben gürften bon Vatten«
berg unb bie bulgarifche greiheit gegenüber ruffifcher Ver*
gewaltigung ftürmifd) Partei genommen hat, fowie an baS
mächtig auflobernbe SlRitgefühl, baS für bie gefchänbete, ju
Dob gemarterte armenifdhe Nation fich erhoben hat. Sir
finb noch h eute überjeugt, ba| bie ^Regierungen in beiben
gälten gut getljan hätten, auf bie ©timme beS ©ewiffenS ju
hören, bie in bem Seelenleben ihrer Völfer fo beutlidj ber«
nehmbar war. ©anj biefelbe ©rfcheinung tritt unS heute
Wieber entgegen. Sn Slmerifa unb Deutfdjlanb — ganj ab«
gefehen bon ben anberen ©ulturnationen, in welchen bie @tjm«
pathie für bie Unterbrüdten lebenbig ift, jeigt fich eine ge«
Wattige Strömung ju ©unften beS beriehten SRechtS. Sunb«
gebungen über Sunbgebungen forbern bie ^Regierungen auf,
ju ©unften ber bebrängten SRepublifen ju bermitteln. Die
^Regierungen aber hüllen fich in Schweigen unb jiefjen fiefj
auf ben alten ©runbfatj ber SRichtinterbention jurüd. Db
eS nicht beffer für bie 3nfunft ihrer Völfer, für bie guüinft
ber URenfchheit Wäre, wenn fie in biefem galle einmal bem
^ochbrucf ber öffentlichen SReinung nachgeben wollten?
©3 ift nicht ohne Sntereffe, ben ©runbfafe ber Sticht*
interbention borübergefjcnb ju beleuchten. 3n früheren 3«iten
Würbe bötlig unbefangen interbenirt. ©obalb ein Staat ber
SReinung war, baf? er burch einen in einem Stadjbarlanb
Wüthenben Ärieg gefchäbigt Werbe, ober baf} er burch irgenb
eine VertragSflaufel berechtigt fei, einem Vebrängten ju |)ülfe
ju fommen, fo hat et fich eingemifdjt. 2Ran barf nur an
bie 3eit beS dreißigjährigen SfriegeS erinnern, um bie 9tid)«
tigfeit ber borgetragenen tlnficht nachjuweifen. Die Suter«
bentionSpolitif ift erft burch die heilige Mianj in SRifecrebit
gefommen. DiefeS ©ingteifen in Verhältniffe frember Staaten
im freiheitsfeinblichen Sinne fonnte bie ©ulturwelt nicht er«
tragen, tlucfj ber britte SRapoleon h°t mit feinen ©in«
mifdjungen nicht biel Sorbeeren gefammelt. 31 ber wenn 3wei
baffelbe thun, ift eS nicht baffelbe, unb Wenn man eS in
berfcfjiebener Slbficht thut, ift’S wieber nicht baffelbe. Sein
ehrlicher SRenfcfj würbe Slnftoß baran nehmen, wenn irgenb
eine ^Regierung erflärte: „Sir bulben nidht, ba§ fernerhin
nach SRäubermoral gehanbelt wirb.“ Senn einmal baS löfenbe
Sort bon hoher Stelle auögefprodjen würbe —, ich glaube,
bie Sogen ber Vegeifterung würden jum §immel empor»
raufchen. Snterbention fann unter Umftänben einfach als
Vfltdjt erfcheinen. Schon jur 3 e tt ber bulgarifcfjen ©rcuel
hat Vluntfdhli über bie 3 u ftänbe auf ber Valfanhalbinfel
fich folgendermaßen geäußert: „DaS finb feine gnftänbe, die
Digitized by v^. ooQie
148
Hie (Segen wart.
Nr. 10.
baS europäifdje Staats* unb NedjtSbewußtfein ertragen fann.
Sie finb unwürbig ber heutigen ©ioilifation unb eine Schmach
für ©uropa. ©uropa fann biefe 9D?i%wirt^fd^aft umfoweniger
ertragen, als eS ficE> erinnert, baß bie befiegten unb unter*
brüeften Völfcrfdjaften mit ben europäifcfjen ©ulturüölfern
burdj ißre Spraye, Religion unb ©efdjicßte naße oerwanbt
finb." (Siegen meßt biefefben ©rinnerungen naße, wenn hur
an bie Suren benfen?) „So weit eS nötßig ift," fäbjrt
Vtuntfdjli fort, „bie gewaltfamen ipinberniffe einer aufge*
brungenen grembherrfdjaft ju entfernen unb bie natur*
gemäße ©ntwidetung ju ermöglichen ..., fo Weit hat ©uropa
bie Pflicht unb bähet auch baS Siecht, biefe nothwenbige
Sorge ju üben unb wirffam ju machen." SBenn wir baS
auf bie Vorgänge anwenben, bie fich heute öor unferen Slugen
abfpielen, fo heißt baS: ©uropa hat bie Pflicht, in ben Stieg,
ber jefct Sübafrifa oerßeert, bermittelnb eiujugreifen. SBenn
wir nicht interbeniren, fo Werben bietteitfjt unabfehbare Ser*
wiefetungen öarauS folgen, ©nglanb üergrößert fein Derti*
torium, wenn eS DranSOaat unb ben Dranjefreiftaat annectirt,
wieber um 457 770 Ouabratfilometer; eS gewinnt eine faft
erbrüdenbe ©räponberanj in Slfrifa. Die $olge Wirb fein,
baß bie anberen 9Rädjte nach berühmten NJuftern „©ompen*
fationen" bertangen, baß eine Neiße neuer NcibungSflädjen
gefchaffen, furj, baß bie ©efaßr beS SriegeS bon allen Seiten
ßeraufbefeßworen wirb. Slm ©nbe brängen Die Verßältniffe
oon felber ju ber ©oalition, auf bie Wir ßingewiefen hoben.
Die 3>bce eines mitteleuropäifchen 3 D ^bunbeS gewinnt meßr
unb mehr ©eftalt. Sinb bie Söffer aber wirtschaftlich ber*
einigt, fo Werben fie fich auc h politifch Oerbünben. Dann
wirb man bie beliebte einfeitige Sntereffenpolitif nicht höher
wertßen, als fegt bie beraltete Sirdjtßurmpotitif gewertßct Wirb.
Nod) he»^ hanbeln gewiffe Staaten nicht biel ebler unb
nicht biel flüger, als ber Württembergifche Schultheiß, ber
an ber ßoßenjoHernfchen ©tenje woßnenb fotgenben ©rlaß
hinausgegeben hat: „Saut SBeifung eines Wohllöblichen Ober*
amtS treibt fich ein toller £>unb in ber ©egenb herum; Seber*
mann Wirb aufgeforbert, benfetben entweber tobtjufcßlagen
ober aber in’S ißreußifdje ßineinjufagen." SBenn ihn nur
„bie Slnberen" haben! DaS ift auch ein ©efühl, aber ein
berfehrteS. DaS bom NecßtSbeWußtfein geleitete ©efühl würbe
unS barauf hinweifen, ben Nachbarn ©uteS ju Wünfcßen, ba*
mit fie unS ©uteS ju bieten hätten; eS Würbe unS baju
treiben, ben bebrängten Schwachen unfern Schuh angebeihen
ju laffen. SiS aber bie Diplomaten fo flug fein Werben,
werben bie fübafrifanifeßen Schweftern berblutet fein, fo gut
Wie bie Slrmcnier berbluten mußten.
Der ärjtlictje Itothflanb.
Sßon Dr. med. 2Hp^ons fulb.
Son 3aßr ju Saßt mehren fid) bie Stagen über ben
wirthfchaftlidjen Niebergang beS ärjtlidjen StanbeS; bie ftetig
juneßmenbe Ueberprobuction an Slerjten, bie unangemeffene
§onorirung Seitens ber Stanfencaffen, bie Sereinigung oon
Angehörigen ber gutfitnirten ©laffen in Sranfenöeteine, bie
©oncurrenj eines üppig wuefjernben, Woßlorganifirten Gut*
pfufcherthumS follen in ihrem 3 u fammenwirten ben Stanb
ber Aerjte unaufhaltfam ber ißrofetarifirung entgegenführen.
SBenn ein Seruf mit taufenb fjäben in bie oerfeßiebenften
©ebiete beS öffentlichen SebenS hinein oerwoben ift, wenn er,
wie ber ärjtlicße, nicht nur in ber Stanfenfiirforge unb
Sranlenpflege, fonbern auch in ber SluSfüßrung ber focial»
politifdßen ©efefcgebung, itt ber NedjtSpflege unb ber öffent¬
lichen fSßgiene berüorragenb betheiligt ift, wenn er ferner mit
ben Oerfeßiebenften Schiften ber Veoölferung in nahe Se=
rührung tritt unb beftimmenben ©influß auf fie auSjuüben
Oermag, bann wirb gewiß fein wirthfdjaftlidfjer Niebergang ju
einet bie StUgemeinßeit intereffirenben unb befonberer S3e*
adjtung Werthen Slngelegenßeit. 9Ran fönnte nicht gerabe
behaupten, baß in weiteren ärjtlidjen Sreifen ein oolleS Ser*
ftänbniß befte|t für bie Urfachen biefer ©ntwidetung; aus
ber mebicinifcßen DageSpreffe tönen immerfort bie alten
Stagen wieber über ©urpfufdfjertum, Ueberprobuction unb
focialpotitifche ©efe|gebung; halb wirb baS eine, halb baS
anbere ÜRoment mehr in ben Sorbergrunb gefdßoben. 3h
fann eine fotche ifolirte, ben innigen Rufammenßang all«
wirthfchaftlidjen gunctionen beS ©efeufcßaftSförperS ooll*
fommen ignorirenbe Vetradjtung ber öfonomifdjen Sage eines
einjelnen SerufeS nicht für richtig hatten, id) habe früh«
feßon einmal an biefer Stelle ßeroorgeßoben, baß bie ärjt*
ließe SNifere nur im 3 u fammenhang mit allen übrigen ©r*
fdßeinungen beS wirtschaftlichen SebenS richtig üerftanben
werben fann; fie ift nichts SlnbereS, als Stheilerf^einung bet
großcapitaliftifdjen ©ntwidfelung auf aQen ©ebieten b«
©rwerbStßätigfeit; ftaatliche Stanfencaffen, freie JpülfScaffen
unb Sranfenoereine beßerrfdben ben ÜRarft nnb bictiren bie
greife. DaS Necßt auf Arbeit ejiftirt für eine fehr große
Anjaßt Oon Slerjten thatfädhlich nicht; Setternfdjaften, ©tiquen,
perfönlicße, potitifdje unb religiöfe Sßmpatßien unb Anti*
patßien entfcäjeiben oielfacß über bie 3«faffung jur Sehanb*
lung ber ©affen* unb SereinSmitglieber unb biefe Serhältniffe
finb ganj bie gleichen in ben SetriebScaffen, wie in ben
allgemeinen DrtSfranlencaffen; allüberall macht ber ©apitalii*
muS, mag er nun burdj bie ©efifcer unb Beamten ber gdbrilen
ober burd) bie Sertreter ber Strbeitnehmer repräfentirt fein,
feine SDZacht geltenb. SlllerbingS würbe wohl faum ein anbenr
Seruf fich foldjc 3 u ftänbe auf bie Dauer bieten laffen unb
wenn bie Sterjtefdjaft fie immer noch bulbet, fo liegt baS an
ber UnooKfommenbeit unb Ohnmacht ihrer Organifation.
3ch bin barum ber fe^erifdhen üReinung, baß alle bie StanbeS*
Organisationen, bie in ben Oerfcßiebenen SunbeSftaaten theifö
projectirt, tßeilS in’S Seben gerufen finb, nichts Nachhaltige®
jur §ebung unferer wirthfchaftlidjen Sage leiften fönnen, fo
lange bie Organifation fidß nicht einheitlich über baS ganj«
NeidjSgebiet erftredft nnb ißr erfter unb wicßtigfler Programm»
punft nicht bie grunbfä^lic^e Slnerfenuung unb ©rfämpfung
beS fRedhteS auf Slrbeit für jeben einjelnen Slrjt jum Snhalt
hat. Nur wenn bie gefammte beutfdje Slerjtefchaft als ge*
fcßloffene Nfacßt ißren „Slrbeitgebern" gegenübertritt, fann
fie biefem Oitalen ©runbfahe jum Siege oerßelfen, unb bie
Arbeit in biefer Nidjtung, bie alterbingS nur bann erfolg*
reich f e m fönnte, wenn bie Organifation bie SNadjt befäße,
alle Streifbrecherei ftreng ju aßnben unb ben Streifbrecher
ber oerbienten Verachtung unb Sgnorirung aller Seruf®*
genoffen preis ju geben, wäre junädjft woßl Oiel Wichtiger,
als bie langathmigen DiScuffionen über StanbeSehre unb
StanbeSregeln, als ber Sampf gegen Slnnonceure, Neclante*
ßelben unb anbere unbeträchtliche ©rfeßeinungen. ©S fann
gar feinen 3 fö eifel unterliegen, baß mit ber Serbefferung
bet SlrbeitSgelegenheit unb ber ©infommenSoerhältniffe eine
Nlaffe Oon unliebfamen StuSmüchfen beS ©pftenjfampfeS oon
felbft oerfdjwinben müffen.
Die ©ebeutung ber oben angeführten SNomente ift gleich*
woßl nicht oon ber §anb ju weifen unb fie müffen bei ber
Unmöglidjfeit, in bie großcapitatiftifdfje ©ntwidelung ber ge*
fammten SBirthfdhaftSoerhältniffe hemmenb einjugreifen, toobl
berüdfießtigt werben: bieten fie bodß bie einjige ^anbhaoe
bar ju einer wenigftenS palliatioen ©eßanbluna. @S bürften
barum einige 3 a hf en angaben über bie Verkeilung beS ärjt*
ließen StanbeS in Deutfdjlanb aueß für einen weiteren Befer*
freis nicht oßne Sntereffe fein, wir entnehmen biefe 34^
einer üor Surjem in ber „SRündjener meoicinifdßen SBocßen*
feßrift" auf ©runb ber neueften Verfonalaufnaßmeit (oom
Saßre 1899) publicirten 3»fammenfteltung. Danadß bettägl
Digitized by v^. ooQie
Nr. 10.
Die Gegenwart.
149
bie Slngaljl ber Slergte in ®eutfcf)ianb gegenwärtig 26689
6ei-einer ©eDölferungSgaljl Don 52251917 ©inwohnetn; eS
fommt alfo ein Slrgt auf 1967 ©inwoljtter, ober auf 10000
@inwoljnet 5,1 Slergte; im Sahre 1886 epftirten 16292
Slergte bei einer ©eDölferungSgaf)l Don 46940587, baS SSer*
(lältniS toar bemnad) 1:2875 refp. 3,4:10000. SBährenb
alfo feit 1886 bie ©eDölferung3gal)l 2)eutfdjlanb3 um ll,5°/ 0
gugenommen ^at, ift bie 3 a hl ber Slergte in berfelben 3eit
um 63,8 °/ 0 geftiegen; am ftärtften ift bie 3 una h me in ben
grofeen ©täbten, namentlich in ben UniDerfitätöftäbten unb
ihrer Umgebung, in ©harlottenburg 5- fommt ein Siegt
fd)on auf 5l3,©inroohner, in f>atle auf 573; in ben großen
Snbuftrieftäbten, too fid) ber ©influf ber gabrifen geltenb
mad)t, ift bie Slergtegafil Derhältni|mä|ig geringer, in ©Iber»
felb beifpielSweife 1:1909. $)aö finb ungefähr bie wid)tigften
3aljlen, bie mir jener 3 ll f Qmme nftellung entnehmen fönnen
unb baS gacit, baS aus ihnen gezogen wirb, lautet, wie
oorauS gu fehen, bahin, eine ©effetung fei nicht gu erhoffen,
fo lange fid) nicht ber 3 u & ra ng gum ärgtlichen ©erufe Der»
minbert höbe.
©3 erfcheinf uns aber hoch gweifelhaft, ob biefe nädbft»
liegenbe ©djlulfolgerung fo ohne SBeitereS aboptirt weroen
mu|, gang abgefeljen baDon, ba| bamit ein ^eilDerfahren
uorgefd)lagen Wirb, für beffen SlnWenbuttg unb Durchführung
(ich weber eine gefe|lidje noch eine materielle £>anbl)abe bieten
fönnte. ®er enorme 3 u * 3tan 9 gum ärgtlidjen ©eruf muß
bodj wohl tiefer liegenbe ©rünbe hoben, mögen fie nun in
bem ©harafter ber naturwiffenfd)aftlich s ntebicinif<hen 2>i3»
ciplinen ober in ben ibealen Rieten beS ©erufeS liegen, aber
fooiel ift ficher, einfeitige ©rwerbSintereffeu finb eS nicht,
bie bie größere 3«hf ber ©febicinftubirenben befjerrfcfien. ®a|
bie übergroße SWehrgahl ber Slergte heute feine 9Reicf)tf)ümer
mehr erwirbt, ja nicht einmal eine forgenlofe ©pfteng führt,
baS wei| aud) ber weltfrembefte junge Wann, ber fidf) bem
mebicinifdjen ©tubium wibmet, unb wenn tro| biefer, all»
feitig, befannten ©erhältniffe bie 3 a hl ber Slergte jebeS Saljr
gunimmt, fo ift bamit eben ber ©eweis geliefert, ba| alle
SBarnungen oor bem Ergreifen beS ärgtlidjen ©erufeS, mögen
fte aud) Don autoritatioer ©eite au8gefjen, nichts SBefent»
iid)e8 änbern fönnen. Slber felbft, Wenn eS auch S u erwarten
Wäre, ba| fich ber 3>tbrang in ben nädiften 3al)ren Der»
minbern, ba| bie 3nnafjme fünftighin ftatt 63 oieUeidjt nur
40 ober 30°/ 0 betragen würbe, fo hotte hoch bie gegenwärtig
lebenbe ©eneration baDon faum einen ©ufjen.
©ur wenn man einen tieferen ©inblid in alle ©erhält»
niffe gu gewinnen fudjt, eröffnet fich bie Wöglichfeit, gu
praftifcheren ©orfdjlägen gu gelangen, als eS bie billige,
nufclofe Sßarnung öor ber SBaljl beS ärgtlichen ©erufeS ift.
$)a| bie 3 u nahme ber Slergte aufer jebem ©erf)ältni| gum
SBadjSthum ber ©efammtbeDölferung fteht, ift auS ben oben
angeführten 3 a hf en ohne SBeitereS flar. SlHerbingS barf man
eine« nicht üergeffen; mit bem erhöhten SBohlftanb unb ben
gefteigerten Slnfptüdjen an bie SebenSführung in weiten ©e»
Dölferung3fd)id)ten, ferner mit bet obligatorifdjen Kranfen»
Derfidjerung ber arbeitenben ©(affen ift baS ©ebürfni| nach
ärgtti^er ^ülfeleiftung enorm geftiegen. ®a8 Wirb jeber
befefjäftigte Slrgt betätigen; Wie bebeutenb ber Unterfdjieb
gegen früher ift, baDon erhält man einen ©egriff, wenn man
bie Nachfrage nach ärgtlicher fiülfeteiftung in armen, ab»
Ö snen ©egenben mit ber in ©täbten unb wohlhobenben
orten Dergleicht. @3 wirb barum faum möglich fein
eine Sftormalgafl aufguftellen, bie für unfere gegenwärtigen
©ebürfniffe baS wünfcfjenswerthefte ©erljältni| gwifchen 3ohl
bet Slergte unb Kopfga|l ber ©eDölferung auSbrüdt. ®a|
baS frühere ©erljältni| 1:2875 Dom ©rwerbsftanbpunft beS
SlrgteS auS angenehmer war, ift ja ficher, ob aber baS jefcige
©erhältni| 1:1925 nidht Dielleid)t hoch beit Sntereffen ber
©efammtbeDölferung beffer entfpri<ht, barüber ift nicEjtö ©e=
ftimmteö gu fagen. SebenfaHS ift ber ©eweiS noch nicht ge»
liefert, bafe bie 3 a hf ber Slergte im fiinblicf auf ben ©ebarf
ber ©efammtbeDölferung unnatürlich grofj fei.
©ine mirflidje Sinficht gewinnt man auch feineöwegö, '
wenn man nur bie ftatiftifchen ®rgebniffe auö bem ©efammt»
gebiet ber einzelnen ©unbeöftaaten ober au8 ben grölten
©täbten berücffichtigt, man mu| Diel tiefer in bie ©ingelheiten
einbringen unb namentlich bie Slrt ber ©ertheilung unter
ben Detfdf)iebenen örtlichen unb focialen ©erhältniffen au3»
eiitanberhalten. SBir wollen baDon abfehen, ba| bie ißerfonal»
Dergeidjniffe, bie aUett ©erechnungen gu ©runbe liegen, eine
nicht geringe 3of)l Don Wilitär» unb beamteten Slergten ent»
halten, bie bei ber ißrapS nicht betheiligt finb unb bennocf)
baö 3 a ^lenüerf)ältni| oerfchlec£>tern. Wir wollen auch Don ben
Dielen ©pecialärgten in grö|eren ©täbten abfehen, bie eben»
falte au|erhalb ber allgemeinen ©oncurreng fielen; man barf
wohl annehmen, ba| biefe gehlerquellen in ber gro|en 3ohf
ihren SluSgleich fiitbeit. Slber nicht unberücffichtigt barf bie
* ©ertheilung ber Slergte auf ©tabt unb Sanb bleiben unb man
mu| babei nicht nur bie ®ro|ftäbte fonbern auch bie Heineren
unb mittleren ©täbte unb felbft bie Sanborte in ©etrad)t
gieren. 3)ie ©eobachtung lehrt nun, ba| ein übergro|e8 Sfit»
gebot houptfä^lich in ben ©täbten befteljt; fowie man in
einem ©egirfe bie grö|eren ©täbte auö ber Rechnung eliminirt,
erfdjeint ba3 ©erhältni| Diel günftiger. Sch höbe foldje ©e»
redjnungen nach ben ^erfonalaufnahmen beö ©örner’fchen
Webicinalfalenberö auSgeführt unb will nur einige 3 a h^ en=
beifpiele hierher fe^en; im ©egierungöbegirf Königsberg fommt
ein Slrgt auf 2235 ©inwohner, lä|t man ben ©tabtfreiS
Königsberg unberücffichtigt, bann ift baS ©erhältnil 1:3914,
im ©egierungSbegirf Wagbeburg finb bie entfpredjenben 3aljlen
1:2130 begw. 1:2536, im ©egierungSbegirf Slachen 1:2369
refp. 1:3389. 2)eS SBeiteren ift aber aud) eine gro|e Un=
gleichmä|igfeit in ber ©ertheilung ber Slergte je nach ben
©unbeSftaaten unb felbft nach ben eingelnen ©erwaltungS»
begirfen unberlennbar; in ber ©roüing ©ofen beifpielsweife
ift baS ©erhältnil 1:3512, in ben ©egierungSbegirfen Königs»
berg 1:2235, Oppeln 1:3843, ©reSlau 1:725, SBieSbaben
1:1118, im babifchen Kreis Soitftang 1:1876. Sm Stil»
gemeinen ift alfo eine ©egenb um fo reicher mit Slergten
Derforgt, je wohlhabenber fie ift unb in biefem Umftanb liegt
gugleid) auch baS ©orreftiD; ber höhere SBohlftanb führt
naturgemäl gu ftärferer Snanfpruchnahme ber Slergte unb
gu beffercr ©egahlung. SlnbererfeitS finft auch * n toohl»
habenben ©egenben bie Stngaljl ber Slergte gang bebeutenb,
wenn bie Snbuftrie bort Dorherrfd)t; eS hängt baS mit ber
©epflogenheit ber meiften grö|eren SBerfe gufammen, gur
©ehanbtung ihrer'Slrbeiter nur einige wenige Slergte angu»
nehmen, bie auf biefe Sßeife alletbingS eine recht auSfömm»
liehe Stellung finben, aber gugleid) in bie grö|te Slbhängig»
feit Don ben ©efijjern unb ßeitern ber SBerfe gerat|en.
derartige 3nftänbe ^errfchen namentlich in ber ©heinproDing;
einer ©tatiftif, bie nur Staaten, ©roDingen unb @ro|ftäbte
berücffichtigt, entgehen natürlich biefe fe|r bemerfenSWerthen
©rfcheinungen. Sn ber ©heinproDing giebt eS eine gange
Slngahl Don Orten, in benen ein Slrgt erft auf 6000 ©in»
Wohnet fommt, felbft baS ©erhältnil 1:6000 unb 1:8000
ift gu beobachten; {ebenfalls ift eS in bortiger ©egenb nichts
©efoubereS, ba| fich e i ne ©eDölferung Don 3000 ©eelen mit
einem eingigen Slrgt begnügen mu|. Solche 3 a h^ en mfiffen
gewi| frappiren, wenn man fie mit ben ftatiftifdjen ©r»
Hebungen attS fo manchen anberen ©ebieten beS ©eidjeö gu»
fammenljält, unb fie iüuftriren bentlicher als bie weit»
fdjweifigfte ©chilberung baS ungeheure Unrecht, baS bnrdj bie
©rotegirung ©ingelner bem gangen ärgtlidjen ©tanb unb ben
©erfi^erten gugefügt Wirb. Sluf allen anberen ©ebieten beS
SBirthfhaftSlebenS ^errfd^t heute ber ©runbfajj ber un»
gehinberten ©oncurreng, beS freien ©pielS ber Sträfte, aber
bem ärgtlichen — sit venia verbo — ©ewerbe gegenüber Der»
liert biefeS ©rincip felbft bei feinen Slnljängern bie ©eltung.
Digitized by
Google
150
Die (Gegenwart
Nr. I d
©in wesentlicher gactor für ben ärjtUdjen SRothftanb
fcheint atfo in ber ungleichmäßigen SSert^eitung ber 5lerjte
ju liegen; fie ift DieUeid)t Wichtiger, ab bie Ueberprobuction
an fich» bie ber Seruf mit fo Dielen anberen gemein hat
unb beren Schaben boch einigermaßen baburd) ausgeglichen
werben fönnten, baß fich baS Angebot ber Strafte bem ©ebarf
entfprechenb auf bie einzelnen ©egenben Dertheilt. @S müßte
batum Dor Ment baS üRonopol ber befonberS begünftigten
Siebte fallen; alle 9lerjte müßten bei ben in ihrem Söe^irf
beftehenben ©affen zugeiaffen fein unb bie ^onorirung follte
fich nach bem finanziellen Stanb ber einzelnen ©affe richten,
nicht nach generell, oft genug Dom grünen £ifcf) auS, für
alle ©affen beS ©ezitfes feftgefteüten fßaufchaljäßen. 3 ur
©tfätnpfung biefer 3iele bebarf eS ber oben erwähnten, ein»
heitlich über bas ganze SReich auögebef)nten StanbeSorganifation.
®eS Weiteren wirb fich fl ber ein fernerer SRiebergang taum
anberS uerhüten laffen, als burd) eine fhftematifche SReuorbnung
beS ärztlichen ÜtieberlaffungSwefenS, burch Sorgfältige ©rffebung-
unb geftftellung beS ©ebarfS in ben oerfchiebenen ©egenben
unb bementjprechenbe Leitung ber ÜRiebetlaffungen. ©croiß
würbe baS einen gewaltigen ©ingriff in bie perfönliche grei»
heit bebeuten, aber bie ejiftirt ohnehin unter ungünftigen
öfonomifchen ©erhältniffen mehr in ber ifßh a ntafie als in ber
SBirflichfeit. UebrigenS wäre bie ftaatlid)e Drganifation beS
ütieberlaffungSwefenS baS einzige ÜRittel, einer Ueberprobuction
wirtlich oorzubeugen; baS beweifen bie oerfchiebenen Berufs»
Zweige beS ©eamtenthumS, wo fich, wenigftenS innerhalb
längerer ißerioben, baS Angebot nad) ber Nachfrage regelt,
©in golbeneS 3eitalter würbe unS auch bie ©ejchränfung ber
9Heberlaffungsfreiheit natürlich nicht bringen, aber bie gröbften
Schöben uermöchte fie boch wohl i u feilen unb ein weiteres,
noch tieferes ^»erabgleiten z« oerhüten.
Sch gebe mich nic^t bet Xäufchung hin, bafj bie h' ei '
bertretene Mffaffung fehr rafch eine größere ülnhängerfdjaft
gewinnen tonnte, noch oerfenne idj bie Schwierigfeiten einer
fo burchgreifeitben SReorgattifation im Nahmen unferer heutigen
gefelljchaftlichen ©erhältniffe; ob iobeß ein anberer ÜBeg, ber
bie bisherige fchrantenlofe Freiheit ber Ütieberlaffung unan»
getaftet läßt, zum 3'ele führen fann, erscheint recht Zweifel»
haft. SebenfallS wäre eS aber hohe Beit, enblich einmal mit
ber finblichen Slnfdjauung zu brechen, wie wenn burch hie
beliebten Shmptoncuren, burch ©htengeridjte, Stanbesorb»
nungen unb ben Stampf gegen baS ©urpfufcherthum eine fo
complicirte, Don fo üielfadjen gactoren bebingte ©rfcheinung,
wie eS ber wirthfd)aftliche Ütiebergang eines für baS 2111»
gemeinwohl unentbehrlichen StanbeS ift, ernftfjaft betämpft
werben fönnte.
(Entlanite <Spiritiften.
SSon Hubolf Kleinpaul*).
2öenn auf ben Snfeln beS ©tiflen DceanS, auf Sfteu*
pommern ober üfteufauenburg, eine ©euc^e ober 2)?t&n>acf)3
eintritt, fo toirb bon ben ©ingeborenen ein fogenannteS ®ucf=
®ud abge^alten. 2)a£ fyeifct: eine 9Jia$ferabe. 9J?a$fen gieren
burd) ba$ fyinb unb führen groteSfe Xänje auf. 2Bie bei
einem SMaifeft toirb eine Sßerfon in Saub gefleibet unb tf)r
*) Unfer alter Mitarbeiter fährt in feinem Kampfe gegen ben
pfeubonnfjenfcpaftlicpen ©unter * unb Aberglauben unferer Qeit, gegen
©pirittften unb Cccultiften tapfer fort, Sftacpbem er in feinem fepönen
SBucp „$ie fiebenbtgen unb bie Xobten in SSolfSglauben, Religion unb
©age" al* ^ßpilolog unb (Sulturpiftorifer naepgeroiefen, ba& bie Oolfö-
tpümlicpen ©etfter ober ©eelen faft burtpioeg auf bie Silber ber Ser?
ftorbenen jurürfjufüpren finb r rücft er in feinem foeben bei Q. &.
mann in ieipjig etjepeinenben neuen ©erfe „MoberneS $efcnroefen,
©pirittftifepe unb anttfpirittfttfcpe Klaubereien" ben ©piritiften
auf ben 2etb, bie „ba$ 3 ci ta(ter roeit über ©ebüpr befepäftigen unb mit
eine greübemalte, fchredlidje ©efidjtSmaSfe auf gefegt; ein
Schwarm oon tupferfarbigen üRelanefiern, ebenfalls in oben»
teuerlichen ©oftümen fehltest fich an. 2tlS wären fie Ätle
Dom Veitstanz ergriffen, rafen fie, taufen Scheuteufel Don
Plantage zu ißlantage, burch bie Kälber, burdh bie Hutn;
feinen üßinfel laffen fie unburchfucht. ®ie Slbfid^t ift, ben
sDämon, ber an allem Unglücf fchulb ift, aufzuftöbern unb
ZU Dertreiben, ihm mit ber angenommenen üRiene furcht ein«
Zujagen, ihm gteichfam ein ÜRebufenhaupt Dorzuhalten.
®aS furchtbare §aupt, baS MeS uerfteinerte, mar eint
ähnliche ©orfehrung; baS bie triegerifche ©öttin auf it)R
21egiS, bie Stabt auf bie ÜRauer feßte, ift hödjft wahrscheinlich
aus einer ÜRaSfe hcroorgegaugen. SebenfallS hat baS URebufen»
haupt einen Bwecf gehabt wie eine ÜRasfe: eS ift eine Schuß»
einrichtung gemefen.
S)aS ift nämlich bie urfprüngliche Seftimmung allet
URaSfen: fie finb erfunben worben, um bie böfen geinbe ju
oerfcheuchen. Sie SRasfen finb Popanze unb SBogelfcheuchen,
wie man fie auf bie gelber ftellt; fie gleichen ben Sappen»
thieren, bie bie 9Ütter im Sd)ilbe führten, ben äblerflügeln
unb ben Römern, bie fie wie Stacheln unb ©rennhaate auf
ihrem §elme tragen. ®ie 2legis mit bem ©orgonentjaupte
ift offenbar weiter nichts als ein antifer Sappenfchilb ge»
wefen. S)ie ÜRaSfen wollen baS eigene böfe ©eficht erfeßen,
baS man feinem ©egner maeßt, unb feine gurchtbarfeit noch
Steigern; fie finb gleichfam zweite ©efichter, bie man Dor»
nimmt. j)aS ift auch e iu £ ©ertheibigungSmafjregel, bie ber
s lRenfch ergreift, recht finfter zu bliden, bie 3äh ne J u weijen
unb grimmig auSzujehen, fo gut wie baS ©rüllen. IRachbem
bie ÜRaSfen ihren eigentlichen ©harafter längft oerloren haben,
geht bie natürliche ÜRasferabe ber grimmigen ülfiene heute
noch im Schwange.
demnach laffen fich bie ÜRaSfen auch mit ben großen
Dergleichen, bie bem Staliener bazu bienen, bie ÜBirfung beä
böfen ©lideS zu paralhfiren, ober bie fonft zum Sruße ge«
fdjnitten werben. 3 U befagten großen gehört jurn ©eifpiel
baS ^»erauSftreden ober öleden ber 3 u nge; biefe ©eberbe
Wirb bei ben Bentilbem fo gut wie nie Dergeffen. üRan
bemerft fie an ben älteren j)arfteQungen beS üRebufenhaupteS
fo gut wie an ben mittelalterlichen Üteibföpfen, bie eine neue
Ülrt Don ÜRaSfen im alten Sinne waren. ®ie Üteibtöpfe
würben wie ©lißableiter an Raufern angebracht; ber foge«
nannte Salenfönig am ©rüdemhurm Don ©afel, ber, burch
baS Xhurmuhrwerf in ©ewegung gefeßt, bei jebem ^Jenbel*
fcßlag bie 3 un ß e 9 e ßen Äleinbafcl herauSftrecfte, war ein
ed)ter SReibfopf; übrigens zählt man auch bie gefchnißten
ipferbeföpfe, wie man fie an ben ©iebelfparren ber meftphö*
lifchen ©auernhäufer fießt, z u biefer Sl'ategorie. 2lnbere, raeßr
ober weniger obfcöne ©ebetben, gewöhnlich nicht in Ütatura
ausgeführt, fonbern nur mit ben gingern nachgemacht, waren
baS ©ntblöfjen beS gaScinumS bei ben ÜRännern unb baS
©ieten ber geige bei ben grauen: fie leben noch heute im
neapolitanifcßen ©olfe fort, werben auch wieber plaftifch nach«
gebilbet unb in gorm Don ÄoraHen£)örnchen als Amulett
getragen. Sa, ganze giguren, bie Körner machten unb bic
geige boten, würben im ÜRittelalter wie ßalenfönige auf ben
Stabttljoren angebracht, immer zu bem 3wede, ben geinben
$ruß zu bieten. Unb zwar ebenfowoßl Sichtbaren wie un«
Sichtbaren geinben: fämmtliche ©rimaffen bienten auch gegen
feinbliche ©eifter wie bie ÜRaSfen.
itjrcr unfägtidien, fitalleitben Q)cfcbmacflofigfctt ba8 ®eläd>tcr ber Seit
fein müßten.* Stleinpaul »erfuebt ßier ben Spiritismus aus ber SRbtyo«
togie unb ben Siefen ber religiöjen ßmpfinbungen ßerauS unb im 8 8 ‘
fammenbange mit ben ©rjeijeinungen beS SraumeS, ber SinneStfia»
febungen, ber ©uggeftton unb beS $>bpnotiSmuS begreiflich )u machen
unb als ein Stiict mobemen ^ejenroefenS, als Salonmagie, 3ttM)te
unb Sborbeit ad absurdum }u führen. Sie obige refümirenbe Se»
traebtung tennjeiebnet feinen Stanbpunft unb feine fDletbobe. Sir Rinnen
baS bod)interejfante SBerf, baS gcrotfi ein grofeeS Sluffepen erregen toirb,
unferen liefern roarm empfehlen. “Sie 'Jtebaction.
Digitized by v^. ooQie
Nr. 10.
151
Die ©egenwart.
®te öfteren aber fteUten regelmäßig einen guten $)ämon
oor, gut natürlich nur im relatioen Sinne ju üerftegen; wie
benn auch bei bem oeeanifegen S)ucf=®uc! bie Saubeinfleibung,
bie mit ber beS beutfdjen SßfingftlümmelS fo merfwiitbig über«
cinftimmt, auf einen [offnen ginjuweifen fegeint. 93ei uns
foU offenbar ber SEBinter wie etne öffentliche ©atamität, toie
eine ftranfgeit ber SRatur bureg ben grünen ÜRai oertriebeu
werben. Sonft mar bie ^auptmaSfe bie eines ©efpenfteS,
wie eS bie alten IRömer nannten: eines Lar, bafjer eben ber
ÄuSbrud Larva, ber im Ülltertgume fo ©eift wie SRaSfe be»
beutete. ®aS laieinifcge SBort, feit einem halben Safjrtaufenb
auch in Steutfcglanb üblich, gier fogar gelegentlich Wie 9Ra8fe
für baS ©efidjt felbft genommen, Wirb gewöhnlich für einen
böfen, fehäbiiehen ©eift gebraust unb bem Lar, ber gut ift,
entgegengefegt; man tijeilte bie Semuren, baS geißt: bie ©eifter
ber Beworbenen, in Lares unb Larvae ein. SRan barf aber
annehmen, bafe Larva urfprünglicg bie Bezeichnung für einen
Spufgeift überhaupt gewefen ift; benn aUe ©eifter galten in
ber älteften 3eit für böfe unb gefährlich, ja, bie Sareit felbft,
bie auch »ic£|t gleich als Sdjuggötter oom §immel gefallen,
fonbern erft im Saufe ber 3eit oerföhnt unb ju ©enien beS
§aufeS erhoben worben finb. ®ie Saren finb einmal Samen
gewefen unb umgefehrt; beibe Begriffe werben jum Ueber»
ftuffe oon ben Elften in ethmologifchen 3 u fanimenl|ang ge»
bracht. 3RU gutem ©runbe fegte man nun ben Ungolben,
bie bod) auch weiter nichts als eine 9trt ©efpenfter waren,
bie SRaSfe beS Sar entgegen, Samen gegen Samen. ÜRit
feiner Saroe bachte man bie frembe Same ju tauften unb
in bie gludjt ju fchlagen. @S fönnte fpafegaft fcheinen, bafe
man bie ©efpenfter fo naiö mit einem Epgantom ju erfc£>recfen
wähnte; aber bie Slbficht War, bie Teufel burcf) Beelzebub
auSjutreiben. 2>ie böfen geinbe follten oor einem ©eifte
fReißauS nehmen, ber ftärfer war als fie. Unb wer fonnte
ftärfer fein als bet Bater, ber Oerflärte Urahn? — $ie
SRenfcgen fteUten fich unter ben Sdjug ihrer Bcrftorbenen
unb gingen in ihrer brohenbeit ©eftalt ben ÜRäcgten ber
ginfternife ju Seibe, überzeugt, bafe fie in biefet SRaSfe fiegen
Würben. ®ie lobten finb noch immer bie geborenen Scgug=
geifter ber Sebenben gewefen. üRan brauchte ihre SRaSfe wie
einen Sdjilb, eine gute BJegr unb SEBaffen.
EDiefe Slrt WaSferabe ift jegt nicht mehr 2Robe; hoch
lebt fte noch local in unüerftanbenen Bräudjen, im ©arneoal
unb im Bercgtenlaufen fort. EDie uralten heiligen Samen
ftnb §u Attrappen unb Sßejirbilbern für junges SSolf geworben
unb gar nicht wieberjuerfennen; heutzutage fegen nur noch
bie fogenannten SRebien in ben Spiritiftenoerfammlungen
©efpenftermaSlen auf. ?lber auch bie 9Rebien haben nicht
ben rechten ©rnft bei ihrer Betreibung. Sie borgen fid)
Bon einem lieben ©eifte ben ?lftra((eib, nämlich einen weiten
SBatiftüberwurf, bie fie mit ißgoSphoröl unb Balmain’fcger
Seuchtfarbe imprägniren — biefe jieljeu fie an, nicht etwa
in ber gämifegett Slbftcht, irgenb Sernanb ju erfdjreden unb
einen böfen geinb mit ©efiegten ju bannen. SRein, fie wollen
nur ein wenig ©efpenfter fpielen unb' ben ©läubigen, bie
etwas neugierig finb, oormadjen, wie eS in jenem ftitlen
ernften ©eifterreidje auSfiefjt. Unb nicht bie ESämoneit laffeji
fich Oerblüffen, fonbern bie guten Spiritifteu, bie einanber
bie §änbe halten, bamit fich ERiemanb rühre, bie ben pggfi»
falifeben unb inteUectueüen SRanifcftationen ftaunenb folgen
unb (ich in bie Betrachtung ber ewigen ©eheimniffe unb bet
neuen ÜRaturgefege oerfenfen, bie gier aufgehen, unb fdjaubern
unb Oor SEBonnegrauS überfd)nappen unb fcglucgzen — bis
enblidj einmal ©inet fommt, ber ben faulen Räuber fatt hat,
fich mit ©ewalt loSmacht, ben Sdjroinbel aufbedt unb trog
aller §inberniffe, trog aller fßroteftationen ben Schaufpielern
bie 9RaSle abreifet.
®S erfolgt bann bie folenne ESemaSfirung ober bie ©nt»
latoung.
So würbe am 9. Sanitär 1880 in Soitboit bie üiel
genannte 3RrS. lorner, befannter unter ihrem SRäbdjennamen:
glorence Xoof, bie ben ©eift einer gewiffen 5¥atie Sting,
weilanb §oföame ber ÜRaria Stuart fo oortrefflich gab —
Sie fefeen genau fo aus Wie 3h r URebium! (agte ein
Beobachter bem ©eifte in’S ©efidjt — oon jwei fügn ju*
faffenben Herren entlamt — fo half am 11. gebruar 1884
ju SEBien ©rjher^og Soljann bem Äronprinjen fRubolf baS
berüdhtigte, fegon früher einmal mit rotfeer Stinte befprigte
SRebium §artg Baftian mitten in feiner Sthätigfeit enttarnen
— bie SBiener ÜRaufefaüe. Schabe, bafe man in Sonbon
beS ÜlftralteibeS, beS ©eiftergewanbeS nicht habhaft werben
fonnte, baS boch ben ©eiftinnen oft genug aus bem ©orfett
herauSgejogen worben ift, jum Beifpiel am 18. 3lpril 1885
ber Bettt) Stande in BSilfelmSburg, unb §war in ©eftalt
jweier Betttücher unb eines ^aubtucgeS, um am 26. Suni
1885 ber 3 r au BaleSfa Stöpfer ju Seipjig, in ©eftalt eines
grofeen weifeen ÜRuQhembeS unb einer ganzen ©arnitur üon
Spigen unb üon Sdjleiern, reich genug, um fowohl baS fiinb
SfbiUa, als auch ben 3merg ßtoibo ober bie fchtanfe grauen»
geftalt ?lbrienne anftönbig auSjuftatten — unb bafe auch
Baftian’S ©eifterhüDe fpurloS oetfehwunben mar, obgleich
man boch im Ülugenbtide ber ©rgreifung einen 3>Pfef toie
ein Sfofettirtüchelchen heroorlugen gefefeen hatte. ®aS auS
feinem SRuK beftehenbe ©oftum wirb in ber Siegel in mehreren
Stüden ^craefteHt, bie fid) flein jufammenlegen laffen. Sie
werben im Siothfall bligfchneU eingeftedt unb in ben natür»
liehen unb fünftlidjen Stafchen beS fiörperS, namentlich an
Stellen üerborgen, Wo man in Btiüatjirfeln nicht gern fud)t.
SEBie fah benn SRrS. Storner auS, als fie entlarot war?
— Sich, ©ottefeen! SEBie eine ÜRhmplje im Bouboir: fie ftanb
in ©orfett unb Unterrödchen ba. Unb wie fah benn ber
berühmte Baftian ohne ©eifteruniform auS? — @r hatte
feinen fchwarjen grad übergeworfen unb ging barfufe. Sh r
feliaen ©eifter, Bewohner beS SommerlanbeS, SpiritS, Spirits,
mufetet 3h r e ‘ n folcheS ©ttbe nehmen! ©uch in ein Eßaar
Weifee, fünftlid) gefaltete Süppchen auflöfen!
S3in id) benn abermals betrogen?
SSerfcbwinbet fo ber geifterreietje ®rang,
®afe mir ein SRebium gelogen
Unb bafe in Strümpfen eS entfprang? —
So war wohl ber Spiritismus nun geiftloS? — Bonner»
Wetter! ©r war eS fdjon fo.
3)ie Sfatie Äing mürbe, wäljrenb 9RrS. ©orner in ihrer
Betjüdung lag, bei SRagnefiumtiihte pfeotographirt, unb jmar
Oon ©roofeS felbft, in feinem eigenen Saboratorium, wobei
baS anftofeenbe Stubier^immer als ®unfelfammet biente —
baS 9lufncf)men ber SpiritS ift ein §umbng, ber befonberS
in ülmerifa fchwunghaft betrieben Wirb. SBer hätte noth feine
fcgäbige, abgegriffene ©eifterphotographie gefehen unb oon
einem frommen Spiritiften als Eßrobe auf baS ©jempel in
bie ,'panb befommen? — ©benfogut fann (ich nämlich £am»
let’S Batet pffotographiren laffen. ®iefe Bilber finb längft
als gälfcffungen erfannt worben; Seute, bie fich toie ©arl
SBillmann, ber befannte Hamburger gadjmann, Inhaber einer
medjanifchen SBerfftatt für magifdje Apparate, bie üRühe ge«
nommen haben, ber Sache auf ben ©runb ju gehen unb bie
Bilber in Bejug auf ihre technifcge IperfteDung einer Prüfung
ju unterwerfen, haben conftatirt: bafe biefelben gewöhnlich gar
feine Originale, fonbern mittelmäfeige fReprobuctionen, baS
feeifet, bafe fie nach alten ^Photographien, unb jWar mei(t oon
grauen, mit ein wenig Eürapirung angefertigt worben finb.
®ie unteren Partien ber Borlage werben wegretoudjitt, um
bie gigur freifegwebenb erfegeinen ju laffen. Sinb es aber
Originale, nun fo gaben bie als ©eifter oerfleibeten SRebien
gefeffen. 9Renfcgen oon gteifeg unb Blut, bie ein toeifeeS
ÜRäntelcgen umgehangen unb ein Barett ober einen EEurban
aufgefegt unb eine Blume in bie |»anb genommen gaben, wie
Scgaufpieler, bie ©eifter geben. ®er Hamburger ©efegminb»
fünftler, §err 3acobg«§armS gat ©eifter erfdjeineu laffen, bie
Digitized by
Google •
152
Die (Begenroart
. M 10.
eine« SRebiumS mürbig getoefen mären, mährenb er fetbft
gefeffett in einer ®unfelfamtner tag. ®ie ©eftalten quollen
nur fo heraus, traten burdj bie portiere, fdjtoebten burd) ben
©aal. ®iefe ©eiftergeftaften ^at Gart aBiÜmann auch Photo*
grapljirt, unb eS mar auch ÜRiemaub anberS als Sacobp. @r
hätte als boMommeneS SRebium bie 2Belt bereifen lönnen;
ja, er ift Don ben einfältigen ©piritiften wirftid) für ein auS*
gezeichnetes SRcbium gehalten morben. ©o ift auch ^ßrofeffor
tRobertfj, ein Stafcpenfpieler, ber fich in Hamburg teie ein
ÜRebium binben liefe uftb babei bod) ejperimentirte, bon ben
bortigen ©piritiftenführern für ein echtes ÜRebium erflärt
morben. ®iefe 2Renfd|en haben nämlich bie üRarotte, jeben
©alonmagifer, ber etroaS leiftet, für ein ÜRebium auSjugeben;
unb umgefehrt, ihre eigenen üRebien, fobalb fie entlarbt finb,
ju berteugnen, fie für unecht, für berpfufdjt, für fatfdje ißro»
pheten unb fd)(ed)te ÜRufifanten zu erflären. ©obafe bie
9Rebiumfdjaft, mie eS fcheint, barin beftefit, bafe man fich uicht
ertappen läfet. $err Sacobp mollte fein 9Rebium fein; er
belichtete auf biefc ©hre. ® r toar einfach ein ®afcf)enfpieler,
ber offen herauSfagte, toie er’S mache, unb fich an ben be*
mährten ©runbfafj h' e ^ : bafe ©efcpminbigfeit feine §ejerei fei.
8Bo blieb nun atfo ber ©piritiSmuS mit feinem ißboto*
graphieatbum; fafe er mieber einmal auf bem Xrodnen ?
SBaren bie lieben ©eifter nicht ju faffen, nicht abjubilben,
fojufagen etmaS UngebilbeteS? — 3)aS brauchte man nicht
erft ju betoeifen.
3Benn nun bie ©eifter aber fpred)en, ftopfen unb f>anb=
unb gufeabbrüde ljinterlaffen, bie ©pielutjr aufjiehen ober
trompete blafen unb ÜRanboline fpielen? — Sa, märe nur
nicht ber heimtüdifdje ©feptifer, ber bie ©pieluhr ober baS
ÜRunbftüd ber trompete in einem unbemachten Ütugenblide
mit SRufe gefdhmätjt unb bie ©aiten ber ÜRanboline mit
Anilinfarbe beftridjen hat, fo bafe man nun an bem ©chmarjen
ißeter unb ben oiolctten Ringern gleici» fehen fann, mer bie
©pieluhr aufgezogen unb gefdjmungen, mer eigentlich geblafen
unb mer bie ©aiten gegriffen hat. ®aS englifdje ÜRebium
3Rr. ©glinton mürbe in 9Rün<hcn fo entfärbt; ein anbereS
neuerbingS in SSenebig. SBenn fie nun aber einen ©pafe
machen, ben ÜRenfdjen bie Stühle megziefjen, bie ©rabatte
abbinben, einen ißuff geben, ein S9riefd)en auf eine Schiefer»
tafel fdjreiben? — SRein ©ott, mie baS gemacht mirb, babon
finbet man eine ißrobe in bem intereffanten ^Bericht beS
amerifanifdjen ÜRebiumS EDrueSbeH: „933ie ich ein ÜRebium
mürbe", als morin ber ÜReifter aller ©chreibmebien bon
ÜRem jljorl, ber bon ben ßebenbigen z« ben Sobten gehenbe
^ßofibote, ber Dr. §enrp ©labe, ber greunb 3öHner’S an*
muthig entlarbt mirb. 2Rr. STrueSbell ift einer bon ben
SGÖiffenben, bie bei ber 3 un ft geblieben finb, mährenb anbere
2Biffenbe, mie Dr. AbamS»@pftein unb ber ©nglänbet ©tuart
Sumberlanb, ber eigentlich: ©h a tleS ©arner heifet, eingefehen
haben, bafe baS ©emerbe ber Slntifpiritiften noch beffer unb
einträglicher fei als baS ber ©piritiften, unb ben ÜRebien
ihre Äunftftücfe nachmachen, ohne bod) babei bem aßublicum
immer reinen ÜBein einzufd)enfen. SRun, bafe baS bon ©labe
oorgeführte ©jperiment nichts meiter als ein einfaches ®afd)en=
fpielerfunftftüd unb bafe jeber gefdjidte fßteftibigitateur im
©tanbe mar, auf einer unter ben SEifd) gehaltenen Schiefer*
tafel ©eifterfdjrift zu erzeugen, lag am ©nbe auf ber £>anb.
®aS ©aliber, baS bie Stöpfe ber ÜRenfcpen hüben, ift ber*
fdjieben; für einzelne eine EDiScuffion über folche ©egenftänbe
bon bornherein auSgefchloffen. ©ie gehen über ben ganzen
©piritiSmuS zur XageSorbnung über. 2Bozu erft lange be*
meifen, bafe ÄUeS mit rechten EDingen zugeht? SBozu über
fragen nacpbenfen, bie feine finb? — ®ie 3 e *t ift foftbar.
Sias fich baS IRenfdjenpad benft, momit eS fich unterhält,
berfchlägt nichts.
SebeS meitere SSeifpiel, maS bie ÜRebien fonft noch für
3Bunber thun unb maS nachgerabe ©emeingut ber EDafchen*
fpielet mirb, ift itberflüffig. äRan brauchte eS überhaupt nie*
malS zu bemeifen, bafe ber ©piritiSmuS zur §älfte ein SRife*
berftänbnife unb zur anberen Hälfte ©chmtnoel unb eint in
beralteten formen aufgeführte Jfomöbie mar. ®en mhfGdjen
fjlug, ben bie ©inbilbungSfraft nimmt, ihre träume, ihre
güde ber ©efidhte hat bie ÜRenfchheit auf’s Äläglidjftt mi6<
berftanben; bem fierrtichften, maS auch ^ er ®eift em^angcn,
brängt immer fremb unb frember Stoff fich an. Uub auf
baS üRifeberftänbnife ift bie bemufete ÜRpftification, auf ba
ütberglauben ber betrug, auf bie ©elbfttäuf^ung eine plunqK
©alonmagie gefolgt, bie mit ber allgemeinen ©ultur nicht
©chritt hält, fonbern, in abgeftanbenen, längft begrabenen
Ütnfchauungen murzelnb, an ber SReige beS SahthunbertS ein
publicum borauSfe|t, mie baS bon »tefau.
©S giebt feine ©elfter, mie fie fich ©piriften btnftn,
fo menig mie eS brachen ober Ültraune ober ©iuhörner obo
gefchmänzte ÜRenfchen gibt, früher einmal, in 3^*60, ®o
fie noch fehr meit zurücf mar,* hat bie 3Renfcf)heit an ©efpenftcr
unb an gefchmänzte 3Renfd)en unb an ©inljörner unb an
©alamanber unb an ähnlichen girlefanz geglaubt; unb toie
Othello bon SBölfern erzählt, beten Äopf mächft unter ihm
Schulter. aOSie märe eS, menn jejjt ein aEBifemann bon SBöl*
fern erzählen mollte, benen ber Jfopf unter ber ©pultet
mächft? — ^Dergleichen gilt je^t nicht mehr. SluS einem er*
lofehenen ©ultuS ober aus einer früheren ©poche herftammenbe
Sitten unb 2lnfd)auungen, bie ein übermunbener ©tanbpunft
unb ganz unberftänblidj gemorben finb, aber noch nadpmrfen,
bezeichnet ber englifche ?lnthropolog EDplor als Ueberlebfd
(Survivals). ®et ©piritiSmuS ift für ben ©ebilbeten ein
Ueberlebfel; er ift eine berfunfene ©lode, bie nod) läutet,
obmohl fie gefprungen ift,_unb fc^riU unb mifetönenb in bie
©egenroart hineinfchallt; er ift baS moberne ^ejenmefen.
(Enmtenmgett an Ridjarii ®nerfd)raann.
®on Katharina §ite(mann.
2lm 13. ®ecember borigen SahteS ift ein ÜRann ba^in
gegangen, ber mit feiner fiunft Staufenbe erhoben unb be=
geiftert, ihnen ©tunben ebelften ©enuffeS bereitet hat: 9Kch«tb
Sluerfchmann. ®ie aber, bie ihn näher gefannt, betrauern
in ihm nicht nur ben Äönig ber fRecitatoren, mie illfreb
Slaar ihn genannt, fonbern einen ganz einzigen unb be«
munbernSmerthen nRenfdjen, eine Eßerfünlichfeit bon fo aul«
geprägter ©igenart, einen fo bebeutenben unb feurigen ®eift
unb eine fo lautere unb eble Seele, bafe ihnen bie aSBelt ann
erfdieint ohne ben Unerfejjlichen. ©ei eS mir, bie ich bas
©lüd hatte, mich unter feine nahen greunbe zählen zu bürftn,
bergönnt, ihm, beffen tarnen feinem SBunfche gemäfe fein
©rabftein fünben mirb, ein !Denfmal ber ©rinnerung z u er*
richten, gegen baS er gemife nichts einzumenben hätte.
©S mar im Saljre 1875, als fRicharb EEuetfdhmann jum
erften üRale nach Stettin fam. ®urd) einen gemeinfamen
Sefannten angeregt, befanb ich mich unter ben Wenigen, bie
feiner SRecitation beS Hamlet beimohnten. ®aS SBerf in
biefer aBiebergabe unb bie ißerfönlichfeit beS JJünftlerS wirfttn
mie ein ©rlebnife auf mich- Schon bie äufeete ©rfcheinung
beS SRanneS mar höchft bebeutenb unb feffelnb. ©in mächtiger,
bon furzem fdjmarzlodigem §aar ummaHter Äopf, hu^ an
©oetfje, halb an römif^e Smperatoren erinnernb; bie grofeen
heroorqueUenben Slugen glänzenb unb auSbrudSboH tro|
ihrer RHinbheit; ein emig mechfelnbeS, höchft berebteS SDHenen«
fpiel um ben bartlofen fein gefchmungenen SRunb; bie fdjönen
mafebollen Semegungen, mit benen er feinen ÜJortrag unter*
ftüfcte; — fo fafe EDuerfchmann bor uns auf einem freiftehenben
Stuhl beS aßobiumS unb fprach baS ganze ®rama auS bem
©ebächtnife uns bor. ©r recitirte eS nicht etrna, als ob er
Digitized by v^ooQie
Nr. 10.
Hit ©*0ttttoart.
153
eS fäfc, er fpielte eS aup nipt; er fpöpfte eS gleipfam auS
bera tiefften Snnern perauS; er erlebte eS uitb Hefe eS uns
mit erleben. Die ©erfonen beS StücfeS rebeten unb panbelten
oor uns, baß mir fie gu fepen glaubten, baß fie als INenfpen
üon gleifp unb S8£ut tior uns Wanbelten. Seber, felbft ber
unbebeutenbften Nebenrolle gab er nop eine c^aratteriftifc^e
Nuance, ©eine Stimme geporpte ipm tt»ie ein meifterpaft
gefpielteS Snftrument, für jebe Negung ber ©eele, jebe
Stimmung einen SluSbrudl finbenb, unS erfcpütternb in ber
Seibenfpaft, begaubernb in ber Seippeit. Dies Organ toar
toie baS SNeer: eS braufte unb bonnerte unb flüfterte unb
fang. Unb bei biefer Neprobuction fam ber geiftige ©epalt,
bie btpterifpe ©pönpeit beS ÄunftwerleS fo gang gur ©eltung,
mie eS auf ber ©üpne, bie faft immer mit äußeren SNängeln
unb Störungen gu repnen fiat, fetten getingen wirb. Duerfp*
mann erfdploß bem ßu^örer ben tiefften Sinn beS Dramas,
inbem er jebem Sorte feinen Sertp gu geben, jebe getnpeit
peroorgupolen unb bie Seipe unb ©röße feiner Sluffaffung
barüber gu breiten muffte, gortan fehlte ict) nie bei feinen
Necitationen. Dem tarntet folgte SNacbetp, unb nie werbe
ip beS DpürmerS SNorgenlieb oergeffen, baS nacf) ber fctjaner*
lipen SWorbfcene wie ein füget griebenSgefang oon fern per
gu tönen fpien. 3 U biefent, wie gu manpem anberen Sieb
in ben Dramen, erfanb Duerfpmann felbft bie SNelobie, nnb
eS gab niptS ©egaubernbereS, als wenn er im ©ianiffimo gu
fingen anfing. Die größte Sirlung ergiettc er wopl mit ber
Siebergabe ber OebipuStrilogie, beren (Späte er auf eine
eigentpümlip feierliche Seife patb fingenb oortrug. DieS
War etwas Neues, nocp nie DagewefeneS, baS befonberS bie
©pilologen in Stufregung unb ©egeifterung üerfefcte. So
erinnere itp micp auS jenen Dagen beS SluSfprupeS eines
©pmnafialleprerS, eines feinen unb fritifcpeit RopfeS, bie
grage beS £>oinerüortrageS fpicnejgelöft. So wie Duerfp*
mann ben SoppolleS, fo pabe wopl ber blinbe |>omer ben
©riepen feine ©efänge oorgetragen. Daß ber Äünftler bie
Dramen auS bem ©ebäptniß fprap, oerftärlte ben mäeptigen
Sinbrud. Unfaßbar fdpien biefe ooUfommene ©eperrfepung
beS ungepeuren Stoffes. ^ Niemals ftoefte er ober oerfpraep
er fiep; niemals ertaubte er fidp aup nur bie geringfte Slb*
weiepung üom Dejt.Sf ßr recitirte |bamatS in Stettin gepn
üerfpiebene Dragöbien, alte mit berfelben SNeifterfpaft. 3m
Saufe ber SSapreJpabe icp nodp fünf anbere oon ipm gepört,
opne baß bamit fein ©orratp erfpöpft gewefen wäre. Der
©rfolg War benn audp groß unb fiep immer fteigernb. ©djon
feit bem britten Stbenb war ber Saat ftetS auSoerfauft;
Sorbeerlränge fdpmüdten baS ©obium, unb ber allgemeine
©ntpufiaSmuS maepte fiep auf bie guweilcn feltfamfte Seife
Suft. ©ine §utbigung auS jenen Dagen betuftigte Duerfp*
mann befonberS. ©ineS ÜNorgenS, er befanb fiep nocp im
©ett, Warb ipm eine große ©epüffet mit Septagfapne gefüllter
gimmetbfitpen in fein 3immer gebraept. @S war baS eine
bamatS auf DamenlaffeeS beliebte Äupenart, bie ipm atS
anonpme SiebeSgabe itgenb einer ©erepretin guging.
©iS 1885 teprte Duerfdpmaitn faft aUjäprlip wieber
in ber ipm lieh geworbenen pommerfepen |»auptftabt ein.
©3 war bie 3 e *P wo er auf ber §öpe feines NupmeS ftanb
unb feine gaprten burep bie Stabte DeutfcptanbS einem
SiegeSgug gtiepen. Stup in ©ngtanb unb Nußlanb fprap
er mit außerorbentlipem ©rfotg. ©in ruffifpeS ©tatt feprieb
über ipn; „Diefer popgeniale feltenfte Äünftler pat nur einen
großen gepler: @r ift ein Deutfdper". Sie ftaifer Sitpetm
unb anbere beutfepe gürften, fo ließen Königin ©ictoria unb
ber tufftfpe &ax P n oor fiep entbieten, um ipm gugupören,
unb eprten ipn burdp foftbare ©efepenfe. SluS feinen fpäteren
SebenSjapten ftammt feine ©egiepung gur Königin üon Nu*
mänien, bie ipn wieberpolt naep Neuwieb einlub unb ipm
fteunbfpaftlip gugetpan war. Durp einen gemeinfpaftlipen
greunb war icp in Stettin fogleicp mit Duerfepntann in
petfönliepe ©erüprung gefommen unb icp oerfäumte nie, bie
Slbenbe naep ben ©orträgen, wo fidp ftetS ein größerer ÄreiS
um ben Sünftler gu öerfammetn pflegte, in feiner ©efeüfpaft
gu oerleben. Docp baS waren niept feine beften ©tunben.
@r maepte ba oft ben ©inbruef, als ob feine Nerüen bis an
bie äußerften ©rengen angefpannt unb erregt Wären, unb bie
Seibenfepaften, bie er fo genial wiebergugeben wußte, ipn felbft
gerftören lönnten.
Die gange SiebenSWürbigleit unb ben unerfepöpflidpen
Neiptpum feiner Natur entfaltete er erft im engen Äreife
unter ipnt Oertrauten SNenfpen, unb bagu burften Wir unS
halb reepnen. Duerfpmann warb ein päufiget ©aft unfereS
^aufeS, unb Wer folcpe Slbenbe mit ipm berlebt pat, ben
wirb bie ©rinnerung baran burep baS Seben begleiten. Dann
gab er fiep wie er war: tief gemütpOoll, parmtoS fröplicp
wie ein Äinb, geiftreip, paraboj, mit grünbliper Silbung,
außerorbentlicper ißpantafie unb mäptigem Demperament aus*
geftattet. Setp eine gülle bon Anregung ging oon ipm
aus! ©alb fprap er tieffinnig über bie pöpften gragen,
batb ergäplte er mit reigenbem Ipumor peitere ©rlebniffe; halb
recitirte unb fang er frembe ober eigene Sieber unb ©erfe.
@r war ein fepr begabter Dipter; ba er aber in ber Sunft
allein baS köpfte gelten ließ unb an SlUeS ben SNaßftab ber
größten Serie ber Settliteratur legte, entpielt er feine eigenen
ißrobuctc als wertploS ber Deffentliepleit Oor. 3n greunbeS*
freifen leben inbeß biele feiner formfpönen Sieber unb ©e=
legenpeitSgebipte fort unb gepören gum Neigenbften in iprer
Slrt, WaS ip lenne.
Damals war Duerfpmann’S ©eplraft auf einem Sluge
nop nipt Oöllig erlofpen, unb er wünfpte ftetS üon ben
ÜNenfpen, bie mit ipm oerleprten, ein ©itb gu gewinnen. DaS
gelang ipm, inbem er baS Sluge gang nap an baS Slntlip
beS ©etreffenben brapte unb gugleip beffen 3ö9 e kif c mit
ber §anb befüplte. Der fo Slngefpaute gepörte bann für
immer gu feinem inneren ©ejptpum, unb meift fijirte er feine
©orfteQung fofort in einer ißorträtfligge, bie er, baS Sluge
bipt über baS ©apier legenb, in großer ©pnelligleit ent»
Warf, ©attg mertwürbig oerftanb er baS ©paratteriftifdpe gu
treffen, unb biefe ©lätter, oon benen ip eine Neipe befipe,
geben 3 eu 0 n ife äon ber außerorbentlipen lünftlerifepen ©e*
gabung Duerfpmann’S aup nap biefer Niptung pin. 3n
ber Dpat war eS in feinen 3iinglingSjapren fein Sunfp
gewefen, SNaler gu werben; inbeß feine fpon bantalS fpwapen
Sfugen patten feine ©läne oereitclt. ©or wenigen Sapreti
burftc icp in Slrnftabt feine Slrbeiten fepen, unter benen fip
auS früher 3eit Nabirungcn unb gebergeipnungen fanben,
bie mip an Nembranbt erinnerten unb meine pöpfte ©e»
wunberung erregten. Sar ipm bie tepnifpe StuSbilbung in
biefer föunft oejfagt geblieben, fo patte et bafür bie innere
Stnfpauung bis gur ©irtuofität in fip entwidelt. Diefer
©linbe fap mepr, als wir mit ben gefunben Singen, unb fein
ppänomenaleS ©ebäptniß palf ipm baS einmal ©rfpaute
feftgupalten, unb gegenwärtig gu paben, was anberen Sterb»
lipen nur ein flüptiger ©efip ift. So befprieb er mir an*
fpaulip ein ©ilb. ©ine ©rinnerung ftieg in mir auf unb
enbtip befaitn ip mip. „DaS ift ja baS ©emälbe Oon
b’StngerS, baS ip oor apt 3apren in Nom in ber fron*
göfifpen Sllabemie gefepen!" rief ip. „Soper ift Spnen baS
belannt?" — „Sie fpilberteri eS bamalS in einem geuitleton,
baS Sie mir fanbten," entgegnete er. ©in anber SNal fragte
er, oon ©alame’S Sanbfpaften im Seipgiger SNufeum fprepeitb,
Welpe Staffage fip auf bem perrlipen Nfonte Nofa*©ilb
beftnbe. deiner ber Stnwefenben erinnerte fip. Da ergürnte
er fip faft unb meinte, wir pätten baS ©emälbe nipt üer*
ftanben. ©S fei eine Slfpenpütte ba unb ein Dpfe, ber luftig
ben ©pwang ringle. DaS gäbe bie frifpe frope SNorgen*
ftimmung ber Natur wieber unb fei pöcpft paralteriftifp.
So befpämte ber ©linbe bie ©epenben! SllS ip im Oer*
gangenen 3apr oon einer Neife in bie Nieberlanbe gurüd*
gelehrt war, fprieb er mir, baß er früper aup einmal baS
Digitized by v^. ooQie
154
Ute Gegenwart.
Nr. 16.
Slmfterbamer äRufeum befudjt höbe, unb fpradj »on beffen
(pauptwerfen Wie Sernanb, ber biefe e6en »ot fich fie^t, genau
unterrichtet über bie einzelnen Reiftet unb ißre ©igenthüm*
lichfeiten. — (Sine Meine ÜRacgbilbung beS ©ageS bon SDlidjet*
angelo’S SRebicäergrabmal, bie er einft gefchenft erhalten,
pflegte er taftenb ju betrachten unb zeigte fie mir, inbem er
mich au f bie großen formen ber ©eftalt unb bie SIRuSfulatur
ber ©lieber bis in’S ©inzelne aufmerffam machte.
3m Serfegr mit ©uerfchmann bergaß man oft feine
Slinbheit. Niemals habe ich oudj nut e * ne Älage barüber
bon ihm gehört. SERit bewunbernswerther Weiterleit trug er
fein ferneres ©efchid, ftarl genug, eS zu bedingen, reich
genug, fich im Snnern eine Sßelt aufzubauen, bie ihm bie
äußere entbehrlich machte, ©igenthümlich berührte eS mich,
als er mir gegenüber einft feinem SRitleib mit einem Schwer»
hörigen SluSbrud gab unb fein eigenes Unglüd baneben un=
bebeutenb fanb. freilich h a U ih m feine bortreffliche ©attin
btefeS in aufopfernbfter Sßeife tragen. Sie mar fein Sluge,
unb tote fie ihm bie ©ramen bon ©ophofleS, ©^cifefpectre,
©oethe unb Seffing borgetefen hotte, bis er fie SBort für
Sßort fich eingeprägt, fo bermittelte fie ihm fegt bie be*
beutenbften ©rfcheinungen ber Siteratur, fo baß er ftetS im
ßufammenhang mit ber ©egenwart blieb. SDiit innigfter
Biebe hing ©uerfchmann aber auch an ber ausgezeichneten
grau, bie für ihn baS Wödjfte auf ber Sßelt bebeutete. (Sie
War in ber ©hat für ihn „bie (Ruh, bergriebe milb"; legte
fie ihm nur bie |>anb auf ben 21 rm, fo warb er ruhig.
Sßie ein ©djilb fcßügte fie ihn bor allen ©efahren feines
aufreibenben SBanbertebenS, unb bie gerienjeiten im Greife
feiner großen gamilie waren ftetS baS 3^» au f baS er
freubig fjinblidtc. Sßie glüdlidj unb ftolz war er aber auch,
baß eS ihm gelungen war, all’ feinen Sieben eine gefieberte
©jiftenj ju grünben. ©r hotte barum ju fämpfen gehabt.
2tlS <Sohn eines (ßaftorS war (Ridjarb ©uerfchmann am
26. 2Rai 1834 in (ßenig, einem Meinen fädjfifchen Orte, ge*
boren unb bon bem claffifch gebilbeten Sater früh in bie
Sßelt ber Sitten cingeführt worben, währenb bie äRutter ihm
bie reiche ißhantafie unb ben ©rang nach fünftlcrifcher Se=
tgätigung bererbte. 2luf ber ©homaSfchule unb ber Uniberfität
ju Seipjig gab er fich ernften ©tubien hin unb fdjloß er
greunbfdjaften, bie bis an feilt ©nbe gebauert hoben, ©rft
nachbem er fünf ©emefter lang (RechtSwiffenfdjaft ftubirt,
folgte er, burch mächtige jCheotereinbrücfe bcftimint, feinem
Sßunfdje, jur Sühne ju gehen. Oft hot er bebauett, baß
et, gezwungen bei Meinen ©heatern zu beginnen, für bie
große ftunft Sah« berloren höbe. Salb arbeitete er fich
inbeß empor unb wirtte als ©haralterbarfteller bei guten
Sühnen, zulegt brei Sagte lang am ,'poftheater zu Staun*
fd)Weig. 3 U einer bauernben Slnftetlung tarn eS inbeffen
nicht; fein zunegmenbeS Slugen leiben ftanb ihm überall im
Sßege. ©ie SluSficgt, nach einem mit größtem Seifall auf»
genommenen ©aftfpiel in Stuttgart ein fcfteS ©ngagement
Zu finben, zetfc^lug fich * m leiten Slugenblid abermals. ©a
brang er in ben Sntenbanten unb »erlangte bie ©rünbe zu
hören. ©er wollte nicht mit ber ©prad)e heraus unb erMärte
enblich auf ©uetfd)maun'S wiebergolteS gragen, er fönne
feinen Sfünftler engagiren, ber »orauSfidjtlich balb penfionirt
werben müßte. ©S war für ben ganz SRittellofen, ber be*
reitS eine grau unb Hier ftinber hotte, ein furchtbarer Schlag.
üRit ber ihm eigenen ©nergie befchloß er, fofort bie Sühne
Zu oerlaffen unb fich eine ueue ©jiftenz z u grünben. SRan
mußte ign felbft erzählen hören, wie ihm enblich ber ©ebanfe
gefommen war, zu recitiren. „Sch fühlte mich Wie ein Äönig,
ber bie Sßelt erobern will," fagte er. 3n einein Säuern*
hauS in ber ©cgweiz ließ er fich wit ben ©einen nieber unb
bort hot er 1 */ 2 Sah« in tieffter 3urüdgezogengeit gelebt
unb gelernt, bis er eine Slnzagl ©tarnen fo oolltommen be*
gerrfegte, um mit ihnen oor bie Deffentlichfeit treten zu föniten.
©ine ©pifobe aus ber 3 e it ber größten 5Rotg erzählte er
gern. Stuf irgenb einem Sahnhof raftenb, erhebt fich
©attin, eben befchäftigt, bie legte Sßurft beS mitgebraegten
SorratheS unter bie hungernben ßinber zu öertheilen, um
etwas zu holen, ©a fommt ein §unb unb fdjnappt bie
Sßurft fort, ©uetfegmann finbet feine grau furz barauf in
©gränen. $ 1(3 er ben ©runb erfährt, ruft er froggemutg,
fie tröftenb: ,,©u weinft um eine Sßurft? Segt erft finb
wir wahre Zünftler! ‘ Slbcr eS werben anbere ßeiten fommen,
ich werbe ©ir noch eine SiHa faufen, »erlaß ©ich barauf!"
©o fußr benn nun ber beinah Slinbe allein in bie Sßelt
hinaus unb übte feine Äunft. Sßelcge greube, als bie Ser*
fuege glüdten! gurdjtloS, fich °uf bie greunblicgfeit feiner
(Reifegefägrten »erlaffenb, bie, wie er meinte, faft nie »erfagte,
Zog er »on Stabt zu ©tabt, ftetS »on einem greunb an
irgenb eine ißerfon empfohlen, bie eS übernahm, ihm bei*
Zufteßen unb auch gefcgäftlich bie Sßege zu ebnen, ©elbft in
ben belebten Straßen, bie er, einmal geführt, gleichfam auS*
wenbig behielt, füg man ben Äünftler allein urnherwanbern,
waS oft genug zu bem Serbacht 2lnlaß gab, baß er bie
Slinbheit nur fingire, um für feine (Recitationen fRectame
Zu machen, ©rft nachbem er baS Unglüd gehabt, in SßeterS*
bürg »om (ßobium fteigenb zu ftürzen unb fich rinm Sein*
brud; ju^u^ie^en, ber ihn wochenlang an baS Säger feffeite,
Wagte er nicht mehr allein zu reifen, unb eine ber nun er*
wachfenen ©ödjter ober feine ©attin mußte ihn begleiten.
3n Slafewi| bei ©reSben erwarb er einige 3ahte fpäter
WauS unb ©arten, wie er eS einft in forgenüoller 3*it feiner
grau öerfprochen. ©ort hat er raftloS für feine große ga*
milie — er hatte acht Sinber — arbeitenb gelebt, bis alle
bie jungen Sögel flügge geworben waren unb baS elterliche
ÜJieft »erlaffen hatten. Sor brei Saßreit fiebelte ©uerfchmann
mit feiner treuen SebenSgefährtin nach Slrnftabt in ©hüringen
über. „3ch habe mich penfionirt", fc^rieb et heiter. Siel*
leicht hatte er recht baran gethan. ©enn Wenn er auch ftetS
noch unter ben ©ebilbetften ein banfbareS ißublicum fanb, —
feine DRecitationen waren nicht mehr in ber SWobe; bet ©»folg •
entfpradj nicht mehr ganz t> et Seiftung, unb fo zog fich ©uerfch»
mann zurüd, um fich ber wohl»erbienten (Ruhe zu freuen,
©aß er noch auf »oller §öhe ftanb, bewies mir ein 2lbenb,
als er in feinem neuen Sßoßnort für einen wohlthätigen
3wed in alter 9Reifterfcf)aft ben Kaufmann »on Senebig
fprad). 3n Slrnftabt befudjte ich ben greunb in ben legten
©ommern, unb nie habe idj ihn mehr bewunbert unb »er*
ehrt als bamalS. Sn feinem Ärpftatlpalaft, wie er bie ©taS*
»eranba »or feiner Sßoßnung am guß beS SurgbergeS ge*
tauft hotte, faß ber feit lange fdjon gänzlich ©rblinbete, einen
großen ©heil beS ©ageS allein, immer fröhlich, immer hoch*
gemuth, ftetS innerlich befchäftigt, baS Silb eines üoUfommen .
glüdlidien h ar ntonifd)en 2Renfd)en. Unb wie früher über*
fdjüttete er bie wenigen Sefucger, bie fich i u ihm fanben, mit
ben (Reichthümern feines ©eifteS. Sch »erglich ihn fcherjenb
mit einem Schöpfbrunnen. Sßar baS eine ©efäß geleert, fo
war fdjon ein neu gefülltes zur ©teile. 2luch an ©empe*
rameitt hotte er noch nichts eingebüßt. ÜRit welcher SBucgt
»ertrat er feine SRetitung, zerf^metterte er baS IRiebtige unb
©emeine! Sßie »erftänbnißootl, wie enthufiaftifch wußte er
aber auch S u loben, wenn ihm auf geiftigem ©ebiete etwas
gefiel! Sei meinem legten Sefudj empfanb ich biefe warm*
herzige Slnerfennung fremben SerbienfteS als eine feiner
fdjönften ©igenfeßaften. §atte er früher oft bie beften Sßerfe
ber zeitgenöffifchen Siteratur ßuderwerf unb ©effert genannt,
fo nahm er fegt mit großer ©mpfänglid)feit SllleS auf, waS
ihm geboten warb, unb fanb eS feinen Seifall, fo trat er
gern mit bem Slutor in perfönlidje Seziehung. ©urdj feinen
jüngften ©ohn, ber ein gut ©heil »on beS SaterS ©alent
geerbt hat unb recitirenb ißm feßr ähnlich tft, warb ©uerfch*
mann mit ber neuen ©ramatit befannt. Sßenn er auch nic|t
an bie Unfterblicf)feit ber Sßerfe unferer ©ageSgrößen glaubte,
fo erfannte er hoch Sieles an, z- (pauptmann'S Sßeber,
Digitized by v^. ooQie
Die Gegenwart.
155
unb cg gab nichts SSntereffcmtereS, als tljn übet literarifdje
J)inge fprec^en ju t)ören. 3d) laS il)m in Slrnftabt SSicfcö
Dor, befonberS ein SBetf, beffen SBerfaffer if)m lieb gewefen
war unb ba8 i^m aujjerorbentlid) gefiel. ®a unterbrach et nticfj
nun focttnä^tenb, um etwa« ju erjätjlen, was i^m bei bem
©elefenen einfiel. (St nannte baS „einen ©ad an bie Seine
Rängen". gab aber fd)liefjlicf) fo Diele ©Sde, ba§ id)
bat, fie erft nach beenbigter Seetüre anjuhängen, ba mir
fonft nie ju (Snbe tommen mürben. Sadjenb Derfprach er
baS, ohne e3 boch bei feiner Seb^aftigfeit galten ju fönnen.
©ine foltfje unetmüblic^e unb freubige Straft ju probuciren,
habe ich nie annäljernb bei einem anberen UWenfc^en gefunben.
3n ^eiteret (Stinnerung fteljt mir ein Slbenb Dor ber ©eele,
roo er mich bei einer iljm bis bahin unbefannten gamilie
befugte. ©3 follte muficirt merben, unb icf) ^atte it)m ein*
gejehärft, baft er ^eute nur jum guhören gebeten fei unb
fdjmeigen müffe. ®er ©efang ber gut gefdjulten ©timmen
erfreute ilpt, unb er f>ie(t fid) aud) roirftich ein paar ©tunben
ftifl. Kaum aber mar bie SRuftf ju (Snbe, als er mich ju
allgemeinem ©rgöfcen mit (aut burd) ba3 ßintmer fc^allcnber
©timme fragte, ob er nun teben bütfe, unb als id) ladjenb
bejahte, öffneten fid) bie ©c^leufeen feiner ©erebtfamleit. 3)a
fang er felbftgebidjtete Sallabeit, fie für SBolfSbidjtungen auS*
gebenb, bie er in $f)üringen gefunben, unb ergriff unb ent=
jüdte alle §örer. Rumort ft ifdje ©ebicfjte unb Sieber folgten;
er fprubelte Don geiftreiepen ©infüllen. ©in auf ber Stufen*
leiter irbifeper 3Sürben jiemlicp poep geftiegener Beamter,
ber babei mar, beluftigte miep burep feine Verblüfftheit,
©r ftarrte gän^licp Derftummt luerfcpmann mie ein Sßunber*
tpier an. begriff er, baff bieS ein ©inniger fei, ben bie
Statur in einer gefttagSlaune erfepaffen unb ben alle ©enien
bet Kunft gefegnet patten? ©mpfanb er, baff einem folcpen
SluSermäplten ju begegnen ein ©reignijj bebeutete?
Sn Seipjig, mopin fiep 'Suerfcpmann unb feine ©attin
für furje 3ed jum SBefucpe begeben patten, ift ber 65* jährige
pläplicp Dom 2obe ereilt morben. Cpne ein Slnjeicpen ber
ftranfpeit, opne Slpnung be3 napen ©nbeS ift er fcplafenb
pinübergegangen. Sticpt ipn barf man betlagen, bem bie Un*
bilben beS $Uter8, baS Slbnepmen ber Kräfte erfpart morben
finb, fonbern unS, bie ipn Derloren pabett. ®ie Seftim*
mungen, bie er über fein itbifcpeö Xpeil getroffen pat, eparaf«
terifiren ipn reept. @r, ber ftets barauf SBertp gelegt, bafj
in feinem Stamen bie SBorte SWenfcp unb Statur entpalten
feien, pat geroünfept, bafj feine Seitpe in ©otpa Derbrannt
unb bie Slfdpe jur grühlingSjeit in jungem gicptenmalb jer*
ftreut werbe.
$)eS geftpiebenen gteunbeS gebenfenb, erinnerte icp miep
eineö $ageS, ba er naep einer Stecitation beS Sear ju unS
tarn, fiep an ben glügel fepte unb {cpmermütpige äccorbe
griff, roäprenb icp, noep ganj unter bem ©inbrud ber gewal*
tigen Iragöbie, ipm fagte, mie fie miep erfepüttert pätte.
„©o ift eS, menn bie Siebe auS ber SBelt gept!" entgegnete
er finnenb. „2)a3 pat nnS ©pafefpeare gezeigt." ®ie8
SEßort Hingt jejjt immer in mir naep. SJtit bem, ber eS ge*
fproepen, ift niept bie Siebe auS ber SSßelt gegangen, aber
etwas ©inniges, ©rofjeS, ^errliepeS ift bapin, beffen ©epeiben
bie SBelt ärmer maept.
■ i • » I
gfeuUTefo».
- Ra$bnuf verböte«.
Der Gaffettpauer.
ITTarf Ctpaiit.
5)arf ic^ ben Heben fiefer bitten, einen S3Itcf auf bie foigenben
Serfe ju werfen unb tnir ju fagen, ob er barin etwas befonber^ ®e*
fä^rlid)eÄ entbeefen (ann?
8cbaffner ftttyfi ben ^a^rfebein ein,
gabrgaft ja^lt ben Wiefel fein.
Srfte $our ein blau Rapier,
groeite £our ein gelb Rapier,
dritte Sour ein rotb Rapier.
$aljlt ben Wiefel fein,
©epaffner fnipft ben fjab^^tn ein!
©bör ber ©ebaffner:
SJabrgaft, jabl' ben Wiefel fein!
* trüber, fnipft ben fjabvfebein ein!
Äürjlid) ftiefe icb iufätlig in einer 8«Hung auf biefe Reimerei unb
la§ fte einige SWale. üü war offenbar ein populärer ©affenbauer, beffen
SMobie icb nicht fannte, aber febon ber blofee Seft bbpnotifirte mich.
3cb war oon ben blöbfinnigen 38orten wie befeffen, fte febwirrten mir
beim Srübftücf immerfort burdj ben ^opf, unb al3 icb meine ©erbiette
jufammenlegte, wäre icb tiicpt im ©tanbe gewefen $u fagen, ob icp etwad
gegeffen ^attc ober nicht. 3cb trat nun an ben ©cbretbtifcb, um mein
Sagewerf ju beginnen, ba« ich mir febon am Öorabenb borgenommen
batte. 3« bem Vornan, an bem ich feprieb, war icp gerabe bet ber er=
fepütternben ^ataftroppe angefommen. 3cp griff naep, ber fteber, um
ben blutigen Auftritt ju fepilbern, aber unmögltep! iep badpte niept« al«:
„©epaffner fnipft ben gabrfepein ein!" ©ine ©tunbe lang fämpfte iep
mit aller ©ewalt bagegen an, boep umfonft.
„©rfte Sour ein blau Rapier. Qwtiit Sour ein gelb Rapier" ic. ic.
fummte e« mir unabläjftg im &opf perum. Son Arbeiten tonnte feine
s Jlebe fein, ba« war fonnenflar. 3cp gab e« alfo auf unb fcplenberte in
ber ©tabt umher, aber halb bemerfte iep, bajj meine Söetne naep bem
Sacte jene« ©affenpauer« ntarfepirten. 9luf bie Sänge würbe mir ba«
unerträglich; iep änberte meinen ©epritt, ging langfam, aber ba« palf
niept«. Sie SSerfe pafeten fiep fofort ber neuen ©angart an unb üer=
folgten miep naep wie oor.
3cP feprte um unb ertrug $u $aufe ba« Setben ben ganzen ®or=
mittag, e« quälte miep beim s JJrittageffen, ba« icp meepanifep unb opne
©enui berjeptte, ben ganzen 9lbenb pinburep tönte e« mir in ben
Cpren, icp ging gefoltert $u 33ett, unb wäprenb iep miep rupelo« pin
unb per warf, wälzte fiep immer wieber ber ©affenpauer burep mein
©epirn, bi« icp enblicb gegen TOtternacpt wie wapnfinnig auffprang unb
ju lefen berfuepte. vlber bie SBucpftaben tanjten bor meinen klugen
unb Me«, ma§ icp fap, war: „©epaffner fnipft ben 2raprfepein ein!"
s -8ei Sonnenaufgang patte icp ben Serftanb berloren, unb meine
gehörigen porepten mit ©taunen unb Shimnter auf meinen ölöbfinn.
„trüber, fnipft ben ^prfepein ein," wieberpolte iep immer wieber.
Qwet Sage fpäter, an einem ©onnabenb borgen, erpob icp miep
— eine jämmerliche 9?uine — fcpwanfenb bon meinem itager. 3cp
fuepte ben Pfarrer, meinen lieben greunb auf, um mit ipm einen
©pajiergang bon jepn teilen ju maepen, wie wir berabrebet patten.
@r fap mt^ mit großen klugen an, gab jeboep feiner Serwunberung
feine SBorte. SSir metepten un« alfo auf ben 2Beg. Ser Pfarrer fpraep
unb fpraep unb fpraep, wie e« feine ©ewopnpeit ift. 3ep erwiberte feine
©ilbe, benn iep pörte niept«.
„Sttarf, bi^t Su frant?" fragte mein greunb bejorgt, al« wir fepon
eine Steile gegangen waren. „Su fiepft ganj abgepärmt unb angegriffen
au«. Spu’ mir bie Siebe unb fpriep bo^ einmal ein 28ort."
Srübfelig antwortete icp: „©epaffner fnipft ben gaprfepein ein,
Sra^rgaft japlt ben Wiefel fein."
Ser Pfarrer ftarrte miep berwirrt an: „3(p berftepe niept reept,
wa« ba« fein foü, 9Karf. 2Ba« Sn ba fagft, ift aber weber au^er=
gewöpnliep noep befonber« betrübenb — unb bennoep — e« liegt biel=
leicpt an Seiner ©timme — Hingen bie ©orte fo fterben«traurtg, wie
mir im £eben noep niept« borgefommen tft. 3Ba« paft Su nur?"
Slber icp pörte. ipn längft niept mepr. 3cp war fepon in weiter
gerne, bei ber fo enblofen, unabwenbbaren „©rften Sour ein blau
Rapier — 3weite Sour ein gelb Rapier — Sritte Sour ein rotp Rapier
Sfapraaft japlt ben Wiefel fein — ©epaffner fnipft ben gaprfepein ein."
— 2Ba« auf unferem ©pajiergange wäprenb ber übrigen neun teilen
gejepepen ift, weib icp niept.
Sa legte mir ber Pfarrer plöpliep bie ^anb auf bie ©cpulter unb
feprie miep an:
„SBacp auf, waep auf, iep bitte Siep! Su fepläfft ja mit offenen
klugen. Sort liegt ber 5lu«ficpt«tpurm bor un«; icp pabe miep taub,
blinb unb ftumm gerebet, unb Su giebft mir feine Antwort, ©iep Siep
boep um in ber perrliepen ßanbfepaft. ©epau r pin unb erquiefe Siep
baran. Su bift weit perumgefommen unb paft bie gepriefenften Stfatur-
fcpönpeiten mit eigenen Slugen gefepen. 9tun fage mir einmal Seine
Meinung — wa« pältft Su bon biefem fianbfcpaft«bilbe?"
3cp feufjte tief unb murmelte: „©rfte Sour ein blau Rapier —
Sweite Sour ein gelb Rapier — gaprgaft japr ben Wiefel fein! —
trüber, fnipft ben gaprfepetn ein!" Ser Pfarrer blieb fiepen unb fap
miep lange mit emften, mitleibigen ©liefen an.
„SJcarf," fagte er enblicp, „iep fann barau« niept flug werben,
©inb ba« niept bie nämliepen SBorte wie börptn? ©ie finb ganj un*
berfängliep, unb boep briept e« mir betnap ba« $er$, fte bon Sir
ju pören. ©epaffner fnipft ben gaprfepein ein — war eS niept fo?"
3cp fing bon bom an unb fagte geile für grile per, tnbefc mein
alter greunb mit waepfenbem Mtpeil jupörte.
Digitized by v^. ooQie
i
156
Die (Gegenwart
Nr. 10.
„3)aS ift ja ein üerwünf4ter ©affenbauer," rief er oergnügt.
,,©S Hingt einem in ben Obren wie SRufef, 3lßeS Happt fo §übfd) im
Xact. 34 glaube, baS muß fe4 leicht bemalten Taffen. ©itte, fag' eS
mir noch einmal, bann fann id) & gemig auSwenbig."
34 tmeberbolte bie Weimerei, unb ber Pfarrer fpra4 fee na4.
3)aS erfte BRal nta4te er no4 einen Meinen Segler, ben i4 Oerbefferte,
baS gweite unb britte 9Ral ging eS inbeffeu ohne ©od. 2Rir aber war
plöplüb eine ©entnerlaft Dom .ftergen gefallen; ber nieberträc^tige @affen=
bauer plagte mi4 nicht länger, mein gemartertes ©ebtrn fam enbli4
gut Wube, unb ein wonniger grieben gog in meine ©ruft; i4 hätte
fingen unb auff4teien mögen. ©SirHicb ftimmte i4 au4 eine §aTbe
©tunbe lang ein Sieb na4 bem anbent an, wäbrenb wir na4 &aufe
trabten. SRetne 3unge, bie wie gelähmt gewefen, fanb nun bie ©pra4e
wieber, unb ber lange geftaute DiebefTufe fprubelte unb ftrömte mir un*
aufbaltjant über bie Sippen, ©lüdfelig unb jubelnb liefe i4 4™ freien
Sauf, bis er enbli4 oerfeegte. ©eint Abf4ieb f4üttelte i4 bem greunbe
bergiub bte §anb.
„3)aS war einmal ein feböner ©pagiergang!" rief i4 auS, „unb
wie föftli4 b^ben wir unS unterhalten! Aber ba füllt mir ein — S)u
baft ja feit groei ©tunben fein ©terbenSwört4en mehr gefagt. ©o fage
boeb etwas."
3)er Pfarrer fab mi4 mit glanglofen Augen an unb murmelte
eintönig unb gang unbewufet, wie mir f4ien:
,,©4uffner fnipft ben gabrf4eiu ein — gabrgaft ^a^It ben
Wiefel fein."
3Ri4 überlief eS fiebenb betfe. $er arme 3Renf4, ba4te i4, jept
bat eS ihn gepaeft! ©r ift angefteeft, unb i4 bin’S IoS!
Mehrere Xage oergingen, ohne bafe i4 mit meinem greunbe gu=
fammenfam. Am $)tenftag Abenb f4U4 er jebo4 in mein 3immer
unb fanf matt unb troftloS auf einen ©tubl nieber. ©r war blei4 unb
abgezehrt, nur no4 ein ©4atten oon feinem früheren 34-
„ßRarf," fagte er unb hob ben müben ©lief gu mir empor, „baS
war eine UttglütfSfeunbe, in ber i4 jenen beülofen ©affenbauer lernte,
©r bat mi4 feitbem Xag unb Wa4t oerfolgt, glei4 einem böfen ©eift.
Aße Oualen ber ,£>öfle habe i4 erbulbet, feit wir unS gulept faben.
Am ©onnabenb würbe i4 telegrapbif4 in bie ©tabt berufen, ©in lieber
greunb üon mir war geftorben, unb i4 faßte ihm bie Sei4enrebe hatten.
34 benupte ben Wa4tgug; bie ©rebiat woßte i4 wir unteTWegS im
Sopfe jure4tlegen. Aber id) fam nur bis gu ben ©ingangSworten; ber
3ug fuhr ab, bie Wäber begannen ihr ©eraffel — flacf, flacf — flacf,
Hacf, flacf — unb fofort pafete fi4 ber abf4euli4e ©affenbauer biefer
^Begleitung an. SBobl eine ©tunbe fafe i4 ba unb fagte gu bem flacf,
flacf, flacf ber ©ifenbabn ©ilbe für ©ilbe tyx, bis ich fo abgefpanut
unb tobtmübe war, als hätte ich ben gangen £ag $olg gebadt. ßReitt
$opf f4mergte mi4 gum Serfprtngen, als foßte id) wabnfinnig werben.
Wafd) eilte 14 nach bem ©41afmagen unb gog mi4 auS. Äaum batte
i4 mi4 aber hingeftreeft, fo fing bie ©ef4id)te Oon feuern an: ,$latf,
flad, Hacf — ©rfte $out — flacf, flacf, flacf — ein blau ©apier —
flacf, Hacf, Hacf — 8® c i tc ^ our ~ Hacf, Hacf, flacf — ein gelb
©apier* ?c. ?c. — ©4fafen? 3a, $u4en! 34 mar faft für baS £oß=
bauS reif, als ber 8 U 8 anfam. grage mi4 ni4t nach ber Sei4enfeier.
34 nahm mi4 übermenf4li4 gufammen, aber jeber ©ap war oon innen
unb aufeeti itberfponnen unb burtfewoben mit: ,©rüber, fnipft ben gabr*
f4ein ein — gabrgaft gabt' ben Wiefel fein!* 2>aS aßerf4recfll4fte babei
war, bafe i4 meine Webe gang in bem büOfenben Wbp4muS ber entfep=
Ü4en Weitherei hielt. ©alb fab i4 4atfä4li4, bafe 0erf4iebene 3ubörer
wte gelfteSabwefenb im £acte bagu nieften. 3a, $>u fannft mir'S glauben
ober nüpt, SRarf, no4 ehe i4 ju ©nbe war, wiegte bie gange £rauer=
oerfammlung, ber Set4enbeftatter unb aße Uebrigen, feierli4 mit ben
köpfen bin nnb her. ftaurn batte i4 baS lepte 28ort gefpro4en, fo
entfloh i<b, mie oom 3Babnfinn getrieben, in bie ©afriftei. $>ort traf
i4 aber gum Unglücf eine alte unOerbeiratbete ^ante beS ©erftorbenen,
bie gut fir 41 i 4 en S c i^ ä u fpät gefommen war.
„? 14 , er ift tobt, er ift tobt," f 41 u 4 gte fte betrübt, „unb i4 habe
ihn ni4t einmal gefeben oor feinem ©nbe!"
„3a," fagte 14 , „er ift tobt — er ift tobt — er ift tobt — o
wirb benn biefe Oual niemals aufbören!"
„©te haben ihn alfo au4 geliebt, wie i4?"
„©eliebt, — wen?"
„3)en feligen ©eorge, — meinen tbeuern Neffen."
„3(4 — ben. 3awobl — jawohl — fretli4, freili4- ^nipf' ein,
fnipf’ ein — a4 baS ©lenb bringt mldb noch um!"
„Xaufenb $anf für bie XrofteSworte, ©hrwürbeit! 3lu4 mir
f4lägt ber ©erluft eine tiefe 9Bunbe. ©ie waren wohl bei ihm in ben
lepten 3lugenbltcfen?"
„Septe 31ugenblicfe — bei wem?"
„32un, bet bem lieben ©erftorbenen."
„3a fo — o ja — i4 glaube wohl — i4 meife nüpt. ^>aS beifet,
gewife — 14 mar ba — i4 mar ba!"
„SBie beneibe i4 ®ie um biefeS ©lücf! 3BaS fpra4 er benn no4?
— o tbeilen ©ie mir feine lepten SBorte mit!"
„@r fagte — er fagte — o mein $opf, mein Äopf, mein ^opf!
fRi4tS, gar nuptS fagte er alS: ,$nipr ein, fnipf' ein! 4 — ©eien ©ie
barmhergig, ©erebrtefte; i4 bef4möre ©ie, bringen ©ie ni4t meiter in
mi4, überlaffen ©ie mich meinem 3ammer, meiner ©ergweiflung,
meinem ©tobnfinn, — ©rfte Xour ein gelb ©apier — 3meite $our ein
rotb ©apier — nein, länger ertrage i4 eS ni4t — Sabrgaft, gabl* ben
Wiefel fein!"
3Rein greunb f4mieg erf4öpft unb fab mi4 eine gange SBeHe
mit ftieren ©liefen an.
„3Rarf," ftiefe er enbli4 mübfam heraus, „bin i4 benn gang Oer*
loren? fagft lein SBort, S)u aiebft mir feine Hoffnung! 314, i4
febe eS ein, mir fann Wiemanb helfen — mein ©ef4icf ift unabmenbbai.
©ine innere ©timme fagt mir, bafe meine 8 u «8 e öerbammt ift, in alle
©wigfeit na4 bem blöbfinnigen ©affenbauer bm «nb bet gu penbdüu
5)a — ba fommt eS f4on wieber: ©rfte Xoitr ein blau ©apier —
8meite 5:our ein gelb ©apier-"
3mmer f4mä4er Hang feine ©timme, bis er enb(14 in eine
wohltätige Ohnma4t Oerfiel, bie ihn auf eine furge grift feinen Ouaten
entrüdte.
28ie aber rettete i4 ihn öor bem Strenbaufe? 34 reifte einfa4
mit ihm na4 ber nä4ften Unioerfität unb liefe ihn feine Saft unb ©ein
auf bie ni4tSabnenben ©tubenten ablaben, we!4c bie ©erfe mit gierigen
Obren aufnabmen unb fee halb auf ihre ©rofefforen übertrugen, unb
fo wanbert ber ©affenbauer üont ©4affner unb gabrgaft no4 tyvAt
bur4 baS gange Sanb.
Jltt5 ber ^aupt|tabf.
WiUjelnt ber
öeipgtg ift eine braO rei4^beutf4e ©tabt, lopal unb faifertreu
ni4t nur im £>ergen, fonbern au4 na4 aufeen bin. ®aS wiß etwas
befaaen unb gilt nt4t gang wenig bentgutage. 3n Seipgig flaggen
an äaiferS ©eburtStag aße öffentlichen ©ebäube. ©eflagenSwertbe ©or^
gänge wie bie im ©aperlanb, wo man an fo!4em gefttage bie bereits
aufgegogenen gähnen wieber brrunt er nehmen liefe, fenb b^r unmögli4.
5)aS fä4fef4e £>errf4erbauS etfreut fe4 eines befonberS guten SfcufeS
am ©erliner |>ofe, unb felbft bie ben 2Bünf4en beS ÄaiferS f4roff entr
gegengefepte ©ntf4eibung, bieÄönig Ulbert im ©iefterfelb=©4aumburgif4en
gürftenftreite fäßte, bat bem Slnfeben beS greifen 3Ronar4en bet unS
ni4t gef4abet. Äönig 3llbert ift eS fogar gelungen, SBUbelmS II. 31b*
neigung oor bem ©nfel ber unruhigen ßRooefte wefentli4 gu milbern,
unb wenn ©raf ©mft baS ©rotectorat über ben Sippifdjen glottenöerein
auf 3lnratben beS weifen fä4fef4«a fronenträgerS übernahm, fo war
eS anbererfeitS au4 fönigli4 fä4fef4*t ©influfe, ber ihm ben faifer*
ü4en S)au( auSwirtte. „S)em Wegenten, waS beS Wegenten ift, nicht
mehr" — bie f4roffe S)epef4e gehört nun ber ©ergangenbeit an, freilich
ber aßerjiingften ©ergangenbeit, juft wie baS trüget Telegramm.
©a4fen bat eben einen ©teilt im ©rett, benn fä4fef4e ©ringen halten
feine gereigten ©afaflenreben, wie baS baperifebe tönigSfinb in 3RoStan,
fonbern nähern fe4, wenn fee öffentli4 fpre4en, mehr ber Tonart
©einri4§ beS ©eefabrerS an. 2)a fee febr fromme tatbolifen fenb, oer=
fünbigen fee aßerbinaS ni4t wie er baS ©oangelium Oon ©einer SRajcftät
geheiligter ©erfon, aber fee fühlen fe4 Qlei4 l§m als baS SBerfgeug eines
höheren 3Bißen. tiefer höhere ©ifle wohnt, ©ring $einri4 bat eS in
Hamburg feierli4 erHärt, bem aßerbö4ften #errn inne — fagen wir,
um ßRifeoerfeänbniffe gu oermeiben, SSilbelm II.
Seipgig ift eine braO rei4Sbeutf4e ©tabt, lopal unb faifertxeu.
5)ie ©eoölferung läfet fe4 öon ihrem gürftenbaufe ni4t befebümen.
©S war am felben ©onntage, wo £>err ©ubermann in ©erltn bie be*
f4ämenb Heine Webe gegen baS neue Wa4twä4ter= unb tunftgefep hielt
unb unerquicfli4e ©rinnerungen an feine frühere Xbätigfeit als Wtderfc
Webacteur weefte. ®ur4 bie ©trafeen tobte baS wüfte ©4neetreiben, baS
jeben ©rofeftäbter gu ©etra4tnngen über bie ©innlopgfeit man4er Watur-
erf4einungen anregt, Waturerf4einungen, bie nur ben 8®ecf haben lönnen,
fretfennige tommunal*©ubgetS auS bem ©Iei4gewi4t gu bringen. SBäb'
renb beffen fafeen in ber berübmteften tneipe ber grofeen ©eefeabt mehrere
anf4einenb no4 febr junge geierabeitb^©oliti!er, bie mit febr lauter
©timme felbftoerftänbH4 bie glottcnOoriage erörterten. 9Rarineangelegen=
beiten ma4en ben 9Rofelwein ni4t beffer, aber bie embrponif4en ©taatS
männer fpra4en fo einbringlüb, bafe unfere ©läfer leife mitHirrten imb
jebeS ihrer bebeutfamen SBorte bis in unfere ferne ©dfc Hang.
„©S ift eine Suft gu leben", fagte ber ©rünette unb ftarrte Oor
fe4 bin, als woße er fe4 auf ben 31utor biefeS ©ttatS befinnen. ^ein
Sweifel, unfer taifer wirb unS bcrrli4en Sielen entgegen führen, ©ln
tbatenbrang lebt in ihm, bem S)eutf 41 anb gu eng erf4eint. 3lu4 auf
ihn pafet ©biüpp'S bewunbember SluSruf: URcin ©obn, fuepe 5)ir ein
anbereS tönigret4; SRalebonien ift für S)i4 gu Hein. Unb MeStönig*
rei4 5Bilbe(m'S II. ift baS SReer."
„Unb baS SReer ift bie gretbeit!" unterbra4 4« fein Wa4Bar,
baftig ben ©4oppen leerenb. 9Ran trän! offenbar auf (Reparation.
„Wur wenn 2)eutf41anb baS ßReer gewinnt, glaube 14 an ben gort=
f4ritt unb bie Ausbreitung germanif4er ©ultur. ©ferchen Wir unS
ängftli4 wie bisher gwif4en unfere üier ©fäble eiu, leben nur für uitS
unb ben lieben Wa4bar, bann fterben wir ebenfo ab, wie bie ©binefen —"
„©in boßeS ©Selb übrigens, bie gelbe $aiferin!" bemerfte ber SDrütc.
„^ie weife mit ben Wörglem aufguräumen."
2Ran bea4tete ihn ni4t, unb ber §err mit bem geleerten ©4appen
fuhr eifrig fort: „5)ann fterben wir fowobl geiftig wie au4 alS ©röfe*
Digitized by v^.ooQle
Nr. 10.
Die Gegenwart
157
nu*4t ab. 3ft eS ntd^t ho4intereffant, gu beoba4ten, bafj ft4 in $)eutjch=
leutb alle Klemente gegen bie glottenDermehrung fträuben, bie in biefem
ober jenem Sinne reactton&re Sßolitif treiben?"
„3um ©etfpiel bie Socialbemolraten", pflichtete fein 0pponent bei-
„©ab — biefe Dorübergehenbe Krf4einung gählt nicht mit. Sonft
aber fept 3h r in ben Weihen ber glottengegner nur potitifche unb roirtfc
f<haftSpoltttf4e Sßetrefaften r bie fidj Dor bem frifcben Seeminb fürsten,
weil fte beforgen, er blafe ihnen ben altehrmürbigen Staub Dom be*
mooften Schäbel. 3$ erinnere blofe an Kugen Wi4ter! £)ie Slufgellärteii
unter feinen früheren Kollegen, bie um ©artlj, erlernten ihre Seit beffer.
IBirflich marinefeinbli4 finb aufjer ihm nur bie Sanbmirthe, gum Min*
beften bie gang Wüdftänbiaen, ber ©unb unb feine Bfahänafel. Natürlich,
biefe Seute möchten $eutfchlanb am liebften bon aller ffielt abfperrett,
fdmmtlicbe panbelSf4iffe unb Kifenbahnen in bie Suft fprengen, nur ba*
mit feine ÄuSfupr unb nun fdjon gar feine Kinfuhr möglich tft. SSie
Kefpenfter auS bem finfteren Mittelalter ntuthen fte mich an. KS mirb
Seit, bafj ber ©efpenfterbef4wörer Krnft macht."
„3n ber ©ejiefjung ftimme ich ®ir unumtounben bei." $)er junge
perr mit bem SReferenbargefidjte ftimmte fogar fräftiger bei, als bei ber
Wormalftärle beS menfchlichen KehörS nothwenbig gemefen märe. „34
ntuf} faaen, folch einen Unfug mie bie jept beliebte atabiftifche pap gegen
baö grofcgüglge KrmerbSleben hätte man im gmangigften Qabrhunbert
g ;r auSaefchloffen halten foHen. Krnährt nidbt ber SBelthanoel unfev
olf? Sebt unfere 3nbuftrte, leben unfere Arbeiter nicht *u neun
Schrein babon, bafj unS ber SBeltmarlt erfchloffen morben ift?"
„Wur gu ehtem 3 c ^ n i c ^ «m c8 miffenfchaftlich genau gn fifiren.
Slber baS thut ja meiter nichts gur Sache," ermähnte ber 0pponent.
„Unb ift eS alfo nicht unfere ©flicht, ber Snbuftrte unb ber
Ärbeiterbebölferung bie alten Äbfajgebiete gu erhalten, ihr neue dürfte
htitguguerobern? panbel unb Kemerbfleifj machen bie Nation reich unb
mächtig* burch bie SanbmirthJ4aft berbauert fte. 3)a nun aber erft eine
ftarfe Kriegsflotte eine ftarre panbelSflotte erraöalidht, fo merben bie
$>ftfftgen Weacttouäre baS 2ieu|erfte thun r bie ScptffSDermehrung gu
hintertreiben. Man lann'S ihnen an fich auch faurn übel nehmen; fte
begingen gerabegu Selbftmorb, menn fie unS babei hülfen, bie pellingS
für bie neuen ©anger gu legen." Kr fab fidj ftolg im Greife um unb
rüufperte ft4.
„So einig maren mir noch in feiner grage, mie in biefer!" fteHte
ber 3>urftige freubeftrahlenb feft. „$aS Meer ift bie Freiheit. $ie
Srlotte bringt ben SiberaliSmuS, mie mir ihn lieben unb berftehen, gur
perrf4aft. Kln meerbefahrenbeS ©olf fann ni4t pommerfch'ConferDatlD
regiert merben. ©Barum h^rrf^t in ben panfeftäbten baS freifinnige
Suxgerthum? paben mir erft bie unfelige Theorie bom halben ?lgrar=
ftoat aufgegeben, haben mir mit gfürft pohenlohe eingefehen, bah S)eutfch=
laub ein 3nbuftrielanb merben muh, hur unb ftmpel, bann merben fich
bie freten, humanen Slnfchauungen, bie jept faft auSfchliehlich an ber
Äfifle mohnen, fegenSboH über'S gange SReich berbreiten."
„KlücflidheS SUbion, baS nur Küfte ift!"
Wlemanb bijj auf ben pamen an.
„Kefiattet mir noch ein ©Bort", fagte ber ©rünette wohlgefällig
lächelnb, als fdjaue er in bie StUunft, mo er ®anf feinem realpolitifchen
Talente bie auSfchlaggebenbe Staatsftellung befleiben mürbe. „Sch fprach
Oorhin bon unferem ffaifer. 34 nannte baS 3Jteer feine eigentliche
peünath, nannte eS bie neue ©robinj, bie er erobern, baS Staatsgebiet,
um meines er, bem ©eifpief ber 2U)nen folgenb, fein Sanb bergröhem miH.
®o<h ich fehc noch meiter. 2Bte ich unferen 5?alfer beurtheile, beabfichtigt
er aerabe burch bie Shmenberftärfung einem freieren Keifte ©ahn ju
brechen. 3Jfit boller ^Lbficht brängt er unS auS ber Straften quetfehenben
6nge auf bie mette See, auS unferem mohlbermahrten, bumpfigen Äräh s
toinfel hinaus in bie frifdje Saljluft beS greiuenlofen 0ceanS. Kr mifl
ein ntobetner gürft fein unb ein mobemeS ©olf regieren. 2Bie gauft
gemlnnt er bein Meere neues Sanb ab, mie gauft bänbigt er'S unb be-
jmingt eS, jum peil ber Nation, bie an ihn glaubt, uno mie gauft be¬
gehrt er ein freies ©oll auf freiem Krunbe $u fehen. Wilhelmus faustus
— ber 9Rann, ber bieS SBort mit Wilhelm ber gauft überfefcte, mag
ein elenber Satelner fein, aber er ift ein um fo beffercr 2)eutfcher. Wil-
helmus faustus oerförtert unS nicht nur burch Schaffung ber Seegemalt
bie fauftifchen SebenSibeale; er mirb auch, barauf öertraue ich feft, feinem
2anbe faupifche Kebanlenfreiheit geben. 2Bir fifeen hie^ Heben greunbe,
bielleicht an berfelben Stelle, mo Dr. peinrich gauft mit fieip^iger Stubenten
fröhlich hoculirte. 34 meine, gauft ift miebergefehrt unb meilt in unferer
Mitte, nur bah er heute bie Äaiferfrone trägt unb in ber ©lüthe feiner
Sahtt fteht, baS grohe SBerf alfo fcoHenben fann, bei bem ben Dr. petn-
ri4 ber £ob überragte!"
2)ie Kläfer flirrten aneinanber. 2lu4 ber 0bponent that ©ef4eib,
obwohl er ni4t berhehlte, bah er ben ©ergleuh für wenig paffenb halte,
weil ber ®fonar4 in jeber ©ejiehung bem etmaS überftubirten, menig
correcten unb gefefteten pelben ber Koethe > f4en Xragöbie überlegen fei.
Sugeben müffe er jebo4, bah baS, maS man fauftifcheS Streben gu nennen
ubereingelommen fei, in hohem Krabe bem Monar4en eigne unb bah
er befonberS bie ^araflele, bie ber geehrte perr ©orrebner gezogen habe,
für ungemein g(udli4 halte.
Mein (Gegenüber fah aufmerffam ju, mie ber SBürjemein in jehmeren,
öligen Xrohfen an ber Snnenfeite beS KlafeS nieberrann. „Stohen Sie
niqt mit an?" fragte i4 ihn.
„5)er junge Mann hat fo getyro4en, mie ^heobor im ©arthe benu
nä4ft f4reiben mirb — bemnä4ft, baS helfet, menn bie Seinigen für*
öor ber ©ermirfli4ung ihrer fehnfü4tigen träume gu flehen glauben
unb er felber, ni4t mehr perauSgeber eines $äfeblätt4enS, bie ©offif4e
Reittmg mit fämmtli4en ?lnnoncen=©eiblättern in ; S Säger ber Regierung
mberführt. Wahres unb galf4eS mif4t P4 in ben Hnfi4ten uno 2)ar=
Iegungen ber 9?euliberalen; nur f4abe, bah fie, bie bo4 bie See befahren
mollen, fo jammervoll, fo unbegretfli4 furjfichtia finb. punbert 3ah TC
meines emigen SebenS gäbe i4 bafür, fönnt* ich Synen baS Kefi4t geigen,
baS bie greifinntge ©ereinigung an bem Xage fchneiben mirb, mo in
golge ber S4iff^öerboppelung auch bie ©erbrauchSfteuent ungefähr ber=
boppelt merben."
„Sie meinen —"
„liefert ber SRoberne unb bie Seinigen intaginiren fi4 genau
biefelben gernmirfungen ber neuen glotte, oon benen Keorg permegh in
U)rif4er ©ergücfung träumte, öor beiläufig fe4gig Sahren. Senttmen=
taler ©ormärg... $)iefe Seute fehen eine liberale Slera anbre4rn gu
berfelben 3dt, mo baS ungeheuerluhe ©aragraphcnsS4eufal, baS auf
ben Warnen beS 3 u hälter peinge getauft ift, Kefef gu merben broljt.
£inbif4fte Wtuderei, reactionärfteS ©htlifierthum finb Xrumhf, unb eine
hohe Regierung fpielt bergnügt mit — trofcbem wittert bie maffer^
beraufchte Slitfe Morgenluft. OTerbingS, Sinienf4iffc finb nüfjt fo ohne
©eitereS gegen ben inneren geinb gu bermenben; im Uebrigen aber liberal
lifiren fie unfere ©olitif unb unfer S0Birthf4aftSleben fo menig, wie ein
neues SlrmeecorbS eS thut. Submig ©ietf4 hätte fi4 Wlrlli4 bie §luS=
grabung permegh r f4^r glottensWhhthmen erfparen fönnen, bie bielleicht
bisher ihm, aber feinem funftfreunbllchen Menfchen unbelannt gemefen
ftnb. Unfere freifinnigen Seitartilel liefern berartige naibe ©oefie tag=
täglich in Menge; ber Unterf4ieb gmifchen ihnen unb permegh ift nur
ftiliftifcher «rt."
„Sie glauben gang unb gar ni4t an ben gauft, ben man unS
eben prebigte?"
„34 halte bie Kntroicfelung unfereS ÄaiferS für abgef4loffen, unb
ich rechne mit ben ©erten, bie er felber bislang in bie Rechnung ein-
ftellte. gaufttf4eS Sehnen unb brachten, mie feolfgang Koethe eS in
feine Weinte einfcfelofe, gählt nicht gu ben Kiaenf4aften beS pohengollern-
paufeS. 3)aS finb au4 feine märfifchen Monar4entugenben. dagegen
gemahnen mi4 bie begeifterten SBacferen ba brüben unb ihre ©erliner
Spiegelbilber, bie hoffenben Siberalen auS ber Kfbortbran4e, burchauS
an bie Siebei, Ältmatjer, ©ranber unb grofdj! ®en Teufel fpürt baS
©ölf4en nie, unb menn er fte beim fragen hätte. 3>aS fagte mein
grober %hn bamalS, als er ben freiftnuigen Knthuftaften unb poUtifcfeeu
dichtem, bie in biefem Heller ihre ©erfammlungen abhielten, f4mellenbe
SSeintrauben öor bie 2lugen jauberte. Sie miffen, ber Wauf4 öerflog,
ber grrthum lieh ber Slugen ©anb los, unb bie eben noch S4märmenben
erfannten, bah fi* gum Xraubenf4nitt erhobenen Meffer an bie Wafen
ber üebften Kumpane gefept hatten. Än gemi4tigen Wafen fehlt eS ber
Kruppe au4 heute noch nkfjt, unb man ift brauf unb bran, wieber ein=
mal mit bem Teufel ju fpahen. Unb gauft — ich gebe 3hnen mein SBort,
ihr gauft mirb ft4 an4 bieStnal ni4t gu ihren Kunften elnmif4en."
Caliban.
Gpero nttb Concertc.
„^er ©ärenhäuter." ^eufelSmärdhen bon per mann SBette. Mufti
oon&rnolbMenbelSfohn. (Theater beSSSeftenS). —„Äain." 3)i4tuna
oon peinri4 ©ulthaupt. Mufti non Kugen b'9ltbert. (^gl.
0pernhauS).
?lm poheiigoHemring in Äöln fteht ein pauS, mo alle guten ©elfter
eins unb auSgehen: bie grau Muftca, bie ©oefte, rothbädige Äinber
unb emfige peinjelmänn4en. ©iel Mufti mirb bort gema4t, Diel ge?
bi4tet, unb bie Keftalten unferer ©ollS* unb ilinbermärchen merben
Iebenbig. $)er pauSherr ift Slrgt unb noch mehr ©oet unb Reifet per=
mann 3Bette, unb Dramen, Operntejte unb heimathli4 s meftfälif4e Ke=
biefete haben mir Don ihm. Unb grau Stbelheib hilft wohl bem 3>ichterSs
mann unb bieptet auch auf eigene gauft; bret Mänhcnfpiele hat fte
Derfafjt; ihr ©ruber Kngelbert pumperbind hat baS. eine baDon in
Mufti gefept, unb maS bie Kefchmifter in ©erfen unb Xönen erba4t,
geht Dielbejubelt als „pänfel unb Kretel" über bie ©ühnen ber ganzen
ifeelt. Unb pumperbinef hat au4 gmei S4üler, Kottegen ober greunbe:
ber eine ift ber Krbe Don SBahnfrieb, Siegfrieb Tagner, unb ber anbere
ein Weffe beS Komponiften, ber unS bie hcrrli4c Mufif gum „Sommer*
na4tStraum" gefeperrft hat, bie eigentlich auch fo recht in bieS pauS ber
Märchen unb geen pafet. ?lber ba erhob fi4 jüngft eine grimme
$afophonie, benn eine milbe SritungSfehbe ftörte ben grieben beS Mär=
4enhetmS. „2)er ©ärenhäuter" hript ber Sanfapfel. patte bo4 per*
mann Söette ben Stoff feines lepten Sibretto'S bem Krimm , f4cn ©offS=
mär4*n glei4en WamenS entnommen unb feinem greunbe Slmolb
MenbelSfohn jum ©ertönen gegeben; aber ftehe ba! au4 ber pumperbind*
S4üler auS SBahnfrieb hat einen „©ärenhäuter" componirt unb bringt
ihn gang gur felben Seit auf bie ©ühnen, fogar no4 früher, benn bem
Äronpringen Don ©apreuth öffnen ft4 bie Opemhäufer f4neller. S)aS
tooHten fi4 Menbelfohn unb fein S)i4ter ni4t gefallen laffen, unb wenn
au4 btofe bie Quelle gemeinfam, bie ©earbeitung beS Stoffes aber eine
anbere ift, fo mürbe ber Streit um bie ©riorität mit peftigfett geführt.
Digitized by
Google
158
Ute (Bejjenwari.
Nr. 10.
§eute wiffen mir eS: ©Jette unb Menbelfopn finb bic Finber ber crft
faäter Von Stegfrieb SBagner aufgegriffenen Qbee. 3ung = Siegfrieb
mürbe burcp SBette'S ©fan angeregt unb fcprieb fiep ben Je*t felbft bagu.
3)iefer ABettbemerb ift gewiß nicht fcpön, benn für gmei „Bärenhäuter"
hat bie beutfche Oper fchwerlfcp ©lafc. ©iner muh auf ber Strecfe
bleiben. Aacpbem ^ mir jefct vorerft ben 28ette*Menbelfof)n 7 fcben fennen
gelernt, fteigen freilich in unferen Augen beS ©oncurrenten AuSficbten,
benn nach menig Aufführungen ift ©ärenpäuter I bereits t>om Spielplau
beS Jpeater beS ABeftenS verfcpmunben, mo aüerbingS eine gang elenbe
Aufführung für ihn eintrat. Siegfrieb'S Märchenoper, bie fchon in
München, ABien, Karlsruhe :c. bie Feuerprobe beftanben, füll im ß'gf.
Opernpaufe bemnädjft folgen. 58er weiß aber, wie lange ber ©lang beS
ererbten AamenS Vorhäft. Jer Märcpenftoff felbft fcheint unS ben 3wift
ber Mufen unb Mufifanten gar nicht merth gu fein, ©an* abgefeben
baöon, bah bie Märcpenfpiele auf ber ©üpne längft wteber auS ber
Mobe finb, toie £>umperbincf mit feinen „fiönigSfinberit" erfahren muhte,
fo eignet fich ber pöüifcpe ©orwurf gang unb gar nicht für bie ©üpne.
$>och fehen mir, maS ABette barauS gemacht
3)er erfte unb befte Act geigt unS ben getreuen Unecht SRuppert,
mie er Don ber reichen ABirtpStocpter Anna gwar nicht verfcpmäbt, aber
hoch Verleugnet mirb, als eS beherzt bie Siebe gu befennen gilt. Jer
verhöhnte unb vom Berichte bebrohte fnecpt verfchreibt fich alfo bem
©atan, ber ihm bie ©efriebiguttg feiner Dlache unb ©Uicf unb Macht
Verheiht, mofür er ihm ein 3apr lang als Unecht in ber $öHe gu bienen
hat. Aber Huppert min miffen, maS ihn befreit. Satan antwortet:
deiner $uß Von reiner Maib
So bu vom ©Öfen bich felber befreit.
AIS ber Sfriedjt noch gögert, geigt ihm ber Jeufel im Bauberfpiegel
bie ©eliebte am Arme Von Sunfer $ung, bem glücflicpen Freier. ©rft
jept fällt ber Von Seibenfcpaft ©erblenbete in baS fatantfcpe Schwur*
buett ein:
©et Schlang' unb ©iper, Surcp unb Molch,
©ei Morb unb ©ranb, bei ©ift unb Jolcp,
©eim emig glühenben §öHenfeuer,
3ch fcpwör 7 'eS hoch, ich fcbmör 7 eS theuer:
Atcpt mafcpen min ich £>aupt noch £aub,
Aicpt mechfefn mitt ich mein ©ernanb,
Aicpt fürgen nicht fämnten Aagel noch .£>aar;
Unb mie ich macpS unb mich geftalt r .
So min ich bleiben immerbar,
©iS ich befreit burch pöp're ©ewalt.
ABemt ber ©orbang gum gmeiten Male aufgeht, finb mir in ber
£>ölle unb bei ben ©erfuchungeu ber böfen ©eifter. Aber ber Rollen*
fnecht mit ber ©ärenfrape bleibt ftanbpaft. ©r macht nicht ben JeufelS*
mäbchen „fribbele fraue," auch frellja, beS Jeufels ©roßmutter unb „aller
SiebeSfünfte Urmutter", locft Vergeblich, unb gar ber enblofe Aufgug ber
.ftöfleitfcpaaren, ber Jeufel beS ftochmutpS, SeicptfinnS, AeibeS u. f. m.
marfcptrt gang umfonft mit fcpönen ©IjarafterVerfen auf:
JRippfivappS, ©rippftgrappS, £>eil bem SchnapS!
Stinfemurg, JeufelS . . . ., ^öflenfturg! —
. fttphaß! £>aßpaß! |>ippaß! Faßfaß!
habhaft! ntachradj! Faßfaß! 3ad)jach!
3icfjach! Sfaßt gu! SRicfracf! Schafft Ülup!
#upu! ABupu!
ftein ABunber, baß ber gange 3auber bem ©ärenhäuter gu abge*
fchmacft vorfommt; er befteljt auf feinem ©aft, Verlangt ben Sohn unb
mitt mieber auf bie ©rbe. Aber Satan lacht ihn aus. Mag Huppert
auch allen ^öHenverfuchungen miberftehcn unb innerüd) geläutert fein,
fo mirb ihn hoch niemals ein reiner Äuß von reiner Maib entfühnen,
benn er ift ja äußerlich ein vermilberter unb vertierter ©ärenhäuter,
mie ihm ber gauberfpiegef bemeift. Unb Satan hat 9?ecpt. Qm brüten
Act ift ber ©ärenhäuter auf ber ©rbe, aber AUeS flieht vor ihm, mie
Vor bem leibhaftigen ©ottfeibeiunS. Selbft bie reuige unb ihn noch
liebenbe Anna, bic in ber Dämmerung ihn unter ber Sinbe trifft unb
voller Führung auS feinem Munbe baS ©eftänbniß feiner Sünbe unb
Siebe empfängt, bricht entfett gufantmen, als ber Satan baS Monblicht
auf ihn mirft. Unb ber hohnlachenbe ©öfe fährt mit ihm in bie §ölle
gurücf. JicSmal ftnb aber auch bie guten ©eifter gur Stelle, unb als
bie ©roßmutter mieber ihren ©erfüßrungSipuf loSläßt, ruft Dtuppert in
höchfter Seelenangft ä la Jannhäufer: Mein Seele ruht in ©ott! unb
ba fommt auch fchon Anna gum ©öllenthor herein, fchließt bie Augen
unb füßt ben ©ärenhäuter herghaft auf ben Munb, morauf bie häßliche
•fjülle Von ihm abfällt unb bie Xeufel in ben Abgrunb Verfinfen. Unb
gunt ©efang ber guten ©elfter fehen mir bie entfübnten Siebenben mieber
in ihrem jörfdjen:
©ott ben §errn laßt ruhig fcpalten,
5Beiß er boch bie 5Belt gu malten,
Säßt tro& ^öü' unb allen Jeufein
Aie unb nimmer Jich Vergmeifclu:
Siebe Seele, furcht 7 Jidj nicht!
Formell ift an bem Jeft mentg auSgufepen. ©nblich ein Sibrettift,
ber ein Jicf)ter genannt merben fann unb einen guten ©erS gu fcbmiebeu
verfteht. Aur mit ben onomatopöetifcßen Aaturlauten, ,bem „©ibberit
pibbebumtrara, bem JooftooTtoo? unb SRibbelbumbill mirb guviel Unfug
getrieben. Jie eingelegten Sieber, ber ©mtereigen, „ Jer Sdjmibt fa|
unterm Apfelbaum" unb befonberS baS juett „ßaunt noch baß ber^ahu
gefräht", mürben feiner Anthologie gur Unehre gereichen. SBenigetfinb
mir mit ber ©eftaltung beS JeufelSmärcbenS felbft einverftanben, benn
eS finb ba überall gu viel Jenbengen unb J&eilSmabrheiten, SvmboliSmen
unb Moralitäten hineingeheimnißt, mel^e bie fRaivetät ber Märchenpoeftc
aufheben. Auch ift, mie bereits angebeutet, bie £öllenfdbilberung gu breit
SBette hätte nicht Vergeffen foUen, baß ber neben 3Bagner 7 S Mufifbramtn
befte beutfche Opemteyt für bie FreifchüfccaScabenfeuermerfmafchinerie (mit
©laten gu reben) auch nur einen halben Act ober eigentlich bloß eine einzige
Scene übrig hat. SBette aber fann nicht genug ©rrungenfcßaften ber©ü^
nentedhnif in bie Scßranfen forbern, im ©orfpiel SatanS unb ber guten
©eifter, im überlangen gmeiten Act mit feinen JeufelSerfMeinungen,
feinem ßölltfcben Mummenfchang, ben Aufgügen unb ©alletbivertiffementS,
unb bann mieber faft im gangen Schlußact, mo ftdj bet JeufelS= unb
Bauberfpuf in ermübenber 5Beife mieberholt. 5Bie gefagt, baS einige
§ölleneinerlei, baS, ftatt mit ber Waivetät ber Märdhenmelt, nur mit
bem gangen Raffinement ber mobernen Mafchinen unb ©rofpecte auf*
tritt, ift Iäppifcß unb langmeilig gugleich unb fchlägt bem gufchauet halb
auf bie Nerven. @S mirb ber Oper mohl ebenfo Tuher ben ^alS brechen,
mie ©ierbaum’S ©algen= unb Ä'erferpoefte Jhuifle'S „Sobetang". Aur
ein ©omponift von außerorbcntlicher ©enialität vermö^te biefcn fatanifchen
Stoff gu retten, ©in folcheS ©enie ift nun aber £>evr MenbelSfohn
ni^t, befonberS nicht im Jämonifdben, auf baS eS hier fo viel anfommt.
©r ift feinftnniger, gelehrter Muftfer, boch ohne eigene ©hpftognomie.
5BaS mir bisher von ihm in ©erlin gehört haben, ber £>ageftoig*Aecf=
reigen, baS Racßtlieb 3atathuftra 7 S unb einige plattbeutfche Sieber, bie
Submig SBüüner mit ©orliebe unb ©rfolg Vorträgt, baS begeießnet giem^
lieh genau Umfang unb Art feines liebenSmürbigen JalentS. Jer
„©ärenhäuter" ermeitert eS nicht mefentUch. @in paar meifterlich auf=
ebaute ©höre, bie flangfchönen ©orfpiele gum gmeiten unb britten Act,
ie frifchen Sieber im ©olfSton unb gumal baS SiebeSbuett im Schluß
act fprechen Von einer anfehnlicßen, menn auch nicht üngemöhnlichen
©rfinbungSgabe. Seiber ermübet ber Sprach* unb Sprechgefang, weil
er gern VolfStbümlidj fein möchte unb boch immer mieber in 7 S Jecla«
matorifepe Verfällt, ©leicpmohl ift eS AüeS in Allem ein ernfteS unb
refpectvoll gu behanbelnbeS 28erf.
©ine eingige 5Soche hat unS ©ugen b’Albert in feiner gangen
©ielfeitigfeit gegeigt: als ^lavierfpieler, als Jlrigent, als ©oncert^ unb
Opemcomponift. 5Bo ift er am bebeutenbften? Ohne 3n>cifd als
©ianift unb befter Silgtf^üler, aber man tput ihm bitter Unrecht, wenn
man feinen ©omponiftenbrang barüber gering einfchä&t. Auch als Jon=
biepter ift b'Albert burdjauS Vielbietenb unb noch mehr Verfprechenb,
immer intereffant, hochbegabt unb Von jener echt fünftlerifdjen ©or*
nehmheit. bie ber ehrlichen Uebergeugung folgt unb nicht bem ©affen=
erfolg hulbigt. 5Bir befamen Von ihm Fragmente auS feinem ScpmergcnSs
finbe, ber Oper „©ernot", gu hören, flangreicpe Orcpeftervorfpiele unb
bramatifebe ©ortragSftücfe Von ppantaftifch^ßnnlidiem StimmungSgepalt
unb lebenbiger ©harafteriftif; bann glängenbe ÄlaVierftücfe, mie Snter^
meggo unb 5BaIger auS op. 16, ein intereffanteS neues ©oncert für
Ordjefter unb ©eHo (von ©rof. C>ago ©eefer meifterhaft gefpielt) unb
enblicp prächtige Sieber, melcpe bie ©attin beS ©omponiften mit großem
©ef(pmac! unb ©eifall Vortrug. Unb nun bie Ueberrafcpung beS Operw
componiften, ber unS nach bem graglöfen fftococofttl ber ©onverfationS*
oper „Abreife" mit einem oratorienpaften ©tbelbrama fommt. Jie Auf¬
nahme mar nicht ungünftig, menn auch nicht fe6r marm. J)aS bringt
fepon ber ftoffliehe ©ormurf mit fiep. ^)ie tppifch* furchtbare ©ruber^
morbtragöbie ift ein granbiofeS Jhema, baS einen ©eetpoven ober 5Bagnet
Verlangt unb für ein moberneS ©ublicum wenig angiepenb ift. Sd&on
ber Aante „£ain" auf bem Jheatergettel fchrecit ab. 28tr halten eS
baher für feinen glücflicpen ©ebanfen, baß b'Albert, ber noch im ASefent^
liehen ein Sucpenber ift, fiep an einen folthen, in jeber ©egiepung coloifalen
Stoff gewagt pat. Auch ©ultpaupt'S Jeyt ftellt bie höchften Anforbe-
rungen an ben Jonbicpter unb fein ©ublicum. 3n ©pron’S F«6üapfen
einherfdireitenb, ift er VorgugSweife eine ©ebanfenbichtung, bie bie
MenfeppeitStragöbie Vom gmeiten Sünbenfall philofophifch unb charafte*
riftifcp vertiefen min. ABäprenb in ber ©ibel ber ©rubermorb ln fcpltehter,
gemeinverftänblicper Klarheit bem Aeibe Äain'S entfpringt, pat ©nlt ;
paupt noch allerlei hineingelegt, maS unS recht vergmidt unb unverftänb-
licp vorfommt. S'ain unb Abel ftnb bie beiben Jtjpen ber Menfchpett,
gwei incarnirte SSeltanfcpauungen, unb Sucifer Verförpert mit ber Sünbe
auch bie erlöfenbe Macht beS JobeS; toenn alfo Äain ben ©ruber tobt*
fcplägt, fo gefepiept eS nur, um biefe erlöfenbe Macht gu erproben! All 7
biete finnretchen ©egiepungen merben nun aber nicht in bramattfdjer
Anfchaulicpfeit bargefteHt, maS freilich fchmer hält, fonbern in umftänb*
lieh philofoppirenber ©ebanfenlprtf, beren 3^rfloffenpeit unb SBortreichtpum
bem JHinftler, ber fie in Jönen malen foll, eine fepmere, manchmal un*
mögliche Arbeit gumutpen. b'Albert ift lein blinber SBagnerianer, fon*
bem mar Von Anfang an bemüht, auf ben ©rrungenfepaften beS Mup
bramaS gu fußen unb boch feiue eigenen 3Bege gu juchen, tfain aber
fepeint ihm nur im Aibelungenftil möglich, gewiß nicht gang mit Um
reept. 3n leitmotivifcper Arbeit entmicfelt er feine Jpemen, tnbeffen
hat er auch für warme, quellenbe Melobif 9?aum, vornehmlich in AbeTS
Ivrifcpen Seelenfpiegelungen unb in beffen ©tfion beS ©arabiefeS.
©reiSlieb ber Aatur, ber machtvolle ©nfemblefa^ beS ©ebeteS, — überall
Digitized by v^.ooQle
Nr. 10.
Die (Begettwari
159
geigt fid) ba bcr melobtfepe AuSbrud, mie behn aucp b'Albert immer
fangbar fcpreibt. Aucp bic Drcpefierfpracpe be^crrfc^t er mit großer
©etoanbtpeü. $er Sonnenaufgang ift ein ergreifenbeS $ongemälbe.
3>a unb bort mirb man feine, cparafteriftifcpe 3 üge gemapr, unb ber
Vart beS Sucifer atpmet eine majeftätifcpe Sutdjtbarfeit unb fpmbolifcpe
Stimmung, 3 U fabeln märe bie gumeilen fcproffe Aufeiitanberfolge ber
Xonfarben unb baß bie fßppftognomie ber flRotioe oft farblos, niept auS=
geprägt genug ift. 55ie Aufführung, unter Kapeflmeifier 3Rud, mar
oortrefflicp, befonberS aucp ber Abel beS Herrn Brüning. 5)ocp paben
ftd) bie Autoren bie Oon einem unftcptbarcn ©por pinter ber Scene bar*
geftelfte Stimme ©otteS im 9?o0en beS Bonners gemiß meniger tpea=
tralifd) unb mpfttfcp'erpabener gebaept. M.
Dromatifdie 3Cuffnl)rungen.
„$er ©ifengapn." ^iftorifc^eS Scpaufpiel in fünf Aufgügen oon
Qofef Sauff. (Kgl. ScpaufpielpauS.)
3n Berlin, ber ^auptftabt beS KurfürftentpumS Vranbenbuvg,
pauft ein bis in bett ©runb ber Seele oerfommeneS Vürgerpad. Srecp
berunglimpft eS alles, maS e$ nid)t oerftept, unb OoK 5Hebertracpt unb
Stumpffinn bledt eS bie 3äpne miber Abroefenbe, um fofort jämmerlich
gufammengullappen, menn ein ganzer Kerl „mit rottenber Stimme"
unb „in majeftätifcper $ofe" unter bie Scpmefelbanbe tritt. 2Bie’S ©e*
fcberr, fo ber $err; mie baS ©efolge, fo bie Süprer. AuS purer,
bummer SRörgelfuept lernen fte ftcp gegen ben SanbeSoater auf, ipr
grofcppirn begreift baS ©enie niept, unb ipr finfterer Vubentrofc fcpleu*
bert ipm in ohnmächtigem Sngrimnt Knüppel gmifepen bie Seine. 55er
Vöbel üerftummt bo<p menigftenS noch angft* unb refpectooff, fobalb ber
raaenbe ©otteSliebling, ber ©efröttte, „mucptenben ScpritteS" auf bie an*
gebliep meltbebeutenben Vretter tritt, ©r erfennt ipn felbft in tiefer Ver*
mummung unb fängt bann fepletutig an, £>uvrab gu rufen. Verenb
fRpfe aber unb Stiefel SßorfeleS, bie Anftifter unb Scpürer ber Ungu*
friebenpeit, tpuu felbft baS niept einmal. $Ran müßte an ber 3Renfd)cn*
mürbe toenmeifeln, menn bie Veiben niept glücflicpermeife ipre eigene
Verworfenheit einfäpen unb Oon fiep felbft in ungemein öeräcptlicpen
AuSbrüden fpräepen. SßorfelcS, ber intrigante Stabtfcpreiber, fepilbert
gelegentlich feine Umftürglerfunft unb erflärt babei gang offen:
2 öte bie 9?atte fiep
5)en eilen SBanft an blanfer Sdpmarte mäftet,
So mit ber 5)ummpeit ber ©emerflerfcpaft
Höb' icp gemäftet meine Sonberpläne.
2BaS ift Don einer ©reatur gu ermarten, bie opne Itmfcpmeif ipre Poli¬
tiken 3beale mit bem eilen SBanft einer SRatte vergleicht! <porfeleS
unb SRtjfe paffen ben Kurfürften, mie Soft Valbur, mie ber Sumpf bie
ipn auStrodnenbe Sonne paßt. 5)aS genügt, meitere SRecpenkaft über
ben Urfprung iprer ©mpfinbungen geben meber fie unS noep bcr $td)ter
Sauff. ©§ ift ein Heiner Troft unb giebt ©inetn ben ©laubeu an bie
SKenfcppeit jurüd, baft 9?t)ie T Ä eigene Butter mit Segeifterung auf ber
Seite beS ^urfürften ftept unb ipren Sopn ob feiner oerruepten Oppo=
fttionSgelüfte una 6 Iäffig Verflucht f unb ba 6 feine ^oepter ebenfalls für
baS ^errfcperpauS, gegen ben unnatürlichen ffkpa ergreift. 5)aS
©nbe SBerenb fRpie'S — er mirb bon ben Xrümmern beS ftiirjenben
^olanb erfcplagen — erfepeint uns aüerbingS viel gu menig qualooü
im Sergleicp mit feinen Serfeplungen. &üv bie Nörgler aller 3 eitcn
hätte eS eines fepredpafteren ©yempelS bebuvft!
Sauff ; S piftorifcpeS S^aufpiel, bieS jmeite Xagmer! ber oon ipm ju
fepaffenben neuen Äunft, pat befonberS ben Sorjug, bap eS in jeber
Sejjiepung einheitlich ift- 3 n feinem ber fünf 9icte ftört and) nur ein
günfepen biepterifepen Talentes bie aufgeblafene, tobenbe STviVialität;
Oom erften bis jum lepten SBorte ift aQeS Üpeater, elenbeS ^iuber=
tpeater, unb nirgenbS ein $aucp oon SebenSmirflidpfeit. Niemals ift
ber leife Serfudp gemacht, bie raffelnben Vorgänge gu oerinnerlüpen,
bie aKorbgefcpicpte jur Xragif 311 erpeben. 5Ber ein biScpett Sinn für
unfreimilligen ^umor pat, bem bebeutet ber ©ifen^apn einen nie au$=
^ufepöpfenben üueH reinen SergnüaenS. 3Süpte man niept, bafe $err
Sauff eS bitter ernft mit feiner Arbeit meint, bann mürbe man ipn für
einen Satirifer erften langes palten: er pat eine ©aricatur beS pifto=
rifepen ^)ilettantenbramaS geliefert, mie fie erbarmungSlofer niept gebacht
roerben fann. So mag fid) im armen $opf eines fleinen ©öflingS bie
munberbare ©ntmidlung unfereS munberbaren märfifepen SolfeS bar=
fteflen, fo mag ScpiflerS $err 0 . falb ©efepiepte fepreiben. 5)ie ge-
jammte Nation beftept auS ßumpen, Darren unb Oertpierten Xropföpfen;
mit ©emalt brängt fie iprem Untergang ju, miH fiep mit eigener £>anb
fepänben. • $a mirft fiep ber gürft ipr entgegen, ein ©in^elner |>unberU
taufenben. 51ber feine geiftige fraft, feine unermeplicpe ©üte ringt
ben pämifepen Unoerftanb nieber, jmingt bie HWeute, ipm auS ber §anb
ju freffen, ^roingt fie, gegen ipren SBitten glüdliep ju merben. Unb „in
impofanter ©ruppe" fegnet jule^t ber Halbgott fein unOemünftigeS Solf.
3)iefe Seftien unb Waulefel merben %ar\i ipm gum fftange Oon 58elt-
bepertfepern, ju echter ©ultur auffteigen — OorauSgefe^t, bafe fie ipm
immer pariren unb immer feiner Meinung finb. SSaprpaftig, menn
ßauff minber gefinnungStüeptig märe, fönnte man ben Serbaept pegen,
ba& er baS gan^e $)rama ironifep gemeint pat. Sein fürftlicper ^>a! 6 =
gott ift in Saprpeit ein unauSfteplicper.S^önrebner, ber halb empfind
fame, halb tragifepe fomöbie fpielt. Slber mie gefagt, man barf an
2auff’S ©prliepfeit niept $meifeln.
©inige Scenen beS „©ifengapn" mirfen bttrep bie jur Sermenbung
fommenben, reiepen ©oftüme unb Oerfepmenberiken $>ecorattonen;
manepe §lufjüge maren fogar im 01pmpia=9?iefensipeater beS celebren
Soloffp firalfp niept mirfungSooHer arrangirt. Seiber ftört ber Xejt,
ben Sauff ju ber bunten aiuSftattung gefepne^n pat, ben rupigen ©e?
nup, bie prächtige $lugenmeibe all^u empfinbliep. liefen unabfäfftgen,
oben SP^fenfturm, bieS ©ebröpn nkptSfagenber, aufgebonnerter
Santben erträgt fein gebilbeteS Dpr. 9Jfan mäpnt ben Staub Oon
längft Oerrotteten $peaterrequiftten 5 U fcpluefen, menn man biefe Spraepe
pört. 31n Tk tvtrft eS fomifcp, menn ein fo unfagbar nüeptemer SWenfcp
mie Sauff fiep feuepenb unb fcpmeiptriefenb ben Sepein biepterifeper fraft
ju geben oerfuept, aber baS Säcpeln erftirbt halb auf ber Sippe, ba er
unS unb fiep feine Minute ber ©rpolung gönnt.
$>er $of mopnte bem furchtbaren ©ifen^apn^Unglüd bis ^um
Scpluffe bei; ein Xpeil ber bürgerlichen 3t*köuer mar minber miber*
ftanbSfräftig unb üerfcpmanb Oor^eitig. S)ie 3 u rüdbleibenben patten
halb Urfacpe, bie glü^tlinge gu beneiben, unb in iprem Slerger löften
fie alle Sanbe frommer Scpeu. ©S mürbe naep bem fünften Stete
mütpenb ge^ifept, uaep bem fünften Stete eines auf aöerpöepften Sefepl
gefpielten §openjotlernbramaS, Oon einem feftliep gefleibeten fßublicum
in ©egenmart beS faiferS!
— -
gto%n.
55er ^iftoriograpp SiSmarcfS unb feines Kaufes, .^einriep oon
Sofcpiuger, fäprt unermübliep mit feinen immer intereffanten $ttbli=
cationen fort. Sanb um Sanb erfepeint unter feiner $>erauSgeberfcpaft
bei ber 5)eutfcpen SerlagSanftalt in Stuttgart, unb jumal fein „SiSmard*
Portefeuille" erobert ftep mit jebem neuen Sanbe einen meiteren
aibnepmerfreiS. 5)ie lebten Sänbe ftepen in Sejug auf bie Sebeutung
beS Qnhaltä ben Vorgängern niept nur niept naep, fonbern übertreffen
fie noep; aufjer einer ainjapl neuer SiSmard^Sriefe unb im Aufträge
SiSmardS ergangener Kundgebungen enthält er Silpouetten einiger
Qntimen beS dürften (barunter ^ßrofeffor 3pering), ferner eine SebenS^
be[ep«ibung SiSmardS Oon fHubolf Sinbau auS bem 3apre 1878, bie
manepe fepr intereffante ©in^elpeiten bieten, ©in ftauptftfid ift aber
ber 5luffa|j „SiSmard im beutfep=franjöfifepen Kriege", morin mir ben
Segrünber beS 5)eutfcpen fReicpeS auf bem SiegeSjuge Oon Serlin
bis Seban begleiten unb bei biefer ©elegenpcit eine fjüüe biSper unbe*
fannter SluSfprücpe unb ©rlebniffe erfahren. Slucp oon bem gropen
?2erfe „gürft SiSmard unb ber SunbeSratp" liegen nunmepr oier
Sänbe üor. SefonberS intereffant ift pier baS 3«ftanbefommen beS
SocialiftengefepeS, bie llmfepr ber §anbefSpolitif, SiSmardS gef^eiterter
Verfuep einer 9teid)Saftion auf bem ©ebiete beS ©ifenbapnmefenS, fein
Kanipf mit Hamburg megen beffen ©ingiepung in baS beutfepe 3oügebiet,
bie Sefcpäftigung ber Legislative mit ber SlrbeiterOerficperung, bann bie
SunbeSratpSfriftS mit barauffolgenbem ©ntlaffungSgefud) beS KanjlerS.
daneben laufen piftorifcp überaus bebeutfame biograppifd^ @fiiäen über
bie neuen 9KitgIieber beS SunbeSratpS. 55urcp bie ©ombinirung beS
fachlichen unb beS perfönlicpen XpeilS oerftept eS ber Herausgeber
in glüdlichfter SBeife, bie bropenbe Klippe ber Xrodenpeit in ber 5)ar*
fteüung beS mitunter reept fpröben Stoffes ju umfepiffen, fo bap ber
Sefer ein anfpredjenbeS Silb Oon bem llprmerf ber SReicpSgefe^gebung
gewinnt.
Herzog ©otplanb. Xrauerfpiel Oon Hugo Seterfen. (Serlin,
Dr. fR. ©rebe'S Verlag.) aSenn mir Oon einem neuen 55rgma pören, baS
ben H er $°9 ^peobor oon ©otplanb jum Halben pat, fo benfen mir immer
guerft an ©rabbe'S pimmelftürmenben ©rftling mit feinen gräplicpen
VorauSfefcungen unb epnifepen SSilbpeiten. 97icptS oon aHebem fiuben
mir bei Veterfen, ber ftetS fünftlerifepe aRäpigung bemaprt, im Aufbau
ber H an blung, mie in ber ©eftaltung unb Spraepe ber ©paraltere. 5)aS
einzige ©emeinfame märe pö^ftenS bie 21rt ber SRotiOirung mit iprer
greube an 3Riboerftänbniffen unb Sntriguen. ^eterfen bleibt aber boep
immer flar unb einfach- Vebenfticp fepeint unS, bafj fein ©otplanb nur
als Cpfer einer ^äufepung über einen oermeintlicpen Vrubermorb Oon
feinem kmebifepen König abfällt unb fiep mit ben feinplicpen Sinnen
gegen bie Scpmeben oerbünbet. Seine tragifepe Scpulb ift alfo eigentlich
reine, benn „nur 3 ene trifft fie, bie miep gu betrügen mußten", mie er
fid) entfcpulbigt, obmopl ipm feine grau audp oon einer Verfcpulbung
fpriept, „meil bu in ernfter Saepe aügu rafep, gu ungeftüm gepanbeit."
Sllfo ein 5emberamentSfepler, gu bem freilich aüju große Seichtgläubigfeit
fommt, moburep ber Hdb einen Stiep tn'S Scurrile unb Sepmaepe erpält
unb unferen aintpeil oerliert. Smmerpin fönnte eine Aufführung ge*
mögt merben, etma auf einer unferer freien Vüpnen, bodp mürbe eS fiep
empfeplen, bie beiben erften Acte in ftarfer Verfügung gufammengugiepen
unb befonbeiS unter ben überreichlichen SRonologen unb Iprifepen ©in*
lagen aufguräumen. 5)er britte Act, mo ber anflagenbe ©otplanb mit
bem Könige briept, unb ber oierte mit ber Scplaept unb ©otplanb'S Ueber*
gang gum gfinbe mürben gemiß einfehlagen; auep ber Scpluß, melcper,
mie bei ©rabbe, ben ftolgen gelbperrn als oergmeifelnben, gebrochenen
! Verrätper geigt, ift niept opne mirffame ©röße.
& ~ v_ ■
Digitized by v^.ooQle
160
Die ©egenroart,
Jlnjeigen.
Bei lüfWIung*n beruhe nun ftaJj auf bte
„«sgemoari“.
©oeben etfdjieit:
^erßog {$oi$Cattö.
$>rama in fünf Sfufjügen oun
^u«o $ft<rfen.
„©otljlanb ift ein gewaltiger Gfjaratter oon deinen*
tatet 2eibenf<$aftlidjleit. .. $)aS ©ranta flnbet feinen
©ipfelpunlt in ber geroaltfamen Empörung be§ finn*
lieben „W gegen baö fUtliche „3$"; ba& lefctere fiegt."
©orrttttjig in allen befferen ©udjhanblungen.
$rei$ eieg. geh- 1 SKarf.
Dr. ft. mtbt, «erlag. »erlitt SW. 47.
2 l!ab. geb. ©(fjrtftfleHer, bi 8 l)* publicift.
(liier. ftritit) in »erlin tljätig, energ. getoiffen=
|afte SlrbeitSTraft, öorj. ©pradjfenntmffe (fran=
5 öfifd), ettglifd)), Verfettet Stenograph,
aRaf ini if^reibrr (.ftammonb), fud)t unt.
befd). ftnfpr. in 9leDaCtioti, Xöeatrrfef retoriat,
»crLftttdtöMß., Utcrar. Snfttt. ic. ©tellung.
Offert, an b. fejp. b. Gegenwart unt. A. 6 .
3m »erläge Don 3mfcerg «. Cef fett in
Berlin ift erfdjienen:
$>er ®orffd)tt!}c.
Komöbie in oter UPten
Don
Äarl »ity*
»reiS: elegant brofdjtrt 2 2 Wf.
»an bemfeiben »er f aff er finb erftbienen:
Dramattfcfte Bumcresfen (»erlin, 3mberg
u. Seffon), brofd). 2 2 Wf. 3 nljalt: Sßein
Wann fdjreibt XragÖbien. — 9Ber ift ber
»errätber. — »ublifud unb feine »ertoanbten,
^iftoricosHomobie.
Der 3ntenbant tn taufenb Itöfljeri.
»offe (»erlin, 3 - $ 1 . ©targarbt), brofd). 2 W!.
©omorrtfa’s ©nbe. Sitterarifcfje Äomöbie
(»erlin, 3 - ©targarbt), brofd). 1,50 Wf.
(Ein toller Hag. Sitterarifdje »offe (»erlin,
3 - $ 1 . ©targarbt), brofdj. 2 Wf.
Kuno 3w^itnttfenb» »offe (©tuttgart, Union
$euifcbe »erlagSgefeflfd)aft), brofif). 2 Wf.
Der $ürft non Katatea. »offe (©tuttgart,
Union $eutfdje »erlagSgefeflfdjaft), brofdj.
2 Wt.
$ie borftebenben Bilh’fdjen §umore§fen
bilben einen mefentlidjen gortfdjrttt in ber
©ntnricflung ber beutfeben Äomöbie, inbeut fte
in getoanbtefter ©pradje bie Dielfadjen fomifdjen
Wotibe, tueldje unfre 3 eit °«f Iitterarifdjem,
focialem unb politifdjem ©ebiete barbietet,
glüdlid) berroertben.
^ $unbert Original*©uta<hten
Ä t rf 4M A m A ®- tfreunb u. fteinb: ©jörttfon
n 111 m m ir mm** an«** s^n
CT f ^ w w % w 2 >aubet Cgtbp Montane ®roth
$aecfel $artmann $ebfe Sor*
tm ban ftipling fieoncaballo ßln*
bau ßombrofo SRefchtfdierSli
% ft* 4/** f ftigra Vorbau Olltbier fetten*
<#*¥* 1 * tofer ©altSburij ©ienltemici
. ©tmon Spencer ©pielfjagen
l#tn#r ®tan(ep ©toeefer ©trinbberg
|ll«« örujrilllfl, ©Uttner SBtlbenbrud) ©erner
Sola u. b. «.
Sieg. ge^. 2 SRI. bom btrlag ber
©erlin W. 57.
Sieg. ge^. 2 SRI. Dom
©er l
„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitsersohein
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadur
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschü
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von # / 4 1 75 Pf.
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr. Carbach h Cie
i>r.€b<. Die tUiflscbaff der mell am "
gange des XIX. Jabrbundtrts.
W
etniaett pofitiren Porfdjlägctt. Cey.-8°. bvofdj. 5 21t. 50
fcitt'itt SctmvauJ' gcb. 7 2ifl.
.... ,,3'b* be« Perfaffers befunbet ihren Ucfprutig au* Iebenbiger, bem hanbelnben Cebcn |
toanbter Cmpfinbang unb aus beni flarfen Drange, ber ZUenfdfheit burd? bie Uaftoeifang be* redjten tDltlfdjaftl
ZDeges praftifd?en Hufeen $u fdjaffen. Die ^iele bes Derfaffers befchrAnfen fid? nid?t auf bie (Cagespolitif
oereinselte rnatnah^r»»/ f ie finb pielmehr umfaffenbQer Urt unb toollen ber gefamtew flnfuw
enttptdlnng bes tnenfcbengeicbleäfts bie flabn loeifen. Do^ ein betartiges Bnd? bas 3 n^
Oer toettefien Kreife 3 U fcffeln imßanbe tfi, liegt anf ber $anb; es ifl feine ©elehrtenfd?rift, fonbern
bie (Sefamthrit ber (^ebilbeten befHmmt. Der Derfaffer hot fd?on manche tuenuolle (Saben bargefj
unb nielfad) neuen leitenben 3 been Bahn gebrochen, fo bafj man auch von bem oorliegenbem IDetfe hoebgefpd
Crmartungen hrgen barf. Durch bie Ceftflre aber tuirb bie Berechtigung foldjer Cnoartungen/ n?ie mir uns 3 ^
fldjtlich ju behaupten getrauen, außer allen 9 e f r ßi." P«j
mr D^rflctienöc 2tu&fül;runden ans hefanntcr, hernfener $ebev, diai
terificrcit trefflieb ^en 3nttalt bes tPertes nn5 entlteben uns \ebet (Empfeblu
3u bettelten 5urd? alle Buc^ltanMnudeu unb bei v^rlteriger €tnfenbuna
Betrags portofrei von ilarl tDinter’s llmrerfitat&bucbbanMima in Qeibelb<
2 )ie ^egentoart 1872-1892
Um nnfer Säger ju räumen, bieten mir nuferen Abonnenten eine gftnfl
(Sfe(e*ett^eit gut SerooUftänbignng ber SoKection. 60 meit ber Sorratb tn
liefern mir bie ^a^rgänge 1872—1892 k 6 STO. (ftatt 18 SW.), $albja|
tBänbe ä 3 SW. (ftatt 9 SW.). (Sebunbene ^a^rgänge k 8 SW. \
©erlag ber ©egeiitoart in ©erlin W, 57]
| .
Pas Petf^nnt na^ §ops
trab
anbere ^unflfragen.
Original^(Uutac^ten Don Iltenfel, Hein-
^olb Begas, Böctlin, U. v. tDemer,
Knaus, Ultbe, Stncf, Jotj. Schilling
Scbaper, v. (Bebl^arbt, ^erb. Keller,
Defregder, (Babriel Btay, tZffoma.
Ciebermann, tDUb* Dnfcb, Äitder, <5raf
^arra^t, BXap Krnfe, Knille, Ceffer*
Ury, Doepler, Pecbt, Kneltl, Cecbter,
3ügel, parlagltt, BXactenfen, Sfarbina,
Ceifttfottt, (Banlte, plinfe, Stattl.
^reis biefer brei ilttttfUer-^tttttttterti ber
„^egmwart“ 1 50
birect Don un3 ju bejie^en nadj »rief=
mar!en=@infenbung.
Bertag ber (Begenwart, Berlin W. 57.
^tsiank« JU 4 fol|t
9lotnan
Don |
^aop^if ^oCCirtg.
SW* beUfoiugobe. *WS
»reiS 8 Warf. ©cf)ön gehunben 4 Wa
tiefer »iSmards^aptiDislRomatt, bei
wenigen 3 a ^cn fünf ftarfe Auflagen et
erfdjeint ^ier in einer um bie £alfte billig
»olfSauSgabe.
3)urcb alle »udjIjGnblungen ober gegen *
fenbung beS ©etragS poftfreie 3ttfenbung
UerUg der 6 egeMtoar
SSerlin W. 57.
Bestellungen auf die
©inbanbbeefe
zum 56. Bande der „Gegenwart“, sowie
zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwei Bände
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und vergoldeter
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden in allen
Buchhandlungen entgegengenommen.
©eraitttDorttifher Kebacteur: Dr. ßoUtng tn ©erlin.
Slebactton unb ©tfebttton: ©erlin W., SRanftetnftrafce 7.
©tuet bon treffe *
Digitized by
Google
*
im**)«
M 11 .
2$erCtn, 6m 17. jJKärj 1900.
Söod^enfd^rift für ßiteratur, fünft uttb öffentliches geben.
£etttit*0t0<6ett Don ^eopPU ^otfhtg.
leben fnnabeiib «fdjetnt (tu Hummer.
8« bqie$en burd& alle ©u<$1janblunßen unb $o|i&tniet.
S3erlag her (Segenaart ttt Serltn W, 57.
DUrtdfSbrltib 4 *. 50 #f. «ne Imwwr 60 »f.
Snferate jebet Ärt fcro 8 gehaltene $etttaette 80 $f.
$ie bereinigten Staaten, 3aJ)an unb Me $(tf4>ptnen. bon Expertus. — $)et gaH SBeingart. bon IRid^arb SSuIdoto. —
G* n /»/ (Sine 9?eform ber 33oIf3fdjuIe. bon taj 9ttat) (©eibelberg). — Stellte 9Mba unb ber (Soforaturgefang. bon ©ebn>ig oon
I/UOdLX* &riebtänber=?(bel. — gcutlleton. $>ie befe^rung. bon ©ut) be 5ttaupaffant. — Att$ ber iauptftöbt. Söibnev
C' T * unb Solbaten. bon Nemo. — $ramatifd)e Aufführungen. — Offene briefe unb Antworten: $)ev „Ue&ermenfd)'' unb baS
,,<Stoig4BeibUdje". bon brof. $aul £eint. — ftoti$en. — Anzeigen.
Die bereinigten Staaten, Japan nnb bie Philippinen.
Slnt 1. ÜJlai 1898 hotte ber ©ommobore ®emet) ber 23er=
einigten Staatenflotte mit bem ihm unterteilten Dftafien»
©efdjmaber, ohne Verhärtungen abjumarten, baS fpanifdje
StationSgefchmaber in ber Vai bon SHanila unter bem 2lb*
mirat SRontojo h Sopete angegriffen unb berfenft. 3h ben
bereinigten Staaten mürbe ber jum Slbmirat beförberte ßom»
mobore überfchmängtich gepriefen, ber Sieg, bei meldjem bie
Slmerifaner überhaupt Verlufte nicht erlitten, in ben |>immel
gehoben. SD?an erfuhr halb, unb eS mürbe fpäter beftätigt,
baß ber fpanifche Slbmirat mit feinen tteinen, mangelhaft mit
Munition betfeljenen Skiffen, bie übrigens bis auf eins, bie
Sorbette „©aftiäa", meldje bor bem @efecf)t auf ben Stranb
gefefjt mürbe, fämmtlict) aus ©ifen ober Stahl unb nicht ans
|>olj, mie bielfach berbreitet mürbe, conftruirt maren, nicht
in ber Sage mar, feinem ©egner entgegentreten ju fönnen.
Jur ben Stampf mit einer Seemacht mar baS ©efdjmaber,
aus ben Stationären jufammengejogen, nicht berechnet. Spanien
hatte jubent bie VertheibigungSmittel ber Vai bon SJianila,
mie bie ber Stabt felbft, trog aller Veridhte SRontojo’S, in
Dolllommen miberftanbSunfähigem 3 u ftanbe gelaffen, nidht
einmal eine SDfinenfperte mar borfjanben. Ürohbem aber
»ehrten fief) bie Spanier, nach Vernichtung ihrer g-lotte, in
Ulanila energifdf), unb nur mit tpülfe ber aufftänbifdjen ©in»
geborenen, bet fJitippinoS, gelang eS ben Slmerifanern, feines»
toeaS auf leichte Slrt, ben SBiberftanb ju brechen. ®er griebenS»
fhlufe mit Spanien führte baju, baß bie Spanier ben Archipel
räumten. ®ie Slmerifaner moHten bon ber Freiheit ber gilip»
pinoS nichts miffen, biefe griffen gegen ißre Vefreier ju ben
©affen unb tragen fie heute, faft jmei Saßre fpäter, noch
gänjlich unbejmungen. ®ie europäifhe ißreffe, fenfationS»
lüftern, baher ftetS nach bem fenfätionellften Object greifenb,
hat ben ganzen ^ß^tlipptinenftieg auf bie Seite gelegt, fomie
ber Sübafrifaftieg auftaudhte, unb fo lange bet noch Stoff
liefert, mirb man fiel) ü6er bie Vorgänge auf ben Vh^typiuen
nicht biet fütnmern. Unb hoch finb biefe Vorgänge nadh allen
SRidjtungen h'u fehr lehrreidh, fef)r intereffant unb bieten noch
baju biele gleichartigen fünfte mit ben Verhältniffen in
Sübafrifa.
ÜKan ift in ©uropa, unb, mie fidh gezeigt, auch tu
Smerifa, fehr geneigt, bie bermeintlidhe Superiorität ber
»eifjen SRaffe ganj gehörig ju übetfdhähen unb namentlich
aus fdjneUen, anfheinenb großen, meil blenbenben ©rfolgen
auch auf bauernbe ju fcffließen. ©hina gilt als ein boH*
fommen mehrlofeS Sanb, ähnlich benft man bon Siam,
Sirma, Korea. Silur Sapan läßt man gelten, hält eS aber
auch militärifh einer europäifchen SO?acE)t für nidht gemadjfen.
©emiß finb bie Vefi^ergreif ungen betriebener ©ebiete bon
©hina ohne großen SBiberftanb erfolgt, aber ber paffibe
SSiberftanb ift borhanben. ®aS Seben in Kiautfchau bietet
nichts meniger als angenehme Seiten, unb eS ift borläufig
redßt fraglich, ob fidjbie großen Hoffnungen auf bie ©rfchließung
©hinaS auch nut ä um ^heil in bie nadfte ißrajiS umfehen
merben. SSir motten bon ©hina, mie ber ©hinefe ganj richtig
bom fRothen Teufel meint, ©elb, ober mie mit fagen: SBir
motlen ©hina mirtf)fchaftti<h Slhatfächlid) aber ift
uns ber ©hinefe mirthfd)aftlich meit, meit überlegen. ®er
©antonefe Siang=©h’i»©h’ao führt aus, baß ber manberluftige
©hinefe, ber ju |> un ^ er ttaufenben unb SOlilliorten in baS
SluStanb gehen tann, ohne baS SKutterlanb ju entbölfern,
ber niemals ein ©apital mitnimmt, bodj ftetS felbftftänbig
mirb, jeben ©oncurrenten fofort als folchen bernid^tet uno
immer als ©apitatift mieberfehrt, ben ©uropäer in mirthfehaft*
lieber $infid|t im Saufe beS jmanjigften SahthunbertS total
fchlagett muß. Unb in ber Xh n b maS mürben beifpietsmeife
bie Verliner Varbiere unb Söaßhfrauen machen, menn ©hinefen»
barbiere unb *mäf<her ihnen Soncurrenj jum bierten Xheil
ber V re 'f e ober aud) nur jur Hälfte machen mürben? Unb
baS fönnen fie, ba man SanbSleuten auS Kiautfdjau bocfj
nid)t Hheile beS VaterlanbeS betfdjließen batf. Somie ber
internationale guhmftSftaat eingeführt ift, unb ber ©hinefe als
©leichberechtigter in ihm bertreten fein mirb, fann bie heutige
ülrbeiterfchaft nur einpacfen, unb ba fie baS {ebenfalls nicht
mill, giebt eS getabe um bie bielbefungene Snternationalität
2Rorb unb Uobtfchlag gegen bie Snternationalen, in biefem
gade gegen bie ©hinefen, benn man roiC gar nicht international
fein. ®ie Japaner haben unS bei ihrem raffen VormärtS*
fdjreiten in abenblänbif^er, moberner ©ultitr hohe Sichtung
abgenöthigt. SBenn ber „©ntmurf ber Dtobeüe rc.", bie
glottenbermef)tung betreffenb, bon bem gemaltigen ©ntmiefe«
lungSmege, ben baS ®eutfche 9teicf) genommen h°t, jiffern»
mäßig fpricht, fo ift bet ben Vergleichen mit anberen Sänbern
mohlmeislid) 3apan nicht herangejogen morben, benn ba fann
fein Staat mitfommen, meit fid| eben bort feit 1864 alles
je|jt Vorfjanbene, unb baS ift nicht menig, aus bem einfachen
Nichts entmidelt hat. 3n 3apan ift bie le|te Sdjranfe, bie
eS bon ben europäifchen Völfern trennte, gefallen: bie ©on*
Digitized by v^. ooQie
162
Die (Setjentoart.
Nr. 11.
fulargeridjtSbarfcit ift abgefdjafft, alle gremben finb bett
japanifegen ©efefteit unterworfen. (Sitt groger Schritt tor»
WärtS, bet ben gremben ben Dünfel ber Ue6erlegenfteit nimmt,
aber aud) ben SRiffionaren bie ^tuöfic^t, bie djriftlidje Stetigion
als bie einzig Wagre ben Sapanern mit faitftem Drucf auf»
brängen gu fönnen. Die japanifdje Gonftitution garantirt
©ewiffenSfreifjeit innerhalb ber ©rennen oon ©efeft unb Orb»
nung, unb bie SJfifftonare unterftegen heute beit SanbeS»
gefeften genau fo, mie bie Sßriefter ber Pubbgiften* unb Sdjinto*
Religion.
Pun aber finb bie Japaner unb bie gilippinoS eines
Stammes, unb eS ift gar nicht eingufegen, weggalb Sefttere
nicht biefelbe Sntelligeng entmiefetn fotlten wie bie Japaner.
SlllerbingS ift auf ben Philippinen bie tathotifche Stetigion
unb bie fpattifdje Sprache weit oerbreitet, aber baS finb feine
©rünbe, auS welchen man bie Philippiner für unfähiger
hatten fotlte, fich fetbft gu regieren. (SS wirft fef>r eigenartig,
ba& gerabe ber Slmerifaner, ber in feinem eigenen Öaitbe
einer recht großen 2Renge garbiget oon E)öd)ft gmeifelgaftem
SBertg Pürgerrecgte einräumt, fich QU f beit Philippinen ba=
gegen fträubt, jupgeftebeit, bah biefe intettigenten ßeute ge*
rabe fo gut regieren fönnett wie ÜRigger, SDtufatten, SReftigen,
Duabronen u. f. w. in ihrer ^eimatg, gufammen mit gabt*
reichen Sren unb Slbfömntlingen aller Pölfer GuropaS. Der
SBcrfehr SapanS mit bem Strdjipel batirt in gröberem SOtah»
ftabe erft feit bem Sah« 1880, unb Spanien, baS fid) über*
gaupt Wenig um bie Snfctn fümmerte, fcfjritt aud) bann nicht
ein, atS Sapan bie gWetfelloS fpanifcheit Ponin*3nfefn an*
nectirte. Grft ber Karolinenftreit machte bie Spanier mifj*
trauifch; gu ihrem SRachtgcil. Deutfdjlanb, feit längerer ßcü
im Pefift ber Karolinen, hätte Spanien währenb beS Krieges
nur ein angenehmer, neutraler Pacgbat fein fönneit.
Die Philippiner hat man gefliffenttich a(S bie grögten
geinbe ber Spanier, namentlich auch ber ÜRöndje hingeftctlt,
fotange fie fich nämlich nicht atS Weit heftigere ©egner ber
Stmerifaner geigten, demgegenüber haben bie ^yitippirtüö
mehrfach erftärt, bah fte burcfjauS feinen §ag gegen bie
Spanier hätten, benen fie PieleS oerbanften, unb bah bem
tgatfädjlich fo ift, bemeift bie oiet gewaltigere SRacgt, bie bie
Staaten attfwenben ohne baS ©eringfte gu erreidjen, währenb
gWeifeßoS bie Spanier mit ben Philippinern allein, wie fdjoit
fo häufig, jefet längft fertig geworben wären. 3 ur 3 c it beS
japanifdpdjiucfifcben Krieges fdjrieb gu SRabrib ber ©hef*
rebacteur don SRarcelo bei pifar, ein Dagale Ooit ber Snfel
Slipon, in ber bort erfcheinenben 3«itfd)rift „Sa Solibaribab":
„Die neu auftaudjenbe 5J?ad)t Sapan fanit nur bann für bie
fpanifdje tperrfegaft auf ben Philippinen gefäfjrlid) werben,
Wenn bie Philippiner biefelbe für unerträglich hatten. SBenn
aber bie Spanier in ihrer CEolonie eine Perfaffung eiitführten,
bah bie Philippiner feinen ©runb hätten, bie Unabhängigfeit
ihrer tpeimatg ber fpanifcfjen !perrfdjaft oorgugiehen, bann
würbe Sapan feine SlngiegungSfraft für bie Philippiner hefigen,
noch würbe Sapan auf ben ©ebanfen oerfallen, in bet fpani*
fchen Gofonie ein Object für feine GjpanfionSbeftrebungen
gu finben." Ob Sapan auf biefen ©ebanfen nun bod) aber
oerfallen ift ober nicht, mag bahingefteltt bleiben, aber eS fann
feine grage fein, bah bie Philippiner in ihrem SBiberftanb
unterftüftt werben, mag auch biefe grage infofent eine offene
bleiben, als eS fid) um baS „oon wem!" ganbelt. 3Ran werfe
einen Plicf auf bie 9Radjtmittct, weldje gegenwärtig bie Staaten
gegen bie Philippiner aufwenbeit. ©encral Otis, beffen oiele
Siege, bie er nach ber iwiwatg melbete, in gwei Sagren gu
feinem burchfchlagenben Grfolge geführt haben, oerfügt feit
bem 1. December beS Vorjahres über 2117 Officiere, 63 600
9Rann. DaS ift eine Slrntee, welche mehr als bie hoppelte
Stärfe ber gefammten actioen PunbeSarmee bei StuSbrudj beS
Krieges — fie betrug einfdjlieglid) Officiere 27 532 Köpfe —
beftftt, währenb gu Slnfang Pooentber nur 32315 Officiere j
unb SRannfcgaften fid} bort befanben, wo 2Ranila unb Um* |
gegenb eigentlich ber eiugige piaft ift, Oon welchem etwas oon
Pebeutung unternommen wirb. Die glatte befehligt, nach
Slbberufung Dewep’S gu feinem Driumph in Slmerita,^ ber
neue Slbmiral SBatfon; wie benn ber Krieg, obgleich baS
glotten material feitbem Wenig gewadjfen ift, im ©egenfaft gu
früher, unb man weih auch nicht rcd)t wofür, eine gange
SRenge oon Stbmiralen heroorgebradjt hat. Die glotte gählt
einunbbreihig Schiffe, barunter ein ©efrierfchiff, ein DeftiHit»
fdjiff, brei PorrathSfchiffe unb ein Kogleiifchiff. Die oor furger
3eit nod) üielfad) gerühmten SjoSpitalfdjiffe hat man, wie in
Patal — naef) §aufe gefchieft, auS bem einfachen ©tunbe,
Weil transportfähige Perwunbetc nach £>aufe gefanbt werben,
unb nid)t transportfähige eben an Saitb in ben 2agarttf)eu
bleiben müffen, wo fie minbeftenS eben fo qut aufgehoben finb
Wie auf bem’ ^ofpitalfcfpff. DaS ©efdjmabcr öerfügt über
gehn fleine Kreuger, eine Slngafjl Kanonenboote unb $ilfS=
freuger, gu Welchen man Kämpfer burch Seftücfung gemacht
hat. Sn ihm befinben fich bie ehemaligen fpanifchen Kreuger
„SSla be Suba", „3«da beßu^on" unb „Don Suait b : ?luftria",
bie Stbmiral DeWet) nadj bem ©efedjt oon (laüite heben lieh,
unb bie in .fjonfong reparirt unb umarmirt würben. GS finb
aber auch bort: S<hladjtfcf)iff „Oregott", pangerfreuger „®roc-
tpn", gWei grohe feegebenbe TOonitorS unb fünf gefthühte
Kreuger, für welche in Steferüe fünf Schiffe, baruntcr Schtadjt--
fdhiff „Sooa", unter ®efehl beS erft gerühmten, bann, nach
feinem Sluftreten in Samoa, berüchtigten „Deutfchen", SIbmiral
Kauft in San granciSco, liegen. GS fehlt an leichten Schiffen,
unb beftimmten ÜJielbungen nach wollte man Spanien ben
fReft feiner oielen, {feinen, einft bort ftationirten Kanonen»
boote abfaufen, hoch fteljen biefelben in ben meift ausführ*
liehen amerifanifchen glottenliften nicht.
2Benn eS nun auch eine gang ftattlidje Seemacht ift,
über welcfte ülbmiral SBatfon oerfügt, fo geigt ein 99lid auf
bie Karte beS SlrcftipefS oon über 1200 Snfetn, baft oon
einer Ueberwachung bet gaftllofen SBafferftrafjen ober gar einei
oöHigeit Slbfperrung ber 3 u f l, h r öon aufeen, gar feine Siebe
fein fann, unb bafj felbft ein foldjcr S3erfuch nur als 3 e ' t:
oerfd))oenbuitg ohne jeben 3wecf angttfehen ift, ber noch ^ fl gu,
wie ber 3?erlnft beS KreugerS „Gharlefton" im Vorjahr geigt,
leid)t bagu führt, bah bie Schiffe in bem fdjwierigen gahr»
waffer feftfahren. Dafe aber eine 3 u f u h r öon äugen ftatt»
finbet, mug fchon allein beghalb als feftftehenb angefeben
werben, weil'bie Philippiner bei ^Beginn ber geinblichfeiten
hoch unmöglich über einen ®orrath oon SDiunition Oerfügt
haben, ber Sahre htnburd) auSreid)te. Würbe in bem
dropenflima moberne SJiunition, namentlich ba geeignete
UntcrbringungSräume nicht oorftanben finb, nach fo langer
3eit unbrauchbar geworben fein. ©efteftt man gu, bah
SDZunition oon äugen h<t r ohne Schwierigfeiten einguführen
mar, fo finb auch anbere ©egenftänbe nach ben Snfeln ge»
langt, unb bie Slmerifaner fönnen noch Sah« f)tnburc^ mit
ungeheuren Koften gum Vergnügen aller anbern SRöffer mit
beit Philippinern Krieg führen, wenn fie burcfjauS nicht gu ber
Ginficfjt gelangen wollen, bag fie in bem für fte günftigftem
gälte einen fegt gweifelftaften ©ewintt einftreiegen. Sie er»
haften bann bie detrfefjaft über ein Polf, baS fegr wogt fich
feiner Kraft beWugt geworben ift, fteg niemals als Polf
nieberen PangeS beganbefn taffen will, unb wenn bann einft
Stmerifa niegt naeggiebt, unb baS fdjeint bei bem Ggarafter
beS nenften GulturoolfeS eitropäifcger Slbfnnft giemlicg fieger,
fo niug man bie aegt SJfiUionen gilippinoS einfach — auS*
rotten. DaS nennt man bann, ignen Pefreiung oom fpa*
nifegen Sod)e gebraut gaben. Expertus.
Digitized by v^. ooQie
Nr. 11.
Hie (Gegenwart.
168
Der /all DUeingart.
SBon Hidjarb lUuIcfom.
©or wenigen dagen ift ber preujjifd)e ©ultuSminifter
trogen feiner Haltung gegen ben ©aftor SBeingart im Slbge*
orbnetenljaufe interpeÜirt worben, IiberbieS wirb bemnädjft eine
lutljerifcbe SanbeSDerfammlung in fcannoDer oeranftaltet
roerben, fo baf? eg nicht überflüffig erfcheint, bie ^auptphafen
beS ©orgehenS gegen ben allgeniein beliebten Pfarrer SBcin*
gart an ber Warienfirdje zu DSnabrücf auf ©runb oon Steten*
ftüden Porjuführen. der überaus betrübenbe ©otgang bat
ni^t nur in ber engeren ^eimath SBeingartS, fonbern in allen
wahrhaft proteftantifcb benfenben unb fii^feitben Steifen bie
le&fjaftefte (Srregung hcrüorgerufen unb wirb oorauSfichtlidj
mit ber im Sanbe perlnufenen ^Interpellation wobt noch nicht
erlebigt fein. dafür bürgt allein fd)on bie c XE)rttfacf)e, bafs
bie an ben SultuSminifter gemachte (Singabe behufs ber
Sietablirung SSeingart’S oom 28, decentber 1899 innerhalb
einer SBodje pon mehr als 11000 ©nwohnern ber Stabt,
b. h- oon faft *l b aller erwacfjienen Witglieber ber beiben
(utherifchen ©emeinben CSnabrücfS unterzeichnet würbe.
©on ber ®emeinbe geliebt unb hochoerehrt, gilt SSein*
gart als ein wahrhaft Don feinem ©eruf burchbrungener geift*
Poller dfjcofog, als ein treuer liebenSwertljer Wenfcf) unb oor
Slflent atS ein gemiffenfjafter Seelforger feiner ©emeinbe, auf bie
er burih feine ganze ©erfönlidjfeit unb nicht zunt Winbeftcn
burch bie üfrerzeugenbe Sraft unb SBärme feiner SKebe einen
bebeutenben ©influfj auSübt. SllS ein Wann, ber fief) feine
religiöfen Ueberzeugungen in reblidjem Wichen erworben
hat, fuchte et biefe auch in feiner amtlichen SBirffamfeit zu
betätigen, unb fo traten biefetben auch an oerfchiebenen
Stehen feiner Spnobalprotocolle in einer ber ftarren Drtljo*
bojie untiebfamen SBeife Ijeruor unb erregten SBibecfprud).
So proteftirt er z- -8. bagegen, bafj ben ©emeinben jetzt fo
oft in ©ebeten ber „teufet", ber „Satan" oor bie Slugen
unb oor bie Seele geführt wirb, ba er finbet, ba§ für ©iele,
zu benen audh er fich rechnet, ber „Satan" im ©ebet uner*
baulich unb anftöfjig wirft. @r fagt wörtlich: „bafj aber bie
©eftatt beS deufelS in unfern finbüdjen ©ebeten zum bimm*
lifdjen ©ater alte Slugenbtide erfcheinen muffte, begreife ich
nicht. Sd) benfe, felbft diejenigen, bie an eine leibhaftige ©e*
ftalt beS 9iabical*©öfen in grobfinnticher SBeife zu glauben
oermögen, fönnen ihn ficherlich gerabe im anbädjtigen ©ebet
entbehren!" Studj mit ber ©ezeidjnung „Sammerthal" als
Srbe, als Sd)auplah unfereS SBirfenS fann er fid) nicht 6e*
freunben. „gür mid) unb Diele daufenbe ift bie (Srbe trofc
aller ©ünben unb Seiben fein Sammertijal, fonbern, wie baS
ganze SBeltaU, bie Stätte göttlichen SBaltenS unb DffcnbarenS.
Öerr, bie Srbe ift DoH deiner ©üter!" Solche liberalen Sin*
fefjauungen, bie öfters z u £age traten, aber ftetS in herzlicher,
freunblidher gorm geboten würben, würben ber hannoDerfchen
prthobojie immer unbequemer, bis eS zur „diSciplinarunter*
t’ud)ung gegen ben ©aftor SBeingart" fam. die entfeheibenbe
Sifsung bcS Sö'nigl. SonfiftoriumS zu ^»annooer fanb am 16.
3uni 1899 ftatt; baS Srfenntnijj hatte folgenben SBortlaut:
..Ser ©aftor SBeingart in DSnabrücf wirb fdjulbig erfaitnt,
eine Don bem ©efenntnifj ber £>annoberfd)en eDangelifdpluthe*
rifdjen SanbeSfirdje abweichenbe fubjectioe theologifcfje Stuf*
faffung in feiner amtlichen dfjätigfeit in mehreren fallen
Zum SluSbrucf gebracht zu haben. Wit ©üdfid)t auf bie Dor* •
liegenben befonbern Umftänbe unb im fttnblicf auf bie Don
bem Slngefdjulbigten abgegebenen Srflärungen unb ßufidje*
rungen ift Don ber in Antrag gebrachten SlmtSenthebung ab*
gefeijen, unb auf einen ernfteit ©erweis erfannt worben,
der Slngefdjutbigte hat bie Soften beS ©erfahrenS gcmäfs § 37
beS ©efejjeS Dom 24. Slpril 1894 zu tragen." Stuf bie „Snt*
idjeibungSgrünbe" fönnen wir unS an biefer ©teile nicht ein*
laffen, wir möchten aber bie gewif? fehr zahlret^ect Sefer
biefeS ©latteS, bie bem ©ange beS SejjetprozeffeS aufmerf*
fam gefolgt finb, bringenb erfuchen, fich We foeben im ©er*
lag ber ©adhorft’fchen ©uchhanblung in DSnabrücf erfchienene
©hrift: „der ©rozefe SBeingart in feinen öauptactenftüden
mit ©eilagen" zu Derfdjaffett unb biefelbe mit Slufmcrffamfeit
ZU lefen. Sie werben bann zunächft bie Uitlogif unb $aben*
fdjeinigfeit biefer SutfcheibungSgrünbe mit hanbgreiflidjer
dcutli^feit erfennen, ferner aber bie Ueberzeugung gewinnen,
ba& hinter biefem „ernften ©erweife" bereits ber „dragöbie
Zweiter dheü", bie Döllige SlmtSenthebung beS ehrenwerthen
WanneS flar zu erfennen ift. denn man befchränfte fich hei
biefer erften ©erfjanblung gegen ihn nicht auf jene erwähnten
Spnobalptotocolle, fonbern man zog audj fogteich anbete
„Slbweichungen Dom Sefenntnifc" hinein, bie man einer forg*
fältigen Seetüre feiner eingeforberteit ©rebigten entnommen
haben wollte. Sinfttoeiten begnügte man fich inbeffen mit
bem ernften ©erweife. ©egen biefe Strafe legte nun im
Stamen beS Slngeftagten ber ©ecfjtSanwalt ginfenftäbt ©e«
rufung ein, bie er in lidjtDolIer unb überzeugenber Sßeife be*
grünbete. Slber auih ber ©ertreter ber Slnflage hatte ©e*
rufung eingelegt, ginfenftäbt berührte babei zugleich ben im
erften Srfenntnifj bereits herDorgehobenen ©unft ber Sin*
flage, ber fich 9 e gen bie in Sßeingart’S fester Dfterprebigt auS*
gefprochene Slnfchauung über bie leibliche Sluferftehung beS
.^ceilanbeS gewanbt hatte. SBir werben Weiter unten ben
Wortlaut ber betreffenben Stelle auS ber angefochtenen Öfter*
prebigt folgen laffen, unb bemerfen ^ier Dorläujig nur ganz
furz, bah SBeingart fich bie fTeifdjtiche Sluferftehung beS SeibeS
Shrifti im buchftäblichen Sinne beS SBortS nicht Dorftellen
fann, fonbern einen Derflärten „Sidhtleib", ben er bie Sünger
mit ihren feelifdjen Slugen thatfächüch erbliden (äfjt. dafe
ber $err in Sichtgeftalt auferftanben unb Don ben Süngern
gefehen unb als ber Sebenbige Don ihnen erfannt fei, ift Don
SBeingart nicht nur nicht geleugnet, fonbern ein ©egentheil
mit aller greubigfeit unb fjeftigfeit religiöfer Ueberzeugung
als baS wahrhaft ©ofitiDe unb religiös SBirffame, als baS
echt fjunbamentale beS DfterglaubenS änerfannt unb Der*
fünbigt worben, diefe Sluffaffung, bah bie SBahrnehmung
nur bem geiftigen Sluge möglidh gewefen, ift feiiteSwegS eine
baS ©efenntnifj profanirenbe, im ©egentheil, fie ergiebt eine
geläuterte Slnfchauung beS Herganges, bei ber fchümme ßmeifel
befeitigt werben, in Weldje Wenfchen Derfatfen müffen, bie fich
eine fteifdjliche unb hoch organifche ©jiftenz beS auferftanbe*
nen fceilanbeS nicht Dorzuftellen Derntögen; unb bei ber bie
SBiberfprüche gelöft finb, in benen fich bie Wittheilungen ber
©Dangelien nun einmal befinben. @S trat nun baS Äönigl.
SanbeSconfiftorium am 9. Sftoobr. d. S- zufammen unb Der*
hanbelte gegen SBeingart in beffen perfönli<her SlnWefenheit
unb im ©ciftanbe beS genannten ©echtSanWaltS giufenftäbt.
daS ©rfenntnife lautete: „Unter ©tattgebung ber Dom ©er*
tretet ber’Slnflage gegen bie ©ntfdjeibung beS hefigen Sfönigl.
(SonfiftoriumS Dom 16. Suni 1899 erhobenen ©erufung unb
unter ©erwerfung ber ©erufung beS Slngefdjulbigten wirb ber
SIngefchulbigte zur Strafe ber SlmtSenthebung Derurtljeilt, in*
bem ihm gieidjzeitig gemäfe § 36 beS diSciplinargefe^eS baS
Dolle ©uhegefjalt beigelegt wirb, die baaren StuSlagen beS
©erfahrenS fallen bem Slngefdjulbigten z i, r Saft." Unter
ben wieber fehr ausführlich bargelegten ©rünben ber ©er*
urtljeilung werben amtliche Sleufjernngert SBeingart’S auf*
geführt, burch bie er fich ben ©erbacht gebracht ho&en
fotl, bezüglich ber ©rbfünbe unb ber ©ünbe überhaupt, fowie
ber ©ottheit (Shrifti, ber Wenfchwerbung beS SohneS ©otteS
unb ber Sluferftehung ber dobten mit feinen Slnfchauuflgen
Don ber ^ircfjenlehre abzuweichen, in einem galle and) burdh
©erwerfung beS ©ebets zu Sefu thatfächüch Don bem ©e*
fenntnife ber ftirche abgewidjen ift. (diefer ©orwurf bezieht
fich barauf, baff SBeingart gegen bie häufigen an bie ©erfon
$>efu Shrifti gerichteten ©ebete rcligiöfe ©ebenfen geäußert
hatte, ba nach Gh r M'ü eigenem SBorte: „SBenn ihr betet, fo
betet alfo: ©ater unfer" baS ©ebet fich an ®°tt ben ©ater
Digitized by v^. ooQie
164
Die (ftegentoati
Nr. 11.
tuenden foße.) aber mitb if)m — unb barauf fcfjeint
baS Schmergemicht ju fallen — jum ©otmurf gemalt, bafj
er in jmei am erften Ofterfeiertage unb am JpimmetfaljrtS*
fefte 1898 in OSnabrüd gehaltenen ©rebigtert burd) Steufje*
rungen über bie 9tufetftel)ung unb Himmelfahrt 3>efu
©h^ifti fich mit bem ©elenntnifj ber Sird)e in SBiberfptuch
gefegt h at -
©aS 91ctionScomite in ber Sache SBeingart hat ben
91ctenftüden ber oben ermähnten Schrift bie angefocf)tene
Ofterprebigt beigefügt unb baburch einem Seben (Gelegenheit
geboten, fich barübet ein Urteil ju bilben, maS bie hanno«
Derfdje Orthobbjie unter „SBiberfprucf) mit bem ©efenntuifj
ber Kirche" Derfteht. (SS märe eine gute, hochberbienftlidje
©hat beS (SomiteS, menn eS biefeS h crr ^<^ e f non ber SBeifje
echten unb gerechten ©roteftantenglaubenS bictirte ©ocument
in Dielen ©aufenben Don (Sjemplaten burch ganj ©eutfdjlanb
Derbreiten liehe. @8 lann feine fprecbenbere Sßuftration ju
bem Sßerbict beS Königlichen SanbeSconfiftoriumS ju Hannooet
aebacht merben, als biefcö marrnherjige, glaubenSlreue ©e=
ifenntnifj eines lutherifchen ißaftorS, bem eS tiefes Sebürfnifj
ift, bie gemaltige ^eilst^at 3efu Gljrifti feiner ©emeinbe fo
recht einbringlich in’S H er ä ä u präg«”- „Sagt“, fo ruft er
auS, „marnm bticft unfer Shriftenauge fo glaubcnSDoß jum
Kreuj empor, am liebften bann gcrabe, menn eigenes Kreuj
unS brücft unb beugt? SBarum? SBeil es einen lobten barait
hängen fiel)t? Nimmermehr, meil bei folchem 9tnbtid unfer
Hetj im Stillen jubelt: „üjd) meifj, bah mein (Srlöfet lebt!"
3dh meih, bah aus bem büftern ©reiflang „gefreujigt, geftorben
unb begraben" ein hefleSgreubenmottheroorgebrochen ift, mieauS
SSinterftürmen baS grühlingStoehen, mie aus ber Nacht ber lichte
SNorgen: „am britten ©age mieber auferftanben uon ben ©obten!"
®ie grage, mie bieS „auferftanben" ju faffen ift, hat bie
SNenfdjheit ju allen 3 e *ten auf’s ©iejfte bemegt, unb jeber
ehrliche unb benfenbe ©ljeologe h nt ihr ein forgfameS Studium
gemibmet. SSJeingart hält fich, mie Diele feiner ©erufSgenoffen,
an jenen gröjjten biblifdjen ßeugen, ber unter 9lßen ben
Ofterereigniffen jeitlid) am nächften ftanb, bet juerft ü6er
Sh^fti ^luferftefjung fchrieb unb am beften fähig ift, auf
unfere grage 9(ntmort ju geben, — baS ift ber 9lpoftel
©auluS unb baS 15. (Japitel feines 1. KorintherbriefeS.
©emnad) ift golgenbeS gesehen. Sßenige ©age nach bem
KreujeStob ift ber Herr an oerfdjiebenen Orten, unter Der«
fd)iebenen ©eftalten (mie bie (Suangetien berichten) fomohl
bem SüngerfreiS, mie auch fielen anberen feiner ©läubigen
erfchienen unb jmar auf ganj biefelbe SBeife, mie jule^t —
mehrere Safjre fpäter — bem ©auluS Dor ©amaSluS. ®ie
SSahrheitStreue beS SlpoftelS unterliegt nicht bem minbeften
gmeifel. Sein Dötlig neues Seben nach bem ©age Don
©amaSfuS, fein tief innerlicher SfjriftuSglaube, fein ganjeS
91poftelmerf mit feinen beifpiellofen 9Nühen unb (Srfolgen
grünbet fid) nach feiner eigenen, oft mieberholtcn ©erfichc«
rung auf (Shnfti 9luferftehung. (Sr ift tief burebbrungen Don
ber ©emihheit, bah er feinem ©obten, fonbern einem Seben«
bigen bient, ebenfo bie anberen 9lpoftel. Salb nach bem
Hinfeheiben Sefu, baS bie Hetzen ber Seinen fo tief gebeugt
unb aß’ ihr Hoffen auf bie ©rlöfung SfraelS niebergefchmettert
hatte, ift in ihnen ber fefte ©laube ermacht: „(Sr lebt!"
©iefer ©laube ber erften SSüngergemeinbe an bie üluferftehung
beS Herrn ift nach SBeingart’S tieffter Üeberjeugung eine un«
umftöjjliche ©efchidjtSmaljrheit. Nachdem er nun in feiner
angefeinbeten Ofterprebigt biefe ©inge flar unb toürbig bar«
gelegt, fährt er mörtlid) fort, mie folgt:
„Unb ber ©ruitb biefeS ©(aubenS? Sir Ijaben ben $errn ge^
Jeljen!" Unb inte fie i^n gejefjen höben, tuie p e feine Stimme gehört
unb feine 9?ahe tröftlidj gefpürt, ba^ eben Iä&t un3 $auiu§ na^ feiner
eigenften (Erfahrung au§ feinen eigenen Sorten ertennen ober hoch
mentgftenS ahnen: bort bei 2)amaöfu§ ^at be§ Herren ^errlichfeit ihn
mie ein Sicht Dom $immef umieudjtet, unb fo ift ber Wuferftanbene
auch oon ben anberen Qüngern juöor gefehen morben. 9Jun, meine
Jreunbe, ba finbet unfer Oftergfaube gar fefteu ^öoben unter fich-
5)a mar nichts S^bifdjeS, nid)tS SrteijchlidjeS mehr an ber (Srfdjeinuns
Shrifti, benn — baS fmb $auti ffarfte Sorte — benn „gleifih uitf
©lut formen baS fReich ©otteS ni^t erben unb baS ©erroefcliche fonn
nicht erben baS UnDermeSliche." 3)eS Herren miiber ©Tbenleib, am
ftreuä ju ^obe gemartert, er ruhte fanft unb frieblich bort im (%cb
Staub ju Staub, aber — mar benn biefer ßeib ber $err? 9?ein, „-be:
t err ift ber ©eift", mie ^autuS auf ber ^öc^fteit Stufe ber chriftlidfcn
rfenntnih jubelt, unb fo hut baS geiftige Sluge ber begnabeten jüngt:
^eiftigeS gefchaut; ber (ShriftuS nach bem ©eift, ber nerflärte himm
lifche, jum emigen Seben auferftanbene ©h^ftuS h<*t ftch im Siiblleib,
ber nichts Don ©rbenmefen mehr an fich trug, ihnen funbgethen «nj
feine Cfterherrlichfeit offenbart: „ich lebe". Vluf bie Srage, mie fcaö ge
fchehen ift, antmortet Seingart furj unb ehrlich: „Sir miffen’% tu 6!
unb merben'3 nie ergrünben. 3ebe ^Dfenfchcnfecle h at ihr ©eheimml
2)och genug, ba§ fie (bie Me ben Herren gefehen) eS toufetu,
bap Re in biefer ©emifcheit nach an T bem troftlofen ©hörfreitagSjamiwr
bie meltüberminbenbe $raft beS ©laubenS an ben ©efreujigten unb?lr
erftanbenen unb Xroft unb Seligfeit gefunben höben, genug, bafc fie te
£fteroffenbarung al§ panier be§ ©DangeliumS meitertrugen:
w Sir fagen’8 Qebem, ba& er lebt unb auferftanben ift,
^afc er in unj'rer ®?itte fchmebt unb emig bei un« ift."
Unb nun frage ich ®uch, meine S^unbe, ift ba« nicht 5bern unb Sters
be« Cftergfauben« auch für un«, bafc er in unferer TOitte fthmein
unb emig bei un« ift? Sir laffen gern bie in grieben unb i$m
©lauben« fröhlich leben, bie mit Xh°öta« in mohlgemeintem fleifchlicfcen
©ifer erft ihre ginger in be« Herren Sunbenmale legen mollen, ehe fu
an feine ^luferftehung glauben fönnen, ihr ©taube foH un« heilig fein’
Senn aber anbere uno bod) mohl ebenfo ehrliche ©h^P en R4 Qn ^
Sort holten: „Selig ftnb, bie nid)t fehen unb hoch glauben", wenn f;t
nid)t ben fleifchlid) ?luferftanbenen gleidjfam erft ju betaften bmudjtn
unb bod) be« Ofterglauben« au ben Seben«fürften ficher finb, wenn fie
mit $aulu§ fid) be« £>errcu im Sinne geiftiger ©rfahrung freuen un:
feiner Seben«mirfung ihre Seele öffnen, fo fiehen fie hoch mahrlid) audj.
ja gerabe erft recht, auf bem $el« ber §eil8gef<hichte, ben ©h^iftu« felbi
gegrünbet, ba er fprach: 34 lebe! ©r fprach T 8 ju feinen 3ünaern in
ber 9?a<ht, ba er Derrattjen marb, ba er bereit« in fdjonungölofcr
mifiheit §UIe« fommen fah, mie e« nach feine« ©otte« ätathfchluh fomnur
foüte bi« jum lebten Sterbefeufjer am Äreuj. ©r fprach’« unb er fonnte
e« nur fpred)en, meil er fich beroufet mar: 5)ie SRechte be« Herren behSl:
ben Sieg."
©iefe Steße aus Sßeingart’S Ofterprebigt Don 189s
festen toir l)er, um feilten ©on, feine 91 rt unb bie SEBätme
feines (SmpfinbenS an einigen furjen Säuert barjufteßen,ja
gleich aber auef), um ben Hauptanflagepunlt gegen i^n, fei*
9luffaffmtg Don ber 9luferftel)uug S^rifti, mit feinen eigenen
9Borten ju djarafterifiren. 2öer biefe Cfterrebe im 3 u f Qmn,CEl
Hange lieft, bem brängt fidE) unabtoeiSli^ bie Ueberjeugunc
auf, bajj mir ^ier einen toaljrfjaft frommen, treuproteftan«
tifdjen Ntann Dor unS Ijaben, ber jmifc^en ©uc^ftaben uni
©eift, jmifc^en ©ergänglic^em unb ©leibenbem in ber eöange«
Ufcf)en ©ertiinbigung unb in ben ©efenntniffen ju unter»
fcfjeiben mei§ unb ber in ©emutl), aber mit aßer ©ntfd^iebcn»
Ijeit baS Nedjt für fiel) unb feinen Stanb in 91nfprucf) nimmt,
feinen religiöfen Ueberjeitgungett burc^ ernfte e^rlic^e üBiffen»
fefjaft Halt unb Stüljc geben ju bürfen. @r lebt ber lieber I
jeugung, baß greifjeit unb grömmigfeit, SEBiffenf^aft uni
©laube leine unDerföljnlicf|cn ©egenfäge finb unb bleiben
lönnen; menn er baljet auS ©rünben feiner miffenfdjaftlicfien
Ueberjeugung feiner ©emeinbe nicht bie finntid) ma^rnebm^
bare 91uferftef)ung Ghrifti unb bie 28ieberbelebung feines:
irbifeffen SeibeS glaubt oetfünben ju bürfen, fo leitet er bie»
Ned^t auS bem unanfechtbaren Safo l)« 1 '. ba% eine im juriftifdjen
Sinne Derftanbene ©erpflidjtung auf ben ©uchftaben uneuange-
lifcf) unb befenntnifemibrig fei unb beftljalb nicht Don i|m
gefordert merben dürfe.
©ie gemaltigen Kundgebungen gegen baS gegen 3Sem>
gart gefällte Urtheil, Don bem aud) unfere Sefcr feiner 3 e ‘ ,;
Kenntnife genommen haben, entftammten nidht nur ber treu,
an ihrem Seelforger hangenden ©emeinbe ober bet Stabt
OSnabrüd, fonbern ben meiteften greifen innerhalb unb aufjet» i
halb ber ©renjen beS hannoDerfdjen CanbeS. Sie proteftiren
laut gegen bie 91mt§entfefcung beS Derehrten SNanneS, ber
megen feiner aßgemein ancrlannten Dortrcfflichen 9(mt$fül)=
rung unb feines malellofen SBanbelS fich meitgehenbe 3Bertfj»
fd;ä^ung unb Siebe ermorben hat, unb fehen tn bem Urtheil
eine „©erleugnung beS ©eifteS ©Hfifti und einen 9lbfa(I »un
Digitized by v^ooQie
Nr. 11.
Die töetjcnwart.
165
ber ^Reformation." Sine tum tanfenben unb taufenben Unter*
fdjriften bebecfte Singabe an baS preuhifcf)e SultuSminifterium
um Hufhebung ober SIRilberung ber ©träfe ift infofern otjne
Srfolg gemefen, als ber SultuSminifter ©tubt eine baf)ingei)enbe
Hntmort ert^eitte, baff er fid) ntdjt oeranlafjt fefje, bie Huf*
Hebung ober SRilberung ber diSciplinarftrafe im ©nabenmege
herbeigufugren. Unb als bann eine oon 11000 UnterfTriften
bebedte Singabe ber angefeljenftcn SRitglieber beiber eoangelifd)*
lutgetifcljen ©emeinben DSnabrüdS am 28. december pr. in
berfetben Hngelegengeit an bcn ißr. SultuSminifter abgefanbt
rourbe, immer noch in ber Hoffnung eines befriebigenben
HuSgangeS, ba fanbte biefer einfach bie Singabe an bas
hannoüerfdje SanbeSconfiftorium guriid.
dafj bie Interpellation im ißreufeifc^en Hbgeorbuetenf)aufe
eine günftige SBenbung ber traurigen Hngelegenfjeit zeitigen
mürbe, mar bei ber 3ufammenfegung biefer Jtörperfdjaft !aunt
anguneljmen, nodj meniger aber, baff ber 3Winifter in günftigem
©inne für Sßeingart eintreten mürbe. Sr tjat bentt aud) richtig
bie ©ad)e als eine erlebigte beganbelt — Roma locuta!...
Unb gerabe auS biefem ©runbe müffen immer meitere nnb
weitere Steife für biefe Ijodjmidjtige ©emiffenSfad)c intereffirt,
bie öffentliche SReinung immer mcljr mit ben oorlicgenben
£jjatfadjen befannt gemalt unb für einen miirbigen HuS*
gang biefeS für bie gange proteftantifdje Sirene im t)öd)ften
©rabe unheilöollen SonflicteS gemonnen merben. dreue eoan*
gelifcfje Sljriften, bie iljtc Sird)e herglich lieben, ertennen in
biefem gälte mit ©taunen unb Trauer, baff liier mieber ein*
mal gum grofjen ©c^aben ber Singe ber Verfud) gemacht
mirb, baS 3od) beS VucgftabenS aufguridjten unb ein unbulb*
fameS ißrieftertfjum unbefdjränft matten gu laffen. 9Ran
oergegenmärtige fid) bodj, bah bei ber Vehanblung ber Hn*
gelegenljeit in ber tjjannooerfdjen SanbeSftjnobe ber fReferent,
Pfarrer Sljappugeau, im JRamen oon über 100 ijannooerfetjen
©eiftlicgen gegen jebe Verpflichtung auf ben Vuchftaben ber
SBefenntniffe ober gar auf bie Rheologie ih rer Verfaffer pro*
teftirte unb es bettagte, baff bie ©eifttidjen ber protefiantifdjen
flirre fo fet)r unter ber Verfcbiebcngeit ber Auslegung gu
leiben hätten. Sr fclbft glaube nicht, baff ein eingiger ©eift*
liehet unferer SanbeSfitdje gu finben fei, bet fein 3a unb
2tmen gu jebem eingelnen Sage unferer Velenntnihfdjriften
fagen mürbe! 3Ran foHte hoch glauben, bah gegenüber einem
folgen competenten SBorte jebet ernfte eoangelifche Shrift bie
SBeingart’fdhe Sache für feine eigene anfehen unb mit alten
Sräften bem ©cifte beS VefenntniffeS freie Vagn fdjaffen
müffe, ftatt ben Sampf für ben Vuchftaben burcf) Säffigfeit
unb Apathie gu unterftügen. daS .'pannoüerfcge Sonfiftorium
hat eine fo ftare Situation geschaffen, bah SRiemanb fortan
mehr im 3 tt,e ifef fein tann, maS bie ortgoboje Rheologie
unter Vefenntnihtreue oerftegt. SS mar bähet nur in ber
Drbnung, bah baS in Srefelb erfcheineitbe „Sbangelifdje ©e*
meinbeblatt für fRgeinlanb nnb Söeftpfjalen" in gmei auS*
führlidien Hrtifeln oom 24. december 1899 in fdjarfer
itonifcher Sßeife baS §annooerfd)e Sonfiftorium gu feinem
Srfolge begliicfmünfchte. denn nun feien folgenbe $rincipien,
bie bisher nur als Sßarteiboctrin galten, biirdj bie beiben
üorüegenben Srfenntniffe gegen SBeingart fanctionirt morben:
„3Ser fich auf bie Velenntniffe oerpflichtet, binbet fid) an bie
barin formulirten Sirdjen legren. SJ?ic£)t etma nur fo, bah er
lieh im ©tauben, in ber religiöfen §ergenSftimmung mit ben
alten Vefennern eins miffen mühte, ober nur fo, bah er fid)
burch bie Unterfdjrift unter bie reformatorifdjen Sonfeffionen
otS treuen, aber auch treu mit ben feiten fortgefchrittenen,
echten Sünger ber ^Reformation belennte, baS HlleS genügt
nicht. 3Ran muh aufjer ben religiöfen ^ßrincipien ber Ve*
lenntnihfcgriften auch bie gormulirungert fid) aneignen, bie
bie alte Sirdje unb baS fechgehnte Sagrgunbert ausgeprägt
haben. Huf bie gleiche ißrägung foutmt eS an. dafj man
ftch bemüht, auS oem gleichen ©djadjt baS gleiche SbclmetaU
ju heben, baS genügt leineSmegS, fonbcrit eS müffen bie alten
gunbamentc unb ber Vucgftabe ber alten Velenntnihlehren
treulicgft anerlannt merben, ohne fRüdficgt auf ben gortfegritt
ber 3eit unb ber SBiffenfdjaft, ohne SRüdfkgt auf bie perfön*
lieg burch treue Hrbeit ermorbenen Uebergeugungen."-
SS mar oon jeher eine oerhängnifjoolle ©d)mädje ber
eoangelifchen ftirdie, bah ber Äarnpf um baS 2Bort tief*
gehenben Streit unb $aber brachte unb ber heiligen Sache
beS ©laubenS unermeflichen Schaben gufügte inbem er ben
gufammenljang ber ©emeinfdjaft loderte unb löfte unb ihre
beften Strafte gesplitterte ober gar Oerfeinbete. ®aS golbene
lateinifche ©pridjmort, bah i m 5Rothmenbigetl Sinigfeit, im
ßmeifelljaften greiheit malten müffe, (in necessariis unitas,
in dubiis libertas) hat für bie eoangelifche Äirdje ebenfalls
nur bem Vud)ftaben nach ejriftirt. Solche unheilooDen Sr*
fdjeinungen, mie „ber gaH SSJeingart" lehren bei uns mit
unfehlbarer Sicherheit oon $rit gu geit mieber unb ftetS
trugen bie Soften beS .jpaffeS unb ber Verfolgung diejenigen,
melche fich freimüthig gu bem belannten, maS fie in innerster
Seele als SBahrheit ’erlannt hatten. 3ebör eingetne berartige
Vorgang berftärft bie bereits in fmh em 9J?afee Oorhanbene
ftumpfe ©leichgiltigleit gegen bie hödjften Sntereffen unb
mirlt fomit auSgefprodjcn cntfittlidjenb. diefer unerträgliche
unb unmürbige guftanb barf nicht in V ermancn ä ertlärt
merben, menn uns eine mahrhaftige unb lebenbige SReligiofität
nod) am bergen liegt; mir bürfen nicht mit Derfd)räntten
Hinten gufchauen, mie burch Verlegerung unb Verfolgung
eble unb übergeugte Hnljänger ber proteftantifchen Sehre oer*
fehmt unb befeitigt merben, unb baburdj bie ©leidjgiltigleit
gegen religiöfeS denlen unb Urtljeilen immer mehr im Volte
genährt mirb. Ipier tann nur eine heilfame Henbetnng ein*
treten, menn bie baS Shriftentfjum barftellenbe Stircge fich
ernftlidj unb ehrlid) entfchlieht, baS SRotljmenbige Oom
fälligen gu fonbern unb baS ftarre gefthalten am Vuchftaben
fallen gu laffen. Sie muh fich *> et fchörteti VJorte beS un*
oergehlichen ÄaiferS griebrid) erinnern, bie er als Sronpring
im September 1883 bei ber SBittenberger Sutherfeier als
Vertreter feines hohen VaterS fpradj. Sinbringli^ forberte
er bie ißroteftanten auf, „allegeit eingutreten für baS eüan*
gelifd)e Vetenntnih unb mit i|m für ©emiffenSfreif)eit unb
dulbung." Unb bann fagte er mörtlid): „SRögen mir ftetS
beffen eingebent bleiben, oah bie Straft unb baS Sßefen beS
VroteftantiSmuS nicht im Vuchftaben beruht unb nicht in
ftarrer gorm, fonbern in bem gugleidj lebenbigen unb
bemüthigen Streben nach ber Srtenntnifj chriftfi^erSBahrheit."
Unb nun bieS tief traurige ©cf)aufpiel ber Sntfegung eines
treuen, mahrheitliebenben unb malellofett ©eelforgerS! Unb
mie armfelig bie gönn biefer Verfolgung! können folc£)e
Vorgänge bie Vethätigung unb Vertiefung baS maljre Shriften*
thumförbern? ®aum mirb ein ernfter ÜRann ben üRuth finben,
bieS offen gu bejahen. HDe jene unerfreulidjen Srfd)einungen
oon Unbnlbfamfcit unb Verfolgung, bie mir in ben legten
gehn Saljrcn innerhalb unferer proteftantifchen St'ird)c erleben
muhten, haben bie 3 a ht 2)erer gemaltig oergröhert, betten
baS Seben unb Vorbilb unfereS IpeilanbeS baS eigentliche
©otteSthum bebeutet, benen aber ^>ah unb Verfolgung um
beS VudjftabenS miflen ein ©reuel ift. 2BaS man jegt als
Shriftentljum ober chriftliche Sehre gu oerftef)en gemognt ift,
ift fein reines ©otteSthum, fonbern nichts als üon fpäteren
SDleitfchen lonftruirte Sehren, — SUrchentljum. dies SUrd)en*
thum, mie pietätooH man eS auch betrachten mag, gehört
gleich bem Subenthum ber ©efdjidjte an, fteüt aber nicht
bie ernig fortmirfenbe Sehre unb baS geiftige Vilb beS
^eilanbeS bar. §ier tritt bie alte unOermeiblidje grage
mieber in ihrer tiefen Veredjtigung oor unS hin, ob eS guläffig
unb richtig ift, nod) immer bie gacuttäten ttnb ihre Sehre
fomohl, als auch oor HUetn bie ©eiftlichen an baS foge*
nannte Hpoftoüfum gu binben. der grofje tiefgrünbige
Äentter ber Sirdjengefdjichte, «ßrof. Hbolf ^arnad in Verlin
hat in feinet belannten Schrift: „daS 9lpo|tolifche ©laubenS*
Digitized by v^. ooQie
166
Die (Gegenwart
Nr. 11.
beten ntniß" unwiDerfpredjlid) nadjgewiefen, baß biefeS ©tjnibol
mit ben 2lpo[teln niti^ts ja tf)un f>ot, baß eS ein Srjeugniß
fpätercr 3 e >t ift uitb bat)er auf eine bud)ftäbtid)e ©erbinblicpteit
feinen 2lnfprudj ergeben fann. So ift, um nur ein ©eifpiel
anjufüfiten, burd) nichts ju belegen, baß etma um bie SKitte
beS 2. 3af)thunbertS ber fjeilige ©eift als ©etfon geglaubt
roorbeit ift; biefe ©orftellung ift erft fpäter auS ber Wiffen*
fdjaftlidfen griec^ifcfjcn Theologie entftanben. Dian erinnere
fid), baß in bem britten ©liebe ber apoftolifcßen Tauf forme!:
,,3d) glaube an ben ^eiligen ©eift" nicht, mie in ben beiben
erften, eine perfönlidfe, fonbern eine facfytidje Srgänjuug ftatt»
gefunben h°t (burd) bie bret ©tüde: ^»eilige Sircpe, ©er»
gebung ber ©ünben, beS fjleifctjeö 2tuferftehung“), baß bem»
uacf) in bem ©pmbol felbft ber tjeilige ©eift als Straft unb
©abe, nid)t aber als ©erfon erfcpeint. SBer alfo bie Sehre
oon brei ©erfonen ber ©ott^eit in baS ©pmbol einfiitjrt,
ber erflärt es roiber feinen urfprünglidjen ©inn unb beutet
eS um. Sine foldje ©tenbung ift nun aüerbingS feit bem
Snbe beS 4. 3äl)rt)unbertS oon allen Slfriften oerlangt
Worben, menn fie ficfj nicht bem ©orwurf unb ber ©träfe
ber ipärefie auSfeßen wollten. Unb fo gef)t, um baS E)ier
nod) turj ju ermähnen, aucf) „beS gleifcfjeS 2luferftef)ung", ein
©ag, ber nid)t oon ©auluS unb nicf)t oon SoßanneS ^er=
rübrt, über bie Sinie ber urfpüngtidjen ©erfünbigung hinaus
unb toar niemals eine allgemeine Sehre. ©pater beftanb bie
Sirdje aber auf ber „2lufcrftel)ung beS gteifdjeS" um nid)t
bie 2luferftef)ung überhaupt ju oerlieren.
2luS folgen Haarfpaltereien entftanben bie nod) tjeute am
$atl SBeingart toieber fidjtbar geworbenen Se|ergerid)te unb ©er»
folgungen. —Ter roürttcmbergifd)e ©farrerSchrempf in Sengen»
borf mürbe im 3uni 1892 abgefefct, weil.fein ©emiffen it)m
ben liturgifdjen ©ebraud) beS 2lpoftolifumS oerbot; ber fyody
angcfefiene babifdje ©tabtpfarrer Sängin iii ÄartSruf)e mürbe
angefcinbet unb oerfolgt, meil er bie metapE)t)ftfcf)e ©peculation
ber Trinität, wonad) brei wahrhaftige ©ötter nur einer finb,
für unOcrbinblid) unb für bloße firctjlictje formet erflärt, —
obwohl er auSbrütflid) ^irtjugefiigt h°t: M ©on biefer fird)=
lieben gormel ift felbftüerftänblid) bie fdjöne Oolfstbümlidje,
fpmbolifdje 21 rt ju unterfcjjeiben, in welcher ShriftuS in ben
Söangelien biefen ©tauben auSfprictjt, als ben ©lauben an
ben ©ater, ber ben ©obn fanbte unb barum als ©taube an
ben ©obn, ber bie Srlöfung Oollbracbte, unb an ben heiligen
©eift, ber im ©ohne wirfte unb lebte unb ibn nach feinem £)in=
gang in ber Dienfcpheit oertritt (Dfattb- 28, 18—20)". Taß
auch 2lboIf §arnad wegen feiner 2luffaffung beS ,,2tpoftoli»
fumS" angegriffen unb perfekt mürbe, mar ja leiber nur
folgerichtig, aber eS mar bod) ein gar ju trauriges ©epau»
fpiel, mie unter ber Slegibe ©töcfer’S unb beS §errn ü. Jammer«
ftein (traurigften 2lngebenfenS) „biebere" Sanbpaftoren ju
©erid)t faßen über einen unferer gelehrteren Sirchenpiftorifer
unb ihren Sannftraf)l fcbleubertcn gegen bie mübeoollen,
fcpwer anfechtbaren ©efultate ernfter wiffenfcpaftlidjergorfcljuHg,
ohne auch nur ben leifeften ©erfuef) einer wiffenfdjaftlidjen
©Verlegung ju madjen. Sin folcfjer ©erfuep ^ätte freilief) aud)
anberer Stopfe beburft! Tenn biefe Herren faheit gar nicht,
worauf eS Harnatf außer ber Srforfcpung ber SSahrpeit anfant:
er oermißte im apoftolifcpen Srfenntniß baS heilige ©ilb beS
HeilanbeS, ben ergreifenden Hinweis auf fein ©Mrfen unb
feinen ©iattbel. 3m ©djlußwort feiner ©cßrift hot er baS
mit rootjlthuenber ftlarpeit unb ÜBärme auSgefprodjen, inbem
er fagt: „2BaS bem apoftolifchen Sefenntniß ben haften
unb bleibenben SBerth oerieiht, baS ift, neben bem ©efennt*
niß ju ©ott als bem allmächtigen ©ater, baS ©efenntniß ju
SefuSSßriftuS, bem eingebornen ©oßn ©ottcS, unferm Herren,
unb baS ßeugniß, baß burd) ißn bie heilige Shriffenhcit,
©ergebung ber ©ünben unb ewiges $ieil geworben finb.
9ltlein man oermißt ben Hinweis auf feine ©rebigt, auf bie
3üge beS ^eilanbeS ber Firmen unb Traufen, ber 3bHner
unb ©iinber, auf bie ©erfönlidjfeit, mie fie in ben Soan=
gelien leuchtet. ®aS ©hmbol enthält eigentlich nur lieber»
feßriften. 3n biefem ©inne ift eS unoollfommen; benn lein ©«=
fenntniß ift ooDfommen, baS nicht ben feeitanb oor bieSJugen
malt unb bem ^erjen einprägt." 2J?an fießt, Wie für ihn bie
lebenSDoöefßerfönlichfeitShtiftt ber Diittelpunft ber Sürdje fein
unb bfei6en fpH unb wie er fid) nur für oerpftidjtet hält, auf bie
Uuootlfommenheit ber alten ©efenntniffc hinjumeifen unb bataui
ju bringen, baß fie nicht für baS SBefentlicße, nicht für baSgum
barnent beS ShriftenthumS erflärt werben, ©eine Ueberjeugung
bedt [ich i m 2Befent(id)en mit bem ©ormurf, ben ©rof. .^p. 3ieglcc
in feiner oortrefflichen ©chrift: „1)aS ©Sefen ber Religion"
in bie ©Sorte fleibet, baß „oon bem ©eften unb ©djönften,
WaS unS baS Shriftenthum gebracht h at < bem ©pmbol
überhaupt feine fRebe fei, baß ber wahre ©roteftant in bem<
felben ©Jefen unb Sern feines religiöjen ©laubenS unm5g<
lieh mieberfinben fönne."
2ln bie ©erfotgungen unb ©erheßungen ber genannten
Dlänner fließt fich nun auch bie ÜlmtSentfeßung beS DSnn>
brüder ©farrerS an, ben mir oben in tnappen 3ügen als Sheolog
unb ©eelforger feinet ©emeinbe charafterifirt hoben. ©Selben
2luSgang ber überaus traurige ff all haben roirb, läßt fich bei ber
herrfchenben Strömung nicht ermeffen; man wirb fogar gut
tf)un, feine Hoffnungen nach ber Haltung beS preußifdjen Sultus»
minifterS unb troß ber Sieben ©irdhoro’S u. 21. ganj hetabju»
ftimmen; eS märe aber burdjauS oerfehrt, fich beßhalb jeßt non
ber 2lngetegenheit als einer „oerlornen" abjumenben unb ihrer
Sntmidelung ober „Srlebigung" mit füefignation jujufchauen.
3m ©egentheil, jeßt heißt eS -fich ben tiefen Srnft betfelben,
ihre Tragweite unb ihre Sonfcquenjen flar oor’S 2lugc ju
führen unb nicht nur alle urtheilsfähigen unb bentenben
Sefer, fonbern auch öor 2lllem bie oberen ftirchenbehörben
mit allem Stuft auf biefelbe ^in^utoeifen. ©liebe bie 2lnge-
legenheit „erlebigt" im ©inne beS DiinifterS, bann mürbe uns
an, einem laut rebenben ©eifpiele mieberum bie überaus bc>
trübenbe Xljatfache erhärtet, baß bei uns baS ewige unb
herrliche ©Sort: „®er ©uchftabe tobtet, aber ber ©eift matt)!
lebenbig," jur inhattlofcn ©fjrafe geworben ift.
$ine Reform ber Dolksfd)ule.
'Hon JTtar UTay (fteibetberg).
2tn ben Diittelfchulen unb höh ereu 'Schulen unb ihren
mehr homaniftifchen ober mehr realiftifcheit Seiftuitgen, an
ihrer ©ereiitfachung unb 3o)ammenlegung fowie an ben 2ln=
forberungen, Welche fie an ihre @d)üler ju ftellen h a ^ n -
wirb fort unb fort beobachtet, oerfud)t, reformirt, aber ber
weitaus wichtigere Tjjeil beS gefammten ©chutwefenS, bol
©olfsfchulwefen wirb etwas ftiefmütterlich behanbelt. Tic
Sinen münfehen jwar ftetig Srweiterung ber ©dhulleiftungen,
bie 2lnberen aber behaupten, bie ©olfSfcfjule teifte thatfachlich
mehr als genug, ja ihre größeren Seiftungen fdtjaffen nur
met)r Unjufriebene. Taß unfere ©olfsfchulen weitaus mehr
leiften als früher, muß unbebingt jugegeben werben, unb bie
2lbnahme ber 2lnalphabeten bei ben in bie 2(rmee Singefteflten
ober felbft bei ben 3»faffen ber ©trafanftalten, bie boch bie
Hefe beS ©olfeS bilben, geigt beutlich, baß wir fortgefd)ritten
finb. Ob aber bie oermehrten Seiftungen bet ©olfSfchufe
ben erhöhten 2(nfprüd)en beS Dfofd)inenjeitalterS entfprechen,
barf in oieleti fällen bezweifelt werben, mag man bie Halb 5
tagfcbüler läitblidjer öejirfe beS SlorbenS unb DftenS ober
bie ©djüler ber baperif^en Schulen mit fiirjerer ©cpuljcit
im 2(uge haben, ©öenn gegenüber oon Stagen über unjin
reichenbe Seiftungen ber ©olfSfdjute, anberfeitS auch beim
©olfSfcpüter unb nod) mehr beim ©otfSfcf)ullehrer oon lieber
bürbuitg gefprodjen wirb, wie beim ©pmnafiaften, bann liegen
wohl OrganifationSfehler oor unb müffen ju erfennen ge=
Digitized by v^. ooQie
Nr. 11.
Die ©egetnoari
167
iudjt unb befeitigt werben. ©aS 3beat ber (BolfSfchulleßrer
unb ber (Mehrheit ber greunbe ber (BotfSfcßutc bürfte U)oE)f
nad) aßen 9teußerungeit in SSereinSDerfainmtungen bie .atl=
gemeine tBotfSfcßute fein, aber teiber ift namcnttid) in ben
©täbten fowoßt burd) bie Sdjulerßalter, bie ©emeiitbe»
oerwaltungen unb ben Staat, baS St)ftem ber allgemeinen
dlolfsfcßule bietfad) burcßbrodjen, atS aud) burd) baS Sßftem
ber (ßriüatfcßuler! burchlöcßert. ©ie tBorfcßnten für @i)m=
nafien unb (Realfd)ulen, bie höheren 9Räbcßenfd)ulen fjefaen
bie allgemeine (BotfSfcßule für bie fogenannten höheren
Stäube, bie woßthabenberen (Staffen gänjtid) auf. ©ie (BotfS»
fcßute ift für ben (Bürger unb Arbeiter, unb für Settern be=
ftefjen ja in bieten Stabten fogar nod) Sßotföfcfjuten zweiter
(Stoffe, mag man fie and) nirgenbs meßr Sftrmenfcßulen,
fonbern greifcßulen ober aud) (BotfSfdjuten gegenüber bott
Sßürgerfd)uten nennen.
Sn (Baben befteßt im SSefentlidjen bie attgemeine (BotfS»
fcßule unb eine „(Borfcßule" OefteE)t nur in ÄartSruße, aber eS finb
fowoßt burd) Änaben» wie 3JJäbd)en=$ürgerfd)ulen in einigen
größeren Stabten ober burd) ©öcßterfdjuten unb (ßriüatfcßulen
©etegenßeiten zuStanbeSabfonberungen für bie©(ementarfd)üter
geboten. Wurf) baS Softem ber einfachen unb erweiterten 93olfS=
freute, b. ß. bie ©inrießtung bon Sßolföfrfjittert mit begrenztem
oberweitgeßenbemSehrptanfannzurStanbeSabfonöerung bienen,
wenn beibe Schuten wie 5. 93. in Ä'artSruße beließen unb bie
eine Sd)utgetb erhebt, bie anbere nid)t. ©aS Vermögen unb
ber Stanb ber Eltern wirb aber niemals bie (Begabung ber»
teilen, bie zur (Bewältigung eines größeren ober frfjroierigeren
SeßrftoffeS notßwenbig ift, unb fo fomint eS bann woßl bor,
baß Äittber armer ©Item ben Seßrftoff ber einfad)en (BotfS»
fd)ule fpietenb bewältigen, bie Äinber 9Sot)(f)abeiiber aber
ben größeren 9tnforberungen ber erweiterten (BotfSfchute nie
gerecht werben. @S ift aber nid)t nur biefer ÜRißftanb bei
bem (Befteßen ber einfachen unb erweiterten, ber fdjufgetb»
freien unb fcßutgelberßebenben Sdfute, ber bringenb nad)
Reformen ruft, fonbern eS beftel)t namenttid) ba, wo man
mit ber (BotfSjcßute burdjauS Diel teiften wollte unb nur ben
erweiterten Seßrptan einführte, ein weiteres Uebet barin, baß
bie fd)wad^begabten, faulen ober fcßlecßt beauffießtigten Sfinber
baS ©taffenziet meßrfad) in einem Saßre nid)t erreichen unb
fo bei Erlangung beS 9ltterS, in welchem fie ber Schulpflicht
enttaffen werben foltten, ftatt in ber oberften ©taffe erft in
ber zweiten unb brüten, zuweilen auch erft in ber oierten
6taf|e fißen. 9luf biefe Sßeife bteibt bie SluSbitbung meßt
nur weit tinter bem zurüd, was man burd) bie Sdjute er»
Zielen wollte, fonbern aud) hinter bem waS man in Sdjuten
mit einfadjerem Sef)rp(an, ber aud) ben weniger begabten
ftinbern unb ben fd)Led)t beauffirf)tigten unb feßteeßt erzogenen
ermöglicht, ein gewiffeS abgefd)toffeneS Sd)utwiffen burd) bie
©rttimmung ber oberften ©taffe ju ertangen. Sn StRann»
heim hat man burd) Satjrzefjnte einen feßr weitgeßenben
Seßrptan für bie erweiterte BotfSfcßule, neben welcher feine
einfache beftetft, woht aber eine SRittetfcßute, bie man (Bürger»
fchute nennt, bie frembfprachtichen Unterricht obtigatorifd) hat
unb auch e * n namhaftes Schutgetb erhebt, wäßrenb bie er»
weiterte (BotfSfdjule fein Schulgelb mehr fennt.
Sft nun aud) bie erwähnte 93ürgerfrf)ute mit Schutgetb
etwas. StanbeSfcßute unb leibet an ben (Mängeln foteßer
ebenfo wie (Realfcßuten unb ©ßmnafieu auch, bie befannttid^
in ben Unterctaffen ein fd)lechteS Scßütermateriat fortfrf)(eppen,
bis eS zur ©onfirmation unb Scßulenttaffung atterSreif ift, fo
ift aber hoch immerhin nod) Dielen (Bürgern, bie auch ©ißulgetb
Zahlen fönnten, bie erweiterte (BotfSfcßule für ihre Stinber ganz
recht, ©S fommt aber in biefer erweiterten (BotfSfdjute, wie
in aßen berartigen Schuten beS babifdjen SanbeS nnb nament»
lieh aud) folcßen, bie nicht, wie (Mannheim unb (geibetberg,
fo überaus weitgehenbe Seßrptäne haben, oor, baß nur eine
feßr befchränfte 3“ßt ©cßüter baS 3iet ber Wnftatt er»
reicht unb nach 8 Sahren bie gefammten ©taffen abfolDirt.
SRur ein ©rittet ber Stüter fann baS ßiet ber Schule
erreichen, ©ie ©ßinnaficn unb tReatfcßuten enttebigen fich
ihres (BaflafteS, wenn bie Sdjüter 14—15 Saßre att geworben
finb, man nimmt ihnen benfetben üielmeßr; bie (BolfSfdjute
muß aber auch bie Unbegabten unb Rauten ihre ooße Schut»
pfticht abfotoiren taffen.
©eßßalb hat nun ber Stabtfchutrath Dr. Sidinger
in (Mannheim einen neuen Sßtan entworfen, ber ßöcßft be»
adjtenSwertt) erfcheint. ©r wiß neben ben ©taffen mit er»
Weüertem Seßrptan fotdje mit einfad)em paraßet laufen taffen
unb in biefe foteße Äinber uerfeßen, welche auS (Mangel
an (Begabung ober in gofge ber häuslichen (Mängel zuriief»
bteiben. ©ie begabten unb häuSlidj gut beauffichtigten Schüler
erreichen bann aße unb in oorgefetjener 3 e 't, ohne burch
fehteeßte Schüler aufgehalten zu werben, baS 3^1 ^er er»
weiterten (BotfSfchute mit feßr weitgehenbem Sehrptan, bie
weniger gut üerantagten ober burd) häuStid)e (Berfjättniffe
ani g-teiß unb in ber 9tufmerffamfeit zurüdgehattenen Stinber
erwerben fiel) aber borf) burch Stbfolbirung ber einfachen
Sdjute baS StRaaß Don Ä’enutuiffen, waS man in Öanbfchulen
unb auch 'u mand)en Stabtfchulen überhaupt geftedt hat, mit
einem feften zielgemäßen Slbfchtufe. ©S ift an biefer Steße
nid)t angebrad)t auSzufüßren, wie burch ©laffentehrer, Ober»
teurer unb (Rectorat feftgefteßt wirb, wer in bie (ßarafletetaffe
muß, unb in ben unterften Stufen bteiben bie SHnber ohne»
hin nod) aße beifamtnen. ©rft wenn bie mangetnbe (Be»
gabung ober bie SRacfjtheite ber ^>äuStirf)feit feftftehen, finbet
ber Uebergang in bie Sd)ute mit niebrigeren 9tnfprüchen
ftatt unb eS fann ein (JBieberauffteigen in bie ©taffen mit
höheren 2lnfprüd)en ftattfinben, wenn fid) bie (Begabung fpäter
zeigt ober bie häuslichen SBerlfältniffe, ber gleiß unb bie
9tufmerffamfeit fich gebeffert haben. ©aS wefentlidjfte SKoment
bei ber (Reform ift baS gefthalteu an ber aßgemeinen uneitt»
geltlirfjen (BotfSfchute für arme unb reid)e Äinber, bie (Be»
urtheüung ber (Begabung unb mögtid)en Seiftungen etwa
nach b em zweiten (ober brüten) Schuljahr unb bie 9luS»
feßeibung ber SeiftungSfäßigen üoit ben StRinberteiftungSfähigen,
um erftere z«m f)örf)ften 3ie( ber (BotfSfchute zu führen,
währenb man ben übrigen ein mäßiges 3iet feßt, aber ihnen
bod) einen red)ten 2tbfd)tuß ihrer (Bitbung gewährt. 2Bo
man bie Schuten mit höheren Seiftungen mit £)öf)erer Schut»
gelbuerpftirfjtung auSftattet, ift nicht bie (Begabung unb
Seiftuug, fonbern ber ©elbbeutet mafjgebenb, unb eS hatten
bie wenigbegabten ober faulen ftinber (Bohlhabenber bie
Seiftung ber Scßule ebenfo auf, wie etwa bie fich fetbft über»
taffenen halb üerwahrtoften 91rbeiterfinber.
©ine (Befeüigung biefer ÜRißftänbe ift päbagogifch wie
fociat Don großer (Bebeutung, nnb eS wirb barin nun 2Rann»
heim Dorangeßen. 333ie eS ja auch bisher fchon §itfSctaffen
für unbegabte ober mit genügen ober förderlichen ©efecten
behaftete Stinber einrirfjtete, fo wirb eS nun burch »w Sßaraßel»
ctaffen mit einfachem Sehrptatt bie große 3“ht ber ©urcf)=
frfjiiittS» unb Unterburcf)fd)nittSfchüler mit entfpredhenber
Sd)utbitbung Derfeßen, ohne baS ©rittet ber (Begabten unb
gteißigen, gleicljuiet welchen StanbeS, in ihrer befjeren 9luS»
bitbung aufzufjatten ober zu fpubern. 2ßaS hier in 2Rann=
heim nun geiüiffermaßen als in ©eutfdjlanb neu eingerichtet
wirb, hat aber bereits feine SBorbitber in ben größeren Stäbten
ber Schweiz, ja in feßr Dielen größeren ©emeinben ber Schweiz
überhaupt, unb Dr. Sidinger hat zum 3wed feiner (Reformen
bie_Sd)uten in (Bafel unb 3ürid) eingehenb befießtigt, ißr
®l)ftem uitb ißre (Einrichtung ftubirt unb zur ©runbtage
feiner (|3täne genommen. @S genügt nid)t, biefe (Reuerung,
bie fid) in ber Schweiz fo Dorzügtid) bewährte, nur in gaeß»
btättern zu befpredjen, benn eS ßat auch nießt nur ber Stabt»
ratß unb Stabtoerorbnete ober Schulbeputirte ein Sntereffe
baran, fonbern baS gefammte (Bolf, unb beßßatb haben wir
fie aueß an biefer Steße furz beßanbett.
Digitized by v^. ooQie
16$
Die töejjenwarl
Nr. 11.
Hellte Jtelba uttb kr Coloratnrgefang.
58on f}ebn>i<j von f rieblaenber * 2Ibel.
So oft an irgenb einem fünfte ber mufifalifeßen ©rbe
eine ungewößnticße Stimme ober oerblüffenbe ©efangSfunft
entbeeft mirb, erflingt alSbalb gu ben hellen SiegeSfanfaten
als bunller Unterton ber Sftame Slbeline ißatti, benn nodj
immer ift bie ißatti baS 3Raß, an bem alle moberne Weib»
ließe ©efangSfunft gemeffen wirb. 3BaS ißt aber biefe un»
oergleicßlicße Stellung giebt unb fie unS fo Wertzoll mad)t
ift nicht, wie fo niete meinen, baS SRiebagewefene, fonbern
tielmeßr baS Sftiewieberfeßrenbe ißrer Slunft. SllS tegteS ©lieb
ber feßimmernben italienifcßen Sängerfette, bie in bie 93er»
gangenßeit ßineinfüßrt gu ben Urquellen ber ©efangSfunft,
erfeßeint uns bie ißatti gleicßfam als bie Snfarnation bon
bei canto unb ©otoraturgefang. £>ier ßat bie 91atur gum
lebten SJfale baS wunbertßätige ©efäß gebilbet, in bem alle
föftlicßen ©oben bereinigt finb, Welche bie große Sängerin
feßaffen. 3 U einer ftetS rein geftimmten Siegle, bie jebe
Scßwierigfeit fpielenb überwanb, gefeilte fie ben fießerften
Snftinct für Sinn unb Sern alles SRufifalifcßen unb ben
frößlicßften großfinn, bie launigfte Saune lief; fie Wieberum
§anb in £anb geßen mit einer reigenben, an ber Oberfläche
ber Singe ßingaufelnben ©ebanfentofigfeit. Saturn finb aud)
bie Sage, an welchen bie ißatti’S geboren werben, immer ber»
tappte Sonntage. Unb ihr Seben felbft ift ein feßier immer*
Währenbet geiertag, bloß begrenzt bon ©eburt unb Sob.
So Wanbein fie baßin unter immer blauen Fimmeln, in
ewigen Sonnenfcßeinen unb felbft ihr Sllter ift nur eine
gweite ober britte Sugenb, in welcher mitunter fogar noch
ein jweiter ober britter 33unb für’S Seben gefchloffen Wirb.
Unb wie bie ißatti bie legte Sünftlerin bom Stamme
SRoffini’S ift, fo ßat auch ber äußere Stöhnten ihres Sa*
feinS, mit feinem Singüogeltßum unb ber ganzen ÜRacßti*
gallenßerrlicßfeit einen berjährten ßufdjnitt. Sa finb noch
©öttinnenaUüren bon Slnno Schnee unb bielfarbige Saunen,
bie Woßl bie 3Bonne einer pferbeauSfpannenben 3eit gewefen,
benen aber jegt nur noch ein gehorfamer ©atte ßulbigt. Unb
ba ift auch eine großartige Unwiffenßeit in fämnttlicßen
Singen, bie außerhalb ber engften ©langroüenfpßäre liegen,
jene fpecififcße Sängerinnenbilbung, bie feßon ber alte Stodjüg
an ber berühmten 2Rara rügt unb bie ein tßpifeßer 3“9
berfloffener ÜRad)tigaHen gewefen gu fein feßeint. Um fo
lernbegieriger erWcifen ftd) bagegen bie Singbögel bon heute.
Sie finb wiffenb geworben; ehrgeizig unb ungufrieben. Slengft*
lieh flattern fie umher gwifeßen Schlagworten unb Strömungen,
bie ber fleinen unwiffenben ißatti niemals St'opfgerbrecßen
machten. Sie fühlen eS, ißr SReicß geht gu ©nbe unb gerne
würben fie ben ©otoraturgefang an ben ÜRagel hängen, wäre
biefer nicht unumgänglich nötßig, um ben Sitel „Star" gu
erwerben, Welcher Wieberum ber ißaß ift für bie amerifanifchen
unb auftralifdjen ©olbtänber. Sie reichen Seute „brüben"
finben nämtieß rjoeß immer ©efaHen an ber SRufif, bie ©uropa
nach unb nach auswirft. Schwere Sabungen berblaßter
©oloraturopern werben nach bem SBeften oerfeßifft, wo man
fie fogar für mobern hält, neu infeenirt unb mit ben
foftfpieligften Sehlen befegt. Dnlel Sam finbet noch fein
aufrichtiges ©efallen an „Sucia bon Samermoor", „©eueren*
tofa", „Sinba bon ©ßamouniE", „Sancreb", ben „Italienern
in Sllgier", ber „ÜRacßtwanblerin" ic. unb reiche ERinenbefiger
hatten fogar bie „Puritaner" für ben „latest cry“ beS be»
rühmten ERaeftro Sellint unb wünfeßen lebhaft benfetben gum
Sirector ihres gu grünbenben SRetropolitan * OpernhaufeS gu
ernennen.
©S ift alfo, im §inblicf auf ben noeß immer nidjt ge*
gäßmten SBeften, bringenb nöthig, baß bei canto unb ©otoratur*
gefang gelehrt unb gelernt werben. ©rftereS beforgt uner*
müblicß eine berühmte Unberwüfttiche: ERabame SRarcßefi in
5ßariS, währenb ber nid)t minber berühmte Samperti, fowie
Supreg, Strafofch ic. nur mehr in ben Seiftungen gaßtreießer
„StarS" leben, benn biefe EReifter unb bie eine SReifterin
haben faft alle jettgenöffifdjen SriUerföniginnen unb Staccato*
fürftinnen auSgebübet: einen gangen Heerbann bon SRacßti*
galten: Sigrib Strnolbfon, bie fcßwebifdje, SRarceÜa Sem*
brieß, k' e polnifcße, ERarie SUbaut, bie canabifcße, ©mma
©albe, bie fpanifeße, 9?eElie SRelba, bie auftratifeße SRacßti*
gaH ic. ic. Sie Stile bureßmeffen in immer ßaftigerem
Sempo beibe ^emifpßären, ftetS ängftlicß bemüßt, ein»
anber an fabelßaften Honoraren unb unerhörten fReclamen
gu überbieten. Sagu hoben fie fieß eine eigene 93erblüffung§*
funft erfonnen, eine förmliche fUecorbtecßnt!. ^at g. S3. Star
91r. 1 minutenlang auf bem ßoßen c getrillert, fo tßut Star 2
baffelbe womöglich auf bem ßoßen cis unb Star 3 unb 4
pflangen trtumpßirenb ißr gäßntein auf bem ßoßen d unb
dis auf. UebrigenS foU bei biefen überfeeifeßen ©Epebitionen
nießt allein bie tabellofefte Sltßemtecßnit unb ber längfte
SriUer gu jenem ©elbe berßetfen, baS ben' SDleiften gugleicß
ben fRußm bebeutet, fonbern eS mirb auch t>iel SBertß auf
einen gewiffen moralifcßen haut goüt gelegt, ber ben „Star“
romantifcß umwittert. SBaS füllten aneß bie ©OEßolberS in
9iew»^)orf unb anberen großen Stäbten beS ÜRorbenS unb
SübenS bagu fagen, Wenn fie ißre SenfationSfütßt an »ir=
tuofen ©efangSleiftungen allein gu befriebigen ßätten? 9iur
eine Sennß Sinb tonnte eS wagen, mit einem fpießbürgerlicß
guten fRuf, wie ber ißre gewefen, Slmertfa gu bureßgteßen unb
bie getbften unb fdßwärgeften Seute gu gaßlenben ©ntßuftaften
gu maeßen. Jpeutgutage, SRabame, finb einige pitante Slben*
teuer bringenb nötßig, um Sßr tünftterifcßeS fßenomme gu
befeftigen. 33or Sßrer Slnfunft feßon müffen ©erüeßte über
Sie im Umlauf fein, bie gWar feine Sabß laut auSfpridjt,
bie man einanbet aber hinter gäcßern guflüftert. Unb man
muß etwas feßr gafßionabteS muntein fönnen, baS auS feßr
ßoßen Legionen ftammt unb worum Sie bie ©attinnen oon
SRitlionenhäufern ßeimlicß beneiben. Unb bann feßen Sic
gu, wie bie gelefenften Journale am Sage naeß Sßrer Sin*
funft fpaltenlange Sleußerungen abbruden, bie Sie öielleidjt
niemals getßan, unb nebftbei Sßten ßoßen fünftlerifdßen 3bealiS*
muS rüßmen, ber Sie beranlaßt jegtießen ©ewinn gering gu
aeßten unb nur bei hoppelten, ftatt bei breifaeßen greifen
aufgutreten. Unb laffen Sie fieß berieten, SDSabame, wie ßeiß
bie 93iHettenfcßlachten gu Sßrett ©aftborfteüungen gefeßtagen
Würben unb wie gwifeßen beften 3 teun bf(ßaften bittere geinb*
feßaften entbrannten, wenn g. 33. A. eine Soge gu 100 SoEari
ergatterte, Wäßrenb B. nur gWei ißarfettpläge um ben Spott*
preis gu a 12 SottarS erftanb. SluS Segterem erfeßen Sie gu*
gleich, baß Sie bie greife btüden, was in Starfreifen nur
SRißftimmung erregen fann. Slucß geben Sie ben SKammon*
leuten gu wenig ©elegenßeit, ©elb gum fünfter ßinauS*
guwerfen ober bureß bie ginger fallen gu taffen unb rau6en
apopleftifdjen ©clbfäden bie 5D?öglicßfeit, bureß ausgiebige
Scßröpfung einige ©rleicßterung gu finben.
gaßt man alle ©ingelerfcßeinungen beS mobernen 33ir*
tuofentßumS gu einem ©efammtbilbe gufammen, fo tritt einem
als beffen ßeroorftecßenbfter 3 U 9 eine tiefgeßenbe 33erroßung
entgegen. Sener ©ulturmenfcß Scßüler’S, ber „mit feinem
ißalmengWeige an beS SaßrßunbertS SReige in ebler ftolger
SRännlicßfeit" bafteßt, ift im ©runbe nur ein übertüneßter
SBarbar unb eS ßängt bloß oon ber 3eittonart ab, ob bie
angeborene Sarbarei ober feine anergogene ©ultur triumpßiren
batf. Unfere 3 e ii* beren Sichtung ja aueß ben Urtrieben
unb bünben Snftincten ber SRenfcßenfeele naeßgeßt, begünftigt
natürlid) in aflen fünften roße Äraftäußerung im 33unbe
mit einer gur ßöcßften Spige getriebenen manuellen ©efcßidflicß*
feit. @S ift eine Slrt gauftreeßt, ton ber SRaterie am ©eifte
geübt. Dptimiften wollen biefen feltfamen 3 e i £ ß en einer fieß
äftßetifcß gebenben 3eit eine ßarmtofe gärbung geben unb
füßlen fieß namentlich bureß bie einfeitige 33erßerrticßung beS
33irtuofentßumS an öormärglicße Sitten erinnert. Slllein
Digitized by v^. ooQie
Nr. 11.
Die ©egenwftrt.
169
unferer geit feßlt bot 9IHem bie naibe gteube an folgen
Singen. Sie mifcßt in 9tlteS ißren blutigen ©rnft unb
ißte ßocßmütßige äftßetifcße grätenfion. S^irgenbS aber ift
baS 9lfrobatentßum ftärfer ausgeprägt, fucßt eS fieß fo feßr
ben ©cßein fünftlerifcßer ©ebiegenßett anjutäufcßen, als im
fünftterifcßen Sejirf. ©o flücßtet San Slubelif, bet Slfrobat
ber ©eige, beßarrlicß, Wenn aueß mit »enig ©lücf, jur
meinen ©antilene RJenbelSfobn’S; SfJforig Rofentßal, ber
©ohm beS ©labierS, füßct heftige Qfeljbe gegen jeben fttitifer,
ber ißn bloß einen außerorbentlicßen Secßnifer nennt, wäß*
renb er ßetmlicß naeß bem ^oftitel beS befielt ©ßopin*
jpieferS ftrebt; unb Rellie SRelba, bie Songteufe ber Siebte,
öffnet nacßricßtenßungrigen Snterbietoern ißr überbotleS fünftte*
rifcßeS §erj unb preift — Ricßarb SBagner als itjren ©rlöfer.
„Scß bereßre SBagner," rief fie jüngft in SBien aus, „weil er
ben Sängerinnen neue große Aufgaben ftellt". Soeß woßl nicßt
ben ©oloraturfängerinnen! 9tber fo fpag^aft unb tßeatralifcß fieß
biefeS ©efenntniß im SRunbe einer gefeierten ©oloraturfängerin
auSneßmen mag, bie ÜRelba bot eS mit Ueberjeugung ge*
tban, bamit unbewußt ben tobten ißunft ber Äunft auf*
becfenb, bie fie fo erfolgreich übt. Reue große 9lufgaben:
fie finb eS aQerbingS, bie ben 93üßnenfängerinnen italie*
nifcber ©eßule fehlen. , Siefe fteben bis jum §alfe in
einem ©ee, bem hon feiner ©eite neuer 3 u ff u fe fommt
unb beffen SEBaffer baber immer trüber unb fcblammiger
wirb, bis er eines SageS nur nocß ein Sumpf ift. Sn
biefem Siebte erfeßeint auch bent mobern unb cor 9tßem
bramatifcb gewöhnten Sßublicum ber welfdje Dpernfram mit
feinem colorirten SBaßnfinn, tridergefeßmüeften IpßpnotiSmuS
ber im ©taccato galoppirenben ©cbminbfucbt unb all’ ben
Verlieben Ungeßeuerlicßfetten, bie einft ber UeOetfcßWang
einer formenfreubigen 3 £ ü g £ Wefen, bie uns jeßt aber nur
nocß fomifcb horfommen, weil wir ihren ©inn nicht mehr
ju beuten wiffen. Unb wie uns, fo fehlt auch ben ©änge*
rinnen felbft bie ©rfenntniß beffen, was fie fingen, ©ie
fcblagen Söne an, bie in ihrer 3ufammenfeßung ein mufi*
falifcßeS SBilb geben, aber ber ©eift, ber aus biefen Älang*
figuren ein SebenbigfcßöneS formt, ift ihnen auf immer*
bat üerfebtoffen. Oft, wenn wir eine 9lrie aus berühmtem
SRunbe hören, fueben wir, unbefriebigt, uns borjuftellen, wie
biefeS ©tüd Wohl früher gefungen worben fei, als biefe
ganje SÜunft nocß etwas ScbenbigeS war unb bureb bie
SReifterWerfe täglich auftauebenber junger ©enieS immer
lebenbiger Würbe. Uralte Srabition unb blühenbeS Beben
bereinigten fidh ßier in feiten glüdtießer SRifeßung. 9tuf bem
toetterfeften Unterbau ber alten italienifcben Oper erhob ficb
als ftrahlenber Sau bie neue, unb Roffini war ihr ©ott.
Unb auch ber ©ott ber ©änger, benen jebe Roulabe einen
neuen ©rfolg unb jebe ©antilene einen frifeßen Sriumpß be*
beutete. Ipier gab eS in ber Xßat neue große 9lufgaben,
für bie fieß benn aueß glänjenbfte latente unb wunberbotlfte
©timmen einfeßten. Sie alte SBaßrßeit, baß jeber ©eniuS
ficb feine brauchbaren’ SBerfjeuge erßbafft ober jum URin*
beften entbedt unb fid) nußbar macht, fanb ßier ihre
neue Seftätigung. Rie ßat bie SEBelt auf einmal eine folcbe
SRenge ßerrlidßer Stimmen unb großer Sfünftter gefeßen, als
jur 3 e it Roffini’S. ©r war bie ©onne, bie, was in einer
jungen 9Renf<ßenleßte an SBoßtlaut feßlief, an’S Sießt unb
jur Slütße bracßte. 9lber aueß als Roffini ben ©cßauplaß
berlaffen, bewährte fein ©til burdß Saßrjeßnte bie alte Räuber*
traft SiS bann SSerbi fam mit feiner heißeren ©innlicßfeit
unb aß’ ben füßen ©iften feiner Harmonie unb Snftrumen*
tation. Säeßetnb faß Roffini bon feiner ©ötterhöße ju, wie
fie ißn berrietßen unb feine tßaufrifeßen Rofinen fid) fXugS
in ßüftelnbe Sioletten berwanbetten. SlUein bei Sßerbi War
toirflid) mancßeS Reue ju lernen, wäßrenb einem baS gute
Sitte nocß in aßen ©fiebern lag. ©S weßte bor 9ltlem eine
fcßärfere bramatifeße Suft in feinem Stalien; eS Würbe ge*
Wiffenßafter beclamirt, nacbbrüdlicßer accentuirt. Unb bann
gab eS für ©oloraturfängerinnen wieber aßerlei ju creiren.
9lber plößlich füßrte Serbi mit eigener $anb ben ©dßlag
gegen feine fünftlerifcße Sergangenßeit, inbem er „ 9liba"
feßtieb. SaS war ber größte bramatifeße SEBurf, ben je ein
Staliener gewagt unb juglekß bebeutete er b'.e Serni^tung
beS biSßer gepflogenen colorirten ©tilS. ©eit 9liba um*
wölft ficb ber iporijont immer bießter für bie Sängerinnen
beS alten ÄuuftgefangeS. 3BaS foßen fie in 3ufonft fingen,
wenn ißnen fein Rufer im ©treite erfteßt? ©ie gittern
inmitten ißrer flüchtigen Siege, benn bor ber Sßüre lauert
ber Riebergang unb bon Saßr ju Saßr berlieren fie an
©ebiet, baS in biefem f^aße Repertoire beißt. Rocß er*
trägt baS publicum jur Rotß biefe colorirten ©eßmerjen
unb töbtlicßen Socatifen unb namentlich bie geiftigen Sßar*
benüs ber anberen ^atbfugel befißen für ein paar Saßre
unberbraueßte ©mpfänglidßfeit. 2öaS aber, wenn aueß biefe,
in 9Ißem ©uropa ftetS auf ben gerfen, plößlicß gewaßr
werben, Wie weit fie ßier in Rüdftanb finb. Sann vae victo-
ribus! 3Beße ben Siegerinnen bom ßoßen c, bie nocß in ber
SSoßfraft .ißrer ©timmbänber nid)t nur ßüben, fonbern aueß
btüben fein publicum meßr ßaben. ©eßr begreiflich baßer ber
Srang einer 9lßerberüßmteften biefer 3 ltn fl» fitß SBagner in bie
Slrme ju werfen, in aßer ©ite bie Racßtigaßenßüfle bon fieß
ju werfen unb eßrlicß bramatifcß ju werben. Saß SRabatne
SRelba bei biefem ©tanb ber Singe überhaupt nocß ißr altes
Repertoir im ßoncertfaal unb auf ber SBüßne ableiert, ßat einen
feßr praftifeßen ©ntnb. ©ie miß in leßter ©tunbe, bebor ber
neue ©urS eingefeßlagen wirb, Srifler, fiäufe, ©taccati, furj
SlßeS, wa§ fie fieß in müßfeligem ©tubium mit faurem gleiß an*
geeignet, in ©elb umfeßen. ©ie maeßt babei gar fein §eßl auS
ißrer großen ©leicßgiltigfeit für bie biSßer geübte Sfunft. Sie
weiß feßr gut, baß biefe beinaße ein Reij für fieß ift unb ber
naeß intimen Senfationen ledßäenbe moberne Rerbenmenfcß
ißte mübe 93lafirtßeit, als erfrifeßenben ©egenfaß ju bem
beinaße religiöfen, fünftlerifdßen ©rnft ber Sembricß unb
ber ftetS entjüdten greube ber Ißatti an fieß felbft em*
pfinbet. Senn blafirt ift bie SRelba in ßoßem ©rab.
SaS ift eigentlich & er mobernfte 3 U 9 an ißr. Dft lang*
Weilt fie fieß ganje 5lbenbe inmitten frifeßet Sorbeeren unb
alter ftereotßper Programme. Unb auch ißre eigene füßle
Unberwüftlicßfeit ennußirt fie ßöeßlicß unb ißr ganjeS feft*
fteßenbeS SBefen, bem fieß feit Saßren fein neuer 3ug an*
fügt. 9lber baS fott ja jeßt anbetS Werben. Ser Staats*
ftreieß ift feßon borbereitet, fogar bie ©oftüme finb fertig
unb ber SBeifatl unb bie Reclame für bie neue ©Ifa, Senta,
©lifabetß unb bie brei Stunßilben. 2Bir wollen eS baßer
untertaffen, bem SSilb ber weltbefannten ©oloraturfängerin
üRelba in feinen ©injelßeiten nacßjugeßen unb alle SEBunber
ißrer Seeßnif jum fo unb fo hielten Riale ßerjujäßlen.
3aßlteicße fritifeße fjebern ßaben bieS ja fattfam getßan.
Riufifalifeße ©eometer ßaben baS berüßmte Organ in feiner
ganjen i>öße unb Siefe begangen unb naeß etwaigen Un*
ebenßeiten geforfeßt; literarifeße Jfleinfrämer ßaben bie 9luS*
geglicßeitßeit ber Regifter geprüft, bie S3eßenbigfeit ber
©calentedßnif benebft ber StuSbauer beS SritlerS mit ber
Ußr in ber Ipanb feftgefteQt, bie unfehlbare Sicherheit beS
9lnfaßeS eibli^ erßärtet, baS Staccato nocß um ein §ärdßen
fürjer gefunben, als baS ber Sembridß, baßingegen bem
Segato unb ißortamento ben wannen Seelenton unb bie
queHenbe ©mpfinbung runbweg abgefproeßen unb eS eine
intereffante 9lbwecßStung genannt, Wenn ftatt ber gewohnten
UBaßnfinnSarie aus „Sucia", bie große 9lrie auS „Srabiata"
bie erfte ©oncertnummer bitbete. UnfereS 9lmteS ift hingegen
ju erforfeßen, ob unter biefem ftarren, weil in tobter ©on*
bention erftarrten SSirtuofinnentßum, nießt Wirflidß etwas
feßtäft, baS bloß beS ©rWederS bebarf, unb ob biefer @r*
weder nidßt tßatfäcßließ bie bramatifeße Oper ift. Vorläufig
aHerbingS feßwärmt Riabame Rielba auSfcßließließ für ißven
größten geinb SBagner, ben 3 er f*örer beS ÄunftgefangeS.
Digitized by v^. ooQie
170
Die ffiegentoari
Dramatifdjc Partien taugen if)v nur infoweit, als fie non
SBagner finb. @3 ift trofjbem !aum anjune^men, bafe Ufr
ber große (Sprung toirflid) in bem ßRafje gelingt, toie ehemals
Sißi Seljmann, bie bei ber ßoloraturfäitgerin beginnenb äße
Stabe bis jur hodjbramatifdjen Äünftlerin burdjlief. @3 würbe
ein SrlebniS für fic^ bitben, bie SDfetba einmal als gibelio
auf ber SBü^ne ju fe^en. 21 ber felbft ot»ne gibelio bleibt iljr
bewußtes gortftreben non einer oeratteten p neuen unb neueften
9?id)titngen merfwürbig. 3 h frommer Selbftfuggeftion nennt
fie biefeS Streben innere Stimme; in 2Baf)rl)eit ift eS ein
ftarfer äußcrlicljer (Drang, ber fie ber Sphäre if)tet ehemaligen
Triumphe entführt: ber (Dürft jeber echten Theaternatur nacf)
neuen SRoßen. 28o gäbe eSbaS Sühnenblut, baS nicht früheftenS
Pom „Sreircn" träumte? (Srfcßaffen, junt minbeften 3^act)=
fchaffen, Sntcutionen behorchen, SRohftoff formen, baS ift
oor 2Ißem ißrimabonnenfeligfeit. Unb wie tief mag ber
SReib eines foldjen Temperaments fein, Wenn cS langfam
oerjdjmachtenb, ber Olücflichen gebenft, benen berühmte ©om=
poniften jcbe neue ißaraberoße auf ben Seib brapirten, Wie
eine fenfationeße Toilette. Unter ben actioen Sängerinnen
giebt eS faitm eine, bie eine fRofle aus fo berühmter erfter
§anb erhalten, wie j. S. Sßauline Succa, bie Selica aWeper»
beet’S. 5D?an beneibct aber auch mit Siecht 9Rarie Sienarb, bie
erfte (Darfteßerin oon ßRaffenet’S Sötte, währenb man felbft Per»
borrt, ohne jemals feinen SRaffenet gefunben ju haben. Sluf
aßen SBcgen Sorbilbet unb Vorgänger ju begegnen, niemals
Seifpicl, immer nur ÜRadjahmet pon Siadjahmer ju fein, auf
fdjönen SHrdfhöfen ju luftwanbeln, jWifchen berühmten Sräbera
bie ehebem lebenbige Dpern geWefen, fürwahr ein trauriges
SooS! 9tflein ber große Schritt, ben grau äRelba eben oon
ber ßoloraturoper jum äRufifbranta machen wiß, bebeutet
nur fdjeinbar eine Slenberung. 3m Srunbe uerläßt fie bie
eine Siuine, um in einer jweiten ihren SBohnfifc aufjufchlagen.
Sie wirb in ihrem ftürmifdjen Drang nach neuen Aufgaben
ben Untergang ber in Ooßfter gerfegung begriffenen Dper
nicht aufjuhalten. 2öie bie Sachen jefjt ftehen, Wirb bem S’unft*
gefang in feinem mobernen Sühnenwerf eine Stätte bereitet.
So lange bie bramatifchen ©omponiften DeutfchlanbS, 3talienS
unb granfreid)S bie SBagner’fcfje Sehre oerfiinben, ift oon einer
bem Sefang günftigen Söenbung ooßftänbig abjufehen. 2Ran
wirb überhaupt nidjt mehr ju fingen brauchen, fonbern nur
noch ju fagen. SiS enblidj ber SReffiaS fommt unb bie SRufif
mit neuen SBeifen in ihre uralten Rechte einfegt. Dann
wirb aber ßRabame SRelba, befonberS wenn fie SBagner
fingt, für bie „neuen Aufgaben" feinen gefunben Ton mehr
in ber Äef)le haben.
gfeuiffeton.
- SRaebbrutf üerboten.
Die Mehrung.
©on (Buy be IHaupaffant.
Woger be SourneDiHe fag int Greife feiner greunbe rittlings auf
einem ©tnßl, tßat Don Qzit zu Seit einen fräfttgen 8 U 9 auS feiner
©igavre, blieS bie Wau4mölf4en Dor fich bin unb erzählte:
... ?öir faßen gerabe bei $if4, als man unS einen ©rief brachte.
Wein ©aßa öffnete ißn. 3b* Alle fennt bo4 ©aßa? ©r hält fuß für
ben ©tetlDertreter beS legitimen Königs in granfrei4. 3d) nenne ibn
nur S5on Cuifote, meil er zwölf 3 a ßre lang gegen bie 3Sinbmüßlen-
flügel ber Üiepublif fämßft, oßne eigentlid) fo redft ju mißen, ob er fid)
im tarnen ber ©ourbonen ober ber DrleanS fcßlägt. Auf alle gäHe
hält fieß ©apa für ben erften ©beimann granfrei4$, ben belannteften
unb einflußreiebften Wenfcßen, baS £aupt feiner Partei. 23aS aber
Warna betrifft, fo ift fie ©apaS (Seele, bie ©eele beS KönigtßumS unb
ber Weligton, ber redjte Arm Lottes auf ©rben unb bie ©eißel aller
©cbledjtgefinnteu ... 91Ifo, man brachte unS einen iörief, als mir bei
'lijcbe faßen, ^ßaba laS ibn, marf einen 331icf auf 9Rama unb fagte:
„$ein ©ruber liegt im ©terben." ^Rama erbleidjtc. 3n ber Samilie
mar faft nie oon meinem Dnfel bie SRebe gemefen. 3$ berfönlid) fannte
ibn gar nießt. ?lußer ^aufe botte id) nur erfahren, baß er ein tolles
Skben geführt bötte unb noch führte. 92ad)bem er fein ©ermögen ntit
unzähligen grauenzimment burcbgebrad)t, behielt er nur nod) zwei
SRaitreffen, mit benen er in einer flehten Söobnung ber Rue des Martyrs
lebte. 3US ehemaliger ©air oon granfreicb unb daOallerieoberft a.
glaubte er, mie man fagte, meber an ©ott noch an ben Teufel. 9ln
einem bintmlifdjen i?eben jmeifelnb, böh e er baS irbifeße in jeber $im
ftdtt auSgefoftet. ^ie ©rinnerung an ihn blutete in 9RamaS berjett
mie eine allzeit offene 5Bunbe.
v ©ieb mir ben ©rief, ©aul," fagte fie. 9?a(bbem fie ihn gelefrn,
erbat ich ißn mir ebenfalls, ©r lautete:
„§err ©raf, ich glaube ©ie mittbeilen ju müffen, baS i^r
feßmager s JRarquiS be gumerolb halb fterbeu mirb. ©ieleicßt roolen
fie etmaS tßun unb nicht fergeffen, baS ich ihnen ©erießt gegeben
f)a6e ' «Somit i<f) oerbleibe il,« ®inerm Wefanie“.
,,©S muß bei Seiten etmaS gefcheßen," brummte ©apa. „34 bin
eS meiner ©teüung fd)ulbtg, deinen ©ruber in feinen lebten ©tunben
nicht ju öerlaffen."
„34 merbe na4 bem 9(bb£ ©oioron f4iden/' fagte 9Rama, „unb
bann mit ißin unb SRoger meinen ©ruber auffu4en. &U, ©aul, blctbft
ßier. ®u barfit 2>i4 nicht combromittiren. 3n fo!4en Gingen fmtn
unb muß eine grau ßanbeln. ©in 3)?ann in deiner bolitif4en ©telIung
ßat 9 P ?üdfi4ten zu nehmen, teilte geinbe fönnten eS fonft gegen 5)id)
auSfpielen".
„$>u bofi 9^e4t/' fagte mein ©ater. „Xßue, meine fiiebe, ma‘5
$u für gut finbeft."
©ine ©iertelftunbe fbäter betrat 9lb6^ ©oiOron ben ©alon, unb
bie Angelegenheit mürbe unter ben oerf4iebenften ©efi4tötrinfeln fiar*
gelegt unb erörtert. SBenn ber SRarquiS be gunterol, ber Xräger ctne§
ber älteften itnb berüßmteften fra’nzöfif4en ©efc^lec^ter, oßne bie Xröftungen
ber Religion ftürbe, fo märe bicS oßne Steife! eine ©4anbe für ben
Abel im Allgemeinen unb für ben ©rafen Soumeoiüe im ©efonberen.
$ie greibenfer mürben triumpbiren. $ie }cßle4ten 3citungen mürben
ein ßalbeS 3aßr laug über ben ©ieg froblocfen; ber SRame meiner
Butter mürbe in bem ©djmufc unb ber ©rofa ber rotßen ©reffe ßerum^
gejerrt, ber Warne meines ©aterS mit Kotb bemorfen. $aS burfte un=
mogli4 gefcheben. 3Ran bef41oß alfo gleid) einen Kreuzzug unter ber
Seitung beS Abbe ©oioron, eines fleinen, biefen unb eleganten ©riefterS,
ber lekßt na4 ©arfüm buftete unb ber tßpif4e Kir4enüertreter eine^
oornebmen unb rei4en ©tabtoiertelS mar. ©in Sagen mürbe am
gefpannt unb Warna, ber ©farrer unb id) fußren batrnn, um bem
Dnfel bie lebten ^röftungen ber ^Religion zu bringen, ©rft roollte man
btefe Welanie auffutßen, bie ©erfafferin beS ©riefeS. 3Babrf4einlid)
mar fie DnfelS ©ortierfrau ober $ienftmäb4en. $er SBagen ßhlt oor
einem fiebenftöcftgen O au fe. 34 flieg uuS, baS Terrain zu recognoS-
ciren, unb betrat einen bunflen ©ang, mo 14 ntit Wüße baS f4marze
So4 fanb, too ber ©ortier häufte, tiefer mufterte mi4 mißtrauifd)
Dom Kopf biS zu ben güßen. 34 fragte; „©itte, mo mobnt grau
Welanie?"
„Kenn' kß ni4t."
„Aber i4 b a &e einen ©rief Don ißr befommen."
„Kann fein, aber fenn ? id) ni4t- ©^ ift moßl fo ein grauem
Zimmer, maS ©ie fueßen?"
„Wein, eher ein $ienftmäbdjen. ©ie ßut an mi4 megen einer
©teile gef4rieben."
„©in $ienftmäb4en? . . . ©in $ienftmäb4en? . . . 9Babrf4ei nr
U4 Dom WarquiS. gragen ©ie 'mal na4- günf Srebßen linfS."
©obalb ber ©ortier mußte, baß i4 fein Abenteuer fu4te, war
er freunbli4er unb begleitete mi4 btö an baS ©nbe beS ^auSaangS.
©r mar ein großer, magerer Wann, mit meißern ©aefenbart, berWiene
eines KüfterS unb feßr mürbigen ©eberben . . . 3 n ©ile fßrang t4 Me
f4ntubige ^reßße hinauf, beren ©elänber # i4 ni4t anzufajfen ma^te.
3m fünften ©toefe floßfte i4 breimal leife an bie Xbüre linfS. $tefe
fßrang gleich auf, unb i4 faß nti4 einem feßmu^igen, ungeroöbnliÄ
biefen Seibe gegenüber, baS fuß recßtS unb linfS an ben ißürpfoften
feftßielt unb mit ißren auSgebreiteten Armen mir ben ©intritt Derfßerrtc.
„3BaS münfeßen ©ie?" fußr fie mi4 an.
,,©inb ©te grau Wtelanie?"
„3a."
„34 bin ber ©icomte £ournebiHe."
,,©ut, treten ©ie herein."
„Aber . . . Warna märtet unten mit einem ©eiftlkßen."
„Auch gut! £)olen ©ie fie. Aber hüten '©ie ft4 Dor bem ©ortier."
34 ging hinunter unb fant mit Warna unb bem Abb^ wieber.
Xabei fd)ien mir, als ob i4 ©djritte htuter utiS ßörte. ©obalb wir
bie Küche betreten, bot unS Welanie ©tüßle an, unb mir festen un£
aüe Dier, um KtiegSrath zu halten.
„©teßt eS feßr jcßlimm mit ißm?" fragte Warna.
„D ja, W?abame, er mirb eS nußt lange meßr treiben."
„©eßeint er geneigt, ben ©efu4 eines ©eiftlidjen zu empfangen?"
„Dß . . . baS glaub’ i4 nießt."
„Kann i4 tßn feßen?"
Digitized by v^.ooQle
11.
Die (Ücgentoart.
171
„Slber gemtft. . . ©fabame ... nur ... nur . . . bie grä uleinS finb
bei ipm."
„SSefcpe gräulein?"
„9fun . . . feine guten greun binnen natürlich-*
„91p!" ©fama mürbe über unb über rotp. Ser 91bbe ©oioron
jeplug bie klugen nieber. Sie Sache fing an, mich ju amüfiren, unb
ich fa 9 te:
„SBie mär'S, menn icp juerft hineinginge? geh mürbe fepen, tote
er mich aufnimmt; auch fönnte id) ihn üielleidjt oorberciten."
©fama bachte fich bei meinem ©orfcplage nichts 9lrgeS unb antmortete:
„©emife, mein ftinb."
gn biefem 9lugenblide mürbe irgenb eine Spür geöffnet unb eine
grnuenfttmme rief: „©felanie!" SaS biete 58eib eilte hinaus unb
antmortete: „5BaS münfehen Sie, gräuletnchen ftlara?"
„Sen (Sierfuchen, aber fcpnell!"
„Sen 9lugenblid, gräuleincpen!" Unb gu unS jurüdfeprenb er*
Härte fie unS, eS panbele fid) um einen ftäfefuepen, ben „Sie" ihr auf=
getragen hatten, um jmei Uhr $u feroiren. Sie jerfcplug fchneU bie
6 ier in eine tiefe Schüffel unb rührte brauf loS. gd) ging hinaus
unb tlingelte, um meine officielle 9lnfunft an$u$eigen. Melanie Öffnete
mir, lieft mid) im ©orjimmer nieberfipen, benacpridjtigte meinen Cnfel
oon meinem ©efitcp unb fam mieber, um mich $u bitten, einjutreten.
35er 9lbb£ oerbarg fid) hinter ber Spüre, um auf baS erfte getepen hin
erjeheinen ju tönnen.
Ser 9lnblid meines CnfelS überreichte mich- (Sr mar fehr jcböit,
fepr mürbig, fehr Oornehm, biefer alte fiebemann. gn einem groften
fiehnftuhl fipenb ober mehr liegenb, bie ©eine in einer Sede, bie 9lrme
auf bie Seitenlehnen geftüftt, fo baft bie fcpmalen, blutleeren, leblofen
$)änbe herabhingen, erroartete er ben Sob mit ber SBürbe eines biblifchen
Patriarchen. (Sin meifter ©otlbart fiel auf feine ©ruft nieber, unb bie
ebenfalls fchneemeiften $mare reichten bis bortbin, mo ber ©art begann,
hinter feinem Stuhl, mie um ihn gegen mich S u Uertheibigen, ftanben
jroei üppige tarnen, bie mid) mit breiften Sirnenbliden anblipten. gut
Scplafrocf, bie 9lrme nadt, baS fcpmar$e .£>aar hinten aufammengebrept,
an ben güften golbgefiidte türftfepe ©antoffeln, mdepe bie feibenen
Strümpfe fepen lieften, ftanben fie neben bent Sterbenben, mie ade=
gorijepe giguren, bie auf einem ©emälbe bie Sittenloftafeit oerförpern
füllten, gmifepen bent fiepnfiitpl unb bem ©ette ftano ein geberfteS
Sifcpcpen: aroei Seiler, $mei ©läfer, gmet ©eftede marteten auf ben
Ääjefucpen, ber bei Melanie beftellt morben mar.
©fein Cnfel fagte mit fepmaeper, tonlofer, aber Harer Stimme:
„©Uten Sag, mein gunge. Sein ©efuep fommt etmaS fpät. Unfere
©efanntfepaft mirb feine lange fein."
„(SS ift nid)t meine Scpulb, mein Cnfel", ftammelte icp oerlegen,
„©ein," antmortete er. „gep meift. (SS ift mehr bie Scpulb Seines
©aterS unb Seiner Butter, als bie Seine . . . 28ie gebt eS ihnen?"
„©iept fcplecpt, banfe. 9US fie hörten,' Su feieft franf, haben fie
miep pergefdjidt, mich naep Seinem ©efinben ju erfunbigen."
„Unb marum finb fie niept felbft gelommen?"
gep bltcftc naep ben beiben grauen^immern unb fagte leife: „(SS
ift niept ipre Scpulb, baft fie niept fomnten fonnten, (SS märe boep für
meinen ©ater fcprner unb für meine ©futter unmöglich, biefeS ginimer
$u betreten."
Ser ©reis antmortete nichts. (Sr fcpob nur feine $anb Oor unb
fuepte bie meinige. gd) ergriff bie blutleere, farblofe unb falte §aitb
unb bepielt fie in ber meinigen. Sa ging bie Spür auf: Melanie fam
mit bem (Sierfucpen unb ftellte ipn auf ben Sifd). Sie beiben Samen
festen fiep fogleicp Oor ipre Seiler unb fingen an $u effen, opne ihre
©lide auch nur einen 9lugenblid oon mir abjumenben.
„Cnfel", fagte icp, „eS märe für ©fama eine grofte greube, Sich
umarmen ju fönnen."
„gep auep . .. icp möcpte fie gern ..." (Sr oodenbete ben Sap nicht.
(SS fiel mir fein paffenber ©oricplag ein, unb fo hörte man nicptS,
als baS klappern ber ©abein unb bie fauenben ©emegungen ber (Sfferinnen.
Sem 9lbb£, ber hinter ber Sbür (aufepte, mar unfere ©erlegenpeit aber
niept entgangen. (Sr glaubte baS Spiel gemonnen unb ben Moment
günftia, um feinerfeitS einaugreifen. (Sr trat herein.
©fein Cnfel mar oon feiner (Srfdjeinung fo oerblüfft, baft er einen
9lugenblid realoS bafaft; bann öffnete er ben ©funb, als ob er ben
©eiftlicpen freffen mollte unb rief mit ftarfer, tiefer, zorniger Stimme: |
„3SaS mollen Sie pier?" j
Ser 9lbbe mar an fepmierige Situationen gemöpnt unb flüfierte, ,
inbem er näher trat: „geh fomme ©amenS gprer grau Scpmefter, 5>err
©farquiS. ga, fie fepidt miep, unb fie mürbe fo glüdlicp fein, §err :
©farquiS, menn ..."
9lber ber Marquis mollte ipn niept anpören. (Sr erpob eine £>anb,
mieS mit ftoljer, tragifeper ©eberbe naep ber Spür unb fagte feuepenb,
aufter fiep: „hinaus! . . . ©erlaft baS 3 immer ! • • • ©celenräuber! ...
toacp f baft Su fortfommft, ©cmiffcnSfcpänber! . . . gort, Su ©inöreeper !
bei Sterbenben!"
Ser 9lbbe miep joriid bis jur Spür, unb auep ich trat ben SKüd-
Jiug an. Sie beiben Samen lieften ihren halb aufgegeffenen ©ierfucpeit
ftepen unb ftellten fiep 3 U beiben Seiten beS SepnftuplS. Sie legten ipre
fpänbe auf feine Slrme, um ipn *u beruhigen unb zugleich gegen bie
Oerbrecperifcpen Attentate ber gamitie unb Religion ju fepüpen.
Ser 9lbbe ging mit mir in bie $üd)e ju 9)?ama. ©felanie lieft
unö mieber nieberfipen. „gep muftte mopl, baft ba§ niept fo ginge mie
gefcpniiert," fagte fie. „®fau muft maS ?lnbere§ auäbenfen, fonft ftirbt
er unS noch meg."
Sie ©eratpung fing alfo mieber oon Oorn an. dWatna maepte einen,
ber 2 lbbe einen anberen, icp einen britten ©orfcplag. 3Bir mochten etma
eine palbe Stunbe leife beratpfchlagt paben, als ein heftiger Särm fiep
in bem 3immer erpob. 9ttöbel mürben gerüdt, unb mein Cnfel feprie
noch heftiger al§ oorper, fo baft mir alle emporfupren. Surcp bie Spüren
unb SBänbe pinburep flang e§ an unfer Opr: „^)inau§! .. . hinaus! • • •
ihr Scpanbbubcn!... $inau§, ipr Scpufte! . .. pinauS! .. . pinauä!..."
©Manie ftür^te pinein unb fam fogleicp mieber, uni mid) ju J&iilfe
^u rufen, gep eilte in’S gintuier. ©fein Cnfel mar Oor gorn in bie
.^öpe gefahren unb ftanb mütpenb erregt faft aufreept ba; ipm gegenüber
fab man ^mei ©tänner, bie barauf *u märten fdjienen, baft er Oor SButp
jufammenftür^e. 3ln bem langen IRod, ber ©fiene eines £mu$lel)rer3,
am Stcpfragen unb meiften ©alStucp, an ben glattgefcpeitelten paaren
unb bem falbung^ooflen ©efiept erfannte id) in bem erften gleicp einen
proteftantifepen ©farrer. Ser anbere aber mar ber ©ortier, ber ber
reformirten Stircpe angepörte unb un 8 gefolgt mar, um geuge uuferer
©ieberlage ju merben unb eiligft feinen eigenen ©eiftlicpen perbeigupolen.
©fein Cnfel fepien Oor SButp ben ©erftanb Oerloren 5 U paben. ©Senn
ber 9lnblid be 8 fatpolifcpen ©riefter§, be^ ©eiftlicpen feiner ©orfapren,
ben jum greibenfer gemorbenen ©farquiS erzürnt patte, fo braepte ipn
ber vlnblid be§ ©eiftlicpen feines ©ortierS gan^ au 8 bem $äu£cpen.
gep ergriff bie beiben ©fänner bei ben Ernten unb füprte fie fo fcpnell
mie möglich hinaus. Sann oerfepmanb icp, feprte in bie Äücpe, unfer
Hauptquartier, ^urüd, um ben Üfatp meiner ©futter unb beS 9lbb^§
einjupolen. Sa ftürnite ©felanie fcplucpjenb perein ju un 8 .
,,©r ftirbt... er ftirbt. .. fommen Sie fcpnell."
©fatna ging hinein, ©fein Cnfel mar ber £ftnge naep auf ben
©oben gefallen unb rührte fiep niept mehr, gep glaube, baft er fepon
tobt mar. ©fama aber mar groftartig! Sie ging geraben 2Beg8 auf
bie beiben Sirnen $u, bie neben bem leblofen Körper fnieteu unb ipn
aufjuheben fuepten, unb mieS gebieteri}^, mit einer SBürbe unb §opeit,
bie feinen SBiberfprudj bulbete, auf bie Spür: „ge$t ift bie 9 ?eipe an
gpnen, baS gimmer 311 Oerlaffen!" Unb fie gingen pinau§, opne $u
miberfpreepen, opne ein SBort gu roagen.
Ser ?lbbe ©oioron ertpeilte nun meinem Pnfel unter ben üblichen
©ebeten bie lefcte Celung unb Oergab ipm feine Sünbeit.
©fama, bie neben ipretn ©ruber auf ben Änieen lag, fcplucpjte.
©löblich rief fte auä: „(Sr pat miep erfannt... (Sr pat mir bie &anb
gebrüdt! ... gd) bin fieper, baft er miep erfannt pat! . .. unb baft er
mir gebanft pat!... C mein ©ott . .. melcpe greube! .. ." 2 lrme
©fama, fie muftte, baft fte log, aber e£ mar ja für ipre Äircpe, ipre
©artei, ipre gamilie!
Ser Cnfel mürbe auf fein ©ett gelegt. (Sr mar Iängft tobt,
„©fabame," fagte ©felanie, „mir paben feine fieintücper. 9We
©äfche gepört ben beiben Samen." gep betrachtete ben (Sterfucpen, ben
fte nicht aufgegeffen patten, unb hätte meinen unb lacpen mögen, gm
Öeben aiebt e§ oft fonberbare ?lugenblide unb fonberbare ©mpftnbungen.
^Sir oeranftalteten natürlich meinem Cnfel ein prunfoolleS ©e=
gräbnift, am ©rabe mürben fünf 9feben gepalten. Ser Senator, ©aron
be (SroiffelleS, bemieS mit mürbigen SSorteit, baft ©ott ftetö in bem
£>erjen feiner 5lu8ermäplten triumppirt, auep menn fte fiep einen $lugen=
blid oerirrt paben. 91 de ©fitglieber ber ropaliftifepen unb flerifalen ©artei
gingen mit Siegermienen im Seicpenjug unb fepmärmten baoon, baft ein
reuiger Sob ein etmaS bemegteS fieben abgefcploffen habe. —
Ser ©icomte 9foger fepmieg. Sie greunbe ladpten. gemanb fagte:
„9lcp ma§, ba§ ift bie ©efepiepte aller ©efeprungen oon Sterbenben."
Jlus ber ßauptßabt.
Sölbner ttttb 5olbaten.
©nglifdpe ©lätter, namentlich auep bie *Army and Navy Gazette“,
bringen immer mieber gepäffige ober facpltcpe 9lrtifel, bie ben Seutfd)en
al§ einen ftetS ju erpaltenben ©fietpsfolbaten pinfteHen. ©fan braucht
fiep in ber SageSpreffe gar niept fo fepr barüber ju ereifern, mie
baS gefepepen ift, ober gar bie ganje Sacpe als pure gepäffige (Sr=
finbung pinjuftellen, benn — leiber — ift fo ätentlicp SUIeS SSaprpeit,
menigftenS fo meit eS baS oben genannte ©latt angept. SBapr ift, baft
3 Beft= unb Cft=9font gern beutfepe Sölbner marben, baft im ©fittelalter
beutfepe Sölbner ftetS ju paben maren, unb baft eS bis auf ben heutigen
Sag leicht ift, Seuifcpe für jeben $rieg$gug aufterpalb ©uropaS 51 t er*
palten. 2Senn am Scpluft baS englifcpe 9lrmeeblatt fagt: ,,©3ir (Sng=
länber brauchten nur anjufünbigen, baft mir eine beutfepe Segion $u
Digitized by
Google
172
Die (Gegenwart
Nr. 11.
errieten wünfcßen, unb Daufenbe bon behüten würben fieß rnelben für
1 Shilling ben Dag, freie Verpflegung, eine AuSrüftung unb baS Ver=
fprecßen, ißnen 10 Sftr. $u johlen, wenn man fie entläßt", fo flingt
baS feßr herbe, aber ein gut Dßeil Grnft liegt barin. 2Benn eS bie Negie*
rung unb bie Neutralität zuließen, würbe Gnglanb in Deutfcßlanb genug
fieute finben, namentlich zurgormirung eines ganz beutfcßen DruppentßeilS.
Unb nlcßt nur Nefruten, fonbern zahlreiche £)fficiere! 3n Berlin laufen
>$>unberte bon SeutnantS a. D. unb ehemaligen Leutnants unb gäßn^
rieben als Agenten, Annoncen=Sammler, Stabtreifenbe u. f. w. herum,
bie ganz gern unter obigen Anerbietungen bei höheren Gelbfäpen in'S
gelb jiehen würben, allein feßon beßßalb, um eine ihnen jufagenbe Se=
fchäftigung ju erlangen. 28aS fann ihnen benn groß paffiren? Sie
fönnen berwunbet werben. Vortrefflich, bann erhalten fie etwas fßenfion.
Sie fönnen heil jurüeffommen. Schon ungünftiger, aber bann ßaben
fie etwas erlebt, unb hier war nichts ju berfäumen für fie. Gnblicß
fönnen fie fterben. DaS fönnen fte hier auch haben, unb auf welche
Art, bleibt ftch gleich, fdjließlicß ift ber Dob burch bie $ugel bem beS
langfamen Verhungerns fogar borjujiehen.
Unfere ehemaligen Leutnants unb feigen Dberften ic. in ber Suren*
armee ftttb heute große Dßiere. 3ft man wirflich fo nalb, z u glauben,
baß bie Herren nur aus Sßmpatßie für bie Suren nach DranSbaal ge*
gangen ftnb? 28er bovt herrfchte, war ihnen ganz egal, unb fte hätten
ebenfogut mitgemacht, wenn DranSbaal ettglifch gewefen wäre, Giebt
eS hoch in Natal eine beutfeße Gompagnie. Der Gnglänber finbet bie
Sache audh ganz erftärlicß burch baS auSgefprodjene friegerifdje Gefüßl
ber Nation, baS bem Gnglänber gänzlidj abgeht. GS ift nur baS eine
traurige babei, baß baS Nationalgefühl bei bem Deutfcßen noch nicht
mehr zum Durchbruch 'ßefommen ift. hierfür fann unS ber Gnglänber
jum Vorbilb bienen. Der lägt ftch nicht für frembe Nationen anwerben.
Sn ben franzöflfcßen grembenreglmentern, in ber ßollänbifcßen Golonial*
armee, in benen bie Deutfcßen ben Äern bilben, finbet man feine Gng*
länber unb Schotten. Gleiches gilt bon ben greiwtfligen ber amertfa*
nifeßen Armee. Nie werben Gnglänber gegen Gnglänber im AuSlanb
fechten, unb nimmt man bie aübefannte Dßatfacße hinzu, baß eS bem
Gnglänber nicht einfällt, ftch ber Sprache unb ben Gewohnheiten anberer
Nationen angttbequemen, währenb, wenn brei Deutfcße unb ein Gng*
Täuber jufaramen ftnb, unfehlbar englifcß gefprodjen wirb, fo muß man
Zugeben, baß noch unenblicß oiel gefchehen muß, bis ber Deutfche ftch
ftolj als Deutfcher fühlt. DaS ftnb bie golgen ber ßleinftaaterei.
Deutfcßlanb hat eine große Armee unb fehr großen Abgang an
Dfficieren. granfreidj unb Nußlanb höben zwar ebenfo große unb
größere Armeen, aber franzöfifdje ober ruffifche Dfficiere finbet man
feiten als Gonbottteri. DaS ift ber richtige AuSbrucf, unb zahlreiche Sei*
fpiele ftnb borßanben, ihn ju belegen. Da geht ein oft genannter Ntojor
ber Artillerie Anfang ber achtziger 3aßre na $ als Dencßen=General
— wirb Seiter ber Schule in Dientfin. Nach Ablauf feines GontracteS
fehrt er nach Deutfcßlanb zurücf unb grünbet eine §anbeISgefeflfcßaft
nach ßßina. Die ©htnefen nehmen ihm im Nu baS wtberwillig .gezahlte
Gelb ab; er geht nach ßßlle, 100 gerabe Selmaceba geenbet §at, mad)t
einen fßutfdj gegen bie Negierung, unb biefe ift froh, ißn auf ftieblichem
SBege bahin zu bringen, baß er berfprießt, Gßile Z u meiben. Gr geht
nach $eru, wo auch waS loS ift. Gin anberer galt: 3w Kriege GßinaS
gegen gapan wirb bei ber erften Action, ber Verfenfung beS eßineftfeßen
DranSporterS Ghow Sing, ein ehemaliger beutfeher $auptmann ber $elb
beS DageS. GS gelingt ihm, ftch feßwimmenb zu retten, bon Gßina
retten tonnte er nichts. Nach bem Kriege fah man ihn im Gefolge bon
Si £>ung Dfcßang, bie treffe nannte ihn „General", bei $ofe würben er
unb feine Gattin DorgefteHt. Die Gartifcre beS ehemaligen preußifdjen
ßeutnantS Schiel ift befannt. SNan nennt ihn permanent „beutfehen
Oberft", aber eS glebt folche Gharge feit 1849, nur einmal, nämlich,
ba ja ein „DeutfdjeS" f>eer ni^t efiftirt, in ber SNarine. GS ift ber
Snfpecteur ber 9Rarine=3ufanterte; aKenfallS fann man auch nod) ben
Gommaubeur einer Scpuptruppe, wenn er Oberft ift, fo bezeichnen.
Solche Garrferen ntüffen boeß naturgemäß feßr berlodenb fein,
unb wer will eS benn einem in allen Gßren ohne Sßenfion oerabf^ic-
beten ßeutnant berbenfen, wenn er feine Suft hut, hier im lieben Vater=
lanbe mit 25 Sehren ober mehr ba anzufangen, wo Anbere mit 17
3 ahren beginnen, fonbern in bic 28elt geht unb zwar bahin, wo bie
Kanonen feßreien? Ober, $anb aufs |>erz, welcher aettoe Dfficier in
ber güfle feiner $raft unb mit Öeib unb Seele Solbat, brillt lieber in
Gumbinnen ober in Diebenhofen 3ößr auS 3ößr ein Nefruten, als bajj
er einen frifeßen fröhlichen $rieg mitmaeßt, ganz gleich wo? Sei unS hört
er, wo er ßinfommt, ftetS: gricbe! griebe! griebe! Unb wenn ißm
bann noch oerfießert wirb, baß biefer griebe nodß unenblich lange bauern
foü, ba muß er fuß als benfenber SNann boeß fagen, baß er ben Stanb
uid)t unter biefem AuSblicf auf bie 3ufunft gewählt ßat. Unb wenn
er ben Abfcßieb nimmt unb hiuläuft, wo'S fnaflt, aueß gegen ben 28unftß
öon oben, fo fann man folcß T Verfahren au<ß uießt zu ßurt beurtßeilen.
greuen wir unS, baß bem fo ift!
DaS aber fteßt feft: wo auf ber Grbenfugel außerhalb GuropaS
bie Äanonen ißren Ntunb auftßun, ber Deutfcße ift babei. Gr greift
fofort zur 28eßr. DaS liegt ißm im Slut, unb baS ift waßriitß feine
fcßlecßte Gigenfcßaft, fonbent eine, oor ber man Nefpect haben muß.
Gott fei Dan! ift itnfer Nationalgefüßl mächtig im Steigen, wenn auch
noch uidjt auf ber §öße. DaS wiffen bie Gnglänber ganz genau. Gegen
ißn fämpft ber Deutfdjc, wie er fnirfcßenb gefteßt, mit 28onne, für ißn
toieUeicßt ßeute noch unter gewiffen Umfiänben. Gegen Deutfcße, wie
früßer fo oft, fcßwerlid) meßr. Den gewaltigen gactor ßaben aber bic
englifcßen Slätter oollfommeu iiberfeßen: baS geeinte, mächtige Deutfcße
Neid). Gewiß fann man Deutfcße nod) zu Kriegen befommen, weil eben
bie 2uft am 28affenßanbwerf feft im Deutfcßen eingewurzelt ift, aber
3eber, ber eS ßeute wagt, gegen baS Neicß bie £>anb zu erheben, ber
befommt nicht meßr Deutfcße gegen Deutfcße für Solb, fonbern er be*
fommt alle Deutfcßen als grimme Gegner auf ben §al$. DaS ift ber
waltige Unterfcßieb zwifeßeu Ginft unb Sefct, zwifdßen Sölbnem unb
Solbaten. Nemo.
(Kitt eittfaraer Jtaler.
GS giebt noeß immer Nfaler, bie fernab Dom Geräufcß ber großen
2Belt unb bem fiärm beS NtarftS ißr eigenes Seben, ein Öeben nur beS
heißen NingenS um ben Voflbefip beS AuSbrucfS ißrer Shmftibeale leben.
2 J?an fprießt oon ißnen nur, wenn fte einmal, man möchte faft fagen,
Zufällig auf einer AuSftettung auftauchen, gür fte giebt’S feine treffe,
feine Neclame, feine Äunftßänbier, feine Nfäcene. Sie fueßen baS AÜeS
Zunt minbeften nießt unb fie taffen fieß felbft auffueßen. SRitunter ift
biefe 28eltflucßt in ißrem eigenften SBefeit begrünbet, mitunter aber auch
nur bie golge einer gewiffen ftantpfeSmübigfeit, mitunter auch eine
2Birfung beiber Momente. Gin folcßer ÜRaler ift ber Sanbfcßafter
agemeifter, ber bort um 2Berber ßerum im Nößricßt lebt, zwifeßen
ridenten unb 28afferrofen unb für ben bie ganze übrige 28dt oer=
funfen zu fein feßeint. Ä3er ißn fo reeßt fennen lernen will, ber muß
ißn bort auffueßen. Von jeinen becoratiüen NaturauSfcßnitten auS jenem
Nößricßtreicß, baS er bis in feine oerborgenften ScßÖnßeiten unb geßeimften
Gigenßeiten hinein fennt unb liebt, befommen wir nur gar feiten etwas
Zu feßen. Gin folcßer Nfaler aueß ift Seffer Urß. 3« biel ßößerem
Grabe noeß. Gr ift ein Ginfamer nießt bloß in feinem Seben, er ift'8
in feiner ganzen Äunft aud); ein Kämpfer unb Ninger, ber weit ent¬
fernt ift bon jeber Sefcßaulicßfeit, bie nur eine grueßt beS inneren grie-
benS ift. Gin Kämpfer unb Ninger nicht nur um bie Anerfennuna ber
Nfitwelt einft, fonbern öor Allem Giner, ber mit ber eigenen Äunft
fämpft. Drat er je zuweilen heraus au bie Oeffentlicßfeit, fo ßat’S noch
immer ein großes ^afloß gegeben, einen Särm, ber ben fein Gmpfinben=
ben auf'S Gröblidjfte berlepen mußte, ftimmten ißn nun feine wenigen,
ßäufig übereifrigen greunbe an, ober aber bie große Scßaar feiner
Gegner unb geinbe. Ntan erinnere fieß nur beS GefcßreiS, baS fein
erfteS großes SNonumentalgemälbe ßeroorrief — „Serufalem", baS oor
balb oier 3 a ß^n bei Gurlitt auSgeftellt war unb fofort an bie §enne*
berg'fd)e GaUerie in S^ticß berfauft würbe, ober an fein Driptßdjon,
„Ntenfcß", fein erfteS „Nfenfcßenpaar".
Seine bom Naturalismus auSgegangene impreffioniftifeße 3
unb garbenwertßmalerei rang bor Allem immer mit ber gorm. Die
Nteiften faßen baßer nur bie große zeießnerifeße Unfertigfeit in feinen
Digitized by v^.ooQle
Nr. 11.
Die Gegenwart
173
giguren, bie $äg(td)fett unb $ärte mancher Sinien und aurf) garben*
aegetifäfce unb fte überfapen ba« tiefe ©elftel unb reiche ©mpfinbung«*
leben, ba« oon bem ©runde feine« §erjen« unb bem ©oben feiner
©pantape pep lofllöfenb in jenen ©tlbern trop Aßem zu einer gtuinoen?
ben SBirfung gelangten für denjenigen, ber — umgeFeprt wie bie ©Taffe
— gerabe ba« Unfertige unb ^äfelidje überfap. 28er feine ©über au«
ber 3 cit öor b$ n &t« Stoölf Sapren noch Fennt, ber weife, bafe ber
Zünftler einft ganz anber«, b. p. Keffer aeidjnete, al« beute. ©8 giebt
welche barunter, bie jeber dupenb=Au«fteflung wtßFommen wären, A6er
ba« befriedigte tbn nicht. Al« Sanbfchafter immer mehr bem garben*
imprefponiSmu« pep zuwenbenb, löfte er fiep Don ben gormen immer
mehr ab: er fud)te bei biefem unb jenem fianbppaftSmotioe phliefelicp
nur Me garbenaccorbe wieberjugeben, bie e« in ipm weefte, unb fo bie
Stimmungen beim ©efebauer au«zulöfen, bie in ibm felbft lebenbig ge¬
worben. ©Fan bat ipu wobl ptef unb ba al« einen „Oiponären" ©faier
bezeichnet. ©Fir will ba« nicht recht zufagen. denn e« ift Flar, bafe
auch ihut ber perbftlicpe ©ucpenwalbgrunb nicht tpatfäcplicp orangegelb
ober fcparlachrotp erfchien, ber §immel jept nicht fchwefelgelb unb ba«
Saub pier nicht blau unb ftlbern. ©r bichtete eben in garben, weU er
nur fo ba« zum AuSbrud bringen zu Fönnen glaubte, wa« ihn be*
wegte unb — man Oerftanb ihn niept, je weniger fein ©eifteSftrebcn
raftete unb ie gröfeer fein ©togemutp würbe. Aß 7 fein peifee« ©emüben
war vergeblich unb 3apr um 3apt oerrann für ibn in ber gleichen
barten AnerFennungSlofigFeit. dazu Fam noch etwa« Andere«: er ge*
nügte nie pep felbft: über bie mangelnbe AnerFennmtg ber „Ruberen"
Fonnte er al« echter Äünftler fich halb pinwegfepen, aber nicht auch über
jelne eigene Unzufriedenheit. ©rft recht nicht, al« er, ber gbeenmaler,
feine lanbfchaftfichen ©Fotioe naturgemäfe immer monumentaler, unb
gleichseitig abfoluter unb abfiraFter zu bepanbeln fid) müpte. ©in ©Far*
ttjrium war 1 « für ihn. Sehnliche« ift mir nur bei bem 1894 oerftor*
benen ruffifeben ©Faler Nicolai ©mj begegnet, bem langjährigen greunbe
unb ©ermnung$genoffen Seo dolftoi’8, bem Schöpfer u. 91. ber ©emälbe
„2BaS ift ©toprpeit?" (©priftu« unb ©ilatu«) unb bie „Kreuzigung",
bie ja feiner Qti\ auch in ©erlin, Hamburg unb anberen Stäbten
deutfcplanb« ju feben gewefen finb — ba«felbe ©Fartprium feelifdjen
©mppnbungSleben«, biefelbe ßöfelicpFeit, bie un« hoch fo rätbfelbaft an*
Siebt, biefelbe ©rutalität neben grofeer geinbeit, biefelbe 2Bucpt ber
©HrFung unb ba«felbe ©efübl quälenber Unbefriebigung. Aber nicht
ba« natürlich Iff«, wa« Uri) fo weltflüchtig gemacht, wa« ibn bewogen
bat, ba« wa« er gewiffermafeen mit feinem Sperzblut gemalt bat, nicht
mehr öffentlich au«zufteßen. der UnOerftanb braufeen ift 7 «, ber ibn e«
oorziepen Iäfet, in feinem eigenen Atelier AuSfteflungen ju oeranftölten,
wie auch neulich wieber.
doch ich möchte glauben — biefe« ©Fal gerabe hätte er bie ©Fafie
bezwungen: aud) ber Krittler unb Eitler, auep ber denFfaule unb @m*
pfmbungftumpfe würbe fich ber SBirFung nicht entliehen Fönnen, bie oon
feinem „geremiaS" auSgept. denn e« ift ein reife« unb fertige« 2BerF
auch rein technifch, ganz abgefeben baOon, bafe ber Zünftler noch nie
feine Stimmung unb 3bee fo Flar unb überzeugend jum AuSbrud ae*
bracht hoi- $a ift nicht« Weroöfe«, nicht« SchwanFenbe«, nicht« &albe8
unb nicht« Uebertriebene«... Wacht ift'« auf bergiger |>öpe. dahinten
au« grünlichem dunft wädjft ber §immel empor, riefenpod), immer
bunFler blauenb, fternenbefät; oome auf ber fcharf Oom Hintergründe
pd) abpebenben £>albe bie feltfam jacFig gegen ben lichteren Horizont
ftebenbe, faft einem geläblocF gleichende ©eftalt be« gewaltigen ©ro=
Pbeten, am ©oben lagemb, ba« langbärtige £>aupt auf ben 9lmt geftüpt.
©rft allmältg erFennt man bie ©epdjt«AÜge biefe« einfamen ©rofeen in
granbiofer WacpteinfamFeit. ©in Spmbol — benn nacptbunFel erfchien
ihm bie üerberbte ©Fenfcppett ring«um unb einfant fühlte er fi<h in ihrer
Wöbe, faft erbrücFt oon bem ©emufetfein biefer ©erberbtbeit ringsum,
Verzweifelnd unb hoch in ber einfamen ©röfee ber Watur einen £>alt
finbenb. ©ießeiept dachte ber Zünftler an ben diäter be« „Klageliedes"
Qeremiae, bie aber, wie bie tpeologlfcpen gorfdjer nachgewiefen haben,
nicht oon bem grofeen Propheten perrüpren. .da« macht nicht«, diefer
©eher unb ©teltppilofopp, ber fich in nächtliche ftöpeneinjamFeit geflüchtet
bat, ift an unb für fich öon ergreifenber ©ewalt 3«h fäb e ba« ©emälbe
gern am ©nbe eine« affprifepen dempelfäulengange«, wenn ber 9Wonb
e6en über ber 2Büfte auffteigt — e« wäre ber rechte Wabmen für biefe
Malerei... ©8 ift nicht ba« ©innige, wa« biefe 91u«fteHung brachte.
Slufeer bem ma^tooüen inbioibueßen StimmungSbeFenntnife bat Uri) hier
auch eine grofee Wnjabl Fleiner feiner SanbfchaftSgebichte in jener färben*
funFelnben, halb elegifd) träumenben, halb lebensfroh jauchjenben $aftett=
tccpniF, bie er fo bemeiftert, ©ebiepte, ju benen ipni bie ^aoellanbfcpaft,
bie fadpfifc^e Sdjweij, ber ©runemalb u. f. w. bie oielfeitigften WFotioe
lieferten, ©or folcfjen StücFen liege fiep fcpön am glügel ppantafiren
unb improoifiren, wirFen fie boep eigentlich mufitalifcp ... ©nblicp gab'«
auch noch einige ©ilbnifearbeiten ju feben, barunter ba« ältere einer
fcpwars aeFleibeten dame, bereu eble« ©efidjtSooal fo lebenbig leuebtenb
abbebt oom tiefrotben ^intergrunbe. ©in garbenaccorb Oon grofeem
9|eije. w ©8 ift wirFlicp gut!" — fagte mir ber WFaler, fidp nerOö« burep
bie ©aare faprenb — ,,e« ift wirFlicp gut! 34 batte e« fepon faft ganj
toergeffen!" ©ergeffen — in feinem peifeen Äämpferleben. 9lber peifet 7 «
mept erft WFenfcp fein, wenn man ein Kämpfer ift? 3- Horben.
Dramatifdje
^greilicöt". Scpaufpiel Oon ©eora Weide (©erliner dpeater). —
„©in 9lteliergepeimnife". Sufifpiel Oon 9lnton 0. ©erfalL
(Weue« dpeater.)
WUt einer jugendlichen dapferFeit, bie eine« befferen un ^
©rfolge« würbig wäre, Fämpft ©aul fiinbau weiter, um ba« herunter
geFontmene ©erliner dpeater wieber in bie ööpe $u bringen, ein gute«
Repertoire ju fepaffen unb ben oeröbeten Saal Oon greibißettlern ju
fäubern. Wach einer fepönen Aufführung oon ©riflpar$er , 8 perrlicpem
©uepbrama „Sibuffa", ba« auf ber ©üpne ftet« unwirFfam bleibtpat
fiinbau naep bent ©organge be« Scpißertpeater« unb einer unferer über^
Säpligen greien ©üpnen Me tiefftnnigfte beutfepe Äomöbie „Amphitrpon"
aufgefüprt, leiber mit unjulängiidhen unb ftarF nach Senfation fepmedens
ben Mitteln, ©r pat nämlicp $letft’S Wa4« unb Umbicptung, bie ba«
©enie oon ©lautu« unb WFolibre zugleich beftegt ben WFolibre’fcpen
©rolog unb bie burleSFe harangue be« Sofie beigefügt:
Sur tolles affaires toujours
Le meilleur est de ne rien dire.
grip WFautpner unb andere ©Iiquenbrüber paben benn auep fepon wie
auf ©ommanbo conftatirt, bafe erft mit biefem „glüdlicpen ©riff" ba«
fiuftfpiel bem dpeater gewonnen fei. Uebrigen« ift e« bereit« wieber
oerfcpwunben. Älcift aber, bem man erft unlängft 'bie ©erfaffer=
fchaft jweier blöben Suftfpielcpen, bie WFautpner ebenfaß« „entfdjieben
Fleiftifcp" fand, gufc^ob, mag ob biefer neuen ©eleibigung P4 in
feinem föprenbunFlen Sanbpügel am ©apnpofe Sannjee unwirfdh ums
ebrept paben . . . ©erbienftoofler fdjeint un« beinah bie Aufführung
eS neuen Stüde« oon Weide, beffen „DnFel ©önFoft" Oor 3apren im
oerfloffenen ©oetpetpeater jwar mit Sdjtoung burcppel, aber boep eine
aewiffe realiftifcpe ©egabung üerrietp. diesmal gilt e« niept ben ©e^
fretungSFrieg gegen eine bämonifepe rotbpaarige Äeßnertn, fonbern ben
©Überftreit jwifwen einem engherzigen, preufeifcp^correcteu, nüchternen
©epeimratbSmilieu unb bem „grelftcpt" emancipirten Äünftlertpum«.
Alfo eine Weitauflage ber „.^eimatp", nur bafe bie beimFeprenbe WFalerin
in ihrem ©überwiflen Oor bem ©Itempaufe fo weit gept, ben ©erliner
©räutigam trop feiner f^neibigen Oberleutnantuniform fipen ju laffen
unb ihrem norwegifepen Wtalfameraben mit feinen nach Wlüncpner wünftier?
unb Scpriftfteflermobe fo fcpön gebrannten Soden zu folgen, da« ©nbe
ift aber „tfaatrig", wie ©oetpe oom „Ampbitrpon" meinte, ben er boep
niept einmal in fiinbau 7 « ©earbeitung Fannte. £>pne ©ere« unb ©accpu«
friert ©enu«. die zerrüttete gemetnfame 9Birtpfchaft wirb zur fiaft,
unb friebli^-fcpieblich gept man auseinander, ©eibe nun wirFlicp freie
Zünftler. w ©r war ein Wtaler, unb pe patte auch niept«", wie e« in
einer ^ünftlernooeße peifet. 9Benn ber ©erfaffer fiep feine ©efcpwäpig=
Feit abgewohnt unb bei ber Stange bleiben lernt, fo Fann man Oon
feiner unleugbaren ©eftaltungSFraft noch etwa« ©ute« erwarten.
da« Weue dpeater ber grau Wufcpa ©upe ift wopl bie glüdlicpfte
©erliner ©üpne, benn pe pat ein grofee«, treue« unb anfprucplofe«
©ublicum. 3n ben erften ©orfteßungen oermifet man mit freubiger
lleberrafcpung ben gebilbeten unb eleganten ©remibrenpöbel, ber ben
©efuch anderer ©üpnen niept gerabe fepr angenehm maept. ©in gut=
bürgerliche« ©ublicum alfo, einfach unb woplwoßenb, otele junge AJfäb-
epen, ein fefepafter Abonnentenftamm, ber nicht pöper fcpwört, al« zu
feiner Wufcpa. die Aufführung eine« neuen Stüde« ift pier wie ein
gamilienfeft, man Fennt fiep gegenfeitig, liebt bie darfteßer, beläcpelt
bie befepeibenfte ©Jipergiefeung, unb wenn man pep einmal auch etwa«
weniger gut unterhält, fo fepiebt man bie Schuld lieber auf bie eigene
©erftänbnifelofigFeit ober üble fiaune, benn ein Stüd, ba« Wufcpa an=
nimmt unb auffiibrt, Fann boep unmöglich fcpledjt fein, darum wepc
bem ©inbringling, ber nad) fepnobbriger ©erliner Art feine Unzufrieden*
peit äufeern ober gar ^ifcfien woßte; jeder DppoptionSüerfucp wirb unter
©eifaßSftürmen erftidt. 3n golge beffen pnb pier entfdjiebene durep*
fäße neuer Stüde unbeFannt, im fcplimmften gaße giebt eS noep einen
Achtungserfolg, ber bie oiel mifebrauepten ©pitpeta „warm", „freunblicp",
„ehrlich" mit ooßent Wedjte oerbient. Aucp gefaßen pier unb gelangen zu
popen AuffüprungSjiffem Stüde, bie wie Äreper 7 « „Sopn feiner grau"
ober ©$olzogen 7 8 „Unbefcpriebene« ©latt" an jeber anberen ©erliner
©üpne Faum zu ©nbe gefpielt werben Fönnten. 3P uun gar ein fieut*
nant ber §elb ober überhaupt oiel zweierlei ^uep zu fepen, fo Fennt bie
©egeifterung Feine ©renzen, unb felbft ein Schmarren wie drotpa'S
„$ofgunft" Fann einige hundert WFale gegeben werben. $etn ©Junber,
bafe bie ebeufo gewandte wie energifepe grau directorin e« rupig wagen
darf, bie aßmäeptige ©lique wie bie „mafegebenbe" ÄritiF geradezu perau«*
fordern. SSeil pe einen Weporter be« ©erliner dageblatt«, ber ipr ein
Stüd eingereicpt, etwa« fcpnöbe behandelt, wirb feit Wlonaten ba« Weue
dpeater oon bfefem „©Jeitblatt" fritifcp tobtgefcpwiegen unb im Wotizen*
unb fogar Suferatentpeil bopcottirt. Aber ba« dpeater bepnbet pep
fepr wopl dabei unb fährt aßabenblitp fort, bei ben parmlofeften StücFen
auSüerFauft zu fein.
Unb ba« wiß etwa« fagen, wenn bie Woüität z« „änfer ein =
Zige« ^inb" peifet unb mepr eine noOeßiftif^e grauenplauberei, al«
ein dpeaterpüd ift. Aber wie Oerftanb audp pier wieber biefe« erftaun*
li^e WeicpSpauptpadtpublicum pep auf bie Äunft, au« ber unoerbaulidjen
Wiener WFeplfpeife bie Wofinen perau«zuFlauben unb pep wenigften«
Digitized by v^.ooQle
174
Die (ftegenroart
Nr. 11 .
baran ju ergäben. Xenn btc Berliner fomnten in biefent üont ©tanb?
fünfte ber Wienerin aufgefa&ten ©türf fepr übel meg; erft an ber
Siege beS ©tammpalterS toerföpnen fic^ 9tforb unb ©üb, weil eS ja nicpt
fo böfe gemeint mar, menn nur ’S £>er$ am regten gled fifct. Xa man
nod) obenbrein 9htfcpa Bupe als Seaner $öd)in bemunbern fonnte, jo
mürbe ftürntifd) nad) bem SScrfaffcr Hugo $otm verlangt, auf meldjen
9htf ein Tlitglieb ber Bühne, .'perr Baplatt, mit einer fünft unbcfannt
gebliebenen Xante [ich banfenb üerneigte. Biel gröberen ©rfolg patte
aber baS gafcpingSftüd „92adte $unft", baS dolle toter Soeben lang
gegeben merben fonnte. Unb boeb pat ber ©cbmanf niept blo§ im Xitel
etmaS toon bem Hautgout ber Barifer Bouletoarbpoffe. ©ogar baS Reifte,
benn mir fannten fie längft, bie toOen 9Rifjtoerftänbniffe unb ©ituationen
opttc jebe ©pur öon 9Röglicpfeit unb Sahrfcpeinlicpfett, ben toerrücfteit
©ontponiften, ben Bantoffelpelben, ber feiner heimlich toerpeiratheten
©djmiegertocpter ben H°f macht, ben 'JRobeüe empfanaenben Act?
maler, ber toott feiner liebenben jungen grau burcpattS gefepieben
merben fofl, baS ©cpattenfpiel eines füffenbeit BänpenS, bie fati?
rifeben Ausfälle auf baS priibe ^jilifterium, bie pifanten nächtlichen
©eenen bei toerbunfelter Bühne unb $eglig6toiletten. XaS ©anze
Zeugt toon menig mäblerifcper 5>anbfertigfeit unb geringer ©rfinbung,
ift jeboeb gefebieft gemacht für ein nicht febr fritifd) geftimmteS publicum.
9ftan mirb ficb ben bauten ©eorg SepfelS merfen müffen, hinter bem
fiel) ein fixerer .^err Sepntann?gelSfomSfi böcbft untooflfontmen toer?
birgt, gebenfaßS ift fein ©cbmanf mehr mertp, als baS unglaubliche
„Suftfpiel" beS greipetm Anton to. Verfaß (nicht üermecbfeln mit
feinem Bruber $arl, bem JRebacteur ber ßölnifcpen Wertung, ber eben?
faflS 9fomane fepreibt unb mehr Zünftler, aber meniger ©rzäpler ift).
Xrei ober eigentlich toier Acte bureb merben mir mit uralten Suftfpiel?
ntotitoen gelangmeüt: einer ehemals gefeierten ©cbaufpielerin, bie einen
länblirpen Ariftofraten auS Siebe gebeiratbet bat unb jeftt toon ihm mifi?
toerftanben mirb, einem loderen 9Raler mit einer unmöglich uttfcpulbigen
©anS toon grau, einem locferen Sanbjttnfer unb einem 9Robeß mit bem
feligen ft'inb (o 9htfdia!). ©rft im lepten Act hebt baS fürchterliche
Ateliergepeimnifj an. Xie 'Baronin Ri&t fid) insgeheim toon bem Zünftler
malen, um ihrem ©emapl eine ©eburtStagSfreube *u bereiten, gerätp
baburep in fcpnöben Berbadjt unb mirb toerflatfcbt unb auSfpionirt.
9?acb ber in reebtiebaffenen Suftfpieleu längft nicht mehr erlaubten Be»
laufcbungSfcene flärt ficb bie ©efebiebte auf, unb ber eiferfücbtlge ©pe=
mann mufe bie üerbäcptigte ©attin überbieS reumütig um Betreibung
bitten, meil er ficb toon bem 9RalergänScpen febon für fein eheliches
SJlifjgefcpid tröften laffen moflte. ©efpiclt mürbe mie immer ganz toor?
trefflich, unb baS gehört auch z u ben ©rünben für bie Beliebtheit beS
9Jeuen XpeaterS.
Offene Briefe unb nutmortfit.
2>cr „UeBermenfdj" unb baö „emig=2BeitiIi(Bc".
©ehr geehrter Herr!
gn ber „©egenmart" 92r. 8 fagt $einrid) 9ftet)er in feinem
Artifel über 9Uepfcpe: „giir baS fittlicbe gbeal hat 9ttepfcpe einen AuS?
brud toon einziger, rounberbarer 9)iacpt unb ©röfje geprägt: lieber?
men f cp." — Xiefer AuSbrud ftamrnt aber üon ©oethe. gm erften
Xpcile beS gauft gebraucht ber ©rbgeift gaüft gegenüber bie Sorte:
„Seid)' erbärmlich ©rauen
gapt Uebermenfcben biep?"
©benfo in ber gueigmtng zu ben ©ebiebten:
,,©o glaubft bu bid) tebon Uebermenfdh genug?"
9lbcr baS Sort ift noch älter, beim als erfier hat eS fc^on Xante,
aßerbingS im Bevbuni, gebraucht, inbem er ben 9luSbrud prägt: tras-
umato. Sie benn überhaupt am ©cbhtffe beS gauft Xante’fcbe s H?otitoe
benupt ftnb; auch bie toiel mibbraudjten, faft lepteit Sorte ©oethe’S:
„XaS ©mig?Seiblid)e ^iept uitS hinan", Hingen an in ben ebenfalls faft
lepten Sorten Xante’S bei bem Wbfcbieb non Beatrice: Tu m’hai di
sorvo tratto a libertate. £5ber in Sfrirl gebern’S aßerbingS ftarf an?
empfuitbener Berbeutfcbung:
„Xu bift eS, bie mich bad) hinangejogen
gur em’gen greiheit auS ber Änecbtjchaft Seibe."
§odjacbtungStooß
Brof. Paul ^eint.
gmei iunge Berliner Bucbhänbler, bie Herren JRicbarb ©cpufter
unb Submig Söffler in girma ©ebufter & fiöffler, haben fdjon
üor längerer geit Beranlaffung genommen, bie „©egenmart" megeit
einer mit üoüer Slbftcbt überaus f^arf gehaltenen Äritif ihrer BerlagS?
merfe auf ©hrenbeleibigung au toerflagen. geber ©inftebtige hätte ihnen
fagen fönnen, bafe fie, fobalb unfer SahrheitSbemeiS jugelajfen mürbe,
für eine ganj unb aav toerlorene ©ad)e fämpfen. 9facb mehreren auf?
gehobenen ober mieoer angeorbneten Xerminen hat nun enblich baS
Berliner Schöffengericht jüngft befcbloffeit, in ben angebotenen SBabr?
hcitSberoeiS einjutreten, ber benn auch tooflftänbig gelang. Unter &uS=
fcblub ber Oeffentlicbfeit mürben einzelne 9lbfcbnitte auS Serfen beS
©ebufter & Söfflcr’jcben BerlageS (Xehmel, ©ebur, Äabelip, Sinbner)
toerlefen, in golge beffen ber ©ericbtShof $u einem freifprechenben
Urtheil gelangte, baS feltber recbtSfräftig geroorben ift. Xie UrtbcilS?
begrünbung eraebtetete unfeic Ätitif („freche literarifebe 9Jlhftification
toon Bublicum unb Äritif", „plumpe ©peculationen auf bie perberfen
gnftincte gemiffer Büdjerfäufer", „für bie girma naebgerabe ebaratteriftifebe
unfaubere ©peculation") für berechtigt unb nicht beleibigenb, billigte
unS ben ©djup beS § 193 ju unb mieS bie Kläger foftenpfliebtig ab.
Biefleid)t in golge unferer Eingriffe beftrebt ficb ber Berlag neuerbingS
einer größeren Borficbt unb giebt nach bem Borbilb ber „©egenmart"
Autobiographien mehr ober minber berühmter Seute, fomie eine grofee
Anthologie ihrer lprifd)en BerlagSroerfe heraus, bie ^mar diel TOplungeneS,
aber nid)tS Untüchtiges enthält. Sir meinen ©emmel’S „Beilen?
febnur". Xer Herausgeber fagt in ber Borrebe, bafj er auf Boflftänbtg?
feit feinen Anfprucb mad)e. gebenfaflS finb bie Autoren beS ©ebufter &
Söffler’f(hen BerlageS in erfter 9teihe berüdfieptigt unb nehmen in bem
Buche ben meiften Üiaum ein. gn biefer Beziehung ift gemife bie meiteft?
gepenbe Boßftänbigfeit erreicht. Xie ©pmböliften (ba f te nicht bei
©cpufter toerlegen) finb meggelaffen, nicht aber (um eine gemiffe Objectitoität
toor^ufpiegeln) einige menige Outsiders, gum Xanfe für journaliftifche
.danbreidjungen haben ©dufter & Söffler auch uuferen alten greunb
gerbinanbuS AoenariuS, beit profunben Xichter ber „'D^äh-SUefe - ' unb
Herausgeber ber „ßunftfepmarte", ju Sorte fommen laffen. ©r ift mit
ganzen amei ©ebtepten oertreten, aber fie finb auch baitacp. Xann folgen
Öiliencron mit 18, gatfe mit 15, ©djut mit 4, 'äWorgenftern unb Bier?
bäum je mit 11 ©ebiepten — bie Hälfte batoon patte toießeiept Appetit
gemacht, biefe güfle aber maept übel. Unb babei foftet baS Buch fo ein?
fad) unb befepeiben nur 6 9teicpSmarf. Xer §auptmatabor beS ©d)ufter y fcpen
BerlageS, Xepmel, parabirt fogar mit 20 B r °^”- ® er batoon >ntcp:
genug pat, „greife ju ben Serfen felber", mte ber Herausgeber bringenb
empfiehlt, ©inen folcpen ©emütpSmenfcben möchten mir als Parität
fentten lernen, ©cbmeralid) toermifet haben mir aber baS berühmtere
©ebiept Xepmers — mir rniffen nidpt, ob eS fein B ro P| c t ^af. 91. 9W.
Serner in ßemberg auch fo fcpön finbet, mie aße übrigen —, bie
belirifcpe „©mte", bie mir um ber luftigen ©(plupftroppe toon ©cpmibt?
©abaniS mißen peitfepen moflen:
gn biefent gabt oerlor idj einen greunb.
Hier unter’m 9lu&baum fpraepen mir unS auS.
XaS Saub mirb gelb; eS märtet auf ben Siitb.
gft baS ber ©cpluf}?
Hier unter’m 9lufebaum gab mir eine grau
gn biefent gapr errötpenb ipre Hanb.
©tiß mept ein Blatt unb tropft in’S melfe ©raS.
gft baS ber ©cpluf}?
gn biefent gapr ... Bor meine güfee fäflt
©in buntpfer ©cplag ju Boben unb jerpla^t
Unb auS ber Zapfet roßt bie raupe gruept.
XaS ift ber ©cphtB.
Xer „Ulf" fügt pinju:
gn biefem Sieb, baS feine SReime pat,
Beut unS baS Ungereimte boep ©enup:
©in ©cplag gerplapt, eS tropft ein bftrreS Blatt, —
XaS ift ber ©tu&!
©ottfrieb Heller, ©ieben Borlefungen toon Albert Äöfter.
(SeipAtg, B. ©. Xeubner.) XaS Hauptaugenmerf beS 9)larburger Hotb=
jdmlprofefforS ift hier barauf gerichtet, bie SebenSbejiepungen amifepen
bem Xid^ter unb feinen Serfen unb bie langfame, anfteigenbe ©ntmide?
lung feiner .ffunft ^u entpüßen. Xrefflicp merben bie einzelnen Scrfe
erläutert, bie ©paraftere ber Xicptun^en pfpcpologifch ergrünbet, ber
fünftlerifcpe Sertp ber ©ompofition gemiirbigt. gugleicp lernt man ipn auS
ber Xarfteßung feiner männlichen $vaft unb feines herzlichen HwntorS
fennen unb lieben. 9Ran lernt attep ben alten $eßer toerftepen, mie
ipn ©tauffer=Bern im Bilbe feftgepalten pat, als ben „trinfbaren" unb
„igelborftigen" s Dtann. Xie Analpfe zuntal beS ©rünen H^ n ^ unb
ber lepten Serfe ift reich an feinen Bemerfungen.
Aufgaben unb giele beS 9RenfcpenlebenS. Bon g. Unolb.
(Seipjig, B. ©. Xeubner.) Sie orbnen mir unfer Xafein, baS perfön?
liebe unb baS öffentliche; giebt eS für bie miinbige Bctfönlicpfeit über?
paupt feinen gmed^unb fein giel beS ©inzel? unb ©efammtlebenS?
Digitized by v^.ooQle
Nr. 11.
Die (Segenroart.
175
©iebt eS feine binbenben ©efeße nnb Regeln beS menfcplithen §anbelnS?
Die Beantwortung biefer Srageu, worin gugleid) bie SebenSfrage ber
mobernen ©ulturDölfer unb fomit aud) uitfereS beittfcpen BoIfeS ftedt,
bejaht ber Berfaffer. Die ©efeße unb Bebingungen, bie gwede unb
giele beS menfcplidieit ©ingel* unb ©efammtlebeitS auS gwei Quellen ber
Betrachtung ablettenb, gewinnt er bie 9?atitr* unb bie ©ulturbcbingungen,
bie notpwenbigfleit näcpfteit unb bie fernften böcpften gwede unb giele
beS menfcplicpen (Singel- unb f^efammtbafeinS. hieraus ergeben fid)
bann alS unabweiSHcpe Saigerungen bie einzelnen Sittengefeße. Daß
ein Bolf mit ber Abwenbung non ben alten Autoritäten nothwenbig gu
©ruitbe geben rnitffe, ift barüm nicht gu befürchten. Vielmehr intficpen
im Saufe ber fortfcpreitenben ©ntwidelung neue Stüßen, bie man bei
Seiten erfennen unb wirfiam machen muß. Dagu miß baS Dorliegenbe
Büchlein jebem nacpbenflicpen Sefer reiche Anregung geben.
Die Bifion im Siebte ber ©ulturgefcpicpte unb ber
Dämon be$ SofrateS. ©ine culturgefcfjicfttUtö=pft)d)iatrifd)e Stubte
Don Dr. Knauer, WerDenargt. (Seipgig, W. Sriebricp.) Der Berfaffer
mag ein guter Argt unb Bfpchopatp fein, aber eS fehlt ihm piftorifcpe
Schulung, Äritif unb «Stil r fo baß er nicht Diel mehr bietet als eine
cpaotifche Kompilation ohne wiffenfcpaftlidjen ober auch nur unterhalten*
ben Werth. Wir miffen lange Dor Sombrofo unb bu Brei, bah bie
Biftonen 3)tobammeb'S ober beS SKäbcpenS Don Orleans noch peute in
taufenb Stranfen* unb Äloftcrgellcn gefepaut werben, bie $eyen wie bie
Bptpien waren weiter nichts alS fontnambitle Siebten; unb baS „Dai*
monion" beS SofrateS ift Dielleicht als ©epörSpaüucination aufgufaffen.
£>eiligfeit unb ©enie grengen angrrftnn; pfpepopatpifepe guftänbe treten
oft epibemifch unb als göufionen ganga* 9J?enfd)enmaffen auf, baber bie
enorme Wtrfung ber ©eifteSftörungen auf bie ©efdjichte ber Sftenfcppeit.
Statt nun als SRebiciner bestimmte neuere ShranfpeitSbilber mit folcpen
auS ber Borgeü gu parallelifiren, begnügt fich Knauer bamit, eine Waffe
weift allgemein befannter „©efiepte" aus allen gahrpunberten gu er*
gäplen uitb alS &alIucinationen ppfterifeper ober anberer ^Irt pinguftellen.
Seine Belefenpcit ift babei größer als feine ©eleprfamfeit, befonberS bie
grieepiftpen ©itate finb bebenflicp Doller „Drudfepler". Senn er ©oetpe’S
Bolemif gegen ben rationalifchen Wmtbergläubigen, Nicolai nicht gu er*
Mären Dermag, fo hätte ihm jebe ©oetpe* Biographie AuSfunft geben
fönnen, baß eS fid) um eine alte ©egnerfepaft unb ben fontifchen Spuf
in ber Degeler $umbolbt=Wühle panbelt.
Die DolfSwirtpfcpaftlicpe Bebeutung beS Bürgerlichen
©efeßbucpeS für baS Deutfcpe Dteidj. Bon Brof. Dr. Boul Oert*
mann, (granffurt a. W., Sauerlänber.) Der Berfafier giebt gunäepft
einen furgen Ueberblid über bie wirtpfcpaftlicpen ©runbtenbengen ber bis*
perigen SRecpte unb weift fobann unter Befämpfung ber fogenannten
materialiftifcpen ©eicpicptSauffaffung nach, wie bie 9tecpt§bilbung feines*
wegS in einem einfeitigen AbhängigfeitSDerpältniß ber Wirthicpaft gegen*
über fiepe, fonbern fie auch iprerfeitS ftänbig beeiitfluffe. AlSbann (egt
er bie Bebeutung bar, bie bie neue ©efeßgebung gunäepft als folcpe,
opue fRütfficpt auf ipren Subalt, für baS beutfepe WirtpfdjaftSleben haben
werbe, um fiep fobann ben DolfSwirtpfcpaftlicpeu ©runbprincipien beS
©efeßbucpeS guguwenben. An erfter Stelle ftept im ©efeßbuch bie Sorge
für Sicherheit unb Seicptigfeit beS BerfeprS. Aber ipr gleichberechtigt
finben wir barin bie gbee ber focialen gürforge, bie fiep einerfeitS er*
fcpwerenb'unb pinbernb gegen focialgefäprlicpe ober fcpäblicpe Afte wenbet,
anbererfeitS ben wirtpfcpaftlicp Schwaden in ihrem Berpältniß gu ben
Stärferen in gaplreicpen Beftimmungen gu föülfe fommt. ©S folgt eine
furge Unterfudpung über bie Stellung beS ©efepeS gu beit brei Brobuc*
tionSfactoren Boben, Arbeit unb ©apital, Don benen ber mittlere fiep
einer befonberen ©unft beS ©efepgeberS erfreut; enblid) eine furge lieber*
ftept über bie eingelnen Dpeile beS ©efepbucpeS, foweit fie noep niept im
Rrüperen bepanbelt waren; iitSbefonbere finben fid) pier Bemerfungen
über bie focialen ©ebanfen im BereinS*, ©pe= uitb ©rbreept. Die gange
DarfteUung ift in einer jebem ©ebilbeten Derftänblicpen Bteife gepalten.
Wöge eine weite Berbreitung ber Scprift bagu beitragen, bie Wbficpt beS
BerfafferS gu erfüllen: bie Dpeilnapme ber ©ebilbeten unfereS BoIfeS an
bem groben Daterlänbifcpen 533erfe beS Bürgerlichen ©efepbucpS gu förberit
unb beffen reale Bebeutung für baS gefammte BolfSleben ihrem Ber*
ftänbnip näper gu bringen.
Sprachfehler ober Spracpentwicfelung? Bon 58. SSebe*
finb. (Berlin, BJebefinb'S Berlag.) Der Berfaffer wenbet . Ttcp gegen
bie „grammatifepe föannegieperei" Don 3Suftmann, £>einpe unb anberer
„Spracpretter". 3SaS Don biefett als Sprachfehler Derbammt werbe, fei
häufig ein gefunber &eim gut weiteren Spracpentwidelung. Unfer
Sprachgefühl müffe piftorifcp gefcpult werben, um fieper urtpeilen gu
fönnen über: beS Bauern ober beS Bauers, beS 5lt(a$ ober beS 5lt*
laffrS, ber 52amc ober ber tarnen, beS S-elfenS ober beS Seifen, beS
beutfepen Wicpelö ober beS beutjepen Wicpel ic. Desgleichen um formen
gu Derftepen wie: beS WacptS, im wege Rechtens, S^mergenSfinb, ber
gtoeite December, beS ©runb unb BobenS, B^erfftatt unb 5Berfftätte :c.
Den Stein beS Anftofc bilbet gegenwärtig meiftenS baS ©enetiD*S, ober
Dielmepr baS fjortlaffen beffelben, waS ja fepon SUtmeifter ©rimm als
tabelnSwertp gerügt pat. ©ang anbere 5lnficpten aber finben fiep etwas
fpäter fepon in einem ©pmnafialprogramnt (Stjf, 1843), wo ber Berfaffer
(©orpipa) fepreibt: „Wan pat freilich einen leidjten SluSmeg, alle folcpe
formen für 9?acpläfftgfeiten gu erfläreit. ©S fragt fiep nur, ob fiep
niept boep DieHeicpt gerabe in folgen ftaepläffigfetten ein gepeimer gug
ber Spracpe funbtput, unb ob niept auep in früheren geiten ber Berfall
beS gormenreicptpumS ber Spracpe jebeSmal mit folcpen ^acpläfftgfeiten
angefangen pat. ©S ift möglich, bafj unfere Sprache noch eine ©nt*
widelungSftufe erlangt, auf welcher fie auch bie heutigen $afuSenbungen
aufgegeben paben wirb. Wancpe ©rfcheinungen beuten barauf pin; unb
eS ift wenigftenS niept eittgufepen, warum, naepbem fte fo Diele ©nbungen
aufgegeben, gerabe bie jept noch gütigen für alle geiten unabänberlicpe
©eltung behalten fallen." Unb fo meint auch SBebefinb, bap für bic
weitere Ausbreitung unferer Spracpe, nicht nur im AuSfanb, fonbern
auch in unferen ©renggebieten, unfere heutige complicirte Declination
fogar fcpäbllcp fei. „5Benn baS ©nglifepe in ber gangen 5Belt Derbreitet
ift, bann liegt baS auep mit am einfachen Bau beffelben — eine 58clt*
macht muh eben and) eine 5Beltfpracpe paben, bie auch Don bem bümmften
Aftifaner unb Bolpnefter leiept erlernt werben fann. Diefer Borgüa
feplt unferer Sprache aber noep gang unb gar. Wan rnerft ipr noep
auf Sdiritt unb Dritt an, bah fte niept Don unten auS bem Bol! per*
Dorgewacpfen ift, fonbern ber Düftelei ber $erren ©eleprten ipren Ur*
fprung Derbanft. Der ©ine pat bann immer noch mehr baran herum*
geboctert wie ber Anbere, fo bah fie heute eigentlich nur Don einer
Meinen Winberpeit gang „richtig" gepanbpabt miro, bie bann mit afabe*
mifcp gebilbeter $>ocpnäfigfeit perabftept auf bie grof-e Waffe aller berer,
bie niept im Stanbe ftnb, jene grammattfepen fiunftftüdepen fehlerfrei
nacpguapmen." SelbftDerftänblicp pläbirt biefeS Biicplein niept bafür,
mit einemmal bie Döllicje Abfcpaffung ber ÄafuSenbuitgen gu Derlangen.
©S will nur geigen, wte bie ©ramntatif niept als etwas UnantaftbareS
fig- unb fertig Dom §immel gefallen ift, fonbern baß ber heutige gu*
fianb fid) gang allmälig perangebilbet pat unb fo fiep auep wieber weiter
entwideln mufe. „Borläufig wirb ja ber ©nbungSgopf noep luftig weiter
baumein, unb eS wirb auch bie Scpulmeifterei ber mobernen „Sprach*
retter" nicht fo balb aufpören, ihre grammatifepe Äannegieperei über
Spracpbummpeiten, SpracpDerwilberung, ropeS geitungSbeutfcp :c. Aber
Brofefforen=Deutfcp ift ja nicht immer ©ut*Deutfcp, unb fo wirb man
auch barüber enblid) boep mal gur DageSorbnung iibergepen. 5Benn
wir unS nur erft einmal baran gewöhnt paben, alle Weiterungen niept
Don Domperein als „Sprachfehler" gu Derbammen, fonbern barin unter
Umftänben auch gefunbe ßeime gu fepen gu einer weiteren „Sprach*
entwidelung", wenn enblicp bie Scpulgrammatif fiep auf ben piftorifepen
Stanbpunft ftellen wirb, bann fommt fcpliefelid) alles Anbere gang Don
felbft."
©in SSerf, baS nach Anlage, Durchführung unb 58ertp Beacptung
Derbient, baS im Berlage Don Wittler & Sopit in Berlin perauSgegebene
„Wörterbuch ber ppilofoppifcpen Begriffe unb AuSbrücfe",
quellenmäßig bearbeitet Don Dr. Wubolf ©iSler ift eben Dodftänbig
geworben. ©S macht fidp im Unterfcpiebe Don anberen äpnlicpen Werfen
gur Aufgabe, bie mannigfachen BegriffSbefthnmungen, wie fie unS im
©efammtgebiete ber BPüofoppie begegnen, in ipren wichtigeren Wobifi*
cationen Dom Altertpume bis gur jüngften ©egenwart, unb gwar quellen*
mäßig unb möglichst im Wortlaute ber Originale (begw. ihrer lieber*
tragung in’S Deutfche) in einer gewiffen Orbnung aufgufitpren. Der
öauptfaepe na4 ift baS Wer! alfo eine ©efepiepte ber ppilofoppifcpen
Derminologie mit befonberer Berüdficptigung ber Begriffe, woburd) bie
Begiepung gu ben Dpeorien ber BPÜofoppen pergeftettt wirb, opne baß
biefe hier ben eigentlichen ©egenftanb ber Bearbeitung bilben. Der Ber*
foffer Derpält fich in feinen Darbietungen DöHig objectiD, fein Wörterbuch
bietet ein auSgewäplteS unb georbneteS Quellenmaterial ^ür Dergleicpenbe
unb fritifepe Unterfucpungen bar; eS geigt, in welch' gläitgenber Weife
ber Bearbeiter ben riefigen Stoff beperrfept. Berüdficptigt finb bie
meiften erfenntniß*tpeoretifcpen, metapppfifepen, logifepen, pftjcpologifcpen,
etpifepen, äftpetifepen Begriffe unb Dermini, wie fie in ber antifen,
fcpolaftifcpen, neueren unb neueften in ©ebrauch fantett.
Bei jebem ber bargefteöten Begriffe ift auf bie ipm Dermanbten Dermiefeit
worben. ©S fann niept feplen, baß ein folcpeS Buch gu einem $anb*
buep, gu einem Sammelpunfte beS gntereffeS für Seben wirb, ber ßcp
feiner bebient, baß fein Befiper neue Beiagftellen auS feinen eigenen
Stubien, feiner Seetüre barin Dermerft, ben Dert burep feine eigenen
Wahrnehmungen, feine Sefefrücpte unb Stubienergebniffe bereichert unb
erweitert. ©S bilbet fomit ein auSgegeicpneteS ©ülfSmittel für ppilofo*
ppifepe Stubien unb wirb ben BW^ ü P^ e Stubirenben unb Allen, bie
fid) ernftpaft als gorf^er unb ©eleprte mit ber Wiffenfcpaft unb iprer
©efepiepte befepäftigen, als .§anb* unb ^ülfSbucp für bie Orientirung,
als ftunbftätte für bie SUeratur unb als näcpfter Hinweis auf bie am
meiften eparafteriftifepen AuSfprücpe ber Autoren wefentlicpe Dienftc
leiften. Aber auep weiteren Greifen wirb baS „©iSler'fdje Wörterbud)",
ba ftd) in ber gebilbeten Umgangs* unb Scpriftfpradje ppilofoppifepe
Dermini in Wtenge finben, ohne baß bie jeweilige Bebeutung boep eine
einbeutige wäre, Don popem Wertpe unb gntereffe fein; fo wirb eS felbft
für UnterricptSgwede bem B&Üologen wie bem Bfatpematifer ober Watur
wiffenfcpaftler als Wacpfcplagebu^ Diel Wußcn bieten.
£ y
Digitized by v^.ooQle
176
Sie ftegentoart.
Nr. 11.
Jlttgeigen.
Btt Bt&eHungtn berofe man Jhtj auf Mt
„(Begemnarf“.
8 l(ab. ae 6 . St^riftfltHer, bi§Ij. pu 6 ticift.
(Itter. Ärittt) tn Sterltn ttjätig, eiterg. geroiffen*
gafte Srbeitäfraft, borg, ©pradjfenntniffe (fron*
göfifdj, englifä), fetfeWe* *«»§?«*>&,
SR<if<f|iMttf 4 >«eibtr (ftatmnonb), (ucfjt nnt.
6 efA. ttnftnr. tn fflebattion, tbeaterfefretariat,
»erl.=*ncbt)blfl., Itterar. Snfttt. k. ©teftung.
Cffert. an b. Sjp. b. ©egenroart unt. A. (J.
3 m SSerlage Don 3 mt>erg u. Ceffon in
Berlin ift erfdjlenen:
Set Sotff^ttlje.
Komöfcte in oier Elften
DOtt
Staxl »Uft*
Sßrci«: elegant Brofdjtrt 2 Wf.
3 $on bemfelBen SBerfaf Jer ftitb erfdjienen:
Bratnatifche Qumoresfen (Berlin, Qmberg
u. Seffoit), brofd). 2 Wf. 3 nWt: Wein
Wann fd^reibt Dragöbien. — 3 Bet ift bet
$en*ätber. — ^ubllfud unb feine $ern>anbten,
£ifiortcosSfontöbie.
5 er 3 ntenbant in taufenb Kothen.
$offe (Berlin, 3 . Ä. ©targarbt), Brofd). 2 Wf.
(Romorrha’s (Enbe. Sitterarifcbe flomöbie
(Berlin, 3- XL. ©targarbt), brofeb. 1,50 Wf.
(Ein toller Cag. Sitterarifdje *ßoffe (Berlin,
3- XL. ©targarbt), brofeb. 2 Wf.
Kuno 3 weitaufettb. $offe (Stuttgart, Union
Deutfdje 3 $erlag 8 gefeHfd)aft), Brofd). 2 Wf.
5 er £ürft von Haiatea. $offe (Stuttgart,
Union Deutfcfte SBerlagSgefeflfdjaft), brofeb-
2 Wf.
Die Dorftebenben BUh'fdjcn ^utnoreSfen
bilben einen roefentlieben fjortf^ritt in ber
(Sntroirftung ber, beutfeben ßomöbie, iitbem fte
in getoanbtefter ©pradje bie öielfaeben fomifeben
Wotioe, nielebe unfte 3 cit auf Iitterarifcbem,
focialent unb bolitifdjem ©ebiete barbietet,
glüeflieb Derroertljen.
f — TkiriiclfihM —v
Technikum JlmenaaKi
fit luüliii- «■! Ikitn-
IhyMliT i, -THhttir i.-VirknilitM
Dlrector Jentxen. ■■■IH
pj [Q£} \Q£» iQfl) lQ£)j {Q&J l Q£) ’yQS» iQ£.' iSpj i§l
. Sunbert Original* ©uta<hten
»• Sreunb u. §etnb: ©jörttfon
D1ÜIU UL IR etanbel ©firner driipi ©ahn
Daubet Sgibb Üoniane ®rotb
fcaecfel $artntanit $e$fe Sor*
» m ban Styling ßeoncapallo Sin»
bau fiombrofo SRefchtfäerMi
t SHgta Vorbau OUiöiet fetten»
***lvt» fofer (gaitsburt) ©ienfietolci
©ttnoit Spencer ©pietyagen
feitet fteitieviffe« ® tanle ^ ® toerfer ©trtnb&erg
llllll OnigiRlffCl. Suttner ©tlbenbru$ ©enter
Bola u. b. St.
Steg. gef). 2 3 Rf. tont Vtt !#$ bev ««gmwavf,
»ertin W. 57 .
„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheiteersoheinnngen.
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürliebem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von # / 4 1 75 PC. in
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr« Carbach 4 b Cie«
$afrn, Dr. g» v pit ujirtscbaft der gjtlf am Sm-
gawge des XIX. jabrbHBdcrts. "S;
ciniaictt pofUipcn forfcblägcn. Ccy.-S®. brofeb. 5 211. 50 pf.;
feitt itt Cctttwanb geb. 7 2TT.
.... „ 3 ebe § eile bes Derfaffers befunbet itjren Urfprung aus lebenbiger, bem ljanbelnben Cebeit juge*
tuanbter Cmpfinbang unb aus bem ß<u?en Drange, ber ITlenfdrheit burd? bie 7 tufu>eifung bes redeten »irrfdjaftlidjtn
IDeges praftifdjeu Hufeen 3U fd^affen. Die giele bes üerfaffers befdjrinfen fidj nicht auf bie Cagespolitif ober
oereinselte ITlafnafjmen, f ie finb oielme^r umfaffenbiier Mrt unb toollen ber gefamten gnfnnfts»
enttoidlung bes DTenlcbengeicblecbts bie Babn toeifen. Daf ein berartiges Buch bas Jntereffe
Der tuetreften Kreife ju feffeln tmjtanbe til, liegt auf ber $anb; es ift feine ©elctjrtenfdjrift, fonbern fflr
bie <Sefctmtf)eit ber ©ebilbeten benimmt. Der Perfaffer f)at fdjou manche tuertDoOe ©oben bargebotta
unb cielfach neuen Ieitenben 3öten Bahn gebrochen, fo ba$ man auch oon bem uorliegenbem CDerfe hochgefpanntt
©rcoartungen fjegen barf. Durch bie Ceftflre aber tnirb bie Berechtigung folcher ©rmartungen/ ruie mir uns 3uver>
gchtlich ja behaupten geirauen, äuget allen gtoetfel gefegt. “ ß. p.
5 orfic^^cn^c 71 it&fiil>run$cn aus hefattttier, berufener $ebcr, ebaraf-
tcrificrcn ircffUdj 5 cn 3 rt^alt ^es tPcrfcs entheben uns ichcr (Empfehlung.
3 u beziehen burch aUc 5 ttchh^tt^J u wgeu uttfc bei vorheriger (Einfenbnng hc*
Betrags portofrei von (Earl tPinter’s ItniverfitdtsbuchhünMung in Qeibelberg.
2 )ie ©cgenttmrt 1872 - 1892 .
Itm nufer £ager jn räumen, bieten mir nuferen Abonnenten eine gängige
Gelegenheit jnr ©eröoUftänbignng ber GoQection. So meit ber Sorrath reicht,
liefern mir bie ^a^rgänge 1872—1892 & 6 SW. (Patt 18 St.), $albja9rf>
Sänbe k 3 9)1. (patt 9 20?.). Gebnnbene 3al>rgänge k 8 SR.
©erlag ber ©egeutoart in ©erlitt W, 57.
Pas peid^tten itad^ #pps
nnb
anbere ^mtflfragett.
Original *®utacf)ten Don Zlb. Btenfelt Hein-
holb Begas, Bödlin, U. v. tBerner,
Knaus, H§be 9 Stuc!, 3oh* Schilling,
Schaper, v. (Rebharbt, ^erb. Keller,
5efregger, Gabriel Btag, tZhoma.
Clebermann, t5iih«Bufch, Jitger, <5raf
ffarra^, Blag Krufe, Knlüe, Ceffer*
Ury, 5oepler, Oed^t, Kuehl, Cechter,
3ügel, parlagh^ Btacfenfen, Sfarbina,
Ceiftitotv, (Raulle, plinle, Stahl«
?freis btefer brei Mnßttt^ummtn ber
„degeuwart^ 1 3 *. 50 3 ff.
^tudh birect Don un8 gu Begieren naef) 93rief-
marfens@infenbung.
Berlag ber (Regenmart, Berlin W. 57.
§!«««*« padifilgtt.
Slontatt
Don
^oCCirtg.
•V UoUfanfgabe. "MS
?ireiS 8 Warf, ©d^ön gebunben 4 Warf.
Dtefer Stgmard=GabriDis 9 ionian, ber in
wenigen Sauren fünf ftarfe Auflagen erlebt,
erfdjetnt Biet in einer um bie Hälfte billigeren
SSolfSauSgabe.
DurcB alle 33 ncBBanbIungen ober gegen (Eins
fenbung be 8 33 etrag 8 poftfreie gufenbung Dom
Uerlag 4er Gegenwart,
Söerltn W. 57 .
Bestellungen auf die
©inbanbbeefe
zum 56. Bande der „Gegenwart“, sowie
zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwei Bände
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und vergoldeter
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden in allen
Buchhandlungen entgegengenommen.
©eranttDortltd&er fflebacteur: Dr. ßoHtng tit ©erlitt.
»ebaetton uttb Cjb«bttton: ©erlitt W., aÄanftetnftrafee 7.
©rud Port $efte A ©erfer in
Digitized by
Google
M 12 .
^äerCin, ben 24. 1900.
29. Jahrgang.
Band 57.
pe d^emmtü ’■
SBothenfdjrift für Siteratur, funft unb öffentliches gehen.
/. /.
^A
I
^erausflegeßen öon ‘gQeopQtf ^offfttß.
Ittoi Srnnttfraii nfHetnt du ynauc. % tü bet ® (ßentBfttt tn Berlin w , 57 . WflW * *»lf- «» 1««"« 60 |f.
8u bc$te$en burth alle ©udb^anbtwngeit unb $ojHlmtet. ö ° ^nferate jeher Ärt £to 8 gehaltene ^etttjette 80
gtthaß:
$er AuSfteflungSfdjroiitbel. Son Otto greiljerrn toott 33oenigf ($alberftabt). — $)ie ^fodjologte tn ber fodafen gorfdnmg.
Sou $arl SHoefcel. — ßttcratlir mtb ftuttft. Aubrei) ©earbSlet), ber Stfaler ber ©ünbe. $on SRubolf $lein (Berlin). —
©djleietmadjer unb bie moberne 9Rettgion. SBon §einrtd) 9ftet)er=$enfet). — fteutlletou. itebereilung. $oit Dioobty QoneS.
— fiuö Der $öttj)tftabt. Unfere liebe grau bon Sfltlo. 9Son Caliban. — 2)ramatifdje Aufführungen. — Anzeigen.
Der ^IttBfleUuttgdfibtotttbel.
3)on Otto Jreitterrn oon Boentgf (£>a(6erftabl).
@$ Jctjeint in §attbe(S= unb Snbuftriefreifen eine ge«
toiffe ©nigfeit in ber SBeurtfjeifung beS UnfauterfeitSgefe^eS
öoit 1896 ju begehen: man hält biefen erften Schritt auf
bem feljr fajwer ju bearbeitenben ©ebiete als einen glüdlid)en
unb erfolgreichen, unb auch ber gernfteljenbe trirb jugeben
muffen, baß im ©roßen unb ©anjen bie ©eclame jwar nicht
in ©ejug auf bie Quantität wohl aber in Sejug auf bie
Dualität feit ©faß jenes ©efeßeS ein immerhin anbereö
©eficht angenommen hot. ®iefe ©fdjeinung toirb gewiß oon
allen SBohlmeittenben als erfreulich aufgefaßt werben, unb fie
mag unS bie ©runblage toeiteren SorgefienS gegen bie Un*
lauterfeit int gewerblichen geben bieten unb bie Hoffnung,
baß ber befchrittene SBeg auch mit gutem ©folge weiter Oer»
folgt werben fann. SBorauf ich heute ßie Aufmerffamfeit
ticßten möchte, baS ift aber nicht bie Unlauterfeit, welche bie
Annoncen ber SCageSpreffe unb bie ©reiSliften unb Sdjau*
fenfter bor 9111er Augen führen, nicht baS betriigerifche ©ebahren,
baS beim ftrahlenben Sicht ber elefttifchen ©irnen weithin
fichtbar erfcheint. ©ielntehr will idh bie ©liefe lenfen ju
einem auS bem ©oben ber mobernen gewerblichen ©ntwicfelitng
emporfeimenben ©flänjlein, baS im ©erborgenen „blüht":
ih meine ben AuSfteHungSfchwinbel.
Sch f»»M feineSwegS ein geinb ber Ausheilungen unb
Weiß bie ©ebeutung berfelben aus meinem ©erufSleben als
©hnbicuS einer fjanbelsfammer w°£)t 8 l * fräßen. (SS liegt
mir alfo fern, baS Sinb mit bem ©abe auSfchütten ju
Wollen. ®ie ©erliner große AuSfteUung, bie norbifdje AuS»
ftellung in Sübed unb bie fächfifdHhüriugifche in Seipjig
haben baju beigetragen, ben Sßerth foldjer ©eranftaltungen
recht heroortreten ju taffen. 316er leiber fcf)ießen in ®eutfch=
lanb fortgefefct Aufteilungen wie ©ilje aus ber (Srbe, betten
man wenig mehr als ihren fchönen ©amen nachrühmen fann.
ift naturgemäß fehr fdjwer, bie güHe ber oorljanbenen
©cifpiele ber ©reffe anjuüertrauen, weil gar ju (eicht eine
fatale Schabenerfah=Slage auf bem guße folgen würbe, aber
SinigeS fann man hoch gefahrlos oerrathen.
©or jWei Saßren würbe unter ©attfett unb trompeten oott
einem Wohl lebiglich irr ber ©h an t a f* e beS „gefd)äftSführenben
5)ircctorS" ejiftierenbeit „internationalen 9(itSftellungS=©er=
banbe" eine „allgemeine Snbuftrie» unb ©ewerbe=9tuSftctlung
international)" angefünbigt, unb jWar nicht etwa in einer
btefer ftoljen ©ejeichnung entfprechenben ©roßftabt, fonbern
in einer fleineren, nach jener @ßre nicht geijenben Stabt am
$ar^, beren wohlwoQenber Wagiftrat fo untiorfichtig getoefen
War, einen ^ßla^ für bie ©eranftaltung beS Unternehmens jur
foftenfreien ©erfügung ju ftellen. Sn ben 91nfüttbigttngen
beging ber S)irector eine 9Reit>e Oott geographifchen unb
ftatiftifchen — ©erfehen, bie aber naturgemäß ben entfernter
wohnenbett Sntereffenten nicht aufgefallen fein mögen. Sn
ber SluSfteüungSftabt mietete ber ®irector einen Sahen auf
bet belebteften Straße unb betrieb Oon ba aus feine ©efdjäfte,
benett er burd) 3 ltr fd)auftetlung einer ißatentbabchofe unb
einer irgenbwie merfwürbigen Spirituslampe (!) baS erfotberlidje
©elief ju geben fucfjte. ®a aber ju folcher ©eranftaltung
©elb gehört unb ber S)irector baöon feines befaß, fo ging er
unter bie Sllchhmiften unb rnadjte fid) einfach welches, inbem '
er „9lntheile" ber 91uSftetlung ä 10 9Kf. mit einer 91n*
jahlung oon 50°/ 0 oertrieb unb ben glfidlidjen Srwerbern
biefer Sffecten golbette Serge fieberen (SrtrageS oerfprach.
©iele mögen auf ben Seitn gegangen fein, fchließlidh aber
nach einigen SSodjen waren bie leichtgläubigen Streife über»
fättigt, fobaß ber arme ®irector, um leben ju fönnen, jum
(SautionSfchwinbel feine 3 u fl uc ht nahm unb bie ganje §errlich=
feit ein (Silbe mit Schteden nahm. — SBohl Wußten ober
ahnten 2J?anche ben wahren Stanb ber ®inge, wie aber foHte
man bem hoch offenbar ättßerft gemeinfäjäbltch witfenben
Treiben ju Seibe gehen, ohne fetbft feine §aut ju SDiarft ju
tragen? ®ie ©eranftaltung Oon SluSfteHungen ift an fid)
nicht üerboten, ber SDiagiftrat hotte burch Ueberlaffung beS
©elänbeS, wie gernfteljenbe glauben fonnten, fein ijsiacet er=
theilt, ber ©ertrieb oon Slntheilen pr (Srmöglichung beS
Unternehmens war auch S u foffett, atnb bie officieKen
©efunbungen ber ®irection fteUten bie ©etheiligung ber
Snbuftrie als eine über ©warten günftige bar. Schließlich
brachte bie juftänbige £>anbelSfammer ben Stein baburch in’S
©oQen, baß fie (Siufidjt in bie Sifte ber SluSfteller erbat
unb als ihr biefe (Sinfidjt oerweigert würbe, in ber ©reffe
Oeröffentlichen ließ, baß fie bem Unternehmen fern ftehe
unb bejügltche SluSfünfte nicht erteilen fönne. ©arnalS war
aber nicht mehr oiel ju retten. SUfan war alfo biefer offenbaren
Ausbeutung gegenüber eigentlich machtlos.
Straffer noch tritt ber SDfißftanb in einem anberen gälte,
ober Dielmehr in einer ©eihe jufammengehöriger gälte heroor,
bie beutlich erweifen, baß einjefne ©erfonen gerabeju gewerbS*
mäßig AuSfteUungen unb 3 War natürlich nieift ©jinfelauS«
Digitized by
Google
178
Hie (Segenwurt.
Nr. 12.
ftettungen üeranftatten, oßne baß ein anbereS ©ebürfniß für
bie meiften biefer ©eranftaltungen, bie in ber gacßpteffe meßr*
fad) richtig als Saßtmärfte begeicßnet worben ftnb, üortag, ats
bog beS ©irectionöportemonnaig. Sn ben lebten Sauren ßat
ein unb biefelbe ißerfon eine gange fReiße üon SluSftettungen
in ben üerfeßiebenften feilen ©eutfeßtanbs üeranftaltet unb
gwar ein-Kod). ©iefe AuSfteltungen, bei benen ein*
geßenbe gebruefte unb mit bieten Annoncen ber StuSftelter (!)
»erfeßene AuSfteflungScataloge gur. StuSgabc getaugten, finb
mit SRecßt angegriffen unb atg baS Sntereffe beg foliben
§anbetg unb ber großen, woßlfunbirten AugftettungSunter*
nc^mungen gefäßrbenb begeidjnet worben. Seiber finben fieß
aud) bei fotzen ©WinfetauSftelt ungen immer gefettfcßaftlid)
angefeßene SKänner, Welche fieß gum ©intritt in ein „©ßren*
Gomite" ober bergt, bewegen taffen, oßne gu wiffen, wie Wenig
fie bamit ber Station bienen unb wie fie nur bie ©afeßen
beg ©irectorg füllen Reifen fotlen. ©Wie in ©Wirfticßfeit bie
©inge liegen, ergiebt fieß aber aug ber 3ufammenfeßung beg
„©orftanbeg". ©ei einet im »origen Satire üeranftalteten
„ÜRaßrungSmittelauSfteHung" beg üietgewanbten Kod)*KünftlerS
beftanb bet ©orftanb aug einem ©ertreter einer ©Weinfirma,
gwei ©aftwirtßen, einem gleifcßer* unb einem SSäcfcrmeiftcr,
bei einer anberen SRaßrungSmittetauSfteHung aug einem ©au*
meifter, einem Kocß, einem SReftaurateur unb einem Defonom.
Unb bag üertßeitt golbene ÜRebaillen, fogar mit bem ©itbniß
eineg eßrwürbigen unb allbetiebten Königs! ©aS witt ein
Urzeit abgeben tönnen übet bie Seiftungen auf bem ©ebiete
berüerfeßiebenftenSnbuftrien! ©enn jene „gacß"*SluSfteIIungen
befeßränten fid) teinegwegg auf Grgeugniffe ber Kocßtunft,
ßaben üietmeßr aud) beifpietSWeife gaßrräber, ©agmotore, ge*
ntatte ©d)ilber, ^otjwotte, SRufitwerfe, garben angenommen
unb (gum ©ßeit wenigfteng) aueß mit gotbenen ÜJtebaiHen
prämiirt.
©oeß genug ber ©etaitS, bie id) nocß erßeblicß üermeßten
tönnte. ©ie beiben angeführten gälte genügen »ottftänbig,
um gu geigen, wie ber unlautere ©Wettbewerb auf bem ©ebiete
ber „witben" AuSfteltungen feine 3 lI f)ucßt gefuc£)t unb ge*
funben ßat, ohne baß eg möglich ift *ß m an ber tpanb ber
befteßenben ©efefce wirtfam entgegengutreten. ©S ift nicht
leidet, immer fofort bie ©preu üon bem ©Weigen gu fonbern
unb ohne ©Weiteres über bie üietüerfprechenben unb bie Stamen
allgemein gu aeßtenber Sftänner entßaltenben ißrofpecte gut
©ageSorbnuug übergugehen. „®ie SluSftetlung", bag Organ
beg ©erbanbeg jDeutfcfjer SluSfteHer giebt gwar atg Unter*
fcheibungSmerfmal bag ©orßanbenfein ober geßten eineg
ArbeitSauSfcßuffeS an unb Weift mit Stecht barauf hin, baff
bie „©irectoren" witber SluSftettungen einen SlrbeitSauSfcßuß,
ba biefer ihm bag ©cfcßäft üerberben würbe, nicht bulben tönnen
— allein aug ben fßrofpecten :c. lägt fid) nicht immer er*
fehen, ob ber bort namhaft gemachte ArbeitSauSfcßuß (Gomite
ober bergt.) nur eine ©ecoration, eine gotie beg ©irectorS
barftettt ober tßatfädßticß „atg jene finangielt unparteiifche
©teile angufehen ift, welche nur auf bag moralifeße ©etingen
unb ©rgebniß ber AuSftellung bebacht ift, welche nicht ben
alleinigen ©rfotg in einet mögttcßft großen ©innaßme erbtieft,
fonbern üietmehr bie miffenfdjaftlicßen, üotfgbitbtichen ober
fouftigen ibeetten ßwede, gemeinnüßige giete im Auge behält."
©Wie wirb benn nun aber bet jenen SluSftetlungen bag
©elb „üerbient"? ©Wenn fich aud) manche SnbuftrieHen ohne
genauere Kenntniß ber ©aeßtage unb fogar in üölliger ©er*
Fennung ber ©ßatfaeßen gufätlig atg Slugfteller betheiligen, fo
ift ber beutfeße Kaufmann bocß bureß übte ©rfaßrungen im
Allgemeinen gu üorfidßtig geworben, um in größerer 3 a ßt feine
©etßeitigung oßne ©Seitereg gugufagen. ©tanken ber Augftetter
wirb atfo bie eigentliche ©itutation bei folcßen AuSftetlungen
woßt befannt fein, aber eben gerabe beßßatb beseitigen fie fieß.
©aS geßt fcßoit aug ber ©ßatfaeße ßerüor, baß auf berartigen
©WintetauSftetlungen biefetben girmen wiebet unb wieber üer*
treten finb. ©ebenft man nun, baß bie fraglichen ©er*
anftattungen nur wenige ‘Jage bauern, einen üerßättnißmäjjig
bod) reeßt geringen, an einen Snßrmarft erinnernben Umfang
aufweifen, unb nur üon äußerft wenigen ffWerfonen befußtijt
werben, fo fragt man fiel) gunädjft, wiefo ber Unterneßma
auf feine Kofteu fommt unb wiefo bie AuSfteller meinen,
bureß ißre ©etßeitigung ißrem ©efcßäftgbetriebe bientkt) gu fein.
Sitte ©cßtkße finb freilich auc ß mir ttießt befannt, wette
ben ©irector naeß ber ©otbaber füßren, aber iminerßin laßen
fid) einige feftftetten. Die Seitung einer „gacßaugftetlung für
^änbter unb ©jporteure" üerfenbete g. ©. folgenbe ©intabung
gur ©etßeitigung: „5)a wir erfaßren, baß ©ie ein guteg ©räu
brauen, fragen mir ßöftieß an, ob ©ie fict| bei ber ©peciat*
©oncurreng üon ©iereit, wo ©ie nur bog fteinfte Quantum
ßergufenben ßaben, betßeiligen wollen. ®ie Koften incL
©rämiirung betragen 150 2J?. unb wirb Sßnen Woßt fießer
bie gotbene SWebaiHe guerfannt, ba ©ie ein guteg ©ier brauen
fotlen- ©ie ©eneratüertretung".
©ie SlugfteQungen üerbäcßtiger Art fpeculiren, wie bie4
©eifpret geigt, auf bie SÄebaittenfucßt üon Seuten, benen foteße
Stuggeicßuungen überhaupt nicht ober bod) nicht fo bequem
unb fießer gugänglicß finb. ®ag ift aber bei Seibe fein
SWebaiHenfauf! ©g geßt naeß außen ßin AUeg orbnunql--
mäßig gu, Wie bei jeber großen SluöfteOung unb bie urtßeUi*
tofe üJ?enge fann feinen Unterfcßieb maeßen gmifeßen einer
gotbenen ©febaitte, bie in eßrlicßem ©Wettbewerb ber Sntß
großer ©jßibitionö abgerungeit ift unb einer, bie ein tod)
in feiner ©igeufchaft atg ©irector einer gacßaugftetlung üer*
ließen ßat. ©olbene ©c'cbaitle ift golbene Webaitle, gteießgittig,
woßer fie fommt. Unb wenn bie tfWreigliften unb ©riefbogen
einer girrna mit ©licßeg üon gotbenen 2M>aiüen übertaben
finb, fo Würben ©Wenige in ber Sage fein, einen richtigen
©Wertßmeffer angutegen unb Woßt bie ©reiften Werben jene 8b=
bitbungen atg einen feßtagenben ©eweig ber ©ertrauenä*
Würbigfeit ber fo häufig auggegeießneten girma aufneßmen.
gür biefc ßaben atfo bie fragwürdigen gotbenen SWebaiH«
eine nießt unbeträcßttkße ©ebeutung. ©ie finb fonaeß bereit,
beßufg ißrer ©rtangung gewiffe Opfer gu bringen, wenn fit
nur in einer bag moralifcße ©ctbftbewußtfem feßonenben gone
»erlangt unb gegeben werben. S?un finben fieß befanntiieß
leicht ©Wege, wenn man ernfttieß feinem 3«fe naeßftrebt, unb
gewanbte SlugfteHunggbirectoren ebnen foteße ©Wege auf bag
Siebcngwürbigfte. ©fan fenbet feine AugfteQunggobjecte ein,
gaßlt bem Unternehmer 1) für bie ©eforgung ber Stuf*
fteüung unb Stufficßt, fowie Sleinßattung — 2) für ben
quabratmeterweife berechneten fßtaß — 3) für bie in ben
■?IuSfteQungS*Gatafog aufguneßmenben Annoncen — unb
4) für bie SfuSßänbigung ber üttebaitten feine „tarifmäßige
©ebiißt". gür bie ißrämiirung atg foteße wirb atfo nicht«
berechnet uub ber gute ©Sein ift gewaßrt, bag ©ewiffen ift
berußigt, ber ©irector mit bem „©rfolge" feineg Unternehmend
gufrieben.
©oteße 3 u f^nbe bürfen ni^t länger gebufbet weriien.
@g bemäßrt fid) in ber Untauterfeit bag ©priSwort, baß
man bie fteinen ©iebe, bie in Kräßwintet einen bäum«
Wollenen Stod für einen wollenen auggegeben ßaben, ßängt,
unb bie großen ©iebe, bie unter bem ©edmantet üerbienft*
»oller ©ßätigfeit bie Allgemeinheit betrügen, taufen unb ißt
§anbmerf rußig weiter treiben läßt, ©ie ©ewerbeorbnnng
ftcQt in ben §§ 29 u. ff. einige Arten gewerblicher Sßätig*
feit gufammen, beten ©igenart ein erßößteg öffentliche«
Sntereffe bebingt, g. ©. bag ©ewerbe ber ^»ufbef^tag«,
Sootfen, ©cßaufpietunterneßmer, ÜWfanbteißer, ©qngleßrer,
©rogenßänbter. ©iefen ©etrieben ift meßr ober weniger bie
grunbfäßtieße ©eWerbefreißeit befSränft, weit eben bie Gefaßt
mißbräuchlicher uub aUgemeingefäßrticßet Ausübung üortiegt.
Sft baS nießt in erßößtem ©?aße bei ben AuSfteflwmd'
Unternehmungen ber gaU? ©ie fotibe Kaufmannfcßaft, ®ie
fiS nießt ßat fdjröpfen taffen, wirb bureß bie fo ßäufig u»b
pracßtüotl becorirte ©oncurreng entfSieben gefcßäbigt, bet
Digitized by v^. ooQie
Nr. 12.
Dir Gegenwart.
179
beutfdje Name im SluStanbe unter Umftänben biScrebitirt,
baS ganje laienhafte publicum in wirffamfter SEBeife getäufcht,
®S wirb fiel) alfo empfehlen, baS SluSfteDungSgeWerbe jenen
Paragraphen ber ©ewerbeorbnung einjuberleiben.
®ie beutfehen HanbelSfammern »erben fiel) in golge ber
Snitiatioe ber HanbelSfammer ju ^alberftabt bemnächft mit
biefer grage 3 U befdjäftigen haben, eS mirb alfo hoffentlich
balb jenen Snbuftrierittern ein wirffameS „Quos ego“ gu»
gerufen »erben.
Die JJft|d)olo0te in her focialen lorfdjnng.
5Bon Karl Hoetjel.
@S gilt für eine unumftöfelid)e Slhatfache, bafe im ©laffen»
lampfe baS Wirthfd)aftlicfee Sntereffe baS einzig beftimmenbe
Moment fei. Nachgerabe feheint eS inbeffen an ber 3eit, bie
©treitajt moberner Kritif auch einmal an biefen unmobern
geworbenen ©tunbpfeiler anjulegen. ©inb benit bie »irtf)=
fchaftlich ©treitenben wirtlich fo baar aller Snbioibualität,
bafe fie fich einfach 'nie 3 a ^ en betrachten laffen ober »ie
bie einjelnen ©lemente einer einzigen eleftrifchen Batterie?
Slngenommen felbft, bafe fie in ihrer ©efammtheit einen
einheitlichen ©harafter tragen, läfet fich berfelbe »ie bie
Söfnng eineä StedjenejempetS beftimmen nach ber einen
gormel: SEBirthfcfjaftlichcS Sntereffe? ®aS hiefee bie Wenfcfeen
in ihrer ©efammtheit ju hoch einfehäfeen unb ju niebrig.
3u hoch infofern, als nur ©injelne, nie aber bie Waffe, fo
fing unb jielbewufet finb, bafe fie »irflich i n Slöent nur ihr
perfönlichfteS, »enn auch te in materielles, Sntereffe im Singe
haben. 3 U niebrig aber, »eil boch auch nur SEBenige fo falt
unb fleintich finb, bafe ihren materiellen Sntereffen gegenüber
alle Nufe beS ©eifteS unb ber ©eele ungeljört oerhaffen.
Ulein! ©ben fo ge»ife wie bie Hanblungcn eines jeben
einzelnen SitbioibuumS unabläffig begleitet unb in lefcter
Snftanj mitbeftimmt »erben toon Stimmungen unb ©efüfefen,
fo fpielen auch im ßeben ber StWaffe, alfo auch i m Staffen»
fampfe, biefe Smponberabilien eine grofee, nodh oiet 511 wenig
geroürbigte Stolle. ®arum braucht man auch nicht aüju
fehr erftaunt ju fein, bafe in fo oieten gäHen gerabe baS
©egentheil bon bem eingetroffen ift, »aS grofee Social»
Propheten borauSfagten. ©ie hoben eben bielfach ben grofeen
^Rechenfehler begangen, bie Waffe als einen auS gleichartigen
Kraftelementen beftefjenben, einfeitig wirfenbeit WedjaniSmuS
ju betrauten unb böHig ju überfein bie Pfpdje, bie in bet
Verborgenheit wirfenbe, allmächtige 3 °uberin. Unftreitig ift
ja baS Seelenleben ber um ihre ©jiftenj Kämpfenben mehr
ober minber bebingt burdf ihre »irthfc^aftlictje Sage. (SS ift
unb bleibt baher bie Hauptaufgabe ber ©ocialwiffenfchaft,
birecten phhfif<h en Wangel unter ber arbeitsfähigen unb
'Willigen Waffe mefer unb mehr unmöglich 3 U wachen unb
möglichfte Hebung beS allgemeinen SEBohlftanbeS anjuftreben.
Slber nehmen »ir felbft an, bafe wir hiermit wirtlich bie
lejjte Urfadje ber franfen SBolfSfeele fennen, genügt eS bann,
einfeitig bie lefete rabicale Heüung im Sluge gu behalten?
Sft eS nicht eine ebenfo grofee Pflicht, bie augenb tief liehen
©pmptome eingehenb ju ftubiren, um bie Wöglidjfcit ju er»
langen, ben jebenfallS djronifchen KranfheitSjuftanb erträglich
ju geftalten? ©anj gewife; man hot bieS auch längft ein«
gefehen, »ie j. SB. bem Stufe ber SBolfSfeele nach 9fntheil=
nähme an Kunft unb SEBiffenfchaft mit Dieter opferwilliger
(Snergie begegnet Wirb burch bie moberne grofee Bewegung
für Popularifirung oon Kunft unb SEBiffenfchaft. Nun fegt
aber gerabe biefe Popularifirung eine burdjbtingenbe Kenntnife
ber SBolfSfeele OorauS, unb bafe eS baran in fo bebauerlidjem
ÜRaafee fehlt, beweift baS fo häufige Wifelingen oft ber beft»
gemeinten bieSbegüglicpen Snftitutionen. ©0 bitter rächt fi<h
auf Stritt unb ®ritt bie Unfenntnife unb Nichtbeachtung
ber SBolfSpfhdje. H°^ e 3 e *t W baher, bafe gleidh fo
oieten anberen ®iSciplinen auch unfere fo hoch entwicfelte
Pfpchologie enblich einmal in ben ®ienft ber grofeen focialen
©ac£)e tritt, beit ©taffenfampf mit ihren gorfefeungen be»
gleitet, bie in ihm »irffamen Smponberabilien üon ©tim»
mungen unb ©efühlen aufbeeft unb analpfirt unb ben SBeg
Weift, bitrch Weife SBerüdficfetigung berfelben bem SEBirtljfchaftS»
fampfe bie unlogifdje, unnüpe unb unferer heutigen SQilbung
burdjauS unwürbige perfönii^e Slnintofität ju nehmen. SQkt*
burch wüfete berfelbe logifd) rebucirt »erben auf ben offenen,
ehrlichen ©treit ber Derfdjiebenen, flar Oerftanbenen Sntereffen
Oon ©efeUfchaftSclaffen, beren JRitglieber einanber perfönlich
mit Sichtung unb menfehlichem SBohlwotlen gegenüber ftehen.
2Rögli<her Sffieife »ürbe eS fiep bei folcher ÄampfeSweife geigen,
bafe eS bei gutem SßJiHen »irffame (Sompromiffe giebt, unb
bafe bie Sntereffen einzelner ©laffen bis gu einem gewiffen
©rabe frieblich H nn ^ in H ai ’^ nebeneinanber h« r f<h r oiten
fönnen.
SltiS allen biefen Urfachcn erweift fich bie SBegrünbung
einer ©ocialpfpdjologie als bringenb noth»enbig. ®iefetbe
hätte bie grofee Aufgabe, eine Pfpcpologie beS SffiirthfdjaftS»
lebeitS ober ber probuctiocn ©laffen ju liefern. SltlerbingS
eine SRiefenarbeit! Nicht nur bie betriebenen ©tänbe als
fotepe Wären ber pfpcpologifchen gorfepung gu unterwerfen,
fonbern in einer fester unabfehbaren Reihenfolge oon 9Nono»
grappien audh alle bie uncnblich bielen SBerufSarten mit ihren
oieloergwcigten ltntera 6 theilungen. 3 Sn gewiffem ©inne oor»
bilblid) fein fönnte hierbei bie ©ewerbehhgiene, »eiche, aller»
bingS Oon ihrem ©tanbpunfte auS, eingehenb bie einjelnen
Honbwerfe unb Ocrfcpiebenen gabrifationSbetriebe ftubirt hat
unb namentlich) auf bem ©ebiete ber gürforge für arbeitenbe
grauen unb Ä’inber eine SBerufSpfpdjologie bielfach vorbereitet
hat. Stm bringenbfteit noth»enbig erweift fich e i ne SBerufS»
pfpchologie ber »eiblidhen SBerufSarten, allein fdjon um ihrer
gerechteren SBeurtpeilung Willen. ®enn bei ber grau finb
befanntlid) bie perfönfidpen, alfo pfpdjifchen Nfomente immer
auSfcplaggebenb gegenüber ben rein praftifd)»materiellen. Sffiie
wenig bem Ncd)itung getragen wirb, begreift jeber feiner
organifirte Wann, beffen €>h r un ^> ©ntpfinben täglich un»
jäplige Wal beleibigt werben # burdj bie unter ben H erren
ber „befferen" ©tänbe üblichen unenblid) banalen unb un»
gerechten Urtfeeile über Kellnerinnen, Pupmacherinnen rc.
Slber ber fdjlagenbfte SBewciS für bie hierin herrfchenbe Un»
fenntnife bleibt bod) bie empörenbe, jeber Sogif unb H uma »
nität in’S ©efiept fchlagenbe ®hatfa^e, bafe Sßerführer ju
fein — eS fommen boch h'^&ei weiftenS bie grauen unb
Wäbcfeen ber wirthfchaftlich unb an SBitbung niebriger ftefeen»
ben ©laffen in SBetracfet — nicht für eine Oerädjtliche geig»
heit unb gemeine Niebertradjt gilt, fonbern für flott
unb coloffal fchneibig. H at auc ^ nur c i ner ** er f°
urtheilenben H erren ber gebilbeten ©efeflfdjaft eine Slfenung
oon bem, was in ber ©eele eines jungen WäbdjenS audh ber
nieberften ©tänbe oorgefet?
SE3aS wir bis jefet oon ber SBolfSfeele wiffen, berbanfen
wir auSfdjliefelich mobernett ®icf)tern, wie 3°la, Waupaffant,
auptmann, SSEfdjechoff u. 21 . Sluch haben grofee bilbenbe
ünftler wie WiÖet, Uljbe, Weunier tief in baS ßeben beS
ffeinen WanneS gegriffen unb oon ben bort berborgenen
©chönheitSfdjäfeen herrliche Proben gegeben, ©ie Sille, dichter
unb Künftler, lehrten unS, baS SBolf ju berftefeen unb Wit»
leib, Slcfetung, ja felbft vielfach SBewunberung ba ju empfinben,
Wo man früher nichts SntereffanteS borauSfefete unb meiftenS
eine oberflächliche, billige SBerachtung hegte. Witfein fommt
biefen Weiftern eine hohe SBebeutung ju als ©timmungS*
erreger unb SBerber jur focialen ®hätigfeit. Slber Wiffen»
fchaftlich ernft fönnen ihre SBeiträge jur SBolfSpfpdhologie nidht
genommen werben. ®enn auch bie am meiften realiftifchcn
®icpter unb Künftler bleiben ihrem innerften SESefen nach
Digitized by v^.ooQle
180
Die flsegentonrt.
Nr. 12.
immer fubjcctio, atfo Pßantaften. 3)ocß bie pfhcßologifcße
SBiffenfdjaft branefjt ein ejacteS ©eobacßtungSmaterial unb
muß baffelbe aus birectefter, jitueriäffigfter Quelle fcfjöpfen.
Sieber ©ebilbete, melcßen fein ©eruf mit bem ©olfe in un=
mittelbare ©erüßrung bringt, alfo'öor SUIcm Pfarrer, Beßrer,
Slerjte, Stifter, ©eamte, Sedjnifer, g-abrifangefteÜtc, $auf»
leute, Banbroirtße, Sanbfcßaftömaler, fie Sille müßten c§ als
eine öorneßme ©fließt erachten, mitjiimirfen an ber ©amm»
lung beS UfjatfadjenmaterialS ju einer ©ollSpfßcßologie. ©in»
geßenb ju berüdfüßtigen mären natürlich auch bie meift mirtß»
fcßaftlicßen ober hßgiemfeßen ßWftfen bienenben, feßon be»
fteßenben Statiftden. ®em Pfßcßologen non gaeß bleibt bie
©ießtung unb Searbeitung beS ungeheuren SWaterialS Oor»
behalten, ©ictierlicfj merben aber beren ©iele baburch 51 t
felbftftänbigen praltifcßen, OotfSpfßchologifdjen ©tubien »er»
anlaßt, in ber Slrt mie ctma ©Öhre als gabrifarbeiter.
®enfen mir uns nun unfere ©olfsmirthfcßaftslehrer aus»
gerüftet mit bem fo gemonnenen focialpftjc^ologifcEjcn Material
unb baher im ©tanbe, auch au f ^f^eijorogifc^c SNetßobe an
bie SBirtßfcßaftSfragen ßeranju treten, fo bürfte E>ter 6 ci baS
große, feßon bis jur ©rfdjöpfung bearbeitete fociale Problem
plößlicß in ganj neuer ©eleudjtung crfcheincn, bie fdjon er»
mattenbe gorfeßung fich neubelebcn, unb oielleicßt ber ©chlüffel
gefunben merben jur Söfung manches bisher für unlösbar
gehaltenen NätßfelS. gernet mirb aber auch ficßerlid) burch
biefe mehr mcnfcßlicbe ©etrad)tungSmeife bie fociale gorfeßung
eine Diel größere Popularität erlangen als bisher. $enn
baS meitere publicum bringt ihr faft auSfcßließlidj auS 9Wit»
leib Sntereffe entgegen unb fühlt fid) baher feßr häufig burch
ihre falte Dbjectioität unb ruiffenfcf)aftficE)e ©jclufioität ab»
geftoßen. ®aß bie ©ocialforfcßung bem bisher ju menig
Pecßnung getragen hat, bürfte ebenfalls ju ihren UnterlaffungS»
fünben ju aäßlcn fein. Sn bieS ©ebiet gehört auch bie $ßat»
faeße, baß fie eS bis jefjt unterlaffcn hat, in ben Steifen für
fich Stimmung ju machen, toelcße befonberS jur praltifcßen
3J?itarbeiterfcßaft berufen finb; fei eS burd) Neicßthum unb
SNuße, mie gemiffe OorurtßeilSfreie Gapitaliften, fei cS burd)
befonbere ©emütßSanlagen, mie bie grauen im SWgemeineit,
namentlich aHeinfteßenbe unb toirtßfcßafttich gefieberte, ©iel»
leicht bürfte ber ©ocialforfcßung ein ©orrnurf auch barauS
gemacht merben, baß fie ju menig ben ßerrfeßenben ©fepti»
ciSmuS berfidficfjtigt unb eine ethifche ©egrünbung ber ©e»
reeßtigung ber ©ocialforfcßung bisher unterlaffen hat.
Sltfo überall Nichtbeachtung ber Popularität. S)ieS
Princip bürfte ja bei jeber anberen SBiffenfdjaft bis ju einem
geroiffen ©rabe angebracht fein. ®ie ©ocialmiffcnfdjaft aber
nimmt eben eine burdjauS ejceptionelle ©teKung ein. ®a
fie auf’S Snnigfte mit bem putfirenben Beben oereint ift,
barf ihr feine ber intimften Steußerungen ber ©olfSfeele ent»
gehen, unb ba fie burdjauS prattifeße ©nbjiefe hat, barf fie
fein SNoment außer Sicht taffen, baS ihre Popularität unb
ihren praftifchen ©influß erhöhen fönnte.
3um @<ßluß fei ein furjer Nüdblid geftattet. Sn ber
praftifchen unb tßeoretifcßen fociafen ‘Eßätigfeit macht fidj bie
Unfenntniß ber ©olfSfeele überall auf baS Ipemmenbfte unb
©törenbfte bemerfbar. ©S erfaßt baher ber pfßdjologie bie
Slufgabe, eine encßclopäbifdje Pfßdjologie ber probuctioen
Glaffen p liefern unb einzelne ©cruföpfßcßologien aller
mirthfcßaftlidjen ^Ijätigleiten. Sin ber©amntlung beS nötigen
XßatfafßenmaterialS haben fid) alle ©erufSarten, bie in un»
mittelbarem ©erfeßr mit bem ©olfe faßen, 31 t betheiligen.
Nfögen fich ©erufenere biefeS ©ebanfenS einer ©ocial«
pfßdjologie annehmen unb fomit eine tiefere, gerechtere SBüt»
bignng ber ©olfSfeele begrünben, toeldje ihrerfeitS ben frudjt»
barften ©influß haben müßte auf bie ©rforfdjung aller
berjenigeit SBirtßfdjaftS» unb ©ulturprobleme, melcße mir als
„©ociale grage" ^eießnen.
Literatur unb £unft.
ZXubrct) fiearbfifet), ber Ülaler ber 5finbe.
r>on Hubolf Klein (»erlin).
SBie ®eutfcßlanb politifch baS lü.Saßrßunbert beßertfdjlf,
fo beßerrfdjten eS ©nglanb unb granfreidj fünftlerifcfj- ©ng> ■
lifcbjer unb fran^öfifc^er ©eift mareu bie ftriebfebem aQn •
Sunft im 19. Sahrßunbert. 3)o<h hat ©nglanb ben Sor»
rang, ©on ©nglanb gingen bie „©ntmidclungSibeen' aus,
bie baS gefammte ©cifteSleben beherrfchten unb nach Gnglanb
eben am längften in granfreich mirften, aOmo fie no^ lebt«
unb mirften, als im SKutterlanbe ©nglanb fchon eine fpiritua»
liftifdje ParaUelftrömung fich SBege bahnte, eine fpiritualiftifdjt
©trömung, bie, meit ataüiftifch, auch i ' 1 ber Sunft archaiftiföe
Probucte jeugen mußte unb beßhatb nicht feßr jufunftS»
trächtig fein tonnte. 5 )ie naturmiffenfchaftlidie ©ntmidelungl»
ibee mar, mie auf allen ©ebieten im 19. Sahrfjunbert, au^
in ber Sunft ber treibenbe gactor, meßhalb mir auch * n
lanb bie erften naturaliftif^en Sünftler finben in ©onftaMe
unb Turner, bie baS Problem ber garbenanfdjauung in einer
SBeife aufgreifen, bie erft fünfjig Sahre fpäter in granfreich be»
megenb mirb. ®odj ber ©nglänber — fonft nüchtern unb
troden oom fiänblergeift regiert — hat in golge feinet
germanifchen Slbftammung auch eine religiöS»poetifc|e Über,
bie jeboch nicht mie beim $eutfdjen gemifferrnaßen felbft 3 ufrieba
fdjlägt, fonbern fich, t> em ^»änblergeift entfpredjenb, fanatifh,
programmatifch bethätigt. puritaniSmuS unb Heilsarmee
finb feßtagenbe Semeife. SluS biefer Slnlage ging nun and)
im 19. Sahthuabert jene fpiritualiftifche ©trömung h«*®® 1 ,
bie nicht auf nationalem, theologifdjem Renten beruhte, — :
auf melche SBeife fich nun ä u bethätigen ber beutfdje lleifl
mieber anfdjidt —, fonbern ein atatoiftifcheS ©ebräu auä
inbifdjein DccultiSmuS, mobernem Spiritismus unb chriftlkf)er
SÄpftif. ©ine fofdje ©eifteSridhtung mußte in ber flunfi
nothmenbig in SlrchaiSmuS ocrfaDen, ftalt bie neubetretenen
naturaliftif^»äfthetifchen ©ahnen burch neues ®enfen ethifcb
p Oertiefen unb auS 3 ubauen. SBähtenb mir baher bie fiunft
in granfreich größtentheilS auf naturaliftifch'äfthetifdjea
©taubpunft'beharren fefjen, greift fie in ©nglanb in golge bn
ataoiftifd)»fpiritualiftifchen ©eifteSricßtung auf baS italienifcht
fWittelalter unb bie grüfjrenaiffance 3 urfid. Unb fo feh«
mir beten bie Äünftler in ber Schule ber frühen glorentinci,
mobei ermähnt fein mag, baß bie englifchen Sünftler tf/eif
meife auf biefe Nicßtung 3 urüdgriffen, meil fie bei ißt bie
felbft gcfud)te naturaliftifche gormbeobaeßtung fanben. W
fann bieS unmöglich, mie öielfadj behauptet mirb, allein bet
©runb gemefen fein, für mcldjen gaU bie englifcße Äunft ein«
faeß bie begonnenen naturatiftifd)en ©aßnen auf bie SBeife
hätte auSbauen fönnett, mie baS rein naturaliftifch 5 äfthe»
tifeße ©mpfinben ber grattjofen bieS gethan. ®aS fpiritua¬
liftifche ©ebürfniß ließ in erfter Sinie bie englifchen j
ftünftler auf bie primitioen glorentiner 3 urüdgreifen, »eil in \
beren Sßerfen noch ber gait^e fpiritualiftifdie ©eßalt bei
©otßif nachsitterte, menn auch m *t naturaliftifchem Sitten i
oereint, meßhalb mir auch bie Häupter biefer prärafaeliten,
Noffetti unb ©urne SoneS, halb nad)het mit einigen Shtbercn
als Neu=prärafaeliten auftreten feßen. Sn beren ganjet
Äunftprobuction ßerrfeßt alSbann in siemlid) monotoner
SBeife, ein ©mpfinbungSton üor: baS inbrünftige ©erlange« '
ber ©eele aus bem grauett SlUtag nad) neuen Schönheiten — !
üerförpert in ber gigur beS SBeibeS als prieflerin biefer ©eelen-
münfeße. ©ei Noffetti finben mir biefeS SBeib noeß oott innerer i
©lutß in gliißenber Hoffnung, bei ©urne SoneS ift t* fc|o» !
eine anämifeße Slsletin, beren ©eift feßon ber fcßmalen @tenj»
feßeibe beS SBaßnfinnS naße ... ©ei epigonenhaften 9Sa<h'
folgern bann finben mir biefen fEßpuS immer miebetfeßtenb ,
als leere gorm becoratio oermenbet. Nur ein ßünftler ma#
eine SluSnaßme, ©entbötet): bei ißm ßat bieS SBeib, btrrdj ben
Digitized by v^nOOQie
Nr. 12.
Die (Segcttwort.
181
bei ©urne SoneS angebeuteten ÜSapnfinn fjinburrf), bie neuen
©arabiefe cnbedt, bie ©arabiefe ber ©ünbe, beten DerlodenbeS
glüftern bämonifcper Sngel eS Wie feftgebannt laufest. ®te
gange SntwidelungSppafe, Dom Ütüdgang auf baS frühe
gloreng an, finbet fiep noep einmal gufammengebrängt in ber
©robuction biefeS testen großen SnglänberS, nur mit bem
gang beftimmten ©runbton: auS Slüern, baS er geraffen,
Hingt als ©runbton peroor baS Sieb Don ber ©ünbe, bom
©Öfen, bom Saftet; ja noep mehr, baS Sieb bom ©efcpledjt
als fatanifepe, loSmifcpe, fcpaffenb=gerftörenbe ÜRacpt. Anfangs
ttar er nur ber ©c^ön^eitSpriefter ber ©ünbe, bann oertiefte
er fiep gerabegu jum ©efcplccptSppilofophen.
SCubretj ©earbslep, ber fepon mit 26 Sauren ftarb, im
§erbft 1897 in SRentone, war eines jener frühreifen ©enieS,
bie einer inneren Mahnung gufotge, bon einer fie6eruben
Öaft befeffen, ahnen, bafj fie nicht lange gu leben haben,
©iitgwangig fahren fcpuf er SReifterroerle, als er mit 26 Sapren
ftarb, War er Dielleicpt auch fünftterifcp fo ausgebrannt wie
förpetlicp. $ocp liegt hierin nicht ber geringfte Sabel, noch
eine Urfacpe eS gu Dertufcpen, ba er bei feinem frühen Sobe
ein SBerf pinterliefj, fo reich b)ie Slnbere naep einem langen
Seben. S)iefe ungeheuer concentrirte teepnifepe ©egabung,
toie biefeS bifionäre, Wenn auch einfeitige pfpepotogifepe ©chen,
fonnte, rein p^fiotogifd^ betrachtet, nur bon lurget Sauer
fein. Sn biefer ?lrt begnabet bie Statur einen ftünftler nur
für Wenige Sapre. Unb fo ftarb er boKauf gut rechten grit.
Sr hatte mit feinen Wie im gieber gefteigerten ©cpöpfungS*
unb Srtenntnifjorganen in ber furgen Spanne geit, bie ihm
gu leben bergönnt, fo biel gefchaut unb gefdjaffen, Wie
9Renfcpen, beren $ergfcplag in normaler SEBeife pulft, in einem
(angenSeben. 3BaS feine eingelne ©robuction betrifft, fo mögen
naepftepenbe Slnmerfungen folgen; er iHuftrirte bon ©üepern:
Mort d’Arthur; Salome; The ßape of tlie Look; The
Pierrot of the Minute etc. Sr geidjitete für bie geit*
fepriften: »Yellow Book“ unb »The Savoy“. §llS ©ammel*
toerle erfdjienen: A Book of Fifty drawings, 1896. A second
Book of Fifty drawings, 1898. 91ISbann, »Early Work“.
Snblicp feprieb er — obgleich fein literarifeper (g^rgeij weit
größer wie feine gäpigfeiten — eine Stoöeüe »Under the
Hill“ bie er ebenfalls iHuftrirte. Sch fagte, baff ©earbSlep’S
©robuction gufammengebräugt noep einmal ben gangen Snt*
teictelungSgang ber englifcpeit Äunft umfcplicfje. Sn feiner
frühesten Spocpe feheit wir ihn, unb baS ift für feine ©elbft*
ftänbigteit pöcpft begeichnenb, nicht etwa, gleich feinen jugetib*
liehen geitgenoffen, ben fepon berühmten ©offetti unb ©urne
SoneS folgen, fonbern gleich biefen birect gurüd gur
CueHe, auf baS frühe gloreng gurüdgehen. SluS biefer ©poche
feien gwei geiepnungen erwähnt: »the Procession of Joan
of Are“ unb »The Litany of Mary Magdalen“. SaS erfte,
getoiffermafjen als grieS gebockt, mutpet unS birect Wie ein
SRantegna an. @S ift ein langer ©roceffionSgug bon Scannern,
grauen unb Äinbern mit föhnen, ©tanbarten unb ©alm*
groeigen, in ihrer URitte bie fiegreiepe Sungfrau. $>iefe
geiepnung berräth ein grofjeS tecpnifcpeS können, hoch würbe
Stiemanb in ihr ben fpäteren ©earbslep ahnen, ba er nicht
einmal berftedt gum ©orfepein tommt. ®iefeS legte, baS
heimliche ^eroorblipen ber eigenen Snbibibualität, finbet fich
jebod) in ber gWeiten erwähnten geiepnung biefer Spocpe.
SiefeS SBilb, baS in feiner gangen äufjeren Slrt wie ein
Crcagna wirft, ift infofern fchon ein echter ©earbslep, inbem
ein Xpeit feiner Figuren fdgon gerabegu bom Teufel befeffen
fd)eint. SinfS tniet, bon innerer ©ergweiftung bergehrt,
2Ragbalena bie ©ünberin in inbrünftigem ©ebet, im Sinter*
grunbe ftehen unglaublich lange, in SBurmlinien gezeichnete
giguten, beren ©erbredjergefiepter bon höüifcher ©chabenfreube
bergfidt, währenb ein Heiner ©udliger, ber ber größten gigut
nur bis gur f>üfte reicht, mit teuflifepem ©rinfen gegen bie
©üjjenbe bie gunge perauSftedt. SGBir fehen alfo fchon in
biefer ©chaffenSperiobe, bie ben Zünftler äußerlich DoUftänbig
wie inhaltlich theilweife in epigonenhaftem ©anne geigt, ein*
mal ein ^erborblifcen ber fpäteren pfh<hifcf)en Sigenart, jeboch
nod) nicht bon ber fpäteren fünbhafLerotifd)en ©eite. S)aS
Seuflifche tritt hier ijerbor gang in ber Slrt, wie wir eS auf
bielen mittelalterlichen ©ilbern religiöfen SnhaltS finben.
®afe ein Äünftler Wie SearbStep nicht lange in folch’ epi=
gonenhaftem ©anne befangen bleiben fonnte, ift felbftberftänb»
lieh, aab fo fegen wir benn, wie in ber nächften ^ßgafe baS
florentinifdje ©ewanb fich 'a’ö ^Rationale berwanbelt, gang
wie bei fRoffetti unb ©urne SoneS. Sr giebt ©<hitberungen,
in beren ©orbergrunb baS SKeib fteht, baS SBeib, mehr Sngel
als 9J?enf^, baS SBeib als aSfetifcpe Sßriefterin. ®iefeS
SBeib, — ©lätter Wie »Adoramus Te“; A Christmas
Carol“; ,A Head“ feien genannt — tragen in ihren ©e=
ficptSgügen jeboep beutlicp ein StwaS, baS als bie gieber*
Ärife bezeichnet Werben mufj, anS ber baS fpätere ©earbSlep*
SBeib, baS ber ©ünbe üerfallen, petoorging: wobei erwähnt
fein mag, bü| ber fpätere SppuS, ber ja immer unb immer
bie ©erförpetung ber ©ünbe ift, beutlicp bie ©puren feelifcper
©cfunbpeit unb ©enufjfraft trägt, welche Sigenfcpaften natür*
(idp im ©ertierfen ipre SRaprung fuepen unb finben, icp meine
bie ©puren ber ©efunbpeit im ©egenfap gu biefen müben,
mclancpolifchen grauen, bie fiep SlnfangS bei ipm mit allen
anbern 9teu*$rärafaeliten finben. ®aS fpätere ©leib ©carbS*
(ep’S pat eben beim Teufel baS gefnnben, WaS eS auf pimm»
lifcpeu SBegen öergebenS gefuept: eine neue ©efunbpeit, eine neue
SebenSfraft, eS ift auS einem Sngel beS Rimmels ein foldjer
ber £ölle geworben, unb gwat ber §öüe, bie gu tiefft in ben
bewegenben SRäcpten beS SebenS ftedt, ber §öHe beS ©efcplecptS.
?luS biefer ©eriobe ftammt eine gridjnung, bie formell noep
in ber neu=prärafaeliti|cpen Slrt gepalten, feelifcp jeboep eine
erfepredenbe ©orapnung beS Äommenben ift: icp meine baS
©latt »incipit vita nova“ . .: auf tief fcpwargem ©runb
fepauen wir einen bunflen grauenfopf, im fcpwargen, ben Stopf
uöllig umrapmenben §aar, bleicpe franfe ©ofen; bie Slugen
beS ÄopfeS finb gefcploffen wie in peGfepenbem Traume, ber
dRunb oamphrpaft gefdjwoöen, (wenn auch noep nidjt fo
oergiftet Wie fpätcr), unter bem Äinn biefeS ÄopfeS ein auf*
gef^lageneS grell weifeeS ©uep, ber eingige licpte gled in
biefer ginfternip, auf ber ©eite biefeS SucpeS bie Sßorte
»incipit vita nova“ — auf bie eine furcpt6are, efelerregenbe
©ifion in ber ©eftalt eines bämonifdj angefcpwollenen Sm*
brpoS beutet . . . 2)aS ift eine ®arftellung beS werbenben
SebenS auS bem ©efcplecpt als teuflifcpe ÜRacpt im loSmifcpen
Sinne, baS ©öfe als Urfprung ber SBelt! gür bie erfte
florentinifcpe Spocpe ©earbSlep’S war bie „büpenbe Sftagba*
lena" fo cparalteriftifcp, weil, obgleid) formell epigonenhaft,
baS teuflifcpe fid) blipartig entpüDte; boep war baS ©atanifepe
bamalS nur feelifcp*religiöfet Slrt, wie auf Dielen mittelalter*
licpen ©ilbern. §ier, in bem ©latte »incipit vita nova“ ift
eS fd)on burcpauS erotifcp, ja fepon, wie in ©earbSlep’S lepter
Spocpe, fejuelldoSmifcp. ^)ier, in feiner frühen Sugenb, baS
©latt ift 1892 entftanben, pat er feperpaft einen ©riff auf
ben ©runb getpan, wie fonft nur in feinen lepten SBerfen.
Scp fagte, ba§ ©earbSlep’S fpäteren grauen, obgleich fie
bie ©ertörperung ber ©ünbe, im ©egenfap gur SlSfetin feiner
neu * prärafaelitifcpen Spocpe, gcwifferma|en eine neue ©e*
funbpeit, eine, eben im ©Öfen gefertigte, neue SebenSfraft eignet,
iergu ift eS pöcpft cparalteriftifcp gu conftatiren, bafe ber
ünftler, beoor jene ©eftalten entftanben, als ©uepenber, als
Unfertiger auep reinteepnifep unb inpaltlid) eine lurge Spanne
3eit nod) einmal bie SScge beS realen SebenS gept. ®enn,
beoor er feinen eigenen ©til fanb unb beüor et jene grauen
fcpuf, bie für ipn tppifcp, finben wir ipn eine 3rit lang als
geiepner im Sinne ©aDarni’S. ®ocp gleichzeitig, wäprenb er
jene SBege einfeplug, beren ©robuction icp mit ©aoarni Der*
gliep utl b für bie feine griepnungen gu ©olgac, glaubert unb
gur SRanon SeScaut bie tppifepften finb, pat er ©lätter ge*
fepaffen (Sforte b’Slrtpur, baS erfte Don ipm iHuftrirte ©uep
Digitized by v^. ooQie
m j
182
Die (Segentoari
Nr. 12.
meift aud) foldje auf) bie ein ©emifd) beS florentiuifdjen unb
feines nodj fchlummernbeit, fpäter fo genial gefyanbfjabten
SinienftilS fittb. 2luS bicfet ©poche, beren Sölatter für unS
meniger in S3etrocE)t fommen, feien erroäfjnt ,1a comedie aux
enfers*, unb „ ©iegfrieb", ©lütter, beren llebcrlabentjeit
in ber ßompofition — mährenb er fpäter gerabe in ber Sin»
fad)l)eit feine fjöcfjfte ©enialität bemieS — eine grofee litt»
ftar^eit gut golge ^at. gür feine innere ©ntmtdelung finb
hingegen jene ©lütter im ©tile ©aoarni’S fef)r intereffant,
Por SlUem, ba fie baS ©totifdjc in einer eigentümlichen, ber
$eit Pon 1830 entfpredjenben 2lrt aufroeifen. ©ie ©lütter,
in benen ©earbStep baS Srotifcfje ftreifen fonnte, finb felbft*
Oerftänblich bie intereffanteften. ©o gicbt er g. ©. SDtanon
SeScaut einmal in jener altmobifdjen ©legang mit fjoJjet grifur,
bem unpermeiblichen ©c^önheit^pfläftercfjert, ben gäcf)er in ber
graciöfen §anb — hod)f<h ttmn 9 cr - ©iefer lejste Umftanb ift
gerabe für bie Interpretation einer SRanon SeScaut fehr gu*
treffenb, ba jene unermüblidjen Siebefpenberinnen mit in biefem
guftanb früher cofettirten. 2luf einem anberen ©latte bann
fehen toir bie SeScaut an reid) beferer 'Xafel, als einzige ©ame
im Kreife lüfterner §errn, geiftreid) plaubern. ©egen bicfe
SeScaut, in ber nur baS ©rotifche ber geit fo ungemein ent«
fpredjenb betont ift, Wirft SRabame Soöart) als bie ©iftmifdjerin
unb wie eine Vorahnung fo mancher fpäteren' grauengeftalt,
benen baS ©öfe ©elbft^wecf, mührenb toir in jener ßamelien*
bame Por bem ©piegel mieber mit meifterhaftem ©efcfeicf bie
©ourtifane Pon 1830 geftaltet finben. ©earbSfet) h Qt bie
©amelicnbame oft ge^eicfjnet unb einen größeren ©ontraft
jwifc^en bem crotifchen ©mpfinben biefer crften unb jener auS
feiner lebten ©pod)e fann man fid) fd)led)t beulen.
©S giebt ein ©elbftportrait Pon SearbSlet), baS ift folgen»
bertnafjen componirt: im §intergrunbe eine jener ©raumfanb*
fdjafteh, beren ©äume Por erotifchem ©erlangen su gittern
fdhcinen, im ©orbergrunb ber Künftler befleibet mit einem
futgen ©pihenjäddjen, an ben Knien bicfe @pi|enrüfche unb
unter bem 2 lnn einen 3 eid)enftift fo lang mie ein ,£)irtenftab.
Unb auf biefem 3 arten Körper ein Kopf, beffen 2luSbrud eilt
©emifd) pon gaun unb ©erbrecher, unb hinter bem Künftter
eine Heine §erme mit grinfeitbem gaunfopf, an bie er gefcffelt
burch ein ©anb, baS um bie gufegelenfe gefdjluitgen ift: ©earbS*
let) an ben gaun gefeffelt. ©aS ift ber ©djöpfcr all jener
grauengeftalten, bie fich ber ©ünbe Perfchrieben, ohne baS ©e=
funbe je auSgiebig genoffen 3 U haben, weil cS feinen 9ieig
für fie h fl Ue. ©ie ©innlichfeit ber ©riedjen crfanb in ber
©erfaUgeit ben gaun unb im Siococo fpulte in ben ©arten
ber gaun, bocf) fomohl ber gaun mie feine lanbfdjaftlidje Um*
gebung mar in bicfen 3 e iten Pon einer Stift unb Suft um*
meht, bie 3 U fräftigem ©enufe einlub. SBie anberS bei ©earbs*
let). ©iefc ©ärten brauchen nicht Suft unb ©lärme unb baS
©ebnen ber Siefen, bie fie beleben, erfüllt nur ber Slonne*
flauer ber ©Sorte „©ünbe" unb „Safter". grühoerborbenen
Kinbern, bie mit bem Safter fpiclen, ohne ben ©egriff 3 U
fennett, gleichen biefe Siefen, bie auS einer Sieroenfranfheit
herPorgegangen, förmlidh 3 ur ©ünbe feufd) gehalten, immun
gegen ihre ©ifte finb. ©iefe Siefen unb biefe ©ärten finb
bie einet ©Jaf)nfinnSphantafie, beren glühenbe 2lScefe bie tranfe
Schönheit neuer ißarabicfc entberfte, ber fßarabiefe ber ©ünbe,
mo irrfinnige ^eilige mohnen unb Pom ‘Xeufel befeffene
©itgel, SBefen, bie fich ber ©ünbe uerfcfjrieben, meil baS Sebeu
fie betrogen, baS ©erfprodjenc nidjt gehalten hat. Unb fo fehen
mir in biefen Sanbfd)aftcn grauen, bie anbä^tig laufchen,
menn gaune, beren ©innlidjfeit nur nod) nad) bem ©fei
ledjgt, sur eigenen ©eifeel für bie unmöglidje ©efriebigungSfähig*
feit, ihnen auS ben ©üd)ern ber ©ünbe oorlefett. ©ei ber
früheren (Generation, bei SiopS’ grauen mit ihrer noch ftarfen
finnlichen ©enugfraft, mar bie ©ünbe ein ©nbftabium, hier
geht fie mit ber Keufchfjeit £anb in £anb, mie bei mittel*
alterlichen ^eiligen, hat gerabe 3 U etmaS äRärd)enhaftcS, ift un*
miberftehlich gemacht burch eine feelifche mie tedjnifcfje gormen*
fihönheit, ja ift bem (Göttlichen nahe, meil fie baS ©nbe Pon ]
©ottfuchern ift. 21 uS biefen ©mpfinbungen hat ©entböte) :
sahllofe grauengeftalten gefchaffen, beren ©efidjt unb ©oftüni !
baS Sieb öou ber ©ünbe burch alle ©onarten fingt, et foraite 1
nicht anberS, feine Sinie öibrirte Pon ©ünbe, felbft im rein
Ornamentalen. j
©ieö fünbfjafte ©leib, baS baS Seben nicht geniefeen 1
fonnte, hafet felbftPerftänblich ben SRann, unb fo fpielt bet
üttann, in ©earbSlet)’S qan 3 er ißrobuction biefem ©leib gegen« !
über ftetS eine trauige Solle. 3a, einmal fehen mir in einer j
Sanbfchaft ein gerabe 3 u gemaltigeS ©leib mit einer ^eitfe^e
einen fleinen ©aftraten Pot fid) h'n treiben, benn eS ift bd
©etrugeS längft mübe. ©en §öf)epunft einer fdjmülen ©iitn» '
li^feit, bie ber fcauch ber ©ünbe unmiberftehtid) macht, ftnbac 1
mir in einigen 9tococo*©ilbern. »The fruit Beares* per»
förpert in einem SDiafee ben finnlichen ©enufe, fo phantaftifd), >
mie nur ber ihm erträumen fonnte, bem baS materielle @e*
nufepermögen PoHettbS gebrochen mar. ®ie ^ßhantafte eines
©arbanapal nur fonnte pon folchen ©ärten träumen, bie Pon
Sofen unb grüchteit mie eine Urmalbmilbnife übermuchert fittb,
mährenb im ©dhatten ber gcrabe 3 U brunftigen ©egetation
junge ©Mbchen fich t>em Safter ber gaune preisgeben. SBie 1
©lattcau, ber bruftfranfe ©chmärmer, Siebes* unb SenjeS*
freuben auf bie Seinmanb 3 auberte, an benen $h e 't i« nehmen
bie Satur ihm Perfagt, fo h°t hier bie ^B^antafie eines ;
2Renfehen, beffen 3 artem SerPenfhftem PöHig bie gähigfeit \
3 um materiellen ©enuffe fehlte, ein Silb gefchaffen oon ge» 1
rabe 3 U farbanapafifcher Ueppigfeit. 2lntäfeli(h bicfeS Silks
fei ermähnt, mie ber Künftler hier unb noch an Pielen anberen
©teilen ein gerabe 5 U franfhafteS Uebermudhern ber ©egen»
ftäitbe mit Stofen, als ©pmbol einer förmlich fieber^ifea, ,
ja fieberfchfaffen©innengluthöermenbet: mährenb im mobernen
Seben bie üppige Polle Stofe oon fo Pielen anbern tobten
©lumen, mie ©arbenia, 5Drd)ibee ic. Perbrängt morben ift 8 ber ,
©earbSlep’S Stofe ift auch ni^t bie gefunbe Stofe, bie km I
Decabenten ®eS ©ffeinteS Piel 3 'u bürgerlid) ift, ©earbSlet)d j
Stofe roirft in ihrer Ueppigfeit gerabegu franf, mie menn ftt |
auS ©räbern erblühte, mie menn ihre ©lurgetn auS bem ■
©ermefungSphoSphor atn Safter Perfaulter ©efchlechter ifete '
Stahrung faugten. ®ie Sattbfdhaft auf bem ©latte „®er
2lbbe" ift Pon noch intenfiPerer ©oncentration. ©ie ©ege»
tation auf biefem ©ilbe atmet eine gerabegu tropifdje Ueppifl»
feit unb gruchtbarfeit — jeber ßmeig, jebe ©lüthe fcheint oot
erotifchem ©erlangen gu beben — fo bafe man glaubt, ein
SWenfd) Pott biefer ©lelt müffe einem eingigen 2tthemjug biefer
beraufdjenbett, finnlid) concentrirten 2 ltmofphärc erliegen,
©iefe Sanbfchaft fcheint oon jenem tropifdjen öorfünbftutf)lid|tn
gieberbrang ergeugt, in bem auS ber erofifchen Urgfuth in
einem Xage SBefen mürben, fich meitergeugten unb ntr»
gingen, ba ihr erhöhtes ©ennfeoermögen einem eingigen
ßeugungSact erlag, ©od) fo fcheint nur biefe Sanbfchaft
©er ©eift, ber fie ergeugt, ift oon PöHig erfdjlafftcr ©lafirt»
heit unb ber 2lnblicf biefer ©egetation, in ber Schmetterlinge
mit grauenleibern träge friedjen, erregt in ihrer heifeen Sinn«
lichfeit, bie beraufchenber mirft als baS herrlichfte 2Beib, ge«
rabe barum fo(d)e ©lirfung, meil fie Pom blafirteften mokt»
nen ©eift, ben bie gigurbiefeS „2lbbe" fhmbolifirt, jugef^nitten
unb angeorbnet ift, ber ihr jebe Statürli<f)feit genommen unb
fie mit bem ©efthauch beS SafterS Pergiftet. 3n ber ©rinne»
rung foldjer ©ilber mfiffen mir fagen, bafe mir 2lHeS, toaS toir
früher bei SiopS gu fefeen glaubten, heute bei ifem nicht mefer
finben fönnen, nad)bem mir ©earbslep fennen. ©lie Hein ift
gegen ifen Slops’ ©ünbe, ©innlichfeit, mie ftein feine ^n*
tafie unb fein ©eftaltungSPermögen! ©r, mie aHe anberen
©rotifer meibeten fid) noch an herrlicher ©lieberpradjt: Seark«
let) aber geftaltet felbft bie rangige, efeltriefenbe ©innlichfeit
trauter Sugenb, mie melfen lüfternen 2llterS — unb in wie
biScreter SBeife: nur ber ©fpchotoge entbeeft fie, mährenb
jebeS Kinb entgiffern fönnte. @r geftaltet ben fünbhaften
Digitized by
Google
Nr. 12.
Hie Gegenwart
183
©fei unb bie SBiberWärtigfeit burch einen einzigen Kniff bet
Sippe, ber Augenbraue, burdj eine Sinie beS StteibeS ober
baS ©ingeln beS Haupthaars. Tie Sinie tljat eben was er
wollte, fein tecbnifcheS ©ermögen fannte leine ©renjen. @r
ging oft oom rein becoratioen ©ntwurf auS unb geftaltete
bann auS ber gorni einer ©lume beraub, ©lätter wie baS
berühmte ©ilb »The ascension of the rose of Lima“, biefe
Himmelfahrt ber ©ünbe, auf ber baS SBeib, ber ©ünbe über«
brüffig, fich an bie gen Himmel fahrenbe ßRabonna Hämmert.
Taß ber aus nerüöfer Ueberfeinerung unfruchtbare SRenfdj
bet Suft jum ©Öfen, bie üom ©rotifcfjen abftrahirt, ücrfäßt,
beweifen ©eifpiete aller Tecabcnjjeiten unb baß auch SearbSlet)
biefe Regungen nicht unbefannt, baoon fprechen manche feiner
©lätter. ,The Baron Verdigris 1 fönnte gewiffermaßen, auf
einfamem Schlöffe haufenb, ber ^erolb all' jener grauen mit
ben böfen Sippen fein, bie eine anbere ©ubrif repräfentirt,
im ©egenfafc ju benen, bie in ben „©ärteit ©ünbe" lebten.
Ser „ ©aron SSerbigriö" ift in ©earbSlep’S pf)antaftifcf)cm
©arieteftil, bie in’S äRoberne übertragene ©erförperung ber
ißfh^e eines ©ißeS be ©aiS unb ÜJiarquiS be ©abe. Taö
©ilb ift folgenbermaßen componirt: Auf tief fchwarjem ©runbe,
ber einen ©erg barftcllt, auf beffen ©pifce eine Heine ©urg,
fehen wir bie weiße ©eftalt beS gefährlichen 2RaitneS, ber,
bie im Kettenpanjer ftecfenbe $>anb auf baS ©chwert geflößt,
über feiner ©iiftung ein gigerlhaftes ©oftiiin mit aufgcfrfjla«
genen H°f en trägt unb auf bem oollen H°ar ein ©lown*
cpünberchen mit mächtig waHenber ©traußenfeber, Währenb
baS ©efidjt tief finfter oor fidj hiubticft. SBotjl noch uie
fah man eine intenfioere ©ertörperung beS SBöfen. ©ur
munbert man fich, wenn man auf bie ©injelljeiten beS ©oftümS
eingeht, Wie ber Zünftler bei ben fdheinbar lächerlichen Son*
traften bie SBirfung überhaupt erzielen tonnte, bis man er«
lennt, baß bie intenfioe SBirfung gerabe in biefen ©ontraften
beruht, inbem ber furchtbare ©rnft ber Situation gerabe bie
Summe ber Sädjerlichteiten ift. Tiefe gigur ift bie SSer=
lörpetung ber Suft am SSöfeu, baS, bom Srotifchen ab*
ftrahirt, baS S8öfe als ©elbftjwed will unb übt. TiefeS
Verlangen ift, wie fchon angebeutet, bie golge eines pftjchifdjcn
gufammenbruchS, auS beffen unfruchtbarer 2Relancholie bie
Suft jur ©raufamfeit, jur Quälerei beS Anberen, unter
eigenen Thtänen unb fReue entfpringt, um beim Anblicf
ber Qualen beS Anberen, bie eigene erfdjtaffte Ißfpche noch
einmal in bie Suftfchauer ju bringen, bie ber gefunben
ißfhchc ber Anblicf beS Tragiken gewährt. ©S ift alfo
wieber baS Verlangen Troftlofer, Unbefricbigter, im ©unbe
mit bem Teufel, baS ©öttlidEje, bie Schönheit ju erreichen, bie
auf ben Alltagswegen nicht ju finben ift. Unb biefeS Verlangen
einer ftanfen Seele in’S Sftoberne übertragen, in bie moberne
geit, bie bem Snbiüibuum jcbe wiQfürliche AuSfdjreitung
unterfagt unb es bem Untergange, feiner ÜRelandjolie über*
läßt, baS fpmbolifirt bie gigur beS ©aronS gerabe in ihren
fdjeinbar lächerlichen ©ontraften, bie einfach tragifd) wirfen:
eS ift, wie wenn ein üöeinenber in einen geßenben Sacf)ftampf
auSbrid)t. SBährenb ber ©aron ©erbigriS’ gewiffermaßen
als fhmbolifdje gigur biefeS ganjen ©mpfinbungScomplejeS
gelten fann, giebt eS oiele ©lätter ©earbSlep’S, bie ©erfötpe*
rungen oon Theitempfinbungen biefer ©ruppen finb, benen
baS ©öfe ©elbftjwect ift. Sch will ein ©latt hertort)eben, baS
ju ben ftärfften gehört: ,The Wagnerians 1 . Sn einem jLE»eater=
raume, „Triftan unb Sfolbe" wirb gefpielt, fehen wir eine
©tuppe oon gerabeju bämonifchen, einfach erfdjrecfenben
grauengeftalten. Tiefe SBeiber fcheincn bie „gurien ber
ginfterniß", bie anfangs War, bie gurien, bie heulenb baS
toerbenbe ©haoS burchbraufen, brünftig üoß fchaffenb*jerftö=
renber Snftincte; ihr ©efidjt ift bleich, ih r ©lief finfter; ihre
Sippen fdjwarj unb gefcf)Woflen; ihr Körper gefchwoßen wie
Oom Seichengift unb ßhißernb wie ein AaSbalg ber ©er*
wefung im ©ijoSphorglanj; baS ©lut, baS ihn burdjfrcift,
fheint grün unb faulcitb. 2Wau glaubt, nur bie Sptjantafie
eines an ©atpriafiS leibenben TobtengräberS hotte biefe Un=
geheuer erben fen fönnen.
©om Tämonifchen war ©earbSlep ausgegangen (man
erinnere [ich, wie eS burchblifcte auf einem Silbe feiner erften
©poche »the litany of Marie Magdalen“, bann machte er
baS ©ebiet beS ©rotifhen, in feiner fpecififdj mobernen, neu*
romantifdj*becabenten AeußerungSform, ju feinem ©pccial*
gebiet. Aber ba ju tiefft im ©runbe beS ©efchte^tS, baS er ja
immer geftaltete, nicht nur baS ®ämonifche feinen ©ifc h at /
fonbern auch °ll e jene Urregungen, burch bie mit bem KoSmoS
iit ©erbinbung ju fteheu wir nie aufgehört, fo mufete bet
Küitftler auch in einigen ©lättern jene innere ©röfje er*
reichen, bie baS üom KoSmoS getöfte, inbioibualifirte ©e*
fdjlecht, als eine gerabeju foSmifhe, elementare ©ernicf)tuugS*
macht offenbarten. Sn feiner frühen Sugenb, im Slatte
»incipit vita nova“ fchuf er auS einet bumpfen Ahnung
heraus baS „SBerbenbe“, in ben beiben UWeffalina=©lättern-
hat eS feinen ©erni^tungSjug angetreten. S)iefe beiben ©lätter
finb baS Unerhörtere, baS bie bilbeube Kunft an ®arftel*
iung beS ©rotifchen aufjuweifen hat. Auf bem einen ©fätte,
1897, alfo fürs üor bem Xobe beS KünftlerS entftanben,
»Messalina returning from the Bath“ fehen Wir bie römifdje
Kaiferin wie ein Ungeheuer bie äRarmorftufen ihres SabcS
hinanfteigen. ©in förmlicher ©tierfopf, mit jähem ^>aar
nach oom gebeugt, fifct auf bem furjeit biefen Siumpf, beffen
eiferne ©rüfte baS herabgleitenbe ^)emb entblößt, währenb bie
rechte §anb neben bem atterSbiden Seib jur gauft geballt
ift. ©inem Ungeheuer gleicht baS SBeib, baS mit feinen
Süften bie ÜRenfchheit oerwüftet, Wie ein Wüthenber ©ber über
©acht fruchtbare ©elänbe. ©S ift bie ©erlörperung beS ©e*
fchlechtS als furchtbare 3 er flörungSmacbt, gefteigert burdh bie
SButh über bie bem ©cnufjüermögen gejogenen ©renjen. Auf
bem anberen ©latte ift SReffalina etwas jünger. £ier fehlen
ihr bie ©icnftlinge noch nicht. Sht Körper hat noch Üleije üon
fo furchtbarer Art unb Süfte oon fo gewaltiger ©jpanfionS*
traft, ba| fie im ©enuffe alle §ößen unb |>immcl jugleid)
ju oerfchlingen begehren. ®iefe jweite 9Reffalina ift bie ©er*
förperung ber furchtbaren ©aalSpriefterin, ju bem in aßen
©erfaflSjeiten baS SBeib anfdjwiflt unb in beffen ©choojj bie
Kraft beS ÜJfanneS rettungslos oerfchwinbet. Sie wirH un*
wiberftehlich unb ift unerfättticl). ©erabeju bewunberungS*
Werth ift bei biefem ©latte wieber bie ©infachheit ber UJlittel,
Womit ber Künftler, ber oom ©aeften nur bie ©ruft jeigt,
bie au§erorbentliche SBirfung erreicht. Auf ganj fchwarjem
©runbe fehen Wir SReffalina mit mächtigem geberljut; bar*
unter ein Heines, biefeS ©eficht mit furjer breitet ©afe unb
gefhwoßenen Sippen, bann bie üoße entblößte ©ruft, bann
baS Sorfett, baS fie über bem ©oef trägt. ®ic aufeerorbent*
liehe SBirfung wirb in biefem ©latte, abgefehen oon ber ge*
rabeju monumentalen Sinie, burch bie jähen ©ontrafte oon
©hwarj unb 23eifj gebilbet. ®aS ©latt wirlt wie ein nächt*
lieber Alp. SBie in folchen ßeiten unter bet ^crrfchaft foldjcr
©ieffalina ber 9©ann atöbann immer mehr jum oerbummten
©chlemmer herabfintt, baS hat unS ber Künftler gejeigt in
jenen beiben ©lättern, bie baS männliche ©egenftüd ju jenen
beiben SReffalinen bilben. ®aS eine heißt „Ali*©aba", baS
anbere ift eine männliche gigur, bie er 1896 als Titelblatt
für bie ßeitfehrift »The Savoy* jeichnete. Sn ber ganjen
©robuction ©earbSlel/S finben fich, neben ber ewigen ©chilbe*
rung beS SBeibeS, laum ein paar SRänner, unb biefe Wenigen
finb entweber lüfteme fclaüifche gaune ober birecte Sbioten.
©S ift bieS höchft charafteriftifch, ba unter ber §errfchaft beS
Teufels baS SBeib auS feinet pfhdpfchen unb phhfiologifchen
Anlage heraus [ich ju einer ebenfo üppig gebeihenben, wie ge»
fährlicfjen unb unwiberftehlichen ©iftbiüthe cntwidelt unb außer*
orbentlidje ©nergielräfte entfaltet, währenb ber 2J?ann, beffen
Kraft nicht Wie beim SBeibe im ©efchlecht, fonbern im Sn*
teflect beS concentrirten SBißenS ruht, ju einem ohnmächtigen
Schwächling herabfintt. gwei üongett angefchwämmte ©äncljc,
Digitized by v^. ooQie
184
Ute (Begettwart
Nr. 12.
bie gerabeju ton einem (paueß felbftgefädigen Stets unb
SSibermärtigleit umtoeßt finb, fptingen unS baßer bet biefen
beiben SWännerfiguren juerft in bie Slugen; bei ber einen
buteß bie toeibifeße Socetterie ber rofenüberfjäuften SEoilette
unb meibifeßen ©rajie, bei ber ?lli=©aba»gigur bureß bie
orientalifcße ©eßtäfrigfeit jur Unerträglidjfeit ertjöEjt. 2Rit gleich
feßneibenber Sronie ift ber äRattn, ber $err ber Schöpfung,
alä Derbummter Sclate ber meiblicßen STeufetSmacfjte, bie bureß
©innlicßfeit entroürbigte unb erfcf)taffte ÜJfanneälraft nocß
nie bargeftedt morben. ©rmäßnt fei an biefer ©teile nocß,
mie ber Zünftler ßeimlicßc Satire felbft ba bietet, ttco er
anfdjeinenb mit felbfttergeffener Seibenfcßaft bie 2 J?äcßte beä
©Öfen, bie §errfd)aft beä Dom Teufel befeffenen SBeibeS ge»
ftaltet; fo finben mir 5 . SB. auf bem ©latte »The Wagnerians“,
mitten unter biefen Ungeheuern toon grauen, alä einzigen
SRann einen Weinen fetten, glaßföpfigen 2 >uben unb inmitten
ber fRofenpracßt auf „the fruit beares* im Drnament einen
©eßmeinefopf... (Sr mar ber ©ünbe überbriiffig!
SJlit biefen Schöpfungen befcßloß ber Stünftier fein futjeä,
fcßaffenäreicßeä Seben, baä er, faft nod) ein finabe, laffen
mußte. (Sr hatte feine ber SBirflicßfeit entmurjelte Sf3f)antafie
auägefdjidt, neue ©arabiefe ju fuchen, unb hatte* in einer
fchönheittrunfenen ©ünbe eine 3 e 't lang bie Schönheit ge*
fueßt, bie baä Seben ihnt Derfagte, bann aber, angemibert,
Don ißr abgelaffen. (Sr hatte fie geftaltet in einer 'Secßnif,
beren (Sinfachheit unb ©odenbung beinahe unerhört, roährenb
feine erotifeße ©ßatttafie fo unerfcßöpflicß, als ob fich bie
Sluäfcßmeifungen Don Saßrtaufenbeu im ©eßirne biefcS Slnaben
concentrirt. T)er reiche Scßaffenäproceß feines furjett Sebenä
mar mie baä meitßinlcucßtenbe, aber ebenfo rafd) fid) felbft ter»
jeßrenbe, lobcrnbe ©liißen einer ^aubcrfacfel, bie eine unfiefjt»
bare £anb üorftredt, um geßeimnißtode liefen ju erhellen.
®ocß folche Offenbarungen gehen mit ©lißeSfcßnede, finb
ebenfo furj mie Don pruntenber Spracht. Unb fo fann man
fagen, ber junge Äünftler, ber fo früh ftorb, mar baä Opfer
ber Sntenfität feiner ©cgabuug. Sä giebt ein ©latt, baä ju
feinen testen gehört unb baä man alä bie ©erförperung
jeineä Sebenä beuten fönnte, bem ein früher Stob fo halb
ein giel gefegt: „The Return of Tanehäuser to the Yenus-
berg“, ein ©latt Don ergreifenber Trauer. Sn tief feßmarjer
ÜRacßtlanbfchaft fehen mir bie flagenbc ©cftalt beä Döüig ge=
broeßenen Siebepilgererä noch einmal bie£)änbe fehnfüchtig bem
©erge ber ©enuä ßülfloä entgegenftreden, mährenb bornigeä
©eranfe, in baä er fich Derirrt, ihn am (Streichen beä gieleä
hinbert... @0 mögen bie lebten Seßnfucßtägrüße gemirtt
haben, bie ber junge ©enuäpriefter Dom Sterbebett in 2Ren»
tone an baä Seben, baä er fo früh taffen mußte, gerichtet
haben mag ... alä er halb barauf mit bem ©rucifij in
ben £>änben feinen ©eift aufgab ...
©ein ganjeä reiches 2Berf mar ein ößmnuä an bie Siebe
unb bie Schönheit, menn auch an bie Siebe unb Schönheit,
ber meber bie claffifche fReinßeit unb Unfdjulb, noch
fleifchfrohe Äraft fpäterer 3 e 'ten eignet, menn auch auf bie
Siebe unb Schönheit, bie bie heiße gieberpßantafie eines
franfen Träumers in fünbhaften ©arabiefen erbad)t. ®od)
abgefeßen baDon, ein SSerf an pft;d£)ologifc^er 2iefe mie fünft»
lerifcßcr ©odenbung über alle ßeiten unoergänglich.
<Sd)letertnad|ec tutb bie ittoberne Religion.
©on fjeinrid) UTcyer > Benfey.
©ine fchier unabfehbare gluth Don Stuffähen, 3 c 'tungä=
artifeln, mie üon ßiftorifeßen ®arfteUungen bis 511 üielbänbigen
©ammclrncrfen hat unä bie Dorjeitige geier ber Saßrßunbert»
menbe befdjeert, eine gluth, üov ber unä, menn nicht £>ören
unb Sehen, fo bod) menigftenä Ueberfcßau unb Sritif Der»
geht. 28ie Diel SEBerthDolIeS Don ihr jurüdbleiben mirb, mufi
bie 3ufunft entfdjeiben; aber jmeifeln barf man, ob SBerfe
Don ähnlichem ©emicht barunter finb, mie jmei, mit benett
einft baä jeßt Derfloffene Sahrhunbert begrüßt mürbe. 3h
meine bie „SKonoIogen" Don gr. Schleierma^er, erfchienen
im Slnfang 1800, unb baä elf Sahre ältere ©ebidjt „S)ie
ßünftler" Don Spider, morin biefer „an beä Sahrhunberti
SReige", in eigenthümliihem 3 u fammentreffen mit ber toitf»
liehen Sahrhunbertmenbe (1789!), ben freien, ftoljen 6ultur=
menfehen al§ ben reifen Sohn beä 18. Sahrh«nbertä feiert.
®aä erftgenannte SBerf fönnte alfo jeßt feinen 100. ©eburtl=
tag feiern. Slber nid)t mit ihm foKen fich biefe 3«ilen b
fchäftigen, fonbern mit einem anberen michtigeren, baä i|ra
üorauägeht unb auf baä fich ber ©lid Don ihm unmiflfürlid)
jurüdroenbet, bie im Sommer 1799 erfchienenen Sieben
„lieber bie ^Religion". ®ie ©entenarfeier biefeS ©ucheä ift
in ber »Chat Don ben $h e °I°9 en mürbig begangen morben,
am mürbigften burch bie SReuauägabe Don Sic. SJubolf Otto,
bie in fauberer Sluäftattung bie urfprüngliche gaffung ber
Sieben mit Snhaltäüberfichten unb Slnmerfungen unter bem
$e£t, fomie mit ©or= unb Sftachmort unb jmei ©ilbniffen
Schleiermacher’ä barbietet unb, jumal bei bem niebrigen
©reife, red^t geeignet erfcheint, biefeS claffifche T)enfmal in
ben meiteften Streifen ber ©ebilbeten einjubürgern.*) Sebet
fennt Schleiermacher atä ben großen ^Reformator ber pro»
teftantifchen £h e ot°9> e » an ben ade freieren ^Richtungen bei
19. Sahrhunbertä . anfnüpfen, fei eä auch polemifd). ®o§
biefe feine erfte unb midjtigfte ©efenntnißfehrift baßer für
ben 'Jheolagen ein ungemöt)nlicheä Sntcreffe ßat, ift oßne
SB3eitereä üerftänblich- Slber eigentlich mar fie bod) nicht für
Theologen beftimmt, fonbern an ein ganj anbereä ©ublicum
gerietet, benn fie trägt ben SRebentitel „fReben an bie @e=
bilbeten unter ißren ©eräeßtern". Unb menn fie heute mieber
oor bie Oeffentlicßfeit tritt, fo ift boeß rnoßl bie SReinung
babei bie, baß fie auch heute noch ih* c ^^ urfprüngliche ®e»
ftiinmung erfitden !ann, baß fie auch ben gebilbeten „©er=
ädjtern" ber fReligion Don heute noch etmaä ju fagen hat.
(Sä ift baßer gemiß berechtigt unb münfeßenämertß, baß nießt
nur Xßeologen bem Sucße ©eaeßtung feßenfen, fonbern baß
auch bie eigentlichen Slbreffaten beffelben, menigftenä folcße,
bie außerhalb ber ©renspfäßle einer pofitiüen SReligion fteßen,
oßne barum ber SReligion überhaupt ganj entfrembet ju fein,
feiner ©erfüubigung laufdßen unb fieß mit ißm anäeinanber»
feßen. ’
@ä fod ßier natürlich Hießt eine ßiftorifeße SBfirbigung
oerfueßt merben; ba^u mürbe meber ber SRaum noeß bie firoft
genügen. ÜRur eine Semerlung fei geftattet. 2>ie adgemeine
3eitlage beim ©rfeßeinen ber Scßrift ßatte eine gemiffe Stehn»
licßleit mit ber heutigen, fo baß aueß babureß bie ©rneuerung
berfelben befonberä jeitgemäß erfeßeint. 2Ran tarn bamall
auä einer ©podße ber Stufflärung, beren ßödßfter ©ipfel unb
Ueberminbung jugleicß Äant mar, in eine anbere, mo bit
biälang ju furj gefommenen ©eiten ber menftßlicßen Seel«,
©ßantafie unb ©efüßl, nun um fo fcßranfenlofer fieß äußerten,
namentlich in einer gemaltigen SReubelebung beä religiöfen
Sebenä, bie freilich nießt in aden ©rfeßeinungen erfreulich
mar. Steßnlicß ßaben mir eine 3 e il ber §errfcßaft bei
SRaterialiämuä ßinter unä; ber beßerrfeßenbe ©eift auf pßilo*
fopßifcßem ©ebiete ift ßeute mieberum Sant; unb feßon fteßen
mir mitten in Strömungen unb Strebungen, bie tßeilä bired
religiöfer Slrt, tßeilä Seitentriebe unb Sdßmaroßerpflanjen
*) ©Bttingen, tBanbenßoecf u. 3Jupre^t. SBeniger empfeblenSnxrtt
erftbeiut mir bie burcf) ben gteiepen Slnlafe ßeröorgerufene Sdjrift Don
SDt. 5 1 )cf)er, Scijleiermac^er. (©erlin, @d?metfcf)Te.) Sie roifl eine®«»
ftettung ber Scf)(etennad)cr'(d)en ©ebanfenmelt geben burcf) Stnalpfen ber
JÖauptfcbriften, nieift mit beren eigenen ©Sorten, bürfte aber für beit,
ber ©cfjleiermadjer fonft gar nicht tennt, faum Oerftänblid) fein, für ben
Renner bagegen nur wenig 9?eue8 enthalten.
Digitized by v^. ooQie
Nr. 12.
Die flieget! wart.
185
am Saume ber fRetigion finb: üon ber gtucfet in bie Sirefee
bis gur äRfeftif, gum ©piritilmul, Dccuttilmu! unb fonftigem
Stberglauben.
Die fßotemif gegen bie Stufflärung unb gegen Sant ift
ein wefentlicfeer 3 U 9 ' m ßfearafter bei Sucfeel. (Segen jene
toenbet fid) ©cfeleiermacfeer, Wenn et unermübtidfe tuieberfjoft,
bafe fRetigion ni(fet äRetapfefefif ober äRorat ober aucfe ein
©emenge aul beiben fei, — Sant’! „fRetigion innerhalb ber
©rennen ber biofeen Sernunft" ift in ber Dfeat faum mefer
all ein Entlang gur praftift^ert ‘'.ßfeitofopfeie, — fonbern ein
felbftftänbiger unb gleichberechtigter, gteidfe ursprünglicher
gactor neben ifenen. Denn „ifer SBefen ift webet Renten
nocfe ^anbeln, fonbern Stnfdfeauung unb ©efüfet. Slnfcfeauen
toiH fie bal Unioerfum (unter biefem Stulbrud fafet ©dreier*
macfeer fRatur unb StRenfcfeenWelt gitfammen), in feinen eigenen
Darfteßungen unb tpanbtungen loiK fie e§ anbäcfetig be»
taufefeen, oon feinen unmittelbaren ©inftüffen miß fie ficfe in
finbticfeer fBaffiöität ergreifen unb erfüllen taffen". „Dal
Uniüerfum ift in einer ununterbrochenen Dfeätigfeit unb offen»
hart ficfe uni jeben Sfugenbtid. Sebe gorm, bie el feeroor»
bringt, jebel SSefen, bem el nach ber gälte bei Sebenl ein
abgefonbertel Dafein giebt, jebe Segebenfeeit, bie aul feinem
reichen, immer fruchtbaren ©cfeoofee feeraulfcfeüttet, ift ein
£>anbeln beffetbeu auf uni; unb fo alle! ©ingetne atl einen
Dfeeit bei ©angen, alte! Sefcferänfte at! eine Darfteflung bei
Unenbtidfeen feinnefemen, bal ift fRetigion." Slnfcfeauung unb
©efüfet, anbäcfetigel ©rieben bei 210! im ©etnütfee, — fo
täfet ficfe furg ©cfeteiermacfeer’l fRetigion befiniren. — Der
Unterfcfeieb gegenüber ber äRetapfefefif unb ber äRorat tiegt nid)t
im Stoff, fonbern in ber Sefeanblung beffetben. „©teilet ©ucfe
auf ben feöcfeften ©tanbpunft ber äRetapfefefif unb ber äRorat,
fo merbet 3fer finben, bafe beibe mit ber ^Religion benfetben
©egenftanb feaben, nämlicfe bal Unioerfum unb bal Serfeättnife
bei äRenfcfeen gu ifem.-©ofl fie ficfe atfo unterfcfeeiben,
fo mufe fie ifenen ungeadfetet bei gteicfeen ©toffel auf irgenb
eine Strt entgegengefefet fein; fie mufe biefen ©toff gang
anberl befeanbeln, ein anberel Serfeättnife ber äRenfcfeen gu
bemfelbejt aulbrüden ober bearbeiten, eine anbere Setfaferungl»
art ober ein anberel 3iet feaben." (äRan benfe etwa baran,
mit toie üerfcfeiebenem Sluge ber ÜRaturWiffenfcfeaftter, bet
^olgfeänblet unb ber Sünftter benfetben Saum betradjten:
für Senen ift er ein fßrobuct Oon ©toffen unb Kräften, ein
nacfe ©efefeen tebenber Organilmul, für ben 3 toe ‘ ten c * ne
beftimmte ÜRaffe oon Stufe» ober Srennfeotg, für ben Sefeten
ein ©ornptej oon Simen, garbeit unb Sidjtreftejen.) 2Benn
bal ©emütfe bei irgenb einer ©rfcfeeinung ober einem ©rteb»
nife ein Sßirfen bei Unioerfuml fpürt ober afent, bann legt
el bem einen retigiöfen ©fearafter bei, nennt el feeitig ober
göttticfe. ©ine ©rfenntnife Oom SBefen beffetben ift baritt
eben fo wenig entfeatten, toie eine Seftimmung bei SBißenl,
atfo aucfe eine ©ottifion mit biefen anberen Seurtfeeitungl»
Weifen unmöglich- Stuf biefer ©runbtage ergeben ficfe über»
rafcfeenb tiefe unb neue Definitionen bet ©tunbbegriffe aßer
fRetigion: SBunber, Offenbarung, ©ingebung tc. „Unb fo
befagen alte jene Stulbrüde (wie ,2Bunber‘) nid)tl, atl bie-
unmittelbare Segiefeung einer ©rfdfeeinung aufl Unenbticfee.
— SBunber ift nur bet retigiöfe SRame für Segebenfeeit, jebe,
aucfe bie aflernatürtidfefte, fobatb fie ficfe bagu eignet, bafe bie
retigiöfe Stnficfet oon ifer bie feerrfcfeenbe fein tann, ift ein
SBunber". ©ben barum ift aber aucfe bal Sßunbet atl
folcfed JeinelWegl ber naturgefefetidfeen Setracfetung entrüdt.
SBoßen wir uni bal Sßefen biefer Strt fRetigion in
unferer eigenen ©pracfee ttar macfeen, fo brauefeen wir an
©efeteiermaefeer’! Slulbrud nur eine leife ©orrectur im San»
tifefeen ©inne öorgunefemen: wir f affen fRetigion niefet atl bal
$anbetn eine! unbefannten, unerlennbaren unb unfafebaren
Unioerfuml auf uni, fonbern gang fcfelidfet unb nücfetern atl
eine befonbere Strt Oon ©eelenoorgängen. Sn unfern fitt»
tidfeen Sewufetfein empfinben Wir uni, wie unbebingt üerant»
wortfidfe, fo pgteiefe Oolltommen frei unb unabhängig in
unferm Dfeun, aßer Sebingtfeeit unb grembfeerrfdfeaft entfeoben
unb einer abfoluten Spontaneität fäfeig; wir fetbft finb uni
tefeter 3^ed unb erfte Urfacfee unferel Dfeunl, bal äRafe aßet
Dinge unb ber Duefl afler SBertfee. Slber neben biefem ©efüfet
tiegt ein anberel, ifem entgegengefefet, unb boefe mit ifem un»
trennbar oerbunben, wie bie Seferfeite einel Stattei, bal ©e»
füfel einer grengenlofen Stbfeängigteit unb Sebingtfeeit. ©I
ift feier niefet bie fRebe Oon ben fo unenbtidj mannigfadfeen
Slbfeängigfeiten im ©injetnen, benen wir unterliegen, ben
©inftüffen ber umgebenben fRatur, unb ber menfdfeticfeen Ser»
feättniffe, ber ©eferoaefefeeit unb Sebürftigteit bei Seibel unb
ber Unooflfommenfeeit bei ©eelenorganl, burdfe bie jeber
ftRoment unferel Dafeinl, jebe fteinfte fRegung taufenbfättig
beftimmt ift, unb beren Sluffeeßung ©adfee ber SBiffenfcfeaft
ift. ©onbern e! feanbett ficfe nur um bie Seftimmung unferel
©efüfetl, bafe wir uni niefet atl fetbftänbige, abgefonberte
©jiftenjen empfinben, fonbern atl Dfeeit einel ©anjen, atl
©lieb in einem grofeen 3 u f an, menfeange, atl ein Dropfen im
unenbtidfeen ÜReere bei ©einl. ©o ift el fRetigion, wenn
Wir im Slnfcfeauen ber grofeen Stßnatur berfinfen. fRetigion
ift el, wenn wir nn! in unferer feiftorifdfeen Sebingtfeeit all ben
©rben aßet oergangenen ©enerationen, atl bal aßfeitig be»
ftimmte unb getragene ©tieb ber Stßmenfcfefeeit empfinben unb
Slflen, bie Oor unb neben uni an unferem ©ein gebaut feaben,
ben 3°H ber Da nt barfeit unb fßietät entrichten. fRetigion ift
überhaupt jebel ©efüfet, bal uni aul uni fetbft feinaulfüfert, unb
bie ©eferanfen unferel Scfel erweitert, burefebriefet, überftutfeet,
bie Siebe im engften unb intenfioften ©inne, Wie aucfe in jebem
anbern, bie Siebe pm ©inptnen, pm ©emeinwefen, bem man
angefeört, pr ganjen üRenfcfefeeit; ober beffer, bie gemeinfame
©runbtage unb SRutter aß’ biefer ©efüfete ift fRetigion. 2Bo
fie eir.feitig gefteigert wirb unb ben äRenfcfeen aulfcfetiefeticfe
befeerrfefet, ba ift bal ©nbe bal Oöflige Stultöfdfeen ber fßer»
föntidjfeit, ba! fRirwana. — Slber aucfe innerhalb bei ©in»
jefnen feat bie fRetigion ifete Sebeutung. SEBie bal fitttidfee Se»
wufetfein ben fDSittetpunft aß’ unferel föanbetnl unb ©trebenl
abgiebt, fo ridfetet el wieberum unfeten SSiflen auf ©inen fßunft;
feierfein werben aße Sräfte concentrirt unb oereinigt, er ab»
forbirt ben gangen SERenfcfeen. ©egenüber biefer Slnfpannung
bebeutet bie retigiöfe ©timmung eine. Stbfpannung unb
Söfung; bie befreiten Sräfte ftiefeen jurüd unb erfüßen bie
ganje ^eripfeerie unferel ©einl; nacfe ber gewattfamen 3 Us
fpifeung Wirb bie Ooße, runbe ftRenfcfeticfefeit wieber feergefteßt.
Dal ©efüfet für bie Dotatität be! Sebenl in uni unb um
uni, bal ift bal eigentliche Sßefen ber fRetigion.
fRiemanb tann oerfennen, bafe fRetigion in biefem ©inne
wirfliefe jur Urantage bei äRenfcfeen, p feinem unoertierbaren
Sefifee gefeört. ©ie ift in ber Dfeat oon bem prattifdfeen
Sernunftgtauben Sant’! feimmelweit Oerfdfeieben; unb ifere
©ntbedung bebeutet einen wertfeüoßen ©ewinn über Sant
feinaul. Slber wofetgemertt, nur über Sant feinaul, niefet
gegen ifen. Stulbrüdlicfe werben bie grofeen ©rgebniffe feiner
Sritif ber praftifefeen Sernunft ooraulgefefet unb anerfannt,
namentlich bie unbebingte Stutonomie bei ©ewiffenl. äRit
größter ©ntfefeiebenfeeit wirb jebel Sünbnife gwifefeen ätetigion
unb ©ittti^feit abgetefent; „tein Dropfen Seligion tann unter
biefe gemifefet werben, ofene fie iferer fReinigteit gu berauben".
„Slßel eigentliche fpanbetn foß moratifdfe fein, aber bie reti*
giöfen ©efüfete foßen wie eine feeitige äRufit aße! Dfeun bei
äRenfcfeen begleiten, er foß aflel mit fRetigion tfeun, niefet!
an! SRetigion." ©benfo wenig, wie gur äRajime bei ^»anbetnl,
wirb anbererfeitl bie ©efüfetlretigion gum ©rfenntnifegrunb
gemifebraudfet, ober oerfudfet, barauf eine Strt Dfeeologie ober
©tauben gu begrünben. ©efeteiermaefeet ift offen genug, in
einem befonberen Stbfdfenitt (©. 123—130) bie Segriffe ©ott
unb Unfterbticfefeit Oom SZBefen ber fRetigion aulgufdfetiefeen.
SBobei el gang befonber! erfreutiefe ift, bafe bie lefetere niefet
etwa atl unbenfbar ober abfurb, fonbern atl irrreligiöl Oer*
Digitized by v^. ooQie
186
Sie töejjtttwari
Nr. 12
Worfen Wirb: biefe Sepnfutt, bie ©tfjvanfcrt feinet 3t§ Z u
oerewigen, ift bem ©eifte ber Religion, bcr ©rweiterung ber
ißerfönlitfeit unb Stufgepen im Unenblidjen Derlangt, gerabe
entgegengefept unb bie ©otteSOorftedung ift nur eine gorm
bet retigiöfen Slnfdjauung, bie bon ber Stiftung unferer
ißpantafie abpängt, unb ficf) auf jeber Stufe ber ^Religion
einfteden fann, alfo nitt einmal ju einem Sertpmeffer taugt.
2tber wie gept eS ju, baß nidjt St'a nt biefe ^Religion ent*
bedt pat? Docp nitt, weit er fetbft ein irretigiöfer 3Renft
war. Stam bot aucp er aus einer frommen,' pietiftifrfjen
ganiitie, patte bot auch er eine gotteSfiirdjtige ©rjie^uug
hinter fid). Unb baff biefe ererbte grömmigfeit ipn burdj’S
ßeben begleitet pat, baß in bem Sdjlußtpeil ber „Sritif ber
UrtpeitSfraft" aut baS gewaltige Gingen eines ©emütpS mit*
ftwingt, baS fit feinen ©ott nicpt rauben taffen Witt, unb,
ba er bie Greife ber ©rfenntniß nitt ftören batf, ipm wenig*
ftenS eine 2trt ?lltentpeit als ©egenftanb beS praftifcpen
©taubenS fitem möchte, — wer, ber jene ©apitet einmal
getefen pat, fönnte baS Derfennen? fReligiöS ,im lanbläufigen
Sinne war fiant gewiß; wie ift eS möglid), baß bem großen
©ntbeder alter erften Anfänge unb lebten ©rünbe, oder
wahren ^Realität, baS SEBefen ber ^Religion entgangen ift?
Unb wäre er irreligiös gewefen, — feljlte ipm niept aud)
©eftmad, Äunftfenntniß unb SfunftDerftänbnijj? Unb bod)
pat biefer 2Rann, ber im ßeben faum ©in SerE ber großen
Shmft wirflit erfaßten pat, er pat unS bie ©runblegung ber
Sleftßetif gef Raffen, bie burt 2ltteS, waS feitbem Don Stünft*
lern unb SRidftfünftlcrn gefdjricben würbe, bunpauS nicpt
überholt ober erfept ift, ju bet wir nad) meiner feften Ueber*
Zeugung auch ßeute nocp zutüdfepren muffen, wenn wir
unS aus bem ©paoS unbeholfen' taftenber, primitiver Sßer*
fmpe in bie Sahn einer gefunben ©ntwidelung retten wollen.
— Slber abgefepen baDon, Sant giebt uns ein gefdjloffeneS
Spftem ber oerfepiebenen a priori, ber urfprünglicpen fd)öpfe=
rifdjen Einlagen unfereS ©eifteS, bie in eigentümlicher ©efeß*
tidjfeit eine eigene Sett erzeugen. Soden Wir bie ^Religion
biefen einreihen, fo muffen wir bot, woden wir nidjt ganz
Don SReuem bauen, juDor eine ßüde im Spftem nachweifen.
fRun ftedt Sdhleiermacher bie Religion als Drittes neben
äRetapßpfif unb SRoral, Don ber . Seit beS ©rfcnnenS ober
beS ^anbelnS fonbert er fie als SReicp beS ©efühlS. 21 ber be*
fteßt nicht bei Sfant biefetbe Dreiteilung? '.Reben ber Sritif
ber reinen (tpeoretißpen) unb ber praftiften Vernunft fteßt
bie ber UrtpetlSfraft, neben bem ©rfenntniß* unb bem Serif)*
urtheil baS äftßetifcpe Urtpeil. Der fßlap, ben Stleiermater
für bie ^Religion erobern Will, ift alfo fton befept: neben
ihr erhebt bie Stönheit barauf Slnfprucp; weldjer uou Seiben
lommt er Don fRettSWegen ju?
Ober hängen Seibe Diclleitt fo enge jufammen, baß
fie ihn gemeinfam einnehmen tönnen? Sinb fie gar im
©runbe eins? ßtehnticEje Steuerungen finb ja in ber $cit
Stleiermater’S, im Äreife ber SRomantifer nitt unge*
Wößnlit- — Unzweifelhaft beftepen zaßlreite unb Wichtige
Sleßnlüpfeiten 5 Wiften bem, was Scpleiermater als fReli*
gion beftreibt, unb bem, waS wir fonft als guftanb
beS äftßctiften Verhaltens lennen. 3Ran benfe nur an bie
Definition ber SReligion als Slnfcpauung unb ©efüßl, ober
Dielmehr ben guftanb beS SewußtfeinS, wo SeibeS not ju*
fammen unb eins ift. Die ^Religion will ruhige Seelen, fie
labet ju müßiger Seftauung, jum fttUen hiugegebciten ©e*
nufe. Sie rettet ben SRenften oor ©infeitigfeit, ©nge unb
geiftiger Slrmutp, fie giebt ipm UniDerfalität, unbegrenzte
Seite beS Sinnes. „fRur ber Drieb anjuftouen, wenn er
auf’S Unenblite gerittet ift, fept baS ©emütl) tu unbefdjränfte
greiheit, nur bie ^Religion rettet es Don ben ftimpftiten
geffeln ber SReinung unb ber Scgierbe." 2l(S Slnfdjauung
bleibt fie immer etwas ©injelneS, SlbgefonberteS, ftrebt nidjt
jum Spftem; „bei ben unmittelbaren ©rfaprungen Dom Da*
fein unb §anbeln beS UniDerfumS, bei ben einzelnen 2ln=
ftauungen unb ©efühlen bleibt fie fiepen". Slber wenn fie
nur ©inzeliteS fiept, fie fiept eS nidjt einzeln unb für fit,
fonbern im grojjeit Sinzufammenpange. Sie fennt nur 3n=
bioibuen, aber jebeS SnbiDibuum ift ipr wertpDoH unb peilig
als eine eigentpümlitc Darftellung ber ©attung, ber 2Renft*
peit: bie unenblite SRannigfaltigfeit ift notpwenbig, um bie
ganze güHe ber Sbee zu erftöpfen. 21 ut ben gemeinfteu
gormen ber HRenftpeit wirb fie gerett, benn „jebe pat et*
waS ©igentpümliteS: feiner ift bem Slnbern gleit, unb in bem
ßeben eines Sehen giebt eS irgenb einen SRoment, wie ber
Silberblid unebterer 2RetaHc, wo er, fei eS burt bie innige
2lnnäperung eines pöpern SefenS ober burt irgenb einen
eleftriften Stlag, gleitfam auS fit heraus gepöben unb
auf ben pödjften ©ipfel Desjenigen gefteHt wirb, WaS er fein
fann." @S ift opne SeitereS flar, bajj alle biefe Veftim*
mungen ebenfo gut Don ber äftpetiften, ber fünftleriften Slrt
Zu fepen unb zu erleben gelten. Soburt unterfteibet fit
nun biefe Don ber ^Religion? Dunp baS |)inzufommen eines
ganz ueuen gaetorS, beS fünftleriften ©eftaltenS. Stteier*
maiper fetbft fpritt bieS auS, opne bot ben Unterftieb fetbft
fdjarf z« erfaffen: „©iebt ©ott einem, ber in biefer ßaufbapn
fiep bewegt, zu feinem Streben nat StuSbepuung unb Dutt*
bringung aut jene mpftifte unb ftöpferifte Sinnlitfeit,
bie adern Snnern aut ein äujjereS Dafein zu geben ftrebt,
fo muß er nadj jebem 2luöfluge feines ©eifteS in’S Unenblidpe
ben ©inbrud, ben eS ipm gegeben pat, pinfteden aufeer fidp,
als einen mittpeilbaren ©egenftanb in Silbern ober Sorten;
um ipn fetbft auf’S -Reue in eine anbere ©eftalt unb in eine
enblicpe ©töfje Dermanbelt zu genießen, unb er muß alfo aut
unwidfürlidj unb gleitfom begeiftert . . . baS, WaS ipm be*
gegnet ift, für 2lnbere barfteUen, als Ditter ober ©epet,
als fRebner ober als ifünftler."
'.Religion ift alfo gleitfom bie eine Seite beS fünft*
lerifdjen ßebenS zu befonberer Stärfe unb Sntenfität ent*
widelt, nämlit bie paffioe, receptiDe, baS, waS nitt Staffen,
Silben, gormen, fonbern nur ©rieben, ©mpfangen ift; fie
ift not nidjt Sunft, fonbern baS, WaS ader ftunft unb 2leftpetif
ZU ©runbe liegt. So finb benn bie gelben ber ^Religion, bie
Seper unb EjSroppeten, ben Zünftlern engDerwanbt; ja, zuweiten
finb fie gerabezu SeibeS zugleit, gewöpnlicp mit unzuläng*
liter ©eftaltungSfraft (Wie etwa SRaeterlind). Stteier*
matet fetbft befennt Don fit, baß ipm bie gäpigfeit fünft*
lerifdjen Staffens fepte, unb bebauert ftmerjtit, baß
er beßpalb bie eine gorm ber ^Religion, bie auS bem jfunft*
finu perDorgepe, nur apnen unb glauben, nitt fepen unb
begreifen fönne. ©r ift uns baper ber widfommene, offen*
bare Seleg für bie 2lnnapme, baß baS retigiöfe ©enie ge*
wiffermaßen bie £älfte beS ÄünftlerS, bie JReceptiDität opne
bie fdjöpferifte ©abe, fei. 2lber nun fönnen wir weiter
fagen: Äunft im 2tdgemeinen ift nur ülbftraction, tpat*
fädjlit Dorpanben finb nur einzelne Sfünfte. ©benfo giebt
eS niept Äunftwerfe fttettpin, fonbern ©ebitte, ©emälbe,
SDiufifwerfe u. f. w. Sie 2lde entnepmen ipren Unterftieb
unb ipr Sefeu auS ber Derftiebenen 2trt beS SilbenS. DaS
bloße Stauen unb ©mpfinben bringt nittS peroor. Senn
baper Äant im fReite bcr ^ßtincipien a priori ber Religion
fein ©ebiet angewiefen pat, fo müffen wir ipm unbebingt
SRett geben. 5Rur in ber Äunft wirb baS ©efüpl in eigen*
tpümlidjer Seife fdjöpferift; nur ipr gebüprt ber tßtap neben
ber Seit beS DenfenS unb ber Seit beS fittlkpen §anbelnS.
Dem fteint nun bie cinfatfte ©rfaprung z u Wiber*
fpreten. Denn überad in ber ®eftit te unb in ber ©egen*
wart um uns per finben wir ^Religion in gewiffe gormen
gebannt, in eigenartigen ©ebilben wirtfam: wir fepen Dogmen,
©ulte, Stirdjen. Snbeffen, ber Stein, ber unS pier täufth
ift leitt z u Z er fibren unb fton Don Stleiermater fetbft
wibertegt. Denn ade biefe Dinge gepören gar nitt jur
^Religion; fie finb ipr nur äußerlit beigemifdpf. Denn bie
SReligion, bie Stteiermater meint, finben Wir in ber ®c*
Digitized by v^. ooQie
Nr. 12.
Die ffiegentoari
187
fcßicßte nirgenbS rein; überall ift fie mit SRetapßßfif unb
SRoral, — bie mit tßr im ©runbe gar nichts ju tßun ßaben,
— tierunreinigt. Unb immer mieber marnt Scßlciermacßer,
ber SReligion boeß nießt baS ^ujufcßreiben, maS nur biefen
frembeit 3 u föß en jur Saft falle. SaS bot auch biefeS große,
reine ©efüßt mit Seßtfäßen unb BegriffSfßftemen ju tßun?
Unb mie follte ein ©emütß, baS gan$ in rußenbe Betracß*
tung aufgelöft ift, auf ftercottjpe fßtnbolifcße ^anblungen
DerfaHen? Unb tt)ie ift eine Kircße oßne BeibeS benfbar?
Sit Be^ng auf ©ogmen bat Scßleiermacßer felbft bie
äußerften ©onfequenjen gezogen: er bat and) bie testen
Xrümmer berfelben, bie ber Bilberfturm ber Slufflärung unb
ber fritifcßen ^ptjifofop^ie noch tierfcßont ßatte, aus ber
^Religion ßinroeggeräumt; er ßat bie ©otteSoorftellung für
unroefeittlicß, bie UnfterbließfeitSßoffitung für unfromnt er«
ftärt. Snbem mir gerabe beßroegen in Scßleiermadjer ben
großen ißropßeten ber mobernen SReligion feiern, befinben mir
unS in einem begreiflichen ©egenfaß ju bem Urtßeil ber
Theologen — ber Herausgeber ber „Sieben" mag ßier für
fte einfteßen —, beiten ber Sieformatot ber proteftantifeßen
^^cologie hierin boeß ju meit gegangen ift. @8 feien baßer
über ben erfteren ißunft menige Sorte geftattet. „Sn ber
SReligion mirb baS Unioerfum angefeßaut, eS mirb gefeßt als
urfptünglicß ßanbelnb auf ben SDienfcßen". Ob mir biefen
(Seift bcS UnitierfumS perfonificiten, ßängt Don ber Stiftung
unferer ^ß^antafte ab, nämlich bation, ob fie fieß ein ur*
fprünglicßeS H an beln nur in ber gorm eines freien SefenS
benfen !ann. 51 ber aueß biefer frei ßanbclnbe ©ott tarnt
unfere ©lüdfeligleit nießt tierbürgen (mie er ttaeß Kant
müßte); er tann nießts als fidß uns ju ertennen geben. ®aö
ßeißt boeß in aller gorm bie Sbec eines perfönlicßen ©otteS
als SlntßropomorpßiSmuS proclamirt. ©anj gemiß, biefer
©ott ift tion bem eigenmächtigen Sunbertßäter aller pofitioen
^Religionen, ja felbft tion bem BetmitUicßer beS ©nbjloedS im
(Sinne Kant’S ßiminelmeit tierfeßieben, bagegen tion bem ©otte
beS ißantßeiften taum auSeinanber jn tennen. Unb felbft
biefer (eife Unterfcßieb feßminbet, menn mir aus ber begriff*
ließen Formulierung ber Sieligion ben naitien SlealiSmuS
ßinauScorrigiren, ber bieS ßanbelnbe Unitierfunt als außer
uns gegeben feßt. Sluf biefer Höße beS reügiöfen GmpfittbenS
muß jebe SöorfteUung eines perfönlicßen ©otteS, folange man
mit bem Sorte irgenb einen Begriff oerbinbet, als grober
93erftoß, als SttatiiSmuS erfeßeinen; ßier ift ber ißantßeis*
muS bie einzige angemeffene unb mürbige ©eitfform, ber
SpantßeiSmuS in bem Sinne, mie er feit 130 Saßren bie
©runbftimmung aller maßrßaft großen Kunft bilbet, mie er
in bem ©ießter beS ©anßmeb unb beS großen gauft*2Rono=
logS („©rßabener ©eift u. f. m.) feinen flaffifcßen SluSbrud
gefunben ßat.
Sic. Otto reeßnet eS ju ben befonberen SSerbienften
biefer Scßrift, baß Scßleiermacßer barin eine SBrücfe ju
einem ßößeren ©otteSglauben gefd)(agen ßat, jmar einen
feßr feßmanfenben Steg, aber er felbft ift ißn gegangen unb
ift auf ißnt jurftdgelangt — nießt nur jum perfönlicßen ©ott,
fonbern fogar „ju bem Bater Sefu ©ßrifti." Sidjerticß ßat
ber fpätere Hofprönger unb SEßeologicprofeffor mit bem ©otte
beS ©aubenS unb ber Kircße feinen grieben gemaeßt, fo feßroet
man fteß naeß biefer Sugenbfcßrift aueß eine folcße Sanb*
lung öorfteUen tann. ©emiß märe eS überaus intereffant
unb leßrreicß, biefe ©ntmidclung ju tierfolgen; inbeffen, baS
märe eine rein pfßeßologifcß=ßiftorifcße Unterfucßung unb liegt
ßier, mo eS fieß um bie rcligiöfe Sßrincipienfrage ßanbelt,
außerßalb unfereS SegeS. @8 ift im ©runbe bie alte ©r*
faßrung:
„3)em ,§errfidjften, luaS aud) ber ©eift empfangen,
drängt immer fremb unb frember Stoff fiep au;
Senn mir $um ©Uten biefer SBelt gelangen,
®ann ^eigt ba§ $8effre $rug unb 28a£>n.
®te un8 ba$ Sieben gaben, Ijetrlicpe ©efüftfe,
©rftarren in bem irbifdjen ©eiuü^te."
SUIe großen unb neuen ©ebanfen müffen, menn fie nießt mit
ißrem Scßöpfer tiergeßen, fonbern bie Seit erobern toollen,
ißre urfprünglicße SJeinßeit unb Seßönßeit tierlieren, fie müffen
aus ißrer HimmelSßöße ßerabfteigen in biefe niebrige unb
unreine Seit, um fie, jmar nießt ju fieß emporjujießen, aber
boeß ein fleiueS Stüdcßen ßößer ju bringen. Sft eS bem
Sßriftentßum, ift eS ber Sieformation, ift eS irgenb einer
Sirtung beS ©eniuS jemals anberS ergangen? 3umeilen,
menn ben Scßöpfer felbft ein gütiges ©efeßid im Slnfangc
feiner Saufbaßn baßinrafft, merben Slnbere iräger biefer ab*
fteigenben ©ntmidelung, unb fein 93itb bleibt ben Späteren
in reiner Sugenbfcßöne erßalten. Sie bei ScfuS. Häufiger
tiottgießt fidß in Senem felbft bie Sanblung. ÜWan braueßt
babei nießt an SlbfaH, an feigen (Kompromiß ober an Heuchelei
ju benten. Seber ÜRenfcß ift Dotier Siberfpriicßc unb 3n*
confcquenjen; aueß ber ©rößte ift nießt immer auf feiner
ßöd)ften Höße, ift nießt in allen Sinteln unb ©den tion
feinem innerften Sefen erfüllt, unb ift bem Kreisläufe alles
SeinS, bem SRiebergange unb bem Sitter, nießt entnommen.
Unb noeß meßr mirft ein anberet Umftanb: ber ©runbtrieb
jebeS ftarfen, gefunben, probuctitien SRenfdßen ift, ju rnirfen,
ju ßanbeln; baßer muß ber ©ebanle ganj notßmcnbig, fobalb
er auS bem einfamen Snnern beS ©eßirnS in baS ©etriebc
ber Seit ßinauStritt, naeß ben Sebürfniffen beS SirfenS
umgeftaltet merben. ©er ■Sutßer Don 1520 unb ber tion
1530 finb feßr tierfeßieben. UnS ift ber füßne, macßttiotle
ißropßet, ber SSerfaffer beS SenbfdßreibenS „Sin ben cßrift*
ließen Slbet" unb beS ©ractatS „S8on ber greißeit eines
Sßriftenmenfcßen" untiergleicßticß lieber unb mertßtioller, aber
ben ©ang ber Seltgefcßicßte ßat ber Slnbere, ber Sutßer beS
lleinen KatecßiSmuS, ber Sßibelüberfeßer, ber Orbner beS
©otteSbienfteS unb KircßenregimentS, befiimmt. So moüen
mir uns aueß bureß ben fpäteren Sdßleiermacßer nießt ßinbern
taffen, uns an bent jungen tion Herjen ju freuen unb ju
erbauen.
Sn SSejug auf ©ogmen fanben mir uns mit Seßteier*
maeßer in Uebereinftimmung, nießt fo in H* n f^t au f
Kircße. H' er öerfueßt Scßteiermacßer eine feßr lünftlidße 6on*
ftruction, um nießt nur bie ^Berechtigung, fonbern fogar bie
SRotßmenbigfeit einer Kireße, bie iß fließt eines Seben, ißt an*
jugeßören, naeßjumeifen, — eine ©onftruction, in ber jeber
einzelne Salten morfcß ift. ÜRur in tioüfommener Stille unb
©infamteit, nur menn mir allem Sätm, aller Unruße ber
Slußenmelt, atfo aueß allem Serfeßr mit anberen SRenfcßen
entrüdt finb, tann baS Unitierfunt auf uns mitten, fönnen
mir ben tiefinnerften ^Regungen unferer Seele laufeßeit. ©aßet
fagt feßon ScfuS: „Senn ©u beten roillft, fo geß’ in ©ein
Kämmerlein unb fdßliej) bie ©ßür ßinter ®ir ju." Soju alfo
bie religiöfe ©emeinbe? — „3m SRenfdßen liegt ber ©rang
naeß SRittßeilung; mie follte er baS größte unb ftärtfte @r*
leben für fuß beßalten tönnen?" Slber baS tieffte unb ge*
maltigfte ©rlebniß beS ©injelnen ift eS oßne grage, menn
SRann unb Seib in Siebe in 6inS jufammenfließen; mie eS
fißon früße als Silb ber Bereinigung ber Seele mit ©ott
gebient ßat, fo ift eS in Saßrßeit nidßt nur baS natur*
gegebene Sßrnbol, fonbern gerabeju bie intenfitifte concrete
gorm beS religiöfen ©mpfinbenS. güßlen mir uns barum
gebrungen, eS auf offenem äRarfte auSjufcßreien? Hd ten üiit
eS nießt tiielmeßr als föftticßften S^aß im Stßerßeiligften
unfereS H er ä en ^? Sllfo feßon biefe erfte BorauSfeßung ift
ßinfättig. ©inen anberen ©inmanb maeßt Scßleiermacßer
felbft: bie Kircße ift gar nießt bie „©emeinfdßaft ber H e d'9 en "»
ber maßrßaft fReligiöfen, baju finb biefe Diel ju feiten unb
ju tiereinjelt; fie ift tiielmeßr für bie, meleße bie ^Religion
erft fueßen, bamit bie Befißer berfelben ißnen ben Seg baju
meifen. SUS ob ^Religion lernbar unb leßrbat märe; als ob
©efüßle fieß übertragen ließen mie Borftellungen ober SillenS*
impulfe! Slber maS Kireßen gebilbet ßat, ift niemals baS
religiöfe ©efüßl gemefen unb tann eS niemals fein; ©ogma
Digitized by v^. ooQie
188
Dtc (ftegettttHtri
Nr. 12.
unb GultuS ftttb eS, bte fie gufantmenfyalten, alfo gerabe jene
fremben ©lemente, bie bte Religion Deruntetntgen unb bie
©cfjletermadjer oon i^r abfonbern Will. 2Bie foll man ftd)
überhaupt eine SRtttljetlung biefeS retigiöfen ©efüljlS in feiner
5Reinf)ett unb Urfprüngtid)feit beuten? 2>cf) fenne nur eine
Slrt, baS innere ©rieben beS UntberfuntS auS fic^ fjerauSgu*
fteEen unb Slnberen mitgutljetlen: baS 233er! ber großen ftunft.
Sie aEein fann unS güfjrerin gut Religion, Vermittlerin
mit bem SIE fein. ®er SirfungSfreiS eines ÄunftmerfeS ift
bie einzige für unS mögliche gorm ber religiöfen ©emeinbe.
— $)iefer 2Beg mar ©djletermac^er üerfagt; barum ergreift
er als Surrogat bie althergebrachte gorm ber ißrebigt,
bie, ihrem Inhalte nad) iibermiegenb moratifch, ihrer 2luS*
brudSmeife nach tljetorifcfj, alfo fyilbfünftlerifd), bem gemachten
©fjarafter ber früheren Religion entfprcidj. 2luS feinem eigenen
233ir!ungSbrange, auS bem Vebürfniffe feiner inbioibueEen
ÜRatur herauf ift biefc Stljeorie bon ber Sflrdje gu berftehen.
Sind) baS 2Berf, baS unS befdjäftigt, ift ja nicht eigentlich
religiös gerichtet, fonbern eS ift eine Xenbengfdjrift, eS flammt
auS bem ®range praftifdjen SBirfenS. 3 U biefem 3 ro ede
mirb bie grage nach SBefen unb Vebeutung ber ^Religion
unterfucht, — alfo 2Biffenfc§aft im $)ienfte ber ißrajis. |)ier
merben bann fehr merthboEe unb hebeutenbe ©rfenntniffe gu
E£age geförbert, bie ftdj, mie arojje ©ntbedungen auf etf)ifdjem
©ebiete gemöhnlich, unmittelbar ht reformatorifche Smpulfe,
in päbagogifche ©nergte umfefjen. *
©djleiermadjer mirft feinen Slbreffaten bor, bafj fie bie
^Religion berachteten, ohne fie gu lennen. Slber moher foEten
fie fie fennen? 9IEeS, maS man bisher Religion nannte,
mar, ja fo fehr mit Slnberem berfe^t, bon fremben Sd)tnaro£er*
pflahjen übertoudjert, bafj ber eigentliche Stamm faum gu
erfennen mar. 3« 2Birfltd)feit ift ^Religion in biefem Sinne
erft bon ©djleiermadjer entbedt. 233ir muffen in ihm ein
reiigiöfeS ©enie ehren, mie eS in biefer SReinljeit unb Ur*
fprünglid)!eit nur gang feiten erfchienen ift. ®enn bei faft aflen
früheren fReligionSftiftern maren bie moralifchen SCenbengen
ftarf übermiegenb. SESarum hot Schleietmacher nun nicht
eine neue, eigene Religion geftiftet? ®ie SRöglidjlett bap
erfennt er unurnmunben an, mie er ja auch aEe anberett
pofitiben ^Religionen neben bem 6f)riflentl)utn gelten läßt
unb für bie 3 u ^ un fl 3 war ©ine Äirdje, aber nicht ©ine
^Religion als ©nbjiet ^infteEt. SEBarum tput er lieber ben
salto mortale in’S ©hriftenthum, in bie c^riftlidje ^irdje Ijin*
ein? 28ir bemerlen junächft, bafj bei fortfdjreitenber Sultur
fReugrünbungen auf religiöfem ©ebiete immer feltener unb
immer unboEfommener burchgeführt merben. ©inmat, meil
eben bei fortfdjreitenber ©uttur bie ^Religion in ihrer rela*
tiben Vebeutung für baS ©efammtleben immer mehr gurüd*
tritt, einen immer geringeren Vrudjt^eit ber borhanbenen
©nergie berbraucht. ©obann, meil baS religiöfe ©enie, je
reiner eS fid) geigt, um fo meniger auf äufjereS 2Birfen, ©in»
richten, Umgeftalten, Drganifiren angelegt ift. 3h m genügt
bie unmittelbare Sleufjerung. ©rft menn ihm biefe berfagt,
menn eS bon ber beftehenben ©emeinfehaft auSgeftofjen unb
berfolgt mirb, fd^afft eS fich feinen eigenen SlreiS. Schon
SSefuS hat baS Vanb mit bem 3ubentE)um nicht fefbft ger*
riffen. ßutljer hat überhaupt feine neue ^Religion gegrünbet,
unb felbft bie ©eceffion auS ber ißapftfirdje lag nicht ur*
fprünglid) in feinem 2BiEen, fonbern ift ihm burdh ben ©ang
ber äußeren ©cfdjidjte aufgegmungen. gür Schleietmacher
beftanb ein berartiger ©runb nicht, ©r fühlte fich > n leben*
bigem ©ontact mit feiner Umgebung, er fanb nicht 23er*
folgung, fonbern miflige 2tufna|me unb ein meiteS gelb für
fruchtbares 2Birfen, — maS hätte er mehr moEen fönnen?
Unb bann — mit ^Religion in ©djteiermadjer’S Sinne lägt
fich llun einmal meber „eine" SReligion nod) eine Sirdje
grünben. $ie reine Religion fennt nur ben ©ingetneu unb
baS Unitoerfum, Stuge in Stuge einanber gegenüberftehenb, fie
fann nur gang prioate Slngelegenfjeit beS SnbioibuumS fein.
©rft burch Segirung mit SRetaphhfif unb ERoral erhält fie
bie ©onfifteng unb ©d)mere, bie fie braucht, um gu bleiben*
ben ©ebilben oerarbeitet gu merben. ^Religion ohne ©ott
unb Unfterblidjfeit, — baS hat uns Schleietmacher gelehrt
unb baS banfen mir ipm; aber eine „pofitiue" ^Religion ohne
'BeibeS — baS fann ich mir nicht benfen, unb ebenfo menig
eine JReligionSgemeinfdhaft ohne ®ogma unb ©ult.
I
ifeuilTeton.
- ^a^bruef verboten.
Kebtrtü»tt0.
9Son Hobby 3 ones -
3o^n $av!er§ liebte Siffb $reen unb war fo tierliebt, bafe er ju
Siüem fähig toar, fogar iur größten Dummheit. (£r befebiofe alfo eine^
fchönen £age3 f ihr feine Siebe ju gefteljen unb fie um ihre |>anb ju bitten.
„^Otein lieber ^arterS," fagte i^m jeboeb Siffhr „toie gerne mürbe
ich bie Sbre werben, aber <5ie fommen xu ftoät."
,8u fbät?"
„Qa, $ar!er§, um anberthalb ©tunbe ju fpät. 3)enn Oor anberts
halb ©tunben habe ich ntic^ mit greb SBilfinö oerlobt."
W D!" rief $arfer§ auS, unb in biefem „D!" lag ber ganje Schmer^,
unb ben trug er nun brei SSo^en lang mit fich herum.
9?adj biefeit brei SBochen erholte er fich fo toeü wieber, bafc er fic^
ganj ohne fonberliche SKuhe in State Sriithnann oerliebcn fonnte, bie
ju ben entyücfenbfien Räbchen beS ganzen fianbeS gehörte. Sluch fie
fchien an $arfer3 (Gefallen ju finben, unb ba8 war fein SBunber, benn
ein hübfeher Aerl war er, — Me3, wa§ recht ift. 6r wieberholte alfo,
wa§ er bei (£iffi) Äreen fchon gethan. @r bat Ääte um ihre £anb.
„Um ©otteSwitten, wie fchabe!" flagte fie. „^Sarfer§, warunv
fagen 6ie mir baS §lfleS ju fpät! ^ätte ich bie§ nor einer 6tunbe
gewußt, oor 58 Minuten fogar, bann hält 7 ich ja mit greuben Sa ge*
fagt, fo aber ..."
„@o . .. aber . .. ber?"
„@o bin ich feit einer ©tunbe mit 93ob IHalcigh berlobt."
„Donnerwetter!" unb in biefem 2lu$rufe lag — (ftebe obenl)
Da§ h ei 6l f nein; & lag nicht ber ©chmerj barln, ben er bann brei
2öod)en mit ftch herumtrug, fonbern nur für jwei Wochen. Denn nach
jwei Wochen fant fie. ©ie — düeline ©mith- ©ie, bie alle attberen
Räbchen beS ganjen SanbeS in ben ©chatten fteflte. ©ie, bie man
lieben mufjte, wenn man fie fah. Unb ba ^ßarlerS immer that, waS er
mufete, fo that er 7 3 auch je^t. ®r üerliebte fich fogleich in baS fd)Bne r
herrliche 3J2äbchen unb befchlob fofort, aber ohne jebe SBerfpätung, $u
SDtife Goeline au gehen unb fie um ihre $anb, um baS entjüdcnbfte
§änbchen ber 28elt ju bitten.
„Shr Antrag, Stifter ^arfer§ ehrt mi(h fehr, unb, unter un$, ich
würbe ihn bon ganzem ^erjen, wirf lieh bom ganzen ^erjen, audh an*
nehmen ..."
|IV iv iv ,
trüber 2lh nun 9-
„Sa, wenn iih nicht fchon berlobt wäre."
„2Rit wem?" fragte ^arferS faft fbrachlog.
„9}?it 33en §oüeij."
„Unb . .. unb feit wann, üftifj (Sbeline? ©eit wie biel 3JUnuten?^
©ie fah ihn erftaunt an.
„©eit $wan$ig Minuten."
„O!" unb — nein, wa§ ber fiefer bermuthet, fommt nicht. 3r
biefem „£)!" lag fein ©djmer$, fonbern etwa§ wie eine (Erleichterung
Denn bafe er nur awanjig Minuten ju foät gefommen war, ba§ gaf
ihm feine Hoffnung lieber, bie Hoffnung, ba§ nächfte 3Jfal nicht mehl
fpät ju fommen. ©ein Sftecorb befferte fich ja aufeerorbentlich. SSon
1.30 auf 0.58, bon 0.58 jefct auf 0.20, ba§ war coloffal, unb er hatte
alle (Ehanceit, beim nächften Dfeunen um eine grau, al§ guter ©rft«
ju lanben.
DiefeS nächfte kennen liefe benn auch nicht lange auf fich warten.
Seicht ent^ünblich, wie 3°hu ^arferS war, entflammte er wenige Dag«
fpäter in h^ifeer Siebe ju Sllice SWontrofe, bem unbeftritten entAucfenben
Sffäbcben, wie S^ber weife.
gilt 7 «," fagte Sohn Dörfer« ft^ felbft unb ging ju ®Ufe
Slltce unb bat fie, bie ©eine ju werben.
„Die 3^re? $Rit taufenb greuben!"
©o hatte S^hn $arfer« enblich fein 3iel hoch erreicht. <£>ib! fib!
hip, hnrrah!
9lbenb« fagte ihm 5llice: „Reifet Du aud), mein Sieber, bafe um
ein §aar je^t ein Slnberer an Deiner ©teile Utx wäre?"
„3Biefo?" fragte Sohn Sßarfer«.
„5Setl eine SWinute nach Dir S3iÜ SBalfer gefommen ift, um eben*
faß« um meine .fpanb ju bitten."
i
Digitized by v^. ooQie
12.
DU ÖUgenroart
189
Unb fie lacpten 33eibe, unb er brüdte fte an ftep unb gab Ipr
einen pergpaften Kuß.
©ine Minute! ©ine einige AHnute patte fein ©lüd entfliehen!
• *
*
3)rei ©oepen fpäter mären 3°pn ParferS unb Alice SHontrofe
ein Paar. Unb baS blieben fie lange, lange, fange. ©)rei ©oepen
mtnbeftenS, ober maren eS gar toter? $>ann .. . na, bann ging ja bie
Sad^e auep noep, aber auSeinanber. Unb 3opn ParferS fuhr fiep burep
bie $aare unb flucpte. „©ine Ginnte," fagte er, „nur eine Spinntet
$er Xeufel pole biefe Derbammte Uebereilung!"
jitts bet
Wttftre liebe /rau tum iJttlo.
$ierre SoÜ, ber aflgit ©ubjectibc, pätte eS uns gar niept fo beut*
lt<P unter bie Rafe gu reiben brauchen; miffen mir hoch ohnehin, baß
ber berliner 23ürgerSmann fein Parifer ift unb auch Dergroeifelt menig
Anlage §at, eS je gu merben. Run bie lauen Süfte mählich ermachen
unb ein ©pagiergang burch bie Straßen mieber lohnt, meil lodere
grüplingSgragie bie feufcp-plumpen ©interfleiberfäde gu Derbrängen
beginnt, nun pilgert über bie SBouteDarbS in'S SouDre gur ernften
fterrin Don SReloS, mer in Paris mohnt unb Heinrich £eine peißt.
3)em ^Berliner aber liegt bie Rationalgalerie gu meit Dom ©ege ab;
auep pält man fte ängftlich juft in ben ©tunben Derfperrt, mo ber
Rormaluntertpan Qeit unb Saune für Kunftgenüffe pat. ©ir tröften
unä beß, glüdlicher ©etfe. 3n ber griebriepftraße unb ber Paffage
mimnielt’S Don Kunftläben unb KunfUScpaufäften, unb ein SBlid in bie
AuSlagefenfter gemährt unS Kimmeriern, maS bie armlofe ©öttin bem
ftechen Heinrich gemährte. Alles mit Unterfchieb, natürlich- $a bie
brillant retoudjirten Photographien palbnadter tarnen, bie merfioürbigen
Actftubien mit ben feltfam Derrenften, proßig parabirenben ©liebem in
Säben gu fehen fmb, über benen groß unb beuilich Kunftgefcpäft gu
lefen fleht, fo ermäepft unS felbftDerftänblich bie Pflicht, in ben ©onter*
fei§ entblößter £)teros©cpultern unb praller ©pirnai)* Peine Kunftmerfe
gu erbliden. Kommt bann #err Roeren'beS ©egeS gegogen, fo erfdjridt
er mit gug Dor ben Perirrungen unferer Kunft unb ift nach eingepenber
©efiepttgüng aller etreiepbaren Atutoffope Dollauf beredjtigt, ber gröfc
liehen Serleßung beS Schamgefühles Don ©eiten ber Pödlin, $ofmann
unb Klinger ein ©nbe gu machen.
$)ret ober Dier 3<*prc ift per, bie ©pecialitätemXpeater fürchteten
Damals noch feinen ©cpußmannSpelm, unb im ©intergarten gab’S $inge
gu fepauen, beren 3 u 9^ ra f^ feine Roeren'fcpe Reclame gu erhöhen ge^
braucht pätte. Por Drei ober Dier Sapten mimte eine Parifenn auS
$antopol Dor ben Perliner Kunftfreunben bie ^inreigenbe ©olofceite
Sa Puce. ©pree^Pabel mar entgüdt über bie tarnopolitanifepe ©ragie
ber $)ame, bie gefdplagene fünfunbgmangig Atinuten lang baS unglüdlidpe
Snfect peßte unb^ fein ©eheimniß ihrer fpißenüberriefelten, batiftenen
Seibmäfcpe ungelüftet ließ, damals tagte gerabe ber Reichstag, unb
menn er auch nicht officieH gur glopjagb eingefabeit morben mar, fo
ift hoch angunepmen, baß biejenigeit feiner Atitglieber, bie fiep mie ©err
Roeren für plaftifcpe Kunft interefftren, baS erftaunli^e Pkrf betrachteten.
Pietteicpt ließ fidp £err 9toereu bamalS burep bie 3eitungen täufepen,
beren ^Referate über Sa Puce fämmtlicp in ber 9?ubrif Kunftnacpricpten
erfepienen, unb fo mußte er aHerbingS einen fepönen Pegriff Don ber
mobemen Kunft befommen. ©r hätte am ©nbe mißtrauifeper fein unb
bebenfen foHen, baß fogar ber „©ifengapn" Don ber oberflächlichen Preffe
mit Xpcatcr, Kunft unb 5Siffenfcpaft in Perbiubung gebracht morben ift.
Snbeß, mer in Perlin eine ^anb DoH SRidel für SRutoffopfreuben pingab,
ftatt fie ben ©igarren^lutomaten gu opfern, unb mer bie glopfünfte beS
^poEotpeaterS tpeuer begaplte, bem baif man e$ niept Derargen, menn
er burep Perfittlicpung ber beutfepen Kunft fiep unb feine Kinber Dor
Peutelfcpneibereien ähnlicher Hrt pinfort gu bemapren traeptet.
9lucp menn man niept über ben fritifdjen Plid beS 9teicpStag?=
abaeorbneten JRoeren Deifügt unb niept fo Diel 3*it mie er auf Kunfts
ftubien Dermenben fann, fäfit ©inem unangenehm auf, baß bie Pegeifte*
rung für picante ©cpaufenfter=?luSlagen fiep Dornepmlicp bei ber reifen,
miU fagen, total unreifen Qugenb unb jenem fepönen Filter finbet, baS
gern über bie ©ittenDerberbniß ber ©egenmart fepimpft, meil bie eigene
leiber bereits ber Pergangenpeit angepört. Sarocpefoucaulb meint ja,
oUe ©reife gäben qerit gute Sepren, um fiep bafür gu rächen, baß
fie feine böfen Peifptele mepr geben fönnen. 5)er fepaepmatten Süftern*
peit ift jebeS äBeißmaarengefcpäft fepon füubiger ©tacpel unb pöQifcper
©reuel gugleicp; ein bißepen iamenmäfcpe erregt ipr bie peitfepenben
Pegierben, bie Sriebricp ©epilier in bem unb jenem frechen Qugenb=
gebtepte pietätlos Derpöpnte, unb mirb Don ipr folgerichtig als fdpam=
öerlebenb unb Slergerniß erregenb Derbammt. 2)en gefunben, niemals
ausgehungerten 9Ratm bitnfen berlei Anfechtungen fomifcp ober miber=
roärtig, unb bpd) liegt pier ber Urgrunb beS gemiffen ©ittlicpfeitS=
3clotentpumS. 9Ran foüte ipn niept auS ben Augen lajfen. ^aS
empörte s J)ieer ber Seibenfcpaft fcpleubert feine Atogen noip in bie fernften
Aegirfe, unb mie alles Ätenfcplidpe auS ipm, nur auS ipm perborgept,
fo giert aHeS Atenfcpli^e naep ipm. Unbefriebigte ©epnfucpt aber feplägt
in $aß unb perDerfe SButp um. Unfere liebe ^au Don 2Rilo unb alle
Kunft, bie ipr jauepgenb pulbigt, fanb ben eingigen unDerföpnlicpen
©egner immer im Heerbann ^erer, bie ben SWpfterien niept mepr beU
mopnen Durften.
©ie liegen Dermunbet auf bem ©cplacptfelbe unb jpuden ben hoffen
ber fiegreiep Sorüberbraufenben fcpimpfenb naep ben C>ufen. SJtenfcpens
art unb SRenfcpenlooS. Ä3ir miiffen fie gemäpren laffen. ©in AnbereS
freilich ift eS um bie pflieptmäßige ©orge für baS peranmaepfenbe ©e?
fcplecpt. 2)em überfrüpen ©rmaepen fnabenpafter ©innllcpfeit mit ipren
taufenb ©efapren müffen mir mepren, menn mir niept unfer 93olf gu
©runbe richten laffen moHen. Dpnepin ftacpelt baS ungefunbe Seben
in ben ©roßftabtpfercpen bie fiep regenben Qnftinctc gu geilem 28acpS=
tpum, unb bie auf ©affen unb Sßläpen breit auSgefteflte ©eplüpfrigfeit
erpipt baS junge Alut gur 9taferei. §err IRoeren pat bie ©ipaufenfter,,
bie er fo eingepenb betrachtete, Don ©epaaren palbmücpfiger Söengel unb
SRäbel umlagert gefepen; ^err IRoeren geigte ben fepaubemben Ab*
aeorbneten ©oüecttonen fepmupiger Ailber, bie in ben ©pmnafien Don
©anb gu £>anb manbern unb bie träume unferer jungen Derpeften.
©ine fmmierige &ünfgroJdjensKunft pat fiep aufgetpan, unb gemiffenlofe
©peculanten paben eine Siteratur gefepaffen, bie mir auSrotten müffen,
menn mir niept bie Arunnen Dergiften laffen mollen, barauS beutfepe
SSolfefraft unb AolfSgefunbpeit quillt. 3” ^ariS unb Aubapeft eyiftirt,
eS ift mapr, noch fcplimmere, grellere Pornographie. Aber ber ©aflier
nimmt berlei fnotige ©eperge eben als ©eperge auf unb la^t Darüber
pin, mäprcnb unfere Sugenb mit brennenben ^Sangen ipren eniften .
©inn gu ergrünben fuept. ©ineS fepidt fiep niept für Aöe, unb als
©ontaglum fällt in'S fepmere ©ermanenblut, rcaS ber ffrangoS unb ber
§albafiat tänbelnb in bie Suft blafen. 5)iefe Kunft unb biefe Siteratur
ber orbinären 3 0te P at ^Roeren, pat ficperlicp bie SReprpeit beS
Reichstages gunäepft treffen mollen. ©S mar eine eprenpafte, lobenS*
mertpe Abpcpt, obgleich fie bie Aernicptung einer großen unb blüpenben
Snbuftrie bebeutete, einer 3nbufttie, bie boep eigentlich fo gut mie jebe
anbeie ben ©cpup mirtpfcpaftlicp aufgeflärter wfänner Derbient. ^tx
lobenSmcrtpen Abficht tpat eS feinen ©epaben, baß man ipretmegen gang
unnötpig naep ber burep Dielen ©ebraudj, burep fonft nicptS, übermäßig
glängenb gemorbenen Klinfe gur ©efepgebung griff, greili^ hätte eine
fimple ^oligeiDerorbnung burcpfcplagenDeren ©rfolg ergielt unb gleiip^
geitig unferen ©rmäplten bie erfte europäifepe Blamage beS 3flpr s
punbertS erfpart.
Ajenn fidj baS pope §auS trop allebem biefe Alamaae gu^og,
fo lag bie ©cpulb allein Daran, baß eS berechtigt ift, ©efepe über
SHnge gu maepdt, Don benen etmaS gu Derftepen feine SRitglieber niept
gcfeplicp Derpfliiptet ftnb. £>err Rocren unb feine Anhänger fapen bie
©renglinie niept, bie bie ©innlicpfeit ber ©offe Dom Reich iprer abligen
©cpmefter fepeibet. ©ie patten ipren Kunftfinn unb ipr Kunfturtpeil an
ben ^potograppien gebtlbet, bie in ben ©pmnafien Don £>anb gu feanb
manbern, unb Don moberner Siteratur mußten fie nur baS unerhört
©cpredlicpe, baS gute greunbe ipnen über bie jept fo beliebten ©ntflei*
bunaSfcenen ergäplt patten. Sa $nce fo im Apollo^Xpeater, mie auf
ber ®üpne in ber ©parlottenftraße, mo bie grau beS 5)irectorS burep ipre
ftramme ©eftalt $>aubet’S $leitemännipen bannen mollte; Sa ^uce bet
Sautenburg, unb nun fogar bei 3Rabame SBupe! ^>err Roeren mar un*
flug genug, Dor ber gangen Ration in Saufcp unb Aogen gu Derflucpen,
maS er boep offenbar nur Don £>örenfagen fannte. greunb ©roeber
entpüHte bie SBlößeu beS ©entrumS noep mepr, bie, opne ungücptig gu
fein, baS ©dpamaefüpt gröblich Derlepen: er hielt in aller ©emütplicpfeit
©abriet 9Ray, Den Derftiegenen 9Reifter religiöfer Rtalerei, für einen
& la Reiffer frifirten gla^lanbS=©eleprten. ©mpörenbe Unmiffenpeit
röfelte fiep im gelben ©aale; niept einmal ben Rameit beS Apolls Don
23eloebere mußte einer ber mit Stimmenmehrheit gemäplten Kunfcölut-
riepter rieptig auSgufprecpen. Statt feine 3fl»orang, feine KurgRcptigfeit
gu Derbergen, prahlte man mit ipr unb Derlangte, baß alle ©eit
fie als Rormal = ©epfcpärfe betrachte, lieber ©ubermann'S fünftlerifcpeS
©epaffen mögen bie Meinungen nod) fo meit auSeinanbergepen — bie
SBefcpimpfung, bie ipm ber ©entrumSabgeorbuete in’S ©efiept fcpleuberte,
fällt fepmer auf ben Aeleibiger gurüd unb branbmarft ipn mie baS ©efep,
Dem nun er, niept ber Racptmäcptermörber ^einge ben Ramen geben miTb.
S)ie erareifenbeu ©orte beS ^Berliner ©riminalfcpupmanneS, ber SBödlin'S
Spiel Der ©eilen anbonnerte: „baS 33ilb mit bem nadten ©eib muß
raus, baS im ©affer liegt unb bie SBrüfte geigt" — biefe ©orte er*
miefen fiep als fünftlerifcpeS ©laubenSbefenntniß beS beutfepen ReicpS-
tageS. UnauSlöfcplicper glucp ber Säcperlicpfeit mirb nun audj ben ^ara=
grappen beS ©efefceS anpaften, bie nötpig unb mißlich gemefen fmb.
AllerbingS, feitbem man bie SBeftimmungen gegen bie ^Safdjageliifie ber
Arbeitgeber feige ftriep unb bie an Rotpgucpt fireifenbe ungudjt in
gabrifen unb ©aarenpäufern für facrofanct erflärte, feitbem blieben
nötpige unb nüßlicpe Paragraphen faum noch übrig.
$ie Künftlerfcpaft, bie in ben leßten ©oepen mit einiger ©nergie
gegen baS ©roebertpum gu gelbe gog, pat ipren ©iberfaeper leiber iiber=
fepäßt unb ben gangen Kampf um eine £>ctaoe gu poch gestimmt, ©ie
hielt §errn Roeren für einen in iprem ©inne fünftlerifcp gebilbeten
Rienfcpen unb meinte, peroftratifeper ©apnfinn pabe ben g'emaltigen
Digitized by v^.ooQle
190
Die ftegenroart.
Nr. 12.
©treiter geteuft, eS gelüftc ipn naep bem Wuprne, bie grau Don TOilo
neuerbingS unter ©cputt unb Krümmern zu Dergraben. ©o fuepte fte benn
ihm unb feinem ©efolge gut jujureben, in ber Hoffnung, bah er Vernunft
annehmen unb bie kniee mieber Dor ber fußen §errin beugen merbe. Aber
lange fepon ftßt fein Auguft SReic^en^pcrger mehr im WeicpStage. 3?uel
Welten ftepen ftep gegenüber, bie nichts Doneinanber miffen, unb wenn
auch in beiben Sägern Don kunft gefbrodjen mirb, jo Derbinben boep 23eibe
i irunbDerjcpiebene begriffe mit bem Worte. £>err SRoeren unb bie ©einen
tnb gar nicht fähig» ben ©ebanlengängen fepaffenber Gönner zu folgen.
Wie pat fte ©trupel ober Steife! über Me Entftepung eines kunft*
merfeS geplagt, nie ift ihnen bie Erleuchtung aufgegangen, baß alle
lebenbige kunft auS ben ©innen fommt, unbefruchtete $pantafie aber
Unfrucptbarfeit bebeutet. ©ie glauben eben an bie ©cpößferfraft ber
Wetorte. Stamm ift eS unreept, ben Woeren ihr punnijcpeS, hoch teineS*
megS böSmilligeS ©ßiepertpum übel zu nehmen, ©ie Derbienen Ver*
eipung, benn fte miffen nicht, maS fie thun. SWan foü fte nicht fcpelten,
o menig mie man fte aufeutlären Derfucpen fotl. Sieber einem Vlinben
bie garben beS WegenbogenS fchilbern ober einem tauben $apua in
mohlgeorbneter Webe §amlet'S räthfelreichen Eparafter unb feine Ve=
Ziepungen ju Ophelia barfteHen. Von melcpetn ©tanbpunfte auS $Hegie=
rung unb WeicpStag bie kunft betrachten, unb maS fie unter £>ebung
ber ©ittlicpfeit Derftehen, baS hat bie erfepütternbe komif beS Eomßro*
miffeS gezeigt, meines #err Wieberbing mit ben Vertretern ber Wtepr*
heit abjcploß. Sunt San! für ihre bereitmiöige Opferung beS Arbeit*
gcber=^aragraphen brachte er ihnen ben SheaterParagraphen auf bem
Vräfentirtefier entgegen, ©eßen mir nun ben aüerbingS fehr unmapr=
fcheinlichen gaü, bah einem fünftigen ©hafefpeare, §ebbel ober ©oetpe
gelingt, feine ©tücfe auf bie Vüpne zu bringen, fo mürbe er erbarmungS*
loS bem nächften beften Woeren Derfalleit unb mit ©efängnip gebüpt
merben. Senn bie btepterifepe Vepanblung beS erotifchen Problems, beS
gepeimnipbollften unb erpabenften zwar, ift geeignet, baS ©djamgefüpl
irgenb einer zur Vetfcpmefter perangereiften horizontalen gröblich zu Der*
Ießen. Unb baS bebroht bie Don kücpenlateinern auf ben Warnen eines
Derfommenen ©trolcheS getaufte gupälterbilt mit kerferpaft. Unbeftraft
Iäftt fte bafür ben lieben SanbeSbraucp, meibliche Arbeiterinnen bttrd)
Vebropung mit Entlaffung, burch taufenb ©djifanen unb köberungen
um ihre Ehre z u bringen. Sie meprlofe Vroletariertn gilt auch weiter*
hin als greimilb, ift auch meiterhin ben ©elüften jebeS Vrobperrn ßreiS*
gegeben, ber bie Vorzüge eines billigen |mremS zu ichäpen meip. Unb
barin erblicft bie neue lex feine Unfittlichfeit, menigftenS feine ftrafbare.
©olchent ©cheufal gegenüber ift baS Sadjen bie einzige Waffe.
Wian ermeift ihm zu Diel Ehre, menn man eS ernft nimmt, ©djaöenbe
hetterfeit aller gMtgenoffen muh unb mirb biefe in Paragraphen ab*
geteilte Warretet begraben, ©ie mag ©efeß merben, unb ich halte eS
faft für münfcpenSmertp, bah ft* ©efeß wirb. kennzeichnet fie boep mit
araufamer ©djärfe bie geiftige £öpe ber beutfepen ©taatSmänner unb
Politifer im officieHen zwanztgften gaprpunbert. Wirtlidje ©efeßeSmacpt
unb ©tltigtett aber mirb fte nie gemittnen, fie mirb Dielmehr im Winfel
Dermobem mie anbere juriftifepe ©tilübungen. Unb zu bebauern bleibt
im gntereffe ber kunft nur, bah fich unter benen, bie ben barbarifchen
Angriff abmehrten, fo Diele beS SacpenS unDermögenbe Wtänner fanben.
Einige fapen beinahe fo pebantifcp Derpußelt auS mie bie Angreifer.
Unfere liebe grau Don üttilo, bie, mie alle ©ötttnnen, ben überlegenen
grohfinn liebt, hat gemih ein biSdjen fßötttjcp bie Achfeln gezueft, als
£>err ©ubermann in Verlin freiftnnige Vierbanfpptafen in feine ©ar*
faSmen mengte unb £err Vemftein in WJüncpen bie pübfcpe ©elegen*
heit benupte, um auep gleich an ber „lex“ AronS, bem gaHe Weingart,
ber agrarifepen Vegepriicpfeit unb maS fonft noch moplfeile WedjtSan*
maltSfritif zu üben. 2Sie barf man eS ben PhWftern oerargen, bah fte
SebenSfragen ber kunft für politifcpe Angelegenheiten auSgeben, menn bie
Wortführer ber künftler ebenfalls in Vöotien geboren ftnb?
Star ®ah gegen bie ©cpönpeit unb bie Weigung, neben anberen
englifcpen 9Äobeartifeln auep ben cant nach Stautfdjlanb zu importiren,
pat itnS bie lex £etnze-9ftoeren befepeert. Wie tugenbpaft fie audh baper-
propt — im lepten ©runbe jittb ipre Paragraphen niept minber fcpmacp=
Dolle Pornographie als bie Auslagen in Den Don JJung unb Alt um=
lagerten Verliner 9foeren=kunftlciben. ©ie Veibe fepen bie, ©cpötthelt
beS WeibeS unb bie heilige Wfpftif ber Siebe mit unreinen Augen an, unb
fie Veibe befubeln baS meifje Vilb ber ernften ©öttin. ©ie Veibe Der^
leßen fo bie Würbe ber kunft mie bie ber grau, gm körper beS WeibeS
niept mie gauft ben gnbegriff Don allen Fimmeln, fonbern ein ©efäh
rafcp Derraucpenber finnlicper Suft z u fepen, ift orientalifcpeS, niept
beutfcpeS Empfinben. Ob man eS burep ©cpmierliteratur unb ©epanbs
ppotograppien unreifen Vurfcpett beizubringen traeptet, ober ob man bie
Augen peucplerifcp Dor ber reinen Wadtpeit nieberfeplägt unb nach Seib=
binbe unb Unterrocf fepreit, baS bleibt fiep gleicp. S>ie ©runbftimmung
ift hier mie bort biefelbe, hl*^ tüie bort fepänbet man ben Sempel. ©o
meit man ipn zu fepänben Dermag. Unfere liebe grau läcpelt freilid)
immer mttleibSDott bei folcpen Verfucpen. Caliban.
Drawatifdie ^wffü^tungen.
„Wenn mir Stabten ermaepen." Ein bramatijeper Epilog in brei
Acten Don £enrif gbfen. (SeutfcpeS Speater.) — „Sie Socpter
beS EraSmuS." ©epaufpiel in Dier Acten Don Ernft D. Wilben^
b r u cp. (kgl. ©(paufpielpauS.) — E r m e t e W o D e 11 i tm SeffingrSpeater.
ES pat lange gebauert, epe bie Verliner Apoftel beS norbifepen
WtaguS ipre boep fepon feit Monaten fertig geteilten Eommentare, Er=
fäuterungen unb Seutungen feines „Srantatifcpen Epilogs" in Srud
gepen laffen unb ber anbacptDoH laufepenben Welt Derfünben fonnten.
Ser gefcpäftSfüple §err Vrapnt Derfpracp mit Wecpt menig Don ber
Speatermirfung beS ©tiideS, unb ba er eS ©epanben halber geben muhte,
aud) niept gleicp naep ber zweiten Aufführung für alle gelt Dom ©piel=
plan abfeßen burfte — bergleicpen ift nur gegenüber bem füllen unb
meprlofen |>albe erlaubt — fo Derzögerte er bie ^remi^re meniaftenS
biS Witte 2Rärz- Anbere beutfepe ©täbte, „Vumfe" in ber Deracpteten
VroDinz, patten bie befcpmerlicpe Sicptung „Wenn mir Sobten ermaepen"
längft übermunben unb Dergeffen, als bie Speaterpauptftabt ber $res
miere noep ängftlicp entgegen parrte. Wäre niept um Weihnachten baS
Vucp (bei ©. gifeper, Verlin) erjepienen, fo patten mir unS Dieüeicpt
auf ungeahnte ©enüffe gefpißt, unb bie Enttäufcpung märe Diefleicpt Der*
pängnihDoll gemorben. AnbererfeitS trägt freilich biefe gut auSgeftattete
VucpauSgabe bie ©cpulb baran, bah mir gleicp am Wcorgen nach ber
Vremiere mit eßenlangen Auffaß41ngepeuern beglürft mürben, bie fämmt*
liepe Wätpfel unb ©epeimniffe beS angeblich an folcpen Singen fo reichen
Wertes fpielenb lüften. Vei allem Wefpect Dor ber ©cpuellarbeit unb
bem Ueberfcparffinn unferer Witternäcptigen — hätten fte ben brama--
tifepen Epilog nid)t fepon brei Wlonate Dorper fdjmarz auf meih nad»
$aufe getragen, fo märe ihnen baffelbe SRüplrab mie bem parmlofen
unb uneingemeipten Vublicuni im köpfe herumgegangen.
gbfen’S leßteS Wert leipt Dom Srama nur noep bie gorm beS
SialogS. ©eine Wtenfd^en reben, reben unaufhörlich über fiep felbft, ifjre
Eigenf^aften, Witnfcpe unb ©ebanfen, aber fie bleiben im Webel fieden,
ungreifbare ©efpenfter. Sa ift feine Entmicfelung ber Eparaftere, unb
bie äußeren Vegebenpeiten begleitet feine innere. Alle Sangemeile eines
WegentageS am gjorb liegt auf ber Arbeit. Von ber gbfcn’fcpen ©e*
ftaltungSfraft, bie in engen Wapmen eingefpannte Eonflicte rafcp ju
uniDerfeüer Vebeutung ermeiterte unb auS flein fpiehbürgerlicpen Ver*
pältniffen heraus gernblicfe Don bezmingenber ©röpe eröffnte, ebenfo
Don feiner teepnifepen ©emanbtpcit ift pier nur menig noep zu fpüren.
Siefer blaffe, blutlofe Vrofeffor, bem bie pope kunft alle SebenSfraft
auS ben Abern gefogen pat, fpiegelt feine Wirflicpfeit mieber, bleibt ein
müpfam auSgetlügelteS Abftractum biS zum ©epluffe. gn noep grauerem
Sämmer unb Sunft gept grene bapin, bie marmorfepöne ©enoffin feiner
gugenb, bie naep bem Willen beS SicpterS mit ipm Dom Sobe erroacht,
in Wahrheit aber fein lebenbigeS Wort fagt. ©ie Veibe ftnb $uppen,
in beten Warnen gbjen fpriept, opne babei auf bie Vefleibung unb S3e=
ftimmung feiner puppen metfiiepe Witdftcpt zu nepmen. Sie Eontraft=
figuren, grau Wtaja in ihrer jugenblicpen ©enupfreubigfeit unb ber
bärenjagenbe Walbmenfcp, ftnb ebenfo menig finnenfäüig mie baS Der=
geiftigte auferftanbene $aar. Weber bie ©efepiefe nodj bie Entppn=
bungen biejer ©epemen meden irgenb melcpe Speitnapme. ©leicpgiltig
folgen mir iprent ppantaftifcp mirren Wege, unb menn unS bei bem
Wortgeplätfcper niept bie Augen zufallen, bann Derbanfen mir baS nur
ber Hoffnung, in beut mefenlofen, aller SebenSmöglicpfeit baren ßpuS
boep noch irgenb einen Derborgenen ©inn zu entbeden, jene föftlicpe tiefe
Wlpftif, Don ber man unS feit einem halben gapre erzählt pat. ©epabe,
bah toon punbert Derziidt tpuenben ©cpmärmern auep niept einer pin-
reicpenbeS Verftänbnip für gbfen zu befißen fdjeint, bap man un§ biS*
per meber bie befottberen biditerifepen Vorzüge unb Weize biefer gebrep*
liepen ©reifenfunft, noch bie tieffinnige Vrucpt iprer ©ebanfen*3Rpfterien
Zu meifen Dermoepte.
•t>err ^rofeffor Amolb Wubef pat in jungen gapren ein föftlupeS
Wfobeü befeffen, nach beren Vilbe er in lobernbem gbealiSmuS unb
©cpaffenSbrang fein berüpmteS Vilbmerf „AuferftepungStag" gefepaffeu
pat. Ser künftler in ipm töbtete ben Wfatin, unb fo fap er niept, ww
grene fiep naep ipm oerzeprte, mie peip fte münfepte, bap er auep tpre
©eele an feitte Vruft reihe, naepbem fte ipnt bie püHenlofe ©(pönpeit
ipre SeibeS für fein Werf gefepenft patte, ©tatt beffen erklärte er ipr
in berfelben Minute, mo er ipr für ipre felbftlofe Eingabe banfte, m
fte ipm nur eine Eßifobe gemefen fei. grene Derliep ipn barauf. Sa»
©aitenfpiel ipreS £erzcnS mar z^fptungen, unb ipren burep Amolb S
Sieblofigteit entmeipten Seib ftellte fie jeßt in Vartdt^S taufenb
lüfternen Wtänneraugen zur ©epau, ©ßäter peiratpete fie auep, warb
Wittme unb peiratpete mieber, maepte aber in ber Epe ipre TOnner uttb
fiep felbft tief ungliidlid). Amolb Wubef erging eS niept Diel beffer als
ipr. ©ein „AuferftepungStag", ber ipn mit einem ©cplage meltberuljint
ntaepte, mar fein leßteS gropeS kunftmet!. Von ba an bofielte er nur
noep ^orträtbüften, bie er fiep mit ©olb aufmiegen liep unb in benen
er fiep zugleich über bie Vefteller luftig tuaepte. Um baS Safein ju ge?
niepen, napm er ein junges Weib — unb manbte fiep gelangtoeill m
ipr ab. ©ein können erlofcp, unb fein Seben mar Derßfufcpt. gu tiefer
©timmung begegnet er grenen, bie mittlermeile zu allem Elenb aud?
noep irrftnnig gemorben ift. Wäprenb feine robufte grau mit bem
furiofen Walbmenfcpen, in bem gbfen bie brutale SebenSfraft Derfor|>em
Digitized by v^.ooQle
Nr. 12.
Sie ftegettmari
191
will, auf bie Serge ftetgt, um Sären zu jagen, ergeben fiel) Hrnolb unb
3rene in breit auSlabenben Q5cfpräd>en. HuS ber Wollen ©rfenntnife ihTeS
UnglüdS blüht ihnen neues Seben auf, aber bieS Seben ift nicht mehr
zeugungsfähig. 28aS fie üor 3ahren oerfdjmähten, erfd)liefjt ihnen feine
Schönheiten nur in ©ebanfen. Huf ber fonnigen $öhe, über ben Gebellt
wollen fie 4>odueit feiern — unb baS Srautbett ift bodj ihr Sterbelager.
Unb fo gehen fie brnn erhobenen Hauptes bern £obe entgegen, fte, bie
5 « leben nicht Oerftanben hoben, Huf ber Sergfahrt, bte fie felbanber
antTeten, begegnen fte tfrau SJtaja unb ihrem Säreujäger. ©>ie beiben
fröhlichen unb ©efunben ziehen zu $l)al, wob währenb oben eine nieber«
bonnewtbe Samine ben Äünftler unb fein Sbeal begräbt, hört man oon
unten herauf SDtaja’S jauchzenben ©efang: „3d) bin frei wie ein Sogei
— bin frei!"
©in feltfam ftarrer Stil leiht bem SSerf gutiäc^ft geheimnijjootten
Steiz; nian fohlt fid) an bie ©ranitcoloffe ber alten ©gppter erinnert,
beren fteife, ftrenge unb fcplichte Stnienführung burd) bie $ärte beS
SKaterialS bebingt mar. Salb jeboch ermeift fich bei Qbfen bie ernfte
SewegungSlofigfeit als Seblofigfeit. Sticht ber Stein ift fo hört, fon«
bern ber Steigel beS SilbnerS Oerfagt. Schmerfällig erfchltejjen fich
bie Scenen, ohne unS bie SWenfdjen zo evfchltefjen, in breiten SBteber«
holungen wirb bie Qbee nicht heüer unb üielgeftaltiger. Stande 3 öge,
fo baS Spiel 3renen T S mit ihrem Solche, mirfen wie humoriftifche Xheaterei,
roie Sarobien. SBaS 3öfen fagen unb prebtgen miH, ift Mar trop beS
betäuben ben $Bortretd)thumS unb trop feiner leibigen Neigung, ben ©e«
hänfen in immer neue 8 d)leier einzufpinnen, immer neue Serfiedfpiele
ZU erftnnen. Stupe bein Seben, ruft er, Oetgeube bein SefteS nicht um
eines noch fo fd)immernben ShantomS mitten! 0b ber bramatifche
©pilog gleichzeitig eine Selbftanflage unb SelbfiOerhöhnung ift — mer
weifj eS unb maS hätte bie ihatfaafe mit ber Seurifjeilung beS Wertes
ZU thun? Sein bidjterijcher SBerth ftiege um feinen 3°Ö/ wenn öaS
Iarmorpante ©ejammer ber ©ingeweihten unb $iefgrünbigen berechtigt
märe. SBaS 3M^n auch für göttliche ober philiftröfe Wahrheiten in feiner
Schöpfung offenbart, maS immer er an Unoerftänblichfeiten hinein ge«
heimnipt hat — biefe SBahrheiten, biefe ©eheimniffe unb Unoerftänb«
lichfeiten hoben an fich mit ber fhinft nichts zo tl)un. $)ev frampfhafte
©rübler, ben ber Hlte zulept fclber fchatteub auSfacht, mag, menn er bie
taufenbfte Deutung gefunben hot, arme unmeife $htnftfrcunbe bentitleiben,
bie gar feine mtjfiifche Auslegung fanben, meil fte gar feine fuepten.
5)od) baS SJtitleib ift gegenfeitig. ©iebt eS ©rbarntungSwürbigereS als
bie Strapazen beS armen X^iereS auf bürrer $aibe, baS ein böfer ©eift
im Greife herumführt? —
©in attbereS Silb. Sei ©rnft 0 . SBitbenbruch oermutbet Stiemanb
Oerftedten ©ebanfenbalfaft, unb bie ©ebärmebefchauer bleiben ihnt nafe«
rümpfeitb fern. Sropbem erhebt er, einen anberen Hufftieg benupenb
unb mit anberen Steigeifen auSgerüftet, bie Sbantafie zo benfelben
freien £>öben, auf benen Sbfen'S fehnfüchtiger Slid ruht.
$>er märfifche dichter ift nach otterlet nicht immer furzmeiligen
Sdjroanfungen zo feiner erften Siebe zurüefgefehrt. SJtit bem fidteren
Slicfe, ber ihn bei ber SBalji feiner Stoffe üon jeher auSzeichnete, hot er
mieber in'S ooHe SJtenfcpen« unb ©eifteSleben ber Sergangenheit hinein«
gegriffen unb ein htftortfcheS ©)ranta auf bie Seine geftettt, baS an
oielen Stetten paeft unb ergreift, faft immer intereffiert unb nur ba, wo
bie ^hcatralif fich zo breift hrroorbrängt ober bie pfpchologifcpe Segrün«
bung zu merföar Oerfagt, an ben Urheber ber böfen „©emitternad)t" erinnert.
Ulrich Oon Jütten, bie 3dt, mo bie SBiffenfdjaften blühten, bie ©eifter
erwachten unb eS eine Suft mar, zo leben — (jd&t eS nicht, oon oorn*
herein bie Schlacht gewonnen hoben, menn ber Frühling auf bie Sühne
gebracht wirb, noch bagit Oon 3*manbem, ber baS SathoS beS ffrüh=
lingSfturmeS hot? ©)em jungfrohen Schlagetobt unb geuerfopf, ben
SBilbenbrttch ba Oor unS herumwettern lieh, flogen mit eins alle Kerzen
ZU, unb man überfah gern bie leife, unfreiwillige fomif, bie ihm zu«
weilen unterem 29amS perOorgudte. §ier mar mieber einmal ein ©elb,
ein ganzer $etl, ein freier SJtenfd) unb eine bornehme Seele, hier hört
man mieber einmal fomttäglicpe ©ebanfen in fchöner, bilberreicher
Sprache. SJtag fein, manches Hang hohl onb über mandje tttiffe half
unS nur ein £ejenmeifier:$unftftücfcben ^ nn)e g _ lut ^ bennoch er^
frifchte baS Schaufpiel mie ein wohliges Sab im Scrgfee. 9llfo ift eS
noch möglich, ein mirffameS 3)rama zö fchreiben, baS nid)t nach <5auer*
fohl riecht, unb Sühnengeftalten, bie ein grammatifd) richtiges $>eutfd)
fprechen, gefallen unS noch! 3ot Schaufpielhaufe fchien eS fo. Obgleich
ber dichter nicht zugegen fein fonnte, bröhnte ber Seifatt nad) jebem
Siete loS, einmal fogar mit elementarer ©emalt, unb SeifaQSftürme
brauften mieberholt in bie Scene hinein. Sogar fehr fchmächliche unb,
Wegen ber 9Zähe beS 9lctfchluffeS, gefährliche Stetten thaten feinen
Schaben; auch öer zwar in mancher Seziehung munberfeine, aber allzu
locfer gefugte lepte Hufzug beeinträchtigte bie Oortrefflidje 58irfung ber
oorhergegangenen ganz onb gar nicht.
&em mohlgemuthen ®ichterjüngliug §utten, ber nach GrfenntniS
ringt, mie ein lobernber Sranb nach neuer Nahrung, bem Sermegenen,
ber Seben unb irbifdjeS ©lücf in bie Schanze fdjlägt ber erfannteit
®ahrh c it Z u Siebe, ift effeetbott ber bebachtfam egoiftifdje, geiftreiche unb
feine Äopf ©raSmuS gegenübergeftettt, beffen ©elehrten^Gitelfeit bie neue
3bee befämpft um ihres SrägerS mitten. 9Rit einbringlicher Äraft hot
SBilbenbrud) biefe ©egenfäpe auSgemalt, unb feine leuchtenben gorben
ergeben ein Silb, baS faft zu plaftifdj auS bem tttahmen heraustritt.
$enn bie ^auptfache fott ja eigentlich bie 3Rär bon ©raSmuS' Pächters
lein fein, ber ftolzen 3Raib, bie im jahrelangen bertrauten unb auS*
jchlieplichen Umgänge mit bem weltberühmten Sater falt unb herzlos,
hochmütig geworben ift mie er. Ulrich bon $utten aber fprengt ben
ttfing, mit bem fie ihr junges £>erz umgürtet hat, unb ein glammen=
ftrom bricht unterem ©ife herbor. Seiber feffelt Marias ^erzenSgefchichte
immer nur infofern, als fte unzertrennlich mit bem Sdjidfal ihres
SatevS unb ihres ©eliebten berbunben ift. gür fid) allein betrachtet,
giebt unS bie |>elbin wenig. 3Bie ©raSmuS an ber eigenen fühlen
£ärte fcheiiert, mie er fid) fnirfdjenb bem fiegreidjen ttRöndje bon ^Bitten«
berg beugen inufc, er, bie Seudjte feines 3ohrhonbertS, ber Äönig
beutfeher Wiffenfchaft, baS nimmt baS ©auptintereffe beS HbenbS in Hn^
fprud). Hber eS ntup anerfannt werben, ba& bie Silber neben ihm
nicht böflig im 2 )unft berfdjwimmen unb in ihrer ©efammtheit bie Sorben«
praept beS SBerfeß erhöhen. $ur einzelne Scenen, mo ber ©ouliffen«
bonnerer 3BiIbenbruch ben dichter über ben Raufen Tennt, ftören unb
mirfen frafj bilettantenhaft, fo bie zmecfloS eingefchobene 9Rorb«Xragöbie,
in beren SRittelpunft ber finfiere Hlba unb 5)on Söoacio ftehen, feiner
2üde unglücflicheS Opfer. 3ot übrigen aber forgt fchon ber pradjttootte
^intergrunb, bte mit lebenbiger Hnfdjaulidjfeit unb Klarheit mieber«
gegebene frohlodenbe Suft beS jungen ttteformationSraufcheS für eine
höhere, fünftlerifdie ©inheit ber Stimmung. ttRan bergipt allen Sombaft,
ber ftdb in ben ©den anhöuft, unb alle gelegentliche ttRäpchenmacberei
batüber; man ad)tet gar nidjt auf bie hoch beutlichen Spuren mühe«
notier $Jebarbeit, bie fich häupg genug z c l 9 e o, fonbern burdpebt bie
herrliche Semeguttg mit erfrifdjten Sinnen an ber $anb beS Soden.
Unb mer baS über unS oermag, ber Oermag fchon etwas.
©S ift bem nad) SRofft’S unb Saloini'S 3:obe größten itatienifchen
Sdjaufpieler S^obelli in Serlin nicht olel beffer gegangen, als Oor
3 ahr unb 2 ^ag bem göfenfpieler Socconi. ©r hot, wie bie Xljeaterleute
fagen, „nichts gemacht", menigftenS gefd)äftlich nichts. S)aS zohleobe
Sublicunt, baS atterbingS nur noch fdjmer in T S Sefftngtheater zu loden
ift, blieb beinah ofientatio fern, unb fo niupte bie ntd)t unbeträchtliche
italienifche ©olonie, bie fich Hbenb für Hbettb in fchönent lattbSmann«
fchaftlidjen ©ifer einftettte, menigftenS einen äußeren ©rfolg ntarfiren,
welcher Hufgabe fie mit füblicber Segeifterung unb Sungenfraft gerecht
mürbe. Huch bie Serliner ©ottegen, bie gerabe „nicht zu thun" hotten,
fanben fid) ein, um bem berühmten ©aft eine Nuance ober ein 2 Räpd)en
abzuauden. Ob fie auf ihre Soften gefommen pnb? Schwerlich, beim
baS Sefte Ooit SRooeßi'S ^unft Iäpt ftch nicht naebntadjen. H3eber feine
tiefe Soiterlichfeit, nod) feine Sielfeitigfeit, nod) feine phänomenale Sechnif.
SefoitberS nicht baS SroteuSljafte einer Äunft, bie in allen Stilen zu
£aufe ift, im Xragifdjen mie im Slomifdjen, als ©harafterfpieler, Son«
Oioant unb $omifer. SBir hoben auf ber beutfehen Sühne fein oer«
manbteS Xalent. ^aafe'S Shplod unb Hamlet ftanben an fünftlerifcper
ßraft bod) hioter feinen ©edenrotten zurüd, noch meittr als etwa Sonnen*
thafS SBattenftein hioter feinen Sauemfelb«$hpen. Hu^mßainzenS
fomifchcr Serfudj int „Sumpazi SagabunbnS" fonnte nur mm einer
interefprten ©Iique als eine humoriftifche Offenbarung auSpofaunt werben.
§Öd)ftenS3Rittermurzerfd)öpfte auS heterogenen ©horatteren mieSRicharblll.
unb Solz baS Xieffte unb Septe heraus, mar aber mehr blofj intereffant
unb oirtuoS, als eigentlich überzeuaenb. 9iur ©incr ift mit Sfooetti zu
Oergleichen unb int $omifd)en unb xragtfchen ihm ebenbürtig: ©oquelin.
Seihe fmb geniale tttealiften, muitberbar natürliche Sprecher, in jeber
SRoffe Hitbere, babei im Heuperen Oon ber Statur gleich ftiefmütterltch
behanbelt: 9?ooetti mit feinem breiten, plumpen SonntagSfomifergeficht,
©oquelin mit feiner impertinenten Stumpfnafe. Unb Seihe fteden fchon
bebenflidj tief im Sirtuofen« unb ©aftfptelerthum. Huch ber ttfefpect
oor bem dichter unb feinem SBerf ift in ^oOetti nicht Oiel lebhafter, als
in bem ffranzofen. ©r fieht zuerft unb zulept nur feine ttlotte, bie er
atterbingS bis in’S Äleinfte forgfältig anlegt unb charafterlftifd) ge«
ftaltet. 5BeId)e Soppenfomöbie — üon feiner $aupt« unb ©lanzrotte
abgefehen — wirb auS bem „Kaufmann Oon Senebig!" Unb babei ift
feine Gruppe mefentlich beffer, als eS bie Oon IRofft, Saloini, 3occoni
unb ber ©)ufe jemals waren. Hber HtteS wirb hoch nur auf feine Stolle
Zurecht gefchnitten, ber fünfte Hct fällt auS, Sorzia fontmt faft nur in
her ©erid)l§)cene zu HJort, — eine Sarbarei, womit unS auch bie
rührenbe unb padenbe ©harafterbarftettung beS Sbtjlod nicht z u Oer«
föhnen Oermag. Sftit theatralifchen ©abaoem aber mie Stichel Sirrin
unb Submig XI. (oon S)elaOigne) auf Steifen z u geh^o, fottte ben
SBanberoirtuofen ejtra oerboten ober oerefelt werben. 3 Bie ©oquelin
giebt Stooetti im ftomifchen fern |>öchfteS unb geinfteS, unb mie ber
Sarifer, fo ejeettirt ber Stömer auch im berebten Schweigen ber Santo«
mime unb im intimen Slouberhumor beS monologue. ©)a ift er er«
freulidj, übermältigenb unb mirHich grob. SBie oerjüngte er ba ben alten
SlautuS unb feinen unter claffifcpem Schulftaub haushoch üerfchütteten
„©olbtopf!" i)a flofe ein lebenbiger Strom antifer Äunfttrabition burch
bie ganze ©)arftettung, unb unbänbige altrömifdje vis comica fprach auS
bem unfterblichen ©haraftertppuS beS ©eizigen. Stoch mehr er felbft
unb unoergleicplich mar StoOettt als ©olbonifpieler. II Burbero bene-
fico, baS bramatifche Urbilb zohllofer gutmüthiger Stauhbelne unb ®auS«
tprannen mit bem berühmten golbenen Kerzen, trat unS h^r in natio«
naler Urfprünglichleit unb emigfrifcher Sbrnif entgegen.
Digitized by v^. ooQie
Die ®egentti(iri
192
Nr. I§.
jlngei gen.
Sei BefMhmgen berufe nun fld( auf btt
„Be ge nro arf* *.
«fob. ge6. Sdjriftfletter, bt8lj. tmblicift.
(fiter, firltif) in Berlin tljätig, energ. geroiffen*
gaftt «rbeitsfraft, borj. Spracfjfeitntmffe (tran=
jöfiftb engfifdi), >erfetter ettttografb,
BeraittenMnUer (§atitmonb), fudit »nt.
brftf). «nfbr. in fRcbattion, 2f)caterfefretariat,
®erl.5©iut)t|blg., Uterar. 3nfttt. ;c. ©teaung.
Offert, an b. fefp. b. ©egemoart unt. A. (J.
3nt Berlage bon Jmfcerg tt. Ceffett in
Berlin ift etfcf)ienen:
2>et S'orffdjulje.
Komööie in vier Elften
„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitsenoheinnngen. J
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch'
Ton minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von */ 4 1 75 Pf. in !
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr. Carbach & Cie.
ffafrn, Dr. eb.. Die Wirtschaft der Welt am flw-
gaitfle des xix. Jahrhunderts.
einige« pofitiren Porfdjlcüjen. Cey.- 8 °. brofcb. 5 ttt. 50 pf.;
fein in Ceinwant» get>. 7 m.
hon
Statt »tlfc*
$rei$: elegant brofdjirt 2
SBon bemfelben 33erfaffer ftitb erfreuen:
Dramatifche $umore*fen (©erlitt, Smberg
u. fieffott), brofd). 2 9ttf. 3nbalt: Stteitt
3J?ann fdjreibt Xragöbiett. — 38er ift ber
©errätl)er. — ©ublifuä unb [eine ©enoanbtetr,
£tftorlcostfomöbte.
Der Jutenbant in taufeub nöthen.
©offe (©erlitt, 3 .3t. ©targarbt), brofd). 2 W.
iBcmorrha’s fnbe. Sitterarifdje Äomöbie
(©erlitt, 3- ©targarbt), brofd). 1,50 m.
(Ein toller IZag. fiitterarifdje ©offe (Berlin,
3- 31. ©targarbt), brofdj. 2 2Rf.
Ztnno 5w^aufenb. ^3offe (©tuttgart, Union
$>cutfd)e ©erlagSgefellfdjaft), bro$. 2 Stff.
Der $ürfi t>cn Xaiatea. ©offe (©tuttgart,
Union 3)eutfcbe ©erlagSgefeflfdjaft), brofdj.
2 2Rf.
$>ic herftdjenbe« DHh’fdjeit $tmore$fen
bilben mefentlidjen gottfd)ritt in ber
@ntmi lär ig ber bentfeben ßomöbie, inbem fie
in gerou.ßiefter ©pradje bie oielfadjett fomlfdjeit
üRotiüe, weidje unfre Qtit auf litterarifdjem,
focialem unb politifdjem ©ebiete barbietet,
glücfltdj öenoertben.
■nifiuiMk—i
ITeclmikiimJlmeiuiQl
NfthM- ml Min- I
-Takalk« ■.-VtrkmiiterJ
jrgetw hitm. I
#unbert Original * (Du tagten
o. ftreunb u. fjreinb: ©jörnfoit
©ranbeS ©fidjnet ffrtspi ©aljn
Staubet ®ßtbb Soutane ©rotfj
$aecfet #artmann $e#fe Sot*
bau Äibtinß ßeoncabaflp Sin*
bau ßombrofo 2 Refätf<fierMt
Itstpf f Wigra Vorbau OUtoter fetten«
♦*♦**•* lofet ©aitsüur^ ©tenfieioicj
©imoit ©peitcer Spieltagen
[#IS#r ft#tii#BiSf#B ©tanlep ©toeder ©trtnbbera
|niil O^U|(R9|flR. ©uttner 9 BÜbenörut$ C&emer
ßoia u. b. Ä. "
üieg. geb. 2 SWf. bom herlag ber €«fl#mrar t,
Berlin W. 67.
Pisüttvib
im
.... „Jebe geile bes Derfaffers befunbet it)ren Urfprung aus Iebenbiger / bem tjanbelnbm Cebeit $sgt<
wanbtec Cmpfinbung unb aus bem 9«rfen Drange, ber IHen fct?t?eit bar cf? bie lluftoeifung bes rechten n>infd?aftii4e«
tOeges praftifd?en Hu^eu 3 U fc^affen. Die gielt bes Derfaffers befd?ränfen fief? uid?t auf bie tagespolitif ots
uereinieite f ie finb pielmefrr nmfaffenbftet Urt unb roollen ber gefamtew gufunftso
en t tr>i cf [ an g bes OTenTfre ngei d>Ied?is bie Babn meifen. Daft ein berartiges &n5j bas
ber metteßen Greife ju feffeln tm^anbe tfi, liegt auf ber Qanb; es ffl feine <ßelel?rtenfcf}rift, fonbern flr
bie <Sefamtf?eit ber (Sebilbeten beflintmt. Der Derfaffer f?ot fd?on mand?e mertooHe ©aben bargrboteu
snb oielfacf? neuen Ieitenben 3 becn öai?n gebrocf?en / fo ba§ man auef? von bem oorliegenbrm IDerfe ^ocbgefpannB
©rwartungen barf. Durd? bie Ceftflre aber wirb bie J3ered?ligung fo!d;er ©Wartungen/ wie wir uns jaet*
ßd?uid? 3 U bef?acpten geirauen, au^er allen gweifef gefegt." I?. p.
Dorftcttcn^e 2tu5fü(trun^en aus fcetannter, berufener $cbcv, d?araf-
terifieren treffUd> 5en 3ntjalt 5es tDerfes unb entheben uns feber (Empfehlung.
3u belieben burd> aüe DuchhunMungen unb bei vorheriger (Einfenbung bes
Detrags portofrei von (Earl tDinter’s Unu>erfitdtsbuchhunblung in Qeibelberg.
S)ie Segentoart 1872-1892.
Um nnfet Saget $u tänmtn, Heien mit unfeeen Blonnenten eine gfinßige
©elegentieit gut VetüoUftSnbignng bet Collection. 60 meit bet Sottaib teilet,
liefern mir bie 3afyrgüngt 1872*—189Ä h 6 SR. (fhrtt 18 W.>, ^al b jabt»
Sänbc k 3 SR. (ftatt 9 SR.). (Sebnnbtne ^a^tgänge k 8 SR.
©erlag ber (Degentaart in ©erlin W, 57.
5>as JWdinen na«^ $x>ps
unb
attbere ^uttllfrageit.
Driainalsöutadjten ßon 2tb. Htettjel, Hein-
3egös, Böctlin, U. t>. Werner,
Knaus, Uttbe, Stud, Sdjitting,
Scraper, (L t». ®et)f[arbt, ^erb. Heller,
Vefregger, ®at>riel Uta;, tC^oma,
Ciebersnann, Wilb. Büfett, $Uger, ®r«f
^«rra<*?, Ulay Hrnfe, Hnllle, Ceffer*
Ury, Oeepler, pedjt, Hueljl, Cedfter,
3 ägel, parlagbi, Utactenfen, Sfarbina,
Ceiftitow, ®aul!e, plinfe, Sta^l.
Sfrei* bfefet brei ^ängrer-Hummern ber
„Gegenwart“ 1 ?R. 50
«uef; birect t>on un8 ju bejletjen nad) Brief»
jnarlen=©infenbung.
Verlag ber Gegenwart, Berlin W. 57.
Jiswitdi# ftndifnlser.
9 lomatt
oon
^cop^tC ^oCCittg.
MT OelSaufgabe. *WS
$rei§ 3 3 Rarf. ©c^ön gebunben 4 3 Äarf.
tiefer SBiSmarcf=( 5 abttt)is 9 ioman r ber in
menigen fahren fünf ftarfe 3 tuflagen erlebt,
erfdjehtt ^ier in einer um bie ©alfte billigeren
93 olf 8 au 8 gabe.
S)urdj alle 33 ud)§aitblungen ober gegen ©n*
fenbung bed Öetrag 4 poftfreie SuNtomg t»m
Uerlag «er «egeivart,
Söerlin W. 57 .
Bestellungen auf die
©inbanbbeefe
zum 56. Bande der „Gegönwart“, sowie
zu den früheren Bänden oder Jahrgängen (letztere zwei Bände
in einem), elegant in Leinwand mit blinder und vergoldeter
Pressung zum Preise von ä 1 Mark 50 Pf., werden in allen
Buchhandlungen entgegengenommen.
©erantoortttger ftebactau: Dr. 3$eo)>$U £oHtng tn ©erlitt.
Rebaetton Uttb ®U>ebttton: ©erlitt W., SRattftetttftra&e 7 .
©rutf bon fceffe & Becfec thl
Digitized by v^.oooie
» 13.
33erCin, ben 8L 1900.
P t (§t$tmnxl
29. Jahrgang.
Band 57.
'<y X
y>
A
Söocbenfdjtift für Siteratur, Shmft uni» öffentliches Seben.
^etausgegeßeti hott ‘gQeopQtf Sotftog.
leötn Snaatnl nfmetut (tu granut.
flu 5qie$m bur<$ alle Sucftanbluttgen unb ipoftämter.
Scrlag ber ©egemoart in Berlin W, 57.
ItaMMxlUl 4 ft. 50 Vf. «tu Ummer 50 »f.
gnfetate jebet Ärt j>ro 8 gehaltene $ettt$eile 80 $f.
Untere SolfSncrtrctcr unb ba§ grauenfiubium. $on 9ticf)arb SBulcfott). — $lacat unb SRecfame. 33on (£mH Kister (Sety^ig).
Ql d Ct ~~ ß^tetatttT unb ftUttft. $unft unb 9ttora(. SSon Ä. H. — ©a&riele b^nnunjio unb fein neuefte« SSerf. ©on HRarcuä
I/ltD(lLl * * fianbau. — Feuilleton. ©ammelnmtfj. $on 'üKarf £roain. — Uu# bet $au$tfiabt. $arlament8bämmerung. 5ßon
• Caliban. — Dpem unb (Soncerte. — Offene ©riefe unb $lntn?orten: SRodjmalS bie belirtfdjen $>id)ter. ©on Sltdjarb ©djmtbts
SabaniS. — SRot^en. — Btt&eigen.
ttnfere Dolksucrireter unb bas Jrancnftnbinm.
©on Hidjarb IDuIcFoip.
Ser 7. 9Rär§ 1900 wirb ben greunben ber grauen»
betoegung ein recht unliebfamer ©ebenftag bleiben, ba an
biefem Saturn über eine Petition, betreffenb bie 3 u ^ a ff un 9
ber grauen jur Smmatriculation auf ben Unioerfitäten unb
ju ben Staatsprüfungen, Oon ©eiten beS Reichstages pr
SageSorbnung übergegangen würbe, wie eS bie ©ommiffion
beantragt b°tte. ®in Eintrag ber $l6georbneten ©epraber
unb Ricfert woHte bie Petition bem fReic^dfa ngler mit bem
©rfudjen überweifen, eine ©ereinbarung mit ben berbünbeten
Regierungen betbeipfübren, nadj Wetter biejenigen grauen
jum ©efuebe ber fämmtlicben ©orlefungen an beutfeben Uni»
oerfitäten zugeiaffen finb, welche bie in bem ©efdjluffe beS
©unbeöratbeS bom 24. Rpril 1899 üerlangte ©orbilbung
(Reifeprüfung) naebweifen. Ser Stbgeorbnete ©Araber machte
in einbringlicljer SEBeife auf bie fjinberniffe unb ©djerereien
aufmerffam, welche ben bie ÜJiöglicbfeit beS ttniüerfitäts*
ftubiumS erftrebettben ©amen auf ©ebritt unb ©ritt bei ben
feitberigen ©eftimmungen entgegenfteben; er bejeidpete bie
befteßenben 3 u ftänbe als ber SBütbe beS Reichstages unb beS
©unbeSratbeS nicht entfprecbenb — RHeS bergeblicb'. Unb
fo bleiben benn biefe unhaltbaren Quftänbe einftweiten in
unferem üietgepriefenen ©ulturftaat hefteten unb — bie ©e»
febiebte beS grauenftubiumS iu Seutfcblanb ift um ein trauriges
©apitef reicher, ©efanntlid) würbe in ber ®i|ung beS 21b»
georbnetenbaufeS bom 24. Suni 1897 bie ©etition ber Samen
§elene Sange unb ÜRarie SReHien um freie ßutaffung ber
grauen pm ©efud) ber Uniberfitäten (bei entfpredjenber ©or»
bilbung) abgelebnt, unb baS SEBunberbare bei ber Sache war,
bofj bie ©eoeutung biefeS parlamentarifcben ©reigniffeS bon
ben 3«itungen faum erwähnt, gefebweige benn gebübrenb er»
örtert würbe. Unb baS Wäre bodj bringenb nöttjig gewefen,
»eit nun alle jene ©dbwierigfeiten, bureb welche ficb befonberS
bie p Knfang beS ©ommerfemefterS 1896 bon ber ©erliner
Uniberfität ertaffenen ©eftimmungen für bie 3 u f Q ffung bon
grauen pm ©tubium auSjeicbneten, mit allen ihren @r»
fdjwerungen unb ©ejationen p ©echt hefteten blieben. Unter
biefen wahrhaft brafonifdjen ©orf^riften mufete befonberS
jener ©aragrapb auffallen, bureb »eichen „nach ©rüfung ber
geugniffe unb RuSfteDung beS ©rtaubnißfcbeineS bureb ben
$errn Rector bie ©inwiHigung ber 2)ocenten unb ©rofefforen,
beren ©orlefungen ju hören gewännt wirb, einpbolen ift".
ÜWan follte bod) meinen, ba§ bie ©inwiHigung biefer Herren
nach ber erfolgten ©enebmigung ber oberen 3nftanjen eine
ganj felbftoerftänblicbe Wäre. SBaS geliebt nun, wenn biefer
ober jener üon ben Herren ®ocenten bie erbetene ©rtaubnife
oerweigert, waS ja bantalS bei ber unter bem Rectorat beS
©rofefforS ©runner berrfebenben ©timmung feineSwegS etwas
Ungewöhnliches war unb immer wieberfebren fann. ©erfd)lof}
bod) ein fo, boebftebenber ©elebrter wie ^ermann ©rimm
ohne SBeitereS ben Samen feine ©orlefungen, obwohl gerabe
feine ©egenftänbe (Siteratur unb Äunftgefcbicbte) ihnen bc»
fonberS anphenb erf^einen mußten! Unb biefe ©eftimmungen
febeinen mit ihren gefudjtcn ©cbwierigfeiten unb §inberniffen
nod) immer fortpwirfen, benn bie foeben erlaffene ©erorbnung
beS ^effifeben SühnifteriumS, baS ficb enblid) auch entfd^loffen
bat, bie SanbeSunioerfität ©iefeen ben grauen p öffnen,
enthält in ihren acljt ©aragrap|en ebenfaHS ©eftimmungen,
bie man nur als binberlid) unb ftörenb bezeichnen fann.
Sie ficb melbenben Samen werben nur als ^ofpitantinnen
pgelaffen, müffen ein fdjriftlidjeS ©efueb an ben Rector ein»
reichen, mit ber Eingabe, welchem gadje fie ficb b au ptfäcblicb
wibmen woHen, fie müffen ihre wiffenfefjafttiebe ©orbilbnng
unb fonftige ©tubiennaebweife unb ein SeumunbSjeugnijj oor»
legen, eine Slufnabmegebübr oon 10 SDJarC entrichten, ficb
bann in ein befonbereS Üllbum einf^reiben unb empfangen
enblicb eine oom Rector Unterzeichnete ©efdjeinigung über
ihre Aufnahme als (pofpitantin für baS laufenbe ©emefter,
bie ©afcungen unb eine SegitimationSfarte. Sann wirb ihnen
oom Duäftor ein ©oHegienbucb eingebänbigt; bie ÜJielbung
für jebe einzelne ©orlefung ober Uebung barf ber Duäftor
aber nur bann annebmen, wenn bie |>o}pitantin ihm bie
fcbriftlidje ©inwiHigung beS betreffenben Socenten oorlegt.
— ©S ift flar erfidjtlicb, ba§ biefe ©erorbnung- birect oon
jener foeben erwähnten ©erliner abftammt, ja OieHeicbt bie
©cbwierigfeiten berfelben noch etwas Oerfcbärft.
©egenüber ben negatioeu parlamentarifd)en ©rfolgen be»
jüglicb beS grauenftubiumS gewinnt man bie Ueberjeugung, bah
bie grauenfrage für bie 9J?ebrbeit unferer ©olfSoertreter noch
nicht ©egenftanb ernften ©tubiumS geworben ift, Wie fie cS
üerbient. SaS trat ganz befonberS in ber erwähnten jlbgeorbneten»
bauS»@il 3 ung oon 1897 beröor, wo bie Sebatte burcbauS an
ber Oberfläche b a f ten blieb, feineSwegS aber bie tiefere fittlidje
©ebcutung einer ernften ©etbätigung ber grauen mit unferem
©eifteSleben erfennen lieb- 9lufjet bem Rbgeorbneten Ricfert,
ber furz unb bünbig bie 3 u faffung ber grauen zum ©tubium
Digitized by v^. ooQie
194
Die (Kejettmarl
Nr. 13.
als tfjr Bedfjt forbert unb bie Befürchtung eines SßettbewerbeS
wegen ber geringen ßaf)! ber Bewerberinnen als burdjauS
iiberflüffig abwieS, ftanb nicht ein Bebner auf bet £öf)e ber
Situation, b. fj- nictjt einer wujjte baS nothwenbige „fräftigc
SBörtlein" für bie Freigabe beS grauen ftubiumS auSgufpredjen,
nicht einer bie Ungeredjtigfeit hertiorgufjeben, bie offenbar barin
liegt, Wenn man bie SBiHenSfraft unb ben ©fer oon geiftig
leiftungSfähigen 3J?äbd)en burch einfache Negation lpf)m legt.
®ajj fo etwas in unferen Parlamenten tiorfommen tann, ift
ein Beweis bafür, baff bie neuen BecfjtSanfchauungen über
bie Stellung ber grau im bürgerlichen Seben fet>r (angfam
in bie Waffen bringen unb gu ihrer Berwirflichung uner*
mübeter, gebulbiger unb langer 2lrbeit bebürfen werben.
Seber Uebereifer, jebe ipaft, bie fprungweife ihre 3' e ^ e er*
reichen will ober burch trofcigen Eingriff baS glaubt erringen
gu fönnen, waS nur burch ruhige übergeugenbe Ueberrebung
gewonnen werben fann, ift hier unberechenbar fc£)äblid)- 91m
meiften mühten fich bie gührerinnen unb Borfämpferinncn
ber grauenbewegung batior hüten, burch unbefonnene unb
tierle|jenbe 2lttacfen auf bie „böfe Wännerwelt" Bestimmung
unb Erbitterung gu erregen, ober burch Benommifterei unb
^offart in’S Sächcrlidje gu oerfallen. Sine junge, juriftifch
gebilbete Bebnerin, bie gern ihr Sicht leuchten läßt, rief oor
einigen fahren in einer großen Berfammlung mit (Smphafe
unb unter jubetnbem Beifall bie folgenben SBorte in’S 2lubi*
torium hinein: „©er neue BeidjStag wirb eine aitbere Bhh*
fiognomie geigen, benn er wirb unter bem ©nflufj ber grauen
gewählt werben. (Sine junge Partei ift auf bem Kampfplafc
erfchienen, unb eS wäre nid)t baS erfte Wal, baff eine fotcfje
Bartei moralifche Berfommenljeit unb gäulniß t)inroegfegt."
BeuerbingS finb bie ©amen anfcheinenb oorfichtiger geworben
urfb bie einberufenben ©amen befolgen bie richtige ©aftif,
bah fic Oor ©Öffnung ber ©iScuffion burch bett Wunb ber
Borfifcenbeit um Wah unb Buhe bitten, ©iefe Borficht oer*
bient unbebingte 2lnerfennung, benn Wenn man auch toeit
baoon entfernt ift, angunehmen, bah unfere ^ßarfamcntarier
burch folche ober ähnliche Borftöfje, wie ber eben erwähnte,
fich in ih«r fachlichen üluffaffung ober gar in ihrem Botum
beftimmen (affen lönnten, fo finb berartige bittere Ausfälle
in jebein gaHe bebenflich unb unguläffig. Weil fie ber guten
Sache fchaben. SBcnn fie auch oon ber Wenge mit „jubelnbem
Beifall" aufgenommen Werben, fo ift baS ironifcf)e Säbeln
beS befonnenen §örerS hiergegen hoch ftarf in ?lnfd)lag gu
bringen, benn eS bebeutet ben fdjlimmften Erfolg, ben eine
folche Branbrebe hoben fann. 2lucf) ber ©on beS ©riumphcS
unb ber SiegeSgewihheit, ber fo oft angefd)lagen Wirb, mühte
gefliffent(icf) oermieben werben, benn biefer hätte nur bann
gug unb ®runb, wenn ein unerfchütterlich ficEjereS gunbament
für bie grauenbewegung im BolfSbewufjtfein ber weiteften
Greife ein für alle Wal gewonnen wäre, wenn über alle wefent*
lichften 3iel e berfelbcn unter allen ©ebilbeten ein Sinn unb
eine Weinung herrfdjte. (SS wäre nun aber ein grobes Ber*
fennen ber Situation ober fchwere Selbfttäufdjung, wenn bie
gührerinnen an eine foldje Uebereinftimmung in ber gebil*
beten BJelt betreffs ber üon ihnen erftrebten 3We ernftlich
glauben füllten, ober wenn fie gar meinten, bah fie burch
fühne unb fcfjarfe rebnerifche Borftöhe neuen Boben für ihre
Begebungen finben fönnten. 2111c folche im Sntereffe einer
gebeihlidjen gortentwicfelung unb görberuitg ber grauenfragc
angefteßten ©Wägungen fönnen aber bie unerfreuliche ©hat*
fad)e nidjt aitS ber 2Belt fchaffeit, bah unfere Parlamente
bie grauenfrage unb befonberS ba§ grauenftubium bis jefct
recht oberflädjlidj unb nebenfäd)li<h behanbelt unb fein ernfteS
Sntereffe für bie aufftrebenbe ©eifteSarbeit ber grauen gezeigt
haben, ©ah eS geifteS* unb wiQenSfräftige grauen giebt,
bie mit ©folg an baS Stubium herantreten fönnen, liegt
wohl aufjerljalb jebeS ßroeifelS, unb WaS bie Spaltung unb
baS ©ebahren ber „Stubentinnen" betrifft, fo ift nirgenbs
irgenb welche Klage laut geworben, ja ihnen ift im ©egen»
tljeile Oon competenter Stelle wieberholt lebhafte 21nerfennung
gegotlt worben. Sd)on im Safjre 1896 erftattete auf bem
Stuttgarter (Songreh ber ©angelifcfpSocialen Brofeffor 2lbolf
SBagner, ber bamalige Bector ber Berliner Unioerfität, einen
fehr erfreulichen Bericht über feine mit ben Hörerinnen ge»
machten ©faljrUngen. © betonte, bah irgenb welche formellen
ober materiellen Wifjftänbe fich feit ber ©heilnahme ber
©amen an ben Borlefungen in feiner SBeife gegeigt hätten,
„ber ©on fei gerabegu beffer geworben". © würbe eS als
eine Sdjanbe ber beutfd)en Sugenb bezeichnen, warn bie
ftubirenben ©amen irgenwie beläftigt würben, ©ie ©amen
feien gang befonberS eifrig unb fleifjig. „Bach biefen (Sr*
fahrungen fönnen wir fagen," fo fdjlof Prof. SBogncr fei«
bemerfenSwerthen 2luSführungen, „eS wirb ben grauen ba
Befud) ber Hochfcljute erleichtert werben", ©iefe erfreuliche
2luSfidjt hat, wie man Wohl annnehmen barf, bie oben ge<
nannten 21utragftellerinnen gu ihrer B et ition tieranlahL
©enn man burfte in ber ©hat annehmen, bah bie 21u8fü(j*
rungen SEBagner’S an ben mafjgebenben Stellen Beachtung
finben würben, bah bie noch beftehenben ©fchwerniffe nah
foldjem 3 en 0uife fallen, bah befonberS SBagner’S Bachfolget
im Bectorat, Herr Prof. Brunner, fich fteunblidjer gu ben
berechtigten 2lnfprüchen ber ©amen fteOen würbe. SDton
burfte auch wofjl annphwen, bah baS Parlament fich nun
etwas näher mit biefen ©ingen befchäftigen unb jener Petition
ein geneigtes ©eljör fdjenfen werbe. 2Iber nichts oon allebem
gefchah- Prof. Brunner ging nicht auf bie 2lnregung feines
BorgängerS ein, ja er tierweigerte fogar bem gräuleiit Helene
Sange einen Saal in ber Unitierfität gur 2lbljaltung eint?
BortragS. Unter Brunner’S Bachfolger im Bectorat, bem
befannten Bationalöfonomcn Schmoller, geftalteten fich bie
©inge ein wenig günftiger; tion einer burdjgreifenben Drga*
nifation, bie bie läftigen Hwberniffe hinweggeräumt unb bne
Stubium ber grauen ber SBiHfür ©ngelner entrüeft, ift aber
leiber bisher nichts’gu merfen gewefen.
ES ift hoch an ber 3eit, bah unfere Parlamentarier ficb
mit mehr SBohlwoDen unb Unbefangenheit ber grauenfrage
nähern unb ben „berechtigten Kern" oon ber gorberung
Dotier ©leidjberedjtigung mit ben SRännern unterfc^eiben,
einer gorberung, bie bod) nur bon einem Meinen ©heil ber
grauenredjtlerinnen geltcnb gemacht wirb. Bei wirflich un=
befangenem Berhalten fönnten fie nicht babei fielen bleiben,
ben geifteStüdjtigen unb wiOcnSftarfen grauen, beren Sinn
unb Beigung geiftiger ernfter Arbeit gugewenbet ift, ihren
ohnehin fdjwierigen Seg burch fünfttidje ©nfchränfuttgen er-
fchweren ober tierlegen gu wollen. 3n einem Eulturftaatc
muh bie grau bem SRanne barin gleich ftehen, bah f' e P
in 2lllem bilben unb förbern barf, wohin Beigung unb Be¬
gabung fie treibt, unb tion biefem Stanbpunft, ben bie tour-
bige 2lltmcifterin ber grauenbewegung, grau gönnt) Sewalb,
fd)on oor mehr als 30 fahren mutf|ig unb gugleich logifh
gu tiertreten wu§tc, müffen bie erfd^werenben unb beläftigem
ben Beftimm ungen für baS grauenftubium nicht nur in
Berlin, fonbern an allen beutfcfjen Hochfdjulen auf’S Sifrigftc
befämpft werben. SRan barf bodh nicht tiergeffen, bah j enc
grauen, bie fich auS innerftem ©rieb bem Stubium wibrnen
unb burd) bieS muthige SoSlöfen tion allem H et fommen ficfl
mit ben 21nfd)anungen weiter Kreife in ®egenfa§ ftellen, boeb
thatfächlid) mehr SSohlwoüen unb 21nerfenttung gu bean»
fprucheit haben, als jene ungegäljtten ©aufenbe, bie in trägem
©af)inträumen, becorirt burd) allerlei wahllofc Seetüre,
©atiierfpiel ober „SBalen" ihre ©age oerfd)(enbem ober
„baS Bergnügen um jeben preis" auf ihre gähne gefdjrieben
haben. Bfan begegnet überall häufig ber 2(nfcf)auuug, bafe
eine ernfte wiffenfdjaftlicfje 21uSbilbung ber grauen hent
gu ©age leichter erworben werben fönne, als früher. 3Rir
fcheint baS nur in bem Sinne richtig, bah man je$t mehr
als früher ©nridjtungen trifft, bie foldje 2(uSbilbung he*
günftigen; fonft aber halte ich W* geifüge Bilbung ber
Digitized by v^. ooQie
Nr. 13.
Dte (Kegenmart
195
grauen in ber ©egenwart für fd)Wieriger, als gu irgenb
einer anberett 3eit. ®aS bunte moderne Sehen erfaßt unfere
junge weibliche Seit mit unmiberfte^idjer ©ewalt; bie Zu¬
nahme beS bürgertidjen SoljlftanbeS lehrt mit jebem Stage
neue SSeburfniffe fenncn; ber wachfenbe SujuS mit feinen
unerfreulichen ©egleiterfdjeinungen brängt ben Sinn für
geiftige ©ethätigung unb geiftigen Sßcfiß immer mehr gurücf.
Unfere „im 3 e ^ en beS ©crfehrS" ftehenbe 3eit weift mehr
als je auf Reifen unb Ausflüge h' n l bie ©efefligfeit mit
ihren bietfeitigen Abgiehungen unb fünftferifchc ©enüffe in
früher nie bageroefener güfle forbern gur sjsfjeifnahme auf.
Sn foldjem lodenben, gerftreuenben ©ageStreiben ift ernfte
ftiHe Arbeit unb gurütfgejogcneS ©erfenfen in bie Seit beS
(8cifteS in ungeahnter Seife erfdjwert. Unb auf ber anberen
Seite bieten populäre wiffenfchaftlidje Anregungen oerfdjie»
benfter Art eine leichte ©elegenhcit, fich mit einem wenn auch
iriigerifchen Schimmer oon Kcnntniß unb Silbung gu um»
tteiben unb auch bem geiftig fragen fo Oiel ©erftänbniß für
JogeSerfcheinungen auf fünftterifdjem ober wiffenfchaftlichem
Gebiete gu oermittein, baß er fich mit leiblichen 6£)rcit an
unferer lanbiäufigen ©ageSconüerfatioit betheiligen fann. Sie
.übertünchte" ^aibbiibung ift eine heroorftecljenbe Eigen f dja ft
unferer geit. ©urdj biefe nicht wegguleugnenbe Erfdjeinung
begrünbete fich bie gorberung gang oon felbft, baß für
ernfter ftrebenbe grauen eine ©?öglid)feit gefdjaffen toerbe,
fich burch eine ftraffere geiftige 3«d)t unb ernftere Schulung
aus bem oerffad)enben Treiben ber ©egentoart gu flüchten
unb ihrer nad) geiftiger ©ethätigung ringenbeu ©erantagung
ein gelb gu eröffnen, Wo fie unter ©teichftrebenben fich unfere
tocrtljöoßften ©ilbungSfdjähe aneignen fönnen, gieichbiet, ob
biefe geiftige Arbeit eine ©orbereitung gu einer ©rüfung fein
unb praftifche 3wcde oerfolgen foU, ober ob fie als Selbft»
groeef angefehen toirb.
©on biefem ©efid^tSpunft f^eint bie ©eftimmung
bet ©erliner Unioerfität ganj befonberS hart, baß „Anmel-
bimgSbüdjer nur. benjenigen grauen auSgefjänbigt werben
fotlen, bie fich auf eine ©rüfung üorbereiten unb ju biefer
einen ©ad)tociS über bie gehörten ©orlefungen ju führen
haben". ®a brängt fid) bie grage auf, warum benn bie mit
bet nachgewiefenen genügenben ©orbilbung Oerfehene ©ame
nidjt lediglich jur Erweiterung ihrer allgemeinen ©ilbung
unb ihres geiftigen ©efißeS att ber ©erliner tpocf)fd)ute ©or¬
lefungen hüten foU, bie ein allgemeines Sntereffe für fie
hohen. Saturn in aller Seit foQcn ihr j. ©. ©orträge über
Literatur» unb Kunftgefd)id)te, ®efd)id)te, ©ationalöfonomie
uerfchloffen bleiben? Eine gurcht üor übergroßem Anbrange
ift, wie ich bereits öfters barjulegen ücrfucht habe, burd)auS
eitel — unfere beutfdjen ©läddjen finb mit fo feften ©anben
an £auS unb gamilie gebunben, baß nur wißenSftarfe ©a=
tuten mit auSgefprodjenei: ©egabung für geiftige Arbeit ben
Anfprudj auf gulaffung ju ben Stubien erheben Werben.
®enn 3emattb einwenbet, baß eine 3 a f)l öon etwa 200
Hörerinnen, bie fich 0or einem Sah« an ber ©erliner Uni»
oerfität ju ben ©orlefungen jufamincnfanben, hoch eigentlich
nicht mehr flein genannt werben bürfe, fo muß baran er¬
innert werben, baß fich unter biefen ©amen fehr Oiele AuS»
länberinnen auS ©ußlanb, Schweben, ©änemarf, ben ©alfan»
ftaaten unb auS außereuropäifchen Sänbern befanben. ®ic
3ahl ber beutfdjen ftubirenben 9©äbdjen ift flein unb Wirb
laum jemals Wefentlidj junehmen. ©iefe wenigen ©amen
aber haben baS ©echt auf ©üdfidjt unb Erleichterung ihres
efltlidjen ©trebenS. ©enn ehe fie ben enbgittigen Entfchluß
eines wiffenfdjaftlidjen SerufeS ober freier ernfter ©eifteS-
arbeit faßten, haben fie fich felbft forgfättig geprüft unb fid)
flat gemacht, baß biefe Art Oon ©hätigfeit Oon bem Sege
ber Seltfreube unb beS frohen SebenSgeituffeS etwas weit
abfüljrt unb nicht nur ein bebeutcnbcS 9©aß oott feelifdjcr
»nb geiftiger .traft erforbert, fonbern auch ernfte ©efignation,
bie barauf gefaßt ift, ißr Streben als ©ünfel ober Eitelfeit
auSgelegt ju feljen ober mit ben trabitioneßen Anfchauungen
ber 3J?enge über baS wahre Sefen ber Seiblidjfeit in ©egen»
faß ju treten. ©aS AfleS habe« fie Wohl überlegt unb in
fid) oerarbeitet, unb nun, ba ber entfeheibenbe Schritt ge»
fd)ef)en fofl, fehen fie fich plöfclidj oor ben ©chranfen folcher,
oon öbem bureaufratifdjen ©eift bictirten unb mit allen nur
benfbaren ©erclaufutirungen gefpieften ©eftimmungen! Unb
bie ftiü genährte Hoffnung, baß biefe ©eftimmungen fallen,
baß nach einer unbefangenen Auffaffuug ber Sachlage im
©arlament eine woIjlwoQenbe Stimmung ©tag greifen würbe
— fie ift wieberum in Nichts oerfunfen. Unfere benfenben
grauen unb auch recht oiele oorurtheilSlofe SUfänner Werben
ben ©efchluß bom 7. 9J?ärj ernftlich beflagen, wenn fie auch
an bet ©hatfache nichts änbern fönnen, einmütljig aber
fönnen fie proteftiren gegen bie Oon bem EentrumSüertreter
geäußerte ©emerfung, baß bie Afpiration auf baS ©tubium
ber grauen „ein fchablonenßafteS föineinbrängen ber grauen
unb 9J?äbd)en in alle männlichen ©erufe" bebeute. Auch bie
oon anberer ©eite geäußerte Anfchauung, baß bie Meinungen
über bie 3«laff«ng ber grauen jum Stubium noch «*<ht
geflärt feien, muß als unhaltbar bezeichnet werben. Ser bie
Sachen fennt unb ein unbefangenes Uttfjeil hat, Weiß baS
©egcntheil. — Unfeten grauen bleibt nichts AnbereS übrig,
als burch fefteä 3ufammenfchließen unb gemeinfame S£f)ätig=
feit in ©ereinen, ©erfammlungen unb ©reffe bie greigebung
beS grauenftubiumS in ben maßooÜften gormen Weiter bor*
jubereiten unb fich üurch bie abermals gemachte trübe Er¬
fahrung nicht entmutigen ober gar in leicht öerftänbtidjer
©erftimmung ju bitteren ©emonftrationen hinreißen ju laffen.
Sehr jwedmäßig erfefjeint eS, wenn bie ©amen ju ihren be«
jiiglichen ©erfammlungen eine Anjaßl ©arlamentarier ber
Derfchiebeneit ©arteien in aller gorm einlaben wollten unb
fie burch ruhige ©arftellung beS Oorliegeitben ©ebürfniffeS
unb burch übetjeugenbe ©iScuffion für bie gute ©ad|e ju
gewinnen fuchten.
Sie fich bie ©hmnafialcurfe für SRäbchen in ©erlin,
Scipjig, ©reSlau, Königsberg u. f. W. tro^ allen SiberftanbeS
eingeführt unb als nüßtiche unb notßwenbige Einrichtung in
ber Meinung beS ©ublicttmS feftgefeßt haben, fo ift auch bie
greigebung beS grauenftubiumS an unfern Unioerfitäten, Wie
bie 3«taffung ber grauen gu ben Staatsprüfungen eine mit
notier Sicherheit gu erfjoffenbe ©hatfache, — immer oorauS-
gefeßt, baß bie ©amen fich üor bem oben erwähnten probo-
catortfdjen ©erhalten unb Oon fonftigen tactifdjen gehf ern
frei gu halten wiffen. ©iSßer waltete noch bei ©ielen bie
burcIjauS irrige ©leinung oor, baß biejenigen üKänner bie
Wahren greunbe ber grauenbewegung Wären, bie ben eftra»
uaganteften gorberungen gnftimmen unb fich für' oöüige
©leichfteOung mit ben Scannern erflären. ©ur baS aber
finb wahre greunbe, bie in maßootler unb übergeugenber
Seife bie logifd) unb ethifch berechtigten gorberungen ber
grauen burch 2B° rt ««& ©chrift gu ftü|en unb für biefelben
eingutreten Kraft unb ©eigung haben. ES wäre im hödjften
©rabe thöricht, fich ber Sßufion hi«i«fleben, als fei bereits
AHeS in’S rechte ©efeife gebracht, als werbe bie ©ewegung in
„naturgemäßer", gefunber Entwicklung oon fetber fortfehreiten
unb gu ben gewiinfeßten 3^^« führen, ©enn bie große
Schwierigfeit liegt eben in ber ficheren geftfteQung biefer
3iele, über bie bie Meinungen noch f e h r auSeinanber gehen,
fo baß man oon einem tinfen unb rechten glügel, oon
S©oberaboS unb SjattaboS fprechen fönnte. Unfere auf lang¬
jährige ©eobadjtnng gegründete Uebergeugung geht bafjin, baß
nur ©läßigung unb fleißige unermübete Arbeit bie grauen¬
bewegung förbern fann, baß aber maßlofeS, unbefonneneS
©orgeljen unb fchranfentofe, auf abfolute ©leichfteßung ber
grauen mit ben ©Jännern im focialeit, wirthfeha ft liehen unb
politifd)cn Sehen gielenbe gorberungen bie ©ewegung nur
lähmen unb fd)äbigen fönnen. ©ie grauen müffen eS fich
angelegen fein laffen, burch bie ihr gur ©erfügung ftehenbe
Digitized by v^. ooQie
196
Die ffiigenroari
Nr. 13.
©reffe, burd) öffentliche DiScuffion unb geeignete Schriften
bie 3 ielpuntte bet ©ewegung ju bejeidpen unb ihre gorbe»
rangen ju begtönben. Denn fetbft grünblich gebilbete, ja
hochgelehrte SRänner haben fich über ©ebeutung unb Drag*
»eite berfelben nodj immer lein flareS Urteil gebitbet unb
Wanbein in völliger Dunfefljeit Dafür nur ein ©eifpiet.
Sch laS üor einiger 3dt in ber „Deutfdjen Stunbfdjau"
einen lurjen, mit §. ©. unterjeichneten ©erid)t über einige
Heinere, auf bie grauenfrage bezügliche Schriften bon öelene
Sange. 9?ad) ber eigenartigen fttliftifchen Spanier unb bei
feiner eifrigen 9Ritarbeiterfd)aft an ber „Deutfdfen SJunbfchau"
Werbe id) wol)l nicht fehlgehen, trenn idj §. @. mit §errn
©rofeffor Ipermann ©rimm ibentifijiere. Da fiel mir junädfft
bie ijingeworfene ©emerfung auf, „baß eS nbdj immer leidet
fei, ftdh bie ©ewegung (ber grauen) mit einem träftigen
Stdjfeljutfen bont Seibe ju galten". 3 toar erfennt er mit
einigen borneljm=lüf)ten SBorten ber ©ewegung eine gewiffe
SBerethtiflwng p, fügt aber, als ob biefe großartige ©onceffion
ißm fd|on leib Wäre, fogleich einfdjränlenb Ijinju: „baß biefe
fogenannte grauenbetoegung nod) nicht ju ber Stärfe gebieten
fei, baß ein SRann gejwungen toäre, Stellung ju ihr ju
nehmen". SBäte baS richtig, fo müßte er junädjft bie öffent*
liehe ©efptedjung Don Schriften unterlaffen, bie eine genaue
Senntniß ber ©ntwidelung nur beS gegentoärtigen StanbeS
ber grauenfrage erforbern, feine Sleußerungen offenbaren aber
DöUige Unfenntniß. So meint et 5 . ©., „baß eS fid) eigent*
lieh nur um bie grage hanble, toie toeit grauen als Sierße
unb Seherinnen weiblicher 3öglinge ein Sted)t barauf haben,
bie Untermeifung hüchfter Sfrt (Umfd)reibung für HniberfitätS*
ftubien) für fid) in ünfpruef) ju nehmen.“ Sa, toenn bie
Sad)e fo einfach läge! 9lber aud) ber flüd)tigfte ©lief in
bie programmatischen Schriften ber Sieformetinnen mußte
iljn belehren, baß mit ber ©rfdjließung biefer beiben ©erufS*
arten bie gorberungen ber grauenredjtlerinnen par excellence
leineStoegS befriebigt ftnb, oaß bie SBünfcEje fe|r Diel weiter,
b. h- auf eine bebingungSlofe ©oncurrenj mit bem ÜRanne
gerietet finb. Sluf bem ©rüffelet grauencongreß (1897)
»urbe ganj unumwunben ber 3ntritt ju ben höd)ften Staats*
ämtern geforbert, unb WaS bie beiben für ben nädjften Sommer
gelegentlich ber großen üluSfteöung in ©ariS geplanten
grauencongreffe betrifft, fo wirb man fid) auf ähnliche 9lfpi*
rationen gefaßt p machen haben. 2ßie fehr £>. ®. bie Weit*
ge^enben Slnfprfl^e berlennt, geht fchon barauS herbor, baß
er meint, „bie grauen arbeiten als Slerjtinnen unb Sehe-'
rinnen am liebften unter männlicher Ditection". Sa, fo
möchte man fragen, „oon Wannen lommt bir biefe SBiffen*
fchaft?" @r mag bodh nur — ber ©orfdjlag ift gewiß billig
— bie Dame, beten Schriften er beurteilt, fragen, ob fie
„am liebften unter männlicher Direction arbeitet?" Sr wirb
ganj fießer bon iljr erfahren, baß baS nicht ber gaH ift.
9tm Scpluffe feines ^Referats fagt $. ©. gofgenbeS: „Die
grauen werben nie aufhören, baS fcßwächere ©efchlcdjt p fein.
Slud) nie ben Sßunfd) haben, biefe Stellung einpbüßen.
SBaS fie forbern, läßt fid) feljr wohl überfehen unb, fcheint
unS, heute bereits ohne biel ©ebenfen erlebigen." Sebet Sag
ein Srrthum, bie ganje Sluffaffung ber Sachlage burchauS
rüdftänbig. Denn bie 9ßortfÜf)retinnen unb Senferinnen ber
grauenbewegung wollen nun einmal bon einer Snferiorität
ihres ©efdjlechtS nicht baS SRinbefte wiffen unb, worauf eS
hier am ÜReiften anfommt, bie gorberungen finb JeineSWegS
fo leicht ju überfehen. SRehmen wir nur einen ©unlt I)erau3:
Die actibe Dheilnaljme am politifdfen Seben, baS 2Bahlred)t.
©ewiß giebt eS biele einfidjtSboHe grauen, bie ju ihrem
eigenen §eil nichts babon Wiffen wollen, aber eS giebt auch
biele, Welche baS 2Bahtred|t als ein |>anptjiel ber grauen*
bewegung anfehen, unb Seben als ihren geinb betrachten, ber
eS ihnen nicht einräumen will. 9ltS ich bor einiger 3eit in
ber „©eilage" jur „SR. 3111g. 310-" jene politifdjen Slfpirationcn
ber grauen in maßboDfter gorm befprach unb_ barjulegen
fudfte, baß fie für f>auS, gamilie unb öffentliches Seben nur
bon unheilboller SBirfung fein fönnten, ba bin ich mit pole*
mifchen 3 u fd)riften „bon jarter §anb" überflutet Worben,
bie ben SReij unb Stbel echter 23eiblicf)feit bisweilen ftarl oct.-
miffen ließen.
Den befonnenen greunb ber grauenbewegung, ber bie*
felbe nicht als ein WiKfurlicheS ©robuct jufäüiger Saune,
fonbern als eine im wirtschaftlichen Seben ber grauen b
grünbete innere SRothwenbigleit anfieht, ben werben folcpe $ 01 =
rommniffe nicht berftimmen; er nimmt fie gebulbig al«
bie nott)Wenbigen, jebem organifchen SBerbeproceß anhaftenden
UebergangSerfteinungen, unb bleibt mit feinem SEprt ul)
Stath nicht jurüd, wenn fritifche 3 e den bie gefunbe Sntttifc
lung ju h em nten fdfeinen. Die erwähnten ©orgänge ii
unferen ©arlamenten bejeugen laut, baß für bie weiteren
gortfehritte ber grauenbewegung fold)e fritifdje ged gelommen
ift, bie alle befonnenen grauen unb woljlmeinenben SRänner
aufforbert, feft jufammenjuftehen uub mit ruhiger Snetgie
an ber SBeiterführung beS ©aueS fortjuarbeiten. glammenbe
SBorte unb ©rotefte bringen ebenfo Wenig görberang unb
gortfehritt, als weitauSfchauenbe ?tnfprüd)e unb gorberungen,
mit benen fich baS ©ollSbewußtfein no^ nicht befreunbet hat
unb benen auch, wie bie parlamentarifdjen ©orgänge jur
©enüge bewiefen h a ^ e n, bie ©ebilbetften ber Station gan;
fremb unb theilnahmloS gegenüberfteßen würben, wenn fie
geltenb gemalt Würben. Ülrbeiten wir borerft an ber geffr
gung beS gunbamenteS unb wirfen wir nach beften Straften
für bie ©erwirllichung nothwenbiger unb erreichbarer gor*
berungen. Daju redpen wir junächft bie greigabe be?
StubiumS unb bie 3 u ^ a ff un 9 J u ben Staatsprüfungen o|ne
©rfchwerniffe unb bureaulratifche Schablone, ferner bie SDtün*
bigfteHung ber grau im bürgerlidjen Stecht unb bie Srweite*
rung ber bürgerlichen ©erufSarten ber grauen.
fllacat nnb Reclame.
95oit <£mil Kidjter (Seippg).
SRitten im großftäbtifdhen Seben entwidclt fich bie©lacat*
funft. Sie hat währenb ber lebten 3eit einen fo auSgebehntcn
Umfang angenommen, baß fie in allen Greifen bie größte
©eadjtung erwedt. Dabei hat fich aber auch ih r 333efen unb
ihr ©harafter bermaßen Dcränbert, baß fie unS gewöf)n(id!
nur noch als bie anpreifenbe, marltfchreierifche Stedame cr=
fcheint. Unter biefern ©efichtSpunlte betrachten unb beuttheita
wir fie. Unb fchon haben wir unS baran gewöhnt, fie nur
als baS nothwenbige SRittel ju irgenb einem gefchäftSpolitifcfp
3wede aufjufaffen. Sn biefer orbinären ©igenart entfaltet
fie fich Dormiegcnb an benjenigen ©lägen, wo baS ©erleßrc-
leben in breiten Strömen bahinraufcht. Denn fie will ftd)
jeigen, will oon aller SBelt bewunbert fein. §ier ift bcßhall
ihre iieimath, hi et treibt fie ihr SSefen. StamentUch in den
öffentlichen Straßen bet SBeltftabt rebet fie eine ftbarfe,
jweibeutige unb bisweilen hetauSforbernbe Sprache. 25oßin
wir auch g e h en mögen, immer unb überall tritt fie uni in
bem fdptlernben ©ewanbe ber mobernen garbenpracht ent
gegen. Unb faum haben wir ben guß auf baS ©flafter ber
©roßftabt gefegt, ba ftehen wir aud) fchon unter bem über*
Wältigenben ©inbrud beS ©lacatwefenS. ©roße, biefteibige
©lacatfäulen, bie wie riefige SBachtpoften paarweife oor ben
Straßeneingängen ftehen, bienen fpet junx ewig wechfelnbcn
91nfd)lag. Sie gehören jwar nicht ju ben SehenSwurbigftilat.
aber wir betrachten fie hoch — betrachten fie aKerbingS tneßt
auS Steugierbe als auS äfthetifdjcr Ueberjeugung unb einem
inneren ©efüßle. Unb hoch haben wir Dieüeicfjt nodi gm
nicht barübet nadigebacht, ob fie ben öffentlichen ©lag®
Digitized by v^. ooQie
Nr. 18.
•Die ®e$etiu»flrt.
197
jur 3ierbe gereicgen ober jur Unjierbe. ®ann unb Wann
entrüftct ff wogt unfer äftgetif eS ©efügl, wir ärgern unb
empören unS, wenn bie langen gegen loSgef lagenen SßapiereS
wafcglappenägnlicg gerabgängen. SBelcg’ ein gäßlicger Slnblid!
©onft aber Oermögen fie unS Weber ju erfreuen, nocg ju
ftören. SRegungSloS unb ftumm fielen fte ba, — unb boeg
reben fie eine tiefcrnfte, Sillen üerftärtblidje ©pracge! ®a
öerfunben fie bie legte ©iegeSbotfcgaft beS geflogenen EJecor»
beS im toEen SBettfpiel ber Seibenf aften, — oerfünben ben
neueften ©rfolg beS raftlofen ©rfinbungSgeifteS. ®enn buS
neugeborene Stinb ber f öpferif en Sbee, baS einftmal in ber
©tubenluft ber geiftigen SBerfftatt aufwucgS, bis es grofj genug
mar, um auf eigenen güjjen ju fielen, überfeg reitet niegt megr
fegfidjtern bie ©cgweEe in’S öffentliche Seben, fonbern rugm*
rebig wirb eS auf bie ginnen beS SBeltoerfegrS gehoben, um
bem neuerungSfücgtigen publicum feine Sßifite abjuftatten.
Unb bann wirb ber Stet ber gef äftlfen ®aufe oor aUer
Belt ooEjogen. SRancgmal finbett ff aueg faufenbe Snter*
effenten als liebe Sßotgen, wenn bie preifenben ©intabungen
in aBe SBinbe ginauSpofaunt werben. Unb Wie mancgeS
©egetmnift beS ©efäftSlebenS wirb ba niegt an baS öffent*
liege ißlacat gefcglagen! SSieEef t ift eS gier ber legte 33er*
fueg, bet oerfieegenben ißulSaber beS ©efcgäftSbetriebeS noeg
einmal neues Seben einjuflöfjen. 33ieBeicgt oerbreitet eS aueg
bie ®rauerfunbe eines unglüefliegen gaEimentS, im Socfoögel*
tone bie legten SRefte ber SBelt anbietenb. §ier rügren aEe
politif en Parteien bie groge Trommel — bie HJJufif ber
Seibenfaften ftimmt einen oielftimmigen Slccorb an, unb baS
ewige SBeltconcert ber Eieclame ergält bureg ben S3ilbfcgmucf
beS ißlacateS feine WirtungSooBe SBeige. Unb wenn wir
ginauSftüegten in bie freie, gottbegnabete Statur, um für unS
aflein ju fein in länblicger ©infamfeit unb friebtfer ©tifle,
aueg ba tönen unS bie ©timmen beS lauten ERarfteS in einem
oielfättigen ©ego naeg. ®aS ift bie wunberfame ©praege beS
öffentlichen ißlacateS.
SBagrlicg! — aueg ein fprecgenbeS ©piegelbilb beS localen
©efäftSlebenS! ®ie ißlacatfunft rebet oott Slflem, waS unS
intereffirt. Unb aE’ unfere SReugierbe ift igr gewibmet, fei
eS aueg nur in flüegtigen Setracgtungen, wenn wir bureg
bie (ebenSooEen ©troffen unb über bie buntgefegmüeften ißläge
gegen. ©in unwiberfteglicger SReig, ber unS feffelt,
unfern SBlidE unb unfere Sfufmerffamfeit bannt, liegt auf biefen
blutrotgen unb grasgrünen, gimmelblauen unb tintenf warjen
getteln. SIBeS ift buregeinanber gewürfelt, planlos unb ogne
lünftlerife Slbfiegt. Unb bie giguten! ®u lieber ©ott —
feglüpfrige, orbinäre ©aricaturen mit bem ganjen Slufwanbe
gef äftlfen ^Raffinements, in übermütgigen ißgantaftereien*
ftoelgenb. Unb baS foE Stunft fein? ®iefeS bunte ©emif
eines orbnungStofen SMlberreicgtgumS, biefeS gäffltcg prunfenbe
©eflimmet greEer ißapierfarben mit igren groben Eieflepen,
biefe plumpen, auSbrudSlofen unb tobtfalten ©egriften, biefer
gefügilofe 3ierratg an ornamentalen ©efegmadtofigfeiten, aE’
biefe ©ignörfeleien unb gineffen, biefe launigen ©cgnurren
unb ungefegieften S3erbrämungen — baS SlEeS foE ber
ptaftifege unb reftectirenbe SluSbrud, baS fRefultat fünftlerifcgen
©cgaffenS fein? Unb biefe ©umme Oon unäftgetifegen ©injel*
erfegeinungen bejefnet man mit bem fcgmefelgaften, fön*
flingenben unb oielfagcnben ÜRamen ber ißlacatfunft! ®a
feint eS, als ob nft bie ERittel, fonbern ber SRame ben
3 wed geiligen foBe.
Süften Wir nur einmal.ben ©cgleier berfßlacatfunft, bann
täufen wir unS OieEeicgt, wenn fie unS nur baS goglwangige,
begierige ©efiegt beS ©efcgäftSgeifteS jeigt. ®ann fegen wir
aber aueg, wie ff in igtem Slntlig ber ®cfcg äftScgarafter ber
grofjen |>anbelspläge beutlicg wieberfpiegelt. Unb in ber
®gat: SBer geute bie SBeltftäbte bereift, um fieg ein 33ilb
öon bem ©tanbe beS ©efäftSlebenS ju maegen, fein SBefen
unb feine 39efonbergeiten ju erforfegen, ber ftubirt geute ein*
faeg bei feinem EJunbgange bureg baS ©tabtinnere baS fßlacat*
wefen. ©o bietet ff überaE ©elegengeit, eitt egarafteriftif eS
3eicgen bafür ju beobaegten, ob eS gier ober bort auf einer
megt ober weniger gogen ©ntwidelungSftufe ftegt. ®enn
feine äugere ©igenart ift eben nicgtS StnbereS als ber bilb»
liege ober figürliche SluSbrud ber ®enbenj beS ©ef äftSgeifteS.
Unb Wenn eS fieg in SBirtliegleit aueg nur um einen unter*
georbneten Äunftjweig ganbelt, ber ff ju entwideln beginnt,
fo wirb unS borg ein SRunbgang bureg bie gerOorragenbften
^ßlacatftätten bie SEgatfacge oor Slugen fügren, bag beifpiels*
weife bie gange Jünftlerifcge Sluffaffung ber tunftfinnigen
Sfarftabt SRüncgen aueg einen fegwaegen ©egein auf baS
geimif^e ißlafatwefen wirft unb mit tünftterifegem ©cgwunge
belebt. ®aS wirb man fon gewagt, wenn man offenen
SlugeS bie grogen, weiten §aBen feines arcgitectonifcg=fti(üoEen
SagngofSbaueS buffreitet. Slber aud) Weitergin, im
§erjen ber ©tabt, begegnet man ißlacatanf lägen, bie einen
impofanten Slnblid gewägren. SBenn biefe Slnjef en aueg
nf t überaE fdjarf geroortreten, fo ift boeg igr aEgemeiner
3ug unoerlennbar. Unb bamit oerglefe man bie alte
f)anfeftabt Hamburg, ben ^afenplag beS SluSlanbüerfegrS,
wo bie SBogen beS internationalen ©eeganbels igren Slbfcgaum
bis ginein in bie parquettirten Summelptäge beS 33erfegr8*
lebenS, ja bis in bie geräumigen §aBen ber ©efäftSgäufer
fpülen. ®a erf eint unS baS ißlacatwefen in jenen büftern,
taugen, ungarmonifen gar ben, auf benen fieg jeber fünft*
terifege, lebenSooBe ©lanj oerwift gat. ®a übertönt bie
laute ©timme beS ©efäftSlebenS bie geifere ©timme beS
fegöpferifen SünftlerS. ®er ©efammteinbrud lägt eine
reijlofe SBirlung jurüd, unb ein gerbet SRacggef mad oerleibet
bie Suft ju nägerer 33etracgtung. Slegnlicg ift baS Sßergältnig
aueg anberSWo. ©o in Sßerlin — unb im ©egenfag baju
in ®reSben. 33eibeS finb jwar Etefibenjen, aber boeg beibeS
SBeltftäbte oon grunbüerfiebenem ©garafter, jebe oon einer
anberen fünftlerifcgen Sluffaffung begerrfegt. 3n beiben eine
anbere Xenbenj beS ©efäftSlebenS, ein anberer, Oerfieben*
artiger 3 U 9 beS fiunftfaffenS. ©inen fofen gegenfäglfen
Unterfigieb lägt aueg ber ©efammteinbrud beS ißlacatwefenS
in bie @rf einung treten. ®ort bie norbif e Etuge beS
nücgternen ©efäftSlebenS, baS trog ber breiten realpolitifen
©trömungen eine gefunbe, lebenSooBe Slber ber rein fünft*
lerif en Sluffaffung burcgjiegt, einen ftarf ausgeprägten ©e*
fegmad für baS SRobetne unb baS praftifeg g^c^ägige
oerbinbenb. ®ie öbe ©infaeggeit feiner nägeren unb weiteren
Umgebung ift aueg bem ^Berliner Seben angeboren, feinem
rogftäbtifegen ®gpuS in gleifeg unb S3lut übergegangen. 33on
iefem ©efiegtSpunfte auS erfigeint baS ißlacat nur als ein
WoglfeileS SRittel ju einem gef äftliegen 3>®cde. Unb barum
ift man gerabe injöerlin in gefegäftlf er §inficgt neuerungS*
füegtiger als anberSWo. 93?an lauft bem ©ego beS lauten
SeltmarfteS, um SlEeS für fiig fogleieg in Slnfprucgju negmen,
WaS bie ©timme beS SBettOerfegrS, ber SBinb aus bem Eieicge beS
32ßeftenS gerüberwegt. SlnberS in ®re8ben. §ier burcgjiegt baS
@ef äftSleben berSanbeSgauptftabtnocg eine warme Slber ibeaten
©egaffenS.; ©in leifer|)au(g wegt auS ber romantif en Umgebung,
bie jagrauS — jagrein im fReiegtgum feltener SRaturf öngeiten
über feine SRauern gerein. ®iefer leife oibrirenbe 3 U 9 in
ber gefäftlicgen unb fünftlerifen Sltmofpgäre ift unoer*
fennbar. Slegnli^eS würbe ein foleger SSergleieg jwifcgen
Seipjig unb granffurt ergeben. Slufftrebenb in igrem localen
33erfegrSwefen, gaben fie feinen S9lid, OieEeiegt aueg wenig
ÜRuge unb 33erftänbnig für berlei Etebenfäcgliegfeiten. Slnbere
ißaffionen laffen ignen feine 3eit gewinnen, igrem ftäbtifen
©ewanbe nägere Setracgtungen ju wibmen. ©o bringt in
jeber ©tabt ber ©efammtauSbrud beS ißlacatwefenS einen
anberen, üerfiebenartigen 3 U 9< einen 3 u fl ^eS localen
©garafterbilbeS jur ©eltung. fReegt unerfreuli^ berügrt aber
baS ißlacatwefen in ben breiten fegöngef müdten SlEeen unb
auf ben fortwägrenb belebten ^ßatfplägen, wo fieg bie fafgio*
nable SBelt igre SRenbej*oouS giebt. ®a fegen Wir bie ®amen
Digitized by v^. ooQie
198
Nr. 13.
Die <$e$etttourt.
beS ©onntagnacpmittagS»SßublicumS, baS fonft ü6er AUcS, waS
ipm begegnet, feine fritifcfjen SSetracptungen anjufteOen pflegt,
rote fie bann unb wann fcpücpterne SSIicfe nacp beit Sßlacat»
faulen pinüberWerfen, forgfam prüfenb, ob niept ein unäftE)e=
tifcper Anfcplag fie in Aufregung »erfepen fönnte. $ier,
inmitten fünftltcper Sßarfanlagen, tritt ber ©egenfap um fo
fcpärfer in bie ©rfcpeinung. ©a fü^tt man ben unparmo®
nifcpen ©inbrucf. ©aS Auge ergäbt fiep an ber ©cpönpeit
ber ©ärtnerfunft, ber gerablinigen unb formenfepönen Sinben®
reifen unb man finbet ein SBoplbepagen an biefer funftoolt
auSgefcpmücften Umgebung. ©a bringt baS Sßlacat an ben
tpurmrunben ©äulen eine päßliepe Abwecpfelung.
Sei folcperVetracptung fäprt einem unwillfürlicp bie grage
burep ben ©inn, ob baS fiep nid)t änbetn, nach einem jWecf®
mäßigeren, niept fünftlerifcpen ©eficptSpunfte oerbeffern ließe.
SRun roarum rtid)t? SBarum fönnte baS ganje Arrangement biefer
Anfcplagjettel nicht einheitlich, mehr gefichtet unb georbnet
fiep geftalten? 3 un äcpft toirb nirgenbS eine ©ieptung irgenb®
welcper Art befolgt. SBo gerabe ein leerer SRaum entfielt,
wirb baS neue Sßlacat feinen Sßlaß finben. Aber nach einem
beftimmten ©tunbfaß wirb pierbei nicht »erfahren, ©o
fommen ft'unft unb ^jmuSwirtpfcpaft, SD?obe unb Sßolitif,
SDfaljcaffee unb ViSmatcfwerfe, X^eaternacfjrirfjten unb SeipauS®
»erfteigerungen — Alles in buntem SBirrwarr burcheinanber.
©iefe Anfünbigungen müßten nach ben einzelnen ©ebieten
gefichtet roerben, für jebeS ein befonbereS gelb referoirenb.
©ann würbe wenigftenS in bem äußeren Arrangement eine
harmonifche ©infjeitlicpfeit ber Sßlacatwirfungen erhielt roerben.
3 ufammengepörige8 würbe fiep ju einer ©efammtwirfung
»erbinben — ©egenfäßlicpeS Würbe btftcp ben Abftaub in ber
äußeren SRaumüertpeilung getrennt fein, ©er ©ffect beS
einzelnen SßlacateS fönnte auf biefe SBeife feine contraftirenbe
©törung erleiben. ©aS wäre ber Anfang ju einer parmo®
nifchen, gleichmäßig roirfenben Sßlanmäßigfeit. Aber auch
bie ißlacate fetbft müßten eine äfthetifche SReubelebung er®
fahren. Sftur wenn bie Ausführung an ben ©runbfaß ber
fünftlerifcpen Schönheit fich anlehnt, fann baS ißlacat eine
allgemeine beifaüfinbenbe Veacptung erweefen. ©aS ift fepon
bei bem einfachen ©rucfplacat möglich, wenn bie Schrift fo
arrangirt wirb, baß fie burepfieptig, flar unb weitpin er®
fenntlicp ift. ©enn pier foll ber ©ffect burep bie ©infach»
heit unb Ueberficptlicpfeit beS ©ejteS jum AuSbrucf fommen.
@o ift eine gefcpmadfoolle Ausführung um fo »ortpeilpafter,
»eil bie jroeefmäßige AuSwapl ber garbeit leicpt ein »er®
fcproommeneS Silb, optte AuSbrucf unb opne SebenSfäpigfeit
ergiebt unb fo ber Sicpteffect ber 3 t »ifcP enraums ®° n trafte »er®
loren gept. ©olcpe Sßlacate ju entwerfen, ift eigentlich ©aepe
beS gacpfünftlerS. Unb eS erfepeint baper fepon auS rein
gefcpäftlicpen ©rünben geboten, biefe mit ber Anfertigung
foieper Sßlacat«(£roürfe ju betrauen, ©ie SD?eprfoften werben
immer burep ben SDfepretfolg aufgewogen werben. SBo eS
fiep namentlich um Veifügung großer, cparafteröoller SÜuftra®
tionSfiguren panbelt, wirb nur bie fünftterifepe Arbeit ben
SReift ber SBirffamfeit erzielen. Sft boep bie mobetne ißlacat®
funft opnepin mit einer fo teiepen güHe teepnifeper SD?ittel
ausgerüstet, baß fie bie ^erftetlung farbiger Sßlacate mit fraft®
»ollen, fcpönpeitSfatten giguren fdpon auf billigem SBege be®
forgen fann. SRamentticp ben mobetnen ©ürricaturenjeicpnern
— ben Vertretern beS SRealiSmuS unb ber ©eceffion gebüprt
unftreitig ber Vorzug — bietet fiep pier ein weites gelb
fünftterifcher Vetpätigung. ©olcpe Sßlacate, angefcplagen in
ben SÜunftftraßen ober Sßarfanlagen ber ©roßftabt, inmitten
arepiteftonifeper Prachtbauten ftepenb, Werben burep ipren
Wohlgefälligen ©inbruef, burep baS fcpön fleibenbe ©ewanb
baS tauf luftige Sßublicum erfreuen, jum Vetracpten unb —
kaufen anregen. SBürbe baburep auS gefcpäftlicpen ©rünben
eine geringe Vertpeucrung eintreten müffen, fo würben biefe
Anfünbigungen als VorpgSplacat ju betrachten fein. @o
wäre bet jwecfmäßigfte Ausgleich gefepaffen. Aber auep ber
örtlicpen Umgebung gereiepen fie offenbar jur 3«^ ©arübet
fann feilt 3 roe ‘f t * beftepen: — auf biefe SBeife würbe bet
SReclameteufel auS bem Sßtacatwefen »ertrieben Werben unb
an feine ©eile bie SReclamefunft treten.
JEtfertttut unb Jtunft.
Ättn|l tsnb Üloral.
SBenn baS praftifepe ©eltungSbereicp ber Äunft uni
irgenb einem ©ebiet angegriffen wirb, unb bie Vertreter ba
ftunft baju Stellung ju nepmen paben, fo fönnen fte mt
niept umpin, fiep naep tpeoretifepen ©tüßen umjufepen, fepon
Weil bie ©egner felbft ipren Angriff burep tpeoretifepe ©rüttbt
p unterftüpen pflegen. Von Alters per finb bie fepärffta
Angriffe gegen bie Älunft in allen ©eftalten »on ©eiten bei
Vertreter ber 2Roral ober »ielmepr ©erjenigen, bie fiep all
£>üter ber SD?oral geberbeten, auSgegangen. SRobert $amer»
ling pat uuS in feinem fdpöneit, nur teiber »iel ju wenig
befannten Vornan „ASpafia" bie geinbfepaft beS ©retptpeios*
priefterS gegen bie fiegreiep »orbrängenbe, fcpönpeitSfreubigt
Stunft beS SßpibiaS in anfrfjaulicpen garben gefepilbert ©it
cpriftlicpe Slircpe ber erften Saprpunberte bulbete bie finnft
nur, wenn fie fiep öoQftänbig in ben ©ienft fircplicper 3®^
ftellte, unb pat auf biefem ©ebiete, wie bie perrlicpen SDenf®
mäler ber gotpifepen unb romanifdpen Aripiteftur betteifen,
©roßeS geleiftet. ©ie eigentlich freie Äunft, bie feinen anberen
3wed als ben ©(pönpeitSjwecf »erroirflicpen will, unbefümmett
barum, ob fie baburep einen praftifdjen SRupen förbert ober
niept, fam in jenen 3 e * te » »eher als Augen® fowopt »ie all
Cprenfcpein nur ganj feiten jum AuSbrucf. ©ie bamaligefinnft
war entweber Arcpiteftur, wo fie jene ©ottespäufer fcpuf, bic
uns noep peute entjücfen, ober fie biente ben profanen pro!»
tifepen Vebütfniffen ber SD?enfcpen in ber Weltlicpen Vaufimft
unb im Stunftpanbroerf. ©elbft bie freie Äunft ber ^laftil
unb SDfalerei orbnete fiep ganj ben religiöfen un,tI
unb fanb ipr ©enüge barin, bie Stircpen auSjufcpmücfen unb
mit fepönem ©erätp für ben ©otteSbienft auSjuftatten, begab
fiep alfo iprer greipeit, ebenfo Wie bie ©idptfunft, welcpe au^
meiftenS religiöfen 3 l » e <fcn biente, ©rft unter ben $open<
ftaufen begann bie ©ieptfunft, felbftftänbige SBege einja»
jcplagen. ©ie fraftoollen ^errfeper biefeS ©efcplecptS napmeu
ber Sfircpe gegenüber niept feiten eine feinbfelige ©tettung
ein, unb griebriep II. galt niept allein als ein Vefämpfei
beS SßapfttpumS, fonbern auep ber eprifttiepen Sepren. ©ie
Sun ft, weldje biSper im Anfcpluß an baS ©priftentpum unb
im ©cpup ber St'ircpe baS alleinige SDtittel gefunben patte,
im wilben ©türm ber feiten ein eprenöoDeS, wenn auch be«
fepeibeneS ©afein ju friften, entwucpS ber Vötpigung biefeS
©cpupeS je länger je mepr unb fing an, bie ftarfen ©eproingen
erft leife, bann immer mäeptiger ju entfalten. Aber in bem«
felben SD?aaße, als baS gefepap, »erwanbette fiep auep bal
bisherige SBoplrooHen iprer ©önnerin, ber Sircpe, in URife»
trauen unb fiptießlidp in geinbfepaft. ©ie Sircpe, welcpe Mn
jeper bie ©otteSliebe pöper gefteHt patte als bie SBeltliebe,
bie ©otteSliebe aber in iprer SBeife bapin interpretirte, baf
fie ipren pöcpften AuSbrucf in ber Eingabe an bie Vor«
jepriften ber ftirepe fanb, fönnte finmöglid) mit einer Sunft
fidp befreunben, welcpe ber SBeltliebe ju bienen anfing unb
fiep in bet AuSfcpmücfung beS irbifepen ©afeinS woptgefieL
©aS »erftieß gegen bie fircplicpen SD?orallepren, welcpe ben
freien SnbioibualiSmuS noep niept gelten laffen wollten. Die
Vertreter ber Sircpe betraepteten fiep als bie ipüter ber SD?orat
unb eS war auep »om ’moralifcpen ©tanbpunft auS, baß f«
bie jur greipeit etroaepenbe Sunft befepbeten. ^»errfepfuept
Digitized by v^. ooQie
Die (Segenmart
199
unb innerliche Ueberjeugung Oon bem ißrimat ber Stirne
auch au f äfthetifdjem ©ebiet, fowie bie 3 ah r h u nberte tange
©ewöhnung an unbebingten ©ehorfam auf bem ©ebiet be«
praftifcheit Seben« wie ber theoretifchen ©efinnung oerbanben
fi<h, um ber weltlichen Shmft ba« Seben fchwer ju machen,
da fam bie Eroberung ßonftantinopel« unb bie Verbreitung
griedjifcher Vilbung- ber Äunft fegenSreidj zur §ülfe. 3e
mehr ba« Auge fich an ben frönen formen gried)ifd)er fiunft
fatt fah, um fo flarer erfannte ba« fortfchreitenbe äfthetifche
VeWufjtfein, bafj bie (Schönheit unb bie Sittlichfeit Oerfdjiebene
©eltungefpijären barfteQten, nnb bafj Don einer bebingung«*
lofeu Unterorbnung ber Schönheit unter bie Sittlichfeit, welche
festere man nur unter bem ©eficht«Winfel ber djriftlichen
Religion an^ufehen gewohnt war, nicht länger bie Siebe fein
fonnte.
Natürlich brachte fiih bie Denaiffaitce biefen ©egenfajj
jwifchen Schönheit unb Sittlitfjfeit, ober oielmehr bie Unab*
hängigteit be« einen ©ebiete« oom anberen noch 9 Qr nicht fo
deutlich jum Vcwujjtfein, wie wir ba« je(jt ju thun Oer»
mögen. Sie hatte c« auch gar nicht nötfjig, benn bie 2öu<ht
ber j£h at fa<hcn fprach beutlidjer al« jebe Vewei«führung.
die Sd)önheit«ibeale be« claffifchen Altertum« würben oon
ber ©ienfehheit mit Subei begrüjjt, unb ber Sinflujj ber Sin»
tife erzeugte jene ißeriobe be« ^otjen fünftlerifcfjen Schaffend
oor Allem in ben freien Äfinften ber ißlaftif unb ber üftalerei,
bie um fo bewunberung«würbiger ift, je weniger lange bie
Vorbereitung«zeit gebauert hatte. Sßa« für ein Unterfchieb
jroifchen fRaphael unb SfSerugino! ,gum ©lücf für bie Au«*
breitung be« Schönen würben fetbft bie Vertreter be« S?ird)eii*
tlpim« oon bem allgemeinen $uge ber- 3 eit erfafjt unb ftanben
in ber Veförberung ber fdjönen fünfte ben weltlichen 9Räce=
naten nicht nach- da« Spiel hatte fich umgefehrt: nicht
mehr beanfprud)te bie Sittlichfeit, auch nicht in ber gorm
ber fachlichen SRoral, ba« höhere gegenüber ber Äunft ju
fein, fonbern bie Schönheit gewann einen fo fieghaften ©in«
Unfc ba& man ihren Wienern gern ein SRanco an firchlicher
©efinnung nahfahr wenn nur ba« fiunftwerf, welche« fie
fthufen, in fich feltrft hohen SBertf) befaß, die Sßrofanmalerei
blühte in einem nie bagewefenem SRaafje, unb bie Schönheit
triumphirte über ihre fanatifchften ©egner. die Sßeltflucht
be« SWittelalter« hatte einer SBeltluft fßla| gemacht, bie in
bödjfte^ Sinnenfreubigfeit au«geartet wäre, wenn bie Äunft
nicht hemmenb eingegriffen hätte. denn ber ed)ten Sfunft
ift e« eigen, 3J?aa| z u halten unb bie erregten Triebe zur
fünftterifhen Dbjectioität ju Oerflären. da« „unintereffirte
SSohlgefatten", wie fiant ba« äfthetifche Verhalten einem
Sunftwerf gegenüber nennt, fdjliefjt eine ftürmifche Srregung
ber Sinne fdjlechthin au«. die ftunft hat e« nur mit bem
Schein ju thun, unb bie Vetrachtung be« fdjönen Scheine«
löft bei bem äftijetifch ©eniefjenben ganz non felbft jene har»
; monifhe Stimmung au«, bei ber man bie Sinnenwelt mit
ihren Seibenfcfjaften oergißt, um ganz in ber ibealen SBelt
ber Schönheit aufzugehen.
SBenn diejenigen, welche fich al« Reiter bet Sittlichfeit
berufen glauben, etwa« mehr oon ber Aefthetif berftünben,
fo würben fie wiffen, bafj bie Sittlichfeit einen um fo banf*
bareren Voben finbet, je mehr bie ÜJienfdjheit oon äfthetifchen
Sbealen burchbrungen ift. dafj ba« Schöne auf bem Schein
beruht, währenb e« ber Sittlichfeit um bie ©efinnung ju
| thun ift, barf ben ÜJJoraliften nicht abfehreefen. 2 Benn fich
hinter bem Sittengefejj feine Vejiefjung auf ben überfeienben
— unb wir fönnen getroft hin£j#i 0 en, auf ben überfittlichen
— ®runb alle« dafein« finbet, fo ift e« nicht im Stanbe,
j öerbinbliche ©eltung ju beanfprud)en; unb ebenfo bleibt ber
\ f<höne Schein, wenn er feinen ibealen ©efjalt in fich birgt,
I not ein leere« ßormenfpiel, Welche« bem SRenfchen gelegent*
i lieh wohl angenehme Smpfinbungen erweefen fann, aber nicht
I jene Schauer ber (g^rfurc^t unb be« ©ntjücfen« au«töft, bie
, «ft bem Schönen feine erhabene Stellung im SBeftganjen
I
anweifen, da« gotmalfchöne gefällt felbft auf ber Stufe
be« mathematifch ©efäüigen nur befehalb, weil bie gorm bie
fcheinhafte Verfinntidjung eine« immanenten ^ormgefehe« ift.
Sin ©efejj ift aber immer ibeal, b. h- eS ift bie Sbee, welche
bie gorm beftimmt. SBBir fönnen biefe logifche determina«
tion nur im Vegriff unb in ber Slnfdhauung erfaffen. die
Srfenntnifjlchre hat e« mit bem Vegriff ju thun, bie Schön*
heitelehre mit ber concreten ülnfcfjauung; Veibe aber fönnen
ben ibealen ©ehatt nicht entbehren, weit e« bem 2 Wenfd)en*
geift eigenthümlich ift, bei jebem Vegriff unb bei jeber Sin*
fdjauung auf bie logifdje determination, ber auch fein eigene«
denfen unterworfen ift, ju reflectiren. die äfthetifche Ve*
friebigung beim Slnfdjauen einer mathematifch gefälligen gorm
j. V. rührt baljer, bafe ba« Spiet ber formen fein jufäUige«,
fonbern burch unb burdj ibeebeftimmt ift, Wenn ber Vefdjauer
fich auch aber ben ©runb feiner Vefricbigung nicht flar ift.
Sn ber Schönheit, ba« fottten fich bie ftrengen SRoraliftcn
nur immer wieber oorhalten, ift e« nicht ber ihnen fo oer»
haßte concrete Schein an fich, ber ba« Kriterium ber Schön*
heit auSmadjt, fonbern bie in bemfelben fich entljütlenbe 3 bee,
unb bie Sbee ift ebenfo göttlichen Urfprung«, wie ba« Sitten»
gefe^ ja ift im ©runbe ein unb baffelbe. Sludj im Sitten*
gefeh entfaltet fich bie Sbee nicht unmittelbar, fonbern fie
fchlägt fich nieber in ben fittlichen Sinjeljwecfen, wie Wir fie
in ber ®he, ber gamilie, bem Staat oor un« feljen, unb
ebenfo ift e« im ©ebiet ber Schönheit, wo wir bie Sbee im
äfthetifchen Schein erfaffen.
Sieben biefem gemeinfamen Verührung«pun!t giebt e«
freilich noch eine gaitj bebeutenbe Sphäre, in ber bie Schön*
heit mit ber Sittlidifeit nicht« ju thun hat- SBenn ba«
Schöne bann aber auch fittlich indifferent ift, braucht e« ba*
rum hoch nicht bem Sittengefefc feinblid) ju' fein. SjBer bie
Schönheit freilich nur al« SRittel, bie fittliche ©efinnung ju
fördern, anfieht, mufe ber Schönheit fo enge ©renjen jiehen,
bafe fie babei oerfümmert. Sn ber ©efdjidjte begegnen wir
ja immer Wieber folgen f^anatilern ber ÜWoral, denen jebe«
äfthetifche ©eniefeen fremb unb unfpmpathifch ift, weit e« fie
oon ber Slrbeit an bem £>eil ihrer Seele ab^ießt; fie gehen
in ber Verwerfung be« Schönen fo weit, bafj fie jebe gorm
beffelben, auch bie fittlich 9 Q Oj inbifferente wie bie ßanbfdjaftg*
malerei, oerwerfen unb felbft ber im dienft ber SReligion
ftehenben fiunft feinblich gefinnt finb, weil ihr auf bie ab*
ftracte ©otte«oereljrung gerichteter Sinn be« äfthetifchen Dr*
gan« gänzlich entbehrt, die Vefähigung jum äfthetifchen ©e*
nufe feßt noch me h r OJie bie inteDectuelle Vefähigung, wenig*
ften« bei ben norbijefjen Völfern, eine ©enerationen an*
bauetnbe Srjiehung oorau«, wenn fie in gleifch unb Vlut
übergehen, nicht« conoentioneü Angelernte« bleiben fotl. da«
oeraeffen jene Voll«beglüder immer wieber, bie Oon ber
näcpften ßufunft, fobalb ber tßtioatbefifc SoHectioeigenthum
geworben ift, eine 5tu«bel)nung be« ftunftoerftänbniffe« auf
bie breiteften Schichten annehmen, drofcbem bie Schönheit
fich owf ben concreten Schein ftüßt, bie ÜKoral auf abftracte
Sehren, ift e« leichter, einen gänzlich Ungebilbeten Oon ber
SrfüDung einer naheliegenben Vflidht, oon bem Unrecht einer
begangenen ^anbtung ju überzeugen, al« ihm bie Schönheiten
SWojarffchet SJJufif ober bet Sijtinifdjen SWabonna flar z«
machen. Sene Ißuritaner, Welche ber Schönheit ben ©arau« I
machen wollten, legten eben burch bie $eftigfeit ihre« Angriff«
ßeugnifj atT bon ber H?ad)t ber Schönheit, benn nur ein .
©egner, ben man fürchtet, Wirb fo energifdj befämpft.
da« fittliche Vewufetfein, welche« fich ber IRenaif*
fance unb Deformation mehr unb mehr oon ber ^eterono*
mie ber Sirctje frei gemacht h at » h at fi«h ber gelegent*
liehen Auämüchfe puritanifcher Strenge unter ben theologifchen
Siferern zu einer immer milberen Auffaffung bem ©ebiet ber
Schönheit gegenüber burefmebrungen. Vor allen dingen h fl f
q« fich barin befdjeiben gelernt, bafj e« nicht mehr ben An*
fpruch erhebt, ben moralifchen äRaa^ftab an ba« Schöne zu
Digitized by
Google
200
Die töegettwart
Nr. 13.
(egen, fonbern bie beiben (Sphären reinlich unb fc^arf trennt.
Aud) bte Anficf)t, baß baS ©djöne um fo t)öh cr ju toertfien
fei, je birecter cS erpherifdj fei, gehört p ben übermunbenen
©tanbpunften. Schiller tonnte noef) ernftf)aft bie grage auf*
Werfen: „Sft bie Sdjaubüf)ne eine moratifdje Anftalt?" feit»
bent aber hat man in ber Aeftljetif als ber £el)re oom
Schönen bie päbagogifdjen Rüdficfjten ebenfo wie bie mora»
lifdjen pm alten Sifen gelegt unb ber Schönheit als ©etbft»
jwed ge^ulbigt. SBenit man aber oudj pgeben muß, baß
ein birecter päbagogifdjer Sinfluß bem Schönen nid)t pge»
ftanben werben tonn, fo ift hoch baran feftphalten, baß eS
einen inbirecten Sinfluß auf bie Srjiehung auSfibt. ©aS
©d)öne rüdt baburcf) auS ber ©teHung eines bienenben
©liebes in ißäbagogif unb SRoral pr Helferin in beiben ©e»
bieten auf, ohne baburdj feine ©elbftänbigfeit einpbüßen.
AuS biefer ©tellung beS Schönen entfpringt eine ganje
Steife neuer ißflidjten. SBeit entfernt baoon, burd) baS Ab»
toerfen ber päbagogifc^en unb moralifcfjen Seoormunbung
freier geworben p fein, ertoädjft für ben Stünftler aus biefer
greiljeit bie Röthigung p einer ftrengen ©elbftpdjt. Sßenn
früher bie Autorität ber Slirclje baS Äunftmerl tor ber Äritif
gebüßt, unb bie moralifc£)e ©enugtljuung, ein heiliges SBerf
gefdjaffen p Ijaben, auSrei^en mochte, um etwa fid) regenbe
fünftlerifd)e gtoeifel S u bannen, fo fieljt fid^ bei fortfdjreitenber
Reife baS dft^etifcfje Setoußtfein allein auf fidj felbft ange»
toiefen unb fommt nun aud) bap, bie ©renjen ber fünfte,
bie ©tilgefeße, ben SBerth beS ibealen ©efpltS, baS Sßertjältntfe
oon gorm unb gnhalt u. f. to. p beftimmen. 3Bie nicht
anberS möglich, toertiert fid) ber fünfilerifd) Oeranlagte A
2Renfdjengeift babei manchmal auf ben tounberlidiften 2lb»
wegen. SS fehlte fo lange an bet philofopljifchen ßnfammen»
faffung ber ©pecialgebiete, benn bie Aeftljetif als SBiffenfdjaftJf
ift erft feljr neueren ©aturnS, baß bie Anläufe pr Reflexion*
über baS Äunftfdjöne not^wenbig bie toiberfpredjenbften
©heorien p ©age förbern mußten. ©er probucirenbe Sünft»
ler ift in ben toenigften gälten geneigt, fid) felbft Redjen»
fdjaft über feine Stunft abplegen, er Oerl)ält fid) nicht feiten
feinbticO gegen alles ©heoretifiren, Weil et baburd) feine $ro=
buctionStraft, bie, wie er gefühlsmäßig Weiß, auS bem Unbe»
toußten ftammt, gefdjwädjt p fef)en fürchtet. 2tber ber
grübelnbe SRenfchengeift tonnte bei biefem ableljnenben Ver*
halten gegen eine begriffliche ©lieberung fid) auf bie ©auer
nicht beruhigen, fonbern toanbte auf baS in ber üöelt oor»
hanbene ©djöne biefclben ©enfformen an, bie er auf baS
Vorhanbenfein ber Sßirflidjfeit überhaupt antoanbte; er über»
fdjaute baS ©djöne in ber bilbenben Siunft, in ber Ratur, in
ber Ißoefie, in ber SRufif, in ben unfreien fünften ber 2Ird)i»
teftur unb beS ÄunfthanbwerfS, abftrahirte barauS erft ©til»
gefeße, bann allgemeine ©äße über baS @djöne unb gelangte
fo bap, eine ganj unabhängige SBiffenfdjaft, bie 2lefthetif,
heran p bilben, bie baS ©cf)öne in feiner Stellung im SBelt»
ganzen erfaßte unb bamit ben ©djlußftein p einem ©ebäube
fügte, baS feine erften Saufteine weit jerftreut in ben Sßerfen
ber alten grie^if^en ^Eptofopfjen finbet. ©enn bie ißh*to-
fophen finb eS oor allem getoefen, nicht bie Zünftler felbft,
bie baS SReifte pr gebanflichen Verarbeitung beS bafeienben
Schönen beigetragen h°ben. 3 roar h a ^ en aU( ^ bon
einjelnen ftünftlern toerthooQe 2luffchlüffe über ihre eigene
Äunft erhalten, aber ber begriffliche 3 u f Qmmen h Qn 9 ber ein»
jelnen Äünfte untereinanber ift bon einem ©pedatgebiet auS
nicht p erwarten. Um bie fpnthetifdjc ©1)01*9^» welche
alle fünfte p einem ©ijftem ber fünfte jufammenfchließt,
auSjuiiben, bebarf eS beS ^Ijilofophen, bein bie 2lufgabe p»
fiel, bie ©afeinSberedjtigung ber fünfte auS bem ÜBefen beS
©dhöneit felbft p erflären, unb biefe rein phitofophifd)e 2luf»
gäbe ift im 19. 3af)thunbert auf bie mannigfad)fte 2Beife
bon beutfehen ©entern ber Söfung näher geführt Worben.
©aß oon biefen feinen Unterfudjungen ber 5ßh^°i°f ) ^ e
beS £d)önen nodj fo wenig in baS Vewußtfein auch ^ er 9 es
bilbeten greife übergegangen ift, betoeifen beutlidh bie Reichs»
tagSberhanblungen über bie fogenannten Äunft» unb ©h eotet ‘
Paragraphen ber lex §ein|je. Sffiieber h at fi<h eine Partei
angemaaßt, ber ßunft nach aßen fRichtungen hin Vorfchtiftcn
p machen, nicht nach äfthetifdjen, fonbern nach moralifthen
©efichtspuntten, währenb man hoch an bie Äunft nur einen
äfthetifdjen äWaaßfiab anlegen barf. ©o gerne man alle 8e»
mühuitgen ber üiegierung unterftühen möchte, bie unreife
$>ugenb unb baS Volt bor ben 2lu8fchreitungen einet fitt) aü
Äunft gebärbenben Ausbeutung in gorm bon untüchtigen
Silbern, unflätigen 3 0te n, ber ©inge(=©angel unb ber nur
auf bie ©innlid)teit berechneten förperlidjen ©chauftellungen
bieler AuSftattungSftüde unb Sariäte=©heater ju bewahren,
weil baS äftljetifche Smpfinben babon ebenfo abgeftoßen wirb
wie baS ethifdje — bie ©efaht einer fReglementirung bet
Shcnft burch Drgane, bie bie echte Äunft beS ibee»erfüHten
Scheins nicht bon ber unechten Sunft beS ©innenreijeS p
unterfcheiben bermögen, ift fo bebentlich, baß tnan fich gegen
©efe^e berwahren muß, bie unS mit einer ftaatlich conceffio»
ntrten äfthetifchen Seauffichtigung beglüden wollen.
©enn jene Seauffichtigung ift eben uidjt bon äftheti»
fdjen ©efiebtspuntten geleitet. SBäre fie baS, fo würbe fie
wiffen, baß man pnfdjen äfthetifchen ©cheingefühlen unb
realen ©efühlen unterfcheiben muß. gebe Äunft, bie nur
©cheingefühle auStöfen will, bei benen baS genießenbe ©ubject
fich 9 an i Object berliert, ift rein unb echt; jebe fiunft,
bie eS auf bie Srregung finnlicher, wohl gar gef^lechtlicher
©riebe abgefehen hat, auf reale ©efühle, bie ben Sftenfdp
anf fich felbft jurüdwerfen, anftatt ihn ber Realität p ent»
heben unb in’S gbeale p üerfenfen, ift unwahr unb unecht,
weil ihm baS Sriterium beS äfthetifd) ©chönen, bie Schein»
haftigfeit fehlt. 9iun giebt eS jwar immer SRenfchen, bie fo
Wenig äfthetifdEj oerlangt finb, baß ihnen j. S. ein anfehau»
lieh gemaltes ©tiHleben eßbarer ©egenftänbe, nur Appetit
erregt, unb bie SRaffe ©erer, benen eine gemalte SenuS —
ber reine gormenfdjein ber fßlaftif wirft meiftenS äftljetijdjet
— fejueKe fReije auStöft, mag auch nicht flein fein, weuigftenS
nicht in ben unterften SotfSfdjidjten, aber baS beweift nichts
gegen bie Serwerflidjfeit ber Äunft, fonbern nur ben SRangel
äfthetifcher ©rjiehung. ©ie äfthetifche Setrachtung löft überall
ben Schein oon ber SRealität ab. ®ie Unterlage beS @djeinä,
bie pr Vermittelung beffelben für bie ©inne nothwenbig ift,
bleibt für ben äfthetifd) ©enießenben ganj gteichgiltig, tonn
alfo aud) niemals feine ©inne aufregen, felbft wenn leben»
bigeS gleifdj unb Slut, wie bei ber fchönen ©anjfunft, bie
Vermittelung beS Scheins abgiebt. ®ie äfthetifche ©enuß»
fähigfeit ift aber feine angeborene, fonbern fann nur burch
eine forgfältige ©rjiehung unb eine lange Schulung an
©enfmälern ed)ter Äutift erworben werben; fie ift alfo recht
eigentlich ein Sigenthum ber ©ebilbeten, unb man fann oon
bem Volf nicht erwarten, baß eS, etwa burch inftinctioe St»
faffung, fid) oeim Anblid echter Äunft fofort auf bie @|uft
ber ©ebilbeten erhebt. s
Run entfteht bie grage, ob eS für bie Srjieljung V*
VolfeS thunlich fei, i|m ben Anblid oon ßunftwerfen p
bieten, bie feiner Roheit oft nur ben Anlaß p unrein®
Reijen geben, ©ie Anfichten über biefe grage gehen am»
einanber. Sefdjränft man fich au f bie bilbenbe Äunft, f’
fönnte man baS Verbot ber AuSfteHung oon Racftheiten if
ben ©chaufenftern feht wohl bamit rechtfertigen, baß b<
wahre ^unft biefer ©chaufteHung nicht bebürfe, unb ba|
biefe in ben ÄunftauSfteHungen unb SRufeen ihren
baS Schöne p oerrfinnliefert, noch oollauf Oerwirflicßen fönnetj
Södtin j. S. ift Wirtlich fein SRaler, für ben man auf Ver»l
ftänbniß bei bem größten ©heit bep Seüötferung8fd|id)ten|
regnen fönnte, bie an ben ©ebaufenftern oorbeijiehen. Au<hi
feine wunberfchöne, Oom moralifch»clericalen ©tanbpunft gewiß ]
ganj ungefährliche ©obteninfel Würbe auf feine begeifterte
guftimmung, fonbern höchftenS auf ©leichgiltigfeit ftoßen.
Digitized by v^. ooQie
Nr. 13.
Hie (Sesettwart
201
Demnach tönnte mart eS billigen, wenn man für bie ©cßau*
fteUung im Sabenfenfter eine AuSmaßl bafjin träfe, baß man
biejenigen ßunftgegenftänbe, für bie baS Soll nodß -nidtjt ge*
reift genug ift, non ber öffentlichen ©cßauftellung auSfcßlöffe
unb nur im 3nnern beS SabenS felbft pm $auf anböte,
©o feßr im Allgemeinen baran feftpßalten ift, baß ber
Äunft bie größte Freiheit p taffen ift, fo feßr muß man
bocß auch barauf tjinroeifen, baß bie Äunft nicht ber AuS*
beutung bnrCh gewiffentofe ©peculanten oerfaQe. Die ge*
fcßäftlicße ©peculation feßrt fich nid)t an bie Feinheit ber
Stunft; wenn fie beffere ©ewinne erhielt bnrch ©egünftigung
eine# rohen, tßeüS entarteten, tßeilS noch uicfjt genugfam ge*
bitbeten ©efcßmacfS unb burch ©peculation auf außeräftßetifcße
©efüßlSreije, fo wirb fie feinen Anftanb nehmen, barnadj §u
hanbeln. ©ine Abwehr gegen biefe £anblungSmeife aus
bolfSpäbagogifcßen SRürffidjten bebeutet nicf)t§ weniger als
eine ©eoormunbung ber Äunft, unb ber »on ben ©egnern
biefeS Verbots fo oft angeführte Hinweis auf frühere 3eiten,
in benen naioere ©itten unb ©ebräudje manches anftanbSloS
hinnahmen, was heute auch bei ben ©ebilbeten für anftößig
gilt, beweift nicßtS für bie ©egenwart.
ÜRocf) wichtiger atS baS ©erbot ber ©cßauftellung »on
gewtffen ©egenftänben ber bitbenben Äünfte in ben Saben*
fenftern wäre eine gefehlte ©infcßränfung beS ©eltung*
bereicßS ber nieberen ©üßnen. Aber bie Äritif, waS erlaubt,
waS unerlaubt ift, fefjt wieberum eine fo feine äftßetifcße
©ttbung oorauS, bafj man billig jweifetn fann, ob bie Sie*
gierung im ©tanbe ift, eine in ©adjen ber ernften Theater*
funft maßgebenbe ©eßörbe p fdßaffen. Der borliegenbe
Dßeaterparagrapß trifft formell bie ernften Dßeater lD > e bie
nieberen Schaubühnen ganj gleichmäßig, unb baS ©etieben
eines äftßetifcß ganj ungebitbeten ©eamten tann eine ftraf*
rechtliche ©erfolgung beS ernften ©cßaufpielerS wie beS
„arbeitenben" SongleurS herbeiführen, fobalb ihm eine ®e*
berbe anftößig erfcheint.
Die für bie ©olfSerjießung nachtheitigen folgen liegen
auf bem ©ebiet ber nieberen ©üßnen noch weit mehr p
Dage als auf bem ©ebiet ber bitbenben Sfunft. ©aS bie
ernften Theater gelegentlich einmal an ©efcßmadflofigfeiten
»erbrechen, wirb nur einem Keinen ©rudjtfjeil ©ebilbeter p*
gängticß unb »on ber ißreffe meiftenS genügenb djarafterifirt;
bie ©pecialitätenbühnen aber gießen eine fo große ÜJiaffe beS
©olfeS an unb bleiben fich £n ih rer Senbenj, auf außer*
äfthetifche ©efüßlSreige p wirten, fo treu, baß baburcß aller*
biitgS eine ©erroßuna beS äftßetifcßen ©efcßmacfS herbeigeführt
wirb. ©ie aber foU man eS machen, bie eine 9iicßtung p
treffen, bie anbere ju fronen? Darin liegt bie große
©cßwierigfeit für jeben ©etradjter, ber in ber äftßetifcßen
(Sultur einen ber wichtigften g a£ toren pr ©ilberung ber
©itten unb in ber ©ühne baS wertßooUfte SUiittel p äftßeti*
fehen ©itbung gerabe beS ©olteS fieht. Die ©ergnügungS*
fucßt ift mit ber fteigenbeit ©oßtßabenßeit gewacßfett; bie
Xanjböben befriebigen nur bie jüngeren Seute, bie älteren
unb ber ÜWittelftanb, p benen fich bie große ©cßaar*ber
unberßeiratßeten Äaufleute gefeilt, feljen fich nac ß anberen
Anregungen ißrer • ©cßauluft um, unb biefem ©erlangen
tommen bie ©arietö*Dßeater bereitwillig entgegen, ßweimat
in ber ©odße, an ben ©onnabepben unb Sonntagen, finb
bie ©ariete*Dßeater — Wir hoben bafiir tein beutfcßeS ©ort
— bicßtgebrängt »oll »on Seuten, bie einer befferen äftheti*
fehen ©rjießung Würbig wären. ©ieoiet ift über ©olfS*
bühnen gefeßrieben Worben, unb wie wenig ift auf biefem
©ebiet geteiftet Worben, weil bie Dßeateruntertießmer alle 5
fammt ©efcßäftSleute finb, bie Äenntniß beS bisherigen ©e*
fcßäfts fie aber gelehrt hat, baß bie größten ©etberfolge bei
ber ©peculation auf Sinnenreize ju erreichen finb.
©enn bie ©ertreter ber 20?oral fich bamit begnügen
Wollten, ihren moralifcßen §emmfcßuß jenem leicßtgebauten
©efäßrt anjulegen, baS fich ganj mit Unrecht DßeSpiSfarren
nennt unb mit ber Stunft beS fdßönen Unerfüllten ©cßeinS
gar nicßtS ju tßun ßat, obgleich jupgeben ift, baß biefe
©dßaubüßnen aitcß ©ieleS bieten, waS äftßetifcß toie fittlidß
unanftößig ift, fo würben fie fieß gerabe für bie Sunft ein
boppelteS ©erbienft erwerben, ein pofitiueS, inbem fie bie
Stunft felber »on einem fcßäblicßen ©atlaft befreiten, ein
negatioeS, inbem fie burch biefe ©efreiung ber waßren
äftßetifcßen Srjießung erft ’Sßür unb Etßor öffneten. 2)ie
gelegentlichen äftßetif^en ©erirrungen ber ernften ©üßnen
fommen gegenüber biefen üRaffenwirfungen <jar nidßt in ©e*
tradjt bom ©tanbpunft ber ©olfSpäbagogil, in ber baS
äftßetifcße ©ebiet eine fo große SRoHe fpielt. ©ei ber Stürze
ber ©cßuljeit unb bem nidßt ßinwegpleugnenben ^nbifferen*
tiSrnuS gegenüber ber Äircße ift bie ©üßne neben ber ißreffe
baS einjiae SDtittel, baS ©olf in eine ibeate ©pßäre $u er*
ßeben, aber »on biefem Streben ift bei benjenigen, welcße
bem an unb für fid) ganj berechtigtem ©ergnügungStrieb ber
großem 2J?affe bienen, ni^tS p merlen. ©oute bie ©efeß*
gebung fid) um bie ©olfSpäbagogil ein Wichtiges ©erbienft
erweifen, fo wäre hier ber fßunft beS ©infejjenS. fjreilidß
Wäre bei unferer jeßigen inbioibuatiftifcß gerichteten 3 e U ber
©rfolg eines foldßen ©efeßeSborfcßlagS feßr jWeifetßaft. ®ie
©ocialbemofraäe würbe fieß wie ein ÜDtann gegen biefe ftaat*
ließe ©eoormunbung aufleßnen, unb bie liberalen Parteien
Würben barin wahrfcßeinliiß ebenfaßS einen ©ingriff in bie
perfönlicßen Siecßte beS ©injelnen, fieß naeß feinem ©eßagen
p amüfiren, erbliden. Aucß würbe es feßwer halten, bem
©olf fofort eine anbere Stoft p bieten, üorauägefejjt, baß eS
bap fänte, alle nieberen ©cßaubüßnen auf einmal p
fcßließen. $>ie jeßige ©efeßeSborlage ift in ©epg auf ben
Slßeaterparagrapßen gänjlicß unbrauchbar, auS äftßetifdßen,
wie auS moralifcßen ©rünben. AuS äftßetifcßen, Weil bie
ernften ©üßnen »olle greißeit haben müffen, baS ©cßöne
in bramatifeßer gorm ungeßinbert »on ben geffeln clericaler
ÜRoral barpbieten, auS moralifcßen, weit eS baS ©eltungS*
bereieß ber SDforal felbft einengen hieße, wenn man eS burch
fireßließe SRücfficßten beeinflußte. $aS »erfeinerte moberne
fittlicße ©efüßl feßtießt waßre äftßetifdßie ©efüßle nießt auS,
fonbern weiß fie als Unterlage für ein größeres ©treben
naef) SRaaß unb Harmonie woßl p fcßäßen, wäßrenb eS fidß
ganj »on felbft ableßnenb gegen folcße Darbietungen »erßält,
bie baS äftßetifcße wie baS moralifcße ©efüßl »erleßen. Die
fircßlicße Autorität, fei eS fatßolifdje, fei eS proteftantifeße,
jeßt noeß in ©aeßen ber SWoral anerfennen follen, baS fann
bem fortgefeßrittenen fittlicben ©ewußtfein felbft nießt meßr
auf bem ©ebiet ber SDtoral pgemutßet werben, »iel weniger
benn auf bem ©ebiet beS ©cßönen. Die §üter ber ÜRoral
fcßäbigeit ißr Anfeßen bureß nichts meßr, als wenn fie burch
eine folcße ©erwirrung beweifen, baß fie über ben mittelalter*
ließen ©tanbpunft noeß nicf)t ßinauSgefommen finb. ©oll
eine ©efreiung ber Sfunft bon bem gefäßrlicßen ©aöaft ber
auf ganj unäftßetifcße 3' e ^ e gerichteten Afterfunft bureß*
gefüßrt werben, fo fann fie »ielleicßt nur bureß einmütßigen
ßufammenfeßtuß ber Ä'ünftler felbft gefeßeßen, wie Wir ißn
jeßt in ber Abwehr gegen baS ißnen gefäßrlicß bünfenbe ©efeß
gefeßen ßaben. ^ätten fie ißre Negation bureß pofitiüe ©or*
fcßläge pr ©efeitigung ber aucß »on ißnen oft brücfenb em*
pfunbenen HJfißftänbe auf bem ©ebiete einer fieß als Äunft
gebärbenben ©efcßäftSfpeculation ergänzt, fo wären fie ber
ißnen pgefallenen Aufgabe erft »oUfommen gerecht geworben,
©ine Säuterung ber Äunft nach rein äftßetifdßen ©efidßtS*
punften »on ben unfauberett Anßängfeln ber Afterfunft ift
eine notßwenbige ©ebingung für ben ©ulturfortfcßritt; ift
jeßt bie Abwehr gegen fircßli<ß=ftaatlidE>e ©eoormunbung ge*
lungen, fo wirb hoffentlich bie 3«* nießt ferne fein, wo Der
Stampf gegen ben unlauteren ©ettbewerb auf bem äftßetifdßen
©ebiet aucß fiegreieß p ©nbe geführt wirb. A. v. H.
Digitized by v^. ooQie
202
Die ®e$enn»ari
Nr. 13.
(kbriele b’^uiumjto mtb fein nene(les tPerk.
9Son UTarcits Canbau. ,
3m »origen 3af)re finb btei ©tarnen oon b’ünnungio
erfcpienen unb gleich im ©eginn beS neuen 2>af)re3 über»
rafc^t et unS mieber mit einem „ ®aS geuer" betitelten
2Betfe*) oon fecpftpalbhunbert «Seiten, baS fictt als erfter
©peil einer „®ie Nomane beS ©ranatapfels" betitelten ©ri*
logie anfünbigt. ES gehört gu ben Eigenheiten biefeS Verbot«
ragenben, oielbewunberten italienifdjen ©icpterS, ftets brei
feiner ütomane unter einem gemeinfamen ©itel gufammengu»
faffen, obwohl gwifcpen ben ©erfonen ber eingelnen SRomane
fein gufammenpang befielt unb auch eine geiftige Einheit
faum waprgunepmen ifi. @3 gilt bieS freilich nur Dom
crften ©iertelbupenb, ben „SRofenromanen", wefcpe3 DoUftänbig
erfcpienen ift. ©om gweiten Sßiertelbu^enb, ben „ ßilien»
romanen", ift nur ber erfte „©ie gclfenjungfrauen" (ober
©urgfräutein) im Satire 1896 erfcpienen, unb jept fdtjicft er
toieber, anftatt ber Dot Dier Sauren »erfprocpenen „©nabe"
unb „©erfünbigung", baS „geuer" als erften bet „©ranat*
äpfet=9lomane" in bie SBelt, bem „©er Sieg beS SRenfcpen"
unb „©er ©riumph beS ßebenS" folgen foH.
@ranatäpfet»5Romane nennt er biefe ©rilogie, weil biefe
grucpt baS Emblem Stelio Effrena’S, ber tpauptperfon beS
„geuerS“ ift, baS er „mit mehr ©ebeutungen, ais fie Äörner
enthält, übertaben pat." ©3a3 aber biefe SBebeutungen finb,
baS Wirb, fagt er, „Dieöeidft irgenb ein beweglicher unb far¬
biger ©eift (spirito agile e colorito) gang begreifen unb ge*
nießen." 3<P gehöre leibet nicpt gu biefen auSerwäplten
©eiftern unb muß baper auf baS Dolle ©erftänbniß Der»
gicpten. 2tucp ber ©itel „geuer" ift nicpt gang flar unb pat
jebenfatlS feinen ©egug auf ben Snpalt beS Sucres, beinahe
hätte ich gefagt, beS SlomanS, obwohl eS bie Scpilbetung
eineg in SSenebig abgebrannten geuerwerfs enthält. ©iel*
mehr würbe biefer ©itel bem 1 „tragifcpeS ©oem" betitelten
Sogno dun tramonto d'autunno (©raum eines ^»erbftfonnen*
Untergangs) gebühren, baS mit einem großen ©ranbe fcpließt.
©ineS ber Dier SJtottoS Don „geuer“ ift: „fa come
natura face in foco* unb ber Sinn biefeS unb ber folgen»
ben ©erfe aus bem »ierten ©efange oon ©ante’S „©arabieS"
ift, haß ber fefte SBiHe fich barin geige, baff er ftets wieber
feinen eigenen 2Beg einfehtage, fobatb ber äußere gwang auf»
hört, wie baS geuer, baS ftets nach oben ftrebe. ©emnaep
fotl alfo ber ©itel beS SEßerfeS ben ftets unentwegt feinem
hohen $iele guftrebenben gelben ober Dielmehr ben ©iepter
felbft fputbolifiren. ©enn biefer felbft, ©abriele b’2lnnungio,
ift unter bem Namen Stelio ber £etb, waS er geleiftet hat
unb waS er noch fchaffen wirb ober Dielmehr f(paffen will,
baS legt er uns hier offen unb ausführlich bar. 2Bir haben
bemnach baS Necpt, feine früheren SBerfe fowohl als biefeS
fein neuefteS auf ©runb feines ©rogrammS gu beurtheilen,
auS bem, waS er geleiftet hat, gu ermeffen, WaS Wir Don
ihm noch gu erwarten berechtigt finb.
Schon in feinen früheren SBerfen hat er fich als 93er»
ehrer Niepfcpe’S unb SRicparb SBagner’S gegeigt. 3m „©riumph
beS ©obeS" finbet fich e ‘ ne gtoangig Seiten lange Npapfobie
über „©riftan unb Sfotbe", unb ein echter Äönig mit wahr*
haft fönigfiepem ©eifte ift für ihn (in Vergini delle rocce)
nur S?önig ßubwig Don ©aiern, ber funftfinnige ©rotector
aßagner’S. 3n „guoco", baS in ©enebig fpielt, erfcheint nun
SBagner felbft, freilich nicht hanbelnb, fonbern teibenb. ©aS
eine 2Ral läßt ihn b’Slnnungio auf bem ©ampffchiffe, baS
Dom ßibo gur ©iaggetta fährt, in Ohnmacht fallen unb Don
Stelio unb feinem greunbe ©aniele ©lauro an’S ßanb ge*
tragen Werben, baS gweite ÜRat geigt er ihn unS als ßeiepnam
im ©alaggo ©enbramin unb läßt Don Stelio unb feinen fünf
*) I romanzi del Melagrano. 11 fuoco. Milano, Fratelli
Treves, 1900.
greunben ben Sarg in bie ©arte tragen. Ob eS torrflicp
nur Staliener waren, bie bem beutfdfen SReifter ben lebten
ßiebeSbienft erwiefen, weiß ich nicht, über mit feinem ©obe
(13. gebruar 1883) fcf|ließt b’ünnungio’S ©uch, unb bet
Schluß ift Dom 13. gebruar 1900 batirt.
2Rit ber Nachfolge SRiehfche’S ift eS bem italienifcßen
©ichter nicht befonberS gut gegangen. Sein ©iorgio 21 uriSpa
(im „©riumph beS ©obeS") folgt Woßl ber egoiftifdtjen Herren*
moral, ift aber tein Uebermenfch, fonbern geiftig .unb förper»
lieh e in Schwächling. Sn ben „©urgfräutein" wollte er
unS mit Elaubio Eantelmo einen wirtlichen Straftmenfdjen
Dorführen, aber er geigt unS nur große ©haten in ©Sorten.
Et fpridjt gar Diel Don bem, waS gur ©efiegung ber ©emo*
tratie, für ben ©riumph ber Schönheit git tlpm ift, aber
irgenb eine große ober auch nur Heine ©hat »errichtet er
nicht, ©ieüeicht follte er feine Störte erft in ben anberen
gwei „ßilienromanen" geigen,» unb bie ift unS b’2lnnungio
fchulbig geblieben, ©agegen h°t er uns in ben ©rauten
„Sogno d’un tramonto d’autunno* unb „La Gloria* gwei
gräßliche Ueberweiber Dorgeführt. Stber SRiegfcfie ift bei ihm
jefgt fchon gtemlich abgetan unb ©Sagner fein eingigeS Sbeat
geblieben, ©em großen ©arbaren, wie er ihn nennt, nach*
eifetnb, will er ber SBagner ber ßateiner werben. „©Sagnet’3
©Sert", fagt er, „beruht burdjauS auf bem germanifchen ©eift,
er ift bie Ouinteffeng beS SRorbifchen. Seine SReform hat
einige 2lehnlichteit mit ber ßuther’S. Sein ©rama ift nichts
als bie feinfte ©turne beS ©eifteS einer SRation ... 2lber
ftellt man fid) fein ©Sert an ben Ufern beS ÜRittelmeereS
Dgr, gwifchen unferen Dlinenhainen, unferen fchtanten ßor»
beerbäumen, unter bem ©lange beS füblichen ftimmelS, ba
»erblaßt eS unb löft fich auf... Sch aber bin ftolg barauf,
ein ßateiner gu fein unb betrachte jeben 3Renfd)en eines anberen
©tuteS als ©arbaren." ©ann fefct er auSeinanber, baß baS
©Sagner’fchc ©rama nicht als gortbilbung beS ©tiecfjtfchen gu
betrachten fei, bem baS SWufitbrama ber Statiener ber fRenaif»
fance* unb ©aroefgeit »iel näher ftehe; in feiner Serbin»
bung Don 2Rufif, ©oefie unb 2luSftattung fei eS baS ©or*
bilb ©Jagner’S gemefen.*) Es ift alfo nicht fo fehr bie Äunft
beS ©eutfehen, bie ber Statiener nachahmen will, als feine
2 Retljobe ber ©ropaganba, fein ©efehief fich Qeltenb gu machen:
„«Stelio hatte einen inftincti»en ^>aß, eine bunfet gefühlte
geinbfdjaft gegen biefen hartnäefigen ©ermanen, bem eS ge*
lungen war, bie gange ©Jett gu enthufiaSmiren. Um fich
2 Rcnfcf)en unb ©inge gu unterwerfen, hat er ftetS fich felbft
auf ein ©iebeftal geftetlt, ftets feinen ©raum ber Schönheit
Derherrticht. Er wenbete fich an bie ÜRenge als bie wünfcf)en3*
werthefte ©eute." 2lber mit bem SBotlen allein ift eS nicht
getfjan, unb Energie unb 2lu8bauer müßten auch angeboren
fein. Db b’2lnnungio, beffen Sprachrohr hier Stelio ift, fie
befijjt, weiß ich »««hi- 2BaS man Don ber Don ihm im ©er*
ein mit grau ©ufe geplanten Nachahmung beS ©apreuther
©peaterS, Don bem auch in Fuoco mieberßolt bie SRebe ift,
hört, Hingt eben nicht erfotgDerfprechenb. Unb baß mit ber
Schaufpieterin goScarina beS SRomanS bie ©ufe gemeint fei,
wie ein Äritifer fagte, wollen Wir lieber nicht glauben. ES
wäre gar gu arg.
Sn bem ©erhältniß Stelio’S gu goScarina geigen fid)
ttod) bie fRefte feines NießfcpeaniSmuS. ©ewiß, er liebt bie
Don ißm um einige Sahre ältere, feport bureß mehrere ßtänbe
gegangene, aber noch immer fepöne unb begehrenSwerthe grau,
aber er bebarf iprer auep. Sie fotl ißm als SRittel gur Er*
reiepung feines 3« e l e ^ bienen, ipn in bie ScpaßenSftimmung
Derfcßen, als ÜRobetl bienen, unb bann bie ©ebilbe feiner
©pantafie auf ber ©üpne »ertörpern. Snt ©egenfaß gur
©ioconba beS gleichnamigen ©ramaS, Welche ben ©ilbpauer
*) Ungefähr bafiette ^abe icf) bor mehr al8 jioonjtg
meiner «Sdprift „®ie italienifcpe fiiteratur am öfterreidjifeben fcofe" ge*
Jagt, unb bie Speerie beS „itunfimertä ber gnfunft" pat l'djcn ©iufeppe
ißarint im britten SBiertel beS adjtjeljnten 3a|r^unbertS aufgefteQt.
Nr. 13.
Hie ©egenwart.
203
Settala beherrfdjt, 6tei6t gogcarina ftetg bie Sienenbe, bag
wiflfährige SBertjeug. ©ücffichtglog, nur feinem Egoigmug
folgenb, geniefjt nnb benufct Stelio Körper, ©eift unb ©efüht
gogcarinag; ober biefe fiet)t in ber nocf) im Ipintergrunbe
fteljenben jungfräulichen Sängerin Sonateßa Slroale if»re
©iüalin, nod) beoor Stelio felbft recht jum ©ewußtfein ge«
fommen ift, baß er fie liebt, unb macht ihr ©la|, inbem fie
eine Äunftreife nach SHmerifa antritt. S’Slnnunjio hat ba
üietleicht an SBagner unb feine erfte grau gebacht, bereit
©riefe bie „©egenwart" unlängft öeröffentlirf)te, aber er hat
bag ©erhältniß iit’g Sßegitime unb Sin nn Li che gesogen.
Sabei brängen fich ung nun einige gragen auf: ©ebarf ber
dichter ober Sönftler ftetg einer ihn jum Schaffen ermun«
ternben, in bie rechte Stimmung üerfefcenben ©eliebten?
Sann bie grauenliebe biefen ihren h°h ett 3 n,ec ® nut ets
fußen, wenn fie feine platonifd)e, fonbern eine mit reichem
finnlidjen ©enuß oerbunbene ift? Unb britteng: ift eg burchaug
nothtnenbig, erhöht eg ben SBerth ber Sichtung, toenn biefer
©enuß mit all feiner ©runft in fo betaiHirter ©Seife gefdjil*
bert wirb, wie eg in „Fuoco“ gefchieht? Sn ©ioconba Si=
anti, in ber ©rabeniga (Sogno cl’un tramonto d’autunno),
in ber Somitena (©loria) fonnte man noch Stpnbole üet«
muthen, aber bie gogcarina ift fein Spmbol, fonbern ein
tebenbeg wirtlich ejiftirenbeg ©Sefen. Sag ©igdjett ^anblung
beg ©omang fpielt nicht wie ber „^erbfttraum" in unbe=
ftimmter ©ergangent)eit ober wie „Ser ©uhrn" in nebelhafter
ßufunft, fonbern im mobernen ©enebig mit Sampfbooten
nnb fßanjerfdjiffen, unb ber gogcarina tritt bie mit ihrem
©amen genannte Königin ©Zargherita oon Stalien gegenüber!
Ser ©oman beginnt mit einem ©ortrag Stelio’g (ohne
Sonference thut eg jefct faft fein italienifcher ©oman) im
Sogenpalaft oor ber Sfönigin unb ber ©fite ber ©efeflfdjaft
©enebigg. Ser ©ortragenbe erntet fetbftüerftänblid) bonnernben
Slpplaug, nur bie Königin hat einmal üernetnenb bag §aupt
geßhütteit. Slber mehr alg ber ©eifall freut ben ©ortragenben,
Wag ihn noch alg Sohn erwartet — bie gogcarina hat ihm
für bie ©acht ein nach bem ©ortrag bag erfte intime Rendez¬
vous üerfprocfjen. ©och größereg Sob alg für ben über
üierjig Seiten beg Sucheg füßenben ©ortrag, fpenbet b’Slnnunjio
an mehreren Stellen feineg ©krfeg bem Sichter unb Äünftler
Stelio. Sr fdjilbert ung beffen ©otjüge, bie Eigenheiten
feineg gtühenben ©atnreßg, feine foutoeräne Seherrfchung ber
Spraye — „er wollte einmal jcigen, baß um ben Sieg
über ©Zenfdjen unb Singe ju erringen, nichtg geeigneter fei,
alg bag beftänbige Sieben feiner felbft, bag ©erherrlicfjen
feineg Sraumeg oon Schönheit unb jperrfdjaft." Slugführ«
lieh ftiOilbert ung Stelio bie Eigenart feineg ©mpfinbeng unb
Sdjaffeng unb am angfüljrlichften, Wie in ihm ber ©ebanfe
ju einem in ©Zpfenae fpielenben Srama entftanben ift. Er
erjäfflt beffen gatnen Snhalt, charafterifirt bie ©erfonen,
giebt ein faft ooßftänbigeg Scenarium unb Sinweifungen,
wie gogcarina bie ipauptrofle — bie ©linbe — fpielen
foU. Siefeg Srama, beffen Entftehen ung fo gefdjilbert
wirb, ift aber nichtg Stnbereg, alg b’Slnnunjio’g oor jwei
Sahren erfchienene Sragöbie „La cittä raorta“ (Sie tobte
Stabt), beren §anblung, wenn ba oon ipanblung bie ©ebe
fein fann, auf ben ©uinen oon ©Zpfenae fpielt. 3<h habe
mich bamalg in einer Äritif beg Sramag barüber be«
tlagt, baß ber Sichter ben glüdtidjen ginbet beg Schaheg
ber Sltriben, ben Seutfdhen Schliemann aßet feinen archäo«
togifdjen Ehren ju ©unften jweier oon ihm erfunbenen
Stalienern beraubte, ©ewißermaßen wie eine Antwort barauf
Hingt eg, wenn er jejjt fagt ober feinen Stelio fagen läßt:
„£aft Su je an biefen barbarifchen Sluggraber gebaut, ber,
nacfjbem er einen großen Sheil feineg fiebeng jmifcljen Eoloniat«
Waaren unb im Somptoir oerbracht hat, fich aufmachte, um
bie ©räber ber Sltriben ju fuchen unb ber größten, wunber«
barften Erfcheinung gewürbigt würbe, bie je einem ©Zenfcßen
ju Sheil warb? §aft bu bir je biefen maffiüen Schliemann
oorgefteßt, wie er ben glänjenbften feit Sahrtaufenben im
Sunfel ber Erbe oerborgenen Sobtenfchajj entbedte? §aft bu
je gebacht, welchen Einbrud biefe fdjredliche, übermenfehtiche
Erjcheinung auf einen jugenbtidj feurigen ©eift, auf einen
Sichter, einen Slneiferer*), auf bich, auf mid) gemalt hätte?
Siefeg gieber, biefe ©egeifterung, biefer SBahnfinn!" —
Schliemann war für bag griechische Sllterthum beinahe fo be«
geiftert wie b’Slnnunjio, wenn md)t mehr, aber er war fein
Sichter unb hat eg bem Staliener übertaffen feinen gunb
ju bramatifiren. Db aber beffen Srama, wie Stelio fagt,
„bie gufcfiauer erfcf)ütterte unb beraufdjte, wie bie Schau»
fpiete beg fiimmetg unb beg 9©eereg, bie Sonnenaufgänge
unb Stürme", bag mag man bißig bejweifeln. 9lber jeben»
faßg ift burd) biefe Epifobe beg ©omang bie Sbentität oon
Stleio Effrena mit ©abriete b’9lnnunjio bewiefen, unb bieg
macht fie ung befonberg widjtig. Sagegen fcheinen bie Epi*
foben üon ber oor afler SÜSett abgefchloffenen ©täfin ©lanegg
unb üon ber Sabp ©?h rta un b ihren §unben mit ben höchft
fonberbaren ©amen jieinlich überflüßig. 9lber, wer weiß, Oiel»
leicht haben wir eg auch h' er mit Spmboten ju thun,
„®te ganj unb gar fich unferer Stunb’ entjtefien?"**)
Slnbere ©pifoben finb wieber üoit entjüdenber Schön«
heit unb tragen auch üiel jur ©harafterifirung ber jwei
|>auptperfonen bei. So j. ©. bie gahrt nadh Stra nnb bag
muthwißigeSreiben Stelio’g, bort,gogcarina’g rührenbe Sd)ilbe=
rung ihrer Äinbheit unb Sugenb, ber ©efuch ber ©tagfabri!
in ÜRurano. 3°f Q hätte ung bei einer foldjen Schitberung
lein Setail ber Strbeit gefchenft, b’Slnnunjio geht Weniger in
bag Sedjnifche ein, für ihn ift bie Schönheit beg gabricirten
unb bie altoenctianifche Sfunft«Srabition bag SBichtigfte, feine
Sarfteflung baher auch für ben Sefer genußreidher. '
3Bie bie anberen Staliener fein neuefteg SBert aufnehmen
werben, weiß ich n id)t, aber bie ©enetianer Wären bie un*
banfbarften ©Zenfchen, wenn fie ihm nicf)t ben Sorbeer reichten.
S’Stnnunjio ift ein ©Zeifter in ber lanbfchaftlid)en Schilberung,
ja fie ift ißm fo Wichtig, baß er felbft in feinen Sramen
mitunter in Schilberung ber ©egenb üerfäßt. Sn feiner
Schilberung ©enebigg mit aß feinen Wunberbaren garben
unb Sönen hat et fid) aber biegmal felbft übertroffen, ©enebig
unb ber §erbft finb ja auch & et Snhalt üon Stelio’g ©ortefung.
Unb nicht bloß bie ©atur, auch bie JÜunft unb bie ©Zenfdhen
©enebigg finb liebeooß gefdjilbert, anheimetnb wirb auch
manchmal ber uenetianifd)e Siatect gebraucht. Snt Uebrigen
ift bie Sprache in Fuoco üon ebenfo großer Schönheit unb
eben folchem SBohltlang wie in feinen anberen SSerfen. 2lber
biefe ©Zeifterfchaft, biefe fonoeräne ©eherrfchung feiner ohne«
hin fo wohllautenben ©Zutterfpradje Oerlodt ihn manchmal
auf Srrwege, macht ihn in Srama unb ©oman jum
S^rifer. Et beraubt fich mitunter an feinen eigenen ©Sorten
unb läßt feine ©erfonen ju lange ©eben halten. Safür fjanbeln
fie um fo weniger, ein ©Zanget, ber freilich m feinen Sramen
noch fühlbarer ift alg im ©oman.
Englifche Äritifer haben bie ©eWohnheit, bei ©efpred)ung
eineg ©omang bie eigentliche §anbtung nicht wieberju*
erjählen, um ben Sefer nicht ber Spannung auf ben Slug«
gang ju berauben. Eg gehört manchmal eine gewiffe Selbft«
entfagung ju folchem ©erfdjweigen. ©ei b’Slnnunjto’g Fuoco
Wirb ung biefe ©nthaltfamfeit fehr leicht gemacht. Eg giebt
fo Wenig nadjjuerjähten, man ift auf ben Sluggang nicht
gefpannt unb finbet fich nicht enttäufdjt Wie bei einem ©oman,
ber einen unbeftiebigenben Sluggang hat, benn bag ©ucf) ift
lein ©oman. SBag benn ift eg? Ein an frönen Sdjilbe«
rungen reicher ^)t)mnug auf bie $unft unb bie Schönheit,
befonberg auf bie fdjöne Sunft unb ©atur ©enebigg.
*) Slnimatore nennt er fid) Uiieber^olt.
**) In tutto dall’ accorger nostro scisso. (®ante.)
Digitized by v^. ooQie
204
Pie töegenroart
Nr. 13.
3*uifteton.
- SRadjbrud oecboten.
Sammeltonti).
93on lTCarf (Eirain.
Jer arme, fcpmermütpig bliefenbe grembe! 3n feiner bemütpigen
SRtene, feinem müben ©liefe, feinen abgefepabten, ehemals feinen Kleibern
lag etroaS, baS mein dRitleib erregte. 3<P bemerfte unter feinem 2lrm
eine SRabpe, mie fie Stabtreifenbe, Kolporteure unb $aufirer gu tragen
pflegen, unb biefe Seute flögen mir fietS Sntereffe ein. UnoerfepenS
mar icp benn auep gang Dpr unb Jpeiinapme, als er mir feine SebenS*
gefeptepte ergäplte. Sie lautete ungefähr mie folgt:
„Kleine Kltern ftarben, als icp noep ein unftpulbigeS HeineS £tnb
mar. Klein Dnfel Stpuriel liebte mich unb napm miep an ftinbeSftatt
an. Kr mar mein einziger ©erroanbter in ber weiten SSelt, gut unb
arogmütpig unb babei reiep. Kr ergog mid} im Scpoog beS UeberfluffeS.
Vlfle SBünfcpe, bie mit ©elb gu befriebigen waren, mürben mir erfüllt.
Kacpbent icp auf ber |>ocpfcpule ftubirt, ging iep mit meinem Kammerbiener
unb einem Kurier auf Keifen, ©ier 3<*pre lang flog icp forgloS burd) bte
©efilbe ber grembe, — wenn Sie biefe Sprache ihrem ergebenen Wiener
geftatten wollen, beffen 8unge ftetS poetifd) geftimmt mar. 21ber id)
barf ja fo gu 3töuen fpreepen, benn 3pre klugen Jagen mir, bag auep
in Stören Slbern baS heilige geuer ber tpoefie glüht. 3u jenen fernen
Sanben alfo fcpmelgte ich in ber ainbrofifcpen Speife, bte ber Seele, bem
©eifte, bem bergen guträglicp ift. SBaS aber t>or 9Mem meinem an=
geborenen äftpetifepen ©efeputad behagte, baS mar ber bort unter ben
weiepen perrfepenbe ©rauep, Sammlungen Don fepönen unb foftbaren
Seltenheiten ober munberlicpen Siebpabereien anguleaen. 3» einer ber=
pängnigoollen Stunbe berfuepte icp eS, in meinem Dnfel Stpuviel eben=
falls Gefallen an folcper ©efepäftigung gu meden. 3tö feprieb ipm bon
ber grogen Klufcpeifammlung eines £>errn, bon eines Slnbern berühmter
Sammlung bon Kleerfcpaumpfetfen, bon eines dritten perrlieper Samm*
lung bon unleferlicpen Eutograppen, bon eines ©ierten unfepäßbarer
Sammlung bon epinefifepem ©orgellan, bon eines günften entgiideitber
©riefmarfenfantmlung — unb fo weiter unb fo weiter, ©alb trugen
meine Klittpetlungen fjrüd)e: mein Dnfel begann fiep naep bem ©egen*
ftanb für eine Sammlung umgufepen. Sie wiffen mohl r mie halb bie
fßflege einer Siebpaberei gur ßeibenfdpaft wirb; bie feine mürbe halb gum
rafenben gieber. Kr begann feine Scpmeinegücpterei gu bemacpläffigen
unb gog fiep halb barauf gang bon ben ©efepäften gurüd, um aus einem
bequemen Sebemann ein toller Karitätenjäger gu werben. Sein Keicp 5
tpum mar ungeheuer, unb er geigte niept. S uer f* tierfuepte er eS mit
einer Sammlung bon foipgloden, bie halb fünf groge Säle füllte unb
alle ©immeln bon ber Urgeit bis gur ©eaenmart in fiep feplog — bis
auf eine ©lode. KS mar baS eingige noep oorpanbene Kjemplar einer
antifen ©lode, aber leiber int ©efifc eines anberen Sammlers, bem
mein Dnfel coloffale Summen bafür bot — bergebenS! Sie fönnen
fiep benfen, maS barauS folgen mugte. ©in maprer Sammler legt be=
fanntltep einer Sammlung, bie niept bollftänbig ift, gar feinen SBertp
bei, er berfauft feinen Scpa$ unb menbet fein |>erg einem anberen ©e*
biete gu, baS noep niept auSgebeutet gu fein fepeint. So maepte eS auch
mein Dnfel. Kr berfuepte eS guerft mit Siegelfteinen. Kacpbem er eine
groge unb äugerft interefjante Sammlung babon angelegt patte, fteüte
fiep bie alte Ungulänglicpfeit ein. ©lutenben §ergenS berfaufte er feine
geliebte Sammlung an einen früheren ©ierbrauer, ber ben feplenben
Siegel befag. Jann fammelte er fteinerne Siebte unb anbere ©evätpe
beS urmeltliepen Klenfcpen, entbedte aber halb, bag bie gabrif, mo fie
pergeftellt mürben, anbere Sammler gerabe fo gut berforgte, mie ipn
felbft. Kr fammelte bann agtefifepe Snftpriften unb auSgeftopfte 2Bak
fifepc — naep bergeblicpen Klüpen unb Soften mieber ein Kligerfolg.
Jeitn alS enbliep feine Sammlung bollftänbig fepien, lamen ein auS=
geftopfter SÖalfiftö auS ©rönlanb unb eine agtefifepe Snfcprift auS
uKittelamerila an, bie alle feine Kfemplare in ben Sepatten gellten.
SKein Dnfel beeilte fup, biefe eblen Karitäten gu erwerben, er befam
aber blog ben auSgeftopften SBalfifcp unb ein attberer Sammler bie 3n=
feprift. Kine e^te agtefifepe Sufcprift aber ift ein ©efip bon fo popem
SBertpe, ba^ ein Sammler fiep eper bon feiner gamilie, als bon ipr
trennen mürbe. So berfaufte alfo mein Dnfel feine unboflftänbige
Sammlung, unb er fap feine fiieblinge fepeiben auf Kimmerwieberfepen.
Äein SBunber, bag fein foplfepmargeS ^>aar in einer eingigen Kacpt meig
mie Scpnee mürbe. Kun wartete er unb überlegte, benn er mugte, bag
eine abermalige Knttäufepung ipm baS Seben foften fönnte. Kr war
entfeploffen, baS näcpfte 3^al eine Karität gu wäplen, bei ber ein 53ette
bemerb weniger gu fürepten mar. Kr überlegte alfo lange unb reifliep;
bann maepte er fiep noep einmal auf bie Sudje — bieSmal um eine
Kepo^Sammlung angulegen.*
w ©on maS?" rief iep erftaunt.
w ©on KcpoS, mein ^err. Sein erfter Jlauf mar ein Kcpo in
©eorgia, baS hier 3Jfal mieberpallte, fein näcpfter ein fedjSfacpeS Kcpo
in SJearplanb, fein näcpfter ein breigepnfacpeS in 3Kaine, fein näcpfter
ein neunfaches in ÄanfaS, fein näcpfter ein gwölffacpeS in 2;enneffee f
baS er billig befam, weil eS fogufagen baufäüig mar, benn ein Ipeil
beS gelfenS, ber eS gurüdwarf, mar herunter gerutfept. Kr glaubte
mit einem Äufmanb Pon einigen Xaufenb Dollars eS repariren laffen unb
burtö ^lufmaueruna beS gelfenS bie Kepetirfäpigfeit oerbreifaepen ju
fönnen, aber ber Ärcpiteft, ber bie Arbeit übernapm, patte nod) nie gu*
Por ein Kcpo gebaut, unb fo Perpfufcpte er eS benn grünbliep. ©orper
patte eS mie ein feifenbeS 9ttarftmeib geantwortet; nachher taugte eS
pöcpftenS noep für eine 2:aubftummenanftalt. Sobann faufte er eine
Partie Heiner boppelter KcpoS in oerfepiebenen Staaten; man gewährte
ipm 20 ©rocent Kabatt, mell er bie gange ©artte napm. Knbliep taufte
er ein Kcpo, baS mie eine ftrupp’fcpe Kanone fnallte; eS toftete ein
Sünbengelb, baS fann iep 3Ptten Perfiepern. Sie müffen nämliep wiffen,
bag auf bem Kcpomarft bie ^SreiSfcala fteigt, mie bie Äaratfcala bei ben
diamanten; im $anbel gelten fogar biefelben ^luSbrüde für baS Kine
wie baS Slnbere. Kin einfarätigeS Kcpo notirt nur gepn Dollars über
ben ^$reiS beS ©runbeS unb ©obenS, auf bem eS rupt; ein gweU
farätigeS ober boppelteS Kcpo ift breigig Dollars barüber mertp, ein
fünffarätigeS über neunpunbert, ein gepnfarätigeS breigepntaufenb
Dollars. DnfelS Kcpo in Dregon, melepeS er baS „Kcpo beS großen
?itt" taufte, war ein ßleinob pon gmeiunbgroangig tfarat unb foftete
gweipunbertfecpgepntaufenb ®oflarS — man gab ipm baS Sanb gratis,
benn eS mar gweipunbert Stunben Pon einer Kieberlaffung ent*
fernt. Step ja, mein $)err, roäprenb biefer Seit mar mein SebenSmeg ein
Kofenpfab. 3tö freite um bie eingige XocPter eines englifepen ©reifen
unb würbe pon bem Kngel geliebt biS gur Kaferei. 3n iprer Käpe
fepmamm icp in einem 2)?eer pon $3onne. 2)a man mugte, icp fei ber
alleinige Krbe meines DnfelS, ben man auf fünf KfiDionen Dollars fepäfcte,
gaben bie Kltern um fo bereitwilliger ipre Suftimmung. Somopl ipnen,
wie mir, war eS unbefannt geblieben, bag meih Dnfel unter bie Sammler
gegangen mar — wenigflenS baepten mir, bag er nur fo nebenbei fammelte.
mber bie Rolfen gogen fiep über meinem unfepulbigen §aupt gufammen.
3eneS berüpmte Kcpo, baS feitper in ber gangen SSelt als ber große
fopinoor ober ©erg ber SBieberpolungen befannt mürbe, mar entbeeft
worben: eS war ein fünfunbfecpgigfarätiger Kbelftein. Kief man nur
ein SBort, fo antwortete eS einem bei SBinbftille fünfgepn Minuten lang.
Slber fiepe ba! gu gleicher 3 e 't maepte mein Dnfel bie unliebfame Knt=
bedung, bag eS einen gmeiten Kepofammler gab. 3)ie beiben beeilten
fiep, ben unPergleicplicpen Äauf abgufepliegen. 5)aS ©runbftüd beftanb
auS gwei fleinen §ügetn mit einem feiepten Epale bagmifepen. ©eibe
Sammler famen gugleiep an Drt unb Stelle an, boep mugte feiner, baß
ber anbere auep ba mar. $>aS ©runbftüd mit bem Kcpo gehörte niept
einem ©efiper allein; ein gemiffer ©ifliamfon befag ben einen &ügel,
ben anberen ein gemiffer fcarbifon; baS Xpal bilbete bie ©renglinic.
SBäprenb nun mein Dnfel SBiÜiamfon'S §ügel für brei Millionen gmeU
punbertunbfünfunbadjtgigtaufenb 2)oüarS faufte, erwarb fein Kbncurrent
i>arbifon'S §ügel für etwas über brei SKillionen. Äeiner ber beiben Käufer
mar freilich mit biefem getpeüten KigentpumSreept gufrieben, boep wollte
auep feiner feinen Slntpeil bem anberen Perfaufen, unb fepliegliep Per=
lor ber gweite Sammler bie greube baran unb mit einer ©oSpeit, mie
fie nur ein Sammler gegen einen Koncurrenten aufbieten fann, maepte
er fiep an'S 3Berf, feinen £ügel abgutragen! ®enn ba er baS Kcpo niept
allein haben fonnte, wollte er eS auep feinem Anberen gönnen, «de
©orfteüungen meines DnfelS waren oergeblicp. Smar gelang eS ipm r
ein 5luffcpuberfenntnig gegen feinen Koncurrenten gu ermlrfen, jeboef)
ber brachte bie Sacpc Por eine pöpere Snftang. Sie führten ben ©rogeß
weiter biS gum oberften ©erieptSpof ber ©ereiniaten Staaten. KS tnU
ftanb ein peillofer Wirrwarr. Sroei Pon ben Kieptern waren ber 2ln=
fiept, ein Kcpo fei perfönliepeS Kigentpum unb obwohl niept greifbar,
boep fäufliep unb perfäufliep unb baper ein befteuerbarer ©egenftanb;
gwei anbere Kicpter meinten, ein Kcpo fei ein SiegenfcpuftSobject, weil
eS am ©ntnb unb ©oben pafte unb unbeweglich fei; anbere Kiepter be*
paupteten, ein Kcpo fei überhaupt fein Kigentpum. Seplieglicp mürbe
entfepieben, bag ein Kcpo ein KiaentpumSobject fei; bag bie beiben ©ar=
teien gmar getrennte unb unabhängige Kigentpümer ber beiben $)ügel,
aber gemeinfame 3npaber beS KcpoS feien: eS fiepe beSpalb bem @e*
flagten Poflfommen frei, feinen £>ügel abgutragen, ba er ipm allein ge*
pöre, aber er müffe eine Kntfcpäbigung Pon brei Millionen ^)oflarS gaplcn
alS Krfaß für ben Scpaben, ben DnfelS halber Hntpeil an bem Kcpo
erleiben fönnte. 3m Weiteren Perbot baS Urtpeil meinem Dnfel, opne
bie KrlaubniS beS ©egnerS beffen £>ügei gur ^Bedung beS KcpoS gu be=
nußen; er bürfe fiep gu biefem 8 ro *de uur feines eigenen £>ügeIS be«
bienen; fönne er bieS unter folcpen Umftänben niept erreichen, fo fei baS
fepr bebauerlicp, aber ber pope ©erieptSpof fönne baran nicptS änbenu
3n gleicher Söeife würbe ber@egner in biefem ©unfte befepteben. Sie fönnen
flep benfen, maS nun gefepap. deiner Pon ©eiben wollte bem Slnbem bie
Kinmiüigung gur ©enu|ung feines KigentpumS geben, unb fo mugte ba«
berüpmte Kdjo auf feine ©etpätigung Pergtepten; feit jenem Jage gleiept
baS wertpPofle ©eflftpum biS peute einer Pergauberten ©ringeffm, bie
auf Krlöfung parrt. Kine ©oepe por meinem £ocpgeitStaa, mäprenb Idp
nod) in einem Sflecr Pon SBonne fepmamm unb ber pope rlbel pon fern
unb nap gur ©erperrlicpung beS gefteS flep Perfammelte, empflng icp bie
Kacpricpt Pon bem Jobe meines DnfelS unb gugleiep eine fcbfcprift feines
JeftameutS, baS miep gu feinem eingigen Krben einfe&te. 4lcp, er war
bapin, mein tpeurer SBopltpäter! Jiefer ©ebanfe belaftet mein $erg
noep peute, nach fo langer Seit. 3tö übergab alfo baS Jefiament bem
©rafen, meinem Scpmiegerbapa, ba icp eS meiner Jpränen wegen niept
lefeit fonnte. Jer ©raf laS eS unb fagte bann gornig: »Kennen Sie
baS Keitötpum, ©err? derlei ift nur in SPrem fcpminbelpaften Ämerifa
möglicp. Sie finb weiter nicptS, als ber eingige Krbe einer umfang*
Digitized by v^.ooQle
Nr. 13.
DU töejettwatt
205
reichen Etpofammluna, menn man baS eine Sammlung nennen fann,
um® ba uno bort über baS gange amerifanifepe geftlanb gerftreut ift.
Stbet baS ift niept alles, £err. Sie fteden bis über bie Obren in
©cpulben; niept ein einiges Ecpo, auf bem feine $ppotpef rupt. 34 bin
niept bortbergig, aber icp mu& baS Sntereffe meines ßinbeS bertreten.
39enn Sie nur ein Ecpo bitten, bas Ste mit Necpt 3pr Eigentpum
nennen fönnten, baS frei märe Don Saften, fo bajj Sie fiep mit meiner
Siebter bortbin gurüdgiepen unb eS burep unoerbroffenen glei& culti*
fciren unb Derbeffern fönnten, fo mürbe icp niept Nein fagen; aber icb
fann mein 5Hnb niept mit einem Vettler Derbeiratben. ©ieb ibn auf,
mein Stebling! Unb Sie, $err, nehmen Sie 3bre pppotpefenbetafteten
CScpoS unb geben Sie mir für immer auS ben klugen/ Ntetne eble
Söraut Hämmerte fiep meinenb an mi(b unb febmor, fte motte mit taufenb
greuben bie SKeine merben, auch menn i(b nicht ein Ecpo in ber 3Belt
fceftfe. Slber eS burfte nicht fein; mir mürben auS einanber geriffen —
fte, um ein 3 abr binbureb fi<P Iangfam gu £obe gu pärrnen; ich, um
attein auf beS SebenS fteilem Pfabe meiter gu teuren unb ftünblicb gu
beten um* bie Erlöfung unb SBieberoereinigung mit ibt in einem pirnm*
lifeben Neicp. Unb nun, mein $err, motten Sie fo freunblicp fein, bie
harten unb Pläne in meiner Ntappe angufeben; ich fann 3pnen ein
<£cpo billiger ablaffen, als irgenb jemanb. 3)iefeS pter gum Veifpiel, baS
meinem Onfel bor breifeig Sapren gehn Dollars foftete unb eines ber
berübmteficn in XejaS ift, mitt ich 3Puen für i-"
*£>alt, einen Slugenblid!" fagte ich. „Ntein greunb, ich pabe
beute bor lauter £>auftrern noch feine Minute Nupe gehabt. 3cp höbe
eine Näpmafcpine gefauft, bie ich nicht brauchte; icp bobe eine Sanbfarte
fiefauft, bie nichts taugt; ich bobe eine Ubr gefauft, bie nicht geben mitt;
ich bobe SWottengift gefauft, baS ben Lotten lieber ift als anbere Nab*
rung; icp höbe eine gange NJenge unnüfcer Erftnbungen gefauft. 9lber
jefct bin ich biefer plage fatt. 3ch möchte feines bon 3bren EdjoS
haben, nicht mal gefchenft. 34 bin auf jeben mütenb, ber mir E 40 S
ober fonft maS gum Verlauf anbietet. Seben Sie biefen Nebolber?
fclfo paden Sie fepnett 3bre Sammlung gufammen, unb laffen Sie eS
nicht gum Vlutbergie&en fommen."
&ber er lächelte nur — ein f4mermütptgeS, fanfteS Sädjeln —
unb gog no 4 anbere Pläne heraus. Ntan fennt bie ©efcpi 4 te; bot man
einem fcaufirer einmal bie Spür geöffnet, fo giebt man immer ben
kärgeren. Na4 Verlauf einer unerträglichen Stunbe maren mir benn
auch CmnbelS einig. 34 faufte richtig gmei hoppelte E4oS in gutem
3uftanb, ein britteS befam ich als unberfäuflich gur Sugabe, meil eS
nur 5)eutf4 fprach. „SS mar einmal meprfpraepig,* fagte er, „bat aber
trgenbmie ben größten Speit feiner Sprachfertigfeit eingebüjjt."
Jltts bet ^auptftabf. .
parlaweittsbäimnertmg.
Seltener immer mirb baS brünftige Verlangen ber ©anglopalen
nach einem frifchen unb fröhlichen Staatsftreicpe, unb faft berftummt ift
ber feeifee SBunfcp, ber ben 3ben beS Ntärg bon 1890 entfprofc, mie bie
©urte bem Ntlftbeet: ber 28unf4, eine eiferne §anb möge alle ft<b t^ür=
ntenben inneren Scbmierigfeiten unb Nörgeleien baburch beenben, bah fte
ben NeichStag gum Teufel jage unb bie Verfaffung, baS elenbe Stücf Rapier,
rafepen NudeS gerreifce. £eute magt fich folcpeS Sehnen nur nod) an'S
fiiept, menn äugenblicflidje Gattungen mit bem biSdjen Verfianbe bur4-
geben. Sie Vlätter, beren Eigentpümer burch Nidelfiapl*, Kanonen*
unb Eifenlieferungen lebhaft am Gelingen beS glottenplaneS intereffirt
ftnb, fönnen eS gumeilen nicht ermarten, ba& tpre geftrengen Vrotperren
bie 176*3ftiflionengemtnne einfaden, unb fie raten bann bem $aifer, fiep
nicht länger pingiepen gu laffen unb ohne Suftimmung ber 33efc^lufe=
unfähigen bom ^önigSplape bie neuen Schiffe auf bie §ettingS gu legen.
®ie Sro^e ift bann gmar nie bie fofortige Sntlaffung beS SeitartifterS,
benn man fann nicht miffen, ob fein SlmtSerbe nicht noch bümmer als
er ift, aber ber berbe Nüffel bleibt hoch in feinem gatt aus. Seber, ber
eS bon feergen unehrlich meint mit bem neubeutfeben SSerfaffungSIeben,
»irb alle heftigen Sorte ober gar ©eroalttbaten gegen baS Parlament
jornbott berbammen. ®enn gerabe unfer NeicpStag unb gerabe bie ra*
bicalen OppofitionSparteien, bie fiep fepeinbar fo fürchterlich erbreuften,
finb brauf unb bran, bie 93erfaffung gu ©runbe gu richten. $er befte
53unbeSgenoffe beS fommenben SibfolutiSmuS pnb bie mobemen Kammern.
Äeln S’ürft mit cäfariftif^en Neigungen mirb eS fiep betfatten laffen, bie
(Sntmicflung gu ftören, bie ber Parlamentarismus feit einigen Sohlen
genommen pot. ©S ift, als fäfeen in ben SSolfSbertretungen unfrer
Stage lauter berfappte Slnpänger ber aufgeflärten ober auch 9 or niept
aufgeflärten Despotie, unb als palte 3*ber eS für feine ^flicpt, bie con=
ftitutionellen Einrichtungen naep befter ©eifteSfraft lächerlich unb gum
6 fel ber Nation gu machen.
91IS im Siener NeichSratpe bie Obftruftion tobte, als Xintenfäffer
an met&e Säulen flogen, Sßultberfel in Xrümmer gingen unb ber $räs
fibent baburch gum grünblicpen Stubium ber borliegenben ©efepentmürfe
aufgeforbert mürbe, bap man fie ipm in'S ©efiept fcpleuberte, bamalS
mürben an biefer Stelle grunbfäpliche SBebenfen gegen eine fol^e Nftno=
ritätSpolitif erhoben. 2)a*6 Organe ber fatpolifcpen SBolfSpartei in Oefter-
reiep fie mit etlichem ^Behagen naepbrudten, mar niept eben angenepm,
bemieptete aber bie SemeiSrraft unferer guten ©rünbe nur gum ^peil.
$er Parlamentarismus fepnerbet fiep felbfi bie &eple burep, menn et baS
SNeprbeitSprincip antaftet Nfan ftept entmeber gum bringen Sapiepa,
ober man untermirft fiep BebingungSloS bem SBotum ber ^IbftlmmungS^
mafepine. Ein britteS giebt e§ niept. ®iefe flare unb reblicpe ?luf=
faffung perrfepte überall fo lanae, als bie Nfenfcpen an bie ^eilfraft ber
parlamentarifcpen Negierung glaubten unb in ipr gläubig ben ©ipfel
aller £>ocpcultur beftaunten. .,Sir fmb bte SNajorität, mir führen bie
©efepäfte!" brüllte §err b. Ntinnigerobe bor gmangig 3 opren ber ftür?
menben Sinfen entgegen, unb „Nfaul palten!" feprie neulich fein §raf-
tionSgenoffe fropatfepef. §lber bie ©robpeit NfinnigerobeS mirfte, angfts
bott berfroep fiep bamalS bie Oppofition, roäprenb Äropatfcpef'S bomepm
ernfter Nfapnruf im ©etümmel unterging. 3)aS maept, in ben acht*
giger 3opren beteten bie Siberalen ben Parlamentarismus noch on unb
fepmoren auf feine Dogmen, ^eute haben auch ft* ipu übermunben.
Unb barum fepeuen fte fiep niept, ipn mit töbtlicpem Streicpe gu treffen,
mit bem StaatSftreicpe, ber bom NeicpStage felber infeenirt mirb. N?an
fiept, ber ©laube an ben auffteigenben fjortfepritt ber Nfenfcppeit ift
niept nur bem immateriellen dürften ^opentope, fonbern aud; feinem
arg gufammengefeprumpften ©efolge berloren gegangen.
iie Obftruction, bie baS SttpüUerr, Äubpelei- unb Äunftgefep gu
93oben marf, fanb einen Norroanb unb fepeinoare Entfcpulbigung attets
bingS in bem bemerfenSmertp tpöriepten Nerpalten ber Eompromip=
Parteien. 5lber boep nur einen Normanb. 5)ie Noeren unb ©enoffen
glaubten Sunber mie flug gu panbeln, als fie ben Sortlaut iprer Ver¬
einbarungen mocpenlang geheim hielten unb als fie ber rebeluftigen
Sinten eines fepönen SlbenbS baS Sort abf^nitten. 3)iefe läppifcpe
^actif, bie, bid genug unterftrtepen, ungefäpr itacp Vergemaltigung au&=
fap, brachte ber Oppofition baS erfepnte Saffer auf bie fepon reept
fepläfrig llappernbe Ntüple. 3*&t tonnte ipre Preffe jenes pöflifepe ©es
peul für greipeit unb Nedjt anftimmen, baS auch ungefepidten ^ontÖ=
bianten- noch immer fo prächtig ftept. 3 *pt ctft napm bie erhabene
öffentliche Meinung, bie fiep nur bei SttorbSfpectafel unb ©affenfcanbal
ben Sdjlummer aus ben Slugen reibt, Partei für $unft, Scpönpeit,
^ricotS, SubermannS g^iclicpt^iftörcpen unb maS fonft noep alles be=
bropt mar. ?US felbftlofe gelben erf^ienen ipr unb redten fiep auf bie
boep nur parteipoiitifcp interefftrten Nlänner ber fiinten, unb fo elenbe
geuittetonrebner mie ber feepfte Ntüller nahmen fi^ in ber bengalifcpen
Veleudjtung mie gepangerte Sand ©eorge auS. S)er Erfolg beS obftruc*
tioniftifepen ParabeftüdS ftept aufjer gmeifel; jeber Xpeaterbiredor mufj
mit ipm gufrieben fein. 2 lber leibet ebenfo bie palben unb gangen gfeinbe
ber Verfaffung, bie Unberantmortlidjen, beren Obrift unferem Äatfer
einmal fagte, er merbe mit jebem %age bem grofjen Sriebritp äpnlicper
unb unterfepeibe fiep nur noep in gmeierlei Gingen bon ipm: er pabe
bie gepler beS alten gfi$fcn niept, unb er fei mit einem Parlament
belaftet.
®urcp bie Obftruction mirb ber conftitutionette NtecpaniSrauS niept
minber lapm gelegt, niept minber fepmer befepäbigt, als burep ben Staats*
ftreiep irgenb eines 2>ecembermanneS. Ndpacptet eine tleine SNinberpeit
baS berbriefte unb geflegelte heilige Necpt ber Niajorität, fo etmäcptigt
fie jeben anbem gador im Staate gu gleichem Vorgeben. $>ie 3bee
beS Parlamentarismus ift tötlicp getroffen, unb eS pängt nun b(ofe noep
bon feinen Siberfacpern ab, mie lange fie ipn leben laffen motten. Säre
bie Sin!e flüger als bie $eingelmännletn eS maren, bie im ungefepidten
Eifer alle Vejinnung berloren, bann böte fie alles auf, reept halb jebe
Erinnerung an ben gefährlichen Sieg gu berlöfcben, ben fie burep eine
grobe ©emalttpat errungen pat. Statt beffen fiept man bie ©ottber*
laffenen meiter mit bem Nafirmeffer fpielcn. £>err Dr. ^ermeS fünbigte
neulich in einer Verliner Proteftberfammlung „unter mieberpolten Vei*
fallSftürmen" an, bap bie Obftruction aud) bei ber britten Öefung beS
SleifcpbefcpaugefebeS rüdficptSloS gur Slnmeitbung fommen mürbe. ES
finb liberale ttftänner, bie fpftematpifcp auf ben Vanferott beS Paria*
mentariSmuS pinarbeiten! ES fmb liberale Ntänner, bie ber erbrüden*
ben Nfeprpett beS NeicpStageS alle im VerfaffungSpergament borgefeprie*
bene 3lcptung berfagen, bie fiep auflepnen gegen ben in allgemeiner,
gleicher unb gepeimer Slbfttmmung feierlich tunb getpanen ^Bitten ber
SBäpIer, beS fouberänen VolfeS! Sie felber gerftören bie ©runblagen
aller bürgerlichen Ntacpt, f^mettem in ben Strapenfotp alle Errungen*
fepaften, für bie bie Vegeifterten bon 1848 jauepgenb auf bie Varricaben
geftiegen finb! ParlamentSbämmerung ...
®er billige Xriumpb im ^einge*Nummel, ber boep Niemanbem
nü^t, niept einmal ben Sttmenphotograppen unb ben Unflatpbicptem, —
benn nun gerabe mirb bie Poligei Vefepl erpalten, mit rauper fjauft
in ipr 3^hH pineingugreifen — ber Sieg bebeutet eine fepmere Nieber*
läge. EinS fügt fiep gum 5lnbem. Ntan lönnte bie Obftruction ein
gufättigeS, unmefentÜcpeS Ereignip nennen, brauchte biefe Notpgücptigung
beS Parlamentarismus niept bur^auS für ein Setepen beS Vetfalls gu
palten, menn niept noep gang anbere Nlenetefel an ber SBanb flammten.
So aber ergängen fiep bie bPoSpporifcpen 3 etc ^ cn NieberaangeS. SNan
ift im liberalen fiager brauf unb bran, bie Ärone mit Vefugniffen auS*
guftatten, bie bem Sinn ber Verfaffung feproff miberfpredhen; man er*
niebrigt ben Parlamentarismus gur ^trappe, beftettt ipm im Nionarcpen
einen Cberauffeper. 3 n ^ er conftitutionetten Urfunbe ift bte gefefcgebenbe
Digitized by v^.ooQle
208
Die ©egenwart
Jlngeigen.
Bet Befteihmgen berufe matt M auf bte
„(Segenmarf“.
? mP «k ac ac og 1 de ge? ap ge? *■¥* ae* s^? *
Jisiardt
im
Urteil
feil« 8eii|enffei.
Sieg. ge$. 2 SXf. tont
®erl
#unbert Original * @u tagten
d. grennb u. 8*tnb: ©jörnfon
©ranbtf ©ttd&net SriSpi Stabil
Staubet Sgib^ Montane ®rotlj
$aetfel §artmann $«bfe 3or<=
ban ftipling fieoncaoaüo Sin®
bau fiombtofo ©tefd&tfdjerGft
Sligra »orbau ODioiet fetten«
lofer ©altsburo ©knfieroicj
6tmon Spencer Spieltagen
Stanley Stoerfer Strinbberg
Suttner ©ilbenbruc^ »enter
«Seiet u. P Ä.
verleg bet iigenwert^
in W. 67.
: T .T. SR* SR* SR* SR* SR* £R* SR* >
Slföb. geb. ©djriftfietter, bi3lj. publicift.
S itter. Äritif) in ©erlin tbätig, energ. gemiffen=
lüfte ÄrbeitSfraft, Dor$. ©pracf)fenntniffe (fran-
&öfifdj, engltfcb), Verfettet tenograpb,
Hif4imttf4reibef (§ammonb), fließt unt.
befd). fcnfpr. in MeDattion, Zbeatnrfef retoriot
©erl.=©tt^bbla. f Uteror. 3nfttt. k . (Stellung.
Offert, an b. fefj). b. (ätegenroart unt. A. G.
3n unferem ©erlag ift erfdjteuen:
pe ©fgeuroart.
«*ta*Wli m itiaciMi. tut iit tfnffl* Ma
«eieriMeiifler 1872-1896.
drfter 51$ fftttfotgfter ©attb.
9Nit Nachträgen 1897—99. ©elj. 5 M
Sin bibliographif^S 38erf erften
NaitgeS über ba§ gefammte öffentliche,
geiftige unb Kinftlertfche fieben ber lefeten
25 Sahre. NotljtoenbtoeS Nadjfdjlageoudj
für bie ßefer ber „©egenroart", fornie
für miffenf^aftliche :c. arbeiten, lieber
10,000 Mrtifel, nach grftdjem, ©erfafferit,
©djlagroörtetn georbnet. S)ie Autoren
bfeubontjmer unb anonymer drittel finb
burchmeg genannt. Unentbehrlich für
jebe ©ibliothel.
2lud) bireft gegen ©oftamoetfung ober
Nachnahme öorn
Derlag ber (Segemoart.
©erlitt W 57.
Bad Reinerz,
klimatischer, waldreicher Höhen-Kurort — 508 Heter — in einem
schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Glatz, mit kohlensäurereiohen Eisen-Trink-
u. Bade-Quellen, Mineral-. Moor-, Douche- u. Dampf-Bädern, Kaltwasser-Procedurei,
ferner eine vorzügliche Molken-, Milch- n. Kefyr- Kur -Anstalt. Hochquellenleitung.
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmongs- u. Yerdanongsorg&ne, zur Ver¬
besserung der Ernährung u. der Constitution, Beseitigung rheumatisch - gichtischer
Leiden u. der Folgen entzünd], Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang Hai* Prosp. gratis.
I „Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“ I
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Kranhhelteereohelnnngen» .U
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürliohem Mineralwaeeer hergestellt und dadurch ■
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre •
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von # / 4 1 75 Pf. in.
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr. Carbach & Cie.
£ie t&egentoart 1872-1892.
Um nttfet Saget jn täntnen, bieten mit nufeteu Sbonnenten eine gänfttge
Gelegenheit jat SertioUfiänbignng bet GoOection. 60 meit bet Sortath reitet,
liefern mit bie Jahrgänge 1872—1892 k 6 SW. (ftatt 18 SW.), $aibjai)ra*
Sänbe ik 3 912. (ftatt 9 SW.). Gebnnbene ^atyrgänge 5 8 SW.
©etfoß ber ©cgettttiart itt ©erlitt W. 57.
£)cffentUcbc §anbel£lel)ranftalt au ©außen.
göfitrt ?3flnbtlsfrijuit unb tfrlittgsfi^nle unter fUEbtifihtm Patronat
©roftcecte, Durch Dtrertor ©rofeffor ^eObad).
Verlag von Breitko|>f& Härtel, Leipzig.
franz fiszt’s Briefe 0i««nmk» 9ii||f«l|ft.
an die
Fürstin Carolyne Sayn-Wittgenstein.
Gesammelt und herausg. von La Mara.
(Liszt’s Briefe Band IV). Mit 2 Bild¬
nissen. XXIV, 520 S. 8°. geh. Mk. 8.-,
in Leinwand geb. Mk, 9.—.
E ine epochomachende Erscheinung, nicht mir
in der Musik- und der Brief-Litteratur. Das
iunerste Seelenleben des unvergleichlichen Künst¬
lers und Menschen wird uns darin erschlossen.
Der grosse Roman, der iu seinem Leben spielte,
spinnt sich vor unsem Augen ab. Cher seine
ebensoviel besprochenen als missverstandenen
Beziehungen zur Fürstin Wittgenstein liegen von
der ersten Begegnung an zum ersten Mal un¬
mittelbare Zeugnisse vor. Von ebenso grossem
künstlerischen als psychologischen Interesse, ent¬
halten die Briefe ein Stück Selbstbiographie, wie
wir eine ähnliche von keinem unsrer grossen
Tonschöpfer besitzen.
SRontan
tion
t^eop^iC JtoCCing.
PV* Polhaufgabt.
©ret$ 8 Nlart. ©djön gebunben 4 Ntorf.
tiefer ©t$marcf=(£abrtoi=Neman, ber in
wenigen Sauren fünf ftarfe Auflagen erlebt,
erfebeint hier in einer um bie Hälfte biHtgeren
©olfdau^gabe.
®urd) alle ©ucfjljanblungen ober gegen
(enbung be8 ©etrag« poftfreie 3«f e nbung uom
Oerlag der Gegenwart,
©erlin W. 57.
Abonnement
auf das
II. Quartal 1900.
Verlag der Gegenwart in Berlin W, 57.
■i 1
Mit dieser Nummer schliesst das I. Quartal der „Gegenwart“. Die¬
jenigen unserer geehrten Leser, deren Abonnement abgelaufen, bitten wir um so¬
fortige Erneuerung, damit die regelmässige Zusendung nicht unterbrochen wird.
Bei verspäteter Bestellung können oft nur unvollständige Exemplare nachgeliefert
werden. Alle Buchhandlungen, Postanstalten und Zeitungsexpeditionen
nehmen Abonnements zum Preise von 4 Mk. 50 Pf. entgegen. Im Weltpost¬
verein 5 Mk. 25 Pf.
j.
SBeratttoortttgcr ffiebacteur: Dr. 2$e«WU golltng tu ftolta.
Webaettan unb ®ibebUtan: Cerltn W., SRanftetnftra&e 7.
©auf »an $effe A Mn tu Seiftia.
Digitized by
Google
M 14.
■göerCirt, ben 7. JlprtC 1900.
29. Jahrgang.
Band 57.
Pie degeimmrl
2Bo<henfd)rtft für Stteratur, funft unb öffentliches geben.
^erausgegeßen ton ‘gßeophtt $offing.
Jeden fmmtüienö crföjetat eine lltunmer.
Hu bestehen bun$ alle SJucfcljanMungeTt unb
SSertog bei ©egenroart tn Berlin W, 57.
9tertel|3tnltdi 4 *. 50 ff. Ctne fnwner 60 *f.
Snferate ieber Ärt pro 8 gehaltene $ett4dle 80 Ißf,
Jnljaß:
©anbelSpotitif unb SBeltmadjt. $8on Pr. jur. et phil. 21. §utnan. — Xa8 gaf)lenDer§ältnt& ber ®efcf)led)ter. SSort ISbuQrb
ooit ^artmann. — ßrupp unb Stumm. Sßort grqnjj GH&enfjarbt. — Literatur ttttD Äuuft. gur Reform ber 93ttb-
Jauern. $on Jteiitljolb 23eqa8, ©uftaö (überfein, Sftaj flinger. — 2lu8 ganttp Seroalb'S Xagebud). 33on XljeopljU
golltng. — ©egen baS TOcenatentfjum. SSon dbuarb üon 2)1 aper (gieren^). — gciilletim. 93eini ^vofeffor ber ©ta$|os
Iogie. $oit $arl Sßauli. — Ättö Der ftauptftabt. Xie abfteigenbe Sinie. feon Caliban. — 91eue Operetten. — 92otijen.
— Stnjeigen.
ftmbelspoUttk uitb tDeltmadit.
93on Pr. jur. et phil. 21. f}uman.
die ©runbtage aßer weitfehenben fßotitif ift t>ort jeher
tpanbelspolitif gewefett. StuS ©rünben ber föanbetSpotitif
haben [ich bie Derfcfjiebenfteu Staaten befämpft; baburtf) finb
mächtige 9teicfje entftanben, aus hanbetSpolitifchem SReib ber
anberen Stationen finb aber and) mächtige «Staaten ju ©runbe
gegangen. @3 finb fid) fo bie ^Sortugiefen, bie Spanier, bie
t oßänber, bie fjfranzofen in ber tpanbetSherrfchaft gefolgt.
ie 2tße finb zuleßt Bon ©ngtanb, baS jeßt als weitaus erfte
§ttnbetSmad)t ber SESett baftefjt, hanbetSpotitifd) t>ernicf)tet
Worben, ©in SöticC auf ©ngtanbS wunberbareS ©mporblüfien
Zeigt unS, wie fehr bort auch in biefem 3af)vf)unbert bie
fßolitif im dienfte ber §anbetSpolitif tljätig gewefen ift.
Siad)bem ©ngtanb bie fpanißhen unb h°flänbifd)en fytotten
bezwungen hatte, begann ber erbitterte Äampf gegen granf*
reich, ber burch bie napoleonifdjen Kriege enblid) jum S?ad)=
theite fjranfreichä beenbet würbe. damals Bertor biefer Staat
feine beften ©olonien an ©ngtanb unb bamit auch bie 28ett=
hanbctSherrfchaft. den erbitterten Kampf gegen Stapoleon I.
hatte ©ngtanb außerbem baju benußt, ntöglichft alte Kriegs«
unb ^anbetSftotten beS europäifd)en gefttanbeS ju Dernidjten.
Stuf ©runb ber ©ontinentatfperre würbe fo auch bie ganze
preußifdje Kauffahrteiftotte, ungefähr 400 §anbe(S)chiffe, oon
©ngtanb weggenommen, obgteid) fßreußen, ©ngtanbS bisheriger
fyreunb, nur gezwungen ber ©ontinentatfperre beigetreten war.
©efdjwächt Waren fämmttidhe fyefttanbsftaaten auS ben napo*
teonifchen Stiegen h^ttiorgegangen! ©ngtanb bagegen hatte
Wäßrenb biefer Kriegsfälle ausgezeichnete ©otonien an fid)
aeriffen unb Berftanb eS nun meifterljaft, in ben nädjften
3fahrjehnten feine hanbetSpotitifche SJtadjt za oergröfeent.
©ngtanb hatte nod) unter ber ©ewattherrfdjaft beS ÜJfercan*
titiSmuS, ber lehrte, man muffe fid) gegen alte übrigen
Staaten mögtichft hrcmetifcf) abfdjtießen, man müffe mögtidjft
niete Slbfaßgeßiete unb ©otonien erwerben, unb im internatio*
naten §anbet müffe ftetS ber ©ine vertieren, was ber Stnbere
gewinne, einen großen df) e ß feiner cotoniaten ©roberungen
gemacht. — dann folgten humanere 2fnfd)auungen. du alle
SWenfchen unb alte Staaten fid) an SJtadjt gteid) feien, fo
Würben aud) aße üJtenfdjen gleichen Stußen auS bem tpanbet
Ziehen, unb bie Bon ber Statur mit Bevfct)iebenen SSrobntten
auSgeftatteten Staaten würben fich fo gegdnfeitig ergänzen.
StuS biefen ©rünben müßten alte ßoßfehranten faßen; grei=
hanbet müßte im weiteften Sinne burchgeführt werben. Sang*
fam, aber fieffer fiegten biefe oon ©ngtanb auSgehenben Sehren
in ben meiften Staaten ©uropaS. gür ©ngtanb mit feinen
großen unb reichen ©otonien war biefe Sehre fehr am fßlafce,
für bie gefttanbSftaaten z € ig te fte fich batb Berberbtich-
©ngtanb, „bie inbuftrieße SBerfftatt", baS übrige ©uropa,
hauptfäd)tich auch ®eutf^tanb, „bie Sornfammer ©ngtanbS",
baS war baS engtifche Jbeaf. Jn ben fahren 1860—1875
fchien biefeS Sbeat feiner SSerwirttichung nahe; aße 28ett
bad)te unb hanbette bamatS freihänbterif^. ®a famen bie
mächtig aufbtühenben bereinigten Staaten Bon Slmerifa zu*
nächft mit ihrer überwättigenben ©etreibeconcurrenz. ®eutfd)=
tanb mußte, um feine fd)Wer bebrohte Sanbwirthfd)<ift »u
retten, ©etreibejöHe einführen. ©S folgten bie übrigen ^eft=
tanbsftanten ©uropaS. Sluch Snbuftriezöfle fteßte man auf,
um fich 9 e 9 cn ©ngtanbS gefährliche ©oncurrenz Z u fchüfeen.
®aS gegenfeitige Saufchnerhättniß hatte ja aufgehört. ©ng=
tanb bezog jeßt bißiger unb beffet fein ©etreibe auS Stmerifa;
fo woßte audh baS geßtanb fich Don ©ngtanbS ^nbuftrie»
erzeugniffen emancipirett.
®urdh ben ©rwerb Bon mehr unb mehr ©olonien unb
burch e « 1,e gewaltige bergrößerung feiner Kriegsflotte fid)erte
fid) ©ngtanb aßmätig eine faft unbeftrittene SBettherrfchaft.
Jn fchönen Sieben Berficherte man atterbingS, ©ngtanb be*
gehre feine neuen Sänber unb feine ©otonien mehr. ®er
bvemierminifter ®iSraeli fprad) baS feierlich im Saßve 1876
.auS — unb ©ngtanbS Ütegierung ftedte nacheinanber ein:
Ketta in be(ubfd)iftan, StranSBaat gegen ben SBißen ber
beoötferung, ©t)pern, baS bafutolanb, ©gppten mit
bem Suezcanat, birma, Sanzibar, Uganba, SKatabete*
tanb u. f. w. ®roß fofdf)er ©rwerbungen erflärte ber Sd)aß=
fanzter ©ofdjen 1889 im Unterhaufe: „@3 giebt feinen SEßinfef
auf ber ©rbe, welchen wir begehren", wozu bie „Pall Mall
Gazette“ fid) bie fdjöne bemerfung geftattete: „diejenigen
StuStänber, bie unS Heuchelei Borwerfen, thuit uns Unred)t.
©erabe fo wie bie StuSbehnung beS britifc^en SieidjeS, wie
fßrofeffor Seetel) fidh auSbrüdte, in einem Slnfatle Bon
©eifteSabwefenheit begann, fo - fährt fie fort, in f5°Jg e
Bon bemegungen, bie fo unBernteibtid) finb, baß fie nicht zum
bewußtfein gelangen." ©ine recht praftifd)e fßhitofophie
beS Unbewußten! den ©ipfet fotd^er engtifd)er „Selbft*
täufchnng" erreichte aber Sorb Salisburt) bamit, baß er 1899
iu feiner ©uilbhalUSiebe Berficherte: „23ir fndjen feine ©otb*
fetber, wir fliehen feinen Sanbbefiß. SBir wiinfdjen nidjtS
Digitized by v^.ooQle
210
Hie (frcgentourt.
Nr. 14.
I
weiter als gleite Steckte für ade Scanner aHer fRacen." ©o
ßat ficf) benn baS britifdje SFtcicf) in „fortgefeßten Stuf äßen
oon ©eifteSabroefenßeit" in bett leßten gaßräeßnten 31 t einem
Steltreid) auSgeftattet, wie eS ttocf) nie poor in ber 3Bett=
efc£)icf)te ejiftirt ßat. Sicüeicßt faßt ißni aucf> noeß un*
eteufet bie öerrfcßaft über ganj Sfrifa jn.
SRur bie Süßrigfeit nnb glekßjeitige SuSbeßnung anberer
Staaten ßat ber britifrfjen SBettfjerrfcfjaft noeß getniffe ©cßranfen
p jießen gewußt. ©0 ift bie ruffifdje politif mcifterßaft
im Sinne ruffifdjen IpanbelS ttjätig gewefen. fRufelanb f)at
feinen Sänberbefiß ftetig erweitert nnb burd) uerbotSartige
ßöße möglicßft fdjneß eine blüßenbe Snbnftrie großpjießen
oerfueßt. fßießt meßr aüp lange wirb es bauern, bis 9iuß=
lanb, baS jeßt feßon über bett fiebenten Sßeil beS ganzen
©etreibeS ber SDSett problijirt, aud) mit einer Snpßl non
3nbuftrieartifeln als ernfter ©oncurrent auf bem Steltmarft
erfeßeinen teirb. SRiefig ift ber ruffifeße ©influß in aßen
Stießen beS afiatifeßen geftlanbeS geftiegen. Dort muffen
Sufetanb unb ©nglanb in abfeßbarer $eit ernftiidj aufeinanber
ftofeen. Surd) ben Sau ber über 10 000 Kilometer langen
fibirifeßen Satin eon Petersburg bis Steabiwoftod, einem
ßanbelSpolitifcßen Stritt erften 9iangeS, tönnen beS ßaren
ftarfe Armeen leießt an baS ©tiEe.Weer gebradjt teerben.
9lod) meßr ernfte ©oncurrenten ßaben ficf) aber an ben Kiiften
©ßinaS eingefunben. Ster nennen pnädjft bie Sereinigten
Staaten eon Smerifa. 2luS „Wotiuen reinfter Weußßiid)»
feit", um bie armen ©ubaner unb Philippiner eom brüden»
ben 3 odj ber ©panier p befreien, ßat 2 lmerifa ben testen
fümmerlicßen fReft fpanifdjer ©eemaeßt eernießtet. SaS be=
freite ©uba unb bie Philippinen finb, ob fie tooßten ober
nießt, p amerifanifdben ©olonien geworben, unb bannt heben
fieß mit einem ©eßlage bie Sereinigten Staaten p einem
mäd)tigen ©olonialreidß entwiefelt. Sie fo burd) Wae Kilt»
leß inaugurirte imperialiftifeße politif finbet meßr unb mehr
bie Sißigung beS SolteS. ©inb eS boeß ßauptfäeßlidj fpanbels»
intereffen, bie burd) eine foteße Potitif träftig oertreten werben,
unb feftigt boeß ber ©rwerb ber Philippinen SmerifaS
©teflung am ©tißett Weere! Surd) unmäßig ßoße ©djuß»
jöße ßat man bie ßeimifeße Snbuftrie wirffam 51 t förbern
oermoeßt, bureß gute ©olonien unb eine mächtige flotte miß
man fieß jeßt ben Steltmädjten ©nglaitb unb fRufelanb eben»
biirtig an bie ©eite fteßeit.
Stucß Seutfcßlanb unb grantreieß ßaben ißre pofitionen
am ©tißen Weere. Sterben fie aber im ©taube fein, bie*
felbett ben Steltmäeßten ©ttglanb, SRußlanb unb ben Ser=
einigten Staaten gegenüber wirtfam pr ©eltung 31 t bringen ?
Sentfdjlanb ßat ja naeß bem Serblüßett ber föanfa lange ßeß
ßanbelSpolitifcß nidjtS meßr geleiftet. ©rft bäs guftanbefom*
men beS Seutfeßen ßoHoereiuS am 22 . Wärj 1 8:3:1 bebeutete
ßier einen ©cßritt oorwärtS. Samit war wenigftenS etwas
pr IperfteEung eines einheitlichen inneren WarfteS getßan.
ÜRad) aufeen würbe SeutfdjtanbS Wadjt erft wieber gehoben
bureß ben glorreicß beenbeten beutfcß=franpfifcßen Krieg, burd)
SeutfdjlanbS politifeße ©inigung unb bann burd) gürft SiS=
marcf’S unb unfereS jeßigen KaiferS ©olonial» unb glotten»
politif. grantreieß ßat jwar bie ißtn üon ©uglanb abge*
nommenen ©olonien nießt wieber jurüderobert, eS ift ißrn
aber gelungen, bei ben leßten Sßeilungen ber Stelt nod) einige
feßt mertßooße ©tüde p erlangen. Slber Weber Seutjteßlanb
noeß grantreieß ßaben fieß p Steltreidjen 31 t entwidetn uer»
moeßt. ©ngtanbS ©otonialminifter Wr. Gßaniberlain ßat eS
offen auSgefprocßen: „Sie großen Staaten muffen immer
größer, bie tieinen müffen- aber immer Meiner werben." @oß
©ßamberlain nießt redjt beßalten, fo müffen bie fogenannten
tieinen Staaten ißre Solitit meßr in ben Sienft einer be=
redjnenben tpanbelSpolitit fteßen. grantreieß ßauptfäcßlid)
muß feinen alten §afe gegen Seutfdjlanb oergeffen unb mit
ben SreibunbSftaaten fowie §oüanb, Selgien unb ber ©eßmeij
äufantmengeßen, um etwaigen IIebergriffen ber Steltreicße ein
mirfuugSooÜeS „$alt!" entgegenfeßen p tonnen. Üluf bit
militärifcße ©tärte fommt eS ßier pnäd)ft weniger an, all
auf bie wirtßfd)aftlid)e ©tärte. ÜRilitärifd) ift ja Seutfißlanb
fowoßl ben Sereinigten Staaten wie SKußlanb fießer gewacßfeit.
S?aS wiE eS aber gegen bie übertriebene ©eßußjoUpolitü
biefer Staaten tßun? Sa fommt eS nur barauf an, wirtß-
fd)aftlicße SQfaeßt gegen wirtßfeßaftließe 9Rad)t auS^ufpielen.
©owoßl ber ÜJfac Kinleß= wie ber Singleß»Sarif ßätten
burd) ein energijcßeS grontmadjen SeutfdjlanbS unb granß
reießs 5 . S. nerßinbert werben fönnett. Surd) ©inigfeit
fönnteit fo bie Oereinigten mittelcuropäifdjen ©taaten bie
ßocßfdjnßpünerifcßen SBeltreicße Sußlanb unb Slmerifa jur
©ewäßrung giinftiger .'panbelSoertragSbebingungen jwingen.
2Iud) ©ngtanbS bisßer noeß liberale ^»anbelSpolitif ßat ja
bureß bie Ginfiißrung beS Warfenfd)tißgefeßeS unb bie Der*
feßiebenen Sießfperren jeßon einen bebenf(id)eu ©tofe erlitten
unb bie imperialiftifd)e Politif ßat bort in ben leßten Saßrtn
große gortfeßritte gemaeßt. 353aS wiü ©nglanb im Serein
mit feinen ©olonien, was wiü bieje feftgefügte „Greater
Britain“ SlnbercS, als ein ßanbelSpolitifcß geeinigtes Stett-
reieß feßaffen, baS fid) fclbft genügenb ber übrigen Stell
ßoügefeße oorfeßreiben fannV Saß biefe ©efeße riidficßtS»
tofe fein werben, wirb woßl ÜRiemanbem äioeifelßaft fein, ber
nur einigermaßen ben im internationalen Serfeßr feßr wenig
fentimentalen englifeßen iüationalcßarafter fennt. ©in fefter
ßanbclspolitifeßer gufammenfeßluß ber Heineren europäifeßen
Staaten, mögen fie and) ©roßmädjte genannt werben, märe
alfo feßr ju wiinfeßen. lieber einen foldjcn mitteleuropäijdjen
ßoEbunb ift oorneßmlid) im leßten 3 aßre oiel gefeßrieben
unb gerebet worben, aber bie ber Serwirflid)una biefer 3 bee
fid) entgegenfteüeuben ©ißwierigfeiten biirften aüerbingS noeß
fiegion fein.
23ie eS nun ftetS baS Sefte ift, fid) auf fid) felbft Oer»
laffen p fönnen, fo biirfte baS bei ber gegenwärtigen poli»
tifeßeu unb ßanbelSpolitifcßen 2age ßauptfäcßließ aueß für
Sentfdjlanb angebraeßt fein. Sermögen wir wirflid) unfere
Kriegsflotte in geplanter Steife auS,)ugeftalten unb babureß
pm beaditenSiuertßen Wacßtfaetor auf ber ©ee unb jimi
erwünfeßten Serbiinbeten für jeben Staat ju werben, fo ift
bantit ein großer ©cßritt oorwärtS getßan. ©djon oft ift
bie Stelt getßeilt worbeu! Ster pr reeßten ßeit träftig
Supgreifeit uerftanben ßat, ßat immer baS Sefte befommen.
Sie SBeltreicße ©uglanb, Sußlnnb unb 21merifa ßaben
fid) ba am fcßneEften auSgebeßnt, Wo fie wenig ober gar
feinen SMberftanb fanbeit. Sie jeßigen Siefeureieße finb aber
burd)auS nießt unuerwunbbar. ©nglanb ßat üiele Wonate
lang im Kampf mit bem Heilten, unbiSciptinirten Surenoolf
feßr negatioen 3iußm geerntet. SußlanbS Wacßt ift im
Kriinfrieg bei ©ebaftopol ungeaßnt fcßnelt gebroeßen Worben,
and) ließen bie ©rfolge im Siiifeufriegc feßr lange auf fieß
warten unb — bie Sereinigten ©taaten uon Sinerifa! Sie
ßaben bis jeßt noeß feine ernftlicße Kraftprobe p beließen
geßabt. ©egen ©panienS oerblaßte Wacßt war ja ber Kampf
fid)erlid) nießt aüp feßwer. Sft überhaupt ein Sotf, baS fid)
burd) ßöcßften 2upS üerwößnt ßat unb auSgefprodjener»
maßen pm §aitbelSoolf geworben ift, noeß redjt p ernfter
KriegSfiißrung braud)bar? 3m ©inne einer wcit|cßauenben
.vianbelepolitif finb SeutfcßlanbS .^errfdjer in ben leßten
Saßrjeßnten tßätig gewefen. Unfere Sanbmadjt ift eine ooll»
fommene, unfere @eemad)t befinbet fieß in fortfeßreitenber
©ntwidelung, möge Seutfcßlanb im gegebenen Woment beibe
gut 311 beitußen oerfteßen unb jur — SJeltmad)t werben,
llnfer blüßenber §anbel unb unfere fräftige Snbuftrie bt‘
hingen baS meßr unb meßr.
Digitized by
Google
Das 3ai)ltntieri)ältmj; Der ®efd)led)ter.
SBon (Ebuarb oon ^artmann.
SBie bei ben meiften Gingen fo richtet fieß auch bei beit
©ejcßlecßtent bie SBertßfdjäßung tiad) Sadjfrage unb Angebot,
©ie SBertßfdjaßuug beS weiblicßen ©efcßleißteä ift gegenwärtig
tu gering, weil baS Angebot non bentfelbcn größer ift als bie
fiacßfrage. ©aS fomnit baßer, weil in beut Alter bcr fociaten
$eiratßsfäßigfeit ber Wänner ein Ueberfdjuß non weiblichen
^ßerfonett befteßt, wäßrenb baS ©leicßgewicßt beiber @efd)led)ter
'auf eine früßere AlterSftufe fällt, auf weldjer bie Wärmer
jtoar biologifdß, aber nicßt focial ßeiratßSfäßig finb. Sei bar»
■barifcßen unb ßalbbarbarifcßen Sölfern iftbieS anberS; bort ent»
ifpricßt bent ftarfen Serbraucß an Wännern ein nocß ftärferer
;$n SBeibcrn, Weit bie Wannet roß genug finb, ben SBeibern
4>ie fcßwerfteit Arbeiten unb Saften aufjubürben. Sn beit
!&ulturnölfern erlangt baS SBeib nteßr unb meßr ©Tonung,
Ctoäßrenb ber Serbraucß an Wännern fortbcfteßf. ©er ba»
l.burcß entfteßenbe SBeiberüberfcßuß finbet bei ben polßgamifcßen
;©ulturoölfern in ben §arentS ber Següterten, bei ben fatßo*
.lifcßen Sölfern in ben SKöftcrit Unterfunft. Sei ben prote»
fftantifcßen Söllern fanb er fie bis 3 uin Anfang biefeS Saßr»
; ßunbertS in ben gatnilien ber näcßften Scrwanbten, wofür
; ßäuSlicße ©ienfte bie felbftoerftänblicße ©egenteiftung bilbeten.
•*©ie fortfcßreitenbe inbioibualiftifcße Auflöfung ber gamilien»
folibarität unb ßer Uebergang ber weiften gewerblichen
Seiftungen auS ber gantilie auf bie fabrifmäßige fierftellung
ßaben biefe Qufludjt üerfcßloffen ober bocß feßr erfcßioert. ©ie
»acßfenbc 3 a ßl unoerßeiratßeter SBeiber Oerminbert beit Ser»
: braucß beS weiblicßeit ©efcßlecßteS, inbem er fie ben ©efaßreit
fbeS gortpflanjungSgefcßäftS entließt. 3 u 9f e >^ würben biefe
©efaßren bureß ocrbefferte ©eburtSßülfe Verringert unb jwar
. in rafeßerer ißrogreffion als bie ©efaßren beS wännlicßen Se»
■ rufSlebenS.
I ©er weibliche Ueberfcßuß, bem alle bisherigen QuflucfjtS^
Wege Oerfcßloffen finb, ift genötßigt, fieß bem ©rwerbSfeben
außerhalb ber gamilie jujuwenben, unb foweit er ßierju ttießt
fäßig ober gewillt ift, verfällt er bent geiftigen unb leiblichen
, ©lenb unb ber Ißroftitution. Sowoßl bie grauenerwer 6 sfrage
i wie bie SroftitutionSfrage finb nur folgen beS weiblicßen
i UeberfcßuffeS im focialen JpeiratßSalter ber Wänner; oßne
j biefeit Ueberfcßuß gäbe eS beibe fragen gar nicßt, weil bie
j Wänner bem Weiblidjen ©efcßlecßt bei oerminbertem Angebot
| ßößeren SBertß äuerfennen, willig ßeiratßeit ttttb feine probte»
» matifeßen weiblidjen ©giftenden übrig laffeit mürben. SBaS
| bisßer oerfueßt worben ift, um bie grauenerwerbsfrage unb
: bie ißroftitutionSfragc 51 t löfen, ßat nicßt nur nicßt gum giele
j gefüßrt, fonbern auf Umwegen bie 3 nftänbe oerfdjlimmert, bie
* es beffern foHtc. SBaS man tßun fönnte, um beibe Hebel»
ftänbe wenigftenS erßcblicß einjubätnrnen, befteßt in fo ein»
feßneibenben Waßregeln, baß auf eine SBiUfäßrigfeit 511 ben»
fclben bei ben gefeßgebenben gactoren unb bei ber öffentlichen
'Dichtung in abfeßbater 3 e *t faitm ju reeßnen ift.
©a erfeßeint eS als eine ßödßft wichtige Angelegenheit,
ju nnterfueßen, ob bettn ber meiblicße Ueberfcßuß ber Sultur»
oölfer etwas 9?otßwenbigeS unb UnabänberlicßeS fei, uttb ob
nicßt öiellcicßt eine Hoffnung oorßattben ift, ißn als bloße
UebergangSerfcßeinung oon bem männlicßen Ueberfcßuß ber
barbarifeßen Sölfer ju bem männlicßen Ueberfcßuß eines
ßößeren ©ulturjuftanbeS attfeßen ju bürfen. SBentt bem fo
wäre, fo würbe fomoßt bie grauenerwerbsfrage als atteß bie
^roftitutionSfrage auf biefem ßößeren ©ulturnioeau Oon felbft
oerfeßwinben. ©in geringer mättnlidjer Ueberfcßuß würbe ben
für bie ©ße förpertieß ober geiftig ungeeigneten Wännern ge-
hatten, SunggefeUen ju bleiben, oßne baß feßon beßßalb allein
ein SSBeib Oon ber ©ße auSgefcßtoffen 5 U werben brauchte.
$ie Wäbcßen wüßten bann ganj genau, baß fie fieß auf feinen
anberen Seruf als ben ber ^auSfrau unb Wutter oorju»
bereiten brauchten, unb Würben in ber ©ewißßeit, rechtzeitig in
ben £>afen ber ©ße einjulaufen, üor jeber Serfucßung ßitt»
reicßeitb gewaßrt fein. ©ie jungen Wänner würben feine
SBeiber meßr finben, bie fieß ißren fejuelleit ©elüfteti um
©elbeSwertß preisgäben unb würben babureß nicßt nur bie
Acßtung Oor bent,weiblicßen ©efcßlecßt jurüefgewinnen, fonbern
aud) gefünber an Seib unb Seele in bie ©ße treten unb eine
gefünbere 9tad)tommenfd)aft erjielen.
9fun giebt eS bereits eine feßr umfaffenbe Siteratur
über baS jaßlenmäßige Serßättniß ber ©efcßlecßter unb feiner
Urfacßen tßeilS auS ftatiftifeßem, tßeilS auS biologifcßem
©efießtspunfte. Aber bie Statiftifer pflegen bie gegebenen
Serßältniffe als eine unabäitberlicße, gefeßmäßige SRoißwenbig»
feit ju beßanbeln, wäßrenb bie Siologen unb EEßierpcßter
großentßeifs baS Sntereffe ßaben, einfeitige SrflärungSnrfacßen
ober ‘Jßeorien ju verfechten, bie oft auf reeßt feßwaeßen fpßen
fteßen, auS ju befeßränftem SeobacßtungSmaterial entnommen
finb unb großentßeils einanber wiberfpreeßen. ©S war beß»
ßalb bis jeßt feßr feßwierig unb erforberte umfangreieße
Stubien, fieß ein Silb oon bem gegenwärtigen Stanbe unferer
Äenntuiffe über ben ©egenftanb ju oerfeßaffen. ®iefem
Uebelftanbe ift nun bureß eine fürjlicß erfeßienene auSgejeicß»
nete Arbeit Stauber’S*) abgeßolfen, welcße junädjft eine auS»
füßrlicßc fritifeße Ueberfidjt über bie einfeßlägige Sitteratur
(S6 Autoren) unb bann eine grünblicße eigene Seßanblung
beS Problems bietet. ®er in f^aeßfreifen bureß feine ßeßr»
biid)er unb burd) frßftaßograpßifcße unb biologifcße Special»
forfeßungen 6 efannte Serfaffer ift aueß bem weiteren Sublicum
fein gfmber; benn er ßat eine SReiße literaxßiftorifcßer unb
äftßetifcßer Stubien tmb einige 9teben über bie grauenfrage
oeröffentlicßt. Sn allen fueßt er bie Uebereinftimmung ber
etßifcßen unb biologifcßen gorbernttgen barjutßun unb eine
ftreng monogamifeße ©cfellfcßaftsoetfaffung als ©onfequenj
ber biologifcßen ißatfacßeit ^u erweifett. SBentt itt feinen
Stubien über bie Webea» unb ®on Suan»Sage bie Serquidung
literarßiftorifcß»äftßetifd)er unb biologifcß»focio!ogifcßer ©e»
ficßtSpunfte vielleicht nicßt bem ©efeßmaefe jebeS SeferS ent*
fpreeßen möcßte, fo beßanbelt bie neue Scßrift beS SerfafferS
ben ©egenftanb rein facßwiffenfdjaftlicß, aber bod) in einer
gemeinoerftänblicßen. ®arftellungSweife. ®aS ©rgebttiß ift
Oon größter SBicßtigfeit für bie tiinftige ©ntwidelung ber
Wenfcßßeit unb bringt einen neuen Sauftein jum eüolutio»
niftifeßen Optimismus ßinjju.
©er Ueberfcßuß ber ^nabengeburten beträgt etwa 5 °/ 0
unter ben heutigen ©uftnroölfern; ben Ueberfcßuß ber 6 on*
ceptiotten männlicßen ©efdjlecßtS berechnet Sauber naeß aüer*
bingS nur fd)tnalen, mebicinal=ftatiftifcßen ©runblagen auf
15 °/ 0 . ®S geßt ein größerer ©ßcil tnännlicßcr als weiblicher
grüeßte oor ber ©eburt unb bei ber ©eburt ^u ©runbe;
ebenfo ift bie Sterblicßfeit ber männlicßen Säuglinge größer
als bie ber weiblicßen. ©aS männlicße ©efcßledjt ift eben
Oor, bei unb naeß ber ©eburt anfprueßsoofler als baS Weib»
ließe unb geßt leießter ju ©runbe, wo biefen ßößeren An*
fprücßen nicßt genügt wirb, ©er Strom beS männlicßen
©efcßlecßtS geßt alfo oon einer breiteren SafiS auS als ber
beS weiblicßen,' oerengt fieß aber fcßnetler als biefer. Sringt
man beibe Ströme grapßifcß jur ©edung, fo fdjneiben fie
fieß im SünglingSaltcr, wäßrenb weiterhin ber weiblicße immer
meßr überwiegt.
9taubcr’S Anficßt geßt nun baßin: ©rftenS muß jebe
Serbefferung ber ßßgienifeßen SebenSoerßältniffe beS weiblichen
©efcßlecßtS wäßrenb ber Scßwangerfcßaftsbauer baßin wirfen,
bie geßlgeburten unb ©obtgeburten überhaupt j\u Oerminbern,
babureß ben Serlüft an concipirten Änaben bis jur ©eburt
unb bei ber ©eburt -$u Oerringern unb ben Ueberfcßuß ber
Änabengeburten 51 t erßößen. Zweitens muß jebe Serbefferung
*) $>er Ueberfdjufe an 5htabengebürten unb feine biologifc&e ©e=
beutung. Sßon Dr. 21. SRauber, ^rofeffor b.er Anatomie in 5)orpat.
9Kit 16 Figuren. Seidig, Verlag Don 21. ©eorgi, 1900. 14 Söogen.
Digitized by v^.ooQle
212
Die ßegentDart.
Nr. 14.
bet Le6enSßaltung, bet ßßgienifcßen ©inridßtungen imb bet
(Säuglingspflege bie SäuglingSfterblicßfeit unb mit ißr ben
Ueberfcßuß bet Änabenfterblicßfeit übet bie Wäbcßenfterblicßfeit
verringern. ^Drittens muß jebe ^tjgienifcfje Perbefferung beS
männlichen PerufSlebenS bie Sterblicßfcit bet berufStßätigen
Jünglinge unb Wänner Verringern. Sluf biefem SBege muß
baS Lebensalter, in meinem, bie 3 a ßf e vgleicßßett beitoer ®e»
fcßlecßter erreicht tvirb, immer meiter in bie £öf)e gerüdft
Werben. ®arauS folgt bann wieber eine Perbefferung ber
HeiratßSauSficßten für bas weibliche Oefrf)fecf)t, eine Pcrmin»
berung ber lebig bleibenben grauen, eine ftärfere Heranziehung
beS weiblichen ©efcßlecßtS im Oanjen za ben mit bem gort»
pflanjungSgefd)äft für baffelbe verknüpften ©efaßren unb ein
fcßneüeret Perbraucß beffelben. 2luf biefem SBege glaubt
SRauber, baß ein Jaßrßunbert genügen werbe, um bie 3aßlen=
gleicßßeit ber ©efcßlecßter von bem Jünglingsalter auf baS
ber focialen HeirathSfäliigteit ßinaufzurücfen, unb baß von
ba an fid) ein wachfenber Wännerüberfcßuß entmicfeln werbe.
®ie Schlußfolgerungen fRauber’S finb fo unbeftreitbar
wie feine PorauSfeßungen; ob aber eine SBanbelung in merf»
lichem Waße fo halb eintreten wirb, wie er annimmt, baS
ift vorläufig nur Sache ber Permutßung. SBit wiffen nicht,
in welchem 3 e ' tma fe bk ßßgienifcßen Perbefferungen fort»,
fcßreiten werben, unb wie tief ihre SBirfungen auf bie Per»
ringerung ber gehlgeburten, Uobtgeburten, SäuglingSfterb»
licßfeit unb PerufSgefaßren gehen werben. SBir vermögen
nicht ju fagen, ob biefe focialetfjifchen gortfcßritte burch
entfprecßcnbe inbivibualethifche gortfcßritte unterftüßt, ober
burd) fRücffdßrittc in perfönlichet pflichttreue, Selbftverleug»
nung unb Hingebung aufgewogen werben mögen. SBenn eS
• auch fehr wahrfcheinlich ift, baß ber Ueberfcßuß an männlichen
©onccptionen erßeblid) größer ift als ber an männlichen ©e»
butten, fo wirb eS boch noch langer Sir beit bebiirfen, um
genügenbe ftatiftifeße Unterlagen für eine einigermaßen fießere
3aßlenfeftftettung beS erfteren ju gewinnen.
SltteS bieS verminbert aber nicht baS Perbienft ber
fRauber’fchen Slrbeit. Sie hat einen. SBeg gewiefen, ber wiffen»
fcßaftlicß unb praftifch weiter gepflegt werben muß, unb ber
bei forgfamem unb ungeftörtem SluSbau jwar langfam,
Viel zu langfam für bie Ungebulb unfereS rafrfjlebigen ©e»
fcßlecßtS, aber bafür auch fi<ß et einem fo erftrebenSwerthen
3 iele näßer füßrt, unb ber babei ben 93ortßeil bietet, feine
3 umuthungen zu fteOen, bie nicht ohnehin feßon von bem
3 eitgeift gebilligt werben. ®eßßalb fei bie SRauber'fcße Scßrift
allen Piologen, Sociologen, ©tßifern, Politifertt unb Wenfcßcn»
freunben auf baS ®ringenbfte zur Peacßtung empfohlen, ba
fie einen neuen unb ftarfen Slntrieb zu ben feßon befteßenben
ßinzufügt, um bei ben ßßgienifcßen Perbefferungen ben Hebel
beS gortfdßrittS mit möglicßftem ©ifer unb ©tle anzufejjeit.
Irupp mtb Stumm.
SBon ;fran3 €tfjenl)arbt.
©egen baS beutfeße SBettetabliffement griebrieß SErupp,
Zu welcßem auch bie ©rufon»3Berle Pucfau bei Wagbeburg
unb bie ©ermania»3Berft ©aarben bei $iel gehören, finb in
neuefter 3 e tt heftige Singriffe in ber SageSpreffe gerichtet
Worben — eS foQ zu viel verbieneit! Der Sluögang biefer
Singriffe unb ißt 3u>ecf liegen, wie fieß zeigen wirb, Kar vor
ben Slugen eines jeben gefunb Denlenben, unb bamit fönnte
bie ganze Slngelegenßeit als begraben angefeßen werben, wenn
einmal eS nicht große Plätter gewefen wären, welche auf
weite Greife einen gewiffen ©inftuß auSüben, unb bie oßne
jeglicße Prüfung, bie fie fieß bei ißren Wittein woßt leiften
fönnten, berartige Slrtifel gebraeßt ßaben, unb ferner, weil
bie ©tabliffementS von SErupp als ein PeWeiS nationaler
Jnbuftrie»©ntwicEelung anzufeßen finb, unb man in ißnen
bie beutfeße Staßtinbuftrie treffen will. ©nblicß aber batf
man beßßalb bie Slngelegenßeit nießt tobtfeßweigen, weil jene
Pefcßulbiger, bie fieß natürlich nicht birect nennen, bie Un=
Verfrorenßeit ßaben, ben ©ommiffionen, welcße über bieSlnf
träge für Lieferungen entfeßeiben, Unfenntniß ber Prti?»
Verßättniffe ber zu liefernben ©egenftänbe vorzuwerfen, fic alfo
gerabezu verbäeßtigen, ißr gaeß nießt zu fennen, ober afct
fieß abficßtlicß ßintergeßen zu laffen. ®S erfeßien zunäcßft ein
Slrtifel „ftrupp unb Stumm" (greifinnige 3tg-). in weißem
eine angeblich in biefem gelbe feßr befeßlagene perfönlißlcil
gegen bie beiben girmen vorgeßt, fieß aber feßon naß b«
erften 3 e il en Q lä eine ©oncurrenz entpuppt. „Pot einiget
3eit lieferte Ärupp fRoßre für gelbgefcßüße h 4800 Warf. ®ie
©oncurrenz erßielt Sluftrag auf bie gleiche Sorte zu 1950 äRart.
darauf fejjte Ärupp ben Preis von 4800 Warf auf
1900 Warf ßerab. ©ranaten liefert SErupp für 8,50 Sföarf,
bie ©oncurrenz ßat fie für 5 Warf geliefert. @S ift ein
Jrrtßum, baß firupp allein SRicfelftaßl für bie glotte liefern
fönne. SBenn nur eine ©oncurrenz gefdßaffen würbe, fo
fönnte ber Pebarf um bie Hälfte billiger gebeeft werben.
Stumm maeßt felbft wenig Sticfelftaßl, aber er wirb Von
SErupp für bie Untcrlaffung mit großen Summen abgefunben.
SBürbe bie ^Regierung ©elb ber ©oncurrenz geben unb fie
mit Slufträgen Verfeßen, fo fönnten ben Steuerzahlern viele
Dußenbe von Wittionen erfpart werben, bit jeßt in ÄruppS
iEafcßen fließen." ©in zweiter Slrtifel fagt bann, baß firupp
bei Sinnahme beS vorgefeßfagenen neuen glottengefeßes
176 WiUionen Warf (!) verbienen würbe, unb ein an»
gefeßeneS SentrumSblatt, fieß voll bewußt, baß biefe Partei
auSfcßlaggebenb für baS ©efeß ift, bemerft, baß nießt ein
einziges Sd)iff eßer z« bewilligen fei, bevor barüber völlige
Älarßeit gefdßaffen werbe. ®iefe Älarßeit zu fdßaffen, Wirb aber
bem fRegierungSVertreter ein LeidßteS fein, wenn wirflicß ein
ParlamentSmitglieb mit gragen nadß biefer fRicßtung auftreten
foHte, aber eS wirb bann bie Slufflärung berartig erfolgen,
baß cS auf ben ober bie grager bcfcßämenb wirfen muß,
an foldße ©nten zu glauben unb fie nodß bazu im fReißStog
fliegen zu taffen.
3unädßft ift ber Urßeber alfo ein fogenannter Goncurrent,
ober „bie" ©oncurrenz. ®kfe ©oncurrenz ßat fein ober nicht
genügenb ©elb, unb baS foH ißr nun bie ^Regierung geben nebft
redßt vielen Slufträgen, bamit biefe famofe ©oncurrenz bie beiben
SBeltetabliffementS Srupp unb Stumm tobtmaeßen fann.
'Dafür verfprießt biefe ©oncurrenz ^ em JSteuerzaßler- eine
©rfparniß von Vielen ®ußenb Witlionen. Leiber ift nicht
gefagt, Wie viele Wittionen eigentlich für notßwenbig eraeßtet
werben, um Srupp unb Stumm tobt zu machen, aber eine
ganz ßübfcße Slnzaßt Von 2)ußenben müßten eS boeß wohl
fein, unb wenn biefe von ber ^Regierung wirflicß ge*
gegeben werben füllten, fo giebt fie boeß im ©runbe — ber
Steuerzahler! Slber fott fie boeß fparen? SBenn nun aber
bie ©oncurrenz uaeß Pefeitigung von SErupp unb Stumm
Sltteinßerrfcßertn geworben ift unb bann bie preife ganz
naeß iß«™ SBitten maeßt? ®a wirb ber „Steuerzahler*
feine erfparten Vielen ®ußenbe Von Wittionen lange fuchen
tönnen. Unb was ßeißt überhaupt „©oncurrenz" öon Ärupp?
Sft feßon baS Wanöver naeß ©elb recht plump angelegt unb
waßrlicß leidjt genug zu bureßfeßauen, fo muß boeß in üSeutfdh
lanb Jebermann befannt fein, baß eine ©oncurrenz beutfeßer
SBerfe in Pezug auf ©efeßüße unb Panzerplatten gänjlicb
auSgefcßloffen ift. SErupp ßat feßr woßl ©oncurrenten, auf
bie wir noeß zurüeffommen, aber bie finb nießt im ®eut»
feßen SReicß.
SBaS bie Lieferung ber gelbgefdßüße angeßt, fo ßanbelt
eS fieß um bie neuere ©onftruction 96. ®ie ßat burdßweg
Ärupp geliefert, unb baS Wirb man boeß Woßl auch bem bümmftw
Laitböniann nkßt einreben wollen, baß in einer Pattcrie bro
Digitized by v^. ooQie
Nr. 14.
Die <8>e$e«tpari
213
SÄopre 4800 SRarf, bie anbern brei, natürlich ganz gleichen,
1900 üKart gefoftet paben. ©on ber ülnnapme Don SRopren
anbern gabrirateg pat man nichts Dernommen, baß aber eine
anberegabrif gleite Kopre geliefert ober in Auftrag be*
tommen pat, gept einfach nid^t, Weil bie gleiche ©üte erft
burcp groben feftjufteQen ift, unb weil Krupp bei beit neuen
©efcpüfcen fßatente fowopl für ©erfcpluß alg für Saffetten»
conftruction befiel, bie er natürlich nitpt im Snlanbe, am
allermenbigften feiner Goncurrenz Oertauft, bie fomit gleiche
Sonftructionen gar niept perfteüen barf. 2Bag ben ©reigunter*
fcpieb ber ©ranaten angept, fo genügt eg ju bemerfen, baß eg
©ranaten Derfcpiebener ©üte unb Derfcpiebener Gonftructionen
giebt, unb bafj bei gleitet ©üte bie billigeren bezogen werben,
©inb alfo bie ©ranaten ber Goncurrenz ebenfo gut wie bie oon
Krupp, fo mag fie fiep freuen, bann tauft man Don ipr, unb ber
erfte Scpritt jum Kuin Don Krupp unb «Stumm ift getpan.
Uebrigeng bürfte boep betannt fein, baß Krupp niept nur gelb*
genüge fabricirt, mit benen beifpielgweife bie glotte unb bie
ÄöftenartiUerie nid)t wopl armirt werben tönnen. ®aß aber
eine Goncurrenz «Staplgefcpüge fcpwerer Kaliber in EEeutfcp»
lanb überhaupt perfteüen tann, baoon ift bigper nieptg betannt
geworben; Spanbau arbeitet nur mit©ronce. ®ie Goncurrenz»
fabrit für biefe ©efepüße bürfte wopl in ber ©pantafie eineg
©rünberg beftepen, ber, weil eg ipm niept ju gelingen fepeint,
auf anbere SBeife bie gewünfepten ©elber ju erlangen, fie Don
ber ^Regierung paben will unb baju bie treffe alg §ülfgma<pt
anruft. ®ag ift eben niept mepr neu, unb bie Regierung ift
in folcpen Gingen erfahren. Scpneibet ®owe mit feinem
ganzer wollte fogar bag ganze Sanbpeer tugelfeft machen, unb
bie ©reffe palf ipm fräftig, aber webet bie ^Regierung noep
$iram ÜRajim rüctten bie ÜRiUionen peraug.
Kitfetftapl tann allerbingg Seber rnaepen, bag ift ganz
rieptig. 91 lg bie Slmerifaner Gnbe ber aeptziger Sapre be»
fcploffen, fiep eine ftarfe Kriegsflotte ju bauen, fanbten fie
eine Gommiffion burcp alle Staatg* unb ©rioatetabliffementg
Suropag, um fiep gepörig ju informiren. Krupp öffnete
biefer Gommiffion tlugerweife bie Spore niept, wag bie §errn
bon jenfeitg beg großen ÜBafferg fepr Derfcpnupfte, fiep aber
balb alg fepr weife erwieg. Gg würbe bapn in Sanbp §oot
bei Kew«jI)orf ein Goncurrenzfcpießcn gegen Panzerplatten ab*
gepalten, an Welepem fiep Krupp nebft jwei englifepen unb
einem franjöfifepen SBerte betpeiligten. Septereg, «Scpneibet*
Greufot, ging jum Subei ber granjofen alg Sieger peroot,
unb eg würbe angegeben, baß biefe platten einen 3 u f a 6 uon
ca. 4 big 5 procent Kicfel entpielten. 5>ie greubc ber Scpneiber*
ffierfe bauerte niept lange. 2Ran patte felbftoerftänbliep auf
©eftettungen gerechnet; bie aber erfolgten niept, benn bie
Slmerifaner wußten ja nun, wag fie wiffen wollten, unb —
maepten ipre Panzerplatten felbft SEBenn aber auep Kicfel»
ftapl niept Don Krupp allein pergeftellt wirb, fo ift er boep
ber Ginzige in Seutfcplanb, ber bie für ben Sepiffbau nötpigen
großen ©auftücfe perfteüen fann, unb namentlicp berjenige,
Welepet bie gepärteten Kicfclftapl»©anzerplatten fabriciren barf.
Gg liegt nämlicp auf biefem ^ärteoerfapren ebenfallg ein
Patent Don Krupp, unb wie WertpooH biefe Grfinbung ift,
baton erpält man einen ©egriff, wenn man pört, baß Kuß*
lanb unb Ütmerifa ber girma Krupp biefeg Patent abgefauft
ßaben. So erpalten bie brei neueften amerifanifepen Sdplaept*
ftpiffe Spp „ÜRaine" folcpen Sepuß.
Gg giebt nun auf biefem ©ebiete fepr wopl eine Gon»
currenz füt Krupp. Sag finb in Gnglanb ©ieferg Son anb
ÜRajim, Sarrow in gurneß, ©rown unb Gammelt in Speffielb,
in granlreicp Scpneiber»Ganet in Greufot, in ben Pereinigten
Staaten bie ©etplepem Sron*2Borfg unb bie Gparitegie*2Berfe.
Sa fowopl in Gnglanb, wie in Ülmetila, granfreiep. unb bei
ung, fremde ^Regierungen ©anzerfepiffe bauen laffen, fo maepen
fiep felbftDerftänblicp alle biefe 3Berfe untereinander Goncurrenz,
benn fo tpöri^t finb boep beifpielgweife bie Sapaner niept,
eiuen panzerfreuzer bei Krupp auf ber ©ermaniawerft ober
beim Pulfan»Stettin bauen z u taffen, wenn fie ipn bie £alfte
billiger anbergwo — wie bei ber famofen Goncurrenz! —
pabeu tönnen. Unfere 2Rarinc=93aubepörben lennen alfo ganz
genau bie preife aßet Sieferanten in bem 9lrtifel, unb eg
füllt ipnen gar niept ein, Krupp mepr zu zaplen, alg PefteHer
anberer -Kationen. Gg ift bieg ein 9lnzweifeln ber EEücptigfeit
unfereg Scpiffbau*Perfonalg, bag nur unter 9lnonpmität
yngeftraft erfolgen fann. 9luf bie Summe Don 176 äRiüioiten,
bie Krupp Detbienen foü, wenn ber glottenplan genepmigt
Wirb, genauer einzugepen, fepeint überflüffig; folcpe 9luf*
fteUungen finb einfaep finblicp! Grfteiig ift ber glottenplan
niept genepmigt, zweiteng fiept bie Gonftruction ber Scpiffe,
an benen jtuei Saprzepnte gebaut Werben foü, niept feft, alfo
auep niept bie ÜRaffe beg benötpigteu ÜRaterialg, britteng
fragt eg fiep, in welcpem Umfange Krupp Aufträge erpalten
Wirb — Dieücicßt glüeft eg ber „Goncurrenz", ipm reept Diel
Wegzufepnappen. SSierteng aber: Wie witt man peute ©cwmne
bereepnen, bie erft naep zwanzig Sapren bercepenbar fein
fönneit, ba fidp, abgefepen Don politifepen Greigniffen, bie
©ergwerf», Setriebg« unb namentlicp bie Bopnoerpältniffe
gänzlicp anbern?
3)amit bürfte genug gefügt fein; aber ein fßunft fönnte
nod) in grage fommen. ®ie Goncurrenz fißt möglicperweife
gar niept im S)cutfcpen fReicpe, fonbern ftept, zum größten
Speil wenigfteng, außerpalb! 2)a peißt eg pübfcp aufpaffen,
baß beutfepeg ©elb im Sanbe bleibt unb nidit ftatt in Krupp’g
unb Stumm’g SEafcpen in bie Don niept reept zu ermittelnben
®unfclmännern jenfeitg fcßmalerer ober breiterer ©ewäffer
fließt. $>ag Krupp*Gtabliffement pat fein SRaterial feit Sapr»
Zepnten an aüe Kationen ber Grbe, mit 9lugnapme gtanf*
reiepg, ftetg zur ßufriebenpeit geliefert. „La Marine Fran-
caise“ liefert wieber eine folcpe 9lncrfennung iprer Seiftungg»
füpigfeit, baß Wir ftolz auf fie blitfen unb fie niept, unter
bem Scpuß ber Slnonpmität, mit Sepmup bewerfen laffen.
Sn einem 9luffaß „Les cuira'ssee de 15000 tonnes et l’ar-
tillerie de la marine“ Don 9JZ. 21. ©ael werben 30,5er Der*
fepiebener Staaten in ipren Scpießleiftungcn auf 4000 ÜReter
miteinanber Derglicpen: .Canon anglaia Vickers 1898 ergiebt
2280 ÜReter EEonng EEotalencrgie, canon anglais modele
precedent 1823 mt. canon fran 9 Hisl 893 — 96 1518 mt. unb:
Canon allemand 1899: 2317 Kieler Sonng. Diefc ©efepüge
aber finb Don Krupp.
Literatur unb $unft.
3ttr Reform ber fitlbpauerei.
^on Heini^olb Begas, (Sufiao €berlettt, ITTaj KItnger.
SBorbemerfung ber SRebaction. SBieberpolt würbe
in ber „©egenwart" bie grage aufgeworfen, warum bie fßlaftif
fo fepr im 2lrgen liege, beim 2?olfe fo wenig Sßcrftänbniß
finbe unb im ©egenfaße zur ÜRufif, ®ieptfunft, ÜRalerei im
©roßen unb ©anzen fall laffe. S)ie 9lutwort lautete, weil
in ber ©ilbpauerei Don peute nieptg gefepaffen wirb, bag big
in bie leßte Sluggeftaltung inbiuibueü burepgebilbet erfepeint
unb alg 2lugbruef ber 3 e *t» in ber wir leben, freubig erfannt
wirb. Kurz, weit bie ©ilbpauerei Don peute feine Kunft
unferet 3 e it ift- 3 U biefem Urtpeit gelangte ebenfaüg ein
peroorragenber ©itbpauer, ber SBieiter ülfabemieprofeffor
Gbmunb Jetliner, in einer ©roepure „Seprjapre in ber
Sßlaftif", bie in bet „©egenwart" Kr. 9 einer ©efpreepung
unterzogen würbe. §eümer feplägt eine Keform ber plaftifepen
Seprjapre Dor unb forbert eine ganz neue Kunftfcpule. „®ie
©ilbpauerfcpule muß Dor 2tflem in eine „SScrfftatt“ um*
gewanbelt werben. ®er eintretenbe Scpüler muß in erfter
Sinie bag ^»anbwerf erlernen, benn Kunft unb ^anbwerf
Digitized by v^. ooQie
214
Die ©egenrourt.
"■Hf' 1
Sr. 14.
ßaben einen gemeinfamen ©äßrboben: bie f£ecßnif. ®arum
barf ber junge ©ilbßaucr nießt auf 3 eicßnen mtb ©tobetüren
gebrillt werben, er muß öon Sugenb auf meißeln, für ©ronce
boffeln, in ©tetall gießen, cifeliren, feßnißen. „Vormittags
mobelliren, ©adjmittagS meißeln!" Sn beit erften Saßren
bürfte biefe ©eiteraleintßeilung genügen, weil erfaßrungSgemäß
bei formgewanbten Seuten nur einige Satire erforberlid) finb,
um in bie SlnfangSgriinbe ber ©tarmorteeßnif eingefüßrt ju
werben. ®ie weiteren Satire müßte ber ©aeßmittag abwecß»
fetnb jut (Erlernung ber ©roncetecßnif öerwenbet Werben. Sft
ber ©cßülcr fo weit öorgefeßritten, baß et an eigene ©ompo»
fitionen geßen fann, fo muff er biefetben aueß in bem be»
treffenben ©taterial felbft auSfüßren. ©orträge über bie
■Sedjnif ber mitten müßten mit ben praftifdjen ©erfueßen |>anb
in £anb geßen. ©oßin wirb ber Sunftjünger fcßoit bei ber
©onccption, ja feßon in ben erften fßßantaficn baran benten,
Wie. unb in welchem ©taterial finngemnß fein ©ebanfe ©er»
wirflicßung finbeit fotl." Unb ^etlmer entwirft unS eine
folcße jeitgemcifje ©ilbnerfcßule: ©tobellirfale in größerem
9luSmaße, ©tarmoratelierS, ©er|ud)cbroncegießerei, ©ifelir»
abtßeilung, cßeniifdjeS Saboratorium finb abfolut erforberlid).
@in ftünftler, ber felbftöerftänblicß in ben öerfeßiebenen ®iS»
cipliiten ju £>aufe fein muß, fteßt ber ©cßule oor, Slffiftenten,
bie fpecicltcn Radier in auSgejcicßncter Seife inneßabenb,
tönnten ißn unterftüßen. „SaS bie ©efdßaffung beS ©tar»
mors anbetangt, fo würben bie ©efißer großer ©teinbrüeße
feßr gerne bie Stbfätte gegen mäßiges ©ntgelb jur ©erfiigung
ftetlen, unb bie ©inricßtnng einer ©erfucßsbronccgießcret jäßlt
ja aueß nidjt $u ben Unmöglicßfeiten" u. f. w.
3 )a wir begierig waren, weteße ?tufnaßme biefe Reform»
üorfeßläge bei unferen Zünftlern finben würben, fo wanbten
wir uns mit einer Ülnfrage an unferc ßeröorragenbereit ©ilb»
ßauer. SEBir bringen ßeute bie ©utaeßten, mit benen uns bie
©feifter SegaS, ©berlcin, Stlinger erfreuten, ©rofeffor
|>el(mer beßält fid) baS refiiinirenbe ©djlußwort not.
* *
*
Sdj Eann nur allen in Sßrem 9lrtifet auSgefprodjenen
©ebanten bebingungStoS beiftimmen. ©S finb barin ©einer»
fungett, bie auf tiefes ©erftänbniß in ©ejug auf baS Sefen
ber ©laftit feßiießen taffen. @S ift öoUftänbig ridjtig, baß
Wir naßeju gar feine ©ilbßauer meßr femten, eS giebt eben
faft nur noeß ©tobelleure.
©egabte Sünftler ßaben fieß ju alten ßeiten mit ber
perfönlicßeu Slusfüßrung ißrer Serfe in ©tarmor befcßäftigt.
Senn eS ßeute nießt gefdjießt, fo liegt üiclleidjt ber ©runb
barin, baß es weniger ©egabte giebt, atS früßer.
®ie ©rjießung ber ©itbßauer in ben 9lfabemien ift nid)t
baju angctßan, ißnen baS Sefen ißreS SerufcS flar ju maeßen.
®cr tßatenburftige Sünger non ßeute, ber nidjt im ©taube
ift, irgenb weteße gorm ju beßerrfd)cn unb burdjjubilbcn,
fueßt ltari) geiftreidjen, originellen ©ebanten unb oerfud)t bie»
fclben mit feinem unjurcidjenben Können jmn ÜluSbrucf ju
bringen; er weiß nidjt, baß in einem grieeßifeßen Sorfo meßr
fünftlerifcßer Sertß fteden fann, als oft in ben größten,
complicirteften ©ompofitionen.
SaS nun bie praftifdje ©cftaltung ber ©orfeßtäge jur
©erbefferung biefer 3 u ftänbe betrifft, fo glaube icß nidjt an
ben ©rfolg, ber in unferer ßeutigen 3 e d barauS crwadjfen
fönnte.
Seiber ift bie 3 f it Vorüber, wo Zünftler bei ben be»
fdjeibenften. Sfnfprtidjen an baS Sebcn fid) rüdfidjtsloS ibealen
©eftrebungen ßingeben wollen. 9lQjäßrlicß werben große
9luSftelIungen gemadjt, unb jeber Kiinftlcr will barin oer»
treten fein, oberfläcßlitße ©taffenprobuction ift bie golge
non, unb ba ift eS nidjt mögtidj, ben eblen ©tein oßne
frembe tpiilfe ju einem Kunftwerf ju geftalten, W 0311 3 c 't,
9luSbaner nnb nor ?lüem bie Uebcrjeugung notßweubig ift,
baß nur in ber ©otlenbung ber gorm bie ßöcßfte tpöße ber
©ilbßauerei ju fueßen ift. ®iefe ©otlenbung ber gorm mirt ,
nur bei intimem ©tubiunt beS 9?adten unb 3 war in ©tein
übertragen, ju erreidjeit fein.
3)ie ©eßanblung ber ©ronce ift mit ber beS ÜRannots
nießt ju nergteidjen, ba eS mögtidj ift, eine faft matßemattfcbc
Siebergabe eines in Slßou ober SacßS mobellirten SESktfe .
ßerjuftellen. @S würbe baßer nur bie ©ifelirung in g-rage
fontmen, bei ber aber bie ©ronce wegen ißrer feßr fcßwierigcn
©eßanblung nie bie weieße Uebcrfüßrung einer gorm ;ur
anbereit fo nollfomnten geftattet, wie eS bei ÜDhirmor ber gaü
ift. Slber audß ßier ftoßen wir auf bie fieß überßaftmi*
fdjnefllebige 3 e 'tftrömung, bie eS nidjt geftattet, in befeßeibener
©title ju feßaffen unb aüeS SWatcrielle bcin ©eiftigen ju
opfern.
Hefnfyofo 3t$as
©iele Sege füßren nadß 9}ont. Scß fann mid) nießt
ganj für ben ^lanbwerfsweg beS £crrn Rettmer begeiftern,
troßbent icß ißn felbft gegangen bin. Stuf ber ©djule, bie
mir ben erften fünftlerifcßen Unterridjt gegeben, würben biefe
twit ^ernt Rettmer oorgefeßlagenen ®inge geleßrt.
©igentlicß muß man bie ftunft bie founeränc ©ejwingerin
beS ©laterialS nennen, ba fie bem ©tein, bem ÜÄctafl, bem
410 I 3 gormcn aufbrängt, bie gegen bie Vatur biefer ©toffe
geßen. ©eit Saßrtaufenben wanbern bie SDfarmorgcbirgc
©rieeßenlanbS unb StalienS, ju StWenfcßen», Sßicr» unb
©flanjengcftalten umgefdiaffen, in pßantaftifdje 3lreßitcltur
formen gejwängt uni» fo ißrer natiitlidjen gelSgeftalt ix=
raubt, in alle Sänber beS ©rbbatlS. @S ßießc nun ©ulen
nad) Üttßcn tragen, wollte man mit £»ntaufetjung mobernet
Xedjuif unb mobernen ©eifteS, auSgerüftct mit all' ben tr-
faßrungen üergangener Äunftepodjeit, 311 ben primitiöen SÜMittcln
elfter Stunftiibung jurüdfeßren. Säre eS nießt baS ©leidjc,
wie wenn man ßeute eine ©tjramibc baute, oßne bie granbiojen
mobernen ^icbe» unb ©ewegungSmittel ber Sngenieurwiffeiu
fdjaften 31 t benujjcn, bagegen baS für unS jeßt unzulängliche
©erfaßren ber ©igßpter in Slnwenbung bräeßte?
©ingS um unS ßaftet bie Seit in tanfenb fieß Don bet
SNaterie loSringenben ©cflaltcu. ©tan will pfeitfcßnetl ben
9letßer burdjflicgen unb boßrt fid) tief in baS ©tbinnere, ißm
feine ©djäße entreißenb. Sa, ber fämpfeube ©ebanfe null
baS ©ublidje enträtßfcln! gieberub, rußcloS wäljt fieß ber
alle großen grageit in ©üßlidjeS umwertßenbe ©tenfeßenftron
burdj bie 3 c iten. ©crflänbuißloS Würbe er burd) baS Atelier»
fenfter auf ben Saßnfinnigcn ftarren, ber feine ißm »on
einem gütigen Scßöpfcr gegebenen, mit beut feinften ©erucn=
unb Uaftgefüßt auSgcftattetcn ginger um ben gcfüßtlofcn
^ofjftiel eines ©tcinflöpfelS, um ben Sifenntcißel jaßrciu,
jaßrauS frampft, ba boeß ein weidjer ®rud einer g' n 9 cr '
fpiße genügt, Sunbcrwcrte an ©djönßcit, gleicß bem 9lUratcr,
aus bem Xßon 311 jaubern. Sieöiel ©eßläge miiffcn geift«
unb pßantafietöbteub auf ben ©tcißel, ber ben ©tarmor gräbt,
fallen, oßne baß fie ben ©agel auf ben Äopf treffen! llnfäglid)
ermübenb unb troftloS fdjleidjen fJage, Sodien, ©tonale,
ja Saßrc ßin, eße aueß nur bie roße ©eftalt fid) auS bem
©farmor fdjält. Sn Wetdjcr Iretmüßlc beS oben ©farmor--
flopfettS, in welcßcr ©crjweiflungSfpßäre beS rein nur tetß»
nifeßen ©ronceform» unb ©ußoerfaßrenS feßwänben bem
jungen ©ilbner bie bejten frifeßeften ©tunben jugenblidicr
©egciftcrung! Sieöiel ©tißerfolge im ©erßauen beS ©tcince,
im ©erjagen beS ©nffcS würben ißn nieberbrüden! Seim
©tidjel 9lngclo unb ©enoenuto ©etlini baS oft paffirte,
wieuiet meßr unS!
Sic biirfen wir norbifdjen S'iinftler, bie wir öon einer
öcrftänbnißlofen unb funftfciublicßen ©tcßrßeit erbrüdt werben,
unS meffen mit ber auf taufcnbjäßriger birecter UcOcrlieferimg
aufgebauten ©cßönßeitSwclt ber 9llteit! Sir, bie wir auf
ber magern Cafe unferer ftillen Scrffiatt, umtugt öon ben
©päßeraitgen derjenigen, weldje bie ewige ©cßöußctt bei
Digitized by v^. ooQie
Nr. 14.
Die ffiegenwart.
215
Städten an’S Streuj fd)lagcn woßen, hungern umfonft nad)
folcf)er 93lütf)e unferer Äunft. Unb tro^bcm haben fid) auch
in unferer 3 e >t einige §od) begabte, greigeborene unb grei«
gebliebene mit bem feinen Sorbcerreiö • beS ©riedjenthumS
gefdjmücft. Aber i£>r intimes Schaffen, ißt geheimes Siingen
fönnen fie fltiemanb lehren. Schulen fiub Schablonen, 2et)ren
ift für bie Waffen, Aber aflcrbingS ohne Sehren fein
Semen. Offne Semen feine gäl)igfeit. ©a liegt ber gwie*
fpalt, ber bie feinften ftünftlernaturen baoon abfefjen läßt,
anberS als burd) itjrc Söerfc bie SBelt belehren ju woßen.
©aS SBefte beS genialen ftiinftlerS ift unübertragbar unb
fann nicht oeraßgemeinert werben. lpöd)ftenS wie er fid)
räufpert, wie er fpueft, hat man ihm im beften gafle abgegneft.
2EBaS unb wie in ber Sitbnerei gelehrt, wie baS uner*
meßtidje Wateriat geficljtct unb auSgewäl)lt werben foll im
Sinne mobernen ©nipfinbenS, muß Wühl jeber fünftlerifchen
Snbiüibualität überlaffen bleiben. Sföenn bie guten Samen«
förner, Welche Herr Rettmer auSftreut, befrudjlenb wirfen
foUen, mup meiner Slnfidjt nach biefer St'ünftler fie perfönlich
in brauchbares ©rbreid) fäen.
(Suftao (Hberletn.
©er erfte Xheil ber Ausführung in ber „©egenwart"
mag f>eute noch größtenteils jutreffen, wenn aud) oft mehr
Zünftler, als §ellmer eS annimmt, fid) perfönlich mit bem
SDtaterial befaffen. Aber feine Ausführungen, fleine fünftle*
rifche ©igenart betreffenbe ©inge unb Auffaffungen bei Seite
gefegt, unterfchreibe ich gern.
AnberS oerhält eS fich mit bem jweiten X^eit, ben 9tcu»
roünfchen über Schulung, ©ine ftärfere ,,©urd)fiebung" fonute
man fefjon üon ben je^igen Afabemien erwarten. Sie ift
auch Wohl fd)on je nad) ben ^ßerföntidjfeiten ber Selber in
firaft.
Rettmer fagt: „©arum barf ber junge Vitbhaner nicht
auf 3 c ^ ncn un b Wobcßiren gebrillt werben."
Hier fangen meine Vebenfen an. Sin ©egentficil, auf
„3eid) nen " muß ftreng gearbeitet werben. AllerbingS nid)t
nach ®hP$ unb aßerhanb tobtem 3 eu 9- ®ie 3 c i c h ltun 9 ent 5
hält Alles conbenfirt, was Waler, SöiTbt)a»er, 3eichner brauchen:
garbe, gorm, 9faum.
Aber baoon abgefeljcn, bie Siebe juiu Waterial, bie @r«
fenntniß ber ^ßoefie beS WaterialS, gteidjgiltig ob garbe,
f)olj, ©rj ober Warmor, laffen fid) nidjt anerjiefjen burch
Schule, noch weniger cinbrillen — unb oon Seßtcrem ift ein
Heiner unangenehmer Veigefdpnad in £eßmer’S Ausführungen
enthalten.
Sch flehe jweifelnb foldhen principieHeu Anfd)auungen
gegenüber; bergleidjcn hängt oon fßerfonen unb Umftänben
ab, bie fid) nicht bccretiren nod) fdjematij'ircn laffen, wenigftenS
nicht oorher ober ju Sebjeiten. Nachher gefc^ieht eS ftetS
an ben „depouilles“.
Aber baS ift etwas AubercS. Sn feinem Sanbe hat bie
feceffioniftifche Sfunftbewegung fo fdjncll unb überrafchenb
6 efrud)tenb nach aUen Seiten gewirft, wie in Oefterreich-
©S hat eine Berührung jwifdjen publicum unb fi'ünftlern,
t)or Allem jwifdjen Zünftlern unb Architeften ftattgefunben,
wie wir fie bei unS nicht fennen. Sn biefer breifachen ißraj-iS
beS gegenfeitigen SBollenS unb VerftehenS liegt bie Sdjule.
Wan mag nod) fo oiel im ©injelnen auSjufehen haben,
©roßeS ift in Oefterreich erreicht worben, unb nad) beneibenS«
werden SRefultaten ift bort cinjufeßen unb fortjufaßren.
SEBir in ©cutjdjtanb haben bie lex Heinje. Unb mir
erfdjeint biefelbe- mißoerftanben. IJtad) Socialiftengefeß,
©ictaturparagrapljen foll biefe lex mit ihren Unbeutlid)feiten
unb ihren SnterpretationS« Spielen wol)l eine Vorbereitung
ju iüirdjen« unb ©laubenSgefeßen abgeben. —
Vraucf)en wir bann Vilbhauerfchulen?
UTaj Klinger.
äus iFannt) ßctoalb’s flajjebud).
SSoit (Efyeopfjtl golltng.
©in ftideS §auS in ber ftitlen Wattljäifirchftraße, bamalS
noch ftiller als heute. ©rei ©reppen hoch, aber auf jebem
Abfaß ein Stuhl 3 um 9tuljen unb freunbliche Vlattpflanjen.
Unb bie alte Wienerin führt unS hinein jur alten §errin,
einer fleinen, behäbigen ©ame mit auSgefprodjen femitifäfem
©ppuS, großen, glänjcnben Augen, unb ju beiben Seiten beS
fdjwarjen §äubd)enS bie forgfältig toupirten weißen Schiller«
loden nach ber Jpaartradjt Oon 1830. Unb wer baS ©lüd
hatte, mit ber fcharfgeiftigen, hodjfinnigen grau ju ptaubern,
fonnte ficher fein, etwas fßraftifcheS, ©uteS unb ÄlugeS ju
hören, ©inmal in ber SEBoche war ©mpfangSabenb. ®ann
fani wohl Warie Seebad), um auf bie Vitte ber ^auSfrau
irgenb ein hübfcfjeS ©cbid)t auf^ufageu, auch junge Ä'ünftler
unb ®id)tcr unb alte greunbe. @S war eine feine, rein
geiftige ©efelligfeit, feine „Abfütterung", Wie bie h eu tigen
berliner SalonS. ©in Släßdjen bünnen StheeS, ein belegtes
Vemmdjen, bünit geftrid)cn, aber wohlfdjmedenb, — unoer«
geßliche Abenbe für Seben, ber unter bem 3 au b e r ber für
alles ©ute, Schöne, 2Baf)re noch immer glühenben unb
fämpfenben grau ftanb. Unb Wie ein Abglanj ihrer hat*
monifd) abgefd)loffenen, oerftanbeSflaren, gemüthStiefen Snbi*
oibualität unb sugleich ein fUachflang auS ihrem gaftli^en
§eim gemahnt unS heute ihr Tagebuch, baS Subwig ©eiger
unter bem Xitel „©efühlteS unb ©ebachteS" hetauSgiebt unb
ihr 9ieffe, ber ©reSbener ®ud)hänblet §einrid) Winben, Oer«
legt. ©S finb gelegentliche Aufzeichnungen, bie oon 1838
bis ju ihrem Xobc, atfo über fünfjig Sahre fich hi n *
ftreden. Wanche Sahre hat bie bis juleßt Schreibfelige biefe
Vlätter nicht befchricben; erft nad) bem Xobe ihres ©atten,
beS §iftoriferS unb AefthetiferS fßrof. Abolf Stahr, als ihr
bie münbtiche AuSfpradje mit ihm fo fehr fehlte, empfanb fie
baS Vebürfniß, ihre ©ebanfen nieberjufchreiben.
„Nichts WenfdjltcheS war biefer grau fremb," fd)reibt
Subwig ©eiger. „lieber fMigion, befonberS ©hriftenthum unb
©otteSglaube, fßolitif unb fReoolution, bie ©reigniffe oön 1866
unb 1870, biegrauenfrage, SUationalöfonomie, Vhii°f°Phi e uid*
Sliaturwiffenfchaft, SBaguer’fche Wufif, gamilienleben finben
fich ©rörterungen. ®aS ©efellfdjaftSleben wirb fritifirt: auf
Verlin unb Stalien faden ftarfe Streiflichter, ©ie Schrift*
ftellerin giebt füedjenfchaft über baS SBefen bichterifcher
Arbeit. Sie fudjt ihr SEßefen ju analt)firen, begreiflich ju
mad)en, nicht §u glorificiren; fie bemüht fich, Anbere ju Oer*
ftehen, nicht hetabjufeßen. ©S finb feine ©eclamationen unb
feine riihrfeligen ©mpfinbcleien, feine methobifchen, nach be*
ftimmtem Sd)ema ober abfidjtlicher ©iSpofition georbneten
©arlegungen, fonbern Eftieberfdjriften, wie fie fich auö bem
Seben eines ftarfgeiftigen ÜBeibeS ergaben. Sie grübelt nicht,
fonbern beobachtet fid) unb bie SEßelt; fie bleibt nicht hart«
nädig bei oorgefaßten Weinungen, fonbern fie läßt fich um«
ftimmen burch bie 2Eöucf)t ber ©h at fachen unb baS Steifen
ihres ©eifteS. Aber fie hat immer ben Wutlj ihrer Weinung.
Sie ift uießt hinterhältig unb nidjt oerlogen: Klarheit unb
SBahrljeit leiten fie. ©in 3«ugniß fühneti unb unerfchütter*
liehen WutßeS, ein Stefultat feßarfen, oielfeitigen, riidficf)tS*
lofeit ©enfenS, ein S3ud) beS Kampfes gegen linfitte unb
Vorurteil, Halbheit unb Unlauterfeit, ein fühner ißroteft
gegen müßiges ^inbämmern unb ungefunbe, unreblidje ®e*
fühlSbufelei, fo foß baS Vud) ju allen ©enen fprechen, bie
gannp Sewalb liebten unb bie eS Oerftehen ober lernen woßen,
mit ftraft unb ©efunbheit in fidh unb um fich J u bliden."
©er Herausgeber fagt nicht ju oiel. gönnt) Sewalb’S ©age«
buch ift ein fd)öneS, nüglicheS, bleibenbeS Vud). Sn trüben
Stunben ber ©ntmuthigung ftimmte wohl auch biefe uner«
müblid)e grau in ben AuSruf ihres ©atten ein: „AßeS
Sdjaffen ift ißlunber!” Unb man ift Oerfudjt, ihr Stecht ju
geben, wenn man bemerft, wie feßon jehn Sahre nach ihrem
Digitized by v^. ooQie
ä
216
Die (ßegcnaari
Nr. 14.
Etob ißrSilb für bie Sftadjwelt üerblaßt ift. Sergeffen finb
alT ißre jRomane unb Sftooeflen, bie SReife* unb ScbenS*
fdjilberungen finb nnr noch für Gulturßiftorifer fcßäßbareS
Waterial geblieben, fogar als Sorfämpferin ber grauen*
rechte Wirb bie befonnene, nüchterne, lugifcße Sorfämpferin
ber ©mancipation pt — Arbeit oon ben utibanfbaren grauen*
recßtlerinnen pm alten ©ifen geworfen, aber als ©ßarafter«
tueib unb Sbealiftin bleibt ißr eine feßöne Stellung in ber
©efdjicßte ber fßerfönlicßfciten, ber Sollmcnfcßen gcroig —
fdjon auf ©runb ißreS ßerrlicßen EtagebudjeS.
SBeldj’ aufrichtige, fcffelnbe §erjenSbeid)te! 3ßr ganzes
Hers, i^re Sß^antafie, ißren — noch ftärfer als Seibe — faft
männlichen unb hoch wieber fo echt weiblichen Serftanb legte
fic in biefe SBlätter, Heben benen AUeS oerblaßt, waS fogar
eine SRaßel Sarnßagcn ober ©aroline Sdjelling in ihren
Sriefe ©igeneS, Sd)öneS unb SebeutfameS auSgeplaubert
haben, ßier gleich ein paar oon ben unzähligen ©ettiebligeu
unb Selbftbefenntniffen auf ©erathewoßl ^crau^cjegriffen!
„3öer bie SEBaßrßcit ernftlid) fudjt, fann fie auf jebein
SEBege finben. — ©efunbßeit ift ©lüd, jo fagt ber Slraufc —
SReicßtßum ift ©lüd, fagt ber Arme — SBeiSßeit ift ©lüd,
fagt ber Eßßilofoplj — unb fic haben Alle reiht. Unglüd
aber ift gewiß, baS nicht erreichen p fönneit, waS man be*
barf. — SelbftloS fein, in einer Seit uotl ©goiften, ^ei^t
fich ber Wittel berauben, baS p leiften, waS man feiften
fönntc. — SBer bie Siebe nicht öerfteht, begreift Weber ben
Haß, noch ben gorn." SieleS ift nur halbwahr, paraboj,
nüchtern, aber eS trägt ben Stempel beS ©igenen, Selbft*
erlebten, oft beS ©cnicS. Sogar ihr Herausgeber fagt:
,,©S fällt nid)t fdjwer, bei mancher Stelle auf ben SBiber«
fprueß ^titäuttjeifen, groifcEjen bem oon gönnt) Semalb 33er*
lünbeteu unb ben wirtlich eingctretcuen J^ljatfadjen; eine
Stritiferin ift eben feine Eßropßetin." So ift, um nur ein
Seifpiel anpfüßren, ihr SBibcrwiöe gegen bie SBagnerjdje
Wufif nicht, wie fie hoffte* oon Aüen getheilt worben, fo
Wenig wie ihre in einer auSgeftridjerten ©teile auSgefprocßene
Aitficßt, baß eS pm Sau eines Saßreutßer EtßeaterS nid)t
fommen fönne, burdj bie 2Birflid)feit beftätigt worben ift.
Aud) ihre Slnfdjauung über Äraft unb Wac|t ber focial«
bemofratifdjen Sewegung war irrig. Werfwiirbig ift aber
auch ’ n biefer SejießuHg wieber, wie fie fi<ß bann mit
bem ©ebanfen beS 3ufunftSftaateS Oerföhnte uitb fogar
für ben „äfthetifcheit Wenfcßen" bariit WancßeS erwartete:
„Slbotf ift ber Meinung, baß bei ben gefteigerten Sin*
fprücßcn ber Hanbarbcitenben eine, auf frembe H an barbeit
begrünbete äftßetifdje Silbung, wie er unb ich un b unfercS
©leidjen fie erworben haben, fünftig eine Unmöglidjfeit fein
wirb. 3<h bin aber ficher, baß er barin ööllig irrt. ©S
wirb nur p bet anberen Drganifation foinmeu, bie ich für
bie Sefricbigung unfercr SebenSbebürfniffe längft üorauS*
gefehen unb als wünfcßenSwertß erfannt habe; unb baß mit
bcni größeren SBoßtftanb ber Slrbcitenben and) baS Sebürf*
niß nad) geiftiger Nahrung, alfo auch un f er Arbeitslohn fich
fteigert, ift oßnc grage. SiSljer hat man gelernt: wie man
ben ©efammt= 9 tei<hthum oermehrt; jeßt Wirb man lernen,
wie man ihn gleichmäßiger oerttjeift, unb wenn ber ©runb«
faß Wahr ift — unb er ift eS — baß meines EJiaeßbarS
Sortßeil mein Sortheil ift, fo fann bei ber ©rßebung.ber
großen Waffen bie ooüenbete AuSbilbuitg ber ßeroorragenben
gäßigfeiteit, ber ßeroorragenben Wenfcßen, nicht p einer
Unmöglichfeit werben." ©ewiß anfeihtbar. Aber baS ift ja
eben baS Sebeutfame an ber nach S&aßrßeit ringenben unb für
ihre Ueberjeugung fämpfenben grau, baß fie „ben Wntß beS
geßlenS" hatte, unb baß fie fid) baßer auch int ® e ‘
ringfteit fetjeute, ihren Srrtßum einpgefteßen. ©in befonberS
wichtiges 3eugniß bafür ift bie Art, wie fie, bie Etemofratin,
bie ©egnerin ber preußifcfjcn Wacßtßaber, im Saßre 1866
befanntc, fiel) in ihrer Auffaffung ber gaujen Sage geirrt p
haben, unb ans ihrer nunmehrigen Serehruug für Stömard
fein Heßf wachte. Sei Anlaß oon SiSmard’S |>erauSforberung
Sirchow’S, feßreibt fie prnbebenben HetjenS in ih r Tagebuch:
„Unb baS foü nicht bie reine Anarchie fein? SEBaS würbe
ber Staatsanwalt tßutt, wenn baS ein paar Anbere tßäten?
Sa, baS Etuell ift ein flagranter ©inbrucß in bie befteßenben
SanbeSgefeße! @S wäre feßr bequem, wenn bie Sunfer fo
bie ganje ißnen unbequeme SegiSlatur wegfehießen bürften —
obfcßon an ber Wehrjahl ber gortfcf)rittSpartei, als Wänner
ber greiljeit nicht oiel Oetloren wäre, ©eiehrt finb fie,
bürgerlich unbefd)olten auch — Oon WanneSdjarafter feine
Spur. Gntweber baS ©efeß ift binbenb ober nicht. Hattet
Sf)t eS nicht für binbenb, wie fönnt 3h r Such benn bap her*
geben, neue ©efeße machen p helfen. Sh r höngt ja mit
©urem ganjen Sthun unb Treiben als Seiltänzer in ber
Suft, fooalb ihr bie ÜKögtidjfeit eines H an belnS gegen baS
©efeß — auf gorberung eines SorurtßeileS — pgebt. ®er
Cberbürgertneifter 3> c gl er h at rcc ^ t: ©ie h 0 ^” baS ®cnfen
oerlernt!"
9?och auf einen anberen SSibcrftreit ißrcS SBefenS weift
Sitbwig ©ciger ßin. 3h r flarer Scrftanb, bet fie fo Sieles
begreifen ließ, unb ißt SbealiSmuS, ber gerabe rein geiftigeS
Xh un fdjäßte unb empfaßt, hätten, fo foÖte man meinen,
fie jur oollcii Anerfennung, ja jur Sewunberung ber nießt
auf unmittelbaren praftifcßen ©rfolg gerid)tetcn wiffenfeßaft«
ließen ^ßätigfeit füßreit müffen. Aber gerabe ßier pg ißt
praftifdjer Sinn, oieDeicßt aueß bie AnfcßauungStoeife, bie
feit ©encrationen in ißrem elterlichen H° u f c öblicß gemefen
war, ißrer geiftigen Auffaffung ©renjen: Sie Oerwunberte
fieß, ftatt eS p bewunbern, über foldjeS Slßun, baS feine
beftimmten prattifdjen fRefultate ergäbe, unb obwoßl fie bie
SBaßrßeit liebte unb förberte, begriff fie nicht bie bloß auf
©rforfdptig ber SBaßrßeit gerichtete wiffenfeßafttieße Arbeit,
©in befonberer ©renet waren ißr, bie mit ©oetße’S ©eift auf«
gewadjfen uitb gefättigt war, bie ®oetße»Si<>ffen. GS ift be*
greiflid), baß ißre fcßarfeit SBorte gegen bie ©oetße*tßhilologen
unb «Sleinfrämer Subwig ©eiger, bem H er 0 l, 8 Ö e ^ ct beS
©oethe«SfahrbucheS, üielteiißt reißt fatal finb. Umfo meßr
®anf oerbient er, baß er fie — jWar mit leifen ©infeßrän*
fuiigcn in feinem erläuternben Nachtrag — unüeränbert
aufgenomnicn ßat. Aber wie trifft biefe gerabep unheimlich
oerftänbige grau aud) ßier Wieber ben SRagel auf ben Sfopf,
Wenn fie einmal p einer gelegentlichen Seetüre bemerft:
„©rinim’S Sorlefungen über ©oetße unb feine SBerfe finb,
wie mir feßeint, baS Sefte, waS ©rimm gemacht, obfcßon fie
gar nichts 9?eueS bringen; inbeß, wie jeber ißorträt*Waler
einen £ßeit feiner SBefenßeit auf baS Silb überträgt, fo geßt
eS aueß ©rimm mit bem Ooüfaftigen, heißblütigen ©oetße.
©r oerblaßt ißn unb macht ißn bleicßfüißtig. ©r beweift ber
ttfaeßwett, baß ©oetße Weber griebrife, noeß Sötte leibenfcßaft*
ließ geliebt ßat, weil-ja bocß eigentlich nur, weil er
biefe Sieben nießt bauernb feftgeßalten, biefe ©eliebten nießt
geßeiratßet ßat. AIS ob ein ©efüßl lange wäßren müßte,
um als Seiben fdjaft oon einem ®itßter empfunben ju werben?
®er ßeiße Sonnenblid, ber einmal oor unferen Augen eine
©egenb überftraßlte unb oerflärte, lebt immer mit biefer
©egenb in unS als ein ©injigeS unb ®auernbeS, als ein
UnwanbelbareS fort; unb wie ein Seib nießt lange p bauern
braucht, um als ein Wartßrium empfunben p werben, fo
braueßt eine Seibenfdjaft nur in bem ®icßter aufppden,
nur wenig Stunben unb Etage in ißm lebenbig gewefen p
fein, um oon ißm ewig als große unb feßöne Seibenfdjaft
empfunben unb feftgeßalten unb Oerflärt p werben. Wicß
mahnten biefe SeweiS*Serfu<ße, baß ©oetße jene grauen nießt
geliebt, an eine Anefbote, bie mir H^nrid) Jfrufe einmal in
Sepg auf einen ©oetßeerflärer erpßtt ßat. ©dermatm be*
rießtet in feinen ©efpräcßen mit ©oetße, baß ißm biefer auf
bie grage: „SEBelcße grau er am meiften geliebt habe?" mit
©ntfcßiebenßcit geantwortet: Sitli! — unb ber Gtflärer feßt
ßinju: „Etarin irrt fid) ©oetße!" — Wenn baS Waßr unb
Digitized by v^. ooQie
Nr. 14.
5Die (Segcttttflrl
217
richtig ift, ift eö baS Komifcßfte, waö fieß benfcn täfjt. Aueß
bon bet Art unb SBeife, wie ein ©idjter fc^afft, maeßt ©rimm
in feinen Srflärungen feinen 3 u ^tent wunberfaine Vor*
fteEungen. Sr benft fid) ben Siebter wie einen Wofaif*
arbeitcr. Sw Wepßifto foE ein Stüddjen bon Berber, ein
Stüdcßen bon Werd, ein Stüdcßen bon ©oetße unb bon
©ent unb Setten fein, unb nichts boit bem großen, erratßenbeit,
jufammenfaffenben (Stauer unb Srfenncn, baS ja gcrabe beu
großen ©idjter, ben Scßöpfer maeßt? EiidjtS bon bem §erau§=
leben beS Snbibibueflen auS ijem richtigen, faft unwiEfür*
ließen Srfaffen beS Allgemeinen? Eiid)tS bon bem plößließeit
Srfcßeinen im ©eift beS ©icßterS? SBetdj eine Vorfteüieug
ßat ©rimm bom ©ießter? llnb weieße VorfteEung bon bem
Verßältniß ©oetße’S ju ber Stein? — Statt fid) ju fragen:
Sft e$ möglicß, baß ein liebenbet Wann unb ein liebenbeS
SBeib jeßn Saßre nebeneinanber fdjmacßten? Sft bieS mög*
ließ, Wenn fie in bofler greißeit jag unb Eiadjt miteinanber
aEein berleßreit? Sßenn ber Siebenbe baS Strumpfbanb ber
©eliebten mit fieß nimmt — baS fie ficßerlicß nidjt fieß im
Elebenjimmer abbinben gegangen ift, um eS bem ©latonifer
na<ß Haufe mitpgebett — ftatt fieß biefe fragen botjulegen,
fragt ©rimm fieß unb unS: Sft eS waßrfdjeinlicß, baß ein
©ßrenmann, wie ^)err bon Stein, bergleießen, wie ben Sße*
brueß feiner grau mit ©oetße gebulbet ßaben würbe? Sa!
53 ift möglicß! ©enn bie §erjogin Suife bulbete unter ißren
Augen baS Verßältniß ißreS WanneS jur Sagemann —
grau b. ^»eßgenborf. ®ie geit bad)te leießt, feßr (eießt in
jenen greifen über bie eßelicße ©reue, mtb Herr bon Stein
war genötßigt, nießt nur ein Auge, fonbern beibe jujubrüden.
6 r tonnte bem erften Winifter beö SanbeS, bem Vertrauten
unb greuribe feines ^erjogS, ben Stußl nießt bor bie ©ßüre
feßen, oßne felbft bor bie ©ßüre gefeßt ju werben. St burfte
nießt anjweifeln, was bie „§errfd)aften" nießt anjWeifeln
wollten; grau b. Stein war feine grau, bie fieß auf baS
SBort ißreS ©emaßlS in bie Sinfamfeit naeß Kocßberg ber*
pflanjen ließ — unb ©eibe fanbeit ißren materieDen Vor*
tßeil in ber Verbinbung ber grau mit ©oetße. gür unfer
einen lautet über biefeö Verßältniß bie grage immer uur:
„SBie Wat ©oetße’S geftßalten an ber Stein bureß fo biel
Saßre möglicß?" ©et ©roßßerjog bon SBeimar, Start Alejanber,
fagte mir, er fei in ber Sage geWefen, ganje Sonbolute un*
gebrudter Vriefe bon grau bon Stein ju tefen unb fei
immer auSeinem Srftaunen in baS anbere gefallen über bie
gänjließe Unbebeutenbßeit beS SnßalteS unb ber grau."
Unb bann fpäter bei Anlaß bon grau bon Stein’S Seben
bon ©ünßer: „SS fommt mir wieber redjt in ben Sinn, Wie fieß
förmließ eine ©ßeorie beS SidjliebenlaffenS in ben ariftotratifeßen
grauen gegenüber berüßmten Wännern auögebilbet ßat, bie
nie unb nirgenbS etwas AnbereS gewefen ift, als baS eitle
Verlangen, fieß bon ben großen ©enien mit möglidßft wenig
perfönlidßer Seiftung unb oft oßne jebeS Wirflicße Verftänb*
niß für beren Vebeutung einen Eiamen ju maeßen unb fieß
eine gortbauer in ber gufunft ju fießern. ®ie Stein unb
©oetße — Sßarlotte Salb unb ScßiEer — bie ©aEijin unb
HemfterßuiS — Slife bon ber Vetfe unb ©iebge — bie
®räfin ginf unb ©ied — bie Aßlefelb unb Smmermann —
bie b’Agoult unb Sifjt — bann bie SEBittgenftein unb Sifjt
— baS war immer baffelbe Stüd unb berfelbe ©runbton —
unb feinem bon aU’ ben Wännern ift eS junt $>eile, faft
AEen meßr ober weniger jum Unßeil geworben. Wit AuS*
naßme ber b'Agoult unb SEBittgenftein waren bie fämmtlicßen
grauen feßr 4 unbebeutenb: feßmeicßelnbe Anempfinberinnen,
bis fie' ©pranninnen würben; unb baju war in ben grauen,
bie fieß um SeßiBer unb ©oetße bewegten — mit AuSnaßme
ber §erjogin Suife unb ber V r * n ä e 6 ©oroline — ein innerer
Stoet bon ©emeinßeit, bie überaE burdßbrießt, wo fie in baS
gaßrwaffer beS SlatfdjeS fomnien, in bem fie felbft bie ge*
meinften AuSbtüde nießt feßeuen — wie bie Winna Stod,
bie Stein unb felbft Sötte ScßiEer fie bon ber VulpiuS
braudßen. SS Waren Scßaumgolb * Vilbungen — unb un*
glaubticß biel erlernte ißßrafe unb aQgemeine lanbläufig ge*
worbene Auffcßminfungen mit Sentimentalität." ©ertei meffer*
fdjarfe Analßfen, bie man mit beiben §änben unterfeßreiben
möcßtc, finb natürlicß nießt na^ bem £>erjen ber pribelegirten
©oetßeforfeßer. ©eiger erflärt unb — entfeßulbigt fie mit
gannß’S eigenen ^erjenSerfaßrungen: „3mar ber Stanbpunft,
ben fie in ber grauenfrage einnaßm, Wirb ßeute bielfaeß
gebilligt: Sßr SBunfcß, bie SrwerbSfäßigfeit beS Weib*
ließen ©efcßlecßtS ju fteigern, ißren ©efdßlceßtSgenoffinnen
größere Silbung jujufüßren, ben EHebrigfteßenben eine
menfdjenwiirbige Veßanblung ju berfeßaffen, nebft bielen
{feinen Sinjelborfcßlägen bürfte fcßwerlicß auf SBiberfprueß
ftoßen. Aber in fittließer ©ejießung werben maneße ißte An*
fießt nießt tßeilen. gannß Sewalb war feine finnlicße, nießt
einmal eine leibeitfeßaftli^e Eiatur. ©ie ftarfe Seibenfeßaft,
bie fie ju ißrer Sugenbjeit für ißren Vetter §einricß Simon
empfanb, ben feßarffinnigen Suriften, ben entfeßiebenen ©oti*
tifer, ben ftarfen Wann, war halb üorüber, ba ber Auge*
fdßwärmte, ber wenige Saßre fpäter ju ißrer Eiebenbußletin,
ber ©räfin Sba §aßn=^aßn, eine große Hinneigung fpürte,
biefe Siebe feiner Soufine nießt in gteießem Waaße er*
wiberte. ©aS Vanb, baS fie an Abolf Staßr bauernb feffelte,
entfprang nießt bloß ber Seibenfeßaft. SBoßl Warb fie aueß
bureß ben feßönen Wann beftoeßen, aber in bie Neigung ju
ißm mifeßte fieß eine Art tion Witleib mit bem tränfließen,
bureß fefte Vanbe, bie feinen geiftigen Auffcßwung nieber*
ßielten, gefeffelten Wann,'etwas bon Wütterließfeit, baS ißr
eigen war unb blieb, obgleicß ober Weil fie nie Äinber ge*
ßabt ßatte. Hauptfädßließ jeboeß war „bie große Siebe", bie
fie mit ißrem ©atten oerbanb, ßerborgegangen aus ber Sr*
fenntniß, baß fie für ißr geiftigeS SBeiterleben unb ißre gort*
entwidelung gerabe biefen Wann befißen müffe. Sr ßatte,
Wie Sari grenjel feßr fein auSgefüßrt ßat, AEeS, waS ißr
abging: Sine ungewößnließe Velefenßeit, ein geübtes Auge
unb ein meift fießereS Urtßeil. AuS biefem Vewußtfein,
Staßr für ißr Seben nötßig ju ßaben, gewann fie bie SEraft,
ißn ju erringen. Eiaeß langjäßrigen Kämpfen erreießte fie
ißr 3^- QU f liefen Sieg unb bie Smpfin*
bung beS boEen unb reinen ©lüdeS, baß fie in einer reieß*
gefegneten Sße genoß, flößten ißt ben ©lauben ein, ftärfer
unb reiner geliebt ju ßaben, als Anbere. Sie faß auf bie
geWößnlißen Sßen, benen fein Kampf borauSgegangen, fein
SBiberftanb entgegengefeßt worben war, mit einer gewiffen
Veracßtung ßin, leßnte eS aber anbererfeitS ftolj ab, untegel*
mäßige Verßältniffe mit bem ißrigen bergleießen ju laffen.
SBaS fie bon 3ärttießfeit unb Umgebung befaß, wibmete fie
ißrem ©atten. Sn ber 3«E, ba fie mit ißm bereint war,
in ben ©agen feiner fdßweren Kranfßeit, in ben Saßren ißrer
SBittwenfeßaft fpraeß fie mit Etüßrung bon ißm.
Sie feßeute fieß nießt, über©inge ju reben, biewoßlanftän*
bige grauen ju befeßweigen pflegen, biefleießt in ber Weinung
ober gar in ber Hoffnung, fie babureß auS ber EBelt ju feßaffen.
Sie fpraeß offen bon Kinber*Ueberprobuction, bon ißroftitution
unb bertrat, wie in maneßen Vriefen unb Seßriften, fo aueß
in biefen Aufjeießn ungen ben ®runbfa|, baß eS wiberreeßtließ
fei, baß bie ©efeßgebung, ebenfo Wie bie öffentließe Woral
bie feßulbige grau beftrafe, wäßrenb fie ben Wann frei laufen
laffe. Aueß fonft ließ fie weieße Smpfinbungen bermiffen:
Witleib mit Unglüdlidjen war ißr ebenfo fremb wie jarte
Verfößnlicßleit. Wan lefe folgenbe ©enterfung: „®aS SBort
„SBeiblicßfeit", baS bie germanifeßen Völferftämme bor ben
Anberen borauS ßaben, ift fein ber ßößeren AuS*
bitbung ber germanifeßen grauen, fonbern bielmeßr ein
©eweiS, baß eS im SBefen beS ©ermaniSmuS lag, bie
grau bon ber aEgemein menfeßließen ©ilbung, bon ber
freien, menfeßließen Sntmidelung ju fonbern, inbem eS fie
bon ber AEgemeinßeit feßieb. So Wenig bie golbenen ©itter*
ftäbe, weieße bie grauen abfperren in bem Harem beS Drien*
Digitized by v^.ooQle
218
Die <8> eg eit wart.
taten, ein VeWeiS finb für bic ,'pod)fd)äßung ber grau im
Orient, fo wenig ift bie Verbannung in ben mpftifchen Ve»
reich ber Weiblid)fcit eine 9lpotf)eofe ber grau." Ober bie
fpätere Eintragung: „^eute nod), wie Dar 40 Safjren, ift in
meinen Slugcn eine im Streife »on fo unb fo »iel 3J?enfcf)en be»
gangene ^odfjeitäfcier einüfct ber Unfeufd)ijeit! (id) tomme eben
non einer foldjen geint). Hie Sitt(id)feit ber ©ge beruht nicf)t
barauf, baß ber Staat fic anerfennt unb ber ißriefter fie ein»
gefegnct gat, fonbern barauf, baß bie »olle geiftige unb leibliche
Verbinbung eben biefer beibcit 2J?enfd)en, bie firi) »ereinett, für
igr ganjeö Wefcit eine innerfte üftottjmenbigfeit unb eben ba»
burd) aud) feinem Schwattfen ober Ülbirrcit auSgefeßt — ein
fid) fetber Hreubleiben ift. .'patte Stagr’S Sdjeibuttg nicht
ju Stanbe fommen fönnen, fo gatte id) mid) mit berfelben
greigeit berechtigt gehalten, fein p fein unb 51 t bteiben, als
wenn gehn ißriefter Sa unb 5(men baju gefagt. Snfofertt
ift ißaul tpcgfc’S „3m ißarabiefe" mir aus ber Seele ge»
fdjrieben — unfeufeg finbe id) eS nur, bie ©efellfcgaft mit
einem gefte baoon eigene p benachrichtigen, baß man —
Wo bie Vergältniffc abfolut t)inbernb in ben Weg treten —
fich felbft fein 9ted)t nimmt, baß man fid) fetber ©efeß unb
dichter ift, eben weil man nicht anberS fann, unb weil man
feiner felbft unb feiner Hreue DöUig fidjer ift. Ein Uftpfterium,
baS göcgfte SWgfterium ber Siebe, baS 9)?hfteriiim, baS ben
ÜRcttfcgen jum Schöpfer gemadjt, muß als ein ©egeitnniß
»olgogen werben — unb alt wie id) bin, wibert eS mid)
an, wenn ich ein Vrautpaar unter jecljenben ©äften am be»
labeneit Hifdge fißen fe^c. Haß biefe, folcge ^ochjeitsfeier
mir erfpart worben ift, rechne id) p bem ©liid, baS mir 31 t
Hgeit geworben."
Subtoig ©eiger geftcht, baß er bie überreichlichen ©efiifjlä»
ergüffe ber itod) 13 Sagre immer mit ganzer ©lutg an bem
geliebten SOtanne hängenben Wittwe, bie leicht mißoerftanben
ober befpöttelt Werben fonnten, für ben Hrud weggelaffcn
habe. Einige fegöne unb rügrenbe Stellen, bie für bie
Sd)rei ber in eharafteriftifd), finb aber hoch ftehen geblieben, wie
bie folgenbe Vemerfung: „Wandjmal überwaüt eS mich heiß
wie ein großes ©lücf, baß ich f° f c h r fleliebt habe unb fo fegr
geliebt worben bin, unb ich meine, baoon müffe etwas jurüd«
bleiben, wie oon bem geiftigen Schaffen eines HidttcrS ober
ÄünftlerS. ES müffe 311 fegen fein, 311 Dernehmen fein, nach»
Hingen — weil eS fo fegr fd)ön war unb. wir fo unauS»
fprcd)lid) glüdlid), fo glüdlid), baß bie Entbehrung 3 U einem
ewigen Schmer 3 e Wirb. Ißlaten fagt:
38er bie 6 d)öiit)eit angefdjaut mit 9lugen,
3 ft bem Xobe )d)oti anfjeimgegeben,
38irb für leinen ®ienft auf Srben taugen,
Unb bod) mirb er Bor bem Xobc beben!"
Unb bann fam er enblid) 31 t ber ©reifin, ber unwiK*
fommene greunb £min, oor bem fie allseit ein äfthetifcheS
©rauen empfanb. Sftiemanb Wirb ohne Siügtung bie 9 luf=
3 eichnung ihrer legten Hage lefen: „9lm 17. September
muttjiger als feit lange ^eimgetef)rt — am ad)tunb 3 Wan«
3 igften in ber grübe ein neuer Einfalt beS .fpcigibclS. Shu
noch einmal überwuitben. — ES heißt fid) „ 3 U Hobe fiegen!"
— Unb mir ift 31 t üftutfje, wie Einem, bem feine Wohnung
gelünbigt wirb. ES lohnt ?ltlcS nicht mehr. Unnüße 9(rbeit,
falfcge ?luSgaben habe id) immer oerabfdjeut. 3d) gäbe
leine SebenSgoffnuttg mehr — unb bie Sügen ber Schonung,
mit bencu man mid) ticbeooll umgiebt, finb mir quälenb wie
Stidluft. 3d) tann in ber Süge nidjt leben, — bin biefeS.
tpalbleben fatt unb habe bod) nid)t ben SDiuth, mit bem jeber
Beirut im gelbe gegen ben Hob augeht. — tpeute Vor»
mittag war Ebuarb Simfon — ber 9ieid)Sgerid)tSpräfibent
— mein ältefter SebenSgenoffe — mein Spielfamerab oon
ber ©eburt an — bei mir. Er wirb 78 Sagre am
10 . Üftoüembcr. Unangemelbet fam er bie brei kreppen
hinauf — frifch, mutgig, suoerfidjtlid) wie ein Süngling
— unb ge^lid) wie ein Vruber. Unfere Slinberfrauen
hatten uns 31 t einanber getragen, als Wir noch nicht
fonnten — unfere Sugenb hatten wir miteinanber gl
Viein Stieffohn Slbolf unb feine grau waren bei mtj
©oetße’S Vitb ging uns gegenüber an ber SGBanb. ®j
unferem Seben baS ©epräge gegeben, ©ine Stunbe öci
unS im tiefften ©efpräcg. Vielleicht — ein leßteS Vegej
SBie weit, wie ehrlich blieften Wir 3 Utücf! wie freutet|
unS beS Erftrebten, beS ©etljanen, beS Errungenen!
ba 3 Wifdjen flangen mir im ^)er 3 en SlbolfS hingefummte 5*
am »Tage üor feinem Hobe: „9111’ mein Schaffen mar fßlr
9lUeS Sdjaffen ift ipiunber!“ — Sei bem ebefn SDfanne^
Sugenbfreunbe, baS Seben lang nod) halb — unb fai
fein, uns nod) ein Stüd Seben gegönnt. Sch goffe e|
mich nid)t! uttb wünfehe: nur fein SiedfthumÜ fonber»
unb gut!! Sch gäbe geliebt unb Siebe genoffen — id)i]
mein Xgetf gehabt — unb muß eS lernen, 3 U begreifer’
ich fterben muß! — fo jung unb frifch ich wich fühle!
— Hamit ein 90?enfcg geboren wirb, muß ein 9lnberej
ißn leiben! Hamit er ftirbt, muß er leiben, unb meift
9lnbere mit ihm! So ift.baS fröhliche Hafein swifdjen
gcftellt — unb bo<h oft fo unerfaßbar groß, fdjön,
lieh! — 3U?it üoller ©eifteSfraft unter Seiben unb S^r
auf feinen leßten §er 3 fd)lag warten unb fich babei
bann ift 9(tIeS oorbei, all’ baS Sieben, aH’ baS ©lüd
ift ein trauriges Stüd 9trbeit — unb icf) betreibe biefe
fd)on fo lange. Seber erlebt ben Weltuntergang in fid
HaS ftnb bie legten Worte ber h DC h bebe Uten ben?
tapferen ©reifin, bie am 5. 9luguft 1889 fanft entf
Es ift, als ob ißr ftarfer Wille fidh auch bem Hobe
über burchgefegt hätte.
iS!
nb'
P«f.
tn=
(Segen bas Jläcenatenthntn.
S3oit €buarb üon 9Kayer (S(orcnj).
Neulich gab Erntete gacconi im floreutinifdjen Heatro
Sticcoliiii ben „ Sorettsaccio" 9IlfrebS be ÜJiuffet, baffclbe
Stüd, in bem Sarah Vcrnfjarbt ihre erfte ^ofenrolle »er»
fuchte. 3 ncco »i fpielte biefen tragifchen Vuffo in ber ga» 3 en
Scala ber Empfinbungen, oom bewußten SRänfefpieler unb
gaßenftefler an bis 3 um ctjnifdj oer 3 Weifetnben Sbcaliften, ber
feine VarrenmaSfe mit feinem Seihe enbgiltig oerwachfen
füßlt unb beit alle 9Renfd)en»erachtung nicht mehr »on feiner jj
fijen Sbee beS HpranttenmorbeS ab 3 uhalten berntag. Unb:
er gab in biefem einen ©liebe ber gamilie baS Wefen ber •
„SDJcbici".
ES giebt tarnen, bie ein ^ciligenfdjein heftorifeger ober
cultureller ©röße fo blenbenb umgiebt, baß bie Sritif fieft j
nur fcheu an fie hcranwagt. Unb fofdj’ ein 9tame ift ber
ber Webici. Hie ©efegiegte ber fftenaiffance feßeint ihren
Stempel 3 U tragen, befonberS gloren 3 ift nur im Reichen ber
Sieben Äugeln, ber „Volle", 3 U benfen. Db ber erfte STOebici,
ber 9)?ebicuS, beffett V'Hcu fein Wappen 3 icren, nicht ein j
arger ©iftmifeger war? Hie Äunft ift jebenfaüS unter ber
ÜJiebici gütigem Veiftanbe mit Slrfettif fegört glatt gefüttert
worben. Sic haben bie Äunft nicht wahrhaft geförbert, nicht
frei unb felbftftänbig gemacht, fonbern unter bem Vormanbe, j
ben Äiinfttern Vrob 3 U geben, fie 3 U Hecorateitren ihrer in» '
timen ®emad)er hccabgewiirbigt. Wo fotlfe biefen Seuten
aud) bei igrer realpolitifchen Vergangenheit ber Sinn für
freie Äuuft hetgefomnten fein: ihnen gat ja immer nur bic
§errfd)aft über glorens unb HoSlana oor ber Seele ge»
fegwebt unb nur baßer finb fie auf VolfStgömlicgfeit geborgt
gewefcit. ©ine fprcd)enbe Egronif biefeS ©efcglcchtS bieten
bie VorträtS, bie fo überaus sagfreieg in gforeitg »orhanben
finb. 9iur wenige jugenblicße Äöpfe (im VargeDo unb ber
©alerie Eorfini) fpredjen einen ßalbwegS an — ober »er» .1
Digitized by v^. ooQie
Nr. 14.
Die ©egenwart.
219
mögen einen ju beftedjen, wie jener Sppolito im ^atajjo
fßitti. ®ie weitaus große fDfeßrzaßt offenbart als wefent*
ließften ©ßarafterzug Starrfinit unb eine gewiffe Unfreiheit,
bie bei ben testen ©liebem ber gamilie Z u befeßränftefter,
ßoßlfter Unnaßbarfeit mirb (in bein SBorraum ber Ufficien,
im SBerbinbungSgange zroifcßett ißitti unb Ufficien); 31 üe ßabett
fie einen zäßen Unterliefet, eine fladje oortretenbe Stirn, einen
redjten Sticrnaden—9lfleS9J?erfmale eine-S bebeutenbenUBtllcnS,
einer in aßen SBinfeljügcn unoerlierbarcn 3>elfid)erßeit, ober
attd) eines ©eifteS, bein magrer 3(ufflug, bem alles ©enie fehlt.
ißebantifcß unb proßig fießt ©ofimo aus, ber 9?ater beS
SSafcrlanbeS (in San 9J?arco unb ber Ufficienßaße); fleintid)
unb mißmutßig ber ßodjgcbeuebeite Soretizo il fßiagnifico (in
ben Ufficien); plump, oßne frenbigeit Sinn am Selten ber
fleifcßige fßapft Seo X. (auf* bem befannteu 9iap^ael’|c^en
©emälbe im ijßitti); am bebcutenbften ber finftere SUfenfcßeti*
Oerächter ©lemenS VII. (auf bem eben ermähnten ©emälbe
unb oon Sebaftian bei ißiombo in ber ©alerie ©orfini). Unb
als ob bie Ipcrrfdjaft über glorenj fie oerberben ober —
auSreifen mürbe, Oerliert auch bie fpäter großßerzoglkße Seiten*
linie halb nad) ihrem ©niporfontmen beit 3 l| g eines Z^ar
eigenmißigeit, hoch merfließen SEBoßlrooßenS. Scßon ber Son*
bottiere ©iooamti delle bande nere, ßofimo’S I. SSater, hat
ben rechten bornirteit äRebicäetfopf. ©ofinto felbft ficht am
gütigften auS. 3(bcr auch ß> er tritt halb ber befdjränftefte
3(bfotutiSmuS ßeröor unb 3lßen ermangelt ber freie, große,
menfeßließe 3 l *g, ben cdjtcS S'unftempfinbcn bem 3lntliß auf*
zuprägen pflegt. 9iid)t einmal bie oerfeinerten, ein roenig
bccabenten fRaffeföpfe ber testen fßrinzen jeigen ein folcheS
SScrftänbniß; nnb baS bcmcift, baß nicht ihre ßodjftrebenben
fD?ad)tpläne ihren Suuftfinu zuriidgebrängt hotten, fonbern
baß er überhaupt nicht ba mar, alfo auch beim ©rlöfdßen ber
cäfariftifdjen Iriebc nitht bie Cberßanb geminnen tonnte.
SdE) muß gefteßen, ich habe biefe SBüften unb Silber nießt
oßne ©ntfeßen betrachten fönnen. So erging eS mir oor
fünf Saßren, als id) baS erfte SRal üofl ©ntßufiaSmuS bie
Stabt ber Sftebicäet betrat; fo ßabe td) eS mieber unb mieber
gefunbeit uttb oießeießt entpfinbe icß noeß einmal baS für
mein liebes glorcnz, maS 3Wid)elangelo empfanb, als bie
SWebici mieber unb immer mieber feine Saterftabt ßeimfueßten,
um fcßließlid) enbgiltig SBur^cln ju fcßlageit. 3BaS ift benn
nun eigentlich baS Serbicnft ber SDfebici um Sunft unb
©ultur? ®aß fie bie SWicßclojjo unb Sruiteflefcßi unb Sra*
mantc, bie ®onateßo unb 9J?icßelangelo, bie Sippi unb Sotti*
ceßi unb Uiapßael in Soßn unb Srob nahmen? ©erniß be*
barf ber Sünftler beS Käufers; gemiß lann ein 9lrd)iteft feine
gcftaltenbe Straft nießt auf feine eigene £>utte befeßränfen,
nießt ber Silbßatter bloß fein eigenes ©rabmat unb ber ülfaler
nießt fein eigenes Silbniß unb feinen ^auSaltar feßaffen.
©emiß: beim auS bent Sunftgemerbe ift bie ßoße Sunft ßer*
oorgegangen unb murmelt materieß in ißm.
316er taufenb $?al beffer ift eS für bie Sunft, menn fieß
baS reieße Scbürfniß einer fatten ©ultur itidjt im Oerzeßren*
ben Srennpunfte einer aflmäd)tigen gamilie öerbießtet, fonbern
menn baS gefantmte Soll mit leiblich oerfeinerten Sinnen
eine zugleich buntere unb einßeitlidjere Umgebung jtt oerlangen
unb ju beroertßcn beginnt. 9?icßt meil bie 2J?ebici in glorenz
obenauf maren, ift gloreng baS 3ltßen ber neuen geil geroorben,
fonbern meil bie SRebici nur bie eine unter nieten anbent
teießen gamilien maren, meil neben ißnen bie Stroj^i, 311*
bijji, fßajji ftanben unb neben unb unter biefcit unjäßlige
anbere ©efcßlecßter unb SWänner, bie äßnlid) empfanben, 3leßn*
litßeS wollten unb mit ißren befcßeibencren Mitteln jmar
nießt prunlen fonnteit, aber bod) ein Sunftgemerbe ßeroor*
rufen unb förbern, oßne eS in launifcßem Uebermutße jtt
fnebeln unb ju notßgüdßtigen.
Stß muß biefen harten 31uSbrud fteßeit laffen, benn er
ift ber tjreffenbfte, menn id) an bie Sejießiutgen biefer ÜJiäcene
jut Sunft benfe. 2BaS ßat ÜDlicßelangelo nid)t oon ißnen ju
leiben geßabt uttb oom großen Sarbarctt auf bem Stuß!
Setri, bem funftunfinnigen SuliuS II. Sßer lann oßne ©m=
pörung unb — fRadenfdfmerjen bie ßerrlicßett $)edengemälbc
ber Sijtinifd)en ©apeße betrndjtcn! @r ßätte oßne bie ^Jäpfte
SuliuS II., £eo X. unb ©lemenS VII. oießeießt nießt bie fHiefeit*
torfi beS SUiofeS unb ber 9D?ebicäercapeße ßititerlaffen unb
nießt fein Seben felbft als gigantifcßeS 3 ra 9 me 'd in bie ©e*
fcßid)te ber ^ßerföitlicßifeitcn ßineingefteßt: benn jmifeßen über*
queßcitber Scßaffctiöfraft unb oergeubeten großen 31nläufcn,
geßinbert an ber ©ntmiclelung feines ßarmonifeßen Selbft, bie
ißm fdjon üon fftatur fd)roerer gemadit morben mar, als oiclen
Slnberett, oerjeßrte er fieß oßne grieben, oßne 9?ttß. @r märe
aber oießeitßt mit Heineren Seutett beffer gefaßten; er ßätte
oießeießt häufiger bie bem S'ünftler unentbehrliche 3«ube ge*
ßabt, SßoßenbeteS unb ©nbgiltigeS ju fdjaffen; er ßätte nidjt
fein conüulfioifcßeS ©emütß in ben anatomifeßen SemegungS*
lunftftüden gu erleichtern geßabt, bie fo oiele feiner SBcrfe
bod) finb; oießeießt märe feine 9(rt nidjt jur Wanier unb
juni Sarod entartet, oießcid)t . . .
9Iber maS foßen biefe Sßießeicßt neben ben ßarten Ußat*
fadjen ber ntebicäifcßen Äunftgefcßidjte! 2)ie 5)edengemälbe
in ganj Stalien mölben fieß nod) immer jum 3 e ^ n ^eS
aßmäeßtigen ©olbeS, baS eS fieß leiften lonntc, mit ben tief*
finnigften Sbeen unb auS bem ^er^biute gefeßaffeuen ©eftalten
ber Äüttftler feine SBänbe ju tapezieren, bamit baS Sluge beS
©rattbfeigtteurS ein ergößlicßeS f^arbenfpiel borfänbe, menn
■S)ero ®urcßlaud)t ttadß beS SWittagmaßleS Saft unb 50?üße
fid) auf bett rotßfeibenen fßfüßleu zur Siefta nieberlegte. Scß
möd)te ben eittgefdjroorenften Steitaiffanccfdjmärmer fragen, ob
ißm bie fRapßaei’fcßen 91mor* unb fßfßd)e*Silbcr, ob ißm
SKicßefangelo’S großartige fioSmogonie, ob ißm ©uibo SReni’S
.?ielioS unb 9furora nießt unenblicß oiel meßr ©enuß bereiten
mürben, menn fie an feitlrecßten SKänben ßingen, ftatt, mie
jeßt, zu .^äupten ber Sefcßatter, bie fie nun in fleincn .£)anb*
fpiegeln müßfam betraeßen müffen.
3lber bie 9Icnaiffance ift nun einmal bie 3<üt beS ßoßett
SfunftOerftänbniffeS! 9Iein, mit Serfaub, baS ift fie nid)t,
troß ber lleberfüfle lünftlerifcßer Kräfte, bie bem Soben
StalienS entfproß. ®ie SRenaiffance mar eine 3 e *^ großer
ißerfönlicßteiten, leucßtenbfter SebenSfreube, gemaltigen ÜBoflcnS
unb SBagenS — baS 31fleS — ja! Unb baS mar bie Suft,
bie bie Slunft braueßt, unb barum gebieß fie. 3lber bie
fDIcbici unb mit ißnen bie beßa fRooere unb geutiefe unb mie
fie 3lße ßießen, finb nur bie Serfucßer unb 'Sämoncit ber
Sfunft gemefen. Unb griebrid) ber ©roße ßat fieß boeß um
bie beutfeße ®id)tfunft üerbient gentaeßt unb er ßätte rnaßr*
ließ fRecßt, als er fagte: „Sonnte icß maS SeffereS für bie
beutfdje Siteratur tßun, als baß icß fie ißrer ÜBegc geßen
ließ." Sein Sunftmäcen ßat noeß eine Sunft erzeugt; aber
menn bie Sunft aus innerften ßulturtrieben zur SReife ge*
langt unb £err ißreS SönnenS mirb, bann treten bie real*
politifeßen 2J?acßcr an fie ßeran, um baS göttlicße ©efäß zu
gemeinen SBaffen ißrer 3®ede zu entmeißen unb bilbett fieß
munber maS für Ißcrbienfte ein. SEBie jener 3 Q unfönig ben
31b(er überflog, unter beffett gittidjen er fieß ßätte ßinauf*
tragen taffen, ober bie 3ft e 9 e in ber ruffifeßen 3 Q bel, bie auf
bem £>orne beS ßeimleßrenben ^ßftugtßicrcS fißcnb, erflärte:
„SBir ßabett baS gelb befteflt." Sdjon jenem „Sproß ber
alten SönigSfatnilie", bem erften ÜDfäcenaS, ßat fein ©ünft*
littg £mraz eS fagen muffen, baß er nießt zu aßen tpöftingS*
leiftungen z« ßaben fei; aber eS ift eben ber ©runbzug biefeS
SunftbefcßüßertßumS, baß bie großen ^errett fieß nießt auf
ein feinfinniges Sammeln befeßränfen, fonbern baß fie für
ißr baareS ©elb unb moßt aueß 3Boßfmoßen bie unbefeßränfte
©ienftfertigfeit ißrer ©nabenopfer ermarten: eS mifeßt fieß
moßl aud) ber beffermifferifeße ©ilettaittiSmuS barein, ber bem
unbemußt gielfidjereit Scßaffen beS SünftlerS mit fritifeßen
SRäßcßen uttb nieblicßen Slnregungen aufzußelfen glaubt. Scß
benfe eben an ben ©rafen in „SBilßelm TOeifter". Cb ttidjt
Digitized by
Google
220
Die Gegenwart
Nr. 14,
©oetlje ba eigene (Sriebntffe berwerd)et: benit aud) er formte
ober Wollte fid) nidjt all’ ben berjcttelnben Äleinigfciten eines
oergniigungSfü^tigen §ofeS entjiefyen, jebenfüQS ni<f)t ju
feinem SRufjcit, unb <Sd)openIjauer’S IjarteS Sßort, ©oettye habe
fein ^albeS Seben berfdjranjt,. ift öicUetdjt nidjt fo unbillig.
<Sd)IiefeUdj ift ber Jfünftler bod) ein 9Renfd) mit Jperj
unb ÜJiagen unb fann fidj toeber ber ®anfbarfeit nod) ben
SBebürfniffen beS SebenS entjieljen; er muff unb toirb fid)
bereit finben, toiber fein fünftlerifdjeS ©ewiffen ju fjanbeln,
um nidjt ben ßorn feiner ißrobgeber auf fid) ju laben; er
toirb unfrei; er berliert aÜmälig fetbft ben ÜJiafeftab beS
fünftlerifcf) Seiten: — ober aber er fügt fid) nur jäf)ne=
fnirfdjenb ber SRotljwenbigfeit — unb »aS für SBerfe baS
fein »erben, liegt auf ber £>anb unb fo wirb er jur ©elbft»
Oera^tung getrieben. Sfann ein Äünftler fid) benn mit feiner
Seele, feinem Slut, feinem innerften SBefen an ein SBerf
fjingeben, baS nur bem oorübergeficnben Vergnügen bient unb
0ielIeid)t nad) furjem ®afein brutal Ocrnidjtet toirb? ©o liefe
ja ber grofee Sllejanber, um feinen tobten Siebling $ept)äftion
ju ef)ten, für ben tiefigen Scheiterhaufen marmorne 93ilb=
werfe IjerfteHen, bie bann allefammt oerbrannt würben. So
ging eS bei ben Ijöfifdjen geften ber fßtolemäer unb ber
römifc^en Smperatoren Ijer. ©ewife, bie f)o£)e Sunft üerliert
fid) in ihrer Uebcrreife wieber in baS Äunftgewerbe, auS bem fie
heroorgegangen, baS ift ein natürlicher, wohl nicht auf§u=
haltenber Vorgang, aber bie hulboolle SSeüormunbung bitrch
mädhtige 5funftfreunbc befd)teunigt biefen Hiiebergang, inbem
fie baS üotle, freie 9iuS»ad)fen ber einzelnen fünftlerifchen
$ßerfönlid)feit hinten ober übetfefcen, b. f). in jebem gälte
ben natürlichen, ftetigen, einheitlichen Verlauf unmöglich
machen. Sßenn ber !Reid)tI)um eine Gulturaufgabe fjat, fp
ift eS jWeifeltoS bie, ben fraftraubenben Stampf um’S tägljdje
Stob benjenigen ißerfönUdjteiten ju erfparen, an beren innerem
9tunreifen unb ©ebeiljen bie lebenbige Umgeftaltung, baS
Seben ber ©ultur hängt. 91 ber biefe ©runbibee beS SRäce*
natentfjumS ift nicht ju oetwitflidjen, ba bie 2Renfc§en nun
einmal ÜRenfd)en finb, bie minbefienS ben fRuhm ihrer §anb»
tungen unb bie Quittung ihrer 9Rilbtf)ätigfeit wollen. Unb
baher ift’S wie für ben einzelnen Sünftler, fo für bie Stunft
als ©anjeS, beffer, fie barbt, als fie läfet fid) in funftgewerb*
liehen Suppenanftalten jum gefügigen @d)oofef)ünbdjen heraus*
füttern. 33on j»ei Uebeln ift tjier baS fleinere ju wählen, baS
jwar baS Sdjaffen erfchwert, aber nicht ju ©oben brüdt, baS
ihm ben Stolj ber Selbfteigenheit erhält unb bamit bie @h te
lichfeit, bie fRaiüetät, bie (linfatt ermöglicht, burd) bie allein
bie Äunft ein ßeugnife für baS Seben unb bie (Srbe ablegen
fann. Unb baS ift ja ihr ®afeinSjWed.
HC4
gfeutlTefon.
- Sfcadjbrutf oerboten.
Dein» })rofcffor ber Graphologie.
Von Karl pault.
SBenn eS eine SBiffenftaft giebt, ber it Don jeher baS größte
3ntereffe entgegengebratt, jo mar eS bie ©raphologie, — jene geheimniß=
Dolle Shinft, auS ben ©djriftjügen eines Sttenften beffen ©barafter ju
erfennen. $er Stein ber SBeifen erjd)ien ntir nur eine tleine ©nt=
berfung gegen bie ©rrungenftaft, meldje man bunt) bie^ (^rabßologie ge=
momten ßatte, unb mein einziger ©djmerj mar, baß id) jelbft nid)t3
baDon Derftanb unb baß ber Staat nod) fo menig für biefe $unft tßat.
konnte einem Siegenten an etma3 meßr gelegen fein, aI3 fid) Dollen
9luffd)luß über bie (£bara!tereigenfcßaften feiner Untertanen ju Der=
fdjaffen? unb mie leid)t mar ba§ Problem , mit ^ilfe ber ©ra^bologie
gelöft! Qx ließ fie einfad) Sille etmaä auffißreiben unb übergab ba§ bem
Staat§gra4)f)ologen jur Beurteilung, ©o tonnte man ben Verbrecher,
ben ©taatöoerräther, ben Sittentäter Don Domherein ertennen unb un=
ftäblich machen.
Um ben beiben Uebelftänben, id) meine meinem feljtenben Ver^
ftänbniß unb ber ebenfo mangelhaften ©taat^raifon, abiuljelfen, bejehloß
ich eines XageS, mich ganj bem ©tubium ber (Graphologie ^u mibmen,
unb Derfchaffte mir junächft alle Sehrbücher, bie Darüber erschienen maren.
Slber baS nupte mir menig, ja e§ Dermirrte mich nur, benn ich mochte
biefe Vüdjer noch io oft lefen, ich mochte Don Dome, Don hüU«*, Dou
ber 9flitte anfangen, ich mürbe nicht tlug barauö; maS ber (Sine be?
hauptete, Dermarf ber Slnbere. Vet bem ©inen foHte baS Xüpferl auf
bem „i", menn e£ fehlte, %ig bebeuten, bei bem St bem Verfchmenbung^
fucht. 3)er Slnbere behauptete, ein lang hemntergegogeneS „h" bebeute
fünftlerifd)e§ Talent, ber ,,©tne" hi e ^ für ©imt für Sanbroirthftaft.
Unb fo tarn e$ benn, baß ich ouö alT ben Sehrbüchem nichts lernte,
al§ bie ©inftd)t auf biefe SSeife nichts ju lernen. 3d) bejdjloß alfo, mir
einen Sehrmeifter fuchen. 2)a§ mar aber gar nicht fo leicht. Bei fo
Dielen ©raphologen ich auch anpochte, jeber fagte baffelbe, jeber be=
hauptete, fein eigenes ©pftern $u haben, baS er nicht preiägebe. iJ^ach
langem ©uchen gelang e£ mir aber boep, einen Sehrer ju pnben.
mar bie$ ber Vrofeffor ber ©raphologie ©raSrnuS Sangel, ein ebenfo
gelehrter mie prattifeper SJlann, mie ich fahr halb ©elegenheit fanb mich
ju überzeugen, ©r mar fofort einoerftanben, mit gegen -ein Honorar
Don jmei SDRarf pro ©tunbe, bei jebeSmaliger §onorimng Dor Veginn
beö Unterrichte, in bie ©eheimniffe ber ©raphologie einjumeihen. Sluf
meine &rage, mann ber Unterricht beginnen fönne, antmortete er mir,
mit ber §anb nach einer Slnjahl auf bem Xifd) liegenber Vviefe jeigenb:
„©ofort, geben ©ie mir jmei SRart, fepen ©ie ftch bahin unb lefen ©ie
mir Dor!"
3d) gab ihm jmei 9)iarf, fepte mit hm unb la§ Dor. ©r legte
fit auf bae neben bem $ifd) ftehenbe ©opha unb rautte fit eine
©igarre an. $er erfte Vrief, ben it öffnete, enthielt ein !urje$ ©treiben,
bem ein &ünfmarffdjein beigelegt mar. ©^ lautete:
„©ehr geehrter £err ^rofeffor! 3t bitte mir für beigeftigte fünf
2)tarf meinen ©haratter ju ftilbem. Sollten biefe Seilen nitt au8=
reiten, fo bin it bereit mehr ju fenben, b. h- nwr ©ttift lein ©elb.
ImtattungSDoH
©mft Äarger."
2)er Vrofeffor ftedte ben g-ünfmarlftein ein, jeigte auf einen
©toß Vriefbogen unb fagte: „©treiben ©ie, it merbe bictiren." 34
nahm einen Briefbogen unb ftrieb. ©r bictirte:
„©eehrter §err! ©ie fmb ein entfdjloffener ©haralter. ^Benig
entmirfelteS &ormtalent. $a§ Vebürfniß, fit furj unb prägnant aud=
jubrüden. ©roßer §ang, unnötige Sluägabeit ju Dermeiben, oft aber
an falfter ©teile fparfam. ©ie lieben bie Qerftreuung, ohne t>er=
gnüguugöfüttig ju fein. 3^ ©efireben geht bahin, ohne große SRühe
reit merben. 3 m ©anjen finb ©ie, maö man einen rettftaffenen
?Dknn nennt! Vunft! — gür fünf S)?ar! genug!" fügte er in geänbertem
2one bei. „SSeiter!"
3t «ahm benjmeiten 83rief unb laS: „©ehr geehrter $err! Obs
gleit tt auf folte Stofen mie ©raphologie unb bergleiten nitt Diel
gebe, motte ich b°t miffen, ob ftt baS Urtheil berfel6en mit bem meiner
greunbe beeft, bie mit für einen intelligenten, äußerft geiftreiten Sföattn
halten, einen brillanten ©efeUftafter unb aufrichtigen &*eunb; meine
Vefteibenheit Derbietet mir mehr ju fagen, nur mötte it not htn$u s
fügen, baß mir mein ftar! entmidelteö ©hrgefuhl jumeilen —"
„SBieDiel?" unterbrat mit hier ber ^profeffor.
„©ine Sftar! in Vriefmarfen!" ermieberte id).
©r ftioieg einen Slugenblid, bann bictirte er mit Dor ©rregung
jitternber ©imme: „©eehrter ^>err! gürtten ©ie nitt^, 3h^ ®h^=
gefühl mirb 3hnen niemals einen Streit fpielen, mohl aber 3h^ Ver¬
trauen. 3h« greunbe maten fit über ©ie luftig, ©ie finb ein ein=
faltiger Sttenft, ein unangenehmer ©ttoäfeer. ^ur SBilbung neigen
©ie aüerbingS, aber jur ©eroitterbilbuna. ©hrgefuhl beftpen ©ie jroar,
aber falfteä, bagegen ftnb ©ie einer oer geijreitften teuften, bie
mir Dorgefommen!"
5)er nätfte Vrief fam Don einem jungen SKäbten unb lautete:
„3t fann jroar nitt felbft (treiben, ba ich mit beim Kartoffeljtälen
in ben Singer geftnitten habe, bot hoffe it, e3 genügt, menn meine
greunbin Slnna, bie it Don ber 52ähft«Je au8 fenne, mir biefe Sftüljfe
abnimmt. Steine Seben$geftttte ift-"
„$altl" rief ber Vrofeffor, „mieDiel?"
„günf Sflarf!" ermiberte it.
,,©ut!" rief er, „(treiben ©ie!"
„Slber menn fie ben 83rief bot ni tt felbft geftvieben hat-",
roarf it ftüttem ein.
5)er V r °feffor gab feine Slntmort, fonbern roieberholte: „©tteiben
©ie!- ©ehr DertrauenSDofleS ©emüth mit Neigung jur Unüber*
legtheit. ©tarfe Neigung für #äu$lid)feit, fehr mirthftaftlit. ©c*
beutenb ausgeprägtes greunbftaftSgefühl. ' BSenig Sinn für fßoefte,
aber bot ein prättigeS junges SJtäbten."
2)aS nätfte ©treiben enthielt eine ©rfunbigung nat ber genauen
Slbreffe beS ^rofefforS unb ber £öhe beS Honorars für eine ©tnft»
beurtheilung. SOtein Sehrer bictirte: „5)ie Äunft läßt ftt nur belohnen,
nitt bejahten. 3t forbere nie ein Honorar, beffen £>öhe ju beftimmen
it 3h«en überlaffe. SJteine genaue Slbreffe ift: „Snliegenb fünfunb»
jmaujig Wlaxl $erm ^rofeffor ©raSmuS Banget."
Digitized by v^.ooQle
Nr» 14.
Die Gegenwart
221
S)aS näcpjle, etwas umfangreiche ©cpriftftücf rührte bon einer
^ame per. S)iefe fcpicfte gur ©eurtpeilung ipreS (SparafterS eine 3tb-
fc^rift bon ©cpiffer'S (Glocfe unb abijirte gepn War! per ©oftanweijung.
5)er 33rief nmrbe bis gum (Srfepeinen beS (Gelbbriefträgers gurüdgelegt. —
(£in junger Wann jcprieb: „97ame: (Smft 91. ©cpneifeer. Sllter: 21 3apre.
©röfee: 1,57. (Geburtsort: DSnabrücf. Religion: (Sbgl. ©tanb ober (Ge=
werbe: Kaufmann, können ©ie hieraus waS erfepen?" ©eigefügt waren
bem ©epreiben brei SBecpfelftempelmarfen k 50 ©fg., 15 3epnpfennig=
marfen, für eine Warf günfpfennig= unb für eine Warf $>reipfennig=
warfen.
®r erhielt folgenbe Antwort: „daraus erfebe icp, bafe ©ie wapr=
fcpeinlicp bie ©ortofaffe berwalten, ob immer richtig, gebt auS 3prer
©ebrift nicht perDor, boeb ftebt eS gu hoffen, ba ©ie ein ©ebant erften
SiaitgeS ftnb, ber einen ftarf ausgeprägten 3 U 9 fü* ©elbftüberpebung
befi^t, waS ©ie jeboeb meifterticb gu berbergeit berfteheit. ©ie neigen
jur ©parfamfett ohne getgig gu fein unb-"
$ier unterbrach ber Eintritt beS $ienftmäbcpenS ben föebeflufe beS
$tctirenben; fie brachte ein HeineS ©aefet unb überreichte eS bem ©ro*
feffor. „9lcp entfcbulbigen ©ie nur, 4?err ©rofeffor, ein §err bot baS
eftem Slbenb fepon abgegeben, ich hotte nur bergeffen, — er will fiep
eute ©efepeib holen!"
Wein Seprer öffnete fcpweigenb baS ©aefet. (SS enthielt eine grofee
Vlnjabl ©tiefe, welche ber (Graphologe einer flüchtigen $)urcp fiept unter=
gog, waS miep umfomepr in (Srftaunen fepte, als er bis jept feinen bon
ben ©riefen, bie icp ihm borgelefen, unb bie bon ipm beantwortet worben
waren, auep nur eines ©licfeS gewürbigt batte, fo bafe mir beinahe, wäre
niept ber ©erbaept gu frebentlicp gewefen, ber (Gebanfe gefommen wäre,
ber ©rofeffor ber ©epriftfunbe fönne niept lefen. (SS fap auep jept faft
fo aus, benn er überflog bie ©riefe mit foldjer (Gcfcpwinbigfeit, dafe
er fie unmöglich lefen fonnte. 5lber nein, boep niept alle, jept
blieb fein 9luge auf einem ©riefe haften, ben er mit ber größten
©ufmerffamfeit niept nur einmal, fonbem gweiraal burcplaS. 3 U
meiner ©erwunberung allerbingS, benn biefer ©rief war mit ber
©epreibmafepine gefeprieben. 3BaS ging ein mit einer ©epreibmafepine
gefepriebener ©rief einen ©rofeffor ber (Graphologie an! 2)ennocp
mu^te bie Seetüre ipn fepr aufregen, benn er fprang plöpltcp auf unb
burepmafe baS St^^er mit paftigen ©epritten. $>iefe (Gelegenheit be~
nupte icp, um einen ©lief in bie ©riefe gu werfen, aber icp fonnte
abfolut nicptS (Gefährliches ober ©ufregettbeS finben. $>ie ©riefe ent=
hielten Offerten auf ein ^eiratpSgefucp unb waren eper fontifd), als bagu
angetpan, 3em<ntben baS ©lut in ©Saffung gu bringen. 3n meiner Seetüre
ftörte miep plöpltcp ein Klopfen an ber Spür. „herein!" rief icp, ba
ber ©rofeffor niept barauf gu aepten fdjten.
S)ie Spür öffnete fiep, unb ein Wann trat ein. „£abe icp bie (Spre,
Verm ©rofeffor 3ongel?" fragte er mit bem ©erfuep, unS ©etbe gugleid)
angufepen.
„3)er bin icp!" fagte mein Seprer, inbem er einen ©epritt auf ben
gragenben gutrat.
„Wein Warne ift gelbmann!“ fagte ber grembe mit einer Ieid)ten
©erbeuaung, „icp war fepon geftern pier--“
„vlcp ©ie ftnb baS!“ unterbrach ber (Graphologe.
„3awopl, ja!“ antwortete gelbmann, „icp wollte nämlicp, fepen
©ie, icp möcpte miep trop meiner aeptunbiergig 3opre wieber berpeiratpen
unb pabe gu biefem 3toecf ein §eiratpSgefudp in eine 3 e *tung fepen Iaffen.
ßS finb auep eine 3lngapl Offerten eingegangen, öon benen einige einen
recht angenehmen (Sinbrucf auf miep gemaept haben. 9lHein ioaS befagt
baS? ©apier ift gebulbig. 3d) will gern fieper gehen, unb befipalb
fomwe icp gu 3pnen, um ©ie gu bitten, mir auS ben ©epriftgügen über
ben ©parafter ber ©epreiberinnen ben nötpigen Sluffdjlufe gu Oerfcpaffen.“
„3cp baepte eS mir!“ entgegnete ber ©rofeffor. „©tefebalb fuepen
Unfereinen bie Seute auf? $)ocp nur gu biefem 3wecf! Qcp pabe beßpalb
eine genaue ©rüfung ber ©cpriftftücfe borgenommen, welcpe ©ie geftern
3lbenb pier gelaffen. Seiber ift baS Diefultat fein fepr giinftigeS, nur
einer bon all' ben ©riefen ift bon einer grau gejepriebett, ber icp mein
SebenSglücf anbertrauen würbe, wenn icp in Sprer Sage wäre. $>ie ©riefe
ber übrigen ©ewerberinnen beweifen fo fd)lecpte ^haraftercigenfcpaften
ber ©epreiberinnen, bafj icp ©ie nur auf'S 5)rinqenbfte bor ipnen
warnen fann."
$err gelbmann maepte ein berbupteS Öieficpt. (Sr war offenbar
erfepreeft, baß fo biel 9?iebertrad)t ipre gaffen naep ipm auSftetlte. „Unb
ber eine?“ fragte er bann mit einem fleinen ©eufger ber (Srleicpterung.
„tiefer allerbingS,“ fagte ber ©rofeffor emft „ftefft bem (Sparafter
feiner ©erfafferin ein glängenbeS 3 cu S^ife ouS. Qcp glaube, ber Wann,
ber biefeS SBeib fein eigen nennen barf, rnufe Waprpaft glüdlid) werben.
3o, wäre icp niept fepon berpeiratpet, waprpaftig biefeS ©epreiben fönnte
miep beranlaffen-“
„3Bo ift ber ©rief?" unterbrach gelbmann ben fffebenben paftig.
w $ier!" antwortete ber ©rofeffor rupig unb überreichte bem
gragenben baS ©epreiben, welcpeS er borpin mit foldjem Sntereffe
burepftubirt.
§err gelbntann maepte ein noep berbuptereS (Gefid)t als borpin,
als ipn bie Unfumme bon fcplecpten ©igenfepaften ber ©ewerberinnen
erfepreeft. (Sr brepte ben ©rief in ber .£>anb pin unb per unb fagte
bann, naepbem er wieberpolt ratplofe ©liefe auf baS ©^riftftücf unb
auf ben ©rofeffor geworfen patte: „9lber ber ©rief ift ja mit ber
©epreibmafepine gefeprieben!"
$>er ©rofeffor gog bie ©rauen potp unb'fap ben gTager mit einem
©lief an, alS begriffe er bon feinen ©Sorten auep niept bie fleinfte ©übe.
„9?un ja," erwiberte er, „er ift mit ber ©epreibmafepine gefeprieben!"
„©ber!" rief gelbmann, „bann fönnen ©ie boep auS ber ©d)rift
niept ben (Sparafter beS ©cpfeiberS erfennen!"
$)er ©tofeffor rife bie ©ugen noep ernannter auf als borpin.
„2)aS ift eS?" fagte er, „waS ©ie in ©erwunberung fept? ©ber lieber
greunb, ba tpäte icp mir mitfammt meiner SBifjenfepaft leib, wenn
wir biefe fleine ©djwierigfeit niept längft überwunden! 3m ®egentpeil,
biel inepr als bie ©epreibfeprift, wo nur eine |>anb, ein ginger be=
fcpäftigt ift, berrätp bie Wafcpinenfcprift, bei ber beibe §änÖe unb päufig
affe gepn ginger in Xpätigteit treten, begreifen ©ie? 3<P jebenfalls
fann Spnen berfiepern, ba& id) gerabe mit ©eurtpeilungen ber Wafcptnens
feprift bie glängenbften 9tefultate ergielt pabe. 3 roar *ft bie Wetpobe
nod) niept affen (Graphologen befannt^ baS liegt aber niept an bem
©pftem, fonbem baran, bap bie ©Siffenben bie Wetpobe gepeitn palten.
Xro^bent fennt fie peute faft fdjon jeber (Graphologe, wenn er eben fein
©tümper ift, wie ja leiber fo biele ber lieben ©offegen!" (Sr napm
bem immer berbupter breinftpauenben gelbmann ben ©rief auS ber
§anb unb fupr fort: „©affen ©ie einmal auf, icp werbe 3Pnen nur
eine furge (Srläüterung geöen, unb ©ie werben fofort oon ber Unüber=
treffliepfeit meines ©pftemS übergeuat fein!" (Sr breitete ben ©rief auf
bem Sifcp auS, gog gelbmann am ©ermel itäper unb fagte, mit feinen
gingern auf ben ©rief beutenb: „^a fepen ©ie mal, wie fräftig fepon
in ber Ueberjcprtft bie beiben ,r‘ in j.'perrt angefcplagen ftnb, baS ift bie
unbebinate Unterwerfung unter ben männlid)en 3Siffen, baS lautet mit
flaren ©Sorten: er foll mein $err fein! unb pier baS ©uSrufungS*
geiepen pinter ber Ueberfdirift! eS ftept niept biept pinter bem lebten
©upftaben, nein, eine, ja gwei ©aufett trennen eS Don bem ,©epr
eeprten $errn‘; baS geigt bie uitenblicpe ©efepeibenpeit ber ©cprei=
erin: nur Don ferne Derbeugt fte fiep, im ^intergrunbe
bleibt fte mit bem ©uSbrucf grengenlofer ©ereprung ftepen. (Gepen wir
weiter! §ier biefeS ,i‘ im ,icp 4 nur wie pingepauept, bagegen wie
ausgeprägt baS ,t‘ in ©ertranen grauen*, ©ertrauen ift ipr ©ffeS —
unb pier in Siebe baS ,S‘, unb baS lepte ,e f wie ftarf, wie fräftig!
für fie ift bie Siebe affumfaffenb, baS (Srfte unb baS Se^te! in ipm liegt
©ffeS, waS bagwifepett ift — Siebe unb ©ertrauen! ©ertrauen. Siebe
ift ipr Sehen, ipr $afein, ipr (Gliicf, ipre ©ufgabe!" 3>er ©rofeffor
fpraep mit geuer unb Seibenfcpaft, fein ©ortrag rifj ipn pin; er merfte
eS wopl felbft, benn er ftriep ftd) peftig atpmenb bie $aare auS ber
©tirn unb fupr bann rupiger fort: „§ierba§,b‘, welcpeS augenfepeinlidp
mit bem faljepen ginger angefcplagen, beutet auf (Sbelmutp. $>aS wieber=
polte geplen beS gweiten ,m‘ in ,immer* beweift einen ftarf ausgeprägten
©inn für ©parfatnfeit, bie jeboep nie in (Geig auSartet, wie 3P n ^n baS
gweite überflüffige ,1* in ,Diele* beweift; ©ie fepen, eS ftept ,Dieffe* ba.
$>ie brei fräftig ausgeprägten ©itfangSbudjftaben bei ,©rt*, ,©nfang*
unb ,©cpönpett* fpredpen Don gropetn gletfj, baS ,ö* in ,©cpönpeit* gu^
gleich »an ^äuSlicpfeit. ^te ©epreiberiu fdjeint nid)t fd)ön gu fein, wie
pier auS bem ,g*. unb bort auS bem ,bt* perDorgept, affein bei fo
glängenben (Sparaftereigenfdjaften will baS wenig fagett!"
,,©ar nicptS! gar nicptS!" rief gclbmamt begeiftert, unb fein
©ntlip glängte Dor greube. (Sr rifj bem ©rofeffor ben ©rief auS ber
$aub unb rief: „©ofort fepreibe icp an bie $atne, unb nimmt fie miep,
bann foff ©ie ein föuiglicpeS Honorar lopnen!" Wit biefen ©Sorten
rannte er eilig baDon.
^)er ©rofeffor ftanb ftnnenb in ber Witte beS 3iDimerS. Weilte
©eele fcpminbelte wäprenb biefer 3eit an bent 9?iefenwerfe feines ©eifteS
empor. „0," rief icp pingeriffen, „ift bie göttlicpe ©Siffeufcpaft wirflidp
fdjon fo weit, auS ber Wafcpinenjd)rift fogar bie ©eele eines Wenfcpen
gu gergliebern?" .
„Wadjen ©ie bod) feinen Wumpip!" antwortete ber ©rofeffor
raup. „Wafd)inenfd)rift beuten — Unfinn! 3^) fannte ja ben ©rief
fofort wieber, beim icp patte ipn ja felbft aufgefept unb breifeigmal mit
ber Wafcpiite copireit Iaffen, damit id) ipn niept jebeSmal gu fepreiben
brauchte. Unb wiffen ©ie, Don wem ber ©rief ift? $>er ift Don meiner
Schwiegermutter, bie utelbet fiep auf jebeS |>eiratpSgefucp! Wenfcp,
Wenfcp! ©Senn er fte nimmt, waprpaftig, id) bilbe ©ie gratis gunt
(Grappologen auS."
3d) banfte pöflid) unb ging, ©on ber (Graphologie patte icp einfb=
weilen genug, wenigftenS Don bem ©pftem beS §erm ©rofefforS (SraSntuS
3angel.
|Iuö bet ^auptjlabt.
Die abfletgettbe £tnie. '
3m 5:pale ber CoS wirb eS früplingSgrün. 3)aS (Gebüfcp pat fiep
mit aflerliebfteit ©uppenblättcpen bepängt, bie fo gierlicp auSfcpauen, als
feien fie für bie ©arifer SBeltauSfteffung beftimmt, ?Ibtpeilung: ©e=
fpoitneneS 0)laS. 3ln bie Verrichtung ber SawntenniS=©läpe ift bie
Iefcte Vanb gelegt worben, unb auf bem fröplicpen 9?ufebaumwege nach
Sicptentpal ftept ©ÜeS parat für die männlicpen unb weiblichen ©eloS,
Digitized by v^.ooQle
222
Die töegettwart.
Nr. 14.
Die großen $otelS paben bem lefcten Gomfort ber Steuzeit abermals
toeit bie Dpore geöffnet; man fiept jeßt in ben fBureau;r fogar SlbbitionSs
ntafdjinen, an beren Slbreffe fiep pinfort bie Grobheiten angeblich übers
Dortpeilter Gäfte zu richten hoben. Daburcp merben bie DberfcQner
nicht itnwefentltcp entlaftet, unb Gplobwig £wpenlope = Sd)ilIingSfürft hot
bei feinem nächften Söefucpe 1 nicht mehr nöttjig, ficb bie gerieniaune mit
©tubien über bie bebrängte fociale Sage btefer ginanztaleute ju oer=
berben. Sei feinem nächften SBefucpe ...
‘Der greife (Staatsmann blieft auf einen ereignißüollen, an bitter=
niffen reichen Sinter juritef. jähere Slnfprücpe als je juoor hoben
innere unb äußere fßolitif an ihn gefleflt. 3mmer fernerer mürbe eS
ihm gemacht, ben Parteien feine Meinung gufagen; tonnte er hoch beim
beften Siöen nur feiten rechtzeitig erfahren, melche Meinung er eigent=
lieh batte. Sohl lag etmaS mie eine (Erleichterung für ihn barin, baß
ber Reichstag heuer fo menig mie früher eingepenbe SSorlefungen über
bie politifdien Siffenfdwften hon ihm oerlangte. Daß aber bem Gin=
unbadßzigjäprigen bauernb fchminblig roarb bei bem rafenb fdjneüen Um=
lauf, ben baS TOnifter-GaiouffeU mährenb beS lebten SinterS um feine
gefrönte Sld)fe auSfiihrte, taS mirb nur bezweifeln, mer gleich unferen
jüngeren Gycellenzen gegen jebe Slnroanblung Don ©eefranfpeit im 3 irf Sod=
fturme gefeit ift. gürft .ftopenlope'S melancpolijdie giige finb ooit SJtonat
ZU Sltonat gramooller unb trübfeliger geworben. Die Regierung, an beren
Spt&e er ftebt, beren Gefdjäfte er leitet unb bie er mit feinem Reifte
erfüllt, gerieth außer Stanb unb SBanb, lehnte fich immer feefer gegen ihn
unb feine innerften Ueberzeugungen auf. ©ie legte ber SSolfSoeviretung
eine lex Oor, bie ber paragrappenfluge Urheber befepeiben nicht auf feinen
Warnen, foitbern auf ben beS mactcren 3ud)thäuSlerS £>einze taufte, eine
lex, beren gefinnungStüchtige, aber mibermärtig narf) ftunnenfeproeiß
rieepenbe ßitnflfeinblicpfeit /pernt ©inger munberhübfehe Gelegenheit zum
billigen Grwerb Don Sorbeerfränzen bot. SJtan braucht bie unioerfelle
Gilbung, melche ein reiches unb internationales SlbelSgefcplecpt feinen
©prößlingen angebeipen läßt, wahrhaftig nicht zu übcrfcpä&en. Dennoch
ift eS fidjer, baß Cnfel dhlobwig fepon in fehr jungen Rohren gelernt
hot, an einem Äunftmerfc nicht baS ©toffliche für bie £>auptfacbe zu
halten unb baß er feineSmegS zu ber compacten Majorität ber Geoatter
©ebneiber unb £anbfcpuhraad)er gehört, beren 5tunft^3^ol eine mehr
ober^ weniger gut ftjjenbe ^efleibung ift. Droßbem hot er bem Gnt=
würfe Wieberbing’S unb wohl mich ben gottoerlaffenen Stebewenbungen,
womit btefer ©taatSmann bie SJten,\el unb fDfomntfen abfertigen zu
bitrfen glaubte, feine 3uftintmung ertheileu müffen. (Er, ber liberale gürft!
Unb feine liberale SSergangeupeit, auf beren Hochaltar Stidjarb Gobben
ftanb unb beren iBibel bie heiligen Sehren beS breimal raffinirten
S)tand)eftertpumS waren, hiuberte ihn nicht baran, fich ott bem furcht
baren Schlage WJiquefS gegen bie Saareitpäufer zu betheiligen, £>ier
Zum erften SJtale erhebt in aller gönn ber Staat bie .franb miber eine
an fich nothwenbige, naturnothwenbige Gonfequenz beS capitaliftifcheu
SirtpfdjaftSbetriebeS; pier zum elften SRal will er ernftpaft bie Ganz-
großen baran hiubern, mit ihrer Gelbübermacht unb ihrer berlinifcpen
Geriffeuheit bie Äleinen z» oerberben. Der Staat greift in'S freie Spiel
ber Kräfte ein, zertrümmert baS eherne Dogma ber llberalißißpeit Wa=
tionolöfonomie wie einen irbenen Dopf — unb gürft dhlobwig £mpen=
lohe ift ber fßräfibent beS SJtinifteriumS, baS biefe Dhat wagt! SaS
hilft eS, baß ber Gemarterte fid) nachher in bie Slfabentie ber Stffen=
fepaften flüchtete unb ben gelehrten Herren jammernb feine Ueberzeugung
auSfprach, ber gortfepritt bewege fiep jeßt in abfteigenber Siitie, bie ftoep--
flutp ber materiellen fthtereffen überflutpe alle Dämme, unb immer päu=
figer fühle er, ber ratplofe Drinffprucprebner, fidi an gewiffe Vorgänge
in ber Dpierwelt erinnert! So herbe Sorte baS finb, fo perb fie fonöer=
licp im SJtunbe eines abgeflärten, mit feinem Urtpeil nie Dorfepneflen
GreifeS flingen, mit fo großer Sucht fallen fie hoch auf ben Doaftenöeit
fclbft zu^ücf. Senn ihn bie müpfeligen ^erfuepe ber Schwachen, fid)
gegen bie mobernen dapitolSmäcpte zu palten, purer SltaOiSmuS bünfen;
wenn er, ber $cfißer oon Serfi unb Oielfacpe s Ißiflionär, ben erbitterten
wirtpfcpaftlidKn Mampf unferer läge najerümpfeub Ocrbammt unb ba=
burep an weiter nichts als an Vorgänge in ber Dpierwelt gemahnt wirb
— wie barf er bann ber töniglid) preußifcpeu unb ber SfeiepSregierung
angehören? Ghier Regierung, welche feit Sapreit bie boep Don allen
großen fretfinitigcn 3dtungen genugfam gebranbmarften agravifdjen
^Uettte , Sfaulu unb gnteveffeupolititer unterftüpt — z um SJtinöeften mit
bilbfdjönen Sorten unb ^erfpreepungen unterftüpt?
drbarmungSwürbiger noch ift ber 3tuiefpalt, barin unfere auS=
wärtige ^olitif ben Jürfien dplobwig gebracht hat. Daraus, baß er fiep
in biefem epaotißhen Gewimmel längft niept ntepr zurecptßnbet, barf ipm
biÖigerweife fein Vorwurf gemacht werben; gept eS boep bem Grafen
^iilow, bem oerantwortlidjen Webacteur beS DopuwabopuS, um feinen
Strich beffer. Wiemanb fiept ben Seg mehr, Wiemanb pat auch nur
eine bunfle fßorftellung, wie bie Wtafcpine über ben tobten s ^uuft pin=
weijgebracpt werben fann. WicptSbeftoweniger fepeint Graf 53itlow fiip
OergleicpSweife immer uod) in ber angenehmeren Sage zu befinben. Gr
ift peruntergefommen, freilid), unb weiß boep felber niept wie; piitfloS
fipt er oor beut piilfloS oerworrenen M’nauel. .fbätte man tpn in Wupe
arbeiten laßen, wie er’S fid) fo artig auSgemalt patte, oielleicht wäre
feiner nieblid)en Begabung bann bod) ein itieblicper Grfolg zu ^peil ge=
worben.J^SÖiSmarcf’S Weiterftiefel flanbett für ipn parat, unb bem 9luS=
lanbe bamit zu imponiren, fonnte fo übermäßig fcpwer niept fein. Unb
waS baS Qulanb anbelangt — pap, bem genügten im 3eitalter ber Webe=
funft etliche geuiUetonfpäße unb aufpolirte ditate biSmärrfifcpen Hanget.
3um Unglücf ließ ftep föülow, fcpwacp wie anbere Wtänner mepr, fein
reinlicpeS Goncept oerwirren, dr fcpwanfte nach rechts unb IinfS, immer
ber force majeure geporfant, immer einem Oberen bie Saterne pinter=
breiu tragenb. !)cun hält er üerbliifft oor’m Sumpfe. Unb bod) bient
ipm ber liebe 3ufafl als Gntfcpulbigung, baß er wenigftenS baS Äriiger=
telegramm oon 1896 nicht Difirt hat. Damals war toopl Sfürft ^openlope,
nicht aber er im Slmte; ben allerfdpwärzeften Gontraft hot £>err o. fDiarfdjall
in’S oerpfufchte Geniälbe hiuetngepapt, ©err o. ^arjchall, ber im 9?eid)S=
fattzlcr feinen Sßorgefepten ehrte. S(uf bem Grafen Söülow laßen nur bie
Jehlfchläge ber lepten bret 3opve, |)ühenlohe’S fahleS ^paupt beugt fid)
unter bem enblofen f^ed) eines ganzen Dei^icfzacftcn 3ohi‘ZCpntcS. Deutfd)=
laitb hot eS heute mit Gnglanb oerborben, trop ber fKeije nach Sinbfor,
trop bem Geheimoertrag unb bem Söünbniß, baoott $>err Gpamberlain ab-
fid)tlid) oorlaut fd)wapte. Deutfdjlanb ift aber burd) feine wanfelmütpige
Haltung auch ben Üfuffen unpeimlid) unb ben S^onzofen oerbächtig ge^
worben. Qn Petersburg forgt grau bafiir, baß man fid) ber Cueen
näher attad)irt als bem Imperator, unb feit in Paris Jierr DeSchanel,
ber 9?uhigften unb Äälteften einer auS bem PalaiS S3ourbon, in brama*
tifchem lenor bie gantbettiftifche fHeOandjehpume fang unb Deroulcbe’S
eingefrorene Drompete auftpauen ließ, feitbem weiß man fogar in ber
Silpclrnftraße, baß fowopl gafepoba unb 9.liaScat, wie ber ©efnd) an
iBorb ber Iphigenie unb bie folgenbcn taufenb unb eine .fpöflichfeit Der^
geffen ftnb. Wau wirb Deutfdßanb, wenn eS bie Umftänbe burcpauS
erpeifchcn, ein Drinfgelb nid)t oetweigern, glaubt man bod) feit £>elgos
lattb unb Samoa, baß Deutfdüattb für bergleicpen empfänglich fei, aber
man wirb unS nid)t ntepr beim Scpachiptel um 9iatp fragen ober gar
in ben eigenen Spielplan einweipen. DaS neue Jtteid) gilt feit ben 3ben
beS ‘SDcärz Don 1890 für unzuoerläjfig unb wanfeltnütpig. Sie gefäpr=
lieh folcpcr 9tuf ift, pat felbft ber erfte Kanzler erfahren müffen, als eS
ipm nur mit bent Aufgebot ber lepten Straft unb ber äußerftett ^Wittel
gelang, ben 3 a *en Oon ber unbebingten, feften Gprlicpfeit feiner Polittf
ju überzeugen. Unb bautalS war nur baS oerbiifierte Gemütp beS
rufftfd)en s 2lutohateit oon EOtißtrauen erfüllt, währenb unS heute bie
ganze Seit mißtraut. So gewaltige Momif in btefer Dpatjache liegt,
jo bebroplicp ift fie boep. DaS 9lu$lanb fennt ben Gang, femtt baS llpr=
wert unferer Politif niept. GS wähnt, Graf Söülow fei beim Dinten=
fifcp in bie Schule gegangen unb trübe baS Gewäffer um fiep per auS
arger Sift, wolle burd) feine fiep unaufhörlich freuzettben Maßnahmen
bie Gegner oerwirren unb fetten Staub unbemerft baoontragen. Graf
93iilow ift ja erpabett über folcpen ^erbaept. Gr oerwirrt nicht bie Gegner,
fonbern allein fid). Senn Guropa erft mit feiner Slrt, politif zu machen,
oerlraut ift, wirb cS ipn lächelttb gewähren taffen unb unS feine Secunbe
länger beargwöhnen. Ginftweilen jeboep fiept eS in feinen neroöfen
Dräu men immer noch 33tSmarcf’S Gcift burd) Deutfcplanb fpufen. Unb
baS ift eben bie Gefahr für unS. Denn biefer Geift liegt im SRaufo*
leum unter ben SBucpen beS Sad)fenwalbeS begraben.
gürft Gplobwig pat wopl Grunb zu tiefer Sepmutp. Gr oerftept
biefe Seit nid)t mepr, wie fie ipn niept oerftept. 3n elegifcpen Drinf*
fprüdjen flagt er üerftänbnißinnigen Seelen fein Seib; faft crßfcrerfenbc
s ^erftimmuitg burepwept bie tnappen Säpe Der greife Kanzler ift feiner
Oon ben Ganzmobevnen, beiten bie Sorte reichlich fließen. (Er baut feine
Stehen langfam unb foigfam, memorirt fie eifrig unb oeiläßt fiep mit
feiner Silbe auf ben Stern ber Stunbe. Gr fagt ^rotfdjen ben 3«Ücn
mepr, als er in ipnen fagt. DaS föilb oon ber abfteigenben Sinie beS
gortfcpritteS mag fo wenig originell wie irgenb ein gräflid) ^3ülow’fd)eS
fein. Dod) in biefem SJtunbe ift eS bebtuitfcun. föcbeutfam für bie an-
geflagte Qcit wie für ben Slufläger. Senn ber alte £err baS (aftenbe
Püubel ber Gefcpäfte bemuäcpft entjcploffen abfcpleubert unb bie würzige
23:rgluft oon 33aben=!6abfn für immer bem feuchten Slnpaucp beS 33e*r*
liuer Steicpfauzler-GartenS Oov^icpt, oiefleiept erftept* bann bem neuen
$urfe ein grimmigerer Äritifer als berSJianu oon griebrieperupwar, ber fid)
nicht üerliegen fonnte wie ein £ntnb. Stur baß gürft dhlobwig ^wpcnlope^
ScpiKingSfürft feine Gebanfert unb Griimerungen über ben oon ipm
mit erhabener Stube gefolgerten gortfepritt in abfteigenber Sinie nicht
ber laiifehenbcu Ceffentlidjfeit preiSgebcn, fonbern pöcpftenS auf Spazier¬
fahrten nad) Sicptentpal unb in ben 33ergwalb oerfepwiegenen greunbeS*
opren zuwifpevn wirb. Unb baS wäre ein red)ter Sanimer. Denn bie
politifdjc Seit foll niept allein oon erfolgveicpen Staatsmännern lernen,
wie'S gemad)t werben muß, fonbern Diel widjtiger unb iutereffanter für
fie finb bie Gonfejfioneu ber SJtißerfolgumlaubten bariiber, wie’S nicht
gemacht werben muß. Caliban.
tleue %eretten.
^ Der fo oft tobt gefagten Cperette gept eS wie ber ©ierleicpc im
Stubeutenliebe: „lebe nod)! fpriept öierlala, comme^a!" Die abgetafelten
Operetten unb SSaubeOilleS oon Cffcnbad), Strauß, Supp^, EWiflÖcfcr
werben immer wieber gern gegeben; bie „glebermauS" unlängft fogar
an bie puubert Sltale im Ägl. Steueit Opemtpeater (ÄtoII), unb fo füllen
aud) 3igcunerbaron, gatinipa unb SBettelftubent baS fonft an (pronifeper
Scere leibenbe Dpeater beS SefteuS. Daneben pabeit wir zur 3cit niept
Digitized by CjOOQie
Nr. 14.
Die töegcnroart.
223
weniger als jwei fiänbige Cperettenbüpiien, opne baS 93ubapefter Xpeater
ju redeten, wo bie „urfomifepen* ©ebrüber ©errnfclb baS hausgemachte
„In flagranti“ aufführen, ein jubäo«magparifd)e3 93rettl=93aubeütfle, baS
üon ber Operette nur ben tarnen ufurpirt. ©troaS ernfter ju nehmen
ift ba$ ©entraltpeater beS XirectorS gerenczp, too Wiener Operetten in
ber Siegel gut, alle anbern aber herzlich jcplecpt gegeben werben, unb
baS SSictoriatfjeater alias 9Uejanberplaptpeater, wo erft neulich ©uppf’S
Sugcnbwerf „Siebterunb93auer" wieberbelebt würbe, welcher 93erfurf)freilich
nur üon ber aflbefannten wunberbübfeben Ounertitre geniigenb unterftiipt
würbe, niept aber üon bem pofjenpaften Xe;it unb ben ftarf üerblaßten ©e«
fangSftücfen. 9113 ©uriofum unb nur ber SBoflftänbigfeit halber fei ber 93er*
fuep beS Wiener OpernenfembleS ini 53ene-9lQiancetheater erwähnt, wo ber
ehemalige Slapeflnteifier üon Saube'S ©tabttpeater ©othow«©rüuefe bic
„93üpne ohne Scanner" {ebuf, aber bie fefepen ©oubretten in §ofen=
rollen zeigten aüeS Stfögltcpe, nur feine ©timme, unb ba$ ift bod) ba$
Sefentlicpe fogar für bie ©aririitur« Operette, tiefer SluSbrucf foö
übrigens feine ©eringfehäfeung ber febr wohl berechtigten fontifepen
Oper leicptefier 9(rt enthalten, benn wir fagen mit ©oetpe: „fteitte
Gattung ift gering ju achten: jebe ift erfreulich, jobalb ein großes Talent
barin ben ©ipfel erreicht." *3)03 llnglücf ift nur, baß ber ©omponiften«
SiacpmudiS nicht üiel taugt, 3war werben unS üon Sien jeben 9lugen=
bltcf große Erfolge gentelbet. SaS eS bamit auf fid) bat, wiffen wir
ia. ©S werben bort Operetten aufgefübrt, beren (Jempouiften nicht nur
auf bie Tantiemen üerzidjten, fonbern auch noch bie 9luSftattung unb
©laque befahlen unb bie Xpeaterpläfce für eine Sieihe üon 9lbenben
auffaufeit. Unfere norbbeutfehen Xirectoren finb nachgevabe buvch
Schaben flug unb biefen fiinftlicpen „Erfolgen" gegenüber mißtrauifcf)
geworben. Scur feiten fomrnt itod) eine folcbe Operette über bie fd)warz=
gelben ©renzpfäple, unb baS wäre ganz gut, wenn nur unfere reicht
beutfehen ©igengewäcpfe beffere ©rgebniffe erhielten. 9lber aud) jept
wieber war ©rif 9Jlel)er=.£>ellmunb’3 breiartige# 93aubeüide „Xie
.peiratpSluftigen" ber erwartete Xreffer nicht.
9D?et)er=§eQmunb, ein geborener Petersburger unb nunmehriger
Hamburger Bürger, ift jo etwas wie ein ntinber talentüoller granz
nbt ober höherer fiubolf Salbmanit. Sttit bem lepteren bat er gemein,
baß er ein gefd)äpter ©änger ift ober war unb baß er, mit ©cheffei zu
fpredjen, feinen £>auSbebarf an.Siegern felber Mcptet. ©r barf freilich
mit bem triüialen unb unfelbftänbigen Urheber weltberühmter berliner
©afjenpauer nicht üerglicheu werben, ber §. 93. bie erften Xade ber
„Keinen gifeperin" einfach palabilhe'S Sftanbolinata entlehnte. ©ontponirt
auch 2Rei)er=£)eflmunb fogenaunte banfbare 93ortragSlieber, heiterer wie
jentimentaler 91 rt, fo wenbet er fid) an etwas anfprucpSuollere breite
Schichten beS ntufifüebcnben ^ublicumS. ©eine Opernteyte -fchreibt er
ftth ebenfalls felbft, gerabe wie ber Xicptercomponift üon „^ncognito".
So hat er fich benn baS Sibretto ber „^eiratpSluftigen" felbft geftiefelt,
hoch fcheint baS Seber jumeift franjöfifier £>erfunft. XiejeS £>eirath3=
üermittlungSbureau erinnern wir unS buitfel auS einigen Xufenb ^Sarijer
hoffen; befonberS beutlich fepimmert baS „Cabinot Piperlin“ burd),
bod) aud) bie „Stofa XontinoS" werben nicht üerfdimäpt/ Sftepcr^edmunb
nennt feine Üuellen auf bem Xpeaterzettel nicht; er hätte beffer, gethan,
fte ju nennen unb bann bafür mehr $u benupen, benn waS er auS
eigener Xicpterfraft üeränbert ober pinzufeßt, macht bem Äenner ber
Originale feiten greube. Xer erfte 9lct geht noch an, bann wirb bie
anfänglich übermütig tolle ©ad)e abgefepmaeft unb gerabe^u langweilig.
Xie ©pprienne«©cene im cabinefc particulier würbe fogar auSgepöhnt,
unb baS mit Stecht: fobalb bie pifante ©den tragifd) zur ^iftole greift,
um ihre S^auenehre ju üertheibigen, ift bie Operettenftimmung jerftört.
93iel beffer ift bie SJtufif, leiste, einfache, melobiöfe ^aubeoillemufif,
nicht ohne fpecififct) bramatifdje Begabung, oft fein unb pteant in ber
Snftrumentirung unb reich an harmoniidjen unb rht)thmifd)en 9Sipen.
Slur©chabe, bajj ber Somponift nach üblem Wiener 93orbilb im 9lüegro
Reh ftetS in hüpfenben Xan^rhhthnten bewegt unb noch nicht ben 9Siber=
fum biefer en masse unb mit oft uncorrecter Xeitbeclamation gefungeneit
9Saljer unb SßolfaS begriffen hat. 3)aS Guartett burdh bie halbgeöffneten
Xhüren ift hübfeh erjunben unb wohlflingenb. 9)iit Sted)t würbe btefe
befte Stummer burd) lebhaften 93etfall ausgezeichnet. Slllerliebft ift ferner
ber (bem alten $at)bn entlehnte) ©tnfaÖ, bie fich auflöfenbe ©efellfchaft,
welche bie angeblich Entführte fließt, im Orchefter z» cfjarafterifiren;
wemt bie 93ühne leer ift, hört man ^ule^t nur noch baS brummenbe
gagott. 3)aun aber beftnnt fid) S)teper = $eflmunb plöplich, bap er ber
Schöpfer beS berühmten QauberliebeS ift unb erfinbet flugS ein fenti=
mentales OiebeSbuo, baS an Xriüialität feineSgleichen fud)t. S'ör bie
brutale ©eene mit ber ^iftole fehlt eS ihm an bramatifd)cr $raft unb
wenn er auch fpäter ben Uebergang auS ber großen Oper wieber zum
93aubeüifle finbet, fo üerfagt ihm ber $)örer gleichwohl (Glauben unb
Nachfolge. $)ocf) wer weip, ob bie Operette, weniger miferabel gegeben,
an einer anberen s ^ühne nid)t ©rfoig gehabt hätte. ©S ift jebenfaHS
Seit, bajj unfere (Tomponiften leichten ©eures beffere 93erliner ©tätten
Rnben, als bie Shmfttempel ber Herren .£)ofpauer, ^ercnczp unb kaufen«
»ein. 9Sie wir hören, fofl 3)irector Sripfche im £>erbft mit ber äuge?
Rammten Operette wieber in fein 3-riebrid) 9Silhelmflcibtifd)eS Xheater
rinziehen. 3)aS ift eine gute 93erheiRung für unfere jept in ©runb
unb 93oben gefptelten {(herzhaften Somponiften üon ber leichtgefchürzten
SJtufe. M.
^Cottjcn.
Xante. $8on Äarl gebern. (Leipzig, ©. 91. ©eemann.) ^ou
ber befannten ©eemaitn'fchen ©athmlung „Xichter unb Xarftefler" ift
biefer britte 93anb wohl ber werthüoflfte. ©r zeigt beutlich, wie Unrecht
man thäte, wenn man bieje ^eid) ißuftrirten ®änbe bloß ober üor=
nehmlich als ^öilberbüdier gelten liepe, benn fdjon ber S?ame beS 9Biener
XanteforfcherS ift unS ©cwähr genug, bnfe eS fid) nicht um einen 93or=
wanb zu „93ud))cf)murf", wie ber SJtobeauSbrutf lautet, um feine ©ompi=
lation banbeit, fonbern um eilt 33erf üon wiffenfd)aftlid)er ©elbftftänbigs
feit unb 93ebeutung. Xer erfte Xheil fdjUbert unS anfchaulich bie 3rit,
bie (Sultur, beS XidjterS Vorläufer, bie SJialer, Poeten uub
bie Xante anregtett uub beeinflußten, benn aud) biefeS 9ßerf wud)S auS
feiner 3*it heraus, auS ber 5rührenaiffance unb ihrer Slunft, ber ©djolaftif
unb bem großen £wbenftaufenfampf. 3m zweiten Xheil erzählt gebern
bie £ebenSgefd)id)te Xante’S, üon ber wir fo wenig Xbatfäd)Ud)e3 wiffen,
wie üon ber eines ©hafefpeare, beffeit ©yiftenz man ja fdjon anzu=
Zweifeln wagt. Xie metften fogenantiten Xantebiogvaphien finb Xante«
romane, bie auf uuwahrfd)einlid)en unb wiflfürlidjeit ^oujecturen be«
ruhen, hat ber befte lebenbe Xantefenucr, Pfarrer ©cartazzini, gefchrteben.
C£rft in unferem 3ahrhunbevt unb eigentlich erft in ben lepten 3aht"
Zehnten haben fritifche gorfcher auS ben forgfältigft controlirten SÄit«
theilungen ber 3 e itgenoffen, bie dotier 9Biberfpriid)e finb, uub auS ben
wid)tigften 9lubeutungeu in ben ©chriften beS XichlerS felbft einen recht
ärmlichen gaben herauSpräparlrt, an beut wtr bie ©ntwidelung feiner
9Berfe uerfolgen föntten. ©S ift bewunbernSwcrth, waS gebern auS bem
fpröben Sftaterial z u machen weiß: eine lebenbtge ©harafterftubie unb
ein farbiges 3ritbilb. Heber einige ftrittige fünfte haben wir unS h^r
bereits mit ihm auSeiitanber gefept. UebrigenS hat er feinen aufecht«
baren ©tanbpunft in ber 93eatriccfrage bereits aufgegeben unb fcheint
einzufehen, baß fie mehr ift, als eine bloße 9tÜegorie, benn Xante würbe
ihr faum ben üertraulichen Äofenanten „93ice" in ben ©ouetteu geben.
Xie zahlreichen gHafirationen finb eine wahre banteSfe 3f°n°g l 'aphie
mit Porträts, Sanbfchafteu, berühmten Xaittebilberit, zum Xhetl itad)
93affermann unb 93olfntaun, unb zeigen unS, wie Jehr ber Xidjter bie
Shmft ader 3eiten unb 93ölfer befvud)tet hat: üon ^uccaro unb 93otti=
ceQi biS Xelacrotf, ©djeffer, greller, ©enelli unb £?tto ©reiner. S^ur
Xor^ haben wir üermißt.
©mtle 3ola'S $riegS«Sioman „Xer 3 u fammenbrud)", j^eiie
wahrhaft erfd)ütternb zu neitnenbe ©chilberung ber zwtfchen Xeutfchlanb
unb granfreich fich abfpielenbeu ©retgniffe ber 3ahve 1870 unb 1871,
erfdjeint gegenwärtig in einer . neuen, üolfSthüutlid)en 9lu3gabe ber
Xeutfchett 93erlagS-'9litftalt in ©tuttgart. Xcnt Vorzug einer trefflidjen
Ueberfepung wirb ber weitere einer bilblichen 9luSfd)mücfung burd) be«
rufene .^iinftlerhänbe hiuzugefügt. 91bolf Salb, grip 93ergen uub
©pr. ©peper haben in ben baS Söitd), z u ui Xpeil in flotter garbeu=
wiebergabe, begleitenben gduftrationen Keine ftunfiwerfe gefdjaffen, bie
baS Sntereffe au bem fpanuenb unb feffelnb gehaltenen Serie wefentlid)
erhöhen werben. Sir fiepen nicht an zu erflären, baß wir feit lange
fein fo flott unb fünftlerifd) iduftrirteS beittfcheS 93ucp gefepen haben.
Xie ^riegSfcenen, bie ©olbatentppen finb größtenteils meifterlich ent«
warfen unb auSgefüprt unb babei frei üon ©hauüiniSniuS, ber üont
geinbe nur z u gerne 3 evr öilber giebt, — eine Mlippe, au ber bie
franzöftfehen ÄriegSntaler burd) bic 91anf fepeitern, oft fogar ein Xetaide
unb S?eut>iUe. , XaS Sert fanit fid) ben berühmten gigaro« unb
©uiflaunie«91uSgaben ebenbürtig an bie ©eite [teilen.
Xer befaimte baijerifche ©rzäpler S)cazimilian ©djmibt läßt bei
©itßlin & Saibliit in Sieutlingen feine ©ef am titelten ©cp vif len in
acht 93änben erfepetnen. 93ott ben ©inzelauSgaben erwähnen wir ben
pübjchen ^öanb „^ocpIattbSbilber", ber zum ©chönften unb Sirf=
fantften gehört, waS Sftayimilian ©d)mibt gefcpriebeit pat. Xie ,,©d)wan=
jungfrau" hat zum ©cpauplap bie ©egeitb um 93crd)teSgaben, bie biiftere
$racpt beS SlöntgSfeeS, ben malerifcpen Sapntanu mit feinem ©cpneefelb
in ber ©eparte. Obwopl bie £muptbanbfung- ber ©rzäplung mit ben
wechfelnben ©cpidfalen zweier ÖiebeSpaare üerfniipft ift, fo flößt baS
meifte Sntereffe bie prächtig gezeichnete giaur beS alten, fielen .§olz=
fcpniperS grauziSfuS Seper ein, beS erften SauernfünftlcrS in ^öercpteS«
gaben. Xie ©cpilberuitg, bie üon bem einfameit, utenfepeufebeuen Zünftler«
leben entworfen wirb, ift üon poper poetifeper Äraft. Xaß aud) ber
^utttor nicht zu furz fommt, üerftept fid) bei Sflayimilian ©cpmibt üon
felbft. XiefeS ift befonberS in ber zweiten ©rzäplung „'S 9(lmftummerI M
ber gad, wo ber 91utor einen 1 föftlicpen Junior entfaltet, baneben aber
hoepbramatifepe ©eenen mit ftorfer ©eftaltungefraft zu fcpilbern üerftept.
3n bem zweiten 53aube „©rzäplungcn auS bem 93erd)te3gabener £anbe"
fpielt bie ©efepiepte üon ber 931inbeu üon Äuntevweg m ber grünen
Sfamfau uub fd)ilbert baS Seben unb Xreibeu ber 5)olzfchläger in ben
Siamfauer gorften. ©in 93auernbad fcpiirzt ben .sinoteu ber fpannenben
^anblung, bie eitblid) zum ^eile ader 93etpeiligten fcpließt. 9lucp in
„Xorffabale" zriepuet SJZajimiüan ©cpniibt bie dauern mit ppotogra«
ppifdjer Xrene. SlicptS liegt ipui fenter, als fie zu ibealifiren, aber wo
cS angeht, hebt er gerabe fo gern ihre Xugenben, wie ihre gehler per«
üor. ©epr intereffaut unb oon culturhiftorifchem Sertpe finb bie SJotizen
über „.^aberer unb £>aberfelbtreiben". Stacpbem ©angpofer ganz im
©artcnlaubenroman unterzugepen bropt, ift S)taz*imilian ©cpmibt wopl
ber berufenfte Xorfgefcpicptenfdjreiber unfe.rev beutfepen 9llpen.
Digitized by v^.ooQle
224
Die Gegenwart
Nr. 14.
Jlnaeigen.
Met BeffeUungen berufe man Jhfj auf Die
„ftegerauart“.
Manuscripte.
Qux ©erlogSübernafpne Don N?attiD
ferigten biftorifcber, politifcfjer, fdjöntoiffen-
fdjaftlidjer k. Nid)tung empfiehlt fid) bie
©erlag$bud)l)anblung üott
Richard Sattler, JJraunfiijtDfig.
(©egrüitbet 1883).
Sinn«*
Urteil
ir«rril*Sl(|ifkrr 1872 —1896.
©rfter m ffinfeigfter ©anb.
2 J?it Nachträgen 1897 — 99 . ©el). 5 M
©in bibliograpbifdjeS 28 erf erften
NangeS über ba 3 gefammte öffentliche,
aeiftige unb fünftlertfdje fieben bet lebten
25 Sahre. Notf)tDenMge 8 Nad)fd)Iagebucb
für bie Sefer ber „©egenmart", fotoie
für nnffenfcbaftlidje ic. Arbeiten, lieber
10,000 Slrttfel, nach Rächern, ©erfaffent,
©chlagtnörtem georbnet. $ie Autoren
pfeuboitgmer unb anontjmer drittel ftnb
burdjroeg genannt Unentbehrlich für
jebe ©ibltothet.
2luch bireft gegen ißoftantDCifung ober
Nachnahme Dom
Der lag ber Gegenwart.
»erlitt W 57.
s
: ' J t v
=-i ■ i- 1 ]
Abonnement
auf das
II. Quartal 1900.
Bad Reinerz,
klimatischer, waldreicher Höhen-Kurort — 568 Meter — in einem
schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Glatz, mit kohlengäurereichen Eisen-Triak-
u. Bade-Qnellen, Mineral-, Moor-, Douche- u. Dampf-Bädern, Kall wasser-Procedara,
ferner eine vorzügliche Molken-, Milch- u. Kefyr-Knr-Anstalt. Hoch quell enleitunr.
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmnngs- u. Terdannngsorgane, zur Ver¬
besserung der Ernährung u. der Constitution, Beseitigung rheumatisch-gichtischer
Leiden u. der Folgen entzündl. Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang Mai. Prosp. gratis.
r
gunbert Original - ©utadjten
». gteunb u. fjretnb: ©jötnfon
©ranbe« ©fldjnet ttrtspt $al>n
Staubet Ggtbg gontanc ©rotlj
$aedel $artmann £eijfe gor»
ban ttipling ßeoncatmflo ßtn*
bau ßombrofo 9Refd)tf<fier$lt
9ligra fflorbau OQioier fetten«
lofcr ©altSburlj ©tenfieaica
©tmon ©bencer ©pielljagen
fiigif ©tanlet) ©toetfer ©trinbberg
!«Rf 0 (U|!U"C 1 ‘ ©uttner 2 Bllt>enbrud& Söerner
ßola u. ik «.
Sieg. ge$. 2 nt. bom ber
©erltn W. 57 .
r TklriiflMkN ■■
{Technikum Jlmenau
3 " unfettm »erlag ift erfdjlaten:
Pie ®cgciuwnt.
ßadfflhjrin fit Sitnalat. Xa'.i: r.n» JrknM.VJ
„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitserschelnungen
I Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von 8 / 4 1 75 Pf. in
der Apoth. u. Mineralwasnerhandl. Beodorf (Rhein). Dr. Carbach & Cie.
$te ©egetmmrt 1872 - 1892 .
Um ttufet Sagte ju tänmen, bieten mit nuferen Abonnenten eine gänfhgt
Gelegenheit jur ©ernoUftanbigung ber GoOection. So weit ber ©orratb reitet,
liefern mir bie ^falirgänge 1872—1892 h 6 9W. (ftatt 18 SW.), §albjal(r<5-
SSnbt k 3 SW. (ftatt 9 SW.). Gebnnbene ^d^rgänge h 8 SW.
©erlag ber ©egentoart in ©erlitt W, 57.
Deffentlicbe $anbel£lehranftalt p ©außen.
gö'tjtre $aniitl«rd)ttU unb gelrrlingsfibuli unter gäbttfi|era Patronat,
»rofpecte ßutd) Dtrertor »roftffor fteHUiaft.
Verlag von Breitkopf&Härtel,Leipzig.
franz fiszfs Jrie/e
an die
Fürstin Carolyne Sayn-Wittgenstein.
Gesammelt und herausg. von La Mara.
(LiszPs Briefe Band IV). Mit 2 Bild¬
nissen. XXIV, 520 S. 8°. geh. Mk. 8.-,
in Leinwand geb. Mk. 9.—.
E ine epochemachende Erscheinung, nicht nur
in der MuBik- und der Brief-Litteratur. Das
innerste Seelenleben des unvergleichlichen Künst¬
lers uud Menschen wird uns darin erschlossen.
Der grosse Roman, der in seinem Leben spiolte,
spinnt sioh vor unsern Augen ab. Über seine
ebensoviel besprochenen als missverstandenen
Beziehungen zur Fürstin Wittgenstein liegen von
der ersten Begegnung an zum ersten Mal un¬
mittelbare Zeugnisse vor. Von ebenso grossem
künstlerischen als psychologischen Interesse, ent¬
halten die Briefe ein Stück Selbstbiographie, wie
wir eine Ähnliche von keinem unsrer grossen
Tonsohöpfer besitzen.
~ 7 mTTTT 'HM VITT
füstnardtö iUifcfolirt.
Stoman
Don
JloCCittg.
IC 9olf«anfgabe.
$retö 3 Ntorf. ©d)ön gebunben 4 9Rar!.
tiefer ©i^marc!=©abrlDi=Noman, ber in
wenigen Sauren fünf ftarfe Auflagen erlebt,
evfebeint hier in einer um bie Hälfte billigeren
©olföauSgabe.
S)urtb alle ©ud)ljanblungen ober gegen ©bi*
fenbitng be 3 ©etragS goftfreie Sufenbnng Dom
Uerlag «er Gegenwart,
©erltn W. 57.
Verlag der Gegenwart in Berlin W, 57.
Mit dieser Nummer beginnt das II. Quartal der „Gegenwart“. Die¬
jenigen unserer geehrten Leser, deren Abonnement abgelaufen, bitten wir um so¬
fortige Erneuerung, damit die regelmässige Zusendung nicht unterbrochen wird.
Bei verspäteter Bestellung können oft nur unvollständige Exemplare nachgeliefert
werden. Alle Buchhandlungen, Fostanstalten und • Zeitungsexpeditionen
nehmen Abonnements zum Preise von 4 Mk. 50 Pf. entgegen. Im Weltpost¬
verein 5 Mk. 25 Pf.
■ 1 >r 8
mm
©etantoortltfrr Üiebacteur: Dr. ßpntng in ©erltn.
Siebactton unb Gpebttton: ©erltn W., SRanfletnfrrate 7.
Drucf bon ^effe & ©etfer in Seidig.
Digitized by
Google
M 15.
38er Cut, ben 14. JlpriC 1900.
29. Jahrgang.
Band 57.
#c 0 cuimut
/<
Sßtodjenfdjrift für Siteratur, Shmft uub öffentliches geben.
<^ertttt5g«0e0ett öon £offi»g.
Sehen Stnmluidt erfdjetnt eine granui.
3u bc^ie^en burdj aCe ©u^onblungett unb ©ojtämter.
Verlag her ©egentoart ln Berlin W, 57.
VtnteltBIrrtUi 4 |L 50 Vf. «tue itnanner 50 »f.
Snferate jebet Ärt pto »gehaltene $ettt*eUe 80 ©f.
Dflu&lanb in Slfien. Son % SUntuffen. — Sßon ber ®ütyolar’@jpebition. SSon ©eorg Don $ofdj. — ßitcrattn nnb
rty |» ft Äunft. 3)ie lex ^einje unb bie bilbenben fünfte. SBon ©ufiab (Iberlein. — RadjäuS auf allen JHrdpetljen. $on Robert
Imhrtlt * 28albmüller=S)uboc. — geuiUeton. $er SBurm. ©ine englifcfje ©arnifongefebiebte. SBon Sftubtyarb Wifling. — lui
C/ *+(*+**• ^er ©aujltftübt. $ie 3nteröention. 9?ad) 3ttittl)eilungen meinet SeibblatteS. $on Caliban. — $)ramatifd)e Slu ff Übungen.
— Offene ©riefe unb Antworten: Sdjlu&toort $ur Reform ber ©ilbbauerei. ©on @. ©ellmer. — 9?oti$en. — Sinnigen.
Ättfüttttb in Giften.
SSon p. 2lsmuffen.
Stiegt mit Unrecht bejeicgnel man immer Wieber Stufe»
tanb als bie SJtacgt, bie noch einmal ber europäifegen unb
ber SBeltpolitif etwas ju ratzen aufgeben toirb. ©eit ben
©lagen ißeterS beS ©rofeen gat eS feine iDtacgt nach Dften,
©üben unb SBeften auSgebegnt. Sieben ben Dftfeeprotiinjen unb
bem gröfeten ©h^f ^jßotenS bat eS bie Sänber an ber Storb»
füfte beS fdjwarjen SJleereS unb am KaufafuS, bat eS ©urfeftan
unb bie Slmurmünbung gewonnen. Söiö um bie 3D?itte unfereS
SagrgunbertS unb auch noch fpäter rebete man in Stufelanb
am Iiebften tion bem ©eftament ißeterS beS ©rofeen unb tion
ber Unterwerfung ber ©ürfei. feier fegten aber bie 93e*
mübungen ber übrigen europäifegen Staaten ben Stuffen unb
igren ©elüfteit ein 3 «t. ©arauf erwärmte man fief) nament*
lieg in ben panflatiiftifcgen Greifen StufelanbS für einen Sfampf
mit ©eutfcglanb unb bem ©ermanentbum überhaupt. Slucg
fjeute noch giebt eS in Stufetanb eine ftarte beutfegfeinbtidge
Strömung, unb ©eutfdjlanb tbut gut, immer mit biefer ju
rechnen. ©aS offieiöfe Stufetanb fürchtet bie SJlacgt ©eutfeg»
lanbS, Wäbrenb ber IßanftatiiSmuS, fobatb er in Stufetanb
Zur £errfdjaft fommt, baS Sünbnife mit grantreich ä u einem
Äriege mit ©eutfcglanb benugen Wirb. ©S foHte benn fein,
bafe auch biefe Greife erft bie Ißläne StufelanbS in Slfien oer»
tuirffid^en wollen.
©aS ruffifdge Steidg in Slfien ift ein grofeeS, aber nach
ber bei uns lanbtäufigen SJteinung ein wenig wertgtiotteS.
2 Bir finb gewohnt, Sibirien mit jßubegör als eine Schnee*
unb ©iSwfifte, ©uran aber als eine ©anbwüfte anjufehen.
©ewife giebt eS fowogl in Sibirien als auch in ©uran ®e=
biete, bie feiner SBefiebelung fähig unb tbatfächlich wertbloS
finb, namentlich ift ber nörblidge ©heil Sibiriens ein folcgeS
©ebiet. ©agegen giebt eS im füblicben Sibirien nicht nur
©egenben, bie reich an Metallen unb SBälbern finb, fonbern
bie audb angebaut Werben tönnen unb bie, wenn fie erft ein»
mal bebaut finb, reiche ©rträge liefern unb eine zahlreiche
SBebölferung aufnebmen werben, ©uran ift freilich nur burdg
eine auSgebegnte fünftlicbe 99ewäfferung ju befruchten, aber
eine folcge hot man auch früher gehabt, unb SRufjlaitb braucht
fte nicht neu berjuftellen, fonbern nur ju erneuen. Stoch
wirb bafür freilich nichts getgait, im ©egentgeit, bie Slnlagen
tierfallen mehr unb mehr,. aber üiufjlanb ftegt auch erft am
Anfang feiner. bortigen ^errfegaft unb h Q t fi<h bis Ijeute
megr mit anberen ©ingen befegäftigt. ^ebenfalls gewährt
baS ruffifdje Slfien ben Stuffen weiten unb geeigneten 9taum
für Slnfiebelungen, unb tgatfächfich Wanbern fegon heute nidft
wenig Dtuffen aus freien Stücfen nach Sibirien aus. @S
mufe fieg nur zeigen, wie tiiet ©efegidf fie als Eotoniften
gaben. Sin gleifj unb ©enügfamfeit feglt eS ignen ja niegt.
Sin Stätte finb fie beffer gewögnt als wir unb finben aueg
folcge ©egenben erträglich, bie bem ©eutfdjen als ju raug
unb unwirtglicg erfegeinen.
9tun ift fRufjlanb weit babon entfernt, mit feinem un«
gegeuren ©otonialreicg in Slfien jufrieben 5 U fein. @S trachtet
nach megr, unb Wenn niegt alle 3 e ^ en trügen, erftrebt eS
eine StuSbegnung feiner fterrfegaft über ganj Slfien. Db eS
ben anberen fDtäcgten babei etwas, toieHeicgt befegeibene ©den,
ablaffen will, barüber ift man fieg wogt bortäufig in 9tug*
lanb noch niegt einig. Slucg wirb man faum nach einem
feften fßlane arbeiten, ©asu ift erft bann bie 3 «t gefommen,
wenn bie gtofje tranSfibirif^e Saget tioKenbet ift. Cgne
3weifel gat Ütu§lanb in feiner tranSfaSpifcgen unb tranS»
fibirifegen Sagn ßülfSmittel tion ber größten ftrategifdjen
SBichtigfeit, tion einer größeren SBicgtigfeit als bie engtifege
Kriegsflotte, wie eS benn überhaupt fRu|(anb fegr ju ftatten
fommt, bag fein Kolonialreich nidgt in ber ganzen SEBett jer*
ftreut liegt, fonbern gübfeg beifammen ift unb mit bem
SJtutterlanb räumlich jufammengängt. SWittelft ber tranS*
faSpifdjen Sagn fann SRufjlanb, ogne tion einer anberen
9J?acgt beobachtet ju werben, eine grofje ©ruppenmaegt bis
nage tior bie ©göre tion Snbien bringen, unb wenn erft bie
tranSfibirifcge Sagn fertig ift, fann eS feine ©ruppen an bie
djinefifege ©renje werfen unb ju jeber KriegStgat gerüftet
fein, betior man in ©uropa fo reegt barum gewagr wirb,
©er ©ifer, mit bem an biefer Sagn gebaut wirb, ift alfo
ganj erflärlicg.
©rogbem madgt 9tu&[anb fegon jegt allerlei Slnftatten,
feine 9J?adgt in Stfien ju befeftigen. SBaS eS mit ben ©ruppen*
tierfegiebungen nach ©entralafien auf fieg gatte, ift noch feines»
WegS ganj aufgeflärt. Db SRufjlanb bauernb feine ©ruppen*
madgt an ben ©renjen tion ißerfien unb Slfgganiftan unb
bnmit an ben ©goren tion Snbien bermegren will, ober ob
nur eine 5ßrobe»SD?obilmacgung tiorliegt, ift audg jiemlidg
einerlei. Sn jebem gall will 9tu§lanb gerüftet unb friegS»
fertig fein, wenn in biefer ©egenb irgenb etwas fieg ereignen
füllte, ©afj ^ßerfiert bei einem ruffifegen Snftitut eine Sin*
teige machte, um fieg bie anberen ©läubiger 00 m £alfe ju
Digitized by v^.ooQle
226
Die töejettttttrt
Nr. 15.
frfjaffen, giebt um fo mef)t ju benfen, at§ perfide 3 ßöe in ©fanb
gegeben finb unb baö officiöfe (Rufelanb baS 9?ect)t hat, bie
SSntereffen ber ©auf ju fchüjjen. ©ebenft man habet, bafe
(Rufelanb Sefjnfud)t nad^ einem $afen am inbifcfeen Ocean
ljat, fo wirb man auch ausrechnen fönnen, bafe (Rufelanb
nidE)t fange mcfjr auf biefen ju matten brauet. (Sitte ®e=
tegenf)eit, iljn fid) abtreten ju faffen, wirb (Rufelanb finben;
einftweifen fann eS jufrieben fein, bafe eS ©erfien faft ganj
unter feine ©otmäfsigfcit gebracht ^at. 9(ber aucf) in (S|itta
fielen bie (Dinge für (Rufelanb ved)t günftig. Stud) iit ©efing
jpielen ficf) öott 3 £ it SU 3 £ ü geheimnifeooße (Dinge ab, über
welche bie SBelt burd) SenfationSbepefcfeen Kunbe erhält,
hinterher fteflen ficf) bann bie ©eridjte attgebfidi) als erfunben
ober ftarf übertrieben heraus, bis man bann fo aflmälig er»
fährt, bafe ein mehr ober minber bebeutenber Stjftemwechfel
ftattgefunben h ot - Unb ba ift eS nun merfroiirbig, bafe
©nglättber, granjofen, (Deutfdje, Staliener üon ben ©hinefen
atä grembe gehabt werben, bafe man oon ihnen Eingriffe
auf chinefifdjeS ©ebiet befürchtet unb fie am liebften äße jum
Sanbe hinaus jagte. (Dagegen Weife (Rufelanb, obgleich eS
unmittelbarer @renjnad) 6 at beS d)inefifd)en Sfleic^eS ift unb
für ben ©efi|ftanb beffefben eine immer gröfeere ©efaljr be*
beutet, fid) bie ©unft ber chittefifcf)cn (Regierung immer fefter
ju gewinnen. 2 J?ati weife nicht recht, finb bie ©hinefen gegen
bie ihnen oon (Rufelanb brohenbe ©efaf)r, eben weit fie täglich
broht, abgeftumpft ober haben fie baS ©efüf)(, bafe (Rufelanb
atS ber mächtigere (Rachbar angefehen werben müffe, mit bent
man fich gut ftehen müffe, Weit er fonft ungemütlich werben
fönne, ober aber fieht bie regierenbe (Dpnaftie oietteicht auf
©runb oon ©ertrügen ober wie fonft itt (Rufelanb einen
©unbeSgenoffen gegen bie geinbe ber (Dtjnaftie in ©£|ina
fetber? ©rft eine weitere (Sntwicfetung ber (Dinge Wirb eS
unS ermöglichen, auf biefc gtagen richtig ju antworten.
^äufig rebet man iu ber ©reffe unb auf ber ©ierbanf
oon einem angeblich beöorftetjenben Stampf jwifdjen (Rufelanb
unb (Sngtanb um Snbien unb ftettt ficf) bann bie Sache
meiftenS fo üor, atS ob (Rufelanb einen ©roberungSjug nach
Snbien ju unternehmen willens ift. (Rufelanb wirb aber
einen fold)ett Krieg fchwertid) Oom 3 aune brechen, fonbern
Wirb einftweifen berfudjen, ber ©renje SubienS fo nahe wie
möglich ju fommen; oortäufig ^anbeft eS ficf) für (Rufelanb
barum, ben englifdjen ©influfe in Slfgtjaniftan ju brechen,
Wenn eS fein mufe, mit SBaffengewalt. 91 n einem ©ormanbe
wirb eS nid)t fehteit. ©orwänbe ju irgenb wettet 6 inmifd)ung
in ihre inneren ?lngelegenf)eiten geben halbcioilifirte Staaten
bem, ber barauf wartet, faft äße (Jage. SDfac^t ©ngfanb
barauS einen KriegSfafl, fo fann ja immer ber Krieg um
Snbieit toSgehen. Sonft Wirb (Rufelanb warten, bis in
Snbieit ber tängft üorhanbene §afe gegen ©ngtanb bie ein*
geborene ©eöölferung jum 2 tufftanbe treibt unb bis bann
entweber ber £inbu (Rufelanb als ©efreier herbeiruft ober
bis fonft eine (Gelegenheit jur ©inmifc^ung fid) finbet. (Dafe
aber gerabe in biefem Slugenblid bie Uitjufriebenheit ber
eingeborenen ©eöölferung eine grofee ift, fann ©nglanb gar
nicht in ?lbrcbe ftellen. (Die oielen (Rieberfagen, Welche bie
©nglänber in ©übafrifa erlitten haben, haben bem (Rcfpect
ber inbifdjeit ©eöölferung üor ber engtifefeeu Krieg§tüd)tigfeit
einen gewaltigen Stofe gegeben. SRit einer Dffenljerjigfeit,
bie allein fdjon ju benfen giebt, erörtert man in Snbien bie
StuSfichten einer Sd)ilbetf)e 6 ung gegen ©nglanb unb fomntt
babei meift ju SRefultaten, bie ©nglanb Wofel ju benfen
geben fönnten. (Daju Wirb bie wirthfdjaftlicf)e Sage ber
ärmeren ©ingeborenen eine immer fd)Ied)tere. Snbien ift oon
einer JfSungerSnotf) heimgefudjt worben, gegen welche frühere
nur ein Kinberfpiel finb, unb bie Unterftüfeung oon ©nglanb
auS ift üößig unjureidjenb. 216er and) in feiten, lD0 man
officieU eine $ungerSnotf) nicht anerfennt, ift bie Sage ber
ärmeren ©eöölferung in einigen (Diftricten eine fo fdjlecfjte,
bafe baS Satteffen auch bem bebürfnifelofen Suber nicht immer
möglid) ift. 3 U b er $ungerSnotl) fommen nun nod) an*
ftedenbe Seuchen, bie bereits ©iele fpagerafft haben Unb in
ben Oon ^mngerSnoth heintgefudjten (Diftricten noch gräfelid)
Wüthen werben. Uitjufriebenheit herrfcht allenthalben, nnb
Wenn nun erft einmal ber Aufruhr in einer ©roüinj auä*
bricht, ift bie ©erbreitung beffelben über baS ganje Sanb ein
Umftanb, mit bem gerechnet werben mufe. 0b bann aber
(Rufelanb ben müfeigen 3 u f c h auer fpiefen ober ob eS fetter
2lnfpvüche auf Snbien erheben wirb, baS ift bie grage. @iebt
eS bod) Seute, Welche in üollem ©rnfte behaupten, bafe bie
llnjufriebenheit Oon ruffifdjen ©miffären genährt wirb nnb
bafe ©ufelanb mit ben Unjufriebenen güfelung |at.
2Bie bem aber audj fei, jebenfaßS mufe man einrümnen,
bafe (Rufelanb bie SRadjt unb jebenfaöS auch ^ en SBiOen hat,
bei allen ©reigniffen in 2lficn ein gewichtiges SBort mitju*
rebeit. Offenbar trachtet fRufelanb nach einer ©orfjerrfdjaft in
?lfieit unb ift auf bem beften Sßege, fie anjutreten. ©nglanb
hat freilich ein gewaltiges SBeltreid) an [ich gebracht, aber
wenn nicht äße Reichen trügen, geht eS mit ©nglanbS 3Rad)t
abwärts. 'Der ©urenfrieg hat felbft bann, wenn er mit einem
üöUigen Siege ©nglanbS enbet, bewiefen, bafe baS engKfdje
Sanbheer einem einigermafeen mächtigen geinbe nicht gemadjfen
ift. SRoch beherrfdjt eS mit feiner glotte bie SPieere, aber bie
glotte hat längere 3,eit ^inburc^ feine Gelegenheit gehabt,
ihre Schlagfertigfeit im ©rnftfall jit beweifen. 5D?an weife
atfo nidjt, ob fie in 2Sirflid)feit mächtig genug ift, um im
Kriege ju leiften, waS man üon ihr erwartet. (Daju fommt,
bafe bie Sontinentalmächte ihre glotten Oerftärfen, Währenb
©nglanb nicht in’S Ungemeffene hinein Oer[tärfen fann, ba bie
Kriegsmarine fonft ber |>anbelSmarine ju üiel Seute Wegnimmt.
©ine 9}?acht wirb freilich nie in ber Sage fein, eine ber eng*
lifdjen überlegenen Kriegsflotte ju fdjaffen, aber Wenn mehrere
fid) gegen ©nglanb üerbünben, fo fann mit ber 3eit ©nglanb
ju furj fommen. Sluch bie weltbeherrfd)enbe Stellung, bie
©nglanb eine 3eit lang burdj Ipanbel unb Snbuftrie innc
hatte, ift im Sliebergang. 2J?an macht ihm immer mehr
©oncurrenj. Ohne ein genügenbeS 2lbfafegebiet für feine 3n*
buftrie aber ift ©nglanb bem wirthfchaftlidhen 3ufammenbrmh
üerfatlen, ba SCdferbau unb ©iehjudht ftarf juriiefgegangen ftnb.
3n beitjenigeit ©otonien ©nglanbS aber, in benen bie weifee
©eöölferung eS bereits ju einet 2lrt Selbftoerwaltung ge*
bradjt hat, machen ficf) ?lnjeid(en bafür geltenb, bafe man
nad) Selbftftänbigfeit ftrebt. So mehren fi<h bie ?lnjeid)en
üon einem 3 u f a wntenbruch ber englifd|en SBeltmadht.
©benfo aber mehren fich Me ütnjeicfjen bafür, bafe 9iufe*
lanb mit üollem ©ewufetfein bemüht ift, bie SBeltherrfchaft an*
jutreten. Seine ©eftrebungen, feine ©iadjt in Slfien auSju*
befenen, tragen ganj ben ©harafter eines jielbewufeten ©orgehens.
Siicht fo, als ob 9iufelanb einen ©lan üor fich hätte, nach bem
eS arbeitet, aber eS rieftet fich, allenthalben in Slfien eite*
greifen ju fönnen, wo bie ©elegcnf)eit günftig ift unb ein
glücflidjeS ©elingen gehofft werben fann, unb bafe eS ein*
greifen fann, fobalb eS will. @S irrlichterirt nidjt hier unb
ba in ber SBelt herum, fudht nid)t hier unb ba einen Sänber*
fefeen ju erfeafchen, fonbern fegt feinen gufe Schritt oot
Schritt weiter üorwärts, fd)iebt halb hier, halb bort feine
©rcnjeit etwas weiter üor, aber was eS erwirbt, bleibt immer
im feften 3nfammenf)ang mit feinem feitherigen ©efife unb
erweitert ben Kreis feiner Sntereffen. 2luf bemfetben SSege
finb bie SSeltreidhe ber alten ©cfd^ichte entftanben.
(Dafe man aber in ©ufelanb ben ©ebanfen an eine SBelt*
herrfdjaft wenigftenS in einigen Kreifen gefafet hat, geht beutlicfe
genug barauS Ijetüor, bafe man üon SRuffen eS immer wieber
ju hören befommt, bie jugenbfrifche ruffifdje ©ultur fei baju
beftimmt, bie alternbe ©ultur beS SöeftenS ju beleben, ja fich
an ihre Steße ju fefeen. ©otitifdl) jieht ©ufelanb cS einft*
»oeilen üor, baS ©erntanenthum unb (Romanenthum im weft*
li^en ©uropa unbeheßigt ju taffen. Offenbar freut mau fiel
an ber SRewa aß’ ber deinen (Reibereien, bie halb jwifcheit
Digitized by v^. ooQie
Nr. 15.
Dir (Segenroart.
227
Jeutfcßlanb unb Kuglanb, 6 atb pufdjeit Jeutfcßlaub unb
granfreidj, halb jmifdjen granftetcß unb Knglanb jum ?luS»
brudj fomnten unb mifdjt ficfi in btefe Streitigfeiteu gar tüdjt
ein, nicht einmal p ©unften beS hefreunbeteu granfreidj mtb
»nenn biefeS aud) Unrecht leibet. granfreicfjS greunbfdjaft
ift aber ben SRuffeu beßßal 6 mertßOoU, meil eS mitten im
europäifcfjen ©etriebe ftef)t unb (Rußlanb jeberjeit in bie Sage
Derfcßt, für feinen SunbeSgenoffen gegen eine beliebige anbere
dRacßt einp treten, unb meil ffjranfreich jeberjeit bereit ift,
fein nidjt unbebeutenbeS §eer unb feine gute $fotte um ber
frönen STugert (RußlanbS mitten friegSfertig p machen. Unb
eS mag ja für bie Seiter ber ruffifdjen fßoiitif ganj angenehm
fein, bie (Rolle ber SWacfjt p fpielen, um bereit greunbfdjaft fidj
Sitte bemühen, troßbent fie eigentlich (Riemanb tlrfache giebt,
ftch mit ihrer befoitbeten greunbfehaft p bri'iften. Unb babei
feßmiebet (Rußlanb unentmegt feilt (Sifett inStfien, mohl miffenb,
baß jeber (Srfolg bort auch feine Stellung in Europa fräftigt
unb bie ruffifeße SBeltfjerrfcßaft begrünben hilft- UnS aber
hilft eS nichts, baß mir auSred)neit, meldje 9D?ac^t unb meffen
Sntereffen Oon (Rußlanb in erfter Sinie bebroßt merben, unb
baß j. SB. unfer Jeutfdjlanb noch uidjtd oon (Rußlanb p
befürchten hat. Krftrcbt (Rußlanb bie Sßeltherrfdjaft, fo muß
mit ber SRotßmenbigfeit eineä (RaturgefeßeS einmal ber Jag
tommen, an bem an Jeutfdjlanb bie grage geridjtet mirb,
mie eS fid) mit ber ruffifdjen 2ßeltmadjt abjufinben gebentt.
38ir meinen nidjt, baß bie Seiter unferer (ßolitif fidj in üor»
eilige ontiruffifcje Seftrcbungen (jineinjiehen taffen folten, fie
follen nur bie Stugen offen hatten unb Sdjacßsüge RußlanbS
mit richtigen ©egenpgen beantmorten unb fich nicht über»
rafdjen taffen.
©egentoärtig fteht (Rußlanb auch nicht am Knbe, fonbern
erft am Stnfang feiner Seftrebungeit. ©emaltige Reformen
im Snnetn muffen pr Jurcßfüßrung gefangen, menn (Ruß»
tanb auf ber befdjrittenen Saßn meitergehen miß, fonft fehlen
ber ruffifdjen Sßeltmacfjt bie ©runbfeften, unb eS fann bereits
mitten im Stufbau pfammenftürpn. SRoch ftnb bie ruffifdjen
ißotitifer beS eigenen SotfeS nicht fiejer, unb bie Quftänbe
im Snnern finb auf bie (Dauer unhaltbar. Sei folcßen 3 ll=
ftänben tann nun freilich ein Staat nach außen hin eine
bebeutenbe URadjt entfalten unb fiegreidjc Kriege führen,
mährenb berer bas Solf fein Klenb oergißt, aber eS fann
nichts (DauernbeS oon einem Solle mit foldjen 3 u ftänben
gefdjaffen merben, unb ber 3 u fammenbrudj muß beginnen,
menn jum SBeitererobern bie Ära ft p fehlen beginnt. So»
bann aber muß eS fidj noch jeigen, ob bie ruffifdje Kultur
junfidjft ben Slfiaten etmaS p bringen üerrnag, ob fie mächtig
genug ift, nicht allein p jerftören, fonbern auch aufpbauen.
Jie baüernbe $errfcßaft über frembe SSölfer gemtnnt ein Solf
am ficherften baburdj, baß eS ihnen etmaS bringt, maS fie
bis bafjin nidjt hatten, maS fie aber nadj furjem Sefiß atS
eine ÜBoßlthat empfinben unb nicht mehr entbehren mögen.
Unb fo ift aud) bei ber StuSbehnung beS ruffifdjen (Reiches
über Slfien eine ber brenncnbften [frage bie: SBaS tann (Rußlanb
ben Slfiaten bafür geben, baß fie feine Untertjjanen merben?
Don ber Jnbpolar-drpebition.
2Jon (Seorg oon pofeb.
(Sin jüngerer (Raturforfcfjer jat untängft baS große SBort
auSgefproben, baß baS pjanjigfte Saßrßunbert baS ber Ißolar»
forfeßung unb ber Söfung ber antarftifejen Probleme fein
metbe. SDian märe oerfueßt, fytx SRoliete’S SBort an 2Ron=
fieur Söffe p miebdrjoleit, aber baS „fachfimpelnbe" ^ara=
bojon hat fehr üiet innere (Berechtigung, benit gar midjtigfte
dRenfdjheitSfragen, auf bie mir bisher bergebtidj Slntmort ge»
fueßt, merben ganj gemiß im emigen Kife ber jungfräulichen
StntarftiS ijrer Söfung näher gebracht merben. jiefe (Sr»
tenntniß hat ber Sübpolarforfdjung im abgetaufenen testen
Sahrjetjnt neue Smpulfe gegeben. 3 wat bet StuSgangSpuntt
mar rein praftifd) unb gefdjäftfidj»fpecutatit». (SS janbeltc
fidj 1892 fomotjt ber engtifdjen ®unbee»Kompanh, mie ber
Hamburger (Recberei Dceana nur barum, am Sübpot bem
SRJatfaiig neue Sagbgrünbe p eröffnen, aber fdjlicßtidj mürben
bie geringen ffangergebniffe ber fieben Dampfet bitrdj bie
babei gemachten geographifdjeit (Sntbedtungen tief in ben
Schatten gefteüt. ®ie Kapitäne Sarfen unb Koenfen gelangten
bis 69° 10' fübl. Sr. unb entbeeften Äönig DScar il.=Sanb,
fomie jpoei thätige Snfelüulcane bafelbft. (Roch midjtiger
maren bie miffenfdjaftlicjen Krgebniffe beS normegifcßen gang»
fcßiffeS Slntarttit: ber (Raturforfdjer Sorchgreüint, ber bie
gaßrt als einfacher SRatrofe mitmadjte, als erfter an jmei
üerfdjiebenen Stellen Sictorialanb betrat, bereicherte nicht
allein unfere Äenntniß ber glora unb ganna, fonbern ent»
bedfte auch auSgebehnte ©itanolager. Äein SBunber, baß ber
£>anbe(Sgeift abermals an Stelle beS miffenfdjaftiidjen bie
güßrurtg übernahm. ®ie mit einem Slctiencapital oon
100 000 (ßfb. Stert, gebilbete British Antarctic Company
foH jmar unter Sorchgreüint’S Seitung audj miffenfdjaftlidje
fforfchungeit anftellen*), bodj ber ©aupt^meef iftbieStuSbeutung
ber neu entbedten ©uanolager am Äap Slbare, unb baS fogat
im KiSmeer länbergierige grantreieß, baS 1892 bie Äerguelen»
infefn. annectirte, röitl fidj auf eigene gauft ebenfalls an ber
SluSbeutnng ber bortigen (Ratnrfcßäße betßeiligen. Son ganj
ibealen gmecten geßt nur bie beutfdje Sübpolar»Kjpebition aus,
bie ber 11. Jeutfcße ©eograpßentag 1895 in Sremen anSpfenben
befcßloffcn hat. ®ie Kommiffion unter bem Sorfiße beS
©eß- SlbmiralitätSratheS (Reumatjcr ift rüftig unb mit Krfolg
am SBerf, bie auf 950 000 SRarf üeranfcßiagten Äoften ber
Kjpebition aufpbringen unb baS heute gefidjerte Unternehmen
miffenfdjaftlicß p organifiren. 3toci Jenffdjriften inforniiren
unS über bie 3iele unb ben gegenmärtigen Stanb beS ibealen
Unternehmens.
(Radjbem bureß ben (Racßtrag pm fReidhSßauShaltS»Ktat
für baS Rechnungsjahr 1899 bie ©elbmittel pr SluSrüftung
einer Sübpolar»Kjpebition bemiUigt morben maren, erfdjien
als bie bringlicßfte Slufgabe ber Sau beS KjpebitionSfdjiffS.
3Rit ber Krlebigung ber ßierju erforberlidjen Sorarbeiten
mürbe oon ben StaatSfecretairen beS Sunern unb beS (Reichs»
3Rarine»?lmtS im Seneßmcn mit bem Äöttiglidj preußifeßen
SRinifter ber geiftlidjen rc. Slngelegenheiten eine ftänbige
Kommiffion betraut, ber auch &i c für bie Oberleitung beS
ScßiffSbaueS beftimmten ßößeren Jecßnifer beS (ReicßS=2Rarine»
StmtS angeßören. Stuf ©runb ber oon biefer Kommiffion
ausgearbeiteten Sebingungett ift ber Sau beS (SjpebitionS»
feßiffs naeß engerer ?lu«f^reibung Knbe Oorigen SaßreS ben
^otoalbtSmerfen in Äiet übertragen morben. ®aS Scßiff
mirb ein ^oljbau fein, meil nur ein folcßer bie genügenbe
[Jeftigfeit unb bie Klafticität für bie KiSfdjifffaßrt erßalten
*) Süörer be§ 2)am^fet8 ©out^ern (£ro& foH Kapitän ©orc^*
greüin! bie 9(uffinbuug beS magnetifc^en ©übpolS gelungen fein, roie
neuerliche Reibungen nerftcfjent, bodh mufe eS fich erft feigen, ob btefe
hod)intereffante (Sntbechtng mit ber berechneten Sage beS magitetifchen
©üb^oleS übereinftimmt. 93e!anntlich fallen bie magnetifchen $ole
feine^toegS mit ben geographUchen sufamnten. 5)ie fie^teren finb bie
Qmbbunfte ber geometrifdjen %e be§ ©rbförberS unb liegen unter bem
90. Sreitengrab. 2)er magnetifche 9?orbJ)ol aber, nach bem bie Stfagnet*
nabeln aeigen, liegt unter etrna 70 ©rab nörblicher ©reite unb 98 &rab
meftlidjer Sänge ©reemmefj. 28ie fRoß 1831 fanb, fällt er auf bie §alb=
infei ©oothia gelijr, unb h^r fielen bemnach bie 3Ragnetnabeln fenf=
recht. 9ia^ ber ©tellung ber SRagnetnabeln auf ber füblidjen £alb=
fugel hol man ben füblid&en SKagnetbol auf etma 74 ©rab fiiblicher
©reite unb 146 öftlicher Sänge ©reentoich berechnet. ift babei $u
berürffichtigen, bafe beibe ©ole manbevn, unb jrnar fehr erheblich, ber
©üb^ol ftärfer al$ ber 9?orbbol. ©orchgreöin! h^t feine ftorfcfmitgen
fdhon im 3^h« 1894 nad) biefer IRi^tung erftreeft, er ift aber offenbar
über bie bamalS erreichte ©reite toeit hinaus unb tief in bie al$ SBilfeS
Sanb be^eichneten Qnfelgvubben hineingefomnten.
Digitized by v^.ooQle
22S
Di« (Bcgenwart,
Nr. 15.
faitn. Sie gornt beS ©cßiffeS Wirb etwas boßer unb nid)t
in ber SEBeife abgefc^rägt fein, wie eS bei iRanfen’S „gram"
bcr gaü war, weil beren gorm für bie fcßweren ©türme unb
ben ßoßen Seegang ber f üb ticken SReere ungeeignet erfcßeint,
Wie eS SRanfen felbft auf bem internationalen ©eograpßen*
congreffe ju Söertin auSfpradj. ©aß baS ©cßiff fo ftarf wie
nur möglid) gebaut wirb, ift felbftberftänblicß. innere Ab*
ftüßungen mit geworfenem ©icßenfrummhotje, fowie bie 93er*
fegung beS 3wifcßenbedS nafjeju in bie 9Bafferlinie Werben
bem etwa ju erwartenben ©iSbrud einen ftarfen unb hin»
reicßenben SBiberftanb leiften. ©ie Sänge beS ©cßiffeS wirb
etwa 46 m, bie 93reite jwifcßen 10 unb lim unb ber Tiefgang
unter ber 9EBafferlinie etwa 4 m betragen. ©aS ©d)iff Wirb
gut Aufnahme eines ÄoßlenborratßS unb ber gefammten AuS*
rüftung für 3 Saßre eingerichtet werben unb behagliche SBoßn*
unb Arbeitsräume für 5 ®eleßrte, 5 Dfficiere unb etwa 20
2Rann 93efaßung erhalten, gür jeben ®eleßrten unb Officier
ift eine eigene Üoje beftimmt. SRafdjine unb Seffel, burd)
welche baS @d)iff eine ©efcßwinbigleit bon 7 Sfnoten er*
halten fott, liegen im §interfd)iffe jwifchen ben 9EBoßnräumen.
Sm SRittelfcßiffe finb bie fRäume für bie Wiffenfcßaftlicßen
Arbeiten borgefeßen. ©ie 93eleucßtung wirb eleftrifch- ©in
ÜRobefl beS ©cßiffeS wirb nocß für bie 933eltauSfteflung in
ißariS fertiggefteflt.
©ieidhäeitig mit ber 93orbereitung beS ©cßiffSbaueS
würbe bie Wiffenfchaftliche Drganifation beS Unternehmens
burcß Söilbung eines 93eiratßS auS namhaften ®eleßrten
auS aßen ^heilen beS ÜieicßS in bie SBege geleitet. ©ie
bisherige ©ßätigfeit biefeS wiffenfchaftli<hen VeiratßS hat
gut Sluffteßung beS nachfteßenben borläufigen Programms
geführt. ©ie ©Epebition Wirb fünf wiffenfchaftliche Tßeil*
nehmet haben, unb gWar einen pßßfifdjen ©eograpßen als
Seiter ber ©Epebition, einen gootogen unb 93otanifer, einen
Argt unb 93acteriologen, einen ©eologen unb ©ßemifer, einen
©rbmagnetiler unb SReteorologen. gernet ift grunbfäßlicß
angenommen, baff bie ScßiffSofficiete, bie wößrenb ber gaßrt
auf bem @<ßiffe borgugSwetfe mit beffen ÜRabigirung befcßäf*
tigt fein werben, Wäßrenb beS einjährigen Aufenthalts an ber
einguricßtenben SBinterftation für bie wiffenfcßaftlicßen Ar*
beiten gut 93erfügung ftehen. ©ie foflen bann — borbehalt*
lieh ber Arbeitsteilung an Drt unb ©teße burd) ben Seiter
ber ©Epebition — in bie aftronomifeßen ^Beobachtungen am
Orte ber ©tation, in bie topographifchen unb hßbrograpßifcßen
Aufnahmen in beren Umgebung, fowie in bie fßenbelbeftim*
mungen unb magnetifchen ^Beobachtungen bei ben Sanbreifen
fidj theilen unb auch bei bem magnetifcß*ineteorologifd)en
©tationSbicnfte mitwirfen. Auch bie SRannfcßaft, beren £>ülfe
bei ben Wiffenfchaftlichen Arbeiten währenb ber gahrt burcß
ben ©djiffSbienft geregelt fein wirb, foß auf ber ©tation an
betriebenen Arbeitsgebiete bertßeilt werben, fo baff fie bereit
93ertretern mit Wacßfeitber Uebung Wirb gur §anb gehen
fönnen.
©ie Stergueleninfet foß ber AuSgangSpunft ber beutfehen
©Epebition für ihr Vorbringen in bie AntarftiS fein. ©ie
©ingelßeiten ber geplanten SRoute, inSbefonbere ihre ®rüm*
mungen, Wie fie tßeilweife bereits bie ber ©enffdjrift bom
SRai 1899 beigefügte Sorte auSbrücft, finb auS occanogra*
graphif<h en , geologifcßen unb magnetifchen ©rünben gewählt
Worben. @S gefeßaß auS oceanogtapßifdjett ©rünben, um
Wefentlidje Süden in ber Senntnif ber SReereStiefen gu be=
feitigen; auS geologifcßen ©rünben, um burct) 93erüßrung mit
berfdjiebenen Snfelgruppen 93ergteichSmateriat für baS ©tubium
beS antarftifdjen SanbeS unb SReereSbobenS gu gewinnen;
auS magnetifchen ©rünben, um bie einzelnen Sinien gleicher
3EBertfje ber magnetifchen ©temente an möglicßft bieten fünften
gu fchneiben. Von ben Serguelen foß juerft öftlicß, etwa bis
bis gum 90. ©rab öftfießer Sänge, unb bann erft nach ©üben
gegangen werben, Weit eS tängS biefer fRoute nocß an
Sotßitngen fehlt. AuS bemfetben ©runbe Wirb ber 2Beg
gwifeßen Sapftabt unb ben Sergueten bießeicht noch eine ffib*
liehe AuSbudjtung gwifeßen ben iß ring ©buarb* unb ben
Sbrogetinfeln erhalten, währenb anbererfeits auf ber fRüdreife
ber 2Beg jWifcheu ©üb*©eorgien unb Triftan ba ©unßa
grabtiniger gewählt werben Dürfte, als es bie ber erften
©enffeßrift beigefügte Sarte angiebt, weil eS bort bornehm*
lieh barauf anfommt, bie fübliche gortfejjung ber atlantifchen
©chweße §n nnterfudjen. 3118 AuSgangSpunft für bie gahü
in ber AntarftiS felbft wäre für bie beutfdje ©Epebition baS
noch hhpo%‘ifß)e Termination ^Stanb in AuSficht ju nehmen.
©S wirb geplant, bon bort nach ©üben borjubringen, um
bie SBeftfeite beS 93ictorialanbeS ju finben, feinen etwaigen
ßufammenhang mit SempS* unb @nberbt)=Sanb ju Haren
unb bie AntarftiS fobann auf ber atlantifchen ©eite ju um*
fahren, um Womöglich bie gortfeftung beS atlantifchen DceanS
burch baS SBebbelmeer ju erfordern
®en ^Weiten §auptpunft beS beutfehen Programms bilbet
bie Anlage einer wiffenfchaftli^en ©tation im ©übpolar*
gebiet, auf ber ein bofleS Saht geophhfifdje unb biologifhe
Arbeiten auSjuführen fein werben unb bie als SBafiS für bie
bon bort ans auf längeren unb fürjeren Sanbreifen oorju*
nehmenben 93eobadhtungen bienen foß. 933o bie ©tation liegen
Wirb, lä|t fi^ naturgemäß nicht oorher beftimmen, weil baS
bon ben fRefultaten abhängt, welche bie ©Epebition borher mit
bem ©chiffe erreicht hot. Anjuftreben ift für bie ©rünbung
ber ©tation bie SBeftfeite beS SBictorialanbeS, weil man in
biefem ein auSgebehntereS Sanb bermuthen batf, baS für bie
berfchiebenartigen gorf^ungen eine günftige ©etegenheit bietet
T)ort läßt j. 93. bie fRäße beS magnetifchen ©übpolS baS
©tubium ber magnetifchen ©rfeßeinungen befonberS wünfcßenS*
wertß erfeßeinen. gerner läßt fieß baS SnlanbeiS ber An*
tarftis bon einem auSgebeßnteren Sanbe ßer am beften er*
fteigen, unterfudjen unb bießeicht auch gegen ben ©rbpol ßin
bereifen. Auch bietet ein größeres Sanb biel reichere ©elegen*
heit jum ©tubium beS etwa borßanbenen Tßier* unb fßflanjen*
lebenS, fowie ber geologifcßen ©Meinungen, als ifolirte Snfetn.
©nblidß ßaben aueß SBeobadßtungen über bie ©chwerfraft auf
einem größeren Sanbe einen erhöhten 3Bertß.
Als ©rnnbfaß gilt, baß bie wiffenfchaftliche 53orbereitung
fo bolltommen fein foß, baß AßeS auSgefüßrt werben fann,
WaS ber heutige ©tanb ber Sßiffenfcßaft erforbert unb woju
fieß Seit unb ©elegenßeit bieten. 9BaS babon auSgefüßrt
Wirb, läßt fieß erft an Drt unb ©teße entfeßeiben. Sn erfter
Sinie foßen geograpßifcße berfolgt werben. Weil biefe
bie notßwenbige ©runblage für aße anberen gorfeßungen
finb. @S wirb fieß barum ßanbeln, für baS Sanb nicht
aßein bie äußeren Umriffe feftjulegen, fonbern WenigftenS in
einigen ©ebieten aueß bie ©injelßeiten bet ©onturen gu ber*
folgen unb bor Aßem eS möglicßft oft ju betreten, um feine
gormen ju ftubiren; für baS ©iS, welches ben fßolargebieten
ben eigentlichen ©ßarafter giebt, Art unb ©tructur, Xempe*
ratur, ©chuttfüßrung unb ^Bewegung ju unterfueßen, woraus
fieß ©cßlüffe auf bie bon ißm bebedten ©ebiete ableiten taffen;
für baS 9J?cer borneßmlicß Sotßungen ju gewinnen, wo eS
noeß baran feßft, was für baS ganje ©ebiet fübtieß bon 40
©rab fübfießer 93reite unb fteßenweife aueß nörblicß bauen
längs ber projectirten fRoute bcr gaß ift. ®aß bie pßßfifcße
@rforfd)ung beS 2ReereS naeß Temperatur, ©ießte, 93efcßaffen*
ßeit beS SBafferS unb beS IBobenS, garbe, ©aSgeßalt unb ®e*
Wegung bamit £>anb in §aitb geßen muß, berfteßt fi^ bon
felbft. 93on großem 9Bertße wäre eS aueß, wenn fieß fdjon
wäßrenb ber ©eefaßrt fßenbelbcoba^tungcn auSfüßren ließen,
wie fie für baS Sanb in möglicßft großer Slnjaßt geplant
finb unb befonberS in fßftematifcßer Anorbnung in ber Um*
gebung ber ©tation.
3Rit ben geograpßifcßen Arbeiten Wirb fidj bie ©ßätig*
feit beS ©eologcn am nädßften berüßreni Sßm wirb baS
©tubium ber 93obenproben gufaßen, bie bei ben Sotßungen
ßerauffommen, fowie bie eßemifeße Unterfucßung beS 3ReereS*
Digitized by
Google
Nr. 15.
Die <$egentoart.
229
»affetS, beffen ©rößentierßättniffe unb pßpfifalifeße ©igen»
fcßaften ber ©eograpß meffenb tierfolgt ßat. Set Sanbungen
ift bie X^ätigfeit beS ©eologen tioit fetbft gegeben. Son ber
Station au§ »irb er an ben ©cßlittenreifen t£)eitnef»rrten, bie
in ber Umgebung ber Station, längs ben lüften, fowie bei
gegebener 3 e * t in baS innere unternommen »erben. Se=
fonbere 9lufmerffamfeit mürbe baS ©tubium foffiler ißflanjen
erforbern, menn ficß fotd^e Säger im ©üben ebenfo finden
fotlten, mie eS im Norben bet galt ift, fowie alle anberen
paläontologifcßen unb petrograpßifcßen gunbe, ba biefe über
bie Sejießungen beS ©übpolargebietS ju anberen Grb räumen
9 tuffcßlüffe bringen.
®em ßoologen unb Sotanifer ber ©Epebition fällt ein
befonberS großes 9lrbeitSfelb ju. ©eine planmäßigen ©amnt»
lungen »erben ficß auf alle formen erftrecfen, bie auf bem
©eßiffe confertiirt unb oerfrad^tet »erben fönnen, unb »erben
bemgemäß in gleicher SBeife bie gauna unb glora beS SanbeS
unb ber ©üßmafferfeeen »ie bie ber Sitoraljonen unb aueß
ber Xieffee umfaffen. SefonbereS ®e»idjt »irb auf bie jeit»
ließen Unterfcßiebe in bem Stuf treten ber tietfeßiebenett ©ßier*
formen, fo»ie auf beren ©ntwicfelung ju legen fein. Natur»
gemäß müffen biefe biologifcßen gorfeßungen in ftetem 3«'
fammenßange mit ben pßßfifcßen fteßen, um beifpielsmeife
bie 9(bßängigfeit beS ©ßier» unb IßflanjenlebenS tion ber 93e=
fdßaffenßeit beS SleereSwafferS unb tion ber Sertßeilung ber
Strömungen erlennen ju fönnen. ©eßßalb »erben Sertical*
unb ©cßtießneßjüge für bie betriebenen ©ebiete unb tion
ber Station aus für bie tierfeßiebenen iaßreSjeiten geplant,
um mit ben Oberfläcßenfängen jufammen Slaterial für bie
©rfenntniß ber Strömungen ju erßalten. Siologifcße ©ief»
feeforfeßungen »erben nur bis ju ©iefen tion et»a 1000 m
angefteüt »erben, »eit bie ©Epebition biefe gorfeßungen nießt
in erfter Sinie bejwecft unb baS ©cßiff aus tierfeßiebenen
©rünben nießt eine foteße ©röße erßält, baß ®rebge=3üge
aueß für große liefen oßne allju große Selaftung tiorgefeßen
»erben fönnten. ©iefe Sefcßränfung ift um fo eßer juläffig,
als bie ©ieffeefauna in »armen ©ebieten bis auf 700 m, in
falten noeß »eit ßößer ßinaufreießt.
©ie 3»e<fe ber ©eefifeßerei fönnen bei ber ©jpebition
eine »idßtige görberung erfaßren, inbem »äßrenb ber gaßrt
beS ScßiffeS, inSbefonbere in ber Näße ber ju paffirenben
infein, Seobacßtungen unb ©rfunbungen über baS Sorfommen
unb bie Slenge ber 3Bale unb Nußfifcße gefammelt »erben.
Sielleicßt »erben fibß aueß Heinere 3Bale unb größere gifeße
mit ber SBurfßarpune erlegen taffen. Naturgemäß fönneu
ßier nur einleitende unb nic^t feßon fßftematifcß organifirte
gorfeßungen in Setracßt fommen, »eit über baS Sorfommen
tion Nußfifcßen im ©übpolargebiet überßaupt noeß nießts be*
fannt tft.
©er 9lr§t ber ©Epebition »irb neben bem etmaigen
Äranfenbienfte, ber ßoffentließ nur geringe 3 e ^ erforbern
»irb, bureß eine forgfäitige Ueberwaeßung beS ©efunbßeits*
juftanbeS »ießtige Seiträge jur Sßolarßßgiene ju liefern Oer»
mögen, ©ie bejügließen Seobacßtungen berufen ißn jum Se»
ratßer beS SeiterS in ben gragen, bie ben ^auSßalt ber
©Epebition unb ißre SebenSmeife betreffen. 9lucß »eitere
pßßfiologifdße ©tubten fönnen bon ßoßem intereffe fein.
Gr »irb außerbem an ben Arbeiten beS Siologen tßeilneßmen
unb fie bureß Unterfucßungen über bie ©ntwicfelung ber
Organismen unb über ben Sieimgeßalt an Sa cterien erweitern.
Sßie jebet anbere ©ßeit ber ©EpebitionSarbeiten foH aueß
ber meteorologifcß»magnetifeße ber Serantmortung nur eines
©eleßrten obliegen, bem aber jur 9luSfüßrung ber 9lb(efungen
unb fonftiger meeßanifeßer Slrbeiteit genügenbe JpülfSfräfte
aus ber ©cßiffsbefaßung unb für bie ©urißfüßruitg ber
»eiteren jjeopßßfifcßen Arbeiten auf ber Station einer ber
©eßtffSofficiere ftänbig jur'Seite fteßen »erben.
©ie meteorologifcßen ©erminbeobaeßtungen fotlen »äßrenb
ber Steife, »ie fiblicß, alle oier ©tunben, »äßrenb beS 9luf»
entßaltS auf ber ©tation brei S?al täglidß tiacß bem Stuftet
einer Station II. Drbnung angefteHt »erben, gür SBinb,
Sewölfung unb 3lnbereS ift bie Organifation einer ftänbigen
fpimmelSfcßau WunfcßenSWertß. Stegiftrirapparate füllen für
Suftbrucf, SBinb, ©emperatur, gemßtigfeit unb ©onnenfeßein»
bauer Sermenbung finben unb, falls fie in ber ftälte tier»
fagen, bureß eingelegte ©erminbeobaeßtungen naeß Slöglicßfeit
erfeßt werben. Son befonberen Seobacßtungen »äßrenb ber
gaßrt finb folcße über bie Sage beS ©ageSmajimumS auf
bem Steere, über bie befte Slufftellung ber Stegenmeffer an
Sorb beS ScßiffeS, über ©ämmerungSerfMeinungen auf offenem
Steere unb über SBinbßofen angeregt »orben. gür bie ©tation
finb Unterfucßungen über bie ©enauigfeit ßßgrometifeßer
Steffungen bet tiefen ©emperaturen, fowie folcße in ben
ßößeren ©ßeilen ber 9ltmofpßäre in Sorfcßlag gebraeßt. 91 uf
»elcße SBeife unb »ie »eit biefe Seßteren auSgefüßrt »erben
fönnen, wirb feftjuftellen fein, wenn bie SallonauSrüftung
ber ©jpebition enbgiltig geregelt fein »irb. ©ießer ift, baß
ju geograpßifcßett SRefognoScirungSgwecfen ein geffelbaöoit mit»
gefüßrt wirb, für ben eine etwa jeßnmalige güQung unb
eine ©ragfraft, »elcße eS ermöglicßt, einen Seobacßter etwa
500 m ju ßeben, tiorgefeßen werben foH. gilt bie Senußung
beS SallonS »irb bie Stitnaßme tion conbenfirtem SBaffet»
ftoffgafe ber SJtetßobe ber ©elbfterjeugung beS ©afeS an Ort
unb ©teile tiorjujießen fein, falls baS comprimirte ©aS mit
genügenber ©ießerßeit tierfraeßtet »erben fann, toorüber noeß
©rfaßrungen abgewartet »erben.
©aS magnetifeße SlrbeitSprogramm ift noeß nießt enb*
gütig feftgefteUt, »eil eS ßierbei ttefentließ noeß auf eine Ser»
ftänbigung mit ber gleicßjeitig jur StuSfüßrung gelangenben
engtifeßen ©übpolar»6jpebition anfommen »irb. Sorbeßalt»
ließ biefer Serftänbigung unb ber Seacßtung anberweitiger
Natßfeßtäge ift für bie ©eefaßrt möglicßft eine täglidß ein»
malige Seftimmung bei magnetifeßen (Elemente mit bem
Normalcompaß, bejießungSweife bem gogapparat unb audß
mit bem ©etiiationS > 9J?agnetonieter in SluSficßt ju neßmen.
SZagnetifcße Sieffungen »äßrenb ber Sanbreifett finb eben*
falls tiorgefeßen. ©eSgleicßen foH ein befonbereS ©eWidßt
auf baS ©tubium beS ©üblidßteS gelegt »erben, nantentlidß
feiner gorm unb §öße unb bietleicßt aueß feines ©pectrumS,
»äßrenb Grbftrommeffungen über ben Naßmett ber ©jpebition
ßinauSgeßen würben. 3n Setbinbungen mit ben ©inrieß»
tungen für bie magnetifeßen 9lrbeiteit auf bet ©tation finb
geeignete Sorfeßrungen für ©rbbebenbeobaeßtungen ju treffen.
3 u biefen 9lrbeiten treten naturgemäß aftronomifdße Orts»
beftimmungen unb geobätifeße Sieffungen ßinju. ©auernbe
ßeitbeftimmungen finb felbfttierftänblicß; fie müffen in Ser*
binbung mit abfoluten Sängenbeftimmungen unb fßenbet«
meffungen befonberS ßäufig auSgefüßrt werben, ©ie grage, ob
bie ©fpebition mit ^ßolarßunben auSgerüftet »erben foH,
barf bureß bie auf bem ^internationalen ©eograpßencongrcß
in Serlin gefüßrten Serßanblungen als baßin entfeßieben
bejeießnet »erben, baß eine Sefcßaffuitg bon etwa 50 fjmnben,
bie eine tiollgiltige Sefpannung für brei ©cßlitten abgeben
Würben, notßwenbig erfeßeint. 3 War ift rießtig, baß bie
£>unbe für baS ©EpebitionSfcßiff unb feine Sefaßung eine
große Selaftung bebeuten, bie unter ungünftigen Umftänben
mit ben ju erjielenben ©rgebniffen tiießeießt nidßt im ©in»
Hang fteßen »ürbe. ©emgegenüber ift jeboeß tion autori*
tatioer ©eite mit Secßt barauf ßingewiefen »orben, baß man
fieß bureß Nicßtbefcßaffung tion fpunben tion tiornßercin eines
SetriebSmittelS begeben würbe, baS ju geiten feßwerwiegenb,
ja entfißeibenb in Setraeßt fommen fann.
©ine fernere ©rweiterung unb Sertiollfiänbigung ber
tion ber beutfeßen ©jpebition ju erßoffenben Grgebniffe ift
oon ber internationalen ©ooperation ju erwarten, bereu Orga»
nifation bureß bie Serßanblungen beS tiom 28. September
bis 4. October 1899 ju Serlin abgeßaltenen internationalen
©eograpßencongreffeS eine fidßere ©eftalt angenommen ßat.
Digitized by v^. ooQie
230
Die (Segetnoari
Set ©ongreß h«t ben — Don bem ißräfibenten ber Sonbonet
SRot)« 4 ©eographicaf ©ociett) für bie geplante englißhe unb
Don bent Leiter ber beutfdjen ©jpebition für biefe — bor»
geflogenen {Routen unb Drganifationen feine Billigung aus»
gefprodjen unb nur noch ^infic^tlidj ber magnetifdpmeteoro*
logifdjen Arbeiten nähere Vereinbarungen burd) eine inter»
nationale ©omniiffion geroiinfd)t. Sie Arbeitsteilung jntifdjen
ber beutfc^en unb ber ettglifdjen Sjpebition fdjiert bem ßon»
greffe jomol)l Ejinfic^tlic^ ber oom Schiffe auS norzunehntenben
gorfungen als auch h*uftchtlich ber au f f e f 4en Stationen
auSzuführenben Beobachtungen burd) bie beiberfeitig borge»
flagene {Routen auf’s Befte gegeben, ittbem barnad) ber
beutjchcn ©jpebition bie inbifc^»atlantijc^e, ber englifen bie
pacifife ©eite beS ©übpolargebietS jur Bearbeitung jufäUt
unb für bie Anlage ber §auptftatioiten bie beiben entfpredjenben
©eiten bes Bictortalanbea in’S Auge gefaßt finb. Sie ©tationen
mürben bann ju beiben ©eiten unb oiclleicht auch n ungefähr
gleichen Abftänben bon bem magnetijdjen ©übpol ju liegen
fommen. 3« ber englijdfen ©jpeDitton foll neuerbingS noch
eine jroeite fommen, bie auajchließlich bon ©chottlanb auS»
geht. Sie Kgl. ©chottifche ©eographifdje ©ejellfchaft in
©btnburgh h at bie Leitung beS planes übernommen. ©8
mirb ein 3ujammcnroirtcn mit ber britifc^en unb ber beutfehen
©jpebttion in ber SBeije beabfictjtigt, baß bie fottifche ge»
rabe bie Süden sroijchen ben {Routen jener beiben ausfüUen
foll. SSährenb bie beutfehe ©übpolarejpcbition im ©üben
beS Snbtjchen DceanS unb bie bnttjehe im ©üben beS Stillen
Dceans oorgehen trnrb, joll bie fctjottifdje in bie 2BebbeU»©ee
{üblich bea Atlantifchen Dceans oororingen. Sie BfebbeU»
©eeroute ift früher oon BSebbeU, BeUingshaufen unb {Roß
mit ©egelfchiffen befahren morben, nodj nie aber ift ein
Sampfer in biefcr {Richtung nach ©üben gegangen. Sie
Rührung ber ©Epebition h°t BJiliiam Bruce übernommen,
ber 1892 unb 1893 im füblidjen ©lameer uub feitbem fdjon
fünf äRal im nörblichen Bolormeer geroefen ift. Sie Aus»
fahrt ber roiffenjchaftlichen Unternehmung mirb mit ber ber
englifchen etroa gleichzeitig erfolgen, bie {Rüdteljr ift auf baS
Saht 19u3 feftgejeßt morben, menn nicht bie URittel noch
ein roeitereS Saht ber gorfchung geftatten.
©s ift zu roüujdhen unb nach ber roähtenb ber Berf)anb»
lungen bes ©ongrefjes berjchiebentlich gezeigten (Geneigtheit
auch z« hoffe«, Daß fidj noch anberc {Rattonen an ber nun»
mehr jdjou feftftehenben ©ooperation non Seutfchlanb unb
©uglanb entroeber baburch betheiligen, baß fie ihrerfeits fernere
Ba|ts)tatioiten in ber Umgebung bes ©übpolargebietS ober
audj ,m VorDpolargebiete für bie gleiche 3eit einrichten unb
in Shätigfeit h«Uen, ober bieUeicht auch baburch, bufe f 4e
gleichzeitige ©ipebttionen in bie Antarftis felbft entfenben.
©o planen bie Bereinigten ©taatett oon Amerifa bie ©rrf»
tung oon inaguett|d)en Db|eroatorieit bei BSafhington, auf
£amat unb tu Alaafa, bie burd} gleidjzeitige Beobachtungen
eine merthoolte ©rgänzung ber ©ubpolarfor|chungen zu geben
bermöchten. Bon Dieser ©eite t)« mürbe bie beutfehe 3>oeig»
ftation auf ben Kerguelen mieberum eine befonbere Bebeu»
tung gemiuuen, zumal ©nglanb non ber (Errichtung einer
gleichen Station auf iReujeelanb gefprod)en unb auch bie
thunlichfte iReuorgamfation ber magitetifdj»meteorologifdjeit
Dbferoatorien in stapftabt unb ÜRelbourne in’S Auge ge»
faßt hat. hoffen mir, baß beutjeher BJiffenfdjaft unb beutlet
Shatfraft ein ooller ©rfolg zu St) c 't toerbe.
Literatur unb Ituttß.
Die lex Ijeittje unb bie biibenben Äüttfllt
S3on (Suftar (Ebeilein.*) 4
Sie bilbenbe Kunft h«t zu aßen 3eiten Bei ben j
bölfern ber ©rbe bie haften Aufgaben erfüllt, ©ie n
bie SRenfchheit feit ihrer Kinbheit. SaS erfte ©tanuti
SBiffenjcfjaft, bie erften ©ebete hot fie gehört. ADe]
unb Bölfer bliden auS Schleiern, ©itte unb ©lauij
mit berfchloffener ©eberbe. Sie K'unft allein etfchll
{Rad)melt ben tieferen ©inn bet Vergangenheit. Sie:
mahre ®eficf)t ber Bölfer. 3h re £)ierogthPhen»Bilbs
ihre gefe« «nb {Runen, ihre Bilbmerfe unb Bautet;
unS bie ©efide, {Religionen unb bie ÜRad)tftetlung bei
in rebenben ©feinen überliefert, unb nur biefe finb bie 1
unantaftbaren Socumente aller ©ef«hichte. !
Unfere beutfehe ßultur, bie ftch auf ben zufamntengeff
in ihrem Vergehen noch gemaltigen Srümmern gried)tfd]
römifcher ©ibilifation mie ein gefunber ©fbaum !
entmidelt hat, formte bie .Kunft biefer frönen berfil
233elt zu einer eigenartigen ©ermanifchen. Ser faltete
macht unfer SEBefen herb unb fühl; unfer ©mpfinben il
innen gefehrt. Sod) aus reiner Seele quellen unfere j
Siefgrünbig finb unfere gorfer unb formenfnapp |
Bilbhauer. ©eit es beutfehe Kunft giebt, fpiegett fie b
nehmen ©igenfefjaften beS BolfScharafterS mahr unb!
fchniinft mieber. Sauter unb rein mie biefer ift fie gej
unb mirb fie bleiben, troß mancher unb immer miebertef
Bcrfuche, fie ßerabzufeßen unb zu berbächtigen. i
©d)Oit biele ähnliche {Reactionen, mie bie ihr jeßt bn
— bie, tnilbe gejagt, bem ÜRangel an Berftänbniß entfprj
hat fie fiegreieß überbauert. Unfere {ßflanzftätten ber f
bie Schulen uub Afabemien finb friebnotle, ernftg
BilbungSträgcr. Sie fräftigen ©proffen unb munN
Blüthen, bie bet burch unfere friegerifchen unb frid
©iege entfeffelte SebenSftrom ber ©egenmart getrieben,!
ein frol)eS Ahnen in unferer Bruft auffteigen, baß bie ii
Sunft bor hohen erreichbaren 3i«len fteht. Sft eS nui
ein bitterer £>ohn auf unfer Kämpfen unb {Ringen, bafj:
jeßt biefer giftige SBurm unS anhau^t, ba baS Seutfc^ej
bie beutfehe AuSftellung in ^?ariS bie grüchte unfereS {
unb ehrlichen ©trebenS auf allen ©ebieten bor ber
SBelt auSbreiten? SBit Ä'ünftler im meiten {Reiche,!
jeber ©ebilbete, ber im ©eifteSleben ber 3«> 4 fteht, fe^d
einem geheimnifjuoü»unheimlichen Vorgang gegenübi
SRehrheit ber BolfSbertretung h«t bei ©elegenljeit ber ©
berathuug in ihren Aeufjerungen bemiefen, baß mir|
burdjauS fremb finb. ©oOte eS möglich fei«, baß ti]
felben Berhältniß ein ähnlich großer Sheit beS ganzen
unfereni ibealen unb reinen SBolIen berf^loffen g?g|
ftänbe? Sann mödjtc icb im ^»inrneiS auf baS, md
bcu menigen unS SBohlgefinnten im {Reichstag ©utes
unS gefagt mürbe, bie einbringliche gorberung an baS
bcutf^e Bolf {teilen, bon nun auch noch mehr, noch 4 I
als eS bisher gefächen, unfere beutfehe fiunft auf fid) I
Zu taffen mit ihrer großen BübungSfraft, bie bie 2Rifq
Kampfes um baS täglidje Br ob meniger empfiuben täl
baS ©eifteS», ©efühlö» unb ©innenleben erhöht unb befl
in bie jugenblidjen |>erzen ben ©amen alles ©bien ftr
2Ber mie ich als junger SIRann an bem unbergel
Sage bes ©inzugeS beS fiegreidhen JpeereS am Branben
Sßor geftanben fj« 4 , bie Seele gefüllt bis jum Uebed
mit bem unbef^reiblichen Bilbe beS äRachtglanzeS nn
*) Unfer bereiter itnrbeiter, ber Sübfjauer ?rof. ®6
hielt als ©ortführer ber biibenben fiiinftler biefe Siebe f« ber '
beriammlung gegen bie auch heute noch brohenbe lex £>einje am 2 !
im Söerliner tnathhnufe. ®ie fRebactii
Digitized by v^. ooQie
Nr. 15.
Hie (Segentoart
231
©röße, Wcldje nun um unfet Sfaiferhau«, um ba« beutle
Solf fich gewoben, — tuet erlebt |at, tote bie fiegenben
©eutfdien weiter fich ba« innere Saterlanb neu eroberten, eS
auSbauten unb ißm bie ragenbe ©eftalt gaben, in ber e«
jefjt an ber ©pifce ber Nationen fteljt, — toer ben Seidjthum
an ftrdjfidjeit unb profanen Sauten, an SRonumenten unb
Silbern fieljt, womit beutfdje Äunft ihre ©täbte unb fagen*
umtoobenen ^iftorifd^en Stätten fchmüdte, — ber muß trauernb
fein §aupt oerhüßen, fdjaut er im ©eifte bie golgeit ber
lex Heinje. ©in 3 l, g gebeugter, öerhüBter ©eftalten, — bie
fünfte, ber unerhörteren geiftigen Seoorntunbung, oerftänb»
nißlofer polijei* unb fRcdjtSorgane fcEju^jtoä auSgeliefert,
fließenb jene ©tabt, bie ihnen eigentlich im ©tan je einer
©ralSburg leuchten foßte unb nun bem freien SEünftlergeifte
eine Qtoingburg tourbe, wo bie lidjtfdjeuen ©eftatten be«
©enunciantenthum« ungehemmt ihr Haupt ergeben bürfen. Unb
fürwahr! Sch glaube, wenn wir oecfucfjeit, in ba« gef)eimniß*
üotle ©unfel be« ©ntftehen« biefer ©efefce £id)t ju werfen,
jeigt ftd| ber üerftedte ©inn berfelben in ber jfnebelung be«
ganjen mobernen Seben« unb ©eifte« ber Station, ©rft wenn
griebßofftiße ba laftet, wo einft rekhgebarenbe« Seben fproßte,
werben bie unfeligen ©etoalten rußen, falt über bie ©rüber
unferer Hoffnungen btidenb.
9J?it ben ©lementen, welche biefen wie ©ummi nad)
allen Sichtungen hin beljnbaren Paragraphen beantragt haben,
oerbinbet un« fein Sanb. ®ie Seit, welche wir un«, non
ber ißoefie unb SEunft be« Sllterthum« erfüllt, in ber ©egen*
wart in unferem Snnern aufgebaut, au« welcher unfere
Serfe emporblühen, be« ©taat«fchu|je§ unb be« Seifafl« ber
Station bebürftig, ift Senen unberftänblich unb ein ©reuel.
Shre SKBaffe ift ba« ©efeß, ba« mit ©onner unb Stiften ju
bemüthigen getöbteten ©innen rebet. Unfere SDtacht aber ift
bie ©chönfjeit, bie auf leifen ©oftlen ben Seg in bornehme
unb ftarfe ©eelen finbet. Sene SRänner finb nicht im ©tanbe,
©efefte übet unfere SEunft ju formuliren, unb ieft fpreche ihnen
jebe ^ä^igfeit baju ab.
SEBenn nach § 184a, welcher ba« chriftlidje ©efüht ber
an ben ©chaufenftern Sorübergeljenben gefchont wiffen wiß,
©egenftänbe confi«cirt werben fönnen, Welche angeblich ba«
©chamgefühl berieten, fo finb biefe Serfe in ben Snnen*
rüunten bocf) auch al« ben ©ittengefeften wiberfpredjenb an»
jufehen. Unb ber Zünftler, ber mit üoßem Sewußtfein ihrer
©innenwirfung feine SEBerfe fchafft, Wäre nach ben 9lu8füf)»
rungen be« ©taat«fecretär« SRicberbing ftrafbar, fobalb ihm
bewiefen Würbe, baß er bie ©innenwirfung beabfichtigte. Unb
bodj muß ba« gerabe bie Slbficßt jebe« echten SfunftwcrfcS
fein; benn nur burdf bie Sinne geht ber Seg juiji Herjen
unb jur ©eele. Srbifdje« unb HimrnlifcheS hat fich im ooß»
enbeten SEunftwerf jur Harmonie oerfcfjmoljen.
@8 giebt nun ein funbamentale« Stecht ber ßuuft, welche«
ben Herren be« Sentrum« befonber« ein ©orn im 9luge ift:
©ent hö<hften Sorbilbe fotgenb formte bie bilbenbe Sunft ju
allen feiten ben naeften SRenfdften al« bie Ärone ber Schöpf»
ung, aber ba fie ihm nicht wie ©ott ba« Seben einhaiid)cti
fann, umgiebt fie ihn mit bem ©ewanbe ber Schönheit, bie
Hülle unb ©eift jugteid) ift. 9lud) bie Siffenfdjaft fudjt
nach ber naeften Saßrheit ber ÜRaturgefefte. Sa« thut ber
©ramatifer, ber dichter 9lnbere«, al« bie ©eele ju burch»
forfdjen, fie entfcßleiernb aßet entftellenben Haßen ju ent*
f leiben; bie SDtufif rüttelt ihre tiefften ©mpfinbungen wadf.
Unb ber SDtaler belaufet bie Statur oor 9lßem bort, wo fie
fich ß) m * n unOerhüllter Sahrljcit unb ©röfee jeigt.
Sollte man überhaupt ba« Solf mehr erjiehen, gerabe
ba« Städte al« ba« ©öttlidje unb baher al« ba« Steinfte unb
Äeufchefte ju fehen, fo würbe fich bie ungefunbe, überfubüntc
©chamhaftigfeit in natürliche ©ittlichfeit tierwanbeln. Slber
wieber einmal Witt man ben göttlichen Junten be« fronte»
theu« bem Solfe löfchen unb bie, welche ba« heilige geuer
ber Sunft fchüren, an ben Reifen polijeilicher ©etoalt fäjmiebeit.
®er Steidh«tag hat bie ißanborabüchfe ber lex Heinje
geöffnet, unb e« entftiegen ihr bie übelften ©erüche. Sir
waren bisher ber 9lnfic|t, in einem ßeitalter Oerfeinerter
Sitten unb unter ÜRenfdjen ju leben, bie eine erhöhte Sichtung
üor ben ©ittengefefcen al« gruefjt moberner Silbung empfanben.
®eren Geben burch bie großen ©ebanfen unferer $)idjter unb
iPhilafDpl) en unb ben ©influjj unferer reinen Stunft in eine
höhere Sphäre gerüdt fei: unb nun foUen wir eine« Slnberen
belehrt werben? ®er Slbgeorbnete Stoeren fagte wörtlich:
„Sa« haben benn eigentlich bie terbünbeten ^Regierungen
unfere« ®eutfchen Steiche«, mit ber SEunftgefchidhte, ben SEunft»
fdjähen unb bem Äunftgefdimad be« SaticanS ju thun?"
Sollte er nicht wiffen, ba| Sindelmann unb ©arften«, Seffing
unb ©oethe ber Seit burch ba« ©tubium biefer Sammlungen
eine neue, geläuterte $Eunftanfd)auung gefd)enft haben? ®afe
burch f’ e allein ©oethe un« bie „Sphigenie" unb anbere un*
fterbliche Serfe geben fonnte? Ohne bie ®cde ber ©ijtina
unb bie ©tanjen jRafael’S fein ßorncliu«, fein Stethel, fein
©efeUfcfiap, — ohne biefe claffifdjen SRufter unfere Stuhme«*
halle mit leeren Sänben. ©in etwa« tiefere« ©tubium ber
SEunftgefchichte fönnte ben Herren 91 bgeorbneten nicht« fdhaben! —
benn ein anbere«, münbige« ©efchle^t oon Zünftlern ift
erftanben; bie« beweift bie grofie heutige Sewegung, bie Wie
eine Sranbung jürnenber Sogen an ihre ©ijje fchlägt. Senn
Suther fagt: „®ie Seit wirb oon ©ott burch H e ^ en un ^
Wenige fürtrefflichc Seute regieret," fo finb bie lex Hei«S e *
gabrifanten nicht barunter.
®ie SBiffenfchaft, bie fich ein« mit un« fühlt, fj“t ben
©lementen hunbert mechanifche 3teprobuction«oerfahren abge«
rungen, bie ben reinen ©lanj ber Schönheit in unjähligen
®ruden unb ^h Dto g ra Phicn fetbft in bie ärmfte Hütte fenben.
Unb nun werben bie Urheber biefe« unheilooflen ©efefce«,
inbem fie e§ auf bie Sefeitiguitg getoiffer 9lrten oon Stepro*
buctionen abgefehen haben, beten Serftänbnifj fich aber ben
confiScirenben Seamten entjieht, bamit unmittelbar in ba«
Herj be« Solfe« treffen, ©enn gerabe für bie Hunberttaufenbe
im weiten öanbe unb in ben ©täbten, wo Weber SRufeen
nodh Sammlungen bem Silbungäbebürfnifj entgegenfommen,
finb Steprobuctionen echter SEuitftwerfe oft ba« einjigfte unb
werthooÜfte SRaterial.
©S ift nicht meine Slufgabe, juriftifd) auf bie ®efid)t«»
punfte einjugehen, unter Wellen biefe Paragraph«« anjufehen
finb. Sch glaube, Weber Oon Zünftlern noch Suriften finb
fie in ihren bebenflidjen golgen ju ergrünben unb ju ermeffen.
©ie 9lbfchwäd)ung«theorie, welche unter bem ©inbrud be«
ißrotefte« ganj ©eutfchlanb« oom ^Reichstag beliebt würbe,
— ba« allerbing« tierftänbnifjOolle ©ntgegenfontmen be«
©taatSfecretär« Siieberbing, ber H^ nto€ ^ auf ben Sformal»
fchufcmann, bie Serfprechungen, hinter ben ©efefcen ©rtäute*
rungen an bie Sichter ju erlaffen, — aße« biefe« hat un«
SEünftler boch nicht überjeugen fönnen, baff biefe in Siebe
ftcheuben Paragraphen bie ffiunft nicht treffen würben, ©enn
ber ©taatSfecretär fonnte fo wenig Wie wir felbft eine ©e=
finition eine« ed)ten SEunftwerfe« geben. Senn nun auch,
Wie ich höre, ein ßonfiftorium Oon fünf Sichtern berartige
gäfle in ßufunft aburtlieilen foßte, fo wirb felbft bei bem
beften Sißen ber Herren bie für fie beftehenbe ©chwierigfeit,
ein Wahre« Äunftwerf oon einem unfittlicljen SRad)Wer£ ju
untetfeheiben, unter Umftänben fchwere golgen für un« haben;
noch unberechenbarer werben bie ©efahren für un«, wenn ein
ganatifer etwa al« OberlanbeögeridjtSrath ben Sorfifc hätte,
©ie« Safiliäfenei ift aßerbing« ohne Sebenfen gelegt, junt
9lu«brüten Wirb e« hoffentlich nidjt fontmen.
SJieiner Slnficht nadh müßten @efcfce«maßnahmen, welche
eine ©efunbung fowoljl ber ©itten wie be« SEörper«, nicht
aflein be« beutfehen Solfe«, fonbern aßer Sölfer ber ©rbe
bi« in bie höchften ©efeflfchaft8fd)ichten bewirfen woßen, auf
einem ganj anberen ©ebiete eingreifen: bem mebicinifchcn.
©ovt liegt bie 9lufgabc, mit bereit Söfung bie ©taat«regierung
Digitized by v^. ooQie
232
Die (Setjtnntarl
Kit 15.
fic^ ein ewiges Dentntal fefjen Würbe: burdj unerbittliche
gefefelidhe ÜJtaferegeln bie furchtbare Äranfheit an ben SBurgeln
gu faffen, welche feit bent 15. 3afjthunbert bie beutfche Sugenb
Wahrhaft üernichtet.
Die Äunftparagraphen ber lex §einge aber finb gänglid)
überflüffig unb muffen fallen. DaS fchon beftehenbe ®efe|
genügt üoßfommett. 9ltfo fort mit §emmf<huh unb Änüttel,
freie Sahn unferer Äunft, freie fiuft unb Sicht im neuen
Sahrhuubert! Unfere üoUe Ära ft wollen Wir einfefcen, um
unferer 3 e *t unb ©ultur ben oornehmften Stempel aufgu*
brücfen, ben einer hohen Slütlje moberner Äunft
3ad)ttU0 auf allen Äinfjweihen.
SBon Hobert EDalbmüUepDuboc.
SDMnner, bie eS wiffen fönnen, uerfidjern, bafe bie ©hinefen
faft auSfchliefetidj oon SReiö leben, bie ©aucfeoS oon Ddjfenfleifch,
bieSübfee*3nfulaner oon giften. ©S Wäre für bie ißfhdjologie
wohl enblich einmal eine Statiftif über bie geiftigen ÜJtähr«
ftoffe, in Segug auf ihre ZonfumtionSgebiete, in’S Seben gu
rufen. SSie bann ©influfe auf eine rationellere Sertljeilung
biefer 9täf)rftoffe, in Segug auf ihre ©onfumtionSgebiete, in’S
Seben gu rufen fein wirb, Wäre eine weitere grage. Seber
Sauer weife, bafe fein Slcfer nicht jahraus, jahrein mit ber*
felben gruchtfaat befteflt fein barf, foß er nicht ben Dicnft
Oerfagen. Sn einigen ©cgenben verpflichtet fich ber Pächter
fogar gum ©infjalten einer feft geregelten, auf beftimmte Sah«
[ich erftretfenben 9Bechfel*2Birtljfchaft. 3Jtan blicfe fich bagegen
auf geiftigem (Gebiete um. SBo ift ba, fo Weit eS fich um
SDiaffen hanbelt, eine 9lf)nung Oon bet SBicfetigfeit eines geiftigen
Frucfet* unb ©rneuerungS*9Bechfe(ö? ©ewife, baS Serlangen
nach Steuern, nach Seränberung, wohnt ber ßRenfcfeheit inne,
neben ihrem entgegengefefeten Drange, bem ©emDtjnheitShange;
unb jenem Serlangen entgegen gu fommen, ift bie §auptforge
ber grofeen SJtehrgahl geiftig fßrobucirenber. 91 ber bie ®eifter
bennoch in einer beftimmten, giemtich eng begrengten Sichtung
feftguljalten, ift ebenfaßS bie §auptforge biefer nämlichen
SRehr^ahl, unb wirb eS auS guten ®rünben immer bleiben.
SBaS fich an folgen Sichtungen auch ohne ftatiftifche
DrientirungSfarte am Unüerfennbarften bem Sluge aufbrängt,
ift einerfeitS bie ber focialiftifchen, anbererfeits bie ber ultra»
montanen Siteratur. Sur üon ber Sefcteren foß hier bie Sebe
fein, unb gwar nur Oon einem einzigen ©eifteS*ißrobuct, baS
jebodj recht füglich ben nämlichen ©tnblid in eine gange Soben*
fchicht eröffnet wie ber ©rbfluntpen, beffen chemifdje 9lnalt)fe
bem glurabfchäger 9luffct)lufe giebt über bie Sefdjaffenheit
einer gangen 9lderhufe. Denn baS ift ja oor 9lßein, waS ben
UltramontaniSmuS auSgeidjnct: bafe er fich 3 *oar halb fo, halb
fo mifd)t, bafe bie 2J?ifd)ung felbft aber burdjweg auS ben
nämlichen Stoffen befielt. Wie auch bie gange |>ufe nur eine
SDtuttiplication ber ®ramme unb Zentigramme beffen bilbet,
WaS ber ©heinifer auf feiner SBage oor ftd) liegen hat.
©S hat fich ein Such auf meinen Schteibtifd) Oerirrt,
baS einen ©Ifäffer gnm Serfaffer hat: ©ebidjte auS bem
©Ifafe oon 91. §ämmerlin.
SBir haben Dänen unb tßolen unter unferer Seichtheit
unb oerlangen nicht, bafe fie unS bafür Dant wiffen. Un*
Vergeblich bleiben mir in biefer tpinficht 5 n>ei ©chilbwadjen
auS bem Sah« 1870. Die am Strafeburger Sorbthor
aufgepflangte, mit ber id) einige ©orte wechfelte, war Oon
ber jütifchen ©renge unb fpracf) nur bänifch- Die beim ©in*
gange in bie gerfdjoffene ©itabcße poftirte tonnte nur in
polnifcher Sebemünge herauSgcben. Sie tarnen mir Seibe
mifemuthig oor, unb id) oerargte eS ihnen nicht. 9lber im
„Sebhuhn", wo man beutfd) fprad) unb mich, toeil ich beutfd)
rebete, hoch fo fchledjt wie möglich logirte, hätte ich fdfier
Suft gehabt, bie gweihunbertjährige ©ingewöhnung bet ©Ifäffer
in fraitgöfifche Serhältniffe gu ignoriren unb auch für nichts
gelten gu laffen, bafe bie nod) rauchenben Drummer ber Stabt
oon beutfdjen Äanoniren unb beutfchen ©ranaten gar UebleS
ergählten. 2Bit hatten unS eben tn ben Äopf gefegt, bie
Sprache unb bie ehemalige 3 u 9 e hbrigfeit ber ©Ifäffer gum
heiligen beutfchen Seiche habe bafür geforgt, bafe man ftch
auch bieSfeitS ber Sogcfen immer noch als Deutfcfee emppnbe.
Sun, gang ift biefer fdjöne Draum nicht in ©rfüßung gc*
gangen. 2Bir werben uns in ©ebulb faffen muffen, aber
immerhin fieht unS ein Such, baS gu unS auS Strafeburg
herüber weht, mit 9lugen an, benen Wir freunblid) gulächeln
möchten.
Die etwas wortreiche ©inleitung, mit ber ich begonnen
habe, liefe wohl fchon oermutijen, bafe Oon folgern SBifltomm*
grufee bieSmat nicht bie Sebe fein foflte, bafe ich vielmehr
üon einer 9Irt geiftigen SährftoffS fpred)en Würbe, bie beffer
ungenoffen bleibt. Dies ift bennoch nur theilweife meine
9tnfid)t, id) Würbe fonft gang baoon fd)weigen. So mangel»
haft bie poetifdje Form ift, über Welche ber Serfaffer verfügt,
unb fo abgeftanben bie meiften feiner ®el)äffigteiten gegen
Äefeer, greigeifter, Freimaurer unb Suben finb, ber Umftanb,
bafe er augenfdjeinlich ber poetifefee ©horführer ber ©Ifäffer
©entrumSmänner ift, macht fein Such bo<h beachtenSmerth,
wenn bamit für ben Serfaffer auch nichts SerbinblidjeS gejagt
fein foß. 2Jtan hat bem Zentrum häufig ben Sorwurf ber
SatertanbStofigfeit gemacht. ©S wäre unbißig, wenn man
einem alten ©Ifäffer aus feiner SaterlanbSlofigteit einen Sor*
Wurf machen wollte. Sft er fo gtüdlid) gewefeu, feine frangö*
fifepen Sympathien gu überwinben, befto beffer für ihn; beim
langen Fronbiren fommt bodh nichts heraus. 9lber itnS9lnbem
ift eS nicht möglich, unS in feine Steße gu oerfefeen. ^>at er
oor ber §anb baS ©efühl, Weber nach ^ßaris no^ nach Setlin
hin gu gehören, fo ift er fchon auf gutem SEBege. Darauf
fpeculirt ja auch bie Ißoliti! Derjenigen, Welche im ©Ifafe oor
9lflem bie fonft mißliebige Ißflange, ben IßarticulariSmuS, in
Sucht genommen haben. F ra nfreichS Sepublil hat nun bafür
geforgt, bafe, felbft in poetifefeen Grgüffen, bie ©Ifäffer Ultra*
montanen [ich nicht in Sßefjffagen über ben Setluft ber belle
France ergehen, unb fo tonnte ber Sänger beS ©Ifäffer Zen*
trumS, als bie falfche Diadjricht Oon Sictor §ugo’S Dobe burd)
bie Slätter ging, ber frangöfifefeen ©mpfinblidjfeit gum Dro|,
feinen etwas plumpen IßegafuS gu folgenber Äraft*9Tpoftrop^
fpornen:
Sobt! ©o (chattet e8: Jobt —!
@in rtefig Ungctjeuer
Schieb au§ biefer SBelt:
§ugo, ber ®idjter, ift tobt.
Sdjmücfenb $immel unb Srb' —
3br Sonnen, ©teme unb ©hinten —
Subelt in fieHerem ®Ian»:
$ugo, ber Siebter, ift tobt!
28olten, Siebei unb .ffotlj,
Unb loa® fjinieben befnbeit —
Safet ben Jljränen ben Sauf:
^»ugo, ber ®icf)ter, ift tobt!
®u fcf)önbliibenber Snob’,
Unb ®u, o reijenbe 3ungfrau,
Qubelt im fdjneHeren ®anj:
— £mgo, ber ®id)ter ( ift tobt!
2J?an Wirb Vießeidht ber 9lnfid)t fein, ein Seelforger
bürfe felbft nid)t einem Feinbe fo harte ©orte in’S ©rat
nachrufen; hoch theilt fich ber Serfaffer fetter fchon in einer
aus bem Sahre 1868 ftammenben Dichtung bie Stoße eines
„©robfehmiebö" gu, unb eS wäre auch Unrecht, ju oertennen,
bafe fein eigentlicher Seruf, wenn auch nur tm bilbtidjet
Sinne, nach biefer Seite fein neigt. SBie gut weife er bei
berartigen Ipantirungen ben üoltSt|ümlichen Don gu treffen.
9J?an färe bie erften Strophen beS ©ebidjteS: „DeS ©rob*
fchmiebs Draum" (üon ihm felbft ergäbt):
Digitized by v^. ooQie
Nr. 15.
Die (Degentoari
233
„JRupenb faß icf) bot ber ©djmtebe
9Jad) genoff'uer Slbenbbrüf)’;
3(ul)’ war SSalfam jebem ©liebe
9iad) be8 Sagwert’8 patter SDlüt)’:
©inen jdimeren ©üterwagen
Hatt' icf) Eiente neu befdjfagen;...
— Xod) jum Sdjlaf roar’S nod) ju früfi.
Sonne war nod) nirfjt gegangen
91 u§ beS XuvfeS §äuferreil)'it,
©arf, wie glüp’nbe ©ijenftangen,
3pre Strahlen nod) herein;
®urcf| be8 WpfelbaumeS Slefte,
Spielten fiep als freie ©Äfte
Stuf ber Sdjntiebe genfterlein."
Unb nun fommt „eine Ijofje SBeibSgeftatt, rttcfjt ntefjr
jung, unb bocf) nic^t alt", bie Vernunft unb befteHt bei bem
©robfchmiebe „einen feften Jammer", unb charafterifirt ficf),
Wie folgt:
„©ciftig ift'mein Xpuit unb ffiefen,
©irtt nidjt bei be8 $)ir[d)eS SBrunft;
Stur für ©enfdjen auderlefen,
lieb’ id) ganj ln iprcr ©unft."
@ie fdjilbert barauf in mehr alg jtoanjig ©tropfen
alleg Ungemach, Welches Demagogen, ©ectirer, Ütätfje unb
dürften, um bag SBolf ju oerbummen, if)r fdjon angetan
haben unb immer nod) antljun, unb ba Wäljrenb biefer langen
©d|ilberung ber „fefte" Jammer fertig geworben ift, fo be»
beutet fte bem ©robfdjmiebe:
„Hämmern ift nidjt meine Sa die;
Sdjmieb, bieS ©erljeug pafjt für Xidj!
®e|', jertlopfe Xu bie Sepren,
®ie ba8 SJolf unb miep entehren:
©tproing' ben Hammer ®u für midj."
®er ÜJtame ^emmerlin fc^eint mit biefer ©teinflopfer»
SJiiffion fd)on fo ziemlich ju harmoniren. 2Bie ber ©rob»
fdjmieb fid) in ißrofa augbrüdt, wenn er in ben fogenannten
tpefccaplan=3eitungen ben Jammer fcf)Wingt, Derräth er ung
tn ber (Sinleitung ju bem oben citirten ©ebicf)t. (Sr f)ält fiel)
ba einerfeitg alg Slbraham a ©ancta (Slara unb rebet Don ben
©egnern ber Vernunft, b. i. beg ißapfteg, als §o(b= unb folb»
felige Sekret", ergraute ®octoren, unb „flaumige ©tod=
t^oren" u. f. w., anbrerfeitg befolgt er bie gut bewährte Sactif,
bem SSolCe etwas Unerhörtes, burdj bag eg angeblich bebroljt
Wirb, metapfjorifd) Dorjutrageit, unb bann burcf) ben 3 u f a Ö
„bag ift lein üJtärchen, bag ift2age3gefd)id)te", bag erfcfjrodene
SBolf glauben ju machen, eg muffe fid) thatfäd)ltd) bei Strafe,
bie hier auSgeführt Wirb, liinftig „bie Vernunft, gut SntcUi*
genj jerpuloert, päddjenweife mit ©ebraud)3anweifung um ein
ffpotjjefergelb laufen".
3<h habe ben Vetfaffer als ©eelforger bezeichnet, womit
freilith nicht gefagt fein Will, bah bie angeführten groben
feiner litcrarifdjen ihätigfeit jener Bezeichnung fonberlich
entfprechen. (Sr felbft Derfchweigt auch auf bem SCitel fein
geiftlicheS Slmt. Vielleicht hat er, wegen feiner poetifdjen
unb polemifdjen Begabung für bie Bearbeitung ber nieberen
Volfgclaffen fich feiner amtlichen ^hätigleit begeben bürfen,
ober bie 5Dtai«©efehe Derlegten ihm bie Kanzel. (Sin oon
1859 batirenbeS ©ebicht an ben hodjwürbigen ißater grepb
in 9tom gerichtet, läßt jebenfaHS Har erlennen, bah er ba»
matö ^rieftet war, unb zwar ein fchon ftart im Sümpfen
begriffener ^rieftet. (SS fdjeint aug ber 3efuiten*9Dtiffion jit
Bona in §tfrila an ben ißater grepb gerichtet, beutt es be»
ginnt mit ben Sßorten:
„3<^, auf Sluguftin’8 entweihtem SBoben ...
®u, o greunb, im ewig petl’flen 9tom! —
3<b umrungen t>on fforan=3 e l° ,en -
®u im Schatten bon St. if3eter’8 ®om!"
Unb nach einigen Verfen, welche bie heilige ©tabt uttb
ihre „mit JRiefen»Settern eingemeihelten ©laubenöpunlte"
feiern, feufjt ber SWiffionar fo: in Stfrila bagegen fei „STUeS
abgetragen, wag borbem bag Sreuj gefchrieben", unb ber
SSrrthum entreihe ihm mancheg ©chäflein, worauf er traurig
fortfährt:
„®u luftwanbelft im gebauten ©arten
Unb erquidft ®ich an ber 33lumen gier;
®ifteln nur feh ich bon allen Strten,
3eber Schritt führt mtdj auf ®omen §terl"
®ah er aud) im ®eutfchen 0?eicf)e offenbar lebiglich ®ifteln
unb Bornen fie|t, ift ein Verhängnih, bag ihn wie eine
fdjwarje SBolle begleitet. Sa, biefe SBolfe lann im „bunllen
SBelttheil" faum fo fchwarj gewefen fein wie bag Stiefengewötf,
bag ihm je^t bie ©alle in’g Blut treibt, benn in bem ©ebicht
„®ie ©onne unb bie SBolfe" erblidt er in ber SBolfe, welche
ben ©lang ber ©onne Demichten Will, nicht nur bie ihm Der»
äd)ttid)en Sieger, greigeifter, greimaurer unb Snben, fonbern
Dielmehr bag ©taatgoberhaupt felbft; fehltest ber ®id)ter hoch
wie folgt: „Unfere 5ftrd}e ift bie ©onne — unb bie SBolfe
— (Sin Ütegent". ®em ©ebicht ift jwar bie Sahregjahl
1854 beigefügt, aber 5ß. ^emmerlin hut im Sejte einen ganj
anberen 3 u f a l/ nämlich bie fßarantljefe „eine jeitgemähe
SlUegorie" gemacht, unb wer eg in feiner „O 81" erfdjienenen
erften Sammlung lieft, wirb wiffen, woran er ift. $)a ber
SD?enfd) übrigeng mit feinen höheren 3&>eden wädjft, fo erfreut
fich biefeg ©ebicht in einigen feiner zahlreichen Strophen eineg
größeren ©chwungeg, alg ihn Diele ber übrigen hoben, unb
namentlich bie gteube an bem Möglichen Untergange ber SBolfe
hat bie Sflufe beg ©robfehmibtg offenbar über ihr gewöhnlicheg
Sfraftmajj hinauggehoben. ©o f^ilbert Iß. Jpemmerlin biefen
ja fchon häufig in V to f a geweigfagten Vorgang:
Unb nun fc^ie|t auf breiftem glügel,
— 3orn unb ©roll im bunllen Sdjoofe, —
Site ein IRabenfc^warm bie ©olle
3luf bie pe^re ©onne Io8,
®af<pt im tollen Uebermutlje
©trapl um Strahl bem fildjte weg,
Säfet ber ©illlüt freies ©alten —
Unb geberbet fich gut frech.
Sieh — ba brauft Don weiten Sieeren
Salb ein mädjt’ger Sturm heran,
Ißeitfdjt bie ©olle auSeinanbet,
geget rein bie Himmelsbahn;
pfeift baju ein luftig Siebten,
®em jerftiebten ®unfl jum Hohn.
Unb bie ©onne? Sticht ein @träpld)en
3ft öerlegt an ihrer ^ron’!"
SBir haben mit bem Bebauern angefangen, bafj bie Statur
ber ®inge ganze große Kategorien ber SOtenfdhheit Saht aug
Sahr ein auf bie nämliche geiftige Koft DerWeift. (5g war
nid)t butchaug nöthig, babei einjig an bie Befer focialiftifcher
unb ultramontaner Seetüre ju erinnern. Seber weiß, baß
alle BeDormunbeten mehr ober weniger ber gleichen Sötonotonie
überantwortet finb, unb fie machen ja bte große SOtehtjaht
aug, einerlei, wag man fich watet BeDormunbung benfen mag.
^ier haben wir ung nur mit ber großen ©emeinbe ber 9töm*
linge, welche fo gahlrei^e Slbgeorbnete in ben SReichötag fenbet,
ju befdjäftigen gehabt, ober Dielmehr mit einem ber 9tähr»
ftoffe, bie Sahr aug Saht ein ihre Dorwiegenbe geiftige Koft
augmachen. Kein SBort Dom Vatertanbe in biefem 840 ©eiten
enthaltenben Buche, fein tpaudj ber gtenbe über ben griebeng»
einfluß, ber fich feit 1871 in (Suropa geltenb gemacht hat,
fein Schimmer Don $h e tf na h me » felbft nur für bie Derworrenen
Sebengfäben ber frangöfifchen Station, mit welcher ber (Slfaß
boch fo lange eng zufammen gehalten hat, fein (Spitheton ber
©hrfurcht Dor anberen Sterblichen alg Dor bem römifdjen
$ßapfte unb feiner tonfurirten Slrrnee! Unb bennoch hat biefer
gef^madlog gebliebene 9teimf<hmibt mehr alg nur poetifdjen
®rang. 3 to iWen ber SRaffe Don, fo zu fagen beftettter Slrbeit,
blifet eg zuweilen bichterif^ auf, unb zu bem .Verbruß, ben
ißm offenbar fein Berufggefchäft beg ®iftelföpfeng unb beg
©robfehmibthämmerng bereitet, müffen Wir ben weiteren fügen,
ihn jenen BeflagenSWertljen zuzuzäf)len, „bie ihren Beruf Der»
fehlten", bie bag 3 eu 8 Z u etwag Befferem hatten. (5g Wäre
Digitized by v^. ooQie
234
Die ftegetuoari
♦
Nr. m*
in feinem ®orfe, toenn er benn burdjauS ©robfcfjmtbt merben
rnufjte, geteife audj in Söirflic^feit als folget für iljn ein
©djurjfeu unb ein 9tmbo3 ju befdjaffen gemefen. SBarum
ftecfte man iljn in’3 ^riefterfeminar?
„©4, wo ift metn ®eimathlanb,
$)em mein $er$ gewogen,
©k mi4 treue äxutterhanb
©orglt4 aufgejoaen!
C, wo ift mein 3)orf!
©ei’S au4 luftig, fei'S au4 f4ön
4?ier im ©tabtgetümmel;
Sßeine fteimath mö4t’ ich fehn
$)ort nur ift mein Fimmel,
9htr in meinem 3)orf!
©o Ijat er einft in jungen Sauren geüagt. SSefct
mac^t er ©päjje über SRfidert’ö „inbifdjen ÄüfjefdjtDanj",
über ©oetfie’8 „feibenen ©c^Cafrocf non 2)amaft(!)" unb
Reifet ©djiflet einen „eblen jC^oten!" SBeldje Äoft für
unfere mit Strömen teuren SBlutö mieber ertaufteu Sr über!
--*-*-*•-
^euiffeton.
- 9ta<$brutf üerbotett.
Der Wann.
(Sine englifdje ®arnifonSgef4i4te*
©on Hnbyarb Kipling.
©hafefpeare fagt irgenbwo, au4 ber lleinfte ©htrrn — eS fönnten
ebenfo gut Ütiefen wie 3nfecten fein — winbe fah, wenn er getreten
werbe. 3)aS ©efte ift eS alfo, einen ©3urm nic^t au treten, nicht ein«
mol ben jüngften ©ubaltem«0fficier, ber eben erft auS (Snglattb an«
gelangt ift, beffen Uniformhtöpfe noch blanf finb, beffen ©kngen noch
baS SRoth be$ foftigen englif^en töinbfleifcheS höben.
#ter bie ©efdjichte eines ©krmS, ber fah gefrümmt hat. $)er $ürae
halber fei nämlich #enrp SRamfap Saipaure einfach „ber ©kmt" ge«
nannt, obwohl er ein recht bübfdjer 3unge war, ohne ein Härchen im
©eftdjt, ber bie Süfa eines SRäbdjenS aufwieS, als er au ben aweiteu
©chülarriS !am, wo er fo mancherlei ©ergerniffe erlebte. $)ie
©^illarriS finb ein auSerlefeneS Regiment, unb wer ba was gelten will,
muh fchon etwas ©efonbereS leiften lönnen, im ©anjofptelen, im Seiten,
©ingen ober Äomöbienfpiel. Selber verftanb ber ©Burm gar nichts, als
Dom ©ferb au fallen unb beim Sohren bie Xharpfoften au bemoliren.
3)o4 baS würbe mit ber Seit einförmig. (Sr Verachtete 58^tft, bur4-
lochte baS ©illarbtuch, fang falfd), §iett wenig auf fah unb fchrieb ©riefe
an ©Rama unb ©chweftem. ©iet Don biefen fünf Gingen gelten bet
ben ©djiWarriS als Safter, bie auSgeroitel werben müffen. S)arum
chicanirten fte ben ©8urm nicht wenig, aber ber nahm ©lleS gebulbig
hin. (Sr war fo gut, fo ängftlich a u lernen bemüht, er lonnte fo heftig
erröthen, bafj feine (Sraiehung halb aufgegeben war, unb er Don Sillen
fich felbft überlaffen würbe, ausgenommen Dom §auptntann, ber fort«
fuhr, bem ©htrm baS Seben fdjwer au machen. (Sr meinte eS nicht
fchümm, aber er war etwas grob unb muhte nicht au rechter Seit ein«
auhalten. (Sr hatte au lange auf fein ©vancement warten müffen unb
baS Derfauert immer; auch war er verliebt, unb baS machte ihn bösartig.
fltochbem er eines $age$ bem ©htrm wieber einen ©treich gefpielt
hatte, gab er ben ©ericht barüber in ber SReffe aum ©eften. 2)a ftanb
ber 28urm auf unb fptadj mit feiner ruhigen S'amenftimme:
„2)aS ift ©HeS recht fdjön, aber ich wette eine ©knatSgage, i4
aahle eS Shucn in einer SBeifc heim, bafj ©ie 3h* Seben lang baran
gebenfen werben, baS Ütegiment aber auch noch, wenn ©ie längft tobt finb."
(Sr fprach bicS ohne Sorn, unb bie SReffe lachte. $>er £muptmann
fah ihn Don unten nach oben unb wieber auritef an unb antwortete:
„föilt, ©abt)!"
$er ©Jurnt rief bie übrigen Uameraben als 3 cu gen an unb a*>8
fah mit füfjlühem Sächeln au einem ©udje a u *ücf.
Swei SRonate vergingen; ber $jauptmann fepte fein (SraiehungSwer?
bei bem ©ktrm fort. 34 habe bereits bemerft, bafj er verliebt war.
3)aS (Srftaunlichfte babei ift, bafj ein junges SWäbchen ihn liebte. Cb«
wohl ber Oberft unangenehme ©emerfuitgen machte, bie SRajore brummten,
bie verheirateten &auptleute altflug lächelten, unb bie jungen Cfficierc
fpöttelten, waren ©eibe Verlobt. Unb fo eifrig war er mit feiner (Som«
pagnie unb feiner ©raut befepäftigt, bah er barüber vergab, fah weiter
mit bem ©3urm a« befdjäftigen. 2)a$ Räbchen war hübfth unb hatte
©elb. ©ie fommt übrigens in btefer ©efchichte nicht weiter Vor.
©ei ©eginn ber ©ommerfape fajjen eines ?lbenbS alle Cfficiere
Vor ber 3Reffe auf ber Plattform ber Kantine, ausgenommen ber SBurnt,
ber auf feiner ©tube fah, um nach ber ^eimatb ju ftretben. 3)ie
^ufacapelle hatte ihr Programm abgefpielt, hoch deiner bachte baran,
ftch au entfernen. Sluch ^ ©auptmannSfrauen waren anwefenb. 3)1 e
2h°*h«tt eines verliebten ARanneS ift unbegrenat. 3)er ^auptmann
würbe nicht mübe, bie ©oraüge feiner ©erlebten au preifen, wobei bie
5)amen auftimmenb nirften, bie SRänner aber gähnten, ©löplich mürbe
im 3)unfel baS Häufchen von S*auengewänbern Vernehmbar unb eine
mübe, fdjwache ©timme fragte: „?So ift mein Gtette?"
34 will gegen bie ©ittli4feit ber ©4iKarrlS ni4* baS ®eringfte
gefagt haben, aber eS ift $hatfa4e, bah bei biefer S*age alle 9Rann in
bie §öhe f4offen, als wären fte getroffen worben. 3>rei Von biefen
waren Verheiratet, ©ieüeitt erftrafen fte, weil fte ihre Stauen fo
plöplit von ber ^eimath angelangt glaubten. 3)er ©ierte meinte fpäter,
er fei nur bem 3wpulS beS ?lugenblicfS gefolgt.
2)ann rief jene ©timme wieber: „C Sionel!"
Sionel war ber 9?ame unfereS ^auptmaiinS. (Sine S*au trat
näher, ftreefte bie 2lrme na4 ber bunfeln ©teile auS, wo er ftanb, unb
feufate. SBir SlUe erhoben unS unb fühlten, bah j*pt ft4 etwas ereignen
müffe, unb waren bereit, baS ©4Ümmfte a« ertoarten. 3u ber Keinen
SBelt, wie bie unferige, weih utan fo wenig vom Seben feines $ä4fan,
bah mau leineSwegS überraf4t ift, wenn plöpluh ein Sufammenbrut
erfolgt, ©ieüeitt war ber $auptmann in feiner 3ugenb in bie Saüe
gegangen; SRänner werben ja oft in biefer SBeife gefangen. SBir wufaen
eS ni4t, wir wollten eS aber erfahren, unb bie CfftcierSbamen waren
fo begierig wie wir. ®ing er wirfüt in bie SaHe, fo war er au cnt=
ftulbigen, benn baS aus ber Seme gelommene S*au4en in ftaubigen
©4uhen unb grauem SReifetteib fah mit ihrem fchwaraen &aar unb
groben thränenvollen klugen fehl* lieblüh auS. ©ie war ftlant, hatte
ein f4öneS ©eft4t, unb ihre f41u4aenbe ©timme war rührenb. 5CIS
ber ^auptmann aufftanb, ftlaug fte ihren Slrm um feinen Warfen unb
nannte ihn „mein Siebling"; fie hätte eS nicht längerallein in (Snglanb
auShalten fönnen, feine ©riefe wären fo !ura unb Falt gemefen, fte wäre
fein bis an’S (Snbe ber ©Seit, unb ob er ihr beleihen wolle. 3)aS Üang
juft ni4t fo, wie eine Sabt) au fpre4en pflegt; eS war au Ieibenf4aftli4-
SeöenfaHS f4ienen bie 3)inge fehr arg. 3)ie CfficierSfrauen blietten ben
£>auptmann fehr ftreng an, unb baS (5Jeft4t beS SRajorS gli4 bem jüngften
Xag. deiner fpra4 aunä4ft ein SBort. (Snbli4 fagte ber Cberfl !nra:
„9tun, ^err?"
2)ie 3)ame f4lu4at* auf r S 9ieue. 5)er ^auptmann, halb erbrüdt
von bent Slrtn, ber ihn umf4lang, feu4te faft tonloS: „©erbammte Säge!
©kr in meinem Seben ni4t Verheirathet!"
,,©4wörett ©ie ni4t!" mahnte ber Cberft. „©eben wir htuein,
bie ©aepe in'S Mare au bringen."
Unb er feufate babei, benn er hielt etwas auf bie ©foral feiner
©4iftarriS. ©ttr begaben unS ©de in baS beffer beleu4tete Dorbere
3intmer, unb hie* erft fahen wir, wie f4ön biefe S*au war. ©ie ftanb
in ber ©titte, auweilen erf4üttert vom ©Seinen, bann wieber ftola bie
Slrme nach bem §auptmann auSftrecfenb. ®S war wie ber vierte fcet
einer Xragöbie. ©ie eraählte unS, bah ber #auptmann fte geheirathet
hatte, als er Vor a4taehn ©knaten mit Urlaub au &aufe war; att4
Digitized by v^.ooQle
i
5.
Die töejenroart.
235
festen fte Don feiner gamilie unb feiner Vergangenheit Ade« ba« gu
wiffen, wa« wir wupten, unb nod) Diel mehr. ©r fap weip unb fapl
au« unb Derfudjte pie unb ba in einen Sturm Don ©orten au«gubre4en.
©ir Anbern fapen nur, wie lieblidj fie war unb wie Derbredjerifd) er
au«fap, unb Rieften Ipn für eine Veftie f4limmfter Art; aber er tpat un«
bennod) leib.
34 werbe nie ba« piüpli 4 e@rf 4 «inen ber©attin unfere« $auptmann«
bergeffen. Au4 er gewip nüpt. ©8 bra4 fo jöp, fo unangelünbigt au«
bem Tuntel peroor in unfer übe« Sebeit. Die DfpcierSfraueit fianben
im ©tntergrunb; 4 re klugen teudjteten, unb man erfannte, bap fie
bereit« überzeugt waren unb über ben fpauptmann ba« Urtpeil gefällt
batten. Der Oberft febien um fünf Sapre gealtert. ©iner ber ©ajore
bef4attete feine Augen mit ber £>anb unb betrachtete prüfenb bie grau.
(Sin gweiter faute an feinem S 4 nurrbart unb lächelte ruhig, al« ob er
einem S4aufplet beiwohnte, ©eiter oben bei ben ©pifttlf4en war ber
Xecfel bamit befchäftigt, nach gliegen gu f 4 nappen. 34 erinnere mi 4
an Ade« fo beutli4, al« ob 14 eine Sß^otograp^te baDon in ber £>anb
hätte. 34 erinnere mi 4 au 4 an ben © 4 r eden«au«brucf auf be« $aupt«
mann« ©eff4t. ©r fah au« wie ein Gehängter, nur Diel intereffanter.
S4Kepli4 ertlärte bie Dame, ber #auptmann habe auf feiner linten
S4utter ein F. M. tätowirt. Da« war un« Stilen au4 befannt, unb
unfere unf4ulbigen ©emütper f4ienen nun Dölltg überzeugt. Do4 einer
ber lebigen Majore bemerfte fehr häfti 4 :
„34 glaube, meine ©näbige, 3 P* Drauf 4 ein würbe bem 3 merfe
beffer bienen."
Sie fuhr empor, fah ben £auptmann wüthenb, ben Oberft, ben
©ajor unb alle Anberen ärgerli4 an. Dann weinte fie rnieber, gog au«
ihrer Slufe ein Rapier unb fpra4 gropartig: „£>ier, nehmen Sie! Unb
taffen Sie e« meinen hatten, meinen gefepluh angetrauten ©atten laut
Dorlefen, wenn er c« bermag!" Allgemeine« Staunen, ©iner fah ben
Anbern an, al« ber £>auptmann ba« Rapier nahm, ©r f 4 wanfte, feine
Äeple war troefen; bo 4 al« fein ©lief auf bie S 4 nft fiel, bra 4 er in
ein raupe« Stottern au«. Dann fagte er gu ber Dame: „Sie junger
S4etm!"
Unb bie Dame eilte gut Spür pinau«.
Auf bem Rapiere aber ftanb gef 4 rteben:
hiermit wirb beftätigt, bap t 4 , ber ©urm, bem £errn £>aupt=
mann meine S4ulben alle begaptt habe, ferner, bap ber §err $>auptmann,
laut Veftimmung Dom 23. gebruar, wie bie Äameraben.bezeugen, mir
eine Dolle ©ouat«gage in gefepli4er ©ährung be« 3wblf4en Vei4e«
f 4 ulbet . . ."
(Sine Deputation würbe na4 ber ©opnung be« ©urm« entfanbt
unb fanb ihn im UmKeiben begriffen. Aber fo wie er war, mupte er
hinüber fommen, unb bie S4ittarri« jubelten ihm fo laut 511 , bap bie
Artilleries©effe perüberf4iclte, um au4 wa« Don bem Spape gu haben.
34 glaube, wir Alle, ber Oberft unb ber §auptmann aufgenommen,
waren ein wenig enttäuf4t, bafj ber Scanbai in 9Ji4t« gewonnen war.
D 04 ba« ift nun einmal menf4U4- ®« gab nur eine Meinung über
be« ©urm« DarfteÜung«funft. Al« er mit un« na4h er auf bem Sopha
fag unb wir ihn fragten, warum er nie wa« baDon gefagt habe, bap
ßomöbiefpielen feine ftarfe Seite fei, antwortete er ruhig:
„34 mö 4 te au 4 gar ni4t, bap 3 b* mi 4 barum befragt hättet:
üp pflegte gu £mufe mit meinen Scpwepern Dheater gu fpielen."
Do4 ba« Alle« ertlärt no4 ni4t be« ©urm« Virtuofität. $erfünti4
finbe 14 bie Sa4* ja ni 4 t fepr gef 4 macfooll, überbie« au 4 gefäprti 4 -
©an fod ni 4 t mit bem geuer fpielen, au 4 ni 4 t gurn S 4 **g.
Die S 4 iKarri« ma 4 ten ipn gum Vorfipenben be« bramatifepen
Aegiment«=&(ub«. Unb al« ber $auptmann feine S4ulb begaplte —
Wa« auf einmal gef4ah — ftiftete ber ©urm ba« ©elb für Decorationen
unb ©opume. ®r war ein guter ©urm, unb bie S4ittarri« finb ftolg
auf ipn. Da« ©ingtge, wa« pängen blieb, war, bafj er Don nun an
„grau ftauptmann" genannt würbe, unb weil e« jept beren gwei in
unferer ©ompagnie giebt, fo entftept lei 4 t eine Verwechslung.
jtn* bet JiauptJlabf.
Die Jntemention.
9?a4 ©ittpeilungen meine« fieibblatte«.
I.
©an taffe fi4 bo4 ni4t Don ben aübeutf4cn S4rciern betpören,
ben blutrünftigen Darren, bie unfer Vaterlanb in taufenb Abenteuer
ftürgen unb mit aller ©eit Derfeinben wollen! Um ihren, oft re4t felbfi-
fü 4 tigen ^>ap gegen ©nglanb büpen gu fönnen, ma 4 cn fie in 93uren*
greunbf4aft unb bef4impfen einen Staat, mit bem un« ein ©epelm*
Dertrag, ja, luie ©r. ©hamberlain neuli4 anbeutete, fogar eine Alliang
Derbinbet; einen Staat, beffen $errf4erhau« bem geliebten unfrigen nape
Derwanbt ift unb beffen eprwürbiger Äünigin unfer ^aifer erft Dor furgern
einen längeren Vefu4 abftattete. Unfere Sefer wiffen, ba& wir 93i«marcf'«
Derfeplte unb Derberbli4c 3«lanb-^5olitif Aufopferung unb
opue S4cu Dor autograppirten Strafanträgen befämpft haben. Aber ba«
pält un« ui4t baDon ab, fein ©erf, foweit e« unfterblüp ift, gegen bie
Angriffe Politiker ©infalt«pinfel in S4up gu nepmen, gumal wenn
biefe Dröpfe mit feinem erlau4ten tarnen frebfen. Vi«mardf war ein
erbitterter geinb ber fentimentalen ^prafe, er leprte un« Realpolitik
treiben, unb er inüngte ba« ©ort Don ben 5hto4en be« pommerf4en
©renabier«. ©enn aber ni 4 t einmal bie Söfung ber orientalif 4 en
grage biefe ^no4en wertp war, um wie Diel weniger bürfen fle bann
in Sübafrifa auf'« Spiel gefept werben! Vefreien wir un« alfo mit
bi«mavdif4er $raft Don bem faulen Sauberbann ber $P* a fe, non ber
fentimentalen Vewunberung unb Vemitleibung ber corrupten Vuren=
republifen! ©nglanb trägt bie ©ultur unb bie ©iDilifation na4 @übs
afrifa, ©nglanb will bie« ©ebiet ber eprli4en Arbeit unb bem gort=
f4ritte erföliefjen, ipm bie Vilbung be« Saprpunbert« bringen — foQ
e« ba wirtli4 Dor bem felbftfü4tigcu ©infpru4 roper unb Derberbter,
befte4U4^ SclaDenpalter gurüdf4rerfen, bie ft4 in ihren Äleibem gu
Vett legen, fi4 wo4cnlang ni4t Waf4en unb Weber f4reiben no4 Icfeit
tonnen? Die Vuren empfangen nur ben woplDerbienten Sopn für ipre
fleingeiftige AbfonberungSpolitif; je eper pe unter englijdje ^errfepaft
fommen, befto beffer für pe. ©enn ni 4 t«beftoweniger in Weinen beutf 4 en
^epblättem ber Ruf na4 3«t^«Uan laut wirb, fo genügt e«, biefe
^irnDerbranntpeit gu belä4eln. Die englif4en unb bie beutf4en S « 5
tereffen fließen, wie überall auf ber ©eit, fo au4 in Sübafrifa gu=
famnten.
II.
©emijj, ni 4 t tpeilnapmlo« fann unb barf (Suropa bem Reibens
tampfe be« tapferen Keinen Völf4en« gufepen. ©« ift gang unnötpig, un«
bie« in groben ^Briefen mit Abonnement«fünbigungen Kar macprnguwoQen;
wir tennen unfere 5ßfli4t opnepin, unb unfere Öefer fottten eine« Keinen
©ifjoerftänbuiffe« halber ba« Vlatt ni4t gleüp maffenweife abbepellen.
9to4 haben Rec^t unb ©ere4tigfeit eine Stätte in ber ©eit; no4 empürt
P4 in ben alten (Julturnationen jebe gafer gegen ben ©ebanfen, bap
f4nöbe 3?afffu4t, bap ber Derf(u4te junger na4 ©olb ein parmto« Volt
Don $h:ien um greipeit, ©pre unb Vaterlanb bringen fofl. Unfere ßefer
wiffen, bap wir bei Au«bru4 be« Kriege« biefelbe ftreng unparteiifepe
Haltung wie heute eingenommen haben, unb man wirb biefe Haltung in
Sonbon wopl gu f4äpen wiffen. Aber gerabe, weit wir ni4t gu ben waptt-
pnnigen ©nglänberfreffern gepüren — obwopl wir ©pamberlain’« SRaubgug
ebenfo erbittert Derbammen, wie irgenb eine, in angef4minfter Vuren*
liebe f4wimmenbe (Joncurreng=3cÜUttgf uw« bergeben« Abonnenten
abguringen fu 4 t — gerabe beppalb poffen wir, bei ben bomepm ge»
pnnten Vritten ©epör gu pnben. Diefer ^rieg ip eine S4anbe für
ba« po4pergige Atbion, unb je eper e« bie Anpiper gum Deufet jagt,
befto beffer für feinen ©eltruf.
©uropa« Spmpatpien, wir wieberpolen e«, gepüren bea Vuren.
Von biefen lobenSmertpen ©mppnbungen aber bi« gu einer Snterbention,
wie fie in ntan4en, gweifetlo« gutmeinenben, jebo4 politif4 wenig Der=
Digitized by v^,ooQLe
236
Die (SegentDßri
Nr. 15;
ftrten Greifen verlangt wirb, ift naturgemäß ein weiter Stritt. 28er
©nglanb ntc^t oßne Notß töbtlicß beleibigen will, ber barf jept nicht bon
©tnmifeßung fpreeßen. ®ie Suren finb in unbeftrittenem gortfeßritt,
bie englifeßen #eere liegen irrten allerorten gelähmt gegenüber, noeß
immer ßat fteß ber Sieg an ben Sierlleur geheftet — wäre eS nießt eine
Unfreunblicßfeit fonbergleicßen, wenn ©uropa ober gar $eutfcßlanb auf
baS gebemütßigte ©nglanb nun nodj irgenb welken 2)rud auSübte? Außer*
bern bebürfen bie triumpßirenben Suren gur geit unferet tätigen £>ilfe
gar nießt. Sie werben oßnebie« mit bem SBtberfac^er fertig, ©rft in
bem Augenblicf, wo ©nglanb feinen 28affenrußm wieber ßergeftetlt bat
unb Dßm Paul« Scßaaren im Nacßtßeil finb, wo ber ebentueflen ©ins
mifeßung alfo fein geßäjfiger ©tadjel mehr anßaftet, erft bann bat ©uropa
baS Necßt, eingufeßreiten. 3)ann brauet e« aber auch nicht mehr gu be*
fürchten, beS großmütbigen ©nglanb« feines ©ßrgefüßl unb National*
ftolg gu fränfen. AllerbingS, fobalb biefer Augenblicf gefoinmen ift, bat
bie gnterbention auch unbergüglidj gu erfolgen. Pflicht unb ©ewiffen,
©ibilifation unb griebenSliebe gebieten eS unS.
in.
©ronje gefangen, bie Selagerung bon Sabpfmitß aufgehoben, Sloem*
fontein eingenommen unb goubert geftorben — bie Surenfabneu finlen
gur ©rbe, ber englifdje Seoparb bat feine Seute in ehernen pranfeit.
gft e« nicht unbegreiflich, baß baS blöbe gnterbentionSgefchrei auch jept
noch nicht aufßört? gtt ehrlichem Niugen bat ©roßbrittannien feinem
©egner niebergeworfen, baS Slut feiner beften ©ohne riefelte über bie
fteinigen §änge Natal« unb beS DranjefreiftaateS — unb nun forbern
gewiffe §eppolitifer unfere Regierung allen ©rnfteS auf, bie Neutralität
gu brechen unb ©nglanb um bie grüeßte beS müßebotlen, feßönen ©iegeS
gu bringen? 2Bäre nicht ein Auffcßrei ber ©ntrüftung burch unfere
beimifchen ©aue gegangen, wenn ©nglanb 1871 auf feiner ©inntifdjung
beftanben hätte? $ie Sonboner ©taatSmänner bachten bamalS weife
unb freunbfcßaftlicß genug, um SiSmarcf gewähren gu laffen; fie wußten,
baß fie fich fonft ben unauSlöfdjlicßen £>aß eines gangen SolteS gugießen
würben. 2Btr aber feilten unS beS guten alten Spruchs erinnern:
28a« S)u nicht willfi, baS man $>ir tßu', baS füg auch feinem Anbern gu.
AuS unferer Sbmpatßie für bie tapferen Suren haben wir im
©inberftänbniß mit unferen lieben Abonnenten nie ein $eßl gemacht,
unb wenn fie fämpfenb untergeben, fo werben wir ihr hartes ©c^icffal
bon £>ergen betrauern. Aber ein AnbereS ift eS, als unberantwortlicher
Untertban feiner Abneigung gegen gewiffe Praftifen ©ecil SßobeS' fräf*
tigen AuSbrucf gu berieten, ober als berantwortlicher Staatsmann gu
banbeln. ©raf Sülow, bem baS Sertrauen feines faiferlichen §errn
boH unb gang gehört, weicht feinen gotl breit bon bem erprobten Pfabe
biSmardifcher ©epßogenßeiten ab. 2Babrlicß, eS bebarf ber boshaften £>in=
weife auf bie gaßrt naeß 2Binbfor nicht, unb ebenfo wenig ber unflätigen
Lebensarten bon neubeutfdjer $rinfgelber=PoIitif, um ©raf Sülow an
feine Pflicht gu erinnern, ©r fteßt ber fritiflofen Sewunberung eng*
lifeßen SBefenS ebenfo fern wie bem fanatifeßen ©nglänberßaffe; füßl
unb nüchtern berfolgt er bie ©reigniffe unb trifft bei gelten feine 2flaß*
nahmen. 28ir erinnern nur an bie gfottenborlage unb bie Sorpebofaßrt
nach Köln, ©ein ftaatSmännifcßer Sinn bat flar erfannt, baß eine
gnterbention gur geit gwecfloS ift, weil baS ftegreiche ©nglanb ßocßmütßig
jeben unerbetenen SermittelungSborfcßlag gurüefweifen würbe, ©ine
folcße gurüefweifung aber bebeutete eine feßwere biplomatifcße Nieberlage
2)eutfcßlanbS, bie erfte, bie wir feit bem Nlärg 1890 erleiben würben.
$eutfcßlanb ift, fo berfteßt ©raf Sülow feine Aufgabe, auch heute
noch &er ehrliche SNafler ©uropaS. gn $>eut[d)lanb berförpert fid) baS
NeutralitätSprincip. $eutfd)lanb läßt bie Kämpfer auf bem fübafrifa*
nifeßen Soben gewähren unb waeßt barüber, baß SranSbaal nießt baS
günbßölgcßen werbe, an bem ficß ein 2Belt?rieg entflammen fann. £)arum
ßält eS mit Strenge nießt nur auf feine Neutralität, fonbem ift auch
11 m biejenige anberer Nationen beforgt. $err Krupp erßielt nießt bie
©rlaubniß gum Serfanb ber ißm oon ©nglanb beftellten, für ©iibafrila
beftimmten ©efeßoffe. Unb wir glauben fein ©eßeimniß auSgupIaubent,
wenn wir mittßeilen, baß Portugals fefter ©ntfcßluß, bie ^elagoabui
nießt gu oerfaufen, ben 2)urcßgug englifcßer Gruppen alfo unter feiner
Sebingung gu geftatten, größtenteils auf beutf^e ©inflüffe gurüdgufüßren
ift. Unfer Auswärtiges Amt ßat an ben in Srage fommenben Stellen
barüber leinen gwetfel gelaffen, baß eS fid) gur unbebingten Neutralität
nur fo lange oerpflicßtet füßle, als anbere Staaten biefe Neutralität
gleichfalls beobachten. $>er falte SSafferftraßl ßat trefflich gewirft. SBir
unfererfeitS halten eS für ein Nteifterftücf Sülow'S, baß er bie Suren
fcor einem ßeimtürfif^en Ueberfaü fdßüpte, oßne hoch auS feiner Neferfce
ßerauSgutreten unb ben ©nglänbern Anlaß gur ^lage über einen utt*
freunblicßen Act gu geben, ©rinnert biefe Äunft, ftaatSmännifcße Neu*
tralität gu waßren, ben SBeltfrieben gu feßirmen unb boeß gleicßgeittg
bem LecßtSbewußtfein beS beittfcßen SolleS, feinen innigften ^ünftßen
gu genügen, nießt an SiSmarcfS glängenbfte Xßaten?
IV.
3Bogu ber Särm? 2Btr wußten atte feit gaßren, baß ber Staat«*
Oertrag Portugals mit ©nglanb ben Sriten jebergeit freifteüte, Gruppen
über Seira naeß Nßobefien gu feßiefen. S)aß ©nglanb Don biefer au«*
brücflicßen ^ureßmarfeß=©rlaubniß ©ebraueß maeßt, fann Niemanben
SBunber neßmen, ber ba glaubt, StaatSoerträge würben abgefcßloffen,
um auSgefüßrt gu werben.
Nun wollen wir nießt in Abrebe ftellen, baß granfreidj, als Se*
fiper NtabagaSfarS, aüerbingS guten ©runb ßat, bie lepten Sorgänge in
^elagoa mit Mißtrauen gu betrachten. SBirb bie S)elagoabai englifcß, fo
Oerliert baS mit fo großen ©elb* unb Ntenfcßenopfern eroberte Königreich
ber §oöaS gang bebeutenb an SBertß-für unferen weftlicßen Nachbar, ja,
wirb gu einer ©efaßr für ißn. <5)0% baS ift, wie gefagt, feine Sache.
SBären wir ein Sarifer Slatt, fo hätten wir baS Necßt, non einer Ser*
lepung ber Neutralität gu fpreeßen unb SnterbentionSpläne gu erörtern;
unS Skutfcße aber geßt ber Sorfaü burcßauS nicht« an. So tbörießt,
anberen Nationen bie Kaftanien aus bem geuer gu ßolen, fmb wir
feßon längft nießt meßr, unb aueß bie Lode beS ^auSlnecßteS Oon ©uropa
fagt unS oergweifelt wenig gu.
V.
inwieweit Nußlanb auS ben englifcßen Seriegenßeiten Nupen
gießen miß, unb ob ficß §err Nturamiew wirflicß mit 3nterbentionS*
ibeen trägt, barüber ift ßeute nicßtS SeftimutteS gu melben. ©S Hegt
ja auf ber §anb, baß eine fo günftige ©elegenßeit, fid) eingumifeßen,
für baS garenreteß in ßunbert gaßren nießt wieberfeßren wirb, unb man
ift woßl berechtigt gu ber erftaunten grage: SrutuS, feßläfft 5)u? 3>ie
Petersburger Negierung ßat nur nötßig, gugufaffen, unb bie reife ©olb*
frueßt Perfien fällt ißr in ben Scßooß. Sie braucht ißre ©enerale nur
nieberfteigen gu laffen in bie inbifeße ©bene, benn baS fonnige Sanb ber
^inbuS ift oon britifeßen Gruppen entblößt. Nießt lange meßr, unb fte
werben gurücfgefeßrt fein. 3>ie ©unft berStunbe ift bann berfäumt. Seiber
macht ficß auch am ruffifeßen ^>ofe, wie wir feßon fo oft mit Sebauern
feftgefteflt ßaben, englifcßer ©inffuß geltenb; Kaiferin Alefanbre contre*
carrirt bie ©ntwürfe SNurawiew'S unb Oerßinbert bie gnterbention ge*
rabe beS europätfeßen Staate«, ber bureß feine Sage unb feine Ntacßt*
entfaltung am eßeften bagu berufen wäre. — Abonnements für baS neue,
Cuartal neßmen alle Poftanftalten entgegen.
VI.
^£)aß bem Sfutbergießen ein ©nbe gemacht werben muß, biefe Hebevr
geugung brießt fid) in ben Sereinigten Staaten bon Norb*Ametifa
immer meßr Saßn. 3)ie burenfreunblicße Agitation maeßt täglich ßtöfe
gortfeßritte, unb wenn N?c. Kinlep ficß feinen Präftbentenfip erßalten WiC,
bann wirb er bem Segeßren beS amerifanifeßen Solle« ©eßör feßenfex
unb eine gnterbention borbereiten miiffen. Unb in ber £ßat — feiner
Nation liegt in bem SNaaße bie Pflicht ob, gu ©unften ber Suren ein*
i ^
Digitized by v^.ooQle
Die Cßegentoört
237
Zufcpretten, mie bcr amerifanifcpen, uitb feiner mirb eS burd) ihre herz*
lidje greunbfepaft mit ©nglaitb fo leidet gemalt. Sie Suren fielen in
bem felben, ferneren greipeitSfampfe, mie vor punbert gopren bie Rorbs
anterilaner. SRöge fiep baS ©ternenbanner bei 3dten ouf feine rupm=
reiche Vergangenheit befinnen unb feine hohe Aufgabe erfüllen! SRöge
im näcpften Quartal bie amerifanifthe Suterveution erfreuliche Spatfadje
gemorben fein! Wer baS Abonnement nic^t fofort erneuert, läuft ©es
fahr, unfere Qeitung am 1. April nicht rechtzeitig zu empfangen.
VII.
©erabe ein gemeinfchaftlicher ©epritt ber mittleren Mächte, an
ihrer ©pipe bie ben Suren ftammverrnanbten ©taaten £>ollanb unb Sel=
gien, mürbe feinen ©inbruef nicht Verfehlen unb bie Qbee ber Snterfcention
populär machen, ©chmeben, Sänemarl, bie ©cpmeiz, ©panien unb bie
Würfel, in ihrem ©efolge vielleicht Hreta, Reub ältere Stnie, ber tongo^
ftaat unb Monaco, fönnten ben ©robmäepten einen ©chritt erleichtern,
ber getpan merben muh unb mtrb, menn anberS ©uropa fiep nicht
emigen ©emiffenSbiffen auSfefcen mW. — Unfere Sefer erfehen auch ouS
biefer Darlegung, mie emft eS unS um unfere Surenfreunbfchaft ift.
SBir bitten befjpalb, baS Abonnement vertrauensvoll fofort zu erneuern
unb unS bie trüben ©rfaprungen beS lebten Quartals zu erfparen.
vm.
tiefer graufige SRorbanfcplag, ber baS neue Quartal fo erfepütternb
einleitet, Vernichtet mie §agelmetter jebe Hoffnung auf balbigen griebenS*
fcplub in ©übafrifa. ©nglanb banft mit unS in Kirchen unb Kapellen bem
Ijimmlifcpen #errn, ber baS theure Seben beS geliebten ^ringen unb Sprons
folgerS fo ftcptbarlicp befepüpt unb bem Färber bie Qbee eingegeben hot,
feine Waffe nur mit burchauS unfchäblichen Slafcpatronen zu laben — aber
finb bie Sormürfe ber SinteS gegen bie überreizte Surenfcpmärmerei, bie
bem fünfzehnjährigen $eroftrat ben Revolver in bie $anb gebrüeft hot,
nicht berechtigt? Wahrhaftig, bie europäifchen Regierungen unb befonberS
bie mit ©nglanb in fo Vertrautem Verpältntb ftehenbe beutfehe foüten
nicht länger zögern, ber grage eines AuSnapmegefe&eS gegen bie ©ng=
lanbhe^er näher zu treten, ©ie mären beS SeifaüeS aller verfiänbigen
Elemente unb aufrichtigen Patrioten fteper. ©ipibo’S VerabfcheuenSs
wertpeS Attentat gegen baS geheiligte .gaupt eines ber liebenSmürbigften
SRenfcpen unb vornehmften Prinzen ift ja, San! bem ©ingreifen Roherer
Mächte, ©ottlob mißlungen. Wer aber bürgt unS bafür, bah bie Sons
art einer gemiffen V*effe nicht neue ©iptbo'S fepafft? Unb möge bie
Suren sRegierung an bem fcpmacpvoHen Verbrechen nun fcpulbig ober
fchulbloS fein: nach biefer ©chanbthat barf fte auf bie gntervention beS
mit Recht entrüfteten ©uropaS nicht mehr rechnen. Caliban.
Dramattfdjt änpfyntngett.
„©evatter Sob". ©in SRärcpen Von ber Rtenfcppeit. Srama in fünf
Aufzügen von ©berharb Hönig. (Hgl. ©chaufpielhauS.)
9Rit ben jüngeren Richtern, bie ftch in bemühten ©egenfafc zu ber
©auerfopls uno Magenbittern sSramatil ftellen unb über fte hinaus
ftreben, hol ©berharb Hönig nichts gemein, ©r bringt bunfle ©pmbole
auf bie Sühne, perfonificirt ben Stob unb meidjt alltäglicher £eben3=
tvirfliepfett auS, nicht, meil er bie Hleinlunft ber lepten zehn Söhre burch
eine Hunft ber großen Sinien Verbrängen miU, fonbern meil er noch
Völlig in ber eigentlich übermunbenen, trivialen Romanti! von anno
Sobacf fteeft. ©S ift noch menig Originelles in ihm, tropbem er ftch
bebenllicpe 9Rüpe giebt, eigenartig zu fepeinen, unb baS Sefte an feiner
Arbeit fiitb bie Anlehen, bie er allenthalben macht, „©evatter Sob"
präfentirt fich als eine umfangreiche Sefefrudjt, über beren gmeef unb
3nholt ©berharb Honig felbft nicht recht llar gemorben ift. UnS märe
bic frifdje Unreife ber 3ugenb, bie ben ©ebanüenballaft verfchmäht unb
über ber greube am finnlichen AuSbrud ben heiligen ©eift ventacpläffigt,
lieber als biefe forgenvolle, auSgef(ügelte, zerfahrene gauftiabe. Honig
münfeht mehr ju geben, als er hot, mentgftenS einftmeilen hat, unb feine
hübfehe VerSbegabung zerreibt fiep an Aufgaben, benen fie bei Weitem
nicht gemachten ift. ©o vermiet man hinter bem mirren Vprafengeflingel,
bäS unerhörte, tiefgrünbige Wahrheiten einläuten z u mollen fcheint,
immer mieber ben ©ebanlenfern, ärgert ftch, menn ber Autor bie felbfts
verftänblichften ©elbftverftänblidjfeiten zehnmal pomphaft umhüllt, mie
eine 3ulflapp:£ebermurft, unb anbererfeitS vor lauter RebenSarten ben
gaben Verliert unb es feinen Hörern überläßt, fich beim WorU©eflapper
etmaS *u benfen. SaS Srama erinnert baburch Verzmeifelt an ftillofe
©cproinoelbauten, bie ber Vupanmurf retten foH, ober an bie Programms
Rluftl gemiffer moberner Auchfpmphoniler. Surd) bie unleibliche ©es
fpreiztheit ber VerSfprache verliert man baS 3ntereffe fogar an Hönta'S
pübfcpen Iprtjcpen Salente, baS bei einer einfacheren, ehrlicheren Se*
panblung beS ©toffeS fixere Wirfungen auSgeübt hätte.
Ser Sob, ein intereffanter, gutmütiger £err, hot bei ber Saufe
beS £äuerfopneS ^änScpen Vatpe geftanben unb ihn, ber meber bie gurept
noch baS Weib fennt, fpäter zu einem ber mit Recpt beliebten Verträge
überrebet. ^änScpen muh geloben, bem Sobe ein mWiger Siener zu fein:
„Wenn ich baS $aupt Verfagenb fcpütteln muh,
©rfepmeige jeber Wunfcp uno jebeS glepen,
Unb jeber Srop vor meinem ftummen Rein.
Sod) menn ber fepmaepen ©elbftfucpt Su verfällft
Unb iprem finbifepen ©mpörermapn,
Unb rüttelft mit ber fepmaepen Hnabenfauft,
Sem OhnmacptSlrampf beS lapmen ©rbenmillenS,
Am Unabänberlicpen — mepe Sir!
§anS Verfielt ben von Rotpabjectiven unb glidfmörtern mimmelnben
©cpmulft. ©r empfängt vom ©evatter einen ^eiltran!, ber nur
bann hilft, menn ber Sob nichts bagegen pat. 3Rit bem Wunbers
mittel bemeprt, ^ie^t er als gefeierter Arzt burch bit Sanbc unb
überläpt bem ©enfenmanne Anfangs geporfam jebeS Opfer, baS er
Zeicpnet. A6er natürlich bleibt bie Rebellion niept auS. An'S ©terbes
bett einer polben iprinjcfftn berufen, ringt #anS mit feinem Rteifter
um fie — unb ber merfmürbig entgegenlommenbe Sob überläßt bie
©cpöne bem ftep verAmeiflungSvott geberbenben 3üngling. ADerbingS
niept opne ipn zum Öopn für feinen Ungeporfam einen graufen glu^
in’S ©efiept zu fcpleubern. SiS pierper ift Hönig'S Sbeengang begreifs
liep, obgleich bie gülle ber ©eftepte unb ©pmbole ftep aegenfeitig er=
feplägt unb Verbunfelt. WaS nun aber folgt, ift fpielerifdje leblofe
Speaterei. $anS peiratpet bie V^ n Z c &r Z eu gt fogar ein Hinb mit ipr,
verliert fie bann im RleereSfturm unb feprt fd^liehlicp als gebrochener
©reiS in ben heimatplicpen Walb zurücf, mo ipm fozufagen ein Wiebers
fepen mit feinen Sieben, allerpanb ©pah mit einer netten gee unb fcplieh s
iiep ber Sob befepeert mirb. ©S ift fcplecpterbingS niept erlennbar, maS
Honig mit all' bem £>in unb §er bezmerft. R?an merlt mopl, bah er
unS auf fämmtlicpe §öpen unb Siefen beS SafeinS führen mW, ba er
jeboep bie einzelnen VPofen ber $anblung niept miteinanber zu verfnüpfen
verftept, fonbern bie Silber unvermittelt nebeneinanber fe^t, fo erzeugt er
in unS nur bie trifte ©mpfinbung, bie allzu langes ©arouffetlfahren
pervorruft. RiemalS fommt bazu auep nur vorübergepenb eine ermärs
menbe unb feffelnbe ©inpeitltcpfeit ber ©timmung auf. ©tatt beS frop
lebenbigen MärcpenS fepen mir eine blutlofe, bürre Abftraction, bie mit
Sobtentanz=Motiven auS allen möglichen Sichtungen aller möglichen
Stcpter auSgefcpmüdt ift. Hein 3® c if^r £> err Hönig lieft zu Viel unb
ftettt feinen guh auf TOCtionen ©oefen. ©r follte einmal Verfucpen, baS
Zu fepeinen, maS er ift, unb eS mtrb ipm bann vielleicht gelingen, zu
unfern Kerzen zu fpreepen, ftatt mie jept zu unferm ©rinnerungS»
vermögen.
Offene Briefe unb Jlnftuorten.
©(^Cufetoort jur Reform ber ©ilb^auerei.
©epr geeprter ^err!
Um ber guten lünftlerifcpen ©aepe, bie icp in meiner ©eprift
„Seprjapre in ber Vlaftif - z u vertreten glaube, barf icp miep mopl mit
Spnen freuen ü6er baS liebevolle Verftänbnih, mit bem in ber vorigen
Rümmer ber „©egenmart" fo pervorragenbe Hünftler mie SegaS,
©berlein unb Hlinger auf bie Von mir gehegten 3&een, unfere Vlaftif
mieber zu einer zeitgereepten, groben Hunft zu erheben, eingegangen fiitb
unb öffentlich ipr ©utaepten über biefelben abgegeben haben. R?ir felbft
ift überbieS eine grobe Anzahl von 3ufiintmungSbriefen bebeutenber
Hünftler aus Seutfcplanb, Oefterreicp unb granlreicp zugefomnten, auS
beren ftattlicper Reipe icp nur bie Rameu ber engeren gadpcoDegen
Vrofeffor RJpSIbeef (Vtog), ^ermann $apn (SRüncpen), ©. Sitter^
li(p (Wien), ^rofeffor A. ©eparff (Wien) unb R. ©arabin OßoriS)
Digitized by v^,ooQle
23$
Die ©egenwari
perborpeben wiE, bie in feltener Uebereinftimmung bic Serwtrflicpung
ber borgefcplagenen Reformen wünfepen unb ihre S)ringlicpfeit anerfennen.
3 <p könnte inöbefonber» fein llarere», einbringlicpere» ©ort an ben
(Schlug ber fepönen SMScuffion, bie ©te angeregt paben, ftetlcn f als bie
©orte be» oben erwähnten auSgegeicpneten frangöfifepen Stlbpauer»
El. ©arab in, ber ba» ©efentlicpfte ber Eebanfen, bie miep bet ber
Elteberfcprift meine» Sücplein» bewegt haben, in ber fepönen, prägnanten
©teile feine» Srtefe» gufammenfaßt, bie icp ohne 3tvif^ n ^^ e pierpers
fepen will:
„3cp h^be eben 3prc Sörofcpüre gelefen unb beeile mich, 3h»cn bie
gange noHe greube, welcpe mir 3hre Ausführungen bereitet höben, au»~
gubrüefen; bie greube, gu wiffen, baß icp einen EoEegen höbe, welcher
bie 3been mit mir thcilt, bie ich ouf eigene gauft feit einem Söpre in'8
Sraftifcpe umgufepen fuche. 3<P höbe 3h**ö Eebanfengang in einen
e infachen, flüchten ©aj gebracht, ber ba helfet: donner une forme
k la matiöre et non donner de la mati&re ä une forme.
Unb ift e» nicht bie festere Art fiinftlerifcpen Sorgepett», welche unfeliger=
Weife in öffentlicher tfunftfcpule angewanbt wirb; unb ift bte» nicht ber
Erunb, baß wir heute nur mehr ERobeEeure in £pon hoben, bie nur
um ihr ©ert „bauerhaft" gu machen, e» in ©tein, Marmor, Sronce,
Holg übertragen taffen, ohne fiep Elecpenfepaft abgulegen über ba» Material,
beffen Eigenheiten fie gar nicht fennen! Unb beßpalb hoben wir feine
Eenie», ober felbft nur originelle, perfönlicpe Äünftler mehr; beßpalb
gleichen alle ERarmorwerfe Fronten unb alle Sroncen bem Marmors
wer!."
HocpacptimgSboE
©ien, 5. April 1900. <£. bfellmer.
3Cotfi<n.
S)er S)orffepulge. flomöbie in toter Acten bon ßarl Silf.
(Berlin, 3uiberg unb Seffon.) ©ie in einem neueren Xpeaterftüde
©erbilität unb Jßebanterie, welche fich hte unb ba in Seprerfreifen geigen
follen, gegeißelt werben, wie fchon ber große frangöfifepe flomöbienbiepter
ftdj über bie Unwiffenheit unb ben gacpbünfel, welchem bie ERebiciner
feiner 3eit überall geigten, luftig gemacht, fo hot nun Sflß ber=
fucht, bie aflgugroße ©chneibigfett gu geißeln, welche fiep befonber» bei
jüngeren ERitgliebern geitgenöffifeper ElicptercoEegien guwetlen geigt. Ster
Helb ber SJomöbie, ber bulgarifcpe S)orfricpter, hot freilich Urfacpe gu
biefer ©chneibigfett. Ein gutmütiger, allenthalben nachfichtiger unb
gurn Sergetpen geneigter ERamt, h°t er e» al» S)anf für biefe ERilb*
pergigfeit erlebt, baß er bon feinen Säuern bei jeber (Gelegenheit genarrt
unb gepänfelt wirb. S)a» ift ber Erunb, weßhalb ihn bie pübfcpe
©irth»tochter, bie er, ein ftattlicßer ©ittwer, ixmfreit, gurüefweift. ©ehr
begreiflicher ©eife fcplägt nach folcpen Erfahrungen bie Eutmütpigfeit
unfere» S)orffcpulgen in ba» gerabe (Gegenteil um. Er giebt in ben
folgenben EericptSfifcungen nun Seweife größter ©arte unb Elücfftcpt8=
loftgfeit. „Sch will ba» Soll gufamntenfepmeißen, ©afdjlappen foEen
fie mich nicht mehr peißen!" 3ulept empört fich Me ©emetnbe gerabegu,
bi» ber ©cpulge, gerührt bon einer Elebe feine» Xöcptercpen», feinen
gepler einfiept unb Alle» mit ber £ocpgeit be» $aare§ in grieben
fchließt. S)te Äomif ber ftch ou» biefem Serlauf ber £anblung er=
gebenben ©eenen ift bon bem Serfaffer fehr glücflich auSgenupt unb in
gewanbter poetifeper SKction behanbelt. 3« ber „(Gegenwart" würbe
unlängft bei einer Sefprecpung ber ©eimaraner Söprpunbertwenbe eine
berfepoflene fatirifepe ßomöbte fin de si&cle auSgegraben unb babei ba»
Sebauem barüber auSgefprocpen, baß 1900 eine ähnliche Dichtung noch
niept perborgerufen pabe, obwohl e» in Siteratur, $unft unb öffentlichem
Seben noep biel weniger an gu geißelnben Xporpeiten feple, al» gu
©cpiEer'8 3*tt. $arl Silfc, bem wir fepon ein paar pübfcpe arifj
flomöbien berbanfen, foEte fiep ben bantbaren ©toff niept entgej
©ir haben unlängft an biefer ©tefle bem poüänbifcpetl
riften, ©atirifer unb Somppletiften SKultatuli (Sfeubonpm fül|
einen längeren Effai) gewibmet. ©eitper fäprt fein begetftertr
feper, ©ilpelm ©popr, in feinem Unternehmen fort, un» bti
feine» „Abgotte»" gu bermitteln ober, wie er fiep au»brücft, „ben:
gu fepenfen. Ein neuer Sanb enthält ben Elontan „®tay fiobj
(EJltnben, Srun».) Unfere Sefer werben fiep erinnern, baß
ber Autor felbft ift, ber bie pope SeamtenfteEung eine» Affiftc
benten bon Sebaf auf 3öba einnapm unb naep feinem in feterlid)
rüftung berlangten Abfcpieb au» SanbeSbienften feine fepr merf]
Erfahrungen in ben 9lieberlänblfcp=3nbifchen Sefipungen in gang \
fünftlerifdjer Einfleibung in biefem Sucpe nieberlegte. E8 ift
rifcp=tragifcper Eolonialvontan, in welchem EJlultatuli ©aprheit uj
tung gufammenmifept unb fo ein Slunftwerf bor un» pinfteEt.
mittelbarfeit unb Srtfcpe be» ©erfe» ftnb bon großem 3ouber,
in bem weiteren Sanbe „SiebeSbriefe", Ein ©eelenbrama in
Srofa^ unb SerSbicptungen. ERay, in bem ber prometpeifepe
lebenbig ift, ©cpönpeit unb Sreipett gu ertropen, wirb bon
ba» ift ber ©eltgeift, gebaept in ber 3form einer actiben unb gum :
infpirirenben S^^fon — burep aEe ©ecpfelfäEigfeiten be» ERenfcpenli
burep große» 2eib pinburep feiner pöcpften Seftimmung gttgefüprtjf
aEe» ba» feffelt mit feiner fragil, mit feinem ©umor, mit feiner i
unb ©tegftimmung ben Sefer ungemein. E» entftept eine ©pati
wie im Eioman, im 2)rama; man füplt, wie 3Ray übermannt wirb
Unrecpt unb ©cpmerg, fonberbar wirb, mübe, franf. Unb bann er
ganep, unb fie fdpenft ERaj, wa» fie berpeißen: „Erft ben ©iEe
nun bie £raft... unb am Enbe ben ©ieg!" 2)ie eingeftreuten mol
tenbengiöfen gabeln, ba» große Eebicpt bon ber „Äreugigung"
bie ©trafprebigt an bie ©äpler ftnb burcpauS bebeutenb. 2)ie
fepung bon ©ilpelm ©popr ift meifterpaft, unb wir ftnb begierig
„bie Steutfcpen" feine für unferen Eefcpmacf etwa» berftiegene Se^
rung tpeilen werben. ScbenfaE» war ERultatuli ein S)icpter unb
bient unfere Sewunberung unb unfere fiiebe.
2 )e» aSfetif^en, wcltberleugnenben rufftfepen ERoraliften XoJ
ergreifenbe» ©eelengemälbe „Auferftepung" erfepeint gleicpgeitig
mehreren beutfepen Ausgaben, bon benen bie bon Ab. §eß überf
unb ebenfo gefcpmacfooE auSgeftattete ber beutfepen SertagSanftali
©tuttgart mopl ben Srci» berbient. dagegen fepeint bie ^enbcl
Ausgabe gang befonber» berufen, ba» perborragenbe Sucp ben bt
©epiepten be» gebilbeten ßefepublicum» gugänglicp gu madpen, bem
ift bi» jept bie biüigfte. Sei belannter borgüglicper AuSftattung
fie in boEftänbiger, ungefürgter Ausgabe geboten. Seigegeben ift
Silb Xolftoi'8 unb ein über ben Autor unb fein ©epaffen orientirei
Sorwort bon grang Äweft. 2)ie Ueberfepung ift borgüglicp; fte
mittelt ba» feffelnbe ©erf in fepr getreuer ©eife.
Ettepr Eoetpe! Son Elubolf &udj. (Serlin, E. ERc
Ster ben Öefem unfere» geuiEeton» woplbefannte $umorift unb
rifer wiE unfere 3 e U wnb gumal bie Literatur unb ^unft wieber
Eoetpe gurücffüpren. S)amit man ipn aber niept mit ben lanbläufi
Eoetpeapofteln unb berufsmäßigen Eoetpeppitotogen berwecpfelt,
er mit einer föftlicpcn Serfpottung ber Eommentatoren unb Siograpl
bie „mit ber (Grünbung granffurt» burep bie Elömer anfangen, um
Enbe be» 20. Sanbe» glüefliep bei ber Eeburt bon Eoetpe , 8 Eroßb
Xeytor angulangen". Eoetpe ift ipm alfo ba» AE =Heilmittel fihr
©cpäben ber Qzii, aEe ©cpwätpen unb AuSwü^fe unferer ©iffenfd
aEe Äranfpeiten unb Elarretpeien ber Literatur unb Ihmft. Unb
©ünbeuregifter ift bon ber anfepnlicpen Eröße einer Seporeflo-Sifte.
erft friegt Serlin fein Speil ab, bie „treue Hüterin ber wapren,
fadjen unb feufepen Äunft". ©eine Spt^plca ift niept frei oon pr
gialer Soreingenommenpeit unb Elücfftänbigfeit — nennt er fiep
Digitized by
Google
Nr. 15.
$u (Segetuoart.
239
felber einen altmobifcljen Menfcfjen —, aber in ben §auptpunften trifft
ct ben Wagel auf ben Stopf. greilich baS Stinb beim rechten tarnen gu
nennen, h* n b erte th n feine ^tlofemitifc^e Wichtung, bie er in feinen
früheren Slufgeichnungen eines ©öhtenmolchS befunbet hat- ©r fühlt pdj
alfo bei ber ©harafteriprung unferer Stritif nnb 8*itung3macbe nicht
gang frei, fonft mürben feine Diatriben gegen ©erlin weniger allgemein
unb unbefttmmt fein. Um fo ungenirter fpricht er pd) übet anbere Mobe*
göjen unb ©ößenbieiter auS. 3uerft greift er Wießfche an, bann Qbfcn
mit feinem ewigen Waifoniren unb Dictiren ibeafer gorberungen, hoch
glauben wir, baß ber alte fßitlenbreher aus bem korben hoch etwas
ntehr ift, als nur ein ©ußprebiger. Ungerecht ift §uch ferner, wo eS
fleh um £umor unb $umoriften hanbelt, fo wenn er bem realiftifchen
unb „illuponStofen" gontanc ben Xitel eines ©umoriften abfpridjt. ©iel
§öher, ja gleich nach ©oethe ftetlt er ©ottfrieb Heller, ber „unS gegeigt
§at, baß ein SBeg gur haften ©lüthe beutfeher ©ultur, gu ©oethe gu*
rüdführt". Daß $ud) ben nach unferer Mpcßt weit über Heller gu
ftellenben £umoriften Wilhelm Waabe mit feinem SSort erwähnt, fcheint
auf einer 3&iofhnlrafie gu beruhen; öerbanft hoch auch er felbft atS
(Srgähler bem 9flten bon ©raunfehweig baS befte Xheil feiner Stunft.
geine ©emerfungen unb gute ©Sorte fallen über ©iSmarcf, Suther,
SSagner; bagegen mürbigt er bie fdjöpferifche ©eftaltungSTraft eines 3ola,
baS latent bon ©ourget nicht genügeitb. prächtig ift fein 3orn über ben
SKißbraud), ber heute mit bem ©Sorte „groß" getrieben wirb; er hätte
auch „genial* hiugufügen fönnen, womit fchon jeber Slomöbiant beehrt
tuirb. Maeterlind'S Dramen pnb ihm nur ©pufgefdpehten un jj @^5
falStragobien im Sinne bon Müllner’S ©djulb unb ber — bidjterifch
hoch bebeutenben — „©hufrau*, wobei eben bie Stunft ber ©timntungS*
malerei überfehen wirb. ©udj ©Silbenbruch, ber fo lange überfdjäßte,
fommt als nur patriotifchcr £ohengollernbichter übel weg, unb bie ber*
nichtenbe Sfritif über #auptmann ift feither burd) bie bloß auS gefdjäft*
liehet ©peculation entftanbene Wichtigteit „©cplud unb 3 au" beftätigt
tuorben. ©ogar bie „©Seber" werben nur ein „ Dilettantenfunftftüd"
genannt. $übf<h ift auch, wie $uch mit unferen Merjüngften, ben
©roßen wie ben ©ernegroßen, umfprlngt; nur ©(habe, baß er babei
manchen Sebenbig*Dobten noch einmal tobtfdjlägt, waS ein überflüffigeS
©efchäft ift. £>ud) lebt gewiß weit abfeitS bom literarifchen Dreiben, unb
roaS ihm wie eine ©ntbedung fcheint, ift eS für ben Äunbigen Iängft
nicht mehr. ©0 wibmet er bolle brei ©eiten bem angeblich realiftifchen,
aber in ©Sirflichfeit ftumpfpnnigen ©ewäjch beS WomanfchreiberS ©Sil*
Ijelm ©SolterS, beS „DreSbner 3ola", als welches ihn fein greunb unb
Prophet ©ugen 3folani (recte 3faacfohn) in allen ©lättern auSgu*
pofaunen pflegt. Die „©egenwart" ^at einmal baS barbarifche Deutfeh
beS „DreSbner 3ola" an feinem im „©erliner Tageblatt" beröffentli^ten
Vornan „Wache" aufgegeigt, unb fein eigener Mitarbeiter, ber hodjbe*
gabte Däne ©jetlerup in DreSben, hat pdj bem ©nathem angefchloffen,
inbem er ©SolterS ber ©erbatlhornung eines feiner ©tücfe unb anberer
Unthaten gieh- ©S ift baher gu biel ber ©hre, fleh in einem ©oethe ge*
»ibmeten ©udje mit foldjen ©efcHen gu befchäftigen, wenn auch nur
polemifch, hoch geben wir gu, baß bie bon ©SolterS unb £>anS b. Mahlens
berg angeführten ©tilblüthen fehr beluftigenb wirfen. Man lefe unb
ftaune: „Durd) bie ftrenge ©Jolle ihres blauen WodeS fühlte er ihre
95eine, biefe feinen, langen, weichen unb fo ftahlfeften ©einchen, bie er
anbetete" (Die ©embrißfpS). • Stein ©Suuber, baß ber ftreltbare £uch ben
fchriftftellernben grauen ein paar befonberS gornige ©apitel wibmet.
SBenn eine biefer tarnen „bie wiffenbe, bewußt geworbene fommenbe
grau" verherrlicht, „bie diagonale bon Meffalina unb ber $>octorln ber
Mebicin, bte pegen wirb unb bie fdjrecfltch fein wirb", bann feufgt $uch
öor biefer am .^origont brohenben diagonale in refignirtem Qoxn:
fcßredlich wirb pe fein! Sluf bie bon ©mft b. SSolgogen unb anberen
greunben ^od^geprlefene $elene ©öhlau gießt $uch bie bolle ©dhaale
fetneS ©potteS auS. ©r nennt pe bie Sürfengattin, unb bie ©liquen*
6 rüber h^en benn auch bereits barum ben ©orwurf ber ßlatfcfjfucht
gegen $uch erhoben. ©Jie unS fcheint mit Unrecht, benn bie Siebes*
unb ©hefdpcffale ber ©Jeimarer ©uchhünblerStocßter, bie als ©attin II
einen gum 3Slam übergetretenen bentfehen 3üben heirathete, naeßbem
auch pe Mohammebanerin geworben, ift fo allgemein befannt, baß bon
3nbiScretion nicht mehr bie töebe fein fann. £at hoch bie 2)ame felbft
bie 3^wngen*2Birrungen ihres $ergenS literarifdh empg berwerthet unb
an bie große ©locfe gehängt. Unb bann mußte eS £ud) biel baran-
gelegen fein, an einem eclatanten ©eifoiel unfere fdjreibenben ?lma*
gonen gu tenngeichnen. ©inb wir nun alfo im ©ingelnen auch meift
mit bem ©erfaffer einberftanbeit, fo fteßt er hoch für unferen ©ephmaef
etwas gu biel bie fßorbau'fche ©ntartungSbiagnofe. ©ewiß ift Manches
entartet unb franf, aber es fehlt hoch auch nicht an gefunben Xrieben
unb erfreulichen Talenten. Unb gerabe um biefe wäre eS fdjabe, pe
mit bem fßopang ©oethe gu fchreden unb in einer bielfach beratteten
©eftheti! einguengen. 3 mrner nur auf ©oethe gurüefgehen, ^eigt nicht
immer borfhreiten. ©inb wir auch bielleicht nirgenb über ihn hinaus*
gefommen, fo höben wir hoch Seiftungen, bie fich neben ihm fehen taffen
fönnen, im 3)rama, im ©oman, gum X^eil auch in ber Shrtf. 3*be
8 eit hat ein ©echt, eine eigene $unft anguftreben unb neue SBege gu
fuchen. Unb waS will benn $u<h an bie ©teile ber befaßten „ofp*
cieUen" Siteratur feßen? ©r fagt eS felbft nicht beutlldj, benn feine
romantifche ©ehnfucht „in r S Ungewiffe" ift fdjwer bereinbar mit feiner
©orliebe für ©oethe unb ben gereinigten unb berengerten ©aturaliSmuS
einer fogenannten ©eimathfunft. 3)aß eS fidh auch ba nur um ein neues
leeres ©djlagwort, eine wahre ©imhelfaHe, eine fdhlaue ©erlegermache
hanbelt, fcheint ber fo fcharffinnige ^>uch nicht gu merfen. ©ber er weiß
hoch, baß bie angeblich nach feinen fßrinctylen geleitete £cimathfunft*
geitfehrift fammt ihrem ©erleger nach — ©erlin übergepebelt ift, baS
nun alfo hoch bie §eimath ber $eimathfunft werben foll! 5)ie ©erhält*
nipe pnb eben ftärfer unb fpotten aller Theorie.
3)ie S)eutfche ©erlagSanftalt in ©tuttgart giebt brei gierige ©e*
bi^tbänbeheu h^tauS, bie pdj einer gmeiten ©uflage erfreuen, waS tyuU
gutage fchon fehr gu ben Seltenheiten gehört, gugleich aber für ben
©Jertfj biefer SHdjtungen gu fprechen fcheint. 3«benfallS berbient
„Unlraut", ein Sieberbüdhlein bon ©ermann greife bie freunb*
liehe Aufnahme. Xiefe ©ebichte pnb einem wirtlichen S)ichtergemüth
entfproffen. ©ang reigenb trifft eS oft ben ©olfSton; fein unb reigboll
ift ©ommeribhlle, ber behagliche £>umor in ben Xrinfllebern fpricht
gleichfalls an. Wach aU* ben gum Xheil blöbpnnigen ober |>erberfen,
aber immer anfbruchSboIlen Welmereien unferer ©aubelaire* unb ©er*
laine* 3 mitatoren, thut biefer gefunbe Waturburfdhenton bohpett wohl,
geicrlicher pngt ber mehr eptfeh bcranlagte 3 afob ©chiff in feinen „©e*
bichten", bie gum erften Mal in einer gefdjloffenen Sammlung an bie
Oeffentltchfeit treten. Mit lebhaftem ©eifall ift bereits ber größere $heil
ber poetifchen ©rgühlungen in ©ortragSfälen aufgenommen worben. 3n
meifterlicher gorm unb tabellofem fpradhlichcn ©ewanbe behanbeln pe
jebeSmal ein feelifcbeS Motito, baS feffelnb unb nicht feiten tief ergreifenb
gur ©ntfattung gebracht wirb. Mer auch bie rein Ityrifchen ©tücfe ber
Sammlung geichnen fich burd) ihren ©timmungSgehalt unb ihre Dor*
nehme bichterif^e gorm auS. 2(1$ ©pifer giebt p^ bieSmal auch Wein*
holb guchS in feinen ©rgählungen in ©erfen: „^ergenSfämpfe".
©S pnb Dichtungen voll poetifcher Straft, unb pe geichnen pdj ebenfo fehr
burch Weinheit unb ffüffigen ©Johllaut in ber gorm, wie burch eble
©omehmheit, padenbe Snnerlidjfeit unb plaftifche ©egenftänblidhfeit im
3nhalt auS. Die in ©hetlanb fpielenbe Dichtung „$?elga" ift bereits
In'S ©ngllfcpe übertragen worben. Weinholb guchS' ©ebichtbanb „©tranb*
gut", ber öom SlugSburger ©chtHeroerein 1890 mit einem 3ahteSpreife
gefrönt würbe, hat innerhalb weniger 3 ahre hier Auflagen erlebt. 2 Bir
glauben, bem Oortiegenben neuen ©anbe ein gleich günftigeS ©chidfal
borherfagen gu bürfen.
Digitized by v^.ooQle
240
Die flrejjenwart
Nr. 15.
JVttgeigett.
Btt BtffeHungtn bscufüt man {Wj auf bte
„@B®tn»att‘‘.
Manuscripte.
Qur S3erlag3übernabme bon 9ftanu=
fcripten bifiorifdjer, politifdjer, fd)ömmffen=
fdjaftlicfjer :c. Sftidjtung empfiehlt fid) bie
$BerIag3bud$anblung öon
Richard Hattier, gnmufrijmetg.
(©egrünbet 1883).
\QSKQS>}\Q£»D
$unbert Original * (Dutagten
b. Sfreunb u. fjetnb: ©jörafon
©ranbe* ©ü#net SDd$ n
Raubet CEgibh Montane ©rot!)
$aecfel Startmann #etjfe 3or=
ban fttyiing Seancauaflo Sin-
bau Sontbrofo SRefdjtfdietSli
Rigra Vorbau OSibiet fetten*
lofer ©altsbur^ ©ienfieafcj
©intim ©bencet ©pieHjagett
©tanleb ©toeder ©trinbberg
©uttiter SBtlbenbnug SBerttet
Bola u. b. 8t.
l be
üfotimk
im
Urteil
feiler 3eii|e»ffei.
©leg. ge!}. 8 SRI. botn Verlag bev €t$tnt»att,
©ertin W. 57.
%
wr w* W* *1* W* *•z
■ ThlriifUghu -
[Technikum Jlmeiiaul
tu lutkiin- ul lkktr«~
ytilur t, -Twliftw i.-W#rkM#lit#r.|
I Direotor Jutiu, |-
Qn unferem Verlag tft erfdjtenen:
m * »m • *>m. wm. ■
w Pif ©fflcmunrt.
ffiisidirlfi fftr EJtrroluL Rimfl unfi tflrnM4c8
<*««*' “• |M»I yc>H
Genf ruh flegijlfr 1872 —1896.
Ghrfter &i$ funföigftcr S3anD.
Wit 9?ad)trägen 1897—99. ®ef). 5 Jt
©in bibliograp^tfc^eS SÖerf erften
SHangeS über ba3 gefammte öffentliche,
aeifiige unb fünfilerifd)e Seben ber lebten
25 3ahre. WotfpoenbigeS 9?acbfd)lagebud)
für bie Sefer ber „©egemoart", foroie
für n?iffenfd)aftlid)e 2 C. Arbeiten. Ueber
10,000 Slrtifel, nach Rächern, SBerfaffcrn,
©chlagtuörtern georbnet. 3)ie Autoren
pfeubonhmer unb anonymer 9lrtifel finb
burdjroeg genannt, llneutbefjrlid) für
jebe SBibliothef.
2lud) bireft gegen ^oftamoetfung ober
Nachnahme Dom
Derlag ber (Segenroart.
»erlitt W 57.
51 fab. geb. ©djriftfteüer, biSl). publicift.
(liter. $ritif) in Serlin thätig, energ. getoiffen-
hafte 9lrbeit3fraft, oor^. ©pradjfenntntffe (fran^
jöfifch, englifdj), perfefter Stenograph,
ÜRafchittcnfdirciPcr (.ftammoitb), flicht uut.
befd). Wnfpr. in SlcDaftion, £l)catcrfcfrctariat,
Strl.49ucMMß., litcrar. Snfttt. :c. Stellung.
Cffert. an b. ©yp. b. ©egemoart unt. A. (i.
©erantoortltt$« SRebacteur: Dr. $$eoj>btl ^otting in ©erltru
Bad Reinerz,
klimatischer, waldreicher Höhen-Kurort — 568 Meter — in einem
schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Glatz, mit kohlensäurereichen Eisen-Trink-
u. Bade-Quellen, Mineral-. Moor-, Donche- u. Dampf-Bädern, Kaltwasser-Procednren,
ferner eine vorzügliche Molken-, Milch- u. Kefyr - Kur - Anstalt. Hochquellenleitung.
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmnngs- u. Yerdannngsorgane, zur Ver¬
besserung der Ernährung u. der Constitntion, Beseitigung rheumatisch-gichtischer
Leiden u. der Folgen entzündl. Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang Mai« Prosp. gratis.
„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitserseheinungen«
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von # / 4 I 75 Pf. in
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr« Carbach & Cie«
$ie ©egenttmrt 1872-1892.
Um uttfer Sagte ju raunten, Sieten mir unfeten Abonnenten eine gängige
Gelegenheit jnt $etooQftSnbignng ber SoKection. So meit ber 93orratb teilet,
liefern mir bie Sialjrgänge 1872—1892 k 6 SB. (ftatt 18 SR.), ^albfa^rt«
Sanbe ä 3 SR. (ftatt 9 SR.), (gebnnbene ^afirg&nge k 8 SR.
©erlag ber ©egentoart tu ©erlin W, 57.
\ ^C» v/f ^yt jrry. flA? */- ? *v V» *V ^ -yV^/ l V\i^ Vv i^-^i +< p r ■
Eeffetttlicfte .6auöe(§(ct)ranftalt 5« Soutjeti.
Jjoljtrr gnitbrlafdiulf Srjjrltnflsfrijulr unter pätitifittrm Vntronnt.
qjrofjjcrte Durtf) I)trcctor ^rofeffor .OcUbadi.
@oe6en erfdjiett im Vertage üoit Hbolf Utfje in
Jln$ frtttrm febenunb aus feiner |rit.
S 8 on
<&nflat> ^atpefes.
5)iit jablreidjeu, tbcilmeife bisher unberöffentlic^en 5lbbilbungen (baruuter 17 öerfd)iebcne
SBilbniffe be§ ®ic^ter§) unb 6 Beilagen mit 5a!fimile8 Uon £mnbfd)riften.
Ö5r. 8°. öc^cftct in elegantem Umfrfjlag 7 50 W. Glcgant gebunben 9 50 $f.
Verlag von BreitkopfÄllilrtcl, Leipzig.
franz fiszl’s Jriefe
an die
Fürstin Carolyne Sayn-Wittgenstein.
Gesammelt und herausg. von La Mara.
(Liszt’s Briefe Band IV). Mit 2 Bild¬
nissen. XXIV, 520 S. 8°. geh. Mk. 8.—,
in Leinwand geb. Mk. 9.—.
E ine epochemachende Erscheinung, nicht nur
in der Musik- und der Brief-Litteratur. Das
innerste Seelenleben des unvergleichlichen Künst¬
lers und Menschon wird uns darin erschlossen.
Der grosse Roman, der in seinem Lohen spielte,
spinnt sich vor uusem Augen ab. Über seine
ebensoviel besprochenen als missverstandenen
Beziehungen zur Fürstin Wittgenstein liegen von
der ersten Begegnung an zum ersten Mal un¬
mittelbare Zeugnisse vor. Von ebenso grossem
künstlerischen als psychologischen Interesse, ent¬
halten die Briefe ein Stück Selbstbiographie, wie
wir eine ähnliche von keinem unsrer grossen
Tonachöpfer besitzen.
glisitiimh Mfolgtr.
Stomctn
üon
‘j&ßeop^tC Jolling.
DW~ Uolfsausga&c.
^reiS 3 9)tarf. @d)ön gebunbeit 4 5Karf.
tiefer ®i§marcf^aprlui= Vornan, ber in
luenigcu Sauren fünf ftarfe Auflagen erlebt,
evfdieiut hier in einer um bie §älfte billigeren
$o!f3au3gabe.
5)urd) alle $ud)f)anblungen ober gegen (^in-
fenbung be£ 93ctrag§ poftfreie gitfeitbititg öom
Uerlag der 6 egcnwart,
SBerlin W. 57.
Webactton unb Cjt)cbttton: ©crltn W. f aRanftetnfttabc 7.
Drutf bon £effe & ©etfer tn S^tbjig.
Digitized by LjOOQle
M 16 .
38evCt«t, ben 21. JlprtC 1900.
29. Jahrgang.
Band 57.
Pfe akrpumrt.
■o.
i
< : 6
&
aßo^enf^rift für ßiteratur, fünft unb öffentliches geben.
^etauögegeßnt Don ‘PtopflU £o£Ctng.
Id»n Smmatadl nfUrtnt «tat |mnut. geriftfl ber ©egenmart tn Ser«n W, 57. 4 » 50 |f. <tU iunut 60 »f.
Hu bqteftcn bun$ alle Cu^^aitblungeit unb $oflämter. ö ö 3nferate jebec Set Jrco 8 gehaltene ^etttjetle 80 $f.
$ie Sobenteform ln ben ßolonten. Sort ©uftat) Sltoerboncf. — bem Slrbeiterleben in 9hij}fanb. Son gabrübefifcer
Dr. phil. $atl 92oe^el ( s 3Ro$fcm). — Öiteratwr mtb Ättttft. $ie Seceffion in SBiett. Son Otto ©toejjf. — $)a$ ©ioig=
SBetblidje. Soit Dr. med. 2Ä. Xretjmann (SRiaa). * — geuUletött. $>ie Uniform. Sott Sinton £fc§ed)ott>. — Der
fcüttptftabt. 2f(ottcn*?(gitotion. Sott $rin^ Sogeifrei. — Änjetgen.
Die ßobettreform in ben Colonien.
Sott <5njtoo 2I»erboncf.
Die gerabeju ungeheuerlichen Sanbconceffionen in Kamerun
an jhiei ©ribatqefeßfchaften haben unleugbar eine große Mife*
l'timmung im ffteief) ^eroorgerufen, bie auch im Parlament
jum SEßort gelangte, ^ebenfalls ift eg bem Director beg
Solonialamtä §ernt Dr. o. öudjla nicf)t leicht gemorben, fief)
ber meift nur ju berechtigten Singriffe ju erwehren, unb auch
heute nod) wirb eg ihm im ©ebanlen an feinen übrigeng
recht fdjwach bertfeeibigten „oorbilblichen Dtjpug für lünftige
Gonceffionen" nicht ganz geheuer fein. Ohne 3n>eifel bilbet
jein Vorgehen früher ober fpäter bie Klippe, an ber er
jeheitern wirb. Ipulbigt man hoch fd)on jeßt maßgebenben
Drtg bem ©ebanfen einer Sobenreform. gür bag berfdjenlte
Kamerun ift eg bamit wohl ju fpät, aber in anbereit (Solo*
nien läfet fich $enrß ©eorge’g großer ©ebanfe Don ber ©er»
ftaatlichung bon ©runb unb ©oben noch febr wohl augführen.
3a, er ift bereitg in’g Seben unb in bie Eßrajig übergetreten:
in Äiautfchau.
©g banbeit fief) nach Slb. Damafchle’g fdjarfer gormu*
lirnng um ben beftimmenben ©runbfaß: (Soll ber ©oben
unferet ©olonien, biefeg ®ut, bag fich in feinem SEBefen oon
allen Eßrobucten menfcf)(icher Df)ätigleit unterfdjeibet, beffen
uneingefchränfter ©efiß Monopolrechte einräumt, beffen ©e*
herrfchung Sille, bie i|n a(g SEBohn* ober Slrbeitgftätte nicht
entbehren fönnen, tributär macht, beffen Sßertfe allein burd)
Opfer beg ganzen beutfehen ©olleg in bie §öf)e gebracht
ttirb — foU biefer ©oben nnferer Kolonien enbgiltig einzelnen
©peculantengruppen auggeliefert werben, ober foß er in
itgenb einer gorm bem beutfehen ©olfgganjen erhalten bleiben?
®er ©ebanfe ber ©obenreform wirb in werbenben £>anbelg=
ftätten, wie in Siautfdjau, in anberer gorm unb ©eftaltung
jur Durchführung gelangen atg etwa in Kamerun ober in
@übweft»8lfrifa. Dag oerfteht fich am ®nbe bon felbft. <Jg
ift eben nicht bie fjorm, auf bie eg hier anfommt, fonbern
bog SSefen.
Der befte Senner auf biefem ©ebiet ift unzweifelhaft
Siajor o. SBiffmann. SEBie benft biefer, unfer befter Slfri*
fanet, über bie ©obenfrage in ben afrifanifchen Kolonien?
ift ein feljr ernfteg, in allen ^Einzelheiten bigher noch
nicht böUig geflärteg ©apitel ber beutfehen Gotonialgefd)ichte,
bog hier berührt wirb. 3m 3afjte 1896 führte SBiffmann
oobenreformerifche ©runbfäße auf eigene ©erantwortung in
Deutfeh=Dftafrila burd). @r erflärte atleg Sanb, bag nicht
naeffweigbar in feftem fßribateigenthum War, atg Srontanb
unb beftimmte, ba§ bon biefem fein (Schritt mehr ber ©ribat=
fpeculation augjuliefern fei, fonbern baff ©runb unb ©oben
nur noch in ©rbpacf)t auf 100 Saffte abgegeben werbe. Die
ißacht fotlte bon 1 ha unbebauten fianbeg jährlich 2 fRupien,
etwa 8,85 Mf., betragen. Stuch würbe borgefcljrieben, ba|
in je fünf 3ah«n. ein gewiffer Dheil beg gepadhteten Sanbeg
wirflici) in Gultur ju nehmen fei. @g erhob fid) gegen biefe
©erfügung ein ungeheurer ©türm ber ©ntrüftung. SEBie bie
©offifdje 3 e 'tung, bie fich 9 an S au f @ e ' tc SBiffntann’g
in biefer 3 ra 9 e ftettte, mittheilte, ging biefer ©türm jum
großen Dheil bon ber „Deutfeh'DftafrifanifchenSefellfchaft" aug.
SBiffmanu würbe ju münblic^er ©erhanbluna nach Deutfchlanb
berufen. SBie fehr er fich bet ©röjje feineg ©orgeheng bewuftt
war, baoon giebt eine Steuerung ßeugnife, bie er im 3uli 1896
that, alg et fich bei feinen©erwanbten inßauterburg i.§. aufhielt:
„Man greift mich au, weil ich bag Ißrincip berfolge, Sanb
nur ju Ißacht unb nid)t alg freieg ©igenthum abzugeben.
3d) thue bag aug guten ©rünben. 3<h wiü ber ©runbftüctg-
fpeculation ben ©ingang berwehren. Die Eßad)tbebingungen
finb bie ibealften unb benfbar günftigften; für bie erften fünf
Saf)re wirb überhaupt lein ißa^tzing bertangt. 5Run bc=
Hagen fich bie Seute barüber, ba| fie leine Ipppothefen auf
ihr Sanb auf nehmen lönnen; über bag wiü id) ja gerabe
berhinbern. SEBoljer lommt benn bie ERoth unferer Sanb*
wirthf^aft in Deutfchlanb? Doch auch babon, bafe jeber
©tunbbefiß mit ^ppothefen, b. h- wit ©ehulben, überlaftet
ift. Da lommen Seijte nach öftafrila mit ein paar Daufenb
ERupien in ber §anb unb wollen 3*, 10*, 20», ja 50000 ha
laufen. Da liegt bodj auf ber ^>anb, bafe fie leine ehrlichen
Stbfichten haben, fonbern lebigtich ©pecutationgzweefe ber*
folgen. Ober aber fie meinen eg wirllich ehrlidj, bann finb
fie außer ©tanbe, fich auf bie Dauer zu h°l ten - ®' e haben
alle nicht genügenb ©elb — unb bie fjolge babon ift, bafe
bag £anb bann brach liegt. Damit lann ber ^Regierung
nicht genügt fein."
Die Sanbberorbnung SBiffmann’g würbe aufgehoben, unb
er felbft nahm feinen Slbfchieb aug bem fReidjgbienft. SBefj»
halb bag fo lommen muffte, weife man nicht genau. Der
preufeifdje Minifter, bem wofel auch feine ©egner bag 3 cu 9 s
nife nicht berweigern werben, bafe er alle Männer beg neuen
Surfeg tljurmliod) an SBiffen unb ©rfaferung überragt, ^>err
b. Miguel, fanbte in biefer feinen ©ofen zu §errn
Digitized by
Google
242
Die (ßegettuart.
Nr. 16 .
D. SBiffmann, um ißm feine bolle ßuftünmung auSfprecßen
SU taffen ... @S märe übrigens nidjt fcßmer, aitdj anbere
2lfrilaner gegen ben „©tjpuS" beS ,<perrn b. ©ucßla als
Beugen aufgurufen. ©S fei nur nodj ber frühere SanbeS»
ßauptmann bon ©übmeft»2tfrifa, 9©ajor b. ffrangjoiS, genannt,
ber ftdj entfdjieben gegen große Sanbconceffionen auSfpridjt.
@o gu tefen in ber ernpfeßlenSmertßen ©rofdjüre „Kamerun
ober SKautfdßau", bie 2lbotf ©amafdjfe, bet unermüblicße
Setter beS ©unbeS ber ©eutfdjen Sobenrefornter, foeben bei
S- $>arrmiß ©acßfolger in SSerlin erfdjeinen läßt.
llnfer oftafiatifd^eö ißacßtgebiet ift nidjt bem ©olonialamt,
fonbern bem ©larineamt unterteilt. §iet ßat £>err
Dr. b. ©udjla atfo teinertei ©influß. jpier bot ber Staats»
fecretär beS ©eicßSmarineatntS, ©iceabmiral ©irpiß, bie ©er»
antmortung gu tragen. 2Bie hoben nun unfere ©farine»
officiere bie ®runb= unb ©obenfrage aufgefaßt unb getöft?
Sn bem Stugenblid ber beutfdjen ©efißergreifung begann bie
©peculation eingufeßen. ®ie ©ßinefen fetbft machten ben
Anfang. Sie fdjtoffen einen fRing unb bertangten bon ben
beutfdben ©eamten für ihren ®runb unb ©oben faft genau
geßnmal fo ßoße ©reife, als bie, bie bor ber beutfdben ©efiß»
ergreifung üblich maren. ®ie beutfcfje ©ermaltung beugte ficf>
biefem ©inge nidjt. ©ie gab jebem c^inefifc^en ®runbbefißer,
gleidbfam als 2lntrittSgefdjenl, eine ©aarfumme, bie ungefähr
baS doppelte bon bem SaßreSbetrag ber bisherigen ®runb=
fteuer auSmacßte. ®afiir aber mußte fid) ein Seber berpftidjten,
lünftigßin feinen ®runb unb ©oben nur nod) an baS beutfdje
®ouDernement gu uerlaufen, unb gmar gu bem ©reife, ber
bor ber beutfdjen ©efißergreifung lanbeSüblidj mar. Sn ben
großen IpanbelSpläßen DftafienS fanben fich batb unter»
nehmenbe Seute, betten ber ©oben beS neuen beutfdjen ©adjt»
gebietS ein bielberheißettbeS ©peculationSobject 51t fein fdjien.
SOlait fehl oft ©artelle, gum ©ßeil nach benfelben ®runbfäßen,
mie fie bie ©röbler unferer ©täbte 31t befolgen pflegen,
b. ß. matt fam überein, ftdj gegenseitig bie ©reife nicht 3U
Derberben unb Dertßeilte Dorßer bie einseinett ©löde auf ben
©auplänen. 5D?an ging fo meit, biefe feßon mit ben Flamen
ißrer jufiinftigen ©efißer su beseichnen. 2tlS biefe ^errett
aber nach Äiautfdjau fatnett, erllärte ihnen baS ®oubernement
rußig unb beftimmt, bah eS ben ©erlauf ber ®runbftüde
gar nidjt fo eilig habe. Üttan merbe märten, bis alle nötljig
fdjeiitenben ©orarbeiten orbentlidj erlebigt, unb bor allem,
bis auS ©eutfdjlanb fefbft ©ertreter beS §aitbefs unb ber
Snbuftrie gefommen mären. ©ie gelbfräftigen ©peentanten»
treife maren natiirlidh in heilem Born; Klagen über ©ureau»
IratiSnntS unb ©djlimmereS mürben felbft in bie beutfdje
©ageSpreffe lancirt. ?lber unfere Warineuermattung blieb
feft. ©ie lieh ftdj audj nidjt beirren, als bie befannteren
®elbleute etmaS itt ben §intergrunb traten unb allerlei
Strohmänner borgefdjoben mürben, bieunter jebem nur möglidjen
©ormanb gerabe jeßt große ©etrainS erroerben mollten. 9tm
3. Dctober 1898 begann bie Saubauction in Siautfdjait.
3D?it biefem Termin aber madjte bie beutfdje ©ermaltung
audj bie ©teuergrunbfäße befaitnt, bie fünftighin im beutfdjen
©djußgebiet ©eftung ßabett follteit. ?llS ®runb(age beS
©teuerfßftemS biente bie ©runbfteuer, bie 6°/ 0 beS ÜBertßS
betragen foHte, beit bie Semerber in ben Sanbauctionen für
ben ©oben besaßlett mürben. Sille brei Soßre follte ber
©obeitmertß neu abgefcßäßt merben, bamit bie ®runbfteuer
mit bem ©obenmertß in gleichem ©erßältuiß fteigett fönnte.
©iefeS ©teigen ber ©obenmertße aber, fo mürbe meiter auS»
gefüßrt, fei smeifeltoS nidjt ber Slrbeit ber einseinen ©efißer
SU bauten, fonbern merbe allein burdj bie Slrbeit beS ganseit
beutfdjen ©olfeS ßerDorgerufen: SebeS ©cßiff, baS baS
©eutfeße ©eidj bortßin fettbe, jebe £>afenaitlage, bie eS unter»
nehme, jebe ©erbefferung ber ©erfehrSmege, jebe Äirdje, jebe
©cßule, jebe ©aferne, bie eS errießte, jeben ©eamten, ben eS
bort befolbe — alles mürbe baju beitragen, ben ©oben
ftiaiitfdjauS mertßüoller s it machen, ©tefer unoerbiente
SBertßgumadjS, bas unearned increment, „bie Bumncßöreitte“
ber ©obenreformer, gehöre befjfjalb feinem Söefen nah um
Smeifelfjaft ber ®efamtntßeit. ©ei jebem ©erlauf öon @runb
unb ©oben merbe bem ©erläufer beßßalb jebe ©erbefferung
bie feine eigene Ütrbeit ßeroorgerufett hat, smar üoll angc=
reeßnet merben, üon bem ®eminn aber, ber barüber hinauf
geßt, merbe eine 9tbgabe Don 33 1 / 3 °/ 0 für baS ®ouDernement
als ©teuer erhoben, ©amit ©iemanb in ©erfueßung fomtne,
ben ©erfaitfSpreiS Dor ®ericßt su niebrig ansugeben unb iieb
babei bie 3umacßSrente in irgenb einer anberen $orm hinten
herum fttßetn su moQen, fei ein ©orfaufSrecßt beS ®ouDerne=
ments bei jebem ©erlauf oorgefeßen. ©ei ben ©runbftfufen,
bie ißren ©efißer nidßt mecßfeln, folle bie gumadjSfteuer oon
33 1 l 3 °i 0 ade 25 Soßre einmal erhoben merben. ©ine Um»
faßfteiter Don 2°/ 0 (l°/ 0 für ben Käufer, 1 °/ 0 für ben ©et»
täufer) DerDollftänbigte baS ©tjftem ber Sanborbnung Don
Sbiautfcßau. Sebe fyorm Don .*panbel unb SBanbet, ©etoerbe
unb Slrbcit aber follte Don jeher ©teuer Derfdjont bleiben,
jeber ehrlichen ©hätigfeit follte freie ©aßn gegeben fein.
©er ©taatSfecretär beS SRarineamtS, ©irpiß, faßte in
feiner (StatSrebe Dom 31. Sanuar 1899 im fReicßStag bie
®runbgebattfen feines ©orgeßenS mie folgt sufammen: „5n
mirtßfcßaftlicher ©esießung ift bie größte imttbelSfreißeit unb
bie größte ®emerbefreißeit für S'iautfcßau gefießert morben,
bie nur irgenb jemals eine Solonie gehabt hat. ©aS gange
®ebiet Don ^iautfdjau bis an bie ®renge, mo unfere neutrale
3one anfängt, ift greißafengebiet, unb bie ®emerbefreißeit,
bie angeorbnet ift, mirb nur begrengt bureß bie notßmenbigen
ßßgienifdjen ?tnforberungen unb bie ©nforberungen bet all»
gemeinen Drbnung unb ©idjerßeit. ©ie SRarineoermaltmtg
ßat aueß ' n Segug auf bie Steuern fieß bie größte guröct»
ßattung auferlegt. ©aS mar notßmenbig, meil iticßtS Der»
feßrter gemefen märe, als ben ©roceß ber Srftartung biefer
Kolonie burdß ein gu eiliges fierauSsießenmoKen Don Erträgen
in ®efaßr s« bringen, ©ine Uebertaftung mit ©teuern in
ber ©nfangSperiobe mürbe ben gangen ßmed ber ©efeßung
in grage gefietlt haben, unb bie drittel, bie naeß Äiautfcßau
Dom ©ei^e hätten ßineingeftedt merben müffen, mürben ins
SBaffer gemorfen fein. SBie bie Herren inbeffen auS bet
©enlfcßrift entnehmen merben, ift auf ber anbereit ©eite non
ber SWarineuermaltung bie ©lögtidjfeit, gemiffe ©innaßmen in
Bufunft 51t ergieten, nießt außer ©ugen gelaffen morben.
©ie Sanbpolitil, bie mir ßier Derfolgt ßaiben, bürfte ben
©eroeiS bafüt abgeben. 3dj möcßte aber auSbrüdlicß betonen,
.baß bei ber Don unS befolgten Sanbpolitil leineSmegS bat-
finanzielle Sutereffe in ben ©orbergrunb gefeßoben morben
ift, fonbern baß baS in gmeiter ©eiße geftanben ßat Xie
©teuer auf beit ©ritnb unb ©oben in Äiautfcßau ift, mie
©ie feßen, bie eingige mefentlicße ©teuer, bie ben ©uropäer
trifft. @S ift nur gu müitfdjen, baß bie beutfdßen ©nfiebfer,
bie beutfdßen Staufleute, ein äßnlicßeS ©infeßen für bie ©oth»
menbigleit eines berartigen ©rtrageS für baS ®ouDernement
haben mögen, mie feiner bie englifeßen Äaufleute in
Öongfong, an beren ©piße |>err ?t. ©Jattßiefen ber englifeßen
©egierung beit ©orfdjlag maeßte, ben DöUigen ©ergießt au>
BoUeinnaßmen gu erfeßett bureß eine ©efaftuitg beS ©runb
unb ©obenS, meteße ja ßier bie Äaufteute trifft. — S3ir
haben bei ber ©ermaltung beS SanbeS Don bem englifeßen
©erfaßten ber ©erpadjtung, ber fogenanntett lease abgefeßen,
mir ßaben eine 2frt ©erlauf eingeridjtet, bei meteßem bem
©eieß ein Slntßeil an bem fteigenben 2Bertß beS ®runb unb
©obenS gefidjert ift. 2Bir ßaben mit biefem ©erlaufSmobuS
bem eingemurgelten ®efüßl beS beutfcßeit ©olleS ©ecßnumi
getragen, baS gern auf eigener ©cßolle fißeit miH."
9So man immer eine Sen 11 tu iß ßat bon ber ©ebeutunj
ber ®runb» unb ©obenfrage für bie gefammte mirtßfdjaftlidK’
©ntmidelung, gilt bie „Sanborbnung Don Äiaittfdjait“ als
eine ©ßat erften ©angeS. ÜBenn ©ieleS übermunben imb
Dergeffen fein mirb, maS jeßt lärmenb im ©orbergrunb
Digitized by v^. ooQie
Nr. 16 .
Die (Gegenwart.
243
öffentlidjen ffampfe? fteljt, Wirb biefe „Sanborbitung" itodj
al? ein 5Ruhme?blatt beutfdjer SociaTpolitif gefeiert Werben.
?luf bent 7. ^internationalen ®eographen*Soiigreß ju ©erlitt
legte ber Vertreter ber ^Bereinigten (Staaten, ißouttnet)
Sigefow, am 8 . Dctober 1899 bie Sebeutung biefe? Sorgeljen?
nrie folgt bar: „ffiautfdjau Serbient in ganz befonber? hohem
9Raaße bie 9lufmerffantfeit ber weiteften Greife. £>ier finb
zum erftett 5D?af bie ©runbfäfje §enrt) ©eorge’?, b. f). alfo
ber Sobenreform, in bie fßraj'i? iiberfeht. Ünb jmar finb
biefe biet befämpften Sehren unter bem Schüße, unter ber
Slutorität be? Sentfdjen fReidje? in’? Seben eingefüf)rt. Sa?
bat eine Sebeutung, beren Tragweite nod) gar nicht zu über»
[eben ift. Sn ber ganzen SBelt, in 9lmerifa, in 9luftralien,
in Snglanb unb wo immer man ben fielen ©eorge’? Ser»
ftänbniß entgegenbringt, fiebt man mit größter Spannung
auf bie (Sntwidelung biefer ©olonie." Sa? SBifb ffiautfehau?
wäre unüoTiftänbig, wenn wir nicht an bie ©rflärung er*
innerit würben, bie ber beutfdje ©otfrfjafter in SBafhington,
Dr. o. §o(Ieben, bem Sorrefponbeitten be? „Chicago Times
Herald“ gegeben hat. der beutfdje Sotfdjafter führte barin
ben Urfprung biefer bobenreformerifeben SRaßregel bireft auf
ben SBitfett be? ffaifer? jurücf. Sr feßte attöbrücflicf) tjtn^u,
bafe bie in 9lu?fidjt genommene Selbftberwaltung möglidjft
weit gehen folle, baß fie aber bie ©renjen nicht überfdjreiten
bürfe, „weldje bie gortbauer ber gbeeti be? Schöpfer? ber
Solonie, Sr. ff. 2Rajeftät, fidlem werbe".
9lnd) im 5Reid)?tag fanb bie Solonialpotitif be? SRarine*
amt? meiften? guftimmung. 9lm 81. Januar 1899 ftanb
ber Gtat Hon ffiautfehau jur ^Beratung. der fRebner ber
Sonferbatiben, Dr. Dertel, fagte: „Set) billige boHfommen
ben ©ruitbfaß bei ben Sanbberfäufeit, ber ^icr meine? SBiffen?
mit zum erften 2Rale in deutfdjlanb burchgeführt ift, ber
aud) bielleicht in Oftafrifa hätte burchgeführt werben fönnen,
baß nämlich ber Staat theilnimmt an ber SBerthfteigerung
ber ©runbftüde. Siefe SBerthfteigerung fotl 511 einem drittel
bem Staat pfotnmen, abzüglich aller eigenen Slufwenbungen,
bie ber Sigenthümer in ba? ®ninbftücf zur SSerbeffermig
gemacEjt hat. 3>dj mödjte nur jur Srwägung anheimgeben,
ob bie Seftimmungen Don einem drittel genügen; ich bin ber
Slnfdjauuttg, bah man hierin weiter gehen fönnte, befonber?
behhotb, weil aüe eigenen Slufwenbnngen, bie ber betreffenbe
Sigenthümer nadjweifett lann, fchon abgewogen werben oon bem
SOfehrwcrth- S<h glaube, man fönnte gut unb gern bi? zur
Hälfte aufwärt? gehen." der nationalliberale ©raf Driola
ftimmte ebenfo freubig p, unb felbft ber geborene fReinfager
Sugen SRicßter fanb l^ter beim heften SBiHen nid)t? p
tabeln: „SBa? bie Sefteuerung in ffiautfehau betrifft, fo
muh idj fagen: id) finbe biefe 9trt feljr fachgemäß, wie bie
Serwaltung p berf)inbern fud^t, bah ba?jenigc, wa? ba?
fReidj bort an Einlagen fchafft, nun einzelnen fßrioatperfonen
lebiglich gereicht zur SBertherhöhung ihre? ©runbbefiße?, bah
fie alfo eine finureidje Sorbereitung getroffen hat, um im SBege
ber Sefteuerung fich an biefer SBertijerljöhung p betheiligen."
Sor ffurpm hat nun ber fReid)?fanjter bie zweite „'©ent*
fdjrift, betreffenb bie Sntwidelung be? ffiautfdjaugebiete? in
bet geit Pom 1. Dctober 1898 bi? 1. Dctober 1899" bem
5Reidj?tag jugehen taffen: SBie hat fid) benn nun bie ©oben»
reform in ber ißraji? bewährt? S? h^iht im Slnfang ber
denffdjrift: „S? war borau?zufeljen, bah biefe in ffiautfdjau
jum erften SRale praftifd) burchgeführten ©runbfäße neben
öielfacher guftimmung pnächft auch einigen SBiberfprucß au?
Sntereffentenfreifcn herborrufen würben; e? fann jeboef) be»
reit? jejjt feftgefteüt werben, bah festerer innerhalb unb
auherhalb be? Schuhgebiete? mehr unb mehr öerftummt ift
unb einem lebhaften Sinoerftänbniffe ifßlah gemacht hat." —
S(h benfe, unfere SBobenreformer fönnen mit biefeit Srfolgen
pfrieben fein, .’penrl) ®eorge’? ©ebanfe wirb uoit 1111? boffent*
lieh ou (h *n anbern Sotonien auf feine praftifdfe SSerwenb»
barfeit geprüft werben unb gewifj mit fchönftem ©eliitgen.
lus bem ^tbrtierleben in Hnhlattb.
SSon gabrifbcfi^ev Dr. phil. Karl ZToc^el (^KoSfau).
Sinen eigentlidjen Slrbeiterftanb giebt e? bi? jefct nocE>
nicht in ffiufslanb. T)ie iiberwiegenbe SRehvphl aller Slrbeitcr
gehört bem 95aueritftanbe an. 911? bie Seibeigenfdjaft auf*
gehoben würbe, war befanntlidj ba? ben ©ut?befi|}ern abge*
taufte Sanb unter bie einzelnen 95auern al? untieräuherlidhe
|>abe oertheilt worben. 3 ut Sewirthfchaftung biefe? Sanbe?,
ba? fid) inbeffen feit jener 3 e »t in ^olcje iwn Srbtheilung
bebeutenb Oerfleinert hat, bleiben grau unb ffinbet auf bem
Sanbe prüd. Wenn ber SDfann fid) au?wärt? auf einer
gabrif oerbingt 3e jWei ÜRal im Sahre, p SBeihnachten unb
p Oftern, ftehen bie groben gabrifeit auf 2—6 SBochcn ftiH,
unb bie Arbeiter eilen auf’? Sanb p ihren gamitien. Um
biefe gelten fieht man bie SSaljnböfe in ber ÜRälje Pon gabrif?»
orten belagert oon Strbeitermaffen, bie ruhig unb gebulbig,
auf ihre groben IReifcfäde gelauert, warten, bi? fie beförbert
Werben, ioa? namentlich in ber fßroüinj au? SRangel an
roHenbem SKaterial oft mehrere 'Sage bauert. 9lber gebulbig
p warten Ocrfteht man hier p Sanbe.
9ludj im Sommer, pr geit ber Srnte, oerläht ein
grober Sljeif ber Slrbeiter bie gabrifen, ba er in gofge be?
auf bem Sanbe herrfchenben Seutemangcl? bort höheren Sohn
erlieft ober auch bei ber eigenen Srnte tljätig fein wiß.
Sann befcf)tänfen üiele gabrifen mehr ober minber ihren
Setrieb; aber auch diejenigen, bie mit boüer Straft weiter
arbeiten, leibeit barunter, inbem ber prii.cfgebliebene SIrbeiter
bei jeber ©elegenljeit mit feinem SBeggange broht unb auf
biefe SBeife oft eine ©ehalt?plage erzwingt. 9lßerbing? rädjt
fich ba? bitter an ihm im Spätfjerbfte. daun fommen
fdjaarenweife bie Arbeiter Oom Sanbe prüd; ihren Sommer»
lohn haben fie meiften? bötlig burd)gebradjt unb betteln nun,
man möge fie wieber aufnehmen. ®a? gefchieht meiften?,
aber bielfadj in 9lnbetrad)t be? großen Slngebot? p einem
Oiet niebrigeren Sohnfaße. 3>efet werben aud) biejenigen 9lr*
beiter, weldie fid) im Sommer eine ©cl)att?plage erjwangeu,
bor bie 9llternatibe geftellt, entweber wieber p einem nieb*
rigeren Sohne p arbeiten ober bie gabrif 511 bertaffen.
Selbft fehr bebeutenbe gabrifen follen ihre Sommer* unb
SBinterfohntarife haben. Senn wenn irgenbwo, fo gilt noch
in fRußlanb ba? bei un? längft in SRißcrebit geratene eherne
Sofjngefeß. der erwachfene Arbeiter, ber fein beftimmte? gad)
erlernt hat, ber fogenannte Sihwarprbeiter (weiß unb fdjwarj
bezeichnen in ber feljr bilblidjen 93olf?fpradje hoch unb niebrig),
erhält nur 14—16 SRubet monatti^, Wenn er auf eigene
ffoften wohnt, ober freie? Sogi? unb 9—12 fRubel. Somit
muß er feinen ganzen Seben?unterhatt beftreiten. Sa? ift
alfo weniger al? ein Srittel bon bem, wa? burdifchnitt»
lieh ein wefteuropäifcher 9lrbeiter befommt. Snbeffen ift
e? cinerfeit? richtig, baß ber ruffifdje 9lrbeiter einftweilcn
nod) biel weniger leiftet al? ber erftere, unb bann ift ja ber
ruffifeße Sauer bon |>aufe au? an bie befdjeibenfte Seben?»
füßrung gewöhnt, womit natürlich bie aufftrebenbe Snbuftric
gerechnet hat. Sa? Sebenflid)e biefer nieberen Söhnung liegt
aber barin, baß e? bem 9lrbeiter in golge berfelben nid|t
möglich ift, grau unb ffinber bei fiel) zu halten. Somit
Wirb bei ber heutigen Sachlage ba? gamilienleben, bie Stühe
unb ba? gunbament jeben gefunben Solf?tljum?, untergraben.
SBeldje bebauern?wcrthen, aber nur ju bcrftänblidjen gofgen
biefe? lange ©etrenntfein bon SRann unb grau hat, liegt
auf ber §anb. Unleugbar finb ba? moralifdje Schaben ber
fdjiimmften 9lrt. Shnen gegenüber fann meine? Sradjten?
auch nicht bie bielfadj bertretene politifdje 9luffaffung be»
ftehen, baß, Wenn ber Sauer grau unb ffinb mit pr gabrif
nehmen fönnte, ba? Sanb beröben unb fRußlaub, im emi*
nenteften Sinne ein 9lderbauftaat, fo fünftlidj ju einem
Snbuftrieftaate gemacht Werben würbe. ÜRun bamit hat e? ja
bi? jefct noch gute SBege. 3>m principe ift ba? bcrfelbe ffampf
Digitized by v^.ooQle
244
Ute ©egenwart.
Nr. 16 .
SWifdhen 9lderbau unb Snbuftrie wie bet uns. frier wie bort
wirb man mit ©ewalt* ober Äunftmitteln nichts auSridjten.
Ber gewiffenhafte jRealpolitifer wirb fidf barauf befchränfen
müffen, ben (Einzelnen über feine wirtlichen Sntereffen mög«
lichft aufjuflären unb ben 9Beg ju begünftigen, auf welchem
bie moralifdjen ©üter beS Golfes am wenigften leiben.
Bonn auf ihnen allein beruht bie ®efunbheit beS Staates.
Son biefem ©efidjtSpunfte auS lanit eS nun nicht tierhehlt
werben, baß baS getrennte Familienleben beS tuffifchen 9tr«
beiterS, wie eS bie (Entwidelung ber tuffifchen Snbuftrie in
ihrer jeßigen UebevgangSpetiobe mit fich gebracht h°t» bie
moralifche ®efunbljeit beS SolfeS großen (Gefahren auSfeßt.
BieS hat man fchon längft in SRegierungS« unb in Fahrt«
fanterifreifen eingefeljen. Bie ^Regierung, welche bie Sntereffen
aller ©tänbe tiertritt, fudht burch Hebung ber Sanbwirtljfchaft
ben Säuern wiberftanbSfähiger ju machen gegen bie Ser*
füljtung ber ©täbte unb gleichzeitig burch «ne auSgebehnte
Fabrifgefeßgebung bie pf)hfifd)e unb moralifche ©efunbßeit beS
Arbeiters z u fdjüßen. Bet Snbuftrielle feinerfeitS hat auch fdjon
längft erfannt, wie unficher eS ift, mit Arbeitern ju arbeiten,
welche burdj ©runbbefiß unb Familie an baS Sanb gefeffelt
finb unb jeber ßeit gewärtig fein müffen, auS Familien«
grünben bahin jurüefberufen ju werben, ©ein Seftreben geht
be^halb barauf, ben Arbeiter ju beftimmen, freiwillig feinen
Sanbfiß aufzugeben unb feine Familie gu fich fommen ju
taffen. Sluf biefe SBeife hofft man allmählich einen Arbeiter«
flamm heranjujiehen. Snbeffen batf bei biefer ganzen F rn 9 e
nicht überfehen werben, bafj ber ruffifche Arbeiter gerabe in
Folge feines SanbbefißeS feinem Unternehmer gegenüber un=
abhängiger bafteht, ba er bei etientuefler ftünbignng nicht
auf bie ©trafse geworfen ift, fonbern, falls er feine anbere
©tellung finbet, jur Familie aufs Sanb gurüdfehren fann.
f)at er aber einmal feinen ©runbbefiß aufgegeben unb gehört
er jum ©tamme ber Slrbeiter, fo fteht er natürlich 1 ganz in
ber tpanb bcS Unternehmers, unb barauf sielt audh beffen
ganze Polttif. 21 ber troß biefcS nicht zu unterfdjäßenben Sor«
theilS beS gtunbbefißenben Arbeiters ift bodt> ber jeßige Bua«
liSmuS Weber haltbar, noch liegt er im Sntereffe einer ge«
funben SBirthfdjaftSpolitif. Benn ba jeßt jeber Arbeiter
Sauer ift, leiben beibc Bljcile, ber ülrbeiterftanb unb ber
Sauernftanb. Batjer ift eS bringenb su wünfefjen, unb fidjer«
lieh wirb auch bie weitere (Entwidelung ber fo riefen^aft
fortfchreitcuben ruffifcheit Snbuftrie bahin führen, baß eS
einen gefonberten Arbeiter« unb Sauernftanb giebt, beten
jeber nur feine eigenen Sntereffen 5 U tiertreten haben wirb.
Snbeffen auf Sahrseljnte hinaus wirb ber SolfSfreunb noch
mit Sfummer stehen müffen, wie burch bie Sefdjäftigung
als Fabrifarbeiter ber Sauer tion feiner Familie getrennt
lebt unb ben oben erwähnten fdpoeren moralifcf)en Schöben
auSgefeßt ift.
SBerfen wir nunmehr einen eingehenberen Slid auf bie
SebenSfüßrung beS ruffifeßen Arbeiters. Sn faft allen größeren
Fabrifen erhält bcrfelbe SBofjuung in großen Äafernen, bie,
ben Seftimntungen beS FabrifgefeßeS folgenb, ben ülnfotbe«
rungen ber f>pgiene meift Durchaus entfprecfjen. 9lufjer biefer
freien SBohnung befommt, wie fchon erwähnt, ber ©djwars«
arbeitet im Burdjfcßnitt 8—12 fRubel monatlich- Serpflegcn
mufe er fich fdbft- Früher übernahm bie Fabrifleitung auch
bie Serpflegung; aber baS erwies fich auf bie Stauer bei
bem angeborenen fDlijjtraucn unb bet Sntriguenfucht beS
tuffifchen Säuern als unburdjführbar. Sicherlich hat auch
mehr als eine Fabtiftierwaltung ihre 9lrbeiter babei über«
tiortheilt; aber bie Serpflegung fönnte bie befte fein, ftets
würbe ber Strbeiter glauben, überoortheilt su werben. Baßer
überläßt man nunmehr bureßgängig bie Serpflegung ben
Strbeitern felbft, bie su biefem 3 wetfe auS ihrer SRitte eine
©Eecutitibehörbe erwählen, bie ,.9lelteften". BiefeS ©hftem, ber
fogenannte „9trbciterartel", giebt sunächft burch baS hierbei
gelteitbc allgemeine SBahl* unb SerathungSrecht bem (Einzelnen
®elegenheit, fich baran su gewöhnen an allgemeine Sntereffen
SU benfen, unb baS fällt bem ruffifchen Säuern in Folge
ber iftadjwirfungen ber Seibeigenfcßaft noch ungemein ferner.
(SS Wirb ihm alfo hier bis su einem gewiffem ®rabe eine
politifche (Erziehung geboten, anbererfeitS wirb eS ihm aber
auch baburdj ermöglicht, feinen angeborenen fwng ju
Parteiungen, Sutriguen, Phrafenbrefdjerei su befriebigen,
ohne bah bie Fabrifleitung babei s« leiben hätte. ©chließ«
lieh bietet ber 9trtel feinen SDfitgliebern alle Sortheile eines
SonfumtiereineS unb beföftigt fie in einer SBeife, Wie fie e§
fich fonft burchauS nicht leiften fönnten unb auch öon §aufe
gar nicht gewöhnt finb. itabei foftet bie monatliche Ser«
pflegung bem (Sinselnen 4— 6 SfJubel. ®er Slrbeiterartel
bilbet fomit an fich e 'ue fehr glüdliche Söfung ber Arbeitet«
oerpflegungSfrage. hierbei wie bei fo tiieten anberen neuen
Snftitutionen ift baS mächtig aufftrebenbe Sftufjlanb in ber
Sage, fid) bie fchwer gemalten (Erfahrungen ber alten ßultur«
länber ansueignen, ohne felbft babei erhebliches Sehrgelb
Zahlen s u müffen. ©0 fam man tion bem in ber Fabrif
arbeitenden Säuern auf ben im Gonfumtierein tierp^egten
Arbeiter, tion ber poftfutfdje zur eleftrifchen Sahn. Seiber
haben aber foldje Gulturfpriinge auch *h re großen fRadhtheik
unb ®efahren. 2>o<h lehren Wir sum Arbeiter surüd. Son
feinem ®ehalte bleiben ihm alfo abzüglich Soft unb SogiS
noch 4 — 6 Stubel übrig. Für Reibung giebt er nicht allzu
tiiel auS, höd)ftenS für fchöne hohe, blanfie ©tiefel, ber ©egen«
ftanb ber SRationaleitelfeit. Smmerhin wäre er bei feiner jo
befdjeibenen SebenSführung burchauS in ber Sage, feiner
Familie auf bem Sanbe einen 3 u fthufj ju fenben, unb baö
Wäre feine fßflidjt. Seiber gefchieht bieS in ben feltenften
Fäden. 9Bie foOte audh ber ruffifche Sauer auf einmal ju
wirthfehaften tierftehen, nadjbem er Sohrhuuberte lang in
bölliger wirthfefjaftlicher ülbhängigfeit lebte? SJaju fommt
noch, bafe nur bie fehr geringe SRinbersaljl lefen unb fdjreiben
fann. ®ie 9lnberen langweilen fich natürlich in ihren 2 Ru|e<
ftunben, beren fie bei ber grofjen 3°hl ber Feiertage genügenb
haben. S)aS treibt fie zur ©cf)änfe, tiiedeicfjt mehr noch
ber ererbte §ang zum Xrunfe, ber auS einer 3 e *t ftammt,
wo bieS ihr einziges Sergnügen Wat. 2Rit Freuben finb
baher bie zahlreichen Seranftaltungen tion ©eiten ber FobrifS«
birectoren unb prioater SolfSbilbungSoereine z u begrüfeen,
welche barauf hinsielen, ben Arbeiter an nüßli^e ober
WenigftenS horwlofe Sergnügungen z u gewöhnen unb iljn
fo tior bem jebem Ungebilbetcn fo nahe liegenben Saftet be»
JrunfeS zu bewahren. ®ie populärften Unterhaltungen finb
bie Sorlefungen unter Sorzeigung tion SRebelbilbern mittelft
bet Laterna magica. 'Biefe fpielt überhaupt in ben Solls«
bilbungSbeftrebungen 9}u|ianbS eine fo grofje 9foHe, bafe
einzelne tiolfSfreunblidhc Sereinc fie in eigenen Sßerfftätten
auf baS SiUigfte herfteUen 'taffen, ebenfo Die bazu gehörigen
Silber in reichfter 91 uSWahl. ®ie Popularität ber Siebet«
bilber erflärt fich S u nächft auS bem finblichen ©inne beS
tuffifchen Säuern, ber an allen Silbern grofje F^eube Ipt-
unb bann wäre eS ihm ohne biefetben auch wohl faum mög«
lieh, e inem längeren Sortrage mit 9 tufmerffamfeit 5 U folgen,
ba er eben feine Schulung befißt. Seber, ber einmal einer
foldjen Sorlefung beigewohnt hat, wirb bie rührenbe F 1 ^
beS fo überaus banfbaren publicumS ebenfo wenig tiergeffen,
wie bie oft frappanten Semerfungcn, welche tiefe Streiflicht
in bie SotfSfeete werfen. Saum Sentanb wirb fich h’ er ^'
ber fchrnerzlichen SBahrnehmung erwehren fönnen, wie föft«
liehe ©eelenfchäße hier ungehoben bleiben, weit ÜRiemanb fid)
ihrer annimmt. 9llS einen großen Sorzug biefer Seran«
ftaltungen betrachte ich 0U( h ben Umftanb, bafe bie 2;h cmat0
durchaus nicht immer pebantifd) auf Selehruug hwzt cn ’
waS ermüben unb auf bie Bauer abfdjreden würbe. Sid'
mehr fommen neben tiaterlänbifdjer ©efchi^te unb 9 ieife«
befchreibungen, welche leßtere immer ber banfbarfte ©toff für
SotfSbelehrung bleiben werben, auch Segenben unb einfache
Digitized by v^. ooQie
Nr. 16.
Die ftegetttoari
245
ruffifeße SolfSmärcßen Dor. ©elbft beutfcße ÜÖMrcßen, toie
©Sneewittchen unb kornreichen, faf) ich mit großem Sei*
falle aufgenommen. Sei großen gabrifen werben in aller*
neuefter Jjeit auch feßon Arbeitertheater errichtet. kaß ßter 6 ei
mit Wenig SWitteln ganz SorjüglicßeS geteiftet wirb, tonnte
jeber Sefudjer ber aUruffifcßen AuöftcHung 1896 in ber [ehr
reichhaltigen Abtheilung für Solfsbilbung mit aufrichtiger
greube wahrnehmen. Ueber ßaupt ift höchft bebauerlicher SBetfe
biefe Abtheilung, meines SBiffenS, Don ber beutfeßen Sßreffe
Diel ju wenig gewürbigt worben, wiewohl aud) wir bort
mancherlei hätten lernen tönnen. ©efeßidt ift nun einmal ber
ruffifeße Sauer, unb bann hat er einen auffaüenben ©inn
für alles ben Augen ©efätlige. ©o fah man bort ganze
©cenerien unb Koftüm*Ausfta"ttungen jur Aufführung ßifto*
rifcher kramen an SollStßeatern, fie beftanben aus einigen
bemalten Srettern, Sattunlappen unb bunter i| 3 appe, waren
aber Don ganj prächtiger Süßncnwirfung. Sn ben Arbeiter*
theatern fpielen bie Arbeiter felbft unb jwar oft mit er*
ftaunlicßem angeborenem kalente. kaS fehr aufmerffame
publicum begleitet bie ^anblung mit prägnanten unb Dielfach
äußerft originellen Kunbgebungen feiner ©ßmpatßte unb
Antipathie unb ift außer fieß Dor greube, wenn am ©nbe
ber Söfewicßt feine wohlDerbiente, meift fefjr hanbgreiftiche
©träfe befommt. kamit enbigen übrigens ganj berechtigter
SBetfe faft aUe ruffifeßen SoltStßeater*@tüdc. S3oßl mag bieS
unferen Ipßperäftßetifern unfünftlerifcß erfeßeinen, aber ßier
ßat bie Kunft bodj Dor Allem ben 3med, eine gcfcßmadDotle
Unterhaltung ju bieten. Außerbcm lebt im ruffifeßen Solle
ein großer ©erecßtigfcitSfinn, ben auf jebe SBeife ju pflegen
unb ju ßüten baS Seftreben jebeS SBoßlmeinenben fein muß.
Arbeiterbibliotßelen finb oielfacß Dorßanben. Sßre
SücßerDerjeicßniffe müffen jebeS SRal erft polizeilich beftätigt
werben. SBie mir gabritbibliotßefarc, meiftenS ©ößne beS
SefißerS ober ^auSleßrer, mittßeilten, werben biefe Siblio*
tßefen eifrig benußt, unb wußten bie meiften ©ntleißer, itacß
bem Snßalte beS ©etefenen befragt, recht gut Sefcßeib ju
geben, ßatten alfo mit Auf merff amfeit gelefen. Sntereffant
ift eS, baß bie küßtet im Allgemeinen ben fßrofaifern uot*
gezogen werben, waS auf einen angeborenen Kunftfinn beS
SolfeS fcßließen ließe, fieß Dieüeicßt aber noeß eßer auS feiner
Weicßen, Ißrifcßen ©efinnungSart erflären läßt. Seiber lann
idf nießt weiter auf bie Arbeiterunterhaltungen eingeßen.
SBie feßon auS bem ©efagten erfenntlicß, geben fie bei ber
fo großen Katürlidjfeit beS ruffifeßen SolfeS bie intereffanteften
©inblide in bie SolfSfeele unb oerbienten barum aud) oon
©eiten ber beutfcßen SBiffenfcßaft ein eingeßenbeS ©tubium.
Unfer ©tolj ift eS ja immer gewefen, Don allen -Kationen
jn lernen unb baS Sorjüglicße bei allen DorurtßeilSfrei an*
juertennen. ©in fo naioeS Soll aber wie baS ruffifeße bietet
gewiß baS befte SeobacßtungSfelb für eine bis jeßt fo Der*
naeßläffigte allgemeine SolfSpfßcßologie, beren Kenntniß für
ben praftifeßen ^ßolitifer, namentlich in ber ©ocialpolitif, bie
fegenSteicßften golgen ßaben müßte.
koeß feßren wir jurüd ju benjenigen Arbeitern, bie
ni<ßt Don ber gabrif SogiS erhalten, fonbem prioatim woß«
nen unb fieß felbft oerpflegen, ker ruffifeße Arbeiter jießt
biefe Sebingnngen in ber Kegel ben Kafernenwoßnungen unb
ber Artelbelöftigung Dor, wiewohl er bort fießer Diel beffer
lebt Aber hier ift er freier unb ßat über fein ganzes ®e*
ßalt felbft ju Derfügen. Unfere Arbeiter würben ebenfo ur*
tßeilen. ©olcße Arbeiter erßalten 14—17 Kübel monatlich-
3 ßrer Kfeßrere bewoßnen eine ©tubc, wofür jeber etwa
1—4 Kübel monatlich ju jaßlen ßat. gür Setten müffen
fie felbft forgen. Siet Kfüße maeßt ißnen 'baS aUerbingS
nidßt. kaS Sett befteßt nämtieß auS 2—4 Srettern, bie
auf jwei Kiften liegen, barauf ein unbefinirbareS ©emifcß
Don Slänteln unb fonftigen KleibungSftüden unb bie genügenbe
Anjaßl Ungeziefer, oßne baS ber Arbeiter, glaube icß, nießt
feßtofen lann, unb baS Sett ift fertig, gut Serpflegung
tßun fieß ebenfalls meßrere jufammen. kiefetbe foftet pro
Sfaitn laum nteßr als 3—5 Kübel monatlich- SBie gefagt,
ift biefe Seföftigung eine Diel fcßlecßtere als bie ber im Artel
Dcrpflegten Arbeiter, aber bafür lann ber ©injelne nach feinem
©efeßmade auSwäßlen, unb baS fcßäßt er feßr. Sn ber
Kegel befteßt baS SDlittagSmaßl biefer anfptucßSlofen Sur*
feßen auS ©cßmatjbrob — feßr feßmadhaft in ber Art unfe*
reS ißumpernidel, nebenbei gefagt auch bie Utfacße ber auS*
gezeichneten gäßne beS ruffifeßen SolfeS, ba eS feiner §ärte
unb ©robförnigfeit wegen zaßnreinigenber wirft, als baS befte
Raßnpuloer — baju Diel ©alj unb nießt immer gelocßte
Kartoffeln. kaS ift baS ©ubftanzieÜe ber täglichen üJJaßlzeit:
inbeffen feßtt feiten irgenb eine befonbere kelicateffe ßöcßft
zweifelhafter Art; benn ber Arbeiter ift nafcßßaft wie ein
Kinb. Son biefer Kafcßßaftigfeit ejiftiren übrigens ganze
Ipeere fliegenber ^änbler, meiftenS arme Sauernfnaben, bie
Don Unternehmern auf bem Sanbe bußenbweife angeworben
werben.
SKitßin wäre alfo ber prioatim logirenbe Arbeiter noeß
eßer in bet Sage, feine auf bem Sanbe woßnenbe gamilie
regelmäßig 3 U unterftüßen. Aber aueß et tßut baS nur auS*
naßmöweife. 3 U ftaunen braueßt man eigentlich nießt batüber,
benn ber märcßenßaft naioe Sauer wirb natürlich Don bem
märcßenßaft oerborbenen ©tabtproletariat ober Don feinen
feßon „erzogenen" Samctaben auf jebe Art zu Derfüßren
refpectioe zu ejploitiren gefueßt. SBie follte er bei feiner
OöÜigen llnfenntniß beS SebenS wiberfteßen lönnen? ©S
tßut einem oft in ber ©eele weß, wenn man zufeßen muß,
wie fo ein frifcß Dom Sanbe importirter, rotßbädiger unb
meift ßübfcßer Surfcße, — nebenbei gefagt faft immer meßr*
faeßer gamilienoater — naio bis zur Unmöglicßfeit, aber
eßrlicß unb bieber unb oon ber jebem Kuffen angeborenen
©efäUigfeit ber Umgangsformen, in furzer 3«* fo wirb, wie
alle bie Anberen, feine blüßenbe ©eficßtSfarbe Derliert, in zer*
riffencit Kleibern ßernmläuft, trinlt unb Iran! wirb. Snbeffen
giebt eS aueß AuSnaßmen: braue, ftiHe Sungen, bie fieß ab*
feitS halten Dom ©eßwarme, ©onntagS auf ben gelbem
umßerftreifen unb AbettbS ißre enblofen, traurigen SolfSliebet
fingen in weicßen, tanggezogenen, llagenben könen. Aber
foteße ßalten eS meift nießt lange auS, unb eS ift mir meßr
als einmal oorgefommen, baß ein folcßer Surfcße einfach um
feine ©ntlaffung bat, weil ißm baS ©tabf* ober gabritleben
nießt „gefalle". — (<2djlu{j fotgt.)
Literatur unb ^unH.
DU 5ecefftott in töten.
SSon ©tto Stoe§l.
3 u einer 3 e 'l> ba überall bie neue Kunft mit ißren
neuen Scannern unb SBerlen in oollet Arbeit faft feßon ben
erften lämpfenbeit grüßling überwunben ßatte, begannen einige
begeifterte unb mutßige SWaler, ein lang oertannter, kßcobor
oon Ipörmann, an ißrer ©piße, aud) in SJien für bie neuen
Seftrebungen fid) einzufeßen. §ier wie überall^ war eine
frieblicße Serftänbigung mit ben „Alten" unmöglich- ®e*
feßmad, 3iele unb SKittel waren fo entgegengefeßt, wie bie
©efinnung einer alten unb neuen ©eneration. K?ertwürbig
rafcß ßat ber SBiener Kunftfrüßling gefiegt. |>eute aißtet bie
ganze ©tabt faft nur meßr auf bie ißarote, bie Don ber
©eceffion auSgeßt. kie Urfacßen biefeS rafeßen UmfcßwungeS
finb halb zu erfennen. Sn anbeten ©täbten famen bie Keuerer
ftüßer unb oßne SunbeSgenoffen, Dor ein unoorbereiteteS, in
ber gewoßnten bogmatifeßen Acftßetif unb ©cßöngeifterei ein*
gefcßlafeneS publicum, unb was immer fie fagten, erregte
Digitized by v^. ooQie
246
Die <8>e$etm>art.
Nr. 16.
burd) bie Don allem ©eWopnten fo abweidjenbe Elrt de»
fremben., geinbfepaft, ja 3 i>utf). 3 eber mußte befetjrt, jeber
©iitjelne für jebeö einzelne 2 Öev£ gewonnen werben. Unb
erft jtt bem geitpunfte, als längft überall biefe neue Äunft
iit fiel) Doflenbet war unb non einzelnen frttifrfjcit ©ciftcm
bereits fidjtenb unb umfaffenb bargefteßt, als überall ge»
erntet würbe, begann mau tu SBien ju fäen. Da war freilich
bic Elrbeit leichter, lopnenber unb tafferen SrfoIgeS gewiß,
wenn audj niept minber Derbicnftlid). 9lud^ war ber befte
Dpeil beS ißublicumS: bie reichen Käufer unb bie funftDer»
ftänbigen unb in ber SBelt perumgefommenen ober wenigftenS
bie belefeuen detraepter auf ElfleS, waS man bringen tonnte,
üorbcrcitet. Die äJfengc aber, fonft ftörrig unb feinbfelig, ift
in SBien non überaus gutmütpigem ^ßf)legma. Eleftpetifdje
2ButE)anfäHe finb fo feiten, als äftpetifcpeS ©ewiffen. dafd)
tann Seber bewegt werben unb oergißt in feiner heiteren unb
lebhaften ©inpftnbung alle „©runbfäße", bie er eben nie be=
faß. ©elbft bie gefepäßten Slritifer, weldje in SBien ftetS
eper folgten, als führten, waren gleid) bereit, ju pulbigen,
wo fie geftern nod) ffudjten. Da man nod) in SBien nichts
ElnbereS fannte, als bie „©cpmarjmalerci", waren fie bic
fproppeten biefer „©chwarjmaler", gleid) barauf, als ElßeS
in’S 2idjt brang, jubelten fie über baS Sicfjt. Die Seceffion
brauchte niept einmal eigene ©eitieS — bie hätte fie freilich
unter beit jungen EBiener fiünftlern nergcb(id) gefud)t, —
fie mußte nur mit gefepidtem ©efepmad unter ben EBuubern
ber fremben fiänber, anS bem Mieten baS defte Wäplcn, mit
Dact, ©efd)id unb jiernoU eS auf» nnb auSfteßen, um ElßeS
ju gewinnen. DaS tpat fie. ©o iwad) feine äftpetifepe 9ieDo=
lution auS, fonbern baS Eleue jog burd) offene Dpüren, be=
reitwidig, ja feftlicp empfangen in bie ©tabt ein. EBaS gefiel,
würbe gleich jum Ueberbruß in aßen Stoben, ©cfpräcpen,
ÜKöbeln, ©eberben abgeWerfelt, waS befremblicp blieb, mit
einem leicptbereiten SBiß weggefepoben, opne ,£>aß, ja, mit
einer gewiffen Danfbarfeit. DaS öfterreicpifdje EMufeum, üom
Staate unterhalten unb infpirirt, fcploß fid) hilfreich an unb
fo haben wir jeßt feit brei Satiren eine inobcrtte Slunft, ein
aflju tnoberncS Ädmftpublicum unb eine moberne Äunftpflege
unb »politit in SBien.
ßu ben leprreupften unb gelungenen EluSftcßungSjapren
barf biefcS leßte gejohlt werben. 3m ©attjen unb ©in»
jelnen war aße Darbietung am reifften, ruhigften unb fieperften.
©elbft bic ©egner waren bejwungcn. Unb bic EluSfteßungen
ber „Äünftlergenoffenfdjaft" übertrumpften mehr aus Elngft
unb Eleib, als auS Üeberjeugung in manchen ©tüden ihre
feinbliche drüberfd)aft. Die „©cceffion“ Deranftaltetc brei
EluSfteßungen, non beneti bic erfte ber grappifdjen Äunft, bie
jweite ben Sapanern, bic britte ber SKalerei unb ißlaftif ge»
wibmet war. Die erfte unb jweite waren fo redjt belehrenb,
retrofpectin unb tonnten bem aufmerffamen detradjter gleid)»
fatn baS ©ntftepen beS neuen malerifchen ©eiftcS nor Elugen
führen. Unb barin liegt, glaube id), ber über SBien hinaus»
gepenbe SBertp unb bie größere debeutung ber SBiener @e»
ceffioit, ihr gehler ift ihr dorjug. ©ie tarn ju fpät. Diefer
fiinftlerifcpen Efadjput ber SDtfoberne tonnten bie SBiener bie
befte Elrt non Sfunfterjiepung nerbanten. SBaS hi er noth»
weubig gefeßehen mußte, tonnte anberwärts planmäßig nach»
geahmt werben. Die SBiener SluSfteflung war gar nicht mehr
fubjcctioeS ©id)burd)fe^ett unerhörter Äunftneuerungen, fonbern
Eluffteßung unb Elnreipung beS deften, beffen 9iupm längft
fcftftept. ©o fönnen aßein EluSfteßungen ftatt ju verblüffen
belehren. DaS eben ©ntftanbene, baS um ben ©rfolg tämpft,
muß immer baS EJlaaß an bem wahrhaften ©roßen, bem eS
uad)ftrebt, nor fid) haben. DaS publicum muß Dergleichen
fönnen unb 311 fold)en dergleichen erjogen werben. DaS
©cutrum Don EluSfteBungen foßte immer ein ganjer SEreiS
Don ©djöpfungcn fein, welche baS Ipöcpfte ber gleichseitigen
deftrebungeu barfteßen, barum Wäre in ber Dorfidjtigen EluS»
Wahl bas Eieuentftanbcne ju fantmeln. SJtan rette nur baS
publicum Dor ber IDfaffc. §at man Diel ju fagen, fo mag
man eS öfter thun: ift eine große ÜJienge üon ©ilbem ber
EluSfteßung werth, fo fchaffe man eben mehr EluSftcßungen.
Dann fönnten fie ftatt ein bloßer Äunftmarft unb üKobeoit
als Sulturfactor SfunftpolitiC in höherem ©iitne treiben unb
üielfad) bie Elrbeit ber üWufeen ergänjeit. 3a, eS barf mit
IRecht Sticharb s 3)tuther’S dorfcßlag hier Don 9ieuem Dorgc»
bracht werben, bie EluSfteßungen eine bisher nicht Derfudjtc
ElrbeitStheilung Dornehmen ju laffen, nach ©tofffreifen, fleinen
Sänbergebieten, weld)e eine gefd)loffene Sbunftftimmung auS=
brüefen. Ober mau gruppite nach öer h'florifdjen ©ntwiefe»
lung ber Wotioe. Die ÜKufeen haben einen fijirten, noth»
wenbig lüdeithaften deftanb. EJun foß aber bie heutige
Ä’unft in ihrer organifd)en ©ntwicfelung auS ber Dergangenen
gejeigt Werben; baS publicum wirb baS EEeue beffer begreifen,
wenn eS Weiß, wie eS Werben mußte. ©0 müßten hiftorifdje
EluSfteßungen in aßen ©täbten an bie ©eite ber SOfufeen
treten, 'ijjtiüatfammlungen, ©d)äße ber Äunfthänbler würben
Material genug liefern, baS ja nicht Doßftänbig ju fein
brauste, nur gleichfam bie Dbertöne anjufcf)lagen hätte. Denfe
man fich baju eine wirflid) Willige äfthetifdjc giiljrung, nicht
burch ein dilberoerjeichniß, fonbern burd) einen mit der»
ftänbniß unb Stil gcfchriebenen ßatalog, burch Vorträge
unb Unterweifung in ber richtigen detradjtung, fo wirb
fid) erft ber wahre ©rfolg einer foldjen. bisher freilich
nur etwa in §antbitrg unter ßicljtwarf Derfu^ten EluS»
fteßung jeigen. ©crabc bie EBiener EluSfteßungen biefcS
3ahreS mußten foldjc Derwanbte ©ebanfengänge erregen,
benn fie uerfolgten 5 um Dheil bibactifd^e ßwede bewußt
unb mit ©cfdjicf, wenn auch rdd)t in weitem ^Slan. So
biefe graphifcf)e EluSfteßung. Uebcraß fonft läßt fich öaS
9?euc an’S Elite angliebern. §ier hat baS Sahrhunbcrt auS
neuen Queflen getrunfen. ©ewiß mag and) bie neue dh Qn -
taftif ber mobernen Decßnif unb baS ftarfe fociale dewußt«
fein ber ßeit gerabe bie graphifchen fünfte lebhaft angeeifert
haben, welche ja am meiften Don aßen tcchnifdje debingungen
fteßen unb fociale SBirfungen erreichen foßen. ©benfo wie
man fid) Dürer, £>olbein unb ©opa nur in einer Don ftarfen
gefeflfdjaftlidjen dewegungeit, grageu, Sehnfuchten erfuflten
unb burd) neue ©rfinbungen unb EBeltgebanlen in ©ährung
gebrachten $eit Dorftcßen fann, mag man auch Sliitger unb
bie anberen SßJeifter beS ©riffeis üon ben Drtumphcn ber
tcdjnifchen EBerfe unb SBiffenfchaften, Don bem Eluftrieb großer
neuer ÜDtenfchenclaffen unb ber SBirfung neuer ©ebanfen aufs
Unumgängiid)fte fich beftimmt benfen. grüper gab eS einzelne
EDieifter, aber leine SDfeifterfchaft ber geit in biefer ©rappil.
©S gab große 91abircr, aber man barf wohl niept fagen, bie
dabirung fei in ber .^atboergangenheit groß gewefen. de»
jeiepnenb haben fich bie bebcutenbftcn dabirer auf bie depto»
buctioit befchränft unb baburd) baS publicum gewöpnt, ipre
Äunft als jweitclaffig, faft als ^»anbwert anjufepen. ©rft
Slinger unb bie um ipn paben wieber unb wieber gefagt unb
gejeigt, baß ber @tidj ebcitfo für gewiffe malerifcpe Snten»
tionen, ©timtnungen, für eine beftimmte Elrt ju fepen unb
3 U fintten bie einjig abäquatc gorm fei, wie etwa ber der»
in ber d° c fi e - Unb bann greift bie ©riffelfunft in ipren
SBirfungen am EBciteften auS, unb jeber Zünftler bient burep
fie, opne eS ju woflen, ber dilbung feiner ganjen geit. Elucp
hier war bie EBiener EluSfteßung retrofpectiD, burfte SßiancpeS
als befannt DorauSfepen. ®S erfepien inbeß genug EteueS
unb ©roßeS, namentlich Don ben granjofen doutet be 3Jfonoel
mit feinen franjöfifdjen Sagen unb ©cpwänlen, Seanbre, 5RoU,
Seanniot, EJiaurin, nnb ben beften Deutfcpen. Die japanifepe
EluSfteßung, ans ben Schößen beS befannten SJeifenben Sfbolf
gifdjer jufammengebrad)t, fatalogifirt unb angeorbnet, fonntc
wieber gerabe im Elnfcpluß an bie grappifepe EluSfteBung über
bie Einregungen unterrichten, Don welchen bic gefammte euro»
päifd)e, moberne itunft, inSbefonbere jebodj bie grappifepe, im
teepnifepen, in ber neuen biScreten Elnwenbuitg ber Sinie, in ber
Digitized by v^. ooQie
Nr. 16.
Dt* (Begjttwart
247
Serwcnbuitg ber gut abgewogenen 2(fpmmetrie unb einet fo*
gufagen fcf)emattfd)cn ißerfpectioe fowopt, als and) in bet 21 rt
beS ©epenS unb ©mpfinbenS, bet SBirfungen bet fanft ge»
tönten [fläcpe, ber becoratiöen SJtotiüe u. bgl. erfüllt unb be*
lebt tourbe. ©S giebt ein feltfameS ©piel ber ®efc£)icf)te, baß
Sapan jept ebenfo fepr [ich felbft aufjugeben unb unfete Aunft
bebingungSloS aufgunepmen ficf> anfrfjicft, wie wir bie [einige
oor 3apren aufnapmen. Snbeß braucht man biefen ©influß niept
gu fürchten. Tie ftembe SRaffe wirb immer nur affimiliren,
niemals fiel) felbft an ba£ ftembe üöllig auSlicfern unb ficE)
gang üergeffen.
Tann tarnen bie lebten großen 2luSfteHungcn im ftünftler*
pau£ (©enoffenfdjaft) unb im ©cbäube ber ©eceffion. Tie
©rfte bat fiep unter bem ©influß ber mobernen Triumphe,
namentlich bem ihrer jungen [feinbin, ber ©eceffion, wefentlicb
üeränbert. TaS ©ute foH ber ©eceffion weggefifebt Werben.
2ln eine innere Sefeprung ber Ungläubigen wirb man wobt
nicht babei benfen hülfen, benit neben fepr ©utem, ba£ au£
ber [frembe gufammengetragen worben, hängt ©mpörenbcS
non ^eimtfe^en Talentlofigfeiten. 9lucp in ber SBapl ber
mobernen Trümpfe geigt bie ©enoffenfehaft ziemliche UrtpeilS*
lofigteit Smmer febeint fie eher bebaut, einen materiellen
©enfationSerfolg gu erzwingen, als fünftlerifch burch einen
notbwenbigen, feinen ©onferüatiSmuS gu wirten, ©o mit bet
2lu£fteDung uott Sef Sambeaug'S Soloffalrelicf „Tie menfep*
lichen Seibcnfcpaften", baS gwat ooQ Temperament, aber audj
ohne tünftlerifche 3 uc bt bie ©rengen beS ijßlaftifcben über»
fepreitet, ohne ©ewiffenpaftigfeit in bilbnerifepe ©roßfpreeperei
unb ©emeinpläßigfeit üerfällt. Sei biefem Sauf nad) ber
SMonumentafität berliert ber Aiinftler einige Seine, Schultern,
9lrme feiner [figuren, unb beim Streben in’S ©roße uergißt
er 5D?a ncpeS, fo baß etwa ber Saudj biefer, ber Aopf jener
igur auf Aoftcn ber übrigen ©lieber waepfen unb gigantifebe
arricaturen entftetjen. Sn ber SapreSauSftcünng felbft war
öiel ©utcS. Tie Cefterreicper felbft finb tüchtig, wenn auch nicht
beroorragenb in ber Sanbfchaft. Aonopa, AaSparibeS, ©laoicet
unb £ubeccf, SRibarj unb Titfcpeiner machen feine unb rei*
genbe ©acben. 2lu£ ber [frembe hat man wahllos acceptirt.
©et ©tünepener 2uitpolb»@ruppe war ein ganger ipauptfaal
gewibmet. Sie hat ungefähr ben äftpetifepen ©parafter, um
nicht ju fagen: bie äftpetifepe ©fjarafterlofigfeit ber SBiener
©enoffenfehaft .felbft. ©ie folgt neuen 2tnregungen, ohne ficp’S
mit bem fßubticum gu oerberben, was fie Weber mag noch
tann, ba ihr beim beften SBiden nichts £>immelftürmenbe£
einfällt, ©roh bewähren [ich bie AarlSruper unb SBorpS*
Weber Aünftlcr, welche nun bie ©tüßen ber ©enoffenfcpaftS*
auSftetlungen geworben finb. Sn ber ©efepiepte bet beutfdjen
Malerei werben bie SEBorpSmeber mit ihrer Schlichtheit unb
heimatpliebe unüergeffen bleiben. @o biel Stamen, fo biel
©runbeparaftere beutfepen SBcfenS [teilen fie bar. Sogeier
fegt ©chwinb’S füße SDtärcpen bergeiftigt unb mit größerer
malerifcper Sodenbung fort, Tiefem ßarten fleht SinnenS
gigantifdpe Araft gegenüber, bie boeb wieber bon ber innig*
ften ßärtlicbfeit unb Treue gegen bie Statur ift, bie fie
gleicpfam mit ^elbenarmen umfaßt. ©roßgügig unb wuchtig
im ©angen, ift 9lHeS gugleicp üod SDtilbe. SWobcrfopn unb
SDtadenfen finb fo wie ihre ©enoffen in Sanbfchaft unb
Sdtärcpen, in baS Seben ber Semopner biefer alten ©egenb
berfenft, befd^eiben, fcplicpt, nie mit romantifepem ißatpoS,
ftetS innerlich ergriffen unb ergreifenb. 2Jfan benft an bie
Sadabe bom 2lrcpibalb TouglaS: „SBer feine ^eimatp liebt,
Wie Tu" .... Shrer Aunftauffaffung nach gehören bie
SBorpSweber wohl gu ben Seuten bon bcr ©eceffion, übrigens
ift eS ja fo gleidpgiltig, wo echte Aunftmerfe gerabe gufädig
hängen.
Tie ©eceffion hat heuer Wieber auch in ber 2luSftetlung
bon ©emälben unb ißlaftifen eine bebeutenbe Stiidfcpau auf
baS moberne Aunftfchaffcn gegeben, inbeffen [ich bod) bebeu»
tenber mit eigenen SBerfen eingefteÜt, als bisher, ©o fonnte
man Aarl £>aiber'£ Sanbfchaften, in benen ber beutfehe SOiafcr
juerft wieber mit ber Statur hanbgemein würbe, fehen, Seibl’S
unb Sottet’S grobe ruhige, reife Äunft, auch Uhbe’S gewohntes
Silb — eS ift immer baS ©leidbe unter wechfelnben Stamen,
Ahnopff fanbte längft SerühmteS, jebeS feiner Keinen Silber
geigt einen feltfam fühlen ©eift, bie Sachen haben alle eine
ftählerne Araft, ©djmiegfamfeit unb finb fo wunberbar ge*
arbeitet, wie bie foftbarfte Alinge. Ahnopff [teilt auf baS
Solleubetfte jene ©attung üon Aünftlern bar, Welche — wie
etwa Stephan ©eorge, £>ofmann£tbal u. 21. — ihr eigenes
©mpfinben nicht unüermittelt geben, fonbern burch &aS SJtebium
romantifcher Stoffe ftrabjlen laffen. AljnopffS Ißage, im
Softüm ber Stenaiffanccgeft, etwa wie ©iorgione folche IßorträtS
gemalt hätte, geigt hoch im ©efidjt biefen räthfelhaften 2IuS*
brud, mit Welchem Ahnopff alle ©efid)ter barftettt, einen
TppuS oon oergeiftigter ©d)önbeit, bie ©raufamfeit, ©arfaS*
muS, Stonie enthält; biefe Schöpfung eines großartigen unb
ungemeinen TppuS gelingt nur ben größten SJteiftern. Subwig
Oon ^ofmaitn ber eigentlich Einlaß gu bem ßohlfa ©cßlag*
wort ber „rotpen Säume" gegeben hat, über bie fiep nun ja
wopt Sitemanb mepr wunbert, ift mit großen unb reifen
Silbern oertreten, oon benen fein ©ottoater unb 2lbam unb
®oa im ißarabipfe baS fepönfte. ©eine SJfalweife pat fidp
feit jenen beraufdjenb garten, jünglingshaften unb wie ge=
träumten Sbpllen auS einem unerhörten 2lrfabien merfwürbig
geänbert, fie ift lebenbiger, fräftiger, härter geworben. TaS
©epaudjte unb ©eflüfterte feplt, 9llleS ift bewußter, männlicher,
größer. 2lber man empfinbet boep einiges Sebauern um bie
unfäglicpe ^attpeit oon bamalS. TaS ißorträt ift Oertreten
burep Saüerp, 2llejanber, ißepino, ^abermann, Aempff. Saoerp
ift ber elegantefte ©laffifer einer Aunft, welcpe bie pödjfle
Sfobleffe ber Tecpnif mit ber pöcpften Sergeiftigung beS
©egenftanbeS Oereint, wunberbar ben SHenfdjen in feiner
inbioibuellen Tracpt unb Haltung faßt unb boep, jebe crube
§eftigfeit oermeibenb, baS Silbniß felbft auf ben garteften
unb bebeutenbften Ton abftimmt, ein 3^1» nadj welkem bie
Silbnißmaler feit jeper auf’S Segierigfte geftrebt patten; man
benfe an Tigian’S gWeite ^ßeriobe! Unter ben SJfobernen
biefer SluSfteUung [teilt SaOerp wopt ben ©ipfcl biefer Aunft
üor, 9llejanber ift oon bem raftlofen ©prgeig Oon gaiben*
ejperimenten gepept, ©anbara üergißt über ber aüerbingS
unübertrefflichen ©ragie unb ©legang feiner Tecpnif unb feiner
Scfteller oft genug ben ©celeninpalt, fo baß mampe feiner
Aöpfe puppenpaft mitten, inbeß ^pabermann wieber in pfpepo»
logifd)e ©cprutlen, ©pipfinbigfeiten unb ißeroerfitäten gerätp.
2Bpift(er unb ©arribre, bie wopl noep tiefer in baS 2lußer*
orbentlicpe oon Seelen einbringen, fehlten heuer.
Stun gu bem großen Siätpfel ber 2luSftelIung. TaOor
fiept man immer oerbußte ©efiepter unb pört immer ratplofe
Semerfungen. San Toorop’S Silber „©ppinj", „Tie brei
Sräute", „Tie neue ©encration". Serftänben bie SKenfcpen
Silber fo angufepen, wie fie gefepen Werben foHen, mit auf*
merffamem Slid unb bereiter ©mpfinbung, fo müßten fie.
Wenn eS auep manepe giebt, bie oermöge ihrer Statur ftenib
bleiben müffen, oon biefen SBerfen im Snnerften ergriffen
Werben. Toorop ift SKalape. ©ine frembe Staffe, ein frember
SJekptpum tropifeper ippantafie ift in feinen Silbern, eine
feltfame gieberftimmung unb UrwalbSgraufen; bie SStenfcpen
auf feinen Silbern wacpfeit Wie Slumen fdjonungStoS unb
wiebet unfäglid) angftooll blideitb aus einem Soben, ber noep
SBunber trägt. 93?an pat ipn Oom ©tanbpunfte tritifcp»
fittfamer ©uropäet raffinirt genannt, weil man einen folcpen
©rab üon Staioetät bei feinem SKenfcpen oermutpen gu bürfeit
glaubte. Staio ift bie SBunber* unb ©leicpnißmelt biefer
Silber, naiü ipre garbenbläffe, ipre Oerfdplungenen unb fraufen
Sinien unb bann wieber bie Orgie ihrer [färben auf einem
anberen Silb. Tic frembe Aunft entlegener Staffen wirb in
ihren ©ingelpeiten immer etwas grembeS paben, aber in iprem
tiefften ©epalt wirb fie unfer TieffteS treffen, [freilich wirb
Digitized by v^. ooQie
248
Die töegetttoart
Nr. 16.
bcm, bem biefe aufeerorbentlichen 53ti<fe, biefe einfadjften
©eberben, btefe fef)nenben §unberte uon Firmen auf Doorop'S
SBübern nichts Dort metifdjlidjet ©eljnfucbt, trauet beS ©r*
fennenS unb Stauung beS Unergrünblidjen gu üerrathen fdjeinen,
jebeS biefer Silber räthfelljaft bleiben ober gar lächerlich; ber
Anbere wirb inbeffen über bie frembe fRaffe hinüberfehen unb
baS ÜJ?enfd)(id)fte mit unerhörter ©etoalt, weil mit gang neuen,
ureinfadjen, erhaben »fimpeln AuSbrudSmitteln gefagt fühlen.
Durch ebenfo heftigen Streit ber Meinungen würbe
Älimt’S für bie SDecfe ber SBiener Uniüerfität beftimmte
„Shifofoph*c" unoerbient ben Doorop’fchen Silbern nahe»
gerüeft. 2Bo bort Diefe ift, ift hiev raffinjrter ©flefticiSmuS,
»o bort bie 5Ratur felbft gu fpreßen Scheint, ift hiev Äünftelei.
Die Svofefforen ber Uniberfität toeigern fid) in einem ißroteft,
baS Silb aufjunehnten, bie ©eceffion antwortet bamit, Baien
hätten bei ber Seurtheilung eines SunftwerfeS nichts mitgu»
reben. Der ^roteft märe begreiflich, wenn bie ^rofefforen
Hausherren in ihrer Uniberfität mären, baS finb fie jebod)
leiber nicht, fonbern baS Unterrid)tSminifterium, baS burd)
eine ©ommiffion, in ber auch einige ber (ßroteftler faßen, bon
Älimt biefeS Silb befteßte. 2Ran mag gu Denen gehören, welche
Sllimt für einen mittelmäßigen 9lad)ahmer frembet ©röfee
halten, aber man fann befet>alb hoch in bem Serfahren feiner
geinbe eine gewiffe fRefpcctlofigfeit oor ber ftunft unb Hoch 5
muth gegen ben SEünftler nur bebauern. ©in ßunftwerf ift
feine ©djneiberarbeit, bie man gurüdfdjidt, wenn fie nicht
paßt. SBer ein Silb bon einem Sfüuftler beftellt, weife, gu
wem er geht, ober mufe eS miffen; gerabe ftlimt hat feine
(Eigenart eher übertrieben, als berheimlicht; eine ©figge legte
et auch bor, bie gebilligt würbe. Dann, auf einmal gegen
bäS SEBerf empört, eS auf eine entfd)loffene Art fpnauSWeifen,
entfpridjt nicht ber ©erechtigfcit. 2Jfan hat gefagt, baS Silb
Werbe ja befahlt, aber SRiemanb fönne ben Hausherrn gwingen,
eS auch aufjuhängen. DaS ift fe^t roh unb °h t,e Sichtung
bor bem fünftlerifchen ©chaffen gefprochen, baS fich immerhin
nach feiner Segabung unb Artung mit ©ifer unb ©hrlichfeit
um einen beftimmten Auftrag bemühte, ber übrigens auch
burdj aUerhanb SBinfe ber ißrofefforen faum geniefebarer ge»
worben wäre, derlei Allegorien finb immer eine 9?oth beS
ÄünftlerS. (Die ©ntgegming ber ©eceffion ift ebenfo falfdj.
©teilt fie Äunftwerfc aus, fo fucht fie Strftänbnife bei ber
SRenge unb unterwirft fich bem Urteil Aßet. ©rfennt fie
eS an, wenn eS Seifafl giebt, fo mufe eS ißt auch recht fein,
wenn eS berneint. Unb fdjließlidj finb felbft bie feceffio»
niftifcheften ©nobS ein unangenehmeres fritifdjeS publicum, als
©clehrte bon immerhin achtbarer Silbung. 2BaS baS Silb
felbft betrifft, fehlt mir aßerbingS auch ber ©inn für ben
geiftigen unb malerifdjen Inhalt. ERan rühmte als Sorgug,
bafe eS aße alte ©pmbolif bermeibe unb eine neue barftefle.
(Dies wofel, aber bie neue ©hmbolif befteht auS einer Sh r a=
feotogie bon SRotioen, bie man Sh n °Pff u. üerbanft,
unb bie Art, wie Sflimt bie ^ßf)ifofop^ie auffafet, ift hoch
aflgu finblich- ©röfee ber Auffaffung unb beS ©ebanfenS
fehlen bem äufeerlich fehr großen Silbe böflig. ERalerifdj
ift eS trübfinnig unb wirr, AfleS ineinanber djaotifch
ober, Wie Sllimt meint, pfeilofophifd) berquoßen, aber
immerhin bon ftarfer ©timmung unb großem ®efd)id. ERan
wirb fich hüten müffen, über Älimt abfolut abguurtljeilen,
biefleidjt ift AßcS bieS ein Uebergang gu eigenartigem ©Raffen,
bießeidjt überwinbet er auch biefe (Experimente aße unb finbet
eilte bebeutenbe ©igenart felbft in fid) unb brüdt fich mit
feinen AuSbrudSmitteln auS, ohne fich in ben ©ebanfen,
Farben, formen aßer anberen bewunberten EReifter gu fuefeen.
SebenfaflS tagt fein cnergifdjer Äampf um bie ffunft feinen
Slünftierfreunbcn oiel, unb fie fteßen fein Schaffen neibloS
über baS ihre. (DaS giebt gu benfen. ©chliefelid) finb gegen
eigenartige Naturen bte ERenfchen fpröbe genug. ERan benfe
an bie langfanie ©rfenntnife bon Södlin’S ©röfee. ©o mag
man mit fRedjt auf biefeS ERalerS ©ntwidelung begierig fein.
SebenfaßS ift er ber einzige Söiener ©eceffionift, bet aus
einem heftigen fünftlerifdjen ©igenftnn mit ^>cftigfeit fich
burchtingt; bie Anberen finb feine, elegante ©fleftifer, mit
aßen technifdjen ©alben gerieben, oft mobern bloß in ihren
SRitteln, „alt" in ihrem ganzen ©tofffreis unb ©ebiet —
wie etwa SRoß. ©o berräth ©ngelharbt bie gute Durch»
fcfjnittsbegabung, welche ABeS gang trefflich jufammenbringt,
waS ein Anbeter borgemacht h°t unb in aßen ^Richtungen
emfig um baS ©elingen fich müht gwei aber barf man als
EReifter unb echte ftünftler, ebenbürtig jebem gremben, nennen:
griebrid) Äönig unb fjerbinanb Anbri. Diefer malt äRärchen«
ftimmungen wie Sogeier unb bod) wieber anbetS, wie burch
wienerifcheS HRebium burchgegangen; feine Slätter ju Schubert s
SEBinterreife finb bem fo rafch berühmt geworbenen Sogler’f^en
grüfjling ebenbürtig, ©eine Sanbfchaften finb fo heß, frifch
unb entjüdt gefefeen, bafe fie wunberbar erffeinen, wie am
erften (Tage. Anbri ift ein ftarfer, gefunber, noUblütiger
fRealift. @r malt grobfnochige Säuern auf bem gelbe, ftarf»
hufige Adergäule mit blanfem ©efchirr, polnifche SRärfte u. bgl.
AßeS mit einer fteten heimathlichen ©runbftimmung, fo reif,
fichet, ftarf in jebem ©trief) unb jeber garbe gewiß unb Aße«
üon einem fotchen fünftlerifchen Sehagen burchleuchtet, bafe
man beim Anblid feiner Silber an ben föfttichften beutfehen
©rjähler benft: an ©ottfrieb Äefler.
@o h°l bie ©eceffion gewiß ihre Aufgabe erfüßt unb
barf juftieben fein. Sie hot fich ™ ben (Dienft ber großen
Stunft gefteßt, nichts öon ihren Ueberjeugungen geopfert, oiel«
mehr in richtigem nach einer fünftlerifchen ÜSanblung
unb ©tjiehung beS ißublicumS geftrebt, fie hot h^mifdjen
Zünftlern wenigftenS bie 3Röglid)feit gegeben, an frember
Äraft bie eigene ju meffen, unb hot enblich baS ©lüd, auch
jwei echte Sfeifter ju Stuhm unb ©rfolg ju führen.
Das ßwtij-ÄletbUdje.
33on Dr. med. HI. Crcymann (SRlgö).
©oethe’S „gauft" fchliefet rhit ben SEBorten: „Da« ©Wig»
ÜBeibliche jieht unS hinan." @S Wäre intereffant ju Wiffen,
wie oft biefer tief»ernfte, aus ber gereiften SBettanfdjauung
beS großen Dichters fliefeenbe ©ebanfe in oberflädhli^er,
ironifirenber Seife in ©efprächen unb Sournalartifefn citirt
worben ift. 9E8ir hätten bamit einen gewiffen SRaafeftab für
bie flüchtigen Urteile Derjenigen gewonnen, bie nicht nur
ben „gauft", fonbern auch ben Dichter unb ÜRaturphilofophen
©oethe mifeüerftanben hoben. Aber DunfleS ju erheßen,
©treitenbe ju Oerföhnen ober ju befänftigen — baju biene
bie Setrachtung beS „@wig«8EBeiblichen" im Sinne ©oethe’S.
Snbem ich bieS ©ine auS ber güfle ber Dichtung fjertorhebe,
fei eS mir geftattet, in aßer Kürje auf baS Stefentliche beS
©oethe’fchen „gauft" einjugehen.
SSBir fehen unb f)öven ben großen Denfer in feiner ein»
famen ©tube. ©r fud)t bie SBaferheit mit ber Anfpannung
feines gangen SnteßectS, aber er finbet fie nicht: „3<h f e fc
bafe wir nichts wiffen fönnen, baS wifl mir fcf)ier baS Herj
üerbrennen." SergWeifelnb erfennt er ben Abgrunb, bem er
entgegentreibt: bie ASfefe unb bie SRagie. Der SbealiSmuS
hat i|n in bie SerjweifTung, faft in ben Dob geftürgt Der
©eitfualiSmuS, Oerförpert burch SRephifto, foß SRettung bringen,
©tatt ber SBahrheit, bie ihn banferott gemacht an Seit unb
Seele, fud)t gauft bie Schönheit. Aber im wilben Beben,
im ©innenraufd), wo er fie fucht, finbet er fie nur um ben
(ßreiS üon ©lenb unb ©djanbe, in bie er nicht nur fich, f 011 “
betn auch t»ie Heifigeliebte ftürgt, in ber er nicht nur fein
beffereS ©elbft einbüfet, fonbern auch baS feinem H*^ 11
Dlieoerfte oerliert. ©nblich, nach langem Drauern, unb Ser*
i.
Digitized by v^. ooQie
Die ®e$etn»ari
249
jmetflung im #erjen, glaubt et bie S<pönpeit in ber ®unft
ju crfaffett. „®am Sanb ber ©riechen mit bet Seele fudjenb",
fann er feine peißen träume nur oermirflicpt fepen, fo lange
SReppifto ipin feine Strafte, ben 3 au ^ €r W^ffel unb ben
3aubermantel, leipt unb ber ^omuncutuS, bam unOoUfommene,
nur unter ÜReppifto’m 9Ritpülfe tn’m Seben gerufene 3 roer 0‘
9Renfcplein ber fßfeubo»9ßiffenf<haft, ihm alm Seitftern ooran
leuchtet. Angefkptm ber ftraplenbert, „fcpaumge6orenen" ©alatee
erlifcpt freilich fein fpärltcp glüpenbem, in gläferne, ^erbrecf)*
lt<pe |)ü[Ie gefaxtes tleinem Seben, aber gauft’m unftiübarer
Sepnfucpt unb Äraft gelingt em, bam 3beal aller grauen, bie
fcpöne ^»etena, am guße bem Dlpmp aus ber Untermelt für
fiep an’m Tagemlicpt emporjupeben. ©ptron, „bet große 2Rann,
ber eble fßäbagog, ber, fiep jum fRupm, ein §e!bent>oif etjog"
unb bie »eife ÜRanto, bie Todpter Aemculap’m — b. p. bie
SSeltmeimpeit unb bie SRaturlunbe in ©emeinfcpaft — feiten
ben gauft. „®en lieb’ ich, ber Unmöglichem begehrt." 9Rit
biefen SBorten führt ÜRanto ben gauft in bie Untertnelt.
Unb nun erringt er bie mirtlicpe §elena, nicht nur wie einft
ihr Phantom, alm er fie mit bem 3 a uberfcplüffel bem UReppifto
fammt ißarim am Äaiferpof tjcraufbefct|tt)or. Sn glücftid^er
@pe mirb ihm ber himmelftfirmenbe ©upporion geboren. Aber
mit peißem Temperament, Ootl hohen ©hrgei^em jut H%
emporfteigenb, ftürjt ber oieloerpeißenbe Sprößling gauft’m
Sur ®rbe herab. Sn tiefem Scpmetj Detläfet Helena ben
gauft, ber fich mit ihrem herrlichen ©emanbe p oen Söolfen
emporhebt, unb lehrt felbft jut Untermelt heim mit ben
SSorten:
„©in afteS SBort bewäBrt ftdj leibet and) an mir:
&af* mM unb ©djönBeit bauerBaft ftd) nic^t Vereint,
gerxiffen ift beö Gebens, tuie ber Siebe Sanb;
Sejammernb beibe, fag* id) fd)merjlicB SebewoBf!"
SReppifto*) hat fich unterbeffen, auf ber SBanberung
burdp bam Sanb ber Schönheit mit ben Sßporlpaben oer»
fcpmoljen — er pat fich au8 bem brutal 93öfen in bie
perfonificirte ^äfelidjfeit urngemanbelt, bie fich mit ben prüi=
gelaffenen Attributen ©upporion’m, mit $leib, üJfantel unb
Spra, begnügt:
,$ier bleibt genug $oeten eiiuumeifjen,
3u ftiften ®ilb' unb §anbwe«8neib;
Unb tann ich bie Talente nicht berieten,
SJerteib’ ich roentgftenS boS ffitelb."
Sm Hochgebirge bem Sßolfenfcpleier Helena’m alm ein 93er»
jüngter unb ©rftarfter entfteigenb, unb immer triebet tton
SReppifto begleitet, tritt gauft in bie legte ißpafe feinem
©rbenlebenm!
„#errfdjaft gewinn ich, Sigentljum:
®ie Spat ift $Wt8, nichts bet 9iuhm!"
©r miU baö ©ute, bam Sittlich» ©ute im Tpatenbrang üer»
mirllidpeit. Unb mam erreicht er? ®am H öl Pf te « mam ber
SRenfdj erreichen lann, ber alm foldper bem unjertrennlichen
SBegleiter, feinem ©efährten JReppifto, täglichen Tribut ent»
riepten muß. ®am Sanb, bam bem ftoljen ÜReere abgerungen
morben, bam alm freier ©runb einem freien 93olfe bienen foD,
eö mirb burdh SReppifto unb bie brei gemaltigen ©eftalten:
„Haltefeft, Habebalb, ©ifebeute" mit SJrieg überjogen, frieb»
li^e, gute SRenfchen (fßhilemon unb 93aucim) ihrer Habe unb
iprem Sebenm beraubt, bie Schifffahrt burdh ®emalt unb fRaub
gefchäbigt Unb ift am ©nbe nun bo<h miebet allem fiebrige,
Steine, näfflidje bam ©rofee gefdjaffen, bam ©ute erhalten,
bam Schöne gemährt morben unter harten Sümpfen, bann
treten bie „oier grauen SBeiber" auf: „ber SRangel, bie
©cpulb, bie ÜRotlj unb bie Sorge". 5Racf)bem gauft unter
bem erfepütternben, in unöergleichlicher SBeife gefcpilberten
Sampf mit ber Sorge, bam Augenlicht eingebüfjt unb trog
*) SBet noch jweifetn foHte, boft ®oethe tn ber 26at in 3Reph«fto
ben ®enfuali8mu8 bertörpert hot, ber lefe bie intereffante Unterrebung
Wephifto’8 mit ber Sphtnj.
AHem tapfer gefämpft unb aumgehalten hat bim an’m @nbe,
bim jum legten Augenblid, ftirbt er mit ben SBorten:
„9!ur ber berblent fich Freiheit wie ba8 Seben,
®er täglich fie erobern muh-
-3um Wugenbiicte bürft' ich fogen:
Verweile bod), ®u bift fo fcpün!
@8 tann bie @pur bon meinen Srbentagen
Sticht in Sleonen untergehn.
3m ©orgefühl bon folgern hohen ®Ittd
®enie6’ ich jept ben hbepften Sugenblict?"
Alfo Sampf unb Tob? Söeiter nichtm? fRein — gauft
finbet enblich bam ©ute, SSahre unb Schöne nach & er ßom»
löfung t>om Senfualimrnum, oon SRephifto. Sein „Unfterb»
lidliem" mirb in ben Hi mme t gehoben. Sr mirb empfangen
oon ber Mater gloriosa „ber höcpften Hrtrfcherin ber SEBelt",
im ©eleit bet brei grofjen öüfeerinnen unb Oon bem burdh
ben Scpmerj geläuterten ©retten: „®am @mig«9Betbliche"
jiept ihn h'oan — bim in ben feligen grieben hintmlifdher
^Regionen.
SBam ift nun eigentlich „@mig»9Beibli<he" in bem
feierlich »erhabenen ©rnft ©oethe’m? ©ine moberne Schrift»
fteUerin hat bie echte SBeiblicjhfei alm „äRütterlid|leit" befinirt.
Sie offenbart fiep thatfäcf)lich in ber 9Rutterliebe unb bie
SRutteriiebe geljt auf in bam SRitleib mit bem hülflofen SHnbe.
Sft biefem SRitleib aber bam SBefentlfche unb ©haralteriftifcpe
ber SDZutterliebe?
Schopenhauer Oerfucpte in feiner Schrift: „®ie ©runb»
läge ber üRoral" ben SRacpmeim ju liefern, baß bie SRoral
ipren Urfprung habe in bem üRitleib, rnelcpem burep bam An»
flauen ber Seiben unferet 9Ritmenfcpen ermedt merbe. ©ine
SBegrünbung, bie trog ber geiftreidjen Aumfüprung Oielfacp
angefoepten morben ift ®et ®icpter tauepte tiefer hinab, alm
ber fßhrtofoph» mie mir fepen merben. ©r läßt bam Schöne
Oon gauft aum bem ©rbenfcpoß, oon ben „SRüttern" herauf»
polen unb läßt bam Sittlicp=©ute, meldpem gauft imHintmel
erreidpt unb fepaut, burep bie üRutter ÜRatia unb ©retepen
oermirflicpt merben — burep meiblicpc Siebe unb meiblicpen
Scpmer^, ber burep Sdpulbgefüpl unb Süpne pinburep*
gegangen ift.
Sn ber befannten feierlichen Scene ruft gauft:
$ie Mütter! 9Kütter! 'S Hingt fo nmnberlidj!
-S)en buttern! ^rifft'S mtcB immer wie ein @dj(ag!
SBa§ ift baS SSort, baS icb nid^t Bören mag?
hierauf SWep^ifto:
fentflieBe bem (Entftanb'nen,
3n ber ©ebilbe loSgebunb'ne TOume,
©rgö^e S)id) am längft nid)t meBr SJorBanb'nen!-
©in glüB'nber 2)reifu& tBut S)ir enblicB !unb r
2)u bift im tiefften, allertiefften ©runb.
®ei feinem 6cBein wirft S)u bie SWütter feBn:
2)te einen fi^en, anbere fte^n unb geBn f
SSie'S eben fommt. ®eftaltuna r Umgeftaltung,
S)eS ewigen ©inneS ewige UnterBattung f
UmfcBwebt oon Silbern aller ©reatur.
©ie feBn S)id) nid)t, benn ©cBemen ftnb fie nur.
2)a fa| ein 4>erj, benn bie ©efaBr ift groß,
Unb geBe grab' auf jenen 2)reifufj loS r
SerüBr iBn mit bem ©d)lüffel."
gauft Uerfintt unb befc^toört mit bem glö^cnbcn ©d^tfiffet
„ba3 SKufterbilb ber SKänner fo ber grauen", $ariä unb
^etena, herauf. 99etbe 3ou6ergeftatten fteHen bann ben „9iaub
ber Helena" Oor ber oerfammetten §ofgefeKfd)aft bar — baS
®rama ber Siebe jmifd)en äRann unb SBeib, als rnoßten fie
auf 1. 2Rof. 2, 18 anfpielen. ©in alter, geläufiger ©prud),
ju melcf)em id) ^ier, nad) 5ßrof. ^)iltp, eine ifraelitifc^e, affo
competente Auslegung biefer oiel citirten ©teQen beS 5ßenta^
teu^ anfüfjren miU: ,,©S Reifet nid)t (im f)ebräiftf)en Urkjt):
eS ift nidi)t gut für ben SRenfd^en, baß er allein fei, fonbern:
fo lange er allein fte^t, ift e$ überhaupt nodb nic^t gut; baö
3iel ber SSoDfommen^eit, baö bie ©rbemoelt bur!^ i^n er^
reichen foll, njirb nic^t oollfommen erreicht, fo lange er allein
Digitized by v^. ooQie
250
Die ©egettroart
Nr. 16.
fteljt. Die Vollenbung beg ©uten war nicht ber Mann,
fonbern bag SBeib unb warb erft burch bag SBeib ben Mcnfchen
unb ber SBelt jugebracf)t .... Slud) nicht bie leifefte Sin»
beutung auf eine gefchledjtliche Vcjiehüng ift barin enthalten,
nur tu bag ©ebiet beg SBirteng beg Manneg tnirb bag SBeib
gefegt. Unb ebenfowenig fpricfjt fid) eine Unterorbnung aug,
0ielmef)r ift bamit eine böüige ©leidjheit unb paritätifd)e
©elbftänbigleit auggefprod)en. Dag SBeib ftetjt bem Manne
parallel, auf ©iner Sinie, jur ©eite." 3n ber S£f)at, auef)
wir 9?aturforfd)er müffen unter ber gütjrung beg Slltmeifterg
©oethe tief hinabtauchen mit bem ©cfjliiffel beg ©enfualig»
mug big in bie Vergangenheit beg ©rbenfdjoheg, big ju bem
©ntwidelunggpunlt ber jweigefdjlechtlichen SBefen, um aug
beren Siebe bie Mutterliebe entfpringen ju fetjen: bie mitleib=
reiche, felbfttofe, im Saufe beg Menfchheitg»Sebcng fiefj ewig
erneuembe Mutterliebe.
@g ift tange ^er unb hoch big heute mir unoergehlid)
geblieben, afg id) in meiner Sugenbjeit einft mit einem alten
naturfunbigen Sanbpaftor einen SRitt burd) gelb unb SBalb
madjte. Sllg wir burd) bidjtcg Vufcf)Werf plöhtid) an bag
Ufer eineg glüfjdjcng hinauggelangten, überrafchten wir eine
SBilbente mit Pier 3uugen. Die leiteten fd)Wammen erfchredt
unb eiligft in eine Heine Sucht. @g bauerte eine $eit lang,
big fie fid) gang perftedt h at ten. Unterbeffen fuchte bie
SDfutter, bid^t über bem SBaffer fidj haltenb unb in unmittel»
barer 9Rähe Por ung, burch laute glügelfcfjläge unfere Stuf»
merffamfeit in bie entgegengefefcte Dichtung ju lenfeit. ©ie
bewegte fidj eigentümlich, Wie ein Iranleg, matteg Dlper, um
in bemfelben Slugenblid, ba fie ihre Eieinen in Sicherheit
fah, im rafdjeften gluge unferen Slugen ju entfd)Winben.
„©ahen Sie wohl?" fagte ber alte Paftor, „fie gab fid) ung
preig, fie war bereit, für ihre Sungen ju fterben, um fie ju
retten! — Mutterliebe!" Unb Wir ritten, beibe in 9Rad) 5
benfen Perfunfen, burch bie gurth- Mutterliebe! fagte ic^
mir, in biefem Keinen wilben Vogel! SBeffen mujj ber Menfd)
fähig fein!
©oethe Iaht gauft fpred)en:
„3n eurem tarnen, Mütter, bie iljr thront
3m Qh’enjenloien, eroig einjam mofjnt,
Unb bod) gefefltg. 6uer fyaupt um(d)roeben
S)e§ 2eben§ Silber, regfam, ofjne Sieben.
2Ba8 einmal mar, in allem (Slan^ unb ©djeirt,
(S$ regt fid) bort, benn e8 mill eroig fein.
Unb ifyr toertijeilt eg, aflgeroalt'ge 3Jcäd)te,
gunt 3elt beg Xageg, jum ©eroölb ber 9?äc§te."
SntuitiP Perfenlt fich &er dichter in bag getfeimnihPolIe prin»
eip beg SBaljrenben unb @rf)altenbcn in ber Statur, in bie
Mütterlidjfeit. 3h r -©efen ift bie ©elbftaufopferung ju ©unften
ber ©rhaltung beg neuen jungen ®efcf)led)tg. Sh* SBefen ift
bie felbftlofc Siebe im ©egenfajj jum egoiftifchen ©elbftert)al*
tunggtriebe. 3n ihr ift bie hodjfte Suft unb ber tieffte ©d)merj,
tn ihr bag Pflichtgefühl unb bag ©djulbgefüht (ber pfhd)if<he
©chnterj) erftanben. Der SBille jum Seben, ber finnlid)e
SBille erhält bag eine Snbioibuum auf Eoftcn beg anberen
— bie Mutterliebe erhält bie Slrt, bag Menfchengef<hte<ht.
©ie ift bie unoerfiegbare Duelle beg „@wig»3Beiblid)en", bag
wie ein ©trahl ber ©ottheit alle Menfchen in gleicher SBeife
burdjbringt.
©g ift eine weitPerbrcitete falfche Meinung, bah ber
©goigmug bie frucl)t6are Driebfeber alleg ©uten unb ©rohen
im Mcnfchenleben fei. Um mit ben Titeln ber bebeutenben
SBcrtc jweicr mobernen Dichter — eineg Dcutfdjen unb eineg
SRuffen — ju reben: ber „Sebenghungcr" Pernichtet in ber
„SBerfftätte beg Sebeng" fo Pict Eeime beg Sebeng, er ruft
fo Picl SBiberftänbe ber Pergcwaltigten, enterbten ©enoffen
ijeroor, bah eine ftetige ©ntwidclung, ein gortfdjritt ber Menfd)=
heit nicht benfbar ift allein unter ber Slegibe beg ©goigmug.
@g muh baneben eine zweite auggleid)enbe Eraft geben. „®enn
Wo wären" — fragt mit Ütecht Heinrich P. ©chöler (Eritif
ber wiffenf^aftliChtichen ©rfenntnih, pag. 201) — „wo wären
ohne bie Pon 9tietjfcf)e Perlachte Menfchenliebe aQ’ unfere SBohl»
thätigleitganftalten? SBo bliebe ber Eampf gegen ©claPeret
unb Varbarei, wie ihn bie amerifanifchen Storbftaaten lämpften
unb gegenwärtig bie Porbringenbe europäifche ©iPilifation in
Slfrifa unb Slfien führt? SBo bie 3nftitution beg ©enfer
„Oiothen Ereujeg" unb bie freiwillige Eranlenpflege unb
geuerWehr in allen Sanben? SBo bie ijelbenmüthigen l£h a ttn
jur Rettung Schiffbrüchiger, wo bie beg ärztlichen Opfer»
mutheg gu ben 3 £ *ten anftedenber ©pibemien? SBo bie un«
erfchrodenen Vemühungen ber Vergführer bei ber oft halS-
brecherifchen Sluffuchung unb Vcrgung Slbgcftürgter? SBo
bie tollfühnen ©jpebitionen jur ©rrettung Perfchotlener Slfrifa*
forfcher unb SJorbpolfahrer? SBo bie mit eigener Sebeng»
gefahr auggefiihrten tobegmuthigen SKettunggperfuchc Verun*
glüdter bei VtanbunfäQen, SBaffernoth unb Verhüttungen?
SBo Wären alle biefe £elbentf)aten ber Meithetiliebc im
Stie§fche’h en ©goiftenftaate?"
Unb wie fteHt fich bie SBcchfelwirfung jwifchen ben ^haten
beg ©goigmug unb Slltruigmug in ber ®efd)ichte ber Völler
bar? SBelch’ eine Macht war bag römifche SBeltreich, alg eg
in feinem fchranfenlofen ©goigmug bie „Slugrottung ber Veften"
(@eef) betrieb, bie ©elbftftänbigleit ber unterworfenen Völler
oernichtete unb SlUe in ©claoerei ftürjte! ®ie ^Religion ber
Siebe, bag ©hriftenthum, h Qt bie Religion ber geinbfehaft
(Spencer) überwunben. Unb bie fpanifche SBeltmonarchie? ©ie
|at bie überfeeifchen Völler enterbt ttnb Pernichtet, mit geuer
unb Schwert bie üftiebetlänber ju ©runbe gerichtet unb felbft
©nglanb mit feiner Slrmaba bebroht. ®od) bie Keinen ©ruppen
ber Verfolgten unb Schwachen, bie alg ©eächtete bie anteri»
fanifchen ©eftabe auffudjten, bie Keinen Häuflein ber Pon ben
Unbulbfamen unb Mächtigen Vertriebenen finb im Saufe Pon
ca. 300 fahren ju einer ©rohmacht h ££ angewachfen, bie Por
unferen Slugen, in unferen Sagen bie einftige fpanifche SBelt»
monardjie ju einem Eleinftaat h eta bgebrüclt hott um felbft
bie halbe ©rbe ju beherrfdjen. SBir werben benfelben Sieg
ber aufopferunggoollen Schwäche unb gähnet* wiber bie
egoiftifche ©tärfe in bem ©roberungglauf Slapoteon’g I. unb
ber aÜenblichen Eataftrophe finben. Slber bag ®eutf<he fRcich,
wirb Mancher meinen, fteht eg nicht machtPoQ gegrünbet burch
bie ©ifenpolitit beg ©goiften Vigmard ba? ©ewih, bod}
war biefe proPocirte friegerifche politif wirtlich etwag Slnbereg,
alg bie erjwungeite SBieberPergeltung für alte grofje Unbill?
Sn ber ®h at » otenn bag beutfdje Voll heute fidjer, groh unb
mächtig baftel)t, fo hat eg bieg Por SlUcm ber weifen griebeng*
potitif beg groben ©taatgmanneg ju banten, ber, Wie wunberbar
eg Manien auch Hingen mag, bag ©oethe’fche SBort Pom
„®wig=3Beiblichen‘' — feinem eigenen ©enie entfprechenb —
tiefernft aufgefafjt unb charatterifirt hat. 3m Sahre 1895
fd)loh er feine Slnfprache an eine Deputation fchlefifcher Damen
mit folgenbcn SBorten: „ . . . id) fe^e mein ganjeg Ver*
trauen auf unfere beutfetje 3ufunft auf ben Veftanb beffen,
wag ©oethe bag @wig=SBei6lichc im Seben nannte,
bah heißt bag SBahrenbc, bag Pflegenbe, wag in ber Siebe ber
Vereinigung ber gamilie auch bem Manne ju ©ute fommt;
in ber |iauptfache mödjtc ich f° 9 en, bag, wag ben Unfug
perhinbert, ju bem bie Männer geneigt fein tonnten: bag ift
hauptfäcf)lich bie Slufgabe ber grauen ic." @g giebt alfo
einen, oon ben gröhten Männern empfunbenen Strom im
Menfdjheitgfeben, ber bem egoiftifchen Princip bie SBaage
hält: cg ift bag ,,@wig=SBcibliche / '. Dag altruiftifche Princip,
wcldjeg ben fchranfenlofen ©elbfterhaltunggtrieb hemmt unb
feiner jerftörenben ©ewalt cntgegeitwirtt. @g tritt in innigfter
SBedjfelwirfung mit bem Sntcllect fowohl im Völlerleben, wie
in ben 3ubioibuen mehr ober weniger ju Dage unb offenbart
fich ebenfo im Manne, wie im SBeibe.
SBir müffen ung jebeg menfd)tid)e ©injelwefen alg eine
©inheit Pon ©mpfinbung unb Vewufjtfein, Pon „Vlut unb
Urtheil" (wisdom and blood, wie ©hafefpeare fid) augbrüeft)
Porftellen. Sille aug ber Slufjenwelt heranbringenben Steije
*
Digitized by
Google
Nr. 16.
Die d>e$etu»ari.
251
erregen ©mpfinbungen, bie im Snnern als ©rinnerungSbilber
ftjirt »erben. 91 uS ißneit feßt fidf> ber ©ebanfencomplei - p»
fammen. geuetbaeß fagt mit Siedjt: „Seber ©ebanfe ift eine
getoefene ©mpfinbung. ©mpfinben unb Jenfett ift eins."
Jer ©ebanfencomplej ift baS concentrirte 9tbbilb aller ftatt»
gehabten ©mpfinbungen — ber georbnete, bewußt getoorbene
©mpfinbungScomptej. SBäßrenb auf einer früheren Stufe ber
©ntmidelung bie Sebemefen auf einen empfunbenen fReij un=
mittelbar mit einer Bewegung reagiren (Sfteflejbemcgung), mirb
ber „finnlicße SSiHe" b. I). ber eingeborene SebenStrieb ber
ßößeren Sebemefen burd) ben Snftinct (fRibot’S „©cbäcßtniß")
unb burd) ben SnteHect gehemmt, oerlangfamt, oielmeßr ge»
regelt unb beßerrfeßt (9llot)S Siießl). 3e ootlfommener biefe
SBecßfelmirfung jmifeßen treibenber unb ßemmenbet Straft,
jmifeßen ©mpfinbung unb ©emußtfein in einem Snbioibuum
fid) OoUjießt, je meßr bie ©ebanfen bie ^anblungen beßetrfeßen,
befto größer mirb ber ©orfpruug fein, ben eS oor einem
9lnberen geminnt, befto meßr mirb eS feinen SBitlen pr
SWacßt, feinen ©goiSmuS geltenb machen, aber befto meljr
mirb aud) ber SelbfterßaltungStrieb beS ©inen mit bem
beS 9lnbern in ©onflict gerätsen. Jarmin ßat unS gezeigt,
mie im Stampfe uin’S Jafein, auf bem SBege ber Stn»
paffung unb Vererbung, burd) natüriidße 3ü<ßtung bie ©nt*
fteßung ßößeret 9lrten p Stande gefommen ift — „bieS
munberbare Stefultat eines ©crnicßtungSfampfeS ber Slatur,
ber fieß, burd) IpungerSnotß unb 'Job äußert" (©ntfteßung
bet 9lrten). 3u ber Jßat, in bem großen Sciben unb Sterben
beS gemaltigen SlaturproceffeS ift jebeS ©injeltcben nur eine
flücßtige ©pifobe, aber innerhalb biefer erfreuen fidj p gleicßer
3 eit bie ftärfften unb fcßroäcßften, bie ßöcßften unb nieberften
Sebemefen unter ber pflegenben §anb ber Statur ber @r=
näßrung, beS SBacßötßumS, ber gortpflanpng, unb bie ßöcßft»
fteßenben 9lrten einer geiftigen unb etßifcßcn ©ntmidelung,
foetdße fie felbftbemußt in gegenfeitigem 9luStaufd) genießen.
©rft burd) bie ©ntmidelung ber 3tt ,e i9 e ftßl e( ß t li c ßf e i t /
ber männ(id)en unb meiblidjen SBefen unb beren Bereinigung
ßat, bie Statur ben pgellofeit SelbfterßaltungStrieb, ber bie
erfte ©runblage alles ScbenS ift unb fein muß, in eine feft»
gefügte ©aßn gejmungen, mo fcßließlid) bie Sbeale ber SJtenfd)»
ßeit bie ^errfeßaft auSüben. Unb maS fein SnteHect erreicht,
baS erfämpft mit unroiberfteßlidjer ©emalt baS ,,©mig»9Beib»
ließe". @S ift ibentifcß mit bem 9lltruiSmuS unb geßt aus
bem ©lut, aus ber ©mpfinbung ßerüor, ber UrfprungSftätte
beS SnteHectS; benn „©efüßl ift eine 9lrt ©inficßt" (©. ©Eliot).
Sei jeber ©eburt mirb bie SJtutterliebe neu erjeugt, b. ß. eS
entfteßt unter ben größten ©emütßsbemegungen unb Scßmerjen
bie tieffte 3 une ifl un fl Ult b baS tieffte SKitleib für baS ßülf»
lofe fiinb, beffen pßßfifd)=pfpcßifcße Staturanlage bie eigenen
mütterlicßen unb bie oäterließen ©igenfeßaften, meiblicße unb
männlicße pglcicß in fidß birgt, gleicßoiel melcßeS pßpfifeße
©efeßlecßt eS ßaben mag. Unb boeß ift biefer 9tbfömmling
ber ©Item ein felbftänbigeS, anbereS SBefen. Sßt eigenes
unb bodß ein anbereS. So erzeugt fieß auS bem ©goiSmuS,
naturgemäß unb jmingenb ber SUtruiSmuS, ber als *©mig»
SSeiblidjeS" mit ber SKütterlicßfeit eng unb unjertrennlicß
oerfnüpft ift unb ebenfo auf bie männließen mie auf bie mcib»
lidßen Stacßfommen oererbt mirb. ©ei jeber ©eburt eines
SebemefenS gefeilt fieß alfo p bem oon Slnbeginn ber SBelt
befteßenben SRuf ber Statur: „Sebe für bidß felbft" eine jmeite
innere Stimme: „Sebe für Slnbere." ©ei jeber ©eburt erneut
fieß biefer einbringlicße, nkßt abpmeifenbe „fategorifeße
Smperatio" unb mirb lauter unb ftärfer in bem SJtaße, als
bie jmeigefcßlecßtlicßen Sitten ber Sebemefen fid) ßößer ent»
mideln. Unb fobalb in bem ©emeinfcßaftSleben ber SDJenfcß»
ßeit burcß bie Spradje ber SnteHect fieß p immer ßößeren
Stufen erßebt, muß pleßt aus ber Summe aller mütter»
ließen, burcß Sererbung meitergegebenen ©mpfinbungen baS
ntenfcßlicße ©emütß ernpotmaeßfen, in melcßem bie altruiftifdje
©rfenntniß gleidßfam ßerauScrßftaUifirt, b. ß. bie ©emißßeit
beffen, maS bie Stnbcren, nidßt nur bie eigenen Kinder, foit«
bem alle anberen SMitmenfdjen Oom einzelnen Snbioibuum
p forbern ein Stecßt ßaben. So entfteßt baS, maS bie
beutfeße Spracße ©emiffen nennt; ber Inbegriff beS ©fließt»
gefüßlS unb SdjulbgefüßlS, beS ©efüßlS ber ©crantmortlid)»
feit gegenüber jebem „Stäcßften", fei betfelbe audß egoiftifeß
unb .feinblidj gefinnt.
Jaß baS ©emütß ber SJtcnfeßßeit, ber Urquell aller
©tßif, erft 2600 Saßre alt ift unb fieß nur langfam ent»
midelt, ift auS ber ©ulturgefcßicßte p ermeifen, nid)t minber,
mie ©emütß unb ©ernunft in gemeinfamer ©ntmidelung ben
SBitlen im engeren Sinne, ben fittlicßen SBitlen ßerüorbringen,
ben Inbegriff ber inteQcctuellen unb moralifeßen gäßigfeiten
ber SJtenf^ßeit. (SlloßS Stießl.) SBäßrenb ber finnlicße SBiHe,
ber SBiHe pm Seben, ber SelbfterßaltungStrieb unter ber
güßrung ber aümäcßtigen Statur einen ©erniißtungSfampf
füßrt, ber burcß §ungerSnotß unb Job bie ßößeren Sitten
ßeröorbringt, entmidelt fieß unter betreiben fouüeränen SDtaeßt,
beren f(ßöpferifcß»äerftörenbeS, Seben im Jobe fpenbenbeS SBefen
fein fterblicßeS Snbioibuum mit ©emußtfein nadßpaßmen fieß
erfüßnen bürfte — ber fittlicße SBitle. SluS ber attruiftifdßen
©rfenntniß geboren, beßerrfeßt er als pflegenbeS unb maßrenbeS
©rincip baS ©emeinfcßaftSleben ber SKenfeßßeit unb giebt bem
furjtebigen Jafein be§ SnbioibuumS ben eigentließen SBertß.
SBenn eS aueß feinem 3meifel unterliegt, baß ber ©enuß beS
SebenS in bem emigen Kampf ber ©mpfinbung mit bem ©e«
mußtfein, ber SinncSmclt mit ber Sbeenmelt befteßt, menn
aucß bie ganje SJtenfdjßeit jmifeßen bem SenfualiSmuS unb
2>bealiSmuS eraig ßin unb ßer feßmanft, fo giebt eS boeß
einen unoertüdbaren Siußepuntt. ©r liegt im menfdßlidßen
©emütß, im Steicße beS ©mig»SBeiblicßen. ^)ier begegnen unb
oerfößnen fiiß bie Sinne unb ©ebanfen, ßier ift bie feßöpfe»
rifeße Stätte ber Kunft unb ©tßif. Sebe SJtuttcr oererbt alfo
ißre inbioibueHen ©igenfeßaften mit ben Stegungen ber SJtutter»
liebe naturgemäß fomoßl auf ißre Sößne, mie auf ißre
Jöcßter. ©leießmie oft bie männlicße ©fpcße beS ©aterS auf
bie Jödjter übergeßt, fo bie meiblicße ©fßdße ber SKutter
auf bie Sößne. Sa, baS Seßtere feßeint oiel ßäufiger ber
galt p fein, als baS ©rftere. Jiefe Kreuzung ber pfßeßifeßen
©igenfeßaften mirb oom ©olfSgtauben, ber ßierbei eine tiefe
SßeiSßeit offenbart, als glüdoerfünbenb angefeßen. @S ßeißt,
baß bie Jöcßter, bie bem ©ater äßneln, unb bie Sößne, bie
naeß ber SDtutter arten, ©tüdSfinber feien. SebenfaßS giebt
eS üiele bebcutenbe SDtänner, oon bencit entmeber beßauptet
mirb, baß ißre Staturanlage im Slllgemeinen ber meibtidßen
©igenart im ©mpfinben unb Jcnfen fieß pneige, mie j. ©.
SJtojart, ©anoüa, Staffael ober baß fie gerabep nadß ißren
SWüttern geartet feien. SeßtereS mirb mit großer Sießerßeit
oon ©oetße unb mit SBaßrfcßeinlicßfeit Oon Sßafefpeare be»
ßauptet, ben ber ©nglänber SemeS als eine „gart organifirte“
Statur cßaratterifirt. Slueß SopßofteS feßeint ßierßer p ge»
ßören (Sintigone). Sßafefpeare feßeint felbft baS ©emußtfein
geßabt p ßaben, baß er üorpgSmeife bie ©igenfeßaften feiner
SJtutter geerbt ßabe. Sn feinem „©oriolan", ben er unmittel»
bar naeß bem Jobe feiner SRutter (1608) gefeßrieben, ift bie
©olumnia ßödjft maßrfcßeinlidj naeß bem SJtobeH feiner SOtutter
gefißaffen morden. Jtefe ftolje, große unb rüßrenbe SJtutter
fagt ißrem Sößne an einer Stelle, baß fein unbänbiger @ßr»
geij unb Stolj oon ißt ftamme. SteuerbingS ßat munber«
barer SBeife eine euglifeße Seßriftftcllerin beßauptet, baß
Sßafefpeare ©inS nidßt gefannt p ßaben feßeine — bie
SJtuttertiebe. §at fie ben „ßoriolan" oergeffen, ßat fie nie
an bie ftarfe, fluge, aufopferungSfäßige ©olumnia gebaeßt?
Jet einzig geartete größte Jramatifer aller 3 e ' ten > ©ßafe»
fpeare, fannte nidßt nur bie Sltutterliebe, er ßat fie audß auf
ber ©üßne in tebenSootler ©eftalt oerförpert. 2BaS eben für
unS am meiften Sntereffe ßat, ift bet Umftanb, baß Sßafe»
fpeare nidjt nur bie oerfeßiebenartigften männließen ©ßaraftere
in ooUenbeter gorm bramatifdß geftaltet ßat. 3Ran benfe
Digitized by
Google
252
Die töejettwart
Nr. 16.
Zunäcßft an bie munberbate ©etße betreiben, an galftaff, DtßeHo,
HRacbetß, ßear, fRicßarb III., an SaqueS unb Hamlet, an ©rinz
§einj unb ©ercß ^petßfporn, an fRomeo, SRercutio unb 9lnbere,
man üergegenmärtige fidj bie Gßaraftere, bie ©efpräcße unb
Situationen — unb ©iele »erben eS üieUeicßt üerftänblicß
finben, baß fo mancßeS jarte meiblicße ©emütß oor ber echten,
oft rauben unb berben SRännlicßfeit zufammenfcßridt. ERun —
berfelbe Sßafefpeare,' biefer männliche ©eift, ber mit ben Oer«
fcßieben gefalteten ©efcßöpfen feiner ©ßantafie fidj in folget
SEBeife eins füßlt, baß fie mie febenbige HRenfcßen auf ber
Scßoubüßne uns entgegentreten, berfelbe Sßafefpeare ßat
grauen» unb Äinbergeftalten in’S ßeben gerufen, beten Seele
feine eigene ju fein feßeint. Gr mag SRobeUe gehabt ßaben,
fo üiel er moUe: für 9lrtßur (in „Äönig Soßann") unb
ÜRamiliuS (im „SBinterntärcßen"), feinen eigenen früßüer*
ftorbenen Soßn, für bie jatjlreicpen grauen, bie er geraffen,
äRäbcßen aus bem ©olf unb Sürgerfrauen bis ju ben ijpof*
bamen unb ber Königin hinauf — eS ift troß 9lUem er*
ftaunlicß, mie bie Seele ber Äinber unb grauen in feinem
©emütß anflingt, als träfe fie auf gleicßgeftimmte Saiten.
GS giebt nur eine Grflärung bafür: baS Gmig*3ßeiblid)e mar
in Sßafefpeare’S ©erfönlicßfeit gletcßmertßig bem Gmig*2Ränn*
licken jugefellt. GS giebt Tenfer unb Schrift)teilet, bie be«
ßaupten, bafj biefe enge ©erfcßmelzung ber männlichen unb
meiblicßen ©fßcße im normalen ÜRenfcßen gerabe baS bar»
fteHe, ioaS mir ©enie nennen. Sei Sßafefpeare mürbe bieS
jutreffen. SRan lefe bie rüßrcnbe Scene, mo ber arme 9Irthur
geblenbet mirb, bie ©efpräcße beS SRamiliuS mit ßeonteS unb
ben £>ofbamen, unb man mirb aufs Tieffte gerührt ober
erftaunt fein. 9luf ber Schaubühne mirft jebe einigermaßen
gute Tarftellung ßinreißenb. 2Bie natürlich, mie linblich biefe
Sßafefpeare’fcßen Äinber reben, baS ift mohl fcßmerlicß Oott
einem Slnbeten erreicht morben! Unb maS foli man ju ber
großen Steiße feiner grauen fagen? 91 He Temperamente,
aHe Gßaraftere, aHe ßohen unb niebeten ©eiftet finb ber*
treten, 9lHe bis in’S Ginzeine charatterifirt, bie Gigenart beS
©eifteS unb ©emütßS (in Uebereinftimmung mit ber förper*
liehen Anlage, mit 9lugen* unb Haarfarbe) fo fießer gezeichnet
unb in’S ßeben gefteHt, als mären fie ein Tßeil feines eigenen
SnitenlebenS.
©eorg ©ranbeS, ber SSerfaffer ber @ßafefpeare*©iograpßie,
fagt baju: „Sßafefpeare hatte in feiner früßeften Sugenb
nießt menige uitlicbenSmürbige, mannhafte grauen in feinen
ßuftfpielen gefdhilbert unb nicht menige ßerrfcßfücßtige, blut*
bürftige ober oerborbene grauen in feinen ernftßaftcn Tramen,
auf bet einen Seite ©eftatten mie Slbriane unb bie miber*
fpenftige Katharina, auf ber anberen Seite ©eftalten, mie
Tamara unb SRargaretßa oon Slnjou, bie 2lHe einen hart»
nädigen SBiHen unb eine gemiffe ©emaltfarnfeit in ihrem ©e*
tragen haben. Sn ben meßr üorgerüdten Sahten feines reifen
HRanneSalter fteHt er mit 93orliebe junge meiblicße 233efen
bar, bie lauter Seele unb lauter ßärtlidjleit finb, fchmeigfanie
Naturen ohne ©eift unb Sßiß — Dpßelia, TeSbemona, Gor*
betia. SRitten jmif^en biefen feßarf getrennten ©ruppen
fteht eine ©ruppe üon feßönen, jungen grauen, bie 9lHe baS
f»erj am regten gled haben, bie aber befonberS babureß
eigentümlich finb, baß fie Oor ©enialität förmlich fprühen.
Sie finb nicht feiten liebenSmürbig mie bie treuefte greunbin
unb mit einer befonberen 9lrt ed)t meibtichen SSBi^eS begabt.
2Ran fühlt eS, baß Shafefpeare bie HRobeUe ju biefen ©e*
ftalten üon ganzem fetzen unb mit bem Gntzüden eines
außerorbentlicß guten JfopfeS über einen anbern außerorbent«
lieh fluten Äopf bemunbert hat." Ueber fRofaünbe in „SEBie
eS eudh gefällt" fagt ber Slutor: „GS gilt Oon fRofalinbe,
maS fie oon bet grau im 9tflgemeinen fagt: „Sßt »erbet fie
nie ohne 9lntmort ertappen, Sh* müßtet fie benn ohne 3unge
antreffen." Unb eS liegt immer eine ßeHe unb heitere ©ßantafie
in ihren Slntmorten. Sie ftraßlt förmlich oor Sugenb, oor
GinbitbungSfraft unb greube barüber, baß fie fo feurig ge*
liebt mirb unb fo feurig mieberliebt. Unb ißt SBiß ift f$e=
munbernSmerth feminin. 9lHzu üiele, Oon SRännetn gefc^ilbcrte,
geiftig begabte grauen, befißen bie SnteHigenz beS 9Raun«S.
©ofalinben’S 2ESiß ift bureß ©efüßl gemilbert." „©eatrice in
„58iel Särm um 5ftic£)tS" ift bie große Tarne ber SRenaiffance«
Zeit als junges HRäbcfjen, überftrömenb oon SebenSfraft, munter,
ftreitbar in ber IRebe, nedfüdjtig unb ßerauSforbernb in ihrem
SReidphum an fühnen GinfäHen, für moberne ©egriffe oft
berb bis zur Slnftößigfeit. 91 ber ißre Sprache ift »unberbar,
funfelnb oor übermüthiger Eßhantafic." Sie ift eine „Gmanci*
pirte", fie ßat einen männlichen SBij}, erfcfjeiitt aber hoch als
„©erte oon einem SRäbdjen" mit einem feften unb eblen
meiblichen Gfjarafter. ©iola in „3EßaS Sh r moHt" ift ein
OoHfommeneS ©egenftüd. „SRie entfcßlüpft ißt ein berbeS,
auSgelaffeneS 2Bort, mie ber SRofalinbe ober ber ©eatrice.
Sie ift !lug, bureß unb bureß feelenoofl, mit ber feinfüßlenbften
SBeibiicßfeit auSgeftattet. Troß ißrer ßumoriftif^en ©ereb*
famfeit, fcßmebt ein Schotten oon SBeßmutß über ißre an*
mutßige ©eftalt " Sn ber „©erlorenen SiebeSmüß" taueßt
eine „bunlle Sd)önßeit" (ibentifcß mit the dark lady ber
Sonette) Oor uitS auf: ©enial, treulos unb tßrannifcß, offen»
bar Oon größter 9lnzießungStraft für Sßafefpeare, ber baS
SRobeH für biefe ©eftalt maßrfcßeinlich in ben §of£reifen ber
Königin fanb (SRarß gitton). ©anz üeränbert taudßt bieS
SKobeH noeß einmal in feiner Äleopatra auf: „bie ^ifleunerin,
bie feßmarze Scßönßeit, Gngel unb Teufel zu gleicher ßeit,
bie gefäßrlicße, beftridenbe „Scßlange am alten 9Jil", bie ben
9lntoniuS z u ©runbe rtdjtet. Unb nun oergteieße man bie
grauenüoHe Sabß ÜRacbetß, baS ehrgeizige, entfeßlicße SBeib,
mit ben Sicßtgeftalten einer £>ermione unb ©erbita (im
SBintermärtßen), einer Smogen (in ©erilleS) unb HRiranba
(im Sturm) unb mir erftaunen über bie güHc bet »eihlicßen,
Zarten Seetenregungen, beren Sßalefpeare’S ©emütß fäßig
mar. ©or 9lHem Smogen. „fjier ift baS ©oHenbete erreid)t.
Sie ift baS liebenSmiirbigfte, mertßooQfte »eiblicße SGSefen
gemorben, baS Sßafefpeare gefeßaffen ßat, unb zugleich baS
reießfte . . . Sie ift bie Unuergleicßlicße unter ben grauen,
fie ift aUen, aueß ben oerfeßiebenften ©erßältniffcn gemaeßfen.
Sie überminbet aHe, aueß bie ßärteften Prüfungen mit ben
ßöcßften, echt meiblicßen 9lnlagen ißreS GßarafterS. ©ei ißr
begegnen mir ber ooHften, tiefften ßiebe, bie Sßafefpeare
jemals in bie ©ruft eines SBeibeS niebergelegt ßat." Tod)
genug! ÜRur ein liebeooHeS Stabium aHet Sßafefpeare’fcßen
graueneßaraftere, baS Sebent irft^crgleicßlicßen ©enuß gemäßrt,
fann biefeS ©ebiet beS großen ©enieS umfaffen.
GS feßeint fein 3u>eifel möglid) zu fein an ber Toppei*
ftrömung beS Gmig*2Rännticßen unb Gmig»3Beiblidßen in ber
menfcßlicßen SRatur, bie mie ein Straßl beS ©öttlidßen in
ben ©ölfern unb Snbiüibuen zu Tage tritt. Unb menu mir
»eite 3eiträume ber ©efeßießte mit unferem geiftigen 9luge
überfdßauen, fo feßeint baS Gmig*2Beibtidße als baS grueßt*
bringenbe, SBaßrenbe unb Ißflegenbe, als baS Grlöfenbe immer
fiegreieß zu fein, fo baß man fagen barf: „bie SRitbe fei
feßarf"; mie eS in einem inbifeßen Sprucß ßeißt.
ßäßt fidß baS mirfließ ermeifen? Seßen mir ben gall,
baß bieS niißt möglicß fei, fo ift eS boeß fdßmer zu beftreiten,
baß bie ©rößten, bie eS je unter 9Renfcßen gegeben ßat, bie
ßiebe über bie ©emalt, b. ß. baS G»ig*SEßeiblicße über baS
Gmig*2Rännlicße fteHten. „Unrecßt leiben ift beffer als Un*
reeßt tßun." Gin munberbareS, aber ein großes unb maßreS
3Bort! Taß biefe SBeltanfcßauung flärenb unb berfößnenb
in ben meiften Streitfragen mirft, bie unS in bet SReuzeit
befißäftigen, ift faum zu miberlegen. SEßenn mir bie Gr-
ZießungSfrage, bie griebenSfrage, »enn mir bie Oielumftrittene
grauenfrage in ©etraeßt zießen — ift eS beffer, in bauern*
bem Streit bie neuauftaueßenben ©ebanfen unb Gmpfinbungen
ber SRenfcßen zurüefbrängen zu moUen ober fie in ißrer Gnt*
midelung gemäßren zu laffen? SBarum nießt baS ßeßtere,
menn bie SRitbe in ber Tßat ftärfer ift als bie ©emalt? Unb
Digitized by v^. ooQie
Nr. 16.
Du ßugtttwart
253
wenn eS eine ttatürlidje Knttoicfetung aller ®inge, aller SSölfer
unb Sföeitfdjen gie6t unter ber Seitung einer göttlichen Ära ft,
bie ber Aufopferung, ber felbftlofen Siebe ben Sieg oerljeifjt
unb öcrlei^t, Warum füllen tpir nid)t Willig biefer weiten
Siegesfahne folgen? Sft eS nicht bentbar, bafe j. S8- in ber
an allen (Snben ber SBelt [ich mächtig regenben „grauen*
frage" ber nie tierfiegenbe Strom beS Kwig*2BetblidE)en macht*
ooU emporfteigt, um bem Kulturleben ber SJJenfchheit ein
anbereS, ooÜIommeneS ©eprage ju geben?
- - *- *■ i-
gfeuiffeton.
- 9la<$brucf verboten.
Die Uniform. '
©on 2lnton (Efdjechom.
$ie ©onne mar !aunt aufgegangen unb fdjaute auf bte ÄreiSftabt
trübe bwunter, bie Hähne ermatten unb fräßten, in (Rglfin'S ©rannt?
roeinfneipe faßen aber fcßon ©äfte: ber ©djneiber dRerfuIow, ber ©oligift
©chratroa unb ber ©affenbote ©medjunow. Me $)rei waren fd)on ftar!
benebelt.
„9ld) ^alte bod) nur (Sein dRaul!" rief dRerfuIom unb ^ieft ben
©oltgiften am Änopfe feft. „©er int ©iDilbienft fteßt unb natürlich
babei gu ben oberften (Rangftufen gehört, hat für Unfereinen, ber fid)
für bie Uniform intereffirt, nie! mehr ©ebeutung, al« ade Sure Oberften
unb ©enerale. Za buben mir g. ©. einen Äammerberm. ©a« ift ba«
für ein dRenfdj? ©a« h fl t er für einen (Rang? ©er nicht wenlgften«
taufenb (Rubel für feine Uniform auSgeben !ann f barf fid) neben ihm
gar nicht febeit taffen. Rechne hoch felbft mal nach: Dier Mfd)in Md)
Don ber atlerfeinften ©orte, bie knöpfe, ber golbgeftiefte fragen, bie
weißen ©eintleiber mit ben breiten ©olbftrelfen, — aber ba« Me« ift
noch gar nicht«, benn ba« (ötwte aud) ©uer ©hauffeeeinneljmer, wenn
er Suft bat, allenfalls noch beftreiten . .. Mer ba« ift noch gar nicht«. 1
©« mirb erft ma«, wenn bie gange ©ruft Don ©olbftirferet glängt!
(Rid)t nur Äragen unb Slermel, nein, auch bie Mjfeltlappen, Me« muß
glängen! 3a, menn man für bie Herren Oberhofmeifter, ©tallmeifter,
©eremonienmeifter unb fonftigen dRinifter arbeitet, ba« ift eine ©a<he!
©erfteßft Zu mich? dlber ba« ift e« ja, baDon fannft M gar feinen
Öocpfcpein haben! ... 3ch erinnere ntid), baß mir für ben Dberbofmeifterj
Grafen Mbrej ©entjoni)tfch ©onljaremfft) arbeiteten. Sine Uniform,
tag’ ich $)ir!. .. nicht anriibren! ©enn M nur Ieife baran tippft, fo
flopft $>tr fchon Dor Hochachtung ba« Herg! Unb bann, ma« bie rid)=
tigen hoben Herrfdjaften ftnb, menn bie ma« beftetten, fo unterftelf S)id)
ja nicht, fic gu betätigen, ©obalb Zu dRaaß genommen, brüefe S)icp, unb
benfe ja nicht an’« probieren, rebe nicht Don ga^on unb bergteichen, —
o ba« barf ©)ir gar nicht einfallen, benn ba« giebt’8 einfad) nicht, ©ift
Zu ein richtiger ©djneiber, fo mußt Zu ohne ©eitere« Me« tabello«
nach bem dRaaße fertigen. ©8 muß Me« fo baffen, mie menn ©iner
Dom Äirdjthurm fjerunterfpringt unb gerabe in feine ©tiefel hinein.
3n unferer (Räße mar bie ©enbarmerie?Äaferne ... unb weißt M,
©rübereben, ma« unfer dReifter Offip Saditfd) ba that? ©r fudjte fidj
unter ben ©enbarmen folche Seute au«, bereu ©ud)S bem ber ©efieiler
glich; ihnen mürben bann bie Uniformen anbrobirt. ©erftehft M ba« ?
d2un alfo, ba fam e« oft Dor, baß mir einen folchen bafienben ©enbarmen
holten, ihm bie Uniform eine« ©rafen anguprobiren. „Sieh 7 fie an,
fterl, unb banfe für bie hohe ©bre!" Unb menn er nun bie Uniform
mit ber golbgeftieften ©ruft fah, bann fing er an gu gittern unb mürbe
faft ohnmächtig!"
„Habt gbr aber auch für ©oligeileutnant« gearbeitet?" fragte
©mechunoro.
„Hd), Zu glaubft wohl, ba« ftnb wichtige Äunben? 3a ©eter«?
bürg giebt e« fo Diele, mie herrenlofe Hunbe. . . (Rur hier bei ©ud) in
ber ©roDing ^ept mQU ehrfürchtig bie dRüpe Oor ihnen; bort aber heißt
e«: „mir au« bem ©ege!" ©ir arbeiteten bauptfächlich für'« Militär
unb bie erften oier SRangclaffen. Sa» ba« ftnb gang anbere Äunben!. . .
©enn $>u j. ©. gur fünften ©(affe gehörft, fo ift ba« eine Sumperei.
Äomm in einer ©oche roieber unb Me« ift fertig; benn außer Äragen
unb Slerntelauffcblägen giebt’8 ba nicht« Don ©ebeutung. ©enn aber
©iner gur Dierten ober gar gur britten unb gmeiten föangclaffe gehört,
ba foUteft S)u mal unfern 3Reifier fehen! (Recht« unb linf« gab e«
¥üffe, unb man mußte gleich in bie ©enöarmeriefaferne rennen. ©in=
mal arbeiteten mir auch für ben berfifchen ©onful. ©ir nähten ihm für
anbertbalbtaufenb (Rubel ©olbftiefereien auf ©ruft unb (Rücfen unb
fürchteten fchon, er mürbe ba« nicht begahlen fönnen. 9lber nein, SUIe«
mürbe begahlt! ,,©inb mir auch gotttofe Ungläubige, fo haben mir
bennoch ©b^gefühl; lieber &reunb, ba nimm 3)ein ©e(b!" Samohl, in
(Petersburg ftnb fogar bie Tataren nobel!"
Sange noch ergählte 3Rerfulom au« feiner ©ergangenheit. 9118 e«
(Reun fchlug, begann er unter ber ©ud)t feiner ©rinneruitgen gu meinen
unb über fein traurige« Soo« gu flagen, ba« ihn in biefe« (Reft Der=
bannt, wo e« nur Ärämer unb Hanbmerfer giebt. Unterbejfen hatte ber
(ßoligift fchon gmei ©erfonen in ©emabrfam gebracht, unb ber ©affen»
bote mar fchon gmei 3Ral gur ©oft gegangen unb mieber getommen;
$Rerfulom aber faß noch immer ba unb tranf ©ranntmein. 911« e«
s JRittag fchlug, unterhielt er ftd) mit bem Äüfter Mtifonoro, fchlug fich
mit ben gäuften auf bie ©ruft unb rief: „(Rein, ich mag nicht länger
für Ärämerfeelen arbeiten! 3<b null nicht! ©ott fott mich bewahren!
3ch bin nicht gewohnt, mit foldhen Summen mie 3b* Dertebren; ich
habe mit (Sud) nicht« gu fchaffen! 3« ©eterSburg arbeitete ich für ben
©aron ©pu^el unb für bie Herren Offtctere! ©)rücfe S)ich, langfdjößige
Äirchenratte, baß ©)idh meine Mgen nicht mehr fehen! 3Rach' f baß 3)u
fortlommft!"
„©ie haben eine gu große SRetnung Don ftd)!" ermiberte ihm ber
Äüfter. ,,©inb ©ie aud^ ein Äünftler in 3b*er gunft, fo bürfeit ©ie
bod) nicht ©ott unb bie (Religion Deraeffen. 9lriu« mar gerabe fo hoch 5
mütljiö mie ©ie unb mußte eine« fchimpfli^en XobeS fterben. Samobl,
auch ©ie werben fterben!"
„(Run, ma« fann ba fein? Sieber fterbe id), al« immer nur
©auernfittel machen, ©äbrenb ber fünfgehn 3ab*e habe ich b^ c * noch
(einen eingigen (Sbelmann gefehen bei mir! Äeinen eingiaen! . .."
„3ft mein Sump h^r?" ertönte je^t braußen eine ©eiberftimme.
9lyinja, dRerfuloro’« grau, erfd)ien in ber 3:hür, ein alte« ©eib mit
aufgefrempten 9lermeln unb einer ftraff über ben ©auch gegoaenen
Äüd^enfchürge. ,,©o ift ber müfte Äerl?" 3h* Deradjtenber ©litf flog
ü6er bie Mroefenben. „9lha, ba fij^t er ja, ber flwhtbäuSler!
®u noch nicht geplagt, elenber ©uffel! ©enn hoch frepirteft,
©aufau«! Äomtit fchnell nach ©anfe, ein Officier ift ba, ber ©)ich
fprechen min."
,,©a«, ein Officier?" fragte dRerfulom unb ftarrte fie an.
„3a, ein Officier; er fagt, er motte ma« beftetten."
(IRerfulom'8 trübe Mgen blingelten bie um ihn ©tfcenben gebanfen=
lo« an; er fragte bie (Rafe mit allen fünf gingern, ma« bei ihm ein
3etdjen höchften ©rftaunen« mar. „Hat ba« ©eib etwa Z ottfraut ge^
freffen?" brummte er enbltd). „giinfgehn 3 a bre fah ich (einen ©bel=
mann bei mir, unb nun fott hlöfclid) heute, an einem gafttag, ein Officier
mit einer ©eftettung ba fein! (Ra, ich tüitt hoch mal nacbfeljen."
(Sr Derließ bie ©ranntweinfneipe unb taumelte nach i>aufe. ©ein
©eib hatte nicht gelogen. M ber ©chmette feiner ©ohnung traf er
Herrn Urtjchajem, ben Hauptmann ber ©tabtgarnifon.
,,©o treibt (Sr ftd) herum, (Sr Sum£?" fuhr ihn ber Hau^tmann
an. „©ine ©tunbe fchon warte ich auf 3hn! Äann mir ber ©fei eine
Uniform machen?"
„Hochmohlgeboren . . . lieber ©ott!..." ftammelte ttRertulom, Der=
fd)ludte ßchf hnftete unb riß feine $Rüfce herunter, wobei ein ©iifdjel
Haare ihm in ber Hanb blieb. „Hochmohlgeboren . . . e« märe bod) nicht
ba« erfte dRal... Zu lieber ©ott! H Q oe auch ßhon für ©buarb Äar=
Ihtfd), ben Herrn ©aron ©hujjel gearbeitet. . . S)er Herr Unterleut=
nant ©embulatoro ift mir noch je^t gehn (Rubel fcßulbig! ... $e, grau,
fcf)ieb bod) einen ©tuhl her für Hochmohlgeboren — mie $)u bod) un*
gebilbet bift, ©eib! ©efehlen ©ie, baß ich 9Raaß nehme? Ober fott
ich nach Mgenntaaß arbeiten?"
„2)a8 Xud) lieferft $5u, unb bie Uniform muß in einer ©oche
fertig fein ... ©a« Derlaitgft $>u bafür?"
M, erbarmen ftch ©uer Hoch*oohlgeboren ... fragen ©ie hoch
nicht!" ermiberte dRerfulom füßlich- „©in ich benn eine Ärämerfcele?
©ir miffen bod), mie man mit hohen H er rfdjaften umgeht. Habe fogar
für ben perfifdjen ©onful gearbeitet unb (ein ©ort Derloren!"
(Rachbem er ba« dRaaß genommen unb ben Hauptmann hinan«
begleitet, ftanb 9Rer(ulom mitten im gimmer eine gange ©tunbe ftum^fs
finnig ba unb ftarrte feine grau an. ©r (onnte bie hoh* ®h*e noch
immer nicht faffen. „(5)a8 ift ein mertmürbige« ©reigniß!" rief er enb*
lid). „©o fott ich aber ba« $ud) hernehmen? (ttyinja, nicht wahr, Zu
borgft mir ba« ©eib, ba« 5)u für Zt ine Äuh gelöft hafi?"
9lginja hielt ihm fbottenb ben Mutnen gmifd)en Beige? unb SRittel?
finger gefteeft entgegen unb fpudte. Mnn mirthfehaftete fie mit bem
geuerhaten, fchlug Xöpfe entgmei, riß ihm ben ©art au« unb lief fdjreiettb
auf bie ©traße: „Helft mir, (Rechtgläubige! ©r morbet mich!" Mer
ba« half ihr Me« gar nicht«. Mi folgenben dRorgen lag fie im ©ett
unb fühlte ihre blaueu gleden mit ©leimaffer. 3Rer(itlom aber ging in
bie Äaufläben unb fuchte paffenbe« Mch au«.
©ine neue 3eit begann nun für ihn. ©enn er dRorgen« erwachte
unb mit fdjläfrigen dlugen fich umfah, erftidte er nidht mehr, mie fonft,
Dor ©alle unb ©chleim. (Rodj wunberbarer mar e«, baß er nicht mehr
in bie ©ranntmeinfneipe ging, fonbern fleißig bei ber Arbeit faß. ©rft
betete er ftitt Dor ftd) hin, fefcte bann feine große ©ritte auf, breitete
ba« Md) auf bem $ifd) au«, feierlich, al« ob er einen ©otteSbienft Der?
•richtete. (Rach einer ©od)e mar bie Uniform auch fchon fertig, ©r plättete
fie, trug fie auf ben ©rettevgaun hinau« unb biirftete fie au«. 9lb unb
gu nahm er ein gäfereßen weg, trat einige ©djritte gurüd, betrachtete
fein Äunftmerf mit ©aterftolg, mifeßte bann mieber ein gäbdjen weg
unb ba« fo mehrere ©tunben.
„©in wahre« ©lenb mit biefen hohen Herren!" rief er ©orüber?
ehenben gu. „©ine Ouälerei, — ich bin gang erfdjöpft! (Diefe ge?
ilbeten Seute befriebigen, ift faft unmöglich!" 9U« er mit bem ©upen
unb ©ürften fertig mar, fettete er fich bie Haare mit Oel unb (ämmtc
Digitized by v^.ooQle
254
Die (Segentuört.
Nr. 16.
fidj; bann f4lug er bie Uniform in ein faubereS Vaumtvolltu4 unb
ging gum $auptmann. „34 habe jept leine 3eit, mi4 mit $ir afyu 2
neben, 3)u Xöipel!" fo fuhr er 3eben an, ber ihm begegnete, ,,©ebt
3hr beim ni4t, ba& i4 bem £>ernt §auptmann feine Uniform pintrage?
3ft baS ein ungebilbeteS Voll!"
9lacb einer falben ©tunbe lehrte er beim, „©ratulire gur ©elb=
einnapme!" mit biefen SBorten begrüftte ihn Afinja lächelnb.
„$>u bumrneS 2öeib!" entgegnete er. „$)u glaubft mopl, baft hohe
^errfepaften gleid) zahlen? 93Ube 3)tr borfj folcbe ©djmad)peiten nüfjt
ein! £>ö4ftenS JMmerfeelen unb gemeines Soll legt 3Mr ba£ ©eib
gleich auf ben $if4, $)u ©anS!"
3wei $age lag 2)lerlulom auf bem Ofen, aft nicht unb tranf nicht,
fonbem gab ficb auSf4lie&li4 bem ASoblgefitpl befriebigten ©^rgci^eS
bin, mie ettoa £>erfuleS, ber feine öelbentpaten ooUbracht. Am britten
Xage ging er gum .öauptmann, fein ©eib gu holen.
,,©inb ©eine SBoplgebaren fchon aufgeftanben?" fliifterte er im Vor^
gimmer bem Wiener gu. 2113 er eine Vernetnenbe Antwort erhielt, blieb
er vor ber £hitr ftehen unb wartete.
„ÖinauS mit ihm! ©r foü am ©onnabenb lomrnen!" pörte man
beS |>auptmannS ©timme auS bem ©4lafgimmer,
3>a3 ©leiche belam er am folgenden unb am britten ©onnabenb
gu hören. ©inen Sflonat lang ging er gum föauptmanu, faft unb ftanb
ftunbenlang im Vorzimmer, unb jebeSmal pieft eS, er fotle fich ^um
Teufel fcheeren unb nächften ©onnabenb wieberlommen. Aber er verlor
nicht ben flttuth unb murrte auch nicht. 3 m liegentheil, er fchmungelte
fogar, benn ihm gefiel baS lange ©arten, unb baS „hinaus mit ihm!"
Hang ibm tote eine liebliche SBeife.
„®aran erfennt man boeb gleich bie Vornehmheit!" rief er ent=
güdt auS, toenn er nach £>aufe fam. „Vei uns in Petersburg machten
eS Alle fo."
Stterfulotu märe mopl bis an’S ©nbe feiner Xage gum föauptmann
gegangen, um im Vorzimmer Vergeblich gu märten) mettn Ayittja ihr
auS bem Verlauf ber $up gelöfteS ©eib nicht gurütfverlangt hätte,
„töaft 3)u baS ©eib gelriegt?" TOt biefen ©orten empfing fie ihn
jebeSmal. „©teber nicht, ^u ©4afSlopf! ©iflft S)u mich noch rafenb
machen? $pe, too ift ber Feuerbaien?"
©inft lehrte Stterlulom AbenbS Vom Warlte nach £>auS: er trug
einen ©ad Sfoblen auf bem SRüden; fein ©eib folgte ihm. „©arte nur,
BIS mir heimlommen, bann beforg 7 icp’S $>tr orbentlich, marte nur!"
fnurrte fie vor fid) hin unb baebte babei an ihr ©eib für bie $hip. „$er
ftauptmann ift mir auch ber Siechte! Sägt bei unS arbeiten, unb mein
Sftann thut, als ob man ihm eine ©efäHigleit ermeife. AHeS ©eib weg=
gemorfen!"
Vlöplkh blieb Stterlulom ftehen unb flieh einen ftreubenfeprei öu §.
AuS einem ©aftpauS, an bem fie oorüberfanten, ftürgte ein frerr im
©plinber heraus. ©r hatte ein rotheS ©eficht unb fd)ien betrunfen.
3Pm nach lief ber ^auptmann Urtfchajeto mit einem Viöarbqueue in
ber .ftanb, barhaupt, gergauft, bie Uniform mit treibe bejepmupt unb
aufgeriffen; eine Slchfelllappe hing herab, hinten fehlten brei knöpfe.
„3<h merbe ^ich lehren falfch fpielen, ^£)u ^aHunle!" rief ber
^auptmann fchmeihtriefenb unb fchmang baS Oueue. ,,3d) werbe 5)ir
geigen, mie man mit anftäitbigen Leuten fpielt!"
„5)a fiehM" flüftcrte SJterlulom feinem ©eibe unb grinfte.
„$aran erfennt man hoch gleich ben vornehmen fterrn. Vei einem
ifrämer, ber ftch einen neuen 2fn*ug machen läfit, bauert eS emig lange,
biS er Vertragen ift; biefer aber hat jept fchon feine neue Uniform rui=
nirt unb fönnte mieber eine neue brauchen!"
„©eh* unb bitte ihn, $ich ju befahlen!" fliifterte ipm Slfirtja j\u.
„Vift $>u Verrüdt, ©eib? ftier auf ber ©trafte? ©ott bemapre
miep!"
2lber baS ©eigern half nichts; fein ©eib *roang ipn ba^u.
„Sftarfch fort!" feprie ipn ber mütpenbe ftauptmann an. „^u
langmeilft mid)!"
»r^ch begreife baS ja VoUfommen, ©uer ©ohlgeboren, . . . mürbe
eS aud) nie gemagt haben . . . 2lber mein ©eib ift fo unvernünftig
. . . ©ie miffen ja, mie einfältig foW ein Frauenzimmer ift . . ."
„Patf’ 3)icb, ^5)u ärgerft mich, fag’ icp S)ir!" firie ipn ber fiaupt*
mann an unb feine Slugen glüpten. ©r mar betrunfen.
„3ch begreife eS, ©uer ©ohlgeboren! 2lber icp meine ja nur, beS
böfen alten ©eibeS megen . . . benn miffen ©ie, baS ©eib gehört ipr
. . . mir pöhen bem 3uben bie $uh Verlauft . . ."
„2Uj, $>u fepimpfft noch, ÖQÜvnfe?!
®er öauptmann polte auS unb eS gab einen $racp. Von 9)fer=
fulomS Vüden fielen bie Kopien in ben SFotp, unb feine S)lüpe folgte
ihm. Sl;rinja mar erftarrt. ©ine Minute lang ftanb fie faffungSloS ba,
mie Sotp'S ©eib, als eS ©aljfäule mürbe. 3)ann manbte fte fiep
Zu iprem SJIann unb bemerfte §u ihrem größten ©rftauneu, mie fein
©efiept Von einem feligen Säcpeln verllärt mar unb helle F^ubentpräucn
in feinen 2lugen ftanben ...
„5)aran erfennt man boep gleich bie rnapre Vornehmheit!" fliifterte
er. „3)aS finb mirflich abelige, gebilbete SJIanieren! ... ©erabe fo mar
eS .. . als icp bem Varon ©pupel feinen Pelj bradjte . . . 21ud) er
fcplug ju. ©benfo ber öerr Leutnant ©embulatom . . . ©ie icp zu ipm
lam, fprang er auf unb haute mir eine ... 9lcp ja, ©eib, jene fdjöneit
Sage finb vorbei... aber baS verftepft 2)u ntept! 2)aS rnaren noch
golbene Seiten!" Unb er fuepte mehmütpig feine Kopien jufammen unb
fcplicp naep §öufe. ©r märtet heute noep pöcpft jufrieben auf fein ©eib.
Jlus ber ^auptflabt.
ilottens^itjctton.
2lrbeitSzimmer ©r. ©jcellenz. 5)er ©epreibtifep mürbe bei eventueller
Verweigerung als „fepr menig gebraucht" fteper eine popc Summe er=
Zielen. Vequeme ©effel. 2luf ber ©paifelongue liegt ftatt beS SfclimS
eine ftilDolle Värenpaut auSgebreitet.
3)ie ©ycellenz (erpebt ftch Von ipt): 3>aS freut miep, baS haben
©ie gut gemacht, lieber Slatp. ©eine SJlajeftät mirb bie fleißigen Arbeiter
Z» fmben unb g« belohnen mijfen. Unb maS bie lepte ‘J'enlfcprift beS
Flottenvereins anbelangt, nicht mapr —
^er ©epeime Statp: 9lucp in biefer Vegiepung Jbürfen ©^cellenz
beruhigt fein, ©ir haben bie 2)enffcprift im F^Ö« bur4 gang 3)eutfdu'
lanb verbreitet.
^ie ©reeHeng: 9ttit geringen Soften, hoffentlich? $emt ba§
ifi bei jebem ©rfolg bie §auptfad)e. 3 C wepr mir an folcpen 9?eben=
hingen fparen, befto eper fönnen mir unS mieber eine pübfcpe Heine
3nfcl laufen. Unb Heine 3öf e lö — wiffen —
2)er ©epeime Vatp: 3d) weift, ©m. ©yceHeng. 2luS biefem
©runbe befeprönfte icp mid) barauf, bie vollSthümlicpe $>enff(hrift für bie
Flotte auf ben gröfteren F^^bapnpöfen vertpeilen gu taffen, ©ine halbe
©tunbe fpäter mar alles Sanb längs ber ©ifenbapngeleife mit biefen S)enf :
fepriften überfäet, fo baft icp mohl bepaupten fann, fie feien im Fluge burep
gang 5)eutfcplanb Verbreitet morbett.
$te ©ycelleng: Vortrefflich. Unb maS icp noep fagen molltc,
lieber Slatp. ©rfapren ©ie benn, baft auf befonberen Vefepl ©r. SJlajeftät
im SHai eine Xorpeboflotte ben SRpcin pinauffapren foll. 5)ie Anregung
bagu, icp mieberpole eS, verbanlen mir auSfcpIieftlitp ber 3uttiative ©r.
Sflajefiät. 34 bin übergeugt, baft biefe glängetibe SRaftnapme einen
folcpen ©türm ber Vegeifterung für bie FlöttenVorlage pervorrufen mirb,
baft eS Von jept an unferer Slacppülfe laum nod) bebarf. 3 ö, icp möchte
fagen, eine angefpannte, vielleicht gar lärmenbe Föt'lführung ber Agi¬
tation unfererfeitS lönntc möglicpermeife ben ©inbrud ermeden, als
moKten mir unS Vorbrängen unb ben Slupm beS unausbleiblichen
Triumphes für unS in Anfprucp nepmen. ©S liegt auf ber £xmb, baft
mir einen berartigen Verbacpt bitrcpauS Vermeiben miiffen. ©ie ver
ftepen miep?
$er ©epeime 8?atp: Voll unb gang, ©m. ©rcefleng. 34 werbe
ben Flötten^eclamatoren unb -©efangSfünftlern pinfort beim ^)ref4en
baS Sftaitl verbinben — parbon, ipnen gebüprenbe 3 ur üdpaltung ans
empfehlen, ©benfo merbe i4 ben ^lan eines allgemeinen beutfeben
FlottenfcateS ni4t weiter Verfolgen.
SMe ©fcelleng: Xpun ©ie baS. ©inftmeilen banle i4 3faen.
*
®ie ©gcellcug: ©ie finb mit ttnS gufrieben, ^>err Abmtraf? 34
poffe, 3P^ Sbcen pinft4tli4 ber Flottenagitation erratpen gu paben —
^er 2)larinegemaltige (ntelan4olif4 lä4dnb): 9tteinc 3 been?
Qa märe i4 mirlli4 gefpannt. ©ie ma4en mid) eitel. $>o4 lafjcit
©ie uns gur ©a4e lomrnen. 34 höbe in ben lepten Xagen über bie
gange ©efd)i4te grünbli4 na4geba4t —
$>ie ©ycelleng: 34 merlte eS glei4- ©ie fepen fepr ange^
griffen auS.
^)er 9)larinegemaltige: Unb ba wollte eS mir benn f4einen,
als mürbe für bie Flotte uo4 immer mepr agitirt, als gut ift. 34 ftabe,
man reigt bie ©egiter uitnüp unb veranlaftt bie öffentliche Meinung, fup
allgu eingepenb mit ber Vorlage gu befdjäftigen. Vei ben vielen f4machen
©eiten uitb Fehlern, bie ber ©ntmurf gmeifelloS pat —
2)ie ©ycelleng: gwcifelloS. Aber mir müffen unS tröften. ©ir
löniten nid)t Alles felber ma4en.
2)er 2)larinegemaltige: ©epen ©ie, ba palte i4 eS für ratp=
fam, baS 3ntcrcffe ber Nation etmaS Von bem ©egenftanbe abgulenfat.
23aS mir erregen wollten, paben mir erregt. $>aS ©roS ber ©ebilbeten
ift für bie Flotte. $>ie Sanbmirtpf4aft ift für bie Flotte. 3nbuftrie
unb £>anbef ebenfalls — na, unb bie £iebe beS ©entrumS verftept fiep
Digitized by v^. ooQie
Nr. 16.
Die ©egcntoart.
255
am fRanbe Don felbft. Dafj wir bie ©ocialbemofraten für bie neuen
Ääfjne gemimten fönnen, wage icf) bagegen nicht anjunebmen.
Die (Sfceflenj (mit mebmütbigem 0tolj): Die ©ocialbemofraten
waren nur ein einziges 9Ral für bie Regierung — bei ben $anbel«=
Derträgen oon/1893. ©ol4« Sefepe aber mac^t un« im gütigen Deutf4 s
lanb ber Spigoncn fein 9Renf4 mehr nad).
Der 9Rartnegewaltige: hoffen mir ba« Sefte. SebenfallS
müffen mir eS jefct ängftlid) Dermeiben, bie $ritif ohne 9?otb fjerau« 3 u-
forbern unb bur 4 foftfpielige Agitation, bie un« bo 4 feine neuen Sin*
bänger me^r ju bringen Derrnag, ben Nörglern tagtäglich (Gelegenheit
jum Sinbafen 31 t geben. ©enn ich ein Sülomif 4 e« Silb anmenben
barf: ber ©ante ift gelegt, ber Saum fcpiefjt auf — taffen mir ibn jept
gemäbren. ©ir ftören nur fein fröhliches ©ad)«tbum, menn mir ibn
übereifrig betrauen.
Die ©fcellenj: ©ie nehmen mir bie berebten ©orte au« bem
SRunbe. Unb ©e. 9J?ajeftät.. .?
Der 9Rarinegemaltige: ©eine Sfajeftät münfebt Dor 9Wem ben
Srfolg. Stber eS barf fein Erfolg ber ^lufbringlicpfeit fein, (5r muß, meine
ich, febeinbar Don felber fommen. ©ie Da« ju madjen ift — ja, lieber
£>err College, finb benit unfere Sebeimrätbe fo unfelbftftänbig, baft mir auch
in biefer grage Don ber Ärone informirt merben müffen, ftatt Don ihnen ?
Die ©ycellenj: Serlaffen ©ie ficb auf mid). 34 febc ben
©eg fd)on.
*
fRoeren, 2 R. b. 9?.: (£3 liegt un« natürlich baran, bie lex ^einje
£>anb in £>anb mit (5m. (5fceÜenj unb ber Sefammtregierung gu ©tanbe
311 bringen, ©ir befteben bejjbalb auf ber Serfd)ärfung nur, menn ©ie
fie für münfdjenSmertb unb annehmbar halten. 3 $ miß ohne ©eiteret
flugeben, bafj bie Don un« Dorgefcblagenen, neuen Paragraphen ben ge-
bilbeten ^Pöbel unb bie Un^ucbtfünftier in ©utb Derfefcen, bafj fie ben
üblichen ©türm ber Sntrüftung entfachen merben —
Die Sycellen* (plöfclid) aufmerffam): Da« märe! 5tber welche
(Garantie leiften ©ie mir bafiir?
Boeren (ein wenig betreten): 911« ftellDertretenber gübrer De«
(SentrumS fann id) grunbfäplid) für nichts garantiren.
Die ßycellenj: Unb ©ie meinen, bafj bie lex ohne 3b re 3 1 *'
fafcanträge unbeachtet bleiben, 9?iemanben intereffiren, feine anbeve ,
polttifdbe grage Don Sebeutung in ben .ftintergrunb fd)ieben würbe?
fRoeren: Da« meine ich allerbing«.
Die ©fcellenj: Dann ift bie ^Regierung entfehieben für 3hre
gufajjanträge. Perlaffen ©ie ftch auf un«, blei 6 en ©ie hart unb geben
©ie feinen 3 oH &reit nach- $?an wirb ©ie erbittert angreifen, wirb
einen Xumult ohne Gleichen Dollfübren, Deutfdjlanb wirb ©ochen lang
Doll Don bem Sef4rei über bie lex ^einje fein unb alles 9lnbere Darüber
Dergeffen — glauben ©ie nicht auch?
SRoeren: 34 b* 9 c biefelbe Befürchtung wie (5m. ^celfenj. ?lber
einen Kämpfer für ©abrbeit unb ©ittlichfeit barf Da« nicht anfechten.
Die ©ycellenj (fidj bie §änbe reibenb): Unter feinen Umftänben
barf e« ba« tbun. 34 irre niich hoch nicht in 3 b nen , wenn ich an-
nehme, bafj ©ie jeben ©chlag Doppelt befahlen unb auf biefe ©eife
ben allgemeinen Aufruhr, bie Sefinnttng«lofigfeit unferer politifeben
©eit noch Dergröfjern merben?
SRoeren (Derlegen): ©a« mir bic Pflicht gebietet, mub id) freilich
fdimeren #er$en 8 tbun — hoch brauchen (5w. (Jfceüenj feine«meg« ju
beforgen —
Die (Eycellenj (in prächtiger Saune): ©ie finb mein 9Rann!
Wfo Dorwärt« mit Sott! 34 banfe 3b n ^n! (Sr läutet. 3 um Mn-
tretenben Diener.) 34 taffe bie Deputation De« Sunbe« ber Sanbwirtbe
bitten! (3foeren ab. Die Deputation tritt ein. ©ehr gütig:) ©ageit
©ie getroft, maS ©ie auf bem .^erjen haben, unb feien ©ie gemib, bab
mir 3 bnen gern entgegen fommen.
R3 ©pte4er ber Deputation: Da§ Jyleifd)bef4aus(Mefep in
ber Üiegierung^faffung ift für bie öeutfehe Sanbwirtbfdjaft unannehmbar.
©oUte mirfli 4 bem amerifanifd)en 3 leif 4 e erlaubt fein, waä bem eins
beimifdjen Derboten ift; foHte e§ ohne jebe SRücffüht auf fanitäre Sorfcbriftcn,
fojufagen ohne Unterfu4ung eingefübrt werben Dürfen, wäbrenb nnfer
©chlachtDieb Deren jmei Dur4juma4en bat, fo mürbe Durch alle länb=
liehen Se^irfe Deutf4lanb§ ein bröbnenber ©4rei ber (5ntrüftung geben —
Die Si’cellenj (entjücft auffabrenb): (5in ©djrei Der (5ntrüftung!
(5in bröbnenber fogar!
Der ©pre4er: Unb mir mürben Dafür forgen, bab fReid)$tag
unb ^Regierung 3unä4ft einmal unfere gerechten gorberungen berüdf®
ftchtigen, ehe fie 3 e *t w°b ^raft unb (Gelb an afferbanb 3febenfächel4en
Derfchmenben. 3a, mir mürben eS erzwingen! ©4rcien mürben mir,
§err SRinifter —
Die Gfcellenj (ftredt Dem ©pred)er beibe $änbe entgegen):
Xbun ©ie baS ja, bitte, tbun ©ie e 8 ! 8 ci 9 en & ö & ©ie beutf4e
Männer ftnb! 3mingen ©ie baS Sanb, fich mit bem gleif4bef4au=©efep
3 U befaffen, ©o 4 en lang, SRonate lang; geftatten ©ie ni 4 t, bab eS fidj
mit irgenb etwas 3lnberem befchäftige, ehe 34 ncn 3 b r 3^ e 4t geworben ift!
Unb meine märmften ©pmpatbien, meine beibeften ©ünfehe mit auf ben
©eg! (Die Deputation entfernt fi4 Derbupt.) ©unberDoIle Äerle! Unb
nun fann i 4 beruhigt fein — hinter ber lex fpeinje unb bem gleif 4 s
befchau^efep Derf4minbet bie glottenDorlage bis auf ©eitere« fpurloS!
Da« nenn* t4 Agitation!
*
Sin parlamentarifcher ?lbenb im fRei 4 «fan 3 ler^Salai«. Semaltige, bi«
3 U Drei Sierteln leer gegeffene Büffet«. Parlamentarier, HRinifter,
^Reporter unb anbere fatte Xugenben.
Sbcfrebacteur Pfotenbauer (fauenb): 3llfo Da« neue Sefefc
jum ©4upe Der ©ingDögel ift in ber Somniiffion angenommen?
Profeffor Putfch (©4infen fchlucfenb): Sott, bin i4 ftob, bab
Da« ©cbmein fein ©ingDögel ift! . . . Diener, liebfter Soüege — man bat
©ie ja ben ganzen ©inter über nid)t gefeben ... ©ie feheinen franf?
Dr. Xrinfulo, politifdjer SRebacteur (mit ber Dritten glafcpe
3 Rumm extra dry befdjäftigt): Safluenja — id) fann bie heutige
geueptigfeit nicht Dertragen!
fRimmerfatt (mit einem neibif4en Blicf auf ben 9Rumm): Da«
fiebt man 3 btten aber mtrflüb nid)t an!
Pfotenbauer: Berjeibung, £>err Doctor — aber bafj ©ic hier
finb, ben ich al« fo eifrigen ©ocialiften fennen lernte .. .
Dr. Xrinfulo: 5Ra, ja — Da« mar Doch aber Dor anbcrtbalb
3 abren! 34 ging nachher mit jmanjig SRarf Sebalt«erböbung jum
Zentrum über, unb jefct bin i4 freiconferDatiD mit breiig 3Rarf mehr.
(Seht jum SRouton fRotbf4ilb über.) §eut’ fteb T i4 1« eifrigem Ber-
nid)tung«fampf gegen Me fRotTjen!
9iimmerfatt: 5idj — Daher auch Die intenfiD gefärbte 9lafe!
Die Sycellens (fomntt De« ©ege«): 3«fo lieben«mürbig collegialer
Unterhaltung, meine Derebrten Herren? Unb ma« fagen bie weifen
Auguren beut' ?lbenb 3 ur inneren Solitif?
Die 3ournaliften (feben fi4 Derlegen f4meigenb an).
Die ®£cellen 3 : 34 meine, mit Be 3 ug auf bie glottenfrage
©ie finben ©ie Da« gebei 4 felt, b«?
Pfotenbauer: 5lch ja — e« ift mirflich 3 U ©4abe! 9löeS mar
fo fd)ön im Sange, Begeifterung unb Cpfermutb reichlich Dorbanben —
unb ba fomntt biefe Balgerei um bie lex $ein 3 e, bie« olle ebriübe
5 Reaction«gefpenft, unb nimmt auf ber einen ©eite ben Sebilbeten im
Sanbe alle greube an ber glotte, ma4t fie argmöbnifch unb rei4«=
Derbroffen, wäbrenb auf ber anberen ©eite ba« Zentrum ftörrif4 jn
merben Droht, wenn ihm ber fette Rappen entriffen wirb. 34 begreife gar
ni 4 t, bafj unfere Plinifter, bie Doch fo gute Buffet« 3 U erraten miffen —
Die Sycellens (lä4elt nur): Unb unfer Xricf mit bem gleif4=
bef4au-Sefepe?
Dr. Xrinfulo: Bortrefflich — Denn menn bie beutf4e Sanbrnirtb-
fchaft jept noch für bie glotte ift, bann oerbiente fie gehängt 3 U merbenl
Die S?cellen 3 : Unb nun fagen ©ie felber, meine Herren —
Der ft ehe i4 mich auf bie glotten=$lgitation ober ni4t?
prin 3 Dogelfrei.
Digitized by v^.ooQle
256
Die ffiegetttoari
Jlngetgett.
»et Beßellungen bmif* man |tdj auf tue
„©egenroarf“.
flisiirA
im
ItrteU
friarr 3<it|(uffri.
$unbert Original * Qutagten
p. frreunb u. Ö«tnb: ©jöntfon
©ranbe 8 ©fltbnet <£rl 8 pi $>aljn
Staubet ®flibp gontane ©rotlj
$a«cfel ßartmann $e^fe 3 ors
bait Shilling SeoncapaBo Sitte
bau fiombrofo SWcft^tftbcrSft
»iflta Korbau OUtPier ©eiten«
fofer ©aliöburb ©tenflemicj
©imon ©beitcer ©ptetbagen
©tanlet) ©toeder ©trinbberg
©uttner SöUbenbru# ©erner
Sola u. ». «•
Weg. gef). 2 Kt. Pom biflag ber fifmwart,
©erlitt W. 57.
[Tecihnllniiii JImen»n|
Hi IimHimh Mi mtn I
• *11 kB«flt«r.]
bireeter Jiitiw. ■■■
Qn unfcrem Verlag Ift erfd)ienen:
pc ©cgciiuinrt.
(B*4ri'4)nfi fit ftnulr «»di unb Mrrul>4K8 Stfcn.
(5fUfrol=ßf(ji|lfr 1872 — 1896.
©rftcr bi$ fönfaiflfter S3anD.
Stfit Nachträgen 1897—99. ©eh. 5 uT
©in bibliographifcheS 2Öerf erflcn
NangeS über ba§ gefammte öffentliche,
aeifüge unb ftinftterifche lieben ber lebten
25 Qahre. NothtuenbigeS Nachfchlagebud)
für bie Sefer ber „(Megemuart", fomie
für roiffenfcf)aftlicf)e 2 c. Arbeiten, lieber
10,000 9(rtifel, nach Sachern, $erfaffern,
©chlagroörtern georbnet. 5)ie Autoren
pfeubonpmer unb anonymer 91rtifel ftnb
burchroeg genannt, Unentbehrlich für
jebe 33ibliothef.
5Utrf) bireft gegen ^oftanmetfung ober
Nachnahme Dom
Derlag kr Oüeaenwart.
©erlitt W 57.
Slfab. geb. SchriftfleHer, btöfj- publicift.
(liter. Äritif) in Berlin thntig, energ. gennffen=
hafte 8lrbeit£fraft, Dor^. ©praefjfenntniffe (fran=
äöfifcp, englifd)), pcrfcftcr Stenograph,
9Jiafchiucnf<hrciPcr (£>ammonb) f hiebt unt.
befrt). Wnfpr. in NcDaftton, Xbcntcrfcfrctariat,
Ufrl.^BudibDlg., literar. Jnfttt. 2 c. Stellung.
Cffert. an b. ©yp. b. ©egemuart unt. A. G.
Manuscripte.
3ur s -8erlag3übevnaf)nte uott NJanu=
fcripten fjiftorifäer, politifcper, fef)ömuiffen=
fcf)aftlid)er 2C. Nidjtung empfiehlt fiep bie
SSerfagÄbud)banblung Don
Kicliard Sattler, graunfrijumg.
(©egrünbet 1888).
©eranttporütdjer fflebacleur: Dr. ^eop^tl ßoUtng in ©eritn.
„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Xrankheiteeraeheinnn
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadu
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Brosche
Aber Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von s / 4 1 75 Pf. ii
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr. Carbach A Cie.
Bad Reinerz,
klimatischer, waldreicher Höhen-Kurort — 568 Meter — in einem
schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Glatz, mit kohlens&nrereichen Eisen-TrUk-
u. Rade-Quellen, Mineral-. Moor-, Donche- u. Dampf-Bädern, Kaltwasser-Procednren,
ferner eine vorzügliche Molken-, Milch- u. Kefyr-Kur-Anstalt. Hochquellenleitung.
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmungs- u. Yerdanungsorgame, zur Ver¬
besserung der Ernährung u. der Constitution, Beseitigung rheumatisch -gichtischer
Leiden u. der Folgen entzündl. Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang: Mai. Prosp. gratis.
£)effentlid)e §anbel§tehranftalt p kauften.
jföljtr* gnnbtlariljult unb gttjrltngsfdjult unter ßäbttfiljrnt ftatrunaL
©rofbccte Dur$ Dlrertor ©rofeffot
lic ©egenttmrt 1872-1892.
Ilm unfer i'agcr ju räumen, bieten mir nuferen Abonnenten eine giiuftige
Gelegenheit 5»* throoüftänbigung ber Gottection. ©o weit ber ißorratb reitet,
liefern mir bie Jahrgänge 1872—1892 k 6 9W. (ftatt 18 SW.), Halbjahr«’
SJänbe ä 3 9W. (ftatt 9 SW.). Gebunbene Jahrgänge ä 8 SW.
©erlag ber ©cgenlpart in ©erlin W, 57.
Soeben erfrfjicit im SScrfagc Don Hiutlf in XEtpJtg:
Aus friiirm frbm unb aus frinrr3rit.
2$on
$arpefes.
Wit zahlreichen, thciltueife bisher unuerüffentlicpen s 21bbilbungen (barunter 17 nerfepiebene
Silbniffe be§ ®id)ter§) unb 6 Beilagen mit Jaffimileö üon ^anbfdjriften.
i$x. 8°. (Viepcfret in elegantem Umfdjlag 7 S)l. 50 ^Pf. ©legant gebunhen 9 50 ¥f.
Verlag von Breitkopf & Härtel, Leipzig.
franz liszt’s Jrie/e
an die
Fürstin Caroline Sayn-Wittgenstein.
Gesammelt und herausg. von La Mara.
(Liszt’s Briefe Band IV). Mit 2 Bild¬
nissen. XXIV, 520 S. 8°. geh. Mk. 8.—,
i in Leinwand geb. Mk. 9.—.
epochemachende Erscheinung, nicht nur
L in der Musik- und der Brief-Litteratur. Dus
innerste Seelenleben des unvergleichlichen Künst¬
lers und Menschen wird uns darin erschlossen.
Der grosse Roman, der in seinem Leben spielte,
spinnt sich vor ungern Augen ab. Über seine
ebensoviel besprochenen als missverstandenen
Beziehungen zur Fürstin Wittgenstein liegen von
der ersten Begegnuug an zum ersten Mal un¬
mittelbare Zeugnisse vor. Von ebenso grossem
künstlerischen als psychologischen Interesse, ent¬
halten die Briefe ein Stück Selbstbiographie, wie
wir eine ähnliche von keinem unsrer grossen
Tonsehöpfer besitzen.
^isniardts iladifolpt.
91 oman
non
‘gfßeeplnC ^oCCirtg.
W Pol^nufgabe. "W6
v prei£ 3 ^DJarf. 6d)ön gebunben 4 9Harf.
tiefer 33i§marcf=©aprit)i'9?oman, ber in
menigen fünf ftarfe Auflagen erlebt,
evfdieint pier in einer um ble£>älfte billigeren
®ülf§au§gabe.
Smrd) alle 93ud)()anblungen ober gegen ©tm
fenbung be§ 33etrag§ poftfreie 3u(enbung oom
Ucrlag der Gegenwart.
SBerttn W. 57.
Webaction unb (Sjpebtttor: ©eritn W., »eanfieinfttate 7 . $mcf Pon ^effe 4 ©ette tn fietp*ifi.
Digitized by v^.ooQle
M 17.
"gäerCm, Öen 28 . JlpriC 1900 .
29. Jahrgang.
Band 57.
pe fepuinrt.
k
SBoc^enf^rift für giteratur, Sftmft unb öffentliches geben.
^mwagegeBen Don ‘gQcopQU ^offlng.
imra ionnatraii aMetti eine Summet. SerIafl ber rt in 8frHn w 57 Jterteimrlt* 4 «160 |f. «tu Jammer 50 Vf.
tfu bettelten burdfj alle ©udjfjanblmtgen unb ©oft&mter. ^ a v Sfitfcrate jebcr Ärt pro 5 gehaltene ©etitjetl« 80 ©f.
Maß:
Slflerfei Socialrefontten. 33on (S. 92. (Sb eil. — 9Iu3 bem Slrbeiterleben in SJhtßlanb. $on 5abrif6eft^er Dr. phil. $arl
9Joepel (SKoSfau). (<Sdjluß.) — ßiterottir uttD Äuttft. gur Scbopenfmuer=$Mtevatur. $on 3 . $Jl. fcoti gcbni!. — $a8
©eßeiumlß ber großen $t)ramibe Don ©i$eb. $8on Subroig $)etnbarb (9Jlüncf)cn). — fteitilleton. &olje8 Spiel. 2$on ÖouiS
(Soupetu8. $fu3 bem ^oHänbifdjen. — Äu$ Der $auptftaDt. $>ie gufunft auf bem 3Baffer. S3on Caliban. — 91n§etgen.
Allerlei iSoctalreformen.
Von <L ZT. <£beU.
Die ©nigung ber beutfdjen Stämme ju einem ftarten
©taatenbunbe hat unferem Volte bie ißm längft gebfißtenbe
erfte ©teBe unter ben Motionen ber JSett gegeben, politifcß
wie mirthfdjaftlidj, unb ein iRütfblid auf bie brei Saßrzeßnte
beS Deutfcßen Reiches jeigt unS trog Dieter ©djattenfeiten
unb bunfien fünfte im ©roßen unb ®anjen eine erfreuliche
unb gtänjenbe ©ntmidelung. Politifcß fteßt basS fReicß nach
Slußen unb Snncn gefeftet unb niacßtDoß ba, unb ber mirtß*
fdjaftlicße Üluffcßmung fucfrt in ber 28eltgefd)icßte feineSgleichen.
©tel)t unfer fRationalreuhtßum auch nod) bentjenigen ©ng=
lanbS unb granfreicßS nad), fo haben mir bodj in |>anbet
unb Snbuftrie baS Leitete tängft überflügelt. Unfere ©jpanfio*
traft, bie in ©uropa unfere ©renzen nur unter üllieS Der«
heerenben Kriegen ermeitern tönnte, fucht über ben SReeren
fich auSzubeßnen. Unfere politif mirb jur SBelt* unb Sßelt*
ßanbelSpolitif, gerabe mic in ber innerpolitifcßen ©ntmidelung
bie roirtßfcßaftlichen Sntereffen alte anberen jurüdgebrängt
haben. 2öir gtauben nicht, baß eS z u bettagen ift, menn
auch unfere politifdjen Vertretungen mehr unb mehr „ju
SntercffenDertretungen" gemorben finb SRun ift eS ja fieser,
baS bemeift Panama auf ba« ©djauberßaftefte, baß eine
rein potitifche, rein partamentarifd)e VolfSüertretung jmar
ein ganz ausgezeichnetes, ganj nach ®8unfd) arbeitenbeS
SBerfjeug ber ©pecutation ift, ber eS fehr leicht mirb, eine
folche partamentarifche Regierung unb. fotch’ ein Parlament
baju genügenb ju corrumpiren; aber für alle mirttichen unb
tebenbigen, b. h- jumeift alte mirthfcßaftlidjen SSntereffen beS
roerftßätigen unb arbeitenben VolfeS ift eine rein potitifche
Vertretung nahezu ganz unbrauchbar! Der iRiebcrgang beS
Liberalismus bezeugt eS. 9tn eine mirttich arbeitsfähige mirth»
fchaftliche Drganifation hat ber Liberalismus nur an einer
einjigen ©teße gebacht, mo ihn bie aßerbitterfte SRothmenbigfeit,
ber abfotute Unfinn bcr 3 u ftänbe, bie. er burdj feine ißrin«
cipien fchuf, baju gejmungen hatte, — beim ^tanbel in ben
^anbetStammern. 31 ud) hier Derhinberten bann freilich bie
herrfebenben ?litfchauungen über bie mirthfehaftliche Freiheit
beS ©injelnen baS Sluftommen einer geschloffenen großen
Drganifation, bie nach großen 3>elen hätte ftreben tonnen.
Die IpanbetStammern blieben baS befdjeibene Organ beS Sinjel«
hanbelS in ben einjetnen ©täbten mit rcd)t befdjeibenen
Süujchen unb ßielen unb mit reiht befcbcibcncit Leitungen.
Von einer Drganifation ber übrigen mirthfehafttidjen ©tänbe
moßte ber Liberalismus nirgenbS etmaS miffen! ®anj im
©egentheil, er glaubte fid) burch feine ißrincipien berechtigt
— unb menn bie Dheorie nicht auSgefprodjen mürbe, tarn
jebenfaßs bie ißrajis burdjauS auf baS SRefultat hinaus —
baS, maS er feine potitifche Drganifation nannte, aud) auf
baS Selb ju übertragen, mo er hoch fonft bie anertennenS«
mertheften Leiftungen aufjumeifen hatte, auf bie ©etbftoer«
maltung ber ©emeinben, befonberS ber ©täbte. Natürlich ift
baS Unfinn! 2öaS haben 9lbfuljrmcfen, Saupolijei, Straßen*
reinigung unb bergteidjen für bie ©tabt mistigen Dinge mit
ber nationalliberaleit ober freifinnigen Partei ju tßun? Liber
nicht bie jReidjStagSmahlen, fonbern bie ©tabtoerorbneten*
mahlen unb 3lfleS, maS an bem ganjen ftäbtifchen SBefen
brum unb bran hängt, maS nach ber heutzutage hier junteift
noch gütigen liberalen ?lnfdjauung ja ben rechtlichen Vefitj
ber herrf^enben, alfo regierenben Partei bilbet, baS bietet
jc$t für unfere politifcßen Parteien ^ en rea ( en ©oben, aus
bem fie ißr fümmerlicheS bißchen SRahrungSftoff faugen.
SBären nicht bie ©otitifer unb bie ißolitif mit einfeitiger
Vetblenbung falfdjen Sbealen nadjgefaufen, fo hätte man fdjon
längft für beutfeße Verhältniffe bie richtige (Sonfequenj ziehen
müffen unb hätte bie Dhätigfeit unferer parlamentarifchen
Äörperfchaften längft ganz bebeutenb befeßränft. ©ne Volts*
oertretung, bie mirtlicß, mie eS fein foflte' unb fein mirb, be*
ratßenb, anregenb unb maßnenb auf bie ^Regierung mitten miß,
mirb ißre mißliche Dßätigfeit in menigen SBocßen auSüben
tönnen unb babei mirtlicß auS Vertretern beS VolfeS befteßen
tönnen. ©inige midjtige ©ommiffionen, bie mit ben Vor*
arbeiten z u größeren Vortagen, befonberS mirthf^aftlicßer
9iatur betraut finb, merbeit fieß ja aßcrbingS auf SBocßen
unb äRonate auSbeßnen. „guftänbe mie heute, mo unfere
Parlamentarier VerufSparlamentarier gemorben finb unb
unfere Parlamente fieß zu SRebenregierungen entmidelt haben,
in benen bie Dppofitioneflen ülfleS zu Derßinbern fueßen, maS
gefdjeßen foß, bie ©ouüernementalen jebe ÜRaßregel jeber
Regierung zu Dertßeibigen fueßen, in benen babei gemößnlicß
irgenb eine an 3 a ßt feßmaeße, mitunter eine bem ganzen
©taatSmefen bircct fcinblidj gefonnene Partei, mie bie polen
gelegentlich bei uns, bie ©oeiatbemofraten unb bie fatholifdßc
ÜRinorität in Dielen Kammern z- aueß in ^>oßanb, bie
©ntfcßeibnng in Rauben ßat, bie müffen jebe Dernünftige
Regierung läßmen unb jebe nüßlicße Snitiatioe unterbinben
unb naturgemäß um fo meßr, je feßmieriger bie Verßältniffe
Digitized by v^.ooQle
25$
5Die d&cgenmart
Nr. 17.
überhaupt finb, je nothwenbiger atfo eigentlich ein ftraffeS
unb ftarfeS Vorgehen ber ©egicrung wäre. §ier wirb baS
©orhanbenfein einer ftarfen wirtschaftlichen Organifation
wahrhaft crlöfenb wirten, ©ewifj, auef) auf wirthfcfjaftlicfjem
©oben giebt eS ftarte ©egenfätse — in ©elbfadjen hört bie
©emöthlichtett auf, Wie ber alte ^mnfemann fagte, unb bie
wirthfehaftlichen Slnforberungen gehen ja jumeift an ben (Selb*
beutet —, aber gerabe baburdj wirb auch bie ©emtithSrulje
berfdjwinben, mit ber wir uuS eS jejjt gefallen laffen, wenn
SRonate anf SRonate baS SlbgeorbnetenfjauS unter erheblichen
Koften tagt, nur bamit, wenn £>err u. Karborff feine bewährte
©ebe für baS ©über gehalten hat, ©idert feine bewährte ©ebe
gegen baS ©über hält, Sugen ©idjter, wie alle Satire, auch
ben bieSjährigen ©tat ^erflüdt unb mittlerweile baS Sentrum
als auSfd)laggebenbe Partei hinter ben ©ouliffen feinen Kuh 5
hanbel treibt. Unfere Streife unb protinzialterbänbe finb
wefentlich wirtt(fc£)aftlic^er Slrt, unb wenn fie and) hier unb
ba non ber Unart beS ParlamentSfpielenS angeftecft finb, fo
regulirt fidh bie ©ache wahrfdjeinlicf) immer recht balb wieber
toon felbft."
©o fchreibt ein neuer ©ocialreformer, Dr. Sb. £>aljn,
in feinem nicht Warm genug ju empfef)lenben Suche „Die
SBirthfchaft ber SBclt am SluSgange beS 19. SahrhunbertS"
(.^eibelberg, Sari SBinter). DaS gait^c wirthfchaftlidje ©ebiet
wirb öon ihm im 3 ll fammenhnuge mit ben übrigen 2c6enS=
gebieten aufgefafjt unb hiftorifd)*fritifd) beleuchtet, aber er ift
babei fein unfruchtbarer Dljeoretifer, wie fo Diele neuere
Propheten, bie unS mit ihren unpraftifdjen ©eformborfchlägen
begtüden wollen. SllS (belehrter fomint er ton ben ©atur*
wiffenfehaften her, unb ber Darwinismus, zu bem er fief) be* .
| fennt, giebt ihm auch manche Srflärung unb Söfung ber
DageSfragen an bie |>anb. Slber fonft fteht er mitten im
praftifchen wirthfehaftlichen Sehen, ohne Parteibrillen unb
föciale ©cheuflappcn, unabhängig unb ohne Sorurtheile, nur
bon feinem gefunben SRenfcfjenberftanb, feiner reichen Sr*
fahrung unb feinem Patriotismus geleitet. Darum finb
benn auch feine pofititen ©eformtorfchläge, aud) bort wo
fie ju rabical eingreifen, ber aügemeinften ©eadjtnng werth-
@o Will er auf ©runb ber 2Bef)rpflid)t unb beS atlge*
meinen ©eichStagSwahlrechtS eine neue, beffere politifche
Organifation frfjaffen. Natürlich liegt hierin fdjon ein praf*
tifcheS Programm. S J© äffen Wir bie SBehrpflicht ton Sillen
ohne Unterfd)ieb forbern, fo fommen boch fefbftoerftänblich
nicht Sille zur SluSübung ber SBehrpflicht, noch üiel weniger
jur praftifchen ©ethätigung ber SBehrpflicht in Kampf unb
Dob. Schon barin liegt ein wefentlidjer Unterfchieb, ber bisc¬
her bei bem allgemeinen ©eichötagswahlredjt ganz ungenügenb
zum SluSbrud fam. ©id)t allein — es ift baS ja eine be*
fannte ©chwäche unfereS heutigen bureaufratifchen Staates —
bafj unfere Sntaliben .ganz ungenügenb terforgt unb bebanbelt
werben, nein, unfer „oom SiberaliSmuS burchtränfter Suriften*
ftaat" hat fich ba eine recht mirfunqSboüc Phrafe gefchaffen,
bie ihn gegenüber ber flajfenben Ungerecf)tigfeit gegen bie
SRinorität tollfommen beruhigte. SBir ijaben noch Dor einiger
3eit ju hören befommeu, als ton einer fo fehr ternünftigen
©teuer, wie ber SBefjrfteuer, bie Siebe war: auS ber Slb*
leiftung ber SBehrpflicht unb auS ben materiellen ©adjtheilen,
bie biefe Slbleiftitng unleugbar mit fich bringt, fönnten bie
^Betroffenen feine ©eredjtigung tjerteiten, weil bie Slnberen
ja ebenfo terpflichtet wären unb tieHeid)t ebenfo gern ober
ungern biefer ©erpflichtung genügen würben, Wenn bie ©eifje
an fie gefommen wäre. „9D?an fieht," fchreibt föaljn, »eS ift
eigentlich nur §erjenSgüte ©eitenS unfereS mobernen Staates,
wenn er bie Sntaliben unb bie SBittwen unb SBaifen ber
©efaüenen unterftüjjt, bie ja eigentlich fo etwas gar nicht
tetlangen fönnen. ©aturgemäfj würbe ich oon ber Slbleiftung
ber SBehrpflicht ein gröberes ©echt auf Stimmen ableiten,
ton ber Slbleiftung einer SBehrpflicht währenb eines Krieges
natürlid) ein noch gröfjereS. S<h mürbe eS für burcfjauS
nothwenbig hatten," ben Kriegcrterbänben, bie ja auch fd)on
ba finb, bei ber Sntfcheibung über Krieg unb grieben
entfeheibenbe Stimme ju geben, ba ihnen ja ein redjt fach*
tcrftänbigeS Urteil zuftefjt. Sch würbe auf ber anberen
©eite bei einer Slbftimmung über Krieg unb grieben im
©eichstag mir bie Slbgeorbneten recht genau barauf anfehen,
ob fie felber mit müffen, ob fie Söhne haben, bie mit muffen,
ob fie ber Krieg, für ben fie ftimmen, irgenbroie perfönlict)
belaftet. Sd) würbe ferner im ganzen politifdjen Sebcn mit
bie Seute ftetS baraufhin anfehen, welches ©toajj ton Pflichten
fie für bie Slügemeinheit übernommen haben, ©lag @ugen
©idjter aud) barüber erftaunen, ich mürbe ihn als Sung*
gefeiten ohne Kinb unb Kegel an fich geringer einfd}ä£en
als einen gamüientater." ©aturgemäfj würbe biefe Pluralität
ber ©timmen unfer politifdjeS Seben ton ©rnnb aus um*
formen. (5S würbe mit bem wichtigen unb jum lljeil ja
auch an fich richtigen ©eichstagswahlrecht eine ©eränberung
torgehen, bie beim weiteren SluSbau fo grofee Seränberungen
mit fich bringen würbe, bafe in abfehbarer 3eü an einen
praftifchen SSerfud) bamit nicht ju benfen ift.
SluSfidjtSuotler fd)cinen nnS ^»ahn’S SSorfdjläge jur ©eform
unfereS fnjpothefarcrebits, wobei er fidj.fdjarf gegen bie „Um
ftcrblidhfeit beS ßapitalS" wenbet. „@S ift an unb für fich
ganj flar, bafj Semonb, ber ©elb erwirbt, eS entweber für [ich
ober für feine gomilie. alfo jumeift feine Kinber unb tieüeidjt
für feine ©nfet erwirbt, darüber hinaus wirb feine ©orauS*
fi^t nur in beu feltenften gäßen gehen, ©ur für biefe, an 3al)t
ungleid) geringerengälle, ferner für biegunbirunggcmeinnü|tger
Snftitute, wie wohltätiger, wiffenfchaftlicher unb anberer Sin*
ftalten, wäre eine gewiffc längere SebenSbnuer beS Kapitals
erwünfeht. Die läßt fid) auch 9 an ä normal unb bequem bc*
wcrfftelligen. giir aQc übrigen SapitalSerwerbungcn aber ift
bie Unfterblid)feit beS ©apitals ungemein überflüffig, unb
ganjt bcfonberS fd)äblid), ja abfurb ift biefe Unfterblidhfeit beS
SapitalS für unferen mobernen Staat geworben, ©ine ganje
©eit»e beutfeher ©täbte befahlt nod) heutzutage an ben 3n>angS=
anleihen, bie währenb ber franjöfifchen ^»crrfchaft bis 1818
gemalt finb. Sn 3Birflid)feit finb bie ©erlufie ber bamaligen
3eit jum größten Dl)ei(e uerfd)inerzt, unb ber jejjige ©rfa?
wirb nur in ben aüerwenigften fällen ben richtigen ©ach*
folgern berer ju ©ute fommen, bie bamalS bie ©ertufte zu
tragen hatten! Dhcoretifdj mufj auch ber englifdjc Staat
immer noch 3' n f en bejahlen für bie zu ber erfolglofen ©e*
fäntpfung ber amerifanifchen ©etolution ton 1775 erhobenen
ßapitalien. £>at nun aber in SBirflidjfeit ber ©taat baS
©ed)t, feine zufünftigen Singehörigen berart auf ©wigfeiten
hinaus zu belaften? Der ©taat giebt fein ©elb auS, ent*
weber für augenblidlicpe ©ebiirfniffe ober für Slnlagen, bic
fpäter erft rentiren follen. ©ur bie Setjteren rechtfertigen
eine gewiffe ©elnftung fünftiger @efd)led)ter! Sft eS aber
nicht unfinnig, bah fpäte ©achfahren bic Koften für eine
©rüde, eine Heftung ober etwas berart bezahlen follen, währenb
in SBirflichfeit bie Slnlage, für bie baS ®elb tor langer 3 f ü
einmal befcfiafft unb auSgegeben würbe, längft uerfd)munben
ober überflüffig ift. Seid fteht eS mit unferen europäifdp
©taatSpapieren, auS benen id) wirtliche nnb wahrhafte ©enten
madjen möchte, fo, bafj fie befjljälb mit Slnberen nicht concur*
riren fönnen, weil fie bazu uiel zu geringe Procente geben.
Sille möglichen ejotifd)en Staaten, ganz abgefehen ton ben
Prioatunternehmungcn, terfprechen tief höhere 3iufen, als
fie unfere Staaten jemals geben fönnen; baS tjSalten ift
freilich eine ganz anbere ©ad)e, aber ehrlich unb gewiffenhaft
fönnten fie aud) gar nicht fo tiel terfprechen." Dr. |)abn
fdjlägt alfo tor, ©taatSreuten einzuführen, bie fich Don felbft
amortifiren, fo bah wir alfo auf biefe furze 3 C ' 1 e ‘ nfn
höheren 3' n§ geben fönnen! @r will brei ©enerationen,
alfo runb 100 Saf)te, als eine genügenbe 3 e *t für ba®
©rföfchen ber ©ente anfehen. Slber fdjon torher foll bie
©ente finfett, fo bah für bie erfte ©eneration ober etwa 33
Digitized by v^. ooQie
Nr. 17.
Die föegetnuart.
259
3a(jre eine ßößcre Wente gewährt würbe, für bie jtoeite unb
roieberum für bie britte fid) ber Setrag, natürlich gefejmäfeig
borauöbeftimmt, oerringerte. SBir glauben aderbingS, eine
folcße Wente würbe Diel Weniger gärten bieten, als nidt)t
allein ©taatSbanferotte fie ßerbeifüßren, fonbern auch bie
3in3rebuctionen, bie in ber testen 3eit, 5- S. in ißreufeen,
auf ©runb rein finanjieQer Erwägungen oßne erhebliche 0ppo*
fition burdjgefüßrt worben finb unb bocß mandje acßtungö*
roertße Ejiftens auf,8 ©cßwerfte gefcßäbigt haben. SBir benfen
an bie Dielen SBittwen unb SBaifen, benen burd) einen geber*
ftricß ißr notdürftiger Unterhalt bureß ben Staat unDorßer»
gefel»en Weiter gefdßmälert würbe. Durd) eine folcße ^Renten«
bilbung fiebert )icß baSjenige ber Staat, worauf eS allein
anfommt, nämlich (Generationen, bie jwar mögficßft im Sefifc
gefiebert finb, bie fid) aber bod) Dom Kampf um’S Dafein
fließt auSfcßliefefn fönnen, ba ber Sefiß, wenn nid)t8 ßinsu*
lommt, allmälig lieber Derfcßwinbet. gamilien unb Staaten
befommt eS meßt gut, wenn fie nur auf baS Serbraucßen
angewiefen finb unb nidjt auf baS Erwerben. 2Ran braucht
bafür taum Seifpiele ju nennen. Sübed im 17., Senebig
im 18., £otlanb im 18. Saßrßunbert finb Seweife bafür,
bafs eS für tganbelöftaaten nid^t juträglid) ift, wenn fie fid)
»om Erwerben auf’s (Geniefeen legen, unb für menfcßliche Ser«
ßältniffe fann jebe §anbel8ftabt genug als SBeifpiele berfelben
Slrt geben.
SBir müffen bie Wotßwenbigfeit anerfennen, bafe wir ftetS
ben lanbroirtßfdßaftlidßen Setrieb lebensfähig erhalten müffen,
unb bafe bähet ber Sauer gegen bie anberen Erben fcljr be=
nachtheiligt ift, wenn er ihnen jwar baS gleidje Eapital auS«
lehren fotf, ihm felbft aber fein eigenes Eapital nur als Sefiß«
theil am Soben jugewiefen wirb unb ihm zugleich bie tßflicßt
bleibt, juerft für bie Slnberen unb erft weiterhin für fid) unb
feine Kinber bie 3>nfen aus bem Soben ßerauSsuwirtßfcßaften.
„Wan Wirb," fdjreibt $aßn, „in ber StajiS nur bann su
günftigen SRejultafen fomnten, Wenn man bie Slrt unb SBeife
recht eingehenb ju fRatße sieht, wie fid) bie Säuern felbft,
jum J01)eü in fd)Wierigen Serßältniffen, geholfen hoben. Sch
möchte bafür s- S. auSbrüctlicß barauf hinweifen, bafe fehr
Diele norbbeutfeße Sauernhöfc fich nicht im SRajorat Dererbeit,
fonbern im ÜJfinorat, Wäßrenb ich für biefe in ber bäuerlichen
flrajris recht bewährte Einrichtung aus bem abligen ©runb«
befijj nur ein einziges Seifpiel auS Derßältnifemäfeig neuerer
3cit fenne. 3 um anberen Dßeile wirb eS nothwenbig fein,
ben Kleinbetrieb fehr Diel mehr auSsubeßnen unb ihn Dor ber
Eefahr ju feßüßen, in groergwirtßfdßaft übetsugeßen unb ju
oetlommen. 3wergwirthfchaft ift ein Setrieb, ber auf unge«
nügenber Sobenflädjc unb mit ungenügenben ÜRitteln ben
@rofe6etrieb naeßsuaßmen fuct)t; naturgemäß müffen auch
große Slnftrengungen hier oft Don oornhetein erfolglos bleiben.
Die ©ebiete ber 3wergwirtfd)aft finb baßer gefürchtete ©ebiete
ber Serlumpung." DaS rationelle ©egenmittei ließt £>aßn im
intenfioen Kleinbetrieb, ber auf ber ßodjften Stufe in jenegorm
übergeßt, bie er in feinem SBetfe über bie §au8tßiere als ©arten*
bau bezeichnet ßat. Er hat für biefe Unterfcßeibüng hier unb
ba bereits SiHigung unb 3uftimmung gefunben. Der ©arten«
bau liefert mit igußülfenahme ber Sewäfferung unb mit reicher
Düngung ganj enorme Erträge, bie eine ausgiebige Ejiftenj
auf winjigem Derrain ermöglichen. Diefer ©artenbau wirb,
wenn erft bie SBohnungSrcform, befonberS burch eine ftarle
Sauplaßfteuer, bie Umgegenb unferer großen Stäbte ben
Klauen bet Speculation wieber entriffen ßat, in paffenbfter
SBeife fich «nt bie ©rofeftabt mit ißren Sororten legen unb
fo ben einjig Dernünftigen SluStaufcß jwifchen Stabt unb
Sanb feßaffen. greilicß bebürfen wir, eße wir ju folcßem
erfreulichen fRefultat lommen fönnen, noch einer grünbtießen
SReform unferer Wiefelanlagen. Die Eanalifation, wie juerft
Serlin fie gefeßaffen hat, unb wie fie jeßt fo Dielfacß nach*
geaßmt wirb, ift muftergültig nad) ber ßßgienifchen unb ber
ftäbtifeßen Seite ßin unb bie paffcnbfte unb bequemfte gorm
für alle SujuSftäbte; fie ift äufeerft unpaffenb für bie ärmeren
Dßeile ber Sebölferung, ba fie burch hie Koftfpieligfeit ber
Stntagen bie SBoßnung feßon ungemein bertßeuert, eße nur
ein einjiger Stein jum gunbament in ben ©runb gefenft ift.
Sie jwingt baßer ben Sefißer ber ©runbftücfe, Diel §u ßoße
SBoßnßäufer ju bauen, unb bie SBoßnungen Werben trofe ißrer
Kleinheit fo tßeuer, bafe fie ju eng belegt werben müffen.
Naturgemäß wirb man ©artenbau unb ©ärtner nur ba
einfüßreit bürfen, wo fie bon bornßerein bureß SerfaufS*
genoffenfeßaften, ferner bureß Eonferbenfabrifen unb ähnliche
Einrichtungen gegen folcße Krifen gefeßüßt finb; unb wie eS
überhaupt beim laubmirthfchaftficßen Setrieb gut fein wirb,
ben Setrieb nießt allju einfeitig aufjufaffen unb alle feine
Hoffnung nur an einen emsigen Waget su hängen, fo wirb
eS fid) aueß hier empfehlen, ben ©artenbau möglicßft bielfeitig
SU machen, ein Setfaßren, bem feine SRatur eigentlich gans
Don felbft entgegenfommt. Die Seute in SBerber, bie Wegen
beS näßen SerlinS eigentlich nur Kirfcßen $u sücßten pflegen,
werben bei ber borjäßrigen (1899) SWifeernte ben SBinter über
woßl ©elegenßeit haben naeßsubenfen, ob biefe Einfeitigleit
gans richtig War. ^aßn meint aber, Wie überall im wirtß*
fcßaftlichen Seben, fo fei auch ß)ier beim ©artenbau unb ßi«t
gans befonberS ber genoffenfdßaftliche Setrieb ber einzig ratio*
neHe. Die grüeßte unb baS ©emüfe geßen Dom Erseuger
an SammelfteHen, fo bafe aucf) Heinere Erträge, s- S. ein
paar Stangen Spargel, Derwertßet werben fönnen, unb fie
Dertßeilen fieß Don ber Eentrale wieber an SerfaufSftetlen.
9llS S r °hucte biefeS ©artenbaueS benft er fid) alle unfere
©emüfe, s- S. audß baS grüßgemüfe, baS jeßt fo feßr auf*
fommt, ben SRßabarber. 3llS wirißfchaftlicßeS fRüdgrat beS
©ansen möcßte er aber unfere $ülfenfrücßte anfeßen. Erbfen
unb Soßnen finb leiber an unferer heutigen SRaffenemäßrung
nod) lange nießt in bem Umfange betßeiligt, wie eS gut wäre,
©lüdlicßerweife fommen aber grüne Soßnen, befonberS bureß
bie Eonferoenfabrifen, in ben breiteften Kreifen immer meßr
unb meßr in Slnwenbung. Schließlich ift ja jeber SBeg s«
toben, auf bem bie „als auSfcßliefelicße SolfSnaßrung entfeß*
ließe" Kartoffel ein wenig snrüdgebrängt wirb. 5lucß Dbft*
genoffenfeßaften unb Dergleichen gehören su tpaßn’S wirtß«
fcßaftlicßett Programm.
Sin feßöpferifeßen Sbeen unb sielweifenben ©eficßtSpunften
ift ^>aßn’S Socialfritif befonberS in jenen Slbfcßnitten reich,
bie fieß mit ber Socialbemofratie befcßäftigen. ißräd)tig ift
ßiet sumal, Wie er ißre wiffenfcßaftlidßen Klnfprücße serpflüdt
unb fie „Don jebem 3 ll fammenßang mit ber gefcßicßtlicßen
Erfenntnife unb mit ben naturgefcßicßtlicßen Dßatfacßen" Döflig
freifprießt. Unb naeßbem er baS länbet« unb DölferDerberöcnbe
Dreiben ber Sörfc fcßonungSloS an ben Singer fteHt, jeigt
er fieß als warmßersiger greunb ber probuctioen Stänbe unb
unferer Slrbeiter im Sefonberen. WicßtS fei an ißrem Serfall
in fo ßoßem ÜJiaafee aber betßeiligt, wie unfer ungeheuerliches
SBoßnungSelenb, füßrt er aus. „Serlin wäcßft jeßt auf bie sweite
ÜRUlion su. Sonbon ift feit langer 3 e ü «i* 1 « SRiQionenftabt
unb ßat bie fünfte ÜRillion hinter fieß! ES ift oßne greifet
nießt su Diel gejagt, Wenn man behauptet, bie 3uftänbe SonbonS
als günfmiüionenftabt feien Doflfommen unhaltbar! Dabei
weife i(ß f e ß r woßi, bafe gerabe in leßter 3 £ it oueß in Sonbon
Saufpecutation unb Sauwucßer eine große Wolle fpielen. Daß
eS audß in Sonbon Srutftätten beS ElenbS unb beS SafterS giebt,
wiffen wir ja Sille auS Sos*DidenS. 9lber in Sonbon ift bie
gans überwiegenbe SRajorität aller Käufer Don Einseifamilien
bemoßnt, wäßtenb Sremen bie einige ©rofeftabt ift, in ber
auf beutfeßem Soben baS EinselßauS nodß überwiegt. SBir
finb gewoßnt, biefe Sefißüerßältniffe in Englanb als gans
Surüdgebliebene 3 u ftänbe ansufeßen, eS Wiberfprad) ber
liberalen Slnfcßauung su feßr, bafe einige englifeße Slriftolraten
einen Dßeit ißrer ßorrenben Einnaßmen auS bergleicßen Sefiß
Sicßett, unb nur auS biefem ©runbe faß man baS ganse
Sßftem für Deraltet an. SRan überfaß natürlich gleidß, bafe
Digitized by v^. ooQie
260
Die (Segenmart.
Nr. 17.
mancße ber größten woßltßätigen unb wiffenfdjaftlicßen Snfti*
tute auf benfelben Scftß funbirt tparen. iRuii werbe icß
ftcßer nießt oorfcßlagen, Sänbereien, welcße ber ftäbtifeßen Se»
bauung in fürjerer ober längerer 3 e it öerfaCten »erben, an
hochgeborene gamilien als feubaleS Sehen gu Uerttjeiten, aber
bie Wunberbaten S3tütf)en, bie anbere Seute oon unferer
heutigen ©runb» unb £>auSbefißer»2lriftofratie ertoarten, tann
ich auch immer noch nicht entbecfen. 3cß foüte aber benten,
unfere ©emeinbeoerwaltungen ßcitten “He Urfacße, mit ber
fßolitil beS ©eßenlaffenS unb beS ©cßlenbrianS, bie ßiet big»
her überall unb in ben allergrößten ©täbten, fo in Serlin
unb Seipgig gumeift, geßerrfcßt hat, gu brechen. Sä) erwarte
namentlich öon ber rührigen Verwaltung irgenb eines Ser»
liner SiüenOorortS, baß fie recht halb ein ÜBiHenterrain oer»
fucßSweife gur 100 jährigen ^ßacfjt JteQt. 100 Saßre, bie auch
in (Englanb öielfad) gebräuchlich finb, fchließen brei ©enera»
tionen ein, in benen eine gamilie gumeift auffommt unb
erlifcht ober auch ih re ©lüdSumftänbe fo gang geänbert hat,
baß ber frühere Sefiß bei ©runbftüds für bie fpäteren ÜRit=
glieber ber gamilie hoch bebeutungSloS geworben ift." ?lber
auch bann, wenn wir in biefer Segießung ^Reformen ein»
geführt ßaben, wirb ber Uebelftanb immer noch bleiben,
baß bie Sßoßnungen ber lleinen Seute einen unoerßältniß»
mäßig Oiet größeren %ßeil ihrer (Einnahmen oerfcßlingen als
bie ber reichen Seute. £»er will nun Dr. £aßn ben ©teuer»
apparat fpieten laffen, weil ja hoch biefe gange Singelegen»
heit ber aHerfcßärfften Slufmerffamfeit ©eitenS'ber Seßörben
bebarf. „Sic SBoßnungen, gumal bie 2RietßSWoßnungen,
finb in ungeheuer Diel größerem SRaßftabe eine öffentliche
Slttgelegenßeit, als bie getreu £)au3befißer meinen unb fi<ß
gefallen laffen würben, wenn man fie allein fragen wollte.
Sch würbe eS baßer für angebracht halten, gerabe in einer
SRietßSfteuer eine ber beträcßtlicßften Duellen ber ftäbtifeßen
(Einnahmen gu fucßcn, um biefe SSer^ältniffe möglicßft in bie
Ipanb gu befommen. 91bet meiner SReinung nach genügt eS
burcßauS noch nicht, menn wir eine folcße SRietßSfteucr bloß
progreffio machen, alfo um etwa 3al)(en gu erwähnen, an bie
icß m id) nießt gebunben eraeßte, bei 500 SRarf 2 °/ 0 , etwa bei
1000 3Rarf öielleidEjt feßon 5 °/ 0 , bei 5000 10°/ o unb bei
über 10000 20°/ o : baS würbe mir noeß nießt bie nötßige
©dhärfe ber Seftimmungcn geben. Scß würbe eS oielmcßr
al§ ber ©erecßtigleit burcßauS entfprecßenb unb für alle 93er»
ßältniffe burcßauS treffenb anfeßen, wenn man in gweiter
Sinie bagu bie factifcßen SJaumoerßciltniffe ber SBoßttung be»
rüdfießtigte unb baneben enbtieß bie Slngaßl ber Semoßner
als Sioifor cinführte. ©o würben wir eS erreichen, was boeß
reeßt wünfeßenöwertß ift, baß ber £>err 9lufficßtSratß unb
Dr. jur. in ber Seletage für feine 7 3immer, bie er nur
mit feiner Sebiennng tßeilt, im SBerfjältniß benn boeß gang
erßeblidß tiiel meßr begaßten muß, als ber Dberleßrer mit ben
6 Söcßtern im 4. ©tod, unb icf) würbe burcßauS nießt un=
glüdlicß fein, wenn beim glidfcßneiber im ^interßof mit
©tube unb Äücße unb 4 Äinbern baS SRefuItat unter ÜRuU
fiele! Scß Würbe aber aueß biefe URietßSfteuer itocß nießt als
ootlwertßig anfeßen, wenn bie ©emeinbe fie nießt noeß mit
einer reeßt fdßarfen SabenmietßSfteuer öerbänbe. Siefe Saben*
mietßSfteuer müßte nießt ber SRietßer gu tragen haben, fon»
bern ber Sermietßer, unb auf biefent SBege allein, glaube icß,
tonnen mir ber unfeligen ©ueßt ber ©runbftüdSfpeculanten,
bie gange ©traßenflucßt aueß in ben ©eitenftraßen unferer
©roßftäbte mit Säben unb 3?eftaurationcn gu garniren, bie
ja natürlich aueß unter biefe SRietßSfteuer fielen, abßelfen.
Sie ©peculation ßat nirgenbS eine fo fcßlimme ©eite aufgu»
weifen, wie biefen Ueberfluß an tleinen Säben für Keine
Seute. ÜRan braueßt nur irgenb einen Srauereibefißer gu
fragen, welch’ gräßließe ÜRifere im gfafcfienbier^anbet, ber
gerabegu eine Somäne ber StuSficßtSlofen unb Sefißlofen ge»
worben ift, ßerrfeßt."
9Rit Vergnügen benterft man, baß um ©erlin herum fieß
bie fogenannten Saubenftäbte ober Saubencolonien in immer
größerem SRaßftabe auSbeßnen. tpaßn füreßtet, baß biefe
(Einrichtung in anberen ©egenben noeß lange nießt fo befaitnt
ift, wie fie fein follte. Saubencolonien nennt ber ©erlinet
©runbftüde, — jumeift SBaupläße, bie noeß nießt-bebaut
werben füllen, — bie in Keine ißarjeflen oertßeilt als ©ärteßen
an Keine Seute für billiges ©elb oermietßet werben. Äß
fefte (Einrichtung tennen wir folcße Saubenftäbte aus Seipjig,
wo fie naeß bem oerbienten ©rünber als ©cßreber»ißlähe be»
jeießnet Werben. $ier ift' bie ©aeße ganj feft organifirt, bie
©cßreber» Vereine finb fociate SBerbinbungen, bie aueß im
SEBinter jufammenßalten; ber ©runb unb ®oben geßört bem
herein, eS ift eine regenfefte Ipatle für bie ©efammtßeit not»
ßanben, für ben gemeinfamen Sinberfpielplaß ift für ftänbige
Slufficßt geforgt, bie ganzen Sin lagen, aueß bie Sauben ber
einjelnen Sßeilneßmer, finb beßaglicß unb ftabil, furj biefe
Seipjiger ©dßreber»ißläße, fo gut, ja auSgejeicßnet fte finb,
beweifen jWar, wie leicßt man mit einigem guten SBiüen unb
einigem Sntereffe für’S ©emeinwoßl ju folgen fegenSteidjen
Einlagen lommen fann, aber bem eigentlichen Slrbeiter finb fie
nießt meßr jugänglicß; für ißn finb fte gu tßeuer. SaS braucht
unS aber natürlich n *cßt gu ßinbern, anberSwo mit berfelben
Slbficßt auf befetjeibenerer SBafiS torgugeßen. SBefonbetS wirb
eS überall anguerfentten fein, wenn ber (SifenbaßnfiScuS, ber
naturgemäß tnancßeS ©runbftüd auf Saßrgeßnte ßinauS üoraus
laufen muß, bergleicßen ©runbftüde in biefer Strt oerwerthet
©S wirb aber gut fein, wenn man immer üerfueßt, wenn aueß
itocß fo lofe, eine genoffenfcßaftlitße gorm bet ©elbftoerwal»
tung eingufüßren. Ser gt^ cllg ift ungemein ungeeignet, irgenb
etwas ßuman gu »erwarten, ©cßabloniftren unb tßrannifiren
liegt ftetS naße, unb jebe gorm ber ©elbftoermaltung ift befftr
Siefe Saubencolonien mögen manchem warmßergigen ©ocial»
politifer als ein feßr bürftiger (Erfaß eines feften (Eigentums,
als ein noeß üiel gu geringer Slntßeil am nationalen ®efis |
erfeßeinen, fie finb nießtsbeftoweniger für unfere Slrbeiterdafje
unettblicß wießtig. Um baS ooü eingufcßäßen, muß man wiffen.
Wie entfeßlicß leer unb freubentoS baS SageSbafein unferer
Strbeiterfrauen fieß abfpielt! Dr. §aßn fd)lägt baßer not,
baß bie ftäbtifeßen Sßermaltungen feßon jeßt für folcße Sauben»
ftäbte ©runbftüde, bie boeß fpäter einmal bebaut werben
ntüffen, gunäcßft ber IBaufpeculation entgießen unb für ben j
ftäbtifeßen ®efiß fießern, unb er würbe ben ©runbgtnS einer
folcßen Saubencolonie als feßr ßoeß unb ben ©rtrag als feßr ]
geminnbringenb anfeßen, aueß wenn bie ©enoffenfeßaft ber
ißäcßter nur ein paar fiunbert SRart in ben ©tabtfädel
feßüttete. 9luf alle gälle loßnte. eS fieß, biefe SBorfdjläge ein»
mal auf bem ©ebiete ber Sßeorie in baS praftifeße Seben
überguleiten.
bem ^rbeiterleben in ttnfüanb.
58on gabrifbefi^er Dr. pbil. Marl Etoetgel (®to8lau).
(Scßlub.)
SEBaS ben (Eßarafter beS ruffifdßen StrbeiterS, refpectine
Säuern, an betrifft, fo muß man, um ißn gereeßt gu be«
urtßeilen, nie außer Slcßt laffen, baß er fieß Saßrßunberte
lang in Seibeigenfcßaft befanb unb erft feit einem SRenfcßen«
alter aus berfelben befreit ift. hieraus erflären fieß faß
alte feine fo oft unb ftreng gerügten geßler. 3 un “cßft wieß
man ißm mit 99ed)t tor, baß eS ißm an ©ewiffenßaftigfeit
feßle, alfo an .tieferem Sntereffc für baS 9£Berf feiner ^änbe.
Slber baran muß man ißn fieß erft gewößtten laffen, naeßbem
er Saßrßunberte lang lein Sntereffc für feine Slrbeit ßaben
tonnte, ba er ja nur für Slttbere, nie aber für fieß felbft
arbeitete, ©enäßrt unb geprügelt würbe er fo wie fo.
felbe gilt oon feinem notorifeßen SRangel an (Eßrgeig. Sr
Digitized by v^. ooQie
Nr. 17.
Die töegenwart.
261
fjat e6en als Seibeigener gar feinen (Sfjrgeij befriebigen fönnen,
fonbern toar ftünblid) Don ber adju oft fjödjft brutalen unb
ungerechten Saune feines fterrtt abhängig. Daraus erflärt
fich tooht auch fetn, jebem 3 tem ^ n fo auffadenber paffiber
Fanatismus. Denn bamalS War fein F a * um » theiltoeife,
toenigftenS, nicht ber eigenen Süchtigfeit anheimgegeben, fonbern
fein Fatum toar bie SBiüfür feines |)etrn. Oft hört man Don
in Stufjlanb anfäffigen Deutfd)en bie Sehauptuitg, eS fei mit
bem rixffifchen Arbeiter leichter auSjufommen als mit bem
beutfehen. Sch fann bem nicht uubebingt beiftimmen. Ser beutfefje
Arbeiter toid als felbftftänbiger Wann behanbclt »erben, »aS
er auch ift, ber ruffifche bagegen ift noch ein Äinb unb hat
fich nod) nicht baran gewöhnen fönnen, bah er eine menfehen*
toürbige Sehanblung rechtlich ju beanfpruchen hat. Daher ift er
feinen ©orgefe£ten gegenüber oön einer jebem wefteuropäifchen
Arbeiter Verächtlichen Untertoürfigfeit unb täfet fid) fehr viel
gefallen. DaS mögen bie betreffenbett Herren unter „gut
auSfommen" berftehen. @S herrfdien eben noch ganj tier *
altete ©orftedungen fotoohl beim Arbeiter, ber fich feinem
fjerrn gegenüber leicht toie ein Seibeigener Oorfommt, als aud)
fern gabrifficrrn felbft, ber fich vielfad) in ber SRollc eines
„Sarin“ (®utSherr jur 3 e 'l ber Sei beigen f d)a ft) gefällt.
Ipaben mich boef) fonft burchauS aufgeflärte ruffifche gabrif»
herren allen ©rnfteS Verfichert, eS fei nötf)ig, ben ruffifchen
Arbeiter ab unb ju ju fchlagen, ba er fonft nicht feine
Pflicht öerftefje. ©djabe, bah berartige Fälle faft nie
jur Sinnige gelangen. DaS ©efeg verfteht barin feinen
©pafe. Aber ber Arbeiter felbft hat eben, toie immer toieber
betont »erben muh, «och nicht ben Segriff feiner Wenfdjen*
toürbe erlangt. Weinen perfönlichen (Erfahrungen nach ift
ber ruffifche Arbeiter ftetS höflich unb gefällig. Aud) ift er
im Allgemeinen nicht roh- ©o fann j. S. in WoSfau ein
junges Wäbchen jeberjeit bie «Straffen paffiren, »eiche an
groben Fabrifcn üorbeiführen unb tooit Arbeitern überfdjtocmmt
finb, ohne befürchten ju müffen, irgenbwie, fei eS auch nur
burcf) ßurufe, behelligt ju »erben. «Stöbt aud) einmal irgenb
ein Setrunfener mit ihr jufammen, fo toirb er meiftenS höf*
lieh feine Wiifje Riehen unb um ©ntfdjulbigung bitten, bah
er fo betrunfen ift. hieran fönnten fid) bie »cfteuropäifchen
Arbeiter inSgefammt ein Seifpicl nehmen, ba ju ihren ftarfen
Seiten bie ^öflidjfeit gegen oorübergeljenbe tarnen entfliehen
nicht gehört. (Ebenfalls hö<hft fpmpathifd) ift bie Art, roie
ber ältere Arbeiter mit ben jungen Arbeitern, ja felbft mit
ben Fabrifjungen berfefjrt, ganj toie mit Seinesgleichen. Stt*
beffen ift hierbei aud) vielfach toieber fein Wangel an SSürbe
toahrjunehmen. Suben finb eben Suben unb lohnen fold)’
freunblidjeS (Entgegenfommen meiftenS mit Frechheiten. Der
ältere Arbeiter in Deutfdjlanb thut barum fehr wohl baran,
ftetS eine ©efpectSgrenje jtoifdjcn fich unb ben jüngeren
Arbeitern hefteten ju taffen. Die F a ürifjungen bodenbS
erfennt er gar nicht als Seinesgleichen an; aber er fdjlägt
fie vielfad), »aS ber ruffifche Arbeiter nidjt thut, benn er
ift oiel gutmüthiger, Wenn auch toürbelofer. Auffadenb ift
bei bem ruffifchen Arbeiter ber Sinn für baS bem Auge
SBohlgefälUge, Decoratioc. Drägt man j. S. einem Difchler
eine einfache Aufgabe auf, fagen wir, eine ©allerie mit
©etänber ljerjufteden, fo toirb er faft nie öerfäumen, bie
Sorte beS ©elänberS mit einem fehr nieblichen fpifcenartigen
Ornament ju berfehen, baS er mit ben einfachen Wittein
in ber fürjeften $eit fertig bringt. DaS beutet entfliehen
auf angeborenen Slunftfinn. Defjgleichen bemerft man oft in
Dörfern in ben ©iebelfenftern ber meift fehr primitioen unb
baufälligen Jütten gefd^ni^te Fenfterraf)men oon auffaUenber
Originalität in ber Ornamentif. Schabe, bah man biefe bis
jefct noch fo toenig getoürbigt hat. (ES finb bieS 3 eu gniffe
einer ©ollSfunft, Welche unmittelbar aus ber ©ollsfeeie
ftammt, ba bocfj bon ©oröilbern auf bem Sanbe nicht bie
Siebe fein fann.
Die oerbreitetfte SerufSauffaffuttg beS ruffifchen Arbeiters
bürfte barauf fuften, fich mit mögtichft geringer Anftrengung
ben SebenSunterhalt ju oerbienen. Wacht man ihn auf
irgenb eine ©flichtbergeffenheit aufmerffam, fo jieljt et in
ber Siegel fehr höflich feine Wü^e unb fagt fehr freunblidj
baS 3auber»ort: „SBinatoat" (»örtlich: Sch bin fchulbig, mit
bem Sinne: SSitte um ©ergebung). 3BaS fann man ba noch
fagen? Der oben betonte völlige Wangel an ©hrgeij äuhert
fich barin, bah ber ruffifche Arbeiter mit feinem fo überaus
alüdlichen (Eharafter fich bei feiner frugalen SebenStoeifc, ben
finblidjen Siäfchereien unb finblidjen ©ergnfigungen fo Wohl
fühlt, bah er gar nicht baran benft ju aoaitciren. ©ine bunue
©orftedung oon bamit jufammenf)ängenben gröberen ©flidjten
ftfjredt ihn vielleicht auch ab, inbem er fürchtet, fid) bann
nicht mehr fo gehen laffen ju fönnen. Allenthalben toirb
geflagt, eS fei fo fd)wer, ruffifdje Weiftet unb Untermeifter
heranjujiehen. Sn ber Dhat finb auf fehr oielen Fabrifen
bie Weifterfteden oon AuSlänbern, bortoiegenb Deutfd)en unb
(Englänbern, befe^t. Die Se^teren oerftehen eS fehr wenig,
mit ben Sluffen umjugehen unb haben burch ihre Sfohheiten
fdhon ju bielen (Eratoatlen ©eranlaffung gegeben, wobei fie
oielfach nach ©erbienft tüd)tig burdjgeprügelt würben. ®en
beutfehen Weiftern toirb felbft Don Sfuffen jugeftanben, bah fie
bie Arbeiter beffer behanbeln als bie ruffifchen Weiftet. Seiber
bedangt inbeffen bie ©eredjtigfeit baS bem ©atrioten fchmerj*
liehe ©eftänbnih, bah fi«h bie beutfehen Weiftet ben in ruf*
fifdhen Setrieben herrfdjenben moralifchen Segriffen, nament*
lidj bon (S^rlic^feit, nur aüju fehr affimiliren. ®ieS
nebenbei. ,
®ie Slegierung fucht fd)on feit einiger 3 e «t bie @r*
langung bon WeifterfteHen für AuSlänber fdjtoeret ju machen
unb fomit ihren SanbSleuten biefe ©often ju fichern. @S
mag ja auch höoftö bie ©h r furcht bor bem AuSlänbifdjen an
fich fein, bie beit ungebilbeten Fubrifanten ben AuSlänber
bem Siuffen bor^iehen läht. Snbeffen bürfte bieS mehr bei
(Ehemifern unb £ecf)nifern ber Fad fein. Sei ben Weiftern
liegt ber |>auptgrunb tooljl bo<h barin, bah ^ bem einfachen
Siuffen bis jegt noch an ©h.rQeij fehlt, unb er bei feiner ge*
ringen Silbung noch gar lein ©erftänbnih h at für eine burch
eigene Stüchtigfeit erlangte biffere SebenSführung. SBie fehr
ihm biefeS ©erftänbnih noch abgeht, h“be ich oft mit Se*
bauern barauS erfannt, bah eilt borget fehr braber Arbeitet,
Wenn man ihm jum fioljne für gute Ceiftungen eine ®e=
haltSjulage gab, plöglich anfing ju trinlen. ©r touhte eben
butd)auS nid)t, toaS er fonft mit bem (Selbe anfangen fode.
®iefeS Seifpiel ift ungemein bejcid)ttenb für ben Unterfdjieb
jreifchen bem wefteuropäifepen Arbeiter unb bem ruffifchen in
ber je|jigen UebergangSperiobe ber ruffifchen Subuftrie. —
AuS bem ©efagteit fann man fd^liehen, bah eS im Adgemeinen
nicht fehr fdjtoer ift, mit bem ruffifchen Arbeiter auSjufommen.
SSentt trogbem ernftere Arbeitercratoade nicht fehr feiten finb,
fo fann matt fidjer fein, bah ftetS bon ©eiten ber ©ertoat*
tung eitt F e hi et vorliegt. (Denn eS lebt im ruffifchen ©olfe
ein grober, angeborener ©eredjtigfeitSfinn.
Ohne ©runb toirb fein Aufruhr entftehen, unb wenn
öfters bie F°*0 en in feinem ©erhältnifj ju ber ©eranlaffung
ftehen, fo barf man eben nidjt bergeffen, bah ntan eS mit
einer oodftänbig ungebilbeten Waffe ju thun hat, bie ber
©erführung bon Seiten einiger §auptfchreier faft ganj fritif*
los gegenüber fteht. A6er bennoch Wäre biefe ©erführung
toirfungStoS, fads nicht toirflidj eine empfittbli^e Ungeredjtig*
feit ju ©runbe läge. Auherbem ftedt im ruffifchen ©olfe
ein grober |>ang, fich an ^ en eigenen ©Sorten ju beraufchen,
(wofür fie baS bejei^nenbe SBort befigen „oratorfttootoatj"
bon „orator" ber öffentliche SJebner.)
©S bleibt noch übrig, einige ©Sorte über bie ruffifche
Arbeiterin ju fagen. (Dah bie ruffifdhe Frau aus bem ©olfe
int Adgemeinen ein borjüglicheS Wenfdjenmaterial ift, bürfte
fdjon auS ber ruffifchen Siteratur befannt fein. (Dah fie eS
jubent mit ihrem Wanne nicht leicht ljd> ertoeift Wohl bie
Digitized by v^. ooQie
262
5D»* d&egenwttrt.
■Nr. 17.
borf)ergegangene ©parafteriftif beffetben.Tf- Sn ber dpat trägt
bie ruffifc^e Bauernfrau in aller ©title ein großes, fdjtuercö
aRartpriunt unb oerfcpwenbet wapre ©djäpe bon Aufopferung,
©nergie unb rüprenber ©etbftlofigfeit au äRänner, bon beneu
fie in ber drunfenpeit mißpanbelt unb roirt^fc^aftlicf} häufig
auSgebeutet wirb. denn waS bie grau erwirbt, bertrinft ber
aRann. SSifI fie eS niept freiwillig pergeben, fo fcßlägt er
fie. dabei pängt biej ruffifepe grau^an ipretn 9Ranne mit
einer für unfere Begriffe gerabeju fclaoifcßen Ergebenheit.
3Rag er fie in ber drunfenpeit aud) palbtobt. fcplagen,
immer feprt fie wieber ju ipm jurüd unb ift überzeugt, baß
er fich beffern wirb. daS ift wopl fepr wütbeloS, aber Diel*
leicht fepr weiblich, wenn auep im unmobernen ©inne. diefe
paar SBorte jur SBütbigung ber berfannten ruffijeßen grau
aus bem Bolfe im Allgemeinen. AIS Arbeiterin ift fie fepr
fleißig, befeßeiben, oon pöflid)em, anftänbigem Benehmen unb
beifpielSlofer AnfprucßSlofigfeit. 3?£i<±) perfönltch pat & immer
gerührt, wenn im Sommer, bebor bie gabrif naep ber 3J2ittagö=
paufe wieber geöffnet würbe, bie armen 3Räbcßen in ber
glüpettben Sonne ftänbeu unb heitere — aber burepauS parm*
lofe — BolfSlieber fangen. SBaS ihre SOiorat anbetrifft, fo
bürfte pier baffefbe gelten wie bei ber Beurteilung ber
Wefteuropäifcpen Arbeiterinnen: baß es nämlid) fepr billig
ift, barüber abzuurtpeilen, inbem boep bie allerwenigftcn eine
Ahnung babon paben, welcßen fittlicpen ©efapren eine atme
Arbeiterin auSgefept ift.
daß übrigens bie ruffifepen Arbeiterinnen befonberS im
SRufe ber Unmoraf ftänben, ift mir nicht befannt. Aufgefallen
ift mir bagegen immer ißr anftänbigeS, nicht perauSforbenbeS
Benehmen unb bet oft fepr liebliche ©eficptSauSbrutf. AuS
allem ©efagten bürfte jur ©enüge erfieptließ fein, bor eine
wie feßroierige Aufgabe bie ruffifepe ©efeßgebung geftellt war.
Unbebingt nötpig erwies fiep ber ftaatlicpe ©cßuß ber Arbeiter
gegenüber gabrifperren, tuelcpen nod) auS ber geit ber 2eib=
eigenfeßaft per ber Begriff anerzogen War, in bem Bolfe nur
eine ©aeße ju fepen, gerabe gut genug, um burep ipre fmlfe
reich j“ werben. AnbererfeitS war unb bleibt eS eine ßöeßft
bifficile uub riSfante ©aeße, Arbeitern,’.Wetcpe ttoeß gar ni<ßt
jum Bewußtfein bet petfönlicpen SBürbe bureßgebrungett finb,
eine SReiße oon fRecßten gegenüber ben gabrifperren einjii'-
räumen. ÜRußte man boep fieper fein, baß fie fcpwerlicp ein*
fepen würben, baf} biefe SRecßte nur burep Ißflicpten bebingt
werben, ©eßließließ liegt ein erfcßwerenbeS 3Roment für bie
gabrifgefeßgebung auep noep barin, baß bie Arbeiter gleich*
Zeitig Bauern finb unb als folcpe noep ganz beftimmte 9Rücf=
fiepten oerlangen. Unter folepen Umftänben ein beibe dßeile
ZufriebenfteüenbeS ©efeß ju fepaffen, war oon oornperein
zweifelhaft. die wefteuropäifepe Arbeitergefeßgebung, fonft
baS naturgemäße Borbilb ber ruffifepen, war eben boep ganz
anberen BilbungSoerßältniffen angemeffen. Snbeß gilt in ber
Bolitif Wie im B r < Dat l e ^ en ber ©runbfaß, baß man nur
immer baS Befte erftreben foH, wenn eS auep noep fo unauS*
füprbar erfepeint; mit ber geit wirb man bei fortgefept gutem
SßiHen fdpon bem SRieptigen nape fommen. die ruffifepe
gabrifgefeßgebung pat biefen SBiÖen ftets geßabt, wie jeber
objectioe Bcurtßeiler zugeben muß. Beftänbige, zeitgemäße
Beränbcrungen am gabrifgefeße laffen jubem erlernten, baß
man burepauS niept oon ber Unfeplbarfeit beS beftepenben
©efepeS überzeugt ift, fonbern fiep oielmepr eifrig bemüpt, eS
immer mepr ben beftepenben Bcbürfniffen anzupaffen; unb
bieS bürfte ber einzig paltbare ©tanbpunft fein. denn jebeS
©efep ift etwas SebenbigeS. daS befte ©efep ift ja baS,
welcpeS am meiften ben perrfepenben ©ebräueßen entfprießt;
©ebräuepe finb aber einem fortwäprenbcn Sßecßfel unterworfen,
droß Allem ift eS boep nur allzu begreiflich, baß fepr oiele
gabrifperren mit bem ©efepe unzufrieden finb unb bepaupten,
baß man ba oben gar niept ben Arbeiter fenne unb ipn ge=
rabczu zur Unbotmäßigfeit reize unb fo gegen fein cigenfteS
Snteieffe panbele. ÜRatürliep fönnen biefe gabrifperren noep
niept bie .ßeit Oergeffett, wo fie mit ben Arbeitern umgingen
wie mit fieibcigcucn, unb ppgienifepe Botricptungen für eine
lächerliche Sentimentalität galten. Am lauteften fepreieu
felbftocrftänblicp diejenigen, bie burep baS ©efep birect Scpabat
erlitten paben, wie z- B. jene fepr großen gabrifperren, toelepe
bie ©trafgelber ber Arbeiter gerabezu als ©innapmequeüe ei<
ploitirten, bis ber Staat naep manepetlei ©canbalen bie 55e=
ftimmung erließ, baß alle Arbeiterftrafgelber in bie ©taats-
caffe zn z«plen feien, hierzu muß über biefetben ein genau«
Bucp gefüprt werben, baS jebeS palbe Sapt ber ^Solt^ei jnr
Sontrolle einzureidjen ifl die AuSzaplung erfolgt, fobalb
100 iRubel üoU finb. AuS biefem Beifpiele erfiept man
beutlicp, wie baS, waS bei uns eine beleibigenbe Beoormunbung
beS Arbeitgebers wäre, fiep pier zum ©epupe beS Arbeiters
als bringenb notpwenbig erweift. Auf äpnlicpe SSeijc
mögen auep bie gejeplicpen Berbote entftanben fein, ben ?lr=
beiter in anberen ©clbpapieren als in SrebitbilletS ober in
SebenSmitteln z» bezaplen. (£S baute fiep eben baS ruffifepe
gabrifgefep baburep auf, baß eS ©epritt für ©epritt ben §(us=
fdjreitungen ber oon ber Seibeigenfcpaft per oetwöpnten gabrib
perren entgegentrat. 3Rit unferen Begriffen beeft fiep baper
BicleS niept. UnS würbe eS z- B. auep beleibigenb unb pro»o=
cirenb erfdpeinen, baß in jebem größeren gabrifSraume ein
Blacat auspängen muß mit ber Abreffe unb ber ©mpfang«=
ftunbe beS gabrifinfpectorS. ^»ier ift auep biefer Beftimmung
bie Beredjtigung niept abzufpreepen. SBaS nun bie gabril--
infpectoren jelbft anbetrifft, bie eine oiel größere äRacptta
fuguiß paben als in deutfcplanb unb oon betten man fepr
oft befuept wirb, fo ift über biefe Snftitution fepon fepr oiel
gcflagt worben, ©icperlicp artet auep oielfacp ber große Eifer
in fteinlicpe ©picane auS, inbeffett fann icp naep meiner per
fönlicpen ©rfaprung nur zugeftepen, baß man in ber SBapt
ber Snfpectoren fepr oorfieptig geWefen z« fein fdpeint unH
meiftenS gebilbete, woplwoHenbe, oernünftige aWenfcpen aus-
toäplt, mit betten man fiep fepon einigen fann. — BefonberS
oerurtpeilt wirb bie 14 tägige ÄünbigungSfrift ber Arbeilet
An unb für fiep ift bas eine burepauS zmecfentfprecpenbe,
pumane Einrichtung. ©S liegt auep burepauS niept im Sinne
beS ©efepeS, weun eS in unerlaubter äöeife auSgebeutet wirb,
diefe ©efapr birgt eigentlich jebeS ©efep. ©eiten wirb man
einen Arbeiter, bem man gefünbigt pat, bie 14 dage arbeiten
laffen, in ber fepr richtigen Annahme, baß ein folcper mebr
©d)aben anrieptett, als Arbeit leiften Wirb. 3Ran zaplt ba*
per bem gefünbigten Arbeiter ben 2opn für 1 / 2 3Rottat aus
unb läßt ipn laufen. ÜRun ift eS nur allzu menfeplicp, baß
fcplecpte Elemente baS in iprer SBeife benupen. SBiH z- *•
einer, ber fein ©elb burepgebraept pat, weiter bummeln, fo
fept er eS barauf an, baß ipm gefünbigt werbe unb er io
auf einmal oerpältnißmäßig oiel ©elb in bie §anb befommt.
gür biefen leiber niept gerabe feltenen gatl ift aber baS ®e*
fep in feiner Söeife oerantwortlicp zu maeßen. Sm Aflge*
meinen wirb man baS llrtpeil über bie ruffifepe gabrifgefep*
gebutig bapin zufammenfaffen müffen, baß bicfelbe eine SRotp-
wenbigfeit war unb trop mancherlei aKett a?eueinrieptungeu
anpaftenben B e banterien boep überwiegenb 9£upen bringt.
Bei ber ftarf peroortretenben denbenz, fiep immer mepr ben
Bebürfniffen angupaffen, wirb fie mit ber $eit immer fegenS-
reieper wirfen, unb bieS wirb auep oon ipren bis jept noch
Zaplreicpen geinben anerfannt werben müffen.
©in großes §emmniß für bie ruffifepe Snbuftrie finb
bie zaßlteicßcu geiertage. 9Ran zäplt burepfcpnittlicp punbert
arbeitsfreie dage im Sapre. ©ine birecte ©cpäbigung burep
bie Soncurrenz fann zwar pierburep niept entftepen, ba ja
alle ruffifepen gabrifen an biefe gaertage gebunben finb,
unb ba ferner, foweit auSlänbifdie ©oncurrenz in Betracht
fommt, bie fRuffen burep bie oiel geringeren ©epälter biefen
fRacptpeil reieplicp aufwiegen. Snbirect jeboep ift ber ©epaben
ein fepr großer burep bie bamit oerbunbene demoralifation
ber Arbeiter. Oft faßen z®ei geiertage pintereinanber nnb
Digitized by v^. ooQie
Die (Degenroart.
263
Nr. 17.
bilben fogar nicht feiten burcß ben fid) baran fcßließenben
©ouutag eine Sieitje non Drei arbeitsfreien ©agen. Klus
Sangerweile fängt ber Arbeiter an gu trinfen, oertrinft fein
®eßält, foroie feine Äleibung bis auf baS KlHeritötßigftc unb
hat für fein (Selb bann einen mehrtägigen Äaßenjammer, ber
i^n gut Klrbeit untaug(icf) macht unb oft feine ©ntlaffung
herbeiführt. fRatürlid) trei6t eS nicht Seber gleich fo fd)limm,
aber in jebem größeren ©etriebc ift fclbft an jebem 2Rontage,
mehr aber an ben auf 2 — 3 geiertage folgenben KIrbeitS»
tagen, ber ftaßenjammer ber Arbeiter an ber geringen ®e=
fammtleiftung gu conftatiren. Sie leßte fRooeüe gum gabrif»
gefefc hat bem fchon fRecßnung getragen unb bie 3 Q f)l ber
obligatorifchen geiertage nicht unbebeutenb uerminbert. @S
bleiben immer noch g u fiele übrig. Allein fcßwerlicß toirb
baS ®efeß barin roeiter gehen föitnen, ba eS fich meifteitS
um althergebrachte ft'ircßenfeiertage hanbelt, Deren ©inßalten
bie fRüdficßt auf ben religiöfen £alt beS ©olfeS gebietet.
$>ie ©eftimmungen über 9lrbeitSgeit unb grauen* unb ftinber*
arbeit richten fid) im ©roßen unb Sangen nach mefteuro*
päifcßen ©otbtlbern. ©aß ber ruffifche KlrbeitStag noch immer
ber längfte ift, liegt meniger an ber ®efeßgebung als Diel»
mehr baran, bah auf ben weiter im Sanbe liegenben gabrifen
bie gabrifßetren bod) Dielfacß thun, maS ihnen gefällt.
3ur SfrantßeitSDerfidjerung muff in ber ©tabt jeber 2lr*
beiter jährlich einen Äranlenfcßein gum ©reife Don 1 SRubel
20 St. löfen, wofür er im gatte ber ©rfraitfung in einem
ber ftäbtifchen &ranfenßäufer;aufgenommen wirb, gabrifen
uon ,100—300 Arbeitern, fowie aüe gabrifen auf bem Sanbe
müffen einen gelbfcßeet halten, gabrifen mit über 300 2lr*
beitem aber einen Ktrgt unb ein ftranfenßauS. Seicht geforgt
ift leiber bis jeßt noch für unheilbare Ära nie, mögen fie nun
Arbeiter fein ober fonftige Proletarier, ©ielfactj greift hier
bie ©riDatmoßltßätigfeit ein, aber leiber ift baS burcßauS
nicht, auSreichenb.
233aS nun enblicß bie ©eßaublung beS ruffifd;cn KlrbciterS
•embetrifft, fo gilt hierbei für ben KluSlänber gunäcßft alles
baS, waS er überhaupt bei’tn, Umgang mit ben fRuffcn gu be=
obachten hat. ©er fRuffe ift burdjauS natürlich unb fennt
roeber ©ofe noch Slafjenßocbmutß. ©r will baher, baß man
i^m natürlich unb ungegwungen entgegenfomme. ©affelbe
empfiehlt fich gegenüber bem Arbeiter. 2Ran muß beflimmt
feine Klnweifungen ertßeilen, aber ruhig unb nicht in ge*
xeigtem ©one. Nebenbei bemerft ift baS ruffifdje ©olf Diel»
fach oon einer auffallenben neroöfen ©enfibilität, bie fich
rooßl bureb bie Klbftammung Don ganzen (Generationen uon
Alfoßolifern erflärt. @o begegnete eS mir öfter, baß großen,
ftarfen Klrbeitern ©ßränen in bie Klugen traten, wenn id)
mit ihnen etwas furj angebunben Jpracf). ©inmal fragte ich
@inen, waS ihm fehle, worauf er entgegnete: ,,©ie beleibigen
mich Durch ben ©on Sßrer Stimme." Klucß barf man ihm
nicht mit Jpocßmutß ^entgegen treten. ©aburdj machen fich bie
englifcßen SReifter fo oerßaßt neben ihrer, wie eS fcfjeint, bem
ungebilbeten ©nglänber angeborenen jRoßßeit. ©ewiffenhaft
ift nun einmal ber ruffifche Arbeiter nicht, aber mit ©djelten
fommt man bagegen nicht auf, ebenfo wenig mit ®elbftrafen.
Sch habe ftetS gefunben, baß eS noch baS ©efte ift, wenn
man ihm geigt, bah nian unter allen Umftänben gewillt ift,
feinen SBitten bureßgufeßen. 3Ran taffe ihn baher eine un*
befriebigenbe Seiftung fo lange wieberholen, bis biefelbe tabel*
loS ift. ©enn ber ruffifche Kfrbeiter ift wie ein ©chulbube:
hat er einen neuen ©orgefeßten, fo probirt er erft, waS er
fich bei ißm erlauben fann. ©ine einmalige Sehre aber ge»
itügt, ihn loon weiteren ©erfueßen abgußalten. ÜBiemoßl
Diele „©raftifer" barüber lächeln werben, fann ich boch auS
meiner ©rfaßrung betonen, baff eS fich auch bem ruffifche«
Arbeiter gegenüber unter Umftänben empfiehlt, an fein ©ßr*
gefußt gu appelliren. @r erweift fich banfbar für bie gute
s JReinung, bie man Don ißm hat. ©o waren einmal Klrbeiter,
bie mit einem ©orfeßuß auf’S Sanb gefahren waren, nkßt
wieber gefommen. KllS barauf nach furger 3«t Wieber-Sinigc
gu bem gleichen 3mede ©Drfcßuß ucrlaitgten, fagte ich ih nen »
bah id) perföntich ißnen ©orfeßuß geben werbe, ber aud) nicht
in ißr ©ueß eingetragen werben folle, weil id) fie für an*
ftänbige Seute hielte, bie ißre ©cßulb begabten. 3d) befam
ftetS KlfleS gurücf. ©o ift auch ber ungebitbete 9)fann er*
fennttieß, wenn man ißm menfcßlichcS ©ertrauen entgegen*
bringt, ©er 2luSlänber wirb barüber erftaunt fein, bah «tan
überhaupt einen Arbeiter mit ©orfdjufj auf’S Sanb gehen
läßt; aber man ßat ja ©auern uor fieß, beren gamilien auf
bem Sanbe leben, ©rfranft feine grau ober fein Äinb ober
brennt feine §ütte ab, fo muh er auf’S Sanb, unb wenn er
ein anftänbiger SRenfcß ift, fo unterftüßt man ißn in biefen
gätten. ©aS erßeifeßt fdjon bie ©oiitif.
©eS ©Weiteren Derfteßt eS fieß uon felbft, bah man ißrer
^Religion bie gebüßrenbe Klcßtung entgegenbringt. 3n jebeni
gabrifraume muß fieß ein Ipeiligenbilb beftnben mit einer
Dellampe, bie jeben ©ainStag gu entgünben ift. gerner laffe
man einmal im Saßte biefe Ipeiligenbtlber uom ©open weißen
unb woßne biefer ©eremonie bei. Klbgefeßen doh Derartigen
fRucfficßten auf nationale ©igentßümlidjfciten fommt natürlich
nod) alles ©aSjenigc in ©etraeßt, was ber gabrifant überall
gu berücffidjtigen ßat. ©elbftüerftänblid) treibt berfelbe nießt
©ßilantropie unb befcßäftigt er feine Klrbeiter nießt, um ißnen
©elegenßeit gu einer ehrbaren ©jifteng gu gebett, fonbern ba*
mit bie ißm nötßige Klrbeit gcleiftet werbe, ©arauf fommt
eS alfo gunäcßft an unb barnad) allein rießtet fieß bie 3aßl
unb bie ©ugagementSbauer ber Klrbeiter. Snbeffen finb bie
Arbeiter feine ÜRafcßinen, fonbern 3Renfd)en, unb baßer legt
ißre ©efdjäftigung grofje ©flicßteit auf, bie fieß in ber einen
gorm gufammeufaffen laffen, ben SOfenfcßen im SRenfcßen gu
achten. @S ift baßer noeß nießt KllleS getßan, wenn man
fid) beftrebt, bie Klrbeit möglicßft wenig gefunbßeitsfchäblich
gu geftalten, fonbern bie §auptfacße bleibt baS perföttlicße
©erßältniß gu ben Klrbeitern. ©er Arbeitgeber trete ißnen
frei menfdjlicß entgegen unb maße fid) feinerlei fRecßt über
ißre ©erfönlicßfeit au. §at er gu tabclit, fo tßue er eS fad)<
ließ, aber er feßimpfe nießt. ©enn mit feinem ®elbe ßat er
nur bie Klrbeit beS SRanneS getauft, nießt aber feine ©erfon.
Literatur unb Jtunft.
3ur 5d)opcnßauer - £itfratur.
®on 3. DT. oon §ebnif.
ÜBelcße ©cbeutung bie SBerfc ©cßopenßauer’S in bet
®egenwart erlangt ßaben, läßt fieß aus ißrer ©erbreitung
erfennen. ©on ber 9ieclam=KluSgabe in fecßS ©änben Don
©buarb ®rifebacß, bie Dreißig Saßre naeß bem ©obe beS
©ßilofopßeit erfeßietten ift, finb binnen gmei Saßren 25 000
©jemplare Derfauft worben, fo bah im 'perbft 1892 bereits
ber fReubrucf, refp. gut grünblicßen ©erießtigung einer erheb*
ließen Klngaßt uon ©rudfeßlern ber ÜReuguh ber ©tcrcotßp*
platten begonnen werben mußte. 2Ran laffe baßingeftellt, ob
biefe ©erbreitung gleichmäßig ade fecßS ©änbe ber ©efammt*
auSgabe betrifft, ober nur bie beiben erften, weldje baS $aupt»
Werf enthalten, aber eine folcße ©erbreitung ftrengpßilofopßifcher
©cßriften ift boeß etwas Unerhörtes. ÜRun ßat fieß aber bie
@cßopenhauer*Siteratur nach feinem ©obe nießt allein in’S Un*
gemeffene auSgebeßnt, fonbern aueß bie KluSgaben feiner SEBerfe
ßaben gegen ben urfunblicßen ©Billen beS ©erfafferS ißren
Umfang meßr als Derboppelt. ©r wollte nießt meßr als fünf
©änbe Derfaßt ßaben, bie KlüeS enthalten, waS er je gefeßrieben:
beit gangen ©rtrag feines 73 jährigen SebenS. ©egeniDärtig
gäßft bic genannte hefte unb forgfältigftc 9lnSgabc ber SSerfe
Digitized by v^. ooQie
264
Die (Begeitwart
Nr. 17.
feincä NamenS elf Sänbe unb eröffnet unS bie. hoffnungs¬
reiche ißerfpectioe in einen noch größeren Umfang, „Jnzwifcgen
fehe ich," fdjreibt Sb. ©rifebad) als Herausgeber beS ganb»
fdjriftlicgen NacglaffeS, „biefe meine ißubiication ber Schopen«
gauer’fcgen fßoftguma nur borläufig für abgefcgloffen an: ich
hoffe, bafe bie ooHftänbige 93eröffentlid)ung ber gefammten,
auf ber ^Berliner Unioerfität oerwagrten wiffenfcgaftlicfjen
SWanufcripte, bie ,ber grofje pgilofopgifdje ©eniuS unfereS
JagrgunbertS 4 ber Seit ginterlaffen hot, nicht allju lange
auf fid) warten taffen Wirb." SWit bollem Rechte warnt
bager Shtno gifcget: „®ofj nur bie anhaltenbe 3lufmerffam»
feit ber Sefer nicht nacgläht, ba bodh Schopenhauer felbft
einet folgen 3lufmerffamfeit gewifj fein unb bleiben wollte,
wefjgalb er mit gutem ©ebadjt Sieles ungebrudt lieh! 3lber
bie fiegrlingc berhalten fid) jum Reiftet, wie bie Ultra»
rogaliften jum Könige, fie finb „plus royaliste, que le roi
meine“, ober aud) wie bie Gärtner ju ben Königen: Senn
bie Könige bau’n, hoben bie Ä'ärrner ju ttjun! SS fcgeint
mir nid)t woglgetgan t bie ©frinien unb bie 9J?anufcript=93ücf)er
auSpleeren, um Nachträge ju Nachträgen ju liefern, welche
felbft fd)on „Nachträge ju Nachträgen" finb." ©o .warnt
Sfuno gifcger in ber Jubiläumsausgabe feiner „©efdjicgte
ber «pgilofopgie" (Heibelberg, Sinter), bie einen ganzen Öanb
bem granffurter Seitweifen wibmet.
Unb nun oergleiche man mit biefem Uebcrreid)tl)um ber
Schopenhauer» ßiteratur unb zumal bem Niefenerfolg feiner
eigenen Serfe baS pgilofophifche unb buchgänblerifcge giaSco
burch faft ein holbeS Jagrgunbert. Srft nad) bem Jahre 1854
hatte er bie ©idjerheit, burchgebrungen 51 t fein. 31 IS ihm bie
VertagSganblung VrotfgauS ben 5. 3luguft 1858 bie 9Wit*
thcilung machte, bah nunmehr eine neue Auflage feines Haupt»
werfeS erforberiieg fei, antwortete er wohl erfreut, aber feines*
wegS überrafcht, bah cr biefen Srfolg längft erwartet habe.
Docg erjeheint bis ju biefem ßeitpunft ber bud)hänhlerifd)e
Srfolg überaus gering. 5Bon bem urfprünglichen Hauptwerk
beibe 3luSgaben gerechnet, waren 1250 Sjemplare gebrudt,
baoon ungefähr bie eine Hälfte maculirt, bie anbere in bem
3eitraum uoller oierzig Jagre (1818—1858) oerfauft worben:
alfo burdjfcgnittlicg 15 bis 16 Sjemplare im Jahr! „Unb
eS honbelte fid) um ein üBerf üott unwiberruflid)er 33ebeutung
für alle 3 c * ten ,“ ru ft ®uno gifcger auS. „Jm Siberfpiele
baju fehen wir heutzutage Bücher, bie in einem Jahre 15
bis 16 Sluflagetr unb mehr erleben ober erfünftelit unb bocg
ficher fein fönnen, bah fie »och oor ben 3lugen ber SWitwelt
in’S ißunfei finfen. 3lüeS währt feine ßeit, aud) ber |)um-
bug!" Unb bann fam enblict) ber Seltrugm, ben ber wunber*
liehe ©reis mit öegagen einfehlürfte. Sr war förmlid) Niobe
geworben, ba fchon in ber grauen Welt unb felbft in rnili*
tärifcfjen Greifen für ihn gefegwärmt würbe. 31 uS brei
preuhifdje« geftungen, Niagbeburg, ©panbau unb Neiffe,
tarnen igm 3lnzeid)en z», bah eS bort Dfficiere gab, bie feine
Serfe eifrig ftubirten. Noch im Jahre 1849 war grauen»
ftäbt ber Sinjige, ber ihn ju feinem ©eburtStag beglüdwiinfcgte;
fünf Jal)re fpäter wollten jwanjig Dfficiere ber Niagbeburger
©arnifon jum 22 . gebruar eine gemeinfame ©ratulationS»
abreffe an ihn richten, bie aber nicht z» ©taube fam. Ja,
bie ©djopengauermobe hotte fid) fo weit fortgepflanzt, bah
fogar in ber bfterreichifcfjen NfilicärerziegungSanftalt ju Seih*
tiregen in SWägrett einige Sabetten heimlich unb nächtlich
feine Schriften lafen. Jn Böhmen lebte ein Sßeregrer, ber baS
®ilb ©cgopengauer’S, wie biefer nocg fürs Oor feinem Dobe
erfuhr, täglich befränjte. SDaS erfte oon Suntefdgüg gemalte
Delbilb üon ihm taufte ber ©utsbefiger SEßiefife unb wollte auf
feinem ©cf)(oh eine Sapeüe bafür bauen laffen. Der 3tnfang
beS SultuS! Selcgc i|3erfpcctiüe in bie 3»f»nfl! 18°» biefer
3luSfid)t crfiiflt, fegrieb Schopenhauer ben 17. 3luguft 1855:
„DaS Unergörtefte aber ift, bah er mir unb bem Nfaler fehr
ernfthaft gefagt l)at, er wolle für biefeS 93ilb ein eigenes
HauS bauen, barin eS höngen foü! Das wäre bann bie
erfte mir errichtete SapeHe. Necitatioo: ,Ja, ja! ©araftro
herrfchet hier ! 4 — Unb Slnno 2100 ?" Jnbeffcn ging cS
mit ber SapeHe, wie mit ber ©ratulationSabreffe ber SWagbe»
bürget Dfficiere, fie fam nicht zu ©tanbe unb baS Silb
blieb im 3'mmer aufgehängt. — 93on Jahr ju Jahr wutbc
bie ©eburtagSfeier immer anfegnlicger, bie ©lücfmünfche
Zahlreicher, auS ber gerne famen Slumenfpenben unb Shren*
gefegenfe, in ben granffurter gelungen erfegienen ju feiner
Verherrlichung ©ebiegte, bereit eines ihn mit bem Äönig
3lrtgur oon ber Dafelrunbc Oerglich- Die 3 e '^ en ber perfön»
liehen Verehrung nahmen oft ben Sharafter ber ®eootion
an. 3llS ihm jum erften Nfal bie £>anb gefüht würbe, fchrie
er oor ©chred laut auf; halb aber, ba fich ber §anbfujj
noch einige 2 M wieberholte, gewöhnte er fich °n biefe „feinem
faiferlichen Slnfehen wohl gebührenbe Seremonie“. SS ift
auch e l» e fefjr bemerfenSwerthc 2h a tfod)e, bah zwei an=
erfannte unb unwiberruflichc ©rohen auS bem legten drittel
unfereS JahrhunbertS bie Sache ©djopenhaueT’S zu ber ihrigen
gemacht unb unter bem 33 ann feiner SBerfe geftanben hoben:
ber berühmtefte Ntufifer beS 3bitolterS, Nidjarb Söagtter, unb
ber berühmtefte ©chriftfteüer NuhlanbS, ber burch feine reli»
giöfe ©efinnungS* unb ^anblungSweife noch intereffanter unb
merfwürbiger ift, als burch feine Dichtungen, ©raf Seo
Dolftoi, nach ber 33oUenbung feiner militärijd)en unb in ben
Slnfängen feiner literarifdjeii Sauf bahn, fdjrieb an feinen
greunb get=©chenfd)in, ben nadjmaligen Ueberfeger beS Vh'l° !
fopheit: „Sin unWanbelbareS Sntjüden ap Schopenhauer unb
eine Neige geiftiger ©enüffc burch ij)n hoben mich erfafet,
wie ich f*e nie bisher empfunben. Jcg weih nicht, ob ich bie
^Meinung je änbern werbe, aber gegenwärtig finbe id), bah
©cgopenhauer ber ©enialfte ber Nfenfdjen ift. SS ift eine
gan^e SBelt in einem unglaublich Keinen unb fegönen ©piegeb
bilbe.“ Nocg im Jagre 1890 fei ©chopergauer’S SilbniB
baS einzige Porträt in feinem ©tubirzimmer gewefen.
NacgDem ©chopengauer’S „fßarerga“ erfegienen waren
(1851), fein legteS SBerf unb feine erfte oiel gelefene ©egrift,
gelangte er fcgiteH in ben Nuf eines origineüeit philofophiftgeii
©cgriftfieHerS, oon beffen fieben bamalS faum megr öffent=
lieg befannt war, als bah e ‘» SBeltoeräcgter unb ein»
fieblerifcger ©ottberling fei. 3US aber bie ©winner'fcge 33io=
grapgie erfegienen war (1862), fiel ber Schleier oon bem
„gegeimnihooflen SEBefett in granffurt a. SW.", wie ign Jogn
Djenforb genannt gatte, unb nun ergoben fid) in ben Sage«»
blättern laute ©timmen, bie feinen Sgarafter oerurtgeilten:
er fei in ber Dgeorie ber auSgefprodjenftc ißeffimift, im fieben
ein raffinirter Spifureer gewefen, er gäbe in feiner SWoral
bie SBeltentfagüng unb ©clbftojerleugnung gelegrt, aber in
feinem fieben bem rüdficgtSlofeften ipoegmuth unb SgoiemuS
gefrögnt; nie fei bie DiScrepanz zwifcgeit Segre unb fieben
in einem fßgifofopgen fcgreieitber gewefen als in igm. @0
leicgt ift aber ber Änoten niegt zu löfen. ©egopengauer ift
ein Sgaratterproblem ganz eigentümlicher unb überrafegen*
ber 3lrt, bem Niemanb mit gröberem ©egarffinn näger ge»
treten ift, als ®uno gifeget. 2Bir Oerweifen gier nochmals
auf fein prächtiges ©d)0pengauer»2Sert unb greifen einige
fßuufte feiner biograpgifegen 3lnalgfe gerauS.
ißergleicgt man bie in feinen SBerfeit entgoltene unb
als baS göcgfte feiner Srgebniffe oon igm gepriefene §eil»»
legre mit feinem fieben, fo ift oon ben Dugenben ber Seit»
entfagung unb ©elbftoerleugnung, ber Demutg unb ©elaffen»
geit niegt baS SWinbefte barin wagrzunegmen. „3llle Antriebe,
bie feine Segre auf bie Umgeftaltung igreS SgaralterS gälte
auSüben foUen, fdgeitern ognmäcgtig an feiner angeborenen
SBiüenSart, feinem ungeftümen unb heftigen Soßen, feiner
beftänbigen 3lngft oor ben ©efagren ber Seit unb ber unge»
heitren Sertgfcgägung feiner felbft, bie aUeS ©efügl für
3lnbere bis zur oöüigen llnempfinblidjteit oergärten fonntc.“
Zliino gtfeger fcgilbert im weiteren ben Sinbrucf, ben igm
eine gewiffe ©teüe in ©cgopengauer’S ^Briefen gemaegt got.
i
t
I
Digitized by v^. ooQie
Nr. 17.
Die (BegetttDort.
265
ÜJfutter unb ©cfjmefter Waren feit Saferen tobt, als ifent
grauenftäbt berichtete, toie unglimpflicfe unb abfcfeägig 9lnfelm
geuerbad) über SBeibc in feinen JagebuchtTotiaen gefprocfeen feabe.
3n bet 2luSgabe feiner fJlacfelafeftüdc ftonb cs nunmehr gebrudt.
SBaS antwortet Slrtfeur ©efeopenfeauer? Sr banft für biefe
SKittfeeilung nnb fügt feinp; „“Die Sfearatteriftif ift nur gar
ju treffenb. ^wbe, ©ott oerjeife mir’S, Iacf)en müffen!" Äuno
giftet räumt nun aüerbingS ein, bafe ©efeopenfeauer in
feinem ßeben fid) oft fefet ungliidlicfe gefüllt unb, toie eS
fdjeint, unenblicfe Oiel gelitten feat ( bafe er nacö feinem eigenen
Sefenntnife fcfeon mit 24 Sauren ein auSgemad)ter ißeffimift
gewefen fei. &ber gerabc feine ^3af|'ionSgefcf)icl)te jcuge toiber
ifen. Sr feabe in t>o^em ÜRafee bie gäfeigfeit beS ßeibqnS
gehabt unb barum auch erfahren, aber bie ftraft unb grcubig*
feit beS ßeibens unb SrtragenS in gar feinem.
Obwohl eines greitagS geboren, was er beffagt feat, nennt
tfen fiuno gifcfeer ein ©onntagSfinb, einen ßiebling ber ©ötter,
bem bie fünften ©üter beS ßebenS belieben waren: eine feofee
©eifteSbegabung, eine oöttige Unabfeängigfeit beS JafeinS oom
erften Sltfeempge bis ptn legten, alle fDiufee, um feinem
©eniuS nacfepleben unb fid) feinen Anlagen gemäß auSpbilben,
bie jweifellofe 28afel ber ßebenSricfetung, bie Srfüdung eines
erhabenen SerufS in einer fReifee üon Werfen, bereit Unfterb«
licfefeit er mit untrüglicher ©ewifefeeit empfanb unb ootauSfafe,
eine in ben legten Saferjefenten unoerwüftlicfec ©efunbfeeit, ein
ftets erquidenbet ©d)laf, ein fjofjeö, oott ber Sonne beS
SRufemS glänjenb erleuchtetes unb erwärmtes 2llter, ein
oodenbeteS Jagewerf, baS ifem nichts übrig liefe als noch e *n
paar „3ufäge ä u beit ißarerga", cnblid) ein fchneller unb
fünfter lob. „©octfee’S legte Slugenblide, wie ich fie auS bem
SDfunbe feiner (Schwiegertochter, ber'Slugen^eugin feines JobeS,
habe fchilbern feörett, waren qualooU. 2tiemanb ift oor bem
5£obe glfidlidj. 9?ad) einem jolchcn ßeben unb ßebcnSenbe
Wirb man hoch geftefeen müffen, bafe ©djopenfeauer einer ber
glüdlichften ÜWenfcfeen war, bie je gelebt haben, unb er war
toec ©üterwelche er befaß, fich mofel bewußt. 2Bie oft hat
er fid) berfelben erfreut unb gerühmt: feines ©ettieS, feiner
Unabhängigfeit, feiner ©efunbheit, feiner SBerfe, felbft feines
©efichtS! Jrog aüebetn meinen Wir feineSWegS mit ben
©egnern, bafe eS mit feinem ißeffimiSmuS eitel Junft unb
Schein gewefen fei. Stein, eS war feine ernfte unb tragifefee
SBeltanficfet, aber eS war 9lnficfet, Slnfdjauung, Silb. jie
Jragöbie beS 2BeltelenbS fpielte im Jfeeater, er fafe im 3 Us
fchauerraum auf einem feuefeft bequemen gauteuil mit feinem
Dpernglafe, baS ihm bie Jienfte eines ©onnenmifroffopS oer-
riefetete; ttiele ber 3 u t"d) auet oergafeen baS SBeltelettb am
Süffet, feiner oon 2lUen folgt ber Jragöbie mit fo gefpannter
2lufmerffamfeit, fo tiefem Srnft, fo butdjbringenbem ©lief;
bann ging er tieferfchüttert unb feeleubergnügt nach £>aufe
unb ftellte bar, was er gefefeaut hatte."
Jet 3wiefpalt ptifefeen feinem Sfearafter unb feiner
ßehre oon bem SBeltelenb unb ber SBeltentjagung, prtfdjen
bem ßeben, baS er geführt, unb ber peffimiftijd) gefinnten
SlSfefe, bie er gelehrt hat, liegt am Jage. 2lucfe ift er fid)
biefeS 3roiefpaltS toohl bewußt gewefen unb hat benfelben offen
befannt, wenn auch m *t beträchtlicher ©elbftfcfeonung, ba er
nur einpräumen pflegte, bafe er fein Heiliger fei. Sr war
baS oöllige ©egentfeeil. Unb ftutto gifcfeer fäh rt fort:
„3Ran fage nur nicljt, bafe et ein i)Sejfimift würbe, weil
er unbeachtet blieb, er war eS ja nad) feinem eigenen Se*
fenntniß fdjon oöllig, als er in feinem uierunbjwanjigften
Safere noefe feine 3 e ^ e f“ r ben Jrucf geschrieben hatte. (Sin
folther Ißeffimift hätte baS oeraefetete ©efchlecht unbelehrt
taffen unb mit erhabener ©leichgiltigfeit fehen follen, bafe bie
oergeblichen SBerfucfee, bie er gemacht hatte, in ber Rapier*
müfele oerfchwanbett. 21 ber ©efeopenhauer gerietfe barüber
aufeer fiefe. ®ann oerfuchte er fein ©lüd oon Steuern unb
feegte immer wieber bie juoerfidjtliche unöerfiegbare Hoffnung,
eS müffe gelingen, er werbe burdjbrecfeen. Unb eS gelang.
$)ie ©enieS finb eben feine Sßeffitniften, unb wenn fie eS
taufenbmal oetfichcrn; benn fie müffen fefeaffen unb hoffen.
J)aS Streben nad) Slnerfennung ber SOtenfcfeen eingeräumt,
fo feättc man meinen foUcn, bafe ein foldjet 'Utenfchenoeräcfeter
auch ein ftoftoerächter, ein geinfehmeder fein unb nur baS
auSerlefenfte ßob fid) arteignen würbe. (Sr war eS mit nidjten.
28enn et feinen Snftincten gemäß hanbelte, was im gewßfen*
licfeen ßaufe beS ßebenS natürlich ftets gefefeah, fo war er
auefe feiet allen ©djeinwertfeen jugänglicfe: er liebte auch ben
©efeeinrufem, bie ©dfemeicfeelei, baS ßob felbft elenber ©criblet.
©in SluSbrud ber Söewunberung feines ©enieS fonnte ifen für
2SieleS entfcfeäbicjen. Ja mar fein literarifcfeer Sßinfel Der»
borgen, fein ©cribler unbebeutenb genug: bie ßobfprücfee,
wofeer fie aud) tarnen, füllten fleißig auSgefpäfet unb pünft»
liefe bei geller unb Sßfennig abgeliefert werben, bamit er
fie eincaffire. ÜJtan lefe nur feine ©riefe an bie 9lpoftel,
benen er eS jur wiefetigften ißflicfet maefete, waS aud) nur
über ifen gebrudt wäre, auSjufunbfcfeaften unb in unfranfirten
©riefen an bie ©entralftelle einpfettben. Sr war wirf’
liefe wie bie Äittber: er fonnte ©olb unb ftagcngolb niefet
unterfefeeiben! Sr mürbe blinb für bie Schwachen feiner
23emunbcrer uttb bienftwilligen SBerfjeuge. 9tur burften biefe
bem SDteifter gegenüber nid)t aud) bie Rritifer fpielen wollen,
was bem grauenftäbt mitunter einfiel; bann würbe ifetten
feeimgeleucfetet. SS gab in ber 2Belt eigentlich nur einen
©egenftanb, ber unferem ißeffimiften feeilig war: feine 28erfe.
„SDfeinen glucfe über Seben, ber etwas baran wiffentfiefe änbert,
fei eS eine ißeriobe ober aud) nur ein 28ort, eine Silbe, ein
©uctjftabe, ein SnterpunftionSjeicfeen!" Sille 2luSbrüdc ber
SeWunberung fonntett ein oerftümmelteS Sitat nid)t aufwiegen.
„SBefcfeneiben @ie Jucaten unb ßouiSbore, niefet meine Säge,"
feerrfd)te er feinen „Ureoangeliften" an, ber allerbingS bie
©pradje beS 9JteifterS niefet nad) ©ebtifer ju würbigen Oer=
ftanb. Senn man ben ißfeilofopfeen in feinen ©cferiftcu feört,
fo tritt uns in ifent ber feeftigfte ©egner alles ÜJfonotfeeiSmiiS
unb JfeeiSmuS entgegen: er feafet bie Religion beS 2llten
JeftamcntS wie bie beS JÜoran, er ift in biefer ÜÜidficfet ber
auSgefprocfeenfte ßlntifeniit. 2lber biefe grunbfäglidjen Sinti*
patfeien oerfefeminben, fobalb feinem ©enie gefeulbigt wirb.
3wci feiner ülpoftel unb Srben finb 3uben: grauenftäbt unb
Slffeer, jener getauft, biefer ungetauft unb bem jübifefeen
©lauben ergeben. Sft eS nid)t munberlicfe, bafe ber 3Jfann,
an ben ©efeopenfeauer mefer als ben oierten Jfeeil aller feiner
©riefe gefeferieben feat, fein „Urapoftel", feine „^ofaune", fein
literarifcfeer Srbe, ber Herausgeber feiner 28erfe unb feines
fRacfelaffeS, ber „Srjeoangelift" biefeS abenblänbifd)en Subbfea,
ein polnifcfeer Sube war? 2B. ©minner, ben er ju feinem
JeftamentSoollftreder ernannt unb in ben ©tanb gefegt feat,
fein 23iograpfe p werben, war unb ift ein unoerfeofelener
öefenner ber Saaberfcfeen Jfeeofopfeie unb feat biefen feinen
©tanbpunft in ber JarfteDung unb ©eurtfeeilung ber ßefere
©chopenfeauei'’S, fomcit ber Spielraum Seiber in feinem bio*
grapfeifefeen 2Ber£e reiefet, auefe pr 2(nmcnbung gebracht,
könnte ©efeopenfeauer feine Siograpfeie oon ber Hanb ©winner’S
lefen unb bie ©efammtanSgabe feiner 2Berfe oon ber Ipanb
grauenftäbt’S muftern — wir wollen bie beiben IDfänner, bie
feine JeftamentSüollftreder waren, fonft niefet miteinanber
bergleicfeen —, fo mürbe er auSrufen: wie fefer habe iefe miefe
geirrt! ©olcfee jäufefeungen begegnen wofei ben ©enieS, aber
bie ©effimiften füllten bawiber gefcfeügt fein."
Jie ßefere oom Slenb ber 2Belt unb beS JafeinS para»
birte am Snbe nur noefe in feinen Suchern; feier trug er bie
Uniform unb ben ©taatSrod beS SeffimiSmuS. 2luS feinem
täglidjen ßeben unb Sbeengange waten fie fammt aller 28elt=
flugfeeit in ber 2lera feines fRufemeS wie oerfefewunben. 9lucfe
fefeon früfeer. 2Bit erwäfenen feier nur einjelne Seifpiele.
3um Sjempel fein ntafelofeS ©efeimpfen unb Seifen gegen
bie UnioerfitätSprofefforen. Unb wie ungerecht, gefeäffig, ja
gemein war er ba oft! 3cfe erinnere miefe meines Hdbel»
Digitized by v^. ooQie
266
Die (ßegennnirt.
Nr. 17.
berget SeßrerS, beS (Prof. 0. 5Reic^Un=9J?eIbegq, ber itocß als
neunzigjähriger ©teig ©djDpenhauer’ö Snocctioen Hießt oer*
geffen fonnte unb auf feinem Äatßcber in ben ftlageruf auS*
bracß: „3<ß fann bocß nichts bafür, bafe ich oon Slbel bin!“
Sludj Äuno gifc£»er nennt es eine nichtige ©rflärung im dJiunbe
beS (pfjilofopljen, wenn auch immer bie getäufigfte unb be=
liebtcfte: bie beutfcßen (pßilofopßie»(profefforen foflen fi<ß
auS allen (Beweggrünben beS (ReibeS ocrfcßmoren haben, feine
©Triften ungelefen, jebenfaflS unerwähnt ju (affen. „(Die
(Profefforen finb nid)t ber 3 e * t Ö e 'ft- 2S«nn ein Genfer unb
©cßriftftefler, wie Schopenhauer, ein langes URcnfcßenalter
ßiuburch feine SBirfung auf bie SBelt ^eroorbringt, fo finb
feine ©cßriften nicf)t non einigen (Profefforen, fonbern oom
gectgeift unbeachtet geblieben, worunter wir fein mpftifcßeS
(Ding, fonbern ben Inbegriff berjenigen Sntereffen unb fragen
uerfteßen, welche in einem gegebenen geitabfcßnitte ^ertfc£)eit.
(Run oergegenwärtige man ftcß unfer (Deutfcßlanb oon ben
greißeitSfriegen bis in bie (BolfSbewegungen beS 3afjreö 1848,
bie SSntereffen nationaler, religiijfer, firdjlidjer, politifcher,
hiftorifcßer Slrt, bie eS erfüllt unb tief bewegt haben; man
oergleiche bamit ©djopenßauer’S Sehre unb feine fämmtlichcn
SBerfe, um ju fet)en, waS fie zur SBedung, ftlärung, Söfung
biefer fragen beigetragen ober geleiftet haben. @o gut wie
nichts! 9lUe jene geitfragen, in welches (liebtet unb in welche
(Richtung fie auch faßen, finb oon eminent hiftorifdjem unb
fritifchem ©Ijarafter gewefett; fie gehören in baS große Xhema
ber SBeltgefcßicfjte, bem Schopenhauer, bet (Wann wie bie
Sehre, fidj oon ©runb auS abgewenbet jeigt, benn in feinen
Slugen hat bie SBeltgefdjicfjte überhaupt fein < Dh ema - (Der
geitgeift §errfcf)t unb gleicht auch barin einem §ettfd)er, bajj
er, Wie bie Könige, benen ®el)öt erteilt, bie ihm etwas ju
jagen haben; aber fie müffen warten, bis fie gerufen werben
unb bie ©tutibe ihrer Slubienz ba ift." Unb uodj anbere
3nconfequenzen: fein SBeiberhafj, ber nur in ber ‘Jheorie
beftanb, fein germütfniB mit dRutter unb ©eßwefter, feine
ganz unpßilofophifdje ^eftigfeit, bie ihn in bie böfeften
(Dinge oerwidelte. glätte er fich in woßlgeorbneten ßäuS*
liehen (Berßältniffen befunbett, fo würbe eine folche ©eene,
Wie bie mit ber (Räßterin, bie er bie kreppe ^inunterfttefe
unb bann bis ju ihrem fpäten ‘tobe alimentiren muffte, un*
möglich gewefen fein; aber er wollte, gleich ben ^ßt)ilofop^eu,
bie bei ihm hoch in Mfcßen ftanben, wie ^»obbeS unb Sode,
jDeScarteS unb Jfant, H a geftolz bleiben unb pflegte weniger
treffenb als roißig ju fagen, bafj bie ©ßemänner umgefehrte
(PapagenoS wären: mäßrenb bem (papageno in ber gaubet*
flöte fich ein altes SBeib blißfdjnefl in ein junges oerwanble,
ginge eS in bet SBirflidjfeit ben ©ßemännern gerabe umge*
lehrt. (Das ©leicßnifj ^eigt, wie er oon ber ©he bachte. @r
hat bie Ipeirath, nicht bie SBeiber oermieben, bie nach feinen
(Korten ihm oiel ju fchaffeit gemacht haben: er hat fich feiner
Hamburger Sugenbfünben gefchämt, tu Dresben einen natiir*
liehen ©ohn gehabt, ber früh geftorben ift, in 33enebig eine
©cliebte im Stieß gelaffen unb in (Berlin in zarten (Beziehungen
Zu einer bem Theater angehörenben (Dame geftanben, bie er
noch in feinem Dcfta mente bebaeßt hat. 3n feinen fpäteren
©driften erfeßeint er, wie eS bem impotenten ziemt, als ber auS*
gemadjteftedRifogßn. Unb enblkß feine politifcßen SBiberfprücße.
Höcßft anfdjaulicß unb charafteriftifch hat er bem bienftfertigen
grauenftäbt ben Slufrußr unb bie Äätupfe beS 18. ©eptember
1848 gefefjilbert, bie ihm bis in fein gimmer gebrungen
waren. „SBaS haben wir erlebt! (Denfen ©ie fich eine (Barri*
fabe auf ber (Brüde unb bie @cßüßen bis bicf)t oor meinem
Haufe ftehenb, zielenb unb fcßiejjenb auf baS dRilitär in ber
gaßrgaffe, beffen ©egenfdjüffe baS £>auS erfchütterten: plößlidj
Stimmen unb ©ebrüfle an meiner oerfchloffenen ©tubentßür:
ich, benfenb, eS fei bie fouoeräne Sfaitaille, uerratnmle bie
Xt)üte mit einer Stange: jeßt gesehen gefährliche ©tö|e
gegen biefelbe, enblicf) bie feine ©timrne meiner ültagb: „eS
finb nur einige Defterreicher!" ©ogieich öffne ich biefen werthen
greunben: 20 blauhofige ©todböhmen ftürzen hetein, um
aus meinem genfter auf bie Souueiäne zu fchiefjen; befinneit
fich aber balb, eS ginge oom nächften fraufe beffet.“ ?lls
enblich bie aufrührerischen (Bewegungen unterbrüdt unb bie
oöllige 9fuhe burch Söaffengewalt wieber fjergefteüt war,
fühlte er fich ben preufeifchen Äriegern, bie ben inneren grieben
erfämpft hatten, zu höchstem ®anfc oerpflichtet. ®arum er«
nannte er „ben in (Berlin errichteten gonbS zur Unterftüßung
ber in ben Slufruhr* unb ©mpörungSfämpfen ber 3afjre 1848
unb 1849 für ?lufred)terhaltung unb ^>erftellung ber geje^
liehen Drbnung in j)eutfchtanb inoalibe geworbenen preu|ifchen
©olbaten, wie aud) ber Hinterbliebenen folcher, bie in jenen
Kämpfen gefallen" burch (Ecftament oom 26. 3uni 1852 ju
feinem Unioerfalerben. ©S ift nur gut, bafj feine rabicalen
ülpoftel unb greuttbe, bie SRicharb SBagner, H^rwegh, 9Bile,
©hallemel*Sacour tc., bamalS nichts bauon erfuhren, benn
ein eclatanter ?lbfaü unb (Bruch wäre gewiß gewefen.
3)fit (Recht h e &t Äuno gifcher immer wieber h ert)or «
ba§ wer, wie ©djopenhauer, eine ^peil-S- unb ©vlöfungSlehre
auffteüt unb im ©egenfaße zu ber „jübifdpchriftlichen SReti*
gion," bie er oerachtet unb oerwirft, bie aßein wahre nicht
bloß lehren, fonbern fogar ftiften wiß, fich felbft gteichfam
als ben abenblänbifd)en (Bubbha betrachtet, als ben fünftigen
©egenftanb eines (Silber* unb (ReliquiencultuS, als baS gegen*
wärtige Oberhaupt einer fdjon im 3Bad)fen begriffenen @e*
meinbe, wer feine Schüler unb Anhänger aßen ©rnfteS als
„3lpoftel unb ©uangeliftcn" bezeichnet unb claffificirt, — ber
tnüffe, waS er (ehrt, in bem eigenen Sebcn uerförpern, einem
Seben oofler (EBeltentfagung unb Entbehrung, ooller (Dfitleib
unb Siebe, nicht weil bie ^fließt eS gebietet, fonbern weil ber
eigene religiöfe ©eniuS bazu brängt. ®r felbft hat gejagt
unb biefen feinen Msfprud) zum 'IRotto einer (preiSfchtift
genommen: „ÜJJoral prebigen ift leidjt, (Oforal begrünben
feßwer." „Seit fdjwerer als (BeibeS ift fie uerförpern!“ ruft
Sluno gifdjer. „'Daher finb bie echten (Kerfe ber SReligiou,
inSbefonbere SleligionSftiftungen fo feiten-, baß felbft bic
SBerfe beS ©cnieS bagegen häufig finb. Oßne feine Heils*
leßre in bem eigenen Seben unb Seihe z 11 perfonificiren
unb babureß in ber anfchaulichften gönn zu offenbaren, ift
aße SRoral unb (Religion, bie man lehrt, man mag fie nun
prebigen ober begrünben, bodj am ©nbe nur „SJortfram".
®ieS ift eS, waS heutzutage einen (Wann, Wie Seo (Eolftoi,
oermoeßt ßat, auS ber peffimiftifeßen HcilSlcßre fieß z um
wirf ließen Heilanb zu flüchten unb zu tßun, waS bie (Berg*
prebigt forbert." 21 ber ber (Biograph finbet zukßt bodj eine
gerabezu geniale Söfung beS oerzwidten ©ßaraftcrproblemS.
®ic Uebereinftiinmung ztoifdjen ©cßopenßauer’S (ßhilofopßie
unb Seben (eueßtet unS ein, fobalb wir ißn als Zünftler
gelten laffen unb betrachten. „DaS ftolze, oft ungeheuerliche
©elbftgefüßl, weldjeS er oon feinen (Kerfen als genialen unb
tünftlerifcßen firaftleiftungcu hegte, wirb unS erflärlicß; wir
feheit ißn in feinem Ültelier, bisweilen, bilblicß zu reben, in
Hembärmeln, ungenirt, berb, immer fupetlatioifcß in feinen
SluSbtüden, oofler ©itelfeit unb ©ßrgeij, mit aßen 2lrteit unb
Unarten einer Äünftlernatnr begabt, ftetS unter bem ©inbrud
ber anfchaulicßen ©egenwart. @r fommt — oergeffen mir
eS nicht — auS einem geitalter, in welchem bie feßöngeiftige
Siteratur 'DeutfcßlanbS unb ber SBelt, aud| bie philofopfjifcße,
feinen hößeten ©ultuS pflegte, als ben beS ©enicS. 3n feinen
(Bücßern erfdjeint er auf ber SSeltbüßne, als ber Helb • feiner
(ßßilofophie, bie ©tim umwölft, fein Sluge blidt ©infamfeit,
er fpielt feine Äraftftüde, unb zwar fo ausgezeichnet, bafe
wir über feinen (Silbern ben itiinftler oergeffen; er ift oon
ben Seiben ber SBelt, bie er uns fdjilbert, fo erfüflt, ba& et
in biefem Slugenblide felbft leibet; bisweilen unterbricht er
fein ©piel burch eine (parabafe, um H e 9 c ^> bie (pßilofopßie«
(profefforeit unb baS (publicum herunter zu madjen; bann fehrt
er in bie ernfte Haltung unb ben tragifcßcu ©ßarafter feiner
.Wolle zurüd. ©incS feiner intereffanteften (Befenntniffe be*
Digitized by
Google
Nr. 17.
Die ©egenwart.
^ 6 1
ftätigt biefe 9(uffaffung: et f)a6e bie Äraft, fid) fetbft ju
erfchüttern, in hohem Woßc bcjeffen unb wäre ein großer
©djaufpieler geworben, wenn er fid) nid)t für bie Saufbahn
beS ©hilofopljen entfd)ieben hätte. Sr mar, wie man berichtet,
ein uorzüglicßer Stjä^let unb fonnte, wenn il)n bet (Segen*
ftanb ergriff, Df)räneu oergießen. ©un, er ift aud) als
©hilofoph ei» großer ©d)aujpieler gentefen, ein folget, ber
bie tragifd)eit unb fomifdjen üöitfungen in feiner ©emalt
hatte. Sr vergleicht öfter fein Snbe mit bem ttjeatrcdifdjen
Abgang: „Exit, plaudite!“
Das (Belffitnniß kr $ro|ien ^tjramibe von (Sifet).
93on £nbn>tg Deinfjarb (TOttcfien).
Unfere mobernen ©ft)d)o(ogen pflegen fid) befanntlid) nicht
mit ben ©eheimwifjenfdjaften abzugeben, unb noch weniger
tpun bieS im 2lügemeinen unfere 2leghptologen. Dieje Sc$=
teren, bie, roie man glauben foüte, burd) ihre ©pecialftubien
— icf) braune nnr an baS ägpptifche Dobtenbud) z» erinnern
— häufig auf ben fogenannten DccultiSmuS birect Ijinge*
roiefen werben, tönnen tro^bem ben SSerfen eines Sari bu
©rel, Sari Sfiefewetter u. 91. feinen ®efd)utad abgewinnen.
Wan braucht nur, um fid) fjietoou z» überzeugen, in bem
©aebefer’fdjen Hanbbud) für 2legt)pten*©eifenbe, beffen wiffen*
fd)aftlid)e DI)eile auS ben Hänbeu non 2leghptologen heruor*
gegangen finb,. einen Sölicf auf jene ©teilen ju werfen, wo
bie bilblidjen Darfteüungen befd)rieben werben, mittelft bereu
jenes alte Sulturoolf feine ©orfteüungen non bem Seben nach
bem Dobe nerfinnbilblidjeu wollte — Darfteüungen, wie fie
fich namentlid) in ben berühmten SfönigSgräbern non SufSor
finben. 3n biefeit ©rabfammern ift auf ber langen Sorribor»
SBanb beifpielsweife ein gluß bargeftellt, auf bem bie ©onnen*
barte einherfährt; in biefer fteßt ber mibberföpfige ©onnengott
non feinem ©efolge umgeben unb bringt auf furje 3eit üid)t
unb Seben in bie non ihm burd)faf)renen ©egenben. Oben unb
unten finb bie beiben Ufer wiebergegeben, bie non allen möglichen
©eiftern, Dämonen unb Ungeheuern beoölfett finb, bie ben
©onnengott bei feiner gal)rt begrüben unb feine geinbe non
ihm abwehren. „3n ber Srfinbung unb ©d)ilberung biefer
©efpenfter — fdjreibt an biefer ©teile ber betreffenbe 2legt)p=
tologe — h»t bie trodene ©hantafie ber 9legt)pter fich non
ihrer fdjlimmften ©eite gezeigt,“ unb ber moberne Dourift,
ber mit feinem ©aebefer in ber §anb biefe Darfteüungen
betrachtet, fühlt fid) meiftentheilS ju einem mitleibigen Sächeln
über biefeS abcrgläubifche alte 9leghpteroolf neranlaßt, in bem
erhebenben ©ewußtfein, bah unfere heutige ©aturerfenntniß
burch aÜ’ berartigen ©eifter» unb ©efpenfterglauben, ob er
nun bem Sinjelnen troden ober phantafieuoU, abftoßenb ober
reijooll erfcheint, einen ejactmiffenfdjaftlichen biden ©trich
gezogen hat unb für alle ^ufunft gezogen ju haben glaubt.
9lüein wir leben gegenwärtig tn einer ©eriobe über«
tafdjenber miffenf<haftlid)er Sntbedungen, unb eS tjat ben
2lnfd)ein, als ob bie 9legt)ptologie, ähnlich wie bie ©hhfif,
nun auch ihren ©öntgen gefunben hätte, einen gorfcher, ber
mit ben £*@trahlen feines gorfd)eraugeS in ein bisher recht
bunfel gebliebenes Problem plöglid) eingebrungen wäre. Dies
Problem ift bie Viel erörterte grage: weldjen 3 roe d, welche
©eftimmung hatte eigentlich bie große ©pramibe non ©ijeh,
bie fogenannte SljeopS* ober Sl) u fru»©hramibe? SBenn fie
weiter nichts fein foüte, als ein ©rabbenfmal ihres fönig*
liehen SrbauerS, woju bann bie merfwürbigen ©änge unb
Sorribore in ihrem Snnern, bie halb nad) abwärts, halb
nach aufwärts führen, woju bie geheimnißooüe Kammer unter
ber ©afiS ber ©tjramibe, ba hoch bie oberfte Sammet als
©rabfaminer beS SönigS genügt hätte? Hatte biefe ©gramibe
aber eine anbere ©eftimmung, als bie eines gewaltigen fönig»
lid)cn WaufoleumS, woju hätte bann ber in ihrem innerften,
äufjerft finnreich angelegten ©ewölbe norgefunbene leere ©ranit*
farfophag non 2 m 30 Sänge gebient? — ©chon feit längerer
3eit ift man einer Söfung biefer grage auf ber ©pur. ©eorg
SberS, ber ebenfowenig, wie feine Herren Soüegcn ben ©ro=
blemen beS DccultiSmuS irgendwelche tiefere ©eacf)tung fchenfte
unb in beffen Schriften balb ber ffeptifcf)e ©eiehrte, halb bet
intuitioe Dichter hetbortritt, führt in feinem großen ©ra^t*
wert: „9leghpten in ©ilb unb SBort," bei ber ©efpredjung
obiger grage einige alte ©agen an. St fchreibt: „©ach alten
9lrabern foüen bie ©prainiben not bet ©ünbfluth errichtet
worben fein, um in ihnen bie 3SiffenS*©<hähe, ber bem Unter*
gang erlefenen Wenfchheit oor ber ©ernid)tung ju bewahren."
it)iefe ©age wirb nun aüerbingS in einem englifchen SBerf,
baS bie 9ltlantiSfrage behanbelt, thütfädjlidj beftätigt. 2)aS
betreffenbe ©uch h e 'fet: The Story of Atlantis non 833. ©cott*
Süiot (Sonbon, 3 Sangham ©lace, Theosophical Publishing
Society) unb ift wohl eines ber merfwürbigften literarifdjen
Srfd)einungen Öer ©eujeit. Doch woüen wir unS hi« mit
bemfelben nicht weiter befaffen, um nicht abjufdfweifen.
SberS fährt fort: „Ütnbere glauben, in ihrem (ber grofjen
©tjramibe) büitern Snnetn mären bie geheimnifeuoden, bie
©cele erfd)ütternben Sinfiihrungen ober Snitiationen in bie
Whfterien unb bie feierlichen ©rieftermeihen ehemals noü»
Sogen worben." SberS befchreibt bann auSfühtlid) feinen
höchft müheooüen ©efuch beS Snnern biefer ©hramibe, bei
bem er anfcfjeinenb, trofj aü’ biefer ©agen, bie ihm ju
Ohren gebrungen, als er fchliefelich im 9lüerf)eiligften an«
langte, feft bauott überzeugt war, oor bem „auS geraubten
©ranitfarg beS SheopS" ju flehen. Seite ©ermuthung
aber, ba§ biefe ©aume j;ur Initiation in gemiffe SWhftericn
gebient haben bürften, finben mir in bem 1892 in Sonbon
erschienenen SBerfe: „The perfect way“ non Dr. 91. ÄingS*
forb unb S. Waitlanb präcifer auSgefprothen. „Die StönigS*
fammer," fagt Waitlanb, in ber bie ©änge enben, ift ein
grofeeS hochgewölbteS gimmer, welches 6 Jßölbimgen, eine
über ber anbern hat . . . 3n ber Witte biefeS 3<mmerS
fteht eine große Sabe, bie aus einem einzigen ©teinblod ge»
hauen ift unb als ©arfophag (ja fogat auch als Äornfifte,
fügt ber Herausgeber bei) bezeichnet wirb. 3« biefe Sabe
hatte fidh ber jur Sinweihung Herangercifte, ber erfolgreich
aüe ©rüfungen beftanben hatte, bie in ben untern ©ängen
nerfinnbilblidjt waren, hineinzulegen, gleichfam feinen Körper
als ben Seichnam in baS ©rab z» legen, bamit bilblid) aüen
irbifchen ©egierben entfagenb."
Damit finb wir wohl bem ©ef)eimnifj ber großen ©t)*
ramibe glüdlid) auf bie ©put gefommen. ©un tauchte in
ben lebten Saljren in Snglanb ein 9leghptologe auf, ber eS
fich z ut SebenSaufgabe gemacht z u haben fcheint, in baS
Duntel biefeS ©eheimniffeS ooüftänbig einznbringen, mit
©amen WarSham 9lbamS. Snbe 1898 etfehien bei Sol)»
Wurrat) in Sonbon ein ©uch non 9lbamS, betitelt: „The Book
of the Master," worin ber ©eweis geliefert wirb, baß unfer
beutfeher, fo hoch oerbienftoofle ?(egt)ptologe ©icharb SepfiuS
feinen befonberS glüdlicßen ©ebanfen hatte, als er ben im
©arg eines ©riefterS ©amenS Stuf 2lnfh Oorgefunbenen©aphruS,
ber gegenwärtig in Dutiu aufbewahrt wirb, baS „Dobtenbudj
ber 9leghpter" nannte, ©eit SepfiuS wirb ja befanntlid) einfach
angenommen, eS Ijanble fich *» bem genannten ©aptjtuS um
eine Unterweifung non ©erftorbenen, b. h- um ganz Phantaftifd)e
©orfteüungen über ben 3»ftanb nach bem Dob, ©orfteüungen,
worin ber fraffe 9lberglaube ber alten 9leghpter fo recht z» m
2luSbrud fomme, furz » m Schriften, bie tro| beS barin an»
gefdjlagenen DoncS erhabener etlicher Sehren einen cultur»
gefchichtlichen SBertf) eben nur infofern befi^en, als fie ben
©eweiS liefern, wie tief baS ganze Denfen ber 9leghPter im
2lberglauben Oerfunfen war. ©un ift aber, wie 2lbamS nach»
gemiefen hat, ber eigentliche ©inn biefeS ©appruS ganz anberS
*
Digitized by v^. ooQie
268
Die töegettwflrt
-
Nr. 17.
aufäufaffen. 5Rac£) ihm houbelt eS fid) batin weniger um
eine Belehrung Don tmrflicf) Beworbenen, als oietmefjr um
eine Unterweifung non fold)en, bie jum ßwccf ber Snitiation
in f)ö^eve SDipfterieit, bie eben in jener großen Ißpramibe
Borgenommen ju merben pflegten, fiel} in einen ßuftanb beS
Sd)eiittobeS ju oerfeßen Ratten. Ueber biefen 3uftanb, fomie
über biefe Initiationen überhaupt werben wir unS nur bann
Klarheit oerfRaffen fönnen, wenn wir unS cittfd)ließen, unS
Bon eigentlichen Occultiften, b. h Bon 2Renfcf)en, bie felbft
eine gewiffe occultc (Schulung befißen, barüber belehren ju
laffen. Ehe wir unS aber für weitere 9luffd)lüffe über biefe
bunfeln fragen an bie Öitteratnr beS DccultiSmuS wenben,
woQen wir nod) einen Slugenblitf bei SlbamS oerweiten, beffen
eben angeführtes Buch auch noch in anberer §infid)t fef)r
beadjtenswertf) er|d)eint.
@8 finb nämlich barin non SlbarnS bie jüngften ForfdjungS*
ergebniffe über bie merfwürbig einfachen Beziehungen nicber*
gelegt, in benen bie ^auptabmeffungen. ber großen ißt)ramibe,
beren £öhe unb Seitenlange ju aftronomifd)en ©roßen ftehen.
SBenn mir Bon SlbarnS, ber fich h' cr bei auf ben befannten
englifchcn Slegßptologen glinberS ißetric ftüßt, erfahren, baß
Z- B. bie £»öl)c ber großen ißpramibe gleich bem tüufenb=mil*
lionften Xljeil beS SRabiuS ber ©rbbafjn ober ber mittleren
Entfernung Bon Erbe nnb Sonne unb baß beren Seiten*
länge gleich bem taufenb*millionften ^heil ber Entfernung ift,
bie unfere Sonne mäljrenb eines SaljreS im SBcltraum burd)=
mißt, fo merben Wir mit einem ©efüßl ber Bemunberung
für bie aftronomifchen Äenntniffe, bie bie ?legt)pter jur 3 c it
beS Baues jebenfalls befeffen haben, — mag biefer nun oor
ca. 6000 Saßren ober Bor nod) Biel längerer 3 e *t errichtet
worben fein, — uns jebenfalls fagen müffen, baß ber Er*
bauer bei ber Errichtung feines Baues ganz befonberS ernfte
unb heilige ®inge im Sinne gehabt haben muß; benn fonft
hätte er feine ®imenfionen gewiß nicht fo weit hergeholt, wie
bieS offenbar ber Qatl war.
Um uns nun über baS SBefen ber Snitintionen unter*
richten zu taffen, wollen wir uns an eine Autorität auf bem
©ebiet beS DccultiSmuS wenben, an einen ber lpaupt*9JJit*
arbeitcr ber öottboncr 'Jheofophical fReoiew, einer SRonatS*
fchrift, bie in ber zaljUofen periobifchen öiteratur beS Dccul*
tiSmuS eine ganz heroorragenbe Stellung einnimmt. E. SB.
öeabbeater hat im Berfloffcncn 3al)r in ber bezeidjneten fRebiem
eine Serie non s 2lrtifeln- über baS d)rift(id)e ®taubenS = Be*
fenntniß ueröffentlicht, in ber et fid) zunädjft gegen bie weit*
Berbreitete Sinnahme menbet, baß baS Stjmbol beS ÄreuzeS
einzig unb allein nur bem Ehriftenthum angehöre, mäljrenb
eS in SBirflidjfeit )d)on bei ben älteften Böllern, non benen
wir miffen, im ©ebtaud) war, unb fährt bann wörtlidj
iolgcnbermaßen fort: „3n Slegppten befanb fid) bie Ipalle ber
Initiation oft unterhalb beS Tempels ... Eine foldje |)aQe
ift aud) unterhalb ber großen ißtjramibe angelegt. 3>n einem
berartigen fRaum pflegten bie mit ber Initiation oerbunbenen
Eeremonien ftatt^ufinben ... Ueber bie öeßteren wollen wir
nur erwähnen, baß fie batin gipfelten, baß ber Eanbibat
fich freiwillig auf ein mächtiges hölzernes Slreuz. baS fo auS*
gchöt)lt war, baß ber menfcßlidje Körper barin fßlaß fanb,
horizontal nieberlegte. Seine Slrme würben nun lofe an bie
Sreuzarme angebunben, nur ganz l°K h era ^üngenben
Schnurenben, um baburch ben burdjauS freiwilligen Eharafter
biefer fßrocebur auSzubriiden. E)er Eanbibat ging bann in
einen ßuftanb beS SieffchlafS übet, (ben ber DccultiSmuS
gewöhnlich als Trance bezeichnet), b fj. et Berließ für eine
gewiffe 3«t feinen ftörper, um fid) in ber aftralen SBelt ober
Sphäre ganz unb gar frei zu bewegen nnb zu betätigen (wenn
bieS mit Bollern Bewußtfein gefdjehen foQ, fo gehört bazu natur*
gemäß eine lange BorauSgegangene Schulung, über bie bie
Literatur beS DccultiSmuS Sluffdjluß giebt). SBäßrcnb fo
fein Körper in tiefem Sd)laf oerfunfen war, würbe biefer
in einen unterhalb ber §alle ber Initiation befinb(id)en fRaum
getragen unb bort in einen immenfen Sarfophag gelegt, —
ein Borgang, ben man fhmbolifd) auch olö Sterben unb 33e*
grabenmerben auffaffen tann. So lange nun ber phhftfche
Körper gewiffermaßeit tobt unb begraben balag, befanb fich
ber eigentlidje SRenfd) bei Bollern Bemußtfein irgenbwo anberS.
ÜRannigfach unb eigenartig waren bie öectionen, welche ber
SReophht mäljrenb biefeS Borübergehenben SlufenthaltS in ber
aftralen Sphäre zu lernen, waren bie Erfahrungen, bie er
bort zu fammeln, bie Prüfungen, bie er bort zu befteljen
hatte. SlUein fie waren alle forgfättig barauf berechnet, ihn
mit bem neuen ©ebiet ber Sthätigfeit, in welchem er fid)
nun bewegte, ooüftänbig oertraut zu machen, ihm ©elegen*
heit zu geben, baffelbe oerftehen z u lernen unb fich baS
nöthige Selbftoertrauen zu erwerben, b. h- mit anberen SBorten,
ihn berart zu fchulen, baß er allen ©efafjren, bie bort feiner
harrten, gewachfen war, baß er Bon feinen Sfräften einen
ruhigen unb befonnenen ©ebrauch machen lernte unb baß er
fo in jener Sphäre ein geeignetes SBerfzeug in ben £>änben
berer merben tonnte, bie bie Entmitfelung ber SRenfdjheit
förbern." So weit 2Rr. öeabbeater. Er ermähnt bann noch
bie uerfchiebenen Prüfungen, bie ber Eanbibat zu beftehen hatte,
bie fogenannten Erb*, SBaffer*, Öuft* unb Feuerproben, wobei
ich an SRozart’S „3auberflöte" unb an gewiffe Eeremonien
beS FrcimaurerbunbcS erinnern möchte, meid)’ öeßterer ja mit
ben alten äghptifdjen 2Rt)fterien in gewiffem 3ufammenhange
ftehen will. Sn Bezug auf bie aftrale Sphäre ober Ebene
möchte ich n °(hi benjenigen öefer, ber hierüber näheren Stuf*
fdjluß hüben möchte, auf bie im Berlag Bon SB. Friebrid) in
Seipzig erfchiencnc beutfehe Uebetfeßung einer Schrift öeab*
beater’S über biefe Sphäre, fowie auf beffen: „Unfidjtbare
Reifer" hinweifen.
SBir glauben bamit baS ©eljeimniß ber alten großen
fßhramibe Bon ©izeß wenigftenS einigermaßen erfcßloffen z«
haben, unb id) möd)te mich Bon bem öefer mit bem SBunfdje
Berabfchieben, baß es ihm, wenn bieS nicht fchon ber Fall
mar, nod) befdjieben fein möge, biefen wunberbaten, aus
mächtigen Duabern zufainmengefeßten fteinernen Berg felbft
Zu fchen mit feinem fchmncflofen Sleußent unb feinem ge*
heimnißoollen Snnern, unb baß er bann beziiglid) biefeS
öeßteren, nicht wie cS mir erging, auf bie SBeiSheit feines
Baebetcr’S allein angemiefen fei. Ueberljaupt wirb ber. Welcher
fich, c h c er bem öanb ber ^ßh ataonen mit feinen.^ßpramiben,
Tempeln unb Sphinjen einen Befudj abftattet, in bet hi et
erwähnten öiteratur etwas näher umfieht, bieS gewiß nicht
ZU bereuen haben. Er wirb bann mit ganz anberen Smpfin*
bungen baS Snnere ber großen ißpramibe betteten, als ber
gewöhnliche Sourift, ber bort Bor lauter SRäthfeln fteht, bie
er nicht zu löfen oermag.
Feuilleton.
- Wacftbnirf netboten.
Ifohes Spiel.
33on £onts <£ouperus.
bem 4)oIIänbifcftcn.
war am borgen frü§ f in 3nt roftgen i)?cbel föiuis
merten in ber gerne bie bläulichen Umriffe ber S3erge Don ®ptru$, unb
Don bem b L1 tf)9ekgenen ©djloffe fenften fich 8«^ 9tteer bie hc^Uchen
Olivenhaine, bie ©eberrfcher ber 3nfcl. (58 mar noch fe$r früh,
fecf)8 Uhr, ba8 6chloh lag au8geftorben ba, breit, vieredig, mit feinen
langen §äulengaflerien, bie mit Jahnen unb 93ilbmerfeit oerfchmenberifch
gejehmüeft maren. Unb eigen mar e8, in ber Oebe biefe« borgen« bort
ein junges 9Käbd)en ju feben, ba8 an einen marmornen fiömen lehnte
Digitized by v^. ooQie
Nr. 17.
Die (ßegetttoari
269
unb auf baS ropg fdjimmernbe Wfeer ftarrte. Sic morfjtc ein= ober
gtoeiunbgroangtg fein unb faß feßr gart auS im ropgen W?orgenli4te, gleicf)
einem Afabafterpgür4en groifeßen ad' ben anberen Statuen auS Vronce
ober f4toerem Marmor , unb als fei pe, gang in SBeiß gef leibet, eben
erft lebenbig unb faft unmerfbar befeelt morben, in biefer gried)ifd)en
2Korgenrötße. Unberoeglicß ftanb fie ba, bie klugen auf baS Wteer ge=
richtet, ben Arm auf baS Söroenßaupt geftüßt. SS mar als umfeßroebte
fte etmaS SugenbltdjeS, Unp4ereS, §ülflofeS, roie Don einem großen
SHnbe, mit ihrem garten Silienteint, auf bem ein paar feine Sommer^
fproffen mie golbene fjlecfchen p4tbar maren, mit ihrem golbblonben
$aar unb ben fmaragbgrünen Härchen äugen. Unb hoch mar fte nicht
fchön gu heißen: ihr gauber entftrömte rooßl nur ihrer ftinblicßfeit.. .
(SS mar fedjS Uhr. Seltfam, baß fie fo früh f4an baftanb; noch
feltfamer, baß bie Valfontßüre leife ficb öffnete, unb Königin Alejanbra
nun auch auf bie Batterie hinaustrat. Sie bliche p4 um mit ihren
bltfcenben fchroargen Agen, bie Seibenfcßaft, ^^rgeig f glüßenben Sehens*
burft fprüßten.
„Siena!" fprach fie leife. 3ß« Stimme tlang munberfam magneti-
prenb. Unb oietteicht lag nun, ba fte auS ihrem Sanbe öerbannt mar,
ihre größte SRacht in ihrer Stimme. Sofort horchte baS Räbchen auf,
manbte ftch unb lief ber Königin entgegen, bie pe füßte, als märe fte
ihre Tochter unb pe mar bocß nur ihre §ofbante. „2BaS machft Xu
hier, mein $Hnb?"
„34? Nichts, Wtojeftät! ich fonnte nicht mehr fcßlafen."
„Unb roeßßalb nicht?"
„34 tücig eS nicht; ich forntte nicht/'
Xie Königin fchroieg eine Sßeile unb bliche auf baS Wteer hinaus.
2Bo ftch bie Abhänge ber 3nfel fenhen, lag bie Stabt unb eingelne Schiffe
im #afen, fonft mar nichts gu fehen. „SSann mirb bie 2)ad)t Seiner
Stfajeftät in SßajoS erroartet?" fragte pe plößlid). Siena erbleichte. „34
glaube um ... um a4t Uhr."
„34 ba4te, f4on früher."
,,SMg«4
„Vrtant fagte mir geftern Abenb: um fieben."
„SS fann fein . . ." ftammelte baS Räbchen. Verrounbert blirfte
bie Königin pe an. „Unb Sure Wfajefiät felbft", glaubte Siena fagen
gu muffen, „fonnten mohl auch ni4t mehr fchlafen?"
Wocß immer bliefte bie Königin pe groß an; bann lächelte fie unb
fagte mit ihrer roei4en Stimme, bie Don Derhaltener Wtelobie bebte:
„Wein ... 34 baeßte fo Diel an Seine Wtajeftät; ich höbe meinen Sohn
feit fünf Monaten ni4t gefehen."
„3a, feit fünf Monaten."
„Wi4t maßr, eS ift f4on fünf Monate her?" mieberholte bie
Königin mit befonberem Wa4brucf. Siena f4toieg, unb bie Königin fuhr
fort: „Unb nun moHte i4 hier auSf4auen nach bem C>afen, biS bie
JMü fommt." XaS 2Jtöb4en mürbe um einen S4ein bleicher, unb
bo4 hatte bie Königin Ades nur na4läfpg ßingeroorfen. Wun trat fie
gu einem bort aufgeftettten gernroßr, beugte pch etmaS Dornüber unb
guefte hinaus. Xann ri4tete fte ftch auf unb fragte: „2Bir rooüen aijo
hier bleiben, ni4t mahr?"
„5Bte Sure Wfajeftät befehlen", antmortete Siena leife.
Xie Königin hatte P4 gefegt. Wun feßroiegen Veibe unb faßen
müßig ba, müßig unb Doller Srmartung. Xann fpra4 bie Königin
nach einer langen $aufe: „34 freue mich, baß SSlabimir fommt. SS
ift roirfli4 re4t öbe unb langmeilig hier, obmohl mir fo Diel Säfte
haben."
„SBarunt bleiben Sure Wfajeftät hier? können Sie nicht ita4
SBien gehen, na4 VariS?"
Xie Königin f4aute pe an. „XaS fann nicht Xein Srnft fein."
„Unb marum ni4t?"
„9Beil Xu re4t gut meißt, baß i4 in 3Bien ober in ^ariS . . .
Seine 9Jtojeftät Diel feltener fehen mürbe."
SS mar als litte baS 2J?äb4eit bei biefen Sorten unter einer ßef=
tigen Srfchütterung; in ihr erma4te mie eine Vermutßung, bie Königin
fpiele mit ihr, aber fie mar ein merfmürbig pafpDeS SBefen: pe mußte
biefeS Spiel bulben, pe fonnte nicht anberS. „Unb marum müßte baS
fern?" fragte pe faft meeßanifd); bie $öorte famen fo, pe fonnten ni4t
anberS.
„SS ift fo feßroierig für Seine Wfajeftät, incognito na4 2Bten ober
na4 ^ariS gu reifen, unb offtcielle Vefucße föttnen ft4 nüßt gar gu oft
roieberßolen. £>ier ift baS AüeS gang anberS."
„©eroiß, baS ift fo."
„Iber eS ift hier roirfluß langmeilig, feßr langmeilig." Sie ließ
langfam bie Arme f4laft ßernieberfinfen, faul, apatßif4- ©ie toar Derbannt
auS Xracien, ißrem fleinen ftönigveuße, roegen mißglüefter Sutriguen,
93aßlbefte4ungen, aüerßanb S)ur4ftecßereien mit ben Wttniftem, Derbannt
auf Anrathen ber ©roßmä4te, — inbeß ihr Sohn, bur4 bie nämli4en
Sroßmä4te auf ben Xßron gehoben, gur Regierung gelangt mar, — unb
nun langmeilte pe p4- 2fto4te pe immerhin in ißrem S4Ioß einen fleinen
§of um p4 haben unb bie Voßfcme ber europäifeßen gürftenßäufer gu
Safte laben: pe langmeilte fieß. Sie mar gur Sntrigue unb ^errf4oft
geboren. 3h r genügte eS ni4t, baß fic f4ön mar, eine rei4li4e Wpanage
hatte unb nur ihren Saunen leben fonnte: pe fonnte oßne 3ntriguen
nießt leben. Solche Wta4enf4aften, mie jeiner 3eit roäßrenb jener 2Baß(en
mit ben Wiiniftern, ben Staatsmännern, — ein europäifeßer Scanbai
— baS mar ißr Sleinent. 3hrc Verbannung mar ißr beS romantifeßen
VeigefcßmacfS megen ni4t gangunmillfommengemefen. ©ennmitVeftimmt^
ßeit hatte pe barauf gere4net, halb im Triumph gurüefgufehren; unb bann
hätte man moßl in ißrer Verbannung ui4tS ?lnbeveS gefehen, als eine
interefjante Vergangenheit. Mein ber Triumph blieb auS. Wun fam
ißr Soßn, Äönig SBlabimir, auf ein paar 3öocßen gu Vefucß. Unb melcße
Ueberraf4ung mürbe er ißr bringen? 3)en Vefcßluß ber Stäube, ber
fie guriidrief? Wcß mie feßr pe eS au4 h°ff lc r f° gtoeifelte pe bod) ba^
ran, meil pe ben SBiberftanb ber QJroßmä4te nur allgu gut fannte unb
fürchtete. UebrigetiS mar ißr ßßon bie Sßronbefteigung ißreS SoßneS
eine große Snttäufcßung; pe hatte nur bamalS in ber erften Srregung
ni4t glei4 baran benfen fönnen. WbeT bereiten bie Sreigniffe beS SebenS
nießt immer Snttäufcßungen ? $a märe ißr bie Verfünbung einer We=
publif noch miüfommener gemefen. Unb bann fpäter mieber gurüd im
Triumph ... So aber fonnte pe nur no4 auf bie Aufhebung ißrer
Verbannung unb bie Wföglicßfeit ßopen, einen Sinfluß auf ißren Soßn
auSguüben. S4roermütßig umfeßroebten fie fol4e ©ebanfen in bem
ropgen Wforgenlicßte, unb fie bliefte auf Siena, bie ftitl unb bleuß ba-
faß. Unb etmaS begann Seben unb &orm im ©ebanfengang ber Königin
gu geminnen. 28ir roerben feßen, baeßte pe. Unb fie fußr fort, Siena
feßr aufmerffam angufeßauen, unb pe fanb, baß bieS gebred)U4e blonbe
^inb mirfli4 auSfeße, als mare eS bagu beftimmt, ein Opfer gu merben.
SS giebt Wfenfcßen, bie bagu geboren pnb, geopfert gu merben. Unb
bann bliefte pe ßinauS auf baS 3Jfeer unb bie Verge Don SpiruS. Unb
füll faßen bie beiben grauen ba unb faßen auS na4 ber ?)a4t beS
Ä'önigS SBlabimir. SS mar furg na4 peben, als pe enbli4 in ber gerne
in Sicßt fam.
-$ln jenem Xage mar WlleS früß in bem S4loffe, öiel früßer
als fonft. ^er junge $önig mar angefommen, unb alle ©äfte feiner
Wfutter maren bereit, ißn gu begrüßen. 3Bie eine „garden-party“ mar
baS Seben unb Treiben bort auf ben Xerraffen, in ben ©allerien, an
bem immer märmer roerbenben grüßlingStage. Unb fiößlicße ©ruppen
bilbeten fi4, Xamen unb Herren, auch eingelne Uniformen barunter; unb
eS lag über ber gangen ©efedfeßaft ein eigenartiges StmaS, etmaS bitter
3tonifcßeS, etmaS gemotlt ©leicßgiltigeS. 3eber SarfaSmuS mürbe noch
eßnifeßer beantmortet. Verfammelt mar bie Voßbme Don SitropaS gürft=
Iicßfelten: all' jene gefrönten Abenteurer, bie bur4 eigenen ©iüen ober
bie Wta4t ber Verßältniffe ißrem Slenient entriffen maren. 3^ber Don
ißnen ßatte feine ©etreuen um p4, bie auS irgenb einem felbftifcßen
©runbe treu blieben. Unb über alT ben Wfenfcßcn lag eS roie eine
merfmüvbige Xecabcng, bie ein neues gaßrßunbert, etmaS Ungeßeuer=
Digitized by v^. ooQie
270
Die töegentDart
Nr. 17
licpeS $u OerKinben fdjicn, etmaS oon einem näßen Knbe. ©ie etmaS
DämonifcpeS gitterte eS fiüt^tig im Sädjeln unb gürten ber grauen, in
ben brutalen Sdjer$en ber TOinner. Unb über aß 7 bem fcpmebte bod)
ein Waucp fouoeräner. Wopeit, mie ein oerblicpener ©lanj Oon Sfronbia*
manten auS falfcpen Steinen.
gn einer ber ©aflerien, melcpe bie anberen ©äfte einer leifen DiS*
cretion geßorcpenb oerlaffen patten, ging bie Königin SHeyanbra mit
©labimir auf unb ab. Krnft mar ißr ©efpräd) unb flepenb Hang bie
Stimme ber Königin, faft finblicp bie Stimme beS jungen StönigS, als
moßte er Jagen, eS fei bod) mirllid) nid)t feine Scpulb. (Sin großer,
kräftiger Jüngling Oon 19 Saßren mar er, fcpon gan$ SKann, frifcp unb
flott in feiner prallen Uniform unb baS junge SönigSblut feines ©aroenü*
gefd)led)tS jagte in toller Suft burd) feine Bibern. Sein Heiner Äopf mit
bem lurjgefcpnittenen SfrauSpaar, bie palbgefdjloffenen, lauernben 2lugen,
bem finnlicpen, oom männlichen glaum umgebenen Sflunb erinnerten
lebhaft an ben $opf beS jungen Karajaßa; feine Sippen umfpielte immer
ein liebenSmürbigeS Säcpeln, ein Säcpeln opne Diplomatie, aber Oon
Weiterer Sinnlicpfeit. 3n feiner Sfraft lag etmaS ©efcpmeibigeS, mie bei
einem fcpönen jungen Diger.
Die Königin, fepr jung nod),, fepr [cpön, fepr elegant, hing an
feinem 2lrm; fte goß eine glutp järtlicper ©orte über ißn. Sie gab
fid) ihrem Sohne gegenüber, mie fte mar — fomett fte eS magte. Unb
er, mit feinem finnlicpen Säbeln, oertpeibigte fiep noch, unb noch immer
Hang feine Stimme halb tinblid)»frop, halb fchmerglid). Sie fah ihn nicht
fo, mie er mar. Sie fah nicht, baß biefer fräftige 3üngling fcpon 3Rann
mar, an Sförper mie an ©eift. 2113 SJhitter glaubte fie mit ihrer
Sftenfcpenlenntniß ihn leiten $u fönnen nad) ihrem ©ißen. Unb gerabe
baß fie noch immer auf feine angebliche Slinblicpfeit anfpielte, baS brachte
ihn fo außer fid). 9Jein, fo bumm mar er benn bod) nicht mehr!
9lber er fteüte fid) nur fo bumm. ©irtlicp, Sflama, e3 fei nicht
feine Sdjulb. gür ihn felbft mar e3 ja auch eine große Knttäufcpung.
2lber ber üftinifterpräftbent, bie SHtnifter, bie Stänbe, mirHich, e3 mar
unmöglich! Unb bann bie ©roßmäcpte, unb immer biefe efelpafte ©or*
munbfd)aft, befonberS Oon Siparien au3 . . . Unb er fchimpfte meiter.
Darauf begann er Komplimente *u machen, ©te fd)ön fie fei unb fo
jung noch: mie feine ältere Schmefter fälje fte auS . . . Unb mie gut fie
biefe antifen Spipen fleibe. Wur fehr fcpöne grauen mit einem fo fchönen
Deint mie fie fönnten antife Spißen tragen, meinte er, unb jebe anbere
grau mürben fie päßlid) machen. Unb bann mühlte er in ben, ihre
bloßen 2lrme bebecfenben langen Spipen, mit gterig=müfjlenbeu gingern;
unb hoch lag in a(T biefen ©emegungen noch etmaS StinblicpeS. Dann
füßte er fie unten auf ben 2lrm. (Sin peroerfer bummer 3unge, bachte
fie unb liep ißn gemäpren. 0 fie mar auch peroerS, aber nicht bumm.
Da3 patte er oon feinem ©ater. Unb tropbem hatten feine einfchmeicpelns
ben ©orte fie angenehm berührt. Unb fie fepte fid), *og ihn an ihre
Seite, unb ba in biefem 2lugenblid hoch leine Kntfcpeibung oon ihm flu
erlangen mar, begann fie in großer Sebpaftigfeit oor [einen 2lugen ein ©ilb
ju entmerfen Oon aß 7 ben giänjenöen geftücpfeiten, bie ihm ju (Ihren
oeranftaltet mürben. KS mürben noch mehr ©äfte fommen unb ob er
etma in biefer Wtuficpt einen befonberen ©unfd) habe?
JF „3a, bie ©räftn Kofti", roarf er heftig hin.
Sie lachte laut auf. 3ttit feinen lauernben 2lugen bliefte er fte
Oon ber Seite an unb ein finnücpeS Verlangen fchmebte um feinen
fltfunb. 2lber fie mehrte fid); nein, bie ©räfin Kofti fönne fie nicht ein*
laben, benn bie habe fid) fo unmöglich gemacht unb alle Ktiquette außer
2ld)t gelaffen. Da§ ginge nicht. Kr mürbe ärgerlich. Kr hatte auf bie
©räfin gerechnet, unb jebe feiner Saunen mußte hoch erfüllt merben,
fonft mürbe er rafenb. 2lber fte mieberpolte nur immer: — „9?ein,
©labimir, mirHich, ich lann fte nicht einlaben.*
(gortfepung folgt.)
Jlttd bet «^auptftabt.
Die Ankunft auf bem tBaffer.
©enn eS mirHich ber Staub in ber Suft ift, ber unS bie reine
§immeI3*©läue, bie polbfeligfte aller optifepen Däufdjungen, befepeert,
bann hatte Berlin bie ftrahlenbe Weiterleit beS erften grüplingStageS im
3ahre ganj allein fid) felbft ju oerbanfen. SSon ungelinbem 9?orbmcft
gefchoben, mirbelten bide Staubtromben burch bie Straßen unb bemühten
fid), bie paar frifdjen garben, bie ber nörbHcße Sen^ auf ber Palette
hat. ju oermifeßen ober bod) mobifcß ju milbern. DaS Inaßgelbe Sonnen*
licht faß unter biefem Schleier graumeiß au3, unb bem biSchen ©rün,
ba3 ft cf) an glieberfträucpen unb bürrem ©ebüfd) fd)üchtem hetaortoagte,
ließ er bie trifte ^ßalifärbung, beren Scheußlichleit aud) SRubparb ^ip*
ling'S fcßlechte 58erfe nicht oerminbert haben, ^ber e3 mar bod) grüb s
ling geroorben, bei 36 ©rab JReaumur in ber Sonne. Unb bie SWenfdjen
ließen fidj ihre greube barüber burd) nichts üerberben. Sic fchlurften
ftf)mun$elnb ben fein gepuloerten ^oth, ber Oom 2l3phalt aufroadte, unb
lächelten glücffelig, als athmeten fte nicht Katarrh' unb Sdiroinbfud)t*
leime ein, fonbern als feßieften fie fid) an, ben Monarchen eines be=
freunbeten Staates begeiftert empfangen &u helfen. Drbentlicp liebenS*
mürbig maren bie berliner heute. Ktlicpe oon ihnen oergaßen fiep im
grühlingStaumel fogar fo meit, nicht einmal mit ben 2lccumulatorroagen
um bie ©ette ju rennen. Sie fepten ganj langfam ein Sein Oor baS
anbere, blieften ben jungen ©eibern unter bie Wihe un b auf bie grell*
bunten Sloufen, beren heßen garbenglanj ber Staub nod) niept üößig
gebämpft patte, unb ftatrten bann aufmerlfam bie praplerifcp biefen, fett*
glän^enben $nofpen ber Äaftanienbäume htuter 7 m Kaf^ 3oftp an. Sie
tpaten bieS 2lßeS, obmopl eS noep lange nicht geierabenb mar, alfo jebe
Minute, bie man mit folcpen Äinbereien oertröbelte, fcpöneS, baareS
©elb foftete. ©enn niept 2lßeS täufepte, baepte jept Kiner ober ber
Anbere Oon ihnen gar baran, baß oiefleiept jur felben Stunbe in ben
jurücfgebliebenen Sanbftricpen DeutfcplanbS, mo nod) feine Kffen fiep
reden unb feine Sftontanpapiere gepanbelt merben, baS Steinobft feine
lieben, fröhlichen Slütpen öffnete, Schmetterlinge mißtrauifd) auS ben
Suppen froepen unb ipre erften, fepmerfäfligen glugoerfucpe machten,
nacpbenUicpeS SrutOoll in luftigen Heftern feine Heinen Seiber monne*
bebenb an baS ©elege fepmiegte. . .
,,©ir paben ben grüpling, unb mir laffen ihn nicht mehr", fagte
ber junge SftarineftabSoffider ju feinem mettergebräunten greunbe, mäh*
renb er mit blanfen 2lugen auf baS braufenbe ©emiramel beS SlapeS
blidte. „Die hier brinnen in ber Stabt merlen baS erft fpäter, erfahren
eS erft auS ihren 3eituitgett, unb aud) 3P* auf bem Sanbe fträubt Kud)
argmöpnifd) gegen bie neue Krlenntniß. 2lber oom 9)?eere auS fiept
man 7 3 an bem filberneit Duft, ber um bie Stuften hängt, unb man füplt
eS mit jebem ^Itpem^uge. grifcpeS ©lut pulft burd) DeutfcplanbS 2lbem,
bie ©röße einer neuen geit, in uuferem Ataifer unb feinem ftarfen
©oßen oerförpert, melbet ftep an — eS ift eine Suft, gu leben!
Der ^acpbar riidte leicpt an feinem Kplinber unb goß fid) bann
mieber oom Sperrp ©ranbp ein. „3h* merbet ja bie glotte befommen.
Daß fie jebodj ben grüpling bebeutet, baS glaub 7 ich niept. 3d) glaube
niept mal, baß fie eine SHeOolution perauffüprt, mie SJlandje hoffen, eine
9?eoolutionirung unfereS ©irtpfcpaftSlebenS — unb Du meißt, mie feiten
föeoolutionen ben grüpling bringen. 3ch tpeile meber bie Hoffnungen
nod) bie ©efüreptungen, bie fiep an bie neue glotte Inüpfen."
„©efüreptungen?" Der Koroettencapitän lächelte ungläubig, „©er*
fiepe icp Did) recht, ©iSmardjünger? ©efüreptet man bei Kud), baß
bie ScpiffSoerboppelung unS mit biefer ober jener 9Kadjt aneinanber
bringen rairb? DaS märe boep niept $u befürchten, baS märe im ©egen*
tpeil ju hoffen!"
„Unb baS poffft Du mirlli^?"
„2lßerbingS." Kin merlmiirbigeS 3 uc l cn 9* n 9 ^ ®cficpt
beS Seemanns. „Die neue glotte fann nur einen 3*aed paben: fie foß
Digitized by v^.ooQle
Nr. 17.
Die ©egenwart
271
iit guhmft häfjlidje ©efdjehntffc unmöglich machen, Beleibigungen wie
bie, bie wir gäpnefnirfchenb einftecfen mufcten oor Manila unb Apia,
©laubft Su benn, bafj unter Saufenben ein Kamerab ift, Mt bie ©a*
inoafcpmad) oergeffen hat unb ber nid)t in tiefer ©eele mitempfinbet,
tvaS Steberid)S gelitten bat? Nur eine (Sittfchulbigung giebt eS für
unS: wir waren bantalS gu fdjwad). Siberfianb wäre Safjnfinn ge=
toefen. ©obalb bie glotte gebaut ift, oerfdjwlnbet bieje (Sntfd)ulbigung
für immer."
Ser braune ©ioiltft fdjwteg eine Seile. „Baule, bu rafeft. . Aber
laffen wir Seine güfbenen Hoffnungen gunädjft wohloerwahrt im Käfig,
©te finb gu fd)ön, um in ber greipeit leben gu fönnen. Sa febeinen
mir bie erbentwaebfenen Befürchtungen, bie man bei unS ^egt, bod) blau*
fiblcr unb wefentlicb realiflifd)er. 34 habe Sir fcpon gejagt, bafe icb
fic nicht theile, unb ich werbe ®it nachher fagen, wefehalb. 3 wmerbin
hängen fie nicht jo böttig in ber Siuft wie Seine friegerifeben Xräutne
unb ©übfee=NeOand)egefpenfter. M
„Su fprichft jept, Oerftefje ich Sich recht, bon ber glotten=0ppofition
auf bem flachen 2 anb? Ehrlich geftanben, ich begreife unjere Sanb*
UHTtbfcbaft nicht —"
„Seil fte bie neue glotte für ben AuSgangSpunlt einer neuen
9(cra hält? Seil fie beforgt, bafj bie Schiffe beftimmt feien, ben jüngft=
beutfeben NterfantiliSmuS gu ftiipen unb ein SRinifterium Siemens oor=
^ubereiten? Senfe 55>id) buch in ben Sbeengang eines agrarijehen
^folitiferS hinein, ber fich nicht felbft belügt unb gewohnt ift, immer
hiibfch fauber bie ©onfequengen 51 t gieljen. Ntem pat unS offtciell mit=
Qetpeilt, baft bie ©cpiffSOeimehrung ben wichtigen 3roecf habe, bie Brob=
einfubr nach Seutfcplanb gu fiebern. 3e wehr Banger, befto ungeftörterer
©etreibeimport, unb befto größerer. SaS liegt auf ber Hanb. Sie ©chiffS=
Vermehrung foll beS gerneren ben beutfepen Hanbel mit bem AuSlanbe
fcf)üpen. Aber bei biefent etwas 511 platonijcben ©cpup wirb man eS
nicht bewenben laffen. ©inb wir erft 'mal amtlich gurn HanbelSftaat
avancirt, bauen wir unjerem Hanbel gu Siebe prächtige nttb tbeure
J£riegSfd)iffe, bann ftnb wir auch anftanbShalber verpflichtet, ein UebrigeS
gu tbun. Unb bieS Uebrige fürchtet ber Bruber Bauer. Nimm ipnt
baS nicht frumnt. (Sr hat fdjon Oor fieben 3«hren einmal mit HanbelS=
Verträgen bitterböfe (Srfaprungen gemacht. AuS feinem gell werben ge=
tverbS= unb ufancemäjjig bic Niemen gefdjnitten, baran 3nbuftrie unb
^panbel fiep auffchwingen."
„Su bift oon biefer ©cpmargfeperei deiner ©tanbeSgenoffen glücf=
lieber Seife nicht angefränfelt. $11 foütcft fic aufguflären oerfudjen."
„Sieber Snnge — ich tbeile ihren BeffimiSmuS nur aus weit
ärgerem B e fftnüStnuS nicht. 3d) leugne nämlid), bah bie Regierung
jo weit benff, wie unfere greunbe befürchten, ©ie hat gar feine Afjnung,
tvopin ber Seg läuft, frettet fid) mühfam ttou einem Sag gurn anberen
burdj unb fommt oor lauter bienftfertiger Unruhe nie bagu, bie uotp=
tvenbigen golgen ihres SpunS abguwägen. SaS überläßt fie oertrauenS=
voll einem einzigen Ntonne, bem fte ©eele unb ?lthem unb Seben oer=
banft. Unb ich glaube, biefen 3Kann genügenb ftubirt ju haben, um
vorher fagen ju fönnen, baft fid) über ihn nichts Oorherfagen läftt.
5£)arum baffe ich weber nod) befürchte ich etwas. Hoffnung unb gurdjt
ftnb föertwfitätSbacillen. gd) hatre otelntehr mit febweigenbent gataliS=
ntuS ber Ueberrafchungen, bie ba fommen werben. Unb wenn ich auch
nicht Oerbeblen miß, bah ntich eine gemtffe neugierige ©pannung erfüllt,
fo ift biefe ©pannung bod) gan^ objectioer ^atur. Su weiht, ich fann
von meiner s Jtente leben, ich wirtbfdjafte ba oben im Often nur noch
jum ^ßrivatfHaö."
„Sie ber Kampf um bie SRente (Sud) aflefammt oerbieftert unb
verfinftert! ©0 viel fleinlicher 3Rihmuth, fo Diel jwergenhaft groflenbe
Verbitterung in unferer föftlicben bie ein ®efd)led)t oon liefen
forbert! 9Jebmt ©ueb hoch ein Beifpiel an bem groh^ügigen Sefen
unfereS ÄaiferS, oergeht einmal bie liebe ©elbftfudjt unb ben eigenen
Bortheil, ber Allgemeinheit Siebe! ©ottlob, bah idj feinen Ar
unb feinen H a ^ m ^cfipe, mir um ferne HhP°ib e ^ n ©argen ju
machen brauche unb getroft meinen Hoffnungen jit Saffer weiter
leben fann!"
„Sen Hoffnungen auf SeutfcblanbS ©eegeltung, nicht wahr?"
„SRüffen wir nichts beute ober morgen, mit (Snglanb um bie
2J?ad)t ringen? ©inb wir nicht (SngfanbS Nebenbuhler überall ba, wo
an'S geftlanb ber Ccean branbet? SRihgönnt uns @nglanb nicht jeben
Erfolg, ben wir gu erringen trachten, unb liegt eS nid)t in (SnglanbS
wohloerftanbenem 3ntereffe, unSjnieberjufcbmettern, je eher, befto helfet?
' KeinenfaHS barf unb wirb eS warten, bis wir ihm ju ftarf geworben
ftnb. ©ein Neib unb fein ©elbfterhaltungStrieb werben unS, fei eS
nun mit fortgefepten Nabelftichen, fei eS in brutaler H e ™uSforberung,
üum entfdjeibenben Saffengange jwingen. Sehhalb müffen wir rüften,
waS baS geug hält, um nicht überrumpelt werben gu fönnen, unb befj=
halb bebürfen wir ber glotte, auSfd)liehlid) behhalb."
,,©raf Bülow oerfolgt eine etwas anbere auswärtige Bolitif, als
bie Su jept im friegerifchen grühlingS=9?aufche ffij^irft. Sir haben *
©eheimüerträge mit ©nglanb gefchloffen; H err ßhamberlain will fogar
Oon einer ACHang wiffen. Ser gahrt nach Sinbfor ift Me Begegnung
in Altona gefolgt, unb heute fchon ftebt feft, bah ©eine Nfajeftät bie
fportfrohe ©oweS-Soche in ©nglanb oerbringen wirb. Sagegen hat
man ber Burenmiffion runb unb nett ju wiffen gethan, bah fie fich
burch einen Befud) in Berlin überaus läftig machen würbe."
Ser ©apitän hob abweljrenb ben Kopf. „Sie B*ämiffen mögen gu=
treffen, aber Su gichft falfche ©chlüffe barauS. Ser oon unS fennt bie
(Seele beS Monarchen? Ser weih, welche gewaltigen Bläne er gum H*ite
feines BolfeS erfonnen hat unb, fobalb ber ©tern ber ©tunbe günftig ift,
burchführen wirb?"
„©0 glaubft Su, bah uod) immer im Krüger^Selegramm Oon 1896
bie eigentliche ©runblage unferer auswärtigen Bolitif gu fuchen ift?
Sah fie nur lächelnb bie Hülle gefbed)felt h ot unb in anberer ©eftalt
baffelbe 3 tel gu erreichen ftrebt? Sah am ©nbe bie umftänblidje unb
gefährliche Begrünbung ber glottenOorlage, bie ben Hauptbrucf auf
mirthfdjaftliche Sutereffen legt, nur als pbfd) bemalte ©ouliffe gu
betrad)ten ift? SaS Alles glaubft Su?"
„Herr Soctor belieben gu fateebifiren". N?echanijd) griff ber Offigier
nach bem Abenbblatte, baS oon bienfteifriger H an & auf bie SRarmor-
platte bcS SifdjleinS niebergelegt worben war. „Aber wenn Su mein
©laubenSbefenntnih hören willft, ohne alle Sifteleien unb ©pllogiSmen,
SetailS unb Kleinlichfeiten: ja, id) glaube an ben beutfeben grühling
unb bie beutfepe 3ufunft gur ©ee, wie id) an ben Seng um unS her
glaube. 3d) febe ben feften Sillen, ber fich Oon Nebenbingen nicht be=
irren unb ablenfen läfet, ber Nähoerftänbniffe unb Ntthbeutungen nicht
fepeut, wenn er bamit bie ©ad)e förbern fann; ber (Sud) Kleinliche, (Such
Setailhänbler alle überragt, weil er ben groben 3ug in fich hat. 3d)
fel)e bie flammenbe Begeifterung, bie Nuljm unb Nlacht beS BaterlanbeS
allen fernen 3 onen oerfüttben will, id). . ." (Sr oerftummte plöplich.
Sährenb er fo eifrig auf fein ©egenüber einfprad), hatte er halb un=
bewuht eine Notig auf ber elften ©eite beS 3 e iluuö§blatteS gelefen.
©ie lautete:
©ine neue BefleiDungSUorfiftrtft für bie SRarine.
3ept foll bei ben NtorineftabSoffigieren (Oom ©oroettcncapitän auf'
wärtS) ber fehwarge leberne Ntüpenfdjirm am Nanbe mit einer breiten
©olöfticfcrei Oerfehen werben, wie eS in ber englifchen Nlaritte ber
gall ift. Bis gur Kieler Soche foll ber Niüpeitfchirm allgemein ein-
geführt fein. Ser conferoatioe „NeichSbote" bemerft bagu: ,,©ang
abgefepen Oon ber re^t peinlichen Nachahmung ber englifchen Art,
werben aud) burch bie immer prächtigere AuSftattung bie Uniformen
immer theurer unb bnburch gu einer fchioeren Belaftung unferer Offtciere.
Nian follte bie altpreufjifche Art: ©infad), aber tüchtig, beibehalten."
Caliban.
Digitized by v^.ooQle
272
Ute töegenroart.
Nr. 17
|l «igeigen.
feei »eßellungen berufe man (14 auf bte
„(Segettroorf“.
©erfafl üon Sötllielm §er<5 in ©crlin.
Soeben erfdjien:
#eorg non Bunlen.
©in ©barafterbüb au§ bem Säger bet
©efiegten, gezeichnet Don feiner £od)ter
Pari« tttn gtonfeit.
22 Sogen OftaD.
Wlit SBudjfcbmucf Don Sparte Don Sunfen
unb einem Porträt in #eliograDüre.
©ebeftet 6 NL ©ebunben 7 S JN.
Gesaeht
mirb ein Utbactmv für eine
^Berliner S-rauenjeitung. Xäglicb SormittagS
bret Sureauftunben. 3afjre3gebalt 4800 3J?arf
unb jäbrlid) zweimal Dierzefjn Xaae Serien.
Angebote mit Angabe bi^criger 9vebaction8=
Stellungen unb perjonlicber mie brieflidier
©cbviftfiefler-Sefanntfcbaften unter U. H. 972
burcf) Hansenstein & Vogler, A.-G., Ber-
Jin, W. 8 .
JL JL JL jL JL JL JL JL JL JL JL JL JL
niiinniiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiifflnm^
$i$natdt
tm
$unbert Original * ©utaebien
o. ftreunb u. gfeinb: ©jörnion
©ranbeS ©üdjner ©riSpi 33abn
2>aubet ©ßibb Montane ©rotfj
Caetfel fcartmann §ehfe Sor*
bau Äiplinß fieoncauaUo fiin=
bau ßombrofo SRejctytfäertti
SRißta Vorbau Ofltoicr fetten*
lofer ©attSburb ©tenrieroici
©tmon ©fcencer ©utelbaßen
©tanlei) ©toeder ©trinbberg
©uttner Sötlbenbruäi ©emer
Bola u. b. 9t.
ßelj. 2 SRI. Doin Oer lug 6er
©erlin W. 57.
Urteil
feiner Beitgeioffei.
T T ! T T T T ,T T T T T T
Bad Reinerz,
klimatischer, waldreicher Höhen-Kurort — 568 Meter — in einem
schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Glatz, mit kohlensäurereichen Eisen-Trink-
u. Bude-Quellen, Mineral-, Moor-, Donche- u. Dampf-Bädern, Kultwasser-Proeeduren,
ferner eine vorzügliche Molken-, Milch- u. Kefyr-Kur-Anstalt. Hochquellenleitung.
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmangs- u. Verdauungsorgane, zur Ver¬
besserung der Ernährung u. der Constitution, Beseitigung rheumatisch-gichtischer
Leiden u. der Folgen entzündl. Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang Mal» Prosp. gratis.
„Bromwa«ser von Dr. A. Erlenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Kranich aitaar«fthftlntm g mn T
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von */ 4 1 75 Pf. in
der Apoth. u. MineralwaBserhandl. Bendorf (Rhein). Dr. Carbach A Cie.
$ie ©egenttmrt 1872-1892.
Um unfer Säger $u räumen, bieten mir nuferen Abonnenten eine gfinftige
Gelegenheit jur ©eroollftäubigung ber Soüection. So meit ber ©orrath retdft,
liefern mir bie Jahrgänge 1872—1892 a 6 SK. (ftatt 18 SK.), ^albjafträ’
©änbe a 3 SK. (ftatt 9 SK.). Gebnnbene Jahrgänge a 8 SK.
©erlag ber ©eßentuart tn ©erltn W, 57.
©oeßen erftfjien im ©erläge toon Utfye tn Tetpjtg;
Ans feinem frhrn unb ans frinrr Jrit.
SSon
Gnftao Äatpefes.
TOit zahlreichen, tbeilroetfe bisher unDeröffentlidjen 2lbbilbungen (barunter 17 Derfd)iebene
©ilbntffe be$ XidjterS) unb 6 Beilagen mit gaffimtleS Don ^mnbfdjnften.
©r. 8°. Geheftet in elegantem Umfdilög 7 9). 50 elegant gehunhen 9 Ä: 50 W*
Stottern
heilen dauernd Dir. C. Denhardt’s
Anstalten Dresden-Loschwitz und
Buvgsteiniiut, Westl. ilerrl che Lu^e.
Honor. nach Heil". Prospecte pruti'.
A eiteste staatl. durch S. M. Kaiser
W llhelxn I aubgezeichn. Anst. Deutsch!.
Stlab. geb. ©cftrififteüer, btöb- publictft.
(Itter. Äritif) in Berlin tbätig, energ. getuiffen=
hafte 2lrbeit3fraft, Dorj. ©praebfenntniffe (fran=
Zöfifcf) r engüfeb), perf etter etenograpb,
lHafAinettfdireiher (.ftammonb), iucht nnt.
ftcfd). 9 nfpr. in 9 eDattion f Xpeaterfefretariat,
$rrl.=$urf)t)Mg , literar. 3 nfttt. jc. Steüung.
Offert, an b. feyp. b. ©egenroart unt. A. G.
Manuscripte.
3ur S -Bt’i*lag«übernal)me Don 92anu-
feripten biftorifier, politifcper, fcbönmiffcn=
fcbaftlidjer :c. 9?id)tung empfiehlt fid) bie
SSerlagSbucbbanblung Don
Richard Hattier, grannfrijmeig.
(©cgrüitbct 1883).
3n unferem Verlag tft erfdjienen:
pe ©rgemtnnl
ftr fitfrtmt ftdnf sab I
•(icnl-|U| 9 tr 1872 - 1896 ,
. (Srfter bld fünfötgftcr ©anD.
TOt Nachträgen 1897—99. ©elj. 5 uT
©in bibliograpbifcpe« S8erf erften
Nange« über ba§ gefammte öffentlidbe,
geiftige unb fünftlerifcbe £eben ber lepten
25 Qabre. NotbroenbigeS Nacbfcblagebudb
für bie Sefer ber „©egentoart", fotoie
für roiffenfcbaftlicbe jc. Arbeiten. Ueber
10,000 Slrtifel, nach Sfäcbern, 5Berfaffern r
Scblagroörtern georbnet. Xie Autoren
Dfeubonpmer unb anonpmer Wrtifel ftnb
burebmeg genannt. Unentbebrlicb für
jebe SBibliotbe!.
Slucb bireft gegen ^oftanmeifung ober
Nacbnabme Dom
Verlag ber d&egenroart.
»erlitt W 57.
| . . ■ ■■ Thtrltfli«k«i « ■ ■
Technikam Jim miau
m» iM*»!«««- ul SUkm
lUfoaltar«,-TMkafkar «.-Worki
K Dlrecter Jratzea.
miauk
kniJjtiJ
Öismttrdiü flidifglju.
Vornan
Don
t3l?eopl?iC ^oCCtug.
SW U«(fidu»gabc. *WS
'ßreiS 3 s D?arf. ©epön gebunben 4 9Rarf.
Xiefer 59i^marrf = 6apriDi = Noman, ber in
menigen 3abren fünf ftarte Sluflagen erlebt,
erjebeint Bier in einer nm bie |>älfte bifligettn
^olföau^gabe.
Xurd) alle üßuchbanblungen ober gegen ©in*
fenbung be8 Betrags poftfreie gufenbimg Dom
Utriag der Segeatpart,
»erlitt W. 57.
©erantTDorütthn: Kebactcur: Dr. ZbeafbU ßoHtnß tn ©erltn. ftebaetton unb ©Jh'bttton: ©erltn W. t SRanftetnftrabe 7. Drud non $effe * ©eder tn fidHifi
Digitized by v^.ooQle
M 18 .
^SerCm, ben 5. 3flai 1900.
29. Jahrgang.
Band 57.
Pe
SBocßenfcßrift für Siteratur, Kunft unb öffentliche^ Sehen.
^erauööegeßen hon ^otfhtg.
leben $anmibenb nffljetnt etne Jtomnn.
8u ktiieftttt tat Q aOe thukkankhingcn unk HJoftämter.
Verlag bcr ©egentoart in Berlin W, 57.
ütmilWtdi 4 ». 50 Vf. Ctnr Summa 50 *f.
3nferate jeber Hct pro 3gefpaltette $etttftetle 80 $f.
$ttljaö:
©ried)enlcmö feit bem Ihiege. Sou Sofef Sedntanit. — Siteratur unb Äunft. 3)a8 junge TOibdjen in ber Siteratur. SBon
ftrana ©reef. — Au3 ber Wiener ^^eatergcfd)icf)te. SSon ©buarb üon Samberg. — ftcuiUeton. .ftoljcS 6öicf. Son
Souiä ©ouJ)eru$. AuS bem $>ollänbifdjen. (g-ortfefung.) — Attö Der fcauptftaDt. Sörfen=3bt)a. Son Caliban. —
$>ramatifdje Aufführungen. — 9toti$en. — Anzeigen.
(Srttcßenlatib feit bem Kriege.
‘Bon 3ofef »etfmann.
®er SluSgang beS türfifcß*griecßifcßen Krieges bebeutetc
für ©riecßenlanb einen UöUigen ^ufammenbrud), bet ein $Re=
formwert Don ©runb erforberte. 3 uer ft mußte für bie großen
©erlufte beS Krieges ©tfaß gefeßaffen unb baS uon ben
dürfen auSgefaugte Stßeffalien tuieber urbar gemaeßt unb be*
»öltert Werben. ®ie Kriegsanleihe war aud) in etßcblid) höherem
betrage aufgenommen worben, als bie 100 9 RiH. grcS. be*
tragenbe KriegSentfcßäbigung erßeifdjte, benn fie gewäßrfe
einen Grebit öon 8 9RiU. ju ©unften ‘SßeffalienS nnb für
einige 3 aßre einen ßufcßuß ju bem ©taatöuoranfcßlagc, um
bamit ^Reformen möglicß ju maeßen. ®ann legte man an bie
Reform ooit §eer unb glotte bie §anb, eS galt jeboeß uor*
erft, alle unwürbigen unb unfähigen Glemente barauS 31 t ent*
fernen, ©eftüßt auf ein öon ©eiten beS Shonprinjeit Kon*
ftantinoS als ©efeßlSßaber beS §eereS erftatteten ©eneral*
rapporteS über ben Krieg, boeß auch auf ©runb aübefanntcr
Sßatfacßen ftelltc man eine auS ben ßöcßften militärifeßen
ißerfönlicßfeiten gebilbete UnterfucßungS*Gommiffion jufammen,
bie auS bem oorliegenben SRaterial, aus 3 cll 9 enrinueriiebtrt*
ungen, tur 3 im inquifitorifdien ©erfaßten für jebeit baS äRaaß
ber fißutbbaren ©erantwortlicßfeit feftfeßte, worauf bie Kriegs*
gerießte ißreS 3lmteS walteten. ©0 groß war bie 3aßt bcr feßulb*
baren Öfficicre, baß, obgleich anfänglich 3 Wei, brei KriegSgcrid)te
tagten, eS bis in bie 9J?itte beS 3aßreS 1898 ßinein bauerte, bis
fie ißrel£ßätigfeitcinftellen tonnten. ÜRan übertreibt nießt, wenn
man fagt, baß minbeftenS ßunbert Officiere unb babei beinahe
burdßmegS in Gommanboftellen befinblidße ßöhere, öerabfeßiebet,
jurSiSpofition gefteHt ober birect beftraft würben; ein erfcßredlicß
großes ©crßältniß bei ber numerifeßen Kleinheit beS grieeßifeßen
|>eereS! 31 iS erfter ©(ßritt 3 ur fReform beS IpeereS würben
brei ©eneral=3nfpectionen aufgefteHt, Welcße 3 toeimal jährlich
fieß uon bem 3 lI fi Q nbe ber Gruppen unb bef äRaterialS 3 U
überseugen ßaben; auf ®ritl unb 3luSbilbung ber URannfcßaften
foll ftrenge gehalten werben, SRanöuer in 3lbtheilungen unb
SorpSweife ftattfinben. 3llS unerläßliche ©ebingung für bie
Reform ber SBeßrmacßt im ©inne bcr Srßaltung bet ®iSciplin
unb ber ©cßlagfertigfeit betrachtete man bie 3luSfcßlicßung
ber militärifeßen ©erfönlkßfeiten Uon bem politifeßen unb
parlamentarifcßcn Seben. 3 U grell hatten fieß bie folgen
ißrer ©etßeiligung an biefelbe gegeigt, als baß nießt ber 9 iuf
muß Trennung ber beiben ©ewa Iten ßätte erfcßallen muffen.
SRcben biefet gorberung galt eS als 3lj:iom für bie
SBiebergenefung beS bis in’S SRart ßinein tränten unb
bureß einen fdßweren ©eßlag getroffenen ©taateS bie SBefrei*
ung beS öffentlichen SebenS unb ber ftaatlicßen SBerwaltung
Uon berSßrannei berißarteißerrfdjaft. ©etKrieg unb feinegolge*
3 uftänbe hatten im bebeutenben SCRaaße bemoralifirenb auf bie SSer*
waltung unb bie ©erießte gewirtt. 3lucß ßier mußte ein ftarfer
KehrauS ftattfinben. Sftamentlicß SJZißbraucß mit öffentlichen unb
ßinterlegten ©elbcrit ereigneten fi(ß in ftarfer Slnjoßl. Sßon
ben ßeiitofen g°^9 cn her häufigen SBccßfcl beS SerwaltungS*
perfonals unb sugleiiß uon bcr ^äufigteit ber ffierbreeßen,
wie auß uon ber üftaeßläffigfeit beS ®crid)tSperfonalS mag
bie Xßatfadjc fpreeßen, baß im Saßre 1898 bei eine SBcUölfe*
rung uon etwas meßt als 2 Süftiöionen, 140000 . gerießt*
liefje 3lffären unerlebigt waren. 3ludß bie Unficßcrßcit war
nad) bem Kriege geftiegen; SBanben Uon tierfprengten 9Zacß*
3 ügtcru uttb ftrafgerießtlid) Verfolgten bureßftreiften baS nörb*
ließe geftlanb unb ‘Sßeffalien, boeß audß anbere Verbredjeit
unb Vluttßaten meßrten fieß in bebcnflidjer SBeife. 9J?it*
3luSnaßme Uon ®clijanniS mar alle SBelt über bie 9Zotß*
wenbigfeit burißgreifenber Reformen einig unb rechnete an
erfter ©teile eine neue ©ntßeitung in Kreife unb Vcjirfe,
wie auiß eine ©teigerung bcr ©innaßmc ßin 3 U. ^aßlreicße,
ernft 3 u neßmenbe ©timmen meinten, baß eine wirtlicße ©effe*
rung nur bann 3 U erreichen fei, wenn man bie Slyt an bie
SBur^el beS UebelS, an bie Verfaffung legte, unb tßatfäcßlicß
waren bie 3lugcn aller patriotifcß ©efinnten auf ben König
gerießtet.
Sftiemanb bürfte meßr Uon ber ©cßäblicßfeit ber Verfaffung
bureßbrungen fein, als König ©eorg, ba fie ißn naße 3 U 3 um
UoH 3 ießenbcn gactor ber baS ©arteiregiment uerförpernben
Regierung maeßt. ©r erwedt ben ©inbrud eines SJZanneS,
bcr uon einer |>öße rußig jufießt, wie fieß 5 U feinen güßen
ein ©ßaoS uorbereitet. SebenfaÜS ift er nießt ber ÜJZann beS
rafeßen ©ntfißfuffeS, fein bänifcßeS ©ßlegma ßewaßrt ißn Uor
jeber Uebereilung, läßt ißn aber and) bie größten ©reigniffe
fußt ßinneßmen. fRüdfcßauenber 5 ßropßet 3 U fein, ift müßiges
©piel. SEßenn aber ber König unmittelbar naeß bem Kriege,
inmitten beS ßetrfd)enben ©ßaoS, baS ^cer um fieß' Uerfammelt
unb mit bcr Verfaffung tabula rasa gemaeßt ßätte, würbe
baS Volt ficßerlicß, 3lngefid)tS beS uor ben Sßorcn SltßenS
lagernben türfifeßen ^eereS, rußig geblieben finb unb er waßr*
fcßeinlicß bie ©ßmpatßien ©uropaS unb ben ©eifall aller jener
erworben ßaben, bie barin eine erlöfcnbc Sßat crbliden
Digitized by v^.ooQle
274
Die töegeitroart
Nr. 18.
mußten. GS 6efteE»t Wofel fei« ßtoeifef, bafe Sönig Georg nie
an eine fo füfene Sfeat gebaut hat; bafe fie if)m aber tnög*
lid^erhjcife gegtüdt wäre, liefe ber fpäter eingetretene Umfcfelag
in ber öffentlichen Stimmung ju feinen Gunften annehmen.
3m grüfeling 1898, wäferenb jT^effalren ficf) noch in beS
geinbeS §anb befanb, unternahm ber Sönig eine Runbreife
in bem ©eloponeS. Sie glich einem Sriumpfezuge mit allen
Aeufeerlidfefeiten unb ber Stimmung eines folcfjen. ßum erften
SRate feit langer 3eit fam ber §errfcher in unmittelbare
perfönlidje ©erüferuug mit feinem SBoIfe; er fah, wie eS lebt,
oernaf)tn, wie eS benft unb was ihm auf bem £erjen liegt,
unb auch bie ©ePölfetung belam jum erften SRale Gelegen*
heit, baS föniglidje ©aar oon Angeficfet ju fennen. UeberaQ,
im ©erfefere mit Sitten unb jungen, mit Stäbtern unb
©auern, mit einfachen fieuten unb ©erufSpotitifern, bei Gm*
pfang öon Aborbnungen, bei feierlichen ©egrüfeungen ber*
nafem er bie ©erwerben über baS ©arteiregime, beffen
baS ©olf überbtüffig fei unb bie ©efreiung auS bemfelben
bon bem Sönig allein erhoffe unb erbitte. GS war wie baS
GrWachen beS noch nicht corrumpirten ©olfSgeifteS, welches zu
ben fcfeönften Hoffnungen berechtigte. 3u tief ift aber bie
Auffaffung, bafeStaatS»3ntereffe unb©aTtei<3utercffe eins feien,
eingewurzelt, als bafe jene fdjöne Regung mehr als ber AuS*
flufe augenblidlicher Stimmung gewefen fein fönnte. 3 u ^ent
proteftirten alle nicht jur Regierung fealtenben ©arteien,
SelijanniS in feinem ßeiborgan ©ro'it an ber Spifee, auf baS
Gntfcfeiebenfte unb im Ramen ber ©erfaffung hagegen, bafe an
baS ©atlabium beS ©arlamentariSmuS, bie ©arteiregierung,
gerührt werbe. SelijanniS, ber bie SReferfecit in ber Sommer
für fid) hatte. Würbe nicht mübe, bie fortbauernbe Ricfettagung
berfelben als flagrante ©erfaffungSöerlefeung ju bezeichnen.
Sie Regierung, weit baPon entfernt, fich als neutral ju be*
betrauten, arbeitete baran, fich eine SRajorität ju fefeaffen
unb fefeeute babei nid)t pot bem Perberblidjen SRittel jnrüd,
eine ©ermehrung ber Abgeorbnetenzafel einjuführen. Als ob
eine Anzahl Pon 207 Deputaten für eine fo {feine ©ePölfe*
rmtg nicht übergenug wäre. Permehrte man fie auf ber Grunb*
läge einer angeblichen Reuzäfelung um acf)tunbjmanjpg SRit*
glieber, woburch bie grieefeifefee Sammer halb fo oiel ©ertreter
Zäfelt, wie bie gröfeten ©arlamente GuropaS. SRan mufe
wahrlich baran Perzweifeln, bafe eS in Griedjenfanb jemals
einen Staatsmann geben wirb, ber bie oaterlänbifd)en Snter*
effen ^ö^cr ftetlt, als jene ber ©artei. Slcfetunbzwanzig neue
Seputirte heißt fo oiel, wie cbeitfo oiele Stellen* unb Ge*
fdjäftejäger mehr, bebeutet noch aefetunbzwanzig Schwäger
unb 3eitPergeuber in bie Sammet bringen. Such bie unjeit*
gemäße ©eförberung einiger höherer Dfficiere würbe ber Re*
gierung als SBafelmanöPer angerechnet unb mit Recfet, benn
fie fieberte fich an ihnen Ganbibaten.
Unterbeffen würben beS SelijanniS unb anberer ehrgeiziger
©olitifer ©erlangen nach Ginberufung ber Sammer immer
bringenber unb ftürinifcfecr Porgebracfet; man Perftieg fich fo
weit, bie im Sanbe überhanb nehmenbe Anarchie als golge
ber Ricfeteinberufung ^in^ufteden. Sie Regierungsorgane
oermoefeten jwar nicht in Slbrebe ju ftellen, bafe bie ©er*
brechen am ÜRenfcfeenleben unb Gigenthum, unb auch bie
Setbftmorbe fich ftarf oermehrten; baS Gleiche fei aber auch
unter ben früheren Regierungen gewefen unb bie Sammer
Würbe baS Uebel nur oergröfeent. Gin wahrhaft claffifcfeeS
Gingeftänbnife auS bem ÜRunbc beS Organes einer Regierung,
bie immer ernfte Reformen in ihrem ©rogramm ju haben
Oerficherte. ÜRinifter 3aiwiS Perfügte furzet §anb bie Stuf*
löfung ber Sammer Rooember 1898; bie Reuwahlen würben
für ben 20. gebruar 1899 auSgefdjrieben. Ser Regierung
unb ben einzelnen ©arteihäuptern ftanben brei SRonate für
bie Sfenatlagfei*) Z lir ©erfiigung. Sie würbe mit gröfeerer
Sebfeaftigfeit unb Sntenfität, hoch auch * n gröfeerer Unorb*
*) Slbjcfjlufj Don SSa^lcompromiffen.
nung burchgefüfert, als eS feit minbeftenS Saferzefettten
gewefen fein bürfte, benn eS gefefeah baS Unerhörte, bafe
nicht z^ei große ©arteien einanber gegenüber ftanben, fonbetn
bie Regierung, welche im ganzen fianbe Ganbibaten auffteHte,
unb eine Reifee oon Scuten, welche fiefe als ©arteiführer
auffpielten, tämpften um bem SBafelfieg, ben SelijanniS
a priori für fich eScomptiren wollte. Unter biefen Ganbibaten
befanben fich öon befannteren: Sfeeotoü, Srifupi’S reefete
jpanb unb fein Rachfolger, SeligeorgiS unb SarapannoS,
zwei burefe Ramen unb ©ermögen feeröorragenbe ©olitifer
unb ber ehemalige SRinifter beS Aeufeern in ben Gabineten
SrifupiS SragumiS unb noefe einige anbere. Sie SRenge
ber Ganbibaten unb bafeer bie Schwierigfeit, in einem ©e*
Zirfe feinreiefeenb Stimmen für ben ©artei*Ganbibaten zu
finben, brachten bie unnatürüchften SBafelbünbniffe ju
Stanbe. ©on ben guten ©orfäfeen, mit bem Regime ber
abfoluten ©arteifeerrfefeaft z« breefeen, war nichts geblieben.
SBie Permöchte aber auch öer einzelne SBäfeler inmitten ber
ifen umgc6enben Aufregungen beS SBafelfampfeS fich felbft
treu bleiben? So bot bie SBafelcampagne baS gleiche ©ilb,
Wie alle Porfeergegangenen, unb Wenn etwas zur SRilberung
ber Gegenfähe beitrug, war eS ber Umftanb, bafe ber SRinifter*
präfibent nicht perfönlidj, fonbern als Haupt ber Regierung
auftrat nnb feine Anhänger als RegierungScanbibaten auf*
gefteÜt warben. Sic SBafelen unterfefeieben fiefe auch barin
niefet Pon ben anbern, bafe bie Dfficiere nicht baran Sfeeil*
genommen hätten. Sie bafeingefeenbe Hoffnung erfüllte fiefe
nicht. 3m Gegentfeeil. ©ergeblicfe hatte bie ©reffe bie Sfeeil*
nähme beS OfficierScorpS an ber ©olitif als bie Haupt*
urfaefee ber Semoralifation beS Heeres, welcfee zur Sataftropfee
gefüfert feabe, feingefteKt, oergeblicfe hatte ber Sönig bie 3 U ’
Perficfet auSgebrüdt, bafe Pon nun an bie Dfficiere fiefe nur
iferer ©flicfet unb bem Sienfte wibmen werben. H un bert
Dfficiere aller Grabe melbeten fidfe als Ganbibaten für
Sifee in ber Sammer; waS ‘jeboefe baS Unglaublicfefte War:
ber SriegSminifter SmolenSffe fcfelug ftefe auf bie Seite
SelijanniS' unb canbibirtc unter beffen flagge in Attila.
Hätte er wenigftenS, gleich anberen auftänbigeren ©olitifem,
felbftftänbig feine Ganbibatur aufgefteHt, wäre eS immer noefe
ein f(ferneres ©ergefeen gewefen gegen feinen ©often, gegen
ben SBiHen beS SönigS unb weil er bamit felbft ben Dfficieren
ein ©eifpicl gab; bafe er aber als SRitglieb ber Regierung
fiefe bem ÜSafelffenbicate ifereS ärgften Gegners anfcfelofe,
Zeigt Wofel, bafe ben Griechen niefet zu helfen ift unb bafe fie
wie oerblenbet in baS ©erberben rennen.
Ser AuSgang ber SBafelen entfpraefe bem Gfearaftet ber
SBafelcampagne. Seine einzige ©artei hatte einen burefe*
fcfelagenben Grfolg, unb bie Signatur berfelben war eine
arge 3 er fP^ ttcru ng ber SRanbate. Smmerfein zeigte biefer
Ausfall eine Sefferung gegen bie oorfeergefeenben SBafelen,
benn bie oerfeältnifemäfeig große Anzahl Gewählter, bie auf
eigene Sanft canbibirt unb fiefe feinem SBafelcompromife an*
gefcfeloffen hatten, bewies, bafe ein beträchtlicher Sfeeil ber
iKäfelerfcfeaft ber ©arteiwirtfefefeaft überbrüffig geworben war.
3n gröfeerer Anzafel gingen noefe bie Anhänger ber Regierung
unb beS Herceu Sfeeotofi feerPor, pon wefefeen jeber gegen
fünfzig Stimmen erhielten. Gtwa je ein Sufeenb SRanbate
entfielen auf SeligeorgiS, SarapannoS, einige auf SragumiS.
SaS marfantefte Grgebnife biefer SBafelen war bie Rieber*
läge ber Selijanniften, welcfee eS faum auf breifeig SRanbate
brachten. Selbft ber greife Gfeef brang mit fnapper Rotfe
in feinem erberfeffenen SBafelbezitfe Gortfenia burefe. Sn
Atfeen feolte fiefe ber Selijanitiftifcfee Ganbibat General Smo*
lenSffe ben perbienten SRifeerfolg.
Sie SBafelen Pom 20. gebruar unterfefeieben fiefe alfo
boefe Portfeeilfeaft Pon ben bis bafein üblicfeen unb wiefen
moralifcfee Grfolge auf. AIS folcfee fann man. bie SCBafet
einer großen Anzafel parteilofer Abgeorbneten, wie auch bie
Section, welcfee bie SBäfelerfcfeaft bem Perbiffenften ©ertreter
Digitized by v^. ooQie
Nr. 18.
Ute (ftegetttDari
275
ber Parteicorruption erteilte, begeicßnen; biefem ftanb aber
baS liebet entgegen, baß bie Slegierung in ber Kammer feine
Majorität befaß. SBatb nach bent 3 u f ammentre ten beö
§aufeS geigten fid) bie golgcn ber Parteiengerfplitterung.
Ser famofen Sßerfaffung gu golge ift bie Hammer nidjt
actionSfäßig, fo fange mcßt bie SSerificirung ber SBaßlen bureß*
geführt ift. Grft bann barf bie SBaßl beS ftänbigen Kammer»
bureau erfolgen unb ingwifcßen functionirt ein proüiforifcßeS
Präfibium. GS ift baS auch eine grtcd)ifd)e Specialität, baß
ein Parlament 2Bocßen ßinburcß tagen, Sißungen abßalten,
Vefcßliiffe faffen fann,' wäßrenb eS eigentlich bloS de facto
unb nid)t de jure befteßt. Sntmerßin geid^nete fich ßßon
eine Wajorität ab, bie fid) um Sßeotofi gruppirte. Sn ben
SluSfcßüffen für bie SBaßlbeftätigungen befaßen biefe bie
Wcßrßeit. Unter ben angefochtenenen SBaßlen befanb fid)
aucß Winifterpräfibenten 3oiwte, ber baS Wanbat
öon Halaürßta hatte. Wan warf £>errn 3 a ' m i g oor, baß
er um feine SBaßl gu fiebern, einen ftarfen SBecßfel unter
ben Veamten unb gunctionären üeranftaltet, große Summen
für öffentliche Vauten in feinem Vegirfe aufgewenbet habe,
baß biete nicht ortfäffige SBätjter mitgeftimmt hätten, furg cS
roaren bie tanbeSüblicßen Stuf tagen wegen ungefeßlicßer SBaßl*
beeinftuffung. Sutcß bie Gaffirung oon einem Sußenb
Sßafjlacten rechneten Sheotofi’S Anhänger auf ebenfo biete
gegnerifeße Stimmen Weniger bei ber SBaßl beS erften 9Sot*
fißenben, bie für bie ©eftaltung ber Regierung entf«heibenb ift
unb bureß bie Annuüirung ber SBaßl beS Winifterpräfibenten
eine Hrife ßerüorgurufen. Sähet beantragte ber Vericßt*
erftatter biefe unb baraufhin tag ber Antrag ber Kammer
bor. 3ehn Sage fang hielt bie grage, bie SBaßl bon Äatabrtjta
ju beftätigen ober gu annuttiren, bie Hammer in Atßem. Sa eS
gaimiS gelungen war, bie gegen bie Siegelmäßigfeit beS SBaßl*
acteS borgebrachten Anwürfe böttig gu entfräften, fo bilbete
bet gange partamentarifche Stummel nur baS Vorfpiel beS
SabinetwecßfelS, ber cintrat, naeßbem 3aitniS’ Wanbat annuttirt
unb" 'bfe tßedtofifcße präfibentfeßaft Ganbibat SfamaboS
mit bebeuteuber Weßrßeit auS ber SBaßlutne ßerborging.
9lm 14. April teiftete baS Gabinet ben Gib. Wan fonnte
eS mit gug unb Siecht ein Gliteminifterium nennen, benn
außer bem intelligenten, ftaatSmännifcß begabten Vorftßenben
im Winifterrathe unb Winifter beS Snneren, gehörten ihm als
ginangminifter SimopouloS an, bet wieberßolt biefen Poften
innegeßabt, baS HriegSportefeuille unb baS Sieffort ber Warine
übernahmen gwei ber tiicßtigften Officiere: Oberft HomunburoS
unb SeßiffScapitän VuburiS, baS Auswärtige würbe SlomanoS,
einem erfahrenen Siptomaten, anbertraut unb baS Winifterium
für GultuS unb Unterricht befam GutajiaS, ein gang euro«
päifch gebitbeter Wann, ber auch feßon biefe gunction betteibet
hatte. Sie neue Slegierung hatte fid) als Winifterium ber
Reformen eingeführt, unb man erwartete bon ihr VebeutcnbeS.
SßeotofiS hatte ben beften SBiüen bafür, er fonnte eS fich
aber nicht berhehten, baß bie Sieformen nur innerhalb beS
bureß ben StaatSooranfcßlag gelaufenen Spielraumes burch»
geführt werben fönnten. Saher befeßränfte fid) bie Slegierung
barauf, guerft bie wkßtigften unb bringlicßften Sieformen in’S
SBerf gu fegen. Witte Wai brachte fie baS Vubget ein,
WelcßeS 105,7 Will. Ginnahmen gegenüber bloß 99,3 Will.
SluSgaben aufwieS, unb beffen 3‘ff etn angeblich mit größter
©ewiffenßaftigfeit ermittelt worben waren. Sie fonnte auch
conftatiren, baß ungeachtet ber golgen beS HriegeS bie Gin*
nahmen fteigen. .gugteieß hielt ber Winifterpräfibent eine
Programmrebe, welche, wenn fie beS beliebten PßrafenWerfeS
entbehrte, barum um fo fachlicher gehalten war. Gr fünbigte
eine Sleiße oon Sieformen an, welche fo giemlich baS ©äuge
ber Giütl* unb Wititäroerwattung betrafen unb oon benen er gu*
näcßft, auS bubgetären Slüdfidjten, nur einige wenige bringenbe
einbringen wofie. Sie Vefteuerung beS SBeineS unb ber
Hormtßen, biefer beiben ^auptprobucte beS SanbeS, welche
bisher als Gonfum* unb Ausfuhrabgabe eingehoben würben,
Werben in ber gorm oon ©runbfteuer repartirt. Sie Widjtigfte
Neuerung betraf bie Sleueintheilung beS SanbeS in abminiftra*
tioe Vegirfe. Seitbem bie Gparcßien befeitigt worben finb,
Würbe bie politifche Ginßeit, beS SlomoS üiel gu groß unb gu
umfangreich, um oon einem Veamten überfeinen werben gu
fönnen, baßer proponirte bie Regierung bie Gintßeilung beS
SanbeS in fiebenunbgwangig fetbftftänbige VerwaltungSbegirfe
mit einem Sßräfecten an bet Spiße, ähnlich wie eS in granf*
reich ift. 3 u 9f e *ä) Verlangte baS Winifterium bie öitbung
eines fel6ftftänbigen, nicht auS bem |>eere fich ergängenben
ißoligeicorpS, welches gugleicß ©enbarnteriebienfte oerrichten
unb auS 4500 Wann mit einem Oberfommanbo befteßen wirb.
Ser Winifterpräfibent fünbigte aud) Sieformen iw §eere
an, bie Oon bem HriegSminifterium oorbereitet werben unb
ben 3®ed oerfolgen, baS |>eer feiner eigentlichen unb eingigen
Aufgabe wiebergugeben. Surch bie Gntlaftung Oon ber
Verrichtung beS SicherßeitSbienfteS Wäre ber erfte Schritt
bafür getßan. Slun Wirb ein ©efeß eingebracht, ber bie
actiüen Officiere oon ber Sßeilnaßme an bem politifcßen unb
parlamentarifcßen Seben auSfcßließt. Unb SßeotofiS ßielt
SSort. SBenige Sage barauf braeßte er ben ©efeßentwurf
für bie Sleueintßeilung beS SanbeS unb halb nachher auch bie
Vorlage betreffenb bie AuSfcßließung ber Officiere ein. Ser
erftere fanb allfeitige 3 u ftiwmung, Weil er aber alle Srabi*
tionen unb erfeffenen Slecßte berührte, würbe Oon mancher
Seite bagegen Ginfprucß erßoben. 3 U einem waßren ffrofd)*
mäufefrieg geftaltete fidß ber Streit gwifeßen ben Stäbten
Sßeben unb Seüabia um bie Priorität. ViSßer war Sßeben
AmtSfiß beS SlomoS Vöotien; nach ber neuen Gintßeilung
follte eS Seoabia fein, Wogu eS auch berufen erfeßeint, benn
Seüabia ift eines ber bebeutenbften ^anbelScentren beS SanbeS,
Wogegen Sßeben einem ßalbberfatlenen großen Sorfe gleicht
Aber bie Sßebaner poeßten auf ißte ßiftorifeße Vergangen*
ßeit unb proteftirten auf baS fjeftigfte gegen bie Sepoffebi*
rung oon ißren geheiligten Slecßten. Gin lächerlicher 3eitungS*
frieg erwudfS barauS mit bem Schlachtruf: §ie Sßeben!
§ie Seoabia! Sie Sßebaner entfenbeten Seputationen naeß
Atßen, fugten für ißren Ort Stimmung gu machen, unb ba
bie Slegierung feftblieb, empörten fie fid) offen. Grft bie Gnt*
fenbung oon Sruppen beruhigte bie ßißföpfigen ^feubonaeß*
fömmlinge beS GpaminonbaS. Sie Sebatte, welcße über biefe
lächerliche Sache in bet Hammer ftattfanb, geftaltete fich
überaus ftürmifcß unb eS wäre bureß baS proüoeatorifeße
Veneßmen ber Seputirten üon Sßeben, welcße fidß wie
Hnüttelßelben auffüßrten, beinahe gu Vlutoergießen gefommen.
Unb wäßrenb brinnen in ben fallen beS Parlamentes ßäß*
lidße Seiocnfdjaften aufeinanber prallten, fpielte fieß braußen
eine noch häßlichere, weit bebauerlicßere Scene ab: ßunberte
Oon Officieren führten eine lärmenbe Semonftration oor bem
Hammergebäube auf. Gine Verorbnung, betreffenb bie Ver*
tßeilung ber Stäbe auf bie üerfeßiebenen SBaffengattungen,
welche bie gußtruppen begünftigte, üerurfaeßte Sifferengen
gwifdjeit ben Officieren biefer SBaffe unb ber teeßnifeßen Sruppen,
bie auf ed)t gried)if(ße SBeife bureß mü übliche unb fdjriftlicße
Proteftationen, bureß eine Preßcampagne unb fcßließlid» mit
einer offenen Wanifeftation oor ber Hammer in bie Deffent*
licßfeit ßinauSgegerrt würbe. SSaßrlicß, man müßte Weit
fueßen um Veifpiele fo arger Semoralifation gu finben, wie
fie baS öffentliche Seben ©riecßeitlanbS bietet.
3>n ber Hammer naßm SelijanniS immer meßr eine
obftructionifcße Haltung ein, fie üermodßte jeboeß nießt bie An*
naßme beS ©efeßeS über bie Sleueintßeilung unb bie Gr*
rießtung einer politifcßen Poligei gu Oereiteln, unb bamit war
aber baS £>auptreformWer! gefidiert. Sagegen fonnte ber
©efeßentwurf betreffenb bie AuSfcßließung ber Officiere nießt
unter Sacß gebracht werben. GS mußte innerhalb ber con*
ftitutionellen ©rengen gehalten fein, unb man burfte baßer
meßt bem Officier furgweg baS 3tecßt, an ber SBaßlbewegung
tßeilguneßmen, entließen; er ftetlt jeboeß feft, baß ber Officier,
Digitized by v^. ooQie
I
276
Sit ®c0ettt»ari.
Nr. 18 .
bet aud) nur einen 'Sag bom Sienfte megbleibt, ben Anfprucfj
auf Seförbetung üerliert. gut jeben Dfficier, bet mcßt in
unabhängiger materieller «Stellung fi<ß befinbet, hat biefe ©e*
ftimmung bie Sßirfung eines abfoluten Verbotes. Seßßalb
begegnete fie bem fdjärfften SBiberftanbe t>on Seiten ber
mititärifdjen Abgeordneten unb ber Dppofition, beten ©er*
tagungSantrag zwar mit großer 2??eE)r^eit guriicfgehjiefen
mürbe; aber ihre obftructionniftifche Saftif ßintertrieb bie
©otirung beS ©efeßeS in jener Seffion.
Sn einer Angelegenheit, meldje mie leine anbere als eine
baS allgemeine SBoßl berührenbe bezeichnet merben lann,
jeigte fidj bie naefte Sntereffenpolitif in ihrer ganzen ßäß*
liehen ©löße. Sie betrifft bie ©erforgung ber beiben Sdjmefter*
ftäbte Atßen*piräuS, beren ©eüölferung 200 000 Köpfe über*
fteigt, mit Srinfmaffer unb Rußtoaffer. Sa Athen in einer
mafferlofen ©bene liegt, bie burch bie böüig fahlen ©ebirgS*
jüge beS ^ßmettoS, beS fßenteli unb beS ©arncS eingefcßloffen
tft, bleibt eS für bie ©erforgung mit SBaffer auf bie beiben
glüßdjen KepßiffioS unb SlßffoS unb einige fpärlicße Duellen
angemiefen. Unb fo parabiefifdj fcf)ön baS Seben in Athen
fein faitn, mirb eS im Sommer zur Dual in golge bet
SBaffernotß, bie bie Stabt tagsüber in eine Söolfe üon Staub
eingeßüOt hält unb bie burftenben ©emoßner zwingt, mit
bem Weinen SBafferquantum, melcheS brei 9J?al täglich in bie
SBohnßäufet eingelaffen mirb, hauSjuhalten. 5Ran foüte bocß
benfen, baß ein foldjcr unerträglicher ßuftanb fchon längft
Abhülfe gefunben haben müßte, umfomeßr, ba feit üielen
3aßren baS ©roject, ben Stßmpßalibenfee zur ©erforgung
Athens mit Sßaffer heranzuziehen, auf ber SageSorbnung
fteht. SRan müßte aber eine zu gute Meinung bon griedjifdjen
©ürgermeiftern unb Stabtüätern haben, um annehmen zu
fönnen, baß bie alljährlich micbertehrenbe ftürmifdE>e gorbe*
rung ber ©reffe nadj einer SBafferleitung, bie Silagen unb
bie glüdje, melche baS in Staub erftiefenbe unb bürftenbe
©otf ihnen zuruft, ihnen näher am Kerzen fielen fönnte, als
bie grage, mer baS ©efdjäft machen mirb unb miebiel jeber
barait berbienen mirb. Seiber unterließen eS bie früheren
Regierungen auS ©arteirüdfießt, einen Srud auf ben @e*
meinberath z u üben unb eS ift alfo ein SSerbienft beS tperrn
Sßeotofi, baß er biefe SebenSfrage für bie Stabt in bie $anb
nahm unb mit einer befannten Unternehmung einen Vertrag
abfdjloß, ber enblich baS erfehnte Sabfal in UeberfüGe bringen
fann unb babei ben ©emoßnern nur eine geringe Sßafferab»
gäbe auferlegt. Somit fuhr aber bie Regierung in ein Reft
perföntidjer Sntereffen. ©egenprojecte mürben eingebracht,
unb bie Dbftruction einiger Seputirten berßinberte eine emftere
©eratßung biefer Vorlage, bie auch unerlebigt blieb. Sie
Athener müffen noch e ' n Saht länger bie Dualen ber SBaffcr*
noth erbulben. AGerbingS mar bie Seffion bon lurzer Sauer,
benn fchon im Suli fanb ber Schluß ftatt; bei ©otßanben*
fein nur einiger patriotifdjer ©efinnung auf Seite ber Dppo*
fition märe bie ©rlebigung biefer unb anberer ©orlagen mög*
lieh gemefen. Auch ber StaatSboranfcßlag gelangte zur An*
nähme.
Rach ©chluß ber Slammerfeffion nahmen bie Singe ben
regelmäßigen Verlauf unb eS zeigte fidj feinerlei ©efferung. Sn
Sßeffalien treiben bie Räuberbanben luftig ihr fpanbmerf fort;
hier befraubirt ein ©affirer, bort mirb ein Steuereinnehmer
flüchtig, aus bem ©efängniß bon biefer ober jener Stabt
brechen Häftlinge auS, bie bie ©egenb unfidjer machen. Sie
©efdjmorenen fprechen SRörber auS ©iferfudjt ober auS Rache
frei, gür bie im ÜRonat September im ganzen Königreiche
ftattfinbenben ©erneinbemahlen mürben bie ©orbereitungen
mit momöglich noch größerer fpaft unb ©efchäftigfeit getroffen,
benn mit bem SBaßlfieg fommt man birect an bie Krippe.
Sie Regierungspartei brang in ber großen SReßrzaljt ber
©emeinben burch, unb auch bei biefen 2Baßfen erging eS ben
Selijanniften fehlest, glätte ber Krieg nichts anbereS ge*
Pracht, als Abfcßmädjung bet ©arteißerrfdjaft, er märe nicht
umfonft geführt morben. ©r hatte aber einen großen mora»
lifcpeu ©rfolg für baS Königreich ©riechentanb. Sie bon ba
SRäcßten aGerbingS erft nach mannigfachen Peripetien beftätigt«
SBaßl beS Primen ©eorg zum ©eneral*®ouberneur bon fixeta,
ber im Secember 1898 fein h°h> eö Amt antrat, bilbet ben
erften Schritt zur ©rfüüung beS großen SraumeS ber SBer*
einigung beS SRutterlanbeS mit jener Snfel, für melche ei
fo biele Opfer an ©elb unb SB lut gebracht hot Anfangs
Secember mürbe bie Kammer §u einet außerorbentlicßeu
Sagung einberufen. ©on zwei, brei furzen Unterbrechungen
abgefehen, bauert bie parlamentarifäje Seffion noch heute
fort. Sie Regierung fonnte auf bie bereits in’S Seben ge»
tretene Reueintheilung beS SanbeS, mie auch au f bie im 3uge
befinblicße Drganifation beS unmittelbar bem SRinifterium
beS Snneten unterfteGten Polizei* unb ©enbarmeriecorps net»
meifen. ©ine unangenehme Ueberrafdjung mürbe ber Kammer
feitenS beS KriegSminifterS KomunburoS zu Sßeil, er braute
eine ©rebitforberung bon 4 1 / s SRiGionen für theilS gefächene,
theilS erft borzuneßmenbe Ausgaben ein. Sa er fie eigen»
mächtig unb in Unfenntniß beS zuftänbigen ginanzminifterä
üorgenommen hotte, mußte er auS bem ©abinete feßeiben
unb fdjloß fiep fortan ben erbittertften ©egnern ber Regierung
an. ©r mürbe burch ben Dberften SfamaboS erfefct. Uebrigeni
berfidjerte ber ginanzminifter SimopouloS, baß bem getil»
betrage bou 4 1 / 2 SRiüionen SReßreinnaßmen bon mehr als
6 fRiüionen entgegenfteljen merben, inbem bie ©emerbefteuer,
bie ©emeinbefteuer, bie Abgabe bom SSieh unb bon ba
Korinthen 3 üRiGionen ergeben merben unb auch eine Steige»
rung ber goGeinnaßmen um 2 SRiüionen fiep borauSfeha
laffe. Sie Regierung brachte auch rechtzeitig ben Staate*
boranfdjlag 1900 ein, ber bie ©innahmen mit 111 345 000,
bie Ausgaben mit 110 241 000 Sr. anfeßt, baßer ein plus
bon 1 074 000 Sr. fid) ergiebt. Als bie mießtigften 3lu$*
gabepoften mären ßerborzußeben: gür baS fpeer 18 735 000,
bie IRarine 7 823 000, bie innere S3ermaltung 14 621000
unb bie StaatSfd)ulb mit 32 609 000 Sr. Ser ©efammt-
umfang beS ©ubgetS meift, bem borjährigen gegenüber, eint
Steigerung bon 6 822 000 Sr. auf, an meldjer bie ©imialjnic»
mit 4 229 000 St. participiren unb bon biefen bie birccten
Abgaben aGein mit über brei SRiüionen. ©ei bem Umftanbe,
baß bie griedjifdjen ©ubgetS feit zwanzig Saßren beinahe
auSnaßmSloS mit bebeutenben geßlbeträgen abfcßloffen, fönnte
man fragen, ob nießt aueß bei biefen bie ©oranfdjläge ftd)
als aÜzu optimiftifd) ermeifen bürften; inbeffen fteßen beftimmtc
ßmeige ber Staatseinnahmen befanntlicß unter ber europäiftba
ginanzcontrole, unb man barf alfo annehmen, baß bie Sn»
fäße beS ©ubgetS ber SSirflicßfeit naße fommen. @S ift alfo
ein Beicßen üon SebenSfraft, baß baS Heine Sanb, unmittcl»
bar nach einem ücrßeerenben Kriege, folcßen mirtßfchaftli^cn
gortfehritt au|meift.
Surcß bie ganze Sagung ber Kammer z»eßt fteß al$
ßäßlicßer ©infdßlag bie obftructioniftifdje Haltung ber partti
SelijanniS, biefeS bereits faum meßr zurechnungsfähigen
81 jährigen ©reifes, bem meßr ober minber bie menigen Sn»
hänget ber Kleinpolitifer SeligeorgiS, SragumiS, Karapanno-l
fecunbiren. Sßrc Dppofition ift feine fachliche, fonbern burtß»
megS perfönlicße, gegen bie Perfon beS erfolgreichen SRinifter*
präfibenten Sßeotofi gerichtet, unb bie üor ben roidjtigften
©erlagen nießt §alt maeßt, fo baß man — horribile dictu —
in ber griechif^en Kammer an eine ©erfdjärfung ber ©efcßäfts»
orbnung benft. UebtigenS ift bie SteGung beS Gabinets
Sßeotofi fefter als je. AuS ber am 6. gebruat üorgenommenen
Reumaßl beS KammerpräfibiumS ging ber Sßeotofi’fcße San*
bibat mit meßr als */ 4 SReßrßeit ßerüor. SBäßrenb be$
gebruar unb SRärz gelangten midjtige ©orlagen zur park*
mentarifeßen ©erßanblung, barunter ©efeßentmürfe, betreffenb
bie Reform ber oberften RccßnungScontrole, baS poft* unb
Selegrapßen* unb Selepßonmefcn unb anbere reformatorifeße
Rfaßnaßmen. ©on großer Sragmeite ift bie 3ur Annahme
Digitized by v^. ooQie
Nr. 18.
Ute ©egenwart
277
gelangte Gonüention ztoifhen ber Regierung unb einer englifdj»
ftanjöfif^en ®ruppe, weihe ben enblidjen SluSbau bet Sinie
ißiräuS—Sariffa üerwirtliht, nac^bem bie im 3af|te 1890
bafür auSgegebene Rnleifje üon 90 ÜRilltonen nominal, baüon
55 SRitlionen effectiü begeben, §um größten Sljeile für anbere
3roecfe üerfhleubert worben war. Ser Somplej üon ©on»
üentionen unb Vereinbarungen mit ber Sürfei, bic bie üölfer»
rechtlichen commerjieUen unb religiöfen ^Beziehungen jwiftfjen
ben beiben Staaten regeln, liegt ber Sanction bet äJiädjte
oor unb bürfte noch in biefer Seffion not bie Kammer ge*
langen. SaS ©efefc, mit welchem ein S(rmee»Dbercommanbo
geraffen unb ber Kronprinz Konftantin jum Oberbefehls»
habet befteöt wirb unb ber zugleich bie Verufung eines
fremben OrganifatorS üorfieht, wirb jwar üon ber Dppofition
unb üon manchen militärifhen Seputirten ftarl umftritten,
bodj unterliegt eS feinem 3meifel, bah eS im SBefentlidjen
burchgeljen Wirb. So barf man benn fagen, bah bie Slera
Sheotofi jebenfallS einen SRerfftein in ber ®efd)ihte beS
griechifchen Staates jurücflaffen wirb.
Sarf man nun hoffen, bah bicfe SBenbung jum Vefferen
bauernb unb fortfchreitenb fein werbe? Schwerlid). Sie
Regierungen haben in ©riedjenlanb ein furjeS Seben, heute
über ein 3ah r fann — aller 2Bahrfdjeinlid)feit fpottenb —
SelijanniS wieber an bie ÜRacht fommen, unb jene, welche
ihn h ei, te erbittert befämpfen, werben fid) wieber um ihn
Jdjaaren. Sie öffentliche IRoral ift ju fehr corrumpirt, als
bah an ihre Steile baS höhere 3ntereffe beS Staates treten
tönnte, nnb auS einem griechifchen Officier wirb nie ein echter
©olbat werben, and) wenn er nicht mehr in ber Kammer
fifcen barf. 3« lefjter §infid|t ift bie hier gefd)itberte Sage
üluSflufj beS Volföd)arafter§ unb biefer änbert fich nicht. So
fann man faum glauben, bah baS fleine ©riedjenlanb, mit
einer Sdjulb üon einet ÜWilliarbe bclaftet, innerlid) burdj baS
ißarteifhftem immer mehr gefdjwächt, einer hoffnungSüolIen
3ufunft entgegengeht.
Literatur unb |tuuß.
Das junge Ülabdien in ber Citeratnr.
SSon Jranj (Sreef.
3n feiner tapfern Rebe gegen bie lex Ipeinje hat Hermann
©ubermann ein etwas grofjeS SBort gelaffen auSgefprochcii,
als et SumaS, Sarbou unb bie granjofen überhaupt für ab»
aethan erftärte. 3n SBirflichfeit ift nicht allein nufer Roman,
fonbern auch unfer üielfah überf(hartes moberneS Srama
noch f e h r ftarf üon franzöfifdjen Vorbilbern abhängig, üiel»
leicht |>auptmann ausgenommen, ber bafür auf Sbfen’S unb
neuerbingS auf Shafefpeare’S unb fwlberg’S Schultern fteht.
Ohne SumaS wäre — wir benfen hier juerft an bie ,,©hte"
unb „Ipeimatf)", an feine Romane unb RoüeKen — auch
©ubermann faum benfbar. Seine SRenfcfjen pofiren unb gehen
auf ben ©ffect, als wären fie in granfreidj gewefen, unb feine
©tfide finb Senbenjbramen, in benen fetten ber echte SppuS
beS raisonneur fehlt, wie ihn ber jüngere SumaS auSbitbete.
©raf Sraft ftammt birect aus „Semi=R?onbe" ab, unb wer
bie „§eimath" mit Sarah Vernljarbt ober ber Sufe gefeheit hat,
möchte barauf Wetten, bah eS fich um ein ^ßarifer Original»
ftfief hanbelt. Ruch Subermann’S SRäbcfjenthpen, bie demi-
vierge Kittp auS „SobomS Snbe" unb befonberS Rofi in
ber „©cfjmetterlingSfchlacht", finb burchauS nach ^ßarifet
Schablonen gearbeitet, ©eben wir alfo einmal auf bie
Originale jurüd!
©hon Satjac war fich ber Vebeutung bewuht, bie baS
junge SRäbdjen im focialen Seben gewinnen muh unb ber
etnften Probleme, Welche bie ©rjiehungSfrage ftellt: „Sie
t
$Räbcf)enerziehung", fd)teibt er in feinem „Rlbert SaüaruS",
„birgt fehr cmfte Probleme in fich- 6ier ift eines biefer
Probleme: Soli man bie jungen SRäbc|en aufflären? Soll
man ihren ©eift unterbrüefen? SS ift felbftüerftänbtich, bah
bie flöfterlidhe Srziefjung ein UnterbrücfungSfhftem ift: Wenn
Sie bie 2Räbcf)en am Senfen üerhinbern, fo forbern Sie
ben plöfclihen StuSbrudj ber ißerfönlihfeit heraus, Wie er fo
treffenb üon SRolierc in feiner RgneS gefefjilbert ift. Unb
Sie fteßen biefen unterbrächen ©eift, bem StUeS neu ift, ber
rafd) unb conjequent im Ipanbeln ift, wie ber eines SBilben,
ben 3»fäQigfeiten beS ShicffalS entgegen!" Sn „Une fille
d’Eve" befteht et auf betfelben ©egenübcrfteHung bet jwei
©attungen üon ÜWäbchencharafteren: „SS giebt feinen ÜJiittel»
weg: bet SRann muh entmeber ein fehr gut übet SlUeS
unterrichtetes ÜWäbchen heiraten, welches in ben 3 e itungen
bie Socalnachrichten unb ©erichtSüerhanblungen gelefen hat,
baS mit unzähligen jungen Seuten getanzt hat, baS alle
Sheaterftücfe gefe|en hat, baS Romane üerfdjlungen hat, baS
fih um bie Religion wenig fümmert unb fich h re eigene
3J?otal jurecht gemacht hat, ober — ein unwiffenbeS aber
reines SRäbchen. Vielleiht liegt ebenfo üiel ©efahr in bem
einen Wie in bem anberen galle." Slber Vatjac erflärt fih
fhliehlih für baS junge 9D?äbcf)en, baS in Unfhulb, fern üon
ber SBelt unb ben Rienfhen, erjogen wirb. Ser |>auptgrunb
ber ©ntartung unferet ©cfeüfhaft liegt für ihn in bem SRittel,
wobuth zumal bie franjöfifd^en ©{jen zu Stanbe fommen: in
ber ÜRitgift. Unb er fdjlägt eine rabicale Reform üor: bie be*
bingungSlofe Sntziehung beS £>eirathSguteS. Sr wünfht, man
folle bie grauen üon ber Srbfhaft auSfhliehen: fie mühten
ber Sorge ihrer Väter, Vrüber ober ©atten überlaffen werben.
Srft, wenn bie Rlänner in ihren ©attinnen niht mehr ein
©ewinn» Object fehen, mürben fie üieHeidjt bei ben jungen
SRäbdjen mehr phhfifh«, inteHectueHe unb moralifhe Sigen»
fhaften unb mafellofe SRütter für ihre Kinber fitchen. 3Bie
man fieht, finb hier fhon alle Probleme ber grauenemanci»
pation berührt, auh bie Quellen üon Sbfen’S Rora aufgezcigt.
Vergebens fudjen wir aber bei gtaubert nah öem SppuS
beS jungen RfäbhenS. SSir finben ihn erft bei Octaoe geuitlet
in feiner „Stritte". Siefe ift in ber Sinfamfeit beS Sanb»
lebenS üon ihren ©roheitern erzogen worben, bie ju alt unb
Zu gutmütig finb, um ihre junge Seele in RlleS einzu»
weihen. So behält fie benn bie Smpfinblidjfeit jener Raturen,
bic üon ben Singen nur baS Schöne unb üon ben SRenfhen
nur baS ©ute-gefehen haben, für ihr ganzes, fo furzeS Seben; fie
ftirbt fogar batan, benn ber Schmerz, ber ihren Seib Der«
nidjtet, hat feine üöutzel in ihrer Seele unb ftammt üon ber
erften Snttäufhung beS wirflihen SebenS, baS z« hart ift
für ihre ibeale 3attljeit. So ift auh h re Siebe für Raoul
ihrem SBefen nah flanz unirbifh; fie wünfht, fie mähten ein»
anber lieben, inbem fie üon ©ott fprähen, unb bah ber
§immel in ihre Seele nieberfteigen unb fih mit allen ihren
©ebanfen üermengen möge — unb als ihr Verlobter ihr
offen feine Ungläubigleit befennt, ba weih fie gleich, bah
fie biefe unerwartete Srennung ihrer' beiben SBefen, bie fie
fhon im ©lauben üereinigt fa|, niht überleben Wirb.
Sin anberer St)puS ift ©oncourt’S Sljftie. Siefe hat nicht
Shbilte’S fromme unb unfhulbige Seele. Unb boh ift auh fie
rührenb in ihrer Rerüofität unb ihrem franfljaften Verlangen
nah 3ärtlidjfeit, baS fie burh ihr äuherlih glänzenbeS Seben
üerfolgt. §ier wollte Sbmonb be ©oncourt bie SRonogtaphie
eines jungen SRäbhenS unter bem zweiten Kaiferreih geben
unb h Q t bafür bie fhärfften Rüancen, bie feltenften unb
feinften garbentöne gewählt, ©herie ift bie Snlelin beS
alten SRarfhaHS ^aubancourt: üerwaift, wie fie ift, fennt
fie nur biefen ©reis, ber fie liebt unb über fie wacht. Von
ihrer Kinbheit an, bie fie faft auSfhliehlih im Sßarfe üon
SRuguet zubringt, unter bem Saube ber alten Väume, zeigt
fie fih einbrurfSfäljig unb empfinblid)- Sie Wirb üon ftarlen
SlngftanfäQen üor bem Sunlel unb ber Sinfamfeit ergriffen;
Digitized by v^. ooQie
278
Die Gegenwart
fte fdjauert bei ber geringften (Srregung jufammen. 9D?it
adjt, neun Sauren empfinbet fie fdjoit eine 2lrt non Selben*
fdjaft für einen Drbonnanjofficier i§re£ ©ro^naterö. ®refe
Seibenfäaft ift ftnbifc^, aber bod) tief. SDüt ben Sauren
toäc^ft itjre (Smpfinbung, toirb intenfiner, tooHüfttger.
„ 3 pw &änbe beftänbtg in $cmbfepupen, bamit fie weife BIei 6 en
füllten, fafe (£p 6 rie ftunbenlang in iprem in träger Anbetung
i^rer eigenen Sßerfon, ihre ßofetterie nur auf fich felbft üerwenbenb, unb
fühlte ft<h burcp einen 59efuch nur unangenehm auS bem unflaren
unb ntpflifepeit 3 uftanbe, worin fte fiep ftetS befanb, gewecft."
Sie geigt einen ganj franftjaften ®efdjmatf in ber 2Iu3-
toaljl ifjrer *ßarfüm3 unb ba£ raffinirte ©mpfinben eines
entarteten nemöfen ©efdjöpfeS.
w 3 eben borgen, 6 ei ihrem erften ©rwacpen, erhob fich baS junge
Räbchen unb taftete, ttocp gan$ oerfeplafert, mit ber §anb nach bem
^arfüm^erftäuber unb begann ba3 Sinnen tpre£ 93ette8 mit bem 3)ufte
weifeer heliotropen gu burcptränfeit. 3)ann wfcfelte fie fiep fofort tn bie
parfümierten 23ettbecfen, inbem fie fiep bemühte, biefelben fo wenig wie
möglich aufaubeden. Unb ben topf bi3 an bie klugen in bie $)ecfe
Derftecft, empfanb fie eine unfäglicpe ßuft, fiep fo bureptränft, umfcpmeicpelt,
erfrifdpt $u füplen Don biefev buftenben ftlüfftgfeit, welcpe fiep üer*
flücptfgte; bann fepien ipr, als ob ipr ganzes noep niept ganj auS bem
©eplumntet erwaepteä SBefen fiep jugleicp Oerflücptigte, als fei e3 in
biefem Söoplgerucp unb 3)uft mit aufgelöft. 3 um ^cplofe fcplief fie
wieber ein unb fanb einen ©enufe in bem ©cplummer, in ben fiep
etwas wie JRaufep unb ein geringes OhnmaeptSgefüpl mifepte."
Der ©ebanfe an eine fieirath, Welcher bie jungen Wäbdjen
mit Ungetoifefeeit unb ©rreaung erfüllt, befdjäftigt noch gar
nid^t ihre Seele; fie ift übrigens überzeugt, bafe fie jeber*
eit eine fefer gute Partie machen !ann. 91 ber bei biefem
finftlidjen ßeben »erben it>re fernen gerüttet, eS erfafet fie
eine franf^afte Vorliebe für ben Dang, ber ifjr unent*
bebtlidj toirb burd) feine Aufregungen. 3b re Sofetterien
»erben immer füfiner. Alle ißre greunbinnen haben ft^on
einen Wann gefunben, unb baS bringt fie gut ©ergtoeifiung.
DaS ©erlangen, fid) um jeben ©reis gu Dcrheirathen, läfet fie
fogar f)äufig bie Sd)tdlid)feit aufeer Atf)t laffen: fie fueßt
einen Wann gu büptren . . . Dann erfaßt Wübigfeit ißre
Seele, fie bat Sebnfudjt nach ßärtlicßfeit, ein ©erlangen ge*
liebt, Dergärtelt, geliebtoft gu »erben. Sb« SÜranKjeit nimmt
eine fdjlimme ©Benbung, ißr ßeben entfliegt, fie fütjlt unb be*
bauert eS. Se^t träumt fie non einem edjten ©arifet Dobe,
in ber ©quipage, in ben ©b am P3*©lqfeeS, an einem fdjöneit
grütjlingSabenb. Der Dob entreißt fie enblid) ibjrer Um*
gebung: fie ftirbt oöQig gebroden unb unglüdlidj. „(S^erie
ift eben nur eine mäbeßenbafte groufrou, beraufeßt Dom ßeben,
»ie fie fiel) an ifjren ißarfiimS beraufeßt ^atte. ©Benn i^r
ßeben normal unb gefunb ge»efen »äre, »ürbe fie eine Dor*
güglicße grau ge»orben fein," meint £enrß ©orbeauj.
ßola’S Wäbcbentppen bieten nur geringes 3ntereffe.
Sie finb ihrer 9?atur nach aufrichtig unb bloß ©efd)öpfe, bie
inftinctmäßig unb gerablinig baf)inleben. So ift bie fpelbin
im „Sonbeur beS ®ameS" eine rubige, abgetlärte unb gefunbe
üftatur. Angelique auS bem „ÜibDe" ift eine entfteßte iliacb*
abmung Don geuiUet’S SqbiDe; ttaS (Slotilbe im „®octeur
^ßaScal" betrifft, fo bat f» »eber bie Sdjambaftigfeit unb
bie Sarüdbaltung, nod) bie (Smpfinbungen, überhaupt »eber
baS (Sebirn noch bie Seele eines jungen WäbdjenS.
Einige »enige Stubien junger Wäbdjen finben »ir auch
bei @up be Waupaffant, ®aubet unb ©ourget. ©ne Steiße
Don Wäbcbentbpen bagegen bei Anbre ®b eu riet, aber fie be*
febränfen fich Alle auf ben ®ppuS beS bübfeßen, frifcßen, natür*
i idß * off en herzigen WäbdjenS. Waupaffant’S Vornan „Une ©ie"
enthält bagegen im erften ®b e 't einige pftjcßologifcß richtige
Streifli^ter auf baS SBefen beS jungen WäbcbenS; eS finb
bie 9teflejionen Seanne’S Dor ihrer §eiratb- Seanne $ bk ,
©raut eines WanneS ge»orben, ben fie Eaum lenitt, ba fx i
nur flüchtig gefeßen bat, »ie baS in ber franjöfifcßen <5^eQ*
feßaft Sitte ift. Sie glaubt ihn ju lieben; bie jungen Säb>
eben haben ja einen folcßen Schab Don ßuneigung Derbmgen,
ba| fie ftets et»aS baDon bem fpenben fönnen, ben man
ihnen als jufünftigen (Satten beftimmt. Sie ftedt fkb tot, ;
ba§ bie ßiebe bie Seelen Derftßmeljen unb alle ihre 'ÄtMjaj* ■
träume Dermirflichen »erbe. Unb bann empfinbet fk encl
®ageS ptößließ, ba| ihre beiben SBeJen fich e»ig fremb j
bleiben muffen: „Sie fühlte, bafj j»ifdjen fie unb ihn eS
fich mie ein Schleier legte, »ie ein fpinbernifj, unb jum «fteo* :
mal »urbe eS ihr Kar, irnjj j»ei SBefen einanber nie bis auf I
ben ®runb ber Seele unb bet ©ebanfen bringen fönnen, ba|
fie Seite an Seite babingeben, fich gutoeilen umannenb, ab« j
nie ineinanber Derfchmeljenb, unb ba| unfere ©ede baS
ganje ßeben einfam bleiben mufe." Seanne’S alte Xante
ßifon, »eiche mit 9teib bie gärtlidjfeiten fiebt, bie ber
©räutigam unb Scanne auStaufcben, unb bie i|r einfameS
ßeben bamit Dergleicßt, fennt baS ®cßeimniß ber Seelen
nidßt; fonft »ürbe fie nur ein trauriges ßächetn Dafür haben
bei bem ©ebanfen, »ie »eit getabe jene SBefen Doneinanber
entfernt finb, bie fich fo nabe ju fteben febeinen. ®aS ßeben
bringt eine folcbe Äette Don ßeiben unb Snttäufdjungen, bajj
bie Wcnfchen DergebenS burch greunbfdjaft unb Sie6e eins
ju »erben fudhen, fie bleiben bod) in unbewegliche ©infamfeit
eingemauert. Seanne »irb Don biefer Sbee Derfolgt, aß fte
an einem fd)önen Sominerabenb mit ihrem ©ater burch bie
mit Srrlidjtern befäete ßanbfd)aft fdßreitet. „@S feßien Seanut,
als erweiterte fich ihre Seele unb Derftänbe fie all’ bie unfteßt*
baren ®inge; unb biefe Keinen ßidjtförper, bie über ben ;
»eiten 9taum Derftreut toaren, »eeften in ihr plö$ltcb bie
©mpfinbung Don bet ©infamfeit aller SBefen, »eteße Alles
entj»cit, AHeS fcheibet, »efiße Alle fern Don bem forttreibi,
»aS fie gern haben würben." ®a fagt fie mit refignirter
Stimme: „SS ift nicht immer beiter, baS ßeben.?? ®ei
©aron feufat: „2BaS »iUft ®u, mein Sfinb, »ir fönnen nichts '
bagegen!" ®iefe lebten SEBorte finb ber ©runbton ba
fchmerjDollen unb fataliftifchen ^Sßifofoßbte Waupaffant’S, unb
fie flingen wieber in bem Schluffe beS fRomanS, toenn bic
alte Dtofalie Seanne gegenüber fich äußert: „®aS ße6en,
fehen Sie, ift nie fo gut unb nie fo fcßlecßt, »ie man eS fieß
benft." (SS liegt in biefeit ©Borten bie gange ÜRußlofigfeit
aller ©lüdSbeftrebungen unb bic ewige Trennung ber SSefen.
©aul ©ourget, ber bie Äunft Derftebt, bie feinften 9?ü*
ancen ber ©rfinbung »iebergugeben, giebt unS j»ei Analqfen
junger Wäbdjcitfcelen: Alba Steno auS „SoSmopoliS" unb j
Henriette SciUß in „ßa Xerre promife". Die lilienßafte
Alba Steno ift eine 3»iöingSfch»efter jener jungen Wäbchcn
Don überirbifefjer ©ragie, »ie »ir fie bei Sbelleb unb ©qton I
finben. ^enriettc Scillt) aber ift intereffanter. ©on ihrer
Wutter in ber ©infamfeit aufergogen, bat fie immer fern Don
ber ©Belt gelebt, in Dölliget Ünfenntnife ber Dinge. So er«
»artet fie Don ben anberen biefelbe fledenlofe Woral, bie iljr
eigen ift, unb fennt nicht bie ©erfteQung unb bie focialen
ßügen. Sie ift breiunbgwangig Sabre alt, aber noch fo jung, |
fo gierlidj, ba| fie faum adßtgeßn fdßeirtt. Da toirb fte bie
©raut Don granciS Siaqrac, ben fie tief' unb wahr liebt
Auch granciS liebt fie leibenfchaftlidj: er bat eine empfinblidje
Seele, bie Dom ßeben tief Derlcfct ift, unb er feßt in bitfe
ßiebe feine gange Hoffnung auf baS ©lücf. Aber feine ©er*
gangenbeit, »el^e burch fein ßeiben gefübnt fein mü§te, fteigt
plöhlich auf unb trennt bie ßiebenben. Unb »eil feine ©raut
baDon erfahren unb eS erraten bat, ftnbet fie eine ©er*
binbung gwifdjen ihnen unmöglich, ba fie ihren ©räutigam
nicht mehr achten fann, obgleich fie ib n noch liebt. — SKan
mufe baS ©apitel lefen, »o baS junge Wäbcßen gu ernti/en
beginnt, »aS man ihr Derfeüllt, bie naiDett gragen an ißre
Wutter über alle ßügen, toeldje bie unerlaubten ßiaifonS bt*
Digitized by
Google
Nr. 18.
Die (Begenroart
279
gleiten, ipre unerbittlidpe Sogif, womit fie biefeiben oerurtpeilt,
ipre 93erwunberung unb ipr ©dpnterj bar übet, bafj ein SRann
einer grau biefelben Sßorte ber Siebe fagen fann, bie et fcpon
einer onberen gejagt pat. $)aS Stile« macpt biefcrt SRäbcpen*
tppuS fo Wapr unb fo lebenSOott.
©pp pat in „Autour bu SRatiage" einen neuen XppuS,
©aulette, gefcpaffen, bie fie fpäter toieber in ÜRabemoifette
@Oe, Soulou, Armine u. f. w. oerwenbet pat. ®pp becft mit
SBomte alle Safter unb Säcperlicpfeiten unferer ®efettfcpaft
auf unb nirgenbS in ipren japlreidpen Sßerfen giebt eS für
fte irgenb ein 3beal, Weber im Seben, nocp in ber ©efeüfcpaft
ober in ber Siebe unb Gpe. ©ie ift eine gerftßrerin par
excellence; fie macpt Stile« lädpetlicp: ®inge, bie ©ereprung
Oerbienen unb fotcpe, bie eS nicpt oerbienen, alte unb junge
Herren, anftänbige unb nicpt acptoare grauen. Unb als edpteS
SBeib tlammert fie fiep gerabe an bie Steinigfeiten, ©ie pat
baS moberrtfte junge 3Räbdpen analpfirt. 3pr erfter XppuS
ift Roulette. ©aulette ift fepr aufgellärt. 2Ran braudpt nur
ju pören, Wie fie einige Stage oor iprer £odpjeit ipren lieben
grennbinnen fagt, waS fie Don ber Gpe erwartet. 3tgenb
welcpe ©entimentalität liegt ipr ganj fern; fie ift praftifcp,
fogar cpnifcp, aber immer offenpergig.
„©tan fie^t es boep gleidj, bafj perr b’Sllali), Sein SBräutigatrt,
fürepterlicp in Sief) Derltebt ift!" fagt eine Iprer gteunbinnen ;u ipr.
„3«benfalf8 Derltebt genug, um fitf) Dott mir gängeln ju'laffen,
»ie «8 mir gefallen roirb," metnt Roulette.
„£po! ©ift Su beffen fo fteper?"
„SurcpauS; fonft mürbe itf) ipn nicpt peiratpen; icp Berpetratpe
miep, um eine angenepmeS fiepen ju paben ... 9lu8 {einem anberen
©runbe!"
„2lber Sein ©räutigam ift fepr nett ..."
,,©etti& . . . roenu Su «8 fo nennen roiHft! SIber baS ift nocp
fein ©runb, miep Bon ipm tpranniftren ju taffen . . ."
„Ipranntfiren! SBelcp’ ein päfslidjeS SBort! C 8 mufj im ®egen=
tpeil fepr füft fein, Semanb ju gepovepen, ben man liebt ..."
„©iedetept für eine romanttfepe Statur, mie Seine; für miep märe
baS ©eporepen nicpt füg. 3<p jüple in mir leinen ©eruf für einen paf*
Üben ©eporfam, unb icp Petratpte eS gar nicpt a !8 ba 8 größte ©lüd
baS . . . Spieljeug irgenb eines £>errn ju roerben . . ."
„Sttcpt .irgenb eines ßerrn', fonbern . . .*
„®cp, als menn fte nicpt Äffe .irgenb einer' roerben, naep lürjerer
ober längerer 3 eü! Slucp roiH icp mit ipm gleicp bon Slnfang an bon
ernften Singen reben; icp roerbe bie Drganifation meiner SePenSroeifc
mit ipm regeln, mein Subget, bamit lünftige ©teinungSBerfcpiebenpeiten
über biefen ©egenftanb bermieben roerben . . ."
Roulette pat eben bie rupige unb geregelte Gjiftenj
bei ipren Gltern genügenb (ennen gelernt, fie Witt jept etwas
AnbeteS. Unb inftinctmägig pat fte fiep oorweg bie ganje
Strategie ber Oerpeiratpeten grau angeeignet, unb ber ©ieg
übet ben SBitlen beS äRanneS wirb ipr leidpt. ©ie pat fdpon
Alles gelefen, unb wenn ber ©atte ipr am Sage naep ber
§odpjeit ein ©uep jur Seetüre anbietet, Don bem er glaubt,
bafj es nidpt oon einem, jungen SRäbdpen gelefen fein fann,
bann lacpt fie ipn aus, benn fie fennt eS fcpon längft. Sebe
iprer Antworten ift eine neue GntpüQung für ipren ®emapl
unb er ftaunt barüber, bie jungen SRäbcpen fo wenig gefannt
ju Baben. SBaS bie Siebe, bie Aufopferung, bie ftinber unb
„anbereS 3 eu 9" betrifft, fo ift ipr baS gang gleicpgiltig.
Unb bodp ift fie ein gutes ©efdpöpf: fie leibet nur nicpt bie
ÜDföralprebigten; fie liebt baS Sacpen, bie Suftigfeit, ben SujuS,
bie gefte. Unb ift baS nidpt natürlicp bei einem Sßefen, baS
6iS bapin eingefperrt gepalten würbe unb jept für ipre ge*
funbe Sagenbtufi ein freieres unb bewegteres Seben wünfdpt?
Sie ift im ®runbe ein lebenSluftigeS fleineS ®efcpöpfcpejt,
banfbar für bie ©ergnügungen, bie man ipr bietet, unfäpig
fii| ju Oerftetten unb ju lügen, offen unb fröplicp, mit einet
ipr eigenen Art, ganj ungenirt unb laut 2)inge ju fagen,
bie man benft, aber nicpt auSfpricpt, unb mit einer gewiffen
greube baran — ftgürlidp auSgebrücft — „bie güjje auf
ben 5:ifcp ju legen" unb fidp fogar oftentatio ben 'Sifdp ejtra
polen ju laffen, nur um biefe greube ju paben. Unb baS
Alles mit einer fouoerünen ©eringfepäpung für AtteS, waS un*
moberit, ju ernft, jü correct ift, für Alles, was nicpt ipr äugen*
blicfticpeS SBergnügen, waS gerabe ipre Gaprice ift. ®aS ift
bie moberne junge ^ariferin. ®pp pat iprer Roulette in
ÜJtabemoifetle Goe unb Soulou 3 nj '^' n 9^f c P' [l,e ^ ei:n gegeben,
bie weniger traffc $“ge aufweifen. Aucp fie befipen jenen
„je m’en fichisme“, jene abfolute SRicptadptung für alles
Gonoentionefle, aber fie finb boep wärmer in ber Gmpfinbung,
Wenn aucp ebenfo offenpergig. SRabemoifette Goe pat ein
fepr gutes £>erj. Unabpängig, offen unb fepr Diel auf ipre
©elbftftänbigfeit ae6enb, wirb fie tropbem ben 5D?ann glücf*
liep maepen, ben fie lieben wirb, ©ie ift ftolg unb giebt eS
nicpt ju, bafj man fie naep bem ©cpeiite beurtpeilt, obgleicp
ber ©(pcin burcpauS gegen fie ift.
Gin anberet ®icpter, ber jüngfte Afabemifet §enri
Saoeban, analpfirt au^ baS junge SRäbcpen, aber et birgt eine
warme Gmpfinbung unter bem Aeufjeren eines fatirifdpen Se*
obacpterS. ®iefer SSorjug geigt fiep befonberS in einem Sucpe,
baS einige ©tubien über bie junge ißariferiit oon peute ent*
palt unb bem er ben Xitel „SeurS ©oeurS" gegeben pat.
©ei ipm finb bie SRäbcpengeftalten oor ADem weniger bur*
fcpifoS als bei ®pp. Gine Oon ipnen, ®ermaine SJtaubuit,
fpriept folgenbe Sbeen über bie Gpe auS:
„3dj roerbe ben 'Kann lieben, ber mtd) liebt. 3cp roei| nicptS unb
fürste ju Diel ju erraten, unb icp miiepte nicpt ju Biel leiben ober
roenigftenS nicpt gleicp. Qcp bringe ben guten SBiOen mit unb bitte
©ott nur um einS: um ^rieben pier im fieben. 216er eS ’fepeint,
als pabe er ipn nur ben ©tünnem unb nicpt ben grauen Berfprocpen!"
SD?atcel ©reooft’S „®emi*oietgeS" fteßt bie beiben Gr*
jiepungSmetpoben ber jungen SRäbcpen einanber gegenüber,
unb Scanne be Gpantel, bie Heine correcte, Oernünftige ißro*
Oinjialin, pat eS leidpt, fiep Oortpeilpaft Oon ber ganjett
SReipe ber fdpönen, perauSforbernben unb fepr etfaprenen
jungen ÜRäbcpen ©reöoft’S abjupeben. ®er SRaifonneur im
©u^e formulirt fepr feparf biefen ®egenfap, als er ber §odp*
jeit ber fleinen perterfen Saqueline be fRouore mit bem
Sebemann Suc be SeStrangeS, ber in bie ÜRepe beS gewanbten
ÜRäbcpenS geratpen ift, beiwopnt. Gr oergteidpt bie junge
©raut unb bie naioe Seanne miteinanber:
„Siefe beiben jungen ©Jäbcpen finb boep trop aHebem bi« einjigen
Bernünfttgen fiäfungen für baS Stätpfel ber mobernen @pe. SBenn man
ipr ben lopalen Sparatter 6eroapren roiD, ipre Srpabenpeit, ipre UnlöS*
licpleit, ipre Sreue, ipre grucptbarleit, fo muff man bie StuSnapme*
erfeptinung,'ben feltenen ©ogel, baS roeipe unfcpulbige fflänScpen fuepen,
roie Qeanne. SBid man fie moberner auffaffen, eine correcte äufjenfeite
mit etroaS mepr Ungebunbenpeit bapinter, bann ift eS beffer, fiep im
BorauS ju fiepern unb miteinanber ju Berftänbigen. Sie ©ittlicptelt
büßt babei nicptS ein. Sie Slufricptigfeit bagegen gewinnt."
XaS ©uep bietet eine ganje Sammlung folcper jungen
SlRäbcpen, bie oor ben Augen ber ÜRänner colettiren, über
gweibeutige ©eperje lacpen unb fogar barauf antworten, ben ge*
wagteften glitt treiben, Alles oerftepen, AtteS wiffen; urib oor
Allem wiffen, bafj ber äRann päufig Oon ber ©erliebtpeit be*
perrfdpt ift, bie man reijen mufe, opne fie ju befriebigen, unb
bap barin bie ganje $?unft, ben SRann ju gewinnen, liegt
@o ift oor allem üRaub be JRouüre, iprem ganjen SBefen nadp
eine Abenteurerin, „leineSwegS gemein, wenn audp entartet",
mit leibenfcpaftlicpem Xempe.rament, ungeftüm unb energifcp,
aber fo fipön in iprem perriiepen, fdplanlen SBudpS unb noep in
ben peroerfeften SRomenten ipren ©tolj bewaprenb. daneben
ftept ipre ©cpwefter Sacqueline, eine Golette, bie auS bem Seben
Digitized by v^. ooQie
280
Di« ®«g«nwttri
Nr. 18.
Sßortfeeil ju jief)en weife unb anftänbig bleiben »iß, bod^ nur
mit bem SSerftanbe. ®ora Salwell ift etwas ju ejotifdfe, fogar
für eine demi-vierge, bie Keinen üieöerfir aber ungezügelt unb
leicfetfertig, cnblicfe Sulktte ülorefac, oon ber bie SDJutter mit
92ad^fic^t ertlärt: „93afe! Me jungen üRäbcfeen treiben feeutc
glirt. @3 ift bie ncucfte ÜRobe. ÜReine Suliette meint, bafe
bk jungen ÜRäbdjen, bie feeute nid)t flirten, fiefe rticf)t ber»
feeiratfeen. 3cf) finbe aber, bafj ®ie, weldje flirten, ebenfo
wenig gc^eirat^et werben . . ." Sief er ganzen „beerbe"
junger ÜRäbcfeen, bie fo gewanbt manöbrirt, weife ÜRarcel
ißrdooft nur bie arme, fdfeüdfetcrne, farblofe, etwas einfältige
Scanne be ©feantet, „baS Heine weifee ©änäcfeen", entgegen»
ZuftcHen. Sie ift auf bem Sanbe erzogen worben, ftc feat
nur fromme Sücfeer getefen, fie liebt ifere ÜRutter fefer. S)aS
MeS ift ganz fcfeön, aber ber SfepuS bleibt boefe auffallenb
blafe. Unb aufeerbem feat fid) biefe Seanne, bie et zur 93er«
feerrlicfeung ber Mgenb feinfteHt, boefe in einer fmifidjt etwas
fompromittirt, waS ifere Unfdjulb nur relatio erfdjeinen läfet:
fie fdjreibt feibft an Jpector le Xefficr, bafe fie iljit liebt, ob»
gleid) er ifer nie gefagt feat, bafe er fie auefe liebe. Sft eS ber
Mfentfealt in IßariS, ber fie fo fcfetiell umgewanbelt feat?
Ober tfeut fie baS auefe auS 0?aiüetät? . . . Unb nun nodj
einige ÜRäbdfeentfepen im mobernen ®rama!
©djoti ©cribe featte und eine ganze ükifec junger
ÜRäbcfeen oorgefüfert, aber eS waren feine Gfearaltere. ©eine
„ingenues“ galten ftetS bie Mgen gefenft, finb züd)tig in
iferent Sßefen, fürchten fid) oor ben Scannern, reben fefer zu»
rüdfealtenb — man feat ben ©inbrud, bafe fie Weber z« benfen
noefe zu leiben Oerftefeen. Slugier unb ©umaS feaben mefer 93e«
obadjtung in ifere ÜRäbcfeentfepen gelegt, aber aud) biefe fpielen
nur eine untergeorbnete, ganz oerfdjwommene üfotle. SDennocfe
taffen bie grauen oon $)umaS wenigftenS baS junge ÜRäbcfeen
erratfeen, baS fie einft waren. ®ie Ißrinceffe ©corgeS,
grancitlon unb anbere feiner 4?elbinncn werfen bereits
bie ernfte grage ber üRäcfeenetziefeung auf. 3m »Ami des
femmes“ finben Wir fogar z roe i redfet intereffante $fepen
oon jungen ÜRäbcfeen. ®a ift juerft bie Heine Salbinc
Seoerbet, welcfee noefe furze ßleiber trägt, obwofel fie längft
erwaefefen ift; aber man weife ja, bafe bie furzen SUeibdjen
ber Södjter bie 3ugenb ber ÜRütter erfealten. Sie tft finbifd)
unb naio, unb wie eS bei einer erften Siebe zu gefeen pflegt,
ocrlicbt fie fiefe in einen befdferänlten üRenfcfeen, ben braüen
Gfeantriit, ober bielmefer in feinen langen 95art, ber ifem baS
MSfefeen eines altaffprifcfecn ÜRagierS giebt. ÜRit iferen
j£feräncnauSbrüd)en unb ülerocnanfällen zeigt fie bereits bie
äpfecre S'omöbicnuatur ber grau. 2lber biefe ©dja ufpielerei
ift. bei ifer ccfet, jo unbefangen ift itod) ifere ©eele. 2)ann giebt
u nS S5uma3 in ber Heineu Ipadenborfj beit «TfepuS, ben wir
fpäter befonberS bei ©fep wicberfinbcn: baS junge ÜRäbcfeen,
baS bem Seobacfeter obcrfläcfelicfe, fdjlecfet erzogen, friool unb
cofett crfcfecint, aber im ©ruitbe anftänbig ift, ein gutes §crz
feat unb baS Seben ernft zu nefemen weife. SBer benft feier
nidfet an bie beriidjtigten Smitationen oon Sinbau, SBluiuen«
tfeal, Subtiner, bie angeblicfe beutfefeen 83adfifcfee, bie feinter
ber ^Berliner ©d)nobbrigfeit eine fcfeöne ©eele oerbergen?
9lud) bie Mnette be 9tioerolleS in „granciüon" ift ber
£fepuS eines jungen ÜRäbcfecnS, ber eine eingefeenbere Setracfe«
tung oerbient, ©efeon ifere geiftrekfeen SReflejionen werfen ein
greUeS ©treifliefet auf baS Problem ber ÜRäbdjeuerziefeung.
„9tße§ luaä id) gelernt: 2e[en, Schreiben Älaoier, @ngll[d)
unb Seutjcb, itntienijd) fingen, SdiliUfd)Umläufen, Seiten, ben SBoljer
u deux unb trois temps unb alle fjiguren beä Gotiüonä fjnbe id;
nur ju bem einen $wtd gelernt, einen Wann ju finben. Sid)t rcafir,
meine Herren, ?lßeä, rooS mir jungen 2Jiäbd)en tfnin, gefdjie^t nur, um
Sbncn ju gefallen? Unb muffen wir un8 nicht bemühen, fo DoUlommen
»wie möglich ju merben, um bie (rl)re unb baS Vergnügen ju haben,
itnferc ganje ©jiftenj für einige angenehme Stugenblidc 3h^ ®afeinä
hiniugeben."
Unb ate fie bei i^rer ©d^toefter grancitlon, nadjbem ftc
ben S^ee feroirt, fi^ biöcret jurucfjte^en tniö unb bie-gteunbe
i^re§ ©ruberö fie jurüdjut)atten fud)en, bemerft fie ettoaö fpi^:
bin nur gefommen, um ben; £$ee gu ferüiren. Jur fpäter
ift mit ber 2(ufentljalt tm 6a(on unterfagt" — „SBefftalb?* fragt
6tani8löS. — w ?Seil 6te bann fo unanftänbige 6ad^en fpredjen foHen,
bie ein junges SRäbdjen ntc^t pren barf." — *®ut, bann »erben »ii
ganj unbefangene $>inge reben l" fagt §enrt. — w 3a, aber mit fdjemt,
bafi Sie bann nicht meljr friool, fonbem oiclmehr langtoeiüg werben."
Unb an anberer ©teile:
,,3d) bebauere eS, in ber (SefeflfdjaftSclaffe geboren gu fein, gn ber
id) gehöre. möchte biet lieber ein tleincS Sürgermäbchen fein, baS
fc^r befdjäftigt unb eine gute ^muSfrau ift. fBenn ich in «inen fiaben
trete, unb bie SBerfäitferin oerbinbltdj lächenb auf mich gutommt, um
gu fragen, »aS ich »ünfehe, bann höbe ich jebeSmal fiuft ihr gu ant=
»orten: w 2Ba8 ich »ünfd)e? Qch »ünfehe an 3h^«^ ©teile gu fein."
28ürbe ich Sftonne »erben, »ogu mein Söeichtoater mid) immer er*
mahnt, ich glaube, eS toürbe beffer fein . . . $od) gleichoiel, ba8 Seben
ift recht öbe . .
9ludfe fie benft an bie Siebe unb fie .wünfcfet fiefe eine
grofee unb einfaefee Siebe, wie fRomeo unb Sulia, wie ^?aul
unb SSirgtnie. Mer eine folcfee Siebe feat fie nie in ben ©feen
gefefeen, bie fie z» beobadjten ©elegenfeeit featte. Um fiefe zu
' oergewiffern, fragt fie §enri, ob cS eine folcfee Siebe giebt
Wie er fie feiner ©efewefter Wünfefeen Würbe, wenn er eine
feätte. j)ie Antwort |>cnri’S ift erfcfeütternb wofer: „9Ra'n
mufe oon ber Siebe nid)t mefer ocrlangen, als fie zu geben
Oermag." — $)ie arme Mnette feat eben ben ©cfelcier beS
SebenS gelüftet, unb baS feat fie ganz traurig gemaefet. Sie
feat begriffen, bafe bie SRenfcfeen, bie Siebe, bie Sfee nidfet
fo finb, Wie ifere träumerifefee SRäbdfeenfcelc eS fiefe oorgefteflt
featte, unb bafe fie fidfe befefeeiben mufe, oom Seben nur baS
28enige zu Oerlangen, waS eS ifer bieten !ann.
©in anfefeeinenb neuer SRäbcfeentfepuS ift burdfe bie „Sfaffec»
feauSpoeten" oon 3ung«9Bien in bie beutfefee Siteratur ge«
lomnicn. ©S finb bie „lieben, füfeen URäbeln", bie wir auS
Slrtfeur ©djnifelct'S SBiener ^feeaterftüden unbfRooellen fennen,
uitb benen baiut auefe ber iRorbbeutfcfee ©rnft oon SBotzogcn
ein ©fizzeubud) gewibmet feat, oon anberen iRacfeafemungen
Zu fefeweigen. 93te ©cfenifeler’S ißoefie ein ©emifefe aus flaoifcfe«
femitifefeen ©inflüffen ift — er unb baS ganze 3ung»9Sicn ber
$ugo |iofmanu 0. ^ofmannStfeal, ©eer«|>ofmann, Slltenberg,
|)irfcfefelb finb jübifdfeer 9lbfunft —, fo ift er oor Mem ein
©dfeüler ber granzofen, Oon benen er ben Ißfauberton unb
bie ©razic ber gorm feat. 21 ber auefe bie Stoffe unb 6on«
flicte unb zumal feine .jpelbinncrt. @r fdfeilbert unS nur
immer bie grau, aber niefet bie ringenbe, fämpfenbe, nur bie
liebenbe, entmeber bie ÜRäbeln ber SBorftabt ober bie oer»
feeiratfeeten SSeltbamen, bie SEroft für ifere iperzenSleere im
Sörud) ber cfeelicfeen 'Sreue fucfeeit. S)ic grofeen 3)amen zeitfenet
er in ber 2lrt oon jpreüoft, ©pp unb Saoeban, unb niefet
einmal bie Keinen füfeen ÜRäbeln finb neu. ®ie oielliebenbc
petite ouvriere ift feit Seranger, üRurger, üRuffet unb Ißaul
be Sod ein ftänbiger ^fepuS ber ftanzöfifefeen Siteratur, unb
wir finben fie — um nur ein ncufteS öeifpiel z« nennen —
in ben tferänenläcfeelnben ©fi§jen ber 3eanne ÜRarni, wie bei
üRaupaffant. ©cfenipler'S ©igentfeum finb nidfet bie matten,
feinen, weiefeen gatbeit, auefe niefet bie intim»pitante ©efeilbe«
rung oon Seicfetfinn uitb SRelancfeolk, fonbem nur bie SSiener
ÜRilieuftimmung, beren ©efetfeeit unb Sebenbigfeit unS aller«
bingS bie fremblänbifefee .jperlunft oergeffen läfet.
Digitized by v^. ooQie
Nr. 18.
Die (SejetMuairt
281
äu* kr Wiener Stjeatergefäiidjte.
'Bon <£bnart oon Samberg.
2Benn ^ieronpmuS Sorm in feinen „3Racu(aturftubien"
auf Jpelmina unb SEBilpelm b. ©pegt) gu fpredpen fomrnt, fo
wirb if)tn IRiemanb ben Dbertitcl beanftanben, benn trop aller
grueptbarfeit ift bon bem „Sänger bei ©agabunbcntpumS"
? iar nichts mepr tebenbig, unb ton bem gefeierten „©lau*
trumpf" unter ifjrcnt kanten nur ein Operntejt, opne ben*
fefben bai „O, wie ift’S möglich bann", wclcpeS ton einem
©olfSlieb auigegangen unb ju einem ©olfSlieb geworben ift.
Snbeffen tann man ton SRutter unb Sopit noch mancherlei
mit Sntereffe geniefeen; fpecietl finb ÜBilpelm’ö ÜRemoiren,
beten Srucpftüdc einft im „üRorgenblatt" SBirfung malten,
ton einer frappanten Dbjectioität unb reich an cfjaraftetiftifcfjen
©injelpeiten, fo bafe bie jeitgenöjfifcpc ERicptbeücfitung, fclbft in
©erüdfieptigung bei uneleganten Stils unb ber SEBeitfcpweifig*
feit, unterbient genannt werben mufe. £>eute ift bai ©u<p
freilich faum niepr aufgutreiben unb beinahe ali SRanufcript
ju betrachten; ei bürfte alfo nicht ali SRaub erfcf)einert, bie
gerftreuten ©enterfungen übet bai SBiener Spcaterleben ju
fammeln unb mit ben fonftigen Uebetlieferungen in 3“fammen»
hang ju feiert.
^>at Sien jemali ben tarnen einer ^^eaterftabt ber*
bient, fo war bai in jenen Stagen ber galt, wo ftdj bie
erften fc^ächternen Anfänge jur Ärinoline geigten, bie Offeriere
wie GlegantS ben halbmonbförmigcn, fpijj gegen bie 2Runb*
winfel gezogenen ©adenbart trugen, bagegen ber Schnurrbart
für eine ungarifche, ber ©oHbart für eine jübifdpe ©igentpüm*
iiepfeit galt, wo bie fwffnftcge auffamen unb bie äReerfcpaum*
pfeife in ©lüthe ftanb. $>a bie SBirtung bei SEffeaterö mit
ber Aufführung nur gut Heineren ^älfte ju ©nbe ift, fo
giebt bie Art unb SBeife, wie ticl, wie allgemein, wie treffenb
unb wie nupbringenb baton gefprodpen wirb, ben eigentlichen
©rabmeffer für feine ©opularität ab, unb in biefer ©ejiepung
fann man ton ben groanjiget fahren nicht ©üprnenS genug
machen. SEBie anberwärtS mit bem SBetter begann in Sffiien
jebe Unterhaltung mit ber ©ühne, nur leitete man biefe ©or»
liebe fomifcher SEBeife baton ab, bafe fiep ber SRittelftanb
genötpigt gefehen höbe, ein Surrogat für bie Safelgenüffe ju
fachen, welche ihm burch bie IRadjmepen ber ÄriegSläufe ent*
gogen worben Wären, ©enug, man war mit bem Speater
ooQftänbig terwachfen, unb alle fünf Raufer erfreuten fiep
unauSgefept eines frequenten ©efucpcS. ©in Schlufe auf
materiellen ©ewinn, wie er in ben breifeiger fahren auftritt,
ift barauS aber nicht ju entnehmen, gumal alle birect unb
tnbirect ©etheiligten freien ©intritt genoffen, fo jwar, bafe
beifpielSweife Ipelmina im ©urgtheater ihren Sperrfip unb in
ben übrigen Speatern e * ne Soge hotte, währenb ifere Söpne
nach ipwt ©orftedung bei ben ©affirern bie ©arterrctpürc
ohne 23eitereS pafferen burfteu.
©ntfpredjcnb bitbeten bie X^eotcrbcric^te ben tornehmften
©eitrag gut SageSgefcpicpte; baS beweifen tor allen ©äuerle’S
Speatergeitung unb beS aRobewaareupänblerS Scpidp „3eit=
feprift für Äunft, Siteratur unb 2Robe", beibe giemlicp ter*
breitet, erftere gu §aufe tonangebenb, Untere mehr auswärts
gefdjäfct. SBelcpe Schwierigfeiten würben aber ber SageS*
literatur burch bie Genfur bereitet! ©rßfeere SRittpeilungen
mufeten in boppelter Abfcprift torgetegt werben unb blieben
oft über ein 3opr liegen, währenb bie Heineren ©eiträge
wo|l in Siirftenabjügen eingereicht Werben bnrften, bafür aber
einer peinlichen SRufterung unterlagen. So mufete immer
eine gange SReipe einwanbfreier Artifel auf Säger fein, um
im SRotpfad als fJüUfet bienen gu fönnen, unb ber Aerger
bei ben gemaferegelten Autoren wie ben in ihren ©ejiepungen
geführten SRebacteuren rife faft niemals ab. Sa ©jceüenj
©raf Seblnipfp nicht blofe ein paffionirter ©orrector, fonbern
auch Speaterentpufiaft war, fo untergog er fich pöcpft eigen»
hänbig ber ÜRüpe, bie Heinere Sparte ju „cenfuriren".
©egen bie SRitglieber ber ©urg burfte grunbfäplicp nichts ge«
fagt werben, ba fie als f. f. Seamte ihren Sienft tpaten, unb
jepon übergenug, bafe in öffentlichen ©lättern babon bie SRebe
war. Aber auch kn öerren unb Samen anberer UE^eoter,
benen ber ©hef woplwoUte, liefe er nichts am 3 eu fl e ftiefen,
unb fo fonnte er manchmal nid)t umhin, S^warj in SBeife
ju oerfeferen ober UnterlaffungSfünben burch e < n paar Sffiorte
ber Anerfennung gutjumachen. SEBaS ben SRotfeftift überftanben
hatte, mufete fofort unb unbebingt genau gebracht werben;
.inbeffen hatte man bei Schicfh bodj ein SRittel gefunben, ben
©eftrengen bot atlju fräftigen Strichen unb gewaltfamen
Acnbcrungen abjuhalten: man fanbte ihm bie uncorrigirten
Abzüge unb tiefe in befonberS ©eforgnife erregenben gällen
ben Safe aufeerbem boit Sehrtingen pcrftellen. ®ann hotte
ber eifrige ©eamte mit ben ©uchftabenfehlern fo reichlich
thun, bafe fich ber ganje SRanb mit 3eith en bebedte, unb wie
ber SRaum fehlte auch bie Suft, auf ben geiftigen ©ehott mit
gleicher ©enauigfeit einjugefeen! ©iefe AuSnahmefäHe finb
freilich faum geeignet, bem SEBiener ^iftorifer feine Aufgabe
ju erleichtern: ift bie ÖueHenfritif, bie bei ber SEf^otergefchtchte
heute noch in ben Anfängen fteht, ebenfo fthwierig Wie noth=
wenbig, fo hat bie Genfur ein UebrigeS gethon, bie SBahrfeeit
ju Oerfchleiern.
kommen wir nun ju ben bramatifchen Richtern, fo galt
in gotge ber Sßropaganba ber SRomantifcr, Welcher fidh ja
auch Schrepoogcl’S SRepertoir unb ©earbeitungSwcifc anfd)lofe,
Shatefpeare für bie 3ugenb als baS unerreichte Sbeal. ©e«
rabc wie jur 3«it beS SturmS unb 3)rangeS fuchte man fich
aber nidjt feine inneren ©orjüge anjueignen, fonbern ahmte
nur Aeufeertichfeiten nach, öor Allem bie rauhe Derbheit.
SEßer freilich in ben literarifdjen Salons oerfehrte, erfannte
atsbatb, bafe fidh für baS 19. Sahrljunbert nicht mehr fchidte,
was in ben 3fit te o ber Königin Glifabeth an ber StageSorb»
nung gewefen war, unb nun ruberten „bie gelben ßanbfd)uhe"
mit aller 2Rad)t in baS entgegengefefete gahrwaffer. 3arte
©mpfinbungen unb bitberreiche, Wohltlingenbe ©erfe fchieneit
ihnen bie ^auptfache, unb inbem fie fich “ber SchiÖer hinaus
bem „Scfewebeln unb .SRebeln" juwanbten, »erloren fie ben
bramatifchen ©oben tiollftänbig unter ben güfeen. 3n ben
Sfränjchen würben bann bie neuen Sßrobucte borgetragen, unb
Wenn auch eine Stimme unb AuSbrudSfähigfeit wie jene bon Sied
einjig baftanb, fo gab eS boep berhältnifemäfeig biel Siteraten,
Welcpe gut lafen — beifpielSweife gehörte au^ fpelmina ba*
ju. SBar aber fepon bei ber ©räfin ginfenftein, wo aller«
bingS borwiegenb hrftorifd^e SEBaare aufgetifd)t würbe, bie
Sangeweile epronifeh, wie pätte eS pier, wo fo biel Unreifes
ju Sage fam, an ©önitern fehlen lönnen, bie fiep „in ber
ERüpe befepen palb fatt, patb rop" geigten?
Ungegwungener als in ber ©egenwart geiftreieper SRänner
unb liebenswürdiger grauen gaben fiep bie jugenblid)en Sinter
unter einanber. SBilpelm’S ©efeUen waren ©rnft b. geudpterS«
leben, ber nach geljnjährigem Aufenthalt bem 3“>onge beS
SperefianumS entwidp, um SRebicin gu ftubiren, Gpriftian
£>uber, eine ppilologifcpe ©apacität, unb AnbreaS Stpumacper,
ein genialer „Schlampet" unb trefflidper Ueberfefcer, ber fpäter
eine perborragenbe Stolle in ber öfterreidpifdpen Siteratur
fpielte — vide „bie ©ngel ber ©eft" — aber bon SRinber*
wertpigen überpolt würbe unb fiep nach feinem unglüdlidpen
Auftreten in ben Octobertagen niept wieber emporarbeiten
fonnte. ®aS bierblätterige Äleeblatt tpeilte fid| ©ntwürfe
unb Ausarbeitungen mit, befpraep bie Ginjelpeiten unb gog
au^ gelegentlich ben feparffantigen §albbruber geudpterSleben’S,
Gbuarb, einen ©nfel beS befannten SRopten Angelo Soliman,
gur Äritif peran. daneben gab eS ftetS etwas gu effen unb
gu trinfen, unb wapre Sriumppe feierte ber ©ommuniSmuS,
ber in ber 3ugenb fo beliebt unb berbreitet ift, aber mit gu»
nepmenben Sopren, wenigftenS bei ben beati possidentes, ftetS
abpanben gu fommen pflegt.
3n ber golge berfeprten bann bie gelben auep mit
ä
Digitized by v^. ooQie
282
Die töegenmart
Nr. 18.
älteren VetufSgenoffen, fo an einem Stammtifd) im Safe an
ber Sde ber ©ingerftrafee, wo fiel) ©cfewinb, Vauernfelb unb
Sol|. äJlaperhofer um granj Säubert als SJlittelpunlt
gruppirten. Ter füfee Sieberfänger war eine Heine, breite
gettmaffe t»on ptofaifdjem ©eptäge, aber baS Sluge funlelte
Wie Temant unb gab ßeugnifj oon bem inneren geuet.
Seiber pflegte er ber VenuS reichliche Opfer ju bringen unb
tf)at ficf) etwaä auf bie Unfälle ju ©ute, bie iljm babei auf
Wilben SBegen jugeftofeen waten; bie 30?üllerlieber h°t er
unter ganj anberen Scf)merjen componirt, als benen beS un=
glüdlichen Knappen, bem er jur Unfterbtichfeit öerf)olfen h“t.
ifad) bem VacchuS war er jugetljan wie je ein Sänger ber
eblen Äunft; wenn aber baS Siebenblut in ihm glühte, fo be»
gnügte er fid}, in einem ftißen SBinlel mit fchmunjelnb ju»
famntengelniffenen Slugen ©läfer, Teller, Taffen, was er ge»
rabe faffen fonnte, geräufdjloS ju jertrümmem. (Sein SBiber»
fpiel war ber bebeutenb ältere SDlatjerljofer, ber ihm manchen
Siebertejt geliefert hat; ntürrifdj, [d)eu unb für neue Slnlömm»
linge unjugänglidj, galt er als ber TppuS eines 3Man<ho«
lüerS, uftb hat benn audj richtig burdj Selbftmorb geenbet.
Tafür war Säuernfelb ein feljr angenehmer ©efeflfchafter unb
fo gemütlich, als nur je einer mit ftiÜ nach innen gelehrtem
Säc|eln bie bunte SlußenWelt an fid) Oorüberjiehen liefe.
Tiefe fonnenheße Höffe beS unbefangenen 3 u f<h QUet $ feat er
fpäter nicht immer behauptet; aufgewadjfen unter bem Trud
beS SolijeiftaateS oerirrte fid) fein greiheitSbrang Oom üater»
tänbifdjen Voben in baS unfruchtbare ©ebiet eines Weltbürger»
liehen SeferbegriffS unb lonnte ben SlüSgang nicht fo finben.
Wie eS 2tnaftafiuS ©rüu oerftanben hot. „gür bie Oefter»
reicher ber SRettemich’fchen 3eit," f°0t ßh e Jh- „gat>’S aller»
bingS leinen anbern Sßeg, als burd) ben Rotted»2Bellerifd)en
SiberaliSmuS, nur burftc man barin nicht fteden deinen
ober linls Ijmabfchmeifen. Stm wenigften fottte baS einem
dichter beS 19. SahrfjunbertS paffiren, ber bie ©egenwart
aus ber Vergangenheit begreifen mufe; ju gleichförmigen
Schlufefolgerungen über SWittel unb SBege für bie 3 u ^ un fl
Wirb er baburdj natürlich nicht gelangen, wohl aber fich Oon
aller VuHenbeifeerei fäubern, ba für ben Zünftler ber SDlenfdj
in erfter, ber Staatsbürger in jweiter Reifee ftefet." Ueb»
tigenS waren bon Vauernfelb, ber fi<h bamalS noch nicht
bem jeitgenöffifcfeen Sehen jugewanbt, aber bereits bie ent»
fchiebene Dichtung beS SuftfpielbicfeterS eingefcfelagen hatte,
mehrere Sachen im Trud erfdjienen; bie jüngeren ©enoffen
betrachteten ihn befefealb mit geheimem Reib, er aber fah nur
baS Slufgefüfertwerben für etwas an unb hot eS benn auch
in lurjer grift mit ©efcfeid unb ©lüd erreicht. Schliefe»
lieh mag über Sdjwinb in biefem 3 u fatnmenhang bie Rotij
genügen, bafe er fefeon im fjaufe feines ißtotectorS Sari Rufe,
beS laninchenfeaft fruchtbaren SomponirerS, ben Verlebt mit
SdjriftfteQern gepflegt hotte, fein IritifcfeeS Urtheil in biefem
Heineren Greife jufefeenbS bilbete unb Oon bemfelben manche
Anregung jur ißrobuction erhielt.
Sinen Sfetenplah in ber Siteraturgefcfeidjte bor 1848
Weift Sfeejfe feinem greunbe StpoHoniuS 0. SRaltih ju, obwofel
berfelbe als Diplomat ju ben Seuten gehörte, oon benen grau
Vanquier Veer in Verlin, bie SJiutter SRicfeael’S unb SWeper’S,
behauptete, bafe fie ©oft fei Tant baS Künftlertfeum nicht
nötfeig hätten. TaS bleiche Stntlife mit ber gewaltigen Rafe
unter ber feofeen ©tim, bem feingefdjnittenen, oon Sronie
umfpietten SRunbe unb bem grofeen, weitauSblidenben Sluge
trug ein bebeutenbeS ©eptäge, in bem fich tiefer Srnft mit
unOerjagter SMandjolie oerbanb. Tie Stimme war Wohl»
lautenb oom ©elifpel bis jum ©ebrüK unb auf allen »tönen
bet langen Scala gleich biegfam, babei lein SBort gefudjt,
jebeS glüdlidj gefunben, fo bafe er als eine bet feltenen
Raturen erfdjien, beren äufeeter ©lanj fein falfcfeeS SluSfeänge*
fcfeilb hübet. Sr hotte feine amtliche Saufbahn unter ben
2lufpicien feines VaterS begonnen, welcher ruffifchet ©efanbter am
Karlsruher §ofe war, gerieth aber bort mit einem Vaufbotb,
bem greiherrn 0. Schilling, in Oerbrtefeliche Ipänbel, in
golge beren er feinen überaus gewanbten ©egner mit bem
erften unb einzigen ^ßiftolenf^ufe feines Sehens nieberftredte.
Um eine fchmerjliöhe ©rinnerung reicher, mieb er baS babifdjie
©ebiet; bamalS war er ber ruffifdjen Votfchaft in 3Sien ju»
a eilt, lam bann nah 9üo be Janeiro unb SDlünchen unb
: jule^t als ©efanbter in SBeimar. Obwohl ber brama»
tifchen Vocfie äufeerft jugethan, hot er barin gerabe nichts
geleiftet; bagegen meinte Shejh oon feinen fonftigen Ittera»
rifchen Verbienften abgefehen, bafe wenn er Tagebücher hinter»
laffen habe, biefelben benen VamfeagenS an Vebeuiung fchwer»
lieh nachftehen, fie an SSahrlieitStiebe aber leicht übertreffen
würben. 3n SBien nahm er ben bebeutenb jüngeren Vruber
in Slpoll in feinem Sunggefeöenheime auf unb würbe ihm ein
SJlentor auf ben erften SluSftügen in bie grofee unb Heine SBelt.
Tie bichtenben Tarnen, bie bort heimifcf) Waren, gehören
nur beiläufig hierher, fftegina grohberg, beffer als ihre 9to»
mane, gab fich toie ein alternber ^ageftolj, inbem fte, ohne
ein §auS ju machen, beftänbig oon ©äften umfehwärmt war.
Sine Heine, jierliche, gefchmadooü geHeibete gigur, toar fie
namentlich in ben Kreifen ber oomehmen Subenfchaft heimifch;
foU auch oerfeeirathet, aber gleich nach ^ §o<hfteit Oon ihrem
SDlann üertaffen worben fein. 3h r äufeereS ©egenbilb Wat
Sardine Vid)ler, eine wohlgenährte ©eftalt mit berben 3 ö 9 en
unb gutmütigem StuSbrud, ohne aQe ©eiftreiöfeelei Oon ge»
funbem 3)?utterwi|, anfprudhSloS, orbrumgSliebenb, genau in
©elbfachen, baju eine unoerfälfdjte SSienerin unb tü^tige
^auSfrau. Sie berlehrte mit grau 0. Shejh feiten, wenn*
gleich im beften Sinoernehmen; bei näherer Verfihrung mürben
fie fich ober jWeifelSohne oerfeinbet hoben, benn ^elmhta
führte. Wie baS Vucfe i|teS SohneS auf jeber Seite wlunbet,
eine gelinbe 3«l eun e ttl, irthf<haft, War unlritifch, unpraftifdj
unb unberechenbar, reijbar, pfeantaftiföh unb tactloS, tut}
jeigte bei allem ©eift, aller ^erjenSgüte unb tiefen Smpfinbung
bie Schottenfeiten weiblicher Künftlerfdjaft.
3m §aufe ber ißidhler wohnten auch © ch 1 e g e t’S, mit benen
^»etmina gleichfalls wenig jufammenlam; aber man behielt fich
lieb unb Oerjieh einanber Ileine, ohnehin altbelannte Schwächen,
griebrich, ber bie Verausgabe feiner gefammelten Schriften —
ohne bie Sucinbe — betrieb, fah Wegen feiner Wcifeen Vaare
unb unbefeilflichen Tide älter auS als feine einunbffinfeig
Sahreanjeigten. Sluch fein fprfifeenbeSSBefen Oon ehebem hatteer
abgelegt, lonnte aber gelegentlich, namentlich bei Tifcfje, eine ange»
nepme ÜJlunterleit entfalten. SBaS Vöttiger, ber beim Vorlefen
bie klugen fdhlofe, mit Unrecht nadjgefagt würbe, traf bagegen bei
ihm ju: et fchlummerte regelmäfeig ein. Tafür laufte er fidh nicht
buröh ein Sob oom Sefen los — baher bie auffaüenbe Sr»
fcheinung, bafe fo oiele elenbe ÜJlachwerle oon SJleiftern ge»
lobt werben — fonbem hotte feinen ©egenftanb genau fennen
gelernt, wenn er ein Urtheil abgab. ©eine grau, älter als
er, war ein 3J?ufter oon Väfelichfeit unb glich ih rem berühmten
Vater SHofeS ÜJlenbelSfohn auf ein f}oar, fobalb fie eine 3opf s
perüde auffe^te; aber liebenSwürbtg war fie, gut unb ge*
Wiffenfeaft. 311S ftrenge Vroteftantin wollte Vdtnina Se^tereS
freilich nicht unterfchreiben, fonbem ftichelte, bafe fie tn brei
Religionen Unterricht geben lönne; Torothea hörte baoon,
meinte aber gelaffen, man müffe SXUeS prüfen unb baS Vefte
behalten, ©ie fpradj gebantenreid), anregenb unb angenehm,
lonnte freilich feiten ein Snbe finben. 3h re äßagb erwiberte
befehatb einmal auf eine ©trafrebe, fie höre bie gnä’ grau gar
ju gern prebigen; „fchon recht," brummte fie, halb ärgerlich,
halb gefdjmeichelt, „wenn bu nur auch Sehren befolgen
möchteft".
SltS Wi^igfter SOlann SEßienS galt „bet bide grand", btt
Vater ©uftao’S, welcher fich fpäter als ©chriftfteHer, Theater»
unternehmet unb politifcher glüchtling, namentlich aber als
Herausgeber ber „bramatifchen Driginalien" belannt machte.
Ter Sitte, ein Solofe, bem eS immer ju heife toar, burfte als
unabhängiger ©rofehänbter feinem greimuth tn VonmotS,
Digitized by v^. ooQie
Nr. 18.
Dtt Oßegcnroart.
283
(Epigrammen unb ßiebletn bie ßüget fdjließen laffen, attbere
nidjt minber beanlagte Sßifcbolbe wie 3)einljarbftein unb Safteßi
Ratten bagegen immerhin bienftlidje SRütffid)ten gu nehmen.
Setter, bamats erft im (Beginne feiner ßaufbafjn, erfreute fid)
eines trauten Familienlebens, litt aber unter ber (Enge ber
©erfjältntffe; nicf)t lange, fo arbeitete er fid) gum (ßrofeffor
am Xljereftanum unb Eenfor empor unb Ijat fid) aud) fpäter
als SebenSpraftifer bewäßrt. VllS S)ramatifer Ijatte er fid)
oorldufig nur burd) ein ßuftfpiel „baS SBilb bet £>anae"
belannt gemalt, welkes ber ®rudfeljlerteufel faft rege!«
mäßig in „Silb ber ®ame" »erteljrte, unb im 3 u f ammen -
tjange mar baS beinahe fo fc^limm, mie baS „ßeber finb mir"
in Ußlanb’S poetifqfjer SSotrebe jn feinen ßiebern. ©eine
probuctibe $raft, bie fpäter in „ßanS ©ad)S" culminirte, bem
©orbilb einer (Reibe bon Äünftlerbramen unb einer Quelle
ber „ÜReifterfinger", mürbe bon SafteHi bei SBeitem überholt,
bet jubem irt allen (Sattungen ßeimifcf) mar unb an gruebt»
barfeit gerabeju unerreicht blieb. (Bie berfelbe fdjon gur $eit
ber napoleonifdjen Kriege ein madreS ßieb gebietet batte,
meines in bet gangen faifetlichen ?trmee erflang, ihm aber
beinahe (ßalm’S ©djiffal bereitet hätte, fo geigte er fortgefefct
in (Bort unb Schrift ben Patrioten, mar überall befannt
unb gern gefehen, ein guter greunb unb liebenSmürbigcr @e*
feüfdjafter.
Sine Stufe höbet, unb mir fommen gu ßeblih, ber mit
feinen dobtenfrängen 1827 bie $öße feines (Ruhmes erflomm.
Sr hatte in feiner Sugenb bie Säaffen getragen unb fah noch
immer mie ein £>ufat anS: freifam, rührig, rüftig unb mof)l=
gebaut. Sein SSunber, baß er ben grauen gefiel; unb er
felbft mar fein geinb ber 5D?inne, tranf in »ollen, rafeben
3ügen aus bem ßebenSbedjer unb gab fid) ohne (Rüdljalt, um
mit ^elmina gu reben, als »oüenbeten (Bettling. Sr »er«
fehrte »iel mit (Srtllparger, ber mit einem folchen (ßräbicat
freüid) nicht begegnet roetben burfte, aber hoch nid)tS toon
einem üRenfdjenfeinb unb (Brummbär hatte, gu bem man ihn
»iclfath h°t ftempeln motlen. Unter feinen greunben geigte er
ftdb froh unb gemüthlich, fonnte fogat gu einer hodjgeftimmten
ßuftigfeit übergehen; maS ihn in ben fatfdjen (Ruf brachte,
mar nur bie Sufrichtigfeit, mit melcher er trog feiner ab«
hängigen ©tellung feine dReinung äußerte, unb ber nicht gang
gewöhnliche (Sefdjmad, ben er fid) gu eigen gemacht hatte.
Stt feinen fpäteren Saljren mürbe er bagegen wirflid) etroaS
unwirfd) unb munberlich, unb »aS ift ja mohl fd)on auS
einem (Bergleid) feiner äußeren ßage mit feinet inneren (Be«
beutung unb im gufammenbang mit ber gunebmenben 91uS=
bilbung obiger Sigentl)ümlid)feiten gu »erfteljen. Sine ebarafte«
riftifche (ünefbote lautet bahin, baß er burd) einen b°h en
tarnen, mahrfchcinlich ben beS SrghergogS üRaj gerbinanb,
bemogen morben fei, ein §eft Schichte burchgufehen, maS et
fonft ftetS »on ber §anb gu roeifen pflegte; er habe mit un«
barntfjergtger ©trenge gelefen, am Snbe aber erflärt, eS fei
tfjrn febr »erbrießticb, bie SSerfe loben gu müffen, ingmifchen
SBaßrf)ett bleibe hoch immer Sßaßrfjeit. (Sdjlufj folgt.)
■HM'
gfeuiffiefon.
- Wad»bru(f verboten.
^oij(0 Spiel-
©on £oms Couperus.
StuS bem £oüänbif4en.
(ftortfepung.)
SWit einer brutalen §anbgeberbe fuhr SBlablmir bur4 bie 2uft unb
mieS auf bie Stnbern ringsum: „SBaS, unb bie©anbe bort?" fragte er rotb
nor SButb. „$a ift nidjtö SBeffercS barunter, baS ftnb bo4 auch nur ..."
Er fagte ein robeS SBort. Unb fie mürbe plöpli4 gang entft unb preßte
in ftuuimer Entlüftung i^re fdjünen Rippen aufdnanber. $amt moHte
pe ihn gure4tmeifen, mie eine Butter. „Sieb mai!" flu4te er unb er=
bob ftdb, um gu geben. Slber fte nahm' feine $anb unb flebte ibn an,
um EotteS SSiHen ni4t mieber eine Scene gu machen. Sie fei fo glück
lidj, ibn gu feben unb bei ftdb gu buben unb moüe jeben feiner SBünfebe
erfüllen. Unb menn er benn burebauÄ befehle, bap bie Eräpn Ibmme . ..
fo merbe fte feben.eS mit ©riani befpreehen.
„SBaS gebt eS S)en an?" unterbrach er ffe. Sie nahm ©riani in
Sebup: er fei ihr ©eratber, ohne ben pe betanntUeh nichts unternehme.
w C’bne ben S)u nichts gu unternehmen magftl" marf er h^ruuSforbernb
bin, inbejj fein lauentber 8lid ihr beutlicber als SBorte nerrieth, mie
genau er roiffe, bap Sriant ihr biel mehr fei, als nur ein öeratber.
Slber fte lachte unb fpradj mit ihrer füpeften Stimme, in ^obeSangft,
bap er hoch noch eine Scene mache. Unb gum gmeiten Wale entrollte
fte oor feinen Singen ein oerlocfenbeS Sötlb, baS gange Programm: eine
oenegianifche Stacht auf bem Sfleere; bann lebenbe ©über, alle jene 3)amen
mürben S?i)mpben barftellen ... ©oller Sntereffe fragte er nach Slllem,
auch nach ben fleinften Eingelbeiten, unb fte lachten nun ©eibe. ©otk
tob, bap er mieber fiigfam mürbe, ihr junger fiöroe. 3u, fein beipeS
©lut mupte ftch erft einmal tüchtig auStoben, je bälber je beffer, unb
gu biefem Qmec! foHte nichts unb Wemanb gefdjont merben . .. Slber
plöplid^ entbedte fte ©riani in einer ber ©ruppen; ber Secretär untere
hielt ftch mit bem ©ringen Ebgarb Don ÄarlSfrona unb einem jungen
meipgefleibeten Sttäbcben.
„3ft baS Elena?" fragte er, feine furgftdbtigen Slugen auf bie
Eruppe gerichtet.
w 3a," antroortete bie Königin. Unb mit einem 3Rale mifdbte pch
bon feuern etmaS ln ihre ©ebanfen. „SBie pnbeft $u pe?" fragte pe.
Eleichgiltig gudte er bie Slchfeln. „Wacht pch," fprach er.
w 3<h glaubte, $)u bütteft pe neulich febr nett gefunben; $>u baft
S)ich oft unb eifrig mit ihr unterhalten."
„34? nein!" mehrte er ab.
„Weht ?* fragte pe gebebnt, benn pe entfann p<h gmeier langer
Töte-ä-töfces.
Er oerfuchte pe mit feinen Weinen Slugen gcrabe angufeben, mie
um pe gu übergeugen. „Sich nein," oerpeherte er. „34 pnbe pe eine
blaffe ©uppe. 9ii4tS bran."
-(£g nac ^ bem 2un4, einem febr fröbli4en 2un4,
ber lange gebauert batte. SWit erbeten Eeff4tem unb einem ©Upen
in ben Slugen, baS ber ®enup beS EbantpagnerS barin gurüdgelaffen,
gingen bie (Säfte ber Königin in ben ©alerien auf unb ab, lagerten
ba unb bortbin, ben ©lief faul über baS meite SKeer f4meifen laffenb,
ober 3*ber ging feinen eigenen SBeg, gog p4 gu einer Siefta gurüd,
ma4te eine Spagierfabrt. 3n einer Eruppe öon tarnen lag ©ring
Ebgarb öon ÄarlSfrona lang blngeftredt, im Sföunb eine lange Eigarre
rau4enb, momit er Sitte in eine SBolfe oon 9tau4 hüllte. Er amüprte
pe, unb Sille lauf4ten feinen ©Sorten. Er ergäbltc eine lange, auf*
regenbe Eef4i4t c &on ^ JRebolution in ßiparien, bie er mttgema4t
unb babei habe er incognito bei ber ßöf4ung beS ©ranbeS im Slbs
georbnetenbaufe mitgebolfen.
S)ie ^erjogin oon fiuca la4te auf: „34 ülaube 3b«*n kln SBort,
mein Sieber!"
„Sie glauben mir nt4t?"
„Win, unb bagu habe i4 einen guten Erunb. 5)iefe Wöolution
in Siparien bat p4 uor einem SJSonat abgefpielt, ni4t mabr?"
„3a, aber maS bat baS bamit gu tbun?"
„S^un, 3bw §änbe unb Stögel finb fo forgfältig gepflegt, bap Sie
unmöglüh Oor öier 2Bo4en einen ©ranb gelöf4t haben !önnen."
©ring Ebgarb behauptete aber, SSägel Jönnten in einem SRonat
gang lang gema4fen unb tüchtig in bie Äur genommen merben. $ann
trat ©riani näher, bie £>änbe auf bem dürfen gefreugt, eine grope,
f4lan!e, oomebme Eeftalt. „SBaS ift baS mit Siparten?"
Digitized by v^. ooQie
284
Die tötgttuDiut
Nr. 18.
,,Acp, nichts ©olitifcpeS," fagte 5er ©rinz- „©eruptgen ©ie ftep,
lieber Jremtb, unb fürsten ©ie nid)tS; id) werbe mich nicht in 3§re
Angelegenheiten mifcpen!"
©riani erblaßte, unb bie Damen fapen ftch etwas verlegen an.
$rinz Gbzarb hatte wieber wie fo oft einen ©ocf gefcpoffen.
„3cp weife nicht, welche Angelegenheiten Roheit meinen föitnten,"
warf ©ritni lächelnb hin. „3d) hörte nur fo was non Siparien."
„Unb baS intereffirte ©ie, nicht wahr?" Da machte er eS noch
fchlimmer, ber gute 3nnge, ber, wie bie Herzogin Von Suca meinte,
einem burcpgepenben Julien gleiche, wenn er auch noch fo faul in feinem
weifeen Jlanetlan$uge unb mit feiner langen Gigarre ba lag. Doch
©riani, in ber feften Ueber$eugung, bafe ihm gegenüber jebe Diplomatie
©erfcpwenbung fein würbe, wanbte fiep lächelnb unb fpagierte weiter, bie
$änbe noch immer auf bem dürfen gefreujt. Der $rin$ aber biicite
bie Damen an. „Sine feine Art, einfach wieber fortzulümnieln!"
Die Herzogin fcpüttelte ben Kopf. „3# bin gar nicht jufrieben
mit 3 Pnen, mon prince charmant/'
„Unb warum nicht?"
„GS ift mir ein Stätpfel, wie man in jwei furzen ©äpert fo viel
bummeS Beug fagen lann, wie Gure Roheit foeben Gelegenheit gefitnben
haben."
©rinz Gbgarb ftrecfte fich noch bequemer hin. „9?a, fagen ©ie
mal, ich bin nicht pergefoutnten 5 U unfcrcr lieben Sftajeftät Von . . .
fagen wir mal ton ©ajoS, um mir über begleichen ben Kopf ju zer*
brechen. 3<P fage Alles, wie eS mir in ben ©inn fommt. AnberS
bürfen ©ie’S auch nid^t ton mir terlangen, liebfte Herzogin. Gott, ich
habe in Siparien fo tiel ju benfen, ju überlegen gehabt! 3<h will nun
auch mal meine 9tuhe haben. Abieu, Grbprin$! ©erftanben?" Unb
er lachte laut auf. ©ie fanben ihn amüfant, aber hoch ein enfant
terrible, ein verzogenes Kinb. Aber weldf glücflicpcS Temperament!
Sfie fam ihm ber Gebanfe, bafe er fiep wegen irgenb etwas fchämen
müfete. ©ie Alle fannten feine Gefcpicpte zur Genüge, benu er hatte
fte ihnen fcpon fo oft mit allen Details erjählt. Gine Revolution war
auSgebrocfeen in Siparien, wo er auf SBunjcp feiner Gltent, gotplän*
bifcfeer Jürften, feiner Grbprinzenrecptc wegen lange gelebt hatte, bann
war er auf feiner 2)acpt nach ©ajroS zur Königin Ale^anbria geflüchtet,
als bie erbitterte ©olfSmettge RacptS ben ©alaft erftürmt hatte. 3n
Gothlanb hatte er fich unmöglich gemacht; bort wagte er fich gar nid)t
mehr $u jeigen, weil er mit feinen Gltern fich entzweit unb feine ©er*
lobung mit feiner Goufine, ber ©rinzefftn ©toitba, aufgehoben hatte. ..
Aber wirtlich, er hatte ein gar zu glücflid)eS Temperament; ihm war
baS AllcS nun einmal egal, baS Seben war ju furz, um es nidjt ju
geniefeen.
Söriant war InjWifcpen zu ber Königin Alejanbra getreten, ©ie
fafe noch immer bei ihrem ©ohne, bocp hatte fie Glena ju fich nnb in'S
Gefpräch gezogen. Unb faum hatte ©riani fich ihr genähert, als bte
Königin fragte: „SBaS giebt'S bort briiben?"
„Nichts, ©tojeftät, nur Gbjarb ift wieber einmal unauSfteplicp."
Gr zuefte bie Acpfeln.
„ 3 «h hörte boep etwas ..
©riani beruhigte fie. „Nichts, gar nichts."
„Glena," fagte bie Königin ju bem jungen Sftäbcpen, wie zu einem
Kinbe, „geh hin unb fteh nach, ob bie Goftümbilber zum ©lumeitball
in meinem ©ouboir liegen, ©onft lege fie hin, wir tommen gleich nach."
Unb baS SRäbcpen ging fort, unterwürfig. Um ben ©rinzen Gbzarb ge*
fchaart, lachten bie Damen noch immer über feine Sßifce.
„SBaS war baS?" begann bie Königin wieber zu fragen, wäprenb
Glena auf baS ©cplofe zuging.
„3<h öerftepere Gurer SRajeftät: RlcptS, gar nichts."
„3ch hörte etwas Don Siparien."
„Ach, er erzählte Von feinen §elbentpaten währenb ber ReVo*
lution."
Der junge König lad)te. „Gr ift fonft recht liebenSwürbig," fagte
er. „Gr Verlangt burcpauS nicht, bafe man ihm glaubt, wenn man ihn
nur reben läfet."
©ie fcpwiegen alle Drei für einen Augenblicf, Verlegen Giner Vor
bem Anberen, unb 3eber voll geheimer Gebauten. 3«ner Klang —
Siparien — weette in einem Seben bon ihnen allerlei Gebauten, unb
fehr berfchiebenartige. Siparien war jene Grofemacpt, bie ben gröfeten
Drucf auf baS tleine Königreich Thraden auSübte. Siparien hotte eS
fo gewollt: ber junge König SBlabtmir auf bem Throne unb Königin
Alejanbra berbannt. Unb trofc aller fdjeinbarer Siebe fchieb eine febarfe
Grenze ben ©ohn bon ber SRutter mit ihrem Günftling. Unb jenfeüS
biefer Grenje ftanben fich öeibe Parteien trop ihres freunbfchaftUchen
GefprächS als Jeinbe gegenüber. Jlücfettg ergriff biefe fetnbfelige ©tim*
mung in Ale^anbra bie Dberhanb, aber fie gab ihr nicht nach, weil eS
ihr befjer fepien, nicht nachjugeben. Sölabimir war unb blieb ihr Kinb,
unb fie liebte ihn auf ihre 2 Beife, ihren unbefonnenen wilben jungen
ßöwen. ©ie tannte ihn nur als einen wilben jungen ßöwen. Unb fie
hielt eS für beffer, je&t nicht über ßiparien mit ©riani ju fpreepen,
benn bieHeicpt würbe ftep SBlabimir barüber ärgern ...
Aber ipr ©opn ftanb plö^licp mit ber ipm eigenen ©tproffpeit auf,
als fühlte er fiep öon iprem ©Zweigen bebrüeft unb trat $u $rinj Gb^
jarb ? S Gruppe. Afejanbra folgte ipm mit ben Augen, unb ihre SRütter*
licpteit bilbetc einen feltfamen Gegenfaf ju ihrem Ghrgeij unb iprer
Sntriguenluft, inbeffen fie noch immer ftidfchweigenb bafafe unb ipre
Haltung — bie Arme fcplaff hemieberpängenb jwifepen ihren antiten
©pi^en — fo beutli^ ihre erzwungene ARüfeigfcit, ipre unenblicpe 2 angc=
weile oerrietp. 3hre Augen fdjweiften über bic 3nfel unb baS ®teer.
8 u Hein erfepien ipr ber ftorijont. Gin bitterer 3 U 9 fegte fid) um
ihren Sttunb. ©ie patte fiep naep iprem ©opne gefepnt, unb nun er bei
ipr war, gereute eS fte fepon naep einer ©tunbe. ASlabimir patte ja
au^ leine Stupe bei ipr, fobalb fte für-einen Augenblid nur fcpwieg.
GS wäre beffer, er wäre gar niept gefomnten. gumal er ipr boep gar
nichts brachte, niept einmal ein ©erfpreepen, ipre ©erbannung aufzu=
peben. Unb weiter unb weiter gingen ipre Gebanlen ... SBenn fte ipn
noch einmal naep Siparien fepiefte? fiel ipr ein. Dann, wenn matt ipn
öfters bort fäpe, würbe man feine wilbe Sngenblicpfcit ungeeignet für
einen Tpron finben, unb bann vielleicht fte... Unb Wenn bann feine
Umgebung ipr ganz ergeben wäre . .. SBopl war fein lefcter offtdeHer
©ejuep bei Kaifer £)tpomar opne Grfolg geblieben, aber baS patte wopl
feinen Grunb barin, bafe feine bamalige Umgebung ipr wenig freunbfd)aft=
licp geftnnt war. SBenn fte iprem ©opne ©riani überliefee, benn pe wufete,
bafe er ipn gern nehmen würbe, weil er ein feiner Diplomat war ...
3a, währenb feines ©efucpeS pter wollte fte ihren Gittflufe auf SBlabimir
unb feine Umgebung geltettb machen unb Vcrfucpen, verftpiebene ©er*
trauenSpoften burep attbere SRänner zn erfefeen.
„5Boran benfen Gure Sttajeftät?" fragte ©riani, ber rauepenb neben
ipr ftanb. ©ie lächelte bitter unb zuefte bie Acpfeln; bann bliefte fte
ipren ©ecretär an unb fühlte ftep boep gefcpmeicpelt burep feine Ctöflicp-
feit, bie er ipr gegenüber nie auS bem Auge verlor, auch wenn fte
©eibe ganz a ^ e ^ n waren. Gr patte gute Sanieren, viel beffere als
©Habimir ... „©itte, woran benfen Gure Sftajeftät?" wieberpolte er
noep einmal.
Aber fie Verharrte in iprem ©cpweigen unb machte nur eine ©e-
wegung mit ber £>anb, als wiffe pe felbft niept waS unb als fäme e$
auep 9 fl r niept barauf an. ©riani fragte niept ntepr unb raucht*
weiter ... 3o, wenn fte ipn naep Siparien fepiefte ... ©eine Seibcn*
fepaften beperrfepen, baS würbe ipm, wenigftenS auf bie Dauer, auch
in feiner neuen SBürbe niept gelingen ... Ad), wenn fte nur ben TOutp
hätte, felbft mitzugepeit! ©ie wufete wopl, ber Kaifer war für weibliche
©erfüprungSfünfte niept empfänglich, aber bennoep, bennoep ... wenn
fte nur ben SJfutp hätte, zn gehen, bann würbe fte ... Aber nein, eS
war unmöglich, eS ging niept... wie hätte fte gepen foHen? ... AIS
eine Jlepenbe, incognito .. . baS wäre ber einzig mögliche SSeg, unb
I ben verbot ipr ber ©tolz; unb abgefepen bavon: eS wäre auch niept un*
Digitized by v^.ooQle
Nr. 18.
Die öegenwari
285
gefäfjrltd). Qa, eS »ar ein £imgefptmtft. ©ie Dermochte nichts, gar
nichts, gefangen »ie fie »ar auf 5ßajoS,ln ihrem hochgelegenen ©dploß
mit bem ©lid auf baS »eite 9Jteer ringsum. Wie Mein unb langweilig!
Unb immer bie Dielen ©äfte! $rinz ©bzarb unb bie Herzogin Don fiuca
unb ihresgleichen, unb »ohl auch eine Gräfin ©ofti!... 5ld), fte
empfanb eS beutlich: fte »ar gefunfen, traurig, tief gefunfen! 3a, fie
mar thörtcht ge»efen... Wenn ftd) jemals für fte 2WeS noch einmal
anberS unb beffer geftaltete, bann, ja bann... ?WeS anberS? War
benn irgenb »eiche SfuSfidjt ober Hoffnung? Wlabimir: ja, fie »ar
feine SRutter; aber fte fonnte unb burfte eS babei nicht bewenben raffen,
©ie mußte mit ih^em ©ohn arbeiten: er mußte ein ©erzeug in ihrer
®anb »erben. ©r »ar fo jung, fo furchtbar jung, ein unbefonnener
milber junger Sötbe. ©r mußte nicht immer, »aS er that; er machte
oft Dummheiten, tolle, unbebachte ©trelche ... Unb »ie in plöfclicper
Erleuchtung fah fte eS beutlich Dor ftch: ©lena — Siparien! ©S glänzte
öor ihrem ©lid, »eit, »eit... baS Sicht, bie Hoffnung ... 3h re h err lid)en
Singen funfeltcn, ihre 3üge ftrahlten unter einem feligen Sächeln, unb
aus ihrer ganzen Haltung fprach eine feltene ©nergie, »ie fte jene grauen
befifcen, bie mit einem einzigen Wort, mit einer einzigen ©ewegung
33ieleS z« erreichen gewöhnt ftnb, wenn fte SlHeS nur »ohl überlegt
unb richtig auSguführen Derftehen ...
9todj einmal fchaute ©riani fie anbädjtig an. ©r wollte nicht
barauf befteheit, ben ©runb ihrer plöfelidjen ©erftimmung zu erfahren.
9hm er jebodj bie nerDöfe ©eränberung bemerfte, bie ihre Apathie be=
flügelte, fragte er noch einmal in ber leicht einbriitglichen Slrt eines
Höflings, ber baS £erz unb bie ©ebanfen feiner £>erriit unb ©eliebten
ganz grünblich Z u lernten glaubt: „2lber woran benfen (Sure SRajeftät
benn?"
*9ln gar nichts," fagte 9llejanbra unb erhob ftch- „9ln nichts.
Äomrnen ©ie In’S ©ouboir. (Siena »artet mit ben ©oftiimbilbern
auf unS." (gortfefcung folgt.)
Jlit* bet ^aupfftabt.
Dör|e«-Jbi)U.
Daß ein moberner Dichter unbänbigen Otefpect Dor bem ©elbe
hat, ift ptychologifd) burchauS erklärlich- 2Kan refpectirt SXlleS, »aS
man nicht befifct unb fachlichem ©rmeffen nach auch nie befifcen wirb.
Scbenbige Dichter haben bekanntlich glommen unb Waffen, bie furchte
barer ftnb als SoDiS 93Iife P unb ihr Derwegener SJhtth, ihre helbenpafte
Wahrheitsliebe fdjreden Dor feinem föttig unb feinem ©ott juritcf.
53o ift bie Snftitution, beren gäulniß fte nicht mit glänjenber ©erebt=
famfeit aller SBelt offenbart höben; »o giebt eS einen ^urpurmantel,
unter bem ihre SRoentgenblicfe nicht fchlottembeS ©ch»ächlingSgebein er=
fpähen, »o ein Qbof, beffen SSaalS^riefter fte nicht entlarDen? 9J?an möge
baS ©onDerfationSlejifon Dornehmen unb fämmtlid)e 5lbftracta, bie barin
Der^eichnet flehen, gewiffenhaft burchpriifen — feines Don ihnen hat bie
äfcenbe Äritif ber Neutöner beftanben. ©ebranbmarft ift als Sug unb
gleißenber ©chrnufc jebeS ©efüpl, baS bie 2prifer Don anno Dobacf hod)*
achtungSDoll befangen; in ben ©taub getreten, überwunben ift jebe Don
ben rüdftänbigen (Sinrichtungen, auf bie ftch bie ©iebermeier beS neun*
jeh 11 ^ SahrhunbertS fo Diel ju ©ute thaten. SDJan fehe barauf hin
»irflich einmal baS ©onDerfationSlejifon burch! Wenn man aber ben
angenehmen Äifcel, 3ufcpauer eines moraliföHntellectuetlen WeltbranbeS
Don ungeheurer SluSbehnung ju fein, bei befagtem Durchblättern recht
lange geniefeen will, fo fange man mit bem lebten ©anbe an! Denn fonft
mftre ©inem ber ©paß fchon beim ^weiten Derborben. ©or bent ©tid)=
wort „©Örfe" nämlich Derftummt angftDott ber titanifdje Uebermuth ber
mobemen £>immelsfiürmer. Unberührt Don ben ©httpen ber rafenben
geuerSbrunft, bie fte in ihren gefammelten Werfen entjünbet haben,
ragt ber ©örfentempel auS ben ©ed)= unb ©djwefelregen auf. ©egen
ihn wirb fein DorlauteS ober gar barfcpeS Wort gefchleubert. Silke unfere
$oeten ftnb, fobalb bie ©ebe auf bie ©örfe fommt, fdhweigfame |)anbelSs
rebacteure ober furchtfame Anbeter, geber 5Binfel*23anfier ift ihnen
©otteS ©teüDertreter auf (Srben, unb ein 93irfUcher ©eheimer Äommerjiens
rath nun gar, ober ein geabelter Sanfbirector mit 150 SRillionen ©runb=
Capital erzwingt ihre fdjauernbe Anbetung.
Vergangene SBodhe warb unS in einigermaßen überflüfftger ©eneral=
probe Qbfen’S 3°h n ©abriel SBorfmann »ieber einmal Dorgcmimt.
Säcpelnb erfannten bie jungen Seute Don ber Vörfe, bie bie SKuSleU
quetfepereien im Wintergarten fatt befommen hatten unb, »eil ber ©ircuS
gefcploffen ift, bie paar ©chritte weiter nach ber ©djumannftrafee ge=
fahren waren, »eldf badfifchhaft romantifchen 9lnfdjauungen ber große
fociale Anatom auS 9^orb h^Mtlich unferer Vanfbirectoren hwlbigt.
Der menfchliche Eitelfeit unb Äleinlichfeit mit Derni^tenber 3ronie be=
lächelt, ber ben ©regor Werle unb bie alberne Dfjterfrafce in jeber auf=
recht gehoben, zweibeinigen (Sreatur erfpäht, ftempelte feinen ©elbs
gewaltigen zu einem gefpenftifchen Dämon, einer überragenbeu, Don
bunflett 3Räd)ten infpirlvten Sntelligenj! Währenb bie jungen Vörfetts
leute zu ben fpufhaften SKeben beS Werwolfes gelangweilt gähnten, badjtcn
fie ber 3nteÜigenz, bie ein normaler Vanfleiter thatfächli^ ju entwicfeln
pflegt unb bie fo gar nichts Unheimliches an ftch hat. $)iefe Dichter
ftnb unDerbefferlidje ©chmärmer, ging eS ihnen burch ben ©inn. Wir
imponiren ihnen noch immer. Der hödjfte 2ttann im ©taate ift nicht
ftdjer Dor ihren Pfeilen, unb cS fömtte felbft Dorfommen, baß fte ftd)
an £>crrn D. SucanuS Dergreifen. Die Vörfe aber gilt ihnen für Dabu.
Die jungen Seute lächelten, als fte baS überbauten.
(SS giebt feine berliner Äomöbie, obgleich bie ©toffe auf ber
©fräße liegen, obgleich hunbert frifche unb fluge klugen biefe ©toffe
tagtäglich fehen. Doch fte wagen eS nicht, fte aufzuheben. Wer bie
moberne berliner Äomöbie fchreiben »IH, muß ftd) allerbingS ift baS
Milieu wagen, baS ©ubermann in feiner ©ünben SRaienbliithe feßü^tem
ftreifte; ohne Xf)iergarten= unb Vurgftraße giebt eS fein echtes berliner
Suftfpiel. biefen beiben $olen freift unfere Welt. $lber bie
Vörfe gilt für facrofanct. ©o fommt eS, baß £>err ßinbau Derftaubte
alte $alifcpiaben auSgraben unb Don einer Wiebererwecfung ber berliner
^offe fafeln laffen barf, baß bie Weißbierpfropfen fnaHen, »äßrenb ringS
ber ©hantpagner in gäffern gefeuchtet fteht. Doch Wemanb wagt ihn
auf gtafchen zu ziehen. Denn bie Vörfe ift unDerlefcllch^unb gefteinigt
fürchtet zu werben, »er auch nur einen Wifc auf 93el macht.
Die SBörfe abelt. DaS fchauerltche 3«cnhäuSlerge}chrei, baS ße
alltäglich um bie brttte SßachmittagSftunbe burditobt unb in bem bie
fchrißen ©lodentöne beS ^ehrauS ungehört untergehen, ift ber Driumph*
ruf ber §erritt unferer ©rbe. Wer zu ihrem ©efolge zählt, fteht l»(h
erhaben über bem elenben ©ewimmel ber VielzuDielen. ©eläuterte unb
freiere ©ittengefefce gelten für ihn; mit anberer ©de »erben er unb
feine Dhaten gemeffen. ©ine Vanfgröße, bie im fcpwarzen Sahre 1893
etliche Heine Depots nicht rechtzeitig genug herbeifdjaffen fonnte unb Don
ben zu ben Depots gehörigen tüdifdjen Dummföpfett bem ©taatSanwalte
Derrathen würbe, büßt bie Meine UnDorfichtigfeit nicht im 3uchthaufe, »ie
begrenzter 9tid)terDerftanb Dorfchrieb, fonbem in ber [onnigen unb luf=
tigen ©anzlei einer behaglichen Slnftalt für ©eifteSfranfe. 3ut Sutereffe
feiner für unS alle fo werthDoden ©efunbheit, bie burch bie nerDenzer*
rüttenbe Suft ber Verliner gonbSbörfe gefchwächt worben ift, hat man ihm
fogar regelmäßigen ©onntagSurlaub gewährt. Dagegen »anbem gefefc=
unfunbige ©Item, bie bem Derlobten Vräutigam ihrer Dochter nach altem
Vraudje etliche 3ärtlidhfeiten geftatten, noch immer prompt in'S 3 u <ht=
hauS, unb ba fte gemeinhin nicht Derrüdt »erben, obwohl fte ©runb
genug bazu hätten, fo erhalten fie auch Minen ©onntagnad)mittagS=Ur=
laub ... $ugo Söwp ift Dor 3ahreSfrift, blühenb in apoßinifcher ^err*
licßfeit, auS bem ©efängniß herDorgegangen, beffen dauern länger als
ein Suftrum feinem Untemehmergeifte unb feinem Depotfpürfinn plumpe
©epranfen festen. Der fecpSjährige ©hrberluft, beffen er ftch erfreut
Digitized by v^.ooQle
286
Die töegetttoart
Nr. 18.
unb bcr ißm, eine befonbere ©ergunftfgung in unferer morbreießen 3 eit,
gewiffenßafte ©olizeiauffteßt öerbürgt, hat ihn an ber Siebereroberung
aller börfianifeßen Ehren nicht geßinbert. Er rebigirte ein einflußreiches
HanbelSblatt, leitete ein weitverzweigte« ©anfgefcßäft, verurfaeßte ben un*
erhörten KurSfturz am leßten feßwarzen SHontage unb war ein Httann,
nehmt Alle« nur in Ziffern, beffen fiißnen Scßatßzügen ©erlin unb Sonbon
mit ©ewunberung zufaßen. Ja« graue AnftaltSßabit fiel von ihm ab,
wie bie ©uppenßülle non bem fchönen Schmetterling, unb Riemanb
erinnerte fich mehr feine« ©uppenftanbe«. Un« Anberen trägt man ben
Jag Haft, ben wir au« erffärlicßem Mangel an fünf SRarf Silbergelb
fparfamer Seife abfaßen, in alle 3ufmtft nach, verbucht ihn in alle Eon*
buiten unb mäl$t ihn fchließlich al« laftenben gelSblod auf unferen ©rab*
hügel. Jie im fröhlichen Suff zerbrochene Saternenfcßeibe rächt fieß noch
an Kinbern unb KtnbeSfinbern. 3 m firahlenben ©lanze ber gonbS*
börfe jeboch löfchen auch 2150mal größere gierten auf ber Stelle au«,
mehr noch — fte machen ben ©fann pifant, wie ba« ScßönhettSpfläftercßen
bie Anabpomene be« Radjtcaffee«.
ES h«t wohl einmal ginanjleute gegeben, beren finbige Reg*
famfeit jeben Unbetheiligten mit ehrfurchtooHem Schrerten erfüllte
unb beren weite ©eficßtSpunfte auch geriebenen ©aunern imponirten.
©aron £>irfch, bem fte jefct in Rew flott ein Jenfmal feßen,
obwohl fein Anbenfen allen JürfenlooS* Käufern ohnehin ewig unver*
geßlich bleiben wirb, ©aron £lrf<h war folch’ ein Napoleon be«
EourSzettel«. Unb bem Jeutfcßen StrouSberg fann man fogar
ben ©orwurf machen, baß er neue Snbuftrien 511 feßaffen, neue,
ber ©olfftwirtßfcßaft nüßließe Erwerbsquellen ju entbeden verfueßte.
Unfere moberneit ginanjer pub einfacher organiftrt. 3hre ganze 3n=
teßigenz erfeßöpft fteß in ber Kunft, Aufgelber einzuftreießen. Jiefe
Kunft macht ihren Sängern infofern wenig Kopffcßmerzen, al« fie nur
in $wei ober brei fdjlicßten Hanbgriffen befteßt. ©fan nehme zwei
Actiengefellfcßaften, bie bislang gar nicht« miteinanber ju tßun hatten,
unb fufionire fte. 3 *genbwelcßer ©egrünbung bebarf bie fegenSoolIe
Maßnahme natürlich nicht. Jen - Rctionairen gegenüber genügt ber
Hinweis barauf, baß beibe ©efeüfcßaften juoerläfftg binnen Kurzem mit
Unterbilanz arbeiten unb nothgebrungen in Eoncur« gehen müßten,
wenn man fte nicht unverzüglich vereinigte. Jie guten Seute werben
in aßen folcßen gäßen einen ©erliner ©anfier, ber fieß bureß 3 eitungS*
inferat ju foftenfreier ©ertretung ißrer Sutereffen unb entfeßiebener
Ablehnung be« gufionSantrag« verpflichtet, jur ©eneralverfammlung
aborbnen. £>ier läßt fteß ber ©anfier bann von ben unwiberfteßlicßen
Jarlegungen bc« ©erwaltungSratße« bavon überzeugen, baß er bie heilige
©fließt iahe, nun bocß ber gufion znzuftimmen, unb banf ber Actien*
Zaßf, bie er Vertritt, wirb bie ©erfcßmelzung mit erfreulicher ©Jehrßeit
befcßloffen. 3«&t ift nur noch nötßig, neue Actien berjenigen ©efeflfehaft
au«zugeben, bie bie anbere auffaugt, unb ein möglicßft ßoße« Aufgelb
in bie Jafdje zu fterten. ginanzgenie«, benen felbft biefe JranSaction
noeß b ü öerwidelt unb geßirnbelaftenb erfeßeint, ift bie ftntple Reugrün*
bung ober bie äugenblirtlicß noeß beliebtere EapitalSerßöhung zu ent*
pfeßlen.^ $ier feiert ber Agiotage*Stumpffimt feine feßönften unb leieß*
teften Siege. ©fan vermehrt ba« Eapital ber unglüdlicßen ©efeßfdßaft,
für bie man fteß interefftrt, fo lange, bi« fie außer Stanbe ift, eine
Jivibenbe zu zahlen. Jann wirb ba« Eapital rafcß wieber verminbert,
wa« börfenteeßnifeß Sanirung heißt unb abermals erflertlicßen ©ewinn
abwirft. 3ft bie Eonjunctur günftig unb merft ber intefligente ©anfen*
leitet; bie« bureß einen Sufall, — nteift merft er e« aßerbing« nicht —
bann fann ba« graziöfe ActiengefellfcßaftSfpiel wieberßolt mit Rußen
betrieben werben.
Sehr finbige, befonber« jüngere Jalente, bie über bie Schablone
ßinauSftreben, fömten bureß bie gabrifation von ©erüeßten unb Scßroinbel*
bepefeßen in ben L Ruf ßervorragenben Sdjarfftnn« fommen. greilicß
finb aueß ßier feßon bie Elicßä« beliebt, toa« feine Urfacße barin ßat,
baß bie ©örfe immer wieber gerabe auf fie mit ©egeifterung hinein*
fäßt. So wirfen KabeUJelegramnte über bie Sage be« amerifanifeßen
Eifenmarfte« regelmäßig burcßfcßlagenb, auch wenn fte au« Samtfee
fommen, unb erzeugen EourSveränberungen von einem Umfange, ben
fogar verbürgte Seltfrieg«=Erflärungen nießt ßeroorrufen. Regent
maeßen fteß gälfcßungen ber ©fonatSauSweife wichtiger Kohlengruben,
unb ber ßübfcße Jrirt, ben Reingewinn eine« Eifenwerfe« ftatt mit
100,000 ©ff. mit 1 , 000,000 ©If. zu beziffern, wirb um fo lieber an:
gewanbt, al« fein bißig Jenfenber ben abgeßeften ©örfenherren berartige
fleine Schreibfehler Verübeln fann. ©iel zu wenig nußt man bagegen
noeß eine Anregung au«, bie in bem ©roceffe zwifeßen ben beiben Xele*
grapßenbureauy Solff unb ^irfcß gegeben würbe. Ein 3 CU 9 C äußerte
fteß babei, man habe ißm erzählt, baß in bem amtlich bebienten Solfj*
feßen ©ureau naeß einer geßeimen Anmeifung wichtige politifcße Rach*
rießten, bie auf bie ©örfe Von Einfluß fein fönnteif, vor ißrer ©er*
öffentltcßung bem Haufe ©leicßröber Vorzulegen feien. 311« einmal eine
Jepefcße au« Argentinien eingelaufen unb veröffentlicht woTben fei,
oßne baß man fte erft bem &aufe ©leicßröber vorgelegt habe, fei beßßalb
großer ßärm gefeßlagen unb ber für biefe« ©erfeßen ©erantmortlicße ent=
laffen worbett.
Ja« ift bie 3nteßigenz ber Hochfinanz, Von ber un« täglicß
Sunberbinge berichtet werben, ©on folcßen Schlägen erzittert ba« £«$
unfere« mobernen SirtßfcßaftSlebenS, bie ©Örfe. Ein Hußo Söwp
terroriftrt fte; Jummejungenftreicße, auf bie fein Racßtwäcßter ßineiw=
fiele, beftimmen ißre Jenbenz-
Emil 8 °^ a » ber in feinem ©örfenroman zum 3uleS ©erne ge*
worben ift wie anbere Scute nteßr unb fteß in erßißter ©ßantafte ben
ginanz=Uebermenfcßen conftruirt ßat, weiß von beriet feßließten Kunft=
griffen aßerbing« wenig zu melben. E« ift überhaupt ber glucö unferer
©anfweltgrößen, baß wir fte zur ©ottäßulichfeit ßinauffeßrauben unb
ißnen liebe Aßtag«=2umpereien unb =Rarrßeiten gar nießt Zutrauen,
©anz abgefeßen von ber babureß bebingten Erfcßwerung be« ©efcßäfte«
Zwingen wir fie au# zu geiftigen Anftrengungen, benen fte nießt ge*
waeßfen finb unb bie ißre Sage unVortßeilßaft Von ber be« einfachen, oßne
Scßlußfcßeine arbeitenben Abruzzenbewoßner« unterfeßeiben. Jie ©erriiter
©orfengrößen ßaben ißre Rttven bocß nießt aueß geftoßlen.
Caliban.
Vramattf^e äaffaljtttttgcti.
„Jer König von Rom." Jramatifcße« ©ebießt in fünf Aufzügen Von
Otto V. b. ©jorbten. (Kgl. ScßaufpielßauS.)
Jroß bem guten ©eifpiele, ba« ber mit Urlaub überlaftete Dleicß«*
fanzier gegeben hat, werben nießt aße beutfeßen Staatsbürger fpom*
ftreieß« bio Seltfirmcß auffueßen. Unb unter ben AuSerwäßltcn, bie
fieß biefen ein biScßen zweifelhaft werbettben ©enuß leiften fönnen, wirb
nur wieber ein fletner ©nttßtßeil in ber Sage fein, Roftanb« „Aiglon"
nießt zu Verfteßen unb bocß zu bewunbem. * Jer freiwillig ober unfrei*
willig 3urürtgebltebenen, ber freiwillig ober unfreiwillig Vom Anblid
Sarali« AuSgefchloffenen hat fieß H err Otto V. b. ©forbten angenommen,
ben man 6 ereit« al« bramatifeßen Jicßter fennen unb fürchten gelernt
ßat. Er befeßeerte un« einen beutfeßen Rapoleon granz Qofcf, Herzog
von Reicßftabt, fogar einen in gatttben, unb aueß fein Aiglon warb'einc
Hofenrode. Sa« in ©ari« Sarah ©entßarbt nießt vermocht, ba« ver*
ntoeßte in ©erlin gräulein Rofa ©oppe nießt. Unb wäßrenb in ©ari«
Rionfteur Roftanb zeigte, baß glänzenbe Jßeatcr*Routine, fprüßenber ©eift
unb filberblanf gefd)liffene ©erje bocß noeß lange fein gute« Stücf er*
geben, bewie« in ©erlin Otto V. b. ©forbten, baß berfelbe Effect erzielt
werben fann mit fcßlecßterbing« elenben ©erfen, gciftverlaffener Rücßtern*
ßeit unb hilflofer Eouliffen*JiIettanterei.'
Jer große Rapoleon ift feit gehn gaßreit tobt. Am Hofe von
Scßönbrunn amüfirt fid) naeß iieben«würbiger Knabenart fein einziger
Soßn, ben man in ber Siege zum Könige Von Rom frönte, unb ber,
Jan! bem Einfluß ber baitubijcßcn Sitfte, ba« ©egentßeil eine« Seit*
eroberer« geworben ift. Run, ber H ev 5°3 ücm Reicßftabt fann nießt«*
beftoweniger mit feinem H°f e Z u frieben fein. Sauter eble, brave Seute
umgeben ißn unb müßen fieß um ißn; er lernt ben guten Kai jer granz,
ben zu Unredjt verläfterten marteren s JRetternicß Von ber benfbar beften
Seite fennen, unb feine Rhitter nun gar, Rtaria Suife, bie Kaiferin*
Sittwe — nein, ba« ift eine zu liebe Jante! Scßäitblicß, wie mau fie
Digitized by v^.ooQle
T*
Nr. 18.
Die töegetttpari
287
in ber fogenamtten SBeltgefdjidjte Oerläftert bat, ftc unb ben ganjen
SBiener §of! 3>er blutjunge $erjoa üon Leicßftabt lebt unter ißrem
Stufte tote im Scßlaraffenlanbe. AIS er nun gar bie erften ©lütten
ber Siebe gepflüdt, als ißm bie bilbßübfcße ©raßeraogiir Renata ißr
H er $d) cn au f betn ^ßräfentirteller entgegenbringt, ba müffte er pcß boeß
eigentlich aufrieben imb glüdlicß preifen. Seiber treten jroei Störungen
feines SBoßlbepnbenS ein — fonft märe bie ©efeßießte ja fein S)rama!
— linb richten ben armen Kerl au ©runbe. ©rfienS ßuftet er, toaS
fein feligeS ©nbe an ber Sdjtoinbfucßt borbereitet; unb aroeitenS feßt
ibm Der alte General Vertrdnb, LapoIeonS leßter ©etreuer, troß aller
VorpcßtSmaffreßeln SLarie SuifenS ben Kopf boller ©rillen. $)er curiofe
alte ^aubeaen überbringt bem Könige bon Lont LapoleonS Ießte ©rüffe,
baju ben £>egen bon Abufir, ben 9ftarfd)aHftab bon Aufierliß unb ben
biftorifeben alten Hut. ©r entrollt ein fo ergreifenbeS Söilb bon ben Qualen
beS cinfanten ©efangenen auf St. Helena, baff ficb im $erjen beS pebemben
3ünglingS fcbnurftracfS eine Leüolution boHgiebt. ©r Oerabrebet mit Ver=
trano ben üblichen glucßtplan, träumt bon einem griebenSlaifertbum unb
inaugurirt eS babureß, bafs er 9Rutter unb Vraut brutalifirt. Seiber
oerbtubern allerlei Qtoifcßenfälle, über bereu Vebcutung ich mir nicht
reeßt Har getoorben bin, bie glucßt; Vertranb aießt ficb mit einigen
brüdebergetifeßen Lebensarten bon ber Affaire aurüd, unb ber arme
§et^og bon Leicßftabt bleibt au weiterem Arfabierleben üerurtßeilt. Aber
er fann baS gäßrenbe $)racßenblut nicht mieber in bie befannte SRilcß
juriicfbertoanbeln. $>er ^batenbrang unb ber ©äfarentoaßn fiitb in
feiner feßtoaeßen ©ruft ertoaeßt, er raft unb tobt, mill burcßauS feine
Vernunft annebmen unb ftürjt am ©nbe, bon einem SBlutfturje betroffen,
tobt an ber überlebensgroßen Statue beS überlebensgroßen VaterS ju=
fammen. SLerfnmrbiger ©Seife fleht bieS ©ilbertoerf ,im ©arten bon
Seßönbrunn, too man boeb Mm faiferlicßen Knaben feine ßerfunft unb
feine Ableraeburt beraeffen machen moHte, too boeß SLarie Suife regiert,
bie ben üerftorbenen ©emaßl febaubentb einen SRinotauruS nennt, $)a
jeboeb in ber Scblußfcene eine ©ontpagnie Solbaten aufmarfebiert unb
bem tobten Aiglon alle Leü£rena enoeift, tröffet man ficb mit biefer
ber 2Birfliebfeit fein nadjempfunbenen, echt bramatifeßen 3Me über alle
jonftigen Untoabrfcßeinlicßfeiten ßintoeg unb gebt bergnügt nach H au fe.
©forbten bat bie Abffcßt gehabt, ben berlorenen Sonnenflug eines
Kranfen ju feßilbern, baS SRiffüerßältniff awifeßen ftürmenbem ©Sollen
unb jcßtulnbjücßtigem können. $>eS VaterS gigantifcßeS ©eifpiel peitfeßt
ben fd)toacßen Sohn au Anftrengungen auf, bie über feine Kraft geben;
nach furaem Laufcß bricht er in bie Kniee unb berenbet am ©Seae, ehe
er noch ben erften SReilenftein ßinter ficb bot. tiefer Vorroutf fann
einen geftaltungSfräftigen dichter unb Seelenfdplberer rooßt regelt.
Aber ^Bforbten begnügt pcß bamit, ©efebiebteben unb Anefboten aufammen=
mfeßren. Seine engbrüftige Vßuutafie fommt über bie allerbulgärfte
©rpnbung nid)t hinaus, unb ftatt baS tragifeße Scßidjal beS jungen
gürfteit in ftraffer ^>anblung au entwidelu, rebet er rubeloS barüber,
läßt er feine ^erfonen eraäblen, maS er bilben follte. 5>ie jäße
SBanblung ber 3BefenSart Laboleon^^ona 3ojefS, aus ber ein mirflicber
2)ramatifer ein bfb^ologifcbeS KabinetSftücf gefdjaffen bot, bleibt bei
$forbten unberftänblicb; ftatt beS franfen, oor ber Xßat ntüben, toetl
muSfelfcbmacben ^elbenfobneS aeidpet er ein fiecßeS ©efpenft, einen pex*
Oerfen Knaben, ber fieß an Süßigfeiten ben SRagen überlaben ßot unb nun
ber SlbmecbSltfng ßolber mal bie S3eftie fpielen miH. 2)ie Unbeträchtlicßfeit
ber ^forbten'fcßen Arbeit mirb Oon bem SBerfafjer jelbft grell beleuchtet
bureß feine unglücfltcße ©emobnßeit, Samben a u jeßreiben. 2)aburcß
nimmt baS 3Berf eine ©efbreiatßeit an, bie fomifcß unb mibermärtig
S leich mirft; babureß aeigt ftef) bie Qebe unb ^lattßeit ber Sprache in
enfaeßer Vergrößerung, 'feer 33erS ßat unter ben 23anaufen üon
ßente feßon geinbe genug, bie 3Rufff gebt allmählich auS ber SBelt —
meßßalb ftrengt fid) ba ^err Dtto o. b. Vforbten fo übermäßig an,
ben Vroceß noeß au befcßleuntgen unb ad oculos au bemonftriren, mie
tief elenbe Sambenpoefie unter ber elenbeften V^ofa fleht ?
■HfMfr
S3on to. Vofcßinger'S SiSmarcf^Vortcfeuille ift foeben
ber fünfte SBanb in ber ©eutfeßen S3erlagS=?lnftalt in Stuttgart er*
febienen. ©r bringt toieber neues unb mertßboHeS Material über ben
2llts LeicßSfanaler. Querft eine ^Inaaßl bon ©iSmarcf perfönlicß ober in
feinem Aufträge geaeießneten Kunbgebungen unb einen 5luffaß über
StSmarcTS Slufentßalt in SerriäreS im 3aßre 1870. hierauf folgt, in
Sortfeßung ber bon fßofcßinger feßon einaelnen SRUarbeitern SBiSmard'S
auS bem Leffort beS 'ÄuSmärtigen §(mtS getoibmeten Sluffäpe, eine
MS 1874 reießenbe ©iograpßie beS früheren ©efanbten in Hamburg,
b. Kufferom. 2)er jeßt borltegenbe Xßeil beßanbelt beffen ^ßätigfeit als
Diplomat im SluSIanbe bis 1871 unb als 9tbgeorbneter im erften
®eutfcßen LeicßStage, fomie eine bamalige Arbeit auf bem ©ebief beS
SeeredjtS in KriegSaeiten, bie getabe jeßt ein actuclleS Sutereffe ßat.
©in meltgefcßicbtlicbeS Sßerbienft bürfen toir Kufferom ebenfalls aufeßreiben.
Ladß 2luSbrucß beS beutf<ßsfranaöfif<ßen Krieges als ftellbertretenber $ot*
fcßaftSratb naeß Sonbon entfanbt, berbanfte er feinen ©eaießungen au
bem ißm feit Soßren befreunbeten ©igentßümer eines ber angefeßenften
Sonboner Sournale am borgen beS 25. Sluguft 1870 bie oon einem
auberläfftgen KriegSbericßterftatter foeben telegrapßirte Lacßrüßt bon ber
plößlicßen ^Ibf^toenfung 9Rac SRaßon’S bon ©ßalonS unb bon feinem
©intreffen in LeimS mit bem Vlane, längs ber belgifcßen ©renae auf
2Reß au marfeßiren unb bie bort elngefcßloffene ?lrmee 33aaaine’S au
entfeßen. ®iefe für bie beutfeße KriegSfüßrung fo überaus mießtige
Lacßricßt überbra^te Kufferom fpornftreicßS bem 9RiIitäratta<ߣ bei ber
Söotfcßaft, bem bantaligen iERajor, fpäteren ©eneral ber Artillerie b. 9?oer=
banSa. Kufferoro erinnert noeß lebßaft, toie biefer, bie Karte beS
KriegSfcßaüplaßeS bor fieß, bie bamaligen Stellungen ber berfeßiebenen
^eereSförper ber beutfeßen unb franaöpfcßen Armeen ermögenb, mit bem
Sirfel in ber £>anb bie faft unausführbar erfeßeinenben ©efeßminbmärfeße
beredßnete, beren eS für bie beutfeßen SlrmeecorpS bebürfen mürbe, um 2Rac
3Raßon ben SBeg au berlegen. Auf ©runb ber SRittßeilungen Kuffe=
rom'S rebigirte LoerbanSa ein Xelegramm, toelcßeS enttoeb^r unter feinem
Lamen ober unter bemjtnigen beS ©otfdjafterS unberaüglicß naeß bem
beutfeßen Hauptquartier abgefertigt tourbe. ®ieS ift bie ßiftorifeße Sons
boner $)epefcße, oon melier HRoltfe in feiner „©efeßießte beS beutfeß^frans
aöfifeßen Krieges" feßreibt. Später (1874) maeßte Kufferom im LeicßS^
fanaleramt bie SBaßrneßmung, baff bie überfeeifeßen 2lngeleßenßeiten fieß
au ben europäifeßen quantitatio ungefäßr toie bie Kaiferlicße SRarine
au bem beutfeßen £«re terßielten. 5)ieS follte anberS ioerben. Lqcß
Ablauf beS SuterimS erbat er pcß beffßalb unb erßtelt bie ©rlaubniff
aur Söegrünbung eines befonberen überfeeifeßen $ecer»tatS. 3u biefen/
bearbeitete er bie HonbelSbeaießungen mit ben überfeeifeßen Staaten unb
namentlich bie beutfeßen Leclamationen, melcße in auffereuropäifeßen
Staaten ober in uncioilifirten Legionen in Solge toon Verlegungen ber
Lecßte ober 3ntereffen beS LeicßS unb feiner Angehörigen entftanben
unb ßäupg aur Lequirirung Oon laiferllcßen KriegSfcßiffen Anlaff boten.
Hieraus entmidelte pcß allmältg eine immer fräftigere überfeeifeße ^olitif,
bis biefe trieberum aum Sieg beS colonialen ©ebanlenS unb aur ©r*
toerbung eigener beutfeßer ©olonien füßrte. ©leießaeitig mit bem neuen
Vanbe beS „ViSmard-Vortefeuiüe" erfeßeint Oon H* U. V°f4inger in
ber VerlagS-Anftalt aueß ein ameiter Vanb „Anfpracßen beS gürften
©iSmard", ber unS ben angeblicß „altgemorbenen" LeicßSfanaler a. 5).
alS noeß immer jugenbfrifeßen Lebner aeigt, — Oon ber oerßängniffs
oollen ©ntlaffung bis au ber auleßt oeraeießneten öffentlichen Anfpracße
3uni 1897 an bie naeß bem Sacßfemoalbe gefahrenen 3Ritglieber beS
S)eutfcß-nationaien LabfabrerbunbeS.
„3n/n SLibbellraug". Von D. Viper. (AJiSmar, Hiuftorff.)
S)aff eS aueß beute nodß Originale giebt, toenn man ffe nur au pnben
oerfteßt, lernen toir auS ber üorliegenben ßübfcßen ©efeßießte, bie im
Leuter’fcßen Vlatt gefeßrieben ift unb einen neuen VetoeiS für ben feinen
finnigen Humor erbringt, mit bem ber bureß feine üorjäßrige platte
beutfeße ©efeßießte: „Ut 'ne lütt Stabt" bereits in toeiten Kreifen bes
fannt geworbene Verfaffer Seben unb 9Renfcßen erfeßaut. 3Ran benfe
ließ als bie beiben H c iMn beS neuen VueßeS einen pari angejaßrten
3unggefeUen üon altem mecflenburgifcßen Abel, ber ein fefjöneS ertrag^
reicßeS Littergut mit 3ofl^ 3«u unb gutem Lotßfpoßn glüdlicß oerpufft
ßat unb nun oon ben Vertoanbten auf eine gana Heine Leute gefeßt ip,
unb als feinen ©enoffen einen einftigen VförramtScanbibaten, ber naeß
maneßen S^rfaßrten als H°uSleßrer feine geiftlicße ©arriöre alS —
©bauffeegelbeiuneßmer befeßliefft. SBer ein greunb beS fßlattbeutfcßen
unb eines gefunben HumorS ift, follte an bem ßübfcß iHuftrirten Vucße
nicht üorü6ergeßen.
Digitized by v^.ooQle
288
Die töegenwart.
Jtna«ig«n.
Bei BegeHungm berufe nuot füfj auf bte
„®efljenroarf‘'.
Gesucht
>otrb etn H^achtir für eine
berliner Srrauenaeitung. Xäglid) ©ormittagS
brei ©ureauftunben. jjabreägebalt 4800 SWarf
unb jährlich jroeimal Vieren $aae Serien.
Angebote mit Angabe bisheriger DtebactionSs
Stellungen unb perfönlidber rote brieflicher
©<briftftefler=©efanntfdjaften unter U* H. 972
burd) Haasenstoin & Vogler. A.-9., Ber¬
lin, W. 8.
©erlag tion Sßil^flm ftevfc in ©erlitt.
Soeben erfcbien:
#eorg non ^unfen.
©in ©barafterbilb aitS bcm Säger ber
©eftegten, gezeichnet von feiner Xodjter
Poric »an Suttfett.
•22 ©ogen Oftav.
2Wit ©ucbfdjmucf Von flttarie von ©unfen
unb einem Porträt in Heliogravüre,
©ebeftet 6 2tt. ©ebunben 7
$unbert Ortainal * ©ntatyen
d. ftreunb u. getnb: ©jörnfon
©ranbeS ©ü$ner CrtSpi $)af)n
Raubet Sgtbp Montane ®rotlj
$aecfel fcartmann $cbfe $or»
*nt ban fttpling ßeoncapaUo Stit*
bau ßombrofo SRcfätfcberSH
Algra Korbau OGiöier Betten»
fofer ©alteburv ©Icnrtemica
©Imon ©peitcer ©ptertjagen
!#!■#? ©tonleb ©toeefer ©trtnbberg
fCIRil {)ni|CI9ffCI. ©uttuer SBilbenbrud) ©erner
ßola u. b. «.
©leg. gelj. 2 ©1. Pont bering ber ©egenwnrt,
©erltn W. 67.
•^S «^* «^* «^* «A*
Königliches Bad Oeynhausen.
Sommer^ u. 3Binter=$urort. Station
ber Stnien ©erlinsftöln unb Söbite=
HübeSheint. Sommerfaifon v. 15.9Rai
bis ©nbe Sebt. SBinterlur oom 1 . Oft. bis TOitte Sttai. Äurmittel: 9faturro. foblenf. Jh^ntalbdber,
Soolbäber, SoolsQnbalatorium, SSeöenbäber, ©rabirluft, 2Kebiconted)an. Sanberinftitut, SRöntgeiu
fammer, öorjügl. Rolfen? u. 9ftiltf)furanftalt. 9lcucä £bermalbabeba«$ am 15. 9tai 1900
eröffnet. Snbtfattimcn: ©rfranf ungen ber Nerven, bcS ©ebiritS u. üiücfenmarfS, ©iebt, 3RuSfeU
u. ©elenfrbeumatiSmuS, H^rzfranfbeiten, ©fropbulofe, Anämie, ebronifebe ©elenfentaünbungen,
ftrauenfranfbeiten u. f. ro. Äurfapefle: 42 Slufltcr, 120 borgen Shtrparf, eigenes Äurtbeattr,
©äße, Äonjerte. Allgemeine SBafferleitung u. ©cbroemntfanalifatton. ^rofpette u. ©efebreibung
überfenbet frei bie Äontglidje ©abevcrroaltung.
„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Kranhhelteeraeheinungen,
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
Über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von */ 4 1 75 PI in
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr« Carbach & Cie«
Bad Reinerz,
klimatischer, waldreicher Höhen-Kurort — 568 Meter — in einem
schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Glatz, mit kohlensäurereichen Eisen-Trink-
u. Bade-Quellen, Mineral-, Moor-, Douche- u. Dampf-Bädern, Kaltwasser-Procednren,
ferner eine vorzügliche Molkc^i-, Milch- u. Kefyr-Knr-Anstalt. Hoehqnellenleitnng.
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmnngs- u. Verdauungsorgane, zur Ver¬
besserung der Ernährnng u. der Constitution, Beseitigung rheumatisch-gichtischer
Leiden u. der Folgen entzündl. Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang Mai« Prosp. gratis.
,1 ry ir/Vir/vT«y\iy>.*» '■'? f
$ie ©egentoatrt 1872-1892.
U« nafer Saget ju räumen, bieten mit nuferen ätbanucnteu eine gänßtfe
(Selegenfieit jur ©etnoOflänbigung bet (Sodectiou. So weit ber ©orratft nidft,
liefern mir bie 3a^0änge 1872—1892 a 6 1. (ftatt 18 ©1.), $altja*r«-
©änbe k 3 St. (flatt 9 9K.). Oebnnbene ^a^rgänge a 8 SK.
»erlag ber (Segentoart in ©erlitt W, 57.
Afab. gcb. 6dbriftftcllcr, bi«b- bublidft.
(Uter. Äritif) in 53crlin tfjätig, energ. getoiffen=
baftc ArbeitSfraft, Vor*, ©bra^fenntnijfe (fran=
Zöfifd), englifeb), perfettet ®teno$xapp,
99dfd)ittmfd)teibif (Hammoitb), fud)t unt.
bcW. Anfhr. in Mrbaftion, ^fteaterfefretariat,
»ctl-©iid6ftWQ. r literar. gnfttt. k. Stellung.
Offert, an b. ©jp. b. ©egenroart unt. A. 6.
Stottern
heilen dauernd Dir. G. Denhardt’s
Anstalten Dresden-Xiosohwltx und
Burgsteinfurt, Westf. iierrl che Lage.
Honor. nach Hei lg. Prospecte gratis.
Aelteste staatl. durch S. M. Kaiser
W Uhelm Z ausgezeichn. Ans t. DeutachL
Manuscripte.
3«r SSerlagäübernabme Von 2Ranu-
feripten biftorifier, boHtifcber, fd)öntviffen=
f(haftlicber jc. Utid^tung empfiehlt fkfj bie
SSerlagSbucbbonblung von
Richard Sattler, frmmfdpndg.
(©egrünbet 1883).
Ceranttt)orUt(ter Äebacteur: Dr. ßpUlttg tn ©erltn.
■ ThlrUclathM.
Technikum Jlmenan |
flr IbmJUbm- bb 4 Ktoktr«-
Iifoiloir«. »TMhafktr i.-W#rkm»lit*r |
Dtreetnr Jtitzem.
$i8ifltd(s iladifolgrr.
9loman
öon
< §$eo;p§iC ^ofCxrig.
W Polttauigab«.
Sßrete 3 9Karf. Sc^Ön gebunben 4 3ftarf.
tiefer S3i8mard=©aprivi=9toman, ber in
tuenigen fünf ftarfe Auflagen erlebt,
erfdjeint bter in einet um bie Hälfte billigeren
SSoIfSauSgabe.
®ureb alle S3ud)banblungen ober gegen ©ins
fenbung beS öetrag§ poflfreie 3 u f en ^ urt 9 öom
Ocrlag der Gegenwart,
SBertin W. 57.
3 n unferem Verlag ift erfdbienen:
Pie ©egciauart.
ffiottukbrtti fSt L*ttmtt3t fmdl nb WnlDtrt eWa.
#rsrrsl»Mrflfler 1872-1896.
©rftcr 5id fünfzigftet ©anb.
3JMt ^ac^trägen 1897—99. ©e^. 5 uT
©in bibliogra^bif^e« Serf erfien
IRange« über baö gefammte öffentliche,
giftige unbfünftlerif^eSehen ber lefcten
für bie Sefer ber „ jegen»aTt , ', ^fo»U
für miffenfcbaftlid^e :c. Arbeiten. Ueber
10,000 Artifel, nach Srädjern, ©erfaffent,
©cijlagmörtem georbnet. 3>ie Autoren
bfeubon^mer unb anonymer Artifel ftnb
burebtvea genannt Unentbcbrlicb für
jebe ©ibliotbef.
Auib bireft gegen Sßoftamvetfung ober
91acbnabme Vom
Verlag ber töegeuwart
»erlitt W 57.
Stebactton unb ^ebttton: ©erltn W., Uanfteinftra^e 7.
Drucf Von $cffe A ©eder tn !
Digitized by v^.ooQLe
M 19.
|$erCm, 6en 12. ^dai 1900.
29. Jahrgang.
Band 57.
pe 6t0cnumrt.
Sßodfjenfdjrift für Siteratur, funft unb öffeutlid^eS geben.
^erausgegeßett bott ^eopßU ^offlttg.
leben Smnwbenb erfibeint eine fbnmner.
gu bfjteljcn burc§ alle ©u^fjanblungett unb ^oflämter.
Verlag ber ©egentoart (n ^Berlin W, 57.
Sttrttl!3»tllil) 4 ü 50 r* Ctne Hunter 50 Df.
Snferate jebet Ärt *to 8 gehaltene qßetttjeUe 80 qjf.
Inßaff:
3ur 23eruf)tguttg be8 fociaten ©etuiffenS. 93on $arl 9?oefcel. — $ie SBärme unb bie Sftaffenaftractton. SBon Qngcnieur
©uftato £>. (Saft. — Siteratur unD Ättnft. 3 U fie&eit. SSon Otto $irffen. — 9lu$ ber SBiener £fjeatergefd)td)te.
SSoit ©bttarb non Samberg. (@d)Iufj.) — gruületott. £>olje§ Spiel. Son SouiS ©ouperu3. ?luS bent $oflänbifd)en.
(gortfefcung.) — fcwö 5er $auptftabt. ©ala=Oper. Son Caliban. — 9?otijen. — ^njeigen.
3 nr Oernljtgitng bes foctnleti (gewiffens.
Son Karl Hoe^el.
Unter fociatem ©ewiffeit üerfte^t man baS Serantwort*
lidjfcitSgefühl beS (Sirtjefnen für bie fierrfdjcnbert fociaten
äRifeftänbe. Unftreitig t|at fid) biefcS fociate ©ewiffen in
ben testen Sat^efjnten in früher ungeahnter SEBeife ber*
fdjärft. üRangel an Sntereffe für bie fociaten fragen barf
faft fcf>on atS fittticher äRangel, als ©harafterfehter, bezeichnet
werben. Der Sefudjer einer Hod)fd)ute muß fdjoit über
einen außergewöhnlichen ©rab non ©tmnpffinn unb ®teid)=
gittigfeit betfügeit, »nenn es ihn nicht hinbrängt nach ben
allgemeinen Sortefungen über fociate Dhemata, bie je§t in
fo bezüglicher StuSwaßt auf aßen beutfdjen ^)od)fd|uten
geboten »nerben. Slber auch biejenigen jungen Seute, tnefche
nicht baS ©tücf hatten, bie Anregung einer Hodjfd)ute ju
geniefeen, atfo bei SBeitem bie ÜRetjrzaht, »nerben, »nenn fie
nur normal begabt unb entwitfett finb, itjre Slugen nicht ben
fociaten ©egenfähen oerfd)liefeen fönneu, unb eS wirb in
ihnen baS bringenbe Sertangen entftehen nach eingehenber
botfStoirthfdjaftticher Setehrung, ©ehr fein fociat nerantagte
Naturen enbtidf) — unb auch baran ift heute fein SRanget
— empfinben eS gerabeju, atS ob fie perföntief) mit ©cßutb
trügen an ber JRoth bet ©nterbten. Sei biefeit.wirb firf) in
afle SerufSpftidjterfüßung ftctS ber eine ©ebanfe brängen,
baß fie eine fßftic£)t noch nicht erfüllt haben, bie fpftidjt,
beizutragen jut Sefämpfung ber fociaten SRotf). SlttS biefen
gelteren bitbet fidt) bie ©Ute unferer ÜRationatöfonomcn.
3m Slßgemeinen atfo fucht ber ©inzetne fich baburch
mit feinem fociaten ©ewiffen abjufinben, bafe er junädjft nach
theoretifchem Serftänbnife ber loirthfchaftlichcn fragen tracfjtet.
SBie aber begegnet man biefem Sertangen nach fociater Se*
tehrung? — Sßieberum am heften baran finb bie £>odt)fd)ut*
befudjer. Die afabemifchen Sortefungen über fociate ©egen«
ftanbe tragen eben bei allen notljgebrungen weitauSfjotenben,
rein theoretifdjen ©ntwiefetungen bodj meiftentfjeilS fo Diel
bon ber perföntidjen Sßärme beS Sortragenben in fidh, bafe
fie toenigftenS nicht abfiihtenb unb ernü^terub auf ein Sit*
bungSftreben mirfen, baS in biefem fjatte faft auöf^tiefelich
öerjenSfadhe ift. ®a§ finb aber bie menigen glücftidjen
©tubirenben. 993ie aber bie Stnberen, bie SRehrjaht? —
fRun, biefe faufen fich sunächft — oftmals mit mühfam er*
fpörtem ©etbe — eines unferer an fich borjügtidjen Sehr*
bfi^jer bet SRationalßfonomie. SRit ?tnbacht bertiefen fie fid)
in bie unenbtich nüdhternen Definitionen unb tangmierigen
?tbteitungen. Satb wirb bie @acf)e fchwierig. 3htet Sor*
bifbung nach finb bie jungen Seute nicht gewöhnt an rein
theoretifche, ftreng wiffenf^afttiche Seetüre, ©ine $eit lang
quäten fie fich weiter, fchliefelid) Werben fie mübe unb Mappen
baS Such enbgittig ju, nicht ohne ganj unberechtigter SBeife
oiet bon bem ©tauben an itjre ©nergie bertoren ju hoben,
waS immer ein großer moratifdjer Schaben ift; oft aber
aud) mit einem ©efühte ber Sitterfeit, bafe ihnen baS ©djidfat
nicht bie StuSbitbung gönnte, ihren fjerzenSbrang ju befrie*
bigen. ^ebenfalls geht eine ungeheure SRenge bon jugenb*
ti^er fociater Äraft bertoren, welche, ihren Sin tagen nach
auSgebitbet, ein ganz borzügticheS SRüftzeug gegeben hotte
Zum Kampfe gegen fociate SRifeftänbe, zum Stampfe gegen bie
antinationaten unb gefehgeberifd) unprobuctiben Denbenzen
ber großen fociatbemofratifd)en gartet.
„®er grobe Seift tjat mich oerfdjmn^t!
3n Seinen ih'ang gehör’ ich nur!"
©o ungefähr benft ber enttäufdjte junge ©ociatforfcher
unb greift refignirt ju irgenb einem billigen, parteiifdj be*
fdjränften 3 e ' tun 8öbtntte, bon nun an bie einzige Duette
feiner fociaten Setehrung. DaS ©inbringen in bie wirth*
fchaftliihen Sertjättniffe übertäfet er ben ^ßrofefforen, bie er
fidh in unnahbarer SBeiSheit tljroncnb borftetlt. Unb bodh ift
gerabe bie fRationaföfonomie bon aßen 2Biffenfd)aften am
meiften zur fßoputariftrung geeignet. Denn fie fann aßer
grembwörter unb aßer gefudßten Diateftif burchauS entbehren;
fie bertangt leinertei ©peciatborbitbung unb fe^t nichts weiter
borauS atS gefunben SRenfchenberftanb.
©S fehlt unS nur ein »oirftidj populäres Sehrbuch ber
Solfswirthfdjaft. Unfere großen SRationatöfonomen hotten
eben bisher noch z u diel zu thun mit ihrer Hauptaufgabe,
ber H erQ nbitbung tüchtiger ©dhüter, atS baß fie fidh ntit ber
fßoputarifirung ihrer 2Biffenfd)aft befdhäftigen tonnten.
Sei ber ^bfaffung eines populären SehrbudhS ber fRatio*
natöfonomie wäre nun gotgenbeS zu berüdfießtigen: ßunä^ft
müßte ber lüdenßaften Sorbitbung ber Sefer in -ber Sßeife
Segnung getragen »oerben, baß bon aßen nur irgenbwie ent*
behrticheit grembwörtern abgefehen werbe, unentbehrliche Mar
unb furz befinirt werben, unb baß ber Stufbau ber Sehre
mögtichft ftar unb aflmätig auffteigenb fei. Um ferner ben
im reinen Denfen Ungeübten bor SBegmübigfeit zu bewahren,
müßte ein reidheS, praftifcß ißuftrirenbeS unb bem ©ebanfen«
freife beS SotfeS entnommenes anefbotifdj intereffanteS Sei*
Wert bie theoretifdjen Houptfä^e umranfen.
©chticßtich aber ift in biefem gafle einmal grünbtich
Digitized by
Google
290
Die töegenroart
Nr, 19.
auf bic rein wiffenfcfjaftliche DarfteHungSweife gu Dcrgichten,
welche bie ©Biffenfchaft als ©elbftgwed Iet)rt. ©ielmehr muß
bei jeber @elegenl)eit, Ido eS nicht gefchmadloS ift, burch bie
gange t^eoretifc^e Sntwidelung t)inburc^ auf ben praftifdj
ethifchen Snbgmcd alles nationalöfonomifdjen StrebenS h' n=
gewiefen werben, bamit bet Warm bergige Sefer, ber einfache
©Kann auS bem ©olle, bem bie fociale Belehrung JpergenS*
fache ift, fid) nid^t mehr fdjeu bor fo biet SSeiSfjeit gutiicf»
gießt, fonbern immer mehr gut ©inficht gelangt: ,,2tud) fie,
bie großen ©eiehrten, fie haben ©Kitleib mit ber fociaten
©loth unb wollen nichts als ©erechtigfcit unb ©olfSglüd."
©lur fo, b. h- burch baS ©Kebium ber feelifdjen ^^eilna^me,
toirb eS bem einfachen HJtanne möglich, ein rein ttieoretifdjeS
Such mit bleibenbem ©lugen burdjguftubiren, gur ©erußigung
feines fociaten ©ewiffenS, gur Srweiterung feines geiftigen
unb feelifdjen ©efichtSfreifeS, enblid) gut tätigen 9lntf>eil=
nähme an ber großen fociaten @ad)e. Unb rnenn baS ©oll
erft einmal in feinen großen SKationalöfonomen nicht meßr
ferne, in falter wiffenfdjaftlidjer Unnahbarfeit thronenbe ®ott=
heiten fieht, fonbern Warm mitfuhlenbe ©Renfcßen, fo werben
bie Srlenntniffe biefer ©eiehrten in ungeahnter ©Seife ©er»
breitung finben gum §eile beS ©aterlanbeS unb ber gangen
äKenfdjßeit. Um eS noch einmal furg gufammengufaffen: Sin
populäres Sehrbuch ber ©ollSWirthfcßaft muß burch möglichfte
Klarheit ber logifcßen Ungeübtßeit beS SeferS entgegenfommcn,
burch intereffanteS iHuftrirenbeS ©eiwerf ißn Dor Srmübung
bewahren unb enblich burch intenfiDcS ©etonen beS ethifchen
SnbgWedeS feinen SntljufiaSmuS Wad) erhalten. Mutatis
mutandis bürften übrigens biefe Slnforberungeit an alle popu*
lär»wiffenfchaftlichen Schrbücher gu ftetlen fein.
gur wirthfchaftlichen SlufKärung beS ©otfeS ift mithin
baS öauptmittel ein wirflich populäres Seßrbitch ber ©ollS«
Wirtßfchaft. Snbeffen bürfte in leibet nicht feltenen gälten
noch fine ©orauSfcgung gu erfüllen fein. Um eS furg gu
faaen: eS muß guerft bewiefen werben, baß ber Snbgwed
alles nationalöfonomifchen ©trebenS, alfo baS ©treben nach
©olfSWohl, überhaupt berechtigt ift. DaS hätte noch for
einigen Saljrgehnten paraboj geflungen, heute, in biefer geit
beS moratifdjen UebergangeS, ift eS nur aÜgu toerftänblich-
Darin hoben wir eS eben fo Diel fernerer als unfere ©or»
Däter unb ©äter. liefen ftanb ber ©laube an baS ©ute
unerfcbiitterlkh feft; wir aber müffen unS baS ©ute erft be*
weifen, ba eineStheilS geiftoolle ©Baßnpropheten baran ge»
rüttelt h°ben, anbererfeitS ber moberne troftlofe afiatifcße
©effimiSmuS bie ööltige ©tuglofigfeit jebeS menfdjlichen ©Boßl*
thunS prebigt. 2tber Wohl unS, baß Wir biefen $ampf mit
unS auSfämpfen müffen, wenngleich Diel inbiDibueller SebenS»
genuß babei Derloten geßt. Denn ift unfere etßifcße ©Belt»
anfchauung einmal fiegreidj barauS ßerDorgegangen, hot fie
alfo bie fdjonungSlofefte Äritif überftanben, fo wirb fie unS
in gang anberer ©Seife als Dorljer gum eigentlichen Werth»
DoÜften ©efigtßum. ©o werben wir fchließtich nach Ablauf
bet UebergangSgeit ben wortgewaltigen 9lufrütttern ber ©Koral
gu aufrichtigem Dante oerpflicßtet fein. §aben fie unS bod)
oeranlaßt gu einer fraftDollen, geitgemäßen SReDifion ber Sthif,
auS ber baS alte ©ute in leucßtenbem, fiegreichem Sugenb»
Ö e heroorgeßen wirb, als ein föftlicßeS Srbtßeil unferen
, ‘ommen, bie ihrcrfcitS, auf biefem fieberen ©efige rußenb,
ihre gange Äraft großen aufbauenben ©Berten wibmen fönnen.
©ßenn auch ber große SntfcßeibungSfampf gwifeßen Snbioi»
bualiSmuS unb SlltruiSmuS erft im fommenben Saßrßunbert
auSgefodßten werben wirb, fo muß, wie wir feßen, fd)on fegt
jeber tßätig im Beben Dafteßenbe mit fich felbft barin fertig
werben. Sn einem wie bem anberen galle wirb wohl ber
©treit mit einem Sompromiß enbigen: eS wirb ein etßifcß
geläuterter SnbiDibualiSmuS entftehen, ber als ©oftulat ben
SlltruiSmuS in fich einfdjließt, ober mit anberen ©Sorten:
eine mögtidjft allfettige SluSbilbung beS SnbitibuumS gum
gwede ber Unterftügung ber ©efammtßeit.
DiefeS SlHeS gur SQuftrirung beS ©tanbpunfteS, ben
im ©roßen unb ©angen wir, bie ©ebilbeten, ben moraltier»
neinenben geitftrömungen gegenüber behaupten; wir, bie mir I
gerüftet finb mit ber Äenntniß alles ©roßen unb ©Uten,
waS im ©erlauf ber Saßrßunberte gebacht unb gethan würbe. i
©Bie aber müffen foldje geiftreieße ©Koralumwertßer auf i
ben naiüeit ©Rann aus bem ©olle eüiwirfen, ber fie nicht
fritifiren fann, unb ber ihren gtäugenben ©opßiSmen gegen»
über wehrlos bafteht? SS giebt ba nur gweierlei Möglich
leiten. Sntweber er wirft fich rüdhattloS bem tir^ticheu
■Dogma in bie Slrme. Dann hot er aber überhaupt baS
©ertrauen auf eigene Äritil unb fomit Diel bon feinem inbi=
bibueüen ©Berthe berloren; ober — unb baS ift bei ©Beitem
baS Schlimmere — er berliert ben ©lauben an baS ©ute
böüig unb ift bann ein gu 21 Hem fähiges ©Berfgeug in bet
tpanb ber antimoralifchen 2lgitation. 9Kan wenbe nicht ein,
baß bem ©Kanne aus bem ©olle nichts bon aßen biefen ger*
ftörenben Denbengen gu Dh ren tomme. Dem ift burchauS
ni^t fo: SS ift fchon biel mehr bon ben moralfeinblichen
Denbengen eines unberbauten SKtefjfdieaniSmuS, eines fälfh»
li^er SEBeife auf moralifcheS ©ebiet übertragenen Darwinismus
unb noch betriebener anberer gefährlicher SSmen ht bie
unteren ©olfSfc|ichten burdjgefidert, als man gemeiniglih
annimmt. Die ©djulb baran liegt gum Dheil an bet
©leidhgittigfeit unb bem ©Kangel an Snergie, ben bie
®efetlfd|aft in ber ißopularifirung ber mobernen ©Übung
bewiefen hot, gum Dheil ober auch ber feljr energifchen,
aber tenbengiöS befchränlten Wiffenfchaftlidhen ©ropaganba
ber ©ocialbemofratie. gür biefe fßartei ejiftirt näm¬
lich bie gefammte ©Biffenfdjoft gu bem alleinigen gfoede,
ihren ©enoffen baS Sllleinfeligmachenbe beS focialbemo»
Iratifchen Dogmas gu beWeifen. ©Kan nehme boch einmal
ein in focialbemofratifchem ©erläge erfchieneneS Sehrbuch
irgenb einer ©Biffenfcfjaft in bie ßanb unb übergeuge ftch,
Wie tenbengiöS gugeftugt unb abfidjtfich entfteQt ber betreffenbe
Sehrgegenftanb oorgebracht wirb. Sine berartige Seßrmethobt
ift nun gerabe wie gefdjaffen bagu, jene an unb für fich
fchon fo gefährliche ^albbilbung burch Aufnahme unoerbauter
moberner ©erfaUgeitelemente gu einem ©tabium gu entwideln,
baS DöUige moralifche ^altlofigteit nach fich gieljt- Stuf einem
folchen ©oben lann natürlich ^ e ' ne öoltswirthfchoftliche ©t»
tehrung mehr gebeihen. feier ift erft wieber bet (glaube au
bie fittliche ©Beltorbnung neu gu raffen, gu biefem gweefe
müßte ein warmhergiger ©elchrter, auSgerüftet mit bem gangen
©Biffen feiner geit, ein im oben näher begeichneten Sinne
populäres ©abemecum feßreiben für ben einfachen ©Kann,
bamit er fich gurcdjt finbe in ben moralifthen ©Birren bet
geit. Die Derfchiebenen Denbcngen wie ©KarjiSmuS, DatWi»
niSntuS, ©iiehfcheaniSmuS, ©effintiSmuS, SnbiDibualiSmuS :c.
finb barin lurg unb Kar gu befiniren unb ebenfo im ethifchen
Sinne gu fritifiren. Die Sritif gefchehe nach ben neueften
gorrungen unter ©eDorgugung foldjer Argumente, welche
ber ©olfSfeele am ft»mpatf)ifä)ften finb. Sine folche Sfpologie
beS ©Uten, bie gugiei^ eine praftifclje ©ittenlehre fei, müßte,
maffenWeife Derbreitet, unenblichen ©lugen bringen. 2111er»
bingS ift baS eine fehr fchwere Aufgabe. Slber Warum foHte
nicht auch einmal ein ©ertljeibiger beS ©Uten fo Diel ©eift
unb hinteichenbeS geuer hefigen wie fo Diele feiner Singreifet?
Sarlple hatte biefe großartigen ©Inlagen, aber er war nie*
mals populär, ba er Diel gu fchWerDerftänblich fchrieb. Sntmer»
hin mag er als ©orbilb bienen, er unb ber wunberbar Bare
Smerfon. SebenfaHs ift baS eine Aufgabe beS Schweißes
ber Sbelften wertß. ©Bern biefer ©Burf gelingt, wahrlich»
ber hätte auf ethifegem ©ebiete leinen geringeren ©uffm, als
auf mebicinifchem beifpielSweife ber Srfinber ber 2lntifep{tS.
Diefer fdjügt ben Jförper Dor lebengerftörenben Sleimen, jener
aber bewahrt bie Seele Dor morattöbtenben ©KiaSmen unb
macht fiejwieber aufnahmefähig für alles Dasjenige, waS ben
fRuhm unb ben ©tolg beS ©KenfchengefchtechteS hübet.
Digitized by v^. ooQie
d
Nr. 19.
Die (j&egtnwart.
291
Dir Warme ntrt) bte Ütaffenatfraction.
Sott 3ngenieur (SnftaD £j. Caft.
SS ift ein bcbeutfameS Problem ber allgemeinen ipbftfif,
baS SBefen ber SRaffenattraction ju erforfdjen. SBir miffen,
bafj bie SDfaffenattraction ben feften unb ben ftüffigen Slg*
gregatjuftanb bebingt, aber üielfad), ja fogar allgemein, neigt
man ju ber 9Tnjtcf)t, bafj jtoifdjen ben einjelnen ÜRotefülen
ber Safe bie SRaffenattraction aufgebört habe. auch jtöifc^en
ben einjelnen SBeltförpern mirb wobt bie ÜRaffenattraction
mitten; bei ber Sonne, ihren ^taneten unb beren Trabanten
ift eS ficber ber gaU. SBir rotffen beute mit Sicherheit, bafj
bie phbfifalifhe ^C^eifurtg ber SRaterie ihre beftimmte ©renje
bat. «uf hemifhem SBege ift allerbingS noch eine toeitcre
Verlegung möglich, aber auch biefe bat eine beftimmte ©renje.
TaS le^te p^gfifalifc^e Tbeildjen ber ÜRaterie ift baS SJioIetül,
beffen IcftteS djemifdjeS Tbeildjen baS atom ift. innerhalb
bet SRaterie fuhren bie ÜRolefüle beftimmte ©emegungen aus
unb innerhalb beS SDfotefütS bie atome. Tiefe finb mate*
rietle Körper, fie befiften eine getoiffe auSbepnung unb eine
beftimmte gorm; fie nnterfdjeiben fiep burcb ihre relatioen
©emicpte unb burdj bie 93emegungen, meldje fie auSfübren.
Sie finb unjerftörbar unb unheilbar burcb Pbbfifalifcpe unb
djemifcpe Äräfte, für meldje fie fojufagen als SlngriffSpuntte
bienen. Tie ©erfdjiebenpeit ber SWaterie beruht auf utfprüng*
lieben, bem SBefen ber atome cigentbömlicben Unterfcbieben
unb ben Sigenfcbaften, burcb toelcbe ficb biefe Unterfdjiebe
geltenb machen. — Tie atome jiepen ficb gegenfeitig an, toir
tennen biefe Sigenfcbaft als djemifcbe Sfffinität. Ünjtoeifel*
haft ift biefeS eine gorm ber allgemeinen anjiepung. Sie
erjeugt aggregate bon atomen, ©ifolefüle, djemifdje Serbin»
bungen. Sn biefen finb bie atome nicht mehr frei in ihren
©emegungen, fie führen biefeiben unter ben gegebenen Um*
[tänben aus, unb bilben ein für ficb abgefdjloffeneS, aber
jebenfaHS fein unabhängiges Stiftern, b. p. ein SRolefül. Sin
9Ro(efü( hat eine beftimmte SJfaffe, einen eigenen Schmer*
punft unb feine eigene ©emegung. Tie Snergie biefer mole*
fularen ©emegung beftimmt eine feljr miebtige, phbfifalifdje
Sigenfdjaft, bie Temperatur.
3toifdjen ben atomen unb jtoifepen ben ÜRolefülen be*
finbet fic| jenes übergafige SRebiunt, baS baS all erfüllt
unb alle Sfräfte übermittelt, ber aetber. Ter aetber ift
nicht baS ßeete, mie man ficb leicht OorjufteHen neigt, er ift
Oielmehr ein ÜRittel, melcbeS oon einer unenblid) feinen,
etaftifheg 3Raterie gebilbet mirb, melcpeS in ununterbrochenen
Sdjmingungen begriffen ift, bie ficb t>on ber atomiftifeben
SRaterie bem aetber, unb Oon biefem ber atomiftifdjen Materie
mittheilt. Db ber aetber ein continuirlidjeS 2Rittel ift, ob
er ähnlich ber getoöbnlidjen ÜRaterie biScontinuirlicb ift, unb
aus atomen jtoeiter Drbnung, eine SIrt oon ÜRonaben be*
fteht, toer fann barauf eine Slntmort geben? SebenfatlS ift
es toafjrfheinlidjer unb fpridjt ©ieleS baffit, bafj ber aetber
eine biScontinuirlidje Sonftitution befiftt. SBir erflären uns
heute bie Slafticität einer Subftanj burcb bte ÜRögtidjfeit,
burdb Trud bie ©emegungSfpljäten ber SJtolefüle beeinflußen
ju fönnen, pört ber Trucf auf, fo tritt ber urfprünglicbe
3uftanb ber SRotefularbemegungSfpbäre rnieber ein. Stefmlidj
mirb eS mit bem aetber fein. Terfelbe muh, um feine
enorme gortpffanjungSgefdjminbigfeit ber SBeQen erflären ju
fönnen, aufjerorbenttid), napeju ooHfommen, elaftifcb fein.
§ietburdj finb mir berechtigt jur annafjme feiner TiScon*
tinuität. äueb fßriffon neigte ficb ä u biefer annabme, in*
bem er für unmabtfdjeinlicb hielt, bafj fid) bie ßidjtfcpmin*
gungen in einem continuirlidjen SRittel tranöoerfal fortpflanjen
fönnen. fiafage erneuerte bie ipppotpefe ber tranSmubanen
atome, unb nah feiner anfidjt ift eS baS ffleftreben biefeS
gluibumS, toeldjeö bie gegenfeitige anjiehung ber SBeltförper
betotrft. Ter aetber oerbinbet olle Tpeile beS aus mit*
einanber. Sr empfängt bie Sdjmingungen beS ßicptS, ber
SBärme u. f. m. unb pflanjt fie mit enormer ©efdjminbigfeit
burcb ben fRaum fort, ©ne SBeQe, bie beifpielsmeife oon
ber Sonne auSgept unb auf feine SRaterie trifft, mirb ficb
in ber Unenbtidjfeit oerlaufen, OorauSgefefct, ba| ber Slether
ein abfotut elaftifcpeS SRittel ift. Tie atome unb äRolefüte,
melcbe fidp mit oerfhiebenen Sefhminbigfeiten in biefem
ÜRittel bemegen, theilen bemfetben einen Tbeü ihrer Snergie
mit. ÜRad) ber 3ntenfität biefer SDtittfjeüung, refp. ber Sn*
tenfität ber SBette, b. h- ber Sefdjminbigfeit ber ©ibration
unb ber hierburdj bebitfgten SBeQenlänge unterfheiben mir
SBeHen beS SicbtS, ber SBärme, ber Sleftricität u. f. m. Um*
gefebrt bemirfen jene SBeHen, rnenn fie auf atome unb
Sftolefüfe treffen, eine ©erftärfung ber amplitube ihrer
©apnen unb ber Snergie ihrer fdjmingenben ©emegung. Unb
biefe unaufhörliche SRittheilung oon ©emegungen, biefer be«
ftänbige auStaufh Oon Snergie jmifhen bem aetber unb
ber atomiftifepen SRaterie ift eS, metdjer bie miebtigften Sr*
febeinungen ber iphhf'l u °b ber Shemie betöorruft.
Tie Sohäfion, fagen mir, hält bie SRolefüle in ihren
Sphären, bie affinität bie atome in ben engeren (Srenjen
beS SRolcfülS. SS ift oiel SBaprfcbeinlicbfeit oorljanben, bafe
beibe Srfheinungen im ®runbe genommen bie gleichen finb,
nur mirfen Oetfdjiebene SRaffeti unb Sntfernungen unb machen
fidp unter bem Sinftufj berfelben Urfahen in üerfdjiebener
SBeife geltenb, inbem bie einen bie pbbfifalifdjeit, bie anbere
bie hemifdjen Srfheinungen bebingen, melh’ lefctere bemnacb
gemifferrna|en bie gortfebung ber erfteren bilben. gührt
man einem Körper 23ärme ju, fo fann biefe, abgefeben oon
äußerer arbeit, brei Oerfhiebene SBirfungen auf bie 2Raterie
felbft auSüben. — SrftenS mirb bie Sntenfität ber mole*
fularen ©emegung größer merben, b. fj- fo oiel mie, eS er*
folgt eine Steigerung ber Temperatur. — gmeitenS nimmt
baS ©olumen ju, maS barin feine Urfadje hat, bafe fiep, be*
bittgt burd) bie größere Sntenfität ber ©emegung, bie SRote*
fularbemegungSfpbäre oergrö|ert. Srreicpt bie Sphäre für
eine beftimmte ÜRaterie eine getoiffe ©röfje, fo tritt eine
Slenberung beS SIggregatjuftanbeS ein, ein fefter Sförper mirb
flüffig, ein ffüffiger gasförmig. Sn bem lebteren gälte ift
bie Sntfernung ber SRolefüle fehr bebeutenb im ©ergleidp ju
ben Timenftonen berfelben gemorben. ©leidjoiel mel^e SBir*
fung eintritt, bie fdjmingenbe ©emegung ber SBärme mirb
jur beftimmten Ueberminbung ber ÜRofefularfräfte oermenbet,
fann aber jeber 3 e ü al^ fofehe mieber frei merben. — SS
giebt jebodj noch eine britte SBirfung, nämlich bie ber djemifdjen
arbeit. SS liegt auf ber §anb, bafj bie SBeHen beS aetherS
nicht allein bie Tidjte einer üRaterie bebingen, fonbern bafe
fie auch auf bie atome in ihren gegenfeitigen Slbftänben
mirfen mirb. Sludp b' et merben bie ©ahnen ber Sttome burcb
Steigerung ber Temperatur eine ©ergröfjerüng erfahren. Sr*
reichen bie ©ahnen eine getoiffe ©röfje, fo fann baS ©leih*
gemidjt ber ÜRotefülS geftört merben, eS müffen fih anbere
Spfteme bilben, b. b- neue üRolcfüle merben entftehen. ^»ier
beginnen bie Srfheinungen ber TiSfociation, ber 3 er l e 9 un 9
unb ber ©ereinigung, methe bem ©ebiete ber Shemie an*
gehören.
Tie SBeKen beS aetherS finb eS, melcbe bie atome in
©emegung feften. Snbem fih bie atome ju anberen SRole*
fülen aggregiren, mirb SBärme, b. h- ©emegung, abforbirt,
inbem bie Slufhebung beS molefularen ©teihgemidjtS, melhe
baS aufhören ber djemifdjen ©erbinbung bejeidjnet, ben ©et*
brauch einet gemiffen SBärmemenge erforbert. Tiefe fo ab*
forbirte SBärme hat ben atomen bie Snergie miebergegeben,
melhe fie oor ber ©ereinigung befafjen uni» melhe bie Slffi*
nität repräfentirt. Sie oerlieren biefelbe oon neuem, menn
fie in bie SBirfungSfpljären anberer atome fommen, biefelben
anjieben unb Oon benfelben angejogen merben, fobafe fih
neue ©leidjgemihtöfbfteme, neue ÜRolefüle bilben. Tiefe
SBirfung ift eine gegenfeitige. Tie neue ©erbinbung fann fih
nur unter ber ©ebiitgung bilben, bafj fih bie ©emegungen ber
Digitized by v^. ooQie
1
202
Du (Segen wart
Nr. 19.
baS ©JZolefül bilbenbett Sltome fich gegenfeitig anbequemett, ttnb
fid) fo oereinigen fönnen, inbem fie einen »Hjeil ber fd)Wingenben
©nergie ttnb ihrer potentiellen Energie oerlieren. 2>ie golge biefeS
©ertuftcS ift baS $reiroerben ber ©Bärme. ©Sir feljen hieraus,
bafe Wrbeit, unb jwar in einem ganj gewiffen SRaafeftabe,
geleiftet werben muß, unt ben Slbftaub »on, Atomen unb
©Rolefufen beeinfluffen ju fönnen. SluS ©orauSgegangenem
geht hetüor, bafe Slrbeit entgegen ber SRolefularfraft geleiftet
Werben mufe, fod fid) ein Körper auSbefenen. llmgcfefjrt
wirb fid) ein Körper auSbeljnen, fo wirb ©Bärme aufgeroenbet
Werben, um bie Slttraction ber SWolefiile ju iiberwihben, um
bie ®id)te ju oerringent. @8 ift f)ierau8 ju erfefjen unb
liegt auf ber £anb, baß ein ßufammenljang äwifdjeu ©eiben
ejiftiren muß. ©erfudje man ©Bärme ober SÖfnffenattraftion
nach bem heutigen ©tanbe ber ©Biffenfdjaft jebe für fidE) ju
betrauten, bürfte e8 Wofjl nidjt angängig fein. — Stimmt
man einmal an, bie Slttraction ejiftire für ficf), ba8 Reifet, bie
©Raterie fei oon Urfpntng an ju Körpern aggregirt, alfo
ohne jegliche Kraft allein burd) bie Sage §u Körpern aufge»
baut, fo wirb man leid)t einfefjen, bafe bie ©Bärme feine
Slrbeit, e8 fei benn bie ber in ©ewegungfefeung ber ©Rolefiile
unb Sltome leiftet, fo wirb alfo, ba fid) fein ©Btberftaub
bietet, biefe Kraft bis in8 Unenblicfee anwadjfen, bie8 ift aber
unmöglid), ba e8 feine uncnblidje Kraft geben fann, benn bie
Kraft, baS ift bie ©ewegung ber ©Raterie, ift an biefe ge»
bunben, unb ba biefe enblicf) ift, refultirt fid) auch für bie
Kraft, bafe biefe enblidj fein muff. Stemmen wir an, oon
biefem ©tanbpunft weiter auSgefeenb, bie ©Raterie erhalte if)rc
größtmögliche innere ©ewegung burd) bie ©Bärme, fo mufften
offenbar alle ©Rolcfiile unb Sltome fid) im unenblid)en Staunte
Oerlieren, ba8 ift fo Oiel wie, ein Körper wirb nid)t rneljr
möglid) fein. ®iefe finb jebod) oorljauben, unb e8 gef)t hieraus
hetoor, bafe eS eine ®egenfraft ber ©Bärme giebt, bie bie
Körper bebingt. Sä c8 Wirb fogar bie ©Bärme bie ®egen«
fraft unb bie ®egenfraft bie ©Bärme bebingeit, eine wirb offne
bie anbere ein Unbiug fein. ®ie.©egenfraft ober bie Slttrac»
tion allein Würbe einen ^ufammenfturj be8 ©BeftadS in fid)
felbft bebeuten, alle ©Raterie müfete fid) gleichmäßig um einen
gemeinfamen ©Rittelpunft lagern. ®ie ©Bärme allein in ihrer
©Birfung hätte, Wie bereits gefagt, eine $erftreuung ber
©Raterie im unenblidfett Staunt jur golge. ®urcf) biefe ©e*
trad)tung Wirb eS unS mögtidf, einigermafeen bie ©onftitution
ber ©Raterie beS ©BeltadS ju begreifen. Slber nod) Weiter,
ber ©au bcS ©BeltadS utufe burd) Kräfte feine ©onftitution
erhalten. $>ie Slbftänbe ber ©Rolcfiile unb Sltome ju einaitber
haben wir eben erflärt, baff biefe einerfeitS burd) bie Slttrac»
tion, anbererfeits burd) bie ©Bärme bebingt werben.
©Ran Wirb oerftehen (erneu, bafe bie ©Bärme bie Slttrac»
tion, unb biefe bie ©Sänne bebingt. ©Sir miiffen feeute an»
neunten, bie Slttraction fei bie reactionäre Kraft ber ©Bärme,
benn wäre biefe nidft oorfeanben, fo Wäre bie ©nergie, bie
Wir mit ©Bärme bezeichnen, unbenfbar. ©ie wäre eine Kraft,
bie nidjtS leiftet, unb bie feinen ©Biberftanb überwinbet, fie
wäre, fürjer gefagt, nicf)t oorfeanben. Xemt wir fönnen uns
nur eine ©nergie oorfteden, bie etwas leiftet, baßer ja ber
Stame unb ber ©egtiff. ©benfo mit ber Slttraction. ®äbe
eS feine ©Sänne, fo müßten bie fleinften SOtaffetfjeildjen eng
fid) berühren, bie ©nergie ber einen würbe bie beS anberit
auffeebeit, eS gäbe feine Slttraction. ©Sir feljen feierauS, bafe
biefe zwei ©nergieen fiefe ftetS gegenfeitig beeinflußen ntiiffen,
unb bafe im Kampfe biefer zwei fjaftoren bie ewige ©e»
wegung ber ©Raterie i^re Urfadje feat. ®ie oon wiffeit»
fcfeaftlidjer ©eite bcS feäufigen aufgeftellte Sntropie beS ©Seit»
allS, baS feeifet eine gleidjinäfeigc ©rwärntung ober ©rftarrung
beS SBeltaHS, ift nid)t möglid). ®cnn baS oodfommeite lieber»
gewillt ber ©Sänne über bie Slttraction, ober umgefeljrt, würbe
baS Sluff)ören beiber Kräfte nad) obigen SluSfuferungen be*
bingeu. ©So bliebe ba baS ®efefe ber ©r^altung ber ©nergie?
©ine abfolut tobte SDfaterie ift aud) nid^t benfbar. 58 wirb
alfo begreiflidj fein, bafe baS ©Seitgetriebe eilte ewige ©t=
wegung ift, bie nie einen Slnfang fjatte uitb nie ein ©nbt
feaben wirb, ©ine ewige ©erwanblung oon Kraft unb ©toff,
ein- ewiges ©Serben unb ©ergeben, eine ftetige UmWäljung
unb Slenberung, beren ©iitn wir nie begreifen werben, baS
für unS alfo feinen ©inn befi^t, fid) ©elbftjwecf, ein 3nbi«
oibuum für fic^.
Literatur unb <ßunjl.
3u legel's fetten.
SSon CDtto DttPfcn.
©Sie fefer audb bie intedectuedcn Strömungen oon bem
politifdjen unb focialen $eitgeifte beeinflußt unb bebingt finb,
erfennt man am ©cfjidfal p^ilofopfeifdjer fieferen. S)ie un=
gefeeure ©Sirffamfeit ber £egel’fd)eu ©feilofopfeie ift unS feeute
gerabe fo fdjwer fafebar, wie bie oier^igjäferige ©erfcfeodfii'-
feeit oon ©djopenljauer’8 ©eferiften. ©Bid man berlei 9iätf)fel
berftefjen, fo mufe man als Sulturfeiftorifer Urfadjen unb
©Sirfungen betrachten, unb bie Söfung ift bann nidjt fefewer.
©rünblicfe ift neuerbingS Kuno gifdjer bem ©roblem |>egel
(in ber Jubiläumsausgabe feiner „®efd)id)te ber ©feilofopfeie",
^eibetberg, ©Sinter) itäfeer getreten, inbem et ber ©Sürbigung
Oon §egel’S ©tjftem eine auSgejeichnete ©iograpfeie ooran»
febidt, bie ade Schriften oon unb über Spegel berüdfieptigt,
jumal bie jüngften ©eröffentlidjungen beS auSgebreiteten
©riefwed)fels. Unb waljrlirf), biefeS einfame, einfache ©e-
lehrtenbafein ift gar nid)t fo unintereffant, wenn eS ein
Künftler, wie ber fpeibelbergcr ^ßfjilofopl), fd)i(bert.
^egel’S Jugenb unb ©djuljcit in Stuttgart fädt mit
bem grofeen Slnffd)Wung ber beutfdjen fiiteratur jufammeu
unb erftredt ficf) oon ©oetfee’S Slufentfjalt in ©trafeburg bis
ju feiner 9tücffel)t aus Jtalien. Slber ade biefe ©Berte
eines @d)ider, ©oetfee, Seffing, ©Berte oon unoergänglkher
©ebeutung unb h'nreifeenber Kraft, gingen an unferem
nafiumSfd)üfer in Stuttgart unbemerft Worüber, wenigftenS
finb oon iferen ©Birfuitgeu unb ©inbriiden auf benfelben feine
©puren anjutveffeu; in feinen ©ammlungen unb Slufjeich»
nungeit wirb beS Srud)ftiideS einer Slualpfe bcS republifanifdjen
EErauerfpielcS fficSfo gebucht, aber cS fefelt jebe nähere Kunbe;
in feinen fpäteren Tübinger Slußeidjnungen finbet fich baS
©itat einer angeblichen ©teile aus Seffing’S 9?atf)au, aber
bie ©teile felbft finbet fich 11 id)t io bem Öeffing’fdjen ©Berf.
dagegen (efeit wir mit einigem ©efrembeit in feinem 2dge»
bud) ooin 1. Januar 1787, bafe er au biefem SteujajjrStage
oieferlei ju thun ©BidenS geWefen, aber oon ber fieetüre eines
IRomaueS bergeftalt gefeffelt worben fei, bafe er fich nicht
habe loSmad)eu fönnen. tiefer fRoman war „©ophien’S
Üfeife üoit SRemel nad) ©achfen 1 ', eines ber elenbeften unb
(angwciligften ©Rachwerfe unferer bamaligeit öiteratur, eine
in fed)S biden ©änben, in jafjllofen ©riefen mit jahllofen
Slnhängfeln unb gortfefeungen Oerfafetc ®efd)ichte ber ©d)id*
fale unb Slbenteuer eines jungen ©JfäbdjenS, Welches in ben
lefeten ßeiteu bcS ficbenjährigett Krieges wäljrenb ber Dceu»
pation ÖftpreufeenS burd) bie muffen oon SDtemel nach 2>reSben
reifen fod, um bie @d)idfale unb ben Slufenthalt beS Oer»
loren gegangenen ©ofeneS ihrer Pflegemutter ju erfunben.
©liemaub hätte bamals geahnt, bafe in biefem fcheiulofen
Jüngling, ber fich ' n einen fo elenben unb langweiligen
(Roman oertiefen fonnte, ein tiefer genfer oerpuppt war,
welcher fid) emporringen unb eines JageS als bet erfte
Phiiofnph beS Zeitalters crfcheinen werbe. SllS Schopenhauer
in ber oon (Rofenfranj oerfafeten SebenSbefchreibutig ^egel’S
jene 2)?ittheilung aus bem Tagebuch beS lefeteren gelten
hatte, f^rieb er triumphirenb an feinen Schüler K. ©äfit:
Digitized by v^. ooQie
Nr. 19.
Die 8re$ettt»art
298
„SReiit Seibbucß ift Ipomer, tpegel’S Scibbuct) ift ©opßien'S
Weife üon ÜRemel naeß @nd)feufeiet treffen wir atfo
fcßon baS üöüig Unfünftlerifcße, baS ficß in §egel’S Sefen,
wie befonbevS iit feinem ©til auSbrüdt'.
3mci feiner afabemifcßeit Sugenbfreunbe finb non ßerüor*
ragenber, aucß im ülnbcnlen bet Seit fottlebenber, auf ißn
felbft einflußreicßer ©ebeutung geroefen: bcm ©inen mar baS
unfeligfte aÖer SRenfcßenloofe, bem Slnberen eines bcr glütf*
licßften befdjieben. ®iefe beiben Sünglinge rcaren £>ölberlin
unb ©cßelling: jener einer ber gleidijeitigen ©tubiengenoffen
tpegel’S. ®ie entßufiaftifcßen ©efüßlc, rnelcße burcß bie fran=
äöftft^e fReüofution erregt maren, Ratten ficß bis in baS ©tili*
(eben beS Sübinger ©tifteS fortgepflanjt, unb befonberS bei ben
©tubirenben aus ber fiberrßeinifdßen ©raffdjaft SRömpclgarb,
rnelcße bamalS nocß jum ^erjogtßum Sürttemberg gehörte,
bie feurigfte Sßetlnaßme gefunbcn. Tübingen galt als ißrc
SanbeSuniüerfität unb bot ißnen ©tipenbicn. fjier mürbe
nun ein Politiker Slub gegrünbet, bie SagcSjeituitgcn eifrig
gelefen, bie ©reigniffe befprocßen, unb bie ©egeifteruitg ging
fo meit, baß eines ©onntagS-au einem ßeitcren grüßjaßrS*
morgen bie jungen grcißeitsfcßmärrner ßinauSjogen unb auf
einer Siefe bei Tübingen naeß franjöfiftßem SEWnftcr beit
grcißcitSbaum pflanken, darunter maren aucß ftegel unb
©cßelling. ®ie ©acße mürbe rncbbar, unb ber fier^og ßorl
erfeßien felbft, um ben ©turnt im Saffergtafe ju befeßmören.
Saßrfcßeinlicß fiat bie ßarmlofe geier an einem grüßjaßrS*
fonntagc beS SoßrcS 1791 ftattgefunben, nod) in ben fo«
genannten gotbenen ‘Sagen bcr franjöfifcßen fReüolution.
^egel’S ©tammbncßblätter au§ jener 3 e *t finb üoü üon 9luS*
rufungen, bie jum greißeitSbaum paffen. ®a fteßt baS
£uttcn*@cßiller’fd)e Sort: „In tyrannos!* 9luf einem anberen
©latte: „V ive la liberte!* Stuf einem britten: „Vive Jean
Jacques!* unb fo fort. 5luf £>egel’S äußere Grfdjeinung
unb Gattung ßabcti bie ©itten ber neuen ßeit unb beS
afabemifeßen SebenS feinerfei umgeftaltenben ©influß aitSgcöbt.
©r blieb in ben förperlicßen unb ritterlichen fünften unbegabt
unb ungemanbt, er ßat baS fReiten unb gelten lieber unter*
laffen als geübt, mit ben SRäbcßen lieber ©fänber gcfpielt
als getanjt unb fid) naeßläffig unb altmobifd) gelfeibet. ®aS
?lettlicße unb Sattgfame in feinem Sefen mußte in Tübingen,
in ber SRitte feiner afabemifeßen Sugcnbgenoffeit nod) auf*
faUenber unb abfteeßenber erfdjeinett als in Stuttgart. ©r
ßieß im ©tift „ber alte 2Rann" ober ;,bcr $tltc“. Sitbcffcit
mar Ipegel feineSmegS ein Sudmäufer, ber in murrifeßer unb
gebrfidter ©erfcßloffenßeit abfeitS ftanb, fonbern ein ßeitcrcr
©efeUffßafter, ben man. lieb ßatte, ber bei einem frßßlidjen
3e<ßgelage ftößließ mittßat, bei einem gefeUigen Sfiitt über
fianb bie üorfeßriftSmäßige SUofterftunbc üergaß unb eine
©arcerftrafe bafür empfing, ber fidj in ein ßübfcßeS ÜRäbdjen,
mie ffagufte §egelmeier, bie Sod)ter eines üerftorbenen ©ro*
fefforS ber Geologie, leibenfcl)aftlich üertiebte.
©in üielfagenbeS ©tammbudjblatt aus ber Tübinger 3^9
ßatte fiölberlin feinem greunbe ftegel gemibmet: eS enthielt
oie 2Raßnung ju großen !Eßaten mit ben Sorten beS ©oetße’fdjen
fß^iabeS, benen mie ein geßeimnißüoßeS 3 e ^ cn ^injugefügt
mar: „©tpnbolum. xat näv.“ Dljne 3 tt?e if c f hatte biefeS
Sort für fitegel eine ganj anbere unb tiefere ©ebeutung, als
eS tooljl beim erften iffnblid fjaben modjte. Sar eS niefjt in
ber bünbigften fjormel baS Jßema ber neuen unb neueften
^itofop^ie, ber ©runbgebanle aßet ^Religion unb ißljilo*
baS 3^^™ if)rer ©intjeit, baS große SDfpfterium ber
SBÄt? Sn einem formell unreifen ©ebießt: „©leufiS" feierte
fdjbn ber junge Jpegel jielbemußt baS göttliche 9Ißleben in
ben ©rfcfjeinungett ber Seit:
®Wtt Slug’ ergebt fid) ju b«8 ew’gett |»ttnniel8 ©iitbung
i8u btr, o glänjenbtä ©eftirn b(t Statut!
ißitb aüft feiinjde, atter Hoffnungen
SBergeffen ftrönit ati8 betner ©nitgfeit herab.
®er ®titn verliert ficfi in bem Slnfdjau’n,
2Ba8 mein ich nannte, jdjroinbet.
34 gebe tnief) bem Unermeßlichen bdhin,
34 bin in ihm, bin 9IIIe8, bin nur e8.
®er Seg eines mürttembergifc^en Geologen füßrt in
bcr fRcgel üom ©tift unb ber Sanbibatur burd) baS ©icariat
junt Pfarramt, ©in fol^cS 3> c ^ ober ßatte |itr unfeten
$egel gar itidjtS SocfenbeS, ba ifjnt bei feiner pßtlofopßif^en
®enfart baS geiftlidje ©atf)oS, bei feiner perfönlicßen lang*
famen unb unbeßülflid^en 9lrt bie ©oben ber geiftlitßen ©ereb*
famfeit mangelten. ®aber faßte er für bie 3 u ^ ,,, f t baS
pßilofopßifc^c Seßramt, für bie ©egenmart unb nädjfte 3«t
bie baju nötßige miffcnfd)aftlid)e unb öfonomifdje ©orbereitung
in’S 9(ugc, bie fid) mit ber ©tefluug unb Sirlfamfeit eines
§auSlcßrerS ober §ofmeifterS am füglidjften üereinigen ließ.
3uerft ging er als ^auSle^rer nadj ©ern, mo fein 9tnge unb
£crj eine pßiliftröfc Uitempfängli^Eeit für bie ©djönljeitSrounber
bcr 9üpeinocft jeigten, bann in gleicher ©teßung nad) granffurt,
mo fein ffjreunb ^ßlberlin im |)aufe beS ©roßßfinblerS ®on*
tarb als ©rjicßer mar unb bie tragifd)e 2iebesgefd)idjte erlebte,
grau ©ontarb mar üön einer fo fettenett unb üoflenbeten
©cetcn* unb ßörperfcßönßeit, baS Sort im claffifcßen ©inne
genommen, baß ißt 9lttblid unb Sefen ben an Saßren
jüngeren ©rjießer ißrer Äiitber, biefen ©eßmärrner für §eßaS
unb „bie ©arabiefe ©latoS" in einen fRaufcß beS ©ittjüdenS
ücrfefjte, üon bcm feine gleichzeitigen, üevtrauteften ©riefe er*
füllt finb. ®ie jmifdßen ©eiben ßerrfeßenbe SBaßlüermanbt*
fd)aft mürbe burd) geiftige Sßlittßcilungen unb ©efpräcße täg*
lid) genährt unb erßößt. 9(uf tiidifeße 9lrt, üon ©eiteh, mie
eS feßeint, einer boSßaft unb eiferfücßtig gefinntcu ©efefl*
feßafterin mar bie ©iferfudjt beS üon 9luSbrücßen jüßer §eftig*
feit ßeimgefueßten SRattneS erregt morben, unb eS fam im
©eptember 1798 eines 9IbenbS ju einer plößließen, ßöd)ft
peinlicßen ©eene, §u einer fdjnöben, üielleicßt feßimpfließen
©eßanbluitg ^»ölbertin’S, naeß meteßer biefer fofort baS £auS
für immer üerließ, oßnc baß bie leibcnfdjaftlicße Se^ießung
amifdjen ißm unb grau ©ontarb unb ber briefließe ©ctfeßr
©eiber einen 9tbbrucß erlitten, ©ic ift bie ®iotima feiner
®icßtungen unb ßat bie Äataftropße nur menigeSaßre überlebt.
®er einzige greunb, bcr bie granffurter ©pifobe (1797),
in näd)fter iJiäße miterlebt unb miterlitteu ßat, mar £>egel.
©ein oertrautefter Umgang mar ^ölberlin, ber in feinen
bamalS ßödjft aufgeregten ©emütßSjuftänbcn bie 92fißc biefeS
grcunbcS gemünfeßt unb ßerbcigefüßrt ßatte. Sn einer folcßcü
©emütßSlage fanb er ^tölberlin; er mar üon einer Scibcn*
feßaft bemältigt, mefeße fein ©emiffen ju betäuben, ißn felbft
in ©cßutb unb ©erberben ju ftiirjen broßte. 9(ud) $eget,
bem er fid) gemiß anüevtraut ßat, üermoeßte nid)t, ißn ber*
geftalt ju „ovientiren", baß er bie ^errfeßaft über feine Sage
gemann. ©eit jener Slatnftropße im §aufe ©ontarb, mekße
ben ®ob ®iotimaS unb ben Saßnfinn §ötbevlin’S in ißrein
©efolge geßabt ßat, tuar granffurt aueß für ^»egrf ew um
glüdlicßer Drt gemorben unb bcr 9(ufentßalt ißm ücrlcibct.
@r jog naeß Sena. ®cr ^luS'orud) beS ÄricgcS mar aber
fißoit ba; er ftanb nidjt bloß üor ben 'Sßorcit ScnaS, fonbern
mar feßon in feinen SRaueru. ?(m 18. Octobcr mürbe bie
©tabt üon ben gvaujofen befeßt, Napoleon mar felbft er*
fd)ienen. „®en Äaifer, biefe Scltfeele, faß icß bttrdß bie
©tabt jum fRecognoScireu ßinauSreiten; — cS ift in bcr
®ßat eine munberbare ©mpfinbung, ein foldßcS Sttbiüibuum
5 u feßen, baS ßier auf einem ©unft cünccutrirt, auf einem
©ferbe fißenb, über bie Seit übergreift unb fic bcßerrfdjt."
„©oit ®onnerStag bis SRoittag finb folcßc gortfdjrittc nur
biefem außerorbent(id)e fDiamtc ntöglicß, ben cS nitßt mögtid)
ift, nießt ju bemunbern." ©on feiner Soßnung auS fießt
$egel um 11 Ußr ÜRacßtS auf bcm ganjen SRarftc bie geucr
ber franjöfifißen ©ataiUone, üor fieß baS leßtc nod) übrige
SRanufcript ber ©ßäuomenologie.
9lm 18. Octobcr rießtete ©octße ein fRunbfdjreibcit au
bie greunbe in Scna, um ju erfaßten, mie eS ißncit geße unb
maS fie in ben Sagen ber ©djladjt ju erleibcn gcßalit. ©ine
/
Digitized by v^. ooQie
294
Die töegenwart.
Nr. 19.
feiner 3fbreffen lautete: „Sn ©errn ißrofeffor Riegel anf bem
alten gedjtboben." ©egel gehörte jn ben ©eplünbertcn unb
befanb ficß in einer folgen ©elbnotß, baß ©oetße Änebel
beauftragte, ißm „bis ju jeßn Xßalern" ju geben, ©nblid)
am 20. Dctober tonnte er ben SReft beS URanufcriptS, bie
testen menigen Sogen, melcge er feit ber SRacgt beS breijeßnten
in ber Xafcße mit ficß ßerumgetragen gatte, in bie Srucferei
fcgicfen. 3m 3anuar 1807 folgte bie Sorrebe. 9113 er bie
3ufenbung beS ScrfeS feinem greunbe ©cßeding in SRüncßen
antiinbigte (1. ÜRai 1807), bemerlte et im ©inblicf auf
bie ©cglußabfcgnitte: „Xie größere Unform ber legten
EBartieen gälte £»eine ÜRacgficßt au<g bem ju ©ute, baß icg
bie SRebaction übergaupt in ber 2Ritternacgt oor ber ©cßlacgt
bei 3ena geenbigt gäbe."
SRacg ber unglüeflidgen ©cglacßt mußte ©eget auf eine
Senberung feiner äußeren SebenSüergättniffe Sebacgt negmen.
©ein Keines Vermögen mar längft oerbrauegt unb feine Sin*
nagmen bureg ©Triften, Sorlefungen unb Sefotbung oiel ju
e , um bation leben ju tönnen:<bie Unioerfität mar im
w mge begriffen, bie Frequenj gefunlen, ©tabt unb Sanb
in ßriegSnotß unb Slenb. fßreußen, ognmäcgtig, jerriffen,
üon SfriegSfdßulben erbtüeft, tag barnieber unter ber Saft
beS griebenö üon Xilfit (3uli 1807), moaegen bie SRgeinbunb*
ftaaten unter bem Sunbe mit Napoleon florirten, mie Sägern,
Sürttetnberg, ©aeßfen unb baS neue fturfürftentgum Saben.
|>egel fpägte naeg einer angemeffenen 5ßtofeffur, bergeblicg! Sr
mar julegt frog, baß er unter bie 3eitung3fcgreiber gegen fonnte:
in bie Stebaction ber Samberger 3eitung. ©egon auf eine
erfte Anfrage gatte Riegel geantroortet, baß ign baS SRebactionS*
gefegäft intereffiren merbe, benn er gäbe bie Seltbegebengciten
ftetS mit IReugierbe berfotgt. Sr fam im 9Rärj 1807 unb blieb
bi§ Snbe SRoüember 1808, alfo ettoaS über anbertgalb Sagte.
SEBägrenb beS erften Sagreö (bon Dftern 1807 bis Dftern
1808) galt er als beurlaubter fßrofeffor in Sena, fo baß er
noeg ein Sagr lang feine bortige Sefolbung bejog. SRacßbem
bie Sinfünfte ber ^eitung fo georbnet maren, baß ber ©e*
toinn jmifeßen Seftger unb SRebacteur ju gleicgen ©äfften
bertgeilt mürbe, fo fonnte ©egel feine Samberger Sinnagme
auf 1300—1400 ©ulben jägrlicg beranfcglagen. ®ie „Sam*
berger 3 € ^ tun 9 m 't Stöniglicß*aUergnäbigfter greigeit", in
Duartformat auf Söfigpapier gebrueft, etfegien tägtieg im
Umfange eines halben SogenS, ber auS jroei Slättern ober
aeßt ©palten beftanb, beren legte unb (tgeilmeife) borlegte ju
flein gebrueften Socalnacgricßten unb Sefanntmadßungen ber*
menbet mürben. Serlag unb SRebaction blieben ungenannt;
fogenanitte Seit* unb Sorrefponbenjartifel gab eS fo gut mie
feine, bie XagcSercigniffc gerborragenber 9trt, an benen bie
3eit reieg unb überreieg mar, mürben aus anberen Slättern
gefammelt, in ber Stürze mitgetgeilt, überficßtlicg jufamnten*
geftedt unb georbnet. Siner bet mießtigften ©auptqueüen
mar ber „Eßarifer Boniteur". Sin einziges 9Ral rnerft man,
mie Stuno gifeger erjäßlt, ben pgitofopgifcgen SKebacteur:
in ber Sericgterftattung über einen ©ebäcßtnißfünftler, ber
in fßariö feine Sunftftüdfe jum Seften gegeben gat, in ber
Seurtßeilung biefet ÜRnemotecßnif, „bie ein 3 e i<g en ber Ser*
rücftgeit märe, menn fie niegt gefliffentfieß unb fpiefenb, fon*
bem unbemußt unb gleicgfam im natürlidgen ©ange beS
©eifteS auSgeübt mürbe".
31 ber eine foldße.abgefcgiebene Unabgängigfeit, beren fieg
ein 3 e ’ tun 93tebaeteur in einer bagerifeßen ^Erodin^iatftabt
erfreuen fonnte, mar feineSmegS natg ©eqelS Sunfcß unb
©inneSart, benn er mar, mie feine Segre, Diel ju ftaattieg
gefinnt, um in einer Arbeit Sefriebigung ju finben, bie niegt
in bie Dtbitung unb baS ©efüge ber öffentlicgen Sntereffen
eingegliebert mar unb niegt felbft an igret ©teile förbernb
unb leitenb in baS ©anje einjugreifen üermoegte. ©egr halb
feufjte er über baS „3eitungSjocß", über bie „3eitungSgaleere“.
®aju tarnen Sonfficte mit ber clericalen ©tnatSgcmalt, unb
baS Slatt mürbe fufpenbirt. ^egel mar frog, als igrn fein
greunb IRietgammer baS SRectorat beS SRümberger ®gm*
nafiumS oerf(gaffte. $ier oerliebte unb oergeiratgete er fug.
®ie Sebeutung, ben 3°uber biefeS ÜRanneS gatte 3Karia
Oon Budget empfunben, bie Xo^ter eines berügmten, frei*
gertlidgen ©efcgle^tS ber alten SReicgSftabt IRürnberg. 3gt
Sater, 3- 2S- Sari greigerr Lueger üon ©immelSborf, toar
Senator ber SReicgSftabt gemefeit, igre HRutter ©ufanne, gef»,
gteiin ©aller üon ©allerftein, mar bie Xoegter beS Sieitgs*
fcgultgeißen, ber erften obrigfeitlicgen tßerfon Don Nürnberg,
fie felbft, geb. ben 17. 9Rärj 1791, bie ältefte üon fiebern
©efdgmiftern. SBir fennen niegt bie Soraefegicgte igrer Ser*
lobung, bie naeg längerem gefedigem Serifegr im Mpril 1811
ftattgefunben gat unb oon ©egel mit jubelnbet Seele in @e*
biegten gefeiert mürbe, bie uns megr bureg bie Xiefe igret
Smpfinbung als bureg bie ©lätte unb ben SBoglflang igrer
Serfe anmutgen. 3n ben üertrauliegen 9luSfptcegungcn ber
Sertobten finb au(g in ber ©eele ber Staut mitunter 3®fifcl
an ber ©iigergeit igreS mccgfelfeitigen ©lücfS erregt morben.
SS gatte igr meg getgan, in bem Sriefe, metegen fte an
©egel’S ©egmefter gefegrieben gatte, folgenbe oon feiner ©anb
ginjugefügte SEBorte ju lefen: „X»u fiegft barauS, mie glüd*
lieg icg für mein ganjeS übriges SBefcn mit igr fein fann,
unb mie glüeflieg mieg folcger ©eminn einer Siebe, auf ben
icg mir faum noeg ©offnung in ber SBelt maegt, bereits fegon
maegt, infofern ©lücf in ber Seftimmung meines Seben#
liegt.“ Xiefe Sinfcgränfung, biefeS „Snfofem" mar igr fegnterj*
lieg aufpefaüen. Sin Sräutigam, ber in begeifterten Serfen igr
feine Siebe betgeuert gatte unb nodg im 3®eifet fein fonnte,
ob eS in ber Seftimmung feines SebenS liege, glüeflieg ju
fein! X)aS SRicgtigfte mar, baß adern enblofen ÜReflectiren unb
3meifeln über glüeflieg fein unb glüeflieg maegen babuteg
naeg eegt ©egel’fcger 3lrt ein Snbe gefegt mürbe, baß man jut
©a^e fegritt. 3lm 16. September 1811 mürbe jmifegen bem
41jägrigen ?ß^ilofopgcn unb bem 20jägrigen gräulein ber
Sgebunb gefcgloffen, ber in jmanjigjägriger Xauer einer ber
benfbar glücflicgften fein fodte.
SBieber mar in feinem Seben ein SEßcnbepunft eingetreten,
melcger igrn, ber fieg nicgtS oon fünftigem SSBeltrugm träumen
ließ unb gar niegt barnaeg geijte, mie ein Slbfdgluß etfegien.
„ÜRein irbifcgeS 3^ ift erreiegt," fegrieb er am 10. Dctober
1811, „benn mit einem 9lmte unb einem lieben Säeibe ift
man fertig in biefer 2EBelt; eS finb bie ©auptartifel beffen,
maS man für ein Snbioibuum ju erftreben gat, baS übrige
finb feine eigenen Sapitel megr, fonbern nur Eßaragrapgen
unb Snmerfungen." 31 ber bie Sieaction ließ ign ju feiner SRuge
fommen. Xie altbagrifege ginfterniß mar bem Siegt ber 9?eu*
jeit niegt bloß abgemenbet, fonbern dueg Oon ©runb auS ab*
geneigt unb erboft über ade bie neuen SRänner, melege man
pr ©rünbung unb Serbreitung jeitgemäßer Silbung in’S
Sanb gerufen gatte. Siner ber gögeren Seamten in HRünegen,
Sgriftopg üon 9lretin, gatte eine fogenannte S a ttiotenpartci
geftiftet unb gegen bie neuberufenen proteftantifegen ©elegrten
gegegt. Sacobi mürbe im Xgeater öffenlticg befegimpft,
31. geuerbaeg bureg fßöbelgaufeit in feiner Säognung geimgefugt
unb infultirt, Xgierfeg bureg ein mörberifcgeS Attentat be*
brogt, SacobS fegrte fo fegned als möglidg naig ©otga ju*
riief u. f. f. ©egel bejeiegnete biefe unergörten ©eenen, ÄuS*
briiege ber IRoggeit unb beS milben Fanatismus, mit bem
Sorte „©go^oiSmuS", um niegt in gutem ©egmäbifcß „@au<
roirtgfeßaft" ju fagen, maS er übrigens aueg fagte unb mit
aden baju gegörigen fennjeiegnenben Sorten aueg auSfflgrtc.
SDtit taufeno Freuben nagm er eine Setufung naeg ©etbel*
berg an, roo er jtoci 3agre bocirte unb atSbann bem Stufe
an bie junge Serliner Unioerfität folgte.
3nbeffen maren feine pßilofopgifcßen ©auptmerfe er*
fdgienen unb gatten mäegtig gemirft. Son aßen ©eiten
brängten fieg ©egüler unb F reun & c an ig» getan. Äug
an ©egnerfegaften feglte eS niegt. Sfuno ermägnt
befouberS auSfüßrticg beS F^ßeS Senefe, ber fo oft feint»*
Digitized by v^. ooQie
Nr. 19.
Die (Segenwttrt
295
fetig gegen $eget auSgefpielt würbe unb nod) fjeute wirb,
^^atfac^e ift, baß bem ©ribatbocenten ©enefe bie venia
legendi entgogen unb fünf Safere fpäter Wiebergegeben würbe
(1827), unter unb bon bemfelben SDtinifterium. Hat bie ©nt*
Ziehung auf föegel’S ©eranlaffung ftattgefunben, fo Wirb aucfe
bie ßirtücfgabe zur 3«t feiner buHften SBirffamfeit nicfet ofene
fein ©inberftänbniß erfolgt fein. SEBetd^e Stolle |>egel bei
biefen fonberbaren Vorgängen gefpiett E>at, barüber ift bisher
auS urfunblidfeen 3eugniffen nicfetS befannt. Slofenfranz fagt
nichts bon ber Sache, Hufem ebenfowenig, bocfe fcfereibt Soll).
®b. ©rbmann, ber treue Sdjüler unb ©erehrer §egel'3, in
feinem ©runbriß, baß ^egel’g Hnbenfen burdfe fein ©erhalten
gegen ©enefe beflecft worben fei, er feat biefeS fcfetimme 2Bort
niebergefcferieben ofene jebe nähere, gefdjweige urfunblicfee ©e*
grünbung, er hat in feinem früheren auSfüferlicfeen Sßetfe
nichts bon ber Sad)e gefagt. Kuno giftet feat bie mieten
im ©ultuSminifterium geprüft unb fcfereibt: „®ie barüber
lanbläuftg geworbene ßegenbe ift falfdj unb ftammt auS
felbftgefäUigen Heufeerungen ©enefe’S, wie man auS ben
ßobfeferiften erfennt, bie ifeit jum ©egenftanbe haben. ©ie
pfeilofopfeifche gacultät, über ©enefe unb feine ©orlefungen
ju gutadfetlidfecr ©rflärung aufgeforbert, feat einftimmig ge*
urtfeeilt, bafe ©enefe ein fleißiger, unbemittelter ÜJtann fei,
beffen Wiffenfcfeaftticfee ©ebeutung naef) ■ feinen bisherigen
Seiftungen nur mittelmäßig erfefeeine unb auch nicht z«
größeren Hoffnungen berechtige, ©(eich im ©eginn beS ®ut*
achtens würbe erflärt: „®ie ÜJtitglieber ber gacultät finb
weit entfernt, ihre Hnftdfet ber ©hilofopfeie monopoliftifet) als
bie einzig richtige aufjuftcllen." Unter ben Unterzeichneten
SJtitgliebern ftehen bie tarnen ©ödffe, ©elfer unb H f 9 ri-
2J?an wirb bem H er uuSgeber unb ©rfläret ber Fragmente
beS ©fetfeagorecrS ©hüolaoS, bem Herausgeber ber SSetfe beS
©lato, beS HriftoteleS unb beS SejtuS ©mpirifuS wofel nicht
baS Stecht unb bie gäfeigfeit beftreiten, objectiü über bie 8e*
beutung eines philo|opfeifdfeen ©ocenten ju urteilen, ©iefe
ältänner finb wegen ihres abfdjäßigen UrtfeeilS nicht als bie
Sßiberfacfeer ©enefe'S ju betrachten, ©affclbe gilt Ooit H e flel."
Huch anbere ©erbrießlichfeiten fehlten bem berühmteren
ßehter ber ©erliner Hocfefcfeute nicht. Huf ber Stiicfreife bon
©ariS hatte Hegel in (llberfetb (12. Dctober 1827) feiner grau
fdjergenb getrieben, baß et bie fcfeönen UniberfitätSgebäube in
ßüttufe Wie in ßöwen unb ©ent betrachtet unb fid) bort nach
einem bereinftigen Stufeeplag umgefefeen habe, wenn bie ©faffen
in ©erlin ißm fetbft ben Kupfergraben boHenbS entleiben;
bie „Kurie in 3tom wäre auf jeben gall ein ehrenwertherer
©egner, als bie Hrmfeligfecten eines armfeligen ©faffen*
gefö^S in ©ertin". Seine Seßre war Wegen Uncferiftiicfefeit
bei bein Könige berbädjtigt unb bon fatfeolifcfeen Kirchen*
behörben bei bem SJtinifter berflagt Worben wegen gewiffer
Heußerungen, bie über bie fatfjolifcfee Hbenbmat)tSlehre in
feinen ©orlefungen borgefommeit fein füllten, ©er ©enun»
ciant unb Hnfläger War ein ©aptan ber St. H e ^U)igSfird)e
in ©erlin, ber auf ber Duäftur einen ©la^ im Hubitorium
Heget’S belegt hatte unb in fpionirenber Hbficht regelmäßig
unter ben ßußörern erfchien, bis eine ©emerfung ^>ege! T S auf
bem Katfeeber eine Scene hetborrief, bie ißn für immer ber*
fcfeeuchte. Sn feinem 9ted)tfertigung8fdfereiben, baS er auf
amtlich Vertraulichem 3Bege an ben SWinifter gelangen ließ,
hat er fi<h fo entfliehen wie treffenb gegen folcfee Hngebereien
berwahrt. ,,©aS Hmt eines ©rofefforS, inSbefonbere ber
©hitofopfeie, würbe bie penibetfte Stellung fein, wenn er fid)
auf bie Hbfurbitäten unb SoSfeeiten, bie, wie Hnbere unb
ich genug bie ©rfaßrung gemacht, über feine ©orträge in
Umlauf gefefct werben, achten unb einlaffen wollte. So finbe
id) unter ben mir angefcfjulbigten Heußerungen ©ieleS, waS
ich mit ber Dualität bon üftißberftänbniffen furz abweifen
unb bebeefen fönnte, aber eS mir fdjulbig zu fein glaube,
näher einen ©ffert für Unridhtigfeiten unb SKißberftänbniffe
eines fdjtoachen ©erftanbeS, eine anbere nicht bloß bafür,
fonbern für Unwahrheiten, unb einen ©heil auch uidjt bloß
für falfdje Sdhtüffe aus falfchen ©rämiffen, fonbern für boS*
hafte ©erunglitnpfungen z« erflären." Satholifdje gußörer,
bie an gewiffen Heußerungen Hnftoß nehmen, würben beffer
tßun, „ phitofophifche ©orlefungen auf einer eoangetifchen
Uniberfität bei einem ©rofeffor, bet fid) rühmt, als Sutljeraner
getauft unb erzogen zu fein, eS ift unb bleiben wirb", nicht
ZU befudjen.
„es war“, fo fcfjilbert uns Hotho ben erften ©inbruef
beS SJJanneS, „noch i m ©eginn meiner Stubienjahre, als ich
eines SKorgenS, um mich *h m borzufteÜen, f^eu unb boch
ZutrauungSboU zum erften SD?ale in Hegel’S 3immer trat, ©r
faß bor einem breiten Schreibtifdje unb wühlte foeben in un*
orbentlich übereinanber gefeuchteten, burcheinanber geworfenen
©iicfjern unb ©apieren. ©ie früh gealterte gigur war ge*
beugt, boch öon urfprüngtidjer HuSbauer uno Kraft; nach*
läffig bequem fiel ein gelbgrauet Sdjlafroc! bon ben Schultern
über ben eingezogenen ßeib bis zur ©rbe herab; Weber bon
imponirenber H°heil noch bon feffelnber Hnmuth zeigte fich
eine äußerliche Spur, ein 3 u g altbürgerlich ehrbarer ©rab*
heit war baS ©ächfte, was fid) am ganzen ©ehaben bemerf*
bar machte. ®en erften ©inbruef beS ©efi<ht8 werbe idh nie*
mals bergeffen. gahl unb fc^faff hingen alle 3üge Wie er*
ftorben nieber, feine zerftörenbe ßeibenfdhaft, aber bie ganze
©ergangenljeit eines ®ag unb ©acht berfeßwiegenen fort*
arbeitenben ©enfenS fpiegelte fich in ihnen Wieber; bie Dual
bes$ 3 l °eifelS, bie ©ähtung befd^WichtigungSlofer ©ebanfen*
ftürine fchien biefeS bierzigjährige Sinnen, Sud)en unb ginben
nicht gepeinigt unb umhergeworfen zu haben; nur ber raft*
lofe ©rang, ben frühen Keim glüdlid) entbeefter SBahrheit
immer reifer unb tiefer, immer ftrenger unb unabwenbbarer
ZU entfalten, hatte bie Stirn, bie ©langen, ben SUZunb ge*
furcht... 2Bie würbig war baS ganze Haupt, wie ebel bie
©afe, bie hohe, wenn auch in etwas zuriiefgebogene Stirn,
baS ruhige Kinn gebilbet; ber Hbel ber ©reue unb grünb*
liehen 9ted)tlichfeit im ©rößten wie im Kleinften, beS Karen
©eWußtfeinS, mit beften Kräften nur in ber 2Bahrf)eit eine
legte ©efriebigung gefueßt zu haben, war allen gormen auf’S
Snbitoibueüfte fprc^enb eingeprägt . . . HlS td) ihn nach
wenigen ©agen auf bem ßef)rftuhle wieberfah, fonnte ich mich
ZUitäihft Weber in bie Hrt beS äußeren ©ortragS noch ber
inneren ©ebanlenfolge h’ueinfinben. Hbgefpannt, grämlich
faß er mit niebergebüeftem Kopf in fich ZufammengefaBen ba
unb blätterte unb fuchte immer fortfprechenb in ben langen
golioßeften öorWärtS unb rücfwärtS, unten unb oben; baS
ftete ©äufpern unb Hüften ftörte allen gluß ber Siebe, jeber
Sag ftanb tocreinzelt ba unb fam mit Hnftrengung zerftüdt
unb burcheinanber geworfen herauf; jebeS SBort, jebe Silbe
töfte fich nur wibetwillig loS, um bon ber metallleeren
Stimme bann im fchwäbifd) breiten ©ialect, als fei jebeS
baS 2Bid)tigfte, einen wunberfam grünblicßen Slachbrua zu
erhalten, ©ennoch z'uaug b<e ganze ©rfcheinung zu einem
fo tiefen Siefpect, zu foldt)’ einer ©mpfinbung ber SBürbigfeit
unb zog burch eine Slaibetät beS überwättigenbften ©rnfteS
an, baß ich müh bei aller ©iißbehaglichfeit, obfcßon idh toenig
genug bon bem ©efagten mochte berftanben haben, unab*
trennbar gefeffelt fanb. Kaum war ich jebodf) burd) ©ifer
unb ©onfequenz in furzer 3eit an biefe Hußenfeite beS ©or*
tragS gewöhnt, als mir bie inneren ©orzüge beffelben immer
heller in bie Hugen fprangen unb fich mit jenen SDiängeln
ZU einem ©anzen berwebten, welches in fich feI6er allein ben
ÜWaaßftab feiner ©ollenbung trug. @t hotte bie mächtigften
©ebanfen aus bem unterften ©runbe ber ©inge heraufzu*
förbern, unb füllten fie iebenbig einwirfen, fo mußten fie
fich, menn auch Safere lang zubor unb immer bon Steuern
burefefonnen unb berarbeitet, in ftetS lebenbiger ©egenwart
in ifem felber wieber erzeugen, ©ine anfefeautiefeere ©laftif
biefer Schwierigfeit unb fearten SOtüfee läßt fidfe in anberer
SGBeife, als biefer ©ortrag fie gab, nicht erfinnen. SBie bie
Digitized by v^. ooQie
296
Die ®ege«warl
Nr. 19.
ätteften Propheten, je brangbofler fic mit bet (Sprache ringen,
nur um fo ferniger, waS in ihnen felber ringt, bewältigen!)
palb unb palb überwunben perborarbeiten, fämpfte unb fiegte
auep er in fepwerfäßiger ©ebrungenpeit. ©anj nur in bie
Sache berfenft, fepien er biefelbe nur aus ipr f ihrer felbft
mißen unb faum auS eigenem ®eift bet §örer megeti ju
entwideln, unb boep entfprang fie aus ipm aßein, unb eine
faft bäteriiepe Sorge um Ätarpeit milberte ben ftarren Stuft,
ber bor ber 9lufnapme fo müpfeligct ©ebanfen patte jurüd«
fdpreden fönnen. Stodenb fdjoit begann er, ftorfte weiter,
fing nodj einmal an, pielt toieber ein, fpraep unb fann, baS
treffenbe Sort fdpten für immer ju fehlen, unb nun erft
fdjiug eS am fieperften ein, eS fd^ien gewöpnlicp unb toar
bodp unnachahmlich paffettb, ungebräuchlich unb bennodj baS
einjig Steckte. ®aS ©igentlidjfte fdjien immer erft folgen
ju foßen, unb boep War eS fdjon unbermerlt unb fo boß«
ftänbig als möglich auSgefprodpen. ÜRun patte man bie tlare
Sebeutung eines SageS gefafet unb hoffte fepnlicpft Weiter«
jufepreiten. SergebenS. ©er ©ebanfe, ftatt borwärts ju
rüden, breite fiep mit ben äpnlkpen Sorten ftetS mieber um
benfelben punft. Schweifte jeboep bie erlahmte 9lufmerffam«
feit jerftreuenb ab unb lehrte nacp Wiuuten erft plöglid)
aufgefepredt ju bem Sortrage jurüd, fo faitb fie jut Strafe
fiep ai» aßem gufammenpange perauSgeriffen. ®enn leife
unb bebaeptfom burep fepcinbar bebeutungSlofe Wittelglieber
fortleitenb, patte fiep irgenb eiH öoßer ©ebanfe jur ©infeitig«
feit befdjränft, ju Untcrfcpieben auSeinanber getrieben unb
in Siberfprüdje oerwidelt, beten fiegreidje ßöfuitg erft baS
Siberftrebenbfte enblicp jur Sieberoereinigung ju bejmingen
fräftig war."
Sie man fiept, mar ber gauber, ben ^>eget auf feine
grofee ©emeinbe auSübte, burcpauS niept eine golge feines
lebenbigen SortrageS unb rtjetorifcfjetr fünfte. $Rur feine
ßepre mar ber Wagnet, ber feine 3 e 't fo mastig anjog.
©anj gewife niept ber Sepriftfteßer, ber Stilift, ber nad)
Scpopenpauer’S geugnife „ein barbarifcpeS ©eutfdj" feprieb.
Senu Äuno gifepet alle Siberfprücfje in ßeben unb ßepre
beS granffurter ppifofoppen baburep löft, bafe er ipit als
Äunftler auffafet, fo Oerfagt bieS Wittel bei Riegel. Sr mar
9lßeS, nur fein Zünftler, fogar ein gutes Stüd ppiliftcr.
Unb boep ^aben feine Sbeen bie Witmelt aufgewühlt, fo bafe
bei feinem plöglidpen ©obe — er ftarb 1831 an ber Spolera
— eine namenlofe Stauer fiep funbgab. Sir erflareit unS
feine Srfolge aus ihrer Uebereinftintmung unb ben Sebiirf«
ttiffen ihrer geit. 9l uc P ft'utto gifeper meint fühl genug,
bafe ber grofee ppilofopp nicht blofi fanft, fonbern auch red)t«
S geftorben fei, in ber üoßften Ära ft ber Sapre, ber
e unb beS BtupmeS. SRocp mar nichts an ihm überlebt,
als er ftarb.
3lu0 ber Wiener ftljeatergefchichte.
S3on (Ebuarb von Bamberg.
(6c^lu6.)
9luS ähnti^en ®rünben Wie ©riflparjer War aud)
Schrepoogel mürrifch unb gtieSgrämlid) geworben, fräufelte
jubem 1823 fchon mehr, als feine Sahre erwarten liefen.
Snbeffen fchlug bet ursprüngliche §umor immer mieber burch
unb entlub fidh in fßointen unb SBonmotS, bann aber jeigte
er fidh noch ganj anberS ju §aufe unb in bem, aßerbingS
fpätli^ bemeffenen, gefeßigen SSertehr als in ber Äanjlei unb
bei gefdjäftlicher Shätigfeit. Senn man ben Wann mit ben
berben 3u9 e n, ber gebräunten ®efidjtSfar6e unb bem fd)lid)ten
©ebahren erblidte, mufete man ihn für einen ©eoatter
Sdjneiber unb |>anbfd)uhmacher halten; fobalb er fptad), ent«
puppte fid; freilich auS ^ e,n ^tefenbacher ber Pappenheimer.
Unoerglci^lich, mit welcher (Sieloffenheit er bie trcffenbften
Pemerfungen abroßen lief), nodh ftaunenSmerther, mit melier
geinheit er einem Sturm fteuerte. „Wit bem wirb fein
Sdjmein fertig!" jürnte ^»elrnina, als fie ihm fein Sörtlein
über ihr eingercid)teS ßuftfpiel abringen fonnte; er enoiberte
biefe ^Berliner ßiebcnSart inbe| ganj gemüthlid) mit ber St«
merfung, baff er, SlfieS in Slßem genommen, in feinem ßeben
Wohl bereits mit einer ganjen beerbe fertig geworben fei,
unb lenfte baS ©efptäd) unOermcrft in neue Sahnen. „Ser
oerflu^te Serl!" polterte §elmina bann ju §aitfe; „aber er
hat ©eift für Oier, man fann ihm nicht gram fein." Unter
competenten fRid)tern herrfcfjte nur eine Stimme, bafe bie
boßenbete Weiftcrfdhaft, mit ber fomohl bie Xragöbie aß bal
bürgerliche Scfjoufpiet unb bor ßlßem baS SonoerfationSftücf
egeben mürbe, nidht jum ße^ten feiner bramaturgifchen Hr-
eit ju banfen mar. 9tud) er mufßte fein fRepertoir auf bem
Wittelgut aufbauen, aber Welches reijoofle ßeben gewannen
Sfflanb’S häuslicher Jfahenjammer, Soßebue’S breite Settel«
fuppen unb Scribe’S lofe Saare burd) erlefene Äunft unb
woljlgeleitete Uebung! 9luS ber Wannheimer Schule wirften
noch Äoch unb trüget; Äorn, bet bie alte Sienet SJi^tung
repräfentirte, ging mit feinem gefrorenen ßiebäugeln fchon
bergab, hatte aber eine jahtreidje Partei, Welche immer noch
baS ©ewefene bewunberte. dagegen fah Sophie Schreibet
hinter ben ßampen Wie eine grau bon breifeig Safewn aul
unb behauptete mit ungefdjWächter Straft bie |)öhe ber neuen
Shinftrid)tung, welche 9(nfchüh, bamalS im fräftigften Wannes«
alter, bewufet übernahm, währenb fich ihr bet §eifefporn ßflwe,
ber neue Srfah für bie jugenblid)en gelben, unfefwer anglieberte.
Sophie Wüßer mit ihrem anerfannten unb woljlberbienten
grofeen 9iuf war ganj bie Sünftlerin nach Schretjbogd’s
|)erjen. 3u einer ebenmäfeigen, ftoljen unb fräftigen ®e«
ftalt, eblen gugen mit einem wunberfam beilchenblauen 9tuge
unb gläitjenb fdjwarjett §aar gefeßte fiep eine urfprüngliche
Segabung, weld)e nach feiner Seite berfagte. Sdjon ber
blofee Älang ihrer Stimme brang jum ^»erjen, unb Wenn fee
im häuslichen Greife fang, fdfeen fie ber Sthröber«®ebritnt
nid)ts nachjugeben. 9ltS ipr bieS jemanb inbefe einmal au»«
fprach, eittgegnete fie mit bem geflügelten Sort „Warum hat
er nid^t Sd)rot geloben?" — baffelbe entftammte einem ©c«
biepte ©rißparjer’S, worin ein Säger mit ber Äuget im fRoprc
aitSjiept unb auf niebereS Silb ftöfet. Spr perfönlicper 9int
war fledeuloS, waS bamalS bei Scpaufpieterinnen als 9luS«
napme galt; bon 9lnbctern umfepwärmt, bon felbftlofen
greunben bereprt, War fie eine g^rbe ber guten ©efeßfepaft
unb ber gute ©cift ipreS SaterS, richtiger bießeidjt Pflege«
baterS, bem fie jebe finblid)e 9füdficpt erwies, auep nadpbem
er ipre 9ldptung bermirft patte.
®aS ßämtnertportpeater ftanb unter ber ®ircction
Sarbaja’S, ben man feltfamer Seife als päcpter bejeiepnete,
obwopl er bom §ofe einen für jene geit bebeutenben gufcpuß
erpielt. S)aju famen überfüßte Käufer unb erpüpte Sin«
trittSpreife, unb boep fegte „ber grofee Smprefario" große
Summen ju, ba ©nfemble unb 9lnSftattung auf ju grojjem
gufee eingerichtet waren, ©liidliiper Seife oerfügte et über
bie Wittel unb fonnte fiep feinen Üfupm etwas foffen taffen;
in ber Spat pat aber auch ®eutfdjlanb eine wälfdpe Cper
wie bie mit ßabtaepe, 2)abib, 3)onjeßi, fRubini unb ber gobor
webet borper noep nachher gepört. Sn fRebenroßen erfepien
pier im Sommer 1823 eine jugenbtiepe Sängerin mit perr«
tieper Stimme unb reijenber ©rfepeinung, welcpe man inbefe
niept fonberlicp adptete unb fcplecptweg „bie fleinc Spntag'
nannte, wäprenb fie fRäperftepenbe fogar als einfältiges
©änScpett betrachteten. 9lflerbingS war ipre ©ntwidelnng in
einigen punften jurüd, weil fie 9tfleS fiep felbft bevwnte
unb bie Wutter eS an erjieherifdper fRacppitfe feplen liefe-
Sepr bejeiepnenb, bafe fie mit neunjepn Sapren noch bor«
wiegenb laut badpte, unb opne jebe ßebenSerfaprnng, Vni fee
war, fepltc eS audp niept an fomifepen ©ebantenfprüföKti
9llS ipr gorti nad)fteßte unb bie Wutter bor bem ©on Span
Digitized by v^. ooQie
297
Nr. 19.
Die ©ejjenwart
Warnte, fonnte fie fiep trop aßet fc^fcnbcn Neigung unb ©e*
legenpeit ber gurcpt üor Singen niept entfcfjtagen, bie nur
golge ^ödjfter Intimität gu fein pflegen, unb gab baS aud)
noep mit aßet Offenheit gum S3eften. ©elbfloerftänblid)
amufirte fic^ baS publicum barob pöcplicp, unb als fie bie
©urpantpe creirte, fanb baS SBonmot aßgemeinert Stnflang:
„baS ©anferl wäre mir lieber als aße hinten". Snbeffen
patte §enriette Äopf unb Iperg fepon bamalS auf ber recpten
©tefle, unb bie gunepmenbe Äenntniß ber SBelt tilgte niept
. bloß jebe ©pur jener reinen Sporpeit, fonbern reifte Saft
unb 3Serftanb mit ü6errafcpenber @cpneße. ©o fonnte fie bei
ipter S&rpeiratpnng ben Uebergang Doni glängenben ©cpein
gum Wirflicpen ©lange opne ©djroinbef iiberftepen, aber, waS
mepr ift, nad) bem Umfcpwuitg bet ©lüdSumftänbe ipreS po>cp*
gefteflten ©atten fanb fie auep ben DRutp, gu iprerftunft gurüd*
gufepren, unb waprlicp, Same unb ßünftlerin paben fiel) in ipr
nie befepbet, fonbern non einanber ben größten 5ftupen gezogen.
Ser eben genannte SBaffift gorti, ein pocpgebauter SDZann,
fdjwarg bon Sluge unb £>aar, fucpte aßerbingS feine SSorgüge
bei ben grauen opne moraltfdje ©crupel gu Derwertpen, war
aber webet ein ©ecf, noep eine SRatur gemeineren Schlages.
^Begann feine ©timme fcpoit gurüdgugepen, fo peifdpte fein
(Spiel bafür bie pöepfa Siewunberung; ümgefeprt ließ ber
Scnorift ^aiginger als ©finget nichts, als Sarfteßer 9lßeS
gu wünfepen übrig. Urfpriinglidj ©epulmcifar, beit man feiner
petrlicpen ©timme falber gum Sweater Ejatte preffen muffen,
war er aucf) fonft baS SBiberfpiel feines grunbgeWaltigeu
Soßegen, benn feine freie $eit wibmete er lebiglicp ber fiunft,
uermicb Slßeö, waS feiner ©efunbpeit fepaben fonnte, unb be=
fteißigte fiep eines mufarpaften SebenSWanbelS. Söeibe ©änger
gehörten ber beutfepen Dpeii an, welche im §erbft 1823 bie
italienifcpe ©tagione abtöfte; wäprenb aber §aiginger ben
Slbotar, gorti ben Spfiart als itt ifjr Sioßenfacp gehörig über»
nahmen, Ejatte SBeber bie ©urpantpe ber ©ontag gerabegu auf
ben Seib gefeprieben. Sie Seute meinten freilid), baS erreg*
* bare Iperg oeS 9D?aeftro fei burep baS nieblidje Särucpen bc*
ftoepen worben, er aber patte fepon auf ber fraget ®iipne
in ipr ein HinftlerifdjeS Sfleinob entbedt unb prophezeite ipr
allem SBibetfprucp gum Srop bie glängenbfte ßufunft.
Sa bie ißreciofa bereits erfolgreich gewefen war, patte
man fiep Dom greifepüp niept Wenig Derfprocpcn, inbeffen im
©eringften niept ben Sttumpp erwartet, ben er aßüberaß
baoonitug. SBenn nun aber auep bie greunbe beS Sibrettiften
bie SBißfrage aufwarfen, was SJiaria opne Sfinb wäre, unb
biefer fiep mit SBeber entjmeite, Weil berfelbe niepts gegen bie
ipm wiberfaprene ©eringfepäpung tpat, fo blieb bod) bie
öffentliche üReinung unentwegt babei, bem ©omponifan baS
gange SSerbienft guguetfennen. ©elbft Siteraten Derfannten,
baß ber ©toff ber mufifalifcpen SBcpanblung oorgüglicp eut*
gegenfam unb ber ftreng bramatifepe Slufbau baS Sntereffe
oerboppelte, Wäprenb bie profaifepe Siction fein fiemmniß,
fonbern gerabe SBeranlaffung gu fcpwungpafter SDfelobif ge*
worben War. ©elegentlicp meinte -2Beber wopl einmal, baß
ein gebanfenpafter Sejt bie reepte Unterlage für ben mufi*
falifdpen ©efüplSauöbrud bilbe, ließ fiep aber für bie SJfeinung
^»elmina’S unb ipreS Ä'reifeS gewinnen, welcpe baS 2Öefett=
pafte eines guten Sibretto anberSwo fueptett wie ber iprer
SJfeinung naep eines bebeutenben ©omponiften unwürbige
Sicpter beS „greifepüte". 9llS 93arbaja für feine beutfepe ©e*
fettfepaft eine große Dper bei ipm befteßte, trat er beßpalb
frifepgemutp mit §e(mina in Unterpanblung, bie er gubem
in bem „Sieberfrang" ber SteSbener |>ofrätpe, ber biepte*
rifepen Sßfitarbeiter ber Don Speobot |>eß unb grang Stinb
geleiteten, Don Ä. 91. SBöttiger patronifirten „9lbenbgeitung"
als gefdpmadDoße Söersfünftlerin fennen gelernt patte.
SJJeprete Stoffe, bie fte ipm tpeitS rop, tpeilS im fjßlane, tpeilS
in begonnener SluSfüprung Dorlegte, fanb et für feine 9lb*
fiepten niept geeignet; enbltcp ftimmte er bei, baß bie „histoire
de G4rard de Nevers et de la beUe et vertueuse Euryanthe
son amie“ gu ©runbe gelegt Würbe, bie bereits in ber Don Ipel*
mina unb Sorotpea überjepten, Don griebriep ©cplegel 1804
perauSgegcbenen „©ammluitg romantiftper Sicptungen beS
SJfittelalterS" in Seutfcplanb befannt geworben War. Sie
alsbatb burdj bie fßreffe Derbreitete ßfa^riept erwedte große
©enfation. Sa ÜBeber trop eingelner abfpreepenber Urtpeile
ber ©omponift beS SageS unb §elmina namentlich burep bie
Sfopeßen „Emma" unb „Sie 3 «t ift pin, wo öertpa fpann"
fowie baS romantifepe ^elbengebiipt „Sie brei Weißen fßofen“
in bie erfte fffeipe ber Stipterinnen getreten war, erwartete man
Don biefer ßufatnmenarbeit bie ungtaublicpften SBtrfungen, unb
fpecieß bksiepterin pat nie eilten größeren 9fuf genoffen als in
ber 3^iP wo ©urpantpe noep ein ungeboreneS Äinblcin war.
Sie gorberung, ben Sejt für eine große, burdpeomponirte
Dper gu geftalten, ließ fidp natürlicp leiept erfüßen, bie Um*
geftaltung, welcpe ber 9lngelpunft ber ©efdjicpte unbebiitgt
gu erpeif^en fcpieit, bot bagegen feine geringe ©cpwierigfcit.
Sm Original brept fiep nämlicp 9lßeS um baS ©epeimttiß,
baß ©urpantpe unter ber reepten SBruft ein SJfat in gorm
eines 9Seild)enblatteS trägt; burep ©elb beftoepen geftattet bie
9lmme, baß ber SBöfewicpt bie §etbin im fflabe belaufet, unb
biefe fdjweigt fpäter fepampafter SEBeife auf bie 9tnflage. Sie
SBerwanblung ber fcpwappaften Sitten in eine junge SBer*
traute, welcpe öerfepmäpte Siebe gu rädpen fuept, war fo
brauepbar wie itapeltegenb; wie aber foflte man baS SBeildjen*
motiü wenbenV ©owopl ^elmina als SBeber fapen bar in
troß ober üieltnepr im §inbtid auf ©pafefpeare’S ©pmbcliuc
eine naturaliftifepe ßfopeit, unb fo mußte bie erfte gaffung
aus bem ©ommer 1821 mehrmals Dößig umgeftoßen werben,
bis mau in ber SRinggefcpicpte ©mma’S unb Ubo’S Slbolar
ein ©epeimitiß guwieS, WelcpeS ©urpantpe ber greuubin auS*
plaubern mußte. 2Bie freiliep barin ber JBeweiS einer Untreue
gefunbeit werben fann, ift ebenfo unflar wie baS bebingungS*
tofe unb bem 9lnf(äger gegenüber niept angebrachte Singe*
ftänbniß beS ©ibbrucpS. ©enug, 9tbolar füprt ©urpantpe
(wie ©erarb) gum Sobe, fommt aber auf anbere ©ebanfeu,
naepbem er eine ©cplange erlegt' pat, ber fiep bie ©eliebte
opfern woßte. Sn ber ©infamfeit ber Silbniß fommt nun
auep biefe Wieber gu SBerftanb unb fann bem Äönig erftären,
baß ipr ©gtantine baS ©epeimniß abgelodt pat, waS pin*
Wieberum fofort ipre Srcue beweift. SiefeS tragifdjc 2Wiß*
Derftänbniß unb jenes mpftifepe ©epeimniß pat ber Sicpterin
unenbliipeS Äopfgerbrecpen Derurfad)t; auep bei ber SEBapt beS
UitgetpümS war fie fange im ßweifel, enblicp wäplte fie einen
Söwen, SBeber bie ©cplange, ber Slnabe SBilpetm aber lidjerte
im §intergrunb, baß eS ein Sinbwurm ober ein JBär feilt
müffe, ba webet Söwe noep Solange in granfreiep Dorfätnen.
©owopl wäprenb ber 9tuSarbeitung beS SibrettoS als
ber ©ompofition forberte SBeber unabläffig Heinere ober
rößere SejtDeränberungen; bie lepte fanb benn auep glüdlicp
ei ber Srudlegung beS 93ucpeS ftatt. §elmina fügte fiep
bereitwißig, boep fanb ber SSerfepr fepon bei SBeber’S
SBieiter 9lufentpalt im Sapre 1822 nur noep fipriftlicp ober
burep SJfittelSperfonen ftatt, ba fie fiep töbtlicp entgweit
patten. Naepbem öarbaja ber Sidpterin 30 Sufaten ©pren*
folb für bie SBiener 9luffüprungen überfanbt patte, erbat
fie nämlicp Don SBeber einen $orfcpuß auf bie Honorare
ber anberen SSüpnen, waS biefer aber niept etwa, wie
er burfte, ablepnte, fonbern mit bet ©rflärung beantwortete,
baß fie überhaupt nicptS mepr gu erwarten pabe. Sa
ber ©elbbeutel bei beiben Sünfttern, wenn auep in Der*
fdpiebener SBeife, bie SlcpifleSferfe bßbete unb pier wie bort
ein auSgiebigeS 2Raß Don Seibenfcpaftlicpfeit Dotpanben war,
fo wogte ber SEampf lange utterquidlicp pin unb per. SRerf*
würbig, wie SBeber, ber fepon feit Sapten baS SluSfepen eines
©cpwinbfücptigen patte, in angenepmer ©efeßfepaft bis gut
SluSgelaffenpeit munter fein unb wie in ben Sarraftäbter
Sugenbtagen mit feinet tonfofen ©timme gut ©uitarre bie
loderften ©cpelmmlieblein anftimmen fonnte, bann aber wieber
Digitized by v^. ooQie
298
Die (Segeimiart
Nr. 19.
bei ber geringften Serftimmung aufbraufte unb mit fc^neibenber
SiücffichtSlofigfeit feinen ©egnern ju Selbe ging. Dbmofel er
fich oft mit SinbS Seifpiele bertheibigte, ber nie auf Sinjel*
Honorare SInfprucf) gemalt ^ätte, ließ er fidf am Snbe übet
ba« SiechtSberhältnife belehren unb erlegte fogar bte belangten
100 ®ufaten; inbefe tarn bamit feine Serföfenung ju ©tanbe,
benn ^elmina, melche in ber §i|e feine Sernunft annahm,
aber ein Unrecht batb bergafe, mar burch bie Irt unb SEßeife
bieSmat fo erbittert, bafe fie bem SKeifter felbft nach feinem
Xobe nic^t bergeben mochte.
9}a<h fangmierigen groben, in benen SBeber ber S)irection
unb Sftegie, ben ©fingern, ©boriften unb SDfufifem ben Äopf
gehörig marm machte, fam enbtich bie SorfteHung am
25. Dftober 1823 ju ©tanbe. $a8 HauS mar überfüllt, bet
Seifall ftürmifch unb bie ffiritifen lobten fiberfdjmänglich;
inbeffen hotten biefe fcbon borher ber Senfur borgetegen unb
bei jenen leufeerungen mar Neugier unb perfönlidje eil*
nähme mafegebenb gemefen, fo bafj bie Oper in SBaljrheit
nur einen SlcljtungSerfolg aufjumeifen hotte, Helmina fträubte
ftdh lange gegen bie (Srfenntnifj unb beutete fogar bie %t)üU
fadje ( bajj SBeber bie ©ontag bor bie Stampe geführt hotte,
bahin aus, bafj ba« jßublicum bor lauter SBonneraufcfj bie
Hauptperfon ju rufen bergeffen h°be; bei ber britten Sor*
fteUung, melc|e ju Henrietten’« SBenefij ftattfanb, ging ihr
inbeffen ein Sicht auf, benn bet (SrlöS braute faum bie
laufenben fioften, unb um ein gia«fo ju bermeiben, mufete
bie gfihnenbe Seere noch * n le|ter ©tunbe burch reichliche
greifarten berbecft merben. Slun fe$te auch SBeber mieber
mit feinem Unmuth ein unb flagte jebem, ber eS hören mollte,
bafe et feine Sfunft an einen unheilbar fd^tcchten Xejt ber*
fchmenbet habe, mährenb Helmina metterte, bafe fie ihre jßerlen
— feinem ÄönigSfohn in ben ©choofj gelegt hätte. inber*
märt« fanb bie Dper freilich mfirmere Aufnahme, mürbe, als
fie fpäter an ben Drt ihrer jßremierö jurüCffam, mit großem
SBofelmoßen beljanbelt unb erfreut ftch eine« claffifcf)en Stufe«,
feitbem ihre Sejicfeungen jur SBagneroper aßgemein in bie
lugen fpringen. $afe baS Such trofc monier hübfchen
Iprifdhen ©teile an biefem (Snbrefultate unfchulbig ift, braucht
nicht betont ju merben; bocf) foßen fdjlechterbingS bramatifche
Infähe burch SBeber'« (Singriffe bermifcht morben fein. Unb
ift bie Stomanje: „Im lebten SJtai, in banger Trennung
©tunbe" fo componirt, bafe bem 3»h öter ih rc bramatifche
Sebeutung jum Semufetfein fommt, ja nur fo, bafe er bie
einjetnen ßüge flat aufjufaffen im ©tanbe ift?
Satbaia’S Stachfolger mar SouiS ®uport, metdjer jmar
nicht fo übetfchmänglicheS Sob mie biefer geerntet, bafür
aber ein Sermögen berbient hot. Sine Keine, jierliche gigut
mit feingefdhnittenem ©efidjt unb lebhaftem SBefen, mar er
1780 in jßari« geboren, entfloh im Unterrocf ber lu«hebung
unb machte barin manche (Srobetung, bis er auf ber jßeterS*
bürget Hofbüfene als ©ototänjer Sorbeeren pflücfte. SJach*
bem er bon Stapoleon, mahrfcheinlich gegen baS übliche Söfe*
gelb, parbonnirt morben mar, fam er nach SBien unb heiratfeete
bie fünfjehnjäljtige EJherefe Steumann, eine fchöne unb an*
mutfeige SCänjerin, im Seben eine ftolje unb ablige Statut
bon tiefer Silbung, ju melier ihn Siebe unb ©eminnfudjt
ju gleichen 'Jhetlen h' n 9 € ä°9 cn hotten. ®aS in Infefeung
ihre« SerufS beiberfeits mit feltenen (Sigenfdjaften auSge*
ftattete Äünftlerpaar machte ju SJturat’S geiten in Steapel
gurore; in SBien bauerte ber gleiche (Srfolg nicht lange, aber
nicht etrna meil bie Seiftungen nadjlkfeen, fonbern meil Sarbaja
bem gefchäftStüdhtigen unb fpatfamen ®uport bie öfonomifcf)e
®irection übertrug unb biefer feine grau ohne SBeitereS bon
ber Sühne entfernte. (SS gab nämlich bei ihm eine Seiben*
fchaft, meldje fogar ben aus ber ©parfamfeit alsbalb ent*
fprungenen ©eij übertrumpfte, bie (Siferfucht. Unb jmar
richtete fich fein £afj nicht blofe gegen beftimmte ÜJtänner unb
feine Srutalität nicht auSfdjliefjlich gegen bie arme grau,
melche, frei bon aller Äofetterie, bon ihm felbft für einen
(Snget an Steinheit erflärt mürbe; er eiferte bielmehr gegen
baS ganje männliche ©efcf)letht, bie Säuglinge eingefchloffen,
unb YlfleS, maS ju $h ere fe Sejiehung hotte, felbft ©piegel,
Such unb EEhierlein, betftel feiner Sergemaltigung. S« ber
Hifce, erflärte er in feinem Skutfchfranjöfifcf), „gebe ihn bie
Seibenfchaft boflftänbig närrifch jurücf“ unb er miffe nicht
maS er thue; bann f^merje ihn fein Senehmen fo, bafj et
fich tobtfchiejjen mödhte, aber bie Steue holte nicht bor —
„mollte ©ott, meine grau märe nicht jung unb fchön, fonbern
häfjlidj unb bermelft!" Sange Sohre hotte grau ®uport
biefen fchmählichen 3 u flonb mit SammeSgebulb ertragen, ba
auf einmal fteflte fie fich ä ut 2ö e 9 r un l> marf baS Soch ab;
fchäumenb bor SSuth unterlag ber Xprattn unb ging nach
^ariS, mährenb fie in ihrer reijenben Sabener Silla ber*
blieb, gür fogenannt realiftifche 3)arftetter beS Othello mirb
bie Xhatfadje Sntereffe hoben, bafe ®uport an ber Seber litt
unb früh gealtert mar; inbeffen h°t er mit feiner Sranfljeit
noch 9 °nje breifeig Sahre gelebt unb ift erft 1853 geftorben.
Sludj bem Xf^oter an ber SBien hotte ipelmina ein
©efeoufpiet eingereicht, meldjeS nach einem fpanif^en ©runb*
motib bie ®efchi<h ( e einer erbidjteten jßrinjefftn „Siofamunbt
bon ©hpern" behonbelte. ®affelbe mürbe ohne (Srfolg auf*
geführt, hoch lebt bet lEitel heute noch meiter, ba ©djubert
auf ©raf ißalffp’S Seranlaffung bie SDhifi! baju hatte fchreiben
müffen. SMefer I^oterenthufiaft mar ftetS in ©elbberlegen*
heit unb hoch immer mieber obenauf, ©inmal mürbe bie Ser*
jmeiflung fo grofe, bafe er mit Silla unb ©<hmucf auch ^>0®
Etheoter in einer Sotterie, mie fie bamals üblich toaren, aus*
fpielen tiefe; nach Söurjbach foH ber ©eminnet gegen eint
IbftanbSfumme jurüdgetreten fein, nach ©h e ih ölieb ber
Haupttreffer im unberfauften Slefte bet reifeenb abgegangenen
Soofe. Sfuch baS SfinberbaHet hat hier einmal ben Sretter
gefpiett, bis eS überhaupt berboten mürbe — in ominöfer
Sejiehung ju Saunifc, ber auch ben unfchulbigen „©ecretären“
feinen Siamen geliehen h°t. ®ann maren eS mieber bie
boHenbeten machanifchen HülfSmittel, bie Serfenlungen, glug*
merfe unb Sermanblungen, melche bem Etheater an ber SBien
eine jeitmeife InjiehungSfraft liehen. Manchmal mürben
auch 9 r °fk Särmftücfe gegeben, ju benen fich bie äufeerorbent*
liehe $iefe biefer geräumigften SBiener Sühne befonberS eignete,
unb in „ÄaSpar ber jth or i n 9 et " lamen j. S. fünfjig ®t*
harnifchte ju ißferb mit einmal jur (Stfdjeinung. $a$
„Siehftüd" mar aber etmaS ganj InbeteS, inbem nämlich hier
itbiere bon ©chaufpielern gegeben mürben, unb jmar bor*
miegenb Iffen unb Staubtljiere. ©o machte im SBinter 1823
bis 1824 SDiaperhofer in bem SMobtam „®er SBolfSbrunnen*
mit bem SBolfe grofeen ©ffect, bann übernahm er in „$unb
unb Seoparb" ben Sefeteren, mährenb (Srfterer bon einem „un*
münbigen Sruber ©afteüi’S" gegeben mürbe — fo hotten bie
SBiener ein (Sitat beS thierf^uhfreunblichen jßoeten barürt
SBie man fieht, lonnte fich boS „Siehftüd" auch mit bem
„Hunbeftüc!" berbinben, melcheS nicht blofe hiftorifch früher,
fonbern auch berbreiteter mar, in ber Xheatergef^ichte eine
ganje „Hunbeperiobe" h etl, orgerufen hot; bie ©djaHfpieler
haben fi^ inbeffen nie an biefe gelehrigen SRitfpieler ge*
ftofeen, jmei SluSnahmen abgerechnet: ben SBeimarer ®enh —
aus Siefpect bor ©oetlje — unb ben ©tuttgarter ©felait —
aus Siefpect bor fid) felbft
®aS in ben SBinter 1828 faHenbe ©aftfpiel beS Sefeteren
bot übrigens eine ber menigen luSnahmen, mo baS Uheater
an ber SJien bei ernften ©tfiefen nicht bie berlehenbc Seere
jeigte. ^eigentlich h ätte haffelbe in baS Surgtheater gehört,
aber ber $eQ, mit melchem (Sfelair feinen Sogei abfdjofe, nwr
nun einmal bort berboten, obmoht Äaifer granj nicht begreifen
fonnte, maS bie (Senfur gegen baS ©tüa höbe.' ®ie anbere
Serfion, bafe ber ©aftfpieler megen feiner Ibftammuna bon
bem gräflichen ©efdjtecht ber ÄhebenhüQer bie f. t Hofbühne
nicht betreten bürfe, mar mofet nur als Sieclame auSgefprengt;
ju gleichem 3ü»ed liefe Ißalfft) eine Stod)ure Hetmina’S „Sfelair
Digitized by v^. ooQie
Die ®e$etttoart.
299
in SBien“ brucfen, pnb Wenn aud) baS entjünbltche ©emüth
bet SSctfafferin nicht befannt wäre, müßte ißt Sob fchon
aus biefem ©runbe mit ©orficht aufgenommen »erben. Sn
SBa^tbeit ging bet ÜRtme, bem ade äußeren SRequifiten beS
gelbenfptelerö in fettenem SRaße ju geböte ftanben, bantatS
ftatf bergab unb war in feinet SRanitirtßeit bereits „Der«
foffen". „@r ließ gar ju ftar! betDortreten, baß bie fRoUe
für feine wertlje ©etfon, nicht er für bie SRoUe Dorbanben
fei unb bie Sucht nod) Slbfonbcrtid) feiten tßat ber Äunft
metflichen ©intrag, obroobt fie im 9lugenblicf ben Srfolg beim
Raufen Derftärfte." SBar baS bamalS bei einem ernften
Xorfteßer etwas StbfonberticheS, fo paßte eS -hoch ju ©alffq’S
SCbeater nicht übel, welches nach einer rühmlichen ©eriobe —
ungefähr feit jener Sotterie (1820) — jur ®ecabence über«
ging. SBilhelm ©ogel, ber biefefbe aufeuhalten berufen »urbe,
Wäre auch bei größerer ÜRacßtbefugniß baju nicht mehr im
©tanbe geroefen, benn er fränfefte fcßon bebenflicf). @o frei«
Ucb arbeitete er nur nach beS ©rafen Intentionen; fomifcb
aber »ar eS, »ie er babei feine §artbörigfeit benufcte, benn
wenn er etwas nicht böten woflte, fo »ar er taub, unb foflte
et etwas nicht hören, fo Dernabm er eS gewiß, ©eine grau,
a nb oor ©efunbljeit unb güfle, fab in ihren älteren
n trefflich aus, mußte ftch aber Dorber in ber ©arberobe
burch j»ei ^attbfefte ^auSfneqte jufammenfchnüren laffen,
eine ©rocebur, welche lebhaft an bie golterfammer erinnerte,
aber in Sßien feitbem mebr bewunbert worben ift. 2tn be«
fannten 'Kamen Waren außerbem nur ber föelbenfpielet SRott
ju nennen unb gichtner, ber als blutjunger 2Renfd) bie
ßiebbaber gab unb eines „außeramtlichen" Derwanbfchaft«
liehen ©erijältniffeS ju ©ogel befcßulbigt würbe.
3m ßcopolbftäber Xh eoter waltete SRaimunb, beffen
geniale ®arfteUungen unb glücflichen ©tücfe Don ganj Söien,
ben -oberen wie unteren, gelehrten wie ungelehrten Äreifen
gleichmäßig ^oe^gehalteit würben. $ln §umot war ihm fein
©oflege 3gna$ ©djufter noch etwas über; wußte er hoch
fogar feinen ©ucfel fo trefflich ju tragen, baß grembe manchmal
meinten, er habe ihn fidj eigenS für ben Slbenb angefdjnaßt.
«uch Don ber Siebe h°t et ihn nicht im ©eringften auS«
gefchloffen; bamalS gerabe mar feine ßiaifon mit ber ©omteffc
XeSfouS ©tabtgefprädj, welche fi<h jum ©erbruß beS SIbelS
unb jum ©ergnügen ber Officiere wie beS ©ublicumS ben
„roilben ©räfinnen" jugefeflt f) Q tte, wie man bie' feine
Xemimonbe ju nennen beliebte. 3)ie SfroneS »ar eine anbere
©pecialität, eigentlich eine ©pecialität für fid), eine über«
müthige, lebenSfräftige, jügettofe ©cßönheit, bie jum DolfS«
tfjümlichften ?(uSbrurf gebrachte ©t)iline. 3h te ©efc^ic^te
mit bem polnifcßen Slbenteurcr SaroSjßnSfi, welche in jene
3eit fällt, ift befannt genug; baß fie feinen ßßäracter nicht
erfannte, war aber Derjeif) lief), benn er fpielte ben ©aDalier
fo täufchenb, baß auch foltere ©etrachter ihn Don „anberen
©aoalieren" nicht ju unterfcheiben Dermochten. Sille fotdje
Xfjeateraffairen erregten baS lebhaftefte Sntereffe unb würben
mit einer Unbefangenheit befprodjen, bie heute nur — ber
SSBiener begreifen fann. dagegen giebt cS feine fdjlagenbe
Analogie mehr für baS Seopolbftäbter Theater, welches baS
etreue Slbbitb beS SBienerS unb ben unDerfälfcßten SluS*
tue! feiner Stnfchauungen unb ©mpfinbungen Dorfüf)rte. ®aS
Sofefftäbter bagegen trug baS ©epräge einer fleinen ©ro«
mnjialbfihne; bort würbe SlüeS gegeben, ÜJiaria ©tuart unb
bie XeufelSmühle, bie Ä'leinftäbter unb Ääthjhen Don §eil«
bronn, franjöfif^e Suftfpiele, ©allete, ©antombnen, unb $fleS
in einet gorm, bie jum ©urgtfjeater wenig ©ejiehung auf«
Wies. 3njWifcf)en wollte baS ©orftabt=©ublicum auf bem
Saufenben erhalten werben, unb fcßtießlich gehört auch baö
|u einer X^eaterftabt, baß bie unteren Schichten Don ben
bramatifchen ©enüffen nid)t auSgefchloffen bleiben. Saffen
biefetben bann auch ju münfdEjen, etwas fontmt boch babei
heraus, unb ift baS Sntereffe einmal rege, fo fteht ber Uebet«
gang jum Sefferen ja offen.
- Ra^bnuf »erboten.
Golfes Spiel.
SSon £outs (Eouperus.
9lu$ bem ^ottänbifc^en.
(Sortfejung.)
-3m SBoubotr, einem Meinen fec^ecfigen ©aale, beffen
®ctfe mit einem gflecfjtmcrf bemalt »ar, baD bie fiuft blau burebftbintmern
liefe, unb »oran ja^llofe Jütten berumfletterten, »artete Siena, ©ie
»ar Idngft fertig mit bem 9lu&fucf)en ber Silber, barunter Dielen nach
SBalter Srane, beffen .Floral Feast 4 ber ftönigin ben Sebanfen ein?
gegeben, bie fülle 3nfel bureb einen auägelaffenen SlumenbaH ju be^
leben. 3)a8 junge SWäbt^en liefe ben Süd träumertfdj über bie rofa
unb gelben Sbr^fantbemensSoftüme fcb»eifen, afö ©dritte ertönten; fte
glaubte, eö fei bie Königin. S)o^ e8 »ar ber tföntg, ber bie rofa
©ammetportifcre, bie jwiftben ben ^bürpfoften bing, em^orbob. ^3b re
9Wajeftät noch nid)t fax?“
„mn, HÄajeftät. 11
„Slber fte fommt bo<b halb?"
„S^b glaube »obl, Siajeftät."
Sr näherte fidj ibr. „^Barum, aJlaj^ftät?" fragte er.
S)a8 5Käb<ben erfebraf. *3$ weife nicht.. " ftammelte fte.
„3)u nannteft mi^ bocb früher anberö, Siena."
„Öritber?" fragte fte mit mattem ßädjeln; w ba» ift febon fo
lange her."
„9ttcbt fo febr; »ie lange benn?"
„Sabre febon, Sttajeftät; aI3 »ir Seibe noch Äinber »aren."
Sr^fiampfte mit bem Sufe auf unb fcbnaljte ungebulbig mit ber
3unge. „®ör ; nun enblidj auf mit deinem ewigen ,9Rajeftät‘!" befahl
er. w 9^enne mich SBlabimir." ©ie sögerte. w 9ienne mlcb SMabimir!"
brang er in fte, faft brobenb.
„3Blabimir!" ftammelte fie. Sr lächelte unb flaute fte lange,
lange an; fte gitterte am ganzen Körper unb mufete ficb mit ber einen
^anb feft auf ben $tfcfe ftü^en. ®abei waren einige Silber auf ben
Soben gefallen, ©ie wollte ftcb barnacb büden.
„Safe baS," befahl er. „3<b werbe fte aufbeben."
„SRajeftät!" ...
„Xeufel!" fluchte er unb brobte ihr mit bem &inger. „SBenn
$u'8 noch einmal fagft... unb wenn $u biefe Silber aufbebft...!"
©ie »ar gan^ rotb geworben, aber Derfucbte ju lächeln. $ann
hob er bie Silber auf unb legte fte auf ben fcifcb- „3<b i>an!e Sbncn
febr," fagte fte (eife.
Unb »ieber blidte er fte an mit feinem übermütigen Süd eine«
»ilben Knaben. w 3Ba«?" fragte er.
„3<b ^ante 3b«cn, Ä wieberbolte fie in Serwirrung.
Sr batte ftcb ingefefct. w 5Bie .. ,? Ä brang er noch einmal in fte.
„3cb Derftebe ©ie nicht... ©ie fcfeer$en ja immer."
^Slena," fagte er, „fomm mal ir ju mir unb gieb mir
einen Äufe."
„$ein, netn," wehrte fte ihn ab.
„äomnt, fag f ich ®ir!..." ©ie fing an ju lachen, au« fterDo*
fttät. „hierher!..." befahl er ihr, faft wie einem #unbe. ©ie fühlte
ftcb fetne«»eg« berieft, benn fte batte ihn lieb, fo »ie er »ar, fo über*
mütbig unb tbrannifcb; fte liebte feine Rohheit unb fühlte in ftcb eine
feltfame SBärme. Unb fte fam näher.
„Mber ... aber SBlablmir!" ...
„äomnt, fef' 9)icb ju mix unb füffe mich. Slber fcbneU, fonft
fommt Sfama." ©ie lam noch näher, unb plöflicb sog er fte an ftcb,
auf feine $nlee unb fügte fte mit »Uber Seibenfdjaft. ©ie fcblofe bie
Eugen, halb ohnmächtig. ,,©teb auf, fdjneli!" befahl er »ieber. „©cbneU!
SWama fommt!"
ßitternb erhob ftcb Siena; fte »ar noch gans berioirrt unb fcb»an!te.
Digitized by v^. ooQie
800
Nr. 19.
Die Gegenwart
©dritte famen näper. SIS bic Königin unb ©riani etntraten, machte
pd) ©lena am Xifd) mit bett Silbern gu fc^affcn f mäljrenb 2Blabtmir
ein ©oftürn betrachtete: ein |>arnifch mit Bornen unb 9fofen unb am
$>elm ein groper nieberhängenber ©lüthenbüfdjel. „2Bie fänbeft Xu
bieS für mid)?" rief er feiner SRutter gu. Xtefe batte erft auf ©lena,
bann auf ihren ©opn geblidt. ©tmaS hämmerte in ihr auf mie eine
Shnung. Sber pe antmortete nur:
„9Jein, für Xtdj nicht, 2Blabimir, baSift gut für Xeine $agen."
„9fcin, nicht luftig genug für bie $ogen," entgegnete er fdjToff.
„gür ©agen ift bieS fytv hübfd), biefer 9ttohn; bie 92eger mit rothen
£>üteu unb trommeln."
„3dj mürbe Xidj fehr gern als 9?ofen!öntg jehen in biefem ©oftürn."
„3a, ba$ märe reigenb für mich!" lachte er fie auS. „3d) banfe
beftenS, baS ift mir gu fentimental."
„Xann als ©onne, 28labtnür. Xu bie ©onne mit einem infolge
non ©onnenblumen."
„Xie ©onne?" überlegte er. „3u, aber in melchent ©oftiim
beim?"
©lena llatfd)te luftig in bie #änbe. „Sd) ja, bie ©onne!" rief
fie entgüdt. „(Sure SJtojeftät als bie ©onne!" 3Pre Gingen begegneten
©riani'S feft auf pe gerichtetem ©lirf, aud) bie Königin fah fie burd)*
bringenb an, unb fo fuhr fie benn ruhiger fort: „Xeun baS CToftünt
müpte fehr hübfd) fein!"
„Sber mie?" fragte er.
„XaS merben mir fehen," beruhigte ihn Slejranbra. „XaS lägt
fich nicht mit etnemmal entfdjeiben. (Selber StlaS mit ©olb unb eine
gvope Aureole um ben Hopf; unb bann nieüeicht ein ©onnenmagen
ober fo Sehnliches."
„Unb Xu als IHofe?" fragte er.
„92eiit, liebes Htnb," Jagte fie lachenb, „ich banfe gleichfalls; mir
fmb bie IRojen aud) gu fentimental, mie Xlr. ©Ijer als gelbeS ©ljrt)s
fanthetnum."
„Sch ja, flttajeftät!" jubelte (Siena.
©riani lachte. „2BaS für Umfiänbe, biS alT bie tarnen ihre
©oftüme h«ben!"
„XaS mup noch ^eutc gefdjehen", entfehieb bie Königin, v ^cute
Sbenb. SRorgen fonimt ein Regiment ©djneiberinnen. Suf alle gälle
ift eS recht fpiepbürgerlidj, fo ein ©lumenball auf ©ayoS!" Unb fie
lächelte bitter ivoutfd). „3*, t>ie ©ache mürbe ihr noch öiel 9J2ühe unb
Svbeit machen, benn binnen einer 2Bodje mupte SHeS befchafft fein.
Xie ©oftüme in einem ©efd)äft beftellen, baS moHte bie Königin aber
nicht, benn fie mürben bann nicht fo merben, mie fie münfd)te. (SS
follte SfleS unter ihrer perfönlichen fieituug entftehen, barauf hatte fie
fid) nun einmal capricirt.
Graupen crflangen ©chritte; bermorrene fröhliche ©timmen hallten
mie ein Sßroteft auS her hinteren ©alerie. 2Han flopfte an bie. Xhür.
„2BaS gtebt’S?" rief Slejanbra ungebitlbig. Xie Xhür mürbe
borfichtig unb leife geöffnet, jßring ©bgarb hob bie ^ortiäre hod), unb
bahinter mürben bk Höpfe ber Xamen pdjtbar.
„Sber meine liebfte SRajeftät, maS foll benn baS?" rief er aus.
„(Sine ©erfdjmörung ohne unS? dürfen mir benn unfere (Softüme
nicht auch tnit aufehen?"
„£eut Sbenb!" rief Slejaubra unb mieS ihnen bie Xljüre.
UngufriebeneS Durren mürbe laut. „£>eut Sbenb, bor heut Sbenb
nicht? 2Ba8 macht man benn jept hier?"
„XaS geht Such nichts an. #eut Sbenb finbet bie ©eneraU
berfammlung ftatt. 3*pt SJtorfdj unb fort!" Unb mit lautem £änbe*
flatfchen trieb fie bie gange ©efeflfdjaft ^inauS, mie man einen Xrupp
$ühner berfcheucht. ©bgarb protefttrte laut unb rüttelte an ber Xhüre.
Xodj Sleganbra fchob ben Stiegel bor.
„2Bir moffen aber fehen!" fdjrie ber $ring.
„(SS ift noch nichts gu fehen, fort!"
„2Btr mollen aber hinein!" Unb babei trommelte er mit beiben
gäufien auf bie Xpiir. Slcjnnbra 1)1*6 ©lena mit einem SSWnf bie
©ilber fortnehmen, fchnett, fchnell! bann fchob fte ©Habimir unb baS
junge Räbchen burch eine anbere Xhür in ihr ©djlaf= unb Snflefoe*
jimmer ... Xann gab fte ©riani einen SBinf, machte (elfe ben Stiegel
jurüd, trat in ihr Snfleibejimmer unb berriegelte bie Xhüre. Xer Junge
J^önig unb (Siena amüfirten fich h^rrlic^.
„Wajeftät! 2Kajeftät!" riefen bie Xamen.
„Xie Xhür ift offen!" hörten pe ©rin$ (Sb$arb rufen. 3«t felben
Sugenblid öffnete er fte auch fchon, unb nun ftürmten SCle h*n*in in
baS leere ©ouboir. SuSrufe ber (Snttäufdjung mürben laut, auch Ser*
münfdjuugen gegeiu©riani, ber behauptete, er miffe nicht, mo bie Königin
geblieben.
„^inbifch!" rief (Sbjarb auS, „höchft abgefchntadt!"
Sber bie Xanten magten nicht meiter gu bringen, obmohl ber ?rin^
pe aufhepte, unb fo traten benn Slle unter lauten ^roteften ben SRüds
gug an, gefolgt non’©riani.
„92a, ich banfe!" fagte Königin gu ©lena unb ihrem ©ohne;
„menn mir fie hinein laffen, bann hot 3«öer oon ihnen eine anbere
Meinung, unb bann mürben mir ja nie fertig. 2Bir beftimmen StteS
feI6ft, mie eS fein foll. $unftum! 28er bamit nicht gufrieben tft, ber
fanit fchauen, bap er meiterlommt."
Unb alle Xrei, bie Königin in ber 9Witte, liegen pd) luftig auf
einem Xiöan nieber unb bejahen pch bie ©ilber, mähten bie (Softüme
unb entmarfen baS ©rogramm für ben ©all. Unb immer mieber be¬
rührte ber Honig mit feiner #anb bie beS jungen SfläbcpenS, meldjcS auf
fchrieb, maS bie Hünigin ihm bictirte. ^lleyanbra^ ©ebanfen aber mellten
gang auberSmo, als bei bem ©lumenballe.
-(Sine gropc Unruhe, bie non all' ben ©orbereliungen
auSging, erfüllte baS ©dpop: ©djneiberiitnen maren gefomnten, StelicrS
mürben eingerichtet, unb bie Königin mar fehr befchäftigt, ba fie-SfleS
felbft gu übermachen münfehte. (SineS 9)2ovgeitS gab pe ©riani ben
Suftrag, eine grope Sngahl ©inlabungen gu fepreiben unb gu nerfenben
nach aßen am SWittelmeere gelegenen Drten, ooit mo aus man binnen
Hurgem ©a^oS erreichen fonnte. Unb obmopl pe gang anbere ©e*
bauten im Hopfe patte, fühlte fte pch hoch fepr gefd)iueid)elt, als bie ge=
farnmtc treffe einige Xage barauf ihren ©fumenball anffinbigte unb
fogar fleine ©eheimniffe Oerrieth: bie 92amen ber hohen ©elabenen, bie
eigens.gu biefeut gefte nach ©ajoS gehen mürben, uub als ihr ©djlop
ber „3anbergarten ber fcfjönen nerbannten gürftin" genannt mürbe, bie
bort ihre 9toandje in einem ibealen gefte nahm, ©ott fei Xanf! man
begann pch alfo in ©uropa mieber um pe gu fümmern; bie hödff*
8eit! . ..
SIS pe eines 2J?orgenS ©riani noch eingelne 92amen Don Wenfdjen
nannte, an meldje bie lepten ©inlabttngen gefchicft merben follten, ba
fragte er fte: „$at ©eine SJJajepät benn noch immer bie Sbfidjt, nach
Siparien gu gehen?"
*3o, ich glaube eS," ermiberte bie Hönigin. „©S märe nur auS
S)öflichfeit, meil mein ©ohn gerabe in ber 92ähe ift. Sber am ©ttbe ffi
eS auch unuöthig. Xagu fommt noch ©tnS: üiparien ift nach ber flkuo*
luttoit noch faum beruhigt, ©riani, ich habe 3h nen lüngfl einen ©or=
fchlag machen mollen. SllerbiugS mürbe tch bann felbft ein gropeS
Opfer bringen."
„©in Opfer?"
„So, 2Blabintit tft mit feinem ^rioatfecretär nicht gufrtdeu.
Möchten nicht feine ©teile cinnchmen?" ©r berftanb fie gleidj.
©ie gaben fich, maS ©chlauheit betraf, nichts nach- ©r begriff mit
einem fKale, bap pe feiner überbrüfftg mar unb bap bei biefer Sn*
gelegenheit noch etmaS 91nbereS auf bem ©piele ftaitb: maS, fomrte«
noch nicht feftfteflen. ©ein ©erhältitip mit ber Königin mat femt
fieibenfehaft, auch nie gemefen. Xie Hönigin hatte thn in einem SogUt 3
bltd ber ßangemetle genommen, meil pe pd) gerabe in feine Sagen btt*
liebt hatte, ©te mupte baS genau; er hotte einen gang befonberen
unb biefer patte eS ipr angetpan. XaS mar SfleS. 9hm mar berlWj
Digitized by (^.ooQle
Nr. 19;
Die (Begennjart
301
berflogen. 3«ßt mar fein Stüde* ipr mit einemmal unauSftepllcp. 3eben
Dag langmeilte biefer Siüden fie mepr unb mepr, mit jebem Dage brängte
er ßdj ipren ©liden beutlidjer auf. Sr patte etmaS ©efcpmeibtgeS, fepr
©ornepmeS, UnmtberfteplicpeS in ben Slugen, aber biefer Stüden...!
„©epen Sie," fupr fie fort, „für micp märe baS ein Opfer, benn
icp mürbe ©ie bann berlieren. Slber bei mir paben Sie feine 3utunft,
bei ©einer SRajeftät aber mopl. Unb barunt mürbe icp mit greuben
bied Opfer bringen." Sr bemeigte ßcp mit leiept ironifcpem Säcpeln,
aber fein Sprgeij mürbe madj. SllS bie Königin Oerbannt mürbe, ba
batte er nur fie gepabt, unb barum ^atte er ßcp auch an fie geflammert.
Slber menn nun bie ©tettung eines ©ribatfecretärS bei bem $öntg in
t£rage fam, ja bann atterbingS... „Unb beßpalb tonnten mir boep
immer gute Sfreuube bleiben, niept?" fragte fie fcpnteicplerifcp.
„Slber mie benft ber Äönig über mich?" fragte er mieber.
„Der $önig mürbe ©ie fepr gern um ßcp haben."
„©praepen ©ie bereits mit SRajeftät barüber?"
„3<i, fo nebenbei." O, fie fonnte ipn rupig bem ©opn über*
laßen; ihre ©epeimnlffe fannte ja ©riani nicht, benn bie fannte fein
. SRenfd). ©ie fdjrieb feiten ©riefe unb beobachtete ungemöpnlidj Diel ©or*
ficbt, auch berftanb fie meifterbaft, etmaige ©puren $u bermifepen. Stur ein*
mal in ihrem geben, bantalS bei bem SRtntßerfcanbal in Dpracien, mar
fie tpöriept unb unborßeptig gemefen ... Damals hotte ihr ©tern fie
oerlaffen, aber fo ift baS geben, fo mechfeln ©liid unb Unglüd. Unb
©riani, ber ihr, mie ße mobl mußte, in gemißer §inßcpt febr jugetpan
mar, mürbe im Dienfte beS SfönigS ein ihr freunblicheS Element reprä*
fentiren. Riffen ©ie auch, marum cS gut fein mirb?" fuhr fie fort.
„Der Äönig ift jung unb immer geneigt, Dummheiten ju machen. 3<P
• bitte ©ie, ©riani, geben ©ie Sicht auf ihn. SRelben ©ie eS mir, fobalb
er mieber Dummheiten begehen miß. O biefer ©all, ich münfepte, er
märe borüber! Der $önig ift burep biefe ©orbereitungen immer mit
Siena jufammen."
©riani lächelte, „©eine SRajeftät ift leiept ent^ünbbar."
©ie $udte bie Stößeln. „Söenu cS meiter nidjtS märe!.. . Slber
er ift — ich meiß niept, pat er eS bon feinem ©ater ober bon mir —
er ift romantifep."
„©eine SRajeftät romantifep?"
„grinben ©ie baS nid)t?" fragte ße lebpaft. „Sntfinnen ©ie fiep
niept, mie er jiingft behauptete unb niept babon ab^ubringen mar, baß
nur einige römifepe tfaifer mirflicp ipr geben auSgefoftet hätten unb
fonft fein SRenfcp ...?"
„3cp nenne baS niept romantifd)."
„©ietteiept ift eS etmaS SlnbereS. Slber Steua ift mopl romantifd).
fie ift eS gan$ opne 3^eifel. DaS tput niept gut, baß bie ©eiben fo
biel jufamuien ßnb."
„3cp mage niept $u berftepeu, morauf Sure SRajeftät anfpielen."
„Sluf eine Steigung, bie id) eutftepen fepe."
©riani tnaepte eine nacpläfßge ©eberbe. „Unb maS mürbe b«S
fepaben? Derlei fommt unb gept."
„Stein, ©ie irren. 3a, menn ber Sfönig niept fo jung märe, aber
io!-... Obmopl eS mir großes ©ergnügen maept, ipn pier ju haben,
märe eS mir boep lieber, er märe fort."
„©ie motten boep niept behaupten, baß ber tföntg eine ernftpafte,
tiefere Steigung &u Siena näprt?"
„Srnftpaft ober niept, icp bin feft babort überzeugt, baß er in
biefem Slugenblide an eine ... an eine $eiratp benft."
©riani fap fie forfepenb an. ©ie fonnte biefem burepbringenben
©lide niept ©tanb palten unb manbte ßd) ab. Sr fepmieg noep immer,
benn er patte niept ben SRutp, ipre gepeimften ©ebanfen perauSjupolen,
boep glaubte er, ße ju erratpen. „Sure SRajtßät bermutpen," fagte er
enblicp langfam, jebeS SBort betouenb, „Sure SRajeftät bermutpen, baß
feine SRajeftät an eine ©erbinbutig mit Siena benfeit föunten?"
„Sr pat mir noep niept babon gefpredjen, aber icp füple eS: er
benft baran."
„©oflte ber Äöntg mirflicp fo unbernünftig fein, fepon mit aept*
jepn 3apren baran $u benfen, eine morganatifepe Spe ein^ugepen, bie
ipn fieper jmeifelloS in Ungnabe ftürjen mürbe? ©an$ gemiß fogar,
meil man in Stpatien feine ©erbinbung mit ber ©rinjefßn bon Sttprien
lebpaft befürmortet."
„Der ^önig benft niept fo meit, benn er ift berliebt unb im ©e*
griff, einen tpöriepten ©treicp'ju maepen."
„Diefer ©treiep fönnte ipn ©ieleS foften."
„3a, aber mottte man ipn babon jurüdpalten, fo märe baS erft
reept ein ©runb für ipn, biefe Dummpeit um jeben ©reis ju begepen."
„Unb mie benfen Sure SJtajeftät fiep $u berpalten?"
„DaS foftet mi^ eben einen fepmeren Äampf. ^mlte icp ipn ju*
rüd, bann fe$t er eS burep unb ßür$t ßcp blinblingS in fein Unglüd;
laffe icp ipn gemäpren, bann mirb ipn fein SRenfcp jurücfpalten."
„3cp berftepe: Sjire SRajeftät münfepen miep jum ©ribatfecretär
3preS ©opneS gu ernennen, bamit biefe £eiratp niept ju ©tanbe
fommt."
Sluf biefe lebten SBorte legte er einen befonberen Stacpbrud, mobei
er bie Königin feparf ßjlrte. „3a", ftwaep ße leife, „©ie paben reept
erratpen. SBenn eS niept fepon $u fpät ift. ^ier mirb feineSfattS etmaS
gefepepen: bafür merbe icp forgen. Slber fpäter, in Dpracien, menn
Siena $u ben SP^lQcn jurüdfeprt."
„Siena feprt $urüd?ü"
„SS mar fepon öfter bie Siebe babon; ipr ©ater fepnt fiep
naep ipr "
©ie fdjmtegen nad)benf(id) einen Slugenblid. Dann fpraep ©riani:
„SBenu ©eine SRajeftät ßcp $u biefer unßunigen ^eiratp entfeplöffe, fönnte
eS ipn feinen Dpron foften."
„D ftitt, ftitt!" rief bie $ön*gin erregt, „©agen ©ie baS niept!"
„3n Dpracien giebt eS eine ©artet, mefepe bie ©erbannung Surer
SRajeftät auf baS 2ebpaftefte bebauert."
3ept blidte SUeianbra ipn rupig an, urtb mepmütpig fpraep ße.
„Siein, eS ift gut fo, mie eS ift: mein ©opn fott Äönlg fein. 3d)
münfepe nidpt mepr $u regieren." SRit einem tiefen Don ber SBaprpeit
patte ße bieS gefproepen. Unb fo blieb fie bor ipm ftepen in iprer, eine
unauSfprecplicpe Söepmutp auSbriidenben Haltung, als pätte fie abge*
fcploffen mit ber SBelt unb aller irbtfeper ©röße. Slber ein felneS
fiäcpeln umfpielte ©riani'S fcpmale Sippen. Sr laS fo flar, fo beutlicp
in iprer ©eele, als läge ße offen bor ipm: er mar ipr gemaepfen! Sr
fanb bie .tfeprfeite eines jeben iprer ©orte perauS unb fanb, baß ße ipr
©piel gar ju fein fpiele. 3 w* aff$u große fteinpeit mar fepon ein SRal
ipr Unglüd gemefen unb mürbe ße immer berberben. S?ur über SineS
mnnberte er fid) aufridjtig: fottte ber Äönig benn im Srnfte an biefe
£>eiratp benfen? Slber er rieptete feine Srrage mepr an ße, benn er
mußte mopl, baß er ipr niept gar $u fepnett in bie farten fepen bürfe.
Unb fo fagte er nur, ipr bie £>anb füffenb: „3cp merbe ftetS Surer
SRajeftät ergebener Diener bleiben." Sr neigte ßcp über ipre $anb,
unb mieber fap ße feinen SHiden, biefe untevmürßge Sinie, bie ße
nerböS maepte. ©ortfepung folgt.)
jlu$ bet ^auptflabt.
Der ©tabt ©erlin feplt eS niept an etnem ©alon, barin ße Äaifer
unb Könige empfangen fann. DaS ift ber ©arifer ©laß. SlbelSpäufer
im altmärfifcpen ©Ule umftepeu ipn; man fiept pier unb bort noep ben
eigenartigen, fätilengetragenen ©orbau, ben unfere Sunfer au tpren länb*
liepen ©opnßßen lieben. Sfiemanb merft eS ben fcplicpt bomepmen ©c*
bäuben an, baß bie moberne 3*1* ß c jum Dpeil iprem früheren
©erufe entfrembet pat, baß etliche bon ipnen ftatt greifet ©ranbeu unb
Digitized by v^.ooQle
302
Die O&egettwart
Nr. 10.
Blonbcr gretfräufetn Beute Actiengefetffcpaftett unb bewegliche ^oepftnanaer
beherbergen. ©o neuberltnifdber Särm immer über ben alten $lap pin~
mögt, bie jurüdpaltenbe IRupe, ben ©Bataver freunblicp=felerlicper ©tWe
Dermag er iBm unbjeiner Arcpiteftur niefit ju rauben. digentlicp wäcpft
au<B Beute nocB ein bipepen ©raS jwifepen ben Steinen, wie e$ fiep für
jeben rieptigen ©djloppof, ben niefit ^retfii unb Sßletfii betreten Dürfen,
gejiemt. #errlicp muß eS fein, Dom Spiergarten ficr f ber jefct im burcp=
fieptigen ©olbgrün beS jungen ÜÄai ftefit # Durch baS Branbenburger Spor
aum erften 2Ral einen Bild in bie ©tabt $u werfen. Sa beBnt fiep bie
breite geftftrape, bon beren flimmernbem ©rau jwei ©cpnüre grüner
ßinbenbäume malerifcp loSgepen; ba öffnet ficfi bie prächtige gernfiept
auf baS Iebenbig bewegte ©tabtbilb. Unb man gentept fie läcfielnb wie
Dom Altane eines märftfdjen dbelpaufeS auS . ..
Aber bie fcfiöne SBirflicfiTeit ift nie tpeaterwirlfam genug. SRoberne
Brunfftüde Derlangen auch grell gefepmtnfte ©cenerien.
Sem Branbenburger Spore gegenüber ift*ein ^weites ©tabttfior
aufgetBürmt toorben, mit mächtigen ^oljgliebern, pruitfenben Balbacpinen
in fcpwiitbelnber £>öpe, gewollt plumpen 3^uen recptS unb ltnfS. Sie
ßorbeetbäume, bie baS ©er! IrÖnen, fcBeinen benfelben Sienft fepon beim
Dergeffenen „£>auptpalaft" ber Dergeffenen berliner ©ewerbe^AuSfiellung
getpan ju Baben; bie prunfenbe Berfleibung, biefe Waffen Don buntem
Sucp, Berfcpnürungen, fcpabloniftrien Soppefablern unb Dor allem biefer
blinfenbe Ueberflup an billigem Broncegolb maepen ben dinbrud, als
pabe ein beliebter fRamfepbajar baS ©anje in dntreprtfe genommen unb
ber Bpantafie feiner jungen ©cpaufenfter*Secorateure bie Bügel fepiepen
laffen. Älofcige ObeliSTen mit fcpreienb buntem, palb Derfcpliffenem
Blumenfcpmud ftelfen fiep wie doultffen Dor bie grauen Käufer unb jer«
ftören, waS Don ber ftrengen Harmonie ber Sinie noep übrig geblieben
ift. ©ie maepen ben breit auSlabenben Blafe fcpmal unb engbrüftig, fie
bewirten, bap baS Branbenburger Spor Derlegen unb unmaprfcpetnlicB
auSfiept inmitten alT biefeS tpeatralifcpen ©cpetneS.
*
&err Äirfcpner ift ber reefite 2Rann für Berlin. Seinesgleichen
fiätte niept ein DolleS 3apr lang unbeftätigt bleiben bürfen. ©unberbar
repräfentirt er bie SRetropole ber greifinntgen Bereinigung, bie ihren
Trieben mit ßrone unb ^Regierung gemaept pat, weil opne Strone unb
^Regierung nlcptS für bie glorreicpen Sbeale ber Partei $u erreiepen ift.
©aS £err Äirfcpner tput, um bem gebietenben ftaifer feine drgebenpeit
ju jeigen, baS fiifirt fein £>ofmann beffer auS. Qm ftrömenben SRegen
grübt er barhaupt ben peimfeprenben ^errfeper, unb im ©onnenbranbe
parrt er, nerDöS jitternD, boep gebulbig an ber ©pifte feiner ©etreuen,
um bie beorberte geftrebe pünftlicp an bie Abreffe beS Derbünbeten 9D?o*
narepen ab$uliefern. Qwar erbofte fiep baS waprpaft liberale Bürger*
tpum über bie SRapen, als fein drwäplter fo Diele qualDoüe Monate
pinburep DergebenS beS taiferlicpen BeftätigungSfcpretbenS parren mupte,
unb poep auf loberten bie glammen mutpigen BonteS, als bie Urfacpe
ber Berjögerung befannt würbe. <Rut eines faepten ftrafcenS bebarf eS,
um bie antiropale ©efinnung beS SReuberlinerS unter’m girnip perDor*
treten ju laffen. ®ocp folcpe Slugenblicfe ber UnDorficptigfeit gepen rafcp
Dorüber. Opne bafj ipm S^atanb wiberfproepen pätte, tonnte $err
^irfepner neuliep ben ©tabtDerorbneten ertlären, ber 9Ragiftrat pabe
niept nur auf baS portal für bie SRärjgefatlenen, fonbent auep auf bie
Anbringung einer funplen ©ebenftafel Dergicptet, obglei(p bafür feines
(SracptenS leine BerbotSgrünbe pätten geltenb gemaept werben fönnen.
Aber man wolle jebem neuen (Sonflicte, felbft jeber (SonflictSmöglicpfdt
aus bem B3ege gepen. $er Berliner ©emeinberatp ftimmte feinem
Obriften fcpweigenb ju. 9?ur bie UnDerföpnlicpen, ber couragirte Berg
nur pielt naep ©eplup ber ©tfcung eine gepetme 3«fanimentunft ab,
worin befcplpffen warb, am näcpften 18. SRärj als B^icpen beS unge*
broepenen greipeitSfinneS unb ber unauSlöfcplicpen 3)anfbarleit ber Be*
Dölterung einen niept ju tpeuren Äranj auf bie ©ruft ber SRärjgefaflenen
legen $u laffen. ©elbftDerftänbltcp anonpm ...
♦
9JHt Qntereffe laufepten bie beiben Äaifer ben per$li<pen Begrü&ungS-
Worten beS OberbürgermeifterS. BefonberS gran§ gofef liep fein Äuge
Don ipm. dr pat bapeitn einen Bürgermeifter, beffen bpnaftifdje Xvtnt
jwar jeben ©türm überbauem würbe, ber jeboep mit unbequem gäpem
Xrof fein DermeintlicpeS 9tecpt gegenüber ber fatferlicfien Regierung
5 U Derfecpten gewopnt ift unb Don ^irfcpner'S doncllianj noep OTeS
lernen fönnte. Bielleidfit badfite granj Qafef auep ber faum Derfloffenen
2age, ba im SBiener SReicpSratpe bie beutfefie Obftruction mit Stinten*
fäffern jonglirte unb alle mapgebenben Berliner Blätter ben nwpl*
meinenben SRonarcpen felbft für bie peillofe Berwirrung Derantwortll^
maepen wollten, damals regnete eS feparfe unb unfreunblicpe ©orte,
bamalS galt ber Beftanb beS S)reibunbeS als ernftpaft bebropt, unb bie
Berliner Bttff* baute ben parlamentarifcpen geinben ^abSburgS ragenbe
Altäre, ©o grop war ipr §ap, bap bem wilbeften SRufer im Streite,
^>erm Ä. ©olf, fogar fein antifemitifcpeS ©elüfte naepgefepen unb
er als 3ung ©iegfrieb ber beutfepen ©emeinbürgfepaft bergöttert mürbe.
Unb nun Dor wenigen Sagen pörte grau$ 3afef im tarnen Berlins
ein fcpwärmerifcpeS ßtebeSlieb an fein Opr Hingen:
Surcp unfre poepgebauten fallen
3iepft, poper ^err, gebietenb ®u perein.
Sap einen ^weiten ©iütomm Sir gefallen:
3n unfre ^>ergen, lieber $err, tritt ein.
©ir möcpten Sir ein 28ort, ein einiges, fagen,
SaS man niept taut, nur leife fagen barf,
Sap Suft unb ßeib, waS jemals Su getragen,
Sen ©iberpaH in unfre $er$en warf.
Socp weil bie $er$en f^weigen, wenn fie lieben,
©o fei bie ftumme Blume unfer 9Runb ...
„©epr fcpön, fepr fdpön," fagte bantbar ber greife gürft, maS fiep
fidfierlicp niept auf bie gorm beS ©ebicpteS bejog. BieHeicpt audp niept
einmal auf bie ©eftnnung. Am dnbe wollte er nur bie woplgelungene
SpeaterDorfteÜung loben, bie Berlin ipm ju dpren gab, bie grell bfr=
malten Berfafcfiüde unb ^rofpecte runbum, bie fcpmeljenben Arien ber
Sänger unb Sängerinnen.
*
„SBaprlicp, biefer Bunb ift niept nur eine llebereintunft ber @e=
banten ber gürften, fonbem je mepr unb mepr er beftanben pat, pat
er fiep tief eingelebt in bie Ueberjeugung ber Bölter, unb wenn erft bie
$erjen ber Bölter gufammenfcplagen, bann tann fie nichts mepr au&
einanberreipen." ©o feierte im Srinlfprucp ©ilpelm II. ben Sreibunb,
unb fein faijerlicper Berbünbeter nannte antwortenb bie AUianj ein
Bollmerf beS griebenS. ©eitbem gilt ben Siefblidenben, bie trof ber
erpöpten $oftgebüpr in fepöner ©elbftertenntnip ben AbonnementSpreiS
für ipre SBelSpeit no^ immer perabfepen, ber Sreibunb wieber einmal
als gefidfiert. AHer ©arineDorlagen ungeachtet bleibt unS ber ©eit-
frieben erpalten, unb mit ipm bie günftige Börfenconjunftur.
dinen minber optimiftifcp geftimmten S^ftpauer, ber Don befepefe
benem ©allerieplap auS baS farbenprächtige Speater mit erlebt, mag
leifer 8ro e if e f an & cr geuerfeftigfelt aller douliffen befcpleicpen. Sem
Sreibunbe leifit Bebeutung niept bie felPftlofe Abficpt ber dontrapentm,
ben fepönen grieben ju erpalten, fonbern bie allgemein betannte Spatfa^e,
bap fte einanber gegebenenfalls mit ber ©affe in ber gauft unterftüpen
werben. Sie geftigteit biefeS BoltmerlS, ber fRefpect, ben bie ©eit Dor
ipm empfinbet, pängt einzig unb allein Don ber UriegSftärfe feiner Ber-
tpeibiger unb ber Schwere ber Belaftung ab, bie ipre BunbeStreue er*
tiägt. 9tfocp ift folcpe BelaftungSprobe niept gemaept worben. Socp
tann ipr taum 3emanb mit unbebingt fiegeSficperem Bertrauen entgegen«
fepen. 3m öfterreiepifepen fRetcpStage paben bie Parteien, Denen ber
Sreibunb unbequem ober fogar Derpapt ift, unbeftritten bie Oberpanb.
Ser tfepeepifepe Sauerteig pat bie ^Reprpett wieberpolt peftig aufgerüprt
unb $u ^unbgebungeu Deranlapt, bie einen BiSmard Dielleicpt bebentlicp
gemaept pätten. ©eher bei ben bit bem ©rafen Spun ©elegen*
Digitized by v^.ooQle
Die ©egetuoari.
303
I tt ju feiner famofen, letber im ©oncept beworbenen ©eciprocttät«s
ebe gaben, noch bet bem öfterreidjtfdjen ©entrurn unb ihren SBählers
Kiften ifi ber S)reibunb8gebanle jemals populär gemefen. S)ie &er$en
r ©öller miffen nichts oon thm. 3h« flügften Sü^rer Oerlemten
ine materiellen 5Sort^eiIe nicht, aber tfjre empfinbfamen Regungen
Iten anberen ©egenftänben.
S)e« geehrten publicum« halber gtebt man ©ernunftehen gern für
ebe«hcirathen aus. Unb ber gemixte Sttplomat unterfdjäpt bie 3m*
mberabilien nicht, trachtet bielmebr banacb, ben Anfcpein $u ermeden,
8 befeuerten fie juft feine SBagfcpale. S)ie ©djmäche be« S)reibunbe8
igt barin, baß bon ben brei bereinigten ©ölfern gtoei unb ein halbe«
jentlid) nichts bon ihm toiffen tooHen. ©8 ift leine geringe Äunft,
n unter biefen Umftänben al« ©djlufceffect einer herabemegenben, ju*
Ittbe ©egeifterung auSlöfenbett ©alasOper ju Oermenben. Unb ich
tute bon ben Sebenben Wietnanben, ber fid) mirflidj auf biefe $unft
rftänbe.
Auf bem $ur ©üpne umgetoanbelten ©arifer Sßlap fcpmlrrten bie
oppelabler an ben §ol$bogen unb $ol&obeli$!en ju ^unberten umher,
tb ©chmar$s©elb mar bie ©runbfarbc be« baburch ein bifcchen ftumpf
tb unfroh gebliebenen S)ecoration8prunfeS. Stofe bie ©erliner gefttage
ne Apotljeofe beS S)reibunbe« bebeuteten, bafe mir unfagbar glüdllcp
tb aufrieben feien in ber thurmhohen F«unbf<haft mit Oefterreidj, bie«
sttmotto Hang immer Oon feuern in ber ©artitur auf. Alle ©oliften
itb ber ganje joumalifiifcfje ©hör fangen biefelbe ÜÄelobte. S)ie Sßferbe
r ©djupleute mieherten, bie ©loden läuteten, ba« entjüdte ©olf fdjrte
urrah — noch nie juoor hoi bie Aufführung fo gut gefloppt. Fuft
eit man'« für eine unlünftlerifche ©törung, al« mitten in ber fchmel»
nbfien ©antilene bie Äunbe Oon bem Stelegrammmechfel amlfdjen bem
ntfehen Äaifer unb bem ©icefönig oon 3ubien erfchoH. SMe Allianz
e £>err ©hamberlain beim Steup & ©elbermann fchmörmerifch begrünbet
itte, marb beträchtlich gefeftigt burch ba« tiefe 9Ritgefühl, ba« ©erlin
- mW fagen, eine £anb ooll ©erliner ©iefenfirmen — für bie Oon
nglanb in ©runb unb ©oben regierten, ausgehungerten Subier empfanb.
iefe halbe SRlüion fam ben ©nglänbern um fo überrafdjenber, al« fie
rerfeit« noch nie eine 3Rarf für 3ubien gegeben haben. Unb fie
littirten banlenb. ©ine Allianz auf ber ©runblage, bie bie ©crliner
anfierfpenbe fo hübfeh fpmbolifirt, ift ihm burdjau« angenehm. Steutfdj*
ttb fpenbet benen milbe ©oben, bie ba« eitglif^e SRaubfpftem in ben
ungertob treibt; Steutfcplanb §ahlt, mo ©nglanb einfädelt. Ob aber
ben in ber glanjoolten SteeibunbsOper SRitmirfenben unfere Opferungen
» an 3<>bn ©uü'8 Altar nicht auf bie SRerOen fallen merben? SBir mühen
■ un«, fofte e«, ma« e« molle, eine neue Attianj ju ©tanbe $u bringen,
mährenb mir bie alte btthprambtfch preifen. ©8 merben foftfpielige An?
Raffungen, au«gebehnte föeclame mirb für ein neue« ©tüd gemacht —
alfo geht man hoch emftlich mit ber Abficht um, ba« alte halb üom
©pielplan ab$ufepen.
*
Ster ^räfentirmarfch ift intontrt morben, jurn 8 a Pfenft«ich
brängen ftch fchwarj mimmelnb 3^«taufenbe, unb in baS impofante
■ (Skmühl funfeit ber neue S)om, beffen mei^e Ouabem bengalifche« Steuer
: umfpielt. 3« geifterhaftem ©runf fchimmert be8 alten 2Betjjbart$ un^
toilhelminifche« S)enfmal, mährenb am oberen ©nbe ber fjrefiftrafee, auf
• bem ©ranbenburger bie ©ictoria funfeit. SBelche ©ühne fann
* fteft eine« eyacter arbeitenben Apparate« rühmen? S)ie ©cheinmerfer=
* (Einrichtung ift über alle SReininger^Xechnif erhaben. Unb curio« —
ba« berbe ©ouliffenmerf be« ©arifev ^ßlape«, all' bie tobte Xheateret, bie
| üorhin, al« gefunber, h*lfcr ©onnenfehein nieberriefelte, ihre auf bring-
j Uc^e Unechtheit freifchenb in bie SBelt fchrie, fie nimmt fuh jept, in ber
cffectooll fünftlichen ©eleuchtung, ganj erträglich au«, medt jept 3üu-
> fronen, bie fie üorhin jerftörte. 2Ran follte eben ©ala^Dpem nie bei
5 Xage fplelen. Caliban.
„Allgemeine« ©anbbuch ber Freimaurerei" (öeip^ig, 9Raj:
$effe'8 ©erlag). S)a« ^anbbuch erfdjeint al« britte Oöüig umgearbeitete
Auflage Oon Senning'8 „©ncpflopäbie ber Freimaurerei" unb al« neue
Auflage be« „Allgemeinen ^anbbuch« ber Freimaurerei". S)a feit be«
lepteren ©rfcheinen brel&ig 3ohre oerfloffen fmb, hat Ttd) mancherlei oer=
änbert, bie gefchichtliche Forfchung ift meiter fortgefdjritten, unb ©icle«
jeigt gegenmärttg ein anbere« ©epräge. ©« ift in ber ftauptfache ©iid*
ficht auf beutfehe ©erhältniffe genommen, ohne bafe ba« AuSlanb, namenU
lieh in &er gefchichttichen ©ntmidelung, oemachläffigt märe. SBeggefallen
fmb aber bie au«länbifchen Orte mit nichtbeutfchen Sogen, mährenb um-
fomehr Aufmerffamfeit ben beutfehen Sogen unb ihren ©rofjlogen ge=
mibmet morben ift. ©ei ben SebenSbefdjretbungen ift in ber ftauptfadje
ber freimaurerifchen Shätigfelt gebacht, bie fonftigen SebenSbejtehungen
fmb nur furj berührt unb, mo fie fonft leicht ju erlangen finb, ganj
meggelaffen. ©orjügliche ©eachtung haben bie etlichen ©ejlehungen unb
bie ©inrichtungen ber Freimaurerei gefunben, fo meit folche allgemeine«
Sntereffe haben. S)le SteirfteHung ift auch für ba« .©erftänbnife ber
nichtmaurerifchen SSelt berechnet. 3)er Freimaurer mirb eine reiche
Funbgrube ber ©elehrung finben, mie fie ihm fonft faum anberSmo
geboten erfchelnt. Alle« ift auf ben neueften ©tanb gebracht morben,
unb eine 3Renge neuer Artilel fmb eingefügt, bie für eine gerechte ©e^
urtheilung ber freimaurerifchen ©adjlage nothmenbig fmb. ©8 mirb
mit ooüer Offenheit bie gefchtdjtltche ©ntmidelung ber Freimaurerei bars
gelegt unb felbft beren ©erirrungen nicht oerfchmiegen, benen jebe«
SRenfchenmer! mehr ober meniger au«gefept ift. 8ugleich ergiebt ftch au«
ber ©ehanblung ber Inneren ©eftaltung be« ©unbe« unb feiner ©in=
richtungen, bafe biefer fein geheimer ©unb ift, al« ben man ihn oielfach
noch heut* htasuftellen fudjt, unb feine ibealen Siele unb ethifch=reli=
glöfen, mahrhaft erjieherifchen ©ebräud)e treten in'8 re^te Sicht unb
thun bar, ba& ber Freimaurerbunb meber bem ©taat, noch ber ftirthe
feinblich gegenübertritt, beibe oielmehr förbert unb unterftüpt unb noch
gegenmärttg eine ©Inrichtung bilbet, bie, mie Fichte etnft fagte, ebenfo
nüplid), al« münfchen«merth für bie 3Renf<hheit im Allgemeinen ift.
2Bir lommen auf ba« im ©rfcheinen begriffene SBerf nach feiner ©oßs
enbung jurüd.
©riefe ber3Rabame Strome ©onaparte (©lifabeth
^atterfon). §erau«gegeben Oon £>enrp$ßerl. (Seip^ig,©chmibt&©ünther.)
S)ie romantifche ©eirath oon 3Ri6 ©atterfon au« ©altimore mit bem
jüngften ©ruber Napoleon'«, fomie ber traurige AuSgang biefe« halb
gefchtebenen ©hebunbe« ift allgemein befannt. S)te hier oeröffentlichten
©riefe ©lifabeth« an ihren ©ater mürben in ben ©iebjigerjahren beim
Abbruch be« oäterlichen £>aufe8 in einer SRumpelfammer aufgefuuben.
©ie geftatten un«, einen ©inblid in bie glänjenbfte ©poche biefe« Flauem*
leben« $u thun, mo Äönige ihre ©efanntfehaft fuchten unb Fügten fuh
um ihre gfteunbfchaft ftritten. ©8 mar eine echte Amerifnnerin, energifch,
OergnügungSfüchtig, ehrgeizig, jumeilen auch geizig, smart, emancipirt
unb hoch tugenbhaft, aber jiemlich h^^lo«, fogar ihrem „entarteten"
©ohne gegenüber, Oon bem fie fidj fofort loSfagte, al« er ihre hohen
$Iäne burch feine Siebe«heirath mit einer amertfantfehen „ÄrämerStochter"
jerftörte. ©ie ftarb, 94 3ah*e alt, 1879 ju ©altimore. S)ie Uebers
fepung ift bi« auf einige Auftriact«men (am Sanb, am ©ontinent)
fehr gut
flürfchner’8 Siteraturfalenber, ben mir in einer furzen
Aotij über ein ©oncurrenjuntemehmcn al« „menn mir nicht irren" eins
gegangen be^eichneten, ift auch in biefem 3ah^ pünftlich erfchienen. 3Bir
entnehmen biefe Nachricht einem launigen^roteftfchreiben unfere« Fteunbe«
Äürfchner. Unfer 3^rthum rührte baher, bah & a « oertraute 3u0entar=
ftüd unfere« IftebacttonSttfcheS jum erften 3Rale nach smanjig 3ah^n
un« nicht mehr jugeaangen mar, — ohne ßmeifel eine Folge feine«
Uebergange« au« Äurfchneri« ©elbftoerlag in ben ber Setp$iger Finna
©. 3- ©öfchen. 2Bir münfd)en ber Oerbienftlichen ©chöpfung $ürf<hner'8
ba« fprichmbrtliche lange Seben ber fälfehlich Xobtgefagten.
Digitized by
G o }gle
304
5 D t e ©etjentnart.
Nr. 19.
Jtngeigen.
Sei BePEUungen beruhe man prfj auf btc
„(ÄegMuoarf".
...
imaiii!iiuiiisiii;i;iii:;:;i:;üa:fa:ua;iiiiiiniiuiiimuiiiiiiiiiuiiii ; ;i.
itianurdt
im
Urteil
ffiirr 3 (itjewffe«.
$unbert Original * ©n tagten
u. ftreunb u. frehtb: »jörnfon
»ranbeS »ücfjner C£rtdpi $abn
2>aubet ffigibb Montane ©rotb
tfaecfel Cartmann §et)[e 3or*
ban Ätyltng fieoitcatjano Sin=
bau Sombrofo BWefc^tfdberöfi
97igra Vorbau OHlaier fetten*
fofer ©attSburt) ©tenfietoici
©inton ©benccr ©pielbagen
©tanleb ©toeder ©trinbberg
Suttner ©llbenbrudj ©enter
Bola u. b. Ä.
l Perl«« ber 6«am wart.
©leg. gef). 2 SRI. bom Perl«f ber 6efetn»«rt,
»erlin W. 57 .
!' i:ll]li!!i!lilif!lllümil!IWI||
Bad Reinerz,
klimatischer, waldreicher Höhen -Kurort — 568 Meter — in einem
schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Glatz, mit kohlen&äurerelchen Eisen-Trink-
u. Bade-Qnellen, Mineral-, Moor-, Donche- u. Dampf-Bädern, Kaltwasser-Procednren,
ferner eine vorzügliche Molken-, Milch- u. Kefyr-Kur-Anstalt. Hochquellenleitnsg«
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmungs- u. Veidaunngsorgane, zur Ver¬
besserung der Ernährung u. der Constitution, Beseitigung rhepmatisch-gichtischer
Leiden u. der Folgen entzündl. Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang Mai« Prosp. gratis.
Königliches Bad Oeynhausen.
ö J ^ilbeSftetm. ©ommerfaifonV.15.Wai
bi§ (Snbe Seht. Alinterfur vom 1. Cft. bi$ Witte Wai. Ätttmittel: Aftturtv. foblenf. Xbctmalbäber,
©oolbäber, 6ooI=3itfjalatorium, ASeßenbäber, (örabirluft, Webtcomecban. ganberinftitut, 9Röntgen=
fammer, vorjügl. Wolfen- u. Wild)fnranftalt. Sieued fthermalbaDebauö am 15. Wal lOOOerdffttft
Jnbifattonen: ßrfranfungen ber Heroen, bed ©ebirnS u. ßiücfenmarfd, ©idjt, u. ©elent*
rbeumatiSmuS, 5)erjfranff)ei(en, ©fropbulofe, Anämie, ebron. ©elenfentaiinbungeu, Swuenfranf^. ic.
flinfapeße: 42 Wufifer, 120 Worgen tfurparf, eigenes äurttjeatcr, Säße, $on*erte. Allgemeine
Atofferleit. n. ©cbroemmfanalifation. $ro[p. u. SBefdjreibung überf. frei bie ftgl. ©abeVeNPültung.
Oesacht
ioirb ein JUbaciettr für eine
berliner grauenaeitung. £äglkb SSormittagö
brei ©ureauftunben. Scrtjreögebalt 4800 War!
unb jährlich gmeimal vieren £age Serien.
Angebote mit Angabe bisheriger $ebactionS=
Stellungen nnb perfönlicber mie brieflicher
©djriftftefler=$Bef an ittf duften unter U. II. 972
bureb Waasenstein & Vogler, A.-G«, Ber¬
lin, W« 8.
©erlag Don SBiUjelm §ev<5 in ©erlitt,
©oeben erfebien:
#eorg non ^uttfen.
Sin (Sbarafterbilb aud bent Säger ber
©efiegten, gegeidjnet non feiner Xodjter
Pari« tum Ottttfen.
22 Sogen Oftav.
Wit 33ucbfcbniuc! hon Warie Don SBunfen
unb einem Porträt in Heliogravüre.
(Geheftet 6 W. ©ebunben 7 W.
Afab. geb. ©dbrlftfteßer, bföb- H^hlicift.
(liter. Sritif) in Berlin tbätig, energ. geioiffen=
Hafte AvbeitSfraft, Vorj. ©praebfenntniffe (fran-
Jöfifcb, engltfcb), trerfeftcr etenograpb,
SRafdlitienfchreiber (Hamntonb), fud)t unt.
befch. Anfpr. in fRcDaftton, $tjcafterjcf retariat,
5BerU©udjbblg., litcrar. Snftlt. k. ©teßung.
Offert, an b. fejp. b. ©egenroart unt. A. Ö.
Stottern
heilen dauernd Dir. Denhardt’s
Anstalten Dresden -Lo schwitz und
Burgsteinfurt r Westf. Herrl che Lage.
Honor. nach Hei lg. Prospecte gratis.
Aelteste staatl. durch S. M. Kaiser
Wilhelm X ausgezeichn. AnsL Deutschi.
Manuscripte.
3ur $erlag3übernabme von Wanu^
feripten bifiortfdier, poütifcber, fd)ömviffen=
fdjaftlidjer *c. Dichtung empfiehlt fid) bie
SBerlagSbucbbanblung hon
Richard Sattler, grtmnfiijrodg.
(ÖJegrünbet 1883).
„Bromwasser von Dr. A. Erienmeyer .“’S
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitsersohelmmgen.'
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürliohem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre ,
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von 8 /a ^ ^ !
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Bhein). Dr« Carbach A Cie. j
$te Segentoart 1872-1892.
Um uafer £ager ja räunua, bietta mit tmjemt äüuajuuatcit tuu gfiaBiy
(Gelegenheit jnr ©erbollftänbigang ber SoHtctton. @o weit ber ©orratlj rei^t,
liefern wir bie Jahrgänge 1872—1892 ä 6 St. (ftatt 18 ®t.), $albia^rt>
Sättbe ä 3 SW. (ftatt 9 ÜJ7.). Sebnnbene Jahrgänge k 8 SR.
»erlag &ct ©egetttoart in »erlin W, 57 .
v 1f A lp y\ ir y
— Thlrlifflsthu |
Technikum Jlmensn I
flr luüiiu- kbI Ikklre-
Inyiilur t, "THliftor t.-W>r ta<iit>rJ
Director J«atzen. ■
fisnatihs Kaijifolgrt.
9 iomatt
Von
^oCCtttg.
'WW 9elbaafg<ibe. *e|
$rcid 3 Warf. ©d)ön gebunben 4 War!.
2)iefer S3iSmarcf=ßaprivi-Vornan, ber in
ivenigen fahren fünf ftarfe Auflagen erlebt,
erfebeint hier in einer um bie Hälfte bißigeren
93olf§au8gabe.
^)urcb afle Sucbbcmblungen ober gegen @ins
fenbung bed 93etrag§ poftfreie gufeifbung Vom
UerUg der Gegenwart,
Berlin W. 57.
.\4L\f4
(•*l i.'\^t '/a i» \ « 4 . l . v -4
3n unferem Verlag tft erfe^lmen:
Pie ©(geiumut
ßnlfiti-Wfl fftr ?iirr«:Br. »milt *b> UMfles tfk*.
•eienl>|le|iper 1872 — 1896 .
Stifter fttd füufjtgffter ©ank.
Wit Wacbträgeu 1897-99. ®eb- 5 JT
Sin bibltograpbiftbeS ©«t! erften
ßftanged über ba$ gefammte öffentliche,
aeiftige unb fünftlertfcbe Sehen ber lepten ,
25 9?otbtnenbiged 92adbfcblögeoudb
für bie Sefer ber „ÖJeaenmart", fotme
für »viffenfdbaftlicbe ?c. Arbeiten. Ueber
10,000 Artifel, nad) gäcbern, ©erfaffern, ]
©cblagmörtem georbnet. 2)ie Autoreir
pfeubonpmer unb anonpmer Artifel ftnb
burebn?eg genannt. Unentbebrlicb für ;
jebe ©ibliotbe!.
Auch btreft gegen ^oftanmetfung ober *
9?acbnabme Vom I
Derlag ber (Segtitmart. .|
»erlitt W 57.
XX
XX"A A A"X
XX
»eranttoortltih« Webactcur: Dr. ßoUtng in »erltn.
Slebaction unb ejpcbitton: »erlin W., SRanftelnftra^e 7.
SDrud bon A »edex ta
Digitized by
Google
M 20 .
aJSerCttt, Öen 19. jjflat 1900.
29. Jahrgang.
Band 57.
pc aknciinimt
t'Ai
t - ; 0
p
äßocßenfcßrift für Siteratur, Äunft uni» öffentli^cS Sebett.
i^Cr
«^erauögegeßen hon ^op^Kf ^otthtg.
jeden Smmöfitii rrfnetot etae ynnur.
Hu bestehen burt$ alle »udftyanMungen unb ^oftftmtcr.
©erlag ber ©egennmrt tn ©erlüt W, 57.
yUrtelfHttltdi 4 9« 50 Vf. ftw ftnuur 50 »f.
Sitferate Jeher Ärt pro 8 gehaltene q$ettt*eile 80 9f.
5>er SanuSfopf einer $u8ftanb«daufcl in ben ©autoerträgen. ©on SFreiSgeric^tSrot^ Dr. ©enno #tlfe (©erlin). —
Ql n fi preu&tfdje 3a$r$unbert. ©on Herbert gifc^er. — Ötterötnr nnt Ätlttft. Sluguft JReld)en8perger unb bie Äunft. ©on
DltnaLf S ttl)lol 0 tfolpitig. — Social *$lefiljetit. ©on tfatl Sftoepet. — geuilletott. £o5e8 Spiel, ©on SoutÄ ©ouperttS. Nu*
bem ©ollänbifdjen. (gortfepung.) — tttsd der $auptftabt. $>er jüngfte tfraep. ©on ©rln^ ©ogelfrei. — S)ramatifd}e 9fofs
fü^rungen. — ißotijen. — feigen.
Der 3amtskopf einer äuBftottkclaufel in kn Dan-
uertragen.
©on $tret$geridjt«ratl) Dr. Benno fjilfc (©erlin).
©oetße fteHt in feinem ßouberleßrling bar, toie leicht
eg fei, bie böfen ©elfter heraufjubefeßmöten, baß aber erft
bem SJtachtmorte beg SOteifterg eg gelingt, biefelben mieber ju
bannen. ®er tiefe Sinn unb bie ernfte SEBaßrßeit, meldje in
biefer 2eßre liegen, pflegen bebauerlicßer SBeife red)t oft feiteng
$erer öerfanitt ju merben, melcße jur Söfung focialpolitifdjer
Aufgaben ober bocß menigfteng jur AbfteUuug gefeUfdjaftlicfyer
SJiifeftänbe fidf berufen galten. ®er ©runb hierfür ließt
batin, baß fie bie Unterfcßiebe jmifeßen Xfjeorie unb ©rajtg
mdjt gehörig ttmrbigen, nodj meßr aber, taeil fie eg unter«
taffen, bie SBedhfelbejießung jmifeßen Urfadje unb SSirfung
in bag tintige 2icf)t ju feßen. ©benfo toie ber Arjt, melcßer
ben ©ifc ber ftranf^eit meßt feftgefteüt unb beren ©ntfteßungg»
urfaefjen nicf)t ergrünbet bat, nur fetten bag richtige Sföittel
finben toirb, Sinberung ju fd)affen, beren derßeerenbe SBirfung
aufjußeben unb Teilung ju bringen, ebenfo mirb ber ©ocial*
polttifcr leidet »on bem ridßtigen Sßege abirren unb ftatt ju
bem ißm leucßteitben ßiete in einen Abgrunb geratßen, meldjer
blinblingg bem üetlocfenben 25rrlict)te folgt, anftatt oorforglicß
unb bebaut ben befcßmerlidjeren SEßeg einfcßlagenb bie gefaßt*
dollen Klippen unb Abhänge ju meiben. ©inem berartigen
SDtißerfotge bfirfte bag beutfeße ©augemerbe entgegengehen,
toenn e8 nicht rechtzeitig nodj ju ber ©rfenntniß gelangt, don
ber Äugftanbgclaufel in ben ©auderbingunggoerträgen Abftanb
ju nehmen, melcße bereitg ju einem ernfteren ©onflicte jmifeßen
ber ©autiermattung ber «Stabt Berlin unb ben in bem ©er«
banbe ber Saugefdjäfte oon ©erlin unb ben ©ororten der«
einigten ©aubetrieben geführt ^at.
©ie arbeitgtämpfe ber lebten Satire ^aben namentlid)
innerhalb ber ©aubetriebe ju nadj^altigen toirtfjfdjafttidjen
S^Äbigungen geführt, unb burep Sodterung ber guten ©e*
jie|nagen jtpifdjen ben ©ruppen ber Arbeitgeber unb Arbeit«
nefjmer bie getoerblid^en ©er^ältniffe beeinträchtigt. SBenn«
§ lei«h übertoiegenb bie meift grunblog unb frtdol feiteng ber
führet ber Drganifation angeorbneten ArbeitgeinfteQungen
nicht jum ©iege ber organifirten Arbeiter führten, dielmehr
für biefe ergebnifelog derliefen, fo haben fie bennodj ben ©au«
getoertemeiftern infofern große ©erlufte jugefügt, alg biefe
burch kg erjttungene ©uhen ber Arbeit mährenb ber ©au*
faifon ißre übernomineneu ©erpflichtungen gemiffenhaft ju
erfüllen außer ©taube gcfe&t unb beßhalb dielfach in bie
Sage aerfefct mürben, bie für ben ffertigfteQunggderjug der*
tragggemäß jugefidßerten Uebereintunftgftrafen jahlen ju mfiffen.
Sn golge beffen gelangten fie ju ber Ueberjeugung, ber feft«
gefdhloffenen Drganifation ber Arbeitnehmer auch e «ne fefte
^Bereinigung ber Arbeitgeber entgegenfe^en ju müffen, um
mit gleichen SEBaffen fämpfenb jur ©elbfthülfe in Abmehr
ungerechtfertigter Angriffe jener geeignet fein ju fönnen. ©g
mürbe beßhalb am 6. (September 1898 $u ©reglau befdhloffen,
bie in ®eutfdhlanb bereitg befteßenben Arbeitgebertierbänbe
im ©augemerbe in einen beutfdßen Arbeitgeberbunb für bog
©angemerbe jufammenjufchließen. Seßterer trat im. 3Kärj
1899 in bag Seben. ®aß eg ißm gelingen mirb, bie gefteHte
Aufgabe ju erfüllen unb bag gefterfte ßiel ju erreidhen, menn
er jielbemußt dorgeßt, bafür bürgt auch bie jCßatfacße, baß
bie Arbeiterorganifation eg für geboten eradßtete, im SDtörj
1899 einen Songreß ber gefammten ©auorbeitneßmer ®eutfdß*
lanbg nadß ©erlin ein ju berufen, beffen ^auptberatßungg*
aegenftanb ber 5)eutfdße Arbeitgeberbunb für bag ©augemerbe
bildete. Angeficßtg biefer immerhin fdßon greifbaren ©rfolge
bleibt eg ju bebauern, menn einjelne Socaloerbänbe ju SDZitteln
ißre ßuflu^l nehmen, bei melcßen bie üiedßnung offne ben
SBirtß gemacht unb dermöge beter leidßt bog ©augemerbe aug
bem Stegen unter bie Traufe gebraut merben fann.
©in berartigeg gefäßrli^eg äJtittel ift bie Augftanbg*
ctaufet in ben Sauderträgen, melcße ber ©erbanb ber Sou*
gefdjäfte don ©ertin unb ben ©ororten feinen SKitgliebern
gut ©flid|t gemacht hat. Stach § 14 beg ©erbanbgftatuteg
mirb jebem ©erbanbgmitgliebe unterfagt, eine ißm angetragene
©auaugfüßrung ju übernehmen, menn in bem fdßriftlidj ab*
gefeßtoffenen ©audertrage nießt bie ©eftimmung Aufnahme
fanb: „Sei einem Augftanb ober einer ©perre ber Arbeit»
nehmet ober ber Arbeitgeber derlängerf fid) bie ©aujeit um
bie $)auer beg Augftanbeg ober ber ©perre, gleicßdiet ob
biefelben einen gänjlidßen ober einen tßeilmeifen ©tillftanb
ber übernommenen Arbeiten ßerbeigefüßrt haben.“ $>iefe
©taßnaßme mirb in einem an bie ©audermaltungen beg
Steidjeg, beg ©taateg unb bet ©emeinben, fomie an fonftige
©aufreife gerichteten Schreiben alg ein Act ber ©elbftßülfe
bezeichnet, meldßer geeignet fei, jur friedlichen Abmeßr gegen
ben Serrotigmug ber Arbeiter ju bienen. Staß biefe An*
feßauung feiteng ber ©audermaltungen nießt getßeilt mirb,
dafür fpridßt bag ©erßalten ber ©tabtdermaltung don Serlin,
melcße barauf einjugeßen ©ebenfen trägt. Unb in ber Sßot
Digitized by v^. ooQie
806
Die (üegettttari
Nr. 20.
erfdjetnt bie Anfchauung beS Sauarbeitgeber* SerbanbeS als
eine einfeitige, nicE»t OorurtheilSfreie unb bebenfenoofle. 3» at
muß jugegeben »erben, baß bie AuSftanbSclaufel ben z»eifet*
lofen ©rfolg hat, ben Uebernefymer einer S3auauSfüE)rung
gegen bie @efaf)r ju fdjühen, eine auf Sßerjögerung ber gertig*
ftellungSfrift oereinbarte SertragSftrafe unwirlfam ju modjeu
unb bamit einen oft recht empfinbtic^en, brojjjenben, »irth»
fchaftlidjen SRad)tt)eil aus* bet ©treifgefahr üon fid) abjutoenben.
Unb bieS ift bie 2id)tfeite beS SilbeS. Allein biefe erftrebte
Säirfung »irb bod) nur erreicht, toenn bie Saugerren barauf
eingef)en, aber toerfefjft, wenn fie beffen fid) weigern, unb bieS
ift bie $eljrfeite beS SanuSfopfeS. ®enn als unabweisbare
golge ber Steigerung muß fid) herauSftellen, baß entweber
bie SaugcWerlmeifter auf eine ihnen in AuSficht gefteÜte
tofjnenbe Arbeitsgelegenheit Oerzidjten Ȋffen, ober, um fold>e
übernehmen ju tönnen, auS ber Sereinigung austreten, ober
enblirf) bie Bauherren gezwungen »erben, »ie bieS bie Ser*
liner Sauoerwaltung plant, bie Arbeit in ©elbftrcgie auS*
jufühten. $aß eS ju biefent testen fdpoerften SRittel fommt,
ift uot ber £anb aber noch gar nic^t ju befürchten. ®cnn
bie ©e»erbefreif)eit f>at baS freie ©piel ber Kräfte entfeffelt
unb bie blinbe Sagb nach einer Arbeitsgelegenheit gefrfjaffen.
®ie AuSwüdjfe ber Unterbietungen im ©ubmiffionöwefen be»
»cifen jur ©enüge, »ie ridjtig ©corg üon ginde in ber
fReidjStagSfifjung beS 9?orbbeutfd)en SunbeS prophezeite, als
er ben »irthfdjaftlidjen 9Ruin beS IpanbWerfeS in AuSftdjt
ftcÜte. Unb fie fprechen Ijinlänglid) für bie SRidjtigfeit ber
Sehauptung, baß ein capitalSftarfer, jahlungSfidjerer Sau*
herr ftetS einen tauglichen Säerfmeifter jur Uebentahme feiner
Sauausführung fitiben »irb, ohne fid) bie Ipänbe binben unb
fid) »itlenloS bie »irtljfd)aftlid)en SRadpheile aus einer Arbeiters
bewcguitg aufbürben ju laffen.
Sm ©nberfolge bcbcutet bie AuSftanbSclaufel nämlid)
nidjtS AnbereS, als ben Sauherrn mit bem fRifico aus ber
©treifgefahr ju belüften, aus »eldjem baS Sauge»erbe ent*
laftet »erben fotl. Unb biefeS fRifico fann für ihn beßhalb
ein »eit erhöhtereS unb folgenfcfjwerereS fein, »eil er fein
SRittel hot, auf beffen Abfdjwäd)ung hinjuwirfen unb ihm
foldjeS felbft in bem gälte beüorfteljt, »o fein Säerfmeifter
bcj». fein Sau gar nidjt Don bem ArbeiterauSftanbe utt*
mittelbar betroffen »irb. Ster fich an Seifpieten bieS Oer«
gegenwärtigt, »irb leid)t ju biefer ©rfenntniß fommen. ©in
©efcßäftSmann, welcher eines ber fegt entfteljenben großen
SBaarenhäufer auf einem feljr »ertf)üolIen Sauplafce mit einem
erf)eblid)en ßoftenaufwanbe [ich erbauen läßt, bebarf beffen
gertigftellung ju einer beftimmten grift, um baS §aupt*
gefd)äft zu geeigneter 3 e ' 4 barin aufnehmen ju fönnen. @r
muß burch SäaarenbefteDungen unb burch SRiethen beS er*
forberlidjen IpülfSperfonalS fich barauf borbereiten. Um nun
nicht in feinen Seredjnungen unb ifjlänen getreust ju »erben,
Oereinbart er eine gertigftetlungSfrift unb j»at unter geft*
fe§en einer SertragSftrafe, »eiche ihm einigermaßen für einen
ju erleibenben ©chaben fdjabloS holten foll. ®ie SluSftanbS*
claufel berechtigt ben auSfüfjrenben Säerfmeifter zur grift*
üetlängerung. ®er Souherr oerliert jeboch bie 9Röglid)feit,
baS SäaarenfjauS friftgereeßt ju eröffnen, er muß aber bie
befteUten Säaaren abnehmen unb bejahten, bie gemietljeten
Slrbeitöfräfte auStohnen, ohne ben erwarteten Umfa|} erzielen
ju fönnen, oießeirijt fogar noch Säoaren, »eiche ber SRobe
unterworfen fiitb, als wertljlofe Sabeithüter behalten. Säer
fann eS ihm öerbenfen, wenn er Oorforgfid) unb »ohl*
bebacht bie SluSftanbScIaufel ablehnt? @S braucht ein gabrif*
unternehmet neue gabrifräume, »eit bie feitherigen für ihn
unzulänglich ober »oht gar burch 3 euet oerni^tet finb.
3»edS friftgerechter ©röffitung beS SetriebeS fichert er fid)
burch Sereinbarung einer gertigftetlungSfrift. (Sitte öerjögerte
©ebrau^fähigfeit berfelben oerhinbert, ihn übernommene
Serpftid)tüngen auf friftgerechte Lieferung ber gabrifate ein*
juhalten. SluS bem fiieferungSOerjuge h°t er bent SefteUer
Schobenerfah ju leiften unb oft genug Oerliert er in ijjm
einen guten jahlungSfäljigen Äunben, aus beffen ©efhäft^
Oerbinbung i|m ein fieberet ©e»inn beüorftanb. ©S nimmt
enblich Semanb auf feinem umfangreichen ©runbftücfc bie
Ausführung bon gabrif* unb Säohnrämnen jtoecfS beten
CermiethenS in AuSficht unb erhält auch bon feinem an*=
füljreuben Säerfmeifter bie fefte, burd) SertragSftrafe gefieberte,
gufage, folche am 1. October in ©ebrauch nehmen laffen ju
fönnen. Um bieS ju ermöglichen, muß bis jum 1. April
ber Sohbau bcenbet fein, liefet 3 c 'tpunft »irb auch inne
gehalten. Staburd) fidler gemacht, fdjließt et arglos 5D?ietf)S*
üerträge ab, überfef)enb, baß fein Säerfmeifter ben ganjen
Sau in ißaufd) unb Sogen übernahm. Sn bie fommertidje
Saufaifon fällt ein üierwöchentlicher ArbeitSauSftanb. Um
biefen Oertängert fich bie grift jur @d)lüffelabgabe. ®tr
Säerfmeifter nufct bieS auS. ®er innere Ausbau »irb nidjt
rechtzeitig Ijergcfteflt, bie ©ebrauchnahmc am l.Dctober polijei«
lieh unterfagt. 2)ie SRiether fönnen in ihre SRiethSgelaffe
nidjt einjicljen unb machen oon ihrem 9fied)te ©ebrauch, für
Segnung beS ScrmietherS anbere theurere ju beziehen unb
fonftigen ©chabenerfaß ju beanfpruchen. Säer entfd)äbigt ben
Sauherrn hierfür unb für bie entgangenen SRicthSauSfäUe?
derartige ©rwägungSgrünbe müffen bie prioaten ©au»
herren beftimmen, auch ihrerfeits auf ©elbftßülfc Sebad)t ju
nehmen. @S wirb ©ache ber ©runbbefiher*Sereine fein, bic
©efaljren beS ©runbbefi|eS aus ber AuSftanbSclaufel oor»
urtheilSfrei unb unbefangen feftjuftcUcn unb ihrerfeits ge¬
eignete Abwehrüorfdjläge ju machen. Severe »erben oorauS»
fidjtlich barauf hinauSfommen, ihren SJiitglicbern ju empfehlen,
burch felbftgebungene unb auSgelohnte Souarbeiter unter
Seitung eines ihrerfeits befteUten ücrant»ortlicf)en Sauleitcrs
ben Sau in ©elbftregie auSjuführen, Wenn bie gewerfe
mäßigen Saubetriebe ftaubhaft feien unb bie Uebentahme
»irflich ablehnen foUten. Sn noch »eit höherem ©rabe ftnb
bie SReichS«, ©taatS« unb ©emeinbe*Sauöertoaltungen aber baju
gezwungen, »eiche nicht SorteifteUung ju ©itnftcn ber Arbeit*
geber gegen bie Arbeitnehmer im Saugewerbe nehmen börfen.
AIS golge beffen »irb fich ober herauSfteUen, baß ber er
ftrebte ScfähigungSnadpoeiS z um felbftftänbigen Setriebe beS
SaugewerbcS oerfagt bleibt, um ben Sauöerwoltungen bie
50?öglichfeit beS ©clbftregiebaucS offen z u holten. ®aranl
entfpringt aber bie »eitere ©efaljr, baß ber Sougewcrfenftanb
in feiner ©elbftftänbigfeit bebroht, in feiner »irthfehoftlihen
CciftungSfähigfeit nnb gefeUfdjaftlichen ©teUung üentichtet,
jum Sohnarbeiter ber ©apitalmacht h cl 'obge»ürbigt toirb.
Unb AfleS bieS toegen einer unöorbebacfjten SRaßnahme,
»eldhe gar nid)t crforberlidj ift, um ju bem gleichen gifte
ju gelangen. ®emt baS SReid)Sgerid)t |at in einem Urt^eile
üom 15. Suni 1891 redjtSgrunbfäfclidj erfannt, baß ber ©treil
unter Umftäitben ber höheren ©ewalt gleich S u achten, u»b
beßhatb geeignet ift, auS üertragSmäßigen Serbinblidjftilcn
ju befreien. ®urdj eine Serficherungnahme gegen baS SRifteo
auS ber ©treifgefaßr »irb ber gleiche »irthfdjaftfidje ©rfalj
fidjer erzielt, »eldjer auS ber AuSftanbSclaufel nur erhofft
»irb. ©efahröoü ift jeboci) bie fcitenS beS SerbanbeS ber
Saugefdjäfte oon Serlin unb ben Sororten aitgebroijte Sot)‘
fottirung ber $änbler Oon Saumaterialien, wenn fte ben
fRegiebauunternehmeru folche liefern nach bem Urt^eilc bd
fReichSgeridjteS oont 22. Saitnar 1900.
Da* prenßifche 3ahrh«nktt.
Son Herbert fifdjer.
SRan hot baS officieU abgelaufene 19. Soljrhunbert bid»
fach öaS militärifdje getauft. 2Rit SRed^t, benn fein Anfang
ftanb unter bem ©terne beS genialen laftiferS SRapdtoa
Digitized by v^. ooQie
Nr. 20.
Dte töegetuoarf.
307
unb [einer Krieg«thaten, au« benen bie preußifhe Schöpfung
ber allgemeinen SBehrpftiht, be« SSolfe« in SBaffen, be«
ÜJ?ilitär|taate« ßeroorging, beffen SBehtüerfaffung heute non
faft aßen europäifcßen Staaten nachgeahmt ift. SBenn man
alfo non einem militärifhen Sa^rt)unbert fpricfjt, fo fönute
man e« ebettfo gut fcfjtehtmeg ba« preußifdje taufen. SBenn
nur SRapoleon nicEjt märe. S)ie grage ift freilich, ob feine
KriegSfunft eine fo neue unb originelle mar, mie feine Se*
munberer behaupten. SBir glauben e« trojj allebem nidjt.
@r fteht auf ben Schultern be« alten grift, unb alle ©gen*
feiten feiner Strategie, Xaltif unb Drganifation finben mir
fo jiemlid} boUftänbig in ber preußifhen Kriegöfunft be«
fiebenjährigen Kriege«. Seine Xedjnif ift ganz unb gar bte
fribericianifdje; bie ©efhüjje unb ©emefjre maren im SSJefent*
Itd^n bie gleiten, unb Napoleon füllte gar fein SBebürfniß,
fie ju berbeffern. ©lehr, biel mehr lag iljm baran, bie
ShneHigfeit für Seitung unb öemegung be« feeres ju
fteigern, bod) folgte er auch Ijierin nur attpreußifher Strabition.
©njig feine Drganifationen, bie grig §oenig „nicht biel
mehr al« große, rohe 3mprobifationen" nennt, gingen über
ben alten grifc ^inauS, beffen Sölbnerljeer bon ben „Ohne*
fjofen" be« rebolutionären S3olf«heere«, bann bom napoleonifdjen
Sonfcription«heer abgelöft mürbe; bod) fdjloß auch Napoleon’«
(Spotte mie bie griebrih’« mit einem befonberen Solbaten»
ftanbe ab. ®ie nationale Staatämefpr, bie ©arnot beabfihtigt,
ift eine ganz preußifhe Schöpfung. Sdjarnljorft fhuf bie
S3eßrgefe|e unb ba« 2Rilitärbitbung«mefen, ©neifenau unb
©aufemifc bilbeten bie Slapoleonifcpe Kriegöfunft im friberi*
cümtfhen ©eifte au«, ©rolman organifirte bie ©eneratftab«*
tljätigfeit im grieben, unb SBilßelm I. unb ÜJJoltfe fhufen
bie preußifhe Kriegöführung unb Kriegöfunft, bie SBemaffnung
unb taftifhe Stuöbilbung be« ipcerc« unter Slu8nufcung ber
mobernen *£ed)ttif: §interlaber, Shnellfeuergcfdjüt}, Mein*
calibergeme^t — Kartographie, Statiftif, Xelegrapfjie, ©fen*
bahnen.
@8 ift ganz n üblich, menn einmal auf ben altpreußifhen,
ben fribericianifchen Urfprung be8 mobernen SWilitärmefen«
hingemiefen mirb, benn öon gemiffer Seite mirb immer mieber
oerfu^t, ba8 fd)öpferifd)e ©enie be8 gelbherrn griebridj II.
ju bemängeln unb ihm feine Krieg« tun ft, ja fogar feine (Sr*
folge abjufpredjen. 0iadh bem Urteil biefer £>iftori!er unb
Salonftrategen foll er nur im SWanöbriren bebcutenb gemefen
fein unb feine Schlachtenerfolge contre cceur errungen hoben.
SBie falfch ba8 ift, lehrt un8 ber gerabe jeßt erfchienene
jmeite Saab bon Steinholb Kofer’8 SD?eifterbiographie:
„König gricbricf) ber ©roße" (Stuttgart, (Sotta $Rad)f-).
@8 ift ein maßrer ©enuß, au« biefer glänjenben ®arfteHung
be8 fiebenjährigen Kriege« unb feine« föelbcn bie auf beffen
Krieg8funft bezüglichen Selbftbefcnntniffe unb Operationen
jufammenzufteäen.
' 3m Slntimacchiaoell hat ber Kronprinz griebrid) fjabiu«
unb Ipannibal einanbet gegenübergefteßt at« bie Vertreter
jmeier ftrategifcher üJfethoben: ber (SrmattungSftrategie unb
ber Strategie bc« Silagen«, „gabiu« ermattete ben £anni=
bat burch feine Sangfchmeifigfeiten; biefer SRömer berfannte
nicht, baß ber Kalßager be8 ©elbe« unb ber SRelruten er*
mangelte, unb baß e«, ohne zu fotogen, genügte, biefe« £>cer
ruhig megfchmelzen zu fehen, um e« fozufageit an Slbjeljrung
fterben zu laffen. §anniba(’8ißolitif bagegen mar, zu fragen;
feine 2Racht mar nur eine auf zufälligen Ümftänben beruhenbe
Stärfe, au« ber fchleunigft jeber erreichbare SOortheil gezogen
»erben mußte, um ihr burch bie S(f)teden8mirtungen glänzen*
ber gelbenthaten unb bie $ilf«quetten eroberter ©ebiete Söe*
ftanb zu geben." Slu« griebrid)’« großem militärifd^cn Sre*
bier bon 1748 miffen mir, baß er für bie Kriege feine«
eigenen Staate«, bie ba furz unb lebhaft fein müßten, bie
©rmattungöftrategie at§ unzmedrnäßig betrachtete, ebenfo
aber bie „ifßointen'S jene ftrategifd)en SSorftöße, bie ba« §eer
aDzumeit in geinbe«lanb hineinführen. Sfachmal« mieberum
hat er brei Sfrten ber Krjeg«führung unterfdhieben: bie Offen*
fibe bei entliehener Ueberlegenheit, bie fiejj bie höchften Äiclc
fehen muß, bie 1741 in bem (SoaIition8friege gegen Oefter*
reich ba« franzöfifche §eer gerabe8meg« anf SBien hätte führen
muffen unb in einem fünftigen 6oalition8frieg gegen [Jranf*
reich ben 3Rarfch nach $ari8 erheif^t, an Stelle bon fieben
gelbzügen im Stile be« fpanifchen Grbfotgefrieg« mit je einer
Schlacht uitb je einer ^Belagerung; bie $>efenfibe, bie bo<h nie
in reine« Slbmehren unb Slbmarten au8arten barf; bie Offen«
fibe bei gleich bertheilten Kräften, für bie e8 gilt, bie (Snt*
mürfe ben Kräften anpaffen unb nicht« auf gut ©lüd unter*
nehmen, menn zur Slu«führung bie SRittel nicht zureichen.
Sftach griebtidh’8 Sluffaffung, mie fie fich ftet« gleich geblieben
ift, mar ein ©n§elfrieg zuüf<h en Preußen unb Oefterreich aQemal
foich ein „Kampf mit gleich bertheilten Kräften". So menig er
e8 fich Z utrQ ute, biefen ©egner, ber in ber erften ^älfte biefe«
3af)rhunbert8 einen breizehnjährigen nnb einen fiebenjährigen
Krieg geführt hatte, ermatten zu fönnen, fo menig bot fich
bie SluSficht, ihn bernidjtenb nieberzufämpfen; aber er burfte
hoffen, ben ©egner zu entmutigen, in großen Schlachten
burch gtänzenbe Siege, mie e« ihm burch ^»ohenfriebberg,
Soor unb Keffelöborf fchon einmal gelungen mar, eben biefen
©egner zu entmutigen, bon ber Slu8ficßt8fofigfeit eine« mit
Seibcnfchaft ergriffenen ©roberung«pIane« z u überzeugen.
fRieberfämpfen, töbtlich treffen fonnte man bie Oefterreicher
nur — ba« hat griebridj am Anfang feiner getbherrnlauf*
bahn ebenfo beftimmt crllärt mie am Schluß — menn man
fie in ihrer Jpauptftabt SBien auffud)te. SBien aber hat er
immer nur, fo 1741 unb 1744, mie 1775 unb 1779, unter
ber S8orau«fe|jung einer mirlfamen Unterftüfcung burch SBunbe«*
genoffen in ben Bereich feiner ftrategifchen (Sntmürfe gezogen.
(Srft in biefem 3ufammenhange ermeffen mir ganz, uteßhalb
ba« politifche (Eeftament bon 1752 für einen Singriff«* unb
@roberung«frieg gegen ben SBiener |)of, ber ben Oefterreichern
SBöhmett loften unb ben fßreußen im (taufch gegen SBöhmen
Saufen einbtingen füllte, erft in ber ©eburtöftunbe einer
neuen großen Koalition gegen ba« (Srzhau« bie 3^1 fl e *
tommen fieht.
3n beiben fcblefifdjen Kriegen foH ihm eine Schlacht at«balb
für ben ganzen [jelbzug bie Ueberlegenheit betfehaffen. ©ine ent*
fdjeibenbe Schlacht- Kein unnüge« Slutbergießen, eine Schlacht
mit nahbrüdlidjer SSerfotgung, anber« al« bie Bobofi^er
Shlaht, mit ber er nachträglich fo unzufrieben ift: „3ebe
SBataille, fo mir liefern, muß ein großer Schritt bormärt«
Zum SSerbetben be« geinbe« merben." SD?an mirb ba« feinb*
lichte §eer, menn e« irgenb möglich ift, bernidjten, „abimiren".
®er zeitgenöffifhe ®efd»tc^tcSfeftreiber be« fiebenjährigen Kriege«,
lempefhof hat feinen König at« einen gclbherrn bezeichnen
ZU bürfen geglaubt, ber nicht bloß Schlachten fhlägt, um
einmal ba« Tedeum laudamus anftimmen zu laffen, fonbern
allemal ein totale Siieberlage be« g«inbe8 zur Slbfidjt hat,
unb SBamerp hat getabezu gefagt, griebrih’« SBemühen fei
ftet« barauf gegangen, ba« feinbliche $eer gänzlth j« ber*
nihten. §ier hören mir bon griebrid) felbft, baß er fih
biefe« 3beal ber Shlaht in ber $h°t bor bie Slugen fteQt.
So ergab fih h m für ben zweiten fhlefifhen Krieg
eine Strategie, mie fie ihm fdjon für ben Slnfang be« f^elb*
Zuge« al« zt®«<Iuiäßig borgefhmebt hatte: bie ftrategifdje
©efenfibe, bie auf einen SBorftoß- in geinbe« Banb, auf
bie Uebermältigung meiter ©ebietöftreden berzihtet unb ihr
^ieit in bem SBortheil ber inneren Dperationölinie fuht:
„SJieine Sage ift berart, baß ih nur auf bie (Defenfibe
auögeßen lann, ba ih ben geinb bon bier ober fünf Seiten
habe. ... 3h gebenfe alle meine Shritte nah benen be«
geinbe« abzumeffen." Ober, mie fein bezeihnenber Slu«*
btud ift. „ih bilbe bie Dteferbe ber Strmee, bereit, bahin mich
Zu fehren, mo bie bringenbfte ©efaljr mih h' n Z' e h en mirb."
Stiht ohne ©runb nahm er an, baß feine neue SRetljobc ben
geinb, ber feit je Offenfibftöße an hm gemohnt mar, unfidjer
Digitized by v^. ooQie
308
Die (ßegetiroart.
Nr. 20.
machen, „beroutiren." Werbe. 21 ber er jagte fidf jugleidj, baß
biefer ©ortheil nur ein erfteS dRal ju erhoffen fei, baß baS
„©tratagem" fid) nicht Wieberfjolen (affe; benn ber geinb »erbe
halb lernen, fid} banadj einjurid)teti, unb bann »erbe eS feljr
böfe läge ge&en. ©8 bermaß fid) alfo nicht, bei feinen befdjränften
Kräften bon feiner (Jefenfibe bie SSirfungen einer ©rmattungS*
ftrategie int Stile be8 gabiuS unb im ©inne ber (Jar*
(egungen be8 2lntimacdjiaBeß ju erwarten. 3m ©egentljeil:
je mehr er mußte, baß gerabe fein (Segnet, biefer unerträglich
langweilige (Jaun, fiel) in ber Stolle beS gabiuS ftarf fühlte,
um fo mehr mußte er banadj trachten, auch ber ftrate*
giften (Jefenfibe taftifdlj bie Dffenfibe feftjuf)alten unb mit
bem geinbe ju fchlagen, wo irgenb bie (Gelegenheit fich bot:
„Sch Warte auf einen 2lugenblicf, um ba§ wenige Del ju
nufcen, baß ich nodj auf meiner ßampe habe." 2lflerbing8
berhehlte er fid) nicht, baß bie erfeljnte ©elegenfjeit fich immer
feltener einfteden werbe. (Jie unoerfennbaren gortfchritte,
welche bie „mobernen Defterreidjer" in ber SbriegSfunft feit
bem erften fdjlefifd)en gelbjuge gemacht, erheifchten auch für
bie ©reußen 2lenbetungen in ber bisherigen (Eaftif. (Sie
Oefterreicher haben e8 in ber ©ertheibigung jur dReifter*
fchaft gebracht, burch ihre Sagerfunft, ihre dRarfdjtaftif, ihr
2lrtifleriefeuer. ©on unenblichen (Gefcßüfsmaffen umgeben
unb unterftüfct, ftehen fie regelmäßig in brei ßinien: bie
erfte am guß be8 2lbl)ang8, gleichfam auf einem ©laciS;
bie jweite auf ber £>öf)e fo oerfdjanjt, baß hier erft ber
fchwerfte Kampf entbrennen wirb; fie ift mit Saoaüerie
oermifcht, bie bei bem erften UBanfen be8 2lngreiferS alsbalb
öorbred)en unb einhauen wirb; bie britte ßinie ift beftimmt,
ben ©unft jü oerftärfen, auf ben ber Singreifer feine ß)aupt*
fraft richtet. 6aBaflerie*2lngriffe, wie fie noch bor Kurjem
für bie (Einleitung bet ©d)ladjt bie (Regel bilbeten, er*
fdjeinen 2tngefid)t8 folcher ©tellungen unb foldjer 2lrtiflerie*
maffen al8 ganj unlhunlid); bie (Reiterei ift üielmehr junädjft
ju „tefufiren" unb erft für bie (efcte ©ntfdjeibung unb für
bie Verfolgung einjufefjen. S)a8 ©d^icffal ber Staaten hängt
Bon ben ©ntfcheibungSfdjlachten ab, eine cinjige falfdje ©e*
wegung, ba8 dRißberftänbniß eines Unterführer« fann aße8
oetbetben; fo löblich e8 ift, eine 2lffaire fjerbeijuführeit, wenn
man feine ©ortljeile finbet, ganj ebenfo muß man fie Ber*
meiben, wenn ba8 (Rifico ben ju erljoffenben ©ewimt über*
fteigt. „@8 giebt", fagt griebrich auch in biefem ßufammen*
f iang, „mehr al8 einen SEBeg, ber jum 3'ele führt; man wirb
ich barauf (egen müffen, ben geinb ftücfweife in bie ©fanne
ju hauen, feine (JetadjementS ju ©runbe ju richten, bie er
oft unb nicht immer mit gleicher ©orfidljt auöfenbet."
(Jie ©trategie, bie er für foldjen ©erjweiflungSfampf
gegen eine SReljrjahl mächtiger (Gegner in ber Theorie fich
Borgejeichnet hatte, „bem einen geinb eine ©robinj preiSju*
geben unb injwifdjen mit ber gefammten Streitmacht gegen
ben anberen ju marfdjieren, ihn jur ©djladjt ju nötigen,
aße Slnftrengutigen ju machen, um ihn ju bernidjten" — er
hatte fie in biefen brangboßen Sahnen, fo biel an ihm war,
in bie ©rajiS ju überfefcen geftrebt. „@r, ber ben ÜBertlj be8
dRanöBerS neben ber Sebeutung ber Schlacht feljr wohl ju
fdjäj}en wußte, ber, wenn e8 galt, fid) auf baS dRanöbtiren
unb Sluöweichen ebenfogut Berftanb wie bie großen dRethobifer
©rinj Heinrich unb (Jaun, er hat boch in Der KriegSfüljrimg
ebenfo Wenig Wie in ber ©olitif fich auf ba8 Hinhalten unb
2lbwarten, ba8 fchwächliche beneficium temporis, bie unbotljer*
gefehene 3wifcf)enfäfle Berlaffen woßen, fonbern ba8 ©djicffal
wieber unb wieber jur- großen ©ntfd)eibung herauSgeforbert
unb babei nur immer beflagt, baß er nicht ba8 ©Iijir befaß,
bem ©egner jebeSmal, Wenn et e8 woßte, bie ©<hladjtentfd)eibung
aufjunöthigen. Sßenn ©rinj Heinrich in feiner ©eborjugung
be8 dRanöbetS unb SlngefidjtS feinet meift befenfioen Stuf*
gaben fich geringerer gäfjrniß auSfefcte, bie ©djlappen feines
föniglidjen ©ruberS glüdlid) oermieb unb beßhalb wohl ge*
neigt war, fich für ben trefflicheren gelbherrn ju halten, fo
unterfchähte er ba8 ungeheure moralifdje Uebergewicht, Welches
griebridj’S SBagemuth, ©d)tad)tenfrohheit unb KampfeSfdjtei*
fid)feit ben preußifdjen SEBaffen in einem ©rabe berfd)äffte,
baß bie ©egner nach ben erften fdjlimmen ©rfahrungen einen
politifchen Dffenfiolrieg, wiberfinnig genug, anbauernb in ber
taftifdjen ®efenfioe führten, ©or bem Urtheil ber ©efhichte
hat nicht ber ©rinj recht behalten, ber ba meinte, baß baS
|)eer bie gehler bc8 ÄönigS Wett machen müßte, fonbem
Bietmehr (Rapoleon, wenn er fagte, nicht ba8 |)eet habe fiebtn
Sahre h^burch ©reußen gegen bie brei größten 2J?äd)te
©uropaS Bertheibigt, aber griebridh ber ©roße."
Sllfo auch au8 biefer ®arfteßung Äofer’8 geht flat her*
Bor, baß ber große Stönig nicht nur ju manöoriren, fonbem
auch S u fchlagen wußte, afleS ju feiner 3«t. Ohne 3®«jel
hat (Rapoleon Bon ihm Biel mehr gelernt, als er jugeben
woßte; auch feine berühmte ©toßtaftif in’8 ©entrum beS
geinbeS finbet fidh ln griebtidj’8 ©flachten unb SBerfen als
gelegentliches ©orbilb. Slber bie fittliche ©röße griebridj'S
|at (Rapoleon nidht erreicht, am wenigften im Unglücf, too
gerabe griebrich am größten war. ßieft man bei Sfofer, mit
welcher §elbenhaftigfeit bet Äönig bie ©cßicffalSfchläge ertrug,
fo fommt man unwiflfürlidj auf ben ©ebanfen, baß bem Oft*
preußen Sfant fein fategorifdjer SmperatiB ber ©flicht im
Slnblicf biefeS gelben(ebenS aufgegangen fein muß. Äofer ur*
theilt: „3Ber fo, ganj erfüßt Bon einem hohen ©eruf, tn ftoljer
erhabener ©infamfeit fieben Sahre hinburch fein Socf) getragen
unb (lag für (Jag, inmitten immer neuer SEBiberwärtigfetten
unb ©nttäufdjungen, nur bei fich felbft (Rath un b fchneßen,
tapferen ©ntfchluß gefmiben hatte, ber burfte nachmals ohne
Ueberhebung fidh rühmen, baß jwei ©erbünbete in biefem
Kriege ihm jur ©eite geblieben feien: SRuth unb Sehatrlih«
feit. (Bit finb 3 eu g en geworben, wie biefe ©egleiter, auch
wenn fie in bunfelfter ©tunbe feinem ©lief entfd)Wanben, fich
immer wieber ju ihm gefeßten; wie er, reijbar, aufgeregt,
nicht gefdjaffen, baS Unglücf mit ©elaffenheit ju ertragen,
boch bie Zweifel feines jagenben ßRenf^enherjenS fieghaft m
feiner ÄönigSbruft nieberjufämpfen unb aßen ©erfudjungen
jur glucht aus einem anfdjeinenb hoffnungSlofen Seben ju
Wiberftehen Bermochte, bis enblidh ein errettenber 3wifchenfaÜ
feine ©tanbhaftigfeit belohnte, jenes beneficium temporis, baS
er bei feinen ©ntfdf)lüffen nicht hatte in Slnfafc bringen woßen.
©rft im Unglücf offenbarte fich griebridj’S eigenthfimlidjfü
©tärfe, feine unBergleichlidhe ©röße. ®er ben (Keiften als un*
beftänbig unb dRandjen als unentfchloffen galt, bewies je^t,
baß ©ntfchloffenljeit unb ©tanbhaftigfeit gerabe bie hfttor*
ragenbften feiner ©igenfehaften waren. (Rieht baß griebrich
jebeSmal ben richtigen ©ntfdjluß gefaßt hätte; mehr als ein*
mal hat er in entfcheibenbenSlugenblidfenburdjauS fehlgegriffen.
(Rie aber hat ihm Berfagt bie gäfpgfeit unb firaft jum ©nt*
fdhluß, unb, WaS mehr ift, nie bie Bon einem dRoltfe an ihm
bewunberte gähigfeit, ben ©ntfchluß bei fich felbft ju finben,
„2lfleS Bon fich felbft ju nehmen". (Rieht baß er feinen ©nt*
fchtuß nun jebeS 2Ral auch feftgeljalten hätte; was ihm ben
(Ruf ber Unbeftänbigfeit eingetragen hatte, war eben jener
rafdhe ÜBechfel feiner ©olitif geWefen; aber in geringeren
(Jungen oft an ihm Bermißt, hat feine ©eharrlichfeit jenfeitS
einer gewiffen ©renje auf bie fjärtefte ©robe gefteßt, fich
um fo unerschütterlicher erwiefen. ©eibe, ©ntfdjloffenljeit unb
©tanbhaftigfeit, Wulfen ihm mit ben (Gefahren. (Jie ^öchftc
©robe beS geibherrn, baS §eer nach ber (Rieberlage jum
Siege ju führen, griebrich h°t fie fedjS Sahre hinburch
immer Bon (Reuem abgelegt. „@r ift Bornehmlidh groß ge*
Wefen in ben entfdjeibenbften 21 ugenbilden, unb berö ift bie
fdjönfte Sobrebe, bie man auf feinen ©harafter halten fann*
— fo, bei fcharfer Ifritif ber einjelnen Schritte, baS @e»
fammturtheil (Rapoleon’S über griebri^. 2ln folgern 2ob
aus folchem ([Runbe wirb ber größte §elb fid) genügen lato
bürfen, ob immer griebrich bem ©roßen ber Uebereifer »er
dRobernften ©igenfehaften unb ©ntwürfe leihen ju müffen
Digitized by v^. ooQie
Ute detjenwart.
309
Nr. 20.
geglaubt hat, burd) bie er noch größer, gewaltiger, bämo*
nifcher hafteten fofl. ©ämonifcße Naturen in feinem ©inne
beS ©egriffeS, als ©efäße ungeheurer, ben ßauf ber gefehlt*
liehen Sntwidelung burchfreujenber SDjatfraft unb raftlofcn
©djaffenSbrangeS, h at ©oethe fowoljl griebrich ben Orofeen
wie ©apoleon genannt; aber ein geiftooßer ©eurtheiler hat
ben Unterfcfjieb jwifdjen ©eiben gerabe barin fehen wollen,
baß griebrich fidi) »on feinem ®ämon, anberS als Napoleon,
nicht Wie »on einem ©turmwinb regieren ließ. AflerbingS,
gar HRandjer War Wäljrenb bcS langen Krieges geneigt, ihm
eine Steigerung ber ©JiflenSftärle in baS ©genfinnige »or=
juwerfen unb einen neuen Karl in ihm ju fehen, ber nur
noeh ben ©ngebungen feiner ßaune folge. ®er ©ebanfe an
Kart XII. lag nahe, ßlber beßhatö unb weil er eine »er*
wanbte Sfber in fid) fühlte, h°t griebrich felber um fo ent»
fdjiebener baS Xafeltuct) jwifdjen ihnen ©eiben entjwci ge»
fchnitten unb ben ©djwebenfönig fich alle 3eit als watnenbeS
©eifpiel »orgehalten." ©ehr fd)ön fehilbert ©einljotb Kofer,
wie feltfam gewanbett fein £etb auS ben furchtbaren ©rü*
fungen i)er»orging, nicht mehr hell unb freubig, nicht warm
unb milb, fonbern trüb, falt unb hart wie ein fonnenlofer
SBintertag. ®aS glüdlid)fte aller ©lüdsfinber, Wie ber junge
König tachenben SRunbeS fich fetbft genannt hatte, ift ber
alte grifc geworben, grämlich, »erbarmt, »erhärtet, fo wie in
bem Antlijj bie Weiche IRunbung ber ßüge ben aübefannten
ftrengen unb fpifcen ßinien gewinn ift. 31 ber wie bie ©timme
ihren alten einfchmeichelnben Klang, „weich felbft beim gludjen",
behalten hat, fo glimmt bodj noch im ©runbe beS JgierjenS
ein gunle warmer, weicher Smpfinbung. 9lod) immer wirb
baS Auge leicht ihm feucht. Sr felbft fd)ilt auf biefe Smpfinb*
famfeit, auf biefe ÜRadjgiebigleit gegen äußere Sinbrüde, ba
fie ihm bie ©d)Were beS ®afeinS, bie Aufregungen beS Augen*
blidS nur um fo peinüoKer macht. Sr giebt feiner ©eele
„©todfehläge", er benft, baß ©tjilofophie »nb Srfahrung feine
natürliche ßebljaftigfeit gebänbigt haben füllen, unb muß fich
enbüdj boch fagen, baß ein mit fo tjeifeen ßeibenfdjaften ©e»
borener bie erfehnte „Unempfinblichfeit beS ©toiferS“ nicht
erreichen fann. Unb wäre er noch eine ^atur gewefen, bie
an bet $h°t unb am Sinfafc aller Kräfte, am ©letten unb
©lagen, am Ijelbenhaften Gingen mit bem feinbfeligen ®e=
fdjia innerliche unb auSfchließliche greube, leibenfdjaftlidjeS
©enügen, ©eligfeit empfunben hätte. Aber immer wieber
lommt bie ©ehnfudjt nach bem Stillleben, nad) ber ©n*
famfeit beS ©tubierjimmerS jurn 2)urch6rud), bie fentimen»
täte ©eljnfucht beS adjtjehnten SaljrhunbertS, bie baS befte
Üljeil in befdjaulidjer ©efteflung beS ©ärtleinS fieht. S)er
ÜRann, an bem bie Anberen bie „mehr als menfchtiche"
geftigfeit bewunbent, feufjt: „3)er ©eift ber großen Scanner
ift nicht ber meine", unb bezeichnet fich als ben, bem ©lagniffe
unb ©lüdSfpiet »erljaßt finb. AIS ©torthrium, als gege*
feuer beflagt er fein £elbentf|um; „ein .geidjen me hr beS
ßeibenS als beS ©lüdS" ift ber ßorbeetfranj aud) ihm ge*
wefen. Sr ift aßmälig ber Kataftrophen fo gewohnt, baß er
bie fommenben Sreigniffe „nur noch fürchtet"; et bebt. Wenn er
einen ©rief erbricht, unb erfdjridt, wenn bie S£f)üre fich öffnet.
Unb Kofer fragt: „§at griebrich, wenn er fich einen tragifdjen
©harafter nannte, auch baS ÜRoment ber eigenen ©erfdjulbung
bamit anerfennen woflen? ©ewiß hat er ben ©türm, ber fein
ßeben erfüßt hat, felbft entfacht. St hat einen ©egner auf
$ob unb ßeben Ijerauögeforbert, unb bann, ba er eS noch 9 e=
lonnt hätte, ihn nicht ju ©oben geftredt; benn wohl bürfte
eS in feinem erften Kriege bei ihm geftanben haben, bie §anb,
bie nachmals ihm fo fcfjmere SBunben gefchlagen hat, ganj
unb für immer p entwaffnen. SS hat nicht an Stimmen
gefehlt, Weber bei feinen ßebjeiten noch in ber golgejeit, bie
aß’ fein $h un f e it ber Sroberung »on @d)lefien auS ber
Unruhe eines böfen ©emiffenS haben herleiten woflen. griebrich
hat als großer IReatpolitiler bie ©renjen beS politifdj Sr*
taubten weit geftedt unb hat bem einft öffentlich »on ihm
»erurtheilten SOtocchiaoefl fpäter eine förmliche ©hrenerflärung
gegeben; aber eS unterfdjeiben fidj ihm hoch beim SRüdblia
auf feine eigenen §anblungen fotcf)e, bie ihm burchauS un<
bebenfiieh unb gleidjfam felbftoerftänblid) erfcheinen, unb anbere,
bie er entfchulbigcn ju müffen glaubt, ©d)on ber alte @ar»e
hat treffenb bemerlt, baß griebrich, fo oft unb fo angelegent*
lieh er feinen erften grieben, ben ©onberüertrag »on ©reSlau,
ben Abfafl »on bem ©ünbniß mit grantreich, ju rechtfertigen
gefucht hat, boch nie ein Sßort ber Sntfdplbigung für.feinen
erften Krieg, für bie Sroberung »on ©chlefien übrig gehabt
habe, unb baß ißm »oßenbS im fiebenjährigen Kriege nie,
felbft in ben größten ©ebrängniffen nicht, ber geringfte
3weifel an bet ©erechtigfeit feines S£h u nS aufgeftiegen fei.
SS ift nicht anbetS: in bem ©efifc »on ©chlefien, bem noli
me tangere feines politifchen ®afeinS, hat et fich burdj
©ewiffenSbebenten ebenfo wenig beirren taffen, wie burch baS
dräuen unb Anftürmen beS »erbünbeten SuropaS, unb mehr
noch als feßon fein jweiter Ärieg 1)at ihm ber britte immer
als ein ihm anfgejWungener ©ertheibigungStampf gegolten.
SS wäre benn, baß man auS aß’ ben unüergteichlichen
©riefen, bie »ielmeljr als ©elbftgefpräche benn als 2Mit*
theilungen an^ufehen finb, entweber bewußte Heuchelei, ober
ben ©erfuch, baS ©ewiffen ju betäuben, ober »oflenbeten
©elbftbetrug herauSlefen woflte — ba, wo wir ben tobt*
müben Kämpfer bewunbern, ber in Srübfat unb ©angen unb
ben fdjwerften Anfechtungen fich immer wieber aufrichtet an
bem ©ewußtfein, feine ©flicht getßan ju haben, unb an bem
©orfah, feine ©flicht Weiter ju thun, ober, wie Sarlple ein*
fach unb fd)ön gefagt hat, „an ber Hoffnung auf fein eigenes
befteS Semühen bis pm Sobe".
®er Äönig hat fich feines enblidtjen ©iegeS, feines reich*
licken ÜtuhmeS alfo nicht »ofl ju freuen »ermocht. „Unfer
SricgSruhm," fo befanntc er, „ift fehr feßön auS ber gerne
angefehen; aber wer 3euge ift, in welchem Sammet unb
Slenb biefer ©uhm erworben Wirb, unter welchen förperlichen
Sntbehtungen unb Anftrengungen, in ftihe unb Äälte, in
junger, ©chmug unb ©löße, ber lernt über ben ©uhm ganj
anberS urtheilen." „Alt, faft finbifdj, grau wie ein ÜWaul»
thier, tagtäglich einen 3 a h n cinbüßenb, »on ber ©idjt jum
halben Krüppel gemacht," meinte er nur nodj auf einen ©la^
im Snoalibenhaufe Anfpruch ju haben. Sr wolle ben ©er*
linern, fctjrieb er noch auS ©achfen an b’AtgenS, ihren Subei
über ben grieben gönnen, aber „maS mich anbetrifft, mich
armen ©reis, fo fehte ich in e i ne ©tabt jurüd, »on ber ich
nur noch bie SHauern fenne, wo ich Ütkmanb »on meiner
alten ©elanntfdjaft mehr toorfinbe, wo unermeßliche Arbeit
mich erwartet, unb wo ich binnen Kurzem meine ©ebeine
einer 3 u fiuchtSftätte übergeben werbe, bie nicht mehr geftört
werben fofl, Weber burch ben Krieg, noch burch bie UnglüdS*
fdjläge, noch burch bie ©chlecfjtigleit ber SRenfchen." Unb
fein jüngftcr ©iograph fchließt: „Sr lehrte gealtert jurüd
in eine fich »erjüngenbe ©Seit. Sin neues 3 e italter brach
an. SBährenb biefeS Krieges hatten bie ©hhfiphaten ihre
©rogrammfehriften unb fRouffeau feinen Emile unb ben ©e*
feüfd)aftS»ertrag »eröffentlicht, unb halb Würbe auch ®eutfch*
lanb »on ber Sinwirtung Sfiouffeau’S unb »om ©türm unb
prange erreicht. ®ie Sugenb ftürmte über ben „alten grifc"
hinaus, et felbft ging feinen eigenen ©leg weiter, hanbetnb,
fcßaffenb, »oßbringenb, feine ©klt formenb nach feinem ©ilbe,"
©5ir fügen h' n i u > baß er auch unferem ablaufenben Saht*
hunbert, bor beffen ©chwefle er ftarb, noch baS ©epräge
feines ©eifteS gegeben hat, unb wenn wir eS baS militärifdje
ober baS preußifdje nennen bürfen, fo »erbanlen wir eS mit
bem noch h eute ewigjungen alten gri$.
/
Digitized by v^. ooQie
1
310
Di« töjgentttt'tt.
Nr. 20.
Literatur unb <£uttft.
Ättgnft Heidjenspertjer ttnb bie finnfi.
®on fubroig Kolptng.
K)aS abfc^eultc^e Sittentat auf beutfdjen ©eift unb beutfche
Sunft, baS mit ben 3 11 holtet* unb Äunftparagraphen ber
lex ^einje t>erübt »erben foßte, ift non ben Ginfichtigeren
in ber ^auptfa^e als eine ultramontane £>erau3forberung
erfannt roorben, obwohl auch eDangelifdjeSSRuderthum (©toeder)
unb — maS immer lopal Derfcßmiegen mürbe — ^ödjfte
Ijöfifdje Ginflüffe fräftig mitgeholfen t)a6en. Sßenn man ba*
bei bie täppifd)*breifte Äampfroeife unferet heute leibet auS*
fchlaggebenben KentrumSpartci unb ihrer SBortfüfjrer betrachtet,
fo fann man nicht umhin, einen bebeutenben geiftigen, ora*
totifdjen unb tactifchcn Verfall unferer päpftlidjen parlamen»
tarier ju conftatiren. ©erabe je$t ift eine grofje Biographie
SteidjenSperger’S auS bef gebet non Prof. Submig paftor
(2 Bänbe, greiburg. gerbet) erfdjiencn, bie unS bie fdjmarjcn
Heerführer im Kulturfampfe jeigt,unb menn mir auch ber
beaeifterten ©chilberung mit gemifd)ten ©efühlen folgen, fo
muffen mir bod) geftehen, bah mir ber UeberjeugungStreue,
bem ©laubenSeifer, bem 'latent unb ber ©efchicflidjfeit biefer
gührer unfere Sichtung nicht oerfagen fönncn. Bergleichen
mir aber bie bamaligen KentrumSleiter, ben fud)Sfdjlauen
Söinbljorft, bie beiben fernbeutfd)=eljrlid)en SleidjenSperget unb
ben feurigen SRaflintrobt mit ben heutigen gührer, einem
fRoeren, ©roeger, porfch unb fogar Sieber, fo fönnen mir, mie
fd)on bemcrft, nur einen Ijcillofen fRiidfdjritt feftftellen. SBir
behaupten, baß unter bem Kommmtbo ber oier claffifdjen Kultur*
fampf-Befämpfer eine lex Hcinje nicht möglich gemefen märe unb
ganatifer miefRoeren unb ©roeger gar feine Stoße hätten fpielen
bürfen. 2Bie mürbe ber funftoerftänbige Sluguft StcichenSperger
ju biefen funftfeinblidjen SluSfäßcn feiner gractionS=S?adjfolger
ben ftapf gerüttelt ^aben! SSoinit mir aber nicht fagen
moßen, bajj er bem Städten in ber Sun ft ftjmpatfjifch gegen*
über ftanb, nur fdjüttete er baS Äinb nie mit bem Babe auS.
gmar galt aud) ihm bie Slunft nicht als eine blofje
äfthetifche Siebhaberei, fonbern als eines ber midjtigften Gle*
mente ber öffentlichen ©efittung, geeignet, in rociten greifen
Derebelnb ober aber auch oerberbenb ju mirfen. „®ie Slunft*
Übung," fagt er fe^r richtig, „ift mit nickten eine ifolirte
SChätigfeit; bie Slunft als ©aitjeS genommen ift ju feiner 3eit
baS probuct einzelner Snbioibuen; in ihrem tiefften ©runbe
fd)lingen »ielmehr bie SBurjeln aller Berhältniffe fid) inein*
anber, meldhe bie betrcffcnbe Periobe überhaupt bebingen unb
djarafterifiren. ®ie Slunft ift bie feinfte SBlütfje beS Kultur*
tebenS, fie fann bem aufmerffamen Beobachter als ©rabmeffer
für ben ^erjfchlag eines BolfeS bienen, ©ie h at barum
auch eine hohe Bebeutung für baS öffentliche SBohl unb ge*
hört in ben ÄreiS ber Slngelegenheitcn, bie ber Dbforge unb
Pflege ber ©taatSregierungen anoertraut merbeit. ‘Jnefe foßen
unterftühenb, aufmunternb unb fjelfenb eintreten, mo biefiräfte
ber Ginjclnen ober ber Kommunen nicht auSreidjen; fie merben
bieS aber nur bann mit Krfolg tf)un, menn fie babei Don
richtigen Slnfchauungcn auSgehen, menn fie, mo eS nöthig er»
fcheint, and) ben SRutf) hoben, ber herrfdjenben ‘SageSmeinung
entgegenjutreten unb unter aßen Berhältniffen ben hödjften
ibcaten ©tanbpunft als baS giel ber Begebungen aufjufteflen."
SReidjenSperger mar aber nicht aßein mit bem SBort für
bie Slunft, mie er fie oerftanb, tljätig. Sieben feiner an*
geftrengten, fo Diele unb berfdjicbenartige ©egenftänbe um*
faffenben partamentarifchen £l)ätigfeit fanb SteidjenSperger
nodj immer SRufje, um theilS burdj Borträge, tfjeilS burdh
Stecenfioiten, Slbljanbtungen ober befonbere ©c^riften für bie
Berbreitung richtiger ©runbfäfjc über Slunft unb Äunftgeroerbe
unb für bie SBieberbelebung ber d)riftlid)*germanifd)en Slunft
ju mirfen. Submig paftor giebt uns aus ben Derfdjoßenen
gtogfd)riften unb ßeitungSartifeln reichliche groben.
ÜRit föftlichem §umor, feinfter ©atire, Dernichtenbem ©pott
muftert fReidjenSperger einmal bie berunglüdten Slachahmungen
ber Slntife, in golge beren „bermalen Don Petersburg bis
nach ©enf, Don Philabelphia bis nach trieft unS aßer Orten
faft biefelbe ,claffifd)c Sangemeile 4 angähnt." „®er SSeltum=
fegler Koot erjählt irgenbmo Don ber überaus burleefen Kr*
fcheinung einiger Häuptlinge milber ©übfee*3nfulaner, bie in
europäifdjen Uniformfräden mit Kpauletten unb mit brei*
edigen £üten bebedt, Slubienj gegeben hätten, mäf)renb ihr
übriger ftörper fid) im heintathlidjen SJaturjuftanbe gezeigt
habe. GineS nid)t minber ergöglichen GinbrudeS mürben fid)
jmeifelSohne bie Baumeifter beS Parthenon unb ber Proppläen
ju erfreuen ho^n, menn biefelben Dor bie Xraoeftien ihrer
©chöpfungen beträten, mit melchen baS miebet aufgemärmte
Heßenenthum unfere mobernen ©tragen, benen bet Polijei*
ftod bie ©chönheitSlinie uorgcfd)rieben, fort unb fort beoölfert,
menn fie bie ©^ornfteine unb ®adjfenfter über ben grontonS
uon plattgcbrüdtcn Xempelfaffaben h^rDorlugen fähen, bic
©äulen, bie nid)ts ju tragen, bie angeflebten ©efimfe, bie
nichts ju ftüfcen h«ben; menn fie bie brei bis Dicr fReiljen
Dierediger genfterhöhlen übereinanber in ber SRauermaffe
erblidten, melche bie fchlanfen ©äulenfchäfte gefangen holten;
menn fie fid) enblid) gar baoon überjeugten, bafe aße biefe
,in ihrem ©eifte* gefchaffcne Herrlichfeit jumeift auS bannen*
brettern, Badfteinen, Dfürtel nnb Oelfarben coinponirt ift"
Sticht minber humorDofl ift bie ©chilberung, melche SteidjenS*
perger Don ber H cr fteöung ber mobernen Bauten entmirft
®en Gntmurf beginnt ber Baumeifter „immer juerft mit ber
gaffabe, in ber Slrt, bafe, je nach bem Betrage ber ju Der*
»enbenben ©untme, brei, Dier, fünf ober auch noch nicht Dier*
edige genfteröffnungen jmei, brei obet Dier Btal übereinanber,
immer hübfeh fhmmetrifd) unb ja in gleicher ©ntfernung Don
eiuanber in eine glatte SBanb re^tminflig eingefchnitten merben
unb bie Xl)üre in bet SRitte ber untern genfterreihe an*
gebracht mirb, mährenb oben ein auS Bignola copirtcS, meift
auS Brettern jufammengenagelteS, antififirenbeS ©efimS bie
geniale Konception mürbig frönt unb enblidj einige 9?eif)cn
Don $ad)fcnftern unb ©chornfteincn ben untern genfterreihen
gemiffermafeen correfponbircn. lOemnä^ft geht ber SReifter
baran, ein biefer granbioS gebachten Slufjcnfcite cntfpred)cnbeS
SnnereS ju fchaffen. 3 U biefem Gnbe merben mit bem Sineal
fo Diele Bierede (benn ber pijilifter begreift, mie KlemenS
Brentano fagt, nur Dieredige ©achen, unb fclbft biefe finb ihm
nidjt feiten ju ntitb), als gefonberte SJäume notljmcnbig finb,
in bie Dcrfchiebenen ©todmerfe eingejeichnet, jmifdjen mclcben
bann bie kreppen unb bie Sfamine fid) piafc fud)cn unb (ich
einflammern, fo gut eS gehen miß." Sn überaus padenber
SBeife mirb bemgegenüber gejeigt, mie baS SRittelaltcr feine
Häufet nicht Don aufeen hinein, fonbern Don innen ^erauS
fchuf, fo bafe bie gaffabe baS Probuct beS SnnenbaueS mürbe,
mie ber Slufrijj baS probuct beS ©runbriffeS. „SlßeS ge*
ftaltet fid) burdjauS natürlich, gleichwie nach einem organifchen
©efege; jeber ^heil, ber größte mie ber fleinftc, giebt burch
feine Grfcheinung fofort feine Bestimmung unb ben ©rab
feiner Bebeutung ju erfennen, nichts ift oerfleiftert unb
maSfirt, unb enblid) geftaltet ein natürliches &unftgeffif)l bic
Ginjelheiten ju einem malerifdjen, auSbrudSDoflen ©anjen,
meines überbieS möglidjft mit ber Umgebung in Ginflang
gefegt mirb. ©o muhten fich, umgefehrt mie foldheS bie
heutige Baumeife lehrt, bie genfter in Bejug auf ©eftaß,
©röhe, 3 a hl not* Slnorbnung nach ber StaumDertf)eilung im
Snnern rieten; bie kreppen lagen in befonbern, ben ganjen
Bau überragenben 3:härnten, fomohl gefd)üfct gegen geuerS*
gefahr als mohlerleudjtet unb bie freie Beroegung im Snnern
nid)t t» emmen b; bie Slamine traten fräftig unb entfeßieben
aus ben SBänbett unb Fächern unb brachen fo, mie bie eben
gebachten Sreppenhäufer, nicht blofj bie SRonotonie ber gro|en
gfädjen, fonbern fie boten auch e * nen freiten Spielraum für
ornamentale SRotiue aßer Slrt bar." ÜRan fann fich fe‘ nf
Digitized by v^. ooQie
i
Nr, 20.
Die (ßegentoari.
811
fcßärfere, aber auch nicht leicßt eine im ©roßen unb ©anjen
beffet berechtigte Satire auf unfere moberne Vaufunft beuten;
fie ift heute noch getabe fo am Ißtaße wie üor Saßrjeßnten,
at8 fie gefdjrieben würbe. Kein Sßunber, baß feine Kunft*
autorität juleßt auch iw Parlament ertannt würbe.
Sleidßengperger gebot über eine unuergteichticfje, bureß
eigene 9tnfcßauung gewonnene Kenntniß bet Kunftwerfe.
©ag ganje beutfeße Kunftgebiet üon SJlarienburg big nach
Vafel, oon stachen unb SJlünfter big nach SEBien hat er nach
allen Stichtungen hin burchfaßren, unb nur wenige Orte mit
bebeutenberen Kunftbenfmälern mögen Don ihm nicht befugt
worben fein. Stucß ben angrenjenben Sänbern, namentlich©etgien
unb §oÜanb, ftattete er wieberholt Vefucße ab. ®r hielt auch
jafßrctche ©orträge, bie ade auf grünblichen ©tubien beruhten:
fie fanben bielfacß fo großen Entlang, baß Sleicßengperger fich
wieberholt jur Veröffentlichung bcrfelben entfdjließen mußte.
3unäcßft war bieg ber gall bei bem im SJlärj 1875 in Köln
gehaltenen Vortrag «lieber bag Kunfthanbwerf“. 3n ber ©in*
leitung Dariirt Sleicßengperger fein Sieblinggtßcma Don bem
Derberbüchen ©tnfluß' ber Slcnaiffance. ©aftor gefteht, bah eg
hier nicht an fchroffen, ju weit geheitben Vehauptungen fehlt;
unbebingt beiftimmen aber tann man ben Slugführungen über
ben Verfall beg beutfehen Kunftgemerbeg, ber — nach bem
3eugniffe Don Suliug Seffing — auf ber SBiener SBelt«
augfteflitng ju einer „bößigen Slieberlage" ber beutfehen Slug*
fteller geführt h atte - 3« fehr jeitgencäßer SBeife gibt nun
SReicßengperger mancherlei ganj Dortreffliche SBinfe, auf Welche
SBeifc ber ^anbwerterftanb fich weht unb mehr üon ber
§errfcßaft ber Schablone unb beg ©urrogatcntßumg eman*
cipiren unb Wicber ju einer würbigen tiinftlerifchen ^^ätigCett
gelangen tönne. @r hebt mit Siecht heroor, wie bem Kunft*
ßanbwerf noch immer neben ber in neuerer 3eit fo fehr Der«
DoUfommneten Üftafcßine eine berechtigte unb eßrenuolle Stellung
gebühre, unb Wie baffelbe ber (extern nicht leichten Kaufg
bag gelb räumen bürfe. ©amit aber ber Kunftßanbwerler
ju Wirßich fünftlerifcßen-Seiftungen auf ben Derfchiebencn
©ebieten befähigt unb angeregt Werbe, fei ein ©oppelteg er«
forberlidj. @8 müffe bie Kluft, welche ben Künftler Dom
^anbwerfer feßeibet, noch Dieleg bon iß«r Schroffheit bet«
lieren unb beibe mehr £anb in £>anb gehen, ©ann aber fei
unbebingt nötßig, baß Kircßenüorftänbe, Woßlßabenbeißribatetc.
getabeju unlünftlerifchen ©ebilben in Oelfatbenbrucf, ®uß«
eifen, ©h on ober „SJfaffe" leinen ©ta| mehr in Kirchen unb
ffioßnungen gönnen, baß fie üielmehr bei etwaigem ©elb*
mangel lieber einige geit jögern, big bag ©elb für ein Wirt«
licheg Kunftmerf augreiche.
©inen £auptgrunb für bag aflfeitig bellagte ©anieber»
liegen ber beutfehen Kunftinbuftrie erblidl Sleicßengperger
barin, baß man fich gewöhnt habe, Don einem unb bemfelben
Künftler Seiftungen aug ben berfdjiebenften ©tilarten ju
berlangen. ©reffenb wirb herborgehoben, baß wirtliche, auch
bag Kennerauge befriebigenbeKunftleiftungen ohne übermäßigen
Äufwanb bon 3 ß rt« Talent unb ÜJlüße nur erreicht werben
tönnen, wenn bem betreffenben Kunftßanbwerler ein beftimmteg,
mit ihm gleicßfam berwachfeneg ftiliftifcheö Vilbungggefefc alg
Stichtfchnur bient, „©ag wirb aber erft erreicht werben, wenn
man in unferen gortbilbungg*, ÜJleifter» unb 3tt<ßenfchulen
barauf bereichtet,'im wilben ©ureßeinanbet nach Lobelien unb
Stbgüffen aug allen möglichen ©tilen faubere 3 e *thuungen
mit großem 3 e 't au fwanb anfertigen ju laffen. ©erartige
©inge nehmen fich au f Sdßulaugftellungen jwar recht ßfibfcß
aug, aber bie ju lange Vefchäftigung mit bemfelben macht
bie §anb beg angeßenben SKeifterg für feine eigentliche Ve*
rufgarbeit ungeeignet/ ganj abgefeßen babon, baß fie ber
Stilmengereien unb bem ©üntel gleicher SBeife Vorfcßub
leiftet. ©etedte 3ci<ßn ungen unb blenbenbe ©ntwürfe haben
unfere „Väter", beten Sßerte wir heute noch ftounenb Der«
ehren, fo gut wie nie angefertigt; aber bafür beßerrfeßten fie
mit boßfter Sicherheit ihr SRaterial, aug bem fie ihre ÜReifter*
wette heraugarbeiteten." Von ben ©alerien, SWufeen wie Don
ben SBeltauöfteHungen erwartet Slekhengperger teine Hebung
ber Kunft unb beg Kunftgewerbeg. Vejüglicß ber großen
SlugfteQungen, biefer „unüberfehbaren SBeltjaßrmärfte", |at
bie feitßerige ©rfaßrung feine Slnficßt glänjenb beftätigt; für
bie ©alerien unb bie nicht augbrüctlich erwähnten ©pecial«
augfteHungen muß man inbeffen bocß eine höhere Söertß»
fdßäfcung beanfptuchen, alg ihnen Sieichengperger ju ©ßeil
werben läßt.
„®ie ©enbenj meiner Kunftfdjriftfteflerei," fagt er in
feiner Schrift „SlUerlei aug bem Kunftgebiete", „geht nicht
bahin, bie Kunftgelehrten noch gelehrter, wohl aber etwag
praftifcher ju machen; ich h a ^ e wir an meinem geringen
©heile Don jeher nur bie Slufgabe gemacht, bag SBefen ber
chriftli^en Kunft ju möglichft allgemeinem Verftänbniß bringen
ju helfen, ganj ingbefonbere aber bie opferwillige Eingebung
an biefelbe ju beleben, fowie bem ©inbringen beg mobernen
©djwinbelg in bie SDlaffen entgegen ju arbeiten." Unb in bem«
felben Sinne gefteht er unumwunben, „baß er mehr Sßerth
barauf legen würbe, eine einzig alte ©apelle Dor bent ©in*
fturje ju retten ober bie ©rbauung einer neuen funftgeredjten
ju beranlaffen, alg auf ben Sluhm, bie Vibliotheten mit einem
Vanbe bott nagelneuer ©efinitionen unb Slbhanblungen über
bag ©laffifche, bag Kunftibeal, bag ©rhabene unb ©chöne u. bgl.
bereichert ju haben". 3 ut richtigen Veurtijeitung ber funft«
fchriftftellerifchen ©hätigfeit Steidjengperger’g will ipaftor biefen
©efichtgpunft ftreng fefthalten: „er war fein eigentlicher Kunft*
hiftorifer oberStrchäologc, auch fein Kunftphilofoph; er war Diel«
mehr hauptfächlich Vraftifer unbSlpoftel für bie SBieberbelebung
einer echten bolfgthümlichen, beutfehen, bie chriftlichen 3been
Derförpernben Kunft. ©ag 3beal hierfür erblicfte er in ber
gothiiehen Kunftform — für ihre SSiebcraufnahme in Slrchiteftur
unb Kunftgewerbe wirfte er gemiffermaßen alg Kunftagitätor.
3m tiefften ©runbe fpifcte fj^ für ihn 91 lieg auf bie grage ju:
SS3ag Jollen wir gegenüber bem Sug unb ©rüg ber mobernen,
efleftifdjen gabrifgfunft unb bem Vaufdjwinbet thun, um
wieber ju einer nationalen unb chriftlichen Kunftweifc ju ge«
langen? Slatürlicf) mußte Sleidhengperger bie hiftorifdje unb
äfthetif^e ©eite beg Kuitftproblemg immer wieber berühren,
allein afieg hierher ©ehörige war ihm ftetg in leßter Sinie
nur bag SWittel jum ßwed, nur ©infleibung unb Vegrünbung
feiner praftifdEjert ©runbfähe. 0h ne eingehenbere fachmämcifchc
©efchidjtgarbeit unb beeinflußt bon bem hiftorifdjen Urtheile
feiner greunbe unb ßeitgenoffen, hat Sleidhengperger in h<fiO'
rifdjen ©ittgen ukht feiten Vehauptungen aufgeftellt, bie thnt«
fächlich nicht haltbar jinb. Vei feinem lebhaften ©emperament
unb feiner Sleigung jum ©ebattiren hat er fich juwerlert ju
nicht ftichhaltigcn 9luffteüungcn hinreißen laffen. ©eine
©egner haben folche ©inge aufgegriffen unb in einer SBeife
berallgemeinert, welche bem unermüblichen Sachwalter ber
©othif fd)wereg Unredht jufügt. 2BoE)C bag ©tärffte in biefer
§inficht hat fich Sübfe erlaubt, inbem er behauptet, „Sleicheng«
perget halte alle funftgefchichtliche ©ntwidfelung ber lebten
bier Sahrhunberte für ©eufelgwerf".
„®ewiß," entgegnete Sieichengperger mit boßem Siechte,
„ift ber ©on folget Volemif nichtg weniger alg einlabenb jur
©egenrebe, unb ich Weiß auch f«h r Wohl, baß cg unmöglich
ift, aug gewiffen Köpfen gewiffe Vorurtheile ju bertreiben.
Allein barum foll man boch eine fich jufällig bietenbe ©c*
legenheit nicht ungenu|t laffen, um Vorfeßr ju treffen, baß
jene Vorurtheile nicht Immer weiter übcrfiebeln. ÜDfan hat
überbieg auch boßauf genug an feinen wirtlichen gehlem unb
Schwächen ju tragen, um fich beranlaßt ju feßen, ber an*
gebießteten fieß nach Kräften ju erwehren. Unb fo möge
benn bie runbe ©rflärung h*ff ^jßlaft greifen, baß icß nid)t
bloß bie Slapßael unb SDlicßelangelo, bie ©ijian unb ©ürcr,
fonbern auch bie Slubeng unb Slembranbt, bie ©enierg unb
®ow, bie ißotter’fcßen Vieß* unb bie ©egßerg’fcßen Vlumen*
ftüdte, ja felbft bie SBatteau unb bie fonft neben ißm ßerbor*
Digitized by v^. ooQie
312
$it d&ejenwart
NtSO.
tagettben SJleifter bet einen |eben in feiner 9(rt
genommen, godj in ©gren gälte, baß i<g eS aber für eine
raum erträgliche Anmaßung erachte, wenn bie geifteSmatten
Scgaufünftler, bie ©ußeifen*©efliniS unb fonftigen Surrogaten*
jäget ber ©egenwart ihre ftil* unb cgarafterlofe SluSfteflungS*
®ugenbwaare burch bie flaggen jener ©enieS ju becEett füg
unterfangen. Von ,'ieufelSwerf 1 lann ba wahrlich nicht bie
SRebe fein, nicht einmal Don einem falfehen ©efegmatf, ba
eben gar feiner ju oerfpüren ift. So ich au<g ben ©runb*
anfegauungen jener großen SReifter nicht beipflicgten ju fönnen
glaube, bringe ich bodj ihrem ©enie foruie ber foliben Fracht
ober ber Doßenbeten Stecgm! ihrer Serie ben ßofl aufrichtigfter
Vewunbetung bar. Ober gäbe ich etwa, wie ein anberer
Äritifer mir nachfagt, mich jemals bahin Dernehmen laffen,
,baß bie S'unft Don ber Sfircge nicht getrennt werben fönne,
baß alle echte Sunft fatholifch fei 1 ? £abe ich enblich fcglecgt*
hin über bie gefammte heutige Äunft ben Stab gebrochen
unb ,nur allein Don ihrer fRüdfcgr ju irgenb einer ^ß^ofe
ihrer früheren ©nttoidelung baS £>eil erwartet 1 ? SRein, folcher
ftarrer SluSfcgließlichfeit höbe ich wich i u feiner 3eit fcgulbig
gemacht. @S ift mir feljr wohl bewußt, baß unfet Sagt*
gunbert nicht wenig burdgauS berechtigte ©lemente in fich
fdjließt, Welche eS mefentltd) unb notgmenbig, nicht bloß Dom
SRittelalter, fonbern fetbft Don ben brei legten Sagrgunberten
unterfcheiben; ftetS hübe ich bie lebenSDofle Vermittelung ber
neueren ©ultur mit ber beS SDlittelalterS für unfere Aufgabe
erachtet; nie ift eS mir in ben Sinn gefommen, Don einer
SReprobuction beS legieren, bem Vucgftaben nach, Don einem
ftbflatfcgen feiner |>erDorbringungen baS £>eil für unfere
Äunftübungen ju erwarten, ©benfo wie bie nicht jur SfreujeS*
fagne galtenben 9leftgetifer bin ich i u ben fRuinen beS fßäftum*
Stempel unb beS ©oloffeumS gingepitgert, gäbe ich meine
^ulbigung ben @(gin*2Rarntoren unb ben bilbnerifdjcn Schagen
beS VaticanS aus ber Vlütgejeit oorcgriftlidjer Sunft bar*
gebraut. ÜRur hat ber fReij aller biefer ^errlidjfeiten mich
nicht ganj unb gar ju btenben Dermocht; Dielmehr ift mir
baDor erft recht ber Sinn für bie eigentümliche ©röße unb
bie ©ebanfentiefe beS flRittelalterS, namentlich im Vergleich
mit bem fubalternen ©harafter ber weiften fßrobucte ber
©egenwart aufgegangen, bie in ber aHerneueftcn photographifcf)en
Schule ihren fegönften Triumph ju feiern im Vcgriffe ftegt."
®er SRann, ber bieS getrieben, war bot nicht ber
gotgifdje ganatifer, als welchen manche feiner ©egner ihn
ginjufteflen beliebten. 9Iße wahren Äunftwerfe fanben feine
9lnerfennung: bie echte 9lntife mar babon ebenfo wenig auS*
genommen wie bie eigentliche fRenaiffance; ja fetbft gewiffe
Vorzüge beS Varod* unb fRococoftileS erfannte er an unb
warnte bor ber Vefeitigung ber ©rjeugniffe biefer jßeriobe,
Wenn man nichts VeffereS an beren Stelle ju fegen habe.
SaS bie eigentliche ober italienifche fRenaiffance an*
belangt, fo überfegägte er mit faft aßen feinen ßtttßeuoffen
bie geibnifeg * materialiftifcgc Seite berfelben. 9(lS fßaftor
unter bem Veifaß eines Vurdgarbt unb be fRoffi baS Ve=
ftehen einer cgriftlicgen neben ber geibnifdjen fRenaiffance
nadgWieS, berfcgloß fic| fReicgenSperger gegen biefeS gorfcgungS*
ergebniß nicht; inbeffen fonnte er fich Don ber 9lnfid)t einer
principießen Verfnüpfung Don fRenaiffance unb ÜReu*f>eiben*
thum nicht mehr ganj loSmadgen. „Stgeilweife," erflärt fßaftor,
„hing bieS mit feiner Vetradjtung ber ©otgif jufammen: in ihr
fah et baS göcgfte Sbeat djriftlicger Vaufunft. ©r begrünbete
bieS bamit, baß biefer Stil auS ber chriftlichen Sbee geboren, für
ben üluSbrud berfelben eine neue, angemeffenfte, Doßfommenfte
gorm gefegaffen habe unb beßgalb unbedingt DorjUjiegcn fei
ber fRenaiffance, welche fich 3 U bem angegebenen ßweefe ber
fchon Dom fpeibentgum gebrauchten formen bebient habe,
fßiit feuriger Vegeifterung betonte er, bajj feine anbere Jfunft*
ridjtung fo wie bie ©otgif geeignet fei, ben „©eift auS ben
engen ©renjen beS Srbifcgen ginauSjufügren unb mit ber
Vorfteßung beS ©rofjen, Unübcrfegbaren, Unmeßbarert baS
©efügl anbäegtigen Staunens unb ehrfurchtSDoßen Vt*
munbetnS", „©wigfeitSgebanfen" ju erweden. Seuu man
auch für ’&eutfcglanb biefen Stanbpunft fReidgenSpergeri
tgeilen faitn, fo ift berfelbe boch für Stalien fi«her nicht ju*
treffenb. ÜRag auch für baS beutfehe ©efühl bie ©othif ben
religiöfen, chriftlichen ©ebanfen am reinften auSbrüden, fo fann
behhalb unb Dießeicht gerabe befehalb biefer Stil nicht für alb
SänberalSber aßein giltigeGanon cgriftlicher Vaufunft hingefteüt
unb bie Don Italien auSgegenbe Äunftrid)tung ber fRenaiffance
als mit bem chriftlichen ©eift im SBiberfprucf) ftehenb be*
trachtet werben. Sn biefer Ipinficht hat einer ber
ragenbften Äunftforfcher unferer 3«t mit Siecht betont, bafj
bie fatholifdje Äircge fich niemals ber SRenaiffancefunft gegen*
über auf jenen Deraßgemeinernben Stanbpunft gefteflt
habe. fReicgenSperger hat bieS mehr als biflig gethan, toie
er benn ber Don Stalien auSgehenben Äunftricgtung über*
gaupt nicht immer gerecht geworben ift. SBährenb feines
ganjen ßebenS war feine Ülufmcrffamfeit faft beftänbig ben
SBerfen ber gotgifchen 3cit jugewanbt, bie SBelt ber Slenaiffance
blieb igm mehr ober weniger fremb.
Um feinen auf tieffter Ueberjeugung wie reichfter ©r*
fagrung beruhenben 9lnfcgauungen Don wahrer unb falfcget
Sfunft bie weitefte Verbreitung ju geben unb fie jur Sn*
erfennung ju bringen, gab eS wogt faum einen wirtfameren
Drt als baS Parlament. ®ie SSaftif beS SgnorirenS unb
XobtfchweigenS gatte ign bei feinen fehriftfteßerifegen SBe*
ftrebungen fegwer getroffen; nun machte er eS fich J u
bafe fßreffe unb 3ritf<hriften wogt Vücger übergehen fönnen
nicht aber fReben, bie Don ben Vertretern beS VolfeS gegolten
werben. 3nt ®eutfcgen fReicgStage wie im Vreufeifcgen Sanb*
tage mar er benn auch faft anbertgalb ®ecennien lang in
biefer ^infiegt uitermüblicg tgätig. ©ifrig ergriff et jebe fug
barbietenbe ©elegengeit jur Vefprecgung ber fünftlerifcgen
3uftänbe in ©eutfcglanb, befonberS in fßreufjen, wobei et
bann mit gewohnter Sllargeit unb niegt feiten mit berechtigter
Scgärfe bie gier oorganbenen grofjen Scgäben aufbeefte. Die
geringe Sorge für bie ©rgaltung ber Stunftbenfmäler ber
Vergangenheit, bie bureaufratifege Drganifation beS ftaat«
liegen VauwefenS in ißreugen, bie jaglreicgen ftaatlidjen 9leu*
bauten beS jungen fReicgeS gewährten bem erfahrenen nnb
weitblicfenben Slebner reiegtiegen Stoff, um ben auf biefen
©ebieten gcrrfcgenbeH falfcgen Slicgtungen auf baS entfegiebenfte
entgegenjutreten unb beffere 3«ftänbe wenigftenS anjubagnen.
®afe er juweilen in feinem ßJfifjmutg über mobernen Jfunft*
unb Vaufcgwinbel, in feinem geuereifer für bie Sieber*
belebung ber ©otgif ju weit ging, leugnet auch fein Viograpti
ißaftor niegt Sn mannen fünften fann man feinen Sus*
fügrungen nur beiftimnten; nadg ben Derfcgiebenften 9Kcg*
tungen gat fReidgenSperger fegenSDoß gewirft, in Dielen ftnb
feine Sbeen trog bet leibenfcgaftlichften Vefämpfung Seiten!
ber ©egner fiegteieg jum ©uregbrueg gefommen.
$)ieS gilt namentlich Don feinen Vemügungen }um Scgn|
ber alten wfonumente. Sie bereits in ben fünfjiger Sagren,
fo wieS er audg jegt immer wieber barauf gin, wie Diel megr
in biefer ^infiegt in granfreieg unb ©nglanb, felbft in bem
fleinen £>oßanb unb bem gewiß niegt reichen Spanien ge*
f^egen fei, als in $)eutfcglanb. ®ie moberne 3 er ftb run 9^'
wutg fanb in igm einen niegt minber fWarfen ©egner toie
ber „fRcftaurationS*VanbaliSmuS", bie „Sleumacherei*. 9Rit
glügenber ßiebe für unfere oaterlänbifcgen Jfunftbenfmäler
eine erleucgtete ©infidgt in bie 9lnforberungen einer aflfeitig
Doßenbeten Sieftauration Dereinigenb, magnte er wie ein
treuer ©cfart, wo füg ein 9lnlaß fanb, für eine befonnene,
aßmälige, ftilgeredgte ^erfteßuna ber alten Vaubenfmälet-
Seine Verbienfte auf biefem ©ebiete finb faum goeg genug
anjufcglagen, ift boeg, wie ein mit fReicgenSperger befreunbeter
Äunftfenner erften fRangeS betont, eine aud) nut minber
gtüdlicge fReftauration in igren folgen oft Dergängnißoollet
als bie fegwerften Unfäße.
Digitized by v^. ooQie
Nr. 20.
Die ©ejjettttart.
313
Sine Aufjäplung aller Saumerle, für bereu Steftauration
SteidjenSperger imlßarlament auftrat, finbet man bei Saftor;
als bic peroorragenbften feien pier genannt: bie Abteifircpe
ju Jtnecptfteben, bie Satparinenfircpe ju Oppenheim, bie Sinnen«
fircpe ju ®üren, ber Äaiferpalaft ju ©oSlar unb baS SRarien»
burger @d)loß. ©o fepr er fonft auf ©parfamfeit brang, fo
tonnte ihm für bie Spaltung beS Sitten nic£)t leicht genug
gefcpepen; infolge beffen befürmortete er j. S. am 80. Slpril 1877
im Steicpstag bie Semilligung einer größeren ©umme jur
Spaltung ber Jtunftbenfmäler in @lfaß«ßotpringen. ®en
Sormurf, baß SteidjenSperger fiep nur für bie ©otpif intereffire
unb „alle Stenaiffance Deracpte", miberlegt bie 'Ipatfacpe, baß
er im Parlament unter anberem marm für bie ©rpaltung
eines StenfmaleS ber ©pätrenaiffance in Syrier eintrat. Aud)
burdj 3 e * tun 9 gart ^ c ^ Wat er in ber angebeuteten 3tidjtung
tpätig: fo unter anberem für bie Steftauration ber Äircpen
ju SBraumeiter, ©etigenftabt unb ©t. SIpoftetn ju Stöln.
Stamentlidj auf feinen Dielen Steifen ift er nneberpolt für bie
(Spaltung alter Saubcnfmäler unb beren ftilgeredjte Steftau«
ration ttjätig gemefen. Sticht menige fircpticpe mie profane
Saumerfe, in beren Sefeitigung ber (Seift einer falfdjen Stuf»
ftürung etmaS SerbienftlidjeS fap, pat er gerettet. SBenn er
Don biefen ®ingen ju etjäplen anftng, mar er unerfdjöpflicp
unb oft — mie Sßaftor erjäplt — bitter farfaftifdj. „@<pon
ber ©djatten, melcpen folcpe ©ebäube matfen," ftagte er, „ge«
nügte ju ihrer Serurtpeilung; man gtaubte fie mie Seichen
bepanbetn ju bürfen, melcpe man ju begraben Dergeffen pat."
„Salb finb eS ©emeinberätpe, beren SerfdjöncrungSbrang
burd) altes, baju Dielleicpt fogar nocfj UnterpaltungSfoften
beanfprucpenbeS Saumerf gehemmt mirb; batb ift eS bieißotijet
ober eine anberc Sepörbe, beten Alignements« ober fouftigen
tßrojecten ein folcper Sau im Stege ftept, bie überhaupt auf«
geräumt jepen möchten, um nicpt mit „unnupcn" ©Treibereien
über „jroed« unb mertplofeS ©emäuer" beseitigt ju merben."
©3 mar feine befonbere „Siebpaberei", auf feinen Dielen Steifen
foldjen bebropten Sterten nacpjugepen unb für ipre ©rpaltung
aufjubkten, roaS in feinen Kräften ftanb. 3n nieten gälten
maten feine Semüpungen Don ©rfolg gefrönt, unb mit Se»
friebigung pflegte er barauf pinjumeifen, baß iljm an ber ©rpat«
tung beS impofanten ^olftcntporeS ju Siibecf ein nicpt unmefent«
tiefer Antpeil gebühre. ißaftor gebenft aud) StcidjenSperper’S
gorberung, baß baS Stmt eines ©onferoatorS nicpt tanger ein
Nebenamt bleibe; bie Stegierung, meldje fiep fonft nirfjt fdjeue,
mit SRittionenforberungen Dor ben Sanbtag ju treten, müffe
pier SBanbel fepaffen AngefidjtS einet ganjen Steipe „6ebropter,
bem Stuin entgegengepenber, pöcpft merfroürbiger germanifdjer
fiunftmerfe". Sielfad) mürben bie ©elbmittel ganj fatfep
angemenbet; pabe man boep j. S. ben ©oSlarer Staiferpataft,
ftatt in feinem urfprüngtiepen 3uftanb mieberperjuftellen, ju
einem „toopnlicpen unb fiirftlic^en Stbfteigequartier eingerichtet"
unb bie STuSmalung beS alten ©aalbaueS mit großen Soften
einem afabentifdjen ©taffeteimatcr überantmortet. SJtan möge
in Sermenbung ber für Stunftjmede Derfügbaren Stiftet mit
mehr Umfiept Derfapren, enblicp einmal „eine fefte, um«
faffenbe Drganifation" bitben, bamit „bie ©djöpfungen ber
grojjen Sunft unferer Säter", fomeit ber „SanbatiSmuS ber
lebten Sabrbunberte unb auch ber Se^tieit" fie noch nicht
bemühtet tyabt, „als 3 eu 9 etl beS SebenS unb SBirfenS unferer
Säter ber Stachmelt" erhalten btieben.
©rtebte SteidjenSperger in feinem Sampfe gegen baS
„preujjifcbe Saumanbarinenthum" ungeahnte ®rfotge, fo unter«
lag er in einer Angelegenheit, für bie er fich feit Dielen Satiren
bemüht hotte: in ber jReid)Stag3gebäube«grage. „SltS ©hmbol
bet beutfehen Sraft, ber beutfehen ©inheit" fottte ein SRufter«
bau erften StangeS errichtet merben, für melden ohne SBeitereS
24 SRiHionen SRar! bei ©eite gelegt mürben; batb barauf
marb jur Schaffung eines planes eine allgemeine ßon«
currenj auSgefchrieben. Sefanntlich trat Sieid)enSperger im
SteichStage mie als SRitglieb ber Surp, melthe bie fßläne
ju begutad)ten hotte, mit aller 2Racf)t für bie SBahl bei
gothifdhen ©tileS ein. ©o fchon im grühling 1871. Sn«
beffen betonte er fpäter (19. 2Rai 1878), fich gegen bie moberne
ißfeubogothif auSfprechenb, ba§ baS neue §au3 nur bann
gothifch gebaut merben bürfe, menn man einen ÜReifter erften
SiangeS baju befäme. 2)ie in großer 3 a hl einlaufenben
ißläne ju bem neuen SieichStagSbau „gaben fo jiemlich baS
©egentheil beutfeher ©inheit ju erfennen; eS mar ein buntes
jDurcpeinanber üon ©tilen, ©tilmifchungen unb ©tillofig«
feiten", gür ben einjigen im gothif^en ©til ausgeführten
ißlan beS berühmten ©ilbert ©cott legte SteidjenSperger Der«
geblidj eine Sanje ein. Stm 9. Suni 1888 befchlofe ber
SteichStag, ben Sau burch ben Slrchitelten SBaQot jur SluS«
fiihrung bringen ju taffen. SteidjenSperger, „fo jiemlich ge»
roohnt, gegen ben ©trom ju fchmirnrnen“, gab nun noch e ' n *
mal feine bisherige SteferDe auf. 3Rit berebten SBorten trat
er „für bie @f)te ber gähne ein, unter ber er beinahe ein
halbes Sahrljunbert auf bem ftunftgebiete geftritten hotte".
@r erfannte an, baff SBallot’S ®ntmurf ber befte Don ben
concurrirenben ©ntmürfen gemefen fei; allein bie Don bem
©enannten gemählte „italienifirenbe Stenaiffance" Dermarf er.
„©ie ift ficherlidj nichts StationaleS, fie hat nicht ihre SBurjetn
in unferer beutfehen @efchid)te, in unferem SolfSteben, ent«
fpridjt nicht unferen Sebürfniffen, unferem Stenten unb gühlen,
unferem Älima unb unferem heimifchen SRaterial." „Slber
freilich," meinte er, „bie Stenaiffance ift jefct SWobe. ®em
£errn SBaQot blieb meiter feine SBaht, als entmeber abju«
ftehen Don ber Setheiligung an ber Soncurrenj ober in ber
Slrt einen S^ an ä u entroerfen, mie er ihn gemocht hot; baS
®rfte mirb gemi§ einem fo begabten ÜJtannc Stiemanb im
ßrnft rathen motten." Stach einer eingehenben- Stritif beS
SntmurfeS mieberholte er: ,,3d) glaube, ba| bie Stachmelt eS
nicht begreifen mirb, bafj hier bk gemiffcrmajjen neu aufge«
richtete beutfepe Station in iprem fo berechtigten ©iegeSgefüht
fiep boju h er 9 a b, einen italienifirenben Sau als ihren be=
beutenbften Äunft« unb tßracfjtbau aufjuridjtcn."
gür bie Stnregungen, bie SteichenSperger bem ©rbauer
beS neuen SteicpStagSgebäubeS namentlich für beffen innere
SluSftattung gegeben patte, fpraep biefer im Stecember 1894
bei bet ipm Don ben Serliner Zünftlern Deranftalteten 6pren*
feiet feinen ®ant auS. „SJtan glaubt bei unS in Steutfdj«
lanb," füprtc SBaüot aus, „fo häufig, baff in ber ©cpute
SlUeS fepon geleprt unb gelernt merben tönne. ®em ift aber
teineSmegS fo. ®ie befte ©djule ift baS Seben, unb gerabe
ber Slrcpiteft mirb am beften burch baS prattifdpe ßeben ge«
fdjult: mit poep unb niebrig pot er ju tpun. Scp möcpte
beppolb roopl münfdjen, bafs ber ganje SteicpStag mit Sau«
teuten befept merbe: baS Steicp mürbe babei gut fapren.
^ebenfalls fipen peute gar ju menig Sauleute im SteicpStage:
ein SJtann mie Sluguft SteidpenSperger, ber Sbeale befipt, mar
eine Dafe. SRit ®anfbarteit gebenfe icp beS popen 3ntereffeS,
baS SteicpenSperger bem SteicpStagSbau mie ber Sautunft be«
micS, ber Anregungen, bie icp ipm Derbanfe."
Unb bamit tommen mir auf SteicpenSperger’S im @in*
gang ermäpnte ©tettung jur lex §einje jurfid, menn er fie
erlebt pätte. Stun, er pat barüber leinen gelaffen,
bap er ein ©egner beS „jumat in Serlin fo fepr perDor«
tretenben Unfuges unjücptiger ®arftellungen auf ben öffent«
tiepen ißläpen unb in ben SRufeen" mar. ©o fabelte er im
SteicpStage bie Aufhellung ber „Saccpantin" in ber Stational«
galerie, fogar gegen bie giguren ber ©cplopbrücfe feprieb er
einen übrigens confiScirten (!) 3 e * tun 9 Sa rtifel in bie Äreuj«
jeitung. Aber er mar bod) fein ganatifer ber S*uberie unb
mußte fepr mopl jmifepen „ntobernen auSgetleibeten ÜRobell«
SZubitäten" unb antifer, jumal grieepifeper nadter Stunft ju
unterfepeiben, unb bie pergamenifepen SteliefS Derperrlicpte ber
©otpifer mit peHer Segeifterung. Stocp einmal: SteicpenS*
perger märe für bie lex Ipeinje gemiß nidpt ju paben gemefen.
Digitized by v^. ooQie
314
Die töerjenttMtti.
• ^e •
Nr. 20*
<$ocial-3leftl)etik.
SSott Karl Hoefctl.
Sie fociate grage ift niept nur eine Sßirtpfcpaftsfrage,
fonbern iin eminenten Sinne aucf) eine ©ulturfragc. Senn
ift bet Arme erft einmal ttor birectem p^t)fifcf)en Wangel
gefcpüftt, fo unterfcfjeibet fiep feine 2e6enSfüprung non bet
beS SRei<pen in lebtet Suftang nut barin, bafe ber £Reicpe
in oiet poperem Wafee im ©tanbe ift, an ben ©ultur*
errungcnfdpaften tpeil'gu’’nehmen, oor allem an Stunft unb
SBiffenfcpaft. SBäprenb bemnadj bet ©ocialpolitifer burd)
©tubium berAStfcpeinungen beS toirtpfcpaftlicpen SebenS bie
Armutp befämpft, fucpt bet ©ocialetpifer bie Speitnapme an
ben ©ulturgenüffen immer meprtoon bet toirtpfcpaftlidjen Sage
unabhängig gu machen b. p. oor allem Sßiffenfcpaft unb
Äunft auch bem Firmen gu erfdpliefeen. ©ein leitenbet @e»
banle ift babei ber: Ser Bilbung erftrebenbe Wann auS bem
Bolle wirb halb ertannt haben, wie üerpältnifemäfeig gering»
merthig bie nur für toiel ©etb gu erftehenben ©innengenüffc
finb gegenüber ben ©eifteSgenüffen, bie er fid) für billiget
©elb — j. SB. burch Anlauf einiger Bänbcpen ber Oieclam*
fchen ober ^enbel’fcpen BoltSbibiliotpef — bereiten fann,
fofern er nur ©nergie unb AuSbauer gum ©elbftunterrirfjte
befiftt. @r fieht ein, bafi er audh in feiner Sage fid) fort*
bilben fann unb mufe. SaS Oertieft fein Seben, hebt fein
Streben, hebt fein ©elbftgefiihl, unb er roirb ben focialen
©egenfaft nicht mehr als einen fo brutalen empfinben tote
bisher, $afe unb SReib gegen ben SRcicptpum toerben fchtoinben.
3n einem ober bem anberen gälte mag er fogar aufrichtiges
Witgefüpl hegen für bie geiftige Debe getoiffer lapitaliftifcper
Äreife. SaS Hingt üielleicpt gu optimiftifcp, entbehrt aber
nicht gang ber Berechtigung. — gragloS ift ber eminent öolfs*
ergieperifdpe SBcrth ber SEBiffenfcpaft. Sähet baS beftänbig
toacpfenbe Verlangen nach BoltSbibliotpelen, billigen BoltS*
auSgaben, gortbilbungSfcpulen, BollSuniüerfitäten. Biele
biefer ©riinbungen finb noch im AnfangSftabium, aber fo
gefunbe Unternehmungen bleiben niept auf halbem Sßege fielen.
Wäcptig regt fich allenthalben baS fociale ©etoiffen, unb
barum toirb eS halb eine Suft fein gu leben. —
SRäcpft ber SEBiffenfcpaft ift auch bte Äunft in peroor*
ragenber SEBeife gut etpifcpen BollSergiepuitg berufen, ©ie
hat bor ber SBiffenfdjaft ben Borgug, bafe ihr ©tubium gu*
gleich ein ©enufe ift unb barum oiet mtipetofer. 3 lDe *f e ^°^
gehört üiel toeniger ©nergie bagu, fich beifpielStoeife in ein
fchöneS Bilb gu oertiefcn, als fid) burd) eine toiffenfcpaftliche
Sheorie burcpguarbeitcn. AuS bem Bitbe fpridpt bie ©ftm*
patpie beS WeifterS, bie liebenb bem Berftänbnife beS Be*
fcpauerS entgegenfommt. Sarum hat aber ber ©enufe eines
BilbeS ebenfalls burcpauS bilbenben SBertp. 3 un “<hft ift
jeber ©cpönpeitSgenufe an fich fdpon eminent bilbenb; ferner
aber regt nichts fo fehr bie SSißbegterbe an, als eine fcpöne
bilblicpe Sarftellung. 2Bir fepeti baS täglich beim AnfdjauungS*
unterrichte ber Äinbet. Ser SEBiffenfcpaft unb Sun ft gegen»
über ift aber ber unüovgebilbete Wann aus bem Botfe toie
ein Sinb. ©r fieht baS Bilb. ©ttoaS barin berührt eine
fftmpatpifcpe ©eite in ihm; er fragt: „2BaS ftellt baS Bilb
oor? SOBer war ber Weifter? SEBann lebte er?" @o bürfte
fiep bietfach auS einem OerftänbnifeüoU geleiteten Sunftunter*
ricpte beS BolfeS in entfprecpenben ÄunftpaUen, oon benen
Weiter unten bie fRebe fein toirb, leicht bie Brüde fchlagen
laffen gu allgemein menfcptidper unb wiffenfcpaftlicper Be*
leprung.
Safe bie Sunft ihrem innerften SSefen nach etpifcp ift,
ift eine fo uralte SEBaprpeit, bafe eS tribial wäre, fie gu
toieberholen, wenn nicht jeftt bisweilen taut toürben.
Saran ift allein ©cpulb bie Afterlunft ber Secabence. Sie
ift aber eben nur ein ßtoitterbing. Ser Äunft entlehnt hat
fie gorm unb ©innlichfeit. SBäprenb aber bie Sun ft biefe
ipre AuSbrudSetemente burch bie etpifepe ©runbibee abett,
bienen biefelben ber Secabenj enttoeber als ©elbftgwed ober
gu antimoralifchen Sunbgebungen. ©benfo unlogifdj toie
bemnacp ber ßroeifel an ber Woralität bet Sunft fich «noeift,
bleibt auch baS ©efchrei Oon ihrer ©jclufioität, beS „l’art
pour l’art“. ©ine fotdje Strlehre tonnte nur auffommeit in
einer 3 e tt, welche ade Äräfte beS ©injelnen im ©jiftenj*
tampfe berart aufbraucht, bafe ifem toeber Wufee noch ©tim*
mung gu üerftänbnifeooBem Sunftgenufe bleibt. Sic wenigen
Beoorgugten, bie fich bemfetben ^tngcbert tonnten, erlangten
baburd) eine ©uperiorität, bie fie in ber SDSeife auSnupten,
bafe fie fich für bie allein Sunftberufenen erttärten. ©o
entftanb bie Secabence. ©ie tonnte nut eniftefeen, nachbem
man ber Sunft baS auSgleicfeenbe Woment ber allgemeinen
Slntheilnahme genommen patte, ©ie bebarf berfelben aber
ebenfo fetjr, wie ein jeber Wenfd) fiep in einem genriffen
©rabe oon feiner Umgebung ergiepen laffen mufe, Wenn er
niept ein ungeniefebater unb unbrauchbarer ©onbetling werben
will, ©ine Snbiüibualität fommt bodp blofe gu ©tanbe ba*
burch, bafe fiep ber ©ingelne mit feiner Umgebung in ber
ipm eigenen SEBeife abfinbet. BJarum finb benn bie meiften
alten Sunggefeüen ©onberlinge? Socp nur beSpalb, weil
ÜRiemanb an ipnen fotoeit Sntereffe nimmt, bafe er fie auf
ipre ©onberbarteiten aufmerffam maept. ©o ift auep bie
Sunft in ber Secabeng fcprutlenhaft geworben, nachbem bie
©efeUfcpaft, Oom ©jiftengfampf übermübet, fein lebpafteS
Sntereffe mepr an ipr napm. Umgefeprt tonnte bie ßunft
ber SRenaiffance ipre unerreichte §öpe nur beSpalb erlangen,
weil fie wirflidpeS SebenSelement war, niept nur für bie
©ebilbeten, fonbern auep für baS Bolf. Wan Oergleicpe boep
nur gunt Beifpiet jenen ©fetStreiber, mit bem Sante in ©treit
gerietp, weil er einige feiner Berfe falfcp recitirt patte, mit
mobernen ©feltreibern, auep poep befolbeten. —
2llfo bie Sunft ift teineSWegS baS ©igentpum einiger
SBeniger, fonbern burep unb burep ©emeingut, baS peifet im
pöcpften ©inne fociat unb nur auS ber etpifepen, ber attruifti*
fcpcit SBeltanfcpauung gu ertlären. Ser Siinftler erftcebt
möglicpft oerbreiteteS Befanntwerben feines SßJerfeS in ©legen*
Wart unb 3 u ^ un ft- gtebt barin bet Allgemeinheit fein
BefteS unb ^eiligfteS, unb, wenn er ein grofeer Äünftler
ift, giebt er eS gang felbftloS. ©r tritt hinter fein SSert
gurüdE.
Siefer leptere Umftanb ift inbeffeit auep ©djulb baran,
bafe wir oft über baS Seben ber gröfeten Weifter faft gar
niept unterrichtet finb, unb uns fo unermefelicpe etpifdje
Schäfte oerloren gehen. Senn ber etpifepe SEBertp eines
SunftwerfcS liegt niept nur in ipm felbft, fonbern audp barin,
toie bet Äünftler eS fcpuf, toie er gu feiner Sünftlerfdjaft
gelangte, toelcpeS feine 3beeit waren, unb wie et biefelben
oerwirflid)te. Sie ©röfee unb ber etpifepe Waafeftab eines
jeben inbioibueHeit SebenS überhaupt liegt boep blofe barin,
toie weit ber ©ingelne feiner innern Berufung, feinen (eitenben
Sbeen gum Siege oerpalf, natürlich mit Berücfficptigung aller
aufeer feiner Wadpt liegenben ©eptoierigfeiten. —
@S feplt uns aber noch an e i net ber Sunft".
Siefelbe müfete gum ßiele iprer gorfdpung toeniger baS
Äünfttoerf felbft maepen als bie grage, wie bie Äünftlet eS
fepufen, unb toaS fie fdpaffen Wollten. Siefe UnterfucpungS*
metpobe müfete, auf aÖe Sänfte, bei allen Böllern unb gu
allen 3 e ' letl angeroanbt, unermefelicpe etpifepe ©dpäfte gu
Sage förbern, bie jeftt latent finb, ©cpäfte oon poper werben*
ber, oorbilbtieper Sraft. 3m Anfcpluffe an eine foltpe
funbamentale „@tpil ber Sunft" wären in bemfetben ©inne
lurge Wonograppien eingelner Weifter gu Oerfaffen. Senn
wer bie Ißerfon beS ÄünftlerS menfplicp näher rücft, bet be»
förbert gunäepft in popein Waafee baS Berftänbnife für feine
SBerfe. Sie ffunft ift ja burdpauS perfönlicp, bie perföntiepfte
SBiüenSäufeerung überhaupt, unb ©pmpatpie für bie Eßerfew
beS StünftlerS läfet uns mitpin in oiet pöperem Wafee feine
SBerfe üerftepen unb geniefeen. Senn:
Digitized by v^. ooQie
Nr. 20.
Die (Begenwart.
315
©lücfltdj b«r 9Ktnfdj, ber frembe ®rö{se fiiljlt,
Unb fie burrf) Siebe madji ju {einer eig'nen.
(örillparjcr)
Vor allem ober würben wir burdf berartige Ginsei«
fotfcßungen um eine SReifjc Don S^ationalfjetbcn bereichert,
beren fittlicßeS Sßorbitb weit über ißre !ünft(erifcl)e Sphäre
ßerauSreicßt. Sft benn ViSmavrf bloß ein Vorbilb für Staats«
männer? ßutßer nur für ©ßeologen? {Rein! — ©ie ftnb
Vorbilbet für uuS 21 He unb jmar für baS rein 23^enfcf)tid)e
in unS, loSgelöft non aller VerufSbilbung unb atlen Ve«
rufSuorit «heilen. ©benfo fittlicl) Dorbilblicß finb unS auch
VeetßoDen, ©oetße, ßeffing. ©enn auch f* e waren gelben.
21 ber wie wenige fennen 5 . V. VeetßoDen’S wahres großem,
ßerrlicßeS Sieben, nicht fein eiitfameS, ärmliches, DerärgerteS
Sunggefcllcnbafein! —
?lußer aller gtage fteht atfo ber üolfSersießevifdje Sertß
ber Sunft im Allgemeinen. Süoit ben einseinen fünften finb
bie populärften ©icßtfunft unb ©onfunft, bie unpopulärften
SRaletci, Viibßauerei unb Vaufunft. ©aS liegt an ber größeren
©cßwierigfeit beS ©enuffeS ber leßteren brei fünfte. Skr
Sort» ober ©onbicßter fcßreibt fein Sert auf; baffelbe wirb
butch Abfcßrift ober ©rud üernielfältigt, unb nun ift eS
gattj gleicßgiltig, ob baS Originalmanufcript längft Dermobert
ift; baS Serf fann aller Orten gleichseitig recitirt, nufgefüßrt,
gefungen ober gefpielt werben, dagegen ift ber ©enuß eines
SBerfeS ber bilbenben Slunft immer nur an bem Orte mög«
lieh, wo eS fuß gerabe befinbet. ©enn bie §onb beS SDfeifterö
felbft hat bie eine Seinwanb, bie eine |>ol}tafct, ben einen
SRarmorblod bearbeitet. {Run finb aber Seinwaub, ^olj
unb SRarmor oergätiglicß, unoergänglich nur baS ©eiftige
beS SftinftwcrteS, ber Seelentßeil, ben ber SReifter hinein«
legte. SRan fönitte bemnach überhaupt nicht Don ber Un*
fterblidjfeit eines bilbenben StünftlerS fpreeßen, wenn nicht
baS ©wige feines SerfeS, bie ber SRaterie anoertraute Sbce,
Don ber {Reprobuction bis ju einem gewiffen ©rabe wieber«
gegeben unb Deroiclfältigt werben fönnte. Am objectioftcn
bem ©eifte beS SReifterS gerecht Wirb Wohl bie meeßantfehe
{Reprobuction burch bie Photographien Verfahren. ®ie
fünftlerifcße {Reprobuction oermittelft ber ©riffelfunft fteHt
baS Sert in ber fubjectio erflärenben Auffaffung beS repro«
bucirenben ÄünftlerS bar. ©aburcf) wirb wohl baS Ver»
ftänbniß bafür beförbert bei bemjenigen, ber baS Original
nicht Derftanb, aber biefer fieht eS aisbann mit ben Augen
eines 3 weiteu, Dicht mit ben eigenen, ©er fünftlerifchen
{Reprobuction fommt alfo ein fclbftftänbiger Stunftwertß ju;
jur {ßopularifirung ber Äunft aber ift bie mechanifche, jubem
niel billigere SReprobuctionSweife Dorjujiehen. {Racßbem nun«
mehr bie ©eeßnit biefer {ReprobuctionSfunft in ber lebten
3eit fich in ungeahnter Seife Deroollfommnet hat, tann man
faft fagen, baß bie Serfe ber bilbenben fiünfte burch bie
{Reprobuctionen, ebenfo wie bie ber ©ießt* unb ©onfunft
burch Vücßet unb {Roten, gleichseitig aus ben »erfdjiebenften
Orten genoffen werben fönnen, alfo bie geffeln beS {Raumes
enbgiltig überwunben haben.
§ierburd) erftehen aber ber {ReprobuctionSfunft unüer«
gleichlich größere focialetßifcße Pflichten wie bisher. Sh«
nächfte Aufgabe wirb wohl immer bie fein, baS inbioibuelle
Sehen fünftlerifdj auSsufcßmüden unb felbft in bie befrei«
benften Soßuungen ArbeitSermübeter einen Strahl s u tragen
ber göttlichen Äunft, bie baS öeben in reinem,. heiterem,
jauchsenbem ©lanse erfchaut.
Aber noch eine anbere große Aufgabe ift ber {Repro«
buctionSfunft Dorbehalten. ©S müßten, etwa im Anfcßluß
an bie VolfSlcfeßalleu, VolfSfunftfammlungen aus {Repro«
buctionen begrünbet werben, ©erartige VolfSfunftßaHeu hätten
nor ben öffentlichen SRufeen mancherlei Vorsüge. 9Rufeen
befinben fich our ’ n wenigen großen Stabten unb finb subem
nteiftenS Sonntags, wenn baS SßolC allein 3eit h at , nur !urse
3eit geöffnet, ©ann Dcrfügt ein SRufeum auch meiftenS nur
über eine befeßränfte 2lnsaht Don SBerfett beffelben ÜReifterS.
©agegen bie SBolfSfunfthallen: SRit Derhältnißmäßig feßr ge«
ringen Soften laffen fid) lȟbfc^e {ReprobuctionSfammlungen
anlegen. Sn jeber noch fo Keinen Stabt ift fomit eine ber«
artige SunfthaQe möglich. {Rehmen wir noch an, baß fid)
mehrere benachbarte Stäbte in ber 2luSWat)l ber 5D?eiftcr
einigen, fo bürfte in Keinem UmfreiS ein recht ^öbfe^er lieber«
btief über bie ©ntwicfelung ber bilbenben Sunft gegeben
werben, ferner geftatten folcße Sammlungen, in bisher un«
befannter, DoUftänbiger SEBeife bie einseinen Sunftepocßen in
ihren prägnanteften Vertretern unb biefe Wieber in ihren
cßronologifch georbneten §auptwer!en Dorsuführen. {pierbutd)
Wirb glei^seitig bargeftellt, wie ber einseine SReifter an fich
gearbeitet unb fich DerDollfommnet hat, unb baS wirft als
fittlicheS Vorbilb weit über bie Sphäre ber Sunft hinaus.
{Run finb bie großen Sünftter alle Sbealiften unb ©lite«
menfdjen gewefen; ißr ganseS SBefen liegt aber in ißren
SBerten. ©in DerftänbnißoolleS Vertiefen in biefelben ift baßer
Don hohem ethifeßen 3G3ertE>e, üerbunben mit löftlichftem ©e«
nuffe. ßur genaueren SUuftrirung bürften Dielfach auch
©etailS ber einsetnen Vilber in Originalgröße ansuwenben
fein, ©iefem Vebürfniß l)ätte fich bie {ReprobuctionSfunft
ansubequemen, fowie überhaupt biefe VolfStunfthallen ißrer«
feits einen äußerft fruchtbringenben ©influß auf bie weitere
©ntfaltung biefer ©ed)ntf auSüben müßten. ©aS ift ein
inbirecter Vortheil ber angeregten Snftitution; ebenfo wirb
öermuthliclj ein ungeahnter Sluffdjwung beS SunftgewerbeS
eintreten müffen burch baS erhöhte tünftlerifche Verftänbniß
unb entfpreeßenbe Vebürfniß beS VolteS. SBie manches Sunft«
genie, baS bisher ungeweeft unb ungeahnt in gewöhnlicher
©ageSarbeit lebte unb ftarb, bürfte burch ben frühen Slnblicf
ber haßen 9Reifterwerfe fidß plö^licß über feine {Berufung Kar
werben, ©och teßren wir su ben Sunftßallen felbft surüd:
©ie VilberDerseicßniffe müßten Keine SReifterwerte fein unb
in tnapper, öerftänblicßfter gorm ber fittlichen unb fünftle«
rifchen Vebeutung jebeS {IReifterS unb jebeS feiner SSBerte ge«
reeßt werben. Sobann müßten häufige Vorträge Don Äunft«
leßrern bie ootßanbenen Schöße bem Verftänbniß beS bodj
äftßetifcß gans ungeübten {ßublicumS näßer bringen. SEBaßr«
ließ ein weites gelb für unfere fo tüchtigen jungen 2 teftße«
titer, bie fieß in ben ©ienft bet großen focialen Sache ftellen
wollen. SEBaS nun bie SluSwaßl ber Sünftler unb ißrer
SBetfe anbetrifft, fo feßeinen mir am meiften sur etßif^en
VoltSersießung berufen bie italienifcßen SIReifter ber Vor«
renaiffance. ©enn in ißneit lebte noch & ie ganse Eingabe
einer unangefochtenen, naiD innigen grömmigteit, unb ba=
buteß wirb ißt Schaffen bem VoltSgemütße am Derftänb«
lidjften bleiben. Ueberßaupt Wären religiöfe StRotioe im 21H«
gemeinen Dorsusießen; eineStßeilS, weil baS Volt bie heilige
©efcßidjte boeß unDergleicßlicß beffer fennt, als bie Seit«
gefeßießte, unb bann bieten bie religiöfen Stoffe an fieß bem
SReifter bie tieffte Veranlaffung sur Snnerlicßfeit. Snbeffen
finb felbftoerftänblidj aueß Weltliche Stoffe in reießfter 2luS*
waßt su bieten mit VeDorsugung ber etßifcßen ÜRotiDe: bei»
fpielSweife beS ^elbenßaften in ber ^riftorie, beS ßiebenS«
Würbig«®utmütßigen im ©enre, beS SraftDoU=SnbiDibueHen
im {ßorträt {Ratürtidft muß in leßter Snftans ber äftßetifcße
Sertß bie StuSwaßl folcßer Serie bebingen. Sn ber Sanb«
f^aft erwäcßft ber {ReprobuctionSfunft noch eine befonberS
ßoße Verufung: Sie foQ im Volle ben Sinn für 5Ratur«
fcßönßeit Weden, ber in fo unoergteicßlichem SRaaße baS Seben
beS ©inseinen oertieft unb innerlich reid) gcftaltct. — ©ans
SU Oermeiben wären {Rubitäten. SRicßt aus {ffrüberie, aber
ber rein tünftlerifche, rußige, bureß fein Vegeßren getrübte
©enuß ber nadten menfcßlicßen Scßönßeit Derlangt eine Diel
größere äftßetifcße {Reife, als man berechtigter Seife bei Un»
gebildeten DorauSfeßen lann. ©aS Voll würbe babureß nur
üerwirrt unb in feinem ©lauben an bie SRoralität ber ft'unft
überhaupt irre gemaeßt Werben. ©iefeS, einige Vemertungen
Digitized by v^. ooQie
316
Die (Gegenwart
ju ber angeregten Sbee non 93olf«funftljanen. berufeneren
überlaffe id) bie »eitere ?ln«arbettung, oor 9lüem bie ftrenge
Sritif in ber 9lu«Waljt unb ?lnorbnung be« überreichen
Waterial«.
SRadjfolgenb jur SOuftrirung bie ©djitberung einer
grä Gingettco ge»ibmeten $lbll|etlung einer fotcfeen $8olf«»
funftljalle: Wit befonberer ©rwartung betritt ber fonntäglidj
gefteibete Arbeiter biefen 9?aum. §at er hoch im berjeid)»
niffe üon einem frommen Wöttdje gelefen, grä ©iooamti
ba giefole, ber oor 400 Sauren in glorenj lebte, unb ben
feine geitgenoffen „tl ©eato ?tngetico“ nannten, „ben Seligen
©ngel": „©enn grä ©iooanni lebte nid)t nur rein »ie
ein ©ngel, fonbern er falj aud) bie ganje Seit mit Ißara«
biefeäaugen, b. Ij. er faf) nur ba« ©ute unb Schöne auf ber
Seit, unb für ba« böfe unb §äfeltd)e fehlte ihm einfach ba«
SBerftänbnife. @r hat nie gemalt, ohne oorljer gebetet ju haben
unb auf feinem ©rabftcine fteht gefdjrieben, bafe er ein noch
befferer ©Ijrift al« Waler ge»efen fei." — ©rft oerwirrt ben
befchauer bie Wenge ber fleinen giguren. ©r tritt näher
feinju unb oertieft fich in biefelben. ®a »irb e« ihm flar,
Wefeijalb fie „beato ?lngelico" nannten ben frommen, lieb*
reichen Wönd). Sie jterlid) halten fich h’ er öie ©ngel an
ben jarten ^änben unb »anbeln einen Üteigen auf blumigen
Sßarabiefe«wiefen! Unb bort ber junge Wönd) in inniger
Umarmung mit einem ©ngel! Unb »eiter ber ^eilanb felber
a(3 ißilger, »ie ihn jroei ©ominifaner mit unau«fprecf)lid)er
greunblidjteit widfommen feetfeen. ©ajwifdien jaf)llofe©ngelDon
himmlifchem Siebrcij. ©ie einen ftreuen mit »eifeen, fcfelanfen
gingern föftlicfee blumen, anbere muftciren in lieblichem ©nt*
jüden jum Sobe be« §öd)ften! Unb nun erft feine Wa*
bonnen! So feljr toar grä Slngclico’« ©eifteSWelt eine Seit
be« ©uten, bafe er Söfewidjter nicht malen tonnte, unb bie
göltenbewohner feine« jüngften ©eridjte« ben ©inbrud machen
oon luftigen Säujen, bie fich einen gaftnadjt«fdjerj ertauben.
— Wit folgen lieblichen Silbern fdjmüdte oor mehr al«
400 fahren ber fromme Wönd) bie fahlen gellen feiner
Drben«brüber. ©urdj ba« offene genfter fdjaute Italien«
leuchtenber blauhimmel hinein, unb ferne üerloren fich im
blauen ©ufte bie fanften Seitenlinien oon giefote’« bügeln,
©a« ade« flaute ber Weifter mit ©ntjüden unb malte
barabiefe«fcenen. Sftodj lad)t un« berfelbe blauhimmel, unb
geblieben ift un« auch, »a« ber fromme Weifter mit (iebenber
Seele gefdjaffen. bertiefen »ir un« in feine bilber, fo leben
»ir auf Womente ein reinere«, holbere«, faft unirbifdj jarte«
©afein, unb bie ©rinnerung baran macht un« beffer. ®a«
alle« ahnt ber einfache befchauer, heiter fchreitet er hinau«.
©ie Sonne fcheint ihm leuchtenber, er freut fich unb toeife
nid)t »arum. —
©iefe« eine beifpiel möge illuftriren, in welcher Seife
bie ©iuroirfung ber bolf«funfthallen gebacht ift.
3ch faffe jum Schlufe meine SBorfdjläge turj jufammen:
©ie Sänfte finb Diel mefer wie bisher jurn ©enufe unb
jur ethifchen ©rjiehung be« bolfe« Ijcranjujiefeen. £nerju
ift e« burchau« erforberlich, bafe bie Sunft wieber in weit'
höherem Wafee ihrem etfeifdjen Sern nach erfannt unb beur*
thcilt werbe, ©ie 2lu«arbeitung einer „@thif bet Sunft" fteht
noch au«; ebenfo fehlen un« Sünftlermortograpljien, Welche
bem tiefinneren gufammenljang jwifdjen ber Seben«fü§rung
unb ben Serien ber Weifter gerecht werben unb al« botf«*
hetbenbüchcr grofeen oorbilblidjen Sertlj erlangen fönnteit.
Specied bie bilbenben Sänfte finb burch bie grofeartige
berooDfommnung ber 9teprobuction«ted)nil ju Diel gröfeerer
focial*etl)ifd)er ©inwirfung al« bi«t)er berufen, ©in Schritt
üorwärt« bürfte hierin mit ber begrünbuitg oon bolf«funft*
hallen gemacht werben, Welche bie Slufgabe hätten, mittelft
Sieprobuctionen ba« 2eben«Werf einjelner Weifter in ihren
§auptmerfen barjufteden, unterftüfct burch entfpredjenb ab*
gefafete Söilberocrjeidjniffe unb häufige erläuternbe borträge,
bielleicht bürfte fich ein ©eil unferer jungen 2Ieftl)etiler biefen
focialen beftrebungen »ibmen unb fomit eine Socijj
tif begrünben, welche in hohem Wafee oerföfjnen
müfete. ©enn fie führt bie Schönheit, bi«her nur '
thum« Dornehmfter ©chmud, aud) in ben Srei«
ju föftlicher beglüdung unb tiefinnerer berebelung.’
<HH-
gfeuiffeiott.
Ijofjes 5pitl.
»adjbrurf
(Bon fouis <£onperns.
AuS bent Hoflänbifchen.
. p
(Jortfepung.)
-9(n jenem 9?ac6miltage r al» ber $önig (ein
Sonnengott probirte, plelt feine Butter i§n nodj einen ^ugenbRin
ihrem Söouboir jurücf. „fBiabimir," Jagte fie örgerfid^, „ic % bab%||nf
93itte an 3Md), nun mir einen Singenblicf allein fmb."
©rftaunt fah er $u ihr empor: fie ^atte mit bem gröfetenfe
bie Anprobe Übermacht, unb fo überrafcfjte ihn benn ihr jäher ärgej
Xon. Schon als ganj fleineS Äinb hatte fie mit biefem Xone
nie auch nur baS ®eringfte erreicht, im ökgentheil, er hatte ftetS
ben SBiberfpruch gemedt. Sie fannte ihren Sohn genug, um __
miffen, unb [it mufete eS auch- «tBaS benn? fragte er 9l«#S
9 erc ^t.
Sie mufete baS, unb hoch fuhr fie in ber nämlichen SdpjjjBeit
fort: „ÖS ift felbftoerftänblid), bafj Qu in Xh^acien thun unb laffen
maS Du min ft. Du bift fein £inb mehr, unb menn Du einmal bo^Mft,
habe ich nichts $u fagen. Aber h^er in meinem $>aufe bift unb HÄft
Du mein Sohn, unb ich oerfange oon Dir, bah Du Dich htcr «Ken
©ünfehen fügen mirft." Schon runzelte er bie trauen, hoch fßjefe
ihm feilte Qt'xt jur örroibevung. „3<h muh frcunblichft bitten’'
fo oiel mit ölena Rammen j c ( nf n ^t fo oft mit ihr $u
unb $u liebeln. Du foinpromittirft fie, unb ich hin, ihrem $ater j
über, für fie oerantmortlich.'*
„3ch flüfterte nie mit ihrl' 4
„Du meifet felbft, bah Du lügft, bah Du immer ein Alleinfein mit
ihr fuepft unb erjmingfl. Du bift ein fchlecpter SRenfd), menn Du ihr
ben $opf üerbrehft. Du fannft fie nicht h^irathen, alfo barfft Du and)
feine Hoffnungen in ihr meefen."
„3ch lann Alles, maS ich mW!" rief er ihr h°<hmütbig iu.
„A3enn ich maS mW, bann fann ith'S auch- Aber ich metfe feine H#
nungen in ihr."
„DaS thuft Du mohl; ich meih, bah eS thuft."
„A3aS hat fie benn gefagt?"
„Nichts, aber ich h°he ®cenfchenfenntnih genug, um mir ein ite
theil ju hüben. 3<h ntuh Dich alfo nochmals freunblichft bitten, fte
fchonen."
„34 fchone nichts unb $lemanb, menn eS mir nicht paht.*
„3fh liebe fie mie eine Dochter. ÖS mürbe mir meh thun,
menn ...”
©ereilt burch ihre S5oite, mar er feuerroth geroorben, unb ein
milber gorn entftedte fein fur^eS profil, feine lauemben fleinen Augen,
feinen ftnnlichcn SDcunb. Die Abern auf feiner Stirn fchmotten an. Ör
fluchte unb metterte. „Du haft nicht baS (Recht, fo mit mir $u fpredjen!"
rief er auS. „3<h oerbrehe ihr ben Stopf nicht. Aber ich tljue, maS ich
miß. 3ch - . ." Schon mollte er fagen: ich hin ber Ä6nig; aber er
hielt baS graufame SBort jurücf. So ftanben SRutter unb Sohn ein*
anber gegenüber, mie $um Kampfe gerüftet. Aber nun er fich i<> ftampf*
haft beherrfept, fonntc er feine ©orte mehr finben, unb fo Derfich ff
Digitized by v^. ooQie
Nr. 20.
Die töegentoart
817
benn mit einem mütfjenben Sltcf unb einem 3rlu4, ba« Sinter, inbem
et bie %f)üxt mit einer SBudjt in’8 warf, ba& ba« ©au« bröhnte.
Sie fanf auf einen Dioan unb ftarrte not ftd) §tn; ein heftiger ©türm
tobte in ihr, allein biefer 3 u f*anb bauerte nur einen Slugenblicf,
bann ftanb fie auf unb flingelte. ©ie wünf4te Siena gu fehen.
Slet4 barauf erfeftien ba« junge 2Räb4*n. 3n unterwürfiger ©al*
tung 6Ueb fie am Eingänge flehen. „Siena," fpra4 bie Königin, „14
bin fehr ungufrieben mit Dir."
Da« 2Räb4en erfdjraf heftig unb faltete wie gu einer ftummen
Sitte bie ©änbe, benn fte liebte bie Königin fo, wie ein f4wa4e« SBefen
ba« ©tarte gu lieben pflegt, unb fte fürstete fi4 oor ihrem Unwillen.
„2Benn ba« fo weiter geht," fuhr bie Königin fort, „f^iefe t4 Di4 nad)
Dhracien gurüd." Dte tränen traten Siena in bie klugen unb ihre
©tintme oerfagte. „SBenn Dir an meinem SBohlwolIen ba« Oeringfte ge*
legen ift," fuhr Sllejanbra fort, „fo meibe ©eine SRajeftät; i4 bitte Did)
barum!"
„©eine SRajeftät . . .?"
„34 bulbe nicht länget, bafj et Di4 überall fu^t. 34 bin für
Di4 oerantwortlidj, deinem Sater gegenüber. Der Sfönig compromtttirt
Di4* 34 will TÄte-fc-täte mehr in meinem Souboir, ^örft Du?"
Da« ^Räbchen rang bie ©änbe unb f4lu4$te laut; bann fanf fie neben
ber Königin nieber unb oerbarg ihr Sefidjt in ben ©änben. SUejanbra
legte ihr bie ©anb auf ben ©djeitel. „9Ba8 ift benn? SBarum weinft
Du?" Slber (Siena fonnte tein SBort h«roorbringen unb erftidte faft an
ihrem ©4luchgen. ,,©aft bu ben Sfönig benn, wirtlich fo lieb?"
(Siena fonnte ihre garte ©eele nicht oerbergen unb ntdte ftumm.
„Du fiehft both ein, bab Du ihn nicht lieben barfft, ni4t wahr?
2Ba« foö benn barau« werben? Dein eigene« Unglücf unb ba« ©einet
SRajefiät." Siena fdjluchgte noch immer.
„SRetn eigene« Unglücf?!" rief fie au«. ,,2Ba« liegt baranl aber
warum muß benn ber Äönig baburd) unglücflich werben?"
„SBetl Du Sebanfen ln ihm wedfi, bie er ni4t haben barf. (Sr ift
ein ftürft unb Du nur ein einfache« 2Räb<hen."
„9lber welche Sebanfen?" fragte fte Ooller Unfchulb. S« fam ihr
ni4t in ben ©ittn, baran hatte fte nie geba4t.
„Die Serbinbung be« fönig« mit ber Sringefftn oon 3ö^tctt ift
fo gut wie abgemacht."
„3a . . . aber ich berftehe (Sure SRajeftät nicht ... 34 weib
wirtlich nl4t . .
Die Königin erhob ftch. „©ei nicht fo uuoernünftig, Siena. Der
ftönlg barf nicht an ein anbere« ^Räbchen benfen, währenb er im Se=
griffe fteht, p4 gunt SBohl feine« Sanbe« unb gu feinem eigenen mit ber
$ringefftn oon Sorten i u oerloben."
„3u feinem eigenen 2Bohl unb feine« Sanbe«? . ." Da« war bie
Sßolttif, bie Siena ni4t Oerftanb, unb bie fie ftet« für4tete, wie eine un*
befannte 3Ra4t. Unb fo bra4te fie nur f4ü4tern bie SBorte herüor:
„Slber ber Äönig benft ni4t an mid), SRajeftät!"
„*Ri4t, mein $tnb?" fagte Sllejanbra mit einem fonberbaren 9lu§=
bruef in ber ©timme. „Dann um fo beffet!" ©ie nahm Siena’« Äopf
gwif4cn ihre fchönen ©änbe, an benen ungählige Singe bltpten, unb
füfite fte auf bie ©tim. „Äontm, mein $Hnb, fei ni4t traurig; unb
güme mir nüpt, bab ich etwa« hart gu Dir fpra4- 34 habe ba«
©lüd meine« ©ohne« im %uge; Du oerftehft ba«, nicht wahr? Sergieb
mir, Siena."
„O SRajeftät! . ."
„&ber Oergib nüpt, worum ich Di4 bat: meibe jebe« 3ufammenfein
mit ©einer 3Rajeftät."
„3a, SRajeftät, ja, ja . . ."
„©ooiel wie Du fannft. Unb nun la|’ mich allein, mein Liebling.
34 habe Uopff4mergen. Sitte, rei4e mir ba« 5läf44e« bort... banfe...
Du bift mir bo4 ni4t bbfe?"
„34/ BRajeftät? £) nein ..."
„tfontnt, einen Äup." Shmbietig bot Siena ihrer fürstlichen Se*
bieterin bie SBange, no4 immer letfe fd)lu4genb, in ben fmaragbgrünen
klugen einen feltfamen $lu«brucf. „Seh nun, mein Äinb." Unb ba«
3Räb4cn floh glei4fam ^intoeg, gang erf4üttert, elenb bi« in bie Diefe ihre«
Knbli4en Semüthe«. Unb oor ihrem geifttgen 5luge ftanb ba« Silb ber
ißringe|fin Oon SUhrien. Die Königin aber, al« fte allein war, ftreefte
P4 bequem auf ben >Dtoan, orbnete bie ©pifcen ihrer 3Ratinde unb ro4
mehrere 2Rale an ihrem g-läfd^c^en. ©ie hatte mirtlüh Äopff4mergen
unb war fehr mübe. (ffortfepung folgt.)
Jtu$ bet ^auptftabt.
Der jönjfte Äradj.
Die ftarfe ©anb.
?lu«f4nitte au« bem $>anbel«theil einer unabhängigen 3 cltun g.
I.
Die Äur«ftürge bauern an unb werben fortbauern, bi« überall
wieber ber fünfill4 überfdjraubte $ur« bem inneren ^Berthe be« Rapier«
entfpri4t. @in Serbre4en an ben Keinen Sapltaliften aber begehen
bie, bie oon 3nterOention«fäufen ber ftarten ^anb phantafiren. Die
großen Sanfen haben lein 3«tereffe baran, oon ber ©peculatton bie
©träfe abguwehren, bie fte für ihre 2lu«fchrettungen oerbient hat;
aufeerbent aber liegt e« ihnen au4 fern, fi4 auf Soften ber Keinen
Sapltaliften gu bereichern unb gu billigen greifen bereu ^Berthe an ft4
gu bringen.
II.
9Bir haben währenb ber gangen Jhtfi« bem Keinen Sapttalifien,
beffen Sntereffc wir gang befonber« oertreten, niemal« geraden, feine
Rapiere lo«guf41agen. Unferem haften 31>eale, ftrenger,' beutf4er
SBahrhaftigleit, unentwegt getreu, Oergeichneten wir ben ftänbigen, no4
lange ni4t beenbeten SRiebergang ber ^urfe, liefen a6er immer bie
Hoffnung hoffen, ba| ein Stngreifen ber ftarten ©anb fie unter Um«
ftänben halten, ja wieber bebeutenb emporfchrauben würbe. $Bir haben
gu ben Seitem unferer groben Santen ba« fefte Sertrauen, bafc fie e«
ni4t ruhig mit anfehen werben, wie eine gelbfdjwache, aber fre4e Saiffe^'
fpeculation SRiüiarben an 9tationalOermögen oerni4tet, unb obgleic©
wir bie Keinen Sapltaliften, wie wir fehl* wohl wtffen, nicht baoon ab*
halten fönnen, fi4 jept mit beträ4tli4e«i Serluft ihrer guten ^Berthe gu
entäubern, fo fönnen wir ihnen, reblid) wie wir nun einmal finb, bo4
auch fetne«meg8 bagu rathen.
III.
Der fleine Sapitalift (affe fi4 ittc©t oerängftigen! 9?a4 bem
jepigen fchledjten Sörfenwetter mub e« wieber grrühling werben; bie
ftarfe ©anb, ba« fönnen wir mit aller Seftimmtheit oerfichern, wirb
eingreifen unb ben einftweilen noch anbauernben ^ur«fturg aufhalten.
9?ur ni4t bange ma4en laffen, Jonbern bie Rapiere ruhig im ©4ranf
behalten. Der Umf4wung fteht beOor, bie ftarfe ©anb wirb helfen.
IV.
2Ba8 wir feit 28o4en oorherfagten, ift geftern eingetreten: bie
$urfe ftürgten in einer SBeife, beren fi4 bie älteften Seute ni4t gu er*
tnnern wußten; ^Riüiarben an 9?ationaloermögen fmb in wenigen
©tunben oerloren gegangen unb werben weiter Oerloren gehen. Denn
bie Ärifi« ift noch lange nicht beenbetü llnfre fiefer wiffen, bab unfre
Srophegeihungen eintreffen; mögen fie fief) gu ihren Sortheil bana4
einri4ten! Sieber jept ein Keiner Serluft al« fpäter ba« gange, fauer
erworbene Sermögen geopfert!
V.
9ln ber heutigen Sörfe fanfen bie ^urfe abermal« rapib, eine
^anif ohne glei4en bra4 au«, infolge maffenhaften Angebote« ©eiten«
be« Keinen Sßrioatpublicum«.
Digitized by v^.ooQle
318
Die (SegeiuDart
Nr. 26.
VI.
3Bq§ wir feit Wochen fo beftimmt vorljerfagten, ift geffern eiit=
getreten: Me ftarfe £attb bot untfaffenbe fäufe vorgenommen, alle
ßurfe, befonberS bie ber Vergroer!S= uub £>ütten=Actten, gingen enorm
in bie #öhe. Unfre Sefer entfinnen ft cf), baß wir baS balbige Eingreifen
ber Hochfinanz als feföftverftänblidj, als nnbebingt ftdjer ntefbeten unb
beßhalb Don überwürzten Angftverfäufen reblicf) abriethen. Wir freuen
unS, unfre Sefer, $an! unfrer Erfahrung, wieberum Vor großen Ver*
lüften bewahrt zu haben unb bitten, auS Erfenntlichfeit bafür, unferem
Platte trofe beS erhöhten AbonnementSpreifeS aud) in ßulunft treu ju
bleiben.
VII.
5)ie $urfe ftiegen heute abermals beträchtlich. £er Gewinn ber
Wannfeegruppe an ihren 3uterVentionSfäufen ift ganz ungeheuer. 9Ran
erfuhr heute übrigens Abfdjlußziffern, in beren Sichte fi<h bie Gefd)äftSs
tage ber leitenben 5Rontanwerthe als unerhört gläuzenb barfteflt. Eine
Hauffeperiobe erften Ranges ftebt bevor.
*
$)ie $iScouto=Eommanbit=Gefelif<haft, beren ShtrS feit 1895 um
60 V. Hunbert gefunfen ift, foH wieber auf bem Sprunge [tehen, tedj*
uifche Erpnbungen non großer Vebeutung ju pnanjitren. 3Me lebten
bebeutfamen Erfinbungen, benen bie Van! fich wibmete, waren Popp'S
3)rucfluft=Patente unb RtanneSmann'S nahtlofe Mähren. ®urch fie unb
burch bie Vetheiligung an ben Venezuela=Eifenbahnen hot bie Van! f. Ql
faft bie Hälfte ihres ActiencapitalS eingebüßt.
Smmerhin bleibt noch bie anbere Hälfte übrig. Eine gtnanziirung
ber Snternationalen Eontpagnie zur Einführung von märtifchem Streu*
fanb in bie Wüfte Sahara, fowie ber Actiengefeüfdjaft zur AuSnufjung
ber patente betr. £erftetlung automatifch einfrierenber Wärmflafd)en
fönnte auch bie noch übrig gebliebenen SftiHionen ber Antheilhaber ge*
räufchloS um bie Ecfe bringen. ®ie fdjließliche Siquibation unb AuS*
fchüttung ber „URaffe" hätte bann entfbrechenb ben erhöhten Grunb*
fäßen ju erfolgen, nach benen ber leitenbe $)irector beS Unternehmens
bisher feine Verfügungen über baS Gelb ber Acttonäre traf: nämlich
mir nichts, bir nichts.
*
— Sie füllten RJontanroerthe laufen, #err Rath — eS ift jejjt
eine günftige Gelegenheit!
— ®an!e — mein bißchen Gelb bringen meine SungenS fchon
burd) — ba^u brauche ich feinen Vanfier!
*
An ber lebten Generalüerfammlung einer großen hefigen Van!
fotT ein Aktionär theilgenommen haben, ber im bringenben Verbacht fteht,
bie betten, bie er bepontrt hat, aud) wirllicfj felber zu befi^en. Strenge
Unterfudjung ift eingeleitet.
*
Radjbem ber H crr $lrector unter minutenlangem, braufenbent
Veifall ber anwefenben Actionäre bie leiber noch immer wenig glänjenbe
Sage ber GefeUfchaft gefchilbert hot, erhebt fich «*n ^hsilnehmer. „3$
glaube", fagt er, „im tarnen aller Anwefenben ju fpredjett, wenn ich
bem hochverehrten §errn Präfibenten für bie gerabeju geniale Seitung
ber Gefchäfte unb aufopfernbe Wahrnehmung unferer gntereffen meinen
aufrichtigen, bewunbernben $>an! auSbrücfe." 3)er 2)irector winft be=
fdjeiben unb gerührt ab. Seiber Verfteht ber Zehner bie Honbbewegung
falfch unb ruft ärgerlich auS: „Ra, hören Sie mal — für jehn 9Ra rf
fönnen Sie hoch nicht mehr verlangen!"
*
Unter ben Sinben h°t ein geriebener Spipbube fchon wieber ein
Vanfgefchäft aufgemad)t.
diesmal mit bem Stemmeifen.
*
Währenb ber bevorftehenben Wahlcampagne in 3lolien beobfi^Ugt
Signor EriSpi fich in Vegleitung mehrerer Vanlbirectoren, Senatoren
uub Abgeorbneten nad) Apulien unb Von bort nach Sicilien ju begeben.
3Me vorjährige SeitungSnadjricht, baß in jenen Ve^irfen halb wieber
Vrigantenhorbcn auftauchen würben, hat fid) alfo überrafchenb fehnefl
beftätigt.
*
Eine anntuthige Scherzfrage unterhielt neulich aufs Vefte bie
jurn Iepten Saifonbiner zahlreich tvie immer erfdjienenen greunbe unb
greunbinnen eines ber beliebteften Wannfee=Elubbiften.
„Warum taugt Raphael viel mehr zum 9Raler als zum Vanfier?"
fragte Herrn Greifzu ein 9Ritglieb ber oberen 3 c $utaufenb, bie bei ben
Pfunb=9Riflionären anfangen.
„Raphael wäre befanntlich auch ohne ^änbe ber größte SRaler
geworben; ein großer Vanfier hätte er bagegen ohne £änbe nie werben
fönnen/ 1 war bie von einer bezeidjnenben Gefte begleitete Antwort beS
gefchäftSfunbigen Herrn.
*
Xroft in
Wer fich als Gauner
'neu tarnen macht,
2)er nehme bei Seiten
Auf bieS Vebacht:
Er laffe liegen,'
WaS allzu flein
Unb ftehle niemals
3m 3Ronbenfchein.
Er thu’S nur bei 2:age;
Unb eiferbefeelt
Veacht' er, baß nie ihm
$ie Vörfenfart' fehlt.
5)enu wer zur Nachtzeit
®en Dietrich umfrallt,
5)en ftedt in’S 3u<htb a uS
$)er Staatsanwalt.
% hränen.
Wer frentber Xajche
Entnimmt'S Portemonnaie,
3Ruß Wolle zupfen,
Unb baS thut weh,
Wirb Von ber Gefeflfchaft
AuSgefpien,
ES fümmert fein Teufel
Sich mehr um ihn. —
Wer aber Millionen
Stiehlt, fo lang'S tagt,
Unb brelften $iebftahl
Ganz öffentlich wagt,
S)eß 9?ame wirb ewig
£>ellglänzenb ftehn,
S)em fattn eS ruhig
3Ral f^lecht ergehn.
5)enn faßt man ihn bod) mal
Unb fällt er hinein,
3)ann rettet unb fdjüpt ihn
$er StempeUVerein.
prtn 3 Pogelfrei.
Dramatifdje ^nfffi^rungen.
„Onfel Xoni." ^omöbic in vier Aufzügen Von E. ÄarlwciS.
(Gaftfpiel beS ^eutfepen VoIfStheaterS in Wien am hiefigen j^eutfdjen
X§eater.) — „Scpwarmgeifter." ^ragöbie in fünf Aufzügen von
$arl Weitbrecht. ($gl. SchaufpielhauS.)
®ie Herren Vrahrn unb Vucowicz hoben heuer für bie grüblingfc
Zeit, wo baS Gebränge in ben Viergärten erfahrungsgemäß immer
größer ift als an ben Xheatercaffen, einen ganz befpnberen Xricf er*
funben. Sie vertaufdpen einfad) bie Stätte ihres gefegneten XhunS;
Vrahm fuhr mit feinen realiftifd) erzogenen TOmen, feinen Probe*
canbibaten unb Gefpenftern nach bem Wiener Weghuberparf, unb bafür
famen grau Obilon, bie Von Manchem nod) Unvergeffene, unb grau
jRettp nach ber Scbumannftraße. AIS befottbere Senfation ^at baS
Gaftfpiel bis jept aHerbiitgS nidjt gewirft, unb bie fpeculatioen 3)irec=
toren hoben vielleicht einen Rechenfehler mehr zu bereuen. Ric^tSbefto*
weniger verbient unfern ^anf, wer Äünftler wie Riartinelli ihr großes
können auch einmal in Verliit zeigen läßt. 3ut $inblid auf bieftn
wunberfanten Anzengruberfpieler überfahen wir milbe bie ^hatfacht,
baß bem Enfemble von feinen früheren Stiipen bie ftärfften verbrat
gegangen fiub, unb baß bie beiben Samen, um berentmiüen Enterich
eigentlich ben 3 u g unternahm, bisher zkmlich hochgrabig enttäufc|tai.
Digitized by v^.ooQle
Nr. 20.
Ute <$e$etttt>ari
319
grau Dbiloti ßat Vracco’S befamtten Eßebrud)Sfpaß „Untreu"
grünbitt mißberftanben, inbem fie bie magßalfige italienifcfte Gräfin
im ©tßl eines Verliner ©oppegartenS=3RäbelS gab, bent nid)tS 9)ienft=
lüßeS meßr frcmb ift, unb grau IRcttp ift anpßeinenb auf ber ©tufe
ber Entmidlung fielen geblieben, bie fie unter L'Arronge erflontmen
ßätte. greilit bot ißr baS erfte ©tücf, morin mir fte mieberfaßen,
ftarlmeiS' „Dnfel $oni", fauttt eine Eelegenßeit gur Entfaltung jd)au=
fpielerifter Talente. $arlmeiS ift, mie ntan miffen follte, ber Siener
AriftopßaneS, unb baS in bemfelben 9Kaße, mie Ebermann ber Siener
©tiHer, ©ofmannStßal ber Siener Eoetße ift. deiner biejer $>onau=
bitter, bie fit bot anefamntt fo erpßredlit mobern geberben, ßat bon
ber neuen Shtnft etmaS ^rofitirt ober fit im Ernft mit ißr auSeinanbet*
gufepen berfutt. 2)er AriftopßaneS ftarlmeiS feßöpft nußt nur feine
©toffe, fonbem auch feine Xetnif auS bem 3aßre 1873. Er ßßeibet
bie Erbenbemoßner in Xeufel unb Engel; grauSlite Vöfemitte bebroßen
bie phneemeiße Xugenb, bie aber in ber berlotterten Umgebung, in
©tmup unb ©tmat ihre Vlanfßeit ffedenloS bemaßrt. 1873 mar eS
au<ß dRobe, VolfSftüde in ber Sei je gu ergeugen, baß man unbermittelt
an roilbe ©arlefinaben unb unmögliche Affentßeaterei ©eenen bod
ßötfter ©entinientalität unb getragenen EmfteS heftete. 9Ran hielt
biefc abpßeulite ©t^Ilofiafeit bamalS für bie rechte SRipßung, unb
o teunber — ©err flarfmeiS ^ält fie aut heute noch bafür. 9htr
nennt er, maS früher VolfSftüd ßieß, jept bomehnt „ßomöbie". Er hat
eben hoch etmaS bott ber SRoberne proptirt.
92och immer fehlt unS baS Luftfpiel ober bie ^offe bon ber Vörfe.
Unfere ©djmanfmaeßer gleichen fcheu an bem prächtigen ©toffe borbei
unb begnügen fit meiter mit ber ©djmiegermutter, bem Lieutenant,
bem Vadfift unb bem gerftreuten Vrofeffor. 9hir bie gang Sage-
muthigen riSfiren gumeilen eine Anfpielung auf Miguel unb bie bbhen
©teuem ober einen ©terg über bie Vlöp^Eigarre. ©ie bergeffen nie,
baß baS Eaffenbudetin bon ber ©tintniung ber ginangßerren abhängt
unb baß fein dichter beliebt toirb ohne fie unb ihre kanten. Unfere
©pehilanten genießen baSjclbe Vorrecht toie bie ©oßengodern=giirften:
man barf fie nicht ohne ihre ober ihrer Erben auSbriidlite Eeneßmigung
auf bie Sühne bringen. 5)ie Vörfe ift, fo hören unb lefeu mir alltäg?
lieh, baS ©erg beS mobernen SirtßphaftSlebenS; Vörfeninterefjen ent=
fcheiben über bie ©chicffale ber Völfcr, über $rieg unb grieben —
für ben $)ramatifer aber finb fie nicht borhanben. Sel)e bem $eden,
ber bie SDtyftcrien ber Vurgftraße unb beS ©tottenringeS luftig im
t oßlfpiegcl feiner $omöbien mieber gäbe! Voßfott unb lebenslängliche^
objeßmeigen märe bie Antmort. $a fcheint eS benn faft todfüßn bott
$ar!meiS, baß er fid) an bie Eemaltigen magt. Aber er meint eS nicht
böfe. Er beftränft fich barauf, einen Qobberer gu geitnen, ber mit
feinem grieblänber ober ©otnmerfelb aud) nur entfernte Aeßnlitfeit hat;
beim Setradjten biejeS SaumauS tann fich SRiemanb pßotograpßift ge=*
troffen fühlen. Unb alle ©djärfe feiner ftmatmütßtgen ©atire gießt ber
Verfaffer über ben bemußten gräflichen $)umntfopf auS, ber fich öaju
üerleiten läßt, gegen geringes ^rinfgelb mit feinem abligen Hainen bie
anrüchigften ©peculationen gu beefen. gßu läßt $arlmei3 faum minuten^
lang uon ber ©eene Oerfcßminben — bann bie mitleiblofe Verhöhnung biefeS
Oerlumpten ^Iriftofraten^rottelS muß im bürgerlich refpectablen $arfett
miehemben 3ubel entfachen. Seil aber hoppelt genäht beffer hält, mirb
bem oerfommenen Erafen noch ein ebenfo elenbeS, jüngeres greiperrn^
3nbioibuum attaeßirt, baS unter braufenbem Eelädjter erflären muß, auS
©tanbeSrüdficßten ba$u gejmungen ju fein, ben gebanfenlofen ©eßmaroper
unb hoeßnäfigen 3bioten j*u fpielen. Er ßat außerbem bie eßrenoolle Auf¬
gabe, fieß Don bem ßoeßanftänbigen jungen Vepräjentanten beS aufgeflärten
unb freifinnigen SitrgerthumS, bem freu§braoeit ©oßne beS obenermähnten
Sörjenbanbiten, bemüthig bie gröbften Seleibigungen fagen ju laffen
unb bem Seleibiger obenbrein feine greunbfcßaft au ben ©als §u merfen.
®en lepten ^rgmoßn, ben ein SDTißtrauifd^cr ßinficßtlicß feiner Ee=
fmnungStücßtigfeit ßegen fönnte, jerftreut ^arlmeiS baburd), baß er ben
SlufficßtSrath feiner ©cßminbelgefellfchaft mit Serien ooit polijeimibriger
©cßäbigfeit bejept. ©armlofe Leute mögen baS für bejonberS feßarfe
©atire halten, in Sirflicßfeit breeßen fo unfinnige unb burcßficßtige
Uebertreibungen ber ©atire ben ©als.
ES feßlt bem ©tüd nießt an guten unb mipigen Einfällen, aber
eS feßlt ißm boflfommen an lünftlerifcßer Eßrlicßfeit unb Eemiffen=
ßaftigleit. ÄarlmeiS fdjiebt bie Sßerfonen mie S u ßß en bureßeinanber:
gtoei junge Leute nobelfter $rt oerßeirathen fid) auf Sefeßl ißrer
gaunerifcßeit Väter, baS ftolje ^äbcßeu nimmt innerhalb fünf Minuten
ben aufgebrungenen, irrtümlicher Seife Oon ißr oeraeßteten 9ftann,
gönnt ißm jeboeß nießt einmal $mei Sorte, bie"er gu feiner 9?ecßt=
fertigung fagen mill. S^acß ber ©ocßjeit amüfirt fie fid) auf eigene gauft
mit Vettent unb Vafen, unb ber belifate Eatte rüßrt fie fo menig an,
mie SßiUpp Verblaß bie marmorfcßöite Elaire anriißrte. Von irgeitb=
melcßer ptpcßologifchen Entmidelung unb Vegriiubung ift nießt einmal
üorübergeßenb bie 9tebe. 3^an möchte Don einer naiben Xecßuif fpreeßen,
aber Unfäßigfeit unb bilettantijcße plumpe Eeriffenßeit ift feine 9?aibetät.
Senn man fdßon baneben ßaut, bann foll man'S eßrlicß unb oßne
Umftänbe tßun, mie ber ©tuttgarter Seitbrecßt in feinem betrübenben
f oßlßaaS^rama, baS in fcßlecßten 3amben gefcßricben unb beßßalb Dom
föniglicßen ©cßaufpielßaufe jur §luffüßrung angenommen morben ift.
$)ie ÄoßlßaaSmär fennt aut ber 57icßtmärfer auS ©einridjS D. $leift
prächtiger, in’S 3J2arf beS ©toffeS bringenber 9ioDede. S)er feelenfunbige
$oet ßat mit feiner unb boeß fo fcßlicßter Äunft alle gäben bloßgelegt,
barauS fieß ber ftarr fein Vecßt begeßrenbe Vecßtfenner felber ben ©trid
breßt. Seitbrecßt mar mit ber Einfachheit beS VormurfeS menig jufrieben.
©ein 5loßlßaaS läßt fit Don einer irrfinnigen ©tmärmerin überrebcit,
nitt nur baS eigene jftett, fonbem überhaupt aller Vebrängten, aller
Unterbrüdten 9tett 511 forbern unb ju Dertßeibigen. Nebenbei münftt bie
junge 2)ante, Don ißm jur Königin beS neu $u begrünbenben EotteS=
reiteS gefrönt ju merben. 97ad) ermiibenbem ©in unb ©er, uatbem ber
immer gefabene, nie fdjiebbare ©elb jreulid) getobt unb mit holten nnb
Siftolen bie s D^enftßeit auf ber Vußne über Eebüßr geängftigt ßat,
beläftigt er nod) einen ganzen 91ct ßinburt ben guten Dt. Lutßer in
Sittenberg. Dr. Martin Derfpritt, ißm fein 9lett beim Surfürften ju
ftaffen, maS ÄoßlßaaS abmedjfelnb freubig unb Derbrießlit ftimint; im
ilebrigen ftellt fit ber Slufjua als ein jornmütßiger Vingfampf
gmiften ben ©timmmittelu ber ©erren SRolenar unb ÜlfatfomSft) bar.
3eber Don ißnen fepte bie lepte $raft baran, ben Eegner ßeifer 5 U
maten, bot blieb baS ©teten unentfeßieben. ^atßer befamen mir not
ftoßlßaafen'S Einfall in Sittenberg, feine Eefangennaßme unb feinen
2:ob ju feßen; aut bie curiofe junge $ame, bie ißm raftloS natüef
unb ißn am Enbe bot nitt mollte, erlag Derßältnißmäßig früßgeitig
einem erlöfenben 2 )oltftoße. — ©err Seitbrett fteßt ben gorberungen
beS $)ramaS mit faft imponirenber ©iilflofigfeit gegenüber. Er ßätte
unS geigen müffen, mie feoßlßaaS gum ratfüttigen Verbreter marb,
mie man ißn fpftematift, bunß unerhört freeße IRettSbeugungen in
9?att unb Vergmeiflung ßineinßepte. ©tatt beffen ergäßlt er unS un=
aufßörlit Don feinen fleinen unb großen SRiffetßaten, bie unS ben 9ftann
als eine unfpmpatßtfte, morb^ unb frafeßduftige Veftie erfteinen laffen.
©tatt beffen geigt er ißn als ßaltlofen Xropf, ber fit leicht jebem Ein*
fluffe beugt unb feinen ßiftorifdßen ©tarrfinn nur bureß fortgefepte, miifte
unb brößnenbe ©tintpfereien gu erfennen giebt. ©ton eße ißm Lutßer
im britten ?lcte bie feßönen ftraftmorte: „©alt 3)ein ÜRaul, 5)eiit lofeS
ÜJfaul!" guruft, ift ber geplagte ©örer bagu geneigt. 3 ^mer nur Dteben,
feitenlange 9teben in einem guge, praffeln auf ißn nieber; niemals geftaltet
pt aut bloß eine eingige, bramatift gebatte ober menigftenS tßeater=
mirffame ©eene. Sir emppnbcn Dor ©erm ^Srofeffor Scltbrett unb
feinen fonftigen Leiftungeu eßrüte ©oeßattung. liefen Dtefpect ßätte
aut baS föuiglite ©taufpielßauS ßaben unb beßßalb baS Döflig Der=
‘fehlte 3)rama nitt gur Aufführung bringen follen. ©errn Seitbrett'S
Anfeßen märe bann unerfeßüttert geblieben.
Vurenlieber. .Von grip Lienßarb. (Verlin, E. ©. 5Jteßer.)
®er junge Elfäffer Witter, ber fo mutßig unb unermüblit für beutfte
Art unb ßunft fogar in Verlin, biefer ©tabt ber ©eimatßlofen, fämpft,
mo er mit feiner nationalen ©tmärmerei fo gang unb gar nitt ßin=
paßt, ift unferen Lefern fein grember, benn mir ßaben mieberßolt auf
feine S)id)tungen ßingemiefen. ®iefe Vurenlieber ftücßen pt mürblg
feinen ftönen SaSgaufaßrten unb föorblanbSltebem an. ©eine Verfe
pnb in ißrer Vegeifterung immer eßrlit unb pßrafenfrei, lebenSfrift
unb menn eS fein muß berb, fnapp oft bis gum LaconiSmuS, formpßön
unb ftimmungSreit, empfunben unb barum gum ©ergen geßenb. $>er
entlegene fübafrifanipße ©toff ift intuitiD erfaßt, unb tppipß mie
inbiDtbuell mirb baS fRUßtige getroffen, menigftenS geßt unfere Emppn=
‘bung immer oßne Vebenfen mit, unb baS Vilb runbet pt farbig unb
ßarmonift- ^ßrättig gelungen ift ber rßptßmift beflügelte 9?eitcr=
marft, ergreifenb baS furge Eebet, „baß mir mit Eßren faden 9J?anit
für SRann", ftlitl öaS Lieb Dom San Äof, ber bei ElaanbSlaagtc mit
ber Vibel unterm Otode pel, fangbar ber ^reiS ber Vurenfrauen,
„braun Don Luft unb Sinb, ßot unb unbergagt unb ftarf genug",
unb Dor Allem padenb 2)er junge Vur, bot ftört unS ßter „beS
Vurften IRaufer in bie $tefe fpritt" unb „Er flogt mit feinem
dftaufer", meil bei bem urprofaipßen tarnen alle ©timmung gum Teufel
geßt. „^Rit feiner beutften glinte" märe Don unmittelbarerer Sirfung.
2)aS Vütlcin erfteint gum Veften beS nieberbeutpßen VruberDolfeS
unb fei [ton barum marm empfohlen.
Digitized by v^ooQie
320
ie C&egetuflttrl.
SD
Nr. 20.
jtnaetn««.
»ei »«Bettungen berufe man (Wj auf bte
,.®tgemoart , ‘.
eyMyagkek gkgyyagkekgk
iiiHnttgTnmüi]jiiiiiiiiiiiiHnBiinininiiiHiiimuiiiiinniHiiiiiitutniiiunnunm!Mutwiiii;uiniimmnnimtiiiM^>: i
$unbert Oriatnal«©utatften
o. ftreunb u. getnb: ©jörnfon
©ranbel ©firner ttri«pt X)a^n
Raubet Cgibb gontane ®rotb
§aetfel fcartmann $ebfe 3or=
tm ban JHbltnfl ßeoucQüaüo Sin*
bau Sombrofo WefätfcberMl
t IRigra Vorbau OUtDter fetten»
4 ,vE-itivll- fofer ©aiigOuxb ©ienfiewici
©tmon Cpencer 6plel$agen
©tanleb ©tocder ©tTtnbberg
|CIICI 4|UI|CII(fCI. 6uttner ©tlbenbrud) ©enter
Bola u. b. Ä.
Sieg. gelj. 2 SRt. oom 8«v(«f l«t tttwart,
©erlln W. 67.
Verlag oott Söil^elttt £erfc in Berlin.
©oeben erfd)ien:
#eorg oott ^uttfett.
©in Sharafterbilb au« bcm Säger ber
©cfiegten, gezeichnet Oon feiner Xorf)ter
Part« oon
22 ©ogeit Dftaü.
Mit ©udjfchmucf Oon Marie Oon ©uitfen
unb einem Porträt in £>eliograoüre.
©eheftet 6 M. ©ebunben 7 M.
€res acht
toirb ein ^ebactenr für eine
©erltner grauenzeltung. Xäglidj ©ormtttag«
brei ©ureaufiunben. 3ahre«gehalt 4800 Marf
unb jährlich zweimal oterzehn Xage Serien.
Angebote mit Angabe bisheriger Nebactton«?
©teüungen unb perfönlicher wie brieflicher
©chriftftefler=©efanntfchaften unter €. H. 972
burtf) Haasenstein & Vogler, A.-G., Ber¬
lin, W. 8.
Manuscripte.
3ur ©erlag«übernabnte öon Manu?
feripten hiftorifdber, poltttfcfjer, fd)öniüiffen=
fdjaftlidicr tc. Nicfjtung empfiehlt fid) bie
©erlag«tnid)haubhing oon
Kichard Sattler, $raunfrijnmg.
(©egrünbet 1883).
Stottern
heilen dauernd Dir. O. Denhardt’s
Anstalten Dresden-Los ob wltz und
Burgateinfurt, Westf. Herrl che Lage.
Honor. naob Hei lg. Prospecte gratis,
▲oltdste ataatl. durch S. M. Kaiser
Wilhelm Z aosgezeichn. Anst Deutsch!.
^Ifab. geb. ©chriftfteüer, bi«h- publtcift.
(fiter. flrttif) in Berlin thätig, energ. getoiffen?
hafte ?lrbeit«fraft, Oorj. ©prad)fenntniffe (fran?
jöfifd), engiifcf)), #e*fefter etenograpb,
ÜRafdiittestftfireifrer (.frammonb), fucht unt.
befd|. fcnfpr. in fflcDattion, Xhcaterfctrrtarlat.
©crl. ©uchbblg., lirerar. Jnftit. tc. ©teflung.
Offert, an b. ©£p. b. ©egemonrt unt. A. (*. \
©cronnoorUlc^er ttebacteur: Dr. S$eop$U ßoHIng tn ©erlht.
„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen KranKheitsersoheinungezi
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürliehem Mineralwasser hergestellt und dadurch^
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre;
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von g / 4 1 75 Pf. in
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr* Carb&ch h Cie.
Bad Reinerz,
klimatischer, waldreicher Höhen-Kurort — 568 Meter — in einem
schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Glatz, mit kohlensänrereichen Eisen-Trink-
u. Bade-Quellen, Mineral-, Moor-, Douehe- u. Dampf-Bädern, Kaltwasser-Procelaren,
ferner eine vorzügliche Molken-, Milch- u. Kefyr-Kur -Anstalt. Hochquellenleitung
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmnngs- u. Verdauungsorgane, zur Ver¬
besserung der Ernährung u. der Constitution, Beseitigung rheumatisch-giehtlMlier
Leiden u. der Folgen entzündl. Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang Mai. Prosp. gratis.
Königliches Bad Oeynhausen.
©ommer* u. SBinter=ffurort. ©tation
ber fiinien ©erlin=£öln unb Söhne?
#ilbe«heim. ©ommerfaifono. lö.Mai
bi« ©nbe ©ept. SBinterfur oom 1. Oft. bi« Mitte Mat. fturmütel: Saturn, fohlenf. Xhwmalbäber,
©ootbtiber, ©oof=3nhalatorium, ©SeQenbäber, ©rabivluft, Mebicomechan. 3anberinftitui, Nöntaen?
fantmer, oorjügl. Mollen? u. Milchfuranftalt. Neue« Xijrrmalbubcfjaua am 15. Mai 1900 eröffnet.
3nbifationen: ©rlranfungen ber Heroen, be« ®ehimS u. dürfen mar f«, ©icht, Mu«teU u. ©elcnfc
rt)euinati«mu« f ^crjfranfhetten. ©frophulofe, Shtflmie, djron. ©elenfentiiiiibungen, gfrauenfranfh-
V urfapede; 42 Mufifer, 120 borgen Sfurparf, ctgeneö Rurthrater, 53äfle f Äonjerte. «Ugemeine
^afferleit. u. ©chioemmfanalifation. ^rofp. u. Sefchreibung überf. frei bie Egl. ©aDfOrrmaltusig.
rAi *y\i*/\y r/ VV^r\v +y \TPy\v *■ At e* /\y */SJ*y V»’ir r/ v 7» ir ' r
S)it @c«cnU)art 1872 - 1892 .
Um unfer Säger jn räumen, bieten mir nuferen Abonnenten eine gftnfUge
(Gelegenheit jur ©erooüftänbigung ber SoOcction. So meit ber Sorratb reicht,
liefern mir bie Jahrgänge 1872—1892 & 6 SW. (ftatt 18 SW.), $a(bjahr*<
Sänbe k 3 SW. (ftatt 9 SW.). (Gebunbene Jahrgänge k 8 SW.
©erlag Bet ©egeirtuart in ©etlin W, 57.
Qn unferem Söerlag ift erfcf)tenen:
»«» fcii
pe (Kegeimmrt.
|t für eitetofai. fluuft not Iflrtthtbrf teben.
Sfifrel-fitfliftr 1872 - 1896 .
(Shrfter biü fünfsigftcr ©anb.
Mit Nachträgen • 1897—99. ©eh- 5 Jf
©in bibliographifche« 2Serf erften
Nange« über ba« gefammte öffentliche,
geiftige nnb fünftlerifche fieben ber lepten
25 Qahre. Nothtuenbige« Naihfcblagebucb
für bie 2efer ber „©eaenroart", foroie
für ttJtffenfchaftliche k. arbeiten, lieber
10,000 9lrtifel, nach Rächern, SSerfaffern,
©chlagmörtern georbnet. Xie Autoren
Pfeubonpmer unb önonpmev ^Irtifel finb
Durchweg genannt. Unentbehrlich für
jebe Sibliothef.
9lud) bireft gegen $oftanwetfung ober
Nachnahme oom
Oerlag ber C&egenroart.
»erltn W 57.
— TkfliinflB«kH •
Technikum Jlmenaal
fli IinIIim- ul Btklr«-
lagfUtr y-T—kiftf ■.~Work»#lst«r.|
1 Dlrcclor
Jisntdt« llichfolgrt.
o nt a n
Oon
■gl^eop^iC ^oltirtß.
19" Dclkaudgabc.
?Jrci« 3 Marf. ©chön gebunben 4 Mart.
Xiefer 53i«ntarcf=©aprloi?Neman, ber in
inenigen fahren fünf ftarfe Auflagen erlebt,
erfcheint hier in einer um bie £>älfte billigeren
53olf«au«gabe.
Xurch ade 33uchhanblungen ober gegen ©in»
enbtmg be« betrag« poftfreie 3 u f c ttbung oom
Uerldg 4 er 6 egeiWdft,
©erltn W. 57.
ftebaettott unb $£pebttton: ©erltn W. t Wanftrinftrabe 7.
Snu! Don A ©eder tk'fi
Digitized by
Google
M 21 .
33er Cut, ben 26. $ttai 1900.
vs*
9 29. Jahrgang.
/J^pd 57.
Pie Gkrpumrt
2ßodjenfdjrift für Siteratur, Kunft unb öffentliche^ geben.
/X
O/'
^etausgegeßett t>on $0eof>QU ^offlng.
, leben Imnubenb erfdjttot etne pnratr.
8» beiteten burc$ alle ©u<$lj(mblungen unb ©ojldmter.
Vertag ber ©egenroart in Berlin W, 57.
#tfrM|ii&rttd) 4 ». 50 *f. §tiu immer 50 #f.
3n|erate lebet ttrt pro 8 gehaltene ©ettt^eile 80 ©f.
5)a8 ©djttffal ber lex $ein$e. ®on SKidjatb ?8ulcfcni>. — ©ine ©mancipirte. $on $arl 3agufc6. — Literatur nnb Run ft.
Qt tL Ci. f van iönid)e Malerei auf ber ^arifer SBcttauSftenung. SSon 91. 93runnemaim ($ari$). — Xolftoi’ä Stellung, $ut Runft.
litt Mt* ^ on Dr * SBobe (Weimar). — ftcntllfton. £>ol)e§ ©pief. $on 2oui$ ©ouperuS. 9lu8 bem £olIänbtut)en. (&orts
fepung.) — 9ht£ Der (anjitftaDt. $er ftarfe Sflann. SBon Jtmon b. 3. — SSon ben großen berliner ©ommer=Runftau8=
ftettungen. $on 3- korben. — Sinnigen.
Das S<fetdt|al ber lex tjeittje.
Sou Hidjarb IPulrforo.
‘©ie unglüdfelige lex ,<peinjc b at unter onbern t)5c£)ft
unerfreulichen (Srfdjein ungen aud) bie einer parlamentarifdjcn
Dbftruction gejeitigt, jum erften Vfale in unferem Der«
faffungSmäfeigen politifdjen geben. ®et Vorgang ift beadjtenS«
mertf) unb nid)t fo leidjt ju nehmen. ®enn eS galt biötjcr
als unumftöfelicher ©runbfag im Parlament, fid) unter allen
Umftänben bem Votum ber VbftimmungSmafchine ju unter«
teerten unb bamit bem Parlamentarismus bie unbebingte
f>od}ad)tung ju erteeifen, bie er ju beanfpruchen bat. @3
läfet fid) nun aber nidjt leugnen, bafe biefe tpodbacfetung beS
Parlamentarismus in ber legten $eit fo manchen empfinb«
lieben Stofe erlitten bat, bafe befonberS ber parlamentarifcbe
■Jon bereits auf einen geteiffen Siefftanb gefommen ift, ber
ju 3eiten eines ©imfon, Vamberger, SaSfer, SBinbt^orft un=
möglich gemefen wäre. VJenn fürjlid) ber confcroatiDe ?lb«
georbnete Kropatfcfeef ber oppofitionellen Sinfen „3Kaul halten"
jurief, fo ift baS ein um fo mehr betrübenbeö ßeidjen, als
ber Stufet als ©feefrebacteur ber Kreujjettung eine öffentliche
perfönlidjfeit ift, bie bie Verpflichtung bat, baS decorum
unter allen Umftänben aufrecht ju erhalten, überbieS aber
feines 3eid)en8 fßäbagog ift. ®eteife ift einem Sieben ber
Dbftructioniften ftar geroefen, bafe burdj fein Vorgeben ber
conftitutionede SRedjaniSmuS (ahm gelegt unb baS Derbrieftc
fRetijt ber fDiajorität fchrcer oerlegt toirb; eS ift aber als er«
tlärenbcr unb milbernber ®runb geltenb ju machen, bafe baS
berjweifelte 3Jfittel tbatfädjlicfe bie (egte 9luSfunft unb baS
einjige ÜJtittel toar, um bie nötige 3eit für baS Vnwacfefen
ber enblich erwachten unb ftarE arbeitenben Vercegung ju ge«
Winnen, unb fich Don ber momentanen, ber Vorlage günftigen
SDtajorität nicht überfluten ju (affen. (SS war ju baffen,
bafe ber gewaltig fich regenben Dppofition gegenüber ber
VunbeSrath, Dielleicht aud) eine anbere bofee ©teUe, Don bem
®efeg Slbftanb nehmen mürbe, wie eS ja Dor Dier Saferen
mit bem rüdläufigen 3eblig’fcfee n ©chulgefegentteurf ber gaü
gewefen war.
©ölte Hoffnungen hatten um fo eher Verewigung, als
bie ®enefiS ber Vorlage eine gar feltene unb eigenartige war.
äJtan wollte junäefeft nichts VnbereS, als burch eine ftrengere
®efeggebung bie SRißftänbe unb Vlibetwärtigfeiten ber lauf«
lieben „Siebe" (3ubä(tertbum) einfehränfen, unb man gelangte
baju, biefeS an fich einwanbfreie Vorgeben in einen Kampf
ju Derwanbeln, gegen eine, geteiffen geftrengen sperren un«
bequem ober bebenflich erfebeinenbe fRicfetung in ber Kunft
unb Siteratur. Um biefer überrafefeenben üluSbefenung beS
Kampfgebietes nun flüglidj Dorjuarbeiten, bebiente man fich
immer unb immer wieber beS VJorteS „©innlichfeit" als
eines böfen geinbeS, bem ber Kampf gelten fode. 50?an that
fo, als fei ©innlichfeit an fid) fc^on eine ©ünbe unb ein
Kampf gegen fie ein DerbienftlicheS VJerf. ®a War eS benn
nid)t wunberbar, bafe bie gegen bie Vorlage mit feltener unb
begeifterter (Sinmüthigfeit gront macbenben Künftler, ©ebrift«
ftellcr unb Kunftfrennbe baS Kunftoerftänbnife ber „®eftrengen"
in 3toeifel ä°9 en l, nb eS jum ®egenftanb ihrer mehr ober
weniger teigigen Kritif malten. Sfeatfäcfelicfe bebeutet ©inn*
lid)feit aber nichts 9lnbereS, als bie unbewufete greube unb
©mpfänglicbfeit, bie unS bie ©inne Don ber ©Wnbeit ber
28elt unb ber Kunft Dermitteln. SBer bie ©inne nidbt burefe
frohes 9lnfcbauen unb ®eniefecit Don Vielt unb Kunft übt
unb empfänglich macht, beffen Organe Derfiimmern, in beffen
3nnetn fann fein reines äftbetijcbeS ©mpfinben ber Kunft
feine ©tätte finben. ®icS (Smpfinben bat aber mit ber
„©innlichfeit" im DorwurfSDoOen ©inne nicht baS fDfinbefte
ju tbun; baS äftbetifd)e ®eniefeen, beffen mir uns im 9ln«
flauen eines 9lpollo Don Veloebcre ober ber VenuS Don
SJfeloS bewufet werben, liegt weit ab Don bem Vegriff ber
©innlichfeit, wie fie fid) bie „©eftrengen" im DorwurfSDolIen
©irme conftruirt haben. ‘SaS fnnftfreubigfte Volf ber Vielt
batte bei bem fftadten, waS eS in fo herrlicher Vollenbung
fchuf, gewife nicht ben £>au<h eines lüfternen ®ebanfenS in
fid), eS fdjnf nur baS, waS baS innere 9tuge fdjaute. Unb
fo geht eS mit jebem echten Künftler. 3)ie fünftlerifche ®at«
ftellung rüdt bie «Dinge aus bem Vereich unfereS VSiOenS,
unfereS ^rieblebenS, wäbrenb im Sehen jebe fReijung ber
©inne fich einer ©rregung beS VliOenS, beS VegebrenS
Derbinbet. Sn ber fünftlerifcfeen Arbeit, wie im Kunftgenufe
fällt aber biefe (Srregung fort, Weil feine ©aefee, fein ju be«
gebrenber ®egenftanb ba ift, fonbetn nur fein ?lbbilb, fein
©Win. Unb fo barf man bie ®rnnblage beS KunftgenuffeS
als eine ©innlichfeit ohne Vegebren, als eine echte reine
©innlichfeit anfeben, bie ben SRenfchen bebt, ba fie bie rohen
Snftincte auSfcbaltet unb ihn an ein Verbältnife ju ben
Gingen gewöhnt ohne materielles Sntereffe. hierin liegt
allein bie ÜJiöglidjfeit begrünbet, bafe ber Künftler auch ohne
Vegeljren mit Doller Ütufee nach bem weiblichen SRobeU arbeitet,
bafe fein ©inn unb üluge beim fiinftlerifchen Schaffen Döllig
Digitized by v^.ooQle
322
Die ©egetimart.
rein bleiben fann. ©obalb er beim ©d)a ffen bemüht irgenb
einer unreinen lüfternen Senbenz 9iaum gicbt, hört er auf
Zünftler ju fein. 358er aber bie fünftlcrifdje SarfteHung ber
blühenben @djönl)eit be# menfdjlidjen Seibe# nicht mit un»
befangenem reinen ®enujj aufnehmen fann, ift fittlid) nicf)t
gefunb, er feibet an jßrüberie, unb ißrüberie ift bie äRutter
ber Sßerborbcnljcit unb liegt weit ab non Äeufdjf)eit unb 9Rein=
heit. ^ubert ^erfomer hat ein# feiner fdjönften Silber mit
bem 2ßort uuterfdjrieben: »All beautiful in naked purity“.
Sem reinen 2luge be# griedjifdjen Slünftler# (unb wof)I
and) ber erften Sliinftler unfcrer 3eit) bürfte ba# Söatlcoftüm
einer mobernen fyofbame in feinem oölligen ÜJiangel an fftatur
unb fRaioetät anftößig crfdjeinen, wäl)rcnb ber nadte Körper
in feiner reinen Schönheit if)nt feinen 2(nftofj erregt unb feine
lüfternen ©ebanfen naf)elegt. 9Ran tonnte ganz mof)l ben
Sab aufftellen, bah maßre ectjte ©innlicfjfeit eine fyörberung
unferer ©ittlidjfcit bebeutet unb bah man befefialb banad)
trachten muffe, burd) eine, ba# äftf)etifd)e ©lement mefjr be»
riidfidjtigenbe Sugenberjiefjung eine 2lnnäl)erung unb h fl r=
monifdje Serbinbung oon ©ittlicf)feit unb Siitnlidjfett anju»
ftreben unb oorzu bereiten. 9fur fo fönnen bie ©d)äben geteilt
werben, gegen bie man jeßt bie monftröfe lex Ipeinje in
©eene ju fegen fudjt. ÜRun tonnte man fteg nad) bent bei»
fpiellofen ©ntrüftungSfturm, ber fid) gegen bie beabfieptigte
Slnedjtung be# freien ©ebanfen# in St'unft unb Siteratur all*
überall erljob, ber Hoffnung ^ingeben, baß ber un# oon ben
„funftoerftänbigen" ßentrumSmanncn befdjeerte ©efeßentmurf
niemal# thatfäd)lid)eS ©efeg werben, ja bafj er nad) bem be»
fannten ißrincip interim fit aliquid gar nid)t mcljr in bie
britte Sefung gelangen »erbe, bafj ber 2lnfturm al# abgefcf)lagen
anjufe^en fei. 3Bir bürfen un# fjeute nict»t mehr biefer
Hoffnung l)ingcben; oon feuern mufj burd) alle beutfdjen
©aucn ber @d)lad)truf ertönen gegen ben jum legten ©djlage
au#l)o(enben geinb. Senn bie Sage hat fid) in ben legten
Sagen wefentlich oerfdjoben; bie lex $einje ift burcf) bie rafd)
cntfdjloffene Saftif be# ßentrum# oor bem glottengefeg auf
bie Sagcöorbnuug gefegt unb in bem 2lugenblid, ba »ir
biefe 3 e ^ en fctjreiben, fann fftiemanb bie enbgiltige ©ntfdjei»
bung Dorau#fef)en. 2Sir laffen bagingeftellt, ob gier nid)t
im §intergrunbe ba# Programm lauert: ogne lex ^teinje
feine glotteuoermeljrung, aber ba# fann feinem ßroeifel unter»
liegen, baft ba# ßentrum fid) neue Srümpfe für ba# gefaxt»
tict)e ©piel ju oerfefjaffen gemußt gat. Sie Herren fRocrett
unb ©enoffen »iffen ganj genau, bafi bie Oppofition ent»
fdjloffen ift, mit einet ^Injaljl wof)l oorbereiteter Einträge
ijeroorjutreten, um burcf) beren notljmenbige eingeljenbe Se»
grünbung bie ©ntfegeibung nad) Kräften aufyufdjieben. Sor
Kurzem beutete nun bie „Scrl. fßol. 9Rad)rid)ten" an, bajj
bem gegenüber bie fyreunbe ber lex alle »eiteren Einträge,
welche eine ©rmeiterung ber Sorlage beamteten, auf ©runb
bet ®efd)äft#orbnung oon ber Schwelle jurüd^umeifen, um
beren ©rörterung ju oerljinbcrn. Siefe ©efdjäftSorbnung bc»
ftimmt nämlich, baff jebem 2lntragfteller am Seginn unb am
©d)lufj ber Sebatte ba# 28ort erteilt »erben muh; außer»
bem aber fönnen Einträge auf motioirte SageSorbnung jeber»
Zeit oor Sdjlufj ber 8erf)anb(ungen eingebraegt »erben unb
finb oor allen übrigen 2(menbement# jur 2lbftimmung ju
bringen. 2(uf ©runb biefer Seftimmungen glauben alfo bie
^einje»9)?änner jebe ®i#cuffioit über einen Slntrag ber ©egner
erftiden ju fönnen.
9Kan f)at baljer feine#»eg§ ba# SRecfjt, jegt ber ©nt»
»idelung ber Singe rul)ig jujitfcbauen, fonbern e# liegt bie
Pflicht Oor, im Stampfe gegen ba# „gefeßgeberifdje SRonftrum"
au#ju^arren, bi# bie ©ntfdjeibung gefaüen ift.
©efegt nun aber aud), ba§ bie lex tfjatfäd)licf) ©efeße#»
fraft erlangt, fo ȟrbe fie boc^ nie bie gehoffte 3Bitfung
^aben. ©ie ftcüt ben e»igen Stampf bat j»ifd)en j»ci un»
Ocrcinbaren Sßcltanfdjauungen: ber bc# frei fetjaffenben ©eifte#
in Stunft unb Siteratur unb ber polizeilichen Ueber»ad)ung
Nr. 21.
unb Üftafjregelung. Sa fie bebeutet einen plumpen Singtiff
in bie ©nttoidelung unfere# ®eifte#lebcn#, ba# fid) nad) ganj
beftimmten inneren ©efefcen organifd) entroidelt, nic^t aber
polizeilich lenfen unb reglementiren läfjt.
3lber ber ©efeßentmurf wirb nach»irfen, auch »enn er
nicht thatfächliche# ©efeg wirb. @r wirb ba# ©ute hoben,
baß er in ben Stünftlern unb ©chriftfteHern ba# ®efül)l für
bie ^>ol)eit unb 3Bürbe ber Äunft neu belebt unb fie oon ber
Setonung be# aUju 3 tt,an 9^°f en u °b hoffen in ber Sar»
fteüung ber fogen. 328irflid)fcit abhält. Sene „gemeine Seut»
iichfeit ber Singe", mit ber fid) ber moberne fftaturali#inue
bi#»ei(en Prüftet, ift nicht bazu geeignet, für £>cbung unb
23ertf)fd)äßung ber Stunft ju »irfen; ja fie ftöfet fo SDtanthen
ab, bem eine echte unb wahre ©mpftnbung inne»ol)nt. Sticht
alle# „Statürliche" pafet in ba# ©ebiet ber Äunft, »eil ^icr
bie ®cfaf)t nahe liegt, bie ©renze zu überfdjreiten unb ba#
©ebiet ber ©d)amlofigfeit zu betreten. 3luch bie greiljeit ber
Stunft hot ihre ©renze, unb je mehr fich Stünftler unb ©chrift»
fteHer bemühen fie innezuhalten, befto weniger werben bie
' mobernen Sartüffc# ©elegengeit hoben, burch ihre ©nt»
fteüungen unb Uebcrtrcibungen ÜWifetrauen unb 33orurtf|eil
gegen bie Stunft bei allzu zort befaiteten ©emüthern hetoor»
Zurufen.
3Benn nun im Sntereffe ber SSiirbe unb ©elbftftänbig«
feit ber Stunft eine 9(blchnung be# ©efeßentmurf# geboten
crfcheint, fo erfdjeint berfelbe in noch uiel bebrohli^erem Sichte
angefidjts ber fRedjtfprechung. 9tiemanb fann heute über»
fegen, wa# bie fünftigen @ntfc£)eibungen bet dichter in ©achen
ber Stunft un# bringen werben, wa# nach igrer 21 uf ja ff ung
2lergerni6 erregt unb wa# nicht, wa# ftraffäOig ift unb wa#
nid)t. Sa# hoben heroorragenbe SWicgter in überzeugenber
2Beife bargethan, ja bie tfiebe be# ©taat#anwalt# Sunggann#,
bie er fürjlicg im liberalen SScrein zu ffreiburg i. 8. gehalten
hat , beweift, bafj man fogar in‘ben Streifen ber öffentlichen
2(nflagebehörbe ber lex fteinzc mit gröfjter 8eforgni& ent»
gegenfiegt. ©r erflärte, bah ba# oorhanbene ©efeß (§ 184
be# ©trafgefeßbudj#) oollfommen auSreidje, um Unfittlid)feiten
in 2lu#fteUungen, auf ber Sühne unb fonftigen ©chauftel«
lungen zu üerhinbern unb z» treffen, bah ferner ber ©taats»
anmatt in oielcn gällen gcnötljigt werben bürfte, ben SRinifter
um ßufenbung eine# „ s J(ormalmenfd)en" z u bitten, ber als
©adjoerftänbiger zur ©infdjäßung oon ivgenbwie beanftan»
beten ©egenftänbeu zu fungiren hätte, ba ber 9tid)ter in oielcn
gällen gar nid)t wiffeit fönne, wa# ftraffäüig fei unb wa#
nicht. — @# liegt auf ber £anb, bah ©efeße, bie einem h°ä) !
gebilbeten 8olfe eine fo augenfällige Siecgt#unfiegergeit in
2lu#ficht fteüen, wie fie fogar oon fRidjtern unb ©taat#«
anwälten zugegeben unb gefdjilbert werben, baffelbe mit 9fotg»
wenbigteit auf einen bürgerlid)en unb fünftlerifdjen Siefftanb
führen tnüffen. 9legnlicgen ©rwägungen gegenüber bemerfte
nun freilich ber ©taatSfccretär ÜRieberbing währenb ber 8e»
rathung be# ©efeßentwurf#, bah bie 2lu#legung, bie ba#
SReicgögericgt bem begriffe bet unzüchtigen ©chriften unb
bergteidjen gegeben höbe, noch einen Strei# oon ©chriften,
Sarftettungen ftraffrei laffe, welche ba# Schamgefühl gröb»
lieh Oerleßen. Siefe Süde folle ber „Äunftparagraph (§ 184a»
ber lex Ipeinze au#füHen. ©erabe zur rechten 3eit wirb
nun eine SReidjögerichtSentfcheibung befannt, welche bie üoK«
fommene Ueberflüffigfeit biefe# Ä'unftparagraphen Hat oor
bie 2lugen fteüt. ©S war bie grage zu entjdjeiben, ob eine
Schrift unzüchtig fei ober nicht. Sie untere Snftanz h° tte
bie Unzüchtigfeit oerneint. 3 lBa r fei — fo war Oon ber
unteren Snftanz feftgeftellt — ber Snfjatt ber ©chrift wohl
geeignet, in gemiffent ©rabe ba# ©d)ant» unb ©ittlichfeit#»
gefügt in gefcgledjtlid)er Beziehung zu oerleßen unb bie iJMjam
tafie be# ßefer# nach biefer Dichtung in fittlicg oerWerflith«
Sßcife anzuregen, allein bie SSerleßung be# Scham» unb ©itt»
licbfeit§gefüf)tS fei nidjt al# eine fold) gröblicger 9?atur zu
erachten. Siefe# Urtgeil würbe oom 9!eid)Sgericht aufgehoben:
Digitized by v^. ooQie
Nr. 21.
Die töegenroart.
323
63 fei redjtsirrig, baff nur gröbliche öerlefcung beS ©cham*
unb ©ittlidjfeitSgefüfilS unter baS ©trafgefeh fielen. Daran
würben folgenbe 9luSfüf)rungen gefnüpft: „Die öeftimmung
beS § 184 |at ben 3med, bie int SBolfc allgemein beftepenben
begriffe non ©cham, Sitte unb Änftanb, in gefd)ted)tlicf)en
Dingen baüor gu fdjü^en, baf) ein ©ingelner fie uerle^c. Da
cö fid) hierbei um eines ber ibealen ©fiter hanbelt, Sie bem
gangen öolfe eigen finb, fo muff notfjroenbigermeife baS
DurchfchnittSempfinben ber ©efammtheit für 3ud)t unb
Sitte als ©egenftanb biefeö ©chufjeS angefef)en werben ...
grage ift, wo jenes iRotmalmaafj beS allgemeinen ©d)am*
unb ©ittlidjfeitSgefühlS in gefchledjtlicher öegiefjung liegt. Die
Slufgabe, f)ier bie richtige ©ntfdjeibung gu treffeti, fällt bem
$l)atrid)ter gu. @r wirb biefe @ntfd)eibung auf einer
SJiittellinie fudjen, bie im Uebrigen nicht näher ge«
fenngeichnet werben fantt, unb gwar fcf)on be§hatb nicht,
weil fie bei feinem öolf unb gu feiner 3eit abfolut
unDeränberlidj ift."
Sßir fragen: welkem „Dhatridjtcr" giebt wohl biefe
SöegriffSbeftimmung einen feften SRaafjftab an bie §anb, unb
wie fott er im ©tanbe fein, feftguftellen, wa§ ein tieffdjauenber
©efchidjtSphilofoph bieileidjt mit 3 a 9 en uur hhPothetifd) an«
gubeuten wagen würbe? Ipier liegt ber gefährliche ißunft ber
lex ^eiitje. SRach bem SBortlaut beS Sunft« ober meinetwegen
„©d)amgefüf)l3"paragrapf)en fott baS Verbot gefd)lecf)tlicf)
fd)amlofer 9lu8ftellungen u. f. w. auf ©djriften, Slbbilbungen,
Darftellungen auSgebef)nt werben, beren ©djamlofigfeit nicht
gcfchledjtlicher ÜRatur ift. 933ogu in aller SBelt eine berartige
9luSbef)nung? 9(üe bie fchamlofen 9lbbilbungen unb ber«
gleichen, welche bie SReichStagSmehrhcit gur Segrünbung beS
ftunftparagraphen in’S Treffen führte, betreffen gefrfjledjtliche
©chamlofigfeiten, fallen alfo fchon unter baS bisherige
@ttafgefe|. 5Reu getroffen werben alfo nur Derbheiten
unb ißatfirüchfeiten beS 9tu8brudS, unb biefe hat bie Sunft
Don ben ßeiten beS 9lriftophanc8 bis auf uttfere Dage nidjt
entbehren fönnen. Der dichter wirb nun in feiner fchlitnmen
Sage annehmen, bafj fich bie äRittellinie beS ©cham« unb
©ittlidjfeitSgefühlS nach unten oerfchoben, baS helfet: bafe fie
bie freie Sunftübung eingefchränft höbe. Unb wenn er baS
©efuhl ber officiellen SBcrtretung beS beutfdjen SSolfeS als
baS noch am eijeften gu ermittelnbe beutfehe iRormalgefühl in
Dingen ber ©cham unb ©ittlid)feit betrachtet, fo wirb man
nah ber eben angeführten SReidjSgeriditSentfcheibung nicht ben
leifeften öorwurf gegen ihn erheben bürfen. ©erabe aber
aus biefem ©runbe müffen alle freien ©eifter, alle uorneljm
empfinbenben Seelen, 9IUe, bie überzeugt finb, bafe bie unge«
feffeite Sunft nicht nur ber ©d)önheit, fonbern auch ber oon
fo Dielen gefürchteten ÜBaferheit bient: fie 9lfle müffen bet
beutfhen $Red)tfpred)ung bie SRidjtung geigen, bamit ber Stifter
erfährt, bafe biefe 9lbgeorbneten in fragen ber Sun ft bie ge«
biibeten unb gefunben Steife beS Golfes nicht hinter fich
haben. @3 ift hocherfreulich, bah fid) noch im lebten 9lugen«
Mid bie angefehenften ©trafrechtSfehrer ber beutfdjeu Uni«
Derfitäten gu einer ißroteftfunbgebung gegen lex $einge gu«
fammengethan hoben, in ber fie erflären, baff baS fchon je^t
gefährbete SSertrauen beS öolfeS gu unfercr IRedjtpflege burch
Einnahme ber lex einen neuen horten ©tofe erleiben müffe,
toaS einer ©djäbigung unferer ibealften ©üter gleich fomme. —
9fad)bem Wir ben 93erfuch gemacht hoben, bie lex fpeinge
nach ihrer fünftlerifchen ©eite als eine Verirrung, nach ihrer
juriftifdjen ©eite als ein pödjft beben fl idjeS ©jperiment gu
fenngeidjnen, mag nocl) mit einigen SSorten auf i|re unglaub«
liehe politifche Ungwedmäfeigfeit hingewiefen Werben.'
©S ift fef)t fchwer ju Derftehen, wie ©eitenS ber Regierung
gerabe in biefer für bie lebhaft entfachte glottenbewegung fo
überaus wichtigen 3 e ü biefer ©efehgebungSDerfudj gemacht
»erben lonnte. ©S gehörte wahrlich fein tieferes politifd)eS
93erftänbnih baju, um DorauSjufehen, bah biefer unglüdliche
©efehentwurf eine gewaltige ©rregung gerabe ber intellef«
tueQen Schichten herDorrufen unb baS glottenintereffe ganj
in ben §intergrunb brängen würbe. 9Wan ift ja troh ber
officiöfeif 93erfidjetungen einer „einheitlichen ^Regierung" an
mancherlei Sprünge unb ©chwenfungen in ber IRegierungS«
leitung gewöhnt, aber baran muhte fie boch unter allen Um«
ftänben fefthalten, bah bie geforberte glottcnöermehrung,
bie an bie finanziellen Sräfte ber Nation, fei eS in biefer,
fei cS in jener gomt, fc^r bebeutenbe Slnfprüche macht, nur
unter bem ungeteilten Sntereffe beS gangen 93olfeS gu ©nbe
geführt werben fonnte. ©ine ©taatSweiSheit ift nid)t leidet
fahlich, bie jegt in einem wahrhaft fritifchen ÜRoment baS in
fo erfreulicher Söeife rege geworbene Sntereffe nach einem fo
entlegenen fünfte hrnjulenfen unternahm. Die oben er«
wähnten ©erüchte unb ülnbcutungen holbofficiöfer ölätter laffen
oermutljen, bah mQ n fich jefct beS Ungefchicfien unb Ungeit«
gemähen ber SSorlage in IRegierungSfreifen immer mehr bewuht
wirb unb nach einem gangbaren SBcge ber ©rlebigung fu^t,
ber bodh noch Dielleicht gum erfehnten 3iele — ber lex §einge —
führen fönnte. 91 ber eins ift fidjer: bie ©iegeSguDerficht ift
entfehwunben; bie ,<peinge«ölätter finb v»orfict>tiger, fleinlauter
geworben. SRod) Dor wenigen 9Bochen fonnte man folgenbeS
lefen: „Die focialbemofratifd)en Quertreibereien mit ihren
beutliih heroorleuchtenben 9(bfid)ten werben in einer öegiehung
ihr ©uteS haben: fie müffen ben gegen bie lex Ipeinge mit
folgern ©ifer proteftirenben beutfefjen Sünftlern unb ©chrift«
fteHern bie 9lugeit barüber öffnen, in weld) gefährliches gaf)r=
waffer fie fiih hineinbegeben haben, als fie auS ihren 9ltelierS
unb ©tubierftuben auf ben SRarft beS politifchen SebenS unb
bie 9fgitationSfteDe beS SRabifaliSmuS (!) hinaustraten, um
ihre ©timme gu Sunbgebungen gegen eine öorlage gu Der« '
einigen, bereit Dragweite fie gewaltig überfc^ä(jtcn unb DöDig
falf^ gebeutet haben."
9llfo: SRommfen, SOfenget, öegaS, ©berlein, ©ubermann
urtheilSlofe Sbiotcn. — i)Sunftum!
§eute würben fie fo etwas nicht mehr wagen.
(Eine (Emancipirte.
SSon Karl 3<J9»f4(-
3n unferer 3eit ber äfthetifdjen unb bid)terifchen 3 er "
fahrenfjeit, wo bie ©chlagworte fid) in finnDetWirrenber §aft
ablöfen, fcheinen bie 9tomantifer wieber mobern gu werben,
bie wir feit fiebgig fahren überwuttben gu haben glauben,
obwohl unfere Dergleid)enbe ©prach« unb 2iteraturgef<hicf)te,
unfere UeberfehungSfunft, unfere Sunft» unb ©ulturgefchichte,
unfere ©ermaniftif unb golfloriftif ohne fie faum benfoar
Wären. 9lber nicht bem wiffenfdjaftlichen ©treben jener
genialen jungen Seute gelten bie neueften IRefurrectionS«
Derfuihe, fonbern gerabe ber fchwächften ©eite ihrer Dfjätig«
feit: i|rer ißoefie. ©eit ber „belgifdie ©hafefpeare" ÜJfaeter«
lind fid) für ÜRorali8«§arbenberg begeiftert hat, hulbigen ihm
auch unfere bisherigen öerlaine« unb öaubelaire«3mitatoren;
feine Sprit wirb analpfirt, feine ÜRpftif Derhimmclt, unb fo«
gar bie poetifdjen 93erfud)e Don örentano unb Died finben
öewunbercr. 91 ber auch Scr hochbegabten JRkarba §uch, bie
ber „ölütljegeit ber fRomantif" ein begeifterteS Such wibmet
— fie foö einen Italiener geheirathet unb fatholifd) geworben
fein — wirb cS fchwerlid) gelingen, eine unfereS ©rachtenS
Doriibergchenbe SDfobeftrömung auS bem engen Steife fritiflofer
Dilettanten unb impotenter 9(eftheten hinauSguführen. 3BaS
foH auch unfere trofc allebem realiftif^e 3eit mit ben Dheo«
retifern ber romantifd)en Sronie unb ber fublimirten „ißoefic
ber öoefie" beginnen? gang gu fdjWeigett Don ben hoepft problc«
matifchen Dichtungen, bie blojj in Stimmungen unb ©pmbolen
; fchwelgen unb jeber ©eftaltungSfraft entbehren. Die Dergüdte
Digitized by v^. ooQie
324
Ute ©egentoart.
Nr. 21.
©onuertitentprif gtiebrid) ©cptegel’« ift un« gerabe fo un«
genießbar, wie ber bicptenbe Xiecf, unb fogat „Weinriep
0. Dfterbingen" mar nur al« gragmcnt empfangen, tote grau
Wucp jugeben mufe. ©on ber ganzen fRomantif ift für bie
©egenwart nur nod) ein Sicpter tebenbig, ber abfeit« non
ipr ftanb unb ip'rem ©influfe nur fetten naepgab: Weinricp
non ftteift. ©ämmtticpe Sicpterwerfe ber Uebrigen (non
ScplegeS« ©pafefpeare«Ueberfefeung abgefepen) geben wir pin
für bie perrtiepen Briefe, bie fie einanber feprieben, bie
©cptegel’«, ©djeßing, 'Sied, SRooali« unb bie ftarfgeiftigen
grauen ifjreö Streife«: bie 9ta pet, ©ampagen, .St)erefe fietjne=
gorfter=gilbet unb Dar Slflem St'arotine 2Ricpaeti««©öpmcr«
©epeßing, bie un« feit SBaipen« ißubticationen üertraut unb
trop aller großen ©cpwäcpeit lieb geworben ift. SR. £apm
in feinem nod) immer beften SBerf über bie fRomantif pat
Stärotinen« ©riefe niept mepr gefannt, wopt aber grau £)ud),
bie fje congentalifcp bewunbert. Unb nud) bie ©eftatt biefer
oielgefdjmäpten „©mancipirten", bie ©epißer „Same Sucifet"
nannte, ift un« napet gerüdt bur<p ^aljtreidfe SRonograppien
unb fogat SRomane. SBir finben fie in W- Sfönig’« „ßlubiften
t>on SRainj", in einem SRoman Slug. §effe’§ (i878), in ben
gorfter «Sramen non ßubmig ©darbt unb be« Sanbratp«
Sttfreb Sacpmann, be« ©atten uon Sopanna 3ad)mann=3Bagner.
öderen SBertp paben bie Seben«bilber uon Stein, ^»ermann
opp, Sop. Sanffen, ber gemife weniger abfäßig über fie ur*
teilte, wenn fie bem ©eifpiet if»rer greunbe ©rentano,
griebriep ©erleget, Stbam SRiilter gefolgt nnb fatpolifcp ge»
worben Wäre. Sic fepönfte ©parafter^eiepnung Sarotinenö
finbet fiep aber in ber au«gejeicpneten ©epeßing «©iograppie,
, bie man in ber Subitäuin«au«gabe Uon Stuno gifepet’« ©e«
fc^id^te ber neueren ©pitofoppic (Weibelberg, SBinter’« Uni«
oerfität«bucpp.) naeptefen mag, — nur wenige ©eiten, aber
3 um geinften nnb Sreffenbften jäplenb, wa« ber berühmte
Weibelberger Wocpfdjulleprer gefdjrieben bot.
St'arotine war bie Socpter be« ©öttinger ©rofeffor«
Sopatm Sauib äWidjacti«, berühmt at« Crientntift, an«
gefepen irt feiner afabemifeben ©teßung, unter ben erften,
bie, Seffing fdjon in feinen Stnfängen gewürbigt patten.
3f»r erfter SRann, ber ©ergarjt ©öbnier in ©tau«tpaf, war
im ,'perbft 1788 geftorben. ©on ihren brei Sinbcrn uertor
fie ben nadjgeborenen ©obn halb nad) be« ©atten Sobc,
bie jweite Socbter Sperefe ein Sohr fpäter (Scember 1789)
unb blieb fo allein mit ihrer älteftcn Socbter Stugufte.
Sn ben oertrautid)en ©riefen, bie fie ihrem .greunbe g.
S. SB. 2Repcr febreibt, finben fid) häufig Steuerungen über
ihre ©mpfinbung«art, bie natürliche unb treffenbe ©etbftbe«
fenntniffe finb. ,,3d) Weib nicht, ob id) je ganj gtüdticb fein
werbe", febreibt fie in ber erften 3 c i* iprer SBittwenfcpaft,
„aber ba« weife icp, bafe icp nie ganj unglüdtid) fein Werbe."
„2Ran tiebt miep fepr, weit mein tperj ein ©ewanb über bie
©or^üge be« Stopf« wirft, ba« mir beiber Steufeerungen at«
©erbienft anrecfeiten täfet." „©« ift eine ©igentpümtiepfeit
meine« Stopf«, wetebe oft Urfacpe würbe, bafe man mid) falfcb
beurtbeitt: trejfenben ©eparffinn mit unfebutbigfter ©egrenjt«
beit p uereinigen." „©öttern unb 2J?enfd)en jum Sro^ Witt
ich gtüdticb fein, alfo feiner ©itterfeit SRaum geben, bie mich
quält, id) witt nur meine ©ewatt in ihr fühlen." „Seber
angenehme Slugenbtid h«t SBertb für mich, ©lüdfetigfeit be«
fteht nur in Slugenbliden, ich würbe glüdtidi, ba ich baö
lernte." „ÜRein Siebeämantet ift fo weit, at$ ^icrj unb ©inn
beö Schönen gehen." „©in Strom ber reinften Weiterleit
fonnte ficb über mich ergiefeen, Wenn bie ©onne febien, ober
amb nur, wenn ber SBinb an baö genfter ftürmte unb id)
aud) nur über einer Strbeit fafe. 3Rit ift jebe ©tunbe wobt
^ewefen, bie mir wobt fein fonnte. ©in ich e§, bie nad)
trud)t(ofem ©vam jagt? SRein! SDlein ©inn gehört jeber
möglichen ©lüdfetigfeit." „©ebanfenlofigfeit ift mein Seicfet«
finn nicht."
Sh« SBittwcnfcbaft war feineöweg§ einfam unb Oer«
fcbleiert, fonbern ooU Unruhe nach innen unb aufeen, ttoll
abenteuerlicher unb fcblimmer ©rtebniffe. Saö erfte 3af|r
batte fie bei ihren ©item in ©öttinaen, bie beiben fotgenben
in SRarburg bei ihrem älteren ©ruber pgebradjt. Sie
gamiüenuerhältniffe wareri jerrüttet unb unerquidlid). tn
©ater ftarb 1791. ©ie fehrte uon SRarburg im ^>crbft 1791
für einige 3eit nach ©öttingen priid unb ging im griiljjafir
beö fotgenben 3oh rc ^ ,,ac b SRein^. wo ihre Sugenbfreunbia
Sberefe Wcpne in einer fcbiffbrücl)igen ©pe mit ©eorg gorfter
unb iu oertrauter greunbfdjaft mit W»ber lebte, ber um ihrer«
willen feine oertobte ©raut, bie ©di)Wägerin Sörnet'l, bie
greunbiu ©cbiüer’ö, Uertiefe. Sw ©ftober 1792 würbe Dfain.,
uon ©uftine eingenommen. Scpt fam hi«r bie franjöfifch unb
repubtifanifcb gefinnte Partei jur W err f c h a ft, unb gorftei,
einer ihrer gührer unb ©icepräfibent be§ SRainjer Sonnentf
ging im SRärs 1793 na^ fßariS, um bort bie ©inoerteibung
beö beutfdjen Sanbeö in bie franpfifd)e 9?epubtif ju bewirten,
©eine grau pottc fepon gegen ©nbe beö oorhergebenben Sapr«
SRainj uertaffen, um mit W 11 ber in ber ©cpweij jufammen«
juteben unb ^war, wie auä ©ömmerring’g unb gorfter«
©riefen jefet beutlicb heruorgeht, mit be« ©bemann« ©itligung.
9?ad) Spercfen« SBeggang gog fie mit gorfter pfammen,
um ipn ju tröften. ©djitter unb fein greunb ftörner ur=
tpeilten natürlich ebenfo part über fie, wie ber IRainjer
fttalfcp. SBaprfd)einticb ift fie e« auep, bie gorfter in bie
franjöfifcpe ißolitif bineinbefete, wie fie bie Srennung feiner
©pe mit uerantafet pat, eine eepte unb reepte Same Sucifer.
Suno gifeper ibeatifirt baper ftarf, wenn er fepreibt: „Sic
tpat ba« ©djlimmfte. Spre Woffnung«lofigfeit ueduanbctie
fiep im Sturm jener Sage in Seicptfinn, unb eine Selben«
fepaft, über bereit nähere ©erpältniffe wir nid)t aufgeftärt
finb, bie fie wie ein ptöfetieper SRaufcp erfafet paben muf
unb, wie man fagt, einem granjofen galt, ftürjte fie in ben
Slbgrunb."
Sn ipren eigenen oou SBaife perau«gegebenen ©riefen
finb alle auf biefen ©unft bepgtidjen ©teilen weggetaffen;
bocp erfennt man, bafe in ben ©riefen, wetepe bie SRainger
©d)idfate betreffen, nidpt Stile« gefagt ift. Sic im panbfcprifu
Iid)en SRadjtafe St. SB. ©djtegel’« an feinen ©ruber erpetten
bie Spatfacpen, aber bie näpern Umftänbe, auep ber 9?amc
bc« granpfen, bleiben uerborgen. Wapm pat wopt noep uon
anberen Socumenten Sfenntnife gepabt, auf ©runb beren et
beridjtet: fie pabc eine grau uon fepteeptem 3iuf in ipre
Wauögenoffenfcpaft aufgenommen unb au« 3 e tftreuung^facht
ipre ißerfoit oerfepenft: „fie entfd)äbigtc fiep für ba« gepl«
fdptagen iprer peifeeften SBiinfcpe unb ipre aufreibenbeit Sorgen
um gorfter, für aßen ©cpmerj unb aße Sangemeile in ben
Sinnen eine« granjofen." ©eitper finb wir freitiep fo jiem«
liep aufgeftärt, ma« Stuno gifeper wopt entgangen ift. Saro=
tine maepte aflerbing« eine in fepteepteftem SRufe ftepenbe
grau gorfet ju iprer Wau«genoffin, unb bie beiben grauen
fepeinen fiep in ben ©efip be« ©tropmittwer« gorfter getpeilt
p paben. SBenigften« madpen fie fiep in einer anonpmen
©pottfomöbie „Sie Stubiften in Äönigftein" (1793) gegen«
feitig Wegen iprer Neigung ju gorfter ©orwürfe, auf bie fid)
grau gorfet niept ju Uertpeibigen weife. Unb nach gorfter
fepeint ber erwähnte granpfe an bie fReipe gefommen ju
fein, fcpwerticp ©uftine felbft, wa« bocp faum oerpeimlictjt
worben wäre. Siefer fonnte Caroline niept faßen, unb bie
©üpne beginnt.
SU« äRaiitj im grüpjapr 1793 wieber uon ben 9?eicp3>
truppen belagert würbe, wollte fie bie ©tabt oertaffen (ben
30. 9Rärj(), um in bem W au ) e 'pret Sugenbfreunbin Souife
©otter in ©otpa eine 3 u ffacpt ju finben. Sei iprer Slb«
reife gerietp fie in bie Wänbe ber ©reufeen; fie war potitifdi
uerbätptig, at« gorfter’« greunbin, al« ©öpmer’« ©cpwägerin,
ber ©uftine’« ©ecretär war,* e« patte fiep fogat ba« ©erüdjt
Oerbreitet, fie fei ©uftine’« ÜRaitreffe. Sie Spatfacpe iprer
grennbfepaft unb iprer ©pmpatpien mit gorfter genügte, um
Digitized by v^. ooQie
Nr. 21.
Ute ©etjenroarl
325
fte gefangen p neunten unb ofene weitere Unterfucfeung als
©eifeel p begatten. Weferere Wonate mußte fie in $önig«
ftein eine 6efcf)tt>er(tcf)e geftungSfeaft leiben, bie fie in ber pein«
üollften Sage unb in ber ängftlidjften (Sorge für itjr Scfeidfal
ertrug. Slacfebem fie nod) einige 2Bod)en p Kronbevg eine Art
Stabtarreft gehabt, mürbe fie auf bie gütbitte ihres jüngeren
©ruberS burd) einen Scfefel beS Königs oon ©reufeen in
greifjeit gefegt, weit „fie* nichts oerfcfeulbet habe". Snbeffen
war iljr politischer Stuf fo üetbädjtig unb anrüchig geworben,
bafe iljr wieberfeolt, als fie befucfeSweife nad) ©öttingen fam,
baS jtoeite Wal nod) im September 1800, baS Kuratorium
ber Uniüerfität ben Aufenthalt in ihrer ©aterftabt unterfagte.
AIS fie, jweifad) in ihrer bürgerlichen ©jiftenj üernicfetet, bie
.viaft oerliefe, fanb fie einen Wann, ber an ihre ©eite trat
unb grofemütfeig, wenig befümmert um baS Urteil ber 2Belt,
ihr bie ipanb pm ©cfeufc unb pr @tüfee reichte: Auguft
äBilfeelm @cfelegel. ©d)on in ©öttingen hatte ©chlegel wäferenb
feiner lebten ©tubienjcit bie junge (bier Saht ältere) SBittwe
fennen gelernt unb war burd) ihren perfönlicfeert ganber, burd)
ihre geiftige Wad)t unb ©ilbutig gcfeffelt worben; er hatte,
als fie nach Warburg ging, brieflich mit ihr üerfefert unb
roieberholt um ihre £anb geworben. Sie liebte ihn nicfet
unb fpottete gegen ihre ©djwefter in einem ©riefe jener 3eit
über ben ©eba eilen, ihn pm Warnt p nehmen.
@S ift nicht blofe Witleib für bie unglücfliche grau, waS
ben jüngeren ©chlegel einnimmt, ieS ift pgleid) ihr 3 Q uber,
ber ihn beftrieft. @r hatte fie fchon aus ben ©riefen, bie
ber ©ruber ihm pfenbete, fennen gelernt; ben 2. Auguft 1793
machte er in Seipjig ihre perfönlidje ©efanntfefeaft. „Ter
©inbrud, ben fie auf mich gemacht hat, ift toiet p außer«
orbentlid), als bafe ich it) n felbft fefeon beutlich überfehen unb
mittheilen fönnte." „Sch fdjreibe Tir nichts Weiter über fie,
feine ©eurtfeeilung, feine ©rjäfelung, feine ©ermuthung. Alles,
was id) noch fagen fönnte, würbe oerworren, oberfläch(id) fein,
unb oieKeicfet fönnte ich in ©efafer fommen, mich fcfewärmerifcb
auSpbrütfen, unb mir beucht, für fie p fefewärmen heißt fich
an ihr berfünbigen. ©ieHeicfet gelingt eS mir, fie gleich ohne
©erblenbung p faffen." „Tie Ucberlegenhcit ihres ©erftaubeS
über bem meinigen habe ich fefer früh flefö^ft. ®S ift mir
aber noch P fremb, p unbegreiflich, bafe ein 2Beib fo fein
fann, ats bafe id) an ihre Offenheit, greiheit Oon Künft recht
feft glauben bürfte." „Sch bin gewife, bafe man wahr gegen
fie fein barf, unb ©röfeereS läfet fid) Oon feinem Wenfdjen
fagen." „3fete Urtljeile über ©oefie finb mir fet»r neu unb
angenehm, ©ie bringt tief in’S Snnerc, unb man hört baS
aud) auS ihrem Sefen, bie Splpgente lieft fie herrlich- Wenn
ihr Urtfeeil rein wäre, fo fönnte es oielleicfet nicht fo unauS«
fpredjlid) Wahr unb tief fein, ©ie finbet Suft an ben ©riechen,
unb ich fdjicfe ihr immer einen über ben anbern." „Wein
3utrauen p ihr ift ganj unbebingt. ©ie ift nicht mehr bie
einjige Unerforfchliche, oon ber man nie aufhört p lernen,
fonbern bie ©ute, bie ©efte, üor ber ich mich meiner gehler
fdjärne." ©o feeiratfeetc er fie alfo unb fam mit ihr nach Sena.
©ie befafe, wie ihr ÜJfann am beften wufete unb felbft
gefagt hat, alle latente, um als ©chriftftellerin p glänjen.
griebrid) ©chlegel erfannte ihre fchriftftetlerifche fflegabung
ganj richtig, wenn er in einem feiner ©riefe bemerft: „id)
|abe immer geglaubt, Sh« Sfaturform — benn id) glaube,
jeber Wenfd) oon Straft unb ©eift hat feine eigentümliche
— märe bie SRfeapfobie. ©ebenfen ©ie, bafe ©riefe unb ffle«
cenfionen gormen finb, bie ©ie ganj in ©ewalt haben. . Tiefe
Talente p bewähren, fanb fie in ber ©fee ade ©elcgenfeeit.
©ie war nicht blofe bie poctifdje Siatfegeberin ifereö WanneS,
fonbern half ihm bei feinen äftfectifdfeen unb fritifd)en Arbeiten
in ben §oren, ber Siteraturjeitung, bem Athenäum.
„©eibe ©feen," fefereibt Kuno gifdjer, „hatte fie nicht
auS ieibenfchaftlicher Neigung gefchloffen, auch nicht wiber=
willig, fonbern lebenSmuthig, wie baS ©cfeidfal fie trieb.
3Rit betfelben ßeichtigfeit wufete fie fich früher in bie engen
unb langweiligen ©erfeältniffe eines fleinen ©ergftäbtcfeenS,
jefet in baS literarifche ©etriebe einer geiftig oielbewegten
Unioerfität einpleben. ©S ift erftauntich, welche güDe oon
Seben unb' unjerftörbarem SebenSmutf), Wie oiel Talent
p geniefeen unb gtüdlid) p fein in biefer grau lag.
©ie war gegen bie inneren Wänget, gegen AÜeS, was fie
leer unb unbefriebigt liefe, feineSmegS unempfinblich, aber fie
fönnte leicfet batüber hinmegfeben ohne irgenb welken fefewer^
mutigen ®rud. ©elbft wenn nieberfcfelagenbe ©djidfale
ober ein gewaltiger ©chmcrj fie erfafeten, enthielt bie aufeer*
orbentlidje Sebenbigfeit unb ©hantafie ihrer ©mpfinbungen
fogleich bie aufrichtenbe unb wieberherfteHenbe ^eilfraft. ©ie
befafe wirflid) jenen holb'en Seicfjtfinn ber Statur, ber bie ge»
banfenlofe Art auSfdjließt unb in jebeftt Älima ber geiftigen
SBelt fich wohljufühlen unb Anberen Wofetthuenb p leben oer»
mag. Unb weil in biefer glüdlicfeen Temperatur ihres SBefenS
aut ade höhnen SebenSgeifter fich anmutfjig unb leicht ent«
falteten, fo mußte fie, wohin fie reichte, wedenb unb belebenb
Wirten. ©S lag in ihrer ganzen Statur 'etwas ©lernentar=
geiftigeS, Womit baS ©lementarfinnlid)e fich toohl oerträgt,
etwas ©irenenartiges im guten wie im üblen ©inn."
AuS ben ©riefen, bie Carotine bamalS an ihre Tochter
Augufte nach Teffau fehretbt, fieht man, Welche Steigungen unb
Abneigungen in bem fleinen greife fpielen, Wie bie 3> e lfd)eibe
ber le^teren namentlich @d)iller ift, unb auf Welche SEBeife
man fich ' n biefer Oon perfönlichen Affecten übler Art feines»
wegS freien Antipathie ©enüge tfeat. AIS ob fie eine luftige
unb gute That p* berichten hätte, erjäljlt fie ber Tochter,
wie WittagS ben 20. Dctober 1799 gr. ©chlegel unb Toro«
tfeea ©eit, 2öilf)elm ©chlegel unb fie felbft nebft ©chcQing
beifammen faßen unb fich an bem eben erfd)ienenen Wufen«
atmanach ergöhten: „aber über ein ®ebid)t oon ©dfeiller,
baS Sieb üon ber ©lode, finb wir geften Wittag faft Oon ben
Stühlen gefallen üor Sachen, eS ift a la ©ofe, ä la Tied,
ä la Teufet, wenigftenS um beS Teufels p werben", ©ing
bod) baS oon £>afe oerblenbete Urtheil gegen ©djitler in beut
©dhlegel’fdhen greife fo weit, bafe man fid) fogar ben SEBatlen«
ftein weglacfeen wollte, noch heute baS befte beutfdje Trama,
neben bem alle Tid)terei ber Stomantifer in wefenlofem
Scheine üerfinft!
Toch nun fommt eine neue Äataftrophe in ÄarolinenS
Seben. Ter um jwölf 3af)re jüngere ©h'lofoph ©chetling
tritt ihr nahe unb näher, unb @d)legcl’S ©tern üerblafet
für fie. Auch bafür finbet ®uno gifcher gute SBorte:
„Äaroline ©chlegel gehörte, um mit Scan ©aul p reben, p
ben geflügelten SJaturen, bie ben ©inn für ©oefie mit auf
«bie SBelt bringen. Ter natürliche glug ihres ©eifteS trieb
fie weiter, unb fie fuefete auS poetifefjem Trange ben ©ingang
p ben höchften ©ebieten fpeculatioer ©rfenntnife. fiier fam
ihr Stelling entgegen in ber ganzen grifdj^ unb güfie feiner
erften Äraft, fiegreiefe im philofophifchen Sßettlauf, grofee @r«
Wartungen erfütienb, größere fpannenb. ©o erfaßte fie ifen
unb lebte mit ganzer ©eete in feinen Arbeiten unb Aufgaben,
©ie fühlte fich «höbt unb in ein neues ©lement emporgehoben,
auS bem fie auf bie poetifdjen ©efchäfte, bie fie mit @d)tegel
betrieben, h«abfaf) wie auf ihre geiftige §auSarbeit, bie fie
fefeuf, wie ber ©ogel fein SJeft. „©chlegel", fefereibt fie in
einem ihrer ©riefe an ©cfeelling, „ermangelt nicht p benterfen,
wenn ich widj boch nur jemals einer Sache fo ernftlid) ge«
wibmet hätte, bie feine ©efchäftigungen anginge! SEBaS wäre
baS benn auch Wohl gewefen aufeer bem, baS ich nicht P
lernen brauchte, bie ©oefic!" ©on ber bloßen äfthetifefeen
Sfritif oermochte fie nicht p (eben, ©ie begehrte ben fdjaffen«
ben ©eift, baS lebenbige Sunftwerf unb begriff, waS ©cfeelling
leferte, bafe biefeS bie feöd)fte Offenbarung ber Slatur unb ber
SBelt fei. Sn einem ber feerrlid)ften SBorte iferer ©riefe läfet
fie bie Wohnung an ©cfelegcl ergefeen: „eS bauert midfe, bafe
ich wir nicfet einen SteüerS oon Tir feabe geben laffen, Tich
aller Sritil fortfein p enthalten. O mein greunb, wieber»
Digitized by v^. ooQie
326
Die töegetuoart.
Nr. 21.
pole e« Jir unaufhörlich, tt>ie furz ba« Sehen ift, unb bah
nichts fo maljrhaft ejciftirt al« ein Sun ft wert. Sritif geht
unter, leibliche ®efc£)led)ter berlöfcpen, Spfteme mccpfefn, a6et
trenn bie EBelt einmal, aufbrennt, mie ein ©apierfdjnifcef,
bann merben bie Sunftmerfe bie lebten lebenbigen Fünfen
fein, bie in ba« fpau« ©otte« eingefien — bann erft fommt
ginfternih". 3J?an erfennt fcpon au« biefen (Stichproben,
baff bie ®atten fid) entfrembet mären. Elber bie Trennung
unb bie ^Bereinigung füllten nicht fo teidjt bon Statten gehen,
benn romantifd) mar bamal« auch bie Siebe. Karolinen«
Tochter Elugufte mar ba« £inbernih. @« E>ei§t, ba§ fie
Sdjefling'ö ©raut ober fo gut al« feine ©raut mar, bah
ber gemeinfdjaftfiche Schmerz über ihren plö&lidjen 'Job ihn
ber ©Zutter näher brachte unb fo nah, bah *ufefct bie
ÜJJutter an bie Stelle ber Jocpter trat, bah feine Siebe
ju jener burch feine Siebe z» biefer bebingt mar. 9^acf)=
bem aber bie ©riefe Karolinen« Veröffentlicht finb, erfcfjeint
bie Sache ganz anber«. EU« Scheßing bie $D?utter fennen
lernte, mar Elugufte breizepn Sabre alt, unb c§ ift meber
anjunehmen noch irgenb mie bezeichnet, bah feine erfte 9?ei»
gung biefem Sinbe gilt, „dagegen h cr rfcf)t zmifcpen ihm unb
Caroline fogleich eine gegenfeitige, au« ben Naturen ©eibet
bemegte unb leicht erflärbare Einziehung bon fteigenber Sraft
unb SBärme; bie ältere, melterfahrene, geiftig bebeutenbe grau
bemächtigt fid) feiner ©mpfinbungen, ihre greunbfepaft thut
ihm mohl, ihre b°b e Meinung unb ©infidit bon feinem
©eift unb ©eruf fdjmeicpelt feinem Selbftgefiihl, fräftigt unb
treibt feinen Gfjrgeiz, fpornt unb infpirirt feine Jljatfraft.
Shre begeifterte, bon ihm gleichfam trunfenc Siebe bringt auch
in feine ©efühle bie ©luth ber ©rmiberung; fie rooßte biefen
9Kann in ihrem Seben«freife fefthalten, unb e§ mar halb ein
bon ©eiben empfunbener SSunfdj, fich anzugehören unb feft
berbunben zu fei», ohne fid) einer Untreue fdjutbig zu machen.
EBarunt foßte nicht ber fo bicl jüngere 3J?ann, ba, er ihr
©atte niept fein fonnte, if>r Sohn merben? ©tma« in ihrer
3ärtlicf)feit für ihn mar mütterlkber Elrt, unb menn aud)
noch anbere ©mpfinbungen bamit fich mifdjten, fo lag eben
in ber ßKifdjung bie bießeidjt täufdjenbe Unfchulb. Jet ®e»
banfe, Scheßing mit ber Jodjter z» berheirattjen, entfprang
gemi| zuerft in ber 3J?utter, bie ba« Spiel ber Seibenfchaften
ju lenfen, ihren Eßunfcf) Scheßing mitzutheilen, in ber Jocpter
ZU meden unb biefer, mie e« einem überlegenen mütterlichen
©influffe leicht gelingt, ihre ©emunberung für ben EBanit ein»
Zuflöhen muhte.* So urtheilt Suno gifeper. Jafs Saroline
mirflicp ©orfteßungen biefer Elrt in ber Jocptcr genährt haben
muh, geigen beutfid) genug bie ©riefe, bie fie ihr im tperbft
1799 nach Jeffau fepreibt. Jie Elrt ihrer ©ertrautichfeit, ber
Jon ber ©riefe, ber ungehemmte Elu«brud ber ©mpfinbungen
Karolinen«, felbft bie äuhere Sßcife be« ©erlehr«, be« 3ufammen*
fein« unb ßufammenleben«, ift niefjt benlbar ohne ein engere«
©anb, morübet fie im Stiflen einöerftanben maren, unb ba«
bamal« nur bie ernfthaft beabficfjtigte ©erbinbung gtt»tfc±)en
Scheßing unb Elugufte ©öhmer fein fönnte. SSarurn hätte
auch Scheßing für bie Einmuth biefe« aufblühenben Sinbe«
meniger empfänglich fein foßen, al« griebrid) Schlegel, al«
Steffen« unb Etnbere, bie in ihre ©äpe tarnen? Jafj er fie
al« bie Seinige betrachtet hat, läht fid) au« manchen feiner
Eteufjerungen ertennen; er muhte ihre« ©efifce« fieser gemefen
fein, fonft hätte er in einem feiner ©riefe nach bem Jobe
Karolinen« nicht ben fdjmerzlicpen Elu«ruf tijun fönnen: „nun
erft hatte ich auch Eluguften ganz berloren". ©ine fofehe ©er»
binbung erflärt gifd)er al« bie natürlichfte unb hefte Söfung
problematifcher ®emüth«oerhältniffe, in bie fich Scheßing
üerftridt fah, er mar an bem gaben ber ßauberin in ba«
Sabprintp einer Joppelliebe gerathen, au« bem er burch bie
tpanb Eluguften« befreit mürbe. Ja tarn ba« bunfle ©efehief
unb lieh bie tpanb, bie er fchon ergriffen hatte, plöplidj er«
ftarren! @r mar mie bernieptet. ©on ber Sranfpeit genefen,
lebte er einen einfamen SBinter in Sena unter ben fepmer«
müthigften Stimmungen, bie fid) in manchen Stunben bi«
Zur jobe«fehnfudjt üerbüfterten. 3 U bet ©rfepütterung über
ben Job, zu bem Schmerz über ben ©erluft tarnen quälenbe
©ormürfe, bah er nicht forgfältiger gepanbelt, nicht jut
rechten 3 e 't einen anberen Elrzt gerufen, bem oorhanbenen
ZU fehr getraut habe. @« tarn mohl auch ein Schatten, ben
ba« Etnbenfen Eluguften« marf. „EBie fich bie ©mpfinbungen
zmifdjen ihm unb ber SDEutter geftaltet hatten, mar am ©nbe
boch gegen bie Jochtet eine Elrt Schutb unb Unmahrbeit
entftanben, bie jefct, nachbem jene plöplich pinmeggerafft toar,
fchmer auf feine Seele fiel. G« gab Elugenbticfe, roo »hm. zu
SWutpe mar, al« ob er fich an bem 9J?äbdjen berffinbigt, ai«
ob im ©runbe ein frebelhafte« Spiel mit ihr getrieben morben.“
El ber Saroline finbet leicht bie Elrt ber EUrögleidjunq unb
Söfung, mie bei ber unzerftörbaren Seefenoermanbtfchäft ihr
©erhältnih miebet hergefteßt unb fo erneut merben fann, ba|
felbft bie petfönlidje SBicberbereinigung möglich mirb. Jer
©eliebte foßte ber ©atte bet Jodjter merben; bon jefct an
foß er ihr gelten al« Sohn, al« ©ruber ihre« Sinbe«. „Sdi
fdjeibe nicht bon Jir, mein Eiße« auf ©rben", fcfjreibt fie im
gebruar 1801, ,,ba« EDEittel, ba« bie Seele ergreift, um fid)
ber ©ettmeihung be« ©unbe« zu entziehen, ftettt Eiße« her,
ihn felbft in feiner ganzen Schöne unb bie gärtlichfeit, bic
ihn unterhält. 3d) bin bie Jeinige, ich liebe, ich achte Jid),
ich habe feine Stunbe gehabt, mo ich nicht an Jid) geglaubt
hätte, e« finb Umftänbe gemefen, bie Jcinen ©tauben an
mich trübten, e« mirb nun heßer merben. Eli« Jeine W littet
begrüfte ich ®id), feine ©rinncrung foß un« zerrütten. Ju
bift nun meine« Sinbe« ©ruber, ich gebe Jir biefen heiligen
Segen. ©« ift fortan ein ©erbrechen, menn mir un« etwa»
Etnbere« fein rnoßten". „Sch habe Jid) fchredlidj lieb, un»
begreiflich lieb, unb nun mirb e« erft ganz an ben Jag
fontmen. Sönnte ich ®i r » ur meinen Sinn einflöfjen, alle
Spannung meghaudjen, Jicf) felbft fefthalten in Jeitter Ein«
mutf), bei Jeiner leichteren Stimmung, ©emifj, menn Ju
Jid) jefct nicht mehr trauernb an Unmöglichfeiten menbeft,
fo fönnen mir urr« nodj ein fdjöne« Sehen bifben. Ecitnm
unfer munberbarc« ©nubnifj, mie e« ift, jammere nicht mehr
über ba«, hm« e« nicht fein fonnte."
Unterbcffen napm ba« ganze ©erhältnih Sarolinen« zu
Schlegel einen rnflben, abgefpannten, übcrfättigtenEtu«brucf au.
EBie fie gemcinfdjaftlicf) ba« neue Sahrljunbert begrüben, fdjilbcrt
Sarotine btm greunbe Scheßing lacheitb mit einer ©ergleidjung,
bie feine fortbauentbe ©emeinfehaft bebeutet. „Jer Schlag
ßmölf übcrrafchte un«, ich moßte Schlegel ttod) meden, ehe
e« auögcfdilagen, benn e« mar mir, al« fönnten übte golgen
barau« entftehen, menn einer babei nidjt machte, gleichfam al«
ob er ba« 3»lammenf(ingen feiner Sterne öetfd)liefe, —
alfo lief ich h<»a»f, er halte ben Schlag gehört, fi<f) ,zu>
famtnengcrafft unb z» »n« hinuntergehen moflen, alfo be«
gegneten mir un«, mie bie beiben 3ahrfj»»berte, auf bet
Jreppe." Ja« ©ine fommt, ba« Elnbere geht, unb bie Sterne
ber beiben ©atten flaugen nicht mehr zufammen, bemerft Suno
gifcher. „Saroline hatte ben Srei« ber Setbfttäufchungen
burchtaufen; fie meinte bie Siebe zu Scheßing unb bie ®he
mit Sd)leget gut bereinigen zu fönnen, fie jene mütterlich, biefe
freunbfehaftlid) halten unb träumte fich mirflid) einige
hinburch fiefjer in biefer Joppelempfinbung. 5e freunbfehaft«
licpcr fie an Schlegel fcf)reiben fonnte mit marrner, in ber
Jpat ungeheudtelter Jheilnafjnte, um fo unfchulbiger nahen
fie felbft ihr ©erhältnih z» Scheßing, unb je intimer biefe«
©erhältnih fid) geftaltete, um fo lebhafter fudjte fie in ben
freunbfchaftlichen ®efüt)len für Schlegel ba« au«gteichcnbe
©egengemidjt. Jie innere Unmahrheit, bie in ber Sache lag,
machte ben 3»ftanb unerträglich- Sept ergriff fie bie Schei’
bung mie ein gugfeid) unfelige« unb befreienbe« Sdjidfal-
Shre erfte Stimmung mar, fich nie mieber z» berheirathen.
Sie gehört z» jene» „problematifcheit Naturen", mie ©oethe
fie nannte, irt benen üßatur, barum auch Seibenfchaft unb
Digitized by v^. ooQie
Nr. 21.
327
Die (Begcntuttri.
Sdjidfal mächtiger finb als ber ©Bille mit feinen Abfid)ten
unb ©orfäfeen, bie befhalb beim bcften ©Billen nicht beftimmcn
fönnen, wie fie morgen empfinben merben. Solche Staturen
haben fein SebenSprogramm ober machen eS nur, um ei p
änbern; ihre SebenSfaljrt gleißt einer ©hantafiereife, bie auch
fein Programm bulbet. ©Ber mit! bei fotcfjer ©euiüthöart
öorherfagen, Wo ei ihm in ber unbefannten ©Belt, in bie er
geht, am heften gefallen wirb? Unb fo begreift fief) auch,
ioie in affen ihren SebenSwanbfungen unb tro£ affen uitge»
Wollten ©djidfafen biefe probfematifchen ©Ijaraftere bennod)
baS ©efiifil hoben, fich felbft treu geblieben p fein."
®ie »eiteren ©chidfafe ber romantifchen (Smandpirten
mag man in Stuno gifdjer’S „©chclfing" nadhtefen. Jame
Sucifer war tobt, eine tapfere, ibeafe ©elehrtengattin halte
fich in ©türm unb Jrang, in ©ünbe unb ©ühne auS ihr
entwiefeft. prächtig fchreibt gifd)er: „Die @mpfängtid)feit,
wefche nur eine grau befifct unb geben fann, unb bie für
ben Auffcfjwung beS männlichen ©eifteS bewegenber unb p»
gleich beruhigenber unb fixerer ift, als febe fiulbigung ber
SEBeft: eine ©mpfänglidjfeit, bie ben ©fann nicht bloff in
bem, WaS er feiftet unb erftrebt, fonbetn in bem, waS er ift
oermöge feiner hödjften S?aturbeftimmung, in feiner eigenften
perfönlichen Art erfaßt unb fefbft nur möglich ift burch bie
innigfte, perfönfiefje Jheilnehmung, burch bie Siebe, bie auch
in ber ©lenbung h e Q ficht unb oiefleicht bie ©Pfaden oer»
fennt, aber nie baS ©olb. ©Benn eine grau biefen fetten
Slid für eine hochbegabte männfiche Sfatur hot, ben ©inn
für ben ®ämon biefcS ©fanneS, woburcfj fie unmittelbar
weil, „waS ©uteS in ihm febt unb glimmt", fo fann
fie wie eine ©fufe auf ihn »irfen. ©ine fofcfje ©Birfung
ijinbert nicht bie Ungleichheit beS Afters unb bie Trübung
ber ©chidfale. Unb -©chelling bei feiner ©eifteSart beburfte
eine ©fufe unb fonnte fie weifen." ©eine ©he mit ßaroline
mar unb blieb gfödlich- @ie begleitete ihn in feine neuen
2e6enSfteUungen nach ©Bür^burg unb ©tünchen. greifidf)
war grau ©chelling, wie fie ipobeft in feiner Autobiographie
fdjilberte, gar nicht geeignet, unter ben ißrofefforenfrauen
einer fleinen Unioerfität eine fluge unb gefällige SfoKe p
fpielen. „Sie wollte bie Stoffe einer Ja me fpielen; wie
©chelling bet erfte ©fann auf ber Unioerfität fei, fo Wollte
fie bie erfte grau fein. @ie wollte eben oornehme ©efell»
fefjaften befuchcn, fie wollte ©efellfcbaften bei fid) geben unb
in ©eiben als bie grau beS erften ©fjifofophen in Jeutfdjlanb
unb in ihrer eigenen ©erfon als eine ber geiftreidjften, ge»
bifbetften unb geleljtteften grauen gfänjen" u. f. f. Sn ben
©riefen an ihre greunbin ©Ijarlotte üon ©dtjitler in Sena hat
Henriette oon §oüen baS ©ilb biefer ihrer „tugenbljaften fiauS»
prinjeffin", biefer „®ame Sucifer", Wie fie biefelbe üor fich
fab, in ihrem eitlen, fofetten, puhfüdjtigen, anmafienben, rüd*
fiditslofen, bei aller ©Bett, namentlich bei allen grauen oer»
halten ©ebahren in ben ergiebigften ©Sorten gemalt, ©ogar
bie ©Itcrn ©dhelling’S, feit früher Sugenb i|r wohfgefinnt,
hätten ihr gleich bie Befürchtung auSgefprod)en, bafc „biefer
böfe Jämon" ihren grieben ftören würbe. jaS Silb ift
nicht gerecht, aber auch nicht unrichtig; eS ift ber SteoerS ber
WebaiHe, bemerft bap Sfuno gifeber. Aber waS fie ihrem
Satten unb waS er ihr war, finbet man in ihren ©riefen.
SBährenb ©chelling in ©tünchen feine neuen ©erhältniffe
p grünben fudjt (grüfjjahr 1806), fchreibt fie ihm in ben
33oc|en ber Trennung bie feitrigften unb ^ärtfichften ©riefe,
jeher AuSbtud leuchtet oon ©ehnfudjt unb Eingebung. „Sehe
wohl", enbet ber erfte biefer ©riefe, „lebe wohl, mein fperj,
meine Seele, mein ©eift, ja auch mein ©Bille. Sd) habe
Jein ©ilb p mir genommen unb fpredje mit ihm." Unb
einige Jage fpäter: „J)u liebfter greunb, wenn id) nur erft
weif, ba| eS ®ir gut geht, fo will ich auch einfam fröhlich
effen, trinfen unb fd)lafen. JaS Alfcineffen ift baS ©chlimmfte
für mich- wäre thöricht, wenn id) ®ir erzählen wollte,
Wie ich $)ich in ©ebanfen lieblofe, Ju weift eS wohl."
©titten in ber fcichteften ©lanberei, »eiche bie Sfeuigfeiten
beS JagcS burcfjläuft, brechen ©Borte flammenber ©ehnfucht
herüor: „0 J>u füfeS, liebes fperj$! ©Bann »erbe ich bod)
bie Anbadjt pm .fterpn meines fettet wieber halten! föaft
Ju aber wohl gehofft, bafj ich eS fo ertrüge?" ©ie hat
bie bepubernbe ©obe, auch bie aHergewöhnlichfteit Jinge fo
anmuthig p fagen, baf fie wie poetifch erscheinen. @S ift
bie ©ebe oon ihrer fünftigen ^auSWirthfcfjaft in 9J?ünd)en:
„®aS wünfdie id) fehr, baf wir unS üor’S ©rfte fpeifen laffen
unb ich bie Art ber ©orglofigfeit üben fann, bie man auf
ber Steife hat. ©Bo friegteft ®u benn auch eine Äüd)e h et ?
Ober haft ®u etwas bergfeichen, wo man geuer p ©Baffer
machen fann?“ Sm festen ©riefe Oor ihrer Abreife Wirb
auch ber Drt befprodien, wo fie baS erfte ©Bieberfehen feiern
wollen: „®u fommft mir anf jeben gafl nur fo Weit ent»
gegen, wie ber Sönig ber Königin — bis ®ad)au." Sft eS
nicht, als ob unter ber leichten ©erüfrung ihrer geber fich
bie gewöhnlichften 2)ingc in ©ebiefte oerwanbeln wollten?
Aber ba trat jäh ber jEob bajwifchen unb enbete
nach fed)Sjähriger @h e (1809) baS Seben bet merfwürbigen,
genialen grau. ©Bir fönnen nicht beffer ooit ihr Abfhieb
nehmen, als Wieber mit Sfuno gifdjer’S ©Borten. ,,©ie
hätte auf bem öffentlichen gelbe ber Siteratur fich Stuhm
erwerben fönnen, wenn fie gewollt hätte, unb eS ift in ber
©eurtheilung biefer grau nicht h oc h 9 e oug anpfdjlagen,
baf fie, mit allen Talenten bap auSgerüftet, ben ©amen
unb ©lanj einer ©dEjriftftetferin oermiebeit unb nie ein ®e=
lüfte barnach empfunben hat. $eute ift ihr ungefucht unb
ungewollt biefe ©ebeutung jugefalfen, benn bie ©Belt wirb
Caroline ©chelling nnb ihre ©riefe nicht wiebet oergeffen.
©o lange fie lebte, fud)te fie baS ©lüd echt weiblicher ScbenS»
befriebigung mit einem ©eelenbebürfnifj, einer ©eifteSempfäng»
fi^feit, einer (Stregung unb einem Auffdjwunge aller ©emütljö»
fräfte, baf fie 'Eäufchueigen erfahren muffte unb burch Srrungen
hinburdjging. 3 u ^ e ht ift ihr baS SReifterftüd ba gelungen,
wo fie eS allein erftrebt hat, Wo cS am fdjwerften unb
feltenften ift: im Seben felbft,* fie hat im Stampfe mit bem
©djidfal, ber nie ohne ©djulb auSgeht, ben ©ieg unb nach
bem ©Borte beS Richters bie edjtcfte aller grauenfronen
baoongetragen: „5}aS AHerhödjfte, waS baS Sehen fchmüdt,
wenn ficfi ein ^erj entpdenb unb entpdt, bem fierjen fchenft
im füfen ©efbftüergeffen!"
Literatur unb £unft.
Die franjöfifdje Jtaletei auf her fJarifcr WJelt-
üttslieüttng.
SBoit 2t. JSrmtnemann (©artS).
S)en enttäufchten ©efuchern ber ©arifer ©BeftauSfteHung,
biefeS p früh geborenen ÄinbeS, wirb, fofern fie Stunft»
freunbe finb, feit einigen 'Jagen ganj ^erüorragenbeS ge»
boten. ®aS Grand Palais, ein ©radjtbau, ber an ©teile
beS alten Palais de l’Industrie treten fotl, ift eröffnet worben
unb bamit wirb ein Sinblid in baS moberne franjöfifche
ffunftfehaffen erfdjfoffen, wie er ju feiner ßeit umfaffenber
unb lehrreicher gewefen ift. $)ie ganje ©ntwidelung ber
franjöfifchen SJtalerei beS 19. SahrljunbertS jeigt fidh unS,
oeranfchaulicht burch 9)?eifterwerfe aller ft'unftrichtungen, oor
Allem aber burcf) bie ©Berte fühner ©aljnbrecher, beren
©dhaffen fo bebeutfant für bie ©ntwidelung ber ©falerei
überhaupt geworben ift. $>ie Exposition Centenale greift
fie als SRarffteine fjrrauö, bie Exposition decennale, bie
ihre gortfejjung bitbet, legt Oon bem @d)affen ber lebten
jeh" Saljte Siechenfchaft ab, um barpthun, wie fich
Digitized by v^. ooQie
!T r
328
Die ©egenroart
Nr. 21.
jüngeren SDZaler bie beften ©rrungenfdjaften ihrer großen
gfihrer ju SRuge malten.
@S gilt nun, in bem riefengroßen, burd) jaljlreicbe
majeftätifeße Treppenaufgänge mit kuppelmölbungen unter*
broeßenen Sau, bem bie Sauftßle SouiS XIV. unb SouiS XV.
ju ©runbe liegen, nach ©litemerfen ju fuc^en, bie mir 31 n*
fangS in ben meiten fßarabefälen, erfüllt non berber koft für
baS große fßublicum beftimmt, fanm bemerfen. Tro^bem man
eine febr üorficfjtige 3luSmahl getroffen fyit, finb bie §aupt*
fäle bocß gefüllt mit Wiefengcmälben, bie auf ben groben
äußeren ©ffcct ^inauSgielen, ein umoillfürlicber Seitrag jur
(St)arafteriftif beS franjöfifcßen SolfeS, baS einerfeitS an
marftfd)reierifcben Tingen mit ber na inen 3lrt eines bar*
barifeben SoltSftammeS ©efatlen finbet, anberfeitS baS bis
jur SRaffinirtljeit gefteigerte kunftempfinben eines febr alten
©ulturftaateS an ben Tag legt, ©ine franjöfifcße ©emälbe*
auSftellung ohne ein paar „grandes maebines“ politifdjer
Watur — 3 Qt WifolauS II. bilbet hier felbftoerftänblicb ben
SRittelpunft beS SntereffeS — ift nicht benfbar, ferner muß
ber febau* unb fpectafelfücßtigen 2Renge noch immer jenes
©emifcß oon SBolluft, Slut unb ©reuel aufgetifebt rnerben,
baS jur 3 e *b ba bei uns baS Tiiffelborfer ©enre blühte,
Triumphe feierte. Tie Sorliebe hierfür ift wohl im barbarifdj*
feltifcben ©lement beS franjöfifcßen ©ßarafterS ju fueben.
Wad) biefer Dichtung hin teiftet Wodjegroffe baS Sefte,
beffen anfprucßSoolle, auf ben ©ffect componirte Silber boeb
Oon einem tüchtigen können 3eugnife oblegen.
Sornebm abgefonbert, in Heineren Seitenfälen »erteilt,
finben ficb jene trefflichen SBerfe, bie in ihrer einheitlichen
©ruppirung — ganj feltenc Schöpfungen mürben oon ißrioat*
galerien jur Serfügung geftetlt — ein üoUftänbigeS Silb
ber heutigen ftanjöfifcben ÜKalerei geben.
©S ift mit ©infcßluß ber großen Sorläufer, ber fraft=
oollen Scanner oon Sarbijon, beren SBetfe mir als ju be*
fannt übergehen, eine febnfüdjtige SBanberung ber freien
Suft unb Sonne entgegen. Tod) fautn ift baS 3iel erreicht,
fo fegt baS übercioilifirte franjöfifdje künftlertemperament
ein unb beginnt an ber £>anb einer toüf öffnen Technif ein
Srillantfeuermerf jitternber Strahlen ju entfalten unb ftatt
ber 2Babrl)fit eine 9Belt trügerifchen Scheins heruorjujaubern.
©S ift bie kunft ber Ueberreife unb Uebercultur, bie alT baS
Unbcfinirbarc micbcrjugeben fueßt, maS franfhaft überreijte,
für alle Nuancen ftart empfinblidje SRcrücn erregt. Tie
Stärle ber jüngeren SReifter ift im SmpreffioniSmuS ju
fud)en. ©outbet mirb burch baS berühmte Silb, „bonjour
Monsieur Courbet“ (SRufeum oon SRontpellier), ferner bur<ß
la Sieste, la Vügue unb les Cribleuses de bie Oertreten;
baS Stubium feines herben, groblörnigen fRealiSmuS ift lehr*
reich, hoch feffelt eS nicht lange neben bem 3 au ber ber im*
preffioniftifdjen kunft. Slud) SRanet’S berühmtes „dejeuner
sur l’herbe“, foroie feine Salconfcenen gefallen jmar burch
ihre rüdficßtSloS ehrliche SBaßrheit, mir fühlen uitS jebodj
mehr oon ihm angejogen, ba, mo er bie alljufräftigen harten
©onture, bie falten, freibigen Töne meibet unb, feine 2Ral*
meife unenblidj oerfeinernb, nichts körperliches, fonbern nur
©inbrüde ber körper unter bem Spiel oon Suft unb Sonne
ju geben fueßt. Trefflich ift in biefer £>infid)t baS fßorträt
einer Tarne, an einer Staffelei figenb, ferner eine nachläffig
ßinfdjreitenbc 2Rännergeftalt.
Sßnr reihen fich an einige naturatiftifch behanbelte
Silber ber fßlainairiften Saftien*Sepage, fRoll unb
t’^ermitte unb bann thut fich SBunbermelt ber 2fm*
preffioniften auf. Ta ift baS große Trio, ©laube ÜRonet,
Siffaro unb SiSlet), Tichter ber tadjenben ftanjöfifcben
Sanbfdjaft, ber maigrünen Saubmälber, ber fonnenüber*
flutßeten liefen, ber etmaS monotonen Törflein an blauen
glüffen, ber leichten 3 e Ph'rmolfen, ober ber alles Seben
bämpfenben ÜRittagSglutß, mo ber große San fcßläft unb
nur baS reine Sonnenlicht gligert unb flimmert. Sin ihrer
tpanb [türmt ber leibenfdjaftlidh empfinbenbe 2Renfd) nid)t
mehr hinaus in bie Watur, um mit elementaren ©etoalten ju
ringen, ein oerfeinerter, allen milben kontraften feinblidjer
kulturmcnfch fiu de siede (egt fich mit offenen 3lugtn
träumenb inS grüne ©raS unb läßt bie flüchtigen ©inbrüde
eines golbigen Sonnentages über fich binbuföheit.
Tie Smpreffioniften jerlegen bie garben in ihre ©ompo*
nenten unb fegen fie bergeftatt an einanber, baß fie, aus
einiger ©ntfernung gefeßen, in ein bemegteS ©anje jufammen*
fließen unb fo bie Süufion bet über bie ©egenftänbe hin*
tanjenben licßtburchflutbeten Suft herborgerufen mirb. Tie
©onture jerfließen; nichts körperliches mehr, fein Silb, ein
äRomenteinbrud! SRiemanb hat, mie ©laube ÜRonet oerftanben,
SBiefengrün, fonnige Suft, blauen Ipimtnel unb leicht hin*
fegelttbe SSolfenflocfen ju malen, um bie buftige Stimmung
eines fonnigen SenjtageS feftjußalten.
TegaS, fRenoit unb fRaffaelli oerlaffen bie roeittu
©efilbe unb menben fich bem fßarifer Treiben ju. ©rfterer
mahlt fich Tänjerinnen jum üRobeH, bie ihm beim Sicht bei
Wampen bie fchmierigften jeidjnerifcßen unb coloriftifcfjen 3luf»
gaben fteQen; eine jebe roeiß er burchauS inbioibueQ bei 3luS*
Übung beS gleidhen SerufS ju oerförpern. TegaS ift SReifter
in ber Tarftellung meibli^er ©rajie unb ber .camation
civilisee <( , um mit £>ut)SmanS ju reben.
geurige®luth beS ©otorits, meieße, abgerunbete gönnen,
marme Sinulidhfeit jeigen bie grauenbilber SRenoirS. SBie
ber große englifcße SanbfchaftSmaler Turnet hat er fuh an
glühenbem Sichte fattgetrunfen unb läßt eS nun (euchtenb
aus feinen Silbern heröorftrömen. — 31US ben fahlgrauen
UebergangSftimmungen ber Sannmeile oon SariS, bie meber
Sanb nod) Stabt ift, fchöpft fRaffaedi eine güHe lebenSmahrei
unb in ihrer SBaljrheit berebter ©eftalten. Stubien auf bem
gleichen noch toenig bebauten Soben machen fRene, SiDotte
unb Sinet.
2Bir haben unS barauf befdjränft, auS ber Exposition
Centenale bie feften ©runbpfeiler h«rauSjugteifen, auf benen
baS jeitgenöffifche franjöfifche kunftfehaffen rüftig meiter 6aut.
Tie franjöfifche kunft ber legten jeßn Sahre gipfelt
im Stubium oon Sicht* unb garbenproblemen, ein paar
ältere SReifter ausgenommen, bie oeraltete kunftübungen
fortfegen: Sonnat mit glatter menig eigenartiger SRalmeife,
bie feine tüchtigen SorträtS berühmter ^ßerföntic^feiten ettuaS
beeinträchtigt; Wohnet mit Scenen in ber fleifdjftrogenben
niebetlänbifchen ÜRanier, Souguereau unb ©abanel mit roeich
liegen Sieten oon einem porjellanigen Sncarnat.
SBie bie jüngeren Sdjriftfteller liegen bie jüngeren
künftler faft alle im Sanne beS [ßariferthumS. gabelhaftcä
jeicgncrifcheS können, große Trefffidjerheit merben aufgeboten
um ben ©hie, bie ©rajie ber fßariferin barjufteQen. Wicht
baS ffleib an fich feffett fie, fonbern nur jenes gefdhmeibige,
neroöfe ©efehöpf, baS meber fchön no^ ebel erfcheint, aber
burch bie auSgefucf)te ©leganj feiner kleibung, bie ber*
fühterifdje ©rajie feiner Seroegungen immer intereffant unb
reijbott ift. TaS ift baS grauenibeal, baS bie ißhantafie ber
granjofen befchäftigt, baS ihnen, eine mobeme Soconbe, ettig
neue SRäthfel ju löfen giebt unb eS oerfteht, burch taufenb
unbefinirbare Weije ben 3Rann an fich 5 U Stegen, ©inen
munberbaren 3°uber meiß ber farbenprächtige SeSnarb ber
toeiblichen ©eftalt ju oerleihen — hier feine ftreng gegebenen
gormen, feine flaren garben mehr, fonbern ein berücfenbeS
Spiel Oon Sinien unb garben, ein Schillern beS Siebtes auf
j arten feibenen ©emänbern, bie ihre Wefleje mieber auf bie
neroöfen, fchfangenhaft gef^meibigen ©lieber, auf baS pidonte
Slntlig roerfen. SeSnarb meiß eine beftricfenbe Smpreffion
ber ißarifer SBeltbame ju geben, ein ©nfemble oon taufenberlei
üerführerifdjen ©injelheiten, baS jeboch jeber Slnatpfe fpottet
SernerfenSmerth ift baS fßorträt ber Schaufpielerin Wejant
unb einer Tarne im rofa Seibenfleib.
Tie anmutige ©rajie ber SBettbame befchäftigt ferner
Digitized by v^. ooQie
Nr. 21.
5Die ®egenwart
329
£>umbert, ber im bie?jäßrigen Salon ben erften ©rei? et«
galten ßat Un? fcßeint ba? Porträt be? Scßriftfteder?
Sfule? Semattre feine ja^lreidjeit grauenporträt? an Sdjärfe
ber Sßarafteriftif unb fprecßenber Sebenbigfeit weit ju über«
treffen. Der bon ben Snglänbern beeinflußte, feinfinnige
Schöpfer weiblkßer Slnmutß, 9lman«3ean, opfert bie ßolbe
Siebließfeit, bie er früher feinen SRäbcßenbitbern ju üerleiEjen
wußte, mehr unb mehr bem Sßic. ® on feiner TOirflic^ fein
burcßyeiftigten ÜRalroeife tßut er einen Schritt in'? ©anale.
Die ganze feelenbode 3nnigfeit ber Duatrocentiften weiß
bagegen ©outet be dRonbet in feine grauenporträt? ju legen.
dReifter jWeiten unb britten Kange? tifeßen un? mit
großem ©efeßid ba? auf ben Sinnenreiz f)inau?zielenbe auf;
ihren ©itbern entftrömt eine entneroenbe Defabenz»9ltmfopßäre.
Koch an ben würzigen grüßting?obem beutfeßer Srbe ge«
wöhnt, noih ber auffteigenben Sonne zujubelnb, will un?
bie fcßwüle Treibhausluft be? ©arifertßum?, in bie fieß bereit?
bie mannigfachen Uebergang?töne be? Sßelfen? mifeßen, nur
wenig zufagen. 28ir werben überrafd)t, aber nicht bauernb
gefeffelt ober erquidt. Sin oerblüffenbe? tecfjnifdEje? Sännen
wirb an herzlich unbebeutenbe Dinge oerfcß werbet; ftatt auf
freie ®aben einer freubig feßaffenben ©ßantafie ftoßen wir
auf mühfam 3 u fcunmengeflügelte?. ©eraub , meint ben
ßeitgeift zu treffen, inbem er (S^riftuS auf bem äJtontmartre
für theatralifch pofirenbe Arbeiter fterben läßt, ober un?
eine Sßebrecßerin in mobernem ©ewanbe z e >9t. bie fieß
mitten in einem Salon bod befradter Herren za Süßen be?
§eilanb? nieberwirft. Dagnan«©ouberet giebt mit feinem
„Slbenbmaßl" eine Scene, in ber er bie ©üßneneffecte ber
©ralentßüdung gefeßidt berwertßet unb Sßriftu? in einem
pßo?pßore?cierenben Sichte barftedt, ba? oon bem Selch in
feiner Ipanb au?geht. S? ftedt Weber Seele noch Straft in
biefern anfprucß?boden ©itb; betrachtet man baneben feine
frifdjen, läftlichen Dppen au? ber ©retagne, fo tann man
nur bebauern, baß ber tüchtige Sfinftler ben fräftigen iRäßr«
hoben feiner engeren §eimatß berlaffen hat.
Da? Sßmboliftentßum, ba? troß ber SRäße Snglanb?
unb ©elgien? wenig ©oben in granfreieß gewonnen hat,
oertritt recht eigentlich nur ©uftabe SRoreau. Die 9tu?«
ftedung zeigt feine fetten gefeßene „Salome“, feine gewöhn«
ließe Scene orientalifeßer Fracht mit einer Süße bon forgfam
gemalten glißernben Steinobien, fonbern eine ©efeetung aß’
biefer ©radjt, fo baß fie zugleich mit ber ©eftalt ber fdßönen
Dänzerin eine fcßwüle Sinnlichfeit unb etwa? dRpftifcß
©eheimnißboße? au?ßau<ßt. Da? ©ilb finbet feine parallele
in ber Sprit SSungfranfreitß? in §enri be Kegnier’? franf«
ßafter, mit Spmbolen übetlabener unb boch fo beraufeßenber
©oefte. Die übrigen ©ilber SRoreau’? zeigen, abgefeßen bon
bet ©irtuofität, mit ber ißt äußerer Detor beßanbelt ift, eine
große innere Seere. Den Don ber Sßmbotiften unb Quatro«
centiften berfudjt ber ©ointidift §enri dRartin zu treffen in
ben großen ©emälben: Serenite, l’Apparition de Clemence
Isaure aux Troubadours unb la Chimere. Sr h°t feine
luftige Dedjnif bon ©ilb zu ©ilb berboßfommnet unb berfteßt
ben Sinbrud be? ptößlidj Stfdjeinenben, fieß ©erftücßtigenben
ßerborzurufen. 9lucß ißm feßlt e? oft an feßöpferifeßer Ur«
fprünglicßfeit, unb fein Stjmboli?mu? ift zum Dßeil au?«
geflügelte ffierftanbe?facße. Um bie? reeßt zu beurtßeilen,-
müßte man ißm ben ©ebantenreießtßum ©ubi? be Sßaoanne?,
biefe? echten tief innerlichen ©ebanfenmaler? gegenüberfteden.
Seiber ift er nur mit ein paar Sntwürfen zu älteren SEßetfen
bettreten, bie faum annäßernb einen ©egtiff bon feinem fo
reießen Sdjaffen geben. Sie wirten auf ber rotßen Dapete
eine? Saale?, in bem fieß biel marftfeßreierifeße SBaare breit
maeßt, grau unb unanfeßntieß. ©uni? be Sßabanne? geßört
in weite Ipaflen unb in ben Kaßmen einer großzügigen
Srcßiteftur. f)iet wäre ba? feinbureßgeiftigte ©orträt bon
be? dReifter? ©attin an feinem ©laße gewefen, ein ßerrlicße?
SEBerf fünftlerifdjer Keife unb dlbgefcßloffenßeit.
dtdmäßlidj finb wir Wieber au? bem ©annfrei? be? ein»
feitigen ©arifertßum? ßerau?getreten. Der Deutfcße fann fuß
woßl eine SBeile bon bem Sprüßfeuer geiftreicßelnber Sßam«
pagnerfaune ßinreißeit taffen; er fann bie finnbetßörenbe
dltmofpßäre bet ©arifer Dreibßau?luft eine SSeile atßmen;
halb aber feßnt er fieß naeß beutfdjen SBälbern, beutfeßer
Sonne, naeß beutfdjen Stürmen unb Unwettern, wenn e?
fein muß, aueß naeß beutfeßer ©lumpßeit; bor allem aber
naeß beutfdjem ©emütß. Sännen ißm woßl foldje Däm«
merung?naturen wie Sortiere zufagen?' SEßir meinen e?
immerhin, benn troß ade? Srantßaften, wa? Sortiere’? Sunft
entßält, troß feine? manierirten ©orgeßen?, ©eftalten faft
mit ganz ließet Unterbrüdung ber Sonture wie ©elfter«
erfdjeinungen au? graubraunem Kebel auftaueßen zu laffen,
weiß er bie Seele zu feffeln. SlUe? SRatericHe bannenb,
maeßt er ben etat d’äme zur §auptfacße; feine ©eftalten
finb nur Sßmbole, Dräger einer Smpfinbung, eine? ®e«
banfen?. Sr weiß un? bie tiefften menfeßließen Smpjin«
bungen: ©tutterliebe, Drennung?fcßmerz, ÜRitleib unter So?«
löfung oon adern Kebenfäcßlicßen, gerftreuenben mit au?«
brud?boder SBaßrßeit naße zu bringen, ©anz ßerborragenb
ift bie Sßiebergabe be? 3 u fchauerraum? in einem ©olf?«
tßeater, bie ben Sinbrud ber Darftedung auf bie oerfeßiebenen
3ußörer mit ben einfaeßften SKitteln in übertafeßenb treuer
SBeife beranfeßauließt; tiefe ©erinnertießung unb ©efeetung
Zeigen bie ©orträt?: ©roßmutter unb Snfelin, ©ater unb
Dödjtercßen.
Die jüngfte franzöfifdje Sunft Weift nur feiten bie
großen Sigenfcßaften ber füßneit, energifeßen ©aßnbre^er
auf. ©ewuuberung?wertß ift bie manuede ©efcßidlicßfeit,
bie ©razie ber Sompofition, ber ©efißmad in ber S°tben»
Zufammenftedung. ©eifttofigfeit bezüglich be? tieferen 3n=
ßalt? aber unb ein ungefunber Säulnißgcriuß finb ein faum
trügenbe? 3eicßen, baß fie bie innerliche 3ufammengeßörigfeit
mit Sultur, ©olf unb Sitten ißrer engeren ipeimatß berloren
ßaben, unb in bem fcßwülen Dreibßau? ©ari? auf Soften
ißre? beften Seben?marfe? zu feltfamen ©flanzen ßeranwaeßfen,
benen ein fräße? SBelfen beborfteßt.
Dennodß maeßt fieß bei einer Steiße bon jüngeren
Sünftlern Wieber ba? Dureßbreeßen be? Snßalt? bureß bie
gorm bemerfbar. Der Sanbfcßafter ©ointelin (früßer fett«
famer SBeife ©rofeffor ber SDtatßematif), berfteßt al? SReifter
in ber ©efeßränfung mit wenigen, feften 3ügen eine ftimmung?«
bode, feßließt unb eßrlicß empfunbene Sanbfd^aft zu geben.
Da? berüdenbe Spiel ber Smpreffioniften meibenb, feßilbert
er jene Dage, wo Wir ftatt zitternber Sonnenweden, ftide,
große Sinien unb rußige emfte garben f e ß en . <j)t C giguren«
tnaler Sucien, Simon, Sßarte? Sottet unb Kene
SRenarb geßen zumeift wieber auf bie ßeßre Sinfacßßeit
oon ÜRidet? ©olf?malerei zurüd. Der 9tennen?wertßefte,
Sottet, matt Dßpen au? ber ©retagne unb feßilbert mit
ßerbem Srnft bie frommen, tücßtigen ^ifeßer unb ©auern
au? ber ©egenb be? Sap giniftere. Sein Driptßcßon:
„Da? ülbf^ieb?maßl ber 3?Ianbfifcßer" ift ein SReifterwert
oon Sßrlicßfeit unb menfeßließ ergreifenber SEBaßrßeit. 3Rit
biefen SReiftern feßeint fieß bie franzöfifeße HRalerei wieber
gefunbem, fießerem ©oben zuzuwenben, bem SRäßrboben ber
ßeimatßliißen SRatur.
Sülltors Stellung jnr Ännlt.
5Son Dr. IDUijelm Bobe (SBctmar).
Dolftoi’? „Sluferfteßung" ßat in einem einzigen Saßre
eine ©erbreitung gefunben, wie fein anbere?, gteieß ernfte?
SBerf borßer; in Deutfcßfanb adein finb ein Dußenb lieber«
feßungen erfdjienen, unb Deutfcßlanb fteßt in ber SBertßung
Digitized by v^. ooQie
330
Die ftegenttHtri.
Nr. 21.
beS ruffifcpen EidjterS hinter Gngtanb unb ?lmerifa nocp
3 uriid. Sin ©tfid biefeS GrfolgeS ift bem „3eitatter
©erfeprS" 3 U 3 ufcpreiben, ber in bet ganzen 2Belt wadpfenben
3apt bet (efenbett unb Sitter faufenben Wenfcpen; ein ^tueiteä
großes ©tüd beS GrfolgeS fommt bem Umftanbe auf SRecl)-
nung, baß Eotftoi bie gefcpäftticße 9tuSnußung feinet SBerfe
Sebermann frei giept, bafe atfo bie ©ectam, frenbet, Äürfdjner ic.
feine ©ücber billig auf ben Warft Werfen fönnen; aber in
ber frauptfacpe rüiprt *ber Grfotg boep baper, baß man Eotftoi
jeßt in ber ganzen lefenben SBelt fennt, baß man Don Dorn»
herein etwas Werfroürbige«, geffelnbcS, ütnregenbcS Don ibm
erwartet.
®ennt man Eotftoi? Eie ibn wirtlich fennen, ärgern
ficb oft über bie fralbfenner, bie ben eigenartigen Wann mit
rafeben SBorten abtbun. ©ie haben in ber ©egei bie „Äreußer»
fonate" getefen unb biefeS fcbwäcbfte SÖerf Eotftoi’S DiefleicEjt
nocp fatfdp Derftanben; fie ^aben auch noch einen ©oman
Don ißmgetefen, „9tnna Sarenina", ober jeßt bie „?tuferftepung",
unb finb jurn SBefen Eotftoi’S noch niept pinburdp gebrungen.
©ie tractiren ihn immer als Eichtet unb Zünftler unb meffen
ihn an ihren Shmfttpeorien; er aber erfennt biefe Epeorien
nicht an unb will fein Sünftter fein, fein ©dpönpeitSfcpaffer,
fein ©efriebiger äfthetifcher ©etüfte, noch weniger natürlich
ein ©tauberer unb ^eitDertreiber. Sr miß oietmepr a(S ein
SBaprpeitSfudjer 3 U anberen nach ©aprpeit fed^enben Wenfchen
fpredpen, ats ©ruber 31 t ©rübern, unb wenn er, ber ©rebiger,
©omane unb ©ooeflen fdjreibt, fo gehört er fo wenig unter
bie Kategorie ber Ekpter, wie ber Urpebec ber ©teidiniffe
im ©euett Eeftament ober wie ber ©erfaffer beS ©ucpeS friob.
©ie finb nkpt ©oeten, fonbern ©roppeten, bie getegentlid)
in ben formen reben, bie fonft ben Eicptern geläuftg finb.
Ob nid)t Eotftoi weitigftenS in jüngeren fahren mehr ©oet
atS ©roppet gewefen fei, biefe grage Weibe pier unerörtert;
ich finbe in aßen feinen SÜSerfen ben Worafiften als ben
eigentlichen ©erfaffer ober .frelben. Unb eS fei bemerft, baß
Eotftoi fdpon als ©tubent in Safan über bie größten Eid)»
tungen feines ©otfeS fpottete, weit fie in ©erfen, b. t). in
einer unwahren Sprache, gefeprieben feien, baß ipn batb nad)=
her in einem ©eterSburger ©epriftfteßerfreife nidjts fo fehr
Don feinen ©enoffen untcrfcpieb, als baß jene bie Sleftpetif
über bie Gtpif, baS ©djönc über baS SBapre fteflten. Unb
wieber einige Sapre fpäter, im Dctober 1860, fdjreibt er an
ben Sprifer gjet:
„Eer Sffiunfdp, bie SSaprpeit ju fennen unb ju fpreepen,
baS ift baS (Sinnige, waS mir aus ber moratifepen 2Bett ge»
blieben ift. £öper fann icp mich nicht hinauf fdjwingen,
unb biefeS (Sine werbe id) tpun, nur nicht in ben formen
eurer Äunft. Eie Äunft ift Süge, unb ich fanitfbie fepöne
Süge nicht mepr lieben."
Eodp fepen Wir ju, wie ber heutige Eotftoi, ber ©djöpfer
ber „9fuferftepung", über bie Äunft benft. Scpon 1882 fing
er an, fiep mit ber mobernen Äunft unb ipren Epeorien mit
ber t^eber in ber franb auSpfpredjen, aber erft 1897 würben
einige größere 2luffäße („SSaS ift Äunft?" Eeutfcp Don
Dr. fJUejiS Warfow. — „©egen bie moberne Äunft." Eeutfdp
Don SBifpetm Epat) fertig, woju bann unb wann fteinere
Stuffäße, 3 . ©. über SBagner unb tybfcn, famen unb fommen,
bie in ruffifcpen ober ftan^öfifepen ober engtifepen ßcitfdjriften
erfepeinen. UnS (iegen teiber nur ^iemfiep mangetpafte Ueber»
feßungen Dor, aber waS Eotftoi benft unb wifl, wirb boep
auep auS ipnen ftar.
©rünbtieper ©rübter, wie er ift, fragt er juerft: was ift
Äunft? Unb er prüft aße biöper gemachten Antworten, um
jn einer Eefinition ju gefangen, bie wir auch bei anberen
ßeitgenoffen finben. Eie Snnft ift eine ©praepe, ein Wittel
ber Wittpeilung, eine Steigerung unb (Srgänjitng ber aß»
täglicpen 2tuSbrudSformen, eine ©praepe nanienttidj für ®e»
füpte unb Stimmungen, ©o fagt Eotftoi:'
„ 3 n fiep baS einmal empfunbene ©efüpt wieber peroor»
rufen unb, naepbem man eS in fid) perDorgerufen pat, eS
mit f)ütfe üon ©emegungen, fiinien, färben, Eönen ober in
SBorten fo wiebergeben, baß anbere baffefbe ©efüpt erfahren
— barin beftept bie Epätigfeit ber Äunft. Eie Sunft ift
ein Epätigfeit bcS Wenfcpen, bie barin beftept, baß et burep
gewiffe äußere 3 e ' c P en Öen 2 fnberen bewußt bie Don tpm er¬
fahrenen ©efüpte mittpeilt, wobei bie anberen Wenfcpen Don
biefen ©efüpten angeftedt werben unb fie ebenfaßS empfinben."
SBenn man nun Don §au 8 aus ©tpifer ift, fo gefangt man
Don foteper Eefinition teiept ^u ber Folgerung, baß bie
Jhtnft etpifdjen (SparafterS fein müffe. SfbeS Wittpeifen Don
©efüpten ift eine 9trt Ginigung: berjenige wirb atfo ber
größte ffünftler fein, ber bie mciften Wenfcpen in gleichen
©efüpten einigt. Eer ©eruf beS SiinftterS ift atfo ein fociater,
er bient ber ©erbrüberuitg ber Wenfcpen; er wirb beßpatb
fotepe ©efüpte unb ©timmungen in fiep näpren unb in Ütnbem
erweden müffen, bie bem Sbcat einer Dößigcn Ginigung bet
Wenfcpen förbertiep finb. ©ein ?lmt ift: retigiöfe ©efüpte
311 Derbreiten, eprifttiepe 3 u fß>nbe Domi bereiten.
Ob biefeS fRäfonncment richtig ift. fei pier niept erörtert;
wir fagten Dorfiditig: ber Gtpifer gelange p foteper 2teftpetit.
GS ift niept bie flitnftauffaffung, wie fie ©oetpe unb ©epißet
patten.
Eotftoi wirft Don biefein ©tanbpunfte einen ©tid auf
bie Stunftgefcpicpte: bis jur fRenaiffance war bie ffinnft eept
unb religiös, aber feitbem patten bie Gfaffen, bie Äunft
fepaffen unb aufnepmen, im fierjen bie fRetigion niept mepr,
bie offiäeß peute noch gitt, bie bem ©otfe erpatten werben
foß; eine griinbtidje Gorruption ber Äunft mußte bie gotge
biefer retigiöfen Unaufricptigfeit fein, .freute paben wir eine
&unft, bie beS ©elbeS wegen perDorgebracpt wirb unb jum
3eitDertreibe eines fepr ffeinen unb niept fepr nüptiepen EpeiteS
ber ©eDötferung bient, ©ie ift fdioit beßpatb bösartig, weit
fie bie ©ctaDerei ber Waffen, bie GapitatSfctaDerei, jur ©or»
auSfeßung pat. SBelcpe ungeheure 2 lrbeit erforbert 3 . ©.,
wenn man’S reept bebentt, bie 2tuffüprung einer neuen Oper
unb Wie Wenige Wenfcpen paben in ber ©eget baDon einen
©enuß! Gbenfo ftept bie Arbeit, bie bie frerfteßung eines
©ebidjtbudjeö maept, gewöpnticp in einem reept fepteepten ©er»
pättniß 311 ben angenepmen unb güten ©efüpten, bie eS peroor»
bringt. „Wan befreie bie ©ctaöen beS GapitalS, unb eS wirb
ebenfo unmöglich fein, eine fotepe Sunft perDorsubringett, atS
eS peute unmöglich ift, biefetben ©ctaDen an ipr tpeitnepmen
3 U taffen ... griipet feprieben bie ©oeten auf tateinifcp,
bod) jept finb bie fünftterifepen Gr 3 eugitiffc ebenfo unDer»
ftänblicp für ben gemeinen Wann, als wären fie in ©anferit
gefeprieben."
2Bir paben nur eine Äunft ber pöperen Gtaffen, bie auf
ben 3 e ü Der freib unb bie ©erDenerregung btafirter Seute be«
baept ift. Eapet rüprt aud) ipre erfepredenbe ©toffarmutp,
ipr Wanget an SnfpirationSqueflen. ©ie fennt eigenttidj
nur brei ©efüpte: bie Gitetfeit, bie finntidpe Siebe unb ben
ÜSettfcPme^.
„3uerft fepen wir in bet neuen Äunft baS ©efüpt ber
Gitetfeit, beS GprgeiseS unb ber ©eradptung ber 9tnbern Dor«
perrfepen. 3n ber Gpocpe ber ©enaiffance unb noeß fange
nachher ift ber frauptgegenftanb ber Äunftwerfe baS Sob ber
• Wäcptigen ... ©päter begann baS Gtemcnt beS feyuefleii
©ertangenS in bie jfunft mepr nnb mepr einsubringen; eSift
feitbem mit fepr wenigen 9fuSnapmen in aßen fünftterifepen
©robucten ber reichen Gtaffen unb im befonberen in ben
©omanen ein .frauptefement geworben, ©on ©occaccio bis
Warcet ©reDoft brüden aße ©omaitc, ©ebiepte unb Gt 3 äp»
tungen baS ©efüpt ber finnlicpen Siebe unb iprer Derfdjiebenen
formen auS. Eer Gpcbrucp ift baS SiebtingStpema, um niept
3 u fagen: baS einsige Epenta ber ©omane. Gine tpeatratif^c
©orfteflung pat 311 r unerfaßfidpen ©ebingung, baß unter
irgenb einem ©orwanbe grauen mit nadter ©üfte unb nadten
©tiebern auf ber ©üpne erfepeinen. Eie Opern unb bie
Digitized by v^. ooQie
Nr. 21.
Die (ßegenwart.
381
Sieber, STEfeS ift ber Sbealifirung ber Ueppigfeit unb SföoHuft
geweiht. Die grofje Weljrgaht ber Silber ber frangöfifdjen
Wafer fteden bie Weibliche Nadtljeit bar.-DaS brüte
.ber großen ©efüljle, baS bie Sunft ber Neichen auSbrüdt,
baS bet allgemeinen Unjufnebenbeit, h Q t feine bolle Se*
beutung erft gu Anfang unfcreS SSaljrhunbertS hefommen, eS
bat feine ftärfften Sertreter in ßorb Stjron unb Seoparbi
unb bann in £>eine gefunben."
Obwohl bie mobernfte Sunft fo arm an Stoff unb 9luf=
gäbe ift, muß fie auS oerfdjiebenen ©rtinben ‘immer neue
ÜBerfe auf ben Warft bringen: weil bie 3ahlungSfäf)igen fid)
langweiten, Weit Daufenbe auS ber Sunft einen ©elberwerb
machen, Wa8 fie nicht fein follte, u. f. w. Sie fommt auf
bie abfonbertidiften Wittel, fcfjeinbar Neues gu probuciren.
Sdjtiehlidj ift fogar bie Unflarljeit unb UnOcrftänbtidjfeit ein
Sbeal geworben, bei Walern wie fßoeten unb Wufifern, ja
eS giebt fogar fdjon Nomane, wo man nicht entbeden fann,
toa§ paffirt, wem ober wo etwas paffirt. (Sgl. „Derre
promife" bon (5. Worel). Die üblichfte Wetljobe, faffdje
Sunft auf ben Warft p bringen, ift freilich noch bie Nadj*
afjmung alter poetifdjer Sujets, baS Neprobuciren beffen, wa§
conoentioneQ für poetifch gilt. @S finb baS g. S. junge
Wäbchen mit watlenben paaren, Srieger, .fjirten, ©remiten,
©ngel, geen, Nachtigallen, Wonbfdjein u. bgl. SBagner g. S.
häuft fotdhe falfdje Wittel gewaltig an,, um ©ffecte p erreichen.
‘Doch waS ift nun nah Dolftoi wahre Sanft? 2Sir
hörten fdjon: bie religiöfe: aber woher foDen wir benn heute
Neligion nehmen? ©ewih haben einzelne Sreife aud) heute
bie eine ober anbere fReligion, aber Dolftoi oertangt' boef)
eine Sunft, bie grofje Waffen, am liebften bie gange Wcnfdj*
heit einigt. Nun antwortet unS Dolftoi gu unferer lieber*
rafdjung: SSir haben heute eine allgemeine Neligion, fo gut
Wie fie baS Wittefafter hatte. 2Bäre Dolftoi ein Deutfd)er,
fo würbe er fortfahren: biefe Neligion ift baS cble Serlangen,
waS ber Socialbemofratie, ben anberen gormen beS SocialiS*
müS unb hunbert fonftigen Neformbeftrebungen gu ©runbe
liegt. Diefe ©egenwartS* unb 3ufunftSreligion ift bie ent*
fteijenbe Serbrüberung ber Wenfchen. Unb fie rft feine
anbere als bie alte, ed)te d)rtftlicf)e Neligion, bie bisher bon
ben Sirdjen berbunfett unb Oerborben würbe. Sille gute
Sunft mufe befehatb eine d)rifttid)e fein, djriftlicf) in betn an*
gegebenen Sinne.
„Die djriftlidje Sunft ift biejenige, bie alle Wenfdjen
ohne ?luSnaf|me bereinigt. DiefeS 3iel fann fie auf gWeier*
fei Steife erreichen: inbem fie bei alten Wenfdjen baS Sewufct*
fein ihrer SerWanbtfdjaft mit ©ott unb mit einanber wach*
ruft, ober inbem fie bei allen Wenfdjen ein unb baffclbe
noch fo einfache ©efüljl Wachruft, baS fid) auf alle Wenfdjen
ohne SluSnahme erftreden fann ... ‘Die erfte biefer beiben
gönnen ift bie ber retigiöfen Sunft in ber engeren Sebeutung
beS SBorteS, bie gweite bie ber Uniberfalfunft. .. Die höhere
religiöfe Sunft ift bie, bie birect unb unmittelbar ©eföfjfe
auSbrüdt, bie ber Siebe gu ©ott unb ber Siebe gum Näcijften
entfpringen; bie untergeorbnete religiöfe Sanft ift bie, bie
©efüfjte ber Ungufriebenheit, ber Gnttäufchnng, ber Serachtung
gegen SltleS auSbrüdt, WaS ber Siebe g'u ©ott unb bem
Nädjften guwiberfäuft."
Deutlicher wirb unS Dotftoi baburch, bah er unS einige
befannteSunftwerfe angiebt, bie feinen gorberungen entfpredjen.
3uerft nennt er Sictor £mgo mit feinen „©lenben" unb
„Firmen Seuten", bann ©hartes DidenS („SBeiljnaditSgloden",
„3toei ©täbte" unb oieleS Slnbete), ©ebrge ©fliot (9(bam
Sebe), grau Seeeber Stowe (Onfet Dotn’S £>ütte), DoftojewSft)
(DobtenhauS). DaS finb moberne religiöfe Snnftwerfe. ?t(S
Seifpiele ber Unioerfalfunft fönneit etwa ©brifti ©leichniffe
ober auS bem Sitten Deftament etwa bie ©efdjidjtc Sofeph’S
genannt werben.
Unb nun entwirft Dolftoi ein Sitb Oon ber guffinftigen,
ed)tjh*iftfüfjen Sunft.
„Die 3ufunftSfunft wirb Oon allen Wenfdjen auSgeübt
werben, bie ben Sßunfdj banach empfinben werben, unb biefe
Werben fid) nur in bem Stugenblicfe bamit befdjäftigen, ba
fie baS Serlangen banach oerfpüren werben ... Der Sünftler
ber 3ufunft wirb baS' gewöhnliche Sehen beS Wenfchen leben,
inbem er fid) mit irgenb einem ftanbwerf fein Stob Oerbient.
So wirb er üorbereitet, ben ©rnft beS Sehens fennen gu
lernen, unb wirb fid) bemühen, einer mögtidjft groben 3°$
üon Wenfchen bie grüchte bet höheren ©abe gu übermitteln,
bie bie Natur ihm gefchenft hat; biefe Uebermittelung wirb
feine greubc unb fein Sohn fein. So lange man bie jpänblet
nidjt auS bem Dempet gejagt hat, fo lange Wirb ber Dempet
ber Sunft fein Dempel fein."
©egenftanb biefer gufünftigen Sunft ift nach allem Sot*
aüfgehenben baS Sehen ber fdjlidjtcn arbeitenben Wenfchen,
befeuchtet Oon bem Sichte d)riftlid)er ©otteS* unb Wenfchen*
liebe; eS ift ja auch fchon angebeutet, bah bem geringen Stoff*
Oerluft bei Sfufgabe ber SujuSfunft bie ©rfdjliehung unge*
heueret ©ebiete gegeniiberfteht.
„3Sn unferer gegenwärtigen Sunft betrautet man nur
bie befonberen ©efiihte einer Glaffe Oon Wenfchen in einer
beftimmten SluSnahmSftetlung Würbig, burdj bie Sunft auS*
gebrüdt gu werben, unb gwar wünfdjt man, bah fie in f)öd)ft
raffinirter Slrt gum SluSbrud gelangen, bie ben meiften
Wenfchen ungugänglidj ift. Wan hält baS gange ungeheure
©ebiet ber SotfSfunft für unwürbig: bie Sprichwörter, bie
Sieber, bie Spiele u. f. w. Doch ber Sünftler ber 3 u ^ un ft
wirb begreifen, bah cS unenblicf) fruchtbarer unb wichtiger
ift, eine gäbet, ein Sieb gu oerfaffen, oorauSgefefct, bah fie
ben Wenfchen rühren, einen Sdjerg gu fdjaffen, üorauSgefefct,
bah et beluftigt, ein Silb gu geichnen, baS WiHionen Sinbet
unb ©rohe erfreut — als einen Nomatt ober eine Spmphonie
ober ein Silb herüorgubringen, baS wäljrenb einiger 3eü eine
Keine Sfngafjf Seute amüfiren unb bann auf immer in bie
Sergcffenfjeü öerfiufcn wirb ...
,Slbet es ift unS bei unferer gegenwärtigen ©ioitifation
unmöglich, gu ben UrfprungSformen gutüdgufehten!‘ werben
bie Sünftler bagu fagen. ,®S ift unS unmöglich, heute Sr*
gählungcn Wie bic ©efdjidjte gofeph’S ober wie bie Dbpffee
gu f^reiben, Wufif wie bie ber SolfSlieber gu componiren! 1
— DaS ift ben Sünftfern unferer 3eü in ber Dhat unmög*
lieh; bod) bem Sünftler ber 3 u K>nft, ber ben Sopf nid)t
mehr mit einem Strfenat Oon tedjnifdjen gormeln OoQ ge*
pfropft hat, ber lein SerufSlünftler mehr ift, bemüht für
feine Schöpfungen begaljlt wirb unb nur Sunft fdjaffen wirb,
wenn er burcfj ein unwiberfteljlicheS inneres Sebürfnih bagu
getrieben wirb, Wirb eS nidjt unmöglich fein.--
Die Sunft ift fein ©enufj, fein Sergnügen, auch fein
Slmüfement; bie Sunft ift etwas gtofjeS. Sie ift ein Organ
ber Wenfdjljeit, baS bie SEuffaffungen beS SerftanbeS in baS
©ebiet beS ©efüljtS überträgt. Sn unferer 3 e it hat bie
religiöfe 9Iuffaffung ber Wenfchfjcit bie allgemeine Serbrüberung
unb baS ©tüd in ber Sereinigung gum Wittelpunft.-
Die Sunft muh bie föerrfefjaft ber ©ewalttljat unb beS
3wangeS in ber SBeft oernichtcn. DaS ift eine Slrbeit, bie
fie aÜetn gu ooübringen im Stanbe ift. Sie allein fann
bewirten, bah bie ©efiihle ber Siebe unb Srüberlidjfeit, bie
heute nur ben heften Wännem unferer ©efellfchaft gugäng*
lieh finb, bet allen Wenfdjen beftänbige, uniOerfeÜe unb
inftinctiüe ©efüljte werben."
Sßenn man biefe Sähe getefen hat, weih man, WaS
Dolftot mit feiner „?luferftetjung" gewollt hat. Unb nicht
nur feine „SolfSergäljtungen", fonbern auch manches anbere
frühere SGSerf hat er unbewuht ober bewufjt in gleicher ©e=
finnung gefchrieben. .
,g .A, -i-
"w “ W
Digitized by v^. ooQie
332
Die ffiegetttoari
Nr.«;
gfeuifltfott.
- 3?ad}Dtud wer boten.
tjojjes .Spiel.
©on Jfouts (£onperus*
©uS bem ^oflänbifdjen.
(gortfe|ung.)
—-Siena flüchtete burd) bic Valerien, aber bor fich felbft
formte fie nicht fliehen unb auch nicht bor ihrer eigenen ©ngft. ©uf
ber Steren Xerraffe begegnete fte bem ©ringen Sbflarb unb ber $er$ogtn
bon Suca unb hemmte plöpltd) ihren Sauf. „©ber, meine ©erehrtefte,
welche Aufregung!“ rief ber ©rin$. „Unb fogar Xljränen?"
„Siena, mein liebet ftinb, warum weinft Xu?" fragte bie ©erjogin.
„SfidjtS, mirflidj gar nichts, Roheit," unb fie berfuchte §u lädjeln,
„entfdjulbigen Sie mich, bitte, id) Wollte in ben ©arf. .
„Um ben ©arf fönnen Sie bod) nicht weinen! . .©nbere Säfte
famen inbeg bie Xreppe hinauf. „3ft eS wahr, Siena, bab Xu 3h re
SKajeftät berlaffeit widft unb nach Xhracien aurüeffehrft?" fragte bie
$er$ogin weiter. „£>eute Vormittag fagte Sh** SJtejefiät fo StwaS?"
„SS wäre nicht unmöglich, ^erjogin .. . ©ber bitte, entfcbulbtgen
Sie mich jefct.. Unb wie ein fcheueS Bögelchen floh fie weiter, bie
Xreppen hinunter, an ben blüljenben Magnolien borbei.
(Sin Schwarm bon Säften ^atte ftch um bie £>erjogiu unb ben
©ringen gefdjaart. „©tos giebt'S? ©tos giebt'S?" ©on allen Seiten
ertönte biefer SRuf.
„Siena geht wa hrfdjetnlich nach Xhracien aurücf. Sie ift gan*
ber wirrt."
„Sewib beS Königs wegen," flüfterte eine Xame, „fie wirb fort=
gefd)icft."
„XeS Königs wegen?" fragte ber ©rinj.
„3a, beS ftönigS wegen . .Sangfam jerftreuten fie ftch ffüfternb
über bie Xerraffen, aber Siena lief weiter burch ben ©arf. Unter ben
üppigen ©aumgruppen, burd) ben Drangengarten irrte fie einfant bahin.
Unb bie Sanbfehaft lag in ber grühüngSluft wie eine 3bt)He, Wie eine
Strophe auS einem Sebid)t. Unb brüben behnte fid) baS 9)teer, weit
unb füll. 3wei weifee Segel tauchten in baS SBaffer wie bie glügel
großer ©ögel unb hoben fid) bann wieber im SBinbe. SKübe, oerftört,
niebergefchlagen warf fich Siena in baS SraS, bie Ster$tffen unter fich
fchottungSloS fniefenb. Sttit ihrem ber$errten Sefidjt, $itternb am ganzen
Körper, fchaute fie nach ben Seglern auS. Xie ©fumen ringsum er=
füllten bie Suft mit ihren betäubenben Xüften, unb bie Sebanfen beS
armen ÄinbeS flogen weit fort über bie blaue ©3eite hinaus. Stech nie
hatte fie in ihrem ruhigen, unbebeutenben lleinen Seben folche ©e=
ftiirjung, folcheS Slenb empfunben. S?te gebacht, grobe Xinge würben
jemals ihr Xafein berühren. SÜd)tS, als bab fie am |>ofe ber Oers
bannten Königin immer fo weiter leben, fpäter vielleicht heiraten würbe,
wenn eS fein mübte unb bie Königin eS wollte, unb bab ft* ftetS in
bem groben Seben flein unb unfeheinbar bleiben werbe. Xer $önig ...
ja, fte liebte ihn mit ihren füblidjen Sinnen, bie halb fchlummerten
unter ihrer hülflofen ©nmuth, bie feine Schönheit war. Sie liebte ihn,
unb er hohe ihre Siebe erobert burch bie S)tifd)ung oon ungeftütuer
Änabenhaftigfeit unb Sftännlichfeit, womit er fie beherrfdjte, als mübte
eS fo fein. SBäre er ihr gegenüber niemals wilb unb brutal gewefen,
bann hätte fte ihn vielleicht nie geliebt. Sie war eine fdjwad)e Stetur,
bie ber ftärferen fich unterorbnete unb fie in ihrer einfachen, offenen
Seele bewunberte. Unb fie bacfjte gar nicht nad) über ihre Sefühle. Sie
hätte bem ßönig feinen lub oerweigern fönnen, unb wenn fie auch
wubte, bab ein Sfläbdjen begleichen nicht thun barf. Sie badjte nicht
tief, analpfirte nicht. Sie wubte nur, bab fie ben $önig heimlich liebte.
Unb niemals hatte fie eine Hoffnung genährt. Sin $ub, ben ihr ber $önig
in einem ©ugenblitfe brutalen UebermutheS geraubt, war ihr größer
Stolj. SJtehr hatte fie nie gehofft ober erwartet; fie wubte ja, bab er
bie ©rinjeffin oon Sühnen heiraten wubte ber ©olitif wegen unb weil
Steifer Dthomar bon Siparien eS wünfdjte, — unb baS Stiles hatte f«
ganj natürltdj gefunben. ©bei; nun bie Ungufriebenheit ber fönigm
©lejanbra, ihre hingeworfenen ©Sorte, ihre ©itte, Siena möge in $**
funft ben $önig meiben! . .. ©toljl war fie bumm, ein tljöTühteS'
SKäbdjen, eine fleine fdjlichte §ofbame, bie gar nicht begriff, warum
©üabimir bie ©rinaeffin oon 3üh r ten h«rathen müffe, aber ebenfo wubte
fie wohl, waS Siebe war unb bab her £önig fie liebte. Niemals haü«
fie baS hoffen fönnen, niemals, aber wenn eS fo war, bann war eS ein
grobes Slütf! Unb fte lächelte burch Xhräneit. 3a, bann war eS.ern
grobes Slücf. Xer föntg fte lieben .. .! Sfauben fonnte fte eS noih
nicht. Slber bie Königin oerficherte eS ihr, unb bie Königin wubte SllleS,
SllleS! Slber wenn ber Äönig fie liebte, oorauSgefefct, bab bem fo wäre,
bann ... er war ber ftönig unb mächtig unb fonnte SllleS... 3Benn
ber Äönig fie wirf lieh liebte, bann brauchte fte ihn nicht aufougebeit jn
Sunfien ber ^rinjeffm Oon 3Üptien. 5Benn ber Ä2mig fte liebte...
warum bann bie ©rinjeffut? . .. Um ber tßoiitif, um beS ÄatferS
Dthomar willen? Stein, baS fonnte fie unb wollte fte nicht: ihren
$Öntg, ben fte liebte, um ber Sßolitif willen aufgeben, um StmaS, baS
fo unbeutüch, fo unflar war. SBlabimir war hoch auch ein gürft, aber
auch mächtig, wenn auch $aifer Dthomar noch Oiel mächtiger war. Xoch
ein gürft lägt ftch nicht bon einem anberen gürften beoormunben. Unb
Slabimir ganj gewife nicht! Sie lachte bei bem Sebanfen. 3hn auf*
geben, wenn er fie liebte? Stein, nein, niemals!
Starf bufteteu bie Sfarjiffen um fte her, unb ber Xuft rief fte ju ftch
felbft jurücf. Sie erfdjraf üor fich Tclbft r Oor ihren eigenen ©ebanfen.
D, wenn bie Königin wüfete, an waS fie bad)te! ... Sie bebte Oor
ihrem eigenen Ueberntuth. Stein, bie Scbanfen waten ihr hoch, ju
unerreichbar; fie berurfachten ihr Schwinbel. Xer Xuft ber S?ar^ifjen
machte fte ftanf, erregte ihre Sterben. Sie wollte nach femtfe. Sti
einer Stunbe würbe bie Königin ihrer bebürfen jur Xheegefeöfchaft.
Unb fie mufete nod) Xoilette machen. Sie ftanb alfo auf unb ftrirf)
ftch bie £>aare auS ber Stirn; ihre Singen waren leidjt geröthet bom
^Seinen. Söie unorbentlich fte auSfah! 3h^ SBangen glühten, ihr
£mar war jer^auft, ihr weißes ^leib bom Srafe befledt. SSenit fte nur
S^iemanb in biefem 3 u f*onb begegnete .. . Sie begann bie £>änge hin*
auf ju ftünpen. SS machte fie gaitj athemloS. Xoch beeilte fie ftch.
„Siena!" Sie glaubte eine Stimme $u hö^n, aber eS mochte
wohl ein Schäfer fein, ber in ber gerne $u feinem ftunbe fprad), unb
fo bliefte fte fich betm nicht um. „Siena, Sletta! . . ." S3ar baS nicht
ihr Slame? Sie blidte fich um unb fab ben Äönig, ber ben Söeg hiw
auf eilte, ber juttt Straub führte. Sie erfcbral heftig, ihr ^>er$ pochte
laut. Unb als hätte fte niemanb gefeben unb nichts gehört, lief fte
weiter, immer fthneüer unb §ö^cr.
„Siena, hötft Xu mich nicht?" rief er ihr nach, unb wie eine
brobenbe Sefahr fam er ihr immer näher. 3h re wanften, fte
fonnte nicht weiter. Sie blieb fteben unb er rief ihr ju: „©aruin
thuft Xu, als hörteft Xu mich nicht?"
„Sttajeflät, wirf lieh ..."
„5SaS fagft Xu ba?" Sfun war er ihr gaitj nahe, unb fchimpfte
fie auS, holb ernfthaft, fyalh im Scherg. ©ber fte war plöfelitb fehr
ernft geworben.
„3cb bitte Sie, SKajeftät," flehte fie ihn an, „laffen Sie mich
allein ... 3h re SRajeftät will nicht..."
„SBaS will 3hre Slfajeftät nicht?"
„3hfe SJfajeftät will nicht, bafe ich noch mit 3hnen jufärnmen Bin,
unb ba {3 ich ©ie beim- Sternen nenne .. . unb noch f° oieleS Slnbere..
„So? baS will 3hre SJfajeftät nicht? 5>at fte. Xir baS gejagt T
„3a, unb auch • • • bafe .. . bab eS beffer wäre, wenn .. . wenn ...
ich nicht mehr mit Surer SJtejeftät fpräche."
„Unb wefehalb nicht?"
Sie würbe feuerroth, benn im Snnerften empfanb fte bic ^crrlwöc
greube, bie biefe grage in ihr weefte. ©ber fte wubte nichts $u ant'
Worten unb wagte auch nicht ju fagen, bab & nm beS MferS Sßrinjefjin
Digitized by v^. ooQie
Nr. 21.
$it ö&egnttDart
333
oon Sß^rien unb ber Sßotitif mitten fei. ©ie fam jept fieg felbft fegr,
fegr wichtig nur, unb in igretn ©eficgtcgen erfcgien ein feierlicher Srnft.
„SluS oerjcgiebenen ©riinben, Wajeftät, unb cS mufj unS genügen,
baj$ 3h* e Wajeftät eS wünfdjt. 3$ bin bon Shrer Wajeftät abhängig,
unb Sie als 3h™r Wajeftät ©ogn. . . fottten bie ©efügle 3h^r
Wajeftät ehren/'
„©o, finbeft ©u baS? ©ag' mal, (Siena, ©u bift wirflieg impo*
fant geworben. SBo gaft nur ©eine ©gronrebe ger? Slber ich
fümmere mich nicht um ©einen feierlichen ©on, mein liebes Äinb. Unb
eS f(habet ©ir auch nichts, wenn id) mal ein wenig mit ©ir fcgerge."
„Wir nicht, Wajeftät: aber 3bnen."
„Sich waS, höre /auf mit ©einer SBeiSgeit. SBaS fcgabet'S mir? ...
©u bift berrücft! Ober finbeft ©u bietteicgt auch fegon, bafc ich ®i*
ben Äopf berbrege?"
©ie fliegen nebeneinanber weiter. „Slber, Wajeftät, natürlich nicht/'
„Ober glaubft ©u etwa, ba& ich mich um WamaS ©efdjwäp
fümmere? ©ie wirb alt unb fcgwacg, gang einfach 1 /' Siena erfchraf.
„Ober barf ich etwa nicht mehr fagen? SSittft ©ü auch fchon
anfangeu, mir bor^ufcgreiben, waS ich thun unb taffen fott? $8emt &
hier auf Surer 3nfel fo langweilig wirb, bann geh' ich fort, görft
©u? . .. 3<h habe fchon bie gange ©efcgicgte hier fatt."
3a, fie fah eS, er war berftimmt, ben ©on feiner Butter unb
nun auch uoch (Siena mit ihrem ©cgulmeifterton! ©o ein Äittb ...!
Sr fönnte fie gerbredjen, wenn er fie ein wenig fefter umarmte, unb
ba förberte fie eine SBeiSgeit gu ©age, baß man babei einfchlafen fönnte!
©aS wollte er ihr aber fchon gehörig auStreiben . /. Unb er fegob
feinen Slrm in ben ihrigen unb fo rannten fie gufammen 'hinauf.
(Siena war fchon atgemloS bor Srmübuug unb Erregung.
„©erfiegft ©u mich?" tief er unb fcgiittelte fie am Sinne. „3cg
gehe einfach fort, wenn ihr Sille fo langweilig fetb, unb laffe euern ©all
im ©tieg."
„Sich, nein, Wajeftät, baS wäre hoch gu fchabe."
„92un bann fei lieb unb gieb mir einen Äu&."
„Stfein, Wajeftät, nein . . . unb ich muh fort; eS ift fchon fpät
unb 3b*e Wajeftät.. ."
,,©ieb mir einen Äug! fage ich ©ir!" (Sr hielt fie feft, unb fie
mugte ftehen bleiben.
„Wajeftät, Wajeftät!"
„©cgnett!" ©ie fügte ihn; er lachte laut auf unb ge eilten
weiter. ,,©u haft mich boeg ein wenig lieb, nicht wahr, Siena?"
„©ewig, Wajeftät."
„©Jollen wir ©eibe buregbremten, Siena?"
„Sieg wie fönnen ©ie nur fo etwas fragen?"
„©aS ift fein ©egerg."
„Stfein, icg will mit 3huen niegt buregbrennen!" rief fie lachenb.
„Unb waS würbe bann aus ber ©ringeffiu bon Sßgrien, wenn wir baS
tgäten?"
,,©ie laffe icg einfach fipen."
„Weinetwltten?"
„3a, ©einetwillen."
„3*pi fönnten ©ie mir boeg wirflieg ben Äopf berbregen, wenn
icg nidjt gar fo bemünftig wäre.".
„Sfun, fo lag micg'S tgun!"
„Sieg, Wajeftät, bitte, wir wollen jept weiter!" ©ie waren in ben
Orangengain gelangt, bon wo man fegon bie weigen ©erraffen beS
©cgloffeS bureg bie ©aumgruppen fegimmern fag.
„©erfteg' mieg, Siena: icg laffe ben gangen ©lunber im ©tieg,
unb wir geiratgen."
„Sieg, Wajeftät, ©ie galten mich immer gum ©eften."
„SBeig ©ott, icg gälte ©icg niegt gum ©eften. Unb geiratgen tgue
itg ©icg, benn icg tgue waS icg will!"
©ie antwortete niegt megr. ©ie war gang rotg geworben; eine
ungefannte, heftige Srregung, ein freubiger ©tolg Heg igr §erg Hopfen
bis gum 8 e rfpringen unb umwölfte igre ©ebanfen. Unb gleichzeitig
fiel igr auch etar mie fpät eS fegon fei — fegon läutete bie ©locfe gum
elften Wale — unb bag bie Äönigiit fte erwarte. „ 3 dj bitte ©ie,
Wajeftät, gegen ©ie einen anberen SBeg! ©onft fiegt man unS gu*
fammen unb ..."
©timmen gattten auS bem ©arten herüber, unb alle begerrfegte
bie beS ©ringen Sbgarb. Unb SBfabimir bog in etne ©eitenaüee ein,
Siena in eine anbere. ©ann eilte fte in'S ©cglog unb fcglicg über eine
©eranba in igr $immer, & Q 3 neben bem ©emaeg ber Äönigin lag.
©ott fei ©anf, eS war noch niegt gu fpät: fie gatte noeg gegn Winuten,
um fieg untgufleiben. Unb nerböS gaftig gog fie fieg um. ©o ftanb fie
mit bem offenen $aarba, um eS neu gu orbnen, als plöplicg fteg bie
©güre öffnete, ©ie Äönigin ftanb auf ber ©cgwette unb igre getrlicgen
Slugen blipten. ,,©3arum bift ©u fo fpät?"
„Wajeftät. . ."
,,©u warft mit bem Äönig gufammen."
„Wajeftät, icg begegnete bem Äönige gufättig, unb ba brang ©eine
Wajeftät in mieg ... 3 cg gäbe ©einer Wajeftät foeben gefagt, bag
Sure Wajeftät..."
„©u tguft niegt, waS icg ©ir befegle. ©leicg nach bem ©all mugt
©u naeg ©graclen gurücf."
©ie Äönigin war oerfegwunben, noeg ege Sletia ein entfcgulbigenbeS
SBort geroorbringen fönnte. Sinen Slugenblicf war fie beftürgt unb im
©egriff, in ©gränen auSgubrecgen. Söilb ftürmten bie ©ebanfen in
ihrem £>itn, unb babei würbe fte Oon ber Slngft gefoltert, mit igrer
©oilette niegt fertig gu werben. Unb bann, mit einem Wale, fugr fie
rugig fort, igr fcgöneS .£>aar gu bürften. 9?un gut benn, nach ©graqen!...
baegte fte wie in einer plöplicgen Singebung. ©er Äönig würbe ja auch
nid)t auf ©ajroS bleiben! (fjortfepung folgt.)
Jtn$ bet ^auptfiabt.
Oer ftarke Ülantt.
SgrgfoftomoS ©cgulge war in jener Qeit gur ©Seit gefontmen, ba
bie brutale Sifenfauft ©iSmarcfS centnerfcgwer auf ben beutfegen fianben
laftete unb jebe freigeitlicge Regung, jeben lenggaften Sluffdjwung germa^
nifeger Sultur, jebe ©etgätigung inbioibuetten Uebermenf^entgumeS un=
möglich maegte. Unb baS war fegabe, weniaftenS im gatte SgrgfoftomoS
©cgulgenS. 3hm gatte bie Sfatur ©aben befonberer Slrt in bie SBiege
gelegt, Oor Sittern eine felbftftcgere, unerfcgütterlicge ©reiftigfeit, an beren
alängenber ©etgätiguna ign nur bie Wiggunft beS oben egarafterifirten
^riebricgSruger ©ewaltgerrfcgerS ginberte. Sr war ber ftarfe, wenn
aueg niegt intelligente Wann, ben ein fpätereS, aufgeflärteS Sagtgunbert
fegnfucgtooll gerbeiwünfegte. SS gab feine Slufaabe in ber ©Belt, feine
Slrbeit, ber er fidj niegt gewaegfen wu&te. freilich badgte er nie baran,
fieg einer folcgen Slrbeit aud) wirflieg gu untergiegen; igm genügte eben
bie überragenbe Smpfinbung, SlfleS gu fönnen. ©ein Söagemutg war
ognegleicgen, gerrlicg wie fein ©elbftoertrauen. gür ign gab eS feine
Slutorität, unb ba er auf allen ©ebieten menfcglicgen SBiffenS gleich un«
unterrichtet war, fo füglte er fieg auf allen in gleicher SBeije gu £>aufe.
SgrgfoftomoS ©cgulge wartete gebulbig, bis feine* Summen
war. ©ie Sntlafjung ©iSmarcf'ö unb ber ©eginn beS neuen ÄurfeS
gaben igm baS ©ignal, in'S öffentliche Seben eingutreten. ©ropbem
igm alle näheren ©efannten gerglicg unb gänberingenb babon abrietgen,
flieg er gelbengaft in'S Sinjägrig=greiwilligen=S{amen, baS er in feiner
bamaligen, entfcgulbbaren Sfaioetät als unentbehrlich für bie ftaatS=
männifege Saufbagn anfag. ©Jenn eS igm nun aueg niegt gelang, biefe
erfte unb fegmerfte Prüfung feitteS SebenS gu beftegen, fo erregte feine
©ottfügngeit bod) in weiten Äreifen gerechtes Sluffegen, unb fegon ba=‘
malS würben ©timmen laut, bie ign, fobalb er fein ©tammlofal betrat,
ben fommenben Wann nannten. Äaum gäglte ber ritterliche 3üngling,
in bem offenbar ©raegentöbterblut wallte, gwangig Senge, fo erfanb er
bereits eine neue ©cgnurrbattbinbe unb baegte an'S geiratgen. Sr
fegreefte in feinem ©Jagemutg unb Äraftgefügl nidgt einmal baoor gurücf,
bag feine SluSerwäglte gwar feinen Dörfer, bafür aber 200000 Warf
Witgift befag. Seiber gatte baS gfräuleiit einen fcglecgten ©efegmaef unb
mochte SgrgfoftomoS niegt, fo bag ber Souragirte in feiner ©ergweifs
lung ben bentbar pgantaftifcgften ©ewetS non Unerfcgrodengeit gab,
einen ©anb Iprifcger ©ebiegte fegrieb unb fie im SommiffionSoerlage er=
fegeineu lieg. HebtigenS bewog ign gu biefem geroifegen Siete au^ ber
Umftanb, bag furg Dorger Sulenburg’S ©falbenlieber unb ber ©ang an
Slegir gerauSgefommen waren, ©rei 3ögte fpäter gätte er fieg oieueiegt
Digitized by v^.ooQle
384
Die töcgentnart,
Nr. 21
als ©ilbpauer unb Xorfo=©rgänger, naep weiteren bret 3o§ren als Uui=
bitter unb Umcomponift Weber’jcper Opern betpätigt. Der ftarfe
Mann ber 3 u ^ un f t muh eben immer up to day fein, ©prpfoftomoS
betitelte baS prächtig Dergolbete ©udj mit ben ßinbern feiner bebauernS*
wertpen Muje „©elfter, bie icp rief", offenbar mit höflicher unb apnungS«
Doller ©egugnapme auf jenen ©oetpifcpen 3 au ^erle^rling, ber auch bie
©eifter, bie er rief, niept loS werben tonnte. ©prpjoftomoS patte
baS ©ucp anonpm erfepeinen laffen, was Döüig unnötpig gewefen mar,
ba fiep boep fein Menfcp um ben Söevfaffer fümmerte; ebenfo wenig ber«
fucpte 3emaub ben Scpleier, ber um ben 3npalt gebreitet war, gu
lüften. ©prpfoftomoS fpielte groar wieberpolt in ben greunbeSfreifen,
bie an feine grofje 3 u f un ft glaubten, auf baS 'Bert an; aber fei eS
nun, bah feine ©ereprer au acuter Taubheit litten ober bafj fie ipm fo
biel berwegenen Mutp boep niept gutrauten unb ipn minbeftenS in biefer
Angelegenheit für einen blaffen Wenommifteit hielten — genug, fein
einziger pörte auf feinen uneigennüfcigen Watp, fiep bie „©eifter, bie
id) rief" angufepaffen. Unfer §elb fap fiep gegwuttgen, burep anbere
Wagniffe unb ftraftbetpätigungen bie Aufmerffamfeit ber leitenbeit
gactoren auf fiep gu giepen. ©r befuepte griebenScongrefje, riSfirte
fogar, in einer fortfcprittlicpen ©erjantmlung fortfcprittlicpe Anfiepten gu
entwicfeln, fiep im „greibenferclub gur ©öttin ber Vernunft" bemünftig
gu benepmen unb befam bafür natürliep in allen gällen fureptbare
Prügel, ©enau fo erging eS ipm, als er auherpalb ber Jüprenbett
©anffreife eine Sammlung für bie pungernben Snbier in'S Wer! fepte
unb bei biefer ©elegenpeit ber Hoffnung auf ben Sieg ber englifepen
Waffen bereiten AuSörud berliep.’ Drei Monate lang muhte ber ftarfe
Mann in ber ©paritä gubringen, opne bah feine ©rwartung, ber WeicpS«
fangier werbe nun enbliep auf ipn unb feine Wegierungsfreunbliepfeit
aufmerffam werben, in ©rfüüung gepen wollte.
Die Anpänger ©prpfoftomoS Scpufgen’S bewunberten ipn weiter,
gewöpnten fiep aber allmäüg an feine £>elbenqualitäten unb feine
etfeme Stirn unb hielten eS am ©nbe für felbftöerftänblicp, bafj er
auS Wütfficpt auf feine ©arrtäre beftänbig fein Sebett auf'S Spiel
fegte. Man münfepte ipn fcpüeplicp gar niept mepr anberS als
mit gejcpwollener ©ade unb oerbunbenetn ^interfopf gu fepen; bie
Damen patten fid) fo an ben ©arbolgerucp, ben er bauernb auaftrömte,
gewöpnt, bah eS pöcpft unangenepm auffiel, als er einmal ©eilcpeneffeng
benufcte. Der ©aUpräfibent bat ipn, nie wieber ben öffentlichen Anftanb
berartig gu oerlepen. ©prpfoftomoS erfannte, bah er eS feiner ©arriäre
fdjulbig war, Xpaten gu tpun, bie über bie normale ©ronceftirnigfeit
unb Dicfföppgfeit pinauS gingen, ©r berfapte eine ©roepure, worin er
bie Wotpwenbigfeit barlegte, bie Xantiemen beS AufficptSratpeS unb beS
©orftanbeS ber ©ropen ©erliner Strapenbapn A. = ©. gu erböpen, baS
©epalt ber Wagenfüprer aber entfprecpenb perab^ufepen. Seiber fanb
aud) biefe Seiftung niept ben erwarteten Anflang. Die Direction ber
©efeüfcpaft fanbte oielmepr baS ManufcrLpt mit bent ©emerfen gurüd,
bap eS gwedloS fei, fie auf einen ©ebattfett aufmertjam gu maepen, an
befjen Serwirflicpung fie feit jwanjig Sapren raftloS unb erfolgreich arbeite.
Mittlerweile war im beutjepen ÜteicpStage ber erbitterte Stampf
um bie lex ^peinje entbrannt. ©S glüefte ©prpfoftomoS, bie einzige
Petition gu Staube ju bringen unb an baS iöureau ju leiten, worin
ber Meprpeit beS Kaufes unb ber Regierung ber pingeriffene Danf
beS SSolfeS üotirt würbe. ^ atte au 4 bieS politifepe Söagnip feine
Berufung itt’S Minifteriunt, fonbent nur eine pöfliepe Anfrage ber
fjirma SBarnum & SBailep jur &olge, ob ber ilrpeber ber SBittfcprift ge=
neigt fei, gegen popeö ©epalt im ©ircuS ber girma neben ben anberen
menfcplidpen unb animalifdpen Abnormitäten, ber Dame opne Unterleib,
bem ©fei mit jmei Seinen jc. auf^utreten. ©prpfoftomoS überlegte fiep
baS Angebot grünblicp, fam aber ju bem ©ntfepluffe, eS ab^ulepnen,
ba gürft ^openlope wegen, feines DaueraufentpalteS in Alerft, Sabe
Saben unb ^ßariS boep nie naep Serlin unb bem ©ircuS am Äurfürften^
bamrn fommen, alfo auep ©prpfoftontoS niept entbeefen tonnte. Mit
biefen traurigen ©rwägungen bejepäftigt, luftwanbeite ber trop aHebem
feineSwegS ©ntmutpigte im Stabtparfe. ^löplicp fap er auf einer San!
einen öornepm gefleibeten ©entleman fipen, mit jplipSlofem Saumwoüpemb
unb auffatlenb poper Müpe, ber anbäcptlg in ein fcpwer oergoIbeteS
Sucp bliefte. Qepn Sdjritte pinter bem Oornepmen gremben ftanb in
bemütpiger Haltung ein miitbig auSfepenber, älterer ^>err mit glatt
rafirtem ©efiepte, offenbar fein Sieibbiener. Stürmifcp flopften bie ^iulfe
beS ©ppfoftontoS Scpulje, feine breite Sruft pob fiep, unb Dpränen feliger
Stpöpferfreube glänjten in feinen Augen. Der oomepnte §err laS in
ben „©eiftern, bie'icp rief".
©ine geraume 2Beile umffriep ©prpfoftomoS ben gremben, ben er
mit oerliebten Sliden betrachtete unb boep niept im reinen £>ocpgenuffe
ber Seetüre ftören wollte. Sor Sergnügen errötpenb, fap er, bap ber
aufmerffame Sefer auf jeber Seite nteprere Stellen mit bem Sleiftift
anfreujte. ©r fämpfte mit fiep, ob er gleich öor ben SÖacferen pintreten
unb fein 3 nc ognito lüften forite, napm aber fcpliepltcp Abftanb baoon,
weil er beforgen rnupte, bap ben Anberen oor lauter freubiger Ueber=
rafcpuitg unb Semunberung auf ber Stelle ber Scplag rüpren würbe.
So begann er beim, feine wilbe ©rregung müpfatn nieberjwingenb, ein
parmlofeS ©efpräcp mit bem netten $ernt, unb fobalb eS fcpidlicper
SBeife gefepepen fonnte, fragte er peudjlerifcp naep bem Xitel beS „ati=
jepeinenb fo ungemein intereffanten SudheS".
„©S ift ein DtecenfionSejemplar, icp pabe eS mir auSgeltepen,"
fagte ber grembe, als wollte er fiep entfcpulbigen. „UebrigettS pabe icp
feiten fo etwas oon unfreiwilliger Sfontif gelefen. Steine Sette opne
übermenfcplicpe Dummheiten! ©S ift ein 93ucp, baS, opne unjücptig $u
fein, burep feine Albernpeit boep baS Scpamgefüpl jebeS Menfcpen grÄ=
itdp oerlept."
©prpfoftontoS war fepr bleicp geworben. „Unb fonft, meinen Sie,
befäpe baS 3Bert {einerlei SSorjüge?"
,,©S fdjeint preiSwürbig gu fein," entgegnete ber Anbere. „Ater
eS tauft, pat gut unb gern ein ganzes 3<tp* öaran $u lefen; eper fomnn
er niept burep, weil er fkper naep jeber palben Seite entfcplummert."
„So jäpleit Sie biefe Serfe ^u ben Schlafmitteln?"
„3a. Aber niept ju ben angenepmen."
„$err!" braufte ©prpfoftomoS auf. „Sie werben baS jurüdnepmen!
Denn wipen Sie, icp bin ber Dicpter! Unb wenn Sie mir feine ©pren-
erflärung geben, paue icp Sie ju Sörei ~"
„Aa^bem icp 3Pre ©ebiepte gelefen pabe, fdpredt miep audp baS
fureptbarffe Sepidfal nt^t mepr," geftanb ber grembe mit eblew greimuth.
©prpfoftomoS bezwang fiep, mit 9tüdficpt auf ben 2eibbienec im
^intergrunbe. „3cp fap Sie einzelne Stellen in meinen Siebern am
ftreiepen?"
„©ewip. 3cp erlaubte mir fepon ^u bemerfen, bap bie ©ebiepte
iprer Miferabiütät wegen baS Scpamgefüpl jebeS gebilbeten Menftpeit
gröblich oerle^en, opne unjüeptig ^u fein. 3«P werbe baS 93uep bem
iKeiepStage als Material überfenben."
„Alfo ein Denunciant finb Sie auep?" fragte ©prpfoftomoS erbittert.
Der grembe jupfte an ber Stpnur beS AaumwoÜpembeS, baS
feinen Körper farbenbunt umfpann. „Sie würben niept fo fpreepen,
wenn Sie wüpten, wen Sie oor fiep paben. ©S ift gerabeju meine
etpifepe ^flicpt, baS 3uft<mtefommen eines ©efepeS ju förbem, baS..."
©r bratp jäplingS ab. „9?ein, iep will niept in ben 9tuf eines eitlen
©eden geratpen. 3 ^P pabe beriet IReclamerebereien auep niept nötpig.
Atenn mau ftdi," unb ber bornehme ^>err warf bei biefen Atorten läffig
baS ©aupt jurüd, „eines AleltrufeS erfreut, wie icp, wenn man aleiep=
fam bem ganzen IHeicpStage Directioen giebt unb feit 3 a Pren öon 3^=
mann, |)open unb ©eringen, genannt wirb, bann ... pap!"
©prpfoftontoS erfepraf. ©r patte augenfepeinliep eine etnfluprekpc
^erfönlicpfeit bor fid) unb war im ©egriff gewefen, fte fcpwer ju be=
leibigen. „C>aben Sie Mitleib mit mir," fiepte er. „Seit 3upten be*
reite tep miep auf bie Nachfolge ^popenlope'S bor. 3«P bin nämlich ber
ftarfe Mann, naep bem erft neuliep baS AbgeorbnetenpauS berlangt pat;
ben erforberlicpen popen Mangel au SnteHigenj fann iep jeber 3eit natp=
weifen. Atenn Sie nun bie ,©eifter, bie id) rief 4 , bem ÜteicpStage bor=
legen, oerberben Sie mir rettungslos bie ©arrtöre, ftürjen miep Don ber
müpfatn eiflommenen ^öpe in bie s J?acpt beS ©ergeffenS ptnab, maepen
mid) unmöglich im Sanbe —"
„38aS 3P^e SttteHigenj anbelangt, fo finb Sie wirfliep ber ge*
wünfepte ftarfe Mann," entgegnete ber grembe, bebäeptig feine weiepe,
pope Müfce jureeptrüdenb. „Dagegen bezweifle icp naep ben ©roben, bie
Sie mir eben gaben, bap Sie auep über bie anberen notpmenbigen ©tgen-
fepaften beS fommenben fiarfen Mannes oerfügen, fo über poepgrabige
Unucrfrorenpeit unb Scpeinpeiligfeit. Sieber greunb, wie tep Sie pier
bor mir fepe, palte icp Sie für bie Stellung, Me Sie anftreben, noep
für $u jung unb oerfepärnt. 3 puen feplt offenbar noep bie ©ourage jur
auSgefeimten |>eucpelei."
„©rlauben Sie!" rief ©prpfoftomoS entrüftet. „Sie glauben ja
gar niept, waS icp im Seben fepon ^ufamniengefcpwinbelt pabe! Mein
ganges Dafein ift eine einzige ©erfteüung. 3« biefer ©egiepung neptne
icp eS mit 3^bem auf, mein bereprter §err — £>err —"
^ 4 >einge ift mein Warne. 3<P befinbe ntid) augeublidlicp auf Ur=
laub. Sie wiffen ja, bah eS mobern geworben ift, Strafgefangenen, bie ftd>
gut füpren, SonntagS=Urlaub, aflerbingS noep opne ^pauSfeplüffel, gu geben.
ÜDpne Ueberpebung barf iep wopl fagen, bap icp bet ©eiepstag nnb Wegie-
rung etwas gelte, ©erbanft baS ©efep, baS bie Ungucpt ber Äünftler
unb Dicpter gu oerpinbern berufen ift, niept mir feinen Warnen? Seien
Sie befjpalb Dernünftig, junger Mann, Dergiepten Sie auf übertriebene
^ünfepe, unb icp werbe Sie meinen parlameutarifepen greunben empfeplen.
Sie wiffen, ©uepfa wadelt fo wie fo. AMr brauepen balb einen neuen
©olonialbirector, ber abfolut nieptS Don ber Saepe Derftept. Unb baS
tpun Sie boep?"
„©oll unb gang," rief ©prpfoftomoS mit Uebergeugung.
„Sie finb alfo gum ©olonialbirector gerabegu geboren," fagte ber
grembe, fiep bie £>äitbe reibenb. „Mit ben ftarfen Männern bagegen,
Me fiep um Me pöperen Stellen bewerben, fönnen Sie jegt noep niept
concurriren. Der Mann ba, bem iep auf fein inftänbigeS ©Uten erlaubt
pabe, fiep mir angufcpliefjen, weil eS ipn fo mäepttg gu mir plngog" —
^>err £>einge wieS bei biefen Alorten auf ben ptnter ipm ftepenben,
refpectooüeu ©lattrafirten —, „ber Mann ift bebeutenb ftärfer als Sie,
aber meines ©racptenS auep noep niept etngeteufelt genug."
„SSer ift eS?" fragte ©prpfoftomoS.
„Sie werben Don ipm gelefen paben. grtbolht Knittel, fatpolifeper
©farrer a. D. ©r muhte Dor mepreren 3 a Pr eit wegen unfagbar ge«
meiner unb ungücptiger ©anblungen, bie er mit einer noep niept Mer*
gepnjäprigen Scpülerin Dorgenommen patte, naep ber Sepweig entfliegen.
Württemberg wollte ben ^aßunfen auSgeliefert paben, ba fprang biefem
Scpweineferl — baS Wort ift ja parlamentarifcp geworben — ein fatpo*
lifcper Swrift bei unb rettete ipn mit einem WecptSgutaepten, baS bie
Auslieferung auS formalen ©rünben nnmögliep nannte."
Digitized by
Google
Nr. 21.
Die töegenroart
335
„Vfui Xeufel!" fcprie EprpfoftomoS. §err C>ctn^c tonnte ipn niept
jur Drbnung rufen, ba auep biejeS SBort jum parlamentarifcpeu ©prad)*
fdjaße gefcplagen roorben tft.
„3a, unb maS bie .frauptfadje ift — ber betreffenbe £>err DfecptS*
gutacpter roirb peute im VeicpStage eine pißige, eine fulminaute unb
jeben DBiberftanb nieberfcpmetternbe SHebe für bie micp Dereroigenbe lex
palten, für bie Verfolgung ber 3 ucptlofen Vörflinbilber, ber Diömijcpen
Elegien unb aller fcufünftigeit ©ittenftütfjcpreiber. ©ie fönnten eS fiep ja
beifaüen taffen, bie £>elbentpat meinet bie föinber unb bie ©cproei 3
liebenben greunbeS Sxibolin Änittel 3 U bepanbeln."
EprpfoftomoS ftarrte Dernicptet ju Voben. „^erfelbe £>err, ber baS
befreienbe JHecptSgutacpten auSarbeitete, fpricpt beute für bie lex £ein$e?"
fragte er nach einer langen $aufe. „“Sann aßerbingS . . . bagegen
fomme iep mit meinem bifedjen Souvage niept auf. 3>enn baju gepört
ein Dftutp. . . Vor biejem ftarten s U?anu muß felbft iep miep beugen."
(Eimon b. 3 -
Don btn großen ßerliucr Sommer-lunftansfiellnngen.
i.
Plus 9 a change — plus 9 a la meine chose. Sin alter Vers
llner er^äplte mir neulicp, rote eS einft, üor ein paar 3 apr 3 epnten, nur
alle jmei Sapre eine fogenannte „große" $unftauSftellung gab. Unb
in ber $roifcpen 3 eit, ba roaren ja aitcp nur ein paar „©alonS" Dor^
panben, mit mepr ober roeniger „permanenten" DluSfteflungen baS
Äunftbebürfniß beS Verliner VubliiumS ju beliebigen, damals be*
beutete benn auep bie ©ontmer=DluSfießung etroaS. Dftan burfte er*
roarten, baß fie unS roaS 3 U fagen patte, unb man täufepte fiep niept.
Ditept bloß neue Vilber gab eS ju fepen, fonbern auep neue itnb jebe
einzelne biefer periobijep roieberfeprenben Zustellungen mar förmlicp ein
Ereigniß. Unb peute! DJkpr als ein palbeS $5ußenb ernft 3 U nepmeitber
©alonS Derfenbet Dom Dftober bis Enbe Dlpril alle brei Dßocpeu Ein-
labungen gut Vcficptigung einer neuen „DluSftcßung", unb Dom Dttai
bis jum Dftober, mäpreuD roelcper $eit jubem jenje ©alonS auep nur
auSnapmSrocife feiern, paben mir bie „große Verliner ÄunftauSfteflung"
unb feit Dorigent 3apr aud) bie ber „©eceffion" baju. Unb auf beiben
befommen mir gar noep mand)eS mieber gu fepen, maS DBinters über in
Den ©alonS auSgefteflt mar ober maS uns Don beit QapreSauSfteßungen
in anberen großen bentfdjen ftuuftftäbten befamtt ift. s Bie foß man
ba niept auSrufen: „plus 9 a fchange, plus 9 a la meine chose.“ 3Bo
joßen fie benn jd)ließüd) perfommen — bie neuen ilunftmeife? 3 n
einer Qeit jubem, mo, mie iep Dor einem 3apre auSfiiprte, irgertb roelcpe
ftampfberoegung längft fepon aufgepört pat. Xpatfäcpltcp ftnbert mir ja
auep jeßt mieber eine ganje Stn^apl Don Vierten in bent DluSfteflungS=
bau ber „©eceffion" auf Sparlottenburger Voben, bie ebenfo gut im
„^alaff in Dlit=Vioabtt ipren $laß pätten finben fönnen. Unb um-
gefeprt. VejonberS fpaßig nimmt fid)'S auS, menn einer ber güprer
unb VorftanbSmitgliebet* ber „©eceffion" Dorübergepettb auS ipr auS-
tritt, um feine Vilber in ber „©roßen" auS^ufteßen. greilicp peißt'S,
er „bürfe" fie nur bort auSfteßen, meil fie im Aufträge beS preußifepen
©taateS (unb ber ©tabt Dlltona) gemalt feien. $)cm mag fo fein unb
— unb aflerbingS pätten bie Mettmann'jcpeti DOanbgemälbe für baS
DiatppauS in Altona im ,,©ecejfionS"-Vau überpaupt gar feinen V^tß
gepabt. Dlber biefer gormaliSmuS, bat er beSmegen für ein %at)X aus
feinem Verbanbe austreten mußte, ift unb bleibt fepr fpafcig.
$>eS ©pa&igen giebt r S auep fonft noep ntancperlei. ®ie „Eröff¬
nungen" beiber 9luSfteßuugen merben, mie fattfam befannt, mit einer
gemiffen geierlicpfeit Doß^ogen, unb $u einer fold)en Seierlicpfeit gepören
natürlicp auep „muntere Dieben". s Dtan erinnert fiep mopl nod), mie
$rofeffor fiiebermann bei biefer Eelegenpeit im Dorigen 3 a P re erflärte:
„3ür unS giebt eS feine aßeiiufeligmacpenbe Diieptuitg in ber Äunft,
jonbern als Äunftmerf erfepeint unS jebeS Vlerf — melcper Diicptung es
auep angepören möge — in bem fid) eine aufrichtige Entpfiitbung Der?
förpert." Unb mie jagte Vrofcffor dotier jüngft bei ber Eröffnung ber
„©roten"? . . . „Verfdjloffen finb bie DlusfteßungSpaßen geblieben
nur aßen $)enen, bie nur beute Dom publicum fo gefügte DJiarftmaare
liefern." — melcp 7 principießer Unterfcpieb beftept benn eigentlich
jmifepen ben leitenben Dinjepaitungen püben unb brüben? DlUenfaflS
blot noc P in ben engeren ober meiteren ©renjen, bie man bem Vegriff
ber „DJiarftroaare" aiept. Unb mie neulicp Siebermann bie „aufrichtige
Entpfinbung", alfo baS Vetjönlicpe in ber .ftunft betonte, fo ®oner jeßt
bie „perfönlicpe Eigenart", bie man niept aufjugeben brauche, menn man
in ben ©alerieu Don alten SJieiftern ju lernen fuepe. Enblicp marb
auep bei beiben Eröffnungen ben gremben manch' pübfcpcS Eompliment
gefagt. Dllfo abermals: „plus 9 a change, plus 9 a la meine chose.“
UebrigenS fanb ber ^räfibent ber ©eceffion ein treffenbeS SSort. 3d)
meine niept baS Don ipm citirte beS ^eiligen s ^uguftinuS: „Äunft ift
für unS, maS bie großen ftünftler gemaept paben," benn eS ift eben
niept feines, fonbern jenes anbere: „eine jebe $unft pat baS V^licum,
melcpeS fie Derblent. Dficpt ein na^ficptigeS, fonbern ein einficpligeS
publicum münfepen mir unS für unfere Veranjtaltung." drüben, am
Seprter Vapnpofe, piet eS gan^ im ©egenfaße ba^u: „möge unfer Unters
nepmen mit Dftilbe aufgenommen merben ..."
3Bie ficp’S für einen gemiffenpaften Vericpterftatter giemt, mütte icp
nun etmaS ftatiftifcp fomuteu, miitte bie brittepalbtaujenb tfunftmerfe
ber „©roten" unb bie mehr als Dierpunbert ber „©eceffion" piibfcp
fäuberlicp nach ©attung, ?lrt unb ^perfunft clajjificireu unb rubriären.
Zber märe eS aud) gemiffenpaft — einen richtigen hätte eS
bod) niept. Unb barunt begnüge icp mi(p für biejeS Dftal mit einer
aßgemeinen Ueberficpt. Einzelnes foß bann fpäter perauSgepoben
meiben.
®ie „©rote" macht in biefem Qapre opne einen befferen
Einbrucf, als im Dorigen. $ie 3utp P^t ftrenger ipreS DlmteS ge^
maltet unb menn auep baS 9Bort Don ber gernpaltung „jeglicper DKarft-
maare" eine Derjeiplicpe ©hP^rbcl unb menn auep DfeueS faum ju ent=
beefen mar bei ben beiben erften immerpin flüchtigen Dfunbgängen — gan$
Unerfreuliches ift mir bod) nur jiemlicp mentg aufgeftoten. Ein be=
fonbereS gntereffe Derleipen auep biefer DluSfteUung mieberum bie jap U
reidjen SoflectiD^uSfteflun^en einzelner peroorragenber Zünftler, mie bie
beS ^oflänberS ©ari DftelcpetS, ber roäprenb feines langen 5lufent=
palteS in Dlnterifa unb obfepon er feinen SBopnfiß in VoriS pat, bei
afler unDerfennbaren franjöfifcpen ©d^ulung in DJiotiDen unb Dluffaffung
boep nie feine |>er!unft Derleugnet; ober Emile SöauterS, ber als
Velgier nun fepon auep eine SBefenSoermanbtfcpaft mit ben granjofen
jeigt, unter benen er fo lange bereits lebt. Wtt biefe ©onber4luS=
fteßungen frember Zünftler fcplieten fiep bie einiger beutfeper an. Von
ipnen beanfpruepen bie Vilber= unb ©tubienfammlungen Eugen VracptS
unb £>ugo Vogels, ber u. Dl. auep feine DHerfeburger ©tänbepauS^
Sanbgemälbe Dorfüprt, ein erpoptereS Qjntcreffe, meil man eS pier mit
einer tiefer gepenben ßennseiepnung einer fünftlerifcpen Verfönlicpfeit 5 U
tpun pat, maS fiep Don ben DluSfteßungen Don 3^ m ^cl ©enß, V a ^l
Vorgang, jum Speil auep Don Di'ummelSpacper meniger behaupten
lögt, roäprenb ber alte DSroalb Dlcpenba^ mieberum auep auS früperen
3aprgängen groben bietet. Dbfd)on bie plurige DluSfteßung feine tnter*
nationale ift, paben fiep boep, troß beS großen DBeltjaprmarftS in VariS,
auep bie IHinftler frember Sänber ju größeren ©ruppen=DluSfteßungen
bemegen laffen. DfamentUep bie (^canbinaoier fmb reept japlreiep er-
fepienen, ©epmeben unb 2)änen; manep' DfeueS ift mir ba aufgefaflen,
obfepon iep bie leßten größeren DluSfteßungen biefer Äünftler in iprer
5>eimatp gefepen pabe; aber auep einige Dielgereifte — foß iep fagen
$arabeftücfe ober Sabenpüter? — unb Derfcpiebene Vilber auS borttgen
©taatSgaflerien. Dlucp bie Velgier unb ftoflänber geigen rege Vetpeiligung
unb eine größere Dlnjapt Don granjojen pat eS ermöglicht, troß beS
„©alonS" unb ber Dcrfepiebeneu anberen DluSfteflungen ju V^nS, auep
für Verlin Einiges übrig $u paben. Mitunter ift'S freilich auep banaep.
®ann fommt bie Dritte DluSfteflung beS „ VerbanbeS beutfeper Sßuftratoren"
pm^u, bie DfeueS natürlicp nieptS jagt, fommt bie .froepflutp Verliner
Äunftbefliffener, fommen bie ®üffelborfer, bie mit Otto ^eiepertS
„VeteranenDerfammlung* eines ber beften Vilber ber ganzen DluS=
fteßung beigefteuert paben, bie „Dliüncpener Äunftgenoffeujepaft", bie fiep
nid)t jonberlid) angeftrengt pat, u. f. m. ©efcploffen finb anbere beutfepe
5tünftlergruppen biefeS DJtal niept aufgetreten unb bie Defterreicper feplen
noep. „D?ur immer langfam Doran" — fo peißt'S ja im alten Siebe.
Dlrepiteftur unb Äunftgemerbe — im ©anjeit perjlicp unbebeutenb;
©culptur — nun baS übliepe Vorperrfepen ber ftaatlieps monumentalen
DluftragSfunft unb ber Dortpeilpaften Vüften^DKobeflirung; immerpin aber
pier unb ba eine erfreuliche Ueberrafcpung auf bem ©ebiete ber $lein=
funft, bie ben Uebergattg jum ^unftgemerbe bübet. Eines ift fepr er=
freuliep bei ber bieSjäprigen „©roßen". $Ran pat fiep beim „Rängen"
Diel ^Dtüpe gegeben. i)aS national ober fepulmäßig 3 u f a,nmen g e hörige
pat man pübfcp bei einanber placirt: jur greube ber Herren Ä'ritifer
unb jur Veleprung beS VublifumS. Dfur pier unb ba 'mal eine Siegel
Don ber DluSnapme; bann nimmt biefe fiep aber auep auS, mie irgenb
ein aufgefeßteS Sicpt, mie ein „dernier coup de pouce“ auf einem
Vilbe: baS ©an$e beS EinbrucfeS biefeS ober jenes ©aaleS rotrb baburep
enlfepieben gepöben.
©anj anberS mar baS ©pftem ber Herren Don ber „©eceffion".
DlfleS funterbunt unb roiflfürlicp burepeinanber gepängt. DIuSfteflungen
finb aber boep niept bloß für ben fpbaritifcp genießenben feineren Shinft=
Derftanb beS DKäcenS unb ©ourmetS ba. Unb anbererfeitS pat boep
auep gerabe baS feinfte 3)iner feine rooplabgemogene ©peifenfolge. ' $ier
aiebt's ein fortmäprenbeS ©erenue unb ©etpue, miß man eine rieptige
Vorfteflung Don ber Verfönlicpfeit biefeS unb jenes MnftterS geminnen.
DJlancpe 3 ufammenfteflung ift aan 3 raffinirt; manep anbere minber
gliidlicp. s Dian benfe fiep 3 . V. SaDerp unb Siebermann, DBpiftler
unb Eorintp jufammen in einem fleinen ©aal, ober Nobler neben
Vrangmpn. Diiept einmal bie 6 auS ber ©cpleißpeimer ©aflerie ent^
liepeneit ©emälbe beS 3 U früp Derftorbenen unb bei Seb 3 eiten fo menig
Derftanbenen §anS Don DftareeS, bie bie ^great attraction“ ber
DluSfteßung bilben foflen, pat man beifammen gelaffen. 2Bir müffen
unS biefe Vilber in brei Derfcptebeneu Dfäumen 3 ufammenlefen . . . .
©ei)t man aber auf'S Ein 3 elne ein, fo giebt’S aßerbingS Diel ©epenS*
meitpeS, geffelnbeS Don ca. 110 beutfepen Zünftlern, Dornepmliep Ver=
linern unb DKüncpenern, benen ungefäpr 50—60 fremblänbifepe gegen*
iiberftepen, barunter aßein gegen 30 gran 3 ofen. 9?ur glaube iep niept,
baß biefe DluSfteßung angetpan ift, einen richtigen Vegriff Don bem
heutigen ©tanbe ber „©ecejfionSmaierei" in $eutfcplanb 3 U geben. 9Äir
feheint aber noep immer, baß baS ber §aupt 3 roecf biefer DluSfteßung
fein feilte.
Von ben perDorragenbereit Ein 3 elerfcpeinungen baS näepfte 'U?al...
, , , 3 - korben.
Digitized by v^.ooQle
336
Die Gegenwart.
Nr. 21.
Jlngeiaen.
Sei SrfMhmgen btrufe num |t4 auf btt
„•rgmtmarf“.
Urteil
^ $unbert Ottainal * ®utagten
W1 * am ^ 44 JL o. frreunb n ffetnb: ©jörafoit
Wk IH Hl II L IR BranbeS ©fl^ner (IrUpt $a$it
" * •* n* ■* ♦ Raubet (Sgtbb gfotttatte #rot$
$«ee!d ßartmamt #el)fe Jjor*
tut ban fttpltitg Seoitcabaüo «in*
bau Sontfrrofo 9Wffc$tfc&er«ft
i ftigra Vorbau OÜibiet fetten«
4#¥wit- lofer ©alUburt) ©totfierolcj
©tmon ©pwteet ©piel&ageit
li{n« Stautet) ©toeefer ©trtnbberg
flllll ömirilfir«. ©uttner ©tlbenbntcp »enter
ßola u. b. Ä.
Mm. g t%. S SRI. bom Ut*f«§ b«r 6 <ftKt»«rt,
©erlin W. 57.
VA« 6^ «'M tAl t^M «/.V* l/.V« «U«
T I I T i T T I I T I T T
Gesucht
wirb ein Hekcteur für eine
Verlinet grauenjeitung. £ägltcp Vormittags
brei Vureauftunben. 3 apre 8 gepalt 4800 9Rarf
unb jährlich zweimal öierje|n Xage teerten.
Angebote mit Angabe bisheriger SRebactionS^
©tettungen unb perfönlicper toie brieflicher
©cprtftfiefler-Vefanntfcpaften unter U. H. 972
burep Maasenstein & Toller, A.-G., Ber¬
lin, W. 8.
93ct(ag Don ©MHjeltn |>er% in ©erlin.
Soeben erfdjien;
#eorg non Fünfen.
©in (Efjarafterbilb aus bem fiager ber
Veftegten, gezeichnet öon feiner Xocpter
Parle »au Umtfett.
22 Vogen Oftab.
SRlt Vudjfdjmucf non ÜRarie non Vunfen
unb einem Porträt in £>eltograöüre.
©epeftet 6 3R. ©ebunben 7
Königliches Bad Oeynhausen.
** * §llbe$petm. ©ommerfaifonn.15.3Rat
bis ©nbe ©ept. SBinterlur nom 1. Oft. bis SWitte 3flai. ftnnntttfl: Vaturio. foplenf. Xpermatoäber,
©oolbäber, ©ool-3npQtatonum, SBeüenbäber, ©rabirluft, ÜRebicomecpan. ganberinftitut, SRöntgem
fammer, norjügU 9ttolfen= u. Sttilcpfuranftalt. Mtued Xfjermalfabefjau* am 15.Mat 1900rr£|ftct
3nbt tattonen: ©rfranfungen ber fernen, beS ©epiruü n. Vücfenmarf«, ©iept, SWuStel* u. ©clenl*
rheumatiSmuS, $erzfranfpeiten, ©froppulofe, Wnämte, thron, ©elenfentzünbunaen, ftrauenlranflj. ic.
ßurfapelle: 42 9Rufiter, 120 borgen ßurparf, eigenes fturtfpeater, Välle, Monierte, «flgemeinc
©afferleit. u. ©chmemmfanalifation. fßroff). u. Vefcpreibung überf. frei bie ftgl. Sabet»ern»tltitt|.
„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einseinen nervösen Krankheitsersohelntmgan«
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von # / 4 1 75 Pf. in
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr. Carbach 4b de.
Bad Reinerz,
klimatischer, waldreicher Höhen-Kurort — 568 Meter — in einem
schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Gl atz, mit kohlensäurereichen Efsen-Trink-
u. Bade-Qoellen, Mineral-, Moor-, Douche- u. Dampf-Bädern Kaltwasser-Procedurei,
ferner eine vorzügliche Molken-, Milch- u. Kefjrr-Kur-Anstalt. Hotlxguella&ieitung,
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmungs- u. Yerdaunngkc. \nne, zur Ver¬
besserung der Ernährung u. der Constitution. Beseitigung rheumatisch - gichtischer
Leiden u. der Folgen entzündl. Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang Mali Prosp. gratis.
Die ©egentoart 1872 - 1892 .
Um nufer Saget jn räumen, bieten mir uufereu Abonnenten eine gängige
(Gelegenheit jnr ©emoUftänbignng ber Soflection. @o weit ber ©orratb reitet,
liefern mir bie Jahrgänge 1872—1893 *6 3». (jtatt 18 3».), $albja*r«.
©änbe *3 2». (jtatt 9 3».). Sebnnbene Jahrgänge *8 3».
©erlag ber ©egenmart in ©erlitt W, 57.
Manuscripte.
3ur Verlag^übernabme oon 2Ranu=
fersten f)iftorifd)er, ^olitifcfier, fd^öntDiffen-
fdjaftlid)er 2 c. 9iid)tung empfiehlt fiep bie
Verlagäbucbbonblung ton
Kicliard Hattier, graunlrtjuiftB.
(©egrünbet 1883).
Stottern
heilen dauernd Dir. C. Denhardt’s
Anstalten J>readen-I«oschwltz und
Burgsteinfurt, Weatf. Herrliche Lage.
Honor. nach Heilg. Prospecte gratis.
Aelteato staatl. durch S. M. Kaiser
Wilhelm I auagezeichn. An st. DentachL
?lfab. geb. ©ctjriftfteüer, bi^b- publicifi.
(liter. Äritif) in Verlin tpätig, energ. geroiffcn=
bafte iKrbeitöfraft, öorz- ©pracpfenntnifie (fran= i
Zöftfcf), englifd)), perfetter ©teuograpb,
'PlafdiiitenfTreiber (.^arnmonb), fuetjt ntit.
befd]. Vlnfpr. in fllcDaftion, Xpcatcrfcfrctariat,
Verl.-Vudibblg., litcrar. 3nftit. ?c. ©teaung.
Offert, an b. ©fp. b. ©egemoart unt. A. 6. |
©erantoortltcher Webacteur: Dr. ßoHtng ln ©erlitt.
3n unferem Verlag ift erfeptenen:
pic ©egcmuml
e«bad4rin für Süttarm. »vrt urt Woitlbbt« Mm
(Scnfffll^tgiflfr 1872 — 1896.
Grftcr bid fünfzigftrr VanD.
mt 9?ad)trägen 1897—99. ©eb- 5 Jt
©in bibliograppifcbesS 5Öerf erften
9 ?ange§ über ba§ gefammte öffentliche,
qeiftige nnb fünftlerifcpe Seben ber leftten
3 obfe. 9?otptuenbige§ 9iad)fd)lagebucp
für bie öefer ber „©egemoart", fotoie
für loiffcnfctiaftlicpe ?c. Vlrbeiten. lieber
10,000 9lrtifel, naef) gäcpern, Verfaffern,
©cplagtoörtern georbnet. ^Die Autoren
pfeubonpmer nnb anonpmer ^Irtifel finb
bureproeg genannt. Unentbeprlicp für
jebe Vibltotpef.
5lnd) bireft gegen ^oftanmeifung ober
URacpnabme oom
Oerlag kr ©egemuart.
Verlin W 57.
$i 6 marik 0 Jladifolgft.
Montan
öon
^cfCittg.
W Oolfsauicjabc. '"WC
^PreiS 3 ^D?arf. ©cpön gebunben 4 2Rart
tiefer Vi§marcf = ©apriOi = Vornan, ber ln
loenigen Salden fünf ftarfe Auflagen erlebt,
erfepeint pier in einer um bie Hälfte bitttgeren
Volf^auSgabe.
^Durcp alle Vucppanbfungen ober gegen Sin-
fenbung be§ VetragS poftfreie 3u| c nbimg oom
Uerlag der Segenwart.
SBerlin W. 57.
IRebactton Uttb (Jjpcbttton: ©erltn W., SWanftetttftrafee 7.
Drucf oon £effe A ©eder tn Setpitg-
Digitized by
Google
M 22 .
3&erCitt, Öen 2. |fum 1900.
♦ l»l' *L :b 29^
29r Jahrgang.
Band 57.
& 'iS eJvr.* )9 C C k
pic
SBodjeitfdjrift für Siteratur, Kunft unb öffentliches geben.
Jtoaitfgtgefkii non $otftttg.
W« §rnmim «IdjHlrt et» §wmt Berka ber ®e 9 emmrt In ®«ftn W, 57. •‘““WW* 4 ». SO if. «M |lWWt 50 |f.
8u bestehen bur<$ alle ©udtöanblungen unb ^oftämter. ° ° 3nferate ieber ftrt pro 3 gehaltene tßetttsetle 80 tpf.
$n(falt:
Sehren au$ bem Jöurenfrteg. Söott Germanicus. — ®ic 2BoI)lt!)ättgf eit im mobernen Seben. $oit $art Woefcel. —
gttrratnr unb Huts ft Oberoit’8 fiebenSfdjicffafe. $oit Dr. SBüljelm SHeefelb. — @tn „beutfdjer ©olboiti". $on Dr. ©urt
&einrtdj. — ftentUeton. ®obeS ©Diel. S3on 2out$ (Sou^eruS. 2lu8 bem ©oflänbifdjert. (gortfefcung.) — Htt£ bet
$<mbtftabt. SBilljcIm« $afaHen. $on ^rinj ^ogelfrei. — 5Son ben groben ^Berliner ©ommer^lunftauSftettungen. II. SBon
3- Worben. — S)ramatif(be Euffübrimgen. — Offene Sörtefe unb Antworten: Wod) einmol ber „Uebcrmenfd)". »on Wuguft
Öörte. — Woti$en. — Sinnigen.
feßten ans bem Burenkritge.
Die friegerifdjen ©reigitiffe in ©übafrifa forbetn jutn
cmften SRacßbenfen über bic eigene militärifcbe 9lu$bilbung
Unb Kriegsfertigfeit auf. 3 loar finb bie ©erßältniffe auf
ben bortigen Ktieg8[d)aupläßen anbere als auf uitfcren
europäifeßen; nicßt8 beftoroeniger taffen fief), unb jttrnr fdjon
jeßt, wichtige Sehren aus ben ©reigniffen unb ©tfeßeinungen
sichen. Die Summe ber ©rfaßrungen tann natürlich erft
nach ©eenbigung beS Krieges, befonberS nad) Ülnßören unb
bureß bie Ülugenseugcn beffelben feftgefteflt werben. Die üRilitär«
©erroaltung roirb nicht oerabfäumt haben, jum ©tubium beS
Krieges ^erüorragenb begabte unb tüchtige Offiziere alter
©Baffen, forooßl in baS Säger ber ©riten atS ber ©uren ent»
fanbt ju haben. Die Koften fönnen nicht in ©etradjt fommen
im ©ergleicß mit bem S33ertf)c fo mannigfaltiger unb gewichtiger
KriegSetfaßrungen, wie fie fein ßRanöoer, fetbft in noch fo
großem ©tife, fetbft bei nodj fo tooßenbeter Einlage für baS
.§eer zeitigen fann unb jttmr ßauptfäct)tic£), weit in teueren
feine Granaten plaßen unb leine Kugeln pfeifen. SRan barf
biefe ©orauSfeßung woßl um fo eher machen, als ber lürjtich
erfdjienene tReuabbrucf ber gelbbienft«£)rbnung anfcheinetib
bem fübafrilanifchen Kriege fchon fRecßnung trägt. 3n ihrer ©in»
leitung fagt biefelbe nämlich: ,,©eim ©jerciren unb beim ge»
fecßtSmäßigen ®cßießen roirb ber SRann jur geuerbiSciplin
angeleitet. $ößer aber noih fteht feine ©rsießung
S«m fetbftftänbig unb überlegt ßanbelnben Schüßen,
ber auch bann, wenn ber güßrer gefallen, ober beffen ©timme
nicht mehr bureßbringt, unbeobad)tet unb fich allein über»
laffen feine SSaffe geroiffenh«ft ßanbßabt." ©tatt
biefeS SRacßfaßeS „ber auch bann, wenn" lönnte man heute
furjtocg fagen, ber fein Gewehr roie ein ©ur ßanbßabt.
hiermit foß nicht etroa ber Kriegsführung ber ©uren im
9lßgemeineu, ber getoiß große SRänget anhaften, ein Soblieb
gefungen Werben.
Ifunächft mufe ber ©olbat burch SluSrüftung unb ©e=
lleibung in ber Sage fein, überhaupt bie Sßaffe jWedent»
fprechenb haubpaben ^u fönnen. @S ift baS alte Ktagelieb,
Welches mit fRe^t jegt roieber angeftimmt roirb. @S ift ein
ceterum censeo, baS nicht eher oerftummen barf, bis man
fagen fann: @8 ift erreicht! Geheiligte Xrabitionen fönnen
ernfttich geroife nicht als Gegengrünbe einer burchgreifenben
SReform auf bem Gebiete ber StuSrüftung unb ©efleibung
angeführt werben, ©ei ber. StuSrüftung bürfte nießeicht ber
Gebanfe in ©rtoägung ju sieben fein, ob man nicht eine
Unterfdjeibung unb Xh e >l un 9 beffelben in SRarfch» unb Gefechts»
9luSrüftung oornehmen fann. ©ießeicht werben unfere mili*
tärifchen 2lugenscugen auch i» biefer fRidjtung wetthooße ©r=
fahrungen im ©urenfriege fammetn.
SBaS bie SluSbilbung ber Gruppe für ben Krieg anbe»
trifft, fo fagt bie gelbbienft»Orbnung in ber ©inleitung:
„$)ie §lnfprüd)e, bie ber Krieg an bie Gruppe fteßt, finb
mafjgebenb für ihre SluSbilbung im grieben." ®aS ©jercir»
JReglement fchliefet feinen jtoeiten Sheil mit ben SBorten:
„'Die SluSbilbung ber Gruppe ift nach richtigen GeficfjtS»
punften erfolgt, wenn fie bäS fann, roaS ber Krieg er»
forbert, unb wenn fie auf bem GefedjtSfelbe nichts
oon bem roieber abjuftreifen ^at, roaS fie auf bem
©Ecrcirplafje erlernte." ®iefe gorberungen erfdeinen
ganj felbftüerftcinblicf). Unb hoch — baS erfte, roaS auf bem
GefechtSfelbe roerthloS roirb unb abgeftreift werben mufe, ift bie
^ßarabe, für welche bie ©eftimmungen im @jercir»fReglement
gleich obigen ©afje folgen. SBic tiiel unenbliche 3Rühe unb
oor 9lßem roie Diel w,r ^ QU f ^ fn ^ßarabebrill
oerroanbt. 3 e ^ aber hierfür ift bei bet jroeijäljrigen Dienft»
Seit abfolut feine mehr oorhanben. 3Ran roirb entgegnen,
bafj bic fßarabe, wenn nicht in birectem, fo bodj im in»
birecten 3"f a,nni enhange mit ben friegerifchen 3 tt, eden ftef>e,
inbem fie ein bebecctfamer gactor bei Slnetsiehung ber SRanneS»
Sucht fei. Unbebingt ift bie ßRanneSsudjt ber Grunbpfeifer
ber 9lrmee; aber biefelbe (äfet fich ebenfo unbebingt aufbauen
mit Uebungen, auS benen gleichseitig IRuheit für baS Gefechts«
felb, für bie Gefechtstüchtigfeit unb KriegSfertigfeit gesogen
werben fann. ©oldje Uebungen unb ersieherifchen ßRittel
giebt cS in großer 3 a ^- feien h*er nur bie turnerifchen
Uebungen erwähnt, welche bei ejacter Ausführung, Oöfliger
©eherrfchung beS Körpers unb ber Gliebmaßen unftreitig
ebenfooiel ßRanneSsucht prebigen, als s- ©• ber ^ßarabegriff:
„Dichtung! ^ßräfentirt baS — Gewehr." SRan roirb weiter
entgegnen, bie fßarabe fei erforberlid^ auS IRepräfentationS»
sroeefen. ®aS ©rforberniß friegSgemäßer 3luSbitbung ift fo
hoch ansufdjtagen, baß fRepräfentationSrüdficßten ernfttich
nicht in 3 ra 9 e fommen bürfen; überbieS bieten bie gewaltigen
Gefechtsübungen im ÜRanöoergelänbe hinlänglich Gelegenheit,
fremben dürften unb 3 u f^auern einen impofanten ©inbrud
bon unferer £>eereSmad)t su berfchaffen. ®ie fßarabe mit
ben ißt anßaftenben seitraubenben ©orübungen unb ©jercitien
muß alfo fortfaßen, aßeiu feßon, um bic gorberung ber
Digitized by v^. ooQie
338
Die (Segcnmart.
Nr.
22 .
gelbbienft»£)rbnung, tuefcfie pöper noep als geuerbiSciplin bie
©rgiepung gum fetbftftänbig unb überfegt panbelnben ©cpüpen
fteßt, gu genügen. SBaS bem Sur ber Kampf um’S £afein
in Dieljäpriger ©dpulung geteert pat, baS fofl unferen Leuten,
bie in biefer Segiepung opne jegticfje Sorbilbung finb, inner*
palb eines ßeitraumeS non grnei Sauren anergogen merben.
®aS ift eine gemaltige Aufgabe, melcpe niept burep neben»
fädplicpe Uebungen, bie nicptS mit ben gorberungen beS
©efedptSfelbeS gu tpun paben, befcpmert merben barf.
3eit erforbert ferner bie friegSgemäße SluSbilbung beS
Snfanteriften bebeutenb mepr als bisher für ben ißionierbienft,
üor Slflem für bie fjelbbefeftigung^funft. Slucp baS ift eine
Sepre, bie uns ber 83urenfrieg an’S §erg legt. SBir finb
babei meit entfernt, ber ©efenfiDe ^ulbigungen barbringen gu
moßen, unb nichts märe unpeiloofler, mußte man bem Dffenfib*
geifte unfereS $eercS einen Kämpfer auffepen. Smnterpin
mirb man auep ber ©efenfiüe Dolle Slufmerffamfeit Renten
müffen, befonberS aber bem ©emifcp bon Dffenfibe unb
®efenfibe erfüllte Sebeutung beiiegen. fieprreiep mirb eS ba»
per fein gu erfahren, mie eS mit ber StuSriiftung ber Suren,
melcpe in ber getbbefeftigungSfunft fiep als ÜÄeifter gezeigt
paben, ftept. SBidptig merben fein bie formen, bie Sßtofife
ipret SefeftigungSfunft. ®aS ungefünftelte unb offenbare
Srftaunen eines .fteerfüprerS mie baS fiorb SRobertS bürfte
fcpließen laffen, baß mir eS mit bisper Dößig fremben ober
boep ungebräueptiepen formen biefer Kunft gu tpun paben.
®em mit militärifepen ®ingen nur einigermaßen Ser«
traupen ift eS fein ©epeimniß, baß bie Snfanterie unb be»
fonberS bie (Spargen biefer SBaffe einen Slöfcpeu Dor bem
Spaten unb ber §acfe paben. ®em aufnterffamen Seobacpter
mirb aßerbingS auep niept entgangen fein, baß gang aßmäfig
ein {(einer gortfepritt gemalt ift, baß mepr ©inn unb Ser*
ftänbniß für biefen mieptigen ®ienftgmeig ermaept. @S ift
niept fepmer ben Slbfcpeu gu Derftepen; baS pergpafte unb
füpne SormärtS unb ®raufloS liegt im (Sparafter unfereS
SotfeS begrünbet. Oftmals mirb bem ein £a(t entgegen
gerufen merben, fei eS burep ben feinbliepeit ©efcpoßpagel, fei
eS burep Slbficpten unb Sefeple beS eigenen fjüprerS. 2)ie
gemaltige räumlicpe Stuöbepnung unferer ©eplacptfelber forbert
päufig an einer ©tefle baS pinpattenbe ©efeept, üießeiept bie
reine ®efenfioe, auf anberen fünften ben entfepeibenben
Offenfioftoß. ®ort gilt eS rnaefer bom ©paten ©ebrauep gu
maepen. Seber ©tiep ift eine ©rpöpung ber eigenen geuer*
fraft unb eine ^erabminberung ber feinblicpen; inbem fo ber
©paten benupt mirb, panbpabt ber ©olbat gleicpgeitig feine
SBaffe. ®er SluSbilbung beS Snfanteriften in biefem 2)ienft»
gmeige muß baper bie aflergrößte Sorgfalt gemibmet merben.
9Wit bet Sßioniertruppe fann, bei ber geringen ©tärfe biefer
SEßaffe, burcpauS niept gerechnet merben. Unb boep beftept
noep päufig bie Slnficpt, ber ißioniet fei baS ©dpanggeug beS
Snfanteriften. Sielleicpt märe eS bortpeilpaft, ben Pionieren bie
gelbbefeftigung gang gu nepmen unb fie bößig ber Infanterie
abetreten; bann meiß ber Snfanterift, baß er fiep unbebingt
auf fidp felbft berlaffen muß, baß fein Anbeter für ipn ein*
treten fann. 2)em ißionier aber mürbe biefe (Srteicpterung gu
önnen fein, benn er meiß fepon lange niept mepr, moper er
ie Seit gut SluSbilbung in ben mannigfadpen $)ienftgmeigen
nepmen foß.
SBaS alfo gegenmärtig SRotp tput, maS fepon peute ber
Surenfrieg (eprt, baS ift für ben Snfanteriften bor Slflem
gefteigerte StuSbilbung in ben beiben bislang niept genügenb
beaepteten SluSbilbungSgmeigen, einmal ©rgiepung juin felbft*
ftänbig unb überlegt panbelnben ©cpüßen unb gmeitenS ernfte
unb boßenbete StuSbilbung in ber SefeftigungSfunft. ^)ier»
für ift erforberliep Seitgeminn, ber aber nur noep ju erretepen
ift burep (Sinfcpränfung bejm. Sefeitigung beffen, maS auf
bem ©eplaeptfelbe abgeftreift merben muß, nämlicp beS ißarabe*
brißeS unb beS ©amafcpenbienfteS. öermanicus.
Die tDopitpätigkeit im mobernttt febeu.
SSon Kart Hoepet.
2)ie SBopltpätigfeit entfpringt bem SWenfdpliepften im
SRenfdpen, ipre Sebeutung ift mitpin immer biefelbe, aber
auep jte pat ftep ben mobernen SebenSformen anpaffen muffen,
alte Aufgaben aufgegeben unb neue großartige empfangen.
®aper finb Siele an ipr irre gemorben, bot Slßem fol^e,
mel^e SBopltpätigfeit mit Sllmofengeben ibentificiren.' 2)anf
ber ftaatliepen unb communalen Slrmenfürforge ift inbeß
peute ßfiemanb mepr jum Settein gelungen, baS Settein
bementfprecpenb berboten morben, unb fo pat baS Sllmofen*
geben, biefe müpelofefte, aber audp pödpft perfönlicpe 9lrt be$
SBopltpunS im principe aufgepört. 3)er ®urdpf(pnittsbürgei
ift baper feft überzeugt, mit feinen Slbgaben, auS meltpen
ja aud) bie öffentlidpe Slrmenfürforge beftritten mirb, fiep
aßet SBopltpätigfeitSberpflicptungen erlebigt ju paben. Sem
ift jebodp burcpauS niept fo. Keine Seit mar mepr beredjtigt
als bie unfrige, erpöpte Slnforberungen an bie perfönlicpe
SBopltpätigfeit ju fteflen. ®er aßgemeine SBoplftanb pat
fidp in ungeapnter SBeife bermeprt, unb banf einer biel ber*
breiteteren Silbung paben fiep bie berechtigten Slnfprücpe unb
Sebürfniffe ber unteren ©laffen bementfprecpenb bebeutenb
erpöpt. ©epabe nur, baß mir feine anbere Sejeidpnung paben
für bie freimißige tpätige Slntpeilnapme an ber förperlicpcn
unb geiftigen 9cotp unfereS ßtäcpften als SBopltpätigfeit
Senn ber Segriff SBopltpätigfeit ift ein für allemal ftarf
biScrebitirt morben.. 9Wan pat ipn banalifirt unb (äcpcrlicp
gemadpt burep bie SBopltpätigfeitSbajare, *bäße, »concerte,
«banfette rc., mo überaß baS Sergnügen bie ^auptfadpe ift,
bie SBopltpätigfeit nur ber Sccfmantel. ©cpmerlicp mirb bet
Sefucper berartiger Seranftaltungen ben ©inbrudt mit naep
|>aufe nepmen, baß er mopltpätig gemirft pabe; ein perfön*
licpeS 3Bop(tpätigfeitS«3ntereffe pat er nicht babei; maS mit
bem ©elbe gefiept, meiß er nidpt unb fragt anep niept ba*
naep. ©benfo empfinben bürfte ber reidpe ßRann, ber mit
einem geberftridpe Diele Saufenbe einem SBopltpätigfeit«*
inftitute Derfcpreibt, um geabelt ju merben, einen Orben ju
erlangen ober menigftenS in afler Seute ÜJ?unb gu fein. 6«
ift ja gar niept ju beftreiten, baß auep auf biefe mepr
ober minber äußerliche SBeife fepr Diel ©uteS gefdpiept, unb
baper muß bet SRealpoIitifer in bet Slrmenpflege burepaus
auf bie menfcplidpen ©cpmäcpen ber ©itelfeit unb ©enußfuept
fpeculiren. SaS fo gefdpaffene ©ute bient aber niept gur
fjörberung beS SBopltpätigfeitSgebanfenS, fonbern ju feiner
SiScrebitirung. Sin fiep ift bie ©pöttelei über bie SBopl*
tpätigfeit fepon populär in manepen Kreifen, mopf mit in
golge falfdp Derftanbener Srodfen auS ber SRationalöfonomie,
eines nicptDerftanbenen ®arminiSrnuS, ber quietiftifdpen fiepten
eines mobernen ißeffimiSmuS unb ber franfpaften Siipfepeanif^en
SBopltpätigfeitSüeracptung. ©roßen Slntpeil an ber Un*
Popularität ber peutigen SBopltpätigfeit pat aber auep ipre
in lepter $eit fo ftarf perDortretenbe ienbenj beS SSor»
perrfcpenS bureaufratifeper teepnifeper ©lemente auf Koften
ber perföntiepen Slntpeilnapme beS ©ingelnen an ber gu
fepaffenben SBopltpat. ®aS ift jeboep ber gang natürlidpe
UebergangSguftanb jeber Snftitution, bie fidp plöpliep t»r
ungeapnt große Slufgaben gefteflt fiept unb nun Dor SWent
banaep ftreben muß, ben teepnifepen Slnforberungen eine«
großen SermaltungSapparateS geredpt gu merben. S)anatp fragt
aber baS publicum menig. ®aS SBopltpun ift bei ipm Dor*
miegenb ©emütpsfadpe unb baper auf’s Seicptefte Stimmungen
unb Serftimmungen untermorfen. Sorperrfcpenb ift auep
noep bie befepränfte Sorfteßung, baß nunmepr ber Staat
aße SBopltpätigfeit übernommen pabe, unb baß perfönlitpe«
SBopltpun baper falfdpe ©entimentalität fei. 2)aS ift burep*
auS unlogifep. Ungmeifelpaft ift eS bie moplDerftanbene Sluf*
gäbe beS Staates, fämmtlidpe feiner Stngepörigen Dor bireetem
pppfif^en SRangel gu fepüpen. SBie mir fapen, paben tnir
Digitized by v^. ooQie
Nr. 22.
Die fljcgcnwcirt.
339
biefeg giet feßon faft erreicht unb Werben eg fieser nod) ganz
erreichen. $ann aber ber Staat SBoßltßat ü6en? Siientalg!
®ag liegt aueß bureßaug außerhalb feineg SBirfunggfreifeg.
SBoßltßat ift ja bie perfönlicße, baßer feetifeße Autßeilnaßme
an ber ßtotß unfeteg 0?äc^ften. Selbft wenn eg bem Staate
gelänge, äße pßßfifdje SRotß feiner Angehörigen ju befeitigen,
wirb bie pribate, perföntidje SBohltßätigfeit burdjaug nidjt
aufhören', nietmehr wirb ihr ©ebiet ungemein erweitert unb
bureßgeiftigt. S)enn erft bie perfönücße 'Sßeitnaßme ^ßrtüater
an ben bom Staate ©erforgten fann bet gürforge beg Staateg
ben ©ßarafter ber SBoßltßat berteißen. §iet liegt bie Ouint*
effenj beg Unterfd^iebeg gtoifeßen früherer unb moberner
SBoßttßätigfeit, worauf wir noch angführticher jurüdfommen
werben, tßorerft fottten btoß bie ©rünbe bargetegt werben,
aug benen fieß bie merfwürbige ^Eßatfadje erftärt, baß jeht
mehr benn je SBohtthätigteit in großartigen Anftatten geübt
wirb, unb ben noch bie SBohtthätigteit im ©ribatleben beg
©injetnen eine berfeßwinbenb fteine fRoße fpieft gegen früher.
©in jeber cutturefle gortfeßritt ift mit zeitlichen SRacß*
tßeiten oerbunben, SRadjtßeilen, Wetcße oft niete Sturzfic§tige
an bem gortfeßritte atg fotzen bezweifeln taffen. So war
cg auch mit bem Aufhören beg Atmofengebeng. Seit ber
Staat bie ©ettetei nerbot, woju et in gofge feiner ©or*
tehrungen bureßaug berechtigt war, würbe bag Atmofengeben
atg bemoratifirenb berpönt. Sehr mit Siecht lehrten bie
Armenpotititer, baß eg beffer fei, ein Atmofen ju wenig ju
geben alg eineg ju niet; ferner folle man einen ©ettler elfer
mit Arbeit alg mit Sebengmitteln, aber lieber noch mit Sebeng*
mitteln atg mit ©etb unterftüßen. ®ag teudhtet ja aud) ein.
Aber eg liegt einmal in ber menfehtidjen Sftatur, aug ber
©efeßränfung perfönlicher Triebe, namentlich ber eblen, rabicate
©c^täffe ju ziehen. ÜJian hatte einfachen Seelen bie greube
am Atmofengeben genommen; baraug feßtoffen fie, baß jebe
perföntidje SBohtthätigteit jwedtog fei unb befeßränften fich
bon nun an auf bag 3°hf en üon ©eiträgen an einen Armen*
herein. Atg ob eg feine ©etegenheit mehr gäbe für jWed*
mäßige perföntidfe SBohtthätigteit? ®aran ift inbeß bureß*
aug fein dRangel, nur muß man jefet bie Armen felbft
auffueßen, Wäßrenb fie früher in bie Käufer tarnen. ®ie
perfönlicße SBohtthätigteit ift affo unbequemer unb müßebofler
geworben, aber barum eben wertßboßer unb vertiefter. ®ag
Almofengeben brachte nur einen furjen perföntießen ©erfehr
mit bem Armen unb befeitigte außerbem nur augenblidlicße
Aotß. §eute ßanbelt eg fich nieiftentßeilg um berfdjämte
Arme, affo burch Ungfüd mittetfog ©eworbene, benn nur
für fotdje fommt bie ftaattirfje gürforge nicht in ©etraeßt,
Weit fie biefetbe nur in äußerfter ©otß beanfptudjen. SRatür*
ließ »ft eg in fofehen gälten nicht mit einem Atmofen getljan.
'Ber moberne Armenpfteger muß bietnteßr burch perfönticheg
©ingeßen auf bie ganzen Sebengberßältniffe beg SRotßteibenben
hetaugjufinben fueßen, wie berfetbe bauernb oon SRotß befreit
werben fann; ob burch eine einmalige Unterfiüßung, ob burch
©erfeßaffen oon Arbeit, Sßffegc franter Stinber, beg SRamteg
ober ber grau ic. 2)iefe inbioibuatifirenbe Art ber Armen*
pftege ift Denn and) bag ©riitcip mehrerer moberner Armen*
bereine geworben, welche ben ^auptwertß legen auf einen
perföntießen ©erfehr jwifdfen ©fleger unb ©erpftegtem. $)a*
her werben biefe ©ereine wohl immer in ber Sage fein,
SBoßltljungwißigen gute ©etegenheit ju betfeßaffen. Ader*
bingg muß ber ©injetne toiet größere perföntiche Opfer bringen
alg früher. @g ift bemuach reießtidjer ©rfaß borßanben für
bag perföntiche ©tement beg Atmofengebeng, auch auf bem
gelbe ber fetbftftänbigen ©ribatwoßttßätigfeit. ©ine weitere
hph* Aufgabe erfteßt aber ber mobernen SBohtthätigteit barin,
bie mehr ober ininber unperföntidje Staatgfürforge burch
perfönlicße Antheitnahme an ben ftaatlich ©erpftegten erft zu
einer wirtlichen SBoßttßat ju geftatten. SBie fchon erwähnt,
haben Staat unb ©emeinbe im ©rincip bie gürforge für
alle ihre notßteibenben Angehörigen übernommen. Augen*
blidtießer 9lotß begegnen bie ©aturatberpftegungganftatten,
fowie bie Verbergen jur $eimatß. gür bauernb Strbeitg*
unfähige forgt bie ^eimatßgemeinbe, wozu bei Arbeitern noch
bie Atterg* unb 3nüalibitätgrente tritt. 2)ie oorübergehenbe
Arbeitgtofigfeit Slrbeitgwißiger fuchen bie Arbeitgbermittefungg»
bureaug pribater unb, neuerbingg in ber Sdjweiz, auch ftaat*
tidjer ©inrießtung ju befeitigen ober wenigfteng mögtidjft
abjufürjen. Natürlich ift troß aßebem (eiber noeß (ange
Hießt für aße pßhfifd) ÜRotßteibenben geforgt, aber fießer
werben wir noeß baju fommeit. £>at bann bie ©ribatwoßt*
tßätigfcit nießtg meßr ju tßun? 3m ©egentßeit; ißr SBir*
funggfreig wirb ein größerer, Wie ja auch feßon bie jeßt
befteßenbe ftaatlidje gürforge ben SBirfuitggtreig ber SBoßt*
tßätigfeit bebeutenb oergrößert ßat. Aße bie Äräfte, Wetcße
früßer jur ßiitberung lebigticß pßßfifcßer Stotß nötbig waren,
finb jeßt frei geworben ju einer intenfioeren feelifchen An*
tßeitnaßme an ben Siotßleibenben. SBie oben erwähnt, fäßt
pßhfifcße ©ftege mit feefifeßer jeßt meift äufammen. SBirb
aber bie pßßfif^e Siotß überhaupt befeitigt fein, fo bleibt
noeß bag weite SBirfunggfetb ber rein feetifeßen gürforge für
bie pßhfifcß ©erpftegten. ®iefe eminent moberne Art ber
SBohttßätigfeit ßat jubem ben großen ©ortßeit, baß aud) ber
finanjieß feßwadß ©efteßte fie im weiteften 2Waße üben fann,
ba fie faft nießtg foftet. hierum ßanbelt eg fieß feßon jeßt
bei ben in Staatganftalten ©erpftegten. Sießmen wir jum
©eifpiet bie SBaifcnfinber. ®iefctben finb in ben SBaifen*
ßäufern gewiß gut üerforgt. Äann ißnen aber bet Staat
aud) Siebe geben, bag ©rob ber Ä'inbegfeete? Siein! Sorgen
wirb er gewiß für gute, gewiffenßafte Seßrer unb §üter ber
Sinber, aber beren ßaßt ift im ©erßättniß ju ber ber Sttnber
viel nt ftein, atg baß fie, oßne ungerecht ju werben, jebem
einjelnen ißrer Sdjüßlinge bie nötßige inbibibuatifirenbe Siebe
entgegenbringen fönnten. ®ag tonnte nur ein ©enie wie
©eftatojji. §ier atfo ßat bie ©rioatwohttßätigfeit ein weiteg
SSirfunggfelb, benn:
„6ine8 ÄinbesS Seele 6raud)t bie Siebe,
Sowie bie Slume broudjt ba8 Sonnenlicht,
Um ju entfalten if)i'e8 Welches Fracht."
©eßmett wir nun an, eine gamitie Wäßtt fieß aug ber $aßt
ber SBaifenfittber einen Scßüßting, ben fie Sonntagg ju fidß
eintabet, mit Wetcßem fie Spaziergänge maeßt, furj, an bem
fie fcbßafteg Sntereffe nimmt, wäßrenb fie ißn aber rußig in
ber ftaattießen Slnftatt läßt, fo ift biefe SBoßttßätigfeit ju*
näcßft mit feinertei Äoften berbunben, atfo aueß armen
gamitien bUrcßaug mög(id). ®ag fo befeßüßte SBaifenfinb
ßat aber ptößtieß eine gamitie befommen, eg wirb mit Siebe
umgeben, mit freunbtidßer ‘Sßeitnaßme. ®ag wirb bag $inb
bor ©erbitterung fdjüßen, feinen ©ßarafter freunbtieß maeßen
unb ißm ben ©tauben an menfeßtieße ©üte beibrittgen, ber
fo oft bei (iebfog ©rjogenen früße unwieberbringtieß berforen
geßt, wag biefe ju jeber aßgemein nüßtießen Xßätigfeit un*
braueßbar maeßt. ®ocß au^ bie betreffenbe gamitie wirb
ben größten Segen bon ißrer SBoßftßat haben, inbem ißre
Äinber fid) früße an SBoßttßun gewößnen unb jenen einzig
haftbaren Stanbpunft anneßmen, ben SKenfcß im SRenfcßen
ju aeßten, ein Stanbpunft, ber fie für bie ßufunft befäßigt,
in aßen ©erufgarten principieß bag ©efte ju teifien.
3n gleicher SBeife, wie beit ftaatlicß berforgten Äinbern,
ift aber aueß ben fo untergebraeßten ©rwacßfeiten, armen
Äranfen unb Altergfcßmacßeit, perfönli^e gürforge bon pribater
Seite angebeißen ju taffen. Stucß ßier tßut ©etb wenig, bie
©erfönti^feit aßeg. ©aßer fann aueß bet wenig ©egüterte
eg fieß ertauben, feinen Jtreig bon Scßüßtinaen ju haben,
bie er befudjt, bei fieß aufnimmt, benen er fteine greuben
bereitet, furj an benen er perfönlicßen Antßeit nimmt. So
wirb in maneßeg trübe unb einfam berbraeßte Seben, bag bie
greube faum je erßeflt ßat, noeß in teßter Stunbe ein freunb*
ließet Straßl ber finfenben Sonne faßen, derart im Stißen
Digitized by
Google
340
Die töegenmart
Nr. 22.
geübte ©opltpat birgt ipren ßopn in fiep, unb ber ©ebenbe
ift f)ier ber ©mpfangenbe.
StuS aßebem gept peroor, bafj im moberaen Sinne nur
bet mopltpätig genannt merben fann, beffen Seele ftetö
{(ütföbereit ift unb tßeilnaßmSüoß gegenüber allen pppfifcßen
unb feelifcßen Seiben feiner Umgebung. Der näcpfte ÄreiS
ber ©opltpätigfeit ift baßer ungmeifelpaft bie gamilie, bie
Sermanbten unb bann bie Dienftboten, Slngefteflten, bann
priüate |)ülf§bebürftige unb fcßliefeticp bie in ftaatticpen Sin*
ftalten Untergebracpten. Stber fcpematifiren läßt fiep bie mapre
©opltpätigfeit niept, fie ift ein fpontaner Drang:
63 fei bie SBofylt&at eine freie 2§at
Unb tenne feinen ßo(|n unb fiirdfte nieste:
©in jjtojjer freter ©djafjenStrteb ber Seele!
(Sine pübfcpe Difinition ber ©opltpätigfeit giebt ber grofee
Socialäftpetifer ©uSfin: „®ute3 auf fitperem ©ege gefepiept,
inbem man ©Mcnfcßen näßrt, ©Menfcfjen tleibet, ©Mcnfcßen be«
pauft unb fepliejjlicß mit ben fünften, SEÖiffenftpaften unb
anberen Slnregungen ©Menfcßen greube bereitet.“ —
Den eminent ergießerifeßen ©ertp ber ©opltpätigfeit
paben mir fepon berüprt; berfelbe ift um fo mepr gu berüd«
fießtigen, als es fiep batum ßanbelt, einen ©rfaß gu fepaffen
für baS unftreitig pöepft ergieperifeße ©Moment beS nunmepr
oerpönten SllmofengebenS. g-rüßer fapen bie JJinber, mie
ipre ©Itern ben Sirmen bie ©aben einpänbigten unb mürben
auep rnoßl felbft bagu angepalten. DaS maepte ©inbrud.
©ie finnig mar g. S. bie altfrangöfifcpe Sitte, naep meleper
gum fßatßen eines S'inbeS ber erfte Settier befteüt mürbe,
bcr naep ber ©eburt an bie Dpüre Hopfte. DaS foQte Segen
bringen. Der gemijj niept fentimentale ©Montesquieu ergäßlt
niept opne ©üßtung, bafe auep er einen Settier gum fßatpen
gepabt pabe. —
3s«t bie ©rgießung burep ©opltpätigfeit, bie natürliep
auep eine ©rgießung gur ©opltpätigfeit ift, paben fiep §au3
unb Scpule gu tpeilen. ©atürließ faßt bem ©fternpaufe bie
Hauptaufgabe gu. H* er w ' e überaß ift baS mießtigfte @r=
gicßungSmittel baS Seifpiel. grüß muß baS Äinb baran
gemößnt merben, ben ©ingelnen niept naep äufeeren ©fitem,
©eicßtßum, ©ang, Ditel gu beurtpeilen, fonbern naep feiner
©Menfeplicpfeit. Sluf biefe ©Seife bürfte ber bei Äinbcrn mopl*
pabenber ©Item fo natürliche naioe H oc ß mut ß ärmlicpen
Sinbern gegenüber gar niept auffommen. DeS ©eiteren märe
burep beftänbigeö SInßalten gur ©efäßigfeit unb greunblicß*
feit früpgeitig ber Slict gu fepärfen für frembe ßeiben. H* erQn
feplt eö fo unenblitp oft, unb fo unterbleibt ber größte Dßeil
beS mögliepen ©oßltßunS meniger auS böfem ©iflen als
auS ©Mangel an Slief. Die oben angefüprte gaftliepe Sluf*
napme oon in öffentlichen Slnftalten untergebraepten ©aifen*
finbern ober auep anberen armen JUnbcrn bürfte pierbei oon
grofeem ©ußen fein. 3nbefe müfete babei ftrengfte Slufficpt
perrfepen, ba biefe armen ©efeßöpfe natürlicper ©eife oft fepr
grofee Unarten unb Sugenblafter an fiep paben, oor bereu
Serbreitung gemaprt merben mufe. Slßein bieS fepcint bei
tücptiger Sluffiept burcpauS burcpfüprbar. ©iner folcpen ©r«
gießung müfete eS gelingen, bem Äinbe fepon früpe bie @pr*
furept oor bem, maS unter unS ift, beijubringen, maS naep
©oetpe bie Ouinteffenj beS ©priftentpumS ift unb beffen ein«
jiger, aber eminenter Sorjug oor ber fo popen (Stpif beS
claffifcpcn SlltertpumS. ©benfo roirb ein fo erjogeneS Sfinb
fpäter einmal oiel leidjter jur ©rfenntnip fonimen, bap bie
pbepfte Slufgabe beS ©injelnen in ber beftänbigen fünftlerifepcn
SluSarbcitung feines etpifepen SebenS beftept.
3n bemfelbcn ©eifte pätte natürliep auep bie Scpule
einjumirfen in ber ©rjiepung burep unb jur ©opltpätigfeit.
3u empfeplen märe pierju ber öftere gemeinfame Sefuep oon
©aifen* unb 9tettung3päufern unter oerftänbnipooßer @r=
flärung unb aßerbingS fepr gut beauffieptigten gemeinfamen
Spielen. Das müpte entfepieben auf ein junges ©emütp
gropen ©inbruef maepen unb ipm mepr als afle tpeoretifiper
©rörterungen jur ©rfenntnip bringen, mie jufäßig ber SReidj*
tpum ift, unb in mie glüdlicper Sage eS fiep opne aHtö
eigene Serbienft befinbet. DeS ©eiteren müpte bicS bie
Sfinbet banfbar ftinimen gegen ©Item unb fieprer unb jenen
oben ermäpnten fo oerblüffenben H°^ mut P gegen äratlupe
JHnber mirfungSooß befämpfeu, furj auf bie gange feelifdje
©ntroiefelung ben mopttpätigften ©influp auSüben, ba be=
lanntliep bie ^ugenbeinbrüde bie beftimmenben ftnb.
©ine fold)e ©rgiepung burep bie ©opltpätigfeit erteilt
fiep fieper auep als baS befte ^Jroppplaftifon gegen einige
moberne päpüepe unb moralifcp unlogifcpe ©rfepeinungen.
Hierzu gepört in erfter Sinic bie ©prfurept oor bem Selbe.
Das Äranfpafte biefer ©rfepeinung geigt fiep gunäepft batin,
bap bem Sefiper beS ©eibeS gefcpmeicpelt mirb, opne bap
ber Sepmeiepier bamit irgenb roetepe reeßen Slbfiepten oer-
bänbe; bap man fiep geeprt füplt, mit einem reiepen ©Manne
befannt ju fein, bon ipm gegrüpt ju merben unb mit ipm
gufammen gefepen ju merben. Diefe moberne Sbeotogie fepeint
blöp entroürbigenb unb im pöcpften ©rabe läcperliep.
©efäprli^e berfelben liegt aber barin, bap eine Suggeftion
ftattfinbet, inbem baS Urtpeil über perfönlicpe ©igenfepapen
ber ßMeiepen in feltfamfter ©eife ju ipren ©unften beeinflußt
mirb. So rneit gept bie Sßogif, bap einem Seiepen, ber mit
einem bebeutenb Slermeren freunblicp oerleprt, bieS gerabep
gum Scrbienfte angereepnet mirb. Diefe moberne Stranlpeit
ift alfo niept nur unenblicp läcperliep unb entmürbigenb,
fonbern fie pemmt auep bie freie firitif, ift fomit pöepft ge«
fäprtid). Slber noep fcpäblicper pat fiep biefe ©rfepeinung für
bie SReicpen felbft ermiefen, inbem fie fiep burd) bie fie um*
gebenbe ©prfurept unb Sdjmeicpetei oielfaep fuggeriren ließen,
bap reich i u f e i n f><P ei« Serbienft fei, unb ber SReiep*
tpum feine Serpflicptungen in fiep feplöffe. DaS fo, toenn
niept grop gegogenc, boep minbeftenS ftarf ermurpigte geift*
lofe unb pöepft unmoralifeße fßropentpum gab natürlidp immer
bet anticapitaliftifcpen Agitation bie beften ©affen gut’pöepft
unfogifdjen DiScrebitirung aßer JReicpen unb beS ©apitoli
als folgen. So mürbe auep jener feltfame, focial unb
etpifcp fo unenblicp fcpäblicpe, aus fReib, Semunberung unb
Seraeptung gemifepte Hofe ber ©Mitglieber bet nieberen Stänbc
gegen bie eingelnen ©Mitglieber ber pöperen Stänbe perfön*
liep ergeugt, mooon noep mciter unten bie fRebe fein wirb.
©cnigftenS liegt ftänbig bie ©efapr nape, bafe bet ©fiepe
burep bie ipn umgebenben Scpmeitpeleien leiept bie fßfßdjten
beS fReieptpumS üergipt. Sefanntlicp ift eS ja oiel feßmicrigcr
geroiffenpaft reiep gu fein als reich toerben. Dpeoretijtpc
Slufflärung über bie fßfli^ten beS ©eicptßumS feplt notp
Haben felbft bie ©iffenfcpaftler cS niept mit ben ©eitpen
oerberben moßen, ober pielten fie bie Seantmortung biefer
fjrage bei gutem ©ißen für gu eiufaep? Das märe jeben*
faflö auep niept rieptig. ©ie öielen mirfließ Strebfamen ift
niept ber ©cicptpum gunt glucpe geroorben; ipren Arbeiten
mürbe gefcpmeicpelt, aber fie mürben niept ernft genommen
unb fanben baper niept baS reepte Sntereffc oon Seiten ernfter
©Männer. Sießeicpt and) paben fiep Oiele empfinblicpere Sc*
mütper oon ipnen fern gepalten aus Slngft für Sepmaropcr
gu gelten, — biefe Scpeu oor ben ©eiepen ift atteß eine
moralifepe 3eitfranfpeit — unb fomit maren unb finb ßäufig
reept ftrebfatne ©abobS auf ben Serfepr mit geiftlofen
Scpmaroßern angeroiefeit unb bleiben geiftig frucptloS. ©
gept ipnen — icß pabe biefen Sergleicp irgenbroo gelefen —
mie bem ftönig ©MibaS, bem SlßeS, maS er berüprte, gu Soli»
mürbe, unb ber barum faft oerßungert märe. 3 um
befreite ipn ein Sab im Cueß fßaftotuS Oon biefer unfeligen
SegenSgabc. Dodp bem mobernen ftrebfamen ©abob fprubett
faum eine paltolifcpe Duefle, naepbem er einmal bie @oß>*
gauberfraft feiner Hänbe erfannt pat. Dann ift fepon p
Oiel ©ntpufiaSmuS oerpulocrt morben, unb eS bleibt nur bie
unfrueßtbare ©efignation. ©Mit ber ©rgiepung gum ©enuffc
Digitized by v^. ooQie
j
7
Nr. 22.
Die tötgenroart
841
unb ju ben Pflichten beS 9f?eic^t^iimS muß eben früher be»
gönnen »erben. Sin junger Wann, bem im oben ermähnten
@inne eine Srjiepung burcf) bie SOSopltpätigfeit ju Streit ge*
worben ift, wirb niept ber paftolifcpen Duelle bebürfen. Sr
bat frühe eingefepen, baft ©eicptpum nur in ben $änben
©ebilbeter unb SBoplwoüenber niept unmoralifcp wirft, unb
baß ber SReid^e beftänbig feine ©erecptigung betoeifen muß,
reich ju fein. Slußerbem ^at er Stic! für frembe ßeiben; er
geht mit offenen klugen burch bie Seit unb bebauert nur,
baß er nicht noch tote! reicher ift, um biel mehr nüplüpe
Xpätigfeit ju hoben, benn baran ift nur ju großer Ueber*
flufe. ©ie SBopItpat biefeS Reichen toirb fiep freilich nicht
auf bloßes ©elbberfcpreiben befcpränfen, fonbern er toirb mit
feinet ganzen perfönlicpen ©eifteSfraft, bie er ja umfonft an*
bieten fann, für bie jWeduoüe Slnwenbuitg beS gefpenbeten
Selbes cintreten unb fein ßeben wirb arbeitsreich unb barum
föftliep fein. Sin foldjer Reicher lönnte eS auch tiSfiren,
feinen ©opn ju nichts Ruberem ju erziehen als jurn ©enuffe
beS ©eicptßumeS im eben gefdjilberten Sinne. Natürlich
müßte eine folcpe ©orbilbung eine fe^r umfaffenbe fein, ba
fie bem jungen Wanne baS ©erftänbniß geben müßte für
alle 3*ueige menfchlicher ©pätigfeit unb mettfcplicpen ©trebenS.
®enn nur fo fann er feiner Snbibibualität nach entfcpeiben,
too er mit feiner unentgeltlichen SlrbeitSfraft unb mit feinen
Wittcln einjutreten höbe. —
©ocp eine weitere Teilung Wäre ber Srjiepung jur
SBopltßätigfeit borbehatten; eS honbelt fich pier nicht um eine
moralifcpe Kranfpeit, als welche bie Sprfurcpt bor bem ©elbe
anjufepcn ift, fonbern um ein tief eingeprägteS altes ©or*
urtheil, baS niept mehr jeitgemäß ift, bä jeglicher ßogif ent*
beprenb. 3ep meine bie grunbfalfcpe ©orfteüung, welche fo
oiele, namentlich pribatc, SBorgefe^te bon ber ©tctlung ihrer
Ungeteilten hoben. SBäprenb hoch in ber 51hat biefe ?ln*
ftellung eine reine ©efchäftSfache ift, — ber ©erlauf ber
ftrbeitsfraft Wäljrcnb ber bafür feftgefeptcn ©tunben — alfo
mit ber ©erfon beS Untergebenen gar nichts ju thun hot,
bilben fich Diele ©orgefepte, namentlich im faufmännifcpen
fieben, ein, bafj fte berechtigt feien, ihre ebentueHe Unjuftiebeit*
heit auch in perfönlicp fränfenber SEBeife borjubringen. Wan
lönnte einwenben, baß eS ja bem Ungeteilten frei ftänbe ju
tünbigen. ©aS ift leicht gefagt. ©ewiß ftept cS einem Seben
frei ju berhungern — mit feiner gamilie, wenn er ber*
heiratetet ift. ©ei ber ungeheuren UeberfüQung beS SlrbeüS*
marfteS wirb er aber lieber eine güüe perfönlicper Äränfungen
einftecfen, als fich unb bie ©einen biefer ©efahr auSfepen.
Natürlich Wirb baburch ber Sharafter berbittert, bie ©elbft*
achtung erniebrigt unb ber Wann unglücf(id) gemacht. ©aS
toar in ben metften gäUen jwar nicht bie 21bftcpt beS bc=
tteffenben Sontortprannen, aber er würbe eS für eine große
gumutpung polten, baß er, eine fo wichtige, in Slnfprucp ge»
nommene ißerfönlicpfeit, auch noch auf folcpe Äleinigfeiten,
Wie baS ebentuelle gairtgefüpl feiner Ungeteilten, ©üdficpt
nehmen follte. Ipier wieberum liegt ein ©ilbungSfepler bor;
eS feplt ber ©lief für ülnberer ßeiben. Sin im oben be*
jeiepneten ©inne burep SOßopltpätigfeit Srjogener wirb nie in
folcpe gehler berfaüen, oielmehr ftets barauf bebaut fein,
burep freies menfcplicpeS Sntgegenfommen feine Ungeteilten
füplen ju laffen, baß er fiep feinerfei ©echte über ipre ©erfon
anmaßt unb fich burdjauS für nicptS ^öpereS pält als fie.
^Beiläufig bemerft, wirb ein fo gehaltenes ©erfonal auch biet
eifriger unb pewiffenpafter für feinen Spef arbeiten. §ier
Wie überall jetgt eS fiep, baß Humanität bie größte Klugpeit
ift Srwacpfene Wenfcpen finb niept, wie gewiffe Überfluge
„ßeute ber fßrajiS" meinen, burep gurept im ©efpect ju
erhalten, — biefe erjeugt innerlich fpaß unb äußerlich §eucpelei
— fonbern nur burep aufrichtige ©pmpatpie für ben Spef
unb burep beffen ©eifpiel in ber Pflichterfüllung, ©a wir
fo nun einmal bet ber leibigen grage ber fpanbelSgepülfen
angdangt finb, fo fann icp niept baran borbeigepen, opne
beren preeäre, uns ©eutfepen burcpauS niept jum ©upme
gereiepenbe ßage ju berüpren. SS giebt ja leiber biele wirf*
lidj flemeine Wenfcpen, in beren ©atur eS liegt, gegen
Schwächere fiep nieberträdptig ju benepmen. ©aß fiep ber*
artige Sreaturen gerabe in ben fubalternen ©ureaufteöen
finben, mag wopl mit ber meepanifepen, geifttöbtenben ©e*
fcpäftigung jufammenpängen. ©immt man pier noep bie
oben erwäpnte mepr gebanfenlofe ober nerböS überreijte'
©prannei ber Sontorregenten pinju, fo erflärt fiep baS mora*
lifcpe Slenb unferer Keinen Sonforgepülfen boüauf. ©e*
rufeneren überlaffe icp bie ©cpilberung ber ßage unferer fo*
genannten ßeprlinge, bie unter bem ©orwanbe geleprt ju
werben, auf’s ©iebrigfte auSgenupt, niept bejaplt unb babei
noch bielfach gemein bepanbelt werben, ©iele ber „©tüpen"
unferer ©efeÜfcpaft finb SpefS berartiger, größtentpeilS mit
ßeprüngen pöcpft woplfeil arbeitenber girmen. ©aS finb
bie ©iebermänner, bie als ©orftanb angefepener SBopltpätig*
fcitSbereine, bie iptien ©elief geben, große ©öne reben bon
Wenfcpenliebe unb ©ereeptigfeit. Db ber projectirte ©efep*
entwurf pierin biel 31bpülfe bringen wirb, bejweite id).
Sinftweilen Wäre eS fepr förberlicp, Wenn bie jept noch ein*
gefcpücpterten ßeprlinge beranlaßt würben, berartige gäQe
tpatfrätigen ©ubliciften ju unterbreiten, bie bann ourd) bie
niept manepeftertiepe ©reffe orbentlicp bie öffentliche Weinung
in 3lufrupr fepen müßten. — ©ieS 3lHeS foUte illuftriren,
»aS eine Srjiepung jur SBopltpätigfeit berpinbern fann;
bielleicpt bin icp etwas ju Weit bom ©pema abgefepweift,
aber icp glaube, baß man jebe ©elegenpeit ergreifen muß,
um auf berartige blutenbe SEßunben im ©olfSförper pinju*
weifen. — ©oep gegen ein Weiteres moberneS, moralifcpeS
©orurtpeil bon großer ©cpäblicpfeit wirb ein jur SSopl*
tpätigfeit erjogeneS Wenfcpenmaterial mit Srfolg anfämpfen.
SS ift bieS ber fepon erwäpnte, in ben unteren ©olfSfcpicpten
bielfacp berbreitete ^»aß gegen bie einjelnen Witglieber ber
oberen Slaffen. ©erfelbe Wirb Weniger burep ben ©eib per*
borgerufeu als burep bie pöcpft unlogifcpe ©orfteüung, als
billige jeber Sinjelne — eS panbelt fi^ pauptfäcplicp um bie
Witglieber ber ©ourgeoifie — alle $anb(ungen feines ©tanbeS,
alfo beS SapitaliSmuS, unb fei beßpalb mit fcputb an allen
wirfliepen unb bermeintlicpen ©cpäben, welcpe bie ©enbenjen
beffetben über bie Waffen gebraept paben. SBaS fönnen aber
junäepft grauen unb Äinber bafür, baß fie im ßujuS ge*
boten finb? 3BaS paben fie ferner für eine ©orfteüung oom
9lrbeiterleben ober Don ber ©örfenfpeculation? 3lußerbem
wirb ©iemanb bie 3luSwücpfe beS SapitaliSmuS — j. ©.
^Irbeiterejploitation unb gewiffenlofe ©örfenmanöDer — fepärfer
oerurtpeilen als ber eprbare Sapitalift, unb fo weit bürftc
bie ©olfSDerfüprung benn boep noep niept oorgefepritten fein,
baß baS ©olf in jebem Sapitaliften gleicp einen ©cpuft fäpe.
Sft fcpließlicp ber als ©opn eines Kaufmannes geborene
3wifdpeitpänbler, ber in reblicper 3lrbeit, meiftenS fcpwer ge*
nug, fiep unb bie ©einigen erpält, auep bafür oerantwortlicp,
baß fein ©tanb, baS ßwifcpenpänblertpum, bie ßebenSmittel
beS ^Proletariats um baS brei* unb bierfaepe bertpenert? ©oü
er etwa barum felbft 3lrbeiter werben? 3lußerbem ift in
ben Sonfum* unb ©robuctionSgenoffenfcpaften fepon ber S03eg
jur Slbhülfe gefunben. SOSeldper ©rutalitäten bet Slaffenpaß
fäpig ift, paben bie wapnfinnigen anarcpiftifd)en ©omben»
attentate auf baS boep bielfacp aus grauen unb Kinbern be*
ftepenbe ©peaterpublicum in ©arcelona bewiefen. ©leibt
bieS auep ein eiitjelner SOSapnfinnSfaü, fo ift boep barin
beutlicp bie Weitberbreitete ©enbenj ausgeprägt, grauen unb
Kinber als mitfcpulbig ju betrachten. (@d)tu| folgt.)
Digitized by v^. ooQie
342
Die (Segenmart.
Literatur unb .ßuitft.
©beroti’s febettßftbifkfale.
8on Dr. HJi»ietm Kleefell».
3m ÜRittelpunft ber ©ühnenfeftfpiele, bie SßieSbaben, bie
freunblite QueBenftabt, ju einem preußiften 93at>reut^ er*
loben, fteßt |euer Sßebcr’S „Oberon". $>urdj bie Snitiatioe
beS ftaiferS toutbe bie romantifdje gauberoper einer Um*
arbeitung unterzogen, bie ®e£t unb SDtofif in neuem ©e=
manbe zeigen. Sntenbant Don Hülfen, SWajor ßauff unb
SapeBmeifter ©tlar finb bie Specutiuorgane beö futferlidjen
SBiBenS.
Armer Oberon! wie oft fton ift bir ein mitleibSOoBer
Srlöfer genagt, ber beiner oorjeitigen ©ergeffenheit baS ernige
ßeben ju geben toerfprad^! ©eine ©ticffale öerbicfften fit ju
einer getoottigen 'Jiagöbie, mie bie SBetfelfäfle beincS Ur*
heberS, ben bie Ungunft ber ©erhältniffe bom ©Buttberfinb
jum fßianiften, oom Jonbitter jum ©rioatfecrctär unb bom
©cbulbgefangenen jum fäc^fifc^en Hofcapeflmeifter ftempelte.
®er „Oberon" mar beS SD?eifterS legteS 28erf; bie ßeimtüctifte
Äranfljeit, bie ißn befallen, fe^tc feinem ßeben ein OorzeitigeS
3id. SEBeber fühlte eS unb betrachtete eS als feine heilige
©fließt, bie furze Spanne fo auSzunu|}en, baß er feine gamilie
in leiblidb angenehmen Sßcrhältniffen jurücfliefe. So fam ihm
baS Anerbieten, für baS ßonboner Covent Garden Theafcre
eine Oper ju componiren, fe^r gelegen. 500 ©funb Sterling
maren ihm bafür jugefagt. 3- ©landje bearbeitete baS ®ejt*
buch nach SBielanb’S „Oberon" unb Söeber machte ficb mit
eiferner Snergie an bie Ausführung. 28e(d)e ©tmierigfeiten
maren ju überminben! ®ie ©tofif mufjte auf englifdjen ®ejt
gefegt merben unb Sßeber fannte bie Sprache nid)t. Sftit
gerabeju erftaunli^er ©rünblidjteit lernte er Snglifd) unb
brachte eS in furjer geit fo mcit, fction mit ©landje in beffen
äKutterfprache cortefpembiren ju f(innen, ©eine fdjriftlichen
Ucbungen, eine namhafte Anzahl goliobogen utnfaffenb, be*
ginnen mit Sliebcrftrift beS englifeffen Alphabets nnb beffen
AuSfptache. SS maren 153 ßectionen, bie er bei bent Sng*
länber Gart) in ben frühen ©torgenftunben nahm, bie erfte
am 20. October 1824, bie leßte am 11. gebruar 1826, fünf
Stage uor feiner Abreife nach Sonbon. Anfang beS SaßreS
1826 mar ber „Oberon" fertig gcfteHt unb ber SWeifter fonnte
bet Sinlabung ber engliften Unternehmer golge leiften, bie
Sinftubirung felbft ju leiten unb bie erften Aufführungen ju
birigiren.
®rofc beS bebenflidhen ©efunbheitSzuftanbeS reifte er am
16. gebruar oon ®reSben ab. AIS bie ®hüre feines SBagenS
jugefchlagen mürbe, bemächtigte fuß feiner ©attin eine furcht*
bare Erregung, fie ftürmte auf ihr gimmer, fant in bie
Sfnie unb rief ftlucßzenb mie in graufamet ©elbftanflage:
„SS mar fein ©arg, ben ich äufchlageu hörte." Sßee Ahnung
foBte fich teiber erfüllen, fie fah Söeber lebenb nicht mehr
mieber.
Sn ßonbon mußte er anftrengenbe geiten burdjleben,
bie feine zerrütteten Kräfte um fo fcßneBer bem ©erfaß ent*
gegenführten. ®aö neue 2Berf beftäftigte ihn, mandherlei
gmeifel ftiegen toor ihm auf. Schon mährenb ber Gompo*
fition hotte ihm baS Etejtbudj ©ebenfen bereitet. „®ie (Sin*
mifdjung fo bieler ©erfonen, melche nicht fingen" — fchrieb
er 1825 an ©lante —, „bie SSeglaffung ber ©tofif in ben
midhtigften ©tomenten, alle biefe ®inge berauben unferem
„Oberon" beS SfamenS einer Oper unb merben ihn untaug*
iidh machen für alle anberen ©üßnen GuropaS." ®ie Stolle
beS GlfenfönigS mürbe gegen SBeber’S SBiBen für männliche
Stimme unb gigur jugefdinitten; er mufjte gegen feine Ueber*
Zeugung unb innere Eingebung feine ©tofif barnadfj feßen.
®ieS mar bem fiitnoollen Äünftler fo empfinblich, bafj er
gegen feine greunbe in ©reSben mehrfach fein SRifefatlcn
äujjerte unb erflärte, eS fönne nie „etrnaS AnbereS als em
blofjeS ©emachteS" merben. Auch ift eS feht mahtfchtinlith,
bah er jur beutfdhen Aufführung biefe Stolle für eine Sängtiin
umgearbeitet hoben mürbe, menn fein ßebenSfaben nicht jer*
fchnitten morben märe. ®ann mar er oöUig überzeugt, ba|
mit ber ^Befreiung ber ßiebenben unb ber grofjen ©fen*
erfcheinung ABeS gefdhloffen merben müffe, ber „dumb-Bhew
beS §ofeS Äarl’S beS ©rojjen aber ein fehr ftörenbeS unb
finnlofeS ©uppenfpiel" fei. ABein Sohn ©ufl forberte bieS
unerläßlich, unb fo erhielten mir menigftenS noch eine hen*
lidt) fd)öne SDtarfchfcene als gugabe.
SBeitere SJtühen fdjufen ihm bie englif^en Sänger. SDer
©ertreter beS §üon, 5ütr. ©raham, meigerte fich, öie groß
Arie z« fingen, beren gemaltigen Anforberungen feine Äunft
nicht gcmachfen mar. So fa| fich SSeber gezmungen, noch
in lebtet ©tunbe für ben (Sriglänber eine neue Arie zu com*
poniren. @r fchrieb batüber feiner grau: „©raham bettelt
um eine große Scene ftatt feiner erften Arie, bie aBerbingS
etrnaS hoch ift- @rft mar mir ber ©ebanfe ganz fötal unb
ich moBte nichts babon höten. 2BaS ift aber zu tf)un?
©raham fennt fein publicum unb ift ber Abgott beffelben.
Sch ntuh bem (Srfolg zu ßiebe überhaupt ein ©tücf Arbeit
mehr nicht Jcheuen — alfo — frifch hi ne ingcbiffen in ben
fauren Apfel. Unb bie erfte Arie hob’ ich fo lieb! — für
®eutfd)lanb taffe id} ABeS, mie eS ift, benn ich h a ff« bie
Arie im ©orauS, bie ich — hoffentlich heute noch — machen
merbe." Stoch am gleichen ©ormittag fügte er hinzu: „9tun!
bie ©d)tacht ift zu ©nbe, b. h- bie £älfte ber Scene. Stach*
mittag hoffe ich noch, bie SEürfinnen jammern, bie granjö*
finnen jubeln unb bie Sfrieger ©ictoria fchreien zu laffen." —
®iefe nachcomponirte Arie ift, fozufagen, im englifchen Stil
gehalten, mit eigentümlichen ©chnörteteien auSgeftattet, aber
OoB oon herrlicher ÜDtelobie unb oon hohem lünftlerifchen
©dhmung.
Aut mit ber ©ertreterin beS ÜJteermäbchenS hotte ©eher
SDtanteS auSzuftehen, er fah mit angftooBer ©t«u ber ferft*
aufführung entgegen, bie enblid) am 12. April ftattfanb.
®er Srfolg übertraf jebot feine lüljnften Hoffnungen, er
nahm gormen an, bie man in bem nebeligen Jtlima beS
SnfelreiteS nitt gemohnt mar. Ueberglüdflit fd>ric6 ber
SJteifter not in berfetben Statt um ®/ 4 12 Uhr an feine grau:
„SJteine innigftgetiebte ßina! ®u«h ©otteS ©nabe unb ©ei*
ftanb höbe it benn heute Abenb abermals einen fo ooflftän*
bigen Srfolg gehabt, mie oieBeitt not niemals. ®a$
©länzenbe unb Stüljrenbe eines folten üoBftänbigen, unge*
trübten XriumphcS ift gar nitt Z u beftreiben. ©ott aflein
bie Shreü! 2Bie it tn’S Drtefter trat, erhob fit baS ganje
überfüBte HouS unb ein unglaubliter Subei, ©ioat* unb
Hurrah=Stufen, Hüte» unb Slüterftmenfen empfing mit UI| b
mar faum mieber zu ftiBen. ®ic Ouoerture mußte midier*
holt merben; jebeS SJtufitftütf jtoei bis brei ffltal mit größtem
SnthufiaSmuS unterboten. ©raham’S Arie da capo. 3m
2. Act gatime’S Stomanze unb baS Quartett da capo. Am
Snbe mit SturmeSgemalt mit heouSgerufen, eine Shte, bie
in Snglanb not nie einem Somponiften miberfahren ift
®aS ©anze ging aut üortrefflit, unb ABe maren ganj
glüdlit um mit h eru m. — So Oiel für heute, mein ge»
liebteS ßeben, oon ®einem ßerglit müben SJianne, ber aber
nitt hätte ruhig ftlafen fön nett, hätte er ®ir nitt gleit
ben neuen ©egen beS Himmels mitgetheilt. — ©ute, gute
3?att! *3)?ötteft ®u bot l cu te ben glüdlichen AuSgang
ahnen fönnen!"
Sefet hatte fit bie erftaunlite Snergie eines ©terbenben
aufgerieben; ber SKeifter moBte nitts oon meiteren ©erpftidj'
tungen hören. ®ie ©erliner H°f°P cr hotte ihn eingelaben,
not im Sommer ben „Dberon" zu birigiren. — „©ein, ich
müßte nitt, maS mit bazu bemegen fönnte. Stoße, Stuße
ift je^t mein einziges gelbgeftrei unb foB eS moßl für lange
bleiben. St h Q be all’ baS Äunftgetreibe fo fatt, baß ich
Digitized by v^. ooQie
Nr. 22.
Die ffiegennart
348
feine größere Jperrfkfjfrit fenne, als wenn ich ein 3af)r ganj
unbemerft als ©chneiber leben tonnte, meinen Sonntag hätte,
einen guten SRagen unb heiteren, ruhigen ©inn." — (DaS
3ah r ® ar ih m nicht mehr gegönnt, @d)on am 12. Suni
fenfte ber (Dob feine bunfeln ©chatten über ihn; eine große,
innere Sefriebigung genährte ihm bie ßuberficht, feiner gamilie
im „Oberon" ein fd)öne8 unb werthboHeS S3ermäcf)tmß hinter*
laffen ju haben.
90?it großem ißomp tourbe bie Seiche in ber 90?oorfielbS
Sapeüe ju Sonbon beigefegt; man beranftaltete aller Orten
Äunbgebungen nnb ©unftborfteHungen für feine hinter*
btiebenen. Slber fein ©chwanengefang fanb nur langfam
Eingang ju ben Sühnen, mühfam mußte er fich jeben fjuß
breit ©rbe ertämpfen. Sftiga war bie erfte ©tabt, bie baS
SBeifpiet SonbonS nadjahmte; in Seipjig fanb bie erfte Stuf*
führung auf beutf^em Soben ftatt. am 24. (December 1826
würbe bafetbft jur geiet beS ©eburtStageS be$ königS nach
einem fßtolog Don SRethufalem äRüHer baS SBerf in glanj*
Doller Snfcenirung borgeführt. Hamburg, SreSlau folgten;
überall ermedtten bie SBeber’fchen (Döne einen begeifterten
SBiberhatt. SRur in SBien fanb baS SBerf wenig Stnftang.
kein SBunber! h^r glaubte man fc^on SBeber berbeffern ju
müffen. Sluf bent (Eheaterjettel bom 20. 90?ärj 1827 heißt
eS: „nach ber JSeU’fchen Ueberfegung aus bem ©nglifdjen beS
(ßlandj£ bon STOeiSl bearbeitet. SWufif bon 6. 3Jf. b. SBeber;
nach bem 6labier»Slu3juge inftrumentirt, bermehrt unb
abgeänbert bon granj ©läfer jum Senefij beffelben." Unb
ber ©cifteSmörber Würbe nicht auf’s SRab geflößten?! —
Serlin hinfte, wie gewöhnlich, langfam hinterbrein. 3m
berliner ©onberfationSblatt bom 3anuar 1828 fragt ein SBiß*
begieriger: „SBarum ift ber Oberon bon 6. 90?. b. SBeber
noch nicht ju Serlin jur Slufführung gefommen?" 3®ei
Jreunbe unb SeboHmäd)tigte ber gamilie SBeber gaben ben
Sefcheib: bie ffwfoper habe juerft 800 jCEfaler als tponorar
in StuSfidht geftellt, bann aber nur 500 geboten. (Die Sor*
mftnber . ber SBeber'fchcn kinbet glaubten in beren 3ntercffe
ein möglichft fyotyeS Honorar erwirfen ju folleit unb machten
einen Sontract mit bem königftäbtifchen Theater, baS fich
bereit erflärte, 800 (Dhaler gijum nebft entfpredjcnben (Dan*
tiemen ju jaulen, ©egen bie Slufführung proteftirte bie 3n*
tenbanj, unb eine fef)iebSridt>terticf)e ©ommiffion oerbot bie*
felbe im königftäbter XEtccxter. ©o fam enblid) bie ©rft*
aufführung auf ber königlichen Sühne am 2. 3uti 1828
ju ©tanbe.
(Der ©rfotg war wieber außerorbenttich. 9D?idjael Seer,
ber Sruber 9Keherbeer’S berichtet barüber: „(Die Siebe, mit
ber fich SltleS beeiferte, ben ©chwanengefang unfereS Der*
ewigten greunbeS wieberflingen ju laffen, hatte etwas SRüh*
renbeS unb ©ifd)ütternbe8. (DaS publicum empfanb es unb
rief Sille Ijfrbor. 3nt Saufe ber (DarfteUung würbe au her
ber Ouoerture baS reijenbe Ouartett im 2. Stet unb baS
(Duett jwifchen ©cheraSmin unb gatime da capo berlangt
unb gefungen. (Der ©ntfjufiaiSmuS, ber baS SBerf erregt hat,
war nicht, wie man glauben bürfte, ein ©rjeugniß ber Offen*
tation unb ^ßarteifucfjt. — <53 war bie ■ reinfte ©mpfinbung
ber erheiterten §erjen, bie fich wenigftenS beS geiftigen,
ewigen SebenS beffen erfreuten, ber un3 Stilen leibet ju früh
entriffen worben." 90fan war allenthalben oon ber SBieber*
gäbe fehr befriebigt; felbft „bie Serliner ©ftaffette, ein lite*
rarifcheS OppofitionSblatt" bergaß ihre Oppofition unb fagte:
„kunft unb Fracht haben fich bereinigt, um ba3 legte SBerf
be3 unterblieben SBeber fo auSjuftatten, wie bie himmlifchen
(Döne, mit benen ber 9D?eiftcr fein fdjöneS, ber Harmonie ge*
WeiljteS Seben enbete, e3 toerbienen."
3n ißaria würbe fchon 1827 bie Oberon*OuDetture jwei
9Ral in ben Concerts da Conservatoire gefpielt unb mit
inniger SBärme aufgenommen. 2)ie Oper foöte erft fpäter
folgen. „<5ine Keine beutfehe Gruppe lieh 1830 ben ooH*
ftänbigen »Oberon* im Tbe&tre Favart (ber heutigen Opöra
comique) jWei ÜWat hören. ®ie SRoKe ber fRejia fang bie
berühmte ©gröber* ©etirient. Slber bie Gruppe Wat fe^r
unooHftänbig; ber ©hör ärmlich, baS Drchefter miferabet, bie
$>ecorationen burchtöchert, wurmfrähig, bie ßoftüme jämmer»
(ich, jertumpt; ba3 einigermahen einfichtSooÜe, mufifalifche
fßublicum war gerabe nicht in fßariS, ber Oberon blieb un*
bemerft" — fo fdjreibt Serlioj in wehmütiger ©rinnetung.
Slber nicht nur in ißariö, auch ' n ber beutfd)en ^eimath
lieh ber ©rfolg aümälig nach, unb bie 9?örg(er unb Seffet*
wiffer fugten ben ©runb bafür in ber mangelhaften (ton*
ception be3 SBerfeS. 9D?an hatte ja bie hanbfdhriftli^en Se*
Weife in $änben, bah SBeber mit jener Raffung, bie er bem
®rama für ©nglanb gegeben, feine Slrbeit gegenüber ber
beutfehen Sühne feineöwegS für abgefchloffen hielt. 9D?it
biefen ®ocumenten glaubte man fich juglei^ bie Sefugnih
unb wohl auch bie Sefäljigung erworben ju haben, na^
eigenem ©utbünfen Slenberungen unb Umgeftaltungen oor*
junehmen, bie eine thatfädjtiche Serbefferung bebeuten feilten.
Sll3 ob e3 fo leicht wäre, im ©inne eine3 @eniu3 wie SBeber
)u benfen unb ju componirenü
90?an beeilte fich, ä«nächft ben ©ialog in SRecitatiue um*
juwanbeln; ©ir 3uliu3 Senebict, ein ©dhüler SBeber’ö, hielt
fich baju am erften berufen, ©ine jeitgenöffifche kritif fchreibt
über biefen Serfucf): „Senebict’3 fRecitatioe finb wohl ju
lang, unb e3 war gewifj unnöthig, bafür etwa3 auö @u*
rpanthe ju entlehnen. Oberon mit feiner Sartitur in erfter
©eftalt ift ein Wunberoolleö SBerf. ©3 würbe begonnen, alö
SBeber fchon recht franf, unb tooHenbet, a(3 et förperlich fchon
faft gänzlich erfchöpft war. Slber e3 ift nicht ©ine fRote
batin, bie bie Schwäche be3 ©terbenben Derrätlj. 3n Oberon
ruht eine berfdjwenberifche gülle Don melobifdhem fReidjthum
unb neuen formen ber Snftrumentation in ber Segleitung.
©3 ift ein Setbredjen, fotdh’ ein 9D?eifterwerf irgenb*
Wie ju mihhanbeln." 9D?it ben fpäteren Umarbeitungen
hatte man ebenfo wenig ©tüd. ©ranbaur unb SBüQner
bereinigten- fich jar festlichen wie mufifatifd^en fRegenerirung:
bie ©efdgidlichfeit unb ©innigfeit be3 9D?ufifer3 würbe aner*
fannt, ber „oft fehr glüdlich mit Seitmotiben operirte, bie
er au3 ber reichen 9D?elobienfammer ber SBeber’fchen Opern
entnomfnen unb in günftige orcheftrale Seleuchtung gebracht
hat ."' (Doch auch biefe Raffung fonnte fidh nicht auf ber
Sühne behaupten. (Die SBiener Slu3gabe bejei^nete man
gerabeju al3 „ein Sittentat auf SBeber, ba3 einen glänjenben
®urdhfatl jur golge hatte. 9Ran hatte au3 ber Oper ein
gtofje3 SaUet mit (Dioramen unb etwa8 SBeber’fcher SRufif
jur Segleitung gemacht unb fie unter Seitung eines alten
SaDetbirigenten geftellt." ©o war auch fp et ein SRifeerfolg
unausbleiblich- ■
SlngefidjtS aQ’ biefer trüben ©rfahtungen bliden bie
SBeberfreunbe ängftlich unb beflommen nach SEBieSbaben hin*
über, wo man abermals burdj einen operatiben ©ingriff ba8
©chmerjenSfinb ber SBeber’fchen SRufe für baS moberne kunft*
leben ju erhalten fuchte. (Der momentane, patriotifdje @ntf)u*
fiaSmuS fann hier nicht auSfdjlaggebenb fein; erft bie 3u*
funft wirb lehren, ob ber fü|ne SBurf gelungen ober ob
man ber 74 jährigen Oberon *(£ragöbie nur einen neuen Stet
hinjugefügt.
(litt „bettifther ®olbotit w .
Sion Dr. Curt f]*inrtd;.
„... Um mich einigermaßen ju jerftreuen, legte ich ntief)
bep müßigen ©tunben mehr als jemals auf unterrid)tenbe
Seetüre, unb jum Umgänge wählte ich, ®eit mir jegt aQe
raufdjenben Sergnüguttgen äußerft juwiber waren, einen
©irfel bon ©eiehrten unb künftlern, worin ich m ir unter
Digitized by v^. ooQie
344
Die (Segenwart
2lnbem auch ben berühmten ©eiehrten unb Dichter ßeffing
gum greunbe erwarb. Er gab fidj oiel SRühe, mid) burd)
feinen Unterricht gu einem bet)faflSmürbigen Scßaufpieler gu
bitben; weil er aber gu biefem gad)e mehr guten SBiden als
wahres latent bet) mit bemerfte, fo lenfte er mich gugteidj
auf bie, meinen gähigleiten me h r angemeffene ßaufbahn eines
bramatifdjen Did)terS unb gab mir bagu bie erften mistigen
gingergeige."
Dies gef^ah gu SreStau im 3ahre 1763, unb bet eS
fpäter als ftotgefte Erinnerung feines ßebenS aufgeidjnete,
ift ber Sd)aufpieler unb Sdjaufpielbid)ter Sohann Gh r ’ft-
SranbeS, geboren 1735 gu Stettin. 2ÜS et oot hunbert
Sahren, ein miiber SRann, in Serlin ftarb, t)i nter ließ et
noch «ine breibänbige ßebenSgefdjichte, bie fich h cute ei”
attmobifcher, liebenSmürbig gefdjwäfciger Vornan tieft, SBahr*
heit unb Did)tung auS bem Dafein eines fahrenben SRanneS,
ber nach einer fangen Sugenb „auf ber SBalge" Oott wunber*
barer ßwifdjenfäHe unb 21 ben teuer, Satire hiaburd) fe'«e
Wänbe üergeblich nach bem Drange beS SRimen auSftrecfte
unb bann hoch Sahrjeljnte lang SRitglieb faft aller bebeu*
tcnben Gruppen unb Sühnen beS beutfdjen SaterlanbeS unb
über feine ©rengen hinauf toat, oor 2lflem moht babei ge*
fdhä|)t als SRann feiner grau, ber talentooflen, tiebenSWiir*
bigen, aud) oon ßeffing bewunberten*) Sharlotte SranbeS
unb als beliebter, routinirter Sühnenfd).riftfteIIer.
Daß er als folget nicht umfonft in bie Schute ßeffing’S
gegangen ift, geigen bie 1774 in gmei Sänben gefammettcn
ßuftfpiele. Einige frühere Serfudje wie „Der Zweifler"
trugen noch gang frangöfif<h*fäd)fifd)en Eharatter. §ier
fommt unS überall bie Erinnerung an ben Dichter ber
„SRinna" bei, in braoen aber unfäglid) matten DurchfdjnittS*
toerfen treten unS „SRüljrftüd" unb „comedie serieuse“ ent*
gegen, unb in feiner SRecenfion in ber „2lHgemeinen beutfchen
Sibliothet" burfte Efchenburg ben 2lutor wegen ber Seidig*
feit feinet Dialogführung unb feiner großen Seliebtljeit beim
publicum atS „beutfchen ©olboni" feiern. gmangig Starre
fpäter hat SranbeS bann feine „Sämmtlidjen bramatifdjen
Schriften“ in gehn ftarfen Sä üben hcrauSgeben f Annen. 2lbcr
bie Schtager feiner „SRufc" waren bodj bie Stüde jener erften
Sammlung gebtieben, ihnen hatte er bie ®unft beS Dagcs
gu ücrbanfen gehabt. Unb beßhalb finb fie unS heute oießcirijt
ein wenig intereffant atS DurchfcßnittStunft eines Durd)*
fchnittSmenfäjen, boppctt charafteriftifch für ßiteratur unb
ißublicum feiner Epoche.
Eines fehen wir ba fofort ftar: wie fchr ber Weite Sßeg
bon ber „Sara Sampfon" gut „SRinna üon Sarnhetm" nur
ber fräftigen ißerfönlichfett ßeffing’S fetbft möglich war; äße
bie Keinen Nachahmer unb Siachciferer auf ben Sahnen, welche
brüben in Engtanb unb granfreid) guerft eingefchtagcn worben,
blieben in enblofett Dhränen unb Seufgern ftäglich fteden,
ober aber fie glitten halb auf bie bequeme Sahn beS alten
Scf)lenbrianS gurüd unb boten, unbefümmert um bie „niebrige
fRangorbnung ihrer Eprobucte" bem Sublicum, waS eS eben
bod) h°^en wollte, „anftänbige Weiterleit“ unb platten Sd)erg,
wobei eS ja auch feineSWegS neuen SBein unb neue Schläuche
oerlangte. Segeidjnenb hierfür ift Soh- Ehrift. ©tanbeS, ber
nach beiben Dichtungen hiu feit 1763, eben ber für ihn
bebeutfamen Sefanntfdjaft mit einem ber ©rößten, fleißig
unb gelehrig tfiätig war unb ficf), für bie gwei nächften Saht 5
gehnte wenigftenS, SRuf unb Epiafc in ben ^Repertoires aller
namhaften Sühnen DeutfdjlanbS erwarb. Sefcheiben, ent*
gegenfommenb, unb üon fcf)Wächli<her Unfelbftänbigfeit, ließ
er fid) babei oon SBinfen literarifcher greunbe, gu benen in
Sertin befonberS auch ®ngel unb fRamler gehörten, unb ben
SEBünfdjen ber Sühnenteiter immer leidet beftimmen, unb
*) ®ie mußte in SreStau auf ßeffing’8 SSunfcf) als SDtitglieb ber
©tf)ucf)’f(i)en Gruppe bie Sophie im „gamtltenBater" fptelen unb ber
berühmte „Uebcrjeper" forgte perfönlid) babei für ihre ioilette.
manche feiner Stüde, wie „Der geabette Kaufmann" ober ber
„SRamenStag" finb an oerfchiebenen Orten — W am burg unb
SBien — unter oerfchiebenen Diteln mit oerfchiebenen SJkr*
fonennamen unb 2lcteinthei(ung gegeben worben, ohne baß
ihr eigentlicher Äern baburd) beränbert war. Diefer, alfo
bie Wanblung beS Dramas, war babei immer feine fd)Wäd)fte
Seite. So meinte Engel fdjon, ber, nachbem er ihm ein
Eompliment über feine leichte Dialogführung gefagt hotte,
hingufügte: „... aber einen guten fßtan gu erfinben, ift Sh«
Sache nicht". Sn bem ernfteren ©enre, bem er felbft hin unb
her fd)Wan!enb bie Ditet „Schaufpiel" unb „Suftfpiel“ leiht,
lehnt SranbeS fich babei eben gang an bie „comedie serieuse“
unb „larmoyante* an unb faft überall entbeden Wir ohne
ÜRülje befonberS Ceffing’fche unb Diberot’fd)e Einflüffe. Sm
Winblid auf ben „pere de famille*, neben ben ja ber greis
ßerr o. ©emmingen halb feinen „Deutfdjen W auöDa ter“ feßte,
hat fo SranbeS noch ’ n fpäteren Sohren einen „Sanbesoater"
gefeßrieben, beffen erften Seim er felbft auf ben perfönlidjen
Einbrud gurüefführte, Welchen griebrich ber ©toße unb „fein
würbiger SRachfolger, mit aßen Eigenfd)aften unb gürften=
tugenben gefchmüdt" ihm gemacht hatten.
2lm beiiebteften waren ber „@raf oon Disbach" unb „Der
©afthof", bie unS nun birect oon ber„ÜRinna" infpirirt erfcheinen.
ES ift berfelbe neutrale Sobcn, ber bie Einheit ber Wanblung
fo feljr erleidjtert; ber ÜBirth im „©afthof" tritt unS als guter
Sefaitnter: ein farifirter „Wert ©robian", entgegen, „ißipS"
geheißen; ßend)en ift als treue Äammergofe unb greunbin
Ihrer Werrin nach ber grangisla gugefeßnitten, unb ein weicher
Ebetmuth fließt unb tröpfelt burch baS aange Stüd, ebenfo
wie burch ben „©raf oon OlSbach", beffen „üerabfdjiebete“
Dfficiere fich unS gerne als Stameraben Deüheim’S oorftellen
möchten. 2BaS aber gang fehlt, ift baS, woburd) fi<h fieffing
auS ber feuchten Dhränenatmojphäre beS reinen JRührftüde#
emporgehoben hatte, bie männlich frohe ßaune, ber freie unb oft
auch latente Wumot, ber auS ber „ÜRinna“ baS erfte beutfdjc
ßu ft fpiel gemacht hatte. Dafür entfdjäbigteSranbeS fein Sßubli*
cum burch f e * nc Ännft ober auch Ä'ünfte, welche er in feinen langen
ßeljr* unb SBanberjahren erworben hatte unb bie befonberS
barauf auSgingen, burch „fomifche Situationen" baS ©elädjter
gu erregen. Unb waS fanb baS begopfte, tleinftäbtifd)e
©ublicum ks achtgehnten SahrfjmtbertS nicht alles belachenS
werth- 2Bie oiele gute Sefannte würben immer wieber als
urfoinifd) angeftaunt unb wie oft noch rief eine uralte WanS*
Wurftgrimaffe bonnernben 2lpplauS heroor. Sei SranbeS geigt
fich babei aber bod), wie gut er bie 2lufgabe ber lebenbigen
Sühne begriffen hatte, unb biele Semertungen, befonberS in
ben Sorreben gu feinen Stüden taffen ben erfahrenen D^ato*
mann erfennen. Er weift auf bie große Sebeutung beS
feenifeßen SilbeS hin, erörtert bann eingehenb ben Unterfchieb
gwifdjen Such* unb Sühnenbrama unb hübfd) ift eS, wenn
er eS für nöthig hält, jebem Stüde eine 2trt oon „Älingtlang
oorgutoeben", Weil burch baS ©eräufd) ber 3«fpätfommenben
unb bie lauten Segrüßungen ber Damen bie erften Scenen
ber Ejpofition bem publicum faft jebeS SM oerloren gingen.
So fchauen mir im „©eabelten Kaufmann" beim Weben beS
SorhangeS auf ein buntes SRaSfentreiben h<rab, baS an fich
fd)on bem fRegiffeur ©elegenheit gur Entfaltung groteSfer
Eoftümfomif barbot.
Einen tjübfehen Sd)Wan!ftoff, ber — mutatis mutandis
— üießeicht auch n0(j h J u einer mobemen SurleSfe bienen
tönnte, enthält „Die Woehgeitäfeper" ober: „Sft’S ein SRann
ober ein SRäbchen?" Der junge ©raf hält ftd) eines DueUeS
wegen auf bem Schlöffe feines greunbeS, beS SaronS, ängft*
lieh oerborgen unb wirb beßhalb oon ber einen fßartei, b. h-
befonberS oon einer ber beiben SdjwiegermamaS, welche gur
geier beS W°fhg e i^lageS auf bem S^loffe eingetroffen finb,
für bie oerlleibete ©etiebte beS SaronS; oon ber anberen —
Sartei unb Schwiegermutter — für ben ©eliebten ber Saronin
gehalten. Daraus ergiebt fich e io ganger fRattenlönig tomifcher
Digitized by v^. ooQie
Nr. 22.
Die ftegetnoart
845
©ertoedjfefangert, beten Stufftärung am Schluffe ein alter
$iener ermöglichen mu|. S)aS ©tüd mar recht beliebt unb
eß beburfte ja and) feiner befonberen ©djaufpielercapacität,
um bie Storni! feltfamer Srrtljümer unb complicirter ©c^lüffel*
(ochbelaujchungen genügenb hetuortreten ju laffen. ©iel feiner,
man fönnte faft jagen, mobern muthet uns bagegen bie Sbee
beä breiactigen Suftfpieleö: „33aß bem Sinen recht ift, ift
bem Slnbetn bittig" an; t>ieÜeid)t gerabe befsljatb, weil ber
Jtutor e§ „unferer naterlänbifdjen ©cnfungöart nicht oöllig
angemeffen" finbet. Sarott ©altnour ift feinem jungen
brauchen bon £>erjen jugett)an, hält cS aber nicht für „bon
ton“, biefe feine Siebe ju geigen, fonbern er proflamirt —
öorläujtg für fich — ba§ 9?ccf)t, um bie SKinne beö grau*
leinS Henriette bon Siubenhapn, einer greunbin feiner grau,
roerben gu bürfeu. SKit £>ü(fe biefer munteren ®ame unb
ifpreö emfthaft ©eliebtcn übernimmt bie ©arontn aber halb
bie Teilung beö ©rillenhaften, inbem fie fcheinbar ruhig auf
feinen ©orfcfytag eingeht, bann aber baffelbe ©echt auf Slujjeit*
liebe auch für fich in ?lnfpruch nimmt. 2Benn in ber ®h c
„duo facinet idem, est idem* 1 , ift bie äWoral beö ©tücfeö,
baö unö am ©djluffe bie Sßerfpectibe in ein ^armonifehcS,
„unferer naterlänbifchen ®entungöart angemeffeneö" ©heleben
eröffnet.
®iefe beiben Snhaltöangaben roerben genügen, um einen
SSegriff bon bem SJübeau unb bem Inhalt biefer Suftfpiet«
probuction ju geben, roie fie fünfbiertel Sahrhunbcrt bor
©lumenttjal unb &abeiburg ba$ publicum ergöfcte. ©ei ber
hartnäefigen STrabition aller Äomif finben roir benn and) bei
©ranbeö ohne ©errounberung noch berfdjiebene ©tanbart*©h° l
rattere ber Sffieltliteratur toieber. ©o lieh et fid) burd) 3Ko»
liete unb bier uerfchiebene „avari“ bcö ©olboni nicht ab*
fdjrecfen, einen ganj abfeffeulidjen „jungen ©einigen" auf bie
©ühne gu bringen; roeiter treffen roir ben „|)ageftolgen",
ben „©eabelten Kaufmann" afe „bourgeois gentilhomme“,
unb ber fomifche ©ontraft groifchen „©tabt unb Sanb" ober
bie..„©rofeftabtluft" finbet eine brabe ©earbeitung in bem
„Sanbjunfer in ©erlin", roo auch ein etroaö roeitläuftiger
©etter SRiccaut’S be ta dftatlinierc auftritt. UeberaH hier
ift bie fcenifche 2)etailroirfung be§ ?lutorö ©tärfe unb bie
bon Äritifern gerühmte Seichtigfeit „macht fich borthcilljaft
gettenb.“
—--—MH-
gffutffetou.
- 9tad>bru<t verboten.
ijoljeß Spiel.
Son £onts Conperus.
9lit« bem ftottänbifchen.
(Jortfefrung.)
-Son allen ©eiten waren bie gum Satt gelabenen ©äfte
herbeigeftrömt. Siele wohnten im föniglidjen ©Stoffe unb leinen
biffon«, bie meiften aber blieben auf ihren galten im #afen ober auf
bem ber Königin gur Serfügung geftellten Dampfer. 3eben borgen
führten bie SBagen biefe göhllof«n ©äfte nach bem ©djloffe, roo fie ben
ganzen Jag Oerlebten, unb bie $irteninfel mit einer feltfamen SBeltlid) 5
feit erfüllten. Ja fah man elegante (Squipagen, bie müfjfam Me fteilen
SBege ljinaufrotlten, bann in eleganten Jotletten, bei beren Slnblid bie
Snfelberoohner ihre klugen roelt aufriffen. (Sine tolle Seftluft umfehroebte
ba« ©d)lofe. 3« einem einigen Jage improbifirt, foHten lebenbe Silber
geftellt roerben, bon berühmten ttRalern arrangirt, bon berühmten (£om=
poniften begleitet. Jie benegiantfehe 9?acht roar roie ein Jraum. Unter
bem Haren ©ternenhimmel, auf bem amethhftfarbigen SReer fdjroammen
bie gefdjmüdten ©onbeln, belebt burch bie herrliche 3ßumination, bie
buntfarbigen (Softiime, ben JJlirt unb ©efang. Unb ba« (Sd)o jener
Sefte fanb man in ber JageSpveffe roieber, in ben Sfertcpten berühmter
3oumaliften. Jer Slumenbatt aber follte an Fracht affe« übertreffen
unb etwa« märchenhaft ©cpöne« roerben. Jie Königin flleyanbra hatte
Sitte« gethan, um einen glängenben (Erfolg gu ficpern, unb hoch! rote
roenig gehörten ihre ©ebanfen bem Sefte. ©ie bachte an ganj anbere
Jinge. ©ie hatte burch jene turje, heftige ©eene in SBlabimir eine
ftitle geinbfeligfeit geroedt, bie mit jebem Jage ftärfer rourbe unb immer
roieber in ttnehrerbietigen Porten, in einem Sluche, in einem Jhür$u*
fchlagen fich üujjerte. 3)ie ®äfte merften e« rooljl: ber junge Ä'önig
roar ber ganzen ©ache überbrüfftg. Unb man erzählte fich, er fei in
(Siena oerliebt unb roolle fie um jeben S*ei$ heiruthen. Stan bachte
jroar, ba^ e§ bahin nicht fommen roürbe, aber ehe er roieber $ur Se«
finnung fam, fonnte Siele« gefchehen. Jer Äönig, gu beffen Safftonen
e« gehörte, glängenbe gefte gu feiern, roar fehr lieben«roürbig gu allen
®äften, nur bie Gräfin (Softi bentachläffigte er auffaHenb, gur groben
Seluftigung ber übrigen ^errfchaften. Unb fie amüfirten fich bamit,
ba« ©charmüpel ber Slide groifchen ber‘©räfin Softi — einer Stalicnerin,
bie fich am römifchen ^önig«hafe unmöglich gemacht — unb (Siena hciui^
lieh gu beobachten. 9tte fprachen bie beiben Jamen miteinanber, nur
hodjmüthige, roüthenbe Slide roarfen fie fi<h gu, roährenb fie mit iro*
nifchem fiächeln gegenfeitig ihre Joiletten mufterten unb fritifirten.
Unb $ring ^bgart unb bie $ergogin bon fiuca roaren entgüdt bon
(Siena, ©ie roar fein fchüchteme« Räbchen mehr, obwohl fie bei ber
Königin in Ungnabe gefallen roar unb gleich nach bem Slumenbaü nach
Jhracien guriidlehren follte. (£8 lag in ihrer Haltung, ihrem ©ange
etwa« Jriuraphirenbe«; fie trug ben $opf hö^r, roar felbft-
beroubt, unb, ohne gegiert gu erfdjetnen, fonnte fie, wenn ber ßönig fie
anrebete, allen jenen SRenfchen ringsum, bie fie beobachteten, burch einen
eingtgen Slid gu berftehen geben: Jer Äönig beachtet mich, ber ßöntg
liebt mich unb ber ftönig thut roa8 ihm gefällt unb roa« er roiü. Wa$
er will, berftanben?! £)hue fuh roeiter um $aifer Dthomar unb bie
Sringeffin bon SDp^cu gu fümmern. ©ie war gang beränbert. ©ie
fepergte mit einer geroiffen graeiöfen Seichtigfeit, ohne gu flirten, unb
nur wenn fie mit bem tfönig fprach, lag in ihrem fdjergenben Jon ein
gärtliche« (£troa8, ba8 nur fie Seibe, fie öeibe gang allein, berftehen
follten. 2ln ihrer ^anb funfeite ein herdidjer ©tein, ein ^Ingebinbe
be8 Äönig«, unb al8 bie ftergogin bon Suca, fich ^aib fteflenb, fie ein*
mal fragte, bon wem fie benn ben 9Ring befommen, antwortete fie
triumphirenb unb hoch gehetmnifjboll: „Jiefen SRing? Jen habe ich
bon ©einer SRajeftät. Slber bitte, liebe ^ergogin, fprechen ©ie nid)t
barüber, benn bie Königin weife e8 nicht."
Jer Königin gegenüber blieb ©lena ftet« ehrerbietig, aber fühl
unb referbirt. ©ie bat nicht um Sergethung, auch uicht um bie ©nabe,
fie bennoch bei fich gu behalten auf ?ayo8. Unb Wleyanbra, bie wohl
roufete, bafe (Siena 1 « Sater — ein armer (General, ber eben gum $frteg&=
minifter beförbert roar — feinen Pfennig befafe unb froh roar, feine
Jodjter al« ßofbame, auf $ayo§ g U t nerforgt gu roiffen, roar ber ?lnficht,
groifchen bem $önig unb (Siena fei bereit« ein btnbenbe« Serfprechen
au«getaufcht worben; ferner glaubte fie, Sriani, einmal Srtoatfecretär
be« Äönig«, roürbe bem $önig fchon bon biefer unftitnigin Serbinbung
abrathen, worauf ber Sfönig bann erft recht biefe (Sh« eingehen roürbe.
@r roar ja noch ein unbefonnener 3unge unb roürbe Siparien faum
fürchten. (Sr fühlte fich iuit feinem Satbenü s jfönig«blut btel gu fehr
gum ^errfdjer geboren, al« bafe er Siparien gefürchtet hätte. Unb er
roürbe bie $ringefftn bon Serien Pb«» taffen unb . . . 3h*« ®ebanfen
fchweiften immer weiter, ©ie liebte ihren ©ohn, aber auf ihre SBetfe:
erft fam fie felbft. (Sr mochte nach ih*«ui Jobe h«**fth«n: roar er hoch
biel gu jung für ein fo fchroierig gu regierenbe« SRetch roie Jhraden.
©ie aber roürbe Siparien« ©unft roieber gewinnen, fobalb ihr ©ohn bie
©unft be« ÄaiferS berlöre. Unb Siparien war für fie Sille« ....
Slm Sorabenb be« Satte«, roährenb affe ihre ©äfte mit ben Sor*
bereitungen gu thun hatten, fchrieb fie an Äaifer Othomar einen Srief.
©ie fonnte Sriefe fdjreiben, wenn fie nur wollte. Unb fie fchrieb ihm,
Digitized by v^. ooQie
346
Die töegenroart.
Nt. .21
bafe fic 04 unenblicp freue über ben ©cfucp tpreS ©opneS, aber fie, fei
ebenfo fe^r beunruhigt über feine aü§u große Unbefonnenpeit, unb bafe
fte eS ebenfo gerne jähe, wenn pep balbmöglicpft feine ©erbinbung mit
ber ©rinaefpn bon Serien nottaöge, biefer bernünftigen unb bocp jugenb*
licpen ©rinaefpn, bie ihn geroife auf ben richtigen fÖeg führen würbe..
©Ie la$ ihren ©rief noch einmal, fein überffüfpgeS SBort ftanb barin,
aber ©ieleS liefe pep awifcfeen ben geilen lefen, g. 8. bafe ©ßabimir ju
ber ©erbinbung mit ber ©rinaefpn burcpauS feine Steigung berfpüre.
Senn fie hoffte, bafe ber Äönig, wenn er, fchon gereift wie ein junger
©tier, in biefen Sagen, wo er pep fo oftentatio um Siena bemühte,
einen ungnäbigen ©rief bom liparifcpen $of befäme, gan$ gewife fchon
auS ©HberfbruepSgeift ben bummen (Streich begehen werbe, ©ie wägte
ein hohe* Spiel, mit aß’ ipier ©tenfcpenfenntnife, aber eS war für fie
ein pridelnber ©enuß; ein nieberer Sinfap hotte für fte leinen Sfeia-
Unb am ©torgen bor bem ©aß, in aller grüpe fchon, machte fi<h ein
©ourir auf ben 2Beg mit bem ©riefe ber Königin an ben Äaifer.
3m grofeen ©orppptfaale, ber jugleich eine ©erbtnbung ber bor*
beten unb hinteren Serraffen beS ©cploffeS perfteflte, war e$ an biefem
Äbenb, als ein langanpaltenbeS ßäuten ertönte, faft ganj finfter. Surcp
bie berfchiebenen Spüren traten lautlos bie ©tosten ein unb berfchwanben
in ber Sunfelpeit: fte würben auf ihre ©lä&e geführt, mit einem Ieifen
glüftern, einer berhaltenen Suftigfeit. Äaum lonttte man baS fehett,
waS eigentlich loS war. SS war eine merfwürbige SrÖffnung eines
©alles . . . Snbeffen berrieth fleh eine grofee ©eugierbe in ben ftißen
Oruppen, benn man fannte baS ©rogramm ber Königin nicht. ©tan
liefe fuh alfo burch bie Sermonienmeifter feinen ©lafc anweifen unb ge*
horchte bem ©tanfepe, nicht ju fprechen. ©tumm unb ftifl wartete man
ab. ©aepbem bie ©ruppen placirt waren, erflang ein träumerifcheS
©orfpiel, ju welchem bie grauen ©elfter ber Stocht mit glebermauS*
flugein wie Stodjtbögel burch ben ©aal fcpwebten, ein ©aßet tankten.
Sann aber fchwofl bie ©fupf an, unb peflflingenbe ganfaren fchienen
aus ber gerne periiberautönen. ©on aßen ©eiten begann baS Sicht
auS, Äränaen bon eleftriicpen ©luraen ju praplw, unb iß bem rpfen*
farbigen Sicht erblidten fich bie ©äfte enblüp. Unb fchon biefeS ©ich*
fepauen wirlte überrafchenb genug. 2Bie ein gaubergarten erheßte fich
ber ©aal, unb bie ©taSfen bilbeten wie ein bichteS ©lumenbeet, bon
bem man noch nicht gauj beutlich bie garben. unb gornten unterfcheiben
tonnte. Unb jebeS biefer ©eete war ein lebenbeS ©ilb, unb jeber ©aft
war bem anbern eine Ueberrafcpung. Sin lauter ©eifaß begann burch
Me Suft ju fcpwirren, unb man hörte ben Stuf: „SS lebe bie Königin!
hoch!" Äber plöplicp erflangen bie ganfaren eines nahen OrcpefterS,
unb bie gelben unb rofafarbenen ©ortiferen ber ©orberterraffe würben
gelüftet. Sann erftrahlte baS ©chlofe Don aßen ©eiten im heßgelbem
Sichte eleltrifcher ©onnen, bie überaß hin ©tröme Don ©lan$ warfen.
28ie ein grofeer SopaS glänzte baS ©chlofe, unb betäubenb laut fepmet*
terten bie ganfaren. Unb bie ©onne ging auf über bem gaubergarten
ber Königin Älepmbra. 3iu golbenen ©tagen, hier golbge^äumte
©chimmcl lenfenb, fuhr SBlabimir hoch aufgerichtet wie ein SSirbelwinb
herein. SBilb, ungeftüm fuhr er über bie borbere Serraffe, unb erft als
er in ben ©aal einfuhr, a«>ong er feine ©ferbe jum ©epritt. Sort hielt
er nun mit feinem bon greube unb ÄuSgelaffenpeit glühenben ©epepte.
Sr gefiel fich auSnchmenb in feiner Stoße. Sr trug ein SBamS auS
©olbbrofat mit einer ©onne non Sbelfteinen auf ber ©ruft über einem
bergolbeten ©anaerpemb, baS feine Ärme unb ©eine umfpannte. Sine
riefige Äureole bon ©onnenftrahlen umfing fein furaeS, fraufeS §aar,
unb fein rotpeS, fröhliches ©eficht mit ben fleinen, lauernben, lachenben
Singen prahlte. Sin golbener Hantel waßte bon feinen ©epultem herab,
unb in ber #anb trug er einen golbenen ©ogen unb Äöiper. ©einen
©tagen umtanaten bie fwren, buftenbe Stofen ftreuenb. Sie ©tupf
fpielte einen ©tarfcp, unb ein Spor erflang.
„©afet mal auf, gleich totrb er toß unb fährt unS Äße noch über
ben Raufen!" rief ©rina Sbaarb.
Sept herrfchte eine laute gröhlichfeit im ©aal, aber bie berfepie*
benen ©ruppen erinnerten immer noch an lebenbe ©Uber, ©ölabimir
fuhr rücffichtSloS burch fte pinburep, bie Äreua unb Ouer, aum grofeen
©ehrten ber Samen, bie ängfitiep auffreifepenb fiep aneinanber brängten,
fobalb er pep näherte. Sr fuhr bis au einem Sprone: bort fafe bie
Königin als golbgelbeS Sprpfantpemum, umgeben bon rofa unb weifeen
unb gelben Stiefenaftem. Shnjfantpemum hotte an biefem Äbenb bie
Stofe entthront; pe war aur Königin fämmtlicper ©lurnen erforen. Set
Äönig ftteg auS feinen ©onnenwagen, fniete bor ber Königin nieber
unb füfete ihr bie #anb. Sa ertönte lauteS ftoeprufen, ©iutter unb
©opn au Spren, bie eine wunberbare ©ruppe bilbeten; ber ©opn in
feinem golbenen ©tantel unb ©traplenfranae, unb bie SRutter in ihrem
golbgelben, mit Sprpfantpemen burepwirften SltlaS!leibe, ben Stuart*
Äragen oon Slftent um bie ooßen ©cpultem, eine Ärone Don bupigen
©lurnen auf bem Äopfe, einen ©lüthenfäcper in ber £anb. Unb ein
©efolge bon rofa unb weifeen unb gelben Shrpfantpemen fepaarte unb
brängte pep um pe.
Srft hielten ©Blabimir unb bie Äönigin eine Sour ab, bann eröff;
neten pe ben ©aß; bie lebenben ©ilber löfteit pep wieber auf, unb bie
berfeptebenen ©lurnen bilbeten ein lebenbigeS, ftetS wecpfelnbeS Stiefen-
bouqet. 2lb unb au bereinigten pe pep wieber au ©ruppen, unb bann
würbe ein Stofenwalaer getagt unb ein Shrpfantpemen * SRenuett ober
ein Silientana. Sinaelne ^errenfoftüme waren pumoriftifcp, fo a- ©•
Steger mit Älatfcprofenpüten, bie auf eine Srommel auS Älatfcprofen
loSfcplugen. Sine wilbe gröplicpfeit braep jept burep. ©tan begann
aße Stiquette au bergeffen. Ser Äönig patte ben golbenen ©tontet unb
bie ©traplenfrone abgelegt unb tanate mit ber ©räpn Softi als Sonnen*
blume, fowie mit Siena, bie als rofa Sprpfanthemum aßerliebft auSfap.
§lucp bie Äönigin entaüdt bon iprem gefte, baS, wie ipr bie anwefenben
3ournaliften berpcperten, bon einer nie gefepenen Originalität unb ©raept
war. ©ie war niept nur Äönigtn, fonbern auep SBeib, unb in biefer
Sigenfcpaft füplte pe pep baburep fepr gefcpmeicpelt. Unb läcpetnb wie
ein junges ©täbepen näherte pe fiep ©rtanl, ber als 3*t$ tnit einem
©cpwarme bon Stittern auf ©ferben eingeritten war t bereu Äopfs «IS
SriSblumen maSfirt waren. Ser Seplirmarfcp würbe mit lauten gu*
rufen begrüfet. ©obalb er beenbet unb ©riani abgeftiegen war, napm
Slleyanbra feinen 2lrm.
„Sin glänaenbeS geft/ fagte er fcpmeicpelnb, aber opne jebe ©er*
traulicpfeit, beim er war ipr gegenüber niemals familiär, waS pe ipm
poep anrecpnete.
„©länaenb," wieberpolte pe mit blipenben Äugen unb wie Verjüngt
in iprem ganaen ©efen; aflein feinem fbäpenben Äuge entging eS niept,
bafe hinter biefer gefcpmeicpelten Sitelfeit ein geheimer ©ebanfe feptum*
merte.
„3cp höbe Sure ©tajefiät ben ganaen Sag niept gefproepen. SS
war niept möglich; ©tojeftät waren burd) bie ©orbereitungen a«
biefem gauberfefte fo gana in Änfprucp genommen, bafe . . ."
„3cp patte wirflicp feine gelt.*
*3(p begreife baS Ooßfommen. Äber Sure ©tojeftät tpejlten mir
noep immer niept mit, wer mich in Surer ©tojeftät Sienfte vertreten fofl?"
©ie lacpte laut. „Sine inbiScrete grage!"
„Speilnapme, nicptS als Xpeilnapme, antwortete er."
„©iS jept noep ©iemanb; icp wiß erft etwas Sfupe paben. gür
ben Äugenblid pabe icp feinen ©ecretär unb Don morgen an auep feine
£>ofbame mepr."
„Sure ©fajeftät laffen pep bon bem Äönig ÄßeS nehmen."
„Saran bin icp fepon gewohnt."
„Surer ©tojeftät ©ecretär unb . .
„©feine #ofbame?"
*3o ..."
„3cp hoffe, bafe baS niept ber gaß fein wirb, „antwortete pe opne
innere Ueberaeugung unb brüdte feinen Ärm. „Spun ©ie, waS pe
fönnen, ©riani."
„ÄßeS, ©tojeftät."
Digitized by v^.ooQle
Nr. 22.
Hie Gegenwart
34?
„©pratgen ©ie fdjon mit bem König?"
„Heute (Racgmittag einen Slugenblid, al« ©eine dRajefiät mich Z u
ftdj befohlen, ©eine SRajeßät {dpenen e« febr anjuerfennen, bog Sure
SRajeftät* mich 3h» überlaffen."
„Da« fft lieben«»ürblg Oon ©einet SRajeftät", murmelte pe bitter.
„Unb »eitet...?"
„©eiter . . .? ©ie meinen Sure SRajeftät?" ...
„(Rietben Sie ihm" — fie bämpfte ihre ©timme — „rietben ©ie
ihm Oon biefer unftnnigen £eiratb ab?"
©ie blidten einanber an. „(Rein, wie ^ätt 7 id) auch fdjon bei
biefer aHererften Unterrebung . . ."
©ie fab, baß fie ibn fdjon ganz oerloren batte; einmal im ®ienftc
bei König« würbe er SWe« baran fepen, ftcb bie Sunft bei König« zu
erbalten, fei ei burd) tböricbte (Rathfcgläge ober burd) unftnnigei Slufs
befen. Unb fte »ar überzeugt, baß ©riani fie burdjfcbaute, baß er bie
(Rcbenbebcutung jebe« ihrer ©orte »obl oerfianb, unb bag er ben Sba=
ralter bei König« genügenb fannte um zu »iffett, bag ibm Stmai ab«
ratben fo nie! b^ß »ie ei ibm einreben. Slber jegt fab fie ja bie ftrab*
lenbe Fracht ibrei gefte«, unb fte bedang bie in ibr auffteigenbe ©utb
unb ©Itterleit, unb fie glänzte »etter in ihrem ftrablenben Slanz ali
ein golbgelber Shrpfanthemum. Unb ali »ären lauter ©(unten ringium,
fo neigte pd) Shrtffanthemum zur 3n$ hinab, im Slngeßcpt all biefer
SRenßhen. Sincn Slugenbltd fd)»iegen fte ©eibe, bann fragte er:
„Slber »ann fofl Siena nach Dlpacien geben, ba bocb bet König
in einigen Dagen bortbin zurüdlebtt? 3ft bai nicpt unoorfichtig?"
Slnfdjeinenb bezog ficb feine grage auf bie zulept gefprochenen
©orte, aber bennocb erbleichte fte, inbeß. eine maglofe ©utb in ihr
aufwaHtc, bie fte nicht mehr zu unterbrüden oermochte, bie Oon ihrem
ganzen ©efen ©eftp nahm. Denn fte fühlte, bag er fte quälte, aui
bloger graufamer greube. ©ugte er hoch recht »obl, bag fie biefe Hit*
üorßcbtigleit mit ttbpcbt beging, unb bag fie fte oon ganzem &ei*$en
»finfcbte — in Db*acien, gerabe in Xbracien, nicht hier, bamit fte fid)
bem Kaifer gegenüber nicht bloßßetlte. ©enn ihr ©obn mit ihrer Hof*
bame in Db ra cien einen bummen ©treicg beging, fo lonnte man un*
möglich f» bafür Oerantwortlicg machen, unb in biefem galle »ürbe ber
Kaffer ohne gmetfel geneigt fein, ihr (Recht »iberfabren zu laffen. £),
©riani »ugte, bag ihr bie« Sille« im Kopfe berumging, unb hoch richtete
er au« lauter Sraufamleit biefe grage an fte. Sr quälte fte. ©arum,
»arum? O über bie Unbanlbarleit unb Sieblopgtelt ber SRenjcpen!
©ie bltdte ihm in bie Slugeit unb fab ein, bag fte ihn burcb eigene
©cbulb, burch ein falfche« ©piel fdjon ooöftänbig oerloren batte. Unb
fte ant»ortete febr oon oben herab „Sraf ©riani, ich möchte äh* 1 « 1
hoch mtttbeilen, bag ich betreff« meiner Hofbamen fo banble, »ie e« mich
gut bünlt. fiaffen ©ie mich Sbnen zugleich bauten für 3b rc IRatb 5
fdjläge, bie ich in Sulunft leiber nicht mehr befolgen tann. ©ie ge*
hören fortan meinem ©ohne, nicht »abr? unb ©eine SRajeftät »irb
ficber fo hohe Slnforberungen an ©ie fteHen, bag ©ie nicht auch noch
mir 3bre Dienfte »ibmen lönnten — au« reiner llneigennüpigleit.
Unb nun bitte ich ©ie, mich $u meinem Db r °ne zu begleiten — ich
meine $u meinem ©lumeittbrone, bem throne oon b«ut' Slbenb . . .
©erfteben ©ie mich ganz . . ." fte betonte jebe« ©ort fdjarf — „weitere
(Ratbfdjläge, »eitere Dienfte, »eitere ©egleitung, außer biefer lebten,
ßnb nicht mehr Oon (Röthen."
3Äft einer ftummen ©erbeugung geleitete er pe ju ihrem ©i$e.
$ort Oemeigten pch ©eibe, unb fte lieg pdj lächelnb nieber, unb ehr¬
erbietig, mit brei ©erbeugungen zog er ßcb aurüd. Slber fein ironifdjer
Sug mar ihr nicht entgangen. Unb fte haßte ihn. Slm liebften hätte
ße ihn oon ihren fialaien fortpeüfdjen laffen. ©te fanbte ihm einen oer=
ältlichen S31lcf nadj, al« er pch in bem SRenfdjengeroübl Oerlor. Unb
über ihre blaffen Sippen jifchte e«: „Sr ift lein 2Rann . . . 9lur
©eiber begeben folcße Seigbeiten."
Unb nun faß fte »ieber auf ihrem $b ron * anb »urbe Oon aßen
©eiten umringt: oon ihrem Sefolge unb einer großen 3Renge anberer
©Junten, ©ie fbradj geiftreich, mit cnt$üdenber 2fröblichleit. Unb pe
ließ ben ©lid über ihr (befolge febroeifen, ba« meift au« jungen
thracifchen äRäbchen beftanb; aber auch einige anbere waren barunter, bie
ftcb au« Höflichkeit ju bem (befolge ihrer erlauchten Saftgeberin gefeilten.
Slber SUejanbra oermißte Siena, ©ie tan&te mit bem ßönig, unb nun
embfanb Slleyanbra e« red)t beutlich, baß fie nur noch ben flöntginnen*
2:itel führte. Unb lein 3Renfdj ahnte et»a« Oon bem namenlofen
Slenb, in toeId)em ihre ehrgeizige ©eele erftidte. ©ie blieb bie fdjöne
grürftin ber Sbrhfantbemen, unb al« (ßrhtz Sbjarb Oor ihr auf bie
Äniee fanl, um pe zum $anze aufzuforbern, banlte fte mit lädjelnber
Srazie. (gortfefcung folgt.)
jttt$ ber ^>öupt)ta6t.
UHUjelm« OafaUett.
S)em 9Ranufcrif)te eine« Sefd)id)t3»erte« au« bem nächften 3agr s
Zehnte entnehme ich folgenbe Darlegungen:
... Die gefte, womit ber ©erliner ^of ben achtzehnten Seburt«»
tag be« Kronprinzen ©ilhelm feierte, batten offenbar eine befonbere
©ebeutung gewinnen foHen burch bie Slnwefenheit zahlreicher befreunbeter
unb oer6ünbeter (ßotentaten. ©eiten« ber bauptftäbtifchen treffe, bie
bamal« bem £ofe faß uncingefcbränlt zur ©erfügung ftanb, »ar immer
oon (Reuem auf bie hohe ©idßigteit biefer ©efuthe hiugewiefen worben,
unb lange, beOor ©ilhelm II. pe in begeiftertem Doafie al« »eltgefchicht*
liehe« Sreigniß erfter Sröße gelennzeichnet hotte, waren bie (Rebactionen
ber maßgebenben ©lätter ü6ereingelommen, noch »eit wuchtigere ©uper*
latioe anzuwenben. Da bie SRenge fich im Saufe ber Sabre baran ge*
»öbnt batte, ba« glänzenbe ©ort unb ben prunlenbeti ©djein für Dbat
unb ©irllichleit zu nehmen, folgte fte auch bie« 3Ral geborfam ben Sln^
»eifuitgen ihrer ©orbenler. Sännenber Subei brach au«, unb bte ©tabt
fchwamm in oerftiegener Sntzüdung, al« ofpcieü belannt gegeben würbe,
baß Kaifer granz Sofef am Shrentage feine« (ßathenliube« in ©erlin
fein »ürbe. Sin Db^atergang ohne Sleichen, »ie man ihn in jener Seit
v liebte, mit falfcpen Sorbeerbäumen, ©cpablonen-Dufcherei unb cpllopifchen
Holzbauten, »urbe entfaltet, um bem greifen gürften für feinen Snt=
fchlug zu banlen. gefter al« je fchien ber grieben begrünbet, ftärler al«
je bie SRacht be« fogenannten Dreibunbe«. (Rieraanb bachte mehr baran
ober wollte pch baran erinnern laffen, baß »ährenb ber Sabenl*©irren
alle« ©ertrauen auf bie öfterreichifche Suuerläfftgfeit Oerloren gegangen
»ar. 3ept plöplicb hielt man ba« 9?achbarlanb nicht mehr für rettung«=
lo« oerflaot, fprach nicht mehr mit überlegenem Sldffelzuden Oon feiner
Slgonte unb bem totalen ©erlufte feiner SroßmadjtfteUung. S« aoancirte
oielmehr »ieber zu einem Sulturfactor erften (Range«, — unter'm neuem
Kurfe »ar betanntlicb ade« erften (Range«, »a« man felbft that ober
in ben Krei« feiner politifihen ©ereegnungen zog — unb btefelben ©lätter,
bie Dhun'« (Reciprocität«=(Rebe einen laum 'oerblümten Slnfcbluß an ben
(ßanflaoi«mu« genannt hatten, erfdjöpften fich i e 6l iu farbenprädjtigen
©erftcherungen, baß lein ©etterfturm fdjwer genug fein lönne, um ben
ragenben Dhurrn ber beutfchöfterreichifchen grennbfdjaft auch nur lei«
erzittern zu machen, ©türm unb Dhurm reimte ftd) fogar in Oerfchie-
benen geftgebiebten febr gut. Sil« bann Kaffer granz 3ofef bem beutfeben
Kaifer bie ©ürbe eine« öfterreiebifeben Seneralfelbmarfchall« Oerlieb,
lannte ba« ©onnegefchrei leine Srenzen meßr. ©ermochten bte loyalen
Organe ber ©erliner öffentlichen SReinung hoch feßzufteßen, baß feit bem
Dobe (Rabebth , « leinem ©terblichen mehr eine foldje Shrung »iberfabren
war. Unb baß bie ©erletbung nicht« al« eine Höflicblelt, bte ©ürbe
eben nur ein Dttel »ar, gepel ben für Ditel unb Höflkblelten fo febr
empfängltdjen (Reubeutfchen ganz befonber« gut.
3n b|e geftfreube mifchte fich aflerbittg« ein ©ermuth«=Dropfen:
ber (ßrinz Oon ©ale« blieb ben geierltcbleiten fern. 3Ran batte eigent=
Digitized by v^.ooQle
34$
Ute (Stgettroari
Ha"«,
li<p angenommen, bag er fiep für bie Altonaer 3 u f ammcn ^ u nft banlbar
ermetfen unb menigftenS auf ein paar Doge ben fcpmärmerifcpen £ulbi*
gungeit beS gutgefinnten Berliner BublifumS auSfefcen mürbe. ©r
oerfcpmäpte eS leiber, ben ©lang ber benlmürMgen Btattage zu erböten
unb burc^ feine ©egenmart bie oortrefflicpen Beziehungen zunfcpen beiben
Sänbern zu fpmbolifiren. Da jebocp ©rogbrttannien gerabe um jene
Qeit zum entfcpeibenben Schlage gegen bie rebellifcpen Buren auSpolte,
mar bie oor nehme gurücfbaltung beS ^ringen burcpauS begreiflich- ©r
mottte nicht einmal ben Anfcpein ermeden, als müfje baS ftolje ©nglanb
im entfcpeibenben Augenblide um bie ©unft irgenb einer Bladjt beS
Kontinentes buhlen unb fich burcp irgenb melcpe ©onceffionert freie |>anb
in Afrifa ficpern. Den Berliner Diplomaten imponirte ber feine Daft
ber britlfcpen* Regierung, fie mürbigten Oottauf ihre Bemeggrünbe unb
liegen fiep ^ aran genügen, bag Deutfeplanb jenfeitS beS Kanals mie
überhaupt in ber ganzen Seit nur greunbe patte. Btit Borbamerifa
ftanben fie auf bem Dupfuge, ba ber BeicpStag entfcploffen mar, beut
Import einbalfamirten Kabaoer^ötelfleifcpeS auS ©picago (eine mie
immer gearteten ©cpmierigfeiten ju bereiten unb beS lieben griebenS
halber bie ©picanen amcrtfanifcper 3ottmäcpter beutfcben Saaren gegen¬
über auf fiep beruhen 311 laffen. Bocp freunbfcpaftlicper unb oertrauter
mar unfer Berhältnig ju granfreidj. Dem Blanne, ber mit Becpt ben
unglüdlicpen Strieg Don 1870 auf bie „tief beflagenSmerthe ^oliti!
BiSniardS" zurüdgefüprt hatte, bem achtzigjährigen SangerpanS gratu*
litte ©raf Batteftrem im Barnen beS BeicpStageS mit bemegten Sorten,
unb ein fepmuder Blumenftraug oerooHftänbigtc bie ©prang. ©ie eni=
pfing 3nhalt unb Bebeutung buvch bie Dpatfacpe, bag berfelbe BeicpStag
einem anbern Achtzigjährigen, ben oben ermähnten BiSmartf, menige Qapre
früher bei gleichem Anlag ©liidmunfep unb ©rüg oerroeigert patte,
©eban mar baburep geräept, bem Oeriefeten geingefüpl ber granzofen
eine elegante Berbeugung gemaept unb bie oon SangerpanS oft perbei*
gefepnte Berftänblgung mar enblicp angebapnt morben, maS in bem BariS
ber SeltauSftettung befonberS bie ©aftmirtpe fepr angenehm berührte.
Btan tonnte fiep niept bar über im Untiaren fein, bag alle bie
genannten unb noep mehrere anbere Böller mit bem Kerzen bei ben
Berliner ©rogjäprigleitS*geften maren, menn fie auep barauf Oerzieptet
hatten, oiele Sorte zu maepen ober gar foftfpielige Bertreter zu ent*
fenben. Qebem lopalen Deutfcpen genügte biefe fpmpatpifcpe Dpeilnapme
beS AuSlanbeS. Blepr noep, fie ftimmte ipn ftolz unb fröplicp. 3n
folcpen ©mpfiitbungen fcpmelgenb, beaeptete er faum bie auf ben erften
Blicf befrembenbe Sntereffelofigfeit ber regierenben BeicpSfürften, benen,
üon ganz wenigen Ausnahmen abgefepen, alles Berftänbnig für bie
©röge beS plftortfcpen BorgangS zu fehlen fepien. ©lildltcper Seife
patte fiep bie aufgeflärte Bürgerfcpaft längft ber neuen Sepre oon ben
eigentlichen Surzeln unferer Äraft zugemanbt. ©ie mugte, bag niept
fomopl ©intraept unb inniges ©inoemepmen gtüifchen ben ©liebem beS
BeicpeS feine ©tärfe oerbürgte, fonbem bag unfere Seltmacptftettung
mefentlicp oon ber Siebe unb ©emogenpeit abping, mit ber unS bie
grembe beeprte. ©S ift baS unoergänglicpe Berbienft ©aprlOi'S gemefen,
burep feine ^anbelSoerträge ben richtigen Seg befepritten unb gezeigt
ZU paben, mie man mit fleinen unb manchmal aifcp grogen ©efepenfen
treue greunbfepaft erzeugt unb erhält. SaS patte biefer eminent feral*
tifepen SeiSpeit eines melttunbigen ©taatSmanneS gegenüber bie rüd=
ftänbige Uroätermeinung BiSmard'S zu befagen, ber fiep ängftlicp müpte,
alle BunbeSfürften bei guter Saune zu erpalten, ipre ©mfefinbllcpfeit zu
feponen unb ipnen beinap tagtäglich zu oerftepen zu geben, mie un*
gepeuer üiel ipm an iprer BeicpSfreubigfeit gelegen mar? BiSmarcf oer*
möpnte bie beutfepen ©ouOeräne berart, bag Ooüe zwanzig Supte lang
niemals eine ernftpafte Berftimmung unter ipnen auSbracp unb ber
BarticulariSmuS, ben er gerabe bei ipnen gut aufgepoben mäpnte, oon
ben #öfen in ben BeicpStag manberte, in benfelben BeicpStag, ber ein
©egengemiept zum gürften*B<HrticutariSmuS patte bilben foHen. Dafür
brutalifirte ber erfte Kanzler baS AuSlanb, maS ipm, menn $errn
SangerpaufenS Barifcr Dante gut unterrichtet mar, ben £>ag aller ge=
bilbeten Äreife jenfeitS ber beutfepen ©renze eintmg, einen £ag, ber
fcptieglicp feinen ©turz i«r ©taatSnotpmenbigleit maepte.
Die ©ntfemung biefeS gefäprlicpen Cannes auS Amt unb Sürben
trug benn auep erfreulich oiel bazu bei, baS überfepraubte ©elbftbemugk
fein ber beutfepen gürften naep ©ebüpr perabzuntinbern. Senn SKig=
trauen unb Unzufriebenpeit mirtlicp bie Oomepmften Dugenben beS
BolitiferS ftnb, fo barf man tüpnlicp behaupten, bag Dugenb unb
feolitifcpe Begabung an ben nieptpreugifepen #öfen DcutfcplanbS binnen
menigen Qapren in beängftigenbem Blage Zunahmen, ©pannungen unb
Bestimmungen jagten einanber, mie ©emtttermolfen im ftocpfommeT.
Der ©rafregent oon Sippe, ber Begent $opann oon Btedlenburg unb
ber Begent oon Bapern, ja, neben ben Regenten auep etlicpe Begierenbe
patten reichlich Urfacpe, bie Begenfcpirme aufzufpannen. Unb menn
preugtfepe Btinifter ober ©taatSfecretäre gelegentlich einen ber bei ipnen
fo beliebten, feefen ^ufarenritte über bie fepmarzmeigen ©renzpfäple
pinauS unternahmen,' um traft ber £>errltcpfett iprer ©rfepeinung rafcp
eine ^anb 00 U poepftepenber Sorbeeren zu pflüefen, bann fliegen fte in
ber Begel auf eine geinbfeligfeit, bie fte Oeranlagte, mit oerbupten @c=
fieptern oon ber fo pübfcp abaepten, fleinen Beiterattade abzufepen.
Ferrit 0 . BobbielSfi oerbitterte ber ©ebanfe an bie ©inpeitSmarfe bis
an fein SebenSenbe alle greube über feine anberen moplgelungenen
9leformtpuereien. Unter allen Blintftern tarn er Danf feiner ©inpeitS^
marfe zuerft auf ben ©ebanfen, bag eS mit ber beutfepen ©inpeit niept
mepr allzu meit per fein fönne.
Die unzufriebenen ©etrönten aber begnügten fiep am ©nbe niept
mit fpmbolifcpen Aeugerungen ipreS BligfallenS. Qut Bapern=B*tuzen
Submig erftanb ipnen ber temperamentooHe ©preeper, ber einem lang
Oetpaltenen ßorne zuerft in BioStau bie Qügel fepiegen lieg. Damals
mugte ein armes fleineS Äaufniänncpen ben Bucfel barreiepen, roeil eS
tm patriotifepen Dufel, angefteeft oon ber Bilberfucpt ber mobemen
Xrtnffprucp*©iceroS, bie freien beutfepen BunbeSfürften Bafaüen beS
ÄaiferS genannt patte, ©cpärfere Däne noep fanb ber ergrimmte Sßrinz,
ber fo gar feine Anlage zum Bafaüen befag, in ©traubing unb
Börbltngen. 3Ber bie Bitnen unb ©cpleicpgänge unter Dage niept
fap unb niept mugte, bag bie Suft gelaben mar mit ©leftricität, ber
üerftanb feine reicpSOerbroffenen Aeugerungen faum. Aber er Oerftanb
boep, bag bie foepenbe SButp grog fein mugte, bie bem ©rben BapernS fo
harte unb rücfficptSlofe Sorte in ben Blunb legte, ipn z« Befenntnijfen
zmang, mie fte offenherziger felbft in ber Blüncpener Äammer noep niept
gepört morben ftnb: „Bor Aüem oermapre icp Bapern gegen ben Bor*
murf, bag eS eine ©nabe fei, bag mir zum Beicp gepören. Denn baS
Deutfcpe Beicp ift ebenfo gut mit baprifepem Blute zufammengefepmeigt
morben, mie mit bem Blute irgenb eines anberen beutfepen ©tammeS
unb barum motten mir niept als minbere Brüber, fonbern als oolle
Brüber angefepen merben; unb mie mir für baS ganze Deutfcpe Beicp
einftepen unb eingeftanben ftnb, fo oerlangen mir auep, bag baS
Deutfcpe Betcp unfere baprifepen gntereffen ebenfo mapre, mie bie
Sntereffen oon benen an ben grogen ©trömen, bie ftep in bie Borb*
unb Oftfee ergtegen." ©icperlicp niept allein um eines armfeligen ©analeS
mitten fcpleuberte ber Btann, ber einft Silpelm II. gleichberechtigt zur
©eite fiepen mirb, fotepe Bermü^e in bie erftaunt aufporepenbe Seit,
^ier bapnte fiep zontmütpige ©m^örung Oulfanifcp einen Seg in bie
Deffentlicpfeit, rang fepmer Oerle^ter ©tolz naep bajuoarifcp fräftigem
AuSbrucf. Der föniglicpe ^Srinz maepte Deutfeplanb zum Dlicpter über
fiep, inbem er ftep mit feiner Anflage an Deutfeplanb manbte. ©S mar
niept gut, bag bie anbere Bartei fepmieg. gpr ©epmeigen beeinflugte
entfepeibenb ben UrtpeilSfprucp.
DeS Brisen Angriffe maren fepr offenherzig gemefen. „Senn
bie beutfepe Berfaffung beffer betannt märe", fo patte er in WörbUngen
auSgerufen, „bann mürbe man gar oiele falfepe Anftcpten in Sieben unb
©epriften niept pören unb lefen. 34 nenne mit Abfupt leine Barnen.
Denn bann hätte man eine groge Aufgabe zu erfüllen." ©S mar opne
SeitereS flar, mopin ber ©cpüfce zielte. Dag bie Blätter ber Berliner
Digitized by v^.ooQle
Nr. 22.
Die ©egetuüttrt
349
Fretftnntgen Äammerfnecpt« =fßartei feine 9lu«laffungen bmtfel unb un*
öerftänbllcp galten, geigte bi? gange Sucht be« ßernfcpuffe« an. Saijem
toar tief oerftimmt, wie anbere Sunbe«ftaaten Oerftimmt waren. Man
fanb allgemein, baft bie au«länblfcpen Motiarcpen gu gut, bie inlänbifcpen
wenig al« bie gleichberechtigten Surften bepanbelt mürben, bie fte
hoch nach bem Sortlaute ber non Si«mard entworfenen Serfaffung
waren. Man wehrte ftch oergweifelt gegen bie neue ftaat«recptliche Sehre,
baft Teutfcplanb« unabhängige Sunbe«fürften Untergebene be« Königs
öon fßreuften feien, gwar lag bem Äaifer felbft eine folche 9luffaffung
fern, aber ferOtler Uebereifer mehr ober minber fjochftehenber Safaien
bienten bagu, ba« Mißtrauen in ©übbeutfcplanb gu fchüren. ©« fanb
feine #auptftüpe an ben gahlreichen regierenben Fürftlicpleiten, bie fleh
non Silhelm’8 II. ©igenart oerlept wähnten unb ber aüerblng« fonber*
bare Umftanb, bah ber neue Flottenplan in halbamtlichen geitungen
veröffentlicht würbe, ehe bie oerbünbeten Fürften Äenntnift Oon ihm
erlangt hatten, Mcfcr fchwerc Mifcgriff gab bem fladernben Argwohn
neue Nahrung.
Ter waebfenben ©ntfrembung gwlfchen ben &öfen fahen bie rabi*
talen £ppofttion«parteten unb bie Sartifulariften aller Serben niept nur
mit Vergnügen gu, fonbern fie fugten ba« F^er nach Kräften gu fchüren.
$ring Subwig« Siebe gab ihnen bie ©emiftbeit, bah bie geitweilig fo be*
liebt gewefene Drohung mit bem ©onflict, ber gewaltfanten Aufhebung
be« beftehenben Seicp«tag«-Sablre<pte8, hinfort nicht mehr möglich fein
würbe. Tie fübbeutfehen Segierungen, bie burch $ring Subwig« Munb
fo hochgeftimmte Soblieber auf bie Serfaffung fingen liehen, hätten einem
33rud)e be« ©taat«grunbgefepe« nun unb nimmer fchmeigenb gugefehen.
T>tefe ©rfenntnift ftärfte bie 91gitation«fraft ber entfehiebenen Dppofttion
berart unb erfüllte fie mit foldjer ©iegedguoerftept, bah bei ben aH=
gemeinen Saplen oon 1903 .. . (§ier bricht ba« Manufcript ab.)
Prtit 3 Pogelfrei.
Oon ben großen Berliner Sommer-BnnflanofleUnngen.
ii.
3n Som, wenn ich nicht irre, liegt er begraben, feit gerabe 13
3apren fchon. $eine langathmigen Sefrologe <jab e« bamal« unb erft
toter Sopre fpäter „entbedte" man ihn auf ber Münchener internationalen
StuSfiellung 1891, ihn, ben bamal« längft Sergeffenen, für bie Äunft*
toelt, auch bie engere, wohl fchon an 20 fahren tobten ©Iberfelber
Zünftler, ber im 9llter oon 27 Sohren nach ber „ewigen Stabt" über=
gefiebelt war unb ftch bort Oon ber Seit, bie ihn nicht oerftanb unb
über feine oft unfertige Tecpnif fpottete, halb abfchloh. Sd* nieine
£>an« Oon Mar de«, oon beffen ©jifteng auch ba« befannte Müfler’fche
iHinftlerlejicon nicht« weih; Oon bem frangöftfepen ©la»maler „Marecpal"
geht e« gum batjerifchen 9lrcpiteften „Marggraff" über ... 9(ber ba«
ift nicht fehr oertounberlich. ©inmal fchloh fiep Marde«, wie gefagt,
felbft ab Oon ber 9lufjenwelt unb bann — wenn man ihn nicht oer=
ftanb — e« waren ja bie 60 er unb 70 er Söhre fo recht eine Slütpe=
$eit ber technifch |ochftebenben ? im Uebrigen aber feetenlofen romantiftp=
tpeatrallfchen ©efepteht«* unb Änelbotenmalerei. Marde« wanbeite anbere
SEBegc. ©r ging oon ber ftntite au«, wie ber bamal« auch gerabe in
SRom ftpaffenbe Schweiger Södlin, bem er fo wefen«oerwanot. Tie
Slnttfe lehrte ihn bie granbiofe Sirfung ber Sinienruhe. SBei ihm ift
Sille« tbplltfch, nicht« — bramatifch. Sn biefem SbtJÜifchen bethätigte
fleh feine beutfepe ©«eie. ©leid) Södlin, hot auch er bie ©efepmäjjigfett
bet Slntife mit beutfehem ©elft unb beutfehem ©mpfinben burepfept, aber
93ödlin war ber größere Gönner, ber gröbere ©oiorift unb — ein be=
freienber £>umor half ihm, ba« maferifd) gum 9lu«brud gu bringen,
wa« ihn bewegte. 3<h möchte faft glauben, bah Marde« a!« Saufiinftler
bei Sebgeiten mehr 9lnerfennung gefunben hätte, benn al« Maler. 3)a«
Slrchitettonifche unb SRonumentale feiner Silber, bie in erfter Sinie
immer becoratio wirfen, fdjeint mir bafür gu fprechen. SWan nennt ja
wohl SlrchiteJtoni! ©tein geworbene SRuftt. Unb mufifalifch auch ift ber
(graftet 9Jtaree«'fcher Malerei. $a ift nicht« realiftifch ober gar natu=
raliftlfch; oerfchmähte er hoch fogar SKobefle. Sn ibeale Sanbfdjaften
fefte er oon allem Srbifchcn lo«gelöfte giguren hinein unb metfterhaft
touhte er immer Seibe in einen inneren gufammenhang gu bringen.
Sttan ftubire nur barauf hin feine „$)rei Sünglinge", ben „SRaub ber
Helena 1 ', bie „'Jtuhenbe &iana", bie übrigen« technifch unb coloriftifd)
eine« feiner beften Silber ift. ‘Sie „©eceffion" hat fich ein grofje« Ser=
bienft erworben, baburch, bah F lc für ihre neue 2lu«fteüung einige
SJtarde^fche ©emälbe au« bem ©djleihheimet SJlufeum entlieh- 2Rit
tiefer SBehmuth fteht man oor biefen Xafeln. Sa« wäre au« biefem
Zünftler in einer oerftänbnihüoHeren Umgebung geworben! 2)?it tiefer
Sehmuth fteht man oor feinem ©elbftyorträt, oor bem ®oppeIbi(bnift
feiner felbft unb Senbadj'« unb bem Silbnih Slbolf ^ilbebranb 7 «, ba«
in garbe unb 9lu«brud eine« ber aüerbeften auf biefer Slu«ftellung ift.
Unb unmiWürltch benft man baran, wa« Senbach unb ©ilbebranb alle«
erreicht hoben. Sie oerwanbt ber Florentiner Silbhauer feinem einftigen
Sehter Äaree« ift, ba« emhftnben wir auf berfelben Slu«ftefluitg, wo
audh ^ilbebranb mit einer gröberen Slngahl oon Süften unb melief«
angutreffen ift. ©o glängenb, wie im oortgen 3 a h^ auf feiner ©onber=
au«fteüung in 5)re«ben ift er hi er wohl nicht oertreten, aber hoch geben
g. S. bie Sorträt« Semer Oon Siemen«’ unb #an« oon Sülow’«, ber
„glötenbläfer" unb oor Slflem ber leben«grohe marmorne „Ihtaelwerfer"
mit ihrer immer auf’« ©ange au«gehenben Sirfung unb bem Sergichten
auf arüblerifche« ©ebanfenfpiel einen guten Segriff Oon ber ^unft biefe«
SReifter«.
^ilbebranb ift befanntlich ©hrenmitglieb ber ©eceffton, ebenfo
wie auch Södlin unb wie Seibl. $)er ©infame Oon Slibling hot in
biefem 3ohre nicht« gefanbt, bafür ift Södlin mit fünf ©emäIben Oer=
treten, meift älteren, üon benen ba« Porträt feiner Ftou, eine 3 c üh=
nung oon grober ©infachbeit unb ftarfer SnbiOibualität, am meiften
interefftrt; weit mehr jebenfaH« al« ba« 1899 entftanbene Triptychon,
ba« ein Siebe«ibpÜ etwa« fehr philiftrö« unb rein malerifch langweilig
behanbelt. 9Ran braucht eben nicht oor jeber Seinewanb be« Schweiger«
gleich in ©ntgüden gu geratyen. „Ter Kentaur am gifdjbadh'S ber
„©remit an ber Ouefie", ber „Sogbgug ber Tiana" finb belannt. SRit
biefer w ?lttraction" ift alfo biefe« SJcal nicht oiel lo«. Slud) oon Slltmeifter
Thoma ift oiel Seiannte« gu fehen, barunter aber beftnben folche
Serie, wie ber „Torfgeiger", „Siebe«frühling", ,,©ngel«wolfe", „Sätyter
be« Siebe«garten«", alfo oon feinem SWerbeften. ©ehören auch folche
Tafeln fogufagen gum eifernen Seftanbe aller „Salon" *Thoma=9lu«=
fteliungen — man fteht fie immer gern wieber. 3” ben ©puren biefer
Jtünftier wanbeln otelfad) bie Steinhaufen, graitg ©taffen, F^ong
Sippifch. ©taffen’« „Flora" ift gang birect oon Tpoma beeinflußt, a6cr
e« ftedt hoch auch Oiel Setfönliche« barin, giebt e« ftch gleich ftilifirt.
Tap ©taffen oortrefflich geitynet, wiffen wir fchon lange * — ber geityner
ftylägt fogar mitunter ben SRaler tobt, ©ehr finnig ift Sippifch’«
Flügelbilb: „©horiner ©ee"; fein empfunben bie ©ommerluft unb bie
beiben SRäbchengeftalten, bie „Fifcherin" unb bie „Schnitterin", colo=
riftifch gut gum SWittelbilbe paffenb. Seniger befreunbet man fity mit
feilten „©efreugigten". Tie meiften ber „Märtyrer" fehen noch fehr
tebcn«ooü au« unb ba« ©ange macht ben ©inbrud be« ©rgrübelten.
Tarunt läßt un« ba« Silb falt, wenn e« auch in lanbfchaftlicher Se=
giehung retyt toirIung«oolI ift. ©ine begliche Fnube bereiten einem
©raf Äaldreuth unb Freiherr o. ©leichen=9tu&wu.rm. Tie „Seih*
nacht", ber „Tengler", bie „Scheune mit ©nttemaaen" — fie gehören
gu ben feltenen Silbern, bie un« in ein intime«, perfönlicpe« Serhältnifj
gu bem SRaler bringen. Tie Sirfung ift aber erflärlich, benn ßald*
reuth fteht gu Slllem, wa« er malt, felbft in einem foldjen Serhältnip.
Tarum ftrömen feine Silber au« bem Solf«leben immer einen fo träf=
tigen ©rbgeruty au«, wie etwa bie ber Sorp«weber unb bie be« Oer*
ftorbenen ©eaantini, oon bem hier auch ein Silb gu fehen ift, obfdjon
fie alle technifch grunbüerfdjieben ooneinanber ftnb unb ihre Sortrag«=
trag«wetfe be«gleichen. Seim alten Seimaraner, ber fonft fo fühn ber
beutfehen 3mpteffton«malerei bie Sege ebnen half, fcffelt un« oor Willem
feine unüerwüftliche Sugenbfrifd^e. ?luch er ift mit mehreren Silbern
erfd)tenen: wie Siele Oon ben Sangen wiffen fo ber Suft am Sicht
2lu«brud gu geben, wie ©leichemSufwurm im „Sommermittag" ober
„?lm Seiher" ? Unter ben Sanbftyaften mit guter Staffage ragen auch
bie oon £)«far Frengel unb bem mir bi«her unbefannten $annoOe*
raner-ßugo Friebrity $artmann heroor. ^ortmann’« „Sflüger" geigt
eine Sefen«oerwanbtfchaft mit ben Äaldreuth’fchen Silbern, ©prechenb
ift bie Haltung ber ©äule. 3« bem gleichen 9Rotio geigt fich &rengcl
oon einer neuen ©eite. ©« ift interepant, wie biefer Äünftler aflmälig
immer tiefer in ba« ©eelifdje einer Sanbfdjaft einaebrungen ift. Frengel
ift eine Säule ber „©eceffton". ©ine anbere ift 3Ray Sieb er mann.
9lud) er giebt fich biefe« 9Ral fehr ernfthaft. ©eine „babenben Knaben"
ftnb ohne 3 roe tfel eine« feiner aHerbeften Silber unb babei coloriftifd)
weit reigOoüer, al« Siele«, wa« er in ben lepten Sehren gemalt hot.
s JRan riecht unb ftymedt förmlich biefe Seeluft, unb bie Semegungen
ber Änaben ftnb wunberootl aufgefafet unb au«geführt. Sei anberen
„Säulen* be« Serein«, wie bei Salter Seiftilow, Dtto Heinrich ©ngel
(bie , Pieta", biefe« fo ungeheuer oielfeitigen Äinftler« gehört leiber
nicht gu feinen beften Sachen), ©urt permann, Frang ©farbina,
auch Shtlipp Frand, Süll) Felbmann, Siftor Freubmanit, bem
Äarl«baber ©arlo« ©rothe, S. o. ^ofmann, bem Tauer Subwig
Till, Frang ©tud, Seinholb unb Sabine Sepfiu«, £>an« Soofchen,
ben Münchenern fRicharb Äaifer, Sityarb Stepfch, Heinrich Bügel mufe
ich tniep bloß mit einer ©rwähnung begnügen, obfepon fte 91 Üe, wie auch
oiele niept einmal hier ©enannte, ©ute« unb ©työne«, aber eben boep
niept« 9Jeue« beigefteitert hoben. 9lu« bemfelben ©tunbe muft ich bei
bem fo eng bemeffenen Saum auch bie 9lu«länber, Meunier, Slancpc,
Saffaeli, Senoir, ©ameron an ber ©pipe, übergehen. Sefonber«
aufmerffam gemacht fei aber immerhin auf ben Schweben 9lnber« 3°rn,
ber freilich m *h r Sarifer, al« ©djwebe ift, unb ber in ber ^orträtftubie
Digitized by v^.ooQle
350
Die (Siegenwarf.
Nr. 22.
„Waja" eine Seudjtfraft ber Düne unb eine Harmonie ber gatben ent*
midelt, bie ba« Bilb in Me aßeiDorberfte 99ei^e rüden. Auch bie
Uhbe'fdfeen ÄinberfiubensWotioe feffefn burdj bie fdjlidjte Bovtrag«*
meife unb ben lieben«mütbigen ©umor be« Zünftler«, ber ja jtnifeben
% feinen realifttfdjen, * religlöfen Bilbern immer mieber fotc^e gamilien*
ibpHen auf ber Seinemanb fefthält. Am meiften publicum finbet man
aber mobl ftetS Dor ©orinth'« „©alome". Wicht nur ber unleug*
baren ntalerifdjen Borzüge be« ©emälbe« mißen, an ba« er Diel ©tubtuin
unb Wü^e gemanbt hat. Der ©toff iff« — bie perDcrfe „Wofe Don
©aron", jene eigentliche ©elbin be« ©ubermann’fdjen „QobanneS". iiinfö
ber thierifdje, grinfenbe genfer, ein Dortreff lieber Act, in ber (5batnfte=
riftif ber Wohheit ein ©eitenfttic! jum genfer auf Qlja SRepin'« ,,©t. Wico*
lau«"; recht« tragen ©daDcn ben Seidjnam 3obannt« ; fort; in ber dritte
tniet ein Anberer unb hält auf bem $opfe in blauer ©djüffel ba« fdjmarz*
haarige ©aupt be« ©rmorbeten ber blonben, tanzerhipten ©alome hin,
bie, halbnaat, mit lüfternem ©rtff ber jumefengefchmüdten Singer ba«
Auge be« Wärtt)rer« aufreifet unb mit hünenhaftem, ^alb neugierigem,
balo moflüfttgem Au«brud betrachtet. Den ©inbrud Mefe« ©eftdjt«
mirb man nicht fo leicht lo«. Dahinter eine emft, faft furdjtfam blidenbe
©claoin mit bem Bfuuenmebel unb bie DerftänbntfeDoß lädjelnbe ©erobia«.
Seiber brüdt ber Sftabmen bie giguren etma«. Diefe felbft finb Doß
intereffanter Detail«; ba« ©anze febr flott unb in gut jufantmenbän-
genben heßen Dünen gehalten. ©« mei)t un« h^fe unb — uitgefunb
Don biefer Seinmanb an. Sie ganz anber« ift hoch bie Sitfung Don
Woreau T « berühmter „©rfdjeinung" (©alome unb ba« leudjtenbe |>aupt
Sobanni«) im Sufembourg, an bie man unmißfürlid) benft.
3 . Horben.
Dramatifdje’^ttffttljrungen.
„Suigi ©afarelli." Sufifpiel*itt brei,Acten DomSotljar ©djtnibt.
(berliner 3I^eatcr.) — „$Ünig ©arlefitt.".. ©in Wa«fenfpiel in Dter
Aufzügen Don Wubolph Lothar, (©ejammtgaftjpiel be« beutfeben
Bolf«theater«, SBieit, im Deutfdjen Dheater.)
Der WoDitätenfegen ber ©aifon miß fiel) nimmer erfd)üpfen unb
leeren, ©d)on ift bie Baumblüthe Darüber, unb memt bie ©rbbeerbomle
ben Waimein noch nid)t abgelüft h<*t, fo trügt aßein ber Umftanb
©chulb baran, bafe man zur Qext beiben ©etränfen nod) ben ©liibmein
Dorjiebt. Die herrfefeenbe teilte hält and) ba« Qnteveffe für’« Dheater
frifa), menigften« nach Anfidjt ber Bühnenleiter, unb fo Dergebt beim
feine Sod)e, bie un« nidjt jmei ober brei echte Neuheiten auftifcht.
Suigi ©afareßi, bie lepte Darbietung be« noch immer febr entfigen
Berliner Dheater«, bat fiel) mobl nur zufäßigin bie ©fjarloitenftvafee
Derirrt. Da« barmlofe Ding ift ber grau Bupe auf ben Seib ge-
fdjneben unb hätte bei ihr Subiläunt über Jubiläum erzielt. gern im
beiden Abeffhnierlanb, Dor Wafaße, bat Sieutenant ©afareßi ftch im
©ifer be« ©efedjte« z u einer Sufuborbtnation fjiureifeen laffen, bie jmar
ber italicnifdjen gähne ben ©ieg bradjte, beit feden ©türmer aber ba«
£>fficter«patent foftete. ©in entmurjelter Dranaenbaum, mußte er nun
im fimmerifeben 92orb fein Seben biirftig al« ©pradjlebrer frifteit, unb
nur bie aßgemeine Bergötteruug, bie ihm bie beutfebe unb amerifanifdje
Dantenmelt angebeiben lä&t, Derfüfet ihm ba« ©yil. gn ber Dbat, aße
SöeibUchfeit, Don ber ßKiflionärin bi« b^ r ab Sur ^ünftlerirt, 3t m mer=
Dermietberin unb 3nftitut«üorftcberin, Badftfch unb Patrone Derbimmein
ben „febmarjen italienijcheit Deufel", ftürinen il)m bie Bube, laffen fich
Don ihm ^ßripatftunben geben unb lechzen feinem Äu& entgegen. ?lber
aufcer feiner jungen BJirtbin bebenft er nur ba« befannte Doßarmäbel.
ßftifj 9iemman foftet benn auch bie ©üße ber ©afareßi^fchen 9?eiguitg
au«, macht ihm eine inbrünftige Siebe«erftärung unb fügt ber Orbnung
halber gleich btngu, ba& fie ihn unter feinen Uinftänben §eirat^eu merbe.
Denn fie miß fid) eine £>erjog«^ ober hoch im fcblimmften gafle eine
©rafenfrone auf« £>an{)t briiden. ©afareßi hört e« Derfteinert, reifet
bann eine De^efche auf, bie ihm bie praftifefee Wmerifanerin übermäfeig
lange Dorentbalten bat, unb lieft, bafe 9ie llmberto gnübig gemefen,
bem gelben Don ßflafaße Der^ieben unb ihn aufeerbent jum ©abitän be-
förbert bat. Qefct ift er mieber mer, unb jejjt mürbe ibu auch ^ife
9?emman nehmen. Doch nun meift ber frifd) gebadene ^au^tmann
feinerfeit« ftolj bie juritd, bie ben armen ©pracblebrer übermütbig Der-
fefemäbte, unb ßWantfeß Reumann mufe fich mit einem fd)on parat
ftebenben ©tafen tröften. Der 9lutor ulft in feiner grißenbaften unb
urDäterlidjen Seife über Die« unb Seite«, ma« fo juut 9ltltag«leben
eine« ^rofeffor« ber italienifchen ©prache gebürt: über Derliebte junge
ßltäbcben, bie ftatt in bie ©rammatif in bie 9tugen ihre« bübfeben
Seferer« feben unb nur ein fjmuptmort feniten: Fainore; über bie ©ifer=
füd)teleieit jmifdjen jebn grauen, bie aße bemfelben Wann tiachfteüen;
über bie 92iebrigfeit gräflicher Witgiftjäaer, bie fich jur ©träfe bafür
Don einer 9?em=9orfcr Wiflioneufe fcbänbliche ©ottifeit fagen laffen
müffen. SU« §err Sotbar ©djrnibt feine Wife 9Zemman Don roftigen
Sappenfcbilbem fpredjeit liefe, gab e« lauten Beifaß bei offener ©eene.
Sir haben ja fein fünftlerifd) gebilbete« publicum, leiber nein, aber hoch
ein febr ^ gefinnung«tüd)tige«. 3m Uebrigen ift bie Arbeit ftredenmei«
ganj fpafeig, ftredenmei« jebodj auch unbejcbreiblidb übe. Befonber« ber
britte 9lct leiftet in biefer Begebung ©rfledliche«. Unb mar e« fchon
niefet leicht, bie übermäfeig breit au«gefpoiuienen ©prachunterricht«=©<herje
iu erbulben, bereu 9?ant r unb ?lrt mir Don ber Urahne fennen unb bie
ben erften Wufoug füßten, fo fefemedten bod) bie ernften ©eenen be§
Suftfpiel« loeit bitterer. DaDon foßte ©chrnibt, ber mirflidj Dalent bat
unb ein gemütlicher §err ju fein fefeeint, in gufunft bie ^änbe laffen.
Sirb auch SRubolpb Sotbar, auf beutfeh ©piper, nicht enbUcb
einmal aufbüren, bie tragifdje Wufe ju benupen? ©einem w Äonig
^arlefin" ift Don ber Siener unb ber Wailänber ©enfur eine fReclame
gemacht morben, bie beträchtliche ©rroartungen meden mufete. ©efeabe,
bafe man in Berlin bie«mal meniger prübe mar, ba« ©tüd freigab unb
un« in ohnehin ißupon«lofer 3 *tt um eine fcfeüne Däufcpung ärmer
machte. Sotbar^©pijjer« „^arlefin" ift betrüoenb faft= unb fraftlo«.
©« liegt bem ©tüde berfelbe ©ebanfe ju ©runbe, ben #auptmann in
„©chlud unb 3au" fo bilettantifch Derpfufcfete. ©pi^er hat ihn mobl
llarer entmidelt, aber ebenfo menig mie ^auptmann ju bichterifcher
^Infcbaulichleit erheben fünnen.
£>arfe!in ermorbet feinen |)erm unb büßt ftch ta fem fonigliche«
©emaitb. Wan bulbigt ihm, er geminnt eine ©flacht, unb bie SSntgin-
Wutter, ber er fich entbedt, h^ifet ben Betrug aut, meil fie ihr Sonb
liebt unb Don ihrem getübteten ©obn, ber ein ©djlemmer unb Buhler,
ein graufamer Sütbericfe mar, nur Unheil für ba« SReid) ermartete.
^parlefin fchmelgt eine Seile im fRaufcfee ber Wa^t. Doch « ur S u Wb
mufe er erfennen, bafe Winifter unb ©chranjen in ihm nicht« al« bie
Buppe ehren, beren Drahtzieher fie ftttb, bafe er ^mar aße« unter=
fdjreiben barf, ma« man ihm zur Unterfdjrift Dovlegt, auf ben guhalt
ber ©chriftftüde felbft aber nicht ben geringften ©influfe hat. 3 m
meiteren Berlauf ber Angelegenheit, bie baburch ungentütblich mirb, bafe
©ift, Dolch unb Weuchlerfchmert ben armen .tartenfünig bebrofeen, merft
er aufeerbem, mie Diel rafefeer man mafere Siebe im bunten $arle!in=
ober zerlumpten Bettlerfleibe geminnt, al« im {öniglicben Hermelin,
©r mirft alfo bie gleifeenbe Saft mieber Don fich, nicht ohne Dorber ber
efammten .^ofgefeflfdhaft im ©chalt«gemanbe grünbfiefe unb grob bie Safer»
eit gefagt zu haben, gabellanb, mo .^arlefin .§errfcfeer mar, mtrb eben
fo conftitutioneß regiert, bafe bort ber Boffenreifeer zehnmal beffer baran
ift al« ber Wonardfe. Wan erlaubt bem ßomübianten, über bie Wacfet
ber Ärone, über bie ©taat«nothmenbigfeit unb anbere geheiligte Dinge
mehr in einer Donart zu fpreefeen, Me jeben freiftnnigen Bubliciften
unb jeben Berfaffer politifeber Äomübien mit tiefem 9?eib auf bie glürf-
licheit ©oßegen in gabellanb erfüllen mufe. $err ©piger bcnujjt auefe
fonft jebe ©elegenheit, ber ©djattenmonarefeie grünblich feine Weiitung p.
jagen, ©r erfpart un« feine Don ben zweifello« fefer richtigen Anfidjten,
bie er im Dertrauten Umgang mit ben Siener ©ocialreformem fc la
BhiltppDDich gemortnen bat. Da« märe ja nun an unb für ftch reifet
jcfeün, mettn man in T « Dfeeater ginge, um fpottbiüige Seitartifel^Bhrafen
beclantirt z u hören unb ftunoeitfang einem gar nicht furameiligen
Seber 3 ette l ju laufchen, ber mie ein Süme brüßt. Born brantalifcfeett
Dichter begehrt man inbeffett etma« Anbere«, etrna« Iüftlid)ere«, unb
fterr ©piper foßte ba« rniffen. ©eftalten mufe ber Dichter, ido ^tea
©piper rebet unb immer mieber rebet. Blutleere ©chatten jmb aße
feine B^rfonen, belanglofe Webenfachen, mäferenb bie Bbrafe mit ber
gemiffen majeftätijehen Attitübe bie §auptfa<be ift. ©« fehlt bem Dichter
bie Äraft, ben grofeen Bormurf zu meiftern, fattm hier unb ba ift e«
ihm gelungen, lebenbige guttfen au« bem ©tein zu fd)lagen. ©0 Der;
liebt mar er in bie tobte unb leere ©atire, bie er über ba« neuntobifdje
monarchtfdje Brincip au«gofe, bafe er fogar bie tedfenifche ©eite be«
Drama« arg Dewachläffegte, nur um ja reefet halb mieber Demoftfeene«
fein z u fünnen. Wicht allein bie lieberlidje ©cenenfüferung unb bie
oberflächliche 3 eic 6uung ber ©fearaftere Derftimmt Don Anfang att,
fottbem mehr nod) eine gemiffe unbegreifliche ©orgloftgfeit tn ber
WotiDirung, bie bem £ürer ba« Unmüglicfee zu glauben zumutfeet. Unb
babei nirgenb« eine frifefee, Don iriinftlerhanb gemifefete garbe, nitgenb«
eine perfünlicfee Wote, nirgenb« bie ©pur au« bem Boßen fefeaffenber,
urmüefeftger Dicfeterfraft. Au«brud«lo« matt fcfeleppt fich ba« ©piel
Dormärt«; munter mirb #err Sotbar blofe, menn er eine nach feiner
Weinung geiftDoße Senbung abbrennen fann, mie man einen geuej*
merf«fürper abbrenttf. ,,Die Siebe be« Seibe« fommt entmeber zu früh
ober zu fpät." Bon jold)em ©ebattfenabraum mimmelt e« in bent
©tüde. ©in gemaltiger ©toff ift einem Wid)t«=at«=©<hönrebner in bic
£>änbe gefaßett unb jämmerlich Don ihm Derzettelt morben.
Offene Briefe ttitft Jtntworten.
einmal ber „Ueberracnfä".
©ehr geehrter ^terrl
3n einer bet lepten Wummern ber „©egenmart" mürbe fchon auf=
gebedt, bafe ber Au«brud „Uebermenfch" feine ©chüpfung Don Wiepfcfee
ift. Uebermenfch ift nicht nur ein Sort, ba« bet ©oethe Dorfommt,
fonbem auch ©erber bebient ftch beffen. 3n ben ^Briefen zur Beforbe*
Digitized by v^.ooQle
Nr. 22.
Hit Cftegetttoart.
351
rung bet Humanität", 1794; Nr. 28 unb 32. geruer gebraucht e«
3apn in „Xeutfdje« Vol!«tbum", IX. #äu«licbe« ßeben, 7. £>ulbigung
be« weiblichen Gefcplecpt«. Unb ftc^er liegen fiep bie Velegfteßen für
ba« frühere Vorfommen oermepren, — wenn bei* Xeutfcpe bie ©Triften
bcutfdjer Wäitner beffet lernten würbe.
£>odjachtung«Ooß
Kuguft Kürte.
—--
SCotijm.
211« foßte ba« faft ober ganj abgelaufene 19. Sahrpunbert noch
mit fcpweren golianten tobtgefcplagen werben, fyit e« ber junge berliner
Verleger Georg Von bi unternommen, nocp iepnen eine Sammlung
bidleibiger Wonograppien über afle 3weige-be« öffentlichen unb geiftigen
Seben« feit hwtbert 3opren erfepeinen ju laffen. Xamit ba« Unter»
nehmen nur ja recht unprafttfep, obenbin unb überflüfjig au«faße, pat
er $um spiritus rector — fein SBortfpiel! — ben rechten Wann ooran»
gefteflt, ben fattfam befannten Vurgtpeaterbirector, $auptmannapoftel
unb Scberetfcbüler $aul Scblentbcr, ber auch biefe fterauSgeberfcpaft
oon ber Vierbanf au« beforgen a« fönnen glaubt, Xaufenb Seiten
Zqct in Groft»Cctaü ober brei Kilogramm Gewicht flehten ben Wit»
arbeitem Oorgefcpricben; wenigften« tbut e« feiner ber bi«per in ber
Sammlung Vertretenen unter 700 Seiten. Natürlich ift folepe« Sllejan»
brinertbum auf Eommanbo auch bem ftngerferttgften Scpneßbicpter un»
möglich, unb fo oerfielen benn VonbUSdjlenther'« ßeute ganj oon felbft
unb gewiß nicht auf Verabrebung auf ba« bequeme 2lu«funft«mlttel,
einfach ihre alten 3 e U«ng$artifel aufammenaufteßen, mit ben nötigen
Uebergängett au oerfeben unb al« aufgewärmte Schüffel bem publicum
nochmals üorjufe^en. So fammelt Vrof. Xpeobalb 3iegler in Straft»
bürg ben wefentlichen 3npalt feiner beutfeben Eulturgefepidjte, fo liefert
$rof. Eomeliu« Gurlitt in Xre«bcn nicht oiel mehr al« einen Neubrud
feiner Nrtifel unb ßunftreferate au« ber „Gegenwart", unb fo ftellt auch
Nicparb W. Weher bloft feine gefammelten Nuffäfce unb Necenfionen au
einer beutfeben ßiteraturgefepiebte jufammen. „SBirtpfcpaft, £>oratio,
SBirtbfdjaft!" Xaft bei einer folcpen Slbfchriftfteßerei Oon einer lünftle»
vifchen Eompofttion feine SRebe fein fann, liegt auf ber $anb. E« fmb
hure Waterialfammlungen, djaottfep, confu« unb Ooßer SBiberfprücpe
unb SBteberpolungen. Xie befte fieiftung ift noch ba« Vud) üon Gurlitt,
weil hier eine ftarfe, eigengeartete, tapfere Verfönlidjfeit bapinter fleht,
freilich ift auch wieber aü^u üiel ermübenbe V*>fcmif au« alten 3*it»
fepriften mit herüber genommen — eben um bie oerwünfdjten 700 Seiten
üertragSmäftig ju liefern! ©anje lange Ejcurfe mit ihren enblofen
Hnefboten unb Eitaten liegen unoerarbeitet unb unoerbaulidj ba, unb
nur ju oft begegnet e« bem fiefer, baft er SBibetfprücpe unb äitgftlicpe«
Scproanfen finbet, wo er ein bünbige« Urtheil fuept. Gurlitt, ber ja
ton Äritif unb Sleftpetif fehr gering benft, macht bann ben Einbrud
eine« launenhaften, unentfdjiebenen, faft bilettantifchen Äunftfreunbe«,
bei beffen Urtheilen, $umal über Walerei unb ^laftif, man immer
wieber baran erinnert wirb, baft er oon Veruf 9lrcpiteft ift unb fiep
eigentlich nur im Vaufacp gana gu $aufe fühlt. Noch fchlimmer tautet ba«
Urtheil über Nicparb W. Weher unb feine „Xeutfcpe Siteratur
be« 19. 3nf)rbunbert«", — Vonbi’« neuefte Ntefenfdjartefe Oon faft
1000 Seiten! Xer ^Berliner ^rioatbocent gehört $u ber Scperer’fcpen
Schule, bie fleh um Erich Scpmibt geflüchtet, unb fein 2Berf fotl be«
fcltmeifter« fitteraturgefchichte, bie mit ©oetbe # « Xob abfcblieftt, ergänzen
unb bi« in unfere Xage fortfepen. ?lber wa« fdjon SBilbelm Scherer troft
aller SReclametrompeterel feiner Schüler n.icbt gelungen ift: bie $opu»
Caritöt feine« Vudje«, fie wirb ber 9kd)fommenbe noch weniger erreichen,
^aju ift fein Vudj ju breit, $u langweilig, ju theuer. 3lucb wiffen»
WaftUcb ift e« unbrauchbar. Um feinen Stoff ju meiftern,_tbetlt Weher
ba« fiiteratnrfäculum einfach in feine einzelnen 3ab^but«, über
jebe« ©apitelbecennium einen möglicbft unpaffenben, aber impofanten Xitel
unb bringt bann bie oerfdjiebenften dichter ber oerfebiebenften Epochen
wie Äraut unb SRüben barin unter, j. V. neben ben Xicbtern be« Vor»
mär* einen ©rotb, ^>ebn, Tagner, ^ebbel, $ rufe, Schad, Sdjerr, ^eßer,
Sontane, Sorban, Stoim, <L ®. Weper — atte im fetben dapitel unb ’
Sabraebnt ber Oierjiger 3abrc! ÖefenSwertb fmb nur bie paar ab*
gerunbeten Üffah« S- V. über Äcffer, gontane, ^Iniengruber; man merlt,
baft fie bei einer früheren Gelegenheit nach guten Vorftubien entftanben
unb wörtlich übernommen fmb. Um fo oerfe^lter fmb bie Urteile über
Hebbel, Uhlanb, SRaabe, fiubwig, Groth, Geibel, Senfen, Xreitfcbfe, für
beren Vebeutung Weper offenbar gar fein Organ befipt. Xann bie
geiftreieb fein fotlenben, immer weit h«9 e ^ olten uni) f cttcn baffenben
Varallelen la Gricb ©cbmibt. Xabin gehört ber Geniebli^ t>on Veiten’«
„materifchem Xob", ber Oiel eher fläglicb unb tragifomifcb war, benn
in grote«fer gurept Oor ber ©h°^era floh ber Unglüdli^he Oon Neapel
nach Sprafu«, wo er bucpftäblicb au« «ngft an einer leichten Grfältung
ftarb. Unb nicht einmal feine SRuheftätte barf man materifcb nennen,
wa« Weper oieUeicht gemeint hat. benn ber Xicbter liegt wopl tm
blühenben Garten ber Vtüa fianbolini, ber ift aber nur ein englifcber
Vrioatfirchhof mit ©anbel«gärtnerei, unb Vtaten^« awei(!) Grabftetne ftepen
an ber Wauer jwifchen lauter gleichgiltigen Wifter« unb Wiffe«. Xaft bie
9?ahel unb fiewatb, §eine unb Vöme, Sluerbad), ßinbau, gulba, Vamberger,
Vranbe«, fcirfdjfelb, ebenfo wie Subermann unb Xehmef(!) al« Gatten
jübifcher grauen überfchä^t werben, ba« wirft um fo fomifcher, al« Weper
gern mit feinem Germanenthum unb fogar „märfifepen 2ocalpatrtott«mu«"
renommirt. 3n ben feftten Gapiteln ift ba« Vucp nur noch ein Sarnmel*
furium Oon Eigennamen, nicht Oiel mepr al« ein Sdjriftftellerlejifon,
wo faft Seber genannt wirb, ber einmal etwa« bruden lieft, unb 3eber
gelobt wirb, ber oon ^ermann Grimm ober Erich Scpmibt empfohlen
ift ober im £aufe Weper Oerfeprt. Unb gerabe h^ c ^» wo e« eigene
Urthett«fähigfeit ju jeigen gilt, tappt Weper faft immer baneben, a* $•
in ber Verhimmelung oon Vuffe unb Stephan George, tfura, Weper^S
Vanbwurm fcplieftt fiep würbig Vonbi’« anberen Unbänben an, unb wir
würben unfere fiefer Oor bem Slufauf .warnen, wenn c« fiep niept um
einen fepon äufterlicp abfepredenben fiabenpüter banbeite.
„Xa« ^eunaehnte Sahrpunbert in Vilbniffen", perau«»
.gegeben Oon farl SBerdmeifter (Verlin, Vpotograppifcpe GefeUfcpaft).
Xa« beliebte Vilbniftwerf enthält in feinen lepten ßieferungen manchen
intereffanten Eparafterfopf in fepöner %u«füprung unb mit guter blogra«
ppijch»fritifcher Erläuterung. Xöir nennen opn «iffenfcpaftlem: Elaube
Vernarb, ben „eifernen ViOifector", Vettenfofer, ben Schöpfer ber mobernen
£>pgiene (Vilbnift oon fienbaep), ©ilpclm VJunbt, SPering. Xann bie
großen Erfinber: Samuel Worfe, ben «utor be« erften Scpreibtelegrappen,
3acquarb, ben eigentlichen Vegrünber ber Xejtilinbuftrie (nach einer
Sponer Sitpograppie). hieran fcpliefteit ftep eine Veipe berühmter gran»
jofen: ber geniale Satirifer unb Volemifer Eoutier, Emil be Girarbin,
ber Sournalift, Scribe, Xuma« fit« (Voiträt oon S*on Vonnat) unb
^llpponfe Xaubet (nach einer eparafteriftifepen Naturaufnahme). Xann
mit einem Sprung in bie neue XBelt bie amerifanifepen ^eerfüprer
Grant, Sperman, Speriban, enblicp ßincoln. $lu« bem jüngften ^eft er»
wähnen wir ben Vhhf l0 ^°fl cn Voi«4Repmonb, gemalt Oon Woj ^oncr,
unb ben mit 37 S^pren oerftorbenen genialen VPhf*f er 8t- na(t l
einer Naturaufnahme. ScplieftUcp noch einige V oc i en ^^ cr: ^«erbaep,
bie Xrofte»$ül«poff, Rialen unb SBilbenbrucp. Wit ber «ufnapme be«
lejrteren oielumftrittenen Xramatifer« ift Äarl SBerdmeifter feinem guten
Vrincip, bie fiebenben niept ober nur in 9lu«napm«menfchen Oon bleibenber
Vebeutung aufaunepmen, untreu geworben. 3 U wenig berüdpeptigt
iepeinen un« bagegen bie Waler unb Vilbpauer. Von Septeren füllten
SBerner unb Vega«, Wenael unb Scpißing niept feplen. 5lucp ^einriep
0. Äleift gepört mit aßen feinen Werfen bem 19. 3nbtpunbeit an.
Digitized by v^.ooQle
352
Die ©egettroari.
Nr. 22.
linseigen.
Btt Btfellungen knuffe man ßdj auf Mt
„flStgtnmarf“.
SBetlag uon Jflofjberg&gltrger itt fetpjig.
Soeben ersten:
i&ZX M|Uf|
tftv Jfrauen unb Binder
flfgtn
BHUfianblimgrn.
§£uf ©runb
amerifaniftber u. europäischer Waterialien erörtert
von
Dr. Bari
Brivatboaenten ber ©taaMtvtff. an ber Uuiv. fietpilfl,
orbentl. SRitfllteb ber internationalen Bereiniqung fiir
vergletcfyenbe ÄedjMiviff. nnb Bol!«n>irtfn<tiaft*le&re $u
Berlin Ultb ber American Academy of Political and
Social Science.
$rri£ 4 Warf.
$>er SSerfaffeT bat üon 11 Äinberfchup=93cr-
einen u. f. ro. in 9?eto ?)orf, SBofton, Sonbon,
$ari8, öerftn, Äcujebltfe, SBien intereffanie
Waterialien befonimen. (£i bebaubeit auch bte
grage be« ©infebreitenä ber £mu$gen offen gegen
begonnene Wifjb<inblungen.
JL JL JL JL JL JL JL JL JL JL JL JL JL
jütiarik
im
Urteil
jriitr
£unbert Oriqinnl»©utaditrn
o. ftreunb u. ftetnb: BjÖrmon
»ionMS Büchner üriSp! Bafcn
Baubet ©gibt) Montane Qkotlj
$actfel vartuiaun fcepfe ior»
ban SHpltng ßeoticavaflo ßin=
bau ßombrofo fRefdufcfierftfi
Äigra ftorbau Oüioier Betten«
tofer ©allSburl} ©tenfieroica
©inten ©pencer ©vielten
©tanteh ©toetfer 6 trtnb 5 erq
©uttner ©ilbenbrud) Hemer
Bola n. V. M.
©leg. geh. 2 SRI. vom OcrUg ber itgmwtfh
Berlin W. 57 .
®erlng üon SöiHjelm in ©erlitt,
©oeben erfd)ien:
$eorg non ^unfen.
©in ©barafterbilb au© bem £ager bei
93efiegten, gezeichnet non feinet Tochter
Pari« tum $ uit fett.
22 Sogen Oftao.
Wit 53uchf(hmucf non Warie noit Sunfen
unb einem Porträt in £>eliograüürc.
©ebeftet 6 W. ©ebunben 7 W.
Stottern
heilen dauernd Dir. O. Deiülardt'f
Anstalten Dresden - Losohwltz und
Burgsteinfurt, West!. Herr! che Lage.
Honor. naoh Hei lg. Prospecte gratis.
Aelteete ataatl. durch S. M, Kaiser
Wilhelm X ausgezeichn. Aust. Deutsch!.
91 fab. geb. 6d)rififtefler, bi§b- publicift.
(liter. Äritif) in Serlin tbätig, energ. geroiffen*
hafte 9lrbeit3fraft, norj. ©prachfenntniffe (fran*
$öfi[ch, «nglifcb), *e*fetter ©tenoaraph,
SHafdiinenfdirei^er (ftammonb), fuept nnt.
befrh. fcnfpr. in MeDatttim, £beatrrfr!rrtariat,
8crl.=©u(hbMß., literar. Snftit. jc. Stellung.
Cffert. an b. ©jp. b. ©egemoart uut. A. (5. |
Berantaortlttb« Hebacteur: Dr. Stoppt! BoUtng tn Berlin
Bad Beinerz,
klimatischer, waldreicher Höhen-Kurort — 568 Meter — in einem
schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Glatz, mit kohlensäurerelehen Eisen-Trlnk-
u. Bade-Quellen, Mineral-, Moor-, Douche- n. Dampf-Bädern, Kaltwasser-Proeeduren,
ferner eine vorzügliche Molken-, Milch- u. Kefyr-Kor-Anstalt. Hochqnellenleitimg.
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmungs- u. Yerdauungsorgane* zur Ver»
besserung der Ernährnng u. der Constitution , Beseitigung rheumatisch-gichtischer
Leiden u. der Folgen entzündl. Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang Hai* Proep. gratis.
Königliches Bad Oeynhausen.
©ommer= u. 9Binter=$hirort. Station
ber Sinien Serllnstföln unb Söhne;
^ilbcÄbcim. ©ommerfaifonü.l5.Wat
bi8 ©nbe ©ept. SEBinterfur oom 1. Oft. biö Witte Wai. ftttrmtttrl: 9faturm. foblenf. X^ermalbüber,
©oolbdber, ©ooLSnbalatorium, SBeflenbäber, ©rabirluft, Webicomecpan. 3anberinftitut, 9löntgeib
fammer, norgügl. Wolfen- u. Wilcpfuranftalt. Mtntd Shftmalhabeband am 15. Wai 1900 erdffart.
Snbifationen: ^rfranfungen ber Heroen, be$ ©ebimS u. SRücfenmarfS, ©iebt, WuStcl* u. ©elenf*
rbeumatiömus, Ö€rjfranfbeiten # ©fropbulofe, 9lnÖmie, ebron. ©elenfentsünbunaen, grauenfranfb. ic.
Inrfapefle: 42 Wnfifer, 120 Worgen Äurparf, dflrne* ftnrtS)(atrr, ©äde, Äon^erte. «flgemeine
9Bafferleit. u. ©cptoemmfanalifation. $ro[p. u. Beitreibung überf. frei bie ÄgL dahehermaltiuii.
„Bromwasser von Dr. A Erlenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheltsersoheinnngen.
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürllehem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von # / 4 1 75 Pf. in
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr* Carbach & Ci©.
mTv.!*/ ^4." v»7 xc 'XX 'Xi?- vhmT'' y* *. ■ -<». ^ -4.,
®ie ©eactmiart 1872-1892.
Um unfer ßafltr 3 « riam», kitte» wir Mifttt« Utoimttitca ti*e gi»pi§r
©elefltnhtil jnr fiennoUftänbtgiuig bet Soüection. @0 »eit ber Sorratb tri^t,
Itcfent mir bie Jahrgänge 1872—1892 & 6 SW. (patt 18 9t.), §a(b)aljr4-
Sftnbe k 3 SW. (fftatt 9 9t.). üebunbene Jahrgänge k 8 9t.
Bcrlag ber ©egenttiatct in Berlin W, 57 .
> TkftrlnfflftkH •
iTedmlkarnJlmenanl
flr liMhlaM- n« IMWt-
ftiltirt,-TMkiEktr i.-W>r ketl»ttr.|
■ Dtreotor Jntm. I
fltdiftlgtc.
9loman
üon
SW* P«lba»tgakt. ~WS
^rciS 3 Warf, ©cpön gebunben 4 Warf.
tiefer 93i8mard=©apriüi=Vornan, ber in
wenigen fünf Ü ar ^ e Auflagen erlebt,
erfebeint ^ier in einer um bie Hälfte billigeren
SBolföauögabe.
S)ur(p alle $8ud)banblungen ober gegen ©in=
fenbung be8 betrag« poftfreie 3ufenbung üom
Oerlag der 6 ege»wart.
»erlin W. 57.
3n unferem »erlag tft erf^tenea:
pir
«UBaggrtfl fSr Sttcratir. Ml u» SaaSB MB
Seieril*|e|iffr 1872 — 1896 .
(Shrfter hid ffinftigftcr Satth.
Wit 9Ja<bträgen 1897—99. ©eb- 5 ui
©in bibliograpljifdjeS 98crf erften
9fanged über baS gefammte öffentliche,
geiftige unb fünfttertfd)e Seben ber lepten
25 3apre. 92otbwenbiged ^acpfcblagebutb
für bie ßefer ber „©eaemoart", fotoie
für miffenfcpaftlidje k. arbeiten, lieber
10,000 fcrtifel, nach 3rdcbem, Serfaffern,
©djlagtoörtem georbnet. SDie Äutoren
pfeubonpmer unb anonpmer Irtifel ftnb
burebmeg genannt. Unentbehrlich für
jebe Bibliothek
9luch bireft gegen $oftamoeifung ober
Nachnahme üom
Üerlaa ber Oegemoart.
»erlitt W 57.
IHebactton unb ©ipebttion: Berlin W. f SRanftetnfnafee 7 . Baut Von ^effe A Bedfer tn Selp»i|.
Digitized by v^.ooQle
M 23.
^SerCirt, ben 9. §uni 1900
29. Jahrgang.
Band 57.
pe dpwrt
Vtodjenfchrift für Siteratur, tuitft uni» öffentliches Seben.
^erausgegeßc« non ^eop^lf ^ottlng.
}rtn imdat trfdjetnt (tu glrasn.
flu bestehen buw$ alle Cu^anbtungen unb ^oftftntter.
Verlag ber ©cgemoart in JBerttu W, 57.
ffermfillrcltdi 4 H. 50 ||f. «tue ftunur 50 Vf.
3nfetate Jeher Ärt pro 8 gesattelte ^ctttgetle 80 $f.
|nh<iß:
5)ie SBorbilöung bcr Cfficiere bc8 beutfdjen £>eere8. 93on ftreibauf. — ®fe 5BoIjItf)ätigfeit tm moberncn Seben. $8on Äarl
oet?ct- (Scblufe.) — Safleijraitb al$ bramatifdjer Stoff. SBon ©ottlieb $>auih.— SSoIf^öorfifcf)ulfurfc unb .ftocbfcfjulbäbagogif.
$3on S JOtaj s D?at) (§eibelberg). — fteuiUetoit. £><%§ Sbid. SSon SouiS Goupevuö. Sluä bem .^oüänbtfdjcn. (Sortierung.)
— Der (MUptftaDt. $>er Zeitige Ärieg. $on Caliban. — Hotten. — ftnjeigeit.
Die Dorbilbnttg bet Affinere bes bentfchen leeren.
®ie ©infchränfung bet SSerabfcEciebung Don Offerieren
wirb bon ben DppofitionSparteien feit Sauren in regelmäßig
wieberfef)renbcn Anträgen im 9leicf)Stage unb in ben Sanb»
tagen einzelner VunbeSftaaten bedangt, unb bie beinotratifche
iJSreffe, ju beren eifernem Veftanb biefe grage rechnet, be=
fchäftigt fidj häufig mit berfelben, inbein fie forgfältig oon
Saljr ju Sa^r bie eingetretenen Vcrabfdjiebungen aufjählt
unb ^Berechnungen barüber anfteUt, wie hod) fid) für baS
Aeidj bie Äoften ber innerhalb einer gewiffen grift erfolgten
DfficierS»fßenfionirungen belaufen. ®aß eine Aenberüng biefer
Verljältmffe wünfdjenSwerth wäre, wirb allgemein unb ge»
miß auch üon ben maßgebenben ®ef)ötben anerfannt, unb
wer eine befrtebigenbe Söfung biefer fd)Wierigen grage ju
finben ber möchte, mürbe fi<h ein großes Verbienft um baS
9ieidj unb beffen ©teuerpflidjtige, ein noch größeres um ben
DfficierSftanb fefbft erwerben. Alljährlich ift eine große
Anjahl bon Dfficieren gejwungen, auS bem ®ienft auSju»
fdjeiben, in einem SebenSalter, weldjeS man mit ben heften
ÜRanneSjahren gu bezeichnen pflegt, lebiglid), um noch jüngeren
Straften Sßlajj ju machen, nicht etwa um baS DfficierScorpS
ju „berjüngen", fonbern um eS nicht alt werben ju laffen.
Aiemanb 6e[treitet, baß fefjon für ben griebenSbienft, nod)
meßt für bie Anforberungen beS Krieges, ein h°h e§
förderlicher 9lüftigfeit unb geiftiger griffe erforbertief) ift,
welches fich iw Allgemeinen bei ben höheren SebenSjaljren
nicht meßr finbet, wenn auch einjelue berühmte Ausnahmen,
Wie SBlücfjet, SRabehfi, SWoltte, baS ©egentheil ju beweifen
fcheinen. 3ebe ipeereSberwaltung, welche nicht für rechtzeitige
Vefcitigung überlebter führet beforgt gewefen ift, h at bie
Unterlaffuhg tljeuer ju bejahten gehabt, fo ißreußen 1806,
Defterreich im fiebenjährigen Strieg unb in ben Kämpfen
gegen grantreich um bie Sßenbe beS 18. unb 19. Sahr»
hunbertS, Defterreich unb feine Verbünbeten im lefcten Kampfe
gegen Preußen, unb ber SBunfdj 9?apoleon’S I., „alte @ol<
baten unter jungen ©eneralen" h Qt heute noch feine öolle
^Berechtigung.
Um bie höheren gührerfteUen mit SJiännern bon nid)t
ju hnh en Saljren unb -bon ungebeugter Xhatfraft beferen ju
tönnen, muß, wie erwähnt, alljährlich ein hoher fßrocentfajj
bon Dfficieren aller ©rabe auS bem ®ienft auSf Reiben, in
erfter Sinie natürlich alle biejenigen, welche an förperlicher
ober geiftiger SRüftigleit eingebüßt hoben, fernerhin aber auch
eine große flaljl fotd)cr Dfficicre, welche bermöge ihrer 'Sang»
lichteit wohl noch weiter bienen fönnteu, aber bei bem großen
SBettbewerb fähigeren ober für fähiger gehaltenen hinter»
männern Sßfa^ madjen muffen, ©in Vergleid) mit ben Vcr»
hältniffen beS SBalbeS liegt nahe: 9iid)t ade gleichzeitig
gepflanjten jungen Säume tönnen fich J u §ochftämmen ent»
wideln; bamit bicS einigen berfelben möglich wirb, muß all»
jährlich eine gewiffe Anjahl bon — an fiel) brauchbaren —
(Soucurrenten befeitigt, unb ben übrigen baburd) Slaum, Stift
unb Sicht jur weiterett ©ntfaltung gegeben werben.
3eber greunb beS feeres wirb ben gcfchilberten liebet»
ftanb bebauern, aber bei ber Unmöglichteit, ihn auS ber
Söclt ju feßaffen, fich darauf befeßränten muffen, übet bie
ÜKittel nachjubcnten, woburch bie fchlintmcn golgen biefer
9?otljwenbigfeit für bie baoon Setroffenen abgefd)Wäd)t werben
tönnen. 3ti bem frattjöfifd)cn .fteere forgt, wie befanut, bie
gefc$lid) feftgelcgte AlterSgrenje in ber SBcifc für beit er*
forbertidjen Abgang an Dfficieren, baß ohne Ausnahme jeber
Dfficicr, bcr in einem beftimmten Alter ben bcmfelbcn ent»
fprcd)etiben ®icnftgrab noch nicht erreicht h«t. aitSfdjeibet.
®ie genannte ©inrichtitng hat ben 9tachthcil, baß auSnahmS»
weife aud) hochbegabte $erfönlid)feitcn jur Unthätigfeit ge»
jwungeit«werben, lebiglid), weil fie ein gewiffeS SebenSalter
erreicht haben. Auf ber anberen ©eite ift mit bem fran*
jöfifd)en Verfahren bcr Sortheil oertnüpft, baß fich Ö er Heber»
gang junt Siuheftanb für ben ©injelnen ohne bittere ©efüßte
uolljicht, baß ber außer $)icnft gcftcHte in ber öffentlichen
Meinung im Vergleich mit gliidti^eren fiämeraben nicht als
minberwerthig angefchen wirb, häufig hört man in Streifen,
welche bem $eere ferner fte|en, ben SSorfcßlag, foldje Dfficiere,
welche für ben näd)fthöheren ®ienftgrab nicht als geeignet
befunben werben, wenigstens in ihrer jeweiligen Stellung fo
lange ju beiaffen, als ihre geiftigen unb förpertidjen firäftc
fie baju befähigen; unb biefer $Borfd)lag hat auf ben erften
SBlid etwas SBeftedjenbeS, in ®ejug auf bie in öetradjt
tommenben ißerfönlidjtcitcn fowohl, wie auf bie ©teuertraft
beS ÜieidheS. Allein eS wirb babei überfehen, baß mit ber
borgefchlagenen äMaßregel ber §auptjwed beS gegenwärtigen
Verfahrens, bie ftetige Auffrif^ung beS DfficiercorpS, bod)
nicht erreicht wirb. Außerbem aber fchejnt es mit bet (Sr=
haltung ber SeiftungSfähigtcit unb SltannSjucht im §eere
unoereinbar, jwei Äategorien bon Dfficieren nebeneinanber
ajifjuftellen, bon benen bie eine bon ber SBeförberung auS*
• gefdjloffen ift, wäßrenb ber anberen bie Streichung höherer
Digitized by v^. ooQie
354
Die tötgentoart.
Nr. 28.
©rate nodj bcüorfleljt. (Sogar bcr ©emeine tit 3f?cit) unb
©lieb wirb bei ber geinfühligfeit, welche er für berartige
Bergältniffe befigt, alsbalb bcn Unterfchieb ber beiben State«
gorien erfennen unb bem üon ber Beförberung auSgefdjloffenen
Sichrer in fd)Wierigen Sagen nidjt mit bemjenigen Bertrauen
folgen, meines unter allen Umftänben ben ©rfolg oerbürgt.
9Utcl) bie ©inheitlidjfeit unb Samerabjdiaft innerhalb beS
DfficiercorpS, beren Bebeutung für bie SeiftungSfähigteit einer
Gruppe nidjt unterfdjägt werben barf, würbe bei ber er«
wägnten 3 tt ?eittjeilung einen unberechenbaren Scf)aben erleiben,
die ©rfagrungen, welche grantreich — auch io Rufjlanb
befielen ähnliche SSerJjältniffc — mit feinen zwei Slrten Oon
Officieren, ben aus bem Unterofficierftanb geroorgegangenen
Croupiers unb ben tjötjer gebilbeten BerufSofftcieren aus ber
S’riegSfcgule, gemacht hot, finb Wenig geeignet, ein ähnliches
Stjftem ber gweitgeilung bei unS ju empfehlen.
©S foll nun berfucht werben, ben gufammengang bet
gefcgilberten Bergältniffe mit ber grage ber Borbilbung
ber Officiere ju erörtern. Statiftifdje Berechnungen ergeben,
bafj non fammtlichen in ben dienft getretenen BerufSofficieren
burdjfcgnittlich 8 / 10 nicht bie IpauptmannSftellung erreichen,
währenb weitere 3 / 10 bor ©rreidjuug ber Stellung als Batail«
lonSführer, unb ein weiteres Biertel bor ©rrcidjung berjenigen
eines RegimentSfügrerS auSfdjeiben, fo bafj bie höhnten Stcl«
lungeit, uont RegimentSfüfjrer einfdjliefelidj aufwärts, nur
bon x / 7 ber Officiere erreicht werben. diefe ßahlcn fegen
bie grage nahe, welches SooS ben bor^eitig auS bem dienft
©etretenen zufällt. die Statiftif giebt barüber feine 5luS«
funft, eS ift aber ju bennuthen, bah bet jüngere dgeil biefer
theilS mit, theilS ohne Ruhegehalt ?luSgefd)icbeneit fich anber«
weitigen Berufsarten unb nugbringenben Befcgäftigungen ju«
wenbet ober im SluSlaitb unb in ben bcutfdjen Schuhgebieten
Berwenbung fucht, währenb ber ältere SLheil, in ber Regel
auf ben rneift unjureidjenben Ruhegehalt angewiefen, nur
auSnahmSWeifc ©clcgenheit finbet, noch einen neuen Beruf
ju ergreifen, ba auch bie pweilen mit ber Berabfdjicbung
ertgeilte üluSficgt auf Berwenbung im ©ioitbienft in ben
meiften gällen eben eine — üluSfidjt bleibt. ^ebenfalls bürfte
eS feine unbillige gorberung fein, bah fi<h bie £>eereSoerwal«
tung auch mit ber ßutunft biefer zahlreichen, gröhtentheilS.
ohne eigenes Berfdjulbeit frühzeitig aus ihrem Berufe ge«
brängten Rfänner ernftlidj befdjäftigt, foll nicht atlmälig ein
^urüdgcljcn im 9lnbrang junger Seute jum Officierftanb fich
fühlbar madjeu. diefe unfidjete ©cftaltung ber ßufunft bet
Officiere legt bie grage nahe, ob igre gegenwärtige Borbil«
bung uor bem ©intritt in baS £eer geeignet ift, ihnen ben
für einen groben dgeil in Betracht fommenben fpäteren lieber«
tritt in einen anberen Beruf ju erleichtern, unb biffe grage
muh für bie SRegrzagl ber Officiere, nämlich für bie auS
bem ©abettencorpS .'peroorgegangeneit unb für bie nach
?lbtegung ber gähnridjSprüfung ©ingetreteuen, berneint
werben. Rur für bie in ber Rfinberzagl befinblicfjen Officiere,
welche baS Reifejeugnih für ben Befuch einet §ocg«
fdjule erworben haben, befteht, OorauSgefegt, bah fie nicht
in einem ju weit borgefchrittenen SebenSalter ftehen, bie ?luS«
ficht, fidj ohne grojje Sdjwierigfeiten noch einem anberen
ihrer Bilbung cntfprcdjenben Beruf jujuwenben. die Bor«
Züge ber ©abettenhauS’Grziegung fotlen um fo weniger
oerfannt werben, als befanntermahen eine grohe 3agt be«
fonbcrS tüchtiger, in Srieg unb griebcit bewährter Officiere
auS bem GabettcnhauS geroorgegangeit ift.. ©in frühzeitiges
©ingewöhnen in folbatifdje ©efinnuitg unb gorm, Orbnung
unb glicht, Bflege bon militärifcher Uebcrlieferung, Samerab«
fchaft unb ©orpSgeift befähigen ben auS ber Gabettenfchule
,<peroorgegangenen in hohem ©rabe, bie bafelbft erworbenen
©igenfdjaften zum Rügen beS IpcereS in biefeS zu übertragen,
ülber audj bie Schattenfeiten ber ©abetten «©rziegung bürfen
nicht unerwähnt bleiben. der Snabc wirb bem ©influjj beS
BatcrhaufeS in einem ?llter entrüeft, in Weldjem bie forg«
faltige, inbiuibualifirenbe, auf baS ©emüth einwirtenbe ©r«
Ziehung Seitens ber ©Item bureg eine, wenn auch nod) fo
gewiffenhaft burchgeführte SRaffenerziegung nicht erfegt »erben
tarnt; er wirb frühzeitig einem, beftimmten Berufe zugefüfjtt,
Währenb er noch flat nicht in ber Sage ift, bie Bor« unb
Radjtgeile ber betriebenen Berufsarten zu beurtfjeilen, unb
für ihn bei bcr Berufswahl aujjer bcr etwaigen gamilien«
Ueberlieferung faft nur nichtige 9leujjerlicf)feiten, ber ©lanj
beS SolbatenrocfeS u. bgl. in bie SBagfcgale faßen lönnen.
Rach mobernen 2fnfcgauungen ift eS überhaupt zweifelhaft,
ob bie üätcrlidgc ©ewalt heutzutage noch berechtigt ift, ohne
Rücfficht auf ben erft fpäter erfennbaren ÜBillen beS Sinke-
bie ßufunft beffelben in eine ganz beftimmte, fpäterhin aber
um fo unsicherer fich geftaltenbe Bahn zu lenfen, ebenfo, »ic
eS am ©nbe beS 19. SäagtgunbertS faum mehr bon ber öffent«
liehen SDteinung gebilligt werben würbe, wenn ©Itern ihre
Tochter gegen ben auSgefprodjenen SBillen ber Segteren jur
Einnahme eines ihr bon ihnen beftimmten ©h e 9 °tten zwingen
Wollten.
Beibe Rüdfidjten, bie freie Berufswahl in gereifterem
SebenSalter unb bie Riöglidjfeit beS fpäteren UebertrittS aus
bem Officierftanb in einen anberen Beruf, würben »efentlid)
baburch geförbert werben, bafe audh beim Austritt auS kr
Gabettenfchule nadj einer Prüfung bem ©abetten baS boll«
gültige R'eifezeugnifj für ben Befuch einer Scodjfdjule, ent«
fprecgenb bem beim Slbgang auS einem ©hntnafium okt
auch Rcalgtjmnafium z« erwerbenben Reifezeugnis, ausgefolgt
Würbe. ®er Sehrplan bet Gabettenfchule muffte biefem Gr«
forbernifj gernäfe umgcftaltet unb ausgebaut Werben, aud) wirb
ZU erwägen fein, ob ber ©intritt in bie ©abettenidjule Z u
©unften ber häuslichen ©rziehung nicht in ein fpätereS Sebent
jahr, baS 14. bis 16., oerlegt werben follte. 3m Rnfcgluf,
an bie borgefchtagenc fßrüfung fönnte bem einzelnen jungen
Riann, welcher nadj feiner eigenen inzwifchcn gewonnenen
©inficht, ober nach berjenigen feines BaterS, ober aber nad)
bem llrtljeil feiner militärifchen ©tzieher für ben militärifcf)en
Beruf in geringerem 3Jtaa|e geeignet ift, bie 2Baf)l einer
anberen ihm mehr zufagenben Saufbahn ohne SBeitereS geftattet
werben, gegebenen gaüs gegen Rfiderftattung ber im ©abetten«
hauS oon Seiten beS ReidjS für ifjn aufgeWenbeten ©Tjic«
hungSfoften.
Rad) biefen ©rörteruugen bleibt über ben zweiten SBeg
Zur OfficierS«Saufbahn, bie gähuridjSprüfung nadj zuöor
erlangter Reife für ^ßrima eines ©hntnafiumS ober Real«
gpmnafiumS, nur wenig zu fagen. 2)aS burch ben Befud)
ber Secitnba unb bie nadhfolgenbe weitere Borbereitung in
einer „fßreffe“ gewonnene SRaaS oon allgemeiner Bilbung
genügt für ben OfficierSftanb heutzutage nicht mehr, um fo
weniger, als bie in ber „fßreffe" meift rafch unb ohne ©rünb«
lidjfeit erlernten Senntniffe, welche lebiglich auf bie ?lblegung
ber nicht allzu fdjwierigen 2fähitrid)Sprüfung zugefegnitten finb,
fich Wohl ebenfo rafch wieber oerflüchtigen, wie fie eingebriDt
worben finb. Riemanb wirb im ©mfte behaupten wollen,
baff bie Senntniffe, welche beim üöQigen durchlaufen eines
©omnafiumS erworben werben, für bie wiffenfehafttidje Bor-
bilbung eines fünftigen OfficierS ein 3 u 0iel bebeuten, im
©egcntgeil, fie genügen nur gerabe, unb burch bie Unter«
brechung beS in fich abgefchloffenen unb abgerunbeten ®pm«
nafial«UnterrichtS oor Beenbigung ber beiben legten Scgul«
jagre entfteht eine Süde in ber Bilbung, bie fich burch fpäteren
Selbftunterrid)t nicht auSfüHcn läfet. der lünftige Officier
foll in bie Schäge beS claffifdjen ?UterthumS fo grünblich
wie möglich einbringen, feine Bhantafie an ben Borbilbent
heroifchcr 9D?annhaftigleit begeiftern unb — um aus Bielem
nur noch ®*uS h etau Szugreifen — feine SRutterfprache an
ber Smnb ber lateinifdjen unb womöglich auch ber gried»ifdjen
fennen unb hanbhaben lernen, ©ine berartig oeroollftänbigtc
Borbilbung Wirb ben Officier in höherem Riaafee befähigen,
ben fegwierigen Aufgaben ber ©rziegung unb üluSbilbung bei'
Digitized by v^. ooQie
;nw
Nr. 23.
Dü töegcnmart.
355
jungen ÜRannfcßafteit gerecht ju werben, unb ißn für spätere
bcfonbere S3erwenbung im dienft als Abjutant unb ©eneral*
ftabSofficier, als Seßrer unb ©rjießer an militärifcßcn S3it»
bungSanftalten u. bgt. grünblicßer üorbereiten.
daß im Ipeere biefe Slnfcßauung jiemlicß Derbreitet ift,
geht unter Anbcrem barauS ßetDor, baß fdjon jcßt ein dßeil
ber ^Regimenter, befonberS biejenigen, weiche ficß beim Dffi»
ciererfah in Folge günftiger ©arnifonSDcrßältniffe eine ftrengcre
AuSmaßl erlauben bürfen, ben Sefiß beS fReifejeugniffeS für
eine ^»odjfcßute als Söebingung beS Eintritts als Sunfer
forbern, abgefeßen Don ben ben ^Regimentern auS ber ©abetten»
fcßule jugewiefenen Fäßnrid)en.
9iad) ben in ben bisherigen ©rwägungen enthaltenen
SJorfcßlägen mürben fünftig ftatt brei nur noch jwei SBege
jur DfficierS»2aufbaßn führen: bic AbfolDirung eines ©ßm»
nafiumS ober fRealgßmnafiumS, unb baS durchlaufen ber
Sabettenfdjule mit ber am @cßluß abjulegenben ^Reifeprüfung
für bie ^ocßfcßule. güt beibe Kategorien würbe fiel) eine
einjährige militärifcfjc AuSbilbung bei einem druppentßejl
anfcßließen, nach beren Seenbigung bie Setreffeitben nochmals
üor bie Frage gef teilt werben fönnten, ob fie bei ber SBaßl
beS OfficierSberufS bleiben ober etwa, unter Anrechnung beS
abgeleiteten dienftjaßreS als ©injäßrig=Freiwilligen=®ienft,
51 t einem anberen Söentf übergehen wollen. 3 m erfteren
Fade würbe fid) an baS in ber Front jugebraeßte Saht eine
etwa einjährige AuSbilbung in ben SRilitärwiffenfcßaften auf
einer KticgSfdjule anjdjtießen, unb barauf nach SRaßgabe
beS ©rgebniffcS ber DfficierS»ißrüfung unb ber freien ©teilen
bic ©tnennung jurn Dfficier erfolgen’fönnen. daß bie Seßterc
fich auf biefe SBeife gegen bisher um 1 / i bis l 1 /., Sahre Oer»
jögert, fann als ein 0 ?acf)theit nicht angefeßen werben. 3 m
SSergleicß mit anberen 93erufSarten ift bie (Streichung einer
jeften, befolbeten Stellung noch eine redjt frühzeitige, unb eS
wirb für ben jungen Dfficier felbft wie für baS £>eer nur
oortheifhaft fein, wenn ber ©rftere in feinen uerantwörtnngS»
ooHen SBeruf ein etwas höheres SRaaß toon Förperlkßer, fitt»
lieber nnb geiftiger fRelfe mitbringt. ^reibanf.
Die tDoijlthätigkeit int ntobernen Ceben.
$on Karl Hoetjel.
(©d)I u&.)
die Urfache aller biefer untogifdjen gcinbfeligteiten
bürften Wir junäcßft ju fueßen hoben in ber ^albbilbung
beS SBolfeS, welches bie ihm meift noch in tenbenjiöfer SBeife
jugeführten SBirtßfdjaftSbegriffe naturgemäß burchauS einfeitig
auffaßt refp. total mißoerfteßt. daß aber berartige lädier»
li(h unlogifcße SSorurtßeile fich f° lange behaupten fonnten,
fdtteint mir auSfchließlich an ber faft DöUigen Abgefcßtoffen»
heit ber üRitglieber einer Slaffe oon benen ber anberen ju
liegen, diefelbe erllärt ficß wohl junäcßft auS bem SitbungS»
unterfeßiebe, bann aber auch aus ber Snbotenj unb bem
fcoeßmutß, bie in ben höhnten (Staffen häufig ju finben finb.
der perfönlicße 93erteßr mit bem nieberen SSolFe erforbert
freilich ein feines dactgefüßl, ba bet ÜRann auS bem Sßotte
fich feßr leicht beleibigt glaubt unb überall erniebrigenbe
tperablaffung üermuthet. ©in löblicher Anfang nach biefer
©eite hin fdjeint oon einer SRicßtung ber Frauenbewegung
auSjugcßen, Welche bafür cintritt, baß ÜRäbcßen unb grauen
ber höheren (Staffen in regen pcrfönlicßen S3erFeßr mit ben
Arbeiterinnen unb SRäßerinnen treten, um beten SBebürfitiffe
auS eigener ©tfaßrung Fennen ju lernen unb fomit wirtfame
Abßülfe ju feßaffen. diefe Sbee ift eine äußerft gtüdlidje
ju nennen, ßunäcßft ßinficßtlicß beS Dielen wirtlich ©uten,
baS auf biefe SSeife getßan wirb, dann aber bebenfe man
nur, wie fo manche junge Derlaffene Seele bureß freunblidje
dßeilnaßnte im geeigneten ÜRomente Dor bem Abftnrj in baS
Saftet gefeßüßt werben Fann. ÜRan mache fich herbei feine
ju fdjleißten SSorfteHungen über bie ©ittlicßfeit ber Arbeiter»
freife. ©in fo grünblicßer Kenner bet Arbeiteroerhältniffe
wie £erfner äußert ficß barüber in feiner nicht genug ju
empfeßlenben „Arbeiterfrage"*) wie folgt: „Unb bennoeß, wie
gräßtieß bie äußeren Sebingungert aueß für bie ©ittlicßteit,
für baS Familienleben unferer arbeitenben ©taffen oft fein
mögen, fo erflärlich fie jebe fRoßßeit, jebe Ausbreitung biefer
Kreife maeßen: immer nod) fteßt ißre burdjfcßnittticße ©itt»
licßfeit überrafeßenb ßoeß über bem SRioeau ber äußeren ©e=
bingungen. Seber, ber einmal einen 93lid in baS Seben
unferer Arbeiterbeoölterung geworfen hat, wirb auf eine Fülle
Don rüßrenben ßügen, ßägen ber Anßängtichfeit, ber §in»
gebung, ber Siebe unb dreuc geftoßen fein." demnach bürfte
atfo ber perfönlicße SBetfeßr mit Arbeiterinnen burißauS nidit
fo abftoßenb wirten unb eßer noeß baju angetßan fein, bic
Achtung Dor einem ©tanbe ju erßößen, ber in fo bebrängter
Sage noch eine folcße Füße braDer, tücßtiger ©cfdßöpfe ßerDot»
gebracht hat, beren dugenb natürlich l n ö ‘ c l ßößerem 9Raße
ein SSerbienft ift, als bie ber ßößeren ©tänbe. ©in berartiger
theilneßmenber, perföntießer Umgang mit ben SRäbdjcn unb
Frauen ber arbeitenben ©taffen ßat aber aud) noch bie große
Berufung, Dielen aKeinfteßenben, pecuniär unabhängigen
damen eine fißöne SebenSaufgabe ju bieten, wäßrenb bie»
fetben bisher ißre innere Unbefriebigtßeit unb baS ©efüßt
ißrer focialen SRußlofigfeit Dielfacß mit meßt ober miitber
riSfanteit äftßetifcßen ober erotifeßen ©jperimenten ju betäuben
fudjen, babei moralifcß oft ju ©tunbe geßen, etßifcß aber
ftctS unauSgenußt bleiben. Unftreitig ift ja eine grau immer
Diel beffer ju praftifeßer atBoßltßätigfeit geeignet als ein 9Rann:
fie erfaßt felbft Alles perfönlicßer unb ßat barum aud) ein
erßößteS SBerftänbniß für bie perföntießen Sebürfniffc Anbcrer.
daßer wirb eine grau einem gefellfcßaftlicß unter ißr fteßenben
SRäbcßen Diel näßer treten Fönnen unb bemgemäß in ganj
anbeter Sßeife im ©tanbe fein, baffelbe fittlicß ju förbern,
als ein gebitbeter 2Rann gegenüber bem 2Ranne auS bem
SBolte. die grauen ber ßößeren ©tänbe finb baßer junäcßft
baju berufen, bie perfönlicße Annäherung jwifeßen ben 2Rit=
gliebern ber Derfcßiebeiten ©efcUfcßaftSctaffen anjubaßnen unb
auf biefe SBeife baS SBorurtßeil ju befämpfen, baS bie ein»
jelnen ÜRitgtieber ber ßößeren ©taffen für baS ©tenb ber
nieberen Dcrantwortlicß maeßen will, dg bie fociale Frage
gewiß nicßt burd) gewaltfame Umwäljung gelöft werben Fann,
fonbern nur auf bem 2Sege ber ©oolution burd) aHmätigeS
größeres SSerftänbniß ber einjelnen ©tänbe für ißre Wirt»
ließen berechtigten Sntereffen, fo bürfte eine mögtidjft weit»
geßenbe perfönlicße Annäherung ber ÜRitgtieber ber einjelnen
©taffen Don bem größten ©influß fein. Ütur auf folcße SBeife
Fönnen biefe eine SBorftellung oon ißren gegenfeitigen Söebürf»
niffen unb Sntereffen erlangen. S$or Adern bürften bann
aud) bie burcßauS unnötßigeu unb ber jeßigeit 33ilbung un»
würbigen geinbfetigteiten, bie ben ©laffentampf fo gefäßrliiß
maeßen unb ungemein hemmen, — §aß unb iReib auf ber einen
©eite, SSeracßtung nnb §ocßmutß auf ber anberen — barauS
Derfcßwinben unb an ißre ©teile gegenfeitige Achtung unb
perföntidjeS SBoßlwoHen treten. diefeS Sbeal Fann nur bureß
eine mögtidjft Derbreitete ©rjießung jur SBoßttßätigFeit in bem
oben gefcßilberten ©inne erreicht werben.
©o Diel über bie SBoßltßätigFeit als ©rjießungSmittel
unb bie ©onfequenjen biefeS ißrincips. SBenben wir nnS
nun jur SBoßltßätigFeit als SebenSjWect unb SebenSfdjmud
für aUeinfteßenbe $erfönlicßfeiten, alfo SBittwer, SBittwen,
alte Sunggefeüen unb alte Sungfern. feoßl ßat man nament»
ließe Seßtere feit Unjeiten jur ßielfcßeibe meßt ober minber
woßlfeiter Spöttereien gemacht, aber ungewürbigt bleibt meiftenS
*) II. Sluflagc. ®ctlin, ©uttcntag.
Digitized by v^. ooQie
356
Die (ftegentoari
Nr. 28.
bie ftiße ®taaif igrer einfamen ©jifteng mit bem 6 ogrenben
©efügle ber ÜRuglofigfeit, üerfpäteten, fjoffnungötofcn @egn=
fucgt«träumen ober gar üöttigcr£>er 3 en 8 üeröbung. ttRaupaffant
ergägtt tu einer feiner SReifterffiggen, wie eine einfame alte
Sungfer in ber Agonie bie Borftettung gat, fie fei Derlei ratzet
unb gäbe ftinber uitb rebc mit biefen. Sgre legten Sßorte
finb: ®u ein ®ucg mitnimmft, bamit ®u ®icg nicgt
erfälteft." — 3lugenfdjeinlicg - fpracg fie 'im ®obe«fampfe
langjährige ftille £)etgen 8 Wünf<ge au«. -2Selcge fragil liegt
in biefer furgen ©rgägtung! ©o ift e« gewijj Ungezählten
gegangen unb geht c« nod) Ungägligen. 3ltten biefen müfjte
geholfen werben. $Run ift aber bie 3(boption eine« ftinbe«
eine foftfpielige ©acge, bie aufjerbem ein Vermögen oorau«*
fegt, bamit aueg in ber golge für ba« Slboptiofinb geforgt
fei. 3lufjerbem ift bamit gleich eine berartige Umwälzung
be« bisherigen Seben«gange« ocrbunben, baß bie an ihren
alten ©ewogngeiten gängenben Bereinfamten fd)on oor bem
©ebanfen baran oftmal« gurüdfcgrcden. Unb bud) fönnte
gier Oiel gefcgegen. ©« müfjte biefen großen Bebürniffen
gegenüber eine Bereinigung gegrünbet werben mit bem ßiele,
bie Gelegenheit gu gwedmäfjiger SBogltgätigfeit 31 t fcgaffen.
derartige Bereinigungen tommen gunäcgft folcgcn entgegen,
benen c« nicht am SBillcn, fonbern nur an ber Gelegenheit
gum SBogltgun fehlt; ferner folcgcn, bie nidjt ©elb geben
“wollen, beffen Berwenbung fie nicht fegen, fcgliejjlicg allen
benen, beren SRittel 311 gering finb 3 U felbftftänbigen 3lu«=
Übung ber ignen 3 ufagettbcn SBogltgätigfeit. gür einfame
Sunggefetten ober alte Jungfern tarne befonbcr« bie an
ftinbern au« 3 uübenbe SBogltgätigfeit in Betrad)t. 3 ui, öcgft
fönnte alfo ber Berein ftaatlicg nntergebracgten ftinbern
Befdjfiger beforgen in bem oben nägcr au«gefiigrten Sinne.
®ann aber fann ber Berein felbftftänbig bie ©rgiegung oer«
waifter ober non igren ©Itern mifjganbelter ftiitbet in bie
fjanb negmen. fRegmen wir an, bafj bie 3 ur ©rgiegung
eine« ftinbe« monatlich erforberlicgen ftoftcn in eingelne 31 n»
tgeilfcgeine getgeilt werben, aßerbingS nicgt 3 U niete, etwa
brei bi« fünf. ®ie 3 e >d)ner ber 3lntgeilfcgeine, bie fid) ba«
mit für eine fReige uon Sagten 3 U bem beftimmtcn SRinbcft«
beitrag Oerpflicgtcn, wäglen au« igrcr ÜRitte ©inen, welcger
bie Gelbeinjiegung, unb einen, ber befonbet« bie Ucberwacgung
be« ftinbe« übernimmt. ®ie Bcrein«oerWaltmtg notirt nur
bie einseinen gälte unb nimmt einen gewiffen ^rocentfag
ber 3lntgeilgaglung für fid) al« SReferoefonb«, um im gatte
bet 3 a gl un ü$ un fägigfcit fine« ber 3lutgeilgeicgner bie einmal
begonnene ©rgiegung in gleicher Steife weiter fügten 3 U fönneit.
■Die betreffenben ftinber fönnten entweber bei einem ber 31 n«
tgeilgeidjner felbft untergebraegt werben ober bei fegt gut
beleumunbeten, in befcgeibeiten Bergältniffen lebenben Brioat«
leuten, benen au« ber anftänbig bemeffenen ißenfion noeg
eine ©rwerbgquctte entftegen Würbe. ®ie ftinber werben
alfo in ber betreffenben gamifie exogen, bie Slntgeilgeidjner
aber oertreten bie ©teile ber Berwanbten, bie bie ftinber gu
fid) einlaben, mit ignen fposieren gegen, fie aueg wogt ein
wenig oerwögnen. ®cnn ficgerlicg wirft e« wogltguenber
auf ben ©garafter, etwa« oerwögnt su werben, al« gar teilte
Berwögnung fennen su lernen. ©0 würbe bie gugenb
mandjc« armen, ocrlaffenen Gefcgöpfe« 00 m ©onnenftragl
tgeilnegmcnber Siebe unb greunblicgfeit beftraglt werben.
®en Sßogltgätern aber, namenttieg wenn e« atteinftegenbe
9Rcnfdjen finb, wirb erft ber tiefere ©inn be« Seben« auf«
gegen, unb igr oorger frcublofe« ®afein ficg reieg unb glücf--
licg geftalten. ®cnn ^eiligere« giebt e« nidjt unb nicgt«
©cgönere«, al« eine junge ©cele gu betraegten, wie fie fid)
allmälig ber SBclt erfdiliejjt, unb ber Blict in ein unfegulb«
uotte«, bantbare« ftinberauge fann in ben oeröbetften fersen
blügeube äRenfcgcnlicbe erweden. ®enfen wir un« biefen
Bcrfegr aueg fortgefegt, nadjbem ba« ftinb feine engere ©r*
Siegung oollcnbet gat unb irgenbwo sur Segre untergebraegt
worben ift. — geg möcgtc gierbei betonen, bajj e« buregau«
untogifdj ift, nieberett ftreifen entftammenbe ftinber göger
au«bilben su laffen. ®a« lognt nur bei au«gefprocgenem
®alent ober Bilbung«trieb. ©onft fommt e« bodj nur barauf
an, bafj ba« betreffenbe ftinb in feinen Streifen ein tütgtiges,
egrengafte« SRitglieb ber menfcglicgen ©efettfegaft werbe.
®arauf mujj uatürlicg bie ganse ©rgiegung oon oorngereia
ginsielen. ®ann aber wirb ber erroadjfcne ttRenfcg fpäter
oiel sufriebener fein in feiner eigenen ©pgäre, al« wenn er
mit ©ewalt in eine gögere oerpflanst würbe, mit ber
nagenben, unau«gefprocgenen ©egam über feine niebrige 31b«
tunft unb ber ©ntfrembung gegenüber eoeutuetten 3lngegötigen.
®icfe« fei nebenbei bemerft, weil getabe gierin oft in btt
beften Slbficgt fegr oiel Ungeil angeriegtet wirb. — Renten
Wir un« alfo ben perfönlicgen Berfegr aueg weiter fortgefegt,
fo ift e« eoibent, welchen wogltguenben ©influfj ber 3lufent=
galt im §aufe eine« gebilbeten SBogltgäter« au«übcn mu§,
namentlicg auf §aubwert«jungen unb gabrif«mäbcgen, beren
Sartere ©eetenbebürfniffe — unb folcge gat ein jebeS junge
©efdjöpf — fo oft bnrd) bie roge Umgebung unterbrütft
Werben, fegr gum ©(gaben ber gangen ©ntwidelung.
• ®a bie Boraugfegungen 3 U berartigen Bereinen überall
reid)lid) üorganben finb, inügten biefelbcn in grofjer 3lngagl
gegrünbet werben, gumal ber Berwaltung«apparat fo un«
enblicg einfach ift. Sn einem fleineu gemietgeten Bureau
ober aud) in feiner ißrioatwognung fönnte ein eingetner Be«
amter täglicg in wenigen 3lrbeit«ftunben bie Berwaltung
felbft einer fegr auggebreiteten Berein«wirffamteit erlebigen,
ba ja nur über bie Besorgung jebc« eingelnen ftinbe« Sud)
gu fügren ift. SJfan fönnte biefe teegnifege ©eite nod) megr
oereinfadjen, inbem jeber £>auptpfleger für ba« betreffenbe
ftinb ein ©pecialbucg fügrt, au« welcgem nur attmonatlid)
einmal in ba« Ipauptbucg Uebertragungen gemaegt gu werben
brauchten, ©olcge Bereine müfjtfcn in gogem ©rabe baju
angetgan fein, ben ©inn für Söogltgun gu oerbreiten, ben
gogen, unuergleidjlicgen ©enug beffelben oerftegen gu legren
unb fomit oerebelnb auf ba« gange Bolf einguwirfen. 9?atüi«
lieg müfjten berartige Bereine im ©tanbe fein, allen Sil«
bung«= unb BermögcnSoergältniffen entfpreegenbe ©elegen«
geiten gu oerfdjaffen. ©ie gätten üor ben bi« jegt beftegenben
Bereinen ben Borgug, bag bei ignen am confequenteften bas
Brincip ber Befcgränfung be« bureaufratifegen ©lemente« gu
©unften be« perfönlicgen burcggefügrt wäre. ®enfcn mir
un« foldje Snftitutionen in öerfegiebenen Sänbern beftegenb,
national centralifirt unb biefe ©entralen wieber gu einem
internationalen Berbanbe oereinigt, beguf« 3lu«taufcg ber ge«
maegten ©rfagrungen, fo biirfte folcge frieblicge Bereinigung
gum 3wede ebler Betgätigung in legtet Snftang aueg ein ■
gut 'Sgeil mitwirfen gut Üeberwinbnng tgöridgter nationaler
Borurtgeile.
Unftreitig ift ja bie SBogltgätigfeit ebenfo international
unb bagcr ebenfo gur Berfögnung nationaler ©egenfäge be«
rufen wie Söiffenfcgaft unb ftunft, welcge bem ©ebanfen ber
Bölferoetfögnung fegon fo eminente ®ienftc geleiftet gaben,
©in jebe« Snbioibuum betradgtet fidj boeg erft al« SRenftg
unb bann erft al« 3lngegöriger biefer ober jener SRation.
®cm SOienfcglicgften im TOenfcgen entfpringt aber ber ®rang
nadg SBogltgätigfeit. — 3lnfänge gu internationaler SBogl«
tgätigfeit fegen wir in ben internationalen 3 lrbeit«conferengen,
wo g. B. aueg bie grage ber grauen« unb ftinberarbeit auf
internationalem SBege geregelt Werben foßte. Setbet fam d
nicgt fo weit. iRegmen wir aber an, bie eingelnen innergalb
beffelben Sanbe« beftegenben SBogltgätigfeit«anftaltcn unb
Bereine berfelben 9tid)tung feien centralifirt, g. B. ©entral«
ocreinigung ber beutfcgeit SBaifengäufer, ber SRettungsgäufer,
ber gürforge für entlaffene ©träflinge, ber Bolf«lungen«
hcilftätten, — fo liegt e« boeg fegr nage, biefe nationalen
©entralen wieber untereinanber gu einer internationalen Ber«
einigung gu oerbinben. ®iefe internationalen ©entralen
müfjten abwecgfelnb jebe« Sagt Oon einer anberen ber natio«
Digitized by v^. ooQie
1
Die ffiegetttoari
357
Nr. 23.
naten Eentralen geleitet werben. SJatürlid) ift ben nationalen
Eentralen, fowie auch ben bief eiben bitbenbcn einzelnen 93er=
einen möglichftc ©elbftftänbigfeit ju gewähren. Die Ipaupt*
aufgabe ber internationalen wäre ber AuStaufdj bcr gemachten
Erfahrungen, möglid)fte pflege perfönlid)er Beziehungen
jwifchen ben Seitern unb Beamten, fowie SluStaufdj berfelben
jum 3wede beS StubiumS befte^enber Einrichtungen unb
ber Errichtung neuer. Sicherlich Würben bann unfere Sirmen*
politifer nicht mehr bariiber ju Hagen haben, baß cS fo nit*
enblich lange bauert, bis eine im SluSlanbe längft mit Er«
folg angewanbte Neuerung im SBohlthätigfeitSbetriebe auch
bei uns befannt wirb. ES fäube Dielmef)r eine beftänbige
gegeufeitige Befruchtung ftatt, unb biefeS fowohl im rein
ted^nifcheit XEjeile ber Derfdjiebeuen beftefjenben Snftilutionen,
als aud) in ber Ausarbeitung bcr Theorien, wobei bann bie
tüdjtigftcn ß'öpfe aller Nationen concurrireu würben. SBie
nujjbringenb wäre j. B. eine internationale Bereinigung für
BreiSauSfdjreiben jur Söfuitg fittlidher, wirthfe^aftlidjer,
roiffenfchaftlichcr unb DolfSfünftlerifcher B r °bleme. 3 U uer*
meiben Wären natürlich alle Dh e mata, bie ber retigiöfen
Ueberjeugung einer ber Stationen ju nahe träten. 3 un äd)ft
würbe eS fic| barum hanbeln, ben in ber jejjigen UebergangS*
jeit oorübergehenb fchwanfenb geworbenen Ela üben an baS
©ute neu ju ftüjjen burch eine praftifdje ©ittenlehre für
baS Bolf mit ©rflärung unb SSiberlegung aller ntobernen
moralfeinbliihen Elemente, ferner wäre es wohl zur B r opa*
ganba beS 3BohlthätigfeitS=©ebanfenS Don großem 2öcrtt)e,
wenn eine Sncpflopäbie ber SBohltfjätigfeit in ber populärften
aller formen, ber Bomanform, gefchrieben würbe, etwa nnter
bem Xitel: „3ur Bertiollfommriung ber menfc±)lie£)eti Baffe."
3um ©tubium ber SBohltfjätigfeit für bie Fachleute aller
Stationen fehlt noch eine ümfaffenbe wiffenfchafttichc „®e*
fdjichte ber SBofjlthätigfeit", wooon auch eine Keine BolfS*
auSgabe ju üeranftalten fei. Anbere für internationale
BreiSauSfdjreiben geeignete Dfj em ata Wären: Erziehung jum
Steidjthum, Ethif beS BeichtbumS, Anleitung jur 3Bohlthätig=
feit, bie Etjieljung zur SBohlthätigfeit, bie SBohlthätigfeit
als flebenSjwecf, BollSfunft, ffinftlerifche AuSfdjmücfung ber
SBoljnungen, bie Äunft als SebenSelement, Ethif bcr ftunft,
ffünftler als fittliche Borbilber k. ferner Wären bie beften
BolfSbüdjer, Erzählungen, Bomane, ©ebidjte aller Stationen
in billigten Ausgaben maffenhaft ju oerbreiten. Eine weitere
fjeroorragenbe Aufgabe Wäre baS BreiSauSfdjreiben Z ur populär«
barftcllung fämmtlicher SBiffenfcf)aften, fowie periobifche Er*
fcheinungen jum ?ßopularifiren bcr neueften wiffenfctjaftlidjen
Ergebniffe jc.
DaS mag Silles wie Utopie flingen, ift aber bod) nur
bie höchft einfache logifdje ©djlußfolgerung beS einen SBoht*
thätigfeitS*©ebanfenS. ÜJtan wenbe nicht ein, baß ber moberne
Ejiftenzfanipf unb baS rafttofe ©treben nach Beidjtfjum biefeS
elementare ©eclenoerlangen herabgebriirtt haben. Dem wiber*
fpricht bie SBahrneßmung, baß gerabe in ben ßänbern beS
brutalften SBirthfdjaftSfampfeS, Amerifa, Englanb unb Deutfdj*
lanb, bie SBohltfjätigfeit zu hödjfter Blütlje gelangt ift.
Amerifa, welches für bas rücffidhtSlofefte Sanb gilt, oerbanfeit
wir nicht nur bie fräftige Beuanregung beS ethifdjen ©e*
banfenS, fonbern cS hat j. B. auch ä u aüererft baS aud)
unS fo quälenbe B r °W em ti on bem Elenb in ber £muS=
inbuftrie mit beftem Erfolge in Singriff genommen. Der
SBofjlthätigfeitStrieb ift eben burchauS elementarer Statur unb
barum nicht §u unterbrüden. SBo er eine 3eit fang unter«
brüdt würbe, fommt er fpäter um fo mächtiger unb fieg*
reicher zum AuSbrud, unb Weber pfeubophilofophifche Ber*
höfjnung^n beS SJtitleibeS nodj auch DiScrebitirnng bcffelben
als Dedmantel für Eitelfeit unb ©enußfudjt finb im ©tanbe,
ben ©eelenruf nach SBohltfjun jum Schweigen zu bringen.
Becapituliren wir. Der Unterfchieb jwifchen ber SBoIjl*
thätigfeit üon [früher unb bcr oon heute befielt barin, baß
heute ber ©taat bie pflege ber pljhfifdjen Botlj feiner Sin*
gehörigen im B r *ucip übernommen hat. Daburd) ift aber
baS Bereich ber ^ßriüatwohlthätigfeit nicht uerengt, fonbern
im ©egeutheil fehr erweitert worben. 3 ur, äd)ft bleiben ber*
felbcit alle bie g-älle oorbehalten, welche fid) bet ftaatlidjcn
Jiirforge entziehen. DeS SBeiteren hat bie prioate SBohl*
thätigfeit bie große Slufgabc, burch pcrfönlidje Slntheilnahine
an ben ftaatlich Berpflegten bie ^ürforge beS ©taateS erft
ZU einer richtigen SBofjltfjat umzügeftalten. Biel mehr zu
wiirbigen ift bie SBohlthätigfeit als Erziehungsmittel, zumal
baS pcrfönlidjc Beifpicl beS SllmofengebenS jejjt wegfäHt.
Sn biefe Erziehung zur SBohlthätigfcit haben fief) Elternhaus
unb Schule zu theilen. Eine berartige Erziehung erweift
fid) als baS befte ©egenmittel gegen oie moralifchen Bor*
urtheile bcr Ehrfurcht Oor bem Bcichthum, ber unlogifchen
Bchanbfung ber Untergebenen unb beS £>affeS ber nieberen
©tänbe gegen bie höheren, ^ierburch wirb eine perfönliche
Slnnähcrung ber SWitglieber ber üerfchiebenen Eiaffen an*
gebahnt, welche bie wohlthuenbften focialen folgen haben
müßte. Sine weitere Aufgabe ber SBoljlthätigfeit ift bie, baS
Sebeit üereinfamtcr SJfenf^en jwedooll unb innerlich glüdlich
Zu geftalten. Schließlich ift bie Sßohltljätigfeit ißreS inter*
nationalen SharafterS wegen in gleicher SBeife Wie Äunft
unb SBiffenfdjaft bazu berufen, bie nationalen ©egenfäfce unb
Borurtheilc auszugleichen. AHeS in Allem ift ber SBohl»
thätigfeitStrieb eine unüberwinblid)e Elementarfraft bcr ©eele,
üergleichbar berjenigen beS Kampfes, ben wir in eiferne
Sfcffel fperren, unb welcher nun in raftloS unaufhaltfamem
greiheitsbrang bie fdjwerfteit Saftzüge über ben Erbball ba*
hinrollt. ®arum bietet ber SBohlthätigfeitSbrang einen feften
moralifchen ©tü&punft; er ift gleich e *uet fidjeren f^anb, bie
fid) aus §immelShöheu uns entgegenftredt, bamit wir, Don
ihr gefügt, glüdlid) bie antimoralifdjen Sümpfe biefer Ueber*
gangSzeit überfchreiten, bem feften Boben einer neubegrünbeten
ethifchen SBeltauffaffung entgegen. —
Äflllehranb als katnaltfther Stoff.
55on (ßotfliet Daum.
Unter ben welthiftorifchen ©harafterföpfen beS 19. Saht»
hunberts ift fanm einer intereffanter, als ber beS großen
franzöfifdjen Diplomaten Dallcpranb*Berigorb. Er ftept auch
nod) heute neben einem Bonaparte, ©oetfie unb BiSmard im
Borbergrunbc bcr wiffenfdjaftlidjcn unb allgemeinen Sluf*
merffamfeit, unb bie ßitcratur über ihn wäd)ft täglich mehr
in’S Biefige. 3?ad)bem feine 1837 erfd)ienenen SJfemoiren
(Extraits) als unecht erfannt würben, hatten feine Dielfach
retoudjirten unb barum auch zweifelhaften SJfemoiren, bie ber
Herzog Don Broglie in ben achtziger 3aljren herauSgab, einen
Biefenerfolg; fie finb in’S Deutfche überfe|t worben. |)ifto*
rifch werthDoller finb bie üerfdjiebenen Bricffammlungen,
bie ißallain unb Diele Slnberc Deröffentlichten. Slbcr auch
bie Siteratur über ihn ift faft unüberfehbar unb zum Dheif
fehr WerthDoU. So Bcrtranb’S ©tubien über bie Sonboner
©efanbtfdjaft, bann bie Derfdjiebencn ißublicationen ber ©räfin
SBirabeau. Sogar Bulwer, SBignet, ©ainte*Beuoe haben
fein ©haralterbilb gezeichnet, unb neuerbingS fdfloffen ficf)
ihnen bie Deutfchen ißrof. 3'ournier in SBien unb ßabt) Blenner*
haffett in München, würbig an. SBir wollen im Badjftehen*
ben Dbrfuchen, nach aH biefen jüngften Duellen fein fchwanfenbeS
Efjaralterbilb neu z« z c ^ nen unb bie taufenb zerftreuten
SWofaiffteinchen zu einem Ipftorifdjen ^ßorträt zufammenzu*
fügen, baS bie bramatifdjen SWomente heraushebt unb mit
theatralifdjer ©chlagfraft wirft. Atfo DaUepraitb als ^>elb
eines Eharafter* unb ©pcctafelftüdS etwa im ©cfdjmad beS
Digitized by v^. ooQie
358
Hie töegcnwart.
Nr. 23.
alten ©arbou, ber fieß ben banfbaren (Stoff bis ßeute, wunber»
lief) genug, ßat entgegen taffen.
©cßon fein allererfteS Auftreten ift wie ein effectüolIeS
©orfpieL Sie ©räfin ©lenorc Don ©erigorb, geborene Mar»
quife be SatnaS, bie burdj ©cßönßeit unb Sugeuben aus»
gejeießnete ©emaßlin beS im ficbenjäßrigen Stiege abwefenbett
©eneralleutenantS, ftanb eben im ©egriffe, in intern (Salon
ju ©ariS ben ©efud) einiger tarnen üom §ofe Subwig’S XV.
ju empfangen, als bie Sßür aufging unb jum ©ntfejjen ber
ßoßen herrfdjaften ein feßmußiger, mit Surnpen befleibeter,
ßinfenber Straßenjunge an ber £>anb eiltet 9D?arineoffijierS
eintrat, welker ben ©ettclfnabcn mitten in ben Salon ftettte
unb golgenbcS fpradj: „Meine ©eßwefter, bieS ift ber birefte
Abförnmlitig ber dürften üon GßalaiS, bie brei golbene, ge»
frönte 2öwen mit ©djwcrtern unb ßerauSßängenbcn 3ungen
im SEBappen, eine gürftenfrone auf bem ©cßitb unb eine
herjogSfrone auf ben Mantel ßaben mit bem SBaßlfprucß:
„Re que Diou" ober überfeßt: ©ott üot 21 Hem! ©orwärts,
mein SRcffe, ©raf Dort ©crigorb-Safleßranb, umarmen Sie
biefe feßöne Same ... eS ift Sßre Mutter!" SiefcS gamilien»
bilb, baS Meifter Scan 3aqueS entjüdt ßätte, ber bamals
feinen „ ©mile" feßrieb, worin bie Mütter, bie ißre
Sinber Ammen anoertrauen, gegeißelt werben, ßatte jur
golge, baß ber öon feinem Onfel in ©efeUfdjaft feines
nießt weniger jerlumptcn MildjbruberS auf fdjneebebedtcm
gelbe aufgefunbene zwölfjährige Snabe üon einigen .Aerjten
unter)ud)t würbe, bie fein gußübcl für unheilbar er»
Härten. ©in gantilicnratß befeßloß, baS ©rftgeburts»
recht feinem jüngeren ©ruber, bem ©rafen Ardjambaub,
ju ertßeilcn, bamit biefer, ber Srabition gemäß, in ben
SBaffcubienft trete, wäßrenb ber als S'rüppel ißm nadjgefeßte
ältere GßarlcS Maurice für bie Sircße beftimmt würbe.
Ser erfteAct: Ser ©ifcßof. 3m Sollege b’harcourt gelang
eS bem ©nterbten halb, einer ber beften ©cßüler ju werben,
©päter, im Seminar ©aint ©ulpice, erregte fein SiSputir»
talent, baS mit feinem feßweigfanten, in fieß gefeßrten JBefen
fcltfam eontraftirte, baS aUgemeinfte Auffeßcit; bodß mißfiel
ben Oberen ßöcßlicß bie Dffenßeit, Womit er feinen Abfcßeu
üor bem aufgejwungenen ©eruf auSfprad). 3m 3aßre 1773
erßiett er bie ©riefterweiße. Ser faiun jWanjigjäßrige Abbe
be ©erigorb würbe halb ©tabtgefprädj. Man faß ißn überall,
nur nießt in ber Sircße. @r antießambrirte bei Miniftern,
intriguirte ju ©etfaiHeS unb amüfirte fieß bet fönigtießen
gaooritinnen. ©ineS AbenbS fragte bie Subarrß, Warum er
fo traurig fei. „Acß Mabamc", erwiberte baS geiftlicße
herreßen, „wie finb boeß in ©ariS bie grauen weit leidjter
ju ßaben, als bie Abtein!" Ser Sönig beloßnte biefe fedc
Antwort mit ber gewünfdßten ©frünbe. ©alb barauf erßiett
SaHeßranb bie auSgejeicßnete ©teile eines ©encral»Agentcn
beS franjöfifcßen SleruS, als welcßer er für 18,000 grancS
©eßalt bie ©inlünfte bet ©ciftlicßfeit oerwalten mußte. Nebenbei
rüftete er ein greibeuterfd)iff gegen ©nglanb aus, für baS
bie ^Regierung fogar bie Sanonen feßenfte, unb naßm es naeß
wie tor in galanten Abenteuern mit jebem 2aien auf,
©idjetieu unb ßaujun inbegriffen, ©o brachte er eS benn
richtig baßin, baß ber injwifcßen gefrönte Snbwig XVI. fieß
cntfdhiebcn Weigerte, ißm ben oafanten ©ifdjofSfiß üon Autun
ju übertragen. ©S genügte ber Atiblicf beS fterbenben ©eneral»
teutenantS be ©erigorb, ber fieß als leßte ©nabe jenes ©iS»
tßum für feinen Maurice erbat, um bert fdjwacßen Sönig
aueß ßier umjuftimmen. Ser Abbe be ©erigorb warb jum
©ifcßof üon Autun geweißt, üier Monate fpäter oertrat er
feine ®iöcefe in ber SReießSüerfammlung.
®er eßcmatS junge unb muntere Abbe, ber einft mit
furjem SDJantel unb toefigem $>aar ben tarnen im ©arten
beS Sujembourg naeßlief unb mit ben ©rifetten fdßäferte, war
ein gefeßter günfunbbreißiger geworben, ber für noeß älter
gelten fonnte. ©oit feinen ßageren SBangen wid) ber legte
Abglattj ber rofigen 3ugenb; fie naßmen jenen bleicßen, ab»
geftorbenen Son an, ber fieß auf feinen ©ortraitS aus allen
SebenSjaßren bemerfbar madßt. ®ie „arrogante", etwas auf*
geftülpte SRafe war feßtanf geworben, unb bie feingefeßlißten
Lüftern üibrirten nerüöS. Sie enblofe ©time jeigt ftßon
jeßt jene oeraeßtenbe gälte, üon ber ©eorge ©anb fpäter
fprad). ®aS ©ßarafteriftifdße war feine conoeje, feßmale,
faßenäßnlicße Oberlippe, bie fieß mit ber biefen, ßängenben
Unterlippe eines ©atirS bereinigte. ®ie Augen waren üon
ßeller, burdjficßtiger ©läue, unb ißr berüßmter fReptilienblid
feßien falt, gleicßgiltig, inbolent. ®ie ganje gigur lang,
ßager, baS Sbeal eines SRepßifto, nur baß fieß baS ®iabolifeße
feines SEBefcnS ßinter ber üerfiißrerifcßen SRaSfe eines SBclt*
manneS unb bem würbigen Ornat eines ©ifdjofS üerbarg.
©eine haare bufteten üon taufenb SBoßlgerüeßen, feine
SBangen glänjtcn üon gettfeßminfe, fein ganjeS ©eßaben
atßmete SBeltluft, Soüialität, SiebenSwürbigfeit unb arifto»
fratifeßeit ©eßliff. 35ie feinen, woßlgepflegten hänben ßatten
offenbar meßr in SBßiftfarten, als im Sreüier geblättert. 3u
ben crnftßaftcften Singen fanb er ©elegcnßeit ju einem
SBiß. ©eine geiftlidjc 9?olIe fpielte er mit ©rajie unb oßnc
Salbung unb Augcitücrbreßen, unb boeß imponirte feine eie»
gante grömmigfeit bem gemeinen 2Rantie, wie bem Höfling.
©eltfameS 3 u f amTnen * rc ff en I © e * n ©orgänger im Autuner
©if^ofSfiß war SRoquette, baS Urbilb beS Sartüffe! 2Wit
fRecßt ßeißt cS baßer in einem ©pigamm ©ßcnier’S:
„Tartuffe est le portrait de l’un,
Ah! Si Moli^re eüt connu Tautre!*
2luS Snbolenj unb gaulßeit lag er oft ganje Sage ju Sett,
bann burdjwacßtc er wieber bie SRädjte, um einen Hirtenbrief
ober eine Senffdjrift jn bictiren. ©etreu feinem ©runbfaße:
nießts fetber ju tßun, waS burdj 2tnbere gefdßeßen tonnte,
begnügte er fieß, bie ©laborate feiner Mitarbeiter mit be--
WuubernSwertßem ©cfdjid ju rebigiren. SEBaS er üon ftnan»
jieQen Singen Wußte, ßattc er weniger burdj ©tubium er»
worben, als gatßfennertt abgeßoreßt, weßßalb man ißn, gleiß
Mirabeau, als ©lagiar üerfeßrie. ©ein Müßiggänger»
SEBaßlfprud) ßieß: Pas trop de zele! Sodj ßatte er fofort mit
Wünberbarent Snftinct erfannt, WaS bem ruinirten Staat
fromme, unb gleicß in feiner erften SEBaßtrebe fpraeß er nießt
üon ©ölferüerbritbcrung, ewigem grieben unb anberen lanb*
läufigen ©d)lagWorten, fonbern empfaßt für concrete Miß»
ftänbe concrete ©erorbnungen: ©leidjberetßtigung Aller oor
bem ©efeßc, ©reßfreißeit, Steuerreform, ginanjwcfen mit
öffentficher ©ontrole, 3°öf re iße^it innerßalb beS SanbeS u. f. ro.
©cßon ber geniale ©erfaffer ber Laisons dangereuses, ©ßober»
loS be SacloS, jäßlte ißtt ju ben bcbeutenbften Staatsmännern,
üon benett fieß in ber neuen ©eidjSüerfammtung ©roßcS er*
Warten laffe, aber nur, wenn er nicht bem ©eifte feiner Sfaftc
folge. 2lbet biefe ©efaßr beftanb nießt: ber Abel ßatte ißn ja
wegen feiner Mißgeftalt auSgeftoßen, unb in ben Sicnft ber
Jtirdje war er gejwungen worben, ©r rädßte fieß an ©eiben,
©ein Snftinct witterte bie 3ufunft beS britten ©tanbeS, ber
naeß bem ©orte feines ©oUegen ©ießeS AHeS bebeuten fofl.
©r feßloß fieß ißm an. Am 22. 3uni 1789 gelang ißm
bie ©ereinignng feiner geiftlicßen ©tanbeSgcnoffen mit ben
bürgerlicßen, unb bamit war bie Madjt beS Abels gebroeßen.
3n einer ÜRacßt Würben alle ©riüilegien ber Sunfcr ßin*
Weggefegt unb in Sallcpranb’S gaffung bie Menfeßenreeßte
proclamirt. Sann redjnete er mit bem ©leruS ab. ?lm
2. SRoüembcr beantragte er, allen geiftließen ©runbbcfiß als
ÜRationalgut ju erflären; bann feßlug er baS ©rjbiStßum
©ariS auS, fegte bie ©iüilconftitution beS ©leruS bureß unb
beftieg am g e fte beS 14. 3uli 1790 mit ©capulier, Mitra
unb ©tab, an Safapettc üorbei, bem er jurief, ißn ja nießt
latßen ju maeßert, bie ©ftrabe int SDcarSfelbe, üon wo er in¬
mitten breißunbert weißgeflcibeter unb breifarbig umgürteter
©riefter mit patriotifeßer ©erftßWcubung ganje Ströme üon
ABeißwaffcr fegnenb auf baS befreite ©ol!, bie üerbrüberte
Digitized by v^. ooQie
Nr. 23.
Die ©egenwart.
359
Slrrnee unb ben ganzen $of perabfanbte. ©r patte fiep alfo
audp an ber Slircpe gerächt, unb eS üerfcplug ipm nidjtS, bafe
ec feines bifcpöflicpen 9lmteS enthoben unb ejcommunicirt
würbe.
Son nun an mar aß’ fein Streben barauf gerietet,
ben getocfenen ©lerifer oetgeffen ju mailen unb ben SBiirger
peroorjufepren. 3m herein mit SDiirabeau unb ©icpeS trug
er am meiften bajn bei, bem SSotf in ber Sammet jum ©iege
ju Oerpelfen. ®ie Sbee einer 9?epubltf, bie bamatS ermiefener»
mafeen nur in ppantaftifcpen Söffen fpufte, tarn ipm ebenfo
wenig, als SRirabeau ober ©iepeS. ©ine Nepräfentatio»Ser»
faffung mar fein ganzer ©unfcp. ®afe ber ftets oerfdpulbete
SRirabeau in geheimen Schiebungen jum §ofe ftanb, b at *e
bet fcEjlaue Saßepranb oiefleiept erratbett; fo mürbe ficb
wenigftenS ßRirabeaü’S inftinctioe Abneigung Oor bem Gj»
bifepof er Hären. 91(3 einmal Saßepranb auf ber Tribüne
gemiffe Sepauptungen ßRirabeau’S miberlegte, (prang biefer
plöplidp bott feinem ©ipe auf unb fc^rie: „©arten ©ie!
Scp merbe ©ie in einem Circulus vituosus erbtücfen!" —
,,©ie," manbte ficb & er febagfertige Saßepranb gegen feinen
Unterbrechet, „hätten ©ie etma Suft, miep ju umarmen?!"
?l(S SRirabeau plöplicp erfranfte unb febon in ben erften
Slpriltagen fterbenb am genftcr feines fwufeS in ber ©pauffee
b’9lntin lag, liefe er Saßcpraub rufen. ©aS ba oerpanbelt
würbe, bot Niemanb erfahren; boep ftebt fepon bie Spatfacpc
beS erbetenen SefucpS mit ber auSgefprengten gäbe! in
©iberfprudj, bafe ber fiep burep feine Unterpanblungcn mit bem
.£>ofe comproinittirt glaubenbe Saßepranb ben SRitmiffer bei
einer Partie carree üergiftet pabe, morauf SRirabeau mit ben
©orten geftorben fei: „Der ©cpurle Saflepranb pat wir baS
lepte Sränflein gewürjt; feine Waitreffe mag ©uep baS
Uebrige fagen." Einige 'Jage fpäter mürbe er a(S ©irector
beS einflufereidpen ßRunicipalratpeS oon ißaris SRirabeau'S
Nacpfolger.
Son bem Serbacpt, an ber mifelungencn gludjt beS
ftönigSpaareS mitgernirtt ju paben, reinigte fiep Saßepranb
jur ßufriebenpeit ber NationalOerfammlung; es ift aber
toaprfcpeiulicp, bafe er barunt gemufet pat. 9HS er bann
fepmere Serwideluitgen DorauSfap, begab er fiep naep Sonbon,
opne 3 lDC *f e l in biplomatifcper ©enbung, obmopt eS amtliep
bementirt mürbe. @S panbelte fiep oermutplicp barum, mit
©ngtanb eine 9lflianj ju fcpliefeen, fei es jum ©cpupe
ber franjöfifcpen Srone, fei eS jur Neutralität bei bem
fepon beftploffeneit Sriegc mit Oefterrcicp, morin man baS
einjige ÜRittel fap, granfreiep auS ben inneren ©irren
ju retten unb ben Sönig oor ben ©infliifterungcn ber
©migrirten unb beS ©iener £ofe3 fieper ju fteßen. £>ocp
biefe unb eine jmeite SRiffion Saflepranb’3 patten feinen
©rfolg, meil ber §of öon @t. SameS ben „unmoralifdpen"
©jrbifcpof „fdpnitt", unb meil ber Serlauf bet Singe in SßariS
jeben franjöfifcpen 9lgenten biScrcbitiren mnfete. SRittlertoeile
war in ben Suilerien ein ipn compromittirenbeS ©epreiben an
ben Sönig gefunben morben, fo bafe ber Gonbent eine Sin*
flage gegen ipn. erpob unb ipn auf bie ©migrantenlifte fepte.
Saßepranb blieb alfo nicptS 9lnbere3 übrig, als nacp'ülmerifa
ju reifen.
Obmopl ©afpington ipn „aus Semeggrünbeit politifeper
Natur" niept empfangen woßte, fo mar boep feine 9lufnapme
in ben Sereinigten ©taaten eine faft fcpmcicpelpafte. Sort
traf er ben ©pebalier be Seaumep. Sic beibeit greunbe
trugen fiep mit |>anbelSpläncn unb ftanben im Scgriff, einen
Dftinbienfaprer auSjurüften, als bie Nacpricpt oom lEobe
®anton’S unb NobeSpietre’S unb furj barauf bie ©rlaubnife
jur ^eimfepr 2aßepranb bemog, ben borauSficptlicp reactionären
Nüdfcplag ju benupen unb noep einmal auf bem politifepen
©epauplap naep ®lücf unb Nupm ju traepten: Surj bor
bet Stbreife fpajierten bie jmei greunbe auf bent ^>afen»
bamm bon Nem=9)orf, als $aflepranb plöplicp ftiße ftanb,
feinem greunbe fdparf in bie 9lugen fap unb fagte: „Unfeliger,
®u traepteft mir naep bem Scben unb mißft midp in’S ÜReer
ftofeen." Seanmep erbleicpte unb gab jurücf: „Sa, cS ift
mapr; biefer ©ebanfe befepäftigt miep feit geraumer
bis jept miberftanb tep ipm, aber id) moßte ipn gerabe in 9luS»
füprung bringen, als ®u ipn errietpeft. ^öffentlich ift biefe
fije Sbee für immer aus meinem ©eifte berbannt." Dpne
3meife( ftireptete ber reactionäre greunb, Saßepranb gepe
naep $ranfreicp, um bie Umfturjpartei ju berftärlen, in ber
er granfreicpS SRuin fap. Swmerpin mürbe Slaflepranb in
ber Näpe bon Seaumep unbepaglid). ©r fanb einen Sor»
manb unb liefe ben ungemütpticpen ©efäprten aßein abreifen,
unb feltfam: ber ©egler, auf bem Seauntcp fiep eingefepifft,
ging unter mit ÜRanu unb SRauS, mäprenb ^aßcpranb
im Suni 1796 moplbepatten in Hamburg anlangte. I
®er jmeite Stet: Sonaparte. Naep einem Slbftcrfjer
über Serlin erftpien Saßepranb mieber in ißariS, als fid)
ber Subei über ben ©rfolg ber franjöfifdjen ©affen in bie
greubenbejeugungen 9111er über baS ©nbc bet ©cpretfenS*
perrfepaft mifepte. ©ine ungebunbene ScrgnügungSfucpt er=
madpte mit bem ©efüple ber ©ieperpeit. S)ie ©öttin ber
Sernunft mürbe peintlicp auSgelaept. ®ie fepmärmetifepen
Upeoppilantpropen piefe iaßeptanb einen Urupp ©pipbubett:
filoux en troupe, unb fein ©ip mürbe aflentpalben mieber»
polt. S)ic oberen ©(piepten napmen naep unb naep mieber
ipren $ßlap in ber ©efeßfepaft ein, unb bie Jeunesse doree
trat an ©tefle ber fepmupigen unb ungefämmten Glubbiften.
Sn ben neu eröffneten ©alonS füplte fiep STatlepranb fepr
bepagliep. ®ie ©ipe unb ©alanterien beS Slbbe oon ©aint
$)eniS unb fpäteren SifepofS oon ?lutun patten fidp über bie
reoolutionäre ©ünbflutp pinübergerettet, unb naep feiner Sit»
ftitutSrebe über bie Golonifation, morin er jum erften SRal
bie Slufmerffamfeit feines SanbeS auf ©gppten unb Sllgier
lenfte, munberte fiep Niemanb, als brei ©odpen fpäter baS
9Rinifterium beS 9luSmärtigen ipm jnfiel. ©äpreitb bie
©tael biefe ©rnennung mie Xaßepranb’S 9lmneftirung unb
©apl in’S Snftitut auf ipren ©influfe juriidfüprte, erjäplte
Xaßepranb bie unmittelbare Seranlaffung baju in feiner
launigen ©eife. oiel gcntütplidjer: „Scp fpeifte bei einem
greunb unb fanb bafelbft, aufecr grau uon ©tael', SarraS
unb eine Heine 3°Pl ^auSfreunbe! ©in junger greunb oon
SarraS mar oor Xifep in’S Sab gegangen unb ertrunfen,
unb SarraS, ber ipn fepr liebte, jeigte bie gröfete Setrübnife.
Sdp tröftete ipn'— mar icp boep feit meiner Äinbpeit in
fold)en Gingen geübt! — unb fupr mit • ipm in feinem
©agen naep S ar '3 jurüdf. Salb naepper mürbe baS aus»
märtige Winifterium frei. SarraS mufete, bafe mir bie ©teße
ermünfept mar, nnb ®anl meines alfo ermorbenen ©influffeS '
mürbe fie mir ju Xpcil."
9lber bie Urfacpe lag tiefer, als in SarraS’ ®anfbar*
feit für $aflepranb’S SCroft. ®ie Sage beS SMrectoriumS
mar in golge ber immer ftärferen Neaction gefäprbet. @S
beburfte eines gefepidten Diplomaten, um bie Unterpanb»
lungen mit ©rofebritannien unb Oefterrcicp junt erfpriefe»
lidpen Gnbe ju füpren, unb einer energifepen gauft, um ber
Dppofition bie ©emalt ju entreifeen. 9Rit einem Slid burep»
fepaute Xaßepranb bie Sage unb rietp ju einem ©taats»
ftreiep. Sn ber Spat fteßte fitp SarraS an bie ©pitie ber
idrmee, napm feine Ipauptgcgner ißicpegrn unb Sartpeleinp
gefangen unb trieb ©arnot in bie glucpt. 9lber nod) immer ge»
lang eS Xafleptanb nidpt, ben ®emofraten Sertrauen einju»
flöfeen, unb als er oon Neuem angegriffen mürbe, gab er
feine ©ntlaffung. Netobefl, ein SNitglicb beS ©irectoriumS,
fdjrie ipm oon ber Tribüne ju: „geiger ©migrant, ®citt Ser»
ftanb ift ebenfo Iruntm, als $ein Sein!" 91 ber Siaßepranb
räcpte fiep, benn als furj barauf ber fdjielenbe Nembcß ipn
fragte, mie bie ®inge gepen, antmortete et ipm: „Scrfeprt,
|>err, mie ©ie fepen!"
Üaßepranb befplofe, baS bereits manfenbe S)irectorium
ju ftürjen. @r braudpte einen SNann ber Spat unb patte
Digitized by
Google
3G0
Die töesenwart
Nr. SS.
bereits feine SBaljl getroffen. AIS ©onaparte plöfelicf) mit
llcbcrtrctung ber 0,uarüntaiiic*©efe|jc feine Armee oer liefe
unb in ©ariS erfdjien, ba gelang eS if)m, SiepeS mit ©ona*
parte ju oerföfjnen. Sic Stepubli! enbete unter ben Streichen
beS 18. ©runtairc. Sm ©amen ber einen unb unheilbaren
©epublif mürbe ©onaparte erfter (Eonful auf jefen Satire
unb Satlepranb ©Zinifter ber auswärtigen Angelegenheiten.
Sein Salon mürbe halb ber .frauptfainmelplafc ber bornehmen
ober cinflufereidjen ©arifer 2Bclt. Obgleich SaKepranb ein
grofeeS ^HUtStocfen führte, fo mar er fetbft immer bon auS*
gefudjter (Einfad)f)dt. ©eroöhnlid) trug er an (Empfangs*
abenben einen langen, bis h°d) hinauf jugefnöpften blauen
grad. ©Zit ben Saferen mar fein „flediges 2eicf)engefid)t"
noch fahler gemorbcit, bie mulftige Unterlippe noch oeraefeten*
ber. Srat ber angemelbetc ©oft ein, fo feinfte er ihm ent*
gegen, mechfelte einige SSorte mit ihm unb Hopfte fid) babei
mit betn Äriitfftod auf feine ©einfefeienen. ©Säferenb bis
bahitt eine gefellfchaftlichc ©leicfehdt regierte, bie feinen ©ang*
unterfd)icb juliefe, fo bafe j. SB. in ben SalonS bie Zünftler
mit ben ©Ziniftern berfehrte, fo änberte SaHepranb bieS ©er* i
hältuiS juerft. 3 lt rinem iit feinem £>otel gegebenen Salle |
waren bie länger unb Sänjerinnen ber Oper in grofeer
A tippt eingelaben. AIS fich aber bie (perrfefeaften pm Souper
begaben unb ©eftriS unb feine Sättjer ben oornefeniften 'Samen
ben Arni reichen mollten, ba liefe Satlepranb bie Zünftler
miffen, ifer Sifcp befinbe fid) in einem anberen Saale. Siefer
gatl, ber bamals Auffehen erregte, mar aber nicht etma eine
berechnete Unhöflichfeit, fonbern eine inbirecte Scction, bie
SaUepranb ©onaparte erteilen mollte, ber furj juoor bei
einem gefte in ©crfaiUeS bie Scfjanfpielerin gontat ju Sifd)
geführt hatte. SaS Staatsoberhaupt befolgte ben SEBinf feines
©ZinifterS nur atlju gelehrig. SSier ©conate fpäter mufete
Satlepranb waprenb eines ©ala*SincrS hinter bem Stufelc
beS A'aifcrS fielen!
Set ©Zaun ohne ©orurtpeil hatte übrigens bie arifto»
fratifdje Neigung jur (Eitelfeit unb Ueberfeebung. Sie
StanbeS* unb ©angunterfepiebe hielt er genau ein, fogar bei
Sifcpe. ©Zan crjäfelt, er habe baS gleifcp immer felbft trän*
chirt unb fich bann in fofgenber Drbnung an feine ©äfte
gemenbet: „$err Ipcrjog, mürben Sure Roheit mir bie (Epre
erroeifen, ein Stüd gilet bc ©oeuf anjunefemen? — ©Zein
gürft, habe ich bie ©fere, Sfenen mit gilet be ©oeuf auf*
märten ju bürfen? — §err ©ZarquiS, ermeifen Sie mir bie
(Epre, non biefem gilet be ©oeuf ju foften? — fterr ©raf,
habe ich baS Vergnügen, Sfenctt mit gilet be ©oeuf aufp*
märten? — §crr ©aron, motlen Sie gilet be ©oeuf? —
Äatn er pm einfad)en ©Zonfiettr ganj p unterft am Sifdje,
fo Hopfte er mit ber ipanb auf feinen Seiler, fijirte ihn fo
lange, bis biefer merfte, bafe ber ©aftgeber fich an ihn menbe,
unb tief in fragenbem Sone blofe: „Soeuf?"
©ur rcer oon Abel, mar für ihn „quelqu’un". - Sie
ftitnblid) aus bem ©oben fdjicfeenben (Emporfömmlinge lachte
er heimlich aus unb pflegte oon ihnen p fageit: ,,©Zatt fiept,
fic gehen erft feit Ammern auf bem ©arquet!" Soch felbft
fein eigenes ,f?auS oerfeponte er nicht mit folcpen Redereien
unb betrachtete eS als eine (Eprenfadje, übet bie ältere ßinie
ber ©erigorb’S p gebieten. AuS biefem ©runbe liefe er ben
dürften oon (EpalaiS, ben (Epef feines Kaufes, pm (Eontman*
bauten eines Ä'üraffierregimentS unb beffen SReffen pm (Som*
manbanten ber ffirigobe ernennen, p melier jenes Regiment
gehörte, fo bafe alfo fein ©ruber unter bem ©efepl eines
©liebes ber jüngeren Sinie ftanb. ©ne fpäte ©adje für
feinen ©erluft ber (Srftgeburt! Sa, einmal beroieS er, bafe
er bie ©onaparteS als ber ©erigorb’S unmürbige (Empor*
fötnmlinge betrachtete. Napoleon wollte fein $auS mit oor*
nefemen ®efcpled)terii oerbinben unb münfehte eine ^eiratp
jwifchen feinem ©ruber Sudan, bamaligem ©Zinifter beS
Sitncrn, unb ber (Eomteffe Stefanie be ©erigorb. SSährcnb
Saüchranb biefem ©lan anfepehtenb günftig mar, oermählte
er ©? ela nie in aller ©le mit einem tfterjog oon ©oaiHeS.
Natürlich ermangelte er nicht, bem aufgebrachten erften (Eonful
ju oerfichern, eS fei gegen feinen SBiuen gesehen.
©ei bem fcfeönen ©efchfechte galt Sallehranb für einen
„AUbefieger in ber Siebe", unb bie geiftreidje ©erfafferin ber
Memoires d’une Contemporaine, Sba be Saint*@lme, erflärte
feinen ßauber mit feiner „fcheinbaren 2eidjtigteit, bem unbe*
flimmerten Laisser-aller in mistigen ©efchäften unb ber Auf*
merffanifeit, ja faft ©efpanntheit, momit er auch in ber un*
bebeutenben Sntimität p hören unb p reben oerftanb." Sie
mar ebenfalls bie §elbitt einer galanten 2aune SaHet)ranb’S,
bet einmal ihre ^»aare jerjaufte unb roieber in Drbnung
brachte, inbem er als ©apiUoten — SaufenbfrancSnoten
Dermenbete. Sie blonbe Sba bemerfte eS unb hielt ihm, mie
er felbft erphlt, noch eine Sode unb noch e i ne h' n m it ben
SBorten: .Monseigneur, en voila encore une!“ Um jene
3eit loderte fich auch fein ©erhältnife p grau oon Stael.
©neS SagcS fafe er fcufjenb jmifchen ihr unb ber fRecamier
— „entre l’esprit et la beaute, mais sans posseder ni l’nne
ni l’autrel* aber halb ging er in baS 2ager ber nicht weniger
geiftrqichen Sulie über, maS er ber Stael auf feine SBeife
p merfen gab. „SBeldje Oon unS ©eiben mürben Sie retten,
menn mir bem (Ertrinfen nahe mären?" fragte fie ben ab*
trümiigen Siplomaten. „Natürlich grau ©ecatnier", war bie
trodene Antwort, „benn Sie föntten ja fdjwimmen!" AuS
fRadfec jeichnete bie ©erfafferin ber „Sclpljine" in biefem
Üiomanc fid) felbft als Sitelhelbin unb Sallehranb als
SWabatne be ©ernon, maS hinwieber ben 31?inifter p bem
pteibeutigen Drafel Oeranlafete: „2iebe greunbin, man oer»
fichert, bafe mir bort ©eibe, Sie unb ich, als grauen Der*
Heibet finb!" ©eroife mochte bie geniale Sodjtcr SReder’S fpäter
ironifch an fein graufameS: „Vous savez nager!“ beiden,
als ber ewig ©erftänbige eine anbere grau, bie aUerbingS
manche Schiffbrüche beftanben, roirflich „rettete".
(Sr mar 9J?inifter, als er ©Zabame ©raub fennen. (ernte.,
SochteP b^S ,*pafencapitänS Oon ©ottbi^erp, mar fte mit einem
Schwerer oerpeirathet uttb bann bie ©eliebte eines geiftreiepen
SnglänbcrS, beS muthmafelid)en ©erfafferS ber SuniuS*©riefe,
Sir ©fpftPP grancis, ber in leichten 2iebeSabenteuern eine
amüfante Ablenfung oon feinen Streitigfeiten mit bem inbifdjen
©eneralgouoerneur Raftings fuchte. Sie fcfeöne Snbierin
liefe fich aber oon einem anberen Anbeter nach (Europa ent*
führen, fam ohne alle Subfiftenjmittel nach ©ariS unb mürbe
fogleid) ber ©olipi auffällig, bie in ihr eine englifcpe Spionin
Oermutljete. Auf ben ©atp einiger um ihre Sicherheit bc*
forgter greunbe fuhr fie in’S ^totel ©aHifet unb üerlangte
beit SJZinifter beS Auswärtigen ju fprechen, bem fie intereffantc
SOZittheilungen ju machen fyabt. (ES mtir jeh n Uh r ©achte.
Sie Hagte bem aHmächtigeu SaHepranb, welchen ©erfolgungen
unb 2ebenSgefahren fie auSgefcpt fei unb bat um ein Aft)l.
Ser SDZinifter fürchtete fich P compromittiren, aber ber An*
blid ber roeinenben fdjönctt grau erweichte fein £>erj. JEt
gab alfo ©efehl, baS erbetene Afpl im oberen Stodmerl ju
bereiten unb führte fte felbft baljin. Am folgenben Sage
üerlangte bie ^töflidjleit, bafe ber £err beS Kaufes fich
feinem S^üpling erlunbigte, mie fie bie ©acht pgebradjt
habe. Sie mar fdjöner als je unb mürbe pm grühftüi
geloben, bann pm Sincr, unb enblich Oerliefe SDZabame ©ranb
baS ftotel nicht mefer. SaS Auffehen mar um fo gröfeer,
als ihr ©eift ihrer Sdjönljeit bebeutenb nadiftanb. Sie
fann man nach einer Stael eine ©ranb lieben, riefen bie
©arifer. „SaS ift’S gerabe", pflegte alSbann Sallepranb
p ermibefn, „man mufe eine geniale grau geliebt ty&m,
um bie ÜSonne p empfinben, eine ©anS p lieben". 3«,
als in golge beS (EoncorbatS ber ©apft ben allmächtigen
©remier oon bem ©ann ber (Ejfommuntcation befreite unb ihm
geftattete, weltliches ©emanb p tragen, ba fafete Sallehranb
baS ©reüe als eine (Erlaubtiife auf, 2aie p werben unb eine
grau ju nehmen. So ebnete er fich °Q e Schmierigfeiten, um
Digitized by v^. ooQie
i
Nr. 23.
Die (ßtgenwari.
361
Kabame ©rattb — ^etmjufü^rcn. SaUetjranb rechtfertigte
feine SBaljl. mit ber Aeufeerung, ein geiftreicheS SBeib tönne
mitunter ihren Mann compromittiren, ein albernes nur fid^
felbft. ®ie Dummheit ber nunmehrigen grau non lEallehranb
fdjeint freilich ein ftagwürbiger ißunft. dagegen fpridtjt fchon
bie Slrt unb SSeife, mie fie nach IßariS fam unb bort unter
Borfpiegelung wichtiger Mitteilungen einen ber abgefeimteren
Äou£S ju fangen wufete. ©pater würbe fie fogar üom Ipofe
üerbannt, weil fid) bie angebliche ®umme üon ©enuefer
Saufleuten, bie gewiffe $anbe(Spriüilegien üon ihrem ®emaf)l
ju erhalten hofften, 400,000 grancS BeftechungSgelb auS«
zahlen liefe. Jhotfache ift, bafe fie non jwei ber geiftreicfjften
9J?änner ihrer ßeit geliebt worben ift unb unter bem Satfer»
reich mit einem SoljrcSgehalt oon 60,000 grancS nach Snglanb
oerbannt würbe, ©o enbetc ber „Siebesfrühling" Xaflehranb’S.
(@cf|Iu6 folgt.)
DolhstjodifthniHurfe tmb fpotfdjulpäbajotjiit.
9Son Iflaj Htay (£>etbeI6crg).
„©in SeglidjeS hat feine 3eit", E>eiftt eS im ißrebiger
©alomonis, unb fo ift bei unS jejjt auch bie 3eit ber BolfS*
hochfchulfurfe gefommen. Sn anberen Staaten, gana befonberS
in Slmerita war man unS, bie wir im beutfdjen Batertanbe
mit Becht ftolj fein fönnen auf bie allgemeine BolfSbilbung,
auf bie geringe 3ahl bet Analphabeten, mit biefem BilbungS*
mittel weit OorauS. SBaS man aber einmal in biefer £nnficf)t
bei unö angreift, greift man tüchtig an unb ein ebler SBett*
eifer entftef)t in unferen ©n^clftaatcn unb an unferen jahl»
reichen oomehmen BilbungSftätten, ben UniOerfitöten unb
technifchen ^ochfdjulen. ®ie ÜJfehtjahl unferer ^ochfdjulen
hat benn auch bereits BolfShochfchulfurfe eingerichtet, an
welchen ihre ßehrer oortragen unb fie. finb nid)t etwa babei
ftefeen geblieben, foldje Surfe im ®oinicil ber lpod)fd)ulen
felbft abjiuhalten, fonbern man geht hinaus, wohin man be»
rufen wirb unb eS erfolgten Bufe auS manchen gröfeeren
Stabten, burd) mancherlei — oorjugSweife auch Arbeiter»
Bereinigungen — Korporationen.
An einzelnen Orten beftehen befonberc Surfe für ge»
roiffe Berufe — ipanbettreibenbe unb Snbuftriebefliffene —,
an anberen für tarnen, im llebrigcn finb bie Surfe all»
gemein jugcinglidj unb fpecieK für Arbeiter gebacht unb fo
eingerichtet, bafe Sebermann, ber eine abgefc^foffene BolfS*
fd)ul*Borbilbung h at > ben Borträgen folgen lann. @S ift
aber nicht nur ber Unterfd)icb awifefeen £>od)fd)ulüorträgen
unb BolfShod)fd)u(furfett in bem Umftanbe ju fuchen, bafe
hier ein gcwiffeS, gröfeereS Maafe oon Borbilbung bei ben
Zuhörern geforbert ober üorauSgefefet wirb, bort nur BolfS»
fcfeuloorbilbung, fonbern bie BotfSljochfcfeulfurfe müffen fich
auch auf einzelne, Wenige, wichtige Kapitel beS SBiffenS in
irgenb einer ®iScipfin befchränfen unb felbft baS SBenige mufe
in conbcnfirter gorm unb bod) gemeinoerftänblich oorgetragen
werben.
©ne ganje Beilje üon folgen Surfen Oermag für feinen
noch fo eifrigen unb leicht erfaffenben 3 u §brer etwa ein
©tubium beS betreffenben SBiffenjweigeS ju erfefcen, er mufe
fich begnügen bamit, bafe er baS SBichtigfte auS berufenem
Munbe oorgetragen erhielt, unb mufe ergänzen, waS ihm an
SBiffen fehlt burch ©etbftftubium nach Anleitung ber ßehrer,
benen er juhörte. ©S wirb fein ©elefjrter auS BolfShodj»
fdpclfurfen heroorgehen, aber eS Wirb auch nicht gcfprochcn
werben fönnen oon §albbi(bung, Wenn bie ßefjrenben jeweils
betonen, bafe eS ihnen in folgen Surfen nur oergönnt ift,
Brucfjftücfe i|rer SBiffenfchaft üorjutragen, bie jur allgemeinen
Bilbung gehören. AQcS ju lernen unb AHeS ju wiffen, ift
heute eine Unmöglichfeit, unb auch ber ©ebilbetfte unb ©e»
lehrtefte fann nicht üon fich behaupten, auf irgenb Welchen
©ebieten mehr als föatbbilbung ju befifcen, ja er wirb oon
manchem SBiffenSjweig fogar wenig ober nichts wiffen. Bei
einer üerftänbigen Auswahl aber wirb jeber ©eiehrte im
BolfShochfchulfutS als ßeferer baS oortragen, was Sebcr
wiffen foÜte, unb er wirb für ©frige jugleich bie 2Bege an*
geben, wie burch ©etbftftubium ein höheres Maafe oon
SBiffen auf bem ©ebiete noch h> n i u erworben werben fann.
Man ift heute auch Stemlidj einig barüber, bafe mit biefer
Borbereitung oon SBiffen nichts gefdjabet werben fann, wofel
aber unenblicfe üiet genüfct ju werben oermag unb fowohl
gemeinnüfeige Bereine Wie ©emeinbeoerwaltungen, benen eS
ernft ift, Bilbung ju oerbreiten, wetteifern in ihren An*
reguhgen unb Opfern für bie BolfSfdjulfurfe.
Am 23. unb 24. April tagte in Berlin eine grofee Ber»
fammtung oon ©eiehrten, BerwaltungSbeamten unb gemein*
nüfcig benfenben unb wirfenben Scannern unb grauen, bie
fich unterhielten über ba'S, waS bisher auf bem ©ebiete ber
BolfShochfdjutfurfe gefdjehen ift unb weiter gefd)ehen fann,
unb biefe Berfammlung war berufen unb burch 9 ute Referate
oorbereitet Oon ber KentralfteHe für Arbeiter »SSoljlfahrtS*
©nrichtungen. ©S ift barauS erfennbar, bafe man biefe
Surfe als eine @inrid)tung für Arbeiter*2Bohlfahrt erfennt
unb bezeichnet wiffen will. ®ie ©efeQfchaft für Berbreitung
üon BolfSbilbung, bie nun faft brei Sahrjehnte an bem 3tocd
arbeitet, ben ihr SRame funbgiebt, hot bie BolfShochfd)ulfutfe
ebenfalls biefeS Saljr jurn ©egenftanb ber Befprechung in
ihrer SahreSüerfammluitg (19. unb 20. ÜKai ju .^eibelberg)
gemacht, Weil auch f« einen eminenten gactor ber Berbrei»
tung eines grünblidhen SBiffenS in ihnen erfennt. ©S ift
feine grage, bafe, wenn SRänncr, bie in irgenb einem fpecieHeit
3weig ber SBiffenfchaft fojufagen baS ©anje beherrfchen, WaS
man jur 3eit als SBaferheit erfannte, auf, manchen ©ebieten
ein anbereS Sictjt für bie Mehrheiten au oerbreiten oermögen,
alS'eö auf allen anberen SBegen benfbar ift unb bafe nament»
lid) ber münblidje Bortrag unb bie ®iScuffion ober Beant»
Wortung oon gragen jeber anberen Art ber BilbungSücrbrei»
tung überlegen ift. /
Unfere 'JageSliteratur, unfere fteine Sßreffe ift gewife
nid)t als ein gutes BilbungSmittel für wahrhaft SBifebcgierige
au betrauten, unfere Büd)er ftnb oielfacfe a u theuer, um für
fleine Seute augättglid) ju werben unb an Sefcaimmern nnb
Bibliothefen für Sebermann ift nod) ein grofeci; Mangel.
Slber aud) ber, bem unfere guten 3 e 'tfd)riften unb gute
Bücher leichter augänglich finb, wirb erfennen, bafe er ohne
Anleitung üicte Strgänge mad)t unb er wirb fogar burd)
eine falf^e SBaljl feiner Seetüre nur aum 3toeiflcr werben
unb aeitweilig burd) ein Sefeftüd, ein Buch, wieber aufheben,
waS er in anberen ©tüden unb Büßern gelernt hot. SBahr*
haft nüfelich fönnen aber bie BolfShochfdjulfurfe nur bann
fein unb werben, wenn fich für biefelben nur ßehrer melben,
benen eS gegeben ift, wirflid) gemeinoerftänblich ä 11 fprechen,
baS für Sebermann SBidjtige, baS SBidjtigfte auS ihrer ®is*
ciplin herauSaufinben unb fo eingchenb unb hoch fo fura a u
behanbeln, bafe burd) einen SurS oon Wenigen (4—10) ©tunben
bet ©egenftanb fo erfdjöpfenb burdjgearbeitet ift, bafe jeber
$örer baS rechte Berftänbnife baran hot unb auf feinem er*
worbenen SBiffen weiter bauen fann.
©S flieht befanntlich fefer berühmte gorfcher unb ©elehrte,
welchen bie Menfdjheit AufeerorbentlicheS oerbanft, bie aber
noch nicht einmal bem üorgebilbeten ©tubenten einen leicht*
fafelichen Bortrag a« holten üermögen, Weit fie auweilen a«
wenig, zittocilen au oiel beim §örer üorauSfcfcen. SBic fd)Wcr
Würbe eS folgen ©eiehrten werben, einem fd)tid)ten Arbeiter*
publicum mit BolfSfcfeulbilbung oerftänblich 3 lt werben. ®er»
artige ©elehrte mitffen felbftocrftänblich barauf oerjichten,
a«m „gemeinen Botf“ au reben, BolfSho^fchulfurfe abauljalten.
Aber wenn wir aud) oon biefem ©jtrem abfehen, eS wirb
ficher auch üielen anberen $od)fd)ulprofefforen unb ®ocenteu
Digitized by v^. ooQie
362
Die ©egenroart
Nr. 23.
jcber 3«t fcf;tner, populäre ©orträge 5U galten unb bobei ift
ein (SiitjclOorttag uoc£) feine?wcg? ba?, wa? ein folcßer Äur?
fein foÖ. SDfnn erwartet Don einem ©ortrag, ber 45 bi?
60 ajiinuten bauert, nichts ©rfdjöpfenbc?, wenn ba? Xßema
mcßt ein folcße? ift, baß man eine ©fijje in ber angegebenen
3 eit 311 DoUenbcn Dermag, Don einem ft'ur? aber öerlangt
man, baß er ba? SSejentlidje be? ganzen ©ebiete? bearbeitet,
ba? burcf) Xitel gefennjeic^net ift. |>ier giebt e? alfo jwjeierlei
SRüljen be? Seßrer?, er muff Hießt nur gemeinDerftänblidj für
Scbermann fprecßen unb in beleßrenber gorm fprecßen, fonbcrn
er muß aud) au? bem betreffenben 8Biffcn?gebiet ba? SBicß»
tigfte, ba? 9 Jotßweubigfte l)erau?jufud)ett oerftanben haben, fo
baß feine §örer etwa? ©anje? ßetmtragen ober bod) bie ge»
füllten Süden burd) eine Seetüre ju ergänzen oetmögen, bie
er felbft ißnen empfahl. Db Sille, bie fuß berufen füllen,
bei ©olf?hochfchullurfen mitjuioirfen, aud) wirtlich berufene
finb, barf man, offne ben DerbiepftDoUeit Scannern, roeldje
fidj jur 9lbßaltung Don ©oll?ßodjfä)ulfurfen bereit erflärten
unb folcße «-bereit? abgcßalten haben, irgcnbtme ju naße 31t
treten, bodj im ©runbe in 3 toc *f e ^ sieben. SSeiß bod) aud)
jcber ©tubent unb ber, ber e? einmal mar, ju erjäljlen Don
guten unb fcßlecßtcn Settern, öon folgen, bei benen Seber
leicßt unb Diel lernte, unb foldjcn, bei benen er nidjt? ober
wenig lernte, Don Settern, bie man entweber nur formell
^ßrte ober bei benen man nur belegt ober gar mcßt ßörte
unb beren ©pecialfadj man au? Südjerit fiubiren muffte,
wenn man ba? SSiffen erwerben wollte, erwerben muffte,
ba? fie eigentlich p Dermittelu gehabt hätten. ®? mangelt
manchem UmDcrfität?lel)rer, ber ein großer ©elchrter unb
gorfdjer fein lann, an Seßrtalent, e? gehen ißm fogar 311=
weilen bie clementarften päbagogifcßen ©runbfäße unb ©igeu»
fdjaften ab. ÜKan Wählt bie UniDerfität?lehrer ja nidht au?
nadj ihrem größeren ober geringerem ©rab Don gäßigfeiten
3unt Scßren, wenn man e? auch mit in ©etraeßt sieht, fonbcrn
weit mehr ober juweilcn ganj allein nach *h rec ®eleßr»
famleit
SSar e? ja bi? Dor turser 3 c *t auch & e * beu ©ßmna»
fiatlehrern unb ÜDiittelfcßullehrern DOn größerer SBidjtigfeit,
rc<ßt gelehrt 3U fein, al? gut lehren 3U fönnen, unb man
forberte fßäbagogi! eigeutlid) nur Dom (Slementarleßrcr. 6?
ift ba? anber? geworben uitb heute wirb Schrtalent unb Sehr»
Übung Don alten Schrern geforbert, am wenigften aber ober,
noch gar nid)t Don £>odjfd)uIlehrern. 6? hat fidj ja befannt»
lieh beßhalb ein SSerbcDerbanb für §odjfchulpäbagogit ge»
bilbet, ber subem nur feßr langfam 311 einem gebeißlicßen
SBitfen unb Seben gelangt. SSer fich bem afabemtfeßen Sehr»
beruf wibmet, wirb fid) allemal bie gragc auch Dorlegeit:
bift bn auch ein Sehrer, fannft bu auch tu beiner SSiffen»
fdjaft lehren? ®ie Antwort wirb bann jcbenfaÜ? beeinflußt
fein Don bem jebem SDtenfdjen inneWöhnenben SDfaugcl an
©elbftcrfenntuiß unb ebenfo Don bem (Sifcr, einmal Ipocß»
fdjulleßrer 31t werben, unb fie wirb Dielfach falfdj ober bod)
theilweife falfch au?fallen. £at ber junge ©elehrtc fonft
Xiicßtige? auf3uweifen, ift er etwa fdjoit ein gorfdjer, bann
wirb man, wenn man auch feine geringe Sehrbefähigung er»
fennt, ifjn boch nidjt abljalten fich ber Xocentenlaufbaßn 3U
wibmeit.
Seiftet er in ber ÜBiffcnfdjaft ^erDotragenbc?, fo wirb
aud) bie geringe Sehrbefähigung bie weitere ©arriere nicht
aufßaltcn unb ber ©eförberte wirb fid) üicHeicht nie bewußt,
welche geringe gäßigteit er sum münblidjeit Sehren hat. ©eine
©orlefungen werben feiner ©eleßrfamfeit halber befugt, wenn
fie auch »ließt ben 3 Bertß haben, ben fie haben fönnteit, wenn
ber Sefjrenbe päbagogifdje? Xalcnt hätte.
2Ba? aber an Xalent mangelt, läßt fid) sum Xßeil
burdj gleiß unb Hebung erfeßen, auch »»» ber ©äbagogif,
aber e? muß üor 2lHem ber SDlangel erlannt fein unb be=
aeßtet werben.
©0 lange man ber fßäbagogif beim §odjfdju(profeffor
nod) fo wenig SSertf) beimißt at? bi?her, wirb e? batin nicht
Diel anber? werben, aber gerabc bie ©olf?ßod)fd)ulfutfe fönnen
oiellcicßt Reifer sum ©effeten werben, ©in föhlccßter $äba»
goge al? Seßrer im ©oll?fcf)u{fur? wirb halb oor leeren
©änfen reben, bie in ber §od)fd)ufe uiclleicht nur beßljalb
befeßt finb, weil ber Seßrcr aueß ©jaininator ift ober weil
©tubenten DieUeicßt eine gewiffe ©ßifurcßt Dor ber ©elcbr
famleit be? ^Jrofeffor? haben. ®ie i^örer eine? ©olfeßocb»
fdjulfurfe? werben ben unDerftänblicßen ©orträgen ber (ge¬
lehrten aber balb ben Ütüden feßren, weil fie {einerlei 9füd»
fießten 3U neßmen haben, ba? UuDerftänblicße mit anjnljötcn
unb gewiffermaßen 3 e *t su Dergeubeit. ©0 wirb bann leicßt
eine Siücfroirfung Don Worein auf Seßrer ftattfinben unb
mancßer ©eleßrte wirb fieß bemüßen, für ben Grwerb päba=
gogifdjen Sönneu?, für populäre? ©ertrag?wcfcn unb er tuitb
nitßt nur ber ©ebenbe, fonbcrn aud) ein ©mpfangenber fein
?ludj biefe ©eite ber ©olf?hod)fd)utfurfc ßalten wir für
ßöcßft beadjtcn?wertß.
- 1 -* >
^feuiffeton.
- ^adjbruct ütrboter
fjjoße« 5ptel.
^un fouis <£oupcrus.
bem .^oörtnbifcfjen.
(&ortje|un 0 .)
(£Iena aber füllte ftdb an jenem 5lbeitb fo fremb, fo ganj anbei*
al§ fonft, al^ märe fie ju einer fc^minbelerregcnben ^)ö§e geftiegen, als
attjinete fie eine betäubenb bünne 2 uft. 9?ocb nie batte man fie fe
lebhaft gefeben: ihr (Softiim fleibete fie öortrcfflid), unb man batte
beinah fetlön nennen fönnen. 3 h re Klugheit mürbe noch gefchärft bunö
biefe ©timmung; fie blieb feine einzige ^Intmort fd)ulbig. ©ie beftanb
fogar einen heftigen SBortmechfel mit ber Gräfin (Softi, über bie fie ficb
immer luftig machte unb in ber berbften SSeife fcher^te. ©o äuserif
fie, bafj bie ©onnenblumcit fid) oft oergeblich ber ©onue ^umenben, unb
ihre SSorte Hangen fo feinblid), fo triumpbirenb, bafe bie (Gräfin öor
3orn erbebte. Unb immer mehr unb mehr febmanb (Slena’d ©djüdjtein
heit. Qmmer mieber mürbe fie angefeuert burd) ben Äönig, ber ftd) in
auffaßenbfter SBeife um fie bemühte, ©ie lachte laut, fte tankte fa f :
mie eine Bacchantin, fie tranf 6h am P a 9 nev - Unb bei aOebem hod c f K
eine feltfante (Snt^finbung. W18 ber Stönig fte in einem ^lugenbliiff,
mo fie allein maren, auf bie Xerraffe, in bie frifche 9lbenbluft begleitete,
ba führte fie bie £>anb an ihr Köpfchen unb lachte.
„SSirflich, SBlabimir, ich *ege wich su fehr auf. £>ier ift eS föftlitü."
„ 3 a, brinnen ift e§ fo fdjmül in ber parfiimirten 2 uft. ^Iber
marunt fagft S)u, bafi 2 )u ^td) ju fehr aufregft? 2 )u bift atterliebft, je
mie bift."
„Bin ich ba3? 9fur 3)u ma^ft mich fo .. .."
'„<£lena!" Gr rt^ fie ftürmifch an fid} unb fchlofj fie in feine Ärmc.
„92ein, nein, nimm $>ich in ?lcht!"
„Äontm mit, mir rnoßen fpa^ieren."
„9iein, mau mürbe un§ nermiffen."
„Glcna, gehft $)u mirtlich morgen nad) 3:ht’acten?"
„ 3 a, morgen."
„ 3 « brei Sagen lontrne id) auih borthin."
„3n brei Sagen ... ach, wie lange!"
„$ein, nein, brei Sage bauern nicht lange. Unb bann, Gleua
nicht maljr, bann mirft Su meine 5rau?! Su mei^t, Königin fannft
Su nidht merben, ber ©efefce megen. §lber meine grau ..."
„ 3 a, ja ..
Digitized by v^. ooQie
‘ Hie (ßegentoart.
m
m "W'
&
Nr. 23.
„Siebft 3)u mich, (Siena?*
„Dlj...!" 3n ber S&unfelgeit warf fie ficg an feine Sruft unb
umarmte unb fügte ign Iciöenf4aftü4. „3a, ja, id) liebe 3)id), id) bete
2>tcg an."
„(Siena, wollen wir (jcut’ 2lbeitb jufaniuien fort auf meiner 2)acgt?
Heber unfere .fteiratg wirb ja bod) genug geflatfcgt werben, ba fattn id)
3)t4 ebenfo gut gleid) entführen."
„Wein, nein, ba« niegt."
„Wein? Wber bod), fage id) SHr. Serftebft 3)u, td) fage:'e« mug
fein! 34 fann unb will nid)t länger warten. Sin i4 erft wieber in
^gracien, wer weig, ob mir bann nidjt bie Wttnifter aße« WiÖglüge in
ben 28eg legen, fie fönnten etwa« gegärt gaben, ober e« gefegiegt foitft,
roa« wir nidn Oorgerfebeu founten. Unb bann wirb nid)t3 brau«.
2Bir miiffen um jeben S*ei« uoef) beute fort: oerftegft $>u mid)?"
„34 gäbe uicht ben Waith, 2Biabimir."
„E« utug fein. E« gebt niegt anber«, Elena. 34 werbe 3>id?
nad) bem S3all im SaDißon oben im Drangengaiue erwarten; 5)u weigt
bod): im grogeit Sabißoit! CS« mug fein ... oerftegft $u?"
„D 2Blabintir, wie fiiidjt’ i4 mi4! 2lber wenn e« fein tuug."
„3a, e« mug fein."
„^aitn werbe id) fommen. 21ber ad), toa« tgun wir, roa« tguit
mir!"
„ftüregteft £>u 2)i4?"
r,3a."
„^a« braudjft 3)u iiic^t. 34 bin ber ilönig. 34 faun 2(ße«."
„Unb ber ftaifer oon Siparien?"
„©laubft 5)u, bag ber aud) nur fooiel" — er f4lug ein ©cgnippdjeu
— „über mid) $u fagen bat? 34 wirfle ibtt ganj einfa4 unt meinen
ginger, wenn icb ba« wifl."
„28irfU4? Wein, nein, ba« fann nid)t fein."
„$)o4 ift'« fo, wenn i4 e« 3)ir fage."
„Äoinm, wir wollen nun hinein. 34 füregte tnid) fo, SMaöintir,
mir ift fo bange. 2Benit Semanb fänte! ©o fpri4 bod) ni4t fo laut!"
„Wlfo beute Wad)t, na4 beut Sali, im Saoiflou."
„28ann?"
„Um fünf libr."
„$>ann ift e« £ag; bann fann icb nid)t bur4 ben ©arten geben."
„$)u rnugt, Elena, $)u ntugt, 5)u mugt!" heftig ftampfte er mit
beut Suge auf. (Sr war miitbcnb über igre Unentf41offenbeit, über
igre Wngft.
„©ei ftiü, 2Blabimir, id) werbe fommen."
„Sag' auf, wenn $u ni4t fommft. .."
„34 werbe fommen!" Unb nun brängte fie ibn, er foßc bo4
wieber $urücf itt ben Saß (aal.
3n bent Xrttbcl, ber bent Seginn be«' ©ouper« oorangiitg, war
igre 2lbwefengeit uubemerft geblieben. 3)er ftönig follte Elena ju Sifcge
jübren, fßriuj (Sbjarb bie Königin. „2Sie bie Seiten fi4 betragen!"
läftcrte ber ^ßrin^, ber fid) felbft an biefem 2lbenbe febr bewunberte
in feinem Julpencofiüut.
„Sagen ©ic fie nur . . !" murmelte bie Stönigin ücrä4tüd). „$)ie
Seiten finb nod) ttiitber."
— — — (Sä war in ber rofigen Dämmerung nach bent Sali,
uitb bie fämmtlid)cn Sewobncr be« ©cbloffe« lagen ttoeb in tiefem
©cglummer, wie itad) einer Drgle. 5)ie abgebrannte SHumination mit
ben ©erippeit ber erlofdjenen ©onnen unb Wateten machte einen fd)Wer=
ntütbigen Einbrud. S)ie ^erraffen waren mit weifen, jertretenen
Slurnen bebeeft unb mit beit traurigen Ueberreften oon Eotißonorben,
wäbrenb oon ber oorberen ^erraffe bi« in ben ©arten no4 bie Sretter
lagen, über bie 2Blabimir auf feinem ©onnenwagen in ben ©aal gefahren
war. Unb ring« um ba« ©4log, ba« wie bon bem JJefte ermübet ba*
lag, breitete fid) ber ©arten au« in feiner füllen, feuf4en Slütgenpra4t.
28eitab lag ftiü, enblo« ba« Wceer. $)ie Xl)üre bon ©lena'« 3^ mTn er
fnarrte lei4t, unb ba« junge 2JJäb4en trat auf bie ^erraffe biuau«.
©ie trug ein einfa4e« SRetfefleib, unb, obwohl febr bfei4 uub nerbö«,
berfud)te fie bo4 leife um bie ^erraffe berumjugeben, um ni4* an ben
3itnmern ber Königin bori'tber ju müffen. Sangfam ging fie weiter,
faft gleidigiltig. ©ie batte fid) borgenommen, wenn fie irgenb Semanb be*
gegnen follte, ju fagen, fte fönne ni4t f4!afen unb wolle lieber bie
frifdje 9?ad)tluft geniegen. ©ewig würbe ba« ganj barmio«, gan$ na=
türlid) flingeu. 91ber igr ^erj flopfte, ihre Ihtiee wanfteit, unb e«
fehlte niept biel, fo wäre fie geftrau4elt, al« fte über ba« Srett ber bor*
beten ^erraffe fdjritt. ®od) im ©cbloffe blieb ?lüe§ ruhig; fte begegnete
feinem 2)ieitf4en. 5)a bbrte fte plöpli4 int ©arten ©timmen; anfang«
crf4raf fie aber glei4 beruhigte fie fi4 wieber, al« fie bie ©timmen
bernabm. (S« waren ©ärtner, bie tu aller ftrübe fdjon bei ber Arbeit
waren. 5)o4 wählte fie ben 5Beg bur4 einen Drangengain, um bie
Segegnung mit ihnen ju bernteiben; bann begann fie f4ueller ju gehen.
Unwiflfitrlid) beflügelte fid) ihr 64ritt ju einer nerböfen JJlu4t, unb
inbem fte fo mit ihren bünnen ©4uhett über beu itie« f4ritt, war ba«
©(hlog ihren Slicfen entf4wuuben. 3br $et*ä flopfte junt 3*rfpringen.
3n einer ©tunbe, in einer halben bietleübt fdjon würbe fte mit bem ft'önig
auf bem 2!leere fein unb gurüeffebren na4 Xhracien!... ©tc überlegte
fid), wie fie fid) betragen, we!4e ©altuitg fte bem £önig gegenüber be=
wahren wollte, ©ie wollte ni4t mehr fo aufgeregt fein, wie auf bem
Salle. SBitrbiger wollte fte fein, unb bod) mit einem 8ä4*ln auf ben
Sippen, ©o jiemte e« fi4 für bie fünftige grau eine« $önig«. 5)ic
grau eine« Äönig« ...! (S« flang ihr wie ein 3Wär4en, au4 wenn
fie gar nicht Königin würbe. ©« war wie ein Sraum. 28a« ihr Sater
wol)l baju fagen würbe. . .! Unb fie bereitete ft4 f4an auf bie oor-
nehme Haltung öor. gür einen 2lugenblicf mägigte fte ihren ©4ritt,
uut etwa« freier athtiten ju fönnen. 3)ort auf bem ©ipfel eine« breiten
£>ügel« lag ber Sabülon, ein jierlidje« Suftbäu«4en, fe4^edig, bon feinem
©itterwerf umgeben, att bem p4 rofenfarbige Slütben rauften. $>ort 1
wollte ber Äönig fie erwarten, ©ie fpäbte hinauf in ben S a &iÜ°n, im
fic^evcn ©lauben, ihn bort ju fehen. 2lber fie fal) ^iemanb. Unb lang-
fant ging fie weiter unb ba4te, e« fei wohl noch ju früh- ©o errei4te
fie ben Sauilion, ber weit hinau«ragte über ba« 2J?eer. drüben, nügt
fehr weit, aber bem Slnfdjein na4 In fegr groger Entfernung, lag ba«
©cglog. ©cbü4tern flopfte fie an bie Xbür be« Sauißon«. ji'eine
Antwort. ^Danu öffnete fie ttnb trat ein. 2Blabimir war nod) uic^t ba, unb
bod) mugte bie oerabrebete ©tunbe längft Uorüber feilt. Erntübet Don
bem Sali, oon ihrer glu4t, ftreefte fie fi4 auf ben rofafeibeneit S)ioau
bin. E« war ein ibealer 2(ufenthalt; mit Slumen unb Sutten bemalte
©piegcl blipteit an beu 28änben, unb rofafeibeite Sorhäitge liegen ba«
matte Sügt be« bäntmernben borgen« gebämpft hinein. Elena fd)log
bie 2(ugen. $ocb einmal jogen bie Silber be« Salle« an ihrem geiftigen
2luge Doritber. Allein bie golgen ber f 41 aflofcn 2facgt blieben nicht
au«; fie batte eine unangenehm fdjwebenbe Empfinbung in aßen
©liebem, unb unfähig, ft4 uo4 länger $u beberrf4en, f4luutmerte fte
fipenb ein. ©ie war Dößig im füeifccoftüm unb trug ^aubfegube unb
einen grogeit £mt mit ©c^Ieter. ©o f4lummerte fie ein, unb wägrenb
igre« ©4lummer« Oergag fie nugt, bag fie auf ben ftöntg wartete; in
einer ©tunbe würbe fie mit igiit auf bem ßJfeere fein . . . SUtyli4 f l 4 r P c
auf. ©4ritte fnarrten auf bem feinen $ie«. Unb ito4 ege fte fi4 Don
igrer Seftür^ung erholt, trat 28labimir ein. Eine befriebigte Ueber=
raf4uttg fpiegelte ficf> auf feinen 3ügen wieber, fobalb er fie crblicfte.
„D SJlabitnir!" rief fie au«, „©ott fei ®ant, bag $)u fomntft!
34 bin fo erregt."
Er fügte fie. „2Barum?" fragte er.
„34 habe mi4 fo gefüi*4tct. 5)eitf 2)ir bo4, menn bie Königin
Etwa« gemerft hätte ..."
„Unftnn! $ab' üg ^)i4 tauge warten lagen?"
„Wiegt fo fegr. .."
„3d) gäbe gebabet, im W2cere, i4 woßte mi4 gern no4 ein wenig
erfrif4en. E« bat bod) itidjt fo fegr lange gebauert?"
„Wein. 2lber Jag mir, 281abimir, wann gegen wir fort?"
Digitized by v^. ooQie
364
Die Gegenwart
Nr. 28.
„3g, ba« ift nun bie grage; bei* Kapitän meiner ?)acßt ßat fagen
laffen, bie Wafcßiue fei befcßäbigt . . ."
„92uit. . . unb?!" ...
„3g, tjeule borgen fönnen mir eben nidjt fort."
„§eute nicht, Slabintir?"
„Wein, lieber finb. Sie miöft Xu beim uad) Xßracien fotnmen
mit einem untüchtigen Scßiff?"
„91 ber mann benn?"
„Wutt, ba« merben mir nod) feßen."
„9lbet id) muß bann beute febon nad) Xßracien gurürf . .., adeiit?"
©ine große ©nttäujdmng ftieg in ibr auf, laitgfam, gang langfam. Sie
baeßte moßl, baß e« itid)t feine Sdjulb fei, benn loa« fonnte er bafiir,
menn bie Wafd)ine bejcßäbigt mar? 9lber bod) mar unb blieb e« für
fie eine große, große ©nttäufeßung.
„9hm," fagte er, mie einer plöplicßen Eingebung folgcnb, „bann
geb gurücf nad) Xßracien, mie Warna e« münfeßt, unb bteibe rußig bei
Xeinent ©ater. llnb in ein paar Tagen foutme icß nad), uub bann
beiratßeu mir. ©iedeießt ift e« fo noeß beffer, al« menn icß Xicß ent-
ftißre, meiuft Xu nicßt'aucß?"
„©iedeießt moßl, aber icß ßatte fo barauf gerechnet, mieß fo gefreut.
3cß mtll alfo jept in'« Sdjloß gurücf, Slabimir."
„Sarum benn? Sir finb ja ßier fo gcmütßUd) beifammen."
„Xie Königin mirb rnid) Oermiffeit."
„9lcß, Warna jd)läft. Sie feßlafen je^t 9lde nod) unb merben and)
maßt ben gangen Tag fd)Iafen."
„D Slabimir!"
„Sa« benn?"
„3dj ntöcßte bod) lieber gurürf."
Statt jeber 9lntmort jeßloß er fie in feine 91rnte unb brüdte fie
feft an fid). „Santm . . . modteft Xu . . . benn . .. fort?" fragte er
gmifcßcit feinen fiiffeit bureß. Sie ßatte ißn gu lieb. Sie füßlte fieß
gu feßmad) in feinen Ernten. Sie legte ben fopf an feine ©ruft, gber
mit tßränenfeucßteu klugen megeu ißrer ©nttäufdjung, baß fie nießt auf
Weifen gingen.
Unb er gerrte an ißrem Scßleier. „Xer langweilige £>ut!"
feßergte er.
So blieben fie beifammen unb hielten fid) feft umfcßlungen. Sie
gum Sdjerg ßatte er bie Xßiire oerriegelt. Unb eine mattrofige Xara=
merttng ßerrfdjtc gmifdjeit ben Spiegeln, auf beiten bie Jütten gmifeßen
ben ©lumengemiubeu tangten unb f (eiterten, maßrenb braußen über beut
opalfavbetten Weere bie Sonne aufging.
-— Wan mar an biefein Tage feßr fpät im Scßloffe, unb
fogar ber Sund) mürbe nicht gemeiufam eingenommen. Unb ba aueß
bie f onigiit nießt in ber Stimmung mar, fid) gu geigen, fo blieb fie in
ihren öemäcßern, in (Grübeleien oevfnnfeu, oßne einen Wenfd)en bei fid)
gu empfangen. Unb itnabläffig fdjwebte Oor ißrem geiftigen 9luge ba«
©ilb oou ©rianf« galfcßßeit uub grinfte fie an. Um oier Ußr befaß!
fie einen Safaieu gu fid).
„bringen Sie mir ben Xßee unb fagen Sie bent Qnteubanten,
baß id) ißn gu fprecßeit miinfeße."
Unb fo lag fie bort auf ißrem Xioan ßingeftrerft, mit ißren ans
tifen Spipen, bie ?lugett halb gefcßloffeit. So ßatte fie feßon ben gangen
Tag gelegen. 9113 ber Satai ißr ben Xßee braeßte, rießtete fie fid) ein
menig auf. Xer ftntenbant erfeßien.
„Um mieoiel Ußr geßt ber Xampfer naeß Xßracien ab?"
„Um acht Ußr, Wajeftät."
„£>at ©aroneffc ©fena ©efeßl ertßeilt megen ißrer 9lbreife?"
„3g moßl, Wajeftät. 9lud) ttießrere oon ben anberen $errfcßaften.
-frier ift bie Sifte."
(?r iiberreießte ißr einen ßettef. „3 g, bie modten fort, ade naeß
Tßracien."
„Xa ©ure Wajeftät mid) hoch einmal befohlen ßaben, möchte icß
mir erlauben, ©urer Wajeftät nod) etwa« mitgutßeilen."
„Wun?"
„Seine f öniglicße froßeit ©ring ©bgarb oon farl«frona ßaben fufc
mir gegenüber gu oerfeßiebenen Walen in abfädiger Seife über bie
©cmäcßer au«gcfprocßen, bie Seine f öniglicße froßeit ßier berooßtien.
froßeit fiitben bie Wäume gu Flein unb gu roarm. froßeit befaßlen mir,
Sure Wajeftät nidjt bamit gu beläftigen, aber ba nun fo üiele ber
frerrfeßaften abreifen, tonnten Seine froßeit üicücicßt boeß ein anbere*
gimnter befommen."
Xie Königin fann einen 9lugenblicf naeß. „Xie 3 imme * ^
©ringen fittb aderbing« nießt feßr feßön. gragen Sie Seine froßeit in
meinem kanten, ob froßeit ba« 3' mmer ber ©aroneffe ©lena münfeßen.
Seine froßeit ßaben bann gmar nur ein 3intmer, aber e§ ift feßr
geräumig."
Xer 3ntenbant oerneigte fieß ftumm. „gcß merbe nießt oerfeßlen,
Seiner froßeit fofort ben ©orjeßlag ©urer Wajeftät gu übermitteln,“
fpraeß er feierlich mie ein frofmürbenträger. ©r mar für ben 9lugen=
blict ber eingige Beamte ber Königin; unb im ©ewußtfein feiner Sürbe
gog er fieß lautlos gurücf. (Schluß folgt.)
JUts ber ^auptflabt.
Der tjetlige f rieg.
ift mit ißnen Oorbei, enbgiltig Oorbei," fagte ber JReicßStag«
abgeorbnete unb fußt fieß melancßolifcß mit ber Seroiette über ben Wunb.
(£r ßatte trop feiner feßr traurigen (GemütßSftimmung boeß einen äußerft
achtbaren Appetit cntmirfelt, unb bie Wannfchaft ber Xorpeboflotte, bie
gmifdjen Äülit unb SormS fiebenunbgmangig Wal Spargel mit Seßinfen
Oorgefept befain, hätte unter feiner anftacßelnben giißrung unb bei ge¬
eignetem Safferftanbe ficßerlicß bis Scßaffßaufen meltergefämpft. „Gin
fo tapferes, macfereS ^olf — unfere StammeSgenoffen bagu!" (h
fdjüttete mit fcßnellem ©ntfd)luß ben 9teft beS 3oßanni3berger ^>öde hin¬
unter. „£>ier, Xoctor, füden Sie noeß einmal! Weine ^errfeßaften,
meißen mir ben (Gefcßlagenen, aber nießt 93eüegten, ein ftideS ©laS!"
„^erfeßlte Xattif, nießt« meiter, ift an bem gangen Unglütf fd)ulb“,
ftieß ber eßolerifeße Süngling neben ber X)ame be« §aufe« ßeroor, bie
ißrer Sßmpatßie mit ben ©uren babureß 9lu«bruct gab, baß fie heute
ben berüßmten $imberleb=93ridantfcßmucf ßatte im ©eßeimfeßranf liegen
laffen. „i8ei (Solenfo, bei Stormberg, bei WagerSfoittein ßatte man oor-
ftoßen unb bie britifeßen ©eneräle Oernicßten müffen — paß, läcßerlidj!
Statt beffen aber. . . ba fießt man eben, baß bie Wilig nicht« taugt!
feine $oßnc!" 3w neroöfen Berger riß er eine dtante Oon bem milbeu
Sein ab, ber mit feinen garten 93(ättern ben SBalfon umfpann. Wabame
legte begütigenb bie fleifcßige ^anb, beren fieß feine ©urenfrau gu feßämen
geßabt ßätte, auf bie guefenben ginger be« ©rregten.
X)er Stabtratß faß aufmerffam gu. „Sie merben fieß erinnern,
meine ^errfeßaften, baß icß biefen STitSgang Oon Anfang an propßegeit
ßabe. Wan brauchte ja nur in'3 Seyifon gu guefen, um gu erfennen,
baß ber englifd)en Wacßtentfaltung gegenüber jeber Siberftanb oergeblidi
fein mußte. 3 g, mären bie ©roßmäeßte ben ©uren beigefprnngen! 9lber
fomoßl Stußlanb mie granfreieß magten ja nießt gu muefen, unb nun
erft bie ©ereinigten Staaten! ©3 ift eine Scßmacß unb Scßaitbe!
freue mieß nur, baß menigften« bie beutfdie ©reffe fieß ißre« ßoßen Be¬
rufes mürbig gegeigt ßat unb mie ein Wann für bie Scßmacßen unb ©e*
brängteu eingetreten ift." ©r manbte fuß mit guderfüßem Säeßeltt an
ben ©ßefrebacteur. „©roftt!"
„Unb bie beutfdje Regierung?" fragte ein ^>err im §intergnink.
Wan iiberßörte ben ©inmurf. „§icr mie in ber gangen Seit
baffelbe triibfelige ©ilb", meinte ber £>att3ßerr, fteß behaglich guriicfleßnenb
Xer fühle Suftgug, ber über [ein meingerötßeteS 9lntlip meßte, tßat ihm
moßl unb er feßloß für eine Secunbe bie Uelnen_;9lugen. „Soßin wü
Digitized by v^. ooQie
Nr. 23.
Die ffiegentvart
865
aud) bilden, allenthalben fehen mir eine Stafffucpt, bic feine ©rennen
unb feine fittlicpen SBebcnfen fennt, an ber Arbeit. Mentpalben Der?
roüftet fie bie Seelen ber Völfer, gerftört mit begehrlicher gauft ihren
Trieben." (Sr bliefte fdjwärmerifd) gur 5)etfe auf unb fuhr bann mit
erhobener (Stimme fort: „Sie werben eS ein ^arabojon nennen, meine
verehrten ©äfte, wenn id) bie imperialiftifchen ©elüfte, bie fich gur 3 e ü
in (Snglanb, in $lmerifa unb fonftwo breit machen, auf eine Stufe ftelle
mit ben abfdjeulichen Veftrebungen, benen eS in ben lebten SBodjen teiber
gelang, gmei europätfepe §auptftäbte gu erobern. 3$ meine VariS unb
SBien. $)ie ©emeinberäthe beiber Metropolen finb in bie &anb Don
Parteien gefallen, auf beren gähne rübe UncuUur, |>ah gegen Vilbung
uitb Veftp gefchrieben fteht. Sie prebigen ben Äampf Mer gegen Me.
(£§ thut mir bitter roch, (Snglanb mit ihnen auf eine Stufe [teilen gu
muffen, aber naebbem bie Sonboner ^Regierung trop ber £>aager (Son=
fereng baS Schtoert gog, um ein harmlos Volf Don Wirten gu befriegen,
feitbem bin ich an biefem einft fo grohhergigen SSoIfe irre geworben.
38äre ein liberales Minifterium in S)omning=Street am IRuber gemefen,
bann hätten wir eine folcbe MenfchhettSfcpmach nie erlebt."
,,©ang gemih nicht!" beftätigte ber ®hcftebacteur. „2Bo begiehen
Sie nur bie petit fours her, gnäbigfte grau? VariS fann fich baoor
Derfterfen... Mer waS ich fagen wollte: baS unglücfliche (Snbe beS Krieges
evflärt ftch allein auS ber empörenben ©leidjgtltigfeit ber öffentlichen
Meinung. SBir geitungSmenfdjen tragen ©ottlob feine Verantwortung
bafiir. 3Bir haben unfere Schulbigfeit gethan. Mer 3hnen Men, bie
Sie um biefen feftlichen $ifcp herumfipen, fann ich ben Vorwurf nicht
erfparen, baf* Sie beni gegeft XranSDaal Derübten hintmelfchreienben
Unrecht ohne bie genügenbe (Sntfcploffenheit unb geftigfeit entgegentraten.
3hnen Sillen nicht. 3)ie Mmefenben finb natürlich ausgenommen."
„erlauben Sie!" unterbrach ihn ber Stabtrath. „3d) habe felber
ben Scatgewinn eines gangen MenbS, brei Marf unb gwangig Pfennig,
itt bie Vurenfammlung abgeführt."
„Unb waS mich betrifft, fo glaubte ich guoerfichtlich an ben Sieg
btt Vuren", Dertheibigte fich ber Hausherr. „3hr militärifcher Mit¬
arbeiter hat unfer einem baS fo plaufibel gemacht,, unb mit fo Dielen
tfartenffiggen, Verichten Don Slugengeugen unb ^riDat=Xelegrammen be=
legt, bah id) Ö a r nicht gu gweifeln wagte."
„Mcp ift ^ranSDaal nid)t berloren", beruhigte ihn ber (Spef s
rebacteur, ber gute ©rünbe hatte, bie Debatte nicht abfehweifen gu laffen.
„%tx griebenSfchluh fteht erft noch beoor. Mpen wir greunbe ber
greiheit unb Wahrheit unfere Macht bis bahin gehörig auS, forgen wir,
3cber an feiner Stelle, bafür, bah eine gewaltige, burenfreunbliche Ve=
toegung burch alle fiänber geht, bann ift baS Verfäumte glorreich wieber
gut gu machen, (Snglanb muh bem einftimmigen Votum ber (Sultuts
nationen nachgeben, muh fein blutiges Schwert in bie Scheibe fteefen,
wenn bie gefammte gebilbete Menfchheit ihm ben heiligen ftrieg erflärt."
„28ie benfen Sie ftch baS?" fragte ber Mgeorbnete, ber eben ein
neues fttfleS ©las getntnfen hatte.
„$>arf ich @tc baran erinnern, welchen Xriuinph wir gntellectuellen
in ber $repfuSs9lffaire errungen haben? 3ft gpnen ber unerhörte
Siegeslauf beS ©oethe*VunbeS nicht mehr im ©ebädjtnih? Shmpathi*
firten nicht alle Völfer beS (SrbbaHS mit ben fühnen Vorfämpfem, bie
ben brachen ber fiüge unb ber ©ewiffenSfnedjtung erlegten?" 3)er (Sljef 5
rebacteur hatte eS feiner 3eit mit herglichem Vebauern Dermerft, bah
ihm anbere Vlätter mit ber hübfepen tReclame*gbee ber Vuren jamm-
lungen guDorgefommen waren, unb gerabe barurn gefiel ihm jept fein
Surrogat.- „SBie wir unS im gafle beS unglüdlidjeit MärtprerS Don
ber XeufelSinfel einmüthig gegen ben berbred)erifd)en Militarismus er=
hoben, wie im ©oethe=Vunbe ber geiftDoKe SBolgogen gum Kampfe gegen
bie Pfaffen aufrief, fo wollen wir ben heiligen $rieg erflären gegen bie
unwürbige ^igarro^olitif beS SRäuberS (Shamberlain." (Sr fdjmieg einen
Äugenblicf. 2>odj ber erhoffte Veifall blieb auS.
„9hm?" fragte er etwas gcreigt.
„VMr $eutfdjen allein fcpaffen'S nicht", entgegnete ber ^auSperr
fleinlaut. „Unb ben grangofen finb bie (Snglänber, bie gut* SluSftellung
fommen, lieber als bie Vuren, bie gu .§aufe bleiben ober pöcpftenS nach
St. Helena gehen. Von SRujjlanb erwarte ich fepon gar nichts, grau
Sllif hat ihren Mann fo in ben garten gingern, bah bie &uecn aud)
weiterhin ruhig Soba fchlürfen barf."
„Döe Lamellen!" brummte ber (Spefrebacteur. „Officiell machen
biefe Staaten freilief) nicht mit. dagegen werben fich ptioate 3toeig=
Dereine unferer heiligen $riegS=ßiga auch bort gu J&unberten bilben.
Unb bann rechne ich ftarf auf Slmerifa —"
„Slmerifa, uüt bem wir binnen Bürgern im fdjönften unb gar nicht
heiligen 3oflfriege liegen werben!" erwiberte ber DteichStagSabgeorbnete.
„Sie finb ein Scpwarmgeift, ^err ®octor. 'Sie Dergeffen aud) gang unb
gar, bah 3h re Sbee aud) bei unS gu Sanbc unburchfiihrbar ift. Ober
Sie mühten fich gerabe barauf capriciren, fich bei £wfe bauernb mih=
liebig gu machen."
„SSeil ber Äaifer im Sommer nach ©nglanb gu gehen beabfidjtigt?
0, ich glaube, feiner Veliebtheit .brüben fdjabete unfere Stga gang unb
gar nicht. Man würbe eS ihm Dielnietjr hoch anrechnen, wenn er ©ng*
lanb gu £iebe bie burenfreunblidje Strömung im Volfc unbeachtet liehe."
„Sie Dergeffen nur," warf ber Slbgeorbnete ein, „bah folcpe Sigen
ohne faiferliche Unterftüpung höchftcnS in Sübbeutfcplanb populär werben
fönnten. 3h^ Kollegen würben baS Unternehmen ausnahmslos tobt-
fcpweigen ober fid) bumm fteüen, wie fie eS ja mit anerfeitnenSwertper
SBeiSheit ben Sieben beS ^ringen öubwig gegenüber tpun. SBer heute
in $>eutfd)lanb noch ernftpaft für bie Vuren eintritt, ber tritt birect
gegen Seine Majeftät auf. ©r brüeft in unfeiner 5öeife auf bie wunbefte
Stelle unferer auswärtigen ^Solitif, erinnert an baS $rüger=Xelegramm
Don 1896. Man barf ja fagen, bah bie Vuren ohue bieS Telegramm
unb ohne bie barauf gegrünbete, fefte Hoffnung, bah wir ihnen gu .^ülfe
fommen würben, niemals ben $rieg gewagt hätten."
„9?uj, bann muh (Snglanb unS ja hoppelt banfbar fein. $>anit
wäre eS ohne unS ja nie gu bem Kriege unb folglich nie gu ber Slnneyion
bet* SRepubüfen gefommen."
„Sie finb friDol," gürnte bie .JpauSfrau bem Sprecher im ^)inter=
grunbe. 2)ie Herren bagegen fagten nichts unb befchäftigten fich mit
ihren Zigarren.
„Ratten bie Äerle wenigftenS (Sourage gegeigt, gohanneSburg unb
bie Minen in bie ßuft gefprengt!" lieh fich ber iterDöfe 3üngling Der=
nehmen. ,,^lber ihre $aftif ift ja Don s )l bis 3 lächerlich gemefen."
„$>ie Minen?" $>er Stabtrath machte ein (ehr ernfteS ©eficf)t.
„(Sin folcher VanbaliSmuS hätte fte mit einem Sd)lage aüer europäifdjen
Spmpathien beraubt. Vebenfen Sie bod), bah bei ben rapib weidjenben
Surfen unferer Dfentenpapiere Xaufenbe ihre Spargrofcpen in ©olbminen=
ShareS angelegt hoben. 2)ie 3crftÖrung ber gohouneSburger Minen —
um ©otteS VSiHen, ich wage gar nicht an bie Vörfenpanif gu benfen,
bie banach auSgebro^en wäre! Sie finb ein Umftürgler, §err Sanbibat."
„geh fehe, eS ift feine Stimmung mehr für ben heiligen $rieg
Dorhanben," murmelte ber ©emafjregelte mit einem matten Verfuche,
gu fepergen. „^iefelbe fiogif führt auch bahin, baS llnwefen ber Herren
ßueger unb S)rumont fcpweigenb gu ertragen. (SS fönnte ja eine Vaiffe
in £rambahn4(ctien herbeiführen, ober bie <Siffelthurnu©efeHfd)aft fönnte
heuer fdjlechte 2)ioibenben gahleu, wenn man bie Herren Don V3ien unb
Var iS hart anfahte.^
^5)er $>err im ^intergrunbe räufperte ftd). „$>aS mit bem heiligen
^rieg ift eine bortrefflidje gbee," fagte er. „Schabe nur, bah eS erftcnS
Don jeher Schicffal ber heiligen Kriege war, gwar oft geprebigt, aber
nie geführt gu werben, unb bah gweitenS bie $>errfd)aften im Vegriffe
ftanben, unfere nächften Verbünbeten mit ^rieg gu übergtehen. Meine
Derehrten ^Inwefenben, waS befämpfen wir beim an ßueger unb ©e=
noffen mit fo gerechtem 3ome? S)och nicht etwa ihren 9lntifemitiSmuS?
geh bitte Sie, über bergleidjen fonüjche Verirrungen lacht man im geit*
alter ber neuen 2lriftofratie unb ber Maffentaufen. SBenn wir bie
Sueger unb 3>rumont als rücfftänbig, mittelalterlich, Derpfafft, unbulb*
Digitized by
Google
366
Die (Scgctiuiart.
Nr. 28,
farn unb waS weife id) fonft nod) befepben, [o meinen wir aflemal ihren
§nfe gegen beit Kapitalismus. 92id)t bafe fie antiliberal finb, üerbriefet
unS, bentt in politifcpeu gragen laffen wir längft gebermann nad) feiner
gn$on felig werben. 9lber bafe fie, wie eS bei unS gu Sanbe bie junfer*
lüpen Agrarier tpuu, breite SolfSfcpidjten gegen bie Mmacpt beS
SwifcpenpanbelS unb ber Sörfe aufwiegetn; bafe fte unfere ftcherfte Sfüpe
im frönen (GegenwartSftaat, bie gegen alle Sörfenfteuern ftimmenbe
Socialbemofratie, mit (Gefcpicf unb (Glücf befäntpfen — baS mad)t fte
unS fo gefährlich unb fo unangenehm. 9luf bem ©ege gur grafe*
capitaliftifdjen SWeinperrfcpüft, gur Tictatur beS 3 lüi f c ^ en ^ an bel«, bie
wir bereits für gefiebert galten, roäfgen unS biefe Seute plöplid) febwere
Steine entgegen. Tie bumpfen, fo lange gutgläubigen unb gebulbigen
Waffen beS ÄleinbürgertpumeS bewaffnen fte wiber unS. Unb mit
fteigenbem (Erfolge! 9lrn eigenen Seibe oerfpüren Sie eS bereits — £>err
SWiquel, ber bocp wahrhaftig ein wohlmeinenber SDknn ift, mufete boeb bem
fanatifeben Trängcn ber erregten Spiefeer geborgen unb bie ©aaren*
hauSfteuer borfcplagen."
„©apr, leiber nur gu wahr," betätigte ber SReicpStagSabgeorbnete.
„Unb nun erflären Sie mir, meine £>errfd)aftett, weldjer fpöttifdje
Satan 3pnen bi* Surenliebe in'S E*rg gepflangt bat? ©er finb benn
bie Suren, waS wollen fte? Unb waS wollen bie (Englänber? 3<h
möchte Shnen ^ier nichts Don ben Scbwinbelrebeit ber mafeloS über*
fepäpten „TimeS" nacbplappern, unb ifp behaupte mit feinem ©orte,
bafe gopn Süll ba unten in Siibafrifa Kioilifation unb Silbung gu
oerbreiten gebenft. SRein (Gott, tbun wir benn öaS in Kamerun unb
ftiautfepau? 91 n Kamerun oerbienen unfere Kolonialfpeculanten, bie
bie Srüffeler Sörfe fennen, unb in ,fiautfd)au nimmt man bie mili*
tärifebe Einrichtung Oon fieben ober acht Kpinefen mit bem Moment*
Photographen auf. 92a ja! ©te bie 9iigger unb bie Kpinefen, fträuben
fiep bie Suren gegen bie Segnungen ber europälfcfeen (GrofecapitalS*
©irthfehaft. Sie fträuben fid) bagegen, Wie ber bumme fterl Oon ©ten,
Wie ber preufeifebe Saner unb Eanbwerfer, bie immer noch nicht ein*
gefehen haben, bafe fie in'S Proletariat gehören, bafe bie 3ufunft feinen
fetbftflänbigen TOitelftanb, fonbern nur E*rren unb Unechte, greie unb
Unfreie fennt. 9J2eine E*rrfd)aften, in unferent Säger ift (Englanb!
Seien wir bod) ehrlich, emancipiren wir unS bod) Oon ber finblicheit
(GefüplSbufelei, bie bem 92ormal*8eitungSlefer trefflid) frommt, unS aber
bie Schamrütbe in'S (Gcfidjt treiben mufe. Zehnten wir bie Tinge, wie
fie finb. gür biefelben Sbeen, bie wir in ber inneren politif oertreten,
oerbluteten eben KnglanbS Sölbner auf bem fübafrifanifeben Selbt! (ES
war ein heiliger ftrieg, meine Eerrfc^aften! Eaben Sie nod) einen
tropfen extra dry ba, bafe td) feinem Slnbenfen ein fiifleS(GlaS weihe?"
Tie am Ttfd) fagten wieber einmal nichts. 92ur ber E^perr,
ber feinen ©irtpSpflicpten eifrig oblag, winfte bem Sobnbiener, bafe er
bem Eerrn im Eiatergrunbe eingiefee, unb meinte bann: „Trinfen Sie
fleifeig fo lange bie Steuer noch nid)t erhöht ift! 9ludj ein abftrnfer
(Gebanle, bafe wir Kpainpagnerfreunbe bie glotte, bie wir braunen unb
ftürmifd) oerlangt haben, nun auch fclber begabten foOen. (ES wirb
recht ungemiithlich unb antiliberal in Tentfcplanb." Caliban.
--
TaS Teutfcptpum in Kpile. Son 3- Unolb. (München, 3*
g. Sehmann.) Ter Serfaffcr, ber fccbS 3<*pre im Aufträge ber cpile*
nifchen Regierung als Sebrer an einem StaatSlpceum gewirft, giebt gu*
nächft einen furgen piftorifepen Südblicf über baS Teutfcptpum in Kpile
feit ber (Eroberung beS SanbeS burd) bie Spanier. 92ad)bem er in all*
gemeinen Umriffen bie Sebeutung unb Sefcpäftiguug ber Teittfdjen im
mittleren Kpile bargefteQt, gebt er gum Eauptgegenftanb feines ©erfdjenS
über: Tie Kolonifation oon Süb* Kpile burch bie Teutfcpen 1850—60
unb bie Scpilberung biefeS ßleinbeutfcplanb in feiner gegenwärtigen
Slütbe. 51n ber Eanb eines begeifterten 3*ugen, beS bamaligen cpile*
nifchen 5lnfiebelungSeommtffärS, wirb ber 3 u ftanb biefer prooingen oor
unb nad) ber Seftebelung burch unfere SanbSleute gegeiepnet; auf (Gntnb
perfönlicher Seficfettgung wirb baS rege, geiftige unb wirtpfcpaftlidje
Seben in biefen btübenben beutfehen Kolonien am ftiflen Ocean gefebilbert,
baS bunfle Treiben ber gefährlichsten geinbe unfereS SolfSthumS (ber
gefuiten) beleuchtet unb auf bie hohen wichtigen Aufgaben pingewiejen,
gu beren Söfung baS Teutfcptpum im romanifepen 9lmerifa berufen wäre,
oorauSgefept, bafe eS bie Oon jenen Kulturpiouieren bewiefene geiftige,
fittliche unb wirtbfchaftliche Tiicpttgleit fich gu erhalten oerfteht Seiber
fteht eS hier unb bort bamit nicht gum Seften. 5lucp in Kbile finb bie
beutfehen Kolonien burd) confefjioneüe (Gegenfä&e oielfach unb tiefgepenb
gefpalten; eS ift nicht btofe ber (Gegenfap gwifchen freiftmügen unb ftreng:
gläubigen Proteftanten, ber trennt, fonbern noch ntepr berjenige gwifchen
Proteftanten unb ßatpolifen. ,,^5)abei tann man b^* toi* überall iiu
9luSIanb bie betrü6enbe Krfabrung madjen, bafe unfere fatbolifchen SanbS*
leute, benen nad) ihrer gangen Krgiebung natürlich bie Sircfeengemein*
fdjaft höh** fleht als bie SolfSgemeinfcfeaft, ftd) rafdjer unb leichter an
bie einheimifchc fatholifche Seoölferung anf^liefeen unb fefeon in ber
gweiten (Generation ihr $>eutfcbtl)um, bamit aber auch &aib ihre cultureüe
Ueberlegenheit einbüfeen." 3)er Serfaffcr ergählt traurige Seifpiele oon
confeffionellem unb politischem ganatiSmuS unb hebt b**Oor, wie bie
Oon unferen Ultramontanen begünftigte 9luSwanberung ftorffathoUfcber
Scplefier unb ©eftpbalen bie beutfebe Sache in gang Sübamerifa fdjioer
gefchäbigt hot- N „5)ie ,©eftphälinger‘, meift .tleinbauern unb *hout> s
werter, fmb fefeon in golge ihres befchränften confeffionellen ganatiSmuS
nicht bie Seute, um 3nbuftrie unb Euubel emporgubringen. 9Benn man
biefe beutfehen Sfänner an ber Seite ber gang ungebilbeten gerlumpten
chilenifdjen 9?otoS (Tagelöhner) in Proceffion geben fieht, oon ben patveS
geführt, gebanfenloS ihre (Gebete murntelnb, fo begreift man mit tiefftem
Schmerge, bafe biefe geiftig Firmen feine geweeften, rührigen Pioniere
beutfefeer Kultur feijt nod) werben föunen." 9luch bie beutfefee Schule
Oermag nicht überall mit (Erfolg in ber nachwachfenben (Generation
beutfdjeS ©efen gu erhalten unb gu pflegen. „K)ie Schule in Salbiota
g. S. würbe oon ben proteftantifchen beutfehen gegrünbet unb erhalten.
Ta aber bie (Gemeinbe gu wenig gasreich unb wohlhobenb ift, um
ßirdje unb Schule gugleid) gu förbern, fo ift ber enangelijebe Pfarrer
aud) ber Seiler uttb erfte Seljrer ber Schule. Taburd) erhält biefe einen
auSgefprochen confeffionellen Kfearafter, imb fclbft ohne bie E e b ercifn
ber gefuiten würben fid) fatljolifche beutfdje Klterit fdjioer entfdjliefeen,
ihre ^inber in biefe ntel)r protefiantifche als „beutfehe" Schule gu fd)iden.
So fomrnt eS, bafe bie flets fid) oergröfeernbe Sdjule unb KrgiehungS'
anftalt ber 3*fuiten, bie wie eine Kitabelle, ein geiftigeS „3 ! otnguri M ,
Oon ihrer Eöh* ouS bie ©egenb behcrrfdjt, immer gahlreicheren Sefuth«^
ftd) erfreut unb fdjon burd) ben Serfehr mit ben einhetmifdjeu Äinbem
gang bagu aitgethan ift, beutfehe Sprache unb beutfdjeS ©efen im tfeirne
gu erfiiefen. ©eitn alfo nicht frifd)er 3^5^9 ouS bem proteftantifchen
Teutjd)lanb nachfommt, werben an biefer h«roorragenben Stätte beutfeher
Kulturarbeit fpanifepe Sprache unb fpanifepe Trägheit, jefuitifepe ©eifteS=
oerbummung unb ©ißenSlähntung halb bie Uebcrpanb gewinnen." Unb
baS ift fepr Scpabe, benn in ben fpanifch*amerifanifcpen Sänbern haben
bie beutfepen Kinwanberer niept eigentlich einen Äampf um bie Krpaltung
ihres TeutfchtpumS gu füpren, wie in benen mit englifcp fpreepenber
oölferung. 3nt Wegentpeil — auch aufri^tigem, unoermeiblicpem
Sid)*Kinleben iu bie neuen Serpältniffe, auch nach Aneignung ber
fpaitifchen ober portugiefifepen Sprache unb Einnahme ber unentbepr*
licpften Sitten unb Umgangsformen Oermöcpten bie Teutfcpeit im roma*
uifepen Hmerifa redjt gut ipre (Eigenart, fogar ben politifcpen 3oiommen*
paitg mit ber E*ltnatp gu bewahren. Tagu wäre nötpig, bafe baS Dieich
felbft beit 3ofammenhattg mit ben fernen Söpuen (g. S. burd) jährliche
3ufcitbung oon Sürgerliften) aufreept git erhalten fud)te, ftatt bie ®e*
Digitized by v^.ooQle
Nr. 2S.
Die ©egenwart.
fepeSunfunbigen nach 10 Qa^rcn de facto ihre ©eichSangehÖrigfeit Der=
Heren gu Taffen, forote ba& eS für ©äter unb Söhne bie bet ber (Ent*
fernung fo läftigc Militärpflicht bitref) eine mäßige ^rieg^fleuer ablöfte,
uwS bet unferer gegenwärtigen Ucbergahl an blenftfähtgen Manüfchaften
ohne ©achtheil für baS (Gange gu bewerfftelligen wäre.
Siber bte (Englänberei in bet beutfehen Sprache. ^ on
$rofeffor Dr. £>• Junger. (©erlin, g. ©erggofb.) Ster ©erfaffer geigt,
in welchem Umfange firf) in nenefter 3eit bie auS bem (Englifchen ent=
lehnten grembmörter Vermehrt hoben. Säfjrenb man Dor 100 3oh™n
nur gmöff englijehe Wörter im $)eutfdjeti gählte, ift jept ihre ßabl au&er=
orbentlich grofj, unb fie »erben Don 3al)r gu 3&h r immer gasreicher.
$agu fommt, bafc fie mcift Döflig entbehrlich ftnb, g. ©. AuSbrücfe wie
fair unb unfair, allright, fashionable, gentlemanlike, shocking,
Outsider u. 51. S)iefe ©orliebe für baS (Englifche ertennt man fchon
auS ben englifchen Vornamen unferer Äinber (John, William, Mary,
Lizzy, Ellen) auS ben englifchen tarnen für .fcunbe unb ©ferbe (Fly,
Fox, Miss), für Sagen (Brake, Dog-cart), für ©Reifen unb (Getränte
(Irish-stew, Mock turtle-soup, Oxt^il-soup, Sherry für ben fpanifchen
Jerez-Sein), auS ben Anfimbigungen ber Shmftreiter unb SingfpieL
hallen, bie jept Don englifchen Sörtern wimmeln. Sogar leicht gu über=
fepenbe AuSbrücfe wie Self-mademan für felbftgemachter Mann, Self¬
government für ©elbftregierung, Lift für gahrftuhl, Meeting für ©er=
jammlung, werben unS in englifcher Sprache geboten. And) (Ergeugntffe
beutfehen (GemerbfteifjeS werben auf beutfd)eni ©oben unter englifchen
kanten Derfauft, wie bte befanuten ©letftifte Koh-i-noor, Made by
L. & C. Hardtmuth in Austria, British graphite pencil, Com-
pressed Lead. Am iippigften wuchert baS engltfche llnfraut auf bem
(Gebiete be$ Sportes unb ber ©emegungSfptele, befoitberS bei bem Sawn*
XenniSfptel (©cpbaflfpiel), bei bem nidjt nur alle 3nrufe ber Spielenben
in englifcher Sprache erfolgen, fonbent fogar englifd) gegählt wirb! 3)iefe
loiberwärtigc. neue AuSIänberei hat ihren (Gritnb in ber ©orliebe unferer
höheren (GefeflfchaftSf reife für englifdje Spradje, Sitte unb Wöbe, für
englifche (Einrichtungen unb SebeuSgewohnhetten. Auch in biefer Sprach-
erfcheinung geigen ftd) wteber bie alten (Erbfehler beS beutfehen:, ©er=
götterung beS grembeu, Mangel an beutfdjent Selbftgefühl unb Mtjj*
achtung ber Mutterfpvad)e. (ES fteht gu befürchten, bah unfere Sprache
eine ähnliche Ueberfluthung mit englifchen grembwörtern crletbet, wie
in früherer ^eit ntit ben frangöftfdjen; benn auch biefe würben anfangs
nur in ben- Dornehmen Streifen ber (Gefellfchaft gebraucht, bis fie all*
mälig in alle Schichten beS ©olfeS etnbrangen. Soldjem Unwefen ent*
gegengutreten ift bie Pflicht jebeS beutfehen, ber feine Sprache unb fein
©olföthum liebt, unb barunt ift gu wünfehen, bah $unger’S AuSfüfj=
rungen Don recht ©ieleit gelefen unb behergigt werben.
2>cr ßatholtciSmuS unb bie moberne Dichtung, ©on
ßrnft (Gi)ftrow. (Minbeu, ©ruiiS.) (Gpftrow will ben Nachweis liefern,
bah eine Qnferiorität beS ÄatholiciSmuS auf llterarifchem Gebiete ange*
nommen werben muh, bah fie feine gufällige ober Dorübergehenbe, Diel=
mehr eine (Erfdjelnuitg ift, bie mit ©othwenbigteit auS beut (Geijenfap
jwifchen ÄatholiciSmuS unb moberner Seltanfdjauung hettorgebt.
unterfucht bie philofophifd)en (Gruitblagen ber mlttelhodjbeutfchen unb
claffifchen Dichtung, ber 3Wobernen, ber Sßeuromantif, ber religiöfen
2\)x\t unb humoriftifchen Siteratur unb ftellt fie öergletchenb unb ab*
tüägertb ber officteHen ©hilofophte be8 ÄatholiciSmuS gegenüber, ©ieleä
erfcheint babei in ungewöhnlicher ©eleudjtung; gang neu ift bie $uf*
faffung ber neuromaittifchen Strömungen. 3)er 5lutor gelangt gu bem
^rfirfmih/ bah bte moberne Seltanfchauung ein (Eontpromih mit ber
fatholifchen nicht gulaffe, bah ber öermittelnbe reformatorifche £atholi=
ciSmu§ bcTangloS fei unb eine geiftige ©arität gwifchen ben beutfehen
^rotefianten unb Äatholifen immer mehr unmöglich werbe. 8ud)
beft^t einen auSgefprochenen literar^philofophifchen Serth unb gewinnt,
im ©rennpunft^ ber lex £>einpe gefehen, eine befonbere ©ebeutung. ®e=
rabegu glängenb ift bie Don grober ©elefenheit geugenbe ^ritif ber beHe=
triftifchen Siteratur be§ beutfehen Äatholici§mu§, fowie bie ©ewetSfiifp
rung ber 3?nfcrioritätSt^efe, bie übrigens aud) Don guten beutfehen $atljo=
lifen nicht beftritten wirb unb erft jüngft Don ©rof. Hermann Schell
in Sürgburg mit OJritnben geftüpt würbe, fo bah ©pftrow eigentUdh
offene ^h“^ einrennt. ?lber e§ ift gang gut, folche S)inge immer
wieber gu betonen, unb wäre e£ auch mu, um unfer ftetö proDocato=
rifcher auftretenbeS Zentrum gut Selbfterlenntnih unb ÜJfähigung gu
Deranlaffen.
©lattbütfeh Secberbof. 9lutgeben Don ben SWgemeeneit platte
bütfehen ©erbanb. ©iert Uplag. (©erlin, ©erlag ^ülfSDerein beutfeher
2el)rer.) 5)en plattbeutfdjen ßanb^Ieuten ift burch biefe prächtige Samm»
lang (Gelegenheit gegeben, in frohen iheifen auch ln ben fiauten ihrer
Sftutterfprache ^eitere unb ernfte Seifen ertönen gu laffen. 9?icht nur
ben plattbeutfchen ©ereinen, fonbern auch ben SWännergefang-, Surn^
unb ^riegerDereitten in plattbeutfchen Sanben bieten biefe frifchen unb
fröhlichen Sieber eine gunbgrttbe gur anregenben ?lu«geftaltung ihrer
gefeüigen 3nfQ»n»nfnnfte. ‘Der reiche Qnhalt berücffichtigt alle Sebent
unb ©ereinSDerhältniffe; bie 3nf a » me nftcüung Derräth eine glücfliche
$anb. @ine 3?otenbei(age für bie nicht allgemein befanuten 3Mobien
erhöht bie 8»«fmähigfeit be« ©üchleinS.
(Elafficität unb (Germant$mu8. Einige Sorte über ben
Seltfampf Don ©erner Don Reiben ft am. (Sten, 91. ^artleben.)
©erner af .^eibenftam ift bei un8 burch feine ^iftorifc^e (Ergähluitg
„Slarl XII." unb fleinere Sftggen befannt geworben. 3)ie Dorliegenbe
©tubie entfpringt ber Auflehnung gegen ben 3xuf nach £mntor unb
©oltöthümlichfeit in ber Dichtung unb Äunft. 9iach bem beutfehen be*
fipt fein ©olf ber germaittfchen ©affe eine (Eultur Dott fo auögefprodjen
clafftfdjem ©epräge, Derbunbeu mit einer fo natürlichen unb allgemeinen
Auffläruitg, Wie ba£ fchwebi[che. ÄeineÖ SanbeS culturelle (5ntwicfe=
hing, ©olf^geift, nationale (Ergiefpmg, fitnftlerifche unb literarifche
SchaffenSfraft warb in fo hohem (Grabe Don claffifchem (Geifte befruchtet.
3n ben Achtgigerjafjren jeboch würbe bieS (Element gum AngriffSpunft
für eine ©ethe junger fünftler unb Schriftfteüer, bie unter bem (£tn=
fluffe auSlänbifcher Strömungen unb ber bamalö noch neuen unb lebend
fräfHgeren naturaliftifchen Xheorien gegen bie fünftlerifchen unb poetifchett
Xrabitionen, bte claffifchen unb mehr ariftofrattfehen Seiten unb gormen
ber fchwebifchen ^unft unb Siteratur Sturm liefen. Sirfte biefe
©eform auch gweifelloS günfttg unb förbemb, fo brachte fte bod) mährenb
ber erften 5)ecennien eine ©erftärfung beö Materialismus, eine benton-
ftratiDe ^ehäfftgfeit gegen alle geiftigen unb ibeefleren Aufgaben h^rDor
unb gab bem ©erfafftfr Anlafe, biefer Strömung fchroff entgegengutreten.
5>eibenftant, ben fein ©atcrlanb baS größte Iprifche (Genie, bie „centrale
©erjönlichfeit" ber jungen fchwebifchen Dichtung nennt, ift aber nicht
nur fchönheittrunfener Hellene, fonbern auch & er warmblütige Sohn
feiner gelt. Steht bie Antife als ©lüthemonat Dor ihm, fo fann auch
feine Seit nicht im fahlen &erbftfchmiicfe Dor ben Augen ber rtchtenben
©achwelt erfchetnen. Unb Derföhnenb flicht er feinen $rang für baS
fterbenbe 3oh r hunbert, mährenb feine, Hoffnungen bem CGenittS beS
gwangigften SäcttlumS entgegenjtibeln.
Alle geschäftlichen Mittheilungen, Abonnements, Nummer¬
bestellungen etc. sind ohne Angabe eines Personennamens
zu adressiren an den Verlag der Gegenwart in Berlin W 9 57.
Alle auf den Inhalt dieser Zeitschrift bezüglichen Briefe, Kreuz¬
bänder,Bücher etc.(unverlangteManuscripte mit Rückporto)
an die Bedaction der „Gegenwart“ in Berlin W, Xansteinstr» 7«
Für unverlangte Manuscripte übernimmt weder der Verlag
noch die Redaction irgend welche Verbindlichkeit.
Digitized by v^.ooQle
368
Die ffiegentoari
Nr. 23.
Jlngeigett.
Sei BeßtUimgen beruft man |td) auf Die
„(Begenmatt“.
JL JL JL JL JL JL JL X X X X X i
lHUHlllIHMHIi
iüsmardt
im
Itvtcit
feiner 3 til|enjft«.
gunbert Original* ©utadjten
ö. fjreunb u. freinb: »jörnjon
Cranbcft »iicfiner C£ri 8 pi T>aün
Xaubet öflibi) gontaite ©rotfj
fcaecfel $artmann 3 ou=
bau äipling Ceoucaüallp fiin*
bau fiombrofo SNefötfdierBli
9 iigra Vorbau Ottiüier fetten«
lofer ©altSbur^ ©teitfiewicj
©imoit ©pencer ©pietyagen
©tanlep ©toecfer ©trinbbcrg
©uttner ©ilbenbrud) ©enter
Sola. u. b. Ä.
(Sieg. ge^. 2 SD?f. bom P«rlae ber (fccgcmuart,
»erlitt W. 57 .
Vertag oon ftofberg&glcrgcr in Jctpjtg.
Soeben erfd)len:
3tx
ber trauen unb Hinber
gegen
IDißljanblmtgen.
9fuf ©runb
amerifamfdjcr u.europäijd)er Materialien erörtert
bon
Dr. Hat! Z&aUtcx,
'$ripatbo$enten ber ©taatStoift. an ber llnib. Seip^la,
orbentl. SHitglleb ber Sntemattonalen »ereiuiguitg für
beugleie^enbe SRecfjtSroiff. unb »oiWloirtljfrtiaftSleljre in
»erlin unb ber American Academy of Political and
Social Science.
tlrets 4 Marf.
Xer $erfaffer bot Oon 11 $inberfcf)up=löer=
einen n. f. io. in New f)orf ( Söofton, Bonbon,
$ati3, Berlin, Neuaeblip, Bien intereffante
Materialien belontmen. dr bebanbelt audj bie
grage be§ @infdjreiteu$ ber £>au8genoffen gegen
begonnene Mifibanblungen.
„Bromwasser von, Dr. A. Erlenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitserseheimingen.
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergeatellt und dadurch
von mindcrwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von */ 4 1 75 Pf. in
der Apoth. u. Mineralwasserhandl. Bandorf (Rhein). Dr* Carbach & Cie.
Bad Beinerz,
klimatischer, waldreicher Höhen - Kurort — 568 Meter — in einem
schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Glatz, mit kohleusäurereichen Eisen-Trink-
u. Bade-Quellen, Mineral-* Moor-, Douche- u. Dampf-Bädern, Kaltwasser-Proceduren.
ferner eine vorzügliche Molken-, Milch- u. Kefyr- Kur -Anstalt* Hochquell enleitung.
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmangs- u. Yerdauuugsorgane, zur Ver¬
besserung der Ernährung u. der Constitution, Beseitigung rheumatisch-gichtischer
Leiden u. der Folgen entzündl. Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang Hai* Prosp. gratis.
Königliches Bad Oeynhausen.
©ommer= u. Bintcr-Ihnort. ©tation
ber Sinien 53erlin4£öln unb Böbnfc
&ilbe3beim. ©ommerfaifonu. 15. Mai
btd ($nbe ©ept. Binterfur Dom 1. Oft. bi§ Mitte Mai. jhtrutittfl: Naturtu. foblenf. Xljermalbäbei,
©oolbäber, ©ool=3ttfjaIatoriunt, Bellenbäber, (ihabirfuft, Mebiconicctjan. 3aiiberinfHtut, 9föntgen=
fammer, oorjügf. Molfen= u. Mifcpfuranftalt. Hcurö XhcrmalbabchauS am 15. Mai 1000 eröffnet.
Quotationen: drfranf ungen ber fernen, be« ©eljirnÄ u. Mücfenmarfö, ©id)t, MuäfeU u. ®elen!=
rbeumatiSmuö, $>er$franf beiten, ©fropbulofe, ?(nämte, djron. ©elenfem^iinbungen, grauenfranfb. k.
Äutfapefle: 42 Mufltcr, 120 Morgen fturparf, rigrned Äiirtpcater, 5öätte, ftonjeite. Vtflgemeine
Bafferleit. u. ©cbroenunfanalifation. $rofp. u. SBefdjreibung überf. frei bie figl. ttabchcrmaititng.
/Ji.V Wv'*4.\'^4- ^4A -k
V*r A***yY* *yV**/' y r'V» *y.‘•."* ' ,f -
$ie Segentoart 1872-1892.
Um nufer Saget ju räumen, bieten mit uufereu Abonnenten eine gSaftige
(Gelegenheit jur öeröoUftäubiguug bet Qottection. So meit ber Sorratb reidjt,
liefern mir bie Jahrgänge 1872—1892 ä 6 SR. (patt 18 SR.), ^»afbjabt#
Sänbe k 3 SR. (patt 9 2Ji.). üebuubent Jahrgänge 1 8 SH.
»erlag ber ©egenttiart ln »erlln W, 57.
5l!ab. geb. ©cbriftfteKer, bi«b- publicift.
(fiter. $ritif) in fBerfin tb^tig, energ. getniffen^
bafte ^hbeit^fraft, oorj. ©pra^tenntniffe (fran=
jöfifcb, englifd)), petfefter Stenograph,
ilHrtfdiincttfdirdPcr (.^ammonb), fuept unt.
befdi. ^infpr. in 91cDaftion r Xbcatcrfcfrctariat,
Slcrl.=33u^bblg., Ittcrar. Snftit. k. ©tefhmg.
Offert, an b. feyp. b. Gegenwart unt. A. G.
Stottern
heilen dauernd Dir. C. Denhardt’s
Anstalten Dresden-Loschwitz und
Burgsteinfurt, Westf. Herrl che Lage.
Honor. nach Hei lg. Prospecte gratis.
Aelteste staatl. durch S. M. Kaiser
Wilhelm I ausgezeichn. AnsL Deutsch!.
Verlag uoii Söil^clm .<öcvts in »erlitt.
Soeben erfct)ien:
#eorg non ^nnfett.
C£*in ßboraftevbüb au§ bem Öager ber
!s8efiegtcn r gezeichnet non feiner Xori)tcr
plitrtr non $«n(Vtn
22 33ogen Dftab.
Mit 33ud)fcf)mucf oon Marie oon Söunfeit
mtb einem Porträt in £>eliograüüre.
(Mebeftet 6 M. GJebunben 7 M.
^4. Xl -,X C'X 4 4. '
<7 i */v» + y ? *y
3n unferem Verlag ift erfd)ieneu:
pic (örgcmuffrt.
t&Xbnitönlfi fit i'fifrotM. ffunfl m iftrnrfWbt» ftboi
»"••»(*> ■> IM»
«tntrflhßrgiPfr 1872 -1896.
Grftcr biö fünfetgftcr ©anb.
Mit Nachträgen 1897—99. ©eb. 5 Jt
(Sin bibfiograpbifcf)e§ Berf erften
5Range§ über ba§ gefammte öffentliche,
qeiftige unb fünftferifebe üebeu ber lepten
25 3abre. NotbmenbigeS Nacbfcblagebud)
für bie öefer ber „©egennmrt", foiuie
für miffenfcbaftlicpe :c. Arbeiten, lieber
10,000 Nrtifef, nach gäcbern, S^erfaffern,
©cplagiuörtern georbnet. Xie Autoren
pfeubonpmer unb anonpmev Wrtifel finb
burcpioeg genannt. Unentbebrlicb für
jebe 33ibliotf)ef.
'ülud) bireft gegen ^oftamoeifung ober
Nad)nabme nom
Oerlag ber O&egenmart.
»erlitt W 57.
— ThftrlBffMliM«
Technikum Jlmensu]
flr lAeeUnen- ul Itoktu-
bftaUire.-Teekifter i.-WerkiitliterJ
■ Dlrector Jentsen. \~
fSismiirita flatpfolget.
JRotnatt
oon
^ßeop^tC JSofCtrtg.
W 9el(iauigahc. "WS
Spreiz 3 Marf. ©d)ön gebunben 4 Mail
Xiefcr s Jli§niavcf=GapriOi'Noman, ber in
mentgen Sauren fünf ftarfe Stuf lagen erlebt,
erfdjeiut hier in einer um bie .ftälfte billigeren
^olf§au§gabe.
Xurd) alle 93ud)banblungen ober gegen ^in :
fenbitng be§ ©etrag§ poftfreie 8 u f cn ^ un 0 1,01:1
Ucrlag der Gegenwart,
»etltn W. 57.
»erantmortltcüfr Ofebactcur: Dr. XbeopijU Soüing tn »crltn. IRcbaction unb (Sjbcbttion: »etlln W., Wanfteinflrabc 7 . Dvutf non A ©ftfrr tn firtwtfl
Digitized by v^.ooQle
M 24.
29. Jahrgang.
Band 57.
3 &etrCut, 6 m 16 . §uni 1900 »
c
: V *-
fie Gkjpumrt.
Söodjenfdhrtft für giteratur, Äunft unb öffentliche^ geben.
£ettttt*0tgt8en hott ‘gQtopQU ^oCfhtg.
leben lonnabenb erfdjftat eine |tamwr.
8u fc$ie$cn bur$ alle ©itdtöanblmtgen unb JSoftfimter.
Verlag ber ©egenttiart tn Serltn W, 57.
Vtertelt)l||tltit 4 V. 60 ||f. fta gxua 50 Vf.
Snferate jeber Ärt pto 8 geflatterte JtetttyeUe 80
$)ie Regelung be8 &uSöetfauf8njefen8. öon Otto Sretfjerrn bon ©oentgf (#aI6erftabt). — 2)ie grauertbetoegung unb bte
A* /» I»/ 3)ienftbotenfrage. $3on ©Itja Sdjenbaeufer. — föeaigtytnnafium unb SÄebicinflubium. SBon föeatyrogtymnafialsSDtrector
Bui&Lt’ ®* (Watibor). — Unbenufcte 9?aturträfte. S3on ©uftab #. (Saft. — Literatur unb ftmtft S)ie ©eige al8 tnoberneS
©oloinftTument. 93on $ebtt>tg bon grieblaenber*$lbel. — £attel)ranb al$ bramatifdjer ©toff. $on ©ottlieb 3)aum.
(©djlufj.) — geuUletütt. $o§e8 ©Jjicl. 9Son 2out$ SouperuS. $u8 bem ^offänbifcften. (©dtfufj.) — Wnjeigen.
Die Hegelutuj be« IttßoerhattfBtoefens.
3$on 0ito (fretljerrn oon Boentgf ($alberftabt).
3n golge einer Anregung beß 9lbg. Doeten im Deicf)ßtage
bat ber ©taatßfccretär beß inneren Grhebungen über baß
Slußoerfaufßwefen in ®eutfdjlanb angeorbnet, bie jur 3eit im
-Gange finb. 9lußgef)enb Don ber ©eljauptung, bafe bie Ge*
richte, inßbcfotibere fogar baß Deichßgericht, nidjt fähig finb,
ben Geift unferer „©chufcgefetje" ju erfaffen, bielmehr fic£)
ftrict an ben SBortlaut halten, ohne ben SKotioen beß Gefefj*
geberß ftadjjufpüren, roieö bet genannte 9l6georbnete befouberß
auf ein 9teichßgerid)tßurtheil bom 21. ©eptemöer 1897 f)in,
in Welchem ber Slngeflagte freigefprod)en würbe, fich gegen
§ 1 beß ©efefceß jur ©efämpfung beß unlauteren SBettbeWerbeß
bergangen ju haben, obwohl er einen tfjeilweifen Slußüetfauf
angetönbigt unb boch gcwiffe SBaaren währenb ber ®auer
beß Slußberfaufß „nadjgefchoben", b. h- ^injugefauft hatte.
?luth ber Vertreter ber Deidjßregierung, Graf ©ofabowßfp,
fprad) ficE) baljin auß, bafj bieS Urtheil nicht feinem Gmpfinben
entfpreche, unb fo ift man in Grwägungen eingetreten, wie
bem Uebelftanbe abjuhetfen fei, ob man bteß am beften butch
eine anbere Raffung beß § 1 beß Unlauterfeitßgefcheß er*
reichen wollte, ober aber, inbern man in einem befonberen
Gefefce baß SlußüerfaufßWefen unter 3 u hülfenahme ber Ge*
toetbepolijei regeln foUe.
®afj in ber E£l)at ein Uebelftanb oorliegt, bürfte nicht
jweifelhaft fein, nachbem man gewöhnt ift, an allen Gtfen
unb Gnben ©tacate unb Slnnoncen gu begegnen, in benen
man auf bie ganj bef.onberß günftige Gelegenheit, SBaaten ju
erwerben, burch baß oerlodenbe SEBort „$ußoerfauf" hinge*
toiefen wirb, greitibf) ift eß bei unß fdf)Werer, baß SDaterial
ju fammeln, wetdjeß ben Unfug nach °Qen Dichtungen ju be*
teuften oermag, aber wir fönnen unß bieß SKaterial auß
Defterreidj oerphaffen, ba bort bie Abhaltung eineß Sluß*
Oerfaufß oon ber Genehmigung ber Gewerbebeljörbe abhängig
ift, biefe alfo in ber Sage ift, bie SSerhältniffe ju überbliden.
®a hat eß fidj benn heraußgefteHt, bafj alle möglichen unb
unmöglichen Stnläffe ju einem Slußberfauf benu^t werben,
nicht nur etwa bie Verlegung beß Gefchäftßlocalß ober bie
Buflöfung beß Gefdjäftß, fonbern auch t>' e Aufgabe einjetner
ürtifel, ber Umbau beß Sabenß, SBefdjäbigung oon SBaaren
burch Seuer ic. jc. (Sin SKipftanb liegt fonach reiflich oor
unb eß oerfohnt bemgemäp, ber grage an biefer ©teile näher
ju treten.
Sillen jenen SDiahnahmen ber Sfaufleute liegt ber eine
SBunfcf) ju Grunbe, bie SBaaren mittelft bcfdjleunigten 83er*
fahrenß an ben ÜJfann ju bringen unb man hat in Öefterreich
baher neuerbingß neben bem Slußbrucf „Slußoerfauf" häufig
bie ©ejeidjnung „©chnellüerfauf" angeWenbet, um auch
biejenigen SBorfommniffe ju treffen, Welche nicht auf ein
ööÜigeß Sluß*, b. h- 3 Us ® n ^ e '® er f au f £n kiß jur (Srfchöpfung
beß Sagerß hioaußlaufen, fonbern nur bie Sefchleunigung beß
SSerfaufß im Singe haben. ®a eß fich alfo immer um
©chnetloerfäufe hanbelt, fo ift eß aud) erforberlich, bap ein
fchnelleß Gingreifen gefe^lich möglich ift. SBir haben gälle
beß unlauteren SBettbewerbß erlebt, beten gerid)tlid)e Grlebigung
fich Saljre lang hinjog, fobap baß fdjliejjlidje Urtheil für baß
pulfierenbe geben ber ißrafiß abfolut feinen SBerth mehr
hatte. SBürbe man alfo baß Unlauterfeitßgefeh bahin er*
gänjen, bap feine Seftimmungen auf bie ©dhnefioerfäufe —
id^ will bicfen Slußbrud acceptiren — Sfnwenbung finbe, fo
bliebe 91 Heß beim Sllten. Dur bann fann baß Uebel befeitigt
werben, wenn man bei ober noch oor (Sröffnung beß ©djneü*
Oerfaufß fofort einfehreiten fann. Gin ©chneüüerfauf bejWedt
felbftüerftänblid), fchneH ju üerfaufen unb wenn baher bem
fd)neHen SSerfauf ein langfameß Geridjtßoerfahren gegenüber*
gefteQt werben foK, fo ift bie ganje Motion jwecfloß.
Sft man alfo ber Ueberjeugung, bap auf biefem Gebiete
etwaß gefchehen müffe — unb biefer Ueberjeugung neigt ja
bie Deid)ßregierung, wie eß fd)eint, ju — fo empfiehlt eß fid),
einen anberen 3Beg einjufchlagen unb befonbere ©eftimmungen,
fei eß burch Ginfügen eineß weiteren gledenß auf baß bunt*
fdjedige fileib ber GeWerbe=Drbnung, fei eß burdh ©dhaffung
eineß ©onbergefeheß, betr. baß Stußoerfaufßwefen nach öfter*
rei^if^em üttufter, ju treffen.
®aß ift freilich nicht fo einfach, ba bie begriffliche
gaffung ber ©djneHüerfäufe unter ©erüdfidjtigung bet ©e*
bürfniffe beß ©erfehrß mandje ©chwierigfeit bereiten bürfte
unb boch anbererfeitß unfere Dichter oon ben gefejjgebenben
gactoren eine ftricte gaffung öerlangen. Smmethin aber
wirb eß, jumal ba Wir in ber gage finb, Defterreidjß Gr*
fahrungen für unß nujjbar ju machen, nid)t unmöglich fein,
ju einer befriebigenben göfung ju gelangen.
gunächft ift feftjufteHen, bafj eß fidh oid)t barum Ijanbeln
fann, baß ©chneäoerfaufßwefen gänjli^ auß ber SBelt ju
fchaffen, benn eß bürfte feineß ©eweifeß bebütfen, ba| gätle,
fogar häufig, eintreten fönnen, in benen baß SWittel, einen
©djnellocrfauf oorjunehmen, thatfächlich angewenbet werben
Digitized by v^. ooQie
370
Ute d&egenroart.
Nr. 24.
muß, wenn ber SBerfäufer nid)t cmpfinblid)cn ©fabelt teibeti
foH. ®aS ift 3. ©. bet gaH bei SBaaren, roetdje feirfjt Der»
berblicß ober bet ©eeinfluffung burd) bie SBitterung feiert
jugänglid) finb. ®aS ift aber ferner burdjgeßenbS bei ben«
jenigen Artifeln ber gall, we(d)e ber SRobe unterworfen finb,
atfo — obwohl böllig unueränbert — lebiglicß babureß an
SBertß bebeutenb berlieren, baß fic nid)t 311 einer beftimmten
3 eit -oerfauft worben finb. 35 ic ©onfectionSgefcßäfte ßabeu
baßer baS berechtigte ©erlangen nach fogenannten „biQigen
'Sagen“, ,,©aifon«SlnSuerfäufen" jc., welche fic 311t Slbftoßung
bon altmobifcßen ober an ber ©renje ber neuen SEWobe
ftehenben SBaaren benußen müffeti. ©ine Säufdjung beS
©ublicumS braucht mit biefen ©cßnelluerfäufen feineSwegS
berbunben 311 fein, auch feine auf Unlautcrfeit jurfidjuführenbe
unb unberechtigte ©enacßtßciligung ber ©oncurrens- ©S ßieße
baS ftinb mit bem ©abe ausfdjütten, wollte man berartige
in ber fRatur beS ©efdjäftsbetriebs gelegene ©cßneHucrfäufe
oerbieten ober überhaupt aud) nur conceffionSpfücßtig machen.
— Sicfe Slrt ber SluSuerfäufe betämpft ber Sleinßanbel auch
nicht, ba er fief) bamit naturgemäß empfinblid) in’# eigene
glcifd) fdjneiben würbe, ©ci ber Ausarbeitung einer bejüg*
lidjen ©orfeßrift wirb baS 311 beachten fein unb ift audß
gelegentlich ber ©orberathungen beS öfterreidjifeßen ©efeßeS
uom 16 . Januar 1895 (fR@©(. fRr. 26 ) in fRüdficßt gezogen
Worben.
ferner ift auf bie 'Jßatfadjc jit oerweifen, baß aud) bet
SRachfcßub bon SBaaren bei einem SfuSoerfauf nicht abfolut
3U berbieten fein bürfte. @S ift nidjt 311 leugnen, baß bei
folchen ©eranftaltungen ber Unternehmer oft ( in großem
Umfange eine Säufdjung beS ©ublicumS babureß Ejerbeigefiihvt
hat, baß er Slrtifel, beren ©orrath burd) ben befdjleunigten
©erfauf erfeßöpft war burd) 3 u feuf, fügen. fRadjfcßub ergän3t
unb biefe Artifel gleichfalls als SluSöcrfaufSartifel abgegeben
hat. Saß biefer ©iißftanb einen ber ©arbinalpunfte ber
gansen Angelegenheit bilbet, unterliegt feinem Zweifel, unb
aud) barüber bürfte eine SReinungSoerfcßiebeuheit nid)t befielen,
baß biefem Sreibcn ein energifdjer SKiajel borgefchobcn werben
muß. Aber man barf anbcrerfeitS nicht oerfennen, baß in
einzelnen gälleu ber gufauf bon „couranten" SBaaren notß«
wenbig ift, um auberc, -nicht courante abfeßen 3U Reifen.
SBenn 3. ©. .ein SBäfdjewaarenßäublet ftirbt unb feine ©rben
beranftaltcu einen AuSberfauf, ba fic baS ©efcßäft nicht
weiter 3U führen gcbenlen, fo wirb man eS ihnen nicht ber=
argen fönuen, baß fie 3. ©. einen {leinen ©often Safdjen»
tiießer 3ufaufen, ba fonft bielleidjt ber erwünfeßte ©rfolg beS
AuSbcrfaufS in gragc gefteflt wäre. (©twaS AnbercS ift eS,
ob unb in wcldjcr SBeife bie ber AuSberfaufSmaffe angehbrigen
SBaarenbeftänbe bon ben bem AuSberfauf nicht unterliegenden
SBaaren, be3W. beit nad)gcfihobenen < 2 afd)entüd)ern getrennt
ober boeß unterfchiebeit werben.) Auch bieS Moment, weldjeS
in gewiffen, im ©efeß genau 311 präcifirenben gälten ben
ÜRacßfdjub ein3elner SBaaren in einem befdjränlteu Umfange
geftattet wiffen will, muß bei ber weiteren ©ehanblung 3U
©runbe gelegt werben.
Sowohl ber Aba. ÜRoeren Wie ©raf ©ofabowSfß haben
in ihren ©eben im ©eidßStage bem ©egriff beS AuSberfaufS
einen Snßalt gegeben, welrijer ben tßatfädjlichen ©erhältniffen
nicht entfprießt. SS wäre nad) ben oorftehenben Ausführungen
weit über baS giel hiuaitSgefdjoffcn, wollte man im Anfd)luß
an bie Slnficßten ber genannten beiben ©eießstagörebner nur
foldje AuSberfäufe als beredjtigt anerfennen, Welche auf eine
gäii3lid)e ©äumung beS borhanbenen SBaarenbeftanbeS unter
oöfliger AuSfchtießung bon nadigefchobenen SBaaren ab3ieten.
©in wichtiger ©unft ift ferner bie bereits berührte Unter«
fcfjeibbarfeit ber SluSüeffaufS* unb ber anberen SBaaren.
Sn Cefterreicß ift ber SluSberfauf, „wenn er nicht auf bie
urfprünglid) angemclbeten SBaaren befeßränft bleibt", fofort
ju fcßließen u. f. w. 2)iefe gorm ber au fich berechtigten
©orfeßrift ift nicht empfehlenSwerth, ohne baß — waS bort
nicht ber gall ift — gleichseitig Oorgefcßrieben wirb, in
welcher SBeife bie 311m AuSberfauf angemelbeten SBaaren als
folcße fenntiid) gemacht werben Jollen. Oft fießt fid) ein
Kaufmann genötßigt, feinem Söctriebe infofern eine anbere
©ießtung 3U geben, als er einseine Artifel „aufgiebt", b. f).
auSberfauft. SBürbe er aus biefem Anlaß anfünbigen „Aus
berfauf einiger Artifel wegen Aenberung beS ©efcßäftS“ ober
bergleidjen, fo liegt eS naße, baß er aucf) feine anberen Artifel
an ben 2 Rann 3U bringen fueßt. ©S muß ißm aber oenoeßrt
Werben, bieS in ber SBeife 3U thun, baß er baS ©ublicum
in ben ©lauben üerfeßt, aud) biefe Slrtifel unterftünben ben
AuSberfaufSbebingungen. ®aS 3U erreichen, crfcheint eine
©eftimmung 3wedmäßig, gemäß Welcher in jeber auf ben
©cßneUoerfiuif ßinbeutenben ©eröffentlicßung bie betreffenben
SBaaren genau bezeichnet unb in bem ©erfaufslocale bic
SluSberfaufSwaaren bon beu anberen ficßtlid) getrennt finb.
SBic baS gefcheßen fann, baS barsulegen, ift 1 )kx fein 9 faum.
©S genügt hier feftjuftetlen, baß bei gutem SBillen fitß auch
ein SBeg fiuben wirb.
©ine weitere Beßre geben unS bie ©rfaßrungen in Geiler
reicß, wc(cf)e fid) in ben ©rotofollen ber bortigen §anbet»=
fammern genau wicberfpiegeln. ®aS mehrfach citirte ®eftt
unterwirft obrigfeitlicßer ©eneßmigung bie „©eranftaltung
bon angefünbigten öffentlichen AuSberfäufen". Diefe SluS
brudSweife ßat bie finbigen ©cßwinbler üeranlaßt, baS SBott
SluSberfauf in ißren Slnfünbigungen fortsulaffen unb on=
Suneßmen, baß fie bamit burd) eine SRafcße beS ©efeßeSne^ee
burchfchlüpfeit fönnten. 3 Ran finbet ©eseießnungen wie „lieber
fiebelungSberfauf", „fRotßberfauf", „©aifonberfauf fämnit
ließet Nouveautes" (!), „Dccafion", „SBeißnacßtSoccafion“ ober
ganse ©äße, beren Snßalt baS ominöfe SBort „SluSoerfoicf'
bermeibet. ©0 hatte ein Kaufmann sur SBeißnacßtSseit für
Wenige SBocßen einen Saben gemietßet unb placatirt: „©ämmt^
ließe im Socale befinblicßen SBaaren werben wegen wr
gerüdter ©aifon 3U tief rebucirten ©reifen berfauft". ©
würbe baßer ein ©rlaß ber ßößeren SSerwaltungSbeßbrbe
nötßig, welcher auch biejeuigen ©cßncllberfäufe als bem frag«
ließen ©efeß unterfteßenb cßarafterifirt, in beren Slnfünbigungen
baS SBort AuSberfauf nießt gebraucht Wirb. — SBir »erben
baßer in ®eutfcß(anb gut tßun, auch baS SBort „AuSberfauf“
aus bem ©efeß 3U berbannen ober begrifflich feftjulegen, ba
wir fonft bei ber bereits angebeuteten Steigung unferer fRicßtct
311 formeller SluSlegung beS XejteS aueß weiterhin triebe
©rfaßrungen machen bürften. ®aS muß um fo meßr ge«
feßeßen, als fonft ber Untcrfcßieb swifeßett AuSberfauf unb
anberen auf einen fcßneHeren ©erfauf gerichteten Seftrebungen
böUig berwifeßt ift unb ber SRicßter fidjerlicß bem gefeßmäßten
SBort eine 3U enge SluSlegung geben Würbe.
®ie wießtigfte grage ber gansen Slngelegenßeit: ob man
SluSberfäufe concefftonSpflidßtig maeßen ober fieß bamit be=
gnügen fofl, gewiffe ©orfommniffe unter ©träfe 3U ftcQen,
läßt fid) naeß ben obigen ©inselßeiten betreffenben SRittbd 1
lungen leicßt beantworten unb swar bureß folgenben Aor=
fcßlag. Seber Unternehmer eines ©cßneUberfaufS, auf »elcben
Anlaß biefer aueß surüdsufüßrett fei, füllte berpffießtet fein,
einige Sage bor ©röffnung beS ©erfaufS ber SSerwaltungS
beßörbe genaue Angaben über Umfang, Slrt, ©igeutßümet
unb ©erfäufer ber auSsitberfaufenben SBaaren, ©cfcßäftSlocal,
®auer unb Anlaß ber ©eranftaltung rc. 3U maeßen unb fid)
eine ©eglaubigung biefer Anseige anSftetlen 3U laffen. ®icjf
©eglaubigungSnrfunbe, auS welcßer alle Details beS €cßnd!
berfaufS auSreicßenb 3U erfeßen finb, muß bann ber Acr ;
anftalter an ber Slußenfeite feines ©erfaufSlocatS wäßrenb
ber S)auer beS ©djneUberfaufS öffentlich auSßängen. Aci
ßuwiberßanblungen fann bie ©olisei oßne SBeitereS ein«
feßreiten.
SBenn man biefe ©orfeßtift sum ©efeß erßebt, fo er«
reießt man baS ©ewünfeßte, aueß oßne ber ©erwaltungS&eßßrbe
bic Sonceffionirung anßeirn su ftellen. ®en £>anbels£ammeni
Digitized by v^. ooQie
Nr, 24.
Die (Gegenwart.
371
biefe ©onceffionirung anheim ju geben, geljt ntcfjt an, einer»
feit«, »eil leibet and) nod) nid)t überall folc^e Körperfdjafteu
beftegen, unb sWeitenS, tocil btefelbeu igrer ganzen Drgani»
l'ation nad) für eine folcgc Slufgabe meinet ©racgtettS jur geit
wenigftenS nod) nid)t recgt brauchbar erfcgeincn. (53 blieben
alfo nur bie unteren VerroaltungSbegörben, bie aber befamtt»
lidj oft über baS, waS bcm Kaufmann frommt, .nicht orientirt
finb. das ©onceffionirungSfgftem ift batjer in biefem gatte
nicht ju empfehlen, ba man auf anberem SBege aud) 3um
giele gelangt.
. Die -Frauenbewegung unb bie Dienftbotenfrage.
SBoit (£[130 ‘ 3 d)ettl)aeufer.
Sn einem Vortrage, ben ein befannter ^Berliner SRebner
in einem grauenberein jüngft hielt, empfahl er ber grauen»
beWegung, fid) ber dienftbotenfrage ansunefjmen, unb machte
ihr einen Vorwurf barauS, ben @djäben im dienftbotenftanbe
fo Wenig Veadjtung unb ©gmpatfjie ^ujuroenben. diefer
Vorwurf unb bie ©rmiberung ber Vorfigenben beS Vereins,
bah fie erft im begriffe fei, bie dienftbotenfrage ju ftubiren,
ftnb ganj geeignet, - im publicum ben ©tauben ju erweden,
als ob bie grauenbewegung einer fo Wichtigen grage, bie
eine fo große grauengruppe betrifft, in ber dgat gleidjgiiltig
qegenüberftege. diefe Sinnahme ift eine abfolut irrige, unb
ich fllaube, eS ift ^flid)t, biefen Srrtgum tlarjuftelltn, bamit
einerfeit« bie ohnehin häufig ansutreffenbe falfcgc Sfnfkgt, als
erftrebc bie grauenbewegmtg nur fRecgte unb feine Pflichten,
als wolle fie nur für bie grauen einer beftimmten ©(affe
cintreten, nicht nod) mehr genährt werbe, unb anbererfeitS
ber in 9 iebe ftegenbe Siebnet unb feine etwaigen SRacgfolger
fid) mit ihrem Slppefl an biejenigen grauen Wenbeit mögen,
bie außerhalb ber graueitbewegung ftehen unb nod) mibe»
rührt Don all’ ben bie ©egenwart beWegenben gragen finb,
beten Summe bie fociale grage barfteilt. Sie finb eS, bie
nicht begreifen fönnen, baß in ber gägrcnben geit, in ber wir
leben, SlfleS nach oben brängt, baß auch diejenigen, bie
bisher nur bie trübe ©eite beS ScbenS gefannt, bie in ber
Tretmühle einer ftetS ftcfj gleidjbleibenben enblofen SIBtagS»
arbeit jum SlrbeitStgiere hinabjufinfen broljten, bon ber Sonne,
bie für Sitte ftgeint, ebenfaES ein dfjeilcgen hüben WoEen,
baß auch ißt Körper unb ©eift ©rgotung braucht, um frifd)c
SebenSfraft unb ScbenSluft 31t fdjöpfeit, baß auch f' e 3J?enfcf>en
unter SRenfcgen fein woEen.
SBie mandje darne, bie ihre gangen läge mit ©posieren»
gehen, Xoiletten unb Vergnügungen »erbringt, ift gans empört,
trenn ihr SRäbdjett einmal wöchentlich au 3 gegen möchte, ja,
eS giebt fogar foldje, bie eS fdjon 3U Diel finben, wenn baS
^erfonal einmal in biersehn »Tagen auSsugegen begehrt, unb
bie, ehe fie fich felbft ber 3 Rüge untersagen, swei 2 Ral im
SRonat bie Ueberwacguug ihrer Kinber borsunegmen, lieber
baS abgeljegte, lufthungerige SRäbdjen bcranlaffen, auf ihren
SluSgegetag 3U bergidjten. grauen, bie brei ERäbcgen hoben,
hörte id) fchon gans empört übet bie grechheit ihrer SRäbdjen
(lagen, bie nach getfjaner Sir beit um acht Uhr Slbenbs fid)
in ißr gimmer surüdgögen, um ihre KleibungS» unb Sßäfdje»
ftüde auSsubeffern. SRodj gerrfdjt bie ominöfe Slnfidjt in ber
SRegrsagl unferer grauenfreife, baß eine gute fpauSftau nur
bie fei, bie ißr ißerfonal ftänbig gut Slrbcit angalte, unb
baß eS ein fd)led)te£ gengniß für igre ^auSfrauenqualität
fei, wenn ihr SRäbdjen aud) 'mal ber fRuge pflege, gär bie
abfolute Verftänbnißlofigfeit, bie Weitefte Kreifc ber dienft»
botenfrage entgegenbringen, lieferte auch bie dgatfadje ein
tgarafteriftifdjeS Veifpiel, baß, als bie auch ber treffe
tiielbefprocgene ©nquete über bie Verliner dienftbotenberfjält»
niffe fftrslicg beranftaltet würbe, eine Steige bon danten aus
gebilbeten Kreifen bie gragebogen 3U SlmüfementösWeden be»
nulten, fie mit atterlei unwahren Slngabeit auSfüEteu unb
biefen (SinfaE göcgft geiftreid) fanben. diefen Kreifen foflte
ein ißrioatifftmum über pflügten uitbSlufgaben einer mobernen
.'pauSfrau ihren dienftboten gegenüber gehalten werben, biel»
leicht an einem ber mobifdjen VortragSabenbe 3U fechS SRarf
pro ‘rßerfou, bamit fid) baS geeignete publicum fidjer einfinbe.
die grauenbewegung aber hot baS nid)t nötfjig, fie hot
fid) bon Slubeginn an ber dienftbotenfrage angenommen, als
biefe im Sommer lebten SahreS auS beit Kreifen ber dien ft»
boten heraus aufgeworfen würbe, fie hot ben berechtigten
Kern auS ber großen gafjl ber gorberungen, bie geftettt
Würben, gcrauSgefcfjält unb fich S u eigen gewacht, ©djreiberin
biefeS hat im herbft legten SahreS im berliner grauenberein
in ©erlitt unb im dreSbner fRedjtSfdjußberein in dreSben
einen Vortrag gehalten, ber in feinen gorberungen fo weit
ging, baß, als er füglich als Vrofdjüre im drud crfdjien,
ber „Vorwärts" ign „eine ber berftänbigften ©cßriften über
biefeS naeggerabe brennettb geworbene dljcma" nannte. Unb
trogbem, wie baS focialbentofratifdjc Sob gur ©enüge beweift,
meine Sieformborf^läge geniigenb rabicaler 3 ?atur finb —
ich »erlange Slbfdjaffung ber ©cfinbe»Dtbnungen unb ber
dienftbücher unb an ©teile ber legteren facultatibe geugniffe
für bie majorennen unb obligatorifcfje SlrbcitSbiichcr für
bie minorennen dienftboten, bie (Sinbesiehnng perfelben
in bie obligatorifdjc Krönten» unb UnfaEberfidjerung, fowie
ihre Unterftettung unter bie 5 Reicl)S»©eWerbeorbnung, ©infiih*
rung einer geregelten SlrbeitSseit mit einem SBochenminimum
an greigeit, ©ewährung bon gefunben unb freunblichen SBogu»
räumen, Slbfdjaffung ber drinfgclbcr unb bafur angemeffenc
©egahlung »on Ueberarbeit, Umwanblung ber Vescidjnung
dienftbotc in „|)auSgehülfin", obligatorifdjc gortbilbungS»
fdjuten mit fiauShaltungSunterricht unb communafc SlrbcitS»
itad)Weifc — trogbem biefe Veformborfchläge giemlid) weit
gegen, finb fie »on ber aflgemcin als fehr gemäßigt geltenben
Vorfigenbcit beS Vcrliner graucnuercinS, gräulcin fpclene
Sange, feßr warm befürwortet worben, ift bie Vorfigenbe beS
dreSbner JBecbtSfdjugbercinS, bie gegenwärtig gleichzeitig Vor»
figenbe beS VunbeS beutfeger grauenbereine ift, über meine
gorberungen noch h'aauS gegangen, grau ©tritt erflärte
nämlich, baß fie fid) nicht allein meinen gorberungen boE
unb gans anfdjließe, fonbern, baß ein SBodjenminimum an
greiheit ißr noch itidjt qenüqc unb fie ein daqeSminimum
ftatt beffen wünfdje.
die am Sonboner Sntcrnationalen graueu»6ongrcß theif»
nehmeitbcn güßrerinnen ber grauenbewegung gingen noch
ein ©tüddjen weiter: ©lementinc Vlad fagte unter Slitberem
golgenbcS: „die gegenwärtige Sage ber dienftboten giebt
ben SRäbdjcn unb grauen berjenigen (Stoffe, auS ber fich bie
dienftboten*rccrutiren, ©runb sur Unzufriebenjeit, unb in
golge beffen finft baS Slngebot. ©S janbelt fich h> er nicht
bavum, ob biefeS Vorurtgeil berechtigt ift ober nicht, dhat»
fad)c ift, baß cS borganben ift unb bleibt. SBenn wir mit
igm anfräumen WoEen, bann müffen wir bie Sage berbeffern,
b. g. wir müffen bie SlrbeitSbebingungcn beS dienftboten»
ftanbeS bcnjenigeit anberer Vernfc näger bringen, dies fann
nur baburd) gefd)egcn, baß man ben dienftboten feftgefegte
greiftunben unb innerhalb biefer ©elegeitgeit 311 gefefligem
Vcrfegr giebt, unb ein für aBemal ben ©ebanfen aufgiebt,
baß bie detailS igrer gügrung, fo weit fie außerhalb igrer
VerufSpflidjt liegen, bon igrem Slrbcitgebcr geregelt 311 werben
gaben. daS cinfacgfte Vfittel, biefen SBccgfct gerbeisufügren,
ift in bielen gäflen, unb befonberS für Seute mit befegränften
Mitteln, ben dienftboten außer bem häufe wognen 3U taffen,
wie eS baS gabrifmäbdjcn, baS 9 lägmäbd)en, bie Segreriit
ebenfaflS tgut. daß biefer SBedjfel ben dienftboten con»
beniren würbe, beweift ber Umftanb, baß eS fcgon heute feine
©cgwierigfeiten berurfaigt, außer bem häufe wognenbe dienft»
boten 3U finben."
Digitized by v^. ooQie
372
Ute ©egetuDart.
Nr. 2i
SRrS. ©3ifliam ©teab fteljt auf bemfelben ©tanbpunft,
unb weift barauf bin, bag ein ©erfuch nach biefer fRid^tung
bon ber Dom „Women’s Industrial Council* in’S fiebert ge*
rufenen ©ereinigung öon IReinemachenfrquen (Association of
Trained Charwomen) gemacht unb gelungen ift unb bag bie
Sitte, Äoftgelb an ©teile Don ©eföftigung ju geben, in
Sonbon fiel) immer mehr einbürgere. Sie ©rfinbung ber
Sedjnif f>at in ber Arbeiterfrage Umtoälgungen b«norgerufen,
aber bie ©BirthfdjaftSancjctegenheiten finb nicht reorganifirt
worben, um mit ber geit @d)ritt galten ju fönnen. Arbeit
unb ©tubium brängen h eute nadf ©pecialifirung, um bie
beften IRefultate ju erzielen. Siefe ©pecialifirung mug auch
im häuslichen Sienfte tote! mefjr ©la$ greifen, ehe biefer
Sienft für moberne SRenfchen ber ©egenwart befriebigenb
gestaltet werben !ann. ©Bir fönnen nicht erwarten, bag baS
jwanjigfte 3ahrf)unbert mit einem ©pftem arbeitet, baS bem
SRittelalter (Dark Ages) angeljört.
SD?rS. ©ufan 2)oung ©ateS aus ben ^Bereinigten ©taaten
»erlangt jur fiöfung beS ißroblemS eine tüchtige fac^licfje,
fjau8Wirtljfcf)aftticlje @rjief|ung, aber nicht allein beS Sienft*
mäbdjenS, fonbern aud) ber ßerrin, unb als ecf)te Semofratin
fügt fie f)inju: „gür America mürben bie Äurfe für $errin
unb Wienerin bie gleiten fein, benn bie Wienerin öon h eute
ift bie Herrin bon morgen unb bie ©etufsföd)in ift fef)t ge*
fcf|ä|jt toon ben grauen unb befleibet niefjt feiten einen Sehr*
ftu^t an einem ßoUege."
• Auf gleicher ©runblage befanben fiel) bie ©orfdjläge ber
Samen ©Barb unb ©lapperton, bie baS ©pftem noch weiter
auSbauten, inbem bie ©rftere eine SReorganifation beS §auS*
haltungSbetriebeS Ejerbeifüfjren wollte burcfj eine Unterfchei*
bung »on Sienftboten in folcfje, bie im |>aufe unb folctje,
bie außerhalb beS fpaufeS wohnen, unb jWar foßten ben
©rfteren bie perfönlicheren Sienftleiftungen unb bie lieber*
wadjung beS SjauSfjalteS anbertraut, ben gweiten bie gröbere
unb unperfönliefere Arbeit jugewiefen werben. 2RrS. ©fap*
perton brachte bie grage ber Kooperation Wiebet auf’S Sapet
unb woßte »ermittelft biefer eine Ummäljung im £auöf)al*
tungSbetriebe unb eine fiöfung ber Sienftbotenfrage erzielen.
SebenfaflS beweifen aß’ biefe ©orfdjläge bon grauen*
redjtlerinnen unb bie guftimmung, bie fie in Streifen ber
grauenredjtterinnen gefunben haben, bag bie grauenbewegung
längft in bie Sienftboten bewegung eingegriffen hat unb bag
fie nidjt fcheut, aße ©onfequenjen auS ihr ju gieren unb bie
©erfud)e ju ihrer fiöfung am eigenen Seibe ju erproben, ©ie
wirb jebod) groge ©chwierigfeiten ju überminben haben, ehe
fie baS grofje publicum oon ber SRothwenbigfeit ber geplanten
^Reformen überzeugen wirb unb wirb aße ©nergie einfegen
müffen, um befriebigenbe 3iefultate ju Sage ju förbern, benn
fo fel|t baS publicum auch über ben SRangel an Sienftboten
flagt, fo miß eS boch nicht einfefjen, bag ber ÜRangel an
Arbeitsangebot bei einer fo enormen Nachfrage mit 2Radjt
barauf hinweift, bag bie ©ebingungen, unter benen biefer ©e*
ruf auSgeübt wirb, einer Aenberung bebürfen, baff nur eine
foldje, auch für bie Arbeitgeber, beffere guftänbe herbeiführen
famt. £ier aufftärenb ju wirfen, ift eine ber Aufgaben ber
grauenbewegung — aber auch berjenigen, bie fich irrtfjüm*
lieber ©Seife an bie grauenbewegung gewanbt.
Healghrnnaftnitt unb Jtcbicinftubium.
$on föeatyroQtjmnaftals^irector <E. Kttape (SRatibor).
Am 21. 2Rärj b. 3- hielt bie fchlefifdje Aerjtefammer
in ©reSlau eine ©igung ab. Sn berfelben brachte ißrofeffor
ißartfdj jur Sprache, baff unter ben ^Regierungen bereits
©erffanblungen fchweben, inwieweit bie ©efugniffe ber SReat*
ghntnafien betreffenb bie gulaffung gum mebicinifihen
©tubium auSgebehnt werben foßen. AuS ben Srflärungen
beS SRinifterS gehe heröor, ba| bei unS (Geneigtheit beftehe,
einem folgen Srängen ber fRealgpmnafien entgegenjutommen.
Ser ärjtliche ©tanb habe aber boch bie ©flicht, eine foldje
grage nicht entfdheiben ju laffen, ohne feine Anficht baju ju
äufjern. IRebner beantragte eine IRefolution, Weld^e an ben
UnterrichtSminifter, ben fReidhStag unb ben AuSfchug bei
Aerjtefammer übermittelt werben foß, unb folgenben Sott--
laut hat: „Ohne in ber grunbfäjjlithen grage ©teßung jn
nehmen, ob bie realghmnaftale ©orbilbung jum mebicinifc|cn
©tubium jWecfmäfjig fei, erflärt bie fchlefifche Aerjtefammei;
bafe fie eine Erweiterung ber gulaffungSberecfjtigungen bet
fRealgpmnafien nur bann gutheigen lönne, wenn fie nicht
aßein auf baS ntebicinifche ©tubium befdjränft, fonbern. auf
alle gacultäten auSgebehnt wirb." Siefelbe würbe audi
einftimmig angenommen. 2Kan fann gerabe nicht behaupten,
baff fich biefe fRefotution burdj Älarheit unb Siefe bet ©e*
banfen auSjeichnet, fie ift, wie man ihrem ganjen Senot
anmevft, burch oerhaitenen Sngrimm beranlafet worben. Sie
Aerjte erführen, ba| fie gegen bie 3ulaffung ber SRealgpumQ=
fiaI*Abiturienten ju allen gacultätSftubien nichts eintoenbai
Würben, baff fie aber bie gulaffung berfelben jum ©tubium
ber SRebicin allein nicht wünfdjen. Sßarum benn? Ipabcn
fie fachliche ©rünbe? SBohl faum. Senn bie grage, ob bic
fRea(ghmnafiat*©i(bung für baS ©tubium ber SRebicin jtbed*
mägig fei, ift längft bejaht worben. Sorpphäen ber SRebicin,
wie gief, Rüther, ©ißroth, ©Smarch, ©irchow, SuboiS*9Jep*
monb unb Anbere, auch namhafte Schulmänner haben ftcb
im günftigen, einige fogar in bem Sinne geäugert, bag real»
gpmnafiale ©orbilbung ber ghmnafiaten für baS 3Rebicin=
ftubium botjUjieljcn fei. Unb wenn enblich nach langem St
benfen auch bie preugifdje UnterrichtSberwaltung, ber man
eine Ueberftürjung in ©etreff beS höheren ©dt)ulwefenS nicht
borwerfen fann, fich ber ©ache freunblich gegenüberfteßt unb
ben ©ealghmnafien, nachbem fie fid) feit bielett Sahren fit
baS ©tubium ber SRathematif, fRaturwiffenfchaften unb neuem
Sprachen boßauf bewährt haben, aud) baS ßRebicinftubiui
berfchaffen wiß, fo fann man Wohl mit Sicherheit anne^m®,
bag jwingenbe ©rünbe hierfür borliegen, bag bie Sache fprudf
reif ift. SBohlWeiSlich bermeibet eS benn auch bie fchlefifche
Aerjtefammer, auf ben Ä'ernpunft felbft einjugehen. 3leue
©rünbe für einen ableljnenben ©tanbpunft würbe fie nicht
borbringen fönnen, unb bie alten finb längft wiberlegt
worben.
©Senn tro^bem bie fchlefifche Aerjtefammer eS unter*
nimmt, baS ©orhaben ber preugifd)en ^Regierung noch in
le^ter ©tunbe ju berhinbern, fo nimmt biefer ©etfuch fich
um fo eigentljümlicher auS, als bie Aerjtefammer fich
©orauS fagen mug, bag er ein ©chlag in’S ©Soffer ift ©an;
auffällig aber ift bie oberflädjlidje, faft nidjtSfagenbe 8e>
grünbung, bie mit bürren ©Borten auSfpricht, bag, wenn bie
5Realghmnafial*©ilbung jum ©tubium ber Sheologie unb
SuriSprubenj genügt, fie auch für baS ©tubium bet
3Rebicin geeignet ift. Saburch begeben fidh bie Aerjte jebes
eigenen UrtheilS über bie für baS SRebicinftubium jtoeef»
mägigfte ©Übung; fie finb mit ber ©ilbung jufrieben, bie
anbere gacultäten für fich beanfprud)en. ©ine anfheinenb
recht befcheibene gorberung, hinter ber aber nichts weiter aß
felbftgefäßiger ©tanbeShodiwuth unb enghetjiger Äaftengeift,
bie nadte ©itelfeit fteeft. Ser ©tanb oer Webiciner uritb
fither baburch, bag einige berfelben auf bem SRealghumafium
borgebilbet finb, ebenfo wenig an Anfehen berlieren, wie bei*
jenige ber ©hmnafialoberlehrer, ber©aumeifter, berUniberfitäts<
profefforen, ber Sehrer an technifdjen §ochfchulen, ber Cfficiete
bisher eingebügt hat. Au<h in beS ArjteS ©ruft mug ja fibea«
liSmuS wohnen, wiß anberS er mehr fein als ein gelbgieriger
©ewerbetreibenber. Sag aber SbealiSmuS nur oaS h umßs
niftifche ©hntnafium erjiegt, ift eine höchft thörichte ©ehaup*
Digitized by v^. ooQie
i
Nr. 24.
Die (Hegentoari
373
tung, benn bie ibeale ©Übung hängt burdjaug nicf)t (mie
6. ©tufcer in bem ©renzboten oom 30. Ulooember 1899 richtig
bemerft) Oon einer beftimmten ©djulgattung ober Don einzelnen
2e^rfäc|ern ob. Darum roirb berjenige 2tqt am meiften ©et«
trauen unb Sichtung geniefeen, ber feinen ©eruf mit Ipin*
gebung unb ©efchidlichfeit augübt. Denn ber ©atient fragt
nidlt, ob ber Strjt, ben er »u SRatlfe jiet)t, fidh bor Satiren
einmal, oiefleidjt ohne ©rfolg, mit ©riedjifch abgemüfet hat,
fonbern, ob er etroag Düdjtigeg teiftet.'
Da finb bod) bie Suriften, bie unter güfjtung beg Ober*
bürgermeifterä StbiCeS bon granffurt a./W. für 3 u faff un 9
ber fRealghntnafiat*Abiturienten jum juriftifchen ©tubium
petitionirt haben, bei SBeitem nic^t fo fleinlidh; fie befürchten
baburcfj burefjaug feine Winterung ifjrcS ©tanbeganfeljeng,
oerfprechen fid) bietmehr eine gütiftige SBirfung auf baffetbe.
Sft ben SReatghmnafien erft bag Webicinftubium frei*
gegeben, fo toirb bie Surigprubenz nicht lange auf fid) märten
taffen, unb eg roirb noch eine 3eit lommen, roo eg eine
©)re fein toirb, bie heut noch teiltoeife berachtete fRealghmnafial*
©itbung ju hefigen. Denn SIfleg brängt bahin, bafe alte
neunclaffigen ©chuten bie gleichen ©eredjtigungen ju toiffen*
fdjafttid)en ©tubien unb hörten Saufbahnen erhalten.
Die Uniberfität mit ihren bier gacultäten ift tängft nicht
mehr bag, mag fie urfprünglich fein fotlte unb aud) fein
tonnte, unb fie mirb eg bon ‘Sag ju Stag um fo meniger
fein, nämlich eine universitas literarum, ein Snftüut, mie eg
©Seifer nennt, beftimmt jur freien, fetbftftänbigen Sugbilbung
unb görberung ber gefammten f)ö^ercrt ©ilbung unb jur
miffenfchaftlidjen Seitung ber ganzen Kultur. Die tedfjnifchen
£od)fd)ulen haben fid) neben bie Uniberfitäten gefteHt, fie
bilben getoiffermafeen bie fünfte unb fedjfte gacultät berfetben.
Die Uniberfitäten finb befanntlidj burch 3 w f amm enlcgung ber
einzelnen gacuftätgfchulen entftanben; bie Dheotogie aber blieb
für lange 3 e ü ber Wittelpunft aller- ©Biffenfcfjaften, erft
fpäter fonnten Surigprubenz unb Webicin fi<fj afg felbft*
fMnbige, mähte ©Mffenfdjaften erheben. Dementfpred)enb mar
alle Unioerfitätg»©orbilbung für bag theologifdlje ©tubium
Zugefdjnitten. Da bie ©Biffenfdjaften im Wittelalter noch fehr
unentroidelt maren, mag namentlich in ©ejug auf Webicin
unb Surigprubenz ber galt mar, fo gab eg bielfad) Seute,
bie in aßen 2Biffenfcf)aften ju §aufe maren. ©Bie menig
brauchte bamatg ein Surift unb ein Webiciner ju miffen,
unb mag mirb heute bon ihnen bedangt? 2Ber ben pt)tf)a*
goräifchen Sehrfag bemeifeti fonnte, galt im Wittelalter alg ein
gelehrter Wann, heute beroeift ihn jeber, ber eine gute ©olfg*
fcf)ule befudft hat.
2tug aHebem erhellt, mie gering bamalg nach heutigen
©egriffen bie ©orbilbung für bie Uniberfität mar. SBenn
baher in früheren 3eiten eine gleidje ©orbilbung für alle
Jacultäten gut unb möglich mar, fo mufe heutzutage bei bem
gemaltigen Umfange, ben jebe ®injelroiffenfcf|aft angenommen
hat, bon einer ©leidjheit ber ©orbilbung abgefehen toerben.
Die ©orbilbung, bie jur 3eit für bag tljeologifdhe ©tubium
bie befte ift, tann für anbere ©tubien eine höcpft mangelhafte
fein. Uniformität ift ber Dob jebeg gortfdjrittg unb Sebeng,
unb barunt fann Ungleichartigleit ber ©orbilbung felbft
für einen 3weig ber SBiffenfdjaft nur nüglidj unb förberlid)
fein. ®erabe bag mebicinifd)e gad), bag oon allen bag um*
fangreidjfte ift, bürfte ooraugfidjtlid) fomohl in ©ejug auf
28iffenfd)aft, mie auf praftifd)e Slnroenbung burch ^* e 3 U *
laffung ber 9tealgt)mnafial=2lbttu.rienten nicht unbebeutenb ge*
minnen. Dafe aber burch bie $Realgt)mnafial<Stbiturienten ber
ärztliche ©tanb an Slttfefjen abnehmen foHte, ift gänzlich
auggefchloffen, benn, fo fagt ein grünblicher Senner unferer
höheren ©dfuten, ber ehemalige ©rooinjiat«@chulrath unb bor*
tragenbe SRath im preufeifchen ©ultugminifterium, ©eheimer
fRath §öpfner: „Die fRealghmnafiat*2lbiturienten merben, mo*
hin fie audh öcftellt merben, niematg ben jmeiten ©lag
einnehmen."
Snzmifdjen Ijat bag preufeifdje ©taatgminifterium fidh
bereitg für bie 3ulaffung ber SReatghmnafial* Abiturienten
jum ©tubium ber Wcbicin auggefprocf)en, unb ba bie fRegie*
rungen ber übrigen beutfehen Staaten fidh Jtoeifellog an*
fchtiefeen merben, fo ift bie Freigabe ber Webicin an bie
Ütealgpmnafien burch ben ©unbegrath in ber näd)ftcu 3 C > 1 3 U
ermarten. Sn biefer Gsrmartung hat bereitg ber Srieggminifter
o. ©ofeler ben 2lntrag gefteßt, bafe bie 3öglinge beg Kabetten*
haufeg, in meinem nach bem Sehrplane Der fRealgpmnafien
unterrichtet mirb, jum ©tubium ber Webicin jugelaffen merben.
Dnbeitnhte Itatnrkrafte.
Son (dnfiao f?. Cajl*
SBenn mir fehen, mie ein oon ber ©leftricität beeinflußter
©tatinbraht aßmäfig glühenb mirb, menn mir ung oorfteßen,
mie bie ungeheure Straft in einem Dampffeffel, ober in einer
Dpnamitmaffe jur SBirffamfeit gelangt, fo finb mir ung
heute bemufet, bafe eg feine übernatürlichen Strafte finb, bie
ung entgegentreten, fonbern bafe aße bie jur ©eltung fommenben
©rfcfjcinungen bem aflumfaffenben ©ebiete ber ©hhf’f unb
ber Shemie angehören.
SBelche fic^tbaren unb für ung itnfidhtbaren ©rfdheinungen
treten auf, bamit jener Oon ber ©leftricität erregte ©latin*
braht ©trahlen augfenbet? Wan fönnte glauben, mir ftänben
oor etmag Unerflärlichem. ©Bir müffen oon bem Drahte
alg ©andern auf feine Waffetheilchen, bie Wolecüte übergehen,
unb müffen ung bergegenmärtigen, bafe bie fteinften Waffe*
theilcfjen nicht feft aneinanbet liegen, fonbern bafe fie burch
3mifd)enräume oon einanber getrennt finb, unb bafe biefe,
mie ber ganje SRaum oon bem ©ether erfüßt finb. Die
Wolecüte unfereg ©latinbrahteg finb fdjon in ©emegung,
b. h- ©djU)ingung, menn auch noch ^ e * n deftrifdjer Strom,
mie man geroöhnti^ fagt, ihn burdhfliefet, benn ber Draht
befifct eine Demperatur, mag fo Oiel fagt, alg, mir fennen
bie Sntenfität ber molecülaren ©dhminaung. ©epon oon
Soule ift biefe Sbee außer 3 roe Ücl gefteßt. „Die Sßärme,"
fagt Sode, „ift bie fehr lebhafte ©emegung ber unmahrnehm«
baren Dheildjen eineg ©egenftanbeg, toeld^e in ung biejenige
©mpfinbung h er uorruft, monadh mir ben ©egenftanb h e *&
nennen; fo bafe bag, mag mir alg SBärme empftnben, für
ben ©egenftanb felbft nur ©emegung ift." SBenn ber noch
fdjmache etettrifche Strom anfängt, burch ben Draht ju gehen,
fo fteigert er junädhft nur bie bereitg befteljenben ©emegungen,
inbem er bie ©chmingungen ber fleinften Waffetheilchen Oer*
gröfeert, ober mie man gemöljnlich fagt, er ermeitert bie
Stmplitube ihrer Sahnen. Der ©trom bemirlt bieg jebodh,
ohne bafe bie ©dhmingunggjahten ober »©erioben ber älteren
©chmingungen, ober bie 3eit, innerhalb metcher fie auggeführt
merben, fidh oeränberten. Die ©chmingunggintenfität mirb
jeboch größer merben unb hat biefe einen gemiffen ©rab er»
reicht, fo mirb ber Draht ju glühen beginnen. Dag erfte
Sicht, nadhbem ber Draht h e '6 mirb, mirb bag tieffte Ultra*
roth fein, mag bet niebrigften ©chmingungggefchminbigleit
für bie ©rfdjeinung ber molecülaren ©emegung, bie mir alg
2idjt bezeichnen, entfpridjt. ©ei znnehmenber ©tärle beg
eleltrifdien ©tromeg, mag fo oiel heißt mie: bei größer merben ber
©nergie, meldje bie Waffetheilchen in höhere ©djmingungg*
perioben bringt, mirb bag Sicht fämmtliche ©tpaljfen beg
©pectrumg burdjlaufen, big ber Draht in ffolge ber gleich»
Zeitig ftarfen ©rhi^ung fdjmelzen roirb. Sft biefe hier fo
furz mie angängig gefdjilberte Sidhtentftehung auch ber ©in*
fadhheit megen oon ber ©leftricität auggeheni) gefefeilbert, fo
lonnten mir ung biefeg befehalb geftatten, toeil eg fid) zunädjft
nur barum hanbelte, bag SBort Sicht zu erllären.
Digitized by v^. ooQie
374
Die töegtnroart
Nr. 24.
Ter „ftrahlenbc 3 u ftanb", wie mir mit GroofcS baS
2eucE)ten einer SRaterie bejeidjncn fönnen, ift alfo ber Uv»
fad)e nad) eine eigenartige Bewegung ber fleinften Waffe-
theilcpen; ber ©irfung naef) bic iuirci) biefe Schwingungen
im Sletfjer erregten ©eilen in ihrer ©irfung auf unferc Sicß»
fjaut beS 2lugeS. ©ie uer^ätt fiep eS nun mit bem Scudjten
beS SeucfjtfäferS? ©irb audj Energie ucrbraudjt, um beit
ftraplenben 3 u ^ an ^ ^ertoorjurufen? Dpne jeben 3weifcl,
aber mir roiffen uod) meljr, näin(id), baß ber Siußeffect beS
SidjteS ober beS SeucptapparateS beim Seirdjtfäfcr ttacti Der*
fepiebenen Angaben 90 bis 95 °/ 0 ift — unb mie »erhält eS
[ich mit unferen heutigen Sicpterzeugern ber Tedjnif? 8 °/ 0
ift ber pöcpfte Siußeffect einer Beleuchtung, mie mir fie bis
heute im Betriebe E|a6eu, bie übrigen 92 °/ 0 finb für uns
oerloren, fie uerfdjminben als ©arme, einerlei, ob mir bas
Sicht auö ©leftricität ober d)emifd)er Ära ft erhalten, 92 °/ 0
gehen als ©nergie oerloren. TaS Sid)t ift für unS noch
Ißroblem, oieöeicht gelingt eS je^t, nadjbem man baS ©cfeit
ber elementaren Siaturfräftc fennt, ein napeju ooUfomnieiteS
2id)t ju erhalten.
@3 ift menig SluSfidjt oorhanben, irgenb einen fogc=
nannten Brenner ju oerooHfonimucn, nicht bcSmegcn, meil
fid) ber menfd)lichc ©rfinbungSgeift burdj Sahrpunbertc wit
biefem Problem bcfdjäftigtc, ohne einen größeren Schritt
qctijan ju ^aben, fonbern meil in einem Brenner jene
Scpmingungen niept heroorjubringen finb, melche ein uotl»
fommeneS Sicht barftellcn. Siiebere Schmingungen ftellcn
©arme bar, unb folche finb nur mit großer ©nergieaufmenbung
unb als Seitdjtförper mit großem SRatcrialaufmanb ju er»
halten. ©3 fann nur einen ©eg geben unb biefer ift heute
böÜig erfannt: man muß einen höheren ©lühgrab ju erzielen
ftreben. ©in höherer ©lühgrab fommt fchnclleren Schmingungen
gleich, waS mehr SidjtauSgabe unter 9lufroenbung beffelbctt
SRaterialS bebingt, unb bas bebeutet auch erhöhten SWu^cffect.
Tpeoretifri) fönnte man auf biefem ©ege ein nahezu abfoluteS
Sid)t erhalten, in ber PrajiS jebod) ift hier fehr halb bic
SRöglidjfcitSgrenje gefteeft. Ter ©lüpförper, ben mir als
Präger bcS ftraplenben 3 ll ftanbeS ju betrachten hoben, mirb,
mie oben jener piatinbraf)t, fd)neU fdjmeljen unb fdjließlid)
oergafen. @S liegt nun fehr nahe, einfad) ©afe in’S ©lühen
ju bringen, maS, mie man fdjon länget meiß, au fich feine
Sdpoicrigfciten befißt.
„Tic finetifche Theorie ber ©afe" — fagt ber befanntc
Phhfifer ©roofeS — „lehrt uns, baß beren SRoleciilc fid) in
allen möglichen Diidjtungcu mit großen, aber fortmährenb
mcdifeluben ©efeproinbigfeiten bemegen unb faft unaufhörlid)
in gegenfeitige ©oßifionen miteinanber foinmen. Tie ©nt»
fernung, melcpe jebeS Woleciil juriidlegt, ohne an ein anbereS
ju ftoßen, mirb freie Bahn genannt, Tie uon ber ©efammt»
japl ber SRolecüle eines ©afeS unter jebem Trud unb bei
jeber Temperatur ohne Gotiifion jurürfgelegte ©ntfernung
mirb als ,burd)fd)nittlicpe freie Bahn 1 bezeichnet. Tie SRole»
cülc üben nad) allen ^Richtungen piit einen Trud auS unb
merben bloß burd) ©raüitation uon ihrer ßcvftreuung im
SRaume abgehalten. Bei ©afen unter gcmöhnlidjem Trud
ift bie freie Bahn im Bcrgtciche ju ben Timcnfioitcn fcl)t
flein, unb bie in biefem ßuftanbe an ihnen beobachteten ©r»
fcheinungen finb bie beS gcmöhnlidjcn gasförmigen guftanbeS.
©irb aber bie 2lnzapt ber SRolcciile in bemfelben Siaumc
Ucrminbert, maS fo uiel heißt, als, uerminbert man bic Tid)tc
beS ©afeS, fo mirb bie freie Bahn ber SRolcciile unter
elcftrifcpen Swpulfcn berart lang, baß in einer befannten
3eit bie 3 rt pl 'h rc t gegcnfeitigeit 3ufantmcnftöße, im Ber»
gleidj mit jener 3 n ht> wie oft fie biefe Uerfchten, unberüd»
fidjtigt gelaffen merben fann. ©S mirb bemnad) ein SRoleciil
eine Bahn ohne ©ollifiou jurüdlcgcn fönnen. ©S mirb je»
hoch nid)t beßpalb eine gerabe Bahn bcfdjriebeu, meil cS auf
fein Jpinbcrniß trifft, fonbern mopl nur beßpalb, meil feine
Bewegungsenergie groß genug ift, um eS eine gerabe Sinic
befdjreiben ju taffen. Unter biefen Umftänben erreicht ba$
®aS unter elefrifdjen Smputfen ben ,Ultragasförmigen 3*t
ftanb 1 . ©in unter eleftrifdjen Sntpulfcn leuchtenbeS ©aS mirb
als Sichtcrjeuger einen fehr hohen Siußeffect haben.
Um alfo jene großen Berlufte an ©nergie bei ber 2icpt»
erjeugung ju umgehen, um biefe, man fann fagen, unbenußten
SRaturfräfte nußbar ju machen, ift uns gunächft nur ber eine
©eg geboten: ©leftrifdje ©eilen in Sid)tmellen urnznmanbelii.
©S hanbelt fich alfo nur barum, eine Slenberung ber (Eigen»
fdjoftcu ber ©eilen heröorjubringen. SRan fann cleftrifche
©eilen uon ein taufcnbinillionftel Seeunbe unb fomit ©eDen»
längen uon 30 Gentimetcr heruorbringen. Tic ©eile eines
2id)tftrahlS ift im Wittel jeboch nur 0.00005 ©entimeter,
fie ift alfo 600.000 fleiner als jene eleftrifche ©eile. Ge
haubett fid| alfo nur barum, ben Apparat ju erfinnen, mit
beffen ©inrichtung eS möglich gemacht mirb, biefe Umiuaub»
lung ju errieten.
21 uf biefem ©ege ließe fid), mie TcSta nachgemiefen hat,
eine flamme hrrfteUen, in melri)er fein SRaterialUerbraucf)
ftattfänbe; unb maS für eine fonberbare glamme mürbe c?
fein, ^ebenfalls märe fie ftarr. ©S mürbe nämlich biefer
hohen B3cd)fclsahl bie Trägheit ber fleinften SRaffctheifchen
in’S Spiel fommeit. 9lad)bem bic Sichterfcheinung, ober bic
glömme, ihre Starrheit in golge ber Trägheit ber Theddcn
erlangen mürbe, mürbe ber 2luStaufch berfelben uerminbert
merben. Tiefes Stabium mürbe beßhalb eintreteu, meil ba»
burch, baß bie Slnjahl ber Smpulfe uermehrt mirb, bie poten»
ticlle ©nergie eines jeben berfelben uerringert mirb, cS fönnte
alfo nur eine atomifdje Bibration exttfteljen fönnen. Ter
fRuhcffect einer gemöhnlicheit gfamme fönnte auf biefem ©ege
bis ju einem gemiffen GJrabe erhöht merben. 21 ber bic Gr»
neuernng beS Stoffes mürbe fdjmicrig merben, maS bod)
leßt zur ©rhaltung ber glammc nothmenbig ift, unb fd)ließ»
lid) mürbe fie erlösen, uorauSgefeßt, baß man barunter baS
2luSfcßen beS djemifdhen proccffeS uerfteht.
©irb eS einft, auf biefem ©ege mciter arbeitenb, möglich
merben, bic uitbenüfcte, ober beffer gefagt, bic bei ber Sicht»
erjeugung Oerloren gehenbe ©nergie nußbar ju machen, fo
mirb offenbar ein großer Schritt nad) uortuärts gethan
merben.
?(bcr bie Technif hat noch ein fotdjeS SdjmerjenSfinb, bic
Tantpfmafd)ine. Profeffor Oftmalb fagte einftmats in einem
Boitrage: „SRan oergegenmärtige fid), maS für ein unoolb
fomnteneS Ting noch tu nuferer 3«it ber hochftehcuben Technif
bic mcfentlichfte ©nergiequelle ift, beren mir uns bebienen,
nämlich bic Tampfmafchine. Bon ber oerbrennenben ftohlc
erhalten mir in ©eftalt med)anifd)er Arbeit im allerbeften
galle nidjt mehr als 10°/ o (biefer ©erth ift für heute aller»
bingS nießt mehr ganj jutreffenb, man baut heute Einlagen,
bie, uou uerftänbigem Perfonal bebient, 14 —15 °/ 0 Icijten
fönnen. Ter fRef.) ©ir miffen heute allerbingS, baß eS nicht
möglich ift, ade ©ärme in mechauifd)e ©nergie umjufehen,
aber mir fönnen annähernb ben Brud)tf)cil berechnen, ben
mir aus einer gegebenen ©ärmemenge uon gegebener Tempe
ratur erhalten fönnen, menn mir fie auf eine anberc, gleich»
falls beftimmte Temperatur abfinfen taffen unb auch m 't
9?iidfid)t auf biefen Umftanb finben mir noch immer, baß
mir nur etma ein Siebentel ber unmanbelbaren ©nergie auS»
mißen. 21 n ber Tampfmafchine als tedjnifchen 2lpparat liegt
biefcS fläglidje Siefultat nicht, fonbern eS liegt öiclmchr barin,
baß uon ber h°h en Temperatur beS Brennmaterials, bie
mir niebrig auf 1000° fräßen fönnen, nur ber aflerfleinfte
Tßeil auSgenußt mirb, nämlich ber jmifdjen ber Temperatur
beSÄeffelS unb ber beS GonbenfatorS. Terganje riefige Tempe»
raturunterfd)ieb jmifcheit bem Ipeijraum unb bem fieffet
geht oöllig uerloren; eine Berbefferung ber thermobpnamifchen
3Rafd)iuen ift nur auf bem einen ©ege möglich, *>aß man
bei höheren 2lnfangStemperaturen arbeitet. 2(bet bie thermo»
bpnamifepen Sliafcpinen finb niept bie einzigen, bie eS giefit,
i
Digitized by v^. ooQie
Nr. 24.
Dte Gegenwart.
375
unb Temperaturen Oon 1000°, bereu praftifd)e §anbhabung
allerbingS (eine einfache ift, finb nicht unumgänglich- TaS
SWajimum ber Snergie, bie man auS irgenb einer Umroanb*
(ung gewinnen tann, ift theoretifdj ganj unabhängig von bein
SBege, auf meinem bie Umwanblung erfolgt. Rönnen mir
atfo bie dhemißhe Energie beS Brennmaterials auf irgenb
eine anbere SBeife, bei ber SBärme nicht in f^rage fomnit,
in mect)anifc£)c Arbeit oermanbeln, fo finb mir an bie unbe*
quem hoffen Temperaturen nicht gebunben unb tönnen ben
ganjen Betrag geroinnen." ÜBäre atfo eine falte äjemifdje
Verbrennung ber Rohle möglich, b. h- mürbe man ein galoa*
mfdjeS ©tement conftruiren, roeld)eS aus Roßte unb bem
©auerftoff ber Suftbeftänbe unb oielleidjt einem billig erfef}*
baren ©leftrolpten, fo märe baS (ßroblem ber SBärmeauS*
nußung ebenfalls entgiltig getöft, fobatb bie gerooitnene clef*
trifte Energie nur in einem annehmbaren Berhältniß jur
aufgeroenbeten SBärmemenge ftctjt. (Sin folcfjeS (Stement märe
genau einem Dfen, eS mürben Roßte unb ©auerftoff jugefütjrt
werben müffen unb Roßlenfäure mürbe als SBei^felprobuct
entweichen. Tiefem großen Problem ift bis h cu te jebenfaHS
Dr. BorcßerS am näcßften gefommen. (Sr felbft fagt: „TaS
Refultat ift aud) mit meinem (Stemente bis ß eu te noch fein
günftigeS ..., aber ein Nußeffect non 27°/ 0 beS ©lementcS
läßt fich ermatten. 93ei Benußung eines ©afeS, unter beffen
brennbaren Beftanbtßeiten außer Rohlenojßb aud) SBaffcrftoff
unb Roßtenwafferftoffe Oorfjanben finb, fdjeinc bie SBirfung
eine noch günftigere ju fein. 2se nachbem man ben minbeft«
ober höchftmcrthigen bieferBrcnnftoffe su ©runbe legt (nämtich
ber (Berechnung beS NußeffecteS ber Vorrichtung), mürbe bie
SleftricitätSaitSbeutung swifeßen 38 unb 26°/ 0 ber oorhan*
behen (Snergie liegen 1" TaS ift boch menigftcnS eine (Sr*
muthigung.
®S ift fidjer, baß mir heute Oor ben ©tufen einer groß«
artigen ©tflimmung ber ßöcßften Probleme ber SBiffcnfcßaft
ftehen. Tie oollfommcne (Srjeugung t»on 2id)t, bie Nuß«
tarmaeßung ber SBärme mit höherem Nußeffect, als bisher,
wirb auf ben genannten SBegen jebenfalls gelingen. 9lud)
bem Thermoelemente mirb mit ber 3«t eine praftifche ©teile
in ber Tedhnif jugemiefen merben. (Siehe Nr. 4 ber „©egen*
wart"). <SS finb gewaltige unbenußte Naturfräfte, bie unS
jur Verfügung ftehen, aber teiber finb mir bis heute noch
gejwungen, 95°/ 0 berfelben als SBärme unbenußt ju 0 er*
lieren.
Literatur unb
Die ®etge als tnoberttes ^oloinflrutnent.
Bon Ejetmng oon frieblaenber • Übel.
UZerfmürbig, eS giebt wirflich SNenfcßen, jufunftSmufi*
falifche, bie fich mit ber ©eige auf SebenSjeit terbinben.
Unb eS giebt roirflich ©chriftfteUer, sufunftSliterarifcße, bie
Bücher über bie ©eige feßreiben, als gäbe eS noch gar feine
einfcßläjjige Siteratur. TaS ift eben eines ber ewigen Themen,
Wie etwa bie Siebe. Ter englifdje Neoerenb, 2 Jir. Ramels,
ift freilich fein moberner Siterat. Tennoch entfprußt fein
Buch „Music and Morals“ (beutfeh oon SBorfßarb, rebactioneU
bearbeitet oon Sllejanber WoSjfomSfi) ben Bebürfniffen
beS TageS. (Sin barin enthaltener 9lbfcßnitt „SnftrumentaleS"
ift fogar oon ftarfer ltnmittelbarfeit. 9Nan fpürt noch bie
SBärme beS fünftterifchen ©rlebniffeS unb befommt baS SBort
frifch Oom ©inbrud weg. Namentlich für bie Befonberßeiten
ber Snftrumente finbet Ramels bie feinften unb tiefften SBorte.
Seine gäßigfeit, in ben ©eeten ber Oerfchiebenen Snftrumente
ju lefen, ift fo groß, baß er 3 . 93. bie ^ßfhchologie ber Warfen
unb ©laöiere genauer fennt, als mancher Warfen* ober ©laoier*
fabrifant. Unb über ©locfen hat er eine grünbliche ©tubie
gefchrieben, bie Oon einem ©lodengießer fein fönnte, ber ju*
gleich e * n ©dhriftfteUer ift. 9lm ftärfften sieht eS aber Ramels
3 ur ©eige. Ter Oerftedte ©inn feiner fuperlatioen Nebe
lautet eigentlich: ©ine ©eige ift mehr roertß, als ein SNenfcß.
SRenfcßen finb erfeßtid), ©eigen nicht. Tie ©eige ift über*
haupt baS Sncommenfurable. Sie ift göttlich in ihrer BoQ*
fommenheit: ein ooin £>immcl gefallenes 9Rirafel; fie ift
menfcßlidh in ihrer 93erftimmungSfähigfeit: ein SBeib mit ben
Saunen eines 9BeibeS. Nach §amels giebt eS neroöfe, ja
fogar ßhfterifcße ©eigen. ©S müßte baher eigene ©eigen*
curorte . geben unb Therapeuten, bie bie Rranfßeiten ber
©eigen {feilen.
SBaS übrigens Ramels am meiften entjüdt, baS ift bie
©eige an fich, i )a§ Snftrument fdjlechtweg. 3 n ihre 9ln*
betung oerfunfen, mirb er IjeUfic^tig unb tiefblidenb, impulfio
unb inftinctio, mirb er, mit einem 9Bort, sum Sünftler.
Natürlich fennt er bie SBreScianer unb Sremonefer SReifter*
Werfftätten grünblich. 9tm tiefften ift er aber in baS Seben
unb SBirfen beS 9lntoniuS ©trabioariuS eingebrnngen. TaS
mar nämlid) ber ©röfete oon Men. Ter grofje ^olsmenfdh
mit jenem rounberbaren ^olsinftinct, welcher nachgerabe oötlig
auSgeftorben ift. Unb nun fchilbert Ramels eine ©trabioari*
©eige mit beinahe bichterifjhem ©dhmung. 9Belche ßierlidjfeit
ber 9Bölbungen unb ©inbiegungen! ruft er. 9Bel<he ©lätte
beS föolseS, welche ©pmmetrie ber ^=Söd)et! Unb ooüenbs
ber girnip! Tiefer weltberühmte Sad, ber baS §013 00 t
3 euc|tigfeit unb jäuluijj fd)ü 6 te. @r lag batauf, „mic eine
Schicht burchfichtigen 9ld)ateS", man fonnte in ihn hinein*
fehen, roie in ben ©chatten beS oon ber ©onne befdjienenen
SBaffetS." Seiber hot ÜJieifter 9lntoniuS fein ©eheimnifj nicht
einmal feinen ©djülern Bergonsi unb ©uarneri anoertraut.
9Bohl aus bem ©runbe, Weil er bie „SNifdjung" unb auch
baS „©hftem" ftets oon Neuem fdjuf, immer aus ber
Stimmung beS gegebenen 9(ugenblidS herauS: in jenem
munberfamen 3 u fmnb t)ellfe^erifcf)er Sölinbheit, ber eigentlich
eine wohlige Trunfenheit beS ©eifteS ift unb ben man
Snfpiration nennt.
91 ber aud) ohne Ramels, gans objcctio gefehen, mar
©trabioariuS ber größte ©eigenbauer aller 3 c i tcn ' mar
eigens geboren, bie ©eige auf bie höd)fte ©tufe 31 t heben.
Ta 3 u befaß er bie ftarre ©infeitigfeit beS ©enieS, bie ihn
für jeben SebenSgenuß untauglich machte. @r mar gepansert
gegen Siebe unb ipaß, ja gegen baS unenblidje §eer ber menfd)*
li^en Seibenfdhaften überhaupt, ©in Uebermenfch Oor ©oethe
unb Niehfcße, eine Uebernatur, bie einem allmächtigen Triebe
alle anberen opferte, ©iner jener Tprannen beS Schönen,
Wie fie bie Nenaiffance hecoorbradjte unb bie Mtife. „ 3 h m
mar bie SBelt nichts, als eine große SSerfftatt," fchreibt
Ramels. Unb bie ganse ©djöpfung bebeutet ihm nur ein
großes SNagasin für ©eigenbeftanbtheile.
MeS in 9lUem ein gewaltiges ©djaufpiel. ©ine hödhfte
BoHfommenheit mirb erreicht, bie oor faum mehr als hunbert
Saßren höchfte Unoollfommenheit geroefen. ©aSparo ba ©alö
in öreScia legt bie erftc §anb an, 9lntoniuS ©trabioariuS
in ©remona bie feßte. Tasroifchen liegen bloß hunbert
SSaljte. Äinbheit, Sugenb, Neife: ©d)lag auf Schlag. Tann
nichts mehr, ©in Häuflein ©pigoneu, baS fid) erfolglos müht
baS 3 fl ubermort 3 U finben, baS ber 9Neifter niemals aus*
gefprodjen. 9ludh ©oethe i»at fein Necept hinterlaffen, roie
man einen „fjauft" fchreibt.
Snbeffen bauert baS ©jperimentiren fort. Seben Tag
, erfinbet Semanb eine unfehlbare SRethobe neue ©eigen 3 U
machen, bie gans ult Hingen unb läßt fie fogleicjj patentiren.
Tiefe ©opiefüdjt hat fogar berühmte Birtuofert ergriffen, unter
ihnen §enrp ©chrabied, ber mit ©ifer ben ©eheimniffen bet
©remonefer nacßfpürt. Unb bie ÜReiftcrfchaft beS berühmten
Beriot im Smitiren oon N!aggini*©eigen ift ja befannt. 91 (S
SNufter benüßte biefer feine eigenen foftbaren SNaggini’S, bie
Digitized by v^. ooQie
■ t*-“j
1
376
■Die töegentoart.
Nr. 24.
fpäter in ben ©efiß beS ©ringen oon Sfjirnat) öberginflert.
Unter ben eEperimentirenben ©eigenbauern ber ©egenmart
ift ber ©Heiter Sari 3od) einer ber maghalfigften. St ift ber
SRarfchaB ©ortoärtS, ber immer nach rüdmärtS blidt. 3 a( §
behauptet nämlich ernft^aft, baS große SRät^fet enträtselt gu
haben. ?lmati unb ©trabibari feien enttarnt. Das fei gang
einfach gemefen, toie fchließlicf) alle großen Dinge. ©iSljet
habe man baS §olg ber ©eigen gu entßargen gefudjt, moburch
biefe fogufagen anämifch mürben, benn §arg fei baS ©tut
beS $olgeS. Seßt flirre er, 3 QC h< umgete^rt bem §olge §arg
ju. Voilä. ©eine SBiener ©eigen Hängen, mie bie ätteften
aus Sremona. Der Srfolg h fl t freilief) gegeigt, baß bie
©irtuofen bie guten unb billigen 3och’fd)en ©eigen nur fo
lange benußen, bis fie bie SWittet hoben, fid) alte Stolienerinnen
gu taufen.
Unb nun fragen mir: Sft eS überhaupt gtoedmäßig alte
©eigen nachgumadjen? SS fällt bocß fRiemanben ein, ein
©irginal ober ^arpfießorb gu copiren. SRan mirb uns barauf
antmorten: ©irginal unb ^arpfiefjorb finb tobte Snftrumcnte,
bie ©eige aber ift lebenbig; in iEjrer Unmanbelbarteit, bie
ben Sahrfjunberten troßt, bietet fie baS ©ilb geßeimnißootler
SebenSfraft: fie ift ©erfaßt unb SRacßtomme gugleicß- Darauf
entgegnen mir: ©etoiß ift bie ©eige lebenbig: als ebelfteS
unb unentbeßrlicßfteS ©lieb beS DrcßefterS nämlicß. Sßrc
concertirenbe Signung geht aber hier Ooüftänbig unter; fie
tritt djorifd) auf, als SRummer unter ÜRummern. ÜRiemanb
mirb eS einfallen im Drcßefter lauter foftbare italienifc^e
©eigen gu berroenben, außer oiclleidjt einem SröfuS, ber
©anberbitt heißt, ober Slftor, ober ©outb. DaS liefe auf
einen mißglücken ©erfucf) hinaus. DiefeS ©robuct geheim*
nißüotler langtoicriger 3 uc ht ift oon ben großen äReiftern
nur als Singelinftrument gebaut morben. Da eS aufßört,
foliftifdj etmaS gu bebeuten, lohnte eS aud) niefjt SniitationS*
fabrifen gu errichten, baS ift, mirthfchaftlid) genommen, bie
reine Straftoergeubung. Denn täufdjen mir unS nidjt: bie
©tunbe ber ©eige als ©otoinftrument fcßlägt beutlicß. Sie
mirb immer mefjr oom Slaoier begmungen, beffeit gigantifdje
SRecßaiüf ben SjpanfionSgelüften ber Somponiften oon heute
ooKfommen entfprießt. Die ©eige ift eine ©ettlerin im
©ergteieße gum mobernften Slaüier, beffen Umfang unb
macf)fenbe Donfütle ben ©runb gu einer neuen Slaoiertecßnif
gelegt ßabeit, beren ft'ern eine auöbrudSootle ©olßphonie ift.
Dagu meßren fid) bie ©erbefferungen oon Soßr gu Saßr,
benn bie Sfaoierbauerei fjat fid) bie finbigften Äöpfe erobert.
§ier ift 3 u ^ un ft • bis auf SBeitereS. Die ©arole oon heute
unb morgen lautet: Donfütle unb SReßrftimmigfcit. Die ©eige
aber mar oon Oornßerein gebadet als inftrumentale SRenfdjen*
ftimme gleidjjam, als vox hnmana, bie in ißt ßölgerneS ©e»
ßältniß geborgen, allen .SRäcßtcn beS ©erfaUeS troße. DaS
mag ungefähr ber buntle Draum beS alten ©aSparo ba ©alö
gemefen fein, ber bann immer beutlicßer ©eftalt gemann.
SSenn einer ber großen ©reScianer ober Sremonefer feinem
ßUnftmerf eine „©ebraucßSanmeifung" beigefügt hätte, mürbe
er barin üor ?UIem bie ©olßpßonie oerboten ßaben, als
©egücßt beS Teufels, ©olhpßone ©tiiefe auf ber ©eige
machen nodj tjeute ben Sinbrud oon meßr ober minber miß»
gtüdten ©erfudjen. ©elbft bie berühmte „Sßaconne" oon
©ad) nimmt fief) auS, mie ein intereffanteS unb — ebenfalls
mißgliidteS Sjperiment. ®enn bie SRecßanil beS SnftrumenteS
geftattet eS nid)t einmal, mef)rftimmige ülccorbe gu gleicher
3cit anguf^tageu. SBie ärmlicß, ja fjöcfjft armfetig nimmt
fi^ baS 3lrpeggiren auf ber ©eige auS! Unb mer !ann fieß
rüfjmeit, eine ootlfommen reine Steife oon Doppelgriffen ge»
ßört gu ßaben? SBir ßaben ©aganini nidjt gehört, aber feine
3citgenoffen rüßmen bie ©ic^er^eit feines boppelgriffigen
©pieleS. 316er ©aganini mar ein ©ßänomen unb entgießt
fi(^ bafjer bem gemößnlid^en ©rabmeffer. SBenn gegen einen
©aganini, ber Doppelgriffe rein fpielt, eine Segion bebeutenber
©eiger geugt, bie fämmtlid) Doppelgriffe unrein fpielen, fo
ift baS ein SemeiS für bie fpecififdje Untauglidßfeit beS Sn»
ftrumenteS. Äein Somponift oon ©ebeutung Ijat auf ber
©eige Doppelgriffe als befonbere ©djßnljeitSmittel angemenbeL
Siner ber gefdjmadöodften Somponiften feines SnftrumenteS,
©ieujtempS, ßat feine reigenbe Dcc^nif nur menig mit Doppel»
griffen befdjmert. Sie bilbeten nur baS ©erüft für ben gier*
lidjen ©affagenfdjmud, ber an geeigneter ©teile bie Santilene
unterbrach-
^)ier loßnt eS fid), auf ben 3 e itP un ft gurüdgubliden, ba
bie ©eige baS ©chooßfinb ber fpeculatioen Sföpfe fein tonnte,
©ie lag ba, bereit, fich üerebeln, oerbeffern unb Oerfchönern
gu laffen. SBelcher ©chmauS für ©enieS! Unb als fie bann
ein OotlfommeneS Äunftmert gemorben, mefdje Donfüüe für ba*
malige Dhten! Unb abermals: Sßelche reigenbe fjorm, bie bie
©eige gum unentbehrlichen fRequifit ber SRaler merben ließ.
SS entftanb jene Ungaßl geigenber ©föndje, Snget unb grauen,
gange ©alerien über baS Dhema ©eige. SS entftanb auch
bie hochberühmte itatienifche ©eigerfdjule, mit SoreKi, „bem
QrpheuS ber ©eige", an ber ©piße. Sr bilbete ©thöler,
mie ©eminiani, SocateQi unb ©omiS. Unb Seßterer tourbe
mieber ber Sehrer ©ugnani’S unb biefer mieber ber ße§ro
©iotti’S u. f. m. Die Sompofitionen biefer Söieifter geigen
fämmtlich baS feinfte ©efüht für baS, maS man ben ®eift
beS SuftrumentS nennt, ©ie feßrieben nicht eine ÜRote, bie
nießt geigenmäßig mar. Unb ba fie gumeilen ftärtere SBir*
Jungen oertangten, als bie tonarme ©eige teiften fonnte, er*
fanben fie fid) bie Concerti grossi, bie gleich einen ©ßor
oon ©eigen iit Slction feßten. Damals, gegen Snbe beS fieb*
geßnten 3ah r ^ un bcctS, alfo gu einer 3 e ^ mit mingtgem
Äiangbebürfniß badjte fein Somponift baran, eine ©eige allein
mit einet ©ruppe oon Snftrumenten dämpfen gu laffen.
SRan nahm gu biefem 3>oed minbeftenS brei ©eigen, bie man
bem Sßor ber übrigen ©ogeninftrumente gegenüberfteüte.
Die Concerti grossi roaren halb ber tägliche ©iffen örob
großer Somponiften. §änbel unb ©ach benußten biefe gornt für
ißre heften ©ebanfen, mie fie auch P ^ en fielen „Siaconna’S",
beren ©orbilb Slntonio ©itali’S „Siaconna" gemefen, gahtreidje
neue hinjufügten. ©iel früher maren bie berühmten Polies
d’Espagne oon SoreUi SRufterftüde ihrer ?trt. Soreüi’S
Santilenen geigen gang befonberS ben frönen runben Sontour,
jene itatienifche ©chönheitstinie, bie bann in granfreich unb
Deutfchlanb fo getreu nadhgeahmt mürbe. Der größte beutfdje
©eiger unb ©cigencomponift, SouiS ©pohr, mar ein birecier
SRacßfomme ber Staliener, unb Siotti, ber ©chüter beS Ultra*
italienerS ißugnani mar ber ©rünber ber frangöfifeßen ©eiger*
fdjule unb Sehrer ber Ultrafrangofen Streuger, ©aillot unb
Üiobe.
Sn biefe feßöne gotgeri^tigfeit fiel eines DageS ©aga=
nini. SBie ein geuerftern fchoß er nieber auf eine aljnungS*
lofe SBelt, ber feiner Unerljörtheit ben Sltßem benahm. Sn
biefer allgemeinen Uebertriebenljeit thaten ©poljr’S gemäßigte
3luSfprü(^e hoppelt mohl. 3tlS ©eigenpotentat mar ©poßr
nämlich oerpflichtet, feiner beutfehen 3Witmelt über ©aganini
etmaS oorguorafeln. Sn feiner ©etbftbiographie hot er biefe
Sinbrüde feljr genau oergeichnet. 3luS biefen gepflegten, ßöf*
tidtjen Urtheilen meßt eS feßr füßl heraus. Äein SBunber übrigens,
benn eine SBelt lag gtoifcfjen ©eiben, ©poßr, biefer Dtabi*
tionclle bureß unb burd), ber gortpflanger oon Sterbtem unb
Ueberfommenem, fonnte ©aganini, ben fjohnfpredjer aller
©djulmeisheit, biefen Srgfubjectioen unb oor SlÖem ©ug*
geftioen, ben erften 3 u ^nnftSmufifer auf bem'iSnftrumente
ber ©ergangenßeit, meber begreifen noch nach feinem SBertfje
fdjäßen. Sigentlid) mar ja ©aganini ein ©ielgufrühgeborener
mie ©oetße. ©eine Slerüenbefdjaffenheit unb feine ungeheure
fuggeftioe Straft hätte gu anberen feiten gang anbere Dinge
bemirft. Slber felbft in einer geit ber füßlen flbftraction
unb ber erftarrten Sehrbegriffe ßot ©aganini auS feinen
IReroen heraus gefiegt. ©eine Driuinphe maren lauter SferOen*
triumpße. Sin ©aganini Oon heute mürbe übrigens gar nießt
Digitized by v^. ooQie
Nr. 24.
Ute töegetttoart.
377
Sioline fpielen, fonbern etwa« weit ÜJfobernere« tßun, j. 93.
einem Sarbeß b’Mreoißß ober b’Slnnunjio ÜWobell figen ju
ein paar gefpjenftifc^=fc^aurigctt Stomancapiteln, in benen e«
mögiidjft pfßtßopatßifcß juginge. Ober er Würbe ©eigen
bauen, bie unferen moberneu Slangburft befriebigen tötinten;
er würbe ein Donfucßer unb ginber fein, ein genialer teufet,
ben mir aber gar nießt al« Teufel empfänben, fonbern bloß
al« ©enie.
SBir haben früher toon ©poßr gefproeßen, al« beni
größten beutfeßen ©eiger unb ©eigencomponiften feiner 3eit.
Sn ber Dßat ßat ©poßr bie Seben«jeit ber ©eige beträchtlich
erweitert burch f e ' n claffifcße« ©piel unb bureß 3°^ unb
SBertß feiner Sompofitionen. Snbem er unaufhörlich ben
uoHen ©tront feiner Srffnbuitg auf bie ©eige nieberfprubeln
liefe, fchuf er ein mächtige« ©tnef claffifdjer ©eigenliteratur.
©eine 3 e * t fl e noffen Mbrea« Nürnberg unb SWaurer oer*
fchwanben neben ihm; granj 93enba, Quanj unb ©taniig
oergafe man feinetwegen. ©o grofe war fein Sinflufe, bafe
fiep an folibem Stußm mit ihm nur Martini rneffen fann,
beffen 93ogen brei SReidje heßerrfeßte, beffen 93eifpiel in ber
ganjen 9Be(t Nachahmer fanb. Unb nun muffen wir e« er*
leben, bafe ©pohr’« ungeheure unb, wie e« fchien, unerfeßütter*
licfee Popularität langsam oerfiefert, währenb Paganini ton
Steuern aufjuglänjen beginnt. Sft ba« nicht fpmptomatifcß?
©ewife. S« beweift, bafe ©poßr bie natürliche ßeiftung«*
fähigfeit ber ©eige in jeber Stiftung erfchöpft hat unb bähet
hier nicht« weiter ju thun übrig blieb. 23äre bie« möglich
gewefen, fo hätte unbebingt Soacßim ©pohr’« Stachfolger
werben müffen. Smmerßin ift e« ein unermeßlicher ©lücf«*
faß, bafe fo fpät nach Paganini noch ein Soacßim möglich
würbe, ein SJtann, ber bie Srvungenfcßaften ber italtenifcßen,
franjöfifcßen unb beutfeßen SWeifterfcßufen in fieß oereinigte,
um mit beren 3J?it£)ülfe eine neue perfönlichfeit ton inbioi*
bueUftem Dteij ju formen. Soadjim war bie Statur, in bie
alle alte ©eigencultur einmünben fonnte, wie in ein natür*
liehe« Sett. 90? it ©cßägen ton Sergangenßeit beloben, blieb
er bodj immer ©egenmart unb 93ehorcher ber ßufunft. 9Ba«
et erhorchte, hat er beutlich auSgefprocßen burch bie Stiftung,
bie er feinen ©cßülern gab, unb ber er in fpäteren Sohren
felbft folgte. Soacßim ljat ffcß auS ber flachen unb beengten
Sirtuofenfpßäre aümälig jutücfgejogen auf ba« ©ebiet guter
SDtufif, bie er aöerbing« in ben legten Saßrjeßnten nur im
Sereicß ber Äammermufif fanb. Sr mürbe nießt nur §aupt
ton Quartetten, er würbe in erfter Sinie Ouartettfpielet,
mit gelegentlichen 9lu«flügen in ba« foliftifcße ©ebiet. Da«
war nur natürlich, benn Soadjim war ton |>aufe au« ein
}u guter SOtufifer, um ben SerfaH ber SSiolintirtuofität nießt
ju bemerfen. Defeßalb füßrte er feine beften ©djüler rafcß
unb fießer ber Sammermufif ju. Die beften Quartettfpieler
finb entweber ©cßöler Soacßim’« ober bodj ton feinem ©eift,
feinen Slnfcßauungett beeinflußt. §ier ift Seben, bewie« ißnen
ber SJieifter, benn hier ift eine lebenbige Siterat ur.
©o geljt ba« ©otogeigenfpiel feinem Snbe entgegen au«
Sftangel an einer neuen Siteratur. Die Sirtuofen befcßul*
bigen bie Somponiften, bie nießt« für bie ©eige fdjreiben,
benn Soncertc ton 93rucß unb ©olbmarf, ein paar ©tücfe
ton ©aint*©aen« bilben jufammen nocij feine Siteratur.
©ie Sille benfen nießt au« ber ©eele ber ©eige ßerau«; fie
fdjreiben Dinge, bie oft ber reine Serratß an ber ©eige finb.
SBenn man fie befcßulbigt legen fie äße ©djulb auf bie ©eige
felbft 9ßie foH man für ein Snftrument fdjreiben, heißt e«, auf
bem man nießt mobern fein fann, oßne mifeflingenb ju werben?
Die ©eige fegt bem feßaffenben SKufifer ton ßeute ©cßranfen
entgegen, bie um fo unüberfteiglidjer finb, al« fie ben fReij
unb Sorjug be« Snftrument« bilben. Die guten Däne ber
©eige woßnen fo enge beifamnten, in ben mittleren Sagen,
bafe bie SEBeitgriffigfeit, biefer tornehmfte Srwerb ber SWobernen,
ton felbft au«gefcßloffen ift. Da« wußten bie älteren Som*
poniften feßr gut unb unternahmen nießt« gegen ben ©eift
be« 3nftrument«. ©ie gingen Weber ju ßodj hinauf, noch
ju tief hinunter: fie mieten fowoßl bie ©cßnart* al« auch
bie Duietfcßregion. Der Srfte, ber ben ©egenfcßlag füßrte,
war ber Decabent Paganini. Sr ift auch ber Sater aller
Decabenten geworben, ton ©itori, Die Sufi unb — ©cßcller
bi« Sefar Dßomfon, San Äabelif u. 91. m. paganini’« ßal«*
breeßerifeße Sfünfte, bie angeblich eine ^Bereicherung unb Sr*
Weiterung bebeuteten, waren fämmtlicß gegen bie ©eige ge*
rießtet. Sr war ißt geinb, ber fie ju fatanifeßen Seiftungen
jmang: ju Doppelgriffen, benen ißr jarter Sau nießt ©tanb
ßielt, ju glageoletteufeleien, bie einer ganjen ©eneration ben
Süßem oerfeßlugen, ju paffagen, bie weit über bie Seiftung«»
fäßigfeit ber Slpplicatur ßinau«gingen, enblicß jur ftnnlofen
Stacßaßmung ber terfeßiebenften Snftrumente. Diefer Snju«
an Dedjnif, bie feinem Sebürfnife entfprang unb ju feinem
mirflicßen gortfeßritt füßrte, wa* ba« erfte 3 c ‘^ en i ei, e«
Stiebergange«, ben bie SEßelt fegt mit anfießt. Sin eble«
Snftrument geßt feiner ©elbftßerrlicßfeit oerluftig, bie e«
burdj brei Saßrßunberte behauptet, um nur al« Dßeil eine«
©anjen weiter ju leben. S« ift beinahe wie eine Stacß*
aßmung moberner ©taatenbilbung. Der Äleinftaat geßt unter
in ber ©rofemadjt, ba« Sinjelinftrument oerliert fieß im
Orcßefter. Da« beweift eine gefunbe SRücffeßr jum Sfatür*
ließen, jur Statur, bie. ja aueß nießt ©etbftjwecfe fennt, Dinge,
bie fieß felbft oerßerrlicßen, fonbern nur ein Unterorbnen,
ein Sneinanbergreifen, beffen grueßt bie ©efammtßeit ift.
Sin legte« wuchtige« 2Bort in Dingen ber ©eige ßat
Sraßm« gefproeßen. Sr fpraeß e«, inbem er fein Siofin*
concert feßrieb. Sin SBiener ftritifer (Subwig ©peibel) meinte,
biefe« Soncert fei nießt für, fonbern eigentlich gegen bie ©eige
gefeßrieben. Da« ift woßl bie grimmigfte Serurtßeilung ber
©ologeige, bie je gefeßrieben worben. S« war Sraßm« 3'oecf,
mit feinen hornigen ©eßwierigfeiten bie Spieler abjufeßreefen,
er wollte parobiftifcß bartßun, Wie feßr ßeügefcßmad unb
©eigenmäfeigfeit einanber jumiberlaufen. S« ift gelungen.
Sraßm« ßat mit einem £iebe ben ©tamm umgeßduen, ben
fcßwädjere ^»äiibe tangfam ©tücf für ©tücf burdjgefägt ßätten.
ftaUeßraitb als bramatiftßer Stoff.
SSon (Sottlicb Daum.
(©«lug.)
Der britte Stet: Stapoleon« reeßte ^>anb. Der ehemalige
Sifdjof abfoloirte feine biplomatifcße Seßrjeit. 9Bie er feßon
bamal« feinem berühmten 9lu«fptudj, bafe bie ©praeße nur
ein SDtittel jum Serbergen feiner ©ebanfen fei, nacßjuleben
begann, beweift bie folgenbe Slnefbote. Der fpanifeße ®c=
fanbte, Sßeoalier b’Sljara, ßatte bureß Seftecßung bie SDtit*
wiffenfeßaft an einem Oom Sonful unb feinen SKiniftern Daließ«
ranb unb goueßö ftreng geßeim gehaltenen Project erlangt.
Die Solijei befam 933inb baoon, unb Dalleßranb’« alter greunb
goueße wußte nießt« Siligere« ju tßun, al« bie« bem erften
Sonful mitjutßeilen. Sonaparte liefe feinen Premier fommen
unb madjte ißm Sorwürfe über ben Serratß ober wenigften«
bie 3nbi«cretion feiner Slgenten. DaÖeßranb crßolte fieß
fcßneU Oom erften ©cßreden unb meinte, nidjt« fei leidßter,
al« Sille« wieber in Drbnung ju bringen, ©ogteieß fußr er
jum fpanifeßen ©efanbten unb fagte naeß ben übließen gor*
malitäten, er ßabe ißm ein beibe Sabinette iittereffirenbe«
Project üertraulicß mitjutßeilen. Sr oertraute ißm hierauf
Me« an, wa« ber ©efanbte tängft Wußte, fo bafe biefer feinen
Mgenblicf jweifette, alle mit fo ungewohnter Offenheit ge*
machten SKittßeilungen feien ebenfo falfcß, wie bie früßer
erfauften gleicßtautenben Documente. Sr melbete alfo unoer*
jflglicß bureß einen Sourter naeß 9Jtabrib, bie Dag« oorßer
Digitized by v^. ooQie
378
Die ftegettwarl
Nr. 24.
abgefdfidten Depefdjen feien als apofrt)Ph ja betrauten.
DiefeS biplomatifcf)e SBunftftücf pflegte Dadepranb fpäter
gerne ju erjagten unb mit bem claffifchen ©tat ju befdjliefeen:
En me däguisant moins je les trompe mieux.
©S liegt auf ber §anb, bafe burd) foldje Dalentproben
DaQet)ranb bem erftcn ©onfut roertf)boll würbe. Seiber
bebfitirte Vonaparte als ©elbftherrfdjer ber SRepublif mit ber
©rmotbung b’©ngf)ien’S. Dafleptanb Ijat in biefer Dragübie,
feinem borficf)tigen ©harafter gcmäfe, mahrfdjeinlid) feine
actibe 9RoUe gefpielt. ^ebenfalls lernte er ben if)m bon
greunben jugemutljeten SRücftritt mit ben SBorten ab: „SBenn
Vonaparte fidj eine« Verbrechens fdjulbig gemalt, fo ift bicS
für mich fein ©runb, mich einer Dummheit fcfeulbig ju
machen." Von Sena bis Dilfit war er im ©efotge beS ÄaiferS
unb bie ©eele aller Unterhanblungen. Die SReuorganifation
bon Stalien unb SDeutfcfjla nb ift fein 2Berf. SBenn Napoleon
einen fremben Diplomaten auSholen wollte, liefe er ben mit
allen Reinheiten ber «Sprache unb beS SnftinctS bemanberten
SRinifter rufen. 3h m tiertraute er feine gefeeirnften ©ebanfen
unb ißläne an, unb wenn er auch DaUehranb’S ©harafter
mifeadjtete, fo bewunberte er bis jum Dobe feine aufeerorbent«
liehen gä^igfeiten. — Die fdjwache ©eite beS grofeen Diplo«
maten war feine ©elbgier. «Seine h°h e «Stellung betrachtete
er als eine ©olbminc. ©r war ber Veftecfjung jugänglid).
©eine ©efätligfeit wollte er nicht nad) ber Drabition in
DabafSbofen unb VriEanten belohnt haben, fonbern in Hingen*
ber SRünje. ©raf ©enfft berfidjert freilich, DaHepranb fei
felbft burefe bie gröfeten ©ummen nicht ju bewegen gewefen,
feinem §errn fdjäbliche Sntereffen ju begünftigen; er t^abe
ftetS jum grieben geraden unb auS biefem ©runbe ben S|?olen
feine Unterftühung berweigert, obwohl ihm bie ©chlachjijen
hier SRiHionen ©ulben boten, dagegen würben bie fleineit
beutfdjen gürften, beten ©djidfal in feine Ipanb gegeben war,
furchtbar gefeferöpft. gür bie Unterhanblungen bon 1806,
bie ben grieben bon V°fen h er & e *fühden, erhielt er eine
ÜRitlion grancS, unb er felbft fehlte fpäter bie bon grofeen
unb deinen 9JJäd)ten erhaltenen „Douceurs" auf fecfejig
TOiflionen. Napoleon wufete bieS 3lllcS unb liefe eS gefdjef)en.
Sn SRainj fragte er ben Äönig bon SBürttemberg: „Combien
Talleyrand vous a-t-il coute?" Vielleicht War ifem biefe
Habgier gerabe erwünfdjt, um ben fonft jubertäffigen Diplo«
maten an fid) ju feffetn. UeberbieS bediel) er if)m ben Xitel
eines gürften bon Venebent, ben XaUepranb mit auffaöenber
©leichgiltigfeit empfing, „kennen @ie mich nidjt jjoheit",
fagte er ju ©agern, „fonbern einfach 3Jfonfteur Xaüehranb;
biclleicht bin ich wehr als eine i>of)eit, bielleicht weniger."
Slngeblich auS ©efunbheitSrüdfidjten, aber Wie Napoleon auf
©t. Helena berfidjerte, wegen feanbalöfer Veftecf)ungen, trat
Xaflepranb nac£)bem Xilfiter grieben mit bem Xitel eines
Vice«©rofewaf(lherrn bon feinem ißoften jurüd. „C’est un
vice de plus", fagte fein gleichseitig entlaffener Stntagonift
gonefee, „dans le nombre cela ne parattra pas". ©lcid)Wohl
berblieb er im. faiferlidjen SRatfe unb ftimmte, obfdjon er für
bie Vertrdbung ber VourbonS war, hoch gegen ben fpanifcf)en
gelbjug, gegen bie Veraubung beS ißapfteS unb gegen bie
Verbinbung mit bem §aufe Oefterreidj. „äReint man benn",
pflegte er malitiöS ju fageit, „baS §auS §abSburg fühle fid)
burd) eine ^eiratp mit bem §aufe Vonaparte geehrt? ©ebt
ihm lieber feine Vrobinjen wieber". @o fam eS, bafe er ju*
le^t in llttgnabe fiel unb fogar bie ®rofefammerf)errenwürbe
wieber aufgeben mufete. «Sein focialer unb fogar politifcfjer
©nflufe blieb aber nad) wie bor bebeutenb. ©ein «Salon
würbe halb ju einer 3lrt $of, ber bem faiferlidjen ©oncurrenj
machte. 3 war hörte er nicht auf, Napoleon unb ben beibeit
Äaiferinnen bie ©out ju fcfenciben, bod) Napoleon begegnete
ihm utib feinen Anhängern nur mit bem gröfeten SRifetrauen
unb 3lerger. Vielleicht entfprang bieS ber richtigen @rfcnnt=
nife, bafe allen feinen Xfenten bon nun an baS Vleigewicht
biplomatifcfeer Vernunft fehlte. „Napoleon", pflegte Xattep*
ranb ju fagen, „war berloren bom Xag an, wo er eine
Viertelftunbe früher tfeun fonnte, WaS ich bewirfte, bafe er
eS eine Viertelftunbe fpäter ausführte".
Vierter Stet: Der SfönigSmadjer. Xrofcig ftürjte fich
Napoleon in ben ruffifcfeen gelbjug unb berief feinen
Diplomaten erft, als ber Untergang begann. ©r bot ihm
baS ißortefeuiUe wieber an, aber nur unter ber Vebingung,
bafe er fRang unb ©efealt beS Vice=©rofewahlherrn aufgebe.
XaUepranb erfannte augenblidlich, bafe Napoleon ifen Wieber
abhängig machen wollte unb antwortete ftolj: „§at ber Saifer
Vertrauen ju mir, fo foll er mich nicht begrabiren; bertraut
er mir aber nicht, fo foll er mich nicht anfteQen." @S fam
; ju heftigen ©eenen. 9?a<h ber ©djlacfet bei Seipjig berfammelte
Vapoleon feinen «Stab unb flagte Sille beS VerratljS an.
Dann ging er auf DaUcpranb ju unb apoftrophirte ihn
folgcnbermafeen: „Unb Sie . . . wefehalb lommen ©ie feer?
5!)iir Sf) r en Unbanf ju jeigen? ©ie ftellen fidh, als ob ©ie
jur Dppofition gehörten! ©ie glauben Wohl, wenn ich nicht
mefer Wäre, würben ©ie baS Jpaupt einer Vegentfdjaft? ©eien
©ie berfidjert, wenn ich gefährlich erfranfte, fo würben ©ie
bor mir fterben!" Daüegranb erwibertc mit ber ©tajie unb
Slufee eines ^öflingS, bet eine neue ©unftbejeugung erhält:
„©ire, ich bebarf feines foldjcn ©runbeS, um bon £erjen
ju wünfdjen, 9D?ajeftät möge noch red)t lange am Sebcn
bleiben!" Napoleon ftu^tc einen Slugenbtid, fufer aber bann
fort, jehtt Sdinuten lang mit ben ärgften Vcleibigungen gegen
ihn ju wüthen. ©r befchulbigtc ihn beS VerratpS, beS TOcineibS,
legte ifem bett fpanifchen gelbjug jur Saft, machte ifen für
alles Unglüd in fKufelanb berantwortlich unb nannte ifen ben
iDförber ©nghien’S. Unterbeffen ftanb Xallepranb neben bem
©amin unb fchüjjtc fiep mit feinem £>ute gegen bie |)ihe
beS geuerS. @r rührte fein ©lieb, berjog feine SKicne.
SBer ifen fah, h“ ttc “irfjt im ©eringften bennuthet, bafe ber
Äaifer mit ihm fpradj. «Sein ewig gleiches ©cfid)t war fo
theilnahmtoS, bafe nichts barauf ju lefen war; ganj wie
ÜJlurat bon ifem ju fagen liebte: „3Wan fann ifem h*nteu
einen gufetritt geben, ohne bafe eS fein ©eficht borne ber»
ratf)en würbe." 31 iS enbfid) Napoleon hinausging unb mit
^eftigfeit bie Xhiirc jufcplug, ba ergriff ber gürft ganj ruhig
ben 3lrm eines Sollegcn unb fünfte bie Dreppe hinab, ©r
wufete aud) hinter feinem ©chweigen beffer als irgenb Semanb
feine ©ebanfen ju berbergen. — Durch foldje Auftritte wären
felbft djarafterfeftere greunbe abgeftofeen worben. DaDehranb
fah ben „3lnfang bom ©nbe" borauS unb fühlte nid)t ben Ve*
ruf, fich unter muinen mit begraben ju (affen, ©ein häufiges
Drängen, um jeben V*eiS mit ben 3tQürten grieben ju fdhliefeen,
War bon Ulapoleon mit §ohn erwibert worben. Seber Ver<
jug mufete bie Vebingungen erfchweren unb bie Opfer ber=
gröfeern. DaHepranb lehrte alfo nach V ar i § jueüd, um ge«
legentlidj mit ben 3lKiirten ju unterfeanbeln. @r fanbte
VitrotleS in’S Säger ber Verbünbeten, um ihnen mitjutfeeilen,
fie würben in VoriS, falls fie nicht gegen gtanfreidj, fonbern
nur gegen Napoleon Ärieg führten, gute greunbe finben.
Der Verrath nahm feinen Slitfang.
Sn V at i^ commanbirte Sofeph im Flamen feines VruberS;
bereits waren ber ©rjfanjler, bie ÜJfinifter unb biele SRegierungS«
mitglieber auf SRapoleonS Vefehl nach VloiS gejogen. Die
Äaiferin liefe burd) bie £>erjogin bon SRontebello DüHepranb
fragen, um wiebiel Uhr er ebenfalls bafein abjureifen gebenfe.
„Du lieber ©ott", antwortete ber guefeä, „baS weife id) noch
nid)t; bie SScge finb überfüllt, aber id) werbe nachfolgend
Dann begleitete er bie §crjogin bis jur Dreppe, brüdte ihre
beiben §änbe unb fagte gerührt: „ÜRcine gute §erjogin, feien
©ie überjeugt, bafe baS faiferlidje V aor öaS Opfer einer
abfdjculichen Sntrigue ift!" hierauf ging er in feine ©emädjer
jurüd, um fich J u überjeugen, bafe nichts jum ©mpfange beS
SaiferS 3ltejanber fehlte, ©ine ©tunbe fpäter fuhr er in
feinem ©taatSWagen mit ©clat jur Varriere be l’Stoile.
Digitized by v^. ooQie
Nr. 24.
Die ffiegemtMtri
379
„3f)re Sßäffe", rief bic 2Bad)e. — ,,©d ift ber ©ice=®roferuaf)l=
Ijerr!" gaben bie Safaien jurüd. — „Sßaffirt!“ — „SRein",
fagte ber Sßrinz, „id) habe feinen Sßafe unb will bad ©efe|j
nicf)t übertreten.“ ©r teerte in fein §otel jurüd — ald ber
U)id)tigfte SRepräfentant öoit granfreich.
©id jut 9lnfunft bed Äaiferd bon SRufetanb unb rootjf
auch noch fpäter mar feine SBohnung ber ©ammelpunft non
catitinarifdjen ©jiftenzen, barunter ber berüchtigte SDlarquid
SDlaubreuil, ber beim ©injug ber 9lKiirten bad Srcuj ber
©hreitlegion an ben ©chwcif feines Sßferbed gebunben unb um
bie ©tatue Napoleons einen ©trid gezogen hatte. 3n bicfcr
unheimlichen ©efellfdjaft fonnte man wahre SDlörber»©ialoge
hören. „SEBieniel wollen ©ie für ben ©treid)?" — „3ef)n
iRillionen." — „Sine Äleinigfeit, wenn cd granfreich bon
einer foldjen ©eifeel zu befreien gilt!" ©er Sßolizeipräfect
9tngled niufete SDlaubreuil eine jWeibeutige ©otlmacht aud»
ftellen unb eilte gleich barauf ju XaHct)ranb, ob er fie
beim wirtlich befohlen habe. ©er SDlepljifto antwortete mit
feiner gleichgiltigften SOliene: „SDlein ©ecretär ift nicht ba,
um und 9luffd)tufe ju geben. 2Bollen ©ie SDlaubreuil arre*
tiren laffen, fo thun ©ie ed meinetwegen." @d war ju fpät.
SDlaubreuil War fcttoit auf bem 2öege nad) gontainebleau.
9tber nicht SRapoleon würbe fein Opfer, fonbevn bie Königin
uon SEBeftfalen, bie eben burd) ben SBatb ftt’d ©jil fuhr. ©er
eble SDlarquid bemächtigte fid) ihres ©epädd, ihrer ©iamanten
uub einiger ©elbfäde mit 84,000 grancö.
9lm 31. SDlärz 1814 hallte bad §otel ©aint glorentin
uon ben ©ct>ritten bewaffneter SDlänner wiber; bic ©d)lepp=
fäbel raffelten über bad Sßflafter bed Ipofed, unb St'aifer
Sllejanber üon SRufelaub mit feinen Slofacfen unb ber $önig
uon Sßreufeen mit feinen ipufareit zogen in bie ©hreit*
halle ein. ©alb eilten auch Stetternich, SReffelrobe, Sßozzo
bi ©orgo, gürft ©chwarjenberg unb bie anberen ©efdjäftd*
träger ber fiegreidjen Sßotentaten herbei zum SRenbez^boud im
Öaufe eined SDlanncd, ber hoch nur nod) ein ©jminifter
war. 91 n jenem ©agc ftanb biefer fpäter ald gewöhnlich auf,
fdpninfte fein ©efidjt rofa unb liefe fid) bie langen Soden
jorgfältiger pubern. ©ann begab er fid) ju ben harrenben
Königen unb SDliniftern. „SDlein £>err," rebete ihn ber Äaifcr
uon SRufetanb an, „wir finb nach Sßarid gefommen, um
granfreid) unb ©uropa ben grieben ju geben. 23ir wiffen
aber nicht, mit wem wir unterljanbeln follen, unb bcrlaffen
und auf ©ie. 3n ber einen f)anb haben ©ie bie SRapoleo»
nibeit, in ber anberen bie ©ourbonen: wir nehmen, wad ©ie
und geben!" ©er 2lngefprod)ene ftraljtte jum crftenmal in
feinem Seben bor ©lüd. @r fühlte, bafe er in biefem 9lugen=
blid ben Spöfeepunft feiner Saufbahn erreicht hatte, ©ie
Sieger beugten fid) oor bem ©eifte bed Sperret Don XäHet)ranb.
Untcrbeffen fiel bie ©ioifion bed SDlarfcfeallö SDlannont
uon SRapoleon ab. 91 m 8. 9lpril Deröffenttid)te ber ©enat bie
uon Xattepranb entworfene ©onftitution, woburd) eine SDfonarchie
unter Subwig XVIII. gefdjaffen würbe. 9lm 11. 9lpril würbe
ber Vertrag unterzeichnet, ber SDlarie Suife unb ihrem ©ohne
bad gürftentfjHm Sßarma unb Napoleon — bad 3nfcld)en
©Iba juwied. ©ann hielt ber ©raf Don 9trtoid ald „©eneral»
Seutenant bed Sönigreid)ö" feinen ©injug in ber Spauptftabt.
©r war babei fo gerührt, bafe er fein 23ort über bie Sippen
bringen fonnte. ©aHepranb fam ifem jur ,§iilfe, inbem er
für ben „Boniteur" ben berühmten ©prud) erfanit: „©nblich
fehe id) mein granfreich wieber, unb niefetd hat fid) geänbert;
cd giebt bfofe einen granjofen mehr."
Xrofebem Souid XVIII. ben Söuigdmacher ju feinem
SOiinifter bed 9ludwärtigcn ernannte, war er boch niifetrauifch
unb eiferfiiehtig auf ihn. ßwifdjen ©eiben, bie, jeber in
feiner 9lrt, Douenbete Sfomöbianten waren, fpielten fich einige
©onuerfationdfeenen ab, in benen ber burefeaud geiftreiche
Monarch faft immer refpectuoll aber entfefeieben ben fürjeren
i°8- „Sch bewnnbere," fagte einmal ber Äönig ju ihm, „id)
betounbere Shren ©influfe auf all’ bie testen ©reigniffe in
granfreich- S33ie haben ©ie ed nur angefangen, um erft bad
©irectorium unb fpäter bie gewaltige ÜRadjt ©onaparted ju
ftiirjen?" — „3Weiit ©ott, ©ire,“ antwortete ber SWinifter,
„ich ^abe wahrhaftig nid)td bafür gethan; ed mufe etwad Un=
erflärliched in mir fteden, bad alle SRegierungen in’d Unglücf
bringt, bie mich hintanfeien." 3Rit biefer ©rmahnung nahm
Xatlepranb Dom |>ofe 9lbfd)ieb unb reifte nad) 9Bien, wo ber
ßongrefe SDiitte ©eptember eröffnet würbe.
@d ift befannt, bafe ©allepranb fich bort auf ber ^)öhe
feiner Äunft zeigte, ©^on war ed ifem gelungen, grqnfreichd
©influfe auf bie Unterhaltungen zu fiebern unb bie heilige
9ltlianz z u fprengen, ald bie SRacfericht Don SRapoleond SRüd=
fehr eintraf. 3e§t ftob bie ganze erlauchte ©erfammlung
auöeiitauber; fein niühfam burd) Sift aufgebauted ©ebäube
brach Z u f om nten, unb Don 9tdem blieb ihm nicht einmal fein
geflügelted 2Bort: „Le congres ne marche pas, il danse,"
welched er an ben gürften le Signe abtreten mufete. SBähtenb
Subwig XVIIL Dor bem heranziefienben „©riganten" nadh
©ent floh, begab fich fein SOiinifter nach Äarldbab, benn nach
einem ©ongrefe fei ed eined ©iplomaten erfte Sßflid)t, feine
Seber zu pflegen. Ob er bort nur feiner ©efunbheit lebte,
ftef)t bahin; ebenfo bie SSahrfecit beffen, Wad SRapoleon fpäter
auf ©anct §elena bem ©octor 0’äReara mittheilte, wonach
ifen ©atlepranb bamald brieflich um ©erzeihung gebeten höbe,
©d ift wohl möglich, bafe ber ©iplomat an ben ÜBieberaufgang
bed napoleonifcfeen ©terned glauben mochte, ©er weife, ob
ber „Xiger" flug feanbeite, inbem er ben „gud)d" — wie
man SRapoleon nnb ©adepranb niefet unzutreffenb genannt hat
—‘ abwied; fonft hätte Dielleicht ber Staifer nicht fein ganzed
©efchid auf einen SEBurf, eine grofee ©d)lad)t gefegt unb
nicht nöthig gehabt, z«m ztueitemnal in bie ©erbannung zu
gehen mit ben 23orten: „Quitte ich ©adet)ranb unb goud)e
hängen laffen, fo fäfee ich uod) heute auf bem ©h ron -"
SBofel möglid), bafe Subwig XVIII. Don biefem ©errath
erfuhr, benn bamald würbe am £>ofe zu ©ent ©adehranb’d
Ungnabe befchloffen. ©et feine ©taatdmann witterte bied
unb reifte — DieHeid)t Durch SRapoleond 9lbweifung beftimmt
— nach ©ent, .um enblich über ben 2Biener ©ongrefe ©ortrag
Zu halten unb um bie ©rlaubnife zur gortfefeung feiner ©ur
Zu bitten, ©iefe Würbe ihm beinahe aufgebrängt; aber faum
auf ber SRüdreife begriffen, erhielt er ben Auftrag, mit bem
Sönig in ©ambrat) zufatnmen zu treffen, ©er lluge Souid
mochte eingefehen haben, bafe ed ohne ben Sönigdmacher ein»
mal nicht gehe. @d Derlautete aud), SBedington, ber auf bem
SBiener ©ongrefe ein ©ewunberer ©aUehranb’d geworben,
habe bem Don ben 9llliirten wieber zu ©naben angenommenen
©jfönig geratfeen, feinen Dertrauendwürbigen SOiinifter aber»
mald an bie ©pijje bed ©abinettd zu fteUen. gür bie üor*
übergehenbe Ungnabe räd)te fich aber ©adepranb baburch,
bafe er in feinem SßroclamationdentwurfbedSönigdSingeftänb»
nife begangener gefeler aufnafem. ©ied führte zu einer, bon
bem ©ecretär ©eugnot überlieferten bramatifdjen ©eene, ©er
©onfeil hatte fich Derfamtnelt. 2lld bie Seetüre bed ©ntwurfd
Zit ©nbe, bat ber Äönig, ohne innere ©ewegung zu Derrdthen,
ben ©ecretar, er möge ©aUepranb’d ©c^rift noch einmal Dor»
lefen. 9lld ed gefächen, bellagte fich l>er Herzog Don 9Irtoid,
ber nachmalige Äarl X., bafe man feinen föniglich'en ©ruber
barin um ©erzeihung bitten laffe. ©allet)ranb erwiberte:
„SDlonfieur Werben bergeben, wenn ich anberer 2lnfid)t bin.
3ch halte biefe Studbrüde für nöthig unb gut angebrad)t.
©er ffönig hat gehler begangen, feine Umgebung hat ihn
irre geleitet; barin ift niefetd zu Diel gefagt." — „@oU ich
bamit gemeint fein?" fragte ber Herzog Don 2lrtoid. „SRun,
ba boch SDlonfieur bie SRebe barauf bringen: ja, SDlonfieur hat
Diel berfdjulbet." — „©er gürft XaUepranb bergifet fich!",
— „3ch fürchte ed, aber bie Sßahrljeit reifet mich fort." —
,,2Sahrlid)," rief jefct ber Herzog Don ©ent) mit mühfam
Derhaltenem 3° rn , „blofe in bed Äönigd SlnWefenfeeit bulbe
ich, & a fi Semanb Dor mir meinen ©ater fo behanble, unb
Digitized by v^. ooQie
380
Die Gegenwart
Nr. 24.
icf) möchte wiffen . . Sei biefeit nodj lauter geferkenen
Sßorten ttjintte ber König bem ^>crjog unb fagte ruhig: „®e*
nug, mein SReffe, mir ftefyt über baS, waS in meiner ©egen*
toart unb in meinem ©onfeil gefügt wirb, baS alleinige Urteil
ju. 2Reine Herren, ich fann Weber bie 2luSbrüde noch bic
Kritif ber ißrodamation gutljeifeen. ©er fRebacteur fofl bie
Arbeit nodjmalS Oornehmen unb babei bie ©chidlidjteit nicf)t
oergeffen, bie man in ljof)em ©rabe ju wahren bat, wenn
man in meinem ÜRamcn fpricht." ©er §erjog non Serrtj
beutete auf ben ©ecretär: „2lber oon biefem rühren bie Unge*
jogenbeiten nicht ©er König erwiberte noch ruhiger:
„ßieber SReffe, taffen ©ie gefätligft 3b re Unterbrechungen.
HReine Herren, ich wieberbole, bafe ich biefe (Erörterung mit
grofeem Sebauern oernommen habe. ©eben wir ju einem
anberen ©egenftanb über." ©ie Sßroctamation würbe mit
einigen unwefenttidjen 2lenberungen angenommen.
fünfter Stet: ßlpotfieofe unb Eöflenfahrt. 2lm 6. 3uli
1815 hielten bie Slüiirten ihren zweiten ©injug burch bie
Sarriere be l’@toile. 2Ran bemerfte in ber SBagencolonne
mitten unter erbeuteten gourgonS mit ber Ueberfcbrift: „®arbe
Smperiale" eine ben ißreufeen gehörige Kutfd)c, in welcher
eine ißerfon fiel) jurücflehnte, bie fict) ben Süden ber neu*
gierigen 2Renge mögticfjft ju entziehen fuc^te. ©S war ©aßet)*
ranb; mit ib>n hielt bie zweite fReftauration ihren ©injug.
©ogieich fehlte er fich an, fein ÜRinifterium ju bilben, in
baS er auf 2Beüington’S ©mpfefelung auch feinen geinb, ben
fähigen, aber intriganten goud)e, anfnehmen mufete. 21 ber
mit ben reactionären ©migranten, bie nach ©aßehranb'S bc=
rühmten 2luSbrud als Etrangers de l’interieur „nichts gelernt
unb nichts bergeffen", liefe fich fehler regieren, obwohl „bie
©änfe baS ßapitol auch gerettet hatten." UeberbieS fteflten
bie Stüiirten unb namentlich Kaifet 2llejanber, ber ©afleferanb
fein Serhalten beim neuerlichen ©ongrefe nie berjieh unb ihm
feinen perfönlichen SBiberwißen uitumwuitben ju erfennen gab,
fo hatte griebenSbebingungen, bafe ber Sßeemier feine ©teile
gerne bem SertrauenSmannc SRufelanbS, SRidjelieu, abtrat,
„©er pafet ja oorjüglid) jum ÜRinifter oon grantreich," fagte
er malitiöS, „benn er fennt am beften — bie Krim.“ ßub*
wig XVIII. belohnte feine ©ntfagung mit einer SafereSpenfion
bon hnnberttaufenb grancS unb ber hofjen, bem gürftenhaufe
Oon Souiflon faft erbrechtlich zufommettben ©teße eines ©rofe*
tammerherrn. Seim 2lbfd)iebe äufeerte ber König: „©ie
Umftänbe etforbern 3h re ©enüffion, aber ich bante 3h°en
für ben ©ifer. ©ie finb über aßen ©abel erhaben unb tönnen
ruhig in SßariS bleiben." — „©ire," erwiberte ©afleferanb,
„icf) hatte baS ©lüd, bem König aflju gewichtige ©ienfte ju
leiften, um annehmen ju tönnen, bafe fie bergeffen finb. 3ch
fefee nicht ein, waS mich nötigen tönnte, ifßariS ju bertaffen.
3<h werbe alfo bleiben unb gtüdlich fein, wenn bie SRathgeber
be» SönigS bie ©bnaftie unb granfreid) nicht in ©efafer bringen."
Son 1815 bis 1830, alfo bis z»tr ©ntthtonung Karls X.,
blieb ©afleferanb btofeer 3 u fdjauer beim Sjßrocefe ber con*
ftitutioneßen ©rjiehung ber SRation.» 2lb unb ju befuchte er
zwar noch bie SßairSfammer, würbe auch manchmal ju SRatlje
gezogen; fo j. S. als man in ben König brang, bem $erjog
bon 2lrtoiS einen Slafe in ber Regierung ju geben, ©er
König fträubte fich — „ce sera ü abdiquer“ — unb Würbe
bon ©aBeferanb unterftüfet, waS biefem Sorwürfe bon ©eiten
beS 4>erjogS jujog. ©er finge Höfling erwiberte aber: „SineS
©agcS wirb mir ©ure ÜRajeftät für baffelbe banten, WaS jefet
©urer töniglichen Roheit mifefäflt."
SßJittlerweile war er bom König bon Neapel mit einer
reichen ©otation für baS ^»erjogthum Seneoent entfdjäbigt
unb pm E er i°9 oon ©io ernannt worben. 2Ran fa| ihn
bei aßen grofeen ^offeften, wo er als Ka mmerherr unbeweglich
hinter bem ©tnf)te beS Königs fafe unb ben falten Süden
feines £errn unb bem höhtüfehen ©tolje feiner geinbe bie
berühmte fReglofigfeit feines ©efichtS entgegenhielt. „9?ie war
ein Slntlife weniger Sarometer," pflegte ßabfe SRorgan ju
fagen. Sei 2lnlafe beS bon ©hateaubrianb befürworteten
fpanifchen gelbjugeS hielt er noch eine grofee fRebe, worin er
benfelben 2luSgang wie 1789 prophezeite, ©ie ©rbitterung
beS .fjofeS gegen ben alten ©iplomaten wuchs. 9Ran fprach
fchon bon feinet Serbannung, als ob man einen Sßair bon
granfreich ohne Urtheil auSWeifen tönnte, unb ber König fragte
ihn pifirt: „SBann werben ©ie benn anf’S ßanb gehen?"
„©aS beabfichtige ich flat nicht," antwortete ©aßepranb,
„eS fei benn, bafe ©ure ÜRajeftät nach gontainebleau gehen,
Wo ich bie ©h« beanfpruchen Würbe, bie Obliegenheiten meiner
©rofefammerherrenwürbe ju erfüflen."
„9?cin, neip, bieS woflte ich nicht fagen. 3d) frage ©ie,
ob ©ie nach 3h*er Sefifeung Salen 9 ap abreifen werben?“
„ÜRcin, ©ire."
,,©o! . . . 2lber fagen ©ie mir hoch, wie weit ift cl
benn bon fßaris nach Salen 9 at)?‘‘
„©ire, eS finb . . .," erwiberte ©aßeferanb höflich, „eS
finb — bierjehn ©tunben weiter als bon ißariS nach ©ent."
2tlS bann bie fpanifche ©jpebition gleichwohl gut berlief,
berföhnte fich ber |>of wieber leiblich mit ihm. 3a, ber König
nahm ihn fogar ritterlich in Schüfe, als er baS ßiel ber*
fdjiebener Eingriffe würbe. 2llS ber föerjog bon gife*3ameS
ihn befdjulbigte, SRebolution unb fReftauration auSgebeutet ju
haben, ba bemerfte er blofe ju feinem SRachbarn: „©er ^erjog
hat ©alent, unb mit 2luSnahme einiger etwas grober Kleinig*
feiten ift feine fRebe fogar feljr gut." 2luf bie Sefchulbigungen
beS föerjogS bon fRobigo, fein ?lnberer als ©aßepranb fei an
©nghien’S Einrichtung fchulb, forberte er mit würbigem ©tolje
bie fßairSfammer auf, eine Unterfudjung einjuleiten unb fdjrieb
an ben König eine jwölffeitige fRcd)tfertigung, bie mit ben
Söorten anhob: „Sire, je n’apprendrai rien a Votre Majeste!“
3n bet ©hat würbe man gar nicht flug barauS. ©inmal er*
jählte ihm ein greunb, bie E er i°9' n be ©enliS habe ihn
fdjlecht gemacht. „©aS fchabet nichts," tröftete ihn ©aßefe*
ranb, „bon zwei 2Renfc£)enfotten barf man bef^impft werben,
ohne fich belcibigt z« fühlen, bon grauen unb Sifcfjöfen.*
» I bachte ©aßehranb, man brauche fich feine Ohr*
iflen zu taffen, wenn man zugleich ©beimann unb
Sifdjof fei. 21IS nämlich ber elenbe äRarquiS be 9Raubreuit,
ber einft fRapoleon in gontainebleau ermorben woflte, ihm
2lngefid}tS beS ganzen EofeS währenb ber ©obtemneffe für
ßubwig XVI. eine folche äRaulfdjefle gab, bafe ber lahme ©reis
ZU Soben ftür^te, ba fagte ©aßehranb zum Könige mit bem
©tolz eines ©belmanneS, ber eine Srutalität, aber feine Se*
teibigung erträgt: „©ire, eS War feine Ohrfeige, eS war ein
gauftfd)lag!"
Serftimmt über ben 3Rifeerfolg feiner fRebe für bie fßrefe*
freifjeit, zag er fich bom öffentlichen ßeben immer mefer zurüd.
@r lebte bon nun an meift aufeerhalb ber Eauptftabt, bie
gröfete 3 e ü auf feiner Sefifeung Satenhafe. SBenn er aber
nad| ffSariS fam, lebte er auf fehr hah em gufee, obfehon fein
Ser mögen burch baS gafliment eines SanquierS ftarf gelitten
hatte. Umgeben oon SRänncrn ber Sergangenfecit unb ber
3ufunft, fafe er bis tief in bie fRadjt zunächft feinem genfter.
2Bar er aßein, fo begrub er fich einen Serg oon 3eitungen
unb laS mit bem gröfeten Sergnügen, wie unter Kart X.
ein SRinifterium nach bem anberen ftürzte. 2ludj wieberholte
er nach fpolignac’S ©rnennung bic Srophezeihung, bie et nach
bem rufftfdhen gelbzuge gemacht hatte: „©S ift ber 2lnfang
üom ©nbe!" ©ein SRegtige war oon berühmter Originalität:
ein geblümter ©djlafrod unb über bem Keinen, regtofen, oon
langen grauen ßoden umgebenen ©eficht ein ©(jurm oon
fünf bis fechS übereinanber geftülpten SBoflenmüfeen. Ser*
rfeer zählte einmal fogar beren oierzehn! gragte man ihn als*
bann um feine SReinung über irgenb eiit politifcheS ©reignife,
fo antwortete er wohl fchalfljaft, inbem er bie halboffenen
2lugen ganz jufniff: „©eS fDiotgenS habe ich eine 2Rei*
nung, id) habe eine anbere fRachmittagS, aber 2lbenb8 ha6e
ich 9 at leine mehr." ©amalS lernte er auch ben oon 2lif
Digitized by v^. ooQie
Nr. 24.
Die töegenwcut.
381
lommenben JhierS tennen, beffen grofee 3 u lunft er mit ber
igm eigenen Jibination«gabe borau«fagte. Später al« Jgier«
Minifter Würbe, äufeerte Jattegranb ju einem Mifegfinftigen,
ber ben Keinen ©roben?alen einen ©arbenu nannte: „Dites
qu’il est arrive." ©öfe 3 un 8 en behaupteten aüerbing«,
JaHegranb habe Jgier« unb Eignet bloß ben £>of gemalt,
um in ihrer ©efcgicgte ber ^Revolution gut weg ju fommen.
Obgleich ©onrmanb, lebte er nur mäfeig unb afe nur einmal
täglich- äRit SluSnagme feiner Seibenfdjaft für ba« fchöne
©efcglecgt, maren alle feine greuben rein geiftig, bi« auf feine
©orliebe, für ba« Kartenfpiel. 3n Sßien hotte er im SBgift
ÜWetternich befiegt, aber mar vom ©rafen ©alfh gefcglagen
tporben, ber bem gürften Sogattn non Siecgtenftein an einem
einzigen 3lbenb eine fo grofee Summe abgewann, bafe er fich
barau« ein Schloß erbauen unb au«ftatten fonnte. „Sag,"
pflegte JaHepranb verächtlich babon ju fagen, „ein Karten»
hau«!" Jafür nannte’ man bie probiforifcge Regierung bon
1814 ben ©Jgifttifcg JaHegranb'«. ©equem, ja felbft faul,
blieb er bi« jum ©nbe; immerhin gelohnte er fid) baran,
täglich einige Stunben an feinen Memoiren ju arbeiten, bie
fein ©garatterbilb, ba« fcgon ju feinen ßebjeiten bon ber
^Karteien ©unft unb tpafe entftellt war, in möglicgft günftiger
^Beleuchtung jeigen follten. 3hm bangte bor bem Urtheil
ber Fachwelt, namentlich wegen feine« SlbfaH« bon Napoleon.
„ 3 ch wor immer confcquent unb ben ©erfonen fo lange treu,
al« fie ber ©eruunft treu blieben. Jer hanbelt fchlecht unb
oerädhttich, ber feinen ©erftanb unb fein ©aterlanb einem
noch fo hochgeborenen ober genialen Menfdjen unterwerfen
roollte." — Unb merfwürbig! Jet bom $ofe berbannte ober
roenigften« gemiebene ©reis, ben mancher Machthaber jegt
bögnifcg ol« eine unfchäbliche Sftuine anfah, fpiette noch ein*
mal feine SRolle at« Königämacger.
3ln ben beiben erften “Jagen ber 3uti*SRebolution fprach
Jallehranb wenig ober nicht«, blieb ruhig ju #aufe, unb
entzog fich allen ©efucgen. 3lm britten Jage lieh er feinen
Sßoftfecretär rufen unb bat ihn freunblicgft, nacf) Saint Sloub
311 gehen, um fich bon ber 3Inwefengeit ber föniglichen gamilie
SU überzeugen. Jer Secretär machte ben gefährlichen 3lu«*
gang unb melbete, Karl X. flehe im ©egriff in’« ?(u«Ianb ju
reifen. Jallehranb blieb zwei Stunben allein in feinem
Sabinet, bann bat er ben Secretär, nach SReuillh zu gehen.
„Suchen Sie auf irgenb eine SBeife zu Mabame 3tbelaibe,
ber Scfjwefter be« Herzog« bon Drlean«, zu gelangen; geben
(Sie ihr biefe« Stücf ©apier unb bitten Sie fie, e« nach
Sefung bor Sgren 3tugen zu ber brennen." Ja« ©apier ent*
hielt nur bie SEBorte: „Mabame fann zum Ueberbringer biefe«,
ber mein Secretär ift, bolle« ©ertrauen haben." Jann inftruirte
JaHepranb weiter: „Sobalb Mabame e« gelefen, fagen Sie ihr,
e« fei lein 3tugenblid z« berlieren. Jet Herzog bon Drlean«
müffe morgen in ©ari« erfcheinen; er bürfe aber feinen
anberen Jitel annefjmen, al« ben eine« ©eneralleutenant«
be« Königreich«. Ja« Uebrige Wirb fich finben." — 3n ber
Jgat gegorcgte ber bi« bagin berfteefte Soui« ©gilipp Per
äBeifung JaÖehranb’«, unb ba« Uebrige ergab fich, mie er e«
öorauögefagt hatte, ©r nahm eine bom ©olfe au«gehenbe
ßonftitution an unb würbe ©ürgertönig. Jallehranb war
einer ber ©rften, ber bem neuen Monarchen ben @ib fegwur.
„Sire," fagte er babei, ,,e« ift ber Vierzehnte, unb ich bin
froh, benn breizegn ift eine fcglecgte 3 ogl- hoffentlich ift er
ber legte." SEBie leicht er über biefen ©unft baegte, beweift
feine Jefinition: „©in Jreufcgwur ift ein SBiHet, ba« man
an ber Jgüre löft, um eintreten zu lönnen." Unb al« er
einft ben gromage be SBrie ben König ber Käfe nannte, bem
er fein Sebtag Jreue . bewahrt, ba bemerfte ©ugöne Sue:
„©ieUeicgt Wäre er biefem einzigen Königreich nicht treu ge*
blieben, wenn er igm jreue gefegworen hätte." 3 um allge*
meinen ©rftaunen lehnte aber Jaßegranb ba« angebotene
Ministerium ab unb ging al« engtifeger ©efanbter nacgSonbon,
um bie 3lnerfennung ber 3ulimonarchie z u erwirfen. Jort
gelang ihm überbie« bie DuabrupelaQianz ber weftlichen con*
ftitutioncQen ^Regierungen ©nropa«, unb mit biefem ©rfolge
fchlofe er feine biplomatifche Saufbahn. SRadh $ari« zurüa*
gelehrt, wottte er bon ber SGßelt auf imponirenbe SEBeife Slbfcfpeb
nehmen, ©r that bie« mit feiner fRebe im 3nftitut über ben
eben Verdorbenen ©rafen SReinljarb, ben belannten beutfeh*
franzöfifchen Jiplomaten unb greunb.©oethe’«, unb h°b bort
u. 31. hervor, bie Jiplomatie fei eine 2EBiffenfd)aft ber iRücf*
haltung, nicht ber hinterlift.
©alb barauf nahm feine Kranfheit einen bebenllichen
©erlauf. Seine gamilie bemühte fich, 'h n D °r bem Jobe
mit ber Kirche zu berföhnen, unb er wollte bie Unterfchrift
be« bom ißapfte felbft borgefd)riebenen SEBiberruf« bi« zum
legten 3lugenblid berfchieben. Jraufien im ©orfaale feine«
Sterbegemach« wimmelte e« um ba« ©aminfeuer von greunben
unb ©erehrern be« Sterbenben. Jie Jhü re fli n 9 au f- 2 oui«
EßhiüPP unb Mabame 3tbelaibe erfchienen zum legten ©e*
fudh. JaHepranb erhob fich mfihfam auf feinem Säger. Jer
©tiquette gernäfs unterbrach ber König ba« Schweigen. „©«
thut mir Weh, Sürft, Sie fo leiben zu fehen." Jallehranb
mit feiner tiefen, ftarlen Stimme erwiberte: „Sire, Sie finb
gelommen, ba« Seiben eine« Sterbenben zu fehen; 3tUe, bie
ihn lieben, lönnen nur ben einen SEBunfch h a & en > bafe e«
halb zu ©nbe fein möge. 3 «h leibe wie ein ©erbammter."
— „Schon?" foH ber König farfaftifch gefagt haben(?) SRach
einigen tröftlicfjen SBorten würben ihm bon bem Sterbenben,
ber felbft im 3tngefidjt be« Jobe« bie ©tiquette nicht ber*
gaff, bie 3lnwefenben borgefteUt. „Sire," fagte er, „heute ift
unferem $aufe eine ©hre wiberfahten, bie in unferen 3lnnalen
verzeichnet zu Werben berbient, unb beren meine ©rben mit
Stolz unb Janlbarteit gebenlen werben." 311« ber König
gefegieben war, begann bie 3luflöfung. SEBährenb braunen im
©orfaale ba« glüftern unb ©taubem wieber anhob, würbe
ber fRödjelnbe bon feiner IRichte, feiner ©ntelin unb bem
Slbbä Jupanloup, ber hier feine ©ifct)of«müge berbiente, auf’«
Sfteue zum SEBiberruf gebrängt. Mit tegter 3 tnftrengung
unterfchrieb er ign ogne jebe« 3 e ^ en P et 3faue, nur ben
Seinen zu lieb. Sn biefem 3lugenblide traten ber 3lrzt unb
bie greunbe in’« ©ernad). Jallehranb ergob fid) noch eiu*
mal, um bie langen grauen Soden, bie feinen ©lid ginberten,
nacg rüdwärt« zu fdgütteln unb blidte befriebigt uinger. Jann
fiel er zurüd; fein Kopf fentte fieg wieber auf bie ©ruft;
e« war borfiber. ©in ©ierteljagr fpäter würbe bie einbalfa*
mirte Seiche zur Seftattung bon ©ari« nach ©alen^aq über»
fügrt. Jie Kutfdje glich e i ncm ©ulberWagen; e« war biefelbe,
bie lurz borger bie Seicge ber ©jrtönigin bon §oüanb, ber
Mutter ERapoleon'« III., au« ber Schweiz gebracht gatte.
311« ba« ©efägrt ben ©orgof ber Kircge verliefe, fragte ber
©oftiüon, nacg weldgem Stabttfjor er fagren müffe, um nach
©aienhag z u lommen. ©ine büftere Stimme au« bem Snnern
be« ©Jagen« rief bie SBeifung: „Barriere b’©nfer!"
So ftarb ber Mepgifto ber Jiplomatie.
- -I •» l- -
^fcuifTcton.
- 9ta<ftbru<f »erboten.
^oges Spiel.
3Son Conts Couperus.
luS bem ^oQänbifc^en.
(©djlufe.)
2)ie Äöntgin blieb in einer f^tec^ten ©timmung jurücf. 9ltte8
langroeilte f ic * empfanb ein gro&eS SSerlangen nac^ ©ulbigung,
nac^ Vergötterung, unb — e8 mar Wiemanb ba. $rinj ©bjarb mar
fe$r Uebendmürbig gegen fie . . . aber ba8 genügte iljr nicht, ©ie mufete
Digitized by v^.ooQle
382
Ute ©ejenroart.
Nr. 24.
eilten 8n>ecl, ein 3*el ^aben für ihren (Shrgei*. Sic fühlte eine $raft
in ficb, *u Ijerrfdjen, unb fonnte bodj nur über ihr Schloft unb ihren
SBlumenbatt gebieten. Du« öangemeile, au« Spleen n>äl*te fie fidj auf
ifjrent Dioan herum. Dann, roie in einer plöplichen (Singebung befahl
fie (Siena *u fid). ©leid) barauf trat ba« junge Diäbdjen ein. Dn bei*
Dhür blieb fie fteljen, ehre$ietig, aber hod)aufgerid)tet.
.„(Siena", begann bie Königin, „Du »erläfjt mich heut Dbenb um
acht Uhr. Sabrelang marft Du bei mir. 3<b hotte ®ich Heb mie eine
Dodjter..." ®ie fcfjmieg einen Dugenblid. (Siena ftanb in ftifler (Sr=
martung. „Sa, mie eine Dodjter", mieberbolte fie mehmüthig. „Dl«
$inb febon baft Du mit bem Äönig .gezielt. Dafc Du eine Neigung
für ibn begteft, mar üiefleidjt ein ^erhängnifj. Dber Du bötteft Dieb
nicht *u »ergeffen braud)en; ba« mar nicht nöthig. Du bätteft nicht fo
mit bem $önig [brechen, Dich ibnt nicht aufbrängen foßen mit Deiner
raffinirten (Soquettcrie. Unb bennoch, menn Du nur ein Hein menig
Deue gezeigt IjcHteft, fo hätte ich ®tr »ergeben, Dich hier behalten bei
mir; — ba*u batte ich 5)i<b Heb genug. Dber nach bem geftrigen Dbeitb,
nach bem 93aH, mo Du Dich in gerabeju fchamlofer ©eife mit bem jtönig
eingelaffen, ift ba« unmöglich gemorben. Sch habe Dich rufen laffen,
um Dbfdjieb »on Dir *u nehmen, ftür immer, (Siena."
(Sie fab ba« junge Räbchen an unb mnnberte fich, bafj e« burch
ben Sauberflang ihrer Stimme nicht gerührt mürbe, früher märe (Siena
bei folchen ©orten in Dhränen au«gebrocpen. Dun blieb fie unbemeg?
lieh fteben, mit ber größten Duhe auch auf ihrem ©efid)t. Unb au«
biefer Dulje leuchtete etma« mie ein Driumpfj. Dlejaubra begriff e«.
„Dlajeftät", fpradj (Siena gelaffen, „niemals merbe ich oergeffen,
ma« ich ©urer Dlajeftät ju baitfen habe für alle bie ©unft, bie (Sure
Dlajeftät mir ermiefen haben."
„Da« finb ©orte, (Siena, leere ©orte."
„Dber ich glaube felbft, e« ift beffer, ich öerlaffe (Sure Dlajeftät."
Die Königin bltclte auf. Du« ihrem 93licf fpradj eine aufrichtige
©ebntutb. „Dun fo geh benn. TOdj öerläftt mein fianb unb Dfle«
unb Seher." (Siena »erftanb felbft nidjt, baß fie nicht in Schlurften
au«brad) über ben Schmer* ihrer ©ebieterin. Sie begriff nicht, mie fie
fo ruhig bleiben fonnte unb fo triumphirenb. „So geh benn", mieber=
holte bie Königin.
(Siena »erneigte firf) ftumm unb *og ftch *urücf. &aum mar fie
gegangen, reefte fid) bie Königin auf au« ihrer ntüben Haltung, unb
mit einem milben ftohne lachte fie über ben Driumph biefe« ^inbeö.
Denn e« mar ja nicht anbei*« möglich. So fonnte fie fich nicht irren.
(Siena unb ihr Sohn batten ba« (Shet>erfpred)en au«gctaufd)t, ba« foar
gereift. $er $önig mürbe biefe Dollbeit begeben unb fich in bc« ßaifer«
klugen unmöglich machen, (Sr mürbe bem Könige, mie einem uit»er=
nünftigen Knaben, bie Dbronbefteigung oerbieten. Unb Dbracien mürbe
ihr bann offen fteben, e« mar nicht anbei*« möglich, fo muhte e§
fommen . . . Sie atbmete erleichtert auf unb hoffte mieber, unb mieber
erfehien ihr bie 8ufunft in hellem Sichte. Sie mollte ©labimir fagen,
bafe fie Iranl fei, bah bie Unbanfbarfeit ber Dtenfd)en fie elenb gemacht
habe. Dah fie allein fein rnolle in ber (Sinfamleit Don $ajo«, ohne
©äfte, Ohne Sfefte, ohne Sohn. Sie mürbe ihm fagen, bah er fobalb
al« möglich *urücf miiffe in fein Sanb.
Saugfam fdjleppte ftd) ber Dag bin. 3 um $iner erfehien auch
bie Königin, um fich Don ihren ©äften *u Derabfrf)ieben, bie mit (Siena
abreifen mollten. Sbr Dbjdjieb oon (Siena mar jebr fühl. Dann *er=
ftreuten fich bie ü&rigen ©äfte in alle Dichtungen; (Sinige ruberten ober
angelten, Dnbere machten einen Du«flug. Unb mäbrenb biefe« ftiffen,
frieblirfjen D6enb«, inbeh ba« Schloh noch im ftalbbuitlel lag, tbeilte
bie Königin ihrem Sohne mit, bah bie Unbanfbarfeit ber Dfenfdjen fie
franf unb elenb gemacht habe, baß fiejort mühten, er unb Söriani; aber
noch einmal befdjmöre fie ihn, nicht mit (Siena Sßläne meiterjufpinnen,
mie fie auch fein mochten. (S« fei ber Datfj einer Butter!
(Sin ?lu«brucf ^efttgftcn Unmiüen« entfteüte feine 3üge. «3^
banfe'^Dir für Deinen Datb, 3Kama ... Slber ich höbe feine $(äne,
unb menn ich mirflirf) b^ttc, fo meiht Du ja, bah ich borf) tbue, n m
ich mifl." Unb ob fie e« muhte! unb gerabe ba« mar fo fchmer*lich für
eine SWutter. „Unb ich begreife, bah ^“b c brauchft nach aU’ ber
Unruhe, ©ir merben übermorgen abreifen."
-Da mar nicht« mehr ju tbun: bie Königin muhte ab-
märten. Unb am Dage ber 9lbreife, al« fie fd)on über ihre ^ofjnnug
jubelte, mürbe fie noch erfreut burch bie Dücffebr be« (Saurier« au4
Si|)nvien. (Sr brachte ihr ein Schreiben be« $aifer§ mit, ba« fehr
freunbfchaftlich lautete. Dun in ber Stille ihre« Souboir« la« fi« froh
locfenb ba« ^anbfehreiben immer unb immer mieber. Unterbejfen faß
©labimir in feinem 3* mmer - Du^ für ihn hotte ber (Sourier ein
faiferliche« Schreiben gebracht. Unb auch e * unb la«. 3« ber
lieben«miirbigflen ©eife enthielt e« eine (Sinlabung be« ^aifer« Dthomar
an ben ftönig ©labimir Oon Dhracien, nach Siparien *u fommen unb
bort, fo lange e§ ihm gefalle, be« $aifer« ©aft *u fein im faiferlichen
Schlöffe, mo man auch ben giirften Oon Serien mit feiner Dochter *um
SBefuch crmartc. Sange fämpfte ber junge Jfönig einen heftigen Äambf
mit fich felbft. Sollte er jeinen thörichten $lan Oermirflichen unb (Siena
heirathen, nur meil feine Dtutter fo fehr bagegeu mar? Cber foßte er
ber (Sinlabung be« SSaifer« Solge Iciften? Die (Sinlabung lautete toolü
fehr herzlich, ober jugleidj fehr bringenb. ©labimir mar alt genug, um
ba« *u Derftehen. Unb plößlirf) mit einer (Snergie, bie einen fcharjen
t^tgenfaß bilbete *u ber il)m eigenen Unbebachtfamfeit, mit einer plöfc
lirfjen ©anblung feine« Denfcn« faßte er einen (Sntfdjluß. Äur* unb
praftifch, mie er Selber mar. ©r glaubte aber — nur um ben Schein
*u mähren — erft 93riani r « Dath einholcn *u utüffen. 6« fonnte iüm
fpäter noch nüßlich fein, menn biefer Sutriguant hoffte, irgenb melthen
(Sinfluh auf ihn au«*uübcit. (Sr befahl ihn fich, Io« ihm ba« Schreiben
oor unb fragte um feinen Datl).
„Sure Dtajeftät föniten gemib nicht umhin, biefer auberorbentlidi
lieben«mürbigen Sinlabung Seiner Dtajeftät &olge *u geben", fprach ber
Höfling mit feiner matten Stimme. Der $öitig fah ihn jmeifelnb an.
„deinen Sie ba« mirflich, öriani ?" fragte er, feine fleinen klugen
halb *ufncifeitb. „Dun beim alfo, menn Sic biefer Meinung finb!...*
hierauf begab er fich, & €n Örief in ber Jianb, *u feiner SDutter. 6r
fanb fie ftrahlenb in Sugenb unb Schönheit.
„Sch höbe einen 93ricf Oon Sfaifet £)thomar", rief fie, fobalb fie
feiner anfichtig mürbe, unb ihre Stimme jubelte.
„Sch ouch, D?ama", lautete feine lafonifche Dntmort.
Sie erfchraf, beim in ihrem 53rief fehlte jebe Dnfpielung auf ben
feinigen. ,,©a« fchreibt ber taifer?" fragte fie hoftig. (Sr überreife
ihr ba« .^anbfchrciben. Sie la« unb erbleichte. „Dber Du mißft ja
nach Dhracien juriief, nicht mahr?"
„©a« räthft Du mir?" Seine Dugen fniff er nun faft gan* *u.
Sie *itterte mie im g-ieber. 3^ biefent ?lugenblicf ftanb c« um i^r
hohe« Spiel fehr fchlecht. „Sch hoHe bafür, bafe Du biefe (Sinlabung
nicht annehmen fannft, ©labimir, nun Du [djan fo lange au« Dhracien
fort bift. Dort ermarten Dich bringenbe Gkfd)äftc, bie Dtinifter.. ."
„©arten auch", ergänzte er trorfen. „3d) glaube, ich toerbe gehen,
Dtama. CS« märe uitoernünftig Oon mir, ftaifer Dthomar *u er*ümcn."
3hre S^niee maulten unb feufoenb fanl fie auf ben Dioan. Schon im
begriff fortjugehen, maitbte er noch einmal um: „A propos, ®?anta,
ich modle Did) fo gern nod) etrna« fragen, ©iirbeft Du mir mohl einen
großen ©efaßen ermeifen?"
Sie hoftte ihn in biefem Slugenbltcfe. „©a« benn?" fragte fie.
(Sr fepte fich, ergriff ihre ftanb unb ftreid)elte fanft ihren fd)öncn
Drm. Dabei lachte er unb *uc!tc bie 9lchfeln über ftch felbft.
bin thöricht gemefen. Dtama. Sch höbe mi^ *u Diel mit ©lena bi=
fd)äftigt, mährenb fie hier mar. Sie hot fich Q ße« Dtögliche in ben
tfopf gefept. So ein Köpfchen ift fchitell oerbreht. $ur* unb gut, ue
rechnet beftimmt barauf, baft ich nach Dhracien lomme. Sie benft,
bah .. • nun ja, fie beult, baß ich fie heirathen merbe."
So mar^e« alfo hoch mahr! badjte bie Königin.
Digitized by v^.ooQle
i
Nr. 24.
■Die töegenroart
383
„Wun moßte id) Xicp bitten", fiipr ©labintir fort, „ob Xu bie
(Mte pättcft, ipi* mal ju fcprctben? Xaß eS natürlich nicht gebt, baß
e$ eine Xporpeit wäre . . . Schreibe ibr nur, Inifer Ctpomar mürbe eS
nicht bulbeit. .. ©S märe für mich peinlich, einen folgen '-Brief zu
fdjreibeti. Xu mirfi bie Sache mopl orbnen, nicht mapr?"
Saft märe fic-in Ohnmacht gefallen; ein heftiger Scbminbcl befiel
fte. 3Pr mar, als mären feine ©orte ein eiSfalteS Sturzbab. „Xu
bift ein jcbled)ter 3unge", ftammelte fte, „aber id) merbe tpr fchreiben."
„3<h bin nicht fo fd)Iecf)t", antmortete er gutmütig. ,,3d) palte
(Elena für ein febr liebet Wäbdjen; ich höbe auch an eine ©erbiubung
mit ihr gebadjt. Wber eS märe eigentlich hoch zu toll, nid)t mabr?"
©r liefe fie allein, beim er fab, baß fie fid) nicht mobl fühlte.
SSerftepen fonnte er fie nicht. ©j: batte ihr Spiel nicht burchfcbaut.
9?ur eine plöplicpe Ummanblnng feiner ©ebanfen batte ihn oor einer
unbefonnenen $anblung bemabrt. Wber biefe ©anblung batte pe nid)t
fcorpergefepen, nicht öorperfepen fönnen. Sie batte ihr Spiel fein be=
rechnet, aber bie ©irfltcpfeit batte fie überliftet.
$alb opnmädjtig fan! fte bin. Sie batte öerloren. Wit peber=
jitternben $änbeit ^erfnitterte fie bett 5Brief beS Staiferö, mit ihren
9?ägeln ^errife fic bie Seibe beS HiffenS. WÜ' ihre Hoffnung fchmaitb
babin. „XaS fieben ift gegen mich", murmelte fte. „Schon längft ift
baS fieben gegen mich, aber ich gebe bie Hoffnung noch nid)t auf. ©iel*
leicht ein anbei* Wal! . .." Unb bann brad) fie jufammeu, unb hinter
ihren in ©erzmeiflung oorgepaltenen §änbeu tbat pe, maS fie fonft
nie tbat: pe meinte bitterlich-
-3mei ©od)en maren feitbem oerffoffen. Xer junge
Slönig mar nach fiiparien gereift, unb bor einigen Xagen mar feine
Verlobung mit bei* ©rinzeffin boit 3ßl)ri«u ben europätfepen $>öfen
notipeirt morbeit. Sämmtliche ©äfte ber Königin Wlejaitbra maren
abgereift, auch ©rinz @b$arb. (Eigentlich batte er nod) länger bleiben
ttmilcn, bod) baS leere, einfame Schloß, mo fich bor Burgern nod) fo
tiiel fröhliche Wenfcpen ^ufammeitgefunben, machte ihn ntelancpölifd).
llnb fo bcrliefe aud) er bie Königin, mie Wße fic berliefeen.
Wlejanbra hatte nach ©fabitnir'S ©unfd) an ©lena gefchrieben.
3« bem ihr eigenen ftoljen, bormurfäboßen, leicht mebmütbigen Xon
hatte fie ihr mitgctbcilt, .baß ber Honig in einem Wugeitblide jugenb«
lieber llnbefonnenbeit ihr ein ©erfpred)en gegeben habe, baS er mit Wüd*
ficht auf fein fianb nicht etnlöfen fönne. Wocp einige ©orte beS ©or*
nmrfS für (Elena, unb bann fcplug fie einen anberen Xon an; pe fragte
(Elena, ob fie beim gar leine Weue emppnbe, unb tbeilte ihr mit, baß
fie pe geitiigenb liebe, um ihr ju beleihen, unb baß fie fie rnieber in
©naben aufnebmen mürbe, falls fie zuriidfepren moße. Xcnn bie ber=
bannte Sürftin bermißte in ihrer troftlofen ©erlaffenbeit ihre £>ofbame
fchtnerglich, unb fic mußte Wiemanb, ber pe erfepen fonnte.
(Elena mar bößig gebrochen, unb filngefichtS ber ju (Ehren ber ©er-
lobung beS Königs feftlid) ißuminirten uitb bepaggten §auptftabt litt fie
ihren erften ßebenSfdjmerz. Wein, pe moßte nicht zuritd; fie moßte lieber
in Xpracien bleiben unb nur ihrem großen Hummer leben. Qfcboch ipr
©ater, ber nicht mußte, maS fonft auS ihr merben foße,.zmang fie, bie
©erzeipung ber Königin anzunepmen unb zu ipr zuriidzufepren. Unb
fte laut rnieber. Weiter, gereifter, naepbenf lieber, bont Wäbcpen zum
©eibe gemorben, erfüßte pe ber Wnblicf beS großen, meißen, oben
Schlöffet, mo bie Königin feine ftefte mehr feierte, mit tiefer ©eprnutp.
llnb nun erft mürbe ihr fo recht flar, mie bie Königin afle jene Wenfcpen
an pd) ju loden gemußt batte, aber aß' bie ©arafiten beS ©enuffeS
gingen, fobalb eS für pe feinen ©enuß mehr gab. Xer Wnbfid ber
Königin, bie ihr mie immer majeftätifch, aber ttaurig entgegenfam, mit
ber Unbemeglichfeit ber Warmorbilber auf ber Xerraffe, rührte pe.fepr,
unb pe fanf ju ihren Süßen pin unb meinte, unb bie Königin fchloß
pe in ihre Wrme unb tröftete fie. Wber (Elena baebte auch nach über
bie Königin unb beren ©enebmen, unb mit ©emalt brängte pch ipr bie
Ueberjeugung auf, baß bie Königin nicht aufrichtig mar. Sie merfte,
baß ihre fepönen Umarmungen nur Homöbie maren, bie nicht öon ^erjen
fatnen unb auch nicht ju ^erjen gingen, ©infam uttb trübe floffen bie
Xage baljin; oft med)felten J bie beiben Stauen oom Worgen biö Wbeub
nur roenige ©orte, ©lena mürbe pnfterer unb bitterer. ©ineS WorgenS
ging fie langfam, mie tned)anifch, ju jener mit Warjiffen bemachfenen
©iefe, bis jum Stranb. Sie mar auSgegaugen, ohne 3 lüccJ / °h nc 3^1*
aber als fie baS Weer aor fich fab, ba überßel fie ein ttamenlofeS §eim=
meb unb ein rnilbeS ©erlangen, fich & eni aerlodenben ©lentente anju=
aertrauen, baS fich fa ruhig wnb enbloS auSbreitete, mie ein langer
Xraum, in ben pe fich aerlieren mürbe. Xiefer unb tiefer ftieg fic hin¬
ab. So gelangte fie $um Weere. .fjter mar bie Steße, mo ber Sönig
einft babete unb meit binauSfchmamm. 2)ort, mo feine ©lieber -momtig
fich auSgeftredt, bort moßte auch fie fich auSftrcden. WuS bem Weere
ftieg bie Sonne, in'S Weet oerfauf fie rnieber. Wudj fie moßte bort
bineinßnfen. tiefer ©ntfehluß ftanb feft in ihr. Sie trat aor bis an r S
Ufer. 5)och als bann baS ©affer fchäumte unb hoch auffpripte bis an
ihre Knöchel, ba fcheute fie jurüd. Ober füllte fie in baS Weer hinein*
laufen? Sie glaubte niept, ben Wutp gu haben. Sie machte noch «inen
Schritt, ihre Schupe mürben naß ... 5)a fühlte pe eS, baß ißt ber
Wutb fehlte, baß pe feige unb febmad) mar. Wein, pe moßte leben
bleiben. Wber 1 nun mar pe niept mepr baS fcplicpte junge Wäbcpen,
eine kleine im großen fieben .. .
fiangfam ging pe bie Wnpöpe rnieber pinanf. 3 u tüd in’S Schloß.
Wber pe mußte nun, baß baS fieben nicht leicpt fei, unb baß man tüchtig
unb ftarf fein müffe, um nicht untergugepen. Sie mürbe eS lernen,
bie Königin mar eine treffliche Seprmeifterin . .. 5)ocp nein, nein: bie
patte jept feine Wad)t, feinen ©iitßuß mepr; pe trug nur nod) ben
Xitel einer Königin, ©lena füpltc nun, pe fonnte bei ipr niept bleiben.
Xenit pe moßte lernen, baS Spiel beS SebenS gefepidt ju fptelen: pe
moßte geminnen. Sie tooflte bie Xrünxpfe in bie $anb befontmen,
moßte peiratpen, eine gute ©artie machen. X)aS aber mürbe ipr pier
auf ©ajroS nie gelingen, ©in ehrgeiziger Xraunt umpitg ipre Sinne:
ber Äönig mürbe peiratpen, ber tpracifcpe .§of mürbe in ber ©raept*
entfaltung ber jungen Königin erglänzen. Unb pe moßte ba*u gehören,
moßte ^ofbarne fein bort. X)aS menigftenS mar ipr ber Honig fcpnlbig,
baß er pe jur 5)ofbame feiner jungen S*au ernannte. So foßte eS
fein! #ier bei ber Hönigin Wleyanbra patte pe gar feine 3«funft. Unb
pe füplte einen ©gotSmuS in pd) ermaepen, ber pon ihrem ganjen
©efen ©epp ergriff. Wber mar benn baS ipre Scpulb? Wein, eS mar
bie Sdjulb beS falten, perz* unb lleblofeit SebenS. Unb mit Senti¬
mentalitäten unb Selbftmorbgebanfen fam man nicht rneiter. Sie läcpelte
bitter — über fiep felbft. Wun, fo mürbe pe eben niept mepr fenti*
mental fein, fiep niept mepr einbilben, baß Hönige pe peiratpen moflten.
Sie mürbe fortan perz= unb lieblos fein mie baS fieben . ..
Sie patte baS Schloß erreicht. X)ie Hönigin fcblief nod). Unb
©lena feprieb einen langen ©rief an ihren ©ater: baß pe nicht Suft
habe, anf ©ayoS zu bleiben unb ipr fieben in ber ©erbattnung ber
Hönigiu bapinmelfen zu fepen. X)aß fie anbere ©ebanfen, anbere ©länc
habe unb nun energifcp öerfuepen moße, pe zu öermirflichen. Xaß fie
fein Hinb mepr fei, nnb baß baS fieben pe geleprt pabe, baS pope Spiel
beS SebenS mltzufpielen mit ben Wnberen.
Alle geschäftlichen Mittheilungen, Abonnements, Nummer¬
bestellungen etc. sind ohn-e Angabe eines Personennamens
zu adressiren an den Yerlag der Gegenwart in Berlin W, 57.
AUe auf den Inhalt dieser Zeitschrift bezüglichen Briefe, Kreuz¬
bänder, Bücher etc. (unverlangte Manuscripte mit Rückporto)
an die Redaction der „Gegenwart“ in Berlin W, Munsteinstr, 7.
Für unverlangte Manuscripte übernimmt weder der Verlag
noch die Redaction irgend welche Verbindlichkeit.
Digitized by (^.ooQle
384
Die dt eg eit wart.
Ilngeigen.
Set *tü*IIustgtti beruf* man f\d) auf bis
„Gegenwart“.
Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift¬
stellers sind zu Gunsten der Hinterbliebenen
folg. Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden¬
preises in schönen, geb. Ex. zu verkaufen:
Brockhaus ’ Conversationslexikon. Neueste
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬
gabe 30 M. — Hch. Kurz: Geschichte der
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. v.
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild-
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder-
bde. 50 M. — Lacroix, Les arts au Moyen-
Age; Directoire Consulat Empire, 2 Lieb-
hbde. 80 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde.
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl.
Text m. deutsch. Erklärungen v. Delius,
Hfb.' 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel
(Pfeilstücker) Lwbd. 10 M. — Bestellungen
pr. Nachnahme durch Vermittlung der
Expedition der „Gegenwart“ in
Berlin W. 57.
un
Junten Ortqinal * ©utadjten
o. ftreunb u. ftetnb: ©jönnon
©xonbei ©Udjner üridpi Dabn
Raubet Sgtbp Montane
$aecfel fcartmamt 3 0Cs
bau SHpIing fieoucavallo Hin*
bau Sombrofo Stttfd)tfröerßtt
Slißra Worbau OOlvier fetten»
tofer ©aliMuity ©tenlieiuici
©men ©pcncer Spieltagen
Ietaer 9«tb#nS«i ©tanlep ©toeder ©trinbbeeg
!«■« 4 |Ul|lll||ri 6uttner ©tlbenbrudj ©ferner
ßota u. ». Ä.
®(ea. gep. 2 SRf. bont Werl«« btr eiginwarl,
©erlin W. 57.
Urteil
betrag ton §l<jf berg&f erger in üetpjig.
©oeben erfepten:
irr ^rfjufi
her 3i rau eit unb Binber
gegen
HHUpanblrotgon.
Nuf Grunb
anierifanifcper u. europäifeper Materialien erörtert
Don
Dr. JUarl 2$al(fcr,
^rioatbojenteit ber ©taatsroiff. an ber Unlb. Setpjig,
orbentl. SRitglteb ber internationalen ©ereintgung für
ocrglcidjenbe JRedjt«roif|. unb »olMn>trtljf<t)aft*leöre ju
©crlin unb ber American Academy of Political and
Social Science.
^reiö 4 Marf.
Der 2$crfaffer fjat oon 11 S?inberfcpup^Ber=
einen u. f. m. in New ?)orf, 53ofton, Sonboit,
$aii«, ^Berlin, Neugeblip, 9öien tntereffante
Materialien befommen. Gr bebaitbelt and) bie
grage be§ Ginjcpreiten« ber £>au«genoffen gegen
begonnene Mijjpanblungen.
Verlag ton Sötlljclm Jperft in Berlin.
©oeben erfcpieti;
$eorg non ^uttfeti.
Gin Gborafterbilb au« bent Säger ber
SBefiegten, gegeiepnet oon feiner Docpter
Ptarie turn gtanfett»
22 Sogen Dftao.
Mit 93ucpfcpmucf oon Marie oon Sunfcit
unb einem Porträt in ^eltograoüre.
Geheftet 6 M. Gebunben 7 M.
3n tP* t> erlag in IPeimar erfepien foeben:
nie Celjren Idftois. (Sin (äebanfen*9lu3jug auö allen feinen SBerfen.
SSoit Dr. SB. ©obe. 8°. 189 ©eiten. ÜWit jttei Silbern. 2 ÜJJt, ge*
bunben 2 2J?f. 70 $fg.
„{Jroecf btefe« 93ucpe« ift, Dolftot als SBaprheitöfucher unb Seprer ooflftänbig unb
richtig gu geigen; ich labe bie fiefer ein, mit mir afle feine 2Berfe in ber ^Reihenfolge $u be;
trachten, roie fie entftanben finb. Dann toerben mir i§n oor unferen Bugen emponoachfeu
fehen, feine erfte Bnlage, feine fpätere Gntmicfelung, feine fdjmeren inneren ft'ämpfe mitlebenb.
G« lohnt fiep ba«, ebenfo mie e« fich lohnt, Goethe« gauft gu lefen, ift boch Xolftoi ein Sauft
höheren SRange« al« ber Goetpefcpe. Der dichter Dolftoi mirb un« Nebenfache fein; mit
tonnen feine Dichtungen oiel höher fcpäpeit al« er felbft e« heute tput, aber Diel höher al«
feine poetifche ^unft erfcheint un« boch feine nach bem göttlichen Sichte firebenbe 0eele unb
fein gemaltige« $rebigeramt."
Königliches Bad Oeynhausen.
©ommer* u. fBinter=Äurort. ©tation
ber Sinien ©erlinsÄöfn unb fiöhne=
£>ilbe«b«im. ©ommerfaifonö.l5.3Rai
bi« Gnbe ©ept. SBinterfur Oom 1. Cft. bi« Mitte Mai. fturmittfl: 9?aturm. fohlenf. Dhermalbäber,
©oolbäber, ©ool-3nhalötorium, SBeHeitbäber, ©rabirluft, Mebicomecpan. 3^öerinftitut, Mdnmt n=
fammer, oorgügl. Molfen= u. Mildjturanftalt. Äene6 Dhrrmalfcabchatiä om l5.Mail»00erif(»ft.
gnbt tat tonen: Grtrantungen ber Heroen, bei Gepirn« u. IRüdenmart«, Gicpt, Mu«tel« u. Gclest»
rbeumatt«mu«, C>ergfranfhetten, ©troppulofe, Bnämie, epron. Gelenfentjünbungen, grauenfranfh. ic.
.Üurfapefle: 42 Mnfiter, 120 Morgen ßurpart, rigenea ftttttheater, ©Alle, Sfongerte. Bflgemeiue
Safferleit. u. ©cpmemmfanalifation. $rofp. u. ©efepreibung überf. frei bie Xgl. tjflaDetierioaltlMg.
„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheiteereoheinnngen.
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von */ 4 1 75 PL in
der Apoth. n. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr. Carbach Jk Cie.
Bäd Reinerz,
klimatischer, waldreicher JHEdhea-Kurort — 568 Meter — in einem
schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Glatz, mit kohlens&urerelchen Eisen-Trist«
u. Bade-Quellen, Mineral-, Moor-, Douche- u. Dampf-Bädern, Kaltwasser-Procednren,
ferner eine vorzügliche Molken-, Milch- u. Kefyr-Knr-Anstalt. Hochquellenleitnng.
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmongs- u. Verdanungsorgane, zur
besserung der Ernährung u. der Coustitution , Beseitigung rheumatisch -gichtisdber
Leiden u. der Folgen entzündl. Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang Mai. Prosp. gratis.
3n unferem Verlag tft erfeptenen:
Die ©egeuuiflit.
SfitcnlBt tfiMifl an»
®fnrrfll=gtgiftfr 1872 — 1896 .
Grfter bi« füufgtgftcr ^anD.
Mit Nachträgen 1897—99. Gep. 5* uT
Gin btbliograppifcpe« 3Öerf erften
fRange« über ba« gefammte öffentliche,
geiftige unb füuftlerifd)e £eben ber lepten
25 3öpre. Notpiuenbige« Nacpfcptagebucp
für bie üefer ber „Gegenwart", foioie
für miffenfcpaftlicpe jc. Arbeiten, lieber
10,000 Brtifel, nach gäcpern, Serfaffern,
©cplagmörtern georbnet. Die Autoren
pfeubont)mer unb anonpmer Brtifel finb
burepweg genannt, llnentbeprlicp für
lebe 33ibIiotpef.
Bucp bireft gegen ^oftamoeifung ober
Nachnahme oom
Perlag ber töcgenumrt.
Berlin W 57 .
Stottern
heilen dauernd Dir. G. Denhardt’s
Anstalten Dresden-Losohwitz und
Bärgsteinfurt, Westl. Herrliche lAge.
Honor. nach Heilg. Prospecte gratL^.
Aelteste staatl. durch S. M. Kaiser
Wilhelm I auagezeichn. Anst De utacliL
ßiemardiB fladjfolgrt.
9 ioman
oon
W OolfsaMrrtatc. ’Wfi
^rci« 3 Marf. ©d)öit gebunben 4 Marf.
Diefcr $i«marrf = GaprioUNoman, ber in
wenigen 3 a h« n fünf ftarfe Auflagen erlebt,
evfepeint Pier in einer um bie £)älfte billigeren
s -8olf«au«gabe.
Durch alle 53ucphanblungen ober gegen Gin=
fenbnng be« betrag« poftfreie 3 u f en bung oom
ücrlag der Gegenwart,
SBerltn W. 57.
ICctq nrroonltdjn- SRrbacteur: Dr. X&eoptjtl golltng lit ©rrltn. IRcbactlon unb ®fbebUton: Bnltn W., SRanftelnftiate 7. 2)nnt Don * B«dn In Üftbim
i
Digitized by v^.ooQle
M 25.
29. Jahrgang.
Band 57.
^ßerCtn, ben 28. §unt 1900.
pte dcocmrmrt.
2Boc|enfcl)rift für ßiteratur, funft uitb öffentliches geben.
^rattögfgeßeti bon
Jtba Snatni nfUjelnt ttw Himmt.
Hu besiegen bur<$ alle Sugljanblungcn unb $oßfimtcr.
Verlag bcr ©egentoart in Scrlin W, 57.
Vtntdt&tllUl 4 ff. 50 |f. ftM glKXtt 50 yf.
Snftrate jtktt Hit pro > gehaltene Vetttjrfte 80 VI-
5 nßaft:
WeidjSleucfjenßefefe. $on Dr. med. Äfp^ond gulb. — Ueberfe&ung bcr jiibifcben ©c^cimfdjriftcn. SSon SljomaS. —
Siteratur nni tauft* WadjträglidjeS $u Xolfloi’S „Äuferftebuitg". $on .ftetnridj Wei)er=©enfei). — $)ie $ünftler-©iebe=
hing in 5)cirmftabt. $Bon Dr. SBUljelm <öobe. — ^ettUfetolt. (Sine 9Reife6ilb auS benx ruffifc^en Sitauen. SBon 3ofef
©tußin. — Änd Der $anj)tftaDt. $)er hungrige Wann. SBon $imort b. 3- — 2Son ben großen ©erhner ©ommer;=$un)i=
auSftellungen. III. SBon 3 Worben. — Offene ^Briefe unb Äntroorten: ganni) Sienwlb unb bie ftrauenbetoegung. 93on Warie
©tritt. — ^ottjen. — Sinnigen.
Das bletcbfifeufbengefe^.
SSou D'r. med. 2((pf;ons fulb.
Krantfjeit ift immer baS ißrobuct mehrerer, itt berfd)ie»
bener SHic^tung mirfenbeu gactoren; baS lehren unS gerabe
bie in iljrer ©ntftetjungSweife am genaueren crforfdjten Sn»
fectionöfranffeiten. £>eute giebt eg nur nod) wenige Vacterio»
logen, bie in ben parafitären Organismen baS einzige tranfljeitg»
etjeugenbe üJloment feilen; ofpte ben Söegriff berKranltjeitSanlage,
bet 2>iSpofition, fönnte bie SBiffenfdtjaft nidjt auSfoinmen,
müßten unS bie aHtäglidjften ©tfafjrungen bcr ^rajiS un*
oerftünblich 6teiben. ®er Kranll)eitSerreger ift aüetbingS baS
urfädjlidje, baS patt)ologifd)e ©efdjctjen auSlöfenbe 9Koment,
aber bamit er im Organismus fiel) anfiebetn unb jur SBirtung
gelangen fönne, baju möffen notier bie Sebingungen gegeben,
ber ÜBiberftanb, ben KörperjeHen unb Körperfäfte normaler
Seife bem (Einbringen frember CebeWefeit entgegenftellen, mufj
tierabgefejjt fein. S)aS ift eben ber Huftanb, ben mir „®iS*
pofition" nennen, ber Vegtiff, mit weichem jeber Slrjt, ber
inbibibuelle ißtoptfplajiS treibt, fortroä^renb red)nen mufj,
wenn er aud) nidjt im ©tanbe ift, ben ©omptej ber (Sr*
Meinungen in feine einzelnen Komponenten ju jerlegen.
SiSpofition ift ein befonberet ^luSbrud für bie inbioibueQen
®igentf|ümticf)teiten ber ©onftitution, bie tljeilS erblich über»
fommen, tljeilS im fpäteren ßeben erworben finb. ©inflüffc
ber näheren unb entfernteren Umgebung, ber Kleibung unb
Soljnung, ber SBitterung, beS KlimaS, beS VerufeS, ber ge»
feüfdjaftlidjen Sitten unb Vejieljungen, bet ©rnäbrung unb
root)l nod) eine Steife anberer SDZomente beftimmen neben ben
ererbten (Eigenfc^aften ben ©rab ber iubiuibuelten SBiberftanbS»
fä^igteit gegen franlmad)enbe ©ittwirfungen, bie KrantfjeitS»
biSpofition.
®er Kampf gegen Kranfljeiten, befonberS gegen übertrag»
bare Kranlljeiten muff nad) jwei fRidjtungen geführt werben,
er mufj eincrfeitS bie Vernichtung ober f^rn^altung ber
ffranf^eitSerreger unb anbererfeits bie Verbefferung jener
äu&eren ßebcnSbebingungen junt 3iele ^aben, welche bie 2Biber=
ftanbsfä^igteit weiter SeoölferungSfd)i^ten ^erabjufe^en Oer»
mögen. Keiner ber beiben üBege barf unbegangen bleiben,
aber es ift audj lein möglich, baff bie SBefeitigung
ber bisponirenben ©inflüffe an erfter ©teile fteljen füllte.
®ie Kr^ö^ung ber 3BiberftanbSfä^ig!eit einer Seüölferung
>oirb immer bie befte ©dju&Wefjr bilben, namentticb gegen
biejenigen Kranf^eiten, über beren Kntftef)ung unb SBerbreitungS»
weife wir noc^ unboKfomnten unterrid^tet finb. greili^ ift
baS ein 3^» bem wir nur ganj aQmälig nä^er rüden
lönnen, eS f^Iiefet nic^t allein Ijpgienifd)e Sieformarbeiten
im engeren Sinne ein, wie bie Einlage centraler SEBafferber*
forgungen ober bie jwcdmäfeige Organifation beS SbfufirwefenS,
fonbern namentlid) audj SBerbefferungen ber ölonomifc^en unb
focialen SebenSbebingungen, bie .^ebung ber SSolfSernä^rung
unb SSoIlSbilbung, bie gürforge für gefunbe SBoIjnungen,
bie Sefämpfung gefeDfcfjaftlidjer Unfitten unb bieleS Stnbere.
Unb weil im ©runbe aÖe (jiet in Setrac^t fommenbeit ©d)äb»
lic^feiten bie golgewirfung wirt^fc^aftlid^er SKififtänbe finb,
Wirb fd)Iiefjlid) ein großer EE^eil ber focialen f»pgiette erft
mit ber Söfung wirt!jfd)aftlid)ct unb focialet fragen feine
(Erlebigung finben lönnen.
$raltifc§ genommen Wirb ber Kampf gegen bie Kran!»
IjeitSerreger nod) auf lange liinauS bie fmuptfadje bleiben
müffen, aber man füllte fid) boc^ ftetS bor ülugen Ratten, bafe
er in gemiffem ©iune nur einen iWot^be^elf barfteDt, bcnit
baS ibeale 3'^- &< e ®£tnid)tung unb gern^altung alter
Kranlljeitgerreget, ift mit unferen unjulänglid^en SRitteln bod)
niemals ganj ju erreichen. SBaS bon ber öffentlichen ©efunb»
lieitSpflege ^eute berlangt Werben lann, ift bie möglic^fte ©in»
bämmung ber Seuchen auf i^ren £>eerb unb bie ißer^ütung
maffenfafter 2Beiterberfd)leppung. ÜJIan wirb gut t^un,
biefen ©efidjtspunlt feftju^alten, wenn man fid) bor Süufionen
bewahren will.
5lud) ber neuefte ©ntwurf eines 9ieid)Sfeud)engefe&eS, ber
feit furjer 3eit bem SReidjStage borliegt, erlennt auSbrüdli^
.an, ba§ eS bei ber heutigen ©ntwidelung beS SSerle^rS un»
möglidj ift, bie Sßerfd)lcppung ber ©eueren burc^ ben menfeb*
licken $Berlel)t ganj ju ber^üten. 3lBerbingS bürfe auc^ wieber
bie ©efa^r nicht überfdjäfjt werben, fofern nur bafür geforgt
fei, bafe bie erft cingefdjleppten göße rechtzeitig erlannt unb
fofort mit allen berfügbaren ÜWitteln unfc^äblid) gemalt
werben. STber gerabe bie (Erfennung jener erften gätle in
einer bisher feudjenfreien ©egenb bietet bie größten ©^wierig»
leiten. (SS Werben barum aUgemetne ©inric^tungen, bie ber
Verbreitung ber KrantljeitSerreger ein für alle ÜJIat gewiffe
©fronten fe^en, ben beften ©djufc bieten. ®ie allgemeine
Verforgung mit einmanbfreiem SBaffer unb bie rationelle
Seitung beS ?lbfuljrwefcnS geböten ju folgen crfolgrei^ften
Vorbeugungsmitteln; fie finb bieöeidjt mistiger, als bie
ganje Ueberwadjung beS ißerfonen» unb ©üterberfeljrS. Sn
ber Vcgriinbung ju £ 34 Reifet eS aucl), bajj bie Vcruoll»
jr
Digitized by v^.ooQle
386
Hie Gegenwart.
Nr. 25.
fomntnung bcrartiger ©inridjtungen eines bcr wirffamften
©cßußmittef gegen bie ©eueren bilbet. Seiber hat matt aber
aus biefeit ©rfaßrungen rticf)t bie richtige ©ottfequenz gezogen,
eS ift in bem betreffenben Paragraphen nur auSgefprocßen,
baß bie ©emeinben jur IperfteEung folc^er ©inridjtungen
angeßalten werben „fönnen". ©S wirb atfo auf bie Auf«
faffung ber nach SanbeSredjt juftänbigen Vcßörben uttb auf
ihre hhgienifeße ©infießt anfommen, ob biefe Veftimmung, bie
in anberer Raffung üiefleießt bie wicf)tigfte beS ganzen ©nt«
Wurfes fein fönnte, eine praftifdje Vebeutung überhaupt erlangt.
§ier hat offenbar bie ©cljeu, im Sntereffe ber VolfSwoßl«
fahrt ben Kommunen finanzielle Opfer aufzulegen, ben Vlid
ber Autoren getrübt. Die gleiche Aengftlicßfeit athmet aud)
ber § 23, ber ben SanbeSbeßörben bie Vefugniß zufprießt, bie
©emeinben ober bie weiteren ©ommunaloerbänbe jur £>er«
fteflung berjenigen ©inrichtungen enthalten, bie für bie Ve«
tämpfung ber gemeingefäßrlid)en SÜranfßeiteit nothweitbig er«
fdjeinen. Die wefentlicßften Veftimmungen beS ©efeßeS, bie
^Beobachtung, Abfperruug, Sfoftrung,- ber ftraufentranSport,
bie z»angömeife DeSinfcction tc. fönnen nur bann in humaner
Seife burdjgefüßrt werben, wenn alle baju erforberlichett
©inrichtungen, VeobacßtuttgS« unb SfolirungSräunte, Sfranfen«
tranSportinittel, DeSinfectionSapparate tc. oon langer ftanb
her oorbereitet finb. ©ine fdjätfere fjormuliruttg, bie gefc^j«
ließe Verpflichtung wenigftenS ber größeren ©emeinben, bei
ßeiten bie nötßigften Vorfehrungen ju treffen, wäre barum
ficherlich am piaße.
Sn bem neuen ©efeßentwurf haben nur fünf epibemifetje
Äranfßeiten Verüdficßtigung gefunben, nämlich AuSfaß, ©holcra,
glcdfieber, ©elbfieber, Peft unb poden, alfo lebigtich e£otifd)e
Äranfßeiten, oon benen einzelne, wie ©elbfieber unb poden
für unfere gegenwärtigen Verhältniffe faum in Vetradjt
fommen. Der ©ntwurf wollte nur z ut Vefämpfung ber
fdjwerften, grofie Sänberftreden überziehenben VolfSfeiußen,
bie am eßeften einheitliche äWaßnaßmen nöthig machen, bie
Saffen liefern; ben cinheimifchen SnfectionSfranfßeiten gegen«
über, bie bodj aEjäßrlid) ^a^lreicf)c Dpfer an SDienfcßenleben
erforbern, fchien ihm ein foldjeS Vebiirfniß nicht uorzuliegen.
Sicherlich hat biefe Auffaffung itt weiteften ärztlichen Greifen
Vefrembcn erregt. Die ungeheure Vuntfcßedigfeit ber in ben
oerfchiebenen VunbeSftaaten geltenben Veftimmungen, bie halb
außerorbcntlicß rigoros, balb allzu weitherzig gehalten finb,
ift fidjer fein befriebigenber, ber ©rßaltung würbiger 3uftanb.
©S wäre fein Schabe, wenn bie ©efießtspunfte, bie bei Ve«
fämpfung biefer Äranffjeiten maßgebend fein müffen, einmal
oon ber breiteften Oeffentfic^fcit z uc ®iöcuffion gefteUt würben.
Daß burch bie einzelnen SanbeSgefeßgebungeit ober gar burdj
polizeiliche Verorbnungen überall baS Nichtige getroffen wirb,
fann man bodj faum annehmen. ©S wäre erwünfeßt, wenn
man fich einmal wenigftenS über bie ©renzen einigen wollte,
bis z u benen ©ingtiffe in bie perfönlidjc Freiheit beS Pub«
lieumS unb ber Äerzte notßwenbig erfcheinen. Daß bie ein«
ßeimifdjen SnfectionSfranfßeiten gewöhnlich nur in bcfdjränftem
Umfange, an einzelnen Orten unb ©egenbett auftreten unb
bei ihrer Vefämpfung bie befonbere Verüdficßtigung örtlicherVer«
hältniffen erßeifeijen, fann feinen ©egengrunb bilben. Die Dpfer,
bie biefe ©eudjen aEjäßrlid) forbern, finb wahrlich groß genug,
um aEer Orten eine bem heutigen ©taub ber SBiffenfcßaft an«
gemeffenc Vefämpfung zu erzwingen. Außerbem wirb bie
energifdje ©eudjenbefämpfung an einem befaEenen Orte immer
baS befte Wittel fein, um bie weitere Verbreitung zu oer«
hüten; eS liegt alfo gewifs ein aBgemeineS Sntereffe Oor, baß
in aEen VunbeSftaaten zwedinäßige Veftimmungen getroffen
werben. Der ©ntwurf hat auch für b' e üon ihm aüfgenom«
menen Stranfßeiten feine aflgemein giftige Schablone auffteBen
fönnen, er hat nur bie äußerften ©renzen marfiren fönnen,
bi§ zu benen überhaupt üorgegangen werben barf unb bie
3(uSfül)rung in ben ©inzelfäEen ber ©infidjt ber SanbcS« unb
VerwaltuitgSbeßörben anheimftcEen müffen. Sn gleichem ©imte
hätten wohl auch bie einßcimifchcn SnfectionSfranfßeiten be«
ßanbelt werben fönnen. ©S erwedt barum ben ©inbrud. Wie
wenn ber ©efeßentwurf, ber nach langer VerfchoEenheit z«nt«
lieh uuoermuthet wieber aufgetaucht ift, gewiffen äußeren Ver«
häftniffen feine Vefchränfung oerbanfe. Die furchtbaren
SBunben, bie bie tuberfulöfen unb oenerifeßen ffranfheiten
bem VolfSförper fchlagen, erheifchen bringenb gefehlte @d|u|«
unb ©icherheitSmaferegeln. ®iefe Äranfheiten bürften in einem
©euchengefefje nicht fehlen; aber jebet gefejjgeberifche Singriff
muh auherorbentlid) leicht zur ©inmifchung in bie intimften
Angelegenheiten beS SnbioibuumS unb ber gamilie terleiten.
©§ erforbert bie größte Vorficht, h’W bie richtige Wittelftrahe
cinzuhalten. Vebenfen biefer Art mögen wohl bie lange
3ögerung ber Regierung öeranlafjt haben, anbererfeitS erfdjien
cS auch gefährlich h eute - bie ©holera wieber bis an ben
perfif^en Weerbufcn oorgebtuttgen ift unb bie peft an ben
$h° re n ©uropaS fteht, wo in einzelnen VunbeSftaaten, nantent«
lid) in Preußen, nod) ganz oeraltete, burchauS ungenügenbe
Vorfchriften ©efcheSfraft befigen, noch langer mit ber ©in«
bringung eines ©eudjengefeljeS zu warten, ©o hat man fich
benn z« biefem Storfo ent|d)loffen, ber auf feiner ©eite fo
recht befriebigen fann; man hat Sfranfheiten zufammengeworfen,
bie nur baS Aeufjcrlid)e ber ejotifdjen §erfunft gemeinfam
haben unb baburch aEerbingS ben ©efeßgeber weniger leicht
in bie ©efaljr bringen, partifulariftifche ©efühle zu oerleßen.
9Bir müffen unS nun freilich. Wie bie Verhältniffe liegen,
auch oiit biefem Vrudjftüd etneS ©euchengefeßeS zufrieben
geben unb cS wirb bie'Aufgabe ber mit ber Prüfung bc«
trauten ©ommiffion fein müffen, wenigftenS in bem eng«
begrenzten Eiahmen etwas VtaudjbareS zu ©tanbe zu bringen,
©iner ©orrcctur bebürftig ift ber ©ntwurf an bieten ©teEen,
ich »iE nur noch einzelne, befonberS wichtige Punfte hier zur
©pradje bringen.
Ser erfte Abfdjnitt regelt bte Anzeigepflicht, bie erfreu«
lichcrweifc oom VunbeSrath auch noch auf anbere als bie
fünf aufgeführten ®ranff)eiten auSgebehnt werben fann; nicht
nur bie fieberen, aud) bie bloß ocrbäd)tigen ÄranfheitS« unb
lobcSfäfle unterliegen bcr 3lnzeigepflid)t. $ie praftifche
Durchführung biefeS ©runbfaßeS bürfte recht fdjwierig fein;
ber Arzt, ber in feinem Snnerften einen gewiffen Verbacht
hegt, wirb fich bod) nur fchweren .^erzei'tS entfdjließen fönnen,
feinen Patienten ben Unannehmlidjfeiten einer amtsärztlichen
Untcrfuchung auSzufeßen, er wirb auch für feine eigene
©teEung fürchten müffen, wenn ber Verbaut unbegrünbet fein
foEte. 3m gegebenen ffaEe wäre eS auch faum möglich eine
Veftrafung burdjzufeßen, benn eS ift immer mehr ober weniger
©acf)e ber fubjectioeit Auffaffung, ob gewiffe SranfheitS«
fhmptome einen Verbacht bis zu bem ©rabe rechtfertigen,
baß fich bie Anzeige empfiehlt. 9fa<h gesehener üjfetbung
hat ber beamtete Arzt an Ort unb ©teEe ©rmittetungen an«
ZufteEen unb eS muß ihm zu biefem 3»e& ber 3 u * r itt junt
Slranfeit ober z u ber Seiche unb bie Vornahme bet noth«
wenbigen Unterfudjungen geftattet werben.. Aud) biefe Ve«
ftimmung giebt z« manchen AuSfteEungen Anlaß; nicht etwa
weil eS für ben Priuatarzt peinlich ift, wenn ihm ein con«
currirenber ©oüege am Sranfenbett als Autorität entgegen«
tritt; foldtje Vebenfen müßtet h'uter ber SRüdficßt auf bal
aBgemeiite äSoßl unbebingtf zurüdtreten, wenn bamit eine
größere Sicherheit in bet ge' tfteEung bet Slranfheit oerbürgt
werben tönnte. Aber baS ift nießt ber gaE: Aus eigener
Anfdßauung fennt bie üfteht^aßl ber ßeute lebenben Aerzte,
beamtete ^unb unbeamtete, bie in fjrage fommenben firanf«
ßeiten nur wenig ober gar nid)t; bie Diagnofe auS ben
flinifcßen ©ßmptomen wirb barum für beibe Dßeile bie gleichen
©eßwierigfeiten bieten. Der beamtete Arzt ift buteß feinen
VilbungSgang in biefer Vezießuitg feineSwegS beffer gefteflt,
er überragt Weber in feiner ©tfaßrung ttoeß in ber biagno«
ftifeßen f^ertigfeit ben ärztlichen Durcßfcßnitt. 9iun liegt
aEerbingS bcr ©eßwerpunft ber Diagnofe tiidßt in ben flinifcßen
Digitized by v^. ooQie
Nr. 25.
Die Gegenwart.
387
©hmptomen, fonbcrn in bcr bacteriologifdjen Unterfudjung
ber ÄranffjeitSpröbucte. Aber wenn aud) in ben ftaatSärzt«
Iidjen Prüfungen bie Äenntnifj ber elementaren bacteriologi«
l'cfjen llnterfucfjungömethobeu geforbert wirb, fo genügt bieffe
bodj nod) lange nicht, um in gragen bon fo mcitrcichen bec a
öebeutung eine autoritative ©ntfdjeibung ju treffen. 3wr
gleichen ßRafje roie bie bacteriologifdje SBifjenfdjaft mehr unb
mef)r auSgebaut wirb, roächft auef) bie ©d)Wierigfeit in ber
Srfcnntnif} ber einzelnen ÄranfljeitSerreger, ihrer Unterfdjeibung
oon ähnlichen, Verwanbten aber nid)t pathogenen Organismen.
Ger Amtsarzt — icf) rebe aud) fjier nur Don bem Gurclj 5
fc^nitt — ift in ber Vafteriologie toefentlid) Gf)eoretifer;
praftifdje ©rfahrung befi^t er gewöhnlich nur fo Diel, als
man in einem mehrwöchigen geriencurfuS erwerben fann.
Um auf bem ©ebiete ber Vacteriologie in zweifelhaften gragen
ein mafjgebenbeS Uttf)eil abzugeben, baju gehört aber ganz
entfdjieben eine langjährige, fpecialiftifche Vefcfjäftigung mit
ber SJiaterie; ber fixere ©ntfdjeib fann barum nur in einem
fadjmännifd) geleiteten Snftitut getroffen werben. Gie notlj«
toenbigen 5ßrobeobjecte ju entnehmen, baju wirb ber „gewöhn«
liehe" Slrjt wohl auch ' m ©tanbe fein unb man fönnte be&hutb
bem Äranfen in ber Siegel bie für einen feinfühligen feines»
»egS angenehme SRotfjwenbigfeit erfparen, einen fremben Arzt
an feinem Äörper fjerumhantiren zu taffen. GeS beamteten
Slr^teS Hauptaufgabe fotlte eS bagegen fein, über Herfunft
unb Verbreitung ber Sfranfheit, über bie hhgienifchen Verhält»
niffe ber SBoljnung unb beS SBoljnorteS beS Ä'raftfen, über
Sfotirung, GeSinfectionSmahnaljmen tc. bie nothwenbigen Sr«
hebungen unb Aitorbnungett ju treffen.
SBährenb auf ber einen ©eite bcr beamtete Arzt ganz
unberedjtigter 23eife feinem Sollegen Don ber VrajiS als
Autorität übergeorbnet wirb, ift anbererfeits feine eigene
SBirffamfeit gerabe bort, wo fic fidj am fräftigften entfalten
fönnte, in engherjigftcr SBeife bcfchränft. 9iadj ber erften
geftfteßung ber Äranfheit fann ber beamtete Arzt nur im
©inverftäubnifj mit bcr unteren VerwaltungSbef)örbe weitere
©rmittelungcn anftellen, er barf ferner nur wenn ®efaf)r im
Verzüge ift üor bent @infcf)reiten ber ^olijeibehörbe bie er«
forberlidhen Wafjregetn anorbnen unb muff biefer unverzüglich
bavon $Dlittt)eitung machen, bamit fie, wie cS in ber Ve»
grünbung fo fchön helfet, bie getroffenen Anorbtiungen „mit
ihrer Autorität bedt." SBorauf fief) biefe Autorität ber hohen
Dbrigfeit in fragen, benen fie ohne Unterftiifeung beS fach»
manneS ohnmächtig gegenüberftänbe, eigentlich grünbet, wirb
allerbingS nid)t verrathen. SRan barf freilich nicht ben
Autoren beS ©cfefeentwurfeS allein ihren SRangel an 33er«
ftänbnife für Stellung unb Stufgaben beS ©efunbheitSbeamten
jum Vorwurf machen; ihre Auffaffimg ift lebiglid) bie ©onfe»
quenz beS auf fo vielen ©ebieten l)errfd)enbctt GogmaS von
ber juriftifchen Unfehlbarfeit, bie aUc ©lieber beS Veamten»
förperS bis jum lebten 9lad)twäd)ter herab mit ben Strahlen
ihrer höheren ©inficht erleuchtet. (
ü)?it ben ©d)ugmaferegeln gegen bie Verbreitung ber
Seuchen wirb man fid) im Aßgemeinen einverftanben er«
flären fönnen; fie entfprechen ben gegenwärtig herrfdjenben
Anfcfjauungen unb finb aud) weit genug gefafet, um in ber
praftifdjen Ausführung ben fortfdjritten ber 28iffenfd)aft
folgen ju fönnen. @S fommen f)«y in Vetradjt bie Veob»
achtung franfer, franfheits« unb aiTftedungSverbädjtiger ißer«
fonen, ihre Abfonberung unb nötljigönfalls jwangSweife Ueber»
fühtung in ein ÄranfenljauS ober in anbere, eine Ab«
fonberung geftattenbe Väumlid)feiten, bie Veauffidjtigung unb
Vefdjränfung gewiffer gefährlicher ©ewerbebetriebe, bie Ueber»
wadjung beS V e rfvnen=, 2Baaren« unb SchifffahrtverfehrS,
bie ©ontroüirung beS VetriebSperfonalS, ber AuSfdjtufe franfer
unb franfheitSVerbädjtiger fßrrfonen von ber Vcförberung, bie
Slbweifung von ©ffecten, bie als Präger beS ÄranfheitSftoffeS
DerbädjHg finb, bie SJäumung von SBoljnungen, bie jwangS«
weife Vornahme ber GeSinfcctioit u. f. w. ©erabe in ber
festeren Vcjiehung war eS nothwenbig, bem Uebcreifer unb
ber viclgefdjäftigen Slengftlidhfeit untergeorbneter ©teilen
©djranfen ju gieren, um jene empfinbtidjen Veläftigungen unb
fdjWeren materiellen ©chäbigungen beS reifenben V u ölicumS,
wie fic zurgdt ber Hamburger ©holera»©pibemic vorgefommen
finb, in ßufunft ju verhüten, ©egen verbächtige SBaaren
follen im Sltlgemcinen nur Ausfuhrverbote erlaffen werben
unb bie ®eSinfection von SBaaren unb fReifcgepäd barf nur
bann ftattfinben, wenn bie ©egenftänbe als Präger beS An«
ftedmtgSftoffeS verbäcfjtig finb, b. ff- bei ©h°f £tfl » ©elbfieber
unb AuSfajj nur, wenn bie Vcrmuthung einer Snfcction
näher begrünbet erfetjeint, wäljrenb bei fj-fedffieber, ^eft unb
Voden auch fchon bie 2hatfad)e genügt, baff ein Äranfer
mit ben ©egenftänben in Verührung gefommen ift 5)em
VunbeSrath finb nod) Veftimmungen Vorbehalten über bie
Vehanblung von Seichen, bie Vertilgung von Vatten, SJiäufen
unb anberem ber Anftedung verbäd)tigen Ungeziefer, fowie
bie Anorbnung von ©idherheitSmaftregeln bei Vornahme
wiffenfchaftlidjer Unterfudiungen an ÄranfheitSerregern.
Sluffäüig erfdjeint eS, bafe bcr § 16 nur jugenblidje
Verfonen, in bereit Veljaufungen ©rfranfungen vorgefommen
finb, vom ©chutbefudj auSfchliefeen wiU; baS Sehrperfonal
bürfte hoch in folchen gälten nicht weniger auftedungSgefährlid)
fein. ®aj? ber Vollzug ber im ©efefje enthaltenen Vcftim«
mungen im ©ebiete beS VerfehrS» unb H eetroe f e,, ö beit Ve«
triebsbehörben, bezw. ben militärifdjen ©ommanbofteHen vor«
behalten ift, bürfte im ^ntereffe fowohl ber militärifcheit
®iSciplin als bcr georbneten Seitung beS VerfehrSwefeitS ge»
rechtfertigt fein. Völlig unverftänblid) erfcheint eS aber, bafj
baS Verbot ber Abhaltung von SReffett, ÜJcärften unb SRenfdjen»
anfammluitgen überhaupt auf Gruppenübungen feine Anwen«
bung finbeit foß. 3n bcr Vegrünbung. hdfet eö ztvar, eS
fei Slufgabe ber militärifdjen VefehlShaber unb Vehörben,
unter eigener Verantwortlichfeit barüber ©ntfdjeibung z it
treffen, inwieweit foldje Uebuitgen mit ber Vüdficfjt auf ben
©efunbheitSzuftanb bcr Gruppen unb auf baS öffentliche
28of)l vereinbar finb; eS ift aber nidjt abzufchen, warum
ÜRafjnahmen, bie ficherlich nur auS zwiugenben ©riinbeit für
bie gefammte ©ivilbevölferuttg eines SanbeS angeorbnet würben,
noch öer befottberett ©rwägung militärifcher VefehlShaber in
Vezug auf ihre 9iotf)Wenbigfeit unterliegen foßen. @S feheint
faft, wie Wenn in bcr Stufenleiter ber Stutoritäten bie mili»
tärifdje noch über bcr juriftifchen ftehen foßte.
GaS finb im ©anzen bie wichtigften Vünfte, bie z ur
Stritif hcrauSforbern unb cS bleibt auf’S Snnigfte zu wünfehen,
bafe bie von verfd)iebenften ©eiten erhobenen ©inmänbe nicht
aßzu leichtherzig bei ©eite gefrfjobcn werben, nur bamit ein
©eudjengefeh überhaupt zu ©tanbe fomme. Sn jebem gaße
fann ber ©ntmurf nur als eine AbfdjlagSzahlung h' n ge=
nommen werben, als ber erfte Anlauf zu einer Viel weiter
in’S ©inzclne burchzufüfjrenben ©cudjengefehgebung. ©anz
abgefehen Von ben übrigen einf)eimifchen SnfectionSfranf«
heiten finb Gubcrfulofe unb ©tjphiltS fo furchtbare gefcll»
fchaftlidje liebet, bafe energifche Sfbwehrmaferegcln unbebingt
geboten finb. Sn ber Vefämpfung ber Guberfulofe ben pri«
Daten SBohlthätigfeitSbeftrebungen bie Hauptarbeit zu über»
faffen, wäre ebenfo verfeljrt, wie wenn man bie Sinbäm»
tnung ber vencrifchen Äranfheiten, bie hoch nur auf ber
©rnnblage internationaler Vereinbarungen möglid) ift, von
ben SanbeSgefehgebnngen erwarten woßte. ©o fpröbe bie
SWaterie auch ift, bie üleidjSregieruug wirb fief) auf bie Gauer
ber ^fließt nicht entziehen föhnen, ihr näher zu treten, ©o
lange baS nicht gefdjehen ift, wirb bie ©efeüfchaft gerabe
gegen bie tüdifdjften unter ben gemeingefährlichen Äranf»
heiten beS auSrekf)enbcn ©dju(jeS ermangeln.
Digitized by v^. ooQie
388
Die (ßegentoari
Nr. 25.
Keberfe^ung ber jübif^eti <8el)eimfd)riften.
Sie ©rmorbung beö ©pmnafiaften Sinter ju Sftmifc in
Seftpreußen fjat bet ber eigentümlichen Art unb Seife, wie
ber SJZorb not fich gegangen fein muß, iit einigen Greifen ben
SSerbac^t erregt, baß eö fid) um einen jübifd^eu Sütualmorb
ßanbelt. diaburd) ift benn bie ganje grage nad) bem SBor*
tommen unb SZidjtoorfommeu non Slitualmorben einmal mieber
brennenb geworben, unb wieber einmal wirb baö Verlangen
geftellt, bie jübifchen ©eßeimfehriften ju überfeßen.
dient gegenüber wirb behauptet, baff bie Suben nid^t im
S3efiß oon ©eßeimfehriften finb, baß ihre Steligionöurfunbc
baS Alte deftament ift, unb baß Alles, waö barüber ßinauö*
geht, für baS heutige Subentßum nicht ntehr recßtSOerbinblicß
ift. d>em gegenüber fteht aber baS beftimmte 3eugniß jübifcher
SZeligionöleßrer, nach bem ber dßalmub noch in allen feinen
Sortierungen anjufeßen ift alö bie Summe göttlicher Offen»
barungen an 3)?ofe, münblicß überliefert burch bie Aelteften
beö SSolfeS unb alfo auch binbenb für bie Suben, unb bafj
ber Scßuldjan Arud) anjufeßen fei als bie Summe beö notß*
wenbig ju Ipaltenben. Senn überhaupt ber dßalmub für baS
heutige Subentßum nicht redjtöoerbinblidj ift, warum ftubiren
ihn benn bie Subeit unb namentlich bie jübifchen Stabbinen
fo eifrig? Aus rein ßiftorifdjem Sntereffe hoch gewiß nicht.
SZun finb freilich weber dßalmub uoeß ©djulcßan Arucß
baö, WaS man im ftrengften Sinne beö Sorteö ©eheimfehriften
nennt. Sie finb im ©egentheil eigentlich Sebcrtnann ju*
gänglicß. Senn trofcbem fein Sleligionö* unb Siedjtsbucß
ber Seit AnberSgläubigcn fo unbetannt ift, .wie ber dßalmub,
fo liegt baS jum dßeil fchon an ber junghebtäifcfjext, mit
aramäifeßem unb c^albäifd^em Sprachgut ftarf oermengten
Sprache, bie auch demjenigen nicht ohne Seitcreö üerftcinblicß
ift, ber baS §llthebrätfcf)e oerfteßt. ®abei ift in manchen
Partien bie Saßconftruction eine fo oerjwidte, unb es finb
Sonn unb Üicbemenbuttgen fo eigenthümlich, baß bie be=
treffenben Abfcßnitte nicht leicht ju oerfteßen finb. SDZancßeS
ift wieber fo langatmig unb weitfehweifig unb ben bcßanbelten
©egenftanb fo wenig förbernb, baß ein mehr alö gemößnlidjeö
SWaaß oon ©ebulb baju gehört, eö nur ju lefeit, gefeßweige
benn, eö ju Oerftehen. ©ö gehört ber ganje Scharffinn beö
nachdjriftlichen jübifchen SJabbiniömuö baju, ber hinter bem
Slidjtigften nod) große ©eheimniffe oermuthetc unb fanb, ber
nach Sefu Auöfpritch SWücfen feihte unb Stamecle oerfchludte,
um folcß’ ein SG3erf ju Stanbe ju bringen.
Ueber bie ©ittfteßung beö dßalmub fönnen wir uns hier
nur oberflächlich auölaffen. der ortßoboje Silbe betrachtet
ihn alö eine oon ©ott bem SIZofe geoffenbartc genaue AuS»
legung beö ©efeßcö. Stfofe höbe biefe Auslegung bem Aßaron,
biefer fie feinen Söhnen unb biefe fie ben Aelteften beö Sßotfesö
mitgetheilt. dureß öftere Sieberholung fei benn biefe AuS*
legung bem ©ebäcßtniß ber Aelteften eingeprägt worben. SSon
©efdjlcdjt ju ©efchlecht fei fie weiter überliefert worben, Oon
ben Aelteften auf bie Propheten, oon ben jßropßeten auf bie
ülfänner ber grofjen Sßnagoge, bis man im ßcitalter nad)
ber 3 er ftörung Serufalentö burch dituö anfing, ©injelneö
aufjujeicijnen. die enbgiltige Stebaction gefchah um baS Sahr
200 burd) Siabbi Seßuba §a»9Zafi. Saö fo entftanb, nennt
man bie SJZifctjnah- ©ie ift baö Sefanntefte unb oerljälttiifj*
mäfjig ©eniefjbarfte am dh a ^ mu b, am Icichteften oerftänblich
unb enthält 9(nfichten unb SDZoralfäjje, mit benen auch wir
unö einoerftanben erfläreu lönnen. Seit umfangteidjer alö
bie 9JZifd)iiah ift bie ©ctuara, bie eine ©rflärung ber 93Zifd)nah
ift. l£ö liegt im dh n ^ inu b eine hoppelte ©entara oor, eine
fürjere unb ältere jerufalemitifdje unb eine längere unb jüngere
babplonifche. ipier werben bie Ausbeutungen beö ©efegeö
in ber üDZifdpmh burch Auöfprtidje unb Anfichten oerfdjicbener
9iabbinen weiter erflärt unb ber ganje (Srflärungöapparat
wächft an Stellen in’ö Ungeheure, woburd) baö ©anje bann
manchmal einen ßharafter annimmt, ber eö für ben mobernett
Sefer unenblidh langweilig erfdjeinen läßt. ®amit ift nun
bie thatmubiftifche Siteratur nidht am ©nbe. ®aö ganje
93Zittelalter hinburdj ift am dhalmub weiter erflärt worben, nur
baß biefe ©rflärungen einen mehr profanen Sharafter tragen
unb natürlich in ben dhalmub felbft nicht aufgenommen werben.
2)ie jübifche Ambition über bie ®ntftef)ung ber SÜZifchnah
ift wiffenfchaftlich unhaltbar. 2)ie moberne 99ibelfritif fpricht
bem SlJZofe bie Urheberf^aft beö fogen. mofaifdien ©efegeö
entweber ganj ab ober befdjränft bie Xhätigfeit SDZufe’S alö
©efeggeber um ein Grheblid)eö. Selbft aber wenn bie alte
Srabition Siecht h®tte, wenn 9JZofe wirtlich ber alleinige
©efeggeber Sfraelö wäre, fo läßt fich bie ununterbrochene
Äette: 3Jiofe»Ae(tefteSfraetö=ißropheten»Shnagoge nicht wißen*
fcpaftlich erweifen. llebrigenö haben bie jßropljeten fich w e
alö Ausleger beö ©efejjeö, fonbern alö felbftftänbige SDiänner
©otteö gefühlt. Aber auch bie einjelnen ^orfeßtiften ber
ÜDZifchnah fet»en burchauö nicht nach uralten Ausführung«*
beftimmungen jum ©efe$ auö, fonbern oielmehr alö SSerfu^e,
baö ganje menfcßliche Seben unb alle menfeßtichen ^lanblungen
oon ber ©eburt beö SOZenfchen biö ju feinem dobe gefehlich
ju regeln, fo baß fcf)lechterbingS nichts ber SiUfür beö ©in*
jelnen überlaffen blieb, fonbern jebeö einjelne dhun unb
Soffen alö geboten ober oerboten bejeicf)nct werben fonnte.
daju reidjte nun freilich baö ©efe(j an unb für fich üt
feiner Seife auö. SDian mußte oielmehr burch füf)ne mehr
ober minber wiüfürliche Siegeln auö ben oorfjanbenen ©eboten
neue ableiten, diefe Siegeln werben oon ber jübifcljen dra*
bition nießt etwa auf göttlid)e Dffenbarung jurüdgeführt,
fonbern auf ben Siabbi ^liHel, einen älteren geitgenoffen
Sefu. Saren mithin bie Siegeln jung, fo fann nicht baö
burch biefe Siegeln ©efunbene uralt fein. Unb weil wir auch
oon anberen $eugen wiffen, baß man erft um bie ßeit ©h r ‘fü
anßng, auö bem ©efeß neue ©ebote abjuleiten, unb fo einen
3aun um baö ©efeß ju machen, fo fann man wohl barauö
fcßließen, baß bie SDZifcfjnah im Sefentlid)eit in beit beiben
erften nadjchriftlichen Sahrhuitberten entftanben ift. die
©emara enthält auch Auöfptüche auö biefer 3«*/ ift fonft
aber jünger.
Um biefe 3 e >t aber waren bie Suben bereits ü6er alle
Seit jerftreut, bei ©haften unb Reiben Oerf)dßt unb oon
ihnen gemiebeit. ©ö wäre alfo oom rein menfchtichen Stanb»
punft ganj begreiflich, wenn ber für biefe 3 e it nachweisliche
unb aud) ju oerftchenbe .'paß ber Suben gegen Anbcrögläubige
im dhalmub jum Auöbrud gefontmen ift, wenn ber dhalmub
ben Suben geftattet, Anberögläubige anberö ju beljanbeln alö
jübifeße 58olfögenoffen. ©twaö AeljnlidjeS fommt gelegentlich
auch Alten deftament jum Auöbrud. Safob betrügt
feinen Schwiegeroatcr Saban um feine beften Schafe; bie
Sfraeliten leihen beim Auöjuge auö ©gppten oon ben ©gpptern
golbene unb filberne ©efäße in ber Abficht, fie nicht wieber
ju geben, daö ©efühl ber Auöerwähltfieit macht fich 9«9 cn '
über SSolföfrentben alfo auch au f biefe Seife bemerfbar.
3)Zan fann alfo, ohne baö Subentljum alö folcheö an ben
ifSranger ju ftcllcn, oermuthen, baß im dhalmub Aefpt*
lid)eö befohlen ober erlaubt wirb. Sn ber dßat wirb bie
^Behauptung oon oerfchiebeneit Seiten aufgeftellt, baß ber
dhalmub gerabe beßhalb nießt einwaitbfrei ift, weil er ben
Suben gegenüber Anberögläubigen dinge erlaubt, bie, an
Suben begangen, Sünbe finb. Seiter aber fdjloffen fich t*‘ c
Suben gerabe in ben Sahrhuitberten, in welchen ber dhalmub
entftanb, feft gegen Reiben unb ©haften ab. dicren Sdßriftcn
würben nießt nteßr gelefen, ^tofclpten würben nießt mehr
gemadjt. Sn folcßen 3eiten ßat aber gerabe ber Aberglaube
am weiften Siaum in ben Äöpfett, unb eö wäre gar nießt
oerwunberlicß, wenn irgenb ein SSlutaberglaube aud} im
dhalmub jum Auöbrud gefommen Wäre, ber jum Sütual*
niorb führen fönnte. 2JZan bebeitfe boeß, baß in ben dagen
SBlut alö ein ganj befonberer Saft galt. SDZan bebenfe ferner,
baß gerabe ber ©laube, bie Suben töbteten gelegentlich Anberö*
Digitized by v^. ooQie
Nr. 25.
Die OGegettroarf.
389
gläubige, um ihr ©lut ju rituellen gtvccfcn ober old sauber«
fräftige ÜJfebicin ju oerwenben, oon Slpion au bid auf unfcre
Sage immer wieber laut geloorben ift. $lpiou mag feine
Äenntnife non foldjen Singen in bett ^afenfdjenfcn toon
?llei - anbrien erfahren haben unb ift fidfcr ebcnfo wenig eine
glaubwürbige Duelle, wie bic ©rfinber bed im SDfittefalter
oft bernommenen ©erüdjted, bie Suben Ratten bie ©runneu
öcrgiftet unb baburcf) bie ©eft oerfdjutbet. Slber während
oon ©runnenoergiftungen feilte nicht mehr bie Siebe ift, erhält
fich bie < 5 age oon 9iitualmorben unb wirb auch üon foldjcn
geglaubt, bie fonft nid)t jebem ©erficht blinblingd glauben.
©ewiefen ift bamit nicfjtd. Sag bad officieÜe Suben*
tf)um ©hriftcnblut su rituellen ßwerfen ober ald 3 auber*
mebicin gebraucht, ift and) wof)l nidjt bic ©ieiitung Screv,
bie ftd) and ooHer Ueberjeugung Slntifemiten nennen unb
oon ben Suben atled Sd)(cd)tc glauben. 9lber gewiffe jiibifcfje
Seelen unb Goitoentifel fönnen bod) immerhin irgenb einen
©lutaberglauben fjegen. unb man tann ed ben ©ölfern, unter
beneit Suben leben, nicht oerbenfen, wenn fie barüber Stuf»
fehlufe haben möchten. Sad fann aber nur gefcfjeljen, Wenn
bie einfdjlägige Siteratur Sebermann in richtigen unb ocr-
ftänblidjen Ueberfejjungen sugänglitfj gemacht Wirb. 3 U ber
einfcfelägigen Siteratur gehören in erfter Sinie ber Sfealntub
unb fein Sludjug, ber Sdjuldjan Sfrudj. Saju gehört weiter
bie gaiije tljalmubiftifdjc Siteratur, bie entweber ben S^almub
ergänjen ober erflären will, bie jWar fein fanonifdjed 9ln*
fefen f)at, aber bod) bic ©olle ber Schriften oon Sfirchcn*
leerem unb Äirdjenüätern in ber (S^riftenJjeit fpiefeit. Saju
gehören enblid) wirtliche ©eheimfdjriften, bic oielleicht bad
offtciellc Subenthum ald apofrtjph oerwirft, bie aber bei
Secten unb ©onoeutifeln in ähnlichem ?lnfef)cn ftehen mögen,
wie 3 . ©. bie ^»enocfjbiichcr bei ©ffäern 3 ur 3 e *t Sefu. SBad
unb wie oiel oon foldjen Schriften Oorfjanben ift, weife man
freilich nicht. Sad officieUe Subenthum leugnet ihr ©or*
hanbenfein unb fann cd oielleicht auch tf)un, ba ed ihnen
nicht mehr SBcrtf) beimifet, ald 3 . ©. bad officiellc Gf)rifteu=
thum ber fogen. SRormonenbibcl. Sfnbererfcitd berufen fich
boch mitunter bic eiu 3 elncn Suben ben ©hriften gegenüber
auf geheime Schriften unb beren SBeidljcit. Ob bad nur
Prahlerei ift, ober ob noch etwad Slnbered bahintcr ftccft,
müfete suerft unterfucht werben.
Sad ©erlangen, bie jübifchen ©eheimfdjriften, Wie man
gewöhnlich Sf)älmub, thalmubiftifchc Siteratur unb etwa Oot*
hanbene wirtlich geheim gehaltene Schriften mit einem SBortc
nennt, ift burdjaud fein unbiüigcd. Sen Suben ift ja auch
unfere ganse religiöfe Siteratur zugänglich uitb 3 War in
Slitdgaben, bie Sebermann Oerftänblich finb. SBir Oertangen
alfo nur, bie Suben foHen und gewähren, wad wir ihnen
unb aller SBelt längft gewährt haben, ©igentlidj hätten bie
Suben eine folche Ueberfehung aud freien Stiiden oeran*
ftalten unb oorlegen muffen, ald fie um ooKed ©ürgerrecht
bei ihren 3Birtf)doölfern nadjfudjten. Saburcfe allein tonnten
fie ben ©adjweid liefern, bafe ihre SJcligion ed ihnen ge*
ftattete, ©ollbürger eined fremben Staated 3 U werben unb
allen ©flidjten nad) 3 ufommen, bie ber Staat unb feine übrigen
Sürger oon ihm üerlangten. Sad hat man bamald Oer*
fäumt, unb cd ift nicht einsufchen, warum ed jefct nicht nach*
geholt werben fann.
Sad ©erlangen hat auch gar feine jubenfcinblidje, anti*
femitifdje Senben^. Snt ©egentfeeil, ergeben bie Schriften
in ihrer Ueberfejjung, bafe ber Sube nicht berechtigt ift, bie
©haften anberd 3 U beljanbeln ald feine ©otfdgenoffcn, bafe
in ihnen nidjtd Oon ©itualmorb unb ©lutaberglauben fteljt jc.,
fo fönnen bie Stntifemiten ruhig einpaden, bann haben fie
fich mit ihren ©efdjulbigungcn fo lädjerlidj gemacht, bafe fie
fich öffentlich nicht mehr feljen laffen fönnen. SDfan wenbe
aber auch nicht ein, ber ©erbacht, bafe etwad Scrartiged ftcljen
fann, fei für bad Subenthum fdjon belcibigenb unb um feiner
Sh 1 * Willen fönne bad Subenthum auf eine ernfthafte SBibcr*
legung eined foldjen ©erbachtcd nicht eingehett. Sad ift
lächerlich. Sludj ald OöQig Unfdjulbiger fann ich in ben
©erbacht fommeit, eine ftrafbare fcanblung begangen 3 U haben.
£>abe ich aber ein reined ©ewiffen, fo beantrage ich fetber
eine Unterfuchung, ba eben baburdj am beften meine OöHigc
Sdjulblofigfcit erwiefen werben fann. ©d ift wirflidj nicht
einsufehen, warum bad Subenthum, um allerhanb ©erbad)*
tigungen ab 3 uweifen, nicht felbft eine genaue Unterfuchung
feined einfdjlägigeit Sdjrifttfjumd beantragt.
Statt beffen fudjt bad Subenthum mit allen Sfräftcn
Slnberdgläubige 3 U hinbern, ben Shalmnb fennen 3 U lernen.
Shatfädilid) fliebt ed in feiner Sprache eine Uebcrfefeung bed
Sljalmub unb felbft bie Uebcrfefeungen ein 3 elner Sheilc, mit
Sludnahme einiger Sammlungen oon aud bem 3»famtneuhang
geriffelten Sprüchen k. pflegen fo fchnell aud bem ©ud)*
hanbet 3 n üerfchwinben, bafe man fdjon an ein Sluffaufen
burch Suben gebaut hat. Unb wenn jefct wieber bie lieber*
fefeung ber jübifchen ©eheimf^riften in ben Äreid ber @r*
örtcrungert gesogen wirb, fo finb ed in erfter Sinie Suben,
bie fo etwad für oöHig unnötljig halten. @d ift niefet su
leugnen, bafe bie Suben gerabe burch ein berartiged ©erhalten
benjenigett Seuten SSßaffcr auf bie 90?ühlett liefern, welche be*
haupten, im Sfealmub ftefec etwad, Wad ein 9 ?i<htjube nicht
wiffen bürfe. Safe bie Suben foldjcd ftetd geleugnet haben
unb noch leugnen, beweift boch 9 °r nichts. So peinlich ge*
nau nehmen ed alle Suben mit ber SBahrljcit nicht, bafe man
ihnen einfach auf ihr SBort hin glauben fönnte. SSir haben
oben ben ©ebanfett geftreift, bafe ed wenigftend möglich ift,
bafe int Shalmnb etwad ftef)t, wad bie Suben nicht gern au
bie Deffentlichfeit haben möchten. Sollen wir nun bie Suben
ald oollbercdjtigte beutfdjc 9 teid)dbiirger anfehen, fo müffen
wir Wiffen, bafe fie und nidjt mit anberetn SJlaafe meffen,
ald ihre ©taubend* unb Stammcdbrüber unb bie gewinnen
wir nur burch e iite Polle ©inficht in ihre ©eheimfdjriften.
Sad fann man audfpred)eu, ohne irgendwie in ben ©crud)
bed 2 tntifcmitidmuÖ 3 U fommen.
Soll aber bie lleberfe(jung einen SBerth haben, fo mufe
fie unter ftaatltdjcr Stufficfet, .oon gelehrten unb unparteilichen
SJfännern gemadjt Werben, ©etraut man Suben allein bamit,
fo fommt man um bic ©efatjr nidjt h et um, bafe biefe im
Sntereffe ihrer ©otfdgenoffen Singe audlaffen, bie fie nicht
veröffentlicht haben mögen, ©d ift Shatfadje, bafe in einer
Shaimubaudgabe in hebräifcher Sprache ber Sractat 9lbobah
sarafe, alfo Oom ©öfeenbienft, audgelaffen war, weit etwad
baraud auf bad ©hriftentljum besogen Werben unb ben Suben
©crfolgungcn eintragen fonnte. SBir müffen volle ©arantie
bafür haben, bafe ohne ©üdfidjt auf bie folgen 9lDed über*
fefet wirb, wad in biefen Schriften fteht. SBir wollen üoU*
ftänbige, feine üerftümmelten Sludgaben unb wollen und auch
nicht bamit begnügen, bafe Sied unb Scned nicht mehr bin*
benb fei. SBir wollen aber auch nidjt etwa lauter Suben*
feinbe mit ber Ueberfefeung betraut wiffen, ba biefe einjetnen
Stellen einen Sinh unterfdjieben fönnten, ber fjetaudgeprefet
wirb, aber nicht barin liegt. SBir Wollen fein Senben 5 Werf,
fonbern eine finngemäfee Ueberfefeuitg.
SBir fprechen ed 31 cm Schlufe' noch einmal aud, unfer
SBunfch entfpringt feiner ffeinbfdjaft gegen bad Subenthum
unb gegen bie Suben. SBir glauben aud) niefjt blinblingd,
wad und Subengegner ald Sehren bed Sfealmub unb bed
Schuldjan Slrudj Oerfaufen wollen. SBir wollen gern glauben,
bafe bad SlKcd nur ©ntfteöungen finb, aber man mufe ed und
beweifen, wir Wollen nun einmal erft feljen unb bann glauben.
SBir Wollen ben alten Streit für unb gegen bie Suben gern
einmal aud ber SBelt haben, unb bad mufe ben Suben aud)
lieb fein, benn trofe iljred ©elbed unb ifjred ©influffed auf
bie ©reffe müffen fie in biefem Streit fdjliefelidj boch beit
kürzeren ziefjen, benn ber Slntifemitidmud wädjft. SBir haben
ben SBeg öorgefdjtagen, ber 3 um grieben führt, ©inen aitbcren
wiffen wir nicht. cbomas.
Digitized by v^. ooQie
390
Die (ßegenroart.
Literatur uttb «^unft.
tttußträgUcßes jm tolftai’s „iÄtiferfteßuntj“.
SBott £}etnrtdj IHeyer * 33enfey\
Sn einet $eit, bie an politifcßen ©reigniffen fo atm ift
wie bie unfere, — fo arm, baß eine elenbe Scanbalaffaire
wie bet SE>reifuS«SBtozeß Saßre lang ton ben ßeitnngStefern
aller SBelt mit fieberhafter ©pannnng berfotgt mürbe — einer
3eit, mo ©ferne erfter ©röße nur am £>immel ber Kunft
lenkten, ba finb bie großen Kunftraerle, mie fie naeßeinanber
an’S Sicht treten, eigentlich bie roid^tigften ©reigniffe. Sßon
ihnen ^ängt in erfter Sinie ber ©eßalt unb 2Bertß eine«
3eitraumeS ab; an fie merben mir in erfter Sinie benfen,
menn mir uns fragen, maS mir z- SB. im terfloffenen Saßre
im meiteren Kreife SöerthboUeö erlebt hoben. Unb menn mir
einmal mit ben Slugen ber 3 u lunft ii« fef)cu terfueßen: was
man in ßunbert fahren noch öon ben lleinen Kriegen an
ber Sßeripßerie ber Gitilifation, bon ben tedjnifcßen gort«
fchritten unb ©tfinbungen, bon ben ©nt bedungen ber 3Biffen=
fdjaft lennen mirb, baS fönnen mir unS nicht oorftetlen; aber
bie großen Offenbarungen unferer dichter, bie SEBerfe Sbfen’S
unb SEotftoi’S, bie mirb gewiß aud) bann jeber ©ebilbete
fennen nnb lieben unb fie merben herrlich fein mie am erften
SEag. ®a ift eS nun ein eigenes, bebeutfameS 3 u fammen=
treffen, baß gerabe jur 3eit ber improtifierten Saßrßunbert«
menbe uns zwei folcher untergeßlicßeit SEBerfe gefdjenft finb,
jmei SEBerfe, in benen biefe größten unferer SDZitlebenben, bie
eigentlichen füJjrenben ©eifter beS auSgeßenben neunzehnten
SaßrßunbertS, beibe im 72. SebcnSjahre, noch einmal in boller
Kraft bor unS hintteten, als gälte eS, ein leßteS SEBort, ein
heiliges SBermäcßtniß bern fommenbeit Saßrßunbert ju über«
geben. ®aß eS gleichmoht nicht ein aOerlc^teS SBort fei,
bürfen mir rnohl bon ihrer ungebrochenen DZüftigleit erhoffen.
SDZit ungebulbiger Spannung merben alle bie zaßllofen
SBerehrer SEolftoi’S feinen großen SRoman „^luferfteßung" er«
märtet, mit freubigein SEaitfe ben erfdjeinenben begrüßt haben,
greiließ, baß feine moralifcß=reJigiöö«gcfellfd)aftSfritifcße ©djrift«
fteHerei nicht aus ber mürrifdjen, fauertöpfifeßen SebenSuntuft
unb ©chmäche beS ?KterS herrühre, baß fie teineSmegS ben
SBerfaQ feiner fiinftlerifchen Kraft bebeute, bielmehr bie un«
tergleicßlicße ©abc beS großen, tiefen ©cßauenS unb beS
reinen ©eftaltenS ißm unberminbert fei, baS hatten unS fdjon
bie fleinen ©rgäßlungen unb DZotcüen ber lebten Saßre,
namentlid) baS ÜJtciftermer! „Jperr unb Knecht" gezeigt. ©S
mar fogar bie ©rwartung auSgefprocßen, baß „feine ganze
tßeoretifdje ©djviftftetlerei nur ein SEurchgnngSpunlt zu einer
neuen bießterifeßen ?lnfdjauung ber SEinge" fei. Silber auf
ein fo ftattlicßeS SEBeißnadjtSgcfdjenf hätten mir unS bod) faum
Hoffnung gemacht. Unb bennoch müffen mir zweifeln, ob
jene ©rroartung nun mirflid) beftätigt unb bie DZiidfeßr
SEolftoi’S zum Kiiuftfcßaffen großen ©tils befiegett ift. SluS
ben SBrieffteUen, bie im DZacßmort ber beutfdfen Ueberfeßung
Don SEßlabintit Gzunritoro mitgetheilt finb, erfahren mir, baß
ber SSerfaffer auch biefeS SEBerf, baS in frühere Saßre zu«
rüdreidjt, zu ben „Sachen in meiner alten Spanier, bie ich
jeßt nicht mehr billige", rechnet unb nur aus äußeren
©rünben, halb mibermiHig, eS abgefdjloffen unb oeröffent«
ließt hat. ©o fdjeint eS faft, als ob biefer fpätgeborene
SBruber zu „Krieg unb grieben" unb „3lnna Karenina"
toielleidjt eine ©pifobe in ber ©ntmidelung SEolftoi’S bleiben
foHe. ?lber wie bem fei, mir haben zunäcßft ©runb genug,
unS ber herrlichen ©abe ton Kerzen zu freuen unb auS ber
unerfdjöpflidjen Quelle, bie in ihr rinnt, äftßetifcßen ©enuß,
SBeleßrung unb Anregung z u feßöpfen, foüiel unfere ©eele
ZU faffen üermag.
©ine öotlftänbige ©ßaralteriftif beS SEßerfeS zu geben,
mürbe meine Kräfte überfteigen. Sie hätte oor SElllem nach«
Zumeifen, mie fid) bie gorm j, e g neuen SRomanS tion bei; feiner
SBorgänger unterfd)eibet, fie hätte bem ©inftuffe feiner tet«
änberten SebenSanfdßauung auf bie fünftlerifcße ©eftaltung,
ben etwaigen ©puren ber ftüdweifen Ülbfaffung mit Unter»
bredjungen naeßzugeßen je. SBieKeicßt mirb eS nodj lange
bauern, bis wir SlUeS baS flar erfannt ßaben unb ein befi«
nititeS Urtßeil über SEBertß unb ©eßalt möglich ift- ®eß6rt
boeß bie SEticßtung fießer nießt zu benen, bie baS Snterefjc
einer ©aifon bilbeu, um bann tiergeffen zu Werben. 9Zur
einige beiläufige ©ebanlen, bie mir mäßrenb beS SefenS ge»
fommeit finb, fann ich ß' er barbieten; mögen fie nießt ganj
mertßloS für Sßerftänbniß unb SBürbigung beS SEßerfeS er»
feßeinen.
SDZein erfter ©inbrud mar ber, baß bie Kraft ber Sehens»
erfaffung unb «barftellung im ©anzen ßier auf ber gleichen
Ipöße fteßt, mie nur in irgenb einem SEBerfe SEolftoi’S, b. ß.
auf einer §ößc, mie fie außer ißm oielleicßt 9?iemanb erreicht
ßat. Slucß ßier fießt er ben SDZenfcßen, bie er feßilbert, bis
in ben innerften ©runb ißreS §erzenS, unb er ftellt fie fo
lebßaft unb lebenbig, fo fießer unb natürlich bor imS ßin,
baß mir fie zu fennen glauben, mie mir nur unfere näcßften
greunbe unb SBermanbten lennen, ober auch biefe nießt ein«
mal. — 3m Uebrigen freilich fdjeint eS Xolftoi mit bet
lünftlerifcßen gorm beS ©anzen leidjter genommen zu ßaben,
als in ben früheren SRomanen. SBir ßaben ßier nießt bie
gleichen räumlicßen unb zeitlichen ®imenfionen: mir bettegen
unS in einem biel enger begrenzten Kreife, äße ©eftalten
gruppiren fieß um einen SÖZittelpunft, aßeS ©efeßeßen fpiclt
fieß ab in einem 3eitraum, ber naeß SEBocßen zäßlt, unb ben
mir größtentßeilS SJag für SEag miterleben, unb berläujt
überhaupt gcrabliniger unb einförmiger.
3lber bießeießt fdjeint baS nur fo. ®enn WaS fieß ßict
bor unferem ©eifte auftßut, baS ift boeß mieberum eine ganze
SEBelt mit einer erftaunlicßen g-üße inbioibueßett SebenS. ®ie
SBebölferung ber ruffifeßen ©efängniffe, unter ber mit uns
ßauptfäißliiß bewegen, ift ja nießt eine einheitliche fociale
©djießt; Sßertrcter ber berfeßiebenften ©efeßfdjaftSclaffen fuiben
fidj in ißuen zufammcit. ®a finb neben ben eigentlichen SBer«
breißern fdjlicßte Sanbleute, bie tßeifS fdßulbig, tßeits unfcßulbig,
tßetlS burcß ©efdjid, tßeilS bureß 3 u faß ober SBetfeßen, ßier«
ßer geratßen finb. Unb bann bie Sßerbrecßer, SDZenfcßen uon
berfeßiebenftem ©ßarafter, bie auS ben berfeßiebenften SBoraus«
feßungett burcß bie berfeßiebenften Urfadjen (nur nidjt gerabe
burdß angeblidß angeborene ober ererbte Veranlagung) ju
folcßeit geworben finb, unb bie tßcilweife an bie äufeerften
unteren ©renzeit beS ÜJZenfdjlicßen reidjen, — eine ©efell«
feßaft, bie fonft nur gelegentlich geftreift, in feinem früßeten
SEBerfe fo felbftftänbig unb bielfeitig borgefüßrt ift. 2)a fmb
ferner bie „Sßoiitifcßcn", bie SRebolutionären unb DZißiliftcn,
Zit benen stolftoi erft jeßt ein inneres Sßerßältnifj gemonnen
ZU ßaben feßeint, mtb zwar ein SBerßältnifj unbertennbarcr
©ßmpatßie unb |iocßad)tung, — gewiß eine ßöcßft mertßbollc
unb bebeutfame ©ebietSermeiterung. daneben treten akr
aueß bie Kreife, bie SJolftoi fonft mit SBorliebe gefcßilbert ßat,
breit unb fräftig genug ßerauS: bie ariftofratifeße ©efeßfeßait,
bie „große SEBelt", baS SBeamtentßum einer«, baS Sanbuolt
anbererfeits. @o entfaltet ber SMcßter aueß ßier eine ganze
SEBelt üor unferett Slugen, bie fogar eine nicfjt unroefentlicße
©rroeiterung beS ©eficßtSfreifeS zeigt.
SDZit Welcß’ fießerem lünftlerifcßen SEact bei ber granbiofen
©infacßßeit baS SEßerl aufgebaut ift, wie ooit bem einmal
angenommenen StfuSgangSpnnfte, ber ©cßmurgeridjtSfcene mit
bem uerßängnißOollen Sßerfeßen bei ber ©^ulbigfprecßung,
fieß bie §anbluitg natürlich unb ungezwungen naeß allen
©eiten entwidelt unb alle biefe ©eiten roieber ineinanbet
greifen, baS mürbe fdjoit meßrfadß bargetegt; aueß natß biefer
©eite ßin ermeift fid) bie SEicßtung als baS Sßrobuct einer
oielleicßt unbewußten, aber burcßauS reifen unb ooKenbeten
Kunft.
Digitized by
Google
Nr. 25.
Die (Gegenwart.
391
©ang im ©egenfaße gu ben früheren Romanen ßat
“Dotftoi hier eine ©eftalt in ben Wittelpunft gerücft, bie alfo
als ber eigentliche Ipelb beS fRontaneS erfcheint: ben gürften
Stecßljubow. Sitte anberen fjiguren, alles 3 u flänblid)e ü n &
aHeS ©efcßehen gruppirt ficß um ißu unb ift nur feinetwegen
ba. (Sr ift faft ununterbrochen auf ber ©üßne (bie Wenigen
SluSnahmen befdjränfen fiel) auf ben Stufang): aDeS Slnbere
ejiftirt eigentlich baburch, baß, unb infofern, als eS Don ihm
pefehen toirb; MeS, WaS Dor fid) geht, ift fein (Srlebniß.
Der fRornan nähert fich baburch einer Äunftform, bie befon*
berS bei ben norbifdEjen Autoren fehr beliebt ift, wobei mir
bie Sßclt überhaupt nur mit bem 2luge unb burdj baS
Webium einer beftimmten SSnbioib.ualität fehen. (So Dieöeidjt
am confequenteften Änut Jpamfun.) Dolftoi nähert fich biefer
Dedjnif; er führt fie nicht ftrenge burdt), benn er unterteiltet
fich nicht öon feinem §elben in ber 2lrt beS ©djauenS unb !ann
baßer birect in eigenem tarnen barfteHen, maS ber gürft
SRedjljubow fieht unb erlebt. — Sieben ihm bleibt eine anbere
©eftalt Don Slufang bis gu (Snbe beS 93ucßeS, Wenn auch mit
Unterbrechungen, Dor unferen Slugen unb im ©orbergrunbe
beS SntereffeS: bie unfchulbig Derurtheilte Dirne WaStowa,
bie jener früher oerfiiljrt hat. 2We Slnberen finb nur Sieben*
figuren, fie treten nur geitweife unb nur in 93egug auf jene
auf. Stber auch fie» fo erftaunlich groß ihre 3 a ht ift fie
Stile finb gang inbioibueU lebenbig unb mit tieffter SBaljrheit
unb (Sdßtheit ausgeführt; fie leben Dor unS in ihrem Dollen
WenßhheitSgehalt unb ihrer gangen ©efonberßeit, fie werben
unS in ihrem inuerften SBefen burdjftcßtig.
Sene ©eiben aber, beren Sehen fo eigentümlich inein»
anbergefchlungen wirb unb bie fich int Dollen Sinne ihr
ScßWfat finb, fie überfehen mir in bem gangem Verlaufe
ihrer (Sntwicfelung. Die paar SBodjen, wäijrenb beren wir
fie auf ihrem SebenSWege begleiten, finb für fie nicht eine
(Spifobe, fonbern bie große SfrifiS, wo fich 3iel linb Stiftung,
©efdjicf unb SBertß ihres Sehens entfdjeibet. SBaS DorauS»
liegt, ift bie unentbehrliche ©orauSfeßung; WaS nachfolgt,
ergiebt fich barauS als nothwenbige (folge. Daher hat Dolftoi
auch barauf uergießten tonnen, bie äußere ©efcßidjte gang gu
(Snbe gu ergählen.. Denn bie innere (Sntwicfelung ift wirtlich
DoHenbet: wie auch ihre äußeren ©erhältniffc fich geftalten
mögen, — WaS ber eigentliche Inhalt unb Sinn ihres SebeitS
fein wirb, barüber fann fein 3weifel beftehen. UebrigenS
laßt fich ja auch ber äußere 2lbfdjluß leidjt ergängen.
2tiS fie fich gntn erften Wate trafen, ba entftanb hieraus
ber erfte SBcnbepunft ihres SebenS: ber ©ünbenfaü, ber
eigentliche Slufang unfereS (SrbenbafeinS. ©iS baljin hatten
fie im UnfchutbSparabiefe ber ßinbßeit gelebt; inbem fie nun
burch unb miteinanber fdjulbig Werben, werben fie in baS
©etriebe ber ÜBelt ßineingegogen; ihr Sehen wirb wie baS
aller Stnberen. Unb ihres eigenen lydßS Derluftig, finfen fie,
immer tiefer, beS feften §altS, aller SSiberftanbSfraft beraubt,
unb bie mahne.itbe ©timme ihres Snnern, baS nagenbe ©eWußt»
fein ihrer Sage betäubenb: fie, eine öffentliche Dirne, — er,
äußerlich h 0( h angefehen unb achtbar, innerlich leer unb fittlich
toertßloS Wie fie. Unb nun — bamit 6eginnt bie eigentliche
(Srgäßtung — treten fie einanber gum gweiten Wale gegen*
über, er als ©efeßworenet unb fie als Slngeflagte. Unb
toieberum wirb biefe ©egegnnng für fie entfeßeibenb. Snbent
e6en burch bieS SBieberfeßen bie (Srinnerung an bie 3eit, wo
fie noch re i n nnb eigen waren, Dor ißre Seele tritt, beginnt
ber innere Wenfcß, bet fo lange im bumpfen Traume unb in
Ohnmacht barnieber gelegen hatte, in ihnen wieber aufguteben
unb gu wirten. Slber bei ©eiben nicht in gleicher SEßeife, —
auch hierin befteßt eine genaue parallele. SBieberum ift nur
bei ihm fpontanc (Sntwicfelung unb Snitiatioe. Sei ihr wirb
biefer ißroceß erft burch fein (Singreifen herDorgerufen unb
hat ein langes, heftiges Sträuben gu überwinben. 3Sie einft
auf ben 2Beg ber ©ünbe, fo wirb fie jeßt burch ißn wiber
ihren SBiQen auf ben ©)eg gur (Srtöfung mitgegogen. Der
©laube an bie unbebingte Wadjt beS ©Uten im Wenfdßeit
bricht mit fieghaftcr, freubiger ©ewißheit burch- — ©ang
unWiHfürlidj ftellt fich hi et ber ©ebante an ein anbereS
Weifterwerf ber ruffifdjen Siteratur ein, an DoftojeWSftj’S
„Scfjulb unb Sühne". (SS ift nicht nur bie äußere Slehnlidß*
feit, baß eS beibe Wat ein Wattn unb eine Dirne finb, um
bie eS fich hanbelt, baß bie entfdjeibenbe SrifiS in beiben
(fällen auf bem 2Bege nad) Sibirien eintritt, Wohin fie gießen,
ber eine Stheil als Derurtljeilt, ber anbere jenem gu Siebe
(mit ber fehr djarattcriftifchen Sßariante, baß fich für ®ofto*
jewstp bie 93erberbniS ber ©efetlfchaft Dertörpert in einem
9fuSnahmeinenf<hen, einem notorifd)en 9Serbred)er, einem un«
gewöhnlich üeranlagten, aber burch ganger unb ©pintifiren
gerrütteten ©ehirn, für 'Solftoi bagegen in einem gang ge*
wöhnlichen ®urd)fchnittSntenfchen, ber lebt wie Sitte feines
Stanb.eS unb fich burdjauS ber Sichtung feiner Witmenfchen
erfreut), — entfd^eibenb ift eben biefer beiben Richtern ge*
meinfame ©taube, baß in jebem Wenfdjeit eine Äraft ber
(Srneuerung lebt, bie ihn audh aus bem tiefften Stbgrunb ber
Sünbe gu retten unb gu einem neuen Seben „in ©eredjtigteit
unb fReinigfeit" gu ftärfen Dermag, unb gugleid), baß eS eine
Wacht ber Siebe giebt, bie auch ben Slnbern, burch alle 93er*
ftocftljeit beS §crgenS hinburch, gu retten unb gu entfühnen
im Stanbe ift. (SS ift Dor 21 Hem biefe ©runbübergeugung,
biefer fefte ©taube an ben Sieg beS ©Uten unb bie SlUcS
überminbenbe Wacht ber Siebe, ber in ber $h a * ©eele
biefer Äunft ift, unb, wie fich leicht geigen ließe, audh bie
Sluffaffung unb ©eftattung ber eingetnen Wenfdhen wie ber
3ufammenhänge unb 93erhältniffe beftimmt, waS biefen größten
$>id)tern SRußtanbS ben urchrifttichen' ©harafter giebt, ber unS
in ihren SSerfen fo eigen überrafcht unb ergreift. (Sntfcheibeitb
ift einerfeits bie auSfdjließlidje (Sttcrgie ber fittlidjen SBerthung,
anbererfeitS, baß bie eigentlichen ©ulturproblente fo Dollftänbig
außerhalb beS ©efichtSfreifeS bleiben. ®aß aber gerabe bie
beiben SMdjter, bie am tiefften im ruffifdjen SSolfStfjum wurgeln
unb bie gewaltigften Offenbarer feiner Seele finb, mit fotetjer
©utfehiebenheit Don ber ihm innewohnenben fittlidjen Straft
fünben, — .einet Straft, bie man in breiten Strichen ber
wefteuropäifdjen Siteratur DergebenS fudht, — baS ift für
baS rufjifdje 93olf ein h er rlictieS 9tuhmeSgeugniß unb eine
fidjere Sürgfchaft feiner 3wfunft.
SBenn man bie beiben tpauptgcftalten ber „ Sluferfte^urtg"
nebeneinanber hält, fo nimmt fich ber gürft Stedjljubow,
ber bodj ber eigentliche Sßrotagonift ift, neben ber überaus
lebenbigen unb mit ftärfftem inbiDibuedem fReig auSgeftatteten
WaSlowa unleugbar etwas matt unb unintereffant auS.
93ieHei<ht fönnte man hierhin wirtlich eine gewiffe fünftlerifche
Schwäche fehen. Der ©runb aUerbingS ift beutlid). UnDer*
tennbar will Dolftoi in biefer gigur fich felbft barfteHen; ba
er fie aber alles beffen enttleibet hat, waS ihn gu einer fo
eingigen ^Serfönlichteit macht, fo erfd^eint ihr inbiDibueller
©chalt etwas bürftig. Sludj bieS ift berftänblicß unb bebeut»
fam. (SrftenS ift bem naiöen Zünftler — unb biefe ©e*
geidjnung gilt ja Don Dolftoi im allerhöchften Waße — baS
eigentliche ©eheimniß feiner SnbiDibualität, b. h- feiner tünft*
lerifchen Sßrobuctiüität, nidjt bewußt. Unb gerabe bei Dolftoi
ift feine gange SBelt* unb SebenSanfcßauung baburch beftimmt,
baß ‘er, felbft Snbioibualität in hödjftcr cßotcng unb mit ber
unDergleicCjticfjen ©abe, SnbiDibuen gu fchaffen, in feiner
Schälung, feiner Dh^rie biefem ©rincip gar feine Üte^nung
trägt, fonbern ben eingetnen Wenfdjen lebiglidj als eine
befonbere Darftellung ber Wenfcßheit nach feinem Wenfcßheit^“
geßalt wertßet. Somit fann in einer ©elbftbarftellung Dolftoi’S
baS gar nießt ßerauSfpringen, waS ißn als ben (Singigen
cßaralterifirt, alfo in unferer Schälung feinen SSertß auS*
macht. Zweitens aber Wirb jeber bebeutenbe Stünftler mit
©ewußtfein unb Stbficßt in feinem ©elbftporträt bie aHgu
inbiüibuelleu 3äfl e auSlöfdjen unb fid) bem DurdjfcßnittS»
meiifdßcn anäßnlicßen, fdßon um feinem SBerfe ben ©ßarafter
Digitized by v^. ooQie
302
Die (ftegettwarl
öon $lßgemeingiltigfeit ju geben, ben afle waf)rfjaft große
Sunft ueefaugt. So in bem jüngften ©elbftbefenntniffe Sbfen’S.
Unb tüte tief fielen bie ©eftalten, in benen ©oetlje bem
publicum feine Seid)te abgelegt hat, ftehen ein SSBciSlingen,
ein ©laöigo unter bem wirftid)en ©oetlje! dagegen finb bie
unechten unb falben ftünftler immer barauf auS, ihre gelben,
jumal folche, in bie fie it)t werttjeS 3d) oerf (eiben, nad)
Kräften ju fteigern, als ungewöhnliche, über baS ÜRenfchen*
maß ^inauöragenbe ©eftalten ju malen. (Ser ttjpifdje
„fRomanhelb", non bem felbft ©ubermann fiel) nid)t frei*
gemalt tjat. Ober man benfe gar an SBilbenbrudj’S „©djwefter*
feele".) ©S jeugt alfo auch bieS non Solftoi’S Äiinftlergröße,
wenn er in bem dürften SRec^tfubotx», fei eS in unbewußter
SRotljwenbigfeit, fei eS mit bewußtem Jßißen, ftc^ auf baS
SRtoeau beS SurdjfcfjnittSthpuS ^erabgebrüeft tjat. 9lber eS
fann als ÜRanget wirten, wenn bie SRotibirung unb bie 9Ser=
ftänbtidjfeit ber |>anblung barunter leibet. Unb baS fdjeint
hier ber gaß ju fein. Seitn bem dürften IRechljubow trauen
tnir allenfalls bie immmer^in fef)t bebeutenbe fittlidje ©nergie
ju, womit er, unbeirrt burd) bie entgegenwirfenben ©inflüffe
ber Umwelt unb ber ©ewolinfjeit, unb nur ganj norüber*
geljenb noit ber Schwäche ber menfdjlidjen SRatur angcfodbten,
bie 2Rad)t beS SBöfeit in fief) unb in ber KRaSloWa befiegt.
Senn wir wiffen auS aßen ©djilberungen beS ruffifdjen
SBolfeS unb fetten auef) aus biefem Üloman, baß ber fRuffe in
niel höherem ©rabe bereit unb geneigt ift, aßeS 2lnbere unb
aud) fid) felbft feiner fittlid)en Ueberjeugung ju opfern, unb
baß Wir bafjer nicht non unS auS urteilen bürfen. 5Rid)t
gtaublid) erfdEjeint eS bagegen, baß ber SurdjfchnittSmenfd)
fRedjtjubow aud) jenen eigentpümlidjeit Siefblict befijjen foß,
mit bem er bem Seben unb ben SRenfdjen immer unb
unmittelbar auf ben ©runb ifjreS ÜBefenS fdjaut Ser ift
oielmeljr baS auSfchließlidje SBorredjt beS ©enieS Solftoi.
Unb bod) ift er im gufaminenfjange ber Epanblung nicfjt p
entbehren, benn fdjwerlid) würbe ohne ifjit baS 33erl)ältniß
jur SRaSloWa ungetrübt bleiben unb bon fo tiefet SBirfung fein.
SEBir haben gefeljen, baß bie ganje pier bargefteßte SBelt
ein ©rlebniß 5Red)ljubow’S ift, baß ber Sid)ter aber fid) nid)t
non feinem gelben fonbert unb pm Ooflen SBerftänbniß für
biefen cinpfeßert ift; fie ift alfo bod) mit Solftoi’S Singen
gefeljen. SEBetdjer Slrt aber ift nun baS äufjere fflilb, baS er
gefetjen hat, unb wie Ijat er eS gefepen? @S ift ein Silb
non einer grauenhaften. Sroftlofigfeit, unb eS Wirft um fo
nieberfdjlagenber, als aud) Pterin Solftoi nirgenbS ejtreme,
befonberS marfante ©injetfäfle barfteßt, fonbern ftetS baS
ganj ©ewöhulidje, baS, waS aße Sage gefd)ief)t unb non Slflen
fo hingenommen wirb, als müßte eS fo fein. ÜRan fage nicht,
baß Wir SRnßlanb p wenig feitnen, um p einem Urtf)eil
berechtigt 311 fein. 3 d) möchte im ©egentheil behaupten,
San! ben großen ruffifdjen Srphlern, bie mit fo unüer*
gleichlidjer Unbefangenheit unb Sicherheit bie SBelt, in ber
fie leben, gefdjaut unb Wiebergegeben haben, fennen Wir fein
Sanb unb fein Sßolf fo gut, wie baS ruffifdje, Uteßeidjt nidjt
einmal unfer eigenes. Sie Diel tiefer unb gebiegenet ift bie
Äeuntniß, bie wir auS einem SBerfe SoIftoi’S fd)öpfen, als
baS ©rgebuiß einer fitrjeren StuStanbSreife, Wobei wir für
ben fleinen SluSfchnitt, ben unfer Sluge umfaßt, fo fef)r auf
ben ßufaß angewiefen finb unb eS wieoerum ganj Don unferer
gähhjfät ju fehen abhängt, wie Weit unfer Süd unter bie
äußerfte Oberfläche bringt. Unb baS Silb, baß Wir fo bon
SRußlanb erhalten, ift überafl baS gleiche, — bebürfte eS nodj
einer 93eftätigung außer bem Siegel ber ©chtljeit, ben biefe
Äunft fo unberfennbar an ber «Stirn trägt, fo wäre baS eben
biefe ©inftimmigfeit, — baS 93ilb eines ebfen, tüchtigen, wenn
auch noch theilweife unentwidelten SßolfeS mit einem unernieß»
liehen gonbS bon ernftem ©treben, bon Siebe unb ©üte, baS
unter bem unerhörten Srucf eines barbarifdhen ©taatSfhftemS
barnicberliegt unb bon bem erbannungSlofen Sfoloß jermafmt
Wirb. Sie ruffifdje ©taatSmafchine ift bietleicht bie entfe$lid)fte
Sarbarei, bie bie 3Belt bis je^t gefehen hot, benn fie ber-
binbet mit ber boßenbeten Hoheit unb fRüdfichtSlofigfeit ber
primitiben ©ewaltfjerrfdjaft bie in’S Unermeßlidhe gefteigerten
SRachtmittel unb bie jeben SBibcrftanb unmöglich machenbc
Omnipoteitj beS mobernen ©utturftaateS. Saturn ift ihr
SlßeS, was irgenbwie über baS niebrigfte SRittelmaß h‘ n ö ug:
ragt, an tßerftanb unb Salent, an tßorjügen beS §erjen§
unb beS ©eifteS, an ©eetengröße unb ©harafterftärfe, an
fittlidjem ober reügiöfem ©onberftreben, bon politifdjen
Senbenjen gaitj ju gef^weigen, bem Untergange geweiht,
einem (angfamen, unenblicf) qualboßen ^pinfterben; benn biefe
SobeSurttjeile werben nicht mit Strang unb Seit boflftredt,
fonbern lieber mit bem ©djmuh unb Unrath, ber feuchen-
gefchwängerten ©tidfuft ber ruffifdjen ©efängniffe, wo nach
bem SSolfSauSbrud „bie Säufe mitßRenfdjen gefüttert werben*.
SBieber fei an eine anbere, leiber in Seutfdjlanb p wenig
gefanute ®id)tung erinnert, „SBjera töaranjow" bon Sophie
ÄowatewSfh (beutfd) als „bie fttihiliftin" bon Souifc glachS-
gotfehaneanu, SBien 1896). Stucp l)i et '»erben jwei treffliche,
bom ebelften ©treben befeette SRenfchen fcßulbtoS hingerichtet,
bie eine burd) Sinodjenfraß, ber anbere burd) ©chwinbfudjt;
unb am Schluffe djan wir einen flüchtigen ©inbtid in bie
berüchtigte tßeter=fßaul=3fcftitng, jene unheimliche ©rabhöhlc,
worin ber ©efangene bon jeoem 3 u f ammen h an 9 mit ®klt
unb Seben für immer abgefdjnitten ift, unb wo eS feiten
länger als Wenige SRonate bauert, bis SBahnfinn unb ©elbft*
morb feinem ©terben ein ©nbe machen. — Uebcrfeheu wie
baS nid)t: Siejenigen Sichter, anS beren Söerfen wir biefes
öilb ruffifdher 3uftänbe gewonnen hoben, bor Slßem Solftoi
unb SoftojewStl), fie finb gerabe bie rnffifchften ber SRuffen,
bie fich am meifteit als folchc fühlen unb ber wefteuropäifdp
©uttur gegenüber ablehnenb ober gfeidjgiltig berhalten, benen
jebe ©ittfteflung ber Sh at f ac hen (jumat ju IRußlanbS Ungunfleiti,
jebe untiinftlerifd)c Senbenj, jebe potitifd)e ißarteirichtung
gänjlich fern liegt. Sßenn ein Sotftoi, ber früher bie
liften entfehieben berurtheilte, ba ja auch fie ©ewalt gegen
©cwalt fehen unb baS ®öfe mit SBöfem befämpfen Wollen,
jc£t für fie eine fo auSgcfprochene ©hmpathie berräth, —
eine ©tjmpathie, bie fich Weniger in ben aßgemeinen Stu»=
einanberfehungen, als in bet ßewhnung ber Vertreter äußert,
non benen nur einer nicht baS SEBohlgefaßen beS Sid)tcrä
hat, — wenn auch er ju ber Slnficfjt gefommen ift: „Der
einjige gejiemenbe Ort für ehrliche 9Renfd)cn ju je^iger 3 e > !
in SRußlanb ift baS ©efängniß," fo liegt bariit eine Der--
nid)tenbe Sterurtheilung ber ruffifcEjen ©taatcS, gegen bie nichts
einjuwenbeu unb bon ber nichts abpbingen ift.
916er foßen wir nun in 5ßh ar ifäerfinn baS ?luge jum
$imincl erheben unb fprechen: „9iein, ©ott fei Sant, wir
finb nicht fo" —? 93ieflei<ht fönnten wir bod) ü 6 er bem
Salten im 9(uge beS 9?ad)6arS ben Splitter im eigenen (wenn
fdjoit nicht umgefehrt) überfehen hoben. — ©icherlich hätten
wir bamit bie Meinung Solftoi’S grünblich berfehlt, benn er
Wiß ganj gewiß nicht fpeeieß SRußlaitb, fonbern bie heutige
Serfaffung ber menfd)(id)en ©efeßfehaft überhaupt treffen.
Unb wenn wir ernftlid) prüfen: feine Sfritit ber ©efeßfehaft
trifft wirtlich auc h bei unS jit. 3 Wnr h fl t bie ältere ©ultur,
bie in ben ©injelnen unb burch bie ©injelncn ooßjogenc
fittlicpe ©ntwidelung, ber größere ©influß biefer ©injelncn
unb ihrer Silbung bie brutale fRoßeit beS ©taatSthumS gc-
milbert, bie ärgften ©hmptome befeitigt ober öerfteeft. Slber
ber fiern ber Sache ift hoch berfelbe. 3 m fßrincip ift unfer
©taatswefen überhaupt burchauS unfittlich, benn eS grünbet
fich nicht auf Freiheit unb fRedjt, fonbern auf 3Ra^t unb ®e=
Walt, eS befolgt nid)t baS ©runbgefeh aßer focialen ©itt=
lichteit: bie unbebingte ?ld)tung ber üRenfchheit im ©injelncn,
eS behanbett ben IRenfchen nicht als ßwed, fonbern a(v
SRittcl. 3ch glaube nicht, baß man bem mit ©runb wiber*
fprechen, nod) auch irgenb etwas in Sotftoi’S ©efeßfehaft^
tritit als unjutreffenb ober übertrieben bejeidjnen fann. 2 Benn
Digitized by v^. ooQie
Nr. 25.
Die (ßegcnmart.
398
ttrir baö aber eingefehen unb anerfannt Reiben, baitn ergebt
fid) broljenb unb unabmeiöbar üor unö ein Sßrobtcm, oon
bem man heute nid)t gern ^ören mag unb an bem man
ftetö forgfältig toorbeige^t, fo oft mir aud) fdhon feinen Saum
geftreift hoben (j. 93. anläfjlich ber armcnifchen ©reuet): bet
©onflict jmifchen SRorat unb (jßolitif (ober (Staat). (Sott ich
bic (Schmierigfeit auf einen fefjarf paraboj jugefpifcten Sluö*
btuef bringen, fo möchte ich f° fagen: alle fittlidje ©ntmide»
tung üottjieht fid) im ©injelnen, er ift baö Subject beö fitt=
liehen S3erouhtfeinö, ber Präger beö gortfdhrittö. Staat unb
©efeUfdhaftöform bagegen finb bie in ©pftem gebrachte Un*
fittlichfeit. Unb bod) foU bet ©injetne fictj biefer ©efammt»
heit unterorbnen. Unb jmar nicht blof? ber üftacht meicheub,
fonbetn im tarnen ber Pflicht. Sllfo: bie ©ittlid^feit Oer»
langt oon bem fittlichcn ©injelnen, baff er fein fittlidjeö 93e=
touftfein bem fcf)ted)thirt unfittlichen ©anjen opfere unb unter»
toerfe! ®aö ift eine Slntimonie, bie mir töfen müffen, menn
mir meiterhin ein Seben im Semufetfeiit führen motten.
‘(Solftoi ift bie Söfung feht einfach: ihm ift ber ©taat baö
9Jeicf) beö SBöfen fd)te<±>tl)in, nur mit bem ©injelnen hot eö
feine Üttorat ju thuit. @r fann fo entleiben, meit bei ihm
bie ©ultut nicht fitttich gemerthet mirb, überhaupt alö be»
fonbereö Problem nicht ejiftirt. 2öir fönnen unb motten
biefen Stuöroeg nicht annehmen. Stber ba mir bie grage
hoch nidjt abmeifen fönnen, fo bteibt bie Nötigung, eine |
beffere Söfung ju fuchen. 333ie ich mi* biefe möglich benfe,
fann id) hier nicht anbeuten; nur auf ihre SBidjtigfeit foUte
f)ittgemiefen merben. SBir (Seutfchen finb noch Neulinge in
ber ißotitif, unb eö mirb oietteicht noch fange bauern, biö
bie 9J?affe beö 93olfeö potitifch reif ift. (Sa ift eö oerftänb»
lief) unb entfehutbbar, bah mir unö mit ungeteiltem ©ifer
unb bem Ungeftipn ber Sugenb in bie fo lange entbehrte
■Ülhätigfeit ftiirjen unb unö Stßeö Oom Selbe hotten, maö
unferc potitifche ©nergie fcfjmächen fönnte, atfo befoitberö
biefe grage nach SBerth unb Stecht ber (jßolitif überhaupt.
Slber eö mirb ber 3e>tpun!t fommeit, mo auch bie (J3olitit an
biefer fjrage nicht mehr öorbei fann, fonbern fit mit ihr
toirb auöeinanberfehen müffen, Unb id) glaube, auch He fann
am ©nbe babei nür gemiitnen.
Stoch eine anbere ©emiffenöfrage richtet bie „Stnferftehung"
an unö. ÜBit hoben eö gelernt, — menigftenö biejenigen
unter unö, bie oon ber mobetnen SMlbung berührt finb, nicht
natürlich bie ©efolgötruppen bet lex feeinje, — bie Sunft
nur unter äfthetifchen @efid)töpunfteit ju betradjten unb alle
moralifche Seurtheilung abjumeifen. ©ilt baö nun auch
toott biefem Nornan? ©ollen ober bürfen mir audj ba bloß
bie (Sedjnif, bie munbetbare (Sreue unb (Siefe ber Scbenö»
barfteHung, bie erhabene ©infadjheit unb golgeridjtigfeit beö
ganzen 93aueö u. f. m. in banfbarcr Semunberung gertiefjeti,
unb alle fociale Sritif, alle fittlichcn Neformgebanfen bei
©eite taffen? Sicherlich märe baö nicht in (Solftoi’ö Sinne.
(Senn man fann nicht jtoeifeln, bah et mit feinem SBcrfe
toirlich eine 2Woral, eine fittlidje ©efammtanfehauung prebigen
toill. Ober fotlen mir baritm fein SSÖerf aiö (Senbenjroman
branbmarfen unb oon ber ©phäre ber reinen Sunft auö»
fdjliehcn? Sluch bieö märe ungerecht, benn man mürbe SDtüfje
haben, ju jeigen, baft bie fittfichen Ueberjeugungen (Eolftoi’ö
irgenbmie bie Neinheit feineö ©djauenö ober bie Streue ber
SDarftetlung getrübt, ba| alfo bie äfthetifchen Dualitäten im
©eringften unter bem moratifchen ®chalt gelitten hätten.
Unb fönnen mir felbft mit gutem ©emiffen bie ©idjtung
lefen nur mit bem ©ebanfen: „2Bie fchön ift baö gefchrieben!",
fühlen mir unö nidht unmittelbar gebrungen unb oerpflichtet,
audh gu ben fittlichen Slnfchauungen barin Stellung ju nehmen?
95ei biefer gragefteQung mirb unö ftar, bah bie grojje Äunft,
bie Sfunft, morin fich baö innerfte Seelenleben einer 3 e ‘*
offenbart, unb melche in erfter Sink ben bauernben SBerth
einer ©poche für bie SBeltgefchichte beftimmt, jmet ©eiten
hat. SBaö ihr biefe hohe, einzige SBürbe oerleiht, finb im
©runbe hoch nicht tedjnifche SBorjüge, fonbern eben, bafj baö
Sebenögefühl unb bie Sebenömerthung ihrer ßeit in ihr in
bleibenbe ©eftalt gebannt ift. ßier jeigt fidh baö h eu te fo
beliebte becabente ©chlagmort „L’art pour l’art!“ in feiner
Unjulänglithfeit: eö fann bie Äunft nicht bapor fdiüfcen, ein
fchöner Sujuö, ein müßigeö ©piei ober gar ein cfoterifcher
©port gemiffer ejcfufiüer Greife ju merben. Unb gerabe ba»
gegen richtet fich iolftoi’ö S3erbammungöurtheil über bie
moberne Sunft; unb mir merben nicht umhin fönnen, ihm
fomeit Siecht ju geben: mie bie Sfunft eine Angelegenheit ber
9J?enfchheit ift, fo muh f* e ftef) an bie ganje ÜJienfchheit
menben, fie muh jtoar nicht nach SlügemeinOerftänblichfeit im
äufjeren SBortfinne, aber nach Slügemeingiltigfeit ftreben^ Sn
biefem Sinne mirb fie unö baö teiften, maö in früheren SBelt»
altern ©ache ber Sieligion mar. Auch bieö für baö 33er*
ftänbnih unferer 3eit fehr intereffante Problem fann h* et
nicht aufgerollt merben. Slber bie S£f)atfache liegt oor Silier
Äugen: Unfere ßeit ift Oon einem getoaftigen, urfprünglidjett
religiöfen prange erfüllt. SBir fehen ringö um unö, mie eö
fich * n ollen ben älteren Sieligionöformen unb »gemeinfdjoften
mächtig regt; aber bie eigentlich neuen, eigenen, originalen
Schöpfungen unferer 3 e *t entftehen auher|alb ihrer. Unb
menn mir unö fragen, moburd) unfer ©taube, unfer SBiffen
unb 3#lH en oon ©inn unb 3med beö Sebenö beftimmt ift,
! fo benfen mir in erfter Sinie an bk groben Sfünftler, Oon
beneit unfere Seele lebt, ©oethe, Sbfcn, Slolftoi. ®iefe reli»
giöfe ©runbanfehauung oom Seben brauet nid)t birect auö»
gefprochen ju fein; fie fann rein unb OoQ in ben ^ßroceh
beö fünftlerifchen Silbcnö felbft eingehen, mie eö bei ben
früheren SBerfen Solftoi’ö, bei Sbfen ber galt ift. Slnberer*
feitö fann ber (liefe unb ber SBudjt beö ©effihlö nur eine
unooHfommene ©eftaltungöfraft beigefellt fein; bann entftehen
bie groben |>a(bfünftfer, bie neben jenen ben religiöfen unb
ethifchen ©ehalt unferer 3eit oerförpern, SJJänner mie ©arlple,
SJiehfche, SWaeterlind. Slber baö ift beiben ©ruppen gemeinfam:
gerabe bah in ihnen baö Seben felbft, ber tieffte Sebenögehalt
unb eigenfte Scbenöfinn unferer 3 f it fidh üertfinbet, baö ift
eö, maö ihnen ihre metthiftorif^e ©röhe, ihren ©migfeitö»
charafter üerteiht.
5Dte ÄüttfUer- Sicklung in DarmflttM.
58on Dr. UWfielm Bobe.
S)er junge .feetjog Start Sluguft Oon SBeimar, ber einft
in feinem fRefibensftäbtdhen bie größten (Sichter (Seutfchlanbö
ju oereinigen muhte, finbet je^t feinen Nachfolger in bem
jungen ©rohherjog ©rnft Submig oon Reffen. (Senfelben
(Sienft, ben Äarl Sluguft feinen (Sichtern unb bamit jualeich
ber beutfdhen Sfunft unb auch feinem Sanbe leiftete, miu ber
heffifche güvft feinem Sanbe, feiner Nefibenjftabt unb bem
beutf^en Äunfthanbmerf leiften. „üfteiit §effenlanb blühe
unb in ihm bie Sunft!" ift ein SDfotto, baö er bei feierlicher
©efegenheit gefprochen hot. 3 U Äarl Sluguft’ö 3 e *kn mar
bie (Sichtfunft baö fraftooHfte Stinb unter ben fünften; fie
oerfprach ant meiften, für ihre Sluöbitbung maren bie SSor»
bebingungen am günftigften. (Sann hoben mir erlebt, bah
bie SWufif jur SSor^errfd^aft gelangte, unb jefct barf man
moht fagen, bah bie fogenannte „angemanbte ßunft", b. h-
baö Sünftlerifdhe an allem Saumert unb §anbmer! bie Äunft
ber 3 { il ift; auf feinem anberen ©ebiete jeigt fidh fo oiet
neueö Seben, fo üiel fräftigeö SBolIen, fo Oiel üerheijjungö»
oolleö Slitfangen, fo menig Ueberfättigung. ©ö märe gemih
nicht ju beflagen, menn anbere giirften fich 8 U @<huhpatroncn
anberer fünfte machten; aber eö ift bod) aujkrorbentlich
glüdflich, bah ©rnft Submig gerabe für baö merbenbe Sunft»
hanbmerf baö fein miü, maö Sari Sluguft für bie beutfdhe
Siteratur mar. Db er fo hochbegabte SDJänner bereitö an
fich flegogen hat ober nod) geminnt, bah fie fpäter in ihrem
Digitized by v^. ooQie
394
Die (ftegentoari.
: ■*
Nr. 25.
t\ad^e mit ©cßißer unb ®oetße bergtidjen merben fönnten,
mirb freitict» erft bie ßeit teuren, ^ebenfalls giebt et ißnen
bie atlerbeftcn äußeren Sebingungeit, ißr Sbelfteg augpbilben.
©ie mancher ©icßter, Sfufifer, ÜJZalet, mie mancher Sünger
bet anbeten Sänfte ßat fid) nach einem folgen S?äcen Der»
geblid) umgefeßaut! ©ie Herren Seßreng, Soffelt, Sßriftianfen,
Dlbridj, Sürcf, £>ubidj, fmber fügten aber aud), baß fie nun
jut Anfpannung aller beften Kräfte berpfließtet finb.
©et ©roßßergog giebt ißnen erfteng eine foltße Unter»
ftüßung an ©elb ober ®etbmertß, baß fie nidjt aug Srob»
forgeit ju 3toanggarbeitett fieß Derbingen miiffen. Sr raubt
ißnen aueß nießt ißre 3 e *l bureß Seßrämter ober anbere
Aemter; toie toeit fie ©djüler augbilben roollen, ift ißre ©aeße.
Sr läßt ißnen ferner bolle greißeit, fdjüßt fie oor Sureaufraten
unb Sfiniftern, bie eg moßl immer gut meinen, aber nießt
immer mit jungen Sünftlern ßarmonireit mürben; nur ißr
gürft ift ißr £err unb fie berfeßreit oßne SHttelgperfon mit
ißm. Sr giebt ißnen ferner bie günftigfte ®elegenßeit, Don»
einanber ju lernen, aneinanber ju maeßfen, fid) gegenfeitig
anjuregen unb anäutreiben; mie ©exilier unb ®oetße bureß
einanber größer mürben, fo bürfen aueß fie eg. Unb eine
Sevfucßuiig Dermeibet er, bie bei einem gürftcit naße liegt; er
niacßt eg ißnen nidjt jur ißfließt, feine ©eßlöffer ju berjieren,
feine Umgebung mit ®lanj unb Sujug anjufüUen, fonbern
in feinem ^cffenlanbe foll bie Sunft blüßen; bag gange Sanb
foll Don Siefen ©äeleuten befruchtet merben. Unb feine
Sünftler benten audj Diel tneßr an Solfgfunft alg an §erren=
Eunft. Eßrofeffor £mitg Sßriftianfen ßat bie ©age noeß nidjt
Dcrgeffcn, mo er mit Dgcar ©djminbraäßeirn im Hamburger
Solfgfunft »Serein fich an neuen Sbealen ermärrntc; noef)
ßeute greift er bag Suitftgcmerbe ber Seidjcn unb ©cfdjäftg»
leute fdjarf an: „©tatt fdßiüter Sinfacßßeit— Sujug, ißomp,
ftatt frifeßer Saturftubien — ©rabition, ftatt ,<perjeng»
fache reine ©efcßäftgfadje: fo feßaut eg in unferem Sunft»
ijanbmerE aug, unb beßßalb muß eg Slage» unb ©eßeit»
morte über fiel) ergeben laffen: „©reibßaugpflanje, Sujug»
gemerbe, Ornamentflunferei, SSummenfdjanj Don ©tilarten!"
— Sod) ßeute begeiftert er fid) an bem ©treitrufe „£>ie
Solfgfunft!" „Sine Solfgfunft! bag ift eg, mag unferc
Sunft fein follte, mag fie fein muß, mag fie merben mirb!
Sine Sunft, bie allem Solfe biene, ber aber audj atleg SSolE
ßnlbige, eine freunblidje, millige ©ienerin, bie bem Aermften
greube fpenbe, mie aueß eine aÜßerrfd)enbe, erßebettbe Söttigin.
Sin ftoljer, immer grünenber Saum, murgelnb im feigen
atleg Solfeg, aber aud) burd) feine grüdjte aller §ergen er»
freuenb! Sine Sunft, gegrünbet auf brei einfadjc, uitum»
ftößließe, eng Derbunbene ©tiijjen, auf Sinfadjßeit, Satur,
ißoefie, fid) baburd) in £>erg unb Serftanb beg SSenfdjen
eroigeg Sebeu fidjentb — bag ift bie Sunft ber 3ufunft!"
Unb ebenfo benfen audj anbere Siitglieber biefer Sünftler»
Solonie. SRubolf Soffelt gum Seifpiel, ber Silbßauer, toenbet
feine Siebe ber SKebaille ju, alfo einer SEleinEnnft, bie jmar
ßeute bem Solle ganj entfrembet ift, bie bag aber nidjt
bleiben mirb. ©ie SRebaitle ift bag bauerßaftefte, biUigfte,
bemcglidßfte Eleine Sunftroerf; man Eaitn fid) ßiftorifeße, literar»
ßiftorifeße, Eunftßiftorifcße SWebaiCtenfammlungen in allen
©djuleu benten, familiengefcßidjtliiße in abtigen unb Sßatrijier»
ßäufern, nadj ber einen ober anbereit Siebßaberei jufammen»
geftellte in ^riDatftcfig; unb Scanner mie Soffelt arbeiten
mit aller Äraft baraufßin, bie .fpinberniffe, bie ißrer Ser»
brcitnng im Siege fteßeit, megjuräumen.
©er Saumeifter ber Solonie ift Sofepß Olbrich; er ßat
bie Oberleitung bei ber Stnlage ber Sünftler»Solonie, bie
bemnädjft ju beit ©eßengmürbigteiten ©eutfeßlanbö geßören
mirb. Sie entfteßt auf ber ÜWatßilben».höße, einem früßeren
Sode, ber 5Erone geßörig. ,'picr leueßten bereitg bie Der»
golbeten Suppein ber grieeßifeßen SapcHe, unb einige Sillen
Don ßcroorragenben Saumeiftcrn mie Steffel unb SSallot er»
ßcben fid) ßier bereitg. ©er öftlidje ©ßeil beg ^iigelg, etma i
10 000 Ouabratmeter gfäcße, fteßen ben Sünftlern jurStt»
fügung. £ier mirb Don bem Samme beg fjügeig bag ?lrbeiK»
ßaug ber Solonie ßerunterfeßauen, ein SBaßrjeicßen, baß fie
jur gejneinfamcn Arbeit ßier Derfammelt finb. Slcßt große
9ltelicrg naeß Sorben, Heinere 3> mmer für bie Sünftler bo»
ßinter, ein Eleineg ©ßeater, ©um» unb geißtfäle, gaftlicße
Säume, ©ufeßen unb Säber, bag alleg entßält ber ftattlidje
Sangbau. bem abfallenben ©elänbe füblicß baDon grup=
piren fid) um einen birnenförmigen )|?laß bie SBoßnßäujer
ber Sünftler, unb fie foßen ©djmudtäftcßen für ben Seftßc»
tifer, ©cßengroürbigEciten merben, ju 3 e iten jebem Sunit»
freunbe jugänglicß. ©enn nur in mirflicß bemoßnten Raufern
tönnen mir SBoßnunggfunft lernen unb bie SraucßbatEeit ber
einjelnen Srjeugniffe beg Sunftßanbmerfg beutlicß feßen.
ift beßßalb feßr banfengmertß, baß biefe Käufer mit Doller
Sinridjtung ben mefcntlicßen ©ßeil ber 3lugfteHung bilben
merben, ben bie Solonie für ben ©ommer 1901 Dorbereita
ißeter Seßrcng mirb fein ^>aug felber bauen unb augftatten;
bei ben aitberen mirb Olbricß alg 9lrcßitett mitrnirten. 6in
©tüd ißoefie mill er bauen, mie man aug feinen ©orten
ßerauglieft: „3lüe bie ^äugeßen, um ein gorum gruppirt
mit eigenartig angelegten ©egen, ®ärten, Seleucßtunggförpern,
Srunnen unb Slumenbeeten jur Sinßeit Derbunben. Sm
tpäusdjcn felbft ein eigenartigeg ©oßnprincip. ©er große
Saum (alg Saum beg Sebeng) birgt alleg ©oßntidje. ©ort
foü Sun ft in glätße unb gönn oertreten fein, Stufit geßört,
Seben gemeeßfett, ©äfte empfangen, ftßöne ©tuttben »erlebt
merben. SlßeS anbere Saumgebilbe betont meßr ben ßtwet
in einfaeßfter ©cßönßeit. ©ag ©djlafäimmer nur ein Cd
beg ©dßlafeg, einem rußigen 5lbenblieb gleicßenb; für ©peife
unb ©rant ein feftlicß frößließer ©rintliebraum; bag Sab
alg perleitbe Seinßcit. Sig unter bag ©aeß eine Seiße oon
Stimmungen. Sicmalg babei bie ®cbraucßgfäßigEeit Der»
geffenb; ftetg bebaeßt, baß jebcg ©tüd feinem 3 We( ^ ents
fpreeße, jebcg bie ißm pgeroiefene Solle jur Srreießung ber
beabfießtigten ©irtung Doßenbet Dertrete."
©ie geplante StuSfteüung mar eben ermäßnt; „©ocu
mente ©eutfeßer Sunft 1901" foß fie ßeißen unb mie ba
Same, fo foß aud) bie ülngfüßrung eigentßümlicß fein, ©ct
?lugftcllungggebiet fdjlicßt fid) oßtie Abtrennung bem ©oßn-
unb Slrbcitggebiet ber Sünftler an, unb aueß ßier ßeißt eg:
„Sein Ouabratcentimeter foß gorm unb garbe erßalteit, bie
nießt Don fünftlerifdjem ®eifte burißbrungen finb." Unb
meitcr: „Aucß bie Stalerei unb Sloftit, beten beftc Sciftungen
ßier jur Augfteflung gelangen, foßen in inobcrner Art bem
publicum gugänglicß gemaeßt merben." „gort mit ben großen
meiten ©älen, in beiten ber Staßftab für Eleine ©djönßeit
Derloren geßt! gort mit ber ©almiftimmung, bie folcße
Säume menfcßlkßct maeßen foß! gort mit bem großen Der»
ßängten Sod) an ber ©ede! ©ie große 3auberin, bag Sicßt,
ßole man Doit linfg unb redßtg ßerbei, feßaffe Saummaße,
in benen ber Sienfcß nießt ju Derfcßroinben broßt... Siel
®liid fpinnt bort bureß ©ßür unb genfter, mo einfache ©(ßßn;
ßeit ben niidjteruen 3 ro ed abelt. Unb fo bem Sebürfiiiß
folgenb, reißt fidj Sinßeit an Sinßeit jum einfaeßen ^auf.
Sidjt ju jenem tpaug, bag Seicßbemittelten ju Saft unb
Aerger mirb, bag Dießeidjt oft Don außen mit ftummem
©tarnten befeßeti, burdß lügnerifcß feelenlofe ißraeßt ba?
Sntiete fälfeßlitß prägt. Sein, ju jenem §aufc, bae bureß
innereg Smpfinbcn entfteßt, bag in feiner Sinfadjßeit fo reitß
ift, Diel ftifleg ©lüd in feinen Sden unb ©infein ßerbergt,
fo Diel, um enblog baraug bie golbenen gäben ber ©imfd»
lofigfeit ju fpinnen."
©ag ift bie ©praeße beg ©eßmärrnerg, boeß „ßart im
Saume ftoßen fieß bie ©aeßeu". ©ie nötßige ißrofa mirb
mäßrenb ber ?(ugfüßrung biefer ißoefie feßon beigemifeßt
merben. ©aß ein gürft inmitten einer begeifterten Sünftler»
friiaar folcße ©räume ju Dermirflkßen fueßt, bafür merben
Siele banfbar fein.
Digitized by v^. ooQie
Nr. 25.
Die töegettroart,
895
gfeuiffeton.
- 9tft<$brucf »erboten.
(Ein tteifcbilb ans bem rnfftfdien fitanen.
Son 3°f c f Stuftin.
?US wir, mein futfeßer unb icß, in ben ©glitten fliegen, mar ber
Jjpimmel ein einziges, bleigraucS ©tücf. (Sin heftiger SBinb fcßlug unS
feftgefrorene ©djneeflöcfcßen in'S ©cficßt, bie wie fabeln [tacken. ©$
nmr bereits fd)ön fall, 21 0 R. üflacß einer ßal6en ©tunbe bracß bie
9?acßt herein. (SS war gegen WonatSenbe. Ter £>imniel war im ganzen
©orijont ftarf umwölft. ©tocffinfter. 9Jicßt einmal ben ©cßnee fonnte
man feßen. Tabei blieS unS ber 2Biub bie Slugen toott mit barten,
fpißen ©cßneeförnern, unb ohne klugen unb nod) baju im ginftern läßt
ficß’S fcßroer {eben. 2Bir müffen unS an bie Tetegrapßenftangen galten,
um Oom großen SBege nicht abjuweußen. $un, wir ßalten un$ .. .
SSBir guden unS bie klugen blinb. TaS $ferb watet im ©djnee.
„gaßren wir gut?" — ,,©ut, £err."
Wein futfeßer ift ein ^b^gmatifc^cr litauifcber Sauer, ben nichts
aus feinem ftarven, gebanfenlofen ^ßlegrna ßerauStreiben lann. ©8 ift
feßon eine geraume 3cit, feitbem ich bie bunflen Umriffe ber Xelegrapßen=
ftangen nicht waßräuneßmen glaube, geh fange an ju jweifeln, ob wir
richtig fahren.
„gaßren wir noch immer gut?" — „ftodj immer gut, £>err." —
,,gcf) W Me Telegrapßenftangen nicht." — „geh feß' fie, $err." —
Hub baS fprießt er mit einer fo großartig einfachen, unerfdjütterlidjen
©eraißßeit, baß fie felbft bie ängfilicßfteu ©emiitßer beruhigen fönnte.
Werfwürbig, jag' ich mir, welche klugen biefe Sitaucn haben! (Sr fießt
unb ich feße, ober umgefeßrt, weber er fiebt noch i*ß fc^e, unb troßbem
fiebt er ja unb id) nicht... gd) lege bie .fpanb fchrög üor’S Sluge,
ftarre mit halb äufatnmengefniffenen Sibetn in bie bleigraue ginftemiß
hinein: ich feße leine ©pur, fein 5(tom einer Telegrapßenftange. geh
feße bie £>anb freiSförmig oor’S $luge, ftarre wieberum mit halb ju^
fammengefniffenen Sibern in bie bleigraue ginftemiß hinein: id) febe
ttneberunt feine ©pur, fein 2ltom Don einer Telegrapßenftange... unb
mein futfd)er, ber fecßjigjäßrige litauifeße Sauer, fiebt fie. .. flar,
beutlid), beftimmt. . . ohne „optifeße .fmlfSmittel" . . .
geh siebe ben tragen meines SReifepeljeS in bie £>öße, febiebe bie
<Jte4müße auf bie ©tirne herab. Sßun bin ich gan$ Oermummt, auch
9?afe unb klugen finb üerbüllt. 38 a rum aud) nicht, ©eben faun ich
„ ja fo wie fo nießt... gd) höre, wie mir eine Unmenge oon ©cßnee*
ftücfcßen gleich £>agelfürnern um bie Dßren fauft, auf ben ^elj tan^t, wie
baS ^ßferb burch ben ©djnee patfeßt, ber futfdjer mit ben Sippen fdjmaßt
unb mit ber gunge fdjnaljt, wie ber ©eßlitten quietfeht . . . Tie ton=
reiche feßwitrenbe Wufif fenft fieß mir bleifcßwer auf bie Siber. Tie
f älte faugt unb sießt mir au ben ©liebem ... (SS fcßläfert mieß. gcß
träume, büffele. ..
„9lun ja .. . natürlich müffen fie gute klugen haben .. . £>aben
nicht 9?äcßte lang oor ber Santpe gefeßwi^t.. . ipaben fieß mit ,fleinen
Sucßftaben*, üerfrißelten £anbfcßriften, bacteriologifcßen Unterfucßungen
unb bergleicßeu Teufelszeug nießt abgeblagt.. . 28arum fallen fie feine
guten klugen ßaben . .."
^lößlicß ßält mein futfdjer baS ^Sfei'b an. „3Bir irren, $err..."
Unb baS fagt er mit berfelben großartig einfachen, unerfeßütter*
liehen ©emißßeit, mit ber er bor gwei Winuten oerfießert, bie Tele=
grapßeuftangen $u feßen. gcß f(ßlage meinen Seläfragen ä ur ^d. 3Bie
eine ßeulenbe Seftie fällt ber 38inb über mein ©efießt ßer. TaS Sferb
fteßt. ©eßmar^e ginftemiß ringS ßemm.
„grren wir feßon lauge?"
„28—a—a— a—S?" Ter SBinb läßt nießt ßören.
„g—i—ir—rr—en wir feßon la—a—ange?" feßreie idß lauter,
jebe ©ilbe beßnenb.
„©egen eine ßa—a—albe ©tu—u—unbe —."
„5Ba—rum fa—a—gten ©ie, baß ©ie g—u—u—t faß — ß—ren?"
„$atf midj gei—i—i—rr—t—t."
SSieberum biefel6e großartig einfache, unerfdjütterlicße ©ewißßeit,
gegen bie nießt anjufommen ift. gcß befomme bie Seine in bie £anb,
wäßrenb er felbft, mit bem ^eitf^enftil in ben ©cßnee fcßlagenb, mit
^afe unb klugen faft ßart an ber (Srbe fßürenb, na<ß 3Q3eg fließt.
(Sinige Minuten bleibe id) allein im ftürmifeßen ®unfel. ^Taufenbe
glüßenbe fabeln feßeinen mir baS ©efießt ju jerfteeßen. 5)er groft
„brennt". 2Keine iRafe, mein ©dmurrbart werben ju ©iSjapfen. falte,
eifige ©tröme umjießen mir ben Seib. 3ttein futfeßer fommt Oon feiner
„SRecognoScirung" jurüd. .gcß feße nur, wie ein bunfler ©egenftanb
bureß bie ginftemiß, auffteigenb unb Oerfmfenb, fieß näßer wäl^t, immer
näßer, bis an meinen Seljfragen.
„§aben ©ie ben 5Beg gefunben?" — „$ein." — „S?aS werben
wir alfo tßun?" — w gaßren ... Ober belieben ©ie, ßier ju naeßten?"
2)ie gronie meines futfcßerS feßmeeft mir gar nießt. gcß feßlage
wieberum meinen fragen auf, btücfe wieberum meine ^efjmüfce auf
bie ©tirn ßerab, feßiebe eine §anb in ben ^eljärmd beS anberen,
murmele ein OerbiffeneS „fwl S)icß ber Teufel" swifcßcu ben 3üb n en
unb feßließe bie klugen. 2)er futfeßer f^ma^t mit ben Stylen, ber
©cßUtten fdjwanft weiter. Salb fenft er fieß auf bie eine, halb auf bie
anbere ©eite. gaßr r id) über Serge, über $ßä(er, ober faßre idj gar
(SarrouffcH? 3Bieberum überfommt mieß meine friißere Salbtraum-
ftimmung. gcß bewege mich in einetji ©ewüßl oon ©ebanfen, ©efüßlen,
Träumereien, ^ßantafien. ©ie breßen fieß ßin unb ßer wie ein 9fab,
aber langfam, fcßwerfäHig unb ba$u fo unbeftimmt, fo abgeriffen, fo
Oerfcßleiert. .. Tie falten, eiftgeu ©tröme jießen fieß mir enger, immer
enger um ben Seib ... ©in merfwürbigeS SBoßlgefüßl übevflutßet mich,
fo eine ^Irt beßaglicßeS fifeln ... ©S wirb mir fo lieb, fo füß um'S
£>er$ ... gdß möcßte nur fo fortträumen, in aller ©wigfeit.. .
„SB—e—e—e—e—r b—a—a—a?" ßöre icß blö&Ucß meinen futfeßer
auS allen Sungen feßreien.
„S5—a—a—a—S w—i—i—iHft Tu?" antwortet eine ftarfe, siem*
ließ naße ©timme.
„SHr i—i—irr—e—n .. . fontm ße—e—er ...
Oßne Suft feßlage idß meinen ^ßeljfragcn juriief unb öffne bie
klugen. 5Bie mit glüßenben 3ongen reißt mir ber groft am förper.
2Bie mir nur MeS fo feßwer ift, fo floßig fdjwer, ber M'pf, bie 9lrme,
bie Seine, bie ginger .. . Sieberum feße icß einen buntleu ©egenftanb
burcß r S ftürmifeße Tunfel fieß näßer wälzen, a6er ber bunfle ©egenftanb
feßeint mir fo groß, fo gewaltig, fo riefig .. . „3Boßin wiflft Tu?"
fagt ber bunfle, riefige ©egenftanb mit ßeiferer ©timrnc ju meinem
futfeßer.
„9lß ^Kaufcßfe!" antwortet mein futfeßer in plöplicßcm ©ntäiicfen.
„SRaufcßfe — Tu biffS!. . . TaS ift SRaufcßfe, £)err — ein
gube... fennt auf aeßt Weilen in ber 9iunb' jeb’S Säumlein, jeb f S
©räSlein .. . ©in SudjS ßat nießt beffere Sfugen als er . .."
„Wa — moßin wiHft Tu, greunb? ... Ter ßat feine 3 eit ..."
„9?a — wenn Tu feine geit ßaft — naeß © ..."
„9^a^ © . . .? ^Barum fäßrft Tu nießt mit bem großen 2Seg?"
„2Bürb r feßon faßren, greunb ... SBo i ft er aber — baS ift baS
funftftiief! ..."
,,^ier ift er ja — gleicß linfS .. . ©in Slinber fann ja bie
Telegrapßenftangen feßen."
Waufcßfe nimmt bie Seine unb futfeßirt. 9?acß einer 5®eile fdjlägt
er mit ber ^eitfeße an eine Telegrapßenftange. „©ießft Tu, ßier ift fie!"
„2Bo warft Tu, Waufcßfe?" fragt ber Sauer nad) einer Saufe,
„gn T. .." — „SBoju?" fragte er wieberum naeß einer ^aufe.
„9Jacß'm gläfeßeßen SSein . . . mein finb ift franf. . ." Wan ßört eS
Waufcßfe an ber ©timme an, baß er nießt gern antwortet.
5Bir erblicfen ein Sicßtlein. ©S feßeint trüb unb ungewiß. Salb
war eS ba, halb Oerfdjwanb eS. „Tort — ba ift mein ©tübeßen," er=
flärt Waufcßfe. ,/© liegt im Tßal."
©in ©tübeßen — baS war ein richtiges ©rlöfnngSwort für
Digitized by v^.ooQle
396
Die ©egentoari
Ife 25.
micf). $a wirb man ftdj enblid) ein wenig erfeolen Fönnen nach einer
fo leibigen gafert, bie gar nid)t ju enbeit fcfeeint. $agu empfinbe id)
heftige grofifcfemergcn an ben 3efeen* itnb gingerfptpcn unb bie 9?afe
brennt mir wie eine glüfeeitbe Äofele. „5Birb man bei Sfenen für einige
©tunben abfteigen Fönneu?" frage id) unferen güfercr.
„SSie’S Sfenen auSFömmt, perr . . . id) weife ’S auch nicht... bie
9?äuntlid)Feiten finb nic^t fo . . . fecfeS Fleine Itnber, eins ift FraitF. ..
9J?ctn’ grau ift and) nid^t fo ... Iber wenn’« bem perrn beliebt..."
„’© ift mir fcfeeufelidj !a(t.. ."
„9Fa — gewife ... wenn’S ber perr will..."
3Bir fahren an 9)FaufdjFe’S SSofenung heran. 5)urdj ein wingigeS,
mit einer biden ©iS= unb ©cfeneefchidjt umpaitgerteS genfierlein fällt
ein trübeS, matteS £id)t. SttaufdjFe fpringt aus bem ©dfelitten heraus
wie ein pafe, hinter ihm wadelt mein Shitfdjer. 90?it fdjwerer 3Jlühe
fteig' ich nuS. 3<h Fontrne mir üor wie ein eifig erftarrter $tlop.
9)toufdjfe ift aufeergewöfenlidj grofe unb muSFulöS. ©ein ©eftdjt ift
lang unb abgemagert. Um bie Ohren trägt er ein rotfjeS, fabenfcfeeinigeS
Xiid)lein. ©ein gclblidjbrauner Hantel ift mit ben üerfcfeiebenfarbigften
Sappen auSgeflidt. $>er Stiemen ift um bie Taille fo feft gefdjlungeit,
bafe er ben langen JtÖrper in gwei Xheile gu geriegelt fcheint. ©eine
SBofenuttg ift ein armfeligeS polgfeäuSchen. 3)te SSänbe finb auS rohen,
unfeehobelten, hier unb ba noch fogar ungefchälten $löpern gufantmengefügt.
Verfaultes SJtooS füllt bürftig bie Oeffnungen. ItiS bem regengefdjwärgten
©trohbäcfelein hat ber SBinb mehr als eine ©trofegunge IjerauSgegupft
unb bfeift nun in bie SuFen feine fdjauerlicfe quieFenben Welobien.
©in Peftgerudj fdjlägt mir entgegen, wie id) bie SDjüre öffne. geucfe=
tigfeit, Staud), ©taub unb ©efeweife hn^en fich gu einer eingigen athem*
benehmenben 5)unfhoolFe gufamntengeballt. 3)ie ©tube ift ungcbielt, ber
gufeboben eiSFalt. ln ben imgetünchten SBänben ftarrt ein eifiger Steif.
®urch grofee, öbe gimmer tönt baS quieFeitbe ^Seinen eines ©äuglittgS.
©S Flingt fo fdjauerlicfe, fo feergbeFlemmenb! .. . Itt einem genfterlein
brennt ein bünneS 2Bad)Slid)tlein. ©S ift im ©rlöfrfjen begriffen unb
finFt wie ein ©terbenber; ^in triibeS glämmdjett flacfert auf unb finFt
feerab, flacfert auf unb finFt herab ... Sn einer ©de liegen gufammeu*
gebrängt einige ©eftalten, eine grofee fefewangere grau unb um fie einige
fealbberftorene Äinbercfeeit. ©ie feakn ihre rothaufgefaufenen pänbdjeti
unter bie Snde ber Butter gefiedt, um fiefe an ihrem nadten gieifd) gu
erwärmen . .. SBeldj' fcferedücfeeS 3nntmerbilb biefe grau, biefeS lange,
enbloS lauge ©erippe, in ifetem hoefeftfewangeren gufiaitbe!.. . $)agu
Fräcfegt fie fortwährenb... 3)ie VadenFuocfeen ihres ©eficfetS ftarren
feerauS, wie bei einem ©Felett, 3 Wei fd)Warge lugen bliden glangloS,
wilb, bergweifelt um fic^ . . . llnb feft an fie geFlantmert eine ©efeaar
halboerfrorncr $tnberd)en, abgemagerte, oevfinfterte ©efiefeter, fdjntupig,
gerlumpt. .. Unb feart neben ihr, an ber feucfetelfigen SBanb, mit einem
©trohfad bebedt, ein langer, etwa aefetgefenjähriger 3nnge, fieberfranF,
belirirenb. 5)ie grau bleibt fifeen, feebt nur träumerifd) ben $opf, als
SJtaufcfeFe hereintrat. 3>ie fiitber aber liefen ihm fcfenell entgegen.
Qehn blutrothe, aufgebunfene ^inberfiifecfeen, nadt in flacfee polgfdjufee
geftedt, trippeln über ben eiSFalten, fteinharten gufeboben.
„Xate, woS feoft 2)u itnS gebradjt? . .. poft 3)u Vrob? . .. poft
2>u Vrob, Xate?"
„Stinber, tofe't ben Xaten in Stufe" — ruft Fräcfegenb bie Butter
— „feht 3fer nit, bafe er müb iS, oerfroren? ... Oi, bie 3äfen’, bie
3äfen’! ... ift halb fd)ier Oerbrennt.. . poft $)u bie giäfcfeele?"
^Faufcfefe fpriefet Fein 58ort. ©r gefet an’S STifdjlein hin, wo baS
3®ad)Slid)tlein in ben lefeten 3iigen liegt, unb giel)t ein mit ^afeier um=
widelteS giäfcfecfeen aus ber $afd)e.
„giir’S piihn'bele" — fagt er leife — „hot mer nur gWaitgig ge^
geben, für 3)ein Ringele a 9tubl — a Dtubl gwangig Foft f ber 9Sein."
„Unb Vrob feoft $)u nit! ... bie ^inber, lieber ©ott... bie
ßinber!" ©in qualooüer Snmmer legt fiep auf ihr ©efidjt. 3hre lugen
(deinen Oerglaft. ^aS 9l>eineit in ber 2Biege Wirb lauter, quieFenber.
,,©ieb ihr* bie Vruft", fagt*SJJanfcpfe.
„SBaS fott id) ihr geben, bie Vrufi? ... 9Mn’ Sruft ift leer m
mein Sflogen . . . ©oll id) ifer geben mein Vlut? ... oi, bie 3ä§n r ,
bie gähn’! ..." SftaufcfeFe widelt baS ^afeier Oom giäfcfedjen ab. &
war ein giäfdjdjen Ungarwein mit einem grünen Vled) um ben Sorf.
„1 fcfeöne giäfcfeele!" riefen bie $inber. „1 fcfeöne giäfdjete!" cr^
feob ftd) plöfelicfe ber giefeerFranFe. ,,^)ie giäfcfeele!" fdjrie er, parbfifsenb,
mit ber feofelen, fdjriüen ©timme eines 3rrfinnigen. „$)ie giäfcfeele!!...
®ie giä—fefee—leü!"
,,©ieb ifem nit," fagte StfaufcfeFe. ,,©r wirb'S gerbreefeen."
„5)ie giäfcfeele! 5)ie giä — fefee—TeU" feferie ber ßranFe immer
lauter, fcferitler. 3)ie grau nafem baS giäfcfecfeen unb gab eS ifem. 3m
felben lugenblid .fefelug eS FnaHenb auf ben Voben. ©in ©rferei, ein
qualOoll oergweifelnber ©eferei fdjoK burcfe’S gimmer. 3)ie Butter mar
eS, bie marFerfcfeütternb aufgefeferien. 2^aufd)Fe aber, ber riefige, lange
3WaufcfeFe, ftanb einige Minuten Freibefeleicfe unb lautlos Oor bem ©trolj:
lager beS ÜhranFen. 2)ann lacfete er bitter auf. „3h feätt' mir bie
ffeoren Fönnen."
©rofee, bunFelfte ©tröme XoFaierweinS fliefeen burcfe’S gimmer, bie
©djerfeen fcfeiüern. luf einer VanF liegt bie Butter unb weint Frambh
feaft, gudeitb: „©rbarm ®icfe, lieber ©ott, erbarm $>icfe ... wir ftnb
fo elenb ...!"
„©rbarm 3)icfe, wir finb fo elenb!" Flang eS mir feeFlemmenb in
ben Oferen, als id) fefeon weit, weit weg war üon biefem päuScfeen.
Jlus bet (Äauptftabf.
Der hungrige Jlann.
©ine unpolitifepe, aber boefe fefer leferreidfee geriengefefeiefete.
US ©ruft am borgen wieber baS unerträgliche Vrennen im ^Kagen
uttb aufeerbem einen boferenben ©efemerg in jener Partie feines Körper#
fiifelte, bie Oon felumfe Oeralfgemeineritben Inatomen „ebel" genannt
wirb, blidte er wehmütfeig in fein Portemonnaie, begwang fedfe aber unb
ging gum Irgte. Dr. Padan, ben er confultirte, ftanb im wofelbc
griinbeten 5Rufc eines ftreng recfetlicfeen 3)?anneS mit feften Preifen.
tiefer peroS uneigennüfiger 3Siffenfcfeaft patte fogar feiner eigenen
Vraut, naefebem bie Verlobung gurüdgegangen war, Rechnung über alle
ihr gemachten StfadjmittagSbcfucfee gugefanbt. Dr. Padan befanb fiefe.
Wie baS feeute gur unumgänglichen InftanbSfeflicfet jebeS 3KebicinerS ge^
feört, im gliidlicfeen Vefifec einer ©feecialität. ©r unterfuefete niefet erft
lange, Flopfte unb auScultirte niefet, fonbern fafe 3^crmann feine ge
heimften ^ranFfeetteu birect an ben lugen ab. ©eine peilerfolge waten
fcfelid)tweg munberbar; er pflegte jährlich 30000 SDFarF gu oerbienen.
,,©ie tragen eine Partie auf ber linFeit 2öange, Fein gmeifel,"
fagte er bebäefetig gu ©ruft, naefebem er ifem lange prüfenb in bie lugen
geblidt hatte.
©rnft nidte, üon Vewnnberung ergriffen.
„lucfe fdjeint ihre ©tim niefet befonberS feotfe gu fein," fufer bet
Irgt gewichtig fort, „gefeit Sfenen üieltcidjt fonft noch etwas?"
S)er ÄranFe bemerFte, bafe er feit ad)t Xagen ^FacfetS Fein luge
mehr feabe fcfeliefeen Fönnen, oerfebwieg jeboefe, bafe fidfe bieS Phänomen
fefer einfach burefe näcfetlicfeeu lufentfealt in fibelen VierFneipen erflaren
laffe. ,,©ut, gut, iefe weife fdjon," unterbrach ifen ber ©eleferte naefe ben
erften SSorten. „3<h fefee eS Sfenen lugen an, waS Sfenen fefelt. Sie
feaben fiefe geiftig überaitgeftrengt, feaben Oielleidfet üerfuefet, ©inn unb
Verftanb in ben d)inefifd)cn 9ftafenafemen nuferer Regierung gu jinöen
ober fonft bergleidjen. ©ie bebiirfen bringenb ber 9^ufee unb meiner
Sfraftpillen 9Fr. 008. gaferen ©ie in ben weltberühmten ©rften S)eutfcfecn
Äiefern^ unb ©anb-©ur=Ort gum pungrigen ^DFaun unb geben ©ie bort
biefe meine VifitenFarte ab. ©S wirb ©ie fofort wieber feerftellen. 3roeif
Digitized by v^ooQie
Nr. 25.
Die töegetnoart
397
Ritten täglicp; baju eine Maß ©ier, unb btefc ©onfultation foftet 20 Mf.
3cp ban!e Spnen."
©rnft berlteß feinen ßebenSretter, legte baS KranfpeitSatteft bem
Xirector ber Minifterialabtpeilung bor, Don ber er jeben Xgg pünftlid) um
brei Upr gum Mittageffen zu geben pflegte, unb erhielt trop ber bebrop*
licken Sage in geling unter Döfliger ©erfeponung mit bem üblichen 3n-
ftanjengang auf ber ©teile einen Urlaub non brei Atacpen. „ABenn mir
un$ nicht mteberfepen follten, £>err ßepmann," fagte ber Xirector babei
in feiner fcplidjten, aber geminnenben ABelfe unb atbmete podj auf,
, f jo feien ©ie boeb überzeugt, baß itb im (Steifte 3b rcm ©arge folge.
Unb im llebrigen benfeit ©te baran, baß fein Menfcp unerfeplid) ift." —
Xer XobeScanbibat nahm im näcbften ©räu gemiffenpaft bie bor*
gefebriebene Arznei, mobei er leiber bie Schien bermecpfelte unb nur eine
$iüe, bafür aber jmölf Maß ©ier öerfdjlucfte. Möglicpermeife hätte
ber furchtbare Kater, mit bem behaftet er im hungrigen Manne eintraf,
Anlaß z u bauembent ©ieeptpum gegeben, wenn ber Anfömmling nicht
fo raffinivt flug gemefen märe, bem ärztlichen ßeiter beS ©rften Xeutfcpen
Kiefern* unb ©anb*©ur*£)rteS zwei Xage lang ängftlicb auS bem ABege
ju geben.
9tacpbem er biefe KrifiS fiegreid) übermunben batte, begann er ficb
uorfieptig in ber ©egenb umjufebauen. 92ocp niemals im ßeben mar er
auf eine folcpe Menge bon Kranfen unb Krüppeln geftoßen, bon un*
heilbaren Patienten, bereu ©eringfter feine fieben bis acht ©rofefforen
hinter ficb batte. Um fo angenehmer berührte eS ben non ber ©erliner
fcocpfultur auSgiebig ©elerften, baß auch in biefem berlaffeneit unb hoff 5
mmgSlofeu ©rbenminfel ber benebeite ©port unglaubliche Triumphe
feierte. ©rnft batte baS alfmälige ABadjStputn ber für Fabrifanten unb
Aeparatur*A3erfftätten fo unfäglicb peilfamen ßuft an gefunber Körper*
betoegung Sapre lang mit ©erftänbniß unb ßiebe beobadjtet. 3 c *> cr 1)011
Aabfaprern niebergemorfeite unb berftümmelte ©affant batte ihm ©djreie
beS ©ntzürfenS entlocft, jeber £>alSbrud) eines .{meptourifteu ihm baS
.perz gebrochen, jeber im Fußbatlfpiel feiner Aafe beraubte beuchte ihn
ein gröberer pelb als 9?elfon, ber eS boeb bloß jum ©erluft eines
5(ugeS gebracht batte. Alles baS gefdjap, er bebaepte eS mopl, beS
heiligen ©porteS megen, unb barunt fanb ber größte Unfinn, einfcpließ*
lieb ber ©d)üler*SRegatten, feine Billigung. A3aS er aber im hungrigen
Mann febaute, Verblüffte ihn im elften Augenblirf boeb einigermaßen.
$aß ber ©port eS bereits ju foldjer 3Beltperrfd)aft gebradit batte, mar
ihm trop feines Abonnements auf bierzepn cinfd)lägige Blätter bisher
unbefannt geblieben. Xer ßeiter biefer ©ommerfrifdpe batte in ©r*
tnangelung anberer ©runbfäpe ben aufgeftellt, baß eS münfdjenSmertp
fei, meun alle feine ©enfionäre ausnahmslos einem ©port im lieber*
maße bulbigten, tbeilS bebufS Kräftigung ihrer MuSfeln, tbeilS meil eS
bämpfenb auf ihren Appetit mirfte. Unb mit Feuereifer erfüllten bie
Uranien ben ABunfcp beS bereprten Oberarztes. Xer ©port lag eben,
feitbem ipm non poper Stelle auS naebbrüefliebe Förberung zu Xpeil
getuorben mar, in ber ßuft beS 3aprpunbertS, unb jeber ©ebilbete put*
higte ipm bis zum Untergange. ©rnft lernte im hungrigen Mann einen
Bafferfücptigen fennen, ber Dom Morgen bis zum Abenb ruberte; einen
Gtentleman mit hoppelt gebrochenen ©einen, ber trop beS ©ipSberbaitbeS
öoeprab fuhr, ferner zmei ßungenfranfe, bie ©pilipp ©ulenburg'S neuefte
^ompofüion für bie Xrontpele eingerichtet batten unb fie raftloS bliefen.
So Diel ©port in fo großer AbmedjSlung auf einem F^de ging felbft
hem bnrd) bie Kieler 5Bod)e bermöhnten ©erliner über bie putfepnur.
Unb ungeachtet beS liebebollen 3afprucbeS, ber ipm bon allen ©eiten zu
£f)eil marb, unb ungeachtet ber flebenben ©liefe beS ArzteS, beffen Xable
h’hute er fd)auerlid) bermüftete, griff ürnft zu feinem ber fo beliebten
«port=Apparate. Aach ©erlauf einer SBocpe galt er für einen ©onber*
^ng- 2Jfan erging fiep in taufenb Sflutpmaßungen über bie gepeimniSs
boflen ©rünbe feines unerftätlichen ©erpaltenS. ©inige meinten, er
»uärc offenbar fo pumperlgefunb, baß er bon bornperein an allen ©er*
fließen, fiep fcpminbfüdjtig, magen* ober perzfranf zu maepen, berzmeifeln
bdifje. Anbere mieber erzählten romautifd) bon einem ©elübbe, baS er
bei feiner ©eburt getpan unb mobei er gefepmoren pätte, niemals zmetf*
loS feine gefunben ©liebmaßen in ©efapr zu bringen. Unb in einem
fleinen, aber mächtigen unb töcpterreicben Kreife brang bie Anfcpauung
burd), ©rnft märe ein berfappter inbifepsruffifeper 92abob, benn fonft
märe niept abzufepen, mit melcpem SRecpte er eine fo beborzugte ©onber*
fteüung in ber menfcblicpen ©efeUfcpaft beanfpruepe. —
Xie fiep um ben ©rften beutfepen Kiefern* unb ©anb*(Sur*Drt
Zum hungrigen HRann meilenmeit erftredenben ©rifapeiben boten ben
©äften reicplicpe ermünfepte ©elegenpeit, einanber auS bem SBege z u
gepen. 9HcptSbeftomeniger roollte eS ©mftenS ©cpicffal, baß er eines
Borgens halb naep bem erften Ftüpftücfe — eS pieß offiziell fo, ob*
gleich eS nie ein ^iveiteS gab — unbennutpet auf £>erm Käfepuber
ftieß, ber einen fteilen ©anbpügel perabgerannt fam. ©ebiifcp mar nid)t
in ber 92äpe, fcpnelle F^ucpt unmögli^, meil ber ©egner leibenfcpaftlicp
bem Xiftanzmarfdjfpiele pulbigte — fo ließ ©rnft benn bie bon
Xöcptcm begleitete unb Käfepuber getaufte ßebenSgefapr miberftanbSloS
über fiep pereinbreepen.
„ÜRan pat ©ie peute borgen beim ©runnentrinfen allgemein ber*
mißt, £err Affeffor," begann Käfepuber mit peucplerifcpem ©cplangen*
läcpeln bie Unterhaltung.
„3«P trinfe principieü fein ©taffer, unb bann immer nur ge*
nießbareS," entgegnete ©rnft heftig. „ÜRir pat mein ©erliner Ober*
leibarzt uicptS als ©infamfeit berorbnet, abfolute ©infamfeit, .f)err Käfc*
puber. ©ie geftatten beßpalb —"
„©infamfeit — o, bann füllten ©ie boep ja fegein!" rief Käfc*
puber'S ältere Xocpter, fofett baS bunte ©tollmüfccpeu zureept rüdenb.
„34 fegele ben ganzen lieben Xag, naep Xifcp gleich mieber. Xcr
Xoctor in ber Anftclt pat eS mir bor Xifd) berboten, meil bie ASaffcr*
Iuft ben 9Ragen zu fepr reize. SRacpt eS 3Puen ©paß, $>err Affeffor,
fo meipe icp ©ie pepf ein bißdjen in bie ©epeimniffe ber ©egelfunft ein —"
„3tp bräuge mid) nie in bie ©epeimniffe anberer ©erfonen, nie,
unter feinen Umftänben — nein, icp tpu' eS uiept," fiel ipr ©rnft in
bie s Jfebe. ©r fap babei fo energifcp, fo rücfficptSboH unb bornepm ent*
fcploffen auS, baß Fräulein Amalie fofort allen 5)tutp finten ließ. 3*u
felben Moment aber ging eine feltfame ©eränberung mit ©rnft bor.
Auf ber §öpe beS öiigelS mar eine junge Xame im Xumgematib er*
fepienen, beren Anblicf ipm alles ©lut in bie SBangen trieb.
„Aber XenniS fpielen ©ie boep, baS füße XenniS?" pob nun bie
anbere Käfepubertn im fcpnuirfen Flaneflfleib an. 3P r ItnfeS Auge mar
blutunterlaufen unb ber fepöne 9Runb ein menig gefcpmollen — bie erfte
©erlepung rüprte bon einem feplgeflogenen ©alle per, bie jivette bon
ber Kelle einer ARitfpielerin, bie rnopl nur irrtpümli^ auf Fräulein
ßueie ftatt auf ben ©all loSgefcplagen patte, ©rnft betrachtete baS un*
fcpulbige Opfer eept ariftofratifeper unb ftreng ppgienifcper ©ergnügungen
mit SBepmutp, bereepuete im ©tiden, mie lauge bie zarten 9feize ßucienS
mopl noep bem Anprall ber ßamn* XenniS *3uftrumente trofcen mürben
unb bltcfte bann mieber naep bem polben Kinbe auS, baS langfam ben
©erg pinabftieg.
„Xu meißt, ßuy, ber .^err Affeffor treibt burcpauS feinen ©port,"
beleprte Käfepuber fein Kinb, unb beS ©tarieren ©timme gitterte bor
§ocpadptung unb ungebänbigter ©emunberung. „A3o jeber beliebige
©Jenfcp feinen Körper ftaplt unb fein ßeben unter All ©ut ©aÜ^
unb .^ipp pipp purrap*9tufen auf'S ©piel fept, müffen fiep bie ejrclufiben
©lemente notpmenbig zurüdpalten."
„Acp — ber £err Affeffor!" mifepte fiep ba bie Xurnertn in T S ©e*
fpräcp, bie mittlermeile bie ©ruppe erreicht patte. Unb bann mürbe fie
noep rötper als ©rnft. ©mmi — ©mmt pieß fie nämlicp — ftanb in
iprer Suflenb Maienblüte, aber baS graue, fcplottrige Xurnerinnenfleib,
in bem ipre meißen ©lieberepeu fteriten, eutfteHte mit ©rfolg alle An*
mutp ber jugenbfrtfcpen ©eftalt.
„ABie fommen ©ie pierper, Fräulein ©mmi?" erfunbigte fiep ©rnft
tpeilnapmSboll. ,,©S tpat mir immer fo furdjtbar leib, ©ie feit jenem
©alle völlig auS ben Augen berloien za haben —"
Digitized by v^.ooQle
398
Ute (ftegenroart
Nr. 25.
„3cP bin feit beute borgen pier. ^er hungrige Wann gehört
meinem ißapa. $>arum muf 3 ich ja aucp turnen." Sie feufzte laut.
„68 fcpeint faft, Sie turnen opne befonbere ßeibenfcpaft?" fragte
©rnft, ficptlicp intereffirt.
„68 ift mir in bei* Seele zumiber," erioiberte 6mmi. ,,©enu
Ißapa niept fo jtreng barauf beftünbe. .
„3P* ^ crr Ift bollfommen im SRecpt," mahnte ba Släfepuber
öäterlicp. „Riffen Sie nicht, bafe bie Wöbe heutzutage minbeften8 einen
Sport tmn un8 bedangt?"
„Slber tdj fühle mich zunt Sterben elenb babei," fagte ©mmi.
„68 befommt mir nicht."
„S)a8 ift hoch ganz gleidjgiltig!" rief Sucie. „(Glauben Sie benn,
Sport fei zur 6rhotung ba unb foHe 6inem befommen?"
•&err fäfepuber mar bei ben lepten ©orten auffaüenb unruhig
gemorben. Seine 53litfe fchieiten in ber näheren Umgebung etma8 zu
fucpen, ma8 fie nicht finben v fonnten. 6r begann eifrig bie Wagengegenb
Zit maffiren, mährenb fein ©efidjt fich fcpmerzpaft Herzog, „geh bin
3)iftanzläufer, mie Sie miffen," prefjte er bann mühfam perbor. „Unb
bei biefer fo gefunben 53emegung — ich mache jeben Xog ztueiunboierztg
Kilometer — habe ich utir öor ztuei ©oepen Wagen unb Vieren berart
öerborben, bafj ich uie bor Ueberrafchungen fidjer bin. 3cp mer!c jept
mleber, bafj e8 fepr eilt. Slbieu." 6r rannte babon, gefolgt bon feinen
Pächtern. Slmalie fonnte alterbing8 nur miipfam pinterper puntpeln.
68 patte ipr bor einer ©oepe beim Segeln eine nieberfcpinetternbe ©ante
brei Qepen zerquetfept.
$>er Oberarzt, 6pef ttnb 53efiper be8 6rften $>eutfd)en tofern* unb
Sanb-6ur=Drte8 zum hungrigen Wann patte fid) peute uoep früper al8
fonft Don ber gemeinftpaftlicpen Xafel erpobeit unb bapurd) bie ©äfte
geztouttgen, mit noep leererem Wagen al8 fonft bon ben einfaepen, ba=
für aber fcplecpt gelochten greuben be8 Wittag8tifcpe8 5lbf<pieb zu nepmen.
3>ocp fei zu feiner 6pre betont, bafj ipn peut' bei biefent Scpritte uid)t
bie 5lbficpt leitete, ben 6rnäprung8ftanb ber bebingung8lo8 in feine
£>änbe gegebenen Sommerfrifcpler noep meiter perunterznbringen. 5lnbere
Sorgen bebrüeften ipn. 6r patte feit einiger Qeit betnerlen müffen,
bap ber Appetit feiner Pflegebefohlenen zufepenb8 mucp8, bafj felbft
complicirtc Wageubefcpmerben unpeimlid) fcpnell miepen unb neuerbing8
fogar ber auS ScprippenabfäKen componirte 53robpubbing begeifterte
ßiebpaber fanb. Wit SRecpt erblicfte er bie Urfadje biefer erfdjr'ccfenben
grefjeptbemie in 6rnft, bcffeit Seifpiel allmälig Sdjule maepte. 68
tarn ipnt fauer an, aber er mujjte e8 fiep etma8 loften laffeit, ben ge=
fäprlid)en Sportfeinb fcpleunig mieber lo8zumerben. 5>efjpalb lief? er
gleicp naep Xifch 6ruft zu fiep bitten.
„68 pat Spneit peute mieber fepr gut gefepmeeft," begann er ba8
©cfprtid) mit fauerfiifjer Wiene.
„©fjfreubige SRacpbam ntatpen Appetit," entgegnete 6mft fcplicpt.
S)er Oberarzt fap ipm lange traurig in'8 ©efiept. „Sie paben am
Sonntag zmei Wal gifcp genommen, geftern bie Spargelfcpüffel berpeert
unb peute felbft ben IReft ber $alb8feule niept gefepont. Qn golge
biefe8 böfen 53eifpiele8 merben meine anberen Patienten rcbeüifd). Sie
bedangen immer bringenber SRation8erpöpungen. Unb mie foH icp ba8
bei einem <|kufion8preife bon zwanzig Warf fünfzig Pfennig täglich bor
meinen 6rbcn berantmorten? $>a8 ift e8 inbefj niept allein, ma8 mir
Sorge rnaept. 3cp rutnire miep mit ©oKuft materiell für meine lieben
©äfte, boep id) fann niept zufepen, mie fie fid) förperlicp rntniren. Unb
bie8 gefepiept jept. $)er Sport gept rapib zuriief. Baratt finb Sie unb
nur Sie fcpulb. Sogar ben grieben meiner gantilie paben Sie bergiftet.
©iffeit Sie, bafj, bon 3pnen betpört, meine 6mmi nid)t ntepr panteln
mtb am Darren turnen mill, ,£>err 5lffeffor?"
„©a8 glauben Sie, bafj icp tpun foH?" fragte 6rnft ergriffen.
„Steifen Sie unberzüglicp, reifen Sie nod) in biefer Stunbe ab!"
rief bei Oberarzt, pingeriffeit bon bem fepönen ©ebanfen. „Wein
^utfeper pat fdjoit angefpannt. Sie aptten niept, melcpen ®ienft Sie
bamit ber ©iffenfepaft ermeifen."
„Sein 3)ienft opne ©egenbienft!" antroortete ©ruft. „5Bcrä
bieten Sie?"
„6in reblicper, nur feinen Stubien lebenber Wann, mie icp, ber=
fcpmäpt e8 bornepm, 5lnberen materielle 5$ortpeiIe zu berfepaffen ,* er=
miberte ber 5lrzt.
„So bleibe icp," erllärte ©ruft entfepieben.
„9licpt boep — ba8 um 5We8 in ber ©eit niept!" jammerte ber
53efiper be8 ©rften Steutfdjen liefern s unb Sanb=6ur=Orte8 zum
$unrigen Wann. „kennen Sie mir 3P*e ©ebingungen. ©a8 bei;
langen Sie?"
„$)ie £>anb 3P^ Xocpter ©ntmi!" fagte ©rnft.
3>er 6pef barg fein ©efiept in beibe ^änbe. „3(p pnbe ba8 tob
fepr gern," ftöpnte er bann.
„3cp audp," beftätigte ber ?lffeffor.
„Sie ift ber einzige Xroft meine8 ?Uter8," fupr ber ©igentpümer
be§ hungrigen 3Ranne8 befüntmert fort. „3cp biete 3puen etroaS
?lnbere8. ©erben Sie mein Sociu8! willen neuanlommenben ©äfien
ftefle icp Sie a!8 bei mir gepeilten 9Rageitfranfen unb ^ßarabeeffer bor
— aber laffen Sie mir meine ©ntmi!"
©ruft jeboep blieb unerfcpütterlicp. Selbft ba8 Ocrlodenbe
erbieten lebcn8länglicper $enfioit an einem Siebentifcpc, mit 2(u8napmc
ber oier Satfonmonate im 3upr, lepnte er ftarr ab. 2lm ©nbe mupte
6mmi8 Sßater naepgebett.
„3n einer |>inficpt barf icp mir gratuliren," fagte ber ©pejarzt
am 5lbenb be8 Xage8 zu fid), an bem ba8 junge $aar ben hungrigen
3)lann auf immer oerlaffeit patte. „Seitbem fie feinem Sport mepr
pulbigte, ap fie mir z« öiel. Unb fie fonnte icp boep niept gut au3
bem &aufe metfett. ?Ufo bin 4cp meinem Sd)miegerfopne im ©runbe
noep zu $anf oerpflicptet. 9htn mag er fie ernäpren."
^5)er ©eleprte berftummte unb überliefe fiep auf feinem Soppa abs
grunbtiefeu toiffenfcpaftlidjen ©ebaufeti. (Timon b. 3-
Don kn großen berliner 5ommcr - InnftanoftcUnngen.
ui.
bereits im erften Slrtifel ftellte icp feft, bajj ba8 allgemeine Dfiüeau
ber ,,©r. 53. Ä." in biefem 3&pre beffer ift, al8 bie lepten ®tale unb
bap namentlich maneper ber Sonberau8ftelluugen auep ber beffere ©e-
fammteinbruef zu banfen ift. $>a fomntt bor 5lHem bie unfere8 $rofeffor8
unb afabemifd)en 2eprer8 ©ugen 53rad)t in Setracpt. 5)er nimmer
raftenbe Zünftler ift einer ber inbibibuellften 53erliuer ßanbfcpafter älterer
©eneration unb nimmt ztuifd)en beit SBertretern biefer, mit iprer auf ba8
„$ittore8fe" unb „IRomantifcpe" au8gepenben 9lid)tung unb bem oft etma$
troelenen unb nü^ternen 9?aturali8mu8 ber Sungen unb Süngften eine
bermittelnbe Stellung ein. 53om rein $)ecoratiben in ber Öanbfd)aft gept
er au8 unb ba8 2)ecoratibe ift audj ber ©nbzmecf feiner IRalerci. ©in
immer Sucpenber unb Strcbenber, erftarrt er babei nie in einer Sanier
unb ba8 $ecoratibc in feiner 5Ralerei ift niept ba8 ber Stiliftcn, ettoa
im Sinne eine8 ©alter fieiftifom, ober aber eine8 Submig öon $>ofi-
mann. ^5)enn er bleibt ftet8 S^ealift unb fud)t ftet8 aitcp im ©inzelnen
ba8 ©parafteriftifepe zu mapren, im Uebrigeu aber ba8 ©anze auf ftarfc
©egenfäpe ber garben unb oon Sid)t unb Scpatten piuau8zuarbeitcn.
9fie mieberpolt er fid) in feinen s 3Rottoen, objepon er fie zumeift immer
mieber au8 ber Siineburger ^aibe ober au8 ber Warf fiep polt. Unb
mag man and» mitunter mit ber ©apl be8 einzelnen 92aturau8fcpuitteö
niept übereinftintmen, ben er pur et simple, in ber SRegel opne irgenb
melcpe Staffage miebergiebt — immer mirb man perau8füplen, mie ber
Mnftler jebe8 Wal feüt 5l0e8 pineinlcgt beim Schaffen, im ©egenfafc
Zum }eelenlo8 fabrizirenben Arbeiter.
9iicpt minber bead)ten8mertp ift bie Sonberau8fteHung be8 un¬
geheuer bielfeitigen §ugo SSogel. $iefe feine 53ieljeitigfeit ift mirfliep
erftaunlid). 3m Vergleich zu ipm erfepeint 53racpt gerabezu einförmig.
Wit feinen Wotioen bemegt er fiep halb im £>iftorifdjen, halb im 5lHtag$=
leben, pier im rein Sigiirlicpen, bort im Sanbfcpaftlicpen; unb er giebt
fiep ebettfo gut al8 garbenimpreffionift, mie al8 ftrenger 3 e ^ ner un ^
bie Spracpe eine8 abgeflärten 9teali8mu8 ftept ipm niept minber zu ©<=
Digitized by
Google
Nr. 25.
Die ftegettmari
399
böte, aI3 bie ftrenger Monumentalität, ©crabe biefe feine 30—40,
tum Xf)eü fd)on ältere unb mieberholt gejetjene Silber unb ©tubien
bietenbe 3luSftelIung bemeift baS. Unter Slnberen führt fie feine großen
©anbgemälbe für baS Merfeburger ©tän behaus öor, bie, gan$ abgesehen
üoit ber gefchmad? unb öerftänbiiißöollen Herridjtung beS ganzen ©aaleS,
einen feljr guten ©inbrud mactien. ©ie behanbeln öomehmlid) ©pifoben
auS bem Seben Heinrid) beS gintlerS, nachmals Heinrid) I., unb Otto
beS ©roßen, in berfelben 31 rt etma, mie Hermann $rell feilte. SBanb?
gemälbe für ben $010330 ©afarelli in Wom: in einer 3luSbrudSmeifc,
bie ben älteren ©til ber ©iftorie unferem blutigen ©mpfinben näher ju
bringen metß, unb babei in einem (Kolorit öon fcböiter moblabgemogener
§iube unb öoritehmer ©djlidjtljeit... 3n ben übrigen Silbern, Sanb?
f(b«ften unb gigurett, grauen?, ftinber? unb Männerbilbniffen, ilirthen?
interieuren unb SoIfSfcenen auS bem ©üben geigen ficb unberfennbar
bie ©puren feiner ©tubienaufentbalte in $ariS unb Wom, aber feine
Snbibibualität hat ftd) baburd) nie untcrbrücfen laffen.
©anj anberS geartet finb bie neulich fcßon fur$ ermähnten SBanb?
gemälbe £ubmig Xettntann’S für baS WathhauS in 3Utona. tiefem
luftigen ©pringinSjelb, ber als £anbfd)after unb ©enremaler in ^uttbevt
Sätteln unb — Manieren 3 U Haufe ift, einmal als Monumeutalnialev
ju begegnen, iß gemiß intereffant. Um fo iuteveffanter, als er feine
Sache recht gut gemacht hat. freilich ben großen monumentalen gug
öermiffen mir. 3lber obfcpon er ihm fehlt, bat er feine Motibe hoch
gejcbidt gewählt. ©8 finb hier realiftifche ©enrefcenen auS ber Ser*
gangenbeit 3UtonaS. gunädjft bie Aufnahme bon boflänbifchen ©laubenS?
genoffen, bie, int 17. 3abrl)unbert, 31 t ©d)iff herüber gefommeit finb —
ein gvüblingSbilb mit mariner, grauer Suft unb luftigen Xönen in ben
bunten Xracpten ber Menfchen am SSaffer unb ber Käufer im hinter-
grunbe. X)änn bie @inäfd)erung 3lltonaS bttrd) bie ©djmeben im 3aljrc
1713 — ein SSinterbÜb, flammenbe Soben, rotb bestrahlter Waud), bie
9tod)t burchleuchtenb, auf ben ©d)nee, baS SBaffer 6 lutige Wefleje merfenb;
flücbtenbe Menfchen gu Sanbe unb ju SBaffer. 3lu8 bem 19. 3abrbunbert
bie beiben le|ten ©emälbe — Oberpräfibent öon Slüdjer=3lltona begegnet
einem gugc ber Don Xaüouft auS Hamburg Sertriebenen, bie 3lltona
aufnimmt; toieberum ein SBinterbilb, mit ©turmeSmütben unb groft*
jatnmer; auch h^* ein Sorberrfdjen rotber unb meißer Xöne unb als
Sinbeglieber graue Nuancen, rote bort mehr triofette. Unb bann ber
23. Xecember 1863 — baS ©nbe ber bäntfdjen Herrfcpaft unb ber ©in»
jug ber SunbeStruppen: bie Menfchen auf ben flaggengefchuiücften
Xädjern, oom 3lbenbfonnenfd)ein golbig umfloffen, bantitter bie genfter,’
bie SalconS, alle öon 3ubelnbett gefüllt unb „in gleichem Schritt unb
Xritt" burch bie engen ©traßen bie Xruppen marfchirenb. Mettmann
bat feine Aufgabe öor 3lflem coloriftifcb gut gelöft, bie Silber harmoniren
miteinanber, benn bie ©ontrafte finb fepr mobl abgemogen. Wur fo
gelang eS ihm, trop 3Weni einen palbmegS monumentalen ©inbrud $u
erzielen. 3lad) baS Stumpfe ber $ur Sermenbung gefomntenen ©afein?
färben bat hierzu beigetragert.
3luf bie ©onberauSfteffungen ber 3luSlänber, bie id) im erften
5lrtifel alle fchon fui ‘3 gtt tenn^eichnen fudjte, aurücfyufommen, Hegt fein
?lnlaß oor. 9?ur ein paar 3Borte über bie ©chmeben finb am ijMape.
33enn man tuifl, bilbet ipre SluSfieflung eigentlich ben 8 clon Ä beS ganzen
großen Sa^arS am Sebrter Sahnpof. 3lHerbingS fehlen einige febr
namhafte Maler, mie 5 . S. gorn, bem mir aber fepon auf ber ©eceffiott
begegneten, mie SiljeforS, ber unvergleichliche Seobadjter beS Xb^c^benS,
mie Osfar Sjörcf, ber brillante Silbnißmaler, ober Sarffen, ber gemütb 5
Dolle ©djilberer ber gamilienibpHen, unb 3lnbere noch. 3lber gerabe
biefe fünftler finb tneiftenS inbioibualiftifch fo ftarf ausgeprägte Naturen,
baß fie bei einer Seurtbeilung beS nationalen ©efammtcbarafterS ber
Walerer ©chmebenS nicht mefeittlicb in Setrad)t fontmen. Unb anberer=
feitS begegnen mir bafür neben altbefannten tarnen einer SReibe öon
jüngeren Zünftlern, mie Änut Sorg, ©ottfricb .tallfteniuS, ©merif
Stenberg, 2BUb. ©mitb, $elle ©ueblunb u. 31., bie mit einigen
unter ben kelteren, 5 . S. 3(nfarcrona ober 3lrborelittS, febr mobl
eine Sorfteflung baüon geben, mie bie©tnfliiffe öon5)üffelborf unb München,
fpater aber öoruebmlid) öon SariS, nicht mehr unüermittelt 31 t Xage treten.
Xle empfangene 3luregung ift umgemertbet morben unb bie einmal er*
morbene feine Xecbnif bat man in ben X)ienft einer föunft geftellt, bie
bem ©mpfinben beS SolfeS ihrem innerften 3Sefen nach burcbauS öer=
ftänblich tft. grembe merben fchmerlid) je fo ben SReij einer fpecififcb
febmebifeben Sanbfd)aft miebergeben fbnnen, mie 3 . S. ^lallftentuS ober
©chulpberg in ihren bacbfommerlicben unb tiefrointerlicben Motiöen, ober
bie Sauerntppen unb SolfSfcenen, 3 umeift auS 2)alefarlien, mie 3*>ar
Upberg ober ©tenberg. X)aS ©infache, Schlichte in ber 3luffaffung
unb 39tebergabe, fo 3 ufagen ohne trgenb roelcbe ©chminfe einer ©ebanfen^
arbeit — baS ift’S, maS biefe 3üngeren öon ben 3lelteren öor 3lllem
unterfcheibet, obfehon auch unter bcu 3lrbeiten biefer 3leltereu Silber
öon pacfenbfter ©irfung öorbanbeu ftnb, mie 3 . S. Slnfarcrona'S:
„Xie ©vften im Sanbe". ©ine fternflare ©pätfommernacht, fein 28ölfd)en
am Fimmel; fdjarf bebt ftch bie fchlicbte Sogenlinie einer tiefbunflen
flachen SSalbinfel, mie fie in ben ©färett öorfommen, öon bem leuebtenb
grüngelben §ori 3 ont ab, ber roeiter hinauf in baS Stahlblau beS
^immelSgemölbeS übergebt; burdrS bttnfle SSaffer öor ber 3 n fel gleiten
lautlos ^mei 2 Bifingerfd)iffe, ©ilberftreifen in ber faft glatten Sfutb
binterlaßenb. X)iefe ©iufamfeit einer jungfräulich unberührten SRatur,
in ber auch bie Xbiermelt in nächtlicher ©tiHe uufichtbar geroorben unb
öerftummt ift, mirft mabrbaft feierlich, unb mie einfach bie Mittel, mit
benen ber ftünftler eine foldje 3Birfung erhielt! X)aS öermögen nur bie
©roßen ...
Unb hiermit fdjlicße ich biefe fursen Setradjtungen über unfere
©ommerauSfteüungen ab. 3« bem engen Nahmen, ber mir hier g*=
3 ogen ift, Faun ich nicht gut noch wehr auf ©i^elneS eingeben, obfehon
fo 3 iemlicl) boeb in allen Sälen baS ©ine unb 3lnbere beröor 3 ubebeu
märe unb namentlich auch auf bem ©ebiete ber Sfleinplaftif ©rfreulicheS
geleiftet morben. 3lber Warnen unb Xitel nennen — ID 03 U ift benn
ber iiatalog ba? Sapienti sat. 3- Xlorben.
Offene Briefe unb Jlntworten.
$ann^ ßctemlii unb bic ^raucnbctocguitg.
©ehr geehrter ^err!
3n bem leibet öerfpätct in meine ^)änbe gefomntenen 3lrtifel
„3luS Jannp Semalb'S Xagebucb" beißt eS: „Sogar als Sorfämpferin
ber Srauenrecbte mirb bie befonnene, nüchterne, logifdje Sorfämpferin
ber ©mancipation 3 ur — 3lrbeit öon ben unbanfbareit grauen?
rechtlerinuen 3 unt alten ©ijen gemorfen u. f. m." X)ieS ift nid)t
richtig. 3 d) lebe unb arbeite feit 3 ebn Sahren in ber beutfcheit grauen?
bemegung, bie grauenred)tlerinnen aller Wichtungen unb ©djattirungen
finb mir genau befannt, aber id) habe gönnt) Semalb’S Warnen, mo er
genannt mürbe, nie anberS als in Xanfbarfeit unb ©brfurcht nennen
hören. ©S ift ridjtig, baß unfere fchnelllebige geit fchnell öergißt —
baS gedieht aber aud) mit anberen ©roßen unb ift fidjerlid) nicht gleich?
bebeutenb mit „ 3 um alten ©ifen merfen". 2Bie meitig biefe 3lnnobme
hier 3 utriß‘t, bemeift u. 31. ber Umftanb, l>aß mir 3 ur'©infübrnng beS
im 3lpril ö. 3- gegrünbeten DrganeS beS „SunbeS beutßher grauen?
öereine", ber beute in feinen 123 ©in 3 elöeretnen fomobl „gemäßigter"
mie „rabicaler" Wichtung bie beutfdje bürgerliche grauenbemegung
repräfentirt, nichts SeffereS 3 U ftnben mußten, mie — gannt) üemalb'S
„Ofterbriefe", gunt ©d)luß geftatten ©ie mir, febr geehrter £>err. bie
Seinerfung — bie ficb wir ebenfalls auS meiner genauen äeuntniß ber
beutfeben grauenbemegung unb ihrer Sertretertnnen aüfbrängt —, baß
aud) bie rabicalfteu uuter uufereu heutigen graueitrecbtlcriunen uid)tS
aubereS gemollt haben unb moHen als — in Uebereiuftintmuug mit
ganitt) Semalb, unb mie fie eS u. 31. tu ihrem einbrucfSöollen 3lrtifcl
über baS grauenftimmreebt auSfpricbt, — bie „©mancipation 3 ur —
3lrbeit" auf allen liebenSgebieten.
Mit bem 3luSbrucf öor 3 Üglidjer Hochachtung
ergebenft
XreSben. HTartc Stritt.
--
^otijen.
^laubereten über baS neue Wecbt. Son 3lbolf 2obe.
( 2 eip 3 ig, g. SB. ©runom.) ©pftematifche Xarfteflungen beS DiecbtSftoffeS
finb, auch menn fie noch fo Har gefdjrieben fmb, immerhin für ben,
ber nicht jurtftifd) 3 U benfeu gefcbult ift, febmer öerftänblidj unb leicht
ermübeub. 3)iefe SHiubereien per 3 ichten beßbalb auf eine fpftentatifd)e
Xarftelluug beS gefammten WecbtSftoffeS, bagegen bebanbeln fic in an?
regenber ©efpräcbSfornt, anfuüpfeub an Sorfommniffe beS täglichen
SebenS, mie fie mobl öon Männern gelegentlich an ihrem ©tammHfd)
befproebeu merben, bie midjtigften unb praftifebften ©ebiete beS neuen
WedjteS. Xer Kaufmann, ber 3lpotbefer, ber ?lrjt, ber $aftor fragen,
unb ber 3lmtSricbter antmortet unb erflärt uuter fortmäbvenber Se 3 ug?
nähme auf Seifpiele. wirb auch SBertb barauf gelegt, bie fociale,
fittlidje unb mirtbfdjaftlidpe Sebeutung einer gefeplidjen Seftimmung
beröor 3 ubeben unb fo bie ©efepeSöorfdjrift nicht a!S miUfiirlidpe gorutel?
öorf^hrtft, fonbern als notbmenbigeS ©ebot beS SebeitS unb SerfeljrS
öerftänbli^ 3 U machen. ©S ift ein mahreS SolfSbuch, baS mir in recht
öielen Hänbeu miffen möchten.
Digitized by
Google
400
Nr. 25.
ie ©egenrourt
Jtngeigen.
Bei BelfeOungen beruhe man fWj auf bfe
Aus dem Nachlass e. bekannten Schrift¬
stellers sind zu Gunsten der Hinterbliebenen
folg. Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden¬
preises in schönen, geb. Ex. zu verkaufen:
Brockhaus' Conversationslexikon. Neueste
(14.) Auflage mit Supplement. K7 Bände
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬
gabe 30 M. — Hch. Kurz: Geschichte der
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. v.
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild-
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder-
bde. 50 M. — Lacroix, Les arts au Moyen-
Age; Directoire Consulat Empire, 2 Lieb-
hbde. 30 M. — Henne am Rnyn: Kultur¬
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde.
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl.
Toxt m. deutsch. Erklärungen v. Delius,
Hfb. 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel
(Pfeilstückerl Lwbd. 10 M. r- Bestellungen
pr. Nachnahme durch Vermittlung der
Expedition der „Gegenwart“ in
Berlin W. 57.
„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheitsersoheinnngen«
Seit 14 Jahren erprobt. Mit natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwertigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
Über Anwendung und Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von */ 4 I 75 Pf. in
der Apoth. u. Mineralwasserbandl. Bendorf (Rhein). Dr. Carbaeh & Cie.
Qn W* Verlag in tPeimar erfdjien f oeben:
Die Cefyrett (Totftois. 6in ©ebanfen^Iudjug äu3 allen feinen Serien.
8Son Dr. SB. Sobe. 8°. 189 ©eiten. STOit gtoei ©übern. 2 SD?!., ge*
6unben 2 90?f. 70 $ßfg.
„3mecf biefeö 93uche$ ift, Dolftoi al§ 3Bobrbeit8fu(hcr unb fie^rcr Dollftänbig nnb
richtig ju zeigen; ich labe bic Sefer ein, mit mir alle feine SBerfe tu ber Reihenfolge ju be*
trachten, roie fte entftanben finb. Dann merben mir ihn hör unjeren Äugen empormachfen
fehen, feine erfte Änlage, feine fpätete Gntroicfelung, feine ferneren inneren Kämpfe mitlebcnb.
GS lohnt fid) ba§, ebeufo mie e$ ftch lohnt, ©oetheS Sauft ju lefen, ift bod) Dolftoi ein Sauft
höheren Ranges als ber ©oethefche. Der dichter Dolftoi mirb uns Rebenfache fein; mir
fönnen feine Dichtungen Diel höher fchäpen als er felbft eS heute tljut, aber Diel höher all
feine poetifche Jhinft erfcheint uns bod) feine nach bem göttlichen Sichte ftrebenbe Seele unb
fein geroaltigeS ©rebigeramt."
Königliches Bad Oeynhausen.
u * ^ilbeShetm. ©ommerfaifonD.15.9Xat
btS Gnbe ©ept. SBinterfur Dom 1. Oft. bis Rtttte RJat. Jhirmtttfl: Raturm. fohlenf. Dhermalbäber,
©oolbeiber, ©ooLSnhalotorium, SBeüenbäber, ©rabirluft, Rtebicomechan. Sanbcrinftitut, Röntgen^
fammer, Dor$ügl. Rfolfen* n. Rttldjfuranftalt. Rcueö Dbermalftabebaud am 15.9Rflrt190© eröffnet.
gnMfatlonnr: Grfranfungen ber RerDen, beS ©ehirnS u. RücfenntarfS, ©icht, SRuSfeU u. ©elenls
rheumatiSmuS, .fterzfrantljetten, ©frophulofe, Änämie, chron. ©elenfentgünbungen, grauenfranflj. x.
Äurfapefle: 42 Mlttflttr, 120 borgen Äurparf, eigtned jhtrttjrater, S3äHc, #on$erte. Äflgemeine
SBafferleit. u. ©chmemmfanaltfation. ©rofp. u. ©efdjreibung überf. frei bie jtgl. ©abrberrottlfnni.
$unbert Original * ®u tagten
Jff 1 j* 4 M am JL b. grfUTtb u. fretnb: ©jörnfon
WI % Hl 0 £ m ©ranbe« ©flauer drispi SDa^it
CT * ^ w w v w Staubet ©gibt) ftontane Orotb
, $aetfel fiartraann £ebfe 3 or*
tm ban Stibling ßeoitcatwtto Sin*
bau ßombrofo IPIefgtfdicrÖti
1 fttgra Vorbau catntec fetten«
fofer ©altflburt) ©ienttewlcj
©tmon Spencer epteltjaflen
©tanlep ©toeder ©trtnbberg
fflRCl Suttner SBUbenbrug ferner
Sola u. b. tt.
«leg. gef). 2 2Rf. t»om Otvlag btr SigitmMiri,
©erlin W. 67.
Verlag Dort Jtofjibfrg&l!rrger in iripjig.
©oeben erfchten:
$zx Sd|uh
ber Tratten unb Hinter
gegen
B)itll|aublxuu\en.
Ruf ©ritnb
amerifanifcher u. curopäifdjer Rtotertalien erörtert
bon
Dr. Statt W&alätt,
^ribötboACUten bet ©taatSiniff. an ber Ititib. SeibAifl,
orbentl. SWitglieb ber 3nternationalen ©ereinigung für
uerglel(tenbe Wetbt^miff. unb ©oUSmtrtbfrtjaftSlebre iu
©erlin unb ber American Aoademy of Political and
Sooial Science.
$rri£ 4 Rtart.
Der ^erfaffer hot Don 11 $inberfchup=Rer=
einen u. f. m. in Rem ?)orf, SBofton, Sonbon,
$ariS, SBerlin, ReusebUp, SBien intereffante
Rtaterialien befommen. Gr behanbelt auch bie
grage beS GinfdjrettenS ber $auSgenoffen gegen
begonnene Rlifchunblungen.
SSeriag bon SÖil^dm in ©crlin.
©oeben erfchien:
^eorg von ^Sunfen.
Gin Gharafterbilb aus bem fiager ber
^Beftegten, gezeichnet Don feiner Dochter
Parte »an gltmfeit.
22 Sogen OftaD.
Rlit Suchfdjinucf Don Rfarie Don Sunfen
unb einem Porträt in ^eliograDüre.
©eheftet 6 R 2 . ©ebunben 7 9 R.
©erant»Dorni(f)fc Stebncirur: l>r. Xbcob^il flolllng In ©erlln.
Bad Reinerz,
klimatiacher 9 waldreicher H5hen-Karort — 568 Meter — in einem
schönen u. geschützten Thale der Grafschaft Glatz, mit kohlensäurerefehen Eisen-Trink-
u. Bade-Quellen, Mineral-. Moor-, Donche- u. Dampf-Bädern, Kaltwasser-Procednren,
ferner eine vorzügliche Molken-, Milch- u. Kefjr-Knr-Anstalt. Hoehquellenleitog.
Angezeigt bei Krankheiten der Nerven, der Athmnngs- u. Verdaunngsorgane, zur Ver¬
besserung der Ernährung u. der Constitution, Beseitigung rheumatisch-gichtischer
Leiden u. der Folgen entzündl. Ausschwitzungen. Eröffnung Anfang Mai. Prosp. gratis.
gn unferem Setlag ift erfchienen:
pie (ßcgcmunrt.
fB^ruianfi «8: L'Jirrn!«. Jhmfl #rt «Iknrtl^*
ifHeril* flffipft 1872 —1896.
Grfter bid fünfzigfter Sanb.
m\ Rachtrftgen 1897—99. ©eh- 5 Jf
Gin btbliographifchcö Setf erften
Ranges übet baS gefammte öffentliche,
aeiftige unb fünftlerifche öeben bet lepten
25 gahte. RothmenbigeS Rachfchlagebuch
für bie Sefet bet „©egenmatt", foroie
füt miffenfchaftliche ic. Ätbeiten. lieber
10,000 Ättifel, nach Sächcrn, Serfaffern,
©chlagtpöttern georbnet. Die Äutoren
pfeubonhmer unb anonpmet Ärtifel ftnb
burchroeg genannt. Unentbehrlich füt
jebe Sibliothel.
Äuch bireft gegen ^oftanmeifung ober
Raihnahme Dom
©erlag ber (Rcgeitaari.
»rtUn W 57.
Stottern
heilen dauernd Dir. O. Denkardt’e
Anstalten Dresden -Dosohwltz und
Burgstelnfurt, WestL Herrliohe Lage.
Honor. naeh Heilg. Prospecte gratis,
▲eiteste stastl. durch S. M. Kaiser
Wilhelm I auagezeichn. Amt. DeutschL
$t$natiks fladifelirt.
Sloman
Don
^eop^tC ^oCCtng.
BW* 09tf#aM»gat>e. 'WB
^teiÖ 3 R?atf. ©chön gebunben 4 Rlarf.
Diefet 93iömatcf=GaptiDi=Roman, ber in *
menigen Suhlen fünf ftarte Äuflagen erlebt,
erfcheint hier in einet um bie §ülfte billigeren
93olf&au$gabe.
Durch alle 93u<bhanblungen ober gegen Gin*
fenbung be$ Betrags poftfreie 8 u f en öung Dom
Oerlag der Gegenwart,
SSerün W. 57.
mrbaction tirtb tfjpiMtlon: ©erlln W., Wanftelnitrate 7
Tnid ton veffe A t>edrt tn veip:*®*
Digitized by
Google
M 26 .
33 er Cirr, bert 80 . gwti 1900 .
29. Jahrgang.
Band 57.
Pie #ejei mmt
SBochenfchrift für Siteratar, Shinft trab öffentliches geben.
£erau*gege&ett toott 'peopöif £offhtg.
»•
leben Snaubenb erfdjetnt eine gramer.
gu btjlt^tn bttn$ alle BwftatiMuntai unb ^oftärater.
SS erlag b« (Segensurrt in Berlin W, 57.
glerWmrlUl 4 ff. 50 Jf. ftne gnnmer 50 |f.
Snferate Jeher «rt pro 3 gehaltene $ettt*ei(e 80 $f.
$)eutfd)lanb8 fünftige ©anbefö^olitrf. ©on ßurt ©aul 9fto!jr. — $alte§ 2id)t. ©ott 31*9*™«** ©uftaö $. Saft. —
C ft Biletatttt unb Ättttft. £>ie auSIänbifdjen Zünftler auf ber $8eltau$ftellutig. ©on 91. ©ruitnentann ($ari3). -p (Sin eng*
I/tlDdLI * lifeber Srilifct ®otte9. ©on SRarcuö £anbau. — ®ht fat^olifc^cr ®rj(i§Ier. ©on Martin ©reif. — fteutlleton. Cum
C- -f*** • infamia. ©on (Sugett ftoramann. — fcttö bet $ttttj)tftabt. $)le rotlje &auft. ©on Caliban. — 5)ramatijrf)c 9(uf=
füfjntngeit. — Offene ©riefe unb Slniroorten: 3ur $ienftbotenfrage. ©on Älara Seemann. — Zotigen. — Sinnigen.
Dentfthlanbs künftige IfattiielBpoUfih.
Bon Kurt panl OTotfr.
Näher unb näher rücft ber Termin beS Ablaufs ber
fianbetSOerträge, unb wenn unS auch nodj eine geraume
Spanne 3 e it Uom 31 - ®ecem6er 1903 trennt, fo tjerrfept
both fc^on jeftt überall eine fieberhafte Dljätigfeit unb ein
regfameS Sntereffe für bie jufünftige ©eftaltung ber beutfehen
fcanbetSpolitif, Wie eS fo aQgemein im ©olle ber dichter
unb Denier bisher noch nirgenbö $u Dage getreten. Die
©iSmarcffche NeqJpoUtil trägt ihre grüdjte unb mohloor6e=
reitet, foweit eS nur irgenb möglich gewefen, wirb Deutfeh 5
tanb bieSmat an bie Neuregelung feiner $anbelsbejiehungen
jum SfuSlanb treten. 3War ift noch ein fef)r großer, wenn
nicht ber gröfjte SC heil ber Arbeit erft ju leiften, — bisher
fteljt man nod} mitten in ber ©erathung übet bie £>öl)e bet
gotlfäfte — ja, man ift fich noch nicht einmal barüber jur
ooHfommenen Ätarheit gelangt, welchem Dariffftftem man ben
©orjug geben fott — ob Weift* gtir Winbefttarif, ob auto*
nomer ®enerat= unb ©ertragStarif, ob 9lbfd)affung bej. be*
fchränltere ?lnwenbung ber WeiftbegiinftigungSclaufel, ob
SBerttj* ober fpecififche 3ööe. Schon feit brei Saljren werben
bie ©orarbeiten regierungSfeitig auf baS (Sifrigfte betrieben,
ba bie neuen ©ertrage feine „blofje 3lbfchrift “ ber alten
Werben foHten. 3 uer ft h at ntan fämmtlid)e mit bem Deutfdjen
Seich abgefchloffenen fpanbetS* unb SdhifffaljrtSOetträge oer*
öffentlicht. Dann Würbe in 24 $eften ber §anbet Deutfch 5
lanbs mit bem SluSlanb Oon 1880—1896 jur DarfteQung
gebracht, bie 3oQtarife aller Sänber nach beftimmten SBaaren*
gruppen jufammengefteKt unb fchliefelidh im SSahte 1897 eine
eingehenbe mühfame ©robuctionSftatiftif aufgenommen, beten
^wuptergebniffe jeftt oorliegen. Droftbem ein PoHfommeneS
©ilb noch nicht gegeben ift — einige Snbuftrien, barunter
bie eleftrotechnifche, SbetinetaU«, 8eberwaaren*3nbuftrie fehlen
noch, auef) finb mandhe Angaben augenfcheinli^ ju niebrig —,
fo ergiebt fich baS intereffante gactum, bafe bie ©ütererjeuguitg
DeutfchlanbS gegen 9 Vs SNiKiarben an SBerth fich beziffert,
eine ftafyt, bie im ©ergleich mit ber @in= unb SuSfuhrftatiftif
aufs ®eutlidhfte jeigt, weldh’ eine h 0 ^ ©ebeutung ber
innere Warft für S)eutf^lanb felbft gewonnen hat, eine %f)at=
fache, bie ein jeber ^anbelSpolitifer auf baS @rnftf|aftefte
wirb ju wütbigen wiffen. ülufter ben erwähnten ©orarbeiten
brachte noih ber Anfang biefeS SahreS ben nach mancherlei
©orentwürfen enblich fertiggefteßten „Entwurf einer neuen
3lnorbnung beS beutfehen 3oKtarifS". SSelcfje S^wierigfeiten
hier ju überwinbeu waren, ergiebt fchon ein einfacher ©er*
gleich ber SBaareitgruppen beS alten unb beS neuen Schemas.
Sßährenb baS jur 3 e it giftige 3°ötariffchema 43 Ipaupt*
nummern mit 340 Untergruppen aufweift, wirb baS neue
mit ben Sbftufungen ber etnjeliten UBaarengtuppen 1365
Nummern enthalten, wenn nicht bei ber enbgiltigen Sbfaffung
noch einige Senberungeit gemacht Werben, ferner aber ent*
hält ber neue ©ntwurf jum erften Wal eine fpftematifche,
Wiffenfchaftlich bearbeitete Snorbnung beS Stoffes, wobei
man nach bem ®runbfa{j oerfuhr, juerft bie Nohftoffe einer
Snbuftrie, bann bie ,'palbfabrifate unb jule^t bie ®aitj=
fabrifate barjufteflen. ®anj natürlich Wenbet fidj nunmehr,
nachbem bie fjrage beS SCariffcfjemaS mit ben betheiligten
Greifen bon Snbuftrie, ßanbwirthf^aft unb §anbel erörtert
Worben ift, bie §auptaufmerffamfeit ber Sntereffenten bett
3oQfrögen im engeren Sinne, ber £>öl)e ber 3oflfähe unb
ber 9lrt unb SBeife beS 3°Qf c h u ^ e3 ju. SBie fchon oben
heroorgefjoben, wirb barüber noch eifrig bebattirt, ob man
ju einem Doppeltarif übergehen ober bei bem autonomen
Darif berbleiben foU. ferner, ob man fpecififche 3öüe be*
halten ober ®ewi<htSjöHe einftihren foU. Die Slnfichten hier 5
über fcheinen noch nicht genügenb geflärt ju fein. ®S ift
baher ganj nulltet), einmal sine ira ac studio baS gilt unb
Sßiber ju beleuchten.
Sntangenb bie grage beS Weift» unb WinbefttarifS, fo
laffen fich hier geWiffe ©orjüge nicht beftreiten. Der Weifttarif,
ber bie hödjften 3oÖf ä h e enthält, finbet auf alle Nichtoertrag*
ftaaten, ber Winbefttarif mit ben geringftbemeffenen (Sähen
auf alle ©ertragSftaaten Slnwenbung. Der ^auptoorjug eines
Doppeltarifs befteht aber barin, ba§ ber betreffenbe gabrifant
ftetS nach feften 3°Hfähen rechnen fann. @r ift gefiebert
gegen plöfcliche Senberungen, wie fie beim Neuabfchtufi oon
|>anbelSüerträgen möglich finb, unb ein beftimmter Schuft ift
iftm auf alle gälte gewährleist, gerner wirb eine Negie*
rung bei ©ertragSüerhanblungen gan^ wefentlicft baburch
unterftüftt, ba& i|r eine fefte ©renjtinie gezogen ift, bis ju
Welcher eine (Srmäfeiguttg ber goöfäfte ftatthaft ift. ©erabe
bei parlomentarifdhen Negierungen wirb auf biefe Söeife ein
großer Stein beS ©nftofjeS befeitigt. ®egenüber biefen ©or»
jügen ftehen aber ganj erhebliche Nadjtheile- ©ei ©ufftel*
lung eines Wajimat* unb WinimaltarifeS befteht nämlich
alljulei^t bie ©efahr ber Ueberfpannung beS fchuftjöDnerifchen
©ogenS. Denn ba ber Winimaltarif bei etwaigen ©ertrag*
Digitized by v^. ooQie
1
402
Die (Gegenwart.
Nr. 26.
abfdplüffen auf bie terfcpiebenften Sänber gleicpmäfjig Stn»
wenbung finben mufj, fo wirb ganj felbftterftänbtid) ber
2Rinimattarif ftet« fo gemäht »erben, bafj er auep bem
ftärfft concurrirenben Sanbe gegenüber einen Scpup gewährt,
©iefer Umftonb aber pat leicht jur gotge, bafj ba« beireffenbe
Sanb fic^ Wirtpfcpaftticp auf etnen Sfotirjcpemet fept. Sepr
teprreicp ift in biefer £>inftcpt ba« ©eifpiel granfreiep«, bem
bie Spre ber Srfinbung biefeS ©ariffpftem« jufommt. graut»
reicp führte feinen ©oppettarif 1892 ein. ©eit Jpauptgrunb
bitbete feine Abneigung gegen JpanbefSterträge, ba an ben
©ortpeiten biefer ©eutfcptanb traft be« ipm im granffurter
grieben jugeftanbenen emigen SReiftbegünftigungSrecpt« ©peit
patte. Salb aber gerietp granfreiep mit berfdpiebenen Staaten
»ie Scpweij, Spanien, Stfltien in erbitterte 3°Hfri e 9 e > auS
benen e« fiep fcptiefjticp nur burd) Srmäfjigung feiner SRini»
mattarife retten tonnte. ©a« gleiche Scpidfat traf Spanien,
ba« fogfeicp bie franjöfifcpe 3bee aboptirt uub ju einem
©oppettariffpftem übergegangen war. Stucp Spanien muffte
unter feine ÜRinimattariffäpe peruntergepen, fo baff jept mit»
unter brei ©arife in ©eitung finb. Srwägt man nod), baß
granfreid) .unb Spanien in iptem auSlänbifcpen föanbel feine
günftigen SRefuttate aufroeifen*) — im ©ergteicp jum Sin»
warfen be« §anbel« ber übrigen Staaten ift ein relativer
SRficffcpritt unberfennbar — fo ermuntern biefe Staaten nidpt
jur SRadpfotge. Sluffer ben erwähnten pat nocp SRufftanb in
gotge be« 3°flfr* e 9 e8 mit ©eutfcptanb ju biefem Spftem ge»
griffen unb neuerbing« (1897) Norwegen; jept fcpidt fiep, »ie
foeben Oertautet, auep ©ortugat an, neben feinem jepigen
popen ©arif einen ÜRinimattarif auöjuarbeitert, auf ©runb
beffen e« £>anbet«berträge mit ©eutfcptanb, Sngtanb unb
granfreiep abjufcpUejjen gebentt.
SS erfepeint baper naep Sittern in etwa« eigentpümlicpen
Sidpte, wenn peute ton agrarifeper Seite für bie ©orjüge
eine« ©oppettarif« geftritten »irb. Sicper ift, baff bei Stuf»
ftettung eine« ©oppettarif« jeglidpe ©ertragSterpanblungen,
bie fpecialifirett unb einen beftimmten Scpup ben entwide»
tung«fäpigen 3 We '9 en t>er peimifdjen ©robuction gewäpren
foüen, fo oiel e« im allgemeinen Sntereffe erforbertiep ift,
ganj ungepeuer erfepwert, wenn niept gerabeju unmögtiep
gemaept »erben. Sollte etwa biefer SSunfcp be« ©ebanfen«
©ater fein? Sludp in Oefterreicp pat man biefe gragen fepon
eifrig bepanbett, auep pier fepeint man auf ben Sßegen eine«
©oppettariffpftem« ni(pt »anbetn ju »oQeit, wenn auep pier
»ie bort unleugbar ftarfe ©enbenjen oorpanben finb, bie auf
eine Srpöpung ber biSperigen gotlfäpe abjielen. SBie jüngft
befamtt würbe, pat man fid) in Oefterreicp jur Stufftettung
eine« pöperen allgemeinen ©arif« unb eine« gepeimen 3Rini»
mattarife« entfeptoffen, bet niept gefeptiep feftgetegt nur ben
Unterpänbtern at« dRaterial bienen foQ. Stuep in ©eutfep»
tanb foEt ber gteiepe ©erfucp gemaept »erben. 6« bteibe pier
bapingeftetlt, 1. ob niept bamit boep ein SRinimattarif unb
feine SRacptpeile jur ©ettung tommen, unb 2. ob e« niept
unmögtiep fein »irb, bie ÜRinimattariffäpe üor bem Stu«tanb
ftet« gepeim ju patten.
Sine fepematifepe Stufftettung ton 3°ßfäpen tt>äre ja
überpaupt ba« bentbar ungfinftigfte, »a« un« paffiren fönnte.
Sine etfäffifepe SSnbuftrie j. ©. »irb anbere SBünfcpe bei einem
§anbet«tertrag mit ber Scpweij ober Oefterreicp paben, at«
mit fRufftanb. ÜRit anberen SBorten, e« tommt niept fo fepr
*) granfreid)« ©efammtaufjenfjnnbel betrug:
1889: 8020 3M. grc8.
1891: 8337 „
1893: 7089 „
1897: 7554 „
1898: 7879 „
Spanien patte einen ©efammtumfab:
im Sapte 1896 Don 1403 uRitL. ißefebaS
„ 1898 Don 1417 „
„ 1899 Don 1661 „
baDon 1899: 936,5 SM. (Slnfupr unb 724,8 SM. Süuäfupr.
barauf an, btoff ju fragen, »ie poep muff. ber 3ottfcpup fein,
fonbern »ie poep muff ber godfdjup gegen bie« ober jene«
Sanb fein, ©abei »erben fiep ganj natürtiep auep Stpebungen
barüber anjufeptieffen paben, inwieweit bie Sntereffenten eine
Stenberung ber 3°flfäp e be« Slu«tanb« »ünfepen, ein SBor»
fdjtag, ber jüngft ton Seiten ber Sjportinbuftrien gemaept
würbe, unb ber, fad« niept babei ganj unbereeptigte unb un»
mögtid)e SBünfdpe taut »erben — j. ©. Slbfepaffung jegtieper
au«(änbifd)er, aber Slufred)terpattnng ber inlänbifcpen 3ott s
feprauben — ernfte Seaeptung terbient. ©ie grage be«
©ariffpftem« fann aber niept für fiep allein betraeptet »erben,
fie pängt auf’« Snnigfte mit ber SWeiftbegünftigung jufammen.
©ie Staufct ber SWeiftbegünftigung ift betannttiep eine SBet»
trag«terabrebung, burep bie fid) ein Staat terpflieptet, bem
Sertrag«ftaat jebe Segünftigung ju ©peil werben ju taffen,
bie er einem britten Staat gewäprt pat ober noep getoäpren
»irb. 3m Stilgemeinen ift peute bie Sortiebe für bie ftpema»
tifepe unb unterfepiebötofe SlnWenbung ber SReiftbegünftigung
fepr gefepwunben unb e« ftept »opt ju erwarten, bafj »ir bei
unfern neuen tpanbel«terträgen fie nur mit grofjjer Sorfitpt
jur SlnWenbung bringen. 3pre uubebingte Stbfipaffung ift jur
3eit ja niept mögtiep, ba fidp im Slrtifet 11 be« granffurter
grieben« granfreiep unb ©eutfdptanb für ewige 3eden bie
fflSeiftbegiinftigüng jugefagt paben unb fiep auep bie Weift»
begünftigung«ftaufel bei Verträgen mit aujjereuropäifcpen,
wenig entroidetten Staaten burepau« empfieptt, ba ber Slb»
feplup ton ©arifterträgen mit berartigen Staaten fiep niept
topnt, anbererfeit« ber Stbfafemarft erpatten bteibt.
Sine anbere grage ift aber bie, inwieweit Sefepränfungen
ber 3)feiftbegünftigung, wie fie fepon jept feit Saprjepnten
übtidp geWefen finb, auep fernerpin in befonbern gälten not»
genommen werben fönnen. So befepränft ber granffurtce
grieben bie SDSeiftbegünftigung pinfiepttiep terfepiebener Sänber.
9Jur wenn ©eutfcptanb Sänbern »ie Sngtanb, ©etgien, Slieber»
tanbe, ScpWeig, Oefterreicp, tRuptanb ^anbet«begünftigungen er»
tpeitt, ntüffen biefe auep granfreiep eingeräumt werben, ebenfo
umgefeprt. S« fönnte alfo ©eutfdptanb 3?eciprocität«terträge
naep Slrt ber jept ton ben ^Bereinigten Staaten beliebten mit
Spanien, Portugal, Statien, Sepweben»9?orwegen, ©ürfei, ben
©atfanftaaten unb ber Union fetbft re. abfcpliefjen, opne bafe
baburep granfreiep baran ©peit pätte.
gerner finben fiep ©urepbreepungen be« ißrincip« ber
SDJeiftbegünftigung bapin, bap in gewiffen ©ertrügen für
einjetne Slrtifet bie SReiftbegünftigung au«gefeptoffen
ober auf einjetne Slrtifet befepränft wirb. S« Würbe atfo
wopt mögtiep fein, ber fepon jept übtieperen Sinfepränfung
ber SReiftbegfinftigung eine beftimmte engere ober weitere
gaffung ju geben, um bie grofjen Scpäbigungen, bie burep
eine unterfdpieb«tofe Stnwenoung entftepen, ju terpinbern.
©eifpiet«weife fönnten auep ©orjugäjöße, Wie fie im beutfep»
öfterreiepifepen ©erfepr fepr itüpliep wären, bon ber Weift»
begünftiguug ausgenommen werben. Slucp fRuptanb gegen»
über fönnte eine berartige bifferentiette 3ottbepanbtung j. 8.
für ©etroteum jur SlnWenbung gelangen, opne bafj auf ©runb
ber SReiftbegünftigung noep anbere Staaten (Slmerifa) baran
©peil paben bürften.
SSa« nun Weiter bie grage ber ©ewidpt«» ober fpeeififepen
gölte betrifft, bie peute gleid)fatl« im ©orbergrunb ber ®i«»
cuffion ftept, fo bürfte fiep im grofjen ©anjen bie Seibepaftung
ber ©ewieptSjöHe empfepten unb nur ba, wo eS bem 3®^
entfpriept, fönnte man äpntiep wie im ©ingteptarif eine
Sombination ton ©ewiept«» unb SBertpjötten tefp. Staffel»
wertpjötle für einjetne Slrtifet aufftetten. Opne g ta 9 e
in bem ©ewiept«joflfpftem eine ropere gorm ber ©erjollung,
unb e« fommen bei fummarifeper ©epanbtung grobe Unju»
trägtiipfeiten tor, bennoep taffen fiep bie großen Sammet»
pofitioneit unfepwer fpecificiren unb fo bie meiften SRacptpeife
einer fummarifepen ©erjollung aufpeben. ©agegen paffen
bem Spftem ber SBertpjöHe gewöpntiep fepr groffe Wiffffänbe
Digitized by v^. ooQie
Nr. 26.
Hie Gegenwart.
403
an, obtt>of)[ eS nnbeftreitbar ift, baß bic Staaten, in benen
SBertßzöße erhoben Werben, (bereinigte Staaten, Velgien,
§ollanb, 3apan, in geringer Anzaßl in Sdjmeben, iRormegen,
Vrafilien, ©riedjenlanb, Italien, granfteieß) fieß babei feßr
Woßl befinben. Dodß muß bemgegenüber ßeroorgeßoben werben,
baß gerabe burdj ein SBertßzoUfpftem eine Verleitung zu $oH*
eßieanen ftattfinbet mit ben fonftjgen unangenehmen Sieben*
folgen, ber Veftrafung ju niebriger SEBertßangaben unb bem
üblen Einfluß auf bie ßofibeamtenfcßaft, ber in einigen Sänbern
ein VorfaufSredjt auf unrichtig bcclarirte SÜBaareit zufteßt.
Ue6tigenS ift oor furjent bem fReidjStag jur grage ber 3Bertß*
Zölle ein Antrag unterbreitet worben, ber gewifferniaßen ©leicßeS
mit ©feießem ju oergelten ftrebt. Der Antrag lautet: Von
zollpflichtigen SBaaren, welche aus Staaten ßerftammen, in
welken beutfeße SBaaren ber Verzollung nach ^ eni SBSerth
unterworfen finb, fönnen, infoweit nicht VertragSbeftimmungen
entgegenftehen, an Stelle ber tarifmäßigen Eingangsabgaben
SBerthjölle erhoben werben."
Damit würbe Deutfcßlanb eine föanbßabe gegeben fein,
fitf) gegen eßieanöfe Vehanblung bei Verzollung feiner AuS*
fuhrerjeugniffe beffer feßüßen ju fönnen, wenn auch ber ßoö*
prajiS ber Antrag in feiner Ausführung große Schwierig*
feiten bereiten würbe. Sebodj biirfte bie Sbee felbft nicht fo
ohne weiteres Pon ber £anb ju weifen fein.
IRocß aber harren alle biefe öerfeßiebenen ißrobleme ißrer
enbgiltigen Söfung. SRocß fteßen wir in bem Stabilem einer
aßfeitigen unb forgfältigen Vorprüfung. Sßenn aber Deutfcß*
lanbs ßufunft als bie einer SEBcltmadjt geförbert werben fott,
bann ergeht auch an alle probuctiuen Stänbe bie ernfte
ÜRaßnuug, ißre fpeciellen Sntereffen nießt überwudjern ju
(affen, fonbern eine weife SRüdfidjt ju üben auf baS, was ber
Allgemeinheit frommt, fRur in biefent Sinne fann bie VolfS*
roirtßfcßaft, ber ftarfc ©runbpfeiler bcS nationalen 2Boßl*
ergeßenS, gepflegt werben, unb in biefent Sinne foH aueß
weiterhin SÖJeltpolitif, beutfeße SBeltpolitif getrieben werben.
kaltes fid)t.
S8on 3iigenieur (ßußaD <£aft.
Verfdjiebene Dßeile unfereS ÜRerOenfßftemS finb Per*
fcßtebenen Sinbtüden angepaßt. So neßmen wir gewiffe
Erregungen ber Suft als ScßaU waßr, fo erfennen wir Per*
möge beS DaftfinnS jene Vorgänge, bie wir als Sßärine be*
jeießnen, unb auf äßnlidje SBeife empfangen wir audß bie
©inbrüde, bie wir als Sicßt befiniren. ÄuS ber jebcnfaüS
feßr auSgebeßnten SReiße ber StraßluugSerfcßeinungen nimmt
jeber SRero nur bie Empfinbung auf, für bie er beftimmt ift.
Dbwoßt ber SeßnerP Pon einer wunberbaren ©mpfinjblicßfeit
für bie UBaßrneßmung Pon allen StraßlungSpßänomcnen ge*
baut erfeßeint, fo nimmt er boeß nur biejenigen waßr, bie
mir als Sicßt bezeichnen, wäßrenb er für alle anberen, unb
roäten fte biefen nod) fo naße perwanbt, itnempfinblid) ift
Unter Sicßt fönnen wir nur jette Steiße ber Energie*
ftraßtungSfcala Perfteßen, bie an ber ©renje beginnt, an ber
mit bie erfte Sicßtempfinbung, baS ultrarotße Sicßt, waßr*
neßmen, unb bie fieß bis ju ber ©renje erftreeft, bie mir als
tieffteS ultraPioletteS Sidßt bezeichnen. Veginnt ein Körper
ju glüßen, inbem ißm auf geeignete Sßeife Energie zugefüßrt
wirb unb analßfiren wir ben Vorgang priSmatifdß, fo nimmt
unfer Seßorgan bie ganze Scala jener Empfindungen waßr,
bie Wir als Sicßterfdßeinungen bezeichnen. Straßlt ber Körper
für ein unbewaffnetes Auge weißes Sicßt aus, fo erfennen
wir Permittelft beS SpectrofcopS jenes j^arbenbanb, baS wir
als Sicßtfcala ober als Spectrum bezeichnen. Unfer Sicßt*
fpenber, ben man gewößnlicß fdjledßtßin als glüßenb bezeichnet,
fenbet aber nießt nur Sicßt, fonbern aueß unfießtbare Straßlen
auS, unb zwar ßauptfäcßlid) folcße, bie gemeinßin als SBärine*
ftraßlcn bezeichnet werben fönnen. Aitcß biefe Straßlen werben
Pon bem VriSma gebrodjen. SBiHiam $j>erfcßel war ber Erfte,
ber biefe Erfcßeinung beS fRäßeren unterfudjte. Snbem er ein
Dßermometer ben Perfcßiebenen Straßlengattungen beS Spec*
trumS auSfeßte, fanb er, baß in ben Pioletten, baS finb bie
am ftärfften gebrochenen Straßlen, bie SSärmeWirfung ge*
ringer mar, als naeß bem rotßen Snbe ßin. Diefe SBaßr*
neßmung war feßr Wichtig, unb babureß angefpornt ging er
noeß weiter. Er braeßte baS Dßermometer in bie bunfte
Verlängerung beS SpectrumS über baS fRotß ßinauS, unb er
fanb, obgleich fein Sidßt auf baS Duedfilber wirfte, baß bie
ftraßlenbe SBärme ßier ftärfer war, als an irgenb einem
fünfte beS leueßtenben SpectrumS. fRitter ift ber Entbecfer
ber AuSbeßnuitg beS bunffen SpectrumS über bie leßte
Piofette Sinie ßinauS. Alfo befteßt ein Spectrum auS brei
Slßeilen. ^unäcßft auS biefem, ber über bie ultrarotßen Straßlen
ßinauSliegt, unb ben man als benjenigen ber Sßärmeftraßlung
bezeichnen fann. Sobamt fommt bie Scala ber Sicßt*
erfeßeinungen, worauf bann übet baS ultrarotße Enbe ßin*
weg jene Straßlen folgen, bie eine nur feßr geringe er*
Wärmenbe Energie befißen, fid) aber burdß ßoße eßemifeße
gäßigfeiten auSzeicßneit. SÜSeber bie erfteren noeß bie leßteren
finb für unferen ©efidßtSfinn maßrneßmbar, obwoßl feine
feßarfe ©renze, webet in Vezug auf ißre Eigenfcßaftcn noeß
gäßigfeiten, gezogen werben fann.
AuS biefer Definition beS nnS betreffenben DßeileS ber
StraßlungSerfdjeinungen geßt nur foPiel ßdrnor, baß ein
abfolut falteS Sicßt zu erzeugen naeß bem heutigen Staube
unfercr Erfenntniß als auSgefcßtoffen angefeßen werben muß.
ferner läßt fid) ßierauS erfeßen, baß. ein V roce 6» ber alle
aufgemenbetc Energie in Sicßt umfeßt, nie erfunben werben
fann.
SBir finb in ber Sage, auS allen Energieformen Sicßt
Zu erßalten. Aber einerlei, ob zu* öerPorbringung' beffelben
eßemifeße ober medßanifcße ober cleftrifcße Kraft in Anwenbung
gebraut wirb, ber SEßeg zum Sidjt führt über bie SBärme,
ober bie SBärme ift eine unbebingte Vegleiterfcßeinung beS
SicßtS. Dicfer gactor will aHerbingS unter günftigen Um*
ftänben für eine praftifeße Sicßterzeugung nießt Piel be*
beuten. Denn unfer ®aS unb cleftrifcßeS Sidßt, fo unPoK*
fommen unb unrationell fie aueß finb, finb boeß immerßin
Sonnen gegenüber bem brennenben Kienfpaßn unb ber Del*
lampe, ©elingt eS nur einftmalS, ben ÜRußeffect einer Ve*
IcucßtungSart auf 75 ißrocent zu erßößeu, fo erßalten wir ein
Sid)t, pon bem man zu fagen berechtigt fein wirb, cS foftet
nkßtS; benit bei ben heutigen, fagen wir eleftrifdjen Vogen*
lampen, fofteu bie taufenb iRormalferzen pro Stunbc bei bem
fo geringen SRußeffect bet Sampen boeß nur wenige Vfeunige.
Stellen mir unS Por, baß ber V re ' s beS SicßteS, fobalb
ber ^ußeffect ber fiebenfaeße wirb, in bemfelbcu Verßältniß
billiger wirb.
Die SBcgc, bie man zur Verbefferung ber Sicßterzeugung
eiitgefcßlagen ßat, geßen auSeinanber. VefonberS unterfeßeiben
Wir zwei Veftrebungen. Die eine geßt barauf ßinauS, bie
Sicßterzeugung auf <ßcmifd)cm SBege z« PerPoHlommnen, bic
anbere fuefjt ißr giel auf elcftrifcßein SBege zu errekßcn. DaS
erftere 3*ei ift nießt crrcicßbar, obwoßl noeß einige Ver*
befferungen gemaeßt werben bürften, benn man ift beftrebt,
auf eßemifdjem SEßegc ßößere ©lüßgrabe z« erzielen, waS
atlcrbingS eine günftigere Sicßterzeugung bebingen Würbe, aber
cS wirb auf biefe SBcife feßmer gelingen, eine ßößere Ipiße
ZU entwicfeln als bis ßeute feßon gefeßeßen ift. Aueß auf
Seiten ber eleftrifdjen fRicßtung uerfueßt ein Dßcil ber j|orfcßer
immer ßößere ©lüßgrabe zu erreichen, nießt ganz oßne Er*
folg, wie bie neuen Auer* unb ÜRernftlampen z e '9 en - Aber
ber anbere Dßeil ber gorfdßer auf eleftrifdßem ©ebiete per*
Digitized by v^. ooQie
404
Die Gegenwart.
Nr. 26.
fudjt einen anbeten SBeg. ©uögeßenb oon bcn cleftrifd)cn
©ntlabungen im luftüerbünuten OJaum finb fie 6cftre6t, ein
falte« ßid)t p erzeugen.
Tcöla ift e« gelungen, eine elcftrifdje flamme p er*
jeugen, eine Spenbcrin non SBärme unb ßid)t. Sie ftraßltc
Wenig bemerfbare SBärmc au«, aber aud) ba« ßidjt war nid)t
befonber« glänpnb. ?(bcr war fie beßßalb weniger eine glamme,
Weil fie bem ©jperimcntirenben nid)t bie §anb oerbrannte?
— Te«la behauptet, baß man, inbem man eine ähnliche
gtamme in einer ®la«fugel ^croorbringt, bie jwar {(einer
aber fräftiger wirft, eine rationelle ©eleucßtung8art hätte.
JtuSgeßenb oon ber Srfenntniß, baß ber geringe SRußeffect
einer gewöhnlichen ©lüßlampe baburd) bebingt ift, baft bie
eleftrifcße ©nergie in ber gorm, wie fie ißt pgefüfjrt wirb,
95 ©rocent berfelben in langen ober SBcirmcweflcn wieber oer«
au«gaben muff, gelangt er p ber ©nfdjauung, baß man nur
nötßig pat, bie ©efammtüibrationcn unfeter ßicßtqueße p
jener Äfirje ber SBeße fjerabpminberit, für wcldjc unfer Scf)=
organ empfinblidj ift. Tiefe« glaubt Te«la buvcf) mädjtigc
eleftroftatifdje ©ffeete ßeroorbringen p fönnen. 9Ran fann
— fagt er — beifpielSweife einen au« feuerbeftänbigem
9Raterial ßergefteßten ßencßtförper in eine gefd)loffene Hof)!«
fugel einführen, in bet bie ßuft meßr ober miitber oerbünnt
würbe. Ter ßeudjtförper wirb mit einer Stromquelle üon
tjofjcm rapib Wedjfelnbem potential oerbunben, mib e« werben
ßierbureß bie SRolecüfe be« ©afe« oeranlaßt, oielc SRal in einer
Secunbe, mit enormer ©efdjwinbigfeit an ben Sförper anp«
prallen unb ifjn ßierbureß glüßenb p machen. Tie erhielten
fRefultate mären bann pfriebenfteüenb, wenn feilte fo ftarfe
©rfjißung eintreten mürbe, ba« heißt, wenn fie etwa« ge*
ringer Wäre, wa« fiep aber burrij geeignete ßampen mit Sicher*
Oeit auöfüßren läßt.
Tie ©nwenbung fo popet Spannung unb SSecßfclppl
be« Strome« macht e« möglich, burd) geeignete Wnorbnung
ber eleftroftatifdjen unb eleftromagnetifcßen Apparate, burd)
ba« ©la« einer ßampe ßinbureß, genügenbe ©nergie p über«
mittein, um burd) biefelbe bcn betreffenben ©egenftanb erglühen
ju laffen.
Tie ©jperimente, bie ben gorfdjer jebenfall« am meiften
antegen, unb bie p ben intereffanteften gewählt werben ntüffen,
finb jene, welche mit luftleer gemalten Ütößren oorgenommen
werben. ®« unterliegt feiner Schwierigfeit, bie SRößren fo
hell leuchten p laffen, baß man bei ihrem ßitßte arbeiten
fann. ©ringt man pßogpßoreöcirenbe Körper wie Yttrium
ober Urattgla« in ©nwenbung, fo föniten bie ßicßteffectc oon
ungewöhnlichem ©lanje fein. Ta« Sbcal irgenb einer ©e«
leuchtung wäre, im SRaunie, ber erleuchtet werben foß, fclbft
einen folgen 3uftanb ä u fc^affen, bamit, fobalb bie ßampe
in ben SRaum gebracht wirb, biefe p leuchten beginnt. ©8
ift nun in ber Tßat gelungen, einen foldjen, biefen SBünfdjen
aitgepaßten SRaum p fchaffen. Te«ta hol e« erreicht, in*
bem er in bem betreffenben p erleudjtcnbcn SRaum ein
fräftige«, rapib Wechfelnbe« cleftroftatifdje« gelb gefdjaffen
hat, in ba« ber ßeuchtförper nur hineingebracht p werben
braucht, um p leud)ten.
SRoore ßat einen Apparat conftruirt, oennittelft beffen
e« möglid) ift, ohne Sßcitere« falte« ßicht mit bem Strome,
Wie ihn gewöhnlich bie @feftricität«merfe liefern, p erzeugen,
©nberen ift e« gelungen, inbem fie ben eteftvifefjen gunfen
burch Haarröhrchen fcßlagen liefen, ein helle« bleitbenbc« ßicht
p erzeugen. $lud) biefe« ©apißarlidjt hot eine 3nfunft, fein
SRußeffect ift ein Ocrßältnißmäßig hoher, obwohl fein Sßrei«
bi«, heute noch ein p großer genannt werben muff. Tie
2Reinung unfere« ®ewähr«manne« Te«(a über ben SRu^effect
biefer Oerfdjiebenen neuen ßiehte ift, baß mit ber 3 lllia ß mc
ber äBecßfeljaljl unb be« potential« bie ßichtmivfungeu rapib
intenfioer werben, unb c« mag nicht al« überfchwenglichc Hoff®
nung au«gelegt werben, wenn wir annehmen, baß e« auf
biefem Süßege getingen wirb, cinft eine practifche ©eleucßtung«»
art p fdjaffeu. ©8 fönntc möglid) gemacht werben, glommen
hcrOorpbringen, in welchen fein djemifeßet ©roceft, fein ©er«
brennen eine« Stoffe«, fonbern nur eine ©nergieumwanblung
ftattfinbet.
®ie ©rfdjeinungcn be« falten ßiehte« finb alle auf
molecufarc ©orgängc prüefpfühten, bie burch eleftrif^e
SSeQen entfielen, aber feine«weg8 ohne SBärme oor fid) gehen.
®ie ßiehtbibrationen in einer glamme cntftchcn burch bie
©otlifioncn ber einjelnen 3)folecüle. 3Bir fönnen burch ?ln«
wenbung oon Smpulfcn hoh er SBechfelphl bie ©a«rao(ecüle
in einem luftoerbünnten (Raum in ©oüifionen bringen unb
hicrburih ben ©organg in einer flamme nachahmen. Ob«
wohl bei biefen ©otlifioncn ber fleinftcn SRaffethcilchen ohne
allen 3weifel fehr h°h« Temperaturen entfielen, fo wirb boch
bie Särme gröfctentheil« al« ßicht ücrau«gabt. hierauf
Weiterbauenb fönnen wir fügen, wir mfiffen boch höhere
Temperaturen anwenben, aber unter anberen Umftänben oU
gewöhnlich- 9luf Welche Süßcife entftehen bie höchftcn
Temperaturen? fRnr bei ©ollifionen. 2Benn fich SBajfer«
ftoff unb Sauerftoff oereinigen, fo ftürjeu, anfdjaulich ge«
fprodjen, bie §ttome unb SRolecüle auf einanber lo«, bie
mccbanifdjc ©eWalt wirb in SBätme unb ßicht umgewanbelt
Sn einem Ofen, in einem ©ebläfe fönnen wir feiue hohe«
Temperaturen heroorbringen, aber in einer Inftleeren |>ohl«
fugel fönnen wir einem äRolccül eine beliebige (Bewegung^
energie mittheilen unb folglich bie höchftcn Temperaturen
auf biefe SÜBeife erhalten. So fann man, wie bereit« weiter
oben befdjrieben, in bie SRitte einer Hohlfugel ein ©ircomum«
fügeld)en bringen unb ba« Cjt)b wirb im naf)ep luftleere#
IRaum unter bem 9lnpraQ ber eleftrifch erregten SRolecüle ein
intenfioe« ßicht auöftrahten. 3e üollfommener ba« ©acuusi
ift, um fo höher fann bie ©rhijpng getrieben Werben, um fo
leichter erglühen nach ben ©rgebitiffen ber Te8la’fdjen ©jpeti»
mente bie ftörper. So intenfio bie ©orgänge irr ber Äugd
auch finb, fo große Temperaturen in ihrem Stauern aud
herrfchen mögen, bie ftrahfetibe 2?ärm'e ift gering.
5föir erfehen au« biefen 2lu8führungen, baß ber Kamt
„falte« ßicht" nicht ganj berechtigt ift; al« tedjnifdjer Sin«*
brud mag er gelten. Tenn hat unter ben günftigften Qm«
ftänben ber ßampenförpet bie Temperatur ber Umgebung, fc
ift bamit noch nid^tö gefaßt, benn wir wiffen, baß ein afejptat
falte« ßidjt ni^t möglich ift; felbft wenn e« jemal« gefhtga
folltc, ©leftricität mittelft geeigneter ©orridjtungen birett i#
ßicht umpfeßen. Taß bem „eleftroftatifchen ßidht", wie »er
c« oielleiäht beffer bejeichtten, einmal eine große 3 u f un f* ^
Oorfteßt, läßt fid) heute fcljon abfe^cn; e« ift nur nöthift W
fich bie ©rjeugungSfoften unb ber SRußeffect noch um «W |t
©rocente üerbefferu laffen, wa« allerbing« noch SchwWf
feiten macht.
cfiteratttr unb £iutff.
Die auslänbifcßen länger auf ber
®on 2t. Brunnemann ($arl8).
©Selbem ßanbe gebührt ber ©rei«? So fragt iMh W
immer unb immer Wieber beim Turdjwanbem ber geilWin
Exposition däcennale; man bilbet fich e * n Urtßeil, Mt &
wieber um — e« ift fo f^Wer, üöÜig geregt p fm.
wo bie '3ranpfen alle Seiten ißre« können« entfalten tefki
nitb mit einer feiten gefeßenen ©lite oon SReiftcrWerfeu Off 1
treten finb, ßinberten ^Raummangel ober eine aDp etafeitige
Surp anbere ßänber Oießeicßt, einen Ooßfommenen ©inbW
in ißt fünftlerifcße«’ Scßaffen ju ermöglichen. H* er “"ö 1»
Digitized by v^. ooQie
Nr. 26.
Die töegenwarf.
405
h°t man wohl baS altbewährte ©utc gur ©eltnng fommen
laffen, aber t>em SReuen, mächtig aufftrebenben, bem gort»
ft^ritt Derljei&enben ju wenig SRechnuug getragen. Das fd)eint
uns namentlich bei Deutfchlanb bev gau ju fein.
3Bic oiel ©uteS ift ba — nnb wie biel noch SeffcreS
fehlt! EBerben wir aufgeforbert, nuferen franjöfifchen greunben
ein genaues Silb beS äugen blidlidjen beutfehen KunftfchaffenS
ju geben, fo blicfen wir, nactjbem SRenjel, Sen ba ch, ©tue!
unb einige anbere bewährte ©röfeen gebfihrenb bewunbert
worben ftnb, Dergeblid) fuchenb nach rechts unb linfS: aber
eS giebt bod) noch biel mehr, fo Diele Süchtige, fo Diele 3«'
funftSauSblicfe unb barunter einige ©enieS. Dod), ba fitib
bie Karlsruher! ©in Dhoma ift ba, unb ein Ut)bc. ©in
paar anSgejeid)ncte Serliner finb Dertreten, unter anberen
§errmann; ein paar gute DreSbener: Kuehl, ©tremel, Saum
unb Sßietfdpnann. Stoch wo finb bie SBorpSweber? Sft baS
©elbftporträt Dljoiua’S burdjauS charafteriftifd) für bie ©igeit*
art beS. nationalften unferer SIRaler, beS SIRalerS ber beutfehen
Sanbfd)aft unb beS beutfehen ©emfithS? Dro$ ber trefflichen
Karlsruher HJfeifter fehlen fo manche Vertreter unferer in*
timften |>eimathfunft, bie [ich mit liebeooder Eingabe in ein
echtes ©tüd beutfdjer SRatur, in eine d)araftcrifti|cf)e 9leufeerung
beutfehen ©eifteS berfenfen. ©ewig ift Uhbe'S „ Zeitige
SRacht" ein liebliches Silb, baS bie gange beutfdje 2Beif)nachtS*
poefie in uns Ijerborjaubett, aber giebt es nicht noch anbere,
tief ernfte, Silber beS SReifterS, bie gerabe hier in SßariS,
wo Sercrub einige armfetige Serfuche gemalt höh ©hriftuS
in mobernem ©ewanbe unter mobernen SRenf^en auftreten
ju laffen, geeignet Wären, foldjcn theatralifdjen 9leufecrlid)=
feiten tiefe Snnerlichfeit, ein fd)lichtcö ©rfaffen bom ©eifte
beS ©DangeliumS gegenfiberjufießnt. £>ier, wo eine geiftige
©lite befonberS warm neuchriftlidjcn unb altruiftifdjen 3been
juneigt, bürften Silber wie bie Sergprebigt unb anbere baS
größte Sntereffe erregen. Unb Wo blieben unfere SReifter,
SÖdlin unb Klingcr? SBic ift cS möglidj, einen Segriff Dom
heutigen Kunftfdjaffen Dcutfd)lanb8 ju geben, wenn fie fehlen!
Sa, all’ baS ©ute ber bentfdjen ÜRalCrei«Slbthei(ung, Don ber
leibet einige ©äle recht fehlest beleuchtet finb, oermag unS
nicht über bie mannigfadjen Süden ober bie mangelhafte Ser*
tretung einjelner fünftlerifdjer Snbiüibnen hinwegjutäufchen.
©egenübet ber fo jielbewufet unb mit energifdjer unb Der*,
eintet ©ntfaltung aller Kräfte aüftretenben beutfehen Sn*
buftrie will unS bie beutfehe 9Ralerei*9luSftetiung etwas uu*
bodfommen erfdjeinen. SEßir bürfen bod) auS bem Sollen
fchfipfen — warum haben wir- es nicht gethan?
®iefeS Seifpiel warnt unS, etwaige ftrenge Allgemein»
heiten über anbere Sänbcr auSjufprcchen, bie vielleicht mit
ähnlichen ©d)Wierigfeiten ju fämpfen hatten, ©elbftoerftänb*
lieh intereffiren uns bie Sänber am meiften, bie auf eigenen
(föfeen ju ftehen wiffen, bie gliidliche unb überjeugenbe 9lu8*
brudsformen für bie ©igenthümlid)fciten ihrer hdmathlid)cn
fRatnr, ihres SotfeS gefnnben haben unb fo jum ©tubium
ber SSlferphfd>ologie beitragen, ober bei benen fich in einer
genialen Sßerfönlid)feit jener grofee fchöpfcrifdje 3 l, 8 offen*
bart, ber neue ©eiten beS SIRenfchenthumS, ber SRatur erfchlieft
unb bie Kunft burch fichere SBirfnngSmittel bereichert. SRur
Wenig ift bieS bei ben puffen ber ftall. 2BaS fie bieten, ift
junädjft ein ©rgebnife ihrer 2Ründ)ener ober SBarifer ©tubien,
ein unfelbftftänbigeS ?lnlcbuen an bewährte SReifter, ein ©c»
raif<h Don ©h'c unb ßonDentioncflem, ohne ben echten ©hic,
°hne bie echte ©rajie, mit SluSnaljmc einiger Dorjüglicher
v&rtraitS Don Kaja!, bie treffliche ©harafterifti! unb Dorneljme
®‘eganj jeigen. Das, was bie Muffen ans fich fctbft haben,
Darfteflungen heimatlicher ©eenen, ift jum Dheil groteSt ober
banal, platte SldtagSfoft für bie breite SRaffe. SRur einige
ftimmungSDoOe SanbfchaftSbilber Derrathen ein tieferes, bcfeeltcS
©inbringen in bie SRatur. ERan burfte boppelt gefpannt fein
auf bie national* ruffifche Kunft, bie ber gröfete ruffifche
©djTiftftcUer nnb mangelhafte 9lefthetifer in feinen 9luS*
Inffitngcn über bie ifolirt*ariftofratifd)c Knnft unferer Dage
als fo ooltsthümlich gerühmt hat. SBohl ift es eine SolfS*
lunft, aber für beS SolfeS naio ftaunenbe, äfthetifch unge*
fdptltc Singen, nicht für beS SolfeS ©ecle. §ocf) über ben
ERalent ftehen bie befannten Silbhauer Slntofolöft) nnb
Drubehfop. ©rfteter jeigt fich immerhin etwas conbentioned,
hoch rufen feine beiben grofeen ©tatuen: Sucifer unb ©pinoja
eine cinbringlidje SBirtung h crl)0t - SErubefetop fteht DöUig
auf mobern* impreffioniftifchem Soben. Ked unb pitant
hingeworfen, geben feine ©tatuetten bie tötette, weltmännifche
©rajie, baS tnifternbe frou-frou ber ©eibentleiber wieber.
SemerfenSwerth ift ein Sruftbilb SEolftoi’S unb eine ©tatuette,
bie ben grofjen ®idjter in ERujitfleibung ju Sßferbe barftellt.
©in eblcS SIReifterwerf ift baS SJJortät beS genialen, früh
Derftorbencit SlRalerS ©egantini.
SDfit ber rnjfifchcn SluSfteKung Derbunben finben fich bie
SIRaler unb Künftier JintanbS, barunter SIRänner Don gtofjer
©igenart bei benen nach langjährigem Slnletjnen an bie
Sfiarifcr ®d)u(cu jeßt baS national* finifdtje ©lement ju
flberrafchenbem ®ur<hbruch gelangt. ®er charaltcriftifchfte
Scrtrcter ift 9fjel ©allen, ber Slluftrator fiitlänbifcfjer ©agett,
beffen Silber in fcltfam ardjaiftifchem ©til Don großem SRatur*
ftubiunt unb einer, tiefernften ©eifteSoerfentung, ja einer
fchwertnüthigen ©röfee 3 ell fl n ’S oblegen. 6r weife bie tief*
finnige Stjnibolif ber SD^rjttjen feines SanbeS in ihrem gangen
©rnfte wieberjugeben. ©eine Silbniffe, mit fidjerem ©rfaffen
beS feetifefeen SBefcnS feiner ernften Sanbslcute gemalt, gehören
ju ben heften ©rjeugniffc« im Sporträtfach überhaupt. SBeit
Weniger national ift Ulbert ©belfelbt; biefem feinfinnigen
Künftler merft man überall bie Sßarifer ©djute an, bie nach
ber „art pour l’art“, nadh fünftlerifdjer SluSgeglidjenheit auf
Koften beS ftreng SRationalen ftrebt. SIRoberne ®arftetlungen
finifdjer SolfSfcencn unb eine 91 rt religiöfer SIRalerei im
Uhbc’fchen ©innc finb gute reife Seiftungen ©belfelbt’S; noch
bebeuteuber finb feine SporträtS, bie bie treue SBahrheitStiebe
ber erften franjöfifchen Sßleinairiften befeelt.
Die füblidjen Sänber, Stalien, Spanien unb Sßortugal,
haben nur wenig, waS ihrem alten SRuhme rnürbig jur ©eite
ju ftellen Wäre. Siel Ueberlleferung, Diel Sanalität, Diel
©efdjmadlofigtcit, both feine Offenbarungen ber SolfSfeele,
faum ein paar djarafteriftifche Dppen ihres SanbeS. Die
neuen ©rrungenfefeaften ber SIRalerei werben nur ju grellen,
unharmonifd)cn ijarbenimpreffionen oerwanbt. ©retle ©onne
unb bunte fonnige ^eiterfeit ohne Diefe ber ©harafterifti!;
ein fünftlerifeheS dolce far niente, b. h- ein ©ichgehenlaffen
ohne Kunft. Unb bod) ift ber ©röfeten einer unter ben
Staliencrn: ©egantini. SergebenS juchen Wir in ber gangen
EluSftedung nach einem Silbe, baS unS fo unmittelbar in
bie freie ©otteSnatur treten liefee, wie feine brei gewaltigen
9Upcnlanbf<haften: SRatur, Scben unb Dob, bie ju einem
Drt)ptid)on Dereinigt werben füllten. SR och W* h' c unb ba
bie lefcte ^»onb beS SReifterS, benn ber Dob rife ihm ben
Sßinfel auS ber §anb, als er broben in ben Sergen ein
©tüd Swigfeit nadjfdjaffen Wollte, aber bie ©röfee ber 9luf»
faffung, bie ibeale SBahrheit ber Darftedung jeugen Don
einer SRciftcrhanb unb Don einer SReiftcrfeele. Dem SIRittel*
bilbe, bem £>ofjenlicbe an bie ©onne, niufe ber Sorjug ge*
geben werben, boch weht unS aus aden breien bie föftlid)e
grifche ber 9llpenluft entgegen; wir tauchen in bie frpftadne
Klarheit ber Suft beS ©ngabin. SIRan barf biefc unDod*
enbeten ©emälbe getroft ju ben grofeartigften Schöpfungen
ber gangen SluSftedung jählen. 9Bcm cS Dergönnt ift, einen
foldjen ©chwanengefang gu fingen, ber hat ein ©tüd ©wig*
feit errungen. Der Staliencr Splbini gehört ber franjöfifchen
Kunft an; er fteht gang auf bem Soben beS SßarifcrthumS.
©r ift ber SIRaler beS wcltmännifihen ©hicS, beS ncrDöfen
pridelnben SReigeS wciblidjer ©rajie. ©eine wunderbaren
grauenbilbet geben baS Seftridenbe, Kagenartige im SBeibe
wieber, fie fc^tlöcrn bie jolie bete de luxe, bie, feclculoS,
Digitized by v^. ooQie
406
Die töegtnwart.
Nr. 26.
1
boep mit ber ©rajie ißreS ganjen SörpetS bis ju bem nerböfen
©piet iprer fcplanfen ginget ju feffeln Weiß. ©eine männ»
licken ©ilbniffe, auSgefteilt finb baS f)Sorträt SSßiftler’S unb
beS ©rafen SRonteSquieu »gejaitfag, beS ©icpterS ber „blauen
§ortenfien", geben opne ©rnft unb ©iefc, aber mit einem
fabelhaften Sännen unb einet berblüffenben Süpnpeit eine
©eite biefer fßerfönlicpfeiten mieber: baS geiftige ©igcrl»
tpum.
Saum einen Stamen bon SSertp ßaben We ©panier
unb ißortugiefen aufjuweifen. ©ie fcßwelgen in ^ß^antaftif,
Sßifioncn, religiöser SISfefe; fie finb bon ber piftorifeßen fßofen»
maeßerei noep nicht frei unb gefallen fid) in fraffer Sffect»
pafeßerei. Sßiet für baS Sluge, boep feiten etwas SEBopltpuenbeS.
gut ©eift unb ©emütp fo gut wie gar nichts; fcßledjter
Slbflatfcß ber fcßlecßteften franjöfifcßett ©achen. ©er große
©entliure p ©il mieberholt fidj mit jäher ©eparrlicßfeit in
ber ©arfteUung unheimlicher ©ifiouen, benen eine gewiffe
©enialität ber ©ompofition unb büftere Sraft nicht abju»
fpreeßen ift. Sette fübiießen ©öltet, nad) blenbenbcn 9leußer»
ließfeiten t>afcf)enb, ber feelifchen ©erliefung abpolb, wenben
bie ©rrungcnfcßaften bet neueren ©eeßnifen, bie fo betinner»
lichte SBirtungen herborbringen tönnen, jumeift nur meeßanifeß
an; eS ift ©amburinmufif. ©anj anberS bagegen im Storben,
too bie tiefften ©aiten ber ©fpcße aitgefcßlagen, bet Statut
ipre gepeimften ©timmungen abgelaufdjt werben.
©oeß bebor wir in ben gewaltigen SBettfampf ber mädjtig
aufftrebenben norbifepen Stationen einbringen, ein SSort übet
bie ©eßweij. ©ie befißt gute ßanbfdßaftSmaler, bie bennoep
auS ber ©roßartigfeit iprer Statur längft ni<pt baS ju
fepaffen berftepen, was ein ©egantini wieberjugeben wußte;
fie befipt ein paar Sünftler, bie über eine gute, in ©ariS
erworbene ©eeßnif berfügen, wie gräulein ©reSlau, bie einftige
Stibalin ber leibet ju früh beworbenen SDtarie ©aSfirtfeff.
©ie giebt feine ©orträtS bon tarnen, bie mepr burep ipre
ßiebenswürbigfeit als burep ihren ©eift feffeln; über bie
©arfteUung beS anmutßig=weiblicßen im banalen ©efeüfdjaftS»
finne gept biefe Sunft niept hinaus, gerner finben wir gute
©cpilbercr bon ßanb unb ßeuten, bie mit einem gefunben
fmmor unb einer warmen ©efnütßlicßfeit malen, etwas alt»
bäterifcp unb bod) aitjießenb. Um ben internationalen ©pa=
ratter, ben bie ©eßweij nun einmal in jeber Söeife jeigt, ju
berbollftänbigen, bemüßt fiep ©ieler, mit ben ©emälben: ,,fal»
lenbe ©lätter" unb bie „Duellen" bon polber Slnmutß unb
jarter ßinienparmonie, bie föftlicße ßinienanmutp ber eng»
lifdjen ©rärappaetiten nacßjuaßmen. 3 rocir gefeßießt eS mit
treffliepem ©elingen, bodp brängt fiep unS fofort ber Stame
Surne» SoneS auf. ©er Sünftler ift niept fclbftftänbig genug,
©ie eigenartigften fünftlerifepeit Snbioibuatitäten ber ©eßweij
finb Nobler unb ©arloS ©cpwabe.
©S ift niept leiept, fid) fofort mit ben feltfamen ©ifbern
beS gebanfentiefen §obler ju befreunben, bie fo wenig für
baS Sluge bieten, unb bodp, wenn man fiep ernfttiep in fie ber»
fenft, fo mäeptig einbrudSboU finb, inbem fie in iprer perben
©eplicptpcit unb garbentrodenpeit pßpfifeße unb pfpdßifcße $u»
ftänbe wiebergeben. ®ie ©infacßßeit ber fünftlerißßen SRittel,
bie eper art ©artonjeießnung erinnert, befrembet junäcßft,
boep balb jwingt unS bie ©inbringlicpfeit iprer ©praepe, unb
bieS befonberS bei ben ©arftcDungen ber Stacpt unb beS
©ageS, in ipren ©ann. ©S ift pier eine tiefe ©ßmbolif, bie
fiep auS ber SSirflicßfeit felbft perauSlöft: ein natürlicher
©organg wirb pier nur burep Steigerung unb baburep größere
©eranfepauliepung beS £>auptniomenteö jum ©pmbol. SlnberS
bei ©arloS ©cpwabe; bei ipm ift baS ©pmbol ©elbftjwecf.
©r bebient fiep einer litcrarifcp»fpmbolifepen ©pradpe, bie erft
eines ©omnientarS bebarf, um fie bem ©erftänbniß näper ju
bringen. ©er Stapmen ber SBirflicßfeit berfeßwinbet faft poU»
ftänbig; baS Sluge wirb nur uoep burep eine große ^jein^eit
uttb Slnmutp ber ßinien, burep eine gefällige Slnorbnung ber
©inge erfreut. 9lm flarften unb beßpalb am aujiepcubftcn
finb bie betannten Sttuftrationen ju ßola’S Sioman:
le reve.
Defterreiep* Ungarn feffeln nur Wenig, ©ie bieten ein
©emifcp öon allen Stationen, Diel SJtünepen, biel ©aris.
©elbft ber toielgefeierte ©orträtift ßaSjlö läßt falt neben ben
franjöfifepen SReiftern im ©orträtfaep. ®ie Kamelie pat ipren
eigenartigen gauber, nur bürfen wir fie niept neben bie
bollerfcploffene buftenbe Stofe fteUen.
3e weitet wir nadp Storben bringen, befto mepr flößen
Wir auf fünftlerifepe ©elbftftänbigfeit, auf baS, was bie
©öller auS fiep felbft unb auS ber innigften ßufammen*
gepörigfeit mit ber Statur ipreS ßanbeS fepaffen. ©S foÜ
ben ©egenftanb einer jweiten ©etradptung bilben.
(Ein ettgliftper Äritiker (Pottes.
$oit HTarcos Canbau.
, SBaS mag wopl ^>crr Stöbert Slnberfon ju ben gegen*
wärtigen ©orgängen in ©pina fagen? ß>at ipn boep frfjon
bie üor einigen Saprcn erfolgte ©rmorbung einiger eprift*
lieper SRiffionäre unb iprer grauen in ©pina beinape ju
einem SRißtrauenSootum, niept für bie engtifepen ÜJtinifter,
fonbern für ben lieben ©ott felbft, öeranlaßt. ©ie euro*
päifcpen SRäepte fepiden ipre SriegSfcpiffe unb ©olbaten ouS
jum ©cpupe iprer in ©efing bebropten ©efanbtfdjaften, unb
bie SDtifftonäre, „bie accrebitirten ©efanbten" ©otteS (His ac-
credited ambassadora), paben mit ipren grauen unb unfepul*
bigen Sinbern bcrgebeitS jum ßtimmel um f)ülfe gefeprien!
„2Bo ift ,ber wapre ©ott‘, bem fie bienten?" fragt er. ©nt»
fcpäbigung für bie Opfer, ©eftrafung ber SRörber genügen
§errn Slnberfon niept. „©er ©ott, auf ben fie oertrauten,“
meint er, „pätte boep bie £erjen ber SRörber ertoeiepen, ipre
•t'änbe läpmen tönnen. Sann man fiep geeignetere Umftcntt
für baS ©ingreifen ©effen Dorftellen, ben fie als im £uiu®ci
unb auf ©rben Sltlmädptigen anbeteten? 9lber bie ©rbe bot
ipr ©lut getrunfen unb ber fepweigenbe Fimmel fcpieit ipre:
ju fpotten," flogt er. Unb nid)t bloß in ©pina gefepepet
folepe ©räuel, noep feplimmer gept eS in Armenien ju; p,
wie Diel Unrecpt, Summer unb ßeib giebt eS in „ber gläif
ließen ^auptftabt beS poepbegnabeten ßngtanb, ja in Po
ganjen 9Belt," fäprt er fort, obwopt er fein ©uep noep l»r
bem fübafrifanifepen Sricg gefdprieben pat. „SRenfiplidx
§erjen unb menfdjlicpe ßiänbe tpun wopl SRanepeS, um ba»
große ßeiben ju linbern, SRenfcpengefepe leifteit Diel juji
©epupe ber ©cpwaepen, jur ©eftrafung ber ©öfetmepfct
Slber ©ott — baS ßießt beS SRonbeS unb ber ©ferne i*i
niept fo falt unb mitleiböloS als ©r ju fein fepeint.“ -
„3n grieben unb unauSlofcplicpcr ©lorie tpront er im
^irnntcl unb fepweigt." — „Ober ift ©r gar perjloS ober
inaeptfoS?" fragt $err Slnberfon, faft wie bet Sapujiner im
SBaflenftein:
^ätte ber aHmäc^tige ®olt
Gfjiragra, fönntc nic^t breinft^lagcn?"
3a eigentlidp, meint er, fepweigt ©ott fepon feit aeptjfpu
Saprpunberten. ©amalS pat er noep SBunber getpan, bann
aber fap er rußig ber ©etfolgung ber ©priften burep bie
Reiben ju; SRiQionen Don SRärtprern, bie ©eften, bie ©beiftrn,
bie Sicinften enbeten unter fcpredlicpen Dualen, berfpottet
unb Derpöpnt Don ben römifdpen Reiben. SBeiß ©ott iritßtS
Don aü.’ bem ©Öfen, baS feit acptjepn Saprpunbertcn ge=
feßießt? unb wenn er Weiß, warum fepweigt er? ®a beginnt
ber Unglaube in unferen §crjen ju feimen, wir Detlieren ben
©lauben unferer Sinbpeit, alle bie SBunber unb Spaten
©otteS, doh benen unS bie peilige ©cßrift erjäplt, Derblaffen
ju jübifd)en ßegenben unb präpiftorifdßen SDfptpen. 9luge»
Digitized by
Google
-JT».
!
Nr. 26. JHe Gtetjenwart 407
ftcfjtS ber unerbittlichen Xhatfachen, ber bitteren SebenSerfah*
rungen verliert fitf) ber ©laube, benn ein ftetS paffioer,
fid) um SRidjtS fümnternber ©ott ift für äße praftifdjen
3wede fo oiet wie gar feiner (is for all practical purposes
non-existent). ©on fotzen argen 3 toe if e ^ n Ö^pfagt, griff
(perr Slnberfon jur gebet unb fdjrieb in feinen ÜJfujjeftunben
ein öucf): „XaS Schweigen ©otteS" (TRe silence of
God; London, Hodder arid Stoughton, fünfte Sluflage, 1899).
§err (Robert Slnberfon ift nicht, wie ber Sefer etwa
tiermutt)en fönnte, Xheolog ober fßbilofopb, fonbern (ßolijei*
eommiffariuS. 3d) feige baS nid)t, um SRifjtrauen gegen
feine Xbeologie ju erregen, benn menn bie ßoUbcamten |>aw*
tt)orne unb Slpoftolo 3eno red^t gute (Romane unb Xramen
f(^reiben tonnten, warum foß niept ein (ßolijeibeamter über
(Religion unb SRctapppfit fepreiben fönnen? 91 ber et fdjeint
fetbft ©ewiept auf feinen ©eruf ju (egen, ba er fid) auf bem
Xitelblatt feines SBerfeS Assistant Connnissioner of the
Police of the Metropolis nennt. Unb bann betrachtet er
auch ®ott unb SBett getoiffermafjen Oom ©tanbpunfte ber
(ßoltjei. Xafj bie SBelt non ewigen (Raturgefepen regiert
wirb, fiept er wopl ein. Slber er betrachtet biefe ©efepe ge*
wiffermafien als eine hon ©ott ber SBelt öerliepene ©erfaf*
fung, bie er auch, Wenn er eS für paffenb erachtet, aufheben
ober fuSpenbiren fann. SBenn eS bie 3Renfd)cn gar ju arg
treiben, wenn fie Dbftruction machen, foß er, wie eS in
Defterreich gefd)ieht, mittelft eines (ßaragtapp oierjepn „für
bie SBeltnotpwenbigfeiten forgen", mit einem SBunber brein*
fahren, wie in ber guten alten ßeit, als bie SBelt nod) e * n
(ßolijeiftaat war. Slnberfon mag eS nicht leiben, bafj irgenb
ein ©olf ober irgenb ein ^errfeper groben Unfug treibe, ohne
fofort nach ©cotlanb S)arb ober hör bie 3urp gebracht unb
abgeftraft ju werben. Sollte man bem ©olijeibeamteu feine
tpeologifcpe unb philofophifche ©epriftfteflerei als (ßfufepen
in frembeS öanbwerf borwerfen, fo fönnte er freilich erwibern,
baf) bie „ (Religionsbeamten" noch fiel früher angefangen
haben, ber (jßoltjei unb ben ®crid)ten in’S (partbwerf ju
pfufchen. §icr aber liegt auch bie fcpmadje ©eite feiner
Xpefe hon ber ad)tjepuhunbertjährigen wunbertofen 3 e *t-
©eine SlnitSgefcpäfte fcpeineu ihm wohl feine 3 e 't gelaffen
ju haben, bie ©eprift beS SactantiuS: De mortibus perse-
cutorum ober aß’ bie bieten §ei(igenlegcnben ju lefen, in
benen hon feindlichen ©eftrafungen ber ©erfolget Unb ©ott*
lofen, hon ber wunberbaren Srrettung berfolgtcr grommcv,
hon bem (Behagen, baS manche dRärtprer in ben glommen
ber Scheiterhaufen fühlten, hon ben Sngeln unb tpeiligen,
bie fid) an bie ©pipe ehriftlichcr §eere fteßten, um ihnen
jum Siege über Reiben ober ©araceiten ju berhelfen, erzählt
wirb, Sr fcheint auch nicht ju wiffen, baf) bie fjeilig*
fprechungen nicht aufgehört haben unb bafj ber (ßapft Seinen
heilig fpriept, hon bem niept bewiefen wirb, bafj er ein SBunber
gethan hat. Unb weif; ber £>crr (ßolijeicommiffar nichts hon
SourbeS? Sr fcheint barauf anjufpielen, wenn er fagt:
„SRancpe behaupten, baff überhaupt nie SBunber gef^epen
finb, Slnbere, bafj noch ) e pt an geWiffen ^eiligen Stätten
SBunber gefepepen. Slber wir hier in Snglaub finb Weber
ungläubig (in ©ejug auf bie biblifdpcn), noch abergläubifcp
(in ©ejug auf bie mobernen SBunber)." Sllfo baS ift eS:
3n Snglanb unb im ©ereid)e ber englifchen Sntercffcnfppäre
gesehen feine SBunber mehr. Unb ein gläubiger Satpolif
fönnte ihm jur Srflärung fagen, bafj für Äeper feine SBunber
gefchehen. Slnberer SReiming war freilich ßöttig Sllfoufo
hon Portugal, als er hör ber Schlacht bei Durique (25. Suli
1139) gegen bie ÜRauren einer göttlichen Srfdjeinung ge*
Würbigt warb: „SBarum erfcheinft Xu mir, $>err, ber id)
ohnehin an Xid) glaube?" fragte er, „Wäre eS nid)t beffer,
®u erf^ieneft ben Ungläubigen, um fie ju befehren?"
SS ift aber auch falfd), wenn Slnberfon meint, bafe je^t
nur an gewiffen Orten SBunber gesehen. Sa, eS gefd)ehen
SBunber, bie, was ihn befonberS intereffiren foflte, mitunter
bie (ßolijei überflüffig madjen. Xarüber belehrt uns ein bor
einigen Sahnen bei granj förchheim in SJfainj mit firchlicher
Slpprobation erfchieneneS Keines ©üchlein: „Xie SBunber beS
heiligen SlntoniuS hon fßabua in unferem Sahthunbert."
Sr hätte barauS erfahren fönnen, wie ber am 14. October
1890 in SlmbierS beftohlene §err ®uironet anftatt ber (fjolijei
bie Slnjeige ju machen, für baS „Slrmenbrob" beS ^eiligen
SlntoniuS 25 grancS gelobte. SllS er ftch am nädjften
SRorgen auf bie (ßolijei begab, fanb er bort bereits ben
arretirten Xieb nebft bem geftoljlenen ®ut. Unb auf wunber*
bare SBeife hatte au^ bie (ßolijei erfahren, ba% er ber ©e*
ftohlene fei. „§err ©uironet begab ftch fogleicf), begleitet
hon einem ©oli^eibeamten, in baS Oratorium beS ^eiligen
SlntoniuS, um ihm für bie gewährte Störung hon Iper^en
ju banfen." ^öffentlich hat er aud) bie 25 grancS pünftlid)
befahlt. SllS gräulein ©ouffier, ©efi^erin eines SBeifiwaaren*
gefchäftS in Xoulon, am 12. SWärj 1890 baS Sdjlofe ber
Babenthüte nicht öffnen fönnte, fdjidte fie — bie Sleingläit*
bige! — um einen Sdjloffcr. Xer fam, probirte mehrere
Schlüffel ohne Srfolg unb ging weg, um SBcrfjeuge jum Sr*
breepen ber Xhüre ju holen. SBäijrenb feiner Slbwefenheit
wanbte fid) gräulein ©ouffier an ben ijeiliqeu SlntoniuS,
herfpraih ihm ©rob für bie Slrmcn, unb als ber Sdjloffer
bann jurüeffam, öffnete er bie Xl)üre mit bem erften beften
Schlüffel ohne jebe Sdjwierigfeit. — SS ift leibet niiht an*
gegeben, Wie hiel fie gelobt hatte, fo bafe wir nicht Wiffen, ob
fie für baS Srbredjen ber Xhüre bem Schlöffet mehr ju
jahlen gehabt hätte, als bem heiligen SlntoniuS. 9lu<h bie
©rämie für Unfafloerficherung fann man erfparen: „Solbaten,
Officiere, welche fich auf bie See begeben, herfprechen bem
heiligen SlntoniuS monatlich fünf grancS, wenn ihnen auf
ber (Reife fein Unglüd juftöfjt", erjählt uns weiter baS ©üch*
lein. Sin ^>err aus SRontpcflier bat ben heiligen SlntoniuS,
bie „®ewiffen feiner Schulbner aufjurütteln", unb herfprach
ihm eine Xantieme hon fünf ©rocent. ©alb barauf erhielt
er hon einem fäumigen Schulbner 300 grancS unb fanbte
bie bafür gebiihrenben 15 grancS prompt an bie ©robeaffe
beS ^eiligen. „Sludj für ben Srfolg bei Sjamen ift ber
heilige SlntoniuS ein horjüglicher ©atron." gür 25 grancS
haben aße Sjaminanbeit einer geglichen Slnftalt in SanneS
mit glänjenbem (Refultat bie ©rüfung beftanben, berichtet
baS erbauliche ©üchlein. SBenn ich Slbreffe beS §errn
Slnberfon Wüfete, möchte ich ih m einf^iden. Slbcr wirb
eS ihn auch überjeugen? Xafe ber fettige SlntoniuS gegen
ein ©ißigcS auch aße Äranffjeiten curirt, ift felbftoerftänblid),
unb ber gtiiblerifche (ßolijeicommiffar brauchte fich niefjt mehr
ben Ä'opf barüber ju jerbrechen, ob ®ott wunberbare ^>ci*
lungcn jefct nidjt uerrichten fann ober nicht wiß, er hätte
baS gewünfdjte „beweifenbe Sjperiment" (practical test).
Slber würbe ber neugierige fromme Snglänber fich tiabei be*
ruhigen? SBürbe er bann nidht fragen: SBenn bie Sfranf*
heit burch ein SBunber geheilt werben fann, warum gefchieht
baS SBunber nid)t früher, inbem überhaupt gar feine Sr*
franfung erfolgt?
Slbcr Slranfheiten, Xiebftähle, Slrmuth unb bergleichten
finb für Slnberfon eigentlich nur Äleiftigfeiten. SS ift niiht
fo fehr bie pfiffe für bie grommen unb ©läubigen, bie er
oermifet, als bie ©eftrafung bet grofjen ©öfewid)ter, ber
«hinefifchen Sßfanbärinen, ber türfifd)en ©afchaS in Slrmenien
unb ... hoch fein ©ucf) würbe ja noch DOt t>em fübafrifa»
nifeßen Sricg gefchrieben. Unb wenn wir genauer jufehen,
fo finben Wir, bafe er gewiffermafjen nur auS ^öflichfeit fich
fo fteßt, als ob er au ber Slßmadjt ®otteS jweifelte. ©laubt
er hoch, bafj auch ber Xeufel SBunber thun fönne. Sr
fchreibt ihm bie SBunber beS Spiritismus ju unb glaubt,
ba| eS noch anbere „unreine ©eifter" gebe, bie in üRenfdjen
„hineinfahren". Slber er unterfdjeibet jwifchen ber Xaftif
biefer orbinären ^ößenbrut unb ber feinen ÜJlanöorirfunft
feiner fatanifcheit UWajeftät: „Sr oerführt nicht ju ©ünben,
Digitized by v^. ooQie
40$
Die CÜtgenmart
Nr. 26.
bic ’unS gut get'lnirfcßung führen unb uns unfere ©cßmacf) s
t)eit erfennen taffen, fonbern }Ur bloß menfcßtichen ÜRoral
ober SReligion, jur $|$ljilofopf)ie, }ur 9Ibtöbtung unfereS ©e«
füf)fä ber 3lbf)ängigfcit t»on ©ott. ®tücftxcJ)er Sßeife, meint
er, ^aben bie Dämonen feit ber SRenfcßmerbung ©ßrifti fid)
manci)e©infd)ränfung gefaUen taffen muffen,aber „eS giebt feinen
bernünftigen ©runb, an ißrer ©giften} unb 2Racf)t }n }meifetn".
©bettfo }meifett er nicht, baß ber ©ünbenfaß ber erften
SRenfcßen im tßatabiefe burd) bie Sift beS böfen geinbeS
ßerbeigcfüßrt mürbe; aber et gefaßt, baß ©inS ißm nocß
buntel fei, freilich nur eine Kleinigleü — ber Urfprung beS
Sööfen. „SBarum geftattetc ©ott, baß aus bem erften unb
bor}figlict)ften feiner ©efeßöpfe ber ©eufet marb?" fragt er.
®ie gragc ift nidjt müßig, benn gerabe biefem ©eufet felbft
binbicirt Stnbcrfon nod) eine große SRoße im SBettbrama.
©er fdjlaue ©oti}eimann ß“t unS nämlich bisher nur }um
SBeften gehabt, ja gemiffermaßen als agent provocateur ge=
ßanbelt. SBir glaubten einen mit ber SBettregierung un}u»
friebenen ÜRörgler }U ßören unb am ©itbe entpuppt er fid)
ate frommer ©icner ©otteS, an beffen Untßätigfeit, an beffen
„@d)meigen" mir böfe ungläubige ßRenfcßen allein ©cßulb
tragen. „SBenn ©ott feßmeigt, fo ift eS, meil er ber ßRenfcß 5
heit fd)on StfleS gefagt hat, maS er ißr }u fagen hatte. ©or
meßr ate ad)t}cl)n Saf)rt)unberten hat er ißr fein legteS 2Bort
ber Siebe unb ©nabe berfünbet, unb menn er fein ©eßmeigen
brechen mitb, fo mirb eS nur gefeßchen, um baS ©trafgerkßt
im SBeltuntcrgang }u boflgießen." §aben mir ben ißolijeU
mann recht berftanben, fo meint er, baß in ©rmartung fotdjer
©eneraloernicßtung, bon ber nur 6in}elne auS befonbercr
©nabe ausgenommen merben foflen, bie ©eftrafung ein}elner
©ünber überftüffig märe, mic ja aud) bie meltlicßen ©eßörben
einem }um ©obe ©erurtßeilten nid|t nocß einige Satire 3ud)t=
l)auS t)in}ubictiren. 2Bann biefeS Strafgericht bor fid) gehen
mirb, gefteßt Stnberfon nicht }u miffen, unb prophe}eien miß
er aud) nid)t, meil er meiß, baß bic ungläubigen Sefer ihm
feinen ©tauben fchenfen merben. (In these pages I have
kept clear of prophesy for they are addressed in part to
those who have no belief in prophesy.) Slber etmaS bon
bem, maS uns beuorfaßt, berfünbet er unS bocl), unb baS
fieht, menigfauS für bie näcßftfommenben ©encrationen, gar
nicht fo fd)tecflid) auS. „®ie STbnaßme beS ©laubenS in
bett testen fünfunb}man}ig Saßven ift erfchrecftich," flagt er,
„unb id) wage eS borauS}ufagen, baß, mer nod) ein ©iertel*
jaßrßunbert leben mirb, ben Stbfaß bieter K'ircßen bom
©tauben an bie ©ottßeit (£^rifti miterteben mirb. Sn ob«
fehbarer ßeit mirb bet ©uttuS beS ©atanS — eine ^Religion
hoher URoral unb ernfter 2JIenfdjenlie6e, aber ohne ©pur
bon ©hriftentfjum — aßgemein berbreitet fein ..." „fRacß
einigen fchredlid)cn, bon ipungerSnotß gefolgten Kriegen mirb
ber fdrftmenbe 2Rann ber SBett ben grieben bringen. ÜRicßt
bloß burd) feine fatanifeße gaubcrgemalt, fonbern auch burd)
feine gtänjenben menfdjtid)en ©igenjeßaften mirb er aßgemcinc
^ulbigung erlangen, ©eine ^Regierung mirb- bie 3 e 't beS
menfchlichcn SRißeniumS, eine 3 e it ber Drbnung ynb noch
nie gcfchcncn SSohtftanbeS fein; aße Kiinfte beS griebenS
merben blühen unb bie Utopien ber fßhilofophen unb ©ocia=
tiften bermirflicht merben. fRur bie menigen, burd) bie ©nabe
©otteS 3lu3ermählten merben bon ber hohen SRoratität unb
ber fdheinbaren @ötttid)feit beS ©atanSbienftcS nicht getäufebt
merben. ©o fteht eS gefd)rieben unb fo taffen e$ auch bic
gegenroärtigen Vorgänge beuttiih borauSfehen." Db biefcS
2Rißenium mirftich taufenb Sahre bauern mirb unb ob eS
gar fd)on mit ber ^aager gricbenSconferen} begonnen h°t,
jagt Stnberfon unS nidjt. ©agegen fagt er richtig botauS,
baß SSiete in feinem 93ud)c nur unfinnige 3Rt)ftif, Slnbcre
gar feinen ©inn fittben merben. 31 ber er tröftet fid) befdjeiben
bamit, baß auch baS ©bangetium „ben Suben ein 3tergeruiß,
ben ©riechen eine ©h or h c *t" gemefen ift.
Sn ber ©h at h ät auch t>aö ©ud) große Stufmerffamfeit
in ©ngtanb erregt unb fcharfe Kritifen herborgerufen. ©hon
nach toenigen SBodjen erfchien eine }meite 3tuf(age unb jc^t
ift eine fünfte biflige 3tuSgabe erfhienen. 28ie ber Slutor
angiebt, hat ihm ©Iabftone getrieben: „GS freut mich, boß
biefe gragen bon fo befähigten unb mohtmeinenben tperfonen
mie. ©ie grünbtich behanbett merben." Uns erfcheint bet
Sßerfaffer, befonbetö in ©e}ug auf ©ibetfritif, nicht gerabe
fetjr competent. SlnbererfeitS fteßt er aber aud) an bie ofß»
ciefle Kirche recht berfängtichc gragen, mie }. ©.: „Shr fagt,
bie ©ibet ift nicht unfehlbar, aber bie Kirche ift eS unb in
ihrer Autorität haben mir eine fiebere ©tüfte für ben ©tauben.
— 3lber morauf grünbet fid) bie Unfehlbarfeit ber Kirche?
— „Stuf bie ©ibet," tautet bie fige StntmorL — „9I(fo ftügt
fich bie ©ibet auf bie Kirche unb bie Kirche auf bie ©ibet!“
Sn feinem ©emifd) üott ©tauben, ja Slbergtauberi unb ßineifet
ift baS ©uch ein 3 e * t h en ber 3eit, in ber ehrlichen Uebet--
}eugung unb reinen ©eitben} beS ©erfaffcrS bietet eä einen
erfreulichen ©egenfajj }u ben recht materieße 3®ede öerfob
genben „SSunbern beS ^eiligen SlntoniuS Uon ©abua“, unb
feine 2Bunberlid)feiten mähen eS }u einer intereffanten &c--
türe. ©eßhatb glaubten mir auch bie beutfd)en Sefer barauf
aufmerffeyn machen }u bürfen.
(Ein kail)oltfthfr (Erjahltr.
SBon XHartin <5rcif.
3tte bie mobernc Semegung tn ber Siteratur mit fo biet
Särm hereinbrach, fegten bie Slnftifter berfetben bie ad hoc
erfunbene ©eßauptung in Umlauf, baß bie ©pigonen unfercr
ctaffifhen ©ic^ter aßgemach }U gebanfentofen 5Rachtretcrn
biefer perabgefunfen feien, bähet fie nicht mehr ate maßre
©raget unfereS geiftigen SebenS gelten fönnten unb eS noth--
menbig fei, bon ihrem Schaffen fürbertjin gän}tich abgufehen.
©lidt man nun aber heute, nach ber tur}en, in SRitte lieg«'
ben Spanne 3eit auf jene ungeftüme ©thebung jurüd, fi
finb eS gan} anbere ©erföntihfeiten, ate bie gegenmärtig «
©orbergrunb ftehenben, melche fich unferer ©rinnerung
brängen,. fo baß fich *>ie Umftür}ler bon bamatS }u Ayt
fRachfolgern nicht anberS, benn ate bie fetbft abgetanen ff*
läufer berfetben berhatten, fofern fie nicht etma gar in ftr«
geffenheit gerathen finb. SBaS fie alfo 3tnberen }u yMut
gebacht, baS haben fie an fich fetbft erfahren, unb bieJMf*
nung, baß eS ihren untreuen ©unbeSgenoffen halb fffffo,
mie ihnen ergehen merbe, ift ihnen aßein als traurig4^M>
berbtieben. Uns hingegen lehrt bie ermähnte ©hatfu^-^4
eS leine inneren ©rünbe gemefen finb, melche biefe oufajpft-
boße ©emegung berurfachten, unb baß nur betJjfcs
©rab ber ermorbenen ©efchicfli^feit bei ber ge ( thiP|m
3tuSnugung ber herbeigeführten Sage ben ©rfolg ber '
ben berbürgte. ©rieht alfo mit biefer 9Bahtnehm»iir<»4
baS ganxe ©ebäube ber bamals berfünbigten netten JPMftiv
bon felbft }ufammen, fo bleibt gteidjmoht bie grege mo,
ob nicht hoch ein gefunber ©ebanfe jenem
©runbe gelegen habe, ber auch fernerhin feine ©eäjMKSng
in fich trage. IBir mürben nun in ber ©hat
grage fofort bejahen, menn eS nicht für unS nffiffilbac
märe, baß ber 3lnftoß }u jener berfuchten fRefoan afft bon
benen, bie ißn fich anmaßen, fonbern bon }um ©heil f^Ssfent»
lieh berteugneten ©orgängern henrührt, baß alfo qtgityige
äRacher fi^ ber grudjt fehmeigenben ©erbienfteS in trüge»
rifeßer 3lnmaßung bemächtigt unb fieß ben Schein fdjöpferifher
©hätigleit baburch erfcßtichen Baben. SSBaS cS alfo mit bet
fogenannten mobernen ©echnif auf fich h“t, baS läßt fid)
feßon aus bem oben ©orgefüßrten bestimmen; fomeit fie bon
erprobten ßRuftern abgeleitet morben, ift fie nießt neu, unb
Digitized by v^. ooQie
Nr. 26 .
409
ie (ßegenmart.
WaS anbcrmcitig piujugcfommen, war bon Slnfong an profcle*
matift unb pat fiep nat ber £mnb als berfeplt erroiefen.
S>ot baS paben bie ÜRoberncn unter fit au^umachen. SBenn
bagegen Bon aufeertjatb ihrer Steife ftepenben 3Bäd)tern
ber Literatur nitt nur eine Sebattnapme auf fie unb ihre
^jerborbringungen geforbert, fonbern ihr ©Raffen, unb fei
eS auch nur in formaler §infic£)t, als bapnbre(penb unb baper
ber SRatapmung mertp bargefteßt mirb, fo ift gegen biefe
93erfeprung ber magren Sßerpältniffe Ginfprucp ju ergeben,
ba toir unfere Siteratur nitt nur Bor fatfc^cn Soctrinett,
fonbern aut bor neuer irriger Ableitung bon ben nid^tigert
ju bewahren paben. ©8 mürbe fonft eine nidjt mehr ju ent*
roirrenbe 58ermecf)8lung beS natürlichen unb fünftlidpen gort*
f<tritteS Ißlap greifen unb mir mürben ftatt ber echten ®or=
bilber nur bie fjrälfdjer unb Sßermüfter beS ©Uten ju ben
Seprmeiftern beS aufftrebenben ©eftletteS erroäplen.
Giner fotzen freilid), mie mir immer mehr bejmeifetn, un*
freiwifligen Säuftung finb aut bie beiben, nid)t nur in ber
fatpolifcpen fßreffe biel befprodjenen SBeremunbuS*SBroturen mit
entfprungen, meiere in golge biefer unfi^eren ©runblage SBapreS
unb galfteS in !aum mehr trennbarer SSermifc^ung mit ein*
anber berbinben unb baper in beteiligten unb unbeteiligten
Steifen ebenfo biete guftimmung gefunben, als Sefremben
erregt paben. ® er in ber älteren SBeßetriftif überhaupt biel*
fat bemertbaren 33etlnöcf)erinig pat ber SSerfaffer ba in ber
beften Slbfic^t, bot opne ben Singen auf ben ©runb ju gepen,
bie SRobernen in iprem blinben Stange nat unmittelbarer
SEBiebergabe beS SebenS in ber Sunft gegenübergefteilt unb
barauS bie ftmermiegenbften Folgerungen gezogen. §ätte er
bot lieber bie Duellen aufgefutP auS beneit bie SRobernen
felbft geköpft paben, bie fie aber notier ju berftütten fiel)
anfdpicften! Dpne ben §inmeiS auf jene menigen aber un*
trüglidjen Seitfterne, mar leine ÜRorm ju geben, geftmeige
ein Ganon aufjufteßen. SRit einer blofe allgemeinen Slnlei*
tung mar jenen, benen geholfen merben follte, feine görberung
ju erroeifen, benn bie blofee Speorie bermag feine lebenSbolle
_?ßrobuctiop ^ernorjurufen. GS bliebe nun allerbingS ju er*
örtern übrig, mie fit pier Seiftung unb 9lnforberutig ju
einanber bcrpalten, b. p. ob roirflit aut innerhalb eines be*
grenjtcn ©ebicteS ftriftfteßerifter Spätigfeit peroorragenbe
SRepräfentauten ber gleiten ober ber furj borauSgegangenen
Gpote fo leitt aufjufinben maren. Siefe ©arbinalfrage ju
beantmorten, mürbe eine gröfeere Selefenpeit borauSfepen, als
fie nnS, auf biefem gelbe jumal, ju ©ebote ftept, aber Ginen
SReifter ber GrjäplungSfunft, ber fit felbft als fatpolifepcr
Grjäpler befennt, müfeten mir boeft bem meit gelehrteren
SBetemunbuS ju bejeitnen: eS ift Dtto bon©t a t* n 8>
bem G. ÜR. ^amann in feinem 9lbrife ber beutften Siteratur*
gef title folgenbeS 3 eu 9 l iife auSfteßt: „Otto bou ©djating,
ein marfiger, ett bitterifcp berantagter Grjäpler, ein Ißunf*
tnrjeüpner erften fRangeS. SReben feinen bem tägiiten Seben
entnommenen ©cfepidjten auS bem SSolfe: „©tafi", „Ser ©eift
bon ©ailSberg", „SSorn Surroenbet unbSBenbelftein“, „SeufelS*
gretpl" :c. fiepen boflmertpig bie Ejiftoriften SSolfSerjäplungen,
in benen er mit fünftlerifter Sraft ben gemailten Stoff
beperrftt, ben er auf ein äufeerft gemiffcnpaftcS unb umfang*
.reiteS Dueflcnftubimn gegriinbet pat („Saperhtreue", „9luf
9iufe(anbS GiSfelbern", „Ißeter öutwalb"). 9llS ein fühner,
»ofelgclungcner 3Burf ermeift fit ber unlängft boßenbete
„SBibufiitb, ber ©atfeitelb", ber erfte Sfeeil eines monu*
mental angelegten ©ammefrnerfeS: „9(uS SeutftlanbS Saifer*
jeit". Ser grofee 3 U 8 fällt fofort iu’S Stuge. ÜJiit h°h er
Sanft fteßt ber SBerfaffer bie beiben gemaltigften gelben einer
gewaltigen 3 c ’l einanber gegenüber, läfet fie bie ©eftiefe
i^rer SSölfer beftimmen unb mngiebt fie mit einer ©taar
-lebenSbofler Gfearaftere."
SBir moflten unferen fubjectiben SJfaafeftab nitt juerft
^ier anlegen, um ben Ginmurf einer parteiiften SBürbigung
pon uns fern ju halten, bot fönnen mir nitt umhin, uufer
oben auSgefprotencS Sob jum ©tluffe burt ein eigenes
UBort ju .begrünben. 3n ber Sljat, maS bon einem mit einer
gebieaenen unb gemife nitt beralteten Setnif drbeitenben
unb Dabei mit urfprüngtiter Äraft ber fphantafie geftaltenben
Grjähter nur ermartet merben fann, baS finben mir bor
9tflem in beffen jmei gerüfemteften Grjählungen: „©tafi“,
eine ©eftitte aus bem baperiften 35ßalbe (Scutfte SBerlagS*
Slnftalt, Stuttgart) unb „Sie SeufelSgretpl", Sauernroman
aus ben oberbaperiften Sergen, boßauf geleiftet Sem ©toffe
nat teils anf Ueberlieferung, tpeilS auf ©elbfterlebtem unb
©elbfterftautem betupenb, bepanbelt eine mie bie anbere ©e*
fepitte ein pfptologiftef Problem banfbarer 9lrt, bem eS
feineSWegS an einet gemiffen Süpnpeit aueh in ber Sitten*
ftilberung gebritt, baS aber burdpauS etpiftet Äüffaffung
entfpringt unb baljer aut Derföpnenb, ja etpebenb auf unS
mirft, juntal eS burdjauS aut ^ em ®ebot ber poetifdjen ©e*
rettigfeit ©enüge leiftet. fjeifle Singe finb ba eben mit
reinen §ünben angefafet unb fefcen jum ©enuffe bafiet un*
berborbene, aber mrftfunbige Sefer borauS, benen bie Slogrünbe
beS SebenS nitt betborgen finb. Siefe 9tufrittigfeit erfreut
unS aber um fo mehr, als eS aut unter bem, bon ber
Gultur erft rnenig belecften Sanbboll unferer ©egenben, baS
fit im ©anjen feine ©ittlidpfeit bemaprt bat, lafterpafte unb
raffinirte SRenfcben giebt, bie nitt einmal bereinjelt baftepen,
uitb bie, menn fie niept bon bem gefunben ©inne ipter Sieben*
menften, epe not bie Gntpüßung ihrer SRiffetjjaten geftiept
unb baS <&eritt über fie pereinbritt, inftinctio berabfdjeut
unb gemieben mürben, baper leitt eine moralifte Ißeft er»
jeugen fönnten. Son biefen bunflen ©eftalten pebt fit
eine gröfeere Slnjapl mopl mit SRängeln bepafteter, aber bot
im ©runbe redpfftaffener SRatbarperfonen um fo mopl*
tpuenber ab, als mir feine eigensten Sbealfiguren ipneit
gegenüber gefteßt finben unb überhaupt nirgenbs leibiger
©tönfärberei begegnen. Sn feinen piftoriften Grjäplungen
befleifeigt fiep unfet arünbliter Grjäpler ber piftorifepen Sreue
mit nidpt minberer Sorgfalt, als er in ber Sarfteflung aßet
...Gparaftcre,.ber überlieferten,Wie frei empfmtbenen,, fit.an bie
unberbrütlit en ®«ffpe ber ^fpdpologie unb bie feftftepenben
Grfaprungen beS SebenS binbet. Sabei berftept er eS, bie
3eitfarbc aut ' n ^ er ©pradpe meifterüt mieberjugeben, maS
bei einem SBerf, baS einer fo entlegenen geitperiobe angepört,
.mie fein „UBibufinb, ber ©atfenpelb", eine ungemeine Se*
perrftung biefer borauSfept. SBer mödpte einem Dtto bon
©taeping baper ben fRamen eines etten fßoeten ftreitig maten?
^fettUTetott.
- WaQktvd ocrbotcit.
Cnm infamia.
SBon €u 9 en ^orsmamt.
DaS eigene $au$ ber 9?§enania, beS erften CTor^S ber Uniöerfttät
ibt)Hifd) auf einer $ln^b§e r am 2Baibe$ranbe, mit bem freien &u$bli<t
auf baS fleine, abrette ©täbtdjen unb baS liebUd^e grlngt^al gelegen,
ift im Snncrn prunfnoE überlaben eingerichtet. Natürlich dioeutfeb!
3n jenem fattfam befannten Sierpalaftftile, ber unferen gedjent ber
gebildeten ©tänbe als mürbigfteS Milieu für afle officietten unb
§ibelitätö-3 cc ^ crct en gilt. 3u bem unumgänglichen dtequifit bon biefer
Ärt Einrichtungen, mie^obbertäfelung, unbequemen Jieiflehnigen Stühlen,
plumven ©teinfrügen, unjthönen wnb SBugenfcheiben, fommt
noch te* fpccififch alabemifche 3 imTrt erfchmuc! tu Seftalt bon ^arabes
S ern, Drinfhbrnern, fahnengefchmüdten ^abpenfchilbeni unb ben
ijen, mehr ober toeniger naib gefchmacflofen ©ruhpens unb ^aufs
bübern hinju. Dajtolfchen bic obligatorifchen SKonarchenbilber in ber»
golbeten Nahmen unb Stiche bon sßiSmarcf. Sehr biel ©tSmarcf, als
helläugiger, raufluftiger Stubent, als fraftftrogenber, nur Eott fftrehtenber
Äanjler unb als berärgerter, gelbjüchtiger je m’enfiche-Ullter auS bem
©achfentoalbe. Äuf gefchnigten 3Sanbregalen fteht bie foftbare ©ibliothef:
9ttei)er'& EonberfationSlejicou, bie neuefte ^Irmee^^angiifte, bie Fracht*
Digitized by v^. ooQie
410
Die (Segenmart
Nr. 26.
auSgabe Dort „Unfere glotte", ^opfen’S „fiepter £>ieb", ©artleben’S
„Gastfreier Pfarrer" unb circa punbert EommerSbücptt-
AIS bcr EorpS^Eonoent bcr SRpenania einfiimmig ben ©efcplufj
über bie 3ubi3penfabilität eines eigenen £>eimeS faßte unb bie Alten
Herren zum 3 ro ecfe ber Grünbung eines ©aucomit 6 S unb ©ontapme
ber Gelbfammlungen pierDon benachrichtigte, fanb biefcr Sippen an bie
alte ©urfepentreue ber Qnactiben felbftDerftänbltcp baS freubtgfie (Scho
in allen $er$en, unb bie mürbigen Herren zögerten feinen Augenblicf,
in Erinnerung beS al$ gücpfe abgelegten ScpwureS: „treu ju bleiben
ben blau*meifcgrünen garben bis jum Sobe!" ihre ©anfb'epotS, britteu
unb vierten £)ppotpefen, fomie fonftige Erfparniffe auf bem eirfel?
gefepmiieften Elitäre ihrer Sugenbibeaie zu opfern, ober hoch menigftenS
— in AuSficpt ju [teilen. ©on ber gerabeju ergreifenben Selbfc
Derleugnung mancher Snactioen bei btefer Gelegenheit jeugte am
eclatanteften bie Spatfacpe, bah bet ben Sammlungen zum ©aufonbS
fogar baS Sparcaffenbucp eines 5Rem=2)orfer Kellners unb bte SBocpen?
EommiSlöpnung eines ÜnterofficierS ber algerifcpen grembenlegton in
bie pänbe beS EaffirerS fielen. Sen einzigen SJiißton in biefem eblen
SBettftrette unb ber allgemeinen parmonie oerurfaepte ein gemiffer
3Rt. SRemman, ein fteinreicher Seutfcpamerifaner, ber lüä^renb feiner
Stubienjeit in Seutjcplanb bem fafpionablen EorpS angehört patte unb
ju ben wenigen bürgerlichen ttRitgliebern beffelben jählte. Sie Auf=
napme biefeS ©arDenüfprö&lingS mürbe im EorpS allgemein als ein
fcpltmmer Schier ber bamaligen EorpS=2eitung angefepen unb foöte [icp
nun mirUicp bitter rächen. SlIS nämlicp bie Sammlungen ungefähr ben
vierten Speil ber $um ©au unumgänglich uotpmenbigen Summe
erreicht patten unb für SBocpen, ja Monate ein Dollftänbig unerflär?
liehet, pöcpft roaprfcpeinlicp nur zufälliger Siiflftanb in ben Gelbs
fenbungen eingetreten mar, traf ein Schreiben biefeS 9Rr. SRemman ein,
in bem er mittpeilte, ba& er zum Anbenfen an bie ipm uuDerge&Iicpe
Stubien? unb ActtDzeit, um bie Epre bitte, bie ganze noep gum ©au
feplenbe Summe bem EorpS bebiciren gu bürfen. SiefeS propige An?
erbieten erregte einen Sturm ber Entlüftung, befonberS bei benjenigen
Alten Herren, bie bisher mit ber Einfenbung ipreS DboluS gezögert
patten, unb eS ftettte fiep nun perauS, bap bie Erfüllung beS Dollftänbig
unqualifteirbaren SBunfcpeS beS ganfeeS gerabe diejenigen Herren Don
ber Speilnapme an ber GorpSpauSftiftung auSfcpliepen mürbe, bie
eigentlich gewillt gemefen waren, gerabeju überraf(penb pope Summen
ju opfern. ttRerfroürbiger Söeife mürbe jeboep ber Eintrag beS AmerifanerS
in ber pauptoerfammlung ber Sllten Herren, in gepeimer Abftimmung,
beinape einftimmig angenommen.
Qum fiobe ber jungen Bauherren mufj jeboep benterft merben,
bap fie fiep trop ber oerfüprerifcpen Sage ber ginanzen, einer meifen
Sparfamfeit befleipigten, Don allen überflüfftgen Anlagen, mie jum
©etfpiel bon StuMer? ober Sefejimmern, SIbftanb nap’men unb fiep mit
einem-grofjen Kneipfaol* C. C.^immer, geeptboben unb Sobtenfammer
(für fepeintobte Alfopolifer) begnügten. Sämmtlicpe Gegenftänbe ber
Einrichtung, bom Spucfnapf unb bem Apparate für „Seefranfe" bis
ptnauf jum SlUerpciligften, bem C. C.=S<pranfe, tragen baS SBappen
ober bocp miubeftenS ben Eirfel ber SRpenanta. ES ift biefe ©orfepritng
burcpanS niept etma auS bemfelben Grunbe getroffen morben, mie in
©apnpofmirthfepaften, EafäS u. f. m., bie 3cicpnung ber ©eftccfe unb
Xifcptücper jur SBaprung beS EigentpumSrccpteS erfolgt, fonbern allein
bon bem er^ieperifepen GeficptSpunfte auS, um ben Anmefenben unb
befonberS ben oft pöcpft uueomntentntäpigen „Kameelen" ftetS por
klugen zu palten, meffen Gaftfrcunbfcpaft ju geniepen fie bie Epre paben.
ES ift Abenb unb fämmtlicpe 9?äunilicpfeiten beS EorpSpaufeS
bis auf ben geeptboben fmb pell erleuchtet. Sluf bem Gebäube mept
ftolj baS blau'-meipsgrüne ©anner jum 8 ci 4 en r bie 3Kitglieber beS
EorpS jit irgenb melcpem „löblichen $pun" berfammelt finb. 3m
gropen Äneipfaale pält an einem Enbe ber langen, pufeifenförmigen
Xafel ber zweite Epargirte, vulgo gufpSmajor, mit feinen 8 öglingen
einen 9tenoncen=Eonbent ab. ®ie fteben poffnungSbotten &ücpfe beS
EorpS berfuepen, mie 2ls©=E=Scpüpen mit eingeflemmter 3«ngenfpipe
unb frampfpaft um ben geberpaltcr gefcploffenen Ringern, bie üer=
fcpnörfelten Eirfel ber japlreicpen beutfepen EorpS nacpjumalen. Unter
ben jungen fieuten perrfept peute eine geörüefte Stimmung, ba fiep ber
„Ueppigfte" bon ipnen, ber junge o. iweinerS, bort brüben im ©er*
fammlungSjimmer öor bem pöcpften ?lreopag beS EorpS ju berant*
Worten pat. .ßin unb mieber pebt ftep einer ber tabelloS gefcpeitelten
Äöpfe unb por^t auf bie erregten Stimmen, bie auS bem C. C.=3intnter
perüberfcpallen; ein Seufzer entringt fiep ber jungen ©ruft: „ 9 lcp, wenn
4) u bocp fepon bort brüben fäpeft als ftimmbereeptigter ©urfepe unb
fönnteft mitberatpen über baS ? 8 opl unb 5Sepe ber geliebten Sftpenania!"
5) ocp ber gucpSmajor ift ein gar geftrenger £>err, ber eS gewaltig ernft
nimmt mit feiner erjieperijcpen Xpätigfeit. „©albenfteiit! 2>en Eirfel
ber fuSpenbirten ©oruffo = Suebia in 3K!" gebietet er mit etwas
belegter Stimme. Allgemeine ©eftürjung unb Scpmcigen! E)iefe oer=
fliyten SuSpenbirten! „E)en paben mir noep niept gepabt, gucpSmajor!"
wagt fcplieplicp fcpücptern ber fonft fo oorlaute jüngfte guepö 51 t er=
mibern.
3m Gegenfape 51 t biefer 3&pHe int ^neipfaale perrfepte im EorpS=
Eonnent^intmer eine poeperregte Stimmung. Sämmtlicpe SHecepirten,
bie inactioen EorpSburfcpen unb unaefäpr ein 5)upenb Alter Herren,
unter biefen auep ber ju ©efuep in ©. meilenbe 3 ftr. 92cmmau, paben
an bem Eonoent tpeilgenontmen, als beffen Ergebnip fiep bie Spore beS
ber gefeHigen greunbfepaft gemeipten ©aufeS für immer hinter bem
föücfen eines Unmürbigen gefcploffen paben. ES mar eines jener im
Stubentenleben leiber beinape aKtägliien Ereigniffe. Ein blutjunger
gucpS, Soppelmaife, beffen ©ermögenSeinfanfte in feinem ©erpältnifie
ju bem im EorpS unumgänglichen Aufroanbe ftanben, patte Scpulben
gemaept. 9?a, baS ift ja fcplieplicp niept nur alltäglich, fonbern in 8.
fogar obligatorifcp. 5)er ©ormunb, ein pöcpft eprenmertper ©anaufe, ber
eS für feine einzige, peiligfte ©fliept pielt, feinem ^Wünbel einft beffen
UeineS ©ermögen böllig intact ju übergeben, mar allen ©itten gegen
über taub geblieben, unb fo mar, ba ber junge Seicptfup gum Ueberfluj;
auep noch bie intimere ©efanntfepaft einer liebreljenben, aber fepr
prätentiöfen Äünftlerin maepte, bie ^ataftroppe unoermeiblicp. Sie
Hauptrolle in biefer SragifomÖbie mar einem bieberen Scpneibermeifter
äugefaHen, ber bie.Gefcpmacflofigfeit begangen patte, bie AutpenticüSt
feiner Unterfeprift refp. Dutttung auf einer bem ©ormunbe Dom
jungen EReinerS überfanbten Rechnung ju beftreiten unb ber, mit jener
folcpen fieuten in GefcpäftSfacpen eigenen unangebrachten Dbftmation
birect jum Gericpt gelaufen mar, felbftoerftänbli^ mit augenblidlicpem
Erfolge beim ©ormunbe.
Ser erfte Epargierte, Pon 9loben, ber SppuS eines jener femmel-
blonben, aber energtfepen, millenSftarfen oftelbifcpen 3^nfer, fepritt
poeperregt in bem langen Gemache auf unb ab. „34 m u P ÖPnw
geftepen," manbte er fiep mit rotpem ftopfe an bie anmefenben Alten
Herren, „bap icp 3pte Oppofttion gegenüber meinem Anträge auf Der--
fepärfte Ei'cluftou niept begreifen fann unb biefe TOIbe, gelinbe gefagt,
beplacirt pnbe. Ser £>err mar alt genug, um ftep über bie eoentueüen
golgen feiner Spat, bie icp nur als grobe Urfunbenfälfcpung bezeichnen
fann, im klaren z« fein."
„Ser Scpneiber mar feines GelbeS in jebem gatte fieper! ttRan hätte
bem jungen ttfteinerS eben oorper, ba feine ©ermögenS- unb gamilien;
oerpältniffe in ber EorpSleitung befanut waren, ernftlicpe ©orftettungen
über feinen SebcnSmanbel maepen fotten. Seine Strafe, bie Entlafiung
alS ,unbrauchbar*, pnbe icp noep z« f^enQ unb unzweefmäpig; acht
SBocpen EorpSöerruf unb nacpträglicpe, forgfältige Uebermacpung mären
baS SRicptige gemefen." Ser Sprecper mar ttJir. ^Remman, ber bequem
in einem Seftel zurürfgelepnt, rupig an einer Eigarre Don unäftpetifdjen
Simenponen, aber äuperft Dertrauenermectenbem Aroma 509 -
„Sann pabe icp als 3urift anfepeinenb meinen ©eruf t>erfeplf!"
grollte ber EorpSpräftbe. „3m Uebrigen märe auS ttReinerS niemals
ein tabellofer Eorpfier geworben! Erinnern Sie pep noep feines
oftentatiDen gernbleibenS bei unferem lepten ©iSmard^EontmerS?*
„Sein oerporbener ©ater mar einer ber güprer ber freifinnigen
©artei unferer ©rooinz, icp glaube fogar, eine ^eriobe lang 9ieicp«tagS-
abgeorbneter," bemerfte ein Alter $txv.
„SaS ift Dollftänbig gleichgültig unb 'nebenfäcplicp! gn bem
Angenblicfe, ba ber junge ttRenfcp pep baS blau^meip^grüne Ättb nr
bie ©ruft fcplang, patte er fiep ganz feibftDerftänblicp auep Don
bentagogifepen Öepren feines Alten zu emancipiren. Unb bann fr
immermäprenben SiebeSapären! Sogar mit grauenzimmern befr*
Stänbe! Sie ge|cttfcpaftlid)en ©erbinbungen beS EorpS geben u
oottauf Gelegenheit z«m glitten mit jungen Samen, aber natü::.
bocp nur in ben engften Grenzen unb auf ber ©apS ber ... bet
„Ser Lex £>einze!" routbe ber EorpSgemaltige fcpücptern tmir-
broepen.
„Ser attgemeinen ttRoral unb AnftanbSregeln! Sie SBeibcr bebt
überhaupt im Öeben bcr Actioen nur eine ganz untergeorbnete, cfr;
noep beffer, mie zum ©eifpiel bei mir, gar feine ttiotte zu
Sort mo ein unüberroinblicpeS ©ebürfnip Dorliegt, ift biefem r.r
unferen Statuten, burep greigabe ber Sonntagabenbe Don ben foulci
Derpflicptuugen, genügenb ^Rechnung getragen. Unb icp gepe fogar
weit, Don bem AuSfüpven Don 3Robifltnnen, Kellnerinnen tt. f. m '
biefen Abenben bringenb abzuratpen, ba eS leiber fepon mieberpolt w
gefommen ift, bap folcp 7 fcpamlofe Gefcpöpfe fiep natipträglicp erb®eifütru
ipre EaDalicre, felbft wenn biefe in EouleurS waren, z u gripen, ^
anzufpreepen. ES ift baper baS ©ernünftigfte für ben Eorpfier, L ‘
pin z» gepen, mo er bebingungSloS Dor allen unangenepmen Rol^i
fieper ift."
„9?a, ttfoben, baS ift nun GefcpmacfSfacpel" meinte ein for
patenter 3uöctiüer unb ftriep fiep ben ü la J&abp brefPrten Scpuunba::
noep unternepmenber in bie Höpe.
„92ein, Graf, baS ift niept GefcpmactS^, fonbern Anftanb$iaä\
Einfache StanbeSpflicpt! ES ift bicS gerabe eine berjenigen Seiten tc;
beutf^en StubentenlebenS, bie unfer ©olf berechtigen, mit Stolj ol 1
feine afabemifepe Sugenb zu bliefen. SBäprenb unfere Eottegen b«
flaDifcpen ttnb Dor allem ber lateinifepen ttfaffe ben UeberfcpuB ß n
3ugenbfraft, ben mopl ein 3^ber Don unS auf bie $>ocpfcpul c mit;
bringt, in ber ©etpättgung einer unreifen $olitif unb im flänbigen
©erfepr mit allerlei Grifetten unb fonfligen niepr ober weniger leicht
Zugänglichen Gefcpöpfen Derpuffen, bemaprt baS beutfepe ©erbinbungS=
mefen ben Stubenten Dor biefen ©erirrungen. Unfere ^flicpt ift eS, ben
jungen 9?acpmncpS z u bebingungSloS patriotifepen, fönigStreuen ©ürgem
unb zu Männern, bie ftetS ipre fieibenfepaften im 3 au me Z u ^ tf ”
miffen, zu erziepen. Unb fo lange icp bie Epre paben werbe, ba«
^räfibium . . .
„SRein lieber tttoben," unterbrach ipn pier 3Rr. ttfemntan unb
begann, bie §änbe auf bem tttücfen, im Gemacpe auf unb ab i“
Digitized by v^.ooQle
Nr. 26.
Hit C&ejjenroart.
411
fcgreiten, „negmen ©ie eS mir nicht übel, aber ©ie fpredjen wie eilt
©Jenjcg ber noeg fegr wenig Don ber SBelt unb ber ©lenfcgen Sieben
unb Xreiben gefegen bot- Sitte nid)t aufbraufen! ©ie gaben ein für
Siebefcaffären fegr glüctlidjeS, ober fagen wir richtiger, fegr bequemes
Naturell. &ifd)biütig! ?Mc^t? ©a, fo fcglimme Erfahrungen avec
ces dames-lk werben ©ie bod) wohl auf bem ©ittergute SgreS $errn
©apa, in ber Elaufur beS EpmnafiumS ober fpnftwo nicht gemacht
haben, um fegon ben Angeetelten, ben ©lafirten fpielen ju tönnen.
2)od) u>aS bie Angelegenheiten beS ©JeinerS anbelangt, fo geftatten ©ie
mir, 3gnen eine Heine Eefcgwgte auS meinen ©tubentenjagren, bie noch
nie über meine Sippen gefommen ift uub lange ^eit mein Eewiffen
fegwet, febr fchwer bebrüeft hot, zu erzählen. ©löge meine ©eichte, bie
mir fogar jept, nach ad)tzegn Sohlen, burcgauS nicht leicht fällt, 3h ncn
Zeigen, wie mächtig, ja unwiberftehlich bie ©erfudjung an 3eben
herantritt, ber einmal auf abfegüffige ©ahn geraden ift, unb ben Einen
ober Anberen oon 3gnen oeranlaffen, fieg Oon bem armen Heiners, wenn
©ie ihm auf ber ©trage begegnen, weniger oeracgtungSoott abjuwenben,
als eS wohl nach ber heutigen ©erbanblung ber gaü fein wirb."
„©ie tönnen ja 3h*cn ©rotdgä mit nach ,brüben‘ nehmen unb
ihm bieüeidjt eine Eaffirerfteüe in einem 3h™r ©anfgäufer anoer*
trauen!" behüte &err oon ©oben.
„All right! 2>aS fann ich mir ja überlegen, wenn er fid) an
mieg wenben wirb! (Glauben ©ie mir, meine Herren, baß ber weitaus
größte Xgeil ber ©Jenfcgen, fogar jener, bie burd) ihre fociale ©tellung
unb pecuniären ©ergältniffe über jebem ©erbaegt erhaben bazufiegen
fcheinen, in ihrer ©ergangenheit, in ihrem ©erufSs unb ©efcgäftSs,
Sicbeö* unb Familienleben, fowie in ihren fonftigen ©affionen, alS
©pieler, Sammler, SportSmen, wunbe ©untte hoben, bie, wenn fie
betannt würben, fie in Eonflict, wenn auch nicht gerabe immer mit bem
Strafgefepbud)e, fo hoch mit ben clementarften ©egein ber allgemeinen,
lanbläufigen Ehrbegriffe bringen würben. ABir futb meiftenS nicht nur
Oor bem ©udje ber ©iicher allefammt ©ünber, fonbent . . ."
„©ach biefer Einleitung ju urtheilen, oerfprid)t 3hre ©eichte ja
febr intereffant zu werben, ©er. ©ewman! ES wäre blefleicbt an=
gebracht, fie AngeficgtS ber oorgerüdten ©tunbe auf eine anbere
Gelegenheit ju oerfegieben," unterbrach ben Sprecher ein anberer Alter
JperT, mit beforgten ©eitenblicfen auf bie fpöttifdjen ©efiegter feiner
jüngeren EorpSbrüber.
„©ein! £>ören ©ie benn! AIS mich mein ©ater oor nunmehr
achtzehn 3ohren nach £>eutjd)lanb 511 m UnioerfitätSftubium fegiefte, würbe
bieS allgemein als ein Reichen feiner Anhänglichfeit an fein alteS
©aterlanb angefeben. $)er wahre ©runb war jebodj, baß wir ©eibe,
mein ©ater, ber ben bieberen beutfegen £>anbwerter trop feiner
granbiofen inbuftrieüen Unternehmungen niemals ganz abftreifen
tonnte, unb icg, ber bereits in ber fünften Aoenue aufgcwachjen, unS
nicht uerftaüben, unb ba meine Stiefmutter nebft ganzem Anhang AöeS
aufbot, um biefe fluft noch zu erweitern, fo würbe mein ©ergältniß
Zum ©ater halb ein febr gefpannteS. ©Jeine ©tubien^eü in ©. foüte
bager houptfäd)lich eine ©rüfungSzeit für mich fein, ob ich würbig
fei, einft baS Erbe meines ©aterS anzutreten. tiefer fepte mir einen
für beutjege ©erbältniffe febr bebeutenben ©JonatSwccgfel aus, machte
fug jeboch jmet ©ebingungen auS, bie id) bei Strafe ooüftänbiger Ent*
erbung zu erfüllen hotte. ErftenS mugte ich unter Eontroüe eine
beftimmte Anjagl oon ©orlefungen rcgelmägig befuegen unb zweitens
burfte icg unter feinen Umftänben Scgulben contragiren. E)ie erfte
©ebingung erfüllte icg leiblich, bei ber zweiten würbe icg wortbrüchig.
SMe Aöeiber unb baS Spiel, biefeS erft gelegentlich im EorpS, mit
Offizieren, bann göger unb regelmägig im nahegelegenen ©abe E.,
brachten mich tu Oottftänbige Abgängtgfeit oon SBucgerern, bie fcglieglicg
niegt mehr prolongiren wollten uno befcgloffen, fieg gemeinfam an
metuen ©ater, beffen Starrföpfigfeit bei einem gefaßten ©efchluffe icg
nur zu wogl fannte, zu wenben. Ein ©ergältnig mit einem ©Jäbcgen
auS befferer Familie, baS oon ben Eltern, ba bie kleine niegt oon mir
Taffen wollte, oerftogen würbe, oerfcglimmerte noeg bebeutenb meine
fowjefo fegon göcgft preeäre Sage, ba baS ©Jäbcgen nun ooüftänbig auf
mich unb meine .ftülfe angewiefen war. 3 « meinem unoerzeiglicgen
jugenblicgen fieügtfinn befegloß id), einen #auptcoup z u wagen unb
reifte mit meinem gerabe fälligen ©ierteljagrSwedjfel unb einer ziemlich
bebeutenben, gier unb bort, tgeilweife unter faifegen ©orfpiegelungen
Zufamniengeborgten Summe birect nach ©Jontc Earlo. 3cg fpielte unb
— Oerlor AüeS! AIS ber Eroupier meinen lepten SouiS eingezogen
gatte, waT icg ooüftänbig gebrochen; ben ©lief ftarr nach ber Steüe, Oon
ber baS ©olbftücf oerfegwunben war, gerichtet, niegt im Stanbe, aueg
nur ein ©lieb meines ßörperS zu rügten, war id) ftpen geblieben, ganz
erfüüt oon bem einzigen ©egriffe, in bem fid) mein ganzes Qmb
Oermögen, concentrirte: ,3cpt ift AüeS auS! ©tach 7 ein Enbe, ein fcgnefleS
Enbe!^ 3)aS ftrenge Antlip meines ©aterS tauegte entfeplid) beutlicg,
wie eS in ber XrennungSftunbe mich angeblidt, zu mir gefproegen
gatte, gart, unbeweglidg, unerbittlich üor mir auf. ES gab feinen
Ausweg mehr, baS Fürcgterlicgfte, Septe fegien mir unoermeiblicg.
$>a gefegag etwas, waS icg heute geneigt bin, für baS ^Balten
cineS mir günftigen FotumS zu galten. 3Rein ©adgbar am grünen
Suche war z u fäüig ein ©ew=0orfer ©ttüionär, Epncurrent unb perfön^
Ucher.Feinb meines ©aterS, ber, obwohl er fegr erregt unb oerwegen
jpielte, beinahe fietS gewonnen gatte, wenn icg meine Golbfücgfe bagin=
fegwinben fag. AIS er feinen lepten Eerninn, einen ganzen Stog oer=
fegiebenwertgiger ©anfnoten einzog, entglitt feiner bebenben #anb ein
^unbertfrantenfegein unb blieb, wie gewöhnlich in ber 3Ritte zufammen*
gefaltet, an meinem Seinfleibe, ganz * n ^ er uteiner ©anb hängen.
^)iein erfter 3mpulS war natürlich ben ^egein abpfcgütteln! Xropbem
blieb id), wie einem geheimen unwiberfteglicgen $)rucfe folgenb, uns
beweglich fipen, unb Durch mein gemartertes $irn zogen wirre ©es
banfen, baß nun bodj AfleS auS fei, unb eS ganz gkicggiltig fei, waS
id) noch beginnen rnoOte. 3<h baegte an bie egrlicge Trauer meiner
Freunbe ,brüben‘, int EorpS, an bie ©egabenfreube meiner SBiberfatger,
befonberS in ber ©erwanbtfcgaft, bei ber ©aegriegt oon meinem fläglicgen
Enbe, unb bann erftanb oor meinen Augen baS ©tlb eines gübfegen
fleinen ASognzimmerS, in bem ein OerlaffeneS ÜRäbcgen, baS mir AOeS,
Dtiif, Egre unb Familie, geopfert gatte, oerzweifelnb auf bie ©ücffegr
beS beliebten waTtete. Unb als icg mieg auS biefem EgaoS zufammen*
ganglofer ©orfteüungen unb bem 3uftanbe fegeinbar ooüftänbiger phhfifcger
Erftarrung wieber einigermaßen aufraffte unb zur ©eftnnung fam, ba
war baS Entfeplicge bereits gefegegen — medjantfeg, unbewußt einer
gögeren Eewalt ober oteüeicgt au^ bloß inftinctio meinem ©elbfts
ergaltungStriebe folgenb, gatte icg ben ©egein ergriffen, gefept! $ie
Erfeuntniß ber ganzen Tragweite meiner Xijat, hü Angfl oor ber Ent«
bedang unb eine überwältigenbe ©eue unb Scgam lägmten Oon ©euem
ooüftänbig meine ABiÜenSfraft. 2)ie ©timmen ber EroupierS, baS
Eeflüfter meiner ©aegbarn, ber ganze gebämpfte fiärm beS ©pielfaaleS
fcglugen wie auS weiter tyrnt an mein 0gr, unb erft ber wiebergolte
Anruf eines EroupierS gab mir einigermaßen meine äußere fRuge unb
Zugleich eine Klärung ber ©ituatton. $te ©anfnote beS ©ews^orferS
gatte bem Spiele eine mir günftige ABenbung gegeben, unb icg gatte
Schlag auf ©d)lag gewonnen, fo baß ber Raufen ißapiergetb Oor mir
bereits ben Oorgefcgriebenen £)öcgfietnfap überfegritt. 3Rit zittemben
§änbeit z°9 i«g «inen Xgeil meines E)ewinnfteS an mieg, ogne z u
wagen, an einigen ©unbertfrancSnoten, unter benen icg ben ents
wen beten ©egein oermutgete, z u rühren. 3cg gewann wieber unb
wieber! 3*u ©erlaufe etwa einer ©iertelftunbe gatte icg unter aflgenteinem
Auffeben ein fleineS ©erntögen, baS bie Eefammtfumme meiner Scgulben
weit überftieg, gewonnen. AIS icg mieg fegwanfenb, noeg galb betäubt
ergob, um ben ©aal zu oerlaffen, buregzuefte mieg ein alüdltcgcr
Eebanfe. 3ä) beugte mich *afdj, wie zufäüig zu meinem ©aegbar gins
über unb ließ feinen ©anffegein, icg glaubte wenigftenS tgn wiebers
erfannt zu gaben, niebergleiten. 5Docg fegon im näcgften Augenblide
gatte einer ber Saalauffeger benfelben ergriffen unb überreizte ign
mir, trop meines ©rotefteS, mit ber liebenSwürbigen, aber feften ©es
gauptung, er gäbe baS &inabfaüen beS ©apiereS genau beobachtet. 3<g
entflog! ©eitbem gäbe icg niegt megr gefpielt, obwogl meine ÜRtttel
eS ntiriept . . ."
©er. ©ewman mußte feine Erzäglung unb bie ©romenabe unters
brechen, ba igirt ©err gon ©oben in übertriebener Erreguna mit einem
garten, fuffifanten AuSbrucfe ber ftaglblauen Augen ben feeg oertrat,
„©arbon, mein £>err, geftatten Sie mir eine Frage! £>aben ©ie
wirflicg niegt ben ©tutg gefunben, bem &ertn — fpäter, unter Oier
Augen, ein offenes ©efenntniß abzulegen unb igm baS ... baS
genommene (Selb zurüdzugeben?"
„©ein, ©eregrtefter," gab 3Rr. ©ewman lacgenb zurüd, „benn
wie icg 3guen bereits gefagt gäbe, war mein ©aegbar ein perfönlicgcr
©egner meines ©aterS — waS leiber meine ©tiffetgat nur noeg erfegwert
— unb gätte bager als prattifeger ?)anlee trop feines toloffalen ©er=
mögenS zugleich mit bem #unbertfrancSfdjein aueg zweifellos ben bas
mit gemachten bebeutenben Eerninn zurücfoerlangt. Unb baS wäre bod)
fegabe gewefen! Renten ©ie etwas über meiner ©eiegte nach, meine
jungen Freunbe, unb möge baS ©efultat 3grer ©tebitattonen bem
armen ©teinerS z« ©ute tommen. S)odj eS ift fpät geworben! Auf
ABiebe.rfegen morgen beim Frügfcgoppen, meine Herren!"
♦ *
*
Am anberen ©Jörgen faß ©Jr. ©ewman in feinem £ötel, augens
fcgeinlidj rofigfter ßaune, oor bem ebenfo reichhaltigen als appetitlichen
Breakfast unb ftanb eben im ©egriff, trop ber frügen ©lorgenftunbe
eine gewaltige ©ortion Ham and eggs in Angriff zu negmen, als fein
©lief auf bie igm mit ber Frügpoft überbracgten ©riefe .fiel. „Aga!
Sicherlich eine officteüe $antfagung ber lieben Sungen für meine
5)ebicationen!" Er ergriff baS oberfie, mit einem pompöfen ABappen
gefegmüdte ©egreiben, öffnete eS unb laS:
P. P.
Saut ©efegluß eines Oon E. ©. Oon ©oben x geftem Abenb
10 Ugr c. t. einberufenen außerorbentlicgen EorpS*EonoentS, bin icg
beauftragt, 3guen mitzutgellen, baß, auf Erunb einer Oon Sguen felbft
mitgetgeiltcn Epifobe auS 3grer Actiozeit, 3gre ©treiegung in ben
EorpSliften c. i. erfolgt ift unb ©ie ben ©ertegr mit ben Actioen
fofort einzufteüen gaben.
p. C. C. ber ©genania
Oon ©Jüüer x x x.
©Jr. ©ewman ftrieg fug einige ©Jale mit ber flacgen ^>anb über
©tim unb Augen, überlaS bann nochmals aufmertfant bie wenigen
Beilen, fcgüttelte ben $opf, laS zum brüten ©Jale unb gatte enbUcg
begriffen.
„C. i, Goddam! S)aS geißt ja cum infamia! Ag! ^5)aS ift ftart!"
Digitized by v^.ooQle
412
Die föecjenaört
Nr. 26 .
Wa<ßbenfliiß fc^vüt et eine Beile im gimmcr auf unb ab, holte
fid) bann Dom ©cßreibtijcße bie ©orpSlifie bei* iHlteu getreu unb begann
bariu zu blättern. Beßmütßtg fcßmeifien jeine ©liefe über bie moßl*
betannten, ißm tßeilmelfe lieb unb treuer gemorbenen tarnen feiner
©lubienfreunbe. 3>od) ein ©lief auf ba$ Dor ißm liegenbe ©djrclben
qenügte, um jebe meießtjerzige Wegung §u Derjagen. ©r ergriff einen
©Iau|tijt unb bureßftrid) mit einem forctrten «eßmung jeinen tarnen.
$11$ er baS §eft mieber zuflappte, fielen jeine Augen auf eiuen fleinen
©erS, ber beu ©orpSberid)t an bie Alten J>erren einleitete:
Auf baß fte niemals fällt,
3)ie blau*meiß-- grüne ga^ne,
3 Wit Watß nicht nur, — mit (Mb
©ie unterftüße 3)u, Wßenane!
„Wa, biefer Pflicht mären mir ja Teblidj nadjgefommen," rief er
beluftigt. Unb bantf bvacb ber geroiffen* unb nunmehr auch ebrloje
jjanfee in ein brößnenbeS ©dächtet au$, jo baß %tan, ber gimmertedner,
melcßer gerabe baS ©cbtüfjellocb einer ©orribortßür einer eingebenbeu
Snfpection unterzog, §u F*iß bem Cperfedner, ber ficb an ber näcbften
$ßüre auf biefelbe Beife bie geit Derfürzte, erfeßreeft auffaßrenb
bemerfte: „Wa, ber 3Wr. Wemman ift heute aber luftig. $er 3)oüar*
faßte fcheint ficb jo großartig hier bei nn$ in ©. z« unterhalten!"
Unb 3ean ber gimmertedner hatte Wed)t.
i
JOiö bet ,Ättupt|tabt.
Die rotlje Janfi.
Ade bie je ©rjcßüttetungen hatte baS Weid) fraftood überftanben, unb
ber jubelnb begrüßten Wtorgentötbe einer befjeren geit mar enblicb ber helle
Wcittng gefolgt. $)ie furchtbaren jocialen unb mirtbfebaftlicben Kämpfe
hörten auf. (£8 mar nicht möglich geroefen, ba$ focialiflijcbe 3 i>eal ju
Dermirf ließen; bei ber ©erjebiebenheit ber menfeßließen Xriebe unb An¬
lagen ftrebten immer ©inzelne nach großem Weicßthum unb berftanbeit
ihn ju erlangen. Aber man lag bor biefen ^abgterigen nicht mehr auf
ben Jlntcen, mie in früheren Sabrtaufenben, man beneibete fie nicht mehr,
noch erhob man fie lobpreifenb über alles ©olf. 3Jtod)ten fie immerhin
golbene ©cßäße ^ujammenraffen unb angftood einen ©cfiß bemachen,
befjen ©röße fie am ruhigen üebenSgenuffe ebenjo ßinberte, mie ba$ ©e=
.mußtjän feiner ©ergäfoglicbfeijt.-- man lief*,bie bebauernSmerthen JDßfer
bc$ ©eizeS ruhig gemäßren. $>er großen Mehrheit, ben ©erftänbtgen
genügte e$, baß für ihre« £eibeS Nahrung unb Wotßburft gefolgt mar.
Währte bod) jebe reblicbe Hantierung ihren Wtonn. 2 >ie entjeßlidjen
geiten maren übermunben, mo fleißige Wtcnfcßen feine ©efebäftigung
fanben,’ mo in ben Siefen bleicher Hanger mütbete unb jeber Sag ©elbft*
morbe auS WaßrungSforgen faß. 3eßt gab c $ 9 enu 9 für aüe
Wienfcßcnfinber, mell eS Arbeit genug gab. AUerbingS erniebrigten ficb
nur ihoren zu ihren miUenlojen ©elaoen unb heßten ficb in Äranlhett
unb iterböfen Babufinn hinein. Sie Belfen tarnen rebltcb ihren ©er*
pflidjtungen nach unb tbaten DoUauf ihre ©djulbigteit, legten aber ebenfo
großes (Vernicht auf bie ©tunben fröhlicher (Erholung, ©o mürbe baS
©olf an Mb unb ©eele gefunb unb in ©Jahrbett ein freies ©olf.
®S oerjebmanben benn auch bie Webel, bie früher fein (MftcSleben
umzogen hielten, ©o lange bie iofle ©ter nach (Mb aUe H et i c n ocvbrannt,
alle Straft beS HimS begehrt hatte, maren $unft unb Biffeitfcbaft eitel
fiuyuSgegenftänbe gemefen. Wur Wciflionäre ober unpraftifeße ©eßmänner
hatten ficb mit ihnen befaßt. 3 e ßt, mo ber abfdjeulidje „Stampf um'S
Safein" ju ©nbe v -gegangen mar, mo bie beutfebe Wfenfcßbeit ihr ©liicf
nicht mehr in milbem 3 agen nad) bem Srrenhaufe fanb, jeßt erft blühte
beutfebe ©ultur auf. Unb fie überblühte aDeS ©olf, nicht nur ben Hof
unb bie H 0 ( hfinan$. Itnfere dichter unb Genfer mürben nicht länger
bon ben ©tammfunben Habi) r S fpöttifd) über bie ©djfeln angefehen. ©ie
nahmen hinfort bie erfte ©teile in ber ©efellfcbaft ein, genoffen all' ber
@b?en, bie man bor geiten etma ben fogenannten ©ffefforen ermiefen
hatte. Unb fie banften'S überreichlich ihrem ©olfe. ©in lachettber grüh-
ling beutfeber Ännft brach an, unb föftlicbe ©JeiSheitSIehren ergoffen fidj
auö bem 9)iunbe ftrahlenbcr Genfer über bie gan^e Wation. §n biefem
(Ölanje bermehte ber müfte fßarteisanf, ber einft bie ©äter gegen bie
©öbne gemaffnet unb jroifdjen ©rübern unüberfteigbare ©chranfen auf*
getürmt hatte. ©S bermehte aller religiöfe Ho^er, unb für ein geicben
fnecbtifdjer Unbilbung galt eS hinfort, menn man frenibe Meinungen
berachtete ober berfolgte. ©JaS bor enbloS bielen Sahren ber geliebte
Wajarener gebrebigt hotte, baS mar bem ©olfe jeßt in &letfd) unb ©lut
itbergegangen. 9Ran befolgte feine ©ebote unb blicfte mit ©djaubern
auf eine berfloffeue geit jurürf, mo bie ©fetifcben ficb ebenfalls ©hriften
genannt unb einanber hoch mit 2:ücfe unb Hinterlift ermiirgt unb bieS
gemeine ©erbrechen noch als ^GJefcbäftStücbtiafeit" unb heroorragenbe
„faufmännifebe ©egabung" geßriefen hatten. ©Jo man ben als ^jebneibig"
feierte unb mit tiefer ©erbeugung grüßte, bet unter ©Jabrung gemiffer
Formalitäten eiuen Wäcbfien gelobtet hotte; mo ber ©hebrueß als eine
liebenSmürbigc ©erirrüng, bie Uiige für geifireid) galt. Wiemanb öets
achtete bie ©orrnelt, beuu geber mußte, baß bie ©ßnen troß ihrer tnon=
nigfaeßen Feßler tüchtige ©fänner gemefejt maren unb in ihrer ©rt baS
©efte erftrebt hatten. Xroßbcm begriff man ihre ©erirrungen nicht, be=
griff nidjt, mie fte, benen bie fießren beS HeilanbS biS auf’S leßte ^ünft-
eßeu genau befannt maren, fo gebanfenloS an ihnen batten oorüberge^en
fönnen. ©oflte benn mirflich unter biefen Millionen deiner bie Borte
ber ©ergßrebigt Oerftanben, deiner im ©bangelium ©fattßäi beS $zrm
focialeS unb fittlicßeS ©rogramm: „EWicß jammert beS ©olfeS* gelefen
haben? 3)iefe unerhört blutigen Kriege, ‘bie nichts maren alS fchmac^
bolle Waub^üge im gntereffe beS gelbfcßarrenben ©abitaliSmuS, mie burfte
man fie bulben? 3)er freie ©tonn ber neuen geit feßauberte gurücf öor
ber ©cßärfe beS ©(ßmerteS — bo<ß mahrlicß nicht aus Feigheit, dr
tonnte fid) eine ©föglicßfeit beuten, aDerbingS nur eine einzige, mo et
mit ©egeifterung jur Flinte gegriffen hätte. ®och anberen ©tenfthen,
bie ftill unb gufrteben baßinlebten, bie ißm nie ein SeibS getßan hatten,
mit bemaffneter Fouft bie Freiheit ju nehmen, Wabotß'S Betnberg an
fid) ^u reißen unb unfcßulbigeS ©lut ju oergießen — gegen biefen ab*
fcßeultcben GJebanten empörte ficb fein ganzes Herj.
Bie bie ©ürger, jo mar bie Wegieruitg. ©mft unb gemiffenhaft,
boeb in Wuße, fo baß man ißre ©fiftenj taum bemerfte, tßat fie ihre
©fließt- 3)ie fieiter beS ©taatSroefenS mußten genau, melcßen Beg Rc bie
Wation $u füßren ßatte, unb eS gab fein ©eßmanfen in ißrem Xßuri. ©ie
oermieben alle geräufcßoollen fteußertießfeiten, ade äugenblenbenben mtb
oßrenbetäubeuben, pomphaften ^unbgebungen; fte fdpoiegen, mßßrenb
fie ßanbelien. 3)er ©erfpreeßungen, bie fie gaben, maren Benige, aber
überall, mo eS notß tßat im £anbe, fpürte man ißre ßelfenbe unb ftfißffnbe
Hanb. ©ie machten baS beutfeße ©olf unabhängig oom ©uSlanbe, fie
jorgten für bie ©rßaltung feiner ©tärfe, inbem fte ber fianbmirthWaft
unb mit ißr bem fleinen ©emerbe bie troßige, gefunbe ©elbftftänbigfeil
bemaßrten. 3 ßre meife ©olitif träftigte ben inneren Wtorft fo feßr, baß
ade ©erufe unb ©rmerbSfcßicbten ^ureießenbe ©rbeit unb genügenben ßoßn
im ©aterianbe fanben unb nicht ängftlicß über bie G)ren&en gu fcßielen
brauchten, ©o fonnte baS. Weid) mit aden Wacßbarftaaten im FTieben
leben, oßne Don einem ©innigen in irgenb einer ©e^teßung abhängig $u
fein. ©S ftanb ftol^ unb frei ba in ber Belt, auf Wiemanben ange*
miefen als auf feine Ätnber, unb fein ©lücf, fein Boßiftanb mueßfen
mit ben Sahrßunbeilen.
H:
3)ie ©ereinigten ©taaten Don $luftralien mürben um jene geit
mieberum Don einer ber feßreefließen HoobelSfrifen zerrüttet, bie baS
fianb in immer förderen groifeßenpaufen heimfueßten. 3Ran hatte ftdj
fo oönig auf bie ©ebiirfniffe beS BeltmarfteS unb ißre ©efrieh
eingeridttet, baß ber Äbfaß im 3nnern faum noch in 3hrageJ
WußraltenS Weicßthum floß aus ber F«mbe. &uv bie Frctttbc gn A
bie ©cblote feiner Fobrifen, fliegen feine ©ergleute in bie ©d
bem Baarenoerbraucß ber Frembe ßingen Wfatiht unb gufnnft beS I
ab. ©in atßemlofer ©oncurrenjfampf bureßtobte feine ©labte;
beutenben tedjnifcßeu Weiterungen, ade inbnftricden Fortfcbritte \
Don $luftralien auS. $ie gelehrten ©olfSroirtße auf ben Utita
nannten biefe ©ntmicfelung bie einzig menfeßenmürbige, unb feil
Wegieruug gefdjah $ldeS, fie ^u fövbern. $luftralien mar flol^
Hocßcultur, Me fid) oormiegenb in unabfeßbaren ©cßornftein*
ftarfer miUtärifcßer Wiacßt unb überlegener ©eraeßtung beS fo
©eßimfapfeißumS barftedte. ©eine ©emoßner blieften ßoßnlää
bie rücfftänbigeu Wationen ßerab, bie fieß noeß ben gufäQigfcM H
©etreibebaueS auSfeßten, bie in ißrer Unmiffenßeit Don ©gnbifgü gab
XruftS fo menig $lßnung hatten mie Dom $erminßanbel, unb tg
©ßrbarfeit ftatt ber billigen auftralifcßen Wamfcßfabrifate gebieMlt
fünftjeßöne, aber tßeure unb beßßalb concurreniunfäbige Baaren [
üDte auftvalifcße HonbelSbilanj übertraf gemeinhin bei Beitem J
aller Webenbußler. Unb fo roütßenb fteß bie ©arteien autß
barin flimmten fie faft ade überein, baß $luftralien gar i
ÄtiegSjcßiffe bauen fönne, um feinen ©eeßanbel unb feine
gu f^üßen. Honb in Honb bamlt ging ber brennenbe Bunf^,
meßr ©olonien ju ermerben; bebeutete boeß jebe neue©oloniei
größerung beS auftralifcßen WtovfteS. Füt bie raftlofe Äif "*
neuer Sänbergcbiete, bie jofort ber capitaliftifcßen Ausbeutung
mortet mürben, hatten bie auftralifcßen üeitarttfelfcßreiber ei
uenbe ©ßrafe erfnnben: fie fpraeßen immer Don ber AuSbreii
ließet ©ultur, unb meinten bamit unbarmherzige ©emid
frembeit ©igenart, graufame gerftörung fremben ©igentßumS . .
unb ©ranb. ©S flang poffterlicß, bieS ßabfücßtige WaubgefUM
hörlicß Don feinen ©nltur*Äufgaben fpreeßen unb p<ß ©toniere"Rt w*
lifation nennen zu hören. £ßatfäcßlich aber magte Wiemanb, ihnen in
ben Beg zu treten unb beu Sügnern bie SJtoSfe Dom ©efteß* |U reißen.
3>er äußeren Wtocßt beS ©taateS entfpradjen bie guftänbe im 3imem
menig. ©äßrenbe ©erbitterung unb gereiztes SWißtratien trennte bte
©laffen, unb bie mirtßfcßajtlichen ©egenfäße naßmen mit jebem an
©cßärfe zu, fo baß man forimäßretib mit bem Ausbruche ber focialen
WeDolution rechnen mußte, gmar geigte bie Wegterung, bte in allen
anberen Flogen Don bejeßämenber ©cßmächlicßfeit mar unb haltlos $toifd)fn
ben ©ytremen einßertaumelte, ber Arbeiterfcßaft ftetS ein finfterefc ©«rubt
unb brangfalirte fie mit brafonifeßen Ausnahme* ©efeßen, Me bcifpielS^
meife auf ben ©treif bie £obe8ftrafe feßten unb jeben ©erjueß, eine
Digitized by v^.ooQle
■
«p
Nr. 26. Hie ftcgenroart. 413
Sofjnerfjöpung perbeizufupren, als SaubeSVerratp bepanbeltett. Aber
bicfc blutige Strenge, bie notpwenbig war, um Me auftralifcpe Qnbuftrte
auf betn SBeltmarfte concurrenzfäpig $u ermatten, trieb baS Proletariat
%\\x 9$fr$welflung, opne boep auf ber anberen Seite bie gewaltigen
©eptoanfungen ber non taufenb uncontroltrbaren 3ufüßen abpärrgenben
©anbetöbilana verpinbern zu fönnen. AIS in golge ber lepten fcpweren
Stifte Daufenbe non gabrifen ftifl ftanben unb £>unberttaufenbc non
SSerfleuten bie Sanbftraften beVölferten, wäre baS Wtniftertum trop ber
{mtrtotifdjen Aeben unb febönen Serfpredjungen feiner Seiter bem Sin*
fturme ber renolutionären Dcmofratie erlegen, wenn eS ber maftgebenben
treffe nicht in elfter Stunbe gelungen wäre, bie entfiammte SButp ber
Waffen auf baS AuSlanb abjulenfen. Die meiften fremben Staaten
batten fiep admälig buvcp ScpupZ ö ü e ber Ueberfcpwemmung mit ben
billigen unb fcplecpten gabvtfdlen AuftralienS ju erwehren Verftanben;
nur Deutfcplanb, ba$ überhaupt feine ©infupr brauchte, war bem gret*
pantel treu geblieben. Unb währenb bie Auftvalier fiep mit ben er*
brüefettben 8oHtarifen ih*« Aacpbarn abfanben, richtete fiep ipt £>aft
gegen bie „barbarifdje Sebürfniftloftgfeit" ber Deutfdjen. Shre groften
3 eitungeit würben nicht mübe, bie „germantfepen gopfträger" als eine
©efapr, als ein ftpwerfädigeS £>inbernift für aff unb jeben ©ulturfort*
fepritt ju branbmarfen. Sie beffagten eS lebhaft, baß btcS reactionäre
Sott noch immer fürlieb nahm mit ben gebiegenen, febönen ©rgeugniffen
bte eigenen gleifteS, ftatt fremben Scbnnb ju faufen, unb fte nannten
cS eine gefchicbtlicbe Aotpwenbtgfett, „oftlänbtfcpe ©eftttung" nach bem
* Oerrotteten Abenblanbe ju tragen. Sie preMgten ohne Unterlaft ben
„p«Uigen ffrteg ber Silbung unb Humanität gegen ein hinter feinen
dauern geifttg erftarrteS, ftttlid) unentwirfelteS Soll. 9Bir leben," fo
feprieb mit glammenworten bie „Poft", baS Welbouruer Organ ber ©roft*
inbuftrieQen unb Sörfenfpecufantfcn, „im 3Mtalter beS SerfeprS, unb bie
motorifchen Kräfte, welche unfere Dage unb unfer Dagcwcrf beberrfeben,
butben feine chinefifcben unb feine bentfdien dauern, hinter benen
Despotismus, Unfreiheit unb Barbarei perrfdjen." Wan müffe, pteft
eö weiter, bie Deutfcpen in ben gefunben Kreislauf beS mobemen Gebens
einbeziepen unb ihr Sanb bem Serfepre öffnen, wenn erforberlicb, mit
©ewalt. Son bem £anbel mit Deutfdftanb verfpraep ftep baS mobile
Kapital golbene Serge, unb jeber 3nbuftrielle war überzeugt, baft er
hier einen in alle ©wigfeit fauffräftigen Warft für feine Probucte finben
würbe. AIS Dcutfcplanb inbeft jebent Sorftofte ber auftralifcpen ©elb*
mftdjte fchweigenben PSiberftanb entaegenfepte, würbe bie Sprache ihrer
Solbfdjreiber täglich brohenber. „An Der Unnahbarfeit beS beutfeben
SBefenS, an feiner grenjenlofen Unaiifricbtigfeit, an ber jähen Cppofition
gegen jebeS ©inbringen auftralifeben ©eiftcS fdjeitert ade Wüpe, Ser*
trauen unb Spmpathie gu er werfen zunt ßwtdt frieblidjer Sntereffens
gemeinfehaft," febrieb ein befonberS VovitepmeS Platt. „Paffiue Dppofition
ift baS A unb D btefer verlogenen, um taufenb Ausflüchte nie verlegenen
beuifcpen StaatSfunft, unb lange genug haben bie Wäcpte fte gebulbet.
Da frcanblicbe Ueberrebung nicht verfängt,, fo bleibt baS ©eltenbmacpen
beS phbfifchen UebergewicbteS baS einzige Wittel, welches ©rfolg ver*
fpridjt." — „Aacp beutfeber ScbenSauffaftung," fo lieft fiep ein anbereS,
frelfinnigeS Organ vernehmen, „ift ber entfcploffene Stiflftanb bie wahre
Aufgabe bei WenfcpengejcblecbteS. 9lun, baS neue Qaprhunbert wirb
bie Antwort auf bie &rage geben, was mächtiger ift, bie 3äptgfeit itnb
Schlauheit ber Deutfcben, ober ber Sturmeseifer unb bie vergeiftigte
Anffaffung ber Auftralier. Auftralien will baS Deutjcpe Aeicb für bie
©ultur erobern, bieS Aeicb Von gewaltiger SolfSjahl unb ungeahntem
SReicpthum an Aaturfcpäpcn."
Die einmal entfachte Segeprficbfeit, bie in ber Sefepung Deutfcb=
UnbS baS lepte unb einjige .f>ülfSmittel 3 ur Sfettung auS focialer 9?otp
unb ben Scbrerfniffen ber Ueberprobuction fap, febrie nach Dhaten. Salb
aeiug bot fiep bie p«i6 erfepnte günftige ©elegenpeit. Auftralifcpe
Wifftonare patten an ber Dftfeefüfte Verfcpiebene Abarten beS ©priften=
tpumS geprebigt, peucblerifcbe iiepren, wie fte bem in ©runb unb Soben
oerkorbenen auftralifeben SolfScharafter entfpracben. Anfangs fapen bie
beutiepen Sepörben lacpenb bem Unfuge $u. Sie wuftten, baft 3efu
reines ©Vangeliunt juft in Deutfcplanb mit reblicbcm Semüpen erforfdjt
unb befolgt würbe, unb fte vertrauten bem gefunben Sinne ber Se^
Völferang, bie mit Seracptung bent wiberlicpen confefftoneHen ^aber unb
bem «tcprifllicben ©ejän! ber auftralifeben Wifftonare äufap. ©ineS
DageS feboep warb ben pommerfeben Säuern baS Xreiben ber Sremben
ju bunt. Sie fepaarten fiep jufammen unb jagten bie Ueberläftigen,
bie ben peimifepeu ©ott befepimpft patten, jum Sanbe pinauS.
DeS lieben ^iebenS wegen bot bie beutfepe Regierung ber auftra=
lifcpen jebe gewünfepte ©enugtpuung. Den Welbournem aber jepien ber
©tern ber Stunbe günftig. ©ine glotte erfepien auf ber Stettiner 9tpebe,
fepoft bie Stabt in Sranb, Verjagte bie fleine Sefapung unb erklärte bte
gan^e ^rovinj für eine auftralifcpe ©olonie. ©leicp^eitig würben ftarfc
Druppenabtpeilungen gelanbet, bie, alles vor fiep nieberbrennenb, auf
^Berlin loSmarfcpirten. ,,©S giebt fein DeutfcpeS fEetcp mepr," jauchzten
ber Scpreibfnecpte ber auftralifeben Wacptpaber. „Aucp am beutfeben Solfe
erfüllt ftep baS Sepirffal jeber Aation, bie bem ©ultnrfortfcpritt pemmenb
ln bie SRabfpeicpc fällt. Unferer Qnbuftrie aber ift ein neuer Warft er=
öffnet, bie Ärife barnit ftegreiep überwunben."
♦
©S fam anberS. 3n fdtrerfUcper ©lorie ftieg ber längft verloren
geglaubte furor teutonicuü empor. Wörbcrifcpe 5Butp paefte baS
ber Stoffen halb entwöhnte, friebferlige Soff, als eS bte geliebte
$etmatp von ben fremben Sarbaren bebropt fop unb erfennen muftte,
baft man opne ©runb unb Urfarfj fein ftilleS ©lürf jerftören, baS
alte 9teieb entepren, ben alten ©ott entthronen wollte. Deutfcplanb
befann fiep auf feine Sergangenpeit. ©ine grofte Partei, bie „rotpe
Sauft beS SriebenS unb ber Saterla^^tte!^, tauepte auf, wie auS
ber ©rbe geftampft, unb jwang bie aUju verföpnlicpe, afl^ufepr um
baS Slut iprer Sürger beforgte Regierung, bei* ©ewalt ©ewalt
entgegenjufepen. Die Dicpter hüben wieber an, Von bem benf*
würbtgen, unVergeftlicpen 3ab*e 1813 fittgen, wo ein friegSgewaltigcr
Dämon in’S Sanb gebroepen war unb eS unterjocht patte. Damals ftanb
auf, wer einen Drefcpflegel fcpwingen, eine Sücpfe an bte Sarfe reiften
fonnte, unb Vor ben Äolbenfcplägen ber tapfern Apnen war ber lieber*
menfep Aapoleon gufammengebroien. Unb weiter fangen bie Ißoeten Vom
fagenpaften ftaifer 3Beiftbart unb feinem ©epiilfen, bem 9?iefen SiSmarrf.
©ine Aaiion, bie folcpe Wänner gezeugt patte, ein uraltes, ewiges
©ulturvolf fonnte niept fcpmatpvoll untergeben vorm Anprall golbgieriger
Sarbaren. Die neuen Sorten unb ^ijarro, bröpnte eS burcp'S Sanb,
werben feine 3hfaS finben. Unb gottbegeiftert jogen bie .^eere in’S ©e*
ftlb. ©in 3<>rn ohnegleichen war über Ade gefommen, ein rüprenber
Cpfermntp Dabei, unb auS jebem ©eftdjte fpraep finftere ©nfcploffenpeit.
w Ade Driften, alle Stätten
järbt mit ipren Änocpen weift,
Atoltpe 5Wab’ uttb SucpS verfepmäpten,
©ebet fte ben 3if<Pen preis!
Scplagt fte tobt! DaS Stoltgericpt
gragt euep nach bew ©rünben niept."
Aun erft Verftanb man wieber ben Ieibenfdjaftliehen Dieter, bem
vbie Aotp beS SaterlanbcS einft in trüber 3*it baS ftol^e &ev$ gebrochen
patte. Unb man tpat, wie er befohlen. S3enn bie ©efebieptsbüeper
3Baprpeit melben, pat fein Aufiralier lebenb ben beutfepen Soben ver*
laffen. Unb Aientanb pat jpäter mepr einen Serjuep gemacht, oftlänbifche
©ultur, Humanität, ©efittung, gräljeit unb Speculation in’S Abenblanb
ju Verpflanzen. Caliban.
Hratnatifd)C Anffuljrimgen.
9liicfblicf auf bie Dpeaterfaifon. — „Stanbpafte Siebe." Suflfpiel
in Serfen von ^einrirf) -Ärufe-.'■— „gremblittge." Sdjaufpiel von
Waf Sepolb. (ffgl. ScbnufpielpauS.)
Unfere Scbaufpielpäufer blirfen faft ade auf eine fcplecpte Spielzeit
zuritrf. ©ine Ausnahme macht nur baS dieftbenztpeater, baS mit
gepbeau’S löftlicher „Dame Von Wafim" ben Sogei abgefchoffcn pat,
wäprenb baS Deutfcpe Dpeater wenigftenS mit Dreper’S tapferem Denbenz*
ftiirf „Der ^robefanbtbat" unb baS ffgl. ScpaufpielpauS mit SBtlbenbruch'S
„Docpter beS ©raSmuS" unb Ctto ©rnft’S SufadSerfolg „3«Ö^nb Von
peute" ff affe machten unb baS Seffingtpeater bie fürchterliche AöftUgort*
S ung „AIS ich wieberfam" bem Sublfcum mit mepr AuSbauer als
tief aufbrängte. Der Seft ift Schweigen. Dobt, maufetobt liegen ad
bie bramatifd)en ßetchen neben unb über einanber: gulba'S übcrzierlicheS
Wärcpenfpiel „Schlaraffenlanb", ftauptmann’S Spiel ju Scherz unb
Schimpf „Schlurf unb 3 m\ Sctuff’S bt)santinifd)er „©ifenzapn", ©ott*
fdjad’S entlegener „JEapab", Stnbau’S fcplechte ^arifer 3ntitaüon „Der
£>err im $)aufe", ß’Arronge’S altgewohnt triviale „Otto Sangmann
SBittme", Sfowronnel’S „Dugenbpof", 3bfen'^ überfpannter ©ptlog „Stonit
wir Dobten erwachen", Sjörnfon’S unbramatifcpeS ?Bunbcrftürf „Ueber
unfere ffraft" unb Sapr’S, von ^piltppi u. A. gu fcpweigen, „3ofeppine"
unb „Der Atplet". Unfere bewäprteften Dicpter haben vodftänbig ver*
fagt, unb bie neuen Dafente haben fiep um aden ©rebit gebracht. So
muftten benn unfere Süpnenleiter ju ben älteften Stürfen ipre 3ufl U( Pl
nepmen, unb biefe 2BieberbelebungSverfucpe ftnb nicht bie untnterefjanteften
Dpeatereigniffe ber verfloffenen Spielzeit. SefonberS ^aul Sinbau pat
fiep eifrig foiepen Ausgrabungen gewibmet, tnbem er naep Sautenburg’S
Sorgang literarifcpe Watineen veranftaltete unb bie Stürfe bann tn einer
Abenbauffüprung vor bem groften Dpeaterpublifum erprobte, ©in fünft*
lerifcper ©ewinn für baS lebenbige Dpeater würbe habet niept erhielt,
aber immerpin banfenSwertpe üterarifrf)e Anregung geboten, bie bem
peruntergefommenen Serliner Dpeater fepon ber Sleclame wegen nüplicp
war. Sonft pat weber bie von StolterS fepülerpaft überfepte alt*
franzöftfepe garce vom Abvocatcn Satdi«, noep ffleift'S tncommenfurabler
„Amppitrpon", noep ©einc’S „Almanfor" ober ©ridparzer’S perrltcpe
„Sibuffa" fiep palten fötmen. Aepnlicp erging eS ber alten Söffe „Serlin
bei Aacpt", womit Sinbau baS Anbenfen feines Schwiegervaters Davib
ffalif^ „in banfbarer Pietät" — il riy a pas de quoi, weprt ber
granzofe in fo peifeln gäden ab — neu beleben wodte. ffalifcp war
ein fpecififd) jübifeper AJipbolb wie Sappir, nur aefepmarf* unb cparacter*
Voder, aber jum Dramatifer feplte eS ipm an Spantaftc unb Scpöpfer*
fraft. Seine Stürfe ftnb fammt unb fonberS bloS gelungene Serliner
Socaliftrungen franzöftfeper Sorlagen unb itberbieS fehlte ipm ber ccpte
Junior eines Autmunb, Aeftrop unb Anjengruber. Drop ader aufge*
Digitized by v^. ooQie
414
Nr. 26.
i
Die ©egenmort.
frifdjten ABiße, einer forgfältigen Siegle unb ber Mc^tcrift^en Rfitpülfe feiner
ftarf auS ber Art gefcplagenen Racpfolger Xrojan, ©tettenpeim, ©ermann
u. f. w. mutzet unS MefeS fleinbürgerlicpe ^eriinertbum wie eine 0ebe
an. Äalifcp fanit nichts bafür. benn Vetlin ift mittlerweile wirflicp
ABeltftabt geworben unb ftrebt mit Riefenfdjritten borwärtS, fo bafj fogar
bie hoffen ber biel (Röteren $opl, Sacobfon, ABilfen unS beute fcpon als
antiquirt miberftreben. ABomlt niept gejagt fein foß, bajj bie mobernen
AuSftattungSpoffen ber Abolpp ©ruft, Ären, ©djönfelb unb Rfannftäbt
beffer finb.
XaS Enbe ber ©aifon würbe bon ben Xirectoren noch fcpneß zum
©djleuberauSberfauf abgelagerter Robitäten benußt, bie in golge irgenb
einer Rücffidjt oberUnborficpiigfeit angenommen worben waren. VefonberS
baS Ägl. ©cpaufpielpauS lieb bei biefer nicht ganz würbigen Erlebigung
ihrer Verpflichtungen jebe ©orgfalt ber Aufführung, jebe Achtung bor ben
dichtem bermiffeit. XaS bteö ©efcpicf baS VerSluftfpiel „©tanbpafte
Siebe" unb feinen halb 85jährigen Verfaffer traf, geht unS befonberS
nahe, betin eS ift jwar eine fepwäcplicpe unb parmlofe, aber liebenSwürbige
uttb fcpalfpaft gefällige Xid)tung. Xer treue ©olbfdjntieb, bie ftnnige
Xinette unb ber fluge Abt, ber baS SiebeSpaat* auf bie Vrobe [teilt unb
bann bereinigt, — baS war wenigfienS ein ecpteS, naibeS, poetifdjeS
Härchen, baS unS nach all ben gefpreijten ober rohen Rfärcpenfptelen
weniger ju ©cperz, als z u ©djtrnpf (im mobernen ©inne) eine (Sr*
quicfung bot.
Ritt befferen ©rünben würben bie „grembltnge" beS ©aßettfer
©cpriftfteßerS zur ©odpfommernobität gemacht, ©err gehört in
bie Älaffe ber Mitläufer, bie aße Siteraturmoben mümadjen, jebe neue
Sanier nachahmen unb jeber Xantiämenftrömung folgen, aber im ©runbe
nod) in ber alten Rid)tuna ftecteu, bie fte zu berleugnen fudjen. Er
ift Xpeatralifer im ©inne Vpilippi'S, unb ber äugenblicfliehe Effect geht
ihm über AßcS; ihm opfert er Sogif, Eparafterzeicpnung unb Voefie.
Xer unreblidje Vormunb, ber mit ben ©elbern feiner ^iffegctoc^ter
fpeculiert unb MeS unzeitig auSplaubert, weil er fieper ift 511 gewinnen;
ber ^Bräutigam ber Rtünbel, ber ihn barübet öffentlich zur Rebe fteßt,
unb ber fepneibige Affeffor, ber fid) für bie bermeintlicpe Epre feines
VaterS fcplagen wiß unb in fcpmerzlidjer ErfenntniS ber Wahrheit bann
fnh unb fein Seben opfert — nicht hoch, man blofc feine Ricptercarri&re!
— biefe ganze in ihrer VorauSfeßung, Entwicfelung, Rtotibirung unb
Söfung unmögliche ©efepiepte mutbet unS wie bie Xramatifirung eines
VlauftumpfromanS auS einem unferer gamilienblätter an. lieber biefeS
alte (Bericht ift freilich eine pppermobern pifante ©auce gegoffen, bie aber
Riemanb zu täufdjen oernrag. Vjömfon'S ungeftüme Rtoralpaufen
beS „gaßiffementS" unb bie ttefboprenbe, herbe Xialeftif QbfenS unb fein
überempfinblicher ABaprpeitSeigenfinn ftchen mit Vefcolb'S forglofer Suft
an padenben ©ewaltfcenen hier in unlösbarem ASiberfprudj.
Webt Diel giücflicber, als unfere Xicpter waren bie gaftirenben
©cpaufpieler. Xie immer fränfelnbe Xufe berfcpwanb faum gefepen
wieber, unb tpr großer SanbSmann Robeßt fepeiterte an feinem ab*
gebrojepenen Repertoire unb ben ebenfo unflug erhöhten EintrtttSpreifen.
Xer richtige berliner pat nur bann für einen fremben Äünftler etwas
übrig, wenn eS fid) um bie Cper banbeit ober eine intereffante Xante
mit grobartigen Xoiletten ober um eine wirtliche ©enfatton. Sine
fpldje bof grau ©orma, bie im frifdjen ©epimmer ihrer Varifer 83erühmt=
peit bei unS gaftirte. A3aS eS mit biefern mehr politifcpen als fünfte
lertfcpen „Erfolge" auf fiep hat, würbe bon einem franaöfifdjcn Mitarbeiter
an biefer ©teße oerrathen. Xhatfäcplich mupte ihr ^ßarifer ©aftfpiel auS
Mangel an Xhcilnahmc f^on nach ber britten Vorfteßung abgebrochen
werben. XaS hinberte nicht, bap ber gefammte beutfrfje 93lätterwalb bon
bem neuen Rupme ber „erften beutfepen ©cpaufpielerin" wieberpaßte,
unb biefer Särm ermunterte baS Seffingtpeater p bem niept erfolglofen
©orma^aftfpiel, bei bem fiep bie Äünftlerin wieberum als eine gewanbte
©cpaufpielerin erwies, wenn fte aud) bet ©anbrorf niept baS Söaffer reicht,
bie im ^Berliner Xpegter einige 3Rale auftrat. AIS berunglücft fattn
man auep baS ©efammtfpiel beS Wiener Xeutfcpen ^olfStpeaterS be=
^eiepnen. Xirector VufobicS mag ftep bamit tröften, baS eS bem Xeutf^en
Xpeater, baS unterbeffen im S3ol!Stpeater gaftirte, auep nid)t biel beffer
ergangen ift, fünfilerifcp wie gefcpäftlicp. Xer berliner, ber fiep niept
fo leicht imponiren läpt, fanb bie Önfembletunft ber Wiener niept ein=
wanbfrei unb jumal bie ^in^elleiftungen fepr ungleich. Unb baS ift umfo
empfinblicper, afS bie SBiener noch immer baS ©auptgewiept auf bie
Xarfteßer legen, ftatt wie wir auf Xicptung unb Xicpter. Aber aud)
biefe SBirtuofen boten wenig ©eroorragenbeS. ©err Äutfcpera ift ein feptoer^
fäßiger ©cpönrebner, ber Vonoißant ©err Äramer mittelmäClg, unb fjrau
Cbilon — „bie ©cpulreiterin!" pflegte fie unfere Riemann=Raabe mit
einem unnachahmlichen Rafenrüntpfen ju nennen — ift gtoar in SSien
5 U einer Wrtuofin auSgewacpfen, boep ipre brißante Routine ift opne
Xiefe unb ©emütp. bleiben nur bie Xamen Rettp unb ©lödner unb
©err Rtartinefli, bie gute Seiftungett boten. Xer einzige Ueberragenbe
ber Xruppe, ©irarbi, war leiber 511 ©aufe geblieben. Unb eben fo un*
glücflid) waren bie Wiener in ber ßufammenfteßung tpreS Repertoires.
mit 93apr’fcpen ©tücfen foßte man in 23erlin nicht mepr frebfen, unb
wenn man unS fepon mit Anzengruber erfreuen wiß, fo barf man niept
fein fcpwäcpfteS 5Bert wäplen. ..Xie SPoffe „Alte SBiener" würbe nur um
beS lieben SBrobeS wegen gefmrieben, unb wenn fie auep ©eenen unb
Äernworte enthält, wo ber prächtige SBolfSbüpter unberfennbar ift, fo
ift boep bieS grobe Wiener 55olfSftüd eine feiner unwertpe Arbeit. Rocp
elenber war eine anbere Robität, baS ©cpaufpiel „Xie Sügnerin" bon
ober bielmepr naep Alpponfe Xaubet. (Sin plumper Xpeaterjcpneiber pat
ba auS ber entzüdeuben fleinen (Srjäplung La menteuse (auS ben
„Femmes d’artistes“) ein Sntriguenftüct boß alter Figuren unb tinbifeper
Verwictlungen berfertigt. ©epon für biefe Vorführung, worin grau
öbilon pöcpft birtuoS unb frei maep ber Xufe ftirbt, berbient bie topf-
unb planloje Seltung beS ©aftfpielS baS pöcpfte fritijepe ©trafmafj. AIS
milbernber Umftanb mag gelten, bafj unfere (Senfur ben Söienetn bie
witptigften Robttäten wie ©an&Subaffp'S „Sepien Änopf" unb AbamuS ?
„gamilie SBawrocp" berbot, bon benen man unS SBunberbinge berfpraep.
Racp Sefung beiber ©tiide glauben wir, bap aud) pier baS ^Sunberbare
auSgeblieben wäre.
ir
Offene unb Antworten.
3ur ^icnftbotcnfragc.
Xer in Rr. 21 beröffentlicpte Auffap bon grau Dr. (Sli$a 3d)cn=
paeufer über bie grauenbewegung unb bie Xienftbotenfrage pat unS
auS bem Äreije unferer Seferinnen eine grope Anzahl .ftufcprijten
eingetragen, fepr wenige 3 uftlmro u n 9 e n, wie wir geftepen müffen. biel=
ntepr meift recht entfepiebene V^otefte bon ©auSfraucn aßer ©tänbe unb
auS aßen beutfepen 4touen. Aber auep manche Xienftmäbcpen felbft
fepeinen bon ben Vorfcplägeit ber befannten grauenrecptlerin wenig ober
nichts ju palten, wie u. a. auS bem fqlgenben offenen Vrief auS Leipzig
perborgept, ben Wir als fcpäpbaren Veitrag zu ber niept unwichtigen
grage etwas gefürzt zum Abbrurf bringen. X. R.
©epr geeprter ©err!
3cp bin als „Rtöbcpen für AßeS" gegenwärtig hier in Seipzig im
Xienfte bei einem jung berpeiratpeten epepaare.* Xa bie ©auSfrau reept
freunblicp zu mir ift, fo pabe icp auep bie (Srlaubnijj, bie 3 oumale,
welche meine ©errfepaft hält, zu lefen. Racp Abenbbrob maepe icp oft
unb gerne bon biefer Vergünftigung ©ebrauep. Veint Xurcpblättem
3prer ASocpenjcprift erregte ber Auffaß bon grau Dr. (Slifa 3fP«npaeufer
über Me Xienftbotenfrage mein 3ntereffe auf’S ©öepfte. Rad) meinen lang=
jäprigen Erfahrungen cllS ©auSmäbcpen berutag ich aber bie unS Xienfc
boten bropenbe Eefapr, zum ArbeitStpier perabzurtnten, niept einzufepen
unb fatm miep niept babon überzeugen, bap wir Xienftboten biSper nur
bie trübe ©eite beS SebenS tennen gelernt unb unS niept als Rtenfcpen
unter Rtenfcpen gefühlt hätten. — 3<P btn bie Xocpter eines ©cpneiberS
in einer fleinen gabrifftabt, unb biene nun bereits feit 15 3<$ rei:
Rteine hier ©cpweftern ftnb au^ fepon lange Xienftmäbcpen ober
Äöcplnnen. 2Bir Afle haben aber berart tprannifepe ©auSfrauen,
grau 3<Peupaeufer fte fepilbert, noch niept fennen gelernt. 3 m
tpeil pabe icp immer fo biel freie 3 eft gepabt, bap icp niept nur wies
Äleiber unb ÄBäfcpe felbft auSbeffern unb fogar anfertigen tonnte, jonbent
bie Abettbe pabe icp aud) bazu benußen bürfen, meine lücfenpafte ©djul
bilbung auSzufüflen, 8 e ^ungen unb Vücper zu lefen. Uebunglmapig
ift pier jeber britte ©onntag für bie Xienftboten frei, es ift nur aba
faft nie paffirt, bap mir eine ©errfepaft bie Vitte um einen befonberer
AuSgeptag abgefcplagen pätte. Vor meiner jeßigen ©teße war itp japre
lang bei einer woplpabenben ASittwe, bie fiep mir gegenüber gerabe d u
mütterli^ benapm, mich reich befepenfte, bie icp fogar auf RÄfeu les
gleitete unb bet icp nur niept bei iprer Ueberftebelung in’S tn^
fanb bauernb folgen woflte. Rteine ältefte ©cpwefter bient feit einer
Reipe Don 3 Q h^it bei einem alten Epepaare, bei bem fte ftep mepr toie
Zufrieben unb glücflid) füplt. ©elbft meine jüngeren Eeftpwifler paben
aße fiep als Xienftmäbcpen gefpart. Xer XurcpfcpnittSlopn beträgt pier
20 Rtf. monatlich unb 50—60 RM. zu SBeipnacpten nebft freier'Sopnung,
Verfügung unb ASäfcpe. Xie Äranfen* unb AlterSoerftcpetung trägt
gewöhnlich bie ©errfepaft aßein. Xaju treten noep bie unter Umßänben
fepr popen Xrinfgelber. Eegen bie bon grau Dr. 3<PenPtttufer öe=
fürwortete Abfcpaffung berfelben mup icp entfepieben Einfpw^ erbeben.
Xer Eonbulteur ber eleftrifcpen Vapn, ber Xrofcpfenfutfcper, Xienftmann,
Äeßner, ©auSfnecpt, Eontptoirbote, Sabenbiener, jebeS SabettmäbcPcn baS
©aepen in'S ©auS bringt :c., rc., fie aße nepmen niept nur' Xrinfgelber,
fonbern bedangen foldpe ftißfcpweigenb. ABarum foß unS Xienftmäbcpen
bie Annahme bon Xrinfgelbem berfagt fein? Unfere Epre leibet ba^
runter niept, wenn wir fie nur fonft mafelloS zu erhalten berftepen.
Unb anbere SBebenfen, bon ©erren, bie wir an ©efeßfcpaftSabenben be=
bienen, Xrinfgelber zu empfangen, liegen meines EradptcnS niept bor.
Xamen aßerbingS paben aflgemetn gegen Xrinfgelber eine grofee Ab=
neiguitg, bie leiber unS gegenüber am ©eplufje bon geftlicpfeiten zum
AuSbrucf zu fomnten pflegt... Rteine hier ©cpweftern unb icp finb, wenn
eine jebe auep ipre gepler befißt, aufjerorbentlicp arbeitfam unb um=
fidhtig in ber ABtrtpjcpaft, moralifcp unb eprlicp, bafür werben wir auch
gut bezaplt unb gerabezu bon unferen ©errfepaften berwöpnt. Xie an
unS ©^weftem gerühmten Eigenfcpaften beftßen aber nur wenige Xienfc
mäbepen. Xie meiften finb faul unb berliebt unb, ba fte für Äleümng
über ipre Mittel auSgeben, unreblicp. ABie oft pabe icp ©errfepaften
be&palb lebpaft bebauern müffen! 3^P ulS Xienftmäbcpen fann boep
Digitized by v^.ooQle
Nr. 26.
Die ©egenmart.
415
Diel letzter bie Scplicpe ber Eolleginnen im felben £aufe ober bei 9kcp=
barn burepfdpauen, als bie eigene Hausherren Derntag. 9?acp meinen
langjährigen Erfahrungen fällt eS einer anftänbigeit, guten gamtlie be*
beutenb feproerer, ein tücptigeS unb manierlicpeS Tienftmäbcpen zu be=
tommen, als eS umgefeprt einem fleißigen unb zuDerläfftgen Wäbcpen
möglich ift, einen pajfenbeti unb angenehmen Tienft ju finben. — Benn
ferner mit Büdficpt auf englifepe guftänbe empfohlen mirb, baß mir
Tienftmäbcpen außerhalb beS ipaufeS mopnen, fo. tarnt MefeS Dieffetcpt
für bort paffen, darüber pabe ich fein Ürtpeil. 3<P mürbe aber pter
feine Stellung annebmen, bei melcper idj miept in ber Bopnung logiren
bürfte. ^Bie ungefunb unb unbequem märe eS fonft, im fterbft unb
Binter frühmorgens bei Tunfelpett, Scpnee ober Stegen in ben Tienft
zu geben. Ermübet unb fröftelnb mürbe man hier bie Arbeit be=
ginnen, ©eine Sachen hätte man mäbrenb beS TageS nid^t zur ^anb;
unb maS für Scblafräume erhielte man Don armen Leuten, auf bie
man boep beim Ouartiermletpen angemiefen märe! TaS beengtefte 3immer
felbft müßte man momöglicb noch mit ber ganzen gamilie theilen. ©e=
rabe^u prächtig bagegen mopnt man bei Herrfcpaften. gür gefuttbe unb
luftige Tienftboten=Scplafräume forgt fepon bie bieftge Polizei. TaS
Selbftftänbigmohnen hätte mir in jungen Suh^u nur Derberblicb merben
fönnen, mie eS bod) eigentlich ^ufammen mit ber auSgeartcten Bufc unb
BergnügungSfucpt ber ©auptgrunb ift, baß fo Diele gabritmäbchen —
einem Tpeile ber fiabenmäbepen ergebt eS nicht beffer — ber fßroftitution
anbeimfaHen. — UebrigenS fteHt ein Tienftmäbcpen, baS etmaS auf ftep
hält, ficb nicht auf eine Stufe mit ben meiftenS in ihrem Betragen am
ftößigen gabritmäbchen. Stie höbe ich Tanzoergnügungen mitgemaebt, bie
auep Don gabritmäbchen befuept merben. Bir Tienftmäbcpen motten beS*
halb auch gar nicht ben Beftimmungen ber ©emerbcorbnung unterftepen,
Dielntebr palten mir megen ber Don unS gemünfebten HuuSgemeinfcpaft mit
ber ^terrfepaft bie Don grau Dr. 3d)enpaeufer Derurtfctlte ©efinbeorbnung
für notpmenbig. ©egen bie Dorgcfdjlagene Bezeichnung „HauSgepülfin"
ftatt „Tienftmäbcpen" bube ich nichts einzumenben; inbeffen ift bieS nicht
fo erheblich. Tie Borfteffuugen ber grau Dr. Don unferem angeblichen
Elenbe unb ntenfd)etiunmürbigen Tafein ftnb alfo im Allgemeinen febr
übertrieben, derartige Auffäfce, melcpe boep bitrcp gewerbsmäßige §eper
bei ben Tienftboten leicht Eingang finben, tonnen bei unerfahrenen
SMbcpen nur Unzufriebenheit an ber Hausarbeit - erregen unb fogar
berbeifübren, baß biefelben in bie gabrifen gehen unb bann Diefleid)t
in'S fiafter Derfinfen. Sagt unS Tienftmäbcpen im £>aufc etmaS nicht
Zu, fo finb mir auch nicht auf ben Sftunb gefallen unb miffen unS fepon
allein ju helfen! Tie grauenbemegung mirb aber bürep berartige Sin*
feinbungen ber grauen höherer ©tänbe bei biefen niept an Spmpatpie
geminnen.
TOt Dorzüglicper «Hochachtung
Klara £epmann.
Bon ben zahlreichen jüngften BomanDeröffentlicpungen ber Teutfcpen
BerlagSanftalt in Stuttgart greifen mir einige Bänbe heraus, bie baS
S?iDeau ber lanbläufigen gamillenblatt*2iteratur überfdpretten. Ta ift
einwal „ttttaler ginge" Don ©eorg SßorbenfDan, ein prächtiges,
PerzerfrifcpenbeS Buch* Sn geift* unb hnmorDoller Beife fepilbert ber
Berfafer baS fieben unb Streben beS fcpmebtfcpen ÄünftlerDölfcpenS in
Stodpo'm unb in $ariS, ber hohen Schule beS norbifdjen 9MerS. Tie
liebenStmrbige Hauptfigur beS BucpeS, ber geniale giage, „eine fperfoni=
fication jener ftarfen, unbänbigen fiebenSfreube, bie ftd) niemals fniden
läßt", i t ein SJtelfterftücf ber Eparafterfcpilberung. TaS Buch ift in
Scproeber längft zu großer Popularität gelangt unb mirb auch in Teutfcp*
lanb einen $reiS bantbarer fiefer ftnben. Ter Epefrebacteur beS StutU
garter Sleuen Tageblattes, 2lbolf ÜKülIer=Palm, ber jüngft fein
SoumalißensSnbiläum feierte, zeigt fiep in bem Banbe „3m ßinbenpof"
als temperamentDotter Erzähler, ©r pat bie Eonflicte, bie er fcpilbem
»ill, mit fieperer Hanb auSgemäplt unb bemäprt in ihrer Tarftettung
ben fünftr?rifcpen Eeftalter, mag er nun in bie Greife ber gefettfcpaft=
lidpen Belt einfüpren ober baS harmlofe Treiben im fübbeutfepen Hocp =
lanb Dergegenmärtigen. Enblicp ermäpnen mir noep bie SMncpener
t umoreSfen „TöS giebt'S!" Don Sttafimilian Strauß. 5luS ber
ütte origineller Eeftalten, mie fie bie fdjöne Sfarftabt bietet, pat ber
Berfaffer eine Steipe befonberS erpeiternber giguren perauSgepoben unb
mit ficperen Stricpen, in flotter Eparafteriftif gezeichnet. So brottig
bie einzelnem SubiDibuen fiep auSnepmen, finb fie boep ber Äaritatur
Döllig fern unb tragen burdjmeg ben anpeimelnben gug treuherziger
Eemütplicpfeit, ber bem SJtüncpener BolfSfcplag eigen ift. 5lucp läßt
manche Sfizze unter bem Eemanbe beS Scpalfpaften baS tiefere Empfinben
perDorleucpten. Ter Banb ftettt ftep neben bie Dermanbten ttJtüncpener
HumoreSfen Don Benno Staucpenegger, ber ipm übrigens eine collegia*
lifcp4iebenSmürbige „Einführung" DorauSfcpicft. Einen Stubelmaier ober
eine grau Bürzel pat $rauß freilidp niept entbedt, aber auep er mirb
fiemiß noep eine tppifepe Sttüncpener gigur erfinbjm.
Otto Don BiSmarcf, fein fieben unb fein Bert. Bon 3o =
paitneS Äreuper. 2 Bänbe. (fieipzig, B. Boigtlänber.) Vergäben,
bie BiSmard unb baS beutfepe Bolt Derbinben, finb unzählige, unb mie
man ipn noep fuepte, als er fepon in ber ©ruft rupte, baS pat ber beU
fpiellofe buchpänblerifcpe Erfolg ber „©ebanten unb Erinnerungen" be^
miefen. Unb neben biefen, melcpe gütte Don BiSmardsfiiteratur! ?lber
Wittes mar noch Stüdmert, mertpDotteS zum Tpeif, aber unzufammens
pängenb, unb Don ben „©ebanten unb Erinnerungen" felbft pat ein
bebeutenber Hiftoriter unmiberfproepen gejagt, für fiep allein, opne Ber*
gleicpung mit anbeten Ouetten, feien fie mit Borficpt zu benupen. So
fepr au$ BiSmard’S eigene Aufzeichnungen eine 3mt fang alle anbere
BiSmardsfiiteratur zurüdaebrängt patten, fo fonnte eS nur eine grage
ber 3*it fein, bis eine BiSmard^Biograppie ba mar, melcpe bem beutfepen
Bolfe baS Bilb feines Hdöen als ©anzeS fo Dor Augen ftettt, mie eS
ipn mirfliep fiept unb fepen mitt. Benn niept AtleS trügt, mirb bie
hiermit angezeigte erfte Doflftänbige unb fritifepe Biographie BiSmard'S,
bie erfepeint, auch mit glüdlicpem Burfe aßen Anfprücpen gereept, bie
xu ftetten finb. Bie ein Biograph fiep mit fo peiHen Abfcpnitten, mie
bem Eulturfampf unb ber Socialpolitif abfhtben merbe, barauf burfte
man gefpannt fein. Sfreufcer pat eS gefonnt; fo ift z* ber Abfcpnitt
über ben Eulturfampf gerabezu ein ttftetfterftüd forglicp abmägenber
Äritif unb glänzenber Tarftettung. Ebenfo moplmottenb unb gereept
naep allen Seiten ift bie Tarftellung Don BiSmarrf'S Entlaffung. So
mirb baS Buch in feinem zmeiten Tpeile zu einer ©efepiepte ber neueren
3eit, unb gerabe in unferen Tagen, in benen baS B^rpältniß Teutfcps
lanbS z u Eriglanb im Brennpunfte ber Beltpolitif fiept, mirb man
gerne nacplefen, mie BiSmard eS in ben achtziger Sup^n Detfianben
pat, bie beutfepe Eolontal* unb Afrifapolitif gegen EnglanbS Uebelmotten
auS ben Anfängen heraus $u entmideln. TaS Ber! ift ein BolfSbucp
im beften Sinne.
Btaurertpum unb BtenfcppeitSbau. greimaurerifepe ©e=
banfen zur focialen grage. Bon Tiebricp Bifcpoff. (fieipzig, 9Äaz*
Heffe'S Berlag.) Ter Berfaffer beleuchtet Dom Stanbpunft ber ©efett^
fcpaftslepre auS Befen unb Bertp ber greimaurerei unb erörtert in
einer etpifep^praftifepen Betra^tung bie heutigen Aufgaben beS grei=
maurertpumS. Er meift naep, mie im greimaurertpum ein focialer ©e=
banfe Don aemaltiger Tragtueite ftedt: Tie 3öee Dom SRaurertpum unb
2)tenfcpheitS6au. Tabei panbelt eS fiep um bie Erfüttitna eines aß=
gemein ntenfcpltcpen Berufs; „bie greimaurerei ift," mie fieffing fagt
„nicptS BtttfürlicpeS, nichts EntbeprllcpeS, foribern etmaS BotpmenbigeS,
baS in bem Befen beS ttttenfepen unb ber bürgerlichen ©efettfepaft ge^
grünbet ift." Opne baß bie ttttenfcpen ben Einfluß, ben fie auf bie
Baufteine ber menfcplicpen ©efettfepaft unb bamit auf baS Berben ber
focialen guftänbe, auSüben, rieptig geftalten, fann bqS ©lüd ber Bölfer
unb ber SubiDibuen niept maprpaft gebeipen, benit tpm fe^lt bann bie
reepte fociale Unterlage. Tiefe ©efinnung unb ^pflic^tcrfüffung, opne
bie eine mirflicpe, bem 2Nenftpenglüd maprpaft bienlicpe Söfung ber
focialen grage gar niept benfbar ift, mirb burep fociallftifcpe —- ben
Staat zum Baumeifter ber ©efettfepaft maepenbe — ttRaßnapmen nies
malS in'S Tafein gerufen; fte lann, meil eS fiep ba um bie Ausübung
eepter, autonomiebebürftiger Äunft panbelt, nur bei greipeit bet am
©efettfcpaftSbau fepaffenben Einzelmenfcpeit mirfliep gebeipen. Aucp baS
Berpältniß beS freimaurerifepen ©ebanfenS zur materlaliftifcpen ©efcpicptSs
auffaffung, zum SocialiSmuS unb zum Äircpentpum, ber heutige gu*
ftanb beS fiogenlebenS unb Aepnli^eS mirb erörtert, maS zur Ber^
ftänblicpfeit beS ©anzen mefentlicp beiträgt. Ter Berfaffer pat fiep einer
ilaren, pprafenfreien, DoUSDerftänbllcpen Spracpmeife befleißigt unb ein
reicpeS literarifcpeS Material Derarbeitet. Seine fociologifcpe Auffaffung
unb Tarftettung ber greimaurerlepre bringt Dielerlei neue ©eficptSpunfte
unb pat ben Borzug ber ©rünblicpfeit unb fiebenSmaprpett, ber Turcps
ficptigleit unb UeberzeugungSfraft. So bürfte baS Bucp mopl geeignet
fein, in fiogenfreifeu fomopl mie bei Außenftepenben z u einer^ z c ür
gemäßen Aufflärung über Befen, Bertp unb Beruf beS greimauter=
tpumS reiflich beizutragen unb gleichzeitig baS bunfle ©ebiet ber focialen
grage aufflären zu helfen.
Alle geschäftlichen Mittheilungen, Abonnements, Nummer¬
bestellungen etc. sind ohne Angabe eines Personennamens
zu adressiren an den Yerlag der Gegenwart in Berlin W, 57.
Alle auf den Inhalt dieser Zeitschrift bezüglichen Briefe, Kreuz¬
bänder, Bücher etc. (unverlangte Manuscripte mitRückporto)
an die Redaction der „Gegenwart“ in Berlin W, Mansteinstr. 7.
Für unverlangte Manuscripte Übernimmt weder der Yerlag
noch die Redaction irgend welche Verbindlichkeit.
Digitized by v^.ooQle
•
t
* *
416
«rle töegntmart.
Nr. 26.
Btt Btßtlbmgttt beruft matt fhh mif bte
„•sgnmiarf“.
Aas dem Nachlass e. bekannten Schrift¬
stellers-, sind zu Gunsten der Hinterbliebenen
folgl Prachtwerke unter d. Hälfte d. Laden-
f^preises in schönen, geh. Ex. zu verkaufen:
Brockhaus’ Conversationslexikon. Neueste
(14.) Auflage mit Supplement. 17 Bände
Halbfranzb. 100 M. — Weichardt: Pompei
vor der Zerstörung, Reconstruction, Gr. Aus¬
gabe 30 M. — Hch. Kurz: Geschichte der
deutsch. Literatur 4 Lwbde. 40 M. — J. v.
Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild-
u. Malereikünste, Nürnberg 1675, 2 Leder-
bde. 50 M. — Lacroix, Les arts au Moyen-
Age; Directoire Consulat Empire, 2 Lieb-
hbde. 80 M. — Henne am Rhyn: Kultur¬
geschichte des deutschen Volkes, 2 Lwbde.
15 M. — Pecht: Geschichte der Münchner
Kunst, Lwb. 10 M. — Shakespeare. Engl.
Text m. deutsch. Erklärungen v. Delius,
Hfb. 2 Bde. 15 M. — lllustr. Hausbibel
(PfeilstÜcker) Lwbd. 10 M. — Bestehungen
pr. Nachnahme durch Vermittlung der
Expedition der „Gegenwart“ in
Berlin W. 57«
tm
Urteil
friiet
Rimbert Oriqinal«entarten
d. fjhreunb u. ftcittb: ©jörnfon
©raube« ©fl<$ner CtiSbi
Doubet tgibty gfontane Orot %
$aetfel ftartmann #ebfe 3or=
bait ftipliitg ßeoncatmflo Sin*
bau ßombrofo SRcfötfäerStt
Ätgra Vorbau OQtbier fetten»
tofer ealtsburb ©tenfietoicj
eimon 6bencer ©ptelbagen
etanleb Stocder ©trlnbbetg
©uttiter ftitbenbrud) ©enter
Bol« u. b. Ä.-
: Pttlma btt Stßtnwmti,
Sieg, gelj. 2 SRI. born Pertmg btt Statnwmti,
©erlitt W. 57.
Serfog öon ftöfjbfrg&gfrjer in fripjtg.
(Soeben erfdjien:
Sd|u!|
her Jfrauen unb Rüther
gegen
^fuf ©runb
amerifanifcher u. europälfcher Materialien erbtet
bott ;
Br. Karl SBalder, k
^rloatbojenten ber etaatfttuifi. an ber Unit. fieipsta,
orbentl. OTltgiteb ber 3itternatiPitalen ©eretnigung für
bergleit^enbe WedjtSmtff. uttb ©olfStoirtbfrtiaftSlebre p
©erlitt uttb ber American Academy of Political and
Social Science.
$tetö 4 Mart.
Der ©erfaffer hat bon 11 Sfinberfdjup*©er*
einen u. f. m. in Nem ?)orf, ©ofton, Sonbon,
©an 8 , ©erlin, Neu$eblip, Sölen intereffanie
Materialien bekommen. dr behanbelt auch bie
grage be$ ©infchreitenS ber $auggenoffen gegen
begonnene Mifehanblungen.
f -'K ii- 4 ü' 1- ifr ?■ y- 7 j -V f Ü'
Abonnement
auf das
III. Quartal 1900.
„Bromwasser von Dr. A. Erlenmeyer.“
Empfohlen bei Nervenleiden und einzelnen nervösen Krankheiteereoheinnngen.
Seit 14 Jahren erprobt. Mit -natürlichem Mineralwasser hergestellt und dadurch
von minderwerthigen Nachahmungen unterschieden. Wissenschaftliche Broschüre
über Anwendung and Wirkung gratis. Einzelpreis einer Flasche von */ 4 1 75 Pf. in
der Apoth. n. Mineralwasserhandl. Bendorf (Rhein). Dr. Carbach & Cie«
3n Sohes Verlag in tPeimar erfdjien foeben:
Die teilten €olftoi$. (Sin ®ebanfen*?Iu8jug auö allen feinen ©erfen.
©on Dr. SB. ©obe. 8°. 189 ©eiten. jttiei ©übern. 2 2Kf., ge*
bunben 2 9J?f. 70 $fg.
„3mec! biejeö ©udje8 ift, Dolftoi al$ SBahrheitöfudjer nnb ßehrer Dollftönbtg unb
richtig ju geigen; ich labe bie ßefer ein, mit mir aOe feine SBerfe in ber Neihenfolge $u be*
trachten, mie fte entftanben jinb. Dann merben mir ihn tmt unferen Äugen emporroachfen
fehen, feine erfte Änlage, feine fpätere ©ntmicfelung, feine fchmeren inneren Kämpfe mttlebenb.
@8 lohnt fich ba$, ebeitfo mie e$ fid) lohnt, ©oetheä Sauft gu lefen, ift hoch Dolftoi ein gauft
höheren Nangeö alö ber ©oethefche. 2)er dichter Xolftoi mirb unö Siebenfache fein; mir
fönnen feine Dichtungen ttiel höher fchäpen al8 er felbft e8 h««ft ihut, aber öieljböher alö
feine poetifche Äunft erfdjeint un8 bo<h feine nach bem göttlichen Sichte ftrebenbe Äele unb
fein gemaltigeö $rebigeramt."
Königliches Bnd Oeynhnusen. Sr^Tn^StÄ
^ * #ilbe$fjeim. @ommerfaifonö.l5.Möi
bi8 ©nbe @ept. SBlnterfur öom 1. Oft. bi8 Mitte Mai. fturmtttrl: Saturn, fohleitf. Dh^nrnlbäber,
©oolbftber, 6ool=3nholatorium, ÄSeüenbäber, ©rabirluft, Mebicomechan. 3onberinftitut r SRöntgen^
fammer, Dorgügl. Motten* u. MUcpfuranftalt. glcucd Dhrrmalbabthaug om 1 5. Möt 1000 eröffnet
gnbifationen: ©rfranfungen ber Heroen, be8 ©epirnö u. 9iücfenmarf8, ©icfjt, Mu8fel* u. ©den!*
rheumati8mu§, ^ergfranfheiten, ©frophulofe, Äitämie, chron. ©elenfentgünbunaen, grauenfranfh. x.
Äurfapefle: 42 Mttfifer, 120 Morgen Äurparf, rigeneö Burtheater, ©äfle, $ongerte. Äflgemciue
©afferleit. u. ©chmemmfartalifation. $rofp. u. ©efd)reibung überf. frei bie Ägt. ©abeberioaltss«.
3tt nuferem ©erlag ift erfchienen:
Pc ®rgnrannt.
IMniMrlf] «r nm:ui. fünft m» WnüTk&tf Srtfa.
9nttd*9tMtt 1872-1896«
trftef'bt« fünfgigfter ©aub.
Mit Nachträgen 1897-99. ©eh- 5 M
©in bibliographifche8 SBerf erften
Nangeö über ba8 gefammte öffentltdje,
aeiftige unb fünftlerifche fieben ber lebten
25 Sahre. NothmenbigeS Nachfehlagebuch
für bie ßefer bet „©eaenmart", fomie
für mifienfcbaftliche k. arbeiten, lieber
10,000 Ärtifel, nach gächern, ©erfaffern,
©chlagmörtern georbnet. Die Äutoren
pfeubonpmer unb anonymer Ärtttel ftnb
burchmeg genannt. Unentbehrlich für
febe ©ibliothef.
Äuch bireft gegen ^oftanroeifung ober
Nachnahme Dom
Verlag ber ©egetwart.
»ftlü» W 57.
Stottern
heilen dauernd Dir. O. Denhardfa
Anstalten Drasdtn - Itoaohwttx uad
Bnrgateinftirt, W'cstf. Herrl che Lag*
Honor. naoh Hei lg. Prospecte gratis,
i älteste staatl. durch S. M. Kaiser
Wilhelm X ausgezeichn. Aust. DeatschL
▼ ▼ T T T
1
Sisiirit itadrfolfri.
Stontan
öon
SW n«UsaM*0at>e. *W
$rci 8 3 Mart. 8 d)ön gebunbeit 4 'J 8 arf.
Diefer ©i 8 marct * ©apritii * Noma« , ber in
menigen 3 öh*en fünf ftarte Äuflage.r erlebt
erfcheint hier in einer um bie #S1 fte btlligCTWi
©olf 8 au 8 gabe.
Durch alle ©uchhanblungen ober a^en ©in*
fenbung be8 ©etragö poftfreie güfo^nng
Uerlag der 6egctvart f
©erlin W. 57.
’i- ! !j ij 1 H 'i> t i ’i >1' ^ i t d !r *14 -lj: t 1 j 1 if : 'i '[ 4 -lj - 'l! 'Ii‘ li f ;ii il' 1' i' il - i' ’ii’ I.V f ! ?i
Mit dieser Nummer schliesst das II. Quartal der „GGQGII^Wart“. Die¬
jenigen unserer geehrten Leser, deren Abonnement abgelaufen, bitten wir um so¬
fortige Erneuerung, damit die regelmässige Zusendung nicht unterbrochen wird.
Bei verspäteter Bestellung können oft nur unvollständige Exemplare nachgeliefert
werden. Alle Buchhandlungen, Postanstalten und Zeitungsexpeditionen
nehmen Abonnements zum Preise von 4 Mk. 50 Pf. entgegen. Im Weltpost-
Verlag der Gegenwart in Berlin W, 57.
verein 5 Mk. 25 Pf.
Btranto«tlt$er «ebactcur: Dr. *4e«p$U BsBtng tu ©crlttt.
ftebaetton unb Gtpebttton: ©erttn W., 8Ranftetn^rabc 7.
Dtutf von * tkftev tu Sdpiig.
Digitized by v^.oooie
Digitized by
Digitized by v^. ooQie