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HD
659
UC-NRLF
liiiMiiiiiipiiit
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THE LIBRARY
OF
THE UNIVERSITY
OF CALIFORNIA
PRESENTED BY
PROE CHARLES A, KOFOID AND
MES. PRUDENCE W. KOFOID
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YolkswiFtschaft liehe Abhandlungen
der Badischen Hochschulen
herausgegeben von
Carl Johannes Fuchs, Gerhard von Schulze-Gävernitz,
Max Weber.
Vierter Band. Erstes Heft.
Die
gesetzlich geschlossenen
H o f g ü t e r
des
badischen Schwarzwalds.
Von
GEORG KOCH.
Tübingen
Preiburg i. B. und Leipzig
Verlag von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck)
1900.
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AUS DEM
SEMINAR DES HERRN PROF. Dr. C. J. FUCHS
IN FREIBURG i. B.
Alle Rechte vorbehalten.
DRUCK VON H. L A U P P JR IN TÜBINGEN
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Inhaltsverzeichnis, HI
HD6S9
Inhalt.
Seite
Vorwort IV
Einleitung i
A. Bodengestaltung und Bodenbeschaffenheit — ökonomische Gliede-
rung — Bevölkerungsdichtigkeit i
B. Siedlungsform (Einzelhofsystem, geschlossenes Dorfsystem) ... 7
C. Die geschlossenen Hofgüter des Schwarzwalds. Agrarstatistisches . 12
Erster Teil. Das Hofgüterrecht 23
A. Die Entstehung des Hofgüterrechts 23
B. Die Erbgewohnheiten in früherer Zeit 30
C. Die Anerbenrechtsgesetzgebung des Grossherzogtums Baden im 19. Jahr-
hundert 44
D. Die heutigen Vererbungsgewohnheiten im Gebiete der geschlossenen
Hofgüter ■ 64
Zweiter Teil. Die >Virkungen des Hofgüter rechts 76
A. Die Wirkungen des Hofgüterrechts auf die ökonomische Gestaltung
der Landwirtschaft 77
B. Die Wirkungen des Hofgüterrechts auf den Schuldenstand des ge-
schlossenen Besitzes 92
C. Das Hofgüterrecht in seiner Wirkung auf die Geburtenziffer unehelicher
Kinder 107
D. Das Hofgüterrecht und die soziale und wirtschaftliche Position der
weichenden Erben 113
E. Schlussbetrachtungen I15
Anlagen 125
A'
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n^305457
IV Vorwort.
Vorwort.
Die nachfolgende Arbeit verdanke ich der Anregung des
Herrn Professor Dr. Ftichs in Freiburg i. B., in dessen kamerali-
stischem Seminar sie entstanden ist. Es ist mir eine ebenso an-
genehme wie ehrenvolle Pflicht, an dieser Stelle meinem hoch-
verehrten Lehrer meinen herzlichsten Dank auszusprechen für die
liebenswürdige Bereitwilligkeit, mit welcher er stets durch Rat und
That meine Arbeit gestützt und gefördert hat. Zu besonderem
Danke bin ich ferner verpflichtet: Sr. Excellenz Herrn Finanz-
minister Dr. Buchenberger in Karlsruhe, dem Vorstande des Grossh.
Bad. Landes- Archivs in Karlsruhe , Herrn Geheimrat v. Weech,
Herrn Geheimrat Schupp in Freiburg i. B., Herrn Oberamtmann
Flad'in Wolfach, Herrn Oberamtsrichter Dr. Stoll in Freiburg i. B.
und nicht an letzter Stelle Herrn Landwirtschaftsinspektor Schmezer
in Freiburg i. B. und Herrn Notar Schweitzer in Oberkirch. Des-
gleichen verpflichten mich zu verbindlichstem Danke alle dieje-
nigen Herren Beamten der Grossherzoglichen Behörden und Herren
Landwirte , welche mir aus dem Schatze ihrer Erfahrungen das
für meine Zwecke Wissenswerte mitgeteilt bezw. zugänglich ge-
macht haben
Georg Koch.
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Einleitung.
Einleitung.
Das Gebiet der geschlossenen Hofgüter des Schwarzwalds im
juristischen Sinne umfasst geographisch nicht den gesamten Schwarz-
wald. Der äusserste Norden und Süden, sowie die Gebirgsränder
und Gebirgsvorlagerungen besonders im Westen nach der Rhein-
ebene hin, besitzen keine unter ein agrares Sonderrecht fal-
lenden Hofgüter. Der Grund hierfür ist hauptsächlich in der Sied-
lungsform zu erblicken. Diese ist herausgewachsen aus den phy-
sikalischen und klimatischen Verhältnissen und scheint nur in einem
grossen Teile des südlichen Schwarzwalds durch geschichtliche
Vorgänge wesentlich beeinflusst worden zu sein.
Aus der Betrachtung der natürlichen Verhältnisse , als : Ge-
steinsart, Thalbildung, Höhenlage, Flussläufe, Klima, werden wir
deshalb sowohl am besten Rückschlüsse auf die ursprüngliche
Siedlungsform gewinnen können, als auch andrerseits die Ursachen
finden müssen, welche in letzter Linie entscheidend auf die öko-
nomische Gestaltung des landwirtschaftlichen und gewerblichen
Lebens eingewirkt haben.
A. Bodengestaltung und Bodenbeschaffenheit — ökonomische
Gliederung — Bevölkerungsdichtigkeit.
Um die bereits angedeuteten Gesichtspunkte hinreichend wür-
digen zu können, müssen wir den Rahmen unserer Betrachtung
weiter spannen, indem wir neben dem eigentlichen Hofgüter-
Volkswirtschaftl. Abhandl. IV. Bd. I
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2 Einleitung.
gebiet auch die übrigen Teile des Schwarzwalds, die wesentlich
anders geartet sind, zu berücksichtigen haben. Dann erst werden
die Ursachen der Siedlungsform, welche hier zum geschlossenen
Dorfsystem, dort zum Einzelhofsystem geführt haben, am besten
erkannt werden. Zu diesem Zwecke folgen wir der von Neumann^)
vorgenommenen Einteilung des Schwarzwalds in vier Hauptteile :
einen nordöstlichen, nördlichen, mittleren und südlichen Abschnitt
des Gebirges.
Der nordöstliche Teil des Schwarzwalds, nördlich und öst-
lich von der Murg gelegen, wird von den Flüssen Alb, Enz, Pfinz,
Wurm und Nagold durchschnitten. Politisch teils zu Baden, teils
zu Württemberg gehörig, zeigt dieser an Flächenausdehnung
kleinste Hauptteil des Schwarzwalds bezüglich der geologischen
Beschaffenheit und der damit im engen Zusammenhange stehenden
Siedlungsverhältnisse mancherlei Verschiedenheiten.
Nördlich der Murg zieht sich ein niedriges Hügelland bis zur
Pfinz hin , welches hinsichtlich der Höhenlage , Bodenform und
Bodenbeschaffenheit mit dem sich im Norden anschliessenden
Kraichgauer Hügellande übereinstimmt. In den tieferen Lagen,
wo der Buntsandstein vorherrscht und demzufolge ausgedehnte
Hochwaldungen sich vorfinden, ist kein Platz für eine landwirt-
schaftliche Thätigkeit von nennenswerter Bedeutung. Die Humus-
bildung des Sandsteins ist eine geringe und ermöglicht nur einen
spärlichen Graswuchs, wohl aber ist der Buntsandstein ein vor-
züglicher absoluter Waldboden. Daher ist diese Zone zwischen
300 und 400 m sehr spärlich besiedelt, auf i qkm kommen nur
25 Einwohner. Das Dichtigkeitsverhältnis wird ein anderes, so-
bald in den höheren Lagen der Muschelkalk und der Lös zu Tage
treten, Gesteinsarten, welche verhältnismässig guten Ackerboden und
somit einer in ziemlich zahlreichen kleineren Ortschaften verteilten
Bevölkerung die Möglichkeit zum Betriebe der Landwirtschaft ge-
währen. Die Bevölkerungsdichtigkeit nähert sich hier dem Landes-
durchschnitt, sie beträgt zwischen 76 und 100 Einwohner pro qkm.
Im Osten der Murg , nach Württemberg hin, überwiegt wie-
derum der Buntsandstein. Demgemäss finden wir hier sehr starke
Bewaldung und wenig landwirtschaftliche Siedlungen. Die land-
wirtschaftliche Bevölkerung macht nicht einmal 30 Proz. der Be-
i) Dr. Ludwig Neumann^ Professor, Die Volksdichte im Grossherzojjtum Baden.
1892. Unsere folgenden orographischen und anthropogeographischen Ausführungen
stützen sich hauptsächlich auf dieses Werk.
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Bodengestaliung und Bodenbeschaffenheit etc. 3
völkerung überhaupt aus, wovon nur der kleinere Teil im eigent-
lichen Schwarzwaldgebiete wohnt. Es wohnen über 500 m zwi-
schen der Murg und der östlichen Landesgrenze auf 89 qkm nur
noch 115 Einwohner. Der weitaus grösste Teil der Bevölkerung
findet sich im Murgthal und seinen Rändern. Die Murg hat seit
Alters den Holztransport aus diesem waldreichen Gebiet vermittelt.
Hier liegen zahlreiche geschlossene Ortschaften, deren Einwohner
als Holzhändler, Flösser, Fuhrleute, Waldarbeiter und neuerdings
auch als Fabrikarbeiter beschäftigt sind und zumeist die Landwirt-
schaft nur im Nebenberufe betreiben. Dort, wo das untere Murg-
thal sich erbreitert und in die Rheinebene ausläuft, ermöglicht
die Gunst des Bodens und die Milde des Klimas neben einer
relativ intensiven Landwirtschaft den Rebbau und die Kultur der
zahmen Kastanie. Dementsprechend ist auch die Bevölkerungs-
dichtigkeit. Im unteren Murgthal finden wir die grösste Dichtig-
keit des Grossherzogtums, indem auf i qkm 386 Einwohner kommen.
Das Dichtigkeitsverhältnis nimmt ab nach den Höhenstufen des
Murgthals und bewegt sich bei 200 — 300 m zwischen 86 und 65
Einwohner pro qkm.
Ein wesentlich anderes Bild zeigt das zweite Hauptgebiet des
Schwarzwalds, der nördliche Teil zwischen Murg und Kinzig.
Der Buntsandstein tritt zurück, an seine Stelle tritt als Hauptge-
steinsart der Granit und hauptsächlich der Gneis. Es beginnt die
Region der sogenannten Reutberge.
Betrachten wir die Verhältnisse in den Amtsbezirken Wolfach
und Oberkirch als typisch für diesen Hauptteil des Schwarzwalds,
so ergiebt sich, dass nur 29,7 Proz. der Bodenfläche in ständiger
landwirtschaftlicher Nutzung stehen, dagegen 24,3 Proz. als Reut-
berge und 45 Proz. als Wald genutzt werden. Da von der land-
wirtschaftlich benutzten Fläche 43 Proz. auf Wiese und Weide
entfallen , und die Reutberge ihrem Hauptzweck nach als Weide
dienen, so liegt der Schwerpunkt der Landwirtschaft in der Holz-
und Viehwirtschaft. Somit charakterisiert sich der Schwarzwald-
betrieb als ein durchaus extensiver, daher denn auch ein grösseres
Flächenareal erforderlich ist, wenn der Bauer selbständig und ohne
ein Nebengewerbe zu betreiben, wirtschaften will.
Aus ebendemselben Grunde ist die Bevölkerungsdichtigkeit
eine geringe. Sie ist naturgemäss dort grösser, wo, wie im Kinzig-
thal, eine gewerblich-industrielle Thätigkeit neben einem ausge-
dehnten Holzhandel vorherrschend ist. Im unteren Kinzigthal
I*
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A Einleitung.
kommen auf i qkm 211 Einwohner, im oberen nur noch 146. In
der Reutberg- und Waldzone reduziert sich das Dichtigkeitsver-
hältnis entsprechend der Höhenlage bis auf 3 Einwohner pro qkm.
Wesentlich stärker bevölkert ist die Vorbergslandschaft, welche
sich von Baden bis Offenburg hinzieht. Hier verstattet die Güte
des Bodens und ein milderes Klima einen ziemlich intensiven Acker-
bau und an den Gebirgsabhängen einen lohnenden Rebbau. In
der Reutbergzone beschränkt sich die Landwirtschaft auf die Kultur
von Winterfrucht, Hafer und Kartoffeln. Trotz der nicht unbe-
deutenden gewerblich-industriellen Thätigkeit im mittleren und
oberen Kinzigthal und den Nachbarthälern betreibt der überwie-
gende Teil der Bevölkerung die Landwirtschaft. So leben von
1000 Einwohnern der Bezirke Oberkirch und Wolfach 590 von
der Landwirtschaft.
Der dritte Hauptteil des Schwarzwalds , das mittlere
Schwarzwaldgebiet, welches sich zwischen Kinzig und Dreisam er-
streckt, ist von dem eben geschilderten nördlichen Teile hinsicht-
lich der physikalischen und ökonomischen Verhältnisse nicht we-
sentlich verschieden. 34 Proz. der Fläche befinden sich in stän-
diger landwirtschaftlicher Benutzung als Ackerfeld, Wiese und
Weide, 27 Proz. werden als Reutfelder genutzt, während 37 Proz.
bewaldet sind. Orographisch ist zu bemerken, dass das Gebirge
immer höher ansteigt, und dass bis zu 1000 m und darüber grössere
Hochflächen sich in landwirtschaftlicher Kultur befinden. An den
Abhängen der Thäler, welche von der Elz, Glotter, Dreisam und
ihren zahlreichen Nebenflüssen gebildet werden , ziehen sich bis
zum Kamme und darüber hinaus die Reutfelder hin. Besonders
ausgedehnte Reutfeldflächen zeigt das Gebiet der Elz. An die
Reutfelder schliessen sich die Weiden und Hochwaldungen an.
Die Landwirtschaft entfernt sich immer mehr vom eigentlichen
Ackerbau und erscheint fast durchweg als Weide- und Forstwirt-
schaft. In den höheren Lagen gedeiht das Winterkorn nicht mehr,
hier sind Sommerkorn, Hafer und Kartoffeln die einzigen Früchte,
deren Anbau noch lohnend ist. Die Erträgnisse des Korns decken
in den meisten Betrieben nicht einmal den Eigenbedarf. In vielen
Fällen muss Korn, welches in den Bauernmahlmühlen vermählen
wird, Weissmehl, auch häufig Stroh u. dgl. zugekauft werden, um
das Manko des Bedarfs auszugleichen. In der niederen Zone der
Reutberge gedeiht auf den nach Süden gekehrten Bergabhängen
die Winterfrucht, u. a. auch der Weizen, dessen Qualität hier eine
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Bodengestaltung und ßodenbeschaffenheit etc. 5
besonders gute ist.
Die sogenannte Hünersedelgruppe, welche den Westen
des Gebirges zwischen Kinzig und Elz darstellt, zeigt in geolo-
gischer Beziehung mancherlei Abweichungen von der Natur des
Hauptgebirges. Im Westen ermöglicht ein ziemlich breiter Lös-
gürtel eine intensivere Landwirtschaft. Daher ist hier die Bevöl-
kerungsdichtigkeit relativ gross, es kommen 89 Einwohner auf
I qkm. Das Bundsandsteingebiet, welches nach Osten zu den Ueber-
gang zum Gneis , der Hauptgesteinsart des hohen Schwarzwalds
vermittelt, ist fast ganz mit Hochwaldungen bedeckt. Daher kom-
men schon von 300 m aufwärts im Durchschnitt kaum 20 Ein-
wohner auf I qkm. In dem industriereichen unteren Elzthal be-
trägt die Dichtigkeit 140 Einwohner pro qkm, sie nimmt ab, je
mehr die Landwirtschaft in den Vordergrund der wirtschaftlichen
Thätigkeit tritt. Im höher gelegenen Elzthal beträgt die Dichtig-
keit noch 62 Einwohner pro qkm, zwischen Dreisam und Kinzig
in einer Höhenstufe von 600 — 900 m beträgt sie nur noch 30 pro
qkm. Die grosse Dichtigkeit des Schiltachthals ist auf die Nähe
der industriereichen Stadt Schramberg zurückzuführen, diejenige
des Bregthals und seiner nächsten Umgebung auf die Uhren-
industrie, welche in dem Städtchen Vöhrenbach und in den Ge-
höften der entsprechenden Thalstufe, vor allem aber in Furtwangen
ihren Hauptsitz hat.
Der Charakter des eigentlichen Schwarzwaldbetriebes ver-
wischt sich mehr und mehr dort , wo die Thäler breiter werden
und in die Rheinebene ausmünden. Hier genügt ein geringeres
Areal zum selbständigen Betriebe eines bäuerlichen Anwesens.
Das Verhältnis der einzelnen Kulturarten zu einander verschiebt
sich nach der Richtung des Landesdurchschnitts hin , dergestalt,
dass Weide und Wald zurücktreten und das ständige Ackerfeld
an Ausdehnung zunimmt. Hierzu kommt noch, dass die Nähe
grösserer Städte, wie z. B. Freiburg und Waldkirch Erwerbsgele-
genheit bietet. Daher ist denn auch die Bevölkerungsdichtigkeit
hier relativ gross, z. B. im unteren Dreisamthal und in der Um-
gebung von Freiburg beträgt sie 131 Einw. pro qkm. Aber auch
im mittleren Dreisamthal beträgt sie noch 86 Einwohner pro qkm,
während auf den Höhen zwischen Elz und Dreisam nur 21 Ein-
wohner auf I qkm kommen. Demgegenüber könnte es fast wunder-
bar erscheinen, dass zwischen 900 und iioo m, auf der Hochebene,
welche im Osten in die Baar ausläuft und im Süden sich an den
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6 Einleitung.
Feldberg anlehnt, die Besiedlung eine vergleichsweise ziemlich
dichte ist, — es kommen auf i qkm noch 17 Einwohner. Die Er-
klärung dieser ziemlich abnormen Erscheinung liegt in dem Um-
stände, >dass die Höhen des Schwarzwalds in der kälteren Jahres-
zeit sehr häufig warmen Wetters sich erfreuen , während in derk
tieferen Lagen strenger Frost herrscht; das Thermometer sinkt
hier auch nie so tief, wie in der Rheinebene oder gar wie auf
den Hochflächen der Baar«^).
Als viertes Hauptgebiet kommt der südliche Teil des
Schwarzwalds in Betracht. Er zeigt nach Bodengestaltung und
Bodenbeschaffenheit die verschiedenartigsten Erscheinungsformen.
Die westlichen und südlichen Vorlagerungen und Gebirgsränder
gehören ihrer geognostischen Natur nach nicht dem hohen Schwarz-
wald an, dessen eigentliche Gesteinsart der Gneis und der Granit
ist. Wir finden dort teils Muschelkalk und Lös, wie z. B. in den
Höhenzügen zwischen Freiburg und Lörrach, teils den Buntsandstein
im südöstlichen Teile, welcher politisch zum Amtsbezirke Walds-
hut gehört. Daneben finden sich noch andere geognostische For-
mationen, als: Thonschiefer im Wiesenthal und Porphyr in der
Umgebung des Feldbergs.
Die Thäler haben hier nicht die Breite wie im nördlichen und
mittleren Schwarzwald, sie schneiden sich zumeist schluchten-
artig ins Gebirge ein. Im Westen vom Schauinsland und Beleben
zeigen sich dem mittleren Schwarzwald ähnliche Thalkonfigura-
tionen mit Wässerwiesen und Reutfeldbetrieb, wie z. B. im Ober-
und Untermünsterthal. Ferner ist hervorzuheben, dass in diesem
südlichen Hauptgebiete des Schwarzwalds der Allmendbesitz eine
grosse Bedeutung hat. Beispielsweise sei erwähnt, dass von den
56 Gemarkungen des Amtsbezirks Schönau, welche 20413 ha Ge-
samtfläche, darunter 7090 ha Weidland, besitzen, 6816 ha Weidland im
Besitz der Gemeinden und nur 269 ha im Privatbesitz sich befinden ^).
Bezüglich der Anbauverhältnisse dieses Schwarzwaldgebiels gilt, dass
mit Ausschluss des Amtsbezirks Neustadt 53 Proz. der Bodenfläche
landwirtschaftlich benutzt, 42 Proz. bewaldet sind und nur 1,2 Proz.
als Reutfeld benutzt werden. Von der landwirtschaftlich benutzten
Fläche entfällt der grösste.Teil auf Weide (im Amtsbezirk Schönau
rund 34 Proz. der Gesamtfläche). »Die verhältnismässig grosse
i) Vgl. Statistisches Jahrbuch für das Grossh, Baden Jahrg. 1897/98, S. 3.
2) Vgl. Die Erhaltung und Verbesserung der Schwarzwald weiden im Amtsbezirk
Schönau. Amtliche Darstellung.
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Siedlungsform etc. 7
landwirtschaftliche Fläche findet sich jedoch nicht gleichmässig
durch das ganze Gebiet verteilt. Sie beherrscht das Hügelgebiet
der tertiären Kalke zwischen Lörrach und Staufen, dann den Dinkel-
berg und die östliche Muschelkalkplatte im Amtsbezirk Bonndorf« ^).
Die Hausindustrie und Fabrikthätigkeit ist in diesem Teile des
Schwarzw^alds besonders stark ausgeprägt. Hinzuweisen ist auf die
Bürstenindustrie in Todtnau, auf die neuerdings emporblühende
hausindustrielle Holzschnitzerei in einigen Gemeinden des Amts-
bezirks St. Blasien und auf die ungleich wichtigere Textilindustrie,
welche besonders im Wiesenthal und seiner Umgebung von welt-
bekannter Bedeutung ist. Die Bevölkerungsdichtigkeit entspricht
naturgemäss neben dem Vorkommen industrieller oder hausindu-
strieller Erwerbsgelegenheit der Güte des Bodens, der Art des
Klimas und der Höhenlage. Im Wiesenthal, dem Zentrum der
Textilindustrie ist sie bei weitem am stärksten. Sie beträgt dort
282 Einw. pro qkm, wohingegen in den Umrandungen des Wiesen-
thals 120 Einw. auf i qkm kommen. Im Amtsbezirk St. Blasien
beläuft sich die Dichtigkeit in den Höhenstufen von 400 — 900 m
auf rund 65 Einw. pro qkm. In den Gebirgsvorlagerungen zwischen
Freiburg und Lörrach entspricht sie mit 103 Einw. pro qkm dem
Landesdurchschnitt. Eine ungleich spärlichere Besiedlung zeigt
das Buntsandsteingebiet des gegen den Rhein hin vorgelagerten
Dinkelberges. Dort wohnen in einer Höhenstufe von 300 — 400 m
auf I qkm nur 23 Einw., und über 500 m zeigt die Statistik gar
keine Siedlung. Auf den Höhen zwischen Wehra und Dreisam,
welche politisch den Amtsbezirken Freiburg, Staufen und Schönau
angehören, kommen im Mittel 55 Einw. auf i qkm.
B. Siedlungsform (Einzelhofsystem, geschlossenes Dorfsystem).
Aus der vorangegangenen Sonderbetrachtung der vier Haupt-
gebiete des Schwarzwalds dürften wir bereits mancherlei Anhalts-
punkte gewonnen haben , um uns über die Frage schlüssig zu
werden , inwieweit die physikalischen Verhältnisse, — die Be-
schaffenheit und Gestaltung des Bodens, die Art des Klimas, die
mehr oder minder leichte Zugänglichkeit der Gegend — auf die
Siedlungsform eingewirkt bezw. sie bedingt haben. Daneben aber
wird uns in etwas die Frage beschäftigen müssen, ob nicht etwa
andere Faktoren in mehr oder minder erheblichem Masse von
Einfluss auf die Siedlungsform gewesen sind. Gedacht ist hier-
i) Neumann a. a. O.
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3 Einleitung.
bei vor allen Dingen an die Bedeutung der Stammeseigentümlich-
keiten für die ursprüngliche Siedlungsform, welche die herrschende
Lehre als in letzter Linie dabei ausschlaggebend hinstellt. Leider
fehlt uns über die Urbesiedlung des Schwarzwalds zuverlässiges
Material. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit lässt sich jedoch ver-
muten, dass zur Zeit Cäsars Teile der Kelten, deren Hauptmasse
von der germanischen Hochflut auf das linke Rheinufer gedrängt
wurden in die höheren Gebirgslagen geflüchtet sind, woselbst sie auch
von der Römergefahr verschont blieben. Gross ist ihre Zahl jeden-
falls nicht gewesen, denn als gegen Ende des neunten Jahrhun-
derts die Benediktinermönche die Erschliessung und Besiedlung
des höheren Schwarzwalds sich zur Aufgabe machten, fanden sie
ihn gar nicht oder doch nur spärlich bevölkert ^). Näheres über die
Bewohner und die Form der Siedlung ist uns bis jetzt nicht be-
kannt geworden. Von einer Besiedlung in grösserem Umfange
kann also erst von dieser Zeit an gesprochen werden. Immer-
hin dürfen wir mit ziemlicher Gewissheit annehmen, dass die herr-
schende Lehre, welche die Einzelhofsiedlung den Kelten zuschreibt,
in der Siedlungsform, wie sie sich auf dem Schwarzwald vollzogen
hat, kein vollgültiges Argument für die Richtigkeit ihrer Ansicht
erblicken kann. Auf der anderen Seite lässt sich sicherlich mit
grösserem Recht die Behauptung aufstellen, dass die Einzelhof-
siedlung nicht wegen, sondern trotz der national-keltischen
Siedlungsweise erfolgt ist. Danach ergab sie sich lediglich aus
der Natur der Verhältnisse heraus, sodass selbst dann, wenn die
Kelten die Dorfsiedlung als nationales Siedlungssystem gehabt
hätten, die Besiedlung des Schwarzwalds sich kaum anders ge-
staltet haben würde» Jedenfalls dürfte aus unserer Darstellung
sich ergeben haben, dass die physikalischen Verhältnisse einen
wesentlichen Einfluss auf die Siedlungsform ausüben mussten, so-
weit wenigstens sich diese historisch zurückverfolgen lässt.
Dort, wo wie z. B. im nordöstlichen Hauptgebiet des Schwarz-
walds, in einem Teil der Hünersedelgruppe und im Gebiete des
Dinkelberges der Buntsandstein vorherrscht, finden sich wenig
oder gar keine Siedlungen. Die Dichtigkeit ist hier weit geringer
als auf den Höhen des Schwarzwalds. Ungleich stärker ist die
Bevölkerungsdichtigkeit in den Thälern, auf deren Höhen der
durch den Buntsandsteinboden bedingte Waldreichtum schier un-
i) Vgl. den Aufsatz von Gothein in der Zeitschrift für die Geschichte des Ober-
rheins, N. F., Bd. I »Die Hofes Verfassung«.
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Siedlungs form etc. O
erschöpflich ist und welche je nach ihrer Breite mehr oder minder
grosse Acker- und Wiesenflächen gewähren. Hier drängte sich
frühzeitig eine relativ zahlreiche Bevölkerung in geschlossenen
D ö rf e r n , welche sich teilweise zu kleineren Städten auswuchsen,
zusammen. Sie betreibt die Landwirtschaft grösstenteils nur im
Nebenberufe und setzt sich hauptsächlich aus Gewerbetreibenden
zusammen als: Flössern, Holzhändlern, Fuhrleuten u. dgl. Seit
alters zeigt das Murg- und Kinzigthal dieses industriell-gewerbliche
Gepräge. Neuerdings lockten die Wasserkräfte, welche hier im
überreichen Masse zur Verfügung stehen, auch andere Industrieen
herbei. Neben dem Wald und den Sägewerken gewähren heute
Fabriken aller Art besonders im Murgthal Arbeitsgelegenheit.
Hinzuweisen ist ferner auf die Papierindustrie, welche einerseits
lohnende und willkommene Erwerbsgelegenheit bietet und anderer-
seits für die Holzwirtschaft von grosser Bedeutung ist.
Ebenfalls geschlossene Ortschaften bilden dort die Regel, wo
die Gunst des Bodens und des Klimas, wie z.B. an den west-
lichen Gebirgsrändern einen intensiveren landwirtschaftlichen Be-
trieb ermöglicht. Hier benötigt die landwirtschaftliche Besitzein-
heit einen relativ geringen Arealumfang, ohne dabei den Charakter
der selbstständigen bäuerlichen Nahrung zu verlieren.
Wesentlich andere Formen zeigt die Siedlung im Gneis- und
Granitgebiet des Schwarzwalds, vorzugsweise im nördlichen und
mittleren Hauptteil dieses Gebirges. Der meist wenig tiefgründige,
aus dem verwitterten Urgestein entstandene Boden zeigt eine gute
Graswüchsigkeit. Aus eben diesem Grunde ist der ständige
Ackerbau, ganz abgesehen von anderen einflussreichen Faktoren,
nur in kleineren Flächen lohnend. Der Ackerbau kennzeichnet
sich hier als die Feldgraswirtschaft. Der Charakter der gesamten
Wirtschaft stellt sich dar als Holz- und Vieh Wirtschaft. In denThälern
des nördlichen und mittleren Schwarzwalds vermissen wir, wenn wir
vom Kinzigthal absehen, die gewerbliche Signatur des Murg- und Kin-
zigthals. Berücksichtigen wir eine frühere Zeit, so ergiebt sich
sofort: Die Thäler waren zu sehr abgelegen, die Höhen konnten
sich an Holzreichtum mit den Hochwäldern des besonders im Quell-
gebiet der Kinzig und im Norden der Murg vorherrschenden Bunt-
sandsteins nicht messen, desgleichen waren die Flüsse zum Trans-
port des Holzes zu wenig geeignet, als dass hier eine nennens-
werte gewerbliche Thätigkeit den landwirtschaftlichen Charakter be-
einträchtigen konnte. Daran änderte auch nichts die hausindustrielle
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lO Einleitung.
Uhrenfabrikation, so grosse Bedeutung diese auch gehabt hat.
Die überwiegende Form der Siedlung ist hier nun das Einzel -
hofsystem, die Bewirtschaftungsweise ist<ien geschilderten physi-
kalischen Verhältnissen entsprechend durchaus extensiv. Wegen des
für die landwirtschaftliche Besitzeinheit notwendigen relativ grossen
Areals liegt es im Interesse eines rationellen Betriebs, den Besitz
möglichst geschlossen und arrondiert zu haben. Daher kann hier
von Gewannsystem und Gemengelage keine Rede sein. Aber auch
die Einzelhofsiedlung hat sich der Gebirgskonfiguration angepasst.
Wir können füglich zwischen Thalsiedlung und Höhensied-
lung unterscheiden. Die hier wie dort fast immer unter einem
Dache vereinigten Wohn- und Wirtschaftsgebäude — richtiger
ausgedrückt bilden die Wohnungs- und Wirtschaftszwecken die-
nenden Räume ein Ganzes, wie bei den grossen westfälischen
Bauernhäusern — sind bei der Thalsiedlung in der Thalsohle ge-
legen, jedoch nicht in der Mitte der Sohle, sondern an ihren
Kanten. Auf diese Weise ist das Hofgebäude vor der sich natur-
gemäss in der Mitte des Thaies sammelnden Feuchtigkeit geschützt,
sodann aber wird die Zufuhr auf die gewöhnlich oberhalb der
Wohnräume und Viehställe befindliche Tenne erleichtert ^). Zu
beiden Seiten des Hofgebäudes liegen die Wässerwiesen, an welche
sich die schon mehr geneigten Aecker, die mehr oder weniger
steilen Reutfelder, Weiden und Waldungen anschliessen. Die
aus solchen Höfen zusammengesetzten Gemarkungen und Ge-
meinden bilden eine langgestreckte, oft mehrere Stunden laiig sich
ausdehnende Form. Eine mehr oder weniger ausgeprägte Ab-
weichung von dieser Siedlungsform ist auf den Höhen bemerkbar,
zumal dann, wenn diese sich plateauartig ausdehnen. Hier ist
die Form, wie sich die Kulturarten um das Hofgebäude gruppieren,
wenigen, langgestreckt, sondern mehr rund. Dementsprechend
ist auch die Gestaltung der politischen Gemeinden. Wenn wir
uns Kirche, Schule, Rathaus u. s. w. im Zentrum gelegen denken,
so ist die Entfernung zwischen Zentrum und Peripherie relativ
weniger gross, als bei den Thalgemeinden. Die an der Peripherie
gelegenen Höfe fasst man gern zu Höfekomplexen zusammen und
nennt solche Höfekomplexe »Zinken«. Als eine Thalsiedlungsge-
meinde sei beispielsweise die im Amtsbezirk Waldkirch gelegene Ge-
meinde Prechthal genannt, welche sich länger als 2 Stunden durch das
i) Vgl. die Abbildung eines solchen alemannischen Hauses in Meitzen, Siedlung
und Agrarwesen der West- und Ostgermanen, III. Bd. S. 27.
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Siedlungsform etc. I j
Elzthal hinstreckt, als Höhensiedlungsgemeinden sind zu nennen
die Gemeinden Breitnau, St. Peter u. a. im Amtsbezirk Freiburg,
Hinterzarten im Amtsbezirk Neustadt u. s. w. Wenn wir diese bei-
den Siedlungstypen im Gebiete der Einzelhofsiedlung unterscheiden
konnten, so wollen wir doch nicht behaupten, dass sich nun jeder
Hof entweder in die Kategorie der Thalsiedlung oder in die Ka-
tegorie der Höhensiedlung einreihen lässt. Die Mannigfaltigkeit
der Gebirgskonfiguration hat so viele Ausnahmen geschaffen, dass
es scheinen könnte, als wären wir bei der von uns vorgenommenen
Unterscheidung dieser beiden Siedlungstypen von einer gewissen
Willkür und Sucht »System hineinzubringen« nicht frei gewesen.
Wie bereits angedeutet , ist die Einzelhofsiedlung im nörd-
lichen und mittleren Schwarzwald die vorwiegende Siedlungsform.
Auch der nördliche Saum des südlichen Hauptgebietes zeigt ähn-
liche Verhältnisse , während im grössten Teile des südlichen
Schwarzwaldes das Dorfsiedlungssystem vorherrschend ist. Hier
liegt jedoch die Art der Siedlung nicht so sehr in der Natur der
physikalischen Verhältnisse, als vielmehr in geschichtlichen Vor-
gängen begründet. Es ist mit grosser Wahrscheinlichkeit anzu-
nehmen, dass hier im Mittelalter in Bezug auf Siedlungsform und
ökonomische Gestaltung der Landwirtschaft ähnliche Verhältnisse,
wie im heutigen Gebiet der Einzelhofsiedlung geherrscht haben.
Gothein ^) schreibt das Vorherrschen des Kleingütlerwesens in heu-
tiger Zeit einer übereilten Kolonisation zu, welche bald nach denf"^
dreissigjährigen Kriege in diesem Teile des Schwarzwalds erfolgte.
Ferner hat das frühzeitige Eindringen der Industrie, besonders der
Montanindustrie, sehr bald eine Uebervölkerung hervorgerufen,
welche zwar die von Natur aus extensive Landwirtschaft nicht in-
tensiver gestalten konnte, wohl aber in dem Bedürfnis nach Land
zur Zersplitterung der ursprünglichen Besitzeinheiten geführt hat.
Wenn wir also von dem südlichen Schwarzwalde absehen,
so bedarf es wohl keines Beweises mehr für die von uns mehr-
fach vertretene Ansicht, dass hauptsächlich die physikalischen
Verhältnisse die Siedlungsform beeinflusst haben. Das Dorfsystem
finden wir dort , wo wie im Murg-, Kinzig- und Wiesenthal
eine ausgedehnte gewerblich-industrielle Thätigkeit vorherrschend
ist, oder dort, wo die Gunst des Bodens und des Klimas eine
intensivere Landwirtschaft ermöglicht. Wo jedoch weder das eine
noch das andere der Fall ist, wo die Landwirtschaft auf einer
i) Gothein in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, N.F. Bd. I, S. lo
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1 2 Einleitung.
durchaus extensiven Betriebsbasis beruht, überwiegt das System
der Einzelhöfe.
C. Die geschlossenen Hofgüter des Schwarzwaldes. Agrar-
statistisches.
Wenn wir Eingangs unserer Ausführungen glaubten, den ge-
samten Schwarzwald in den Bereich unserer Untersuchungen über
die in ihren wirtschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen so
überaus wichtige Siedlungsfrage ziehen zu müssen, so werden wir
jetzt den Rahmen wieder enger spannen dürfen, indem wir un-
sere folgenden Betrachtungen zu beschränken haben auf das Ge-
biet der Einzelhofsiedlungen, welches juristisch mit dem Gebiet
der geschlossenen Hofgüter des Schwarzwaldes zusammenfällt.
Wir haben bereits angedeutet, dass der zwischen Murg und
Dreisam gelegene nördliche und mittlere Teil des Schwarzwalds, so-
wie einzelne Teile im Norden des südlichen Hauptteils als das eigent-
liche Gebiet der Einzelhöfe und damit der gesetzlich geschlossenen
Hofgüter in Betracht kommen. Somit erstrecken sich die Hofgüter auf
das gesamte Gneis- und Granitgebiet des Schwarzwalds mit Aus-
nahme des Südens und bezüglich der geographischen Ausdehnung
auf den weitaus grössten Teil des badischen Schwarzwalds über-
haupt. Durch das Gesetz vom 23. Mai 1888, die geschlossenen
Hofgüter betreffend, w^urde durch die Vermittlung der Amtsge-
richte die Zahl der geschlossenen Hofgüter auf 4943 festgesetzt.
Sie verteilen sich auf die 15 Amtsgerichtsbezirke Achern,
Bonndorf, Emmendingen, Ettenheim, Freiburg, Gengenbach, Lahr,
Neustadt, Oberkirch, Offenburg, Staufen , Triberg, Villingen,
Waldkirch und Wolfach. Die Tabelle aufS. 13 zeigt, in welcher
Weise sie sich auf die genannten Bezirke verteilen.
Nach dieser Zusammenstellung sind die Gemeinden der unter
O. Z. I — 6 genannten Amtsbezirke überwiegend Hofgütergemein-
den oder richtiger ausgedrückt, Gemeinden, in welchen Hofgüter
vorhanden sind, denn es giebt Gemeinden , in denen gesetzlich
geschlossene Hofgüter die Mehrheit der überhaupt vorhandenen
landwirtschaftlichen Betriebe bilden, und solche , in denen sie in
der Minderheit sind. Schon hieraus ist ersichtlich, dass wir be-
züglich der amtlichen Statistik, welche naturgemäss die Amts-
bezirke als politische Einheiten erfasst, nur solche Amtsbezirke
für unsere Zwecke berücksichtigen können, in denen der grösste
Teil der Gesamtfläche auf den geschlossenen Hofgüterbesitz ent-
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Die geschlossenen Hofgüter des Schwarzwalds. Agrarstatistisches.
13
Amtsgerichts bezirk
Zahl der
o.z.
Gemeinden
Hofgüter-
geschlossenen
überhaupt
gemeinden
Hofgüter
I.
Gegenbach
13
13
506
2.
Triberg
16
14
339
3.
Waldkirch
26
23
819
4.
Wolfach '
24
19
704
5-
Oberkirch
21
14
525
6.
Freiburg
51
28
792
7.
Neustadt
31
10
190
8.
Villingen
34
10
121
9.
Emmendingen
2T
7
436
10.
Achern
18
6
41
II.
Lahr
27
7
186
12.
Staufen
26
6
71
13
Offenburg
25
3
159
14.
Ettenheim
16
3
50
15.
Bonndorf
45
3
4
fällt, wo also der Gesamtcharakter der Landwirtschaft durch die
geschlossenen Hofgüter sein hauptsächlichstes Gepräge erhält.
Es kämen demnach in Frage die Amtsbezirke ^) Triberg , Wald-
kirch und Wolfach. Vorweg muss bemerkt werden, dass auch
in diesen drei Amtbezirken die geschlossenen Hofgüter nur einen
geringen Bruchteil der landwirtschaftlichen Betriebe überhaupt
ausmachen, wie aus folgender Tabelle hervorgeht:
Amtsbezirke
Triberg
Waldkirch
Wolfach
Sa.
Zahl der
landwirtschaftlichen
Betriebe überhaupt'-^)
2228
2741
3570
8539
Zahl der
geschlossenen Hof-
güter
339
819
704
1862
Die grosse Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe erklärt sich
daraus, dass in den drei vorstehenden Amtsbezirken zahlreiche
kleinere Städte sich vorfinden, deren Bevölkerung neben ihrer
Hauptberufsthätigkeit im Gewerbe, Handel u. s. w. auch etwas
Ackerwirtschaft betreibt. Durch eine, das platte Land besonders
ausscheidende Statistik wären wir im Stande, auch zififernmässig
i) Der erst neuerdings neugebildete Amtsgerichtsbezirk Gengenbach kann leider
nicht berücksichtigt werden; da er in der amtlichen Statistik nicht als ein besonderer
Amtsbezirk ausgeschieden ist.
2) Nach der Erhebung vom 14. Juni 1895. ^S}- Statistisches Jahrbuch 1897 und
1898 Seite 80.
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14
Einleitung.
nachzuweisen, dass Landwirtschaft und Hofgüterwirtschaft in den
drei Amtsbezirken sich im wesentlichsten deckende Begriffe sind.
Selbstverständlich giebt es dort auch zahlreiche Kleingütler, Hand-
werker u. dgl, wodurch jedoch das gesamte Wirtschaftsbild nicht
sehr alteriert wird.
Bezüglich des land- und forstwirtschaftlichen Areals der ge-
nannten drei Amtsbezirke dürfte kein Zweifel vorhanden sein, dass
der weitaus grösste Teil der Gesamtfläche auf die geschlossenen
Hofgüter entfällt, wenngleich eine diesbezügliche Statistik nicht
vorhanden ist Wir sind demnach berechtigt, die auf die Amts-
bezirke Triberg, Waldkirch und Wolfach (mit zusammen 66 Ge-
meinden, unter diesen 56 Gemeinden mit Hofgüterbesitz) sich er-
streckenden agrarstatistischen Daten als Unterlagen für unsere
weiteren Ausführungen anzunehmen.
Wir haben bereits den wirtschaftlichen Charakter der Hof-
güter als einen vornehmlich auf der Forst- und Viehwirtschaft be-
ruhenden kennen gelernt. Nach den Angaben der Gemeinden,
bezw. der Katastervermessung ergab sich in den drei Amtsbe-
zirken 1896 folgendes Verhältnis der Kulturarten:
i
0)
:2
Haus- und an-
Reutberge
■ -c
dere Gärten, ein-
ohne
Wald
Amts-
'1
schliessl. Baum-
Im
landwirt-
im
Gesamt-
bezirke
<
^
''S
a
schulen, Reb-
land, Kastanien-
anpflanzungen
Ganzen
schaftlich
genutzte
Fläche
Ganzen
Fläche
ha
ha
ha
ha
ha
ha
ha
ha
Waldkirch
5683
4019
6000I 200 1 15 9 12! 2908
10812
3M24
Wolfach
6969! 5770
2550
142 I1543I1 7041 121932
45675
Triberg
4268
2867
7839
30
15004
2947
8029
27443
In den drei Amtsbezirken beträgt somit der auf das Acker-
feld entfallende Teil rund ^/e der Gesamtfläche. Am waldreichsten
ist der Amtsbezirk Wolfach ; hier bedeckt der Wald fast 50 Proz.
der Gesamtfläche. Jedoch ist zu bemerken, dass ein nicht un-
beträchtlicher Teil des Waldareals im standesherrHchen Besitze
sich befindet, z. B. besitzt der Fürst von Fürstenberg im Forstei-
bezirk Wolfach rund 4500 ha Waldungen. Die dem Staate ge-
i) Hierin sind eingerechnet die nicht ertragenden Flächen wie : Hausplätze, Hof-
raiten, öffentliche Plätze, Wegland, Eisenbahnen, Lehm- und Kiesgruben, Steinbrüche,
Gewässer, Felsen und anderes Unland.
2) Statistisches Jahrbuch 1897 u. 1898 S. 126.
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Die geschlossenen Hofgüter des Schwarzwalds. Agrarstatistisches. j c
hörigen Waldungen sind in den drei Amtsbezirken bezüglich ihres
Umfangs von untergeordneter Bedeutung. Das Verhältnis der
Grösse der gesamten Wirtschaftsfläche zur Grösse des Ackerfeldes
ist naturgemäss für die einzelnen bäuerlichen Betriebe sehr ver-
schieden je nach den physikalischen Verhältnissen, wie: Boden-
beschaffenheit, Höhenlage, Klima u. s. w. und je nach der Grösse
des bäuerlichen Anwesens. Ohne eigentlichen Ackerbau konnte
der Hofbauer am wenigsten in einer Zeit auskommen, wo wegen
der mangelhaften Verkehrs Verhältnisse der Transport von Getreide
in die abgelegenen Schwarzwalddistrikte ebenso schwierig als
kostspielig war. Der Bauer war deshalb gezwungen, die von ihm
zum Eigenbedarf in der Wirtschaft und im Haushalt benötigten
Feldfrüchte selbst zu bauen. Da musste natürlich das zur Korn-
produktion erforderliche Areal ein relativ grosses sein. Wir werden
noch sehen, wie gerade diesem Umstände die Reutfeldwirtschaft
ihre Entstehung zu verdanken hat. Noch in der ersten Hälfte
unseres Jahrhunderts sollen sogar nicht unbeträchtliche Quanti-
täten von Korn, welches eben durch die Reutfeldwirtschaft ge-
wonnen wurde und von vorzüglicher Qualität war, namentlich als
Saatgut für den entfernteren Markt produziert worden sein. Eine
Statistik hierüber fehlt leider. Heute vermag die Eigenproduktion
nur einen grösseren oder geringeren Teil des Bedarfes an Getreide
für den Haushalt und zur Fütterung, bezw. zur Aufzucht des
Viehes zu decken.
In den drei für das Hofgütergebiet als typisch angenommenen
Gemeinden Oberwolfach, Steig und Neukirch, aufweiche sich die
amtlichen Erhebungen über die Lage der Landwirtschaft in Baden
neben 34 anderen Gemeinden erstreckten , findet die Frage des
Grössenverhältnisses des Ackerfeldes zur Gesamtfläche und die
Frage der Gesamtgetreideproduktion, bezw. der Verbrauchs- und
Verkaufsmengen in der Tabelle ^) S. 16 ihren ziffermässigen
Ausdruck :
Es steht also einer Gesamtverbrauchsmenge an Getreide von
rund 1000 Ztr. eine Verkaufsmenge von nur 20 Ztr. und eine
Produktionsmenge von ebenfalls rund 1000 Ztr. gegenüber. Rech-
net man noch den Bedarf an Mehl und Brot hinzu , so ergiebt
sich, in Geld umgerechnet, nach Abzug des winzigen Erlöses aus
dem verkauften Getreide für die 14 Betriebe ein Bedarf an Brot-
i) Zusammengestellt nach Anlage V, Seite 144 f. der »Ergebnisse der Erhebungen
über die Lage der Landwirtschaft im Grossherzogtum Baden« 1883.
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i6
Einleitung.
5n
1 Grösse
Gesamt-
getreide-
produktion
1
Verbrauch
an
Getreide
für den
Haushalt
und als
Viehfutter
Verkaufs-
Zukauf
G e m e i n d <
1 der
j Wirt-
schaft
1 im
'Ganzen
des
Acker-
feldes
menge des
Getreides nach
Abzug des
Saatguts
(einschliesslich
Mehl und
Brot)
1 ha
ha
Ztr.
Ztr.
M.
M.
Oberwolfach
Grossbauer
{;:
170.53
163.90
4.01
6.30
68.5
165.8
213.9
1304
.*■"
***"■
1427
530
Mittelbauer
{i.
54.—
25 —
560
4.52
96.1
62.9
63.1
64.0
5
47
14
114
Kleinbauer
6.
1344
4340
4.06
6.71
51.5
76.0
32.3
57.2
8.3
66
59
Taglöhner
II:
507
0.45
2.45
0.45
40.0
6.3
42.1
11.2
"~~
—
'45
90
Steig
Grossbauer
Mittelbauer
I.
2.
65.0
26.OQ
13.82
5-77
70.0
89.0
58.0
70.5
7.0
56
317
174
N e u k i r c h
Grossbauer
(i
92.45
77.43
3.78
315
96.0
125.4
102.1
141.4
—
—
569
753
Kleinbauer
Taglöhner
3.
4.
23.66
3.75
3-15
0.68
43.5
6.0
33.8
__
600
331
^ 997.0
I Ol 9.0
20.3
169
5153
getreide im Werte von rund 5000 Mk., welcher durch Zukauf ge-
deckt werden muss. Nur ein einziger Besitzer ist im Stande,
Getreide — allerdings nur in sehr geringen Quantitäten — abzu-
kaufen, ohne zugleich Mehl und Brot zukaufen zu müssen. Es
erklärt sich diese — man könnte fast sagen — Abnormität da-
durch, dass die Ackerfläche dieses Hofes eine relativ grosse ist;
sie beträgt fast ein Drittel des Gesamtareals. Zur weiteren Er-
klärung soll noch gesagt werden, dass die Lage dieses Hofgutes
eine äusserst günstige ist, denn das Gelände ist eben und kaum
200 m hoch gelegen, dazu ist der Boden teilweise tiefgründig und
daher als Ackerfeld . vorzugsweise geeignet.
Je grösser das Hofgut, desto kleiner ist gewöhnlich, relativ
genommen, das Ackerareal. Der Ackerbau als solcher ist im All-
gemeinen nicht lohnend, soweit wenigstens die Bestellung mit Halm-
früchten in Betracht kommt ; er kann jedoch aus Rücksichten der
Statik nicht entbehrt werden, denn der fortgesetzte Anbau von
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Die geschlossenen Hofgüter des Schwarzwaldes. Agrarstatistisches. 17
Futtergräsern, von Klee u. dgl. würde sehr bald die bekannte
Kleemüdigkeit des Bodens erzeugen.
Als Resultat unserer Ausführungen ergiebt sich, dass der
Ackerbau im engeren Sinne, d. h. die Produktion von Halmfrüch-
ten für das Hofgütergebiet von untergeordneter Bedeutung ist.
Weil der Hofbauer in sehr vielen Fällen mehr Getreide bezw. Mehl
und Brot für seine Wirtschaft bedarf, als er selbst produziert, so
hat er kein Interesse an hohen oder höheren Getreidepreisen, eine
Thatsache, die auch von den Erhebungskommissären der drei Ge-
meinden ausdrücklich betont worden ist.
Der Schwerpunkt der Hofgüterwirtschaft beruht auf der Vieh-
und Holzwirtschaft.
Die Reutberge, welche einen erheblichen Teil der Gesamt-
fläche des Hofgütergebiets ausmachen, dienen, ihrem Hauptzweck
nach zur Weide. »Die Reutberge, Hauberge und Hackwaldungen
verdanken ihre Entstehung dem Mangel an Weiden, dem Mangel
an Ackerfeld in engen Thälern, dem Mangel an Strassenverbin-
dungen und der hieraus entstehenden Notwendigkeit, die Brot-
früchte selbst zu erzeugen , dem Mangel an Lohnarbeit und den
niedrigen Holzpreisen« ^). Die Reutfelder werden nach 15 bis
20jähriger oft schonungsloser Beweidung umgebrochen. Das hier-
bei zur Anwendung gelangende Verfahren ist folgendes :
Das Holz, gewöhnlich Niederholz und Gestrüpp, wird abge-
hauen, auf Bündel gelegt und verbrannt. Der mit Gras, vielfach
auch mit Unkräutern aller Art, namentlich aber der sogenannten
Besenphrieme (Spartium scoparium) bewachsene Boden wird ge-
schält (geschorben) , was zumeist recht mühsam mit der Hacke
geschieht. Die Asche der verbrannten Reisigbündel dient als
Dünger und wird in das aufgewühlte Erdreich gestreut. Sodann
wird ein bis zwei Jahre lang das so bearbeitete Reutfeld als Acker-
land benutzt, indem im ersten Jahre gewöhnlich Roggen, seltener
Weizen und im zweiten Jahr Hafer und Kartoffeln eingesäet wer-
den. Nach dieser Zeit wird das Reutfeld zumeist der natürlichen
Berasung überlassen und dient jetzt wieder seinem Hauptzwecke,
der Beweidung durch das Vieh.
Die Reutfelder finden sich besonders häufig in den Amts-
bezirken Wolfach und Waldkirch, wiewohl ihre Ausdehnung gegen
früher auch hier wie überall im Hofgütergebiet eine wesentliche
i) Dr. Vollrath Vogelmann^ Staatsrat, Die Reutberge des Schwarzwalds. Karls-
ruhe 1870. S. 8 ff.
Volkswirtschaft]. Abhandl. IV. Bd. 2
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I8 Einleitung.
Einschränkung erfahren hat. An ihre Stelle sind vielfach Eichen-
schälwaldungen und Fichtenwaldungen getreten, welche eine höhere
Rente abwerfen, als die Reutfeldwirtschaft. Dazu kommt noch,
dass mit der fortschreitenden Verbreitung der Stallfütterung des
Viehs während des Sommers auch die Reutfelder immer entbehr-
licher werden.
Die Viehwirtschaft des Schwarzwalds kennzeichnet sich als
die Aufzucht von Jungvieh, besonders von Rindvieh und Schweinen.
Mästung kann hier wegen des Mangels an Abfällen jeglicher Art
naturgemäss nicht getrieben werden, man beschränkt sich daher
auf die Aufzucht. Wegen der auf dem Schwarzwald immer mehr
Verbreitung findenden Schweinezucht sollen einige Zahlen genannt
werden , welche den Aufschwung der Schweinezucht innerhalb
12 Jahren beweisen. Es wurden gehalten in den Amtsbezirken
I. Waldkirch
{
2. Triberg |
3. Wolfach I
1883
1895
9 505 Schweine
12150
1883
1895
3 557
4026
1883
1895
8503
10284 »
Neben der Viehwirtschaft ist die Holzwirtschaft die Haupt-
einkommensquelle des Schwarzwälder Hofbauern. Die Fichte ist
der überwiegende Baum im Hofgütergebiet, andere Nadelhölzer,
wie : Tanne, Lärche, Kiefer finden sich bei weitem nicht so häufig.
Von den Laubholzarten kommt für den Privatbesitz nur noch
der Eichenschälwald in Frage, welcher besonders an den Thal-
abhängen des Schwarzwalds kultiviert wird, jedoch bei der Kon-
kurrenz der ausländischen Gerberlohe heute eine relativ geringe
Rente abwirft. Eichenhochwaldungen und Buchenwaldungen sind
für die Holzwirtschaft des Hofbauern von untergeordneter Bedeu-
tung und können auch im Allgemeinen für den Privatbesitz nicht
die Bedeutung haben, wie die Fichte, welche die bei weitem ren-
tabelste aller Holzsorten ist, und deren Nutzbarkeit in ihrer frühe-
sten Jugend, im sogenannten Stangenholzalter, zu Rebstecken,
Hopfen- und Bohnenstangen hinlänglich bekannt ist, ganz abgesehen
von ihrer überaus mannigfaltigen Verwendbarkeit im späteren
Alter als Papier-, Nutz- und Bauholz.
Ueber die Frage der Grundbesitzverteilung im
eigentlichen Hofgütergebiet giebt uns die vorhandene Statistik nur
wenig genügenden Aufschluss. Von den im Jahre 1892 fixierten
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Die geschlossenen Hofgüter des Schwarzwaldes. Agrarstatistisches. iq
und für gesetzlich geschlossen erklärten 4943 Hofgütern dürfte
ein, wenngleich kleiner Teil als Tagelöhnergüter gelten, welche
also keine selbständigen bäuerlichen Nahrungen sind. Nach § 2
des Gesetzes vom 23. Mai 1888 wurde die Hofgutsqualität davon
abhängig gemacht, dass unter Hofgut ein der Hauptsache nach
eine zusammenhängende Fläche bildendes landwirtschaftliches An-
wesen zu verstehen sei, welches nach Erlassung des Edikts vom
23. März 1808 ununterbrochen dem Eigentümer des Hofes gehört
habe. Es ist also bei der Feststellung der Zahl der Hofgüter
nicht das Kriterium der selbständigen bäuerlichen Nahrung, son-
dern das Kriterium des ununterbrochenen Eigentums massgebend
gewesen. Daher wurden denn landwirtschaftliche Betriebe, welche
letztere Eigenschaft besassen, für gesetzlich geschlossene Hofgüter
erklärt, ohne dass jedoch das Hofgut zur Ernährung einer bäuer-
lichen Familie ausreichend gewesen wäre. Es war natürlich für
uns unmöglich festzustellen, wie gross die Zahl solcher für gesetz-
lich geschlossen erklärten Hofgüter ist, welche in Wirklichkeit
keine selbständigen bäuerlichen Nahrungen sind, und wo der Be-
sitzer auf Nebenerwerb im Tagelohn u. dgl. angewiesen ist.
Aus der Tabelle auf S. 20, welche von uns nach der Berufssta-
tistik von 1873 zusammengestellt ist und in welche wir die Zahl
der vorhandenen Hofgüter eingetragen haben, können wir wenig-
stens bezüglich der landwirtschaftlich genutzten Fläche einige An-
haltspunkte hinsichtlich der Grundbesitz Verteilung gewinnen. Be-
rücksichtigt sind solche Gemeinden, in welchen die geschlossenen
Hofgüter die Mehrheit der landwirtschaftlichen Haushaltungen
bilden.
Es kommen somit auf 863 landwirtschaftliche Haushaltungen
748 geschlossene Hofgüter. Wenn wir diejenigen landwirtschaft-
lichen Haushaltungen, welche mehr als 10 badische Morgen be-
wirtschaften, als geschlossene Hofgüter betrachten, so ergiebt sich,
dass 431 Hofgüter über 10 Morgen landwirtschaftlich genutzte
Fläche besitzen gegenüber 317 Hofgütern, welche weniger als 10
Morgen besitzen. Für eine Scheidung des Grundbesitzes nach
selbständigen und unselbständigen bäuerlichen Nahrungen sind
diese Ziffern jedoch durchaus unzulänglich, da eben nur die land-
wirtschaftliche Fläche, d. h. Ackerfeld, Wiese und ständige Weide
von der Statistik erfasst wird. Das sehr beträchtliche Reutfeld
und besonders der Waldbesitz ist vollständig unberücksichtigt ge-
blieben. Bei Hinzurechnung von Wald und Reutfeld zu der land-
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20
Einleitung.
Amtsgerichtsbezirke
und
Gemein den
Land wirtschaftliche
Haushaltungen
Von den landwirtschaftlichen
Haushaltungen bewirtschaften
im ganzen
1873
hiervon ge-
schlossene
Hofgüter 1892
vono — lobad.
Morgen *)
über IG bad.
Morgen *)
A.G.Bez. Freiburg
Breitnau
Steig
Eschbach
* Waldkirch
Biederbach
. Lahr
Schönberg
» Oberkirch
Maisach
» .Gengenbach
Oberentersbach
» Emmendingen
Freiamt
91
68
73
234
48
58
30
261
83
61
51
234
37
39
23
220
30
34
37
108
22
39
7
160
61
34
42
124
26
19
23
102
863
748
437
431
wirtschaftlich genutzten Fläche würde sich die Gesamtfläche er-
heblich vergrössern , in sehr vielen Fällen sogar vervielfachen.
Hieraus ist ersichtlich, dass eine auf der landwirtschaftlich genutz-
ten Fläche beruhende Zusammenstellung des Grössenverhältnisses
bei der Grundbesitzverteilung wegen der Nichtberücksichtigung
von Wald und Reutfeld keinen sicheren Massstab für die Scheidung
des Grundbesitzes nach Grössenkategorien gewährt. Es lässt sich
vielmehr mit Sicherheit annehmen, dass ein grosser Teil der Hof-
güter mit einer landwirtschaftlich genutzten Fläche von weniger
als 10 badischen Morgen sehr wohl selbständige, nicht auf Neben-
erwerb angewiesene bäuerliche Betriebseinheiten sind. Da die
Katastervermessung noch nicht abgeschlossen ist, bezw. die Lager-
bücher noch nicht aufgestellt sind , lässt sich eben schwer fest-
stellen, welche Gesamtfläch.enausdehnung die einzelnen bäuerlichen
Betriebe haben. Aber selbst dann, wenn die Gesamtfläche eines
Hofguts feststeht, so wäre damit doch noch nicht die Antwort
auf die Frage gegeben, in welche Kategorie des Besitzes sich das
betreffende Hofgut einreihen lässt, m. a. W. ob es zum klein-,
mittel- oder grossbäuerlichen Besitz gehört. Wir kennen Hofgüter,
i) Ein badischer Morgen = 0,36 ha.
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Die geschlossenen Hofgüter des Schwarzwaldes. Agrarstatislisches.
21
welche mit einem Gesamtareal von 40 ha zum grossbäuerlichen
Besitz gehören und solche mit demselben Areal, welche nicht ein-
mal selbständige Nahrungen darstellen. Jedenfalls scheitert eine
auf zahlenmäsiger Fixierung der Flächenausdehnung beruhende
Scheidung der Hofgüter in klein-, mittel- und grossbäuerlichen
Besitz an der Verschiedenheit der Bodenverhältnisse, des Klimas,
der Lage u. s. w. Auch die Frage des Enährungsminimum be-
gegnet denselben Schwierigkeiten. Beispielsweise ^) hält der Er-
hebungskommissär für die Gemeinde Steig mindestens 12 ha, der
Erhebungskommissär für die Gemeinde Neukirch mindestens 40 ha
für erforderlich, wenn der Besitzer die Landwirtschaft ausschliess-
lich betreiben will.
Immerhin kann es keinem Zweifel unterliegen, dass der mitt-
lere bäuerliche Besitz im Hofgütergebiet vorherrschend ist, d. h.
der Hofbauer beschränkt seine Thätigkeit nicht auf die Leitung
des Betriebes, sondern er arbeitet mit und ersetzt daher die Ar-
beitskraft eines Knechtes, welche er im anderen Falle mehr ein-
stellen müsste.
Der Besitzesart nach steht die land- und forstwirtschaftlich
genutzte Gesamtfläche des Privatbesitzes im Eigentum der ge-
schlossenen Hofgüter. Eine AUmendnutzung ist im Hofgütergebiet
fast gänzlich unbekannt. Nur in einigen Gemeinden des Amts-
bezirks Freiburg (Kappel, Oberried, Zastler) und des Amtsbezirks
Staufen (Obermünsterthal, Untermünsterthal) findet sich die AU-
mendnutzung in grösserer Ausdehnung. Sie erstreckt sich dort
lediglich auf das Weidfeld.
Auch das Pachtland ist im Hofgütergebiet von untergeord-
neter Bedeutung. Folgende nach der Berufsstatistik vom Jahre
1873 vorgenommene Zusammenstellung zeigt, wie sich die Gesamt-
fläche in den drei Amtsbezirken Waldkirch, Wolfach und Triberg
nach der Besitzesart darstellt:
Amtsbezirke
i
Gesamt-
fläche
Eigentum
Allmend
Pachtland
Dienstland
Morgen
Morgen
Morgen
Morgen
Morgen
Waldkirch 1
Wolfach
Triberg
42692
39906
41 416
39838
37691
38873
347
285
118
231 1
1680
2106
196
250
319
i) Vgl. Erhebungen über die Lage der Landwirtschaft in Baden. 1883, II, 22
und III, 30.
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22 Einleitung,
Da jedoch — wie wir nachgewiesen haben — die gesetzlich
geschlossenen Hofgüter in vorstehenden Amtsbezirken hur einen
Bruchteil der landwirtschaftlichen Haushaltungen überhaupt aus-
machen, so ist es sehr wahrscheinlich, dass der grösste Teil des
Pachtlandes auf die kleineren und kleinsten landwirtschaftlichen
Betriebe entfällt.
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A. Die Entstehung des Hofgüterrechts. 23
Erster Teil.
Das Hofgüterrecht.
A. Die Entstehung des Hofgüterrechts.
Wir haben bereits an anderer Stelle bezüglich der Frage einer
keltischen Urbesiedlung des Schwarzwalds uns dahin ausgesprochen,
dass sehr wahrscheinlich Kelten — wenngleich ihre Zahl wohl nicht
sehr bedeutend gewesen ist — die ersten sesshaften Bewohner des
hohen Schwarzwalds gewesen sind. In eine weitere Erörterung dieser
Frage können wir um so weniger eintreten, als die Frage der Ent-
stehung des Hofgüterrechts, welche uns jetzt zu beschäftigen hat,
uns in jene Zeit führt, wo durch die ira grossen Stil unternommene
Besiedlung des Schwarzwalds durch die Benediktinermönche diesem
unwirtlichen, dem Verkehr und der Kultur grösstenteils noch nicht
erschlossenen Gebirge der Stempel wirtschaftlicher Thätigkeit auf-
gedrückt wurde. Es seien hier vornehmlich die gegen Ende des
zehnten und zu Beginn des elften Jahrhunderts erfolgten Kloster-
gründungen von St. Peter, St. Märgen, St. Blasien, St. Trudpert,
St. Wilhelm und St. Ulrich genannt, von denen aus strahlenförmig
die Kolonisation vor sich ging. Die diesbezüglichen jüngsten For-
schungen von Gothein ^) haben wir unseren folgenden Ausführungen
zu Grunde gelegt. Dem Erscheinen des zweiten Bandes der Wirt-
schaftsgeschichte des Schwarzwalds von Gothein sehen wir mit
umso grösserer Spannung entgegen, als die bislang publizierten
i) Eberhard Gothein, Die Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwalds, I. Bd., Strass-
burg 1892 ; desgleichen die Aufsätze: »Die oberrheinischen Lande vor und nach dem
dreissigjährigen Kriege« (Seite i — 45) und »Die Hofverfassung auf dem Schwarzwald
dargestellt an der Geschichte des Klosters St. Peterc (Seite 257 — 316) in der Zeit-
schrift für die Geschichte des Oberrheins, Neue Folge, Band I; desgleichen Gothein
in der Westdeutschen Zeitschrift, Jahrgang IV.
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24 I. Teil. Das Hofgüterrecht.
Forschungen Gothein'^ hinsichtlich der Entstehung »des Hofgüter-
rechts auf dem Schwarzwalde in einem Gegensatze zu der heute
vielfach herrschenden Lehre stehen , welche in der Individualsuc-
cession ein aus der Grundherrschaft hervorgegangenes Institut
erblickt.
Hinsichtlich der rechtlichen Stellung der von den Klöstern
angesiedelten Bauern ist hervorzuheben, dass die weitaus grosse
Mehrzahl derselben freie Leute und nur ein geringer Teil Leib-
eigene, sogenannte Gotteshausleute waren. Von den Lehnsleuten
des Klosters St. Peter sagt Gothein'^): »Dreierlei Güter gab es
von Anfang an im Gebiet von St. Peter: Meierhöfe, Lehen, Seid-
güter. Zu diesen könnte man als eine vierte Klasse noch den
Besitz adeliger Ministerialen rechnen, wie solcher sowohl in Esch-
bach als in Iben im zwölften Jahrhundert bezeugt ist. Meier-
höfe besass das Kloster ursprünglich wohl in jedem Thal einen. . . .
Hier auf den grossen eigenen Gutswirtschaften des Klosters sassen
Meier als Teilbauern. In sämtlichen Thälern hatten die Bauern
ihre Höfe als Erblehen mit sehr weitgehender Verfügungsfreiheit
erhalten, auf der Höhe aber, im weiten Umkreis um das Gottes-
haus, war das Land als Seidgut ausgegeben Die Seidner
sassen teilweise als Zeitpächter auf ansehnlichen Gütern, teilweise
als kleine Leute in Häuschen mit ein wenig Ackerfeld.« Ueber
die Grösse der Güter verlauten keine sicheren Nachrichten. Doch
ist verbürgt, dass die ursprünglich sehr zahlreichen Lehen im
Laufe der Zeit sich zu grösseren Höfen zusammenzogen.
Das Hofgüterrecht des Schwarzwalds, d. h. die observanz-
mässige Vererbung des Hofes auf einen und zwar den jüngsten
Sohn hat nicht von Anfang an bestanden. Auch hier ist diese
rechtliche Sonderentwicklung hervorgegangen aus der Wirtschafts-
einheit des alten Rechts , nämlich der Hausgemeinschaft unter
Leitung eines Hausvaters. Das dieser Hausgemeinschaft gehörige
Land gehörte nicht etwa diesem Hausvater, sondern der ganzen
durch die Hausgemeinschaft gebildeten Familie. Alle Mitglieder
der Hausgemeinschaft waren Miteigentümer, nicht bloss die Eltern,
sondern auch die Kinder und Kindeskinder und zwar schon bei
Lebzeiten . der Eltern. Starb der Vorstand, so trat somit gar keine
Vererbung in den Grundbesitz ein. Derselbe verblieb der nach
wie vor bestehenden Hausgemeinschaft als einem Ganzen ^). Auf
i) Gothein^ Die Hofverfassung auf dem Schwarzwalde, S. 273.
2) Vgl. das Vorwort Brentano'^ zum achten Stück der »Münchener Volkswirt-
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A. Die Entstehung des Hofgüterrechts. 25
dem Schwarzwalde vollzog sich erst im 15. Jahrhundert die Auf-
lösung der alten Hausgenossenschaft. Hieran schloss sich fast
überall die geschlossene Vererbung *des Besitzes, und zwar —
wie es nach den Ausführungen Gotheih's scheint — nicht nach
dem Willen der grundherrlichen Klöster, sondern lediglich aus
dem freien Entschluss der Bauern heraus. Allerdings vollzog sich
der Uebergang zur gewohnheitsmässigen Praxis der Einzelerbfolge
nicht überall im unmittelbaren Anschluss an die bisher geübte
Hausgemeinschaft. Gegen eine solche Entwicklung erklärten sich
besonders energisch die geistlichen Grundherrn. Schon viel früher
ist der römisch-rechtliche Grundsatz der Universalsuccession sämt-
licher Kinder, einerlei welchen Geschlechts, in einer Verordnung
des Bischofs Heinrich von Strassburg ausdrücklich hervorgehoben.
Es wird darin bestimmt, dass die weibliche Nachkommenschaft
im gleichen Masse wie die männliche zur Erbschaft in beweglichen
und unbeweglichen Gütern berufen sei. Die Ausschliessung des
weiblichen Geschlechts von der Erbfolge wird als eine »abscheu-
liche Gewohnheit« ^) perhorresziert. Es sei hier nur beiläufig dar-
auf hingewiesen, dass das germanische Recht das weibliche Ge-
schlecht von der Erbfolge grundsätzlich ausschloss.
Der Auflösung der Hausgenossenschaft durch gleiche Teilung
der Miterben stand kein Hindernis entgegen. Uebrigens findet
sich der Grundsatz des gleichen Erbrechts auch in einzelnen Weis-
tümern ausgesprochen. Noch 1565 entschied das Thalgericht zu
Nordrach 2), dass alle lebenden Geschwisterkinder gleichberechtigt
seien. Ebenso^) entschieden 1397 die Lehenleute des Klosters
St. Märgen auf Anfrage des Abtes, ohne dass eine einziger Wider-
spruch sich erhoben hätte, dass Kinder, wenn sie mit einander
teilen wollen, »jegliches seinen Teil empfahen soll und haben nach
des Gotteshauses Recht«. Sie übernahmen daniit freilich auch die
Pflichten des belehnten Mannes ; die Fälle vervielfachten sich also,
während sie einen Vorträger geben durften, sobald sie ungeteilt
im Hofe sitzen blieben. In ähnlicher Weise sagt ein Weistum des
Ibenthals: > Jeglichem Kind ist sein Teil gefallen, wenn es will«.
Ausgenommen waren hiervon nur die grossen Frohnhöfe, welche
schaftlichen Studien« , »Die bäuerliche Erbfolge im rechtsrheinischen Bayern« von
Dr. Ludwig Fick, S. XIV.
i) Gotheirif Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwalds, I, Bd. S, 297.
2) ibidem S. 297.
3) Gothein^ Die Hofes Verfassung . . . a. a. O. S. 287 f.
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26 I. Teil. Das Hofgüterrecht.
ausdrücklich für ein rechtes unteilbares Mannlehen erklärt wurden.
Die weitaus grösste Zahl der Höfe war jedoch an keine Bestim-
mung in der Richtung einer Beschränkung der freien und gleichen
Teilbarkeit gebunden. Im Gegenteil, die römisch-rechtlich ge-
schulten Mönche widerstrebten nicht nur nicht der Mobilisierung
des Grundbesitzes, sie schien ihnen vielmehr ein willkommener
Anlass zu sein, um die Ergiebigkeit des Drittelfalles zu steigern.
Die Zerstückelung des Grundbesitzes wurde in einer Verordnung
für das Unteribenthal durch folgende wohlwollende Rechtsausle-
gung begünstigt : »Wenn einen Lehenmann Not angeht, so mag
er, um seine Schulden zu bezahlen, sein liegend Gut angreifen,
so weit, dass er selber nach dem Urteil seiner Nachbarn noch
auf dem Hofe bleiben kann. Wird er aber von Alter und Siech-
tum schwach, so mag er die Wände um und um verkaufen, und
erst, wenn er an die sechste Säule kommt, so soll er zu den
Herren sprechen: »Geht her und nehmt den Dritteil und lasst
mir die zwei Teile, denn ich vermag nicht mehr zu bleiben«. Und
das soll ihm niemand wehren ! «
Die unmittelbaren Konsequenzen eines mit den wirtschaft-
lichen Verhältnissen nicht im Einklang stehenden Rechts zeigten
sich denn auch sehr bald. Die Güterzersplitterung führte zur Ver-
kleinerung der Besitzeinheiten, sodass sich die darauf sitzenden
Familien nicht mehr von ihrem Besitztum ernähren konnten. >Die
auffallende Thatsache, dass im Laufe des 15. Jahrhunderts fast
überall auf dem Schwarzwalde Klagen über die Verödung, über
den Rückgang der Bevölkerung ertönen, findet hierin ihre Er-
klärung. Nicht nur die Anzahl der Höfe ging zurück — was
kein Schaden war — sondern vielfach auch der Anbau; denn
öfters blieben ganze Lehen oder Teile von solchen wüst liegen.
Ihre Bewirtschaftung war unter dem herrschenden System unren-
tabel geworden.«
Thatsächlich hat denn auch die Mobilisierung des Grundbe-
sitzes zur Zusammenziehung der zu kleinen Güter geführt. Be-
züglich des Gebiets von St. Peter führt Gothein aus ^) : »Die Zer-
splitterung war zwar anfangs auch hier erste Folge, aber sie war
nur ein Zwischenzustand. Die Kumulierung, die sich in Neukirch
einfach vollzogen, kam hier etwas später zustande. Schon das
erste Urbar zeigte sie. Auf die 38 Lehen in Iben, deren Einzel-
namen sie der Mehrzahl nach als Einzelgüter zeigen, kommen nur
i) Gothein^ Die Hofverfassung . . . a. a. O. S. 292.
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A. Die Entstehung des Hofgüterrechts. 27
noch 19 Höfe, im nächsten Urbar sind es nur noch 17, noch
später 14 ; auf 28 in Vordereschbach 16. Anderwärts beginnt die
Zusammenziehung erst etwas später ; in dem kleinen , sich nach
dem Flaunser zu öffnenden Steurenthal bestehen damals noch
7 Höfe, am Ende des Jahrhunderts sind es nur noch 4, in Rech-
tenbach II, später 7«; und an anderer Stelle^): »Fast überall
war man auf der Hälfte der ursprünglich ausgegebenen Lehen
angelangt«.
In den meisten Fällen jedoch zogen es die Bauern vor, den
Hof zusammenzuhalten , da sie wohl einsahen , dass solches in
ihrem und ihrer Familie Interesse lag. Man setzte gewöhnlich
die alte Hausgemeinschaft fort, indem jedes Mal der jüngste Sohn
zum Vorträger ernannt wurde, d. h. die Dritteilspflichtigkeit zu
leisten hatte. Aus dieser noch eine gewisse Zeit lang üblichen
Gewohnheit ist das Minorat entstanden. Die Vorteile dieses In-
stituts für den bäuerlichen Besitz liegen auf der Hand. Auf diese
Weise wird die Entrichtung des Dritteiis, welche bei jedem Be-
sitzwechsel zu erfolgen hatte, sehr weit hinausgeschoben, denn
der Hof bleibt lange Zeit, nicht selten fast ein halbes Jahrhun-
dert, in der Hand ein und desselben Besitzers, welcher jedoch,
solange die Hausgenossenschaft existierte, nur der rechtliche Re-
präsentant der Familie war.
Aber auch nach der Auflösung der Hausgenossenschaft blieb
die Vererbung auf den jüngsten Sohn als Gewohnheitsrecht in
Uebung. In der Thalverfassung des späteren freien Reichsthals
Harmersbach vom Jahre 1563 finden wir bereits das Minorat aus-
gesprochen. Desgleichen erwähnt Gothein ^) aus den entlegensten
Zinken, den Schottenhöfen, eine Enunziation vom Jahre 1450:
»Hier gelte das Recht, dass die Geschwister abgefunden würden,
damit der Hof nicht geteilt zu werden brauche«, und fährt dann
fort: »Es lagen auf dieser Höhe freie Höfe und solche, an denen
das Eigentum Adeligen zustand. In den eigentlichen Schotten-
höfen war der Abt, auf dem Zinken Mühlstein waren die Röder
und Wurmser Herren ; aber jenes Recht galt hier unterschiedslos,
während es sonst in den Thälern noch nicht üblich war, — ein
Zeichen, dass es nur aus dem freien Entschluss der Bauern her-
vorgegangen ist.«
» Anders vollzog sich die Entwicklung in der Grafschaft Hauen-
1) Gothein^ Die Hofverfassung . . . a. a. O. S. 298.
2) Gothein, Die Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwalds, I. Bd. S. 298.
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28 I- Teil. Das Ilofgüterrecht.
stein und im Herrschaftsgebiet des Klosters St. Blasien, d. h. dem
grössten Teile des südlichen Schwarzwaldes. Auch dort hat der
freien Teilbarkeit nach Auflösung der Hausgenossenschaft nichts
im Wege gestanden. Daher haben auch dort die aus der Zer-
stückelung des Grundbesitzes resultierenden ökonomischen Kon-
sequenzen sich bemerkbar gemacht, nur mit dem Unterschiede,
dass dort nicht, wie im mittleren und nördlichen Schwarzwald
die Zersplitterung zur Zusammenziehung und Vergrösserung der
ursprünglichen Besitzeinheiten geführt hat. Dazu kam noch, dass
»nach dem 30jährigen Kriege auf den unfruchtbaren Plateauland-
schaften des südlichen Schwarzwalds durch übereilte Kolonisation
der Grund gelegt wurde zum seither dort herrschenden Pauperis-
mus, dem unvertilgbaren Uebel einer zugleich zersplitterten und
extensiven Wirtschaft.«
Fassen wir unsere Ausführungen zusammen, so glauben wir,
wenigstens soweit wir uns auf das bis jetzt vorhandene Förschungs-
material stützen können, zu der Annahme berechtigt zu sein, dass
die Einzelerbfolge auf dem Schwarzwalde wohl kaum als ein Aus-
fluss des grundherrlichen Interesses angesehen werden kann. Die
Besitzverhältnisse auf dem Schwarzwalde haben wir bereits als im
Allgemeinen günstige kennen gelernt. Die Bauern waren in über-
wiegender Mehrzahl persönlich frei und standen im vollen Eigen-
tum ihrer Hofgüter, während ihre Berufsgenossen auf dem flachen
Lande der Rheinebene grösstenteils Leibeigene waren. Dennoch bil-
dete dort die bis 1783 bestandene Leibeigenschaft keinen Hinderungs-
grund, das bäuerliche Anwesen frei zu veräussern und zu parzellieren.
Oder wollte man etwa in den Stammeseigentümlichkeiten die Ur-
sache der Vererbungsgew^ohnheiten erblicken? — Wir sahen be-
reits, wie wenig demgegenüber eine etwaige keltische Urbesied-
lung ins Gewicht fallen kann, da es sich doch höchstens nur um un-
bedeutende keltische Rechte handeln kann, wohingegen die von
den Benediktinern erfolgte eigentliche Besiedlung des Schwarz-
walds das Uebergewicht des germanischen und zwar des alle-
mannischen Elementes begründet hat. Allemannen aber waren
es und sind es noch heute, welche in der Rheinebene parzellieren
und im Gebirge das Hofgut geschlossen auf einen Erben ver-
erben.
Wir wollen jedoch nicht unerwähnt lassen, dass Gothein ein
Thalbuch des Thaies Harmersbach vom Jahre 1563 anführt^), wor-
I) Gothein, Wirtschaftsgeschichte ... S. 298 f.
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A. Die Entstehung der Hofgüterrechte. 29
aus vielleicht zu entnehmen ist, dass doch ein auf die Erhaltung
der Prästationsfähigkeit hinzielendes grundherrliches Interesse obge-
waltet hat. In der Niederschrift des Thalbuches findet sich der
Bericht des Thalvogtes hierüber eingefügt: »Bei den Bürgern in
Harmersbach haben sich nach tödlichem Abgang der Eltern in
Besetzung der Höfe zwischen den hinterlassenen Kindern, Söhnen
und Töchtern oftmals Irrungen, Spenne und Gezänk bei Vertei-
lung ihrer Höfe und Haushaltungen zugetragen ; dabei seien diese
so zerrissen worden, dass sie die gewöhnliche Beschwerung der
Höfe nicht mehr hätten tragen können, und dass diejenigen, welche
darauf interessiert, zu dem ihrigen nicht mehr hätten gelangen
können Solchen Missständen zuvorzukommen und zur Er-
haltung von Frieden und Einigkeit habe er als Thalverwalter mit
genügsamen Rat sich beraten und sei beschlossen worden, den
Unterthanen zu gute eine Ordnung zu geben, wie es fortan in
solchen Fällen sollte gehalten werden: Wenn hinfort Eltern mit
Tode abgehen und mehrere Söhne hinterlassen, so soll der jüngste
den Sitz des Hofes samt den zugehörigen Gütern haben und die
anderen Geschwister mit Geld auskaufen «
Der Gesichtspunkt der Prästationsfähigkeit und des hieraus
entspringenden grundherrlichen Interesses scheint jedoch dort, wo
naturaliter geteilt wurde, nicht immer durchschlagend gewesen zu
sein, indem die denkbar schlechtesten ökonomischen und sozialen
Verhältnisse dort Platz griffen und »die Gebiete der äussersten
Güterzersplitterung auch die eigentlichen Herde des Bauernkrieges
waren« 1).
Wir können noch hinzufügen, dass die auf die Schwarzwald-
hofgüter bezüglichen späteren Verordnungen und Patente ^) fast
nirgends die geschlossene Vererbung als die Grundlage der Prä-
stationsfähigkeit in den Mittelpunkt des grundherrlichen Interesses
rücken. Im Gegenteil, der allzu stark hervortretenden individua-
listischen Tendenz des Hofbauern, die sich in der übermässigen
Bevorzugung des vorteilsberechtigten Anerben äusserte, stellen die
Verordnungen vielfach ein soziales Moment gegenüber, insofern
als man die übermässige Benachteiligung der weichenden Erben
dadurch zu verhindern suchte, dass man die Taxierung des Hof-
gutes zu einem »billigmässigen« mittleren Anschlage und durch
»unpartheiische Leuth« anordnete. Erwägt man ferner, dass das
i) Gothein in der Westdeutschen Zeitschrift, Jahrg. IV, S. 3.
2) Vgl. unten : B. Die Erbgewohnheiten in früherer Zeit.
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30 I. Teil. Das Hofgüterrecht.
Minorat unzweifelhaft aus der freien Initiative der Bauern hervor-
gegangen ist, und vor allen Dingen, dass dieses Institut dem
grundherrlichen Interesse zuwiderlief, so dürfen wir nicht ohne
Grund uns der Ansicht hingeben, dass auch die observanzmässige
Individualsuccession zumeist ohne das Zuthun eines grundherr-
lichen Interesses entstanden ist. Der Bauer hat sich vielmehr sein
Hofgüterrecht selbst geschaffen in der richtigen Erkenntnis, dass
es die wirtschaftlichen Produktionsbedingungen nun einmal so ver-
langten. Den Grundherren konnte dieses Sonderrecht allerdings nur
erwünscht sein, nachdem ihnen zum Bewusstsein gekommen war, dass
es den wirtschaftlichen Verhältnissen allein entsprechend war und die
Wohlhabenheit und Prästationsfähigkeit der bäuerlichen Bevölke-
rung garantierte. Wo die Notwendigkeit der Gebundenheit des
Besitzes weder auf Seiten der Bauern, noch auf Seiten der Grund-
herrn durchzudringen vermochte, wie z. B. in einem grossen Teile
des südlichen Schwarzwaldes, hat man erst in unserem Jahrhun-
dert^) die unheilvollen Wirkungen der Freiteilbarkeit durch den
freiwilligen Uebergang der Bauern zur geschlossenen Vererbung
zu beseitigen gesucht. Allerdings war es schon zu spät ; die Zer-
stücklung war zu weit fortgeschritten, und die Radikalkur einer
Zusammenziehung der zersplitterten Besitzgrössen konnte natur-
gemäss nicht mehr anwendbar erscheinen.
B. Die Erbgewohnheiten in früherer Zeit.
Bereits im vorhergehenden Abschnitt haben wir darauf hin-
gewiesen, dass die Gewohnheit, das Hofgut an den jüngsten Sohn
zu vererben, lediglich dem Umstände ihre Entstehung zu verdanken
hat, dass auf diese Weise die Entrichtung der Fall- und Dritteiis-
schuldigkeit gewöhnlich auf lange Zeit hinausgeschoben wurde.
Denn die Dritteiligkeit und der Ehrschatz waren so oft fällig,
als das Hofgut einem neuen Besitzer überlassen wurde. Für die
ganze Folgezeit blieb daher das Minorat als ein observanzmässiges
Institut bestehen und bildet auch jetzt noch, nachdem die bäuer-
lichen Lasten längst abgelöst sind, die Regel. Ueberall in den
Akten wird des Minorats als einer uralten »seit undenkbaren Zei-
ten« bestehenden Sitte Erwähnung gethan, auch dasselbe als »von
den alten Deutschenc herstammend bezeichnet.
In Ermanglung eines männlichen Nachkommen succedierte
i) Vgl. Teil II : Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
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B. Die Erbgewohnheiten in früherer Zeit. a i
die älteste Tochter, in einigen Herr- und Ortschaften auch die
jüngere Tochter. Ein solcher Sohn oder eine solche Tochter wird
der vorteilsberechtigte Sohn oder die vorteilsberechtigte Tochter
genannt, welcher, bezw. welche den Hof zu dem Kinds- oder Erb-
anschlag übernimmt. Uebrigens war diese Sitte nicht nur »auf
dem Wald und in den Thälern« üblich , sondern auch auf dem
ebenen Lande beanspruchte der jüngste Sohn und im Abgang
von Söhnen die älteste Tochter ein Vorteilsrecht. Allerdings er-
streckte sich dasselbe nur auf das väterliche Haus, da hier schon
sehr früh die Liegenschaften naturaliter geteilt wurden. Dagegen
hielten die Bauern auf dem Schwarzwalde an dem Grundsatze der
strengen Gebundenheit des Grundbesitzes überall, ausgenommen
in einem grossen Teile des südlichen Schwarzwaldes fest.
Ueber die Notwendigkeit der Individualsuccession auf dem
Schwarzwalde heisst es in einem Berichte des Oberamts Hoch-
berg an den Markgrafen von Baden vom Jahre 1754^):
»Es ist diese Vererbung der Höfe auf ein Kind Ew. Hoch-
fürstlichen Durchlaucht höchst nützlich, weil dadurch die Bauern-
güter nicht verteilt werden, infolge dessen der Besitzer allezeit ein
tüchtiger Unterthan, der die herrschaftlichen Abgaben von seinem
Gut zu prästieren im Stande ist, bleibt ; ja die Beschaffenheit der
Güter und des bergigten Landes, wo meist wilde Brennfelder sind,
die man alle 8, 10—20 Jahre nur zweimal beerntet, keine andere
Art der Bewirtschaftung zulässt.« An einer anderen Stelle heisst
es: »Dass, wofern die Güter kleiner würden, einer mit dem an- .
deren verderben müsste«, und »dass die Höfe nach ihrer Lage
(auf dem Wald und in den Thälern) nicht durchaus nach dem
römischen Recht sich einrichten lassen«.
Die Vererbungsgewohnheiten waren überall im heutigen badi-
schen Schwarzwald dieselben, obwohl dieser bis zu Beginn des
19. Jahrhunderts politisch in eine Anzahl von Territorien getrennt
war. Der Norden, die sogenannte Ortenau, war Eigentum des
Bischofs von Strassburg, die heutigen Hofgütergemeinden Freiamt,
Sexau und Ottoschwanden gehörten zur Markgrafschaft Baden-
Durlach, die heutigen Amtsbezirke Wolfach, Neustadt und Bonn-
dorf waren fürstenbergisch, während der Breisgau, d. d. die heu-
tigen Amtsbezirke Freiburg, Waldkirch und Staufen dem Hause
Habsburg zugehörig waren. Die Gemeinde Prechthal war ein
Kondominat von Baden-Durlach und Fürstenberg. Ferner gehörte
i) Akten des G.L.A.
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32 I. Teil. Das Hofgüterrecht.
ein grosser Teil der heutigen Amtsbezirke Triberg und Villingen
politisch bis zum Jahre 1810 zu Württemberg. Schliesslich sei
noch das grosse Thal Harmersbach erwähnt, welches es zur völ-
ligen Unabhängigkeit und zur Reichsfreiheit gebracht hatte, und
dessen Selbständigkeit erst der Reichsdeputationshauptschluss ein
Ende bereitete. —
Die Vererbung des bäuerlichen Besitzes vollzog sich, wie be-
reits angedeutet, nach Gewohnheitsrecht. Als die erste lex scripta
ist uns eine Verordnung von Friedrich Magnus, Markgrafen von
Baden-Durlach, aus dem Jahre 1701 bekannt. Diese Verordnung
bezieht sich sowohl auf die Vererbung im Gebirge wie auch in
der Ebene, da auch dort, wie bereits bemerkt, der jüngste Sohn
bezw. die älteste Tochter in Bezug auf das väterliche Haus ein
Vorzugsrecht (sogenanntes Optionsrecht) beanspruchte. Die Ver-
ordnung^), welche vom 2. März 1701 datiert, lautet:
»Uns ist mit Umständen unterthänigst referiret worden, welcher
gestalten in unserer Herrschaft Rötteln und Badenweyler von einer
gewissen Gewohnheit, vermöge deren bey sich ergebenden Todes-
fällen der Eltern die jüngsten Kinder jedesmahl ein gewisses in
corpore bestehendes Erbstück als ein Haus, Mühle, Lehen u. dgl.
im Anschlag vorauszunehmen befugt seyend, manchmahl grosse
Uneinigkeit zwischen deren Rinderen und sonderlich denen, so
von höherem Alter segnend, von den Jüngsten ihre Erbportionen
zu Terminen in Geld zu empfangen haben, grosser Schaden und
Nachteil, zu mehreren Malen der gäntzliche Verlust derentselben
verursacht werde. Wenn wir nun zur Abstellung sothaner Inkon-
venientien es mit ermelter Gewohnheit künftig dergestalt gestr.
gehalten haben wollen, dass selbige in den Fällen, wo die jüngsten
Erben, so die Option haben, von solchen Mitteln seyend, dass
sie das wählende in einem gewissen corpore vorermeltermassen
bestehende Erbstück wohl behaupten und den anderen dasjenige,
so sie ihnen herauszugeben haben, entweder baar oder doch we-
nigstens zu kurzen Terminen bezahlen können, bei ihren Kräften
bleiben ; anderenfalls aber, da nämlich die jüngsten Kinder nicht,
wohl aber die älteren von der zur Behauptung des Erbstücks und
und Bestreitung solcher wegen zu thun habenden Herausgab zu-
länglichen Vermögens seyend. Solches insofern Kraft dieses ge-
ändert sein sollte, dass zwar den Jüngsten ihr auf dergleichen Erb-
stück habendes ins quäsitum nicht gäntzlich benommen sey, doch
i) Akten des G.L.A. Breisgauer Generalia.
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B. Die Erbgewohnheiten in früherer Zeit. ^ j
aber sie solches einem Aelteren gegen Erlag eines praecipui, näm-
lich des zehnten Teils über dasjenige, was dergleichen Erbstück
an sich selbsten wert ist, und welches verum pretium sämtliche
Erben in gleichen Teilen wieder unter sich zu teilen haben, ce-
dieren solle.
Das befehlen wir Euch hiermit gestrengest, dass Ihr solch
unsere gestr. Verordnung in der Euch anvertrauten Herrschaft ge-
hörig publizieret, und Euch danach auch selbstens richtet, sonder-
lich aber auch Eure fleissige Inkumbenz dahin, damit ein Jeder
Interessent die ihm anmeltermassen zukommende Portion mit
Nutzen und zur rechten Zeit bekommen möge, in solchen vor-
kommenden Fällen tragen sollet.«
Eine fernere baden-durlach'sche Verordnung
vom 5. Juli 1755 beschäftigt sich mit der Schätzung des Hof-
gutes beim Besitzwechsel und schreibt vor, dass dieselbe nach
dem wahren Ertrage zu erfolgen habe. Desgleichen sollen die
Zieler, die nicht auf allzulange Zeit hinauszusetzen seien, zu 5 Proz.
verzinst werden.
Diese Verordnung gründet sich vermutlich auf den Bericht
des Oberamts Hochberg, worin lebhafte Klage geführt wird dar-
über, dass die an die Miterben abzuführenden Zieler oder Würfe
oft auf 20 und mehr Jahre hinausgeschoben würden, so dass die
Miterben ihr väterliches Erbteil in vielen Fällen überhaupt nicht
erhielten. Dazu würden ihnen gewöhnlich keine Zinsen gewährt.
Es wird darauf hingewiesen, dass in den benachbarten österreich'-
schen Thälern dieser Missstand nicht so ausgebildet sei, da dort
die Höfe zu einem mittleren Preise angeschlagen würden, und
ferner der Hofbauer das den übrigen Kindern gebührende Erb-
teil bar ausbezahle, oder doch von dem Tage der Besitzüber-
nahme des Hofes an dasselbe verzinse, und sobald die Miterben
»zu ihrem anderweitigen Unterkommen« ihres Erbteils benötigen,
damit »an die Hand gehe«. Zur Beseitigung dieses in den Ge-
birgsgegenden des Oberamts Hochberg herrschenden Missver-
hältnisses wird gefordert, dass der Anschlag nicht mehr selb-
ständig vom Vater, sondern durch »unparteiische Leuth« erfolge,
ferner dass die mit 5 Proz. zu verzinsenden Zieler auf höch-
stens 5 Jahre hinausgesetzt werden dürften.
Diese Reformvorschläge, welche durch die genannte Verord-
nung vom 5. Juli 1755 zum grössten Teil gesetzlich normiert
wurden, lassen erkennen, dass die weichenden Erben zumeist zu
Volkswirtschafd. Abhandl. IV. Bd. 3
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34 I- Teil. Das Hofgütenrecht.
Gunsten des vorteilsberechtigten jüngsten Sohnes erheblich be-
nachteiligt wurden,
Was nun die Vorteilsgerechtigkeit betrifft, so erstreckte sich
diese gewöhnlich auf sämtliche Liegenschaften und Fahrnisse,
letztere, soweit sie zur Bewirtschaftung des Hofgutes erforderlich
waren. »Nur eins bekommt das Gut nebst Vieh und Bauernge-
schirr, Futter und Dung.« Doch war es auch hier und da üb-
lich, dass die Fahrnisse in gleichen Teilen unter die Erben verteilt
wurden, und der Vorteilsberechtigte nur seinen Erbanteil bezog.
Der Vorteilsberechtigte erhielt den Hof regelmässig zu einem
»billigmässigen« Anschlage, welcher gewöhnlich ^/e oder ^/s des
eigentlichen Gutswerts betrug. Dass jedoch auch noch erheblich
unter dieser Taxe der- Hof angeschlagen wurde, haben wir be-
reits für das Oberamt Hochberg feststellen können. Dort wurden
die Geldansprüche der Miterben grössten Teils nicht verzinst, wo-
hingegen sie fast überall auf dem Schwarzwalde in der Regel auf
dem Hofgut zwar stehen gelassen, jedoch zumeist mit 4 oder auch
3^2 und 3 Prozent verzinst wurden. Im allgemeinen dürfte jedoch
die Lage der abtretenden Geschwister keine sehr beneidenswerte
gewesen sein. Die erstgeborenen Brüder wurden Hintersassen,
oder dienten bei ihrem jüngeren Bruder, dem Besitzer des väter-
lichen Hofguts als Knechte. Es war ganz natürlich, dass hieraus
dann besonders allerlei Uebelstände erwuchsen, wenn die weich-
enden Geschwister infolge eines übermässig billigen Anschlages nur
geringe Abfindungen erhielten, oder die Zieler auf lange Zeit hin-
ausgesetzt wurden. Die Häufigkeit der unehelichen Geburten stand
damit im engen Zusammenhang. Thatsächlich herrschten denn
auch zu Beginn des 18. Jahrhunderts besonders im Oberamt Hoch-
berg derartige Verhältnisse, dass — wie es in dem mehrfach erwähn-
ten Bericht heisst — »mancher 2, 3 und mehr Kinder ledigerweis
bekommt und kein paar Ehevolk ohne dies zusammenkommt«,
Nur dann, wenn der jüngste Sohn wegen körperlicher oder
geistiger Gebrechen zur Uebernahme des Hofgutes untauglich war,
succedierte der ihm an Alter zunächst kommende ältere Bruder.
Sofern der Vorteilsberechtigte nicht durch eigenes Verschulden
zur Uebernahme unfähig war, konnte er ein Abstandsgeld (soge-
nanntes Abwichsgeld) beanspruchen. Diese Ab wichssumme war
oftmals sehr hoch bemessen, sodass der den Hof übernehmende
Bruder häufig in arge Bedrängnis geriet^).
i) Vgl. die Acta generalia des Amtsbezirks Wolfach.
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B. Die Erbgewohnheiten in früherer Zeit. 55
Die Uebernahme des Hofguts erfolgte, sobald der jüngste
Sohn in die »mannbaren Jahre« gekommen war, d. h. gewöhnlich
mit dem 25. Lebensjahre.
Das gewohnheitsrechthche Minorat ist den Grundherrn von
jeher ein Dorn im Auge gewesen. Es war ja das auch nicht zu
verwundern, weil — wie genugsam von uns hervorgehoben —
die Entrichtung des Drittelfalles sehr lange hinausgeschoben wurde.
Verschiedentlich ist daher, wie wir noch näher sehen werden, von
grundherrlicher Seite der Versuch gemacht worden, das Minorat
durch das Majorat zu ersetzen. Man hielt es für ein schreiendes
Unrecht, dass die älteren Söhne, welche von Anfang an die
schwersten Arbeiten auf dem Hofe verrichtet hätten, zusehen
müssten, wie ihr jüngerer Bruder die Früchte ihres Schweisses
erntete. Recht anschaulich drückt diese mit dem Rechtsbewusst-
sein schwer in Einklang zu bringende offenbare Unbilligkeit des
Minorats ein Bericht des Amtmanns zu Freiburg an die kaiserlich
österreichische Regierung aus. Dort heisst es u. a.: »Wie oft
geschieht es nicht, dass der Hans, der schon 15 bis 16 Jahre
Oberknechtsdienste bei seinem Vater versehen und das ganze
Hauswesen beim Alter oder bei Kränklichkeit der Eltern geführt
hat» dem kaum aus der Schule entlassenen Andreasie weichen
und das volle Nest überlassen muss.«
In den Motiven zu der fürstlich-fürstenberg'schen
Verordnung vom 2. Juni 1757 wird das Minorat nicht
nur als ein ungerechtes, sondern sogar als ein unmoralisches In-
stitut bezeichnet, weil oft der jugendliche zukünftige Hofesüber-
nehmer in dem Bewusstsein seiner dereinstigen sicheren Anwart-
schaft auf das väterliche Gut häufig der erforderlichen Eigenschaf-
ten eines guten Wirtschafters ermangle und ein Müssiggänger und
Taugenichts sei. Daher bestimmt die Verordnung, dass:
»Erstlichen in den Fällen, wo Söhne und Töchter vorhanden
seyend, jene sofern sie tüchtig seyend vor diesen zwar noch fort-
hin den Vorzug auf das Gut behalten unter ihnen; denen Söhnen
aber kein Unterschied des Alters mehr beobachtet, sondern bey
denen sich ereignenden Sterb- oder Uebergabsfällen jederzeit der
tauglichste aus ihnen, und welcher nicht nur allein zu dem Bauern-
gut am anständigsten ist, sondern auch sich forthin ohnanklagbar
aufgeführt hat, ohne Unterschied des Alters, es seye der ältere,
mittlere oder jüngste Sohn zu dem berechtigten Hofbesitzer aus-
erwählt und diesem das Gut im kindlichen d. h. mittleren An-
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^6 I. Teil. Das Hofgüterrecht.
schlag überlassen werden möge.«
»Zweytens bey der Eltern Tod oder Uebergab die Söhne
sammentlich erwachsen und alle tauglich, auch wohl gesittet seyend,
in solchem Falle gleichwohlen der jüngste Sohn den Vorzug auf
das Gewerbgut behalten solle«.
»Drittens in dem Falle, da nach der Eltern Tod der jüngste
Sohn wegen seinen allzu jungen Jahren oder ihm zugestossener
Leibsgebrechlichkeit und also wider sein Verschulden zur An-
trettung untauglich erfunden würde, diesem eine massige Abwichs-
rekognition ausgewiesen werden solle.«
»Viertens bey denen Töchtern, da keine tauglichen Brüder im
Wege stehen, kein Unterschied unter diesen gemacht werden solle.«
»Fünftens können nach gestalten Umständen auch die Töchter
denen Söhnen vorgezogen werden.«
Wir sehen also, wie durch diese Verordnung an der alten
Observanz, wonach regelmässig der jüngste Sohn oder im Ab-
gang desselben die älteste Tochter das Vorteilsrecht beanspruchen
konnte, bereits stark gerüttelt wurde. Noch weiter ging das kaiser-
liche Patent Joseph desZweiten vom 3. April 1787,
welches für den Intestaterbfall an die Stelle des Minorats das
Majorat setzte.
Wenngleich diese Bestimmung anfänglich von den Hofbauern
welche glaubten, dass dadurch die alten Gewohnheiten beseitigt
werden sollten, mit Misstrauen und entschiedenem Widerspruch
aufgenommen wurde, so war ihr eigentlicher Zweck jedoch um
deswillen illusorisch, als die Dispositionsfreiheit des Erblassers von
dieser Bestimmung nicht berührt wurde. Das Minorat lebte fortan
zwar nicht mehr gewohnheitsmässig, sondern nach Vertrag weiter.
Allen den genannten Verordnungen zum Trotz hielt der Bauer
an seiner alten Gewohnheit fest, und er hatte seine guten Gründe
dazu.
Trotz der unverkennbaren Härten und Schattenseiten des
Minorats kann es denn auch keinem Zweifel unterliegen, dass für
den bäuerlichen Besitz die Vererbung an den jüngsten Sohn nicht
bloss in Rücksicht auf die Entrichtung der Drittteilsschuldigkeit,
sondern auch noch aus andern Gründen am angemessensten war
Vor allen Dingen vollzog sich der Besitzwechsel nicht so häufig,
wie das bei der Vererbung an den jüngsten Sohn naturgemäss
der Fall sein musste. Dadurch wurde aber einer allzugrossen
Verschuldung, die ihre Quelle hauptsächlich in den beiden ge-
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B. Die Erbgewohnheiten in früherer Zeit. yj
nannten Faktoren, der Häufigkeit der Drittteiligkeit und des Be-
sitzwechsels haben musste, am besten vorgebeugt. Dazu kam
noch, dass die Leibgedingslast keine sehr drückende und lang-
andauernde war, weil der Hofbauer solange wirtschaften musste,
bis sein jüngster Sohn im Stande war, den Hof zu übernehmen,
was niemals vor dem 25. Lebensjahre des angehenden Ueber-
nehmers der Fall war. Der Hofbauer war dann aber 60 bis
70 Jahre alt geworden , wenn er den Hof übergab und sich
ein Leibgeding ausmachte. Wenn jedoch das Majorat die übliche
Vererbung gewesen wäre, hätte er schon bei weitem früher ab-
treten müssen, und zwar bereits zu einer Zeit, wo er noch bei
Kräften und auf lange Jahre hinaus im Stande war, den Hof
selbständig zu bewirtschaften., »Denn diese Leute« heisst es in
einem Berichte, »bringen bei der vorzüglich gesunden Luft, gutem
Wasser, delikaten Milch, Käss und rohen aber nahrhaften Speisen,
bei der vielen Bewegung und von Kindheit angewöhnten Erzieh-
ung, welche den Körper stählt und die Natur abhärtet, ihr Alter
nicht nur auf 70, sondern auch auf 80 und 90 Jahre, sodass man
im Durchschnitt beinahe 70 Jahre annehmen kann, wobei sie eine
so feste Gesundheit geniessen, dass sie mit 70 und 80 Jahren in
der rauhesten Witterung, bergauf und bergab zur Kirche, auf die
Märkte und in den Wäldern herumwandern. Es pflegt auch ein
solches Ehepaar auf ihrem Hofbauerngut 40 bis 50 Jahre selbst
die Wirtschaft zu führen und erst alsdann an ihren Sohn, welcher
der Vorteilsberechtigte ist, gegen ein Leibgeding zu übergeben.«
Erwägt man ferner, dass die Ehen der Schwarzwaldbauern
äusserst fruchtbare waren, — wie das auch heute noch der Fall
ist, sodass 10 und mehr Kinder einer Hofbauernehe keine Selten-
heit sind, — so wird man zugeben, dass für die Konsistenz des
Bauerngutes das Minorat geradezu unerlässliche Voraussetzung
ist. Setzen wir den Fall, dass der junge Hofbauer mit 25 Jahren
den Hof übernahm, mit welchem Termine gewöhnlich auch sein
Hochzeitstag zusammenfiel, und nehmen wir die Differenz zwischen
dem Lebensalter des erst- und letztgeborenen Sohnes auf 1 5 Jahre
an — in sehr vielen Fällen war diese Differenz noch grösser —
so befand sich der Hofbauer in einem Alter von 65 Jahren, wenn
der jüngstgeborene Sohn 25 Jahre alt geworden war. Es muss
das ein günstiges Verhältnis genannt werden; denn der Vater war
alt genug, um auf dem Leibgeding die ihm noch beschiedenen
Lebensjahre in Müsse und Ruhe zu verbringen, aber auch der
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38 I. Teil. Das Hofgülerrecht.
jüngste Sohn besass das zur Uebernahme der Wirtschaft erforder-
liche Alter.
Ganz anders dagegen würde sich das Verhältnis stellen im
Falle der Vererbung des Hofguts an den ältesten Sohn. Dann
musste der alte Hofbauer entweder schon sehr frühzeitig aufs Leib-
geding gehen, oder aber der Sohn musste warten, bis er selbst
in ein relativ hohes Alter gekommen war. Die Unzuträglichkeiten,
welche sich in dem einen wie andern Falle ergeben, liegen auf der
Hand. Der älteste Sohn hätte dann den Hof zu einer Zeit über-
nommen, wo die jüngeren Geschwister minderjährig und unver-
sorgt waren, dadurch wäre aber die Leistungsfähigkeit des Hofes
sehr beeinträchtigt worden, ganz abgesehen von der grossen, weil
lange Zeit hindurch dauernden Leibgedingslast. Da ferner mit
der Hofesübernahme gewöhnlich auch die Heirat des jungen Hof-
besitzers zusammenfiel, was ja unausbleiblich war, so wären Zank
und Zwist, namentlich zwischen der jungen Bäuerin und den Ge-
schwistern des Hofesübernehmers häufig unvermeidlich gewesen.
Auf der anderen Seite konnte bei der Vererbung an den jüngsten
Sohn der Hofbesitzer für seine erstgeborenen Kinder am besten
angemessene Sorge tragen. Und er sorgte für sie auch gewöhnlich,
so gut er eben konnte, in dem er sie inTaglöhnergütchen ansetzte,
oder sie ein Handwerk lernen Hess, oder ihnen auch sehr oft die
Möglichkeit verschaffte, sich auf andere Hofgüter zu verheiraten.
Freilich wurden dadurch die Härten des Minorats, die wir
bereits angedeutet haben, nicht immer ausgeglichen. Die älteren
Geschwister mussten sich eben bescheiden, und sie thaten es auch,
in dem Bewusstsein, dass es nun einmal nicht anders ging und der
splendor familiae es erforderte. Nirgends hört man von Klagen
darüber, dass sie die Bevorzugung ihres jüngsten Bruders als eine
Ungerechtigkeit empfunden hätten. Die in den Verordnungen
von 1701, 1754, 1787 und 1790 mehr oder minder scharf ausge-
prägte Tendenz, diese Erbgewohnheit durch das Majorat zu er-
setzen oder doch die Auswahl des Anerben nach der Tüchtigkeit
zu treffen, hat ihre Wurzel nicht etwa in Beschwerden oder Klagen
der weichenden Geschwister, sondern lediglich in der Auffassung
der Beamten, welche es für ein Unrecht hielten, dass nicht die
Tüchtigkeit und das Verdienst, sondern der Zufall der Letztgeburt
bei der Vererbung massgebend sei.
Doch wie dem auch sei, wir sahen bereits, wie der rationa-
listische Sinn des Hotbauern unbekümmert um rechtliche und so-
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B. Die Erbgewohnheiten in früherer Zeit. ^g
ziale Bedenken, den rechten Weg zu finden gewusst hat, um den
Hof stets leistungsfähig und in der Familie zu erhalten. Dazu
war jedenfalls das Minorat am besten geeignet. Von dieser Ueber-
zeugung Hess sich der Hofbauer auch für die Zukunft nicht ab-
bringen. Und wenn in Ermangelung von Söhnen die älteste
Tochter zur Succession berufen wurde, so sprachen dafür wiederum
Zweckmässigkeitsgründe; namentlich war es die Erwägung, dass
dann die wegen grösseren Alters minder anbringliche Tochter
desto eher »an den Mann zu bringen sei«.
Wir wiesen bereits darauf hin, wie gerade das Minorat es ver-
hinderte, dass der junge Hofbesitzer allzusehr belastet wurde durch
die Verpflichtung, minderjährige Geschwister zu verpflegen. Nur
solche Miterben konnten Anspruch auf lebenslängliche Sitzgerechtig^
keit und Verpflegung machen, welche wegen körperlicher oder geisti-
ger Unfähigkeit anderswo ihr Unterkommen nicht finden konnten*
Wenn i oder 2 minderjährige Schwestern vorhanden waren, so
blieben diese bei ihrem Bruder auf dem Hofe und dienten statt
fremden Gesindes um ihren Unterhalt und um Lohn solang^e »bis
sie ihr anderweites besseres Glück fanden«.
Bei der Verheiratung des Hofbesitzers wurde in dem Ehe-
vertrage gewöhnlich für die Kinder erster Ehe und ihr väterliches
und mütterliches Vermögen gehörig vorgesorgt.
Wenn keine Anordnung von Seiten der Eltern unter Leben-
den oder von Todeswegen vorhanden war, dann kamen die be-
treffenden Erben mit ihren Beiständen und Vogtmännern auf
dem betreffenden Hofgute zusammen, um den sogenannten Kauf-
tag zu halten. Die Beistände, Vogtmänner und majorennen Erben
waren lauter solche Leute, welche das Hofgut wohl kannten.
Man erwog den Kaufpreis, um welchen der alte Hofbesitzer den
Hof an sich gebracht hatte, ferner den Unterschied der Zeitum-
stände, nach welchen der Wert des Gutes angestiegen war, dann
auch den Wert »der sich ergebenden Hofguts- Verbesserung oder
-Verschlechterung« und schliesslich »die Quantität und Qualität
des vorfindigen Viehs, Futters und alles dessen, so ad fundum
instructum vel instruendum und in dem Kaufhandel angehörig
waren«. Dabei wurden die auf dem Hofgut lastenden Abgaben,
Schuldigkeiten, dinglichen Lasten und Gefälle »in Untersuchung
genommen«. Darauf wurde das Hofgut um einen bestimmten
Anschlag dem Vorteilsberechtigten von den übrigen Miterben an-
geboten. Sofern dieser zustimmte und der Kauf perfekt geworden
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^O I- Teil. Das Hofgüterrecht.
war, wurde der Vertrag der Obrigkeit, welche in der Regel durch
ein oder zwei Gerichtsbeamte nebst den Ortsvögten vertreten war,
zur Bestätigung vorgelegt. Diese nahmen sodann, nachdem sie
die Kaufsumme durch Zu- oder Abschläge »je nach Umständen
und Recht und Billigkeit« modifiziert hatten, die Ausfertigung des
Kaufbriefes vor. In dem Kaufbriefe waren neben anderen etwa
erforderlich gewordenen Bestimmungen die den verkaufenden Erben
in fristenweiser Zahlung ausgemessenen Erbanteile fixiert. Sofern der
elternlose Vorteilsberechtigte noch minderjährig und zur Verwaltung
des Hofes noch nicht befähigt war, wurde dasselbe bis zu seiner Voll-
jährigkeit um einen jährlichen Pachtschilling »in Bestand gegeben.«
War die Ehe kinderlos und starb der eine Teil, so succe-
dierte der überlebende Ehegatte in das ganze Vermögen. Stets
galt bei kinderlosem Absterben eines Eheteils der Spruch: >Hut
bei Schleier, Schleier bei Hut.«
Wenn jedoch Kinder vorhanden waren, so hatte der über-
lebende Ehegatte das Forthausungsrecht, auch Sitzgerechtigkeit
genannt. Dieses Recht ging aus der observanzmässigen Güterge-
meinschaft, der communio bonorum inter coniuges cum mutua
successione hervor. Der überlebende Ehegatte hatte das Fort-
hausungsrecht einerlei ob er im Witwenstand verblieb oder zur
weiteren Ehe schritt. Nur wurde im letzteren Falle den Kindern
erster Ehe nebst einem billigen Voraus jeweils auch die Vorteils-
gerechtigkeit zum Hofgut vorbehalten. Ebenso wurde den Kin-
dern erster Ehe die Besitzgerechtigkeit gesichert. Das Recht auf
dem Hofgute fortzuhausen , stand dem überlebenden Ehegatten
solange zu , als der vorteilsberechtigte Erbe noch minderjäh-
rig war.
In dem Herrschaftsgebiete des Fürsten von Fürstenberg wurde
im Ehevertrage dem überlebenden Teil das Forthausungsrecht auf
eine bestimmte Anzahl von Jahren zugeschrieben. Sobald jedoch
der überlebende Ehegatte zur weiteren Ehe schritt, musste die
Auseinandersetzung mit den Kindern erster Ehe erfolgen. Dort
musste auch der Drittteils- und Fallschuldigkeit wegen das Hof-
gut an das vorteilsberechtigte Kind selbst dann, wenn es noch
in der Wiege lag förmlich verkauft und der Kaufschilling von dem
forthausenden Teil vorschussweise in die Teilung eingelegt werden.
Desgleichen musste der forthausende Teil die Drittteils- und Fall-
schuldigkeit entrichten. Diese Auslagen wurden ihm jedoch nach
geendeter Forthausungszeit von dem eintretenden Vorteilsberech-
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B. Die Erbgewohnheiten in früherer Zeit. ai
tigten wiedererstattet, die Zinsen jedoch gegen die währenddessen
innegehabte Gutsnutzniessung kompensirt.
Wie bereits erwähnt, bestimmte die fürstlich-fürstenberg'sche
Verordnung vom 2. Juni 1757, dass bei der zweiten und weiteren
Verehelichung das Gut weder den Kindern erster noch weiterer
Ehe verschrieben werden solle, sofern das Gut von dem über-
lebenden Ehegatten herkomme. Sofern jedoch das Hofgut von
dem verstorbenen Ehegatten herkomme, solle die Besitzgerechtig-
keit den Kindern des verstorbenen Teils verbleiben. Der zweite
Ehegatte hatte gemeinhin Anspruch auf ein massiges jährliches
Leibgeding, oder er konnte von der Errungenschaft einen Kinds-
teil beanspruchen, jenachdem er viel oder wenig an Vermögen
in die Ehe eingebracht hatte. Auf der anderen Seite hatte er
die Verpflichtung, das Gut auf eigene Rechnung und ordnungs-
gemäss umzutreiben. Er durfte das Gut nicht mit neuen Schul-
den und Lasten beschweren noch den Zustand desselben in irgend
einer Weise verschleg^tern. Nur in Fällen, wo durch den zweiten
Ehegatten durch erhebliche • Vermögensbeibringung einem ver-
schuldeten Hofe wiederaufgeholfen wurde , konnte diesem das
Recht der Forthausung auf bestimmte Zeit, sogar auf Lebensdauer
zugesprochen werden. Die Einräumung eines solchen Forthau-
sungsrechtes geschah hauptsächlich aus der Erwägung, dass dann
einer mit Kindern allzureich gesegneten Witwe die Möglichkeit
zur Wiederverehelichung erleichtert würde. Die zu stipulierenden
Jahre wurden in der Regel, falls nicht lebenslängliche Forthausung
ausbedungen war, nach dem Alter des aus erster Ehe vorhande-
nen vorteilsberechtigten Kindes bemessen.
Die in der Natur des Minorats begründeten häufigen Interims-
wirtschaften müssen anscheinend verschiedentlich zur Benach-
teiligung der vorteilsberechtigten Erben geführt haben. Diesem
Uebelstande suchte das kaiserliche Patent vom 3. April 1787 abzu-
helfen, in dem einmal, wie schon erwähnt, im Intestaterbfalle an die
Stelle des Minorats das Majorat treten sollte, sodann indem dem
Stiefvater verboten wurde, als Vormund des Mündels zu fungieren,
mit der Begründung, »dass das Bauerngut, weil die Kuratel der
minderjährigen Bauernkinder fast immer dem zweiten Manne des
zurückbleibenden Eheweibs, mithin dem Stiefvater des Kindes an-
vertraut war, in frefnde Verwaltung gekommen seic Daher wurde
der Obrigkeit aufgegeben, »die Aufsicht über die Person des
Waisen und die Verwaltung des Waisenguts einem Manne aus
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A2 I. Teil. Das Hofgüterrecht.
der Verwandtschaft des Erblassers anzuvertrauen, welcher in allen
Fällen den minderjährigen Eigentümer vorzustellen , die auf dem
Gute haftenden Obliegenheiten genau zu verrichten, die Bestellung
der Wirtschaft auf das Beste zu besorgen und das Bauerngut so-
lange, bis der vorteilsberechtigte Eigentümer dasselbe anzutreten
fähig ist, im aufrechten Stande zu erhalten habe«. In § 3 des-
selben Patents ist auch zugleich die Unzertrennlichkeit und Un-
teilbarkeit der Hofgüter ausgesprochen in folgender Weise : »Um
aber die auf den Schutz der Waisen gerichtete Absicht desto
gewisser zu erreichen, werden hiemit alle Gründe, welche zu einem
steuerbaren Hause unmittelbar gehören, und demselben in dem
Kataster zugeschrieben sind, von dem Hause untrennbar und un-
verteilbar erklärt und ist der Wert, nach welchem der älteste,
der von dem Erblasser ernannte oder der von der Obrigkeit mit
Wissen des Kreisamts gewählte Sohn das Bauerngut anzutreten
hat, immer nach der Schätzung des Rektifikatoriums, jedoch der-
gestalt zu Grund zu legen, dass die Kontribution und herrschaft-
lichen Abgaben zu Kapital geschlagen, und nun nach Abzug dieses
Kapitals den übrigen Erben die Erbteile am baaren Gelde in
fristenweiser Zahlung ausgemessen werden.
In einer weiteren Verordnung Kaiser Leopold IL vom
29. Oktober 1790 wurde die Bestimmung, wonach dem Stiefvater
die Kuratel über das vorteilsberechtigte, minderjährige Kind erster
Ehe entzogen war, aufgehoben und die frühere Rechtsgewohnheit
wieder hergestellt. Dagegen wurde für den Intestaterbfall das
Majorat aufrecht erhalten, wenngleich in den meisten Fällen der
Hof bauer durch Verfügung unter Lebenden oder von Todes wegen
seiner alten Rechtsgewohnheit, das Hofgut an seinen jüngsten
Sohn zu vererben treu blieb. Wie wenig diese Bestimmungen,
sowohl die durch das Patent Joseph II dem Stiefvater entzogene
Kuratel als auch die für den Intestaterbfall festgesetzte Erbnach-
folge des ältesten Sohnes, den bäuerlichen Verhältnissen des
Schwarzwalds entsprachen, zeigen die zahlreichen Protestschreiben
der Amtmänner und Vögte an den landständischen Konsess zu
Freiburg. Uebereinstimmend wird darauf hingewiesen, dass diese
neuen und ungewohnten Bestimmungen nur Misstrauen und Un-
zufriedenheit unter den Bauern und Zank und Streit in der Familie
hervorgerufen hätten. Jedenfalls wären diese Bestimmungen für
die bäuerlichen Verhältnisse des Schvvarzwalds am allerwenigsten
passend.
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B. Die Erbgewohnheiten in früherer Zeit. a^
Wie bereits von uns angedeutet wurde, pflegte der Hof bauer bei
der Uebergabe des Hofes an seinen jüngsten Sohn sich ein Lei b-
g e d i n g für sich und seine Ehefrau auszumachen. Auf grösseren
Bauernhöfen befand sich ein besonderes Leibgedingshaus, in welches
sich das alte Hofbauernehepaar zurückzuziehen pflegte. Wie schon
erwähnt, machte der Hofbauer von dem Rechte auf das Leibge-
ding zu gehen, erst im Greisenalter Gebrauch. Allerdings wird
in einem Reskript des Fürsten Frobein Ferdinand von Fürsten-
berg vom 29. März 1737 darüber geklagt, dass »an denen mehr-
ichten Orten unsere Unterthanen, wann sie kaum ein mittleres
Alter erreichet und eins von ihren Kindern zum Heyrathen aus-
gewachsen ist, sogleich ihre Güter an solche zu übergeben, sich
dabei ein insgemein starkes Leibgeding vorzubehalten und in den
Uebrigen das Vermögen nur überhaupt gegen Uebernahme deren
Schulden, und eine für die übrigen Kinder willkürlich zu deter-
minirende Erbportion abzutretten pflegen«.
In den Leibgcdingsverträgen waren die Wohnungsrechte und
die von dem Uebernehmer zu gewährenden Naturalleistungen mit
grosser Ausführlichkeit spezialisiert. Beispielsweise^) musste der
junge Hofbauer den Leibgedingsleuten das von ihnen benötigte
Brennholz liefern, und ebenso das zum Backen des Brotes erforder-
liche Mehl, Sofern der alte Bauer gestorben war, war der Sohn
verpflichtet, der Mutter das Brennholz gespalten und zum unmittel-
baren Gebrauch fertig zu liefern. Gewöhnlich führten die Leib-
gedingsleute ihren gesonderten Haushalt und trieben, so weit es
in ihren Kräften stand, auch ein wenig Landwirtschaft. Sie hielten
eine Kuh und hatten das Recht sie auf einen bestimmten Teil
der Weide des Hofbesitzers zu treiben. Auch musste der Hof-
besitzer für das geerntete Heu , falls dafür im Leibgedingshause
kein Platz vorhanden war, den nötigen Raum auf der Scheuer
gewähren.
Wo ein besonderes Leibgedingshaus sich nicht vorfand, konnten
die Leibgedinger mehrere Zimmer des Bauernhauses nebst Stallung
für ein Stück Vieh beanspruchen. Sofern die alten Leute wegen
Krankheit oder Gebrechlichkeit nicht mehr im Stande waren,
ihren eigenen Haushalt zu führen, hatte der junge Hofbauer die
Pflicht sie zu verpflegen und für alles, was sie verlangten, Sorge
zu tragen.
I) Vgl. Anlage.
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AA . I. Teil. Das Hofgüterrecht.
C. Die Anerbenrechtsgesetzgebung des Grossherzogtums
Baden im ig. Jahrhundert.
Zugleich mit der politischen Unterjochung der rheinischen
Territorien Deutschlands vollzog sich zu Anfang des 19. Jahr-
hunderts die Verdrängung der alten Rechtsverhältnisse durch den aus
der französischen Revolutionsgesetzgebung hervorgegangenen cotfe
civil. Wohl wurde das politische Joch des fremden Eroberers
nach wenigen Jahren abgeschüttelt , aber sein Recht blieb fast
ein volles Jahrhundert hindurch bestehen, um erst mit Beginn des
neuen Jahrhunderts dem Rechte des Bürgerlichen Gesetzbuches
für das gesamte deutsche Volk Platz zu machen.
Niemand wird die grossen Vorzüge des französischen Zivil-
rechts leugnen können, mit dessen Einführung in Baden jenem
Chaos von geistlichen und weltlichen, gemeinen und partikulären,
rezipierten und einheimischen Gesetzen ein wohlverdientes Ende
bereitet wurde.
Uns interessieren jedoch hier nur die Aenderungen, welche
der Code civil auf dem Gebiete des Erbrechts hat eintreten lassen.
Gemeint ist hier einmal die Einschränkung der Testirfreiheit durch
die sogenannte Reserve und Beschränkung 2i\xi dx^ portion dis-
ponible, sodann der partage force d. h. die Forderung der
unbedingten Zwangsteilung.
Damit wurde also die Naturalteilung zum Postultat des code\
die Mobilisierung und Zerstückelung des Grundbesitzes mussten
die natürlichen ökonomischen Wirkungen sein.
Soweit der bäuerliche Grundbesitz des ebenen Landes in Frage
kam, hatten diese Bestimmungen wenig zu bedeuten, denn die
Sitte naturaliter zu teilen war dort seit jeher üblich. Anders da-
gegen verhielt es sich auf dem Schwarzwalde, der mit der Auf-
lösung der zahlreichen weltlichen und geistlichen Herrschaften
innerhalb des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts zum weitaus
grössten Teil dem Grossherzogtum Baden einverleibt wurde.
Die badische Regierung musste naturgemäss, als sie sich mit
der Absicht trug den code civil einzuführen, die Frage erörtern,
ob auf die Vererbungsgewohnheiten der bäuerlichen Bevölkerung
des Schwarzwaldes Rücksicht zu nehmen sei, oder ob auch für
den Schwarzwald das allgemeine Landrecht Platz zu greifen habe.
Entweder musste man auf die unitaristische Durchführung des
Code verzichten, oder aber man musste die Rechtseinheit durch
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C. Die Anerbenrechtsgesetzgebung des Grossh. Baden im 19. Jahrh. At
Opfer erkaufen, die gleichbedeutend waren mit dem wirtschaftlichen
Ruin eines grossen Teiles der bäuerlichen Bevölkerung überhaupt.
— Die Entscheidung erfolgte in Anlehnung an die durch historische
und in letzter Linie wirtschaftliche und landwirtschaftlich-technische
Zweckmässigkeitsgründe gestützte Auffassung, dass die bestehenden
Rechtsgewohnheiten sowohl in Hinsicht auf die Unteilbarkeit der
Liegenschaften als auch in Hinsicht auf die Einzelerbfolge aufrecht
zu erhalten und durch ein diesbezügliches Sonderrecht gesetzlich
festzulegen seien.
Das Edikt vom 23. März 1808.
Noch vor der Einführung des badischen Allgemeinen Land-
rechts erging das Edikt vom 23. März 1808. Als ein gesetzlich ge-
schlossenes Hofgut galt danach dasjenige bäuerliche Anwesen, von
dem nachgewiesen war, dass es »vermöge eines Gesetzes oder eines
rechtsgenüglichen Herkommens, das dem Edikt vorausgegangen
ist, stets unzertrennt von einem Inhaber auf den andern überge-
gangen sei und so auch jetzt besessen werde«. Die weiteren
wesentlichsten Bestimmungen des Ediktes sollen im Folgenden
hervorgehoben werden.
Das Hofgut bleibt unter allen Umständen geschlossen. Wie
die Vererbung nur geschlossen vor sich gehen kann, so kann auch
eine Veräusserung des Hofguts nur im Ganzen erfolgen. Eine
Zerstückelung des Hofguts in mehrere Einzelhöfe ist an die Ge-
nehmigung der zuständigen Verwaltungsbehörde geknüpft. Einer
gleichen Genehmigung bedarf die Vornahme von Absplitterungen
einzelner Teile. Aufgabe der Verwaltungsbehörde ist es zu prüfen,
ob bei einer Zerteilung in mehrere bäuerliche Wirtschaftsbetriebe
bezw. bei einer Loslösung einzelner Teile die wirtschaftliche Selb-
ständigkeit und Existenzfähigkeit der mehreren Eigentümer gewahrt
bleibt. Ferner ist der Nachweis zu erbringen, dass die erforder-
lichen Wohnungen nebst den Wirtschaftsgebäuden vorhanden sind
oder sich herstellen lassen. Die zuständige Behörde ist der Be-
zirksrat; der Rekurs geht an das Ministerium des Innern.
Sofern nicht der Erblasser durch Uebergabevertrag (Schen-
kungsvertrag) oder von Todeswegen den Anerben bestimmt hat,
gilt ab intestato als Anerbe oder Vorzugserbe, wie sich das Gesetz
ausdrückt, jeweils der jüngste nicht verschollene Sohn oder die
älteste Tochter. Der Vorzug oder der Vorteil des Anerben be-
steht in dem sogenannten kindlichen Anschlag, welcher der Be-
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40 !• Teil. Das Hofgüterrecht.
messung seiner Erbportion zu Grunde gelegt wird. Die Schätzung
erfolgt nach dem »landläufigen« Verkaufswerte; nur soll der kind-
liche Anschlag ein Zehntteil und in rauhen Berggegenden ein
Achtel, und kann, wo Eltern es verordnen, aller Orten ein Viertel
unter dem laufenden Verkaufswerte bleiben. Vgl. hierzu L, R. S.
827 d. Der Anschlag von Haus samt Hofraithe geschieht jedoch
nach dem laufenden Wert, ohne dass ein Abzug erfolgt.
Zwecks Sicherstellung der Gläubiger ist bestimmt, dass der
Anerbe den Gläubigern nicht bloss nach seinem Teil, sondern nach
seinem Empfang aus dem Erbe und unterpfändlich für das Ganze
haftet. Vgl. hierzu L. R. S. § 827 e.
Falls der berechtigte Anerbe wegen Jugend, eingeschränkten
Geistes- oder Vermögenskräften, wegen anderweitiger Niederlassung,
kurz ohne sein Verschulden von der Vorteilsberechtigung keinen
Gebrauch machen kann oder will, so geht das Vorzugsrecht auf einen
anderen Miterben über, welcher von der Unterpolizeibehörde als
tauglich anerkannt ist. Der vorteilsberechtigte Abtretende kann
sich für den einem anderen überlassenen Vorteil ein Vorteilsgeld
(Abtrittsgeld, Abwichsgeld) ausbedingen, doch darf dieses nicht
über 5 Proz. des schuldenfreien Anschlags ausmachen. Das
Vprteilsrecht geht jedoch schlechtweg und ohne Uebertragsbefugnis
und Abtrittsgeldberechtigung verloren, falls der Berechtigte mund-
tot gemacht ist, oder der sittlichen Qualifikation ermangelt.
Aus diesen angedeuteten wesentlichen Bestimmungen des
Edikts vom 23. März 1808 erhellt die fundamentale Verschieden-
heit von den erbrechtlichen Vorschriften des badischen allgemeinen
Landrechts. Nach L. R. S. 826 kann jeder Miterbe seinen Anteil
an Fahrnis und liegender Habe im Stück verlangen, jedoch mit
der im L.R. S. 827 ausgesprochenen Einschränkung, dass Liegen-
schaften, welche sich auf Grund einer natürlichen oder gesetzlichen *)
Unteilbarkeit nicht teilen lassen, versteigert werden sollen. Das
Landrecht macht also keinen Unterschied zwischen beweglichen
Vermögensobjekten (Fahrnis) und unbeweglichen (Liegenschaften).
Dagegen statuiert das Edikt vom 23. März 1808 das Prinzip der
I) Diese Bestimmung, welche das Prinzip der absoluten Freiteilbarkeit durch-
bricht, gründet sich auf das Gesetz vom 6. April 1854. Hiernach wird vorgeschrieben,
dass Wald, Reutfeld und Weiden nicht in Stucke unter 3,60 ha, Ackerfeld und Wiesen
nicht in Stücke unter 9 ar weder behufs Aufhebung einer Gemeinschaft, noch im
Wege eines anderen Rechtsgeschäftes bei Vermeidung der Nichtigkeit geteilt werden
dürfen. Vgl. ebenfalls die Verordnung vom 29. Juni 1854.
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C. Die Anerbenrechtsgesetzgebung des Grossh. Baden im 19. Jahrh. 47
Strengen Gebundenheit nebst den daraus resultierenden rechtlichen
Konsequenzen.
In der darauffolgenden Zeit ist der Bestand des Hofgüterrechts
mehrfach bedroht worden. »Ueber die Aufhebung der Geschlos-
senheit der Hofgüter wurde bereits im Jahre 1820 verhandelt, in
welchem Jahre das Ministerium des Innern unter dem 14. März
auf geschehene Anfrage sich dahin äusserte, dass eine gänzliche
Abschaffung der Gebundenheit nicht wohl thunlich sei, — da' sie
in rauhen Waldgegenden, wo der Boden schwer zu bebauen ist
und schon eine grosse Masse Feldes beisammen sein muss, um
ihren Mann zu ernähren, nicht entbehrt werden kann, — dass
dieses aber in anderen Gegenden, wo die Lokalität sie nicht un-
bedingt erfordert, wohl stattfinden könne. In einem Reskript des
Staatsministeriums vom 20. Januar 1821 wird diese Ansicht ge-
teilt und eine Untersuchung darüber angeordnet, an welchen Orten
Hofgüter bestehen und wo sie ohne Schaden aufgehoben werden
können. Während die erste Frage unbeantwortet blieb, erklärten sich
die Kreisdirektionen allgemein für den Fortbestand des Edikts
vom 23. März 1808.«
»Infolge der in den dreissiger Jahren erneuerten Agitation für
die Aufhebung des Hofgüterwesens ordnete sodann das Mini-
sterium des Innern unter dem 22. Juni 1836 eine Erhebung über
die rechtliche Natur und Entstehung der gebundenen Hofgüter,
sowie über die Handhabung der Vorteilsgerechtigkeit im Speziellen
an und richtete an sämtliche Aemter, in deren Bezirk sich Hofgüter
finden, die Frage, ob und welche nachteilige Folgen die Einführung
der freien Teilbarkeit der Hofgüter * haben könnte. Die einge-
gangenen Antworten sprachen sich meist für die Zweckmässigkeit
der Fortdauer der geschlossenen Hofgüter aus. Von den in der
Minorat befindlichen Amts vorständen sprachen sich namentlich
die von Triberg und Hornberg gegen die unveränderte Fortdauer
des bestehenden Zustands aus. Zwar befürworteten sie ebenfalls
die Beibehaltung der Hofgüter, aber sie beantragten zugleich —
zur Förderung einer besseren landwirtschaftlichen Kultur und zur
Unterstützung des Kleingewerbes — die Gestattung einer Teilung
der Hofgüter bis zu einem bestimmten Minimum, das wieder ver-
schieden zu bemessen wäre, je nachdem es sich um die Errich-
tung eines eigentlichen Hofes oder eines Gewerbegutes handelte. «
»Hierauf erliess das Ministerium des Innern unter dem 4. No-
vember 1837 ^i^G Vollzugs Verordnung zum Edikt vom 23. März 1808,
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48 I- Teil. Das Hofgüterrecht.
in der sowohl die Zulassung der Teilung von Hofgütern als auch
die Abtrennung einzelner Stücke von denselben im Sinne grösserer
Mobilisirung des Grundeigentums geregelt wurde. Doch scheint
diese von der Staatsregierung gemachte Konzession an die freie
Teilbarkeit den Eingesessenen des Amtsbezirks Triberg nicht
genügt zu haben«.
»Denn im Jahre 1840 petitionierten dieselben bei der Kammer
der Abgeordneten um die gänzliche Abschafifung der Unteilbarkeit
der Hofgüter. Von dieser Massregel erwarteten namentlich die
in der Schwarzwälder Uhrenindustrie beschäftigten Personen die
Möglichkeit des Erwerbs von Grundbesitz in beliebiger Ausdeh-
nung und an beliebiger Stelle, und hiervon wieder versprachen
sie sich eine Unterstützung in der Führung ihres Haushalts und
einen Rückhalt für alle Wechselfälle des Lebens. Doch wurde
dieser Petition keine Folge gegeben, da man im Allgemeinen weder
unter den Schwarzwälder Bauern noch im Ministerium von der
Aufhebung der Gebundenheit der Hofgüter etwas wissen wollte«^).
Als in dem Revolutionsjahre 1848 alle Sonderrechte und
Privilegien, somit auch das Hofgüterrecht für aufgehoben erklärt
wurden, ging eine lebhafte Bewegung durch die bäuerliche Be-
völkerung des Hofgütergebiets, welche sich ihres alten Rechtes,
der einzigen Garantie eines leistungsfähigen Besitzes beraubt sah.
Eine von vielen hundert Hofbauern unterschriebene Petitionsschrift
wurde dem Frankfurter Parlamente eingereicht und darin um die
Aufrechterhaltung des Hofgüterrechts gebeten. Man wies darauf
hin, dass eine Aufhebung dieses alten, »seit urdenklichen Zeiten
herkömmlichen Rechts und' die Stellung unter das badische Zivil-
recht den wirtschaftlichen Untergang der bäuerlichen Bevölkerung
herbeiführen würde, da eine Zersplitterung des Grundbesitzes in
ähnlicher Weise wie im bisherigen ausschliesslichen Gebiete des
gemeinen Rechts für den auf extensiver Grundlage beruhenden
Schwarzwaldbetrieb ungeeignet sei. Man glaubte, dass »die wahre
Freiheit des Bürgers auf seiner Selbständigkeit beruhe, und diese
auf einen gewissen Besitz gegründet sei«. Und weiter argumen-
tierte man, dass, »weil das Wissen der Menschen nicht so weit
fortschreiten wird, dass die Einflüsse der Temperatur und des
Höhengrades beliebig geändert und starke Felsen erweicht werden
könnten«, eine rechtliche Schabionisierung der gesamten landwirt-
i) Schriften des Vereins für Sozialpolitik XXV, Das Erbrecht und die Grund-
eigentümsverteilung von A. von Miaskowski, S. 367 f.
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C. Die Anerbenrechtsgesetzgebung des Grossh. Baden im 19. Jahrh. aq
schaftlichen Verhältnisse nicht nur höchst unzweckmässig, sondern
auch von den gefährlichsten ökonomischen und sozialen Konse-
quenzen begleitet sein würde.
Im Gegensatz zu den Anschauungen und Beschlüssen des
Frankfurter Parlaments war zu Beginn der fünfziger Jahre inner-
halb der badischen Regierung eine stark reaktionäre Strömung
von massgebendem Einfluss. Diese fand ihren Ausdruck in einem
im Jahre 1855 von der Regierung den Kammern vorgelegten Ge-
setzentwurfe, wonach die Bildung von neuen geschlossenen Hof-
gütern beabsichtigt wurde. Solche Landgüter, welche einen Liegen-
schaftswert von wenigstens 10 000 Gulden besassen, konnten durch
einen ausdrücklichen Willensakt des Eigentümers für gesetzlich
geschlossene Hofgüter erklärt werden. Jedoch wurde neben der
Unteilbarkeit — und damit unterschieden sie sich von den bereits
bestehenden geschlossenen Hofgütern — auch noch die bedingte
Unveräusserlichkeit und Unverschuldbarkeit statuiert. Nach § 9
des Entwurfs sollte der Eigentümer das Hofgut nur bis zu dem-
jenigen Betrage verpfänden dürfen, welchen er zur Tilgung darauf
haftender und von ihm mit dem Hofgut übernommener Lasten
und zur Abfindung des Uebergebers oder der Miterben verwendet
hat. Nach § 10 war eine weitere Verpfändung nur mit Bewilligung
der Bezirksverwaltungsbehörden gestattet. Der solchermassen
vinkulierte Grundbesitz unterschied sich also nur noch wenig von
dem eigentlichen Fideikommissgut.
Der vorgenannte Entwurf erhielt jedoch nicht die Zustimmung
der zweiten Kammer.
Dagegen waren solche auf die Bindung des Grundbesitzes
hinzielenden Bestrebungen innerhalb der badischen Regierung
gegen Ende der sechziger Jahre in ihr gerades Gegenteil umge-
schlagen. Die Haltung der Regierung dürften nicht wenig die
Ansichten einer Reihe von Schriftstellern, Beamten, Volkswirten,
und Juristen wie besonders Mayer '^), EmminghaMS^) , Engelhorn^),
Schmidt^) j und andere beeinflusst haben; es waren namentlich
rechtliche Bedenken, so z. B. die angeblich übermässig erfolgende
i) Mayer^ »Ueber die Unteilbarkeit der geschlossenen Hofgüter« in den Blättern
für Justiz und Verwaltung im Grossherzogtum Baden, 1842.
2) Emminghaus^ >Die geschlossenen Hofgüter« 18 71.
3) Engelhorn^ »Gutachten über die Frage der Teilbarkeit etc.« in Nr. 617, Jahr-
gang 1869 der Zeitschrift für badische Verwaltung und Rechtspflege S. 81.
4) Schmidt^ Ueber die Aufhebung des Edikts von 1808« Karlsruhe 1869.
Volkswirtschaft!. Abhandl. IV, Band. ^
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50 I. Teil, Das Hofgüterrecht.
Benachteiligung der weichenden Erben, welche diese Schriftsteller
gegen den Fortbestand des Hofgüterrechts ins Feld führten. Von
entscheidendem Einfluss auf die Haltung der Regierung, welche
sich bereits allen Ernstes mit dem Gedanken einer Aufhebung
des Hofgüterrechts trug^), war die mit grosser Sachkenntnis ge-
schriebene Arbeit von Schupp: >Die geschlossenen Hofgüter im
Amtsbezirk Wolfach«. Diese Schrift kritisierte zwar scharf die
Auswüchse des Hofgüterrechts (z. B. die Häufigkeit unehelicher
Geburten), plädierte jedoch ihrem ganzen Inhalte nach für die
Notwendigkeit der Beibehaltung desselben, — merkwürdigerweise
gegen den Willen des Verfassers , welcher . am Schlüsse seiner
Ausführungen die Frage : »Ist eine Aufhebung des Edikts vom
23. März 1808 aus eigener Initiative der gesetzgebenden Regierung
gerechtfertigt.?*« bejahen zu dürfen glaubte. Die Regierung glaubte
jedoch über die juristischen und sonstigen Bedenken Sckupp's
hinwegsehen zu müssen, Angesichts der aus seiner Schrift sich
ergebenden wirtschaftlichen Bedenken gegen eine Aufhebung des
Hofgüterrechts.
Das Gesetz vom 23. Mai 1888.
Wie erwähnt, machte das Edikt vom 23. März 1808 die Hof-
gutsqualität und damit die Stellung des Hofguts unter das agräre
Sonderrecht von dem Nachweise abhängig, >dass vermöge eines
Gesetzes oder eines rechtsgenüglichen Herkommens, das dem
Edikt vorausgegangen ist, ein Hof stets unzertrennt von einem
Inhaber auf den andern übergegangen sei und so auch jetzt be-
sessen werde«. Dieser Nachweis eines »rechtsgenüglichen Her-
kommens« war jedoch heute nach achtzig Jahren nur noch schwer zu
erbringen, zumal die grosse Zahl der älteren territorialen Gesetze
und Verordnungen die Kontrolle erschwerte und auch ihre Kenntnis
zu verblassen begann. Hierin lag aber die Gefahr verborgen,
dass auch dem Hofbauern das Bewusstsein seiner traditionellen
Rechtsgewohnheiten naturgemäss zu schwinden begann, und dass
durch diese Rechtsunsicherheit das ganze Institut der geschlossenen
Vererbung mehr und mehr ins Wanken geraten und damit sein
wirtschaftlicher Zweck in das Gegenteil sich verwandeln konnte.
Der Gesetzgeber des Jahres 1888 glaubte daher kein Bedenken
tragen zu dürfen, in dem Nachweis einer seit dem Erlass des
Edikts vom 23. März 1808 ununterbrochen erfolgten Vererbung
i) Nach persönlicher Mitteilung des Herrn Geh.Rat Schupp in Freiburg.
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C. Die AnerbenrechUgesetzgebung des Grossh. Baden im 19. Jahrh. 51
das wesentlichste Substrat der Hofgutsqualität «u erblicken. In
Frage kommen sollte der bäuerliche Grundbesitz in den von uns
schon an anderer Stelle nahmhaft gemachten 15 Amtsbezirken
Achern Ettenheim Lahr
Bonndorf Freiburg Neustadt
Emmendingen Gengenbach Offenburg
Oberkirch Villingen
Staufen Waldkirch
Triberg Wolfach.
Zu diesem Zwecke wurden durch das Gesetz in den vorge-
nannten Amtsbezirken die Behörden, welche die Grund- und Pfand-
bücher zu führen haben, angewiesen, ein Verzeichnis über die in
jeder Gemarkung vorhandenen geschlossenen Hofgüter nebst dem
dazu gehörigen Grundbesitz anzufertigen und dem zuständigen Amts-
gerichte vorzulegen. Dabei konnten Einwendungen und Anträge
der Eigentümer innerhalb einer Frist von 3 Monaten geltend ge-
macht werden. Gegen die Entscheidung des Bezirksrats musste
die Klage binnen einer Notfrist von einem Monat bei dem Ver-
waltungsgerichtshofe angestrengt werden. Die nach Massgabe
vorstehender Bestimmungen in den öffentlich aufgelegten Ver-
zeichnissen und Verzeichnisnachträgen aufgenommenen Hofgüter
hatten in dem dort angegebenen Umfange als gesetzlich ge-
schlossene Hofgüter zu gelten, soweit nicht das Gegenteil bewiesen
wurde.
Nach den definitiven Feststellungen, welche nach Massgabe
dieses Gesetzes erfolgten, sind in den 15 Amtsgerichtsbezirken
4943 Hofgüter vorhanden, welche als gesetzlich geschlossene fortan
zu gelten haben.
Von einer Regelung der erbrechtlichen Materie des Edikts
vom 23. März 1808 wurde abgesehen in Erwartung der Stellung,
welche das neue Bürgerliche Gesetzbuch zu der Anerbenrechts-
frage einnehmen würde. Es musste erst die Frage entschieden
sein , ob das Bürgerliche Gesetzbuch das Anerbenrechtsinstitut
der Landesgesetzgebung zur Regelung überlassen oder es reichs-
gesetzlich anerkennen und normieren sollte. Bekanntlich waren
die Ansichten der Wissenschaft hierüber geteilt. Die eine Rich-
tung, als deren entschiedenster Vertreter von Miaskowski zu nennen
ist, glaubte einer reichsgesetzlichen Normierung des Anerbenrechts
und zwar in der Form des unmittelbar gesetzlichen Anerbenrechts
den Vorzug geben zu müssen. Eine Ausschliessung dieser gesetz-
4*
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52 I. Teil. Das Hofgüterrecht.
liehen Sondererbfolge sollte somit der Regelung durch die Landes-
gesetzgebung vorbehalten sein. Eine auf das gleiche Ziel gerichtete
Resolution des deutschen Landwirtschaftsrats vom 8. Januar 1886
wurde der Zivilkommission übermittelt. In demselben Sinne äusserten
sich in der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik im
Jahre 1884 hervorragende Männer der Wissenschaft und Praxis,
wie Konrad^)^ Thiel^) und Miquel^). Eine andere*) Richtung
vertrat die Meinung, dass bei der Ungleichheit der bäuerlichen
Verhältnisse nicht nur im deutschen Reiche, sondern sogar in den
einzelnen Bundesstaaten die Regelung des Anerbenwesens der Par-
tikulargesetzgebung zu überweisen sei.
Bekanntlich hat sich die Mehrheit der Kommission für das
Bürgerliche Gesetzbuch auf den Boden der letzteren Auffassung
gestellt und durch § 64 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen
Gesetzbuch, die Regelung der bäuerlichen Erbrechtsverhältnisse
der Landesgesetzgebung überlassen.
Gesetz vom 20. August 1898, die geschlossenen
Hofgüter betreffend.
Im Dezember 1897 legte die badische Regierung einen Ge-
setzentwurf, die geschlossenen Hofgüter betreffend, vor, um die
bereits im Jahre 1888 in Aussicht gestellte Neuregulierung der
Bestimmungen des Ediktes von 1808 den Bedürfnissen entsprechend
vorzunehmen. Der Regierungsentwurf beschränkte sich jedoch
nicht auf die durch das Gesetz vom 23. Mai 1888 für geschlossen
erklärten 4943 Hofgüter der mehrfach erwähnten 15 Amtsgerichts-
bezirke. Vielmehr wurde nach § 2 des Entwurfs vom 12. De-
zember 1897 eine Ausdehnung des Gesetzes vom 23. Mai 1888
auf weitere 27 Amtsbezirke beabsichtigt, welche zumeist im süd-
lichen Schwarzwald und in der Donau- und Bodenseegegend ge-
legen waren, d. h. in einem Gebiet, wo bisher die Anerbensitte
üblich gewesen war.
Die Kreirung von weiteren geschlossenen Hofgütern sollte an
die Voraussetzung geknüpft sein, dass solche Hofgüter den höhe-
ren Gebirgslagen sowie den nach Boden- und Klimaverhältnissen
ungünstiger gelegenen Teilen der 15 alten und 27 neuen Amts-
i) Schriften des Vereins für Sozialpolitik, S. 18.
2) ibidem S. 52 und 64.
3) ibidem S. 56 und 59 — 70.
4) ibidem (Hermann Schulze) S. 49.
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C. Die Anerbenrechtsgesetzgebung des Grossh. Baden im 19. Jahrh. 53
gerichtsbezirke angehörten. Und zwar bestknmt der § 3 des Ent-
wurfs, dass der Eigentümer mit Genehmigung der zuständigen
Verwaltungsbehörde ein bäuerliches Anwesen zum geschlossenen
Hofgut erklären könne nach Massgabe folgender Bestimmungen^):
1. Das Anwesen muss ein im Wesentlichen abgerundetes,
zur Ernährung einer Familie völlig ausreichendes Besitztum bilden
und mit den erforderlichen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden ver-
sehen sein.
2. Die Geschlossenheit muss im Interesse der Bewirtschaf-
tung liegen.
3. Sämtliche Parzellen müssen auf den Namen des Erklären-
den im Grundbuch eingetragen sein.
4. Abgesehen von Dienstbarkeiten dürfen keine dinglichen
Rechte auf einzelnen Parzellen lasten.
5. Sofernauf der Gesamtheit der Parzellen Hypotheken, Grund-
schulden, Rentenschulden, (Vorzugs- oder Unterpfandsrechte) lasten
müssen die Gläubiger auf das Recht verzichten, die Parzellen ein-
zeln versteigern zu lassen.
Dieser Verzicht muss im Grundbuch (Unterpfandsbuch) ein-
getragen und auf den Hypotheken-, Grundschuld-, Rentenschuld-
briefen, falls solche ausgestellt sind, vermerkt sein.
Der Entwurf ging somit in ganz anderer Richtung vor als
das Gesetz vom 23. Mai 1888, in dem nicht mehr der historisch-
traditionelle Gesichtspunkt als das Kriterium der Hofgutsqualität
betrachtet wurde, sondern lediglich ökonomische Zweckmässig-
keitsgründe die massgebenden Faktoren waren. Allerdings blieb
es dem Willen des Eigentümers vorbehalten, nach Massgabe obi-
ger Bestimmungen die gesetzliche Geschlossenheit seines Anwe-
sens herbeizuführen.
Die Regierung begründete den Entwurf in den Motiven durch
folgende Ausführungen:
Sie glaubt, dass »bei der weit verbreiteten Sitte einer frei-
willig geübten Uebertragung des Anwesens an einen Erben der
Gedanke einer möglichst ungeteilten Erhaltung eines landwirt-
schaftlichen Besitzes bei weiten Kreisen der Bevölkerung getragen
sei von der Ueberzeugung eines wirtschaftlichen Bedürfnisses, einer
gewissen, in den klimatischen-, Produktions- und Absatzverhält-
i) In der nach Vornahme einiger redaktioneller Aenderungen erfolgten Fassung
des Gesetzentwurfs der ersten Kammer.
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54 I. Teil. Das Hofgüterrecht.
nissen begründeten, nicht zu beabredenden wirtschaftlichen Not-
wendigkeit.«
»Diese Notwendigkeit der ungeteilten Erhaltung des Besitzes
treffe aber nicht nur zu für einen durch Todesfall verursachten
Besitzwechsel, sondern es erscheint für diese Gebiete überhaupt
dringend erwünscht, gewisse Besitzgrössen gegen Verstückelung
auch durch Verfügung unter Lebenden sicher zu stellen.«
Wenn nun der vorgelegte Entwurf u. a. namentlich auch im
Hinblick auf die seit Jahrzehnten in den hier in Frage kommenden
Gebieten zur Geltung gelangte völlig freie Verfügungsgewalt der
Hofbesitzer von einer Beschränkung der letzteren in der Art, wie
dies bei geschlossenen Hofgütern der Fall ist, absehen zu sollen
glaube, so sollte mit Rücksicht auf das oben betonte, zweifellos
vorhandene und in der freiwillig geübten Anerbensitte von der
Bevölkerung empfundene wirtschaftliche Bedürfnis doch in jenen
Fällen, wo der Eigentümer, getragen von der Ueberzeugung der
wirtschaftlichen Notwendigkeit, aus eigenster freier Entschliessung
seinen Besitz zu einem unteilbaren gestalten will, vom Gesetzgeber
hierzu wenigstens die Möglichkeit geboten werden. Die Zulass-
ung dieser Möglichkeit scheine um so wünschenswerter, als mit
der Umbildung eines landwirtschaftlichen Anwesens zu einem ge-
schlossenen auch ohne weiteres das Anerbenrecht mit seinen den
Erben bezw. der Erhaltung des Gutes günstigen Uebernahmebe-
stimmungen wirksam werde, welch' letztere gerade in den Gebieten
des freiwillig geübten Anerbenrechts bisher vielfach in sofern nicht
eintraten, als die an die Miterben zu leistenden Erbabfindungen
beim Mangel eines entsprechenden Voraus unverhältnismässig
schwer auf dem Uebernehmer lasteten, infolgedessen zweifellos
gerade in diesen Gegenden (südlicher Schwarzwald, Donau- und See-
gegend) die Verschuldung die höchsten Prozentzahlen aufzuweisen
habe.«
Die erste Kammer stellte sich bezüglich der Ausdehnung des
fakultativen Hofgüterrechts in der Hauptsache auf den Boden des
Regierungsentwurfs .
Neben einigen redaktionellen Aenderungen und solchen im
juristisch-technischen Sinne glaubte jedoch die Justizkommission
der ersten Kammer der Bestimmung des § 5 des Regierungsent-
wurfs entgegentreten zu müssen, wonach die einmal eingetre-
tene Geschlossenheit des Hofguts nur mit Einwilligung der Ver-
waltungsbehörde wieder aufgehoben werden kann. Sie ging dabei
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C. Die Anerbenrechtsgesetzgebung des Grossh. Baden im 19. Jahrh. tt
von der richtigen Erwägung aus, dass die Schaffung von neuen
geschlossenen Hofgütern erheblich erschwert werde, wenn der
Eigentümer durch seinen Antrag eine Rechtswirkung herbeiführe
die er für sich allein nicht mehr beseitigen kann.
Sie glaubte ferner, dass, wenn die Geschlossenheit des Hof-
guts in erster Linie dem Zwecke dient, das Gut in der Familie
zu erhalten, es keinen Sinn habe, die Erben zu zwingen, das Gut
als Ganzes an einen nicht zur Familie gehörigen zu verkaufen,
statt es unter sich zu verteilen.
Die Justizkommission der zweiten Kammer erklärte sich gegen
eine Ausdehnung des Intestatanerbenrechts sowohl innerhalb der
15 alten, als auch auf die 27 neuen Amtsgerichtsbezirke, indem
sie das Bedürfnis hierzu verneinte. Sie anerkennt allerdings die
Sitte der freiwillig geübten geschlossenen Vererbung in der Form
der Vermögensübergabe, oder durch sogenannten Kindskauf oder
bereits durch Vorbehalt im Ehevertrage. Trotzdem glaubt sie,
dass es ünthunlich sei für diese Sitte eine gesetzliche Grundlage
zu schaffen. Sie weist auf die mancherlei Bestimmungen des
Bürgerlichen Gesetzbuchs hin, welche dem bäuerlichen Besitzer
weitergehende Befugnisse als bisher eingeräumt haben. Es ist
das vornehmlich das kostenlose und eigenhändige (holographische)
Testament (§ 223 B. G. B.), dessen er sich, so wenig er sonst
ein Freund von schriftlichen Abfassungen sein mag, in der seinen
Verhältnissen entsprechenden Weise bedienen könnte. Biete so-
mit das neue Bürgerliche Gesetzbuch dem bäuerlichen Besitzer
erhebliche Erleichterungen, so ständen ihm auch andrerseits we-
sentliche Mittel zu Gebote, für den Uebergang des Gutes in an-
gemessener Weise Sorge zu tragen, ferner bezüglich der durch-
gehenden Schätzung eines Landguts nach dem Ertrags werte^), be-
züglich des gemeinschafthchen Testaments mit dem Ehegatten u. s. w.
(vgl. B. G. B. §§ 2265, 230s, 2312).
Ein ferneres Argument von Seiten der Justizkommission der
zweiten Kammer gegen die Ausdehnung des fakultativen Intestat-
anerbenrechts in besonderer Bezugnahme auf den Fall, dass der
Eigentümer verstirbt, ohne Vorsorge für den Uebergang getroffen
zu haben, beschränkt sich auf den Hinweis, dass in einem solchen
Falle die Erben bisher freiwillig für das Gut in entsprechender
i) Anmerkung des Verfassers. Doch nur dann, wenn der Erblasser angeordnet
hat, dass einer der Miterben das Recht hat, das Landgut zu übernehmen (vgl. § 2049
B.G.B.).
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56 I. Teil. Das Hofgüterrecbt.
Weise Sorge getragen haben.
Andrerseits hält man es nicht für angezeigt, für derart ver-
einzelte Fälle die Zulässigkeit eines Anerbenrechtes neu zu schaffen,
da die Bestimmungen desselben unter Umständen von so tief ein-
schneidender Wirkung sein könnten, dass der ländliche Besitzer
deren Folgen für die Zukunft auch bei der freiwillig gewählten
Unterwerfung unter dieses Sonderrecht nicht zu überschauen vermag.
Ueberdies wird geltend gemacht, dass eine dahin gehende
Willenskundgebung aus den Reihen der Beteiligten niemals er-
folgt sei. Daher sei es bei Bestimmungen von so einschneidender
Natur nicht angemessen, über die Initiative der beteiligten Bevöl-
kerung hinauszugehen.
Diese Bedenken gegen die Neuschaffung eines fakultativen
Anerbenrechts wurden auch von der Mehrheit der zweiten Kam-
mer geteilt. Die Regierung entschloss sich daher mit der ersten
Kammer, um nicht die ganze Vorlage zu Fall zu bringen, den
Kommissionsentwurf der zweiten Kammer anzunehmen.
Die durch Artikel 64 des Einführungsgesetzes zum Bürger-
lichen Gesetzbuch der Landesgesetzgebung eingeräumte Befugnis
zur Regelung der bäuerlichen Erbrechtsverhältnisse wird im wei-
testen Sinne zu verstehen sein, insofern als in die Kompetenz
der Partikulargesetzgebung auch die Leistungen des Anerben an
seine Geschwister fallen, ebenso das Recht des überlebenden Ehe-
gatten auf eine Leibzucht (Leibgeding, Altenteil) sowie das Recht
der Fortsetzung der Wirtschaft und das Recht der Interimswirt-
schaft, soweit es sich nicht um familienrechtliche Wirkungen des
letzteren handelt.
Im Voraus soll hier bereits bemerkt werden, dass das neue
badische Anerbengesetz von einer rechtlichen Normierung des An-
spruchs der Abtretenden auf eine Leibzucht sowie des Rechtes
der Interimswirtschaft abgesehen hat.
Die hauptsächlichsten Bestimmungen des Gesetzes vom 28.
August 1898, welche sich auf die Geschlossenheit der Hofgüter,
auf das Anerbenrecht und auf das damit im engen Zusammen-
hange stehende eheliche Güterrecht und auf die Veräusserung
des Anerbengutes durch den Anerben beziehen, sollen im Folgen-
den kurz hervorgehoben werden.
a. Die Geschlossenheit der Hofgüter.
Nach § 3 des Gesetzes ist die Aufhebung der Geschlossen-
heit, sowie die Lostrennung einzelner Teile und die Zerlegung
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C. Die Anerbenrechtsgesetzgebung des Grossh. Baden im 19. Jahrh. 57
des Hofguts in eine Mehrheit von geschlossenen Hofgütern an
die Genehmigung der zuständigen Verwaltungsbehörde * ) geknüpft.
Die Genehmigung soll nur dann erteilt werden, wenn landwirt-
schaftliche Bedenken nicht entgegenstehen, namentlich auch dann
nicht, wenn wie z. B. bei der Zerlegung der Hofgüter wirtschaft-
liche Bedenken in Bezug auf die sich ergebende Pfandbelastung
vorhanden sind.
Da in Zukunft entsprechend dem Sinne des Bürgerlichen Ge-
setzbuchs und der Grundbuchordnung ein geschlossenes Hofgut
seiner rechtlichen Natur nach als ein Grundstück zu betrachten
ist, so resultiert daraus die Unzulässigkeit der Belastung einzelner
Teile durch dingliche Rechte mit Ausnahme der Servitut. Die
Frage, ob die Entstehung von Miteigentum an einem geschlosse-
nen Hofgut auszuschliessen sei, wurde in der Justizkommission
der ersten Kammer lebhaft erörtert. Die Erwägung, dass durch
die Zulassung des Miteigentums die Uebernahme des Hofguts und
seine Erhaltung in der Familie, offenbar erleichtert wird, bestimmte
die Majorität der Kommission, eine das Miteigentum ausschliessende
Bestimmung in den Entwurf nicht aufzunehmen.
b. Anerbenrecht,
i) Anerbenrecht im engeren Sinne.
Die wichtigste Aenderung des neuen Gesetzes gegenüber dem
Edikt vom 23. März 1808 ist die Bestimmung, dass das Hofgut
nach dem Ertragswerte zu schätzen ist. Die bezüglich der Be-
rechnung des Ertragswertes in Anwendung kommenden Modali-
täten hat das Gesetz nicht näher bestimmt. Dieselben werden
vielmehr in einer Vollzugsverordnung für das zugleich mit dem
Bürgerlichen Gesetzbuch in Kraft tretende Gesetz ihre Aufnahme
finden. Vermutlich dürften die der Vollzugsanweisung vom 2. No-
vember 1888 zu Grunde liegenden Bestimmungen für das Verfahren
bei der Schätzung von Liegenschaften und bei der Berechnung
des Reinertrages im wesentlichen beibehalten werden.
Eine weitere Begünstigung des Anerben besteht in der Vor-
schrift, dass er mindestens ^U d. h. 20 Prozent des Ertragswertes
frei von Schulden erhalten muss , da sonst durch eine über-
mässige Belastung der auf die Erhaltung eines leistungsfähigen
bäuerlichen Besitzstandes hinzielende Zweck des Sonderrechts nicht
i) Nach der Erklärung der Regierung soll nicht das Bezirksamt, sondern der Be-
zirksrat zuständig sein.
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58 I. Teil. Das Hofgüterrecht.
erreicht wird. Zu diesem Zwecke können die Pflichtteile auf die
Hälfte der gesetzlichen Pflichtteilportionen beschränkt werden. Es
kann daher beim Vorhandensein von einem Erben, d. h. des An-
erben das Hofgut zu 80 Prozent mit Schulden belastet sein. Der
gesetzlich zulässige Höchstbetrag von hypothekarischer Belastung
richtet sich demgemäss nach der Anzahl der Miterben, sodass
also, wenn ausser dem Anerben noch 9 Miterben vorhanden sind,
die mögliche Belastung des Ertragwertes 55 Proz. betragen kann.
Es ist selbstverständlich, dass das Anerbenrecht dort nicht
am Platze ist, wo die Möglichkeit des Uebernehmers sich auf dem
Gute zu halten nicht gewährleistet wird. In einem solchen Falle,
wo die Belastung mit Schulden übermässig hoch ist, sodass dem
Anerben nicht einmal die ihm gesetzlich zustehenden 20 Prozent
des Ertragswertes frei von Schulden überwiesen werden können,
cessiert das Anerbenrecht (§ 15, Ziffer i.)
Eine eigentliche Bevorzugung des Anerben durch Gewährung
eines Voraus kennt das neue Gesetz nicht. Ebenso wenig ent-
hält es eine Bestimmung, wonach der abtretende Anerbe Anspruch
auf die Gewährung eines Abtrittgeldes hat (§ lo). Ein solcher
Anspruch steht im Widerspruch zu der dem Anerbenrechtsinsti-
tute zu Grunde Hegenden Auffassung, dass die Begünstigung des
Anerben nur unter dem Gesichtswinkel als gerechtfertigt zu be-
trachten ist, als dadurch die Erhaltung der Leistungsfähigkeit des
Hofes erreicht wird. Der Anerbe kann übrigens auf das Anerben-
recht ohne Verzicht auf die Erbschaft verzichten.
Eine weitere, in der Natur des landwirtschaftlichen Betriebes
begründete Vergünstigung statuiert § 11 des Gesetzes. Danach
kann der Anerbe verlangen, dass ihm zur Tilgung der Forder-
ungen der Pflichtteilsberechtigten und der Miterben fünf gleiche
zu 4 Prozent verzinsliche Jahrestermine bewilligt werden. Die
Sicherstellung der Forderungen der weichenden Erben muss nach
§ 232 B. G. B. erfolgen.
Eine fernere Rücksichtnahme des Gesetzes auf die besonderen
Verhältnisse der Landwirtschaft ergiebt sich aus einer präziseren
und deutlicheren Normierung im Hinblick auf diejenigen Fälle,
wo der vom Erblasser nominierte Anerbe wegen Geisteskrankheit
Verschwendung oder Trunksucht zur Uebernahme des Hofgutes
ungeeignet ist. Das Gesetz bestimmt hierüber in § 8 : »Wer zur
Zeit des Erbfalls entmündigt ist, und ebenso wer infolge eines
spätestens 6 Wochen nach dem Erbfall gestellten Antrages ent-
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C. Die Anerbenrechtsgesetzgebung des Grossh. Baden im 19. Jahrh. 59
mündigt wird, ist vom Anerbenrecht ausgeschlossen.« Dadurch
ist den Miterben die Möglichkeit gegeben, in Gemeinschaft mit dem
Obervormundschaftsgerichte die diesbezüglichen Entscheidungen
zu trefifen. Bekanntlich hatte nach dem Edikt vom 23. März 1808
bislang die Unterpolizeibehörde über die Tauglichkeit des erwähl-
ten Anerben zu entscheiden; die Misslichkeit dieser Thatsache
liegt auf der Hand.
Ein nicht minder im Interesse der Kontinuität des landwirt-
schaftlichen Betriebes gelegene Bestimmung bezieht sich auf die
durch § 14 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geregelte Todeserklä-
rung. Danach ist die Todeserklärung zulässig, wenn seit 10 Jahren
keine Nachricht von dem Leben des Verschollenen eingegangen
ist. Demgegenüber bestimmt § 9 des neuen Gesetzes, dass das
Nachlassgericht unter Anwendung der vorgeschriebenen Formali-
täten auf Antrag eines Beteiligten den Berechtigten auffordern
kann, innerhalb einer Frist von 6 Monaten seine Rechtsansprüche
geltend zu machen. Erfolgt innerhalb dieser Frist keine Erklä-
rung, so geht das Anerbenrecht endgültig auf den Nächstberufenen
über.
Bezüglich der Testierfreiheit des Erblassers, welche im Ar-
tikel 64, Absatz 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Ge-
setzbuch ausgesprochen ist, könnten Zweifel entstehen, ob eine
von Seiten des Erblassers durch testamentarische Verfügung ver-
ordnete Aufhebung der Gebundenheit des Hofguts gesetzliche
Wirkung erhält. Demgegenüber bestimmt jedoch der Artikel 119
Ziffer 2 des Einführungsgesetzes, dass diejenigen landesgesetzlichen
Vorschriften unberührt bleiben, welche die Teilung eines Grund-
stücks oder die getrennte Veräusserung von Grundstücken, die
bisher zusammen bewirtschaftet worden sind, untersagen oder be-
schränken. Während also Artikel 64 dem Erblasser die volle
Testierfreiheit gestattet, kann nach Artikel 119 die Landesgesetz-
gebung die Teilung schlechthin verbieten. Dieses Verbot erstreckt
sich aber sowohl auf die Verfügungen unter Lebenden, wie auch
auf die letztwillige Verfügung des Erblassers. Da ferner der
Zweck der Anerbenrechtsgesetzgebung durch eine absolute Te-
stierfreiheit in einem solchen Falle vollständig illusorisch gemacht
wird, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass hier der Ar-
tikel 64 als durch den Artikel 119 eingeschränkt zu erachten ist*
Der Bericht der Justizkommission der ersten Kammer spricht sich
hierüber wie folgt aus : »Die Artikel 64, Absatz 2 und 119 Ziffer 2
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6o I. Teil. Das Hof güterrecht.
können in ihrem vollen Umfange nicht nebeneinander zur Durch-
führung gebracht werden. Wenn die Landesgesetze die Teilung
von Grundstücken untersagen dürfen, so müssen sie auch die letzt-
willige Verfügung des Eigentümers in dieser Richtung einschränken
können. Wenn andererseits der Eigentümer in seiner letztwilligen
Verfügung schlechterdings nicht beschränkt werden darf, so kann
ihm die Teilung des Grundstücks nicht verboten werden. Es muss
also der Artikel 64 durch den Artikel 119 oder der Artikel 119
durch den Artikel 64 eingeschränkt werden. Hierbei wird aber
nicht zu bestreiten sein, dass der Artikel 119 in seinem vollen Um-
fang aufrecht erhalten werden muss, und dass es sich mithin nur
um eine Einschränkung des Artikel 64 handeln kann. Der Aus-
schluss der Teilung die der Artikel 119 der Landesgesetzgebung
ermöglicht, erscheint gerade bei Grundstücken, die dem Anerben-
recht unterworfen sind, besonders naheliegend und es ist deshalb
ganz angemessen, dass die in Artikel 64 anerkannte Testierfreiheit
des Erblassers in Bezug auf die Teilung des Grundstücks durch
Artikel 119 eingeschränkt wird.«
2) Eheliches Güterrecht.
Bei dem engen Zusammenhange des Anerbenrechts im en-
geren Sinne mit dem ehelichen Güterrecht ist die Notwendigkeit
der Regelung desselben durch die Landesgesetzgebung einleuch-
tend. Von ganz besonderer Wichtigkeit ist hiebei die rechtliche
Stellung, welche der überlebende Ehegatte einnimmt.
Bekanntlich gilt als gesetzliches eheliches Güterrecht des Bür-
gerlichen Gesetzbuches, soweit keine vertragsmässige Vereinba-
rung vorliegt, das System der sogenannten Verwaltungsgemein-
schaft. Daneben sind die übrigen Hauptformen der bislang in
Deutschland gebräuchlich gewesenen Güterrechtssysteme, die Güter-
trennung, die allgemeine Gütergemeinschaft, die Errungenschafts-
gemeinschaft und die Fahrnisgemeinschaft beibehalten worden,
hauptsächlich um den Ehegatten die Abschliessung von Ehever-
trägen zu erleichtern.
Bezüglich der Erbfolge des überlebenden Ehegatten bestimmt
§ 1931 B. G. B., dass »der überlebende Ehegatte neben Verwand-
ten erster Ordnung zu einem Vierteile neben Verwandten der zweiten
Ordnung oder neben Grosseltern zur Hälfte der gesetzlichen Erbschaft
berufen ist. Treffen mit Grosseltern Abkömmlinge von Grosseltern
zusammen, so erhält der Ehegatte auch von der anderen Hälfte
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C. Die Anerbenrechtsgesetzgebung des Grossh. Baden im 19. Jahrh. 61
den Anteil, der nach § 1926 den Abkömmlingen zufallen würde.
Sind weder Verwandte der ersten oder der zweiten Ordnung
noch Grosseltern vorhanden, so erhält der überlebende Ehegatte
die ganze Erbschaft.«
Desgleichen gebühren nach § 1932 B. G. B. ihm ausser dem
Erbteile die zum ehelichen Haushalte gehörenden Gegenstände,
soweit sie nicht Zubehör eines Grundstückes sind, und die Hoch-
zeitsgeschenke als Voraus.
Nach bisherigem Recht war der überlebende Ehegatte zur
Uebernahme des Hofgutes berechtigt, falls ihm durch Ehevertrag
oder durch letztwillige Verfügung eine solche Befugnis verliehen war.
Bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft, welche in diesem
Falle als ein neues Rechtsinstitut in die Erscheinung tritt, ist nach
§ 1 502 B. G. B. der überlebende Ehegatte berechtigt, das Gesamt-
gut gegen Ersatz des Wertes zu übernehmen. In Uebereinstim-
mung mit der durch das ueue Gesetz vom 28. August 1898 be-
stimmten Schätzung nach dem Ertragswerte, ist auch hier unter
»Wert« der Ertragswert zu verstehen (§ 19 des Gesetzes).
Im Uebrigen darf als Regel gelten, dass der überlebende Ehe-
gatte zur Uebernahme des Hofguts berechtigt ist.
§ 19 des neuen Gesetzes regelt diese Materie in folgender
Weise : »Gehört ein geschlossenes Hofgut zu dem Gesamtgut
(Gemeinschaftsvermögen) einer durch den Tod eines Ehegatten
aufgelösten allgemeinen oder beschränkten Gütergemeinschaft, so
gelten, soweit nicht abweichende Bestimmungen getroffen sind,
folgende Vorschriften :
1. Hat der verstorbene Ehegatte das Hofgut in die Güterge-
meinschaft eingebracht, oder während der Gütergemeinschaft durch
Erbfolge, durch Vermächtnis oder mit Rücksicht auf ein künftiges
Erbrecht durch Schenkung oder als Ausstattung erworben, so ist
das Hofgut nebst Zubehör gegen Ersatz des Ertragswertes dem
Anteil des Verstorbenen zuzuschreiben, wenn derselbe einen Ab-
kömmling hinterlassen hat, welcher das Hofgut als Alleinerbe er-
hält oder als Anerbe übernimmt.
2. Findet vorstehende Bestimmung keine Anwendung, so kann
der überlebende Ehegatte verlangen, dass ihm bei der Ausein-
andersetzung das Gut nebst Zubehör gegen Ersatz des Ertrags-
wertes überlassen wird. Das Recht geht nicht auf den Erben über.
Macht der überlebende Ehegatte von diesem Rechte keinen
Gebrauch, so ist das Hofgut nebst Zubehör gegen Ersatz des Er-
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62 I- Teil. Das Hofgüterrecht.
tragswertes dem Anteil des verstorbenen Ehegatten zuzuschreiben,
wenn derselbe einen Abkömmling hinterlassen hat, welcher das
Hofgut als Alleinerbe erhält oder als Anerbe übernimmt.«
Ferner bestimmt § 20 des Gesetzes : »Gehört ein geschlosse-
nes Hofgut zu dem Gesamtgut einer bei Lebzeiten des über-
lebenden Ehegatten beendigten fortgesetzten Gütergemeinschaft,
so finden die Vorschriften des § 19 mit der Massgabe Anwendung,
1. dass an Stelle der Abkömmlinge des verstorbenen Ehe-
gatten die anteilsberechtigten Abkömmlinge treten,
2. dass dem überlebenden Ehegatten die Befugnis zur Ueber-
nahme nicht zusteht, wenn die fortgesetzte Gütergemeinschaft durch
Urteil aufgehoben ist (§§ 1495 und 1496 B. G. B.).«
Jedenfalls müssen, sofern der verstorbene Ehegatte das Hof-
gut eingebracht oder durch Erbfolge, durch Vermächtnis, oder
mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht durch Schenkung oder
als Ausstattung erworben hat, in erster Linie die Abkömmlinge
und nur eventuell der überlebende Ehegatte zur Uebernahme be-
rechtigt sein.
Diese Regeln und diese Ausnahmen haben natürlich nur in-
soweit Platz zu greifen, als nicht giltige abweichende Bestimmungen
vorliegen. Inwiefern solche zulässig sind, ist lediglich aus den
Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu entnehmen.
Für den Fall, dass allgemeine Gütergemeinschaft bedungen
war, wird die Gütergemeinschaft zwischen den anteilsberechtigten
gemeinschaftUchen Abkömmlingen und dem überlebenden Ehegatten
fortgesetzt. Nur bei Wiederverheiratung des Ehegatten (§ 1493
B. G. B.), durch Erklärung des Ehegatten gegenüber dem Nach-
lassgerichte (§ 1492 B. G. B.), oder durch Urteil auf die Klage
eines anteilsberechtigten Abkömmlings hin (§ 1495 B. G. B.), findet
die Auseinandersetzung zwischen dem Ehegatten und den anteils-
berechtigten Abkömmlingen statt.
c. Die Veräusserung des Anerbengutes durch den Anerben.
Die Anerbenrechtsgesetzgebung ist naturgemäss nur dann am
Platze, wenn sie auf die Auffassung gegründet ist, dass die Person
des Anerben, losgelöst von dem Objekte, von der Begünstigung
nicht getroffen werden dürfe. Nur sofern der Anerbe die Absicht
hat, das Gut dauernd zu übernehmen, und er in ihm das Mittel
zur Verwertung seiner Arbeitskraft und zur Beschaffung seines
Unterhalts erblickt, erscheint eine Bevorzugung gegenüber den
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D. Die heutigen Vererbungsgewohnheiten im Gebiete der geschlossenen Hofgüter, g^
weichenden Erben gerechtfertigt. Es miiss daher Vorsorge ge-
trofifen werden, dass nicht der Anerbe in Verkennung des Wesens
des Anerbeninstituts das Gut als ein mögüchst bald zu veräus-
serndes Wertobjekt betrachtet.
Das Gesetz hat von einem Vorkaufsrechte, welches den Mit-
erben, im Falle der Anerbe sein Gut veräussern will, einzuräumen
sei, abgesehen. Die Regierung glaubte dieses durch die Erwä-
gung begründen zu können, dass ja de facto nur in den selten-
sten Fällen einer der Miterben im Stande wäre, in den Vertrag
einzutreten, wenn bei einem solchen Verkaufe Baarzahlung des
gesamten Preises ausbedungen sei. Dagegen hat man den Mit-
erben einen Anspruch auf den Mehrerlös zugesichert durch die
Vorschrift, dass im Falle des Hofgutsverkaufs durch den Anerben
innerhalb einer Frist von lo Jahren, der erzielte Kaufpreis einer
Berichtigung der stattgehabten Auseinandersetzung zu Grunde ge-
legt werden soll. Ebenso sollen auch die beteiligten Pflichtteils-
berechtigten eine entsprechende Nachzahlung, — bis zum vollen
Betrage des gesetzlichen Pflichtteils zu verlangen berechtigt sein
(§23 des Gesetzes).
Nach § 24 des Gesetzes kann jeder Miterbe und jeder Pflicht-
teilsberechtigte bei der Auseinandersetzung verlangen, dass der
ihm zustehende Anspruch durch eine Sicherungshypothek an dem
Hofgut sicher gestellt wird (vgl. § 1190 B. G. B. und § 3132 L. R. S.).
Bei Bemessung des Höchstbetrages, bis zu welchem das Grund-
stück haften soll, ist in Ermangelung eines Uebereinkommens von
dem Gesichtspunkte auszugehen, dass ein künftiger Kaufpreis den
bei der Auseinandersetzung massgebenden Ertragswert um ein
Drittteil übersteigen kann. Durch die Sicherungshypothek können
sich die Beteiligten somit ihre Ansprüche schon bei der Ausein-
andersetzung sichern. Dabei ist es nach § 26 des Gesetzes er-
forderlich, dass die Miterben und Pflichtteilsberechtigten binnen
Jahresfrist ihre Ansprüche geltend gemacht haben. Die Frist be-
ginnt mit dem Tage, an welchem die Miterben und Pflichtteils-
b^rechtigten von der Veräusserung Kenntnis erhalten haben, spä-
testens aber mit dem Tage der Auflassung im Grundbuche.
Durch dieses Gesetz, welches gleichzeitig mit dem Bürger-
lichen Gesetzbuch am i. Januar 1900 in Kraft tritt, sind das Edikt
vom 23. März igoS, die Landrechtssätze 827 c — g und das Ge-
setz vom 23. Mai 1888, die geschlossenen Hofgüter betreffend,
aufgehoben.
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64 !• Teil. Das Hofgüterrecht.
Ferner erhält § 25, Ziffer 38 des Gesetzes vom 4. Juni 1888
die Gebühren in Verwaltungs- und verwaltungsgerichtlichen Sachen
betreffend, folgenden Zusatz :
c. zur Aufhebung eines geschlossenen Hofguts 20 — 100 Mk
D. Die heutigen Vererbungsgewohnheiten im Gebiete der
geschlossenen Hofgüter^).
Die heutigen Vererbungsgewohnheiten unterscheiden sich nur
wenig von denen in früherer Zeit. Es ist das ja auch ganz na-
türlich, zumal die Gesetzgebung, wie wir gesehen haben die alten
Rechtsgewohnheiten der Hofbauern in Normen fixiert hat, die
durchaus den bestehenden Verhältnissen entsprachen, während
dort wo das allgemeine Landrecht einzusetzen hat, also besonders
hinsichtlich des ehelichen Güterrechts die freie Vereinbarung durch
Vertrag unangetastet bleibt.
Auch heute noch ist die Vererbung an den jüngsten Sohn
die Regel. Wir haben bereits die Vorzüge des Minorats kennen
gelernt.
Was in früherer Zeit galt, ist auch heute noch zutreffend, —
dass nämlich das Minorat das den Verhältnissen der Schwarz-
waldbetriebe am besten angepasste Vererbungssystem ist.
Wenngleich mit der Ablösung der bäuerlichen Lasten einer
der Hauptvorzüge des Minorats, nämlich die Hinausschiebung der
Drittteilsschuldigkeit seine Geltung verloren hat, so sind es doch
auch heute noch die aus der relativen Seltenheit des Besitzwechsels
und aus der langen Wirtschaftsdauer des Besitzers resultierenden
Vorteile, welche zu Gunsten der Vererbung an den jüngsten Sohn
sprechen. Wir wollen hier nur kurz wiederholen, was wir bereits
an anderer Stelle ausführlicher behandelt haben, dass nämlich durch
das Minorat auf der einen Seite eine bessere Versorgung der erst-
geborenen Kinder und auf der anderen Seite eine Abkürzung und
Abschwächung der Leibgedingslast erzielt wird.
Der vom Gesetze berufene Anerbe oder Vorteilserbe ist, wie
wir kennen gelernt haben, der jüngste Sohn oder in Ermanglung
von Söhnen die älteste unversorgte Tochter. Wenn daher in Ehe-
verträgen schlechthin von dem vorteilsberechtigten Kinde die Rede
ist, so spricht die rechtliche Vermutung dafür, dass darunter der
i) Die folgenden Darstellungen stützen sich vornehmlich auf persönliche — münd-
liche oder schriftliche — Mitteilungen, welche wir der Freundlichkeit der Herren Amts-
richter, Notare, Landwirte und anderer Gewährsmänner zu verdanken haben.
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D. Die heutigen Vererbungsgewohnheiten im Gebiete der geschlossenen Hofgüter. Qc
jüngste Sohn oder in Ermanglung männlicher Nachkommenschaft
die älteste Tochter verstanden ist. Uebrigens ist die Vererbung
ab intestato eine grosse Seltenheit. Sofern ein Hof bauer plötzlich
verstirbt, ohne ein Testament hinterlassen zu haben, so ist doch
durchweg im Ehevertrage bezüglich der Uebernahme des Hofguts
das Nähere bestimmt worden. Es könnte also die Intestaterbfolge
nur dann in Frage kommen, wenn kein Ehevertrag, worin über
das Hofgut bestimmt ist, abgeschlossen ist. Dieser Fall ist aber
wohl nur ganz selten zu verzeichnen, da regelmässig die Braut-
leute vor ihrer Verehelichung einen Ehevertrag zu schliessen pflegen,
worin ebenso regelmässig die Bestimmungen über die Uebernahme
des Hofgutes im Falle der Auflösung der Ehe durch den Tod
enthalten sind.
Wenn der jüngste Sohn wegen körperlicher oder geistiger
Gebrechen zur Uebernahme des Hofgutes unfähig ist, so geht das
Vorteilsrecht an den nächstältesten Bruder über. Wenn auch die
Vererbung an den jüngsten Sohn die Regel bildet, so ist es doch
nicht gerade eine grosse Seltenheit, dass der alte Hof bauer den
Hof demjenigen seiner Kinder übergiebt, welches er nach Lage
der Verhältnisse als am geeignetsten zur Uebernahme erachtet.
Auch soll es hin und wiederum vorkommen, dass selbstsüch-
tige Motive den abtretenden Besitzer bei der Bestimmung* des An-
erben geleitet haben, z. B. ein hoher Uebernahme-(Kauf-)preis,
d. h. dasjenige seiner Kinder erhielt den Hof, welches das höchste
Angebot machte, oder dem abtretenden Hofbauern das beste Leib-
geding zu gewähren sich verpflichtete. — Allein solche Fälle sind
nicht häufig und ändern nichts an der auch heute noch allgemein
üblichen Gewohnheit das Hofgut an den jüngsten Sohn zu über-
geben (verkaufen). Wenn keine männlichen Nachkommen vor-
handen sind, — was ja auch ein relativ seltener Fall ist, — be-
kommt die älteste Tochter den Hof, indem auch heute noch hier-
bei der alte Zweckmässigkeitsgrund , dass die älteste Tochter auf
diese Weise am besten an den Mann zu bringen sei, massgebend
sein dürfte.
Der Uebergang des Hofguts vollzieht sich in der Form des
Kaufes, nämlich des sogenannten Kindskaufes. Die Taxierung des
Hofgutes erfolgt zumeist willkürlich. Der Steueranschlag der
Liegenschaften und die Brandversicherungssumme der Gebäude
dürften jedoch in den meisten Fällen der Taxation zu Grunde ge-
legt werden. Die Höhe der Kaufsumme ist gewöhnlich etwas
Volkswirtschaft!. Abhandl. IV. Bd. C
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66 I. Teil. Das Hofgüterrecht.
niedriger als der Steueranschlag ; sie beläuft sich beispielsweise
im Amtsbezirk Waldkirch auf lo Prozent unter dem eigentlichen
Steuerkapitalwerte. Doch lassen sich bestimmte Regeln nicht auf-
stellen, welche bei der Taxation in allgemeiner Anwendung sich
befinden. »Es ist auch nicht selten, dass ein Hof, auf dem ziem-
liche Schulden ruhen, höher taxiert wird, um den Schein einer
gewissen Wohlhabenheit zu erwecken. Fast durchweg ist dann
der Preis derartig, dass ein Fremder den Hof um den festgesetzten
Preis mit den daraufgelegten Leibgedingsrechten u. s. w. kaum
übernehmen würde« ^).
Ebenso hat sich aus den Erhebungen über die Lage der
Landwirtschaft vom Jahre 1883 ergeben, dass in den betreffenden
Gemeinden durchweg die Höfe um einen zu hohen Preis über-
nommen werden^).
Immerhin zeigt sich wohl überall das Bestreben, das Hofgut
dem vorteilsberechtigten Erben zu dem kindUchen Anschlage, d. h.
etwas unter dem währen Werte zu überlassen. Dabei dürfte es
denn häufig genug vorkommen, zumal der Steuerkapitalan-
schlag nur einen sehr bedingten Schätzungsmassstab gewährt, —
dass der ermittelte und dem kindlichen Anschlage zu Grunde
liegende Wert nicht den wahren Wert des Hofguts darstellt, sondern
in sehr vielen Fällen den wahren Wert übersteigt. Die von uns
bereits erwähnten Klagen über die Belastung des Gutsübernehmers
durch einen zu hohen Uebernahmepreis dürften eben auf das Un-
vermögen der Beteiligten zurückzuführen sein, den Hof den that-
sächlichen Verhältnissen entsprechend zu schätzen.
Das Hofgut wird dem Gutsnachfolger vermittelst eines Ueber-
gabe- oder Kaufvertrages übergeben, die etwa vorhandenen Schulden
müssen mit übernommen und die Miterben in Geld abgefunden
werden. Diese Abfindungsbeträge werden als Gleichstellungsgelder
gewöhnlich auf das Hofgut eingetragen und verzinst mit dem beider-
seitigen Rechte der vierteljährlichen Kündigung. Der Zinsfuss
bewegt sich fast niemals über 4 Prozent. Das Hofgut wird über-
geben in seiner Totalität: Ackerfeld, Wiesen, Wald, »Wunn und
Waid«. Zugleich mit den Liegenschaften werden die Fahrnisse,
tote und lebende übergeben und nur das notwendigste an Fahr-
nissen, wie z. B. Mobiliargegenstände und Kleidungsstücke vor-
i) Amtsbez. Oberkirch.
2) Die Erhebungen über die Lage der Landwirtschaft in Baden , Oberwolfach,
Bd. II, 20 und Steig, Bd. II, 22.
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D. Die heutigen Vererbungsgewohnheiten im Gebiete der geschlossenen Hofgiiter. 6/
behalten. Der Uebernehmer hat die Verpflichtung die auf dem
Hofgut ruhenden Lasten, bekannte wie unbekannte, die Steuern,
Umlagen und Brandkassengelder mit dem Datum zu übernehmen,
wo er in den Besitz und Genuss der übergebenen Objekte tritt.
Zu der Uebergabe zufolge Vertrags, der vielfach als »Ueber-
gabs- und Schenkungsvertrag« bezeichnet ist, wird gewöhnlich
staatspolizeiliche Genehmigung bei dem zuständigen Bezirksamte
eingeholt.
Eine solche staatspolizeiliche Genehmigung ist erforderlich,
sofern in der That eine Vermögensübergabe vorliegt und der Ueber-
geber das 63. Lebensjahr noch nicht erreicht hat (Edikt vom 15.
September 1807). Wir wollen hierbei nicht unterlassen darauf hin-
zuweisen, dass die Charakterisierung des Vertrags als Uebergabs-
vertrag eine irrtümliche ist, denn unter Eigentumsübergabe ist der-
jenige Schenkungsvertrag zu verstehen, durch welchen jemand bei
Lebzeiten seinen Erben das Eigentum seines Vermögens über-
lässt ohne solches höher als bis auf zwei Drittteil seines jährlichen
Ertrags zu belasten^). Der Vertrag ist vielrnehr ein Kaufvertrag
in dem juristischen Gewände eines Leibgedingsvertrages, ohne dass
staatspolizeiliche Bestätigung erforderlich wäre, sofern damit nicht
eine Verpfründung verbunden ist. Der Uebernehmer erhält
dann die übergebenen Fahrnisse und Liegenschaften als Käufer;
der Kaufpreis ist zu zahlen durch Abzug der Schulden, und der
nach Abzug des Vorempfangs verbleibende Rest ist an die Ueber-
geber hinaus zu bezahlen. Somit sind Uebergaben, welche ihrem
Inhalte nach als Käufe oder sonst belastete Verträge sich darstellen,
nicht nach den Vorschriften für Schenkungen zu beurteilen^).
Staatspolizeiliche Bestätigung ist nicht erforderlich bei Vermögens-
übergaben, welche mit solchen Lasten verbunden sind, dass da-
durch das Wesen einer Schenkung aufgehoben wird^). Bei Ver-
mögensübergaben kann wohl der Ertrag belastet sein, der Kapital-
wert selbst jedoch bleibt dem Uebernehmer, weshalb ein Vertrag,
in welchem der Uebernehmer nur einen Teil des vereinbarten
Wertes des übergebenen Besitztums erhält, den übrigen Teil
aber an den Uebergeber, bezw. dessen Gläubiger herausbezahlen
muss, die rechtliche Natur eines Kaufs und nicht einer Vermögens-
i) Trefurt, System des badischen Zivilrechts, 1824, S. 494.
2) Koch, B.L.R. I. Bd. S. 314.
3) Annalen der Grossh. Badischen Gerichte XX, S. 130.
5*
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68 I. Teil. Das Hofgüterrecht.
Übergabe hat, wenngleich die Verträge alsi^ solche bezeichnet
werden.
Ein Notariatsakt, welcher im Stile eines Schenkungsaktes re-
digiert ist, dagegen dem darin erwähnten Schenknehmer Lasten
und Dienste auferlegt, welche als vollständiger Ersatz für die
Schenkung betrachtet werden können, ist keine Schenkung^). So-
fern also nicht das Kriterium der Schenkung unter Lebenden nach
L. R. S. 894 sich vorfindet, d. h. keiner Vermögensbereicherung
des Nehmers auf Kosten des Schenkers stattfindet, wird der Vertrag
als Kaufvertrag zu gelten haben. Es wird also nur dann der
Vertrag als Schenkungsvertrag und zwar als Schenkung mit Nutz-
niessungsvorbehalt und Leibrente zu gelten haben, wenn der Wert
der Uebergabsobjekte grösser ist als der Uebernahmspreis. —
Falls die Ehe durch den Tod des einen Eheteils aufgelöst
wird, ist der überlebende Ehegatte meistens laut Ehevertragsbe-
stimmung berechtigt, Fahrnisse und Liegenschaften um einen billigen
gerichtlichen Anschlag zu übernehmen. Dasselbe geschieht zu-
folge Testaments auf Grund einer ähnlich lautenden Bestimmung,
jedoch durchweg nur zu Gunsten des Ehegatten, und falls ein solcher
nicht vorhanden ist zu Gunsten eines Abkömmlings. Dabei wird
jedoch sowohl im Ehevertrage wie im Testamente die Vorteilsge-
rechtigkeit der Kinder erster Ehe vorbehalten.
Im Falle der kinderlosen Auflösung der Ehe erbt der über-
lebende Teil, sofern die allgemeine Gütergemeinschaft vereinbart
ist, als alleiniger Erbe die sämtlichen Liegenschaften und Fahr-
nisse. Jedoch wird hierbei zumeist ausbedungen, dass er aus der
Hinterlassenschaft eine bestimmte Geldsumme an die Erben des
verstorbenen Ehegatten hinauszuzahlen hat.
In jedem Falle hat der überlebende Teil das Recht bis zur
Volljährigkeit des vorteilsberechtigten Kindes erster Ehe auf dem
Hofgute fortzuhausen. Auch bis zu einem bestimmten Alter, etwa
bis zum 26. oder 28. Lebensjahre des vorteilsberechtigten Kindes
wird das Forthausungsrecht gewährt (Abzk. Wolfach). Oft wird
auch im Ehevertrage bestimmt, dass der Bräutigam die Wahl des
vorteilsberechtigten Kindes haben soll.
In dem grössten Teile des Hofgütergebiets gilt auch heute
noch wie ehedem als eheliches Güterrecht die allgemeine Güter-
gemeinschaft, welche durch Vertrag bedungen ist (L. R. S. 1 526 fg.).
i) Annalen der Grossh. Badischen Gerichte XXI, S. 46, XXIV, S. 301, XXVI,
S. 190, XXIX, S. 291.
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D. Die heutigen Vererbungsgewohnheiten im Gebiete der geschlossenen Hofgüter, gn
Die allgemeine Gütergemeinschaft erstreckt sich auf das beider-
seitige gegenwärtige und zukünftige Liegenschafts- und Fahrnis-
vermögen der Ehegatten. Es kommt jedoch auch vor, dass die
sich bildende Gemeinschaft auf die Errungenschaft beschränkt ist.
Dann erhält beim Vorabsterben des Ehemannes die Witwe einen
Kindsteil erb- und eigentümlich. In einigen Amtsbezirken, z. B.
im Amtsbezirk Oberkirch und im oberen Bezirke des Amtsbe-
zirks Wolfach, auch nicht selten in den Amtsbezirken Freiburg
und Neustadt ist das regelmässige eheliche Güterrecht das in
L. R. S. 1500 fg. enthaltene. Danach ist die fahrende Habe aus
der Gütergemeinschaft ausgeschlossen. Es wird jedoch gewöhn-
lich ein bestimmter Geldbetrag, etwa 30 — 100 Mark, in die Güter-
gemeinschaft eingeworfen, während alles Uebrige stillschweigend
für vorbehalten erklärt ist. Schreitet der überlebende Ehegatte
zu einer weiteren Ehe, so ändert sich in dem bestehenden Rechts-
zustande nichts; der überlebende Ehegatte hat regelmässig das
Hofgut zufolge Ehevertragsbestimmung erhalten und schuldet den
Erbteil der Kinder in Gleichstellungsgeld bezw. in einer soge-
nannten Geldsumme. In seinem Ehevertrage verschreibt der über-
lebende und sich wieder verheiratende Ehegatte das Recht
zur Uebernahme des Hofguts wieder seinem zweiten Ehegatten.
Dies wiederholt sich hin und wieder zwei bis dreimal, sodass oft
der Ehegatte, welcher das Hofgut besitzt, mit den Erben des
ersten Besitzers überhaupt nicht mehr verwandt und verschwägert
ist (Abzk. Oberkirch).
In den meisten Amtsbezirken des Hofgütergebietes ist es je-
doch die Regel, dass der überlebende Eheteil nur bis zur Gross-
jährigkeit oder bis zu einem bestimmten Alter des vorteilsberech-
tigten Kindes erster Ehe laut Ehevertrag das Hofgut besitzt
Schreitet der überlebende Teil zur zweiten Ehe, so wird gewöhn-
lich die beschränkte Gütergemeinschaft und zwar die Errungen-
schaftsgemeinschaft stipuliert, indem ebenfalls ein Einwurf von
30 bis 100 Mark in die Gemeinschaft erfolgt. In einem solchen
Falle vermacht der Bräutigam seiner Braut, falls sie die minder-
vermögende ist, einen Kindsteil, der jedoch nach dem Gesetze
ein Vierteil des Vermögens nicht überschreiten darf. Die über-
lebende Witwe hat dann auch das Forthausungsrecht, sofern der
Vorteilsberechtigte zur Uebernahme noch nicht befähigt ist, muss
jedoch oftmals einen billigen Pachtzins zahlen. Natürlich hat der
zweite überlebende Ehegatte auch bei der Errungenschaftsgemein-
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70 !• Teil. Das Hofgüterrecht.
Schaft die Wohnungs- und Leibgedingsrechte zur unentgeltlichen
und lastenfreien lebenslänglichen Ausübung (Abzk. Waldkirch).
Der alte Hofbauer tritt selten vor dem sechzigsten Lebens-
jahre ab. In den meisten Fällen wirtschaftet er so lange, bis der
vorteilsberechtigte jüngste Sohn im Stande ist, den Hof zu über-
nehmen.- Da die Ehen der Schwarzwälder Hof bauern sehr kinder-
reich und acht bis zehn Kinder in einer Ehe keine Seltenheit sind,
tritt der Zeitpunkt der Hofesübergabe durchschnittlich nach 35
Jahren der Wirtschaftsdauer des alten Hofbesitzers ein. Dann
ist der jüngste vorteilsberechtigte Sohn auch gewöhnlich in dem
Alter, wo er selbständig den Hof bewirtschaften kann.
Der abtretende Hofbesitzer macht sich für sich und seine
Frau ein Leibgeding aus. Der Inhalt eines solchen Leibgedings
setzt sich gewöhnlich aus einer grossen Summe von sehr detaillierten
Wohnungs- und Nutzungsrechten zusammen ^). Grössere Hofgüter
besitzen ein eigenes Leibgedingshaus, auch »Speicher« genannt.
In dieses ziehen sich die abtretenden alten Hofbauern zurück.
Dem Hofesübernehmer liegt die Pflicht ob, das Leibgedingshaus
stets im geordneten Zustande zu erhalten. Gewöhnlich muss er
den Leibgedingsleuten eine Milchkuh stellen, »entweder die erste
oder zweite Wahl im Stalle«.
Entweder haben sich die alten Leute das Recht vorbehalten,
die ihnen überlassene Kuh auf die Weide des Uebernehmers gehen
zu lassen, oder aber der Uebernehmer ist verpflichtet, die Kuh
der Uebergeber mit seinem eigenen Futter gut zu füttern und das
erforderliche Streumaterial zu liefern, wohingegen der sich er-
gebende Dung Eigentum des Uebernehmers wird. Falls die Ueber-
geber keine Kuh mehr halten wollen , ist der Uebernehmer ver-
pflichtet, ein entsprechendes, tägliches Quantum süsser Milch und
zwar — wie die übliche Redensart lautet — »frisch von der Kuh
weg« zu stellen. Ebenso hat der junge Hof bauer eine Reihe von
Naturalleistungen an die Uebergeber zu gewähren. Diese bestehen
. meist in Fleisch, Cerealien u. dgl. Beispielsweise bedingen sich
die Uebergeber das Recht aus, jeden Monat einmal »das Wägele«
des Hofbauern benützen zu dürfen. Desgleichen hat der Ueber-
nehmer den Leibgedingsleuten das nötige Brennholz in bestimmten
Fristen zu verabfolgen. Neben derartigen Naturalleistungen wird
auch oft eine kleine, in bestimmten Terminen zu verabreichende
Geldsumme ausgemacht. Solange es irgend geht, führen die Leib-
i) Vgl. Anlage.
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D. Die heutigen Vererbungsgewohnheiten im Gebiete der geschlossenen Hofgüter. 7 1
gedingsleute ihren gesonderten Haushalt. Zu diesem Zwecke be-
dingen sie sich aus, ein gewisses Quantum Kartoffeln in das ge-
drängte Feld des Hofbauern zu »stecken«, wobei die Quantitäts-
bezeichnung gewöhnlich nach dem alten Hohlmasse, dem Sester
= 15 1 erfolgt
Bei kleineren Hofgütern, Welche kein eigenes Leibgedingshaus
besitzen, haben die alten Leute das Wohnungsrecht im Hause des
Uebergebers. Sie behalten sich beispielsweise das ausschliessliche
Wohnungsrecht im hinteren oder vorderen »Stühle«, in der Neben-
kammer u. s. w. vor, ebenso das Recht in der Küche »auf dem
hinteren Feuerheerd« zu kochen , den Keller unter dem Stühle
zu benützen, das Recht, im hinteren Schweinestall nach Belieben
ein Schwein zu halten, im Kuhstall eine Kuh zu stellen u. dgl.
Häufig wird auch im Vertrage der Wert des Leibgedings in
Geld angeschlagen, dessen achtfacher Betrag gewöhnlich als Be-
standteil des Hofgutspreises zu gelten und das gesetzliche Vor-
zugsrecht zu gemessen hat. Sie behalten sich auch vor, dass sie
jeder Zeit nach ihrem Belieben das Leibgeding verlassen können.
In einem solchen Falle hat der Uebernehmer den Leibgedingsleuten
eine jährliche Geldrente baar auszubezahlen. Es wird auch oft
ausgemacht, dass bei ungebührlicher Behandlung seitens des Guts-
besitzers die Leibgedingsleute verlangen können, dass ihnen neben
der in Geld zu leistenden Entschädigung für das Wohnungsrecht,
die übrigen Leibgedingsabgaben auf 2 Stunden Weges weit nach-
zuführen sind. Sofern die Leibgedingsleute nicht mehr bei Kräften
sind und ihre Hauswirtschaft nicht mehr selbst führen können,
hat der Uebernehmer die Verpflichtung, sie zu verpflegen und auf
Verlangen den Arzt oder den Geistlichen herbeizuholen.
Ein gleiches Wohnungs- und Leibgedingsrecht haben die
minderjährigen, unverheirateten und körperlich oder geistig ge-
brechlichen Geschwister des Anerben. Bei Lebzeiten der Eltern
wohnen diese gewöhnlich in der Wohnung ihrer Eltern. Vom Ab-
leben der Eltern an haben sie dann ähnliche Wohn- und Nutzungs-
rechte »auf die Dauer ihres ledigen Standes«, oder insofern sie
gebrechlich sind, auf Lebenszeit.
Die Leibgedingslast ist für den Uebernehmer oftmals sehr
drückend. Auch nach den Erhebungen vom Jahre 1883 hat sich
für die Gemeinden Steig und Oberwolfach die Thatsache ergeben,
dass sich die Uebergeber häufig ein sehr grosses Leibgeding vor-
behalten, sodass dieses die Rente des ganzes Hofgutes manchmal
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72 I. Teil. Das Hofgüterrecht.
Übersteigt. Desgleichen werden einige Fälle angeführt, wo die
Leibrente schon nach wenigen Jahren die Schenkungssumme über-
stiegen hat. Unter solchen Umständen kann daher der Ueber-
gabevertrag seinem materiellen Inhalte nach, wie bereits von uns
ausgeführt ist, nicht unter dem Begriff Schenkung subsumiert
werden, sondern er ist dann weiTfer nichts als ein Kaufvertrag,
da eine Vermögensbereicherung auf Seiten des Empfängers nicht
vorliegt.
Die Belastung des Hofguts mit Leibgedingsverpflichtungen
drückt den jungen Hofbesitzer dann um so empfindlicher, wenn
ausser den Uebergebern noch ledigen und gebrechlichen, wohnungs-
berechtigten Geschwistern ein Wohnungsrecht eingeräumt wird. In
diesem Falle ist die Belastung eine ziemlich andauernde und vbei
einer grossen Zahl von Geschwistern, zumal da hier — offenbar
infolge des guten Kirschenwassers — ziemlich viele wegen Geistes-
schwäche Verbeistandete sich befinden, eine sehr fühlbare und
erschwert insbesondere die Aufnahme von Kapitalien auf den Hof«
(Abzk. Oberkirch). Bezüglich des Amtsbezirks Waldkirch wird
uns berichtet : »Das Leibgeding ist für den jungen Hofbauern be-
sonders dann sehr belastend , wenn er es ungern giebt, und mit
seinen Eltern nicht gut steht; im anderen Falle geht es so mit,
ohne dass der junge Bauer in arge Bedrängnis gerät. Es ist aller-
dings schon vorgekommen, dass solch ein alter Schlauberger ein
derartiges Leibgeding sich vorbehalten hat, dass der Uebernehmer
in vollständige Abhängigkeit von seinem Vater geriet. Ich selbst
habe schon Leibgedinge verlesen hören, welche mir lieber wären,
als der ganze Hof. Doch sind das nur relativ seltene Ausnahme-
fälle«.
Jedenfalls wird nicht in Abrede gestellt werden können, dass
häufig noch zu einem ohnehin schon hohen Uebernahmspreis ein
starkes Leibgeding hinzukommt. Eine Abstellung dürfte in Zu-
kunft wenigstens bezüglich des gerichtlichen Anschlags dadurch
zu erwarten sein, dass nach dem neuen Gesetze vom 28. August 1898
dem Anschlage des Hofgutes der Ertragswert zu Grunde zu legen
ist. Allerdings dürfte auch so die Taxation nicht sehr leicht, und
nicht immer dürfte der Waisenrichter im Stande sein, das Hofgut
nach dem wahren Werte, d. h. dem Ertrags werte zu schätzen. Bei
der Schwierigkeit der richtigen Abschätzung der Schwarzwälder
Hofgüter ist ein durchaus individuelles Verfahren notwendiger als
beispielsweise in der Ebene , wo die mancherlei physikalischen
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D. Die heutigen Vererbungsgewohnheiten im Gebiete der geschlossenen Hofgüter. 7^
und klimatischen Verschiedenheiten überhaupt nicht vorhanden
oder doch nicht so scharf ausgeprägt sind als im Schwarzwalde.
Daher dürfte es unseres Erachtens zu erwägen sein, ob nicht
besser an Stelle des einen Waisenrichters ein Kollegium von 3
mit den einschlägigen Verhältnissen vertrauten Personen unter
Hinzuziehung eines forstlich gebildeten Sachverständigen, wenig-
stens soweit die Taxation des Waldbesitzes in Frage kommt, zu
treten hätte. Bezüglich der Belastung durch das Leibgeding dürfte
die Einzahlung in eine Lebensversicherungskasse in Erwägung zu
ziehen sein, allerdings müssten dann die Prämiensätze den günstigen
Mortalitätsverhältnissen der Schwarzwälder Bauern Rechnung tragen,
von denen wir sehr leicht nachweisen könnten, dass ihre Lebens-
dauer nicht unbeträchtlich über dem Durchschnitt des Landes
steht.
Angesichts des Umstandes, dass dem Hofbauern mit Ueber-
nahme des Hofgutes eine starke Belastung in Aussicht steht, ist
es nicht zu verwundern, wenn er eine möglichst günstige Heirat
zu machen bestrebt ist. Dieselbe materialistische Auffassung der
Ehe, welche von den Bauern des hannoverschen Ostfriesland ^) be-
richtet wird und ihren Trost in der Auffassung findet : »De Leefde
will woU nahkamen!« — - leitet auch den angehenden Hofbauern
des Schwarzwaldes bei der Wahl seiner zukünftigen Ehehälfte.
Was Schuppt) in seiner drastischen Art hierüber sagt, dürfte
auch heute noch zutreffend sein: »Wenn in hiesiger Gegend eine
Frauensperson eine Hütte und ein paar Grundstücke dabei hat,
und wären es nur auf längere Zeit gepachtete, sie mag so alt,
wie Methusalem oder so hässlich wie die Nacht, oder so unliebens-
würdig wie eine Xanthippe sein, so bekommt sie doch einen
Mann und zwar den jüngsten und schmucksten, ganz nach Aus-
wahl«. Thatsächlich besteht dann auch der Vorzug, den der
junge Bauer seinen Geschwistern gegenüber hat, hauptsächlich
darin, dass er »eine reiche Gegenpartie« bekommt (Abzk. Wolfach).
In ähnlicher Weise wird uns aus dem Amtsbezirk Oberkirch mit-
geteilt, dass zumeist eigentlich nur »der Hof« geheiratet wird.
Deshalb trifft man häufig Ehen, bei denen die hof besitzende
Witwe und angehende Braut bis 5 Kinder hat und ca. 40 bis
50 Jahre alt ist, während der Bräutigam vielleicht 25 Jahre zählt.
i) Die Vererbung des ländlichen Grundbesitzes im Königreich Preussen, heraus-
gegeben von M. Sering. VI. Provinz Hannover, bearbeitet von Dr. Grossmann, S. 139.
2) Schupp a. a. O. S. 57.
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74 !• Teil. Das Hofgüterrecht.
Vielfach hat dann auch die Heirat nur den Zweck, eine Arbeits-
kraft (statt eines Knechtes, oder einer Magd) einzustellen.
Fast könnte es scheinen, als ob in Anbetracht der Thatsache,
dass zwar nominell der Hof zu dem sogenannten kindlichen An-
schlage übergeben wird, in sehr vielen Fällen jedoch eine eigent-
liche Bevorzugung des Hofeserben de facto nicht eintritt, die
Tendenz den Hof in der Familie zu erhalten und aus diesem
Grunde den Uebernehmer möglichst günstig zu stellen, neuerdings
zu erlahmen begonnen hätte. Es sei hier besonders auf die gegen-
teilige Praxis in früherer Zeit hingewiesen, wo der Uebernehmer
den Hof sozusagen um einen Spottpreis erhielt und seine Ge-
schwister fast leer ausgingen. Ob jedoch damals das Moment,
den Hof als den Mittelpunkt der Familie zu betrachten, bei der Be-
vorzugung des Anerben eine entscheidende Rolle gespielt hat, lassen
wir dahingestellt. Wir wollen vielmehr darauf hinweisen, dass der
Schwarzwälder Hofbauer seiner ganzen Natur nach sehr indivi-
dualistisch und rationalistisch veranlagt ist. Er betrachtet alles
unter dem Gesichtswinkel der Zweckmässigkeit. Wie er sich das
Gewohnheitsrecht der Einzelerbfolge vermutlich selbst geschaffen
und es zu dem System des Minorats ausgestaltet hat, so sind es
ebenfalls Zweckmässigkeitsgründe gewesen, welche ihn veran-
lassten, das Hofgut dem vorteilsberechtigten jüngsten Sohne zu
einem möglichst billigen Anschlage zu überlassen, damit nämlich
der splendor familiae erhalten blieb, und — wohl auch nicht zu
allerletzt — damit er selbst ein möglichst angenehmes und reich
ausgestattetes Leibgeding erhielt. Die erstgeborenen Kinder ver-
sorgte er, so gut es ging, ohne dass dadurch die wirtschaftliche,
wenn auch nicht soziale Kluft zwischen dem Hofesübernehmer
und seinen Geschwistern ausgefüllt wurde. Die Geschwister kannten
es nun einmal nicht anders, als dass sie Taglöhner, Kleingütler,
Dienstknechte oder Gewerbetreibende wurden, während ihr jüngst-
geborener Bruder als der »Fürst«, welcher über seine »Völker«^)
gebietet, auf seinem Hofgut sass.
Heute ist in dieser Hinsicht eine wesentliche Aenderung ein-
getreten insofern, als die Geschwister ihrem Anteile gemäss ge-
wöhnhch abgefunden werden und von einer wesentlichen Bevor-
zugung des Uebernehmers im Allgemeinen nicht gesprochen wer-
den kann. Die ledigen und gebrechlichen Geschwister des Hof-
i) So nennt der Hof bauer sämtliche in seiner Wirtschaft thätigen Personen, Frau
und Kinder mit eingerechnet.
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D. Die heutigen Vererbungsgewohnheiten im Gebiete der geschlossenen Hofgüter. 75
bauern haben auch heute noch ein Zufluchtsrecht auf dem väter-
lichen Hofgut. Deshalb und weil man erwartet , dass der junge
Hofbauer seinen Geschwistern stets eine kräftige Stütze sei und
ferner auch in Hinblick auf das zu leistende Leibgeding ist der
Kauf ein sogenannter Kindskauf, d. h. der Kaufpreis bewegt sich
etwas unter dem wahren Werte, wiewohl wir genugsam hervor-
gehoben haben, in sehr vielen Fällen nur in der Einbildung der
Beteiligten. Wir glauben jedoch, dass der Hof nur dann auf die
Dauer als der Mittelpunkt der Familie gelten kann, wenn der
Hofbesitzer auch so gestellt ist, dass er sich auf dem Hofe zu
halten vermag. In diesem Sinne würdigen wir die Vorschrift des
neuen Gesetzes vom 28. August 1898, wonach der Uebernehmer
wenigstens 20®/o des Ertragwertes frei von Schulden erhalten muss.
Unsere vorstehenden Ausführungen hatten die Vererbungsge-
wohnheiten der geschlossenen Hofgüter im Auge. Wir wollen noch
hinzufügend bemerken, dass auch die kleineren, nicht gesetzlich
geschlossenen Güter in derselben Weise übergehen wie der ge-
setzlich geschlossene Besitz. Hierbei wollen wir jedoch nicht unter-
lassen, darauf hinzuweisen, dass s. Z. bei der Fixierung der Zahl der
Hofgüter der traditionell-historische Gesichtspunkt das Kriterium
der Hofgutsqualität bildete. So kam es denn, dass unselbständige
bäuerliche Nahrungen zu gesetzlich geschlossenen Hofgütern wur-
den, während solche, welche den Nachweis einer seit Erlass des
Edikts vom 23. März 1808 ununterbrochenen Vererbung von einem
Eigentümer auf den anderen nicht erbringen konnten, wohl aber
in sich selbständige Wirtschaften darstellten, von dem Gesetze
nicht erfasst wurden. In diesem Sinne ist es zu bedauern, dass
jener Teil des Gesetzentwurfs, welcher die Bildung von neuen
gesetzlich geschlossenen Hofgütern innerhalb des eigentlichen
Hofgütergebiets beabsichtigte, nicht die Zustimmung der zweiten
Kammer erhalten hat.
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^6 II' Teil. Die Wirkungen des Hofgiiterrechts.
Zweiter Teil.
Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
Unsere folgenden Ausführungen, welche sich nicht in den
Dienst irgend einer Tendenz stellen, sondern lediglich die Erör-
terung der Wechselbeziehungen zwischen Recht und Wirtschaft
zum Zweck haben, machen selbstverständlich keinen Anspruch
darauf, zur Frage des Anerbenrechts im allgemeinen Stellung zu
nehmen. Wenngleich wir im Folgenden zu einer den bestehenden
Rechtsverhältnissen gegenüber durchaus günstigen Auffassung ge-
langen, ja sogar das Hofgifterrecht vom rein wirtschaftlichen Gesichts-
punkte aus betrachtet gewissermassen als eine conditio sine qua non
für die Landwirtschaft des Schwarzwalds hinstellen, so liegt es uns
auf der anderen Seite jedoch vollständig fern, etwa unser gewonne-
nes Urteil verallgemeinern zu wollen. Wir glauben vielmehr, dass die
Frage, welches Vererbungssystem der Natur des landwirtschaftlichen
Gewerbes am besten entspricht, überhaupt nicht allgemein beantwor-
tet werden kann. Diese Frage wird verschieden beantwortet werden
müssen, je nachdem die Verschiedenheit der bestehenden Grund-
eigentumsverteilung, die Gunst oder Ungunst des Klimas, die mehr
oder minder günstige Bodenform und Bodenbeschaffenheit, das Vor-
handensein oder das Fehlen geeigneter und leicht erreichbarer
Absatzzentren, die Möglichkeit oder der Mangel eines gesicherten
Nebenerwerbs und andere Faktoren die geeignete Grundlage ent-
weder für die Freiteilbarkeit oder für die Gebundenheit des Grund-
besitzes gewähren. Daher wird lediglich die Kenntnis der ein-
schlägigen lokalen Wirtschaftsverhältnisse sich am besten schlüssig
machen können über die Frage, ob die Existenz eines agraren Son-
derrechts notwendig ist oder nicht.
Bezüglich des Hofgütergebietes des Schwarzwaldes werden
wir in erster Linie das Anerbenrecht unter dem Gesichtswinkel
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A. Die Wirkungen des Hofgüterrechts auf die ökonomische Gestaltung etc. nn
seiner Wirkung auf die ökononiiische Gestaltung der Landwirt-
schaft zu betrachten haben. Daran knüpfend sollen die Fragen
ihre Erledigung finden, inwieweit etwa die Gebundenheit des Be-
sitzes den Schuldenstand beeinflusst hat, ferner ob und inwieweit
€v[i^ eventuelle Häufigkeit der unehelichen Geburten auf die Ge-
bundenheit zurückzuführen ist, und schliesslich was von der na-
mentlich von den extremen Gegnern des Anerbenrechts aufge-
stellten Behauptung zu halten ist, dass die Geschlossenheit des
Grundbesitzes die Proletarisierung der weichenden Erben im Ge-
folge habe.
A. Die ^Virkungen des Hofgüterrechts auf die ökonomische
Gestaltung der Landwirtschaft.
Um zu einem richtigen Resultate bezüglich der Wirkungen
des Hofgüterrechts auf die ökonomische Gestaltung der Landwirt-
schaft zu gelangen , werden wir zweierlei zu untersuchen haben :
auf der einen Seite, wie sich die rechtliche Verfassung in den
thatsächlichen Verhältnissen wiederspiegelt, und auf der anderen
Seite, wie die ökonomische Natur des Schwarzwaldbetriebes auf
diesem Sonderrechte, als der einzig sicheren Grundlage beruht.
Wir haben bereits in grossen Zügen die Natur des Schwarz-
waldbetriebes skizziert. Es hat sich da die Thatsache ergeben,
dass der Ackerbau auf dem Schwarzwalde nur eine nebensäch-
liche Bedeutung hat. Der Schwerpunkt der Wirtschaft liegt viel-
mehr in der Viehzucht und der Holzgewinnung. Daraus schon
ganz allein geht hervor, dass ein relativ grosses land- und forst-
wirtschaftliches Areal erforderlich ist, wenn rationell gewirtschaftet
werden soll.
Betrachten wir zunächst die Holzwirtschaft, so er-
giebt sich ohne weiteres, dass nur ein grösserer Waldkomplex
rationell bewirtschaftet werden kann. Auch bietet nur der grössere
Besitz die Garantie gegen Walddevastationen u. dgl. Die Kontrolle
der Forstbehörden, welche hinsichtlich der Privatwaldungen ohne-
hin schon sehr erschwert ist, würde bei einer Zerstücklung des
Waldes in eine grosse Zahl von Parzellen geradezu illusorisch ge-
macht. Thatsächlich sind Fälle bekannt geworden, wo in Zeiten
der Geldnot Kleinbesitzer ihren Waldvorrat, abholzten, bevor die
Forstbehörde einschreiten konnte. Die hieraus resultierenden,
nicht allein das eigene Wirtschaftsinteresse des Besitzers, sondern
auch ganz besonders allgemeinwirtschaftliche, wie z. B. wasser-
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7 3 n. Teil. Die Wirkungen des Hofgütenechts.
wirtschaftliche Interessen berührenden Gefahren liegen auf der
Hand. Aber nicht allein die geringere Einsicht, welche den Klein-
gütler besonders leicht unter dem Drange wirtschaftlicher Not zu
verhängnisvollen Schritten in angedeuteter Richtung verleitet, macht
ihn als Waldbesitzer ungeeignet, sondern es ist auch die Renta-
bilität der Holzwirtschaft nur dort zu erwarten, wo der Besitzer
mit eigenen Zugpferden wirtschaftet und wo — wie das auch be-
sonders auf dem Hochschwarzwalde der Fall ist — in der eigenen
Sägemühle das Holz nutzbar gemacht wird.
Gewiss wird eine sorgfältige Behandlung des Waldes die qua-
litative und quantitative Ergiebigkeit erhöhen. Aber die Arbeit
des einzelnen Menschen spielt hierbei doch bei weitem nicht die
Rolle, wie beispielsweise in der Rheinebene, wo der Boden sich
der auf ihn verwandten Arbeit gegenüber äusserst dankbar er-
weist , so dass selbst bei weniger günstigen Bodenverhältnissen
vermöge der in dem Boden investierten menschlichen Arbeits-
kraft die denkbar grössten Erträge erzielt werden ^).
Vom Standpunkte einer rationellen W^aldwirtschaft aus muss
daher der Zersplitterung des Grundbesitzes, als der unvermeid-
lichen Folge der Naturalteilung durchaus widersprochen werden.
Kenner der einschlägigen Verhältnisse , wie Vogelmann ^) haben
denn auch niemals in Abrede gestellt, dass die zu geschlossenen
Hofgütern gehörenden Waldungen viel besser erhalten sind, als
die frei teilbaren Privatwaldungen. Auch zu jener Zeit, als man
die Frage der Aufhebung des Ediktes vom 23. März 1808 leb-
haft erörterte, bezeichneten die Forstbeamten des Schwarzwalds
den Einfluss der Geschlossenheit -auf die Behandlung der Wal-
dungen — gegenüber der Behandlung frei teilbarer Privatwal-
dungen — als einen mehr oder minder günstigen^).
Es kann nun aber keinem Zweifel unterHegen, dass eine even-
tuelle freie Teilbarkeit des Grundbesitzes auch thatsächlich zur
Zersplitterung der Besitzgrössen führen würde. Die Erfahrungen
in einem grossen Teile des südlichen Hochschwarzwaldes, wo
bei gleichen geognostischen und klimatischen Verhältnissen die
Naturalteilung bis in unser Jahrhundert hinein üblich war, machen
es wahrscheinHch , dass mit der Aufhebung der Geschlossenheit
i) Vgl. die Schrift von M. Hecht: Drei Dörfer der badischen Haard.
2) Vgl. Vogelmann, Staatsrat, Die Forstpolizeigesetzgebung bezüglich der Privat-
waldungen im Grossherzogtum Baden.
3) Vogelmann a. a. O. S. 54.
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A. Die Wirkungen des Hofgüterrechts auf die ökonomische Gestaltung etc. 7g
ähnliche Wirtschafts Verhältnisse auch in dem Hofgütergebiete des
Schwarzwalds Platz greifen würden. Die verhängnisvollste Folge
der Freiteilbarkeit, nämlich die Entwaldung weiter Teile des süd-
lichen Schwarzwalds, welche jetzt wirtschaftlich überhaupt nicht
mehr genutzt werden können, hat dort zur Verkümmerung und
zur Verelendung der landwirtschaftlichen Bevölkerung geführt,
deren dürftige Existenzfristung von einer zum Teil sehr proble-
matischen Hausindustrie bedingt ist ^).
Der Hinweis auf die relativ günstigen Verhältnisse des bäuer-
lichen Besitzes in der Rheinebene, woselbst trotz der freien Teil-
barkeit eine Verkleinerung der Besitzgrössen im Grossen und
Ganzen nicht eingetreten ist, besitzt für den hohen Schwarzwald
nicht dieselbe Beweiskraft.
Es muss hierbei in erster Linie der Umstand erwogen wer-
den, dass mit der durch die naturale Teilung hervorgerufenen
Vermehrung der Besitzeinheiten auch eine Vermehrung der Wohn-
und Wirtschaftsgebäude verbunden ist. Da ist nun aber zu be-
rücksichtigen, dass der Gebäudewert ohnehin schon, wie aus den
Erhebungen vom Jahre 1883 ersichtlich ist, in einem ungünstigen
Verhältnis zu dem Liegenschaftswerte steht insofern als der Ge-
bäudewert durchschnittlich den dritten anstatt den fünften Teil
des Gutswertes ausmacht. Die Thatsache erklärt sich daraus, dass
das Schwarzwaldhaus mit Ausnahme der Grundmauern fast ganz
aus Holz erbaut ist.
Die Herstellungskosten selbst eines für einen Kleinbauern be-
rechneten Wohngebäudes würden bei den heutigen relativ hohen
Holzpreisen nach den Angaben zuverlässiger Gewährsmänner sich
auf mindestens 8000 bis 9000 Mk. belaufen.
Nun könnte man allerdings entgegenhalten, dass die Herstel-
lung der Gebäude aus Steinmaterial sich erheblich billiger stellen
würde als vermittelst des kostspieligen Holzes. Man hat hierauf
vielfach hingewiesen, ebenso wie man auch die Unzweckmässig-
keit der Einrichtung des Schwarzwälder Hofgebäudes behauptet
hat. Wir können natürlich diese Frage nicht näher untersuchen.
Immerhin wollen wir zu bedenken geben, dass wegen der dem Wind
und Wetter ausgesetzten und nur wenig geschützten Lage der
• Hofgebäude die Widerstandsfähigkeit des Steinmaterials eine ge-
ringere ist als die des Holzes, ganz abgesehen davon, dass schon
i) Vgl. Die Erhebungen über die Lage u. s. w. Bd. III, 28 und 29, die Ge-
meinden Görwihl und Wittenschwand.
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3o I^- Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
im Interesse des Viehs wegen der Rauhheit des Klimas während
der langen Winterszeit die Ställe warm gehalten werden müssen,
— eine Bedingung, welche das Holz vermöge seiner physikalischen
Eigenschaft als schlechter Wärmeleiter besser erfüllt als das Stein-
material. Dazu kommt noch, dass sich letzteres oft schwer be-
schaffen lässt wegen der Schwierigkeit der Verkehrswege, wie es
denn überhaupt zweifelhaft ist, ob besonders dann, wenn die Trans-
portverhältnisse ungünstig liegen, sich die Erbauung des Hofge-
bäudes aus Stein billiger stellen würde. Wir kennen Hofgebäude,
welche ein Alter von mehr als 200 Jahren haben und sich trotz-
dem heute noch in einem vorzüglichen Zustande befinden. Aller-
dings wollen wir nicht verkennen, dass die Feuergefährlichkeit bei
Holzgebäuden eine besonders grosse ist und dass besonders bei
Viehseuchen die Ställe den Nachteil haben, dass sich die An-
steckungskeime schlechter vernichten lassen als bei aus Stein
erbauten Viehställen.
Glücklicherweise sind Viehseuchen auf dem Schwarzwalde re-
lativ selten und bilden bei der isolierten Lage der Hofgüter auch
bei weitem nicht die grosse Gefahr wie anderswo.
Als ein ferneres Moment, das für die Notwendigkeit eines
grösseren bäuerlichen Besitzes spricht, soll noch hervorgehoben
werden, dass bei der Vermehrung der Besitzeinheiten im Falle
einer Naturalteilung der gesteigerte Bedarf an Brennholz naturge-
mäss zur Walddevastation führen muss. Der Bedarf an Brenn-
holz, welches hier wegen der grossen Transportkosten wohl kaum
durch die Steinkohle ersetzt werden kann, ist wegen der oft länger
als ein halbes Jahr dauernden Winterszeit ohnehin schon ein
grosser. Thatsächlich sind denn auch die bereits vorhandenen
Kleingütler, welche Waldbesitz haben, zumeist nicht im Stande,
ihren eigenen Brennholzbedarf selbst zu decken. Sie' sind auf die
Hofbauern angewiesen, von denen sie das Holz in Reisig und Ab-
fällen gewöhnlich umsonst erhalten.
Aber auch nur der grössere Besitz ist im Stande Waldmelio-
rationen oder Waldneubestockungen vorzunehmen vermöge der
ihm im grösseren Umfange zu Gebote stehenden Betriebsmittel.
Es sei hierbei besonders auf die vielfach als unrentabel und bar-
barisch bezeichnete Reutfeld Wirtschaft hingewiesen, welche in den
letzten Jahrzehnten besonders erheblich an Umfang verloren hat.
Der hohe Stand der Holzpreise hat den Hof bauern zu der Ueber-
zeugung gebracht, dass es im Interesse einer rationellen Betriebs-
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A. Die Wirkungen des Hofgüterrechts auf die ökonomische Gestaltung etc. gj
gestaltung geraten ist die Rentberge zu Mittel- oder Hochwald
aufzuforsten, wiewohl die Rente davon zwar nicht dem zeitigen
Besitzer wohl aber den nachfolgenden Generationen zu Gute kommt.
Alle diese Erwägungen lassen unseres Erachtens Keinen Zweifel
übrig, dass gerade in Hinsicht auf die Waldwirtschaft das gesetz-
liche Anerbenrecht von grosser wirtschaftlicher Bedeutung ist.
Ein gleiches lässt sich bezüglich der zweiten Haupterwerbsquelle,
nämlich der Viehzucht sagen. Auch hier ist für ein wirtschaft-
liches Gedeihen der Landwirtschaft die Existenz eines grösseren
bäuerlichen Besitzes die notwendige Voraussetzung. Wir haben
bereits kennen gelernt, dass nicht so sehr die Viehmästung —
eben wegen des Mangels an Abfallen u. dgl. — als vielmehr die
Aufzucht von Jungvieh im Wesen der Schwarzwaldwirtschaften
liegt. Namentlich wird die Rindviehzucht im grossen Umfange
betrieben ; daneben hat sich aber auch in neuerer Zeit besonders
in den Schwarzwaldthälern die Schweinezucht zu hoher Blüte ent-
wickelt. Sofern die Milch nicht zur Aufzucht verwandt wird, wird
sie zu Butter und Käse verarbeitet. Dort wo sich die Gelegen-
heit zur Benützung günstiger Kommunikationsmittel, also nament-
lich der Eisenbahnen bietet, macht sich neuerdings der Absatz
von Milch selbst in die entfernter gelegenen Städte als eine bei
weitem einträglichere Einkommensquelle als die Verarbeitung zu
Butter oder Käse geltend.
Wenn wir nun nachweisen wollen, dass der Kleinbesitz we-
niger zur eigentlichen Viehzucht geeignet ist, so ergiebt sich der
Beweis schon aus der Natur der Schwarzwaldwiesen und Weiden.
Aus den von uns wiederholt erwähnten Erhebungen vom Jahre
1883 geht hervor, dass für den Hochschwarz wald eine Weidefläche
von 1,5 ha zur ausreichenden Ernährung eines Stücks Vieh er-
forderlich ist. Es ist nun eine leicht erklärliche und durch die
Thatsachen oft bestätigte Erscheinung, dass beim Ueberwiegen
des Klein gütlertums die Gefahr einer Uebersetzung der Betriebe
mit Vieh besonders nahe gerückt ist. Sogar in vielen Gemeinden
der Rheinebene hat sich dieser Uebelstand nicht zum Vorteil der
Besitzer selbst bemerkbar gemacht. Das beste Beispiel einer sol-
chen in jeder Beziehung durchaus unrationellen Uebersetzung der
landwirtschaftlichen Betriebe mit Hornvieh liefert uns auch hier
wieder der südliche Schwarz wald, wo selbst der kleinbäuerliche
Besitz vorherrschend ist, so namentlich die Amtsbezirke Schönau
und St. Blasien. Dort zeigen sich die verderblichen Folgen der
Volkswirtschaft!. Abhandl. IV. Bd. 6
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82 n. Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
Betriebsübersetzung in besonders eklatanter Weise. Da das Er-
nährungsminimum in Bezug auf das zur Verfügung stehende land-
wirtschaftliche Areal bei den meisten Betrieben unzureichend ist,
so kann es nicht verwundern, dass bei der relativ hohen Ziffer
des Viehbestandes der Ernährungszustand des Viehs ein überaus
dürftiger ist. Das Vieh ist klein und von minderwertiger Quali-
tät und wirft auch nur geringe Erträge ab, zumal die Milcher-
giebigkeit ebenfalls sehr gering ist. Es ist ganz natürlich, dass
unter solchen Umständen auch die Weiden, welche hier zumeist
Allmendweiden sind, sich häufig in sehr schlechter Verfassung
befinden. »Es ist fast zur Regel geworden, dass in den Ort-
schaften des höheren Schwarzwaldes (im Amtsbezirk Schönau) ein
dermassen starker Viehstand überwintert wird, dass die Futter-
vorräte zur Ernährung nur äusserst knapp oder auch gar nicht
ausreichen. — Dass bei langer Dauer des Winters das Stroh von
den Dächern herabgerissen wird, um dem Vieh als Futter vor-
geworfen zu werden, ist kein seltenes Vorkommnis. Sobald im
Frühjahr an den sonnigen Gehängen der Schnee von den Weide-
feldern abzugehen begonnen hat, wird das Vieh dahin ausgetrieben
und die jungen Gräser werden, wenn sie kaum erst zu spriessen
angefangen haben, von den ausgehungerten Tieren abgeweidet,
oft derart, dass die Pflänzchen mit der Wurzel herausgerissen
werden. Von jetzt ab — bis zum nächsten Winter — kommt die
Weide nicht mehr zur Ruhe« ^).
Demgegenüber ist der Zustand der Weiden im Hofgüterge-
biet ein ungleich besserer. Der Hofbauer verwendet mehr Sorg-
falt auf ihre Erhaltung und nützt sie nicht übermässig aus.
Wenn uns so die ökonomischen Nachteile einer in den Hän-
den von Kleinbesitzern befindlichen Weidewirtschaft klar gewor-
den sind, so muss uns noch kurz die ökonomisch-technische Seite
der Weidewirtschaft beschäftigen. Die Wiesen und Weiden des
Schwarzwaldes sind bekanntlich mehr oder minder geneigt. Be-
sonders die Wiesen machen eine unausgesetzte, sorgsame Auf-
merksamkeit und Pflege des Wirtschafters erforderlich. Es kann
somit auch hier keinem Zweifel unterliegen, dass nur ein grösserer
Wiesenkomplex der Segnungen einer rationellen Ent- oder Be-
wässerung teilhaftig werden kann, ganz abgesehen davon, dass
i) Die Erhaltung und Verbesserung der Schwarzwaldweiden im Amtsbezirk Schön-
au. Amtliche Darstellung, gefertigt im Auftrage des Grossh. badischen Ministeriums
des Innern, I. Bd. 1889 Seite 16, Anlage II.
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A. Die Wirkungen des Hofgüterrechts auf die ökonomische Gestaltung etc. 3^
die Unzuträglichkeiten, welche sich im Falle des Vorhandenseins
mehrerer Eigentümer eines seiner Natur nach zusammenhängen-
den Wiesenkomplexes bei Vornahme von Kulturverbesserungen
ergeben würden, für den Kenner der einschlägigen Verhältnisse
auf der Hand liegen.
So aber besitzt der Hofbauer sein Wiesengelände in einem
zusammenhängenden Stück, wodurch es ihm am besten ermöglicht
wird, Meliorationen in der Richtung einer Ent- oder Bewässerung
vorzunehmen.
Von dem Ackerbau auf dem Schwarzwalde wissen wir
bereits, dass er gegenüber der Weide- und Holzwirtschaft von
untergeordneter Bedeutung ist. In den wenigsten Fällen wird er
um seiner selbst willen betrieben , da die Erträgnisse in vielen
Fällen nicht einmal die aufgewandten Produktionskosten aufbringen.
Der Ackerbau rechtfertigt sich eben nur durch den nachfolgen-
den Bau von Gras und Futtergräsern. Nur dort, wo die Gunst
des Klimas und die Bodenverhältnisse , also besonders in den
Thälern und den niedrigeren Gebirgslagen vorhanden ist, ist der
Bau von Winterfrucht , namentlich Roggen möglich. Auf dem
Hochschwarzwalde dagegen gedeiht die Winterfrucht nicht mehr,
da wegen des häufigen Temperaturwechsels besonders bei der
Schneeschmelze ein Auswintern des Getreides nicht eben selten
ist. Hier dient der Bau von Sommerfrucht d. h. Roggen oder
Hafer und der Kartoffel lediglich dem Zwecke des Fruchtwech-
sels. Die Hauptaufgabe des Ackerbaus ist es auch hier, das für
die Aufzucht des Viehs erforderliche Futter zu gewinnen. Eine
Inten sifizierung des Ackerbaus durch eine stärkere Düngerzufuhr
hat daher vornehmlich den Zweck, die Ergiebigkeit der Grasäcker
zu steigern, um die für die Stallfütterung und den Winterbedarf
erforderlichen Futtermengen für das Vieh zu erhalten.
Wenn auch die Produktivität des Bodens sicherlich durch
eine grössere Verwendung von natürlichem und künstlichem, be-
sonders Kalisalz- und Superphosphatdünger nicht unbeträchtlich
gesteigert werden kann , so spricht doch dieser Umstand nicht
etwa zu Gunsten einer Freiteilbarkeit in dem Sinne, dass dann eine
rationellere Betriebsweise Platz greifen würde. Im Gegenteil, die
Thatsache, dass auch trotz intensivster Bearbeitung und Düngung
eine andere als die geschilderte Feldgraswirtschaft ausgeschlossen
ist, liegt zu sehr in der Natur der khmatischen und physikalischen
Verhältnisse begründet, als dass eine Veränderung der Grund-
6*
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84 ^^- T^^^* ^^^ Wirkungen des Hofgüterrechts.
besitzverteilung von günstigem Einflüsse auf die Gestaltung der
landwirtschaftlichen Verhältnisse sein könnte.
Auch hierbei wollen wir die technische Unfähigkeit des Klein-
betriebes betonen. Bei der mehr oder minder geneigten Lage
der Ackerfelder ist die Bestellung eine äusserst schwierige , be-
sonders das Pflügen des in den meisten Fällen schwer zu bear-
beitenden steinigen Bodens macht grosse Schwierigkeiten. Daher
sind häufig 3 bis 4 Zugpferde erforderlich, welche nicht immer
durch Ochsen , geschweige denn durch Kühe ersetzt werden
können. Es gilt auch jetzt noch , was Schupp in seiner Schrift
sagt :
»Der Kleingütler muss das Tier länger ausnutzen, als es ihm
Nutzen gewährt, weil ihm ein Ersatz schwerer fällt, als dem Ver-
möglicheren. Er ist genötigt Kühe zur Arbeit zu verwenden, wo
nur Ochsen angespannt werden sollten. Das Halten von Ochsen
zum Zuge, während man die Kühe im Stall lässt , setzt schon
einen ziemlichen zum Futterbau verwendbaren Umfang des Gutes
voraus. Bei der Lage unseres Arbeitsfeldes ist aber der Besitz
vom Ochsen unerlässlich. Der Mangel an Futter einerseits und
die Notwendigkeit eines gewissen Viehstandes für die Zwecke der
Arbeit und der Milchgewinnung andererseits führen dann mit
Sicherheit dahin, dass die Zahl der erforderlichen Häupter zwar
vorhanden ist, die Güte aber fehlt. Nicht minder ist die Pflege,
die Reinhaltung der Tiere in den kleinen Wirtschaften schlechter,
teils wegen des Mangels am nötigen Personal (Mangel an Zeit),
teils wegen der schlechteren Einrichtung und der Unsauberkeit
der Stallungen. Dass der grössere Besitzer auch im Handel
besser fährt, sei es dass er Vieh oder dessen Produkte verkauft,
ist klar«.
Dieses Urteil dürfte für das gesamte Hofgütergebiet zutref-
fend sein, wenngleich wir Hofgüter kennen, in deren Wirtschafts-
bereiche die Kultur von Handelsgewächsen und der Rebbau an-
zutreffen ist. Doch wird dadurch das gesamte Wirtschaftsbild
eines solchen Hofgutes nur wenig alteriert, da derartige Kulturen
immer nur von sehr geringem Umfange und auch wohl mehr auf
die persönliche Liebhaberei des betreffenden Wirtschafters zurück-
zuführen sind, ohne dass der Gesichtspunkt der Rentabilität eine
entscheidende Rolle spielt.
Wir dürfen also mit Fug und Recht die Wirkungen des Hof-
güterrechts auf die Betriebsgestaltung der Schwarzwaldwirtschaften
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A. Die Wirkungen des ^iofgüterrechts auf die ökonomische Gestaltung etc. 35
als der physikalischen und klimatischen Natur des Landes durch-
aus entsprechende bezeichnen. Auf der anderen Seite können
wir ebenso entschieden behaupten , dass die Aufhebung dieses
agraren Sonderrechts, wie man sie bekanntlich von seiten der
badischen Regierung Ende der sechziger Jahre beabsichtigte, sicher-
lich den wirtschaftlichen Ruin der bäuerlichen Bevölkerung zur
Folge haben würde. Der wirtschaftliche Fortschritt und die Stei-
gerung der Produktivität, welche vielerorts von der Aufhebung
des Edikts vom 23. März 1808 und der Stellung unter das allge-
meine badische Landrecht erwartet wurden, wären nicht nur aus-
geblieben, sondern es hätte vielmehr die rechtliche Durchführung
des bekannten Landrechtssatzes , dass jeder Erbe sein Stück in
Fahrnis und liegender Habe verlangen kann, mit grosser Wahr-
scheinlichkeit zur Zersplitterung der Besitzgrössen geführt.
Hiergegen dürfte auch wohl der Hinweis nicht ganz stich-
haltig sein, dass die Sitte und die Einsicht der Hofbauern einer
allzugrossen Zersplitterung entgegenarbeiten würden. »Allein«, sagt
Schupp"^) »der heimatliche Boden hält eben die Menschen fest,
und sie essen lieber das Brot der Armut , als dass sie in der
Ferne in verhältnismässigem Wohlstande leben. Ist es ja vorge-
kommen, dass arbeitsfähige Bewohner der traurigen Gemeinde
Kniebis ^), deren Grund und Boden, wie ein Bezirksschätzer bei
der Katastrierung des landwirtschaftlichen Geländes meinte, nicht
mehr wert ist, als dass man die darauf wohnenden Menschen mög-
lichst schnell aussterben lässt, aus Amerika dahin zurückkehrten,
weil sie das Heimweh dahinzog«.
Aber auch die traurige Lage der bäuerlichen Bevölkerung
auf dem südlichen Hochschwarzwald, wo unter gleichen physi-
kalischen und klimatischen Verhältnissen wie im Hofgütergebiet
unter den Einwirkungen einer frühzeitigen Mobilisierung des Grund-
besitzes ein Kleingütlertum ein kümmerliches Dasein fristet, nicht
minder die unerquicklichen landwirtschaftlichen Verhältnisse in
der preussischen EiffeP), auf dem Rhöngebirge, auf dem Vogels-
berge u. s. w. machen es wahrscheinlich, dass auch im Hofgüter-
gebiete mit dem Untergang der sonderrechtlichen Verfassung ähn-
liche Missverhältnisse über kurz oder lang die Folge sein würden.
i) Schupp a. a. O. S. 104.
2) Wo übrigens die Naturalteilung seit Alters üblich ist (d. V.).
3) Vgl. die Vererbung des ländlichen Grundbesitzes in Preussen , herausgegeben
von M. Sering, Heft I, über die Wirkungen des code civil auf die Eiffel.
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S6 II« Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
Im Interesse der bäuerlichen Bevölkerung sowohl, wie im Interesse
des Staates ist die Leistungsfähigkeit und Wohlhabenheit eines
kräftigen Bauernstandes ein volkswirtschaftliches Erfordernis, wel-
ches unter keinen Umständen nationalökonomischen oder juristi-
schen Doktrinen und falschen Gleichheitsbestrebungen zum Opfer
gebracht werden darf.
Für den Schwarzwald muss eben der Grundsatz , dass die
Freiteilbarkeit zum wirtschaftlichen Fortschritt führt, als entschieden
falsch zurückgewiesen werden. Nicht der Fortschritt, sondern der
Rückschritt wären die unmittelbaren Konsequenzen der Freiteil-
barkeit; an die Stelle wohlhabender Hofbauem würden Zwerg^-
gütler treten; die Wald- und Viehwirtschaft, welche unter den
jetzigen Verhältnissen im Grossen und Ganzen rationell betrieben
wird, würde bald ihren Charakter als Haupteinnahmequelle der
Hofbauern verlieren; die Bevölkerungsdichtigkeit würde naturge-
mäss steigen und somit der Raum gewährt für ein an der Scholle
klebendes ländliches Proletariat, welches hinsichtlich seiner Lebens-
haltung tief unter dem städtischen Proletariat steht, und welchem
eben wegen seiner Gebundenheit nicht wie diesem die Mittel,
sich aus dem Sumpfe des Pauperismus zu befreien, zu Gebote
stehen.
Zur richtigen Würdigung dieser Ausführungen bieten die Ziffern,
welche in den anlässlich der Erhebungen über die Lage der Land-
wirtschaft vom Jahre 1883 untersuchten landwirtschaftlichen Haus-
haltungen den Stand der Lebenshaltung zum Ausdruck bringen,
einen lehrreichen Hintergrund.
Zu diesem Zwecke wollen wir den drei Hofgütergemeinden
Oberwolfach, Steig und Neukirch die Gemeinden Görwihl und
Wittenschwand gegenüberstellen. Die beiden letzteren Gemeinden
sind typisch für den Süden des Hochschwarzwalds mit ähnlichen
physikalischen und klimatischen Verhältnissen , wie sie sich im
Hofgütergebiet vorfinden.
Hinsichtlich des Verbrauchs an Nahrungsmitteln und Getränken
in den einer Berechnung unterzogenen Einzelwirtschaften der in
Frage kommenden Gemeinden auf den Tag und Kopf, sowie
über den Jahresbedarf an Kleidung auf den Kopf, ergiebt sich
folgendes :
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A. Die Wirkungen des Hofgüterrechts auf die ökonomische Gestaltung etc. 37
Verbrauch an
Geist. Gelränke
Ver-
pflegungs-
aufwand
pro Tag
und Kopf
Hofgütergemeinden
mit den betreffenden
Haushaltungen
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s
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Jahres-
bedarf an
Kleidung
pro Jahr
Pfd.
Pfd.
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1
1
1
1
Pfg.
M.
I. Ob erwolf ach.
a. Grossbauer
1,41
1,86
178
M9
0,15
—
27
82
84
b. desgl.
i 2,00
2,60
179
1,58
0,32
—
23
100
84
c. Mittelbauer
11,48
2,60
119
1,30
0,04
—
14,6
73
54
d. desgl.
|i>46
2,32
i39iM2|
—
—
18,7
70
60
e. Kleinbauer
1,25
1,32
66
2,28
—
—
11,3
64
47
f. desgl.
|i,39
2,05
60
1.23
—
—
0,45
48
35
g. Taglöhner
1^39
1,55
60
1,23
—
—
1 1
51
46
h. Taglöhner
1.40
1,90
84
1,12
—
—
21
60
30
2. Staig.
a. Grossbauer
;i,56| i,oo
161
0,80
—
—
—
61
56
b. Mittelbauer
1,87, 1,00
1 1
202
1,21
0,08
—
6
70
37
3, Neukirch.
a. Grossbauer
hS4
1,00
169
1,58
__
—
6
65
60
b . desgl.
1 1,72
0,88
177
1.77
0,01
—
3
69
67
c. Kleinbauer
1,65
0,66
138
1,53
0,05
5,5
65
40
Die für den südlichen
Hochschwarzwald typi-
schen Gemeinden mit den
betr. Haushaltungen
I. Görwihl.
a. Mittelbauer
1,78
2,41
66
0,66
0,07
—
—
40
38
b. Kleinbauer
1,33
2,74
34
0,68
0,02
—
—
40
29
2. Wi t ten seh wand.
a. Mittelbauer
1,40
1,64
69 1,00
—
—
3,6
40
II
b. Kleinbauer
1,41
2,08
74
0,71
—
—
10,4
47
52
Zu vorstehender Tabelle ist zunächst zu bemerken, dass in den
beiden Gemeinden Görwihl und Wittenschwand heute zwar die
ungeteilte Vererbung des bäuerlichen Besitzes nach Anerbensitte
vorherrschend ist. Doch ist hier in früherer Zeit und zwar ver-
mutlich bis in unser Jahrhundert hinein die Naturalteilung üblich
gewesen. So berichtet der Erhebungskommissär für die Gemeinde
Görwihl folgendes: »Zu alten Zeiten sollen in Görwihl nur elf
Höfe gewesen sein. Durch Erbteilung nahm die Anzahl der Haus-
haltungen immer mehr zu, die Güter wurden kleiner und die Par-
zellierung schritt soweit fort, dass sie als schwerer Uebelstand von
den Bauern selbst erkannt wurde. Von dort an — die Zeit ist
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88 II- Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
nicht bestimmbar — wurden die Gutsübergaben (Kindskäufe) ge-
bräuchlich, bei welchem nur ein Kind den Hof zu einem Preise
übernahm , welcher dem wirklichen Werte mehr oder weniger
nahe kam , während die Geschwister durch Erbgleichstellungs-
gelder befriedigt wurden«.
Leider war die Zersplitterung des Grundbesitzes zu jener Zeit,
wo die Bauern zu dieser besseren Einsicht sich bekehrten, schon
soweit gediehen, dass eine Gesundung der Wirtschaftslage bei
der Uebervölkerung ausgeschlossen war. Daher denn auch heute
noch der Missstand sich bemerkbar macht, dass im Allgemeinen
nirgends die Grösse der Gemarkung in einem auch nur annähernd
günstigen Verhältnis zur Grösse der ansässigen landbautreibenden
Bevölkerung steht. Aus diesem Grunde ist die Bevölkerung, welche
in der Landwirtschaft keine ausreichende Einkommensquelle be-
sitzt, auf Nebenerwerb, namenthch auf Hausindustrie angewiesen.
Das Vorhandensein hausindustrieller Arbeitsgelegenheit ist heute
mehr denn je eine Lebensfrage für die dortige Bevölkerung. Leider
zeigt die Erfahrung , wie schwach eine derartige hausindustrielle
Thätigkeit sehr häufig fundiert ist, sodass beispielsweise bei Um-
wälzungen und Verbesserungen auf dem Gebiete der industriellen
Technik die Möglichkeit eines gänzlichen Versiegens dieser Ein-
kommensquelle mit all den Schrecknissen eines elementaren Not-
standes in die unmittelbare Erscheinung gerückt ist.
Die vorstehenden statistischen Daten, welche den Standard
of life der in Frage stehenden Haushaltungen ausdrücken, sprechen
für sich selbst und bedürfen keines weiteren Kommentars. Diesel-
ben illustrieren mit genügender Deutlichkeit die Dürftigkeit der Le-
benshaltung der bäuerlichen Bevölkerung des südlichen Hoch-
schwarzwalds sowohl in Hinsicht auf die Ernährung als auch auf
die Kleidung. Dagegen zeigen die entsprechenden Ziffern für die
landwirtschaftHchen Haushaltungen des Hofgütergebiets ein rela-
tiv günstiges Bild , insofern als dort auch der Kleinbauer und
Taglöhner auf einer höheren Stufe der Lebenshaltung steht als
der Durchnittsbauer des südlichen Hochschwarzwalds. Die Sub-
sistenzmittel, welche sie aus der eigenen Wirtschaft nur zum Teil
gewinnen, können sie sich dadurch am besten ergänzen, dass sie
auf dem Hofe des grösseren Bauern Beschäftigung finden im
Sommer sowohl wie im Winter , wannselbst sie gewöhnlich als
Holzarbeiter thätig sind. Wir sehen also, wie die relative Wohl-
habenheit der Hofbauern einen günstigen Einfluss auf die Lebens-
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A. Die Wirkungen des Hofgüterrechts auf die ökonomische Gestaltung etc. gO
Haltung der Kleingütler ausübt, während dort, wo ein kräftiger
mittel- und grossbäuerlicher Besitzerstand fehlt , der Kleinbauer
sich nur dadurch vom städtischen Proletarier unterscheidet, dass
er von einer fast unglaublichen Genügsamkeit und Bedürfnislosig-
keit ist, und einige Schollen Landes sein Eigentum, nennt, welches
der Fluch des Schicksals ihm zuerkannt hat.
Den besten Beweis für die Notwendigkeit der Aufrechterhal-
tung des Hofgüterrechts finden wir jedoch innerhalb des Hof-
gütergebietes selbst, und zwar haben wir dabei vorzugsweise die
Gemeinde Neukirch im Auge. Diese Gemeinde war bis vor kur-
zem eines der bedeutendsten Zentren der hausindustriellen Uhren-
fabrikation. So kam es denn auch, dass mit der Blüte der Uhren-
industrie in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts die Zahl der
Haushaltungen in dieser Gemeinde mehr und mehr wuchs , und
schliesslich die gewerblichen Haushaltungen gegenüber den land-
wirtschaftlichen in der Mehrheit waren. Unter solchen Umstän-
den erscheint das Streben der Uhrmacher sich einigen Grundbe-
sitz zur leichteren und billigeren Beschaffung von Nahrungsmit-
teln zu erwerben, sehr begreiflich. Von diesem Gedanken wurde
auch offenbar die Regierung geleitet, als sie in jener Zeit der
Blüte der hausindustriellen Uhrenfabrikation den vielfachen Ge-
suchen um Zerschlagung der Hofgüter und Absplitterung einzel-
ner Teile nicht nur geringen Widerstand entgegenbrachte, sondern
vielmehr sie begünstigte , was ja auch vorausgesetzt , dass man
von dem sicheren Bestände der Hausindustrie als einer dauernden
Erwerbsquelle der Bevölkerung überzeugt war, volkswirtschaftlich
sehr wohl zu rechtfertigen ist. Heute jedoch, wo die Uhrenindustrie
den hausindustriellen Charakter fast gänzlich abgestreift hat und
zur Fabrikindustrie geworden ist, muss wegen der eingetretenen
Uebervölkerung das Verhältnis der Grösse der Gemarkungsfläche
zur Grösse der ansässigen Bevölkerung und damit das gesamte
Wirtschaftsbild der Gemeinde ein nicht befriedigendes genannt
werden, zumal hier die Bodenverhältnisse dermassen ungünstige
sind, dass als das Ernährungsminimum einer Familie nach der
Ansicht des Erhebungskommissärs eine Fläche von mindestens
40 ha zu gelten hat.
Zweierlei Wege führen daher zur Rettung aus diesen un-
leidlichen Verhältnissen: Entweder muss die alte Hausindustrie
auf irgend eine Weise gegenüber der Fabrikindustrie wieder kon-
kurrenzfähig gemacht oder, sofern dies unmöglich ist, eine neue
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QO 11. Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
hausindustrielle Erwerbsgelegenheit geschaffen werden, oder aber
es muss durch den allmählichen Fortzug der überschüssigen Be-
völkerung der ursprüngliche, rein landwirtschaftliche Charakter der
Gemeinde wiederhergestellt werden.
Wir wollen bei dieser Gelegenheit noch erwähnen, dass in
jüngster Zeit in einigen Thalgemeinden das Domänenärar zahl-
reiche kleinere Hofgüter angekauft und die kahlen Flächen zu
Wald angepflanzt hat. Der Rückgang der Strohflechterei, welche
durch die chinesische Konkurrenz vollständig darnieder gelegt
wurde, dürfte der Grund gewesen sein, weswegen die Besitzer ihre
dadurch unrentabel gewordenen Hofgüter verkauft haben.
Wir glauben daher , wenn wir das Facit unserer vorange-
gangenen Betrachtungen ziehen, wohl keines weiteren Beweises
zu bedürfen, um die Notwendigkeit der Beibehaltung des Hof-
güterrechts darzuthun. Auf der anderen Seite wollen wir jedoch
nicht übersehen, dass das von uns allerdings nur in seinen her-
vorstechendsten Erscheinungsformen gezeichnete Bild auch der
dunklen Punkte nicht entbehrt, und dass den einzelnen Betrieben
noch eine Reihe von mehr oder minder grossen Mängeln anhaf-
ten, welche jedoch nicht ein Ausfluss der bestehenden Rechts-
verhältnisse sondern mehr in der Technik des Betriebes und hier
wiederum in der konservativen Natur des Bauern zu suchen sind.
An erster Stelle sei auf die Reutfeldwirtschaft hingewiesen,
welche auch heute noch von beträchtlichem Umfange ist, wenn-
gleich ein bedeutender Rückgang gegen früher zu verzeichnen ist.
Der grösste Teil der Reutberge ist zu Mittel- und Hochwald
angepflanzt. Für die Zukunft dürfte sich jedoch die Anpflanzung
zu Eichenschälwaldungen, welche namentlich in den siebziger und
achtziger Jahren durch das Betreiben und die Unterstützung der
Regierung besonders in den Thälern des Schwarzwalds im grös-
seren Umfange erfolgte, weniger empfelilen, da bekanntlich die
Konkurrenz der ausländischen Gerberlohe , vorzüglich des Que-
brachoholzes diesen Zweig der Holzgewinnung als nicht mehr
sehr rentabel erscheinen lässt. Dafür dürfte die Aufforstung zu
Tannen- und Fichtenwald der beste und eine ungleich höhere
Rente abwerfende Ersatz sein. Freilich ist man neuerdings auch
von Seiten sonst sehr rationell wirtschaftender und einsichtsvoller
Hofbauern nicht mehr so geneigt die Reutfeldwirtschaft als un-
rentabel zu perhorreszieren. Zu uns äusserte ein anerkannt tüch-
tiger Hofbauer, dass sich die Reutfeldwirtschaft besser rentiere.
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A. Die Wirkungen des Hofgüterrechls auf die ökonomische Gestaltung etc. gj
als mancher auf den ersten Blick glauben könnte, da es in den
Reutfeldern eine ausgezeichnete Weide gebe, was in Anbetracht
der heutigen hohen Viehpreise fiir den Bauern sehr ins Gewicht
falle. Ferner wies derselbe auf die Zweckmässigkeit der Ver-
wendung des Thomasmehls in den Reutbergen hin , wobei die
Erträge die aufgewendeten Kosten um das Zehnfache übertreffen.
Natürlich ist dabei Voraussetzung, dass die Reutfelder nicht der
natürlichen Berasung nach ihrer Benutzung als Ackerfeld über-
lassen werden, sondern dass eine Ansaat von Klee- und Gras-
samenmischung vorgenommen wird.
Des Weiteren soll verwiesen werden auf die nach der Mei-
nung vieler Sachverständigen heute wohl kaum noch rationellen
uneingeschränkten Weidegang des Viehs. Durch den Weidegang
des Viehs geht sehr viel Dünger verloren, welcher im Falle einer
Stallfütterung besser gesammelt und auf die Weiden und Wiesen
geführt werden kann. Durch die Einschränkung des Weideganges
werden aber auch Verbesserungen der Viehställe nötig, welche
oft zu niedrig sind und an dem Mangel einer ungenügenden Luft-
zufuhr leiden.
Nebenher muss selbstverständlich eine Ausdehnung des Futter-
baus gehen. Thatsächlich gewinnt denn auch der Futterbau mehr
und mehr an Ausdehnung, der Weidegang des Viehs wird mehr
und mehr durch die Stallfütterung ersetzt. Hinsichtlich einer
zweckmässigeren Einrichtung der Wirtschaftsgebäude lässt sich
konstatieren, dass besonders die Schweineställe separat angelegt
werden, und dass auch sonst mancherlei Verbesserungen zu be-
obachten sind, welche im Interesse einer rationelleren Bewirtschaf-
tung liegen.
Auch die Wässerwiesen bedürfen häufig noch einer besseren
Pflege. Die oft zu beobachtende Erscheinung, dass sich Sumpf-
stellen mit sauren Gräsern, Riedgräsern, Binsen und anderen Un-
kräutern bilden, deutet auf die Notwendigkeit einer geregelteren
Berieselung hin. Am häufigsten erfolgt die Berieselung unserer
Schwarzwaldwiesen vermittelst sogenannter Schlitzgräben, wodurch
häufig das Wasser zu wenig gleichmässig über das Wiesengelände
hin verteilt wird. Diese Art der Berieselung könnte am besten
durch das sogenannte Siegen'sche Hangbausystem ersetzt werden.
Dadurch dürfte eine bessere Verteilung des Wassers, des besten
Düngemittels der Wiesen, erzielt werden.
Gleichfalls dürfte eine ausgiebigere Verwendung der minera-
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Q2 II. Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
lischen Dünger von günstigen Erfolgen begleitet sein , während
hinsichtlich des Viehs die Veredelung der Zuchttiere und hin-
sichtlich der Verarbeitung der Milch zu Butter und Käse die Ver-.
Wendung zweckmässiger Apparate in dem Bestreben des auf den
wirtschaftlichen Fortschritt bedachten Hofbauern liegen muss.
An dieser Stelle soll denn auch anerkannt werden , dass wir
Verbesserungen in beregter Richtung bereits auf zahlreichen Hof-
gütern haben wahrnehmen können. Namentlich sind es die grös-
seren Hofbauern, welche von der Aufgabe des grösseren Besitzes
als des Trägers des modernen Fortschrittes durchdrungen in
mannigfacher Beziehung anregend und befruchtend auf die Be-
triebseinrichtungen der kleineren Bauern eingewirkt haben.
B. Die Wirkungen des Hofgüterrechts auf den Schuldenstand
des geschlossenen Besitzes.
Der grösste Teil unserer heutigen Grundverschuldung ist auf
Erbteilungen und Grundstücksverkäufe zurückzuführen. Es beruht
somit dort, wo die geschlossene Vererbung üblich ist, die Ver-
schuldung des Grundbesitzes in der Hauptsache auf der Belastung
des Anerbengutes mit Gleichstellungsgeldern und mit Leibge-
dings- (Altenteils-Leibzucht-) Verpflichtungen, welche der Anerbe
jeweils an die weichenden Erben abzuführen bezw. dem abtreten-
den alten Hofbesitzer zu gewähren hat.
Was nun den bäuerlichen Grundbesitz des mittleren und nörd-
lichen Schwarzwalds betrifft, so haben wir bereits kennen gelernt,
dass die überwiegende Mehrzahl der geschlossenen Hofgüter seit
jeher zu Eigentum besessen wurde. Aus dem eigentlichen Be-
sitz aber resultierte zum Unterschiede von dem Lehenbesitz (Lass-
besitz) die Verpflichtung des Hofesübernehmers, die Abfindungen
an die weichenden Erben aus dem Werte des Hofgutes und nicht
bloss aus dem freiverfügbaren Besitz sogenannter walzender Lie-
genschaften auszukehren. Freilich hat sich auf der anderen Seite
gezeigt , dass die Abfindungsbeträge in der Regel sehr kärglich
bemessen waren, indem der kindliche Anschlag des Hofgutes sich
weit unter dem wahren Werte bewegte, sodass dem vorteilsbe-
rechtigten Hofesübernehmer sozusagen der Löwenanteil zufiel.
Dieses musste sich naturgemäss ändern, als der Einfluss des ge-
meinen Rechts und namentlich des badischen Landrechts mit
seinen erbrechtlichen Postulaten , wie besonders mit der Ein-
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B. Die Wirkungen des Hofgüterrechts auf den Schuldenstand etc. 03
schränkung der Verfügungsfreiheit des Erblassers mehr und mehr
die Schranken des bäuerlichen Sonderrechts durchbrach, und in
der Richtung der Erbansprüche der Miterben einem gerechteren
Verteilungsmodus Raum verschaffte. Bereits im Edikt vom 23. März
1808 finden sich diesbezügliche Bestimmungen. Hiernach beruhte
das Voraus des Anerben zwar auf dem sogenannten kindlichen
Anschlage, aber es wurden dem Voraus bestimmte Grenzen ge-
zogen durch die Forderung, dass es ein Zehnteil und in rauhen
Berggegefiden ein Achtel und, falls die Eltern es verordnen, ein
Viertel unter dem laufenden Verkaufswerte betragen sollte. Es
hatten also die Miterben einen rechtlichen Anspruch darauf, dass
dieser Modus bei den Erbauseinandersetzungen innegehalten wurde.
Leider waren dadurch die Schwierigkeiten nicht beseitigt, welche
bald zum Nachteile der weichenden Erben, bald zum Nachteile
des Anerben ausschlugen und welche eben darin bestanden, dass
sich für die Ermittelung des »laufenden Verkaufs wertes« in Hin-
sicht auf den gebundenen Hofgüterbesitz so schlecht ein auf be-
stimmter und realer Grundlage gegründeter Bewertungsmassstab
finden lässt. Besonders bei der Schätzung des Waldbesitzes, welcher
doch in den meisten Fällen ein wesentlicher Bestandteil des Hof-
besitzes ist, ergeben sich leicht vielfache Schwierigkeiten, welche
selbst der unparteiische Fachmann nicht immer zu überwinden
im Stande ist, und w^elche besonders in den sechziger und sieb-
ziger Jahren, wo die Holzpreise eine äusserst schwankende Ten-
denz zeigten, eine sachgemässe und gerechte Taxation des Hof-
guts geradezu unmöglich machten. So kann es denn nicht ver-
wundern, wenn Schriftsteller wie Schupp, Enpninghaus, Schmidt
und anderes. Zt. auf die übermässige Benachteiligung der weichen-
den Erben hinwiesen und aus diesem Umstände eines ihrer
hauptsächlichsten Argumente gegen die Fortdauer des Hofgüter-
rechts hervorleiten zu sollen glaubten. Heute jedoch macht sich
das Gegenteil bemerkbar, wie wir genugsam hervorgehoben haben.
Die Erbabfindungen, welche an die weichenden Erben auszukehren
sind, sind ungleich höhere als in früherer Zeit, wozu noch kommt,
dass die Leibgedingslast mit der den Zeitverhältnissen entsprechen-
den gestiegenen Lebenshaltung gewachsen ist. Ferner haben wir
erwähnt, dass ausser den Uebergebern regelmässig auch den ledigen
Geschwistern des Anerben ein Wohnungsrecht eingeräumt wird,
und dass unter diesen häufig wegen Geistesschwäche Verbei-
standete sich vorfinden, welche auf Lebenszeit vom Uebernehmer
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QA 11. Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
alimentiert werden müssen. Ausserdem ist der Uebernahmepreis
häufig ein solcher, dass ein Fremder den Hof um den festgesetzten
Preis mit den daraufgelegten Leibgedings- u. s. w. Rechten kaum
übernehmen würde.
Unsere folgenden, auf die Untersuchung des Schuldenstandes
. der bäuerlichen Bevölkerung im nördlichen und mittleren Schwarz-
wald hinzielenden Ausführungen finden ihren zahlenmässigen Stütz-
punkt in der im Jahre 1896 von der badischen Finanzverwaltung
aufgenommenen Statistik über »die Belastung der landwirtschaft-
treibenden Bevölkerung durch die Einkommensteuer und die Ver-
schuldung der Landwirtschaft im Grossherzogtum Baden«. Für
den mittleren und nördlichen Schwarzwald (Amtsbezirke Triberg
und Wolfach, von Freiburg, Waldkirch Ettenheim, Emmendingen,
Lahr, Offenburg, Oberkirch, Achern, Bühl, Baden und Rastatt die
im Gebirge gelegenen Gemeinden) stellen sich die Verschuldungs-
ziffern, nach Steuerstufen berechnet, wie die Tabelle aufS. 95 zeigt.
Zu vorstehender Verschuldungsstatistik müssen wir bemerken,
dass nicht eine Unterscheidung des Besitzes nach Grössenkate-
gorien, sondern nach dem Einkommen vorgenommen ist. Bezüg-
lich des geschlossenen Hofgüterbesitzes geben diese Ziffern insofern
kein genaues Bild von dem Schuldenstande, als die geschlossenen
Hofgüter nicht besonders behandelt sind und — sofern man die
gemischten Betriebe mitberücksichtigt — nur ungefähr den vierten
Teil der Betriebe überhaupt ausmachen.
Vergleichsweise seien auch noch die entsprechenden Ver-
schuldungsziffern der übrigen zu geographischen Bezirken zusam-
mengefassten Amtsbezirke des Grossherzogtums Baden in sum-
marischer Darstellung wiedergegeben (s. Tabelle auf S. 96).
Aus dieser vergleichenden Zusammenstellung erhellt eine über
den Durchschnitt des Landes hinausgehende Verschuldung im
mittleren und nördlichen Schwarzwalde. Ungleich höher ist die
Verschuldung im südlichen Schwarzwald, in der Donau- und See-
gegend, d. h. in Gebieten, wo die ungeteilte Vererbung des Grund-
besitzes, wiewohl nur auf Grund freiwillig geübter Anerbensitte,
die Regel bildet. Hier ist , abgesehen von einem grossen Teil
des südlichen Schwarzwalds der Charakter des landwirtschaftlichen
Betriebes ein wesentlich anderer als im Hofgütergebiet, da hier
die Produktion von Getreide in den Vordergrund der landwirt-
schaftlichen Thätigkeit tritt. Daher dürfte der Rückgang der Ge-
treidepreise einen wesentlichen Einfluss auf den hohen Schulden-
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B. Die Wirkungen des Hofgüterrechts auf den Schuldenstand etc.
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96
II. Teil, Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
Die Real- und Personalkreditverschuldung der landwirtschafttreibenden
Bevölkerung nach geographischen Bezirken 1893.
AufiGoM. fa-
Zahl
Verschuldung in Prozenten des
tiertes Einkom-
aller land-
geschätzt
en Vermögenswertes
men entfallen
0.-
Geographische
; wirtschaft-
Schuldzinsen
z.
Bezirke
i liehen
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b. der ge-
mischten
im Durch-
im Durch-
1
Betriebe
landwirt-
schaftl. Be-
schnittaller
Betriebe
schnitt aller
Betriebe
völkerung
Betriebe
M.
M.
I
Pfinz- und Kraichgau
: 25 554
12.0
20.9
16.0
6.3
2 Mittlere Rheinebene
32626
12.4
22.7
17.2
6.7
3
Bauland
' 18628
13.2
22.1
16.5
6.4
4
Untere Rheinebene
i 25156
14.5
25.4
19.8
7.3
5
Obere Rheinebene
18013
16.G
27.2
21.4
9-3
6
Kaiserstuhlgebiet
3 905
16.3
21.7
18.5
8.5
7
Odenwald
i 8867
17. 1
30.8
23.7
9.2
8
Südlicher Schwarzwald
15770
25.8
37.7
32.8
11.2
9
Donaugegend
IG 692
31.2
32.8
32.1
11.4
IG
Seegegend
I42I4
32.9
40.3
36.7
13.9
II
Mittlerer und nördlicher
Schwarzwald (Gebiet d.
geschlossenenHofgüter)
21049
195
36.2
26.6
10.7
194474
Stand der landwirtschafttreibenden Bevölkerung in der Donau-
und Seegend ausgeübt haben. Am niedrigsten verschuldet ist das
Gebiet der Freiteilbarkeit (O. Z. i — 6), weil dort eben das haupt-
sächlichste Moment der Verschuldung — die Belastung mit Gleich-
stellungsgeldern — wegfällt. Ebenso ist dort wegen der Mannig-
faltigkeit der Anbauarten wie : Tabak, Hopfen, Wein, Cichorien,
Reps, Gemüse u. s. w. der in den Gegenden mit vorwiegendem
Getreidebau wegen der Preisreduktion der Produkte mehr oder
minder stark empfundene Druck, wenig oder gar nicht fühlbar
geworden.
Wenn wir die gemischten Betriebe unberücksichtigt lassen
und den am günstigsten dastehenden Bezirken (Pfinz- und Kraich-
gau mit 12^/0 und mittlere Rheinebene mit 12,40/0), die ungünstigsten
(Donaugegend mit 31,2^/0 und Seegegend mit 32,9%) gegenüber-
stellen, so nimmt der mittlere und nördliche Schwarzwald mit
einem Schuldenstande von 19,5^/0 des geschätzten Vermögenswertes
einen mehr mittleren Platz ein, da die durchschnittliche Verschul-
dung des Landes für die rein landwirtschaftlichen Betriebe nach
den geschätzten Vermögenswerten 17,7^/0 beträgt. Bezüglich des
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B. Die Wirkungen des Hofgüterrechts auf den Schuldenstand etc. 07
geschlossenen Hofgüterbesitzes gehen wir wohl nicht fehl in der
Annahme, dass die unterhalb der Steuerstufe von 1000 M. figu-
rierenden Betriebe wohl kaum noch für die Kategorie der ge-
schlossenen Hofgüter in Frage kommen.
Wenn wir also die Steuerstufen von 1000 bis 5000 M. als
hauptsächHch für den geschlossenen Hofgüterbesitz in Betracht
kommend erachten, so würde sich für die rein landwirtschaftlichen
Betriebe eine durchschnittliche Verschuldungsziffer von 17,4 ^Iq er-
geben ; es würde sich also der Schuldenstand des geschlossenen Hof-
güterbesitzes noch etwas' unter dem Landesdurchschnitt
bewegen. Ferner muss berücksichtigt werden, dass der Geldkapi-
talbesitz bei der Berechnung der Verschuldungsprozente nicht be-
sonders behandelt und auch nicht weiter in Rechnung gezogen
ist. »Bei der Entzifferung des Katasters hat sich nämlich ergeben,
dass unter den 86489 reinen Landwirten sich nicht weniger als
38390 befinden, die ein Zins- oder Renteneinkommen beziehen,
und es beziffert sich die Gesamtsumme dieser fatierten Zinsen
und Renten auf 6843751 M. Diese Zins- und Rentenbezüge
sind wohl nur zum Teil auf Leibgedingsansprüche, zu einem sehr
erheblichen (zahlenmässig allerdings nicht ausgeschiedenen) Teil aber
auf den Besitz von Kapitalforderungen zurückzuführen (ausstehende
Forderungen, Sparkassenguthaben, Geschäftsanteile bei Darlehens-
und Vorschusskassen, zinstragende Wertpapiere u. s. w.« ^).
Wenn man daher den Geldkapitalbesitz in Rü|:ksicht ziehen
würde, welcher in den einzelnen Einkommensgruppen vorhanden
ist, so würde sich die durchschnittliche Verschuldung der rein
landwirtschaftlichen Betriebe (im Grossherzogtum) um ein beträcht-
Hches mindern und zwar in der Einkommensgruppe.
verglichen mit dem
Vermögenswert
bis 1500 M. Einkommen von 21.7 auf 17.4 %
von looi — 1500 » » » 18.5 » 15.2 »
» 150 1—2000 » » » 15.4 » lo.i »
» 2001—3000 » » » 14.1 » 9.5 »
* 3001 — 5000 » » » 13.8 » 8.9 >
» 5000 u. mehr » » * 11.3 » 4.6 »
Wir glauben daher zu der Annahme berechtigt zu sein, dass
eine entsprechende weitere Reduktion des von uns für den ge-
schlossenen Hofgüterbesitz auf 17,4^/0 berechneten Schuldenstandes
in nicht unbeträchtlichem Umfange eintreten würde, sofern der
vorhandene Geldkapitalbesitz berücksichtigt wird. Einen wesent-
i) Die Belastung der landwirtschafttreibenden Bevölkerung u. s. w. S. 27 f.
Volkswirtschaft]. Abhandl. IV. Bd. ' 7
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og II. Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
liehen Stützpunkt findet diese Annahme in dem Ergebnis, welches
die anlässlich der Erhebungen über die Lage der Landwirtschaft
vom Jahre 1883 angestellten Ermittlungen des Schuldenstandes
der Gemeinde Steig gehabt haben. Bezüglich der Immobiliarver-
schuldung der Gemeinde Steig ergiebt sich , wenn man die rein
landwirtschafthchen Haushaltungen von jenen, welche Landwirt-
schaft und Gewerbe betreiben, abzieht, folgendes Bild:
Es entfallen
A bei den rein landwirtschaftl. Betrieben
auf 317670 M. Steuerkapital 154 217 M. =48,55^0 Schulden,
B bei den gemischten Betrieben
auf 316 157 M. Steuerkapital 273207 M. =86,41^/0 Schulden,
bei A und B zusammen
auf 633 827 M. Steuerkapital 427 424 M. = 67,44^/0 Schulden.
Hierzu müssen wir bemerken, dass bei den rein landwirt-
schaftlichen Besitzungen die kleinen und mittleren Betriebe mit
wenigen Ausnahmen höher verschuldet sind als die grösseren.
Der Grund hierfür ist in den höheren Kauf- und Uebergangs-
preisen der ersteren Besitzungen zu erblicken. >Ueberdies fehlt es
den Uebergebern bezw. Verkäufern wie auch den Uebernehmern
oder Käufern an barem Kapital zur Aussteuer der Kinder und
zur eigenen Versorgung im Alter und werden deshalb diese An-
wesen weit mehr belastet als grössere Güter, deren Besitzer häufig
zur Bestreitung dieser Lasten baren Geldvorrat oder grossen
schlagbaren Wald besitzen.«
Die vorstehende, zifFernmässig dargestellte Verschuldung in
der Gemeinde Steig muss jedoch selbst dann noch als sehr hoch
erscheinen , wenn man den wahren Wert der Liegenschaften als
^Is über dem Steueranschlag sich belaufend annimmt. Es würde
dann einem geschätzten Vermögenswert von 845 103 M. ein Schuld-
betrag von 427 424 M. gegenüberstehen, somit die durchschnitt-
liche Gesamtverschuldung 5S^/o, bezw. bei den rein landwirtschaft-
lichen Betrieben 36,5^/0 betragen.
Der Erhebungskommissär glaubt die hier als ziffernmässig
hoch erscheinende Verschuldung in Wirklichkeit als nicht vor-
handen ansehen zu können und begründet dies durch folgende
Thatsachen: »Es besitzen viele Einwohner neben ihren einge-
tragenen Schulden noch Kapitalien , tragen aber dennoch ihre
Schulden nicht ab, weil dieselben sehr häufig nur von den Gläu-
bigern, meistens Eltern oder Geschwistern, kündbar sind, oder sie
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B. Die Wirkungen des Hofgüterrechts auf den Schuldenstand etc. qq
sind umgekehrt nur vom Schuldner kündbar, der aber bei dem
sehr niedrigen Zinsfuss von 3 — 4^/0 keine Veranlassung hat, seine
Schulden abzutragen. In manchen Fällen entrichtet der Schuldner
auch gar keine Zinsen, insbesondere dann, wenn der Gutsübergeber
auf seinen Nachfolger nur einen formellen Eintrag fertigen lässt.
In diesem Falle erlischt denn auch die Schuld nach dem Tode
des Gläubigers, da der Schuldner dessen Haupterbe ist. Jeden-
falls deckt der bare Kapitalbesitz allein den auf dem Immobiliar-
und Mobiliarvermögen haftenden Schuldenstand«. An anderer
Stelle heisst es: »Thatsächlich ist hier mindestens ebenso viel
hiesiges Kapital bei auswärtigen Privaten und Sparkassen, sowie
in Staatspapieren angelegt, als hiesige Einwohner auswärts An-
lehen gemacht haben. Kreditfähige Einwohner bekommen von
hiesigen Privaten unbeanstandet zu 3 — 4^/2^0 Darlehen. Bei weniger
kreditfähigen Schuldnern werden 5 — 6% Zinsen verlangt. Letzterer
Zinsfuss wird hier im Allgemeinen schon als ein sehr bedenkliches
Zeichen der Kreditunfähigkeit betrachtet«.
Hervorzuheben ist, dass Steig eine »reine« Hofgütergemeinde
ist, da von 61 Besitzern land- und forstwirtschaftlicher Liegen-
schaften 58 ihr Besitztum als geschlossenes Hofgut haben.
In einer weniger günstigen Lage als die Gemeinde Steig —
d. h. wenn man berücksichtigt, dass dort die Schulden von den
Aussenständen im Grossen und Ganzen absorbiert werden — , be-
finden sich die beiden anderen, für den mittleren und nördlichen
Schwarzwald als typisch angenommenen Gemeinden O b e r w o 1 f-
a c h und N e u k i r c h.
In Oberwolfach entfallen
A bei den rein landwirtschaftlichen Betrieben (die Tagelöhner-
betriebe eingerechnet)
auf 1731 529 M. Steuerkapital 402641 M. = 23,25^/0 Schulden,
B bei den gemischten Betrieben
auf 298736 M. Steuerkapital 146826 M. = 49,1*5^0 Schulden,
bei A und B zusammen
auf 2030265 M. Steuerkapital 549 467 M. = 27,06^/0 Schulden.
In Neukirch entfallen
A bei den rein landwirtschaftlichen Betrieben
auf 273 711 M. Steuerkapital 128894 M. = 47,09^/0 Schulden,
B bei den gemischten Betrieben
auf 260390 M. Steuerkapital 163970 M. = 62,97^/0 Schulden.
bei A und B zusammen
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lOo II. Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
auf 534 loi M. Steuerkapital 292864 M. = 54,83^0 Schulden.
Wenn wir zunächst die Gemeinde Oberwolfach betrachten,
so dürfen wir nicht unerwähnt lassen, dass nach der Ansicht der
Ortseingesessenen der Kaufpreis der Liegenschaften mit dem
Steuerkapitalwerte insofern nicht übereinstimmt, als im Vergleich
zu den wirklichen Erträgnissen des landwirtschaftlichen Geländes
die Veranlagung zur Steuer eine viel zu hohe ist. Auf der anderen
Seite dürfte es jedoch zutreffend sein, wenn der Erhebungskom-
missär darauf hinweist, dass die im beträchtlichen Umfange vor-
handenen Waldungen durchweg sehr niedrig eingeschätzt sind.
Bezüglich der Gemeinde Neukirch haben wir bereits an anderer
Stelle ausgeführt, dass der Rückgang der hausindustriellen Uhren-
fabrikation die hauptsächlichste Ursache des schwindenden Wohl-
standes und damit auch des vergleichsweisen hohen Schulden-
standes ist, denn die meisten landwirtschaftlichen Nahrungen sind
ohne die Verbindung mit hausindustrieller Erwerbsthätigkeit in
sich nicht mehr lebenskräftig. Thatsächlich sind denn auch unter
den 98 Haushaltungen dieser Gemeinde nur 14 gesetzlich ge-
schlossene Hofgüter. Der Schuldenstand dieser letzteren lässt
sich naturgemäss aus der vorhandenen Statistik nicht ermitteln,
da die geschlossenen Hofgüter nicht besonders behandelt sind;
er dürfte jedoch ohne Zweifel geringer sein als die ortsdurch-
schnittliche Verschuldung, da auch hier die kleineren Besitzgruppen
prozentualiter am stärksten verschuldet sind. Ein gleiches ist für
die geschlossenen Hofgüter der Gemeinde Oberwolfach anzuneh-
men, woselbst von den 214 landwirtschaftlichen Haushaltungen
nur 96 zur Kategorie der geschlossenen Hofgüter zu rechnen sind.
Wenn es möglich wäre, die auf den gebundenen Besitz ent-
fallenden Schuldgrössen zu ermitteln, so würde sich im Allge-
meinen ein mehr oder minder günstiger Schuldenstand gegenüber
der Verschuldung des gesamten landwirtschaftlichen Grundbesitzes
ergeben. Immerhin kann es nicht zweifelhaft sein, dass auch die
geschlossenen Hofgüter der genannten beiden Gemeinden, beson-
ders aber der Gemeinde Neukirch zum Teil mit Immobiliarschulden
erheblich belastet sind.
Die Verschuldungsquellen sind bereits angedeutet worden;
sie haben ihren Ursprung meistens in Gleichstellungsgeldern (Kinds-
kaufgeldern) und Rechtkaufschillingen, wie aus folgender Zusammen-
stellung ersichtlich ist:
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B. Die Wirkungen des Hofgüterrechts auf den Schuldenstand etc. loi
|, Betrag
I der
Gemeinden Immobi-
liarver-
schuldung
1. Oberwolfach
2. Steig
5. Neukirch
549 467
427 424
292 864
I 269 755
Davon herrührend aus
Liegenschaftskauf
mit Ausschluss der
sogenannten
Kindskäufe
Erbteilung ein-
schliesslich der
sog. Kindskäufe
im ganzen
M.
276052
1 34 224
93659
503 935
in Pro-, im ganzen
zenten y.
1 70 990
279 339
178 357
50-25
3 MO
3 '-90
40.00
637 686
in Pro-
zenten
31 13
65.12
60.90
49.50
Hausbau
ganzen
M.
25000
13300
38300
m
Pro-
zent
4,52
311
sonstigen
Ursachen
ganzen
M.
77425
I 561
in
Pro-
zent.
14.10
0.37
20848; 7.20
3.01
99 8341 7-49
Am Stärksten wird die Verschuldung beeinflusst durch die
Gleichstellungsgelder; sie sind mit 49,50^/0 an der Verschuldung
beteiligt; an nächster Stelle kommen die Liegenschaftskaufgelder
mit 40,00^/0, während die aus Hausbau und sonstigen Ursachen
entspringenden Schuldaufnahmen relativ zurücktreten (3,01 bezw.
7,49^/0). Die aus Leibgedingsrenten resultierenden Schulden sind
in der Kolonne »Erbteilung einschliesslich der sogenannten Kinds-
käufe« enthalten.
Inwieweit die Höhe der Uebernahme- (Kauf-)preise als dem
Ertragswerte des landwirtschaftlichen Grundbesitzes nicht ent-
sprechend, den Schuldenstand beeinflusst haben, hat sich für die
Gemeinden Steig und Neukirch nicht ermitteln lassen. Bezüglich
der Gemeinde Oberwolfach wird in den Erhebungen vom Jahre
1883 hervorgehoben, dass das Grund- und Häusersteuerkapital
des landwirtschaftlichen Geländes um 50^/0 höher als dessen Er-
tragswert ist. Hieraus entspringe eine die Rentabilitätsverhältnisse
ungünstig beeinflussende Bildung der Uebernahmepreise, wodurch
der Uebernehmer sehr bald arg ins Gedränge gerate. Durch-
schnittlich seien bei Kindskäufen die Kaufwerte durchaus nicht
niedriger als beim freien Verkauf. Ferner wird darauf hingewiesen,
dass solche Hofesübergaben öfters mit ausserordentlich hohen
Leibgedingsverpflichtungen belastet werden, welche manchmal die
Rente des ganzen Hofguts übersteigen. Wenngleich der vom
Kaufschillingsreste durchschnittlich zu zahlende Zins 4^/0 selten
übersteigt, ja sogar oft nur 3 und 3^2^/0 beträgt, so zwingen
doch häufig die hohen Uebernahmepreise dazu, das vorhandene
Holzkapital anzugreifen. Uebrigens wird der relativ hohe Schulden-
stand der Gemeinde aus der geringen Rentabilität der Hofgüter
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I02
II. Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
zur Zeit der Erhebungen (1883) erklärt, da die eingetragenen
Grund- und Pfandschulden grösstenteils aus dem Jahrzehnt 1873
bis 1883 herrühren und nicht zu allerletzt auf Rechnung der zu
dieser Zeit beträchtlich gesunkenen Holzpreise zu setzen sind.
Zur Verdeutlichung des Bildes, welches wir bis jetzt im Hin-
blick auf den Schuldenstand im Hofgütergebiet gewonnen haben,
sei noch die Real- und Personalkreditverschuldung
der landwirtschaftlichen Bevölkerung in den Amtsbezirken Wolf-
ach, Waldkirch und Tr i b e r g , welche für den Hofgüter-
besitz vorzugsweise in Frage kommen, in folgender ziffernmässiger
Darstellung^) wiedergegeben.
Verschuldung in Prozenten des geschätzten Vermögenswertes
Amtsb ezirke
Wolfach
Waldkirch
Triberg
, a. der rein landwirt-
' schaftl. Bevölkerun g
b. der gemischten
Betriebe
Im Durchschnitt aller
Betriebe
Zahl der
! Betriebe
7o
16,8
20,3
23,6
Zahl der ' 0/
Betriebe 1 ^^
Zahl der
Betriebe
2593
1913
1640
7o
950
885
598
1643
1028
1042
38,7
33.1
50,5
25,5
25,0
39,2
2433
19.2
3713
40,4
6146
28,2
Wenngleich diese Ziffern, wie wiederholt hervorgehoben, nicht
der genaue Ausdruck des Schuldenstandes der gesetzlich ge-
schlossenen Hofgüter sind , so sind doch die Verschuldungsur-
sachen auch bei den kleineren, nicht geschlossenen landwirtschaft-
lichen Betrieben, wenn auch im erhöhten Grade dieselben wie
beim geschlossenen Besitz, da die ersteren fast durchgängig in
derselben Weise, d. h. ungeteilt vererbt werden. Bei den kleineren
Besitzungen dürfte das wesentlichste aus Gleichstellungsgeldern
und Kaufschillingsresten entspringende Verschuldungsmoment eben
durch die notorische Ueberzahlung des Anwesens bei der Ueber-
gabe bezw. beim Ankauf eine nicht unerhebliche Steigerung er-
fahren. Wir können also mit Fug und Recht die durchschnitt-
liche Verschuldung der gesetzlich geschlossenen Hofgüter des
badischen Schwarzwalds wesentlich niedriger annehmen als die
der Gesamtheit der landwirtschaftlichen Haushaltungen, von denen
(ca. 21 049 Haushaltungen, vgl. die zu geographischen Bezirken zu-
sammengefassten Amtsbezirke, für welche die Verschuldungspro-
zente berechnet sind) rund 5000 gesetzlich geschlossene Hofgüter
1) Entnommen der Denkschrift über die Belastung der Landwirtschaft u. s. w. S. 32.
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B. Die Wirkungen des Hofgüterrechts auf den Schuldenstand etc. 103
sind , also noch nicht den vierten Teil der gesamten landwirt-
schaftlichen Betriebe umfassen.
Wenn wir uns jetzt die Frage vorzulegen haben : Ist die
Verschuldung im Hofgütergebiet eine derartige, dass sie von der
bäuerlichen Bevölkerung als eine drückende Last empfunden
wird, oder sogar die Gefahr des wirtschaftlichen Niedergangs zahl-
reicher bäuerlicher Existenzen in sich birgt, — so ergiebt sich
die Antwort darauf am besten, wenn wir die Verschuldungsver-
hältnisse der am günstigsten und am ungünstigsten dastehenden
landwirtschaftlichen Bevölkerung in den einzelnen Amtsbezirken
des Grossherzogtums in einen Vergleich zu der Schuldbelastung der
bäuerlichen Bevölkerung im Hofgütergebiete bringen. Beispiels-
weise beträgt in den Amtsbezirken Eppingen und Kehl , welche
die günstigsten Verhältnisse aufzuweisen haben, die Verschuldung
der rein landwirtschaftlichen Bevölkerung 7,5% bezw. 8,5% des
geschätzten Vermögenswertes und im Durchschnitt aller Betriebe
10,0^0 bezw. 13, 7^0- Dagegen beträgt in den am meisten ver-
schuldeten Amtsbezirken Pfullendorf und Messkirch der rein land-
wirtschaftlichen Bevölkerung 40,6^/0 bezw. 44,7^/0 und im Durch-
schnitt aller Betriebe 42,5% bezw. 45,0^/0. Demgegenüber stellt
sich die Verschuldungsziffer für die drei Amtsbezirke Wolfach,
Waldkirch und Triberg zusammen auf 19,2^/0 für die rein land-
wirtschaftlichen und auf 28,2^/0 für die gemischten Betriebe. Die
durchschnittliche Verschuldungsziffer für die gemischten Betriebe
ist in ihrer Höhe wesentlich durch den Amtsbezirk Triberg be-
einfiusst worden, welcher wegen des Rückgangs der Hausindu-
strie und wegen besonders schlechter Boden- und Klimaverhält-
nisse wohl der ungünstigste Bezirk im gesamten Hofgütergebiet
genannt werden muss. Immerhin wird man auch hier die Ver-
schuldungshöhe als im Allgemeinen auf einem Niveau befindlich
bezeichnen können, wo die unmittelbare Gefahr des wirtschaftlichen
Zusammenbruchs zahlreicher Existenzen nicht zu befürchten ist.
Diese Furcht ist um so weniger gerechtfertigt, als bezüglich der
am höchsten verschuldeten Amtsbezirke der Donau- und See-
gegend sich Buchenberger in der Denkschrift ^) dahin ausspricht,
dass »selbst für diese mit besonders schwierigen Verhältnissen
kämpfenden Getreidebaubezirke eine allgemeine Ver- und Ueber-
schuldung nicht nachweisbar gewesen sei«.
Wenn wir nun das gesamte Hofgütergebiet in Rücksicht ziehen,
i) Die Belastung der landwirtschafttreibenden Bevölkerung S. 41.
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J04 ^^- '^^^' ^^® Wirkungen des Hofgüterrechts.
SO werden wir dieVerschuldüngshöhe als durchaus
unbedenklich, bis zu einem gewissen Grade so-
gar als ziemlich günstig bezeichnen müssen , in Anbe-
tracht des Umstandes, dass die Uebergänge zum grossen Teil in
einer Zeit erfolgten (von Beginn bis Mitte der siebziger Jahre),
wo die Güterpreise eine enorme Höhe hatten. Als dann kurz
darauf wegen des Sinkens der Holzpreise ein Umschwung in der
Rentabilität der ohnehin schon um einen viel zu hohen Ueber-
nahmspreis übernommenen Hofgüter eintrat, so war es ganz na-
türlich , dass daneben her eine Steigerung und Vermehrung der
Schuldaufnahmen gehen mussten.
Heute hat sich in dieser Beziehung ein Umschwung zum
Besseren vollzogen, indem die aus der Holzwirtschaft gewonnenen
Reinerträge den alten Stand in der Mitte der siebziger Jahre be-
reits wieder erreicht haben und ihn auch nach dem Urteile von
Sachverständigen auf absehbare Zeit behaupten werden. Des-
gleichen sei auf den günstigen Stand der Viehpreise hingewiesen,
und ebenso auf die rationellere Betriebsgestaltung, auf die Ver-
besserung der Kommunikationsmittel, und auf die mancherlei Vor-
teile, welche dem Landwirt die Erfindungen und Verbesserungen
auf dem Gebiete der iVgrikulturchemie gebracht haben. Zahlreiche
von uns in fast allen Distrikten des Hofgütergebietes angestellte
Umfragen haben denn auch die Ansicht bestätigt , dass der
Schuldenstand des Hofgüterbesitzes — natürlich
vereinzelte Fälle ausgenommen , wo ganz besondere Ver-
schuldungsursachen vorlagen — nirgends besorgniserre-
gend ist.
Immerhin wird eine mehr oder minder erhebliche Schuldauf-
nahme unvermeidlich sein, wenn der Hof seinen Besitzer wechselt,
und der junge Hofbesitzer mangels genügenden Barkapitals die
an seine Geschwister auszukehrenden Gleichstellungsgelder als
Hypotheken auf seinen Grundbesitz eintragen lassen muss. Da
ist es nun unbedingte Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit
des Uebernehmers, dass er das Hofgut zu einem angemessenen
Anschlage erhält. Von dieser Erwägung geht auch das Gesetz
vom 28. Aug. 1898 aus, indem es den Ertragswert der Taxation
des Hofgutes zu Grunde legt. Wir haben bereits die Schwierig-
keiten erwähnt, welche der Ermittlung des Ertragswertes gerade
in Hinsicht auf den geschlossenen Hofgüterbesitz im Wege stehen.
Dem subjektiven Ermessen der als Taxatoren in Frage kommen-
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B. Die Wirkungen des Hofgüterrechts auf den Schuldenstand etc. 105
den Persönlichkeiten, also besonders dem Ermessen des Waisen-
richters, wird jedenfalls ein gewisser Spielraum gewährt werden
müssen, da es sich eben häufig um recht komplizierte Verhält-
nisse handelt, welche durchaus individuell behandelt werden müs-
sen. Wir wollen an dieser Stelle noch nachtragen, dass bezüglich
der Schätzung des Waldbesitzes durch einen forstlich gebildeten
Sachverständigen der Waldwert nach demselben Verfahren ver-
mittelt werden müsste, welches das Domänenärar beim Ankauf
von Waldungen verwendet.
In der Mehrzahl der Fälle wird jedoch der Hof zu dem im
Kauf- (bezw. Uebergabe-)vertrag festgesetzten Preise übergeben
werden. Dabei wird es dann häufig genug vorkommen, dass der
Hofbesitzer durch einen zu hohen Uebernahmepreis oder durch
ein dem abtretenden Hofbesitzer zu gewährendes unverhältnis-
mässig hohes Leibgeding stark belastet wird. Diese Belastung
wird der junge Jiofbauer dann um so schwerer empfinden, wenn
die Erträgnisse seiner Wirtschaft eine Preisreduktion erfahren,
oder wenn seine Wirtschaftslage durch unvorhergesehene Ereig-
nisse und Unglücksfälle aller Art wie: Viehsterben, Viehseuchen
und Viehkrankheiten, Elementarereignisse (Windschläge und Schnee-
brüche) verschlechtert wird.
Aus allen diesen Gründen geht die Notwendigkeit einer plan-
mässigen Schuldentilgung für den Schwarzwälder Hofbauern
hervor, zumal sein Einkommen ziemlich stabiler Natur ist, zum Unter-
schiede von dem überaus schwankenden Einkommen seiner Wein-
und Handelsgewächsbautreibenden Berufsgenossen in der Rhein-
ebene. Wenngleich wir festgestellt haben, dass der Schulden-
stand im Hofgütergebiet im Allgemeinen zu Besorgnissen keine
Veranlassung giebt und auch von den Hofbauern selbst nicht
gerade als eine sehr drückende Last empfunden wird, so ergiebt
sich aus dieser Erkenntnis doch keineswegs die Hinfälligkeit un-
serer in der Richtung einer planm.ässigen , auf dem Annuitäten-
prinzipe beruhenden Schuldentilgung aufgestellten Forderung. Auf
diese Weise würde die Verpflichtung, welche der Hofbesitzer
seinem zukünftigen Hofeserben gegenüber hat, die aufgenom-
menen Schulden, sofern sie sich als Besitzkredit darstellen, inner-
halb einer gewissen Reihe von Jahren d. h. innerhalb der mut-
masslichen Wirtschaftsdauer, abzutragen, ihrer Verwirklichung nahe-
gebracht. Die Gangbarkeit der verschiedenen Wege, welche zu
diesem Ziele führen, des Näheren zu prüfen und zu erörtern, kann
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I06 II. Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
nicht die Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein^). Wir möchten
nur betonen , dass Reformen in dem Sinne einer Entschuldung
des ländlichen Grundbesitzes dann am ehesten Erfolge versprechen,
sofern die bäuerliche Bevölkerung noch eine gewisse Leistungs-
fähigkeit besitzt; denn ein Kranker mit einer verhältnismässig
kräftigen Körperkonstitution wird eine Kur besser ertragen kön-
nen, als ein Kranker, dessen Gebrechlichkeit bereits einen hohen
l) Wir registrieren an dieser Stelle den neuesten Vorschlag des Geh. Hofrat Dr.
Hec/tt-Maimheim (vgl. Dr. Hecht, Die Entschuldung des ländlichen Grundbesitzes 1899).
Hecht bringt das Hypothekardarlehenswesen mit der Versicherung in einen organischen
Zusammenhang derart, dass beim kündbaren Darlehen eine Versicherung in der vollen
Höhe des kündbaren Darlehens, bei Annuitätendarlehen eine Versicherung des jewei-
ligen Kapitalrestes vorhanden ist. Hecht bezeichnet diese Darlehen als Hypotheken-
tilgungsdarlehen. Wenn man von der Wahl eines kündbaren Darlehens absieht, für
die nicht einmal rechnerisch irgend welcher Anlass besteht, so charakterisiert sich
diese Kombination als Amortisationsschuld mit Versicherung des jeweiligen Kapital-
restes, zahlbar im Todesfalle. Die Kosten dieser Schuldentilgung sind nach Hecht
nicht höher als bei einer Verbindung der Lebensversicherung mit dem Hypothekar-
darlehen ohne Amortisation. Es fragt sich jedoch, ob die Gesellschaften diese neue
Form der Lebensversicherung annehmen werden, oder ob hierfür die Errichtung
einer besonderen Anstalt nötig sein würde. Eine weitere Schwierigkeit würde sich
bezüglich der Festsetzung der Prämiensätze ergeben, da jedenfalls für die bäuerliche
Bevölkerung des Schwarzwalds wegen der leicht nachweisbaren Untersterblichkeit
eine gesonderte Behandlung aus Billigkeitsgründen^ geboten erscheint.. — Wir wollen
bei dieser Gelegenheit nicht unerwähnt lassen, dass die Rheinische Hypothekenbank
in Mannheim , um dem ländlicheu Kreditbedürfnis entgegenzukommen , bekanntlich
im Jahre 1893 eine Landeskreditkassenabteilung eingerichtet hat. Sie gewährt An-
nuitätendarlehen und kündbare Darlehen ; bei letzteren betrug nach dem Berichte
der Landeskreditkassenabteilung für das Jahr 1898 der Zinsfuss 3^/3 7o, bei ersteren
3^/4 7o. Im Ganzen wurden 1898 1637 Darlehen mit einem Kapitalbetrage von rund
9Y2 Mill. Mark gewährt. Ein Erfolg ist somit immerhin zu verzeichnen, wenngleich
nicht in dem Masse, wie man nach der s. Z. aufgewandten Agitation hätte erwarten
können. Wir haben vielfach nach den Gründen dieses relativ geringen Erfolges ge-
forscht, zumal gerade im Hofgütergebiet fast gar kein Gebrauch von dieser unzweifel-
haft segensreichen Einrichtung gemacht ist. Die Ursachen der Indolenz der Bauern
gegenüber der ihnen sehr wohl bekannten Landeskreditkassenabteilung wurzeln in
dem Misstrauen, das die Bauern derartigen privaten Instituten nun einmal entgegen-
bringen. Ohne stichhaltige Gründe dafür beizubringen , können sie es sich nicht
denken, dass ihre Interessen von einer Privatbank vertreten würden, deren eigent-
liche Aufgabe es doch sei, möglichst viel an Dividende u. dgl. für ihre Aktionäre
herauszuschlagen. Sie verlangen deshalb , dass der Staat solche auf die Schulden-
tilgung hinzielenden Einrichtungen selbst in die Hand nimmt. In gleicher Weise hat
sich auch der badische Landwirtschaftsrat in einer Resolution vom 2. Dezember 1898
dahin ausgesprochen, dass er das sicherste und am schnellsten wirkende Mittel zur
Entschuldung des Grund und Bodens nach wie vor in der Errichtung einer staat-
lichen Landeskreditanstalt erblickt.
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C. Das Hofgüterrecht in seiner Wirkung auf die Geburtenziffer etc. 107
Grad erreicht hat. Für den Hofbauern des Schwarzwalds aber
liegt die wirtschaftliche Konjunktur wegen der gestiegenen Holz-
und Viehpreise heute günstiger als für den Landwirt der Gegen-
den mit vorherrschendem Getreidebau.
C. Das Hofgüterrecht in seiner ^A^i^kung auf die Geburten-
ziffer unehelicher Kinder.
Es ist eine ebenso häufig aufgestellte wie bestrittene Be-
hauptung, dass die Vererbung des Besitzes nach dem Grundsatze
der Individualsuccession neben oder gerade wegen der Benach-
teiligung der weichenden Geschwister eine relative Häufigkeit der
unehelichen Geburten im Gefolge habe.
Bevor wir bezüglich des Hofgütergebietes diese Behauptung
auf ihre Richtigkeit bezw. ihre Unrichtigkeit hin zu prüfen beab-
sichtigen, wollen wir die diesbezüglichen Ergebnisse der jüngsten
Forschungen in zwei grösseren Anerbenrechtsgebieten nämlich
in den nach Anerbensitte vererbenden Gebietsteilen des König-
reichs Bayern und in der Provinz Hannover, in folgender
statistischer Zusammenstellung wiedergeben :
Nach der von Fick''^) zu diesem Zweck benutzten amtlichen
Statistik kamen auf 100 Geburten : (Durchschnitt der 10 Jahre
1879/88) in den nach Anerbensitte vererbenden Gebietsteilen,
und zwar
in den unmittelbaren in den Bezirks-
Städten ämtern
in Oberbayern 27,7 uneheliche 15,7
» Niederbayern 17,3 * 16,2
» Oberfranken 18,7 » 14,0
» Mittelfranken 20,6 » 16,0
> Schwaben 16,6 » 10,2
in den Gebietsteilen mit vorherrschender Freiteilbarkeit, und zwar
in den unmittelbaren in den Bezirks-
Städten ämtern
in der Pfalz 7,5 uneheliche 5,1
» Unterfranken 21,3 » 7,3
Demgegenüber weist Grossmann ^) für die Provinz Hannover,
wo abgesehen von einzelnen hierbei bedeutungslosen Naturaltei-
i) Y>r. Ludwig Fick, Die bäuerliche Erbfolge im rechtsrheinischen Bayern, Achtes
I Stück der Münchener Volkswirtschaftlichen Studien, herausgegeben von Lujo Brett-
I tano und Walther Loiz, Stuttgart 1895, Seite 305.
2) Vgl. Grossmann a. a. O. Seite 203.
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I08 II« Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
lungsdistrikten der ungeteilte Uebergang des Grundbesitzes die
Regel bildet, an der Hand der preussischen Statistik Heft 138,
Seite 23 fg, nach, dass auf 100 Geburten (wobei die Städte nicht
ausgeschieden sind) 6,9 uneheliche, wohingegen im Staate Preussen
auf 100 Geburten 8,02 uneheliche Geburten kommen.
Es würde somit die Provinz Hannover bezüglich der unehe-
lichen Geburten dieselben günstigen Verhältnisse aufzuweisen haben
wie die Pfalz, sofern man den etwas höheren Prozentsatz in den
Städten berücksichtigt.
In dem der Provinz Hannover benachbarten Fürstentum
L i p p e 1), woselbst das sogenannte Kolonatsrecht d. h. die strenge
gesetzliche Gebundenheit sich über ^/s des gesamten Grund und
Bodens erstreckt, entfielen in dem Jahrzehnt 1871/80 auf 100 Ge-
burten 5,2 uneheliche; es ist somit das Verhältnis noch gün-
stiger als in der Pfalz,
Desgleichen sei noch erwähnt, dass die Provinz Westfa-
len mit fast durchweg geschlossenem Uebergange des Grundbe-
sitzes im Erbfalle, in Bezug auf die Ziffer der unehelichen Geburten
noch wesentlich günstiger dasteht als die bayrische Pfalz, indem
hier auf 100 Geburten nur 2,8 uneheliche entfallen''^), d. h. lOO^o
weniger als in der Pfalz.
Wenn wir uns nun im folgenden der Betrachtung der dies-
bezüglichen Verhältnisse im Hofgütergebiet des Schwarzwalds zu-
zuwenden haben, so werden wir auch jetzt wieder unseren Unter-
suchungen die für die drei Amtsbezirke Waldkirch, Wolfach und
Triberg gewonnenen Ziffern zu Grunde legen müssen. Die üb-
rigen 12 Amtsbezirke , welche geschlossene Hofgüter enthalten,
können — wie hinreichend bekannt — um deswillen nicht be-
rücksichtigt werden, weü dort bei der Mehrzahl oder doch bei
einem sehr grossen Bruchteil der landwirtschaftlichen Betriebe die
Liegenschaften im Erbfalle naturaliter geteilt werden.
Da ist nun zunächst zu bemerken, dass der Amtsbezirk Wald-
kirch in Bezug auf den Prozentsatz der unehelichen Geburten der
ungünstigste im Grossherzogtum gewesen ist. Nach Schupp ^) kamen
1856 — 63 auf 100 Geborene
i) Vgl. E. H. Wilhelm Meyer ^ Teilung s verbot, Anerbenrecht und Beschränkung
der Brautschätze beim bäuerlichen Grundbesitze Lippes. 1895, Seite 54.
2) Vgl. Grossmann a. a. O. Seite 204.
3) Schupp, a. a. O. Seite 56 fg.
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C. Das Hofgüterrecht in seiner Wirkung auf die Geburtenziffer etc. loo
im Grossherzogtum i6,6 uneheliche
im Bezirk Wolfach 25,3 »
im Bezirk Waldkirch 34,3 >
Schupp erklärt die grosse Zahl der unehelich geborenen Kin-
der in sehr drastischer Weise aus folgenden Momenten :
»Verschiedenerlei mag hier zusammenwirken; das gemein-
schaftliche Viehhüten von Knaben und Mädchen und der gemein-
schaftliche Schulgang solcher , wo über Geschlechtsverhältnisse
oft unglaubliches verhandelt und manche Unzüchtigkeit verübt
wird; die Einteilung der Wohnräume in den Häusern, wo in den
abgelegenen Räumen oder auf der Bühne die männlichen und
w^eiblichen Dienstboten in unverschliessbaren Kammern neben
einander schlafen; die weiten waldigen Gelände, die einen uner-
laubten Verkehr begünstigen; die mangelhafte sittliche und reli-
giöse Erziehung; das schlechte Beispiel der Bauern; die Schwierig-
keit den Geschlechtstrieb in legalerer Weise zu befriedigen«.
Schupp geisselt sodann die mancherlei Missstände, und weist auf
die sittlichen und wirtschaftlichen Schäden hin , welche aus der
Häufigkeit der unehelichen Kinder resultieren. Das Schicksal der
meisten unehelichen Kinder beschreibt er wie folgt:
»Noch bevor das Kind aus der Schule ist , kommt es zu
einem Bauer oder Bürger, der es zum Viehhüten oder als Kinds-
magd gebraucht, und verdient sich die Nahrung und Kleidung ....
Zur Schande mancher Bauern muss ich es hier sagen , dass sie
es nicht einmal gern sehen, wenn man solche Kinder in Anstal-
ten unterbringt, denn sie wollen sie als Hirtenbuben u. s. w. ver-
wenden und das Angebot nicht herabdrücken«.
Bekanntlich ist man bezüglich der Waisenversorgungsfrage
neuerdings anderer Ansicht, indem man sich mit der Absicht
trägt , die überfüllten Waisenhäuser der Grossstädte im körper-
lichen und sittlichen Interesse der Zöglinge dadurch zu entlasten,
dass man diese in kleinbäuerlichen Familien unterbringt ^).
Auf diese Weise dürfte eine Gegentendenz zu dem im Ueber-
mass sich äussernden »Zug nach der Stadt« geschaffen und dem
chronischen Arbeitermangel auf dem Lande wenigstens in etwas
abgeholfen werden.
i) Unseres Wissens beabsichtigt beispielsweise die Stadt Frankfurt a. M. et-
was ähnliches. Es sollen die Waisenkinder in den Kolonistenfamilien der Renten-
und Ansiedlungsgüter gegen Entgelt untergebracht werden. Es wäre zu wünschen,
dass dieses Projekt von Erfolg begleitet wäre.
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I 10 II. Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
Immerhin soll nicht geleugnet werden, dass den Schupf sch^n
Ausführungen ein berechtigter Kern innewohnt. Doch ist dabei eine
gewisse Animosität unverkennbar und auch sehr wohL begreiflich im
Hinblick auf die Auffassung, welche zu Ende der sechziger Jahre,
wo die Wogen eines vielfach doktrinären Liberalismus sehr hoch
gingen, bezüglich der Gebundenheit des Grundbesitzers herrschte.
Freilich muss auch Schupp anerkennen, dass nicht in allen Hof-
güterbezirken die von ihm gebrandmarkten Missstände anzutref-
fen sind. Er führt zum Beispiel an, dass im Amtsbezirk Ober-
kirch, welcher ebenfalls sehr viele geschlossene Hofgüter hat, die
uneheliche Geburtenziffer unter dem Landesdurchschnitt steht.
Einen nicht unwesentlichen Einfluss hat auch die Gesetzge-
bung ausgeübt, welche die Eheschliessung sehr erschwerte und
von einem obrigkeitlichen Konsens abhängig machte. Durch das
Gesetz vom 4. Oktober 1862 wurden diese Hemmnisse
beseitigt, und es wurde die Verehelichungsfreiheit grundsätzlich
ausgesprochen. Seitdem hat sich eine wesentliche
Besserung bemerkbar gemacht, wie aus folgender
Zusammenstellung ersichtlich ist:
Es wurden nach der amtlichen Statistik geboren in den
Amtsbezirken
Eh
eliche
Uneheliche
Triberg
f 1883
{ 1895
[ 1896
650
681
724
89
66
66
Waldkirch
( 1883
1895
[ 1896
573
577
674
138
99
106
Wolfach
f 1883
{ 1895
[ 1896
727
709
732
129
J02
92
Hiernach hat also die Ziffer unehelicher Geburten nicht nur
relativ gegenüber der Ziffer ehelicher Geburten abgenommen, son-
dern auch absolut, und zwar ist die Abnahme — wie ersichtlich
— sehr beträchtlich. Während nämlich die uneheliche Geburten-
ziffer für den Bezirk Waldkirch 1856/63 noch 34,3^0 und im Jahre
1883 noch 24,1^/0 betrug, stellt sie sich 1896 auf iS,67o- Der
Amtsbezirk Triberg steht mit 8,8^/0 unehelicher Geburten sogar
noch günstiger als der Landesdurchschnitt, welcher 9,01 beträgt.
Aber auch für den Amtsbezirk Waldkirch muss die Ab-
nahme gegen früher um so erheblicher ins Gewicht fallen, als die
Verringerung des Prozentsatzes unehelicher Geburten im Jahre
1896 g^g^n den Durchschnitt der Jahre 1856/63 ca. iio^o betrug.
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C. Das Hofgüterrecht in seiner Wirkung auf die Geburtenziffer etc. i i i
während für den Landesdurchschnitt sie sich auf 80^/0 stellte.
Thatsächlich hat denn auch der enorme Rückgang der Ge-
burtenziffer unehelicher Kinder im Hofgütergebiet wesentlich zur
Verminderung des Landesdurchschnitts beigetragen, zumal in den
Gebieten der Freiteilbarkeit eine entsprechende Verminderung
des Prozentsatzes unehelicher Geburten nicht zu verzeichnen ist.
Wenn es daher auch durchaus richtig ist, was M. Heckf^) in seiner
genannten Schrift sagt, dass nämlich »die Ursache für die nied-
rige (bezw. hohe) Ziffer nur in wirtschaftlichen Verhältnissen
suchen zu wollen falsch wäre«, so können wir es doch nur mit
Einschränkung für richtig halten, wenn er weiter fortfährt: »Wir
können auch im Gebiet der Geschlossenheit der Güter Gemeinden
mit einer ganz niedrigen Ziffer unehelicher Geburten nachweisen,
besonders in der Nähe der Städte, wo Bildung und Sittlichkeit
Hand in Hand gehen«. Jedenfalls weisen die Städte eine be-
klagenswerte absolute wie relative Zunahme des Prozentsatzes un-
ehelicher Geburten auf. Es wurden nämlich geboren in den
Amtsbezirken mit grosser bezw. überwiegender städtischer Be-
völkerung :
f
(
Heidelberg |
Karlsruhe
Mannheim
Eheliche
U
neheliche
1883
1896
2699
3478
224
426
1883
1896
2670
4808
247
445
1883
1896
2363
2696
268
576
Sehen wir von Mannheim ab, wo die relative Zunahme der un-
ehelichen Geburten ganz unbedeutend ist (ca. 0,2^/0), dagegen
die absolute Zunahme in die Augen springt, so lässt sich für die
Amtsbezirke Karlsruhe und Heidelberg eine sehr beträchtliche
absolute wie relative Zunahme des Prozentsatzes unehelicher Ge-
burten mit Leichtigkeit feststellen. Der Amtsbezirk Heidelberg
steht sogar mit 21,4^0 weitaus an der Spitze der Amtsbezirke
des Grossherzogtums und übertrifft somit noch um ein bedeuten-
des den Amtsbezirk Waldkirch, welcher lange Zeit in Bezug auf
die Höhe der Geburtenziffer unehelicher Kinder die erste Stelle
einnahm.
Bei der für den Hofgüterbezirk Waldkirch ersichtlichen er-
heblichen Verminderung des Prozentsatzes der unehelichen Ge-
burten dürfte sicherlich das Moment einer zunehmenden Bildung
i) Dr, M, Hecht a. a. O. Seite 91.
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112 II. Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
und Sittlichkeit von massgebendem Einfluss gewesen sein. Auf
der anderen Seite ist es jedoch zu beklagen, dass in den Städten
wo doch nach Hecht »Bildung und Sittlichkeit Hand in Hand
gehen« leider ein umgekehrter Prozess d. h. eine steigende ab-
solute wie relative Zunahme der Geburtenziffer unehelicher Kinder
mit trauriger Deutlichkeit sich bemerkbar macht.
Nach alledem glauben wir nicht berechtigt zu sein, die Grund-
besitzverteilung im Hofgütergebiet als den in letzter Linie mass-
gebenden Faktor bezüglich des hohen oder niedrigen Standes der
Geburtenziffer unehelicher Kinder zu betrachten. Wenn wir ferner
noch die diesbezüglichen Ergebnisse der statistischen Unter-
suchungen in den anderen Gegenden mit vorherrschender Ge-
bundenheit des Grund und Bodens berücksichtigen, so kann unseres
Erachtens höchstens als Faktum gelten , dass die aristokratische
Grundbesitzverteilung, was die Höhe bezw. die Niedrigkeit der
Ziffer unehelicher Geburten anbelangt, hier ungünstige (wie z. B.
in Bayern) dort günstige (wie in Hannover, Lippe und Westfalen)
Ergebnisse aufzuweisen hat. Bezüglich des Hofgütergebiets können
wir sagen, dass im Allgemeinen eine über den Landesdurchschnitt
erheblich hinausgehende Geburtenziffer unehelicher Kinder nicht
behauptet werden kann. Wohl aber ist sogar in dem bislang am
ungünstigsten dastehenden Amtsbezirk Waldkirch eine erhebliche
Wendung zum Besseren längst eingetreten, und die Tendenz einer
fortdauernden Verminderung der unehelichen Geburten ist nach
den Ausweisen der Statistik augenscheinlich.
Wir können diese Ausführungen nicht beendigen, bevor wir
nicht noch kurz einen Punkt erledigt haben, welcher hin und
wieder gegen die geschlossene Vererbung ins Treffen geführt
wird. Es betrifft das die angebliche Thatsache, dass es im Inter-
esse des für den Anerben bedachten Hofbesitzers gelegen sei,
eine absichtliche Verminderung der Geburten herbeizuführen, da-
mit der Anerbe bei der Uebernahme nicht zu sehr mit Abfin-
dungsgeldern belastet werde. Wir haben schon verschiedentlich
auf die notorische Fruchtbarkeit der Ehen der Schwarzwaldbe-
völkerung hingewiesen. Andererseits haben Schriftsteller wie Schupp
EniminghauSy Schmidt u. a., welche bei der Hervorhebung der
Schattenseiten der geschlossenen Vererbung vielfach allzu lebhafte
Farben aufgetragen haben, nirgends diesen Missstand gerügt, —
wohl der beste Beweis, dass er im Hofgütergebiete jedenfalls nicht
vorhanden ist.
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D. Das Hofgüterrecht und die soziale und wirtschaftliche Position etc. n'i
D. Das Hofgüterrecht und die soziale und wirtschaftliche
Position der weichenden Erben.
Es fehlt uns leider das erforderliche statistische Material, um
zu der oft ausgesprochenen Behauptung, dass das Anerbenrecht
die Proletarisierung der weichenden Erben im Gefolge habe,
Stellung nehmen und in Bezug auf das Hofgütergebiet des Schwarz-
walds ein sicheres Urteil über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit
genannter Behauptung gewinnen zu können. Dazu wäre die
Mitwirkung der Behörden erforderlich gewesen , wie z. B. die
diesbezüglichen Erhebungen in einer Anzahl von Landgemeinden
der Provinz Westfalen^) interessante Ergebnisse gehabt haben.
Dort erstreckte sich die Untersuchung auf 1204 Höfe mit 4561
Abfindungen (1766 männlichen und 2255 weiblichen). Von den
männlichen Abfindungen sind 811 oder 46^/0 wieder selbständige
Landwirte geworden, 398. oder 22% selbständige Unternehmer im
Gewerbe, Handel und Verkehrswesen und sonstige Betriebsleiter,
während 283 = 16^/0 sich den liberalen Berufen, dem Beamtentum
u. dgl. zugewandt haben, unter diesen 3 akademisch Gebildete
oder Studierende wie: Professoren, Gymnasiallehrer, Geistliche,
Aerzte, Tierärzte, Oberförster, Amtsrichter, Reichsgerichtsrat u. s. w.
Von den vom väterlichen Hofe verzogenen weiblichen Ab-
findungen (2255) sind 2116 verheiratet, davon 1526 = 72^/0 an selb-
ständige Landwirte, 213=11^/0 an Handwerksmeister u. dergl.
160 =: 7^0 an Kaufleute und Gastwirte, 135 == 6% an Personen der
liberalen Berufe und des Beamtentums, u. a. Geistliche, Aerzte,
Apotheker u. s. w. An Arbeiter, Gehilfen, Tagelöhner sind 82 = 4^/0
verheiratet, von ihnen stammen 33 von den kleinen Besitzungen.
Bezüglich des Hofgütergebiets mussten wir uns auf persön-
liche Umfragen beschränken , welche wir in fast allen Bezirken
angestellt haben. Leider können wir uns nicht auf die Beweis-
kraft der Zahlen stützen, sondern höchstens das registrieren, was
uns auf unsere Erkundigungen hin ganz allgemein geantwortet
worden ist.
Danach scheint die Behauptung, dass das System der ge-
schlossenen Erbfolge zur Vermehrung des Proletariats beitrage,
auch für den Schwarzwald in heutiger Zeit jeglicher Begründung
i) Die Vererbung des ländlichen Grundbesitzes im Königreich Preussen, V
Oberlandesgerichtsbezirk Hamm^ bearbeitet von Ludwig Graf von Spee, 1898 Seite
210 fg.
Volkswirtschaft!. Abhandl. IV. Bd. 8
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114 ^^' '^^^^' ^^® Wirkungen des Hofgüterrechts.
ZU entbehren. Jedenfalls wurde von unseren Gewährsmännern, die
wir für durchaus zuverlässig halten dürfen, dieser angeblichen
Konsequenz der geschlossenen Vererbung auf das entschiedenste
widersprochen. Man wies im Gegenteil darauf hin, dass öfter die
Abfindlinge besser gestellt seien, als der Hofübernehmer, zumal
die alten Hofbesitzer es für ihre Pflicht erachten, den Hof nicht
eher aus den Händen zu geben, als bis die erstgeborenen Kinder
versorgt sind. Auch hierbei springt der grosse Vorzug des Mino-
rats wieder in die Augen. Der Hof bauer kann so während seiner
relativ langen Wirtschaftszeit, die durchschnittlich nicht unter 35
Jahre beträgt , seine Kinder am besten versorgen. Gewöhnlich
sind dann auch die meisten älteren Geschwister versorgt oder
verheiratet, wenn der junge Hofbauer den Hof übernimmt.
Die männlichen Geschwister werden teils wieder Landwirte,
indem sie sich durch die elterliche Unterstützung ankaufen, teils
haben sie ein Handwerk oder dgl. gelernt, in welchem Falle sie
häufig in die kleineren Städte des Schwarzwalds abwandern. Die
Bevölkerung der kleineren Städte im Kinzig-, Elz-, Bregthal und
anderen Thälern des Schwarzwalds dürfte sich zum sehr grossen
Teil aus den Abfindungen der Hofbauern zusammensetzen. So-
gar in den grösseren Städten wie Freiburg, Ofifenburg u. a. be-
gegnet man nicht selten solchen abgefundenen Hofbauernsöhnen,
welche ein Geschäft , sei es im Handel oder im Gewerbe selb-
ständig betreiben. Hier gelingt es ihnen dann auch sehr oft, sich
vermöge der dem Schwarzwälder angeborenen Ausdauer und Ge-
nügsamkeit im Laufe der Zeit zur Wohlhabenheit emporzuarbeiten.
Vormals bot die Uhrenindustrie in einem grossen Teil des Hof-
gütergebiets (Amtbezirke Neustadt, Triberg und Waldkirch) den
erstgeborenen Söhnen der Hofbauern eine willkommene Einkom-
mensquelle. Leider ist diese Quelle jetzt grösstenteils versiegt,
da sich die Industrie in den Städten (Furtwangen, Lenzkirch u. s. w.)
konzentriert hat. Heute noch haftet der Blick des Wanderers auf
den freundlichen, mit zahlreichen Fenstern versehenen Häusern,
in denen der kunstfertige Sohn des Schwarzwalds jene Erzeug-
nisse verfertigte, welche seinen Ruhm bis in die entferntesten Teile
der Erde getragen haben.
Was nun endlich die weiblichen Abfindlinge betrifft, so ver-
heiraten sich diese fast durchweg wieder an Landwirte, sei es im
Hofgütergebiet sei es in der Donau- oder Seegegend oder auch
in der Rheinebene. Denn es ist nicht selten der Fall, dass der
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E. Schlussbetrachtungen. 1 1 c
junge Landwirt der Rheinebene »ins Gebirge« hinaufkommt und
um die Hand der schmucken Hofbauerstochter anhält, welche ihm
dann auch gewöhnlich nicht nur ein gutes Stück Geld, sondern
auch regelmässig ein Paar schaffenskräftige Arme und einen recht
wirtschaftlichen Sinn mitbringt.
Die minderjährigen weiblichen Geschwister des Uebernehmers
haben bekanntlich das Wohnungsrecht im Hause bis zu ihrer Ver-
heiratung. Ein gleiches Recht haben die mit körperlichen oder
geistigen Gebrechen behafteten Geschwister , und zwar wird in
einem solchen Falle im Uebergabevertrag ihre Verpflegung auf
Lebenszeit dem Uebernehmer zur Pflicht gemacht, wie man denn
überhaupt von ihm erwartet , dass er seinen Geschwistern stets
eine kräftige Stütze sei. »Es wirft kein gutes Licht auf den jungen
Bauern« — so berichtet uns ein alter Hofbauer — »wenn er mit
seinen Geschwistern nicht gut steht. Der junge Bauer, welcher
mit seinen Eltern und Geschwistern auf feindlichem Fusse lebt,
kommt selten zu einem Ehrenamt in der Gemeinde«.
E. Schlussbetrachtungen.
Wenn wir die Wirkungen des Hofgüterrechts oder richtiger
die wechselseitigen Beziehungen zwischen Recht und Wirtschaft in
etwas breiterer Ausführlichkeit behandelt haben , so war hierbei
die Erwägung leitend , dass nur ein tieferes Eindrin gen in die
Wirtschaftsverhältnisse die Frage, ob Geschlossenheit oder Frei-
teilbarkeit des Grund und Bodens am Platze ist, beantworten kann.
Man mag entgegen halten, dass diese Frage doch bereits in
der Anerbenrechtsgesetzgebung des Grossherzogtums Baden ihre
Beantwortung gefunden hat. Aber eben weil wir die Ueberzeu-
gung gewonnen haben, dass die Anerbenrechtsgesetzgebung im
Allgemeinen der Natur des Schwarzwaldbetriebes gerecht gewor-
den ist, ging unsere Absicht dahin, die wirtschaftliche Grundlage
des bäuerlichen Sonderrechts klar zu legen. Dabei dürfte in uns
die Erkenntnis gereift sein, dass das Hofgüterrecht nicht ein ledig-
lich in der Tradition begründetes Institut ist, welches mit den ge-
änderten Zeit- und Wirtschaftsverhältnissen seine Daseinsberech-
tigung verloren hat, sondern dass es vielmehr der lebenskräftige
und lebensberechtigte rechtliche Ausdruck der ökonomischen
Struktur der Schwarzwaldwirtschaften auf der einen Seite und die
rechtliche Voraussetzung einer leistungsfähigen bäuerlichen Bevöl-
kerung auf der anderen Seite ist.
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1 16 II. Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
Nicht immer ist dieser Gesichtspunkt gehörig gewürdigt worden.
Noch vor wenigen Jahrzehnten drohte das Hofgüterrecht dem
Ansturm einer doktrinären Jurisprudenz und eines einseitigen öko-
nomischen Individualismus zu erliegen.
Heute glaubt man die juristischen und volkswirtschaftlichen
Bedenken gegen die gesetzliche Gebundenheit des Grundbesitzes
im Schwarzwalde zurücktreten lassen zu müssen. Man hat sich
eben durch die stärkere Betonung des wirtschaftlichen Moments
überzeugt, dass diese Bedenken keineswegs so schwerwiegender
Natur sind, dass jedoch andererseits die Aufhebung der Ge-
schlossenheit die schwersten wirtschaftlichen und sozialen Schäden
nach sich ziehen würde.
Unsere Ausführungen lassen denn auch keinen Zweifel übrig,
dass das Hofgüterrecht für die Fortexistenz eines gesunden und
leistungsfähigen bäuerlichen Mittelstandes Lebensbedingung ist,
denn der mittlere Besitz ist für den Schwarzwald ebenso notwendig
wie der kleinbäuerliche Besitz in der Rheinebene der getreue
Ausdruck einer mit den Wirtschafts Verhältnissen durchaus im Ein-
klang stehenden Grundeigentumsverteilung genannt werden muss.
Wenn wir uns deshalb mit aller Entschiedenheit für die Aufrecht-
erhaltung des Hofgüterrechts ausgesprochen haben , so glauben
wir doch keineswegs die Nachteile der geschlossenen Vererbung
verkannt zu haben, als deren vornehmlichster die beim Uebergange
sich ergebende Schuldbelastung in Betracht kommt. Wir haben
aus diesem Grunde auf die Notwendigkeit einer planmässigen
Schuldentilgung hingewiesen, indem wir glaubten, dass derartige
Massnahmen bei der heutigen günstigen Wirtschaftslage im Hof-
gütergebiet im Interesse einer rationellen Betriebsgestaltung liegen
und sowohl die Position des Anerben wie auch der weichenden
Geschwister zu stärken geeignet sind.
Thatsächlich hat denn auch der Schwarzwaldbauer die seit
mehr als zwei Jahrzehnten bestehende, vorzugsweise aus dem Ge-
treidepreisdruck resultierende Depression der Landwirtschaft nur
in einzelnen Beziehungen empfunden. Allerdings war der Stand
der Holzpreise um die Mitte der siebziger Jahre ein exorbitant
hoher wegen der äusserst intensiven Bauthätigkeit und wegen des
grossen Bedarfs an Eisenbahnschwellen. In der Folgezeit sanken
die Holzpreise beträchtlich, bis gegen Ende der achtziger Jahre
die Tendenz der Aufwärtsbewegung der Holzpreise einsetzte, die
nicht wenig beeinflusst wurde durch die aufblühende Cellulose-
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E. Schlussbetrachtungen. II7
und Papierfabrikation, welche alljährlich grosse Mengen von Fichten-
holz absorbiert. Die Tabelle auf S. 118, welche den statistischen
Nachweisungen aus der Forstverwaltung des Grossherzogtums
Baden entnommen ist, umfasst eine Vergleichung des Holzrein-
ertrags aus dem Jahre 1897 mit den Reinerträgen der vorherge-
gangenen 30 Jahre und bezieht sich auf die Domänenwaldungen
des Grossherzogtums.
Für das Hofgütergebiet dürfte der Unterschied in den Holzrein-
erträgen im Vergleich von früher und jetzt noch erheblicher ins
Gewicht fallen, da in den letzten Jahrzehnten durch Neuanlage
und Verbesserung der Kommunikationsmittel, besonders auch der
Eisenbahnen die Transportkosten sehr verbilligt sind, — ein Um-
stand, der für die Holzgewinnung von grosser Bedeutung ist.
Während die Wiederkehr der hohen Getreidepreise in der
ersten Hälfte der siebziger Jahre nach dem Urteile von Sachver-
ständigen ^) für jede absehbare Zeit als ausgeschlossen gelten kann,
dürfte der Reinertrag der Holzwirtschaft bereits heute den alten
Stand in den siebziger Jahren erreicht haben und auch für die
Zukunft noch eine Steigerung erfahren, welche sich proportional
der Verbesserung der Kommunikationsmittel bewegt. Bezüglich
der eigentlichen Holzpreise ist bereits bemerkt, dass sie eine seit
10 Jahren steigende Tendenz zeigen. Erwähnt sei auch noch,
dass die Holzzollpolitik des deutschen Reiches für den Schwarz-
wald ohne wesentliche Bedeutung sein dürfte, weil eben der Zoll
hinter den Transportkosten fast ganz verschwindet. Daher ist die
Konkurrenz des Auslandes in absehbarer Zeit kaum zu befürchten.
Anders verhält es sich allerdings mit der Rindenproduktion, welche
bekanntlich unter der Konkurrenz der ausländischen Gerberlohe,
besonders aber des Quebrachoholzes sehr zu leiden hat. Den Be-
sitzern von Eichenschälwaldungen würde daher ein Zoll auf aus-
ländische Rinde sehr erwünscht sein , wenngleich eine derartige
zollpolitische Massnahme kaum zu erwarten ist.
Die zweite Haupteinkommensquelle des Hofbauern, nämlich
die Viehzucht wirft heute ebenfalls gute Erträgnisse ab. Das Weide-
vieh wird ziemlich teuer bezahlt, weil es sehr dauerhaft und un-
empfindlich gegen die Einflüsse der Witterung ist. Bei weitem
einträglicher noch ist die Schweinezucht, die — wie bereits an
anderer Stelle angedeutet — namentlich in den Thälern des
I ) Sering^ die landwirtschaftliche Konkurrenz Nord-Amerikas in Gegenwart und
Zukunft. Schmoller' s, Jahrbücher für Gesetzgebung und Statistik, Bd. 12, Seite 691.
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ii8
IL Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
1
Geschla-
gene (ober-
irdische)
Holzmasse
Nutz-
Durchschnittspreis
pro I Fm.
Ein-
nah-
men
Aus-
gaben
Ausgaben
in 7o der
Rein-
ertrag
1 ^
Reinertr
auf I h
reduziei
1
i3
Jahr;
auf I ha
Gesamt-
waldfläche
holz
ja
auf
I ha
auf
I ha
Ein-
nahmen
auf
I ha
auf I Fi
geschla
gene
Holzmas
Festmeter
4,67
27,2
M.
M.
M.
8,63
M.
44,03
_>__
1867
13,46
7,46
16,26
36,9
27,77
5,95
1868
4,44
24,0
14,22
7,80
8,68
42,46
16,02
37,7
26,44
5,95
1869
4,77
25.7
'4,05
7,63
8,63
44,18
16,74
37,9
27,44
5,75
1870
4,42
26,9
14,49
8,57
9,54
45.85
16,28
35,5
29,57
6,69
187 1
6,12
32,4
13.89
8,77
9.83
46,18
18,81
39,3
45.37
7,41
1872
4,14
31,4
16,14
10,00
11,20
49,42
17,16
34,7
32,26
7.79
1873
4,24
29,3
18,74
10,20
11,94
52,64
18,53
35,2
34,11
8,04
1874
4,12
3M
18,66
11,20
12,69
55.81
19,70
35,3
36,11
8,76
1875
4,38
29,8
19,52
12,05
13.47
63,22
21,40
33,8
41,82
9,55
1876
5,06
33,2
17,16
11,51
12,54
69,16
23,26
33,6
45.90
9,07
1877
4,73
33,4
14,80
9,31
10,45
53,73
22,69
42,2
31,04
6,56
1878;
4,22
30,2
15,86
9,01
10,46
46,27
21,81
47.2
24,46
5,80
1879;
4.22
27,1
14,03
8,97
9,78
43,09
21,13
49,0
21,69
5,21
1880'
4,36
29,8
13,99
7,61
8,90
40,84
21,36
52,3
19,48
4,63
1881
4,21
29,8
I3»99
7.61
8,90
40,84
21,36
52,3
19,48
4,63
1882
4,47
33,8
14,13
7,40
9,10
44,16
2 1,75
49.3
22,41
5,01
1883
4,82
33.8
14,04
8,04
9,44
48,06
22,49
46,8
25,57
5,31
1884
4,79
31,8
14,09
8,31
9,46
48,72
23,01
47.2
25,71
5,37
1885
5,10
32,2
13,79
8,24
9,44
51.51
23,42
45,5
28,09
5.51
1886
5,32
31,2
13,31
8,13
9,10
52,36
24,76
47,3
27,60
5.19
1887
6,12
29,6
12,93
7,04
8,22
53,39
26,04
48,8
27.35
4.47
1888
5,36
30,9
14,15
7,50
8.93
51,67
25,09
48,6
26,58
4,96
1889
5.45
32,0
14,84
7,74
9,40
54,83
25,92
47,4
28,85
5,30
1890
5.71
34,2
14,82
8,11
9,75
58,51
26,00
44,4
32,51
5,70
189 1
5,31
32,0
14,54
9,10
10,1 1
56,53
25,87
45,8
30,66
5.77
1892
5,24
31,8
14,78
9,26
10,32
57,30
26,50
46,2
30,80
5,81
1893
5,17
31,9
15,34
9,19
10,40
60.74
26,45
43,3
34,29
6,63
1894
5,20
33,3
15,68
8,65
10,33
58,27
26,94
46,2
31,33
6,09
1895
5,67
36,8
15.69
9.27
10,95
64,85
27,85
42,9
37,00
6,54
1896
6,02
39,6
16,31
8,73
11,05
69,29
30,32
43,8
38,97
6,47
1897
6,17
41,2
16,67
8,79
11,34
73,08
31,66
43,3
41,42
6.71
Schwarzwalds, aber auch auf den Höhen mehr und mehr an Um-
fang gewinnt. Auch für die Viehzucht liegt die Bedeutung gün-
stiger Kommunikationsmittel auf der Hand, wobei besonders der
Absatz der Milch in die Stadt hervorzuheben ist, wiewohl gewöhn-
lich auf dem Schwarzwalde die gewonnene Milch zum grössten
Teil zur Aufzucht des Viehs verwandt wird.
Wenn also im Hinblick auf die aus der Holz- und Viehwirt-
schaft fliessenden Erträgnisse ein Preisrückgang nicht stattgefunden
hat, sondern im Gegenteil eine sich aufwärtsbewegende Tendenz
wahrzunehmen ist, so fehlen in diesem relativ günstigen Wirt-
schaftsbilde doch auch nicht die Schattenstriche, welche wohl
überall in der Landwirtschaft von mehr oder minder grosser Be-
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E. Schlussbetrachtungen. jjn
deutung sind. Wir haben hier vor allen Dingen das Steigen der
Arbeitslöhne und den Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitern
im Auge, zwei Thatsachen, die sich auf dem Schwarzwalde min-
destens ebenso empfindlich bemerkbar gemacht haben wie anderswo.
Dieser Umstand ist freilich für die Waldwirtschaft von geringerer
Bedeutung, weil die Arbeiten dort niemals so dringende sind und
meist auf eine Zeit verschoben werden können, wo wie z. B. im
Winter die eigentlich landwirtschaftliche Thätigkeit im äusseren
Betriebe ruht. Desto fühlbarer wird jedoch der Arbeitermangel
in der Zeit der Heu- und Kartoffelernte, wo oft nicht einmal um
hohen Tagelohn Arbeitskräfte zu haben sind. Während noch vor
20 Jahren der Lohn eines Knechtes nicht über 200 M. betrug, stellt
er sich heute auf 300 und mehr Mark; desgleichen sind die Löhne
für Mägde innerhalb dieses Zeitraumes von 120 M. auf 160 bis
200 M. gestiegen. Diese Ziffern zeigen, dass die Dienstbotenlöhne
auf dem Schwarzwalde vergleichsweise sehr hohe sind, höher so-
gar als in der Rheinebene in unmittelbarer Nähe der Stadt ^). Zu
seinem Lohn erhält der Knecht gewöhnlich noch die Werktags-
kleidung frei, ferner ein oder zwei Paar Schuhe für das Jahr, das
Recht ein Schaf mit auf die Weide treiben zu dürfen u. dgl.
Ebenso erhält die Magd alljährlich Kleidungsstücke und Wäsche-
gegenstände.
Für männliche Tagelöhner beträgt der durchschnittliche Tage-
lohn 1.80 — 2.00 M. neben vollständiger Kost, für weibliche 1.20 M.
und mehr, ebenfalls mit voller Beköstigung.
Dazu kommen noch die Ausgaben, welche aus der sozial-
politischen Gesetzgebung erwachsen und vom Hofbesitzer fast
immer allein zu tragen sind.
Wegen des Mangels an geeigneten Arbeitskräften ist heute
sogar der grosse Hofb&uer mit einem Besitz von mehr als 200
badischen Morgen gezwungen, selbstthätig in der Wirtschaft mit
Hand anzulegen, während er in früherer Zeit sich auf die Leitung
der Wirtschaft beschränkte, auf die Jagd ging und anderen Pas-
sionen nachhing ^.
i) Vgl. M. Hecht, a. a. O. Seite 93.
2) Vgl. Hansjakob^ »Erzbauern«. Diese neueste Schöpfung des beliebten Er-
zählers hat mehr als novellistischen Wert. Es wird uns mit plastischer Anschau-
lichkeit und unübertrefflicher Lebenswahrheit das Schicksal eines Hofbauern ge-
schildert, welcher einen mehrere Tausend Morgen grossen Grundbesitz in seiner
Hand vereinigte, Fürstlichkeiten und hohe Staatsbeamte bei sich zu Gaste sah, Bade-
reisen unternahm und ähnliche Extravaganzen sich erlaubte, wobei er allmählich so tief
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J20 II« Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
Auch die gestiegene Lebenshaltung ist nicht ohne Einfluss
auf das Wirtschaftsbudget des Hofbauern geblieben. So erfreulich
dieser Umstand (d. h. die gestiegene Lebenshaltung) auch ist, so
lässt sich doch im Grossen und Ganzen bei der bäuerlichen Be-
völkerung des Schwarzwalds nirgends eine über ihre Verhältnisse
hinausgehende Steigerung der Lebensansprüche wahrnehmen. Wir
können vielmehr behaupten, dass der Hofbauer mit seiner Fa-
milie auch heute noch in Kleidung, Sitten und Gewohnheiten so
einfach lebt wie in früherer Zeit^).
Wir wollen ferner noch anführen, dass die Erfindungen und
Fortschritte auf dem Gebiete des landwirtschaftlichen Maschinen-
wesens in den letzten zwei Jahrzehnten dem Hofbauern einzelne
Erleichterungen gebracht haben. Zu erwähnen sind hier beson-
ders die Futterschneidemaschine, die Dreschmaschine und die Ket-
tenegge. Grasmähemaschinen und Heuwendemaschinen haben wir
nur in vereinzelten Wirtschaften angetroffen, welche grössere, mehr
in der Ebene gelegene Wiesenflächen besitzen. Zum Ausroden
der Kartoffeln wird auch vielfach der Häufelpflug benützt. Im
Allgemeinen hat die landwirtschaftliche Maschinentechnik für den
in Schulden geriet, dass er schliesslich seines grossen Besitztums vollständig ver-
lustig ging. Betrachten wir die volkswirtschaftliche Seite dieser Lebensgeschichte
eines zum Grossgrundbesitzer gewordenen Hofbauern, so leuchtet es ein, dass für
den Schwarzwald weder ein bäuerlicher Grossgrundbesitz , noch ein Kleingütlertum,
sondern lediglich der Mittelbesitz, wie er thatsächlich vorhanden ist, die beste öko-
nomische Verfassung für eine leistungsfähige bäuerliche Bevölkerung ist.
i) Wir betonen diesen Umstand, weil wir uns dabei in einem Gegensatze zu
den Ausführungen von Dr. M. Hecht in seiner mehrfach zitierten Schrift befinden.
Hecht konstatiert mit einer gewissen Genugthuung den Fortschritt des städtischen
Einflusses unter seinen Hardbauern. Ohne uns zu Lobrednern der >guten alten
Zeit« machen zu wollen, halten wir dafür, dass der in Kleidung und Sitten sich
äussernde Individualsinn des Bauern weder vom wirtschaftlichen noch vom Gesichts-
punkte der Lebenshaltung aus dem wahren Fortschritt im Wege steht. Wir halten
es auch in sozialer Hinsicht für nicht ganz unbedenklich, wenn der Bauer und be-
sonders der Kleinbauer seine Individualität abstreift und allerlei städtische Sitten
kopiert, die gerade bei ihm leicht in Unsitten ausarten. — Wer wollte leugnen,
dass gerade die Thatsache , dass der Bauer sich als Bauer fühlt mit all' den dar-
aus hervorgehenden Aeusserlichkeiten in Kleidung , Sitten und Gewohnheiten ein
gut Teil mit dazu beigetragen hat, dass der Sozialismus bis heute innerhalb der
bäuerlichen Bevölkerung keinen festen Fuss gefasst hat! Der Cylinder und der
Havelock, das »Ideal« des Hardbauern, die über die schwieligen Fäuste des Acker-
knechts gezwängten baumwollenen Handschuhe, Hut und Schleier und — »die in-
timsten Geheimnisse weiblicher Toilettenkünste«, mit denen die Dienstraagd ihr
sonnenverbranntes Gesicht zu verschönern sucht, — können diese »Errungenschaften«
allen Ernstes im Sinne eines wahrhaften Fortschrittes begrüsst werden ?
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E. Schlussbetrachtungen. 121
Schwarzwaldbauern nicht die Bedeutung, wie für seinen Berufs-
genossen in der Ebene. Die Sense wird eben wegen der mehr
oder minder geneigten Lage der Wässerwiesen wohl kaum durch
die Mähemaschine ersetzt werden können , daher denn auch die
»Leutenot« den Hofbauern in der Zeit der Heuernte besonders
empfindlich drückt. Bezüglich der im inneren Betriebe Verwen-
dung findenden landwirtschaftlichen Maschinen, muss jedoch her-
vorgehoben werden , dass die fast überall im reichlichen Masse
zur Verfügung stehende Wasserkraft zum Antrieb der Futter-
schneide- und Dreschmaschinen , sowie der Mahlmühlen ver-
wandt wird.
Das Genossenschaftswesen ist im Hofgütergebiet weniger aus-
gebildet als in der Ebene. Es ist das auch ganz natürlich, da
der Kontakt zwischen den Landwirten hier nicht ein so enger
ist als dort, wo das geschlossene Dorfsystem vorherrschend ist.
Molkereigenossenschaften sind uns nicht bekannt geworden; sie
dürften auch wohl für die Zukunft grössere Verbreitung nicht
finden, solange wenigstens noch die Aufzucht von Jungvieh ren-
tabel ist. Die grossen Entfernungen und die besonders im Winter
sehr erschwerten Kommunikationsverhältnisse machen einen kon-
tinuierlichen Betrieb unmögHch.
Erwünscht wäre jedoch die gesetzliche Einführung von Orts-
viehversicherungsanstalten, wenngleich das Wäldervieh sehr wider-
standsfähig und Seuchen daher relativ selten sind. Wegen der
isolierten Lage der Hofgüter sind Viehseuchen, welche regelmässig
von ausserhalb eingeschleppt werden, auch weniger gefährlich, weil
die Seuche leicht lokalisiert werden kann, während in einem ge-
schlossenen Dorfe häufig durch ein einziges krankes Tier der ganze
Viehbestand verseucht wird.
Es erübrigt noch die Aufgabe, mit einigen Worten die Ab-
satzverhältnisse zu erörtern, welche die aus der Holz- und Vieh-
wirtschaft gewonnenen Produkte betrefien. Das Vieh wird zum
allergrössten Teile in die Rheinebene und zwar vorzugsweise nach
dem Breisgau abgesetzt. Der Absatz geschieht jedoch zumeist
nicht direkt; sondern das Vieh wird gewöhnlich von den Händ-
lern auf den einzelnen Gehöften eingekauft , wobei dann irgend
ein Platz wie zum Beispiel eine Eisenbahnstation verabredet wird,
wohin der Bauer das Vieh an einem bestimmten Tage zu bringen
hat. Nicht viel anders vollzieht sich der Absatz des Holzes. Dieses
wird ebenfalls von Händlern gekauft und in die grösseren und
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122 II« Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
kleineren Städte Südwestdeutschlands abgesetzt , sofern es nicht
von Cellulosefabrikanten und von städtischen Bauunternehmern
direkt gekauft wird.
In Anknüpfung an die Frage der Absatzgestaltung der im
Hofgütergebiet erzeugten Produkte wollen wir noch kurz unter-
suchen, ob und inwieweit man im Hofgütergebiet von einem mehr
oder minder häufigen Vorkommen wucherlicher Geschäfte sprechen
kann. Da können wir nun die sehr erfreuliche Thatsache fest-
stellen, dass wohl in keiner Gegend des Grossherzogtums die dies-
bezüglichen Verhältnisse günstiger liegen als gerade im Hofgüter-
gebiet. Sowohl die Erhebungen vom Jahre 1883 als auch zahl-
reiche von uns angestellte Erkundigungen haben ergeben, dass
jede Art von Wucher, mag er sich als Geld- oder Kreditwucher,
als Viehwucher oder endlich als Güterwucher darstellen im Hof-
gütergebiet so gut wie gar nicht vorkommt. Sogar in der Ge-
meinde Neukirch , welche wir in Hinsicht auf die wirtschaftliche
Lage als die ungünstigste im gesamten Hofgütergebiet kennen
gelernt haben, ist von einer Bewucherung der bäuerlichen Bevöl-
kerung nichts bekannt.
Der Erhebungskommissär weist vielmehr ausdrücklich darauf
hin, dass zur Befriedigung des Mobiliarkredits die vorhandenen
Gelegenheiten ausreichen und Wuchergeschäfte hier nicht gekannt
sind. Es gilt eben, was Buchenberger^^ ausführt: »Dass überall
da der Wucher weniger zur Geltung kommt, wo infolge günstiger
Besitzverhältnisse, d. h. also des Vorhandenseins auch grösserer
Wirtschaften neben den mittleren und kleinen , der ärmere und
unbemitteltere Teil der Bevölkerung an dem wohlhabenderen in
Geldangelegenheiten einen gewissen nachbarlichen Rückhalt findet
und die Hilfe des ortsfremden Geldverleihers nicht in Anspruch
zu nehmen braucht«. Dagegen bemerkt er, »dass da, wo der
Grundbesitz sehr zersplittert und das Zwergwirtschaftentum vor-
herrschend ist (wie dies zum Teil wiederum für viele Rebgemeinden
zutrifft), wenigstens jene Form des Wuchers, welche als Vieh-
wucher auftritt, eine ziemlich allgemeine Verbreitung hat«.
Naturgemäss kann im Hofgütergebiet von dem Güterwucher,
der sogenannten Hofmetzgerei ebensowenig die Rede sein. Es
kommt höchstens vor, dass Holzspekulanten einen Hof kaufen,
den Waldbestand abholzen lassen und damit öfter einen grossen
i) A. Buchenberger, der Wucher auf dem Lande im Grossherzogtum Baden,
Schriften des Vereins für Sozial-Politik XXXV. Seite 18.
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E. Schlussbetrachtungen. 123
Nutzen erzielen. Der Hof bezw. dessen Waldboden wird jedoch
nachher wieder aufgeforstet und an einen Bauern oder — was
leider allzu häufig vorkommt — an die sog. tote Hand verkauft.
Wir glauben, dass in einem solchen Falle , wo ein Hofgut zum
Verkauf steht, sofern ein geeigneter zahlungsfähiger Bauer als
Käufer nicht in Betracht kommt, der betreffenden Gemeinde das
Vorkaufsrecht einzuräumen sei, um auf diese Weise ein Gemeinde-
vermögen zu schaffen und dadurch die Gemeindeabgaben, welche
oftmals auf den Schultern der vorhandenen wenigen Besitzer lasten,
zu erleichtern. Sehen wir also von diesem einzigen im Hofgüter-
gebiet anzutreffenden Uebelstande ab, so müssen wir die heilsame
und abwehrende Wirkung des Hofgüterrechts umso entschiedener
betonen, als gerade dort, wo die Anerben sitte vorherrschend
ist, die Hofmetzgerei auch heute noch — wie uns von zuverläs-
siger Seite berichtet wird — in hoher Blüte steht. Wir lassen im
Folgenden die Erhebungsberichte aus zwei Kornbaugemeinden
des südlichen Hügellandes (Kreis Konstanz), nämlich den Ge-
meinden Worndorf und Mainwangen sprechen.
Für Worndorf lautet der Bericht: »Als Ursache der unge-
sunden Steigerung der Güterpreise muss der gewerbsmässige
Güterhandel bezeichnet werden, der allerdings schon in den
50er Jahren seinen Anfang nahm, damals 26 Landwirte um Hab
und Gut brachte, in den 70er Jahren aber eine nie gekannte Aus-
dehnung erfuhr. Güterspekulanten , welche die missliche Lage
einer Anzahl Landwirte und die niederen Getreidepreise der 50er
Jahre benutzt hatten, um eine Menge Liegenschaften zusammen
zu kaufen, brachten auf die aufwärtsgehende Bewegung Anfangs
der 70er Jahre spekuHerend , diese Güter in Parzellen auf den
Markt, wobei eine fieberhafte Kauflust sich der Landwirte Worn-
dorfs bemächtigte und die Preise zu einer Höhe hinaufgetrieben
wurden , welche mit dem inneren Ertragswert der Güter in gar
keinem Verhältnis mehr stand«.
Aehnlich lautet der Bericht für Mainwangen : »In den 1860er
und Anfangs der 1870er Jahre hat eine von berufsmässigen Güter-
händlern betriebene förmliche Hofmetzgerei in Mainwangen statt-
gefunden , infolge deren grosse Summen Geldes der Gemeinde
Mainwangen entzogen worden sind. Ein grosser Teil der Ver-
schuldung soll aus jener Zeit datieren .... Man geht daher nicht
zu weit mit der Behauptung, dass der ungesunde gewerbsmässige
Güterhandel (der durch allerlei Künste fortwährend und so lange
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124 II- Teil. Die Wirkungen des Hofgüterrechts.
genährt wurde , als die Mainwanger Bürger noch zahlungsfähig
sich erwiesen) es ist, welcher die ungemein hohe Verschuldung
dortselbst veranlasst hat, und dieser Güterschacher fällt vorzugs-
weise in die i86oer und 1870er Jahre«.
Wenn wir diese traurigen Symptome eines Rechtszustandes
betrachten, welcher die thatsächlichen Verhältnisse gewissermassen
auf den Kopf stellt und Machenschaften, welche auf eine Unter-
grabung der bäuerlichen Leistungsfähigkett hinauslaufen, geradezu
Vorschub leistet, so können wir nicht umhin, unserem Bedauern
Ausdruck zu geben, dass die zweite Kammer die im Regierungs-
entwurf enthaltene Möglichkeit der Ausdehnung der Gebunden-
heit des Grundbesitzes auf die Gebiete der Anerbensitte mit der
etwas veralteten Motivierung abgeschnitten hat, dass es »bei Be-
stimmungen so einschneidender Natur nicht angemessen sei, über
die Initiative der beteiligten Bevölkerung hinauszugehen«.
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Anlagen. 125
Anlage I.
Die gesetzlich geschlossenen Hofgüter.
I. Amtsgerichtsbezirk Villingen
enthält 34 Gemeinden mit 35 124 Einwohnern und sind in den Gemeinden:
I. Brigach
mit
505
Einwohnern
20
2. Langenbach
»
258
»
12
3. Linach
»
258
»
9
4. Oberkirnach
»
343
•»
17
5. Peterzeil
»
573
»
7
6. Schabenhausen
»
293
»
3
7. Schönenbach
»
562
€
IG
8. Stockburg
»
143
»
4
9. Unterkimach
»
826
»
37
10. Vöhrenbach
-»
1635
»
2
zusammen geschlossene Hofgüter 121
II. Amtsbezirk Triberg
enthält 16 Gemeinden mit 21470 Einw. und sind in den Gemeinden:
I. Furtwangen
mit 4204 Einwohnern
38
2. Gremmelsbach
. 598
»
14
3. Gütenbach
» 1431
»
18
4. Langenschiltach
» 601
»
18
5. Neukirch
» 864
>
14
6. Niederwasser
» 426
»
17
7. Nussbach
> 1167
»
21
8. Reichenbach
» 915
»
67
9. Rohrbach
» 527
»
30
10. Rohrhardsberg
» 209
»
4
II. Schönwald
» 1776
»
16
12. Schonach
» 2286
»
40
13. Evang. Tennenbronn
» 857
»
10
14. Kath. Tennenbronn
» 904
geschlossene
Hofgüter
32
zusammen
339
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126 Anlagen.
III. Amtsgerichtsbezirk Bonndorf
enthält 15 Gemeinden mit 16 162 Einw. und sind in den Gemeinden:
1. Blumegg mit 326 Einwohnern i
2. Brenden »163 » 2
3. Faulenfürst »125 » i
zusammen geschlossene Hofgüter 4
IV. Amtsgerichtsbezirk Emmendingen
enthält 21 Gemeinden mit 26293 Einw. und sind in den Gemeinden:
I. Denzlingen
mit
1587
Einwohnern
2
2. Freiamt
»
2028
»
220
3. Malter dingen
»
1421
»
I
4. Mundingen
»
776
»
6
5. Ottoschwanden
»
1586
}i>
171
6. Sexau
»
1171
»
35
7. Windenreuthe
»
485
»
I
zusammen geschlossene Hofgüter 436
V. Amtsgerichtsbezirk Ettenheim
enthält 16 Gemeinden mit 17868 Einw. und sind in den Gemeinden;
1. Dörlinbach mit 537 Einwohnern 16
2. Ettenheimmünster »437 » i
3. Schweighausen » 928 » 33
zusammen geschlossene Hofgüter 50
VI. Amtsgerichtsbezirk Freiburg
enthält 51 Gemeinden mit 76321 Einw. und sind in den Gemeinden:
1. Au mit 405 Einwohnern 12
2. Breitnau » 620 » 83
3. Buchenbach » 457 » 36
4. Burg » 396 » 29
5. Dietenbach » 181 » 16
6. Ebringen » 939 » i
7. Eschbach » 573 » 51
8. Falkensteig » 268 » 15
9. Gundelfingen >> 779 * 3
IG. Hinterstrass » 347 » 28
11. Hofsgrund » 254 » 37
12. Horben » 440 » 55
13. Kappel » 377 t 17
14. Kirchzarten » 842 » 2
15. Neuhäuser »193 » 19
16. Oberried » 550 » 45
17. St. Märgen » 1029 » 51
18. St. Peter » 1296 » 45
Uebertrag 545
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Anlagen. 127
19. St. Wilhelm
mit
150
Uebertrag
Einwohnern
545
22
20. Stegen
21. Steig
22. Unteribenthal
»
»
375
532
265
»
»
24
61
27
23. Wagenstaig
24. Weilersbach
»
451
122
»
»
39
12
25. Wildthal
»
331
»
15
26. Wittenthai
»
188
»
24
27. Zarten
28. Zastler
303
221
»
»
19
4
zusammen geschlossene Hofgüter 792
VII. Amtsgerichtsbezirk Neustadt
enthält 31 Gemeinden mit 15 182 Einw. und sind in den Gemeinden
I. Bregenbach
mit
116 Einwohnern
3
2. Hinterzarten
»
771
»
29
3. Langenordnach
»
264
»
16
4. Rudenberg
»
234
»
7
5. Saig
»
455
»
2
6. Schollach
»
391
»
22
7. Schwärzenbach
»
411
»
16
8. Urach
»
565
;»
25
9. Vierthäler
»
1047
»
59
IG. Waldau
»
343
»
II
zusammen geschlossene Hofgüter 190
VIII. Am t sger i ch t sb e zirk Staufen
enthält 26 Gemeinden mit 18404 Einw. und sind in den Gemeinden:
I. Bollschweil
mit
718
Einwohnern
2
2. Ehrenstetten
»
IIIO
»
I
3. Grunern
»
407
»
7
4. Obermünsterthal
»
1083
»
37
5. St. Ulrich
»
246
»
18
6. Untermünsterthal
»
1658.
s
6
zusammen geschlossene Hofgüter 71
IX. Amtsgerichtsbezirk Waldkirch
enthält 26 Gemeinden mit 21299 Einw. und sind in den Gemeinden:
I. Altsimonswald
mit
1167
Einwohnern
46
2. Biederbach
»
1545
»
234
3. Bleibach
»
508
»
16
4. Föhrenthal
»
404
»
21
5. Gutach
»
486
»
21
6. Haslachsimonswald
»
324
»
20
7. Heuweiler
»
392
Uebertrag
II
369
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128
Anlagen.
Uebertrag 369
8. Katzenmoos
mit
423
Einwohnern 25
9, Kollnau
»
1768
» 17
IG. Niederwinden
»
475
» 26
II. Oberglotterthal
»
515
» 28
12. Obersimonswald
»
513
» 44
13. Oberwinden
»
940
» 37
14. Ohrensbach
»
264
» 14
15. Prechthal
»
2130
» 86
16. Siegelau
»
716
» 37
17. Siensbach
»
369
» 21
18. Stahlhof
»
197
» 18
19. Suggenthal
»
201
» 7
20. Unterglotterthal
»
552
» 7
21. Untersimonswald
»
649
24
22. Wildgutach
»
180
15
23. Yach
»
850
» 44
zusammen geschlossene Hofgüter 819
X. Amtsgerichtsbezirk Lahr
enthält 27 Gemeinden mit 36904 Einw. und sind in den Gemeinden:
1. Ichenheim
2. Prinzbach
3. Reichenbach
4. Schönberg
5. Schutterthal
6. Seelbach
7. Sulz
zusammen geschlossene Hofgüter 186
nit
1691
Einwohnern
I
»
422
»
38
»
1157
13
>
342
37
»
823
67
•»
1573
16
•»
1282
14
XI. Amtsgerichtsbezirk Oberkirch
enthält 21 Gemeinden mit 18340 Einw. und sind in den Gemeinden;
1. Butschbach
2. Griesbach
3. Herzthal
4. Ibach
5. Lautenbach
6. Lierbach
7. Maisach
8. Oberkirch
9. Oedsbach
IG. Oppenau
11. Petersthal
12. Ramsbach
13. Ringelbach
14. Stadelhofen
mit 547 Einwohnern 52
» 843 » 50
» 395 * 8
» 698 » 66
» 1438 » 62
» 380 •» 35
» 346 » 39
» 2973 » II
» 953 » 46
» 1996 » II
» 169G » 86
» 604 » 54
» 226 j> 4
» 687 » I
zusammen geschlossene Hofgüter 525
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Anlagen. I29
XII. Amtsgerichtsbezirk Offenburg
enthält 25 Gemeinden mit 36 792 Einw. und sind in den Gemeinden :
1. Durbach mit 2302 Einwohnern 152
2. Nesselried » 678 » 5
3. Niederschopf heim » 1393 » 2
zusammen geschlossene Hofgüter 159
XIII. Amtsgerichtsbezirk Gengenbach
j enthält 13 Gemeinden mit 15563 Einw. und sind in den Gemeinden:
I. Berghaupten mit 997 Einwohnern 65
! 2. Bermersbach »971 » 38
! 3. Biberach » 1322 » 5
! 4. Gengenbach » 2681 » 4
5. Nordrach » 1454 » 115
I 6. Oberentersbach » 203 » 23
i 7. Oberharm ersbach » 1888 » 97
8. Ohlsbach » 954 » 13
9. Reichenbach » 1023 » 72
IG. Schwaibach » 466 » 20
11. Unterentersbach » 400 » 5
12. Unterharmersbach » 1626 » 47
13. Zell a. H. » 1588 » 2
zusammen geschlossene Hofgüter 506
XIV. Amtsgerichtsbezirk Wolfach
enthält 24 Gemeinden mit 24 277 Einw. und sind in den Gemeinden :
I. Bergzell mit
474 Einwohnern
33
2. Böllenbach »
378
»
7
3. Einbach »
733
6g
4. Fischerbach »
984 '
37
5. Gutach »
2092
59
6. Hausach »
1538
6
7. Hofstetten »
746
44
8. Kaltbrunn »
528
II
9. Kinzigthal »
1259
73
IG. Kirnbach »
896
39
II. Lehengericht »
766
42
12. Mühlenbach »
1534
8g
13. Oberwolfach »
1908
96
14. Rippoldsau »
695
5
15. Schapbach »
1311
29
16. Schenkenzell »
507
I
17. Steinach »
1278
23
18. Sulzbach »
1G4
»
8
19. Welschensteinach »
891
chlossene
»
Hofgüter"
51
zusammen ges
704
swirtschaftl. Abhandl. IV. Bd.
9
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1 30 Anlagen.
XV. Amtsgerichtsbezirk Achern
enthält i8 Gemeinden mit 22 822 Einw. und sind in den Gemeinden
I. Furschenbach
mit
280 Einwohnern
4
2. Kappelrodeck
»
2206
i>
6
3. Ottenhöfen
»
1617
»
16
4. Seebach
»
894
»
5
5. Wagshurst
»
899
»
I
6. Waldulm
»
959
»
9
zusammen geschlossene Hofgüter 41
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Anlagen. i ^ i
Anlage II.
Fürstlich-Fürstenberg'sche Verordnung
vom 17. Juni 1754 (Auszug) i).
Erstlichen in den Fällen, wo Söhne und Töchter vorhanden seyend,
jene sofern sie änderst tüchtig seyend, vor diesen zwar noch forthin
den Vorzug auf das Gut behalten unter ihnen, denen Söhnen aber kein
Unterschied mehr des Alters halber beobachtet, sondern bei denen sich
ereignenden Sterb- oder Uebergabsfällen jederzeit der tauglichste aus
ihnen und welcher nicht nur allein zu dem Baurengewerb am anstän-
digsten ist, sondern auch sich forthin ohn anklagbar aufgeführt hat,
ohne Unterschied des Alters, es seye der ältere, mittlere oder jüngste
Sohn zu dem künftigen Hofbesitzer auserwählt und diesem das Gut
im kindlichen d. h. mittleren Anschlage überlassen werden möge.
Zweytens bey der Eltern Tod oder Uebergab die Söhne samment-
lich erwachsen und alle tauglich, auch wohl gesittet seyend, in solchem
Falle gleichwohlen der jüngste Sohn den Vorzug auf das Gewerbgut
behalten solle.
Drittens in dem Fall, da nach der Eltern Tod der jüngste Sohn
wegen seiner allzu jungen Jahren, oder ihm zugestossenen Leibsge-
brechlichkeit und also wider sein Verschulden zur Antrettung des Guts
untauglich erfunden wurde, diesem eine massige Abwichsrekognition
ausgewiesen werden solle.
Viertens bey denen Töchtern, da keine tauglichen Brüder im Wege
stehen, kein Unterschied unter diesen gemacht werden solle.
Fünftens können nach gestalten Umständen auch die Töchter denen
Söhnen vorgezogen werden.
Sechstens sollen die freiwilligen Uebergaben deren Eltern nach
Maassgab deren schon ergangenen Verordnungen nicht leicht gestattet
noch in Auswählung der Guths-Besitzeren eine Parteilichkeit gebraucht
werden.
Siebentens mag bey der zweyteno der weiteren Verehelichung das
i) Aus den Akten des Bezirksamts Wolfach.
9*
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132 Anlagen.
Gut weder dem ersteren, noch nach kommenden Kindern verschrieben
werden, sofern das Gut von dem überlebenden herkommet.
Achtens, wann der Ehegatte, von dem das Gut herkommet, vor
dem anderen verstirbt, solle die Besitzgerechtigkeit des Verstorbenen
Kinderen verbleiben.
Neuntens, es seye denn der änderte Ehegatte, Mitkäuffer oder ihme
das Recht, das Guth seinem allenfahlsigen künftigen Ehegatt zu ver-
schreiben, durch die Ehe-Pacta zugestanden worden, oder
Zehendens, es würden die vielen Schulden und kleine Kinder oder
andere dergleichen Umstände erforderen, dass dem künftigen Ehegatt,
die Besitzgerechtigkeit versicheret werde. Alles mit der Erläuterung, dass
EilfFtens diese unsere Verordnung den Verstand auf die Erb- und
Grundzins-Güther, auch eigentümliche geschlossene Baurengewerb haben
solle; denn wo die verstorbene Eiteren eigene privat Grundstück
hinterlassen, und diese nicht zu dem geschlossenen Baurenguth zu Aus-
gleichung der Gesehen, und Unterhaltung eines ganzen oder halben
Zugs ohnumgänglich seyend, sollen selbe, wann auch schon ein par-
ticular Vogtrecht oder anderweiter Zins daraufF stehen würde, bey
pflegender Erbteilung unter die übrigen Erben, auf dass sie gleichwohlen
nicht allzulang mit ihren Erbsportionen zu warthen müssen, auch et-
was an liegenden Gütheren zu ihrer Nahrung erlangen, und beynebends
der Hofbesitzer nicht mit allzu vielen Erbschulden beschweret werde,
in dem vorangegangenen kindlichen Anschlag zugetheylet werden der-
gestalt, dass
Zwölflftens kein Ackerfeld unter 1/2 Jauchert, kein Wiess unter einem
Vierling, auch kein Garthen oder Reebguth unter 1/2 Vierling vertheylt
werden solle. Die mit einem Vogtrecht oder anderweiten Zinss be-
ladene Stück sollen unverteylt bleiben.
Würden herentgegen
Dreyzehendens die Eltern nicht nur ein, sondern zwey oder mehrere
Erblehen, ganze Grund- Zins- oder eigentümliche doch geschlossene
Baurengewerb besitzen und ein jedes zur besonderen Bemeyerung er-
klecklich seyn, auch keine Gefahr obwalten, dass bey derselben Ab-
sonderung die Herrschaftlic he und publica, auch all übrige darauf haf-
tende praestanda nicht mehr so leicht, als wann die unterschiedene
Güther beysammen bleybeten, bestritten werden können; So mögen
und sollen, soviel die Umstände es zulassen, auch andere ihr Unter-
kommen erhalten. Belangend
Vierzehendens die eigen thüm liehe Häuser in denen'Stätten und auf
dem Land, die einzel und in kein geschlossenes Hofgut einverleibt seynd,
bleybt es bey jeder Orts Gewohnheit. Es seye dann, dass bey einem
geschlossenen Baurenguth kein Haus vorhanden ist. Würde sich aber
Fünffzehendens ergeben, dass beide Eltern ihren Kinderen so früh-
zeitig entfalleten, wo keines aus ihnen noch in dem Stand wäre, dem
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Anlagen. 1^3
Guth vorzustehen, in solchem Fall solle gleich in anderen Fällen ein
ordentliches Inventariiim errichtet und entweder die Verlassenschaft
in communi beysammen gelassen, oder aber nach gestalten Umständen
denen Kinderen die Vätterliche und Mutterliche Erbschaft getreulich
zugetheylt und mit Gutbefinden deren verordneten Pflegeren auch mit
Zuzug und Beyrath deren vernünfftigen a us beiderseitiger Freundschaft
die Folge auf das Gut demjenigen aus denen Söhnen, von welchem
die mehrichte Hoffnung der künfftigen vorzüglichen Tauglichkeit aus
statthaften Ursachen gemacht werden kann, Obrigkeitlich zuerkennet,
und gleichwohlen derweilen das Gewerb nach Beschaffenheit der Um-
stände, ob der hierzu beruffene noch mehrere oder wenigere Jahre bis
zu seiner Mannbarkeit zu warthen hat, entweder durch sichere Bestel-
lung administriret, oder gegen einen billigen Bestandsschilling verad-
modiret werden, damit ohne Noth die Kinderen nicht sammentlich
von dem Guth Verstössen, noch dieses zu ihrem künftigen Wehklagen
in fremde Hand gelassen werde. Sollte herentgegen
Sechsszehendens das Guth mit allzuvielen Schulden beladen seyn,
dass es nicht bestritten werden kann, so soll es verganthet werden.
Es wäre dann Sach, dass
Siebenzehendens die Schulden das Vermögen allzusehr beschweh-
reten , so folglich aus dem errichteten Inventario die Notwendigkeit
eines Concurs-Processus von selbsten erhellete, in diesem Fall würde
ohne weiteres mit erst ermeltem Concurs-Process ordnungsmässig für-
zugehn seyn.
b. Nachtrag vom 12. Mai 1798.
1. jeder vorteilsberechtigte Unterthan und Insasse, welcher unter
fremden Gerichten und Obrigkeiten landsässig geworden, bey Erledi-
gung des elterlichen Gutsgewerbs inner Landes also angesehen und ge-
halten werden solle, als wenn er hierauf ausdrückliche und gerichtliche
Verzicht geleistet hätte. Und ebenso wenig solle:
2. derjenige, welcher inner denen Fürstlichen Landen bereits auf
einem grösseren oder dem elterlichen gleichkommenden Gutsgewerb
(wobei aber auf die Verschiedenheit des vorhandenen Passivbestandes
keine Rücksicht zu nehmen ist) versorget worden, auf den Besitz des
hiernach in Erledigung kommenden elterlichen Gutes einen rechtlichen
Anspruch zu machen haben.
3. nur in dem Fall, wenn ein solcher in denen fürstlichen Landen
ein nahmhaft geringeres Gewerbe besitzt, darf derselbe sich des gesetz-
lichen Vorteilsrechts auf der Eltern Gut annoch, doch nur alsdann be-
dienen, insoferne a) in der elterlichen Familie nicht ein tauglicher le-
diger zweiter Sohn ohne Unterscheidung, ob letzterer aus erster oder
einer folgenden Ehe entsprossen ist, vorhanden wäre, nicht weniger
b) der erstere sein verlassendes geringeres Gutsgewerbe einem seiner
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1 34 Anlagen.
Geschwistrigen aus dem elterlichen Hause, oder in deren Ermanglung
einem andern rechtschaffenen und besitzfahigen Bürger und Insassen
unter billigen Bedingnissen eigenthümlich oder nach dem Recht seines
eigenen Besitzes abtreten, zumal en aber auch
c) das hierfür in Besitz nehmende elterliche Gutsgewerbe nicht nur
antreten , sondern selbst und ohnmittelbar umtreiben und hierauf fort-
hausen will. Würde aber
4. eben derselbe sein zuvor erworbenes geringeres Guth und Haus-
wesen beybehalten — und das elterliche grössere Gewerb, worauf ihme
das Besitzrecht gebührt, zum besten seiner Geschwistrigen nicht an-
treten wollen; So wollen wir gleichwohl gestatten, dass der für ihn
eintretende Guthbesitzer schuldig sein solle, entweder sich des Abwiches
selber mit jenem gütlich zu verständigen, oder aber im Nichtvereini-
gungsfalle die Hälfte seiner Abwichssumme zu bezahlen, welche von
beiderseitigen Anverwandten oder anderen ohnparteiischen Männern
nach Verhältnis des ganzen Gewerbes für billig erachtet und geschätzet
werden wird.
c. Patent Joseph II. vom 3. April 1787^).
Wir Joseph II., von Gottes Gnaden u. s. w.
Bei den Erbfolgen und Kuratelen des Bauernstandes ist bisher der
Gebrauch bestanden, dass bei jeder Verlassenschaft, wo mehrere Kinder
des Erblassers sind, das Bauerngut dem jüngsten, meist unmündigen
Sohne übergeben worden, und weil die Kuratelen minderjähriger Bauern-
kinder fast immer dem zweyten Manne des zurückbleibenden Eheweibs,
mithin dem Stiefvater der Kinder anvertraut worden, in fremde Ver-
waltung gekommen ist.
Um nun das Vermögen unmündiger Kinder vor aller Gefahr zu
sichern, welcher dasselbe durch diese Gewohnheit ausgesetzt ist, finden
wir zuträglich folgende Vorsehung zu treffen:
§ I. In dem Falle der gesetzlichen Erbfolge soll beiTheilung der
Erbschaft zwischen mehreren Kindern, das Bauerngut, oder die soge-
nannte Wirtschaft allezeit dem ältesten Sohne zufallen. Von dieser Ver-
ordnung wird nur dann abgegangen werden, wenn die Obrigkeit gegen
denselben einen gegründeten Anstand fände, in welchem Falle die Ent-
scheidung über die Gründlichkeit oder Ungründlichkeit des Anstand es
dem Kreisamte überlassen ist.
§ 2. Alles, was in dem fünften Hauptstück des allgemeinen bürger-
lichen Gesetzbuchs von den Vormundschaften vorgeschrieben wird, ist
überhaupt auch bei dem Bauernstände zu beobachten. In denjenigen
Fällen aber, wo in dem letzten Willen kein Vormund oder Kurator be-
nennet worden, muss die Obrigkeit darauf bedacht sein, die Aufsicht
i) G.L.A. Acta generalia Breisgau.
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Anlagen. I 2 c
Über die Person des Waisen und die Verwaltung des Waisenguts einem
Manne aus der Verwandtschaft des Erblassers anzuvertrauen, welcher
in allen Fällen den minderjährigen Eigentümer vorzustellen, die auf dem
Gute haftenden Obliegenheiten genau zu verrichten, die Bestellung der
Wirtschaft auf das beste zu besorgen und das Bauerngut solange, bis
der Eigentümer selbst dasselbe anzutreten fähig ist, im aufrechten Stand
zu erhalten hat.
Da derjenige, welcher mit eigener Wirtschaft beschäftigt ist, diese
Pflichten nicht auf sich nehmen kann, muss der Stiefvater des Waisen
davon ausgeschlossen werden.
§ 3. Um aber die auf den Schutz der Waisen gerichtete Absicht
desto gewisser zu erreichen, werden hiermit alle Gründe, welche zu
einem steuerbaren Hause unmittelbar gehören, und demselben in dem
Kataster zugeschrieben sind, von dem Hause untrennbar und un-
verteilbar erklärt ; und ist der Wert , nach welchem der älteste,
der von dem Erblasser ernannte oder der von der Obrigkeit mit Wissen
des Kreisamts gewählte Sohn das Bauerngut anzutreten hat, immer
nach der Schätzung des Rektifikatoriums, jedoch dergestalt zu Grunde
zu legen, dass die Kontribution und herrschaftlichen Gaben zu Kapital
geschlagen, und nach Abzug dieses Kapitals, den übrigen Erben die
Erbteile an barem Gelde in fristenweiser Zahlung ausgemessen werden.
d. Patent Leopold II. vom 29. Oktober 1790^).
Wir Leopold u. s. w.
Vielfältige und dringende Beschwerden, welche Uns gegen die seit
dem 3. April 1787 bestehende Vorschrift über die Erbfolge der Bauern-
güter sind vorgetragen worden, haben Uns bewogen, sowohl das über
diesen Gegenstand erlassene Patent, als die darauf sich beziehenden
Anordnungen vom 5. November 1787, 16. Mai, 22. September und
30. Oktober 1789 und 18. Februar 1790 hiermit aufzuheben und die
vormalige Verfassung zurückzuführen.
Demnach verordnen Wir :
§ I. Dass in Ansehung des gesetzlichen Erbrechts auch bei dem
Bauernstande die allgemeine unter dem 11. Mai 1786 festgesetzte Erb-
folgeordnung einzutreten habe.
§ 2. Ingleichen hat es in Ansehung der Vormundschaften über die
minderjährigen Bauernkinder bey dem, was in dem allgemeinen bür-
gerlichen Gesetzbuch vorgeschrieben ist, dermassen zu bleiben, dass
nur die dort angeführten Hindernisse und kein anderes, von der Vor-
mundschaft auszuschliessen und auf die Verwaltung oder Veräusserung
des Pupillargutes wirken können.
§ 3. Doch kann niemand zugleich zwei gestiftete Bauerngüter be-
sitzen.
i) G.L.A. Acta generalia Breisgau.
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1 36 Anlagen.
§ 4. Ebensowenig können die zu einem Bauerngut gehörigen Stift-
oder Hausgründe jemals zerstückelt werden.
§ 5. In dem Falle der gesetzlichen Erbfolge, und wenn nicht schon
der Vater das Bauerngut einem Kinde namentlich zugedacht hätte, soll
bei der Theilung zwischen mehreren Kindern das Bauerngut allzeit dem
ältesten Sohne, wenn die Grundobrigkeit gegen denselben keine ge-
gründete Einwendung hat, sonst aber dem nächsten und im Abgange
eines Sohnes der älteren Tochter zugeteilt werden.
§ 6. Wenn aber der überlebende Ehegatte, Mann oder Weib, schon
in dem Miteigentume des Bauernguts steht, ist einem wie dem anderen
gestattet, auch den erledigten Teil, also das ganze Gut an sich zu lösen.
§ 7. Wer das Bauerngut auf die in beyden vorstehenden Absätzen
bemerkte Art an sich bringet , ist schuldig , die Erben oder Miterben
nach dem wahren Werte des Guts, wie er entweder durch gütliches
Einverständnis oder ordentliche Schätzung bestimmt wird, zu befriedigen.
§ 8. Ist der Besitzer eines Bauernguts ohne Kinder verstorben, so
bleibet der Willkür der Erben, jedoch mit Beistimmung der Grund-
obrigkeit, überlassen, wenn aus ihnen sie das Gut zu teilen, oder ob
sie es veräussern wollen.
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Anlagen. j^^
Anlage III.
a. Leibgedingsvertrag aus dem Jahre 1787*).
Erstens hat der alte Bauer und dessen Eheweib zur Wohnung das
hintere Stübchen, welches der junge Bauer auf seine Kosten zu ver-
grössern hat, den Hausgarten und das obere Käramerle ob dem Stühle
und Statt und Platz in der Küch und Keller, auch im Stall zum Horn-
vieh, ferner einen Schweinestall oben an dem Entengängle : Nicht minder
das Heu und Garben zu legen Platz, und hat der Leibgedingsmann
und dessen Ehweib die Garben oberhalb dem Stübel zu legen auf der
Obertenne.
Zweitens gebührt ihnen von den Kühen die andere Wahl und
eine Geis.
Drittens solle ihnen hierzugehörig sein, das auf den Scheuermatten
ergiebige Futter. Von dem Brunnen auf der Winterseite, oben in den
Matten an dem Graben hinab bis an den anderen Graben unter der
Giechthurst, von dem nämlichen Graben hin bis an das Haag, wobei
anjetzt ein Pfahl zu stecken : hierzu haben sie die beidbeste Brunnen-
quelle, die letzten 8 Tag im Monat April, und die ersten 8 Tag im
Maimonat, die letzten 8 Tag im Herbstmonat und die ersten 8 Tag im
Weinmonat zur Wässerung zu gemessen , wie dann dieselben auch die
auf dem Leibgedingsmattfeld entspringenden Brunnen nach ihrem Be-
lieben benutzen und brauchen mögen.
Weiterens wird denselben überlassen: Ein Stück Feld hinter dem
Haus an des Jakob Waldvogel's Garten von dem Brunnen hinauf gegen
den Schwemmweyer und was die Pfähl ausweisen, und sollen dieselben
das Wasser aus dem alten Weyer und aus den Brunnstuben die letzten
8 Tag im Monat April und ersten 8 Tag im Monat May, desgleichen
auch die letzten 8 Tag im Herbstmonat und die ersten 8 Tag im Wein-
monat zu benutzen haben. Falls aber zu dem Hof in dieser Zeit kein
Wasser laufen sollte , so ist diese Zeit auf eine andere Zeit zu verän-
dern, damit hierdurch dem Hof kein Nachteil zugehe.
i) Aus den Akten des Grossh. Amtsgerichts Freiburg.
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138 Anlagen.
Viertens hat der Hofbesitzer aus seinem Wald genugsams Haag-
holz und drei Hühner auf dem Wasen laufen zu lassen. Den Keller
betreffend, im Fall sie nicht mit einander sich vertragen sollten, so hat
der junge Bauer auf seine Kosten eine Scheidewand anfertigen zu lassen,
allwo Milch und Erdäpfel aufbewahrt werden können.
. Fünftens solle die Kuh mit des Bauern Kühen auf den vorderen
Berg, die Geis hingegen mit des Bauern übrigem Vieh hinter dem Berg
zur Weide getrieben werden.
Sechste ns hat der junge Bauer den Leibgedingsleuten alljährlich
auf den Märzentag abzugeben und zwar: an Korn, 15 Sester Mischel-
korn zehn Jahre lang, nach deren Verfluss es «bei 3 Sestern sein Be-
wenden haben solle. Ebenso sollen 5 Sester Haber und zu diesem
IG Jahre lang noch 3 Sester, zusammen 8 Sester abgegeben werden;
Habermebl eine Sester, gestampfte Gersten eine Sester, gerauchten
Speck 12 Pfund, Brennholz 7 Klafter, und wann sie in den Wittibstand
kommen sollte, so solle der Bauer dieses Holz auf seine Kosten machen
und ihr alles übrige, was sie von Nöten hat, auch in dem geheuratheten
Stand in der mittleren Zeit unentgeltlich zuzuführen schuldig sein.
Siebentens haben die Leibgedingsleute einen Krautgarten, 10 Schuh
lang, die Gartenbreite hinauf, innen gegen dem Haus. Auch hat der
Bauer ein Stück Feld in allweg 20 Schuh abzugeben.
Achtens sollen die Leibgedingsleute in der Wasch geduldet wer-
den und jedes Mal einen halben Sester Asche dazu zu geben schul-
dig sein. Im Wittibstande aber, sofern sie allein sein sollte und er-
kranken würde, so hat der Bauer ihr unentgeldlich waschen zu lassen.
Neuntens soU den Leibgedingsleuten in des Bauern wildem Feld
ein Sester Korn zu säen erlaubt sein, das Schaubstroh aber solle er
dem Bauern unentgeldlich abgeben. Belangend die weitere Anbauung
von Früchten, haben die Leibgedingsleut 4 Sester Haber, 2 Sester
Mischelfrucht und 4 Sester Erdäpfel in des Bauern gereutet Feld zu
stecken und zu säen, welches jedoch nur für dieses Jahr zu verstehen
ist. Ins Künftige aber sollen die Leibgedingsleut soviel Frucht zu
bauen und Erdäpfel zu stecken berechtigt sein, als nach Waldesbrauch
beobachtet und gehalten wird.
Breitnau, den 13. März 1787.
In fidem teste
Metzel, Amtmann.
b. Kauf- und U e b e r gab s - (Le i bg e dings-) v e r t r ag^).
OefFentliche Urkunde
über den
Kauf- und Uebergabsvertrag
zwischen Augustin F., Landwirt, Eheleuten auf Rütschiehof , Zinken
i) Aus den Akten des Amtsgerichts Freiburg.
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Anlagen. I jg
Bruckbach in Breitnau, Verkäufer und Emanuel F., Landwirt daselbst.
Geschehen Breitnau, am 27. Oktober 1893.
Vor mir
Grossh. Notar H. K., wohnhaft in Freiburg, angestellt im Amtsbezirk
Freiburg, haben heute Augustin F. , Landwirt auf Rutschiehof, Zinken
Bruckbach, Gemeinde Breitnau und dessen mit ehemännlicher Ermäch-
tigung handelnde Ehefrau Amalie geb. B. einerseits als Verkäufer und
Emanuel F., Landwirt hier, Sohn der Ersteren andrerseits als Käufer,
mit einander abgeschlossen folgenden
Kauf- und üebergabsvertrag.
Art. I, Augustin F., Eheleute hier, verkaufen und übergeben hier-
mit die in dem angeschlossenen, einen integrierenden Bestandteil dieser
Urkunde bildenden Auszuge beschriebenen, ihnen eigentümlich gehö-
rigen Liegenschaften, sowie die nachverzeichneten, als Zubehör der-
selben zu betrachtenden Fahrnisse an ihren Sohn Emanuel F. hier zu
dessen sofortigem unwiderruflichen, im Stück einwurfsfreien Eigentum,
Besitz und Genuss, unter den in den nachfolgenden Artikeln festge-
setzten Bedingungen um den Gesamtpreis von 22 000 M. (Folgen die
spezialisierten Fahrnisse im Gesamtwert von 9332 M.)
Art. 2. Der Kaufschilling für Fahrnisse und Liegenschaften, den
sog. »Rutschiehof« mit zusammen 22 000 M. ist mit 3V2 ^/o vom i. Ok-
tober d. J. an zu verzinsen und auf V^jährige, jedem Teil freistehende
Kündigung an die Verkäufer zu bezahlen.
Art. 3. Die Verkäufer haben wegen WiederaufForstung einer kahl-
geholzten Waldfläche bei Grossh. Domänenverwaltung in F. eine Kau-
tion von 750 M. gestellt. Die Wiederanpflanzung dieser Fläche hat der
Käufer zu vollziehen, kann aber dann auch die Kaution beanspruchen,
ohne Rückvergütung dafür zu leisten.
Art. 4. Käufer tritt sofort in Besitz und Genuss der Kaufobjekte.
Art. 5. Für Flächenmass und unbekannte Lasten wird nicht gewährt.
Art. 6. Die mit der Beurkundung und Gewährung des Kaufes ent-
stehenden Kosten zahlt der Käufer.
Art. 7. Steuern und Umlagen gehen, soweit solche noch nicht be-
zahlt sind, von heute an auf den Käufer über.
Art. 8. Alle auf dem Hofgut ruhenden Rechte und Lasten hat
Käufer zu übernehmen.
Art. 9. Auf dem verkauften Hofgut behalten sich die Eltern für
sich auf Lebensdauer und für ihre Kinder auf die Dauer ihres ledigen
Standes folgende unentgeltlichen Wohnungs- und Nutzungsrechte nebst
Leibgeding vor :
A. Hinsichtlich der Eltern (Verkäufer).
I. Das ausschliessliche Wohnungsrecht im Stühle, in der Neben-
kammer und der oberen Kammer.
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140 Anlagen,
2. Das Recht, in der Küche auf dem hinteren Feuerherd zu kochen.
3. Die Benutzung des Kellers unter dem Stühle.
4. Das Recht, im hinteren unteren Schweinstall nach Belieben ein
Schwein zu halten.
5. Im Kuhstall eine Kuh zu stellen.
6. Das Recht, 20 Sester Kartoffeln in das gedüngte Feld zu setzen,
welches der Käufer entsprechend herzurichten hat.
7. Das Recht, alljährlich das den Eltern nötige Holz zum Kochen,
Waschen und Heizen , entsprechend hergerichtet , vom Vorrate des
Käufers zu entnehmen.
8. Das Recht, das nötige Wasser aus dem Hausbrunnen zu ent-
nehmen.
9. Das Recht, in dem vorhandenen Hausgarten das hintere drei-
eckige Gartenbeet zu benutzen.
10. Das Recht, ihre Kuh mit den Kühen des Käufers auf dessen
Kosten zu füttern, auf die Weide zu treiben und zu hüten, was alles
der Käufer zu besorgen hat. Sollte die Kuh nicht genügend gefüttert
werden, so hat Käufer den Verkäufern alljährlich 40 Ztr. gut gedüngtes
Mattheu und 8 Ztr. Oehmd, sowie das erforderliche Stroh zum Streuen
zu liefern, wofür ihm aber der Dung zufällt. Wenn die Kuh der Ver-
käufer keine Milch giebt, so hat der Käufer ihnen täglich 1^/2 1 süsse
Milch von der Kuh weg abzugeben.
11. Wenn die Gebäude durch Zufall oder höhere Gewalt zu Grunde
gehen, hat Käufer solche auf seine Kosten wiederherzustellen, wie er
überhaupt die Leibgedingswohnung stetsauf seine Kosten im baulichen
Zustande zu erhalten verpflichtet ist.
12. Die Verkäufer haben das Recht, ihr Heu auf die Heubühne
an der Dreschtennenwand aufzubewahren.
13. Die Verkäufer können jederzeit das Leibgeding verlassen. Käufer
hat ihnen dann für die Wohnungs- und Nutzungsrechte und Abgaben
alljährlich bar 200 M. auszuzahlen. Sie können jedoch jederzeit wieder
einziehen, haben aber ^/i Jahr vorher solches Vorhaben anzukündigen.
14. In Krankheitsfällen hat Käufer jederzeit auf Verlangen den
Arzt oder Geistlichen herbeizuholen.
B. Hinsichtlich der Geschwister des Käufers.
1. Solange die Eltern leben, haben sie das Recht, bei denselben
zu wohnen.
2. Nach dem Ableben der Eltern haben sie sämtliche Wohnräume
wie erstere anzusprechen, sowie das bedungene Holz zu fordern. Sollte
aber nur noch ein Kind im ledigen Stande sein, so hat dasselbe nur
das Stühle, die Stubenkammer und den Keller zu benutzen, sowie das
Recht in der Küche und zum Holz wie die Eltern zu fordern.
3. Falls der Käufer das Hofgut innerhalb von 10 Jahren von heute
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Anlagen. I4I
an verkaufen sollte, hat er den etwaigen Mehrerlös mit seinen Ge-
schwistern zu teilen.
Art. 10. Eine Veräusserung des Hofguts kann nur unter Auferle-
gung sämtlicher obiger Lasten auf den Käufer geschehen.
Art. II. Die Kontrahenten beantragen, dass dieser Kauf ohne ihre
weitere Mitwirkung zum Grundbuch hier eingetragen und gewährt werde,
zu welchem Behufe dem Gemeinderat eine Abschrift zu fertigen ist.
Vorstehender hierüber aufgenommene Akt wird von mir Notar, den
Kontrahenten, deren Namen. Stand und Wohnort der mir bekannte
Ratschreiber E. Dr. bekannt giebt, vorgelesen, genehmigt und unter-
schrieben.
(, . . . Folgen die Unterschriften.)
c. Eh e vertragt)
des ledigen Bauers Hermann G. in Frischau-Biederbach, volljährig, und
der ledigen Bertha J. in Unterprechthal, minderjährig.
Geschehen zu Elzach, den 2. Mai 1894.
Vor grossh. Notar . . . . u. s. w. erscheinen die mir persönlich be-
kannten :
I. die Brautleute
a. Hermann G. , lediger Landwirt, volljährig, von Frischnau-
Biederbach,
b. als Braut Bertha J., geboren am 8. Januar 1876 von Unter-
prechthal.
IL Der Vormund der Braut, Stampferbauer Sigmund J., Landwirt
in Unterprechthal, ernannt am 16. Februar 1892 Nr. 1382 , und deren
Beirat Alois J. , ernannt am 13. Februar 1891 Nr. 1328; ferner der
Waisenrichter Anton J. in Unterprechthal.
Die Brautleute schliessen folgenden
Ehevertrag.
Art. I. Die allgemeine eheliche Gütergemeinschaft wird als Ehe-
güterrechtsverhältnis gewählt, und soll sich dieselbe auf das gegenwär-
tige und zukünftige Liegenschafts- und Fahrnisvermögen beider erstrecken.
Art. IL Wenn die Ehe durch den Tod eines Ehegatten aufgelöst
wird, gleichviel ob Kinder oder sonstige Erben am Leben sein werden,
soll der überlebende Ehegatte das Recht haben, die sämtlich vorhan-
denen Liegenschaften und Fahrnisse der Gemeinschaft, erstere beim
Vorhandensein von Kindern jedoch nur mit Vorbehalt des ortsgebräuch-
lichen und gesetzlichen Vorteilsrechts für diese Kinder erster Ehe, um
den gerichtlichen Schätzungspreis zu Eigentum zu übernehmen.
Art. III. Wenn diese Ehe kinderlos durch den Tod eines Ehe-
gatten aufgelöst wird, so erhält der überlebende Ehegatte des Verstor-
i) Aus den Akten des Amtsgerichts Waldkirch.
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1 42 Anlagen.
benen ganzes Verlassenschaftsvermögen zu Erb und Eigentum, muss
aber an die gesetzlichen oder Testamentserben des anderen Ehegatten
einen sogenannten nutzniessungsfreien Rückfall von 4000 M. hinaus -
zahlen.
Der Vormund Sigmund J. erklärt unter Ermächtigung des Fami-
lienrats, sowie des Waisenrichters und des anwesenden Beirats Alois J. :
»Ich gebe zu vorstehendem Ehevertrag, der mir vorgelesen wurde, als
Vormund der Bertha J. die Einwilligung und beantrage die obervor-
mundschaftliche Genehmigung dieses nach der örtlichen Uebung und
den thatsächlichen Verhältnissen eingerichteten Ehevertrags.
Diese Urkunde . . . u. s. w. (folgen die Unterschriften).
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J. G. B. Mohr (Paul Siebeck) in Tttbingen, Freibarg i. B., Leipzig.
Volks wipt schaftliche Abhandlungen
der badischen Hochschulen.
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Herausgegeben von
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Max Weber.
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Ihr Wesen und ihre Bedeutung. Von Dr. ß. Liefmann.
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anschauungen. Von Dr. 6. H. Hecht.
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12. — 14. Jahrhundert. Von Dr. Heinrich Sieyeking.
Gross 8. 1898. Preis im Abonnement M. 5.—, im Einzelverkauf M. 6. — .
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Die Landarbeiter
in den
evangelischen Gebieten Norddeutschlands.
In Einzeldarstellungen
nach Erhebungen des Evangelisch-Sozialen Kongresses
herausgegeben von
Dr. Max Weber^
Professor der Politischen Oekonomie an der Universität Heidelberg.
Diese in zwanglosen Heften erfolgende Publication kommt in einem
Augenblick sehr zeitgemäss, in welchem die Gründe der , Leutenot* des platten
Landes die öffentliche Aufmerksamkeit beschäftigen, üeber die Lage der
Landarbeiter ein objektives Bild zu gewinnen, ist fast unmöglich. Die Leute
selbst nach ihren Verhältnissen zu fragen, geht kaum an, sie stehen dazu im
Allgemeinen auf einem zu tiefen Niveau. Die bisherigen Enqueten (Ende der
vierziger, Anfang der siebziger, Anfang der neunziger Jahre) fussen einseitig auf
Angaben der Arbeitgeber. Der £yaugelisch-Soziale Kongress hat den glück-
lichen Gedanken gehabt und durch seinen früheren Generalsekretär, Paul Göhre,
ausführen lassen, die Landgeistlichen als unparteiische Gewährsmänner heran-
zuziehen, und es ist gelungen, durch diese indirekt auch die Arbeiter, welche
ihren Seelsorgern Aussagen machten, zu Worte kommen zu lassen. Darin
liegt das Eigenartige des Materials, welches hier verarbeitet ist.
99Die Landarbeiter^^ erseheinen in ziyanglosen Heften. Preis pro Bogen
in der Snbscription 30—35 Pf», im Einzelverkauf 40—50 Pf.
Erstes Heft: Die Landarbeiter in der ProYinz Sachsen, so-
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Holstein und Hannover östlich der Weser, sowie in dem Ge-
biete des Fürstentums Lübeck, der freien Städte Lübeck, Ham-
burg und Bremen. Von Dr. A. Grunenberg.
Gross 8. 1899. Im Abonnement M. 4.80. Im Einzelverkauf M. 6.60.
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Die Landarbeiter
in den
evangelischen Gebieten NorddeutscUands.
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Dr. Max Weber,
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Landes die öffentliche Aufmerksamkeit, beschäftigen. Ueber die Lage der
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selbst nach ihren Verhältnissen zu fragen, geht kaum an, sie stehen dazu im
Allgemeinen auf einem zu tiefen Niveau. Die bisheiigen Enqueten (Ende der
vierziger, Anfang der siebziger, Anfang der neunziger Jahre) fussen einseitig auf
Angaben der Arbeitgeber. Der Evangelisch-Soziale Kongress hat den glück-
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zuziehen, und es ist gelungen, durch diese indirekt auch die Arbeiter, welche
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biete des Fürstentums Lübeck, der freien Städte Lübeck, Ham-
burg und Bremen. Von Dr. A. Grün enb erg.
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