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Full text of "Die Glaubensartikel"

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VORWORT  ZUR  ERSTEN  ENGLISCHEN 
AUFLAGE. 

Diese  hier  dargebotenen  Vorlesungen  sind  auf  Ver- 
anlassung und  Bestimmung  der  Ersten  Präsidentschaft 
der  Kirche  ausgearbeitet  worden.  Die  Mehrzahl  derselben 
wurde  vor  der  theologischen  Klasse  der  Kirchenuniversität 
gehalten;  nach  Schluß  der  Klassensitzungen  wurden  sie  vor 
anderen  Vereinigungen  innerhalb  der  Kirche,  die  sich  mit 
dem  Studium  der  Theologie  befaßten,  fortgesetzt.  Dem 
von  der  Leitung  der  Kirche  ausgesprochenen  Wunsche,  die 
Vorlesungen  möchten  zum  Gebrauch  in  den  verschiedenen 
Bildungsanstalten  der  Kirche  gedruckt  werden,  nachkom- 
mend, ist  der  Stoff  wieder  durchgesehen  worden  und  wird 
jetzt  in  der  vorliegenden  Form  herausgegeben. 

Im  Hinblick  auf  etwaige  Kritik  und  Fragen  wegen  der 
Ungleichheit  im  Umfange  mehrerer  Vorlesungen,  darf  hier 
zum  voraus  erklärt  werden,  daß  jede  der  Ansprachen  zwei 
oder  mehrere  Klassensitzungen  in  Anspruch  genommen 
hat,  und  daß  die  jetzige  Ordnung  des  Stoffes  in  getrennte 
Vorlesungen  mehr  eine  nachträgliche  Zusammenstellung 
als  eine  ursprüngliche  Darbietung  ist. 

Der  Verfasser  ist  zu  Dank  verpflichtet,  und  stattet 
auch  seinen  herzlichen  Dank  ab  dem  von  der  Ersten  Prä- 
sidentschaft bestimmten  Ausschuß,  dessen  unverdrossene 
und  fruchtbare  Prüfung  des  Manuskripts,  ehe  die  Vorle- 
sungen gehalten  wurden,  dem  Verfasser  Vertrauen  in  den 
voraussichtlichen  Wert  des  Buches  für  Mitglieder  der 
Kirche  eingeflößt  hat.  Der  erwähnte  Ausschuß  bestand 
aus  den  Ältesten  Francis  M.  Lyman,  Abraham  H.  Cannon 
und  Anthon  H.  Lund  vom  Kollegium  der  zwölf  Apostel, 


lY  Vorwort. 

George  Reynolds,  einem  der  Präsidenten  des  vorstehenden 
Kollegiums  der  Siebziger,  dem  Ältesten  John  Nicholson 
und  Dr,  Karl  G.  Maser. 

Die  Vorlesungen  werden  jetzt  von  der  Kirche  veröffent- 
licht und  mit  ihnen  geht  die  Hoffnung  des  Verfassers,  daß 
sie  den  vielen  Forschern  in  der  Schrift  unter  unserem  Volke 
und  andern  ernsten  Untersuchern  der  Lehren  und  Gebräu- 
che der  Kirche  Jesu  Christi  der  Heiligen  der  letzten  Tage 
von  Nutzen  sein  mögen. 

James  E.  Talmage. 

Salt  Lake  City,  Utah,  den  3.  April  1899. 


VORWORT  ZUR  ACHTEN  ENGLISCHEN 
AUFLAGE. 

Diese  Auflage  des  Buches  ,,Die  Glaubensartikel"  unter- 
scheidet sich  nur  wenig  von  der  fünften.  Zum  größten  Teil 
sind  dazu  die  gleichen  Galvanoplatten  verwendet  worden, 
wie  zu  jener  Auflage,  wenn  auch  in  dieser  etliche  kleine 
Neuerungen  wie  z.  B.  Zusätze  zu  den  Anmerkungen  und 
Hinweisungen  und  andere  geringfügige  Änderungen  ent- 
halten sind.  Die  sechste  Auflage  war  eine  Ausgabe  in 
Taschenformat,  die  siebte  Auflage,  Oktavformat,  wurde 
in  England  herausgegeben. 

James  £.  Talmage. 

Salt  Lake  City,  Utah,  im  Dezember  1912. 


INHALT. 

Vorlesung  I. 
Einleitung. 

Die  Wichtigkeit  des  theologischen  Studiums.  —  Was  ist  Theologie?  — 
Der  Umfang  dieser  Wissenschaft.  —  Theologie  und  Religion.  —  Die 
Entstehung  der  „Glaubensartikel".  — •  Die  maßgebenden  Kirchen- 
bücher. —  Joseph  Smith,  der  Prophet.  —  Seine  Eltern  und  seine 
.Jugend.  —  Sein  Forschen  nach  Wahrheit  und  das  Ergebnis.  —  Erstes 
Gesicht.  —  Besuche  des  Engels.  —  Spätere  Entwicklung,  sein  Mär- 
tyrertum.  —  Glaub^vü^digkeit  seiner  Mission 1 — 31 


Vorlesung  II,  Artikel  1. 
Gott  und  die  Gottheit. 

Das  Dasein  Gottes.  —  Bezeugt  durch  allgemeine  Zustimmung  der  Mensch- 
heit. —  Begründet  durch  Geschichte  und  Überlieferung.  —  Das 
durch  die  menschliche  Vernunft  gewonnene  Zeugnis.  —  Das  Zeugnis 
der  unmittelbaren  Offenbarung.  Die  Gottheit  eine  Dreiheit.  Einlieit 
der  Gottheit.  —  Unbereclitigte  Glaubenssätze  widerlegt.  —  Die  Per- 
sönlichkeit eines  jeden  Mitglieds  der  Gottheit.  —  Einige  der  göttlichen 
Eigenschaften.  —  Abgötterei  imd  Gottesleugnung.  —  Immaterialis- 
mus  (Unkörperlichkeitslehre),  eine  Art  Gottesleugnung.  —  Gott  in 
der  Natur 32 — 64 


Vorlesung  III,  Artikel  2. 
Die  Übertretung  und  der  Fall  Adams. 

Der  freie  Wille  des  Menschen  vom  Herrn  anerkannt.  —  Verantwortlichkeit 
des  Menschen.  —  Sünde.  —  Sünden  in  Unwissenheit  begangen.  — 
Strafe  für  Sünde,  natürlich  und  notwendig.  —  Die  Dauer  der  Strafe. 
—  Widerlegung  der  falschen  Lehre  von  der  endlosen  Qual.  —  Satan, 
sein  erster  Stand  und  sein  Fall.  —  Unsere  ersten  Eltern  in  Eden.  — 
Die  Versuchung  und  der  Fall.  —  Adams  weise  Wahl.  —  Austreibung 
aus  dem  Garten.  —  Der  Baum  des  Lebens.  —  Die  Folgen  des  Falles.  — 
Der  Fall  vorherbestimmt  und  notwendig.  —  Die  gesegnete  Erbschaft 
der  Sterblichkeit 65 — 90 


VI  Inhalt. 

Vorlesung  IV,  Artikel  3. 
Das  Sühuopfer  und  die  Seligkeit. 

Das  Wesen  des  Sühn  op fers.  —  Versöhnung.  —  Ein  stellvertretendes  Opfer 

—  Freiwillig  und  durch  Liebe  veranlaßt.  —  Das  Sühnopfer  vorher- 
verordnet und  vorausgesagt.  —  Umfang  der  Versöhnung.  —  Allge- 
meine Seligkeit.  —  Persönliche  Seligkeit.  —  Seligkeit  und  Erhöhung. 

—  Stufen  der  Herrhchkeit.  —  Himmlische,  irdische  und  unterir- 
dische Herrlichkeit 91 — 117 

Vorlesung  V,  Artikel  4. 
Glaube  und  Buße. 

Das  Wesen  des  Glaubens.  —  Fürvs'arhalten,  Glaube,  und  Kenntnis  mit 
einander  verglichen.  —  Glaube  bei  den  Teufeln.  —  Die  Grundlage 
des  Glaubens.  —  Der  Glaube  ein  Grundsatz  der  Macht.  —  Eine  Be- 
dingung des  lebendigen  Glaubens.  —  Der  Glaube  zur  Seligkeit  not- 
wendig. —  Eine  Gabe  Gottes.  —  Glauben  und  Werke.  —  Das  Wesen 
der  Buße.  —  Bedingungen  zur  Erhaltung  der  Vergebung.  —  Buße 
zur  Seligkeit  notwendig.  —  Buße  eine  Gabe  Gottes.  —  Buße  nicht 
immer  möglich.  —  Die  Gefaliren  des  Hinausschiebens  der  Buße.  — 
Buße  im  Jenseits 118 — 146 

Vorlesung  VI,  Artikel  4. 
Die  Taule. 

Das  Wesen  der  Verordnung.  —  Ihre  Einsetzimg.  —  Die  Taufe  Adams.  — 
Der  besondre  Zweck  der  Taufe.  —  Würdige  Täuflinge.  —  Die  Kinder- 
taufe. —  Die  Geschichte  dieser  ungesetzlichen  Sitte.  —  Die  Kinder- 
taufe von  der  Bibel  nicht  unterstützt  und  durch  andere  Schriften 
verboten.  —  Die  Taufe  zur  Seligkeit  notwendig.  —  Die  Taufe  Christi. 

—  Um  alle  Gerechtigkeit  zu  erfüllen 147 — 166 

Vorlesung  VII,  Artikel  4. 
Die  Taufe,  —  Fortsetzung. 

Die  Wichtigkeit  der  richtigen  Vollziehung  dieser  Verordnung.  —  Der  Ur- 
sprung des  Worts  „taufen",  und  sein  erster  Gebrauch.  —  Unter- 
tauchung die  einzig  richtige  Weise.  —  Das  heilige  Sinnbild  der  Ver- 
ordnung wird  in  keiner  anderen  Form  gewahrt.  —  Untertauchimg 
die  einzige  in  früheren  Tagen  befolgte  Form.  —  Die  Taufe  durch 
Untertauchung  bei  den  Xephiten.  —  Die  neuzeitliche  Taufe.  —  Die 
„Wiedertaufe"  nicht  eine  besondere  Verordnung.  —  Die  in  der 
Schrift  berichteten  „Wiedertaufen"  sind  seltene  Ausnahmefälle.  —  Die 
Taufe  für  die  Toten.  —  Christi  Werk  unter  den  Verstorbenen.  —  Die 
Geister  im  Gefängnis.  —  Stellvertretendes  Werk  der  Lebendigen  für 
die  Toten.  —  Die  himmlische  Botschaft  des  Elia.  —  Die  Tempel, 
früher  und  jetzt 167 — 194 


Inhalt.  VII 

Vorlesung  VIII,  Artikel  4. 

Der  Ileiliye  Geist. 

Der  verheißene  Tröster.  —  Der  Heilige  Geist  ein  Glied  der  Gottheit.  — 
Seine  besondere  Persönlichkeit.  —  Seine  Mächte.  —  Sein  Amt  im 
Dienste  der  Menschheit.  —  Wem  gegeben.  —  Außergewöhnliche  Fälle 
seines  zeitweiligen  Besuches  vor  der  Taufe.  — -  Die  Verordnung  der 
Spendung.  —  Die  Macht  des  Pricstertums  erforderlich.  —  Die  Gaben 
des  Geistes.  —  Das  Auflegen  der  Hände  ein  Merkmal  heiliger  Ver- 
ordnungen       195 — 209 

Vorlesung  IX,  in  Verbindung  mit  Artikel  4. 
Das  Sakrament  des  heiligen  Abendmahls. 

Bedeutung  des  Wortes  „Sakrament".  —  Des  Herrn  Abendmahl.  —  Ein- 
setzung der  Verordnung  unter  den  Juden.  —  Auch  bei  den  Nephiten. 
—  Würdige  Empfänger  des  Abendmahls.  - —  Der  Zweck  der  Verordnung 
und  die  damit  verbundenen  Verheißungen.  —  Die  Sinnbilder  der  Ver- 
ordnung. —  Die  Art  und  Weise  der  Segnung  imd  Austeilung.  —  Das 
Passahfest  und  das  Abendmahl.  —  Irrtümer  hinsichtlich  des  Abend- 
mahls         210—220 


Vorlesung  X,  Artikel  5. 
V'ollmacht  im  Amt. 

Von  Gott  berufene  Männer.  —  Beispiele  aus  der  Schrift.  — •  Ordination 
zum  Amt.  —  Das  bevollmächtigte  Auflegen  der  Hände.  —  Der 
Frevel  des  eigenmächtigen  Amtierens  ohne  Vollmacht.  —  Beispiele 
des  göttlichen  Zornes.  —  Wahre  und  falsche  Lelirer.  —  Göttliche 
Vollmacht  in  der  gegenwärtigen  Dispensation.  —  Die  Wiederher- 
stellung des  aaronischen  Priestertums  durch  Johannes  den  Täufer  — 
des  melchizedekischen  durch  Petrus,  Jakobus  und  Johannes.  —Die 
Vorordination  von  Männern  zu  besondern  Berufungen.  —  Die  Vor- 
ordination  Christi.  — -  Die  Präexistenz  der  Geister.  —  Unsere  früheste 
Kindheit      221 — 240 

Vorlesung  XI,  Artikel  6. 

Die  Kirche  und  ihre  Ordnung. 

Die  Kirche  in  alter  und  neuer  Zeit.  —  Die  ursprüngliche  Kirche. 
—  Der  Abfall  von  der  ursprünglichen  Kirche.  —  Der  große  Abfall 
war  vorausgesagt.  —  Die  Wiederherstellung  der  Kirche  in  der 
Dispensation  der  Fülle  der  Zeiten.  —  Der  Verwaltungsplan  der  wieder- 
hergestellten Ivirche.  —  Ordnungen  und  Ämter  im  Priestertum.  — 
Das  aaronische  schließt  das  levi tische  ein.  —  Die  raelchizedekische 
Ordnung.  —  Besondere  Ämter  im  Priestertum.  —  Diener  (Diakone), 
Lehrer,  Priester.  —  Älteste,  Siebziger,  Hohepriester.  —  Patriarchen 
oder  Evangelisten.  —  Apostel.  —  Die  Erste  Präsidentschaft.  —  Die 


VIII  Inhalt. 

zwölf  Apostel.  —  Das  vorstehende  Kollegium  der  Siebziger,  —  Die 
vorstehende  Bischofschaft.  —  Örtliche  Gliederung,  Pfähle  und  Ge- 
meinden. —  Die  Pfahlpräsidentschaft.  —  Der  hohe  Rat.  —  Die 
Bischofschaft  der  Gemeinde  (Ward).    —    Helfer  in  der  Verwaltung. 

241—262 

Vorlesung  XII,  Artikel  7. 
Geistige  Gaben. 

Geistige  Gaben  ein  Merkmal  der  Kirche.  —  Das  Wesen  dieser  Gaben.  — 
Wunder.  —  Unvollständige  Aufzählung  der  Gaben.  —  Zungen  und 
Auslegung  der  Zungen.  —  Heilung.  —  Gesichte  und  Träume.  —  Prophe- 
zeiung. —  Offenbarung.  —  Das  Zeugnis  der  Wunder  kein  unfehlbarer 
Führer.  —  Nachahmungen  geistiger  Gaben.  —  Wunder  durch  böse 
Mächte.  —  Teufel  wirken  Wunder.  —  Geistige  Gaben  heutzu- 
tage       263—287 


Vorlesung  XIII,  Artikel  8. 
Die  Bibc!. 

Das  erste  unsrer  maßgebenden  Kirchenwerke.  —  Der  Name  „Bibel".  — 
Das  Alte  Testament.  —  Sein  Ursprung  und  sein  Wachstum.  — ■  Die 
Sprache  des  Alten  Testaments.  —  Die  Septuaginta.  —  Die  fünf 
Bücher  Mose.  —  Geschichtliche  Bücher.  —  Poetische  Bücher.  —  Die 
Bücher  der  Propheten.  —  Die  Apokryphen.  —  Das  Neue  Testament. 

—  Ursprung  und  Glaubwürdigkeit.  —  Einteilung  der  Bücher.  —  Die 
ersten  Übersetzungen  der  Bibel.  —  Neuere  Übersetzungen.  —  Echt- 
heit und  Glaubwürdigkeit.  —  Das  Zeugnis  des  Buches  Mormon  von 
der  Bibel 288—314 

Vorlesung  XIV.,  Artikel  8. 
Das  Buch  Mormon. 

Beschreibung  und  Ursprung.  —  Moronis  Besuch  bei  Joseph  Smith.  —  Das 
inspirierte  Titelblatt.  —  Das  Ncphilische  Volk.  —  Die  Jarediten.  — 
Die  alten  Platten.  —  Mormons  Abkürzung  der  Platten  Nephis.  — 
Die  Übersetzung  der  Urkunden,  —  Einteilung  und  Ordnung  der 
Bücher.  —  Echtheit  des  Buches  Mormon,  —  Das  Zeugnis  der  Zeugen. 

—  Erklärungsversuche  für  seinen  Ursprung.  —  Die  Spaulding-Ge- 
schichte 315—338 

Vorlesung  XV,  Artikel  8. 
Das  Buch  Mormon,  —  Fortsetzung. 

Glaubwürdigkeit  des  Buches  Mormon.  —  Das  Buch  Mormon  imd  die  Bibel, 

—  Durch  das  Hervorkommen  des  Buches  Mormon  erfüllte  alte  Pro- 
phezeiung, —  Die  innere  t^bereinstimmung  des  Buches,  —  Die  darin 
enthaltenen   Prophezeiungen.   —  Äußeres   Zeugnis.   —   Zeugnis   der 


Inhalt.  IX 

Altertumskunde  über  die  frühere  Besiedehing  Amerikas.  —  Israeli- 
tischer Ursprung  der  amerikanischen  Ureinwohner.  —  Gemeinsamer 
Ursprung  aller  eingeborenen  „Rassen".  —  Die  Sprache  des  Buches 
Mormon  mit  der  Sprache  der  Uramerikaner  verglichen.  —  Der  Über- 
rest des  Ägyptischen  und  des  Hebräischen.  —  Das  Zeugnis  der  For- 
scher  339—360 


Vorlesung  XVI,  Artikel  9. 
Offenbarung  in  der  V'ergangenheit,  der  Gegemvarl  und  der  Zukunft. 

Was  ist  Offenbarung?  —  Offenbarung  und  Inspiration.  —  Wie  Gott  mit 
den  Menschen  verkehrt.  —  Offenbarer  in  alter  Zeit,  — •  Christus,  em 
Offenbarer.  —  Die  Lelire  von  fortdauernder  Offenbarung.  —  Wohlbe- 
gründet, schriftgemäß,  vernünftig.  —  Angeblich  biblisch  begründete 
Einwendungen  und  deren  Widerlegung.  —  Neuzeitliche  Offenbarung. 
—  Ohne  Offenbarung  kann  keine  wahre  Kirche  bestehen.  —  Weitere 
Offenbarungen  noch  zu  erwarten 370 — 391 

Vorlesung  XVII,  Artikel  10. 
Die  Zerstreuung  Israels. 

Israel.  —  Kurze  Geschichte  des  Volkes.  —  Die  Zerstreuung  vorausgesagt.  — 
Biblische  Prophezeiungen.  —  Voraussagungen  im  Buch  Mormon.  — 
Die  Erfüllung  dieser  schrecklichen  Prophezeiungen.  —  Das  Schick- 
sal des  Reiches  Israel.  —  Die  Zerstreuung  Judas.  —  Die  verlorenen 
Stämme 392 — i08 


Vorlesung  XVIII,  Artikel  10. 
Die  Sammlung  Israels. 

Voraussagungen  über  die  Sammlung.  —  Prophezeiungen  in  der  Bibel  und 
in  dem  Buch  Mormon.  —  Neue  Offenbarungen  inbezug  auf  die  Samm- 
lung. —  Umfang  und  Zweck  der  Sammlung.  —  Israel  ein  auser- 
wähltes Volk.  —  Alle  Volker  durch  Israel  gesegnet.  —  Die  Wieder- 
herstellung der  zehn  Stämme.   —   Zion   soll   erst  gegründet  werden. 

—  Die  Sammlung  geht  jetzt  vor  sich 409 — 426 

Vorlesung  XIX,  Artikel  10. 

Zlon. 

Zwei  Versammlungsorte  bezeichnet.  —  Jerusalem  und  das  Neue  Jerusalem. 

—  Die  Bedeutung  von  „Zion".  —  Das  Zion  Henochs.  —  Des  Herrn 
Erklärung  über  ,,Zion".  —  Neuzeitliche  Offenbarung  über  Zion.  — 
Die  Gründung  aufgehalten.  —  Der  Mittelpunkt  in  Missouri.  —  Die 
Gründung  Zions  in  den  letzten  Tagen 427 — 439 


X  Inhalt. 

Vorlesung  XX,  Artikel  10. 
Die  Regierung  Christi  auf  Erden. 

Das  erste  und  das  zweite  Kommen  Christi  mit  einander  verglichen.  —  Vor- 
aussagungen seiner  Wiederliunft.  —  Die  Zeichen  beschrieben.  —  Neu- 
zeithclie  Offenbarung  darüber.  —  Die  genaue  Zeit  nicht  bekannt.  — 
Christi  Regienuig.  —  Das  Reich  Gottes.  —  Das  Himmeheich.  —  Reich 
rnid  Kirche.  —  Das  Tausendjährige  Reich.  —  Satans  Macht  soll  ver- 
mindert werden 440 — 460 


Vorlesung  XXI,  Artikel  10. 
Erneuerung  und  Auferstehung. 

Die  Erde  unter  einem  Fluch.  —  Die  Erneuerung  der  Erde.  —  Die  Erde 
während  des  Tausendjähiigen  Reiches  imd  nach  demselben.  —  Der 
Mangel  an  \\issenschaftlichen  Beweisen.  —  Die  Auferstehung  des 
Leibes.  —  Die  Voraussagungen.  —  Zwei  allgemeine  Auferstehungen, 
die  erste  und  die  letzte.  —  Die  Auferstehung  der  Gerechten.  —  Und 
die  der  Ungerechten.  —  Christi  Auferstehung  und  die,  die  unmittelbar 
darauf  folgte.  —  Die  Auferstehung  zur  Zeit  des  zweiten  Kommens 
Christi.  - —  Die  Heiden  in  der  ersten  Auferstehung.  —  Die  Auferste- 
hung nach  dem  Tausendjährigen  Reich 461 — 487 


Vorlesung  XXII,  Artikel  11. 

Religiöse  Freiheit  und  Duldsamkeit. 

Was  ist  Gottesverehnmg  ?  —  Freiheit  in  der  Verehrung  Gottes,  ein  unver- 
äußerliches Recht.  — •  Religiöse  Unduldsamkeit  ist  sündhaft.  - —  Dulden 
heißt  nicht  gutheißen.  —  Die  Verantwortlichkeit  des  Menschen.  — 
Die  Folgen  seiner  Taten.  —  Vorbereitete  Stufen  der  HerrUchkeit.  — 
Die  himmlische  Herrlichkeit.  —  Die  irdische.  —  Die  unterirdische.  — 
Abstufungen  innerhalb  der  verschiedenen  Reiche.  —  Die  Söhne  des 
Verderbens 488 — 509 


Vorlesung  XXIII,  Artikel  12. 
Unterwerfung  unter  die  Landesgesetze. 

Biblische  Anerkennung  der  staatlichen  Gewalt.  —  Von  Cliristus  und  seinen 
Aposteln  gegebene  Beispiele.  —  Apostolische  Belehrungen.  —  Neu- 
zeithche  Offenbarung  über  die  Pflichten  den  Landesgesetzen  gegen- 
über. —  Das  Volk  Gottes  ist  notwendigerweise  gesetzhaltend.  —  Die 
Lehren  der  Kirche  heutzutage 510 — 530 


Inhalt.  XI 

Vorlesung  XXIV,  Artikel  13. 
Praktische  Religion. 

Die  Religion  hat  mit  dem  täglichen  Leben  zu  tun.  —  Der  Umfang  unserer 
Rehgion.  —  Die  Wohltätigkeit  zur  Pfliclit  gemacht.  —  Freiwillige 
Opfer.  —  Das  Fastopfer.  —  Der  Zehnte.  —  Weihimg  und  Verwalter- 
schaft. —  Die  Gütergemeinschaft.  —  Soziale  Ordnung  in  der  Kirche. 
—  Die  Ehe.  —  Die  himmlische  Ehe.  —  Ungesetzlicher  Verkehr  der 
Geschlechter.  —  Die  Heiligkeit  des  Körpers 531 — 555 

Anhang:  Leitfaden  zur  Wiederholung  der  Vorlesungen  in  den  Klas- 
sen     557—574 

Xamen-  und  Sachregister 575 — 584 


DIE  GLAUBENSARTIKEL 

DER  KIRCHE   JESU  CHRISTI  DER  HEILIGEN  DER 
LETZTEN  TAGE. 

1.  Wir  glauben  an  Gott  den  ewigen  Vater  und  an  seinen  Sohn  Jcsum 
Christum  und  an  den  Heiligen  Geist. 

2.  Wir  glauben,  daß  alle  Menschen  für  ihre  eigenen  Sünden  gestraft 
werden  und  nicht  für  Adams  Übertretung. 

3.  Wir  glauben,  daß  durch  das  Sühnopfer  Christi  die  ganze  Mensch- 
heit selig  werden  kann  diu-ch  Befolgung  der  Gesetze  und  Verordnungen 
des  Evangeliums. 

4.  Wir  glaubfn,  daß  die  ersten  Prinzipien  und  Verordnungen  des 
Evangeliums  sind:  1.  Glaube  an  den  Herrn  Jesum  Christum,  2.  Buße, 
3.  Taufe  durch  Untertauchung  zur  Vergebung  der  Sünden,  4.  das  Auflegen 
der  Hände  für  die  Gabe  des  Heiligen   Geistes. 

5.  V/ir  glauben,  daß  ein  Mann  von  Gott  berufen  sein  muß  durch 
Offenbarung  und  duixh  das  Auflegen  der  Hände  derer,  welche  die  Voll- 
macht dazu  haben,  das  Evangelium  zu  predigen  und  in  dessen  Verord- 
nungen zu  amtieren. 

6.  Wir  glauben  an  die  gleiche  Organisation,  die  in  der  ursprüng- 
lichen Kirche  bestand,  nämlich:  Apostel,  Propheten,  Hirten,  Lelirer. 
Evangelisten  usw. 

7.  Wir  glauben  an  die  Gabe  der  Zungen,  Prophezeiung,  Offenbarung, 
Gesichte,  Heilung,  Auslegung  der  Zungen  usw. 

8.  Wir  glauben  an  die  Bibel  als  das  Wort  Gottes,  soweit  sie  richtig 
übersetzt  ist;  wir  glauben  auch  an  das  Buch  Mormon  als  das  Wort  Gottes. 

9.  Wir  glauben  alles,  was  Gott  geoffenbart  hat,  alles,  was  er  jetzt 
offenbart,  und  wir  glauben,  daß  er  noch  viele  große  und  wichtige  Dinge 
offenbaren  wird  inbezug  auf  das  Reich  Gottes. 

10.  Wir  glauben  an  die  buchstäbliche  Sammlung  Israels  imd  an  die 
Wiederherstellung  der  zehn  Stämme,  daß  Zion  auf  dem  amerikanischen 
Kontinent  aufgebaut  werden  wird,  daß  Cliristus  persönlich  auf  der  Erde 
regieren  und  daß  die  Erde  erneuert  werden  und  ihre  paradiesische  Herr- 
Uchkcit  erhalten  wird. 

11.  Wir  erheben  Anspruch  auf  das  Recht,  den  allmächtigen  Gott  zu 
verehren  nach  den  Eingebungen  unsers  Gewissens  und  gestatten  allen 
Menschen  dasselbe  Recht,  mögen  sie  verehren  wie,  wo  oder  was  sie  wollen. 

12.  Wir  glauben  daran,  Königen,  Präsidenten,  Herrschern  und  Magi- 
straten untertänig  zu  sein,  den  Gesetzen  zu  gehorchen,  sie  zu  ehren  und  zu 
unterstützen. 

13.  Wir  glauben  daran,  ehrlich,  getreu,  keusch,  wohltätig  und  tugend- 
haft zu  sein  und  allen  Menschen  Gutes  zu  tun;  in  der  Tat  möchten  wir 
sagen,  daß  \\ir  der  Ermahnung  Pauli  folgen;  „Wir  glauben  alles,  wir  hoffen 
alles",  wir  haben  vieles  ertragen  und  hoffen  fähig  zu  sein,  alles  zu  ertragen. 
Wo  etwas  Tugendhaftes,  Liebenswürdiges  oder  von  gutem  Rufe  oder 
Lobenswertes  ist,  trachten  wir  nach  diesen  Dingen.  —  Joseph  Smith. 


VORLESUNGEN 


ÜBER 


DIE  GLAUBENSARTIKEL 

DER  KIRCHE  JESU  CHRISTI  DER  HEILIGEN  DER 
LETZTEN  TAGE. 


Vorlesung  I. 
Einleitung. 

1.  Die   Wichtigkeit   des   theologischen    Studiums.    — 

In  dem  kurzen  Zeitraum,  der  die  Spanne  des  sterblichen 
Lebens  mißt,  ist  es  dem  Menschen  unmöglich,  irgend  einen 
beträchtlichen  Teil  des  unermeßlichen  Reiches  der  Erkennt- 
nis zu  erforschen.  Daher  ist  es  der  Weisheit  Pflicht,  die 
Fächer  des  Studiums  auszuwählen,  die  versprechen  am 
wertvollsten  zu  sein.  Alle  Wahrheit  ist  kostbar  —  ja 
unbezahlbar  —  an  ihrem  Platz;  inbezug  auf  ihre  Anwen- 
dungsmöglichkeit jedoch  sind  einige  Wahrheiten  von  un- 
vergleichlich größerem  Wert  als  andere.  Eine  Kenntnis 
der  Grundsätze  des  Handels  ist  für  den  Erfolg  des  Kauf- 
manns notwendig;  ein  Vertrautsein  mit  den  Gesetzen 
der  Seeschiffahrt  wird  von  dem  Seemann  gefordert;  Ver- 
trautsein mit  dem  Verhältnis  von  Boden  und  Anpflan- 
zung ist  dem  Landmann  unentbehrlich;  ein  Verständ- 
nis der  tiefgehenden  Grundsätze  der  Mathematik  ist 
dem  Ingenieur  und  Astronomen  nötig;  in  gleicher  Weise 
ist  auch  eine  brauchbare  Kenntnis  von  Gott  notwendig 
zur  Seligkeit  jeder  menschlichen  Seele,  welche  das  Alter 


2  Die   Glaubensartikel,  IVorl.  L 

der  Urteils-  und  der  Zurechnungsfähigkeit  erreicht  hat. 
Der  Wert  theologischer  Kenntnisse  sollte  deshalb  nicht 
unterschätzt  werden.  Es  fragt  sich,  ob  ihre  Wichtigkeit 
in  irgend  einer  Weise  überschätzt  werden  könnte. 

2.  Was  ist  Theologie?  —  Das  Wort  „Theologie"  ist 
griechischer  Abstammung.  Es  kommt  von  „theos",  was 
Gott  bedeutet,  und  ,, logos",  eine  Abhandlung  oder  Rede, 
und  bedeutet  daher  durch  Abstammung,  vergleichende 
Wissenschaft  von  der  Gottheit,  oder  die  Wissenschaft, 
die  uns  über  Gott  belehrt.  Sie  schließt  auch  das  Ver- 
hältnis von  dem  Allmächtigen  zu  seinen  Geschöpfen  in 
sich  ein.  Das  Wort  ist  von  sehr  altem  Gebrauch  und 
kann  bis  auf  heidnische  Quellen  zurückgeführt  werden. 
Plato  und  Aristoteles  reden  von  der  Theologie  als  von  der 
Lehre  von  der  Gottheit  und  von  göttlichen  Dingen.  Bündig 
erklärt,  die  Theologie  ist  ,,jene  geoffenbarte  Wissenschaft, 
die  von  dem  Wesen  und  den  Eigenschaften  Gottes  —  sei- 
nem Verhältnis  zu  uns  —  den  Fügungen  seiner  Vorsehung 
—  seinem  Willen  inbezug  auf  unsere  Handlungen  —  und 
seinen  Absichten  inbezug  auf  unser  Ende  handelt."^) 

3.  Es  wird  von  einigen  als  W^ahrheit  gehalten,  daß 
theologische  Erkenntnis  kein  geeigneter  Gegenstand  für 
analytische  und  sonst  wissenschaftliche  Behandlung  von 
Seiten  des  INIenschen  sei,  und  zwar  deshalb  nicht,  weil  ein 
wahrer  Begriff  der  Gottheit,  mit  dem  die  Theologie  in- 
sonderheit zu  tun  hat,  auf  Offenbarung  aus  göttlicher 
Quelle  gegründet  sein  müsse,  wir  also  solche  Kenntnis 
nur  bekommen  können  in  dem  Maße,  wie  sie  gnädig  gegeben 
wird;  und  daß  der  Versuch  kritischer  Untersuchung  der- 
selben, wegen  der  fehlbaren  Kräfte  des  menschlichen  Urteils, 
das  Anwenden  der  gänzlich  unzulänglichen  Weisheit  des 
Menschen  das  Maß  für  das  Tun  Gottes  sein  würde.   Viele 


0  Siehe  Lelire  u.  Bündn.  „Fragen  und  Antworten",   —   erste  Vor- 
lesung über  Glauben;  Bucks  Theologisches  Wörterbuch,   S.  582. 


Einleit.]  Theologie.  3 

Wahrheiten  sind  der  hilflosen  menschlichen  Vernunft 
unbegreiflich,  und  es  ist  erklärt  worden,  theologische  Tat- 
sachen seien  über  den  Verstand  erhaben.  Dieses  ist  inso- 
fern wahr,  als  derselbe  Einwand  auch  bei  irgend  einer 
anderen  Art  von  Wahrheit  erhoben  werden  könnte;  denn 
alle  Wahrheit,  da  sie  ewig  ist,  ist  über  dem  Verstand  erha- 
ben, in  dem  Sinne,  daß  sie  dem  Verstand  zwar  offenbar  ist, 
aber  doch  keine  Schöpfung  des  Verstandes  darstellt.  Den- 
noch sollen  Wahrheiten  durch  die  Ausübung  der  Vernunft 
geschätzt  und  verglichen  werden. 

4.  Der  Umfang  der  Theologie.  —  Wer  kann  die  Gren- 
zen dieser  Wissenschaft  erforschen  ?  Sie  hat  mit  der  Gott- 
heit, dem  Ursprung  der  Erkenntnis,  der  Quelle  der  Weis- 
heit, zu  tun ;  mit  den  Beweisen  des  Daseins  eines  allmäch- 
tigen Wesens  und  anderer  übernatürlichen  Persönlichkei- 
ten; mit  den  Zuständen,  unter  denen  und  mit  den  Mitteln, 
wodurch  göttliche  Offenbarung  erteilt  wird ;  mit  den  ewigen 
Grundsätzen,  die  die  Erschaffung  der  Welten  regieren; 
mit  den  Gesetzen  der  Natur  in  all  ihren  verschiedenen 
Kundgebungen.  Insonderheit  ist  die  Theologie  die  Wissen- 
schaft Gottes  und  der  Religion.  Sie  sucht  „die  systema- 
tische Darlegung  der  geoffenbarten  Wahrheit,  die  Wissen- 
schaft des  christlichen  Glaubens  und  Lebens"  darzubieten. 
Aber  in  einem  allgemeineren  Sinn  hat  die  Theologie  auch 
mit  anderen  Wahrheiten  zu  tun,  nicht  nur  mit  denen,  die 
ausgesprochen  geistig  genannt  werden  können.  Ihr  Ge- 
biet ist  an  Ausdehnung  dem  der  Wahrheit  gleich. 

5.  Die  gewerblichen  Bestrebungen,  die  der  Mensch- 
heit Nutzen  bringen,  die  Künste,  die  erfreuen  und  ver- 
edeln, die  Kenntnisse  die  das  Gedächtnis  erweitern  und 
erhöhen,  sind  nur  Bruchstücke  des  großen,  doch  noch  uner- 
schlossenen  Gebietes  der  Wahrheit,  die  aus  einer  ewig 
unerschöpflichen  Quelle  zur  Erde  gekommen  ist.  Das 
umfassende  Studium  der  Theologie  würde  daher  alle  be- 


4  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  I. 

kannten  Wahrheiten  in  sich  begreifen.  Gott  hat  sich  selbst 
als  den  großen  Lehrer  eingesetzt.^)  Durch  persönliche 
Kundgebungen  oder  durch  die  Amtierung  der  durch  ihn  er- 
nannten Diener  unterrichtet  er  seine  sterblichen  Kinder. 
Der  Herr  machte  Adam  mit  der  Kunst  der  Landwirtschaft 
bekannt,^)  und  lehrte  sogar  durch  Beispiel  die  der  Schnei- 
derei ;3)  Noah  und  Nephi  gab  er  Belehrungen  über  die  Kunst 
des  Schiffbaues,*)  Lehi  und  Nephi  wurden  von  ihm  unter- 
richtet in  der  Kunst  der  Seeschiffahrt,^)  und  zur  Führung 
auf  ihren  Reisen  zu  Wasser  und  zu  Lande  bereitete  er  für 
sie  den  Liahona,^)  einen  durch  eine  Kraft,  die  wirksamer 
als  die  des  irdischen  Magnetes  ist,  arbeitenden  Kompaß; 
überdies  erhielt  Mose  Unterricht  in  der  Baukunst.') 

6.  Theologie  und  Religion,  obwohl  eng  verwandt,  sind 
in  keiner  Weise  ein  und  dasselbe.  Ein  Mensch  mag  in  theo- 
logischer Lehre  durch  und  durch  bewandert  sein  und  doch 
Mangel  leiden  an  religiösen  und  sogar  an  moralischen 
Charakterzügen.  Die  Theologie  kann  als  Lehre  verghchen 
werden,  während  die  Religion  das  Leben  darstellt.  Ist  die 
Theologie  die  Regel,  dann  ist  die  Religion  die  Ausübung. 
Eines  soll  die  Ergänzung  des  andern  sein.  Theologische 
Kenntnis  sollte  den  religiösen  Glauben  und  seine  Betäti- 
gung stärken.  Der  Begriff  Theologie,  wie  er  von  den  Hei- 
ligen der  letzten  Tage  angenommen  wird,  umfaßt  den 
ganzen  Plan  des  Evangeliums.  , .Theologie  ist  geordnetes 
Wissen  und  stellt  auf  dem  Gebiete  des  Verstandes  das  dar, 
was  Religion  im  Herzen  und  Leben  des  Menschen  darstellt. ' '  ^) 


')  Siehe    „Schlüssel    zur    Gottesgelehrtheit"    von    Parley    P.    Pratt, 
erstes  Kapitel. 

')  1.  Mose  2:8;  Köstl.  Perle,  Moses  3:15. 

')  1.  Mose  3:21;  Köstl.  Perle,  Moses  4:27. 

*)  1.  Mose  6:14;  Buch  Mormon  1.  Nephi  17:8;  18:4. 

')  1.  Nephi  18:12,  21. 

•)  1.  Nephi  16:10,  16,  26 — 30;  18:12,  21;  Ahna  37:38. 

')  2.  Mose  25,  26,  27. 

•)  W.  E.  Gladstone. 


Einleit.]  Theologie.  5 

Die  Erkenntnis  mag  nur  mit  dem  Verstand  zu  tun  ha- 
ben, und  wie  erhaben  ihr  Sinn  auch  sein  mag,  so  kann  sie 
doch  verfehlen,  auf  das  harte  Herz  zu  wirken. 

7.  Die  Glaubensartikel.  —  Die  Glaubensansichten 
und  vorgeschriebenen  Gebräuche  der  meisten  religiösen 
Gemeinschaften  werden  gewöhnlich  in  förmlichen  Glaubens- 
bekenntnissen erklärt.  Die  Heiligen  der  letzten  Tage 
stellen  kein  Glaubensbekenntnis  als  eine  vollständige 
Gesetzessammlung  ihres  Glaubens  auf.  Denn  obwohl  sie 
dafür  halten,  daß  die  Gebote  zur  Erlangung  des  ewigen 
Lebens  unveränderlich  sind,  nehmen  sie  doch  den  Grund- 
satz der  fortdauernden  Offenbarung  als  einen  bezeichnen- 
den Zug  ihres  Glaubens  an.  Als  Joseph  Smith  jedoch  um 
eine  bündige  Darlegung  unserer  Hauptansichten  über  die 
Religion  gebeten  wurde,  verkündete  er,  der  erste  Prophet 
der  Kirche  in  der  gegenwärtigen  Dispensation,  als  eine 
Glaubenserklärung  die  „Glaubensartikel  der  Kirche  Jesu 
Christi  der  Heiligen  der  letzten  Tage".  Sie  enthalten  die 
wichtigeren  und  kennzeichnenden  Stücke  des  Evangeliums, 
wie  es  von  dieser  Kirche  angenommen  wird;  sie  sind  jedoch 
als  eine  Erklärung  unseres  Glaubens  nicht  vollständig, 
denn  in  einem  der  Artikel  wird  gesagt,  ,,Wir  glauben 
alles,  was  Gott  geoffenbart  hat,  alles,  was  er  jetzt  offen- 
bart, und  wir  glauben,  daß  er  noch  viele  große  und  wichtige 
Dinge  offenbaren  wird  inbezug  auf  das  Reich  Gottes." 
Seit  ihrer  ersten  Veröffentlichung  sind  die  Glaubensartikel 
von  dem  Volke  angenommen  worden, i)  und  am  6.  Oktober 
1890  haben  die  zu  einer  Generalkonferenz  versammelten 
Heiligen  die  „Artikel"  zum  guten  Teil  als  Führer  im  Glau- 
ben und  Leben  wieder  angenommen.  Da  diese  Glaubens- 
artikel die  Haupt-Lehrsätze  der  Kirche  in  planmäßiger 
Ordnung  darstellen,  bilden  sie  einen  geeigneten  Leitfaden 
für  unsere  Untersuchung. 


»)  Siehe  Anmerkung  1. 


6  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  I. 

8.  Die  maßgebenden  Kirchenbücher  bilden  unsre 
geschriebene  Richtschnur  der  Lehre.  Sie  sind  aber  in  keiner 
Weise  unsere  einzigen  Quellen  der  Erkenntnis  und  Beleh- 
rung über  die  Theologie  der  Kirche.  Wir  glauben,  Gott 
ist  heute  ebenso  willig,  den  Menschen  seine  Absichten 
und  seinen  Willen  zu  offenbaren,  als  er  es  je  gewesen  ist, 
und  daß  er  es  auf  auserwählte  und  bestimmte  Wege 
auch  tut.  Da  die  führenden  Männer  als  Propheten  und 
Offenbarer  und  als  im  Besitz  des  heiligen  Priestertums  von 
der  Kirche  anerkannt  und  angenommen  werden,  verlassen 
wir  uns  auf  die  Belehrungen  dieser  lebenden  Willensver- 
künder  Gottes,  als  von  gleicher  Rechtskräftigkeit  wie  die 
Lehren  des  geschriebenen  Wortes.  Die  durch  die  Stimme 
der  Kirche  als  maßgebende  Führer  im  Glauben  und  in 
der  Lehre  angenommenen  geschriebenen  Werke  sind  die 
folgenden  vier:  die  Bibel,  das  Buch  Mormon,  die  Lehre  und 
Bündnisse  und  die  Köstliche  Perle.  Andere  Werke  sind 
von  Beamten  und  Mitgliedern  der  Kirche  herausgegeben 
worden  und  werden  noch  herausgegeben  werden ;  viele  von 
ihnen  werden  von  dem  Volke  und  seiner  geistlichen  Obrig- 
keit ohne  Vorbehalt  gutgeheißen.  Die  genannten  vier 
Werke  sind  jedoch  die  einzigen  regelrecht  eingesetzten 
maßgebenden  Bücher  der  Kirche.  Von  der  in  den  recht- 
mäßigen, maßgehenden  Werken  behandelten  Lehre  dürfen 
die  Glaubensartikel  als  ein  guter,  wenn  auch  notwen- 
digerweise unvollständiger  Auszug  betrachtet  werden. 


Der  Prophet  Joseph  Smith. 

9.  Joseph  Smith,  dessen  Name  den  Glaubensartikeln 
angefügt  ist,  war  der  Prophet,  durch  den  der  Herr  in  diesen 
letzten  Tagen  das  Evangelium  auf  Erden  wiederhergestellt 
hat,  und  zwar  in  Übereinstimmung  mit  Voraussagungen 
in  früheren  Dispensationen.   Die  Frage  der  Glaubwürdig- 


Einleit.]  Der  Prophet  Joseph   Smith.  7 

keit  der  göttlichen  Mission  dieses  Mannes  ist  ernsten  Unter- 
suchern der  Lehren  der  Heiligen  der  letzten  Tage  äußerst 
wichtig.  Sind  seine  Behauptungen  von  einer  von  Gott 
kommenden  Berufung  falsch,  so  kann  auch  der  ganze  Bau 
nicht  fest  sein,  da  sie  die  Grundlage  der  Kirche  in  der 
letzten  Dispensation  bilden.  Ist  er  aber  tatsächlich  unter 
den  Händen  himmlischer  Persönlichkeiten  ordiniert  worden, 
so  braucht  man  nicht  weiter  nach  der  Ursache  der  außer- 
ordentlichen Stärke  und  Entwicklungskraft  der  wieder- 
hergestellten Kirche  zu  suchen.  Die  Umstände  und  die 
Art  und  Weise  des  göttlichen  Verfahrens  mit  Joseph  Smith; 
die  wunderbare  Entwicklung  des  durch  diesen  Propheten 
der  Neuzeit  angefangenen  Werkes;  die  durch  seine  Ver- 
mittlung herbeigeführte  Erfüllung  vieler  der  erhabensten 
alten  Voraussagungen,  und  seine  eigenen  prophetischen 
Äußerungen  mit  ihrer  buchstäblichen  Verwirklichung 
werden  noch  als  entscheidender  Beweis  der  Gültigkeit 
seiner  Mission  weithin  anerkannt  werden.^)  Die  erhabenen 
Behauptungen,  die  für  ihn  und  sein  Lebenswerk  gemacht 
werden;  der  Ruf,  der  seinen  Namen  unter  den  meisten 
gesitteten  Völkern  der  Erde  für  Gutes  oder  Böses  bekannt 
gemacht  hat  und  die  Lebens-  und  Entfaltungskraft  der  reli- 
giösen und  sozialen  Systeme,  die  ihren  Ursprung  als  Ein- 
richtungen des  neunzehnten  Jahrhunderts  dem  Wirken 
dieses  Mannes  verdanken,  geben  ihm  eine  persönliche  Be- 
deutung, die  wenigstens  einer  vorübergehenden  Betrach- 
tung wert  ist. 

10.  Seine  Eltern  und  seine  Jugend.  —  Joseph  Smith, 
der  dritte  Sohn  und  das  vierte  Kind  in  einer  Familie,  die 
deren  zehn  hatte,  wurde  am  23.  Dezember  1805  zu  Sharon, 
Windsor  County  (Vermont)  geboren.  Er  war  der  Sohn 
von    Joseph    Smith   und  Lucy  Smith  geb.  Mack,   einem 


»)  Siehe  Anmerkung  3. 


8  Die   Glaubensartikel.  [Vorl.   I. 

würdigen  Ehepaar,  das  zwar  in  Armut  aber  glücklich  auf 
seiner  heimatlichen  Scholle  lebte,  die  eine  Stätte  des  Flei- 
ßes und  der  Genügsamkeit  war.  Als  Joseph  zehn  Jahre 
alt  war,  verließ  die  Familie  Vermont  und  siedelte  sich  im 
Staate  New-York,  erst  zu  Palmyra  und  später  zu  Man- 
chester, Ontario  County,  an.  Hier  in  Manchester  hat  der 
zukünftige  Prophet  den  größten  Teil  seiner  Jugendzeit  zu- 
gebracht. Gleichwie  seine  Geschwister  hatte  er  nur  wenig 
Schulunterricht  genossen;  und  die  einfachen  Anfangs- 
gründe, die  er  durch  ernsten  Fleiß  hatte  erwerben  können, 
mußte  er  seinen  Eltern  verdanken,  die  die  Gewohnheit 
hatten,  einen  Teil  ihrer  freien  Zeit  der  Belehrung  der 
jüngeren  Mitglieder  der  Familie  zu  widmen. 

11.  In  ihren  religiösen  Ansichten  neigte  die  Familie 
der  Presbyterianer-Kirche  zu.  Die  Mutter  und  drei  oder 
vier  der  Kinder  hatten  sich  dieser  Sekte  angeschlos- 
sen. Aber  Joseph,  da  er  durch  den  Streit  und  die  Uneinig- 
keit, die  damals  zwischen  den  Kirchen  entstanden  waren, 
unschlüßig  war,  bewahrte  sich  vor  jeder  sektiererischen 
Mitgliedschaft,  obwohl  er  einmal  von  dem  Methodisten- 
Glauben  einen  günstigen  Eindruck  bekommen  hatte.  Mit 
Recht  erwartete  er,  daß  in  der  Kirche  Christi  Einigkeit 
und  Einklang  seien.  Statt  dessen  sah  er  unter  den  strei- 
tenden Sekten  nur  Verwirrung.  Als  Joseph  in  seinem 
fünfzehnten  Lebensjahre  stand,  wurde  die  Gegend,  wo 
seine  Eltern  wohnten,  von  einem  Sturm  heftiger  religiöser 
Aufregung  heimgesucht,  der  unter  den  Methodisten  an- 
fing und  bald  alle  Sekten  ergriff.  Es  gab  Erweckungen  und 
langwierige  Versammlungen,  und  der  Kundgebungen 
sektiererischen  Wetteifers  wurden  es  viele  und  verschie- 
denartige. Diese  Zustände  trugen  viel  dazu  bei,  Not  und 
Trübsal  des  jungen  Forschers  nach  Wahrheit  zu  verm.ehren. 

12.  Sein  Forschen  nach  Wahrheit  und  das  Ergebnis.  — 
Was  Joseph  nun  unternahm,  schildert  er  selbst  mit  folgen- 


Einleit.]  Der  Prophet  Joseph   Smith.  9 

den  Worten:  Inmitten  dieses  Wortkrieges  und  des 
Meinungsgeschreies  sagte  ich  oft  zu  mir  selber:  Was  ist 
hier  zu  tun  ?  Welche  von  all  den  Parteien  ist  die  richtige  ? 
Oder  sind  sie  alle  zusammen  falsch?  Wenn  irgend  eine 
von  ihnen  richtig  ist,  welche  ist  es,  und  wie  kann  ich  es 
ausfinden?  Während  ich  mit  den  außerordentlichen 
Schwierigkeiten  kämpfte,  die  durch  die  Streitigkeiten 
dieser  Religionsparteien  entstanden,  las  ich  eines  Tages 
im  ersten  Kapitel  des  Jakobusbriefes  den  fünften  Vers, 
welcher  lautet:  ,,So  aber  jemand  unter  euch  Weisheit 
mangelt,  der  bitte  Gott,  der  da  gibt  einfältig  jedermann 
und  rückt's  niemand  auf,  so  wird  sie  ihm  gegeben  werden  ."^) 
Nie  war  eine  Schriftstelle  mit  mehr  Macht  in  das  Herz 
eines  Menschen  gedrungen,  als  diese  zu  dieser  Zeit  in  das 
meine  drang.  Sie  schien  mit  voller  Gewalt  in  jedes  Gefühl 
meines  Herzens  zu  dringen.  Ich  überlegte  sie  wieder  und 
immer  wieder,  mit  dem  Bewußtsein,  daß,  wenn  irgend  eine 
Person  Weisheit  von  Gott  nötig  hätte,  ich  diese  sicher- 
lich sei,  denn  ich  wußte  nicht,  wie  ich  handeln  sollte;  und 
es  sei  denn,  daß  ich  mehr  Weisheit  empfinge,  als  ich  schon 
besaß,  ich  es  nie  wissen  würde;  denn  die  Religionslehrer 
der  verschiedenen  Sekten  legten  die  gleiche  Schriftstelle 
auf  so  verschiedene  Weise  aus,  daß  alle  Hoffnung  und  alles 
Vertrauen,  die  Frage  durch  Berufung  auf  die  Bibel  zu 
entscheiden,  zerstört  wurde.  Endlich  kam  ich  zu  dem 
Entschlüsse,  daß  ich  entweder  in  Finsternis  und  Wirrwarr 
bleiben  oder  aber  tun  müsse,  was  Jakobus  vorschreibt, 
nämlich  „von  Gott  bitten".  Ich  faßte  schließlich  den 
festen  Vorsatz,  von  Gott  zu  bitten,  denn  ich  glaubte,  daß, 
wenn  er  denen  Weisheit  gebe,  welchen  Weisheit  mangelt, 
und  jedermann  einfältiglich  gebe  und  es  niemand  aufrücke, 
ich  es  wagen  dürfe.  In  Übereinstimmung  mit  diesem 
meinem  Entschluß,  von  Gott  zu  bitten,  begab  ich  mich 


')  Jakobus  1:5. 


10  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  I. 

in  einen  Wald,  um  den  Versuch  zu  machen.  Es  war  am 
Morgen  eines  herrlichen,  klaren  Tages,  in  den  ersten  Früh- 
lingstagen des  Jahres  1820.  Zum  erstenmal  in  meinem 
Leben  machte  ich  einen  solchen  Versuch,  denn  in  all 
meinen  Ängsten  hatte  ich  bis  dahin  noch  nie  gewagt, 
laut  zu  beten. 

Nachdem  ich  mich  an  den  Ort  zurück  gezogen  hatte, 
den  ich  mir  vorher  dazu  ausersehen,  und  mich  umschaute 
und  fand,  daß  ich  allein  war,  kniete  ich  nieder  und  fing  an, 
die  Wünsche  meines  Herzens  vor  Gott  zu  bringen.  Kaum 
hatte  ich  das  getan,  so  wurde  ich  plötzlich  von  einer  Macht 
ergriffen,  die  mich  gänzlich  übermannte,  und  die  eine 
so  erstaunliche  Einwirkung  auf  mich  hatte,  daß  meine 
Zunge  gebunden  war,  und  ich  nicht  sprechen  konnte. 
Dichte  Finsternis  umgab  mich,  und  es  schien  eine  Zeitlang, 
als  sei  ich  einer  plötzlichen  Vernichtung  preisgegeben. 
Aber  ich  strengte  alle  meine  Kräfte  an,  um  Gott  anzurufen, 
daß  er  mich  aus  der  Gewalt  dieses  Feindes,  der  sich  meiner 
bemächtigt  hatte,  befreie.  Grade  in  dem  Augenblick,  da 
ich  im  Begriffe  war,  in  Verzweiflung  zu  sinken,  und  der 
Vernichtung  anheimzufallen  —  nicht  einer  vermeintlichen 
oder  nur  scheinbaren  Vernichtung,  sondern  der  Gewalt 
eines  wirklichen  Wesens  aus  der  unsichtbaren  Welt,  das 
eine  so  erstaunliche  Gewalt  hatte,  wie  ich  sie  noch  nie  vor- 
her in  irgend  einem  Wesen  verspürt  hatte  —  grade  in  diesem 
Augenblick  großer  Angst,  sah  ich  unmittelbar  über  meinem 
Haupt  eine  Lichtsäule,  heller  als  die  Sonne,  die  sich  all- 
mählich herniederließ,  bis  sie  auf  mir  ruhte.  Sobald  sie 
erschien,  fand  ich  mich  von  dem  Feinde,  der  mich  gebun- 
den gehalten  hatte,  befreit.  Als  nun  das  Licht  auf  mir 
ruhte,  sah  ich  zwei  Gestalten,  deren  Herrhchkeit  und  Glanz 
aller  Beschreibung  spottet,  über  mir  in  der  Luft  stehen. 
Eine  von  ihnen  sprach  zu  mir,  mich  mit  meinem  Namen 


Einleit.]  Der  Prophet  Joseph  Smith.  11 

nennend,  und  sagte  (auf  die  andere  deutend):  „Dies  ist 
mein  geliebter  Sohn,  höre  ihn."^) 

13.  Als  Antwort  auf  sein  Gebet  um  Führung,  zu 
wissen  welche  von  allen  Sekten  Recht  hätte,  wurde  ihm 
gesagt,  sich  keiner  anzuschließen,  denn  ihre  Glaubens- 
bekenntnisse, die  in  den  Augen  Gottes  ein  Greuel  sind, 
und  ihre  Lehrer,  die  verderbt  sind,  weil  sie  sich  dem 
Herrn  mit  ihren  Lippen  nahen,  während  ihre  Herzen  ferne 
von  ihm  sind,  seien  alle  falsch;  sie  lehrten  als  Lehren  die 
Gebote  der  Menschen  und  hätten  einen  Schein  der  Gott- 
seligkeit, aber  deren  Kraft  verleugneten  sie. 

14.  Eine  solche  Auskunft,  wie  sie  in  dieser  beispiel- 
losen Offenbarung  erteilt  wurde,  war  nicht  in  dem  Herzen 
des  Jünglings  verschlossen  zu  halten.  Er  zögerte  nicht, 
die  glorreichen  Wahrheiten  mitzuteilen,  und  zwar  zuerst 
den  Gliedern  seiner  Familie,  die  sein  Zeugnis  mit  Ehr- 
furcht empfingen,  und  dann  den  sektiererischen  Geist- 
lichen, die  so  fleißig  gearbeitet  hatten,  um  ihn  zu  ihren  ver- 
schiedenen Glaubensbekenntnissen  zu  bekehren.  Zu  sei- 
nem Erstaunen  begegneten  die  angeblichen  Lehrer  Christi 
seinen  Behauptungen  mit  der  äußersten  Verachtung  und 
erklärten,  daß  die  Tage  der  Offenbarung  von  Gott  längst 
vorüber  seien,  und  daß  die  Kundtuung,  wenn  er  überhaupt 
eine  solche  bekommen  hätte,  sicher  vom  Satan  sei.  Trotz- 
dem bemühten  sich  die  Geistlichon  —  und  zwar  mit  einer 
Einigkeit  in  der  Absicht,  die  in  einem  seltsamen  Wider- 
spruch zu  ihrer  frühern  gegenseitigen  Feindschaft  stand  — 
den  jungen  Mann  zu  verspotten  und  sein  Zeugnis  zu  ent- 
kräften. Die  Nachbarschaft  wurde  aufgeregt.  Heftige 
und  rachsüchtige  Verfolgungen  wurden  gegen  ihn  und  seine 
Familie  geführt.    Es  wurde  sogar  von  einem  angehenden 


»)  Köstl.  Perle,  Auszüge  aus  der  Geschichte  des  Propheten  Joseph 
Smith,  S.  72—74. 


12  Die   Glaubensartikel.  [Vorl.  I. 

Meuchelmörder  auf  ihn  geschossen.  Doch  durch  alle  diese 
Fährnisse  hindurch  wurde  er  vor  körperlicher  Verletzung 
bewahrt;  und  trotz  des  wachsenden  Widerstandes  blieb 
er  in  seinem  Zeugnis  von  dem  himmlischen  Besuch  getreu- 
lich standhaft. 1)  In  diesem  Zustand  der  Prüfung  blieb 
er  drei  Jahre  ohne  weitere  Offenbarung;  beharrlich  er- 
wartete er  sie,  bekam  aber  zunächst  das  weitere  Licht  und 
die  vermehrten  Unterweisungen,  wonach  er  sich  sehnte, 
nicht.  Er  empfand  seine  eigene  Schwachheit  sehr  stark 
und  war  sich  seiner  menschlichen  Unvollkommenheiten 
bewußt.  Seine  Fehler  eingestehend,  flehte  er  den  Herrn 
um  Hilfe  an. 

15.  Besuche  des  Engels.  —  In  der  Nacht  vom  21. 
September  1823,  als  er  um  Vergebung  seiner  Sünden  und 
um  Führung  in  seinen  weiteren  Handlungen  bat,  wurde 
er  mit  einer  anderen  himmlischen  Offenbarung  gesegnet. 
Es  erschien  in  seinem  Zimmer  ein  glänzendes  Licht,  in 
dessen  Mitte  eine  weiß  gekleidete  Person  stand,  deren 
Antlitz  von  strahlender  Reinheit  und  Lieblichkeit  war. 
Der  himmlische  Besucher  stellte  sich  als  Moroni,  einen 
von  der  Gegenwart  Gottes  ausgesandten  Boten  vor,  und 
fuhr  dann  fort,  den  Jüngling  von  einigen  göttlichen  Plänen 
zu  unterrichten,  in  denen  Joseph  eine  höchst  wichtige 
Rolle  spielen  sollte.  Der  Engel  sagte,  daß  durch  Joseph 
als  das  irdische  Werkzeug,  die  wahre  Kirche  auf  Erden 
wiederhergestellt  werden  solle,  und  daß  sein  Name,  — 
von  den  Guten  verehrt  und  von  den  Bösen  geschmäht  — 
unter  allen  Völkern  und  Sprachen  bekannt  werden  würde; 
daß  eine  auf  goldenen  Platten  gravierte  Urkunde,  die 
eine  Geschichte  der  Völker,  die  früher  auf  dem  westlichen 
Kontinent  gewohnt  hatten,  und  einen  Bericht  von  dem 
Wirken  des  Heilandes  unter  dem  Volk  dieses  Landes  ent- 


')  Siehe  Anmerkung  2. 


Einleit.]  Der  Prophet  Joseph  Smith.  13 

halte,  in  einem  nahen  Hügel  vergraben  sei;  daß  zwei  heilige, 
als  der  Urim  und  Thummim  bekannte  Steine,  durch  deren 
Gebrauch  Männer  in  alten  Zeiten  Seher  geworden  waren, 
auch  mit  den  Platten  vergraben  seien,  und  daß  Gott  durch 
diese  Werkzeuge  Joseph  ermächtigen  werde,  die  auf  den 
Platten  gravierten  Urkunden  zu  übersetzen. 

16.  Der  Engel  wiederholte  dann  mehrere  von  den  in 
den  alten  Schriften  enthaltenen  Prophezeiungen.  Einige  der 
Anführungen  wurden  mit  Abweichungen  von  unsern  bib- 
lischen Lesarten  gegeben.  Von  den  Worten  Maleachis 
wurde  folgendes  angeführt:  „Denn  siehe,  es  kommt  ein 
Tag,  der  brennen  soll  wie  ein  Ofen ;  da  werden  alle  die  Stol- 
zen, ja  und  alle,  die  Böses  tun,  brennen  wie  Stoppeln,  denn 
die,  welche  kommen,  sollen  sie  verbrennen,  sagt  der  Herr 
der  Heerscharen,  daß  ihnen  weder  Wurzel  noch  Zweig 
bleiben  soll."^)  Und  weiter:  „Siehe,  ich  will  euch  das 
Priestertum  offenbaren  durch  die  Hand  des  Propheten 
Elia,  ehe  denn  da  komme  der  große  und  schreckliche  Tag 
des  Herrn.  Und  er  soll  in  die  Herzen  der  Kinder  die  den 
Vätern  gemachten  Verheißungen  pflanzen,  und  die  Herzen 
der  Kinder  sollen  sich  zu  den  Vätern  kehren.  Wenn  es 
nicht  so  wäre,  würde  die  ganze  Erde  bei  seiner  Wieder- 
kunft völlig  verwüstet  werden. "2)  Unter  anderen  Schriften 
erwähnte  Moroni  die  Prophezeiungen  des  Jesaja,  über  die 
Wiederherstellung  des  zerstreuten  Israels  und  die  ver- 
heißene Herrschaft  der  Gerechtigkeit  auf  Erden^)  und  sagte, 
daß  die  Voraussagungen  bald  erfüllt  werden  würden; 
ferner  die  Worte  Petri  zu  den  Juden,  inbezug  auf  den  Pro- 
pheten, der,  wie  Mose  sagte,  erweckt  werden  sollte,  und  er- 
klärte, daß  dieser  Prophet,  Christus  ist,  und  daß  der  Tag 


')  Vergleiche  Maleachi  4:1  (3:19). 

>)  Vergleiche  Maleachi  4:5,  6  (.S:23,  24). 

')  Siehe  Jesaja  11. 


14  Die  Glaubensartike].  [Vorl.  I. 

nahe  sei,  wo  alle,  welche  die  Worte  des  Heilands  verwerfen 
werden,  von  dem  Volke  abgeschnitten  werden  sollten.^) 

17.  Nachdem  er  seine  Botschaft  überbracht  hatte, 
schied  der  Engel.  Das  Licht  in  dem  Zimmer  schien  sich 
um  seinen  Körper  zusammenzuziehen  und  verschwand 
mit  ihm.  Doch  kehrte  der  himmlische  Besucher  während 
der  Nacht  ein  zweites  und  ein  drittes  Mal  wieder,  und 
jedesmal  wiederholte  er  die  Belehrungen  und  fügte  Er- 
mahnungen hinzu,  über  die  Erfordernisse  und  Warnungen 
vor  den  Versuchungen,  die  den  jugendlichen  Seher  über- 
fallen würden.  Am  folgenden  Tag  erschien  Moroni  dem 
Joseph  wieder,  wiederholte  von  neuem  die  Belehrungen  und 
Warnungen  der  vergangenen  Nacht  und  gebot  ihm,  seinen 
Vater  von  allem,  was  er  gehört  und  gesehen  hat,  in  Kennt- 
nis zu  setzen.  Dies  tat  der  Jüngling,  und  der  Vater  bezeugte 
sofort,  daß  die  Mitteilungen  von  Gott  seien. 

18.  Bald  begab  sich  Joseph  nach  dem  ihm  in  dem 
Gesicht  geschilderten  Hügel.  Er  erkannte  den  von  dem 
Engel  gezeigten  Ort,  und  mit  einiger  Mühe  entblößte  er 
einen  steinernen  Kasten,  der  die  Platten  und  die  anderen 
Dinge,  wovon  Moroni  sprach,  enthielt.  Der  himmlische 
Bote  stand  ihm  wieder  zur  Seite,  verbot  das  Wegnehmen 
des  Inhalts  zu  dieser  Zeit  und  sagte,  daß  vier  Jahre  ver- 
gehen müßten,  ehe  die  Platten  in  seine  Hände  gelegt 
werden  sollten,  und  daß  es  seine  Pflicht  sei,  diesen  Ort 
alljährlich  zu  besuchen.  Bei  jedem  dieser  Besuche  unter- 
richtete der  Engel  den  jungen  Mann  noch  gründlicher  über 
das  große  für  ihn  bestimmte  Werk. 

19.  Es  ist  nicht  der  Zweck  dieser  Vorlesung,  das 
Leben  und  das  Werk  Joseph  Smiths  in  ihren  Einzelheiten 
zu  betrachten. 2)    Wegen    der    außerordentlichen  Bedeu- 


»)  Vergleiche  Apostelgesch.  3:22,  23. 
')   Siehe  Anmerkung  5. 


Einleit.]  Der  Prophet  Joseph  Smith.  15 

tung,  die  der  Einführung  der  neuzeitlichen  oder  neuen 
Dispensation  der  Vorsehung  Gottes  zukommt,  ist  den  eröff- 
nenden Szenen  seiner  von  Gott  bestimmten  Mission  so  viel 
Aufmerksamkeit  gewidmet  worden.  Das  Entfernen  der 
Platten  von  ihrem  Jahrhunderte  alten  Ruheplatz,  ihre 
Übersetzung  durch  göttliche  Macht  und  das  Herausgeben 
der  Urkunde  als  das  Buch  Mormon,  werden  bei  späterer 
Gelegenheit  Beachtung  finden.  Hier  genügt  es  wohl  zu 
sagen,  daß  der  alte  Bericht  übersetzt,  das  Buch  Mormon 
der  Welt  übergeben,  und  der  Band  als  heiliger  Führer  von 
den  Heiligen  der  letzten  Tage  angenommen  worden  ist. 
20.  Spätere  Entwicklungen,  —  das  Märtyrertum.  — 
Mit  der  Zeit  wurde  die  Kirche  Jesu  Christi  der  Heiligen  der 
letzten  Tage  organisiert.  Das  Priestertum  wurde  durch 
die  Ordination  Joseph  Smiths  von  denen,  welche  die  Schlüs- 
sel dieser  Autorität  in  früheren  Dispensationen  hielten, 
zurückgebracht.  Von  einer  anfänglichen  Mitgliedschaft 
von  nur  sechs  Personen,  wuchs  die  Kirche,  um  noch  zu 
Lebzeiten  des  Propheten  Joseph  Tausende  in  sich  zu  ver- 
einigen, und  ihr  Wachstum  hat  sich  bis  zur  gegenwärtigen 
Zeit  mit  außerordentlicher  Schnelle  und  Beständigkeit  fort- 
gesetzt. Die  von  der  alten  Kirche  innegehabten  Kräfte 
und  Vollmachten  wurden  eine  nach  der  andern  durch  diesen 
Mann,  der  auserwählt  und  ordiniert  war,  der  erste  Älteste 
der  letzten  Dispensation  zu  sein,  wiederhergestellt.  Mit 
der  Ausbreitung  der  Kirche  nahm  die  Verfolgung  zu,  und 
die  Wirkung  bösen  Widerstandes  erreichte  am  27.  Juni 
1844  in  dem  grausamen  Märtyrertum  des  Propheten  und 
seines  Bruders  Hyrum,  des  damaligen  Patriarchen  der 
Kirche,  den  höchsten  Grad.  Die  Ereignisse,  die  dazu 
führten  und  die  ihren  Höhepunkt  in  dem  niederträch- 
tigen Mord  dieser  Männer  zu  Carthage  (Illinois)  erreichte, 
sind  Dinge  der  öffentlichen  Geschichte.  Genüge  es  zu 
sagen,  daß  der  Prophet  und  der  Patriarch  zum  Zeugnis 


16  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.   I. 

der  Wahrheit,  das  sie  so  mutig  angesichts  unduldsamer 
Verfolgung  beinahe  ein  Viertel] ahrhundert  lang  behauptet 
hatten,  das  heilige  Siegel  ihres  Lebensbluts  gaben. i) 

21.  Glaubwürdigkeit  der  Mission  Joseph  Smiths.  — 
Der  Beweis  der  göttlichen  Vollmacht  zu  dem  von  Joseph 
gegründeten  Werke  und  der  Rechtfertigung  der  von  dem 
Mann  und  der  für  ihn  gemachten  Behauptungen  kann  fol- 
gendermaßen zusammengefaßt  werden: 

1.  Durch  die  durch  seine  Vermittlung  geschehene 
Wiederherstellung  des  Evangeliums  und  der  Kirche  auf 
Erden  sind  alte  Prophezeiungen  erfüllt  worden. 

2.  Durch  unmittelbare  Ordination  und  Einsetzung 
unter  den  Händen  derer,  welche  die  Vollmacht  in  früheren 
Dispensationen  gehalten  hatten,  empfing  er  die  Vollmacht, 
in  den  verschiedenen  Verordnungen  des  Evangeliums  zu 
amtieren. 

3.  Durch  das  Ergebnis  seines  Wirkens  hat  es  sich 
gezeigt,  daß  er  im  Besitz  der  Kraft  der  wahren  Prophe- 
zeiung und  anderer  geistigen  Gaben  war. 

4.  Seine  Lehren  sind  sowohl  wahr,  als  auch  schrift- 
gemäß. — 

Jeder  dieser  Klassen  von  Beweisen  wird  im  Laufe 
unsres  Studiums  der  Glaubensartikel  Beachtung  geschenkt 
werden  und  jede  wird  ausführlich  Erklärung  finden; 
eine  genaue  Betrachtung  wird  in  ^esem  Teil  unsrer 
Untersuchungen  nicht  angestrebt.  Ein  paar  kurzgefaßte 
Erläuterungen  mögen  aber  am  Platze  sein. 

22.  1.  Die  Erfüllung  der  Prophezeiung,  die  durch  das 
Lebenswerk  Joseph  Smiths  zustandegebracht  wurde, 
zeigt  sich  zur  Genüge.  Durch  sein  prophetisches  Gesicht 
über  die  Dispensation  der  letzten  Tage  hatte  Johannes 
der   Offenbarer  verstanden   und   vorausgesagt,   daß   das 


')  Siehe  Anmerkung  4. 


Einleit.]  Der  Prophet  Joseph  Smith.  17 

Evangelium  vom  Himmel  gesandt  und  durch  die  unmittel- 
bare Vermittlung  eines  Engels  auf  Erden  wiederhergestellt 
werden  sollte:  „Und  ich  sah  einen  Engel  fliegen  mitten 
durch  den  Himmel,  der  hatte  ein  ewiges  Evangelium  zu 
verkündigen  denen,  die  auf  Erden  w'ohnen,  und  allen  Heiden 
und  Geschlechtern  und  Sprachen  und  Völkern,"^)  Es  wird 
behauptet,  daß  sich  diese  Voraussagung  teilweise  erfüllt 
hat  durch  die  Erscheinung  des  Engels  Moroni  zu  Joseph 
Smith,  wie  schon  beschrieben,  wodurch  die  Wiederher- 
stellung des  Evangeliums  angekündigt  und  die  baldige 
Erfüllung  andrer  alter  Prophezeiungen  versprochen  wurde; 
und  ein  Bericht,  teilweise  beschrieben,  daß  er  ,,die  Fülle 
des  ewigen  Evangeliums"  enthalte,  wurde  seiner  Sorgfalt 
anvertraut,  daß  er  ihn  übersetze  und  er  unter  allen  Völ- 
kern, Geschlechtern  und  Sprachen  veröffentlicht  werde. 
Der  Rest  des  schicksalschweren  Ausspruchs  von  Johannes, 
betreffs  des  bevollmächtigten  Rufes  zur  Buße  und  der 
Ausführung  von  Gottes  Gerichten,  die  auf  die  schreck- 
lichen Szenen  der  letzten  Tage  vorbereiten,  ist  jetzt  im 
Begriffe,  sich  schnell  und  buchstäblich  zu  erfüllen. 

23.  Maleachi  prophezeite,  daß  Elia,  mit  besonderer 
Vollmacht  ausgerüstet,  kommen  werde,  um  das  Werk  des 
Zusammenarbeitens  der  Väter  und  Kinder  zu  eröffnen  und 
verkündigte  diese  Mission  als  eine  notwendige  Vorberei- 
tung auf  „den  großen  und  schrecklichen  Tag  des  Herrn. "2) 
Der  Engel  Moroni  bestätigte  die  Wahrheit  und  Wichtig- 
keit dieser  Voraussagung  in  einer  nachdrücklichen  Wieder- 
holung.3)  Joseph  und  sein  Mitarbeiter  in  dem  Werke, 
Oliver  Cowdery,  bezeugen  feierlich,  daß  sie  in  dem  Tem.pel 
zu  Kirtland  (Ohio)  am  3.  April  1836  von  dem  Propheten 
Elia  besucht  wurden,  bei  welcher  Gelegenheit  der  himm- 


')  Offenbarung  .Johannes  14:6. 
*)  Maleachi  4:5,  6. 
')  Siehe  Abschnitt  16. 


18  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  I. 

lische  Bote  erklärte,  daß  der  Tag,  von  dem  Maleachi  ge- 
sprochen hatte,  völlig  da  sei.  ,, Deshalb"  fuhr  er  fort, 
„sind  die  Schlüssel  dieser  Dispensation  in  eure  Hände 
übergeben  worden,  und  durch  dieses  könnt  ihr  wissen, 
daß  der  große  und  schreckliche  Tag  des  Herrn  nahe,  ja 
sogar  vor  der  Türe  ist."^)  Das  besondre  Wesen  dieser 
Verbindung  der  Väter  und  der  Kinder,  worauf  sowohl 
Moroni  als  auch  Maleachi  großen  Nachdruck  gelegt  hatte, 
ist  dahin  erklärt  worden,  daß  es  aus  dem  Werke  der  stell- 
vertretenden Verordnungen  bestehe,  und  daß  es  in  sich 
schließe  die  Taufe  für  solche  Toten,  die  ohne  eine  Erkennt- 
nis des  Evangeliums  von  der  Erde  geschieden  sind.  Unter 
allen  sich  zum  Christentum  bekennenden  Glaubensparteien 
steht  heute  die  Kirche  Jesu  Christi  der  Heiligen  der  letzten 
Tage  allein  mit  dem  Lehren  dieser  Lehre  und  in  der  Erfül- 
lung ihrer  Verordnungen. 

24.  Die  alten  Schriften  sind  voller  Prophezeiungen 
über  die  Wiederherstellung  Israels  in  den  letzten  Tagen 
und  die  Sammlung  der  ausersvählten  Völker  aus  den 
Nationen  und  Ländern,  wohin  sie  als  Strafe  für  ihre  Ver- 
kehrtheit und  Sünde  geführt  oder  getrieben  worden  sind.^) 
Diesem  Werk  der  Sammlung  wird  in  den  Voraussagungen 
der  alten  Zeit  eine  so  hervorragende  Bedeutung  und  Wich- 
tigkeit beigemessen,  daß  seit  dem  Auszug  Israels  aus  Ägyp- 
ten, die  letzten  Tage  in  der  Heiligen  Schrift  geradezu  als 
eine  Dispensation  der  Sammlung  bezeichnet  worden  sind. 
Die  Wiederkehr  der  Stämme  aus  ihrer  langen  und  weiten 
Zerstreuung  ist  zum  vorbereitenden  Werk  gemacht  für  die 
Aufrichtung  der  vorausgesagten  Herrschaft  der  Gerech- 
tigkeit, mit  Christus  auf  dem  Thron  der  Welt.  Die  Voll- 
endung der  Rückkehr  ist  als  ein  sicherer  Vorläufer  des 
Tausendjährigen  Reiches  angegeben.    Jerusalem  soll  als 

1)  Lehre  u.  Bündn.  110:13 — 16. 

')  Siehe  Vorlesungen  über  Artikel  10. 


Einleit.]  Der  Prophet  Joseph  Smith.  19 

die  Stadt  des  großen  Königs  auf  der  östlichen  Halbkugel 
wiederhergestellt,  Zion  oder  das  Neue  Jerusalem  auf  dem 
"westlichen  Kontinent  aufgebaut,  die  zehn  Stämme  von 
ihrem  Versteck  im  Norden  zurückgeführt  und  der  Fluch 
von  Israel  genommen  werden.^)  Von  den  ersten  Tagen 
seines  Wirkens  an  lehrte  Joseph  Smith,  daß  die  Lehre 
von  der  Sammlung  eine  gegenwärtige  Pflicht  der  Kirche 
auferlege;  dieser  Teil  des  Wirkens  der  Heiligen  der  letzten 
Tage  ist  einer  seiner  auffallendsten  Züge.  Joseph  Smith 
und  Oliver  Cowdery  erklären,  daß  Mose,  der  als  Israels 
Führer  in  früheren  Zeiten  die  Schlüssel  der  Vollmacht 
hielt,  die  Vollmacht  zur  Ausführung  dieses  Werkes 
durch  sie  auf  die  Kirche  übertragen  hat.  Ihr  Zeugnis 
in  der  über  die  Offenbarung  vom  3.  April  1836  im 
Kirtlandtempel  gegebenen  Beschreibung  lautet  wie  folgt: 
„Mose  erschien  und  übergab  uns  die  Schlüssel  zur 
Sammlung  Israels  von  den  vier  Teilen  der  Erde,  und  der 
Herbeiführung  der  zehn  Stämme  von  den  nördlichen 
Ländern. "2)  AlseinenBeweisfür  den  Ernst,  mit  dem  dieses 
Werk  angefangen  worden  ist,  und  den  darin  schon  gemach- 
ten guten  Fortschritt,  betrachte  man  die  Hundert- 
tausende, die  den  Familien  Israels  angehören,  die  schon 
in  den  Tälern  der  Felsengebirge  um  das  jetzt  errichtete 
Haus  des  Herrn  gesammelt  sind  und  höre  den  Lobgesang 
des  auserwählten  Samens  unter  den  Völkern  der  Erde, 
gesungen  zur  Begleitung  wirksamer  Taten:  ,, Kommt, 
laßt  uns  hinauf  zum  Berge  des  Herrn  gehen  und  zum 
Hause  des  Gottes  Jakobs,  daß  er  uns  lehre  seine  Wege 
und  wir  auf  seiner  Straße  wandeln!  Denn  aus  Zion  wird 
das  Gesetz  ausgehen  und  des  Herrn  Wort  aus  Jerusalem.^) 


')  Siehe  Vorlesungen  17 — 20. 
')  Lehre  u.  Bündn.  110:11. 
»)  Micha  4:1—2. 


20  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  I. 

25.  Das  Hervorkommen  des  Buches  Mormon  wird 
von  den  Heiligen  der  letzten  Tage  als  eine  unmittelbare 
Erfüllung  alter  Prophezeiung  betrachtet.^)  Als  Jesaja  die 
Erniedrigung  Israels,  dem  die  Macht  des  Priestertums  in 
früheren  Tagen  übergeben  worden  war,  prophezeite,  ver- 
kündigte er  die  Worte  Gottes  in  folgender  Weise:  „Alsdann 
sollst  du  erniedrigt  werden  und  aus  der  Erde  reden  und  aus 
dem  Staube  mit  deiner  Rede  murmeln,  daß  deine  Stimme 
sei  wie  eines  Zauberers  aus  der  Erde  und  deine  Rede  aus 
dem  Staube  wispele."2)  Das  Buch  Mormon  ist  in  der  Tat 
die  Stimme  eines  erniedrigten  Volkes,  das  aus  dem  Staube 
redet,  denn  das  Buch  wurde  buchstäblich  aus  dem  Staube 
genommen.  Das  Buch  gibt  vor,  die  Geschichte  nur  von 
einem  kleinen  Teil  des  Hauses  Israel  zu  sein  —  sogar  nur 
einem  Teil  des  Hauses  Joseph  —  das  sechshundert  Jahre 
vor  der  Zeit  Christi  durch  eine  wunderbare  Macht  nach  dem 
westlichen  Kontinent  geführt  wurde.  Über  die  Urkunde 
Josephs  und  ihr  Hervorkommen  als  ein  Seitenstück  zu  dem 
Zeugnis  Judas,  oder  einem  Teil  der  Bibel,  sprach  der  Herr 
durch  den  Propheten  Hesekiel:  ,,Du  Menschenkind,  nimm 
dir  ein  Holz  und  schreibe  darauf:  Des  Juda  und  der  Kinder 
Israel,  seiner  Zugetanen.  Und  nimm  noch  ein  Holz  und 
schreibe  darauf:  Des  Joseph,  nämlich  das  Holz  Ephraims, 
und  des  ganzen  Hauses  Israel,  seiner  Zugetanen.  Und  tue 
eines  zum  andern  zusammen,  daß  ein  Holz  werde  in  deiner 
Hand.  So  nun  dein  Volk  zu  dir  wird  sagen  und  sprechen: 
Willst  du  uns  nicht  zeigen,  was  du  damit  meinst?  so  sprich 
zu  ihnen:  So  spricht  der  Herr,  Herr:  Siehe,  ich  will  das 
Holz  Josephs,  welches  ist  in  Ephraims  Hand,  nehmen 
samt  seinen  Zugetanen,  den  Stämmen  Israels,  und  will 
sie  zu  dem  Holz  Judas  tun  und  ein  Holz  daraus  machen. 


')  Siehe  Vorlesungen  „Das  Buch  Mormon",  Artikel  8. 

')  Jesaja  29:4;  Siehe  auch  Buch  Mormon,  2.  Ncphi  3:19. 


Einleit.]  Der  Prophet  Joseph  Smith.  21 

und  sollen  eins  in  meiner  Hand  sein."^)  Die  darauffolgen- 
den Verse  erklären,  daß  die  Sammlung  und  Wiederher- 
stellung Israels  dem  Vereinigtwerden  der  Zeugnisse  von 
Juda  und  Joseph  gleich  folgen  würden.  Die  zwei  Urkun- 
den liegen  der  Welt  vor  —  ein  einheitliches  Zeugnis  von 
dem  ewigen  Evangelium;  und  das  Werk  der  Sammlung  ist 
in  offensichtlichem  Fortschritt  begriffen. 

26.  Aus  der  Heiligen  Schrift  geht  weiter  hervor,  daß 
die  Dispensation  des  Evangeliums  in  den  letzten  Tagen 
eine  des  Wiederbringens  und  der  Wiederherstellung  sein 
sollte  —  in  Tat  und  Wahrheit  ,,eine  Dispensation  der  Fülle 
der  Zeiten."  Paulus  erklärt  es  als  das  Wohlgefallen  des 
Herrn,  ,,daß  es  ausgeführt  würde,  da  die  Zeit  erfüllet 
war,  auf  daß  alle  Dinge  zusammengefaßt  würden  in  Chri- 
sto, beides,  das  im  Himmel  und  auf  Erden  ist,  durch  ihn. "2) 
In  einer  Äußerung  des  Propheten  Nephi,  findet  diese  Vor- 
aussagung ihr  Seitenstück:  ,,Alle  Dinge,  die  den  Menschen- 
kindern früher  geoffenbart  wurden,  sollen  an  dem  Tag 
wieder  offenbar  werden. "3)  Und  im  Einklang  mit  diesem 
steht  die  Lehre  Petri:  ,,So  tut  nun  Buße  und  bekehret 
euch,  daß  eure  Sünden  vertilgt  werden ;  auf  daß  da  komme 
die  Zeit  der  Erquickung  von  dem  Angesichte  des  Herrn, 
wenn  er  senden  wird  den,  der  euch  jetzt  zuvor  gepredigt 
wird,  Jesus  Christus,  welcher  muß  den  Himmel  einnehmen 
bis  auf  die  Zeit,  da  herwiedergebracht  werde  alles,  was  Gott 
geredet  hat  durch  den  Mund  aller  seiner  heiligen  Propheten 
von  der  Welt  an."*)  Nun  kommt  Joseph  Smith  mit  der 
Erklärung,  daß  ihm  die  Vollmacht  gegeben  worden  ist, 
diese,  die  Dispensation  der  Fülle,  der  Wiederherstellung 
und  des  Wiederbringens  zu  eröffnen,  und  daß  durch  ihn 


')  Hesekiel  37:16—19. 

«)  Epheser  1:9,  10. 

>)  2.  Nephi  30:18. 

•)  Apostelgesch.  3:19 — 21. 


22  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.   I. 

die  Kirche  mit  allen  in  früheren  Zeiten  gehaltenen  und 
gebrauchten  Schlüsseln  und  Kräften  des  Priestertums 
ausgestattet  worden  ist.  Der  Kirche  „ist  die  Kraft  dieses 
Priestertums  zum  letztenmal  und  für  die  letzten  Tage  ge- 
geben, in  welchen  die  Verkündigung  der  Fülle  der  Zeiten 
ist.  Welche  Macht  sie  in  Verbindung  mit  allen  jenen  hält, 
die  zu  irgendeiner  Zeit  von  Anfang  der  Schöpfung  an, 
eine  Dispensation  erhalten  haben, "i)  Der  tatsächliche 
Besitz  dieser  verbündeten  und  vereinigten  Kräfte  wird  durch 
das  umfassende  Werk  der  Kirche  in  der  gegenwärtigen 
Ausdehnung  ihres  Wirkungskreises  hinlänglich  bewiesen. 

27.  2.  Joseph  Smiths  Vollmacht  wurde  durch  unmittel- 
bare Vermittlung  himmlischer  Wesen  auf  ihn  übertragen; 
jedes  dieser  Wesen  hatte  dieselbe  Macht  früher  einmal 
auf  Erden  ausgeübt.  Wir  haben  schon  erwähnt  wie  der 
Engel  Moroni,  der  früher  ein  menschlicher  Prophet  unter 
den  Nephiten  gewesen  war,  die  Berufung  auf  Joseph  Smith 
übertrug,  die  Urkunde  hervorzubringen,  die  er,  Moroni, 
mehr  als  vierzehnhundert  Jahre  zuvor  in  die  Erde  be- 
graben hatte.  Wir  erfahren  weiter,  daß  am  15.  Mai  1829 
unter  der  Hand  Johannes  des  Täufers  das  niedere  oder 
aaronische  Priestertum  auf  Joseph  Smith  und  Oliver 
Cowdery2)  übertragen  wurde.  Auch  dieser  himmlische 
Botschafter  kam  in  unsterblichem  Zustand  und  brachte 
die  besondre  Ordnung  des  Priestertums,  die  die  Schlüssel 
des  Dienens  der  Engel,  der  Lehre  der  Buße  und  der  Taufe 
zur  Vergebung  der  Sünden  in  sich  begreift.  Es  war  dies 
derselbe  Johannes,  der  mit  der  Stimme  eines  Predigers 
in  der  Wüste  und  als  der  unmittelbare  Vorläufer  des 
Messias  dieselbe  Lehre  verkündigt  und  dieselbe  Verord- 
nung  in    Judäa   vollzogen   hat.     Bei  der  Uberbringung 


1)  Lehre  u.  Bündn.  112:30,  32. 
»)  L.  u.  B.  13. 


Einleit.)  Der  Prophet  Joseph   Smith.  23 

seiner  Botschaft  erklärte  Johannes  der  Täufer,  daß  er 
amtiere  unter  der  Leitung  von  Petrus,  Jakobus  und  Jo- 
hannes, den  Aposteln  des  Herrn,  in  deren  Händen  die 
Schlüssel  des  höheren  oder  melchizedekischen  Priestertums 
ruhen,  die  mit  der  Zeit  auch  gegeben  werden  sollen. 
Etwa  einen  Monat  später  wurde  dieses  Versprechen  er- 
füllt, indem  die  erwähnten  Apostel  sich  Joseph  und  Oli- 
ver offenbarten  und  sie  zu  dem  Apostelamt^)  ordinierten, 
welches  Amt  alle  Ämter  der  höheren  Ordnung  des  Priester- 
tums in  sich  begreift  und  Vollmacht  hat,  in  allen  festge- 
setzten Verordnungen  des  Evangeliums  zu  amtieren. 

28.  Einige  Zeit  nachdem  die  Kirche  in  gehöriger 
Form  organisiert  worden  war,  wurde  dann  Vollmacht  für 
besondre  Obliegenheiten  gegeben.  In  jedem  Falle  war  der 
berufende  Bote  derjenige,  dessen  Recht  es  war,  kraft 
seines  Auftrages,  den  er  in  den  Tagen  seiner  Sterblichkeit 
gehalten  hatte,  in  dem  betreffenden  Werk  zu  amtieren. 
So  erteilte  Mose,  wie  schon  erwähnt,  die  Autorität,  das 
Werk  der  Sammlung  Israels  zu  betreiben;  und  Elia,  der 
in  einem  eigentümlichen  Verhältnis  zu  den  Toten  wie  zu 
den  Lebenden  stand,  weil  er  den  Tod  nicht  geschmeckt 
hatte,  übertrug  die  Vollmacht  für  den  stellvertretenden 
Dienst  für  die  Verstorbenen.  Diesen  Berufungen  durch 
himmlische  Autorität  sollte  die  durch  Elias  gegebene  Be- 
rufung folgen.  Elias  erschien  Joseph  Smith  und  Oliver 
Cowdery  und  „übertrug  die  Dispensation  des  Evangeliums 
Abrahams"  und  sagte  —  wie  dem  Vater  der  Gläubigen 
und  seinen  Nachkommen  in  alten  Zeiten  gesagt  worden 
war  —  daß  in  ihnen  und  ihrem  Samen  alle  nachfolgenden 
Geschlechter  gesegnet  werden  sollten. 2) 

29.  Es  ist  also  offenbar,  daß  die  von  der  Kirche  be- 
treffs ihrer  Vollmacht  erhobenen  Ansprüche  inbezug  auf 

')  Lehre  u.  Bündn.  17:12. 
')  L.  u.  B.  12. 


24  Die   Glaubensartikel.  [Vorl.   I. 

die  Quelle  der  behaupteten  Kräfte  wohl  begründet  und 
hinsichtlich  der  Mittel,  wodurch  sie  wieder  zur  Erde  ge- 
bracht worden  sind,  mit  sich  selbst  übereinstimmen. 
Schrift  und  Offenbarung,  alte  und  neue,  unterstützen 
als  unabänderliches  Gesetz  den  Grundsatz,  daß  niemand 
eine  Vollmacht  auf  einen  anderen  übertragen  kann,  die  er 
selbst  nicht  besitzt. 

30.  3.  Joseph  Smith  «ar  selbst  ein  wahrer  Prophet. — 
Diese  Behauptung,  wenn  völlig  bestätigt,  würde  schon 
an  und  für  sich  genügen  als  Beweis  dafür,  daß  die  Ansprüche 
dieses  Propheten  der  Neuzeit  begründet  sind;  und  die 
Probe  ist  in  ihrer  Anwendung  nicht  schwierig.  In  den 
Tagen  des  alten  Israel  war  eine  wirksame  Weise  vorge- 
schrieben, um  die  Behauptung,  ein  Prophet  zu  sein,  zu 
prüfen,  —  ,,Wenn  der  Prophet  redet  in  dem  Namen  des 
Herrn,  und  es  wird  nichts  daraus  und  es  kommt  nicht, 
das  ist  das  Wort,  das  der  Herr  nicht  geredet  hat;  der  Pro- 
phet hats  aus  Vermessenheit  geredet,  darum  scheue  dich 
nicht  vor  ihm."^)  Umgekehrt,  wenn  die  Worte  des  Prophe- 
ten durch  Erfüllung  sich  als  wahr  erweisen,  so  ist  wenigstens 
ein  Wahrscheinlichkeitsbeweis  für  seine  Echtheit  vorhan- 
den. Von  den  vielen  von  Joseph  Smith  geäußerten  Voraus- 
sagungen, die  schon  erfüllt  worden  sind  oder  die  die  be- 
stimmte Zeit  ihrer  Erfüllung  erwarten,  werden  ein  paar 
Anführungen  unsrer  jetzigen  Absicht  genügen. 

31.  Eine  der  ersten  von  ihm  ausgesprochenen  Pro- 
phezeiungen, die  zwar  nicht  seine  eigene  unabhängige 
Äußerung,  sondern  die  des  Engels  Moroni  ist,  die  aber 
dennoch  der  Welt  durch  Joseph  Smith  gegeben  wurde, 
hatte  besondern  Bezug  auf  das  Buch  Mormon,  über  wel- 
ches der  Engel  sagte:  „Die  Kenntnis,  die  diese  Urkunde 
enthält,  wird  zu  jeder  Nation,  jedem  Geschlecht,  jeder 


')  5.  Mose  18:22. 


Einleit.]  Der  Prophet  Joseph  Smith.  25 

Sprache  und  jedem  Volke  unter  dem  Himmel  gelangen."^) 
Diese  Erklärung  wurde  vier  Jahre  vor  dem  Beginn  der 
Übersetzung  und  vierzehn  Jahre  bevor  die  Ältesten  der 
Kirche  ihre  Missionsarbeit  in  fremden  Ländern  anfingen, 
gegeben.  Seit  jener  Zeit  ist  das  Buch  Mormon  in  zwölf 
fremde  Sprachen  übersetzt  worden  und  in  zehn  davon 
wird  es  gedruckt;  und  das  Werk  ist  noch  im  Fortschritt 
begriffen. 

32.  Im  August  1842,  während  die  Kirche  in  Illinois 
noch  Verfolgung  litt,  und  als  der  westliche  Teil  des  Konti- 
nents wenig  und  nur  als  das  Gebiet  einer  fremden  Macht 
bekannt  war,  prophezeite  Joseph  Smith,  „daß  die  Heiligen 
auch  weiterhin  viel  Elend  leiden  und  nach  den  Felsen- 
gebirgen getrieben  werden  würden",  und  daß,  obwohl  viele, 
die  damals  der  Kirche  noch  Treue  gelobten,  abfallen,  und 
andere,  getreu  ihrem  Zeugnis,  einem  Märtyrerschicksal 
erliegen  würden,  einige  leben  würden  um  „zu  helfen,  An- 
siedlungen  zu  gründen,  Städte  zu  errichten,  und  diese  wür- 
den sehen,  wie  die  Heiligen  ein  mächtiges  Volk  werden 
mitten  in  den  Felsengebirgen. "2)  Die  buchstäbliche  Er- 
füllung dieser  1842  geäußerten  Prophezeiung  —  und  es  darf 
hinzugefügt  w'crden,  durch  eine  1831  vorherangezeigten^) 
Voraussagung,  die  eine  fünf,  die  andere  sechszehn  Jahre 
vor  der  Übersiedlung  der  Kirche  nach  dem  Westen  — 
wird  in  der  öffentlichen  Geschichte  der  Ansiedlung  und 
Entwicklung  dieser  einst  so  unfreundlichen  Gegend  be- 
wiesen. Sogar  der  Skeptiker  und  der  scharf  hervortre- 
tende Gegner  der  Kirche  erkennen  das  Wunder  der 
Gründung  eines  mächtigen  Staates  in  den  Tälern  der 
Felsengebirge  an. 


')  „Times  and   Seasons",  Band  II,  No.  13. 
»)  „Millenial  Star",  Band  XIX,  S.  630. 
')  Lehre  u.  Bündn.  49:24 — 25. 


26  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  I. 

33.  Eine  höchst  merkwürdige  Voraussagung  über 
nationale  Angelegenheiten  wurde  am  25.  Dezember  1832 
von  Joseph  Smith  ausgesprochen;  bald  darnach  wurde 
sie  unter  den  Mitgliedern  der  Kirche  verbreitet  und  von 
den  Ältesten  gepredigt,  aber  erst  1851  ist  sie  im  Druck 
erschienen. 1)  Die  Offenbarung  lautet  auszugsweise  wie 
folgt:  „Wahrlich,  so  spricht  der  Herr  betreffs  der  Kriege, 
die  in  Kürze  geschehen  werden,  anfangend  mit  der  Em- 
pörung Süd-Karolinas,  und  die  schließlich  mit  dem  Tod 
und  Elend  vieler  Seelen  enden  werden :  Die  Tage  werden 
kommen,  wo  Krieg  über  alle  Völker  ausgegossen  sein  wird, 
und  es  soll  an  jenem  Ort  anfangen.  Denn  siehe,  die  süd- 
lichen Staaten  werden  gegen  die  nördlichen  Staaten  ent- 
zweit sein,  und  die  südlichen  Staaten  werden  andere  Na- 
tionen anrufen,  selbst  die  Nation  Großbritannien,***  Und 
es  wird  geschehen,  daß  nach  vielen  Tagen  Sklaven,  zum 
Kriege  gerüstet  und  geordnet,  sich  gegen  ihre  Herren 
erheben  werden."  Jeder  der  die  Geschichte  der  Vereinig- 
ten Staaten  studiert,  ist  mit  den  Tatsachen,  die  eine  voll- 
kommene Erfüllung  dieser  erstaunlichen  Prophezeiung  — 
sogar  bis  zur  kleinsten  Einzelheit  —  bilden,  bekannt.  Im 
Jahre  1861,  mehr  als  28  Jahre  nachdem  die  obenerwähnte 
Voraussagung  berichtet  wurde,  und  zehn  Jahre  nach  ihrer 
Veröffentlichung  in  England,  brach  der  Bürgerkrieg  aus; 
er  fing  in  Süd-Karolina  an.  Die  entsetzlichen  Berichte 
jenes  brudermörderischen  Streites  haben  in  trauriger  Weise 
die  Voraussagung  betreffs  „des  Todes  und  Elendes  vieler 
Seelen"  bestätigt.  Es  ist  wohl  bekannt,  daß  Sklaven  den 
Süden  verließen  und  in  die  Armeen  des  Nordens  einge- 
ordnet wurden,  und  daß  die  konföderierten  Staaten  um 
die  Hilfe  Großbritanniens  warben.  Obwohl  kein  öffentliches 


')  Siehe  Köstliche  Perle,  britische  Ausgabe  von  1851,  und  „The 
MiUenial  Star",  Band  XLIX,  S.  396.  Die  Prophezeiung  ist  jetzt  ein  Teil 
der  Lehre  und  Bündnisse;  siehe  Abschnitt  87. 


Einleit.]  Der  Prophet  Joseph  Smith.  27 

Bündnis  zwischen  den  südlichen  Staaten  und  England 
zustandekam,  gewährte  die  britische  Regierung  dem  Süden 
mittelbare  Hilfe  und  starke  Begünstigung,  und  dies  in 
solch  einer  Weise,  daß  daraus  ernste  internationale  Ver- 
wicklungen entstanden.  Schiffe  wurden  zum  Vorteil  der 
konföderierten  Staaten  in  britischen  Seehäfen  gebaut 
und  ausgerüstet;  und  die  Folgen  dieser  Übertretung  der 
Gesetze  der  Neutralität  kosteten  Großbritannien  die 
Summe  von  15^  Millionen  Dollars,  welche  Summe  beim 
Genfer  Vergleich  zum  Schlichten  der ,, Alabama  Ansprüche" 
den  Vereinigten  Staaten  gewährt  wurden.  Die  konföde- 
rierten Staaten  sandten  Bevollmächtigte  nach  Großbri- 
tannien und  Frankreich.  Diese  Beamten  wurden  von  dem 
britischen  Dampfer,  auf  dem  sie  eingeschifft  waren,  von 
Offizieren  der  Vereinigten  Staaten  gewaltsam  entführt. 
Diese  Tat,  welche  die  Vereinigten  Staaten  offenkundig 
eingestehen  mußten,  drohte  eine  Zeitlang  Krieg  zwischen 
den  Vereinigten  Staaten  und  Großbritannien  herbeizu- 
führen. 

34.  Die  angeführte  durch  Joseph  Smith  gegebene 
Offenbarung  enthält  noch  andere  Prophezeiungen,  wovon 
einige  ihre  Erfüllung  noch  erwarten.^)  Die  angeführten 
Beweisstücke  genügen  aber  um  zu  beweisen,  daß  Joseph 
Smith  ein  hervorragender  Mensch  war  wegen  seiner  Mit- 
wirkung bei  der  Erfüllung  von  Prophezeiungen,  die  die 
Vertreter  Gottes  in  frühern  Zeiten  ausgesprochen  hatten, 
und  daß  ferner  seine  eigenen  Ansprüche  auf  den  Rang 
eines  Propheten  durch  und  durch  berechtigt  sind.  Aber 
die  Gabe  der  Prophezeiung,  die  diesem  Elias  der  letzten 
Tage  so  reichlich  gegeben  war,  und  die  er  so  frei  und  doch 
so  unfehlbar  ausübte,  ist  nur  eine  der  vielen  geistigen 
Gaben,  die  ihn  zusammen  mit  einer  großen  Anzahl  andrer, 


»)  Siehe  Lehre  u.  Bündn.  87:5—7. 


28  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  I. 

die  das  Priestertum  von  ihm  empfangen  haben,  auszeich- 
neten. Die  heiligen  Schriften  erklären,  daß  gewisse  Zei- 
chen die  Kirche  begleiten  sollen ;  unter  ihnen  die  Gaben : 
in  Zungen  zu  reden,  der  Heilung  der  Kranken,  der  Er- 
rettung von  drohendem  Tode,  und  Macht  und  Gewalt 
über  böse  Geister.^)  Die  Ausübung  dieser  Mächte,  deren 
Ergebnis  das  ist,  was  man  gemeinhin  als  Wunder  bezeich- 
net, ist  in  keiner  Weise  ein  untrüglicher  Beweis  gött- 
licher Vollmacht,  denn  viele  wahre  Propheten  haben  kei- 
ne Wunder  getan,  dagegen  ist  es  vorgekommen,  daß 
Menschen  auf  Antrieb  böser  Geister  Wunder  vollzogen 
haben. 2)  Jedoch  ist  der  Besitz  der  durch  die  Vollziehung 
von  Wundern  gezeigten  Macht  ein  notwendiges  und  aus- 
geprägtes Kennzeichen  der  Kirche;  und  wenn  solche  Taten 
bei  der  Vollziehung  heiliger  Absichten  vollbracht  werden, 
dienen  sie  als  bestätigender  Beweis  göttlicher  Vollmacht. 
Bei  dem  Wirken  Joseph  Smiths  und  bei  dem  der  Kirche 
im  allgemeinen  dürfen  wir  deshalb  erwarten,  den  be- 
glaubigten Bericht  von  Wundern  einschließlich  der  Kund- 
tuung all  der  verheißenen  Gaben  des  Geistes  zu  finden  — 
und  wir  finden  ihn  auch  tatsächlich.  Dieses  Thema  wird 
aber  bei  einer  anderen  Gelegenheit  einer  näheren  Betrach- 
tung unterzogen.  3) 

35.  4.  Die  Lehren,  die  Joseph  Smith  und  die  heu- 
tige Kirche  lehrt,  sind  wahr  und  schriftgemäß.  Um  diese 
Behauptung  zu  beweisen,  müssen  wir  die  Hauptlehren 
der  Kirche  in  besonderer  Reihenfolge  untersuchen.  Die 
Glaubensartikel  geben  uns  eine  geeignete  Übersicht  über 
viele  Lehren,  die  zu  dem  Werk  der  letzten  Tage  gehören 
und  im  Laufe  der  folgenden  Vorlesungen  werden  wir  mit 
ihrem   Studium  beginnen. 


»)  Markus  16:16—18;  Lukas  10:19  usw.;  Lehre  u.  Bündn.  87:65—72. 
2)  2.  Mose  7:11,  22;  8:7, 18;  Offenbarung  Joh.  13:13— 15;  16:13— 14. 
')  Siehe  Vorlesung  über  Artikel  7. 


Einleit.]  Anmerkungen.  29 

AnnierkungeD. 

1.  Die  „Glaubensartikel"  datieren  vom  1.  März  1841.  Sie  bilden  einen 
Teil  eines  Briefes,  den  der  Prophet  Joseph  Smith  an  einen  Herrn  Went- 
worth  in  Chicago  schrieb.  Die  „Artikel"  wurden  in  der  Geschichte  Joseph 
Smiths  gedruckt  (Siehe  „Millenial  Star",  Band  XIX,  S.  120;  auch 
„Times  and  Seasons",  Band  III,  S.  709).  Wie  anderswo  erklärt  wird, 
sind  die  „Artikel"  als  eine  maßgebende  Übersicht  über  ihre  Lehren  von  der 
Kirche  in  aller  Form  angenommen  worden. 

2.  Joseph  Smiths  frühzeitige  Verfoloung,  —  Über  die  "Verfolgung 
in  seinen  jugendlichen  Tagen,  die  von  der  Zeit  der  Erwähnung  seines  Ge- 
sichtes von  dem  Vater  und  dem  Sohn  herrührte,  schrieb  der  Prophet  fol- 
gendes: „Es  hat  mich  damals,  und  seither  oft,  zum  Nachdenken  gebracht, 
wie  merkwürdig  es  war,  daß  ein  unbekannter  Jüngling,  ein  wenig  über  vier- 
zehn Jahre  alt,  ein  Jüngling,  der  zudem  noch  gezwungen  war,  seinen 
kärglichen  Lebensunterhalt  durch  tägliche  Arbeit  zu  verdienen,  als  eine 
Persönlichkeit  erachtet  wurde,  die  bedeutend  genug  war,  um  die  Aufmerk- 
samkeit der  großen  Männer  der  beliebtesten  Sekten  in  solchem  Maße  auf 
sich  zu  ziehen,  daß  ein  Geist  der  hitzigsten  Verfolgung  und  Verleumdung 
in  ihnen  wach  gerufen  wurde.  Aber  sonderbar  oder  nicht,  es  war  so,  und  dies 
war  oft  die  Ursache  von  schwerem  Leid  für  mich.  Nichtsdestoweniger  ist 
es  eine  Tatsache,  daß  ich  ein  Gesicht  gehabt  habe.  Ich  habe  seither  gedacht, 
daß  meine  Gefühle  denen  des  Apostels  Paulus  ähnlich  waren,  als  er  r.ich  vor 
dem  König  Agrippa  verteidigte,  und  das  Gesicht  erzählte,  das  er  gehabt 
hatte,  nämlich  daß  er  ein  Licht  sah  und  eine  Stimme  hörte;  al)er  doch 
glaubten  ihm  nur  wenige.  Einige  sagten,  er  sei  unehrlich,  andere,  er  sei 
rasend,  und  er  wurde  verspottet  und  verlästert;  aber  alles  dieses  zerstöite 
die  Wirklichkeit  des  Gesichtes  nicht.  Er  hatte  ein  Gesicht  gesehen  und 
wußte,  daß  er  es  gesehen  hatte,  und  alle  Verfolgungen  unter  dem  Himmel 
konnten  es  nicht  anders  machen.***  So  war  es  mit  mir.  Ich  hatte  wirklich 
ein  Licht  gesehen,  und  in  der  Mitte  jenes  Lichtes  sah  ich  zwei  Personen, 
und  sie  hatten  wirklich  zu  mir  gesprochen,  oder  wenigstens  eine  derselben 
hatte  es  getan;  und  obgleich  ich  verfolgt  und  gehaßt  wurde,  weil  ich  sagte, 
daß  ich  ein  Gesicht  gesehen  hatte,  war  es  dennoch  wahr;  und  während  sie 
mich  verfolgten,  verlästerten  und  fälschlich  allerlei  tJbels  wider  mich  re- 
deten, weil  ich  dieses  sagte,  wurde  ich  bewogen,  in  meinem  Herzen  zu  sagen: 
Warum  mich  verfolgen,  weil  ich  die  Wahrheit  sage?  Ich  habe  wirklich  ein 
Gesicht  gesehen,  und  wer  bin  ich,  daß  ich  Gott  widerstehen  kann  ?' '  (Köst- 
liche Perle:  Auszüge  aus  der  Geschichte  Joseph  Smiths,  S.  75,  76). 

3.  Eine  Huldiriung  für  den  Propheten  Joseph  Smith:  Während  außer 
der  Kirche  nur  wenige  Leute  zum.  Lobe  dieses  Propheten  der  Neuzeit  viel 
zu  sagen  haben,  ist  es  doch  bedeutsam,  daß  es  von  dieser  Regel  einige 
ehrliche  Ausnahmen  gibt.  Josiah  Quincy,  ein  hervorragender  Amerikaner, 
wurde  eine  kurze  Zeit  vor  dem  Märtyrertum  Joseph  Smiths  mit  ihm 
bekannt.  Nachdem  erschütternden  Ereignis  schrieb  er:  „Es  ist  gar  nicht 
unwahrscheinlich,  daß  irgend  ein  zukünftiges  Schulbuch  für  den 
Gebrauch  noch  ungeborener  Geschlechter,  eine  Frage,  enthalten  könnte 
wie  diese:  Welcher  geschichtlich  bekannte  Amerikaner  des  neunzehnten 
Jalu-hunderts  hat  auf  das  Schicksal  seiner  Landsleute  den  stärksten  Ein- 
fluß ausgeübt?  Und  es  ist  sehr  wohl  möglich,  daß  die  Antwort  auf 
diese  Frage  lauten  könnte:  Joseph  Smith  der  Mormonprophet,  l^nd  diese 
Antwort,    so    vernunftwidrig    sie    den    meisten    Menschen   heute    scheint. 


30  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  I. 

kann  ihrer  Nachkommenschaft  eine  selbstverständliche  Gewißheit  werden. 
Die  Geschichte  weist  Überraschungen  und  Seltsamkeiten  auf,  die  eben  so 
erstaunlich  sind  wie  diese.  Ein  Mann,  der  in  diesem  Zeitalter  des  freien 
Meinungsaustausches  eine  Religion  gegründet  hat,  der  als  ein  unmittelbar 
von  dem  Allmächtigen  gesandter  Bote  angenommen  wurde  und  der  heute 
von  Hunderttausenden  als  solcher  anerkannt  wird  —  bei  solch  einem 
seltenen  Menschen  ist  durch  das  Bewerfen  seiner  Erinnerung  mit  unange- 
nehmen Ausdrücken  nichts  anzufangen.  ***  Die  größten  Lebensfragen, 
die  die  Amerikaner  heute  bewegen,  haben  mit  diesem  Manne  und  mit  dem 
was  er  uns  hinterlassen  hat,  zu  tun.  *  *  *  Brennende  Fragen  sind  es,  die 
diesem  kühn  anmaßenden  Propheten,  den  ich  zu  Nauvoo  besuchte,  einen 
hervorragenden  Platz  in  der  Geschichte  dieses  Landes  geben  müssen. 
Joseph  Smith,  der  ein  inspirierter  Lehrer  zu  sein  behauptete,  trat  solchem 
Mißgeschick,  wie  es  wenigen  Menschen  auf  erlegt  wird ;  nmtig  entgegen,  er  ge- 
noß eine  kurze  Zeit  ein  Wohlergehen,  das  wenige  Menschen  je  erreichen, 
und  endlich,  dreiundvierzig  Tage  nachdem  ich  ihn  gesehen  hatte,  ging  er 
dem  Märtyrertod  mutig  entgegen.  Als  er  sich,  um  das  Blutvergießen  zu 
verhüten,  dem  Gouverneur  Ford  gefangen  gab,  hatte  der  Prophet  eine 
Vorempfindung  von  dem  ihm  bevorstehenden  Schicksal.  „Ich  gehe  wie  ein 
Lamm  zur  Schlachtbank",  soll  er  gesagt  haben,  „aber  ich  bin  ruhig  wie  ein 
Sommermorgen.  Ich  habe  ein  Gewissen  frei  von  Unrecht,  und  werde 
unschuldig  sterben."   „Figures  of  the  Past",  von  Josiah  Quincy,  S.  376. 

4.  Das  Siegel  des  Märtyrertums.  —  „Das  stärkste  Zeugnis  der  Auf- 
richtigkeit, das  ein  Mensch  seinen  Mitmenschen  geben  kann  —  der  höchste 
Beweis,  daß  er  in  irgend  einem  angegebenen  Fall,  die  Wahrheit  gesprochen 
hat  —  ist,  daß  er  bis  in  den  Tod  darin  beharrt  und  sein  Zeugnis  mit  seinem 
Blute  besiegelt.***  So  wichtig  war  ein  solches  Zeugnis  in  den  Augen  Pauli 
geworden,  daß  er  schrieb :  „Denn  wo  ein  Testament  ist,  da  muß  der  Tod 
geschehen  des,  der  das  Testament  machte.  Denn  ein  Testament  wird  fest 
durch  den  Tod ;  es  hat  noch  nicht  Kraft,  wenn  der  noch  lebt,  der  es  gemacht 
hat"  (Hebräer  9:16 — 17).  Im  Lichte  dieses  Grundsatzes,  und  wenn  man 
die  Wichtigkeit  des  großen  Zeugnisses,  das  er  der  Welt  gab,  in  Betracht 
zieht,  braucht  man  sich  nicht  darüber  zu  wundern,  daß  Joseph  Smith  auf- 
gefordert wurde,  das  breite  Siegel  seines  Märtyrertums  seinem  Lebenswerke 
beizufügen.  Hätte  dieses  gefehlt,  so  hätte  womöglich  über  die  Unvoll- 
kommenheit  seines  Werkes  geklagt  werden  können,  jetzt  aber  nicht.  Seine 
Würde  als  Prophet  wurde,  dadurch  daß  er  unter  dem  mörderischen  Feuer 
eines  Pöbels  zu  Carthage,  im  Staate  Illinois  als  Märtyrer  fiel,  zur  vollkom- 
menen Fülle  gebracht."  —  Ältester  B.  H.  Roberts  in  „A  New  Witness  for 
God",  S.  477 — 478. 

5.  Joseph  Smith,  weitere  Hinweise.  —  Zur  Kenntnis  seiner  Lebens- 
geschichte siehe  „The  Life  of  Joseph  Smith,  the  Prophet"  von  Präsident 
George  Q.  Cannon.  Siehe  auch  „Divine  Authority,  or  the  Question:  Was 
Joseph  Smith  Sent  of  God?"  eine  Flugschrift  von  Apostel  Orson  Pratt; 
„Joseph  Smith's  Prophetic  Calling",  Millcnial  Star,  Band  XLII,  S.  164, 
187,  195,  227.  „Letters  from  Elder  Orson  Spencer  to  Rev.  Wm.  Crowell; 
No.  1";  „A  New  Witness  for  God".    Ältester  B.  H.  Roberts. 

6.  Joseph  Smiths  Abstammung.  —  .Joseph  Smith  war  von  niederer 
Herkunft.  Seine  Eltern  und  ihre  Vorfahren  waren  Arbeiter,  aber  ihr  Cha- 
rakter war  gottesfürchtig  imd  ihr  Name  war  imbefleckt.  Gegen  die  Mitte 
des  siebzehnten  Jahrhunderts  wanderte  Robert  Smith,  ein  kühner  Frei- 


Einleit.]  Anmerkungen.  31 

bauer  ans  England,  nach  der  neuen  Welt,  dem  verheißenen  Land  aus. 
Mit  seiner  Frau  Mary  siedelte  er  sich  in  Essex,  Massachusetts  an.  Die 
zahlreichen  Nachkommen  dieser  ehrbaren  Leute  verheirateten  sich  mit  den 
standhaftesten  und  fleißigsten  Familien  Neu  Englands.  Samuel,  der  am 
26.  Januar  1666  geborene  Sohn  von  Robert  und  Mary,  verehelichte  sich 
am  25.  Januar  1707  mit  Rebekka  Curtis.  Ihr  Sohn,  der  zweite  Samuel, 
wurde  am  26.  Januar  1714  geboren;  er  heiratete  Priscilla  Gould  und  war 
der  Vater  des  am  1.  März  1744  geborenen  Asael.  Asael  Smith  nahm  Mary 
Duty  zur  Frau,  und  ihr  Sohn  Joseph  wurde  am  12.  Juni  1771  geboren. 
Am  24.  Januar  1796  heiratete  Joseph  Lucy  Mack  zu  Tunbridge,  im  Staate 
Vermont.  Sie  war  am  8.  Juli  1776  geboren  und  war  die  Tochter  von  So- 
lomon und  Lydia  Mack  und  die  Enkeltochter  von  Ebenezer  Mack."  — 
„Ihe  Life  of  Joseph  Smith,  the  Prophet"  von  George  Q.  Cannon,  Kapitel 
I.  —  Joseph,  der  Prophet,  war  der  dritte  Sohn  und  das  vierte  Kind  von 
Joseph  und  Lucy  (Mack)  Smith;  er  wurde  am  23.  Dezember  1805  zu  Sharon 
(Vermont)  geboren. 

7.  Die  maßflebenden  Kirchenwerke.  —  Die  Ribel  und  das  Buch 
Mormon,  die  boiden  ersten  maßgebenden  Werke  der  Kirche,  sollen  in  spä- 
teren Vorlesungen  einer  nähern  Betrachtung  unterzogen  werden.  (Siehe 
daselbst.)  Das  Buch  der  „Lehre  und  Bündnisse"  ist  eine  Sammlung 
neuer  Offenbarungen,  wie  sie  der  Kirche  in  dieser  Dispensation  gegeben 
worden  sind.  Die  „Köstliche  Perle"  enthält  die  durch  Joseph  Smith  ge- 
olfenbarten  Gesichte  und  Schriften  Moses,  das  Buch  Abrahams,  eine  von 
Joseph  Smith  vorgenommene  Übersetzung  aus  gewissen  alten  Papyrus- 
rollen, und  einige  der  Schriften  Joseph  Smiths. 

8.  Die  Geschichte  der  «icderherjiestellten  Kirche.  —  Weitere  Aus- 
kunft über  das  Lebenswerk  Joseph  Smiths,  imd  das  Wachstum  der  durch 
seine  Vermittlung  wiederhergestellten  Kirche  Jesu  Christi,  kann  in  „The 
History  of  the  Church  of  Jesus  Christ  of  Latterday  Saints"  Salt  Lake  City, 
Utah,  gefunden  werden.  Eine  kurze  und  bündige  Übersicht  über  die  Kir- 
chengeschichtc,  gibt  auch  „The  Story  of  Mormonism"  von  James  E.  Tal- 
mage.  Liverpool;  1907;  Salt  Lake  City,  1910.  (Siehe  auch  ,,Ein  Abriß 
aus  der  Geschichte  der  Kirche  Jesu  Christi"  von  Missionar  Alfred  C. 
Rees.  —  Der  Übersetzer). 


32  Die  Glaubensartikel.  (Vorl.  II. 


Vorlesung  II. 


Gott  und  die  Gottheit. 

Artikel  1.  —  Wir  glauben  an  Gott  den  ewigen  Vater  und  an  seinen 
Sohn  Jesum  Christum  und  an  den  Heiligen  Geist. 

1.  Das  Dasein  Gottes. —  Da  der  Glaube  an  Gott  die 
Grundlage  aller  religiösen  Glaubensbekenntnisse  und  Ge- 
bräuche bildet,  und  da  Erkenntnis  von  den  Eigenschaften 
und  von  dem  Charakter  der  Gottheit  zur  verständigen 
Ausübung  des  Glaubens  an  sie  notwendig  ist,  beansprucht 
dieses  Thema  den  ersten  Platz  in  unserem  Studium  der 
Lehren  der  Kirche. 

2.  Das  Dasein  Gottes  ist  kaum  eine  Frage  der  ver- 
nünftigen Auseinandersetzung;  es  erfordert  auch  keine 
Beweise  durch  die  schwachen  Vorführungen  der  mensch- 
lichen Denkgesetze,  denn  die  Tatsache  vom  Dasein  Gottes 
wird  von  der  menschlichen  Familie  fast  ohne  Frage  aner- 
kannt, und  das  Bewußtsein  der  Abhängigkeit  von  einer 
höchsten  Macht  ist  den  Menschen  eine  angeborene  Eigen- 
schaft. Die  früheren  Schriften  haben  nach  keiner  Rich- 
tung hin  den  Sinn  eines  ursprünglichen  Beweises  des 
Daseins  Gottes,  noch  sollten  sie  Entgegnungen  auf  die 
Angriffe  und  Trugschlüsse  der  Gottesleugnung  sein;  aus 
dieser  Tatsache  dürfen  wir  folgern,  daß  die  Irrtümer  des 
Zweifels  sich  erst  in  einer  spätem  Zeit,  entwickelt  haben. 
Die  allgemeine  Zustimmung  der  Menschheit  zu  dem  Dasein 
Gottes  ist  zum  mindesten  eine  stark  bestätigende  Wahr- 
heit. Es  lebt  eine  kindliche  Leidenschaft  in  der  mensch- 
lichen Natur,  die  nach  dem  Himmel  loht.    Jedes  Volk, 


Art.   1.]  Gott  und  die   Gottheit.  33 

jeder  Volksstamm,  jeder  Mensch  sehnt  sich  nach  einem 
Gegenstand  der  Verehrung.  Es  liegt  in  der  Natur  des 
Menschen,  anzubeten.  Die  Seele  ist  unzufrieden  bis  sie 
einen  Gott  findet.  Als  die  Menschen  durch  Übertretung 
zum  erstenmal  in  Finsternis  inbezug  auf  den  wahren  und 
lebendigen  Gott  gerieten,  stellten  sie  sich  selbst  andere 
Götter  auf;  und  auf  diese  Weise  entstanden  die  Greuel 
des  Götzendienstes.  Und  dennoch,  so  furchtbar  diese 
Gebräuche  sind,  so  bezeugen  sogar  die  abstoßendsten 
Götzendienste  das  Dasein  Gottes  dadurch,  daß  sie  des 
Menschen  ererbte  Leidenschaft  der  Anbetung  dartun. 
Plutarch  hat  über  alte  Zustände  einsichtsvoll  bemerkt: 
„Suchst  du  in  der  ganzen  Welt,  so  kannst  du  wohl  Städte 
ohne  Mauern,  ohne  Literatur,  ohne  Könige,  ohne  Geld 
finden;  aber  niemand  hat  je  eine  Stadt  ohne  einen  Gott, 
ohne  einen  Tempel  oder  ohne  Gebete  gesehen."  Diese 
allgemeine  Zustimmung  zu  einem  Glauben  an  das  Dasein 
einer  Gottheit  ist  ein  Zeugnis  von  hohem  Rang;  und  in 
dieser  Beziehung  dürfen  die  Worte  des  Aristoteles  ange- 
wendet werden:  „Was  einigen  Menschen  als  wahr  er- 
scheint, ist  vielleicht  möglich;  was  den  meisten  oder  allen 
weisen  Menschen  als  wahr  erscheint,  ist  sehr  wohl  möglich; 
das,  dem  die  meisten,  ob  weise  oder  unweise,  zustimmen, 
kommt  der  Wahrheit  noch  näher,  aber  das,  dem  die  Men- 
schen ganz  allgemein  beistimmen,  hat  die  höchste  Glaub- 
würdigkeit für  sich  und  kommt  der  bewiesenen  Wahrheit 
so  nahe,  daß  es  als  lächerliche  Vermessenheit  und  als 
Eigendünkel,  oder  als  unduldsamer  Eigensinn  und  als 
Halsstarrigkeit  gelten  würde,  es  zu  verschreien."^) 

3.  Die  Fülle  der  Beweise,  auf  die  sich  die  Menschheit 
in  ihrer  Überzeugung  von  dem  Dasein  eines  allerhöchsten 
Wesens  stützt,  kann  zur  geeigneten  Betrachtung  in  die 
folgenden  drei  Klassen  eingeteilt  werden: 


»)  Siehe  Anmerkungen  1,  2  und  3. 


34  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  II. 

1.  Der  Beweis  der  Geschichte  und  der  Überlieferung. 

2.  Der  durch  die  Anwendung  der  menschlichen  Ver- 
nunft gegebene  Beweis. 

3.  Der  entscheidende  Beweis  der  unmittelbaren  Offen- 
barung von  Gott  selbst. 

4.  1.  Geschichte  und  Überlieferung.  — ^Die  von  den 
Menschen  geschriebene  Geschichte  und  die  Überlieferung, 
wie  sie  vor  der  Zeit  irgend  eines  noch  vorhandenen  Be- 
richtes von  Geschlecht  zu  Geschlecht  übermittelt  wurde, 
beweisen  die  Wirklichkeit  des  Daseins  der  Gottheit  und 
des  engverbundenen  und  persönlichen  Umganges  zwischen 
Gott  und  den  Menschen  während  der  ersten  Zeiten  des 
menschlichen  Erdendaseins.  Einer  der  ältesten  bekannten 
Berichte,  die  Bibel,  bezeichnet  Gott  als  den  Schöpfer  aller 
Dinge^)  und  erklärt  überdies,  daß  er  sich  unseren  ersten 
irdischen  Eltern  und  auch  vielen  anderen  heiligen  Per- 
sonen in  den  ersten  Tagen  der  Welt  offenbarte.  Adam  und 
Eva  hörten  seine  Stimme^)  im  Garten;  und  sogar  nach 
ihrer  Übertretung  fuhren  sie  fort,  Gott  anzurufen  und  ihm 
Opfer  darzubringen.  Daraus  geht  klar  hervor,  daß  sie 
eine  Erkenntnis  von  Gott  mit  sich  aus  dem  Garten  genom- 
men hatten.  Nach  ihrer  Austreibung  hörten  sie  ,,die  Stimme 
des  Herrn  aus  der  Richtung  gegen  den  Garten  Eden", 
obwohl  sie  ihn  nicht  sahen;  und  er  gab  ihnen  Gebote,  die 
sie  befolgten.  Dann  kam  ein  Engel  zu  Adam  und  der  Hei- 
lige Geist  inspirierte  den  Menschen  und  gab  Zeugnis  von 
dem  Vater  und  dem  Sohn. 3) 

5.  Kain  und  Abel  erfuhren  von  Gott,  sowohl  durch 
die  Belehrungen  ihrer  Eltern  als  auch  durch  persönliche 
Offenbarung.  Nach  der  Annahme  des  Opfers  Abels  und  der 
Verwerfung  des  Opfers  Kains,  worauf  dessen  furchtbare 


•)  1.  Mose  1;  siehe  auch  Köstl.  Perle,  Moses  2:1. 
')  1.  Mose  3:8;  und  Köstl.  Perle,  Moses  4:14. 
»)  Köstl.  Perle,  Moses  5:6—9. 


Art.  1.]  Gott  und  die  Gottheit.  35 

Missetat  eines  Brudermords  folgte,  redete  der  Herr  mit 
Kain  und  dieser  antwortete  ihm.i)  Infolgedessen  muß 
Kain  in  das  Land,  wohin  er  zog,  um  dort  zu  wohnen,  eine 
persönliche  Kenntnis  von  Gott  aus  Eden  mit  sich  genom- 
men haben, 2)  Adam  erreichte  das  Alter  von  neunhundert 
und  dreißig  Jahren,  und  ihm  wurden  viele  Kinder  geboren. 
Diese  unterrichtete  er  in  der  Furcht  Gottes,  und  viele  von 
ihnen  bekamen  unmittelbare  Offenbarung.  Von  der  Nach- 
kommenschaft Adams  lebten  Seth,  Enos,  Kenan,  Maha- 
laleel,  Jared,  Henoch,  Methusalah  und  Lamech,  der  Vater 
von  Noah,  während  der  Lebenszeit  Adams;  und  jeder 
stellte  ein  besonderes  Geschlecht  dar.  Noah  wurde 
nur  einhundertsechsundzwanzig  Jahre  nach  dem  Tode 
Adams  geboren,  lebte  überdies  mit  seinem  Vater  Lamech 
beinahe  sechshundert  Jahre,  und  wurde  ohne  Zweifel 
von  ihm  in  den  Überlieferungen  betreffs  der  persönlichen 
Kundtuungen  Gottes,  die  Lamech  aus  dem  Munde  Adams 
gehört  hatte,  unterrichtet.  Auf  dem  Weg  der  unmittel- 
baren Überlieferung  durch  Noah  und  seine  Familie  be- 
stand eine  Kenntnis  von  Gott  nach  der  Sintflut  weiter 
fort.  Noah  stand  in  unmittelbarer  Verbindung  mit  Gott^) 
und  lebte  lang  genug,  um  zehn  Geschlechter  seiner  Nach- 
kommen zu  belehren.  Darnach  folgte  Abraham,  der  sich 
ebenfalls  unmittelbarer  Verbindung  mit  dem  Schöpfer 
erfreute,*)  und  nach  ihm  Isaak  und  Jakob  oder  Israel,  unter 
dessen  Nachkommen  der  Herr  durcli  die  Vermittlung  Moses 
große  Wunder  vollbrachte.  Und  hätte  es  auch  keine  geschrie- 
benen Berichte  gegeben,  so  hätte  die  Überlieferung  die 
Kenntnis  von  Gott  dennoch  bewahrt  und  weitergegeben. 


')  1.  Mose  4:9—16;  Köstl.  Perle,  Moses  5:22; 
')  1.  Mose  4:16;  Köstl.  Perle,  Moses  5:41. 
»)  1.  Mose  6:13  und  das  folgende  Kapitel. 
*)  1.  Mose  12  und  die  folgenden  Kapitel. 


36  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  IL 

6.  Und  wenn  die  Berichte  von  den  frühesten  persön- 
lichen Verbindungen  zwischen  Gott  und  den  Menschen 
mit  der  Zeit  dunkel  und  deshalb  in  ihrer  Wirkung  schwä- 
cher geworden  wären,  so  hätten  sie  eben  nur  vor  anderen 
auf  späteren  Offenbarungen  der  göttlichen  Persönlichkeit 
begründeten  Überlieferungen  weichen  müssen.  Nicht 
allein  von  hinter  dem  Schleier  des  Feuers  und  dem  Schirm 
der  Wolken^)  tat  sich  der  Herr  Mose  kund,  sondern  auch 
durch  unmittelbare  Mitteilung  von  Angesicht  zu  Ange- 
sicht, wodurch  der  erwählte  Hohepriester  seinen  Gott 
in  „seiner  Gestalt"  schaute. 2)  Dieser  Bericht  der  unmittel- 
baren Verbindung  zwischen  Mose  und  Gott,  an  der  das 
Volk  auch  teilweise,  so  weit  sein  Glaube  und  seine  Rein- 
heit es  zugegeben  haben,  Teil  genommen  hatte,^)  ist  von 
Israel  durch  alle  Geschlechter  der  Vergangenheit  bewahrt 
worden.  Und  von  Israel  aus  haben  die  Überlieferungen 
von  dem  Dasein  Gottes  sich  über  die  ganze  Erde  verbreitet, 
so  daß  wir  Spuren  dieser  uralten  Erkenntnis  selbst  in  den 
fantastischsten  und  verkehrtesten  Göttersagen  der  heid- 
nischen Völker  finden. 

7.  2.  Die  menschliche  Vernunft,  wenn  sie  sich  mit  der 
Beobachtung  der  Dinge  der  Natur  befaßt,  verkündigt  mit 
Kraft  das  Dasein  Gottes.  Der  Verstand,  der  mit  den  ge- 
schichtlichen Wahrheiten  des  Daseins  Gottes  und  seiner 
engen  Verwandtschaft  mit  dem  Menschen  schon  durch- 
drungen ist,  findet  in  der  Natur  auf  jeder  Seite  bestäti- 
gende Beweise ;  und  sogar  dem,  der  das  Zeugnis  der  Vergan- 
genheit verwirft  und  sich  anmaßt,  sein  eigenes  Urteil  über 
den  allgemeinen  Glauben  aller  Zeitalter  zu  stellen,  müssen 
die  mannigfaltigen  Beweise  eines  Planes  in  der  Natur 
zusagen.   Auf  jeden  Beobachter  muß  der  Beweis  der  Ord- 


')  2.  Mose  3:4;  19:18;  4.  Mose  12:5. 

•)  4.  Mose  12:8;  siehe  auch  Köstl.  Perle,  Moses  1:1 — 2. 

»)  2.  Mose  19:9,  11,  17—20. 


Art.  1.]  Gott  und  die  Gottheit.  37 

nung  und  der  Planmäßigkeit  in  der  Schöpfung,  ebenso 
wie  die  Abwesenheit  der  überflüssigen  Dinge  in  der  Natur, 
einen  Eindruck  machen.  Er  beobachtet  die  regelmäßige 
Wiederkehr  von  Tag  und  Nacht,  wodurch  für  Menschen, 
Tiere  und  Pflanzen  abwechselnde  Arbeits-  und  Ruhe- 
zeiten gewährt  werden,  die  Reihenfolge  der  Jahreszeiten, 
von  denen  jede  ihre  längere  Arbeits-  und  Erholungszeit 
hat,  die  gegenseitige  Abhängigkeit  des  Tier-  und  Pflanzen- 
reichs, den  Kreislauf  des  Wassers  vom  Meer  zur  Wolke, 
und  von  der  Wolke  zur  Erde,  wodurch  die  Fruchtbarkeit 
des  Bodens  erhalten  wird.  In  dem  Maße  wie  man  in  der 
näheren  Untersuchung  der  Dinge  vorschreitet,  findet  man, 
daß  durch  Studium  und  wissenschaftliche  Erforschung, 
diese  Beweise  vielfältig  vermehrt  werden.  Der  Mensch 
mag  die  Gesetze,  wodurch  die  Erde  und  die  mit  ihr  verbun- 
denen Welten  in  ihren  Bahnen  regiert,  und  Nebenplaneten 
den  Planeten,  und  die  Planeten  der  Sonne  untergeordnet 
gehalten  werden,  kennen  lernen;  er  mag  die  Wunder  der 
Anatomie  der  Tiere  und  Pflanzen,  und  auch  den  unüber- 
trefflichen Innenbau  seines  eigenen  Körpers  schauen,  und 
mit  solchen,  mit  jedem  Schritt  zunehmenden  Berufungen 
auf  seine  Vernunft,  verwandelt  sich  sein  Fragen  nach  der 
Entstehung  dieses  Alls  in  Bewunderung  des  Schöpfers, 
dessen  Gegenwart  und  Kraft  so  mächtig  verkündigt  wer- 
den: und  der  Beobachter  wird  zum  Anbeter. 

8.  In  der  Natur  findet  man  allerorten  Beweise  des 
Gesetzes  von  Ursache  und  Wirkung;  auf  jeder  Seite  sieht 
man  die  Verwendung  von  Mitteln,  die  dem  Endzwecke 
entsprechen.  „Aber  derartiges  Einrichten",  schreibt  ein 
nachdenklicher  Schriftsteller,  ,, deutet  auf  Erdenken  zu 
einem  gewissen  Zwecke  an,  und  das  Erdenken  ist  ein  Be- 
weis der  Intelligenz,  und  die  Intelligenz  ist  das  Kennzei- 
chen  des  Verstandes,  und  dieser  intelligente  Verstand, 


38  Die  Glaubensartikel.  IVorl.  IL 

der  das  erstaunliche  Weltall  schuf,  ist  Gott."^)  Aus  der 
Offenbarung  des  Entwurfs,  das  Dasein  eines  Schöpfers 
anzuerkennen,  zu  sagen,  daß  es  einen  Urheber  in  einer 
Welt  voll  intelligenten  Erdenkens  geben  müsse,  an  einen 
Einrichter  zu  glauben,  wenn  das  Leben  der  Menschen  von 
den  denkbar  vollkommensten  Einrichtungen  unmittelbar 
abhängig  ist,  ist  nur  die  Annahme  augenscheinlicher  Wahr- 
heiten, Diese  Grundwahrheiten  der  Natur  sollten  keinen 
Beweis  erfordern;  die  Last  des  Beweises  des  Nichtseins 
eines  Gottes  sollte  dem  auferlegt  werden,  der  die  feierliche 
Wahrheit  in  Frage  zieht.  „Denn  ein  jeglich  Haus  wird 
von  jemand  bereitet;  der  aber  alles  bereitet  hat,  das  ist 
Gott."  So  sprach  der  Apostel  in  alten  Zeiten  ;2)  und  so 
klar  die  in  diesen  Worten  ausgedrückte  Wahrheit  ist,  gibt 
es  dennoch  Menschen,  die  vorgeben,  an  dem  Beweis  der 
Vernunft  zu  zweifeln;  und  diese  verleugnen  den  Schöpfer 
ihres  eigenen  Wesens.  Ist  es  nicht  sonderbar,  daß  hie  und 
da  einer,  der  in  dem  von  der  Ameise  beim  Bauen  ihres 
Hauses  gezeigten  Einrichtungen,  in  der  Baukunst  der 
Honigscheibe,  und  in  den  unzähligen  Fällen  des  wohlge- 
ordneten Instinkts  unter  den  geringsten  der  lebenden 
Dinge  einen  Beweis  der  Intelligenz  findet,  von  welcher 
der  Mensch  lernen  und  sich  weise  zeigen  könnte,  und 
dennoch  die  Wirkung  einer  Intelligenz  in  der  Erschaf- 
fung der  Welten  und  in  der  Bildung  des  Weltalls  in  Frage 
zieht  ?3) 

9.  Das  angeborene  Bewußtsein  bezeugt  dem  Menschen 
sein  eigenes  Sein;  seine  gewöhnlichen  Kräfte  der  Beobach- 
tung beweisen  das  Sein  von  andern  seiner  Art  und  auch 
von  unzähligen  Ordnungen  organisierter  Wesen.  Daraus 
schließt  er,  daß   etwas  immer  vorhanden  gewesen  sein 


')  Cassel's  Bible  Dictionary.    S.  481. 
')  Paulus  im  Hebräerbrief,  3:4. 
")  Siehe  Anmerkung  4. 


Art.  1.]  Gott  und  die   Gottheit.  39 

müsse,  denn  gäbe  es  eine  Zeit,  wo  nichts  dagewesen  ist, 
eine  Zeitspanne  des  Nichts,  so  hätte  das  Sein  nie  anfangen 
können,  denn  aus  nichts  kann  nichts  hervorkommen. 
Das  ewige  Sein  des  Etwas  ist  dann  eine  Tatsache,  die  nicht 
in  Zweifel  gezogen  werden  kann;  und  die  Frage,  die  eine 
Antwort  heischt,  lautet :  Was  ist  dieses  ewige  Etwas — dieses 
Sein  ohne  Anfang  und  ohne  Ende?  Der  Ungläubige  wird 
vielleicht  antworten:  ,,Die  Naturl  Der  Stoff  hat  ewiglich 
bestanden  und  das  Weltall  ist  nur  eine  Kundgebung  des 
Stoffes,  der  durch  auf  sie  wirkende  Kräfte  gestaltet  und 
geordnet  wurde."  Dennoch  ist  die  Natur  nicht  Gott.  Aber 
der  Stoff  ist  weder  lebendig  noch  tätig;  noch  ist  Kraft 
intelligent;  Leben  und  unaufhörliche  Tätigkeit  sind  aber 
gerade  die  Kennzeichen  erschaffener  Dinge,  und  die  Wir- 
kungen einer  Intelligenz  sind  überall  vorhanden.  Es  ist 
wahr,  die  Natur  ist  nicht  Gott;  und  das  eine  mit  dem  an- 
deren zu  verwechseln,  hieße  den  Bau  für  den  Baumeister, 
den  Entwurf  für  den  Entwerfenden,  den  Marmor  für  den 
Bildhauer,  und  das  Ding  für  die  erschaffende  Kraft  halten. 
Das  geordnete  Gefüge  der  Natur  ist  nur  die  Offenbarung 
jener  Ordnung,  welche  Zeugnis  von  einer  lenkenden  In- 
telligenz gibt,  und  diese  Intelligenz  ist  ewigen  Wesens  und 
mit  dem  Sein  selbst  gleich  ewig.  Die  Natur  selbst  ist  eine 
Erklärung  eines  höheren  Wesens,  dessen  Willen  und  Ab- 
sicht sie  in  all  ihren  mannigfaltigen  Erscheinungen  wieder- 
spiegelt. Über  der  Natur,  und  erhabener  als  sie,  regiert 
der  Gott  der  Natur. 

10.  Obwohl  das  Leben  oder  das  „Sein"  ewig  ist,  und 
folglich  für  das  Sein  nie  ein  Anfang  gewesen  ist  noch  ein 
Ende  sein  wird,  muß,  in  einem  gewissen  Sinn,  jede  Stufe 
der  Gestaltung  einen  Anfang  gehabt  haben,  und  auf  jeder 
Sprosse  des  Seins,  wie  sie  in  allen  den  unzähligen  Ord- 
nungen und  Klassen  der  erschaffenen  Dinge  geoffenbart 
wird,  muß  es  ein  erstes  gegeben  haben,  wie  es  auch  ein 


40  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.   IL 

letztes  geben  wird;  obwohl  jedes  Ende  oder  jede  Vollen- 
dung in  der  Natur  nur  der  Anfang  einer  neuen  Stufe  in  der 
Entwicklung  ist.  Um  eine  mögliche  Vorgangsfolge,  durch 
welche  die  Erde  aus  einem  Wirrwar  oder  einer  ungeord- 
neten Vorschöpfungswelt  in  einen  bewohnbaren  Zustand 
verwandelt  worden  ist,  zu  erläutern,  wenn  auch  nicht  zu 
erklären,  hat  der  menschliche  Scharfsinn  Theorien  er- 
dacht. Nach  diesen  Deutungsversuchen  war  diese  Erd- 
kugel einst  ein  glühender  Ball,  auf  dem  keine  der  unzäh- 
ligen Lebensformen,  die  ihn  jetzt  bewohnen,  hätte  leben 
können.  Der  Theoretiker  muß  deshalb  einen  Anfang  im 
irdischen  Leben  anerkennen,  und  ein  solcher  Anfang  ist  nur 
durch  die  Annahme  irgend  einer  erschaffenden  Tat  oder 
einer  Beitragung  von  außerhalb  der  Erde  zu  erklären. 
Erkennt  er  die  Herkunft  des  Lebens  auf  Erden  von  einer 
anderen  und  älteren  Himmelskugel  an,  so  werden  dadurch 
die  Grenzen  seiner  Forschung  nach  dem  Anfang  des  leben- 
den Seins  nur  ausgedehnt.  Denn  den  Ursprung  eines  in  un- 
serem Garten  wachsenden  Rosenstocks  damit  zu  erklären, 
daß  dieser  als  ein  Sprößling  eines  anderswo  wachsenden 
Rosenstrauchs  verpflanzt  worden  sei,  wäre  keine  Er- 
klärung auf  die  Frage  nach  dem  Ursprung  der  Rosen. 
Die  Wissenschaft  nimmt  notwendigerweise  einen  Anfang 
der  lebenden  Erscheinungen  auf  diesem  Planeten  an  und 
erkennt  eine  begrenzte  Dauer  der  Erde  in  ihrem  gegen- 
wärtigen Lauf  der  fortschreitenden  Veränderung;  und 
in  dieser  Hinsicht  ist  die  Erde  eine  Darstellung  der  anderen 
Himmelskörper  im  allgemeinen.  Dann  ist  die  Unendlich- 
keit des  Seins  nicht  gewisser  als  eine  Andeutung  auf  einen 
ewigen  Regierer,  als  die  unendliche  Folge  der  Veränderung, 
deren  jede  Stufe  sowohl  einen  Anfang  als  auch  ein  Ende 
hat.  Die  Entstehung  der  erschaffenen  Dinge,  der  Anfang 
eines  geordneten  Weltalls  ist  durch  die  Annahme  der  von 
selbst  entstandenen  Veränderung  in  dem  Urstoff,  oder  der 


Art.  1.]  Gott  und  die  Gottheit.  41 

zufälligen  Wirkung  ihrer  Eigenschaften,  äußerst  unerklär- 
lich. 

11.  Die  menschliche  Vernunft,  die  selbst  in  weni- 
ger wichtigen  Sachen  dem  Irren  unterworfen  ist,  vermag 
ihren  Besitzer  nicht  von  sich  aus  zu  einer  vollen  Er- 
kenntnis von  Gott  zu  führen.  Doch  wird  ihm  ihre  An- 
wendung in  seinem  Forschen  zur  Seite  stehen  und  seinen 
ererbten  Naturtrieb  zu  seinem  Schöpfer  stärken  und  be- 
stätigen.^) ,,Die  Toren  sprechen  in  ihrem  Herzen:  Es  ist 
kein  Gott. "2)  In  der  Schrift  wird  das  Wort  Tor^)  gebraucht, 
um  einen  bösen  Menschen  zu  bezeichnen,  —  einen,  der 
seine  Weisheit  durch  einen  langen  Lauf  seiner  Missetaten 
verloren,  und  auf  diese  Weise  Finsternis  statt  Licht  und 
Unwissenheit  statt  Kenntnis  in  seine  Seele  eingeführt  hat. 
Durch  einen  solchen  Lebenswandel  wird  der  Geist  ver- 
derbt und  unfähig,  die  feinern  Beweisführungen  der  Natur 
zu  schätzen.  Wer  absichtlich  sündigt,  wird  für  die  Stimme 
der  Vernunft  in  heiligen  Dingen  taub  und  verliert  das  Vor- 
recht, mit  seinem  Schöpfer  zu  verkehren,  wodurch  er  sich 
des  größten  Mittels  zur  Erlangung  der  Erkenntnis  von 
Gott  beraubt. 

12.  3.  Offenbarung  gibt  dem  Menschen  seine  voll- 
kommenste Erkenntnis  von  Gott.  Wir  brauchen  uns  weder 
völlig  auf  die  fehlbare  eigene  Urteilskraft  noch  auf  das  Zeug- 
nis anderer  zu  verlassen,  um  eine  Erkenntnis  unseres  himm- 
lischen Vaters  zu  erhalten,  wir  können  ihn  für  uns  selbst 
kennen  lernen.  Die  Fälle,  wo  sich  Gott  in  früheren  oder 
auch  in  späteren  Zeiten  seinen  Propheten  geoffenbart  hat, 
sind  so  zahlreich,  daß  es  unmöglich  ist,  hier  eine  eingehende 
Betrachtung  zu  unternehmen.  Überdies  werden  wir  bei 
dem  Studium  des  neunten  Glaubensartikels  Gelegenheit 


•)  Siehe  Anmerkung  5. 

')  Psalm  14:1. 

»)  Sprüclie  1:7;  10:21;  14:S 


42  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  II. 

haben,  viele  solche  Beispiele  zu  untersuchen.  Hier  muß 
uns  also  eine  kurze  Erwähnung  genügen.  Als  Ursache  der 
vielen  Überlieferungen  über  das  Dasein  und  die  Persön- 
lichkeit Gottes  haben  wir  seine  Offenbarungen  zu  Adam 
und  zu  andern  vorsintflutlichen  Patriarchen,  dann  zu 
Noah,  Abraham,  Isaak,  Jakob  und  Mose  schon  angeführt. 
Ein  in  den  jüdischen  Schriften  nur  kurz  erwähntes  Beispiel 
ist  dasjenige  des  Henoch,  des  Vaters  Methusalahs.  Von 
ihm  lesen  wir,  daß  er  in  einem  göttlichen  Leben  blieb.^) 
Aus  den  ,, Schriften  Moses",  erfahren  wir,  daß  sich  der 
Herr  mit  besonderer  Freude  diesem  auserwählten  Seher 
offenbarte. 2)  Den  Verlauf  der  Vorgänge  bis  zur  Zeit  des 
vorausbestimmten  Wirkens  Christi  im  Fleisch,  den  Plan 
der  Seligkeit  durch  das  Sühnopfer  des  Eingebornen,  und 
die  Ereignisse,  die  darauf  folgen  sollten,  bis  zum  jüngsten 
Gericht,  tat  Gott  ihm  kund. 

13.  Von  Mose  lesen  wir,  daß  er  eine  Kundtuung  er- 
hielt von  Gott,  der  zu  ihm  aus  dem  brennenden  Busch 
am  Berg  Horeb  sprach  und  sagte:  ,,Ich  bin  der  Gott  deines 
Vaters,  der  Gott  Abrahams,  der  Gott  Isaaks  und  der  Gott 
Jakobs.  Und  Mose  verhüllte  sein  Angesicht;  denn  er  fürch- 
tete sich,  Gott  anzuschauen. "3)  In  einer  Wolke  und  mit 
den  schreckenerregenden  Begleiterscheinungen  von  Don- 
ner und  Blitz  erschien  Gott  dem  Mose  und  dem  versam- 
melten Israel  auf  dem  Berge  Sinai.  „Und  der  Herr  sprach 
zu  ihm :  Also  sollst  du  den  Kindern  Israel  sagen :  Ihr  habt 
gesehen,  daß  ich  mit  euch  vom  Himmel  geredet  habe."*) 
Von  einer  spätem  Erscheinung  lesen  wir:  ,,Da  stiegen 
Mose  und  Aaron,  Nadab  und  Abihu  und  siebzig  von  den 
Ältesten  Israels  hinauf  und  sahen  den  Gott  Israels.  Unter 


')  1.  Mose  5:18 — 24;  siehe  auch  Judas  14. 

»)  Köstl.  Perle,  Moses  6,  7. 

")  2.  Mose  3:6. 

♦)  2.  Mose  20:18—22. 


Art.  1.]  Gott  und  die  Gottheit.  43 

seinen  Füßen  war  es  wie  ein  schöner  Saphir  und  wie  die 
Gestalt  des  Himmels,  wenn  es  klar  ist."^) 

14.  Während  der  Zeit  Josuas  und  der  Richter,  bis 
zu  den  Königen  und  Propheten,  verkündigte  der  Herr 
seine  Gegenwart  und  seine  Macht,  Jesaja  sah  den  Herrn 
auf  seinem  Thron  in  der  Mitte  einer  herrlichen  Schar  und 
sprach:  „Weh  mir,  ich  vergehe  1  denn  ich  bin  unreiner 
Lippen  und  wohne  unter  einem  Volk  von  unreinen  Lippen ; 
denn  ich  habe  den  König,  den  Herrn  Zebaoth,  gesehen 
mit  meinen  Augen. "2) 

15.  In  einer  spätem  Zeit,  als  Christus  aus  dem  Wasser 
der  Taufe  hervorkam,  wurde  die  Stimme  des  Vaters  ge- 
hört, wie  sie  erklärte:  ,,Dies  ist  mein  lieber  Sohn,  an  dem 
ich  Wohlgefallen  habe. "3)  Und  bei  der  Verklärung  unseres 
Herrn  wiederholte  dieselbe  Stimme  diese  feierliche  und 
herrliche  Anerkennung .4)  Als  Stephanus  unter  den  Händen 
seiner  unmenschlichen  und  fanatischen  Landsleute  den 
Märtyrertod  erlitt,  wurden  die  Himmel  aufgetan,  und  er 
sah  „die  Herrlichkeit  Gottes  und  Jesum  stehen  zur  Rech- 
ten Gottes."^) 

16.  Das  Buch  Mormon  ist  voll  von  Fällen  des  Ver- 
kehres zwischen  Gott  und  seinem  Volke,  meistenteils  ge- 
schah es  durch  Gesichte  und  durch  das  Dienen  der  Engel, 
aber  auch  durch  unmittelbare  Offenbarung  seiner  götthchen 
Gegenwart.  Wir  lesen  von  einer  Kolonie,  die  unter  der 
Leitung  eines  in  dem  Bericht  als  Jareds  Bruder  bekannten 
Mannes  den  Turm  zu  Babel  verließ  und  nach  der  west- 
lichen Halbkugel  wanderte.  Bei  der  Vorbereitung  der 
Reise  über  das  große  Wasser,  bat  der  Führer  den  Herrn, 


>)  2.  Mose  24:9—10. 

»)  Jesaja  6:1 — 5. 

»)  Matthäus3:16,  17;  Markus  1:11. 

*)  Matthäus  17:1— 5;  Lukas  9:35. 

*)  Apostelgesch.  7:54— 60. 


44  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  II. 

gewisse  Steine  mit  seinem  Finger  anzurühren,  daß  sie  leuch- 
tend würden,  so  daß  die  Reisenden  Licht  in  ihren  Schiffen 
hätten.  Der  Herr  erhörte  diese  Bitte,  streckte  seine  Hand 
aus  und  rührte  die  Steine  an,  wobei  sein  Finger  sichtbar 
wurde;  der  Mann  war  erstaunt  zu  sehen,  daß  der  Finger 
einem  menschlichen  Finger  ähnlich  war.  Der  Herr,  der 
an  dem  Glauben  dieses  Menschen  Wohlgefallen  hatte, 
zeigte  sich  dem  Bruder  Jareds  und  führte  ihm  vor  Augen, 
daß  der  Mensch  wirklich  in  dem  Ebenbilde  des  Schöpfers 
geformt  ist.^)  Nach  seiner  Auferstehung  und  Himmelfahrt 
offenbarte  sich  Christus  den  auf  der  westlichen  Halb- 
kugel wohnenden  Nephiten.  Diesen  Schafen  der  west- 
lichen Herde  zeugte  er  von  seinem  Auftrag,  den  er  von 
seinem  Vater  erhalten  hatte,  zeigte  die  Wunden  in  seinen 
Händen  und  Füßen  und  in  seiner  Seite  und  diente  der 
gläubigen  Volksmenge  auf  mancherlei  Art  und  Weise.^) 

17.  In  der  gegenwärtigen  Dispensation  hat  sich  Gott 
geoffenbart  und  offenbart  sich  seinem  Volke  noch.  Wir 
haben  schon  erwähnt  wie  Joseph  Smith,  während  er  noch 
ein  Jüngling  war,  durch  seinen  Glauben  und  seine  auf- 
richtige Absicht  eine  Offenbarung  der  Gegenwart  Gottes 
erhalten  und  das  Vorrecht,  sowohl  den  Vater  als  auch 
seinen  Sohn  Christum  zu  schauen,  genossen  hat. 3)  Sein 
Zeugnis  über  das  Dasein  Gottes  ist  weder  von  der  Über- 
lieferung noch  von  erklügelter  Schlußfolgerung  abhängig. 
Er  erklärt  der  Welt,  er  wisse,  daß  Gott  und  Christus  leben, 
denn  er  habe  ihre  Gestalt  gesehen  und  ihre  Stimmen 
gehört.  Außer  dieser  Offenbarung  erklären  Joseph  Smith 
und  sein  Mitarbeiter  Sidney  Rigdon,  daß  sie  am  16. 
Februar  1832  den  Sohn  Gottes  gesehen  und  in  himmli- 
schem Gesichte  mit  ihm  gesprochen  haben.    In  der  Be- 


')  Buch  Mormon,  Ether  3. 

')  Buch  Mormon,  3.  Nephi  11 — 28. 

»)  Siehe  Seite  9—11. 


Art.  1.]  Gott  und  die  Gottheit.  45 

Schreibung  dieser  Offenbarung  wird  gesagt:  „Als  wir 
über  diese  Dinge  nachdachten,  berührte  der  Herr  die 
Augen  unsrer  Verständnisse,  sie  wurden  geöffnet  und  die 
Klarheit  des  Herrn  schien  um  uns.  Wir  schauten  die  Herr- 
lichkeit des  Sohnes  zur  rechten  Hand  des  Vaters,  und  uns 
wurde  von  seiner  Fülle  zuteil;  und  wir  sahen  die  heiligen 
Engel  und  die,  welche  vor  seinem  Thron  verklärt  waren 
und  Gott  und  das  Lamm  anbeten,  die  so  ihn  von  Ewigkeit 
zu  Ewigkeit  verehren.  Und  nun,  nach  den  vielen  Zeug- 
nissen, die  von  ihm  gegeben  worden  sind :  dies  ist  das  letzte 
Zeugnis,  welches  wir  von  ihm  geben,  nämlich  —  daß  er 
lebt;  denn  wir  sahen  ihn."^) 

18.  Noch  einmal,  und  zwar  am  3.  April  1836  im 
Tempel  zu  Kirtland  (Ohio),  offenbarte  sich  der  Herr 
Joseph  Smith  und  Oliver  Cowdery,  die  über  diese  Bege- 
benheit berichten:  „Wir  sahen  den  Herrn  auf  der  Brust- 
wehr der  Kanzel  vor  uns  stehen,  und  unter  seinen  Füßen 
war  ein  Pflaster  von  lauterm  Golde,  in  der  Farbe  wie  Bern- 
stein. Seine  Augen  waren  wie  eine  Feuerflamme,  die  Haare 
seines  Hauptes  waren  weiß  wie  reiner  Schnee,  sein  Antlitz 
überleuchtete  den  Glanz  der  Sonne,  und  seine  Stimme  war 
wie  großes  Wasserrauschen,  ja  die  Stimme  Jehovahs, 
welche  sprach:  Ich  bin  der  Erste  und  der  Letzte;  ich  bin 
der,  der  lebt,  der,  der  erschlagen  wurde ;  ich  bin  euer  Für- 
sprecher bei  dem  Vater."^) 

19.  Dieses  sind  ein  paar  Zeugnisse,  die  die  Tatsache 
der  unmittelbaren  Offenbarung  von  Gott  zu  den  Menschen 
in  alten  und  neuen  Zeiten  bestätigen.  Das  Vorrecht,  mit 
unserem  Schöpfer  in  Verbindung  zu  stehen,  ist  nicht  auf 
einen  einzelnen  Menschen  beschränkt.  Wahrer  Glaube, 
aufrichtige  Absicht,  und  Reinheit  der  Seele  werden  jedem. 


')  Lehre  u.  Bündn.  76:11- 
»)  L.  u.  B.  110:1—4, 


46  Die   Glaubensartikel.  [Vorl.   II. 

der  die  Gabe  sucht,  die  Segnung  der  Gnade  Gottes  und 
das  Licht  seiner  Gegenwart  gewährleisten. 

20.  Die  Gottheit:  die  Dreiheit.  —  Drei  Personen,  die 
den  vorstehenden  Rat  des  Weltalls  bilden,  haben  sich  den 
Menschen  geoffenbart:  1.  Gott  der  ewige  Vater;  2.  sein 
Sohn  Jesus  Christus;  und  3.  der  Heihge  Geist.  Daß  dieses 
drei  körperlich  von  einander  getrennte  und  verschiedene 
Wesen  sind,  wird  durch  die  anerkannten  Berichte  des  gött- 
lichen Umganges  mit  den  Menschen  klar  bewiesen.  Bei 
der  schon  erwähnten  Taufe  des  Erlösers  erkannte  Jo- 
hannes das  Zeichen  des  Heiligen  Geistes;  vor  sich  sah 
er  Christus  im  Fleisch,  an  dem  er  soeben  die  heilige  Ver- 
ordnung vollzogen  hatte;  und  er  hörte  die  Stimme  des 
Vaters. 1)  Die  drei  Personen  der  Gottheit  waren  anwesend, 
und  jede  tat  sich  auf  eine  von  den  andern  unterschiedene 
Weise  kund.  Der  Heiland  verhieß  seinen  Jüngern,  daß 
der  Tröster,^)  welcher  der  Heilige  Geist  ist,  ihnen  von 
seinem  Vater  gesandt  werden  solle.  Hier  werden  wieder 
die  drei  Mitglieder  der  Gottheit  als  unter  sich  verschiedene 
erwähnt.  Bei  seinem  Märtyrertum  wurde  Stephanus  mit  der 
Kraft  eines  himmlischen  Gesichtes  gesegnet  und  ersah  Jesus 
zur  Rechten  Gottes  stehen. 3)  Als  Joseph  Smith  in  inbrün- 
stigem Gebet  den  Herrn  um  Weisheit  anflehte  und  ihn 
um  Leitung  und  Führung  in  seiner  religiösen  Bedrängnis 
bat,  sah  er  den  Vater  und  den  Sohn  von  einem  Licht  um- 
geben, das  den  Glanz  der  Sonne  überstrahlte.  Einer  von 
diesen  erklärte  von  dem  andern,  „Dieser  ist  mein  lieber 
Sohn,  höre  ihn,"*)  Jedes  Mitglied  der  Dreiheit  wird  Gott 
genannt;^)  zusammen  bilden  sie  die  Gottheit. 


')  Matthäus  3:16—17;  Markus  1:9—11;  Lukas  3:21—22. 
»)  Johannes  14:26;  15:26. 
')  Apostelgesch.  7:55,  56. 
*)  Siehe  Seite  10,  11. 

')  1.  Korinther  8:6;  Johannesl:l — 14;  Matthäus  4:10;  1.  Timotheus 
3:16;   1.  Johannes  5:7;  Mosiah  15:1 — 2. 


Art.  1.]  Gott  und  die   Gottheit.  47 

21.  Einheit  der  Gottheit.  — i)  Die  Gottheit  ist  in  den 
Eigenschaften,  Kräften  und  Absichten  ihrer  Mitglieder 
ein  Vorbild  der  Einheit  und  Einigkeit.  Während  Jesus 
auf  Erden  war,^)  und  auch  als  er  sich  seinen  nephitischen 
Dienern  offenbarte,^)  hat  er  von  der  Einigkeit  zwischen 
ihm  und  seinem  Vater,  und  wiederum  zwischen  ihnen  und 
dem  Heiligen  Geist,  wiederholt  Zeugnis  gegeben.  Dieses 
wird  von  einigen  ausgelegt,  als  bedeute  es,  daß  der  Vater, 
der  Sohn  und  der  Heilige  Geist  in  Wesen  und  Person  ein 
und  derselbe  sei,  und  daß  die  Namen  in  Wirklichkeit 
immer  dieselbe  Persönlichkeit,  nur  in  verschiedenen  Er- 
scheinungen, vorstellen.  Um  das  Irrtümliche  dieser  An- 
sicht zu  beweisen,  mag  vielleicht  ein  einziges  Beispiel 
genügen:  Kurz  bevor  Christus  verraten  wurde,  betete  er 
für  seine  Jünger,  die  Zwölfe  und  andere  Gläubige,  daß  sie 
in  Einigkeit  erhalten  werden  möchten,*)  „daß  sie  eins 
seien"  wie  der  Vater  und  der  Sohn  eins  sind.  Es  ist  ver- 
nunftwidrig zu  glauben,  daß  Christus  wünschte,  seine 
Anhänger  möchten  ihre  Persönlichkeit  verlieren  und  eine 
Person  werden,  selbst  wenn  eine  solche  den  Gesetzen  der 
Natur  stracks  zuwiderlaufende  Veränderung  überhaupt 
möglich  gewesen  wäre.  Christus  wünschte,  daß  alle  im 
Herzen  und  im  Geist  und  in  Absicht  eins  sein  sollten ;  denn 
solcher  Art  ist  die  Einheit  zwischen  ihm  und  seinem  Vater, 
und  auch  zwischen  ihnen  und  dem  Heiligen  Geist. 

22.  Diese  Einheit  ist  ein  Vorbild  der  Vollkommenheit. 
Der  Sinn  irgend  eines  Mitglieds  der  Dreiheit  ist  der  Sinn 
der  anderen.  Da  alle  drei  mit  dem  Geiste  der  Reinheit 
und  Vollkommenheit  begreifen,  sind  sie  in  ihrer  Fähigkeit 
zu  begreifen  und  zu  verstehen  gleich.  Und  da  sie  von  den 


*)  Siehe  Anmerkung  11. 

«)  Johannes  10:30,  38;  17:11—22. 

')  3.  Nephi  11:27,  36:  28:10;  siehe  auch  Alma  11:44. 

')  Johannes  17:11— 21. 


48  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.   IL 

gleichen  Grundsätzen  unfehlbarer  Gerechtigkeit  und 
Unparteilichkeit  geleitet  werden,  würden  alle  unter  den- 
selben Bedingungen  und  Umständen  in  gleicher  Weise 
handeln.  Die  Einheit  der  Gottheit,  von  der  die  Schrift 
so  reichlich  zeugt,  deutet  weder  eine  rätselhafte  Vereini- 
gung der  Substanz  noch  eine  unnatürliche  und  deshalb 
unmögliche  Vermischung  der  Personen  an.  Vater,  Sohn 
und  Heiliger  Geist  sind  in  Person  und  Gestalt  eben  so  ge- 
trennt als  irgend  drei  Personen  im  Fleisch.  Aber  ihre 
Einheit  in  Absicht  und  Wirken  ist  derart,  daß  ihre  Ver- 
ordnungen eins  sind  und  ihr  Wille,  der  Wille  Gottes  ist. 
Einen  zu  sehen  —  heißt  alle  sehen.  Darum  sagte  Christus, 
als  Philippus  ihn  dringend  bat,  ihnen  den  Vater  zu  zeigen : 
„So  lange  bin  ich  bei  euch,  und  du  kennst  mich  nicht, 
Philippus?  Wer  mich  sieht,  der  sieht  den  Vater;  wie 
sprichst  du  denn:  Zeige  uns  den  Vater?  Glaubet  mir,  daß 
ich  im  Vater  und  der  Vater  in  mir  ist;  wo  nicht,  so  glaubet 
mir  doch  um  der  Werke  willen. "i) 

23.  Die  Persönlichkeit  eines  jeden  Mitglieds  der  Gott- 
heit. —  Aus  den  schon  gegebenen  Beweisen  geht  klar  her- 
vor, daß  der  Vater  ein  persönliches  Wesen  mit  einer  be- 
stimmten Gestalt,  mit  Körperteilen  und  geistigen  Leiden- 
schaften ist.  Jesus  Christus,  der,  ehe  er  ins  Fleisch  kam, 
im  Geiste  bei  dem  Vater^)  war,  und  durch  den  die  Welten 
erschaffen  wurden,^)  lebte  als  Mensch  unter  den  Menschen 
und  hatte  alle  körperlichen  Eigenschaften  eines  Menschen. 
Nach  seiner  Auferstehung  erschien  er  in  derselben  Gestalt,*) 
in  dieser  Gestalt  fuhr  er  gen  Himmel;^)  und  in  dieser 
Gestalt  hat  er  sich  auch  den  Nephiten  und  neuzeitlichen 


0  Johannes  14:9,  11. 
«)  Johannes  17:5. 

»)  Johannes  1:3;  Hebräer  1:2;  Epheser  3:9;  Kolosser  1:16. 
♦)  Johannes   20:14,  15,  19,  20,  26,  27;    21:1—14;    Matthäus   28:9; 
Lukas  24:  15—31,  36 — 44. 

')  Apostelgesch.  1 : 9 — 11. 


Art.   1|  Gott  und  die   Gottheit.  49 

Propheten  geoffenbart.  Uns  wird  versichert,  daß  Christus 
im  ausdrücklichen  Ebenbilde  seines  Vaters  ist,i)  nach  wel- 
chem Ebenbild  auch  der  Mensch  erschaffen  worden  ist. 2) 
Daher  wissen  wir,  daß  sowohl  der  Vater  als  auch  der  Sohn 
in  Gestalt  und  Körperform  ein  vollkommener  Mensch  ist. 
Beide  besitzen  einen  fühlbaren  Körper  von  unendlicher 
Reinheit  und  Vollkommenheit  und  umgeben  von  erha- 
bener Herrlichkeit;  aber  doch  bestehen  ihre  Körper  aus 
Fleisch  und  Bein, 3) 

24.  Der  Heilige  Geist,  auch  der  Geist,  der  Geist  des 
Herrn,^)  der  Geist  Gottes,^)  der  Tröster®)  und  der  Geist 
der  Wahrheit')  genannt,  hat  nicht  einen  Körper  von 
Fleisch  und  Bein,  sondern  ist  nur  eine  Person  aus  Geist. ^) 
Aber  doch  wissen  wir,  daß  sich  der  Geist  in  Menschengestalt 
geoffenbart  hat.^)  In  ihrem  Umgang  mit  der  Menschheit 
wirken  der  Vater  und  der  Sohn  vermittels  des  Dienens  des 
Geistes,^")  durch  seine  Vermittlung  wird  Erkenntnis  mit- 
geteilt,^!)  und  durch  ihn  werden  die  großen  Werke  der 
Schöpfung  fortgeführt.  12)  j)er  Heilige  Geist,  der  Zeuge 
des  Vaters  und  des  Sohnes, 1=^)  erklärt  den  Menschen  ihre 
Eigenschaften  und  zeugt  von  den  anderen  Persönlich- 
keiten der  Gottheit. 1*) 


0  Hebräer  1:3;  Kolosser  1 :15;  2.  Korinther  4:4. 
')  1.  Mose  1:26—27;   Jakobus  3:8—9. 
')  Lehre  u.  Bündn.  30:22. 

*)  1.  Nephi  4:6;  11:8;  Mosiah  13:5;  Apostelgesch.  2:4;  8:29;  10:19; 
Römer  8:10,  26;  1.  Thessalonicher  5:19. 

')  Matthäus  3:16;  12:28;  1.  Nephi  13:12. 
")  Johannes  14:16. 
')  Johannes  15:26;  16:13. 

')  Lehre  u.  Bündn.  130 :  22 ;  auch  die  f ünfteVorlesung  über  Glauben :  2,3. 
»)  1.  Nephi  11:11. 

")  Nehemia  19:30;   Jesaja  42:1;   Apostelgesch.   10:19;   Alma  12:3; 
Lehre  u.  Bündn.  105:36;  97:1. 

")  Johannes  16:13;  1.  Nephi  10:19;  Lehre  u.  Bündn.  35:13;  50:10. 
'^)  1.  Mose  1:2;  Hiob  26:13;  Psalm  104:30;  Lehre  u.  Bündn.  29:31. 
")   Johannes  15:26;  Apostelgesch.   5:32;   20:23;   1.  Korinther  2:11; 
12:3;   3.     Nephi  11:32. 

")  Zu  einer  weiteren  Erklärung  des  Heiligen  Geistes,  seiner  Persön- 
lichkeit und  Eigenschaften,  siehe  Vorlesung  VIH.  3 


50  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  II. 

25.  Einige  der  göttlichen  Eigenschaften.  —  Gott  ist 
allgegenwärtig:  Es  gibt  keinen  Teil  des  Weltalls,  sei  er 
auch  noch  so  entfernt,  in  den  er  nicht  hinein  dringen  kann. 
Durch  die  Macht  des  Heiligen  Geistes  ist  die  Gottheit 
zu  allen  Zeiten  in  unmittelbarer  Verbindung  mit  allen 
Dingen.  Daher  heißt  es,  daß  Gott  zur  gleichen  Zeit  aller- 
orten gegenwärtig  ist.  Es  ist  aber  unvernünftig,  zu  glauben, 
daß  die  wirkliche  Person  irgendeines  Mitglieds  der  Gott- 
heit an  mehr  als  einem  Ort  zu  einer  Zeit  sein  könnte.  Got- 
tes Sinne  sind  von  unendlicher  Macht,  sein  Verstand  von 
unbegrenzter  Fähigkeit,  sein  Auge  kann  allen  Raum  er- 
forschen, und  sein  Ohr  vernimmt  jeden  Laut;  die  Macht, 
sich  von  einem  Ort  zum  andern  zu  begeben,  ist  ihm  un- 
begrenzt, aber  immerhin  ist  es  klar,  daß  seine  Person 
zu  einer  Zeit  an  nicht  mehr  als  einem  Ort  sein  kann.  Die 
Persönlichkeit  Gottes  anerkennend,  ist  man  gezwungen 
die  Tatsache  seiner  Körperlichkeit  anzunehmen.  In  Wahr- 
heit kann  ein  „unkörperhches  Wesen",  mit  welchem  sinn- 
losen Ausdruck  einige  versucht  haben,  die  Beschaffenheit 
Gottes  zu  bezeichnen,  nicht  bestehen,  denn  selbst  der 
Ausdruck  ist  ein  Widerspruch  der  Worte.  Wenn  Gott 
eine  Gestalt  besitzt,  muß  diese  Gestalt  notwendigerweise 
von  bestimmtem  Maß,  und  folglich  von  begrenzter  Aus- 
dehnung im  Räume  sein.  Es  ist  Gott  dann  unmöglich, 
mehr  als  den  einen  Raum  von  solchen  Grenzen  zu  einer 
Zeit  einzunehmen ;  und  man  braucht  sich  gar  nicht  darüber 
zu  wundern,  wenn  man  aus  der  Schrift  lernt,  daß  Gott 
sich  von  Ort  zu  Ort  bewegt.  Wir  lesen  in  Verbindung  mit 
dem  Bericht  über  den  Turmbau  zu  Babel:  „Da  fuhr  der 
Herr  hernieder,  daß  er  sähe  die  Stadt  und  den  Turm,  die 
die  Menschenkinder  bauten. "i)  Und  wiederum,  Gott  er- 
schien Abraham   und   erklärte,   er  sei   „der  allmächtige 


')  1.  Mose  11; 


Art.  1.]  Gott  und  die  Gottheit.  51 

Gott".  Er  sprach  mit  dem  Patriarchen  und  machte 
einen  Bund  mit  ihm.  Dann  lesen  wir:  „Und  er  hörte  auf, 
mit  ihm  zu  reden.    Und  Gott  fuhr  auf  von  Abraham. "i) 

26.  Gott  ist  allwissend.  —  Durch  ihn  ist  der  Urstoff 
gestaltet  und  geordnet  und  der  Lebenskraft  die  Richtung 
gegeben  worden.  Er  ist  daher  der  Schöpfer  aller  erschaffe- 
nen Dinge,  und  „Gott  sind  alle  seine  Werke  bewußt  von 
der  Welt  her, "2)  Da  sie  unbegrenzt  sind,  sind  seine  Macht 
und  Weisheit  dem  Menschen  unbegreiflich.  Da  er  selbst 
ewig  und  vollkommen  ist,  kann  seine  Erkenntnis  nicht 
anders  als  unbegrenzt  sein.  Um  sich  selbst  —  ein  endloses 
Wesen  —  zu  begreifen,  muß  er  einen  unendlichen  Verstand 
haben.  Durch  die  Vermittlung  seiner  Engel  und  helfenden 
Diener  ist  er  in  fortwährender  Verbindung  mit  allen  Teilen 
des  Weltalls  und  kann  sie  persönlich  besuchen,  wann  es 
ihm  beliebt. 

27.  Gott  ist  allmächtig.  —  Er  wird  mit  Recht  der 
Allmächtige  genannt.  In  den  Kräften,  die  die  Elemente 
der  Erde  beherrschen,  die  die  Himmelskörper  in  ihren 
Bahnen  führen,  ja  auf  allen  Seiten  kann  man  die  Beweise 
der  göttlichen  Allmacht  wahrnehmen.  Alle  diese  wirken 
zusammen  für  das  gemeine  Wohl.  Es  kann  keine  Grenzen 
der  Macht  Gottes  geben.  Was  immer  seine  Weisheit  für 
angebracht  hält,  kann  und  wird  er  tun.  Die  Mittel,  wo- 
durch er  wirkt,  mögen  an  und  für  sich  nicht  von  unend- 
licher Fähigkeit  sein,  aber  sie  werden  von  einer  unendlichen 
Macht  geleitet.  Die  Macht,  alles  zu  vollbringen  was  er 
tun  will,  ist  der  richtige  Begriff  von  seiner  Allmacht. 

28.  Gott  ist  gütig,  wohlwollend  und  liebreich,  zärtlich, 
bedächtig  und  langmütig ;  er  hat  Geduld  mit  den  Schwach- 
heiten  seiner   widerspenstigen    Kinder.     Er   ist  gerecht, 


')  1.  Mose  17:1,  22. 

')  Apostelgesch.    15:18;    siehe   auch    Köstl.    Perle,    Moses   1:6,    35; 
1.  Nephi  9:6. 


52  Die   Glaubensartikel.  [Vorl.   II 

doch  im  Gericht  barmherzig^)  und  erzeigt  allen  die  gleiche 
Gnade.  Und  doch  vereinigt  er  mit  diesen  sanfteren  Eigen- 
schaften eine  Standhaftigkeit  im  Bestrafen  des  Un- 
rechts, die  beinahe  ein  Grimm  ist. 2)  Er  ist  eifrig^)  für  seine 
eigene  Macht  und  für  die  Verehrung,  die  ihm  seine  Kinder 
darbringen,  oder  in  anderen  Worten,  er  ist  eifrig  für  die 
Prinzipien  der  Wahrheit  und  Reinheit,  für  die  man  nir- 
gendwo höhere  Beispiele  findet  als  in  seinen  persönlichen 
Eigenschaften.  Dieses  Wesen  ist  der  Schöpfer  unsres 
Daseins,  und  wir  dürfen  uns  ihm  als  unserm  Vater  nahen. 
In  dem  Maße  wie  wir  von  ihm  mehr  erfahren,  wird  unser 
Glaube  an  ihn  wachsen. 

29.  Abgötterei   und    Gottesleugnung    (Atheismus).   — 

Bei  den  zahlreichen  Beweisen  des  Daseins  Gottes,  ein 
Dasein,  an  das  die  Menschheit  so  allgemein  glaubt,  scheint 
der  Gottesleugner  wenig  Grund  zu  haben,  worauf  er  seinen 
Unglauben  vernünftig  gründen  und  aufrecht  erhalten 
könnte;  und  in  Anbetracht  der  vielen  Beweise  des  lieb- 
reichen Wesens,  der  Eigenschaften  und  Gesinnung  Gottes, 
sollte  wenig  Neigung  bestehen,  sich  an  falsche  und  unwür- 
dige Gegenstände  der-  Verehrung  zu  wenden.  Dennoch 
zeigt  die  Geschichte  der  Menschen,  daß  dem  Theismus, 
welcher  die  Lehre  von  dem  Glauben  an  und  der  Aner- 
kennung von  Gott  als  dem  rechtmäßigen  Regierer  ist, 
durch  viele  verschiedene  Arten  von  Gottesleugnung  ent- 
gegentreten wird;*)  und  auch,  daß  der  Mensch  geneigt 
ist,  seinem  Ruhm,  ein  vernünftiges  Geschöpf  zu  sein, 
zu  widersprechen  und  seine  Anbetung  vor  Götzenal- 
tären zu   verrichten.    Die   Gottesleugnung   ist  jedenfalls 


')  S.Mose    4:31;    2.  Chronik    30:9;    2.   Mose    34:6;    Nehemia  9:17, 
31;    Psalm  116:5;  103:8;  76:15:  Jeremia  32:18;  2.  Mose  20:6. 
')  2.  Mose  20:5;  5.  Mose  7:21,  10:17;  Psalm  7:11. 
»)  2.  Mose  20:5:  24:14;  5.  Mose  4:24;  6:14,  15;  Josua  24:19,  20. 
')  1.  Siehe  Anmerkung  6. 


Art.  1.]  Gott  und  die  Gottheit.  53 

eine  Entwicklung  späterer  Zeiten,  während  die  Abgötterei 
sich  als  eine  der  ersten  Sünden  der  Menschheit  zeigte. 
Sogar  schon  zur  Zeit  des  Auszugs  Israels  aus  Ägypten- 
land hatte  es  der  Herr  für  notwendig  gehalten,  durch 
Gesetz  zu  gebieten,  ,,Du  sollst  keine  andern  Götter  neben 
mir  haben. "1)  Doch  während  er  diese  Worte  auf  die  stei- 
nernen Tafeln  schrieb,  verbeugte  sich  sein  Volk  vor  dem 
goldenen  Kalb,  welches  es  nach  dem  Vorbild  des  ägypti- 
schen Abgotts  geformt  hatte. 

30.  Es  ist  schon  erklärt  worden,  daß  der  Mensch 
einen  Naturtrieb  zur  Verehrung  besitzt,  und  daß  er  einen 
Gegenstand  für  seine  Anbetung  fordert  und  finden  wird. 
Als  der  Mensch  in  die  Finsternis  fortwährender  Übertre- 
tung fiel  und  den  Schöpfer  seines  Daseins,  seiner  Väter 
Gott,  vergaß,  suchte  er  nach  andern  Göttern,  Einige 
sahen  die  Sonne  als  das  Urbild  des  Allerhöchsten  an,  und 
vor  diesem  Himmelskörper  warfen  sie  sich  im  Anflehen 
nieder.  Andere  wählten  irdische  Erscheinungen  für  ihre 
Anbetung;  sie  bewunderten  das  Geheimnis  des  Feuers, 
und  als  sie  seine  wohltätigen  Wirkungen  erkannten, 
verehrten  sie  die  Flamme.  Einige  sahen  oder  dachten,  sie 
hätten  im  Wasser  das  Sinnbild  des  Reinen  und  Guten  und 
verrichteten  ihre  Andachten  an  fließenden  Strömen, 
Andere,  denen  die  Erhabenheit  der  emporragenden  Berge 
Ehrfurcht  eingeflößt  hatte,  begaben  sich  nach  diesen  Tem- 
peln der  Natur,  und  anstatt  den  zu  verehren,  zu  dessen 
Ehre  und  durch  dessen  Macht  dieser  Altar  aufgebaut 
wurde,  beteten  sie  den  Altar  an.  Eine  andere  Klasse,  die 
von  Ehrfurcht  für  das  Sinnbildliche  noch  mehr  durchdrun- 
gen war,  begehrte  künstliche  Gegenstände  der  Anbetung 
für  sich  selbst  zu  erschaffen.  Sie  machten  Götzenbilder 
und  beteten  sie  an;  sie  schnitzten  seltsame  Figuren  aus 


')  2,  Mose  20:3. 


54  Die  Glaubensartikel.  (Vorl.  II. 

Baumstämmen  und  meißelten  sonderbare  Gestalten  aus 
Stein,  und  vor  diesen  verbeugten  sie  sich.^) 

,,Ist  Gott  den  Völkern  unbekannt, 
so  stellen  sie  sich  Götzen  auf." 

31.  Die  Gebräuche  der  Abgötterei  wurden  mit  der 
Zeit  in  einigen  ihrer  Erscheinungen  mit  Riten  der  schauder- 
haftesten Grausamkeit  verbunden,  wie  die  Sitte,  Kinder 
dem  Moloch  oder  unter  den  Hindus,  dem  Ganges  zu  opfern, 
und  wie  das  allgemeine  Gemetzel  der  Menschen  unter 
druidischer  Tyrannei.  Die  Abgötter,  die  sich  die  Mensch- 
heit aufgestellt  hat,  sind  unbarmherzig,  gefühllos  und 
grausam. 2) 

32.  Wie  schon  erwähnt,  ist  Atheismus  die  Ver- 
leugnung des  Daseins  Gottes,  in  milderer  Gestalt  viel- 
leicht auch  nur  die  Nichtachtung  der  Gottheit.  Aber 
auch  der  vorgebliche  Atheist  oder  Gottesleugner  ist,  wie 
seine  gläubigen  Mitmenschen,  der  allgemeinen  mensch- 
lichen Neigung  zur  Verehrung  unterworfen.  Und  obwohl 
er  sich  weigert,  den  wahren  und  lebendigen  Gott  anzuer- 
kennen, vergöttert  er,  bewußt  oder  unbewußt,  irgendein 
Gesetz,  einen  Gedanken,  eine  Leidenschaft  der  mensch- 
lichen Seele,  oder  vielleicht  irgendein  körperliches  Ge- 
schöpf, und  zu  diesem  wendet  er  sich,  um  in  der  Betrach- 
tung des  unwürdigen  Gegenstandes  einen  Anschein  des 
Trostes  zu  suchen,  den  der  Gläubige  im  reichlichen  Über- 
fluß vor  dem  Throne  seines  Vaters  und  Gottes  findet. 
Ich  bezweifle  sehr  das  Vorhandensein  eines  Mannes,  der 
durch  und  durch  Atheist  ist,  der  aufrichtig  mit  fester 
Überzeugung  das  Dasein  einer  allweisen  allerhöchsten 
Macht  in  seinem  Herzen  leugnet.  Der  Begriff  eines  Gottes 
ist  ein  wesentliches  Merkmal  der  menschlichen  Seele.  Der 


*)  Siehe  Anmerkung  7. 
')  Siehe  Anmerkung  8. 


Art.  1.]  Gott  und  die  Gottheit.  55 

Philosoph  anerkennt  die  Notwendigkeit  eines  solchen 
Grundbegriffes  in  seinen  Erklärungen  des  Seins.  Er  mag 
sich  von  einer  öffentlichen  Anerkennung  eines  persönlichen 
Gottes  zurückhalten,  doch  nimmt  er  das  Dasein  einer 
„regierenden  Macht",  eines  „großen  Unbekannten",  des 
„Unerkennbaren",  des  ,,Unbegrenzbaren",  des  „Unbe- 
wußten" an.  0  Mensch  des  Wissens,  obwohl  nicht  der  Weis- 
heit! Warum  verweigerst  du  die  Vorrechte,  die  das  all- 
mächtige und  allwissende  Wesen,  dem  du  dein  Leben 
verdankest,  und  dessen  Namen  du  dennoch  nicht  aner- 
kennen willst,  dir  anbietet?  Kein  Sterblicher,  der  dessen 
Vollkommenheiten  und  Macht  betrachtet,  kann  sich  ihm, 
ausgenommen  in  heiliger  Scheu  und  unaussprechlicher 
Ehrfurcht,  nahen.  Wenn  wir  ihn  nur  als  Schöpfer  und 
Gott  betrachten,  werden  wir  von  diesem  Gedanken  zur 
Demut  vor  ihm  geleitet.  Aber  er  hat  uns  das  Vorrecht  ge- 
geben, sich  ihm  als  seine  Kinder  zu  nahen,  und  ihn  mit 
dem  teuren  Namen  ,, Vater",  anzurufen!  Und  selbst  der 
Gottesleugner  fühlt  in  den  ernstern  Augenblicken  seines 
Lebens  in  eben  so  natürlicher  Weise  als  sich  seine  Liebe 
dem  Vater,  der  ihm  sterbliches  Leben  gab,  zuwendet, 
ein  Sehnen  nach  dem  geistigen  Vater.  Der  Atheismus 
von  heute  ist  bei  alledem  nur  eine  Art  Abgötterei. 

33.  Sektiererische  Begriffe  von  der  Gottheit.  —  Nach- 
dem die  Apostel  mit  ihrem  Priestertum  von  der  Erde  ver- 
trieben worden  waren,  Offenbarungen  aufgehört  hatten,  und 
die  mit  dem  Fehlen  der  göttlichen  Vollmacht  verbundene 
Finsternis  sich  auf  die  Erde  herniedergesenkt  hatte, 
wich  die  übereinstimmende,  einfache  und  glaubwürdige 
Lehre  von  dem  Wesen  und  den  Eigenschaften  Gottes,  wie 
sie  Christus  und  seine  Apostel  gelehrt  hatten.  Dafür  er- 
schienen zahlreiche  Meinungen  und  Lehrsätze  der  Menschen, 
von  denen  viele  in  ihrem  geheimnisvollen  Wesen  und  in- 
nerem Widerspruch  höchst  unbegreiflich  sind.    Im  Jahre 


56  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  IL 

325  berief  Kaiser  Konstantin  ein  Konzil  nach  Nizäa  ein, 
weil  er  eine  Erklärung  des  christlichen  Glaubens  für  nötig 
hielt,  die  als  maßgebend  betrachtet  werden,  und  die  auch 
dazu  dienen  könnte,  der  zunehmenden  allgemeinen  Un- 
einigkeit und  dem  Zwist  hinsichtlich  des  Wesens  der  Gott- 
heit und  anderer  theologischen  Fragen  Einhalt  zu  gebieten. 
Dieses  Konzil  verdammte  einige  der  damals  allgemeinen 
Theorien,  unter  anderm  auch  die  Theorie  von  Arius,  die 
eine  getrennte  Persönlichkeit  für  jedes  Mitglied  der  Drei- 
heit  behauptete;  es  verkündete  eine  Glaubenslehre,  die 
jetzt  als  das  nizäische  Glaubensbekenntnis  bekannt  ist. 
Die  Erklärung  dieser  Lehre,  die  mutmaßlich  von  Athana- 
sius  verkündet  wurde,  lautet  wie  folgt:  Wir  verehren  einen 
Gott  in  der  Dreieinigkeit  und  die  Dreifaltigkeit  in  der 
Einheit,  indem  wir  weder  die  Personen  vermischen  noch 
die  Wiesen  trennen.  Denn  es  gibt  eine  Person  des  Vaters, 
eine  andere  des  Sohnes  und  eine  andere  des  Heiligen  Geistes. 
Aber  die  Gottheit  des  Vaters,  des  Sohnes  und  des  Heiligen 
Geistes  ist  nur  eine,  die  Herrlichkeit  dieselbe,  die  Majestät 
gleich  ewig.  Wie  der  Vater  ist,  so  ist  der  Sohn  und  so  ist 
der  Heilige  Geist:  der  Vater  unerschaffen,  der  Sohn  un- 
erschaffen  und  der  Heilige  Geist  unerschaffen;  der  Vater 
unbegreiflich,  der  Sohn  unbegreiflich  und  der  Heilige 
Geist  unbegreiflich;  der  Vater  ewig,  der  Sohn  ewig  und  der 
Heilige  Geist  ewig.  Und  doch  sind  nicht  drei  Ewige,  son- 
dern ein  Ewiger,  wie  auch  nicht  drei  Unbegreifliche,  noch 
drei  Unerschaffene  sind,  sondern  ein  Unerschaffener  und 
ein  Unbegreiflicher.  Ebenso  ist  der  Vater  allmächtig,  der 
Sohn  allmächtig  und  der  Heilige  Geist  allmächtig;  und 
doch  sind  nicht  drei  Allmächtige,  sondern  nur  ein  All- 
mächtiger. Also  der  Vater  ist  Gott,  der  Sohn  ist  Gott, 
und  der  Heilige  Geist  ist  Gott;  und  doch  sind  nicht  drei 
Götter,  sondern  ein  Gott.  —  Es  würde  schwer  sein,  mehr 


Art.  1.]  Anmerkungen.  57 

Widersprüche  zu  ersinnen  und  in  so  wenig  Worten  auszu- 
drücken, als  wir  sie  hier  beisammen  finden. 

34.  Die  englische  Kirche  lehrt  die  gegenwärtig  ortho- 
doxe Gottesvorstellung  wie  folgt:  „Es  ist  nur  ein  lebendi- 
ger und  wahrer  Gott,  ewig,  ohne  Körper,  Teile  oder  Leiden- 
schaften; von  unendlicher  Macht,  Weisheit  und  Güte." 
Die  in  diesen  Erklärungen  des  sektiererischen  Glaubens  be- 
hauptete Unkörperlichkeit  Gottes  ist  ganz  in  Widerspruch 
mit  den  Schriften  und  wird,  wie  schon  durch  die  erwähnten 
Anführungen  gezeigt  worden  ist,  durch  die  Offenbarungen 
der  Person  und  der  Eigenschaften  Gottes  gründlich 
widerlegt. 

35.  Wir  behaupten,  daß  das  Leugnen  der  Körper- 
lichkeit der  Person  Gottes  auch  das  Leugnen  Gottes 
ist,  denn  ein  Ding  ohne  Teile  kann  kein  Ganzes  sein,  und 
eine  unkörperliche  Persönlichkeit  kann  kein  Dasein  haben.^) 
Die  Kirche  Jesu  Christi  der  Heiligen  der  letzten  Tage  wider- 
spricht der  Lehre  von  einem  unbegreiflichen  Gott  olme 
„Körper,  Teile  oder  Leidenschaften",  als  einem  Wesen,  das 
unmöglich  ein  Dasein  haben  kann,  und  behauptet  ihren 
Glauben  an  den  wahren  und  lebendigen  Gott  der  Schrift 
und  Offenbarung,  und  verkündigt  ihre  Treue  zu  ihm. 


Anmerkunneu. 

1.  Der  Glaube  an  einen  Gott  Ist  natürlich.  —  ,,Die  große  und  ur- 
sprüngliche Wahrheit,  daß  es  einen  Gott  gibt,  hat  unter  den  iMenschen  fast 
ohne  Ausnahme  und  in  allen  Zeitaltern  fortbestanden.  Die  Heilige  Schrift, 
die  auf  jedem  Blatt  von  Gott  berichtet,  und  die  auf  die  Empfindungen  der 
Menschheit  während  einer  Zeitspanne  von  ungefähr  viertausend  .Jahren 
hinweist,  nimmt  daher  diese  Wahrheit  als  anerkannt  an.  Sogar  in  den 
frühesten  Zeitaltern  der  Welt  findet  man  keinen  ausdrücklicheren  Beweis, 
daß  der  theoretische  oder  grübelnde  Gottesglaubcn  irgendwelche  Fürspre- 
cher hatte;  und  obwohl  es  in  einer  späteren  Zeit  heißt:  Die  Toren  sprechen 
in  ihrem  Herzen:  Es  ist  kein  Gott,  scheint  das  Gefühl  mehr  in  ihren  Herzen 
als  in  ihrem  Verstand  zu  bestehen,  und  hatte  dabei  solch  einen  schwachen 
Einfluß  auf  das  Denken  anderer  Menschen,  daß  die  Verfasser  der  Schrift 


')  Siehe  Anmerkung 


58  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.   IL 

es  nicht  für  notwendig  hielten,  den  Irrtum  weder  durch  formelle  Beweis- 
führung noch  durch  Berufung  auf  wunderbare  Wirkungen  zu  bekämpfen. 
Die  Vielgötterei,  nicht  die  Gottesleugnung,  war  die  allgemeine  Sünde,  und 
deshalb  war  es  nicht  so  sehr  das  Ziel  der  inspirierten  Männer,  das  Sein  des 
einen  Gottes  als  vielmehr  das  Nichtsein  anderer  Götter  zu  beweisen,  seine 
Autorität  aufrecht  zu  erhalten  und  seine  Gesetze  in  Kraft  zu  halten,  „zur 
Ausschließung   aller  anmaßenden   Nebenbuhler.***" 

„So  klar,  vollständig  und  unwiderleglich  sind  die  Beweise  des  Daseins 
Gottes,  daß  sie  in  allen  Zeitaltern  und  unter  allen  Völkern  allgemeinen 
Glauben  hervorgerufen  haben.  Die  einzigen  Ausnahmen  bilden  ein  paar 
wilde  Völkerstämme  einer  tiefgesunkenen  Rasse,  unter  denen  der  Begriff 
von  Gott  mit  jeder  Spur  der  Zivilisation  verschwunden  ist,  und  einige 
überspannte  vorgebliche  Pnilosophen,  die  behaupten,  alles,  was  andere 
glauben,  zu  bezweifeln  und  die  selbst  die  Wahrheit  ihrer  eigenen  Empfin- 
dungen in  Frage  stellen;  die  allgemeine  Zustimmung  zu  dem  Dasein  eines 
Gottes  könnte  als  Zeugnis  von  großem  Wert  dieser  Beweisführung  beige- 
geben werden."  —  Cassel's  Biblisches  Wörterbuch,  Artikel  „Gott". 

2.  nie  Wichtigkeit  des  Glaubens  an  Gott.  —  „Das  Dasein  eines  allerhöch- 
sten Wesens  ist  ohne  Zweifel  der  erhabenste  Gedanke,  der  je  in  den  mensch- 
lichen Sinn  kommen  kann,  und  selbst  als  wissenschaftliche  Frage  kann  er 
seinesgleichen  nicht  haben,  denn  er  nimmt  es  auf  sich,  die  Ursache  aller 
Ui  Sachen,  die  große  Urtatsache  in  der  Philosophie,  die  letzte  und  erhabenste 
Verallgemeinerung  der  wissenschaftlichen  Wahrheit  darzulegen.  Doch 
ist  dieses  noch  die  bescheidenste  Forderung,  die  er  unserem  Studium  dar- 
bieten kann,  denn  er  bildet  den  wahren  Grund  der  Moral,  der  Tugend  und 
der  Religion;  er  stützt  den  sozialen  Bau  und  halt  seine  Teile  zusammen; 
er  umfaßt  die  wichtige  Frage  der  Unsterblichkeit  des  Menschen  und  seiner 
Verantwortlichkeit  zu  der  allerhöchsten  Macht,  und  ist  mit  seinen  schönsten 
Hoffnungen  und  höchsten  Genüssen  unzertrennlich  verbunden.  Er  ist 
nicht  allein  eine  als  Grundlage  dienende  Wahrheit,  sondern  er  ist  der  er- 
habene Mittelpunkt  aller  anderen  Wahrheiten.  Von  ihm  strahlen  alle  an- 
deren Wahrheiten  der  Wissenschaft,  der  Ethik  und  der  Religion  aus.  Er 
ist  die  Quelle,  aus  der  sie  alle  entspringen,  der  Mittelpunkt,  in  den  sie  alle 
zusammenlaufen  und  die  eine  erhabene  Voraussetzung,  von  der  sie  alle 
Zeugnis  geben.  An  feierlicher  Größe  und  wichtigen  Folgen  gibt  es  deshalb 
nichts    Gleichartiges."   —   Dasselbe. 

3.  Der  Glaube  an  Gott,  natürlich  und  notwendig.  —  Dr.  Joseph  Le 
Conte,  Professor  der  Geologie  und  der  Naturgeschichte  an  der  Universität 
von  Kalifornien  und  ein  weltberühmter  Gelehrter,  hat  sich  wie  folgt  ge- 
äußert: ,,Der  Theismus,  oder  der  Glaube  an  Gott  oder  an  Götter,  oder  an 
eine  übernatürliche  Wirkung  irgendeiner  Art,  die  die  Erscheinungen  um 
uns  beherrscht,  ist  der  eherne  Urgrund  und  die  Grundbedingung  aller 
Religion,  er  ist  daher  allumfassend,  notwendig  undauf  innerer  Anschauung 
beruhend.  Ich  werde  deshalb  nicht  versuchen.  Beweise  für  das,  das  hinter 
allen  Beweisen  steht,  zu  erbringen,  denn  es  ist  schon  gewisser,  als  irgend  etwas 
durch  irgendeine  Beweisführung  gewiß  gemacht  werden  kann.  Der  Grund 
dieses  Glaubens  liegt  in  der  Natur  des  Menschen  selbst.  Er  ist  der  eigentliche 
Kern  und  die  Grundlage  der  Vernunft.  Er,  und  er  allein,  gibt  der  Natur  Sinn 
und  Bedeutung.  Ohne  ihn  wäre  weder  Religion  noch  Wissenschaft  noch 
menschliches  Leben  möglich.  Denn  man  beobachte,  was  das  ausgeprägte 
Kennzeichen  des  Menschen  im  Verhältnis  zu  der  äußerlichen  Natur  ist.  Dem 


Art.  1.]  Anmerkungen.  59 

Tiere  sind  die  Erscheinungen  der  Natur  nur  sinnliche  Erscheinungen,  der 
Mensch  aber  schreitet,  und  zwar  gerade  in  dem  Maße  in  dem  er  seine  mensch- 
lichen Sinne  gebraucht,  unwillkürhch  von  den  Erscheinungen  zu  ihren 
Ursachen  fort.  Dies  ist  die  Folge  eines  Naturgesetzes  und  daher  unvermeid- 
lich, aber  der  Vorgang  des  Fortschreitens  ist  bei  den  kultivierten  und  un- 
kultivierten Rassen  verschieden.  Wenn  eine  Erscheinung,  von  der  die 
Ursache  nicht  sogleich  erkannt  wird,  stattfindet,  geht  der  unkultivierte 
Mensch  mit  einem  Schritt  von  den  sinnlichen  Erscheinungen  zu  dem  Ur- 
grund; während  der  kulti\ierte  und  besonders  der  wissenschaftlich  gebildete 
Mensch  von  der  Erscheinung  durch  eine  Kette  von  Ursachen  zweiten 
Grades  zu  der  ersten  schreitet.  Dieses  Gebiet  der  Ursachen  zweiten  Grades 
und  dieses  allein,  ist  das  Arbeitsfeld  der  Wissenschaft.  Die  Wissenschaft 
könnte  wohl  bezeichnet  werden  als  das  Studium  der  Art  und  Weise  der 
Wirkung  der  Grundursache.  Es  ist  deshalb  klar,  daß  die  Anerkennung  der 
Ursachen  zweiten  Grades  den  Begriff  von  dem  Dasein  Gottes  nicht  aus- 
schließen kann.  *  *  *  Daher  ist  der  Theismus  notwendig  und  natürlich, 
und  deshalb  auch  allgemein.  Wir  könnten  ihn,  auch  wenn  wir  wollten, 
nicht  los  werden.  Stoße  ihn,  wie  es  viele  tun,  durch  die  vordere  Türe  hinaus, 
und  er  wird  — vielleicht  unerkannt  —  durch  die  hinter  Tür  zurückkommen. 
Vertreibe  ihn  in  seinen  edleren  Gestalten,  wie  er  in  der  Schrift  geoffenbart 
wird,  und  er  wird  in  seinen  niedrigen  Gestalten,  vielleicht  als  Magnetismus, 
Elektrizität  oder  Schwerkraft,  oder  irgend  eine  andere  naturbeherrschende, 
scheinbar  wirksame  Kraft,  zu  dir  zurückkehren.  In  edler  oder  in  niedriger 
Gestalt  wird  er  ein  Gast  des  menschlichen  Herzens  werden.  Deshalb 
wiederhole  ich:  der  Gottesglauben  bedarf  weder  des  Beweises  noch  kann 
er  bewiesen  werden.  Aber  in  dieser  letzten  Zeit  ist  eine  starke  Neigung  vor- 
handen, für  den  Gottesglauben  (Theismus)  die  Gestalt  des  Pantheismus 
(„Pantheismus  =  Ansicht,  daß  das  Weltall  Gott  selbst  sei".  Weigand, 
Deutsches  Wörterbuch,  Band  II,  Seite  363)  anzunehmen,  wodurch  der 
religiöse  Glaube  seiner  ganzen  Kraft  über  das  menschliche  Herz  beraubt 
■wird.  Es  wird  daher  notwendig  sein,  daß  ich  nicht  das  Dasein,  sondern  die 
Persönlichkeit  der  Gottheit  klarlege.***  Unter  einer  gewissen  Klasse 
kulti\-ierter  Geister,  und  besonders  unter  den  Wissenschaftern,  wird  ein 
zunehmendes  Gefühl  zuweilen  offen  geäußert,  zuweilen  nur  unklar  empfun- 
den, daß  das,  was  wir  Gott  nennen,  nur  ein  allumfassendes,  alldurchdringen- 
des, die  Natur  belebendes  Prinzip  sei  —  ein  allgemeines  Prinzip  der  Entwick- 
lung —  eine  unbewußte,  unpersönliche  Lebenskraft,  unter  der  das  ganze 
Weltall  sich  langsam  entwickele.  Diese  Form  des  Theismus  kann  vielleicht 
die  Forderungen  einer  rein  spekulativen  Philosophie,  aber  nie  die  Sehnsucht 
des  menschlichen  Herzens  befriedigen.***  Die  Beweisführung  für  die  Per- 
sönUchkeit  Gottes  ist  gleichartig  den  Beweisen  der  intelligenten  Einrich- 
tung und  des  intelligenten  Entwurfs  oder  von  der  Anordnung  der  Teile 
zu  einem  gewissen  und  intelligenten  Zweck  abgeleitet.  Es  wird  gewöhnlich 
das  Argument  von  dem  Entwurf  genannt.  Die  Kraft  dieses  Beweismittels 
wird  sofort  von  allen  Menschen  innerlich  empfunden,  und  seine  Wirkung 
ist  für  jeden  einfachen,  ehrlichen,  von  übersinnlichen  Spitzfindigkeiten 
ungeplagten  Menschen  unwiderstehlich  und  überwältigend."  —  Prof. 
Joseph  Le  Conte,  in  ,, Religion  and  Science",  S.  12 — 14. 

4,  Gott  in  der  Natur.  —  Sir  Isaak  Newton,  einer  der  genauesten 
wissenschaftlichen  Arbeiter,  äußerte  sich  in  einem  Brief  an  seinen  Freund 
Dr.  Bentley   im  Jahre  1692   über   das  natürliche  Weltall  wie  folgt:  „Um 


60  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.   IL 

einen  solchen  Weltenbau  mit  all  seinen  Bewegungen  zu  erschaffen,  war 
eine  Ursache  erforderlich,  die  verstehen  und  mit  einander  vergleichen 
konnte  die  Masse  und  Größe  des  Stoffes  der  Sonne  und  der  andern  Himmels- 
körper und  die  von  ihnen  ausgehende  Schwerlcraft,  sodann  die  verschie- 
denen Entfernungen  der  Hauptgestirne  von  der  Sonne  und  die  der  unter- 
geordneten Himmelskörper  von  Saturn,  Jupiter  und  Erde,  ferner  die  Ge- 
schwindigkeit mit  der  sich  diese  Weltkörper  um  jene  Stoffmassen  der  Zen- 
tralgestirne drehen  könnten.  Und  alles  dies  in  solch  großer  Mannigfaltig- 
keit von  Himmelskörpern  zu  vergleichen  und  einzurichten,  spricht  dafür, 
daß  die  Ursache  weder  blind  noch  zufällig  sein  konnte,  sondern  in  der 
Mechanik  und  Geometrie  sehr  bewandert  war." 

5.  Natürliehe  Hinweise  auf  ilas  Dasein  Gottes.  —  „Es  ist  vielleicht 
nicht  möglich,  wenigstens  nicht  wahrscheinlich,  daß  Gott  mit  dem  Mikros- 
kop und  Zergliederungsmesser,  mit  der  Probierröhre  oder  Flasche  und  mit 
dem  Winkelmesser  oder  Fernrohr  gefunden  werden  kann ;  aber  mit  solchen 
Werkzeugen  kann  der  ernste  Student  nicht  verfehlen,  eine  unsichtbare 
Kraft,  die  doch  eine  Kraft  ist,  deren  Schläge  und  Bewegungen  unverkennbar 
sind,  zu  erkennen.  Die  Ausdehnung  unsres  Sonnensystems  schien  dem 
Menschen  einst  viel  begrenzter  zu  sein  als  heute,  und  die  Entdeckung  des 
entferntesten  Planeten  der  Planetengruppen  war  nur  die  Folge  der  Wahr- 
nehmung einer  anziehenden  Kraft,  die  nur  diu-ch  das  Voraussetzen  des 
Daseins  eines  andern  Planeten  erklärt  werden  konnte.  Der  Astronom,  der 
die  bekannten  Himmelskörper  in  ihren  Kreisbahnen  verfolgte,  konnte  das 
Ziehen  fühlen,  konnte  den  Faden,  der  sie  von  der  engeren  Bahn  zog,  sehen. 
Als  er  Blatt  für  Blatt  die  Berechnungen  aufhäufte,  sah  er  den  Neptun  nicht, 
aber  das  Dasein  dieses  Himmelskörpers  wurde  deutlich  angezeigt,  und  durch 
das  Beachten  der  Andeutungen  suchte  und  fand  er  ihn.  Die  Theorie  allein 
hätte  ihn  nie  offenbaren  können,  obwohl  die  Theorie  ohne  ihn  unvollkommen 
und  unzulänglich  war;  aber  das  verwirklichte,  durch  wissenschaftliche 
Gedanken  angetriebene  Suchen  führte  zu  der  großen  Vorführung.  Und  was 
istdieganzeWissenschaftanders  als  Theorie,  wenn  sie  mit  dem  praktischen 
Einfluß  des  andächtigen  Vertrauens  auf  die  Hilfe  einer  allmächtigen,  all- 
wissenden Macht  verglichen  wird  ?  Schätze  nicht  gering  deine  wässenschaft- 
liche  Tätigkeit,  das  Zittern  einer  Nadel,  das  den  magnetischen  Einfluß 
offenbart,  den  inneren  Naturtrieb,  der  von  einem  Leben  und  einem  Leben- 
spendenden uns  zuflüstert,  die  weit  über  die  menschliche  Kraft  hinausreichen, 
sie  zu  erklären  oder  zu  begreifen!  Wenn  du  unter  der  Himmelswöl- 
bung sitzest,  und  in  der  tiefsten  Stille  der  Nacht  über  die  Unruhe  und  das 
Sehnen,  die  die  Seele  nicht  unbeachtet  lassen  können,  nachsinnst,  kehre 
dich  nach  der  von  diesen  Gefühlen  angegebenen  [lichtung,  und  mit  dem 
durchdringenden,  räum-  und  zeitaufhebenden  Fernglas  des  Gebets  und 
Glaubens,  suche  die  Quelle  dieser  alles  durchdringenden  Kraft."  —  Der 
Verfasser,  in  „The  Baccalaureate  Sermon",  Utah  University  Quarterly, 
September  1895. 

6.  Theismus  (Gottescjlanbc),  Atheismus  (Gottesleugnung),  usw.  — 
Nach  dem  üblichen  Sprachgebrauch,  bedeutet  Theismus  Glauben  an  Gott  — 
die  Anerkennung  des  einen  lebendigen  und  ewigen  Wesens,  welches  sich 
den  Menschen  geoffenbart  hat.  Der  Deismus  (Gottglaube  ohne  Offenbarung) 
schließt  einen  angeblichen  Glauben  an  Gott  in  sich,  verleugnet  aber  die 
Macht  der  Gottheit,  sich  zu  offenbaren,  und  glaubt  nicht  an  das  Christen- 
tum.   Das  Wort  wird  mit  verschiedenen  Bedeutungen  angewendet,  imter 


Art.   1.]  Anmerkungen.  61 

denen  die  folgenden  wichtig  sind:  1.  Der  Glaube  an  Gott  als  ein  intelligentes 
und  ewiges  Wesen,  aber  die  Verleugnung  aller  göttlichen  Fürsorge;  2.  der 
Glaube  an  Gott  und  die  Verleugnung  eines  weiteren  Standes  der  Seele; 
3.  wie  von  Kant  verkündigt  wird,  die  Verleugnung  eines  persönlichen 
Gottes,  während  der  Glaube  an  eine  unendliche  Kraft  behauptet  wird,  die 
mit  dem  Stoff  unzertrennlich  verbunden  ist,  und  die  als  die  erste  große 
Ursache  wirkt.  Der  Pantheismus  (All-Gottglaube)  betrachtet  Geist  und 
Stoff  als  etwas,  das  alles  Endliche  und  Unendliche  in  sich  begreift  und  nennt 
dieses  allumfassende  Sein,  Gott.  In  seiner  philosophischen  Erscheinung 
hat  der  Pantheismus  „drei  Stammformen  mit  Abweichungen:  1.  der 
,, Substanzpantheismus,  der  die  Eigenschaften  des  Geistes  und  des  Stof- 
fes, des  Gedankens  und  der  Ausdehnung,  dem  allumfassenden  Sein 
zuschreibt  (Lehre  Spinozas);  2.  der  materialistische  Pantheismus,  der  ihm 
nur  die  Eigenschaften  des  Stoffes  zuschreibt  (Lehre  von  Strauß);  3.  der 
idealistische  Pantheismus,  welcher  ihm  nur  das  Dasein  des  Geistes  zu- 
schreibt (Lehre  Hegels)."  In  seiner  Lehre  schließt  der  Pantheismus  „die 
auf  den  Lehrsatz,  daß  das  ganze  ungeheure,  den  Menschen  und  die  Natur 
einschließende  Weltall,  nur  die  immerwechselnde  Offenbarung  Gottes  sei", 
begründete  Verehrung  der  Natur  und  der  Menschheit,  in  sich.  Der  Po- 
lytheismus ist  die  Lehre  von  der  Mehrheit  der  Götter,  die  gewöhnlich  als 
Verkörperungen  der  Kräfte  oder  der  Erscheinungen  der  Natur  angesehen 
werden.  Der  Monotheismus  lehrt,  daß  es  nur  einen  Gott  gäbe.  Atheismus 
ist  Gottesleugnung,  oder  Unglaube  inbezug  auf  das  Dasein  Gottes.  Der 
dogmatische  Atheismus  verleugnet  das  Dasein  Gottes,  während  es  der 
negative  Atheismus  unbeachtet  läßt.  Der  Unglaube  wird  zuweilen  als 
gleichbedeutend  mit  Atheismus  bezeichnet,  obwohl  das  Wort  eigentlich 
eine  schwächere  Art  des  Glaubens  bezeichnet,  die  sich  in  Zweifel  und 
Mißtrauen  gegenüber  religiösen  Dingen,  in  Unglauben  gegenüber  der 
Religion  der  Bibel,  und  natürlich  in  der  Verwerfung  der  Lehren  des  Chris- 
tentums äußert.  Der  Agnostizismus  behauptet,  daß  Gott  unbekannt 
und  unerkennbar  sei,  daß  sein  Dasein  weder  bewiesen  noch  widerlegt  wer- 
den könne;  weder  behauptet  noch  verleugnet  er  das  Dasein  eines  persön- 
lichen Gottes;  er  ist  die  Lelire:  „Wir  Wissens  nicht."  —  Siehe  Standard 
Dictionary. 

7.  AbjjöUische  Bräuche  im  alloemeinen.  —  Die  Seele  des  Menschen, 
wenn  einmal  der  Verderbtheit  hingegeben,  ist  sehr  geneigt,  von  Gott  und 
seinen  Gesetzen  abzuweichen.  „Daher",  sagtBurder,  „sind  die  Altäre  und 
Unholde  des  heidnischen  Altertums  und  ihre  überspannten  Einbildungen 
und  abscheulichen  Gelage  entstanden.  Deshalb  finden  wir  bei  den  Baby- 
loniern  und  Arabern  die  Anbetung  der  Himmelskörper,  die  frühsten  Arten 
der  Abgötterei,  bei  den  Kanaanitern  und  Syrern  die  Anbetung  von  Baal, 
Thammus,  Magog  und  der  Astai^te,  bei  den  Phöniziern  das  Opfern  der 
Kinder  zur  Ehre  Molochs,  bei  den  Ägyptern  die  den  Tieren,  Vögeln,  In- 
sekten, dem  Lauch  und  den  Zwiebeln  erwiesenen  göttlichen  Verehrungen,  bei 
den  Persern  die  dem  Feuer  dargebrachte  religiöse  Verehrung,  und  bei  den 
gebildeten  Griechen  in  ihrem  Glaubenssyslem,  die  Anerkennung  von  dreißig 
tausend  Göttern.  Deshalb  finden  wir  auch  heutzutage  bei  den  meisten 
heidnischen  Völkern  die  tödlichsten  Arten  von  Aberglauben,  die  grau- 
samsten und  blutigsten  Gebräuche  und  die  abstoßendste  Zügellosigkeit 
und  Untugend,  welche  in  dem  Namen  der  Religion  ausgeübt  werden."  — 
History  of  all  Religions,   S.  12. 


62  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  II. 

8.  Beispiele  gräOllcher  Abgötterei.  —  Die  Verehrung  des  Götzen 
Moloch  wird  gewöhnlich  als  ein  Beispiel  der  grausamsten  und  verabscheu- 
ungswürdigsten,  den  Menschen  bekannten  Abgöttereien  angeführt.  Moloch, 
auch  Molech,  Malcham,  Milkom,  Baal-melech,  usw.  genannt,  war  ein  Abgott 
der  Ammoniter  und  wird  wegen  seiner  grausamen  Vorschriften  in  der 
Schrift  erwähnt  (3.  Mose  18:21 ;  20:2—5;  siehe  auch  1.  Könige  11 :5,  7,  33; 
2.  Könige  23:10,  13;  Amos  5:26;  Zephania  1:5;  Jeremia  32:35).  Keil  imd 
Delitzsch  beschreiben  den  Abgott  als  „ein  hohles  messingenes  heizbares 
Standbild  mit  dem  Kopf  eines  Stieres  und  mit  ausgestreckten  Armen,  um 
die  Kinder,  die  geopfert  werden  sollten,  entgegenzunehmen."  Obwohl  die 
Verehrung  dieses  Abgottes  nicht  immer  ein  menschliches  Opfer  in  sich 
schloß,  ist  es  dennoch  sicher,  daß  solche  fürchterliche  Gebräuche  für  diesen 
abscheulichen  Schrein  bezeichnend  gewesen  sind.  Die  obenerwähnten 
Verfasser  schreiben:  „Von  der  Zeit  des  Ahas  an,  wurden  Kinder  zu  Jeru- 
salem in  dem  Tale  Ben-Hinnom  erschlagen  und  geopfert,  in  dem  sie  auf  die 
geheizten  Arme  gelegt  und  verbrannt  wurden.  (2.  Könige  23:10;  16:3; 
17:17;  21:6;  Jeremia  32:35;  Hesekiel  16:20 — 21;  20:31;  vergleiche  Psalm 
106:37 — 38).  Viele  maßgebende  Gelehrte  erklären,  daß  diesem  scheuß- 
lichen Ungeheuer,  schon  lange  vor  der  Zeit  des  Ahas  Kinder  geopfert  wor- 
den seien.  „Das  opfern  lebender  Opfer  war  vielleicht  der  Höhepunkt  des 
Greuels  bei  diesem  Götzendienst.  Es  wird  gesagt,  daß  Tophet,  der  Ort,  wo 
es  zu  sehen  war,  seinen  Namen  von  dem  Schlagen  der  Trommeln  be- 
kommen habe,  die  gerührt  wurden,  um  das  Schreien  und  Stöhnen  derer,  die 
lebendig  verbrannt  wurden,  zu  übertönen.  Derselbe  Ort  wurde  auch  das 
Tal  Hinnom  genannt  und  die  fürchterlichen  mit  ihm  verbundenen  Ge- 
danken führten  dazu,  daß  Tophet  und  Gehenna  (,Tal  Hinnom')  als  Namen 
und  Sinnbilder  zukünftiger  Qual  angenommen  wurden.  Betreffs  der  oben- 
erwähnten und  anderer  Tatsachen  siehe  „Der  Pentateuch"  von  Keil  und 
Delitzsch,    und   Cassel's   Bible   Dictionary. 

Nicht  viel  weniger  fürchterlich  waren  die  Gebräuche  des  absichtlichen 
Selbstmords  unter  dem  Wagen  des  Götzen  Dschagannath,  und  das  Er- 
tränken der  Kinder  in  dem  heiligen  Ganges,  wie  man  es  bei  den  Hindus 
findet.  Nach  den  Schriften  Burders  (History  of  all  Religions)  wurde  das 
schwere  und  scheußliche  Götzenbild  des  Dschagannath  an  festlichen  Tagen 
gewöhnlich  auf  einen  beweglichen,  auf  Rädern  ruhenden  Turm  aufgesetzt; 
so  aufgestellt  wiu-de  es  von  begeisterten  Verehrern  durch  die  Straßen  ge- 
zogen. Als  sich  der  Wagen  fortbewegte,  warfen  sich  einige  der  eifrigsten 
Verehrer  unter  die  Räder,  daß  sie  zermalmt  wurden ;  und  solche  Taten  wurden 
„mit  dem  Freudengeschrei  der  ^lenge,  als  die  annehmbarsten  Opfer,  be- 
grüßt." Derselbe  Verfasser  beschreibt  die  Unsitte  des  Kinderopferns  zur 
Anbetung  des  heiligen  Flusses,  wie  es  in  Indien  früher  Gewohnheit  war,  wie 
folgt:  „Die  Menschen  in  einigen  Teilen  Indiens,  besonders  die  Einwohner 
von  Orissa  und  der  östlichen  Teile  Bengalens,  opfern  öfters  ihre  Kinder  der 
Göttin  Gunga.  Als  Ursache  für  diesen  Brauch  wird  angegeben:  Wenn  eine 
Frau  lange  Zeit  verheiratet  ist  vmd  keine  Kinder  hat,  ist  es  für  den  Mann 
oder  seine  Frau,  oder  für  alle  beide  üblich,  der  Göttin  Gunga  einen  Eid 
abzulegen,  daß  wenn  sie  sie  mit  Kindern  segnen  werde,  werden  sie  ihr  das 
Erstgeborene  opfern.  Wenn  sie  nach  diesem  Eide  Kinder  haben,  wird  das 
älteste  bis  zum  richtigen  Alter,  das  je  nach  den  Umständen  drei,  vier,  oder 
mehr  Jahre  sein  mag,  erzogen.  An  einem  besondern,  für  das  Baden  in  irgend 
einem  Teil  des  Flusses  bestimmten  Tag,  nehmen  sie  dann  das  Kind  mit  sich 


Art.  1.]  Anmerkungen.  63 

und  opfern  es  der  Göttin;  das  Kind  wird  angespornt  weiter  und  weiter  in 
das  Wasser  zu  gehen,  bis  es  von  dem  Strom  mitgetrieben  oder  von  seinen 
unmenschlichen  Eltern  abgestoßen  wird."  —  „History  of  all  Religions." 
S.  745—746. 

Die  Gebräuche  des  Druidentums  unter  den  alten  Britanniern  bieten 
ein  anderes  Beispiel  dafür,  wie  die  Religion  entartet,  wenn  ihr  die  bevoll- 
mächtigte Führung  und  das  Licht  der  Offenbarung  fehlt.  Die  Druiden 
bekundeten  eine  Ehrfurcht  vor  der  Eiche  und  vollzogen  die  meisten  ihrer 
seltsamen  religiösen  Bräuche  in  heiligen  Hainen.  Das  Darbringen  mensch- 
licher Opfer  bildete  einen  Bestandteil  ihrer  religiösen  Verfassung.  Von 
ihren  Tempeln  stehen  einige  heute  noch,  z.  B.  Stonehenge  on  Salisbury 
Plain,  Wiltshire,  und  andere  in  Kent.  Diese  runden  geschlossenen  Räume, 
die  gegen  den  Himmel  offen  waren,  wurden  Schicksalsringe  genannt;  etwa 
in  der  Mitte  eines  jeden  stand  ein  Altar  (dolmen),  worauf  die  Opfer  geopfert 
wurden.  Bei  besonderen  Gelegenheiten  gehörte  zu  den  furchtbaren  Zere- 
monien auch  das  Lebendigverbrennen  vieler  Menschen  in  großen  Käfigen 
von  Flechtwerk. 

9.  Der  Immaterialist  (einer,  der  nur  an  einen  unkörperlichen,  wesen- 
losen Gott  glaubt  D.  Ü.)  ist  ein  Gottesleugner.  —  In  der  Welt  gibt  es  zwei  Arten 
von  Gottesleugnern.  Die  eine  verleugnet  mit  den  bestimmtesten  Worten 
das  Dasein  Gottes;  die  andere  verleugnet  sein  Dasein  in  Zeit  oder  Raum. 
Eine  spricht:  „Es  gibt  keinen  Gott";  die  andere  spricht:  „Gott  ist  ebenso- 
wenig hier  und  da,  als  er  jetzt  und  dann  ist."  Der  Ungläubige  spricht: 
„Gott  ist  nicht  irgendwo."  Der  Immaterialist  spricht:  „Gott  ist  nirgend- 
wo." Der  Ungläubige  spricht:  „Es  gibt  keinen  solchen  Urstoff  wie  Gott." 
Der  Immaterialist  spricht:  „Es  gibt  wolil  einen  solchen  Urstoff  wie 
Gott,  aber  er  ist  ohne  Teile."  Der  Gottesleugner  sagt:  „Es  gibt  keine  sol- 
che Substanz  wie  Geist."  Der  Immaterialist  sagt:  „Ein  Geist,  obwohl  er 
lebt  und  wirkt,  nimmt  keinen  Platz  ein  und  füllt  keinen  Raum  nach 
der  Art  und  Weise  des  Stoffes,  nicht  einmal  so  viel  wie  das  allerklcinste 
Sandkörnchen.  Der  Gottleugner  versucht  nicht  seine  Ungläubigkeit  zu 
verstecken;  aber  der  Immaterialist,  dessen  erklärter  Glaube  mit  jenem 
auf  dasselbe  hinauskommt,  versucht  seinen  Unglauben  unter  dem  faden- 
scheinigen Deckmantel  einiger  Worte  zu  verstecken.  *  *  *  Der  Im- 
materialist ist  ein  religiöser  Gottleugner.  Er  unterscheidet  sich  von  den 
anderen  Klassen  der  Gottleugner  nur  dadurch,  daß  er  ein  unteilbares,  un- 
ausgedehntes Nichts  mit  den  Kräften  eines  Gottes  bekleidet.  Die  eine 
Klasse  glaubt  an  keinen  Gott ;  die  andere  glaubt  nifhts  sei  Gott,  und  betet 
es  als  solchen  an."  —  Orson  Pratt,  in  einer  Flugschrift,  „Absurdities  of 
Immaterialism,"    S.U. 

10.  Der  Atheismus  ein  verbännnisvoUer  Glaube.  —  „Während  der 
Schreckensherrschaft  wurden  die  Franzosen  von  der  Nationalversammlung 
für  eine  gottesleugnerische  Nation  erklärt;  aber  eine  kurze  Erfahrung 
überzeugte  sie,  daß  eine  Nation  von  Gottesleugnern  nicht  lange  bestehen 
kann.  Darauf  verkündigte  Robespierre  im  Konvent,  ,daß  der  Glaube  an 
das  Dasein  Gottes  notwendig  sei  für  die  Grundsätze  der  Tugend  und  Sitt- 
lichkeit, auf  denen  die  Republik  gegründet  war',  und  am  7.  März  erklärten 
die  Volksvertreter,  die  sich  kurz  zuvor  vor  der  Göttin  der  Vernunft  verbeugt 
hatten,  einstimmig,  daß  das  französische  Volk  das  Dasein  des  Allerhöchsten 
und  die  Unsterblichkeit  der  Seele  anerkennt."  —  „Historical  Lights", 
S,  280—281 ,  angeführt  von  Rev.  Charles  E.  Zittle. 


€4  Die   Glaubensartikel.  [Vorl.   II. 

11.  Die  üreihril  (Trinität). — „  ,Mornionismus'  erklärt  seinen  unein- 
geschränkten Glauben  an  die  Gottheit,  als  die  den  Vater,  den  Sohn  und  den 
Heiligen  Geist  einschlieUendc  heilige  Dreiheit;  auch  daß  jeder  dieser  drei 
eine  getrennti-  iii;d  einzflne  Person  ist,  und  daß  der  Vater,  wie  auch  der 
Sohn,  Pine  Person  aus  Geist  mit  einem  unsterblichen  Körper,  und  der  Heilige 
Geist  eine  Person  aus  Geist  ist.  Die  Einheit  der  Gottheit  wird  in  der  buch- 
stäblichen Fülle  der  biblischen  Erklärung  angenommen,  daß  nämlich  die 
drei  in  Absicht.  Plan  und  Vorgehen  einig,  in  all  ihren  hehren  Eigenschaften 
gleich,  in  ihrer  heiligen  Allwissenheit  und  Allmacht  eins,  jedoch  in  ihrer 
Persönlichkeit  so  getrennt  und  verschieden  sind,  wie  irgend  drei  Bewohner 
der  P>de.  , Mormonismus'  behauptet,  daß  die,  die  Einheit  der  Trinität  er- 
klärenden Schrittstellen  diese  Auffassung  erlauben:  ja,  daß  dies  in  der  Tat 
die  natürliche  Auslegung  ist  und  daß  dieser  Begriff  in  Einklang  mit  der 
Vernunft  steht."  —  Deutsche  Ausgabe  von:  „Philosophie  in  Mormonis- 
mus  (vom    Verlasser)".    S.  4. 


Art.   2.]  Die  Übertretung.  65 


Vorlesung  III. 


Die  Übertretung  und  der  Fall  Adams. 

Artikel  2.  —  Wir  glauben,  daß  alle  Menschen  für  ihre  eigenen  Sünden 
gestraft  werden  und  nicht  für  Adams  Übertretung. 

Übertretung  und  ihre  Folgen. 

1.  Der  freie  Wille  des  Mensehen.  —  Die  Kirche  hält 
dafür  und  lehrt  als  eine  ausdrückliche  Lehre  der  Schrift, 
daß  der  Mensch  unter  den  unveräußerlichen,  von  seinem 
göttlichen  Vater  auf  ihn  gesiegelten  Vorrechten,  voll- 
ständige Freiheit  bekommen  habe,  das  Gute  oder  das  Böse 
im  Leben  zu  wählen,  ganz  wie  er  will.  Dieses  Vorrecht 
kann  nicht  mit  größerer  Sorgfalt  geachtet  werden,  als  es 
Gott  selbst  achtet.  In  seinem  ganzen  Umgang  mit  den 
Menschen  hat  er  das  sterbliche  Geschöpf  immer  frei 
wählen  und  handeln  lassen,  ohne  auch  nur  den  Schein 
des  Zwanges  oder  der  Hinderung,  abgesehen  von  den  Ein- 
flüssen des  väterlichen  Rats  und  der  liebendenAnweisung.^) 
Zwar  hat  er  Gebote  gegeben  und  Gesetze  aufgestellt,  mit 
denen  Verheißungen  von  Segnungen  für  den  Fall  des  Ge- 
horsams, und  von  schrecklichen  Strafen  für  den  Fall  der 
Übertretung  verbunden  sind ;  aber  in  ihrer  Wahl  sind  die 
Kinder  Gottes  ungehindert.  In  dieser  Beziehung  ist  der 
Mensch  nur  insofern  weniger  frei  als  die  Engel  oder  die 
Götter,  als  er  sich  selbst  mit  den  Banden  der  Sünden  ge- 
fesselt und  seine  Willenskraft  und  die  Macht  seiner  Seele 
verloren  hat.    Der  Mensch  hat  ebensoviel  Freiheit,  die 


')  Siehe  Anmerkung  1. 


Die  Glaubensartikel. 


[Vorl.  III. 


Gesetze  der  Gesundheit,  die  Forderungen  der  Natur  und 
die  Gebote  Gottes,  sowohl  in  zeitlichen  als  auch  in  geistigen 
Dingen,  zu  übertreten,  als  ihnen  gegenüber  Gehorsam  zu 
leisten.  In  dem  einen  Fall  bringt  er  die  sicheren  Strafen 
auf  sich,  die  zu  dem  gebrochenen  Gesetz  gehören ;  in  dem 
anderen  erlangt  er  die  besonderen  Segnungen  und  die 
vergrößerte  Freiheit,  die  einen  gesetzbeobachtenden  Le- 
benswandel begleiten.  Gehorsam  zu  dem  Gesetz  ist  die 
Gewohnheit  des  freien  Menschen;  nur  der  Übertreter 
fürchtet  sich  vor  dem  Gesetz,  denn  er  bringt  —  nicht  des 
Gesetzes  wegen,  das  ihn  in  seiner  Freiheit  geschützt  hätte, 
sondern  wegen  seiner  Verwerfung  des  Gesetzes  —  Verlust 
und  Unfreiheit  auf  sich  selbst. 

2.  Die  vorherrschende  Eigenschaft  der  Gerechtigkeit, 
die  als  ein  Teil  des  göttlichen  Wesens  anerkannt  wird,  ver- 
bietet den  Gedanken,  daß  dem  Menschen  Belohnung 
seiner  Rechtschaffenheit  und  Bestrafung  seiner  bösen 
Taten  verheißen  oder  angedroht  werden  sollte,  wenn  er 
nicht  die  Kraft  freier  Handlungsweise  besäße.  Es  ist 
ebensowenig  ein  Teil  des  Planes  Gottes,  die  Menschen  zu 
Werken  der  Rechtschaffenheit  zu  zwingen,  als  es  seine 
Absicht  ist,  es  den  bösen  Mächten  zuzulassen,  seine  Kin- 
der zum  sündigen  zu  nötigen.  In  den  Tagen  Edens  wur- 
den dem  ersten  Menschen  Gebote  und  Gesetze  gegeben  ^) 
mit  einer  Erklärung  der  Strafe,  die  einer  Übertretung 
des  Gesetzes  folgen  würde.  Gerechterweise  hätte  ihm 
kein  Gesetz  gegeben  werden  können,  wäre  er  nicht  frei 
gewesen,  nach  seinem  eigenen  Willen  zu  handeln.  ,, Den- 
noch magst  du  für  dich  selbst  wählen,  denn  es  ist  dir  ge- 
geben; aber  bedenke,  daß  ich  es  verbiete, "2)  sprach  Gott 
der  Herr  zu  Adam.    Hinsichtlich  seines  Umganges  mit 


1)  I.Mose  2:17;   Köstl.  Perle,   Moses  2:27- 
»)  KösU.  Perle,  Moses  3:17. 


Art.  2.]  Die  Übertretung.  67 

dem  ersten  Patriarchen  des  Menschengeschlechtes,  hat 
Gott  in  diesen  Tagen  erklärt:  „Sehet,  ich  machte,  daß  er 
seinen  freien  Willen  haben  sollte. "i) 

3.  Als  die  Brüder  Kain  und  Abel  dem  Herrn  ihre 
Opfer  darbrachten,  wurde  der  ältere  zornig,  weil  sein 
Opfer  verworfen  wurde.  Der  Herr  rechtete  dann  mit  Kain 
und  versuchte,  ihm  zu  lehren,  daß  er  die  Folgen  seiner 
Taten,  ob  gut  oder  böse,  wie  er  wählen  würde,  tragen 
müsse:  ,,Wenn  du  fromm  bist,  so  bist  du  angenehm;  bist 
du  aber  nicht  fromm,  so  ruhet  die  Sünde  vor  der  Tür. "2) 

4.  Eine  Erkenntnis  von  Gut  und  Böse  ist  zum  Fort- 
schritt, den  Gott  seinen  Kindern  ermöglicht  hat,  notwen- 
dig. Diese  Erkenntnis  kann  tatsächlich  am  besten  erlangt 
werden  durch  Erfahrung  mit  den  Gegensätzen  des  Guten 
und  des  Bösen  vor  Augen;  deshalb  ist  der  Mensch  unter 
den  Einfluß  von  guten  und  bösen  Mächten,  mit  einer  Er- 
kenntnis der  Zustände,  die  ihn  umgeben,  und  mit  dem 
vom  Himmel  gegebenen  Vorrecht  für  sich  selbst  zu 
wählen,  auf  die  Erde  gestellt  worden.  Die  Worte  des  Pro- 
pheten Lehi  über  diesen  Punkt  sind  besonders  deutlich: 
,, Daher  gab  Gott,  der  Herr,  den  Menschen  die  Macht,  für 
sich  selbst  zu  handeln;  aber  das  wäre  unmöglich,  es  sei 
denn,  daß  sie  von  dem  einen  oder  dem  andern  angezogen 
werden.***  Daher  sind  die  Menschen  frei  nach  dem  Fleisch, 
und  alle  Dinge,  welche  den  Menschen  nützlich  sind,  sind 
ihnen  gegeben.  Und  es  ist  ihnen  frei  gestellt,  Freiheit  und 
ewiges  Leben  durch  die  große  Vermittlung  für  alle  Men- 
schen zu  wählen,  oder  Gefangenschaft  und  Tod,  nach  der 
Gefangenschaft  und  Macht  des  Teufels;  denn  er  trachtet 
danach,  daß  alle  Menschen  elend  werden,  wie  er  selbst 
ist."3) 


')  Lehre  u.  Bündn.  29:35. 
')  1.  Mose  4:7. 

')  2.  Nephi  2:16,  27;  10:23;  siehe  auch  Alma  3:26;  12:31;  29:4,  5; 
Helainan  14:30. 


68 


Die  Glaubensartikel. 


[Vorl.  III. 


5.  Als  Alma,  ein  andrer  nephitischer  Prophet,  von 
den  Verstorbenen  sprach,  sagte  er,  sie  wären  dahin  ge- 
gangen, ,,um  ihren  Lohn  nach  ihren  Werken  zu  empfangen, 
gleichviel  ob  sie  gut  oder  böse  gewesen  waren,  und  ewige 
Glückseligkeit  oder  ewiges  Elend  zu  ernten,  nach  dem 
Geiste,  welchem  zu  gehorchen  es  ihnen  lüstete,  gleichviel 
ob  gut  oder  böse.  Denn  jeder  Mensch  empfängt  seinen 
Lohn  von  dem,  dem  er  gehorcht;  und  dies  nach  den  Wor- 
ten des  Geistes  der  Weissagung."^) 

6.  Samuel,  der  bekehrte  Lamanite,  auf  den  der  Geist 
der  Propheten  gefallen  war,  ermahnte  in  folgender  Weise 
seine  widerspenstigen  Brüder:  ,,Nun  bedenket,  bedenket 
meine  Brüder,  daß  die,  welche  umkommen,  durch  sich 
selbst  umkommen,  und  die,  welche  Sünde  tun,  gegen  sich 
selbst  sündigen.  Denn  sehet,  ihr  seid  frei;  ihr  dürft  frei 
handeln  nach  eurem  Gefallen,  denn  Gott  hat  euch  die 
Erkenntnis  gegeben  und  hat  euch  frei  gemacht;  er  hat 
euch  befähigt,  das  Gute  vom  Bösen  zu  unterscheiden; 
er  hat  euch  gestattet,  Leben  oder  Tod  zu  wählen. "2) 

7.  Als  die  Vorschläge  für  die  Erschaffung  und  Be- 
völkerung der  Erde  im  Himmel  besprochen  wurden,  trach- 
tete Satan  darnach,  den  freien  Willen  des  Menschen  zu 
zerstören,  indem  er  die  Macht  anstrebte,  die  Menschheit 
zu  zwingen,  seinen  Willen  zu  tun.  Er  versprach  dem  Vater, 
durch  ein  solches  Mittel  die  ganze  Menschheit  zu  er- 
lösen, sodaß  nicht  einer  verloren  gehen  sollte.^)  Dieser 
Vorschlag  wurde  verworfen,  und  die  ursprüngliche  Absicht 
des  Vaters  —  überzeugende  Einflüsse  heilsamer  Lehre 
mit  opferndem  Beispiel  auf  die  Bewohner  der  Erde  anzu- 
wenden, und  sie  dann  frei  wählen  zu  lassen  —  wurde  an- 


1)  Alma  3:26—27. 

')  Helaman  14:30 — 31. 

')  Köstl.  Perle.  Moses  4:1;  siehe  auch  Abraham  3:27- 


Art.  2.]  '  Die  Übertretung.  69 

genommen,  wobei  der  eingeborene  Sohn  als  das  Haupt- 
werkzeug für  die  Ausführung  dieses  Planes  erwählt  wurde. 

8.  Des  Mensehen  Verantwortlichkeit  für  seine  eigenen 
Taten  ist  eben  so  vollkommen  wie  seine  Freiheit,  für  sich 
selbst  zu  wählen.  Die  natürliche  Folge  guter  Taten  ist 
die  Glückseligkeit;  die  Folge  der  bösen  ist  das  Elend;  nach 
unverbrüchlichen  Gesetzen  folgen  diese  in  dem  Leben 
jedes  Menschen.  Es  gibt  einen  von  Gott  vorherbestimm- 
ten Plan  des  Gerichts,^)  nach  dem  jeder  Mensch,  nicht  allein 
für  seine  Taten  sondern  auch  für  seine  Worte  und  die 
Gedanken  seines  Herzens,  Rechenschaft  ablegen  muß. 
„Ich  sage  euch  aber,  daß  die  Menschen  müssen  Rechen- 
schaft geben  am  Jüngsten  Gericht  von  einem  jeglichen 
unnützen  Wort,  das  sie  geredet  haben. "2)  Dieses  sind  die 
Worte  des  Erlösers  selbst.  „Und  denke  keiner  Arges  in 
seinem  Herzen  wider  seinen  Nächsten,  und  liebt  nicht 
falscheEide !  denn  solches  alles  hasse  ich,  spricht  derHerr."^) 
Es  wurde  Johannes  dem  Offenbarer  erlaubt,  einige  der 
mit  dem  Jüngsten  Gericht  verbundenen  Vorgänge  im 
Gesicht  kennen  zu  lernen.  Er  sagt:  ,,Und  ich  sah  die  To- 
ten, beide,  groß  und  klein,  stehen  vor  Gott,  und  Bücher 
wurden  aufgetan.  Und  ein  ander  Buch  ward  aufgetan, 
welches  ist  das  Buch  des  Lebens.  Und  die  Toten  wurden 
gerichtet  nach  der  Schrift  in  den  Büchern,  nach  ihren 
Werken.  Und  das  Meer  gab  die  Toten,  die  darinnen  waren, 
und  der  Tod  und  die  Hölle  gaben  die  Toten,  die  darinnen 
waren;  und  sie  wurden  gerichtet,  ein  jeglicher  nach  seinen 
Werken."*) 

9.  Das  Gericht  Gottes  folgt  nicht  immer  den  Taten 
der  Menschen  auf  dem  Fuße  nach.    Gute  Taten  werden 


»)  Matthäus  10: 15;  11:22;  2.  Petrus  2:9;  3:7;  1.  Johannes  4:17. 

»)  Matthäus  12:36. 

»)  Sacharja  8:17. 

•)  Offenbarung  Joh.  20:12— 13. 


70  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  III. 

vielleicht  nicht  sofort  belohnt  werden,  und  das  Böse  wird 
selten  auf  der  Stelle  bestraft;  dieses  stimmt  überein  mit 
der  göttlichen  Weisheit.  Wäre  es  anders  eingerichtet,  so 
würde  die  Probe  des  persönlichen  Wesens  und  die  Prüfung 
des  menschlichen  Glaubens,  wozu  diese  Probezeit  der 
Sterblichkeit  hauptsächlich  eingesetzt  worden  ist,  be- 
deutend geringer  sein.  Die  Gewißheit  unmittelbarer 
Freude  oder  unmittelbaren  Leids  würde  die  menschlichen 
Taten  beinahe  allgemein  dahingehend  bestimmen,  daß 
das  eine  erlangt  und  das  andere  vermieden  werde.  Des- 
halb wird  das  Gericht  verschoben,  damit  jeder  seine 
Natur  im  vollsten  Maße  beweisen  kann;  der  gute  Mensch 
nimmt  an  Rechtschaffenheit  zu,  und  der  Übeltäter  hat 
vor  dem  großen  und  schrecklichen  Tag  Gelegenheit  zur 
Buße  und  Wiedergutmachung.  In  einzelnen  Fällen  ist 
ein  sofortiges  Gericht  zeitlicher  Natur  ausgeübt  worden; 
die  äußerlichen  Folgen  weltlicher  Segnungen  für  gute 
Taten, ^)  und  Unheil  für  böse,^)  folgten  hier  unmittelbar 
den  Handlungen.  Ob  eine  derartige  Vergeltung  den  An- 
sprüchen der  Gerechtigkeit  ganz  und  gar  Genüge  leistet, 
oder  ob  noch  ein  weiteres  Gericht  nach  dieser  Welt  statt- 
finden wird,  macht  nichts  aus.  Solche  Handlungen  sind 
aber  in  der  göttlichen  Handhabung  eine  Ausnahme. 

10.  Es  ist  das  Vorrecht  Jesu  Christi^)  die  Menschen- 
kinder zu  richten,  und  er  wird  es  so  tun,  daß  seinen  eigenen 
Absichten,  die  auch  die  Absichten  seines  Vaters  sind,  am 
besten  gedient  wird.  Johannes  berichtet  die  Worte  Christi : 
„Denn  der  Vater  richtet  niemand;  sondern  alles  Gericht 
hat  er  dem  Sohn  gegeben,  auf  daß  sie  alle  den  Sohn  ehren, 


')  Hiob  42:10—17. 

')  4.  Mose  12:1—2;  10—15;  15:32—36;  16;  21:4—6;  I.Samuel 
6:19;  2.  Sam.  6:6— 7;   Apostelgeschichte  5:1—11. 

=)  Johamies  5:22 — 27;  Apostelgesch.  10:42;  17:31;  Römer  2:16; 
2.  Korinther  5:10;  2.  Timotheus  4:1,  8;  Lehre  u.  Bündn.  133:2. 


Art.  2.]  Die  Übertretung.  71 

wie  sie  den  Vater  ehren. "^)  Und  als  Petrus  das  Evange- 
lium dem  aufrichtigen  Heiden  Kornelius  auslegte,  erklärte 
er  betreffs  Jesu  Christi,  ,,daß  er  ist  verordnet  von  Gott 
zum  Richter  der  Lebendigen  und  der  Toten. "2)  Über  das 
furchtbare  Schicksal  der  auf  den  jüngsten  Tag  zurück- 
behaltenen Bösen,  haben  viele  Propheten  Zeugnis  gege- 
ben.3)  Der  vorstehende  Richter  dieses  ehrwürdigen  Ge- 
richtshofes hat  selbst  eine  so  lebendige  und  genaue  Schil- 
derung*) gegeben,  daß  auch  nicht  der  geringste  Zweifel 
bestehen  kann,  daß  jede  lebende  Seele  aufgefordert  wer- 
den wird,  den  Bericht  anzuerkennen  und  die  Folgen  seiner 
Handlungen  anzunehmen.  Die  Worte  des  Herrn  und 
seiner  Propheten  sagen  unzweifelhaft,  daß  es  bei  Gott 
kein  Ansehen  der  Person  gibt,^)  und  daß  ihm  irgendeine 
der  Gerechtigkeit  fremde  Art  von  Gnade  unbekannt  ist. 
Vor  diesem  Gericht  brauchen  sich  nur  die  unbußfertigen 
Bösen  zu  fürchten;  den  Rechtschaffenen  ist  es  eine  Zeit 
des  Frohlockens. ^) 

11.  Sünde.  —  Was  ist  das  Wesen  der  Sünde?  Auf 
diese  Frage  erwidert  der  Apostel  Johannes:  ,,Wer  Sünde 
tut,  der  tut  auch  Unrecht,  und  die  Sünde  ist  das  Un- 
recht."') In  der  ursprünglichen  Sprache  der  biblischen 
Urkunden  kommen  viele  Wörter  vor,  von  denen  alle  den 
gleichen  Gedanken  des  Widerstands  gegenüber  dem  gött- 
lichen Willen  ausdrücken,^)  und  für  welchen  unser  einziges 
Wort  Sünde  angewandt  wird.  Da  Gott  die  Verkörperung 
der  Reinheit  und  Vollkommenheit  ist,  ist  solcher  Wider- 


')  Johannes  5 :  22. 
ä)  Apostelgesch.  10:42. 

=)  Daniel  7:9;  1.  Thessalonicher  1:7 — 8;  3.  Nephi  26:3 — 5;Lelire  u. 
Bündn.  76:31—49,  103—106. 

*)  Matthäus  25:31 — 46;   L.   u.   B.    1:9—12. 

')  Apostelgesch.  10:34 — 35;  Römer2:ll;Epheser6:9;  Kolosser  3:25. 

«)  2.  Tiraotheus  4:8. 

')  1.  Johannes  3:4. 

')  Siehe  Anmerkung  2. 


72  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  III. 

stand  eine  Empörung  gegen  die  Grundsätze  des  Fort- 
schritts, und  ein  Annehmen  von  Gewohnheiten,  die  zur 
Erniedrigung  führen.  Sünde  ist  irgend  ein  Zustand,  ob 
in  der  Unterlassung  der  geforderten  Dinge  oder  in  der 
Begehung  verbotener  Taten,  der  dazu  beiträgt  die  Ent- 
wicklung der  menschlichen  Seele  zu  vereiteln  oder  hint- 
anzuhalten. Wie  ein  rechtschaffener  Weg  zum  Leben 
führt,  so  strebt  die  Sünde  nach  der  Finsternis  des  zweiten 
Todes  hin.  Die  Sünde  wurde  durch  den  Erzfeind  Satan 
in  die  Welt  eingeführt,^)  dennoch  geschieht  es  mit  gött- 
licher Erlaubnis,  dai3  der  Mensch  mit  der  Sünde  in  Be- 
rührung gebracht  wird,  wodurch  er  den  Gegensatz  zwi- 
schen Gut  und  Böse  kennen  lernt, 

12.  Der  sprachlichen  Erklärung  nach  besteht  die 
Sünde  in  der  Übertretung  des  Gesetzes,  und  in  diesem 
engen  Sinn  kann  Sünde  unabsichtlich  oder  in  Unwissen- 
heit begangen  werden.  Jedoch  ist  es  aus  der  bibli- 
schen Lehre  von  der  menschlichen  Verantwortlichkeit 
und  der  unfehlbaren  Gerechtigkeit  Gottes  klar,  daß  der 
Mensch  in  seinen  Übertretungen,  wie  auch  in  seinen 
rechtschaffenen  Taten  nach  seiner  Fähigkeit,  das  Gesetz 
zu  begreifen,  gerichtet  werden  wird.  Auf  den,  der  mit 
einem  höheren  Gesetz  nie  bekannt  geworden  ist,  sind  die 
Forderungen  des  Gesetzes  in  ihrer  Fülle  nicht  anwendbar. 
Für  die  in  Unkenntnis  begangenen  Sünden,  das  heißt,  für 
Gesetze,  die  in  Unwissenheit  übertreten  worden  sind,  ist 
eine  Versöhnung  im  Sühnopfer,  das  durch  das  Opfern 
des  Erlösers  zustande  gebracht  wurde,  bereitet  worden. 
Sünder  dieser  Art  werden  nicht  verdammt. 

13.  Als  Nephi  den  Ureinwohnern  der  westlichen 
Halbkugel  prophezeite,  lehrte  er  sie  diese  Lehre:  „Wo  kein 
Gesetz  gegeben  worden  ist,  da  ist  keine  Strafe;  und  wo 


')  Köstl.  Perle,  Moses  4:4;  1.  Mose  3. 


Art.  2.]  Die  Übertretung.  73 

keine  Strafe  ist,  da  ist  keine  Verdammung;  und  wo  keine 
Verdammung  ist,  da  hat  die  Barmherzigkeit  des  Heiligen 
von  Israel  des  Sühnopfers  wegen,  Anspruch  auf  sie.  Und 
sie  werden  durch  seine  Macht  befreit;  denn  das  Sühnopfer 
ist  hinreichend  für  die  Forderungen  seiner  Gerechtigkeit, 
für  alle,  die  kein  Gesetz  empfangen  haben,  daher  sind  sie 
von  dem  schrecklichen  Ungeheuer,  dem  Tode,  der  Hölle, 
dem  Teufel  und  dem  Schwefel-  und  Feuerpfuhl,  welches 
endlose  Qualen  sind,  befreit,  und  sie  sind  dem  Gott  wieder- 
gegeben, welcher  der  Heilige  von  Israel  ist,  der  ihnen  den 
Atem  gegeben  hat."^)  Im  Gegensatz  zu  dem  Schicksal  der 
in  dieser  Weise  freigesprochenen  Sünder,  fügt  der  Prophet 
dann  hinzu:  ,,Aber  wehe  dem,  der  das  Gesetz  hat,  der  alle 
Gebote  Gottes  empfangen  hat  gleich  wie  wir,  und  diesel- 
ben übertritt,  und  die  Tage  seiner  Prüfungszeit  verschwen- 
det, denn  sein  Zustand  ist  schrecklich. "2)  pies  steht  in 
strenger  Übereinstimmung  mit  dem,  was  Paulus  an  die 
Römer  schreibt:  „Welche  ohne  Gesetz  gesündigt  haben, 
die  werden  auch  ohne  Gesetz  verloren  werden ;  und  welche 
unter  dem  Gesetz  gesündiget  haben,  die  werden  durchs 
Gesetz  verurteilt  werden."^)  Auch  die  neuzeitlichen  heili- 
gen Schriften  sprechen  sich  in  diesem  Sinne  aus.  Der 
heutigen  Kirche  wurde  durch  Offenbarung  gesagt,  daß 
zu  denen,  die  der  Segnung  der  Erlösung  teilhaftig  werden 
sollen,  auch  jene  gehören  ,,die  ohne  Gesetz  gestorben  sind."*) 
Zu  diesen  werden  die  heidnischen  Völker  gehören,  deren 
Erlösung  verheißen  wurde  mit  dem  Versprechen,  daß 
„die  so  kein  Gesetz  gekannt  haben,  werden  an  der  ersten 
Auferstehung  teilhaben. "5) 


')  2.  Nephi  9:25—26. 

')  2.  Nephi  9:27. 

')  Rom.  2:12. 

»)  Lehreu.Bündn.  76:72. 

')  L.u.B.  45:54. 


74  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  III. 

14.  Strafe  für  Sünde.  —  Wie  die  Belohnung  für  recht- 
schaffene Taten  diesen  verdienstvollen  Handlungen  ent- 
sprechend ist,  so  ist  auch  die  vorgeschriebene  Strafe  dem 
begangenen  Unrecht  angemessen. i)  Die  Strafe  wird  dem 
Sünder  auferlegt  zu  erzieherischen  und  bessernden  Zwecken, 
und  zur  Unterstützung  der  Gerechtigkeit.  Gott  ist  weder 
rachsüchtig,  noch  begierig,  Leiden  hervorzurufen;  im  Ge- 
genteil, unser  Vater  kennt  jede  Pein  und  läßt  solche  nur 
zu  segnenden  Zwecken  anwenden.  Die  Barmherzigkeit 
Gottes  äußert  sich  sowohl  in  der  vergeltenden  Strafe,  die 
er  erlaubt,  als  auch  in  den  Segnungen  des  Friedens,  die  aus 
seiner  Hand  kommen.  Es  lohnt  sich  kaum,  über  das  ge- 
naue Wesen  des  geistigen  Leidens  als  Strafe  für  Sünde  zu 
grübeln.  Ein  Vergleich  mit  körperlichem  Schmerz^)  — 
wie  z.  B.  mit  Feuersqualen  in  einem  Schwefelpfuhl  —  soll 
nur  zeigen,  daß  der  menschliche  Sinn  nicht  imstande  ist, 
die  Schwere  dieser  fürchterlichen  Strafen  zu  begreifen.  Die 
Leiden,  die  dem  furchtbaren  Los  der  Verdammung  folgen, 
sind  mehr  zu  fürchten  als  irgendwelche  rein  körperliche 
Qual;  die  Sinne,  der  Geist,  die  ganze  Seele  ist  verurteilt 
zu  leiden,  und  die  Größe  der  Qual  weiß  kein  Mensch. 

15.  Betrachten  wir  das  Wort  des  Herrn  betreffs  derer, 
deren  Sünde  unverzeihhch  ist,  deren  Übertretung  sie  über 
den  gegenwärtigen  Horizont  einer  möglichen  Versöhnung 
hinaus  getragen  hat;  also  derer,  die  in  ihrer  Bosheit  so  tief 
gesunken  sind,  daß  sie  die  Kraft  und  sogar  den  Wunsch 
verloren  haben,  eine  Besserung  zu  versuchen.-^)  ,, Söhne 
des  Verderbens"  ist  die  furchtbare  Bezeichnung,  unter  der 
sie  bekannt  sind.  Diese  sind  es,  die  die  Kraft  Gottes,  nach- 
dem sie  sie  kennen  gelernt  haben,  verleugnen;  die,  die  ab- 


')  Lehre  u.  Bündn.  76:82—85;  82:21;  104:9;  63:17;  2.  Nephi  1:13; 
»:27;  28:23. 

=)  L.u.B.  76:36,44;  Jakob6:10;  Alma  12:16— 17;  3.  Nephi 27: 11, 12. 
=)  Siehe  L.  u.  B.  76:26,  32,  43. 


Art.  2]  Die  Übertretung.  75 

sichtlich  und  im  Licht  der  Erkenntnis  sündigen;  die,  die 
ihr  Herz  dem  Heihgen  Geist  öffnen,  und  dann  durch  dessen 
Verleugnung  den  Herrn  zu  Spott  und  zur  Schande  hin- 
stellen ;  die  einen  Mord  begehen,  wordurcli  sie  unschuldiges 
Blut  vergießen;^)  diese  sind  es,  von  denen  der  Heiland  er- 
klärte, es  wäre  besser  für  sie,  daß  sie  nie  geboren  wären.-) 
Diese  sollen  teilnehmen  an  der  Strafe  des  Teufels  und  seiner 
Engel  —  eine  Strafe,  so  furchtbar,  daß,  obwohl  einigen 
ein  vorübergehender  Anblick  dieses  schrecklichen  Bildes 
gewährt  wird,^)  diese  Kenntnis  doch  allen  vorenthalten 
wird,  außer  denen,  die  diesem  schrecklichen  Schicksal 
übergeben  werden.  Diese  Sünder  sind  die  einzigen,  über 
die  der  zweite  Tod  Macht  hat,  ,,ja,  wahrlich  die  einzigen, 
welche  in  der  eigens  von  Gott  bestimmten  Zeit  nach  der 
Erduldung  seines  Grimms  nicht  erlöst  werden  sollen."*) 
16.  Die  Dauer  der  Strafe.  —  Über  die  Dauer  solcher 
Strafe  können  wir  versichert  sein,  daß  sie  der  Sünde  ge- 
mäß abgestuft  sein  wird ;  und  daß  die  allgemeine  Auslegung 
biblischer  Stellen,  wonach  jede  Strafe  für  Missetaten  un- 
endlich wäre,  ganz  falsch  ist.^)  Groß  wie  die  Wirkung  dieses 
Lebens  auf  das  kommende,  und  furchtbar  wie  die  Verant- 
wortung für  versäumte  Gelegenheiten  zur  Buße  ist,  so 
hält  Gott  dennoch  die  Macht  in  Händen,  noch  im  Jenseits 
zu  vergeben.  Und  doch  spricht  die  Schrift  von  ewiger  und 
endloser  Strafe.  Irgendeine  von  Gott  verordnete  Strafe 
ist  ewig,  denn  er  ist  ewig,®)  Seine  Strafordnung  ist  eine 
solche  der  endlosen  Strafe,  denn  sie  wird  immer  als  ein 
für  ungehorsame  Geister  bereiteter  Ort  oder  Zustand  be- 
stehen; doch  die  Strafe  wird  in  jedem  Falle  der  bereit- 


»)  Lehre  u.  Bündn.  132:27 

')  Johannes  17:12;    2.  Thessalonicher  2:3;    L.  u.  B.  76:32. 

»)  L.U.B.  76:45— 48. 

«)  L.u.B.  76:38,  39. 

')  L.  u.  B.  19:6— 12;  76:36,  44. 

•)  L.u.B.  19:10 — 12. 


76  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  III. 

willigen  Buße  und  versuchten  Genugtuung  ein  Ende  haben. 
Und  Buße  ist  in  der  Geisterwelt  nicht  unmöglich.^)  Doch 
gibt  es,  wie  schon  erwähnt,  einige  Sünden  die  so  furchtbar 
sind,  daß  die  sie  begleitenden  Strafen  den  Menschen  nicht 
bekannt  gemacht  sind;^)  diese  größten  Strafen  sind  für 
die  „Söhne  des  Verderbens"  vorbehalten. 

17.  Die  falsche  Lehre,  daß  die  Strafe,  mit  der  die 
irrenden  Seelen  heimgesucht  werden  sollen,  und  daß  jede 
Verdammung  der  Sünde  wegen  von  unendlicher  Dauer 
sei,  ist  eine  der  verderblichsten  Folgen  der  unerleuchteten 
Sektiererei.  Wer  Barmherzigkeit  liebt  und  Gerechtigkeit 
ehrt,  erkennt  sie  sogleich  als  einen  unbiblischen,  unver- 
nünftigen und  abstoßenden  Lehrsatz  unbefugter  und  ir- 
render Kirchen.  Zwar  steht  in  der  Schrift,  als  Kennzei- 
chen des  für  die  Bösen  bereiteten  Gerichts,  von  ewigem 
Brennen,  ewiger  Verdammung  und  der  Rache  des  ewigen 
Feuers  ;3)  aber  in  keinem  Fall  ist  die  Folgerung,  daß  der 
Sünder  den  Zorn  der  verletzten  Gerechtigkeit  für  immer 
und  ewig  leiden  müsse,  gerechtfertigt.  In  einem  jeden 
Falle  ist  die  Strafe,  auch  ohne  diesen  hinzugefügten  höch- 
sten Schrecken  von  der  unendlichen  Fortdauer,  genügend 
schwer.  Der  Gerechtigkeit  muß  Genüge  getan  werden, 
aber  wenn  „der  letzte  Heller"  bezahlt  ist,  werden  die  Ge- 
fängnistüren geöffnet,  und  der  Gefangene  wird  frei  gelassen 
werden.  Aber  das  Gefängnis  bleibt,  und  das  Gesetz,  das 
die  Strafe  für  Missetaten  festsetzt,  wird  nicht  aufgehoben 
werden. 

18.  So  vorherrschend  waren  die  üblen  Folgen  der 
trotz  ihrer  Unwahrheit  und  trotz  ihres  Widerspruches  mit 
der  Schrift  allgemein  angenommenen  Lehre  von  der  end- 


•)  1.  Petrus  3:18—20;  4:6;  Lehre  u.  Bündn.  76:73. 
')  L.  u.  B.  76:44. 

»)  Matthäus  18:8;  25:41,  46;   2.  Thessalonicher  1:9;   Markus  3:29; 
Judas  7. 


Art.  2.1  Die  Übertretung.  77 

losen,  für  alle  Sünder  bestimmten  Qual,  daß  ehe  noch  die 
Kirche  in  der  gegenwärtigen  Dispensation  formell  orga- 
nisiert wurde,  Gott  durch  den  Propheten  Joseph  Smith 
über  diese  Sache  eine  Offenbarung  gab,  in  welcher  wir  le- 
sen: „Und  sicherlich  muß  jeder  Mensch  Buße  tun  oder 
leiden,  denn  ich,  Gott,  bin  endlos.  Deshalb  nehme  ich  das 
Urteil  nicht  zurück,  welches  ich  fällen  werde,  sondern 
Elend,  Weinen,  Wehklagen  und  Zähneklappen  sollen 
kommen,  ja,  für  die,  die  zu  meiner  Linken  sind.  Dennoch 
ist  es  nicht  geschrieben,  daß  jene  Qual  kein  Ende  haben 
sollte,  sondern  es  ist  geschrieben  —  endlose  Qual.  Wiede- 
rum ist  geschrieben  —  ewige  Verdammung*  *  * ;  denn  ich 
bin  endlos,  und  die  Strafe,  die  ich  erteile,  ist  endlose  Strafe, 
denn  Endlos  ist  mein  Name;  deshalb  —  ewige  Strafe  ist 
Gottes  Strafe;  endlose  Strafe  ist  Gottes  Strafe. "i) 

19.  Satan.  —  Wir  mußten  schon  wiederholt  den  Ur- 
heber des  Bösen  unter  den  Menschen  erwähnen.  Dieser 
ist  Satan,2)  der  Widersacher  oder  Gegner  des  Herrn,  das 
Haupt  aller  bösen  Geister,  auch  Teufel^),  Beelzebub^) 
oder  der  Teufel  Obersten,  Verderben,^)  und  Belial«)  ge- 
nannt. Wird  über  den  Fall  gesprochen,  so  werden  die 
sinnbildlichen  Bezeichnungen  Drache  und  Schlange'')  auf 
Satan  angewendet.  Aus  dem  geoffenbarten  Wort^)  erfahren 
wir,  daß  Satan  einmal  ein  Engel  des  Lichtes  und  damals 
als  Luzifer,  ein  Sohn  des  Morgens,  bekannt  war.  Aber  sein 
zügelloser  Ehrgeiz  trieb  ihn  an,  nach  der  Erlangung  der 
Herrlichkeit  und  der  Macht  des  Vaters  zu  trachten,  wes- 
halb er  den  ungerechten  Antrag  stellte,  die  ganze  Mensch- 


')  Offenbarung,  gegeben  im  März  1830;  Lehre  u.  Bündn. 

•)  Hiob  1:6—22;  2:1—7;  Sacharja  3:1—2. 

»)  Matthäus  4:5,  8,  11;  1.  Petrus  5:8. 

')  Matthäus  12:24. 

')  L.u.B.  76:26. 

•)  2.  Korinther  6:15. 

')  Offenbarung  Joh.  12:9;  20:2. 

•)  L.U.B.  76:25— 27. 


78  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  III. 

heit  durch  Zwang  zu  erlösen.  Da  dieser  Vorschlag  nicht 
angenommen  wurde,  führte  Satan  eine  Empörung  gegen 
den  Vater  und  den  Sohn  herbei  und  zog  ein  Drittel  der 
Scharen  des  Himmels  in  seinen  gottlosen  Bund.^)  Diese 
empörerischen  Geister  wurden  von  dem  Himmel  ausge- 
stoßen, und  seitdem  haben  sie,  den  Trieben  ihrer  bösen 
Naturen  folgend,  versucht,  die  menschlichen  Seelen  in 
ihren  eigenen  Zustand  der  Finsternis  hineinzuziehen. 
Diese  sind  der  Teufel  und  seine  Engel.  Das  Vorrecht  des 
freien  Willens,  aufrecht  erhalten  und  gerechtfertigt  durch 
den  furchtbaren  Streit  im  Himmel,  verhütet  die  Möglich- 
keit der  Anwendung  des  Zwanges  in  diesem  teuflischen 
Werk;  aber  die  Kräfte  dieser  bösen  Geister  werden  bei  der 
Versuchung  und  Überredung  der  Menschen  bis  zur  äußer- 
sten Grenze  angewendet.  Satan  versuchte  Eva,  das  Gesetz 
Gottes  zu  übertreten  ;2)  er  war  es,  der  das  Geheimnis  des 
Mordes  dem  Brudermörder  Kain  mitteilte. 3) 

20.  Über  die  Geister,  die  durch  seine  Machenschaften 
verderbt  worden  sind,  übt  Satan  seine  Herrschaft  aus. 
Er  ist  der  erste  unter  den  hinausgeworfenen  Engeln  und  der 
Urheber  des  Verderbens  derer,  die  in  diesem  Leben  der 
Sünde  anheimfallen;  er  sucht  durch  die  Versuchung  zur 
Sünde,  die  Menschheit  in  ihren  guten  Werken  zu  belästi- 
gen und  zu  hindern;  es  kann  dies  auch  durch  Aufbürdung 
einer  Krankheit,*)  ja  selbst  des  Todes  geschehen.  Doch 
in  all  diesem  bösen  Tun  kann  er  nicht  weiter  gehen  als  die 
Übertretungen  des  Betreffenden  ihn  gewähren  lassen  oder 
die  Weisheit  Gottes  es  ihm  erlaubt;  und  zu  irgend  einer 
Zeit  kann  ihm  von  der  höheren  Macht  Einhalt  geboten 


>)  Lehre u.  Bündn.  29:36 — 37;  siehe  auch  Köstl.  Perle  Moses  4:3 — 7; 
Abraham  3:27 — 28. 

')  1.  Mose  3:4—5;  und  Köstl.  Perle,  Moses  4:6—11. 
')  Köstl.  Perle,  Moses  5:29—33. 
*)  Lukas  13:16;  Hiob  1. 


Art.  2.]  Der  Fall  Adams.  79 

werden.  Ja  es  mögen  sogar  die  Maßnahmen  seiner  äußer- 
sten Bosheit  der  Vollbringung  göttlicher  Absichten  dienst- 
bar gemacht  werden.  Die  Schriften  beweisen  uns,  daß 
die  Tage  der  Macht  Satans  schon  gezählt  sind^);  sein 
Schicksal  ist  schon  beschlossen,  und  in  der  eigens  vom 
Herrn  bestimmten  Zeit  soll  er  gänzlich  überwältigt  werden. 
Während  des  Tausendjährigen  Reiches  soll  er  gebunden, 
und  nach  diesen  tausend  Jahren  des  gesegneten  Friedens, 
eine  kleine  Zeit  losgelassen  werden;  dann  soll  er  völlig 
besiegt  und  seine  Macht  über  die  Kinder  Gottes  gänzlich 
zerstört  werden. 

Der  Fall  Adams. 

21.  Unsere  ersten  Eltern  in  Eden.  — ^)  Die  krönende 
Tat  in  dem  großen  Drama  der  Schöpfung  war  die  Erschaf- 
fung des  Menschen  in  dem  Ebenbild  Gottes,  seines  geistigen 
Vaters. 3)  Zur  Aufnahme  des  ersten  Menschen  hatte  der 
Schöpfer  eine  auserlesene  Gegend  besonders  hergerichtet 
und  mit  natürlichen  Schönheiten,  die  das  Herz  des  fürst- 
lichen Besitzers  zu  erfreuen  bestimmt  waren,  geschmückt. 
„Und  Gott  der  Herr  pflanzte  einen  Garten  in  Eden^)  gegen 
Morgen  und  setzte  den  Menschen  hinein,  den  er  gemacht 
hatte. "5)  Bald  nach  der  Ankunft  des  Menschen  auf  Erden 
erklärte  der  Herr,  es  ist  nicht  gut,  daß  der  Mensch  allein 
sei^),  und  schuf  ihm  eine  Gefährtin  oder  Gehilfin.  So 
wurden  Mann  und  Frau,  Adam  und  seine  Gattin  Eva,  in 
den  Garten  gestellt.  Ihnen  wurde  die  Herrschaft  ,,über 
die  Fische  im  Meer  und  über  die  Vögel  unter  dem  Himmel 


»)   Johannes  12:31;  16:11. 
')  Offenbarung  Joh.  20:1— 10. 

ä)  Lies  1.  Mose,  Kapitel  2  und  3;  Köstl.  Perle,  Moses  3  u.  4;  Abraham 
5:7—21. 

«)  1.  Mose  1:26;  Köstl.  Perle,  Moses  2:27. 
')  Siehe  Anmerkung  3. 
•)  1.  Mose  2:18,  19. 


80  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  III. 

und  Über  alles  Getier,  das  auf  Erden  kriecht"  gegeben.^) 
Mit  dieser  großen  Macht  waren  gewisse  besondere  Gebote 
verbunden,  von  welchen  hinsichtlich  der  Wichtigkeit 
,,seid  fruchtbar  und  mehret  euch  und  füllet  die  Erde  und 
machet  sie  euch  Untertan"^)  das  erste  war;  das  zweite,  daß 
sie  sich  des  Essens,  oder  sogar  der  Berührung  von  einem 
gewissen,  mitten  im  Garten  wachsenden  Baume,  dem  Bau- 
me der  Erkenntnis  des  Guten  und  Bösen,  enthalten  sollten, 
wogegen  sie  von  allen  andern  Früchten  reichlich  genießen 
durften.  Die  Worte  Gottes  betreffs  dieses  Gebotes  und  der 
Straf  e  lauten : ,, Und  ich,  Gott  der  Herr,  gebot  dem  Menschen 
und  sagte:  Von  allen  Bäumen  des  Gartens  darfst  du  reich- 
lich essen.  Aber  von  dem  Baum  der  Erkenntnis  des  Guten 
und  Bösen  sollst  du  nicht  essen,  dennoch  magst  du  für  dich 
selbst  wählen,  denn  es  ist  dir  gegeben;  aber  bedenke,  daß 
ich  es  verbiete,  denn  des  Tages,  da  du  davon  issest,  sollst 
du   sicher  sterben. "3) 

22.  Die  Versuchung,  dieses  Gebot  zu  übertreten, 
kam  bald.  Satan  stellte  sich  Eva  in  dem  Garten  vor  und 
Gefragte  sie,  durch  den  Mund  der  Schlange  sprechend, 
über  die  ihnen  von  Gott  gegebenen  Gebote  betreffs  des 
Baumes  der  Erkenntnis  des  Guten  und  des  Bösen.  Eva  ant- 
wortete, ihnen  sei  bei  Todesstrafe  verboten  worden,  die 
Frucht  des  Baumes  auch  nur  anzurühren.  Satan  suchte 
dann  das  Weib  zu  betrügen,  widersprach  dem  Wort  des 
Herrn  und  behauptete,  daß  der  Übertretung  der  göttlichen 
Einschärfung  nicht  der  Tod  folgen  würde,  sondern  daß 
im  Gegenteil,  wenn  sie  das  täten,  was  der  Herr  verboten 
hat,  sie  und  ihr  Gemahl  wie  die  Götter  werden  und  wissen 
würden  was  gut  und  was  bös  ist.  Das  Weib  wurde  durch 
diese  Vorspiegelung  bezaubert;  und  da  es  sie  gelüstete. 


')  1.  Mose  2:18;  Köstl.  Perle,  Moses  3:18,  21—24. 

»)  I.Mose  1:28;  Köstl.  Perle,  Moses  2:28;  Abraham  4:28. 

>)  Köstl.  Perle,  Moses  3:16 — 17;  siehe  auch  I.Mose  2:16 — 11 


Art.  2.]  Der  Fall  Adams.  81 

die  von  Satan  geschilderten  Vorteile  zu  erlangen,  übertrat 
sie  das  Gebot  des  Herrn  und  aß  von  der  verbotenen  Frucht. 
Sie  fürchtete  sich  vor  dem  Bösen  nicht,  denn  es  war  ihr 
unbekannt.  Dann  sagte  sie  Adam,  was  sie  getan  hatte, 
und  redete  ihm  zu,  dasselbe  zu  tun. 

23.  Adam  befand  sich  jetzt  in  einer  Lage,  in  der  er 
gezwungen  war,  einer  der  Forderungen  Gottes  ungehor- 
sam zu  sein.  Ihm  und  seiner  Frau  war  es  befohlen  worden, 
sich  zu  vermehren  und  die  Erde  zu  füllen.  Adam  war  noch 
unsterbhch;  die  Strafe  der  Sterblichkeit  war  über  Eva 
gekommen,  und  in  so  ungleichem  Zustande  durften  die 
beiden  nicht  zusammen  bleiben  und  hätten  daher  auch 
nicht  die  göttliche  Forderung  erfüllen  können.  Anderseits, 
gibt  Adam  der  Forderung  seiner  Gattin  nach,  so  müßte  er 
ein  anderes  Gebot  übertreten.  Mit  Überlegung  und  Weis- 
heit entschloß  er  sich,  das  erste  und  größere  Gebot  zu 
halten ;  und  deshalb  genoß  auch  er  von  der  am  Baume  der 
Erkenntnis  des  Guten  und  Bösen  wachsenden  Frucht  und 
zwar  mit  vollem  Verständnis  für  das  Wesen  seiner  Tat. 
Die  Tatsache,  daß  Adam  in  dieser  Sache  einsichtsvoll 
und  mit  Überlegung  gehandelt  hat,  wird  durch  die  Schrift 
bestätigt.  In  seinem  Brief  an  Timotheus  erklärt  Paulus: 
„Adam  ward  nicht  verführt;  das  Weib  aber  ward  verführt 
und  hat  die  Übertretung  eingeführt."^)  Als  der  Prophet 
Lehi  seinen  Söhnen  die  Schrift  auslegte,  erklärte  er: 
,,Adam  fiel,  damit  Menschen  würden,  und  Menschen  sind 
da,  daß  sie  sich  erfreuen. "2) 

24.  Der  Baum  des  Lebens.  —  In  Eden  gab  es  noch  ei- 
nen Baum  von  besondern  Kräften;  seine  Frucht  sicherte 
Leben  allen,  die  davon  äßen.  Während  Adam  und  Eva 
in  unschuldiger  Unsterblichkeit  lebten,  war  ihnen  dieser 


»)  1.  Timotheus  2: 14 
«)  2.  Nephi  2:25. 


82  Die  Glaubensartikel.  (Vorl.  III. 

Baum  nicht  verboten,  denn  die  himmlische  Frucht  war 
ihnen  in  ihrem  sündlosen  Zustand  geeignete  Speise.  Jetzt 
aber,  nachdem  sie  übertreten  hatten,  jetzt  da  der  göttliche 
Ratschluß,  der  den  Tod  als  ihr  Los  bestimmte,  in  Kraft 
getreten  war,  war  es  nicht  mehr  angebracht,  daß  ihnen  die 
Frucht  des  Baumes  des  Lebens  länger  erreichbar  sein 
sollte.  Sie  wurden  deshalb  aus  dem  Garten  getrieben, 
und  damit  nicht  der  Mensch  in  einem  schuldbeladenen 
Zustand  zurückkehre,  bewachten  Cherubim  mit  dem 
flammenden  Schwert  den  Weg.  Durch  die  Übertretung 
erlangten  unsere  ersten  Eltern  eine  Erkenntnis,  —  die 
durch  Erfahrung  gewonnene  Erkenntnis  des  Guten  und 
des  Bösen,  —  die  sie  in  ihrem  Zustand  der  ursprünglichen 
Unschuld  nicht  besessen  hatten.  Die  Folge  des  Falles 
hätte  nur  von  übler  Wirkung  sein  können,  wären  die  Ge- 
fallenen ohne  Buße  und  ohne  Versöhnung  sogleich  wieder 
in  einen  Zustand  der  Unsterblichkeit  versetzt  worden. 
In  der  Verzweiflung,  die  dem  Gewahrwerden  der  großen 
über  sie  gekommenen  Veränderung  folgte,  und  in  dem 
Lichte  der  um  einen  solchen  Preis  erlangten  Erkenntnis 
von  der  Kraft  der  auf  dem  Baum  des  Lebens  wachsenden 
Frucht,  wäre  es  für  sie  nur  natürlich  gewesen,  die  schein- 
baren Vorteile  eines  unmittelbaren  Entrinnens  durch  das 
Essen  der  himmlischen  Frucht  zu  benützen.  Es  war  aus 
Barmherzigkeit,  daß  ihnen  die  Gelegenheit  dazu  entzogen 
wurde. 

25.  Des  Schöpfers  Worte  über  die  Notwendigkeit  der 
Verbannung  seiner  ersten  irdischen  Kinder  aus  Eden  sind 
unmißverständlich:  „Und  Gott  der  Herr  sprach:  Siehe, 
Adam  ist  geworden  wie  unsereiner  und  weiß,  was  gut  und 
böse  ist.  Nun  aber,  daß  er  nicht  ausstrecke  seine  Hand 
und  breche  auch  von  dem  Baum  des  Lebens  und  esse  und 
lebe  ewiglich !  Da  wies  ihn  Gott  der  Herr  aus  dem  Garten 
Eden,  daß  er  das  Feld  baute,  davon  er  genommen  ist;  und 


Art.  2.]  Der  Fall  Adams.  83 

trieb  Adam  aus  und  lagerte  vor  den  Garten  Eden  die  Che- 
rubim mit  dem  bloßen,  hauenden  Schwert,  zu  bewahren 
den  Weg  zu  dem  Baum  des  Lebens. "i) 

26.  Der  nephitische  Prophet  Alma  begriff  was  die 
Folgen  gewesen  wären,  wenn  Adam  und  seine  Gemahlin 
von  dem  Baum  des  Lebens  gegessen  hätten;  er  sagt  hie- 
rüber: ,,Nun  sehen  wir,  daß  der  Mensch  wie  Gott  geworden 
war,  da  er  Gutes  und  Böses  erkannte;  um  aber  zu  verhin- 
dern, daß  er  seine  Hand  ausstrecke,  und  auch  von  dem 
Baum  des  Lebens  nehme  und  esse  und  ewig  lebe,  stellte 
Gott  der  Herr  Cherubim  und  das  flammende  Schwert 
dahin,  damit  er  nicht  von  der  Frucht  genießen  sollte.  Wir 
sehen  also,  daß  dem  Menschen  eine  Frist  gegönnt  wurde, 
um  sich  zu  bekehren;  ja,  eine  Prüfungszeit,  eine  Zeit,  um 
Buße  zu  tun  und  Gott  zu  dienen.  Denn  siehe,  wenn  Adam 
sogleich  seine  Hand  ausgestreckt  und  von  dem  Baum  des 
Lebens  gegessen  hätte,  würde  er  nach  den  Worten  Gottes 
ewig  gelebt  und  keine  Frist  zur  Bekehrung  gehabt  haben ; 
auch  das  Wort  Gottes  wäre  nichtig  und  der  große  Er- 
lösungsplan vereitelt  gewesen. "2) 

27.  Die  unmittelbare  Folge  des  Falles  war  die  Ein- 
führung der  Sterblichkeit  mit  all  ihren  Schwachheiten 
an  Stelle  der  Kräfte  des  ursprünglichen,  unsterblichen 
Zustands.  Adam  bekam  alsbald  die  Folgen  der  Übertre- 
tung zu  spüren,  denn  anstatt  der  Schönheit  und  Frucht- 
barkeit Edens  fand  er  eine  unfruchtbare  und  öde  Erde 
vor,  mit  einem  kahlen  Boden.  Statt  lieblicher  und  nütz- 
licher Pflanzen  schössen  Dornen  und  Disteln  auf;  und  unter 
körperlicher  Ermüdung  und  Leiden  mußte  er  mühsam 
arbeiten,  um  den  Boden  zu  bebauen,  damit  er  die  not- 
wendigen Speisen  erhielt.  Auf  Eva  fiel  die  Strafe  körper- 
licher Schwäche;  die  Schmerzen  und  Sorgen,  die  seitdem 


')  1.  Mose  3:22 — 24;  Köstl.  Perle,  Moses  4:31. 
»)  Buch  Mormon,  Alma  42:3 — 5. 


84 


Die  Glaubensartikel. 


(Vorl.  III. 


als  das  natürliche  Los  des  Weibes  angesehen  werden, 
kamen  über  sie,  und  sie  wurde  ihrem  Manne  Untertan. 
Da  sie  das  Gefühl  ihrer  früheren  Unschuld  verloren  hatten, 
schämten  sie  sich  ihrer  Nacktheit,  und  der  Herr  machte 
ihnen  Gewänder  aus  Fellen.  Auf  den  Mann  und  das  Weib 
wurde  die  Strafe  des  geistigen  Todes  gelegt,  denn  an  dem- 
selben Tag  wurden  sie  aus  Eden  verbannt  und  von  der 
Gegenwart  des  Herrn  ausgeschlossen.  Die  Schlange,  da 
sie  den  Absichten  Satans  gedient  hatte,  wurde  ein  Gegen- 
stand des  göttlichen  Mißfallens  und  verurteilt,  für  immer 
in  dem  Staub  zu  kriechen  und  unter  der  Feindschaft  zu 
leiden,  die  gegen  sie,  nach  dem  göttlichen  Ratschluß,  in 
die  Herzen  der  Kinder  Evas  gepflanzt  werden  sollte.^) 

28.  Ein  Sühnopfer  war  vorbereitet.  —  Gott  ließ  seine 
jetzt  sterblichen  Kinder  aber  nicht  ohne  Hoffnung.  Dem 
Adam  gab  er  andere  Gebote  und  forderte  ihn  auf,  Opfer 
in  dem  Namen  des  eingeborenen  Sohnes  darzubringen 
und  verhieß  ihm  und  all  seinen  Nachkommen  Erlösung, 
wenn  sie  sich  den  verordneten  Bedingungen  fügen  würden. 
Die  Gelegenheit,  durch  die  Überwindung  des  Bösen  den 
Lohn  des  Siegers  zu  empfangen,  wurde  unsren  Eltern  er- 
klärt, und  sie  freuten  sich  darüber.  Adam  sprach:  „Ge- 
priesen sei  der  Name  meines  Gottes,  denn  wegen  meiner 
Übertretung  wurden  meine  Augen  geöffnet,  und  ich  werde 
in  diesem  Leben  Freude  haben  und  werde  wieder  im  Fleisch 
Gott  schauen."  Eva  ward  erfreut  und  erklärte:  ,,Wäre 
es  nicht  unsrer  Übertretung  wegen,  so  hätten  wir  nie 
Samen  erhalten  und  würden  nie  Gutes  und  Böses  und  die 
Freude  unsrer  Erlösung  und  das  ewige  Leben,  welches 
Gott  allen  Gehorsamen  gibt,  gekannt  haben. "2) 

29.  Der  Fall  ist  nicht  durch  Zufall  gekommen.  —  Es 
wäre  unvernünftig,  zu  glauben,  Adams  und  Evas  Übertre- 


')  Siehe  Anmerkung  4. 

»)  Köstl.  Perle,  Moses  5:10—11;  siehe  Anmerkung  6. 


Art.  2]  Der  Fall  Adams.  85 

tung  sei  für  den  Herrn  eine  Überraschung  gewesen. 
Durch  sein  unbegrenztes  Vorherwissen  wußte  Gott,  was 
die  Folge  der  Versuchung  Satans  für  Eva  sein  und  was 
Adam  unter  den  gegebenen  Umständen  tun  werde.  Und 
weiter  ist  es  klar,  daß  der  Fall  als  ein  Mittel  vorgesehen 
war,  durch  das  der  Mensch  sowohl  mit  Gutem  als  auch 
mit  Bösem  in  Berührung  gebracht  werden  konnte.  Dieses 
sollte  dazu  führen,  daß  er  aus  seinem  eigenen  freien 
Willen  heraus,  entweder  das  eine  oder  das  andere  wählen, 
und  in  dieser  Weise,  durch  die  Erfahrungen  einer  sterb- 
lichen Prüfungszeit,  auf  die  in  dem  Plan  seiner  Erschaffung 
vorgesehene  Erhöhung  vorbereitet  werden  könnte:  ,,Denn 
dieses  ist  mein  Werk  und  meine  Herrlichkeit  —  die  Unsterb- 
lichkeit und  das  ewige  Leben  des  Menschen  zu  vollbrin- 
gen,"i)  sprach  der  Herr  zu  Mose.  Es  war  die  Absicht 
Gottes,  den  von  ihm  im  Himmel  erzeugten  Geistern,  die 
Mittel  des  persönlichen  Strebens  und  die  Gelegenheit, 
nicht  allein  Seligkeit  und  Befreiung  von  dem  geistigen 
Tode  sondern  auch  Erhöhung  mit  allen  den  Mächten  des 
ewigen  Fortschritts  und  ewiger  Vermehrung  zu  erlangen, 
erreichbar  zu  machen.  Deshalb  war  es  notw^endig,  daß 
die  geistigen  Nachkommen  Gottes  die  Wohnstätte  ihrer 
uranfänghchen  Kindheit  verlassen,  in  die  Schule  der  Er- 
fahrung der  Sterblichkeit  eintreten,  mit  dem  Bösen  in 
Berührung  kommen,  ihm  widerstreiten,  und  es  entspre- 
chend den  verschiedenen  Graden  ihres  Glaubens  und  ihrer 
Kraft  überwinden  sollten.  Adam  und  Eva  hätten  nie  die 
Eltern  einer  sterblichen  Nachkommenschaft  sein  können, 
wären  sie  selbst  nicht  sterblich  geworden.  Wie  schon  er- 
wähnt, war  die  Sterblichkeit  ein  notwendiger  Teil  des 
göttlichen  Planes  betreffs  der  Erde  und  der  für  sie  bestimm- 
ten Bewohner,  und  als  ein  Mittel,  wodurch  die  Sterblich- 


>)  Köstl.  Perle,  Moses  1 :  39 ;  siehe  Anmerkung 


86  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  III. 

keit  eingeführt  werden  könnte,  setzte  Gott  die  Stammel- 
tern des  Menschengeschlechts  vor  ein  Gesetz  und  wußte 
sehr  wohl,  daß  Übertretung  folgen  würde. 

30.  Durch  ihren  Anteil  an  dem  großen  Drama  des 
Falles  erfüllte  Eva  die  vorausgesehenen  Absichten  Gottes ; 
dennoch  war  nicht  dieses  der  Grund,  weshalb  sie  von  der 
verbotenen  Frucht  genoß,  sondern,  weil  sie  von  den  Vor- 
spiegelungen der  Schlange,  des  bösen  Feindes,  betrogen 
worden  war,  genoß  sie  mit  der  Absicht,  das  göttliche  Gebot 
zu  übertreten.  Und  in  dieser  Hinsicht  förderte  auch 
Satan,  als  er  Eva  versuchte,  die  Absichten  des  Schöpfers, 
während  es  doch  sein  Vorhaben  war,  den  Plan  Gottes  zu 
vereiteln.  Uns  wird  ausdrücklich  erklärt :  ,,Denn  er  kannte 
den  Willen  Gottes  nicht,  weshalb  er  auch  die  Welt  zu  ver- 
nichten suchte."^)  Aber  sein  teuflisches  Bestreben  war 
keineswegs  der  erste  Schritt  zum  Verderben,  sondern  es 
trug  zu  dem  Plan  der  ewigen  Erhöhung  des  Menschen 
mit  bei.  Adams  Anteil  an  diesem  großen  Ereignis  war 
von  dem  seiner  Frau  wesentlich  verschieden;  er  wurde 
nicht  betrogen;  im  Gegenteil,  mit  Überlegung  entschloß 
er  sich,  so  zu  tun  wie  es  Eva  verlangte,  damit  er  die 
Absichten  seines  Schöpfers  betreffs  des  Menschenge- 
schlechts, dessen  erster  Patriarch  zu  sein  er  bestimmt 
war,  ausführen  könne. 

31.  Sogar  die  Übertretungen  der  Menschen  können 
der  Ausführung  hoher  Absichten  dienstbar  gemacht 
werden.  Wie  später  erklärt  wird,  wurde  das  Sühnopfer 
Christi  vor  Grundlegung  der  Welt  bestimmt,^)  doch 
sind  Judas,  der  den  Sohn  Gottes  verriet  und  die  blutdür- 
stigen Juden,  die  ihn  kreuzigten,  an  dem  furchtbaren 
Verbrechen  deshalb  nicht  weniger  schuld. 


1)  Köstl.  Perle,  Moses  4:6. 

')  Siehe  Vorlesung  IV,  Seite  91. 


Art.  2.)  Anmerkungen.  87 

32.  Es  ist  allgemeine  Gewohnheit  der  Menschen  ge- 
worden, heftige  Vorwürfe  gegen  die  Stammeltern  des  Men- 
schengeschlechts zu  erheben  und  sich  den  —  wie  man 
annimmt  gesegneten  —  Zustand  auszumalen,  in  dem  wir 
leben  würden,  wenn  der  Fall  nicht  eingetreten  wäre.  Statt 
dessen  haben  unsre  ersten  Eltern  Anspruch  auf  unsere 
tiefste  Dankbarkeit  für  die  ihrer  Nachkommenschaft 
hinterlassene  Erbschaft:  die  Mittel,  auf  dem  Schlachtfeld 
der  Sterblichkeit,  Herrlichkeit,  Erhöhung  und  ewiges 
Leben  zu  erlangen.  Wäre  diese  Gelegenheit  nicht  gegeben 
worden,  so  wären  die  Geister  der  Sprößlinge  Gottes  in 
einem  Zustand  der  unschuldigen  Kindheit  verblieben, 
sündlos,  aber  nicht  durch  eigenes  Verdienst;  in  vernei- 
nendem Sinne  erlöst,  nicht  von  der  Sünde,  sondern  von  der 
Gelegenheit  mit  der  Sünde  in  Berührung  zu  kommen; 
unfähig  den  Lohn  des  Sieges  zu  erlangen,  weil  von  der 
Teilnahme  am  Kampf  zurückgehalten.  Aber  wie  es  jetzt 
ist,  sind  sie  Erben  des  Geburtsrechts  der  Nachkommen- 
schaft Adams:  der  Sterblichkeit  mit  ihren  unermeßhchen 
Möglichkeiten  und  ihrer  gottgegebenen  Freiheit  im  Han- 
deln. Von  Vater  Adam  haben  wir  all  die  Leiden,  denen 
das  Fleisch  unterworfen  ist,  geerbt;  aber  sie  sind  notwen- 
digerweise mit  der  Erkenntnis  des  Guten  und  des  Bösen 
verbunden,  einer  Erkenntnis,  durch  deren  Anwendung 
die  Menschen  sogar  wie  die  Götter  werden  können. i) 


Anmerkungen. 

1.  Der  freie  Wille  ist  dem  Menschen  von  Gott  gegeben.  Das  Folgende 
ist  ein  Auszug  aus  einer  von  Präsident  Brigham  Young  am  5.  Juli  1855 
gehaltenen  Rede.  (Siehe  „Journal  of  Discourses",  von  diesem  Tag  und 
„Millenial  Star,"  Band  XX,  Seite  43).  „Was  ist  die  Grundlage  der  Rechte 
des  Menschen  ?  Mit  der  ausdrücklichen  Absicht,  daß  der  Mensch  ein  unab- 
hängiges Wesen  werden  sollte,  wie  es  Gott  selbst  ist,  hat  der  Allmächtige  ihn 


•)  Siehe  Anmerkung  5. 


88  Die   Glaubensartikel.  IVorl.  III. 

ins  Leben  gerufen  und  ihm  persönliche  Freiheit  gegeben.  Der  Mensch  ist 
in  dem  Ebenbild  seines  Schöpfers,  des  großen  Urbilds  des  Menschenge- 
schlechts, erschaffen,  und  dieser  hat  ihm  die  Grundsätze  der  Ewigkeit  ge- 
geben, die  Unsterblichkeit  in  ihn  gepflanzt  und  ihm  die  Freiheit  gelassen, 
zu  handeln,  wie  es  ihn  gut  dünkt — für  sich  selbst  zu  wählen  oder  zu  verwerfen, 
ein  Heiliger  der  letzten  Tage  zu  sein  oder  ein  Wesleyscher  Methodist  der 
englischen  Kirche,  der  ältesten  Tochter  der  Mutterkirche,  der  alten  Mutter 
selbst  oder  ihrer  Schwester,  der  griechischen  Kirche,  anzugehören,  oder  ein 
Ungläubiger  zu  sein  und  sich  zu  keiner  Kirche  zu  bekennen.  Wenn  das  Reich 
Gottes  in  Vollkommenheit  auf  der  Erde  gegründet  und  errichtet  sein  und 
über  alle  Völker  und  Reiche  die  Oberherrschaft  haben  wird,  wird  es  die 
Menschen  —  gleichviel,  was  sie  glauben,  was  sie  bekennen,  oder  was  sie 
anbeten  —  in  der  Ausübimg  all  ihrer  Rechte  beschützen." 

2.  Das  Wesen  der  Sünde.  —  Das  englische  Wort  „sin",  (und  das  deut- 
sche Wort  gleichen  Ursprungs,  Sünde)  vereinigt  in  sich  eine  große  Man- 
nigfaltigkeit der  in  der  ursprünlichen  Sprache  vorkommenden  Ausdrücke, 
von  denen  die  buchstäblichen  Übersetzungen  einander  sehr  gleichen.  So 
kommen  im  Alten  Testament  unter  andern  die  folgenden  Ausdrücke  vor: 
settira  (in  Psalm  101:3),  bedeutet  „von  dem  Weg  abweichen";  shegagab 
(3.  Mose  4:2;  4.  Mose  15:27),  „sich  betreffs  des  Weges  irren,"  avon  „das 
Krumme  oder  das  Verkehrte;"  avel,  „sich  von  etwas  abwenden."  Im  Neuen 
Testament  finden  wir  hemartie,  „das  Verfehlen  eines  Zieles;"  parabasis^ 
„das  Übertreten  einer  Linie";  parakos,  „Ungehorsam  zu  einer  Stimme"; 
paraptoma,  „das  Fallen  vom  Aufrechtstehn" ;  agnoema,  „Unwissenheit, 
die  nicht  zu  rechtfertigen  ist";  bettema,  „nur  teilweise  maßgebend";  ano- 
mia,  ,,Nichtbeobachtung  des  Gesetzes";  plemmeleia,  „ein  Mißklang".  Die 
obenangeführten  Erläuterungen  sind  hauptsächlich  von  Müller  und  French 
genommen.  In  all  diesen  Ausdrücken  ist  das  Abweichen  von  dem  Wege 
Gottes,  die  durch  den  Widerstand  gegenüber  göttlichen  Forderungen  ver- 
ursachte Trennung  von  seiner  Gesellschaft,  der  vorherrschende  Sinn.  Die 
Sünde  wiu-de  von  außen  eingeführt;  sie  war  nicht  ein  natürliches  Erzeugnis 
dieser  Erde.  Der  Same  des  Ungehorsams  wurde  von  dem  Erzfeind  in 
Evas  Herz  gepflanzt;  jener  Same  schlug  Wurzeln,  und  viele  derartige 
Früchte,  die  wir  mit  unbedachten  Worten  Unheil  nennen,  sind  die  Folge. 
Um  uns  von  diesen  Dornen  und  Disteln  der  Sterblichkeit  zu  befreien,  ist 
ein  Erlöser  bereitet  worden. 

3.  Eden.  —  In  der  hebräischen  Sprache,  aus  der  lonser  Wort  „Eden" 
stammt,  bedeutet  dieser  Ausdruck  etwas  besonders  liebliches,  einen  Ort 
des  Angenehmen.  Der  Ort  wird  auch  „der  Garten  des  Herrn"  genannt. 
Ein  besonderer  Teil  des  Landes  Eden  wurde  von  dem  Herrn  als  ein  Garten 
hergerichtet ;  dieser  lag  ostwärts  in  Eden.  Nach  dem  Fall  wurden  die  Eltern  des 
Menschengeschlechts  aus  dem  Garten  getrieben,  aber  doch  ist  es  vernünftig, 
anzimehmen,  daß  sie  nachher  noch  in  dem  Lande  oder  in  der  Gegend  Edens 
wohnten.  Wir  lesen,  daß  zu  einer  späteren  Zeit,  Kain,  der  erste  Mörder, 
„ging  von  dem  Angesichte  des  Herrn  und  wohnte  im  Lande  Nod,  jenseit 
Eden,  gegen  Morgen"  (1.  Mose  4:16).  Obzwar  die  christlichen  Gelehrten 
keine  übereinstimmende  Ansichten  über  die  geographische  Lage  Edens 
haben,  behaupten  die  meisten,  es  habe  in  Persien  gelegen.  Jedoch  ist  es 
selbst  den  entschiedensten  Vertretern  dieser  Ansicht  unmöglich,  irgend- 
eine auffallende  Ähnlichkeit  zwischen  dieser  Gegend  und  der  in  der  Bibel 
beschriebenen  nachzuweisen.    In  dieser  Sache  haben  die  Heiligen  der  letzten 


f 


Art.  2.]  Anmerkungen.  89 

Tage  genauere  Kenntnis,  denn  am  19.  Mai  1838  wurde  zu  Spring  Hill,  Mo., 
durch  Joseph  Smith  eine  Offenbarung  gegeben,  in  der  jener  Ort  von  dem 
Herrn  „Adam-ondi-Ahman"  genannt  wurde,  „weil,  wie  er  sagte,  es  der  Platz 
ist,  auf  den  Adam  kommen  wird,  sein  Volk  zu  besuchen,  oder,  auf  dem  der 
Alte  der  Tage  sitzen  wird,  wie  durch  Daniel  den  Propheten  gesprochen 
wurde"  (L.  u.  B.  116).  Aus  einer  anderen  Offenbarung  (L.  u.  B.  107:52 — 53) 
erfahren  wir,  daß  Adam  drei  Jahre  vor  seinem  Tod  diejenigen  seiner  Söhne, 
die  als  Hohepriester  eingesetzt  worden  waren,  mit  den  übrigen  seiner  recht- 
schaffenen Nachkommen  in  das  Tal  Adam-ondi-Ahman  zusammenrief, 
und  ihnen  da  seine  patriarchalischen  Segnungen  gab.  Das  Ereignis  wurde 
durch  besondere  Kundtuungen  von  dem  Herrn  ausgezeichnet  (Siehe  L.  u. 
B.  117:8).  In  diesen  Tagen  hat  der  Herr  den  genauen  Platz  des  Altars,  auf 
dem  Adam  nach  seiner  Austreibung  aus  dem  Garten  Opfer  dargebracht 
hat,  gezeigt  (Contributor,  Band  "VII,  Seite  314).  Es  gibt  keinen  verbürgten 
Bericht,  daß  das  menschliche  Geschlecht  vor  der  Sintflut  die  östliche 
Halbkugel  bewohnt  hätte.  Die  westliche  Halbkugel,  jetzt  die  Neue  Welt 
genannt,  umfaßt  in  der  Tat  die  ältesten  der  bewohnten  Gebiete  der  Erde. 
Der  Westen,  nicht  der  Osten,  ist  ,,die  Wiege  der  Völker." 

4.  Die  Schlange,  da  sie  die  besonderen  Absichten  Satans  unterstützt 
hatte,  empfing,  wie  schon  erwähnt,  einen  besondern  Fluch  von  dem 
Herrn.  (Siehe  1.  Mose  3:13— 15  und  die  Köstl.  Perle,  Moses  4:19—21). 
Dieses  Geschöpf  wurde  mit  einem  Leben  der  Erniedrigung  bestraft.  Sogar 
vom  Standpunkte  der  Anatomie  aus  ist  die  Schlange  von  erniedrigter 
Gattung.  Obwohl  ein  Wirbeltier  und  Glied  der  höchsten  Unterklasse  des 
Tierreichs,  fehlt  es  ihr  sogar  an  äußeren  Gliedmaßen  und  ihre  Mittel 
zur  Fortbewegung  sind  von  keiner  höheren  Ordnung  als  die  des  Wurms 
und  der  Raupe.  In  der  Heiligen  Schrift  wird  die  Schlange  als  ein  Sinnbild 
der  Tücke,  der  Schlauheit,  der  List  und  der  Gefahr  angewandt. 

5.  Der  Fall  notwendig.  —  Präsident  John  Taylor  bespricht  in  seiner 
Abhandlung  „Mediation  and  Atonement"  (Vermittlung  und  Sühnopfer) 
zunächst  die  Reihe  der  Geschehnisse,  die  zum  Fall  führten  und  sagt  dann  (auf 
S.  135):  „So  ist  es  augenscheinlich,  daß  das  Brechen  irgendeines  Gliedes 
dieser  großen  Kette  den  allumfassenden  Plan  des  Allmächtigen  hinsichtlich 
der  Seligkeit  und  ewigen  Erhöhung  der  Geister  —  die  seine  Söhne  waren  — 
gestört  hätte.  —  Denn  die  Erde  war  ja  hauptsächlich  für  diese  seine  Söhne 
erschaffen  worden,  damit  diese  durch  Unterwerfung  unter  die  Forderungen 
des  diese  Dinge  regierenden  ewigen  Grundsatzes  und  Gesetzes  Körper  er- 
halten und  damit  diese  mit  dem  Geist  vereinigten  Körper  lebendige  Seelen 
werden  könnten.  Und  daß  dann  diese  Seelen,  als  Söhne  Gottes,  in  seinem 
Ebenbild  erschaffen,  durch  das  Sühnopfer  und  durch  Gehorsam  zum  Evan- 
gelium erhöht  werden  könnten  zur  Gottheit."  —  ,, Mediation  and  Atone- 
ment",   S.    135. 

6.  Wohltätige  Folgen  des  Falles.  —  „Ehre  deinen  Vater  und  deine 
Mutter.  Dieses  war  eins  der  zehn  besonderen  Gebote,  welche  unter  einem 
mächtigen  Aufwand  an  Kraft  und  Herrlichkeit  Gottes  dem  Volk  Israel  auf 
dem  Berg  Sinai  gegeben  wiu-den.  In  den  vergangenen  Jahrhunderten  der 
Finsternis  scheint  es  für  die  christliche  Welt  seine  Wichtigkeit  verloren  zu 
haben.  Sie  scheint  es  nicht  zu  begreifen,  daß  auch  unseren  ersten  Eltern 
Ehre  gebührt.  Es  ist  ihr  so  lange  gelehrt  worden,  daß  Adam  und  Eva  große 
Übertreter  gewesen  seien,  und  sie  hat  getrauert  über  die  Tatsache,  daß 
jene  von  der  verbotenen  Frucht  genossen  und  den  Tod  in  die  Welt  gebracht 


90  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  III. 

haben.  In  dem  Sündenfall  des  Menschen  spielte  der  Zufall  oder  die 
Überraschung  so  wenig  eine  Rolle  wie  in  seiner  Erscliaf  fung.  Wenn  es  Zufall 
war,  warum  war  denn  Christus  schon  vor  Grundlegung  der  Welt  als  ein 
Sühnopfer  für  die  Sünde  ausersehen  und  vorbereitet  worden  um  den  Men- 
schen den  Weg  zur  Unsterblichkeit  zu  öffnen?  Die  Versöhnung  Christi 
wurde  notwendig  durch  den  Fall.  (Siehe  Apostelgesch.  5:31.)  Ohne  den 
Fall  hätte  es  kein  gebrochenes  Gesetz  gegeben,  und  folglich  nichts  wofür 
Buße  getan  werden  könnte;  und  ohne  das  Sühnopter  Cliristi  könnte  keine 
Vergebung  der  Sünde  sein.  Das  Buch  Mormon  macht  diese  Sache  sehr  klar: 
Wenn  nun  Adam  nicht  gesündigt  hätte,  so  würde  er  nicht  gefallen  sondern 
in  dem  Garten  Eden  geblieben  sein.  Und  alle  erschaffenen  Dinge  hätten  in 
demselben  Zustande  bleiben  müssen,  in  dem  sie  nach  ihrer  Erschaffung 
waren,  und  sie  hätten  ewig  so  bleiben  müssen  und  kein  Ende  gehabt.  Und  sie 
würden  keine  Kinder  gehabt  haben.  Sie  wären  in  einem  Zustand  der  Un- 
schuld geblieben,  ohne  Freude  zu  empfinden,  denn  sie  kannten  kein  Elend; 
ohne  Gutes  zutun,  denn  sie  hätten  keine  Sünde  gekannt  (2.  Nephi2:22 — 23). 
*  *  •  Wir,  die  Kinder  Adams,  haben  kein  Recht  Beschuldigungen  gegen 
den  Patriarchen  des  Menschengeschlechts  zu  erheben.  Vielmehr  sollten 
wir  uns  mit  ihnen  freuen,  daß  uns  durch  ihren  Fall  und  durch  die  Versöh- 
nung Jesu  Christi  der  Weg  des  ewigen  Lebens  geöffnet  worden  ist."  —  „A 
Compendium  of  the  Doctrines  of  the  Gospel."  F.  D.  Richards  und  J.  A. 
Little,  S.  3 — 4. 

7.  Der  Fall  vorhergewuDt.  —  „Mormonismus  nimmt  die  Lehre  vom 
Sündenfall  und  den  Bericht  von  der  Übertretung  in  Eden  an,  wie  er  im  er- 
sten Buch  Mose  geschrieben  ist,  behauptet  aber,  daß  niemand  als  Adam 
selbst  für  seinen  Ungehorsam  zur  Rechenschaft  gezogen  werden  wird.  Die 
Menschheit  im  allgemeinen  ist  vollständig  frei  von  der  Verantwortlichkeit 
für  die  Erbsünde,  und  jeder  wird  sich  nur  für  seine  eigenen  Übertretungen 
zu  verantworten  haben.  Der  Sündenfall  war  vorausgesehen  —  vorausbe- 
stimmt, als  ein  Mittel,  um  die  notwendigen  Verhältnisse  der  Sterblichkeit 
zu  schaffen  und  somit  war  auch  der  Erlöser  schon  bestimmt,  ehe  denn  die 
Welt  war.  Die  allgemeine  Erlösung  im  Sinne  der  Befreiung  von  den  Fojgen 
des  Sündenfalls  wird  allen  zuteil,  ohne  daß  sie  diese  suchen,  dagegen  die  per- 
sönliche Seligkeit  oder  eine  Rettung  vor  den  Folgen  der  persönlichen  Sün- 
den hat  ein  jeder  selbst  durch  Glauben  und  gute  Werke,  durch  die  von 
Christo  gewirkte  Erlösung,  zu  erlangen."  —  Der  Verfasser,  in  „Philosophie 
in  Mormonismus".  (Deutsche  Ausgabe  S.  6.)  Improvement  Era,  Band  IV, 
S.  465—466. 


Art.  3.]  Das  Sühnopfer.  91 


Vorlesung  IV. 


Das  Sühnopfer  und  die  Seligkeit. 

Artikel  3.  Wir  glauben,  daß  durch  das  Sühnopfer  Christi  die  ganze 
Menschheit  sehg  werden  kann  durch  Befolgung  der  Gesetze  und  Verord- 
nungen des  EvangeUums. 

Das  Sühnopfer. 

1.  Das  Sühnopfer  Christi  wird  von  allen  sich  zum 
Christentum  bekennenden  Religionsgemeinschaften  als 
eine  Hauptlehre  verkündigt.  Der  Ausdruck  „Sühnopfer" 
ist  so  allgemein  üblich,  und  der  wesentliche  Teil  sei- 
ner Bedeutung  wird  durchweg  so  anerkannt,  daß  Be- 
griffserklärungen überflüssig  erscheinen.  Dennoch  ist  mit 
dem  Gebrauch  des  Wortes  in  theologischem  Sinne  eine 
besondere  Wichtigkeit  verbunden.  In  die  Lehre  vom  Sühn- 
opfer eingeschlossen  ist  der  Beweis  der  Göttlichkeit  des 
irdischen  Wirkens  Christi  und  der  stellvertretenden  Natur 
seines  Todes  als  ein  vorherbestimmtes  und  freiwilliges 
Opfer,  bestimmt  und  wirksam  als  eine  Versöhnung  für  die 
Sünden  der  Menschheit,  wodurch  die  Seligkeit  erreichbar 
wird. 

2.  Das  Neue  Testament,  das  von  den  Menschen  mit 
Recht  als  das  Buch  von  der  Mission  Christi  betrachtet 
wird,  ist  ganz  durchdrungen  von  der  Lehre  der  Seligkeit 
durch  das  vom  Erlöser  gebrachte  Sühnopfer.  Indes  kommt 
das  Wort  Sühnopfer  (englisch  „atonement")  in  der  eng- 
lischen Bibelübersetzung  nur  ein  einzigesmal  und  in  der 
deutschen  überhaupt  nicht  vor.  Nach  der  Meinung  der 
meisten  Bibelkenner  wird  zudem  der  Ausdruck  in  dem 


92  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  IV. 

einzigen  Fall  des  englischen  Wortlautes  falsch  angewendet. 
Dieser  Fall  findet  sich  in  dem  Brief  des  Apostels  Paulus 
an  die  Römer:  „Sondern  wir  erfreuen  uns  auch  in  Gott 
durch  unsern  Herrn  Jesum  Christum,  durch  welchen  wir 
nun  das  Sühnopfer  empfangen  haben."  (Im  deutschen 
Text  lautet  die  Stelle:  „Sondern  wir  rühmen  uns  auch 
Gottes  durch  unsern  Herrn  Jesus  Christus,  durch  wel- 
chen wir  nun  die  Versöhnung  empfangen  haben."  —  Der 
Übersetzer.)!)  Die  Randbemerkung  gibt  Versöhnung 
(englisch  ,, reconciliation")  statt  Sühnopfer  (englisch  „ato- 
nement") und  im  vorhergehenden  Vers  wird  ja  auch  eine 
verwandte  Form  dieses  Wortes  gebraucht.  Eine  zusam- 
menhängende, die  volle  Übereinstimmung  zwischen  dem 
Englischen  und  dem  Griechischen  wahrende  Übersetzung 
würde  die  beiden  Verse  wie  folgt  lauten  lassen  (wie  die  Stelle 
in  der  deutschen  Lesart  ja  lautet):  „Denn  so  wir  Gott  ver- 
söhnt sind  durch  den  Tod  seines  Sohnes,  da  wir  noch 
Feinde  waren,  viel  mehr  werden  wir  selig  werden  durch 
sein  Leben,  so  wir  nun  versöhnt  sind.  Nicht  allein  aber 
das,  sondern  wir  rühmen  uns  auch  Gottes  durch  unsern 
Herrn  Jesus  Christus,  durch  welchen  wir  nun  die  Versöh- 
nung empfangen  haben. "2)  Im  Alten  Testament  kommt 
das  Wort  Sühnopfer  (atonement)  wiederholt  vor;  mit  be- 
merkenswerter Häufigkeit  im  2.,  3,  und  4,  Mose,  Der 
Sinn,  in  dem  es  hier  stets  gebraucht  wird,  ist  stets  der 
eines  Opfers  zur  Sühne  und  gewöhnlich  mit  dem  Tode 
eines  wohlgefälligen  Opfers  verbunden,  wodurch  eine  Ver- 
söhnung zwischen  Gott  und  seinen  Geschöpfen  zustande 
gebracht  wird,  ( — Diese  Ausführungen  berühren  vornehm- 
lich die  englische  Bibel,  da  das  Wort  „Sühnopfer"  in  der 
deutschen  nicht  erscheint,  sondern  immer  der  Ausdruck 
„Versöhnung"  gebraucht  wird.  —  Der  Übersetzer,) 


•)  Römer  5:11, 

")  Römer  5:10—11, 


Art.  3.]  Das  Sühnopfer.  93 

3.  Die  Zusammensetzung  des  Wortes  in  seiner  jet- 
zigen Form  deutet  diese  seine  wahre  Bedeutung  an ;  buch- 
stäblich meint  es  Sühn-Opfer,  ein  Opfer,  das  sühnt,  und 
sühnen  bedeutet  ,, durch  Genugtuung  ausgleichen,  durch 
Genugtuung  zufriedenstellen."  ^)  Und  dies  ist  die  Bedeu- 
tung des  errettenden  Opfers  des  Erlösers,  wodurch  er  die 
Übertretung  des  Falles,  durch  den  der  Tod  in  die  Welt 
gekommen  ist,  gesühnt,  und  durch  Aussöhnung  mit  Gott, 
fähige  und  wirksame  Mittel  für  des  Menschen  Wiederkehr 
in  einen  Zustand  der  Unsterblichkeit  bereitet  hat. 

4.  Das  Wesen  des  Sühnopfers.  —  Das  von  Jesus 
Christus  vollbrachte  Sühnopfer  ist  eine  notwendige  Folge 
der  Übertretung  Adams.  Wie  Gott  durch  sein  unbeschränk- 
tes Vorherwissen  den  Fall  klar  voraussah,  ehe  Adam  auf 
der  Erde  war,  so  auch  bereitete  des  Vaters  grenzenlose 
Barmherzigkeit  schon  vor  der  Erschaffung  der  Welt  einen 
Erlöser  für  die  Menschheit.  Durch  den  Fall  haben  Adam 
und  Eva  die  Zustände  der  Sterblichkeit  auf  ihre  Nach- 
kommen vererbt;  deshalb  sind  alle  von  irdischen  Eltern 
gebornen  Wesen  dem  körperlichen  Tod  unterworfen.  Die 
Vollziehung  der  Verbannung  aus  der  Gegenwart  Gottes 
war  soviel  wie  ein  geistiger  Tod;  und  jene  Strafe,  mit  der 
unsre  ersten  Eltern  an  dem  Tage  ihrer  Übertretung  heim- 
gesucht wurden,  ist  ebenfalls  die  gemeinsame  Erbschaft 
der  Menschheit  geworden.  Da  diese  Strafe  durch  die  Tat 
eines  einzelnen  in  die  Welt  kam,  würde  es  offenbar  unge- 
recht sein,  die  Gesamtheit  ewig,  also  ohne  eine  Gelegen- 
heit zur  Befreiung  darunter  leiden  zu  lassen.  Deshalb 
wurde  das  verheißene  Opfer  Jesu  Christi  als  eine  Sühne 
für  ein  gebrochenes  Gesetz  verordnet,  wodurch  die  Gerech- 
tigkeit völlig' zufrieden  gestellt  werden  konnte,  und  es  der 
Barmherzigkeit  möglich  wurde,  ihren  wohltätigen  Einfluß 

')  Welgand,  „Deutsches  Wörterbuch",  unter  „sühnen". 


94  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  IV. 

auf  die  Seelen  der  Menschenkinder  auszuüben.^)  Alle  die 
Einzelheiten  des  herrlichen  Plans,  durch  den  die  Seligkeit 
der  Menschen  gesichert  wird,  zu  verstehen,  mag  dem  mensch- 
lichen Verstand  nicht  möglich  sein ;  aber  sicherlich  hat  der 
Mensch  aus  seinem  erfolglosen  Bemühen,  die  erste  Ursache 
der  Erscheinungen  der  Natur  zu  ergründen,  gelernt,  daß 
das  Begriffsvermögen  seines  Verstandes  begrenzt  ist;  und 
er  wird  auch  eingestehen,  daß  er  seine  Ansprüche,  ein  be- 
obachtendes und  vernünftiges  Wesen  zu  sein,  aufgeben 
müßte,  wollte  er  die  Wirkung  leugnen,  weil  er  unfähig  ist, 
die  Ursache  zu  erklären. 

5.  So  einfach  wie  der  Plan  der  Erlösung  in  seinen 
allgemeinen  Zügen  ist,  ist  er  doch  in  den  Einzelheiten 
dem  begrenzten  Verstand  offenbar  ein  Geheimnis.  Präsi- 
dent John  Taylor  hat  folgendes  geschrieben:  „In  irgend 
einer  geheimnisvollen,  unbegreiflichen  Weise  nahm  Jesus 
die  Verantwortung  auf  sich,  die  eigentlich  Adam  obliegen 
würde,  aber  die  dennoch  nur  durch  die  Vermittlung  von 
Christus  selbst  und  durch  das  Aufsichnehmen  ihrer  Trüb- 
sale und  ihrer  Verantwortungen  und  das  Tragen  ihrer 
Übertretungen  oder  Sünden  vollbracht  werden  könnte. 
In  einer  uns  unbegreiflichen  und  unerklärlichen  Weise 
trug  er  die  Last  der  Sünden  der  ganzen  Welt,  nicht  allein 
die  Adams,  sondern  auch  die  seiner  Nachkommenschaft. 
Zur  selben  Zeit  öffnete  er  das  Himmelreich,  nicht  allein 
allen  Gläubigen  und  allen,  die  dem  Gesetz  Gottes  gehor- 
chen, sondern  auch  noch  mehr  als  der  Hälfte  der  Mensch- 
heit, nämlich  solchen,  die  sterben  ehe  sie  die  Jahre  der 
Reife  erreichen,  dazu  auch  den  Heiden,  die,  da  sie  ohne 
Gesetz  gestorben  sind,  auch  ohne  Gesetz  durch  seine  Ver- 
mittlung auferstehen  werden,  und  in  dieser  Weise,  ihrer 


')  Siehe  Anmerkung  1. 


Art.  3.]  Das   Sühnopfer.  95 

Fähigkeit,  ihren  Werken  und  ihrem  Wert  entsprechend, 
an  den  Segnungen  seines  Sühnopfers  teilnehmen  werden. "i) 

6.  Aber  wenn  unser  Begreifen  des  Plans  der  Erlösung 
durch  das  stellvertretende  Opfer  Christi  in  all  seinen  Teilen 
auch  noch  so  unvollkommen  ist,  können  wir  ihn  doch 
nicht  verwerfen,  ohne  ungläubig  zu  werden;  denn  dieser 
Plan  ist  die  Grundlage  aller  biblischen  Lehre,  das  wirkliche 
Wesen  der  Prophezeiung  und  der  Offenbarung,  die  hervor- 
ragendste der  dem  Menschen  von  Gott  gegebenen  Er- 
klärungen. 

7.  Das  Sühnopfer  ein  stellvertretendes  Opfer.  —  Daß 
das  freiwillige  Opfer  eines  einzelnen  Wesens  als  ein  Mittel 
der  Erlösung  für  den  Rest  der  Menschheit  wirken  könnte, 
ist  für  viele  eine  Sache  des  unfaßlichen  Wunders.  In  die- 
sem wie  in  andern  Dingen,  ist  die  Schrift  nur  durch  den 
Geist  schriftgemäßer  Auslegung  erklärlich.  Die  heiligen 
Schriften  alter  Zeiten,  die  Worte  neuzeitlicher  Propheten, 
die  Überlieferungen  der  Menschheit,  die  Gebräuche  des 
Opferns,  und  sogar  die  Greuel  der  heidnischen  Abgötte- 
reien schließen  den  Begriff  eines  stellvertretenden  Sühn- 
opfers in  sich  ein.  Niemals  hat  Gott  ein  Opfer  zurückge- 
wiesen, das  von  jemand  dargebracht  wurde,  der  bevoll- 
mächtigt war,  es  für  jene  zu  tun,  die  aus  irgend  einem 
Grunde  nicht  imstande  waren,  die  verlangte  Dienstleistung 
selbst  zu  verrichten.  Der  Sündenbock^)  und  das  Altar- 
opfer^)  des  alten  Israel,  wenn  mit  Reue  und  Zerknirschung 
geopfert,  wurden  zur  Mäßigung  der  Sünden  des  Volkes 
von  dem  Herrn  angenommen.  Es  ist  interessant  zu  be- 
obachten, daß,  obwohl  die  Zeremonien  des  Opferns  einen 
solch  großen  und  notwendigen  Teil  der  mosaischen  Anforde- 
rungen bildeten,  diese  Gebräuche  doch  schon  längst  vor 


•)  Präsident  John  Taylor,  „Mediation  and  Atonement",  S.  148- 
')  3.  Mose  16:20—22. 
»)  3.  Mose  4. 


96  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  IV. 

der  Gründung  Israels  als  ein  abgesondertes  Volk  eingesetzt 
worden  waren ;  denn,  wie  schon  bemerkt,  wurde  das  Altar- 
opfer von  Adam  dargebracht. i)  Das  Sinnbild  im  Opfern 
der  Tiere,  als  Urbild  des  großen  auf  Golgatha  folgenden 
Opfers,  wurde  also  am  Anfang  der  menschlichen  Ge- 
schichte eingesetzt. 

8.  Die  vielen  Arten  der  durch  das  mosaische  Gesetz 
vorgeschriebenen  Opfer  unterscheiden  sich  deutlich  als 
zwei  Klassen:  blutige  und  unblutige.  Nur  Opfer  der  ersten 
Art,  d.h.  solche,  die  den  Tod  einschlössen,  wurden  als  Ver- 
söhnung oder  Sühnopfer  für  Sünde  angenommen.  Das 
Opfer  mußte  rein,  gesund  und  ohne  Makel  oder  Fehl  sein. 
Und  so  konnte  auch  für  das  große  Opfer,  dessen  Wirkungen 
unbegrenzt  sein  sollten,  nur  ein  unschuldiges  Wesen  an- 
genommen werden.  Da  Christus  das  einzige  sündlose 
Wesen  auf  Erden  und  der  Eingeborne  des  Vaters  war, 
und  vor  allem  weil  er  schon  in  den  Himmeln  zu  dieser 
Mission  ordiniert  worden  war,  war  es  sein  Vorrecht,  der 
Erlöser  der  Menschheit  zu  sein.  Obwohl  mit  der  Ausübung 
dieses  Vorrechts  ein  Opfer,  dessen  Größe  der  Mensch  nicht 
begreifen  kann,  verbunden  war,  brachte  Christus  das 
Opfer  dennoch  gern  und  freiwillig.  Bis  ans  Ende  hatte 
er  die  Macht,  durch  eine  einfache  Ausübung  seiner  gött- 
lichen Kräfte,  die  Qualen,  die  ihm  seine  Verfolger  bereite- 
ten, zu  beendigen. 2)  In  irgend  einer  Weise,  mag  diese  Weise 
uns  auch  unerklärhch  sein,  nahm  Christus  die  Sünden  der 
Menschheit  auf  sich.  Die  Mittel  mögen  unsrem  begrenzten 
Verstand  ein  Geheimnis  sein,  die  Wirkungen  aber  sind 
unsre  Erlösung. 

9.  Etwas  von  der  Pein,  die  der  Erlöser  litt,  als  er  unter 
dieser  Last  der  Schuld  stöhnte,  einer  Schuld,  die  für  ihn 
als  Urbild  der  Reinheit,  an  sich  abstoßend  gewesen  sein 

')  Siehe  Seite  84. 

»)  Matthäus  26:53—54;  Johannes  10:17—18. 


Art.  3.]  Das  Sühnopfer.  97 

muß,  hat  er  uns  in  diesen  Tagen  durch  die  Worte  des 
Propheten  erklärt:  „Denn  siehe,  ich,  dein  Gott,  habe  diese 
Dinge  für  alle  gelitten,  daß  sie  nicht  leiden  müßten,  wenn 
sie  Buße  tun;  doch  wenn  sie  ihre  Sünden  nicht  bereuen, 
so  müssen  sie  leiden  wie  ich,  welches  Leiden  mich,  selbst 
Gott,  den  größten  von  allen,  der  Schmerzen  halber  erzit- 
tern machte,  so  daß  ich  aus  jeder  Pore  bluten  und  im 
Körper  und  Geiste  leiden  mußte  und  wünschte,  daß  ich 
den  bittern  Kelch  nicht  zu  trinken  brauchte;  dennoch 
Ehre  sei  dem  Vater,  ich  trank  den  Kelch  und  vollendete 
meine  Vorbereitungen  für  die  Menschenkinder. "i)  Weitere 
Beispiele  der  Gültigkeit  des  stellvertretenden  Dienstes 
sind  die  Verordnungen  der  Taufe  für  die  Toten,^)  wie  sie 
in  den  apostolischen  und  jetzigen  Zeiten  gelehrt  wurden, 
und  die  Einsetzung  anderer  Tempelhandlungen^)  in  der 
gegenwärtigen  Dispensation. 

10.  Das  Opfer  Christi  war  freiwillig  und  der  Liebe  ent- 
sprungen. —  Beiläufig  haben  wir  erwähnt,  daß  Christus 
gern  und  freiwillig  sein  Leben  zur  Erlösung  der  Mensch- 
heit gab.  In  dem  großen  Rat  der  Götter  bot  er  sich  selbst 
als  das  sühnende  Opfer  an,  das  durch  die  vorhergesehene 
Übertretung  des  ersten  Menschen  notwendig  werden 
würde.  Der  in  diesem  frühen  Zeitpunkt  seiner  errettenden 
Mission  gezeigte  und  ausgeübte  freie  Wille  wurde  bis  zum 
letzten  Augenblick  der  qualvollen  Erfüllung  des  angenom- 
menen Plans  beibehalten.  Zwar  lebte  er  auf  Erden  als  ein 
Mensch,  ein  Mensch  in  allem  was  uns  berührt  in  der  Ehr- 
erbietung, die  wir  für  ihn  als  ein  Beispiel  des  Göttlichen 
im  Menschen  fühlen;  doch  müssen  wir  uns  erinnern,  daß 
er,  obwohl  von  einer  sterblichen  Mutter  geboren,  von  einem 
unsterblichen  Vater  gezeugt  wurde.  Daher  besaß  er  sowohl 


1)  Lehre  u.  Bündn.  19:16—19. 

')  1.  Korinther  15:29.    Siehe  Vorlesungen  VI  und  VII. 

')  L,  u.  B.  127:4—9;  128. 


98  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  IV. 

die  Fähigkeit,  zu  sterben  wie  die  Macht,  dem  Tode  Trotz 
zu  bieten.  Er  gab  sein  Leben;  es  wurde  ihm  nicht  genom- 
men. Achten  wir  auf  den  Sinn  seiner  eigenen  Erklärung: 
„Darum  liebet  mich  mein  Vater,  daß  ich  mein  Leben  lasse, 
auf  daß  ich's  wiedernehme.  Niemand  nimmt  es  von  mir, 
sondern  ich  lasse  es  von  mir  selber.  Ich  habe  Macht,  es 
zu  lassen,  und  habe  Macht,  es  wiederzunehmen. "i)  Bei 
einer  andern  Gelegenheit  zeugte  Jesus  in  folgender  Weise 
von  sich  selbst:  ,,Denn  wie  der  Vater  das  Leben  hat  in 
ihm  selber,  also  hat  er  dem  Sohn  gegeben,  das  Leben  zu 
haben  in  ihm  selber;  und  hat  ihm  Macht  gegeben,  auch 
das  Gericht  zu  halten,  darum  daß  er  des  Menschen  Sohn 
ist. "2)  Und  dann  unter  den  tragischen  Szenen  des  Verrats, 
als  Judas,  der  ein  vorgeblicher  Freund  und  Anhänger  ge- 
wesen war,  ihn  seinen  Verfolgern  mit  einem  verräterischen 
Kuß  übergab,  als  Petrus  aus  einer  durch  gerechten  Eifer 
angetriebenen  Unvorsichtigkeit  das  Schwert  zur  Vertei- 
digung des  Meisters  zog  und  gebrauchte,  sprach  der  Meister : 
,,Oder  meinst  du,  daß  ich  nicht  könnte  meinen  Vater  bitten, 
daß  er  mir  zuschickte  mehr  denn  zwölf  Legionen  Engel? 
Wie  würde  aber  die  Schrift  erfüllet  ?  Es  muß  also  gehen. "^) 
Und  so  fort  bis  zum  Tode,  bezeichnend  durch  den  erster- 
benden aber  dennoch  triumphierenden  Ruf:  ,,Es  ist  voll- 
bracht!", hatte  der  ins  Fleisch  gekommene  Gott  die  Macht 
in  sich,  sich  seinen  Mördern  zu  unterwerfen  oder,  wenn 
er  es  gewollt  hätte,  ihnen  zu  trotzen. 

11.  Der  ihn  durch  all  die  Szenen  seiner  Mission,  von  der 
Zeit  seiner  uranfänglichen  Ordination  an  bis  zu  dem  Augen- 
blick der  siegreichen  Vollendung  am  Kreuz,  inspirierende 
und  stützende  Antrieb  war  zwiefach:  einmal,  der  Wunsch, 
in  der  Vollführung  der   Seligkeit  der  Menschheit  seines 


1)  Johannes  10:17 — 18. 
*)  Johannes  5:26 — 27. 
')  Matthäus  26:53—54. 


Art.  3.]  Das  Sühnopfer.  99 

Vaters  Willen  zu  tun;  dann  seine  Liebe  zu  den  Menschen, 
um  deren  Wohlfahrt  und  Schicksal  er  sich  angenommen 
hatte.  Weit  entfernt  von  rachsüchtigen  Gefühlen  gegen- 
über denen,  die  ihn  —  den  Gesetzen  Gottes  und  der  Men- 
schen zum  Trotz  —  einem  fluchbeladenen  Tode  überlie- 
ferten, hatte  er  bis  zum  Ende  Erbarmen  mit  ihnen.  Noch 
in  der  Stunde  der  äußersten  Pein  betete  er  laut :  „Vater, 
vergib  ihnen;  denn  sie  wissen  nicht,  was  sie  tun!"^)  Nicht 
geringer  ist  die  Liebe  des  Vaters,  der  das  Opfer  des  Sohnes 
annahm  und  zugab,  daß  der,  den  er  seinen  Geliebten 
nannte,  litt,  wie  nur  ein  Gott  leiden  kann:  ,,Also  hat 
Gott  die  Welt  geliebt,  daß  er  seinen  eingebornen  Sohn 
gab,  auf  das  alle,  die  an  ihn  glauben,  nicht  verloren  wer- 
den, sondern  das  ewige  Leben  haben.  Denn  Gott  hat 
seinen  Sohn  nicht  gesandt  in  die  Welt,  daß  er  die  Welt 
richte,  sondern  daß  die  Welt  durch  ihn  selig  werde. "2) 
Und  weiter  vernehmen  wir  die  Lehre  des  Apostels,  den  Je- 
sus so  lieb  hatte:  „Daran  ist  erschienen  die  Liebe  Gottes 
gegen  uns,  daß  Gott  seinen  eingebornen  Sohn  gesandt  hat 
in  die  Welt,  daß  wir  durch  ihn  leben  sollen  l"^) 

12.  Das  Sühnopfer  vorherverordnet  und  vorausge- 
sagt. —  Wie  schon  bemerkt,  wurde  der  Plan  des  Vaters, 
einen  Weg  für  die  Erlösung  der  Menschheit  zu  eröffnen 
und  es  dann  allen  Menschen  zu  überlassen,  nach  ihrer 
eigenen  Wahl  zu  handeln,  von  dem  Rat  im  Himmel  ange- 
nommen und  gleichzeitig  Luzifers  Zwangsplan  verworfen. 
Schon  in  jener  weit  entfernten  Zeit  wurde  Christus 
zum  Vermittler  für  alle  Menschen  ordiniert;  sogar  , .wurde 
ein  Bündnis  zwischen  ihm  und  seinem  Vater  geschlossen, 
wonach  er  es  auf  sich  nahm,  die  Sünden  der  Welt  auszu- 
söhnen, und  so  wurde  er,  wie  schon  erwähnt,  ein  Lamm, 


>)  Lukas  23:34. 

^)  Johannes  3:16—17. 

')  1.  Johannes  4:9. 


Die  Glaubensartikel. 


[Vorl.  IV. 


das  zwar  zuvor  ersehen  ist,  ehe  der  Welt  Grund  gelegt 
ward."^)  Die  Propheten  der  alten  Zeiten,  von  denen  manche 
schon  Hunderte  von  Jahren  vor  der  Zeit  des  Kommens 
Christi  im  Fleisch  lebten,  gaben  Zeugnis  von  ihm  und  von 
dem  großen  Werk,  das  zu  tun  er  ordiniert  worden  war. 
Diesen  Männern  Gottes  war  gestattet  worden,  in  prophe- 
tischen Gesichten  viele  von  den  mit  der  irdischen  Mission 
des  Erlösers  verbundenen  Begebenheiten  zu  schauen,  und 
feierlich  gaben  sie  Zeugnis  von  den  Kundtuungen.  In  der 
Tat:  das  Zeugnis  Christi  ist  der  Geist  der  Prophezeiung, 
und  ohne  ihn  kann  niemand  mit  Recht  beanspruchen, 
ein  Prophet  zu  sein.  Adams  Verzweiflung  bei  seiner  Ver- 
treibung aus  Eden  wandelte  sich  in  Freude,  als  er  durch 
Offenbarung  von  dem  Plan  der  Erlösung,  die  durch  den 
Sohn  Gottes  im  Fleisch  bewirkt  werden  sollte,  erfuhr.^) 
Dieselben  Wahrheiten  lehrte  der  gerechte  Henoch,  wie  sie 
ihm  aus  den  Himmeln  erklärt  worden  waren  .^)  Dieses 
Zeugnis  wurde  auch  von  Mose*),  Hiob^),  David^),  Sacharja'), 
Jesaja^),  und  Mieha^)  abgelegt.  Die  gleiche  Erklärung 
gab  Johannes  der  Täufer  dem  Propheten  des  Höchsten, 
den  Jesus  mehr  als  einen  Propheten  nannte;^")  er  war 
es,  der  den  Erlöser  taufte,  und  der  Zeugnis  gab  von  den 
Worten  des  Vaters  betreffs  der  Mission  des  Sohnes  und  dem 
sichtbaren  Zeichen  des  Heiligen  Geistes. 

13.  Sollten  hinsichtlich  der  Anwendung  solcher  Pro- 
phezeiungen irgendwelche  Zweifel  bestehen,  so  haben  wir 


1)  Präsident  John  Taylor  in  „Mediation  and  Atonement",  S.  97. 

»)  Siehe  Seite  84;  Köstl.  Perle,  Moses  5:9—11. 

')  Köstl.  Perle,  Moses  6:51—68. 

«)  5.  Mose  18:15,  17—19. 

')  Hiob  19:25—27. 

')  Psalm  2:1—12. 

')  Sacharja  9:9;  12:10;  13:6. 

")  Jesaja  7:14;  9:6 — 7. 

•)  Micha  5:2. 

»)  Matthäus  3:11. 


Art.  3.]  Das  Sühnopler.  101 

das  entscheidende  Zeugnis  Christi,  daß  sie  sich  auf  ihn  be 
ziehen.  An  jenem  denkwürdigen  Tage,  der  seiner  Auf  er" 
stehung  folgte,  als  er  unerkannt  mit  zweien  seiner  Jünger 
auf  dem  Wege  nach  Emmaus  ging,  lehrte  er  sie  die  Schrif- 
ten, die  über  den  Sohn  Gottes  geschrieben  worden  waren : 
,,Und  fing  an  von  Mose  und  allen  Propheten  und  legte 
ihnen  alle  Schriften  aus,  die  von  ihm  gesagt  waren. "i) 
Ein  paar  Stunden  nachher  erschien  der  Herr  den  elf 
Aposteln  zu  Jerusalem.  Er  beeinflußte  ihr  Verständnis, 
,,daß  sie  die  Schrift  verstanden,  und  sprach  zu  ihnen: 
Also  ist's  geschrieben,  und  also  mußte  Christus  leiden", 2) 
und  auf  diese  Weise  bezeugte  er,  daß  er  einen  vorher- 
bestimmten Plan  erfüllte.  Petrus,  einer  der  vertrautesten 
irdischen  Gefährten  des  Heilandes,  spricht  von  ihm  als 
einem  unschuldigen  und  unbefleckten  Lamm,  ,,das  zwar 
zuvor  ersehen  ist,  ehe  der  Welt  Grund  gelegt  ward."^) 
In  seinem  Briefe  an  die  Römer  schildert  Paulus  Christus 
als  den  einen, ,, welchen  Gott  hat  vorgestellt  zu  einem  Gna- 
denstuhl durch  den  Glauben  in  seinem  Blut,  damit  er  die 
Gerechtigkeit,  die  vor  ihm  gilt,  darbiete  in  dem,  daß  er 
Sünde  vergibt,  welche  bisher  geblieben  war  unter  gött- 
licher Geduld."^)  Dieses  sind  nur  wenige  von  den  biblischen 
Beweisen  für  die  Vorausbestimmung  und  die  Vorordination 
Christi.  Die  Schriften  des  Alten  Testaments  wie  auch  die 
des  Neuen^)  sind  voll  von  Beweisen  für  das  große  Werk 
des  Messias. 

14.  Die  Propheten  des  Buches  Mormon  zeichnen  sich 
aus  durch  ihre  vollständigen  Zeugnisse  über  den  Messias. 
Der   Reinheit   seines    Glaubens  wegen   wurde   es    Jareds 


')  Lukas  24:27. 
')  Lukas  24:45 — 46. 
»)  1.  Petrus  1:19—20. 
«)  Römer  3:25. 

')  Siehe   Römer  16:25,   26;    Epheser  3:9—11;    Kolosser  1 :  24— 26 ; 
2.  Timotheus  1:8 — 10;  Titus  1:2,  3;  Offenbarung  Johannes  13:8. 


102 


Die  Glaubensartikel. 


[Vorl.  IV. 


Bruder  erlaubt,  zweiundzwanzig  Jahrhunderte  vor  dem 
Mittag  der  Zeit,  den  Erlöser  der  Menschheit  zu  schauen. 
Es  wurde  ihm  gezeigt,  daß  der  Mensch  nach  dem  Eben- 
bilde Gottes  erschaffen  ist;  und  gleichzeitig  erhielt  er  Be- 
lehrungen über  die  Absicht  Gottes,  daß  der  Sohn  Fleisch 
annehmen  und  auf  Erden  wohnen  werde. ^)  Beachten  wir 
die  persönliche  Erklärung  des  vorordinierten  Erlösers 
diesem  Propheten  gegenüber:  „Siehe,  ich  bin  der,  der  von 
der  Gründung  der  Welt  an  bereitet  war,  um  sein  Volk 
zu  erlösen.  Siehe,  ich  bin  Jesus  Christus;  ich  bin  der  Vater 
und  der  Sohn.  In  mir  soll  das  ganze  Menschengeschlecht 
erleuchtet  werden,  ja  ewiglich,  und  zwar  jene,  die  an  mei- 
nen Namen  glauben  werden,  und  sie  sollen  meine  Söhne 
und  meine  Töchter  werden. "2) 

15.  Nephi  berichtet  die  Prophezeiung  seines  Vaters 
Lehi  über  das  künftige  Erscheinen  des  Sohnes  im  Fleisch, 
über  seine  Taufe,  seinen  Tod  und  seine  Auferstehung.  Diese 
prophetische  Äußerung  gibt  die  genaue  Zeit  der  Geburt 
des  Heilandes  an:  sechshundert  Jahre  nach  der  Auswan- 
derung Lehis  aus  Jerusalem.  Die  Mission  Johannes  des 
Täufers  wird  geschildert,  und  sogar  der  Ort  der  Taufe  wird 
bezeichnet, 3)  Kurz  nach  der  Zeit  des  Gesichts  Lehis 
wurden  dieselben  Dinge  durch  den  Geist  dem  Propheten 
Nephi  gezeigt,  wie  auch  viele  andre  Dinge,  wovon  er  einiges 
geschrieben  hat;  aber  es  wurde  ihm  verboten,  den  größern 
Teil  davon  zu  schreiben,  denn  ein  andrer,  der  Apostel 
Johannes,  war  bestimmt  worden,  diesen  in  einem  Buch, 
das  einen  Teil  der  Bibel  bilden  sollte,  darzulegen.  Aber 
aus  einem  Teil  seines  Berichtes  erfahren  wir,  daß  er  die 
Jungfrau  Maria  in  Nazareth  zuerst  allein  und  dann  gleich 
darauf  mit  einem  Kind  auf  dem  Arm  sah.   Der  Erklärer 


>)  Ether  .3:13,  14;  siehe  auch  13:10,  11. 
')  Ether  3:14;  lies  auch  8:12. 
»)  1.  Nephi  10:3—11. 


Art  3.]  Das  Sühnopfer.  103 

des  Gesichtes  belehrte  ihn,  daß  das  Kindlein  das  Lamm 
Gottes,  der  Sohn  des  ewigen  Vaters  sei.  Dann  sah  Nephi, 
wie  der  Sohn  unter  den  Menschenkindern  wirkte,  das 
Wort  verkündigte,  die  Kranken  heilte  und  viele  andre 
Wunder  vollbrachte.  Er  sah  Johannes,  den  Propheten 
der  Wüste,  vor  ihm  hergehen;  er  sah,  wie  der  Heiland  von 
Johannes  getauft  wurde  und  wie  der  Heilige  Geist  mit 
dem  sichtbaren  Zeichen  einer  Taube  auf  ihn  herabkam. 
Dann  sah  und  prophezeite  er,  daß  zwölf  auserwählte  Apo- 
stel in  den  Dienst  des  Erlösers  treten,  daß  der  Sohn 
ergriffen  und  von  den  Menschen  verurteilt  und  end- 
lich erschlagen  werden  würde.  Die  Zukunft,  selbst  die  Zeit 
nach  der  Kreuzigung  mit  prophetischem  Blick  durchdrin- 
gend, schaute  Nephi  den  Kampf  der  Welt  gegen  die  Apostel 
des  Lammes  und  schließlich  den  Sieg  der  Sache  Gottes. i) 

16.  Jakob,  der  Bruder  Nephis,  prophezeite  seinen 
Brüdern,  daß  Christus  im  Fleisch  unter  den  Juden  er- 
scheinen und  von  ihnen  gegeißelt  und  gekreuzigt  werden 
würde. 2)  König  Benjamin  erhob  seine  Stimme  zur  Be- 
kräftigung dieses  Zeugnisses  und  verkündigte  seinem 
Volke  die  gerechte  Herablassung  Gottes.^)  Dasselbe 
erklärten  auch  Abinadi*),  Alma^),  Amulek^)  und  Samuel, 
der  lamanitische  Prophet.')  Die  buchstäbliche  Erfüllung 
gibt  einen  unzweifelhaften  Beweis  von  der  Wahrheit  dieser 
Prophezeiungen.  Die  wunderbaren  Zeichen,  die  die  Geburt^) 
und  den  Tod  Christi  andeuteten,  wurden  alle  verwirklicht,^) 


siehe    auch   2.  Nephi   2:3—21;   25:20—27; 


')  1.  Nephi   11:14—35; 

siehe 

26 

:24. 

«)  2.  Nephi    6:8—10;    9 

:5— 6. 

»)  Mosiah  3:5—27;  4:1 

—8. 

*)  Mosiah  15:6—9;  16. 

=)  Alma  7:9—14. 

«)  Alma  11:35—44. 

')  Helaman  14:2—8. 

«)  Heiamann  14:2—5;  21—27. 

»)  3.  Nephi  1:5—21;  8: 

3—25. 

104  Die  Glaubensartikel.  (Vorl.  IV. 

und  nach  seinem  Tod  und  seiner  Himmelfahrt,  als  ihn 
der  Vater  der  Volksmenge  ankündigte,  offenbarte  sich 
der  Heiland  den  Nephiten.^) 

17.  Die  alten  Schriften  sind  also  deutlich  in  der  Er- 
klärung, daß  Christus  auf  Erden  erschien,  um  ein  vorher- 
bestimmtes Werk  zu  tun.  Er  lebte,  litt  und  starb  nach 
einem  Plan,  der  für  die  Erlösung  der  Kinder  Adams,  selbst 
ehe  die  Welt  war,  in  Gerechtigkeit  entworfen  wurde. 
Ebenso  wichtig  und  ausdrücklich  ist  das  Wort  der  neuzeit- 
lichen Offenbarung,  wonach  sich  der  Sohn  als  Alpha  und 
Omega,  den  Anfang  und  das  Ende,  den  Fürsprecher  der 
Menschen  bei  dem  Vater,  den  Heiland  der  Welt  bezeichnet 
hat. 2)  Aus  den  vielen  in  der  gegenwärtigen  Dispensation 
über  Christus  gegebenen  Offenbarungen  wollen  wir  nur 
eine  einzige  betrachten:  „Höret  auf  die  Stimme  des  Herrn 
eures  Gottes,  selbst  Alpha  und  Omega,  der  Anfang  und 
das  Ende,  dessen  Lauf  eine  ewige  Runde  ist,  derselbe 
heute,  gestern  und  immerdar.  Ich  bin  Jesus  Christus, 
der  Sohn  Gottes,  der  für  die  Sünden  der  Welt  gekreuzigt 
wurde;  selbst  für  so  viele  als  an  seinen  Namen  glauben 
wollen,  daß  sie  die  Söhne  Gottes  werden  mögen,  und 
zwar  eins  mit  mir,  wie  ich  mit  dem  Vater  eins  bin  und  der 
Vater  mit  mir  eins  ist,  daß  wir  eins  sein  mögen". 2) 

18.  Die  Ausdehnung  des  Sühnopfers  ist  unbegrenzt 
und  erstreckt  sich  in  gleicher  Weise  auf  alle  Nachkommen 
Adams.  Selbst  der  Ungläubige  und  der  Heide  und  das 
Kind,  wenn  es  stirbt  ohne  die  Jahre  des  Verstandes  erreicht 
zu  halaen,  sind  durch  das  Selbstopfer  des  Heilandes  von  allen 
Folgen  des  Falles  erlöst.*)  Durch  die  Schrift  wird  es  ent- 


1)  3.  Nephi  11:1—17. 

')  Siehe  Lehre  u.  Bündn.  6:21;  14:9;  18:10—12;  19:1—2,  24;  21:9; 
29:1;  33;  34:1—3;  35:1—2;  38:1—5;  39:1—3;  45:3—5;  46:13—14; 
76:1—4.  19—24,  68;  93:1—6,  12—17,  38. 

ä)  L.  u.  B.  35:1.  2. 

*)  Siehe  Anmerkung  2. 


Art.  3.]  Das  Sühnopfer.  105 

scheidend  bewiesen,  daß  die  Auferstehung  des  Körpers 
einer  der  Siege  ist,  die  Christus  durch  sein  versöhnendes 
Opfer  errungen  hat.  Er  selbst  verkündigte  diese  ewige 
Wahrheit:  ,,Ich  bin  die  Auferstehung  und  das  Leben. "^) 
Von  allen  Menschen  ging  er  zuerst  aus  dem  Grabe  hervor 
und  ist  ,,der  Erstling  geworden  unter  denen,  die  da  schla- 
fen."2)  Die  Schrift  läßt  nicht  daran  zweifeln,  daß  die  Auf- 
erstehung allgemein  sein  wird.  Der  Heiland  verkündigte 
seinen  Jüngern  den  Anfang  dieses  Werkes  der  Befreiung 
vom  Tode  mit  den  Worten:  ,, Verwundert  euch  des 
nicht.  Denn  es  kommt  die  Stunde,  in  welcher  alle,  die  in 
den  Gräbern  sind,  werden  seine  Stimme  hören,  und  werden 
hervorgehen,  die  da  Gutes  getan  haben,  zur  Auferstehung 
des  Lebens,  die  aber  Übles  getan  haben,  zur  Auferstehung 
des  Gerichts;"^)  oder  wie  der  letzte  Teil  dieser  Erklärung 
durch  Inspiration  in  diesen'  Tagen  übersetzt  worden  ist : 
„Die,  so  Gutes  getan  haben,  in  der  Auferstehung  der  Ge- 
rechten, und  die,  so  Übles  getan  haben,  in  der  Aufer- 
stehung der  Ungerechten."^) 

19.  Paulus  spricht  von  der  Lehre  einer  allgemeinen 
Auferstehung  als  so  gut  bewiesen,  daß  selbst  seine  Verklä- 
ger  die  Wahrheit  anerkennen  mußten,  ,,daß  zukünftig  sei 
die  Auferstehung  der  Toten,  der  Gerechten  und  der  Unge- 
rechten."^) Bei  einer  andern  Gelegenheit  spricht  er:  „Denn 
gleichwie  sie  in  Adam  alle  sterben,  also  werden  sie  in  Christo 
alle  lebendig  gemacht  werden."^)  Ferner  gibt  Johannes 
der  Offenbarer  Zeugnis  von  seinem  Gesicht  inbezug  auf 
die  Zukunft:  „Und  ich  sah  die  Toten,  beide,  groß  und 


1)  Johannes  11:25. 

ä)  1.  Korinther  15:20;  siehe  Apostelgesch.  26:23. 

»)  Johannes  5:28,  29. 

♦)  Lehre  u.  Bündn.  76:17. 

')  Apostelgesch.  24:15. 

•)  1.  Korinther  15:22. 


106  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  IV. 

klein,  stehen  vor  Gott.  *  *  *  Und  das  Meer  gab  die  Toten, 
die  darinnen  waren,  und  der  Tod  und  die  Hölle  gaben  die 
Toten,  die  darinnen  waren. "^)  Es  ist  also  klar,  daß  die 
Wirkung  des  Sühnopfers,  so  weit  sie  den  Sieg  über  den  zeit- 
lichen oder  körperlichen  Tod  betrifft,  das  ganze  Menschen- 
geschlecht umfaßt.  Ebenso  klar  ist  es,  daß  die  Befreiung 
von  Adams  Erbschaft  des  geistigen  Todes  oder  der  Verban- 
nung aus  der  Gegenwart  Gottes  ebenso  allgemein  sein 
wird,  so  daß,  wenn  irgend  ein  Mensch  seine  Seligkeit  ver- 
löre, dieser  Verlust  ihm  selber  zuzuschreiben  und  in  kei- 
ner Weise  von  dem  Fall  Adams  abhängig  wäre. 
Die  Lehre,  daß  die  Gabe  der  Erlösung  durch  Christus 
allen  Menschen  frei  steht,  wurde  von  den  Aposteln  in  alten 
Zeiten  ausdrücklich  gelehrt.  So  spricht  Paulus:  „Wie 
nun  durch  eines  Sünde  die  Verdammnis  über  alle  Menschen 
gekommen  ist,  also  ist  auch  durch  eines  Gerechtigkeit  die 
Rechtfertigung  des  Lebens  über  alle  Menschen  gekommen  ."2) 
Und  weiter:  ,,Denn  es  ist  ***  ein  Mittler  zwischen  Gott 
und  den  Menschen,  nämlich  der  Mensch  Christus  Jesus, 
der  sich  selbst  gegeben  hat  für  alle  zur  Erlösung. "3)  Jo- 
hannes sagte  über  das  Opfer  des  Erlösers:  „Und  derselbe 
ist  die  Versöhnung  für  unsre  Sünden,  nicht  allein  aber 
für  die  unsern,  sondern  auch  für  die  der  ganzen  Welt."*) 

20.  Diese  großen  Wahrheiten  wurden  auch  denNephi- 
ten  gelehrt.  Der  rechtschaffene  König  Benjamin  predigte 
von  der  „Versöhnung,  die  vor  der  Erschaffung  der  Welt 
bereitet  worden  ist,  für  alle,  die  seit  Adams  Fall  da  waren, 
die  da  sind  und  jemals  da  sein  werden  bis  ans  Ende  der 
Welt."^)     In    der    Offenbarung    der   gegenwärtigen    Zeit 


')  Offenbarung  Johannes  20:12,  13. 

')  Römer  5:18. 

=)  1.  Timotheus  2:5,  6. 

*)  1.  Johannes  2:2. 

')  Mosiah  4:7. 


Art.  3.]  Das  Sühnopfer.  107 

lesen  wir,  daß  Christus  in  die  Welt  gekommen  war,  um  zu 
leiden  und  zu  sterben,  „damit  durch  ihn  alle  errettet 
werden  können,  die  ihm  der  Vater  in  seine  Gewalt  gegeben 
hat,  und  die  durch  ihn  hervorgebracht  werden."^) 

21.  Aber  neben  dieser  allgemeinen  Anwendung  des 
Sühnopfers,  wodurch  alle  Menschen  von  den  Folgen  der 
Übertretung  Adams,  sowohl  hinsichtlich  des  körperhchen 
Todes  als  auch  hinsichtlich  der  Befleckung  von  der  ererb- 
ten Sünde,  erlöst  sind,  gibt  es  eine  besondere  Anwendung 
dieses  großen  Opfers  als  Mittel  zur  Aussöhnung  der  eigenen 
Sünden  durch  den  Glauben  und  die  guten  Werke  des 
Sünders.  Diese  doppelte  Wirkung  des  Sühnopfers  ist  in  dem 
Glaubensartikel,  der  jetzt  erörtert  wird,  enthalten.  Durch 
die  erste  Wirkung  wird  die  Befreiung  von  den  sonst  furcht- 
baren Folgen  des  Falles  für  alle  Menschen  in  gleicher  Weise 
gesichert;  dadurch  wird  ein  Plan  der  allgemeinen  Seligkeit 
bereitet.  Durch  die  zweite  Wirkung  wird  der  Weg  zur 
persönlichen  Seligkeit  geöffnet,  auf  dem  der  Mensch 
die  Vergebung  seiner  eigenen  Sünden  erlangen  kann. 
Da  diese. Sünden  die  Folgen  persönlicher  Taten  sind,  ist 
es  nur  gerecht,  die  Vergebung  dafür  von  der  persönlichen 
Unterwerfung  unter  die  vorgeschriebenen  Verordnungen 
—  abhängig  zu  machen,  —  d.  h.  von  der  ,, Befolgung  der 
Gesetze  und  Verordnungen  des  Evangeliums". 

22.  Die  allgemeine  Wirkung  des  Sühnopfers,  soweit 
sie  sich  auf  alle,  die  die  Jahre  der  Verantwortlichkeit 
und  des  Verstandes  erreicht  haben,  erstreckt,  ist  durch 
die  schon  angeführten  Schriftstellen  wohl  schon  genügend 
klar  gemacht  worden.  Ihrer  Anwendung  auf  Kinder  wer- 
den wir  jetzt  unsere  Aufmerksamkeit  zuwenden.  Die 
Kirche  Jesu  Christi  der  Heiligen  der  letzten  Tage  lehrt  als 
eine  auf  die  Vernunft,  die  Gerechtigkeit  und  die  Schrift 


')  Lehre  u.  Bündn.  76:42. 


108  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  IV. 

gegründete  Lehre,  daß  alle  Kinder  in  den  Augen  Gottes 
unschuldig  sind,  daß  erst,  wenn  sie  das  Alter  der  persön- 
lichen Verantwortlichkeit  erreichen,  die  Taufe  für  sie  er- 
forderhch  und  angebracht  ist,  kurz  gesagt:  daß  sie  durch 
das  Sühnopfer  Christi  erlöst  w^orden  sind.  Bis  zu  einem 
gewissen  Grade  werden  die  Kinder  als  die  Erben  der 
guten  und  bösen  Eigenschaften  ihrer  Eltern  geboren;  die 
Wirkungen  der  Vererbung  lassen  sich  in  der  Entwicklung 
des  Charakters  leicht  erkennen.  Gute  und  böse  Neigungen, 
Segnungen  und  Flüche  werden  von  Geschlecht  zu  Ge- 
schlecht vererbt.  Infolge  dieser  von  Gott  bestimmten 
Verordnung,  deren  Gerechtigkeit  durch  die  erhaltenen 
Offenbarungen  über  den  Stand  der  menschlichen  Geister 
in  der  Präexistenz  klar  geworden  ist,  sind  die  Kinder 
Adams  natürliche  Erben  der  Drangsale  der  Sterblichkeit; 
durch  das  Sühnopfer  Christi  sind  aber  alle  von  dem  Fluch 
dieses  gefallenen  Zustandes  erlöst,  die  Schuld,  die  ihnen 
als  Erbschaft  zukommt,  wird  für  sie  bezahlt,  und  so  wer- 
den sie  frei  gelassen.  Kinder,  die  frei  von  Sünden  sterben, 
sind  in  den  Augen  Gottes  ganz  unschuldig,  selbst  wenn  sie 
Kinder  von  Übertretern  sind.  Im  Buch  Mormon  lesen 
wir:  ,, Kleine  Kinder  können  keine  Buße  tun,  daher  ist 
es  eine  abscheuhche  Bosheit,  ihnen  die  reine  Barmherzig- 
keit vorzuenthalten,  denn  wegen  seiner  Barmherzigkeit 
leben  sie  alle  in  ihm.*  *  *  Denn  sehet,  alle  kleinen  Kinder 
und  auch  solche,  die  kein  Gesetz  haben,  leben  in  Christo; 
denn  die  Macht  der  Erlösung  kommt  zu  allen  denen,  die 
kein    Gesetz  haben. "i) 

23.  In  einem  Brief  an  seinen  Sohn  Moroni  drückt 
der  Prophet  Mormon  seine  Überzeugung  von  der  Un- 
schuld der  Kinder  in  folgenden  Worten  aus:  ,,Höre  auf 
die  Worte  Christi,  deines  Erlösers,  deines  Herrn  und  deines 


•)  Moroni  8:19 — 22. 


Art.  3.]  Die  Seligkeit.  109 

Gottes  1  Siehe,  ich  kam  in  die  Welt,  nicht  um  die  Gerechten, 
sondern  um  die  Sünder  zur  Buße  zu  rufen.  Die  Gesunden 
brauchen  keinen  Arzt,  aber  die  Kranken.  Also  kleine 
Kinder  sind  gesund,  denn  sie  können  keine  Sünde  begehen; 
daher  ist  der  Fluch  Adams  von  ihnen  weggenommen  in 
mir,  so  daß  er  keine  Macht  über  sie  hat.  *  *  *  Siehe,  ich 
sage  dir:  Dieses  sollst  du  lehren,  Bekehrung  und  Taufe 
derer,  die  verantwortlich  und  imstande  sind,  Sünden  zu 
begehen;  ja  lehre  die  Eltern,  daß  sie  sich  bekehren  und 
getauft  werden  und  sich  wie  ihre  kleinen  Kinder  demüti- 
gen müssen,  dann  sollen  sie  alle  mit  denselben  selig  werden. 
Und  ihre  kleinen  Kinder  brauchen  weder  Buße  noch  Taufe. 
Siehe,  die  Taufe  ist  zur  Bekehrung,  damit  die  Gebote  für 
die  Vergebung  der  Sünden  erfüllt  werden.  Aber  kleine 
Kinder  leben  in  Christo  von  Anbeginn  der  Welt.**^) 

24.  In  einer  durch  den  Propheten  Joseph  Smith  in 
diesem  Zeitalter  gegebenen  Offenbarung  hat  der  Herr 
gesagt:  „Doch  sehet,  ich  sage  euch,  daß  kleine  Kinder 
von  der  Gründung  der  Welt  an  durch  meinen  Eingebornen 
erlöst  worden  sind;  daher  können  sie  nicht  sündigen,  denn 
dem  Satan  ist  keine  Macht  gegeben,  kleine  Kinder  zu  ver- 
suchen, bis  sie  anfangen,  vor  mir  verantwortlich  zu  wer- 
den."2)  Präsident  John  Taylor  gibt  Beispiele  der  Liebe 
Christi  für  kleine  Kinder  und  Beweise  für  den  unschul- 
digen Zustand,  in  dem  diese  im  Himmel  angesehen  werden, 
und  sagt  dann:  „Ohne  die  Übertretung  Adams  hätten 
jene  Kinder  nicht  sein  können ;  durch  das  Sühnopfer  wer- 
den sie  ohne  irgendeine  eigene  Tat  in  einen  Stand  der 
Seligkeit  versetzt.  Nach  der  Meinung  der  Statistiker 
würde  die  Zahl   derer,    die  ihre   Seligkeit  nur  der  Ver- 


')  Moroni  8:8—12. 

»)  Lehre  u.  Bündn.  29:46,  47. 


110  Die  Glaubensartikel,  [Vorl.  IV. 

mittlung  und  Versöhnung  des  Heilandes  zuschreiben  kön- 
nen, mehr  als  die  Hälfte  der  menschlichen  Familie  aus- 
machen."^) 

25.  Die  besondere  oder  persönliche  Wirkung  des 
Sühnopfers  macht  es  allen  und  jedem  möglich,  durch  die 
Vermittlung  Christi,  Lossprechung  von  der  furchtbaren 
Wirkung  der  persönlichen  Sünden  zu  erlangen.  Aber 
diese  errettende  Vermittlung  muß  durch  eigenes  Bestre- 
ben, wie  es  sich  in  dem  Glauben,  in  der  Buße  und  in  den 
nachfolgenden  Werken  der  Rechtschaffenheit  äußert, 
angerufen  werden.  Die  Gesetze,  durch  die  persönliche 
Seligkeit  erreichbar  ist,  sind  von  Christus  vorgeschrieben 
worden;  sein  Vorrecht  ist  es,  zu  bestimmen,  wie  die  Seg- 
nungen seines  eignen  Opfers  gehandhabt  werden  sollen. 
Alle  Menschen  bedürfen  der  Vermittlung  des  Heilandes, 
denn  alle  sind  Übertreter.  So  lehrten  die  Apostel  vor 
alters :  ,,  Sie  sind  allzumal  Sünder  und  mangeln  des  Ruhmes, 
den  sie  an  Gott  haben  sollen. "2)  Und  weiter:  ,,So  wir 
sagen,  wir  haben  keine  Sünde,  so  verführen  wir  uns  selbst, 
und  die  Wahrheit  ist  nicht  in  uns. "3)  Daß  die  Erlösung 
von  den  Folgen  persönlicher  Sünden,  —  obwohl  sie  für 
alle  erhältlich  ist,  —  dennoch  von  persönlicher  Anstren- 
gung abhängt,  wird  ebenso  klar  erläutert,  wie  die  Wahr- 
heit der  bedingungslosen  Erlösung  von  den  Folgen  des 
Falles.  Es  ist  ein  Gericht  für  alle  bestimmt,  und  alle  wer- 
den ,,nach  ihren  Werken"  gerichtet  werden.  Der  freie 
Wille  des  Menschen  befähigt  ihn,  zu  wählen  oder  zu  ver- 
werfen, dem  Pfad  des  Lebens  oder  der  Straße,  die  zum  Ver- 
derben führt,  zu  folgen ;  es  ist  nur  gerecht,  daß  er  für  die 
Ausübung  seiner  Freiheit  verantwortlich  gehalten  wird, 
und  daß  er  die  Folgen  seiner  Taten  erntet. 


')  „Mediation  and  Atonement",  S.  148;  siehe  Anmerkung  3. 

')  Römer  3:23. 

')  1.  Johannes  1:8. 


Art.  3.]  Die  Seligkeit.  111 

26.  Daher  die  Gerechtigkeit  der  biblischen  Lehre, 
daß  die  Seligkeit  dem  Menschen  nur  durch  Gehorsam 
zukommt.  „Er  ist  geworden  allen,  die  ihm  gehorsam 
sind,  eine  Ursache  zur  ewigen  Seligkeit,''^)  sprach  Paulus 
von  Christus.  Und  weiter:  , .Welcher  (Gott)  geben  wird 
einem  jeglichen  nach  seinen  Werken:  Preis  und  Ehre  und 
unvergängliches  Wesen  denen,  die  mit  Geduld  in  guten 
Werken  trachten  nach  dem  ewigen  Leben;  aber  denen, 
die  da  zänkisch  sind  und  der  Wahrheit  nicht  gehorchen, 
gehorchen  aber  der  Ungerechtigkeit,  Ungnade  und  Zorn; 
Trübsal  und  Angst  über  alle  Seelen  der  Menschen,  die  da 
Böses  tun,  vornehmlich  der  Juden  und  auch  der  Griechen. 
Preis  aber  und  Ehre  und  Friede  allen  denen,  die  da  Gutes 
tun,  vornehmlich  den  Juden  und  auch  den  Griechen.  Denn 
es  ist  kein  Ansehen  der  Person  vor  Gott. "2)  Diesem  können 
die  Worte  des  auferstandenen  Herrn  angefügt  werden: 
,,Wer  da  glaubet  und  getauft  wird,  der  wird  selig  werden; 
wer  aber  nicht  glaubet,  der  wird  verdammt  werden."^) 

27.  Beachten  wir  sodann  die  Prophezeiungen,  die 
König  Benjamin  der  nephitischen  Volksmenge  verkün- 
digte: ,,Das  Blut  Christi  versöhnt  auch  die  Sünden  derer, 
die  durch  Adams  Übertretung  gefallen,  und  die  gestorben 
sind,  ohne  daß  sie  den  Willen  Gottes  hinsichtlich  ihrer 
Person  wußten,  oder  die  unwißend  gesündigt  haben.  Aber 
wehe,  wehe  dem,  der  da  weiß,  daß  er  sich  gegen  Gott  em- 
pört, denn  das  Heil  kommt  zu  keinem  solchen,  ausgenom- 
men durch  Reue  und  Glauben  an  den  Herrn  Jesum  Chri- 
stum."*) Aber  wozu  weitere  Anführungen  aus  der  Schrift, 
wenn  der  ganze  Sinn  der  Heiligen  Schrift  diese  Lehre  vertei- 
digt?    Ohne    Christus  kann    kein  Mensch  selig  werden; 


»)  Hebräer  5:9. 
•)  Römer  2:6—11. 
=)  Markus  16:16. 
*)  Mosiah  3:11,  12. 


112  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  IV. 

und  die  um  den  Preis  der  Leiden  und  des  körperlichen 
Todes  Christi  bereitete  Seligkeit  wird  nur  auf  Grund  ge- 
wisser, deutlich  bestimmter  Bedingungen  dargeboten; 
diese  sind  in  den  Worten:  „Befolgung  der  Gesetze  und 
Verordnungen  des  Evangeliums"  kurz  zusammengefaßt. 

28.  Seligkeit  und  Erhöhung.  —  Allen  Menschen  wird 
irgendein  Grad  der  Seligkeit  zuteil  werden,  wenn  sie  das 
Recht  darauf  nicht  verwirkt  haben.  Erhöhung  wird  nur 
denen  gegeben,  die  sich  durch  rührige  Arbeit  Anspruch 
auf  die  barmherzige  Freigebigkeit  Gottes,  wodurch  die 
Erhöhung  gegeben  wird,  erworben  haben.  Von  den  Er- 
lösten werden  nicht  alle  zu  .den  höheren  Herrlichkeiten 
zugelassen  werden ;  Belohnungen  werden  nicht  unter  Verlet- 
zung der  Gerechtigkeit  gegeben;  Strafen  werden  nicht 
mit  Nichtachtung  der  Ansprüche  der  Barmherzigkeit 
ausgemessen  werden.  Niemand  kann  in  irgendeine  Stufe 
der  Herrlichkeiten  eingehen,  kurzum,  keine  Seele  kann 
erlöst  werden,  bis  der  Gerechtigkeit  für  das  übertretene 
Gesetz  Genüge  geleistet  worden  ist.  Unser  Glaube  an 
die  allgemeine  Anwendung  des  Sühnopfers  sagt  nicht, 
daß  die  ganze  Menschheit  mit  gleichen  Gaben  der  Herr- 
lichkeit und  Macht  errettet  werden  wird.  Im  Reich  Gottes 
sind  viele  vorbereitete  Stufen  der  Erhöhung  geschaffen 
für  die,  die  ihrer  würdig  sind ;  in  dem  Hause  unsers  Vaters 
sind  viele  Wohnungen,  in  welche  nur  die,  die  dafür  bereit 
sind,  aufgenommen  werden.  Die  alte  sektiererische  An- 
sicht, daß  es  im  Jenseits  für  die  Seelen  der  Menschen  nur 
zwei  Orte  —  den  Himmel  und  die  Hölle,  mit  derselben 
Herrlichkeit  in  allen  Teilen  des  einen  und  mit  denselben 
Schrecken  in  der  ganzen  Ausdehnung  der  andern,  geben 
werde,  ist  im  Lichte  der  göttlichen  Offenbarung  gänzlich 
unhaltbar.  Durch  das  unmittelbare  Wort  des  Herrn  er- 
fahren wir  von  verschiedenen  Stufen  der  Herrlichkeit. 


I 


Art.  3.]  Die  Seligkeit.  113 

29.  Stufen  der  Herrlichkeit.  —  Die  Offenbarungen 
Gottes  haben  die  folgenden  Hauptreiche  oder  -stufen 
der  Herrhchkeit,  wie  sie  durch  Christus  für  die  Menschen- 
kinder bereitet  worden  sind,  genau  auseinandergesetzt: 

I.  Die  himmlische  Herrlichkeit.^)  —  Es  gibt  einige, 
die  sich  bemüht  haben,  alle  Gebote  Gottes  zu  befolgen, 
die  das  Zeugnis  Christi  angenommen  und  den  Heiligen 
Geist  empfangen  haben;  es  sind  die,  welche  Böses  über- 
wunden haben  durch  gottselige  Werke  und  deshalb  zu 
der  höchsten  Herrlichkeit  berechtigt  sind;  diese  gehören 
der  Kirche  des  Erstgeborenen  an;  ihnen  hat  der  Vater 
alle  Dinge  gegeben;  sie  werden  zu  Königen  und  Priestern 
des  Allerhöchsten  nach  der  Ordnung  Melchizedeks gemacht; 
sie  besitzen  himmlische  Körper,  ,, deren  Herrlichkeit  die 
Klarheit  der  Sonne  ist,  nämlich  die  Herrlichkeit  Gottes, 
selbst  die  höchste  aller  Herrlichkeiten,  von  deren  Klar- 
heit die  Schrift  sagt,  ,,der  Glanz  der  Sonne  des  Firmaments 
sei  ihr  Ebenbild,"  sie  werden  in  der  Tat  in  die  himmlische 
Schar  aufgenommen  und  mit  himmlischer  Herrlichkeit 
gekrönt  werden,  und  dadurch  werden  sie  Götter. 

II.  Die  irdische  Herrlichkeit.  ^)  —  Wir  lesen  von  de- 
nen, die  die  Herrlichkeit  einer  zweiten  Stufe  empfangen, 
die  von  der  höchsten  Herrlichkeit  ebenso  verschieden  ist 
,,wie  der  Glanz  des  Mondes  von  dem  Glanz  der  Sonne  am 
Firmament".  Es  sind  die,  die  obwohl  ehrlich,  doch  in 
Dunkelheit  waren.  Durch  Menschenlist  verblendet  und 
unfähig,  die  höhern  Gesetze  Gottes  zu  empfangen  und  zu 
befolgen,  erwiesen  sie  sich  „im  Zeugnis  Jesu  nicht  tapfer", 
und  deshalb  sind  sie  nicht  zu  der  Fülle  der  Herrlichkeit 
berechtigt. 


')  Lehxe  u.  Bündn.  76:50- 
')  L.  u.  B.  76:71—80. 


114  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  IV. 

III.  Die  unterirdische  Herrlichkeit.  —  Wir  erfahren 
von  einer  noch  niedrigem  Stufe  der  Herrlichkeit,  die  von 
den  höhern  Stufen  ebenso  verschieden  ist,  wie  die  Sterne 
von  den  glänzendem  Himmelskörpern.  Diese  wird  denen 
gegeben,  die  das  Zeugnis  Jesu  nicht  annahmen,  aber  doch 
den  Heiligen  Geist  nicht  verleugneten ;  die  solch  ein  Leben 
geführt  haben,  daß  sie  von  den  schwersten  Strafen  befreit 
sind,  deren  Erlösung  jedoch  bis  zur  letzten  Auferstehung 
aufgeschoben  wird.  In  der  unterirdischen  Welt  sind  unzäh- 
lige Stufen  der  Herrlichkeit,  vergleichbar  mit  der  ver- 
schiedenartigen Helle  der  Sterne.^)  Doch  werden  alle, 
die  irgendeine  Stufe  der  Herrlichkeit  empfangen,  endlich 
erlöst  werden,  und  auf  sie  wird  Satan  zuletzt  keinen  An- 
spruch mehr  haben.  Diejenigen,  denen  es  erlaubt  wurde,  sie 
zu  schauen,  berichten  uns,  daß  sogar  die  unterirdische  Herr- 
lichkeit „alle  Vorstellungen  übertrifft  und  daß  kein  Mensch 
davon  weiß,  ausgenommen  der,  dem  es  Gott  geoffenbart 
hat. "2)  Schließlich  sind  dann  noch  die  da,  die  jedes  An- 
recht auf  die  unmittelbare  Barmherzigkeit  Gottes  verloren 
haben;  ihrer  Taten  wegen  werden  sie  zum  ,, Verderben" 
und  seinen  Engeln  gezählt  werden.^) 


Anmerkungen. 


1.  Die  Versöhnung  bis  zur  Augenfälligkeit  bewiesen.  —  „Es  wird  oft 
gefragt:  Wie  ist  es  möglich,  daß  durch  das  Opfer  eines  Unschuldigen  die 
Seligkeit  für  die  erworben  werden  kann,  die  unter  der  Gewalt  des  Todes 
sind  ?  Beiläufig  bemerkt,  sollte  es  die  Menschen  nicht  so  sehr  interessieren 
wie  dies  möglich  ist,  als  vielmehr  —  ob  es  eine  Tatsache  ist  ?*  *  *  Auf  diese 
Frage  antworten  das  auf  tausend  jüdische  Altäre  gesprengte  Blut  und  der 
Rauch  von  Brand  opfern,  der  auf  lange  Zeit  die  Himmel  verdunkelte;  ja,  *  *  * 
selbst  die  Götterlehre  der  heidnischen  Völker  hält  den  Gedanken  eines 
Sühnopfers,  das  für  die  Menschen  dargebracht  worden  ist  oder  dargebracht 
werden   soll,   fest.     Fantastisch,    entstellt,   verworren,   unter   dem    Schutt 


>)  Lehre  u.  Bündn.  76:81 — 86. 

')  Abschnitt  76:89—90. 

»)  Siehe  Seite  74,  75;  auch  Vorlesung  XXII,  Art.  11:26. 


I 


Art.  3.]  Anmerkungen.  115 

barbarischen  Aberglaubens  vergraben  mag  er  sein,  aber  er  ist  da.  So  leicht 
zu  verfolgen,  so  deutlich  zu  erkennen  ist  dieser  Zug  der  heidnischen  Götter- 
sagen, daß  einige  Scliriftsteller  zu  beweisen  versucht  haben,  der  Plan  des 
Evangeliiuns  entstamme  der  heidnischen  Mythologie.  Wohingegen  Tat- 
sache ist,  daß  das  Evangelium  in  den  frühesten  Zeitaltern  verstanden  und 
weit  imd  breit  verkündigt  wurde;  die  Menschen  behielten  eine  Kenntnis 
jener  Grundsätze  oder  von  Teilen  davon  in  ihrer  Überlieferung  bei,  und 
so  entstellt  sie  jetzt  auch  sein  mögen,  so  können  doch  Spuren  davon  noch 
fast  in  allen  Gott  er  lehren  der  Welt  gefunden  werden.  Die  Propheten  des 
jüdischen  Volkes  antworten  bejahend  auf  jene  Frage.  Die  Schriftsteller 
des  Neuen  Testaments  machen  das  Sühnopfer  Christi  zum  Hauptgegen- 
stand ihrer  Reden  und  Briefe.  Das  Buch  Mormon,  als  die  Stimme  eines 
Volkes  eines  ganzen  Erdteils,  dessen  Propheten  und  rechtschaffene  Män- 
ner Gott  suchten  und  fanden,  bezeugt  dieselbe  große  Tatsache.  Die  Offen- 
barungen Gottes,  wie  sie  durch  Joseph  Smith  gegeben  wurden,  sind  ange- 
füllt von  Stellen,  die  diese  Lehre  bestätigen."  Roberts,  „Outlines  of  Eccle- 
siastical History",  Abschnitt  VIII,  6. 

2.  Allgemeine  und  bedingungslose  Erlösung  von  dem  Fall.  —  „Wir 
glauben,  daß  durch  die  Leiden,  den  Tod  und  das  Sühnopfer  Jesu  Christi 
die  ganze  Menschheit  ohne  Ausnahme,  sowohl  der  Körper  als  auch  der 
Geist,  von  der  endlosen  Verbannvmg  und  dem  ewigen  Fluch,  denen  sie  durch 
Adams  Übertretung  unterworfen  wurde,  ganz  und  gar  erlöst  werden  wird. 
Wir  glauben  ferner,  daß  diese  allgemeine  Seligkeit  und  Erlösung  des  ganzen 
Menschengeschlechts  von  der  endlosen  Strafe  der  Erbsünde  ohne  irgend- 
welche Bedingung  erreicht  wird,  d.  h.  von  ihm  wird  nicht  verlangt,  daß 
es  glaube  oder  Buße  tue  oder  sich  taufen  lasse,  oder  irgendetwas  andres 
tue,  um  von  dieser  Strafe  erlöst  zu  werden.  Ob  es  gläubig  oder  ungläubig 
ist,  ob  es  Buße  tut  oder  verstockt  bleibt,  ob  es  getauft  oder  ungetauft  ist, 
ob  es  die  Gebote  hält  oder  sie  übertritt,  ob  es  rechtschaffen  oder  böse  ist: 
für  seine  körperliche  und  auch  geistige  Erlösung  von  der  Strafe  der  Über- 
tretung Adams  wird  es  keinen  Unterschied  machen.  Der  rechtschaffenste 
Mensch,  der  je  auf  Erden  gelebt  hat,  und  der  größte  Bösewicht  des  ganzen 
Menschengeschlechts:  beide  wurden  unter  denselben  Fluch  getan,  ohne 
irgendeine  eigene  Übertretung  oder  Wahl,  und  in  gleicher  Weise  werden 
beide  ohne  irgendwelche  Wahl  oder  Bedingungen  ihrerseits  von  jenem 
Fluch  erlöst  werden."  —  Apostel  Orson  Pratt  in  „Remarkable  Visions", 

3.  Cluristus,  der  Urheber  unserer  Seligkeit.  —  Präsident  John  Taylor 
spricht  von  dem  Tode  Christi  als  einem  sühnenden  Opfer  und  fügt  hinzu: 
„So  wurde  der  Erlöser  Herr  der  Lage,  die  Schuld  ist  bezahlt,  die  Erlösung 
vollbracht,  das  Bündnis  erfüllt,  der  Gerechtigkeit  Genüge  geleistet,  der 
Wille  Gottes  getan,  und  alle  Gewalt  —  die  Gewalt  der  Auferstehung,  die 
Gewalt  der  Erlösimg,  die  Gewalt  der  Seligkeit,  die  Gewalt,  Gesetze  zur 
Ausführung  und  Vollbringxmg  dieser  Absicht  zu  geben  —  ist  dem  Sohn 
Gottes  übergeben.*  *  *  Der  Plan,  die  Einrichtung,  der  Vertrag,  das  Bünd- 
nis wurde  vor  der  Grundlegung  der  Welt  gemacht,  eingegangen  und  ange- 
nommen; er  wiu-de  durch  Opfer  vorbildlich  dargestellt  und  am  Kreuz 
ausgeführt  und  vollbracht.  Deshalb,  da  er  der  Vermittler  zwischen  Gott 
und  den  Menschen  ist,  wird  er  unumschränkter  Machthaber  und  Führer 
auf  Erden  imd  im  Himmel  für  Lebende  und  Tote,  über  Vergangenheit, 
Gegenwart  und  Zukunft,  soweit  sie  die  mit  dieser  Erde  oder  den  Himmeln 


116  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  IV. 

in  Zeit  oder  Ewigkeit  verbundnen  Menschen  betrifft;  der  Fürst  unserer 
Seligkeit,  der  Apostel  und  Hohepriester  tuisers  Bekenntnisses,  der  Herr 
und  Spender  alles  Lebens."  „Mediation  and  Atomnent",  Präsident  John 
Taylor,  S.  171. 

4.  Die  Versöhnung  durch  Christus  eingeführt.  —  „Der  Apostel  Paulus 
faßt  die  Folgen  des  Todes  und  der  Auferstehung  Christi  ziemlich  lückenlos 
zusammen:  „Nun  aber  ist  Christus  auferstanden  von  den  Toten  und  der 
Erstling  geworden  unter  denen,  die  da  schlafen.  Sintemal  durch  einen 
Menschen  der  Tod  und  durch  einen  Menschen  die  Auferstehung  der  Toten 
kommt.  Denn  gleichwie  sie  in  Adam  alle  sterben,  also  werden  sie  in  Christo 
alle  lebendig  gemacht  werden"  (1.  Korinther  15:20 — 22).  Mit  andern 
Worten:  da  der  Tod  diu-ch  den  Ungehorsam  Adams  über  alle  Menschen 
gekommen  ist,  so  müssen  alle  durch  den  Tod  und  die  Auferstehung  Christi 
zu  UnsterbUchkeit  und  ewigem  Leben  emporgehoben  werden.  Paulus 
behauptete  auch,  daß  der  letzte  Feind,  der  aufgehoben  wird,  der  Tod  ist 
(Vers  26).  Johannes  der  Offenbarer  erklärt,  er  habe  gesehen,  daß  der  Tod 
und  die  Hölle  in  den  feurigen  Pfuhl  geworfen  werden  (Offenb.  20:14).  Die 
durch  Jesum  Christum  zustande  gebrachte  Versöhnung  bedeutet  weiter, 
daß  er  den  Weg  gebahnt  hat  für  die  Erlösung  der  Menschen  von  ihren 
eigenen  Sünden  diu-ch  Glauben  an  die  Leiden,  den  Tod  und  die  Auferste- 
hung Christi.  Der  Apostel  Paulus  drückt  dies  deutlich  aus:  „Sie  sind  all- 
zumal Sünder  und  mangeln  des  Ruhmes,  den  sie  an  Gott  haben  sollten, 
und  werden  ohne  Verdienst  gerecht  aus  seiner  Gnade  dxu-ch  die  Erlösung, 
so  durch  Jesum  Christum  geschehen  ist,  welchen  Gott  hat  vorgestellt  zu 
seinem  Gnadenstuhl  durch  den  Glauben  in  seinem  Blut,  damit  er  die  Ge- 
rechtigkeit, die  vor  ihm  gilt,  darbiete  in  dem,  daß  er  Sünde  vergibt,  welche 
bisher  geblieben  war  imter  göttlicher  Geduld"  (Römer  3:23 — 25).  Diese 
Stellen  machen  es  augenscheinUch,  daß  die  Erlösung  vom  Tode  durch  die 
Leiden  Christi  für  alle  Menschen,  sowohl  für  die  Bösen  als  auch  für  die 
Rechtschaffenen,  für  diese  Erde  und  für  alle  ihre  erschaffenen  Dinge  gilt. 
Der  ganze  Sinn  der  Schrift  versichert  uns,  daß,  unbeschadet  ihrer  per- 
sönlichen Taten,  sie  der  Auferstehung  von  den  Toten  sicher  sein  können; 
daß  ihnen  aber  trotzdem  nach  ihren  Werken,  seien  sie  nun  gut  oder  böse, 
vergolten  werden  wird,  und  daß  Erlösung  von  persönlichen  Sünden  nur 
durch  Befolgung  der  Gebote  des  Evangeliums  und  nur  durch  ein  Leben 
von  guten  Werken  erworben  werden  kann.  Da  die  Übertretung  Adams 
in  ihren  Folgen  unbegrenzt  ist,  so  können  diese  Folgen  auch  niu-  durch 
eine  imbegrenzte  Versöhnung  abgewendet  werden."  —  „Compendium" 
F.  D.  Richards  und  J.  A.  Uttle,   S.  8,  9. 

5.  Das  Sütmopfer  notwendig.  —  „In  der  göttlichen  Einrichtung  und 
in  dem  vom  Allmächtigen  vorgeschlagenen  Plan  wurde  vorgesehen,  daß 
der  Mensch  unter  ein  in  sich  offenkundig  einfaches  Gesetz  gestellt 
werden  sollte;  aber  die  Prüfung  des  Gesetzes  war  von  den  schwersten  Folgen 
begleitet.  Das  Halten  jenes  Gesetzes  würde  ewiges  Leben  verbürgen,  und 
die  Strafe  für  die  Übertretung  des  Gesetzes  wäre  der  Tod.*  •  *  Wäre  das 
Gesetz  nicht  gebrochen  worden,  so  wäre  der  Mensch  am  Leben  geblieben; 
wäre  aber  der  Mensch  dann  fähig  gewesen,  sein  Geschlecht  fortzupflanzen 
und  dadurch  die  Absichten  Gottes  zu  erfüllen :  Körper  für  die  Geister,  die 
in  der  Geisterwelt  erschaffen  worden  waren,  zu  bereiten?    Und  weiter: 


Art.  3.]  Anmerkungen.  117 

Hätte  dann  das  Bedürfnis  nach  einem  Vermittler  bestanden,  der  als  Ver- 
söhner für  die  Übertretung  dieses  Gesetzes  handeln  sollte,  welches,  wie  es 
den  Umständen  nach  scheinen  würde,  bestimmt  war,  gebrochen  zu  werden, 
oder  hätte  die  ewige  Vermehrung  und  Fortdauer  des  Menschengeschlechts 
sich  fortgesetzt,  oder  hätte  die  erhabene  Erhöhung  des  Menschen  zu  der 
Gottheit  zustandegebracht  werden  können,  ohne  das  versöhnende  Sühn- 
opfer des  Sohnes  Gottes?"  —  Mediation  and  Atonement",  Präsident 
John  Taylor,  S.  128,  129. 


118  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  V. 


Vorlesung  V. 
Glaiibe  und  Buße. 

Artikel  4.  —  Wir  glauben,  daß  die  ersten  Prinzipien  und  Verord- 
nungen des  Evangeliums  sind:  1.  Glaube  an  den  Herrn  Jesum  Christum, 
2.  Buße***. 

Glaube. 

1.  Das  Wesen  des  Glaubens.  —  Der  vorherrschende 
Sinn,  in  dem  das  Wort  Glaube  in  allen  heiligen  Schriften  ge- 
braucht wird,  ist  der  des  vollen  Vertrauens  und  der  vollen 
Zuversicht  zu  dem  Dasein,  den  Absichten  und  den  Worten 
Gottes.  Ein  solches  unbedingtes  Vertrauen  wird  alle  Zweifel 
an  den  von  Gott  vollendeten  oder  verheißenen  Dingen 
vertreiben,  selbst  wenn  sie  den  gewöhnlichen  Sinnen  der 
Sterblichkeit  weder  augenfällig  noch  erklärlich  sind. 
Daher  die  von  Paulus  gegebene  Erklärung  über  Glauben : 
„Es  ist  aber  der  Glaube  eine  gewisse  Zuversicht  des,  das 
man  hofft,  und  nicht  zweifeln  an  dem,  das  man  nicht 
sieht."^)  Es  ist  klar,  daß  ein  solches  Gefühl  der  Zuver- 
sicht bei  verschiedenen  Menschen  in  verschiedenen  Graden 
vorhanden  sein  kann.  In  der  Tat  kann  sich  der  Glaube 
offenbaren  von  dem  schwachen  Anfangszustand,  der  nicht 
viel  mehr  als  bloßes  von  Unschlüssigkeit  und  Furcht 
kaum  freies  Fürvs^ahrhalten  ist,  bis  zu  der  Kraft  der  hart- 
näckigen Zuversicht,  die  dem  Zweifel  und  der  Vernünftelei 
Trotz  bietet. 

2.  Fürwahrhalten,  Glaube  und  Kenntnis,  obwohl  eng 
verwandt  und  oftmals  als  ein  und  dasselbe  angesehen,  sind  in 


')  Hebräer  11:1 


I 


Art.  4.1  Glaube.  119 

Wirklichkeit  nicht  gleichbedeutend.  Die  Worte  Glaube 
(engl,  faith)  und  Fürwahrhalten  (engl,  belief)  werden  zu- 
weilen als  sinnverwandte  Ausdrücke  gebraucht,  aber  den- 
noch hat  jedes  eine  besondere  und  bestimmte  Bedeutung 
der  (englischen)  Sprache;  obwohl  es  im  früheren  Englisch 
dem  Wesen  nach  keinen  Unterschied  zwischen  ihnen 
gab,  und  deshalb  die  Wörter  in  den  alten  Schriften  wechsel- 
weise gebraucht  werden.  Das  bloße  Fürwahrhalten  mag 
nur  aus  verstandesmäßiger  Zustimmung  bestehen,  wäh- 
rend der  Glaube  ein  Vertrauen  und  eine  Überzeugung 
umfaßt,  die  zur  Tätigkeit  antreibt.  Die  Autorität  der 
(englischen)  Wörterbücher  rechtfertigt  das  Anerkennen 
eines  Unterschieds  zwischen  den  zwei  Wörtern,  nach  dem 
gegenwärtigen  Gebrauch  im  Englischen;  und  diese  Auto- 
rität erklärt  Fürwahrhalten  (eng.  belief)  als  eine  einfache 
Zustimmung  zur  Wahrheit  oder  Wirklichkeit  von  irgend 
etwas,  schließt  aber  die  sittliche  Seite  der  Verantwortlich- 
keit aus,  welche  der  Glaube  in  sich  begreift.  Das  Fürwahr- 
halten ist  in  einem  Sinne  untätig  —  nur  eine  innerliche 
Zustimmung  oder  Annahme;  der  Glaube  ist  tätig  und  be- 
stimmt —  ein  Vertrauen  und  eine  Zuversicht,  die  zu 
Werken  führen.  Der  Glaube  an  Christum  begreift  das  in 
sich,  was  wir  von  ihm  für  wahr  halten,  verbunden  mit 
Vertrauen  auf  ihn.  Man  kann  keinen  Glauben  haben, 
ohne  etwas  für  wahr  zu  halten,  dennoch  kann  man  etwas 
mit  dem  Munde  bekennen  und  doch  Mangel  an  Glauben 
haben.  Der  Glaube  ist  das  lebhaft  anspornende,  leben- 
spendende Fürwahrhalten. 

3.  Sicher  gibt  es  zwischen  den  beiden  einen  großen 
Unterschied  im  Grade,  selbst  wenn  keine  wesentliche 
Unterscheidung  in  der  Art  anerkannt  wird.  Wie  nachher 
erklärt  werden  wird,  ist  der  Glaube  an  die  Gottheit  zur 
Seligkeit  notwendig ;  er  ist  in  der  Tat  eine  errettende  Kraft, 
die  ihren  Besitzer  auf  den  Weg  der  Gottseligkeit  führt; 


120 


Die  Glaubensartikel. 


[Vorl.  V. 


ein  bloßes  Fürwahrhalten  des  Seins  und  der  Eigen- 
schaften der  Gottheit  ist  sicher  keine  solche  Kraft.  Beach- 
ten wir  die  Worte  des  Apostels  Jakobus. i)  In  seinem  all- 
gemeinen Brief  an  die  Heiligen  tadelte  er  seine  Brüder 
wegen  gewisser  leerer  Bekenntnisse.  Dem  Sinne  nach 
sagte  er:  „Ihr  seid  stolz  und  zufrieden  auf  euer  Bekennt- 
nis des  Glaubens  an  Gott;  ihr  rühmt  euch,  daß  ihr  euch 
von  den  Götzendienern  und  den  Heiden  unterscheidet, 
weil  ihr  einen  Gott  anerkennt;  ihr  tut  wohl,  so  zu  beken- 
nen und  so  zu  glauben ;  aber  gedenket,  andere  tun  dasselbe, 
sogar  die  Teufel  glauben,  und  zwar  so  fest,  daß  sie  beim  Ge- 
danken an  das  Los,  das  der  Glaube  ihnen  klar  macht, 
zittern.  —  Wie?  glauben  die  Teufel  an  Christum?  Ja, 
ihr  Glaube  steigt  bis  zu  einer  gewissen  Kenntnis,  wer  er 
ist  und  was  seinen  vergangenen,  gegenwärtigen  und  zu- 
künftigen Teil  in  dem  göttlichen  Plan  der  menschlichen 
Existenz  und  Seligkeit  bildet.  Erinnern  wir  uns  des  Falles 
des  von  bösen  Geistern  besessenen  Menschen  im  Lande 
der  Gadarener,  eines  Menschen,  so  schwer  gepeinigt,  daß  er 
allen,  die  sich  ihm  nahten,  ein  Schrecken  war;  er  konnte 
weder  gezähmt  noch  gebunden  werden;  die  Leute  fürch- 
teten sich,  ihm  nahe  zu  kommen.  Als  er  jedoch  Christus 
sah,  lief  er  zu  ihm  und  betete  ihn  an,  und  der  böse  Geist 
bat  um  Barmherzigkeit  von  selten  jenes  Rechtschaffenen, 
den  er  ,,  Jesu,  du  Sohn  Gottes,  des  Allerhöchsten"^)  nannte. 
Wiederum:  in  der  Synagoge  zu  Jerusalem  flehte  ein  un- 
sauberer Geist  Christus  an,  seine  Macht  nicht  anzuwenden, 
und  schrie  aus  Furcht  und  Seelenangst:  „Ich  weiß,  wer  du 
bist:  der  Heilige  Gottes. "3)  Weiter  wird  uns  berichtet, 
daß  dem  Heiland  eine  Volksmenge  aus  Idumäa  und  von 
Jerusalem  und  der  Gegend  von  Tyrus  und  Sidon  nach- 


')  Siehe  Jakobus  2:19. 

*)   Siehe  Markus  5:1—18;  auch  Matthäus  8:28—34. 

»)  Siehe  Markus  1:24. 


Art.  4.]  Glaube.  121 

folgte,  worunter  sich  viele  befanden,  die  von  bösen  Gei- 
stern besessen  waren;  als  diese  ihn  sahen,  fielen  sie 
anbetend  nieder  und  riefen  aus:  ,,Du  bist  Gottes  Sohn!"^) 
Gab  es  je  einen  sterblichen  Gläubigen,  derein  bestimmteres 
Wissen  von  Gott  und  seinem  Sohn  bekannte,  als  diese 
Nachfolger  Satans?  Der  Böse  kennt  Gott  und  Christus; 
er  erinnert  sich  vielleicht  noch  ein  wenig  an  den  Stand,  den 
er  einst  als  ein  Sohn  des  Morgens^)  eingenommen  hatte; 
doch  mit  all  dieser  Kenntnis  ist  er  immer  noch  Satan. 
Weder  das  Fürwahrhalten  noch  die  höherstehende  tat- 
sächliche Kenntnis  kann  uns  erretten;  denn  keins  von 
beiden  ist  Glauben.  Das  Fürwahrhalten  mag  ein  Er- 
zeugnis des  Sinnes  sein,  der  Glaube  ist  des  Herzens;  das 
Fürwahrhalten  ist  auf  Vernunft  gegründet,  der  Glaube 
meistenteils  auf  Empfindung. 

4.  Oft  hören  wir  sagen,  der  Glaube  sei  unvollkommene 
Kenntnis ;  das  erste  verschwinde,  wenn  das  zweite  seinen 
Platz  einnehme;  wir  wandelten  jetzt  im  Glauben,  werden 
aber  eines  Tages  im  Licht  der  sichern  Kenntnis  wandeln. 
In  einem  Sinne  ist  dieses  wahr,  es  darf  aber  nicht  vergessen 
werden,  daß  Kenntnis  ebenso  tot  und  unfruchtbar  in  guten 
Werken  sein  kann,  als  glaubensloses  Fürwahrhalten. 
Das  Bekennen  der  Teufel,  daß  Christus  der  Sohn  Gottes 
ist,  war  auf  Kenntnis  gegründet ;  doch :  die  große  Wahrheit, 
die  sie  wußten,  änderte  ihre  üblen  Naturen  nicht.  Wie 
verschieden  war  doch  ihr  Bekennen  des  Heilandes  von 
dem  des  Petrus,  der  auf  des  Meisters  Frage:  ,,Wer  sagt 
denn  ihr,  daß  ich  sei?",  in  fast  denselben  Worten  wie 
die  unsaubern  Geister,  erwiderte:  ,,Du  bist  Christus,  des 
lebendigen  Gottes  Sohn!"^)  Der  Glaube  des  Petrus  hatte 
schon  seine  lebendige  Kraft  gezeigt;  er  hatte  Petrus  veran- 


')  Markus  3:8—11. 

»)  Lehre   u.    Bündn.    76:25—27. 

»)  Matthäus  16:15 — 16;  siehe  auch  Markus  8:29;  Lukas  9:20. 


122  Die  Glaubensartikd.  [Vorl.  V. 

laßt  vieles,  das  ihm  teuer  war,  zu  verlassen,  seinem  Herrn 
durch  Verfolgung  und  Leiden  nachzufolgen,  und  die  Welt- 
lichkeit mit  all  ihren  Reizen  gegen  die  aufopfernde  Fröm- 
migkeit, die  sein  Glaube  so  wünschenswert  machte,  zu  ver- 
tauschen. Seine  Kenntnis  von  Gott  als  dem  Vater  und  dem 
Sohn  als  dem  Erlöser  war  vielleicht  nicht  größer  als  die  der 
unsauberen  Geister;  aber  wie  diese  Kenntnis  ihnen  nur  eine 
weitere  Ursache  der  Verdammung  war,  war  sie  ihm  ein 
Mittel  zur  Seligkeit. 

5.  Der  bloße  Besitz  der  Kenntnis  nützt  uns 
zunächst  nichts.  Eine  Erläuterung  mag  wohl  hier  er- 
laubt sein:  Während  einer  Choieraseuche  in  einer 
großen  Stadt  bewies  ein  wissenschaftlich  gebildeter  Fach- 
mann durch  chemische  und  mikroskopische  Analysen 
zu  seiner  eigenen  Befriedigung,  daß  das  Trinkwasser  in- 
fiziert war,  und  daß  dadurch  die  Ansteckung  verbreitet 
wurde.  Er  verkündigte  diese  große  Wahrheit  in  der 
ganzen  Stadt  und  warnte  alle  vor  dem  Gebrauch  von  un- 
gekochtem Wasser.  Obwohl  unfähig,  seine  Untersuchungs- 
verfahren zu  begreifen  und  noch  weniger  imstande,  diese 
für  sich  selbst  zu  wiederholen,  glaubten  viele  Leute  an 
seine  warnenden  Worte,  befolgten  seine  Unterweisungen 
und  entgingen  dem  Tode,  dem  ihre  sorglosen  und  ungläu- 
bigen Mitmenschen  erlagen.  Ihr  Glaube  war  ein  erretten- 
der Glaube.  Die  Wahrheit,  durch  die  so  viele  Leben  er- 
halten wurden,  war  dem  Manne  selbst  eine  Sache  des 
Wissens.  Er  hatte  unter  dem  Vergrößerungsglas  die  tod- 
bringenden Keime  in  dem  Wasser  tatsächlich  gesehen; 
er  hatte  ihre  Giftigkeit  geprüft;  er  wußte  wovon  er  sprach. 
Dennoch:  in  einem  vergeßlichen  Augenblick  trank  er  von 
dem  ungereinigten  Wasser  und  starb  bald  darauf  als  ein 
Opfer  der  Seuche.  Obwohl  seine  Kenntnis  vollkommen 
war,  hatte  sie  ihn  nicht  gerettet;  andere  hingegen,  deren 
Vertrauen  nur  das  des  Glaubens  an  die  Wahrheit,  die  er 


Art.  4.]  Glaube.  123 

erklärt  hatte,  war,  entgingen  der  drohenden  Vernichtung. 
Wahrlich,  er  hatte  Kenntnis,  aber  war  erweise  ?  Die  Kennt- 
nis ist  der  Weisheit,  was  das  Fürwahrhalten  dem  Glauben 
ist;  das  eine,  eine  bloß  gedachte  Grundlehre,  das  andere 
eine  lebendige  Anwendung.  Nicht  bloß  in  dem  Besitz, 
sondern  in  der  richtigen  Anwendung  der  Kenntnis  und  des 
Wissens  besteht  die  Weisheit.  Über  den  Vergleich  zwischen 
bloßem  gleichgültigem  Fürwahrhalten  und  Glauben  darf 
das  gesagt  werden,  was  über  Kenntnis  und  Weisheit  ge- 
sagt worden  ist: 

„Wissen  und  Weisheit,  weit  davon  entfernt 
eins  zu  sein,  haben  oft  keine  Verbindung;  *  *  * 
Wissen  —  eine  Masse  roh  und  nutzlos, 
der  Baustoff  mit  dem  die  Weisheit  baut  — 
bis  sie  geglättet,  und  auf  den  Winkel  geprüft, 
in  ihren  Platz  aufgestellt  wird. 
Belastet,  den  sie  zu  bereichern  scheint." 

6.  Die  Grundlage  des  Glaubens.  —  Im  religiösen 
Sinne  verstehen  wir,  wie  schon  erwähnt,  unter  Glauben 
ein  lebendiges,  inspirierendes  Vertrauen  auf  Gott,  und 
eine  Anerkennung  seines  Willens  als  unser  Gesetz  und 
seiner  Worte  als  unsern  Führer  im  Leben.  Glauben  ^n 
Gott  ist  nur  möglich,  wenn  wir  wissen  oder  wenigstens 
annehmen,  daß  Gott  lebt,  und  noch  mehr,  daß  er  ein  Wesen 
von  würdigem  Charakter  und  würdigen  Eigenschaften 
ist.  Die  Gründe,  worauf  der  Mensch  sein  Bekenntnis  oder 
seine  Kenntnis  von  dem  Dasein  Gottes  baut,  sind  in 
einer  frühern  Vorlesung  untersucht  worden  ;^)  dabei  wur- 
den auch  einige  der  göttlichen  Eigenschaften,  wie  sie  durch 
den  Umgang  Gottes  mit  den  Menschen  geoffenbart  worden 
sind,  angegeben.  Da  eine  Erkenntnis  von  den  Eigen- 
schaften Gottes  zur  Ausübung  des  Glaubens  an  ihn  not- 
wendig ist,  mag  eine  Wiederholung  der  Hauptsachen  in- 


•)  Vorlesung  2,  Seite  32. 


124  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  V. 

bezug  auf  den  Charakter  des  Allerhöchsten  hier  am 
Platze  sein.  Laßt  uns  die  von  dem  Propheten  Joseph 
Smith  dargebotene  Übersicht  der  Tatsachen  annehmen; 
er  gibt  auf  Grund  der  Schrift  folgende  Erklärung  über 
den  Charaktern  Gottes: 

,,1.  daß  er  Gott  war  ehe  denn  die  Welt  erschaffen 
wurde,  und  zwar  derselbe  Gott,  der  er  nach  ihrer  Erschaf- 
fung war, 

2.  daß  er  gnädig  und  barmherzig,  geduldig  und  voller 
Güte  ist,  und  daß  er  es  war  von  Ewigkeit  her  und  es  sein 
wird  in  Ewigkeit. 

3.  daß  er  sich  nicht  verändert,  daß  er  derselbe  ist  von 
Ewigkeit  zu  Ewigkeit,  derselbe  gestern,  heute  und  immer- 
dar, und  daß  sein  Lauf  eine  ewige  Runde  ohne  Verän- 
derung ist. 

4.  daß  er  ein  Gott  der  Wahrheit  ist,  und  daß  er  nicht 
lügen  kann. 

5.  daß  er  die  Person  nicht  ansieht,  sondern  in  allerlei 
Volk,  wer  ihn  fürchtet  und  recht  tut,  der  ist  ihm  angenehm. 

6.  daß  er  Liebe  ist."^) 

7.  Eine  Erkenntnis  von  diesen  umfassenden  Zügen 
des  göttlichen  Wesens  wird  einen  Menschen  befähigen, 
vernünftigen  und  verständigen  Glauben  an  Gott  auszu- 
üben. Und  auf  eine  solche  Erkenntnis  von  dem  Dasein 
Gottes,  der  Würdigkeit  seines  Charakters  und  der  Voll- 
kommenheit seiner  Eigenschaften,  ist  der  Glaube  des  Men- 
schen an  ihn  gegründet.  Der  Glaube  kann  also  nicht  ohne 
irgendeine  Kenntnis  ausgeübt  werden;  doch  zeigen  sogar 
die  in  geistiges  Dunkel  gehüllten  Heiden  einige  Früchte 
des  Glaubens;  sie  haben  wenigstens  die  Überzeugung, 
die  aus  dem  natürlichen  Empfinden  des  Menschen  über 


»)  Lehre  u.  Bündn.  Vorlesungen  über  Glauben,  3:13 — 18. 


Art.  4.]  Glaube.  125 

eine  allerhöchste  Macht  hervorgeht,  welches  Empfinden 
als  eine  allgemeine  Erbschaft  der  Menschheit  beschrieben 
worden  ist.  In  jeder  menschlichen  Seele,  sogar  in  der  des 
Wilden,  wie  begrenzt  und  unvollkommen  seine  Seele  durch 
ererbte  Finsternis  oder  durch  absichtliches  Sündigen  ge- 
worden sein  mag,  ist  irgendein  Grund  für  den  Glauben. 
Jedes  Kind  Gottes  wird  mit  der  seiner  Natur  innewohnen- 
den Fähigkeit,  zu  glauben,  geboren;  und  in  irgendeinem 
Grade  sehnen  sich  alle  nach  der  Kraft  und  Hilfe,  die  der 
Glaube  allein  geben  kann.    Wir  werden  noch  vernehmen: 

„Daß  in  allen  Zeiten 

jedes  Menschenherz  ist  menschlich; 

daß  sogar  in  wilden  Busen 

gibt's  Verlangen,   Sehnen,  Streben 

nach  dem  Guten,  das  sie  nicht  fassen! 

daß  die  Hände,  schwach  und  hilflos 

umhertastend  in  dem  Dunkel, 

Gottes  starker  Hand  vertrauen, 

die  sie  hebt  empor  und  stärkt  sie."') 

Der  Glaube  des  Heiden  mag  unvollkommen  und 
schwach  sein,  denn  seine  Fähigkeit,  die  Beweise,  von  denen 
der  Glaube  an  Gott  abhängt,  zu  erkennen,  ist  wohl 
klein.  Während  die  ersten  Einflüsterungen  des  Glaubens 
an  Gott  die  Folge  der  natürlichen  Empfindung  eines  leisen 
Widerhalls  der  Lobgesänge,  die  während  des  Standes 
unsrer  uranfänglichen  Kindheit  so  allgemein  waren,  sein 
mögen,  wird  die  spätere  Entwicklung  zum  größten  Teil  die 
Folge  vorurteilsfreier  und  gebetsvoller  Untersuchung  und 
Forschung  nach  Wahrheit  sein. 

8.  Aus  zuverlässigem,  richtig  aufgefaßtem  Beweis 
entspringt  der  wahre  Glaube;  aus  falschen  Beweisgründen 
kann  nur  entstellter  und  übel  angebrachter  Glauben  ent- 
stehen.2)  Unsere  Schlußfolgerungen  hinsichtlich  irgendeiner, 
der  Prüfung  unterworfenen  Frage,  werden  —  wenn  wir 


')  Longfellow. 

»)  Siehe  Anmerkung  1. 


126  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  V. 

die  behaupteten  Tatsachen  nicht  selbst  untersuchen 
können  —  im  großen  und  ganzen  durch  Zahl  und  Glaub- 
würdigkeit der  Zeugen  bestimmt,  und  in  beiden  Fällen 
durch  Bedeutung  und  Art  des  erreichbaren  Beweises.  So 
unwahrscheinlich  uns  nun  eine  Erklärung  vorkommt: 
wird  uns  ihre  Wahrheit  durch  Zeugen,  denen  wir  ver- 
trauen, bestätigt,  so  werden  wir  sie  wenigstens  vorläufig 
als  wahr  anerkennen.  Wenn  viele  glaubwürdige  Zeugen 
bezeugen,  und  w^enn  überdies  sich  uns  Nebenbeweise  durch 
Tatsachen  aus  unserer  persönlichen  Kenntnis  von  selbst 
aufdrängen,  können  wir  die  Erklärung  als  bewiesen  betrach- 
ten; obwohl  es  uns  unmöglich  wäre,  sie  auf  Grund  unsrer 
persönlichen  Kenntnis  hin  zu  bestätigen,  bis  wir  selber  ge- 
sehen und  gehört  haben,  bis  ein  jeder  von  uns  durch  per- 
sönliche Beobachtung,  selbst  ein  zuständiger  Zeuge  gewor- 
den ist.  Ein  Beispiel:  von  den  Bürgern  der  Vereinigten 
Staaten  haben  vielleicht  verhältnismäßig  wenige  den  Sitz 
der  Regierung  besucht;  die  Massen  wissen  durch  persön- 
liche Anschauung  nichts  von  dem  Capitol,  dem  Haus  des 
Präsidenten  und  andern  Gebäuden  von  allgemeiner  Be- 
deutung und  nationaler  Wichtigkeit;  sehr  wenige  sind  per- 
sönlich mit  dem  Präsidenten,  der  dort  wohnt,  zusammen- 
getroffen. Woher  weiß  irgend  jemand  aus  dieser  Volks- 
menge, die  nicht  selbst  gesehen  hat,  etwas  von  der  Stadt 
Washington,  dem  Capitol  und  dem  Präsidenten  ?  Einzig  und 
allein  durch  das  Zeugnis  andrer.  Es  mag  w^ohl  unter  seinen 
Bekannten  einen  oder  viele  geben,  die  in  der  Hauptstadt 
des  Landes  gewesen  sind,  und  deren  Erklärung  er  als  wahr 
annimmt;  sicherlich  hat  er  von  denen,  die  es  selbst  wissen, 
gehört  oder  gelesen.  Dann  hört  er  von  Gesetzen,  die  dort 
entworfen  w^erden  und  von  Erlassen,  die  von  dem  Haupt- 
sitz des  Reiches  herkommen ;  sein  Forschen  in  der  Schule, 
sein  Gebrauch  von  Landkarten  und  Büchern,  und  viele 
andre  Ereignisse  vermehren  die  Beweise,  die  bald  ent- 


Art.  4.]  Glaube.  127 

scheidend  werden.  Seine  Folgerungen  vervielfachen  und 
entwickeln  sich  zu  einer  bestimmten  Überzeugung.  Er 
erwirbt  einen  Glauben  an  das  Dasein  eines  Mittelpunkts 
der  nationalen  Regierung  und  eine  Achtung  vor  den  Ge- 
setzen, die  von  ihr  ausgehen. 

9.  Lasset  uns  noch  eine  Erläuterung  anführen:  Die 
Astronomen  sagen  uns,  die  Erde  sei  von  derselben  Art 
wie  einige  Sterne;  sie  sei  ein  Himmelskörper  einer  Plane- 
tengruppe, die  sich  in  konzentrischen  Bahnen  um  die 
Sonne  drehe;  und  einige  dieser  Weltkörper  seien  um  ein 
vielfaches  größer  als  unsere  Erdkugel.  Wir  mögen  in 
der  Art  und  Weise  der  Beobachtung  und  Berechnung  der 
Astronomen  nicht  bewandert  und  deshalb  also  unfähig 
sein,  die  Wahrheit  dieser  Erklärungen  selbst  zu  prüfen; 
aber  wir  finden  eine  solche  Masse  von  Beweisen,  die  von 
dem  vereinigten  Zeugnis  jener  herrühren,  auf  deren  Er- 
kenntnis als  wissenschaftlich  wirkende  Fachleute  wir 
Vertrauen  gesetzt  haben,  daß  wir  die  Schlußfolgerungen 
als  völlig  bewiesen  annehmen. 

10.  So  auch  betreffs  des  Daseins,  der  Würde  und  der 
Eigenschaften  Gottes :  die  Zeugnisse  vieler  heiligen  Männer 
in  alter  und  neuer  Zeit  —  Propheten,  deren  Glaubwürdig- 
keit durch  die  Erfüllung  ihrer  Voraussagungen  festgestellt 
worden  ist  —  sind  in  zusammengefaßter  Erklärung  dieser 
feierlichen  Wahrheiten  zu  uns  gekommen,  und  auf  jeder 
Seite  gibt  auch  die  Natur  bestätigendes  Zeugnis.  Solche 
Beweise  zu  verwerfen  ohne  sie  zu  widerlegen,  heißt  nichts 
andres  als  die  am  meisten  anerkannten  Verfahren  des  Unter- 
suchens  und  Forschens,  die  den  Menschen  bekannt  sind, 
unbeachtet  lassen.  Die  Entwicklung  des  Glaubens  auf 
Grund  des  Beweises  wird  in  den  Ereignissen  eines  gewissen 
merkwürdigen  Pfingstfests  erläutert,  bei  welcher  Gelegen- 
heit Tausende  von  Juden  von  dem  Vorurteil,  Jesus  sei 
ein   Betrüger,    durchdrungen,    das   Zeugnis   der   Apostel 


128  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  V. 

hörten  und  Augenzeugen  der  begleitenden  Zeichen  wurden ; 
dreitausend  von  ihnen,  von  der  Wahrheit  überzeugt,  wur- 
den Jünger  des  Sohnes  Gottes ;  ihr  Vorurteil  machte  einem 
„Fürwahrhalten"  Platz,  und  das  ,, Fürwahrhalten"  ent- 
wickelte sich  zum  Glauben  mit  seinen  begleitenden  Werken.^) 
Die  Grundlage  des  Glaubens  an  Gott  ist  also  ein  aufrich- 
tiges Fürwahrhalten  oder  eine  Kenntnis  von  ihm,  wie  sie 
durch  Beweis  und  Zeugnis  bestätigt  und  durch  ernste, 
gebetsvolle  Forschung  geprüft  und  bewiesen  wird. 

11.  Der  Glaube  ein  Grundsatz  der  Macht.  —  In  seinem 
weitesten  Sinn  ist  der  Glaube  —  die  Zuversicht  von  Din- 
gen auf  die  wir  hoffen,  und  nicht  zweifeln  an  den  durch 
unsere  Sinne  nicht  erkennbaren  Dingen  —  der  Beweggrund, 
der  dieMenschen  antreibt,  zu  entschließen  und  zu  handeln. 
Ohne  seine  Ausübung  würden  wir  keine  Bemühung,  deren 
Ergebnisse  noch  zukünftig  sind,  machen ;  ohne  den  Glauben, 
im  Herbst  ernten  zu  können,  würde  der  Mensch  im  Früh- 
ling nicht  säen;  noch  würde  er  zu  bauen  versuchen,  hätte 
er  kein  Vertrauen,  den  Bau  fertig  zu  bringen  und  sich  da- 
ran zu  erfreuen ;  hätte  der  Schüler  keinen  Glauben  an  die 
Möglichkeit,  seinen  Studien  nachzugehen,  so  würde  er 
seinen  Lehrgang  nicht  antreten.  Also  wird  uns  der  Glaube 
zur  Grundlage  der  Hoffnung,  aus  der  all  unser  Tun  und 
Trachten,  Streben  und  Vertrauen  auf  die  Zukunft  ent- 
springt. Nimm  dem  Menschen  den  Glauben  an  die  Mög- 
lichkeit irgend  eines  erwünschten  Erfolgs,  und  du  beraubst 
ihn  des  Ansporns,  zu  streben.  Er  würde  seine  Hand  nicht 
ausstrecken,  zu  greifen,  wenn  er  nicht  an  die  Möglichkeit 
glaubte,  das,  wonach  er  sie  ausstreckt,  zu  erlangen.  Dieser 
Grundsatz  ist  deshalb  die  antreibende  Kraft,  durch  welche 
die  Menschen  nach  Vortrefflichkeit  ringen,  oftmals  Unbe- 
stand  und  Leiden  erdulden,  damit  sie  ihre  Absichten  zu- 


')  Siehe  Apostelgesch.  2. 


Art.  4.]  Glaube.  129 

Stande  bringen.  Der  Glaube  ist  das  Geheimnis  des  Strebens, 
die  Seele  des  Heldenmuts,  die  bewegende  Kraft  aller  An- 
strengungen. 

12.  Die  Ausübung  des  Glaubens  ist  Gott  wohlgefällig, 
und  dadurch  kann  seine  Vermittlung  erworben  werden. 
Durch  Glauben  folgten  die  Israeliten  bei  ihrem  Auszug  aus 
Ägyptenland  ihrem  furchtlosen  Führer  in  das  Meeresbett, 
und  durch  die  schützenden  Wirkungen  Gottes,  welche 
dieser  Glaube  hervorrief,  wurden  sie  gerettet,  während  die 
Ägypter  der  Vertilgung  entgegengingen.^)  Mit  vollem 
Vertrauen  auf  die  Unterweisungen  und  Verheißungen 
Gottes,  belagerten  Josua  und  seine  beherzten  Nachfolger 
Jericho;  und  vor  dem  Glauben  der  Belagerer  fielen  die 
Mauern  jener  Sündenstadt,  ohne  die  Anwendung  der 
Sturmböcke  oder  andrer  Kriegsmaschinen.^)  Durch  die- 
selbe Kraft  erhielt  Josua  die  Hilfe  der  leuchtenden  Himmels- 
körper bei  der  Besiegung  der  Amoriter.^)  Paulus  führt^) 
auch  Gideon,^)  Barack,^)  Simson,')  Jephthah,^)  David,') 
SamueP")  und  die  Propheten  an,  ,, welche  haben  durch 
den  Glauben  Königreiche  bezwungen,  Gerechtigkeit  ge- 
wirkt, Verheißungen  erlangt,  der  Löwen  Rachen  ver- 
stopft, des  Feuers  Kraft  ausgelöscht,  sind  des  Schwertes 
Schärfe  entronnen,  sind  kräftig  geworden  aus  der 
Schwachheit."  Es  war  durch  Glauben,  daß  Alma 
und  Amulek  aus  der  Gefangenschaft  befreit  wurden, 
als    die    Gefängnismauern,    die    sie    früher    eingeschlos- 


»)  2.  Mose  14:22—29;  Hebräer  11:29. 
*)  Josua  6:20;  Hebräer  11:30. 
»)  Josua  10:12. 

')  Hebräer  11:32 — 34;  Lehre  u.  Bündn.,  erste  Vorlesung  über  Glau- 
ben Vers  20. 

')  Richter  6:11. 
«)  Richter  4:6. 
')  Richter  13:24. 
«)  Richter  11:1;  12:7. 
')  1.  Samuel  16:1,  13;  17:45. 
")  1.  Samuel  1:20;  12:20. 

9 


130  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  V. 

sen  hatten,  zerspaltet  und  niedergerissen  wurden.^)  Durch 
Glauben  wurden  Nephi  und  Lehi,^)  die  Söhne  Helamans, 
sogar  durch  Feuer  vor  ihren  lamanitischen  Feinden  ge- 
schützt; doch  wurden  sie  nicht  verbrannt;  und  ein  noch 
größeres  Werk  wurde  in  den  Herzen  ihrer  Verfolger  zu- 
stande gebracht,  denn  sie  wurden  erleuchtet  und  nahmen 
das  Zeugnis  der  Wahrheit  an.  Durch  die  Wirkung  des 
Glaubens  können  selbst  die  Meereswogen  zur  Ruhe  ge- 
bracht werden  ;3)  Bäume  sind  der  Stimme  dessen,  der 
durch  Glauben  gebietet,  Untertan;^)  Berge  können  zur 
Vollbringung  gerechter  Absichten  versetzt  werden;^) 
die  Kranken  können  geheilt  werden;^)  böse  Geister  wer- 
den ausgetrieben;')  und  die  Toten  können  ins  Leben 
zurückgerufen  werden.^)  Alle  Dinge  werden  durch  den 
Glauben  bewirkt.^) 

13.  Es  könnte  aber  eingewendet  werden,  der  Glaube 
an  sich  sei  keine  Quelle  der  Kraft,  seine  Wirkung  sei  viel- 
mehr einer  äußerlichen  Vermittlung  göttlicher  Hilfe,  die 
der  Glaube  bloß  erworben  habe,  zuzuschreiben.  Und  der 
Zweifler  wird  hinzufügen,  ein  allwissender  Gott,  der  wirk- 
lich liebevoll  und  gütig  wäre,  würde  von  sich  aus  handeln 
und  nicht  darauf  warten,  durch  Glauben  oder  Gebet  an- 
gefleht zu  werden.  Die  Heilige  Schrift  gibt  eine  ausrei- 
chende Antwort  hierauf,  durch  ihre  vielen  Beweise  dafür. 


')  Alma   14:26 — 29;    Lehre   u.    Bündn.,   Vorlesungen   über  Glauben 
1:19. 

*)  Helaman   5:20 — 52;    L.  u.  B.,    Vorlesungen    über    Glauben    1:19. 
')  Matthäus  8:23—27;  Markus  4:36—41;  Lukas  8:22—25;  Matthäus 
14:24—32;  Markus  6:47—51;   Johannes  6:17—21. 

♦)  Matthäus  21:17—21;  Markus  11:12—13,  20—24;  Buch  Mormon, 
Jakob  4:6. 

')  Matth.  17:20;  Mark.  11:23—24;  Ether  12:30;   Jakob  4:6;   L.  u. 
B.,  Vorlesungen  über  Glauben  1:19. 

n  Lukas  13:11;  14:2;  17:11;  22:50;  Matth.  8:2,  5.  14,  16,  etc. 

')  Matthäus  8:28;  17:18;  Mark.  1:23. 

»)  Lukas  7:11— 16;    Job.    11:43 — 45;    I.Könige   17:17—24. 

•)  Matthäus  17:20;  Markus  9:23;  Epheser  6:16;  1.  Johannes  5:4. 


Art.  4.]  Glaube.  131 

daß  der  Allmächtige  gesetzmäßig  wirkt,  und  daß  verän- 
derliches und  launisches  Handeln  seinem  Wesen  fremd 
ist.  Wie  immer  die  Gesetze  des  Himmels  entworfen 
sein  mögen:  ihre  wohltätigen  Wirkungen  auf  die 
Menschheit  sind  von  dem  Glauben  und  dem  Gehorsam 
der  sterblichen  Wesen  abhängig.  Betrachten  wir  die 
Besiegung  Israels  durch  die  Männer  von  Ai;  ein  Gesetz 
der  Rechtschaffenheit  war  übertreten  und  verworfene 
Dinge  waren  in  das  Lager  des  Volkes  Gottes  eingeführt 
worden;  diese  Übertretung  machte  dem  Zufluß  der 
göttlichen  Hilfe  ein  Ende,  und  erst  als  sich  das  Volk 
wieder  geheiligt  hatte,  wurde  auch  die  Kraft  wieder  erneu- 
ert.^) Bei  der  Verrichtung  seiner  Wunder  unter  den  Men- 
schen wurde  Christus  durch  den  Glauben  oder  den  Mangel  an 
Glauben  des  Volkes  beeinflußt  und  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  beherrscht.  Der  gewöhnliche  Segen:  ,,Dein  Glaube 
hat  dir  geholfen!",  mit  dem  er  die  heilende  Vermittlung 
verkündete,  ist  Beweis  dafür.  Dann  erfahren  wir,  daß  er 
in  seinem  eignen  Lande  kein  mächtiges  Werk  tun  konnte, 
weil  er  durch  den  Unglauben  des  Volkes  zurückgehalten 
wurde. 2) 

14.  Eine  Bedingung  des  lebendigen  Glaubens.  —  Eine 
notwendige  Bedingung  zur  Ausübung  eines  lebendigen, 
wachsenden,  erhaltenden  Glaubens  an  Gott  ist  das  Bewußt- 
sein, daß  man  wenigstens  versucht,  den  Gesetzen  Gottes, 
wie  man  sie  kennen  gelernt  hat,  gemäß  zu  leben.  Eine 
Erkenntnis,  daß  man  absichtlich  und  mutwillig  gegen  die 
Wahrheit  sündigt,  wird  einen  der  Aufrichtigkeit  im  Gebet 
und  Glauben  berauben  und  einen  seinem  Vater  sicher  ent- 
fremden. Man  muß  fühlen,  daß  die  Richtung  des  Lebens- 
laufs Gott  angenehm  ist,  und  daß  man  mit  gehöriger  Nach- 


•)  Josua  7  und  8. 

»)  Matthäus  13:58;  Markus  6:5—6. 


132  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  V. 

sieht  auf  menschliche  Schwachheit  und  menschlichen  Fehl- 
tritt, gewissermaßen  von  dem  Herrn  anerkannt  wird,  sonst 
kann  man  sich  nie  mit  Vertrauen  dem  Gnadenthron 
nähern.  Das  Bewußtsein  ernsten  Strebens  nach  göttlichem 
Wandeln  und  Verhalten  ist  an  sich  eine  Kraft  und  stärkt 
seinen  Besitzer  in  der  Aufopferung  und  unter  der  Ver- 
folgung und  erhält  ihn  in  allen  guten  Werken.  Es  war 
diese  Erkenntnis  der  sichern  Verbindung  mit  Gott,  welche 
die  Heiligen  in  alten  Zeiten  befähigte,  das  zu  ertragen, 
was  sie  ertrugen,  obwohl  ihre  Leiden  schrecklich  waren. 
Über  sie  lesen  wir,  einige  ,,sind  zerschlagen  und  haben 
keine  Erlösung  angenommen,  auf  daß  sie  die  Auferstehung, 
die  besser  ist,  erlangten.  Etliche  haben  Spott  und  Geißeln 
erlitten,  dazu  Bande  und  Gefängnis;  sie  wurden  gesteinigt, 
zerhackt,  zerstochen,  durchs  Schwert  getötet;  sie  sind  um- 
hergegangen in  Schafpelzen  und  Ziegenfellen,  mit  Mangel, 
mit  Trübsal,  mit  Ungemach  (deren  die  Welt  nicht  wert 
war),  und  sind  im  Elend  umhergeirrt  in  den  Wüsten,  auf 
den  Bergen  und  in  den  Klüften  und  Löchern  der  Erde."^) 
Wie  in  früheren  Tagen,  so  sind  auch  in  der  Gegenwart  die 
Heiligen  in  all  ihren  Leiden  durch  die  sichere  Kenntnis 
des  göttlichen  Wohlgefallens  erhalten  worden;  und  der 
Glaube  rechtschaffener  Menschen  ist  durch  das  Bewußt- 
sein ihrer  guten  Anstrengungen  immer  gewachsen. 

15.  Der  Glaube  zur  Seligkeit  notwendig.  —  Da  Selig- 
keit nur  durch  die  Vermittlung  und  durch  das  Sühnopfer 
Christi  erreichbar  ist,  und  da  dieses  auf  persönliche  Sünde 
nur  dann  angewandt  wird,  wenn  die  Gesetze  der  Recht- 
schaffenheit befolgt  werden,  so  ist  der  Glaube  an  Jesum 
Christum  zur  Seligkeit  unerläßlich.  Aber  niemand  kann 
an  Jesum  Christum  glauben  und  zur  selben  Zeit  zweifeln 
an  dem  Dasein  und  der  Autorität  weder  des  Vaters  noch  des 


')  Hebräer  11:35 — 38;    siehe    auch    Lehre  u.   Bündn.,    Vorlesungen 
über  Glauben  6. 


d 


Art.  4.]  Glaube.  133 

Heiligen  Geistes ;  deshalb  ist  Glaube  an  die  ganze  Gottheit 
zur  Seligkeit  notwendig.  Paulus  erklärt,  daß  es  ohne  Glau- 
ben unmöglich  ist,  Gott  zu  gefallen,  ,,denn  wer  zu  Gott 
kommen  will,  der  muß  glauben,  daß  er  sei  und  denen,  die 
ihn  suchen,  ein  Vergelter  sein  werde. "^)  Die  heiligen  Schrif- 
ten sind  voll  von  Zusicherungen  der  Seligkeit  für  diejenigen, 
die  Glauben  an  Gott  ausüben  und  die  Forderungen,  die 
jener  Glaube  klar  macht,  befolgen.  Die  Worte  Christi  in 
dieser  Sache  sind  entscheidend :  „Wer  da  glaubet  und  ge- 
tauft wird,  der  wird  selig  werden;  wer  aber  nicht  glaubt, 
der  wird  verdammt  werden ;"2)  und  weiter:  „Wer  an  den 
Sohn  glaubt,  der  hat  das  ewige  Leben.  Wer  dem  Sohn 
nicht  glaubt,  der  wird  das  Leben  nicht  sehen,  sondern  der 
Zorn  Gottes  bleibt  über  ihm. "3)  Nach  seinem  Tode  lehrten 
die  Apostel  ähnliche  Lehren  während  der  ganzen  Zeit 
ihres  Wirkens.*)  Eine  natürliche  Folge  des  festen  Glau- 
bens an  die  Gottheit  ist  ein  wachsendesVertrauen  auf  die 
heiligen  Schriften,  als  das  Wort  Gottes  und  auf  die  Worte 
und  Werke  seiner  bevollmächtigten  Diener,  die  als  die 
lebenden  Mundstücke  des  Himmels  sprechen, 

16.  Der  Glaube  eine  Gabe  Gottes.  —  Obwohl  allen 
erreichbar,  die  sich  fleißig  bemühen,  ihn  zu  erlangen,  ist 
der  Glaube  dennoch  eine  göttliche  Gabe  und  kann  nur 
von  Gott  erhalten  werden.^)  Wie  es  sich  bei  einer  so  un- 
schätzbaren Perle  geziemt,  wird  der  Glaube  nur  denen 
gegeben,  die  durch  ihre  Aufrichtigkeit  zeigen,  daß  sie  sei- 


1)  Hebräer  11:6. 

>)  Markus  16:16. 

»)  Johannes  3:36.  Siehe  auch  Johannes  3:15;  4:42;  5:24;  11:^; 
Galater  2:20;  Buch  Mormon,  1.  Nephi  10:6,  17;  2.  Nephi  25:25;  26:8; 
Enos  1:8;  Mosiah  3:17;  3.  Nephi  27:19;  Helaman  5:9;  Lehre  u.  Bündn. 
45:8. 

«)  Apostelgesch.  2:38;  10:42;  16:31;  Römer  10:9;  Hebräer  3:19; 
11:6;  1.  Petrus  1:9;  1.  Johannes  3:23;  5:14. 

')  Matthäus  16:17;  .Johannes  6:44,  65;  Epheser  2:8;  1.  Korinther 
12:9;  Römer  12:3;  Buch  Mormon,  Moroni  10:11. 


134 


Die  Glaubensartikel. 


[Vorl.  V, 


ner  würdig  sind,  und  die  versprechen,  sich  an  seine  Vor- 
schriften zu  halten.  Obwohl  der  Glaube  als  der  erste 
Grundsatz  des  Evangeliums  Christi  bezeichnet  wird,  und 
obwohl  er  in  der  Tat  die  Grundlage  aller  Religion  ist, 
gehen  dennoch  Aufrichtigkeit  der  Gesinnung  und  Demut 
der  Seele,  wodurch  das  Wort  Gottes  einen  Eindruck  auf 
das  Herz  machen  kann,  selbst  dem  Glauben  voran.^) 
Kein  Zwang  ist  notwendig,  um  Menschen  zu  einer  Er- 
kenntnis Gottes  zu  bringen ;  doch  sobald  wir  unsre  Herzen 
den  Einflüssen  der  Rechtschaffenheit  öffnen,  wird  uns 
der  zum  ewigen  Leben  führende  Glaube  von  unserm  Vater 
gegeben. 

17.  Glauben  und  Werke.  —  Der  unstätige  Glaube, 
das  heißt  ein  bloßes  gleichgültiges  Für  wahrhalten,  ver- 
sagt als  ein  Mittel  zur  Seligkeit.  Diese  Wahrheit 
wurde  sowohl  von  Christus  als  auch  von  seinen  Apos- 
teln deutlich  gelehrt.  Die  Kraft,  mit  der  sie  verkündigt 
wurde,  weist  vielleicht  auf  die  frühe  Entwicklung  einer 
höchst  verderblichen  Lehre  hin  —  die  der  Rechtfertigung 
durch  ,, Glauben  allein".  Der  Heiland  lehrte,  daß  Wer- 
ke notwendig  sind,  wenn  das  Bekenntnis  gültig  und 
der  Glaube  wirksam  sein  soll.  Beachten  wir  seine 
Worte:  ,,Es  werden  nicht  alle,  die  zu  mir  sagen:  Herr, 
Herr!  in  das  Himmelreich  kommen,  sondern  die  den  Willen 
tun  meines  Vaters  im  Himmel. "2)  „Wer  meine  Gebote 
hat  und  hält  sie,  der  ist  es,  der  mich  liebt.  Wer  mich  aber 
liebt,  der  wird  von  meinem  Vater  geliebt  werden,  und  ich 
werde  ihn  lieben  und  mich  ihm  offenbaren, "3)  Die  Beleh- 
rungen des  Apostels  Jakobus  sind  besonders  ausdrücklich : 
,,Was  hilft's,  liebe  Brüder,  so  jemand  sagt,  er  habe  den 
Glauben,  und  hat  doch  die  Werke  nicht?  Kann  auch  der 


')  Siehe  Römer  10:17. 
')  Matthäus  7:21. 
»)  Johannes  14:21, 


Art.  4.]  Glaube.  135 

Glaube  ihn  selig  machen?  So  aber  ein  Bruder  oder  eine 
Schwester  bloß  wäre  und  Mangel  hätte  der  täglichen  Nah- 
rung, und  jemand  unter  euch  spräche  zu  ihnen:  Gott 
berate  euch,  wärmet  euch  und  sättiget  euch!  ihr  gäbet 
ihnen  aber  nicht,  was  des  Leibes  Notdurft  ist:  was  hülfe 
ihnen  das?  Also  auch  der  Glaube,  wenn  er  nicht  Werke 
hat,  ist  er  tot  an  ihm  selber.  Aber  es  möchte  jemand 
sagen:  Du  hast  den  Glauben,  und  ich  habe  die  Werke; 
zeige  mir  deinen  Glauben  ohne  die  Werke,  so  will  ich  dir 
meinen  Glauben  zeigen  aus  meinen  Werken. "i)  Diesen 
mögen  die  Worte  Johannes  hinzugefügt  werden:  ,,Und 
an  dem  merken  wir,  daß  wir  ihn  kennen,  so  wir  seine  Ge- 
bote halten.  Wer  da  sagt:  Ich  kenne  ihn,  —  und  hält  seine 
Gebote  nicht,  der  ist  ein  Lügner,  und  in  solchem  ist  keine 
Wahrheit.  Wer  aber  sein  Wort  hält,  in  solchem  ist  wahr- 
lich die  Liebe  Gottes  vollkommen.  Daran  erkennen  wir, 
daß  wir  in  ihm  sind. "2) 

18.  Diesen  Belehrungen  können  viele  göttlich  ein- 
gegebene Aussprüche  aus  den  nephitischen  Schriften^) 
und  der  modernen  Offenbarung,*)  hinzugefügt  werden, 
die  alle  die  Notwendigkeit  der  Werke  bestätigen  und 
die  errettende  Wirksamkeit  des  bloßen  Fürwahrhaltens 
leugnen.  Aber  trotz  des  deutlichen  Wortes  Gottes  sind 
sektiererische  Lehren  verbreitet  worden,  daß  der  Mensch 
durch  Glauben  allein  die  Seligkeit  erreichen  könne,  und  daß 
schon  ein  bloßes  Bekennen  des  Glaubens  dem  Sünder  die 
Tore  des  Himmels  öffne.^)  Die  angeführten  heiligen  Schrif- 
ten und  das  dem  Menschen  angeborene  Gefühl  der  Gerech- 
tigkeit widerlegen  diese  unwahre  Lehre  gründlich. 


1)  Jakobus  2:14—18. 
')  1.  Johannes  2:3 — 5. 

0  Siehe  1.  Nephi  15:33;  2.  Nephi  29:11;  Mosiah  5:15;  Ahna  7:27; 
>:28;  37:32—34;  41:3—5. 

*)  Das  ganze  Buch  der  Lehre  u.  Bündn. 
')  Siehe  Anmerkung  2. 


136 


Die  Glaubensartikel. 


[Vorl.  V. 


Buße. 
19.  Das  Wesen  der  Buße.  —  Das  Wort  Buße  wird  in 
der  Schrift  mit  verschiedenen  Bedeutungen  gebraucht; 
da  Buße  aber  die  Pflicht  darstellt,  die  allen,  welche  Ver- 
gebung für  ihre  Übertretung  erhalten  möchten,  obliegt, 
deutet  es  eine  göttliche  Trauer  für  Sünde  an,  die  eine  Bes- 
serung des  Lebens  hervorruft  und  damit  vereint: 

1.  ein  Bewußtsein  der  Schuld; 

2.  ein  Verlangen,  den  schädlichen  Folgen  der  Sünde 
zu  entgehen,  und 

3.  einen  ernsten  Entschluß,  die  Sünde  zu  lassen 
und  hinfort  Gutes  zu  vollbringen.  Buße  ist  eine  Folge 
der  Zerknirschung  der  Seele.  Diese  Zerknirschung  ent- 
springt aus  einer  tiefen  Empfindung  der  Demut,  und 
diese  Empfindung  ist  wiederum  von  der  Ausübung  eines 
standhaften  Glaubens  an  Gott  abhängig.  Deshalb  ist 
Buße  mit  Recht  der  zweite  Grundsatz  des  Evangeliums; 
er  ist  mit  dem  Glauben  eng  verbunden  und  folgt  ihm 
unmittelbar  nach.  Sobald  der  Mensch  Dasein  und  Au- 
torität Gottes  anerkannt  hat,  empfindet  er  eine  Ach- 
tung vor  göttlichen  Gesetzen  und  ein  Bewußtsein  seiner 
eigenen  Unwürdigkeit.  Sein  Wunsch,  dem  Vater,  den  er 
so  lange  vernachläßigt  hat,  zu  gefallen,  wird  ihn  antreiben, 
die  Sünde  zu  meiden;  und  dieser  Antrieb  wird  von  dem 
natürlichen  und  lobenswerten  Verlangen  des  Sünders, 
den  schrecklichen  Folgen  seiner  Widerspenstigkeit  wenn 
möglich  zu  entgehen,  vermehrte  Kraft  erlangen.  Mit  dem 
durch  frische  Überzeugung  inspirierten  Eifer  wird  eine 
Gelegenheit,  die  Aufrichtigkeit  seines  neuentfalteten  Glau- 
bens durch  Werke  zu  zeigen,  begehrt,  und  er  wird  die  Ver- 
gebung seiner  Sünden  als  die  wünschenswerteste  aller 
Segnungen  ansehen.  Dann  wird  er  lernen,  daß  diese  Gabe 
der  Barmherzigkeit  nur  unter  gewissen  besondern  Bedin- 


Art.  4.]  Buße.  137 

gungen  gegeben  wird.^)  Der  erste  Schritt  der  Sündenver- 
gebung entgegen  besteht  darin,  daß  der  Sünder  seine 
Sünden  bekennt;  der  zweite,  daß  er  andern,  die  gegen 
ihn  gesündigt  haben,  vergibt,  und  der  dritte,  daß  er  seine 
Anerkennung  des  versöhnenden  Opfers  Christi  zeigt,  durch 
das  Halten  der  göttlichen  Gesetze. 

20.  1.  Das  Bekennen  der  Sünden  ist  notwendig,  denn 
sonst  ist  die  Buße  unvollkommen.  Der  Apostel  Johannes 
sagt  uns :  „So  wir  sagen,  wir  haben  keine  Sünde,  so  verfüh- 
ren wir  uns  selbst,  und  die  Wahrheit  ist  nicht  in  uns.  So 
wir  aber  unsre  Sünden  bekennen,  so  ist  er  treu  und  gerecht, 
daß  er  uns  die  Sünden  vergibt  und  reinigt  uns  von  aller 
Untugend. "2)  Wir  lesen  auch :  „Wer  seine  Missetat  leugnet, 
dem  wird  es  nicht  gelingen;  wer  sie  aber  bekennt  und 
läßt,  der  wird  Barmherzigkeit  erlangen. "3)  Und  in  dieser 
Dispensation  hat  der  Herr  den  Heiligen  gesagt: ,, Wahrlich, 
ich  sage  euch,  ich,  der  Herr,  vergebe  denen,  die  ihre  Sünden 
vor  mir  bekennen  und  Vergebung  erflehen,  wenn  ihre 
Sünde  nicht  zum  Tode  ist."*)  Daß  die  Buße  dieses  Werk 
des  Bekennens  in  sich  schließt,  wird  durch  des  Herrn  eigne 
Worte  gezeigt:  „Hierdurch  könnt  ihr  wissen,  ob  einMensch 
seine  Sünden  bereut:  sehet  er  wird  sie  bekennen  und  ab- 
legen, "s) 

21.  2.  Der  Sünder  muß  bereit  sein,  andern  zu  vergeben, 
wenn  er  selber  Vergebung  zu  erlangen  hofft.  Sicher  ist 
seine  Reue  nur  oberflächlich,  wenn  sein  Herz  nicht  bis 
zur  Nachsicht  und  Milde  gegenüber  den  Schwachheiten 
seiner  Mitmenschen  erweicht  wird.  Als  der  Heiland  seine 
Zuhörer  beten  lehrte,  unterwies  er  sie  den  Vater  anzuflehen : 


')  Siehe  Anmerkung  .3. 

»)  1.  Johannes  1 :8 — 9;  siehe  auch  Psalm  32:5;  38:19;  Buch  Mormon, 
Mosiah  26:29—30. 

')  Sprüche  28:13. 

*)  Lehre  u.  Bündn.  64:7. 

')  L.  u.B.  58:43. 


138  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  V. 

„Und  vergib  uns  unsere  Schulden,  wie  wir  unsern  Schuldi- 
gern vergeben. "1)  Er  veranlaßte  sie  nicht,  auf  Vergebung 
zu  hoffen,  wenn  sie  in  ihrem  Herzen  einander  nicht  ver- 
geben hätten:  ,,Denn",  sagte  er,  „so  ihr  den  Menschen 
ihre  Fehler  vergebet,  so  wird  euch  euer  himmlischer  Vater 
auch  vergeben.  Wo  ihr  aber  den  Menschen  ihre  Fehler 
nicht  vergebet,  so  wird  euch  euer  Vater  eure  Fehler  auch 
nicht  vergeben. "2)  Und  Vergebung  von  Mensch  zu  Mensch 
muß,  um  dem  Herrn  angenehm  zu  sein,  unbegrenzt  sein. 
Auf  die  Frage  des  Petrus:  ,,Herr,  wie  oft  muß  ich  denn 
meinem  Bruder,  der  an  mir  sündiget,  vergeben?  Ist's 
genug  siebenmal?",  erwiderte  der  Meister:  „Ich  sage  dir: 
Nicht  siebenmal,  sondern  siebenzigmal  siebenmall",  womit 
er  unzweifelhaft  lehren  wollte,  daß  der  Mensch  immer 
bereit  sein  müsse,  zu  vergeben.  Bei  einer  andern  Gelegen- 
heit lehrte  er  die  Jünger  und  sprach:  ,,So  dein  Bruder 
an  dir  sündigt,  so  strafe  ihn;  und  so  es  ihn  reut,  vergib 
ihm.  Und  wenn  er  siebenmal  des  Tages  an  dir  sündigen 
würde  und  siebenmal  des  Tages  wiederkäme  zu  dir  und 
spräche:  Es  reut  mich!  so  sollst  du  ihm  vergeben."^) 

22.  Um  die  göttliche  Absicht,  den  Menschen  mit 
dem  Maß  zu  messen,  mit  dem  sie  ihren  Mitmenschen 
messen,^)  weiter  zu  erläutern,  erzählte  der  Heiland  seinen 
Jüngern  das  Gleichnis  von  dem  König,  dem  einer  seiner 
Untertanen  eine  sehr  große  Summe  Geldes,  zehntausend 
Pfund,  schuldig  war;  als  aber  der  Knecht  sich  demütigte 
und  um  Barmherzigkeit  bat,  wurde  das  mitleidige  Herz 
des  Königs  gerührt,  und  er  erließ  seinem  Knecht  die 
Schuld.  Als  dieser  aus  der  Gegenwart  des  Königs  ging, 
begegnete  er  einem  Mitknecht,  der  ihm  eine  geringe  Summe 


>)  Matthäus  6:12;  siehe  auch  Lukas  11:4. 

-)  Matthäus  6:14—15;  Buch  Mormon,  3.  Nephi  13:14—15. 

=)  Lukas  17:3 — 4. 

*)  Matthäus  7:2;  Markus  4:24;  Lukas  6:38. 


Art.  4.  J  Buße.  139 

schuldig  war;  die  ihm  eben  erst  gezeigte  Barmherzigkeit 
vergessend,  griff  er  seinen  Genossen  an  und  warf  ihn  ins 
Gefängnis,  bis  er  die  Schuld  bezahlt  habe.  Als  nun  der 
König  das  hörte,  ließ  er  den  bösen  Knecht  vor  sich  bringen, 
hielt  ihm  seine  Undankbarkeit  und  Rücksichtslosigkeit 
vor  und  überlieferte  ihn  den  Peinigern.^)  Der  Herr  wird 
nicht  auf  die  Bitten  hören,  noch  eine  Gabe  eines  solchen 
Menschen  annehmen,  der  Verbitterung  gegen  andre  in 
seinem  Herzen  hat:  ,, Versöhne  dich  mit  deinem  Bruder, 
und  alsdann  komm  und  opfre  deine  Gabe. "2)  In  seinem 
geoffenbarten  Wort  an  die  Heiligen  in  diesen  Tagen  hat 
der  Herr  besondern  Nachdruck  auf  diese  notwendige  Be- 
dingung gelegt:  ,, Darum  sage  ich  euch,  daß  ihr  einander 
vergeben  sollet,  denn  wer  seinem  Bruder  seine  Übertre- 
tungen nicht  vergibt,  derselbe  steht  gerichtet  vor  dem  Herrn, 
denn  ihm  verbleibt  die  größere  Sünde";  und  um  allen 
Zweifel  betreffs  der  Personen,  welchen  der  Mensch  eigentlich 
vergeben  sollte,  zu  beseitigen,  wird  hinzugefügt:  „Ich, 
der  Herr,  werde  vergeben  wem  ich  vergeben  will;  von  euch 
aber  wird  gefordert,  daß  ihr  allen  Menschen  vergebet. "3) 
23.  3.  Vertrauen  auf  das  Sühnopfer  Christi  bildet  die 
dritte  notwendige  Bedingung  der  Sündenvergebung.  Der 
Name  Jesus  Christus  ist  der  einzige  Name  unter  dem  Him- 
mel, durch  welchen  die  Menschen  errettet  werden  können  ;*) 
und  uns  wird  gelehrt,  unsre  Bitten  an  den  Vater  in  dem 
Namen  des  Sohnes  darzubringen.  Aus  dem  Munde  eines 
Engels  empfing  Adam  diese  Belehrung,^)  und  in  demselben 
Sinne  wurden  die  Nephiten  von  dem  Heiland  persönlich 
belehrt.^)  Aber  kein  Mensch  kann  wahrhaftig  Glauben  an 


1)  Matthäus  18:23—35. 

')  Matthäus  5:23—24;  3.  Nephi  12:23—24. 

»)  Lehre  u.  Bündn.  64:9 — 10. 

')  Köstl.  Perle,  Moses  6:52. 

<■)  Köstl.  Perle,  Moses  5:6—8. 

•)  3.  Nephi  27:5—7. 


140  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  V. 

Christum  bekennen  und  sich  gleichzeitig  weigern,  seine 
Gebote  zu  befolgen;  deshalb  ist  Gehorsam  zur  Vergebung 
der  Sünden  notwendig;  und  der  bußfertige  Sünder  wird 
eifrig  zu  erfahren  suchen,  was  von  ihm  weiter  gefordert 
wird. 

24.  Wenn  Buße  ihren  Namen  verdienen  soll,  muß  sie 
mehr  sein  als  ein  bloßes  Eingeständnis  der  Fehler;  sie 
besteht  nicht  aus  Wehklagen  und  weitschweifigen  Sünden- 
bekenntnissen, sondern  aus  dem  aufrichtigen  Bekennen 
der  Schuld,  das  von  einem  Abscheu  vor  der  Sünde  begleitet 
ist  und  einem  festen  Entschluß,  Genugtuung  für  die  Ver- 
gangenheit zu  leisten  und  in  der  Zukunft  besser  zu  tun. 
Wenn  ein  solches  Bekennen  aufrichtig  ist,  wird  es  mit 
jener  göttlichen  Traurigkeit  bezeichnet,  die,  wie  Paulus 
gesprochen  hat,  ,, wirkt  zur  Seligkeit  eine  Reue,  die  nie- 
mand gereut ;  die  Traurigkeit  aber  der  Welt  wirk  t  d  en  Tod ,  "i) 
Weislich  hat  der  Apostel  Orson  Pratt  gesagt:  „Für  einen 
Sünder  hätte  es  keinen  Zweck,  seine  Sünden  vor  Gott 
zu  bekennen,  wenn  er  nicht  entschlossen  wäre,  sie  zu 
meiden;  es  würde  ihm  nichts  nützen,  traurig  zu  sein, 
weil  er  Unrecht  getan  hat,  es  sei  denn,  er  beabsichtige, 
nicht  mehr  Unrecht  zu  tun;  es  wäre  für  ihn  Torheit  vor 
Gott,  zu  bekennen,  er  habe  seinen  Mitmenschen  Schaden 
zugefügt,  wenn  er  nicht  entschlossen  wäre,  alles,  was  in 
seinen  Kräften  liegt,  zu  tun  um  Wiedererstattung  zu  lei- 
sten. Also  ist  die  Buße  nicht  allein  ein  Bekennen  der  Sün- 
den mit  einem  traurigen,  zerknirschten  Herzen,  sondern 
ein  fester,  bestimmter  Entschluß,  sich  von  allem  bösen 
Wandel  fern  zu  halten." 

25.  Buße  zur  Seligkeit  notwendig.  —  Dieser  Beweis 
der  Aufrichtigkeit,  dieser  Anfang  eines  bessern  Lebens  wird 
von  allen  Bewerbern  um  Seligkeit  gefordert.   Zum  Erlan- 


')  2.  Korinther  7:10. 


Art.  4.]  Buße.  141 

gen  göttlicher  Barmherzigkeit  ist  Buße  ebenso  unentbehr- 
lich wie  Glaube;  sie  muß  so  umfassend  sein  wie  die  Sünde 
ist.  Wo  findet  man  einen  vollkommen  sündlosen  Men- 
schen? Wohlweishch  hat  der  Prediger  der  alten  Zeiten 
erklärt:  „Denn  es  ist  kein  Mensch  so  gerecht  auf  Erden, 
daß  er  Gutes  tue  und  nicht  sündige."^)  Wer  bedarf  denn 
keiner  Vergebung?  Wer  ist  von  den  Forderungen  der 
Buße  frei?  Gott  hat  denen,  die  aufrichtig  Buße  tun, 
Vergebung  verheißen ;  solchen  werden  die  Vorteile  persön- 
licher Seligkeit  durch  das  Sühnopfer  Christi  zuteil.  Mit 
zusichernden  Verheißungen  der  Vergebung  ermahnt  Je- 
saja  in  folgender  Weise  zur  Buße:  „Suchet  den  Herrn, 
solange  er  zu  finden  ist;  rufet  ihn  an,  solange  er  nahe  ist. 
Der  Gottlose  lasse  von  seinem  Wege  und  der  Übeltäter 
seine  Gedanken  und  bekehre  sich  zum  Herrn,  so  wird  er 
sich  sein  erbarmen,  und  zu  unserem  Gott,  denn  bei  ihm  ist 
viel  Vergebung. "2) 

26.  Der  Ruf  zur  Buße  ist  in  jedem  Zeitalter  die  Bürde 
der  von  Gott  erleuchteten  Lehrer  gewesen.  Zu  diesem 
Zweck  wurde  die  Stimme  des  Johannes  in  der  Wüste  gehört : 
,,Tut  Buße,  das  Himmelreich  ist  nahe  herbeikommen. "3) 
Und  der  Heiland  folgte  mit:  „Tut  Buße  und  glaubt  an  das 
Evangelium!"*)  denn  ,,so  ihr  euch  nicht  bessert,  werdet 
ihr  alle  auch  also  umkommen."^)  So  auch  verkündigten 
die  Apostel  vor  alters,  daß  Gott  ,, gebietet  allen  Menschen 
an  allen  Enden,  Buße  zu  tun."^)  Und  in  der  gegenwärtigen 
Dispensation  ist  das  Wort  gekommen,  ,,Wir  wissen,  daß 


')  Prediger  7:20;  siehe   auch    Römer   3:10;    1.  Johannes   1:8. 

')  Jesaja  55:6 — 7;  siehe  auch  Buch  Mormon,  2.  Nephi  9:24;  Alma 
5:31—36,  49—56;  9:12;  Lehre  u.  Bündn.  1:32—33;  19:4;  20:29;  29:44; 
133:16. 

»)  Matthäus  3:2. 

♦)  Markus  1:15. 

')  Lukas  13:3. 

•)  Apostelgesch.  17:30. 


142 


Die  Glaubensartikel. 


[Vorl.  V. 


alle  Menschen  bereuen,  an  den  Namen  Jesu  Christi  glauben 
*  *  *  müssen,  oder  sie  können  nicht  im  Reiche  Gottes 
selig  werden."^) 

27.  Buße  eine  Gabe  Gottes.  —  Die  Buße  ist  ein  Mittel 
zur  Vergebung,  und  deshalb  ist  sie  eine  der  großen  Gaben 
Gottes  an  die  Menschen.  Sie  kann  nicht  durch  gleich- 
gültiges Bitten  erlangt  werden;  sie  ist  nicht  auf  der 
Straße  zu  finden;  sie  ist  nicht  von  der  Erde,  sondern  ein 
Schatz  des  Himmels,  und  wird,  obschon  mit  grenzenloser 
Großherzigkeit  doch  mit  Gewissenhaftigkeit  denen  ge- 
geben, die  gute  Werke,  welche  die  Gabe  der  Buße  berech- 
tigen, hervorgebracht  haben. 2)  Das  heißt,  alle,  die  sich 
auf  Buße  vorbereiten,  werden  durch  den  demütigenden 
und  besänftigenden  Einfluß  des  Heiligen  Geistes  zu  dem 
tatsächlichen  Besitz  dieser  großen  Gabe  geführt  werden. 
Als  Petrus  von  seinen  Mitarbeitern  der  Gesetzesübertre- 
tung beschuldigt  wurde,  weil  er  mit  Heiden  verkehrt 
habe,  erzählte  er  seinen  Zuhörern  von  den  göttlichen 
Kundtuungen,  die  er  eben  erst  empfangen  hatte;  sie 
glaubten  und  erklärten:  ,,So  hat  Gott  auch  den  Heiden 
Buße  gegeben  zum  Leben  l"^)  In  seinem  Brief  an  die  Rö- 
mer, lehrt  auch  Paulus,  daß  Buße  durch  die  Güte  Gottes 
komme.*) 

28.  Buße  nicht  immer  möglich.  Die  Gabe  der  Buße 
wird  den  Menschen  gegeben,  wenn  sie  sich  vor  dem  Herrn 
demütigen;  sie  ist  das  Zeugnis  des  Geistes  in  ihren  Herzen; 
hören  sie  nicht  auf  den  Ermahner,  so  wird  er  sie  wieder 
verlassen,  denn  der  Geist  Gottes  wird  nicht  immer  mit  den 
Menschen   rechten. 5)    Je   mehr   die    Sünde   mit  Absicht 


')  Lehre  u.  Bündn.  20:29. 

»)  Matthäus  3:7 — 8;  Apostelgesch.  26:20. 

')  Apostelgesch.  11:18. 

•)  Römer  2:4;  siehe  auch  2.  Timotheus  2:25. 

')  1.  Mose  6:3;  L.  u.  B.  1:33. 


Art.  4.]  Buße.  143 

getan  wird,  desto  schwieriger  wird  die  Buße;  es  ist  durch 
Demut  und  Zerknirschung  des  Herzens,  daß  der  Sünder» 
seinen  Glauben  an  Gott  vermehren  und  die  unschätzbare 
Gabe  der  Buße  von  ihm  empfangen  kann.  In  dem  Maße, 
wie  die  Buße  hinausgeschoben  wird,  wird  die  Fähigkeit, 
zu  bereuen,  schwächer;  Versäumnis  einer  Gelegenheit  in 
heiligen  Dingen  hat  Verlust  derselben  zur  Folge.  Als  der 
Herr  in  den  ersten  Tagen  der  neu  gegründeten  Kirche 
Joseph  Smith  Gebote  gab,  sagteer:  „Denn  ich,  der  Herr, 
kann  auch  nicht  mit  dem  geringsten  Grade  von  Nachsicht 
auf  Sünde  herabblicken ;  dennoch  soll  der,  der  bereut  und 
die  Gebote  des  Herrn  befolgt,  Vergebung  finden ;  von  dem 
aber,  der  nicht  bereut,  soll  das  Licht  genommen  werden, 
das  er  schon  gehabt  hat,  denn  mein  Geist  wird  nicht 
immer  mit  den  Menschen  rechten,  sagt  der  Herr  der  Heer- 
scharen,"^) 

29.  Buße  hier  und  im  Jenseits.  —  Der  nephitische 
Prophet  Alma  beschrieb  die  Zeit  des  irdischen  Daseins 
als  einen  den  Menschen  zur  Buße  gegebenen  Prüfungs- 
stand ;2)  dennoch  erfahren  wir  aus  den  Schriften,  daß 
auch  noch  hinter  dem  Schleier  der  Sterblichkeit  unter 
gewissen  Bedingungen  Buße  möglich  ist.  In  der  Zeit 
zwischen  seinem  Tod  und  seiner  Auferstehung  pre- 
digte Christus  „den  Geistern  im  Gefängnis,  die  vorzeiten 
nicht  glaubten,  da  Gott  harrte  und  Geduld  hatte  zu  den 
Zeiten  Noahs."^)  Diese  Geister  besuchte  der  Sohn,  und 
ihnen  predigte  er  das  Evangelium,  ,, damit  sie  nach  dem 
Gesetz  der  im  Fleisch  lebenden  gerichtet  werden  möchten ; 
die,  welche  das  Zeugnis  Jesu  im  Fleische  nicht  annahmen, 
es  aber  später  noch  empfingen."^) 


0  Lehre  u.  Bündn.  1 :31 — 33. 
=)  Alma  12:24;  34:32;  42:4. 
')  1.  Petrus  3:19—20. 
*)  L.  u.  B.  76:73—74. 


Die  Glaubensartikel. 


[Vorl.  V. 


30.  Doch  ist  keine  Seele  berechtigt,  ihre  Buße  ange- 
,  sichts  der  Langmut  und  Barmherzigkeit  Gottes  zu  ver- 
schieben. Wir  wissen  nicht,  unter  welchen  Bedingungen 
Buße  im  Jenseits  erreichbar  sein  wird,  aber  es  ist  vernunft- 
widrig zu  glauben,  daß  die  Seele,  welche  die  Gelegenheit 
zur  Buße  in  diesem  Leben  wissentlich  verworfen  hat,  es 
leicht  finden  werde,  dort  Buße  zu  tun.  Den  Tag  der  Buße 
hinauszuschieben,^)  heißt  soviel  wie  uns  absichtlich  in  die 
Gewalt  des  Widersachers  zu  begeben.  Gleich  wie  Amulek 
die  Volksmenge  in  alten  Zeiten  lehrte  und  ermahnte: 
„Denn  sehet,  dieses  Leben  ist  die  Zeit,  wo  sich  die  Menschen 
vorbereiten  sollen,  ihrem  Gott  zu  begegnen,***  deshalb 
bitte  ich  euch,  den  Tag  euerer  Bekehrung  nicht  bis  ans 
Ende  hinauszuschieben.***  Wann  diese  furchtbare  Be- 
drängnis eintritt,  dann  könnt  ihr  nicht  mehr  sagen:  Ich 
will  mich  bekehren  und  mich  zu  meinem  Gott  wenden. 
Nein,  das  könnt  ihr  nicht  sagen,  denn  derselbe  Geist,  der 
zu  der  Zeit,  da  ihr  dieses  Leben  verlasset,  in  euern  Kör- 
pern wohnt,  derselbe  Geist  wird  in  jener  ewigen  Welt  die 
Macht  haben,  in  euern  Körpern  zu  wohnen.  Denn  sehet, 
wenn  ihr  den  Tag  eurer  Bekehrung  bis  zum  Tode  hinaus- 
geschoben habt,  sehet,  dann  seid  ihr  dem  Geiste  des  Teufels 
untertänig  geworden,  der  euch  als  sein  Eigentum  ver- 
siegelt."^) 


Anmerkungen. 
1.  Ein  Beispiel  von  falschem  Glauben.  —  „Als  die  Europäer  ihre  Er- 
forschungen der  neuen  Welt  anfingen,  waren  die  Indianer,  die  ihnen  be- 
gegneten, über  die  Kraft  und  das  Sprengvermögen  des  Schießpulvers  sehr 
erstaunt  und  stellten  viele  Fragen  über  seine  Herstellungsweise.  Da  die 
Europäer  hier  eine  Gelegenheit  erblickten,  ihren  Reichtum  durch  Betrug 
zu  vergrößern,  zogen  sie  einen  Vorteil  aus  der  Unwissenheit  der  Wilden  und 
sagten  den  Indianern,  es  sei  der  Same  einer  in  den  Ländern,  wo  sie  her 
kamen,  wachsenden  Pflanze,  und  ohne  Zweifel  würde  sie  auch  in  ihrem 


1)  Alma  34:33. 
»)  Alma  34:32- 


Art.  4.]  Anmerkungen.  145 

Lande  gedeihen.  Natürlich  glaubten  die  Indianer  dieser  Erklärung  und 
kauften  den  angeblichen  Samen,  wofür  sie  als  Gegenwert  eine  große  Menge 
Gold  gaben.  In  festem  Glauben  pflanzten  sie  den  Samen  sorgfältig  und 
warteten  begierig,  daß  er  aufgehe  und  eine  Pflanze  daraus  entstehe;  aber 
es  geschah  nicht.  An  die  Erklärung  die  ihnen  die  Europäer  gaben,  hatten 
sie  geglaubt,  aber  da  diese  Erklärungen  falsch  waren,  und  da  deshalb  das 
Zeugnis,  auf  welches  die  Indianer  ihren  Glauben  gegründet  hatten,  un- 
richtig war,  war  ihr  Glaube  vergebens."  —  Orson  Pratt. 

2.  Der  sektiererische  Lehrsatz  der  Rechtfertigung  durch  Glauben 
allein  hat  seit  den  ersten  Tagen  des  Christentums  einen  verderblichen 
Einfluß  ausgeübt.  Der  Gedanke,  auf  den  diese  verderbliche  Lehre  gegründet 
wurde,  war  zuerst  mit  der  Lelire  einer  unbedingten  Vorherbestimmung  ver- 
bunden, wonach  der  Mensch  schon  zum  Voraus  entweder  zur  Vernichtung 
oder  zur  gänzlich  unverdienten  Seligkeit  bestimmt  sei.  Demgemäß  lehrte 
Luther:  „Die  treffliche,  unfehlbare  und  einzige  Vorbereitung  für  Gnade 
ist  die  ewige  Gnadenwahl  und  Vorherbestimmung  Gottes."  „Seit  dem 
Fall  des  Menschen  ist  freier  Wille  bloß  ein  eitler  Ausdruck."  „Ein  Mensch, 
der  es  sich  erdenkt,  Gnade  zu  erlangen  wenn  er  alles  tut,  was  er  nur  tun 
kann,  fügt  Sünde  zu  Sünde,  und  ist  doppelt  schuldig."  „Der  Mensch,  der 
viele  Werke  tut,  ist  nicht  gerechtfertigt;  sondern  der,  der  ohne  Werke,  viel 
Glauben  an  Christus  hat."  (Für  diese  und  andre  Lehren  der  sogenannten 
„Reformation"  siehe  D'Aubigne,  „History  of  the  Reformation",  Band  I, 
S.  82,  83,  119,  122.)  In  Miller's  „Church  History"  (Band  IV,  S.  514)  lesen 
wir:  „Der  Punkt,  den  der  Reformator  (Luther)  in  all  seinen  Werken,  Kämp- 
fen und  Gefahren  am  tiefsten  im  Herzen  hatte,  war  die  Rechtfertigung 
durch  Glauben  allein."  In  folgenden  Worten  äußert  Melanchthon  die  Lehre 
Luthers:  „Die  Rechtfertigung  des  Menschen  vor  Gott  geht  aus  dem  Glau- 
ben allein  hervor.  Dieser  Glaube  kommt  in  das  Menschenherz  durch  die 
Gnade  Gottes  allein;"  und  weiter,  „Da  alle  Dinge,  die  geschehen,  nach  der 
göttlichen  Vorherbestimmung  geschehen,  gibt  es  kein  solches  Ding  wie 
Freiheit  in  unserm  Willen."  (D'Aubigne,  Band  III,  S.  340.)  Zwar  erklärte 
sich  Luther  kräftig  gegen  und  leugnete  gewaltig  die  Verantwortung  für 
diese  Ausschweif ungen,  zu  denen  diese  Lehre  führte,  dennoch  war  er  selbst 
nicht  weniger  kraftvoll  im  Verkündigen  der  Lehre.  Beachten  wir  seine  Worte : 
„Ich,  Doktor  Martin  Luther,  unwürdiger  Verkündiger  des  Evangeliums 
unsres  Herrn  Jesus  Christus,  bekenne  diesen  Artikel,  daß  der  Glaube  allein 
ohne  Werke,  vor  Gott  rechtfertige;  und  ich  erkläre,  daß  er  für  immer  be- 
stehen und  bleiben  solle,  trotz  des  Kaisers  der  Römer,  des  Kaisers  der 
Türken,  des  Kaisers  der  Perser  — •  trotz  des  Papstes  und  aller  Kardinäle, 
mit  den  Bischöfen,  Priestern,  Mönchen  und  Nonnen  —  trotz  Königen, 
Fürsten  und  Edelmännern  und  trotz  aller  Welt  und  selbst  der  Teufel; 
und  daß,  wenn  sie  versuchen,  gegen  diese  Wahrheit  zu  kämpfen,  sie  die 
Feuer  der  Hölle  auf  ihre  Häupter  hernieder  ziehen  werden.  Dieses  ist  das 
wahre  und  heilige  Evangelium,  und  die  Erklärung  von  mir,  Doktor  Luther, 
nach  den  Eingebungen  des  Heiligen  Geistes."  (D'Aubigne,  Band  I,  Seite  70.) 

Fletscher  („End  of  Religions  Controversies",  S.  90)  erläutert  die  ver- 
derbte Ausschweifung,  zu  welcher  diese  schädliche  Lehre  führte,  indem 
er  einen  ihrer  Anhänger  beschuldigt,  er  habe  gesagt,  „Selbst  Ehebruch  und 
Mord  schaden  den  Gott  wohlgefälligen  Kindern  nicht,  sondern  wirken  eher 
zu  ihrem  Wohl.  Gott  sieht  keine  Sünde  in  den  Gläubigen,  welche  Sünde 
sie  auch  immer  begehen  mögen.  ***    Es  ist  ein  höchst  verderblicher  Fehler 

10 


146 


Die  Glaubensartikel. 


[Vorl.  V. 


der  Scholastiker,  Sünden  nach  der  Tat  und  nicht  nach  der  Person  zu  unter- 
scheiden. Obwohl  ich  die  verurteile,  die  sagen,  lasset  uns  sündigen,  daß 
Gnade  reichlich  vorhanden  sei,  soUen  dennoch  Ehebruch,  Blutschande 
und  Mord  mich  im  großen  ganzen  heiliger  auf  Erden  und  fröhlicher  im 
Himmel  machen." 

Eine  Übersicht  über  die  religiösen  Streitfragen  des  Mittelalters, 
einschließlich  der  Lehre  Luthers  imd  andrer  von  den  Gnadenmitteln  ist 
in  Roberts  „Outlines  of  Ecclesiastical  History"  enthalten  (Teil  3,  Abschnitt 
11)  auf  die  der  Leser  verwiesen  sei.  Die  oben  erwähnten  Anführungen 
sind  darin  einverleibt. 

3.  Vergebung  wird  nicht  immer  sogleich  gewährt.  —  „Wegen  der 
Größe  der  begangenen  Sünde,  folgt  auf  Buße  nicht  immer  Vergebung  und 
Wiederherstellung.  Zum  Beispiel:  als  Petrus  zu  den  Juden,  die  Jesum  er- 
schlagen und  sein  Blut  auf  sich  imd  ihre  Kinder  genommen  hatten,  predigte, 
sagte  er  nicht :  „Tut  Buße  und  lasset  euch  taufen  zur  Vergebung  der  Sün- 
den;" sondern  „So  tut  nun  Buße  \uid  bekehret  euch,  daß  eure  Sünden  ver- 
tilgt werden;  auf  daß  da  komme  die  Zeit  der  Erqmckimg  von  dem  Ange- 
sicht des  Herrn,  wenn  er  senden  wird  den,  der  euch  jetzt  zuvor  gepredigt 
wird,  Jesus  Christus,  welcher  muß  den  Himmel  einnehmen  bis  auf  die 
Zeit,  da  herwiedergebracht  werde  alles,  was  Gott  geredet  hat  durch  den 
Mund  aller  seiner  heiligen  Propheten  von  der  Welt  an"  (Apostelgesch. 
3:19—21).  Das  heißt:  tut  Buße  jetzt  und  glaubet  an  Jesus  Christus,  daß 
ihr  Vergebung  empfangen  möget,  wenn  der,  den  ihr  erschlagen  habt,  in  den 
Tagen  der  Wiederherstellung  aller  Dinge  wieder  kommen  und  euch  die 
Bedingungen,  unter  welchen  ihr  gerettet  werden  könnt,  vorschreiben  wird." 
—  „Compendium",  S.  28. 


Art.  4.]  Die  Taufe.  147 


Vorlesung  VI. 


Die  Taufe. 

Artikel  4.  —  Wir  glauben,  daß  die  ersten  Prinzipien  und  Verord- 
nungen des  Evangeliums  sind:  •  »  *  3.  Taufe  durch  Untertauchung  zur 
Vergebung  der  Sünden  *  *  *. 

1.  Das  Wesen  der  Taufe.  —  Den  Heiligen  der  letzten 
Tage  ist  die  Wassertaufe  das  dritte  Prinzip  und  die  erste 
wesentliche  Verordnung  des  Evangeliums.  Die  Taufe 
ist  das  zur  Herde  Christi  führende  Tor,  die  Pforte  der 
Kirche,  die  zur  Einbürgerung  in  dem  Reich  Gottes  ein- 
gesetzte Verordnung.  Nachdem  der  Bewerber  um  Zutritt 
in  die  Kirche  und  das  Reich  Glauben  an  den  Herrn  Jesus 
Christus  erworben  und  bekannt  und  seine  Sünden  aufrich- 
tig bereut  hat,  wird  mit  Recht  von  ihm  gefordert,  daß  er 
durch  irgendeine  äußere  Verordnung,  die  durch  Auto- 
rität als  Zeichen  oder  Sinnbild  des  neuen  Bekenntnisses 
vorgeschrieben  worden  ist,  einen  Beweis  für  diese  geistige 
Heiligung  gebe.  Die  einführende  Verordnung  ist  die  Taufe 
im  Wasser,  der  die  höhere  Taufe  mit  dem  Heiligen  Geiste 
folgen  soll;  und  als  eine  Frucht  dieser  Tat  des  Gehorsams 
wird  Vergebung  der  Sünden  gewährt. 

2.  Wie  einfach  sind  die  so  eingesetzten  Mittel  zum 
Eintritt  in  die  Herde !  Sie  sind  sowohl  dem  Ärmsten  und 
Schwächsten  als  auch  dem  Reichen  und  Mächtigen  erreich- 
bar! Welches  Sinnbild  könnte  gegeben  werden,  das 
besser  als  die  Taufe  im  Wasser  eine  Reinigung  von  Sünde 
ausdrückt?  Die  Taufe  ist  das  Zeichen  des  Bündnisses, 
das  zwischen  dem  bußfertigen  Sünder  und  seinem  Schöpfer 
eingegangen  wird,  —  daß  der  Sünder  hernach  versuchen 


148  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VI. 

will,  die  Gebote  Gottes  zu  beachten.  Betreffs  dieser  Tat- 
sache hat  der  Prophet  Alma  das  Volk  in  Gideon  wie  folgt 
ermahnt  und  unterrichtet:  „Ja,  ich  sage  euch:  Kommet 
und  fürchtet  euch  nicht,  leget  jede  Sünde  ab,  die  euch 
leicht  überkommt  und  zum  Verderben  führt;  ja,  kommet 
hervor  und  zeigt  euerm  Gott,  daß  ihr  willig  seid,  euch 
von  euren  Sünden  zu  bekehren  und  in  einen  Bund  mit 
ihm  zu  treten,  um  seine  Gebote  zu  halten ;  und  bezeuget 
es  ihm  heute  dadurch,  daß  ihr  in  das  Wasser  der  Taufe 
geht."i) 

3.  Der  gedemütigte  Sünder,  der  durch  das  Geben 
der  guten  Gaben  Gottes,  des  Glaubens  und  der  Buße,  von 
seiner  Übertretung  überzeugt  ist,  wird  irgendwelche 
Mittel,  sich  von  der  in  seinen  Augen  jetzt  so  abscheulichen 
Befleckung  zu  reinigen,  hocherfreut  begrüßen;  er  wird 
wie  die  von  der  Rede  getroffene  Volksmenge  an  Pfing- 
sten ausrufen:  ,,Was  soll  ich  tun?"  Durch  die  Heilige 
Schrift  oder  durch  den  Mund  der  berufenen  Diener  des 
Herrn  kommt  zu  solchen  die  antwortende  Stimme  des 
Geistes:  ,,Tut  Buße  und  lasse  sich  ein  jeglicher  taufen 
auf  den  Namen  Jesu  Christi  zur  Vergebung  der  Sün- 
den. "2)  Da  sie  der  Zerknirschung  der  Seele  entspringt,  ist 
die  Taufe  mit  Recht  die  erste  Frucht  der  Buße  genannt 
worden. 3) 

4.  Die  Einsetzung  der  Taufe  erfolgte  schon  in  der  Zeit 
der  frühesten  Geschichte  des  Menschengeschlechts.  Nach 
der  Austreibung  aus  dem  Garten  Eden,  als  sich  der  Herr 
Adam  offenbarte,  verhieß  er  dem  Patriarchen  des  Menschen- 
geschlechts: ,,Wenn  du  dich  zu  mir  kehren,  meiner  Stimme 
gehorchen,  glauben  und  dich  von  allen  deinen  Übertre- 
tungen bekehren  und  getauft  werden  willst,  und  zwar  im 


')  Alma  7:15. 

")  Apostelgesch.  2:37 — 38. 

»)  Moroni  8:25. 


Art.  4.]  Die  Taufe.  149 

Wasser,  im  Namen  meines  eingeborenen  Sohnes,  der  voller 
Gnade  und  Wahrheit  ist,  der  Jesus  Christus  ist,  der  einzige 
Name,  der  unter  dem  Himmel  gegeben  werden  soll,  durch 
den  Seligkeit  auf  die  Kinder  der  Menschen  kommen  wird, 
sollst  du  die  Gabe  des  Heiligen  Geistes  empfangen  und  alle 
Dinge  in  seinem  Namen  bitten;  und  was  ihr  auch  immer 
bitten  werdet,  das  soll  euch  gegeben  werden  *  *  *,  Und 
es  geschah,  als  der  Herr  mit  unserm  Vater  Adam  gesprochen 
hatte,  daß  Adam  zum  Herrn  schrie,  und  er  wurde  von  dem 
Geiste  des  Herrn  aufgehoben  und  hinabgetragen  in  das 
Wasser  und  unter  das  Wasser  gelegt  und  wieder  aus  dem 
Wasser  hervorgebracht.  Und  so  wurde  er  getauft;  und  der 
Geist  Gottes  kam  auf  ihn  herab,  und  so  wurde  er  von  dem 
Geiste  geboren  und  belebt  in  dem  inneren  Menschen. "i) 
Henoch  verkündigte  die  Lehre  von  der  Buße  und  der  Taufe 
und  taufte  die  Menschen,  und  so  viele  als  diese  Belehrungen 
annahmen  und  sich  den  Forderungen  des  Evangeliums 
unterwarfen,  wurden  in  den  Augen  Gottes  geheiligt  und 
heilig. 

5.  Der  besondere  Zweck  der  Taufe  ist  die  Aufnahme 
in  die  Kirche  Christi  und  Vergebung  der  Sünden  zu  er- 
langen. Bedarf  es  vieler  Worte,  um  den  Wert  dieser  von 
Gott  eingesetzten  Verordnung  zu  beweisen?  Welche 
größere  Gabe  könnte  den  Menschen  angeboten  werden, 
als  ein  bereitstehendes  Mittel  zur  Erlangung  der  Verge- 
bung für  die  Übertretung?  Die  Gerechtigkeit  verbietet 
allgemeines  und  bedingungsloses  Vergeben  begangener 
Sünden,  es  sei  denn  durch  Befolgung  des  verordneten 
Gesetzes.  Aber  es  sind  einfache  und  wirksame  Mittel  vor- 
gesehen worden,  wodurch  der  bußfertige  Sünder  in  ein 
Bündnis  mit  Gott  eintreten  und  dieses  Bündnis  siegeln 
kann  mit  einem  Zeichen,  das  Anerkennung  im  Himmel 


>)  Köstl.  Perle,  Moses  6:52—65. 


150  Die  Glaubensarükel.  [Vorl.  VI. 

fordert,  daß  er  bereit  ist,  sich  den  Gesetzen  Gottes  zu  unter- 
werfen. In  dieser  Weise  bringt  er  sich  in  den  Bereich  der 
Gnade,  unter  deren  schützendem  Einfluß  er  ewiges  Leben 
erlangen  kann. 

6.  Die  biblischen  Beweise,  daß  die  Taufe  als  ein 
Mittel  zur  Vergebung  der  Sünden  bestimmt  ist,  sind  zahl- 
reich. In  den  Tagen,  die  dem  Wirken  des  Heilands  im 
Fleische  unmittelbar  vorausgingen,  war  Johannes  der 
Täufer  der  besondere  Prediger  dieser  Lehre;  und  die  Stimme 
dieses  Predigers  in  der  Wüste,  welche  die  Vergebung  der 
Sünden  als  die  Frucht  der  Gott  wohlgefälligen  Taufe 
verkündigte,  erregte  Jerusalem  und  widerhallte  durch 
ganz  Judäa.^) 

7.  Als  Saulus  von  Tarsus,  ein  eifriger  Verfolger  der 
Anhänger  Christi,  auf  eine  weitere  Ausübung  eines  irre 
geführten  Eifers  bedacht,  nach  Damaskus  reiste,  empfing 
er  eine  besondere  Offenbarung  der  Macht  Gottes  und 
wurde  durch  Zeichen  und  Wunder  bekehrt.  Er  hörte  und 
antwortete  auf  die  Stimme  Christi  und  wurde  dadurch 
ein  besondrer  Zeuge  seines  Herrn.  Doch  sogar  diese  unge- 
wöhnliche Kundgebung  der  göttlichen  Güte  war  nicht 
genügend .  Durch  die  ihmgeof  f  enbarte  Herrlichkeit  erblindet, 
gedemütigt  und  ernst  gemacht,  und  der  furchtbaren  Tat- 
sache bewußt,  daß  er  seinen  Erlöser  verfolgt  hatte,  rief 
er  in  Seelenangst  aus,  ,,Herr,  was  willst  du,  daß  ich  tun 
soll?"  Er  wurde  nach  Damaskus  gewiesen,  um  dort  mehr 
über  den  Willen  Gottes  inbezug  auf  seine  Person  zu  erfah- 
ren. Mit  Freude  empfing  er  den  Boten  des  Herrn,  den 
frommen  Ananias,  der  ihm  diente,  sodaß  er  sein  Augenlicht 
wieder  bekam,  und  der  ihn  dann  die  Taufe  als  ein  Mittel 
zur  Erlangung  der  Vergebung  der  Sünden  lehrte.^) 


')  Markus  1:4;  Lukas  3:3. 
')  Apostelgesch.  22:1 — 16. 


Art.  4.]  Die  Taufe.  151 

8.  Saulus,  —  jetzt  als  Paulus  bekannt,  —  darnach 
ein  Prediger  der  Gerechtigkeit  und  ein  Apostel  des  Herrn 
Jesu  Christi,  lehrte  anderen  denselben  großen  errettenden 
Grundsatz,  daß  durch  die  Taufe  im  Wasser  die  Wieder- 
geburt von  der  Sünde  komme.^)  In  kraftvollen  Worten 
und  von  besonderen  Beweisen  göttlicher  Kraft  begleitet, 
erklärte  Petrus  der  bußfertigen  Volksmenge  dieselbe  Lehre. 
Im  Innersten  getroffen  durch  das  Aufzählen  alles  dessen, 
was  sie  dem  Sohn  Gottes  angetan  hatten,  riefen  sie  aus: 
„Ihr  Männer,  liebe  Brüder,  was  sollen  wir  tun?"  Alsbald 
kam  die  Antwort  mit  apostolischer  Vollmacht:  ,,Tut 
Buße  und  lasse  sich  ein  jeglicher  taufen  auf  den  Namen 
Jesu  Christi  zur  Vergebung  der  Sünden. "2) 

9.  Die  Propheten  des  Buches  Mormon  gaben  der 
Herde  Christi  im  Westen  dasselbe  Zeugnis.  Denselben 
Zweck  verfolgten  die  Worte  Nephis,  des  Sohnes  Lehis,  die 
er  an  seine  Brüder  richtete:  ,,Denn  das  Tor,  durch  das  ihr 
eingehen  sollt,  ist  Reue  und  Taufe  im  Wasser,  alsdann 
kommt  die  Vergebung  eurer  Sünden  durch  Feuer  und  durch 
den  Heiligen  Geist. "3)  Wie  schon  angeführt,  so  lehrte 
auch  Alma  das  Volk  in  Gideon.*)  Unmittelbar  vor  der 
Ankunft  Christi  auf  Erden  ging  Nephi,  der  Enkel  Hela- 
mans,  unter  seinem  Volke  umher  und  taufte  zur  Buße, 
und  „es  wurden  viele  Sünden  vergeben."^)  Nephi  ordi- 
nierte Mitarbeiter  zu  dem  Werke,  ,, damit  alle,  die  zu 
ihnen  kommen,  im  Wasser  getauft  würden;  und  dies  als 
Beweis  und  Zeugnis  vor  Gott  und  dem  Volke,  daß  sie  sich 
bekehrt  und  eine  Vergebung  ihrer  Sünden  erhalten  hät- 
ten."^) Von  Christus  beauftragt,  fügt  Mormon  sein  eigenes 


')  Titus  3:5. 

')  Apostelgesch.  2:36 — 38;  siehe  auch  1.  Petrus  3:21. 

»)  2.  Nephi  31:17. 

*)  Alma  7:14 — 15;  siehe  Seite  148. 

«)  3.  Nephi  1:23. 

•)  3.  Nephi  7:24—26. 


152  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VI. 

Zeugnis  hinzu  und  ermahnt  das  Volk,  seine  Sünden  zu 
meiden  und  sich  zur  Vergebung  derselben  taufen  zu 
lassen.^) 

10.  Neuzeitliche  Offenbarung  über  die  Taufe  und 
ihren  Zweck  zeigt,  daß  der  Herr  dieser  Verordnung  heute 
die  nämliche  Wichtigkeit  zuschreibt  wie  in  frühern  Zeiten. 
Damit  der  Kirche  in  der  gegenwärtigen  Dispensation 
keine  Frage  betreffs  der  Anwendung  dieser  Lehre  entstehe, 
ist  zu  unsrer  Richtschnur  das  Prinzip  von  neuem  erklärt, 
das  Gesetz  wieder  verordnet  worden.  Die  Ältesten  der 
Kirche  sind  beauftragt,  die  Vergebung  der  Sünden,  wie 
sie  durch  die  autorisierte  Taufe  zu  erlangen  ist,  zu 
predigen. 2) 

11.  Würdige  Bewerber  um  die  Taufe.  —  Da  der  Haupt- 
zweck der  Taufe  die  Aufnahme  in  die  Kirche  und  die  Ver- 
gebung der  Sünden  ist,  und  da  dieses  nur  durch  Ausübung 
des  Glaubens  an  Gott  und  durch  aufrichtige  Reue  vor  ihm 
geschieht,  kann  die  Taufe  gerechterweise  nur  von  denen 
gefordert  werden,  die  fähig  sind,  Glauben  auszuüben 
und  Buße  zu  tun.^)  In  einer  im  April  1830  durch  den 
Propheten  Joseph  der  Kirche  gegebenen  Offenbarung  er- 
klärt der  Herr  ausdrücklich  die  Bedingungen,  unter 
denen  Personen  in  die  Kirche  aufgenommen  werden  können : 
„Alle,  die  sich  vor  Gott  demütigen  und  wünschen,  getauft 
zu  werden,  und  herzutreten  mit  zerknirschtem  Herzen  und 
reumütigem  Geist  und  vor  der  Kirche  bezeugen,  daß  sie 
wahrhaftig  alle  ihre  Sünden  bereut  haben  und  wilhg  sind, 
den  Namen  Jesu  Christi  auf  sich  zu  nehmen;  die  den 
Entschluß  fassen,  ihm  bis  ans  Ende  zu  dienen  und  wirk- 
lich durch  ihre  Werke  bezeugen,  daß  sie  von  dem  Geiste 


•)  3.  Nephi  30:2. 

«)  Lehre  u.  Bündn.  19:31;  55:2;  68:27;  76:51—52;  84:27,  74. 

')  Siehe  Anmerkung  1. 


Art.  4.]  Die  Taufe.  153 

Christi   zur  Vergebung   ihrer  Sünden  erhalten  haben  — 
sollen  durch  die  Taufe  in  die  Kirche  aufgenommen  werden."^) 

12.  Solche  Bedingungen  schließen  alle  aus,  die  das 
Alter  des  Verstandes  und  der  Verantwortlichkeit  noch  nicht 
erreicht  haben.  Durch  besondern  Befehl  hat  es  der  Herr 
der  Kirche  verboten,  irgend  j  emand  aufzunehmen,  der  dieses 
Alter  noch  nicht  erreicht  hat.-)  Durch  Offenbarung  hat 
der  Herr  acht  Jahre  als  das  Alter  bezeichnet,  in  welchem 
Kinder  in  der  Kirche  rechtmäßig  getauft  werden  können; 
und  von  den  Eltern  wird  gefordert,  ihre  Kinder  auf  die 
Verordnungen  der  Kirche  vorzubereiten,  indem  sie  ihnen 
die  Lehren  des  Glaubens,  der  Buße,  der  Taufe  und  der 
Gabe  des  Heiligen  Geistes  lehren.  Vernachlässigen  sie  diese 
Forderung,  wird  dies  vom  Herrn  als  auf  den  Häuptern  der 
Eltern  ruhende  Sünde  betrachtet. 3) 

13.  Die  Kindertaufe.  —  Die  Heiligen  der  letzten 
Tage  treten  dem  Brauch  der  Kindertaufe  scharf  entgegen ; 
sie  glauben  sogar,  daß  diese  in  den  Augen  Gottes  ein  Frevel 
ist.  Niemand,  der  dem  Worte  Gottes  glaubt,  kann  ein 
Kind  als  unrein  ansehen.  Ein  solches  unschuldiges  Wesen 
braucht  keine  Einführung  in  die  Herde,  denn  es  ist  nie 
von  ihr  entwichen,  es  braucht  keine  Vergebung  der  Sünden, 
denn  es  ist  sündlos;  und  sollte  es  sterben,  ehe  es  von  den 
Sünden  der  Welt  befleckt  wird,  so  wird  es  ohne  Taufe 
wieder  in  die  Gegenwart  Gottes  aufgenommen  werden. 
Doch  gibt  es  viele,  angeblich  christliche  Lehrer,  welche 
erklären,  daß  alle  Kinder,  da  in  einer  bösen  Welt  geboren, 
böse  seien,  und  um  vor  Gott  angenehm  zu  werden,  müßten 
sie  in  dem  Wasser  der  Taufe  gereinigt  werden.  Wie 
furchtbar  ist  doch  diese  Lehre !  —  Das  Kind,  auf  welches  der 
Heiland  zeigte  als  ein  Beispiel  der  Nacheiferung  selbst 


•)  Lehre  u.  Bündn.  20:3'; 

2)  L.  u.  B.  20:71. 

')  L.  u.  B.  68:25—27. 


154  Die  Glaubensartikel.   .  (Vorl.  VI. 

derer,  die  das  heilige  Amt  eines  Apostels  empfangen 
hatten,  —  ^)  des  Herrn  auserwähltes  Vorbild  des  Him- 
melreichs; die  bevorzugten  Geister,  deren  Engel  für 
immer  in  der  Gegenwart  des  Vaters  stehen  und  treu  alles 
berichten,  was  ihren  heiligen  Pfleglingen  getan  wird:^) 
solche  Seelen  sollen  verworfen  und  der  Qual  übergeben 
werden,  weil  ihre  irdischen  Hüter  es  versäumten,  sie 
taufen  zu  lassen !  —  Eine  derartige  Lehre  zu  verkündigen 
ist  Sünde. 

14.  Die  Geschichte  der  Kindertaufe  ist  lehrreich,  denn 
sie  wirft  Licht  auf  den  Ursprung  dieses  ungesetzlichen 
Brauches.  Es  ist  gewiß,  daß  die  Taufe  der  kleinen  Kinder, 
(englisch  pedobaptism,  griechisch  paidos,  Kind,  und 
baptismos,  Taufe),  weder  von  dem  Heiland  noch  von  seinen 
Aposteln  gelehrt  w^urde.  Einige  weisen  auf  den  Fall  hin, 
wo  Christus  die  kleinen  Kinder  segnete  und  jene  tadelte, 
die  den  Kleinen  verbieten  wollten,  zu  ihm  zu  kommen  ;3) 
sie  sagen,  es  sei  dies  ein  Beweis  für  die  Kindertaufe;  aber 
wie  Bischof  Jeremy  Taylor  kurz  und  bündig  erwidert  hat: 
„Aus  dem  Segnen  der  Kinder  durch  Christus  zu  schließen, 
daß  sie  getauft  werden  sollten,  beweist  nur  daß  es  an 
beßren  Beweisen  mangelt;  denn  die  Schlußfolgerung 
müßte  eigentlich  lauten :  Christus  segnete  die  Kinder  und 
ließ  sie  so  gehen;  er  taufte  sie  also  nicht,  und  deshalb 
sollen  Kinder  nicht  getauft  werden." 

15.  Es  gibt  keinen  glaubwürdigen  Bericht,  daß  die 
Kindertaufe  während  der  ersten  zwei  Jahrhunderte  nach 
Christo  vollzogen  wurde,  und  der  Brauch  wurde  jedenfalls 
nicht  vor  dem  5.  Jahrhundert  allgemein  üblich;  aber  von 
der  letzterwähnten  Zeit  an  bis  zur  Reformation,  wurde 
er  von  den  meisten,  sich  zum  Christentum  bekennenden 


')  Matthäus  18:1—6. 

')  Matthäus  18:10. 

')  Matthäus  19:14;  Markus  10:13;  Lukas  18:15. 


Art.  4.]  Die  Taufe.  155 

Kirchen  angenommen.  Und  sogar  in  jenem  dunkeln  Zeit- 
alter erhoben  viele  religiösen  Disputanten  ihre  Stimmen 
gegen  diesen  ruchlosen  Brauch.^)  Zu  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts war  eine  Sekte  unter  dem  Namen  Wiedertäufer 
(englisch  anabaptista,  griechisch  ana,  wieder,  und  baptizo, 
taufen)  in  Deutschland  sehr  bedeutend  geworden.  Wegen 
ihres  Widerstands  gegen  die  Ausübung  der  Kindertaufe 
unterschied  sich  diese  Sekte  von  den  andern,  und  von  der 
Forderung,  daß  alle  Mitglieder,  die  in  der  Kindheit  getauft 
worden  waren,  wieder  getauft  werden  sollten,  stammt  ihr 
Name  her.  Diese  Glaubensgenossenschaft,  gewöhnlich 
die  Baptisten  genannt,  ist  durch  Innern  Streit  sehr  zerteilt 
worden;  im  allgemeinen  aber  haben  die  Baptisten  eine 
Einigkeit  des  Glaubens  im  Bekämpfen  der  Taufe  verant- 
wortungsfreier Kinder  beibehalten. 

16.  Taufe  und  Beschneidung.  —  Einige  Kinder- 
täufer haben  versucht,  eine  Verwandtschaft  zwischen 
der  Taufe  und  der  Beschneidung  nachzuweisen.  Für 
diesen  Standpunkt  gibt  es  aber  keine  biblische  Berech- 
tigung. Die  Beschneidung  wurde  als  Zeichen  des 
Bündnisses  zwischen  Gott  und  seinem  erwählten  Die- 
ner Abraham  eingesetzt,^)  ein  Sinnbild,  das  von  der 
Nachkommenschaft  Abrahams  als  ein  Wahrzeichen  an- 
gesehen wurde  für  ihre  Freiheit  von  der  Abgötterei  jener 
Zeiten  und  für  die  göttliche  Annahme  ihres  eigenen  Volkes. 
Aber  nirgends  ist  die  Beschneidung  zum  Mittel  zur  Verge- 
bung der  Sünden  gemacht  worden.  Jene  Vorschrift  war 
nur  auf  das  männliche  Geschlecht  anwendbar;  die  Taufe 
hingegen  wird  beiden  Geschlechtern  gespendet.  Die  Be- 
schneidung war  am  achten  Tag  nach  der  Geburt  zu  voll- 
ziehen,  auch  wenn   der  Tag   auf    einen    Sabbath   fiel.^) 


•)  Siehe  Anmerkung  2. 
')  1.  Mose  17:1—14. 
')  Johannes  7:22—23. 


156  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VI. 

Unter  der  Leitung  Cyprians,  des  Bischofes  zu  Karthago, 
wurde  im  3.  Jahrhundert  eine  Bischofsversammlung  ab- 
gehalten, die  feierlich  entschied,  daß  es  gefährlich  und 
infolgedessen  nicht  zu  erlauben  sei,  die  Taufe  bis  zum 
achten  Tage  nach  der  Geburt  zu  verschieben. 

17.  Die  Kindertaufe  wird  im  Buch  Mormon  verboten. 
Aus  dieser  Tatsache  wissen  wir,  daß  unter  den  Nephiten 
Streitigkeiten  über  diesen  Punkt  entstanden  sein  müssen. 
Da  Mormon  vom  Herrn  besondere  Offenbarung  über  diese 
Streitfrage  bekommen  hatte,  schrieb  er  einen  Brief  darüber 
an  seinen  Sohn  Moroni,  in  welchem  er  den  Brauch  der 
Kindertaufe  verurteilt  und  erklärt,  daß  irgend  jemand, 
der  vermutet,  kleine  Kinder  bedürften  der  Taufe,  in  der 
Galle  der  Bitterkeit  und  den  Banden  der  Sünden  sei, 
die  Barmherzigkeit  Christi  verleugne  und  die  Versöhnung 
durch  ihn,  und  die  Macht  seiner  Erlösung  beiseite  setze, ^) 

18.  Die  Taufe  zur  Seligkeit  notwendig.  —  Die  meisten 
Beweise  inbezug  auf  den  Zweck  der  Taufe  bekunden  mit 
gleicher  Kraft,  daß  die  Taufe  zur  Seligkeit  notwendig 
ist.  Denn  insofern  die  Vergebung  der  Sünden  einen  be- 
sondern Zweck  der  Taufe  bildet  —  da  keine  Seele  mit 
unvergebenen  Sünden  in  dem  Reich  Gottes  selig  werden 
kann  —  ist  es  klar,  daß  die  Taufe  zur  Seligkeit  notwendig 
ist.  Seligkeit  ist  dem  Menschen  unter  der  Bedingung  der 
Befolgung  der  Gebote  Gottes  verheißen;  und  wie  die 
heiligen  Schriften  endgültig  beweisen,  ist  die  Taufe  eines 
der  wichtigsten  Gebote.  Da  Gott  die  Taufe  verlangt, 
muß  der  Zweck,  wofür  sie  eingesetzt  ist,  notwendig  sein, 
denn  unser  himmlischer  Vater  geht  nicht  mit  unnötigen 
Formen  um.  Die  Taufe  wird  von  allen,  welche  die  Jahre 
der  Verantwortlichkeit  erreicht  haben,  verlangt,  niemand 
ist  ausgenommen. 


^)  Moroni  8;  lies  das  ganze  Kapitel. 


Art.  4.]  Die  Taufe.  157 

19.  Selbst  Christus,  ein  Mensch  ohne  Sünde  mitten 
in  einer  sündhaften  Welt,  wurde,  „um  alle  Gerechtigkeit  zu 
erfüllen"  getauft  ;i)  denn  solches  war  der  Zweck,  wie  der 
Heiland  auch  selbst  dem  unschlüssigen  Priester  erklärte, 
der,  obgleich  er  sehr  eifrig  für  seine  große  Mission  war, 
dennoch  Einwendungen  machte,  als  ihm  geboten  wurde, 
einen,  den  er  als  sündlos  ansah,  zu  taufen.  Jahrhunderte 
vor  diesem  großen  Ereignis,  als  Nephi  unter  dem  Volke 
in  der  westlichen  Welt  prophezeite,  weissagte  er  von  der 
Taufe  des  Heilandes  und  erklärte  vortrefflich,  wie  die 
Gerechtigkeit  dadurch  erfüllt  werden  würde:  ,,Wenn  nun 
das  Lamm  Gottes,  welches  heilig  ist,  nötig  hatte,  im  Wasser 
getauft  zu  werden,  um  alle  Gerechtigkeit  zu  erfüllen,  o, 
wie  viel  mehr  haben  wir,  die  wir  unheilig  sind,  nötig,  ge- 
tauft zu  werden,  und  zwar  im  Wasser. "2) 

20.  Die  Worte  des  Heilandes,  welche  er  sprach  als  er 
im  Fleische  wirkte,  erklären,  daß  die  Taufe  zur  Seligkeit 
notwendig  ist.  Ein  Oberster  der  Juden,  Nikodemus,  kam 
zu  Christus  in  der  Nacht  und  bekannte  sein  Vertrauen 
zu  den  Belehrungen  Christi,  den  er  als  einen  „Lehrer  von 
Gott  gekommen"  bezeichnete.  Da  Christus  seinen  Glauben 
sah,  lehrte  er  ihn  eins  der  Hauptgesetze  des  Himmels  und 
sprach:  ,,Es  sei  denn,  daß  jemand  von  neuem  geboren 
werde,  so  kann  er  das  Reich  Gottes  nicht  sehen."  Eine 
Frage  von  Nikodemus  rief  die  wiederholte  Erklärung  des 
Heilandes  hervor:  ,, Wahrlich,  wahrlich,  ich  sage  dir:  Es 
sei  denn,  daß  jemand  geboren  werde  aus  Wasser  und  Geist, 
so  kann  er  nicht  in  das  Reich  Gottes  kommen."^)  Es  ist 
gleichsam  unbestreitbar,  daß  die  hier  zum  Eintritt  in  das 
Reich  als  notwendig  bezeichnete  Wassergeburt  die  Taufe 
ist.  Über  die  Stellung  Christi  zur  Taufe  erfahren  wir  weiter, 


n  Matthäus  3:15. 
=)  2.  Nephi  31:5—8 
')  Johannes  3:1 — 5. 


158  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VI. 

daß  er  die  Verordnung  von  denen,  die  vorgaben,  seine 
Jünger  zu  werden,  forderte.^)  Als  er  in  seinem  auferstan- 
denen Zustand  den  Elf  erschien  und  ihnen  seinen  Ab- 
schiedssegen und  letzten  Auftrag  gab,  befahl  er  ihnen: 
„Damm  gehet  hin  und  lehret  alle  Völker  und  taufet  sie 
im  Namen  des  Vaters  und  des  Sohnes  und  des  Heiligen 
Geistes ;"2)  und  über  das,  was  der  Taufe  folgen  sollte 
lehrte  er  sie:  „Wer  da  glaubet  und  getauft  wird,  der 
wird  selig  werden;  wer  aber  nicht  glaubet,  der  wird  ver- 
dammt werden.  "3) 

21.  So  deutlich  auch  der  Geist  dieser  Belehrungen  und 
Verheißungen  ist,  so  gibt  es  dennoch  viele,  welche,  ob- 
wohl sie  vorgeben,  die  Lehre  des  Erlösers  zu  lehren,  dem 
Sinn  seiner  Belehrungen  ausweichen  und  erklären,  da  Chris- 
tus nur  sagte  ,,Wer  aber  nicht  glaubet,  der  wird  verdammt 
werden",  anstatt  „Wer  nicht  getauft  wird,  wird  verdammt 
werden",  sei  die  Taufe  nach  alledem  nicht  eine  Hauptsache, 
sondern  bloß  eine  Füglichkeit  oder  eine  einfache  Genauig- 
keit in  dem  Erlösungsplan.  Es  ist  eine  Verspottung  des 
Glaubens,  vorzugeben  an  Christus  zu  glauben  und  sich  dann 
zu  weigern,  an  seinem  Gebot  festzuhalten.  An  das  Wort 
Gottes  zu  glauben  und  nicht  darnach  zu  handeln,  heißt 
nur  unsere  Schuld  vergrößern;  ein  solches  Verhalten 
fügt  nur  eine  Heuchelei  zur  andern.  Sicher  wird  die  volle 
Strafe,  die  auf  vorsätzlichen  Unglauben  gesetzt  worden 
ist,  auf  den  angeblich  Gläubigen  fallen,  der  sich  weigert, 
dieselben  Prinzipien,  an  die  zu  glauben  er  sich  rühmt,  zu 
befolgen.  Und  was  kann  von  der  Aufrichtigkeit  desjenigen 
gesagt  werden,  der  es  ablehnt,  die  göttlichen  Gebote  zu 
befolgen,  weil  keine  besondern  Strafen  für  den  Fall  des 
Ungehorsams   vorgesehen   seien?    Kann   die   Reue   eines 


')  Johannes  4:1- 
')  Matthäus  28:1 
»)  Markus  16:16, 


Art.  4.]  Die  Taufe.  159 

solchen  aufrichtig  sein,  wenn  er  nur  aus  Furcht  vor  der 
Strafe  jetzt  gehorsam  ist?  Jedoch  sind  in  der  Erklärung 
dieses  Prinzips  die  Worte  des  Herrn  als  Richtschnur  für 
die  Heiligen  in  der  gegenwärtigen  Dispensation  ausführ- 
licher und  genauer:  „Und  wer  da  glaubet  und  getauft 
wird,  der  soll  selig  werden,  doch  wer  nicht  glaubet  und  nicht 
getauft  wird,  der  soll  verdammt  werden."^) 

22.  Dieselbe  Lehre  von  der  Notwendigkeit  der  Taufe 
wurde  von  den  Jüngern  Christi  verkündet;  besonders 
von  denen,  die  mit  ihm  im  Dienste  unmittelbar  verbunden 
waren.  Johannes  der  Täufer  bezeugte,  daß  er  berufen 
worden  war,  mit  Wasser  zu  taufen, 2)  und  inbezug  auf  die, 
welche  die  Lehren  des  Johannes  angenommen  haben,  er- 
klärte der  Heiland,  daß  diese,  obwohl  sie  Zöllner  waren, 
den  Rat  Gottes  erfüllten,  während  die  Pharisäer  und 
Schriftgelehrten,  die  sich  weigerten,  sich  taufen  zii  lassen, 
„verachteten  Gottes  Rat  wider  sich  selbst",^)  wodurch  sie 
unzweifelhaft  ihr  Recht  zur  Seligkeit  verloren  haben. 
Wie  schon  erwähnt,  hatte  der  vorstehende  Apostel,  Petrus, 
für  die  begierige  Volksmenge,  welche  die  Bedingungen  der 
Seligkeit  zu  wissen  wünschte,  nur  eine  Antwort:  „Tut 
Buße  und  lasse  sich  ein  jeglicher  taufen."^) 

23.  Des  Heilandes  demütige  Unterwerfung  unter  den 
Willen  seines  Vaters,  indem  er  sich  taufen  ließ  —  obwohl 
er  ohne  Sünde  war  —  erklärt  der  Welt  kräftiger  als  alle 
Worte  es  tun  können,  daß  niemand  von  dieser  Bedingung 
ausgenommen  sein  kann,  und  daß  die  Taufe  zur  Seligkeit 
unbedingt  notwendig  ist.  Kein  Beweis  des  göttlichen  Wohl- 
wollens, keine  Bescherung  himmhscher  Gaben  erläßt  dem 
Menschen  die  Befolgung  dieser  und  auch  andrer  Anfor- 


»)  Lehre  u.  Bündn.  112:29. 

')  Johannes  1 :33. 

")  Lukas  7:30. 

•)  Apostelgesch.  2:38;  siehe  auch  1.  Petrus  3:21. 


160  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VI. 

derungen  des  Evangeliums.  Einige  Erläuterungen  dieser 
Tatsache  sind  in  Verbindung  mit  der  Erklärung  des  Zwecks 
der  Taufe  angeführt  worden.  Obwohl  es  Saulus  von 
Tarsus  erlaubt  wurde,  die  Stimme  seines  Erlösers  zu  hören, 
konnte  er  nur  durch  das  Tor  der  Taufe  durch  Wasser  und 
den  Heiligen  Geist  in  die  Kirche  Christi  eingehen.^)  Nach- 
her predigte  er  die  Taufe  und  erklärte,  daß  wir  durch  diese 
Verordnung  „Christum  anziehen",  W'Odurch  wir  Kinder 
Gottes  werden.  Der  Hauptmann  Kornelius  erlangte  durch 
seine  Almosen  und  Gebete  Wohlgefallen  vor  Gott;  es  kam 
ein  Engel  zu  ihm  und  wies  ihn  an,  Petrus  kommen  zu  lassen, 
der  ihm  sagen  würde,  was  er  tun  sollte.  Der  von  dem 
Herrn  auf  diese  Mission  vorbereitete  Apostel  trat  in  das 
Haus  des  bußfertigen  Heiden  —  obwohl  er  dadurch  die 
jüdische  Sitte  verletzte  —  und  lehrte  ihn  und  seine  Familie 
von  Christo  Jesu.  Als  Petrus  noch  sprach,  fiel  der  Heilige 
Geist  auf  seine  Zuhörer,  also  daß  sie  durch  die  Gabe  der 
Zungen  Zeugnis  gaben  und  Gott  priesen. 2)  Dennoch  be- 
freite sie  das  Geschenk  solcher  großen  Gaben  in  keiner 
Weise  von  der  Unterwerfung  unter  das  Gesetz  der  Taufe; 
Petrus  befahl  ihnen  vielmehr,  sich  in  dem  Namen  des 
Herrn  taufen  zu  lassen. 

24.  Die  Diener  Christi  auf  der  westlichen  Halbkugel 
waren  nicht  weniger  energisch  im  Verbreiten  der  Lehre 
von  der  Taufe.  Lehi^)  und  sein  Sohn  Nephi*)  zeugten  von 
der  Taufe  des  Heilandes  und  auch  von  der  unbedingten 
Notwendigkeit  der  Taufe  durch  Wasser  und  den  Heiligen 
Geist  für  alle,  die  nach  der  Seligkeit  trachten.  In  treff- 
licher Weise  vergleicht  Nephi  Buße  und  Taufe  durch 
Wasser  und  Geist  mit  dem  Tor,   das  zur  Herde  Gottes 


•)  Apostelgesch.  9:18;  22:1—16. 
»)  Apostelgesch.  10:30 — 48. 
»)  1.  Nephi  10:7—10. 
*)  2.  Nephi  31:4—14. 


Art.  4.]  Die  Taufe.  161 

führt. 1)  Alma  predigte  die  Taufe  als  zur  Seligkeit  un- 
erläßlich und  forderte  das  Volk  auf,  durch  die  Befolgung 
dieses  Prinzips  dem  Herrn  zu  bezeugen,  daß  es  ein  Bündnis 
mit  ihm  mache,  seine  Gebote  zu  halten.  Der  zweite  Alma, 
der  Sohn  des  ersten,  verkündete  die  Taufe  als  ein  Mittel 
zur  Seligkeit,  und  weihte  Männer,  die  taufen  sollten.^) 

25.  Während  des  letzten  Jahrhunderts  vor  der  Ge- 
burt Christi  wurde  durch  das  Predigen  des  Glaubens,  der 
Buße  und  der  Taufe  das  Werk  Gottes  unter  den  Lamaniten 
angefangen.  Ammon  erklärte  diese  Lehre  dem  König 
Lamoni  und  seinem  Volke.^)  Helaman  predigte  von  der 
Taufe;*)  und  wir  lesen,  daß  sich  während  seines  Wirkens 
—  weniger  als  ein  halbes  Jahrhundert  vor  dem  Kommen 
Christi  auf  Erden  —  tausende  durch  die  Taufe  der  Kirche 
anschlössen.  Genau  so  predigten  die  Söhne  Helamans,^) 
und  sein  Enkel  Nephi.^)  Diese  Taufen  wurden  in  dem  Na- 
men des  Messias,  der  kommen  sollte,  vollzogen;  als  aber 
dieser  seine  Herde  im  Westen  besuchte,  ordnete  er  an, 
daß  sie  in  dem  Namen  des  Vaters  und  des  Sohnes  und  des 
Heiligen  Geistes  getauft  werden  sollten;  und  er  verlieh 
zwölf  erwählten  Dienern  die  Vollmacht,  in  dieser  Verord- 
nung zu  amtieren')  und  verhieß  allen,  die  sein  Gesetz  er- 
füllen würden  —  und  zwar  nur  solchen  —  die  Schätze  des 
Himmels. 

26.  Beweise  dafür,  daß  der  Heiland  den  getauften 
Zustand  als  eine  notwendige  Bedingung  der  Mitgliedschaft 
in  seiner  Kirche  betrachtete,  sind  reichlich  vorhanden; 
und  als  er  das  Abendmahl  unter  den  Nephiten  einsetzte. 


')  2.  Nephi  31:17. 

»)  Mosiah  18:8—17;  Alma  5:61,  62;  9:27. 

»)  Alma  19:35. 

«)  Alma  62:45. 

')  Helaman  5:14—19. 

•)  3.  Nepbi  1:23. 

')  3.  Nephi  11:22—25;  12:1—2. 


162  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VI. 

wies  er  seine  Jünger  an,  es  nur  denen  zu  spenden,  die 
richtig  getauft  worden  waren. ^)  Weiter  wird  uns  erklärt, 
daß  alle,  die  getauft  wurden,  wie  es  Christus  angeordnet 
hatte,  die  Kirche  Christi  genannt  wurden.^)  Der  Ver- 
heißung des  Heilandes  getreu,  kam  der  Heilige  Geist  auf 
alle,  die  durch  seine  ordinierte  Autorität  getauft  wurden; 
auf  diese  Weise  wurde  die  höhere  Taufe  mit  Feuer  und  dem 
Heiligen  Geist  der  Wassertaufe  hinzugefügt,^)  und  viele 
von  ihnen  bekamen  wunderbare  Kundgebungen  des  gött- 
lichen Wohlgefallens  und  sahen  und  hörten  unaussprech- 
liche Dinge,  die  nicht  geschrieben  werden  dürfen.  Der 
Glaube  des  Volkes  zeigte  sich  in  guten  Werken,*)  in  Ge- 
beten und  im  Fasten.^)  Der  Heiland  anerkannte  dies,  in- 
dem er  nochmals  erschien  und  sich  diesmal  den  von  ihm 
zu  dem  Werke  berufenen  Jüngern  offenbarte  und  ihnen  die 
frühern  Verheißungen  wiederholte  inbezug  auf  alle,  die 
auf  ihn  getauft  werden  würden;  diesem  fügte  er  hinzu, 
daß,  wenn  sie  bis  ans  Ende  ausharrten,  sie  am  Tage  des 
Gerichts  schuldlos  gehalten  werden  sollten.^)  Bei  dieser 
Gelegenheit  wiederholte  er  den  Befehl,  durch  dessen  Be- 
folgung Seligkeit  verheißen  wird:  ,, Bekehret  euch  alle 
ihr  Enden  der  Erde;  kommet  zu  mir  und  werdet  getauft 
in  meinem  Namen,  damit  ihr  durch  das  Empfangen  des 
Heiligen  Geistes  geheiligt  und  am  jüngsten  Tage  flecken- 
los vor  mir  stehen  möget."') 

27.  Beinahe  400  Jahre  später  hören  wir  dieselbe  Ver- 
kündigung von  den  Lippen  Mormons.^)  Und  als  sein  Sohn 
Moroni,   der   letzte   Vertreter   eines   einst   so   mächtigen 


')  3.  Nephi  18:5,  11,  28—30. 

')  3.  Nephi  26:21. 

«)  3.  Nephi  26:17—18;  28:18;  4.  Nephi  1:1. 

♦)  3.  Nephi  26:19—20. 

')  3.  Nephi  27:1—2. 

n  3.  Nephi  27:16. 

')  3.  Nephi  27:20. 

»)  Mormon  7:8 — 10. 


Art.  4.j  Die  Taufe.  163 

Volkes,  trauerte,  weil  seine  Verwandtschaft  vertilgt  war, 
gab  er,  was  er  zu  jener  Zeit  sein  letztes  Zeugnis  der  Wahrheit 
dieser  Lehre  wähnte;^)  und  als  er  dann  wider  Erwarten 
am  Leben  blieb,  wendete  er  sich  wieder  an  das  heilige 
Thema,  denn  er  schätzte  den  unberechenbaren  Wert 
der  Lehre  für  alle  und  jeden,  der  seine  Zeilen  lesen 
würde.  In  Worten,  die  als  seine  letzten  angesehen  werden 
können,  zeugte  er  von  der  Taufe  durch  Wasser  und  Geist, 
als  dem  Weg  zur  Seligkeit. 2) 

28.  Und  dieses  große  in  alten  Zeiten  verkündigte 
Prinzip  bleibt  auch  heute  unverändert;  es  ist  Wahrheit  und 
ändert  sich  nicht.  Die  Ältesten  der  heutigen  Kirche  sind 
beauftragt  worden  —  in  beinahe  denselben  Worten  wie 
die  Apostel  in  alten  Zeiten:  „Gehet  in  alle  Welt,  predigt 
das  Evangelium  aller  Kreatur,  und  handelt  nach  der 
Vollmacht,  die  ich  euch  gegeben  habe,  taufet  in  dem  Na- 
men des  Vaters  und  des  Sohnes  und  des  Heiligen  Geistes; 
und  wer  da  glaubet  und  getauft  wird,  der  soll  selig  werden 
und  wer  nicht  glaubet,  der  soll  verdammt  werden. "3) 
Und  ferner  hören  wir  das  Wort  des  Herrn  durch  Joseph 
den  Propheten  an  die  Ältesten  der  Kirche:  ,, Darum,  wie 
ich  zu  meinen  Aposteln  sagte,  wiederhole  ich  euch,  daß 
jede  Seele,  die  an  eure  Worte  glaubt  und  im  Wasser  zur 
Vergebung  der  Sünden  getauft  wird,  den  Heiligen  Geist 

I empfangen  soll,"  Doch  ,, wahrlich,  wahrlich,  ich  sage 
euch,  daß  die,  welche  nicht  an  eure  Worte  glauben  und  nicht 
getauft  werden,  im  Wasser  in  meinem  Namen  zur  Verge- 
bung ihrer  Sünden,  damit  sie  den  Heiligen  Geist  empfangen 
möchten,  verdammt  werden  und  nicht  in  meines  Vaters 
Reich,  wo  der  Vater  und  ich  sind,  kommen  sollen."^)  Mit 


»)  Mormon  9:22—23, 

»)  Moroni  6:1 — 4. 

')  Lehre  u.  Bündn,  68:8 — 9. 

«)  L.  u.  B.  84:64,  74;  siehe  auch  112:28—29. 


164  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VI. 

der  Befolgung  dieser  Befehle  haben  dieÄltesten  dieser  Kirche 
fortgefahren,  das  Evangelium  unter  den  Nationen  zu  ver- 
kündigen; und  sie  predigen,  daß  Glaube,  Buße  und  Taufe 
durch  Wasser  und  durch  den  Heiligen  Geist  zur  Seligkeit 
notwendig  sind. 

29.  Wir  haben  nun  die  unter  den  Juden,  den  Nephiten 
und  der  Kirche  Jesu  Christi  in  diesem  Zeitalter  allgemeinen 
Lehren  betreffs  der  Taufe  schon  untersucht  und  gefunden, 
daß  die  gelehrten  Prinzipien  immer  dieselben  sind.  In 
Wirklichkeit  sind  wir  weiter  zurück  gegangen,  selbst 
zu  der  frühsten  Geschichte  des  Menschengeschlechts  und 
haben  gefunden,  daß  die  Taufe  als  ein  erlösendes  Prinzip, 
durch  welches  Vergebung  und  Seligkeit  für  Adam  verheißen 
wurden,  verkündet  ward.  Niemand  hat  Ursache  auf  Selig- 
keit zu  hoffen,  es  sei  denn  durch  Unterwerfung  unter  das 
Gesetz  Gottes,  von  welchem  die  Taufe  ein  notwendiger 
Teil  ist. 


Anmerkungen. 

1.  Vorbereitung  auf  die  Taufe.  —  Die  Lehre,  daß  der  Taufe  eine  wirlc- 
same  Vorbereitung  vorangehen  müsse,  wenn  sie  gültig  sein  soll, 
wurde  in  den  Tagen  Christi,  und  in  der  sogenannten  apostolischen 
und  in  der  unmittelbar  darauf  folgenden  Zeit  allgemein  gelehrt  und  ver- 
standen. Aber  nach  und  nach  schwand  dieser  Glaube  dahin,  und  die  Taufe 
wurde  als  eine  äußere  Form  angesehen,  deren  Anwendung,  wenn  überhaupt, 
nur  wenig  von  der  Wertschätzung  und  dem  Begreifen  ihres  Zweckes  seitens 
des  Täuflings  abhänge.  Wie  im  Text  der  Vorlesung  erklärt  wird,  hat  es 
der  Herr  für  weise  gehalten,  die  Lehre  in  der  gegenwärtigen  Dispensation 
von  neuem  zu  erklären.  Was  den  frühern  Glauben  betrifft,  werden  hier  ein 
paar  Beweise  angeführt: 

„In  den  frühem  Zeiten  des  Christentums  wurden  Männer  und  Frauen 
auf  das  Bekennen  des  Glaubens  an  den  Herrn  Jesum  Cliristum  getauft."  — 
Canon  Farrar. 

„Aber  da  Christus  ihnen  gebietet,  (Mark.  16:15 — 16)  zu  lehren,  ehe 
sie  taufen,  und  da  er  wünscht,  daß  die  Taufe  nur  den  Gläubigen  gestattet 
werde,  scheint  es,  als  ob  die  Taufe  nicht  richtig  vollzogen  werde,  es  sei 
denn,  daß  ihr  der  Glaube  vorangehe."  *  *  *  In  der  apostolischen  Zeit 
„wird  keiner  gefunden,  der  getauft  worden  wäre,  ohne  ein  vorhergehendes 
Bekennen  des  Glaubens  und  der  Buße."  —  Calvin. 


Art.  4.]  Anmerkungen.  165 

„Ihr  werdet  nicht  zuerst  getauft,  um  erst  dann  zu  beginnen,  den  Glauben 
zu  empfangen,  und  ein  Verlangen  zu  haben;  sondern  wenn  ihr  getauft 
werden  wollt,  macht  ihr  zuvor  euren  Willen  dem  Lehrer  bekannt,  und  mit 
eurem  eigenen  Munde  macht  ihr  ein  volles  Bekenntnis  eures  Glaubens."  — 
Arnobius,  ein  Religionslehrer,  der  in  der  letzten  Hälfte  des  3.  Jahrhunderts 
schrieb. 

„In  der  ursprünglichen  Kirche  ging  die  Belehrung  der  Taufe  voran, 
und  dies  geschah  in  Übereinstimmung  mit  der  Anordnung  Jesu  Christi: 
Gehet  hin  und  lehret  alle  Völker,  und  taufet  sie  usw."  —  Saurin  (ein  fran- 
zösischer Protestant,  1677 — 1730). 

„In  den  ersten  zwei  Jahrhunderten  wurde  niemand  getauft,  der 
nicht  im  Glauben  unterrichtet,  mit  der  Lehre  Christi  bekannt  gemacht 
und  erklärt  hatte,  sich  zu  den  Gläubigen  zu  bekennen;  und  dies  wegen 
jener  Worte:  Wer  da  glaubet  und  getauft  wird!"  —  Salmassius  (ein 
französischer  Schriftsteller,  1588 — 1653). 

2.  Geschichtliche  Anmerkungen  über  die  Kindertaufe.  —  „Das  Taufen 
kleiner  Kinder  war  in  den  ersten  zwei  Jahrhunderten  n.  Chr.  gänzlich  un- 
bekannt***. Der  Brauch  der  Kindertaufe  fing  nicht  vor  dem  3.  Jahrhundert 
nach  Christi  Gebiu-t  an.  In  den  vorhergehenden  Jahrhunderten  erscheint 
keine  Spur  von  ihr  und  sie  wurde  ohne  den  Befehl  Christi  eingeführt."  — 
Curcellaeus. 

„Es  ist  sicher,  daß  Christus  die  Kindertaufe  nicht  einsetzte.  *  *  * 
Wir  können  auch  nicht  beweisen,  daß  die  Apostel  die  Kindertaufe  einführten. 
Aus  Stellen,  in  denen  die  Taufe  einer  ganzen  Familie  erwähnt  wird  (wie  in 
Apostelgesch.  16:33;  1.  Korinther  1 :  16),  können  wir  keine  solchen  Schlüsse 
ziehen,  denn  es  müßte  erst  festgestellt  werden,  daß  es  in  diesen  Familien 
Kinder  gegeben  hätte,  die  noch  nicht  alt  genug  waren,  das  Christentum 
in  einer  verständigen  Weise  anzunehmen;  denn  das  ist  der  einzige  Punkt, 
um  den  es  sich  dreht.  *  *  *  Da  die  Taufe  mit  einem  bewußten  Eintritt 
in  die  Gemeinschaft  der  Christen  sehr  eng  verknüpft  war,  waren  Glauben 
imd  Taufe  immer  eng  mit  einander  verbunden;  demnach  ist  es  höchst 
wahrscheinlich,  daß  die  Taufe  nur  vollzogen  wurde,  wo  beide  vor- 
handen sein  konnten,  und  ferner,  daß  der  Brauch  der  Kindertaufe  zu  dieser 
(der  apostolischen)  Zeit  unbekannt  war.  *  ♦  ♦  Daß  erst  in  einer  so  späten 
Zeit  wie  Irenäus  (wenigstens  nicht  früher),  eine  Spur  der  Kindertaufe 
erscheint,  daß  sie  erst  während  des  3.  Jahrhunderts  als  eine  apostolische 
Überlieferung  erkannt  wurde,  ist  eher  ein  Beweis  gegen  als  für  die  Anerken- 
nung ihres  apostolischen  Ursprungs."  Johann  Neander  (ein  deutscher 
Theologe,  der  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  in  hohem  Ansehen 
stand). 

„Daher  lasset  sie  kommen,  wenn  sie  erwachsen  sind,  wenn  sie  verste- 
hen können,  wenn  sie  gelernt  haben,  wo  sie  hinkommen  sollen.  Lasset  sie 
Christen  werden,  wenn  sie  Christum  erkennen  können."  —  Tertullian  (einer 
der  lateinischen  „Kirchenväter";  er  lebte  von  150  bis  220  n.  Chr.).  Der 
entschlossene  Widerstand  Tertullians  gegen  den  Brauch  der  Kindertaufe 
wird  von  Neander  angeführt  als  „ein  Beweis,  daß  sie  damals  nicht  allgemein 
als  eine  apostolische  Verordnung  betrachtet  wurde;  denn  in  diesem  Falle, 
hätte  er  es  kaum  gewagt,  so  entschieden  dagegen  zu  reden." 

Im  ersten  Teil  des  16.  Jahrhunderts  erklärte  Martin  Luther:  „Aus 
den  Heiligen  Schriften  kann  nicht  bewiesen  werden,  daß  die  Kindertaufe 
von  Christus  eingesetzt,  noch  von  den  ersten  Christen  nach  den  Aposteln 
angefangen  wurde." 


166  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VI. 

„Unter  „tekna"  verstellt  der  Apostel  nicht  kleine  Kinder  sondern 
Nachkommenschaft;  in  welcher  Bedeutung  das  Wort  in  vielen  Stellen  des 
neuen  Testaments  vorkommt  (siehe  unter  andern  Joh.  8:39).  Deshalb 
scheint  es,  daß  die  Beweise  für  die  Taufe  kleiner  Kinder,  die  gewöhnlich 
von  dieser  Stelle  abgeleitet  werden,  kraftlos  und  untauglich  sind."  —  Lim- 
borch  (ein  geborner  Holländer  und  ein  Theologe  von  gutem  Ruf;  er  lebte 
1633—1712). 

3.  Die  Taufe  notwendin-  —  „Daß  die  durch  das  Evangelium  vorge- 
schriebene Taufe  zur  Seligkeit  notwendig  ist,  wird  in  den  heiligen  Schriften 
ausgiebig  bewiesen.  Als  Christus,  die  höchste  den  Menschen  bekannte 
Autorität,  mit  Nikodemus  sprach,  erklärte  er:  „Wahrlich,  wahrlich,  ich 
sage  dir:  Es  sei  denn,  daß  jemand  geboren  werde  aus  Wasser  und  Geist, 
so  kann  er  nicht  in  das  Reich  Gottes  kommen"  (Joh.  3:5).  Und  für  so 
wichtig  hielt  der  Heiland  die  Taufe,  daß,  als  er  zu  Johannes  kam  um  ge- 
tauft zu  werden,  und  Johannes  ihm  wehrte,  er  ihm  erwiderte:  „Laß  es 
jetzt  also  sein!  also  gebührt  es  uns,  alle  Gerechtigkeit  zu  erfüllen."  (Matthäus 
3:13 — 15.)  Damit  lehrte  er  den  Johannes,  daß  der  Mensch  ohne  die  Taufe 
eine  Fülle  der  Gerechtigkeit,  oder  die  Seligkeit,  nicht  empfangen  könne. 
Ohne  Zweifel  verstand  der  Prophet  Nephi,  der  beinahe  600  Jahre  vor  der 
Gebvu-t  unsres  Heilandes  lebte,  die  Notwendigkeit  der  Taufe.  Er  sagte: 
„Wenn  nun  das  Lamm  Gottes,  welches  heilig  ist,  nötig  hat,  im  Wasser  ge- 
tauft zu  werden,  um  alle  Gerechtigkeit  zu  erfüllen,  o,  wie  viel  mehr  haben 
wir,  die  wir  unheilig  sind,  nötig  getauft  zu  werden,  und  zwar  im  Wasser?" 
(2.  Nephi  31:5).  Der  Prophet  Mormon,  der  ungefähr  1000  Jahre  nach 
Nephi  lebte,  lehrte  ebenfalls,  wie  notwendig  es  ist,  daß  man  dem  Beispiel 
unseres  Heilandes  folge  und  getauft  werde;  und  zwar  zuerst  im  Wasser 
(Mormon  7:10)."  —  Compendium,  S.  32.  Siehe  auch  Lehre  u.  Bündn.  5:16; 
68:8;  76:51;  112:29;  128:12;  Buch  Mormon,  2.  Nephi  31:11—17;  Alma 
5:62;  9:27;  3.  Nephi  18:5;  28:18;  Mormon  9:29;  Moroni  6:1^;  8:4— 22. 


Art.  4.]  Die  Form  der  Taufe.  167 


Vorlesung  VII. 

Die  Taufe.  —  Fortsetzung. 

Artikel  4.  —  Wir  glauben,  daß  die  ersten  Prinzipien  und  Verord- 
nungen des  Evangeliums  sind:  •  •  *  3.  Taufe  durch  Untertauchung 
zur  Vergebung  der  Sünden  *  *  *. 

Die  Form  der  Taufe, 

1.  Die  Art  und  Weise  der  Vollziehung  der  Taufe  ist 
wichtig.  —  Bei  unsrer  Betrachtung  des  Zwecks  und  der 
Notwendigkeit  der  Taufe  ist  viel  von  der  Wichtigkeit, 
die  der  Herr  dieser  einleitenden  Verordnung  beilegt,  ge- 
sprochen worden.  Es  ist  natürlich,  daß  auch  die  Form  der 
Vollziehung  dieser  Verordnung  genau  vorgeschrieben  sein 
sollte.  Viele  christliche  Sekten  haben  irgendeine  fest- 
stehende Aufnahmeordnung,  in  der  das  Wasser  als  ein 
notwendiger  Bestandteil  gebraucht  wird.  Bei  einigen 
besteht  die  kirchliche  Handlung  nur  darin,  daß  der  Priester 
mit  dem  benetzten  Finger  die  Stirn  des  Täuflings  berührt, 
oder  darin,  daß  er  sein  Gesicht  mit  Wasser  begießt  oder 
besprengt,  während  andere  die  Untertauchung  des  ganzen 
Körpers  als  erforderlich  betrachten.  Die  Heiligen  der 
letzten  Tage  behaupten,  daß  es  keine  solche  Doppelsin- 
nigkeit betreffs  der  zulässigen  Form  der  Taufe  in  der 
Schrift  gibt;  und  sie  erklären  kühn  ihren  Glauben,  daß 
die  Untertauchung  des  Körpers  durch  einen  dazu  gehörig 
bevollmächtigten  Diener  oder  Stellvertreter  des  Heilan- 
des, die  einzig  wahre  Form  ist.  Die  Gründe  für  diesen 
Glauben  mögen  zusammen  gefaßt  werden,  wie  folgt: 


168  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VII. 

1.  Die  Herleitung  und  der  frühere  Gebrauch  des 
Wortes  Taufe  (englisch,  baptism)  und  anderer  Wörter 
gleicher  Abstammung  bedeuten  Untertauchung. 

2.  Das  Sinnbild  der  Verordnung  wird  in  keiner  anderen 
Form  gewahrt. 

3.  Die  heilige  Schrift,  das  durch  den  Mund  alter 
und  neuzeitlicher  Propheten  geo|fenbarte  Wort  Gottes, 
schreibt  Untertauchung  als  die  wahre  Form  der  Taufe  vor. 

2.  1.  Das  Wort  „Taufe"  (englisch  baptism)  stammt 
wie  von  den  Sprachforschern  allgemein  anerkannt  wird, 
von  dem  griechischen  bapto,  baptizo  ab,  und  bedeutet 
buchstäblich  ein-  oder  untertauchen.  (Taufen,  *  *  *  eigent- 
lich Bewirkungswort  zu  tief,  wie  blenden  zu  blind,  eigent- 
lich ,, untertauchen",  im  Gotischen  die  Übersetzung  des 
griechischen  ßamiQeiv  (baptizein)  „taufen"  zu  ^ameiv 
(baptein)  „tauchen",  und  vielleicht  von  den  Goten  zu  den 
übrigen  Germanen  gekommen,  wofür  spricht,  daß  die 
Angelsachsen  fulwian  „taufen",  fulwiht  „Taufe"  sagen. 
Weigand,  Deutsches  Wörterbuch.  —  Der  Übersetzer.) 
Wie  es  bei  jeder  lebenden  Sprache  der  Fall  ist,  können 
Wörter  in  der  Bedeutung  großeÄnderung  erfahren ;  und  eini- 
ge Schriftsteller  behaupten,  daß  der  in  Frage  gezogene  Aus- 
druck ebenso  anwendbar  auf  Begießung  oder  Besprengung 
mit  Wasser  als  auf  wirkliche  Untertauchung  sein  könne. 
Es  ist  daher  interessant,  die  allgemeine  Bedeutung  des 
Wortes  in  den  Tagen  Christi  zu  erforschen;  denn  da  es 
der  Heiland  offenbar  für  unnötig  hielt,  bei  seiner 
Belehrung  über  die  Taufe  die  Bedeutung  des  Wortes 
in  irgendeiner  Weise  näher  zu  bestimmen,  oder  sich 
darüber  weitläufig  auszulassen,  muß  das  Wort  denen, 
die  seine  Belehrungen  empfingen,  eine  sehr  genaue  Bedeu- 
tung ausgedrückt  haben.  Aus  dem  von  den  lateinischen 
und    griechischen    Autoren^)    gemachten    Gebrauch    des 


')  Siehe  Anmerkung  1. 


Art.  4.]  Die  Form  der  Taufe.  169 

ursprünglichen  Wortes  ist  es  klar,  daß  sie  eine  wirkliche 
Untertauchung  im  Wasser  als  die  einzig  richtige  Bedeu- 
tung verstanden.  Die  heutigen  Griechen  verstehen  unter 
einer  Taufe  ein  Begräbnis  im  Wasser,  und  da  sie  sich  zum 
Christentum  bekennen,  üben  sie  heute  noch  Untertau- 
chung als  die  einzig  richtige  Form  der  Taufe  aus.^)  Bei 
dieser  Art  der  Beweisführung  sollte  nicht  vergessen 
werden,  daß  sprachkundiger  Beweis  nicht  immer  ent- 
scheidend ist.  Lasset  uns  dann  zu  der  Erwägung  anderer 
und  stärkerer   Gründe   übergehen. 

3.  2.  Das  Sinnbild  der  Taufhandlung  wird  nur  in  der 
Untertauchung  verwirklicht.  Der  Heiland  verglich  die 
Taufe  mit  einer  Geburt  und  erklärte  sie  für  notwendig 
für  das  ins  Reich  Gottes  führende  Leben. 2)  Sicherlich  kann 
niemand  sagen,  daß  eine  einfache  Besprengung  mit  Wasser 
über  Gesicht  oder  Kopf  eine  Geburt  darstelle.  Daß  Chris- 
tus als  Lehrer  der  Menschheit  so  hervorragte,  ist  nicht 
zuletzt  seiner  klaren,  bestimmten  und  kraftvollen  Sprache 
zuzuschreiben.  Seine  Vergleiche  sind  immer  stark,  seine 
Bilder  immer  ausdrucksvoll,  seine  Gleichnisse  überzeugend, 
und  ein  so  unpassender  Vergleich,  wie  er  in  einer  solchen 
falschen  Vorstellung  von  der  Geburt  enthalten  ist,  würde 
der  Darstellungsweise  des  großen  Lehrers  durchaus  wider- 
sprechen. 

4.  Die  Taufe  ist  auch  sehr  ausdrucksvoll  mit  einer 
Auferstehung,  die  auf  ein  Begräbnis  folgt,  verglichen  wor- 
den; und  in  diesem  Sinnbild  des  körperlichen  Todes  und 
der  Auferstehung  seines  Sohnes  hat  Gott  versprochen, 
Vergebung  der  Sünden  zu  geben.  Als  Paulus  an  die 
Römer  schrieb,  sagte  er :  „Wisset  ihr  nicht,  daß  alle,  die 
wir  in  Jesum  Christum  getauft  sind,  die  sind  in  seinen  Tod 


'j  Siehe  Anmerkung  2, 
')  Joiiannes  3:3 — 5. 


170  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  "VII. 

getauft?  So  sind  wir  ja  mit  ihm  begraben  durch  die  Taufe 
in  den  Tod,  auf  daß,  gleichwie  Christus  ist  auf  erweckt  von 
den  Toten  durch  die  Herrlichkeit  des  Vaters,  also  sollen 
auch  wir  in  einem  neuen  Leben  wandeln.  So  wir  aber 
samt  ihm  gepflanzt  werden  zu  gleichem  Tode,  so  werden 
wir  auch  seiner  Auferstehung  gleich  sein. "i)  Und  wiede- 
rum schreibt  derselbe  Apostel:  ,, Indem  ihr  mit  ihm  be- 
graben seid  durch  die  Taufe;  in  welchem  ihr  auch  seid 
auferstanden  durch  den  Glauben,  den  Gott  wirkt,  welcher 
ihn  auf  erweckt  hat  von  den  Toten.  "2)  Unter  allen  Formen 
der  Taufe,  versinnbildlicht  Untertauchung  allein  eine 
Geburt  und  kennzeichnet  den  Anfang  eines  neuen  Lebens- 
laufs, oder  stellt  den  Todesschlummer  im  Grabe  mit  dem 
nachfolgenden  Sieg  über  den  Tod  dar. 

5.  3.  Biblisehe  Ermächtigungen  rechtfertigen  keine 
andere  Form  als  Untertauchung.  Christus  selbst  wurde 
durch  Untertauchung  getauft.  Wir  lesen,  daß  er  nach 
der  heiligen  Handlung  alsbald  herauf  stieg  aus  dem  Was- 
ser."3)  Daß  die  Taufe  des  Heilandes  seinem  Vater  ange- 
nehm war,  wird  durch  die  der  Verordnung  unmittelbar 
folgenden  Kundgebungen  —  in  dem  Herabkommen  des 
Heiligen  Geistes  und  in  der  Erklärung:  „Dies  ist  mein 
lieber  Sohn,  an  welchem  ich  Wohlgefallen  habe",  —  reich- 
lich bewiesen.  Johannes,  dem  seines  göttlichen  Auftrags 
wegen  der  Zuname  der  Täufer  gegeben  wurde,  taufte  im 
Jordan;^)  und  bald  darauf  hören  wir  von  ihm,  daß  er 
zu  Enon,  nahe  bei  Salim,  taufte,  ,,denn  es  war  viel  Wasser 
daselbst";^)  hätte  er  durch  Besprengung  getauft,  so  hätte 
ein  kleines  Quantum  Wasser  für  eine  große  Volksmenge 
genügt. 


')  Römer  6:3—5. 

>)  Kolosser  2:12. 

»)  Matthäus  3:16—17;  Markus  1:10-11 

*)  Markus  1 : 4 — 5. 

•)  Johannes  3:23. 


Art.  4.)  Die  Form  der  Taufe.  171 

6.  Wir  lesen,  daß  auf  die  ziemlich  schnelle  Bekehrung 
des  mohrenländischen  Kämmerers  der  Königin  Kandaze 
die  Taufe  folgte.  Als  sie  zusammen  in  des  Mohren  Wagen 
fuhren,  predigte  Philippus  ihm  die  Lehre  Christi.  Da  er 
den  Worten  seines  göttlich  erleuchteten  Lehrers  glaubte, 
wünschte  er  getauft  zu  werden,  und  da  Philippus  einwilligte, 
hieß  der  Kämmerer  „den  Wagen  halten,  und  stiegen 
hinab  in  das  Wasser  beide,  Philippus  und  der  Kämmerer, 
und  er  taufte  ihn .  Da  sie  aber  heraufstiegen  aus  dem  Wasser, 
rückte  der  Geist  des  Herrn  Philippus  hinweg,  und  der 
Kämmerer  sah  ihn  nicht  mehr;  er  zog  aber  seine  Straße 
fröhlich."!)  Sicher  geht  aus  diesem  Bericht  deutlich 
hervor,  daß  die  von  Philippus  vollzogene  Taufe  eine 
Taufe  durch  Untertauchung  war. 

7.  Die  Weltgeschichte  beweist,  daß  länger  als  zwei- 
hundert Jahre  n,  Chr.  Untertauchung  die  einzige  von 
vorgeblichen  Christen  allgemein  ausgeübte  Form  der 
Taufe  war;  und  daß  sogar  erst  am  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts andere  Formen  allgemein  üblich  wurden.^)  Ver- 
drehungen der  durch  Autorität  eingesetzten  Verordnungen 
dürfen  erwartet  werden,  sobald  das  Vollziehen  von  Verord- 
nungen versucht  wird,  nachdem  die  dazu  gehörende  Voll- 
macht weggenommen  worden  ist.  Solche  Verdrehungen 
werden  jedoch  immer  größer.  Verunstaltungen,  die  von 
den  im  Körperbau  begründeten  Leiden  herrühren,  ent- 
wickeln sich  nicht  in  einem  Tage.  Mit  Recht  suchen  wir 
daher  die  vollständigste  Nachahmung  der  richtigen  Form 
der  Taufe  —  wie  auch  irgend  einer  andern  von  Christus 
eingesetzten  Verordnung  —  aus  der  Zeit,  die  seinem 
und  der  Apostel  Wirken  unmittelbar  folgte.  Als  die 
Finsternis   des  Unglaubens  stärker  wurde,    als    die    von 


»)  Apostelgesch.  8:26—39. 
')  Siehe  Anmerkung  3. 


172  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VII. 

Christus  gegebene  Vollmacht  mit  seinen  zu  Tode  ge- 
marterten Dienern  von  der  Erde  genommen  worden 
war,  tauchten  viele  Neuerungen  auf,  und  die  Würden- 
träger der  verschiedenen  Kirchen  wurden  sich  und  ihren 
Anhängern  selbst  ein  Gesetz.  Noch  im  Anfang  des  3.  Jahr- 
hunderts entschied  der  Bischof  von  Karthago,  daß  gesund- 
heitlich schwache  Personen  annehmbar  durch  Bespren- 
gung  getauft  werden  können ;  und  mit  der  in  dieser  Weise 
gutgeheißenen  Gesetzwidrigkeit  geriet  die  richtige  Form 
der  Taufe  in  Ungnade,  und  unberechtigte  von  Menschen 
erdichtete  Gebräuche  nahmen  ihre  Stelle  ein. 

8.  Die  Taufe  bei  den  Nephlten  wurde  nur  durch 
Untertauchung  vollzogen.  Es  ist  schon  erklärt  worden, 
wie  die  Taufe  unter  diesem  Volke  von  der  Zeit  Lehis  an 
bis  zu  der  Zeit  Moronis  weit  und  breit  gepredigt  und  ausge- 
übt wurde.  Als  der  Heiland  seinem  Volke  auf  der  west- 
lichen Halbkugel  erschien,  gab  er  ihm  sehr  ausdrückliche 
Belehrungen  über  das  Verfahren  beim  Vollziehen  dieser 
Verordnung.  Hier  sind  seine  Worte:  ,, Wahrlich,  ich  sage 
euch:  wer  durch  eure  Worte  seine  Sünden  bereut  und  in 
meinem  Namen  getauft  zu  werden  wünscht,  den  sollt  ihr 
auf  diese  Weise  taufen :  sehet,  ihr  sollt  hinabgehen  und  im 
Wasser  stehen,  und  in  meinem  Namen  sollt  ihr  ihn  oder  sie 
taufen.  Und  sehet,  dies  sind  die  Worte,  die  ihr  sagen  sollt, 
indem  ihr  sie  bei  Namen  nennt :  Beauftragt  von  Jesus  Christus 
taufe  ich  dich  im  Namen  des  Vaters  und  des  Sohnes  und 
des  Heiligen  Geistes.  Amen.  Und  dann  sollt  ihr  sie  im 
Wasser  untertauchen  und  wieder  aus  dem  Wasser  heraus- 
steigen."^) 

9.  Die  neuzeitliche  Taufe,  wie  sie  durch  Offenbarung 
vorgeschrieben  worden  ist,  richtet  sich  nach  demselben 
Vorbild.  Die  ersten  Taufen  in  der  gegenwärtigen  Dispen- 


•)  3.  Nephi  11:23—27. 


Art.  4.]  Die  Form  der  Taufe.  173 

sation  waren  die,  wo  Joseph  Smith  und  Oliver  Cowdery 
einander  tauften  nach  den  Unterweisungen  des  himmli- 
schen Boten  —  der  kein  anderer  war  als  Johannes  der 
Täufer  aus  einer  früheren  Dispensation,  der  Vorläufer  des 
Messias,  von  dem  diese  die  Vollmacht,  in  dieser  heiligen 
Verordnung  zu  amtieren,  empfangen  hatten.  Joseph 
Smith  beschreibt  das  Ereignis  wie  folgt:  „Wir  gingen  dem- 
gemäß und  wurden  getauft.  Ich  taufte  ihn  (Oliver  Cow- 
dery) zuerst  und  nachher  taufte  er  mich.  *  *  *  Sogleich 
nach  unserm  Hervorkommen  aus  dem  Wasser,  nachdem 
wir  getauft  waren,  empfingen  wir  große  und  herrliche 
Segnungen." 

10.  In  einer  im  April  1830  gegebenen  Offenbarung 
über  die  Kirchenverfassung  setzte  der  Herr  die  genaue 
Form  der  Taufe  fest,  und  zwar  so  wie  er  es  wünscht,  daß 
die  Verordnung  in  der  gegenwärtigen  Dispensation  voll- 
zogen werde.  Er  sprach:  ,,Die  Taufe  muß  in  der  folgenden 
Weise  an  allen,  die  Buße  tun,  vollzogen  werden :  Der  Mann, 
der  von  Gott  berufen  ist  und  von  Jesus  Christus  Vollmacht 
hat  zu  taufen  soll  mit  der  Person,  die  zur  Taufe  erschienen 
ist,  in  das  Wasser  hinabsteigen  und  sagen,  indem  er  ihn 
oder  sie  beim  Namen  nennt :  Beauftragt  von  Jesus  Christus 
taufe  ich  dich  im  Namen  des  Vaters  und  des  Sohnes 
und  des  Heiligen  Geistes.  Amen.  Darauf  soll  er  ihn  oder 
sie  im  Wasser  untertauchen  und  wieder  aus  dem  Wasser 
herauskommen .  "i) 

11.  Der  Herr  hätte  die  Worte  zu  dieser  heiligen  Hand- 
lung nicht  vorgeschrieben,  wenn  er  ihren  Gebrauch  nicht 
wünschte,  und  deshalb  haben  die  Ältesten  und  Priester 
der  Kirche  Jesu  Christi  der  Heihgen  der  letzten  Tage  kein 
Recht,  die  Form,  die  Gott  gegeben  hat,  irgendwie  umzu- 
wandeln, sei  es  daß  sie  hinzufügen,  auslassen  oder  abändern. 


')  Lehre  u.  Bündn.  20:72—74. 


174  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VII. 

Taufe  und  „Wiedertaufe". 

12.  Eine  Wiederholung  der  Tauf  Verordnung  an  ein  und 

demselben  Menschen  ist  unter  gewissen  besondern  Umstän- 
den zulässig.  So  z.  B.,  wenn  einer,  der  durch  die  Taufe  in  die 
Kirche  aufgenommen  worden  ist,  aus  der  Kirche  austritt 
oder  ausgeschlossen  wird  und  nachher  bereut  und  seinen 
Stand  in  der  Kirche  wieder  zu  erlangen  wünscht,  kann  er 
es  nur  durch  die  Taufe  tun.  Dennoch  ist  dies  nur  ein 
Wiederholen  der  einführenden  Verordnung,  wie  sie  zuvor 
vollzogen  wurde.  In  der  Kirche  gibt  es  keine  Verordnung 
der  „Wiedertaufe",  die  sich  in  Wesen,  Form  oder  Zweck 
von  der  anderen  Taufe  unterschiede;  und  deshalb  ist  bei 
der  Vollziehung  der  Taufe  an  einer  Person,  die  früher 
schon  einmal  getauft  worden  ist,  die  Form  der  Handlung 
genau  dieselbe  wie  bei  der  ersten  Taufe.  Die  Ausdrücke, 
„Ich  taufe  dich  wieder",  anstatt  „ich  taufe  dich",  und 
das  Hinzufügen  von:  ,,zur  Erneuerung  deiner  Bündnisse", 
oder  „zur  Vergebung  deiner  Sünden",  —  obwohl  diese 
schon  von  amtierenden  Ältesten  und  Priestern  der  Kirche 
gebraucht  worden  sind  —  sind  nicht  berechtigt.  Die 
eigene  Vernunft  vereinigt  sich  mit  der  Stimme  der 
Obrigkeit  der  Kirche,  um  irgendwelche  unregelmäßige 
Abweichung  von  der  vom  Herrn  verordneten  Weise  zu 
mißbilligen.  Änderungen  in  den  durch  göttliche  Vollmacht 
gegebenen  Zeremonien  können  nur  durch  göttliche  Voll- 
macht erfolgen,  und  als  Richtschnur  in  diesen  Dingen 
müssen  wir  uns  an  diejenigen  halten,  welche  die  Schlüssel 
der  Macht  in  der  Kirche  besitzen. 

13.  Eine  ,, Wiedertaufe",  das  ist  eine  Wiederholung 
der  einfachen  Verordnung,  wie  sie  zuerst  vollzogen  wurde, 
kann  unter  besonderen  Umständen,  die  diesen  außerge- 
wöhnlichen Schritt  berechtigt  erscheinen  lassen,  gestattet 
sein.  So  war  es  z.  B.  in  den  ersten  Tagen  in  Utah.  Die 
Mitglieder  waren  durch  viele  Trübsale,  durch  lange  und 


I 


Art.  4.]  Taufe  und  „Wiedertaufe".  175 

mühsame  Reisen,  die  in  vielen  Fällen  ein  längeres  Hinaus- 
schieben der  Kirchenversammlungen  und  andrer  religiösen 
Bräuche  zur  Folge  hatten,  dorthin  gekommen.  Da  wurde 
von  Präsident  Young  weislich  vorgeschlagen,  daß  die 
Mitglieder  der  Kirche  das  Zeugnis  ihrer  Treue  zu  der  Sache 
Gottes  erneuern,  indem  jedes  die  Taufe  nachsuche.  Als 
dann  andre  Gesellschaften  von  Einwandrern  ankamen  — 
die  dieselben  langen  Reisen  und  harten  Erfahrungen  mit 
all  ihren  Begleiterscheinungen  hinter  sich  hatten,  und  da 
außerdem  viele  Personen  von  ausländischen  noch  unvoll- 
ständig ausgebauten  Gemeinden  der  Kirche  ankamen, 
alles  Umstände  die  zur  Folge  hatten,  daß  der  wirkliche 
Stand  der  Mitglieder  nicht  leicht  bewiesen  werden  konnte 

—  wurde  auch  diesen  dieselbe  Verordnung  einer  zweiten 
Taufe  zugelassen.  Dennoch  war  nie  beabsichtigt,  diesen 
Gebrauch  zu  verallgemeinern,  geschweige  denn,  ihn  zur 
bleibenden  Regel  in  der  Kirche  zu  machen.  Die  Heiligen 
der  letzten  Tage  sind  keine  Wiedertäufer. 

14.  Fälle  von  ,, Wiedertaufen",  die  in  der  Schrift  er- 
wähnt werden,  sind  sehr  selten;  und  in  jedem  Falle  wird 
leicht  erkannt,  daß  besondere  Umstände  vorlagen,  welche 
die  Handlung  rechtfertigen.  So  lesen  wir,  daß  Paulus  ge- 
wisse angebliche  Jünger  zu  Ephesus  taufte,  obwohl  sie 
schon  nach  der  Weise  der  Taufe  des  Johannes  getauft 
worden  waren. ^)  Aber  offenbar  und  mit  Recht  vermutete 
der  Apostel  in  diesem  Fall,  daß  die  Taufe,  von  der  diese 
sprachen,  von  unbefugten  Händen  vollzogen  worden  war 

—  oder  wenigstens  ohne  die  gehörig  vorbereitende  Beleh- 
rung der  Täuflinge;  denn  als  er  die  Wirksamkeit  ihrer 
Taufe  prüfte  durch  die  Frage:  ,,Habt  ihr  den  heiligen 
Geist  empfangen,  da  ihr  gläubig  wurdet?",  gaben  sie  ihm 
zur  Antwort:  „Wir  haben  auch  nie  gehört,  ob  ein  heiliger 


»)  Apostelgesch.  19:1— 6. 


176 


Die  Glaubensartikel. 


[Vorl.  VII. 


Geist  sei."  Erstaunt  fragte  er  dann,  „Worauf  seid  ihr  denn 
getauft?",  und  sie  erwiderten  ihm:  „Auf  die  Taufe  des 
Johannes."  Aber  Paulus  wußte  so  gut  wie  wir,  daß  Jo- 
hannes die  Taufe  der  Buße  durch  Wasser  predigte  und 
immer  erklärte,  daß  dies  nur  eine  Vorbereitung  auf  die 
höhere  Taufe  durch  Feuer  sei,  die  Christus  bringen  werde. 
Deshalb,  wegen  der  zweifelhaften  Gültigkeit  ihrer  Taufe, 
hatte  Paulus  die  Taufe  in  dem  Namen  des  Herrn  Jesu 
an  diesen  zwölf  frommen  Ephesern  vollziehen  lassen,  und 
als  er  hernach  seine  Hände  auf  sie  legte,  empfingen  sie  den 
heiligen  Geist. 

15.  Die  Taufe,  die  Christus  unter  den  Nephiten  ein- 
führte,^) war  vielfach  eine  ,, Wiedertaufe",  denn  wie  wir 
schon  bemerkt  haben,  wurde  von  der  Zeit  Lehis  an,  die 
Lehre  der  Taufe  unter  dem  Volke  gelehrt  und  ausgeübt; 
und  sicher  war  Nephi  der  erste,  dem  der  Heiland  Vollmacht 
gab,  nach  seinem  Weggang  zu  taufen,  zuvor  selbst 
getauft  worden,  denn  er  und  seine  Mitarbeiter  im  Dienste 
des  Herrn  waren  im  Erklären  der  Notwendigkeit  der  Taufe 
höchst  eifrig  gewesen. 2)  Doch  auch  in  diesem  Falle  war 
jedenfalls  viel  Ungehörigkeit  in  der  Weise  und  vielleicht 
in  dem  Geist  der  Vollziehung  der  Verordnung  aufgekom- 
men; denn  als  der  Heiland  genaue  Belehrungen  über  die 
Form  der  Taufe  gab,  tadelte  er  sie  wegen  des  Geistes  der 
Zwietracht  und  Uneinigkeit,  der  betreffs  dieser  Verord- 
nung zuvor  unter  ihnen  geherrscht  hatte.^)  Daher  wurde 
die  Taufe  dieses  Volkes  durch  eine  bevollmächtigte  Hand- 
lung in  der  von  Gott  verordneten  Weise  gültig  gemacht. 

16.  Beiläufig  wird  unsere  Aufmerksamkeit  auf  die 
Tatsache  gelenkt,  daß  in  diesen  Fällen  der  Wiedertaufe 
unter  den   Nephiten,   dieselbe  Verordnung  wie  bei  der 


')  3.  Nephi  11:21—28. 

')  3.  Nephi  7:23—26,  usw. 

»)  3.  Nephi  11:27—30. 


Art.  4.]  Taufe  und  „Wiedertaufe",  177 

ersten  Taufe  stattgefunden  hatte;  und  dieses  durch  aus- 
drückliche Belehrung  des  Herrn  in  Verbindung  mit  einer 
ergreifenden  Warnung  vor  Uneinigkeit.  Warum  sollten 
die  Priester  in  diesen  Tagen,  die  Form  dahingehend  zu 
ändern  suchen,  daß  sie  dem  Fall  eines  früher  getauften 
Täuflings  angepaßt  ist? 

17.  Wiederholte  Taufen  an  derselben  Person  werden 
von  der  Kirche  nicht  genehmigt.  Es  ist  leicht,  in  den 
Irrtum  zu  geraten,  die  Taufe,  gleichviel  wie  oft  wieder- 
holt, biete  ein  bequemes  Mittel,  Vergebung  der  Sünden 
zu  erlangen.  Ein  solcher  Glaube  arbeitet  mehr  auf  Ent- 
schuldigung der  Sünden  hin,  als  auf  ihre  Verhütung, 
weil  es  so  bequem  scheint,  ihre  schädlichen  Wirkungen  ab- 
zuwenden. Weder  das  geschriebene  Gesetz  Gottes  noch 
die  Belehrungen  seiner  lebenden  Priesterschaft  bezeichnen 
die  Taufe  als  ein  Mittel  zur  Vergebung  der  Sünden  für  die, 
welche  schon  in  der  Herde  Christi  sind.  Solchen  ist  die 
Vergebung  aller  Sünde  —  wenn  sie  nicht  zum  Tode  ist  — 
auf  das  Bekennen  und  Bereuen  mit  voller  Überzeugung 
des  Herzens  verheißen ;  von  solchen  ist  eine  Wiederholung 
der  Taufverordnung  nicht  verlangt  worden,  und  würden 
solche  wiederholt  getauft  werden,  so  würde  ihnen  in  keiner 
Weise  eine  Vergebung  der  Sünden  zuteil,  es  sei  denn, 
sie  täten  in  größter  Aufrichtigkeit  Buße.  Die  Schwach- 
heiten der  Sterblichkeit  und  unsre  Neigung  zu  sündigen 
führen  uns  stets  zu  Übertretungen,  aber  wenn  wir  an  den 
Wassern  der  Taufe  ein  Bündnis  mit  dem  Herrn  machen 
und  nachher  suchen,  sein  Gesetz  zu  halten,  ist  er  barm- 
herzig und  verzeiht  uns  unsere  kleinen  Übertretungen 
auf  Grund  unsrer  aufrichtigen  und  wahrhaftigen  Reue; 
und  ohne  eine  solche  Reue  würde  uns  die  Taufe  —  auch 
wenn  sie  noch  so  oft  wiederholt  würde  —  nicht  helfen. 


178  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VII. 

Die  Taufe  für  die  Toten. 

18.  Die  Taufe  von  jedermann  verlangt.  —  Die  allge- 
meine Anwendung  des  Gesetzes  der  Taufe  ist  schon  betont 
und  die  Unterwerfung  unter  diese  Verordnung  ist  als  zur 
Seligkeit  notwendig  erklärt  worden.  Diese  Bedingung 
erstreckt  sich  auf  alle  Menschen.  Nirgends  in  der  Schrift 
ist  in  dieser  Beziehung  ein  Unterschied  zwischen 
den  Lebendigen  und  den  Toten  gemacht  worden.  Die 
Toten  sind  diejenigen,  die  als  Sterbliche  auf  Erden  gelebt 
haben;  die  Lebendigen  sind  Sterbliche,  die  noch  durch 
die  bestimmte  Veränderung,  die  wir  Tod  nennen,  ge- 
hen müssen.  Alle  sind  Kinder  desselben  Vaters;  durch 
die  gleiche  unfehlbare  Gerechtigkeit  und  dieselbe  Vermitt- 
lung der  liebreichen  Barmherzigkeit  werden  alle  gerichtet 
und  belohnt  oder  bestraft  werden.  Das  Sühnopfer  Christi 
ist  nicht  allein  für  die  wenigen  dargebracht  worden,  die 
auf  Erden  lebten,  als  Christus  im  Fleische  war,  noch  allein 
für  diejenigen,  die  nach  seinem  Tode  in  dieser  Sterblich- 
keit geboren  werden  sollten,  sondern  für  alle  vergangenen, 
gegenwärtigen  und  zukünftigen  Bewohner  der  Erde. 
Christus  ist  vom  Vater  zum  Richter  verordnet  worden, 
sowohl  der  Lebendigen  als  auch  der  Toten. i)  Er  ist  in  glei- 
cher Weise  der  Herr  der  Lebendigen  und  der  Toten^)  — 
wie  die  Menschen  von  Lebendigen  und  Toten  sprechen  — 
denn  vor  ihm  werden  sie  alle  in  denselben  Stand  gesetzt 
werden;  es  wird  nur  eine  einzige  Klasse  geben,  ,,denn  sie 
leben  ihm  alle". 3) 

19.  Das  Evangelium  vielen  noch  unbekannt.  —  Von 
der  großen  Zahl  der  Menschen,  die  auf  Erden  gelebt  haben, 
haben  nur  wenige  das  Gesetz  des  Evangeliums  gehört  und 
noch  weniger  haben  es  befolgt.  In  der  Geschichte  der  Welt 


')   \postelgesch.  10:42;  2.  Timotheus  4:1;  1.  Petrus  4:5. 

')  Römer  14:9. 

n  Lukas  20:36,  38. 


Art.  4.]  Die  Taufe  für  die  Toten.  179 

hat  es  lange  Perioden  geistiger  Finsternis  gegeben,  wo  das 
Evangelium  auf  Erden  nicht  gepredigt  wurde  und  kein 
bevollmächtigter  Vertreter  des  Herrn  in  den  erlösenden 
Verordnungen  des  Evangeliums  amtierte.  Solch  einen  Zu- 
stand hat  es  aber  nie  gegeben,  es  sei  denn  infolge  des  Un- 
glaubens und  der  Widerspenstigkeit  der  Menschen.  Wenn 
die  Menschen  die  Perlen  der  Wahrheit  beständig  in  den 
Schmutz  getreten  und  versucht  haben,  die  Träger  der 
Kleinodien  zu  erschlagen  und  zu  zerreißen,  sind  ihnen  diese 
Schätze  des  Himmels,  nicht  weniger  aus  Gerechtigkeit 
als  aus  Barmherzigkeit,  genommen  und  vorenthalten 
worden,  bis  eine  empfänglichere  Nachkommenschaft  er- 
weckt werden  konnte.  Es  könnte  wohl  gefragt  werden: 
Welche  Vorsorgen  sind  in  der  göttlichen  Einrichtung  für 
die  mögliche  Seligkeit  derer,  welche  in  dieser  Weise  die 
Anforderungen  des  Wortes  versäumt  haben,  und  derer, 
welche  die  Botschaft  des  Evangeliums  nie  gehört  haben, 
gemacht  worden? 

20.  Nach  gewissen  Lehrsätzen,  die  unter  vielen  soge- 
nannten christlichen  Glaubens-Gemeinschaften  während 
der  geistigen  Nacht  herrschten,  und  die  heute  noch  eifrig 
verkündet  werden,  soll  endlose  Strafe  oder  unermeßliche 
Wonne,  ohne  Wechsel  in  Art  und  Grad,  das  Los  jeder  Seele 
sein;  und  das  Urteil  soll  dem  Zustande  der  Seele  zur  Zeit 
des  körperlichen  Todes  angemessen  sein.  Ein  sündiges 
Leben  werde  daher  durch  Reue  auf  dem  Sterbebett 
gänzlich  gesühnt,  und  einem  ehrlichen  Lebenslauf,  wenn 
nicht  durch  die  Zeremonien  der  bestehenden  Kirchen  und 
Sekten  gutgeheißen,  werden  ohne  Hoffnung  auf  Er- 
lösung, die  Qualen  der  Hölle  folgen.  Ein  solcher  Glaube 
muß  der  schrecklichen  Ketzerei  gleichgestellt  werden, 
welche  die  Verdammung  unschuldiger  Kinder  verkündigt, 
die  nicht  durch  die  angemaßte  menschliche  Autorität 
besprengt  worden  sind. 


180  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VII. 

21.  Es  ist  eine  Gotteslästerung,  in  dieser  Weise  der 
göttlichen  Natur  Laune  und  Rachgier  anzudichten. 
Nach  der  Gerechtigkeit  Gottes  wird  keine  Seele  unter 
irgend  einem  Gesetze,  das  ihr  nicht  bekannt  geworden 
ist,  verdammt  werden.  Allerdings  ist  ewige  Strafe  als  das 
Los  der  Bösen  bestimmt  worden,  aber  die  wahre  Bedeutung 
dieses  furchtbaren  Ausdrucks  hat  der  Herr  selbst  erklärt  r^) 
,, Ewige  Strafe  ist  Gottes  Strafe;  endlose  Strafe  ist  Gottes 
Strafe",  denn  „Endlos"  und  „Ewig"  sind  unter  seinem 
Namen,  und  die  Wörter  beschreiben  seine  Eigenschaften. 
Nach  der  Zeit,  die  das  Bewirken  der  notwendigen  Läute- 
rung und  die  Befriedigung  der  Gerechtigkeit  erfordert  — 
zu  welchen  Endzwecken  allein  die  Strafe  auferlegt  wird  — 
wird  keine  Seele  im  Gefängnis  gehalten,  noch  in  der  Qual 
gelassen  werden.  Und  keiner  Seele  wird  erlaubt  werden, 
in  irgendein  Reich  der  Herrlichkeit  einzugehen,  zu  dem 
sie  nicht  durch  ihren  Gehorsam  berechtigt  ist. 

22.  Das  Evangelium  soll  den  Toten  gepredigt  werden. 

—  Es  ist  also  klar,  daß  das  Evangelium  in  der  Geisterwelt 
verkündigt  werden  muß.  Daß  ein  solches  Werk  vorgesehen 
ist,  wird  durch  die  Schrift  hinreichend  bewiesen.  Als 
Petrus  die  Mission  seines  Erlösers  beschrieb,  erklärte 
er  diese  Wahrheit  wie  folgt:  „Denn  dazu  ist  auch  den  Toten 
das  Evangelium  verkündigt,  auf  daß  sie  gerichtet  werden 
nach  dem  Menschen  am  Fleisch,  aber  im  Geist  Gott  leben. "2) 
Die  Eröffnung  dieses  Werks  unter  den  Toten  geschah 
durch  Christus  in  der  Zeit  zwischen  seinem  Tode  und  seiner 
Auferstehung.  Als  sein  Leib  im  Grabe  lag,  diente  sein 
Geist  den  Geistern  der  Verstorbenen:  ,,In  demselben 
ist  er  auch  hingegangen  und  hat  gepredigt  den  Geistern 
im    Gefängnis,    die    vorzeiten    nicht   glaubten,    da    Gott 


•)  Siehe  Seite  7.5,  76;  Lehre  u.  Bündn.  19:10 — 12. 
')  1.  Petrus  4:6. 


I 


Art.  4.]  Die  Taufe  für  die  Toten.  181 

harrte  und  Geduld  hatte  zu  den  Zeiten  Nöahs,  da  man 
die  Arche  zurüstete,  in  welcher  wenige,  das  ist  acht  Seelen, 
gerettet  wurden  durchs  Wasser."^) 

23.  Andre  Schriften  vertreten  auch  den  Standpunkt, 
daß  Christus  in  seinem  entkörperten  Zustand  nicht 
nach  dem  Ort,  gewöhnlich  Himmel  genannt,  oder  dem 
Wohnplatz  seines  Vaters  ging,  sondern  daß  er  unter 
den  Toten,  die  seines  Dienstes  sehr  bedürftig  waren,  wirkte. 
Einer  der  Verbrecher,  der  an  seiner  Seite  gekreuzigt  wurde, 
erwarb  durch  seine  Demut  von  dem  sterbenden  Erlöser 
das  Versprechen:  ,, Heute  wirst  du  mit  mir  im  Paradiese 
sein. "2)  Und  drei  Tage  später  erklärte  der  von  den  Toten 
erstandene  Heiland  der  trauernden  Magdalena:  ,,Ich  bin 
noch  nicht  aufgefahren  zu  meinem  Vater. "3) 

24.  Da  es  für  richtig  erachtet  wurde,  daß  das  Evan- 
gelium den  zur  Zeit  Noahs  ungehorsamen  Geistern  gebracht 
werde,  ist  es  vernünftig  anzunehmen,  daß  die  gleichen 
Gelegenheiten  auch  andern,  die  zu  verschiedenen  Zeiten 
das  Wort  verworfen  haben,  erreichbar  gemacht  werden 
sollten .  Denn  derselbe  Geist  der  Gleichgültigkeit  und  des  Un- 
gehorsams, der  zu  der  Zeit  Noahs  charakteristisch  war,  war 
zu  jeder  Zeit  vorhanden.^)  Und  wenn  ferner  in  dem  Plane 
Gottes  Vorsorge  getroffen  wird,  für  die  Erlösung  der  hart- 
näckig ungehorsamen  Menschen,  die  in  der  Tat  die  Wahr- 
heit zurückgestoßen  haben,  können  wir  dann  glauben,  daß 
die  noch  größere  Anzahl  der  Geister,  die  das  Evangelium 
nie  gehört  haben,  ewiglich  in  der  Qual  gelassen  werde? 
Nein !  Gott  hat  bestimmt,  daß  sogar  die  heidnischen  Völker 
und  die,  welche  kein  Gesetz  kannten,  erlöst  werden  sollen.^) 


1)  1.  Petrus  3:18—20. 

»)  Lukas  23:39—43. 

»)  Johannes  20:17. 

*)  Lukas  17:26. 

=•)  Lehre  u.  Bündn.  45:54. 


182  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VII. 

Die  guten  Gaben  des  Vaters  sind  nicht  auf  diesen  irdi- 
schen Wirkungskreis  beschränkt,  sondern  sie  werden  in 
Gerechtigkeit  durch  alle  Ewigkeit  hindurch  gespendet 
werden.  Über  alle,  die  in  diesem  Leben  das  Wort  Gottes 
venverfen,  werden  die  hierfür  vorgesehenen  Strafen  kom- 
men; aber  nachdem  die  Schuld  bezahlt  ist,  werden  die 
Gefängnistüren  geöffnet  werden,  und  die  Geister,  einst 
mit  Leid  eingeschlossen,  jetzt  gedemütigt  und  geläutert, 
werden  hervorkommen,  um  an  der  für  ihre  Klasse  berei- 
teten Herrlichkeit  teilzunehmen. 

25.  Christi  Werk  unter  den  Toten  wurde  vorausgesagt. 

—  Jahrhunderte  vor  dem  Kommen  Christi  im  Fleische 
erfreuten  sich  die  Propheten  der  Erkenntnis,  daß  die  Selig- 
keit durch  Christus  sowohl  den  Toten  als  auch  den  Leben- 
digen gebracht  werden  würde.  Von  der  Strafe  sprechend, 
die  über  die  Stolzen  und  Hochmütigen  der  Erde  kommt, 
erklärte  Jesaja:  „Daß  sie  versammelt  werden  als  Gefangene 
in  die  Grube  und  verschlossen  werden  im  Kerker  und  nach 
langer  Zeit  wieder  heimgesucht  werden."^)  Von  dem 
Werk  des  kommenden  Erlösers  zeugt  derselbe  Prophet 
wie  folgt:  Er  soll  ,, öffnen  die  Augen  der  Blinden,  und  die 
Gefangenen  aus  dem  Gefängnis  führen,  und  die  da  sitzen 
in  der  Finsternis,  aus  dem  Kerker. "2)  Und  als  David,  gött- 
lich erleuchtet,  die  Erlösung  vom  Grabe  besang,  rief  er 
aus:  ,, Darum  freuet  sich  mein  Herz,  und  meine  Ehre  ist 
fröhlich;  auch  mein  Fleisch  wird  sicher  liegen.  Denn  du 
wirst  meine  Seele  nicht  dem  Tode  lassen  und  nicht  zugeben, 
daß  dein  Heiliger  verwese.  Du  tust  mir  kund  den  Weg 
zum  Leben;  vor  dir  ist  Freude  die  Fülle  und  liebliches 
Wesen  zu  deiner  Rechten  ewiglich. "3) 


')  Jesaja  24:22. 
»)  Jesaja  42:6 — 1. 
')  Psalm  16:9—11. 


Art.  4.]  Die  Taufe  für  die  Toten.  183 

26.  Das  Werk  der  Lebendigen  für  die  Toten.  —  Die 

Erlösung  der  Toten  wird  in  strenger  Übereinstimmung 
mit  dem  Gesetz  Gottes,  das  in  Gerechtigkeit  geschrieben 
und  in  Barmherzigkeit  entworfen  wurde,  zustande  gebracht 
werden.  In  gleicher  Weise  ist  es  irgend  einem  Geiste, 
gleichviel  ob  im  Fleisch  oder  entkörpert,  unmöglich,  die 
Verheißung  des  ewigen  Lebens  zu  erwerben,  wenn  er 
nicht  die  Gesetze  und  Verordnungen  des  Evangeliums 
befolgt.  Und  da  die  Taufe  zur  Seligkeit  der  Lebendigen 
notwendig  ist,  ist  sie  auch  zur  Erlösung  der  Toten 
unentbehrlich.  Dieses  wußten  die  Heihgen  in  frühern 
Zeiten,  und  deshalb  wurde  die  Lehre  von  der  Taufe 
für  die  Toten  unter  ihnen  gelehrt.  In  einem  an  die 
Heiligen  zu  Korinth  geschriebenen  Brief  erklärte  Paulus 
die  Grundsätze  der  Auferstehung,  durch  welche  die 
Leiber  der  Toten  aus  den  Gräbern  hervorgehen  sollen. 
„Der  Erstling  Christus;  darnach  die  Christo  angehören", 
und  als  Beweis,  daß  diese  Lehre  von  der  Auferstehung  in 
dem  Evangelium,  wie  sie  es  angenommen  und  bekannt 
hatten,  mit  inbegriffen  war,  fragte  der  Apostel:  ,,Was  ma- 
chen sonst,  die  sich  taufen  lassen  über  den  Toten,  so  über- 
haupt die  Toten  nicht  auferstehen?  Was  lassen  sie  sich 
taufen  über  den  Toten  ?"^)  (In  der  englischen  Bibel  heißt 
es  ,,für  die  Toten"  anstatt  ,,über  den  Toten."  Auch  in 
der  von  Van  Ess  1859  ausgegebenen  Übersetzung  lautet 
diese  Stelle:  ,,Was  machen  sonst  die,  welche  um  der  Toten 
willen  sich  taufen  lassen,  wenn  die  Toten  überhaupt  nicht 
auferstehen?  warum  lassen  sie  sich  um  derselben  willen 
taufen?"  Und  in  der  von  Dr.  Joseph  Franz  von  AUioli 
aus  der  Vulgata  übersetzten  Schrift,  lautet  sie  wie  folgt: 
„Was  täten  sonst  die,  welche  um  der  Toten  willen  sich 
taufen  lassen,  wenn  es  gewiß  ist,  daß  die  Toten  nicht  auf- 


')  1.  Korinther  15:29. 


184  Die   Glaubensartikel.  [Vorl.  VII. 

erstehen  ?  Warum  lassen  sie  sich  für  dieselben  taufen  ?"  — 
Der  Übersetzer.)  Diese  Worte  sind  unzweideutig,  und  daß 
sie  ohne  Erklärung  oder  Bemerkung  angeführt  werden, 
läßt  darauf  schließen,  daß  die,  an  die  der  Brief  geschrieben 
wurde,  das  Prinzip  der  Taufe  für  die  Toten  verstanden 
haben. 

27.  Die  Notwendigkeit  des  stellvertretenden  Dienstes, 
des  Werks  der  Lebendigen  für  die  Toten,  liegt  darin,  daß 
die  Kinder  für  ihre  Vorfahren  das  tun,  was  diese  nicht 
selber  tun  können.  Viel  und  verschieden  sind  die  durch 
Menschenweisheit  entstandenen  Auslegungen  dieser  deut- 
lichen Worte  Pauli.  Aber  der  einfache  und  ernste 
Forscher  nach  Wahrheit  versteht  ohne  weiteres  ihren 
Sinn.  Mit  den  Schlußsätzen  des  Alten  Testaments  ver- 
kündigte Maleachi  das  große  Werk,  das  während  der 
letzten  Tage  für  die  Toten  getan  werden  soll:  „Siehe, 
ich  will  euch  senden  den  Propheten  Elia,  ehe  denn  da 
komme  der  große  und  schreckliche  Tag  des  Herrn.  Der  soll 
das  Herz  der  Väter  bekehren  zu  den  Kindern  und  das  Herz 
der  Kinder  zu  ihren  Vätern,  daß  ich  nicht  komme  und  das 
Erdreich  mit  dem  Bann  schlage. "i)  Bei  vielen  Bibel- 
forschern ist  der  Glaube  vorherrschend,  daß  diese  Prophe- 
zeiung auf  die  Geburt  und  das  Wirken  Johannes  des  Täu- 
fers Bezug  habe,2)  auf  dem,  wie  von  dem  Engel  vorausge- 
sagt, der  Geist  und  die  Kraft  des  Elias  in  Wirklichkeit 
ruhte  und  blieb  ;3)  aber  wir  besitzen  keinen  Bericht,  daß 
Elia  dem  Johannes  diente;  und  überdies  berechtigen  die 
Ergebnisse  des  Wirkens  Johannes  nicht  zu  der  Schluß- 
folgerung, daß  in  ihm  die  Prophezeiungen  völlig  verwirk- 
licht worden  seien. 


0  Maleachi  4:5 — 6. 

-)  Matthäus  11:14;  17:11;  Markus  9:11;  Lukas  1:1'; 

')  Lukas  1:17;  Lehre  u.  Bündn.  27:7. 


Art.   4.]  Die  Taufe  für  die  Toten.  185 

28.  Die  Erfüllung  der  Prophezeiung  Maleachis  muß 
deshalb  in  eine  spätere  Zeit  fallen.  Am  21.  September 
1823  wurde  Joseph  Smith^)  von  einem  himmlischen, 
aus  der  Gegenwart  Gottes  gesandten  Wesen  besucht, 
welches  sich  als  Moroni  vorstellte.  Indem  er  den  auser- 
wählten Jüngling  belehrte,  führte  dieser  himmlische  Bote 
die  schon  erwähnte  Prophezeiung  Maleachis  an;  aber 
seine  Worte  wichen  von  der  gewöhnlichen  Übersetzung 
der  Schrift  etwas  ab,  und  waren  sicher  ausdrucksvoller 
als  diese;  die  Wiedergabe  dieser  Stelle  durch  den  Engel 
lautet:  ,,Denn  siehe,  der  Tag  kommt,  der  brennen  soll 
wie  ein  Ofen,  und  alle  Stolzen,  ja  und  alle,  die  Böses 
tun,  sollen  brennen  wie  Stoppeln,  denn  die,  welche  kom- 
men, sollen  sie  verbrennen,  sagt  der  Herr  der  Heerscha- 
ren, daß  ihnen  weder  Wurzel  noch  Zweig  bleiben  soll. 
Siehe,  ich  will  euch  das  Priestertum  offenbaren,  durch 
die  Hand  des  Propheten  Elia,  ehedenn  da  kommt  der 
große  und  schreckliche  Tag  des  Herrn.  Und  er  soll  in  die 
Herzen  der  Kinder  die  den  Vätern  gemachten  Verheißun- 
gen pflanzen,  und  die  Herzen  der  Kinder  sollen  sich  zu 
ihren  Vätern  kehren;  wenn  es  nicht  so  wäre,  würde  die 
ganze  Erde  völlig  verwüstet  werden  bei  seiner  Wieder- 
kunft."2) 

29.  In  einer  am  3.  April  1836  im  Tempel  zu  Kirtland 
Joseph  Smith  und  Oliver  Cowdery  gegebenen  glorreichen 
Offenbarung,  erschien  ihnen  Elia,  der  Prophet,  der  ohne 
den  Tod  zu  schmecken  gen  Himmel  genommen  wurde. 
Er  erklärte  ihnen:  „Sehet,  die  Zeit  ist  völlig  da,  von  der 
durch  den  Mund  Maleachis  gesprochen  wurde,  der  zeugt, 
daß  ehe  der  große  und  schreckliche  Tag  des  Herrn  kommt, 
er  (Elia)  gesandt  werden  soll,  um  die  Herzen  der  Väter 
zu  den  Kindern  zu  bekehren  und  die  Kinder  zu  den  Vä- 


M  Siehe  Seite  12. 

')  Vergleiche  mit  Maleachi  4:1,  5  und  6. 


186  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VII. 

tern,  damit  das  ganze  Erdreich  nicht  mit  dem  Bann  ge- 
schlagen werde.  Deshalb  sind  die  Schlüssel  dieser  Dispen- 
sation in  eure  Hände  übergeben  worden,  und  durch  dieses 
könnt  ihr  wissen,  daß  der  große  und  schreckliche  Tag  des 
Herrn  nahe,  ja  sogar  vor  der  Türe  ist."^) 

30.  Der  Väter  und  der  Kinder  gegenseitige  Abhängig- 
keit. —  Eines  der  großen,  der  Lehre  der  Erlösung  für  die 
Toten  unterliegenden  Prinzipien  ist  das  der  gegenseitigen 
Abhängigkeit  der  Väter  und  der  Kinder.  Wie  der  Prophet 
Joseph  die  Heiligen  lehrte,^)  würde,  wenn  es  nicht  um 
die  Einfügung  eines  verbindenden  Glieds  zwischen  den 
verstorbenen  Vätern  und  den  lebendigen  Kindern  wäre, 
die  Erde  mit  einem  Fluch  geschlagen  werden.  Der  Plan 
Gottes  bestimmt,  daß  weder  die  Kinder  noch  die  Väter 
allein  vollkommen  werden  können;  und  die  notwendige 
Verbindung  wird  durch  die  Taufe  und  die  damit  verbunde- 
nen Verordnungen  für  die  Toten  bewirkt.  Die  Weise, 
in  der  die  Herzen  der  Kinder  und  die  der  Väter  einander 
nahegebracht  werden,  ist  durch  die  erwähnten  Anführungen 
klar  gemacht  worden.  Wenn  die  Kinder  einsehen,  daß  sie 
ohne  die  Hilfe  ihrer  Vorfahren  die  Vollkommenheit  nicht 
erreichen  können,  werden  sicher  ihre  Herzen  für  die  Er- 
lösung ihrer  Toten  geöffnet,  ihr  Glaube  entflammt,  und  die 
Ausübung  guter  Werke  für  dieselben  versucht  werden. 
Und  die  Verstorbenen  werden,  wenn  sie  von  den  unter 
ihnen  wirkenden  Dienern  des  Evangeliums  erfahren,  daß 
sie  sich  auf  ihre  Kinder  als  stellvertretende  Erlöser  verlas- 
sen müssen,  suchen,  ihre  noch  sterbhchen  Stellvertreter 
in  diesem  Dienste  der  Liebe  mit  Glauben  und  Gebet  zu 
unterstützen. 

31.  Und  somit  wird  die  Liebe,  die  an  sich  eine  Kraft 
ist,   stärker.    Außer  den  Gemütsbewegungen,  die  in  der 

•)  Lehre  u.  Bündn.  110:13 — 16. 

')  L.  u.  B.  128:18;  siehe  den  ganzen  Abschnitt  und  den  Abschnitt  127. 


Art.   4.]  Die  Taufe  für  die  Toten.  187 

Seele  durch  die  Gegenwart  des  Göttlichen  erregt  werden, 
gibt  es  wenige  Gefühle,  die  stärker  und  reiner  sind,  als  die 
Liebe  zur  Verwandtschaft.  Der  Himmel  würde  nicht  alles, 
was  wir  wünschen,  für  uns  sein,  wäre  die  Familienliebe 
dort  unbekannt. 1)  Die  Liebe  wird  sich  dort  von  ihrer 
irdischen  Urgestalt  dadurch  unterscheiden,  daß  sie  tiefer, 
stärker  und  reiner  sein  wird.  Und  in  dieser  Weise  können 
durch  die  Barmherzigkeit  Gottes  seine  irrenden,  sterb- 
lichen Kinder,  die  auf  Erden  den  Namen  Christi  auf  sich 
genommen  haben,  bis  zu  einem  gewissen  Grade  Erlöser  im 
Hause  ihrer  Väter  werden,  und  dies  durch  ein  stellvertre- 
tendes, in  Demut  dargebrachtes  Wirken  und  Opfer,  das, 
wie  in  der  Taufverordnung  dargestellt,  den  Tod,  das  Be- 
gräbnis und  die  Auferstehung  des  Erlösers  versinnbildhcht. 

32.  Das  Werk  für  die  Toten  ist  zwiefach.  —  Das  auf 

Erden  vollbrachte  stellvertretende  Werk  wäre  ohne  Er- 
gänzung und  Gegenstück  jenseits  des  Schleiers  unvoll- 
kommen. Ein  Missionswerk  ist  auch  dort  im  Fortschritt 
begriffen,  wodurch  die  Botschaft  des  Evangeliums  den 
dahingegangenen  Geistern  verkündigt  wird,  welche  auf 
diese  Weise  von  dem  auf  Erden  für  sie  vollbrachten  Werk 
in  Kenntnis  gesetzt  werden.  Welch  herrliche  Möglichkeiten 
der  Absichten  Gottes  erblicken  wir  jetzt!  Welch  eine 
Verherrlichung  der  Barmherzigkeit  Gottes  durch  solche 
Beweise  seiner  Liebe!  Wie  oft  sehen  wir,  anscheinend 
trotz  der  Macht  des  Glaubens  und  der  Segnungen  des 
Priestertums  Gottes,  Freunde  und  Geliebte,  die  wir  zu 
den  Besten  und  Wertesten  der  Erde  rechneten,  von  dem 
Todespfeil  dahin  gestreckt!  Doch  wer  von  uns  vermag 
zu  sagen,  ob  nicht  die  so  abgerufenen  Geister  für  das 
Werk  der  Erlösung   im  Jenseits  notwendig  sind,  wo  sie 


0   Siehe  Anmerkung  4. 


188  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VII. 

vielleicht  das  Evangelium  ihren  Vorfahren  verkündigen, 
während  andre  aus  derselben  Familie  zum  gleichen  Behuf 
auf  Erden  amtieren? 

33.  So  weit  der  göttliche  Wille  geoffenbart  worden 
ist,  fordert  er,  daß  die  äußerlichen  Verordnungen,  wie 
die  Taufe  im  Wasser,  das  Auflegen  der  Hände  für  die 
Gabe  des  Heiligen  Geistes,  und  die  folgenden  höheren 
Segnungen  auf  Erden  durch  einen  befugten  Stellvertreter 
für  die  Verstorbenen  verrichtet  werden  müssen.  Der  Er- 
folg solcher  Werke  soll  Gott  überlassen  werden.  Man 
soll  aber  nicht  vermuten,  daß  durch  diese  Verordnungen 
die  Verstorbenen  in  irgendeiner  Weise  gezwungen  seien, 
diese  Verpflichtung  auf  sich  zu  nehmen ;  sie  werden  nicht 
im  geringsten  in  der  Ausübung  ihres  freien  Willens  gehin- 
dert. Nach  ihrem  Zustande  der  Demut  oder  der  Feindselig- 
keit gegen  göttliche  Dinge  werden  sie  diese  annehmen 
oder  verwerfen;  aber  wenn  heilsame  Aufklärung  und  Ein- 
sicht ihnen  ihren  wahren  Stand  zeigt,  wird  ihnen  das  auf 
Erden  für  sie  vollbrachte  Werk  vom  Nutzen  sein. 


Die  Tempel. 

34.  Tempel  oder  andre  heilige  Stätten  sind  zum 
Vollziehen  dieser  heiligen  Verordnungen  notwendig. 
Immer  wenn  eine  Organisation  der  Priesterschaft  auf  Erden 
gewesen  ist,  so  hat  der  Herr  die  Errichtung  von  solchen 
zweckdienlichen  Stätten,  wo  die  heiligen  Handlungen 
seiner  Kirche  vollzogen  werden  können,  gefordert.  Und 
insofern  als  das  Volk  dem  Herrn  damit  ein  Opfer  bringt, 
gehört  es  sich,  daß  ein  solcher  Bau  das  Resultat  der  größten 
Bemühungen  des  Volkes  ist.  In  jedem  Zeitalter  der  Welt 
ist  das  auserwählte  Volk  ein  tempelbauendes  Volk  gewesen. 
Kurz  nach  der  Befreiung  der  Kinder  Israel  aus  der  ägyp- 
tischen Knechtschaft    verlangte    der    Herr   von    seinem 


Art.  4.]  Die  Tempel.  189 

Volk  ein  Heiligtum  für  seinen  Namen,  und  gab  dafür  den 
genauen  Plan.  Obwohl  nur  ein  Zelt,  wurde  es  doch  sorg- 
fältig ausgeführt  und  eingerichtet,  denn  die  kostbarste 
Habe  des  Volkes  wurde  zu  dessen  Errichtung  verwendet.^) 
Und  der  Herr  nahm  dieses  Opfer  seines  wandernden  Volkes 
an,  indem  er  sich  darin  offenbarte  und  seine  Herrlichkeit 
kundtat.2)  Nachdem  sich  das  Volk  in  dem  verheißenen 
Lande  niedergelassen  hatte,  wurde  der  Stiftshütte  ein 
beständiger  Ruheplatz  angewiesen  ;3)  sie  wurde  des  heiligen 
Zweckes  wegen  hoch  in  Ehren  gehalten,  bis  sie  durch  den 
Tempel  Salomos  als  des  Herrn  Heiligtum  ersetzt  wurde. 
35.  Dieser  Tempel,  eines  der  prachtvollsten  Gebäude, 
welches  die  Menschen  zum  geheiligten  Dienste  je  errichte- 
ten, wurde  unter  großartigen  Feierlichkeiten  eingeweiht; 
aber  seine  Pracht  war  von  kurzer  Dauer,  denn  innerhalb 
weniger  als  vierzig  Jahren  nach  seiner  Vollendung,  nahm 
seine  Herrlichkeit  ab,  und  schließlich  fiel  er  den  Flammen 
zum  Opfer.  Nachdem  die  Juden  aus  ihrer  Gefangenschaft 
zurückkehrten,  wurde  der  Tempel  teilweise  wieder  herge- 
stellt, und  dank  des  freundlichen  Einflusses  von  Cyrus  und 
Darius  konnte  der  Tempel  Serubabels  eingeweiht  werden.*) 
Daß  dem  Herrn  dieses  Bestreben  seines  Volkes,  seinem  Na- 
men ein  Heiligtum  zu  erhalten,  angenehm  war,  wird  durch 
den  Geist,  der  die  Diener  des  Tempels,  darunter  Sacharja, 
Haggai  und  Maleachi,  beeinflußte,  völlig  bewiesen.  Der 
Tempel  bestand  beinahe  500  Jahre;  und  nur  wenige 
Jahre  vor  der  Geburt  des  Erlösers  wurde  seine  Wieder- 
aufbauung von  dem  verruchten  Herodes  dem  Großen  an- 
gefangen, und  der  Ausdruck,  „der  Tempel  Herodes",  wur- 
de geschichtlich.^)  Zur  Zeit  der  Kreuzigung  Christi  zerriß 


^)  2.  Mose  25;  35:22 
')  2.  Mose  40:34—38. 
»)  Josua  18:1. 
♦)  1.  Könige  6:8. 
')  Esra  1;  3;  6. 


190  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VII. 

der  Schleier  dieses  Tempels  ;i)  und  im  Jahre  70  n.  Chr. 
wurde  die  Zerstörung  des  Gebäudes  durch  Titus  voll- 
bracht. 

36.  Neuzeitliche  Tempel.  —  Von  jener  Zeit  an  bis  auf 
die  heutige  sind  auf  der  östlichen  Halbkugel  keine  Tempel 
mehr  errichtet  worden.  Allerdings  sind  stattliche  Gebäude 
für  Gottesdienste  gebaut  worden,  aber  ein  mächtiger  Bau 
ist  nicht  notwendigerweise  auch  ein  Tempel.  Ein  Tempel 
ist  mehr  als  eine  Kirche,  ein  Versammlungshaus,  ein 
Tabernakel,  oder  eine  Synagoge;  er  ist  eine  dem  Herrn 
durch  Einweihung  besonders  bereitete  und  von  ihm  aner- 
kannte Stätte  für  die  Vollziehung  der  dem  heiligen  Priester- 
tum  zustehenden  Verordnungen.  Getreu  den  Merkmalen 
des  erwählten  Volkes  Gottes,^)  sind  die  Heiligen  der  letzten 
Tage  von  Anfang  an  ein  tempelbauendes  Volk  gewesen. 
Schon  einige  Monate  nach  der  Gründung  der  Kirche  in 
der  gegenwärtigen  Dispensation  sprach  der  Herr  von  einem 
Tempel,  der  gebaut  werden  sollte. 3)  Im  Juli  1831  bezeich- 
nete der  Herr  einen  Ort  in  Independence,  im  Staate 
Missouri,  als  den  Platz  eines  zukünftigen  Tempels;^)  aber 
dieser  ist  noch  nicht  gebaut  worden,  was  auch  mit  dem 
Tempel  zu  Far  West  der  Fall  ist,  dessen  Ecksteine  am 
4.  Juli  1838  gelegt  und  am  26.  April  1839  erneuert 
wurden. 

37.  In  der  gegenwärtigen  Dispensation  sind  schon  6 
Tempel  errichtet  und  eingeweiht  und  in  j  edem  von  ihnen  hei- 
lige Verordnungen  vollzogen  worden .  Es  sind  dies  die  Tempel 
zu  Kirtland,  Ohio,  Nauvoo,  Illinois,  St.  George,  Logan, 
Manti  und  Salzseestadt,  Utah.^)   Als  die  Heiligen  vor  dem 


>)  Matthäus  27:50. 
=)  Lehre  u.  Bündn.  124:39. 
^)  L.  u.  B.  36:8. 
')  L.  u.  B.  57:3. 

')  Die  beiden  Tempel  in  Canada  und  in  Hawai  sind  hier  nicht  erwähnt, 
weil  sie  noch  nicht  fertig  sind.  —  Der  tJbersetzer. 


Art.  4.]  Anmerkungen.  191 

wütenden,  gottlosen  Pöbel  nach  dem  Westen  getrieben 
wurden,  sind  die  Tempel  zu  Kirtland  und  Nauvoo  verlassen 
worden,  und  der  Nauvoo-Tempel  wurde  seitdem  zerstört. 
Die  Utah-Tempel  sind  dem  Dienste  des  Herrn  noch  er- 
halten. Die  Größe  und  Erhabenheit  des  in  ihren  heiligen 
Räumen  vollbrachten  Werkes  zeugen  von  der  huldvollen 
Anerkennung  des  Herrn,  dem  sie  errichtet  wurden,  und 
von  der  Fortdauer  des  göttlichen  Wohlwollens  ihnen  und 
dem  Volke  gegenüber.  In  diesen  heiligen  Räumen  ist  das 
Werk  für  die  Erlösung  der  Toten  und  die  Begabung  der 
Lebendigen  in  ununterbrochenem  Fortschreiten  begriffen. 


Anmerkunoen. 

1.  Gebrauch  des  Wortes  „taufen"  ia  alten  Zeiten.  —  Die  folgenden 
Beispiele  zeigen  die  gewöhnliche  Bedeutung,  die  mit  dem  griechischen 
Wort,  von  dem  unser  Wort  „taufen"  (englisch  baptize)  herstammt,  ver- 
bunden ist.')  In  allen  ist  der  Begriff  des  Untertauchens  deutlich  ausge- 
drückt. —  (Für  diese  und  andere  Beispiele  siehe  „Millenial  Star",  Band  XXI, 
S.  687—688.) 

Polybius,  ein  Geschichtschreiber,  der  während  des  2.  Jahrhunderts 
V.  Chr.  berühmt  war,  gebraucht  die  folgenden  Ausdrücke.  In  der  Beschrei- 
bung einer  Seeschlacht  zwischen  den  Karthagern  und  den  Römern  an  den 
Ufern  Siziliens,  schreibt  er:  „Waren  einige  durch  den  Feind  hart  bedrängt, 
zogen  sie  sich  vermöge  ihres  schnellen  Fahrens  nach  dem  offenen  Meer 
in  Sicherheit  zurück;  sie  kehrten  sich  dann  um  und  überfielen  die  von 
ihren  Verfolgern,  die  den  Vorsprung  hatten,  gaben  ihnen  wiederholt  Schläge 
und  tauften  viele  ihrer  Schiffe".   Buch  I,  Kap.  51. 

Derselbe  Schriftsteller  schildert  den  Übergang  der  römischen  Sol- 
daten über  den  Fluß  Trcbia  wie  folgt:  „Als  sie  an  dem  Übergang  des 
Flusses  Trebia,  der  wegen  des  gefallenen  Regens  sein  gewöhnliches  Bett 
überstiegen  hatte,  ankamen,  ging  die  Infanterie  mit  Schwierigkeiten  hin- 
durch, und  wurde  bis  zur  Brust  getauft".    Buch  III,  Kap.  72. 

In  der  Besclireibung  einer  den  römischen  Schiffen  zu  Syracus  wider- 
fahrenen Katastrophe,  erklärt  Polybius:  „Einige  wurden  umgestürzt, 
aber  die  größere  Zahl  wurde,  als  ihr  Bug  von  einer  Höhe  niedergeworfen 
wurde,  getauft  und  voll  Meeres." 

Strabo,  der  zur  Zeit  Christi  lebte,  gebrauchte  das  Wort  „getauft" 
im  gleichen  Sinne.  In  folgender  Weise  beschreibt  er  ein  beim  Angeln  ge- 
brauchtes Werkzeug:  „Und  sollte  es  ins  Meer  fallen,  ist  es  nicht  verloren. 


')  Das  deutsche  Wort  „taufen"  stammt  natürlich  nicht  aus  dem 
Griechischen  sondern  ist  eine  Übersetzung  des  griechischen  Wortes  baptizo. 
Siehe  Vorlesung  VII,  Seite  168.  —  Der  Übersetzer. 


192  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VII. 

denn  es  ist  aus  Eichen-  und  Kiefernholz  zusammengesetzt;  so  daß,  wenn 
auch  das  Eichenholz  durch  sein  Gewicht  getauft  wird,  der  andere  Teil 
schwimmt  und  leicht  wieder  erreichbar  ist". 

Über  das  Tragvermögen  gewisser  salzhaltiger  Gewässer  berichtet 
Strabo:  „Diese  haben  den  Geschmacli  von  Salzwasser,  aber  auch  eine  andre 
natürliche  Beschaffenheit,  denn  sogar  Leute,  die  nicht  schwimmen 
können,  werden  wohl  in  ihnen  nicht  getauft  werden,  sondern  auf  der 
Oberfläche  schwimmen  wie  Holz." 

Von  einem  Salzbrunnen  in  Tatta,  schreibt  der  nämliche  Schriftsteller: 
„So  leicht  bildet  das  Wasser  eine  Schicht  auf  allem,  was  darin  getauft  wird, 
daß,  wenn  man  einen  Reifen  von  Binsen  hineinläßt,  man  einen  Kranz  von 
Salz  herausziehen  kann." 

Über  eine  Art  Pech  von  dem  See  Sirbonis  erklärend,  schreibt  Strabo : 
„Der  Natur  des  Wassers  wegen,  —  welches,  wie  wir  erwähnten,  derart  ist, 
daß  Schwimmen  unnötig  ist,  und  wer  darauf  geht  nicht  getauft  wird,  — 
schwimmt  dieses  auf  der  Oberfläche." 

Als  Dio  Cassius  über  die  Folgen  eines  heftigen  Sturmes  in  der  Nähe 
von  Rom  berichtet,  schreibt  er:  „Die  Schiffe,  die  auf  der  Tiber  waren 
und  die  in  der  Nähe  der  Stadt  imd  bis  zur  Mündung  des  Flusses  vor  Anker 
lagen,  wurden  getauft". 

Derselbe  Schriftsteller  spricht  von  dem  Schicksal  einiger  der  Soldaten 
Curios,  die  vor  den  Truppen  Jubas  flohen,  wie  folgt:  „Nicht  wenige  von 
diesen  Flüchtlingen  kamen  um;  einige  wurden  bei  dem  Versuch,  die  Falir- 
zeuge  zu  besteigen,  niedergeschlagen,  und  andere,  sogar  wenn  sie  in  den 
Booten  waren,  wurden  durch  ihr  eigenes  Gewicht  getauft". 

Inbezug  auf  das  Schicksal  der  Byzantiner,  welche  der  Belagerung  zu 
entfliehen  versuchten,  indem  sie  in  See  gingen,  schreibt  er:  „Wegen  der 
ungewöhnlichen  Gewalt  des  Windes,  ^vu^den  einige  von  diesen  getauft". 

2.  Die  Taufe  bei  den  Griechen.  —  „Die  eingebornen  Griechen  müssen 
ihre  Muttersprache  besser  verstehen,  als  die  Fremden,  und  sie  haben  das 
Wort  taufen  immer  so  verstanden  als  bedeute  es  untertauchen;  und  von 
ihrer  ersten  Annahme  des  Christentums  an  bis  auf  diesen  Tag,  haben  sie 
deshalb  immer  durch  Untertauchung  getauft  und  taufen  noch  so".  — 
Robinson. 

3.  Die  früheste  Form  der  christlichen  Taufe.  —  Die  Geschichte  bietet 
genügend  Beweise  dafür,  daß  im  ersten  Jahrhundert  nach  dem  Tode  Christi, 
die  Taufe  nur  durch  Untertauchung  vollzogen  wurde.  Tertullian  spricht 
wie  folgt  von  der  zu  seiner  Zeit  üblichen  Taufhandlung:  „Es  macht  nichts 
aus  ob  man  in  einem  Meer  oder  in  einem  Teich,  in  einem  Fluß  oder  in  einem 
Becken,  in  einem  See  oder  in  einem  Kanal  gewaschen  wird;  auch  gibt  es 
keinen  Unterschied  zwischen  denen,  die  Johannes  im  Jordan  untertauchte 
und  denen,  die  Petrus  in  der  Tiber  tauchte".  *  *  •  Wir  werden  eben  im 
Wasser  untergetaucht." 

Die  folgenden  sind  nur  wenige  der  beurkundeten  Fälle  (siehe  „Milienial 
Star",  Band  XXI,   S.  769—770): 

Justin  der  Märtyrer  schildert  die  Handlung  wie  sie  von  ihm  vollzogen 
wurde.  Zunächst  beschreibt  er  die  vorbereitende  Prüfung  des  Täuflings 
und  dann  fährt  er  fort:  „Nach  diesem  werden  sie  von  uns  dahin  geführt, 
wo  es  Wasser  gibt,  und  werden  in  der  neuen  Geburt  geboren,  mit  der  wir 
selbst  wiedergeboren  worden  sind.  Denn  auf  den  Namen  Gottes,  des  Vaters 
und  Herrn  über  alles,  und  Jesu  Christi,  unsres  Erlösers,  und  des  HeiUgen 


Art.  4.]  Anmerkungen.  193 

Geistes  wird  die  Uiitertauchung  im  Wasser  vollzogen,  denn  der  Heiland 
hat  gesagt:  es  sei  denn,  daß  jemand  von  neuem  geboren  werde,  so  kann 
er  nicht  in  das  Reich  Gottes  kommen". 

Von  den  Bräuchen  der  früheren  Christen  sagt  Bischof  Bennet:  ,,Sie 
führten  sie  ins  Wasser  und  legten  sie  im  Wasser  nieder,  wie  ein  Mensch 
in  das  Grab  gelegt  wird;  und  dann  sagten  sie  jene  Worte:  Ich  taufe  (oder 
wasche)  dich  in  dem  Namen  des  Vaters,  des  Sohnes  und  des  Heiligen  Geistes; 
dann  brachten  sie  sie  hervor  und  es  wurden  ihnen  reine  Gewänder  angezogen. 
Daher  sind  die  Ausdrücke  entstanden :  in  den  Tod  Christi  getauft  sein  — 
durch  die  Taufe  mit  ihm  in  den  Tod  begraben  sein  —  mit  Christo  erstanden 
sein  —  und  den  Herrn  Jesum  Christum  anziehen  —  den  alten  Menschen 
ablegen  und  den  neuen  anziehen. 

„Daß  die  Apostel  diejenigen,  die  sie  tauften,  untertauchten,  läßt 
sich  nicht  bezweifeln  *  *  *.  Und  daß  die  alte  Kirche  ihrem  Beispiel  folgte, 
wird  durch  unzählige  Zeugnisse  der  Kirchenväter  sehr  klar  bewiesen."  — 
Vo<>sius. 

„Den  Menschen,  der  getauft  werden  sollte,  sozusagen  im  Wasser  be- 
graben und  ihn  wieder  herausbringen,  war  ohne  Zweifel  das  allgemeine  Ver- 
fahren in  alten  Zeiten".  —  Erzbischof  Seeker. 

,, Untertauchung  war  die  übliche  Form  in  der  die  Taufe  in  der  frühern 
Kirche  vollzogen  wurde  *  *  *.  Untertauchung  war  ohne  Zweifel  eine 
allgemein  befolgte  Art  und  Weise,  in  der  die  Taufe  vollzogen  wurde,  sie 
■wurde  auch  nicht  aufgegeben,  als  die  Kindertaufe  vorherrschte*  *  *.  Nach 
und  nach  nahm  die  Besprengung  ihre  Stelle  ein,  ohne  daß  die  Untertau- 
chung förmlich  aufgegeben  wurde".   —  Canon  Farrar. 

4.  Die  Väter  und  die  Kinder.  —  ,,Man  darf  sagen,  daß  die  in  unsern 
Tagen  gegebene  Offenbarung  der  Lehre  von  der  Taufe  für  die  Toten  einen 
Wendepunkt  in  der  Geschichte  des  Menschengeschlechts  bedeutet.  Als 
der  Prophet  Joseph  Smith  diese  Offenbarung  erhielt,  war  der  Glaube  unter 
der  Christenheit  allgemein,  daß  bei  dem  Tode  das  Los  der  Seele  unabänderlich 
und  für  alle  Ewigkeit  bestimmt  sei.  Würde  sie  dann  nicht  mit  unendlicher 
Glückseligkeit  belohnt,  wäre  unendliche  Qual  ihr  Teil,  ohne  Möglichkeit 
der  Erlösung  oder  der  Änderung.  Es  wurde  allgemein  geglaubt  —  welch 
eine  furchtbare,  ja  scheußliche  Lehre,  die  zur  göttlichen  Gerechtigkeit  in 
krassem  Widerspruch  steht!  —  daß  die  heidnischen  Völker,  die  ohne  eine 
Erkenntnis  von  dem  wahren  Gott  und  der  diu-ch  seinen  Sohn  Jesum  Chri- 
stum vollbrachten  Erlösung  sterben,  auf  ewig  der  Hölle  übergeben  werden 
würden.  Der  Glaube  über  diesen  Punkt  wird  erläutert  durch  die  Antwort 
eines  gewissen  Bischofs  auf  die  Frage  des  Königs  der  Franken,  der  im  Be- 
griffe war,  sich  der  Taufe  durch  die  Hand  des  Bischofs  zu  unterziehen. 
Der  König  war  ein  Heide,  hatte  sich  aber  entschlossen,  die  Form  der  Religion, 
die  damals  als  Christentum  bezeichnet  wurde,  anzunehmen.  Der  Gedanke 
liel  ihm  ein,  wenn  nun  die  Taufe  zu  seiner  Seligkeit  notwendig  ist,  was 
aber  dann  aus  seinen  teuern  Vorfahren,  die  als  Heiden  gestorben  waren, 
geworden  sei.  Dieser  Gedanke  verdichtete  sich  zu  einer  Frage,  die  er  an  den 
Bischof  stellte.  Dieser  Würdenträger,  weniger  schlau  als  viele  seines  Glau- 
bens, sagte  ihm  offen,  sie  seien  in  die  Hölle  gekommen.  Dann,  bei  Thor 
<Donnergott)  will  ich  mit  ihnen  dahin  fahren !  sagte  der  König,  und  weigerte 
sich  daraufhin,  die  Taufe  anzunehmen  oder  ein  Christ  zu  werden."  —  George 
Q.  Cannon,  „Life  of  Joseph  Smith",  Seite  510. 

13 


194 


Die  Glaubensartikel. 


[Vorl.  VII. 


5.  Tempel  und  heilioe  Stätten.  —  „Als  der  Herr  —  entschlossen  für  sich 
selbst  eine  Nation  aus  diesem  Volke  zu  machen  —  Israel  aus  Ägyptenland 
führte,  forderte  er  das  Volk  auf,  so  bald  es  in  sicherer  Entfernung  von 
den  imiherwohnenden  Völkern  war,  eine  Stiftshütte  zu  bauen,  die  manch- 
mal ein  Tempel  genannt  wird,  in  der  er  gewisse  Verordnungen  und  Vor- 
schriften für  die  Führung  und  Verehrung  des  Volkes  einsetzen  konnte. 
Am  Anfang  der  Wanderung  des  Volkes  in  der  Wüste  wurde  diese  Stiftshütte 
tragbar  gebaut,  und  zwar  aus  dem  kostbarsten  und  besten  dem  Volke  erlang- 
baren Material;  und  einer  der  Stämme  wurde  eingesetzt,  die  Verwaltung 
über  sie  und  ihr  Zubehör  zu  übernehmen.  Dies  ist  immer  die  Absicht  des 
Herrn  gewesen.  Diese  Stiftshütte  diente  dem  Volke  auf  seiner  Reise  und 
in  dem  verheißenen  Lande,  bis  genügender  Reichtum  den  Salomo  instand- 
setzte, auf  dem  Berge  Morijah  —  seitdem  der  Berg  Zion  genannt  —  einen 
prachtvollen  Tempel  zu  bauen,  wohin  das  ganze  Israel  alljährlich  kam, 
um  zu  verehren  oder  der  Konferenz  beizuwohnen.  Der  Herr  hat  uns  ge- 
sagt (Lehre  u.  Bündn.  124:39),  daß  seinem  Volke  immer  geboten  werde, 
seinem  heiligen  Namen  Tempel  oder  heilige  Gebäude  zu  bauen.  Dies 
erklärt  uns  auch,  warimi  so  viele  Tempel  auf  dem  Amerikanischen  Kon- 
tinent errichtet  wurden  (wie  wir  im  Buch  Mormon  lesen).  Es  erklärt  auch 
warum  der  Prophet  Joseph  so  früh  das  Anfangen  eines  Tempels  in  jedem 
wichtigen  Wohnort  der  Heiligen  lehrte."  —  Compendium,  F.  D.  Richards  und 
J.  A.  Little,  S.  301—302.  Schlage  nach  2.  Mose  25—28;  1.  Könige  6—8; 
Esra  6;  2.  Nephi  5:16;  imd  vergleiche  damit  Jakob  1:17;  2:2 — 11;  Mosiah 
1:18;  2:6 — 7;  Alma  16:13;  23:2;  26:29;  Helaman  3:9;  10:8;  Lehre  u. 
Bündn.  1:7— 9;  84: 3— 5,  31;  97: 10;  124:29—51,  55.  Siehe  auch  „Temples" 
J.  M.  Sjödahl,  Salt  Lake  City,  1892.  —  Siehe  „The  House  of  the  Lord, 
a  Study  of  Holy  Sanctuaries,  Ancient  and  Modern",  von  James  E.  Tal- 
mage,  1912. 


Art.  4.]  Der  Heilige  Geist.  195 


Vorlesung  VIII. 


Der  Heilige  Geist. 

Artikel  4. — Wir  glauben,  daß  die  ersten  Prinzipien  und  Verordnungen 
des  Evangeliums  sind:  *  *  *  4.  das  Auflegen  der  Hände  für  die  Gabe  des 
Heiligen  Geistes. 

1.  Der  Heilige  Geist  verheißen.  —  Als  Johannes  der 
Täufer  in  der  Wüste  Buße  und  die  Taufe  im  Wasser  verkün- 
digte, verhieß  er  eine  zweite  höhere  Taufe,  die  er  als  aus 
Feuer  und  dem  Heiligen  Geist  bestehend  bezeichnete.  Sie 
sollte  seiner  Handlung  folgen^)  und  von  dem  Mächtigern, 
dessen  Schuhe  zu  tragen  sich  Johannes  für  unwürdig  hielt, 
gespendet  werden.  Daß  der  Inhaber  dieser  höhern  Voll- 
macht kein  andrer  als  Christus  war,  wird  durch  den  feier- 
lichen Bericht  des  Johannes  bewiesen:  „Siehe,  das  ist 
Gottes  Lamm  *  *  *.  Dieser  ist's,  von  dem  ich  gesagt  habe: 
Nach  mir  kommt  ein  Mann,  welcher  vor  mir  gewesen  ist 
***.  Und  ich  kannte  ihn  nicht;  aber  der  mich  sandte,  zu 
taufen  mit  Wasser,  der  sprach  zu  mir:  Auf  welchen  du 
sehen  wirst  den  Geist  herabfahren  und  auf  ihm  bleiben, 
der  ist's,  der  mit  dem  Heiligen  Geist  tauft. "2) 

2.  Als  der  Heiland  dem  Nikodemus^)  die  Notwendigkeit 
der  Taufe  erklärte,  blieb  er  nicht  bei  der  Notwendigkeit 
einer  Wiedergeburt  aus  Wasser  stehen,  denn  ohne  den 
belebenden  Einfluß  des  Geistes  ist  diese  unvollkommen; 
aus  Wasser  und  aus  Geist  geboren  zu  sein  ist  der  not- 


')  Matthäus  3:2—3,  11;   Markus  1:8;   Lukas   3:16. 

»)  Johannes  1:29 — 33. 

-)  Johannes  3:3 — 5.  i 


196  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VIII. 

wendige  Zustand  dessen,  der  in  das  Reich  kommen  will. 
Viele  Stellen,  die  angeführt  wurden,  um  Zweck  und  Not- 
wendigkeit der  Taufe  zu  beweisen,  zeigen,  daß  die  Taufe 
durch  Feuer  und  durch  den  Heiligen  Geist  mit  der  vor- 
geschriebenen Verordnung  der  Untertauchung  im  Wasser 
eng  verbunden  ist. 

3.  Die  Unterweisungen  Christi  an  seine  Apostel  ent- 
halten "vsäederholte  Verheißungen  des  Kommens  des 
„Trösters"  und  des  ,, Geistes  der  Wahrheit"  ;i)  mit 
diesen  ausdrucksvollen  Worten  wird  der  Heilige  Geist  be- 
zeichnet. Bei  seiner  letzten  Zusammenkunft  mit  den  Apo- 
steln, kurz  bevor  er  gen  Himmel  fuhr,  wiederholte  der 
Herr  diese  Zusicherungen  einer  geistigen  Taufe,  die 
bald  darauf  stattfinden  sollte. 2)  Die  Erfüllung  dieses 
großen  Versprechens  wurde  an  der  darauffolgenden 
Pfingsten  verwirklicht,  als  seine  Apostel,  als  sie  sich  ver- 
sammelt hatten,  mit  großer  Macht  von  dem  Himmel 
ausgerüstet^)  und  mit  dem  Heiligen  Geist  erfüllt  wurden, 
so  daß  —  wie  der  Geist  ihnen  Äußerung  verlieh  —  sie  in 
fremden  Zungen  sprachen.  Unter  andern  Kundgebungen 
dieser  himmlischen  Gabe  darf  die  Erscheinung  von 
Feuerflammen,  welche  gleich  Zungen  auf  jedem  ruhte, 
erwähnt  werden.  Die  in  solch  wunderbarer  Weise  an 
ihnen  erfüllte  Verheißung  wurde  von  den  Aposteln  denen 
gegenüber  wiederholt,  die  ihre  Belehrung  begehrten. 
Als  Petrus  am  selben  Tage  zu  den  Juden  redete,  erklärte  er: 
Unter  der  Bedingung  der  Gott  angenehmen  Buße  und 
Taufe  „werdet  ihr  empfangen  die  Gabe  des  Heiligen 
Geistes".^) 


>)  Johannes  14:16 — 17,  26;  15:26;  16: 

")  Apostelgesch.  1:5. 

")  Apostelgesch.  2:1 — 4. 

*)  Apostelgesch.  2:38. 


Art.  4.]  Der  Heilige   Geist.  197 

4.  Nicht  weniger  überzeugend  sind  die  Beweise  des 
Buches  Mormon  von  der  Verweihing  des  Heiligen  Geistes 
auf  denen,  welche  die  Anforderungen  zur  Wassertaufe 
befolgen.  Nephi,  der  Sohn  Lehis,  zeugte  feierlich  von 
dieser  Wahrheit/)  wie  sie  ihm  durch  die  Stimme  Gottes 
bekannt  gemacht  wurde.  Und  die  Worte  des  auferstandenen 
Erlösers  an  die  Nephiten  kommen  in  unbestreitbarer 
Deutlichkeit  und  mit  zweifelloser  Autorität  und  ver- 
kündigen die  Taufe  durch  Feuer  und  durch  den  Heiligen 
Geist  für  alle,  welche  die  vorbereitenden  Forderungen 
erfüllen. 2) 

5.  Den  Heiligen  in  der  Dispensation  der  Fülle  der 
Zeiten  ist  dieselbe  große  Verheißung  gemacht  worden. 
,,Ich  wiederhole  euch",  sprach  der  Herr,  als  er  zu  gewissen 
Ältesten  der  Kirche  redete,  ,,daß  jede  Seele,  die  an  eure 
Worte  glaubt  und  im  Wasser  zur  Vergebung  der  Sünden 
getauft  wird,  den  Heiligen  Geist  empfangen  soll. "3) 

6.  Persönlichkeit  und  Mächte  des  Heiligen  Geistes.  — 
Der  Heilige  Geist  ist  mit  dem  Vater  und  dem  Sohn  in  der 
Gottheit  verbunden.  Im  Licht  der  Offenbarung  werden 
wir  über  die  besondere  Persönlichkeit  des  Heiligen  Geistes 
belehrt.  Er  ist  ein  mit  den  Eigenschaften  und  Mächten 
der  Gottheit  begabtes  Wesen  und  nicht  bloß  ein  Ding, 
eine  Kraft  oder  eine  wesenlose  Masse.  Der  Ausdruck  „der 
Heilige  Geist"  und  dessen  gewöhnliche  sinnverwandte 
Bezeichnungen  ,, Geist  Gottes",*)  ,, Geist  des  Herrn",  oder 
einfach  „Geist", 5)  „Tröster"^)  und  ,, Geist  der  Wahrheit"^) 


1)  2.  Nephi  31:8,  12—14,  17. 
-)  3.  Nephi  11:36;  12:2. 
=)  Lehre  u.  Bündn.  84:64. 
«)  Matthäus  3:16;  12:28;  1.  Nephi  13:12. 

=)  1.    Neplii    4:6;    11:8;    Mosiah    13:5;    Apostelgesch.    2:4;  8:29; 
10:19;  Römer  8:10,  26;  1.  Thessalonicher  5:19. 
«)  Johannes  14:16—26;  15:26. 
')  Johannes  15:26;  16:13. 


198  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VIII. 

kommen  in  der  Schrift  mit  offenbar  verschiedenen  Bedeu- 
tungen vor;  in  einigen  Fällen  beziehen  sie  sich  auf  die 
Person  Gottes,  den  Heiligen  Geist,  und  in  andern  Fällen 
auf  die  Macht  oder  Autorität  dieses  großen  Wesens.  Der 
Zusammenhang  solcher  Stellen  wird  zeigen,  welche  von 
diesen  Bedeutungen  gemeint  ist. 

7.  Ohne  Zweifel  besitzt  der  Heilige  Geist  persönliche 
Kräfte  und  Empfindungen;  diese  Eigenschaften  sind  in 
ihm  vollkommen.  So  lehrt  und  leitet  er,^)  gibt  Zeugnis 
vom  Vater  und  vom  Sohn,^)  tadelt  wegen  Sünde^)  spricht, 
befiehlt  und  beauftragt,*)  vertritt  den  Sünder,^)  wird 
betrübt,^)  erforscht  und  untersucht,')  gibt  ein 8)  und  weiß 
alle  Dinge.*)  Dies  sind  nicht  bloß  bildliche  Ausdrücke, 
sondern  deutliche  Erklärungen  der  Eigenschaften  und  aus- 
geprägte Kennzeichen  dieser  erhabenen  Persönlichkeit. 
Daß  sich  der  Heilige  Geist  in  der  wahren  Form  und  Gestalt 
Gottes  zeigen  kann  —  in  dessen  Ebenbilde  der  Mensch 
geschaffen  ist  —  wird  durch  die  wunderbare  Unterredung 
zwischen  dem  Geiste  und  Nephi  gezeigt,  wo  er  sich 
diesem  Propheten  offenbarte,  mit  ihm  von  Angesicht  zu 
Angesicht  sprach,  ihn  über  sein  Verlangen  und  seinen 
Glauben  befragte  und  in  den  Dingen  Gottes  unterrich- 
tete. „Ich  redete  zu  ihm",  schreibt  Nephi,  „wie  ein 
Mensch  redet;  denn  ich  sah,  daß  er  in  der  Gestalt  eines 
Menschen  war;  doch  wußte  ich,  daß  es  der  Geist  des 
Herrn  war;  und  er  redete  mit  mir,  wie  ein  Mensch  mit 


0  Johannes  14:26;  16:13. 
n  Johannes  15:26. 
')  Johannes  16:8. 

*)  Apostelgesch.  10:19;  13:2;  Offenbarung  Joh.  2:7;  1.  Nephi  4:6; 
11:2—8. 

^)  Römer  8:26. 

«)  Epheser  4:30. 

')  1.  Korinther  2:4 — 10. 

»)  Mosiah  3:19. 

»)  Alma  7:13. 


Art.  4.]  Der  Heilige  Geist.  199 

einem  anderen  redet". ^)  Dennoch  besitzt  der  Heilige  Geist 
nicht  einen  fühlbaren  Körper  von  Fleisch  und  Bein,  wie 
der  Vater  und  der  Sohn,  sondern  er  ist  eine  Persönlichkeit 
aus  Geist. 2) 

8.  Meistenteils  entsteht  die  in  unsern  menschlichen 
Begriffen  über  die  Natur  des  Heiligen  Geistes  vorhandene 
Verwirrung  aus  dem  allgemeinen  Fehler,  daß  wir  unsre 
Vorstellungen  von  seiner  Person  und  von  seinen  Kräften 
miteinander  vermischen.  Es  ist  klar,  daß  Ausdrücke  wie 
,,mit  dem  Heiligen  Geiste  erfüllt  sein",^)  und  „daß  der  Geist 
auf  den  Menschen  komme"  Bezug  haben  auf  die  Kräfte 
und  Einflüsse,  die  von  Gott  ausgehen  und  für  ihn  charakte- 
ristisch sind,  denn  in  dieser  Weise  kann  der  Heilige  Geist 
zu  gleicher  Zeit  auf  viele  Menschen  wirken,  auch  wenn  sie 
weit  auseinander  sind;  die  wirkliche  Person  des  Heiligen 
Geistes  aber  kann  zu  einer  Zeit  nur  an  einem  Ort  sein. 
Doch  lesen  wir,  daß  der  Vater  und  der  Sohn  in  ihren 
schöpferischen  Taten  und  in  ihrem  Umgang  mit  der 
Menschheit  durch  die  Kraft  des  Heiligen  Geistes  wirken.^) 
Der  Heilige  Geist  darf  als  der  Diener  der  Gottheit,  der  die 
Entschlüsse  des  allerhöchsten  Rates  ausführt,  angesehen 
werden. 

9.  Bei  der  Ausführung  dieser  großen  Absichten  leitet 
und  beherrscht  der  Heilige  Geist  die  vielen  Kräfte  der 
Natur,  von  denen  nur  wenige  —  und  vielleicht  nur  solche 
einer  niedrigem  Ordnung,  obwohl  selbst  die  geringste 
davon  dem  Menschen  wunderbar  erscheint  —  dem  mensch- 
lichen Verstand  bis  heute  bekannt  gemacht  worden  sind. 


')  1.  Nephi  11:11. 

^)  Lehre  u.  Bündn.  130:22. 

')  Lukas  1:15,  67;  4:1;  Apostelgesch.  6:3;  13:9,  Alma  36:24;  L. 
u.  B.  107:56. 

♦)  1.  Mose  1:2;  Nehemia  9:30;  Hiob  26:13;  Psalm  104:30;  Jesaja 
42:1;  Apostelgesch.  10:19;  1.  Nephi  10:19;  Alma  12:3;  L.  u.  B.  105:36; 
97:1. 


200  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VIII. 

Schwerkraft,  Schall,  Hitze,  Licht  und  die  noch  geheimnis- 
vollere, scheinbar  übernatürliche  Kraft  der  Elektrizität 
sind  nur  die  gewöhnlichen  Diener  des  Heiligen  Geistes  in 
seiner  Tätigkeit.  Kein  ernster  Denker,  kein  aufrichtiger 
Forscher  glaubt,  daß  er  schon  alle  im  Stoff  vorhandenen 
und  auf  den  Stoff  wirkenden  Kräfte  kennen  gelernt  habe; 
sogar  die  wahrgenommenen,  ihm  noch  ganz  unerklärlichen 
Naturerscheinungen  übertreffen  an  Zahl  die,  für  die  er 
selbst  nur  eine  teilweise  Erklärung  erdacht  hat.  Es  gibt 
Gott  zur  Verfügung  stehende  Kräfte  und  Mächte,  mit 
welchen  verglichen  sich  Elektrizität,  eine  von  den  natür- 
lichen Kräften,  die  vom  Menschen  in  irgend  einem  Grade 
wahrgenommen  und  am  wenigsten  verstanden  wird,  ver- 
hält wie  das  Lastpferd  zur  Lokomotive,  der  Fußbote  zum 
Telegraph,  das  Floß  zum  Ozeandampfer.  Der  Mensch  hat 
kaum  einen  flüchtigen  Blick  auf  das  Triebwerk  der 
Schöpfung  geworfen;  und  dennoch  haben  die  wenigen 
Kräfte,  die  er  kennt,  Wunder  zustandegebracht,  die  wohl 
unglaublich  sein  würden,  wenn  nicht  ihre  tatsächliche 
Verwirklichung  erfolgt  wäre.  Diese  mächtigen  und  die 
andern  noch  größeren  Hilfskräfte,  die  dem  Menschen  noch 
unbekannt  sind,  und  viele  andere,  die  dem  gegenwärtigen 
Zustande  des  menschlichen  Verstandes  unerkennbar 
scheinen,  bilden  nicht  den  Heiligen  Geist,  sondern  bloß 
die  Mittel,  die  bestimmt  sind,  den  göttlichen  Zwecken  zu 
dienen. 

10.  Noch  feiner,  mächtiger  und  geheimnisvoller  als 
irgendeine  oder  alle  äußern  Kräfte  der  Natur  sind  die 
Kräfte,  die  auf  selbstbewußte  Lebewesen  wirken  —  die 
Mittel,  wodurch  Verstand,  Herz  und  Seele  des  Menschen 
beeinflußt  werden  können.  In  unsrer  Unwissenheit  über 
die  wahre  Natur  der  elektrischen  Energie  reden  wir  von 
ihr  als  von  einer  Flüssigkeit;  und  in  ähnlicher  Weise  sind 
die  Kräfte,  wodurch  der  Geist  beherrscht  wird,  geistige 


Art.  4.]  Der  Heilige  Geist.  201 

Flüssigkeiten  genannt  worden.  Die  wahre  Natur  dieser 
höheren  Kräfte  ist  uns  unbekannt,  denn  die  für  unsern 
schwachen  menschUchen  Verstand  so  notwendigen  Be- 
dingungen zum  Vergleichen  und  in  Einklang  bringen, 
fehlen  uns;  dennoch  werden  die  Wirkungen  von  jedermann 
gespürt.  Wie  das  Leitungsnetz  für  einen  elektrischen  Strom 
nur  einen  beschränkten  Strom  weiterleiten  kann  —  das 
Höchstmaß  der  Kraft  wird  durch  den  Widerstand  des 
Konduktors  gebraucht  —  und  wie  einzelne  Strom- 
kreislinien von  verschieden  abgestufter  Leistungsfähig- 
keit Ströme  von  wei't  verschiedener  Stärke  übermitteln 
können,  so  sind  auch  menschliche  Seelen  inbezug  auf 
göttliche  Kräfte  verschieden  aufnahmefähig.  Aber  wie  das 
Leitungsnetz  gereinigt  wird  und  die  Hindernisse  entfernt 
werden,  so  vermindert  sich  auch  der  Widerstand  gegen  die 
Energie,  und  die  Kräfte  tun  sich  in  größrer  Vollkommen- 
heit kund.  Durch  ähnliche  Reinigungsvorgänge  können 
unsere  Geister  der  Lebenskraft,  die  ein  Ausströmen  von 
dem  Geiste  Gottes  ist,  empfänglicher  gemacht  werden. 
Deshalb  wird  uns  gelehrt,  durch  Wort  und  Tat  um  einen 
fortwährend  zunehmenden  Teil  des  Geistes  zu  beten,  das 
heißt,  um  die  Kraft  des  Geistes,  die  ein  Maß  der  Gnade 
für  uns  ist. 

11.  Die  Tätigkeit  des  Heiligen  Geistes  in  seinem  Dienst 
unter  den  Menschen  wird  in  der  Schrift  ausführlich  be- 
schrieben. Er  ist  ein  vom  Vater  gesandter  Lehrer;^)  und 
denen,  die  zu  seiner  Belehrung  berechtigt  sind,  wird  er 
alle  zum  Fortschritt  der  Seele  notwendigen  Dinge  offen- 
baren. Durch  die  Einflüsse  des  Heiligen  Geistes  können  die 
Kräfte  des  menschlichen  Verstandes  belebt  und  vergrößert 
werden,  so  daß  vergangene  Dinge  wieder  in  Erinnerung 
gebracht  werden.    Er  wird  allen,  die  ihm  gehorchen,  als 


1)  Johannes  14:26. 


202  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VIII. 

Führer  in  göttlichen  Dingen  dienen,^)  und  jedermann^)  im 
Verhältnis  zu  seiner  Demut  und  seinem  Gehorsam  er- 
leuchten ;3)  er  wird  die  Geheimnisse  Gottes,*)  wenn  die  so 
geoffenbarte  Kenntnis  zu  geistigem  Wachstum  dienen  kann, 
entfalten;  er  übermittelt  den  Menschen  Kenntnis  von 
Gott;^)  heiligt  diejenigen,  die  durch  Befolgung  der  For- 
derungen des  Evangeliums  gereinigt  worden  sind;^)  tut 
alle  Dinge  kund')  und  gibt  den  Menschen  Zeugnis  von 
dem  Sein  und  der  Unfehlbarkeit  des  Vaters  und  des 
Sohnes.^) 

12.  Und  nicht  allein  bringt  der  Heilige  Geist  die 
Vergangenheit  in  Erinnerung  und  erklärt  die  Dinge  der 
Gegenwart,  sondern  seine  Kraft  äußert  sich  auch  im 
Prophezeien  der  zukünftigen  Ereignisse:  ,,Was  zukünftig 
ist,  wird  er  erklären",  erklärte  der  Heiland  den  Aposteln, 
als  er  das  Kommen  des  Trösters  verhieß.  Unter  dem 
Einflüsse  des  Heiligen  Geistes  weissagte  Adam,  der  erste 
Prophet  dieser  Erde,  ,,was  seinen  Nachkommen  bis  auf 
die  letzte  Generation  widerfahren  werde". ^) 

13.  Die  Kraft  des  Heiligen  Geistes  ist  also  der  Geist 
der  Prophezeiung  und  der  Offenbarung;  seine  Aufgabe  ist 
die  Erleuchtung  des  Verstandes,  das  Beleben  des  Denk- 
vermögens und  der  Urteilskraft  und  die  Heiligung  der 
Seele. 

14.  Wem  wird  der  Heilige  Geist  gegeben?  Nicht  allen 
ohne  Unterschied!   Der  Erlöser  erklärte  den  Aposteln  vor 


')  Lehre  u.  Bündn.  45:57. 
=)  L.  u.  B.  84:45—47. 
»)  L.  u.  B.  136:33. 
«)  1.  Nephi  10:19. 
')  L.  u.  B.  121:43. 
«)  Alma  13:12. 
')  L.  u.  B.  18:18. 

»)  Johannes  15:26;  Apostelgesch.  5:32;  20:23;  1.   KorinUier  2:11 
12:3;  3.  Nephi  11:32. 

»)  L.  u.  B.  107:56. 


Art.  4.]  Der  Heilige   Geist.  203 

alters:  „Und  ich  will  den  Vater  bitten,  und  er  soll  euch 
einen  andern  Tröster  geben,  daß  er  bei  euch  bleibe  ewiglich : 
den  Geist  der  Wahrheit,  welchen  die  Welt  nicht  kann 
empfangen;  denn  sie  sieht  ihn  nicht  und  kennt  ihn  nicht. "^) 
Es  ist  somit  klar,  daß  der  Bewerber  gewisse  Bedingun- 
gen erfüllen  muß,  ehe  der  Heilige  Geist  gespendet 
werden  kann,  d.  h.  ehe  er  ein  Recht  auf  die  Begleitung 
und  die  Dienste  des  Geistes  bekommen  kann.  Gott 
verleiht  den  Gehorsamen  den  Heiligen  Geist;  und  die 
Verleihung  dieser  Gabe  folgt  dem  Glauben,  der  Buße  und 
der  Taufe  im  Wasser. 

15.  Die  frühern  Apostel  verhießen  nur  denen,  welche 
die  Taufe  im  Wasser  zur  Vergebung  der  Sünden  erhalten 
hatten,  das  Dienen  des  Heiligen  Geistes  ;2)  Johannes  der 
Täufer  gab  die  Zusicherung  des  Heiligen  Geistes  nur 
denen,  die  zur  Buße  getauft  waren.^)  Der  Fall,  wo  Paulus, 
wahrscheinlich  weil  die  erste  Taufe  ungenau  und  ohne 
Vollmacht  vollzogen  worden  war,  die  zwölf  Jünger  zu 
Ephesus  wiedertaufte,^)  ehe  er  ihnen  den  Heiligen  Geist 
spendete,  ist  schon  erwähnt  worden.  Wir  lesen  von  einer 
merkwürdigen  Kundtuung  dieser  Macht  unter  dem  Volk  zu 
Samarien,^)  zu  welchem  Philippus  hingegangen  war  und 
den  Herrn  Jesum  verkündigt  hatte;  die  Leute  nahmen 
einmütig  sein  Zeugnis  an  und  begehrten  die  Taufe.  Dann 
kamen  Petrus  und  Johannes  zu  ihnen  und  durch  ihre 
Vermittlung  kam  der  Heilige  Geist  auf  die  Neubekehrten, 
wohingegen  der  Geist  zuvor  auf  keinen  gefallen  war,  obwohl 
alle  getauft  gewesen  waren. 

16.  Der  Heilige  Geist  wohnt  nicht  in  entweihten  und 
unwürdigen   Körpern.     Paulus   macht   die   erhabene   Er- 


1)  Johannes  14:16,  17. 

=)  Apostelgesch.  2:38. 

»)  Matthäus  3:11;  Markus  1:8. 

')  Apostelgesch.  19:1 — 7;  siehe  Seite  175. 

')  Apostelgesch.  8:5 — 8,  12,  14 — 17. 


204  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VIII. 

klärung,  daß  der  Leib  des  Menschen,  wenn  er  mit  der 
Kraft  des  Heiligen  Geistes  erfüllt  ist,  zum  Tempel  dieses 
Geistes  werde;  und  der  Apostel  nennt  auch  die  Strafe, 
die  für  das  Verunreinigen  eines  solchen  von  einer  so 
heiligen  Gegenwart  geheiligten  Baues  vorgeschrieben  ist.^) 
Der  Glaube  an  Gott  führt  zum  Bereuen  der  Sünde,  diesem 
folgt  die  Taufe  im  Wasser  zur  Vergebung  der  Sünden,  und 
dieser  dann  die  Spendung  des  Heiligen  Geistes,  durch 
dessen  Kraft  Heiligung  und  die  besondern  Gaben  Gottes 
kommen. 

17.  Eine  Ausnahme  von  der  vorgeschriebenen  Ordnung 
zeigt  sich  bei  dem  frommen  Heiden  Kornelius,  wo  auf  ihn 
und  seine  Familie  der  Heilige  Geist  mit  solcher  Kraft 
kam,  daß  sie  zur  Verherrlichung  Gottes  mit  neuen  Zungen 
sprachen  —  und  dies  geschah  vor  ihrer  Taufe. 2)  Aber  Grund 
genug  für  diese  Abweichung  von  der  gewöhnlichen  Regel 
ist  die  Voreingenommenheit,  die  unter  den  Juden  andern 
Völkern  gegenüber  herrschte,  und  die  den  Apostel  gehindert 
oder  gar  von  dem  Wirken  unter  den  Heiden  gänzlich 
zurückgehalten  hätte,  wenn  der  Befehl  dazu  nicht  un- 
mittelbar vom  Herrn  gekommen  wäre.  Wie  es  war,  wurde 
seine  Tat  von  seinem  eigenen  Volke  laut  getadelt;  aber  er 
entkräftete  ihren  Tadel,  indem  er  erzählte,  wie  ihm 
von  Gott  Belehrung  wurde  und  erzählte  von  dem  unleug- 
baren Beweis  des  göttlichen  Willens,  wie  er  in  dem  Emp- 
fangen des  Heiligen  Geistes  von  Kornelius  und  seiner 
Familie  vor  der  Taufe  gezeigt  wurde. 

18.  Auch  in  einem  andern  Sinne  hat  der  Heilige  Geist 
oft  durch  ungetaufte  Menschen  zum  Guten  gewirkt.  Ein 
Teil  dieses  Geistes  wird  allen  Menschen  verliehen;  denn, 
wie  schon  bemerkt,  ist  der  Heilige  Geist  die  Kraft  der 


')  1.  Korinther  3:16.  Siehe  auch  6:19;  2.  Korinther  6:16;  Lehre  u. 
Bündn.   9o:35. 

^)  Apostelgesch.  10. 


Art.  4.]  Der  Heilige  Geist.  205 

Intelligenz,  der  weisen  Führung,  der  Entwicklung  und 
des  Lebens.  Die  Kundtuung  der  Kraft  Gottes,  wie  sie 
durch  die  Wirkungen  des  Geistes  klar  gemacht  wird,  sieht 
man  in  den  Siegen  der  veredelnden  Kunst,  in  den  Er- 
findungen der  wahren  Wissenschaft,  und  in  den  Ereignissen 
der  Geschichte.  Mit  all  diesem,  glaubt  vielleicht  der 
sinnliche  Verstand,  gebe  sich  Gott  nicht  unmittelbar  ab. 
Nicht  eine  Wahrheit  ist  jemals  das  Eigentum  der  Mensch- 
heit geworden,  es  sei  denn  durch  die  Kraft  des  großen 
Geistes,  der  lebt,  damit  er  den  Befehl  des  Vaters  und  des 
Sohnes  vollziehe.  Und  doch  wird  die  wirkliche  Gemein- 
schaft des  Heiligen  Geistes,  das  von  Gott  gegebene  Anrecht 
auf  seine  Dienste,  die  heiligende  Taufe  mit  Feuer  als 
ständiger  Besitz  nur  dem  gläubigen,  bußfertigen,  getauften 
Bewerber  um  Seligkeit  gegeben;  und  bei  all  diesen  soll 
diese  Gabe  bleiben,  es  sei  denn,  sie  ginge  durch  Übertretung 
verloren. 

19.  Das  Spenden  des  Heiligen  Geistes  geschieht  durch 
einen  mündlichen  Segen,  der  auf  den  Täufling  durch  die 
rechtmäßige  Vollmacht  desPriestertums  ausgesprochen  und 
durch  das  Auflegen  der  Hände  des  amtierenden  Mannes 
oder  der  amtierenden  Männer  begleitet  wird.  Daß  dies 
die  von  den  frühern  Aposteln  befolgte  Weise  war,  wird 
durch  die  jüdischen  Schriften  bewiesen;  daß  sie  vor  alters 
von  den  Kirchenvätern  ausgeübt  wurde,  beweist  die 
Geschichte;  daß  sie  das  anerkannte  Verfahren  unter  den 
Nephiten  war,  wird  durch  die  Berichte  im  Buche  Mormon 
deutlich  gezeigt;  und  für  denselben  Brauch  in  dieser 
Dispensation  ist  die  Ermächtigung  unmittelbar  vom 
Himmel  gekommen. 

20.  Von  den  im  Neuen  Testament  berichteten 
Fällen  nennen  wir  die  folgenden :  Wie  schon  erwähnt, 
erteilten  Petrus  und  Johannes  den  Heiligen  Geist 
denen,    die   Philippus   zu    Samarien    bekehrte,    und    die 


206  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VIII 

Verordnung  wurde  durch  Gebet  und  das  Auflegen  der 
Hände  vollzogen. i)  In  derselben  Weise  verfuhr  Paulus 
mit  den  Ephesern,  die  er  hatte  taufen  lassen:  „Und  da 
Paulus  die  Hände  auf  sie  legte,  kam  der  Heilige  Geist  auf 
sie,  und  sie  redeten  mit  Zungen  und  weissagten. "2)  Paulus 
erwähnt  diese  Verordnung  auch  in  seiner  Ermahnung  an 
Timotheus,  die  in  dieser  Weise  erteilte  Gabe  nicht  zu 
vernachlässigen.^)  Und  wo  er  die  Hauptprinzipien  und 
-Verordnungen  der  Kirche  Christi  aufzählt,  nennt  er  auch 
das  auf  die  Taufe  folgende  Händeauf  legen.*) 

21.  In  folgender  Weise  flehte  Alma  die  Kraft  des 
Heiligen  Geistes  herab,  um  seiner  Mitarbeiter  willen:^) 
,,Er  legte  seine  Hände  auf  alle,  die  bei  ihm  waren;  und  als 
er  das  tat,  wurden  sie  mit  dem  Heiligen  Geiste  erfüllt." 
Der  Heiland  gab  den  zwölf  erwählten  Nephiten  Vollmacht, 
indem  er  einem  nach  dem  andern  die  Hand  auflegte;^) 
sie  wurden  in  dieser  Weise  beauftragt,  den  Heiligen  Geist 
zu  spenden. 

22.  In  dieser  Dispensation  ist  es  der  Priesterschaft  zur 
Pflicht  gemacht  worden,  „solche,  die  durch  die  Taufe  in 
die  Kirche  gekommen  sind,  der  Schrift  gemäß  zu  kon- 
firmieren, durch  das  Auflegen  der  Hände,  zur  Taufe  mit 
Feuer  und  dem  Heiligen  Geiste".'^)  Der  Herr  hat  ver- 
sprochen, daß  der  Heilige  Geist  diesen  autorisierten  Hand- 
lungen seiner  Diener  folgen  soll.^)  Die  Zeremonie  des 
Auflegens  der  Hände  für  die  Gabe  des  Heiligen  Geistes 
ist  mit  der  Zeremonie  der  Konfirmation  (Bestätigung)  in 


•)  Apostelgesch.  8:14 — 17.  Lies  den  Bericht  über  Simon  den  Zauberer 
in  diesem  Kapitel. 

«)  Apostelgesch.  19:2^6. 

')  2.  Timotheus  1:6. 

')  Hebräer  6:1—2. 

')  Alma  31:36. 

•)  3.  Nephi  18:36—37. 

')  Lehre  u.  Bündn.  20:41,  43. 

«)  L.  u.  B.  35:6;  39:6,  23:  49:11—14. 


Art.  4.]  Der  Heilige   Geist.  207 

der  Kirche  verbunden.  Der  in  dem  Namen  Jesu  Christi 
und  kraft  seiner  Vollmacht  amtierende  Älteste  sagt: 
„Empfange  den  Heiligen  Geist",  und  ,,ich  konfirmiere  (oder 
bestätige)  dich  als  ein  Mitglied  der  Kirche  Jesu  Christi  der 
Heiligen  der  letzten  Tage''.  Selbst  diese  Worte  sind  nicht 
vorgeschrieben,  aber  ihre  Bedeutung  sollte  bei  der  Zere- 
monie ausgedrückt  werden;  und  solchen  Worten  dürfen 
noch  andere  des  Segens  und  der  Anrufung  —  wie  es  der 
Geist  des  Herrn  dem  amtierenden  Ältesten  eingeben  mag  — 
hinzugefügt  werden.  Diese  Handlung  macht  die  äußere 
Form  der  zur  Seligkeit  so  notwendigen  Taufe  —  der 
Geburt  aus  Wasser  und  Geist  —  vollständig. 

23.  Die  Vollmacht,  den  Heiligen  Geist  in  dieser  Weise 
zu  spenden,  gehört  zum  höhern  oder  melchizedekischen 
Priestertum,!)  die  Wassertaufe  hingegen  darf  von  einem 
Priester  der  aaronischen  Ordnung  vollzogen  werden. 2) 
Diese  Ordnung  der  Vollmacht,  wie  sie  durch  Offen- 
barung bekannt  gemacht  worden  ist,  erklärt,  warum 
Philippus  wohl  die  Befugnis  hatte,  die  Taufe  der  bekehr- 
ten Samariter  zu  vollziehen,  aber  andre  gesandt  werden 
mußten,  und  zwar  solche,  die  das  höhere  Priestertum 
trugen,  um  ihnen  den  Heiligen  Geist  zu  erteilen.^) 

24.  Die  Gaben  des  Geistes.  —  Wie  schon  erwähnt, 
besteht  das  'besondere  Wirken  des  Heiligen  Geistes  darin, 
den  Sinn  zu  erleuchten  und  zu  veredeln,  die  Seele  zu 
reinigen  und  zu  heiligen,  zu  guten  Werken  anzuregen  und 
die  Dinge  Gottes  zu  offenbaren.  Aber  außer  diesen  all- 
gemeinen Segnungen  gibt  es  gewisse  besondere  Aus- 
stattungen, die  mit  den  Gaben  des  Heiligen  Geistes  in 
Verbindung  stehen.  So  spricht  der  Heiland:  ,,Die  Zeichen 
aber,  die  da. folgen  werden  denen,  die  da  glauben,  sind  die: 


')  Lehre  u.  Bündn.  20:38—^3. 

^)  L.  u.  B.  20:46,  50. 

')  Siehe  Apostelgesch.  8:5—17. 


208  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  VIIL 

in  meinem  Namen  werden  sie  Teufel  austreiben,  mit  neuen 
Zungen  reden,  Schlangen  vertreiben;  und  so  sie  etwas 
Tödliches  trinken,  wird's  ihnen  nicht  schaden;  auf  die 
Kranken  werden  sie  die  Hände  legen,  so  wird's  besser  mit 
ihnen  werden."^) 

25.  Diese  Gaben  des  Geistes  werden  nach  der  Weisheit 
Gottes  zur  Erhöhung  seiner  Kinder  ausgeteilt.  Paulus 
schildert  sie  wie  folgt:  ,,Von  den  geistlichen  Gaben  aber 
will  ich  euch,  liebe  Brüder,  nicht  verhalten.  *  *  *  Es  sind 
mancherlei  Gaben;  aber  es  ist  ein  Geist.  *  *  *  in  einem 
jeglichen  erzeigen  sich  die  Gaben  des  Geistes  zum  gemeinen 
Nutzen.  Einem  wird  gegeben  durch  den  Geist,  zu  reden 
von  der  Weisheit;  dem  andern  wird  gegeben,  zu  reden 
von  der  Erkenntnis  nach  demselben  Geist;  einem  andern 
der  Glaube  in  demselben  Geist;  einem  andern  die  Gabe, 
gesund  zu  machen  in  demselben  Geist;  einem  andern, 
Wunder  zu  tun;  einem  andern  Weissagung;  einem 
andern,  Geister  zu  unterscheiden ;  einem  andern  mancher- 
lei Sprachen;  einem  andern,  die  Sprachen  auszulegen. 
Dies  aber  alles  wirkt  derselbe  eine  Geist,  und  teilt  einem 
jeglichen  seines  zu,  nach  dem  er  will. "2)  Niemand  ist  ohne 
irgend  eine  Gabe  des  Geistes;  ein  Mensch  kann  verschiedene 
Gaben  besitzen. 


AnmerkangeiL. 
1.  Wirkan«)  des  Heiligen  Geistes  auf  das  Indi\iduiiin.  —  Ein  erleuchtetes 
Wesen  im  Ebenbilde  Gottes  besitzt  alle  Glieder,  Eigenschaften,  Sinne  xuid 
Gefühle,  ferner  auch  Weisheit,  Liebe,  Macht  und  Gaben,  mit  welchen  Gott 
selbst  begabt  ist.  Aber  der  Mensch  besitzt  diese  in  ihrem  Anfangszustande, 
also  nur  in  einem  untergeordneten  Sinne.  In  andern  Worten :  diese  Eigen- 
schaften sind  im  Entstehen  und  müssen  allmählich  entwickelt  werden. 
Sie  sind  einem  Keime  gleich,  einer  Knospe,  welche  sich  allmählich  zur 
Blüte  entwickelt  imd  dann  durch  den  natürlichen  Fortschritt  die  reife 
Frucht  nach  ihrer  eigenen  Art  hervorbringen.  Die  Gabe  des  Heiligen  Geistes 
paßt  sich  allen  diesen  Organen  oder  Eigenschaften  an.  Sie  belebt  alle 
Verstandesfähigkeiten,  vermehrt,  vergrößert,  erweitert  und  reinigt  alle 
natürlichen   Gefühle  und  Neigungen,  xmd  macht  sie  durch  die  Gabe  der 


»)  Markus  16:17 — 18;   Lehre  u.   Bündn.  84:65 — 73. 

')  1.  Korinther  12: 1 — 11 ;  siehe  auch  Buch  Mormon,  Moroni  10:8 — 18. 


Art.  4.]  Anmerkungen.  209 

Weisheit  zu  ihrem  gesetzlichen  Gebrauch  geeignet.  Sie  belebt,  entwickelt, 
veredelt  und  vervollkommnet  alle  feinen  Empfindungen,  Freuden,  Genüsse, 
Verwandtschaftsgefühle  und  Neigungen  unsres  Wesens.  Sie  flößt  Tugend, 
Mildtätigkeit,  Güte,  Zärtlichkeit,  Sanftmut  und  Liebe  ein.  Sie  entwickelt 
Schönheit  der  Person  und  der  Gestalt.  Sie  führt  zu  Gesundheit  und  Kraft, 
zu  Leben  und  Geselligkeit.  Sie  entwickelt  und  belebt  alle  Fähigkeiten  des 
natürlichen  und  geistigen  Menschen.  Sie  stärkt  und  belebt  die  Nerven. 
Kurzum,  sie  ist  Mark  dem  Beine,  Freude  dem  Herzen,  Licht  dem  Auge, 
Musik  dem  Ohre,  und  Leben  für  das  ganze  Wesen."  —  Parley  P.  Pratt, 
„Schlüssel  zur   Gottesgelehrtheit'*,   S,   61.   (1.   deutsche   Auflage.) 

2.  Das  Aufleflen  der  Hände.  —  Aus  den  angeführten  Schriftstellen 
erhellt,  daß  das  übliche  Verfahren  bei  der  Spendung  des  Heiligen  Geistes 
zum  Teil  in  dem  Auflegen  der  Hände  von  Bevollmächtigten  bestand  ( Apostel- 
gesch.  8:17;  9:17;  19:2—6;  Alma  31:36;  3.  Nephi  18:36—37;  Lehre  u. 
Bündn.  20:41).  Dasselbe  äußere  Zeichen  kennzeichnet  auch  andere  bevoll- 
mächtigte Handlungen,  z.  B.  die  Ordination  zum  Priestertum  und  das 
Segnen  der  Kranken.  Es  ist  wahrscheinlich,  daß  Paulus  Bezug  nahm  auf 
die  Ordination  des  Timotheus,  als  er  ihn  ermahnte:  „Laß  nicht  aus  der 
Acht  die  Gabe,  die  dir  gegeben  ist  durch  die  Weissagung  mit  Handauflegung 
der  Ältesten"  (1.  Tim.  4:14).  Und  wieder,  erwecke  ,,die  Gabe  Gottes,  die 
in  dir  ist,  durch  die  Auflegung  meiner  Hände"  (2.  Tim.  1:6).  Die  erste 
Ordination  zum  Priestertum  in  den  letzten  Zeiten  wurde  durch  das  Auf- 
legen der  Hände  von  Johannes  dem  Täufer  vollzogen  (Lehre  u.  Bündn.  13). 
Daß  Christus  zuweilen  die  Hände  auf  die  Kranken  legte,  als  er  sie  heilte, 
steht  fest  (Mark.  6:5);  und  er  gab  seinen  Aposteln  eine  Verheißung,  daß 
derh  bevollmächtigten  Auflegen  der  Hände  Heilung  folgen  werde  (Markus 
16:15,  18).  Dasselbe  Versprechen  ist  in  diesen  Tagen  wiederholt  worden 
(Lelire  u.  Bündn.  42 :  43 — 44).  Trotz  der  Wichtigkeit,  die  diesem  Zeichen 
der  Vollmacht  beigemessen  wird,  ist  dennoch  das  Auflegen  der  Hände 
bei  den  vielen  Sekten,  die  sich  heutzutage  zum  Christentum  bekennen,  eine 
Seltenheit. 

3.  Die  Wirksamkeit  des  Heiligen  Geistes.  —  Die  Mittel,  wodurch  der 
Heilige  Geist  wirkt,  sind  im  wahren  Sinne  ebensowenig  der  Heilige  Geist 
in  eigener  Person  als  das  Licht,  die  Hitze  und  die  chemisch  wirkende  Kraft 
der  Sonne  die  Sonne  selbst  sind.  Der  Einfluß,  der  Geist  oder  die  Kraft  des 
Heiligen  Geistes  ist  eine  Kraft  der  Erleuchtung  und  des  Fortschritts,  und 
diese  wird  den  Menschen  im  Verhältnis  zu  ihrer  Empfänglichkeit  und 
Würdigkeit  gegeben;  aber  das  Anrecht  auf  die  besondern  Dienste  des 
dritten  Mitglieds  der  Gottheit  kann  nur  durch  Befolgung  der  vorbereitenden 
Forderungen  des  Evangeliums  —  Glaube,  Buße  und  Taufe  —  erlangt 
werden. 

4.  Art  und  Weise  der  Spendung  des  Heiligen  Geistes.  —  Es  sind  Fragen 
aufgetaucht  über  das  genaue  Verfahren  bei  der  Konfirmation  (Bestä- 
tigung von  Neugetauften)  und  der  Spendung  des  Heiligen  Geistes;  be- 
sonders darüber,  ob  es  angebracht  sei  zu  sagen:  „Empfange  den  Heiligen 
Geist"  oder  „Empfange  die  Gabe  des  Heiligen  Geistes".  Da  die  Gemeinschaft 
mit  dem  Heiligen  Geist  all  die  geistigen  Gnaden  und  Gaben  —  insoweit 
sie  vom  Menschen  verdient  und  ihm  dienlich  sind  —  in  sich  begreift, 
lehrt  die  Kirche,  daß  amtierende  Älteste  bei  dem  Konfirmieren  der  Ge- 
tauften die  Form:  „Empfange  den  Heiligen  Geist"  gebrauchen  sollen. 

14 


210  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  IX. 


Vorlesung  IX. 
Das  heilige  Abendmahl. 

In  Verbindung  mit  Artikel  4. 

1.  Das  Abendmahl.  —  Bei  unserm  Studium  der 
Prinzipien  und  Verordnungen  des  Evangeliums,  wie 
sie  im  4.  Glaubensartikel  aufgezählt  werden,  beansprucht 
das  heilige  Abendmahl^)  mit  Recht  unsere  Aufmerksam- 
keit ;  denn  das  Befolgen  dieser  Verordnung  wird  von  allen 
verlangt,  die  durch  Unterwerfung  unter  die  Forderungen 
des  Glaubens,  der  Buße  und  der  Taufe  im  Wasser  und 
durch  den  Heiligen  Geist  Mitglieder  der  Kirche  geworden 
sind. 

2.  Die  Einsetzung  des  Abendmahls  unter  den  Juden.  — 
Das  Abendmahl  nahm  seinen  Ursprung  am  Vorabend  des 
Passahfestes,  das  der  Kreuzigung  des  Heilandes  unmittel- 
bar voranging.-)  Bei  dieser  feierhchen  Gelegenheit  waren 
Christus  und  die  Apostel  in  Jerusalem  versammelt  und 
hielten  die  Feier  in  einem  Saal  ab,  der  auf  seinen  aus- 
drücklichen Befehl  bereitgestellt  worden  war. 3)  Als  Jude 
scheint  Christus  den  überkommenen  Bräuchen  seines 
Volkes  immer  getreu  gewesen  zu  sein.  Gewiß  hat  er 
diese  Gedenkfeier  mit  den  außergewöhnlichsten  Gefühlen 
angetreten  —  war  es  doch  die  letzte  ihrer  Art,  welche 
sowohl  ein  zukünftiges  Opfer  als  auch  die  Gnade  Gottes 
in  der  Vergangenheit  versinnbildlicht  hat.  Da  er  die 
furchtbaren     ihm    unmittelbar    bevorstehenden     Erfah- 


•)  Siehe  Anmerkungen  1   und  2. 
')  Siehe  Anmerkung  3. 
')  Lukas  22:8—13. 


Art.  4.]  Das  heilige  Abendmahl.  211 

rungen  kannte,  unterhielt  er  sich  in  Seelenqual  mit 
den  Zwölfen  am  Passahtisch  und  prophezeite  seinen 
Verrat,  der  bald  durch  die  Vermittlung  eines,  der 
da  mit  ihm  aß,  vollbracht  werden  sollte.  Da  nahm 
er  das  Brot,  segnete  es  und  gab  es  seinen  Jüngern 
und  sprach:  „Nehmet,  esset,  das  ist  mein  Leib";i)  „das 
tut  zu  meinem  Gedächtnis. "2)  Nach  diesem  nahm  er  den 
Kelch,  segnete  den  Inhalt  und  teilte  ihn  unter  seinen 
Jüngern  aus  mit  den  Worten:  „Trinket  alle  daraus;  das 
ist  mein  Blut  des  neuen  Testaments,  welches  vergossen 
wird  für  viele  zur  Vergebung  der  Sünden. "2)  Es  ist  bedeut- 
sam zu  merken,  daß  der  von  Paulus*)  über  das  Abendmahl 
gegebene  Bericht  und  seine  Bedeutung  den  von  den 
Evangelisten  berichteten  Beschreibungen  so  ähnelt,  daß 
er  beinahe  gleichlautend  ist.  Die  Bezeichnung  des  Sakra- 
ments als  des  Herrn  Abendmahl  wird  außer  von  Paulus 
von  keinem  anderen   biblischen  Schriftsteller  gebraucht. 

3.  Einsetzung  des  Abendmahls  bei  den  Nephiten.  — 

Bei  seinem  Besuch  unter  den  Nephiten,  kurz  nach  seiner 
Auferstehung,  setzte  Christus  das  Abendmahl  unter  diesem 
Teil  seiner  Herde  ein.  Er  bat  die  Jünger,  die  er  erwählt 
hatte,  ihm  Brot  und  Wein  zu  bringen;  dann  nahm  er  das 
Brot,  brach  es,  segnete  es  und  gab  es  den  Jüngern  mit 
dem  Gebot,  davon  zu  essen  und  es  dann  dem  Volk 
auszuteilen.  Die  Vollmacht,  diese  Verordnung  zu  voll- 
ziehen, versprach  er  unter  dem  Volke  zu  lassen.  „Darauf 
sollt  ihr  immer  achten,"  sagteer,  ,,es  so  zu  tun,  wie  ich  es 
getan  habe.  *  *  *  Und  dies  sollt  ihr  tun  zum  Gedächtnis 
meines  Leibes,  welchen  ich  euch  gezeigt  habe.  Und  es 
soll  dem  Vater  ein  Zeugnis  sein,  daß  ihr  euch  immer  meiner 


•)  Matthäus  26:26. 

*)  Lukas  22:19;  siehe  auch   Markus  14:22- 

»)  Matthäus  26:27—28. 

«)  1.  Korinther  11:23—25. 


212  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  IX. 

erinnert.  Und  wenn  ihr  immer  meiner  gedenket,  so  sollt 
ihr  meinen  Geist  bei  euch  haben. "^)  Der  Wein  wurde  in 
derselben  Reihenfolge  erst  den  Jüngern,  dann  von  ihnen 
unter  das  Volk  ausgeteilt.  Dies  sollte  auch  ein  Teil  der 
bleibenden  Ordnung  unter  dem  Volke  sein:  „Und  ihr  sollt 
es  tun  zum  Gedächtnis  meines  Bluts,  welches  ich  für  euch 
vergossen  habe,  um  dem  Vater  ein  Zeugnis  zu  geben,  daß 
ihr  immer  meiner  gedenket."  Dann  folgte  eine  Wieder- 
holung der  großen  Verheißung:  „Und  wenn  ihr  immer 
meiner  gedenket,  soll  mein   Geist  bei  euch  sein. "2) 

4.  Würdige  Genießer  des  Abendmahls.  —  Die  gött- 
lichen Belehrungen  über  die  Heiligkeit  dieser  Ver- 
ordnung sind  sehr  ausführlich;  und  die  daraus  folgende 
Notwendigkeit,  gewissenhafte  Sorgfalt  zu  üben,  um  dieses 
Mahl  nicht  unwürdig  zu  genießen,  ist  klar.  Als  Paulus 
an  die  Heiligen  zu  Korinth  schrieb,  warnte  er  feierlich 
vor  voreiligem  oder  unwürdigem  Genießen  des  Abendmahls 
und  erklärte,  daß  diejenigen,  die  die  heiligen  Forderungen 
übertreten,  durch  die  Strafen  der  Krankheit  und  auch  des 
Todes  heimgesucht  werden.  —  ,,Denn  so  oft  ihr  von  diesem 
Brot  esset  und  von  diesem  Kelch  trinket,  sollt  ihr  des 
Herrn  Tod  verkündigen,  bis  daß  er  kommt.  Welcher  nun 
unwürdig  von  diesem  Brot  isset  oder  von  dem  Kelch  des 
Herrn  trinket,  der  ist  schuldig  an  dem  Leib  und  Blut  des 
Herrn.  Der  Mensch  prüfe  aber  sich  selbst,  und  also  esse 
er  von  diesem  Brot  und  trinke  von  diesem  Kelch.  Denn 
welcher  unwürdig  isset  und  trinket,  der  isset  und  trinket 
sich  selber  zum  Gericht,  damit,  daß  er  nicht  unterscheidet 
den  Leib  des  Herrn.  Darum  sind  auch  viele  Schwache 
und  Kranke  unter  euch,  und  ein  gut  Teil  schlafen."^) 


1)  3.  Nephi  18:6—7. 

')  3.  Nephi  18:11. 

»)  1.  Korinther  11:26—30. 


Art.  4.]  Das  heilige  Abendmahl.  213 

5.  Als  Jesus  die  Nephiten  belehrte,  legte  er  großen 
Nachdruck  auf  die  Würdigkeit  derer,  welche  das  Abend- 
mahl genossen;  und  überdies  legte  er  große  Verantwort- 
lichkeit auf  die  Beamten  der  Kirche,  deren  Pflicht  es  war, 
das  Abendmahl  auszuteilen,  daß  sie  es  keinem,  den 
sie  als  unwürdig  kannten,  erlauben  sollten,  an  der 
Verordnung  teilzunehmen :  ,,Nun  sehet,  dies  ist  das  Gebot, 
welches  ich  euch  gebe,  daß  ihr  wissentlich  niemand  ge- 
statten sollt,  von  meinem  Leib  und  Blut  unwürdig  zu 
genießen,  wenn  ihr  dieselben  austeilet;  denn  wer  von 
meinem  Leib  und  Blut  unwwdig  genießt,  ißt  und  trinkt 
seiner  Seele  Verdammnis.  Wenn  ihr  daher  wisset,  daß  ein 
Mensch  unwürdig  ist,  meinen  Leib  zu  essen  und  mein  Blut 
zu  trinken,  so  sollt  ihr  es  ihm  verbieten."^) 

6.  Das  unmittelbare  Wort  des  Herrn  an  die  Heiligen 
in  dieser  Dispensation  unterweist  sie,  niemand,  der  über- 
treten hat,  zu  gestatten,  das  Abendmahl  zu  genießen,  bis 
Versöhnung  herbeigeführt  worden  ist.  Dennoch  ist  es  den 
Heiligen  geboten,  weitgehende  Langmut  gegen  ihre  irrenden 
Mitmenschen  zu  üben,  sie  nicht  aus  den  Versammlungen 
auszustoßen,  aber  doch  das  Abendmahl  sorgfältig  von 
ihnen  zurückzuhalten. 2)  In  unsrer  Kirchenverfassung  wird 
die  Verantwortlichkeit  der  Segnung  und  der  Austeilung 
des  Abendmahls  den  örtlichen  Kirchenbeamten  auferlegt, 
und  es  wird  von  dem  Volke  gefordert,  sich  würdig  zu  halten, 
um  die  heiligen   Sinnbilder  genießen  zu  können. 

7.  Daß  man  das  Abendmahl  irgend  jemand  geben  solle, 
der  nicht  ein  in  voller  Gemeinschaft  stehendes  Mit- 
glied in  der  Kirche  Christi  ist:  dafür  fehlt  in  der  Schrift 
jede  Berechtigung.  Auf  der  östlichen  Erdhälfte  teilte 
Christus  das  Abendmahl  nur  seinen  Aposteln  aus ;  und  wir 
haben  Bericht  davon,  daß  sie  es  nur  denen  gaben,  die  den 

•)  3.  Nephi  18:28—29. 

')  Lehre  u.  Bündn.  46:4.    Siehe  auch  3.  Nephi  18:30. 


214  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  IX. 

Namen  Christi  angenommen  hatten.  Unter  seiner  west- 
lichen Herde  setzte  Christus  das  Gesetz  ein,  daß  nur  die 
tatsächlichen  Mitglieder  seiner  Kirche  davon  genießen 
sollten.  Als  der  Heiland  versprach,  einen  unter  ihnen  ein- 
zusetzen, der  mit  Macht  über  das  Abendmahl  amtieren 
könne,  bestimmte  er,  daß  der  in  dieser  Weise  Gewählte 
es  dem  Volke  seiner  Kirche  —  allen,  die  glaubten  und  auf 
seinen  Namen  getauft  worden  waren  —  austeilen  sollte. i) 
Und  zwar  nur  diejenigen,  die  so  getauft  worden  waren, 
wurden  die  Kirche  Christi  genannt.^)  Seine  Belehrungen 
an  die  Jünger  betreffs  des  Abendmahls  fortsetzend,  sagte 
der  Heiland:  ,,Dies  sollt  ihr  immer  tun  denen,  die  sich  be- 
kehren und  in  meinem  Namen  getauft  werden. "3) 

8.  Dasselbe  Gesetz  besteht  heute  noch:  es  sind  die 
Mitglieder  der  Kirche,^)  die  ermahnt  werden,  sich  öfters 
zu  versammeln,  um  das  Abendmahl  zu  genießen;  und  die 
Kirche  schließt  keine  Menschen  von  reifern  Jahren  in  sich 
ein,  die  nicht  durch  die  Vollmacht  des  heiligen  Priestertums 
getauft  worden  sind.^) 

9.  Der  Zweck  des  Abendmahls.  —  Aus  den  schon 
erwähnten  Schriftstellen  geht  klar  hervor,  daß  das  Abend- 
mahl ausgeteilt  wird  zur  Erinnerung  an  die  Versöhnung 
durch  den  Herrn  Jesum,  wie  sie  in  seinem  Leiden  und 
Sterben  vollbracht  wurde;  es  ist  ein  Zeugnis  vor  Gott, 
daß  wir  des  um  unsertwillen  dargebrachten  Opfers  seines 
Sohnes  eingedenk  sind;  und  daß  wir  den  Namen  Christi 
immer  noch  bekennen  und  entschlossen  sind,  uns  stets  zu 
bestreben,  seine  Gebote  zu  halten,  in  der  Hoffnung,  da- 
durch immer  seinen  Geist  mit  uns  zu  haben.   Das  würdige 


')  3.  Ncphi  18:5. 

=>>  2.  Nephi  26:21. 

')  3.  Nephi  18:11. 

*)  Lehre  u.  Bündn.  20: 

')  L.  u.  B.  20:37. 


Art.  4.]  Das  heilige  Abendmahl.  215 

Genießen  des  Abendmahls  darf  dann  angesehen  werden 
als  ein  Mittel  zur  Erneuerung  unsrer  Bündnisse  mit  dem 
Herrn,  zur  Anerkennung  der  gegenseitigen  Gemeinschaft 
unter  den  Mitgliedern  und  zum  feierlichen  Zeugnis,  daß  wir 
unsere  Mitgliedschaft  in  der  Kirche  Christi  behaupten  und 
bekennen.  Das  Abendmahl  ist  nicht  eingesetzt  worden 
als  ein  besonderes  Mittel,  um  Vergebung  der  Sünden  zu 
erhalten,  noch  zu  irgend  einem  andern  besondern  Segen, 
außer  zu  dem  einer  Erneurung  der  Gabe  des  Heiligen 
Geistes,  die  jedoch  alle  nötigen  Segnungen  in  sich  begreift. 
Wäre  das  Abendmahl  zur  Vergebung  der  Sünden  eingesetzt 
worden,  so  würde  es  sicherlich  denen  nicht  entzogen,  die 
einer  besondern  Vergebung  am  meisten  bedürfen;  aber  die 
Teilnahme  an  dieser  Verordnung  ist  auf  diejenigen  be- 
schränkt, deren  Gewissen  frei  ist  von  schwerem  Unrecht, 
also  auf  diejenigen,  die  vor  dem  Herrn  angenehm  sind, 
ja  auf  diejenigen,  die  eine  besondere  Vergebung  so 
wenig  notwendig  haben,  als  sie  Sterbliche  nur  haben 
können. 

10.  Die  Sinnbilder  des  Abendmahls.  —  Als  Christus 
das  Abendmahl  unter  den  Juden  und  unter  den  Nephiten 
einsetzte,  gebrauchte  er  Brot  und  Wein  als  die  Wahrzeichen 
seines  Leibes  und  seines  Blutes,^)  und  in  dieser  Dispen- 
sation —  der  Dispensation  der  Fülle  der  Zeiten  —  hat  er 
seinen  Willen  geoffenbart,  daß  die  Heiligen  öfters  zusammen 
kommen  sollen,  um  Brot  und  Wein  in  dieser  erinnern- 
den Verordnung  zu  genießen.^)  Aber  der  Herr  hat 
auch  gezeigt,  daß  anstatt  Brot  und  Wein  auch  andere 
Formen  der  Speise  und  des  Tranks  gebraucht  werden 
können.  Kurz  nach  der  Organisierung  der  Kirche  in  der 
gegenwärtigen  Dispensation  war  der  Prophet  im  Begriff, 
für  das  Abendmahl  Wein  zu  kaufen,  als  ihm  ein  beson- 


')  Matthäus  26:27 — 29;  Buch  Mormon,  3.  Nephi  18:1,8. 
»)  Lehre  u.  Bündn.  20:75. 


216  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  IX. 

derer  Bote  von  Gott  erschien  und  die  folgenden  Belehrungen 
erteilte:  „Denn  siehe,  ich  sage  euch,  daß  es  nicht  darauf 
ankommt,  was  ihr  esset  oder  was  ihr  trinket,  wenn  ihr 
das  Abendmahl  genießt,  so  ihr  es  mit  ungeteiltem  Sinne 
zu  meiner  Ehre  tut,  und  euch  vor  dem  Vater  an  meinen 
Leib,  der  für  euch  zerschlagen  ward,  und  an  mein  Blut, 
welches  für  die  Vergebung  eurer  Sünden  vergossen  ward, 
erinnert.  Darum  gebe  ich  euch  ein  Gebot,  daß  ihr  weder 
Wein  noch  starkes  Getränk  von  euren  Feinden  kaufen  sollt, 
und  deswegen  sollt  ihr  von  keinem  genießen,  ausgenommen 
es  sei  wiederum  unter  euch  bereitet,  selbst  in  diesem  meines 
Vaters  Reich,  welches  auf  Erden  gegründet  werden  soll."^) 
Auf  Grund  dieser  Ermächtigung  teilen  die  Heiligen  der 
letzten  Tage  bei  ihrem  Abendmahl  lieber  Wasser  aus 
statt  Wein,  gleichviel  ob  sie  von  dessen  Reinheit  überzeugt 
sind  oder  nicht.  Jedoch  ist  in  den  Gegenden  des  Kirchen- 
gebiets, wo  Weinberge  sind,  gewöhnlich  Wein  gebraucht 
worden. 

11.  Die  Art  und  Weise  der  Segnung  und  Austeilung 
des  Abendmahles.  —  Bei  den  Heiligen  der  letzten  Tage 
ist  es  gebräuchlich,  in  allen  Gemeinden  (Wards)  oder 
regelrecht  organisierten  Zweiggemeinden  der  Kirche  jeden 
Sabbath  Abendmahls  Versammlungen  abzuhalten.  Die 
Vollmacht  des  Priesters  der  aaronischen  Ordnung  des 
Priestertums  ist  zum  Segnen  der  Wahrzeichen  erforder- 
lich; und  natürlich  hat  auch  jeder,  der  das  höhere  Priester- 
tum  trägt,  die  Vollmacht,  in  dieser  Verordnung  zu  amtieren. 
Das  Brot  soll  zuerst  in  kleine  Stücke  gebrochen  und  in 
passenden  Behältern  auf  den  Abendmahlstisch  gestellt 
werden ;  und  dann  soll  es  der  Älteste  oder  Priester  gemäß 
der  Unterweisung  des  Herrn  wie  folgt  segnen :  „Er  soll 
knien  mit  der  Gemeinde  und  den  Vater  im  feierlichen  Ge- 
bet anrufen,  indem  er  sagt: 


')  Lehre  u.  Bündn.  27:2 — 4. 


Art.  4.]  Das  heilige  Abendmahl.  217 

„0  Gott,  du  ewiger  Vater,  wir  bitten  dich  in  dem  Namen 
deines  Sohnes  Jesu  Christi,  dieses  Brot  zu  segnen  und  zu 
heiligen  den  Seelen  aller  derer,  welche  davon  genießen,  daß 
sie  es  essen  mögen  zum  Gedächtnis  des  Leibes  deines  Sohnes^ 
und  dir  bezeugen,  o  Gott,  du  ewiger  Vater,  daß  sie  willens 
sind,  den  Namen  deines  Sohnes  auf  sich  zu  nehmen  und 
jederzeit  seiner  zu  gedenken  und  seine  Gebote  zu  halten,  die 
er  ihnen  gegeben  hat,  daß  sie  seinen  Geist  immer  mit  sich 
haben  mögen.    Amen"^) 

12.  Nachdem  das  Brot  unter  die  Versammelten  aus- 
geteilt worden  ist  —  an  welchem  Dienste  die  Lehrer  und 
Diener  unter  der  Leitung  des  amtierenden  Priesters  teil- 
nehmen dürfen  —  wird  der  Wein  oder  das  Wasser  in 
folgender  Weise  geweiht: 

„0  Gott,  du  ewiger  Vater,  wir  bitten  dich  in  dem  Namen 
deines  Sohnes  Jesu  Christi,  diesen  Wein  (oder  dieses  Wasser) 
zu  segnen  und  zu  heiligen  den  Seelen  aller  derer,  welche 
davon  trinken,  daß  sie  es  tun  mögen  zum  Gedächtnis  des 
Blutes  deines  Sohnes,  welches  für  sie  vergossen  wurde;  damit 
sie  dir  bezeugen  mögen,  o  Gott,  du  ewiger  Vater,  daß  sie  seiner 
allezeit  gedenken,  daß  sein  Geist  mit  ihnen  sein  möge.  Amen.''^) 

13.  Die  Deutlichkeit  der  Belehrungen,  die  der  Herr 
den  Heiligen  über  diese  Verordnung  gab,  läßt  keinen 
Streit  zu  wegen  der  Zeremonie;  denn  sicher  kann  nie- 
mand fühlen,  wenn  er  in  diesen  heiligen  Dingen  amtiert, 
daß  er  die  Autorität  habe,  die  Formen,  und  sei  es  auch 
nur  durch  ein  Wort,  zu  ändern.  Wenn  je  der  Herr  eine 
Änderung  in  dieser  Verordnung  wünscht,  so  wird  er  es 
ohne  Zweifel  auf  dem  von  ihm  eingesetzten  Weg  des 
Priestertums  bekanntmachen.  Die  Berichte  der  Nephiten 
beweisen  deutlich,  daß  die  Weise  der  Segnung  und  Aus- 


')  Lehre  u.  Bündn.  20:76 — 77;  vergleiche  Buch  Mormon,  Moroni  4. 
«)  L.  u.  B.  20:78 — 79;  vergleiche  Buch  Mormon,  Moroni  5. 


218  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  IX. 

teilung  des  Abendmahls,  wie  sie  zu  jener  Zeit  gehandhabt 
wurden,^)  dieselbe  war  wie  die,  welche  zur  Richtschnur 
der  Heiligen  in  der  Dispensation  der  Fülle  der  Zeiten 
geoffenbart  worden  ist. 


Anmerkungen. 

1.  Der  Ausdruck  „Sakrament"  (Gnadenmittel,  Heilsspende)  wird 
gewöhnlicli  in  einem  allgemeinen  und  in  einem  besondern  Sinne  gebraucht ; 
seiner  Abstammung  nach  bedeutet  er  etwas  Heiliges  oder  eine  heilige  Zere- 
monie, und  mit  dieser  Bedeutung  wird  er  von  verschiedenen  Sekten  auf 
einige  Verordnungen  ihrer  Kirchen  angewandt.  So  sprechen  die  Prote- 
stanten von  zwei  Sakramenten:  der  Taufe  und  dem  Abendmahl;  die 
Römisch-  und  Griechisch-Katholischen  anerkennen  sieben  Sakramente 
—  die  erwähnten  zwei,  dazu  die  Firmung  (Einsegnung),  die  Ehe,  die  Priester- 
weihe, die  Buße  und  die  letzte  Ölung.  Einige  Gruppen  innerhalb  der 
Griechischen  Kirche  sollen  die  Firmung  und  die  letzte  Ölung  aus  den  sieben 
Sakramenten  ausschließen.  Mit  noch  umfassenderer  Bedeutung  wird  das 
Wort  auf  irgendeine  wunderbare  oder  geistliche  Kundtuung  angewandt;  in 
dieser  Weise  wird  es  von  Bischof  Jeremy  Taylor  gebraucht,  wo  er  spricht: 
„Gott  sandte  zuweilen  eine  Feuersäule  und  eine  Wolkensäule  *••  und  das 
Sakrament  eines  Regenbogens,  um  sein  Volk  durch  seinen  Teil  des  Kummers 
zu  führen."  Insbesondere  aber  bedeutet  das  Wort  Sakrament  das  Abend- 
mahl des  Herrn,  und  mit  dieser  Bedeutung  allein  kommt  es  in  der  Theologie 
der  Heiligen  der  letzten  Tage  vor.  Die  „Eucharistie"')  und  „heilige  Kom- 
munion" sind  Ausdrücke,  die  in  gewissen  Kirchen  als  sinnverwandt  mit 
dem  Sakrament  des  Herrn  Abendmahls  gebraucht  werden.  Von  dem 
Brauch,  das  Abendmahl,  d.  h.  das  Genießen  des  Abendmahls  als  Beweis 
der  Mitgliedschaft  in  den  Kirchen  anzusehen,  und  von  der  Regel,  dieses 
Vorrecht  denen  vorzuenthalten,  die  als  der  Mitgliedschaft  unwürdig  gehalten 
werden,  stammt  der  Ausdruck  exkommunizieren,  wie  er  auf  Entziehung  der 
Gemeinschaft  in  der  Kirche  —  buchstäblich  bedeutend  „aus  der  Kom- 
munion (vom  Abendmahl)  ausstoßen"  —  angewandt  wird. 

2.  Des  Herrn  Abendmahl.  —  Wie  erwähnt,  kommt  diese  Bezeichnung 
des  Sakraments  nur  einmal  in  der  Bibel  vor.  In  seinem  ersten  Brief  an  die 
Korinther  spricht  Paulus  von  ,,des  Herrn  Abendmahl"  (1.  Kor.  11:20). 
Wahrscheinlich  wurde  dieser  Name  gebraucht,  weil  die  heilige  Verordnung 
zum  erstenmal  zur  Zeit  des  Abendessens  vollzogen  wiu-de.  Es  muß  daran 
erinnert  werden,  daß  unter  den  Juden  das  Deipnon,  oder  Abendessen,  die 
Hauptmahlzeit  des  Tages  war,  und  in  Wirklichkeit  unserm  Mittagessen 
entsprach. 

3.  Das  Passahfest  und  das  Abendmahl.  —  Das  Passahfest  war  das 
Hauptfest  der  alljährlichen  Feierlichkeiten  der  Juden,  und  sein  Name  rührte 
von  den  Umständen  bei  seinem  Urspnmg  her.  Als  der  Herr  seine  Hand  aus- 
streckte.  Israel  aus  der  ägj'ptischen   Gefangenschaft  zu  befreien,  tat  er 


')  Moroni  4  und  5. 

')  Eucharistie   =  Danksagung,  Abendmahlsfeier. 


Art.  4.]  Anmerkungen.  219 

viele  Wunder  vor  Pharao  und  seinem  abgöttischen  Haus.  Als  letzte  der 
zehn  furchtbaren  Plagen,  denen  die  Ägypter  unterlagen,  wurde  in  einer 
einzigen  Nacht  der  Erstgeborene  jeder  Familie  von  dem  Tode  betroffen. 
Einem  vorhergehenden  Befehl  gemäß  hatten  die  Israeliten  die  Pfosten 
und  Stürze  ihrer  Türeingänge  mit  dem  Blut  eines  Lammes,  das  zu  diesem 
Zweck  geschlachtet  wurde,  mit  einem  Büschel  Ysop  besprengt.  Als  der 
Herr  durch  das  Land  zog,  ging  er  an  den  so  bezeichneten  Häusern  vorüber 
(2.  Mose  12:12 — 13),  während  in  allen  ägyptischen  Häusern  der  Tod  ein- 
kehrte. So  stammt  der  Name  Passah  (englisch  Passover)  von  pasach, 
vorübergehen,  ab.  Das  Fleisch  des  Opferlammes  wurde  dann  in  der  Eile 
der  Flucht  gegessen.  Um  sie  an  ihre  Befreiung  aus  der  Knechtschaft  zu  erinnern, 
verlangte  der  Herr  von  den  Israeliten  eine  jährliche  Feier  dieses  Ereignisses, 
und  die  Gelegenheit  wurde  als  das  „Passahfest",  auch  „das  Fest  der  un- 
gesäuerten Brote"  bekannt;  dieser  Name  rührt  von  dem  Befehl  des 
Herrn  her,  daß  während  der  Feier  kein  Sauerteig  In  den  Häusern  des  Volkes 
gefunden  werden  sollte  (2.  Mose  12:15).  Das  Fest  sollte  Veranlassung 
geben,  die  Kinder  über  das  barmherzige  Verfahren  Gottes  mit  ihren  Vor- 
fahren zu  belehren  (2.  Mose  12:26,  27).  Aber  außer  seinem  erinnernden 
Zweck  wurde  das  Passahfest  dem  Volke  ein  Vorbild  des  Opfers  auf  Golgatha. 
Paulus  sagt:  „Denn  wir  haben  auch  ein  Osterlamm,  das  ist  Christus,  für 
uns  geopfert"  (1.  Korinther  5:7).  Als  Sinnbild  des  künftigen  versöhnenden 
Todes  Christi  verlor  das  Passahfest  teilweise  seine  Bedeutung  durch  die 
Kreuzigung  und  wurde  daher  durch  das  Abendmahl  aufgehoben.  Es  gibt  viel- 
leicht keine  nähere  Verwandtschaft  zwischen  den  zwei  Verordnungen  als  diese. 
Sicher  war  das  Abendmahl  nicht  dazu  bestimmt,  das  Passahfest  völlig  zu 
ersetzen,  denn  dieses  wurde  als  ein  immer  wiederkehrendes  Fest  eingesetzt: 
„Ihr  sollt  diesen  Tag  haben  zum  Gedächtnis  und  sollt  ihn  feiern  dem  Herrn 
zum  Fest,  ihr  xmd  alle  eure  Nachkommen,  zur  ewigen  Weise"  (2.  Mose  12: 14). 
4.  Irrtümer  betreffs  des  Abendmahls  und  seiner  Bedeutung  und  der 
Weise  der  Austeilung  nahmen  in  den  sich  zum  Christentum  bekennenden 
Kirchen  während  der  frühern  Jahrhunderte  des  Christentums  schnell  zu. 
Sobald  die  Kraft  des  Priestertums  weg  war,  entstand  viel  Streit  über  die 
Verordnung,  und  die  Vollziehung  des  Abendmahls  entartete.  Religionslehrer 
suchten  die  Meinung  zu  nähren,  daß  dieser  natürlich  einfachen  imd  er- 
greifenden Verordnung  viel  Geheimnisvolles  anhafte  und  daß  alle,  die  nicht 
in  voller  Gemeinschaft  mit  der  Kirche  seien,  nicht  allein  von  der  Teilnahme 
an  der  Verordnung  ausgeschlossen  werden  sollten  —  was  auch  richtig  war  — 
sondern  auch  von  dem  Vorrecht,  den  Dienst  anzusehen,  auf  daß  die  rätsel- 
hafte Feierlichkeit  durch  ihre  unheilige  Gegenwart  nicht  entweiht  werde. 
Dann  entstand  die  Ketzerei  der  „Transsubstantiation",')  die  behauptete, 
daß  die  Stoffe  des  Abendmahls  bei  der  Zeremonie  der  Weihung  ihren 
natürlichen  Charakter  als  einfaches  Brot  und  Wein  verlören,  und  in  Wirk- 
lichkeit Fleisch  und  Blut,  tatsächlich  Teile  des  gekreuzigten  Leibes  Christi, 
würden.  Beweisführungen  gegen  solche  Lehren  sind  zwecklos.  Dem  folgte 
die  Verehrung  der  Sinnbilder  durch  das  Volk;  es  wurde  bei  der  Messe  für 
die  Anbetung  des  Volkes  erhoben,  das  Brot  und  den  Wein  als  Teile  des 
Körpers    Christi   anzusehen.     Später   wurde   der    Brauch    eingeführt,   die 


')  Transsubstantiation    =    Verwandlung,   Brotverwandlung,   Abend- 
mahlswunder. 


220  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  IX. 

Hälfte  des  Abendmahls  dem  Volk  vorzuenthalten.  Durch  die  letzterwähnte 
Neuerung  wurde  nur  das  Brot  ausgeteilt,  denn  die  kirchliche  Lehre  ging 
dahin,  daß  beides,  Leib  imd  Blut,  in  irgendeiner  geheimnisvollen  Weise 
in  einem  „Element"  dargestellt  werde.  Sicher  ist,  daß  Christus  seine 
Apostel  aufforderte,  zu  seinem  Gedächtnis  sowohl  zu  trinken  als  auch 
zu  essen. 

5.  Das  Abendmahl  nngetauften  Kindern  ausgeteilt.  —  Es  sind 
Fragen  aufgetaucht,  ob  es  richtig  sei,  Kindern,  die  das  zur  Taufe  bestimmte 
Alter  noch  nicht  erreicht  haben,  das  Abendmahl  zu  geben.  Wie  wir  in 
einer  vorhergehenden  Vorlesung  angegeben  haben  (S.  153 — 156),  sind 
Kinder,  die  in  der  Kirche  geboren  werden,  ohne  die  Taufe  Mitglieder, 
bis  sie  das  Alter  der  Verantwortlichkeit  erreicht  haben.  Wahrschein- 
lich gibt  es  keine  Übertretung  des  Gesetzes,  wenn  das  Abendmahl  unter 
solchen  unschuldigen  Personen  ausgeteilt  wird,  und  da  die  lebenden  Autori- 
täten der  Kirche  diesen  Brauch  verordnet  haben,  ist  die  Frage  betreffs 
der  Richtigkeit  beantwortet.  Dennoch  sollen  Kinder  belehrt  werden,  daß, 
nachdem  sie  durch  die  Taufe  und  die  Konfirmation  in  der  Kirche  auf- 
genommen worden  sind,  das  Genießen  des  Abendmahls  für  sie  einen  großem 
Wert  hat,  indem  es  eine  Erneuerung  der  Bündnisse,  die  sie  an  den  Gewässern 
der  Taufe  machten,  bezeichnet. 


Art.  5.]  Männer  von  Gott  berufen.  221 


Vorlesung  X. 
Vollmacht  im  Amt. 

Artikel  5.  —  Wir  glauben,  daß  ein  Mann  von  Gott  berufen  sein  muß 
durch  Offenbarung  und  durch  das  Auflegen  der  Hände  derer,  welche  die 
Vollmacht  dazu  haben,  das  Evangelium  zu  predigen  und  in  dessen  Ver- 
ordnungen zu  amtieren. 

Männer  von  Gott  berufen. 

1.  Biblische  Beispiele.  —  Es  entspricht  ebensosehr  den 
Eingebungen  des  menschlichen  Verstandes  als  dem  Plane 
der  vollkommenen  Organisation,  welche  die  Kirche  cha- 
rakterisiert, daß  alle,  die  in  den  Verordnungen  des  Evange- 
liums amtieren,  durch  die  Vollmacht  des  Himmels  berufen 
und  zu  ihren  heiligen  Pflichten  beauftragt  werden.  Die 
Schrift  bestätigt  durchaus  diese  Ansicht ;  sie  stellt  uns  eine 
Reihe  Männer  vor,  deren  göttliche  Berufung  besonders 
bezeugt  wird,  und  deren  mächtige  Werke  eine  größere 
Kraft  als  die  des  Menschen  erkennen  lassen.  Anderseits 
wird  nicht  ein  einziges  Beispiel  berichtet,  daß,  wenn  irgend 
jemand  sich  selbst  die  Autorität,  in  heiligen  Dingen  zu 
amtieren,  angemaßt  hat,  Gott  doch  dessen  Handlungen 
anerkannt  hätte. 

2.  Betrachten  wir  den  Fall  Noahs,  der  inmitten  einer 
bösen  Welt  „Gnade  fand  vor  dem  Herrn". i)  Zu  ihm 
sprach  der  Herr  und  verkündete  sein  Mißfallen  an  den 
bösen  Einwohnern  der  Erde  und  das  göttliche  Vorhaben 
betreffs  der  Flut;  er  unterwies  ihn  auch  im  Bauen  und 
Ausstatten  der  Arche.  Daß  Noah  seinen  verderbten  Zeit- 


1)  1.  Mose  6:8. 


222  Die  Glaubensartikel,  [Vorl.  X. 

genossen  das  Wort  Gottes  verkündigte,  ist  ersichtlich  aus 
des  Petrus  Erklärung  über  die  Mission  Christi  in  der 
Geisterwelt  —  daß  der  Heiland  das  Evangelium  verkün- 
digte denen,  die  zu  der  Zeit  der  Geduld  Gottes  in  den 
Tagen  Noahs  ungehorsam  gewesen  waren,  und  die  als 
Folge  davon  in  der  Zwischenzeit  die  Entbehrungen  eines 
Gefängnisses  erlitten  hatten. i)  Sicher  kann  niemand  die 
göttliche  Quelle  der  Vollmacht  Noahs  in  Frage  ziehen, 
noch  die  Gerechtigkeit  der  vergeltenden  Strafe,  die  auf 
das  absichtliche  Verwerfen  seiner  Belehrungen  folgte, 
denn  seine  Worte  waren  die  Worte  Gottes. 

3.  So  war  es  auch  mit  Abraham,  dem  Vater  der 
Gläubigen.  Der  Herr  berief  ihn^)  und  machte  ein  Bündnis 
mit  ihm  für  all  die  Geschlechter  seiner  Nachkommen- 
schaft. In  gleicher  Weise  wurde  Isaak^)  ausgesondert; 
ebenso  Jakob,*)  dem  der  Herr  erschien,  als  er  auf  seinem 
Kissen  aus  Steinen  in  der  Wüste  ruhte.  Aus  dem  brennen- 
den Busch  kam  die  Stimme  Gottes  zu  Mose^)  und  berief 
und  beauftragte  diesen  Mann,  nach  Ägypten  zu  gehen 
und  das  Volk  zu  befreien,  dessen  Jammern  mit  solcher 
Wirkung  vor  den  Thron  des  Himmels  gekommen  war.  Um 
seinem  Bruder  in  diesem  großen  Werk  zu  helfen  wurde 
Aaron^)  berufen;  und  später  wurden  Aaron  und  seine 
Söhne')  aus  der  Mitte  der  Kinder  Israel  durch 
göttlichen  Befehl  erwählt,  um  im  Priesteramt  tätig  zu  sein. 
Als  Mose^)  sah,  daß  seine  Tage  gezählt  waren,  bat  er  den 
Herrn,  einen  Nachfolger  für  sein  heiliges  Amt  zu  bestimmen ; 


')  1.  Petrus  3:19—20. 

»)  1.  Mose  12—25;  Köstl,  Perle,  Buch  Abraham. 

»)  1.  Mose  26:2—5. 

«)  1.  Mose  28:10—15. 

')  2.  Mose  3:2—10. 

»)  2.  Mose  4:14 — 16,  27. 

')  2.  Mose  28:1. 

•)  4.  Mose  27:15—23. 


Art.  5.]  Männer  von  Gott  berufen.  223 

und  durch  besondern  Befehl  wurde  Josua,  der  Sohn  Nuns, 
hierzu  auserwählt. 

4.  Samuel,  der  solch  ein  großer  Prophet  in  Israel 
wurde  und  beauftragt  war,  Könige  zu  weihen,  ihnen 
zu  befehlen  und  sie  zu  tadeln,  Heere  zu  führen  und  dem 
Volk  als  Mundstück  Gottes  zu  dienen,  wurde  erwählt  und 
durch  die  Stimme  des  Herrn  berufen,  als  er  noch  ein 
Knabe  war.^)  Und  derart  war  die  Kraft,  die  diesem  Rufe 
folgte,  daß  das  ganze  Israel  von  ,,Dan  bis  gen  Beer-Seba" 
wußte,  daß  Samuel  als  ein  Prophet  Gottes  eingesetzt 
worden  war. 2)  Die  Zeit  erlaubt  es  nicht,  die  vielen  andern 
mächtigen  Männer  zu  erwähnen,  die  ihre  Kraft  von  Gott 
erhielten  und  deren  Geschichte  die  Ehre,  mit  welcher  der 
Herr  seine  auserwählten  Diener  ansieht,  schildert.  Man 
denke  nur  an  das  himmlische  Gesicht,  durch  das  Jesaja 
berufen  und  in  den  Pflichten  seines  prophetischen  Amtes 
unterwiesen  wurde ;^)  an  Jeremia,  zu  welchem  das  Wort 
des  Herrn  in  den  Tagen  Josias  kam;^)  an  den  Propheten 
Hesekiel,  der  die  göttliche  Botschaft  zum  erstenmal  in  dem 
Lande  der  Chaldäer  erhielt,^)  und  später  bei  andern  Gelegen- 
heiten: an  Hosea^)  und  an  alle  andern  Propheten  bis  auf 
Sacharja^)  und  Maleachi.^) 

5.  Die  Apostel  des  Herrn  wurden  in  den  Tagen  seines 
Wirkens  durch  seine  eigene  Stimme  berufen;  und  sicher 
ist  die  Vollmacht  des  Heilandes  —  da  sie  durch  die  mäch- 
tigen Werke  des  durch  Schmerzen  und  Todesqual  voll- 
brachten Sühnopfers  und  die  bevollmächtigte  Erklärung 
des  Vaters  zur  Zeit  der  Taufe  Christi  bestätigt  wird  — 


•)  1.   Samuel  3:4—14. 
n  1.   Samuel  3:20. 
»)  Jesaja  1:1;  2:1;  6; 
')  Jeremia  1:2 — 10. 
')  Hesekiel  1:1. 
•)  Hosea  1:1. 
')  Sacharja  1:1. 
*)  Maleachi  1:1. 


224  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  X. 

nicht  zu  bezweifeln.  Petrus  und  sein  Bruder  Andreas  wur- 
den, als  sie  ihre  Netze  in  das  Meer  warfen,  mit  der  Anweisung 
berufen:  „Folget  mir  nach;  ich  will  euch  zu  Menschen- 
fischern machen  l"i)  und  kurz  nachdem  wurden  Jakobus 
und  Johannes,  die  Söhne  des  Zebedäus,  in  gleicher  Weise 
berufen.  Und  so  auch  mit  all  den  erwählten  Zwölfen,  die 
mit  dem  Meister  wirkten;  und  den  Elfen,  die  treu  geblieben 
waren,  erschien  er  nach  seiner  Auferstehung  und  gab  ihnen 
besondere  Aufträge  für  das  Werk  seines  Reiches. 2)  Christus 
erklärt  ausdrücklich,  daß  er  seine  Apostel  erwählt  und  zu 
ihren  erhabenen  Stellen  ordiniert  habe.^) 

6.  In  der  der  irdischen  Mission  Christi  unmittelbar 
folgenden  Zeit  wurden  die  Diener  des  Evangeliums  durch 
unzweifelhafte  Autorität  ernannt  und  geweiht.  Selbst 
Saulus  von  Tarsus,  nachher  Paulus  der  Apostel,  der  durch 
wunderbare  Zeichen  und  Kundtuungen  bekehrt  wurde,^) 
mußte  für  das  Werk,  das  der  Herr  von  ihm  verlangte, 
rechtmäßig  beauftragt  werden;  es  wird  uns  berichtet,  daß 
der  Heilige  Geist  zu  den  Propheten  und  Lehrern  der  Kirche 
zu  Antiochien,  als  sie  fasteten,  in  folgender  Weise  sprach: 
,,  Sondert  mir  aus  Barnabas  und  Saulus  zu  dem  Werke, 
dazu  ich  sie  berufen  habe."^) 

7.  Eines  Mannes  Ordination  zu  einem  Amte,  wie  sie 
durch  biblische  Vorgänge  gutgeheißen  und  durch  unmittel- 
bare Offenbarung  des  Willens  Gottes  festgesetzt  worden 
ist,  soll  durch  die  Gabe  der  Prophezeiung  und  das  Auflegen 
der  Hände  von  denen,  die  die  Autorität  dazu  haben,  voll- 
zogen werden.  Unter  Prophezeiung  wird  das  Vorrecht, 
Kundtuungen  des  göttlichen  Willens  zu  empfangen  und 


■)  Matthäus  4:18—20. 

»)  Matthäus  28:19—20;  Markus  16:15. 

")  Johannes  6:70;  15:16. 

*)  Apostelgesch.  9. 

')  Apostelgesch.  13:1—2. 


Art.  5.]  Männer  von  Gott  berufen.  225 

die  Kraft,  dieselben  auszulegen,  verstanden.  Daß  das 
Auflegen  der  Hände  als  ein  Teil  der  Zeremonie  üblich  ist, 
wird  in  einigen  der  schon  erwähnten  Fälle  erkannt;  doch 
berichtet  die  Schrift  auch  von  vielen  Ordinationen  zu 
Ämtern  im  Priestertum,  ohne  eine  besondere  Erklärung 
betreffs  des  Auflegens  der  Hände  oder  überhaupt  irgend- 
welche Einzelheiten  der  Zeremonie  anzugeben.  Solche 
Fälle  berechtigen  aber  nicht  zu  der  Folgerung,  daß  das 
Auflegen  der  Hände  wirklich  nicht  vollzogen  wurde.  Im 
Lichte  neuzeitlicher  Offenbarung  ist  es  klar,  daß  das  Auf- 
legen der  Hände  eine  gewöhnliche  Begleiterscheinung  der 
Ordination,  wie  es  auch  ein  Teil  der  Zeremonie  der  kon- 
firmierenden Segnungen^)  und  der  Spendung  des  Heiligen 
Geistes^)  w^ar. 

8.  In  dieser  Weise  kam  das  Priestertum  von  Adam 
durch  die  Hände  der  Väter  auf  Noah  herab  ;3)  Enos  wurde 
von  Adam  ordiniert,  was  auch  der  Fall  war  mit  Mahala- 
leel,  Jared,  Henoch  und  Methusalah.  Lamech  wurde 
unter  der  Hand  Seths  ordiniert.  Noah  empfing  seine 
Vollmacht  unter  der  Hand  Methusalahs.  So  kann  man 
das  Priestertum,  wie  es  durch  die  Führung  des  Geistes 
der  Prophezeiung  und  unter  der  Hand  des  einen  auf  den 
andern  übertragen  wurde,  bis  auf  die  Zeit  Moses  verfolgen. 
Melchizedek,  der  diese  Vollmacht  auf  Abraham  übertrug, 
hatte  die  seine  von  Noah  durch  die  gerade  Linie  seiner 
Väter  empfangen.  Esaias,  ein  Zeitgenosse  Abrahams, 
empfing  seine  Ordination  von  der  Hand  Gottes.  Unter 
der  Hand  Esaias  ging  das  Priestertum  auf  Gad  über, 
dann  durch  dieselbe  Vermittlung  auf  Jeremi,  Elihu,  Caleb 


')  1.  Mose  48:14 — 19.    Vergleiche  2.   Könige  5:11;   Matthäus  8:15; 
Markus  6:5;  16:15—18. 

=  )  Siehe  Vorlesung  VIII,  Seite  195—209. 
')  Lehre  u.  Bündn.  107:40 — 52. 


226  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  X. 

und  Jethro,  den  Priester  in  Midian,  von  dem  Mose  ordiniert 
wurde. ^)  Josua,  der  Sohn  Nuns,  wurde,  wie  es  Gott 
befohlen  hatte,  durch  das  Auflegen  der  Hände  von  Mose 
eingesetzt.  2) 

9.  Zur  Zeit  der  Apostel  machten  es  die  Umstände 
ratsam,  in  der  Kirche  besondere  Beamte  einzusetzen,  die 
für  die  Armen  sorgen  und  die  Verteilung  der  Vorräte  über- 
wachen sollten.  Diese  Männer  wurden  mit  Sorgfalt  aus- 
gesucht und  durch  Gebet  und  das  Auflegen  der  Hände 
eingesetzt.^)  In  gleicher  Weise  wurde  Timotheus  ordiniert, 
wie  die  ihm  von  Paulus  gegebenen  Ermahnungen  bezeugen : 
„Laß  nicht  außer  der  Acht  die  Gabe,  die  dir  gegeben  ist 
durch  die  Weissagung  mit  Handauflegung  der  Ältesten",^) 
und  wiederum:  „Erwecke  die  Gabe  Gottes,  die  in  dir  ist, 
durch  die  Auflegung  meiner  Hände. "^)  Der  Herr  hat  sich 
durch  feierliches  Bündnis  verpflichtet,  die  Handlungen 
seiner  autorisierten  Diener  anzuerkennen.  Wem  auch 
immer  die  Ältesten  nach  der  Taufe  Verheißung  geben,  auf 
den  wird  der  Heilige  Geist  kommen.^)  Was  auch  immer 
die  Priesterschaft  auf  Erden  binden  oder  lösen  wird,  wird 
in  gleicher  Weise  im  Himmel  gebunden  oder  gelöst  werden,') 
die  Kranken,  auf  welche  die  Ältesten  ihre  Hände  legen, 
sollen  genesen; 8)  und  viele  andere  Zeichen  sollen  denen 
folgen,  die  glauben. Und  so  eifrig  ist  der  Herr  auf  die  Macht, 
in  seinem  Namen  zu  amtieren,  bedacht,  daß  beim  Jüngsten 
Gericht  alle,  die  seinen  Dienern  geholfen  oder  sie  verfolgt 


')  Lehre  u.  Bündn.  84:6 — 14. 

»)  4.  Mose  27:18;  5.  Mose  34:9. 

=)  Apostelgesch.  6:1 — 6. 

*)  1.   Timotheus  4:14. 

')  2.  Timotheus  1:6. 

•)  Apostelgesch.  2:38;  3.  Nephi  11:35;  12:2;  Lehre  u.  Bündn.  84:64. 

')  Matthäus  16:19;   Lehre  u.   Bündn.   1:8;  128:8 — 11. 

')  Marl£us  16:15—18. 


Art.  5.]  Männer  von   Gott  berufen.  227 

haben,  so  belohnt  oder  bestraft  werden  sollen,  als  hätten 
sie  diese  Dinge  Christus  selbst  angetan. i) 

10.  Unbefugtes  Amtieren  in  priesterlichen  Diensten 
ist  nicht  allein  ungültig,  sondern  auch  sehr  sündhaft.  In  sei- 
nem Umgang  mit  der  Menschheit  hat  Gott  immer  das  unter 
seiner  Führung  eingesetzte  Priestertum  anerkannt  und 
geehrt;  er  hat  noch  nie  irgendwelche  unbefugte  Anmaßung 
von  Vollmacht  geduldet.  In  dem  Falle  der  Empörung 
Korahs  und  seiner  Gefährten  gegen  die  Autorität  des 
Priestertums,  wo  sie  das  Recht,  das  Priesteramt  zu  ver- 
walten, sich  unrechtmäßigerweise  selbst  anmaßten,  wird 
eine  furchtbare  Belehrung  gegeben.  Wegen  ihrer  Sünde 
suchte  sie  der  Herr  schnell  heim  und  machte,  daß  sich  die 
Erde  spaltete  und  sie  mit  ihrer  ganzen  Habe  verschlang. 2) 

11.  Und  bedenke  die  Strafe,  die  auf  Mirjam,  die 
Schwester  Moses  und  eine  Prophetin  unter  dem  Volke, 
kam. 3)  Sie  und  Aaron  redeten  wider  Mose  und  sprachen: 
,, Redet  denn  der  Herr  allein  durch  Mose?  Redet  er  nicht 
auch  durch  uns?  Und  der  Herr  hörte  es."^)  Er  kam 
sogleich  in  einer  Wolke  hernieder,  stand  an  der  Tür  der 
Stiftshütte,  verwies  ihnen  ihre  Anmaßung  und  recht- 
fertigte die  Vollmacht  seines  erwählten  Dieners  Mose.  Als 
sich  die  Wolke  von  der  Stiftshütte  verzog,  sah  man,  daß 
Mirjam  vor  Aussatz  weiß  war  wie  Schnee;  und  nach  dem 
Gesetz  wurde  sie  aus  dem  Lager  Israels  ausgestoßen.  Aber 
auf  das  ernste  Bitten  Moses  heilte  der  Herr  das  Weib,  und 
später  wurde  ihr  erlaubt,  zum  Volke  zurückzukehren. 

12.  Betrachten  wir  auch  das  Los  Usas,  des  Israeliten, 
den,  weil  er  seine  Hand  ausstreckte,  um  die  Bundeslade  zu 


')  Matthäus    18:4—6;    25:31 — 46;    Lehre    u.    Bündn.    75:19—22; 
84:88—90. 

*)  4.  Mose  16. 
')  2.  Mose  15:21. 
•)  4.  Mose  12. 


228  Die   Glaubensartikel.  [Vorl.  X. 

halten,  durch  den  Zorn  Gottes  ein  plötzlicher  Tod  traf.i) 
Dieses  tat  Usa  entgegen  dem  Gesetz,  wonach  niemand  außer 
den  Priestern  das  heilige  Zubehör  der  Lade  anrühren 
durfte;  wir  lesen,  daß  bei  Todesstrafe  nicht  einmal  die 
berufenen  Träger  des  Gefäßes  seine  heiligen  Teile  anrühren 
durften.  2) 

13.  Denken  wir  dann  an  Saul,  den  König  von  Israel, 
der  von  dem  Lande  berufen  wurde,  ein  von  Gott  begünstig- 
ter Fürst  zu  werden.  Als  die  Philister  zu  Michmas  gegen 
Israel  geordnet  standen,  harrte  Saul  Samuels,^)  unter 
dessen  Hand  er  die  königliche  Salbung  empfangen  hatte,*) 
und  an  den  er  sich  in  den  Tagen  seiner  Demut  um  Führung 
gewandt  hatte;  er  bat,  daß  der  Prophet  komme  und  dem 
Herrn  um  des  Volkes  willen  Opfer  darbringe.  Aber  Saul  — 
über  die  Verzögerung  Samuels  ungeduldig  und  vergessend, 
daß,  obwohl  er  den  Thron  einnahm,  die  Krone  trug  und 
das  Zepter  führte,  diese  Amtsabzeichen  seiner  könighchen 
Macht  ihm  keinerlei  Vorrecht  gaben,  nicht  einmal  als 
Türhüter  in  dem  Hause  Gottes  zu  amtieren  —  bereitete 
das  Brandopfer  selbst;  und  wegen  dieses  Falles  und  auch 
wegen  anderer  Fälle  sündhafter  Anmaßung  wurde  er  von 
Gott  verworfen  und  ein  andrer  an  seiner  Stelle  erwählt. 

14.  Ein  treffendes  Beispiel  des  göttlichen  Eifers  für 
heilige  Dienste  ist  die  furchtbare  Erfahrung  Usias,  des 
Königs  von  Juda.  Als  er  erst  16  Jahre  alt  war,  wurde  er 
auf  den  Thron  gesetzt,  und  solange  er  den  Herrn 
suchte,  ließ  ihm  dieser  alles  sehr  wohlgelingen,  so  daß  sein 
Name  seinen  Feinden  ein  Schrecken  wurde.  Aber  der 
König  ließ  in  seinem  Herzen  Stolz  aufkommen  und  gab 
sich  dem  Wahn  hin,  er  sei  in  seiner  Eigenschaft  als  König 


')  1.  Chronik  13:10. 

'■)  4.  Mose  4:15. 

')  1.  Samuel  13:5—14. 

•)  1.  Samuel  10. 


Art.  5.]  Männer  von  Gott  berufen,  229 

der  Höchste  von  allen.  Er  ging  in  den  Tempel  und  ver- 
suchte auf  dem  Altar  zu  räuchern.  Über  diese  gottes- 
lästerliche Tat  empört,  verboten  es  ihm  Asarja,  der  Haupt- 
priester des  Tempels,  und  mit  ihm  achtzig  Priester,  die 
zu  dem  König  sprachen:  ,,Es  gebührt  dir,  Usia,  nicht,  zu 
räuchern  dem  Herrn,  sondern  den  Priestern,  Aarons 
Kindern,  die  zu  räuchern  geheiligt  sind.  Gehe  heraus  aus 
dem  Heiligtum,  denn  du  vergreifst  dich."  Über  diesen 
Tadel  und  Verweis  von  seinen  Untertanen  —  obwohl  diese 
Priester  des  lebendigen  Gottes  waren  —  wurde  der 
König  sehr  zornig,  aber  sogleich  fiel  die  furchtbare  Strafe 
des  Aussatzes  auf  ihn.  Die  Zeichen  der  schrecklichen 
Krankheit  erschienen  an  seiner  Stirn;  und  jetzt,  daß  er 
körperlich  ein  unreiner  Mensch  war,  trug  seine  Gegenwart 
noch  mehr  dazu  bei,  den  heiligen  Ort  zu  verunreinigen. 
Und  Asarja  und  seine  Mitpriester  stießen  den  König  aus 
dem  Tempel;  und  er,  ein  heimgesuchtes  Wesen,  floh  von 
dem  Hause  des  Herrn,  um  nie  wieder  jene  heiligen  Räume 
zu  betreten.  Von  seiner  weitern  Strafe  lesen  wir:  ,,Also 
war  Usia,  der  König,  aussätzig  bis  an  seinen  Tod  und 
wohnte  in  einem  besondern  Hause  aussätzig;  denn  er 
ward  verstoßen  vom  Hause  des  Herrn. "i) 

15.  Eine  kräftige  Erläuterung  der  Nutzlosigkeit  un- 
befugter Handlungen  oder  der  bloßen  Form  der  heiligen 
Verordnungen,  wenn  die  Vollmacht  fehlt,  wird  in  dem 
Neuen  Testament  in  dem  Bericht  über  die  sieben  Söhne 
des  Skevas  gegeben.  Diese,  gemeinsam  mit  andern,  hatten 
die  von  Paulus  gezeigte  wunderbare  Macht  gesehen  und 
sich  darüber  gewundert;  denn  der  Herr  hatte  Paulus  in 
seinem  Apostelamt  so  gesegnet,  daß,  durch  Berührung 
mit  Taschentüchern  und  Schürzen,  die  von  ihm  geschickt 
worden   waren,    die   Kranken   geheilt   und   böse    Geister 


•)  2.  Chronik  26. 


230  Die  Glaubensartikel.  (Vorl.  X. 

ausgetrieben  wurden.  Die  Söhne  Skevas,  die  von  dem 
heiligen  Geschichtsschreiber  zu  den  Beschwörern  und 
umherziehenden  Juden  gerechnet  wurden,  suchten  auch 
einen  bösen  Geist  auszutreiben:  „Wir  beschwören  euch 
bei  dem  Jesus,  den  Paulus  predigt' ' ,  sagten  sie ;  aber  der  böse 
Geist  verspottete  sie  wegen  ihres  Mangels  an  Vollmacht, 
und  rief  aus:  ,,Jesum  kenne  ich  wohl,  und  von  Paulus 
weiß  ich  wohl;  wer  seid  ihr  aber?"  Dann  sprang  der 
besessene  Mensch,  in  dem  der  böse  Geist  war,  auf  sie  und 
überwältigte  sie,  so  daß  sie  nackt  und  verwundet  von  dem 
Hause  flohen.^) 

16.  Wahre  und  falsche  Lehrer.  —  Keine  außer  denen, 
die  in  gehöriger  Weise  zu  lehren  ermächtigt  sind,  können 
als  wahre  Ausleger  des  Wortes  Gottes  betrachtet  werden. 
Die  Bemerkungen  Pauli  über  die  Hohenpriester  sind  in 
gleicher  Weise  auf  jedes  Amt  des  Priestertums  anwendbar: 
,,Und  niemand  nimmt  sich  selbst  die  Ehre,  sondern  er 
wird  berufen  von  Gott  gleichwie  Aaron. "2)  Und  wie  wir 
schon  bemerkt  haben,  wurde  Aaron  durch  Mose,  dem  der 
Herr  seinen  Willen  in  dieser  Sache  offenbarte,  berufen. 
Diese  Befugnis,  in  dem  Namen  des  Herrn  zu  amtieren,  wird 
nur  denen  gegeben,  die  von  Gott  auserwählt  sind;  sie  ist 
nicht  durch  bloßes  Bitten  zu  erhalten,  noch  ist  sie  mit 
Gold  zu  kaufen.  Wir  lesen  von  Simon  dem  Zauberer, 
der  die  von  den  Aposteln  innegehabte  Macht  begehrte, 
daß  er  diesen  Dienern  Christi  Geld  anbot  und  sprach: 
„Gebt  mir  auch  die  Macht,  daß,  so  ich  jemand  die  Hände 
auflege,  derselbe  den  heiligen  Geist  empfange."  Aber  mit 
gerechtem  Unwillen  erwiderte  ihm  Petrus:  „Daß  du  ver- 
dammt werdest  mit  deinem  Gelde,  darum  daß  du  meinst, 


')  Apostelgesch.  19:13 — 17. 
■)  Hebräer  5:4. 


Art.  5.]  Männer  von  Gott  berufen.  231 

Gottes  Gabe  werde  durch  Geld  erlanget!  Du  wirst  weder 
Teil  noch  Anfall  haben  an  diesem  Wort;  denn  dein  Herz 
ist  nicht  rechtschaffen  vor  Gott.''^) 

17.  Den  Aposteln  vor  alters  war  bekannt,  daß  sich 
die  Menschen  das  Vorrecht,  in  göttlichen  Dingen  zu  am- 
tieren, anmaßen  werden,  wodurch  sie  Diener  Satans  wür- 
den. Als  Paulus  zu  denversammelten  Ältesten  zu  Ephesus 
redete,  prophezeite  er  diese  argen  Ereignisse  und  warnte 
die  Hirten  der  Herde,  acht  zu  haben  auf  ihre  Verwaltung. 2) 
In  einem  Brief  an  Timotheus  wiederholte  der  Apostel  diese 
Prophezeiung ;  zum  Fleiß  im  Predigen  des  Worts  ermahnend 
erklärte  er:  „Denn  es  wird  eine  Zeit  sein,  da  sie  die  heilsame 
Lehre  nicht  leiden  werden;  sondern  nach  ihren  eigenen 
Lüsten  werden  sie  ihnen  selbst  Lehrer  aufladen,  nach  dem 
ihnen  die  Ohren  jucken,  und  werden  die  Ohren  von  der 
Wahrheit  wenden  und  sich  zu  den  Fabeln  kehren."-'')  Die 
Erklärungen  Petri  betreffs  derselben  Sache  sind  nicht 
weniger  klar.  Als  er  den  Heiligen  seiner  Zeit  schrieb, 
erwähnte  er  die  frühern  falschen  Propheten  und  fügte 
hinzu:  ,,Wie  auch  unter  euch  sein  werden  falsche  Lehrer, 
die  neben  einführen  werden  verderbliche  Sekten  und  ver- 
leugnen den  Herrn,  der  sie  erkauft  hat.  *  *  *  Und  viele 
werden  nachfolgen  ihrem  Verderben;  um  welcher  willen 
wird   der   Weg   der   Wahrheit  verlästert  werden."^) 

18.  Göttliche  Vollmacht  in  der  gegenwärtigen  Dispen- 
sation. —  Die  Heiligen  der  letzten  Tage  behaupten, 
Vollmacht  zu  besitzen,  in  dem  Namen  Gottes  zu  amtieren, 
und  daß  dieses  Vorrecht  unter  den  Händen  derer,  welche 
dieselbe  Macht  in  früheren  Dispensationen  hielten,  in  dieser 
Zeit  erteilt  worden  ist.    Durch  die  Schrift  kann  gezeigt 


')  Apostelgesch.  8:18—24. 
')  Apostelgesch.  20:28—30 
')  2.  Timotheus  4:2—4. 
♦)  2.  Petrus  2:1—3. 


232  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  X. 

werden,  daß  die  Vollmacht  des  heiligen  Priestertums 
von  der  Erde  genommen  werden  sollte,  nachdem  die  alten 
Apostel  erschlagen  sein  würden;  und  daß  diese  notwendiger- 
weise wieder  vom  Himmel  geoffenbart  werden  mußte,  ehe 
die  Kirche  wieder  gegründet  werden  konnte.  Am  15.  Mai 
1829,  als  Joseph  Smith  und  Oliver  Cowdery  im  ernsten 
Gebet  waren,  um  Belehrung  über  die  Taufe  zur  Vergebung 
der  Sünden  zu  erhalten,  von  der  sie  durch  die  Platten  des 
Buches  Mormon  Kenntnis  erhalten  hatten,  kam  ein  Bote 
in  einer  Lichtwolke  vom  Himmel  hernieder.  Er  gab  sich 
als  der  Johannes,  der  in  alten  Zeiten  der  Täufer  genannt 
wurde,  zu  erkennen  und  sagte,  er  wirke  unter  der  Leitung 
von  Petrus,  Jakobus  und  Johannes,  welche  die  Schlüssel 
des  höhern  Priestertums  hielten.  Der  Bote  legte  seine 
Hände  auf  die  beiden  jungen  Männer  und  stattete  sie  mit 
Vollmacht  aus,  indem  er  sprach:  „Auf  euch,  meine  Mit- 
knechte, übertrage  ich  im  Namen  des  Messias  das  Priester- 
tum  Aarons,  das  die  Schlüssel  der  Erscheinung  von  Engeln, 
des  Evangeliums  der  Buße  und  der  Taufe  durch  Unter- 
tauchung zur  Vergebung  der  Sünden  hält;  und  dieses  soll 
nie  mehr  von  der  Erde  genommen  werden,  bis  die  Söhne 
Levis  dem  Herrn  wieder  ein  Opfer  in  Gerechtigkeit  dar- 
bringen."^) 

19.  Kurze  Zeit  nach  diesem  Ereignis  erschienen  Petrus, 
Jakobus  und  Johannes  dem  Joseph  und  Oliver,  ordi- 
nierten sie  zum  höhern  oder  melchizedekischen  Priester- 
tum  und  übertrugen  auf  sie  die  Schlüssel  des  Apostelamts, 
welches  diese  himmlischen  Boten  in  der  frühern  Dispen- 
sation innegehabt  und  ausgeübt  hatten.  Diese  Ordnung 
des  Priestertums  hat  Vollmacht  über  alle  Ämter  der  Kirche 
und   schließt  in   sich  die  Macht,   die  geistigen  Dinge  zu 


')  Köstl.  Perle,  Auszug  aus  der  Geschichte  Joseph   Smiths,   S.  87. 
Lehre  u.  Bündn.  13. 


Art.  5.]  Vorordination  und  Präexistenz.  233 

verwalten;^)  infolgedessen  wurden  durch  diesen  Besuch 
alle  für  die  Gründung  der  Kirche  notwendigen  Vollmachten 
und  Kräfte  auf  Erden  wiederhergestellt. 

20.  Niemand  ist  berechtigt,  in  irgendwelchen  Ver- 
ordnungen der  Kirche  Jesu  Christi  der  Heiligen  der  letzten 
Tage  zu  amtieren,  es  sei  denn,  er  sei  durch  Bevollmächtigte 
zu  dieser  Berufung  ordiniert  worden;  es  empfängt  also 
keiner  das  Priestertum,  außer  unter  der  Hand  eines 
Menschen,  der  dieses  Priestertum  selbst  trägt;  dieser  muß 
es  vorher  von  andern  Bevollmächtigten  bekommen  haben ; 
und  heute  kann  jeder  Träger  des  Priestertums  seine  Voll- 
macht zurückleiten  bis  zum  Propheten  Joseph,  der,  wie 
schon  erklärt,  seine  Ordination  unter  den  Händen  himm- 
lischer, mit  göttlicher  Kraft  angetaner  Boten  empfangen 
hatte.  Daß  Männer,  die  auf  Erden  zur  Vollmacht  eines 
Amtes  von  Gott  berufen  worden  sind,  zu  solcher  Berufung 
erwählt  worden  sein  können,  sogar  schon  ehe  sie  sterbliche 
Körper  angenommen  haben,  geht  aus  der  Heiligen  Schrift 
hervor.  Diese  Sache  darf  in  vorliegendem  Zusammenhang 
wohl  Aufmerksamkeit  beanspruchen;  ihre  Betrachtung 
führt  uns  zu  folgendem  Gegenstand. 

Vorordination  und  Präexistenz. 

21.  Vorordination.  —  Während  einer  wunderbaren 
Unterredung  offenbarte  der  Herr  dem  Abraham  viele  Dinge, 
die  sterblichen  Augen  gewöhnlich  vorenthalten  werden. 
Der  Patriarch  sagte:  ,,Nun  hatte  der  Herr  mir,  Abraham, 
die  Intelligenzen  gezeigt,  welche  organisiert  waren,  ehe  die 
Welt  war;  und  unter  allen  diesen  waren  viele  der  Edlen 
und  Großen.  Und  Gott  sah  diese  Seelen,  daß  sie  gut 
waren,  und  er  stand  mitten  unter  ihnen  und  sagte:  Diese 
will  ich  zu  meinen  Herrschern  machen;  denn  er  stand 


»)  Lehre  u.  Bündn.  107. 


234  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  X. 

unter  denen,  die  Geister  waren,  und  er  sah,  daß  sie  gut 
waren;  und  er  sagte  zu  mir:  „Abraham,  du  bist  einer  von 
ihnen,  du  warst  erwählt,  ehe  denn  du  geboren  wurdest."^) 
Dies  ist  einer  der  vielen  Beweise  aus  den  heiligen  Schriften, 
daß  die  Geister  der  Menschen  schon  vor  ihrer  irdischen 
Prüfungszeit  lebten :  ein  Zustand,  in  dem  diese  intelligenten 
Wesen  lebten  und  ihren  freien  Willen  ausübten,  ehe  sie 
fleischliche  Körper  angenommen  hatten.  Sicher  sind  also 
die  Naturen,  Gemüter  und  Neigungen  der  Menschen  dem 
Vater  ihrer  Geister  bekannt,  selbst  ehe  diese  in  der 
Sterblichkeit  geboren  werden;  und  er  braucht  nicht  zu 
warten,  bis  sie  ihre  Fähigkeiten  auf  Erden  entwickeln  und 
beweisen,  ehe  sie  zu  besonderm  Wirken  in  der  Erfüllung 
göttlicher  Absichten  berufen  werden. 

22.  Beweise  dafür,  daß  Christus  —  selbst  vom  Anfang 
an  —  erwählt  und  ordiniert  wurde  der  Erlöser  der  Welt 
zu  sein,  sind  zahlreich  vorhanden.  Wir  lesen  von  seinem 
vornehmsten  Stand  unter  den  Söhnen  Gottes,  indem  er, 
um  den  Willen  Gottes  zu  erfüllen,  sich  selbst  als  Opfer 
anbot.2)  Er  war  es,  ,,der  zwar  zuvor  ersehen  ist,  ehe  der 
Welt  Grund  gelegt  ward. "2) 

23.  Folgenderweise  lehrte  Paulus  die  Lehre  von  der 
göttlichen  Auserwählung  und  Vorherbestim.mung :  „Denn 
welche  er  zuvor  ersehehen  hat,  die  hat  er  auch  verordnet, 
daß  sie  gleich  sein  sollten  dem  Ebenbilde  seines  Sohnes  ***. 
Welche  er  aber  verordnet  hat,  die  hat  er  auch  berufen."*) 
Und  wieder:  ,,Gott  hat  sein  Volk  nicht  verstoßen,  welches 
er  zuvor  ersehen  hat. "5) 


')  KösU.    Perle,    Abraham    3:22 — 23;    siehe   auch    Jeremia    1:4 — 5. 

-)  Siehe  Seite  99. 

')  1.  Petrus  1:20. 

*)  Römer  8:29 — 30. 

')  Römer  11:2. 


Art.  5.]  Vorordination  und  Präexistenz.  235 

24.  Alma,  der  nephitische  Prophet,  sprach  von  den 
Priestern,  die  nach  der  Ordnung  des  Sohnes  ordiniert 
worden  waren,  und  fügte  hinzu:  ,, Dieses  nun  ist  die  Weise, 
nach  der  sie  geweiht  wurden,  da  sie  von  Gründung  der  Welt 
her,  nach  dem  Vorherwissen  Gottes,  wegen  ihres  unüber- 
trefflichen Glaubens  und  ihrer  guten  Werke,  dazu  berufen 
und  vorbereitet  worden  sind,  da  es  ihnen  überlassen  wurde, 
Gutes  oder  Böses  zu  wählen;  daher,  weil  sie  das  Gute 
gewählt  und  außerordentlich  großen  Glauben  gezeigt 
haben,  sind  sie  mit  einem  heiligen  Berufe  berufen,  ja,  mit 
dem  heiligen  Berufe,  welcher  mit  und  gemäß  einer  vor- 
bereitenden Erlösung  für  solche  bereitet  war.''^) 

25.  Vorordination  schließt  keinen  Zwang  in  sieh  ein.  — 

Die  Lehre  unbedingter  Prädestination  (Vorherbestimmung), 
welche  die  Aufhebung  des  freien  Willens  des  Menschen  zur 
Folge  hätte,  ist  mit  verschiedenen  Abänderungen  von 
vielen  Sekten  vertreten  worden.  Jedoch  sind  solche  Lehren 
sowohl  durch  den  Buchstaben  als  auch  durch  den  Geist 
der  Schrift  ganz  und  gar  unberechtigt.  Das  Vorherwissen 
Gottes  inbezug  auf  die  Natur  und  die  Fähigkeiten  seiner 
Kinder  befähigt  ihn,  das  Ende  ihrer  irdischen  Laufbahn  — 
selbst  von  Anfang  an  —  vorauszusehen:  ,,Gott  sind  alle 
seine  Werke  bewußt  von  der  Welt  her. "2)  Viele  Leute  sind 
veranlaßt  worden,  dieses  Vorherwissen  Gottes  als  eine 
sichere  Prädestination  anzusehen,  wodurch  Seelen  ent- 
weder der  Herrlichkeit  oder  der  Verdammung  —  selbst 
vor  ihrer  Geburt  im  Fleisch  und  ohne  Rücksicht  auf  ihre 
eigenen  Verdienste  oder  Fehler  —  zugewiesen  werden. 
Diese  ketzerische  Lehre  sucht  der  Gottheit  jede  Eigenschaft 
der  Barmherzigkeit,  der  Gerechtigkeit  und  der  reinen 
Liebe  zu  rauben:  sie  macht  den  Vater  launenhaft  und 


')  Alma  13:3;  auch  10,  11. 
')  Apostelgesch.  15:18. 


236  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  X. 

selbstsüchtig,  als  ob  er  alle  Dinge,  ohne  sich  um  die  darauf 
folgenden  Leiden  der  Opfer  seiner  Ungerechtigkeit  zu 
kümmern,  nur  zu  seiner  eigenen  Verherrlichung  führe  und 
erschaffe.  Wie  furchtbar,  wie  widersinnig  ist  ein  solcher 
Begriff  von  Gott!  Er  leitet  zu  der  vernunftwidrigen 
Schlußfolgerung,  daß  die  bloße  Erkenntnis  zukünftiger 
Ereignisse  als  ein  bestimmender  Einfluß  im  Zustande- 
bringen solcher  Begebenheiten  wirken  müsse.  Gottes  Er- 
kenntnis von  der  geistigen  und  menschlichen  Natur  macht 
es  ihm  möglich,  über  die  Taten  irgendwelcher  seiner 
Kinder  unter  bekannten  Zuständen  mit  Gewißheit  zu 
urteilen;  aber  sicher  hat  eine  solche  Erkenntnis  keinen 
bestimmenden  Einfluß  auf  das  Geschöpf. 

26.  Ohne  Zweifel  weiß  Gott  von  einigen  Geistern,  daß  sie 
nur  die  Gelegenheit  zur  Wahl  zwischen  Gutem  und  Bösem 
erwarten,  um  das  Böse  zu  wählen  und  ihr  eigenes  Ver- 
derben zu  vollbringen;  diese  sind  es,  von  denen  Judas 
spricht,  ,,von  denen  vorzeiten  geschrieben  ist  solches 
Urteil". 1)  Um  das  Schicksal  solcher  abzuwenden,  müßte 
ihnen  der  freie  Wille  genommen  werden;  sie  können  nur 
durch  Zwang  erlöst  werden;  aber  Zwang  Avird  durch  die 
Gesetze  des  Himmels  verboten,  und  zwar  sowohl  für  die 
Seligkeit  als  auch  für  die  Verdammung.  Es  gibt  andere, 
deren  Redlichkeit  und  Treue  in  ihrem  vormaligen  Stand 
bewiesen  worden  sind,  der  Vater  weiß  wie  rückhaltlos  ihnen 
zu  vertrauen  ist;  und  viele  von  ihnen  werden  sogar  in  ihrer 
irdischen  Jugend  zu  besonderem  und  erhabenem  Wirken 
als  auserwählte  Diener  des  Allerhöchsten  berufen. 

27.  Präexistenz  der  Geister.  —  Die  schon  angeführten 
Tatsachen  von  der  Vorordination  erbringen  den  Beweis 
dafür,  daß  die  Geister  der  Menschen  schon  vor  dieser 
irdischen  Prüfungszeit   ein  Dasein  gehabt  haben.    Diese 


')  Judas  4. 


Art.  5-1  Vorordination  und  Präexistenz.  237 

Zeit  des  Vorherdaseins  wird  oftmals  die  Stufe  der 
„uranfänglichen  Kindheit"  oder  „des  ersten  Standes" 
genannt.  Daß  diese  Geister  als  organisierte  Intelligen- 
zen während  jenes  uranfänglichen  Standes  gelebt  und 
ihren  freien  Willen  ausgeübt  haben,  geht  aus  der  Erklärung 
des  Herrn  zu  Abraham  hervor:  „Und  die,  die  ihren  ersten 
Stand  behalten,  sollen  mehr  erhalten,  und  die,  die  ihren 
ersten  Stand  nicht  behalten,  sollen  keine  Herrlichkeit  in 
dem  gleichen  Reiche  mit  denen  haben,  die  ihren  ersten 
Stand  behalten  haben;  und  die,  die  ihren  zweiten  Stand 
behalten,  sollen  Herrlichkeit  auf  ihren  Häuptern  vermehrt 
empfangen,  für  immer  und  ewig."^) 

28.  Kein  Christ  bezweifelt  die  Präexistenz  des  Hei- 
landes oder  seinen  Stand  als  ein  Glied  der  Gottheit,  ehe  er 
als  der  Sohn  Marias  auf  die  Erde  kam.  Die  allgemeine  Aus- 
legung, die  man  den  eröffnenden  Worten  des  Evangeliums 
Johannes  gibt,  bestätigt  die  Ansicht  von  der  ur- 
anfänglichen Gottheit  Christi:  ,,Im  Anfang  war  das  Wort, 
und  das  Wort  war  bei  Gott,  und  Gott  war  das  Wort." 
Wir  lesen  weiter:  ,,Und  das  Wort  ward  Fleisch  und  wohnte 
unter  uns. "2)  Die  Aussprüche  des  Erlösers  selbst  bestätigen 
diese  Wahrheit.  Als  seine  Jünger  mit  seiner  Lehre  inbezug 
auf  sich  selbst  nicht  in  Übereinstimmung  waren,  sprach  er: 
„Wie,  wenn  ihr  denn  sehen  werdet  des  Menschen  Sohn 
auffahren  dahin,  da  er  zuvor  war?"^)  Bei  einer  andern 
Gelegenheit  sagte  er:  „Ich  bin  vom  Vater  ausgegangen  und 
gekommen  in  die  Welt;  wiederum  verlasse  ich  die  Welt 
und  gehe  zum  Vater."*)  Erfreut  über  diese  deutliche 
Erklärung,  die  den  Glauben,  den  sie  womöglich  im  Herzen 
trugen,  bestätigte,  erwiderten  seine  Jünger:  ,, Siehe,  nun 


')  Köstl.  Perle,  Abraham  3:26. 

-)  Johannes  1:1,  14. 

')  Johannes  6:62. 

*)  Johannes  16:28. 


238  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  X. 

redest  du  frei  heraus  und  sagst  kein  Sprichwort.  *  *  * 
Darum  glauben  wir,  daß  du  von  Gott  ausgegangen  bist."^) 
Den  verderbten  Juden,  die  sich  ihrer  Abstammung  von 
Abraham  rühmten  und  ihre  Sünden  unter  dem  schützenden 
Gewand  des  großen  Patriarchen  zu  verbergen  suchten, 
sagte  der  Heiland:  ,, Wahrlich,  wahrlich,  ich  sage  euch: 
„Ehe  denn  Abraham  ward,  bin  ich. "2)  In  einem  feierlichen 
Gebet  an  seinen  Vater  flehte  der  Sohn:  ,,Und  nun  verkläre 
mich  du,  Vater,  bei  dir  selbst  mit  der  Klarheit,  die  ich  bei 
dir  hatte,  ehe  die  Welt  war."^)  Doch  wurde  Christus  als 
ein  Kind  unter  Menschen  geboren;  und  wenn  seine  irdische 
Geburt  die  Vereinigung  eines  schon  vorher  lebenden 
unsterblichen  Geistes  mit  einem  sterblichen  Körper  war, 
so  darf  man  daraus  mit  Recht  schließen,  daß  dieses  auch 
bei  der  Geburt  eines  jeden  andern  Mitglieds  des  Menschen- 
geschlechts der  Fall  ist. 

29.  Wir  sind  aber  nicht  allein  der  bloßen  Folgerung 
auf  Grund  der  Gleichartigkeit  überlassen;  die  Schriften 
lehren  deutlich,  daß  die  Geister  der  Menschen  vor  ihrer 
irdischen  Geburt  Gott  bekannt  und  gezählt  waren.  Als 
Mose  dem  Volke  Israel  seinen  Abschiedsegen  erteilte, 
sang  er:  „Gedenke  der  vorigen  Zeit***.  Da  der  Aller- 
höchste die  Völker  zerteilte  und  zerstreute  der  Menschen 
Kinder,  da  setzte  er  die  Grenzen  der  Völker  nach  der  Zahl 
der  Kinder  Israel."^)  Aus  diesem  erfahren  wir,  daß  die 
Erde  den  Völkern  nach  der  Zahl  der  Kinder  Israel  zugeteilt 
wurde;  es  ist  daher  augenscheinlich,  daß  diese  Zahl  vor  dem 
Dasein  des  israelitischen  Volkes  im  Fleisch  bekannt  war; 


')  Johannes  16:29 — 30. 
■)  Johannes  8:58. 

')  Johannes  17:5.    Siehe  auch  Buch  Mormon,  2.  Nephi  9:5;  25:12; 
Mosiah  3:5;  13:33—34;  15:1. 
*)  5.  Mose  32:7,  8. 


Art.  5.]  Anmerkungen.  239 

dieses  wird  durch  die  Annahme  eines  früheren  Daseins,  in 
dem  die  Geister  des  zukünftigen  Volkes  bekannt  waren, 
am  leichtesten  erklärt. 

30.  Daher  ist  in  der  Zahl  oder  Ausdehnung  der  zeit- 
lichen Schöpfungen  Gottes  kein  Zufall  möglich. i)  Die 
Bevölkerung  der  Erde  ist  nach  der  Zahl  der  Geister,  die 
bestimmt  sind,  auf  dieser  Erde  fleischliche  Körper  anzu- 
nehmen, festgesetzt;  wenn  diese  in  der  von  Gott  verord- 
neten Ordnung  und  Zeit  alle  hervorgekommen  sind,  dann, 
und  nicht  eher  soll  das  Ende  kommen. 


Anmerkitngen. 

1.  Geistige  Schöpfungen.  —  Der  Zustand  der  Präexistenz  (Vorher- 
dasein) ist  nicht  aUein  menschlichen  Seelen  eigen,  sondern  alle  Dinge  der  Erde 
haben  ein  geistiges  Wesen,  von  welchem  der  zeitliche  Körper  nur  das  Gegen- 
stück bildet.  Wir  lesen  von  der  Schöpfung:  „Und  allerlei  Bäume  auf  dem 
Felde  waren  noch  nicht  auf  Erden,  und  allerlei  Kraut  auf  dem  Felde  war 
noch  nicht  gewachsen"  (1.  Jlose  2:5).  Dieses  wird  in  größerer  Ausführlich- 
keit in  einer  anderen  Offenbarung  an  Mose  dargetan;  „Und  nun  siehe,  ich 
sage  dir,  daß  diese  die  Geschlechter  des  Himmels  und  der  Erde  sind,  da  sie 
erschaffen  wurden  an  dem  Tage,  als  ich,  Gott  der  Herr,  den  Himmel  und 
die  Erde  machte,  und  jegliche  Pflanze  des  Feldes,  vordem  sie  in  der  Erde 
war,  und  jegliches  Kraut  des  Feldes,  vordem  es  wuchs.  Denn  ich,  der  Herr, 
erschuf  alle  Dinge,  von  denen  ich  gesprochen  habe,  geistig,  vordem  sie 
irdisch  auf  der  Oberfläche  der  Erde  waren.  *  »  *  Und  ich,  Gott  der  Herr, 
hatte  alle  die  Menschenkinder  erschaffen;  und  es  war  noch  kein  Mensch  da, 
die  Erde  zu  bebauen,  denn  im  Himmel  erschuf  ich  sie ;  und  es  war  noch 
kein  Fleisch  auf  der  Erde,  noch  im  Wasser,  noch  in  der  Luft;  aber  ich,  Gott 
der  Herr,  sprach  und  es  ging  ein  Nebel  auf  von  der  Erde  und  bewäßerte  den 
Erdboden.  Und  ich,  Gott  der  Herr,  machte  den  Menschen  von  dem  Staube 
der  Erde,  und  blies  den  Odem  des  Lebens  in  seine  Nase;  und  der  Mensch 
wurde  eine  lebendige  Seele,  das  erste  Fleisch  auf  der  Erde,  und  auch  der 
erste  Mensch;  nichtsdestoweniger  waren  alle  Dinge  vorher  erschaffen; 
aber  geistig  waren  sie  erschaffen  und  gemacht  nach  meinem  Wort."  (Köstl. 
Perle,  Moses  3:4—7). 

2.  Vollmacht  von  Golt  gegeben.  —  ,,Der  weitgehendste  Beweis,  daß 
Joseph  Smith  die  Vollmacht  und  Kraft  des  heiligen  Priestertums  empfing, 
liegt  in  der  Tatsache,  daß  die  Werke  Johannes  des  Täufers  und  Jesu  und 
seiner  Apostel  wieder  auf  Erden  unter  seiner  Leitung  getan  werden.  Um 
die  Mächte  dieses  Priestertums  zu  bekommen,  ist  es  notwendig,  daß  Männer 
die  Gesetze  und  Verordnungen  des  Evangeliums  befolgen.    Der  Herr  ist 


')  Siehe  Anmerkung  1. 


240  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  X. 

persönlich  einigen  Männern  erschienen  und  hat  ein  Bündnis  mit  ihnen 
gemacht  wie  mit  Abraham  (siehe  1.  Mose  12:1 — 3;  13:14 — 17).  Der  Herr 
hatte  auch  seine  zwölf  jüdischen  Apostel  persönlich  berufen  und  bevoll- 
mächtigt. So  völlig  waren  sie  bevollmächtigt,  für  ilin  zu  wirken  und  in 
seinem  Namen  zu  handeln,  daß  er  ihnen  sagte:  „Wer  euch  aufnimmt,  der 
nimmt  mich  auf;  und  wer  mich  aufnimmt,  der  nimmt  den  auf,  der  mich 
gesandt  hat"  (Matth.  10:40).  Aber  allgemeiner  empfangen  Männer  das 
Priestertum  von  den  Proplieten  und  Aposteln  Christi.  Viele  haben  es  unter 
den  Händen  der  Apostel  der  ersten  Dispensation  des  Evangeliums  empfangen. 
Wer  es  in  dieser  Dispensation  der  letzten  Tage  bekommen  hat,  hat  es  von 
Joseph  Smith  und  Oliver  Cowdery  empfangen  und  infolgedessen  auf  einem 
gesetzlichen  Weg  von  Gott  dem  Vater  und  seinem  Sohn  Jesus  Christus  erhalten. 
Wer  dieses  Priestertum  bekommen  hat,  hat  ein  Bündnis  mit  Gott  gemacht, 
und  er  eins  mit  ihnen.  Dies  ist  augenscheinlich  die  angenommene 
Ansicht  über  diese  Sache  in  der  oben  angeführten  Stelle  von  Matthäus. 
Diese  Lehre  wird  in  „Lehre  und  Bündnisse*'  noch  vollkommener  erläutert: 
„Und  auch  alle,  die  dieses  Priestertum  empfangen,  empfangen  mich,  spricht 
der  Herr.  Denn  wer  meine  Diener  empfängt,  empfängt  mich,  und  wer  mich 
empfängt,  der  empfängt  meinen  Vater;  und  wer  meinen  Vater  empfängt, 
der  empfängt  meines  Vaters  Reich;  deshalb  soll  alles,  was  mein  Vater  hat, 
ihm  gegeben  werden,  und  dies  ist  nach  dem  Eid  und  Bunde,  der  zum 
Priestertum  gehört"  (Lehre  u.  Bündn.  84:35 — 39).  —  Compendium,  F.  D. 
Richards  und  J.  A.  Little,  S.  67. 

3.  „Gott  sind  alle  seine  Werke  bewußt  von  der  Welt  her"  (Apostel^ 
gesch.  15 :  18).  Die  Erkenntnis,  die  wir  vom  Anfang  der  Welt  haben,  stammt 
im  allgemeinen  von  der  Geschichte  über  ihre  Erscliaffung,  wie  wir  sie 
linden  in  der  Bibel,  im  1.  Buch  Mose  und  in  der  Köstliclien  Perle  in  den  Schrif- 
ten Moses  und  Abrahams.  *  *  *  Diese  Schriften  machen  es  klar,  daß  der 
Mensch,  ehe  er  auf  die  Erde  kam,  in  einem  geistigen  Zustand  ein  Dasein 
hatte  und  auch  ebenso  augenscheinlich,  daß  er  in  jener  Präexistenz  (Vor- 
herdascin)  seinen  freien  Willen  ausübte.  *  *  *  Gott  mag  Männer  in  ihrem 
ersten  Stand,  oder  geistigen  Dasein,  berufen  und  erwählt  haben,  aber  ob 
sie  in  diesem  Leben  diesen  Beruf  annehmen  und  ihn  durch  Buße  und  gute 
Werke  erfüllen  werden,  ist  eine  Sache,  in  der  es  ihr  Vorrecht  ist,  ihren  freien 
Willen  auszuüben.  *  *  *  Menschen  übten  ihren  freien  Willen  aus  in  ihrem 
ersten  oder  geistigen  Stand,  wie  sie  es  in  diesem  irdischen  tun.  Daß  der 
Charakter  ihrer  Werke  in  jedem  Stande  ihr  Schicksal  in  diesem  gestaltete, 
ist  augenscheinlich."  —  Compendium,  F.  D.  Richards  und  J.  A.  Little, 
S.  138—140.  Siehe  auch:  Apostelgesch.  2:23;  Römer  8:29— .30;  11:2,  28; 
Jesaja  48:12;  1.  Glironik  29:1;  Buch  Mormon,  Alma  13:3—7:  Lehre  u. 
Bündn.  84:34,  99. 


Art.  6.]  Die  Kirche  in  alter  und  neuer  Zeit.  241 


Vorlesung  XL 

Die  Kirche  und  ihre  Verfassungs- 
ordnung. 

Artikel  6.  —  Wir  glauben  an  die  gleiche  Organisation,  die  in  der  ur- 
sprünglichen Kirche  bestand,  nämlich:  Apostel,  Propheten,  Hirten,  Lehrer, 
Evangelisten  usw. 

Die  Kirche  in  alter  und  neuer  Zeit. 

1.  Die  ursprüngliche  Kirche.  —  Im  Verlauf  seines 
irdischen  Wirkens  gründete  Christus  seine  Kirche  auf 
Erden  und  setzte  in  ihr  die  Beamten  ein,  die  notwendig 
waren,  um  die  Absichten  des  Vaters  auszuführen.  Wie  in 
der  letzten  Vorlesung  bemerkt,  wurde  jede  so  eingesetzte 
Person  mit  Vollmacht  von  Gott  ausgestattet,  um  in  den 
Verordnungen  ihrer  Berufung  zu  amtieren.  Nach  der 
Himmelfahrt  Christi  wurde  dieselbe  Organisation  weiter- 
geführt, indem  diejenigen,  die  Vollmacht  hatten,  andre 
zu  den  verschiedenen  Ämtern  des  Priestertums  ordinierten. 
In  dieser  Weise  wurden  der  Kirche  Apostel,  Propheten, 
Evangelisten,  Hirten, i)  Hohepriester,-)  Siebziger,^)  Äl- 
teste,^) Bischöfe,^)  Priester,^)  Lehrer,')  und  Diener^) 
gegeben. 


»)  Epheser  4:11. 

=  )  Hebräer  5:1—5. 

»)  Lukas  10:1—11. 

•)  Apostelgesch.  14:23;  15:6;  1.   Petrus  5:1. 

')  1.  Timotheus  3:1;  Titus  1:7. 

')  Offenbarung  Joh.  1 : 6. 

')  Apostelgesch.  13:1. 

*)  1.  Timotheus  3:8 — 12. 


242  Die  Glaubensartikel.  t'^'orl.  XI. 

2.  Außer  diesen  besondern  Ämtern  im  Priestertum  gab 
es  noch  andre  Berufungen  mehr  zeitlicher  Natur,  zu  denen 
Männer  ebenfalls  durch  Vollmacht  eingesetzt  wurden ;  dies 
war  z.  B.  der  Fall  mit  den  sieben  Männern  von  gutem 
Gerücht,  die  in  den  Tagen  der  Apostel  erwählt  und  be- 
stimmt wurden,  den  Armen  zu  dienen,  wodurch  die  Zwölf 
mehrentlastetwurden  und  besser  auf  die  besondern  Pflichten 
ihres  Amtes  achten  konnten. i)  Diese  besondre  Berufung 
erklärt  das  Wesen  der  Helfer  und  Regierer,^)  welche  in  der 
Kirche  bestimmt  worden  sind,  um  unter  der  Leitung  der 
regelmäßigen  Beamten  des  Priestertums  im  Werk  zu 
helfen. 

3.  Die  so  eingesetzten  Diener  und  die  Mitglieder,  unter 
denen  sie  arbeiten,  bilden  die  Kirche  Christi,  die  in  vor- 
trefflicher Weise  mit  einem  vollkommenen  Leibe  ver- 
glichen worden  ist;  die  Einzelnen  stellen  die  Glieder  dar, 
wovon  jedes  seine  besondere  Verrichtung  hat,  dennoch 
wirken  alle  zusammen  für  das  Wohl  des  Ganzen. 3)  Jedes 
so  festgesetzte  Amt,  jeder  so  beauftragte  Beamte  ist 
zu  der  Entwicklung  der  Kirche  und  dem  Vollbringen  des 
Werkes  Gottes  notwendig.  Eine  von  Gott  gegründete 
Organisation  schließt  nichts  Überflüssiges  in  sich :  das  Auge, 
das  Ohr,  die  Hand,  der  Fuß,  jedes  Glied  des  Körpers  ist 
zur  Symmetrie  und  zur  Vollkommenheit  des  körperlichen 
Baues  notwendig.  In  der  Kirche  kann  kein  Beamter  einem 
andern  mit  Recht  sagen:  ,,Ich  bedarf  dein  nicht."*) 

4.  Das  Vorhandensein  dieser  Beamten  und  noch  mehr 
ihr  Wirken  unter  göttlicher  Hilfe  und  Macht  darf  als 
ein  unterscheidendes  Kennzeichen  der  Kirche  in  irgend- 
einem Zeitalter  der  Welt  angesehen  werden  und  als  eine 


•)  Apostelgesch.  6:1 — 6. 

=)  1.  Korinther  12:28. 

=)  1.   Korinther  12:12—27;  Römer  12:4—5;  Epheser  4:16. 

•)  1.  Korinther  12:21. 


Art.  6.]  Die  Kirche  in  alter  und  neuer  Zeit.  243 

entscheidende  Probe,  wodurch  die  Richtigkeit  oder 
Falschheit  irgendeiner  Behauptung  auf  göttliche  Vollmacht 
festgesetzt  werden  kann.  Das  Evangelium  Christi  ist  das 
ewige  Evangelium;  seine  Prinzipien,  Gesetze  und  Verord- 
nungen und  auch  die  darauf  gegründete  Kirchenorgani- 
sation müssen  immer  dieselben  sein.  In  dem  Suchen  nach 
der  wahren  Kirche  muß  man  sich  deshalb  nach  einer  Or- 
ganisation umsehen,  die  die  in  früheren  Zeiten  eingesetzten 
Ämter,  die  Berufungen  der  Apostel,  Propheten,  Evange- 
listen, Hohenpriester,  Siebziger,  Hirten,  Bischöfe,  Ältesten, 
Priester,  Lehrer  und  Diener  —  nicht  Männer,  die  bloß  diese 
Namen  tragen,  sondern  Diener,  die  ihre  Behauptung  als 
Beamte  im  Dienste  des  Herrn  durch  die  ihr  Wirken  beglei- 
tenden Beweise  der  Macht  und  Autorität  bestätigen 
können  —  in  sich  begreift. 

5.  Der  Abfall  von  der  ursprünglichen  Kirche.  —  Die 
Frage:  Sind  diese  Vollmachten  und  Kräfte  samt  den  mit 
ihnen  verbundenen  Gaben  des  Geistes  von  dem  aposto- 
lischen Zeitalter  bis  zu  der  Gegenwart  unter  den  Menschen 
geblieben;  kurzum,  ist  eine  Kirche  Christi  während  dieser 
langen  Periode  auf  Erden  gewesen?  dürfte  wohl  in  dem 
Gemüt  eines  ernsten  Forschers  auftauchen.  Als  Antwort 
erwäge  man  diese  Tatsachen :  Seit  der  dem  Wirken  der 
alten  Apostel  unmittelbar  folgenden  Zeit  und  bis  in  das 
gegenwärtige  Jahrhundert^)  hat  keine  Kirche  behaup- 
tet, unmittelbare  Offenbarung  von  Gott  zu  erhalten; 
die  vorgeblichen  Diener  des  Evangeliums  haben  sogar 
in  dem  Sinne  gelehrt,  daß  solche  Gaben  Gottes  auf- 
gehört hätten,  daß  die  Tage  der  Wunder  vorbei  seien 
und  daß  die  Gegenwart  für  ihre  führenden  Gesetze 
von  der  Vergangenheit  gänzlich  abhängig  sei.  Eine  ohne 
weiteres  verständliche   Erklärung    der    Geschichte  zeigt, 


')  Dieses  Buch  wurde  im  Jahre  1890  verfaßt,  also  im  neunzehnten 
Jahrhundert.  —  Der  Übersetzer. 


244  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XI. 

daß  es  eine  große  Abweichung  von  dem  Wege  der 
Seligkeit,  wie  er  von  dem  Heiland  aufgestellt  worden  ist, 
einen  allgemeinen  Abfall  von  der  Kirche  Christi,  gegeben 
hat.i)  Kaum  war  die  Kirche  von  dem  Heiland,  dessen 
Namen  sie  trägt,  organisiert,  als  sich  schon  die  Mächte 
der  Finsternis  zum  Kampf  gegen  die  organisierte  Körper- 
schaft aufgestellt  hatten.  Sogar  schon  in  den  Tagen  Christi 
wurde  gegen  die  Jünger  bitterlich  Verfolgung  geführt; 
unter  den  Juden  anfangend  —  und  zuerst  gegen  den 
Meister  selbst  und  dann  gegen  seine  wenigen  ihm  nahe- 
stehenden Gefährten  —  umgab  diese  Flut  der  Widersetzung 
jeden  bekannten  Anhänger  des  Heilandes,  daß  sogar  der 
Name  Christ  ein  Epitheton  des  Hohns  wurde. 

6.  Aber  im  ersten  Viertel  des  vierten  Jahrhunderts 
änderte  sich  die  Haltung  des  Heidentums  dem  Chri- 
stentum gegenüber,  und  zwar  durch  die  Bekehrung 
Konstantins  des  Großen,  unter  dessen  Schutz  der  Christen- 
glaube in  Gunst  kam,  ja  sogar  zur  Staatsreligion  erhoben 
wurde.  Was  für  ein  Bekenntnis,  was  für  eine  Religion  war 
es  aber  nun  geworden !  Seine  Einfachheit  war  verschwun- 
den ;  ernste  Hingebung  und  sich  selbst  opfernde  Aufrichtig- 
keit waren  den  Dienern  der  Kirche  nicht  mehr  eigen; 
diese  vorgeblichen  Anhänger  des  demütigen  Propheten  von 
Nazareth,  diese  sich  selbst  so  nennenden  Gefährten  des 
sanftmütigen  und  niedern  Jesu,  diese  sich  laut  verkünden- 
den Freunde  des  „Mannes  der  Schmerzen"  lebten  in  Ver- 
hältnissen, die  in  sonderbarem  Widerspruch  zu  dem  Leben 
ihres  großen  Vorbildes  standen.  Man  trachtete  nach  den 
Kirchenämtern  wegen  der  sie  begleitenden  Auszeichnung 
und  Ehren  und  Reichtümer;  die  Diener  des  Evangeliums 
ahmten  das  Wesen  der  weltlichen  Behörden  nach ;  Bischöfe 


')  Siehe  Anmerkungen  1  und  2.  Siehe  „The  Great  Apostacy,  Consi- 
dered in  the  Light  of  Scriptural  and  Secular  History",  von  James  E.  Tal- 
madge,   Salt  Lake  City    1909. 


Art.  6.]  Die  Kirche  in  alter  und  neuer  Zeit.  245 

strebten  nach  dem  Pomp  der  Fürsten,  Erzbischöfe  lebten 
wie  Könige  und  Päpste  wie  Kaiser.  Mit  diesen  unerlaubten 
und  unbiblischen  Neugestaltungen  kamen  auch  viele  Ab- 
änderungen in  den  Verordnungen  der  sogenannten  Kirche 
vor;  die  Verordnung  der  Taufe  wurde  verkehrt,  das  Abend- 
mahl wurde  verändert,  der  öffentliche  Gottesdienst  wurde 
eine  Schaustellung  der  Kunst;  Menschen  wurden  heilig 
gesprochen,  Märtyrer  wurden  zu  Gegenständen  der  An- 
betung erhoben,  Gotteslästerung  nahm  zu,  indem  Männer 
ohne  Vollmacht  die  Vorrechte  Gottes  auszuüben  ver- 
suchten und  andere  zu  den  Ämtern,  die  noch  dazu  geist- 
lichegenannt wurden,  beriefen.  Zeiten  der  Finsternis  kamen 
über  die  Erde;  die  Macht  Satans  schien  die  allerhöchste  zu 
sein. 

7.  Für  eine  besondere  Erwägung  der  Beweise  eines 
allgemeinen  Abfalls  von  der  Kirche  Christi  muß  der 
Studierende  die  Religionsgeschichte  zu  Rate  ziehen. 
Obwohl  nur  wenige  dieser  Schriftsteller  die  Tatsache 
des  Abfalls  anerkennen,  so  weisen  doch  die  geschicht- 
lichen Ereignisse,  die  sie  berichten,  auf  diese  furcht- 
bare Wahrheit  hin.  Seit  den  Tagen  der  Apostel  bis  beinahe 
zum  Schluß  des  zehnten  Jahrhunderts  können  wir  eine 
sich  immer  ändernde  Form  der  Kirchenorganisation  wahr- 
nehmen, bis  diese  in  der  letzterwähnten  Zeit  mit  der  von 
dem  Heiland  gegründeten  Kirche  nur  noch  wenig  Ähnlich- 
keit hatte.  Dieser  Abfall  wird  von  einigen  Geschichts- 
schreibern anerkannt,  und  wie  wir  später  sehen  werden, 
wurde  er  durch  bevollmächtigte  Prophezeiung  deutlich 
vorausgesagt. 

8.  John  Wesley,  der  Gründer  einer  bedeutenden  Reli- 
gionsgemeinschaft, lehrte,  daß  die  kennzeichnenden  Gaben 
des  Heiligen  Geistes  nicht  mehr  in  der  Kirche  seien,  denn 
wegen  der  Unwürdigkeit  vorgeblicher  Christen  —  die  er 
sogar  als  Heiden  mit  einer  toten  Form  der  Gottesverehrung 


246  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XI. 

bezeichnete  —  seien  sie  weggenommen  worden^.)  In  der 
Homilie  der  anglikanischen  Kirche  lesen  wir  über  die 
„Gefahren  der  Abgötterei",  daß  Laien  und  Geistliche, 
Gelehrte  und  Ungelehrte,  Männer  und  Frauen  und  Kinder 
aus  jedem  Alter,  jeder  Sekte  und  jedem  Stand  selbst  der 
ganzen  Christenheit  zugleich  unter  der  abscheulichsten 
Abgötterei  begraben  gewesen  sind,  und  dies  für  eine  Zeit 
von  achthundert  Jahren  oder  mehr.  —  Doktor  Milner,  der 
Verfasser  eines  erschöpfenden  Werkes  über  die  kirchliche 
Geschichte,  erkennt  einen  erbärmlichen  Zustand  der  Kirche 
in  dem  zehnten  Jahrhundert  an  und  findet  in  diesem 
traurigen  Stand  eine  Erfüllung  biblischer  Voraussagungen. 

9.  Dieser  große  Abfall  wurde  vorausgesagt.  —  Durch 
sein  unbegrenztes  Vorherwissen  sah  Gott  von  Anfang  an 
diesen  Abfall  von  der  Wahrheit  voraus,  und  durch  göttliche 
Eingebung  äußerten  die  alten  Propheten  feierliche  War- 
nungen vor  den  kommenden  Gefahren.  SicherUch  schaute 
Jesaja  die  Zeit  der  geistigen  Finsternis,  als  er  verkündigte: 
,,Das  Land  ist  entheiligt  von  seinen  Einwohnern;  denn 
sie  übertreten  das  Gesetz  und  ändern  die  Gebote  und 
lassen  fahren  den  ewigen  Bund."-)  Und  wie  ergreifend  ist 
die  Verkündigung  Jeremias:  ,,Denn  mein  Volk  tut  eine 
zwiefache  Sünde:  mich,  die  lebendige  Quelle,  verlassen 
sie  und  machen  sich  hie  und  da  ausgehauene  Brunnen,  die 
doch  löcherig  sind  und  kein  Wasser  geben. "3) 

10.  Die  schon  angeführten*)  Prophezeiungen  der 
Apostel  betreffs  der  falschen  Lehrer,  die  die  Herde  bald 
beunruhigen  würden,  verkünden  den  dann  schnell  heran- 
nahenden Abfall.  Paulus  warnte  die  Heiligen  zu  Thessalo- 


1)  John  Wesleys  Werke,  VII,  S.  26 — 27.  Siehe  Anmerkung  4,  welche 
der  Vorlesung  XII  in  Verbindung  mit  Artikel  7,  „Geistige  Gaben",  Seite 
284,  folgt. 

=  )  Jesaja  24:5. 

')  Jereraia  2:13. 

*)  Siehe  Seite  230,  231. 


I 


Art.  6.]  Die  Kirche  in  alter  und  neuer  Zeit.  247 

nich,  daß  sie  sich  nicht  von  denen  täuschen  lassen  sollten, 
die  predigten,  das  zweite  Kommen  Christi  sei  nahe :  „Denn", 
schrieb  der  Apostel,  ,,er  kommt  nicht,  es  sei  denn,  daß 
zuvor  der  Abfall  komme  und  offenbar  werde  der  Mensch 
der  Sünde,  das  Kind  des  Verderbens,  der  da  ist  der  Wider- 
sacher und  sich  überhebt  über  alles,  was  Gott  oder  Gottes- 
dienst heißt,  also  daß  er  sich  setzt  in  den  Tempel  Gottes 
als  ein  Gott  und  gibt  sich  aus,  er  sei  Gott."i)  Dieser 
Abfall  hat  sogar  zur  Zeit  der  Apostel  angefangen:  ,,So 
sind  nun  viele  Widerchristen  geworden", 2)  schrieb  Jo- 
hannes. Und  in  dem  Brief  an  die  Galater  erklärte  Paulus, 
,,daß  etliche  sind,  die  euch  verwirren  und  wollen  das  Evan- 
gelium Christi  verkehren". =') 

11.  Nicht  weniger  entscheidend  sind  die  in  dem  Buche 
Mormon  enthaltenen  Prophezeiungen  betreffs  dieses  großen 
Abfalls.  Nephi,  der  Sohn  Lehis,  prophezeite  die  Unter- 
drückung der  nordamerikanischen  Indianer  durch  die 
Heiden  und  erklärte,  daß  das  Volk,  abgewichen  von 
den  Verordnungen  des  Hauses  Gottes,  zu  dieser  Zeit 
in  seinem  Stolz  erhoben  sein  würde;  zwar  würde  es  sich 
viele  Kirchen  bauen,  aber  doch  würde  es  in  diesen  mit  Eifer- 
sucht, Uneinigkeit,  Haß  und  seine  eigene  Weisheit  lehren 
und  die  Macht  und  die  Wunder  Gottes  verleugnen.*) 

12.  Wiederherstellung  der  Kirche.  —  Laut  der  schon 
erwähnten  Tatsachen  ist  es  augenscheinlich,  daß  die  Kirche 
wirklich  von  der  Erde  vertrieben  worden  war.  In  den  dem 
Wirken  Christi  unmittelbar  folgenden  ersten  zehn  Jahr- 
hunderten ging  die  Vollmacht  des  Priestertums  unter  den 
Menschen  verloren,  und  keine  menschliche  Macht  konnte 


')  2.  Thessalonicher  2:3 — 4. 
")  1.  Johannes  2:18. 
»)  Galater  1:7. 

«)  2.  Nephi  26:19—22;  siehe  auch  27:1;  28:3,  6;  29:3;   1.   Nephi 
13:5;   22:22—23. 


248  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XL 

sie  wiederherstellen.  Aber  in  seiner  Barmherzigkeit  sorgte 
der  Herr  für  die  Wiederherstellung  seiner  Kirche  in  den 
letzten  Tagen,  und  zwar  zum  letztenmal.  Die  alten  Pro- 
pheten sahen  diese  Zeit  der  erneuerten  Erleuchtung  voraus 
und  sangen  in  freudigen  Tönen  von  ihrem  Kommen. i) 
Es  ist  schon  erklärt  worden,  daß  der  Herr  durch  Joseph 
Smith,  der  zusammen  mit  Oliver  Cowdery  im  Jahre  1829 
unter  der  Hand  Johannes  des  Täufers  das  aaronische 
Priestertum  und  später  unter  den  Händen  der  früheren 
Apostel  Petrus,  Jakobus  und  Johannes  das  melchizedekische 
Priestertum  empfing,  diese  Wiederherstellung  zustande- 
gebracht hat.  Kraft  der  so  gegebenen  Vollmacht  ist  die 
Kirche  mit  ihrer  ganzen  früheren  Vollkommenheit  wieder 
organisiert  worden  und  die  Menschheit  erfreut  sich  wieder 
der  unschätzbaren  Vorrechte  auf  den  Rat  Gottes.  Die 
Heiligen  der  letzten  Tage  verkündigen  ihren  hohen  An- 
spruch auf  die  wahre  Kirchenorganisation,  die  der  von 
Christo  unter  den  Juden  eingesetzten  Organisation  in  allen 
wesentlichen  Dingen  gleich  ist;  dieses  Volk  der  letzten 
Tage  behauptet,  das  Priestertum  des  Allmächtigen  zu 
besitzen,  die  Vollmacht,  im  Namen  Gottes  zu  amtieren, 
welche  Vollmacht  sowohl  im  Himmel  als  auch  auf  Erden 
Anerkennung  fordert.  Wir  wollen  nun  die  Organisation 
der  Priesterschaft,  wie  sie  heutzutage  besteht,  betrachten. 

Der   Verwaltungsplan  der  wiederhergestellten  Kirche. 

13.   Ordnungen  und  Ämter  im  Priestertum.  —  Die 

Kirche  Jesu  Christi  der  Heiligen  der  letzten  Tage  anerkennt 
zwei  Ordnungen  des  Priestertums :  die  geringere,  genannt 
die  aaronische,  und  die  höhere,  bekannt  als  die  melchi- 
zedekische Ordnung.    Das  aaronische  Priestertum  ist  nach 


')  Daniel  2: 44 — 45;  7:27;  Matthäus  24:14;    Offenbarung   Johannes 
14:6—8. 


Art.  6.]  Organisation  der  Kirche.  249 

Aaron  genannt,  der  dem  Propheten  Mose  als  Wortführer 
beigegeben  wurde,  um  unter  seiner  Leitung  in  der  Ausfüh- 
rung der  Absichten  Gottes  betreffs  Israels  zu  amtieren. i) 
Deshalb  wird  es  zuweilen  das  geringere  Priestertum 
geheißen ;  aber  obwohl  geringer,  ist  es  weder  niedrig  noch 
unbedeutend.  Als  Israel  in  der  Wüste  wanderte,  wurden 
Aaron  und  seine  Söhne  durch  Prophezeigung  berufen  und 
zu  den  Pflichten  des  Priesteramts  eingesetzt.-) 

14.  Zu  einer  spätem  Zeit  der  Geschichte  Israels  er- 
wählte der  Herr  den  Stamm  Levi,  um  Aaron  in  den  priester- 
lichen Tätigkeiten  zu  helfen.  Die  besondere  Pflicht  der 
Leviten  war,  das  Geräte  zu  bewahren  und  den  Dienst  in 
der  Stiftshütte  zu  verrichten.  Die  in  dieser  Weise  vom 
j^errn  erwählten  Leviten  sollten  die  Stelle  der  Erstgebornen 
für  alle  Stämme  einnehmen ;  diese  hatte  der  Herr  für  seinen 
Dienst  beansprucht  von  der  Zeit  der  letzten  furchtbaren 
Plage  in  Ägypten  an,  als  der  Erstgeborene  in  jedem 
ägyptischen  Hause  erschlagen  wurde,  während  der  älteste 
in  jedem  israelitischen  Hause  geheiligt  und  erhalten  wurde.^) 
Der  den  Leviten  so  gegebene  Auftrag  wird  zuweilen  das 
levüische  Priestertum  genannt;*)  es  sollte  als  eine  Zugabe 
zu  dem  Priestertum  Aarons,  aber  nicht  als  die  höchsten 
priesterlichen  Vollmachten  in  sich  begreifend,  angesehen 
werden.  Das  aaronische  Priestertum,  wie  es  in  dieser 
Dispensation  auf  Erden  wiederhergestellt  wurde,  schließt 
die  levitische  Ordnung  in  sich  ein.^)  Dieses  Priestertum 
besitzt  die  Schlüssel  der  Erscheinung  von  Engeln,  die 
Vollmacht  in  den  äußern  Verordnungen,  dem  Buchstaben 
des  Evangeliums,  zu  amtieren;^)  es  umfaßt  die  Ämter  des 

>)  2.  Mose  4:14—16. 

-)  2.  Mose  28:1. 

»)  4.  Mose  3:12—1?),  39.  41—45,  50—51. 

*)  Hebräer  7:11. 

^)  Lehre  u.  Bündn.  107:1. 

«)  Lehre  u.  Bündn.  107:20. 


250  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XI. 

Dieners  (Diakons),  Lehrers  und  Priesters;  die  Schlüssel 
des  Präsidiums  hält  die  Bischofschaft. 

15.  Das  höhere  oder  melchizedekische  Priestertum  ist 
nach  dem  König  von  Salem,  einem  großen  Hohenpriester 
Gottes,  genannt;^)  ,,vor  seiner  Zeit  wurde  es  das  heilige 
Priestertum  nach  der  Ordnung  des  Sohnes  Gottes  genannt; 
aber  aus  Ehrfurcht  vor  dem  Namen  des  höchsten  Wesens, 
und  um  seine  zu  häufige  Wiederholung  zu  vermeiden, 
nannte  die  Kirche  in  der  alten  Zeit  jenes  Priester- 
tum nach  Melchizedek."^)  Dieses  Priestertum  hält  das 
Vorrecht  des  Präsidiums  in  allen  Ämtern  der  Kirche; 
seine  besondern  Aufgaben  bestehen  in  der  Verwaltung 
geistiger  Dinge,  denn  es  umfaßt  die  Schlüssel  zu  allen 
geistigen  Segnungen  der  Kirche,  das  Vorrecht,  „die  Himme* 
für  sich  offen  zu  haben,  mit  der  allgemeinen  Versammlung 
und  Kirche  des  Erstgebornen  zu  verkehren  und  sich  der 
Gemeinschaft  und  Gegenwart  Gottes,  des  Vaters,  und 
Jesus,  des  Mittlers  des  neuen  Bundes,  zu  erfreuen. "3)  Die 
besondern  Ämter  des  melchizedekischen  Priestertums  sind 
die  eines  Apostels,  Patriarchen  oder  Evangelisten,  Hoheur 
priesters,  Siebzigers  und  Ältesten.  Götthche  Offenbarung 
hat  die  Pflichten  jeder  dieser  Berufungen  genau  bestimmt; 
und  dieselbe  hohe  Autorität  hat  die  Einsetzung  präsi- 
dierender Beamten  angeordnet,  die  aus  der  Mitte  derer 
hervorgehen,  oder  von  denen  bestimmt  werden,  die  zu  den 
verschiedenen  Ämtern  in  den  beiden  Priestertümern  or- 
diniert worden  sind.*) 

16.  Besondere  Pflichten  des  Priestertums.  —  Das  Amt 
eines  Dieners  (Diakons)  ist  das  erste  oder  niedrigste  im 
aaronischen  Priestertum.     Die  Pflichten  dieser  Berufung 


')  1.  Mose  14:18;  Hebräer  7:1— i: 
')  Lehre  u.  Bündn.  107:2 — 4. 
»)  L.  u.  B.  107:8,  18—19. 
')  L.  u.  B.  107:21. 


Art.  6.]  Organisation  der  Kirche.  251 

sind  meistens  zeitlicher  Natur  und  betreffen  die  Be- 
sorgungen für  die  Versammlungshäuser  und  die  Bequem- 
lichkeit der  Zuhörer.  Aber  der  Diener  kann  auch  auf- 
gefordert werden,  dem  Lehrer  in  allen  Dingen  in  seiner 
Arbeit  zu  helfen.^)  Zwölf  Diener  bilden  ein  Kollegium;-) 
über  eine  solche  Körperschaft  soll  ein  Präsident  mit 
Räten,  die  aus  ihrer  Zahl  erwählt  werden,  präsidieren. 

17.  Die  Lehrer  sind  örtliche  Beamte,  deren  Tätigkeit 
darin  besteht,  die  Heiligen  zu  besuchen,  sie  auf  ihre 
Pflichten  aufmerksam  zu  machen  und  durch  ihr  bestän- 
diges Wirken  die  Kirche  zu  stärken.  Sie  sollen  zusehen, 
daß  es  keine  Sünde  in  der  Gemeinde  gibt,  daß  die  Mit- 
glieder keine  bösen  Gefühle  gegeneinander  hegen,  sondern 
daß  alle  das  Gesetz  Gottes  betreffs  ihrer  Kirchenpflichten 
beachten.  Wenn  kein  Priester  oder  höherer  Beamter  an- 
wesend ist,  dürfen  sie  die  Leitung  der  Versammlung  über- 
nehmen. Werden  sie  in  gehöriger  Weise  beauftragt,  so 
dürfen  die  Lehrer,  ebenso  wie  die  Diener,  das  Wort  Gottes 
predigen ;  sie  haben  aber  keine  Vollmacht,  in  irgend  welchen 
geistigen  Verordnungen,  wie  z.  B.  im  Taufen,  im  Segnen 
des  Abendmahls  oder  im  Auflegen  der  Hände  selbständig 
zu  amtieren.^)  Vierundzwanzig  Lehrer  bilden  ein  Kolle- 
gium; aus  einer  solchen  Körperschaft  sollen  ein  Präsident 
mit  Räten  erwählt  werden. 

18.  Die  Priester  sind  bestimmt,  zu  predigen,  zu  lehren, 
die    Schrift   auszulegen,   zu   taufen,    das   Abendmahl   zu 


•)  Lehre  u.  Bündn.  20:57;  107:85. 

^)  Kollegium  (engl.  Quorum).  —  Dieses  Wort  hat  unter  den 
Heiligen  der  letzten  Tage  eine  besondere  Bedeutung  gewonnen.  Es  be- 
zeichnet nicht  allein  eine  Mehrheit  oder  eine  solche  Zahl  der  Mitglieder 
einer  organisierten  Körperscliaft,  wie  sie  zum  rechtmäßigen  Handeln  er- 
forderlich ist,  sondern  die  organisierte  Körperscliaft  selbst.  Die  Kirche 
betrachtet  ein  Kollegium,  „als  einen  Rat  oder  eine  organisierte  Körper- 
schaft der  Priesterschaft",  zum  Beispiel  ein  Kollegium  der  Ältesten,  das 
Kollegium  der  Zwölf  Apostel  usw.    (Siehe  Meyers   Konversationslexikon.) 

')  L.  u.  B.  20:53—59;  107:86. 


252  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XI. 

segnen,  und  die  Mitglieder  in  ihren  Wohnungen  zu  besuchen 
und  sie  zum  Fleiß  zu  ermahnen.  Wenn  gehörig  bevollmäch- 
tigt darf  der  Priester  Diener,  Lehrer  und  andere  Priester 
ordinieren;  und  er  darf  aufgefordert  werden,  dem  Ältesten 
in  seiner  Arbeit  zu  helfen.  Ein  Kollegium  der  Priester 
umfaßt  achtundvierzig  Mitglieder;  einer  solchen  Organi- 
sation soll  ein  Bischof  vorstehen. 

19.  Die  Ältesten  sind  bevollmächtigt,  in  allen  und  jeden 
mit  den  Ämtern  des  niedern  Priestertums  verbundenen 
Obliegenheiten  zu  amtieren;  außerdem  dürfen  sie  andere 
Älteste  ordinieren,  Täuflinge,  die  richtig  getauft  worden 
sind,  als  Mitglieder  der  Kirche  konfirmieren  (bestätigen) 
und  auf  sie  den  Heiligen  Geist  übertragen.  Diese  Beamten 
haben  Vollmacht,  Kinder  in  der  Kirche  zu  segnen  und 
allen  Versammlungen  vorzustehen  und  sie  zu  leiten,  wie 
sie  vom  Heiligen  Geist  geführt  werden. i)  Der  Älteste  darf 
an  Stelle  eines  Hohenpriesters  amtieren,  wenn  kein  solcher 
anwesend  ist.  Sechsundneunzig  Älteste  bilden  ein  Kolle- 
gium; drei  von  diesen  bilden  dessen  Präsidentschaft.^) 

20.  Die  Siebziger  sind  reisende  Prediger,  ordiniert,  um 
das  Evangelium  unter  den  Völkern  der  Erde  zu  ver- 
kündigen, „zuerst  den  Heiden  und  dann  den  Juden."  In 
diesem  erhabenen  Dienste  sollen  sie  unter  der  Leitung  der 
Apostel  wirken. 3)  Ein  vollständiges  Kollegium  besteht 
aus  siebzig  Mitgliedern  einschließlich  sieben  Präsidenten. 

21.  Die  Hohenpriester,  wenn  sie  in  gehöriger  Weise 
angewiesen  werden,  sind  ausgestattet  mit  Macht,  in  allen 
Verordnungen  und  Segnungen  der  Kirche  zu  amtieren. 
Wie  die  Siebziger  können  auch  sie  reisen  und  d^n  Völkern 
der  Erde  das  Evangelium  bringen,  aber  zu  dieser  Pflicht 
sind  sie  nicht  besonders  berufen;  ihre  eigentliche  Berufung 


')  Lelire  u.  Bündn.  20:38—45,  70;   107:11—12. 

=)  L.  u.  B.  107:89. 

=)  L.  u.  B.  107:34—35,  97—98. 


Art.  6.]  Organisation  der  Kirche.  253 

ist  die  des  ständigen  Präsidiums.  Die  Hohenpriester  irgend 
eines  Pfahles  der  Kirche  dürfen  zu  einem  Kollegium  organi- 
siert werden,  und  dies  ohne  eine  Beschränkung  der  Zahl; 
um  einem  solchen  Kollegium  vorzustehen,  werden  drei 
der  Mitglieder  als  Präsident  mit  Räten  erwählt.^) 

22.  Die  Patriarchen  oder  Evantjelistcn  sind  mit  der  be- 
sondern Pflicht  beauftragt,  die  Kirche  zu  segnen.  Selbstver- 
ständlich haben  sie  auch  Autorität,  in  andern  Verordnungen 
zu  amtieren.  Es  gibt  einen  Patriarchen  der  ganzen  Kirche 
mit  allgemeiner  Oberaufsicht  über  die  ganze  Körperschaft; 
er  hält  die  Schlüssel  des  patriarchalischen  Amtes,  und  ihm 
ist  die  Verheißung  gegeben  worden,  ,,daß,  wen  er  segnet, 
der  soll  gesegnet  sein,  und  wem  immer  er  flucht,  der  soll 
verflucht  sein;  das,  was  er  auf  Erden  bindet,  soll  auch  im 
Himmel  gebunden  sein,  und  das,  was  er  auf  Erden  lösen 
wird,  soll  auch  im  Himmel  gelöst  sein."-) 

23.  Betreffs  der  patriarchalischen  Vollmacht  hat  der 
Herr  gesagt:  „Die  Ordnung  dieses  Priestertums  wurde 
versiegelt,  um  von  Vater  auf  Sohn  herabgehändigt  zu 
werden  und  gehört  rechtmäßig  den  buchstäblichen  Nach- 
kommen des  auserwählten  Samens,  dem  die  Verheißungen 
gemacht  worden  sind.  Diese  Ordnung  wurde  in  den  Tagen 
Adams  eingeführt  und  kam  durch  die  Stammlinie  *  *  * 
herab. "3)  Aber  außer  diesem  Amt  der  allgemeinen  pa- 
triarchalischen Macht  gibt  es  örtliche  Patriarchen,  die 
in  den  Zweigen  der  Kirche  eingesetzt  werden;  aber  alle 
sind  dem  Rat  und  der  Führung  des  „Patriarchen  der 
Kirche"  untergeordnet;  doch  besitzen  sie  in  ihrem  Gebiete 
dieselben  Vorrechte,  die  jenem  für  die  ganze  Kirche  zu- 
stehen. Es  ist  den  zwölf  Aposteln  zur  Pflicht  gemacht 
worden,  in  allen  großen  Zweigen  der  Kirche  Evangelisten 


»)  Lehre  u.  Bündn.  107:10;  124:134- 
')  L.  u.  B.  124:92—93. 
')  L.  u.  B.  107:40—57. 


254  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XI. 

oder   Patriarchen    zu    ordinieren;    die   Wahl   soll   durch 
Offenbarung  erfolgen.^) 

24.  Die  Apostel  sind  berufen,  besondre  Zeugen  des 
Namens  Christi  in  der  ganzen  Welt  zu  sein;^)  sie  sind 
bevollmächtigt,  die  Kirche  aufzubauen  und  zu  organisieren ; 
und  sie  dürfen  in  allen  und  jeder  heiligen  Verordnung 
amtieren.  Sie  sollen  unter  den  Heiligen  reisen  und  wo  immer 
sie  hinkommen,  die  Angelegenheiten  der  Kirche  regeln  — 
aber  besonders  da,  wo  es  keine  vollkommene  örtliche 
Organisation  gibt.  Sie  sind  ermächtigt,  Patriarchen  und 
andere  Beamten  in  dem  Priestertum,  wie.  sie  durch  den 
Geist  Gottes  geführt  werden  mögen,  zu  ordinieren. 3) 

25.  Präsidentschaften  und  Kollegien  (Räte,  Aus- 
schüsse). —  Das  geoffenbarte  Wort  Gottes  hat  die  Ein- 
setzung von  präsidierenden  Beamten  verordnet,  ,,die  aus 
der  Mitte  derer  hervorgehen,  oder  von  denen  bestimmt 
werden,  die  zu  den  verschiedenen  Ämtern  in  den  beiden 
Priestertümern  ordiniert  worden  sind".*)  Im  Einklang 
mit  den  vorherrschenden  alle  seine  Werke  kennzeichnenden 
Grundsätzen  der  Ordnung  hat  der  Herr  verordnet,  daß 
die  Träger  seines  Priestertums  in  Körperschaften  vereinigt 
werden  sollen,  um  ihnen  zu  helfen,  besser  mit  den  Pflichten 
ihres  Amtes  bekannt  zu  werden.  Einige  dieser  Kollegien 
sind  allgemein  in  ihrem  Umfang  und  ihrer  Vollmacht; 
andere  sind  örtlich  in  ihrer  Befugnis.  Alle  bevollmächtigten 
Kollegien  und  alle  präsidierenden  Beamten  sollen  durch 
die  Stimme  derer,  denen  vorzustehen  sie  bestimmt  worden 
sind,  in  ihren  verschiedenen  Stellen  bestätigt  werden. 
Also  werden  örtliche  Beamte  von  den  örtlichen  Verbänden 
bestätigt  und  die  allgemeinen  Vorgesetzten  von  der  zu  einer 


>)  Lehre  u.  Bündn.  107:39. 

=)  L.  u.  B.  107:23. 

')  L.  u.  B.  107:39,  58;  20:38 — 44. 

•)  L.  u.  B.  107:21. 


Art.  6.]  Organisation  der  Kirclie.  255 

Hauptversammlung  (Konferenz)  versammelten  Kirche. 
Die  Konferenzen  der  Kirche  werden  halbjährlich  abge- 
halten, bei  welcher  Gelegenheit  die  Namen  aller  Haupt- 
beamten dem  Volke  zur  Abstimmung  vorgelegt  werden. 
In  gleicher  Weise  werden  die  Vorgesetzten  der  Pfähle  und 
Bezirke  bei  den  örtlichen  Konferenzen,  die  zu  diesen  und 
andern  Zwecken  abgehalten  werden,  durch  Abstimmung 
bestätigt.  Und  so  wird  in  allen  Organisationen  der  Kirche 
der  Grundsatz  der  allgemeinen  Zustimmung  beachtet. 

26.  Die  Erste  Präsidentschaft  bildet  das  präsidierende 
Kollegium  der  Kirche.  Durch  göttliche  Anordnung  wird 
von  den  Mitgliedern  der  Hohenpriesterschaft  ein  Präsident 
bestimmt,  der  der  ganzen  Kirche  vorsteht.  Er  ist  als 
Präsident  der  Hohenpriesterschaft  der  Kirche,  oder  als  der 
vorstehende  Hohepriester  über  die  Hohepriesterschaft  der 
Kirche  bekannt.^)  Er  ist  berufen,  „ein  Seher,  Offenbarer, 
Übersetzer  und  Prophet  zu  sein,  im  Besitz  aller  Gaben 
Gottes,  die  er  (Gott)  dem  Haupt  der  Kirche  verleiht". 2) 
Sein  Amt  hat  der  Herr  mit  dem  Amte  des  alten  Mose,  der 
Israel  als  Gottes  Sprachrohr  diente,  verglichen.  In  seinen 
erhabenen  Pflichten  in  der  Kirche  wird  diesem  vorstehenden 
Hohenpriester  von  zwei  anderen,  die  dasselbe  Priestertum 
tragen,  geholfen,  und  diese  drei  Hohenpriester  — wenn  sie 
in  gehöriger  Weise  bestimmt  und  ordiniert  worden  sind, 
und  wenn  sie  durch  das  Vertrauen,  den  Glauben  und  das 
Gebet  der  Kirche  unterstützt  werden  —  „bilden  das 
Kollegium  der  Präsidentschaft  der  Kirche".^) 

27.  Das  Kollegium  der  zwölf  Apostel.  —  Zwölf  Männer, 
die  das  Apostelamt  tragen  und  in  gehöriger  Weise  organi- 
siert sind,  bilden  das  Kollegium  der  Apostel.  Diese  hat  der 


')  Lehre  u.  Bündn.  107:64 — 68. 
=)  L.  u.  B.  107:91—92. 
')  L.  u.  B.  107:22. 


256  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XI. 

Herr  als  die  zwölf  reisenden  Räte  bezeichnet  ;i)  sie  bilden 
den  reisenden  vorstehenden  Hohen  Rat,  der  unter  der 
Leitung  der  Ersten  Präsidentschaft  in  allen  Teilen  der  Welt 
amtiert.  Sie  bilden  ein  Kollegium,  dessen  einstimmige 
Entschlüsse  an  Macht  und  Geltung  gleichbedeutend  sind 
mit  den  Entschlüssen  der  Ersten  Präsidentschaft.^)  Wenn 
das  Kollegium  der  Ersten  Präsidentschaft  durch  den  Tod 
oder  die  Unfähigkeit  des  Präsidenten  aufgelöst  wird,  geht 
die  leitende  Vollmacht  der  Regierung  sogleich  auf  das 
Kollegium  der  zwölf  Apostel,  welches  die  Ernennung  der 
Präsidentschaft  vornimmt,  zurück.  Es  kann  vorkommen, 
und  gegenwärtig  ist  es  so,  daß  es  Apostel  gibt,  die  nicht 
Mitglieder  dieses  Kollegiums  der  Zwölfe  sind;  aber  diese 
können  keinen  Platz  in  den  Sitzungen  des  Kollegiums 
beanspruchen. 

28.  Das  vorstehende  Kollegium  der  Siebziger.  —  Das 
erste  Kollegium  der  Siebziger  bildet  eine  Körperschaft, 
deren  einstimmige  Entschlüsse  gleichbindend  sind,  wie  die 
Entschlüsse  der  zwölf  Apostel.  Viele  solcher  Kollegien  der 
Siebziger  können  in  der  Kirche  notwendig  werden;  un- 
gefähr 170  solcher  Organisationen  sind  schon  zustande 
gebracht  worden;  jedem  Kollegium  stehen  sieben  Präsi- 
denten vor.  Aber  die  sieben  Präsidenten  des  ersten  Kolle- 
giums der  Siebziger  präsidieren  über  alle  andern  Kollegien 
und  ihre  Präsidenten.^) 

29.  Die  vorstehende  Bisehofsehaft,  wie  sie  gegenwärtig 
zusammengesetzt  ist,  besteht  aus  dem  vorstehenden  Bischof 
der  Kirche  und  seinen  zwei  Räten.  Dieses  Kollegium  hält  die 
Oberaufsicht  über  die  Pflichten  andrer  Bischöfe  in  der  Kirche 
und  aller  das  aaronische  Priestertum  betreffenden  Organi- 
sationen. Der  älteste  lebende  Vertreter  unter  den  Söhnen 


•)  Lehre  u.  Bündn.  107:23,  33. 

'•)  L.  u.  B.  107:24. 

»)  L.  u.  B.  107:25—26,  34,  93—97. 


Art.  6.]  Organisation  der  Kirche.  257 

Aarons,  wenn  er  in  allen  Hinsichten  würdig  und  geeignet 
ist,  ist  zu  diesem  Amt  der  Präsidentschaft  berechtigt;  er 
muß  von  der  Ersten  Präsidentschaft  der  Kirche  bestimmt 
und  ordiniert  werden.^)  Wird  ein  solcher  buchstäblicher 
Nachkomme  Aarons  gefunden  und  ordiniert,  so  darf  er 
ohne  Räte  wirken,  nur  wenn  er  im  Verhör  eines  Präsi- 
denten der  Hohenpriesterschaft  zu  Gericht  sitzt,  dann 
sollen  ihm  zwölf  Hohepriester  beigegeben  werden. 2)  Aber 
wenn  es  an  einem  dazu  geeigneten  unmittelbaren  Abkömm- 
ling Aarons  fehlt,  darf  ein  Hoherpriester  des  melchizedeki- 
schen  Priestertums  von  der  Ersten  Präsidentschaft  der 
Kirche  zu  dem  Amt  des  vorstehenden  Bischofs  berufen 
und  eingesetzt  werden;  zwei  andre,  als  seine  Räte  richtig 
ordinierte  Hohepriester,  sollen  ihm  helfen.^) 

30.  örtliche  Organisationen  der  Priestersehalt.  —  Wo 
die  Heiligen  ständig  wohnhaft  sind,  werden  ,, Pfähle  Zions" 
organisiert;  jeder  Pfahl  umfaßt  eine  Anzahl  Wards  (Ge- 
meinden) oder  Zweiggemeinden.  Über  jeden  Pfahl  wird 
eine  Pfahlpräsidentschaft  gesetzt,  bestehend  aus  einem 
Präsidenten  und  zwei  Räten,  die  Hohepriester  sind  und  in 
gehöriger  Weise  erwählt  und  in  dieses  Amt  eingesetzt 
worden  sind.  In  gerichtlichen  Obliegenheiten  wird  der 
Pfahlpräsidentschaft  von  dem  Ständigen  Hohen  Rat,  der 
aus  zwölf  zu  diesem  Amte  erwählten  und  ordinierten 
Hohenpriestern  besteht,  geholfen.  Diesem  Rat  steht  die 
Pfahlpräsidentschaft  vor,  und  er  bildet  die  höchste  richter- 
liche Behörde  des  Pfahles. 

31.  Die  Präsidenten  der  Pfähle  und  die  Bischöfe  der 
Gemeinden  werden  mit  Recht  als  die  Hirten  der  Herde 
angesehen;  ihre  Pflichten  sind  ohne  Zweifel  den  Pflichten 
der  Hirten   in   frühern   Zeiten   ähnlich.    Wie  schon   be- 


')  Lehre  u.  Bündn.  68:18—20. 
')  L    u.  B.  107:82—83. 
')  L.  u.  B.  68:19. 


258  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XI. 

schrieben,  sind  die  Hohenpriester  und  Ältesten  in  jedem 
Pfahle  in  Kollegien  organisiert,  die  Hohenpriester  ohne 
Beschränkung  der  Zahl;  die  Ältesten,  je  nachdem  es  ihre 
Zahl  erlaubt,  bilden  ein  oder  mehrere  Kollegien,  wovon 
jedes  aus  sechsundneunzig  Mitgliedern  besteht.  Es  werden 
auch  Patriarchen  eingesetzt,  um  in  ihrem  heiligen  Amte 
unter  dem  Volke  des  Pfahles  zu  wirken. 

32.  Eine  Ward-Bisehofsehaft  wird  in  jeder  vollständig 
organisierten  Ward  der  Kirche  eingesetzt.  Diese  Körper- 
schaft besteht  gewöhnlich  aus  drei  Hohenpriestern,  die 
als  Bischof  und  Räte  eingesetzt  werden.  Wird  aber  ein 
buchstäblicher  Abkömmling  Aarons  zu  der  Bischofschaft 
berufen,  so  ist  es  sein  Recht  —  wie  in  dem  Falle  des 
vorstehenden  Bischofs  erklärt  wurde  —  ohne  Räte  zu 
wirken.  Der  Bischof  hat  die  Oberaufsicht  über  die  Kol- 
legien der  niederen  Priesterschaft  in  seiner  Gemeinde ;  auch 
über  die  Träger  des  höhern  Priestertums  als  Mitglieder 
seiner  Gemeinde;  aber  über  die  Kollegien  der  melchizedeki- 
schen  Priesterschaft,  die  als  solche  in  seinem  Gebiet 
bestehen,  hat  er  kein  unmittelbares  Präsidium.  Als  ein 
vorstehender  Hoherpriester  präsidiert  er  mit  Recht  über 
seine  ganze  Ward.  Die  Wardorganisation  schließt  in  sich 
die  Kollegien  der  Priester,  Lehrer  und  Diener  —  eins  oder 
mehrere  von  jedem,  je  nach  ihrer  zahlenmäßigen  Größe. 

33.  Helfer  in  der  Verwaltung.  —  Außer  diesen  ein- 
gesetzten Behörden  und  Ämtern  im  Priestertum  gibt  es 
eine  Anzahl  untergeordneter  oder  besonderer  Organisa- 
tionen, die  unter  dem  Volke  zu  Erziehungs-  und  Wohl- 
tätigkeitszwecken eingesetzt  worden  sind.  Unter  diesen 
sind  die  folgenden  von  solcher  Wichtigkeit,  daß  sie  besondere 
Erwähnung  fordern. 

1.  Die  Primarv ereine.  —  Diese  sorgen  für  die  mo- 
ralische Belehrung  und  Erziehung  der  jungen  Kinder. 


Art.  6.]  Organisation  der  Kirche.  259 

2.  Die  Vereine  zur  gemeinsamen  Fortbildung.  —  Diese 
begreifen  in  sich  nach  den  Geschlechtern  getrennte 
Organisationen  und  sind  für  die  Ausbildung  und  Erziehung 
der  Jugend  in  Sachen  von  allgemeiner  und  religiöser 
Bedeutung  bestimmt.  Unterricht  wird  erteilt  in  Theologie, 
Literatur  und  Geschichte,  Wissenschaft  und  Kunst,  in 
den  Gesetzen  der  Gesundheit  und  in  vielen  andern  Zweigen 
nützlicher  Kenntnis. 

3.  Die  Sonntagschulen  begreifen  in  sich  abgestufte 
Klassen  zum  Studium  der  heiligen  Schriften  und  zur 
Ausbildung  in  der  Theologie,  in  moralischen  und  religiösen 
Pflichten,  und  in  der  Ordnung  der  Kirche.  Obwohl  ur- 
sprünglich für  die  Jugend  bestimmt,  stehen  die  Sonntag- 
schulen nunmehr  allen  offen. 

4.  Die  Kirchenschulen.  —  Diese  Bildungsanstalten 
sorgen  sowohl  für  den  weltlichen  wie  auch  für  den  religiösen 
Unterricht  und  erstrecken  sich  vom  „Kindergarten"  bis 
zur  Hochschule. 

5.  Die  Religionsklassen.  —  In  diesen  wird  klassen- 
weise Unterricht  in  der  Theologie  und  Religion  erteilt;  er 
wird  als  Nachtrag  und  Ergänzung  zu  den  gänzlich  weltlichen 
Belehrungen  der  religionsfreien  Schulen  geboten. 

6.  Die  Frauenhilfsvereine.  —  Diese  bestehen  aus 
Frauen,  deren  freiwillig  auf  sich  genommene  Pflichten 
die  Sorge  für  die  Armen  und  die  Linderung  der  Leiden 
der  Kranken  umfassen. 

34.  Die  meisten  dieser  Hilfsorganisationen  sind  in 
jeder  Ward  (Gemeinde)  vorhanden.  Sie  werden  alle, 
mit  Ausnahme  der  Kirch chenschulen,  die  gewöhnlich 
zu  den  Pfahleinrichtungen  oder  solchen  von  allgemei- 
nerer Bedeutung  zählen,  zu  der  vollständigen  Ausrü- 
stung irgend  einer  Ward  als  notwendig  betrachtet. 
Beamte  werden  bestimmt,  den  verschiedenen  Organi- 
sationen in  jeder  Ward  vorzustehen;  und  obwohl  solche 


260  Die   Glaubensartikel.  [Vorl.  XI. 

Beamten  in  einem  allgemeinen  Sinn  den  örtlichen  Vor- 
gesetzten in  der  Priesterschaft  untertänig  sind,  halten 
sie  sich  für  die  genaue  Unterweisung  in  Plan  und  Art 
ihrer  besondern  Tätigkeit  an  die  Pfahl-  und  Haupt- 
vorstände der  besondern  Organisationen.  Dem  Grund- 
satz der  gemeinsamen  Zustimmung  gemäß,  der  die  Kirche 
im  allgemeinen  kennzeichnet,  werden  die  Beamten  der 
Hilfsverbände  —  obwohl  sie  von  den  eingesetzten  Behörden 
der  Priesterschaft  oder  wenigstens  mit  ihrer  Zustimmung 
ernannt  werden  —  durch  die  Stimme  der  Mitglieder  in 
der  Orts-  oder  Hauptvereinigung,  in  der  sie  zu  dienen 
bestimmt  sind,  eingesetzt  und  aufrecht  erhalten. 


Anmerkungen. 


1.  Entartnng  der  Gottesverehrung  mit  dem  Abfall  verbunden.  —  Daß 

die  Formen  der  Verehrung  verkehrt  wurden,  während  sich  viele  heidnische 
Einflüsse  und  Bräuche  einschlichen,  als  das  Priestertum  nach  der  aposto- 
lischen Zeit  von  der  Erde  verschwand,  darf  nach  den  Berichten  der  Ge- 
schichte vernunftgemäß  angenommen  werden.  Mosheim,  ein  berühmter 
Fachmann  der  kirchlichen  Geschichte,  hat  betreffs  der  heidnischen  Ein- 
führungen während  des  vierten  Jahrhunderts  folgendes  zu  sagen :  „Mit  nur 
geringen  Veränderungen  führten  die  christlichen  Bischöfe  jene  Gebräuche 
und  Verordnungen,  mit  welchen  die  Griechen,  Römer  und  andre  Völker 
früher  ihre  Frömmigkeit  und  Verehrung  ihren  Abgöttern  kund  getan  hatten, 
in  die  christliche  Verehrung  ein.  Denn  sie  vermuteten,  das  Volk  werde 
das  Christentum  eher  annehmen,  wenn  es  sähe,  daß  die  von  seinen  Vätern 
überkommenen  Gebräuche  noch  unverändert  unter  den  Christen  blieben, 
und  daß  Christus  und  die  Märtyrer  in  derselben  Weise  verehrt  würden  wie 
früher  seine  Götter.  Selbstverständlich  gab  es  zu  diesen  Zeiten  wenig 
Unterschied  zwischen  der  öffentlichen  Verehrung  der  Christen  und  der  der 
Griechen  und  Römer.  Gleicherweise  waren  vorhanden:  prachtvolle  Ge- 
wänder, Bischofsmützen,  Stirnreifen,  Wachskerzen,  Bischofsstäbe,  Festzüge 
und  Bittgänge,  Bilder,  Bildsäulen,  goldene  und  silberne  Vasen,  und  unzählige 
andere  Dinge." 

Über  die  Form  der  vorgeblich  christlichen  Verehrung  im  fünften 
Jahrhundert  spricht  derselbe  Gewährsmann:  „Überall  nahm  die  öffentliche 
Verehrung  eine  eher  für  die  Schau  und  die  Befriedigung  des  Auges  ein- 
gerichtete Form  an.  Um  die  Ehrfurcht  des  Volkes  vor  der  geistlichen 
Ordnxmg  zu  vermehren,  wurden  die  priesterliclien  Gewänder  mit  verschiede- 
nen Verzierungen  versehen.***  An  einigen  Orten  wurde  bestimmt,  das  Lob 
Gottes  solle  Tag  und  Nacht  ständig  gesungen  werden;  die  Sänger  folgten 


Art.  6.]  Anmerkungen.  261 

einander  ohne  Unterbrechung;  als  ob  der  Allerhöchste  Gefallen  an  dem 
Getöse  und  dem  Lärm  und  an  den  Schmeicheleien  der  Menschen  hätte. 
Die  Pracht  der  Tempel  kannte  keine  Grenzen.  Herrliche  Bildsäulen  wuiden 
darin  aufgestellt;  *  *  *  das  Bild  der  Jungfrau  Maria  mit  dem  Kinde  auf 
ihrem  Arm  nahm  dabei  den  hervorragendsten  Platz  ein." 

2.  Der  frühe  Anfang  des  Abfalls.  —  Orson  Pratt,  ein  Apostel  des 
gegenwärtigen  Zeitalters,  hat  über  den  frühen  Abfall  von  den  allein  gültigen 
Bräuchen  der  Kirche  folgendes  geschrieben:  ,,Der  große  Abfall  der  christ- 
lichen Kirche  fing  im  ersten  Jahrhundert  an,  während  noch  göttlich  er- 
leuchtete Apostel  und  Propheten  in  ihrer  Mitte  waren ;  deshalb  zählte  Paulus 
kurz  vor  seinem  Märtyrertum  eine  große  Zahl  auf,  ,die  sich  gestoßen  und 
am  Glauben  Schiffbruch  gelitten  haben' ;  und  die  sich  haben  , umgewandt  zu 
unnützem  Geschwätz*;  die  gelehrt  haben,  ,die  Auferstehung  sei  schon 
geschehen',  und  ,acht  hätten  auf  die  Fabeln  und  Geschlechtsregister,  die 
kein  Ende  haben' ;  und  die  da  haben  .die  Seuche  der  Fragen  und  Wortkriege, 
aus  welchen  entspringt  Neid,  Hader.  Lästerung,  böser  Argwohn,  Schulge- 
zänke  solcher  Menschen,  die  zerrüttete  Sinne  haben  und  derWahrheit  beraubt 
sind,  die  da  meinen,  Gottseligkeit  sei  ein  Gewerbe'.  Dieser  Abfall  war  so 
allgemein  geworden,  daß  Paulus  dem  Timotheus  erklärte:  ,daß  sich  von 
ihm  gewandt  haben  alle,  die  in  Asien  sind' ;  weiter  sagt  er:  ,In  meiner  ersten 
Verantwortung  stand  mir  niemand  bei,  sondern  sie  verließen  mich  alle'; 
und  er  erklärt  zudem,  daß  ,es  sind  viele  freche  und  unnütze  Schwätzer  und 
Verführer',  die  .lehren,  das  nicht  taugt,  um  schändlichen  Gewinns  willen'. 
Jedenfalls  gaben  diese  Abgefallenen  vor,  selu-  rechtschaffen  zu  sein,  denn 
der  Apostel  spricht:  ,Sie  sagen,  sie  erkennen  Gott;  aber  mit  den  Werken 
verleugnen  sie  es,  sintemal  sie  es  sind,  an  welchen  Gott  Greuel  hat,  und 
gehorchen  nicht  und  sind  zu  allem  guten  Werk  untüchtig.*" 

3.  Das  Gesetz  des  Priesterlums.  —  Daß  die  Macht  des  Priestertums  im 
Geist  der  Geduld  und  Liebe  und  nicht  im  Widerstand  gegen  den  freien 
Willen  der  Menschen  ausgeübt  werden  sollte,  geht  aus  vielen  Schriften, 
und  auch  aus  folgender,  klar  hervor:  „Siehe,  viele  sind  berufen,  aber 
wenige  sind  auserwählt.  Und  warum  sind  sie  nicht  auserwählt  ?  Weil  ihre 
Herzen  so  sehr  auf  die  Dinge  dieser  Welt  gerichtet  sind,  um  die  Ehre  der 
Menschen  zu  erlangen,  daß  sie  diese  eine  Aufgabe  nicht  lernen:  Daß  die 
Rechte  des  Priestertums  mit  den  Mächten  des  Himmels  unzertrennlich  ver- 
bunden sind,  und  daß  die  Mächte  des  Himmels  nicht  anders  kontrolliert 
noch  gebraucht  werden  können,  als  nur  durch  die  Prinzipien  der  Rechtschaffen- 
heit. Daß  sie  uns  übertragen  werden  können,  ist  wahr,  doch  wenn  wir  es 
unternehmen,  unsre  Sünden  zuzudecken,  oder  unsrer  Eitelkeit  oder  unsrem 
Ehrgeiz  zu  fröhnen,  oder  Einfluß,  Herrschaft  oder  Zwang  über  die  Seelen 
der  Menschen  in  irgendwelchem  Grade  von  Ungerechtigkeit  auszuüben, 
siehe,  dann  werden  sich  die  Himmel  entziehen,  der  Geist  des  Herrn  ist 
betrübt,  und  wenn  er  gewichen  ist.amen  zum  Priestertum  oder  der  Vollmacht 
jenes  Mannes.  Siehe,  ehe  er  es  gewahr  wird,  ist  er  sich  selbst  überlassen, 
gegen  den  Stachel  zu  stoßen,  die  Heiligen  zu  verfolgen  und  gegen  Gott  zu 
streiten.  Wir  haben  durch  traurige  Erfahrung  gelernt,  daß  es  in  der  Natur 
und  Neigung  beinahe  aller  Menschen  liegt,  sobald  als  sie  ein  wenig  Autorität 
empfangen,  wie  sie  vermuten,  sie  sogleich  anfangen,  ungerechte  Herrschaft 
auszuüben.  Folglich  sind  viele  berufen  und  nur  wenige  auserwählt.  Keine 
Macht  und  kein  Einfluß  können  oder  sollten  kraft  des  Priestertums  auf 
andre  Weise  unterhalten  werden,  als  nur  durch  Überredung,  Langmütigkeit, 


262  Die.  Glaubensartikel.  [Vorl.  XI. 

Sanftmut,  Demut  und  durch  unverstellte  Liebe,  durch  Güte  und  wahre 
Erkenntnis,  welche  die  Seele  viel  entwickeln,  ohne  Heuchelei  und  ohne 
Arglist,  zuweilen  mit  Schärfe  zurechtweisend,  wenn  vom  Heiligen  Geiste 
getrieben,  nachher  aber  mit  einer  Kundgebung  von  größerer  Liebe  gegenüber 
dem,  der  zurechtgewiesen  wurde,  damit  er  dich  nicht  als  seinen  Feind  be- 
trachten möge,  und  damit  er  wisse,  daß  deine  Treue  stärker  ist  als  die  Bande 
des  Todes.  Laß  dein  Inneres  mit  Barmherzigkeit  gegen  alle  Menschen 
erfüllt  sein  und  gegen  den  Haushalt  des  Glaubens,  und  laß  Tugend  unab- 
lässig deine  Gedanken  umgeben;  dann  wird  dein  Vertrauen  in  der  Gegenwart 
Gottes  stark  sein,  und  die  Lehre  des  Priestertums  wird  auf  deiner  Seele 
ruhen  wie  der  Tau  des  Himmels.  Der  Heilige  Geist  soll  dein  immerwährender 
Begleiter  sein,  und  dein  Szepter  ein  unwandelbares,  von  Rechtschaffenheit 
und  Wahrheit,  und  deine  Herrschaft  eine  unvergängliche  Herrschaft, 
und  es  soll  dir  ohne  Zwang  für  immer  und  ewig  zukommen."  —  Lehre  u. 
Bündn.  121:34 — 46. 


Art.  7.J  Geistige  Gaben.  263 


Vorlesung  XII. 
Geistige  Gaben. 

Artikel  7.  —  Wir  glauben  an  die  Gabe  der  Zungen,  Prophezeiung, 
Offenbarung,   Gesichte,   Heilung,   Auslegung  der  Zungen  usw. 

1.  Geistige  Gaben  ein  Merkmal  der  Kirche.  —  Es  ist 

schon  bewiesen  worden,  daß  jeder,  der  mit  Recht  in  den 
Verordnungen  des  Evangeliums  amtieren  will,  durch  die 
Kraft  und  Vollmacht  des  Himmels  zu  seinen  erhabenen 
Pf  hebten  beauftragt  werden  muß.  Wenn  so  von  Gott 
ausgestattet,  werden  diesen  Dienern  Beweise  des  Wohl- 
wollens des  Meisters  nicht  fehlen;  denn  es  ist  für  den 
Umgang  Gottes  mit  seinem  Volke  stets  bezeichnend 
gewesen,  daß  er  seine  Kraft  kundtut  durch  die  Bescherung 
einer  Fülle  von  veredelnden  Gnaden,  welche  mit  Recht 
Gaben  des  Geistes  genannt  werden.  Diese  werden  manch- 
mal in  einer  von  der  gewöhnlichen  Ordnung  der  Dinge 
so  verschiedenen  Weise  gezeigt,  daß  sie  als  wunderbar  und 
übernatürhch  bezeichnet  werden.  In  dieser  Weise  hatte  sich 
der  Herr  in  den  früheren  Zeiten  der  Geschichte  bekannt 
gemacht ;  und  von  den  Tagen  Adams  an  bis  zur  Gegenwart 
sind  die  Propheten  Gottes  im  allgemeinen  mit  solcher  Kraft 
ausgestattet  gewesen.  Wenn  je  das  Priestertum  durch 
eine  organisierte  Kirche  auf  Erden  gewirkt  hat,  sind  die 
Mitglieder  der  Herde  durch  den  Besitz  dieser  Gnaden  in 
der  Kirche  in  ihrem  Glauben  gestärkt  und  auf  andere 
verwandte  Art  und  Weise  gesegnet  worden.  Wir  können 
das  Dasein  dieser  geistigen  Kräfte  als  ein  ausgeprägtes 
Merkmal  der  wahren  Kirche  ansehen.  Wo  sie  nicht  sind, 
da  wirkt  auch  das  Priestertum  Gottes  nicht. 


264  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XII. 

2.  ]\Iormon^)  erklärt  feierlich,  daß  die  Tage  der  Wunder 
für  die  Kirche  nicht  vorbei  seien,  solange  es  noch  einen 
Menschen  auf  Erden  gäbe,  der  gerettet  werden  soll. 
„Denn",  sagt  er,  ,, durch  Glauben  werden  Wunder  getan, 
und  durch  Glauben  erscheinen  Engel  und  dienen  den 
Menschen;  daher  wehe  den  Menschenkindern,  wenn  diese 
Dinge  aufgehört  haben!  denn  es  ist  Unglaubens  halber, 
und  alles  ist  vergebens."  Und  Moroni,  an  der  Schwelle 
des  Grabes  stehend,  legt  ein  freies  Zeugnis  ab,  daß  die 
Gaben  und  Gnaden  des  Geistes  nie  aufhören  werden, 
solange  die  Welt  steht,  außer  infolge  menschlichen  Un- 
glaubens.2) 

3.  Man  vernehme  die  Worte  dieses  Propheten,  die  er 
an  diejenigen  richtet,  „die  die  Offenbarungen  Gottes 
leugnen  und  sagen:  Sie  haben  aufgehört,  und  es  gibt  jetzt 
weder  Offenbarungen  noch  Prophezeiungen,  weder  geistige 
Gaben  noch  die  Gabe  der  Heilung,  weder  die  Gabe  in 
mancherlei  Sprachen  zu  reden  noch  dieselben  auszulegen. 
Sehet,  ich  sage  euch:  Wer  diese  Dinge  leugnet,  kennt  nicht 
das  Evangelium  Christi;  ja,  er  hat  die  Schriften  nicht 
gelesen  oder  nicht  verstanden.  Denn  lesen  wir  nicht,  daß 
Gott  derselbe  ist,  gestern,  heute,  morgen  und  immerdar, 
und  daß  in  ihm  kein  Wandel  noch  Schatten  der  Veränder- 
lichkeit ist?  Nun,  wenn  ihr  euch  einen  wandelbaren  Gott 
vorgestellt  habt,  in  welchem  Schatten  der  Veränderlichkeit 
sind,  dann  habt  ihr  euch  einen  Gott  vorgestellt,  der  kein 
Gott  der  Wunder  ist.  Aber  sehet,  ich  will  euch  einen  Gott 
der  Wunder  zeigen,  den  Gott  Abrahams,  den  Gott  Isaaks 
und  den  Gott  Jakobs;  und  es  ist  derselbe  Gott,  der  Himmel 
und  Erde  erschaffen  hat  und  alle  Dinge,  die  darinnen 
enthalten  sind."^) 


')  Moroni  7:35 — 37. 

>)  Moroni  10:19;  23 — ^27. 

•)  Mormon  9:7 — 11. 


Art.  7.]  Geistige  Gaben.  265 

4.  Das  Wesen  der  geistigen  Gaben.  —  Die  hier  er- 
wähnten Gaben  sind  hauptsächUch  Ausstattungen  der 
Kraft  und  Vollmacht,  durch  welche  die  Absichten  Gottes 
ausgeführt  werden,  zuweilen  mit  begleitenden  Umständen,, 
die  übernatürlich  zu  sein  scheinen.  Durch  solche  können 
die  Kranken  geheilt  und  böse  Einflüsse  und  die  Geister 
der  Finsternis  überwunden  werden.  Obwohl  demütig  und 
schwach,  können  die  Heiligen  in  neuen  und  fremden  Zungen 
ihre  Zeugnisse  verkünden  und  auch  sonstwie  das  Lob 
Gottes  aussprechen;  andre  können  diese  Worte  auslegen. 
Der  schwache  menschliche  Verstand  kann  durch  die  himm- 
lische Einwirkung  von  geistigem  Gesicht  und  gesegneten 
Träumen  belebt  werden.  Unmittelbare  Verbindung  mit 
der  Quelle  aller  Weisheit  kann  hergestellt  und  die  Offen- 
barungen des  göttlichen  Willens  können  erhalten  werden. 

5.  Diese  Gaben  sind  vom  Herrn  denen  verheißen,  die 
an  seinen  Namen  glauben^);  sie  sollen  dem  Gehorsam 
zu  den  Anforderungen  des  Evangeliums  folgen.  Den 
Gläubigen  sollen  sie  zur  Ermutigung  und  als  Antrieb  zu 
höhrer  Gemeinschaft  mit  dem  Geiste  dienen.*)  Sie  werden 
nicht  als  Zeichen  gegeben,  um  fleischliche  Neugier  oder 
eine  krankhafte  Sucht  nach  dem  Wunderbaren  zu  befrie- 
digen. Durch  Kundtuungen  des  Wunderbaren  sind 
Menschen  zu  dem  Lichte  geführt  worden ;  aber  Ereignisse 
in  ihrem  Leben  zeigen,  daß  es  entweder  solche  sind,  die 
auch  in  irgendeiner  anderen  Weise  die  Wahrheit  gefunden 
hätten,  oder  die  Zeichen  haben  nur  oberflächlich  auf  sie 
gewirkt,  und  sobald  das  Ungewöhnliche  des  neuen  Gefühls 
sich  erschöpft  hat,  wandern  sie  wieder  in  die  Finsternis, 
der  sie  für  eine  Zeit  entronnen  waren.  Wunder  sind  ur- 
sprünglich nicht  dazu  bestimmt,  die  Macht  Gottes  zu 
beweisen  —  auf  alle  Fälle  sind  sie  nicht  dazu  notwendig; 


»)  Markus  16:16;   Lehre  u.   Bündn.  84:64—73. 

»)  Matthäus  12:38—39;  16:1 — 4;  Markus  8: 11— 12;  Lukas  11 :  16— 30. 


266  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XII. 

die  einfachem  Begebenheiten,  die  gewöhnlichem  Werke 
der  Erschaffung  tun  das.  Aber  zu  dem  Herzen,  welches 
durch  das  Zeugnis  der  Wahrheit  schon  erweicht  und 
gereinigt  worden,  zu  dem  Gemüt,  welches  durch  die  Kraft 
des  Geistes  erleuchtet  worden  und  sich  des  gehorsamen 
Dienstes  in  den  Forderungen  des  Evangeliums  bewußt  ist, 
kommt  die  Stimme  der  Wunder  mit  der  erfreuenden  Kunde 
von  dem  unwandelbaren,  ja  vermehrten  Wohlgefallen  eines 
liebenden  Vaters,  mit  neuen  und  reichlicheren  Beweisen  der 
Großherzigkeit  eines  allbarmherzigen  Gottes.^) 

6.  Doch  selbst  dem  Ungläubigen  sollte  das  Zeugnis 
der  Wunder  —  wenigstens  als  Beweismittel,  das  die 
Untersuchung  der  Kraft,  durch  welche  diese  Taten  Zu- 
standekommen, begünstigt  —  einleuchten;  in  solchen 
Fällen  sind  die  Wunder  wie  ,,eine  laute  Stimme  zu  denen, 
die  schwer  hören".  Der  Zweck  der  geistigen  Gaben  in  der 
Kirche  wird  in  einer  Offenbarung  des  Herrn  durch  Joseph 
Smith  ausführlich  dargelegt:  ,, Darum  hütet  euch,  auf  daß 
ihr  nicht  verführt  werdet;  und  damit  das  nicht  geschehe, 
strebet  ernstlich  nach  den  besten  Gaben,  und  bedenket 
stets,  weshalb  sie  gegeben  werden ;  denn  wahrlich,  ich  sage 
euch,  daß  sie  zum  Wohl  derer  gegeben  werden,  welche 
mich  lieben  und  alle  meine  Gebote  halten,  und  für  die, 
die  sich  bemühen,  so  zu  handeln;  daß  alle  gesegnet  werden 
mögen,  die  nach  mir  forschen  und  von  mir  bitten,  und  die 
es  nicht  tun  um  eines  Zeichens  willen,  damit  sie  ihre  eigenen 
Begierden  befriedigen."-) 

7.  Wunder  werden  gewöhnlich  als  übernatürliche 
Begebenheiten  angesehen,  die  im  Gegensatz  zu  den  Natur- 
gesetzen stattfinden.  Eine  solche  Vorstellung  ist  offenbar 
irrtümlich,  denn  die  Gesetze  der  Natur  sind  unverbrüch- 


')  Siehe  Anmerkung  6. 
')  Lehre  u.  Bündn.  46:8- 


Art.  7.]  Geistige   Gaben.  267 

lieh.  Dennoch,  da  das  menschliche  Verständnis  für  diese 
Gesetze  bestenfalls  unvollkommen  ist,  können  Vorfälle, 
die  mit  dem  natürlichen  Gesetz  streng  im  Einklang  stehen, 
als  ihm  widersprechend  erscheinen.  Die  ganze  Natur  ist  auf 
Planmäßigkeit  und  Ordnung  gegründet;  aber  wie  die 
Gesetze  der  Menschen,  so  sind  auch  die  Gesetze  der  Natur 
abgestuft.  Die  Anwendung  eines  höhern  Gesetzes  in  irgend 
einem  besondern  Fall  zerstört  nicht  die  Wirksamkeit  noch 
die  Gültigkeit  eines  niederen ;  das  niedere  Gesetz  ist  nachher 
ebenso  anwendbar  auf  den  Fall,  wofür  es  entworfen  wur- 
de, als  zuvor.  Zum  Beispiel :  die  menschliche  Gesellschaft 
hat  ein  Gesetz  eingeführt,  das  irgendeinem  Menschen  bei 
schweren  Strafen  verbietet,  das  Eigentum  eines  andern  weg- 
zunehmen, doch  manchmal  enteignen  die  Vollstrecker  des 
Gesetzes  zwangsweise  das  Eigentum  ihrer  Mitmenschen, 
wenn  gegen  sie  ein  Urteil  vorliegt;  und  solche  Taten 
werden  getan,  um  der  Gerechtigkeit  Genüge  zu  leisten  — 
nicht  um  sie  zu  verletzen.  Jehovah  gebot:  „Du  sollst  nicht 
töten",  und  die  Menschheit  hat  das  Gesetz  wieder  in  Kraft 
gesetzt,  und  Strafen  für  die  Übertretung  desselben  vor- 
geschrieben. Die  heilige  Geschichte  bezeugt  aber,  daß  der 
Gesetzgeber  selbst  in  gewissen  Fällen  seinen  Dienern  direkt 
geboten  hat,  die  Gerechtigkeit  zu  rechtfertigen  durch  das 
Nehmen  menschlichen  Lebens,  Der  Richter,  der  das 
Todesurteil  über  einen  überführten  Mörder  ausspricht,  und 
der  Henker,  der  diesen  furchtbaren  Auftrag  ausführt, 
handeln  nicht  in  Widerspruch  zu  dem  Gesetz  „Du  sollst 
nicht  töten",  sondern  geradezu  in  Unterstützung  dieses 
Gebotes. 

8.  Mit  einigen  Prinzipien,  wodurch  die  Kräfte  der 
Natur  wirken,  sind  wir  gewissermaßen  bekannt  und  bei 
ihrer  Betrachtung  staunen  wir  nicht  mehr,  obwohl  tieferes 
Nachdenken  zeigen  kann,  daß  selbst  der  gewöhnlichste 
Vorfall  wunderbar  und  sonderbar  ist.    Aber  irgend  eine 


268  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XII. 

außergewöhnliche  Begebenheit  wird  als  wunderbar,  über- 
natürlich, oder  gar  unnatürlich  erklärt,  und  wir  werden 
mehr  oder  weniger  von  Ehrfurcht  ergriffen.^)  Als  der 
Prophet  Elisa  verursachte,  daß  die  Axt  aut  dem  Fluß 
schwamm, 2)  zog  er  durch  die  Ausübung  der  Vollmacht 
des  Priestertums  eine  der  Schwerkraft  überlegene  Kraft 
zu  Hilfe.  Ohne  Zweifel  war  das  Eisen  schwerer  als  das 
Wasser;  doch  durch  die  Wirkung  jener  höhern  Kraft  wurde 
es  gestützt,  es  hing,  oder  es  wurde  auf  eine  andre  Weise, 
wie  von  einer  menschlichen  Hand,  auf  der  Oberfläche 
gehalten,  oder  als  ob  es  durch  anhängende  Schwimmer 
genügende  Schwimmkraft  bekommen  hätte. 

9.  Der  Wein  besteht  gewöhnlich  etwa  zu  vier  Fünfteln 
aus  Wasser;  der  Rest  ist  eine  Verschiedenheit  chemischer 
Zusammensetzungen,  deren  Grundstoffe  in  der  Luft  und 
im  Erdboden  reichlich  vorhanden  sind.  Die  gewöhnliche 
Weise  —  was  wir  die  natürliche  Weise  nennen  —  wodurch 
diese  Elemente  in  die  richtige  Zusammensetzung  gebracht 
werden,  ist,  die  Traube  zu  pflanzen  und  die  Rebe  zu  pflegen, 
bis  die  Frucht  soweit  ist,  ihren  Saft  der  Weinpresse  zu 
geben.  Aber  durch  die  Ausübung  einer  nicht  gänzlich  in  der 
menschlichen  Macht  stehenden  Kraft,  rief  der  Heiland  bei 
der  Hochzeit  zu  Kana^)  diese  Stoffe  zusammen,  und 
brachte  eine  chemische  Verwandlung  in  den  Wasserkrügen 
zustande,  deren  Ergebnis  reiner  Wein  war.  So  auch  als 
die  Volksmengen  gespeist  wurden:  das  Brot  und  die 
Fische  vermehrten  sich  unter  seiner  priesterlichen  Hand 
und  seinem  bevollmächtigten  Segen  an  Gehalt,  als  ob  die 
Zeiten  von  Jahren  für  ihren  Wuchs  —  nach  der  von  uns 
als  natürlich  angesehenen  Ordnung  —  verbracht  worden 
wären.     Bei    der    Heilung    der   Aussätzigen,    der    Gicht- 


')  Siehe  Anmerkung  1. 
')  2.  Könige  6:5—7. 
=)  Johannes  2:1 — 11. 


Art.  7.]  Geistige  Gaben.  269 

brüchigen,  und  der  Gebrechlichen  wurden  die  zerrütteten 
Körperteile  wieder  in  ihren  normalen  und  gesunden  Zu- 
stand gebracht;  die  in  den  Zellengeweben  als  Gift  wir- 
kenden Unreinheiten  wurden  entfernt  durch  schnellere  und 
wirksamere  Mittel  als  die,  welche  von  der  Wirkung  der 
Drogen  und  Arzneien  abhängig  sind. 

10.  Kein  ernster  Beobachter,  kein  urteilsfähiges  Gemüt 
kann  das  Vorhandensein  von  Intelligenzen  und  Organismen, 
welche  die  menschlichen  Sinne  nicht  wahrnehmen,  be- 
zweifeln. Diese  Welt  scheint  nur  die  zeitliche  Verkörperung 
von  geistigen  Dingen  zu  sein.  Der  Schöpfer  hat  uns  gesagt, 
er  habe  alle  Dinge  geistig  geschaffen,  ehe  sie  zeitlich 
gemacht  wurden.^)  Die  Blumen,  die  auf  Erden  blühen  und 
verwelken,  sind  vielleicht  dort  oben  durch  unvergängliche 
Blüten  von  überirdischer  Schönheit  und  erquickendem  Duft 
dargestellt.  Der  Mensch  ist  in  dem  Ebenbilde  Gottes 
gestaltet  worden;  sein  Geist,  obwohl  durch  schädliche 
Gewohnheiten  verdunkelt  und  geschwächt,  ist  dennoch 
ein  zwar  gefallenes  Urbild  unsterblichen  Denkens  und 
göttlicher  Vernunft.  Und  obwohl  der  Raum,  der  in  Denken, 
Verlangen  und  Tun  das  Menschliche  von  dem  Göttlichen 
trennt,  so  weit  ist  als  der  Raum  zwischen  Meer  und 
Himmel  —  denn  so  hoch  wie  die  Sterne  über  der  Erde  sind, 
so  sind  die  Wege  Gottes  höher  denn  die  der  Menschen  — 
können  wir  doch  eine  strenge  Ähnlichkeit  zwischen  dem 
Geistigen  und  dem  Zeitlichen  wahrnehmen.  Als  die  Augen 
des  Dieners  des  Elisa  geöffnet  wurden,  sah  er  die  Heer- 
scharen der  himmlischen  Streiter,  die  die  Berge  um  Dothan 
deckten  —  Fußsoldaten,  Reiter  und  Kriegswagen,  die 
zum  Kampf  gegen  die  Syrer  gerüstet  waren. 2)  Dürfen  wir 
nicht  glauben,  daß  als  Israel  Jericho  umringte,^)  der  Fürst 


')  Siehe  Anmerkung  1,  Seite  239. 
')  2.  Könige  6:13—18. 
')  Josua  6. 


270  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XII. 

Über  das  Heer  des  Herrn^)  und  sein  himmliches  Gefolge 
da  waren,  und  daß  die  Mauern  umgestürzt  wurden  von 
den  Kräften  dieser  Engel,  die  durch  den  Glauben  und 
Gehorsam  des  menschlichen  Heeres  unterstützt  wurden? 

11.  Einige  der  neuesten  und  größten  Errungenschaften 
der  Menschen  in  der  Benutzung  der  Kräfte  der  Natur  sind 
den  Zuständen  der  geistigen  Wirkung  sehr  ähnlich.  Auf 
eine  Entfernung  von  hundert  Meilen  das  Ticken  einer  Uhr 
zu  zählen;  in  gewöhnlichem  Ton  zu  sprechen  und  über 
das  ganze  weite  Land  gehört  zu  werden ;  von  einer  Halb- 
kugel aus  zu  funken  und  auf  der  andern  verstanden  zu 
werden,  obwohl  die  Meere  zwischen  ihnen  rollen  und 
brausen;  den  Blitz  in  unsere  Häuser  zu  bringen  und  ihn 
als  Feuer  und  Fackel  dienen  zu  lassen ;  —  sind  dieses  nicht 
Wunder?  Ihre  Möghchkeit  wäre  vor  ihrer  wirklichen 
Vollendung  nicht  für  glaubhaft  gehalten  worden.  Der  Präsi- 
dent der  Republik,  auf  dem  Regierungsstuhl  in  der  Haupt- 
stadt des  Reiches  sitzend,  spricht  mit  allen  Teilen,  selbst 
mit  dem  fernsten  Punkt  dieses  großen  Landes;  und  wenn 
die  Batterien  und  Drähte  in  Ordnung  und  die  Beamten 
zuverlässig  sind,  wird  er  über  jede  wichtige  Bewegung  im 
Lande  genau  unterrichtet.  Durch  eine  Ordnung  des  gegen- 
seitigen Verkehrs,  die  in  ihrer  Wirkung  und  Anwendung 
erstaunlich  vollkommen  ist,  sind  die  Kugeln  des  Weltalls 
in  gleicher  Weise  tatsächlich  miteinander  verbunden.  Diese 
und  unzählige  andere  Wunder  der  Schöpfung  werden  in 
strenger  Übereinstimmung  mit  den  Gesetzen  der  Natur, 
welche  die  Gesetze  Gottes  sind,  vollbracht.  Nun  aber 
müssen  wir  zurückkommen  zu  einer  weiteren  Betrachtung 
der  besondern  Kundgebungen  der  geistigen  Gaben  in  der 
Kirche. 


')  Josua  5:13—14. 


Art.  7.]  Geistige   Gaben.  271 

12.  Eine  vollständige  Aufzählung  der  Gaben  des  Geistes 

kann  von  dem  Menschen  nicht  gemacht  werden,  so  unzählig, 
so  weitreichend  sind  des  Vaters  Gaben  für  seine  Kinder. 
Jedoch  sind  die  gewöhnlichem  dieser  geistigen  Kund- 
gebungen von  göttlich  erleuchteten  Verfassern  der  Heiligen 
Schrift  und  durch  das  sichere  Wort  der  Offenbarung  genau 
angegeben  worden.  Paulus  an  die  Heiligen  zu  Korinth,i) 
und  Moroni,^)  seinen  letzten  Mahnruf  an  die  Lamaniten 
schreibend,  und  die  Stimme  des  Herrn  an  das  Volk  seiner 
Kirche  in  dieser  Dispensation^)  bezeichnen  viele  der  großen 
Gaben  des  Geistes.  Aus  diesen  Schriften  erfahren  wir,  daß 
jeder  Mensch  irgend  eine  Gabe  von  Gott  empfangen  hat; 
aber  bei  der  großen  Mannigfaltigkeit  der  Gaben  bekommen 
nicht  alle  Menschen  die  gleichen.  ,, Einigen  ist  es  gegeben 
durch  den  Heiligen  Geist  dieVerschiedenheit  der  Spendungen 
zu  erkennen,  *  *  *  Und  wiederum  ist  es  einigen  gegeben, 
durch  den  Heiligen  Geist  die  Verschiedenheiten  der 
Wirkungen  zu  erkennen,  ob  sie  von  Gott  sind,  daß  die 
Kundgebungen  des  Geistes  jedermann  gegeben  werden 
mögen,  daraus  Nutzen  zu  ziehen.  Und  abermals  sage  ich 
euch:  einigen  ist  durch  den  Geist  des  Herrn  das  Wort  der 
Weisheit  gegeben  worden ;  andern  das  Wort  der  Erkenntnis, 
damit  alle  belehrt  werden  können,  selbst  weise  zu  werden 
und  Erkenntnis  zu  erlangen.  Ja,  einigen  ist  es  gegeben, 
daß  sie  Glauben  haben,  geheilt  zu  werden,  und  andern  der 
Glaube,  zuheilen;  oder  einigen  ist  es  gegeben,  Wunder  zu 
tun,  andern  zu  prophezeien,  andern  Geister  zu  unter- 
scheiden; einigen  wiederum  in  fremden  Zungen  zu  reden, 
und  andern  dagegen  die  Zungen  auszulegen;  alle  diese 
Gaben  aber  kommen  von  Gott  zu  Nutz  und  Frommen 
der  Menschenkinder."*) 


')  1.  Korinther  12:4—11. 

»)  Moroni  10:7—19. 

=)  Letire  u.  Bündn.  46:8—29. 

*)  L.  u.  B.  46:11—26;  siehe  auch  1.  Korinther  12:4—11. 


272  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XII. 

13.  Die  Gabe  der  Zungen  und  der  Auslegung  der 
Zungen.  —  Die  Gabe  der  Zungen  bildete  eine  der  ersten 
wunderbaren  Kundtuungen  des  Heiligen  Geistes  bei  den 
alten  Aposteln.  Sie  wurde  vom  Heiland  mit  eingeschlossen, 
als  er  die  besonderen  Zeichen  erwähnte,  die  bestimmt 
waren,  den  Gläubigen  zu  folgen.  „In  meinem  Namen", 
sagte  er,  „werden  sie  mit  neuen  Zungen  reden. "^)  Die 
schnelle  Erfüllung  dieser  Verheißung  durch  die  Apostel 
selbst  wurde  am  folgenden  Pfingstfest  verwirklicht,  als  sie 
—  da  sie  sich  an  einem  Ort  versammelt  hatten  —  mit  dem 
Heiligen  Geist  erfüllt  wurden  und  anfingen  in  fremden 
Zungen  zu  reden.-)  Als  die  Tür  des  Evangeliums  den 
Heiden  zuerst  geöffnet  wurde,  erfreuten  sich  die  Bekehrten 
des  Heiligen  Geistes,  der  auf  sie  gefallen  war,  und  der 
ihnen  Äußerung  in  Zungen  gab. 3)  Diese  und  andere  Gaben 
taten  sich  auch  unter  gewissen  Jüngern  zu  Ephesus*)  kund, 
als  sie  den  Heiligen  Geist  empfingen.  In  unserer  Zeit  wird 
diese  Gabe,  die  den  Heiligen  wieder  verheißen  worden  ist, 
öfters  ausgeübt.  Ihre  Hauptanwendung  liegt  mehr  im 
Aussprechen  von  Lob  als  im  Unterricht  und  Predigen; 
dies  stimmt  überein  mit  der  Lehre  Pauli:  „Denn  der  mit 
Zungen  redet,  der  redet  nicht  den  Menschen,  sondern 
Gott."^)  Eine  außergewöhnhche  Kundgebung  dieser  Gabe 
erfolgte  bei  der  schon  erwähnten  Bekehrung  der  Juden  an 
Pfingsten,  als  die  Apostel  zur  Volksmenge  sprachen  und 
von  all  den  verschiedenen  Anwesenden  verstanden  wurden ; 
denn  jeder  Zuhörer  vernahm  ihre  Belehrungen  in  seiner 
eigenen  Sprache.^)  Aber  diese  besondere  Gabe  stand  hier 
mit  höheren  Ausstattungen  der  Kraft  in  Verbindung;  die 


•)  Markus  16:17,   18. 
-)  Apostelgesch.  2:4. 
')  Apostelgesch.  10:46. 
*)  Apostelgesch.  19:6. 
')  1.  Korinther  14:2. 
'>  Apostelgesch.  2:6 — 12. 


Art.  7]  Geistige   Gaben.  273 

Gelegenheit  war  eine  des  Unterrichts,  der  Ermahnung  und 
der  Prophezeiung.  Die  Gabe  der  Auslegung  der  Zungen 
kann  derjenige,  der  mit  Zungen  redet,  besitzen,  obwohl  es 
allgemeiner  ist,  daß  die  zwei  Gaben  von  zwei  verschiedenen 
Personen  ausgeübt  werden. 

14.  Die  Gabe  der  Heilung  wurde  zur  Zeit  des  Heilandes 
und  seiner  Apostel  allgemein  ausgeübt;  fürwahr,  die 
Heilungen  bildeten  bei  weitem  den  größten  Teil  der  damals 
vollbrachten  Wunder.  Durch  bevollmächtigtes  Wirken 
wurden  den  Blinden  die  Augen  geöffnet,  die  Stummen 
redeten,  die  Tauben  hörten,  die  Lahmen  hüpften  vor 
Freude,  leidende  Menschen,  durch  Gebrechlichkeiten  ge- 
beugt, wurden  wieder  aufgerichtet  und  genaßen  zur 
Jugendkraft,  die  Gichtbrüchigen  wurden  gesund  gemacht, 
Aussätzige  wurden  gereinigt,  Hinfälligkeit  wurde  ver- 
bannt und  Fieber  gestillt.  In  dieser  Dispensation  der  Fülle 
der  Zeiten  besitzt  die  Kirche  diese  Kraft  und  sie  äußert 
sich  unter  den  Heiligen  öfters.  Tausende  von  Empfängern 
derselben  können  Zeugnis  geben  von  der  Erfüllung  der 
Verheißung  des  Herrn,  daß,  wenn  seine  Diener  die  Hände 
auf  die  Kranken  legen,  diese  genesen  werden.^) 

15.  Die  übliche  Art  und  Weise  der  Segnung  der 
Kranken  besteht  im  Auflegen  der  Hände  derer,  welche  die 
erforderliche  Vollmacht  des  Priestertums  besitzen;  dies 
stimmt  überein  mit  den  Unterweisungen  des  Heilands  in 
frühern  Tagen^)  und  entspricht  auch  der  göttlichen  Offen- 
barung in  unsrer  Zeit. 3)  Diesem  Teil  der  Verordnung  geht 
gewöhnlich  eine  Salbung  mit  zuvor  geweihtem  Öl  voran. 
Die  Heiligen  der  letzten  Tage  bekennen  sich  zu  dem  Rat, 
den  Jakobus  vor  alters  gab:*)  ,,Ist  jemand  krank,  der  rufe 


')  Markus  16:17,   18;  siehe  auch  Lehre  u.   Bündn.  84:68. 
')  Siehe  ')  und  auch  Jakobus  5:14—15. 
»)  L.  u.  B.  42:43^44. 
*)  Jakobus  5:14 — 15. 


274  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XII. 

ZU  sich  die  Ältesten  von  der  Gemeinde  und  lasse  sie  über 
sich  beten  und  salben  mit  Öl  in  dem  Namen  des  Herrn. 
Und  das  Gebet  des  Glaubens  wird  dem  Kranken  helfen, 
und  der  Herr  wird  ihn  aufrichten;  und  so  er  hat  Sünden 
getan,  werden  sie  ihm  vergeben  sein." 

16.  Obwohl  die  Vollmacht,  die  Kranken  zu  segnen, 
den  Ältesten  der  Kirche  ganz  allgemein  gehört,  besitzen 
einige  diese  Gabe  in  einem  außergewöhnlichen  Maße,  denn 
sie  haben  sie  als  eine  besondre  Gabe  des  Geistes  empfangen. 
Eine  andre  Gabe,  mit  dieser  verwandt,  ist  die  Kraft,  den 
Glauben  auszuüben,  geheilt  zu  werden,^)  die  sich  in  ver- 
schiedenen Graden  äußert.  Nicht  immer  folgen  den 
Segnungen  der  Ältesten  unmittelbare  Heilungen ;  es  mag 
erlaubt  werden,  daß  die  Kranken  im  Körper  leiden  — 
womöglich  um  göttliche  Absichten  zu  verwirkHchen  ;2) 
und  in  der  vom  Herrn  bestimmten  Zeit  müssen  seine  Kinder 
den  körperlichen  Tod  durchmachen.  Aber  man  befolge 
den  Rat  Gottes  bei  der  Segnung  der  Kranken:  wenn  sie 
dann  genesen,  leben  sie  dem  Herrn;  ferner  wird  die  ver- 
sichernde Verheißung  hinzugefügt,  daß  die,  welche  unter 
solchen  Umständen  sterben,  dem  Herrn  sterben. 3) 

17.  Gesichte  und  Träume  waren  in  jeder  Dispensation 
des  Priestertums  ein  Mittel  der  Verbindung  zwischen  Gott 
und  seinen  Kindern.  Im  allgemeinen  werden  Gesichte 
den  wachen  Sinnen  geoffenbart,  während  Träume  im 
Schlaf  gegeben  werden.  Im  Gesicht  aber  kann  derart  auf 
die  Sinne  gewirkt  werden,  daß  der  Mensch  fast  bewußtlos 
wird  oder  wenigstens  gewöhnliche  Vorkommnisse  vergißt, 
während  er  die  himmlische  Kundgebung  wahrnehmen 
kann.     In   früheren  Dispensationen  teilte  der  Herr  die 


1)  Lehre  u.  Bündn.  46:19-  42:48 — 51 ;  siehe  auch  Apostelgesch.  14:9; 
Matthäus  8:10;  9:28—29. 

*)  Denken  wir  z.  B.  an  Hiob. 
»)  L.  u.  B.  42:44 — 16. 


Art.  7.]  Geistige  Gaben.  275 

Ereignisse  der  Zukunft  selbst  bis  auf  das  letzte  Geschlecht 
durch  Träume  und  Gesichte  häufig  mit,  und  offenbarte  sie 
so  oftmals  seinen  Propheten.  Von  den  unzähligen  Fällen 
wollen  wir  nur  einige  wenige  anführen.  Betrachten  wir 
den  Fall  mit  Henoch,^)  mit  dem  der  Herr  von  Angesicht 
zu  Angesicht  sprach  und  ihm  das  Schicksal  der  mensch- 
lichen Familie  bis  zu  und  nach  dem  zweiten  Kommen  des 
Heilandes  zeigte.  —  Wegen  seiner  Rechtschaffenheit  wurde 
der  Bruder  Jareds^)  von  Gott  so  gesegnet,  daß  ihm  alle 
Einwohner  der  Erde,  sowohl  die,  die  schon  gelebt  hatten, 
als  auch  die,  die  folgen  sollten,  gezeigt  wurden.  Dem 
Propheten  Mose  wurde  der  Wille  Gottes  mit  der  sichtbaren 
Kundgebung  von  Feuer  bekannt  gemacht. 3)  Durch 
Träume  bekam  Lehi  seine  Unterweisungen,  Jerusalem  zu 
verlassen;*)  und  bei  vielen  spätem  Gelegenheiten  stand 
der  Herr  durch  Gesichte  und  Träume  mit  diesem  Patri- 
archen der  westlichen  Welt  in  Verbindung.  Die  Propheten 
des  Alten  Testaments  wurden  im  allgemeinen  ebenso 
begünstigt;  z.  B.  Jakob,  der  Vater  des  ganzen  Israels ;5) 
Hiob  der  Mann  der  Geduld  in  Trübsal;^)  Jeremia,') 
Hesekiel,8)  Daniel,^)  Habakuk,!»)   Sacharja.^i) 

18.  Die  Dispensation  Christi  und  seiner  Apostel  war 
durch  gleiche  Kundgebungen  gekennzeichnet.  Die  Geburt 
Johannes  des  Täufers  wurde  seinem  Vater  vorausgesagt, 


')  Köstl.   Perle,   Moses  6:27—39. 

')  Ether  3. 

')  2.  Moses  3:2. 

«)  2.  Nephi  2:2—4. 

')  1.  Mose  46:2. 

•)  Hiob  4:12—21. 

')  Jeremia  1:11 — 16. 

')  Hesekiel  1;  2:9—10;   3:22—23;  8;   27:1—10   usw. 

»)  Daniel  7  und  8. 
'•)  Habakuk  2:2—3. 
")  Sacharja   1:8—11,    18—21;   2:1—2;   4;   5;   6:1—8. 


276  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XII. 

während  er  priesterliche  Verrichtungen  vollzog.^)  Joseph, 
mit  der  Jungfrau  Maria  verlobt,  bekam  durch  den  Besuch 
eines  Engels^)  die  Kunde  von  Christus,  der  noch  geboren 
werden  sollte;  und  bei  späteren  Gelegenheiten  bekam  er 
Warnungen  und  Unterweisungen  in  Träumen  betreffs  der 
Wohlfahrt  des  heiligen  Kindes.^)  Als  die  Weisen  von  ihrer 
Wallfahrt  der  Verehrung  zurückkehrten,  wurden  sie  durch 
Träume  vor  den  hinterlistigen  Absichten  des  Herodes 
gewarnt.^)  In  einem  Gesichte  wurde  dem  Saulus  von 
Tarsus  der  Bote  gezeigt,  den  ihm  der  Herr  entgegenzu- 
schicken beabsichtigte,  um  in  den  Verordnungen  des 
Priestertums  zu  amtieren,^)  und  andere  Gesichte  folgten 
ihm.^)  Durch  ein  Gesicht  wurde  Petrus  auf  das  Wirken 
unter  den  Heiden  vorbereitet;')  und  Johannes  wurde  in 
dieser  Hinsicht  von  Gott  so  begünstigt,  daß  das  ganze 
Buch  der  Offenbarung  von  diesem  Bericht  angefüllt  ist. 
19.  Die  meisten  in  den  Schriften  berichteten  Gesichte 
und  Träume  sind  dem  auserwählten  Volke  durch  das 
dienende  Priestertum  gegeben  worden ;  es  gibt  aber  außer- 
gewöhnliche Fälle  solcher  Kundgebungen  an  einige,  die 
zu  der  Zeit  noch  nicht  in  die  Herde  eingetreten  waren. 
Dies  war  z.  B,  der  Fall  mit  Saulus  und  Kornelius;  aber  in 
diesen  Fällen  bereiteten  die  göttlichen  Kundgebungen  die 
Bekehrung  unmittelbar  vor.  Träume  von  besondrer  Be- 
deutung wurden  Pharaoh,^)  Nebukadnezar^)  und  andern 
gegeben ;  aber  es  bedurfte  einer  höheren  Macht  als  die  ihrige, 
um  sie  auszulegen;  und  Joseph  und  Daniel  wurden  berufen, 


')  Lukas  1:5 — 22. 

")  Matthäus  1:20. 

»)  Matthäus  2:13,  19,  22. 

-)  Matthäus  2:12. 

')  Apostelgesch.  9:12. 

•)  Apostelgesch.  16:9;  18:9—10;  22:17—21. 

')  Apostelgesch.  10:10—16;  11:5—10. 

*)  1.  Mose  41 ;  siehe  andere  Fälle  in  1.  Mose  41. 

•)  Daniel  2. 


Art.  7.]  Geistige  Gaben.  277 

diesen  Dienst  zu  versehen.  Der  dem  Soldaten  der  Midianiter 
gegebene  Traum  und  die  Deutung  von  seinem  Gefährten,^) 
die  den  Sieg  Gideons  anzeigte,  waren  wahre  Kund- 
gebungen, ebenso  auch  der  Traum  der  Frau  des  Pilatus,^) 
wodurch  sie  die  Unschuld  des  verklagten  Christus  erfuhr. 
20.  Die  Gabe  der  Prophezeiung  macht  ihren  Besitzer 
zu  einem  Propheten  —  buchstäblich  zu  einem,  der  für 
einen  andern  redet;  besonders  aber  zu  einem,  der  für  Gott 
redet. 3)  Sie  wird  von  Paulus  als  eine  der  begehrens- 
wertesten geistigen  Gaben  bezeichnet,  und  ihr  Hervorragen 
über  die  Gabe  der  Zungen  behandelt  er  ausführlich.*) 
Prophezeien  heißt:  das  Wort  Gottes  und  die  Erklärung 
seines  Willens  empfangen  und  dem  Volke  verkündigen. 
Die  Funktion  der  Voraussagung,  die  oft  als  das  einzige 
Wesentliche  der  Prophezeiung  angesehen  wird,  ist  nur  eines 
der  vielen  Merkmale  dieser  von  Gott  gegebenen  Macht. 
Der  Prophet  kann  sich  ebensoviel  mit  der  Vergangen- 
heit abgeben,  als  mit  der  Gegenwart  oder  der  Zukunft; 
er  kann  seine  Gabe  ausüben  sowohl  in  der  Belehrung  durch 
das  Licht  und  die  Erfahrung  vergangener  Ereignisse  als 
auch  im  Voraussagen  von  Ereignissen.  Die  Propheten 
Gottes  haben  bei  ihm  immer  in  besondrer  Gunst  gestanden, 
da  sie  stets  bevorrechtet  waren,  seinen  Willen  und  seine 
Absichten  zu  erfahren,  sogar  wurde  die  Verheißung 
gegeben,  daß  der  Herr  nichts  tun  werde,  es  sei  denn,  er 
offenbare  seine  verborgenen  Absichten  seinen  Dienern, 
den  Propheten.^)  Also  stehen  auserwählte  Mundstücke  als 
Vermittler  zwischen  Gott  und  den  Menschen  und  ver- 
wenden sich  für  oder  gegen  sie.^) 

')  Richter  7:13—14. 
')  Matthäus  27:19. 
')  Siehe  Anmerliung  2. 
«)  1.  Korinther  14:1—9. 
')  Arnos  3:7. 

')  1.  Könige  18:36—37;  Römer  11:2—3;  Jakobus  5:16 — 18;  Offen- 
barung Joh.  11:6. 


278  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XII. 

21.  Es  ist  keine  besondre  Ordination  zum  Priestertum 
notwendig,  damit  ein  Mensch  die  Gabe  der  Prophezeiung 
empfange.  Träger  der  melchizedekischen  Ordnung,  Adam, 
Noah,  Mose  und  viele  andre  waren  wahrlich  Propheten, 
aber  ebenso  waren  es  auch  viele,  die  nur  die  aaronischen 
Verrichtungen  allein  ausübten,  wie  z.  B.  die  meisten 
Priester  des  Alten  Testaments  nach  der  Zeit  Moses,  und 
dann  Johannes  der  Täufer. i)  Die  Dienste  der  Prophetinnen 
Mirjam^)  und  Debora^)  zeigen,  daß  auch  Frauen  diese 
Gabe  besitzen  können.  Zur  Zeit  Samuels  wurden  die 
Propheten  zu  einer  besondern  Ordnung  organisiert,  zur 
Förderung  des  Studiums  und  der  Fortbildung.*) 

22.  In  der  gegenwärtigen  Dispensation  erfreut  man  sich 
dieser  gr.oßen  Gabe  in  einer  Fülle,  der  Fülle  irgend  einer 
vorhergehenden  Zeit  gleich.  Der  Wille  des  Herrn  inbezug 
auf  die  gegenwärtigen  Pflichten  wird  seinem  Volke  durch 
den  Mund  der  Propheten  bekannt  gemacht,  und  Ereignisse 
von  großer  Wichtigkeit  werden  vorausgesagt.^)  Die  bloße 
Tatsache,  daß  die  Kirche  heute  da  ist  und  stetig  zunimmt, 
ist  ein  unbestreitbares  Zeugnis  der  Macht  und  Zuverlässig- 
keit neuzeitlicher  Prophezeiung.  Die  Heiligen  der  letzten 
Tage  bilden  eine  Körperschaft,  die  Hunderttausende  zählt, 
die  Zeugnis  geben  von  den  Wirkungen  dieser  einen  großen 
Gabe  Gottes. 

23.  Offenbarung  ist  der  Weg,  auf  dem  der  Wille  Gottes 
den  Menschen  unmittelbar  und  in  seiner  Fülle  erklärt  wird. 
Unter  Umständen,  die  den  Absichten  Gottes  am  besten 
passen,  im  Schlafe  durch  Träume  oder  durch  Gesichte  in 
wachendem  Zustand,  durch  Stimmen  ohne  sichtbare  Er- 


')  Matthäus  11:8—10. 

■)  2.  Mose  15:20. 

')  Richter  4:4. 

')  Siehe  Anmerkung  3. 

^)  Lehre  u.  Bündn.  1:4; 


Art.  7.]  Geistige  Gaben.  279 

scheinungen  oder  durch  die  tatsächliche  sichtbare  Offen- 
barung der  Gegenwart  des  Heiligen  macht  Gott  sein 
Vorhaben  bekannt  und  beauftragt  seine  auserwählten 
Gefäße,  die  so  mitgeteilten  heiligen  Botschaften  weiter- 
zugeben. Unter  dem  Einfluß  der  Erleuchtung  oder  ihrer 
mächtigern  Kundgebung,  der  Offenbarung,  wird  das  Gemüt 
des  Menschen  erleuchtet  und  seine  Kraft  zum  Vollbringen 
von  Wundern  im  Werk  des  menschlichen  Fortschritts 
geweckt;  mit  einem  Funken  von  dem  himmlischen  Altar 
berührt,  nährt  er  das  heilige  Feuer  in  seiner  Seele  und  teilt 
es  andern  mit,  je  nachdem  er  dazu  geleitet  wird.  Dies  ist 
der  Weg,  auf  dem  der  Wille  Gottes  übermittelt  wird.  Die 
Worte  desjenigen,  der  durch  Offenbarung  in  ihrer  höchsten 
Form  spricht,  sind  nicht  seine  eigenen ;  sie  sind  die  Worte 
Gottes  selbst;  das  menschliche  Sprachrohr  ist  nur  der 
vertraute  Ubermittler  dieser  himmlischen  Botschaften. 
Mit  dem  bevollmächtigten  ,,So  spricht  der  Herr!"  übergibt 
der  Offenbarer  die  seiner  Sorge  anvertraute  Last. 

24.  Wenn  der  Herr  seinen  Dienern  Offenbarung  gibt, 
verfährt  er  streng  nach  den  Grundsätzen  der  Ordnung 
und  der  Angemessenheit.  Obwohl  es  das  Vorrecht  jedes 
Menschen  ist,  so  zu  leben,  daß  er  diese  Gabe  in  den  An- 
gelegenheiten seiner  besondern  Berufung  verdient,  sollen 
nur  diejenigen,  die  zu  den  Ämtern  der  Präsidentschaft 
berufen  und  ordiniert  werden.  Offenbarer  für  das  ganze 
Volk  sein.  Inbezug  auf  den  Präsidenten  der  Kirche  — 
damals  als  folgende  Offenbarung  gegeben  wurde,  war  es 
der  Prophet  Joseph  Smith  —  sagte  der  Herr  zu  den 
Ältesten  der  Kirche:  ,,Und  das  sollt  ihr  für  bestimmt 
wissen:  wenn  er  in  mir  verbleibt,  ist  kein  anderer  für 
euch  berufen,  Gebote  und  Offenbarungen  zu  empfangen, 
bis  er  hinweggenommen  wird,  *  *  *  Und  das  soll  ein  Gesetz 
unter  euch  sein,  daß  ihr  nicht  die  Lehren  von  irgend 
jemand,  der  zu  euch  kommen  wird,  als  Offenbarung  und 


280  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XII. 

Gebote  aufnehmt;  und  ich  gebe  es  euch,  damit  ihr  nicht 
betrogen  werdet,  und  damit  ihr  wissen  möget,  daß  sie 
nicht  von  mir  sind,"^) 

25.  Das  Zeugnis  der  Wunder.  —  Die  Verheißung  des 
Heilandes  in  früheren  Tagen^)  sowohl  als  in  der  gegen- 
wärtigen Dispensation^)  geht  ausdrücklich  dahin,  daß 
gewisse  Gaben  des  Geistes  den  Gläubigen  als  Zeichen  der 
göttlichen  Gunst  folgen  sollen.  Der  Besitz  und  die  Aus- 
übung solcher  Gaben  können  somit  als  wesentliche  Merk- 
male der  Kirche  Christi  betrachtet  werden.*)  Trotzdem 
sind  wir  nicht  berechtigt,  das  Zeugnis  der  Wunder  als 
unfehlbaren  Beweis  der  Vollmacht  vom  Himmel  an- 
zusehen, denn  die  heiligen  Schriften  bestätigen  zur  Genüge, 
daß  auch  geistige  Mächte  niederer  Art  Wunder  gewirkt 
haben  und  fortfahren  werden  es  zu  tun,  so  daß  viele, 
denen  es  an  Einsicht  mangelt,  getäuscht  werden.  Wenn 
Wunder  als  ein  untrüglicher  Beweis  der  göttlichen  Macht 
angenommen  werden,  haben  die  Zauberer  Ägyptenlands 
durch  die  Wunder,  die  sie  in  ihrer  Widersetzlichkeit  gegen 
den  zur  Befreiung  Israels  verordneten  Plan  vollbrachten, 
ebensoviel  Anspruch  auf  unsere  Beachtung  wie  Mose.^)  In 
einem  Gesicht  sah  Johannes  der  Offenbarer  eine  böse  Macht 
große  Wunder  wirken  —  sogar  Feuer  vom  Himmel  fallen 
lassend  —  wodurch  viele  verleitet  wurden.^)  Wiederum 
sah  er  drei  unsaubere  Geister,  die,  wie  er  wußte,  „Geister 
der  Teufel"  waren,  „die  taten  Zeichen".') 

26.  In  Verbindung  mit  vorstehendem  betrachte  man 
die  Voraussagimg  des  Heilandes:  „Denn  es  werden 
falsche    Christi    und    falsche    Propheten    aufstehen    und 

')  Lehre  u.  Bündn.  43:3,  5 — 6. 

»)  Markus  16:17—18. 

')  L.  u.  B.  84:65—75. 

♦)  Siehe  Anmerkungen  4  und  5. 

»)  2.  Mose  7  bis  9. 

M  Offenbarung  Joh.  13:11—18. 

')  Offenbanmg  Joh.  16:13—14. 


Art.  7.]  Geistige  Gaben,  281 

große  Zeichen  und  Wunder  tun,  daß  verführet  werden 
in  den  Irrtum  (wo  es  möglich  wäre)  auch  die  Auserwähl- 
ten."^)  Die  Unzulänglichkeit  der  Wunder  als  Beweis 
der  Rechtschaffenheit  wird  in  einer  Äußerung  Jesu  Christi 
über  die  Ereignisse  des  großen  Gerichts  erklärt:  „Es 
werden  viele  zu  mir  sagen  an  jenem  Tage:  Herr,  Herr! 
haben  wir  nicht  in  deinem  Namen  geweissagt,  haben  wir 
nicht  in  deinem  Namen  Teufel  ausgetrieben,  haben  wir 
nicht  in  deinem  Namen  viele  Taten  getan?  Dann  werde 
ich  ihnen  bekennen:  Ich  habe  euch  noch  nie  erkannt; 
weichet  alle  von  mir,  ihr  Übeltäter  !"2)  Die  Juden,  an  die 
diese  Belehrungen  gerichtet  waren,  wußten,  daß  Wunder 
auch  durch  böse  Mächte  gewirkt  werden  konnten,  denn 
sie  beschuldigten  Christus,  er  tue  seine  Wunder  durch  die 
Macht  Beelzebubs,  der  Teufel  Obersten. 3) 

27.  Wäre  das  Vollbringen  von  Wundern  ein  sicheres 
Kennzeichen  des  heiligen  Priestertums,  so  müßten  wir  das 
Zeugnis  wunderbarer  Kundgebungen  in  Verbindung  mit 
dem  Werke  jedes  Propheten  und  jedes  bevollmächtigten 
Dieners  des  Herrn  erwarten.  Doch  finden  wir  bei  Sacharja, 
Maleachi  und  andern  Propheten  der  alten  Zeit  keinen 
Bericht  über  Wunder,  im  Gegenteil,  von  Johannes  dem 
Täufer,  den  Christus  für  mehr  als  einen  Propheten  erklärte^) 
wurde  deutlich  gesagt,  daß  er  keine  Wunder  tat;^)  nichts- 
destoweniger heißt  es,  daß  die  ungläubigen  Juden  durch 
Verwerfung  der  Lehre  Johannes  des  Täufers  den  Rat 
Gottes  wider  ihre  eigenen  Seelen  verachteten.*)  Um  als 
Zeugnis  der  Wahrheit  gelten  zu  können,  müssen  Wunder 
im  Namen  Christi  und  zu  seiner  Ehre,  zur  Förderung  des 


»)  Matthäus  24:24. 

*)  Matthäus  7:22—23. 

')  Matthäus   12:22—30;    Markus   3:22;    Lukas   11:15. 

*)  Matthäus  11:9. 

»)  Johannes  10:41. 

•)  Lukas  7:30. 


282  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XII. 

Plans  der  Seligkeit  vollbracht  werden.  Wie  erklärt  wurde, 
werden  sie  nicht  gegeben,  um  die  Neugierigen  und  Lüsternen 
zu  befriedigen,  auch  nicht  als  ein  Mittel  um  den,  der  sie  voll- 
bracht hat,  berühmt  zu  machen.  Diese  Gaben  des  wahren 
Geistes  werden  zur  Unterstützung  der  Botschaft  vom 
Himmel  und  zur  Bestätigung  der  mit  Vollmacht  gespro- 
chenen Worte  gegeben. 

28.  Nachahmungen  geistiger  Gaben.  —  Die  schon  an- 
geführten Beweise  wunderbarer  Taten  durch  andre  Mächte 
als  die  von  Gott,  und  die  Voraussagungen  in  der  Schrift 
betreffs  solcher  trügerischen  Kundgebungen  in  den  letzten 
Tagen  sollten  uns  eine  Warnung  vor  falschen  Nach- 
ahmungen der  Gaben  des  Heiligen  Geistes  sein.  Satan  hat 
gezeigt,  daß  er  ein  vollendeter  Meister  in  der  Nachahmung 
ist;  die  beklagenswertesten  seiner  Siege  sind  seinem  Vor- 
spiegeln des  Guten  zuzuschreiben,  wodurch  die  Einsichts- 
losen in  seine  Knechtschaft  gerieten.  Wir  wollen  nicht 
durch  den  Gedanken  irregeleitet  werden,  daß  irgendeine 
Tat,  deren  unmittelbare  Folge  wohltuend  zu  sein  scheint, 
notwendigerweise  an  ständigem  Glück  fruchtbar  sei.  Es 
kann  sogar  den  finstern  Endzwecken  des  Erzfeindes  dienen, 
sein  Spiel  mit  dem  menschlichen  Gefühl  für  Gutes,  bis  zur 
Heilung  des  Körpers  und  dem  anscheinenden  Widerstand 
gegen  den  Tod  zu  treiben. 

29.  Der  Wiederherstellung  des  Priestertums  auf  Erden 
in  diesem  Zeitalter  der  Welt  folgte  ein  außergewöhnlich 
schnelles  Zunehmen  der  Irrlehren  des  Spiritismus,^)  wo- 
durch viele  verleitet  worden  sind,  ihr  Vertrauen  auf  Satans 
Gegenstück  der  ewigen  Kraft  Gottes  zu  setzen.  Die  Ent- 
wicklung der  Gabe  der  Heilung  in  der  Kirche  heutzutage 
wird  von  Heilungen  durch  Glauben  und  ihren  unzähligen 
Abänderungen  in  einem  Grade  nachgeahmt,  der  mit  dem 


')  Spiritismus  =  Geisterglaube,  oder  besser:  Geisterschwindel,  Tisch- 
klojpferei  usw.  —  D.   tJ. 


Art.  7.]  Geistige  Gaben.  '  283 

Grade  vergleichbar  ist,  in  dem  die  Zauberer  die  Wunder 
Moses  nachahmten.  Für  den,  dem  wunderbare  Zeichen 
allein  genügen,  wird  das  Nachgeahmte  ebenso  genügen 
wie  das  Echte.  Die  Seele  aber,  die  das  Wunder  seinem 
wahren  Wesen  nach  nur  als  einen  Teil  des  Planes  Christi 
ansieht,  das  nur  dann  als  bestimmtes  Unterscheidungs- 
zeichen von  Wert  ist,  wenn  es  mit  vielen  andern  Merkmalen 
der  Kirche  verbunden  ist,  wird  nicht  getäuscht  werden. 
30.  Geistige  Gaben  in  der  Kirche  heutzutage.  —  Die 
Heiligen  der  letzten  Tage  behaupten,  innerhalb  der  Kirche 
alle  Zeichen  zu  besitzen,  die  den  Gläubigen  verheißen 
wurden.  Sie  verweisen  auf  die  nicht  in  Frage  zu  stellenden 
Zeugnisse  Tausender,  die  mit  unmittelbaren  und  persön- 
lichen Kundgebungen  himmlischer  Kraft  gesegnet  worden 
sind;  auf  die  einst  Blinden  und  Tauben,  Lahmen  und 
körperlich  Schwachen,  die  durch  ihren  Glauben  und  das 
Amtieren  der  Priesterschaft  von  ihren  Gebrechlichkeiten 
befreit  worden  sind ;  auf  Unzählige,  die  in  ihnen  natürlich 
fremden  Zungen  ihren  Zeugnissen  Ausdruck  verliehen 
haben,  oder  die  durch  eine  merkwürdige  Gewandtheit  in 
fremden  Sprachen  den  Besitz  dieser  Gabe  bewiesen  haben, 
wenn  eine  solche  zu  der  Erfüllung  ihrer  Pflichten  als 
Prediger  des  Wortes  Gottes  notwendig  war;  auf  viele 
andre,  die  sich  des  Verkehrs  mit  himmlischen  Wesen 
erfreut  haben ;  auf  noch  andre,  die  in  Worten,  welche  eine 
schleunige  Bestätigung  in  ihrer  buchstäblichen  Erfüllung 
gefunden,  prophezeit  haben;  und  auf  die  Kirche  selbst, 
deren  Wachstum  geleitet  worden  ist  durch  die  Stimme 
ihres  göttlichen  Führers,  wie  es  durch  die  Gabe  der  Offen- 
barung bekannt  gemacht  wurde.^) 


*)   Siehe  Anmerkung  7. 


284  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XII. 

Anmerknngen. 

1.  Ein  scheinbares  Wunder.  —  Vor  mehreren  Jahren  besuchte  ein 
bekannter  deutscher  Gelehrter,  Herr  Werner  Siemens,  die  PjTamide  zu 
Gizeh,  und  von  zwei  arabischen  Führern  begleitet,  stieg  er  auf  ihren  Gipfel. 
Er  bemerkte,  daß  die  Luft-  und  Witterungsverhältnisse  für  elektrische 
Kundgebvmgen  sehr  günstig  waren.  Er  befestigte  einen  großen  Messingknopf 
an  einer  leeren  Kürbisflasche  in  den  Händen  eines  der  Araber,  dann 
stellte  er  seine  Fingerknöchel  in  eine  kurze  Entfernung  von  dem  Knopfe 
und  zog  eine  Reihe  leuchtender  Funken  davon,  die  natürlicherweise  von 
dem  krachenden,  dem  elektrischen  Entladen  eigentümlichen  Knallen 
begleitet  wiu-den.  Die  Führer  sahen  diese  Äußerung  übernatürlicher  Kräfte 
mit  Erstaunen  und  Schrecken  an,  die  den  Höhepunkt  erreichten,  als  ihr 
Meister  seinen  Stab  über  seinen  Kopf  streckte  und  der  Stock  von  schönem 
St.  Elmsfeuer  überdeckt  wurde.  Dieser  Anblick  war  mehr,  als  die  aber- 
gläubischen Beduinen  ertragen  konnten;  sie  zitterten  vor  einem  Zauberer, 
der  mit  Blitz  und  Feuer  spielen  konnte  wie  mit  einem  Spielzeug,  und  der 
den  Donner  im  kleinen  in  seiner  Rocktasche  trug;  so  flohen  sie  mit  gefähr- 
licher Überstürzung  die  Treppen  hinunter  und  verschwanden  bald  in  der 
Wüste. 

2.  Der  Ausdruck  „Prophet"  erscheint  in  der  englischen  Bibel  als  die 
Übersetzung  einer  Zahl  alter  Ausdrücke,  von  welchen  nabhi  (hebräisch) 
„sprudeln  wie  ein  Bnmnen"  bedeutet,  der  gewöhnlichste  ist.  Ein  andres 
der  m-sprünglichen  Wörter  ist  rheo  (griechisch),  es  bedeutet  „fließen", 
und  durch  Abstammung,  „heraussprechen",  „äußern",  „erklären". 
Ein  Prophet  ist  also  ein  Mensch,  dem  die  Worte  einer  höheren  Autorität 
entströmen.  Von  Aaron  wird  gesprochen  als  von  einem  Propheten  oder 
Wortführer  unter  Mose  (2.  Mose  7:1);  aber  in  dem  gewöhnlichen  Sinn  ist 
der  Prophet  der  Vertreter  Gottes.  Mit  der  Berufimg  eines  Propheten  ist 
die  eines  Sehers  sehr  eng  verbunden;  zwar  vor  der  Zeit  Samuels  war  die 
allgemeine  Benennung  des  Orakels  Gottes  „Seher":  „Denn  die  man  jetzt 
Propheten  heißt,  die  hieß  man  vorzeiten  Seher"  (1.  Samuel  9:9).  Dem 
Seher  wiu-de  erlaubt,  die  Gesichte  Gottes  zu  sehen;  dem  Propheten,  die 
in  dieser  Weise  erfahrenen  Wahrheiten  zu  verkünden ;  die  zwei  Berufungen 
wurden  gewöhnlich  in  demselben  Mann  vereinigt.  Mit  dem  Propheten  und 
dem  Seher  stand  der  Herr  gewölinlich  in  Träumen  und  Gesichten  in  Ver- 
bindung; aber  eine  Ausnahme  von  dieser  Regel  wurde  bei  Mose  gemacht, 
der  so  getreu  und  so  groß  in  allen  guten  Dingen  war,  daß  der  Herr  die 
gewöhnhchen  Mittel  ablegte  und  sich  seinem  Diener  von  Angesicht  zu 
Angesicht  offenbarte.    (4.  Mose  12:6 — 8.) 

3.  Die  Propheten  organisiert.  —  Das  Prophetenamt  bestand  unter  den 
Menschen  schon  in  den  frühsten  Zeiten  der  Geschichte.  Adam  war  ein 
Prophet  (Lehre  u.  Bündn.  107:53 — 56);  ebenso  Henoch  (Judas  14;  Köstl. 
Perle,  Moses  6:26 — 27),  Noah  (1.  Mose  6,  7;  Köstl.  Perle,  Moses  8:19, 
23—24;  2.  Petrus  2:5),  Abraham  (1.  Mose  20:7);  Mose  (5.  Mose  34:10), 
und  eine  große  Zahl  andrer,  die  zu  gleicher  imd  spätrer  Zeit  amtierten. 
Samuel,  der  vor  den  Augen  des  ganzen  Israels  als  ein  Prophet  des  Herrn 
eingesetzt  wurde  (1.  Samuel  3:19—20),  organisierte  die  Propheten  in 
einen  Verein  zum  aUgemeinen  Unterricht  und  gemeinsamer  Erbauung. 
Er  gründete  Schulen  für  die  Propheten,  theologische  Bildungsanstalten, 
wo  Männer  in  den  Dingen  heiliger  Ämter  ausgebildet  wurden;  die  Schüler 


Art.  7.]  Anmerkungen.  285 

wurden  gewöhnlich  „die  Kinder  der  Propheten"  genannt  (1.  Könige  20:35; 
2.  Könige  2:3,  5,  7;  4:1.  38;  9:1).  Solche  Schulen  wurden  zu  Rama  (1.  Sa- 
muel 19:19—24),  Bethel  (2.  Könige  2:3),  Jericho  (2.  Könige  2:5),  Gilgal 
(2.  Könige  4:38)  eingerichtet.  Die  Mitglieder  scheinen  wie  ein  Verein 
zusammen  gelebt  zu  haben  (2.  Könige  6:1 — 4).  In  der  gegenwärtigen 
Dispensation  wurde  eine  ähnliche  Organisation  unter  der  Leitung  des 
Propheten  Joseph  Smith  zustande  gebracht;  diese  bekam  ebenfalls  den 
Namen  „die  Schule  der  Propheten". 

4.  Die  Abnahme  geistiger  Gaben  in  frühem  Tagen  wird  von  vielen 
maßgebenden  Schriftstellern  der  Kirchengeschichte  und  der  christlichen 
Lehre  anerkannt.  Als  ein  Beispiel  dieser  Art  Zeugnisse  von  dem  Schwinden 
geistiger  Gaben  in  der  abgefallenen  Kirche,  dürfen  die  folgenden  Worte 
John  Wesleys  angeführt  werden:  „Es  scheint  nicht,  daß  diese  außerordent- 
lichen Gaben  des  Heiligen  Geistes  länger  als  200  oder  300  Jahre  in  der 
Kirche  allgemein  gewesen  sind.  Wir  hören  selten  von  ihnen  nach  jener 
verderbenbringenden  Zeit,  als  Kaiser  Konstantin  sich  einen  Christen  nannte, 
um  aus  eitler  Einfcildmig  die  christliche  Sache  dadurch  zu  fördern,  und  Reich- 
tum, Macht  und  Ehre  auf  die  Christen  im  allgemeinen  und  auf  die  christUche 
Geistlichkeit  im  besondern  häufte.  Von  diesei  Zeit  an  hörten  sie  fast  gänzUch 
auf;  sehr  wenige  derartige  Fälle  wurden  gefunden.  Die  Ursache  dafür  bestand 
nicht,  wie  angenommen  worden  ist,  darin,  daß  es  für  sie  keine  Veranlassung 
mehr  gegeben  habe,  weil  die  ganze  Welt  christUch  geworden  war.  Dies  ist 
ein  erbärmlicher  Irrtum ;  nicht  der  zwanzigste  Teil  waren  damals  dem  Namen 
nach  Christen.  Die  walu-e  Ursache  dafür  war,  daß  die  Liebe  in  vielen  —  in 
fast  allen  sogenannten  Christen  —  erkaltet  war.  Die  Christen  hatten  nicht 
mehr  von  dem  Geiste  Christi  als  die  übrigen  Heiden.  Des  Menschen  Sohn, 
käme  er  dazu,  seine  Kirche  zu  untersuchen,  würde  Glauben  auf  der  Erde 
kaum  finden  können.  Dies  war  der  wahre  Grund,  warum  die  außerordent- 
lichen Gaben  des  Heiligen  Geistes  nicht  länger  in  der  christlichen  Kirche 
zu  finden  waren:  weil  die  Christen  wieder  Heiden  geworden  waren,  und 
nur  noch  eine  tote  Form  hatten."  — Wesley's  Works,  VII,  89;  26 — 27. 

5.  Sektiererische  Ansichten  von  der  Fortdauer  oder  Abnahme  der 
geistigen  Gaben.  —  „Protestantische  Schriftsteller  bestehen  darauf,  das 
Zeitalter  der  Wunder  sei  mit  dem  4.  oder  5.  Jahrhundert  zu  Ende  gegangen, 
imd  nach  dieser  Zeit  dürften  die  außerordentlichen  Gaben  des  Heiligen 
Geistes  nicht  mehr  erwartet  werden.  Anderseits  behaupten  die  katholischen 
Schriftsteller,  die  Kraft,  Wunder  zu  vollziehen,  habe  in  der  Kirche  fort- 
bestanden, doch  jene  geistigen  Kundgebungen,  die  sie  nach  dem  4.  und 
5.  Jahrhundert  beschreiben,  haben  einen  Anstrich  von  Erdichtung  seitens 
der  Priester  und  kindischer  Gläubigkeit  von  selten  des  Volkes;  oder  auch 
das,  was  man  als  wunderbar  vorbringt,  entspricht  nicht  der  Kraft  und 
Würde  jener  geistigen  Kundgebungen,  von  denen  Zeuge  zu  sein,  die  ur- 
sprüngliche Kirche  gewohnt  war.  Die  dem  Gebeine  und  andern  heiligen 
Überresten  der  MärtjTer  und  Heiligen  zugeschriebenen  Kräfte  und  Wunder 
sind  kindisch  im  Vergleich  zu  den  Heilungen  durch  das  Salben  mit  öl  und 
das  Auflegen  der  Hände;  im  Vergleich  mit  Zungenreden,  Auslegungen 
der  Zungen,  Prophezeiungen,  Offenbarimgen,  Austreibimg  von  Teufeln  im 
Namen  Jesu  Christi,  ganz  zu  schweigen  von  den  Gaben  des  Glaubens,  der 
Weisheit,  der  Erkenntnis,  der  Unterscheidung  von  Geistern  usw.,  die  in 
den  Tagen  der  Apostel  in  der  K'rche  allgemein  waren  (1.  Korinther  12:8-10). 
Es  gibt  weder  in  der  Schrift  noch  in  der  Vernunft  etwas,  das  uns  ver- 


286  Die  Glaubensarükel.  [Vorl.  XII. 

anlassen  könnte  zu  glauben,  diese  Gaben  sollten  aufhören.  Dennoch  wird 
von  den  heutigen  Christen  eingewendet  —  um  das  Fehlen  dieser  geistigen 
Gaben  unter  ihnen  zu  erklären  —  diese  außerordentlichen  Gaben  des 
Heiligen  Geistes  seien  nur  bestimmt  gewesen,  die  Verkündigung  des  Evan- 
geliums während  der  ersten  Jahrhunderte  zu  begleiten,  bis  die  Kirche  ohne 
sie  vonvärts  kommen  könnte,  und  dann  sollten  sie  abgeschafft  werden.  Es 
genügt,  hierüber  zu  bemerken,  daß  dies  ganz  und  gar  auf  menschlicher 
Annahme  beruht  und  keine  Berechtigung  durch  die  Schrift  oder  richtige 
Vernunft  findet;  es  beweist,  daß  die  Menschen  die  Religion  Jesu  Christi 
so  weit  geändert  hatten,  daß  sie  zur  Form  der  Gottseligkeit  wurde,  ohne 
ihre  Kraft  zu  besitzen."  —  Ältester  B.  H.  Roberts,  „Outlines  of  Ecclesiastical 
History",  part  II,   soc.   V.  6 — 8. 

6.  Wunder  eine  Hilfe  zu  geistioem  Wachstum.  —  Über  die  Äußerung 
Pauli  betreff  des  Aufhörens  gewisser  geistiger  Gaben  (1.  Korinther  13) 
schreibt  der  Apostel  Orson  Pratt  u.  a.  was  folgt:  „Die  Kirche  in  ihrem 
kämpfenden  imd  unvollkommenen  Zustand  im  Vergleich  mit  ihrem  sieg- 
reichen unvergänglichen  und  vollkommenen  Zustand  wird  (in  dem  11.  Vers) 
durch  die  zwei  sehr  verschiedenen  Stände  der  Kindheit  und  der  Mannheit 
dargestellt.  ,Da  ich  ein  Kind  war,'  sagt  Paulus,  ,da  redete  ich  wie  ein  Kind 
und  war  klug  wie  ein  Kind  und  hatte  kindische  Anschläge;  da  ich  aber  ein 
Mann  ward,  tat  ich  ab,  was  kindisch  war.'  In  den  verschiedenen  Stufen  der 
Ausbildung  von  der  Kindheit  bis  zur  Mannheit  werden  gewisse  unentbehr- 
liche Regeln  und  Risse  und  genaue  Werkzeuge  für  den  Gebrauch  und  den 
Nutzen  des  Schülers  angewandt,  daß  er  sich  eine  richtige  Kenntnis  von  den 
Wissenschaften  aneigne,  und  in  seinen  Studien  vollständig  unterrichtet 
werde.  Nachdem  die  Grundsätze  einmal  erlernt  sind,  imd  der  Schüler  in 
jedem  Fach  der  Ausbildung  vollkommen  tinterrichtet  worden  ist,  kann  er 
viele  seiner  Landkarten,  seiner  Tafeln,  seiner  Weltkugeln,  seiner  Bücher, 
seiner  Skizzen  usw.  entbehren,  denn  wie  kindische  Dinge,  sind  sie  nicht  län- 
ger notwendig;  solange  seine  Ausbildung  noch  nicht  vollständig  war,  waren 
sie  nützUch,  um  die  erwünschte  Kenntnis  zu  geben,  aber  nun,  da  sie  ihren 
Zweck  erfüllt  haben,  braucht  er  ihre  Hilfe  nicht  mehr.  *  *  *  So  ist  es  auch 
in  der  Kirche  inbezug  auf  geistige  Gaben.  Solange  sie  in  diesem  Daseins- 
zustande ist,  wird  sie  als  ein  Kind  dargestellt;  Prophezeiung,  Offen- 
barungen, Zungenreden  imd  andere  geistige  Gaben  sind  die  Mittel  zur 
Ausbildung.  Ebensowenig  als  der  Chemiker  in  seinen  Forschungen  voll- 
ständig imterrichtet  werden  könnte,  wenn  ihm  die  zu  seinen  Versuchen 
notwendigen  Vorrichtungen  entzogen  wären,  kann  das  Kind,  oder  die 
Kirche,  ohne  die  Hilfe  dieser  Gaben  als  Mittel  in  ihrer  Ausbildung  vervoU- 
komnmet  werden.  Wie  der  Chemiker  sein  Laboratorium  zu  Experimenten 
braucht,  solange  es  imentdeckte  Wahrheiten  inbezug  auf  die  Grundstoffe 
und  Zusammensetzungen  unserer  Erdkugel  gibt,  so  braucht  auch  die  Kirche 
das  große  Laboratoriimi  der  geistigen  Kenntnis  —  nämlich  Offenbarung 
und  Prophezeiung  —  solange  ihr  Wissen  Stückwerk  ist.  *  *  *  Gleichwie 
ein  Mensch  als  Kind  wie  ein  Kind  redet,  wie  ein  Kind  versteht  und  kindische 
Anschläge  hat,  also  ist  auch  das  Wissen  der  Kirche  auf  dieser  Stufe  des 
Daseins  Stückwerk;  aber  wie  ein  Kind,  wenn  es  zum  Manne  wird,  das 
Kindische  abtut,  also  wird  auch  die  Kirche,  wie  sie  durch  die  Hilfe  sol- 
cher kindischer  Dinge  wie  ,das  Stückwerk  Weissagung',  ,das  Stückwerk 
Wissen'  und  ,das  Stückwerk  Erkenntnis'  zu  einem  vollkommenen  Menschen 
in  Christo  wird,  diese  Dinge  ablegen ;  das  Stückwerk  soll  dann  aufgehoben 


Art.  7.]  Anmerkungen.  287 

werden  oder  sich  mit  der  größeren  Fülle  der  Erkenntnis,  die  dort  herrscht, 
verschmelzen.  '  —  „Divine  Authenticity  of  the  Book  of  Mormon",  1,  15. 

Aber  keine  dieser  Gaben  wird  abgeschafft  werden,  solange  Grund  für 
ihre  Ausübung  fortbesteht.  Daß  dies  die  Überzeugung  des  Apostels  Orson 
Pratt  war,  dessen  Worte  oben  angeführt  werden,  geht  aus  den  folgenden 
Äußerungen  desselben  Meisters  klar  hervor:  „Das  Quälen  diu-ch  Teufel, 
die  Verwirrung  der  Zungen,  tödliche  Gifte  und  Krankheit  sind  alles  Flüche, 
die  durch  die  Bosheit  der  Menschen  in  die  Welt  gekommen  sind.  Die 
Segnungen  des  Evangeliums  sind  gegeben,  um  diesen  Flüchen  entgegen- 
zuwirken. Deshalb,  solange  diese  Flüche  fortbestehen,  sind  auch  die 
verheißenen  Zeichen  (Markus  16:16 — 18;  Lehre  u.  Bündn.  84:65 — 72) 
notwendig,  um  die  üblen  Folgen  jener  zu  verhindern.  Hätte  Jesus  nicht 
beabsichtigt,  daß  die  Segnungen  inbezug  auf  die  Zeit  so  weitreichend  und 
unbegrenzt  wie  die  Flüche  selbst  sein  sollten,  so  hätte  er  in  seinem  Worte 
etwas  in  diesem  Sinne  angedeutet.  Aber  wenn  er  eine  allumfassende  Ver- 
heißung gewisser  Kräfte  macht,  um  es  in  der  ganzen  Welt  jedem  Men- 
schen, der  an  das  Evangelium  glaubt,  zu  ermöglichen,  gewisse  Flüche,  die 
der  Bosheit  wegen  auf  die  Menschen  vererbt  worden  sind,  zu  überwinden, 
wäre  es  die  reinste  Art  von  Unglauben,  die  verheißene  Segnung  für  unnötig 
zu  halten,  solange  als  die  Flüche  unter  den  Menschen  so  reichlich  vor- 
handen sind. 

7.  Neuzeitliehe  Kundgebungen.  —  Die  amtlich  und  beiläufig  heraus- 
gegebenen Werke  der  Kirche  sind  voll  von  Fällen  der  wimderbaren  Kund- 
gebungen während  der  gegenwärtigen  Dispensation.  Eine  ganze  Anzahl 
beglaubigter  Berichte  von  solchen  Fällen  finden  sich  in  Orson  Pratt  „Divine 
Authenticity  of  the  Book  of  Mormon",  Kapitel  V;  B.  H.  Roberts  „A  New 
Witness  for  God",  Kapitel  18. 


i 


288  Die  Glaubensarükel.  [Vorl.  XIII. 


Vorlesung  XIII. 
Die  Bibel. 

Artikel  8.  Wir  glauben  an  die  Bibel  als  das  Wort  Gottes,  soweit  sie 
richtig  übersetzt  ist  ***. 

1.  Unsere  Anerkennung  der  Bibel.  —  Die  Kirclie 
Jesu  Christi  der  Heiligen  der  letzten  Tage  anerkennt  die 
Bibel  als  das  erste  und  hervorragendste  ihrer  maßgebenden 
Lehrbücher  und  stellt  sie  unter  den  Büchern,  die  als  ihre 
geschriebenen  Führer  in  Sachen  des  Glaubens  und  der 
Lehre  erklärt  worden  sind,  an  die  vornehmste  Stelle.  Die 
Ehrerbietung  und  die  Heiligkeit,  womit  die  Heiligen  der 
letzten  Tage  die  Bibel  betrachten,  gleichen  dem  Bekenntnis 
der  christlichen  Glaubensgemeinschaften  im  allgemeinen. 
Sie  unterscheiden  sich  von  diesen  nur  dadurch,  daß  sie 
noch  gewisse  andere  Schriften  als  maßgebend  und  heilig 
anerkennen,  die  jedoch  mit  der  Bibel  im  Einklang  stehen 
und  ihre  Tatsachen  und  Lehren  unterstützen  und  bekräf- 
tigen. Es  gilt  daher  auch  nicht,  eine  besondere  „Mormonen- 
Behandlung"  der  Bibel  darzustellen.  Die  geschichtlichen 
und  sonstigen  Begebenheiten,  auf  denen  der  allgemeine 
Christenglaube  an  die  Bibel  beruht,  werden  von  den  Heiligen 
der  letzten  Tage  ebenso  vorbehaltlos  angenommen,  wie 
von  den  Mitgliedern  irgend  einer  andern  Glaubensgemein- 
schaft, und  in  der  Buchstäblichkeit  der  Auslegung  übertrifft 
diese  Kirche  wahrscheinlich  alle  andern. 

2.  Nichtsdestoweniger  macht  die  Kirche  einen  Vor- 
behalt für  den  Fall  einer  fehlerhaften  Übersetzung,  die 
als  eine  Folge  menschlicher  Unfähigkeit  entstehen  kann. 


Art.  8.]  Die  Bibel.  289 

Aber  selbst  mit  dieser  Vorsichtsmaßregel  stehen  wir  nicht 
allein,  denn  bibelkundige  Gelehrte  geben  allgemein  das 
Vorhandensein  solcher  Fehler  —  von  denen  manche  ganz 
augenscheinlich  sind  —  zu.  Die  Heiligen  der  letzten  Tage 
glauben,  daß  die  Urschriften  das  Wort  Gottes  an  die  Men- 
schen darstellen;  und  soweit  diese  Urschriften  richtig 
übersetzt  worden  sind,  werden  die  Übersetzungen  als 
gleichberechtigt  und  -verpflichtend  betrachtet.  —  Indessen 
beansprucht  z.  B.  die  Englische  Bibel  nur  eine  durch 
menschhche  Weisheit  zustandegekommene  Übersetzung 
zu  sein;  zu  ihrer  Bearbeitung  wurden  die  gelehrtesten 
Männer  herangezogen  —  und  doch  ist  bis  heute  keine  ein- 
zige Ausgabe  veröffentlicht  worden,  in  der  selbst  der  Un- 
gelehrte keine  Irrtümer  wahrzunehmen  vermochte.  Ein 
unparteiischer  Untersucher  hat  jedoch  mehr  Veranlassung, 
sich  über  die  verhältnismäßig  geringe  Anzahl  der  Irrtümer 
zu  wundern,  als  darüber,  daß  Fehler  überhaupt  vorkom- 
men. 

3.  Eine  absolut  zuverlässige  Übersetzung  der  Bibel 
gibt  es  nicht  und  kann  es  nicht  geben,  es  sei  denn,  sie 
werde  durch  die  Gabe  der  Übersetzung  —  als  eine  Gabe 
des  Heiligen  Geistes  —  zustandegebracht.  Der  Übersetzer 
muß  den  Geist  des  Propheten  besitzen,  wenn  er  die  Worte 
des  Propheten  in  eine  andere  Sprache  übertragen  will,  und 
menschliche  Weisheit  führt  nicht  zu  diesem  Besitz.  Lesen 
wir  daher  die  Bibel  mit  Ehrerbietung  und  mit  andächtiger 
Sorgfalt,  stets  nach  dem  Lichte  des  Geistes  suchend,  damit 
wir  unterscheiden  können  zwischen  der  göttlichen  Wahr- 
heit und  den  menschlichen  Fehlern. 

4.  Der  Name  ,, Bibel".  — •  Im  gegenwärtigen  Sprach- 
gebrauch bezeichnet  das  Wort  ,, Bibel"  die  Sammlung 
heiliger  Schriften,  die  auch  als  die  jüdischen  Schriften 
bekannt  sind,  und  die  einen  Bericht  von  dem  Verkehr  und 
dem  Umgang  Gottes  mit  der  menschlichen  Familie  geben, 

19 


290  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIII. 

einen  Bericht,  der  sich  mit  Ausnahme  der  vorsintflut- 
lichen Ereignisse  ganz  auf  die  östliche  Hälfte  der  Erde  be- 
schränkt. Das  Wort  „Bibel",  obschon  in  der  Form  eine 
Einzahl,  ist  die  deutsche  Wiedergabe  einer  griechischen 
Mehrzahl,  ,,Biblia",  was  buchstäblich  ,,die  Bücher"  be- 
deutet. Der  Gebrauch  des  Wortes  kam  wahrscheinlich 
im  vierten  Jahrhundert  n.  Chr.  auf,  wo  Chrysostomus^) 
diesen  Ausdruck  zur  Bezeichnung  der  urkundlichen  Bü- 
cher gebrauchte,  die  damals  von  den  griechischen  Christen 
als  maßgebend  anerkannt  wurden.  Zu  beachten  ist,  daß 
bei  allen  ursprünglichen  Anwendungen  des  Wortes  „Bibel" 
der  Begriff  einer  Sammlung  von  Büchern  vorherrschte. 
Die  heiligen  Schriften,  so  wie  sie  heute  uns  vorliegen, 
wurden  aus  den  einzelnen  Schriften  vieler,  zeitlich  weit 
von  einander  getrennter  Verfasser  zusammengestellt. 
Aus  der  auffallenden  gegenseitigen  Übereinstimmung,  sowie 
aus  der  Einheitlichkeit  des  Geistes,  der  in  allen  diesen 
Schöpfungen  waltet,  läßt  sich  mancher  kräftige  Beweis 
für  ihre  Echtheit  anführen. 

5.  Das  Wort  „Biblia"  wurde  also  im  Griechischen 
mit  einer  besondern  Bedeutung  ausgestattet,  indem  es 
die  „Bücher"  bezeichnete,  oder  richtiger  gesagt  die  ,, hei- 
ligen Bücher",  um  so  die  heiligen  Schriften  von  allen  an- 
dern Schriften  zu  unterscheiden.  Bald  wurde  der  Ausdruck 
auch  in  der  lateinischen  Sprache  geläufig,  worin  er  anfangs 
in  seinem  besondern,  richtigen  Sinne  gebraucht  wurde. 
Durch  den  Gebrauch  im  Lateinischen  kam  es  aber  dazu, 

—  möglicherweise  im  dreizehnten  Jahrhundert  — ■,  daß 
das  Wort  mehr  und  mehr  als  ein  Hauptwort  in  der  Einzahl 

—  „das  Buch"  betrachtet  wurde.  Diese  Abweichung 
von  der  Bedeutung  der  Mehrzahl,  welche  mit  dem  Aus- 
druck in  der  griechischen  Ursprache  unauflöslich  verknüpft 


')  Siehe  Anmerkung  1. 


Art.  8.]  Die  Bibel.  291 

war,  führte  zu  dem  allgemeinen  Irrtum,  daß  die  Bibel  von 
Anfang  an  ein  einheitliches,  fertiges  Buch  gewesen  sei. 
Daher  stoßen  wir  auch  öfters  auf  die  vermeintliche  Ablei- 
tung des  Wortes  aus  dem  griechischen  „Biblos"  (Einzahl) 
—  ,,das  Buch"  bedeutend  —  was  aber  nach  dem  Urteil 
der  meisten  Autoritäten  auf  einer  überlieferten  falschen 
Auffassung  beruht.  Man  könnte  denken,  die  Herkunft 
eines  Wortes  sei  nur  von  geringer  Bedeutung,  jedoch  ge- 
rade in  diesem  Fall  muß  die  ursprüngliche  Form  und  die 
erste  Anwendung  eines  uns  heute  so  geläufigen  Titels,  wie 
derjenige  der  Heiligen  Schrift,  von  lehrreichem  Interesse 
sein,  nicht  zuletzt  deshalb,  weil  dadurch  ein  gewisses  Licht 
auf  die  Zusammenstellung  des  Buches  in  seine  gegenwärtige 
Form  fällt. 

6.  Es  ist  augenscheinlich,  daß  der  Name  , »Bibel" 
kein  biblischer  Ausdruck  ist;  seine  Anwendung,  um  damit 
die  jüdischen  Schriften  zu  bezeichnen,  steht  völlig  außer- 
halb dieser  Schriften  selbst.  Nach  seiner  frühesten  An- 
wendung, welche  in  die  nachapostolische  Zeit  fällt,  sollten 
damit  alle,  oder  doch  die  meisten  der  alt-  und  neutesta- 
mentlichen  Bücher  bezeichnet  werden.  Vor  der  Zeit 
Christi  waren  die  Bücher  des  Alten  Testaments  unter 
keinem  zusammenfassenden  Namen  bekannt.  Man  unter- 
schied sie  in  gewisse  Gruppen  wie: 

1.  den  Pentateuch  oder  die  fünf  Bücher  Mose, 

2.  die  Propheten,  und 

3.  die  Hagiographa,  welche  alle  die  heiligen  Urkunden 
umfaßte,  die  in  den  andern  Gruppen  nicht  ent- 
halten waren. 

Wir  können  nun  die  einzelnen  Teile  der  Bibel  besser 
betrachten ,  wenn  wir  die  Hauptgruppen  getrennt  behandeln . 
Durch  das  irdische  Wirken  des  Heilandes  ist  eine  sehr 
natürliche  Zweiteilung  der  biblischen  Urkunden  zustande- 
gekommen.  Die  geschriebenen  Erzeugnisse  des  vorchrist- 


292  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIII. 

lichen  Zeitalters  wurden  unter  dem  Namen  „Der  Alte 
Bund"  bekannt,  diejenigen  aus  den  Tagen  des  Heilandes 
und  den  unmittelbar  darauffolgenden  Jahren  unter  der 
Bezeichnung  „Der  Neue  Bund''.^)  Der  Ausdruck  „Testa- 
ment" kam  erst  nach  und  nach  in  Gebrauch,  bis  sich  die 
Titel  „Altes"  -  und  „Neues  Testament"  schließlich  allge- 
mein einbürgerten. 


Das  Alte  Testament. 

7.  Seine  Entstehung  und  sein  Wachstum.  Zur  Zeit 
des  irdischen  Wirkens  unsers  Herrn  und  Meisters  waren 
die  Juden  im  Besitze  gewisser  Schriften,  welche  sie  als 
bindende  Richtschnur  des  Glaubens  und  der  Lehre  betrach- 
teten. Hinsichtlich  der  Echtheit  dieser  Werke  kann  wohl 
jeder  Zweifel  als  ausgeschlossen  gelten,  denn  sie  wurden 
sowohl  von  Christus  als  auch  von  den  Aposteln  häufig 
angeführt  und  dabei  als  „Die  Schrift"  bezeichnet.^)  Der 
Heiland  besonders  verweist  auf  dieselben  unter  ihren  an- 
erkannten Gruppenbezeichnungen  „Das  Gesetz  Moses", 
„Die  Propheten"  und  „Die  Psalmen". 3)  Von  den  Büchern, 
die  zur  Zeit  Christi  vom  Volk  als  heilig  anerkannt 
wurden,  wird  manchmal  auch  gesprochen  als  von  den 
jüdischen  Kirchengesetzbüchern  (dem  Kanon).  Der  heut- 
zutage allgemein  gebräuchliche  Ausdruck  „Kanon"  deutet 
nicht  nur  auf  bloß  glaubwürdige  oder  bindende,  ja  nicht 
einmal  auf  lediglich  inspirierte  Bücher  hin,  sondern  auf 
solche  Bücher,  die  als  bevollmächtigte,  verpflichtende 
Führer  in  Sachen  des  Glaubensbekenntnisses  und  der 
Lebensführung  anerkannt  wurden. 


')  1.  Korinther  11:25;  siehe  auch  Jereinia  31:31. 
»)  Johannes  5:39;  Apostelgesch.  17:11. 
»)  Lukas  24:44. 


Art.  8.]  Das  alte  Testament.  293 

Der  Ausdruck  ist  in  seiner  Ableitung  lehrreich.  Das 
griechische  Original  „Kanon"  bezeichnete  eine  straff- 
gespannte  Meßschnur,  daher  auch  die  Bedeutung  als  eines 
anerkannten  Maßstabes,  einer  festen  Regel,  eines  Prüf- 
steines, sowohl  in  moralischen  wie  in  materiellen  Ange- 
legenheiten. 

8.  Über  die  Entstehung  der  jüdischen  Kirchengesetz- 
bücher lesen  wir,  daß  Mose  den  ersten  Teil  davon  — 
das  Gesetz  —  schrieb.  Er  vertraute  ihn  der  Obhut  der 
Priester  und  der  Leviten  an  mit  dem  Gebot,  ihn  in  der 
Bundeslade^)  aufzubewahren  als  ein  Zeugnis  gegen  Israel, 
für  den  Fall  der  Übertretung.  In  der  Voraussicht,  daß 
eines  Tages  ein  König  über  Israel  herrschen  würde,  ordnete 
Mose  dann  weiter  an,  daß  sich  der  Herrscher  eine  Abschrift 
des  Gesetzes  zu  seiner  persönlichen  Richtschnur  anfertigen 
lassen  sollte. 2)  Josua,  der  Nachfolger  Moses,  ebenfalls 
ein  Führer  und  Gesetzgeber  des  Volkes,  schrieb  weiteres 
über  den  Verkehr  Gottes  mit  den  Menschen  und  über 
göttliche  Vorschriften  nieder.  Seine  Schrift  fügte  er  offen- 
bar dem  von  Mose  niedergeschriebenen  Gesetz  an.^)  Etwa 
drei  und  ein  halbes  Jahrhundert  nach  Mose,  als  die  Theo- 
kratie  (Gottesregierung)  der  Monarchie  Platz  gemacht 
hatte,  schrieb  Samuel,  der  bewährte  Prophet  des  Herrn, 
von  dieser  Änderung  ,,in  ein  Buch  und  legte  es  vor  den 
Herrn".  Wir  sehen,  wie  auf  diese  Weise  das  Gesetz  Moses 
durch  die  nachfolgenden  maßgebenden  Urkunden  erweitert 
wurde.  Auch  geht  aus  den  Schriften  des  Propheten  Jesaja 
hervor,  daß  das  Volk  Zutritt  zu  dem  „Buche  des  Herrn" 
hatte,  ermahnte  doch  der  Prophet  die  Israeliten,  darin 


')  5.  Mose  31:9,  24 — 26. 
»)  5.  Mose  17:18. 
')  Josua  24:26. 
♦)  1.  Samuel  10:25. 


294  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIII. 

ZU  lesen  und  zu  forschen!^)  Es  ist  also  augenscheinlich, 
daß  das  Volk  zur  Zeit  des  Propheten  Jesaja  in  Sachen  des 
Glaubens  und  des  Lebens  eine  geschriebene  Richtschnur 
besaß. 

9.  Nahezu  vierhundert  Jahre  später,  (im  Jahre  640 — 
630  V.  Chr.)  als  der  gerechte  König  Josia  den  Thron  Judas 
—  eines  Bruchstückes  des  zerteilten  Israels  —  einnahm, 
fand  der  Hohepriester  Hilkia,  der  Vater  des  Propheten 
Jeremia,  im  Tempel  ,,das  Buch  der  Gesetze  des  Herrn",^) 
welches  von  den  Königen  gelesen  wurde. ^)  In  den  Tagen 
Esras  —  im  fünften  Jahrhundert  v.  Chr.  —  erlaubte  sodann 
ein  Erlaß  des  Königs  Cyrus  dem  gefangenen  Volk  Juda  — 
dem  Überbleibsel  des  einst  so  mächtigen  und  geeinigten 
Israels  —  nach  Jerusalem  zurückzukehren,*)  um  dort  den 
Tempel  des  Herrn  wieder  aufzubauen  und  zwar  in  Über- 
einstimmung mit  dem  in  den  Händen  Esras  sich  befind- 
lichen Gesetz  des  Herrn.^)  Daraus  dürfen  wir  schließen, 
daß  das  geschriebene  Gesetz  damals  bekannt  war.  Esra 
ist  es  auch,  dem  allgemein  das  Verdienst  zugeschrieben 
wird,  die  Bücher  des  Alten  Testamentes,  soweit  sie  zu 
seiner  Zeit  schon  abgeschlossen  vorlagen,  zusammengestellt 
zu  haben,  wobei  er  ihnen  seine  eigenen  Schriften  anfügte.^) 
Bei  dieser  Arbeit  waren  ihm  wahrscheinlich  Nehemia  und 
die  Mitglieder  der  Großen  Synagoge  —  ein  Rat  von  120 
jüdischen  Gelehrten  —  behilflich.')  Von  dem  Buche 
Nehemia,  das  eine  Fortsetzung  des  von  Esra  angefangenen 
geschichtlichen    Berichtes    darstellt,    wird    angenommen. 


»)  Jesaja  34:16, 

=>)  2.  Chronik  34:14—15;  siehe  auch  5.  Mose  31:26, 
»)  2.  Könige  22. 
*)  Esra  1:1—3. 
')   Siehe  Esra  7:12—14. 
")  Das  Buch  Esra, 

')  Diese    geschichtliche    Mitteilung   wird    in    gewissen    Büchern    der 
Apokryphen  gemacht,  siehe  2.  Buch  Esra. 


Art.  8.1  Das  alte  Testament.  295 

daß  es  von  dem  Propheten,  dessen  Namen  es  trägt,  wenig- 
stens teilweise  noch  zu  Lebzeiten  Esras  geschrieben  wurde. 
Ein  Jahrhundert  später  fügte  sodann  noch  Maleachi, 
der  letzte  bedeutende  Prophet  vor  der  Eröffnung  der  Dispen- 
sation Christi,  seinen  Bericht  hinzu  und  vollendete  und  be- 
schloß die  Reihe  der  vorchristlichen  Kirchenbücher  mit 
einer  prophetischen  Verheißung  des  Messias,  der  einen 
neuen  und  ewigen  Bund  aufrichten  werde, ^) 

10.  So  ist  es  offenbar,  daß  sich  das  Alte  Testament 
durch  die  sich  folgenden  Schriften  von  bevollmächtigten 
und  inspirierten  Schreibern  von  Mose  bis  auf  Maleachi  ver- 
größerte und  daß  seine  Sammlung  ein  natürlicher  und  fort- 
schreitender Vorgang  war,  wobei  jeder  neue  Zusatz  mit 
den  vorherigen  Schriften  zusammen  aufbewahrt,  oder, 
wie  die  Schrift  es  nennt,  ,,vor  den  Herrn  gelegt" 
wurde.  Ohne  Zweifel  waren  den  Juden  noch  viele  andere 
Bücher  bekannt,  die  in  unserm  gegenwärtigen  Alten  Te- 
stament gar  nicht  enthalten  sind :  Hinweisungen  auf  solche 
finden  sich  in  der  Heiligen  Schrift  selbst  genügend,  um 
zu  beweisen,  daß  manche  dieser  außerkanonischen  Ur- 
kunden als  sehr  glaubwürdig  und  echt  anerkannt  wur- 
den. Hierüber  soll  aber  in  Verbindung  mit  den  Apokry- 
phen noch  etwas  gesagt  werden.  Die  in  den  Jüngern  Bü- 
chern zahlreich  enthaltenen  Hinweise  auf  die  altern,  sowie 
die  vielen  Anführungen  des  Alten  Testamentes  im  Neuen, 
beweisen  die  anerkannte  kirchengesetzliche  Gültigkeit  der 
alttestamentlichen  Bücher.  Etwa  zweihundertunddreißig 
Anführungen  oder  direkte  Hinweise  sind  vermerkt  worden, 
ohne  die  vielen  Hunderte  von  weniger  direkten  Anspie- 
lungen, 

11.  Die  Sprache  des  Alten  Testamentes.  —  Es  ist 
höchst  wahrscheinlich,   man   kann  vielleicht  sagen   fest- 


')  Maleachi 


296  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIII. 

stehend,  daß  beinahe  alle  Bücher  des  Alten  Testamentes 
ursprünglich  in  hebräischer  Sprache  geschrieben  wurden. 
Es  gibt  zwar  Gelehrte,  welche  Anhaltspunkte  dafür  ge- 
funden haben  wollen,  daß  kleine  Teile  der  Bücher  Esra, 
Daniel  und  Jeremia  in  der  chaldäischen  Sprache  geschrie- 
ben worden  sind,  aber  das  Vorherrschen  des  Hebräischen 
als  Sprache  der  Urschriften  hat  dem  Alten  Testament 
seine  allgemeine  Bezeichnung  als  der  „hebräische"  oder 
„jüdische"  Schriftkanon  gegeben.  Von  dem  Pentateuch 
sind  zwei  Übertragungen  anerkannt  worden :  die  eigentlich 
hebräische  und  die  samaritische;^)  diese,  mit  den  ältesten 
Schriftzeichen  des  Hebräischen,  wurde  von  den  Samaritern 
aufbewahrt,  die  bekanntlich  mit  den  Juden  in  fortwäh- 
render Feindschaft  lebten. 

12.  Die  Septuaginta.  Wenn  wir  die  „Peschito"  oder  älteste 
syrische  Übertragung  des  Alten  Testamentes  als  von  ge- 
ringerer Wichtigkeit  übergehen,  erkennen  wir  als  die 
erste  bedeutende  Übersetzung  des  hebräischen  Kanons 
die,  die  unter  dem  Namen  Septuaginta  bekannt  ist. 2)  Es 
ist  dies  jene  griechische  Übertragung  des  Alten  Testaments, 
die  auf  Veranlassung  eines  ägyptischen  Herrschers  —  wahr- 
scheinlich Ptolemäus  Philadelphus  —  etwa  ums  Jahr  286 
V.  Chr.  zustandekam.  Der  Name  Septuaginta  deutet  auf 
die  Zahl  siebzig  hin.  Es  wird  gesagt,  diese  Bezeichnung 
sei  auf  den  Umstand  zurückzuführen,  daß  die  Übersetzung 
von  72  Ältesten  —  rund  70  —  besorgt  worden  sei;  andere 
Überlieferungen  wollen  den  Grund  darin  sehen,  daß  die 
Arbeit  einen  Zeitraum  von  siebzig  oder  zweiundsiebzig 
Tagen  beanspruchte;  wieder  andere  führen  den  Namen 
darauf  zurück,  daß  diese  Übersetzung  die  Genehmigung 
und  Bestätigung  des  jüdischen  Kirchenrates,  des  Sanhe- 


')  Siehe  Anmerkung  2. 
*)  Siehe  Anmerkung  3. 


Art.  8.]  Das  alte  Testament.  297 

drins,  welcher  sich  aus  72  Mitgliedern  zusammensetzte, 
erhalten  habe.  Sicher  ist,  daß  die  Septuaginta,  die  manch- 
mal auch  mit  der  Ziffer  LXX  bezeichnet  wird,  zur  Zeit  des 
irdischen  Wirkens  Christi  unter  den  Juden  die  gebräuch- 
lichste Übersetzung  war  und  vom  Heiland  und  seinen 
Aposteln  bei  ihren  Hinweisen  auf  die  alttestamentlichen 
Bücher  benutzt  wurde.  Die  Septuaginta  wird  als  die 
zuverlässigste  der  alten  Übersetzungen  betrachtet  und 
ist  in  unserer  Zeit  von  der  griechischkatholischen  und  von 
andern  Kirchen  des  Ostens  angenommen  worden.  Es  ist 
erwiesen,  daß  das  Alte  Testament  seit  ungefähr  dreihundert 
Jahren  vor  Christo  in  der  hebräischen  und  in  der  griechi- 
schen Sprache  im  Gebrauch  war.  Diese  Verdoppelung 
hat  sich  als  wirksamer  Schutz  gegen  Veränderungen  des 
Wortlautes  erwiesen. 

13.  Die  gegenwärtige  Sammlung  anerkennt  neun- 
unddreißig Bücher  des  Alten  Testamentes.  Ursprünghch 
erschienen  diese  als  zweiundzwanzig  zusammengefaßte 
Bücher,  entsprechend  den  zweiundzwanzig  Buchstaben 
des  hebräischen  Alphabets.  Die  neununddreißig  Bücher, 
wie  sie  heute  uns  vorliegen,  können  sachgemäß  in  folgende 
Gruppen  eingeteilt  werden: 

1.  Der  Pentateuch  oder  die  Gesetzbücher     ...       5 

2.  Die  geschichtlichen  Bücher      12 

3.  Die  poetischen  Bücher      5 

4.  Die  Bücher  der  Propheten 17 

14.  1,  Die  „Gesetzbücher".  —  Die  ersten  fünf  Bü- 
cher der  Bibel  erscheinen  unter  dem  Sammelnamen 
,,Der  Pentateuch",  (pente  =  fünf,  teuxos  —  Buch).  Sie 
waren  den  alten  Juden  als  die  ,,Thorah"  oder  als ,, Das  Gesetz" 
bekannt.  Ihre  Verfasserschaft  wird  von  der  Überlieferung 
dem  Propheten  Mose  zugeschrieben,^)  daher  auch  der  an- 


»)  Esra  6:18;  7:6;  Nehemia  8:1;  Johannes 


298  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIII. 

dere,  allgemein  gebräuchliche  Name  „Die  fünf  Bücher 
Mose".  Sie  geben,  wenn  auch  nur  in  abgekürzter  Form, 
die  Geschichte  der  Menschheit  von  der  Schöpfung  bis  zur 
Sintflut  und  von  Noah  bis  auf  Israel  wieder,  dann  einen 
ausführlichen  Bericht  von  dem  auserwählten  Volk  während 
seiner  ägyptischen  Knechtschaft  und  weiter  von  der  vier 
Jahrzehnte  dauernden  Wanderung  des  Volkes  in  der  Wüste 
bis  zu  seiner  Lagerung  an  den  fernen  Ufern  des  Jordans. 

15.  2.  Die  geschichtlichen  Bücher,  zwölf  an  der  Zahl, 
umfassen  die  folgenden:  Josua,  Richter,  Ruth,  1.  und  2. 
Samuel,  1.  und  2.  Könige,  1.  und  2.  Chronik,  Esra,  Nehe- 
mia  und  Esther.  Sie  berichten  über  die  Geschichte  der 
Israeliten,  wie  diese  in  das  Land  der  Verheißung  einzogen, 
und  ihre  daran  anschließende  Laufbahn  durch  drei  be- 
stimmte Zeitabschnitte  hindurch  während  ihres  Bestehens 
als  ein  Volk:  1.  als  eine  Nation  unter  der  Gottesherrschaft 
(Theokratie),  mit  einer  Behörde  von  Richtern,  alle  Teile 
des  Volkes  durch  die  Bande  der  Religion  und  Blutsver- 
wandtschaft zusammengehalten,  2.  als  eine  Monarchie, 
zunächst  ein  geeinigtes  Reich,  später  eine  Nation,  die  in 
sich  selbst  uneins  wurde,  3.  als  ein  teilweise  unterjochtes 
und  besiegtes  Volk,  dessen  Unabhängigkeit  nach  dem  Gut- 
dünken seiner  Besieger  beschränkt  wurde. 

16.  3.  Die  fünf  poetischen  Bücher.  Das  Buch  Hiob, 
die  Psalmen,  die  Sprüche  Salomos,  der  Prediger  Salomo, 
das  Hohelied  Salomos.  —  Häufig  wird  von  ihnen  auch  als 
von  den  ,, Lehrbüchern"  gesprochen.  Die  griechische  Be- 
zeichnung „Hagiographa"  (Hagios=heilig,  grapha=etwas 
Geschriebenes)  ist  heute  noch  im  Gebrauch.^)  Diese  Bücher 


»)  Wie  schon  erwähnt  versteht  man  unter  der  Bezeichnung  Hagio- 
grapha  —  heilige  Schriften  —  allgemein  die  fünf  poetischen  Bücher  des 
Alten  Testaments.  Einige  Gelehrte  dehnen  diese  Liste  jedoch  auf  alle  Bücher 
aus,  die  im  Talmud  als  Hagiographa  genannt  werden,  nämhch:  Buth,  Chro- 
nik, Esra,  Nehemia,  Esther,  Hiob,  Psalmen,  Sprüche,  Prediger,  Hohes  Lied 
Salomos,  Klagelieder  des  Jeremias  und  Daniel. 


Art.  8.]  Das  alte  Testament.  299 

stammen  aus  weit  auseinanderliegenden  Zeitaltern.  Ihr 
enger  Zusammenhang  in  der  Bibel  ist  wahrscheinlich 
darauf  zurückzuführen,  daß  sie  allgemein  als  Wegleitung 
für  die  Gottesdienste  und  Andachten  in  den  jüdischen 
Kirchen  dienten. 

17.  4.  Die  prophetischen  Bücher  umfassen  die  fünf 
größern  Werke  der  Propheten  Jesaja,  Jeremia  (mit  seinen 
Klageliedern),  Hesekiel  und  Daniel,  die  gewöhnlich  als 
die  Bücher  der  ,, großen  Propheten"  bekannt  sind.  Dazu 
kommen  die  zwölf  kleineren  Schriften  der  Propheten 
Hosea,  Joel,  Amos,  Obadja,  Jona,  Micha,  Nahum,  Haba- 
kuk,  Zephania,  Haggai,  Sacharja  und  Maleachi  —  der 
sogenannten  ,, kleinen  Propheten".  In  diesen  propheti- 
schen Büchern  haben  wir  das  gewichtige  Wort  des  Herrn 
an  sein  Volk  in  der  Zeit  vor,  während  und  nach  der  Ge- 
fangenschaft und  in  ermutigenden,  tröstenden,  warnenden, 
und  strafenden  Worten,  je  nachdem  es  der  Zustand  des 
Volkes  verlangte.!) 

18.  Die  Apokryphen.  Die  Apokryphen  umschließen 
eine  Anzahl  Bücher,  deren  kirchliche  Rechtsgültigkeit 
zweifelhaft  ist,  obschon  sie  zu  Zeiten  hoch  geschätzt  wur- 
den. So  sind  sie  z.B.  der  Septuaginta  beigegeben  worden 
und  eine  Zeitlang  wurde  ihnen  von  den  alexandrinischen 
Juden  Anerkennung  gezollt.  Wegen  ihrer  zweifelhaften 
Herkunft  wurde  ihnen  jedoch  nie  allgemeine  Anerkennung 
zuteil.  Im  Neuen  Testament  werden  sie  auch  nirgends 
angeführt.  Die  Bezeichnung  „apokryphisch"  (=  geheim, 
verschwiegen)  wurde  zuerst  von  Hieronymus  auf  diese 
Bücher  angewandt,  „denn"  sagte  er,  ,,die  Kirche  liest  sie 
als  Muster  für  das  tägliche  Leben  und  als  eine  Unterwei- 
sung in  Sitte  und  Gebrauch,  aber  sie  benützt  sie  nicht,  um 
damit  irgend  einen  Lehrsatz  zu  begründen".  Die  römisch- 


')  Siehe  Anmerkung  4. 


300  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIII, 

katholische  Kirche  erklärt,  die  Apokryphen  als  heilige 
Schrift  anzuerkennen,  da  das  Konzil  von  Trient  (1546) 
einen  dahingehenden  Beschluß  gefaßt  hat;  dessen  unge- 
achtet dürfte  aber  auch  unter  den  Autoritäten  dieser 
Kirche  noch  immer  ein  gewisser  Zweifel  hinsichtlich  der 
kirchlichen  Rechtsgültigkeit  dieser  Bücher  bestehen.  In 
der  Kirchenverfassung  der  Englischen  Kirche  lautet  der 
sechste  Artikel  inbezug  auf  die  rechtgläubigen  Ansichten 
der  Kirche  über  Bedeutung  und  Zweck  der  Heiligen  Schrift 
—  nachdem  zuerst  die  als  kanonisch  betrachteten  Bücher 
des  Alten  Testaments  aufgezählt  werden  —  wie  folgt :  „Und 
die  andern  Bücher  —  wie  auch  Hieronymus  sagt  —  werden 
von  der  Kirche  gelesen  als  Muster  für  das  tägliche  Leben 
und  als  Unterweisung  in  Sitte  und  Gebrauch,  aber  sie 
werden  nicht  benützt,  um  damit  irgendeine  Lehre  zu  ver- 
teidigen; zu  diesen  Büchern  zählen  die  folgenden:  das 
dritte  Buch  Esra,  das  vierte  Buch  Esra,  das  Buch  Tobias, 
das  Buch  Judith,  Stücke  zu  Esther,  die  Weisheit  Salomos, 
das  Buch  Jesus,  (des  Sohnes  Sirachs),  das  Buch  Baruchs 
des  Propheten,  der  Gesang  der  drei  Männer  im  Feuerofen, 
die  Geschichte  von  Susanna  und  Daniel,  vom  Drachen  zu 
Babel,  das  Gebet  Manasses,  das  erste  Buch  der  Makka- 
bäer,  das  zweite  Buch  der  Makkabäer." 


Das  Neue  Testament. 

19.  Seine  Entstehung  und  seine  Echtheit.  Seit  der 
letzten  Hälfte  des  vierten  Jahrhunderts  unserer  gegen- 
wärtigen Zeitrechnung  ist  kaum  eine  einzige  gewichtige 
Frage  hinsichtlich  der  Echtheit  der  Bücher  des  Neuen 
Testamentes,  so  wie  wir  sie  heutzutage  haben,  aufgeworfen 
worden.  Seit  dieser  Zeit  ist  das  Neue  Testament  bis  auf 
den  heutigen  Tag  von  allen  erklärten  Christen  als  eine 
Sammlung   unzweifelhafter   heiliger    Schriften   angenom- 


Art.  8.]  Das  neue  Testament.  301 

men  worden, i)  Im  vierten  Jahrhundert  waren  von  den 
Büchern  des  Neuen  Testamentes,  wie  wir  es  heute  besitzen, 
mehrere  Verzeichnisse  im  Umlauf.  Von  diesen  seien  er- 
wähnt: die  Verzeichnisse  des  Athanasius,  des  Epiphanias, 
des  Hieronymus,  des  Rufinus  und  des  Augustinus  von 
Hippo  und  die  von  dem  dritten  Konzil  zu  Karthago  be- 
kannt gegebene  Liste.  Diesen  könnten  noch  vier  andere 
hinzugefügt  werden,  welche  sich  von  ihnen  dadurch  unter- 
scheiden, daß  sie  in  drei  Fällen  die  Offenbarung  Johannes, 
und  in  einem  Fall  den  Hebräerbrief  weglassen. 

20.  Die  Fülle  der  Beweise  für  die  Bildung  des  Neuen 
Testaments  ist  eine  Folge  der  Christen  Verfolgungen  jener 
Zeit.  Die  Unterdrückungsmaßnahmen  des  römischen 
Kaisers  Diokletian  zu  Beginn  des  vierten  Jahrhunderts 
waren  nicht  allein  gegen  die  Christen  persönlich  und  als 
eine  Sekte  gerichtet,  sondern  gleichermaßen  auch  gegen 
ihre  Schriften,  welche  der  fanatische  und  grausame  Herr- 
scher zu  vernichten  suchte.  Es  wurde  dabei  den  Personen, 
welche  die  heiligen  Bücher,  die  ihrer  Obhut  anvertraut 
worden  waren,  den  Römern  auslieferten,  eine  etwas  mildere 
Behandlung  zugesichert,  und  es  waren  nicht  wenige,  die 
diese  Gelegenheit  benützten,  um  ihr  Leben  zu  retten.  Als 
später  die  Härte  der  Verfolgung  nachließ,  suchten  die 
Gemeinden  jene  Mitglieder  zur  Rechenschaft  zu  ziehen,  die 
durch  Herausgabe  der  heiligen  Schriften  bewiesen  hatten, 
daß  sie  in  ihrer  Treue  zum  Glauben  schwach  geworden 
waren;  diese  wurden  alle  als  Verräter  mit  dem  Kirchen- 
banne belegt.  Da  viele  der  Bücher,  die  auf  die  erwähnte 
Weise  unter  Androhung  der  Todesstrafe  ausgeliefert  wor- 
den waren,  nicht  allgemein  als  heilig  anerkannt  wurden, 
war  zunächst  die  wichtigste  Frage  die,  darüber  zu  ent- 
scheiden, gerade  welche  Bücher  von  so  allgemein  aner- 


')  Siehe  die  Anmerkungen  5  und  6. 


302  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIII. 

kannter  Heiligkeit  waren,  daß  ihre  Auslieferung  einen 
Menschen  zum  Verräter  machte. i)  Wir  finden  daher  auch, 
daß  Eusebius  die  Bücher  der  messianischen  und  aposto- 
lischen Zeit  in  zwei  Gruppen  teilte:  1.  in  solche  von  aner- 
kannter kirchlicher  Gesetzeskraft,  nämlich  die  Evangelien, 
die  Briefe  des  Paulus,  die  Apostelgeschichte,  den  ersten 
Johannes-  und  den  ersten  Petrusbrief  und  wahrscheinlich 
auch  die  Offenbarung  des  Johannes;  2,  in  solcne  von  be- 
strittener Echtheit  und  Verpflichtung,  nämlich  den  Brief 
des  Jakobus,  den  zweiten  Petrusbrief,  den  zweiten  und  den 
dritten  Brief  des  Johannes,  und  den  Brief  des  Judas.  Diesen 
beiden  Gruppen  fügte  er  eine  dritte  an,  welche  die  Bücher 
umfaßte,  deren  Unechtheit  allgemein  zugegeben  wurde. 2) 

21.  Wie  schon  erwähnt,  gibt  das  von  Anathasius 
etwa  um  die  Mitte  des  vierten  Jahrhunderts  veröffent- 
lichte Verzeichnis  die  Zusammensetzung  des  Neuen 
Testaments,  wie  wir  es  heute  haben.  Zu  jener  Zeit  scheinen 
alle  Zweifel  an  der  Richtigkeit  dieser  Zusammenfassung 
aufgehört  zu  haben.  Wir  bemerken  deshalb  auch  die  all- 
gemeine Anerkennung  des  Neuen  Testaments  seitens 
aller  Bekenner  des  Christentums,  sowohl  in  Rom,  wie  auch 
in  Ägypten,  Afrika,  Syrien,  Kleinasien  und  Gallien.  Das 
Zeugnis  des  Origenes,  der  im  dritten  Jahrhundert  in  hohem 
Ansehen  stand,  sowie  das  des  Tertullians,  der  im  zweiten 
Jahrhundert  lebte,  wurde  von  nachfolgenden  Schriftstellern 
geprüft  und  endgültig  als  zugunsten  der  Echtheit  der  Evan- 
gelien und  der  apostolischen  Schriften  erklärt.  Jedes  Buch 
wurde  auf  seinen  eigenen  Wert  hin  geprüft  und  alle  durch 
allgemeine  Zustimmung  als  für  die  Kirche  verpflichtend 
und  bindend  angenommen. 


•)  Siehe   Tregelle's   „Historie   Evidence   of  the   Origin 
Books  of  the  New  Testament,  S.  12. 

*)  Siehe  Eusebius  „Kirchengeschichte"  III,  25. 


Art.  8.]  Das  neue  Testament.  303 

22.  Sollte  es  je  nötig  sein,  noch  weiter  zurückzugehen, 
so  können  wir  auch  das  Zeugnis  des  Irenaeus,  in  der  Kir- 
chengeschichte als  Bischof  von  Lyon  besonders  hervorge- 
hoben, anführen.  Er  lebte  in  der  letzten  Hälfte  des  zweiten 
Jahrhunderts  und  ist  als  ein  Schüler  des  Polykarpus  be- 
kannt, der  mit  dem  Apostel  Johannes  persönlich  befreun- 
det war.  Seine  umfangreichen  Schriften  bestätigen  die 
Echtheit  der  meisten  neutestamentlichen  Bücher  und  er- 
klären genau  ihre  Herkunft  und  Verfasserschaft,  wie  sie 
heute  noch  anerkannt  werden.  Diesem  Zeugnis  kann  man 
das  der  Heiligen  in  Gallien  anfügen,  die  an  ihre  Leidens- 
genossen in  Asien  schrieben  und  dabei  viele  Anführungen 
aus  den  Evangelien,  aus  den  Briefen  der  Apostel  und  aus 
der  Offenbarung  des  Johannes  machen,^)  ferner  die  Er- 
klärungen des  Bischofs  Miletus  von  Sardes,  welcher  den 
Osten  bereiste,  um  zu  entscheiden,  welches  die  kanoni- 
schen Bücher  seien,  namentlich  hinsichtlich  des  Alten 
Testamentes, 2)  weiter  das  ernste  Bekenntnis  des  Justinus, 
des  Märtyrers,  welcher  durch  seine  gründlichen  und  ge- 
lehrten Forschungen  zur  Annahme  des  Christentums  ge- 
führt wurde  und  für  seine  Überzeugung  den  Märtyrer- 
tod erlitt.  Außer  diesen  persönlichen  Zeugnissen  haben  wir 
solche  von  kirchlichen  Konzilien  und  amtlichen  Körper- 
schaften, von  denen  die  Frage  der  Echtheit  geprüft  und 
entschieden  wurde.  In  dieser  Beziehung  sei  erwähnt  das 
Konzil  von  Nicäa,  325  n.  Chr,,  das  Konzil  von  Laodizea, 
363  n.  Chr.,  das  Konzil  von  Hippo,  393  n.  Chr.,  das  dritte 
und  sechste  Konzil  von  Carthago,  397  und  419  n.  Chr, 

23.  Seit  dem  zuletzt  genannten  Zeitpunkt  hat  kein 
Streit  mehr  über  die  Echtheit  des  Neuen  Testamentes 
viel  Aufmerksamkeit  beansprucht.    Ohne  Zweifel  ist  die 


•)  Siehe  Eusebius,  Buch  IV, 
=)  Eusebius  IV,  26. 


304  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIII. 

Gegenwart  bereits  ein  zu  später  Zeitpunkt  und  die  trennende 
Entfernung  zu  groß  geworden,  um  die  Wiederaufnahme  der 
Frage  zu  unterstützen.  Das  Neue  Testament  muß  als  das 
angenommen  werden,  was  es  zu  sein  behauptet.  Mögen 
vielleicht  auch  viele  kostbare  Teile  desselben  unterdrückt 
worden  oder  verloren  gegangen  sein  und  anderseits  sich 
einige  Verfälschungen  des  heiligen  Wortlautes  eingeschli- 
chen haben  oder  Irrtümer  und  Fehler  durch  die  Nachlässig- 
keit und  Unfähigkeit  der  Menschen  entstanden  sein,  — 
das  Buch  als  Ganzes  muß  als  echt  und  glaubwürdig  und 
als  ein  notwendiger  Bestandteil  der  Heiligen  Schrift  aner- 
kannt werden. 1) 

24.  Die  Einteilung  des  Neuen  Testaments.  Das  Neue 
Testament  enthält  27  Bücher,  welche  gruppiert  werden 
können 

1.  in    5  geschichtliche, 

2.  in  21  belehrende  und 

3.  in    1  prophetisches  Buch. 

25.  1.  Die  geschichtliehen  Bücher  umfassen  die  vier 
Evangelien  und  die  Apostelgeschichte.  Von  den  Verfassern 
dieser  Werke  wird  gesprochen  als  von  den  Evangelisten 
Matthäus,  Markus,  Lukas  und  Johannes.  Dem  Lukas  wird 
auch  die  Abfassung  der  Apostelgeschichte  zugeschrieben. 

26.  2.  Zu  den  belehrenden  (Lehr-)  Büchern  zäh- 
len die  Briefe  der  Apostel.  Wir  können  sie  einteilen 
1.  in  die  Briefe  des  Apostels  Paulus,  a)  seine  Briefe  über 
Gesetz  und  Evangelium,  an  die  Römer,  Korinther,  Galater, 
Epheser,  Philipper,  Kolosser  und  Thessalonicher  und  an 
die  Hebräer,  b)  seine  seelsorgersichen  Schreiben  an  Timo- 
theus,  Titus  und  Philemon;  2,  in  die  allgemeinen  Briefe 
der  Apostel  Petrus,  Johannes,  Jakobus  und  Judas. 


»)  Vergl.  Johannes  5:39. 


I 


Art.  8.]  Die  Bibel  als  ein   Ganzes.  305 

27.  3.  Die  prophetischen  Werke  bestehen  aus  der 
Offenbarung  des  Johannes,  die  auch  als  die  Apolcalypse 
bekannt  ist. 

Die  Bibel  als  ein  Ganzes. 

28.  Die  ersten  Übersetzungen  der  Bibel.  Im  Laufe  der 
Zeit  sind  viele  Übersetzungen  des  Alten-  und  des  zusammen- 
gefaßten Alten  und  Neuen  Testamentes  erschienen.  Den 
hebräischen  Wortlaut  mit  der  samari tischen  Verdoppelung 
des  Pentateuchs,  sowie  die  griechische  Übersetzung  oder 
die  Septuaginta  (LXX)  haben  wir  bereits  erwähnt.  Durch- 
gesehene und  verbesserte  Übertragungen  wetteiferten 
zum  Beginn  der  christlichen  Zeitrechnung  mit  der  Sep- 
tuaginta. Dann  erschien  je  eine  Ausgabe  von  Theodosius, 
Aquilla  und  Symmachus.  Eine  der  ersten  Übersetzungen 
ins  Lateinische  war  die  sogenannte  „Italienische  Über- 
setzung", die  wahrscheinlich  im  zweiten  Jahrhundert 
n.  Chr.  entstand.  Sie  wurde  später  verbessert  und  ergänzt 
und  ist  seitdem  als  die  „Vulgata"  bekannt.  Von  der  Kir- 
che Roms  wird  sie  heute  noch  als  die  maßgebende  Lesart 
anerkannt.   Sie  enthält  das  Alte  und  das  Neue  Testament. 

29.  Neuere  Übersetzungen  in  englischer  Sprache  sind 
seit  Beginn  des  13.  Jahrhunderts  mehrere  veröffentlicht 
worden,  einige  unvollständig,  andere  als  vollständig  abge- 
schlossene Ausgaben.  Etwa  ums  Jahr  1380  legte  Wycliffe 
«ine  aus  der  Vulgata  übertragene  englische  Übersetzung 
des  Neuen  Testamentes  vor,  das  Alte  Testament  kam  später 
hinzu.  Ungefähr  im  Jahre  1525  erschien  Tyndales  Über- 
setzung des  Neuen  Testaments,  sie  ist  nachher  in  Cover- 
dales  Bibel  aufgenommen  worden,  welche  im  Jahre  1535 
gedruckt  wurde  und  welche  die  erste  Übersetzung  der  gan- 
zen Bibel  darstellte;  Matthews  Bibel  stammt  aus  dem 
Jahre  1537;  Tavaners  Bibel  aus  1539  und  Cranmers  Große 
Bibel  aus  dem  gleichen  Jahre.  Im  Jahre  1560  erschien 
die    Genfer  Bibel,    1568    die   Bischofs   Bibel,    die   erste 

20 


306  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIIL 

englische,  die  in  Kapitel  und  Verse  eingeteilt  war.  Im  Jahre 
1611  kam  die  sogenannte  maßgebende  englische  Bibelüber- 
setzung heraus  —  die  „King  James  (König  Jakobs)" 
Übersetzung.  Es  ist  dies  eine  neue,  auf  Veranlassung  des 
Königs  Jakob  von  47  Gelehrten  besorgte  Übertragung  des 
Alten  und  Neuen  Testaments  aus  dem  Hebräischen  und 
Griechischen.  Sie  hat  alle  frühern  englischen  Ausgaben 
überflüssig  gemacht  und  ist  die  heutzutage  bei  den  englisch 
sprechenden  Protestanten  gebräuchlichste  Übersetzung. 
Aber  selbst  dieser  jüngsten  und  angeblich  besten  Bibel- 
übersetzung konnten  viele  und  gewichtige  Fehler  nachge- 
wiesen werden.  Im  Jahre  1885  erschien  deshalb  eine  durch- 
gesehene und  verbesserte  Auflage,  die  jedoch  noch  nicht 
allgemeine  Anerkennung  gefunden  hat. 

30.  Die  Echtheit  und  Glaubwürdigkeit  der  Bibel.  Wie 
interessant  und  lehrreich  diese  geschichtlichen  und  lite- 
rarischen Angaben  über  die  jüdischen  Schriften  auch 
immer  sein  mögen :  sie  sind  der  Frage  der  Glaubwürdigkeit 
der  Bücher  untergeordnet.  Gerade  weil  wir  diese,  zusam- 
men mit  der  übrigen  christlichen  Welt,  als  das  Wort  Gottes 
hinnehmen,  geziemt  es  uns,  nach  der  Glaubwürdigkeit  der 
Werke  zu  forschen,  die  in  so  großem  Maße  die  Grundlage 
unseres  Glaubens  bilden.  Alle  von  der  Bibel  selbst  geliefer- 
ten Beweise,  ihre  Sprache,  ihre  geschichtlichen  Angaben, 
ihr  Zusammenhang  und  die  gegenseitige  Übereinstimmung 
ihres  Inhaltes,  unterstützen  vereint  ihren  Anspruch  auf 
Glaubwürdigkeit  als  die  tatsächlichen  Werke  der  Verfasser, 
denen  die  einzelnen  Bücher  zugeschrieben  werden.  In 
einer  großen  Zahl  von  Fällen  kann  der  biblische  Bericht 
leicht  mit  der  zeitgenößischen  Weltgeschichte  verglichen 
werden,  namentlich  auf  dem  Gebiete  der  Lebensbeschrei- 
bung und  Abstammungsgeschichte.  In  allen  diesen  Fällen 
läßt  sich  genaue  Übereinstimmung  feststellen.^)    Weitere 

*)  Siehe  Anmerkung  7. 


Art.S.J  Die  Bibel  als  ein   Ganzes.  307 

Beweisgründe  liegen  in  dem  Persönlichen,  wie  es  von  jedem 
Schreiber  beibehalten  und  gepflegt  wird  und  sich  in  einer 
bemerkenswerten  Mannigfaltigkeit  der  Schreibweise  äußert, 
während  anderseits  eine  sich  über  das  Ganze  erstreckende 
Einheitlichkeit  des  Geistes  die  durch  alle  Zeiten  der  Ver- 
mehrung der  Urkunden  erhaltene  Mitwirkung  eines  füh- 
renden Einflusses  offenbar  erscheinen  läßt.  Dieser  über- 
ragende Einfluß  kann  nichts  Geringeres  sein  als  das  Licht 
der  Inspiration,  welche  auf  alle  wirkte,  die  als  Werkzeuge 
in  der  Hand  Gottes  das  Buch  der  Bücher  schrieben.  Tra- 
dition, zeitgenössische  Weltgeschichte,  literarische  Zerglie- 
derung und  neben  und  über  allem  der  Prüfstein  andächtiger 
Untersuchung  und  wahrheitssuchender  Erforschung  ver- 
einigen sich,  um  die  Glaubwürdigkeit,  Wahrheit  und  Echt- 
heit dieses  wunderbaren  Buches  zu  beweisen,  welches  den 
Weg  zeigt,  der  die  Menschen  in  die  Gegenwart  Gottes  zu- 
rückführt. 

31.  Das  Zeugnis  des  Buches  Mormon  für  die  Bibel. 
Wie  im  achten  Glaubensartikel,  welchen  wir  eben  behan- 
deln, erklärt  wird,  anerkennen  die  Heiligen  der  letzten 
Tage  das  Buch  Mormon  als  einen  Band  heiliger  Schriften, 
welcher  ebenso  wie  die  Bibel  das  Wort  Gottes  enthält. 
Das  Buch  Mormon  selbst  werden  wir  in  der  nächsten  Vor- 
lesung eingehend  behandeln.  Es  mag  jedoch  nicht  unange- 
bracht sein,  schon  hier  auf  die  Beweise  aufmerksam  zu 
machen,  welches  dieses  Buch  für  die  Glaubwürdigkeit  der 
Bibel  und  ihrer  allgemeinen  Vollständigkeit  in  ihrer  jet- 
zigen Gestalt  liefert.  Nach  dem  Bericht  des  Buches  Mor- 
mon verließ  der  Prophet  Lehi  mit  seiner  Familie  und  eini- 
gen andern  auf  Befehl  Gottes  die  Stadt  Jerusalem  —  etwa 
ums  Jahr  600  v.  Chr.  im  ersten  Jahre  der  Regierung  des 
Königs  Zedekia.  Bevor  die  Ausw^anderer  ihrem  Heimat- 
land für  immer  Lebewohl  sagten,  sicherten  sie  sich  gewisse 
urkundliche  Berichte,  die  auf  Messingplatten  eingraviert 


308  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIII. 

waren.  Unter  diesen  Urkunden  befand  sich  eine  Ge- 
schichte der  Juden,  sowie  einige  der  heiligen  Schriften, 
die  damals  als  gesetzmäßig  betrachtet  wurden. 

32.  Lehi  prüfte  die  Urkunden,  welche  auf  den  Messing- 
platten eingraviert  waren:  „Und  er  sah,  daß  sie  die  fünf 
Bücher  Mose  enthielten,  welche  einen  Bericht  von  der 
Erschaffung  der  Welt,  sowie  auch  von  Adam  und  Eva, 
unsern  ersten  Eltern ,  gaben  ;*  *  *  ebenfalls  die  Weissagungen 
der  heiligen  Propheten,  vom  Anfang  an  bis  zum  Beginn 
der  Regierung  Zedekias;  und  auch  viele  Prophezeiungen, 
welche  aus  dem  Munde  Jeremias  gekommen  waren. "^) 
Dieser  direkte  Hinweis  auf  den  Pentateuch  und  gewisse 
jüdische  Propheten  ist  wertvoll  als  ein  von  außen  kommen- 
der Beweis  für  die  Echtheit  und  Glaubwürdigkeit  jener 
Teile  der  biblischen  Urkunden. 

33.  Nephi,  der  Sohn  Lehis,  erfuhr  in  einem  Gesicht 
etwas  von  den  künftigen  Absichten  Gottes  hinsichtlich 
der  menschlichen  Familie.  Er  sah,  wie  ein  Buch  von 
großem  Werte,  welches  das  Wort  Gottes  und  die  Bündnisse 
des  Herrn  mit  Israel  enthielt,  von  den  Juden  auf  die 
Heiden  kam. 2)  Es  wird  weiter  erzählt,  daß  die  Kolonie 
Lehis,  welche,  wie  wir  sehen  werden,  über  die  großen  Ge- 
wässer nach  der  westlichen  Halbkugel  kam,  wo  sie  sich 
niederließ  und  später  zu  einem  großen  mächtigen  Volk 
wurde,  gewohnt  war,  die  auf  den  Platten  eingegrabenen 
heiligen  Berichte  zu  lesen  und  daß  darüber  hinaus  ihre  Schrei- 
ber lange  Anführungen  aus  ihnen  ihren  eigenen  Berichten 
ein  verleibten. 3)  Soviel  über  die  Anerkennung,  welche  das 
Buch  Mormon  der  Bibel  zollt,  oder  wenigstens  jenem  Teil 
der  jüdischen  Schriften,  der  zu  der  Zeit,  als  Lehis  auswan- 
dernde Kolonie,  während  der  Amtstätigkeit  Jeremias, 
Jerusalem  verließ,  fertiggestellt  war. 

')  1.  Ncphi  5:10—13. 

•)  Siehe  1.  Nephi  13:21—23. 

»)  1.  Nephi  20—21;  2.  Nephi  7—8;  12—24. 


Art.  8.]  Anmerkungen.  309 

34.  Aber  diese  Stimme  aus  der  westlichen  Welt  schweigt 
auch  nicht  hinsichtlich  d er neutestamentlichen  Schriften.  In 
prophetischen  Gesichten  sahen  viele  der  nephitischen  Leh- 
rer das  irdische  Wirken  Christi  in  der  Mitte  der  Zeiten 
voraus  und  überlieferten  uns  so  Prophezeiungen  über  die 
Hauptereignisse  des  Lebens  und  des  Sterbens  Christi  mit 
überraschender  Treue  in  vielen  Einzelheiten.  Ein  solches 
Zeugnis  wird  uns  überliefert  von  Nephi^),  von  Benjamin,^) 
der  zugleich  Prophet  und  König  war,  von  Abinadi,^)  von 
Samuel,*)  dem  bekehrten  Lamaniten  und  manchen  andern. 
Als  Ergänzung  dieser  und  vieler  sonstiger  Prophezeiungen 
über  die  Mission  Christi,  welche  alle  mit  dem  neutestament- 
lichen Bericht  über  ihre  Erfüllung  übereinstimmen,  gibt 
uns  das  Buch  Mormon  noch  einen  Bericht  über  die  Tätig- 
keit des  auferstandenen  Erlösers  unter  dem  nephitischen 
Volk,  während  welcher  er  bei  ihnen  seine  Kirche  gründete 
nach  dem  im  Neuen  Testament  aufgezeichneten  Muster; 
darüber  hinaus  gab  er  ihnen  viele  Belehrungen,  die  mit 
denen,  welche  er  den  Juden  im  Osten  gab,  beinahe  wört- 
lich übereinstimmen.^) 


Anmerkungen. 
1.  Johannes  Chrysostomus,  einer  der  griechischen  „Kirchenväter", 
stand  in  der  zweiten  Hälfte  des  vierten  Jahrhunderts  in  hohem  Ansehen; 
er  war  Patriarch  von  Konstantinopel,  wurde  jedoch  kurz  vor  seinem  im 
Jahre  407  eingetretenen  Tod  abgesetzt  und  verbannt.  Seine  Anwendung 
des  Ausdruckes  „Biblia"  zur  Bezeichnung  des   Schrift-Kanons  *)  gehört 


1)  1.  Nephi  10:4—5;  11— 13.  Kapitel;  14.  Kapitel;  2.  Nephi  9:5; 
10:3;  25:26;  26:24. 

')  Mosiah,  3.  Kap.  4:3. 

»)  Mosiah  Kapitel  13—16. 

*)  Helaman  14:12. 

')  3.  Nephi  9. — 26.  Kapitel;  vergl.  im  Neuen  Testament  mit  Mat- 
thäus 5. — 7.  Kapitel,  im  Alten  Testament  mit  Jesaja  Kapitel  54  und 
Maleachi,  Kapitel  3  und  4. 

*)  „Kanon"  =  die  Bücher,  die  die  inspirierte  Heilige  Sclvift  bilden 
und  die  bei  Festsetzung  der  Glaubenslehren  als  Richtschnur  dienen,  weil 
man  ihnen  einen  höhern  Ursprung  und  eine  vollgültige  Beweiskraft  beilegt. 

D.U. 


310  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIII. 

zu  den  frühesten  dieser  Art,  die  noch  aufgefunden  \\-urden.  Er  ermahnte 
sein  Volk,  sich  die  Reichtümer  der  inspirierten  Schrift  zu  eigen  zu  machen, 
mit  folgenden  Worten:  ,, Höret,  ich  bitte  euch,  alle  die  ihr  noch  im  sterb- 
lichen Leben  seid,  kauft  BibUa,  das  Heilmittel  für  die  Seele."  —  Von 
den  Judenchristen  sagte  er:  „Sie  haben  die  Biblia,  aber  wir  haben  die 
Schätze  der  Biblia,  sie  haben  die  Buchstaben,  wir  aber  haben  die  Buchstaben 
und  das  Verständnis."  — 

2.  Die  samarilisehe  Absrhriit  des  Pentateuchs.  —  In  seinen  wert- 
vollen Vorlesungen  über  biblische  Themen  macht  der  Älteste  David  McKenzie 
unter  Hinweis  auf  die  Schriften  Hornes  folgende  Bemerkungen:  „Neun- 
hundert und  siebzig  Jahre  vor  Christi  Geburt  wurde  das  Reich  Israel  in 
z^^ei  Königreiche  geteilt.  Beide  behielten  das  gleiche  Gesetzbuch  bei.  Die 
z^vischen  ihnen  herrschende  Eifersucht  ließ  weder  eine  Veränderung  noch 
eine  Vermehrung  des  Gesetzes  zu.  Nachdem  Israel  nach  Assyrien  wegge- 
führt worden  war,  ergriffen  andere  Völker  Besitz  von  Samarien.  Sie  er- 
hielten den  Pentateuch  (2.  Könige  17:26 — 28).  Die  Sprache  war  hebräisch 
oder  phönizisch,  wogegen  die  jüdischen  Abschriften  in  die  chaldäische  ge- 
ändert wurden,  Verfälschungen  oder  Veränderungen  erwiesen  sich  so  als 
unausführbar,  weshalb  auch  der  Wortlaut  beinahe  ein  und  derselbe  blieb." 

3.  Übersetzunaen  der  Bibel  oder  von  Teilen  derselben.  —  Die  Sep- 
tuaiiinla:  —  „Verschiedene  Ansichten  wurden  geäußert,  um  den  Namen 
„Septuaginta"  zu  erklären.  Einigesagen,  Ptolemäus  Philadelphus  habe  von 
Eleasar,  dem  Hohenpriester,  eine  Abschrift  der  hebräischen  Schrift  gefor- 
dert, dazu  von  jedem  Stamm  sechs  gelehrte,  für  die  Übersetzung  ins  Grie- 
chische zuständige  Juden,  (zusammen  also  zweiundsiebzig).  Diese  wurden 
auf  der  Insel  Pharos  eingesperrt  imd  dort  vollendeten  sie  in  zweiundsiebzig 
Tagen  ihr  Werk.  Währenddem  sie  es  zum  Niederschreiben  vorsagten,  schrieb 
es  Demetrius  Phalerus,  der  Hauptbibliothekar  des  Königs,  ab.  Diese  Er- 
klärung wird  jedoch  heute  nur  mehr  als  eine  Fabel  betrachtet.  —  Andere 
geben  an,  diese  gleichen  L'bersetzer  hätten,  nachdem  jeder  für  sich  in  eine 
Zelle  eingeschlossen  worden  war,  je  eine  Übersetzung  niedergeschrieben 
und  so  außerordentlich  hätten  ihre  Arbeiten  in  Wort  und  Geist  überein- 
gestimmt, daß  darin  ein  Beweis  für  die  Inspiration  durch  den  heiligen  Geist 
erblickt  worden  sei.  —  Diese  Ansicht  ist  ebenfalls  als  zu  überspannt  abge- 
lehnt worden.  Es  ist  gut  möglich,  daß  zweiundsiebzig  Verfasser  mit  der 
Übersetzung  beschäftigt  waren,  doch  ist  es  wahrscheinlicher,  daß  sie  ihren 
Kamen  „Septuaginta"  dem  umstand  verdankt,  daß  der  jüdische  Sanhedrin, 
der  aus  zweiundsiebzig  Personen  bestand,  sie  genehmigte.  —  Einige  halten 
dafür,  daß  sie  zu  verschiedenen  Zeiten  ausgeführt  worden  sei.  Hörne  be- 
zeichnet es  als  höchst  wahrscheinlich,  daß  diese  Übersetzung  während  der 
gemeinsamen  Regierung  des  Ptolemäus  Lagus  und  seines  Sohnes  Phila- 
delphus etwa  ums  Jahr  285  oder  286  vor  Christi  Geburt  zustande  kam.  — " 

Die  Vuljjata.  —  ,,Es  gab  eine  sehr  alte  Übersetzimg  der  Bibel 
aus  der  Septuaginta  ins  Lateinische,  von  wem  und  wann  ist  unbekannt.  Sie 
war  zu  der  Zeit  des  Hieronymus  allgemein  im  Gebrauch  und  wurde  die 
Itala  oder  die  Italienische  Übei-setzung  genannt.  Etwa  gegen  das  Ende  des 
\ierten  Jalirhunderts  begann  Hieronymus  eine  neue  Übersetzung  aus  dem 
hebräischen  Text  ins  Lateinische,  die  er  Stück  für  Stück  fertigstellte.  Sie 
fand  schließlich  die  Genehmigung  des  Papstes  Gregor  I.  und  ist  seit  dem 
siebten  .Jahrhundert  immer  im  Gebrauch  gewesen.  Die  gegenwärtige  Vul- 
gata,  von  dem  Konzil  zu  Trient  im  16.  Jahrhundert  als  maßgebend  erklärt. 


Art.  8.]  Anmerkungen.  311 

ist  die  alte  italienische  Übersetzung,  durchgesehen  und  verbessert  durch 
die  Richtigstellungen  von  Hieronymus  und  andern;  sie  ist  die  einzige  von 
der  römischen  Kirche  zugelassene." 

Die  bereehlijite  Übersetzung  (in  englischer  Sprache).  —  „Da  an  der 
Hampton-Court-Konfercnz  im  Jahre  1603  gegen  die  „Bishops  Bible"  ge- 
wisse Einwendungen  erhoben  wTjrden,  ordnete  König  Jakob  I.  eine  neue 
Übersetzung  an.  Zu  diesem  Zweck  wurden  siebenundvierzig  Personen,  die 
wegen  ihrer  Frömmigkeit  und  biblischen  Gelehrsamkeit  bekannt  waren, 
gewählt  und  in  sechs  Ausschüsse  vereinigt,  von  denen  je  zwei  in  Oxford, 
Cambridge  und  Westminster  zusammentraten.  Jedem  Ausschuß  wurde  ein 
bestimmter  Teil  der  Heiligen  Schrift  übertragen.  Sie  begannen  ihre  Arbeit 
im  Jahre  1607  und  das  Ganze  wurde  vollendet  und  dem  Druck  übergeben 
im  Jahre  1611.  Dies  wird  die  „Authorized  English  Version",  (Berechtigte 
Englische  Übersetzung)  genannt  und  ist  die,  die  sich  heute  im  Gebrauch 
befindet."  —  „Analysis  of  Scripture  History"  von  Pinnock,  S.  3,  5,  (6. 
Ausgabe). 

4.  Die  prophetischen  Bücher  des  Alten  Testamentes  sind  mit  wenig 
oder  gar  keiner  Rücksicht  auf  ihre  Zeitfolge  angeordnet.  Nach  dem  Um- 
fang der  einzelnen  Bücher  hat  man  eben  die  gröfJten  zuerst  genommen. 
Nach  der  Zeit  ihrer  Entstehung  würde  sich  wahrscheinlich  folgende  Reihen- 
folge ergeben :  Jona,  Joel,  Amos,  Hosea,  Jesaja,  Micha,  Nahum,  Zephania,  — • 
alle  diese  Propheten  vor  der  Gefangenschaft  —  dann  folgen  Jeremia,  Haba- 
kuk,  Hesekiel  und  Daniel,  die  während  der  Gefangenschaft,  und  schließ- 
lich Haggai,  Sacharja  und  Maleachi,  die  nach  der  Rückkehr  der  Juden 
aus  der  Gefangenschaft  schrieben. 

5.  Handsehriltliehe  Abschriften  des  Neuen  Testaments.  Drei  neu- 
testamentliche  handschriftliche  Abschriften,  die  heute  noch  vorhanden  sind, 
werden  als  echt  betrachtet.  Sie  sind  bekannt  als  die  „Vatikanische"  (heute 
in  Rom),  die  „Alexandrinische"  (in  London)  und  die  „Sinaitische"  (jetzt 
In  der  Bibliothek  zu  St.  Petersburg).  Die  letzte,  die  sinaitische,  wird  als 
die  älteste  der  vorhandenen  Abschriften  des  Neuen  Testamentes  angesehen. 
Die  Urschrift  wurde  im  Jahre  1859  im  Archiv  eines  Klosters  auf  dem  Berge 
Sinai  endeckt,  daher  der  Name.  Aufgefunden  wurde  sie  von  Tischendorf 
und  befindet  sich  jetzt  in  einer  Bibliothek  zu  St.  Petersburg. 

6.  Über  die, Echtheit  von  Teilen  des  Neuen  Testaments.  —  Als  Ent- 
gegnung auf  die  Einwendungen  von  Ivritikern  wegen  der  Echtheit  und 
Rechtsgültigkeit  gewisser  Bücher  des  Neuen  Testaments  kann  die  nach- 
stehende Reihe  von  Zeugnissen  betrachtet  werden.  Die  Auszüge  werden 
hier  dargeboten,  wie  sie  von  dem  Ältesten  David  McKenzie  zusammen- 
getragen und  von  ihm  in  seinen  lehrreichen  Vorlesungen  über  die  Bibel 
benutzt  worden  sind. 

I.  Die  vier  Evangelien. 

1.  Matthäus.  —  Papias,  Bischof  von  Hierapolis,  war  ein  Zuhörer  des 
Apostels  Johannes.  Hinsichtlich  des  Matthäus-Evangeliums  führt  ihn 
Eusebius  an  und  läßt  ihn  sagen:  „Matthäus  stellte  die  heiligen  Worte  in 
hebräischer  Sprache  zusammen  und  jeder  legte  sie  aus  so  gut  et  konnte." 
<Eusebius,  Kirchengeschichte,  III.,  39.) 

2,  Markus.  —  Auch  von  dem  Evangelium  des  Markus  sagt  Papias: 
„Markus  schrieb,  nachdem  er  der  Ausleger  des  Petrus  geworden  war,  alles, 
wessen  er  sich  erinnerte,  genau  nieder,  ohne  jedoch  die  Reihenfolge  einzu- 


312  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIII. 

halten,  weder  von  dem,  was  Christus  gesprochen,  noch  von  dem,  was  er 
getan  hatte.  Denn  er  hörte  den  Herrn  nicht  selbst,  sondern  er  begleitete 
später  den  Apostel  Petrus,  der  seine  Belehrungen  den  Bedürfnissen  seiner 
Zuhörer  anpaßte,  aber  nicht  die  Absicht  hatte,  einen  zusammenhängenden 
Bericht  der  Weissagungen  oder  Reden  des  Herrn  zu  geben."  —  (Bischof 
Lightfoots  Translations  in  der  „Contemporary  Review",  August  1875.) 

3.  Lakas.  —  Innere  Übereinstimmung  der  beiden  Werke  zeigt,  daß 
das  Evangelium  Lukas  imd  die  Apostelgeschichte  von  dem  gleichen  Ver 
fasser  herrühren.  Paulus  spricht  von  Lukas  als  von  einem  Arzt.  Dr.  Hobart 
veröffentlichte  im  Jahre  1882  in  London  eine  Abhandlung  über  „die  Medi- 
zinische Sprache  des  Evangelisten  Lukas"  und  hebt  das  häufige  Vorkommen 
von  medizinischen  Ausdrücken  in  den  Schriften  Lukas  hervor,  die  sich  in 
allen  Teilen  des  dritten  Evangeliums  und  der  Apostelgeschichte  finden.  — 
Selbst  M.  Renan  macht  ein  ähnliches  Zugeständnis;  er  sagt  nämlich:  „Ein 
Punkt  ist  außer  allem  Zweifel:  die  Tatsache,  daß  die  Apostelgeschichte  von 
demselben  Verfasser  stammt  wie  das  dritte  Evangelium  und  daß  sie  eine 
Fortsetzung  dieses  Evangeliums  ist.  Niemand  braucht  sich  bei  dem  Be- 
weis für  diese  Behauptung  aufzuhalten,  denn  sie  wurde  niemals  ernstlich 
bestritten.  Die  Vorrede  am  Anfang  der  beiden  Werke,  die  Widmung  der- 
selben an  Theophilus,  die  vollendete  Ähnlichkeit  in  der  Schreibart  und  den 
Gedanken  liefern  für  diesen  Punkt  genügende  Belege."  „Eine  zweite  Be- 
hauptung geht  dahin,  daß  der  Verfasser  der  Apostelgeschichte  ein  Jünger 
des  Apostels  Paulus  war,  der  diesen  auf  einem  beträchtlichen  Teil  seiner 
Reisen  begleitete."  (M.  Renan,  „Die  Apostel",  siehe  die  Vorrede.) 

4.  Johannes.  —  ,,Irenäus,  ums  Jahr  177  n.  Chr.  Bischof  von  Lyon,  ein 
Schüler  des  Polycarp,  der  im  Jahre  155  oder  156  den  Märtyrertod  erlitt,  er- 
zählt in  einem  Briefe  an  einen  Mitschüler  von  dem,  was  er  Polycarp  hatte 
sagen  hören  über  seinen  Umgang  mit  Johannes  und  mit  den  übrigen,  die 
den  Herrn  gesehen  hatten,  sowie  über  den  Herrn  selbst,  seine  Wunder- 
taten und  seine  Lehren.  Alles  dies  erzählt  er  in  Übereinstimmung  mit  den 
Heiligen  Scliriften."  (Eusebius,  Kirchengeschichte  V,  20.)  Daß  Irenäus 
mit  den  „Heiligen  Schriften"  Matthäus,  Markus,  Lukas  und  Johannes 
meinte,  geht  aus  dem  Wortlaut  hervor.  Abgesehen  davon  macht  er  mit 
Nachdruck  geltend,  „nicht  nur,  daß  bloß  die  vier  Evangelien  von  Anbeginn 
weitergegeben  wurden,  sondern,  daß  es  auch  nach  dem  Wesen  der  Dinge 
nicht  mehr  und  nicht  weniger  als  \ier  geben  konnte.  Es  gibt  vier  Teile  der 
Erde  und  vier  Hauptwinde  und  die  Kirche  muß  deshalb,  da  sie  auf  der  Erde 
aufgerichtet  und  ihr  ebenbürtig  zu  sein  bestimmt  ist,  auf  vier  Evangelien 
gestützt  sein  wie  auf  vier  Säulen."  —  (Contemporary  Review,  August  1876, 
Seite  413.)  —  (Die  von  Irenäus  aufgestellte,  erzwungene  Ähnlichkeit  z^n- 
schen  den  vier  Evangelien  und  den  vier  Winden  usw.  entbehrt  natürlich 
jeder  Begründung  und  seine  Anwendung  erscheint  buchstäblich  albern  und 
widersinnig.  Nichtsdestoweniger  liefert  die  Tatsache,  daß  er  sie  anführt, 
einen  Beweis  dafür,  daß  die  vier  Evangelien  in  seinen  Tagen  anerkannt 
wurden.    —    J.  E.  T.) 

//.  Die  Paulinischen  Briefe. 
Die  folgenden  Auszüge  aus  den  Kritiken  von  Tübinger  Sachverstän- 
digen über  die  paulinischen  Briefe  sind  lehrreich. 

DeWette  sagt,  in  seiner  Einführung  zu  den  „Büchern  des  Neuen 
Testamentes",  (123,  a):    „Die  Briefe  des  Paulus  tragen  das  Kennzeichen 


Art.  8.]  Anmerkungen.  313 

seines  mächtigen  Geistes.  Die  meisten  von  ilinen  sind,  was  ilire  Echtlieit 
anlangt,  über  jeden  Widerspruch  erhaben;  sie  bilden  den  festen  Kern  der 
Bücher  des  Neuen  Testamentes." 

Baur  sagt  in  seinem  „Apostel  Paulus"  (1,8):  „Nicht  nur  ist  niemals 
ein  Verdacht  hinsichtlich  der  Echtheit  dieser  Briefe  laut  geworden,  sondern 
sie  tragen  auch  so  unbestreitbar  das  Siegel  paulinischen  Ursprungs,  daß 
man  nicht  verstehen  kann,  aus  welchem  Grunde  Kritiker  jemals  irgendeine 
Einwendung  dagegen  erheben  könnten." 

Weizsäker  schreibt  (Apostol.  Zeitalter,  1866,  S.  190):  „Die  Briefe 
an  die  Galatcr  imd  Korinther  stammen  ohne  Zweifel  von  der  Hand  des 
Apostels;  auch  der  Brief  an  die  Römer  stammt  unbestreitbar  von  seiner 
Hand."  Holtzmann  sagt,  („Einleitung  ins  Neue  Testament"  S.  224):  „Diese 
vier  Briefe  sind  die  ,,Paulina  Homologoumena"  (Bücher,  die  allgemein  aner- 
kannt werden)  in  der  neuzeitlichen  Anerkennung  des  Wortes.  Mit  Bezug 
auf  sie  können  wir  den  von  Paley  gegenüber  den  Freidenkern  seiner  Zeit 
erbrachten  Beweis  der  Echtheit  betrachten." 

M.  Renan  drückt  sich  in  den  „Evangelien"  (S.  40,  41)  wie  folgt  aus: 
„Die  Briefe  des  Apostels  Paulus  haben  einen  unvergleichlichen  Vorteil  in 
dieser  Geschichte  —  nämlich  ihre  unbedingte  Echtheit."  —  Von  den  Briefen 
an  die  Korinther,  Galater  und  Römer  spricht  Renan  als  „unbestreitbar 
und  unbestritten"  und  fügt  hinzu:  —  „Die  strengsten  Kritiker,  wie  zum 
Beispiel  Christ.  Baur,  anerkennen  sie  ohne  jeden  Vorbehalt."  — 

7.  Altertumskundllc-he  Beweise,  die  die  Bibel  bestätigen.  —  Prof.  A.  H. 
Sayce,  Magister,  faßt  seine  lehrreichen  Abhandlungen  über  das  Zeugnis 
der  alten  Baudenkmäler  wie  folgt  zusammen :  „Die  kritischen  Einwendungen 
gegen  die  Wahrheit  des  Alten  Testamentes,  einst  der  Rüstkammer  der 
griechischen  und  lateinischen  Schriftsteller  entnommen,  können  nie  wieder 
erhoben  werden.  Sie  sind  ein  für  allemal  angegriffen  und  geschlagen  worden. 
Die  Entgegnung  auf  sie  ist  von  den  Papyrus,  Ziegeln  und  Steinen,  von 
den  Gräbern  des  alten  Ägyptens,  den  Wällen  Babylons  und  den  zerfalle- 
nen Palästen  der  assyrischen  Könige  gekommen."  — 

8.  Vcrlorengefiangene  heilige  Schriften.  —  Diejenigen,  die  die  Lehre 
von  fortlaufender  Offenbarung  zwischen  Gott  und  seiner  Kirche  mit  der 
Begründung  bekämpfen,  daß  die  Bibel  als  eine  Sammlung  heiliger  Schriften 
vollständig  sei,  und  daß  angebliche  Offenbarungen,  die  in  derselben  nicht 
gefunden  werden,  deshalb  unecht  sein  müssen,  können  mit  Nutzen  Kenntnis 
nehmen  von  den  vielen  Büchern,  die  in  der  Bibel  nicht  enthalten  sind, 
obschon  sie  in  dieser  erwähnt  werden,  und  zwar  allgemein  in  solcher  Weise, 
daß  kein  Zweifel  darüber  bestehen  kann,  daß  sie  als  kirchengesetzlich  be- 
trachtet wurden.  Von  diesen  außerbiblischen  Schriften  seien  die  folgenden 
genannt;  einige  von  ihnen  sind  heute  noch  vorhanden,  werden  aber  zu  den 
apokryphischen  gezählt,  die  meisten  dagegen  sind  heute  unbekannt.  Wir  lesen 
von  dem  „Buch  des  Bundes"  (2.  Mose  24:7);  „Buch  von  den  Kriegen  des 
Herrn"  (4.  Mose  21:14);  „Buch  des  Frommen"  (Josua  10:13);  „Buch  der 
Rechte"  (1.  Samuel  10:25);  „Buch  Henoch"  (Judas  14);  „Chronik  von 
Salomo"  (1.  Könige  11:41);  „Geschichten  des  Propheten  Nathan"  und 
„Geschichten  Gads,  des  Schauers"  (1.  Chronik  29:29);  „Prophezeiungen  des 
Ahias  von  Silo"  und  die  „Gesichte  Jeddis,  des  Schauers"  (2.  Chronik  9:29); 
„Geschichten  Semajas,  des  Propheten"  (2.  Chronik  12:15);  „Historie  des 
Propheten  Iddo"  (2.  Chronik  13:22);  „Geschichten  Jehus"  (2.  Chronik 20 
:34);  die  „Taten  des  Usias,  geschrieben  von  dem  Propheten  Jesaja,  dem 


314  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIII. 

Sohne  Amoz"  (2.  Chronik  26:22);  „Geschichten  der  Schauer"  (2.  Chronik 
33:19);  ein  verlorengegangener  Brief  des  Apostels  Paulus  an  die  Konrinther 
<1.  Korinther  5:9);  ein  verlorengegangener  Brief  an  die  Epheser  (Epheser 
3:3);  ein  verlorengegangener  Brief  an  die  Kolosser,  geschrieben  aus  Lao- 
dizea  (Kolosser  4:16);  ein  verlorengegangener  Brief  des  Apostels  Judas 
<Jud.  3);  die  „Reden  von  den  Geschichten",  die  in  Imkas  1:1  erwähnt  sind. 
IJibelübersetzunflen.  —  „Übersetzungen  der  Bibel  wurden  sofort  nötig, 
als  das  Hebräische  aufhörte,  lebende  Sprache  zu  sein,  und  die  Juden  in  der 
griechischen  Welt  zerstreut  waren,  noch  mehr,  als  das  Christentum  zu  den 
Völkern  nichtgriechischer  Zunge  drang.  *  *  *  Für  die  Erforschung  der 
Urgestalt  aller  Teile  der  Bibel  kommen  nur  die  erstem  in  Betracht,  so  die 
griechische  Übersetzung  des  Alten  Testaments,  welche  unter  dem  Namen 
Septuaginta  weltberühmt  geworden  ist,  und  die  chaldäische  (Targum); 
so  in  Bezug  auf  das  Alte  und  Neue  Testament  die  syrischen  Übersetzungen, 
besonders  die  erst  nach  200  entstandene  Peschito;  ferner  die  lateinischen, 
deren  ältere  Gestalt,  gewöhnlich  Itala  genannt,  in  das  2.  Jahrhundert 
hinaufreicht,  während  die  spätere,  die  sogen.  Vulgata,  erst  von  Hieronymus 
herrührt.  Auch  ägyptische,  äthiopische,  arabische,  persische,  armenische, 
gotische,  georgische,  slawonische  Übersetzungen  entstanden;  einige  der- 
selben sind  schon  mehr  oder  weniger  mittelbare,  d.  h.  von  Septuaginta, 
Peschito,  Itala  oder  Vulgata  abhängige  Übersetzungen.  Letzteres  gilt 
namentlich  von  den  mancherlei  Versuchen  des  mittelalterlichen  Abend- 
landes. *  *  *  Ohne  einheitliche  Aufsicht  seitens  der  kirchlichen  Behörden 
erschienen  die  deutschen  Bibeln  an  den  verschiedensten  Orten,  jede  mit 
ihren  eigentümlichen  Druckfehlern  und  sonstigen  Änderungen,  wie  solche 
teils  die  Errungenschaften  der  Wissenschaft,  teils  die  fortschi-eitende 
Veränderung  der  deutschen  Sprache  für  das  Verständnis  in  Kirche, 
Schule  und  Haus  nötig  zu  machen  schienen.  Die  Geschichte  der  deut- 
schen Bibelübersetzung  Luthers  von  1517—34  gab  der  Hamburger  Haupt- 
pastor J.  M.  Goeze  aus  dem  Nachlaß  von  J.  G.  Palm  heraus  (Halle 
1772).  Bis  1581  wird  diese  Geschichte  geführt  von  G.  W.  Panzer  (Nürn- 
berg 1783).  Weitere  Beiträge  lieferten  Heinr.  Schott  (,, Geschichte  der 
deutschen  Bibelübersetzung",  Leipzig  1835),  G.  W.  Hopf  („Würdigung 
der  Lutherschen  Bibelverdeutschung  mit  Rücksicht  auf  ältere  und  neuere 
Übersetzungen",  Nürnberg  1847)  und  Wilib.  Grimm  (,, Kurzgefaßte  Ge- 
schichte der  lutherischen  Bibelübersetzung  bis  zur  Gegenwart",  Jena  1884). 
Den  ersten  Anstoß  zu  einer  gründlichen  Revision  des  Textes  auf  Grund 
der  gewonnenen  Einsicht  in  seine  Geschichte  gab  der  Stuttgarter  Kirchentag 
1857;  die  maßgebenden  Grundsätze  stellte  1863  die  Eisenacher  Konferenz 
fest,  und  1865 — 68  wurde  das  Neue  Testament  in  drei  Lesungen  durch  den 
Germanisten  G.  K.  Fromman  und  zehn  sachkundige  Theologen  in  der 
Weise  behandelt,  daß  die  Auswahl  unter  den  Varianten  mit  Rücksicht 
auf  den  Grundtext  erfolgte,  die  wenigen  Stellen  aber,  an  deren  Verbesserung 
nach  dem  Grundtext  man  sich  heranzutreten  getraute,  möglichst  aus  dem 
Sprachschatz  der  Lutherbibel  erneuert  wurden.  In  demselben  Jahre,  als 
die  Cansteinsche  Anstalt  erstmalig  das  revidierte  Neue  Testament  heraus- 
gab (1870),  erklärte  sich  die  Konferenz  für  die  Ausdehnung  der  Revision 
auch  auf  das  Alte  Testament;  1883  erschien  die  ,,Probebiber',  die  revidierte 
Bibel  Halle  1892.  *  *  *  Auch  die  Katholiken  folgten  dem  gegebenen  Beispiel. 
Die  neuerdings  gebrauchtesten  Übersetzungen  sind  die  von  Leander  van  Eß 
(1807  u.  ö.)  und  die  autorisierte  Übersetzimg  von  Allioli  (Nürnberg  1830 — 34 
u.  ö.,6Bde.).  („Meyers  Konversationslexikon  unter  Bibelübersetzungen.") 

D.U. 


Art.  8. 1  Das  Buch  Mormon. 


Vorlesung  XIV. 


Das  Buch  Mormon. 

Artikel  8.  —  *  *  *  Wir  glauben  auch  an  das  Buch  Mormon  als  das  Wort 
Gottes. 

Beschreibung  und  Herkunft. 

1.  Was  ist  das  Buch  Mormon?  —  Die  Ansprüche,  die 
für  das  Buch  Mormon  gemacht  werden,  gehen  dahin,  daß 
es  ein  göttlich  inspirierter  Bericht  ist,  verfaßt  von  den 
Propheten  der  alten  Völker,  die  das  amerikanische  Fest- 
land jahrhundertelang  vor  und  nach  Christi  Geburt  be- 
wohnten. Dieser  Bericht  ist  in  unserm  Zeitalter  durch  die 
Gabe  und  auf  besondern  Auftrag  Gottes  übersetzt  worden. 
Der  berufene  und  inspirierte  Übersetzer  dieser  heiligen 
Schrift,  durch  dessen  Mitwirkung  sie  der  Welt  in  einer 
lebenden  Sprache  übergeben  wurde,  ist  Joseph  Smith, 
dessen  erstes  Bekanntwerden  mit  den  Platten  schon  in  der 
ersten  Vorlesung  erwähnt  wurde. ^)  Wie  dort  erklärt  wird, 
erhielt  Joseph  Smith  am  21.  September  1823  als  Antwort 
auf  sein  inbrünstiges  Gebet  den  Besuch  eines  Engels, 
welcher  sich  als  der  Engel  Moroni  vorstellte.  Nachfolgende 
Offenbarungen  ließen  ihn  als  den  letzten  einer  langen 
Reihe  von  Propheten  erkennen,  deren  übersetzte  Schriften 
das  jetzige  Buch  Mormon  darstellen.  Er  war  es,  der  die 
alten  Berichte  abgeschlossen  und  der  Erde  zur  Aufbewah- 
rung anvertraut  hatte;  und  durch  seine  Vermittlung 
kamen  sie  auch  in  die  Hände  des  Propheten  der  Neuzeit, 
dessen  Ubersetzungswerk  heute  vor  uns  liegt. 


')  Siehe  Seite  12  und  20. 


316  Die  Glaubensarükel,  [Vorl.  XIV. 

2.  Bei  seinem  ersten  Besuch  offenbarte  der  Engel 
Moroni  dem  Propheten  Joseph  Smith  das  Vorhandensein 
eines  Berichtes,  der  auf  goldenen  Platten  eingraviert  am 
Abhang  eines  Hügels  in  der  Nähe  von  Josephs  Heim  ver- 
graben liege.  Dieser  Hügel,  der  dem  einen  der  alten  Völker 
als  Cumorah,  dem  andern  als  Ramah  bekannt  war,  liegt 
nahe  bei  Palmyra,  in  der  Grafschaft  Wayne  im  Staate 
New-York.  In  einem  Gesicht  wurde  Joseph  der  genaue 
Ort,  an  dem  sich  die  Platten  befanden,  gezeigt,  sodaß  er 
ihn  am  darauffolgenden  Tage  leicht  aufzufinden  vermochte. 
Josephs  Erzählung  von  der  Kundmachung  der  Platten 
durch  Moroni  lautet  wie  folgt: 

„Er  sagte,  es  ist  ein  Buch  aufbewahrt,  auf  goldenen 
Platten  geschrieben,  welches  einen  Bericht  gibt,  von  den 
früheren  Einwohnern  dieses  Landes  und  dem  Ursprung, 
von  dem  sie  gekommen  sind.  Er  sagte  auch,  daß  die  Fülle 
des  ewigen  Evangeliums  darin  enthalten  ist,  wie  es  von 
dem  Heiland  den  ehemaligen  Einwohnern  gegeben  wurde. 
Auch,  daß  zwei  Steine  in  silbernen  Bogen  —  und  diese 
Steine  an  ein  Brustschild  befestigt,  bildeten  das,  was  als 
der  Urim  und  Thummim  bekannt  ist  —  mit  den  Platten 
aufbewahrt  sind,  und  daß  es  der  Besitz  und  Gebrauch  dieser 
Steine  gewesen  ist,  was  in  alten  oder  früheren  Zeiten  Seher 
machte ;  und  daß  Gott  sie  für  den  Zweck  der  Übersetzung 
"des  Buches  bereitet  hat."^) 

3.  Joseph  fand  an  der  bezeichneten  Stelle  des  Hügels 
Cumorah  einen  großen  Stein;  unter  diesem  befand  sich 
ein  Kasten,  ebenfalls  aus  Stein.  Mit  Hilfe  eines  Hebeisens 
hob  er  den  Deckel  des  Kastens  und  gewahrte  sodann  die 
Platten  und  die  Brustplatte  mit  dem  Urim  und  Thummim, 
wie  sie  der  Engel  beschrieben  hatte.  Als  er  den  Inhalt  des 
Kastens  herausnehmen  wollte,  erschien  ihm  Moroni  wie- 


*)  Siehe  Köstliche  Perle,  Seite  78. 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  317 

derum  und  verbot  ihm,  die  heiligen  Sachen  zu  dieser  Zeit 
zu  sich  zu  nehmen.  Vier  Jahre,  sagte  er,  müßten  vergehen, 
ehe  sie  seiner  Obhut  anvertraut  werden  könnten.  In- 
zwischen solle  Joseph  diesen  Ort  alljährlich  aufsuchen. 
Der  jugendliche  Offenbarer  tat  dieses  und  erhielt  jedesmal 
weitere  Belehrungen  über  den  urkundlichen  Bericht  und 
die  Absichten  Gottes  mit  demselben.  Am  22.  September 
1827  empfing  Joseph  von  dem  Engel  Moroni  die  Platten 
und  den  Urim  und  Thummim  nebst  der  Brustplatte.  Er 
wurde  angewiesen,  dieselben  mit  großer  Sorgfalt  zu  ver- 
wahren, wobei  ihm  verheißen  wurde,  daß  die  Platten  un- 
beschädigt in  seinen  Händen  erhalten  werden  würden, 
wenn  er  zu  ihrem  Schutze  alle  seine  Kräfte  einsetze.  Nach 
Vollendung  der  tjbersetzungsarbeit  werde  Moroni  ihn 
wieder  besuchen  und  die  Platten  in  Empfang  nehmen. 

4.  Der  Grund  für  die  Mahnung  des  Engels  zur  Sorg- 
falt bei  der  Aufbewahrung  der  Platten  sollte  bald  offenbar 
werden.  Dreimal  wurde  Joseph  angefallen,  als  er  sich  mit 
den  heiligen  Urkunden  auf  der  kurzen  Wanderung  nach 
Hause  befand.  Göttliche  Hilfe  setzte  ihn  jedoch  instand, 
seinen  Angreifern  zu  widerstehen,  sodaß  er  schließlich  mit 
den  unbeschädigten  Platten  und  den  übrigen  Sachen  sein 
Heim  erreichte.  Diese  Überfälle  bildeten  jedoch  nur  den 
Anfang  einer  ebenso  unbarmherzigen  wie  hartnäckigen 
Verfolgung,  die  von  der  Macht  des  Bösen  gegen  ihn  geführt 
wurde,  solange  er  im  Besitze  der  Platten  war.  Die  Neuig- 
keit, daß  er  goldene  Platten  besitze,  verbreitete  sich  rasch 
und  zahlreiche  und  heftige  Versuche  wurden  unternom- 
men, um  ihm  diese  zu  entreißen;  sie  wurden  ihm  jedoch  er- 
halten. Langsam  und  unter  vielen  Hindernissen,  wie  sie 
einerseits  die  Verfolgung  und  anderseits  seine  Armut  — 
diese  nötigte  ihn  für  seinen  Unterhalt  mit  eigenen  Händen 
zu  arbeiten  und  ließ  ihm  für  die  übertragene  Arbeit  wenig 


318  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIV. 

freie  Zeit  —  mit  sich  brachten,  fuhr  Joseph  mit  der  Überset- 
zung fort,  und  im  Jahre  1830  wurde  das  Buch  Mormon  zum 
erstenmal  veröffentlicht. 

5.  Das  Titelblatt  des  Buches  Mormon.  —  Die  beste 
Antwort  auf  die  Frage:  Was  ist  das  Buch  Mormon?  gibt 
uns  das  Titelblatt  des  Buches.  Wir  lesen  da:  „Dieses  Buch 
ist  eine  Abkürzung  der  Urkunde  des  Volkes  Nephi  und  auch 
der  Lamaniten  an  die  Lamaniten,  einen  Überrest  vom  Hause 
Israel,  und  auch  an  die  Juden  und  Heiden  —  Geschrieben 
auf  Befehl  und  durch  den  Geist  der  Weissagung  und  Offen- 
barung —  Geschrieben  und  versiegelt  und  für  den  Herrn 
aufbewahrt,  damit  diese  Urkunden  nicht  verloren  gehen, 
sondern  durch  die  Gabe  und  Macht  Gottes  ans  Licht 
kommen  sollten,  um  verdolmetscht  zu  werden.  Von  Mo- 
ronis Hand  versiegelt  und  für  den  Herrn  aufbewahrt,  um 
durch  die  Heiden  zur  rechten  Zeit  hervorzukommen,  die 
Übersetzung  derselben  aber  durch  die  Gabe  Gottes. 

Ebenfalls  ein  abgekürzter  Bericht  dem  Buche 
Ether  entnommen,  welches  eine  Urkunde  des  Volkes  Jared 
ist,  das  zu  der  Zeit  zerstreut  wurde,  als  der  Herr  die  Spra- 
chen der  Völker  verwirrte,  während  sie  einen  Turm  bauten, 
um  gen  Himmel  zu  steigen.  Die  Bestimmung  dieser  Ur- 
kunde ist  es,  dem  Überrest  des  Hauses  Israel  zu  zeigen, 
welch  große  Dinge  der  Herr  für  ihre  Väter  getan  hat;  daß 
sie  die  Bündnisse  des  Herrn  erkennen  mögen,  damit 
sie  nicht  auf  ewig  verstoßen  seien  und  um  die  Juden  und 
Heiden  zu  überzeugen,  daß  Jesus  der  Christus,  der  ewige 
Gott  ist,  der  sich  allen  Völkern  offenbart. 

Sollten  nun  Fehler  hierin  vorkommen,  rühren  sie  von 
Menschen  her.  Daher  verdammet  nicht  die  Werke  Gottes, 
auf  daß  ihr  ohne  Makel  vor  dem  Richterstuhl  Christi 
befunden  werdet." 

Dieses  mit  dem  Titel  vereinigte  Vorwort  ist  eine  Über- 
setzung von  dem  letzten  Blatte  des  Buches  und  wurde 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon,  319 

wahrscheinlich  von  Moroni  geschrieben,  der,  wie  schon 
erwähnt  wurde,  das  Buch  in  früheren  Tagen  versiegelte 
und  verbarg.^) 

6.  Die  Hauptteile  des  Buches.  —  Aus  dem  Titelblatt 
ist  ersichtlich,  daß  wir  es  im  Buch  Mormon  mit  zwei  großen 
Völkern  zu  tun  haben,  welche  in  Amerika  als  die  Nach- 
kommen kleiner,  auf  göttliches  Geheiß  aus  Asien  hinüber- 
gekommener Kolonien  blühten  und  gediehen.  Diese  kön- 
nen wir  sachgemäß  als  die  Nephiten  und  die  Jarediten 
behandeln. 

7.  Das  Nephitische  Volk  war  zeitlich  genommen  das 
spätere  und  inbezug  auf  den  Umfang  und  die  Vollständig- 
keit seiner  Urkunden  auch  das  wichtigere  der  beiden.  Die 
Vorfahren  dieses  Volkes  wurden  im  Jahre  600  v.  Chr.  von 
Lehi,  einem  jüdischen  Propheten  aus  dem  Stamm  Manasse, 
von  Jerusalem  weggeführt.  Seine  eigentliche  Familie 
umfaßte,  als  sie  die  Stadt  verließ,  seine  Frau  Sariah  und 
seine  Söhne  Laman,  Lemuel,  Sam  und  Nephi.  Im  späteren 
Verlauf  der  Geschichte  werden  auch  Töchter  erwähnt, 
aber  es  wird  nicht  gesagt,  ob  irgendwelche  von  diesen 
schon  vor  dem  Auszug  aus  Jerusalem  geboren  wurden. 
Außer  seiner  eigenen  Familie  gehörten  zu  Lehis  Kolonie 
noch  Zoram  und  Ishmael;  der  letzte  ist  ein  Israelite  aus 
dem  Stamme  Ephraim.  Ishmael  und  seine  Familie  schlös- 
sen sich  Lehi  in  der  Wüste  an  und  seine  Nachkommen 
wurden  dem  Volk,  von  welchem  wir  sprechen,  zugezählt. 
Die  Kolonie  reiste  zunächst  ungefähr  in  der  Richtung  nach 
Südosten,  indem  sie  sich  nahe  der  Küste  des  Roten  Meeres 
hielt;  dann  änderte  sie  ihren  Lauf  und  zog  nach  Osten 
durch  die  Halbinsel  Arabien.  Dort  an  der  Küste  des  Ara- 
bischen Meeres  baute  sie  ein  Schiff,  rüstete  es  aus  und 
vertraute  sich  darin  der  göttlichen  Obhut  zur  Überfahrt 


')  Siehe  Anmerkung  1. 


320  Die   Glaubensartikel.  [Vorl.  XIV. 

Über  die  See  an.  Ihre  Reise  brachte  sie  weiter  ostwärts, 
über  den  Indischen  Ozean  und  schließlich  über  den  süd- 
lichen Stillen  Ozean  an  die  Westküste  Südamerikas,  wo 
sie  —  möglicherweise  in  der  Nähe  der  heutigen  Stadt 
Valparaiso  in  Chile  —  landete  (590  v.  Chr.). 

8.  Die  Leute  siedelten  sich  an  in  dem  Lande,  das  für 
sie  das  Land  der  Verheißung  war.  Viele  Kinder  wurden 
ihnen  geboren  und  im  Laufe  weniger  Generationen  hatte 
eine  zahlreiche  Nachkommenschaft  von  dem  Lande  Besitz 
genommen.  Nach  Lehis  Tod  kam  es  zu  einer  Spaltung, 
dergestalt,  daß  sich  ein  Teil  des  Volkes  Nephi  —  der  recht- 
mäßigerweise zum  Prophetenamt  bestimmt  war  —  zu  sei- 
nem Führer  erkor,  während  die  übrigen  Laman,  den  älte- 
sten Sohn  Lehis,  zu  ihrem  Führer  ausriefen.  Von  da  an 
war  das  geteilte  Volk  als  die  Nephiten  und  die  Lamaniten 
bekannt.  Zu  Zeiten  unterhielten  sie  ziemlich  freundliche 
Beziehungen  zu  einander,  im  allgemeinen  aber  bekämpften 
sie  sich,  denn  die  Lamaniten  bekundeten  gegen  ihre  nephi- 
tischen  Verwandten  unversöhnlichen  Haß  und  Feindschaft. 
Die  Nephiten  machten  Fortschritte  in  den  Künsten  der 
Zivilisation,  bauten  große  Städte  und  errichteten  blühende 
Gemeinwesen ;  doch  fielen  sie  oft  in  Übertretungen,  und 
der  Herr  züchtigte  sie,  indem  er  ihren  Feinden  gestattete, 
sie  zu  besiegen.  Mit  der  Zeit  breiteten  sie  sich  nach  Nor- 
den aus  und  besiedelten  den  nördlichen  Teil  Südamerikas; 
später  überschritten  sie  den  Isthmus  und  dehnten  ihr  Ge- 
biet auf  den  südlichen,  zentralen  und  östlichen  Teil  der 
heutigen  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika  aus.  Die 
Lamaniten  fielen,  während  sie  an  Zahl  zunahmen,  unter 
den  Fluch  der  Finsternis.  Sie  wurden  dunkel  an  Haut- 
farbe und  niedrig  an  Geist,  vergaßen  den  Gott  ihrer  Väter, 
führten  ein  wildes  Nomadenleben  und  kamen  in  jenen  ge- 
fallenen Zustand  hinunter,  in  welchem  die  amerikanischen 
Indianer  —  ihre  buchstäblichen  Nachkommen  —  von  de- 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  321 

nen  gefunden  wurden,  die  den  westlichen  Erdteil  in  einer 
viel  spätem  Zeit  entdeckten. 

9.  Die  letzten  Kämpfe  zwischen  Nephiten  und 
Lamaniten  spielten  sich  ab  in  der  Nähe  des  Hügels  Cumorah, 
im  heutigen  Staate  New- York;  ums  Jahr  400  n.  Chr. 
führten  sie  zur  völligen  Vernichtung  der  Nephiten.  Der 
letzte  dieses  Volkes  war  Moroni;  er  wanderte  von  Ort  zu 
Ort,  um  sich  in  Sicherheit  zu  bringen  und  erwartete  täglich 
den  Tod  von  den  siegreichen  Lamaniten,  die  die  gänzliche 
Ausrottung  ihrer  weißen  Blutsverwandten  beschlossen 
hatten.  Moroni  schrieb  den  Schlußteil  des  Buches  Mormon, 
verbarg  die  Urkunden  in  dem  Hügel  Cumorah  und  starb 
bald  darauf.  Es  war  dies  derselbe  Moroni,  der  in  dieser 
Dispensation  als  ein  auferstandenes  Wesen  die  Berichte 
dem  Propheten  Joseph  Smith  übergab. 

10.  Die  Jarediten.  Von  den  zwei  Völkern,  deren 
Geschichte  das  Buch  Mormon  erzählt,  war  das  erste  nach 
der  Zeitfolge  das  Volk  Jareds,  welches  seinem  Führer  vom 
Turm  zu  Babel  aus  der  Sprachen  Verwirrung  hinweg  folgte. 
Seine  Geschichte  wurde  von  Ether  auf  24  goldene  Platten 
geschrieben.  Ether  war  der  letzte  ihrer  Propheten;  er  sah 
voraus,  daß  das  Volk  seiner  Bosheit  wegen  vernichtet 
werden  würde,  weshalb  er  die  geschichtlichen  Platten  ver- 
barg. Sie  wurden  später,  im  Jahre  123  v.  Chr.,  von  einer 
Expedition,  welche  der  nephitische  König  Limhi  ausgesandt 
hatte,  aufgefunden.  Der  auf  diesen  Platten  enthaltene 
Bericht  wurde  nachher  von  Mormon  abgekürzt  und  in  zu- 
sammengezogener Form  dem  Buch  Mormon  beigegeben. 
Er  erscheint  in  der  neuzeitlichen  Übersetzung  als  das 
Buch  Ether. 

11.  Der  erste  und  größte  Prophet  der  Jarediten  wird 
in  dem  Bericht,  den  wir  besitzen,  nicht  mit  Namen  genannt; 
er  ist  nur  als  der  Bruder  Jareds  bekannt.  Von  dem  Volke 
selbst  erfahren  wir,  daß  inmitten  der  Verwirrung  Babylons 

21 


322 


Die   Glaubensartikel. 


[Vorl.  XIV. 


Jared  und  sein  Bruder  den  Herrn  anflehten,  er  möge  sie 
vor  dem  drohenden  Fluch  erretten.  Ihr  Gebet  wurde  er- 
hört. Der  Herr  führte  sie  mit  einer  zahlreichen  Gesellschaft, 
als  sie  von  der  Befleckung  des  Götzendienstes  frei  war, 
von  ihren  bisherigen  Heimstätten  fort  und  versprach  ihnen, 
daß  er  sie  in  ein  Land  bringen  wolle,  welches  vor  allen 
Ländern  auserwählt  sei.  Der  Verlauf  ihrer  Wanderung  ist 
nicht  genau  angegeben.  Wir  lesen  nur,  daß  sie  den 
Ozean  erreichten,  dort  acht  Schiffe  bauten  und  sich  darin 
auf  das  große  Wasser  begaben.  Diese  Fahrzeuge  waren 
klein  und  innen  dunkel,  der  Herr  machte  jedoch  gewisse 
Steine  leuchtend,  welche  den  eingeschlossenen  Reisenden 
Licht  gaben.  Nach  einer  Reise  von  344  Tagen  landete 
die  Kolonie  an  der  westlichen  Küste  Nordamerikas,  wahr- 
scheinlich an  einer  Stelle,  die  südlich  des  Golfes  von  Kali- 
fornien und  nördlich  vom  Isthmus  von  Panama  liegt. 

12.  Hier  wurden  sie  ein  blühendes  Volk;  da  sie 
sich  aber  mit  der  Zeit  Innern  Streitigkeiten  hingaben, 
spalteten  sie  sich  in  Parteien,  welche  einander  bekämpften, 
bis  schheßlich  das  ganze  Volk  vernichtet  ward.  Diese  Zer- 
störung, welche  in  der  Nähe  des  Hügels  Ramah  —  der 
nachher  den  Nephiten  als  der  Hügel  Cumorah  bekannt  war 
—  ihren  Abschluß  fand,  fiel  wahrscheinlich  in  die  Zeit, 
als  Lehi  in  Südamerika  landete  —  etwa  ums  Jahr  590  v. 
Chr.  —  Der  letzte  Vertreter  dieses  unglücklichen  Geschlechts 
war  Coriantumr,  ihr  früherer  König,  von  dem  der  Prophet 
Ether  geweissagt  hatte,  daß  er  alle  seine  Untertanen  über- 
leben werde,  um  zu  sehen,  wie  ein  anderes  Volk  von  dem 
Land  Besitz  ergreifen  werde.  Diese  Prophezeiung  ging 
in  Erfüllung,  denn  der  König  des  ausgerotteten  Volkes  kam 
auf  seiner  einsamen  Wanderung  in  eine  Gegend,  welche 
von  dem  Volke  Mulek  bewohnt  wurde,  einem  Volk,  von  dem 
hier  als  von  der  dritten  ausgewanderten  Kolonie  gesprochen 
werden  soll. 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  323 

13.  Von  Mulek  wird  uns  gesagt,  daß  er  ein  Sohn 
Zedekias,  des  Königs  von  Juda,  war  und  ein  Kind  noch, 
als  seine  Brüder  einen  gewaltsamen  Tod  und  sein  Vater 
grausame  Qualen  unter  dem  König  von  Babylon 
erlitten.^)  Elf  Jahre  nach  Lehis  Abreise  von  Jerusalem 
wurde  noch  eine  Kolonie  von  der  Stadt  weggeführt,  unter 
welcher  sich  auch  Mulek  befand.  Sein  Name  ist  auch  auf 
das  Volk  übergegangen  —  vielleicht  wegen  seines  anerkann- 
ten Rechts  auf  die  Führerschaft  vermöge  seiner  Abstam- 
mung. Der  Bericht  des  Buches  Mormon  über  Mulek  und 
sein  Volk  ist  spärlich.  Wir  erfahren  jedoch,  daß  die  Kolonie 
über  die  Gewässer  gebracht  wurde  zu  einer  Landungsstelle 
auf  dem  nördlichen  Teil  des  Festlandes.  Die  Nachkommen 
dieser  Kolonie  wurden  unter  Mosiah  von  den  Nephiten 
entdeckt.  Sie  waren  zahlreich  geworden ;  da  sie  aber  keine 
heiligen  Schriften  zu  ihrer  Richtschnur  hatten,  waren  sie 
in  einen  Zustand  geistiger  Verfinsterung  geraten.  Sie 
schlössen  sich  den  Nephiten  an,  und  ihre  Geschichte  ist 
mit  derjenigen  dieses  größern  Volkes  verschmolzen. 2)  Die 
Nephiten  nannten  Nordamerika  das  „Land  Mulek". 

Die  alten  Platten  und  die  neuzeitliche  Übersetzung. 

14.  Die  Platten  des  Buches  Mormon,  wie  sie  von  dem 

Engel  Moroni  dem  Propheten  Joseph  Smith  übergeben 
wurden,  waren  nach  der  Beschreibung  des  Propheten  der 
Neuzeit  von  Gold  und  einheitlich  in  der  Form  —  ungefähr 
18  cm  in  der  Breite  und  20  cm  in  der  Länge,  in  der  Dicke 
etwas  geringer  als  ein  gewöhnliches  Blatt  Zinn.  Sie  wurden 
durch  drei  Ringe  zusammengehalten,  welche  an  einer 
Seite  des  Buches  durch  die  Blätter  liefen.  Insgesamt 
bildeten  sie  ein  Buch  ungefähr  15  cm  dick;  jedoch  wurde 


1)   Siehe  2.  Könige  25 :  7. 
')  Omni  1 :  12—19. 


324  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIV. 

nicht  alles  übersetzt,  weil  ein  Teil  versiegelt  war.  Auf  bei- 
den Seiten  der  Platten  waren  schöne  kleine  Schriftzeichen 
eingegraben,  welche  von  solchen,  die  sie  prüften,  als  seltenes 
Kunstwerk  bezeichnet  wurden  und  das  Aussehen  alter 
Herkunft  hatten. 

15.  Im  Titelblatt  des  Buches  Mormon  sind  dreierlei 
Platten  erwähnt,  nämlich: 

I.  Die  Platten  Nephis,  von  denen  gezeigt  werden  wird, 
daß  zwei  Klassen  vorhanden  waren: 

a)  die  größern  Platten, 

b)  die  kleinern  Platten. 

II.  Die   Platten  Mormons,  welche  eine   Abkürzung   der 
Platten  Nephis  enthielten,  mit  Beigaben  von  Mor- 
mon und  seinem  Sohne  Moroni. 
III.  Die  Platten  Ethers,  welche,  wie  wir  gesehen  haben, 
die  Geschichte  der  Jarediten  enthielten. 
Außer  diesen  dreien  kann  noch  eine  andere  Sorte  von 
Platten  angeführt  werden,  die  in  dem  Buch  Mormon  er- 
wähnt ist,  nämlich: 

IV.  Die  Messingplatten  Labans,  welche  von  dem  Volke 
Lehis  aus  Jerusalem  mitgebracht  wurden ;  sie  enthiel- 
ten die  Stammbäume  und  die  jüdischen  Schriften, 
von  welchen  in  den  nephitischen  Urkunden  viele  Aus- 
züge erscheinen. 

Wir  haben  nun  eingehend  die  Platten  Nephis  und  die 
Abkürzung  Mormons  zu  betrachten. 

16.  Die  Platten  Nephis  werden  so  genannt,  weil  Nephi 
der  Sohn  Lehis,  diese  Platten  anlegte  und  den  Bericht  be- 
gann. Diese  Platten  waren  zwiefacher  Art^)  und  können 
unterschieden  werden  als  die  „größern"  und  die  „klei- 
nern Platten".  Nephi  begann  seine  Arbeit  als  Geschichts- 


»)  1.  Nephi  9;  19:1—5;  2.  Nephi  5:30;  Jakob    1:1 — 1;    Worte 
Mormons  1 :  3 — 7. 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon,  325 

Schreiber  indem  er  einen  geschichtlichen  Bericht  von  sei- 
nem Volk  von  der  Zeit  an,  da  sein  Vater  Lehi  die  Stadt 
Jerusalem  verließ,  auf  die  goldenen  Platten  eingravierte. 
Dieser  Bericht  erzählt  die  Geschichte  ihrer  Wanderungen, 
ihres  Gedeihens  und  ihrer  Trübsale  und  der  Regierungen 
ihrer  Könige  und  die  der  Kriege  und  Zwistigkeiten  des 
Volkes.  Der  Bericht  trägt  den  Charakter  einer  Weltge- 
schichte. Diese  Platten  wurden  von  einem  Geschichts- 
schreiber an  den  andern  weitergegeben  durch  alle  Ge- 
schlechter des  nephitischen  Volkes  hindurch,  so  daß  der 
Bericht  zu  der  Zeit,  da  Mormon  ihn  abkürzte,  einen  Zeit- 
raum von  ungefähr  1000  Jahren  umfaßte,  er  fängt  an  mit 
dem  Jahre  600  v.  Chr.,  da  Lehi  von  Jerusalem  auszog. 
Obschon  diese  Platten  den  Namen  ihres  Verfertigers 
tragen  —  der  zugleich  auch  der  erste  Schreiber  war  — , 
so  ist  doch  jeder  gesonderte  Bestandteil  unter  dem  Namen 
seines  eigenen  Verfassers  bekannt,  so  daß  der  ganze  Be- 
richt aus  vielen  getrennten  Büchern  zusammengesetzt  ist. 

17.  Auf  Befehl  des  Herrn  verfertigte  der  Prophet 
Nephi  noch  andere  Platten,  worauf  er  insbesondere  die 
religiöse  Geschichte  seines  Volkes  aufzeichnete,  und  nur 
solche  Fälle  anders  gearteter  Ereignisse  anführte,  wie  sie 
zum  richtigen  Verständnis  der  Erzählung  notwendig  schie- 
nen. , »Dennoch  habe  ich  vom  Herrn  ein  Gebot  erhalten", 
sagt  Nephi,  ,, diese  Tafeln  für  einen  besondern  Zweck  zu 
machen,  um  einen  Bericht  von  dem  Wirken  meines  Volkes 
zu  schreiben. "1)  Der  Zweck  dieser  doppelten  geschichtli- 
chen Berichterstattung  war  Nephi  unbekannt,  es  war  ihm 
genug,  daß  der  Herr  die  Arbeit  verlangte;  es  wird  noch  ge- 
zeigt werden,  daß  sie  einem  weisen  Zweck  diente. 

18.  Mormons  Abkürzung.  Im  Laufe  der  Zeit  gelangten 
die  Urkunden,  die  im  gleichen  Verhältnis  wie  die  Geschichte 


»)  1.  Nephi  9:,^. 


326  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIV. 

des  Volkes  gewachsen  waren,  in  die  Hände  Mormons.^)  Er 
unternahm  es,  von  den  umfangreichen  Werken  eine  Ab- 
kürzung auf  Platten  niederzuschreiben,  welche  er  mit 
eigener  Hand  verfertigt  hatte. 2)  Auf  diese  Weise  ist  ein 
mehr  bündiger  und  in  Stil,  Sprache  und  Behandlung  des 
Stoffes  mehr  einheitlicher  Bericht  zustandegekommen,  als  es 
wahrscheinlich  der  Fall  gewesen  wäre  bei  den  verschiedenen 
Schriften  der  vielen  Verfasser,  die  zu  der  großen  Geschichte 
während  ihres  tausendjährigen  Wachstums  beigetragen 
haben.  Mormon  anerkennt  und  bezeugt  die  Inspiration 
Gottes,  welche  ihn  veranlaßte,  diese  große  Arbeit  zu  unter- 
nehmen.^) Bei  der  Abfassung  dieser  gekürzten  Geschichte 
wahrte  Mormon  die  Teilung  des  Berichtes  in  verschiedenen 
Büchern,  nach  der  Anordnung  der  Originalurkunden;  so 
finden  wir  die  Bücher  Nephis,  das  Buch  Alma,  das  Buch 
Helaman  usw.  vor,  obschon  die  Sprache  jedenfalls  diejenige 
Mormons  ist,  ausgenommen  die  wörtlichen  Anführungen 
aus  den  Platten  Nephis,  die  in  der  Tat  zahlreich  sind. 
19.  Als  Mormon  im  Verlaufe  seiner  Abkürzung  die 
Zeit  des  Königs  Benjamin  erreichte,  machte  der  betref- 
fende Bericht  auf  Nephis  kleinern  Platten  einen  tiefen 
Eindruck  auf  ihn,  —  der  Bericht  von  dem  Umgang  Gottes 
mit  den  Menschen  während  eines  Zeitraumes  von  etwa  vier 
Jahrhunderten,  d.  h.  von  der  Zeit  des  Auszuges  Lehis 
aus  Jerusalem  bis  zu  dem  König  Benjamin.  Diese  Schil- 
derung, die  so  viele  Prophezeiungen  über  die  Mission 
des  Heilandes  enthielt,  wurde  von  Mormon  mit  mehr 
als  gewöhnlicher  Anteilnahme  betrachtet.  Er  versuchte 
nicht,  bloß  einen  Auszug  davon  zu  machen,  sondern  er 
schloß  die  Originale  in  seine  eigene  Abkürzung  der  größern 
Platten  mit  ein  und  machte  so  aus  den  zwei  Büchern  ein 


')  Worte  Mormons  1:11;  Mormon  1 : 1- 
')  3.  Nephi  5:8—11. 
»)  3.  Nephi  5 :  14—19. 


Art,  8.]  Das  Buch  Mormon.  327 

Buch.  Der  von  Mormon  zusammengestellte  Bericht  ent- 
hielt somit  eine  doppelte  Schilderung  über  die  Nachkom- 
menschaft Lehis  für  die  Dauer  der  ersten  vier  Jahrhunderte 
ihrer  Geschichte:  die  kurze  weltliche  Geschichte,  als 
Auszug  aus  den  größern  Platten  und  den  vollständigen 
Wortlaut  der  kleinern  Platten.  Mit  ernsten  Worten  und  mit 
einem  Nachdruck,  welchen  spätere  Geschehnisse  als  be- 
gründet erwiesen,  zeugt  Mormon  von  der  verborgenen 
Weisheit  des  göttlichen  Planes  dieser  Verdoppelung: 
,,  Dieses  tue  ich  zu  einem  weisen  Zwecke,  denn  so  flüstert 
es  mir  der  Geist  des  Herrn  zu,  welcher  in  mir  ist.  Ich  weiß 
zwar  nicht  alle  Dinge,  aber  der  Herr  weiß  alles  was  da 
kommt;  daher  wirkt  er  in  mir,  nach  seinem  Willen  zu 
tun."i) 

20.  Des  Herrn  Absicht.  Der  Zweck,  den  der  Herr  im 
Auge  hatte,  als  er  die  von  Mormon  und  auch  von  Nephi'^) 
bezeugte  Verfertigung  und  Erhaltung  der  kleinern  Platten 
anordnete,  ist  durch  gewisse  Umstände  in  dieser  Dispen- 
sation, welche  mit  der  Übersetzung  des  Werkes  zusammen- 
hängen, offenbar  geworden.  Als  der  Prophet  Joseph  Smith 
die  Übersetzung  des  ersten  Teiles  der  Schriften  Mormons 
fertiggestellt  hatte,  wurde  ihm  das  Manuskript  auf  unrechte 
Art  abgewonnen,  und  zwar  durch  Martin  Harris,  dem  er 
sich  in  gewissem  Grade  für  die  finanzielle  Hilfe  bei  der 
Veröffentlichung  des  Buches  verpflichtet  fühlte.  Dieses 
Manuskript,  im  ganzen  116  Seiten,  erhielt  Joseph  niemals 
wieder  zurück.  Es  fiel  durch  die  dunklen  Machenschaften 
der  bösen  Macht  in  die  Hände  der  Feinde,  welche  unver- 
züglich einen  niederträchtigen  Plan  entwarfen,  um  Joseph 
Smith  lächerlich  zu  machen  und  die  Absichten  Gottes  zu 
vereiteln.  Dieses  schändliche  Vorhaben  zielte  dahin,  zu 
warten    bis     Joseph    den     abhandengekommenen     Teil 


')  Worte  Mormons  1 :  7. 
»)  1.  Nephi  9:5. 


328  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIV. 

nochmals  übersetzt  hätte,  worauf  das  Manuskript,  welches 
inzwischen  so  geändert  wurde,  daß  es  genau  das  Gegen- 
teil des  wahren  Berichtes  sagte,  hervorgebracht  werden 
sollte  als  Beweis  dafür,  daß  Joseph  Smith  unfähig  sei,  ein 
und  dieselbe  Stelle  zweimal  gleichlautend  zu  übersetzen; 
die  Weisheit  des  Herrn  ließ  jedoch  den  bösen  Plan  zuschan- 
den  werden. 

21.  Nachdem  Gott  den  Propheten  gezüchtigt  hatte, 
indem  er  ihm  die  Gabe  der  Übersetzung  eine  Zeitlang  ent- 
zog, wie  auch  die  heiligen  Urkunden  —  dies  wegen  der 
Unachtsamkeit,  mit  welcher  er  die  Schriften  in  unheilige 
Hände  gelangen  ließ  — ,  war  der  Herr  seinem  reumütigen 
Diener  wieder  gnädig  und  offenbarte  ihm  die  Absichten 
seiner  Feinde.^)  Zur  gleichen  Zeit  zeigte  er  ihm,  wie  alle 
diese  bösen  Machenschaften  zunichte  gemacht  werden 
sollten.  Joseph  wurde  zu  diesem  Zwecke  angewiesen,  die 
nochmalige  Übersetzung  desjenigen  Teiles  der  Abkürzung 
Mormons,  der  gestohlen  worden  war,  zu  unterlassen. 
Statt  dessen  sollte  er  den  Bericht  über  dieselben  Ereignisse 
von  den  Platten  Nephis  übersetzen  —  von  jenen  kleinern 
Platten,  welche  Mormon  seiner  eigenen  Abkürzung  ein- 
verleibt hatte.  Die  auf  diese  Weise  gewonnene  Überset- 
zung wurde  deshalb  als  der  Bericht  Nephis  veröffentlicht 
und  nicht  als  die  Schrift  Mormons;  von  den  Teilen,  von  de- 
nen das  gestohlene  Manuskript  genommen  war,  wurde 
somit  keine  zweite  Übersetzung  angefertigt. 

22.  Die  Übersetzung  des  Buches  Mormon  kam  durch 
die  Macht  Gottes  zustande,  wie  sie  sich  in  der  Erteilung  der 
Gabe  der  Offenbarung  kund  gibt.  Das  Buch  will  nicht 
von  der  Weisheit  und  Gelehrsamkeit  der  Menschen 
abhängig  sein;  sein  Übersetzer  war  nicht  gelehrt  in  der 
Sprachforschung,  seine  Befähigung  war  vielmehr  von  einer 


')  Lehre  u.  Bündn.,  Abschnitt  10. 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  329 

sehr  verschiedenen  und  weit  wirksamem  Art.  Mit  den 
Platten  erhielt  Joseph  von  dem  Engel  Moroni  noch  andere 
heilige  Kostbarkeiten  einschließlich  einer  Brustplatte, 
welcher  der  Urim  und  Thummim^)  beigegeben  war  —  die 
Nephiten  nannten  ihn  den  „Ausleger"  — ,  und  mit  seiner 
Hilfe  war  er  imstande,  die  alten  Urkunden  in  eine  neu- 
zeitUche  Sprache  zu  übertragen.  Die  Einzelheiten  der  Über- 
setzung sind  nicht  verbürgt  berichtet  worden,  mit  Aus- 
nahme der  Feststellung,  daß  der  Übersetzer  mit  Hilfe  der 
Instrumente  die  eingegrabenen  Schriftzeichen  prüfte  und 
dann  dem  Schreiber  die  englischen  Sätze  diktierte,- 

23.  Joseph  begann  seine  Arbeit,  indem  er  geduldig 
eine  Anzahl  Schriftzeichen  abschrieb  und  dann  einigen  so 
vorbereiteten  Seiten  die  Übersetzung  beifügte.  Martin 
Harris,  der  erste  Gehilfe  des  Propheten  bei  dieser  Arbeit, 
erhielt  die  Erlaubnis,  einige  dieser  Abschriften  zu  sich  zu 
nehmen  zu  dem  Zweck,  dieselben  einigen  Männern  zur 
Prüfung  zu  unterbreiten,  welche  auf  dem  Gebiet  der  alten 
Sprachen  bewandert  waren.  Er  legte  eine  Anzahl  Blätter 
dem  Professor  Charles  Anthon  von  der  „Columbia-Univer- 
sität" vor,  welcher  nach  sorgfältiger  Prüfung  bezeugte, 
daß  die  Schriftzeichen  im  allgemeinen  von  altägyptischer 
Art  seien  und  daß  die  entsprechende  Übersetzung  richtig 
scheine.  Als  er  hörte,  wie  die  alten  Urkunden  in  den  Be- 
sitz Joseph  Smiths  gelangten,  ersuchte  der  Professor 
Herrn  Harris,  ihm  das  Buch  mit  den  Urschriften  zur  Prü- 
fung zu  überbringen;  als  er  dann  erfuhr,  daß  ein  Teil  des 
Buches  versiegelt  ist,  bemerkte  er:  ,,Ich  kann  ein  versie- 
geltes Buch  nicht  lesen!"  So  erfüllte  dieser  Mann  unbe- 
wußt die  Prophezeiung  Jesajas  inbezug  auf  das  Hervor- 
kommen des  Buches:  ,,Daß  euch  aller  Propheten  Gesichte 


')  Lehre  u.   Bündn.   10:   1;    H:   1;  130:  8—9;    Mosiah  8:    13—19; 
Ether  3:  23— 28. 


330 


Die  Glaubensartikel. 


[Vorl.  XIV. 


sein  werden  wie  die  Worte  eines  versiegelten  Buches, 
welches  man  gäbe  einem,  der  lesen  kann,  und  spräche: 
Lies  doch  das!  und  er  spräche:  Ich  kann  nicht,  denn  es 
ist  versiegelt.!)  Ein  anderer  Sprachforscher,  Dr.  Mitchell 
von  New-York,  gab,  nachdem  er  die  Schriftzeichen  ge- 
prüft hatte,  über  sie  ein  Zeugnis,  das  in  allen  wesentlichen 
Punkten  mit  dem  des  Professors  Anthon  übereinstimmt. 
24.  Die  Zusammensetzung  des  Buches  Mormon.  Das  Buch 
Mormon  umfaßt  fünfzehn  verschiedene  Teile,  sogenannte 
Bücher,  die  nach  den  Namen  ihrer  Hauptverfasser  unter- 
schieden werden.  Von  diesen  sind  die  ersten  sechs  Bücher 
wortgetreue  Übersetzungen  von  entsprechenden  Teilen 
der  kleinern  Platten  Nephis,  nämlich;  das  1.  und  2.  Buch 
Nephi,  die  Bücher  Jakob,  Enos,  Jarom  und  Omni.  Der 
Hauptteil  des  Buches  —  vom  Buch  Mosiah  bis  Mormon, 
Kapitel  7 — ist  die  Übersetzung  von  Mormons  Abkürzung 
der  größern  Platten  Nephis.  Zwischen  den  Büchern  Ja- 
rom und  Mosiah  erscheinen  die  ,, Worte  Mormons"  und  ver- 
binden den  Bericht  Nephis,  wie  er  auf  den  kleinern  Platten 
verzeichnet  ist  mit  Mormons  Auszug  aus  den  größern 
Platten  für  den  nachfolgenden  Zeitraum.  Die  Worte  Mor- 
mons können  als  eine  kurze  Erklärung  der  vorangehenden 
Teile  und  als  Vorwort  für  die  nachfolgenden  angesehen 
werden.  Der  letzte  Teil  des  Buches  Mormon,  vom  Beginn 
des  8.  Kapitels  Mormon  bis  zum  Schluß  ist  in  der  Sprache 
Moronis,  des  Sohnes  Mormons  geschrieben,  der  zunächst 
den  Bericht  seines  Vaters  fertigstellte  und  dann  einen  Aus- 
zug aus  Platten  anfügte,  welche  die  Urkunden  der  Jare- 
diten  enthielten;  dieser  Auszug  erscheint  als  das  Buch 
Ether.2) 

25.  Als   Moroni   schrieb,   stand  er   allein   als   der 
einzige  überlebende  Vertreter  seines  Volkes.    Der  letzte 


»)  Jesaja  29:  11. 
»)  Siehe  Seite  321. 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  331 

der  fürchterlichen  Kriege  zwischen  den  Nephiten  und  den 
Lamaniten  hatte  die  völlige  Vernichtung  des  nephitischen 
Volkes  zur  Folge.  Moroni  glaubte,  sein  Auszug  aus 
dem  Buche  Ether  werde  seine  letzte  literarische  Arbeit 
sein,  als  er  aber  bei  der  Beendigung  dieses  Unternehmens 
wunderbarerweise  noch  am  Leben  war,  fügte  er  die  Teile 
an,  die  als  das  Buch  Moroni  bekannt  sind;  es  sind  dies 
Angaben  über  die  Zeremonien  der  Ordination,  der  Taufe, 
der  Austeilung  des  heiligen  Abendmahles  usw.  und  gewisse 
Äußerungen  und  Briefe  seines  Vaters. 


Die  Echtheit  des  Buches  Mormon. 

26.  Dem  ernsthaften  Prüfer  des  Buches  Mormon  wird 
es  bei  seiner  Untersuchung  am  meisten  um  die  Zuverläßig- 
keit  des  erhabenen  Berichtes  zu  tun  sein.  Dieses  Thema 
kann  von  zwei  Gesichtspunkten  aus  betrachtet  werden  und 
zwar 

1.  von  dem  der  Echtheit  des  Buches  Mormon,  d.  h. 
von  dem  Erbringen  des  Beweises,  daß  das  Buch  das  ist, 
was  es  vorgibt  zu  sein  —  eine  wirkliche  Übersetzung  alter 
Urkunden  und 

2.  von  der  Glaubwürdigkeit  der  Urschriften,  wie  sie 
von  Innern  und  äußern  Beweisen  gezeigt  wird. 

27.  DieEehtheit  des  Buches  Mormon  wird  einem  jeden 
offenbar  werden,  der  die  Umstände  seines  Hervorkommens 
einer  vorurteilsfreien  Prüfung  unterzieht.  Die  vielen  so- 
genannten Theorien  über  seinen  Ursprung  sind  im  allge- 
meinen zu  unhaltbar  und  zu  albern,  als  daß  sie  eine  ernst- 
liche Beachtung  verdienten.  Torheiten,  wie  sie  von 
vorurteilsvollen  Gegnern  des  Werkes  Gottes  vorgebracht 
werden,  um  das  Buch  Mormon  als  das  Produkt  eines 
einzelnen  Verfassers  hinzustellen,  oder  als  ein  von  Men- 
schen abgekartetes,  betrügerisches  Werk,  oder  in  irgend- 


332  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIV. 

einer  Weise  als  eine  Zusammenstellung  der  Neuzeit,  finden 
ihre  Widerlegung  in  sich  selbst. i)  Die  Heiligkeit  der  Platten 
verbot  ihre  Schaustellung  zum  Befriedigen  persönlicher 
Neugierde,  jedoch  wurden  sie  von  einer  Anzahl  ehrenhafter 
Männer  geprüft,  und  diese  Zeugen  haben  der  Welt  ihr 
feierliches  Zeugnis  inbezug  auf  die  von  ihnen  festgestellten 
Tatsachen  gegeben.  Im  Juni  1829  gingen  die  Prophezei- 
ungen betreffs  der  drei  Zeugen,  welche  das  im  Buch 
Mormon  enthaltene  Wort  Gottes  bestätigen  sollten,^)  in 
Erfüllung.  Durch  die  Kundgebung  der  göttlichen  Macht 
wurde  die  Echtheit  der  Urkunden  drei  Männern  kundgetan, 
und  ihr  Zeugnis  ist  allen  Ausgaben  des  Buches  beigegeben. 
28.  Die  Aussage  der  drei  Zeugen.  Allen  Völkern,  Ge- 
schlechtern, Sprachen  und  Leuten,  zu  denen  dieses  Werk 
gelangen  wird,  sei  kundgetan,  daß  wir  durch  die  Gnade 
Gottes,  des  Vaters  und  unsers  Herrn  Jesu  Christi  die  Tafeln, 
die  diese  Urkunde  enthalten,  gesehen  haben.  Dieselbe 
ist  eine  Urkunde  des  Volkes  Nephi  und  auch  ihrer  Brüder, 
der  Lamaniten,  wie  auch  des  Volkes  Jared,  die  von  dem 
Turm,  von  welchem  geredet  worden  ist,  kamen,  und  wir 
wissen,  daß  sie  durch  Gottes  Gabe  und  Macht  übersetzt 
worden  sind,  denn  seine  Stimme  hat  es  uns  erklärt;  daher 
wissen  wir  mit  Bestimmtheit,  daß  das  Werk  wahr  ist.  Wir 
bezeugen,  daß  wir  die  Gravierungen,  die  auf  den  Platten 
sind,  gesehen  haben,  und  durch  Gottes,  nicht  durch  mensch- 
liche Macht,  sind  sie  uns  gezeigt  worden.  Wir  erklären  mit 
ernsthaften  Worten,  daß  ein  Engel  Gottes  vom  Himmel 
herniederkam,  die  Platten  brachte,  und  sie  vor  unsern  Au- 
gen niederlegte,  so  daß  wir  sie  mit  den  Gravierungen  darauf 
gesehen  und  betrachtet  haben.  Wir  wissen,  daß  wir  dieses 
allein  durch  die  Gnade  Gottes,  des  Vaters,  und  unsres  Herrn 


•)  Siehe  Anmerkung  2. 

')  2.  Nephi  11:3;   27:12—13.     Ether  5:3 — i;    siehe  auch  Lehre  u. 
Bündn.  5:11— 15;  17:1— 9. 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  333 

Jesu  Christi  sahen  und  bezeugen,  daß  diese  Dinge  wahr 
sind.  Es  ist  wunderbar  in  unsern  Augen,  doch  befahl  uns 
die  Stimme  des  Herrn,  daß  wir  darüber  zeugen  sollten. 
Um  daher  den  Befehlen  Gottes  zu  gehorchen,  geben  wir 
Zeugnis  von  diesen  Dingen.  Wir  wissen  auch,  wenn  wir  in 
Christo  getreu  sind,  so  werden  wir  unsere  Gewänder  von 
dem  Blute  aller  Menschen  rein  waschen  und  ohne  Makel 
vor  dem  Richterstuhl  Christi  stehen  und  werden  ewig  mit 
ihm  in  dem  Himmel  wohnen.  Ehre  sei  dem  Vater  und  dem 
Sohne,  und  dem  Heiligen   Geiste,  welches  ein  Gott  ist. 

Oliver  Cowdery, 
David  Whitmer, 
Martin  Harris. 

29.  Dieses  Zeugnis  ist  von  keinem  der  Zeugen,  deren 
Namen  die  Unterschriften  nennen,^)  je  widerrufen  oder  auch 
nur  abgeändert  worden,  obschon  sie  alle  der  Kirche  den 
Rücken  kehrten  und  gegenüber  Joseph  Smith  Gefühle 
hegten,  die  sich  beinahe  bis  zum  Haß  steigerten.  Bis 
ans  Ende  ihrer  Tage  hielten  sie  ihre  feierliche  Erklärung 
von  dem  Besuche  eines  Engels  und  von  dem  Zeugnis,  das 
in  ihre  Herzen  gepflanzt  worden  war,  aufrecht.  Kurz 
nachdem  die  drei  Männer  die  Platten  in  Augenschein  ge- 
nommen hatten,  wurde  weitern  acht  Personen  erlaubt, 
die  altertümlichen  Berichte  zu  sehen  und  mit  ihren  Händen 
anzufassen.  Auch  damit  ging  eine  Prophezeiung  in  Erfül- 
lung, denn  es  wurde  schon  vor  alters  gesagt,  daß  Gott 
neben  den  dreien  ,,noch  mehr  Zeugen  senden  werde^)" 
deren  Zeugnis  dem  der  drei  angefügt  werden  sollte.  Vermut- 
lich war  es  im  Juli  1829  als  Joseph  die  Platten  den  acht 
Männern,  deren  Namen  der  nachstehenden  Erklärung 
beigegeben  sind,  zeigte. 

')  Siehe  Anmerkung  3. 
•)  2.  Nephi  11:3. 


334  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIV. 

30.  Die  Aussage  der  acht  Zeugen.  Allen  Völkern, 
Geschlechtern,  Sprachen  und  Leuten,  zu  denen  dieses 
Werk  gelangen  wird,  sei  kundgetan,  daß  Joseph  Smith 
jun.,  der  Übersetzer  dieses  Werkes,  uns  die  Platten,  von 
denen  gesprochen  worden  ist,  und  welche  wie  Gold  aussa- 
hen, gezeigt  hat.  Soviele  Platten  wie  genannter  Smith  über- 
setzte, haben  wir  mit  unsern  Händen  angefaßt,  und  auch  die 
Gravierungen  darauf  gesehen;  alle  diese  haben  ein  alter- 
tümliches Aussehen  und  sind  sonderbar  gearbeitet.  Und 
dieses  bezeugen  wir  mit  ernsthaften  Worten,  daß  genannter 
Smith  sie  uns  gezeigt  hat,  denn  wir  haben  dieselben  ge- 
sehen und  angefaßt  und  wissen  mit  Sicherheit,  daß  genann- 
ter Smith  die  Platten  hat,  von  denen  wir  geredet  haben. 
Wir  geben  der  Welt  unsere  Namen,  um  ihr  als  Zeugnis 
von  dem,  was  wir  gesehen  haben,  zu  dienen.  Wir  lügen 
nicht  und  rufen  Gott  zum  Zeugen  an. 

Christian  Whitmer,  Hiram  Page, 

Jakob  Whitmer,  Joseph  Smith  sen., 

Peter  Whitmer  jun.,  Hyrum  Smith, 

John  Whitmer,  Samuel  H.  Smith. 

31.  Drei  dieser  acht  Zeugen  starben  außerhalb 
der  Kirche,  jedoch  wurde  von  keinem  bekannt,  daß 
er  jemals  sein  Zeugnis  von  dem  Buch  Mormon  ver- 
leugnet hätte. ^)  Hier  sind  also  Beweise  verschiedener 
Art  für  die  Echtheit  des  Buches.  Gelehrte  Sprachkun- 
dige bezeichnen  die  Schriftzeichen  als  echt.  Elf  Män- 
ner von  ehrenhaftem  Rufe  beschwören  feierlich,  daß  sie 
die  Platten  gesehen  haben.  Und  die  Natur  des  Buches 
selbst  unterstützt  die  Behauptung,  daß  es  nichts  mehr 
und  nichts  weniger  ist,  als  die  Übersetzung  alter  Urkunden 
und  Berichte. 2) 


')  Siehe  Anmerkung  4. 
')  Siehe  Anmerkung  5. 


Art.  8.]  Anmerkungen.  335 

Anmerkungen. 

1.  Das  Titelblatt  des  Buches  Mormon.  —  „Ich  wünsche  hier  zu  er- 
wähnen, daß  das  Titelblatt  des  Buches  Mormon  eine  wörtliche  Übersetzung 
der  linken  Seite  des  allerletzten  Blattes  der  Sammlung  von  Büchern  oder 
Platten  ist,  wovon  die  Urkunden  übersetzt  worden  sind  —  die  Sprache  des 
Ganzen  verläuft  wie  alles  hebräisch  geschriebene  im  allgemeinen  verläuft  — 
und  daß  die  genannte  Titelseite  in  keiner  Weise  eine  Zusammenstellung 
der  Neuzeit  ist,  weder  von  mir  noch  von  irgend  einem  andern  Menschen, 
der  in  dieser  Dispensation  lebt  oder  gelebt  hat."  Joseph  Smith. 

2.  Theorien  über  den  Ursprunji  des  Buches  Mormon.  —  Die  Spanl- 
dinfl-Gesehlchte.  —  Der  wahre  Bericht  von  der  Herkunft  des  Buches  Mor- 
mon wurde  von  der  Öffentlichkeit  im  allgemeinen  verworfen;  diese  über- 
nahm damit  die  Verantwortlichkeit,  den  Ursprung  des  Buches  in  irgend 
einer  andern  vernünftigen  Weise  zu  erklären.  Viele  haltlose  Meinungen 
und  Vermutungen,  die  zumeist  auf  der  unglaubwürdigen  Annahme  beruhen, 
das  Buch  sei  das  Werk  eines  einzelnen  Verfassers,  wurden  vorgebracht. 
Von  diesen  ist  die  berühmteste  und  in  der  Tat  die  einzige,  die  lange  genug 
in  öffentlicher  Gunst  verblieb,  um  besprochen  zu  werden,  die  sogenannte 
„Spaulding  Story".  —  Salomon  Spaulding,  ein  Geistlicher  von  Amity, 
Pennsylvanien,  schrieb  einen  Roman,  dem  kein  anderer  Titel  als  die„Manus- 
cript  Story"  verliehen  worden  war.  Zwanzig  Jahre  nach  dem  Tode  des 
Verfassers  machte  ein  von  der  Kirche  Jesu  Christi  der  Heiligen  der  letzten 
Tage  Abgefallener,  ein  gewisser  Hurlburt,  bekannt,  Spauldings  Roman 
gleiche  dem  Buch  Mormon;  er  sprach  zugleich  seine  Überzeugung  aus,  daß 
das  von  Joseph  Smith  der  Welt  übergebene  Buch  nichts  anderes  sei,  als 
der  abgeänderte  und  erweiterte  Roman  Spauldings.  Das  Spauldingsche 
Manuskript  war  eine  Zeitlang  verloren  und  beim  Fehlen  eines  gegenteiligen 
Beweises  melirten  sich  die  Erzählungen  von  der  Ähnlichkeit  der  beiden 
Werke.  Aber  ein  glücklicher  Zufall  brachte  das  verlorene  Manuskript  im 
Jahre  1884  wieder  ans  Tageslicht.  Präsident  James  H.  Fairchild  von  der 
Oberlin-Universität  in  Ohio  und  sein  literarischer  Freund,  ein  Herr  Rice, 
fanden  die  Urschrift  beim  Durchsuchen  einer  Sammlung  alter  Schriften, 
die  Herr  Rice  käuflich  erworben  hatte.  Die  Herren  stellten  einen  sorgfäl- 
tigen Vergleich  zwischen  dem  Manuskript  und  dem  Buche  Mormon  an. 
Lediglich  von  dem  Wunsche  beseelt,  der  Wahrheit  zu  dienen,  veröffentlich- 
ten sie  das  Ergebnis.  Präsident  James  H.  Fairchild  ließ  am  5.  Februar 
1885  im  „New- York  Observer"  einen  Artikel  erscheinen,  in  welchem  er  sagt: 

„Die  Theorie,  daß  das  Buch  Mormon  aus  dem  sagenhaften  Manu- 
skript von  Salomon  Spaulding  entstanden  sei,  muß  jedenfalls  aufgegeben 
werden***.  Herr  Rice,  ich  selbst  und  andere  verglichen  es  (das  Spaulding- 
sche Manuskript)  mit  dem  Buche  Mormon  und  entdeckten  keine  Ähnlich- 
keit zwischen  den  beiden***.  Es  muß  eine  andere  Erklärung  des  Buches 
Mormon  gefunden  werden,  falls  eine  solche  verlangt  wird."  — 

Das  Manuskript  wurde  der  Bibliothek  der  Oberlin-Universität  ein- 
verleibt, wo  es  sich  heute  noch  befindet.  Noch  immer  wird  aber  das  Mär- 
chen von  dem  „gefundenen  Manuskript",  wie  Spauldings  Geschichte 
später  genannt  wurde,  gelegentlich  in  den  Dienst  der  hitzigen  „Mormonen"- 
Gegner  gez^vungen,  und  zwar  von  Leuten,  von  denen  wir  gutmütigerweise 
annelimen  wollen,  daß  sie  die  von  Präsident  Fairchild  ans  Licht  gebrachte 


.336 


Die  Glaubensartikel. 


[Vorl.  XIV. 


Tatsache  nicht  kennen.  Ein  Brief  neuern  Datums,  den  derselbe  Herr  als 
Antwort  auf  eine  diesbezügliche  Anfrage  geschrieben  hat,  wurde  am  3. 
November  1898  im  „Millennial  Star",  Liverpool,  veröffentlicht;  er  lautet: 

ObcrUn  CoUege,  Ohio, 

17.  Oktober  1895. 

J.  R.  Hindley,  Esq. 

Werter  Herr! 

Wir  haben  in  unserer  Bibliothek  die  Urschrift  von  Salomon  Spaulding, 
die  fraglos  echt  ist. 

Ich  fand  sie  im  Jahre  1884  im  Besitz  von  Herrn  L.  L.  Rice,  in  Honolulu 
auf  den  Hawai  -  Inseln.  Er  war  früher  Staatsdrucker  in  Columbus,  Ohio, 
und  vorher  Herausgeber  einer  Zeitung  in  Painesville.  Sein  Vorgänger 
besuchte  Frau  Spaulding  und  erhielt  von  ihr  das  Manuskript.  Es  lag 
vierzig  oder  mehr  Jahre  imter  seinen  alten  Schriften  und  kam  beim 
Suchen  nach  Dokumenten  über  Antisklavcrei  zum  Vorschein. 

Diese  Urschrift  ist  von  verschiedenen  Männern  aus  Conneaut,  O., 
unterschrieben,  denen  sie  Spaulding  vorgelesen  hatte  und  diese  wußten, 
daß  sie  die  seine  war.  Niemand,  der  sie  sieht,  wird  ihre  Echtheit  in  Frage 
stellen.  Das  Manuskript  wurde  wenigstens  zweimal  abgedruckt  —  einmal 
von  den  Mormonen  in  Salt  Lake  City  und  einmal  von  den  josephitischen 
Mormonen  in  Iowa.  Die  Mormonen  in  Utah  erhielten  die  Abschrift  von 
Herrn  Rice  in  Honolulu  und  die  Josephiten  bekamen  sie,  nachdem  sie  in 
meinen  Besitz  gelangt  war. 

Die  Urschrift  ist  nicht  das  Original  des  Buches  Mormon. 


Ihr  ergebener 


Jas.  H.  Fairchüd. 


Gedruckte  Exemplare  des  ,, Gefundenen  Manuskripts"  sind  erhält- 
lich und  jeder  Beteiligte  kann  selbst  prüfen.  Für  weitere  Mitteilimgen  ver- 
weisen wir  auf  „The  Myth  of  the  Manuscript  found"  vom  Ältesten  George 
Reynolds  in  Salt  Lake  City;  Whitney's  „History  of  Utah",  Band  I,  S. 
46 — 56 ;  George  Reynolds  Einleitung  zu  der  Geschichte,  wie  sie  von  der 
„Deseret  News"  im  Jahre  1886  in  der  Salzsecstadt  veröffentlicht  wurde, 
sowie  auf  die  Geschichte  selbst.  Siehe  ferner  drei  Artikel  von  Präsident 
Joseph  E.  Smith  in  der  „Improvement  Era",  Band  III,  Seite  241,  377, 
451.  — 

3.  Die  drei  Zeagen.  —  Oliver  Cowdery,  geboren  zu  Wells,  Rutland 
Co.,  Vermont,  im  Oktober  1805,  getauft  am  15.  Mai  1829,  starb  am  3.  März 
1850  zu  Richmond,  Mo. 

David  Whitmer,  geboren  bei  Harrisburg,  Fa.  am  7.  Januar  1805,  ge- 
tauft im  Juni  1829,  von  der  Kirche  ausgeschlossen  am  13.  April  1838,  starb 
zu  Richmond  am  25.  Januar  1888. 

Martin  Harris,  geboren  in  Easttown,  Saratoga  Co.  New- York,  am 
18.  Mai  1783,  wurde  im  Jahre  1830  getauft,  zog  nach  Utah  im  August  1870 
und  starb  zu  Clarkstown,  Cache  Co.  Utah,  am  10.  Juli  1875. 

4.  Die  acht  Zeugen.  —  Ciiristian  Wliitmer,  geboren  am  18.  Januar 
1798,  getauft  am  11.  April  1830,  starb  in  voller  Gemeinschaft  mit  der 
Kirche  zu  Clay  County,  Missouri,  am  27.  November  1835.  —  Er  war  Peter 
Whitmers  ältester  Sohn. 


Art.  8]  Anmerkungen.  337 

Jakob  Whitmer,  Peter  Whitmers  z%veiter  Sohn,  geboren  am  27.  Ja- 
nuar 1800  in  Pennsylvania,  am  11.  April  1830  getauft,  starb  am  21.  April 
1856  nachdem  er  sich  vorher  von  der  Kirche  zurückgezogen  hatte. 

Peter  Whitmer  jim.,  geboren  am  27.  Januar  1809,  war  Peter  Whit- 
mers fünfter  Sohn;  er  wurde  getauft  im  Juni  1829  und  starb  am  22.  Sep- 
tember 1836  als  ein  treues  Mitglied  der  Kirche,  in  oder  bei  Liberty,  Clay 
County,  Missouri. 

John  Whitmer,  Peter  Whitmers  dritter  Sohn,  wurde  am  27.  August 
1802  geboren,  im  Juni  1829  getauft,  am  10.  März  1838  von  der  Kirche  aus- 
geschlossen und  starb  in  Far  West,  Missouri,  am  11.  Juli  1878. 

Dyrum  Page,  geboren  im  Jahre  1800,  zu  Vermont,  wurde  am  11. 
April  1830  getauft,  zog  sich  im  Jahre  1838  von  der  Kirche  zurück  und  starb 
am  12.  August  1852  zu  Ray  County,  Missouri. 

Joseph  Smith  sen.,  der  Vater  des  Propheten,  wurde  am  12.  Juli 
1771  in  Topsfield,  Essex  Co.,  Mass.  geboren,  am  6.  April  1830  getauft,  und 
am  18.  Dezember  1838  zum  Patriarchen  der  Kirche  ordiniert.  Er  starb  in 
voller  Gemeinschaft  mit  der  Kirche  in  Nauvoo,  Dl.,  am  14.  September  1840. 

Hyrum  Smith,  Joseph  Smiths  sen.,  zweiter  Sohn,  geboren  am  9. 
Februar  1800  zu  Tunbridge,  Vermont,  wurde  im  Juni  1829  getauft,  am  7. 
November  1837  in  die  Erste  Präsidentschaft  der  Kirche  gewählt,  am  19. 
Januar  1841  zum  Patriarchen  der  Kirche  berufen,  und  erlitt  mit  seinem 
Bruder,  dem  Propheten,  am  27.  Juni  1844  zu  Carthage,  111.,  den  Märlyrer- 
tod. 

Samuel  Harrison  Smith,  wurde  am  13.  März  1808  als  Joseph  Smiths 
sen.,  vierter  Sohn  zu  Tunbridge,  Vermt.  geboren,  am  15.  Mai  1829  getauft; 
er  starb  am  30.  Juli  1844. 

5.  Die  Übereinstimmung  des  Buches  Mormon  mit  andern  entspre- 
chenden Wahrheiten.  —  „Wenn  man  den  geschichtlichen  Teil  des  Buches 
mit  dem  wenigen,  was  aus  andern  Quellen  über  die  Geschichte  des  alten 
Amerika  bekannt  wurde,  vergleicht,  wird  man  viele  Beweise  für  die  Wahr- 
heit des  Buches  Mormon  finden.  Dagegen  wird  man  unter  all  den  Über- 
resten des  Altertums  nicht  eine  Tatsache  entdecken,  die  den  geschichtlichen 
Wahrheiten  des  Buches  Mormon  entgegensteht.  Wird  der  prophetische 
Teil  dieses  wunderbaren  Buches  mit  den  prophetischen  Angaben  der  Bibel 
verglichen,  so  wird  man  darin  \iple  Beweise  für  die  Wahrheit  des  Buches 
Mormon  finden.  Obschon  das  Buch  Mormon  viele  Prophezeiungen  über 
die  Ereignisse  der  letzten  Tage  enthält,  über  die  uns  die  Bibel  nichts  wissen 
läßt,  so  findet  sich  doch  in  der  Bibel  nichts,  das  dem  Buch  Mormon  auch 
mu-  im  geringsten  widerspricht.  Vergleicht  man  den  lehrhaften  Teil  des 
Buches  Mormon  mit  den  Lehren  der  Bibel,  so  wird  sich  dieselbe  vollkommene 
Übereinstimmung  wie  bei  den  prophetischen  Teilen  der  beiden  Bücher  her- 
ausstellen. Obschon  viele  Punkte  der  Lehre  Christi  im  Buch  Mormon  weit 
klarer  und  bestimmter  behandelt  werden  als  in  der  Bibel,  und  obschon  jenes 
Buch  viele  geoffenbarte  Dinge  enthält  inbezug  auf  die  verschiedenen  Lehren, 
die  wir  aus  der  Bibel  nie  hätten  voll  und  ganz  erfahren  können,  so  ist  doch 
in  den  beiden  heiligen  Büchern  nicht  der  kleinste  Bruchteil  einer  Lehre 
enthalten,  der  sich  widersprechen,  oder  der  nicht  mit  den  andern  über- 
einstimmen würde.  Werden  die  verschiedenen  Bücher,  die  zusammenge- 
stellt das  Buch  Mormon  ausmachen,  sorgfältig  mit  einander  verglichen, 

22 


338  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIV. 

so  wird  weder  in  Geschichte  noch  in  Prophezeiung  noch  in  Lehre  irgend 
ein  Widerspruch  gefunden  werden  Icönnen.  Vergleichen  wir  die  geschicht- 
lichen, prophetischen  und  lehrhaften  Teile  des  Buches  Mormon  mit  den 
großen  Wahrheiten  aus  Wissenschaft  und  Natur,  so  \sird  sich  auch  hier 
kein  Widerspruch,  keine  Torheit  und  nichts  Unvernünftiges  finden.  Es 
besteht  somit  zwischen  den  im  Buch  Mormon  geoffenbarten  großen  Wahr- 
heiten und  allen  andern  bekannten  Wahrheiten,  seien  sie  nun  religiös,  ge- 
schichtlich oder  %\issenschaftlich,  die  vollkommenste  Ubercinstimmmig." 
Apostel  Orson  Pratt  in  „Der  göttliche  Ursprung  des  Buches  Mormon". 
Seite  56.  — 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  339 


Vorlesung  XV. 
Das  Buch  Mormon  (Fortsetzung). 

Artikel  8.  —  •  *  *    Wir  glauben  auch  an  das  Buch  Mormon  als  das 
Wort  Gottes. 

Die  Echtheit  des  Buches  Mormon. 

1.  Seine  göttliche  Herkunft  bildet  den  wichtigsten 
Teil  unserer  Betrachtung  über  das  Buch  Mormon.  Dieses 
Thema  ist  für  jeden  ernsthaften  Sucher  nach  den  Wegen 
Gottes,  für  jeden  aufrichtigen  Wahrheitssucher  von  le- 
bendigem Interesse.  Als  ein  Buch,  das  behauptet  eine 
neue  Heilige  Schrift  zu  sein  —  soweit  die  gegenwärtige 
Dispensation  in  Betracht  kommt  — ,  ein  Buch,  das  Pro- 
phezeiungen und  Offenbarungen  enthalten  will,  die  bisher 
in  der  Theologie  nicht  anerkannt  waren,  ein  Buch,  das  der 
Welt  von  einem  vergangenen  Volke  eine  Botschaft  bringt, 
geschrieben  auf  göttlichen  Befehl  und  durch  den  Geist  der 
Prophezeiung  und  Offenbarung,  als  solches  ist  das  Buch 
Mormon  berechtigt,  gründlichste  und  unparteiischste  Prü- 
fung zu  erwarten.  Mehr  als  das:  nicht  allein  verdient  das 
Buch  Mormon  eine  derartige  Beachtung,  sondern  es  be- 
ansprucht und  fordert  dieselbe;  denn  sicherlich  kann  nie- 
mand, der  vorgibt  auch  nur  den  gewöhnlichsten  Glauben 
an  die  Macht  und  Autorität  Gottes  zu  haben,  mit  Gleich- 
gültigkeit die  Verkündung  einer  neuen  Offenbarung  ent- 
gegennehmen, die  das  Siegel  der  göttlichen  Autorität  auf- 
weist. Die  Frage  der  göttlichen  Herkunft  des  Buches 
Mormon  ist  deshalb  eine  Frage,  die  die  ganze  Welt  angeht. 


340  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XV. 

2.  Die  Heiligen  der  letzten  Tage  gründen  ihren  Glau- 
ben an  die  Echtheit  und  Glaubwürdigkeit  des  Buches  auf 
folgende  Beweise: 
I.  Die  allgemeine  Übereinstimmung  des  Buches  Mormon 

mit  der  Bibel. 
II,  Die  Erfüllungen  alter  Prophezeiungen,  die  durch  das 

Hervorkommen    des    Buches    Mormon    verwirklicht 

worden  sind. 
III.  Die    strenge    Einheitlichkeit    und    Übereinstimmung 

des  Buches  Mormon  mit  sich  selbst. 

IV.  Die  offenkundige  Wahrheit  der  darin  enthaltenen 
Prophezeiungen . 

Diesen   Beweisen   können   noch  gewisse   von   außen 
kommende  angefügt  werden,  als  da  sind: 

V.  Die  starken  bestätigenden  Beweise,  welche  die  neu- 
zeitlichen Entdeckungen  auf  dem  Gebiete  der  Alter- 
tumsforschung und   Völkerkunde  geliefert  haben. 


I.  Das  Buch  Mormon  und  die  Bibel. 

3.  Die  nephitischen  und  jüdischen  Schriften  stimmen 
in  allen  Punkten  der  Überlieferung,  der  Geschichte,  der 
Lehre  und  der  Prophezeiung,  welche  die  beiden  Berichte 
gemeinsam  behandeln,  überein.  Diese  beiden  Bände  von 
Heiligen  Schriften  wurden  auf  zwei  entgegengesetzten 
Erdhälften  unter  Bedingungen  und  Verhältnissen  erstellt, 
die  sehr  verschieden  waren;  und  doch  besteht  zwischen 
beiden  eine  überraschende  Harmonie,  wodurch  die 
göttliche  Inspiration  in  beiden  Werken  bestätigt  wird. 
Das  Buch  Mormon  enthält  eine  Anzahl  Anführungen 
aus  den  jüdischen  Schriften  —  wovon  eine  Abschrift 
als  ein  Teil  des  auf  die  Platten  Labans  eingravierten 
Berichtes,  soweit  als  er  fertiggestellt  war  zur  Zeit  des  Aus- 
zuges Lehis  aus   Jerusalem,  nach  dem  westlichen  Erd- 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  341 

teil  hinübergenommen  wurde.  In  solchen  Fällen  besteht 
kein  wesentlicher  Unterschied  zwischen  dem  Wortlaut 
der  Bibel  und  dem  des  Buches  Mormon  ausgenommen  da, 
wo  die  Wahrscheinlichkeit  eines  Irrtums  in  der  Übersetzung 
vorliegt,  was  gewöhnlich  aus  den  Widersprüchen  und  dem 
Mangel  an  Klarheit  des  biblischen  Textes  hervorgeht. 
Es  gibt  indessen  zahlreiche  kleinere  Verschiedenheiten 
in  den  entsprechenden  Teilen  der  beiden  Bände,  und  in 
solchen  Fällen  ergibt  eine  Prüfung  meist  eine  überlegene 
Klarheit  und  Deutlichkeit  der  nephitischen  Schrift. 

4.  Bei  einer  sorgfältigen  Vergleichung  von  Prophe- 
zeiungen der  Bibel  mit  entsprechenden  des  Buches  Mormon, 
wie  z.  B.  über  die  Geburt,  das  irdische  Wirken,  den 
Kreuzestod  und  das  zweite  Kommen  Christi,  oder  solche, 
die  sich  auf  die  Zerstreuung  und  die  darauffolgende  Samm- 
lung Israels,  oder  auf  die  Gründung  Zions  und  die  Wieder- 
erbauung Jerusalems  in  den  letzten  Tagen  beziehen,  wird 
man  feststellen  können,  daß  der  eine  Bericht  den  andern 
bestätigt.  Gewiß,  es  ist  wahr:  in  dem  einen  Buch  finden 
sich  viele  Prophezeiungen,  die  in  den  andern  nicht  enthalten 
sind,  aber  in  keinem  Falle  ließe  sich  zwischen  beiden  ein 
Widerspruch  oder  eine  Unvereinbarkeit  feststellen.  Die 
gleiche  Übereinstimmung  ist  zwischen  den  lehrhaften 
Teilen  der  beiden  Schriftbände  beobachtet  worden. 

5.  Über  die  Übereinstimmung  des  Buches  Mormon 
mit  der  Bibel  und  über  andere  Vergleichsmaßstäbe  hat  der 
Apostel  Orson  Pratt  folgende  kräftige  und  wahre  Worte 
geschrieben:  „Wenn  die  Wunder  des  einen  Buches  mit 
denen  des  andern  verglichen  werden,  so  kann  an  den  Wun- 
dern, die  das  Buch  Mormon  berichtet,  nichts  gefunden  wer- 
den, was  schwerer  zu  glauben  wäre,  als  das,  was  die  Bibel 
über  Wunder  berichtet.  Vergleichen  wir  die  prophetischen, 
die  geschichtlichen  und  die  lehrhaften  Teile  des  Buches 
Mormon  mit  den  Wahrheiten  aus  der  Natur  und  der  Wis- 


342  Die  Glaubensartikel.  IVorl.  XV. 

senschaft,  so  finden  wir  keine  Widersprüche,  keine  Sinn- 
losigkeiten und  nichts  Unvernünftiges.  Die  vollständigste 
Harmonie  besteht  deshalb  zwischen  den  im  Buch  Mor- 
mon geoffenbarten  großen  Wahrheiten  und  allen  andern 
bekannten  Wahrheiten  seien  sie  nun  religiös,  geschichtlich 
oder  wissenschaftlich. "1) 


IL  Alte  Prophezeiungen  über  das 
Buch   Mormon. 

6.  Durch  das  Hervorkommen  des  Buches  Mormon 
sind  alte  Prophezeiungen  buchstäblich  erfüllt  worden. 
Einer  der  frühesten  prophetischen  Aussprüche,  die  sich 
unmittelbar  auf  dieses  Thema  beziehen,  ist  der  des  vor- 
sintflutlichen Propheten  Henoch,  dem  der  Herr  seine 
Pläne  für  alle  kommenden  Zeiten  offenbarte.  Als  Henoch 
im  Verlaufe  seines  Gesichts  die  nach  der  Himmelfahrt 
Christi  einsetzende  Verderbtheit  der  Menschen  mitansehen 
mußte,  schrie  er  zu  Gott:  ,, Wirst  du  nicht  wieder  auf  die 
Erde  kommen?"  Und  der  Herr  sagte  zu  Henoch:  „So 
wahr  ich  lebe,  werde  ich  in  den  letzten  Tagen  kommen.*** 
Und  der  Tag  soll  kommen,  daß  die  Erde  ruhen  soll,  aber  vor 
jenem  Tage  sollen  die  Himmel  verfinstert  werden,  und  ein 
Schleier  der  Finsternis  soll  die  Erde  bedecken;  und  die 
Himmel  sollen  beben,  und  auch  die  Erde;  und  große  Trüb- 
sale sollen  unter  den  Menschenkindern  sein;  aber  mein 
Volk  werde  ich  erhalten.  Und  Gerechtigkeit  will  ich  herab- 
senden aus  dem  Himmel,  und  Wahrheit  will  ich  aus  der 
Erde  hervorsenden,  um  von  meinem  Eingeborenen  Zeugnis 
zu  geben.***  Gerechtigkeit  und  Wahrheit  will  ich  die  Erde 
überschwemmen  lassen  wie  eine  Flut,  um  meine  Auserwähl- 


^)  „Divine  Authenticity  of  the  Book  of  Mormon". 
Orson  Pratts  Werke,  S.  236  (Utah-Ausg.  1891). 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  343 

ten  von  den  vier  Teilen  der  Erde  zu  sammeln,  an  einen 
Ort,  den  ich  bereiten  werde.^) 

Die  Heiligen  der  letzten  Tage  betrachten  das  Hervor- 
kommen des  Buches  Mormon  zusammen  mit  der  Wieder- 
herstellung des  Priestertums  durch  das  unmittelbare  Mit- 
wirken himmlischer  Boten  als  eine  Erfüllung  dieser  und 
ähnlicher  Prophezeiungen,  die  in  der  Bibel  enthalten  sind. 

7.  Biblisehe  Prophezeiungen  und  ihre  Erfüllung.  David, 
der  seine  Psalmen  über  tausend  Jahre  vor  der  „Mitte  der 
Zeiten"  sang,  bezeugt,  ,,daß  Treue  aus  der  Erde  wachse 
und  Gerechtigkeit  vom  Himmel  schaue. "2)  Gleiches  wird 
von  Jesaja^)  gesagt,  Hesekiel*)  sah  in  einem  Gesicht  das 
Zusammenkommen  des  Holzes  Juda  und  des  Holzes  Joseph, 
womit,  wie  die  Heiligen  der  letzten  Tage  betonen,  die  Bibel 
und  das  Buch  Mormon  gemeint  sind.  Diese  eben  erwähnte 
Stelle  lautet  in  den  Worten  Hesekiels  wie  folgt:  „Und  des 
Herrn  Wort  geschah  zu  mir  und  sprach:  Du  Menschen- 
kind, nimm  dir  ein  Holz  und  schreibe  darauf:  Des  Juda 
und  der  Kinder  Israel,  seine  Zugetanen.  Und  nimm  noch 
ein  Holz  und  schreibe  darauf:  Des  Joseph,  nämlich  das 
Holz  Ephraims,  und  des  "ganzen  Hauses  Israel,  seiner  Zu- 
getanen. Und  tue  eines  zum  andern  zusammen,  daß  es 
ein  Holz  werde  in  deiner  Hand." 

8.  Wenn  wir  uns  erinnern,  wie  in  alten  Zeiten  Bücher 
angefertigt  wurden,  indem  man  auf  lange  Pergament- 
streifen schrieb  und  sie  auf  einen  Stab  oder  ein  Holz  auf- 
wickelte, so  wird  der  Gebrauch  des  Wortes  ,,Holz"  für 
„Buch"  sofort  einleuchten. 5)  Zur  Zeit  dieser  Prophezeiung 
waren  die  Israeliten  in  zwei  Völker  geteilt,  von  denen  das 


0  Köstliche  Perle,  Moses  7:59—62. 
»)  Psalm  85:11—12. 
')  Jesaja  45:8. 

')  Hesekiel  37,  besonders  die  Verse  15 — 20. 
')  Siehe  auch  den  entsprechenden  Gebrauch  des  Wortes 
Jeremia,  Kapitel  36. 


344  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XV. 

eine  als  das  Volk  Juda,  das  andere  als  das  Volk  Israel 
oder  Ephraim  bekannt  war.  Darüber,  daß  hier  auf  die 
Urkunden  Judas  und  Josephs  Bezug  genommen  wird,  kann 
nur  ein  geringer  Zweifel  bestehen.^)  Die  nephitische  Na- 
tion umfaßte  nun,  wie  wir  gesehen  haben,  die  Nachkom- 
men Lehis  vom  Stamm  Manasse,  sodann  diejenigen  Ish- 
maels,  eines  Ephraimiten  und  endlich  diejenigen  Zorams, 
dessen  Abstammung  nicht  näher  bezeichnet  wird.  Die 
Nephiten  waren  also  Nachkommen  vom  Stamme  Josephs 
und  ihre  Urkunden,  oder  ihr  ,,Holz",  sind  durch  das  Buch 
Mormon  ebenso  wahrhaftig  dargestellt,  wie  das  „Holz 
Juda"  durch  die  Bibel. 

9.  Daß  das  Hervorkommen  des  Buches  Mormon  un- 
mittelbar durch  die  Macht  Gottes  bewirkt  werden  sollte, 
geht  aus  der  Erklärung  hervor,  welche  der  Herr  über  das 
Gesicht  Hesekiels  gibt.  Er  sagt  darin :  „Siehe,  ich  will  das 
Holz  Josephs  nehm.en,  ***  und  will  sie  zu  dem  Holz  Judas 
tun". 2)  Aus  der  Vorhersagung  eines  Ereignisses,  das  un- 
mittelbar darauf  folgen  sollte,  nämlich  der  Sammlung  der 
israelitischen  Stämme  aus  den  Völkern,  unter  die  sie  zer- 
streut worden  waren, 3)  ist  sodann  klar  ersichtlich,  daß 
diese  Vereinigung  der  beiden  urkundlichen  Berichte  ein 
Merkmal  der  letzten  Tage  sein  sollte.  Ein  Vergleich 
mit  andern  Prophezeiungen  über  die  Sammlung  Israels 
wird  zweifelsfrei  ergeben,  daß  dieses  große  Ereignis  in  den 
letzten  Tagen  als  eine  Vorbereitung  auf  das  zweite  Kommen 
Christi  stattfinden  muß.^) 

10.  Wenden  wir  uns  nun  wieder  den  Schriften  Jesajas 
zu,  so  finden  wir,  daß  der  Prophet  die  Drohungen  des 


1)  Vergl.  Lehis  Prophezeiung  seinem  Sohne  Joseph  gegenüber,  2. 
Nephi  3:12. 

')  Heseliiel  37:19. 

')  Vers  21. 

*)  Siehe  Vorlesung  XVIII  „Die  Sammlung  Israels"  in  Verbindung  mit 
Artikel  10. 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  345 

Herrn  gegen  Ariel,  oder  Jerusalem,  „die  Stadt  des  Lagers 
David"  verkündigt.  Ariel  sollte  geängstigt,  traurig  und 
voll  Jammer  werden.  Der  Prophet  bezieht  sich  aber  dann 
auf  ein  Volk,  das  von  den  Juden,  die  Jerusalem  bewohnten, 
verschieden  ist,  denn  er  stellt  mit  diesem  einen  Vergleich 
an,  indem  er  sagt:  „Und  es  soll  dir  ergehen  wie  Ariel." 
Über  das  Schicksal,  das  diesem  andern  Volk  bestimmt  war, 
lesen  wir:  „Alsdann  sollst  du  erniedrigt  werden  und  aus 
der  Erde  reden  und  aus  dem  Staube  mit  deiner  Rede  mur- 
meln, daß  deine  Stimme  sei  wie  eines  Zauberers  aus  der 
Erde  und  deine  Rede  aus  dem  Staube  wisple."^) 

11.  Über  die  Erfüllung  dieser  und  der  damit  ver- 
bundenen Prophezeiungen  hat  ein  Apostel  dieser  Tage 
geschrieben:  „Diese  Vorhersagung  Jesajas  konnte  sich 
nicht  auf  Ariel,  d.h.  Jerusalem,  beziehen,  denn  ihre  Worte 
sind  nicht  „aus  dem  Staube"  oder  aus  „der  Erde"  gekom- 
men, sondern  sie  bezieht  sich  auf  die  Überbleibsel  Josephs, 
die  in  Amerika  vor  mehr  als  1400  Jahren  vernichtet  wur- 
den. Das  Buch  Mormon  beschreibt  ihren  Untergang  und 
er  war  in  der  Tat  groß  und  schrecklich.  Bei  der  Kreuzigung 
Christi  wurde  „die  Menge  der  Tyrannen"  wie  Jesaja  prophe- 
zeite, „wie  wehende  Spreu",  und  es  geschah  dies,  wie  er 
weiter  vorhersagte,  „plötzlich  und  unversehens".  Dieses 
Überbleibsel  Josephs  wurde  in  seinem  Jammer  und  seiner 
Zerstörung  wie  Ariel.  Wie  die  römische  Armee  Ariel  be- 
lagerte und  Not  und  Verzweiflung  über  sie  brachte,  so 
brachten  die  sich  bekämpfenden  Völker  des  alten  Amerika 
die  schrecklichste  Zerstörung  über  einander.  Deshalb 
konnte  der  Herr,   als  er    von    diesem   Ereignis   sprach. 


0  Jesaja  29:4;  lies  Vers  1 — 6. 


346  Die   Glaubensartikel.  [Vorl.  XV. 

mit   der  größten  Berechtigung   erklären:    „Er   soll   mir 
sein  wie  Ariel" .1) 

12.  Jesajas  genaue  Vorhersagung,  daß  das  so  ernied- 
rigte Volk  „aus  der  Erde  reden"  und  seine  Sprache  „aus 
dem  Staube  murmeln"  sollte,  wurde  buchstäblich  erfüllt 
in  der  Art  und  Weise,  wie  das  Buch  Mormon  hervorgekom- 
men ist.  Dessen  Originale  wurden  aus  der  Erde  genommen 
und  die  Stimme  der  urkundlichen  Berichte  ist  gleich  jener, 
die  aus  dem  Staube  spricht.  Als  Fortsetzung  derselben 
Prophezeiung  lesen  wir:  „Daß  euch  aller  Propheten 
Gesichte  sein  werden  wie  die  Worte  eines  versiegelten 
Buches,  welches  man  gäbe  einem,  der  lesen  kann,  und  sprä- 
che :  Lies  doch  das !  Und  er  spräche :  Ich  kann  nicht,  denn 
es  ist  versiegelt;  —  oder  gleich  als  wenn  mans  gäbe  dem, 
der  nicht  lesen  kann,  und  spräche:  ,,nun  lies  doch  dasl 
und  er  spräche:  Ich  kann  nicht  lesen". 2)  Wir  behaupten, 
daß  diese  Prophezeiung  ihre  Erfüllung  gefunden  hat,  als 
die  von  den  Platten  genommene  Abschrift  —  die  „Worte 
des  Buches",  nicht  das  Buch  selbst  —  dem  gelehrten 
Professor  Anthon  vorgelegt  wurde,  dessen  Antwort  sich 
beinahe  wörtlich  mit  dem  prophetischen  Wortlaut  deckt^) 
und  ferner  dadurch,  daß  das  Buch  selbst  dem  ungelehrten 
Jüngling  Joseph  Smith  übergeben  wurde. 

III.  Übereinstimmung  von  Stil  und  Stoff 
im  Buche  Mormon. 

13.  Die  Zusammensetzung  und  die  innere  Überein- 
stimmung des  Buches  Mormon  unterstützen  den  Glauben 
an  seine  göttliche  Herkunft.    Die  einzelnen  Teile  weisen 

')  Orson  Pratt,  „Divine  Authenticity  of  the  Book  of  Mormon", 
S.  293/94,  Utah-Ausg.  1891. 

Für  Einzelheiten  über  die  Erfüllung  eines  Teiles  der  Prophezeiung 
wird  auf  3.  Nephi,  Kapitel  8 — 9  verwiesen. 

=)  Jesaja  29:11—12. 

')  Siehe  Seite  329. 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  347 

das  Merkmal  auf,  daß  sie  zu  verschiedenen  Zeiten  und  unter 
außerordentlich  verschiedenartigen  Umständen  geschrie- 
ben wurden.  Die  Schreibweise  in  den  Bestandteilen  des 
Buches  stimmt  überein  mit  den  Zeiten  und  Umständen 
ihrer  Entstehung  und  Abfassung.  Die  Teile,  die  von  den 
Platten  übersetzt  wurden,  welche  Mormons  Abkürzung 
darstellen,  enthalten  zahlreiche  Einschaltungen,  Erklä- 
rungen und  Erläuterungen  dieses  Verfassers.  In  den  sechs 
Büchern  jedoch,  die,  wie  schon  besprochen  wurde,  den 
wörtlichen  Bericht  von  den  kleinen  Platten  Nephis  aus- 
machen, sind  keine  solche  Einschaltungen  enthalten. 
Das  Buch  stimmt  in  allen  Teilen  genau  mit  sich  selbst 
überein.  Keine  Widersprüche,  keine  Unvereinbarkeiten 
haben  sich  feststellen  lassen. 

14.  Eine  bemerkenswerte  Verschiedenheit  der  Sehreib- 
weise kennzeichnet  die  verschiedenen  Teile.  )  Was  über 
die  verschiedenen  Arten  von  Platten,  die  die  eigenthchen 
Urkunden  des  Buches  Mormon  bilden,  gesagt  w^urde, 
zeigt,  daß  das  Buch  die  zusammengestellten  Schriften 
einer  langen  Reihe  von  inspirierten  Schreibern  darstellt, 
die  sich  über  einen  Zeitraum  von  tausend  Jahren  erstrecken 
—  die  frühere  Zeit  des  Volkes  Jared  nicht  mitgerechnet. 
Einheitlichkeit  der  Schreibweise  kann  unter  solchen  Um- 
ständen nicht  erwartet  werden;  ja,  es  wäre  für  das  Buch 
geradezu  fatal  gewesen,  wenn  sie  sich  hätte  feststellen 
lassen. 

IV.  Das  Buch  Mormon  wird  durch  die 
Erfüllung    der    darin    enthaltenen   Prophe- 
zeiungen bestätigt. 

15.  Das  Buch  Mormon  enthält  zahlreiche  und  bedeu- 
tungsvolle Prophezeiungen.  Zu  den  entscheidensten  Be- 
weisen für  die  Göttlichkeit  des  Buches  gehören  die,  welche 


')  Siehe  Anmerkung  1. 


348  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XV. 

uns  die  offenkundige  Wahrheit  seiner  Prophezeiungen 
liefert.  Prophezeiungen  lassen  sich  am  besten  im  Lichte 
ihrer  eigenen  Erfüllung  prüfen.  Die  im  Buche  Mormon 
enthaltenen  Vorhersagungen    können    eingeteilt  werden: 

1.  in  Prophezeiungen  für  die  Zeit,  über  welche  sich 
das  Buch  selbst  erstreckt,  deren  Erfüllung  im  Buche  be- 
richtet wird,  und 

2.  in  solche,  die  über  diese  Zeit  hinausgehen. 

16.  Prophezeiungen  der  erstgenannten  Art,  d.  h.  solche, 
deren  Erfüllung  noch  im  Buche  Mormon  selbst  berichtet 
wird,  sind  als  Beweismittel  für  die  Göttlichkeit  des  Werkes 
von  geringem  Wert,  denn  wäre  das  Buch  nach  einem  ab- 
gekarteten menschlichen  Plane  geschrieben  worden,  so 
hätte  sowohl  Vorhersagung  wie  Erfüllung  mit  gleicher 
Sorgfalt  und  gleichem  Scharfsinn  vorgesehen  werden 
können.  Dennoch  wird  dem  forschenden  und  gewissen- 
haften Leser  die  Echtheit  des  Buches  offenkundig 
sein.  Auch  müssen  die  Berichte  von  der  buchstäb- 
lichen Erfüllung  der  zahlreichen  und  verschiedenartigen 
Prophezeiungen  über  das  damals  noch  zukünftige  Schick- 
sal des  Volkes,  die  Einzelheiten  der  Geburt  und  des  Todes 
Christi  und  seiner  Erscheinung  in  auferstandenem  Zu- 
stande vermöge  ihrer  Genauigkeit  und  Übereinstimmung 
mächtig  für  die  Inspiration  und  Göttlichkeit  der  Urkunden 
sprechen, 

17.  Prophezeiungen  anderer  Art,  nämlich  solche,  die 
sich  auf  eine  Zeit  beziehen,  die  für  den  Schreiber  noch 
in  der  fernsten  Zukunft  lag,  finden  sich  viele  und  ausführ- 
liche. Manche  von  ihnen  haben  besondern  Bezug  auf  die 
letzten  Tage,  —  die  Dispensation  der  Fülle  der  Zeiten  — 
und  von  diesen  sind  schon  mehrere  buchstäblich  in  Erfül- 
lung gegangen,  andere  sind  in  der  Verwirklichung  begriffen, 
während  wieder  andere  ihre  Erfüllung  erwarten  unter 
Umständen  und  Zuständen,  denen  wir  uns  mit  raschen 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  349 

Schritten  nähern.  Zu  den  bemerkenswertesten  Vorhersa- 
gungen des  Buches  Mormon,  hinsichtlich  der  letzten  Dis- 
pensation, gehören  jene,  die  sein  eigenes  Hervorkommen 
und  die  Wirkung  seiner  Veröffentlichung  auf  die  Mensch- 
heit betreffen.  Die  biblische  Prophezeiung  Hesekiels 
von  dem  Zusammenlegen  der  „Hölzer"  oder  Urkunden 
Judas  und  Ephraims  hat  bereits  Erwähnung  gefunden. 
Betrachten  wir  nun  jene  Verheißung,  die  dem  nach  Ägypten 
verkauften  Joseph  zuteil  wurde,  wie  sie  von  Lehi  seinem 
Sohne  Joseph  gegenüber  wiederholt  wurde,  —  eine  Weis- 
sagung, welche  die  Prophezeiung  über  das  Buch  mit  der- 
jenigen des  Sehers  verknüpft,  durch  dessen  Vermittlung 
das  Wunder  zustande  gebracht  werden  soll:  ,,Aber  einen 
Seher  will  ich  aus  der  Frucht  deiner  Lenden  erwecken ;  und 
ihm  werde  ich  Macht  geben,  mein  Wort  auf  die  Nach- 
kommen deiner  Lenden  zu  bringen ;  nicht  bloß  um  mein 
Wort  unter  sie  zu  bringen,  sagt  der  Herr,  sondern  die 
Macht,  sie  von  der  Wahrheit  meines  Wortes,  welches 
schon  unter  ihnen  sein  wird,  zu  überzeugen.  Daher 
werden  deine  Nachkommen  und  auch  die  Nachkommen 
Judas  schreiben,  und  was  von  deinen  Nachkommen 
und  von  den  Nachkommen  Judas  geschrieben  ist,  soll 
zusammen  wachsen,  um  die  falschen  Lehren  zuschanden 
zu  machen,  um  Streitigkeiten  zu  beseitigen,  um  den 
Frieden  unter  deiner  Nachkommenschaft  zu  gründen 
und  sie  in  den  letzten  Tagen  zur  Erkenntnis  ihrer 
Väter  und  meiner  Bündnisse  zu  führen,  spricht  der  Herr. 
Und  aus  Schwachheit  soll  er  stark  gemacht  werden  an  dem 
Tage,  wo  mein  Werk  unter  meinem  ganzen  Volke  beginnen 
wird,  um  dich,  o  Haus  Israel,  wieder  herzustellen,  spricht 
der  Herr."i) 

Wie  diese  prophetischen  Äußerungen  durch  das  Her- 


»)  2.  Nephi  3:11—13. 


350  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XV. 

vorkommen   des   Buches   Mormon   durch    Joseph    Smith 
buchstäblich  in  Erfüllung  gegangen  sind,  liegt  klar  zu  Tage. 

18.  Dem  Propheten  Nephi  zeigte  der  Herr  die  Wirkung 
der  neuen  Veröffentlichung  und  erklärte,  daß  in  den  Tagen 
der  Sammlung  Israels,  —  also  offenbar  in  den  Tagen  der 
Fülle  der  Zeiten,  wie  uns  die  jüdischen  Schriften  bezeugen 
—  die  Worte  der  Nephiten  der  Welt  gegeben  werden  sollten 
und  „fortzischen  werden  bis  an  die  Enden  der  Erde,  als 
ein  Panier"  für  das  Haus  Israel;  daß  dann  die  Heiden, 
ihre  Verpflichtung  gegenüber  den  Juden,  von  denen  sie 
doch  die  Bibel  erhielten  —  die  Bibel,  an  die  sie  großen 
Glauben  zu  haben  vorgaben  —  vergessend,  diesen  Teil 
des  Bundesvolkes  schmähen  und  verfolgen  und  die  neue 
heilige  Schrift  verwerfen  werden  mit  den  Worten:  ,,Eine 
Bibel,  eine  Bibel,  wir  haben  6ine  Bibel  und  es  kann  keine 
andere  Bibel  mehr  geben. "i)  Ist  das  nicht  der  Kern  der 
sinnlosen  Einwendungen,  die  die  ungläubige  Welt  gegen 
das  Buch  Mormon  vorbringt,  daß  nämlich  das  Buch  null 
und  nichtig  sein  müsse,  weil  neue  Offenbarungen  nicht 
mehr  erwartet  werden  dürfen? 

19.  In  alter  Zeit  waren  nun  zwei  Zeugen  erforderlich, 
um  die  Wahrheit  irgend  einer  Behauptung  zu  begründen 
und  darum  sagt  der  Herr  von  dem  zwiefachen  Bericht, 
welcher  von  ihm  zeugen  solle:  „Weshalb  murret  ihr,  weil 
ihr  mehr  von  meinem  Worte  erhalten  sollt?  Wisset  ihr 
nicht,  daß  das  Zeugnis  zweier  Völker  euch  ein  Beweis  ist, 
daß  ich  Gott  bin,  daß  ich  mich  eines  Volkes  sowohl  wie  des 
andern  erinnere  ?  Daher  rede  ich  dieselben  Worte,  zu  einer 
Nation  sowohl,  wie  zu  der  andern.  Und  wenn  die  zwei 
Nationen  zusammengehen  werden,  dann  wird  das  Zeugnis 
beider  Nationen  auch  zusammengehen. "2) 


>)  2.  Nephi  29 : 3 ;  lies  das  ganze  Kapitel. 
«)  Vers  8. 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  351 

20.  Mit  diesen  Weissagungen  von  dem  vereinten  Zeug- 
nis der  jüdischen  und  nephitischen  Schriften  ist  eine  andere 
Prophezeiung  verbunden,  deren  Erfüllung  von  den  Heiligen 
der  letzten  Tage  heute  mit  Sehnsucht  erwartet  wird: 
weitere  heilige  Schriften  werden  verheißen.  Beachten 
wir  das  folgende  Wort  Gottes:  „Daher,  weil  ihr  eine  Bibel 
habt,  braucht  ihr  nicht  zu  vermuten,  daß  sie  alle  meine 
Worte  enthalte,  noch  braucht  ihr  zu  glauben,  daß  ich  nicht 
noch  mehr  habe  schreiben  lassen,  ***  denn  sehet,  ich  werde 
zu  den  Juden  reden,  und  sie  werden  es  schreiben,  und  ich 
werde  auch  zu  den  Nephiten  sprechen,  und  sie  werden  es 
auch  schreiben ;  und  ich  werde  auch  zu  den  anderen  Stäm- 
men des  Hauses  Israel,  die  ich  hinweggeführt  habe,  reden, 
und  sie  werden  es  schreiben;  und  ich  werde  zu  allen  Völ- 
kern der  Erde  reden,  und  sie  werden  es  schreiben.  Und  es 
wird  geschehen,  daß  die  Juden  die  Worte  der  Nephiten 
haben;  und  die  Nephiten  werden  die  Worte  der  Juden 
haben;  und  die  Nephiten  und  die  Juden  werden  die  Worte 
der  verlorenen  Stämme  Israels  haben ;  und  die  verlorenen 
Stämme  Israels  werden  die  Worte  der  Nephiten  und  der 
Juden  haben. "^) 

V.  Bestätigende  Beweise  für  das  Buch 

Mormon,  die  durch  Entdeckungen  der  Neuzeit 

zutage  gefördert  wurden. 

21.  Die  Archäologie  und  Ethnologie  Amerikas  liefern 
uns  wertvolle  bestätigende  Beweise  zur  Unterstützung  der 
Angaben  des  Buches  Mormon.  Diese  Wissenschaften  sind 
zugegebenermaßen  außerstande,  den  Ursprung  der  einge- 
borenen amerikanischen  Menschenrassen  in  irgendwie  ent- 
scheidender Weise  zu  erklären.  Doch  haben  Forschungen 
auf  diesen  Gebieten  einige  Ergebnisse  gezeitigt,  die  ziem- 


1)  Verse  10,  12  und  13. 


352  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XV. 

lieh  ausschlaggebend  sind,  und  mit  den  wichtigsten  davon 
steht  der  Bericht  des  Buches  Mormon  im  allgemeinen  im 
Einklang.    Zu  den  hervorragendsten  Entdeckungen  hin- 
sichtlich Amerikas  gehören  die  folgenden: 
I.  Amerika  war  schon  in  sehr  alter  Zeit,  jedenfalls  bald 

nach  dem  Bau  des  Turmes  zu  Babel  bewohnt. 
II.  Dieser  Erdteil  wurde  von  verschiedenen,  aufeinander 

folgenden  Völkern,   und   zwar   von   wenigstens  zwei 

Klassen  oder  Rassen  in  weit  auseinander  liegenden 

Zeiträumen  bevölkert. 

III.  Die  Ureinwohner  Amerikas  kamen  aus  dem  Osten, 
wahrscheinlich  von  Asien  her ;  die  spätere  Rasse,  d.  h. 
diejenige  der  zweiten  Periode  sind,  wenn  nicht  selbst 
Israeliten,  doch  mit  diesen  nahe  verwandt  gewesen. 

IV.  Die  heute  noch  lebenden  eingeborenen  Rassen 
Amerikas  sind  alle  desselben  Ursprungs. 

22.  Aus  dem  bereits  gegebenen  Überblick  über  seinen 
geschichtlichen  Teil  geht  hervor,  daß  diese  Entdeckungen 
von  dem  Buche  Mormon  voll  und  ganz  bestätigt  werden. 
Es  wird  darin  gesagt: 

I.  Daß  Amerika  von  den  Jarediten  bevölkert  wurde, 
welche  geradeswegs  von  dem  Turmbau  zu  Babel  kamen. 

II.  Daß  die  Jarediten  das  Land  etwa  1850  Jahre  lang 
bewohnten  und  daß  sie  sich  während  dieser  Zeit  über  einen 
großen  Teil  Nord-  und  Südamerikas  ausdehnten;  daß 
ungefähr  zur  Zeit  ihrer  Ausrottung  (etwa  590  Jahre  vor 
Christi  Geburt)  Lehi  mit  seiner  Kolonie  nach  dem  west- 
lichen Erdteil  kam,  wo  sich  diese  zu  den  beiden  großen 
Völkern  der  Nephiten  und  Lamaniten  entwickelte,  von  de- 
nen das  Volk  Nephi  ums  Jahr  385  n.  Chr.  —  nahezu  1000 
Jahre  nach  Lehis  Ankunft  —  ausgerottet  wurde,  während 
das  Volk  Lamans  in  verwahrlostem  Zustande  fortbestand 
und  heutzutage  als  die  Indianerstämme  bekannt  ist. 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  353 

III.  Daß  Lehi,  Ishmael  und  Zoram,  die  Stammväter 
derNephiten  und  derLamaniten,  ganz  unzweifelhaft  Israe- 
liten waren,  Lehi  von  dem  Stamme  Manasse  und  Ishmael 
vom  Stamme  Ephraim,  und  daß  die  Kolonie  unmittelbar 
von  Jerusalem  —  von  Asien  —  her  kam. 

IV.  Daß  die  noch  lebenden  indianischen  Stämme 
sämtlich  unmittelbare  Nachkommen  Lehis  und  seiner 
Kolonie  sind,  und  daß  sie  deshalb  von  Männern  abstammen, 
die  alle  aus  dem  Hause  Israel  sind. 

Prüfen  wir  nun  die  Beweise  für  diese  Punkte,  die  uns 
die  Forscher  liefern  —  von  denen  die  meisten  nichts  vom 
Buche  Mormon  wußten  und  von  denen  kein  einziger 
dieses  Buch  als  echt  anerkannte. i) 

23.  I.  Über  die  sehr  weit  zurückliegende  Zeit,  in  wel- 
cher Amerika  bevölkert  wurde.  Eine  anerkannte  Autorität 
auf  dem  Gebiete  der  amerikanischen  Altertumsforschung 
gibt  folgende  Beweise  und  Schlußfolgerungen:  „Eine  der 
Künste,  die  den  Erbauern  des  Turmes  zu  Babel  bekannt 
waren,  ist  die  Verfertigung  von  Ziegelsteinen.  Diese  Kunst 
war  auch  dem  Volke  bekannt,  das  die  Bauwerke  hier  im 
Westen  errichtete.  Die  Kenntnis  des  Kupfers  war  dem 
Volke,  das  die  Ebene  von  Shinear  bewohnte,  eigen,  denn 
Noah  muß  sie  vermittelt  haben,  weil  er  noch  150  (350) 
Jahre  lang  nach  der  Sintflut  unter  ihnen  lebte.  Kupfer 
war  auch  den  vorsintflutlichen  Menschen  bekannt.  Ferner 
kannten  die  Ersteller  der  Bauwerke  auf  dem  westlichen 


')  Bemerkung:  Anerkennung.  Viele  der  hier  folgenden  Anführungen, 
wie  sie  in  Verbindung  mit  den,  das  Buch  Mormon  unterstützenden  außer- 
biblischen Beweisen  erwähnt  werden,  sind  von  Verfassern  aus  unserm 
Volke  gesammelt  worden,  so  besonders  vom  Ältesten  George  Reynolds 
(wir  verweisen  auf  seine  Vorlesungen,  die  da,  wo  aus  ihnen  Anführungen 
gebraucht  werden,  namentlich  aufgeführt  sind);  siehe  auch  eine  Reihe  von 
Aufsätzen  unter  der  Überschrift  „American  Antiquities"  im  „Millenial 
Star"  Liverpool,  Bd.  21,  von  Moses  Thatcher  (siehe  auch  eine  Folge  von 
Aufsätzen  über  „The  Di\ine  CTrigin  of  the  Book  of  Mormon  im  „Contributor", 
Salt  Lake  City)  und  vom  Ältesten  Edwin  F.  Parry  (1.  Traktat  „Ein  Prophet 
der  letzten  Tage"),   Liverpool   1898. 

23 


354  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XV. 

Erdteil  das  Kupfer.  Eisen  war  den  vorsintflutlichen  Men- 
schen bekannt.  Es  war  auch  den  Ureinwohnern  Amerikas 
bekannt.  Offenbar  hatten  sie  aber  nur  wenig  Eisen,  denn 
nur  an  sehr  wenigen  Stellen  ist  es  an  ihren  Gebäuden 
wahrgenommen  worden.  Gerade  hieraus  ziehen  wir  den 
Schluß,  daß  sie  kurz  nach  der  Zerstreuung  der  Völker 
in  dieses  Land  kamen. "i) 

24.  In  seiner  ,, Antwort  auf  die  amtliche  Anfrage  hin- 
sichtlich der  Ureinwohner  Amerikas"  zieht  Lowry  inbezug 
auf  die  Bevölkerung  des  westlichen  Erdteiles  den  Schluß, 
„daß  die  erste  Niederlassung  kurz  nach  der  Verwirrung 
der  Sprachen  beim  Turmbau  zu  Babel  erfolgt  sei. "2) 

25.  Professor  Watermann  zu  Boston  sagt  von  den 
Vorfahren  der  amerikanischen  Indianer:  ,,Wann  und  wo- 
her kamen  sie?  Albert  Galatin,  einer  der  gründlichsten 
Sprachforscher  unserer  Zeit  folgert,  daß,  soweit  die  Sprache 
einen  Schluß  zuläßt,  die  Einwanderung  nicht  lange  nach 
der  Zerstreuung  der  menschlichen  Familie  erfolgt  sein 
müsse. "3) 

26.  Pritchard  bemerkt  über  die  Ureinwohner 
Amerikas:  „Der  Anfang  ihrer  Existenz  als  eine  getrennte, 
abgesonderte  Rasse  muß  jedenfalls  in  jene  Zeit  zurück- 
verlegt werden,  in  der  sich  die  Bewohner  der  alten  Welt 
in  verschiedene  Völker  teilten,  und  jeder  Teil  der  mensch- 
lichen Familie  seine  Ursprache  und  -Eigenart  erhielt."*) 

27.  Ixtilxochitl,  ein  eingeborener  mexikanischer  Ver- 
fasser, ,, bestimmt  als  Zeitpunkt  der  ersten  Einwanderung 
in  Amerika  etwa  das  Jahr  2000  vor  Christi  Geburt;  dies 


')  Priest,  „American  Antiquities",  1834,   S.  219. 

=)  Schoolcraft's  „Ethmological  Researches"'  (Völkerkundliche  Unter- 
suchungen), Band  III  (1853). 

')  Auszug  aus  einem  Vortrag  von  Prof.  Watermann,  gehalten  in 
Bristol,  England,  1849,  angeführt  von  Edwin 'F.  Parry  in  seinem  Traktat 
„A  Prophet  of  Latter  Days"  (Liverpool  1898). 

*)  Pritchard  ,, National  History  of  Man"  (London,  1845). 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  355 

steht  durchaus  im  Einklang  mit  dem  im  Buch  Mormon 
angegebenen,  denn  in  diesem  wird  bestimmt  erklärt,  daß 
die  Einwanderung  zur  Zeit  der  Zerstreung  erfolgt  ist,  als 
Gott  in  seinem  Zorn  die  Menschen  über  die  ganze  Erde 
zerstreute. "1)  ,,Auf  die  Anführungen  Ixtilxochitls  hin- 
weisend, wird  gesagt,  daß  zwischen  der  Schöpfung  und  der 
Sintflut  ein  Zeitraum  von  1716  Jahren  liege.  Moses  setzt 
ihn  auf  1656  Jahre  fest;  es  besteht  also  ein  Unterschied 
von  nur  60  Jahren. 2)  Sie  stimmen  genau  überein  in  der 
Zahl  der  Ellen,  mit  welcher  angegeben  wird,  wie  hoch  das 
Wasser  die  höchsten  Berge  überflutete.  Eine  solche  Über- 
einstimmung kann  nur  zu  einer  Schlußfolgerung  führen: 
Die  beiden  Berichte  haben  denselben  Ursprung."^) 

28.  Professor  Short  führt  von  Clavigero  folgendes  an : 
,,Die  Chiapanesen  sind  die  ersten  Ansiedler  der  neuen 
Welt  gewesen  —  wenn  wir  ihren  Überlieferungen  Glauben 
schenken  dürfen.  Sie  sagen,  Votan,  der  Enkel  des  ehrwür- 
digen alten  Mannes,  der  die  große  Arche  baute,  um  sich 
und  seine  Familie  vor  der  großen  Flut  zu  retten,  sei  mit  ei- 
nepi  von  jenen,  die  es  unternahmen,  jenes  große  Bauwerk 
zu  errichten,  welches  in  den  Himmel  reichen  sollte,  auf 
den  ausdrücklichen  Befehl  des  Herrn,  dieses  Land  zu  be- 
völkern, hierher  gekommen.  Sie  sagen  ferner,  das  erste 
Volk  sei  von  Norden  her  gekommen  und  habe  sich  ge- 
trennt, als  es  bei  Soconusco  anlangte,  von  wo  einige  nach 
Nikaragua  gegangen,  währenddem  die  andern  in  Chiapas 
verblieben  seien. "^) 

29.  II.  Über  die  in  alter  Zeit  erfolgte  Besiedlung  Ame- 
rikas durch  verschiedene  Völker.    Hervorragende  Kenner 


')  Moses  Thatcher,  „Contributor",  Bd.  II,  S.227,  Salt  Lake  Cy.  1881. 

^)  Siehe  Anmerkung  2. 

")  Moses  Thatcher  „Contributor",  Bd.  IL,  S.  228. 

*)  John  T.  Short,  ,, North  Americans  of  Antiquity"  (Das  Nordamerika 
des  Altertums),  Seite  204,  (Harper  Bros.  New- York),  2.  Aufl.  1888,  siehe 
auch  „Contributor",  (Salt  Lake  City,  Bd.  II,  S.  259). 


356  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XV. 

amerikanischer  Altertümer  haben  erklärt,  zwei  ganz  be- 
stimmte Klassen  der  Menschheit  —  von  einigen  werden 
sie  als  besondere  Rassen  bezeichnet  —  hätten  in  früherer 
Zeit  den  westlichen  Erdteil  bevölkert.  Professor  F.  W. 
Putnam^)  geht  noch  weiter  und  behauptet,  die  eine  dieser 
alten  Rassen  habe  sich  von  Norden,  die  andere  von  Süden 
her  ausgebreitet.  Dieses  stimmt  wiederum  mit  dem  Buch 
Mormon  überein,  das  die  Besitzergreifung  des  amerikani- 
schen Landes  durch  die  Jarediten  und  später  durch  die 
Nephiten  schildert,  von  welchen  die  ersten  sich  zunächst 
in  Nordamerika,  die  letzten  dagegen  in  Südamerika  nieder- 
ließen. H.  C.  Walsh  erzählt  in  einem  Aufsatz  „Copan, 
a  city  of  the  dead"^)  überschrieben  viele  interessante 
Einzelheiten  von  den  Ausgrabungen  und  andern  Nach- 
forschungen, welche  Gordon  mit  Hilfe  der  Peabody-Ex- 
pedition  vorgenommen  hat  und  fügt  hinzu:  ,, Alles  dies 
weist  auf  aufeinanderfolgende  Perioden  der  Besiedlung 
hin,  für  die  übrigens  noch  andere  Beweise  vorliegen. "3) 
30.  III.  Über  die  Annahme,  daß  wenigstens  ein  Teil 
der  Ureinwohner  Amerikas  aus  dem  Osten,  jedenfalls  v^ 
Asien  her,  kam,  und  israelitischer  Herkunft  war.  Bestä- 
tigende Beweise  für  die  Annahme,  daß  die  Ureinwohner 
Amerikas  von  den  Völkern  der  östlichen  Halbkugel  ab- 
stammen, finden  sich  in  der  Übereinstimmung  oder  Ähn- 
lichkeit der  Berichte  und  Überlieferungen  beider  Welt- 
teile und  zwar  inbezug  auf  die  Schöpfung,  die  Sintflut, 
und  andere  große  Ereignisse  der  Menschheitsgeschichte. 
Boturini*),  der  von  den  meisten  Schreibern,  die  über  die 

0  Putnam  ,,Prehistorie  Remains  in  the  Ohio  Valley"  Centm-y  Ma- 
gazine, März  1890. 

')  Siehe  Harper's  Weekly  (New- York),  Oktober  1897,  Artikel  von 
Henry  C.  Walsh. 

')  Sielie  Anmerkung  3. 

*)  Chevalier  Boturini:  er  verwandte  mehrere  Jahre  auf  die  Erfor- 
schung der  Altertümer  Mexikos  und  Zentralamerikas  und  sammelte  viele 
wertvolle  Urkunden,  von  denen  ihm  allerdings  die  meisten  von  den  Spaniern 
geraubt  wurden ;  er  veröffentlichte  1746  ein  Werk  über  seine  Untersuchungen. 


Art,  8.]  Das  Buch  Mormon.  357 

amerikanischen  Altertümer  geschrieben  haben,  angeführt 
wird,  sagt:  ,,Es  gibt  kein  heidnisches  Volk,  das  mit  solcher 
Bestimmtheit  die  großen  Ereignisse  der  Urzeit  berichtet, 
wie  die  Indianer  es  tun.  Sie  geben  uns  einen  Bericht  von 
der  Erschaffung  der  Welt,  der  Sintflut,^)  der  Verwir- 
rung der  Sprachen  beim  Turmbau  zu  Babel,  und  von  allen 
andern  Geschehnissen  der  alten  Welt,  dazu  von  den  großen 
Wanderungen,  die  ihr  Volk  in  Asien  zurücklegte  und  be- 
zeichnen die  einzelnen  Jahre  derselben.  In  den  sieben 
Conejos  (Kaninchen)  erzählen  sie  uns  von  der  großen 
Finsternis,  die  beim  Tode  unseres  Herrn  Jesu  eintrat". 

31.  Ähnliche  Beweise  einer  gemeinsamen  Quelle 
der  Überlieferungen  des  Ostens  und  des  Westens  hinsicht- 
lich der  großen  Geschehnisse  der  Urzeit  liefern  uns  die 
Schriften  des  bereits  erwähnten  Prof.  Short,  ferner  die 
Werke  Baldwins,^)  Clavigeros,^)  Kingsboroughs,*)  Saha- 
guns,^)  Prescotts,^)  Schoolcrafts,')  Squires,^)  Adairs^) 
und  anderer. 1°) 

32.  Professor  Short  fügt  sein  Zeugnis  über  die  Beweise 
hinzu,  daß  die  Ureinwohner  Amerikas  ihren  Ursprung 
in  der  alten  Welt  haben,  gibt  aber  zu,  nicht  imstande  zu 
sein,  zu  entscheiden,  wann  und  woher  sie  nach  diesem  Erd- 
teil kamen. 11)  Der  bereits  angeführte  Prof.  Waterman 
sagt:  „Dieses  Volk  konnte  nicht  in  Afrika  erschaffen  wor- 
den sein,  denn  dessen  Bewohner  sind  denjenigen  Amerikas 

')  Siehe  Anmerkung  4. 

^)  Baldwin  „Ancient  America"  (Harper  Bros.,  New-York  1871). 
')  Clavigero,    angeführt    von    Prof.  Short    in    „North    Americans    of 
Antiquity". 

*)  Lord  Kingsborough,  „Mexican  Antiquities"  (1830 — 37). 

^)  Bernardo  de  Sahagun,    „Historia  Universal  de  Nueva  Espana." 

»)  W.  H.  Prescott,  „Conquest  of  Mexico"  (s.  S.  463 — 464). 

')  Schoolcraft,  „Ethnological  Researches"  (1851)  Bd.  I. 

*)  Squiers,  „Antiquities  of  the  State  of  New- York"  1851. 

•)  Adair.  „History  of  the  American  Indians",  London  1775. 
'»)  Siehe  Bancrafts,  „Native  Races"  etc.  Bd.  Ill  und  V;  Donnelly's 
„Atlantis"  p.  391  (1882). 

")  John  P.  Short,  North  Americans  of  Antiquity  (1888). 


358  Die  Glaubensarükel.  [Vorl.  XV. 

ganz  unähnlich,  auch  nicht  in  Europa,  wo  überhaupt 
kein  Urvolk  war,  das  sich  mit  dem  amerikanischen  verglei- 
chen ließe;  man  kann  beim  Suchen  nach  der  Herkunft  der 
alten  Amerikaner  nur  nach  Asien  ausschauen."^) 

33.  Es  ist  festgestellt  worden,  daß  die  Stämme  der 
Ureinwohner  Amerikas  die  Gewohnheit  hatten,  unter  ge- 
wissen Umständen  die  Verordnung  der  Beschneidung,^) 
der  Taufe  und  der  Tieropferung^)  zu  vollziehen.  Ein  spa- 
nischer Schriftsteller  namens  Herera,  der  vor  etwa  drei- 
hundert Jahren  lebte,  führt  aus,  daß  bei  den  Ureinwoh- 
nern Yukatans  die  Taufe  unter  einem  Namen  bekannt 
war,  der  soviel  bedeutete  wie  „von  neuem  geboren 
werden."^) 

34.  Eine  so  bemerkenswerte  Ähnlichkeit  zwischen 
den  Völkern  der  alten  und  denen  der  neuen  Welt  läßt 
sich  aber  nicht  nur  bei  den  Sitten,  den  Gebräuchen  und 
den  Überlieferungen  inbezug  auf  die  vorchristliche  Zeit 
feststellen.  Lange  vor  der  Ankunft  der  christlichen  Ent- 
decker Amerikas  im  späten  Mittelalter  waren  viele  Über- 
lieferungen und  gewisse  Erzählungen  über  den  vorherbe- 
stimmten Christus  und  seinen  erlösenden  Tod  unter  den 
Rassen  der  Eingeborenen  im  Umlauf.  Tatsächlich  fanden 
auch  die  katholischen  Priester,  als  sie  mit  den  Spaniern 
zuerst  nach  Mexiko  kamen,  bereits  eine  Erkenntnis  von 
Christus  und  der  Gottheit  vor,  die  so  sehr  den  Lehren  der 
rechtgläubigen  Christenheit  entsprach,  daß  die  Priester  — 
unfähig  eine  andere  Erklärung  dafür  zu  finden  —  die  Theo- 
rie aufbrachten,  der  Satan  habe  den  Eingeborenen  dieses 
Landes  eine  Nachahmung  des  Evangeliums  gebracht,  um 


')  Auszug  aus  einem  Vortrag  von  Prof.  Watermann,  gehalten  zu 
Bristol,  England  1849,  angeführt  in  einem  Traktat  von  Edwin  F.  Parry, 
„A  Prophet  of  Latter  Days",  Liverpool  1898. 

*)  Lord  Kingsborough. 

')  Donnelly's  Atlantis,   S.  144. 

*)  Tractat,  „A  Prophet  of  Latter  Days"  von  Edwin  F.  Parry,  S.  106. 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  359 

das  Volk  damit  zu  betrügen.  Eine  andere  Theorie  ging 
dahin,  der  Apostel  Thomas  habe  den  westlichen  Erdteil 
besucht  und  hier  das  Evangelium  Jesu  Christi  gepredigt.^) 

35.  Lord  Kingsborough  bezieht  sich  in  seinem  umfas- 
senden und  grundlegenden  Werk  auf  ein  Manuskript  von 
Las  Casas,  einem  spanischen  Bischof,  von  Chiapa,  eine 
Handschrift,  die  im  Kloster  von  St.  Dominik  aufbewahrt 
wird.  Der  Bischof  erwähnt  darin,  daß  bei  den  Eingeborenen 
von  Yukatan  eine  sehr  genaue  Erkenntnis  von  der  Gott- 
heit festgestellt  worden  sei.  Einer  der  Missionare  des 
Bischofs  schrieb,  „er  habe  einen  Häuptling  getroffen, 
der  ihm  sagte,  sie  glaubten  an  einen  Gott,  der  im  Himmel 
wohnt,  sogar  an  Vater,  Sohn  und  Heiligen  Geist.  Der 
Vater  werde  Yeona,  der  Sohn  —  von  einer  Jungfrau, 
namens  Chibirias  geboren  —  Bahab  und  der  Heilige  Geist 
Euach  genannt.  Bahab,  der  Sohn,  sei  von  Eupuro,  der  ihn 
geißelte  und  ihm  eine  Dornenkrone  aufs  Haupt  drückte, 
mit  ausgestreckten  Armen  auf  einen  Holzbalken  genagelt 
worden.  Der  auf  diese  Weise  getötete  sei  aber  nach  drei 
Tagen  ins  Leben  zurückgekommen,  und  gen  Himmel  ge- 
fahren, wo  er  bei  dem  Vater  wohne.  Unmittelbar  darauf 
sei  Euach,  als  Kaufmann  verkleidet,  mit  vielen  kostbaren 
Dingen  erschienen,  um  jeden,  der  es  wollte,  reichlich  mit 
göttlichen  Gaben  und  Kräften  zu  füllen. "2) 

36.  Rosales  bestätigt,  daß  die  Chileaner  eine  Über- 
lieferung haben,  wonach  ihre  Vorväter  von  einer  wunder- 
baren Persönlichkeit,  voller  Gnade  und  Macht,  besucht 
worden  seien,  einem  Manne,  der  viele  Wunder  unter  ihnen 
getan  und  sie  von  dem  Schöpfer  aller  Dinge,  der  inmitten 
verherrlichter   Scharen  im   Himmel  wohne,   unterrichtet 


1)  Siehe    Präsident    John    Taylor's    „Mediation    und    Atonement" 
S.  201. 

*)  Kingsborough's  ,.Antlqultis  of  Mexico". 


360  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XV. 

habe.i)  Prescott  nimmt  auf  die  Tatsache  Bezug,  daß  die 
den  Spanier  Cortez  begleitenden  Katholiken  gefunden 
haben,  daß  bei  den  Eingeborenen  von  Mexiko  und  Zentral- 
amerika das  Kreuz  allgemein  bekannt  war.  Außer  diesem 
Zeichen  eines  gewissen  Glaubens  an  Christus  beobachteten 
die  Reisenden  mit  Erstaunen  eine  Zeremonie,  die  mit  dem 
Abendmahl  große  Ähnlichkeit  hatte.  Sie  sahen  wie  die 
Priester  der  Azteken  einen  Kuchen  bücken  aus  Mehl,  das  sie 
mit  Blut  vermengten,  ihn  segneten  und  unter  das  Volk 
verteilten,  das  ihn  „unter  Zeichen  der  Demütigung  und 
Trauer  aß  und  dabei  erklärte,  es  sei  das  Fleisch 
Gottes".2) 

37.  Die  Mexikaner  anerkennen  in  Quetzalcoatl  einen 
Gott.  Der  überlieferte  Bericht  von  seinem  Leben  und  Ster- 
ben ist  der  Geschichte  Christi  so  ähnlich,  sagt  Präsident 
Taylor,  „daß  wir  zu  keinem  andern  Schluß  kommen  kön- 
nen, als  daß  Quetzalcoatl  und  Jesus  Christus  ein  und  die- 
selbe Person  sind. "3)  Lord  Kingsborough  spricht  von  einem 
Bilde,  das  den  Quetzalcoatl  darstellt  ,,in  der  Haltung  einer 
gekreuzigten  Person,  mit  Nägelmalen  in  Händen  und 
Füßen,  ohne  jedoch  tatsächlich  an  einem  Kreuze  zu  han- 
gen". Der  gleiche  Forscher  sagt  weiter:  „Die  73.  Platte  des 
Borgian  Manuskripts  ist  die  bemerkenswerteste  von  allen. 
Auf  ihr  wird  Quetzalcoatl  nicht  nur  als  ein  auf  einem  Kreuz 
in  griechischer  Form  Gekreuzigter  dargestellt,  sondern 
auch  seine  Grablegung  und  sein  Hinuntersteigen  in  die 
Hölle  ist  in  einer  sehr  merkwürdigen  Art  und  Weise  abge- 
bildet." Und  weiter:  ,,Die  Mexikaner  glauben,  Quetzal- 
coatl habe  menschliche  Natur  auf  sich  genommen,  habe 
teilgehabt  an  all  den   Schwachheiten  der  Menschen,  sei 


1)  Rosales   ,. History  of  Chile"   siehe   Präs.  Taylors,   „Mediation  und 
Atonement",  S.  202. 

^)  Prescott  „Conquest  of  Mexico",   S.  465. 

^)  „Mediation  and  Atonement",  S.  201 ;  siehe  Anmerkung  5. 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  361 

auch  nicht  vor  Leid,  Schmerz  und  vor  dem  Tod  bewahrt 
geblieben,  welches  er  aber  alles  freiwillig  erduldete,  um  da- 
mit die  Sünden  der  Menschen  zu  sühnen. "i) 

38.  Die  Quelle  dieser  Erkenntnis  von  Christus  und  der 
Gottheit  —  die  zu  finden  den  katholischen  Einwanderern 
viel  Kopfzerbrechens  machte  und  sie  veranlaßte,  weit 
daneben  treffende  unhaltbare  Theorien  aufzustellen  — 
liegt  für  den  Kenner  des  Buches  Mormon  klar  zu  Tage. 
Wir  erfahren  aus  dieser  heiligen  Schrift,  daß  die  Vorfahren 
der  eingeborenen  amerikanischen  Rassen  Jahrhunderte 
lang  vor  der  Geburt  Christi  im  Lichte  unmittelbarer  Offen- 
barung lebten,  welches  durch  berufene  Propheten  zu  ihnen 
kam  und  ihnen  die  Pläne  Gottes  inbezug  auf  die  Erlösung 
der  Menschheit  offenbarte  und  daß  darüber  hinaus  der 
auferstandene  Heiland  selbst  ihnen  diente  und  seine  Kirche 
mit  all  ihren  wesentlichen  Verordnungen  unter  ihnen 
gründete.  Das  Volk  ist  in  einen  Zustand  geistigen  Verfalls 
geraten;  viele  seiner  Überlieferungen  sind  arg  verzerrt 
und  entstellt  durch  Vermischung  mit  Aberglauben  und 
menschlichen  Einbildungen  —  aber  der  Ursprung  ihrer 
Erkenntnis  ist  klar  als  göttlich  zu  erkennen. 

39.  IV.  Über  den  gemeinsamen  Ursprung  der  eingebo- 
renen Rassen  Amerikas.  Daß  die  vielen  Stämme  und  Zweige 
der  Indianer  und  anderer  „eingeborener  Rassen"  Amerikas 
eine  gemeinsame  Abstammung  besitzen,  wird  allgemein  zu- 
gegeben. Diese  Überzeugung  gründet  sich  auf  die  offen- 
kundige und  nahe  Verwandtschaft  in  Sprache,  Über- 
lieferung und  Sitte.  ,, Lewis  H.  Morgan  findet  einen 
Beweis  für  die  gemeinsame  Abstammung  der  Ureinwohner 
Amerikas  in  ihrer  ,, Blutsverwandtschaft  und  Verschwä- 
gerung". Er  sagt:  ,,Die  indianischen  Völker  vom  atlan- 
tischen Ozean  bis  in  die  Felsengebirge  und  vom  Eismeer 

')  Lord  Kingsborough  „Antiquities  of  Mexiko" ;  siehe  die  Anführungen 
von  Präsident  John  Taylor,  „Mediation  und  Atonement",  S.  202. 


362  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XV. 

bis  zum  Golf  von  Mexiko  —  mit  Ausnahme  der  Eskimo 
—  befolgen  die  gleiche  Ordnung.  In  ihrer  allgemeinen 
Form  wie  in  ihren  Einzelheiten  ist  sie  ausgearbeitet 
und  verschiedenartig,  aber  wenn  auch  bei  verschie- 
denen Stämmen  Abw^eichungen  von  der  Einheitlichkeit 
der  Grundform  vorkommen,  so  sind  doch  die  wesentlichen 
Bestandteile  überall  dieselben.  Diese  Einheit  in  den  wich- 
tigen Merkmalen  eines  eigenartigen  Systems  zeigt,  daß  sie 
jedem  Stamme  aus  gemeinsamer  Urquelle  überliefert  ist. 
Dies  liefert  uns  den  bis  jetzt  stärksten  Beweis  für  die  Ein- 
heit des  Ursprunges  der  indianischen  Völker  innerhalb 
der  genannten  Länder."^) 

40.  Baldwin  führt  ferner  Bradfords  Zusammenstellung 
der  Schlußfolgerungen  hinsichtlich  der  Herkunft  und  der 
Kennzeichen  der  alten  Amerikaner  an,  worunter  wir  er- 
wähnt finden:  ,,Daß  sie  alle  eines  Ursprungs  sind.  Zweige 
derselben  Rasse,  mit  gleichen  Sitten  und  Gebräuchen. "2) 
Adair  schreibt:  ,,Alle  die  verschiedenen  indianischen  Völ- 
kerstämme scheinen  einer  Abstammung  zusein"  und  führt 
zur  Unterstützung  dieser  Schlußfolgerung  eine  ganze 
Anzahl  von  Beweisen  an  für  die  Übereinstimmung  in  Spra- 
che, Sitten  und  Gebräuchen,  religiösen  Verordnungen, 
Handhabung  der  Gerichtsbarkeit  usw.^) 

41.  Die  geschriebene  Sprache  der  Ureinwohner  Ame- 
rikas. Diesen  weltlichen  oder  außerbiblischen  Beweisen  für 
die  Glaubwürdigkeit  des  Buches  Mormon  könnte  noch  die 
Tatsache  angefügt  werden,  daß  die  Urkunden  auch  mit 
den  jüngsten  Entdeckungen  inbezug  auf  die  geschriebene 
Sprache  dieser  Völker  im  Einklang  stehen.  Der  Prophet 
Nephi  erwähnt,  daß  er  seinen  Bericht  auf  den  Platten  in 


')  \   Baldwin's  „Ancient  America",  S.  56;  siehe  die  Anführungen  von 
')  /   Schlußfolgerungen  hinsichtlich  der  Eigentümlichkeiten  der  Ein- 
geborenen Amerikas  von  Bradford  (im  gleichen  Werk). 

')  Adair's  „Historj'  of  the  American  Indians",  London,  1775. 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon,  363 

der  „Sprache  der  Ägypter"^)  abgefaßt  habe,  und  es  wird 
uns  außerdem  gesagt,  daß  auch  die  Messingplatten  Labans 
in  der  gleichen  Sprache  beschrieben  waren. 2)  Mormon, 
der  die  umfangreichen  Schriften  seiner  Vorgänger  abkürzte 
und  die  Platten  anfertigte,  von  denen  die  neuzeitliche 
Übersetzung  genommen  ist,  benutzte  ebenfalls  ägyptische 
Schriftzeichen,  Sein  Sohn  Moroni,  der  den  Bericht  voll- 
endete, stellt  diese  Tatsache  fest.  Moroni  nahm  indessen 
zwischen  den  zu  seiner  Zeit  beschriebenen  Platten  und  den 
altern  einen  gewissen  Unterschied  in  der  Sprache  wahr; 
er  schrieb  diese  Veränderung  dem  natürlichen  Einfluß  der 
Zeit  zu  und  spricht  von  seinem  eigenen  Bericht  wie  auch 
von  demjenigen  seines  Vaters  Mormon  als  in  ,, verbesser- 
tem Ägyptisch  geschrieben, "3) 

41.  Beachten  wir  nun  das  Zeugnis  des  Dr.  Le  Plon- 
geon  gelegentlich  der  Bekanntgabe  seiner  Entdeckung 
eines  heiligen  Alphabetes  bei  den  Mayas  in  Zentralamerika, 
von  dem  er  erklärt,  daß  es  eigentlich  sei  wie  das  ägyptische 
Alphabet.  Er  stellt  fest,  daß  der  Aufbau  der  heiligen 
Sprache  der  Mayas  mit  dem  des  Ägyptischen  große  Ähn- 
lichkeit hat  und  gibt  kühn  seiner  Überzeugung  Ausdruck, 
daß  die  beiden  Völker  ihre  geschriebene  Sprache  aus  ein 
und  derselben  Quelle  ableiten.*)  Eine  andere  maßgebende 
Persönlichkeit  sagt:  ,,Der  Altertumsforscher  muß  diese 
Tatsache  ins  Auge  fassen  und  festhalten  angesichts  der 
Beweise  für  das  Vorhandensein  zweier  großer  Zweige  der 
Hieroglyphensprache,  die  beide  eine  starke  Ähnlichkeit 
mit  der  ägyptischen  zeigen  und  von  ihnen  unterschieden 
sind  durch  völlig  amerikanische  Schriftzeichen, "^) 


')  1.  Nephi  1:2. 
')  Mosiah  1:4. 
»)  Mormon  9:32. 

*)  Dr.  August  Le  Plongeon,  in  „Review  of  Reviews"  Juli  1895. 
')  „  Quarterly  Review"  Oktober  1836,  gekürzt  ersciiienen  im  „Millenial 
Star"  Bd.  21,  S.  467. 


364  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XV. 

43.  Das  Ägyptische  ist  aber  nicht  die  einzige  östliche 
Sprache,  die  auf  den  Überresten  amerikanischer  Alter- 
tümer gefunden  wird.  Das  Hebräische  erscheint  in  dieser 
Verbindung  mit  wenigstens  ebensolcher  Bedeutung.  Daß 
die  hebräische  Sprache  von  den  Nachkommen  Lehis  be- 
nutzt wurde,  ist  insofern  sehr  natürlich,  als  diese  aus  dem 
Hause  Israel  stammten  und  geradeswegs  von  Jerusalem 
nach  dem  westlichen  Erdteil  kamen.  Daß  die  Fähigkeit,  in 
dieser  Sprache  zu  lesen  und  zu  schreiben,  bei  den  Nephiten 
bis  zur  Zeit  ihrer  Ausrottung  vorhanden  war,  geht  klar 
hervor  aus  der  Feststellung  Moronis  inbezug  auf  die  beim 
Beschreiben  der  Platten  benutzte  Sprache:  „Nun  sehet, 
wir  haben  diese  Urkunden  nach  unserer  Kenntnis  in  den 
Hieroglyphen  geschrieben,  welche  unter  uns  die  verbesser- 
ten ägyptischen  genannt  werden,  die  uns  überliefert  und 
von  uns  nach  unserer  Sprachweise  verändert  worden  sind. 
Wären  unsere  Platten  hinreichend  groß  gewesen,  so  hätten 
wir  in  hebräischer  Schrift  geschrieben,  aber  das  Hebräische 
ist  auch  von  uns  verändert  worden. "i) 

44.  Die  folgenden  Fälle  sind  einer  lehrreichen  Zu- 
sammenstellung entnommen,  die  Ältester  George  Rey- 
nolds^)  verfaßt  hat.  Verschiedene  ältere  spanische  Schrift- 
steller behaupten,  die  Eingeborenen  gewisser  Teile  des 
Landes  hätten  ein  verdorbenes  Hebräisch  gesprochen. 
Las  Casas  bestätigt  dies  hinsichtlich  der  Bewohner  der 
Insel  Haiti.  Lafitu  schrieb  eine  geschichthche  Abhandlung, 
worin  er  den  Standpunkt  vertritt,  die  Caribbee- Sprache 
sei  ganz  und  gar  hebräisch.  Isaak  Nasci,  ein  gelehrter 
Jude  von  Surinam,  sagt  von  der  Sprache  des  Volkes  von 
Guyana,  „daß  alle  ihre  Hauptwörter  hebräisch  seien." 
Spanische  Geschichtsschreiber  verzeichnen  die  frühen 
Entdeckungen  von  hebräischen    Schriftzeichen  auf  dem 


1)  Mormon  9:32—33. 

»)  Reynolds  Vorlesung  „Die  Sprache  des  Buches  Mormon". 


Art.  8.]  Das  Buch  Mormon.  365 

westlichen  Festland.  Malventa  sagt,  die  Spanier  hätten 
Grabsteine  der  Eingeborenen  von  St.  Michael  ausgegraben, 
die  verschiedene  alte  hebräische   Inschriften  trugen. 

45.  Bei  all  diesem  Geschriebenen  sind  Schriftzeichen 
und  Sprache  der  alten  Form  des  Hebräischen  ähnlich  und 
zeigen  keine  jener  Selbstlaute,  und  Endungsbuchstaben, 
die  nach  der  Rückkehr  der  Juden  aus  der  babylonischen 
Gefangenschaft  in  das  Hebräische  des  östlichen  Erdteils 
eingeführt  wurden.  Dies  steht  im  Einklang  mit  der  Tat- 
sache, daß  Lehi  und  seine  Begleiter  Jerusalem  kurz  vor 
der  Wegführung  des  Volkes  in  die  Gefangenschaft  und  somit 
auch  vor  der  Einführung  jener  Änderungen  der  geschrie- 
benen Sprache  verließen. 

46.  Noch  ein  anderer  Prüfstein.  Der  Leser  des  Buches 
Mormon  möge  sich  aber  mit  solchen  Beweisen  der  gött- 
lichen Glaubwürdigkeit  dieses  Buches  wie  sie  hier  angeführt 
wurden,  nicht  zufrieden  geben.  Es  ist  ein  sichereres  und  wirk- 
sameres Mittel  verheißen  worden,  um  sich  von  der  Wahrheit 
oder  Falschheit  dieses  wunderbaren  Berichtes  zu  überzeu- 
gen. Wie  andere  heilige  Schriften,  muß  auch  das  Buch 
Mormon  durch  den  Geist  der  Schrift  verstanden  werden, 
und  dieser  ist  nur  als  eine  Gabe  von  Gott  erhältlich.  Aber 
diese  Gabe,  unschätzbar  wie  sie  ist,  ist  allen  denen  verheißen, 
welche  nach  ihr  trachten.  Wir  wollen  daher  allen  und  je- 
dem den  Rat  Moronis,  des  letzten  Mitarbeiters  an  diesem 
Buche,  empfehlen,  des  vereinsamten  Schreibers,  der  das 
Buch  versiegelte  und  später  als  ein  Engel  die  heiligen 
Urkunden  wieder  hervorbrachte: 

„Und  wenn  ihr  diese  Dinge  empfangen  werdet,  wollte 
ich  euch  ermahnen,  daß  ihr  Gott,  den  ewigen  Vater,  im  Na- 
men Christi  fraget,  ob  diese  Dinge  nicht  wahr  sind;  und 
wenn  ihr  mit  einem  aufrichtigen  Herzen  fragen  werdet, 
mit  festem  Vorsatze,  mit  Glauben  an  Christum,  so  wird 


366  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XV. 

er  euch  die  Wahrheit  derselben  durch  die  Macht  des  Hei- 
ligen Geistes  offenbaren.  Und  durch  die  Macht  des  Heiligen 
Geistes  könnt  ihr  die  Wahrheit  von  allen  Dingen  wissen. "i) 


Anmerkungen. 

1.  Die  Verschiedenheit  der  sprachlichen  Sehreibweise  im  Buch  Mor- 
mon. —  „Zwischen  der  sprachlichen  Schreibweise  Nephis  und  einiger 
früherer  Propheten  und  derjenigen  Mormons  und  Moronis  besteht  ein  aus- 
geprägter Unterschied.  Mormon  und  sein  Sohn  schrieben  In  unmittelbarer 
Form  und  gebrauchten  weniger  Worte,  um  ihre  Gedanken  auszudrücken, 
als  es  bei  den  frühern  Schreibern  der  Fall  war.  Ihre  Art  zu  schreiben  ist 
wohl  für  die  meisten  Leser  angenehmer  und  gefälliger.  Enos,  der  Sohn 
Jakobs,  hat  ebenso  seine  ganz  besondere  Schreibart.  Bemerkenswert  ist 
auch  die  andere  Tatsache,  daß  da,  wo  in  der  Abkürzung  Mormons  Original- 
berichte oder  —  Abhandlungen,  wie  z.  B.  der  Bericht  Limhls,  die  Predigten 
Almas,  Amuleks  usw.  und  die  Briefe  Helamans  und  anderer  eingeschaltet 
werden,  Worte  und  Ausdrücke  gebraucht  werden,  die  sonst  nirgends  im 
Buch  Mormon  vorkommen.  Die  Verschiedenheit  der  Schreibweise,  des 
Ausdruckes  und  Wortschatzes  ist  ein  sehr  erfreuliches,  zufälliges  Zeichen 
für  die  Wahrheit  der  für  das  Buch  Mormon  gemachten  Behauptungen, 
daß  es  eine  Zusammenstellung  der  Werke  von  vielen  Schreibern  ist."  — 
Aus  „Vorlesungen  über  das  Buch  Mormon"  vom  Ältesten  George  Rey- 
nolds. — 

2.  Die  mexikanische  Zeitbestimmung  der  Sintflut.  —  Von  dem  Zeit- 
pimkt  der  Sintflut,  den  der  mexikanische  Verfasser  Ixtilxochitl  angibt, 
sagt  Ältester  George  Reynolds:  „Es  besteht  eine  bemerkenswerte  Über- 
einstimmung ZNVischen  der  Ausgabe  dieses  Schriftstellers  und  dem  ersten 
Buch  Mose.  In  der  Zeit  vom  Sündenlall  bis  zur  Flut  besteht  ein  Unterschied 
von  nur  60,  vielleicht  auch  von  mu-  5  Jahren,  wenn  die  folgende  Feststellung 
des  Buches  der  Lehre  und  Bündnisse  hinsichthch  Henochs  die  Zeitrechnung 
verlängert:  „Und  er  sah  den  Herrn  und  wandelte  mit  ihm  und  war  stets 
vor  seinem  Angesicht;  und  er  wandelte  mit  Gott  365  Jahre  und  war  430 
Jahre  alt,  als  er  von  der  Erde  hinweggeführt  wurde"  (L.  u.  B.  107:49). 
Die  gleiche  Angabe  findet  sich  in  der  Köstlichen  Perle,  Moses  7:67.  — 
„Vorlesungen  über  äußere  Beweise  für  das  Buch  Mormon"  vom  Ältesten 
George  Reynolds. 

3.  Alte  Zivilisation  in  Amerika.  —  „Es  kann  kein  Zweifel  darüber 
bestehen,  daß  in  diesem  Lande  (Zentral-Amerika  imd  Mexiko)  einst  eine 
Zivilisation  blühte,  die  höher  entwickelt  war,  als  irgend  eine  von  den 
spanischen  Eroberern  bei  ihrer  Ankunft  vorgefundene.  Bei  weitem  die 
bedeutendste  Arbeit  unter  den  Überresten  der  alten  Mayas-Zivilisation  ist 
von  dem  Peabody-Museum  der  Havard-Universität  geleistet  worden  in 
einer  Reihe  von  Expeditionen  nach  der  begrabenen  Stadt,  die  heute  den 
Namen  Copan  (in  spanisch  Honduras)  führt.  In  einem  schönen  Tal,  nahe  dem 


»)  Moroni  10:4 — 5. 


Art.  8.]  Anmerkungen.  367 

Grenzgebiet  von  Guatemala,  liegt,  umgeben  von  jäh  aufsteigenden  Bergen, 
bewässert  von  einem,  sich  durch  diese  hindurch  vsandenden  Fluß,  die  alters- 
graue Stadt,  versunken  in  den  Schlaf  der  Jahrhunderte.  Die  Ruinen  von 
Copan,  obschon  in  einem  vorgeschrittenem  Zustande  des  Verfalls  als  die- 
jenigen der  Maya-Städte  Yucatans,  haben  mit  diesen  eine  allgemeine  Ähn- 
lichkeit in  der  Gestaltung  der  Bauwerke  und  in  der  Bildhauerarbeit,  wäh- 
rend die  Schriftzeichen  der  Inschriften  im  wesentlichen  die  gleichen  sind. 
Es  scheint  daher,  daß  Copan  eine  Stadt  der  Mayas  war;  trifft  dies  zu,  so 
muß  es  eine  ihrer  ältesten  Ansiedlungen  gewesen  sein,  die  in  Verfall  geriet, 
lange  bevor  die  Städte  Yucatans  ihre  Blüte  erreichten.  Die  Zivilisation 
der  Mayas  war  von  derjenigen  der  Azteken  oder  mexikanischen  völlig  ver- 
schieden; sie  war  eine  ältere  imd  auch  viel  höher  entwickelte  Zivilisation." 
—  Henry  C.  Walsh  in  seinem  Artikel  „Copan,  die  Totenstadt",  Harpers 
Weekly,  Oktober  1897. 

Baldwin  faßt  die  von  Bradford  veröffentlichten  Schlußfolgerimgen 
inbezug  auf  die  alten  Bewohner  Nordamerikas  in  seinem  wertvollen  Werk 
„Ancient  America"  folgendermaßen  zusammen: 

„sie  hatten  alle  den  gleichen  Ursprung,  waren  Abkömmlinge  der- 
selbe Rasse,  und  hatten  gleiche  Sitten  und  Gebräuche;" 

„sie  waren  zahlreich  und  nahmen  einen  großen  Teil  des  Landes  ein;" 

„sie  hatten  eine  bedeutende  Höhe  der  Zi^^lisation  erreicht,  lebten 
in  großen  Gemeinwesen  beisammen  und  bewohnten  ausgedehnte  Städte;" 

„sie  kannten  den  Gebrauch  verschiedener  Metalle  wie  Blei,  Kupfer, 
Gold  und  Silber  und  verstanden  wahrscheinlich  auch  die  Kimst,  sie  zu  ver- 
arbeiten;" 

„sie  betrieben  die  Bildhauerkunst  in  Stein  und  benutzten  dieses 
Material  manchmal  zum  Errichten  ihrer  Bauten;" 

„sie  hatten  Kenntnis  von  der  Wölbung  ziu-ücktretender  Treppen, 
von  der  Töpferkunst,  der  geschmackvollen  Anfertigung  von  Urnen  und 
Gerätschaften  nach  den  Grundsätzen  chemischer  Zusammensetzung,  und 
von  der  Kunst  des  Ziegelbrennens;" 

„sie  beuteten  Salzquellen  aus  und  bereiteten  Salz;" 

„sie  waren  ein  ackerbautreibendes  Volk  und  lebten  unter  dem  Ein- 
fluß und  Schutz  regelrechter  Verwaltungsformen;" 

,,sie  hatten  ein  bestimmtes  Religionssystem  und  eine  Götterlehre, 
verknüpft  mit  der  Astronomie,  die  zusammen  mit  ihrer  Schwesterwissen- 
schaft,  der  Geometrie,  in  den  Händen  der  Priester  ruhte;" 

„sie  waren  in  der  Kunst  des  Festungsbaues  bewandert;" 

„der  Zeitpunkt  ihrer  ersten  Ansiedlung  in  den  Vereinigten  Staaten 
von  Nordamerika  liegt  sehr  weit  ziu-ück  und  die  einzigen  Andeutungen 
über  ihre  Herkunft,  die  aus  der  Lage  ihrer  zerfallenen  Bauwerke  entnom- 
men werden  können,  weisen  auf  Mexiko  hin."  —  Baldwin,  „Ancient  America" 
Seite  56. 

4.  Amerikanische  tHjerlieternugen  über  die  Sintflut.  —  Don  Francisco 
Munoz  de  la  Vega,  der  Bischof  jener  Diözese  (Chiapas)  bezeugt  in  der 
Vorrede  zu  seiner  „Diocesan  Constitutions",  daß  ein  altes  Manuskript 
der  frühern  Indianer  jener  Provinz,  welche  die  Kunst  des  Schreibens  ge- 
lernt hatten,  sich  in  seinem  Archiv  befinde,  eine  alte  Urkunde,  welche  die 
fortgesetzte  Überlieferung  beibehält,  daß  der  Vater  und  Gründer  ihres 
Volkes  Teponaliuale  genannt  wurde,  was  „Herr  des  ausgehöhlten  Stückes 
Holz"  bedeutet,  daß  dieser  bei  dem  Bau  der  großen  Mauer  zugegen  war 


368  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XV. 

(so  nannten  sie  den  Turm  zu  Babel)  und  mit  eigenen  Augen  die  Verwirrung 
der  Sprachen  sah,  nach  welchem  Ereignis  ihm  Gott,  der  Schöpfer,  befahl, 
in  diese  fernen  Länder  zu  gehen  und  sie  unter  die  Menschheit  zu  verteilen." 
—  Lord  Kingsborough,  „Mexican  Antiquities",  Band  VIII,  Seite  25. 

„In  der  Geschichte  der  Toltecs  wird  gesagt,  daß  dieses  Zeitalter  und 
die  erste  Welt,  wie  sie  sie  nannten,  1716  Jahre  dauerte;  daß  die  Menschen 
durch  schreckliche  Regengüsse  und  Blitze  vom  Himmel  vernichtet  wurden 
und  sogar  das  ganze  Land,  oime  irgendwelche  Ausnahme,  selbst  die  höchsten 
Berge  15  cubits  (caxtolmolatli)  vom  Wasser  bedeckt  und  überschwemmt 
wurden;  hier  fügten  sie  nun  des  weitern  Fabeln  darüber  an,  \sic  sich  das 
Menschengeschlecht  von  den  wenigen,  die  der  Zerstörung  in  einem  „Toptli- 
petlocali"  entgangen  waren,  vermehrte,  daß  dieses  Wort  etwa  eine  Bedeu- 
tung hatte  wie  „verschlossener  Kasten"  und  wie  dann,  nachdem  die  Men- 
schen sich  vermehrt  hatten,  sie  einen  selu-  hohen  „Zacuali"  errichteten, 
der  heute  ein  Turm  von  sehr  großer  Höhe  sei,  um  sich  in  demselben  in  Sicher- 
heit zu  bringen,  wenn  auch  die  zweite  Welt  (Zeit)  zerstört  werden  sollte. 
Ilire  Sprachen  wurden  aber  unversehens  verwirrt,  sie  waren  nicht  mehr 
imstande,  einander  zu  verstehen  und  gingen  nach  verschiedenen  Teilen 
der  Erde  auseinander."  —  Siehe  das  oben  angeführte  Buch  von  Kings- 
borough, Band  IX,   Seite  321. 

Von  den  Überlieferungen  Amerikas  sind  die  mexikanischen  die  wich- 
tigsten, denn  sie  scheinen  endgültig  bestimmt  worden  zu  sein  durch  sym- 
bolische und  gedächtniskünstlerische  Malereien,  bevor  irgendeine  Fühlung- 
nahme mit  den  Europäern  bestand.  Nach  diesen  Überlieferungen  war  der 
Noah  der  mexikanischen  Sintflut  Coxox,  von  andern  auch  Teocipactli 
oder  Tezpi  genannt.  Er  hatte  sich  mit  seiner  Gattin  Xochiquetzal  in  einer 
Barke,  nach  andern  Lesarten  auf  einem  Floß  aus  Zypressenholz  (Cypressus 
disticha),  gerettet.  Malereien,  welche  die  Flut  von  Coxcox  darstellen,  sind 
bei  den  Azteken,  Mizteken,  Zopoteken,  Tlascalteken  und  Mechoacanesen 
entdeckt  worden.  Die  Überlieferung  der  letztern  ist  noch  genauer  in  Über- 
einstimmung mit  der  Geschichte,  wie  wir  sie  im  ersten  Buch  Mose  und  aus 
chaldäischen  Quellen  haben.  Sie  erzählt,  wie  Tezpi  sich  in  einem  geräumigen 
Schiffe  einschiffte,  zusammen  mit  seiner  Gattin,  seinen  Kindern  und  ver- 
schiedenen Tieren  und  mit  Korn,  welches  zur  Ernährung  der  Menschen 
nötig  war.  Als  der  große  Gott  Tezcatlipoca  beschloß,  daß  die  Wasser  zu- 
rückgehen sollten,  sandte  Tezpi  einen  Geier  aus  der  Arche  hinaus.  Der 
Vogel,  der  sich  von  Leichnamen  und  Überresten  aller  Art  ernährte,  mit 
denen  die  Erde  bedeckt  war,  kehrte  nicht  zurück.  Tezpi  sandte  andere 
Vögel  aus,  von  denen  nur  der  Kolibri  zurückkam,  mit  einem  belaubten 
Zweig  im  Schnabel.  Als  dann  Tezpi  sah,  daß  das  Land  anfing,  bewohnbar 
zu  werden,  verheß  er  seine  Barke  auf  dem  Berge  Colhuacan."  —  Donnelly's 
„Atlantis",  Seite  99. 

„Die  ÜberUeferung  von  einer  „Flut"  war  der  ausgemachte  Glaube, 
in  der  einen  oder  andern  Form,  der  am  meisten  zivilisierten  Völker  der 
alten  Welt,  sowie  der  Ureinwohner  der  neuen.  Die  Azteken  verbanden 
damit  einige  besondere  Umstände  von  mehr  willkürlichem  Charakter, 
die  den  Berichten  des  Ostens  gleichen.  Sie  glaubten,  daß  zwei  Personen 
die  Flut  überlebten,  ein  Mann  namens  Coxcox,  und  seine  Gattin.  Ihre 
Köpfe  werden  in  alten  Malereien  dargestellt  zusammen  mit  einem  Boot, 
am  Fuße  eines  Berges  im  Wasser  schwimmend.  Eine  Taube  ist  ebenfalls 
darauf   abgebildet   mit   einem   hieroglyphischen  Sinnbild   der  Sprache  im 


Art.  8.]  Anmerkungen.  369 

Schnabel,  das  sie  den  Kindern  des  Coxcox,  die  stumm  geboren  sind,  über- 
gibt. Das  benaciibarte  Volk  Michoacan,  das  die  gleiche  Hochebene  in  den 
Anden  bewohnte,  hatte  eine  noch  weitergehende  Überlieferung,  nämlich 
die,  daß  ein  Schiff,  in  welchem  Tezpi,  ihr  Noah,  entkam,  mit  verschiedenen 
Arten  von  Tieren  und  Vögeln  gefüllt  war.  Nach  einiger  Zeit  wurde  ein 
Geier  ausgesandt,  der  sich  jedoch  von  den  toten  Körpern  der  Riesen  nährte, 
die  auf  der  Erde  lagen  als  die  Wasser  zurückgingen.  Der  kleine  Kolibri, 
„Huitzitzilin",  wurde  dann  hinausgeschickt,  und  kehrte  mit  einem  Zweig 
im  Schnabel  zurück.  Die  Gleichartigkeit  dieser  Berichte  mit  den  hebräi- 
schen und  chaldäischen  Erzählungen  ist  in  die  Augen  springend."  Pres- 
cott,  „Conquest  of  Mexico",  Seite  463,  464.  — 

5.  Mexikanische  Überlieferungen  vom  Heiland.  „Die  Geschichte  des 
Lebens  des  mexikanischen  Gottes  Quetzalcoatl  ist  derjenigen  des  Heilandes 
sehr  ähnlich,  so  sehr,  daß  wir  tatsächlich  zu  keinem  andern  Schluß  kommen 
können,  als  daß  Quetzalcoatl  und  Christus  ein  und  dasselbe  Wesen  sind. 
Die  Geschichte  des  ersten  ist  jedoch  aus  den  unreinen  lamanitischen  Quellen 
zu  uns  heruntergekommen,  wodurch  die  ursprünglichen  Ereignisse  und  die 
Lehren  des  Heilandes  arg  entstellt  und  verzerrt  wurden.  Von  diesem  Gott 
sagt  Humboldt:  „Wie  überraschend  wirkt  es,  zu  finden,  daß  die  Mexikaner, 
die  doch,  wie  es  scheint,  mit  der  Lehre  von  der  Seelenwanderung  nicht  be- 
kannt waren,  an  die  Fleischwerdung  des  einzigen  Sohnes  des  allerhöchsten 
Gottes-Tomacateuctii  -  glauben!  Bei  der  mexikanischen  Götterlehre,  die 
von  keinem  andern  Sohn  Gottes  als  nur  von  Quetzalcoatl  spricht  —  ge- 
boren von  Chimelman,  der  Jungfrau  von  Tula  (ohne  menschliches  Zutun 
allein  durch  den  Odem  Gottes,  worin  wohl  sein  Wort  und  sein  Wille  ver- 
sinnbildlicht wird,  daß  es  Chimelman  von  einem  himmlischen  Boten  ver- 
kündigt wurde,  welchen  Gott  sandte,  ihm  mitzuteilen,  daß  sie  einen  Sohn 
gebären  werde  —  muß  angenommen  werden,  daß  dieser  Sohn  Quetzalcoatl 
ist,  der  einzige  Sohn,  von  dem  überhaupt  gesprochen  vsird.  Andere  Au- 
toren könnten  angeführt  werden,  um  zu  zeigen,  daß  die  Mexikaner  glaubten, 
dieser  Quetzalcoatl  sei  sowohl  Gott  als  Mensch,  ferner  daß  er  vor  seiner 
Fleischwerdung  von  Ewigkeit  her  gewesen  sei,  daß  er  der  Schöpfer  der 
Welt  und  der  Menschen  sei,  vom  Himmel  herabstieg,  um  die  Welt  durch  die 
Erduldung  des  Leidens  zu  erlösen  und  zu  bessern  und  daß  er  schließlich 
als  König  von  Tula  für  die  Sünden  der  Menschen  gekreuzigt  wurde  usw., 
wie  dies  in  den  Überlieferungen  von  Yucatan  klar  zum  Ausdruck  kommt 
und  auch  in  den  mexikanischen  Malereien  rätselhaft  dargestellt  wird."  — 
Präsident  John  Taylor,  „Mediation  and  Atonement",  S.  201. 

6.  Überreste  der  hebräischen  Sprache  bei  den  Indianerstämmen.  — 
„Es  wird  behauptet,  daß  solche  Überbleibsel  in  den  religiösen  Liedern  und 
Zeremonien  vieler  Stämme  oft  vorkommen.  Eine  ganze  Anzahl  Ver- 
fasser, die  die  Stämme  Nordamerikas  besuchten  oder  unter  ihnen  wohn- 
ten, geben  an,  die  Worte  Yehovah,  Yah,  Ale,  und  Halleluja  bestimmt  ge- 
hört zu  haben.  Lact  und  Escarbotus  versichern,  daß  sie  die  südamerika- 
nischen Indianer  das  heilige  Wort  Halleluja  oft  wiederholen  hörten."  — 
George  Reynolds,  „Language  of  the  Book  of  Mormon". 


370 


Die   Glaubensartikel. 


[Vorl.  XVI. 


Vorlesung  XVI. 


Offenbarung  in  der  Vergangenheit,  der 
Gegenwart  und  der  Zukunft. 

Artikel  9.  —  Wir  glauben  alles,  was  Gott  geoffenbart  hat,  alles,  was 
er  jetzt  offenbart,  und  wir  glauben,  daß  er  noch  viel  große  und  wich- 
tige Dinge  offenbaren  wird  inbezug  auf  das  Reich   Gottes. 

1.  Was  ist  Offenbarung?  —  In  theologischem  Sinne 
bedeutet  der  Ausdruck  „Offenbarung"  die  Bekanntma- 
chung göttlicher  Wahrheit  durch  himmlische  Vermittlung. 
Das  griechische  Wort  „Apocalypsis",  das  unserm  Wort 
„Offenbarung"  entspricht,  drückt  das  Aufdecken  oder 
Enthüllen  dessen  aus,  das  ganz  oder  teilweise  verborgen 
war,  oder  auch  das  Wegziehen  eines  Schleiers.  Mit  der 
verdeutschten  Form  des  griechischen  Ausdruckes  „Apo- 
kalypse" wird  manchmal  jene  besondere,  dem  Apostel 
Johannes  auf  der  Insel  Patmos  zuteil  gewordene  Offenba- 
rung bezeichnet,  die  das  letzte  Buch  in  unserm  heutigen 
Neuen  Testament  bildet.  Göttliche  Offenbarung  kann, 
wie  aus  zahlreichen  Beispielen  aus  der  Schrift  erhellt,  im 
Enthüllen  oder  Erklären  göttlicher  Eigenschaften  be- 
stehen, oder  auch  in  einer  Bekanntmachung  des  göttlichen 
Willens  in  menschlichen  Angelegenheiten. 

2.  Manchmal  wird  dem  Worte  Inspiration  eine  Be- 
deutung beigelegt,  die  der  der  Offenbarung  gleichkommt, 
obschon  Inspiration  durch  seinen  Ursprung  und  seine  erste 
Anwendung  eine  ganz  bestimmte  eigene  Bedeutung  besaß. 
Inspirieren  heißt  wörtlich  , .durch  den  Geist  beleben". 
Ein  Mensch  ist  inspiriert,  wenn  er  unter  dem  Einfluß  einer 


Art.  9.]  Offenbarung.  371 

andern  als  seiner  eigenen  Kraft  steht.  Göttliche  Inspi- 
ration kann  man  als  eine  leisere  und  weniger  umfassende 
Kundgebung  des  himmlischen  Einflusses  auf  einen  Men- 
schen betrachten,  als  es  bei  einer  Offenbarung  der  Fall  ist. 
Der  Unterschied  zwischen  den  beiden  besteht  mithin  mehr 
in  einer  Verschiedenheit  des  Grades,  als  in  einer  solchen 
des  Wesens  und  der  Natur  der  Sache.  Bei  keinem  der  bei- 
den leitenden  Vorgänge  nimmt  der  Herr  dem  Menschen 
seine  Handlungsfreiheit  oder  seine  Persönlichkeit, i)  Dies 
erhellt  namentlich  aus  den  bemerkenswerten  Eigenheiten 
der  Schreibweise,  die  für  die  verschiedenen  Bücher  der 
Heiligen  Schrift  bezeichnend  sind.  Bei  der  Erteilung  einer 
Offenbarung  wird  jedoch  auf  dem  menschlichen  Empfänger 
der  gottgegebenen  Botschaft  ein  mehr  unmittelbarer  Ein- 
fluß ausgeübt,  als  bei  der  schwächern,  deshalb  aber  nicht 
weniger  göttlichen  Wirkung  der  Inspiration. 

3.  Die  Unmittelbarkeit  und  Klarheit,  mit  der  Gott 
mit  den  Menschen  in  Verbindung  treten  kann,  richtet  sich 
nach  der  Reinheit  und  allgemeinen  Befähigung  der  betref- 
fenden Person.  Der  eine  ist  vielleicht  nur  für  die  Inspi- 
ration in  ihrer  niedern  und  einfachem  Form  empfänglich, 
der  andere  dagegen  kann  für  diese  Kraft  so  sehr  empfind- 
lich und  empfänglich  sein,  daß  er  unmittelbare  Offenba- 
rungen zu  empfangen  vermag,  wobei  sich  dann  dieser 
höhere  Einfluß  selbst  wiederum  in  verschiedenen  Graden 
und  in  völligerer  oder  geringerer  Enthüllung  der  göttlichen 
Persönlichkeit  kundgibt.  Beachten  wir,  was  der  Herr 
zu  Aaron  und  Mirjam  sagte,  als  sie  sich  einer  unehrerbie- 
tigen Haltung  gegenüber  Mose,  dem  erwählten  Offenbarer, 
schuldig  machten:  ,,Da  kam  der  Herr  hernieder  in 
der  Wolkensäule  und  trat  in  der  Hütte  Tür  und  rief 
Aaron  und  Mirjam;  und  die  gingen  beide  hinaus.    Und 


•)  Siehe  Anmerkung  1  und  3. 


372  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVI. 

er  sprach:  Höret  meine  Worte:  Ist  jemand  unter  euch  ein 
Prophet  des  Herrn,  dem  will  ich  mich  kundmachen  in  einem 
Gesicht  oder  will  mit  ihm  reden  in  einem  Traum.  Aber 
nicht  also  mein  Knecht  Mose,  der  in  meinem  ganzen  Hause 
treu  ist.  Mündlich  rede  ich  mit  ihm,  und  er  sieht  den  Herrn 
in  seiner  Gestalt,  nicht  durch  dunkle  Worte  oder  Gleich- 
nisse."i) 

4.  Wir  haben  gesehen,  daß  zu  den  ausschlaggebend- 
sten Beweisen  des  Daseins  eines  höchsten  Wesens  der- 
jenige gehört,  den  uns  die  unmittelbare  Offenbarung  von 
Gott  selbst  liefert,  und  daß  ferner  eine  gewisse  Erkenntnis 
von  den  Eigenschaften  und  der  Persönlichkeit  Gottes  nötig 
ist,  um  einen  wirksamen  Glauben  an  ihn  ausüben  zu 
können.  Wir  können  ein  Wesen,  dessen  Dasein  für  uns 
nur  eine  Sache  der  Ungewißheit  und  bloßen  Vermutung 
ist,  nur  unzulänglich  verehren.  Sollen  wir  unserm  Schöpfer 
unbedingt  vertrauen  und  ihn  lieben,  so  müssen  wir  zuvor 
etwas  von  ihm  wissen.  Zwar  wird  der  Schleier  der  Sterb- 
lichkeit mit  seinem  ganzen  undurchdringlichen  Dunkel 
das  Licht  der  göttlichen  Gegenwart  vor  dem  sündenbe- 
deckten Menschenherzen  verschließen ;  der  trennende  Vor- 
hang kann  indessen  weggezogen  werden,  sodaß  das  himm- 
lische Licht  die  Seele  des  Rechtschaffenen  erleuchtet. 
Das  lauschende  Ohr,  harmonisch  gestimmt  auf  die  Töne 
der  himmlischen  Musik,  hat  die  Stimme  Gottes,  die  seine 
Persönlichkeit  und  seinen  Willen  verkündigt,  gehört,  — 
das  von  dem  Staube  oder  der  Verblendung  der  Sünde  ge- 
reinigte Auge,  lauter  und  einfältig  in  seinem  Suchen  nach 
Wahrheit,  hat  die  Hand  Gottes  sichtbarlich  wahrgenom- 
men, —  der  durch  Ergebung  in  den  göttlichen  Willen  und 
durch  Demut  gehörig  gereinigten  Seele  sind  die  Pläne 
Gottes  geoffenbart  worden. 


i)  4.  Mose  12:5—8. 


Art.  9.]  Offenbarung.  373 

5.  Offenbarung  ist  das  Mittel,  wodurch  Gott  mit  den 
Menschen  verkehrt.  Wir  kennen  keine  Zeit,  in  der  ein 
bevollmächtigter  Diener  Gottes  auf  Erden  gewesen  wäre, 
ohne  daß  ihm  der  Herr  seinen  Willen  inbezug  auf  das  Volk 
kundgemacht  hätte.  Es  wurde  schon  gezeigt,  daß  kein 
Mensch  von  sich  aus,  d.  h.  auf  Grund  seiner  eigenen  Veran- 
lassung, die  Ehre  und  Würde  des  geistlichen  Amtes  auf 
sich  nehmen  kann.  Ein  bevollmächtigter  Diener  des  Evan- 
geliums muß  ,,von  Gott  berufen  sein  durch  Offenbarung 
und  durch  das  Auflegen  der  Hände  derer,  die  göttliche 
Vollmacht  dazu  haben"  und  diejenigen,  die  „göttliche 
Vollmacht  dazu  haben"  müssen  auf  gleiche  Weise  dazu 
berufen  worden  sein.  Ist  der  Erwählte  in  dieser  Weise 
beauftragt  worden,  so  spricht  er,  wenn  er  das  Evangelium 
predigt  und  in  dessen  Verordnungen  amtiert,  kraft  einer 
höhern  Machtbefugnis  als  seiner  eigenen,  und  er  kann  so 
für  das  Volk  zum  Propheten  werden.  Der  Herr  hat  seine 
auf  diese  Weise  auserkorenen  Diener  jederzeit  anerkannt 
und  geehrt;  er  hat  ihr  Amt  im  Verhältnis  zu  ihrer  eigenen 
Würdigkeit  erweitert,  indem  er  sie  zu  lebendigen  Orakeln 
seines  Willens  machte.  Diese  Wahrheit  hat  für  alle  Dis- 
pensationen des  Werks  Gottes  Geltung  gehabt. 

6.  Es  ist  das  Vorrecht  des  heiligen  Priestertums,  mit 
den  Himmeln  in  Verbindung  zu  treten  und  unmittelbar 
den  Willen  Gottes  kennen  zu  lernen.  Diese  Verbindung 
kann  durch  Traum  oder  Gesicht,  durch  den  Besuch  von 
Engeln,  oder  durch  die  höhere  Gabe  des  Umgangs  mit  dem 
Herrn  von  Angesicht  zu  Angesicht  Zustandekommen. i) 
Die  inspirierten  Aussprüche  von  Männern,  welche  sprechen, 
getrieben  vom  heiligen  Geist,  werden  für  das  Volk  zur 
„Heiligen  Schrift". 2)  Gott  hat  verheißen,  daß  er  insbe- 
sondere das  Mittel  der  Offenbarung  anerkennen  werde, 


')  Siehe  Seite  41 — 45  und  Vorlesung  XII. 
»)  Lehre  u.  Bündn.  68:4. 


374  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVI. 

um  seinen  Willen  und  seine  Absichten  der  Menschheit 
kund  zu  tun.  „Denn  der  Herr,  Herr  tut  nichts,  er  offenbare 
denn  sein  Geheimnis  den  Propheten,  seinen  Knechten, "i) 
Nicht  alle  Menschen  können  die  Stellung  eines  besondern 
Propheten  erlangen:  „Das  Geheimnis  des  Herrn  ist  unter 
denen,  die  ihn  fürchten ;  und  seinen  Bund  läßt  er  sie  wissen. "^j 
Solche  Männer  sind  Offenbarer  der  Wahrheit,  bevorrech- 
tigte Ratgeber  und  Freunde  Gottes. 3) 

7.  Offenbarung  in  früherer  Zeit.  Dem  großen  Patriar- 
chen Adam,  dem  die  Schlüssel  der  ersten  Dispensation 
übergeben  worden  waren,  offenbarte  Gott  seinen  Willen 
und  gab  ihm  Gebote.^)  Adam  verkehrte  in  dem  Zustande 
kindlicher  Unschuld,  in  dem  er  vor  dem  Sündenfall  lebte, 
unmittelbar  mit  Gott.  Der  Mensch  wurde  jedoch  infolge 
seiner  Übertretung  aus  dem  Garten  Eden  vertrieben.  Er 
nahm  aber  eine  gewisse  Erinnerung  an  seinen  frühern 
glücklichen  Zustand  mit  sich,  so  z..  B.  eine  persönliche 
Gewißheit  von  dem  Dasein  und  den  Eigenschaften  seines 
Schöpfers.  Während  er  unter  der  vorausgesagten  und  an 
ihm  erfüllten  Strafe  im  Schweiße  seines  Angesichtes  die 
Erde  bebaute,  um  sein  tägliches  Brot  zu  gewinnen,  fuhr 
er  fort,  den  Herrn  anzurufen.  Eines  Tages,  als  Adam  und 
seine  Gattin  Eva  beteten  und  arbeiteten,  „hörten  sie  die 
Stimme  des  Herrn,  aus  der  Richtung  gegen  den  Garten 
Eden,  zu  ihnen  sprechend,  und  sie  sahen  ihn  nicht,  denn 
sie  waren  von  seiner  Gegenwart  ausgeschlossen,  und  er  gab 
ihnen  Gebote."^) 

8.  Die  Patriarchen,  die  nach  Adam  kamen,  wurden  in 
verschiedenem  Grade  mit  der  Gabe  der  Offenbarung  ge- 


M  Arnos  3:7;  siehe  auch  1.  Nepiai  22:2. 
')  Psalm  25:14. 
')  Johannes  15:14 — 15. 

')  1.  Mose  2:15—20;  Köstl.  Perle,  Moses  3:16,  17. 
*)  Köstl.  Perle,  Moses  5:4 — 5;  siehe  auch  Lehre  u.  Bündn.,  Vorlesung 
über- Glauben  2:19—25. 


Art.  8.]  OfTenbarung.  375 

segnet.  Henoch,  der  siebte  in  absteigender  Linie,  wurde 
in  besonderm  Maße  damit  ausgestattet.  Wir  erfahren 
aus  dem  Alten  Testament  daß  Henoch  „in  einem  gött- 
lichen Leben  blieb"  und  daß  ihn  Gott,  als  er  ein  Alter 
von  365  Jahren  erreicht  hatte,  zu  sich  nahm,  ,,und  er  ward 
nicht  mehr  gesehen",^)  Aus  dem  Neuen  Testament^) 
erfahren  wir  etwas  mehr  über  sein  Wirken  und  in  der 
„Köstlichen  Perle"  wird  uns  von  dem  Verkehr  des  Herrn 
mit  diesem  auserwählten  Seher  ein  noch  vollständigerer 
Bericht  gegeben. =^)  Nicht  nur  der  Plan  der  Erlösung  wurde 
ihm  geoffenbart,  sondern  auch  die. zukünftige  Geschichte 
der  Menschheit  bis  hinunter  zur  „Mitte  der  Zeiten"  und  von 
da  an  über  das  Tausendjährige  Reich  zum  Jüngsten  Ge- 
richt. —  Dem  Noah  offenbarte  Gott  seine  Absichten 
über  die  drohende  Sintflut.  Durch  seine  prophetische 
Stimme  wurde  das  Volk  gewarnt  und  zur  Buße  gerufen. 
Es  verwarf  und  verachtete  die  mahnende  Botschaft  und 
kam  infolgedessen  in  seinen  Sünden  um.  —  Mit  Abraham 
richtete  der  Herr  seinen  Bund  auf  und  offenhalte  ihm  den 
Verlauf  der  Schöpfungsereignisse.^)  Der  Bund  mit  Abra- 
ham wurde  auch  auf  Isaak  und  Jakob  bestätigt. 

9.  Durch  Offenbarung  wurde  Mose  von  Gott  beauf- 
tragt, Israel  aus  der  Knechtschaft  zu  führen.  Aus  dem 
brennenden  Busch  erging  die  Stimme  des  Herrn  an  den 
auserwählten  Mann:  „Ich  bin  der  Gott  deines  Vaters, 
der  Gott  Abrahams,  der  Gott  Isaaks  und  der  Gott  Jakobs. "5) 
Während  all  der  bewegten  Auftritte  zwischen  Mose  und 
Pharao  setzte  der  Herr  seine  Offenbarungen  an  seinen 
Diener  fort  und  dieser  erschien  im  Glänze  dieser  göttlichen 
Begabung  dem  heidnischen  König  gegenüber  als  wahrhaf- 

1)  1.  Mose  5:18—24. 

»)  Judas  14. 

')  Köstl.  Perle,  Moses  Kap.  6  und  7. 

*)  1.  Mose,  Kapitel  17  und  18;  Köstl.  Perle,  Buch  Abrahams. 

')  2.  Mose  3:2—6. 


376  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVI. 

tiger  Gott.i)  Und  auch  während  der  vierzigjährigen  be- 
schwerhchen  Wanderung  durch  die  Wüste  hörte  der  Herr 
nicht  auf,  seinen  auserwählten  Diener  anzuerkennen.  — 
So  können  wir  der  Spur  der  Offenbarer  folgen  —  Männern, 
die,  jeder  zu  seiner  Zeit,  als  Vermittler  zwischen  Gott  und 
dem  Volke  standen,  aus  der  göttlichen  Quelle  Belehrun- 
gen erhielten  und  sie  an  das  Volk  weitergaben  —  von 
Mose  zu  Josua,  dann  durch  die  Reihe  der  Richter  auf 
David  und  Salomo  bis  hinunter  auf  Johannes  den  Täufer, 
den  unmittelbaren  Vorläufer  des  Messias. 

10.  Christus  war  selbst  ein  Offenbarer.  —  Ungeachtet 
seiner  persönlichen  Autorität,  und  obgleich  er  schon  zu- 
vor ein  Gott  gewesen  und  es  immer  noch  war,  erklärte 
Christus  doch,  —  als  er  als  Mensch  unter  den  Menschen 
lebte,  —  daß  sein  Werk  das  eines  größern,  das  Werk  dessen 
ist,  der  ihn  gesandt  hat,  und  von  dem  er  Belehrungen 
und  Gebote  empfängt.  Beachten  wir  seine  Worte  „Denn 
ich  habe  nicht  von  mir  selber  geredet;  sondern  der  Vater, 
der  mich  gesandt  hat,  der  hat  mir  ein  Gebot  gegeben, 
was  ich  tun  und  reden  soll.  Und  ich  weiß,  daß  sein  Gebot 
ist  das  ewige  Leben.  Darum,  was  ich  rede,  das  rede  ich 
also,  wie  mir  der  Vater  gesagt  hat. "2)  Ferner:  „Ich  kann 
nichts  von  mir  selber  tun.  Wie  ich  höre,  so  richte  ich,  und 
mein  Gericht  ist  recht;  denn  ich  suche  nicht  meinen  Willen, 
sondern  des  Vaters  Willen,  der  mich  gesandt  hat."^)  Und 
nochmals:  „Die  Worte,  die  ich  zu  euch  rede,  die  rede  ich 
nicht  von  mir  selbst.  Der  Vater  aber,  der  in  mir  wohnt, 
der  tut  die  Werke;***  und  also  tue  ich,  wie  mir  der  Vater 
geboten  hat."*) 


')  2.  Mose  4:16;  7:1. 
')  Johannes  12:49 — 50. 
")  Johannes  5:30. 
•)  Johannes  14:10,  31. 


Art.  9.]  Offenbarung.  377 

11.  Auch  die  Apostel,  denen  nach  dem  Scheiden  ihres 
Herrn  und  Meisters  die  Verantwortung  für  die  Kirche 
zufiel,  blickten  zum  Himmel  um  Beistand  und  Leitung. 
Von  dort  erwarteten  und  erhielten  sie  das  Wort  der  Offen- 
barung, das  sie  in  ihrem  hohen  Amt  leiten  und  führen 
sollte.  Paulus  schrieb  an  die  Korinther:  „Uns  aber  hat  es 
Gott  geoffenbart  durch  seinen  Geist;  denn  der  Geist  er- 
forscht alle  Dinge,  auch  die  Tiefen  der  Gottheit.  Denn 
welcher  Mensch  weiß,  was  im  Menschen  ist,  ohne  der  Geist 
des  Menschen,  der  in  ihm  ist?  Also  auch  weiß  niemand, 
was  in  Gott  ist,  ohne  der  Geist  Gottes.  Wir  aber  haben 
nicht  empfangen  den  Geist  der  Welt,  sondern  den  Geist 
aus  Gott,  daß  wir  wissen  können,  was  uns  von  Gott  ge- 
geben ist."i) 

12.  Der  Apostel  Johannes  erklärte  ebenfalls,  daß  das 
Buch,  das  in  besonderm  Sinne  als  die  ,, Offenbarung"  be- 
kannt ist,  nicht  durch  seine  eigene  Weisheit  zustandekam, 
sondern,  daß  sie  ist  ,,die  Offenbarung  Jesu  Christi,  die  ihm 
Gott  gegeben  hat,  seinen  Knechten  zu  zeigen,  was  in  der 
Kürze  geschehen  soll;  und  er  hat  sie  gedeutet  und  gesandt 
durch  seinen  Engel  zu  seinem  Knecht  Johannes. "2)  ^.^ 

13.  Fortdauernde    Offenbarung    ist    notwendig.     Die 

Tatsache,  daß  Gott  von  Adams  Zeiten  an  bis  auf  Johannes 
den  Offenbarer  die  Angelegenheiten  seines  Volkes  in  per- 
sönlicher Gemeinschaft  mit  seinen  Dienern  leitete,  ist  aus 
den  heiligen  Schriften  klar  und  deutlich  ersichtlich.  Als 
das  geschriebene  Wort  —  die  aufgezeichneten  Offenbarun- 
gen, die  zuvorgegeben  worden  waren  — mit  der  Zeit  zunahm, 
wurde  es  für  das  Volk  zum  Gesetz,  aber  zu  keiner  Zeit 
wurde  dies  als  genügend  erachtet.  Während  die  Offen- 
barungen der  Vergangenheit  als  Führer  für  das  Volk  stets 


')  1.  Korinther  2 :  10—12. 
»)  Offenbarung  Joh.  1:1. 


378  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVI. 

unentbehrlich  gewesen  sind  —  indem  sie  den  Plan  und  die 
Absichten  Gottes  für  besondere  Verhältnisse  vor  Augen 
führten  —  können  sie  doch  nicht  allgemein  und  unmittel- 
bar auf  die  Verhältnisse  nachfolgender  Zeiten  angewandt 
werden.  Viele  der  geoffenbarten  Gesetze  sind  von  all- 
gemeiner Geltung  für  alle  Menschen  zu  allen  Zeiten,  so 
z.B. die  Gebote  „Du  sollst  nicht  stehlen"  —  „Du  sollst  nicht 
töten" — „Du  sollst  nicht  falsches  Zeugnis  reden"  und  andere 
Vorschriften,  die  sich  auf  die  Pflichten  des  Menschen  ge- 
genüber seinen  Mitmenschen  beziehen,  Gebote,  von  denen 
die  meisten  so  offenkundig  gerecht  sind,  daß  sie  von  dem 
menschlichen  Gewissen  ohne  weiteres  gebilligt  werden, 
auch  ohne  den  direkten  göttlichen  Befehl  hierzu.  Andere 
Gesetze  mögen  in  ihrer  Anwendung  gleichartig  sein,  leiten 
jedoch  ihre  Gültigkeit  als  göttliche  Verordnungen  von  der 
Tatsache  ab,  daß  sie  von  maßgebender  Stelle  als  solche 
besonders  eingesetzt  wurden.  Als  ein  Beispiel  dieser  Art 
kann  das  Gebot  über  die  Heiligung  des  Sonntags  betrachtet 
werden,  oder  die  Notwendigkeit  der  Taufe  als  ein  Mittel 
zur  Vergebung  der  Sünden,  oder  die  Verordnungen  des 
Händeauflegens,  des  Abendmahles  usw.  Dazu  wurden  uns 
dann  noch  Offenbarungen  andrer  Art  überliefert,  und 
zwar  solche,  die  gegeben  worden  sind,  um  den  Umständen 
besonderer  Zeiten  gerecht  zu  werden.  Diese  können  als 
besondere,  den  Verhältnissen  entsprechende  Offenbarun- 
gen angesehen  werden,  z.  B.  das  Gebot  an  Noah :  eine 
Arche  zu  bauen  und  das  Volk  zu  warnen;  das  Gebot  an 
Abraham :  sein  Heimatland  zu  verlassen  und  nach  einem 
fremden  Lande  zu  ziehen ;  der  Befehl  an  Mose  —  und  durch 
ihn  an  das  ganze  Volk  Israel  —  inbezug  auf  den  Auszug 
aus  Ägypten;  die  dem  Propheten  Lehi  gewordene  Offen- 
barung, worin  ihm  geboten  wurde,  mit  seiner  Familie  die 
Stadt  Jerusalem  zu  verlassen ;  die  Offenbarung,  die  ihrer 
Reise  durch  die  Wüste  die  Richtung  wies,  den  Bau  eines 


Art.  9.]  Offenbarung.  379 

Schiffes  veranlaßte  und   sie  schließlich   über  das  große 
Wasser  nach  einem  andern  Erdteil  führte. 

14.  Es  ist  nicht  nur  vernunftwidrig,  sondern  es  wider- 
spricht auch  ganz  und  gar  unserer  Vorstellung  von  der 
unveränderlichen  Gerechtigkeit  Gottes,  zu  glauben,  er 
werde  in  der  einen  Dispensation  seine  Kirche  mit  fortlau- 
fenden Offenbarungen  seines  Willens  segnen  und  in  der 
andern  die  Kirche,  die  doch  seinen  Namen  trägt,  sich  selbst 
überlassen,  um  so  gut  es  eben  gehen  mag,  nach  den 
Gesetzen  eines  vergangenen  Zeitalters  zu  leben.  Wohl 
ist  es  wahr,  daß  infolge  eines  Abfalles  die  Vollmacht  des 
Priestertums  eine  Zeitlang  von  der  Erde  weggenommen 
wurde,  sodaß  sich  das  Volk  in  einem  Zustand  geistiger 
Finsternis  befand,  und  ihm  die  Fenster  des  Himmels  ver- 
schlossen waren,  aber  in  solchen  Zeiten  hat  Gott  keine 
der  irdischen  Kirchen  als  die  seine  anerkannt.  Und  kein 
Prophet  hat  alsdann  mit  Vollmacht  erklärt:  ,,So  spricht 
der  Herr!" 

15.  Zur  Unterstützung  der  Lehre,  daß  fortlaufende 
Offenbarung,  die  den  jeweiligen  Zeitumständen  angepaßt 
ist,  ein  Kennzeichen  darstellt  für  den  Umgang  Gottes  mit 
seinem  Volk,  können  wir  die  Tatsache  anführen,  daß 
Gesetze  gegeben  worden  sind,  welche  aufgehoben  wurden, 
sobald  eine  höhere  Stufe  des  göttlichen  Planes  erreicht 
war.  So  war  z.  B.  das  Gesetz  Mose^)  für  das  Volk  Israel 
streng  verbindlich  während  der  Zeit  vom  Auszug  aus 
Ägypten  bis  zur  Geburt  Christi,  aber  seine  Aufhebung 
wurde  von  dem  Heiland  selbst  verkündigt^)  und  dafür  ein 
höheres  Gesetz,  als  das  der  ,, fleischlichen  Gebote",  das 
„der  Übertretung  wegen  eingeführt  worden  war",  gegeben. 

16.  Aus  den  angeführten  Schriftstellen  und  zahlrei- 
chen  andern   Versicherungen   der  Heiligen    Schrift  geht 


')  2.  Mose  21 ;  3.  Mose 
')  Matthäus  5: 17 — 48. 


380  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVI. 

klar  hervor,  daß  fortwährende  Offenbarung  stets  ein 
Merkmal  der  wahren  Kirche  gewesen  ist.  Es  ist  ebenso 
klar,  daß  für  die  Kirche,  in  einem  organisierten  Zustand 
auf  der  Erde,  auch  heute  Offenbarung  unentbehrlich  ist. 
Wenn  ein  Mensch  von  Gott  berufen  sein  muß  „durch  Offen- 
barung",i)  damit  er  mit  Vollmacht  das  Evangelium  ver- 
kündigen und  in  dessen  Verordnungen  amtieren  kann, 
so  ist  offenkundig,  daß  beim  Fehlen  direkter  Offenbarung, 
die  Kirche  ohne  bevollmächtigte  Diener  bleiben  und  in- 
folgedessen absterben  würde.  Die  Propheten  und  Patriar- 
chen vor  alters,  die  Richter  und  die  Priester  und  jeder 
bevollmächtigte  Diener  von  Adam  an  bis  zu  Maleachi 
wurden  durch  unmittelbare  Offenbarung,  wie  sie  sich 
durch  das  besondere  Wort  Prophezeiung  kundtat,  berufen. 
Dies  war  genau  so  der  Fall  mit  Johannes  dem  Täufer,^) 
mit  Christus^)  selbst,  mit  seinen  Aposteln  und  den  unter- 
geordneten Beamten*)  der  Kirche,  solange  eine  von  Gott 
anerkannte  Organisation  auf  Erden  verblieb.  Ohne  die 
Gabe  fortlaufender  Offenbarung  kann  es  keine  bevoll- 
mächtigte Amtstätigkeit  auf  Erden  geben  und  ohne 
rechtmäßig  beauftragte  Beamte  kann  keine  Kirche  Christi 
bestehen. 

17.  Offenbarung  ist  für  die  Kirche  unentbehrlich, 
nicht  allein  zur  richtigen  Berufung  und  Einsetzung  ihrer 
Diener,  sondern  auch  zur  Anweisung  und  Leitung  dieser 
Diener  in  ihrer  Amtstätigkeit:  die  Grundsätze  der  Er- 
lösung mit  Vollmacht  zu  lehren,  das  Volk  zu  ermahnen, 
zu  ermutigen  und  wenn  nötig  zu  tadeln  und  ihm  durch 
Prophezeiungen  den  Willen  Gottes  inbezug  auf  seine 
Kirche  für  die  Gegenwart  und  die  Zukunft  zu  verkündigen. 


')  Siehe  Vorlesung  X,   Seite  221. 

^)  Lukas  1:13—18. 

')  Johannes  15:  Apostelgeschichte  1:12 — 26. 

*)  Apostelgeschichte  20:28;  1.  Timotheus  4:14;  Titus  1:5. 


Art.  9.]  Offenbarung.  381 

Die  Verheißung  der  Seligkeit  ist  weder  durch  Zeit  noch 
durch  Ort  noch  durch  Person  begrenzt.  So  lehrte  wenig- 
stens Petrus  am  Pfingsttage,  als  er  der  Menge  verkündigte, 
daß  auch  sie  zu  dieser  Segnung  berufen  sei:  „Denn  euer 
und  eurer  Kinder  ist  diese  Verheißung"  sprach  er,  „und 
aller,  die  ferne  sind,  welche  Gott,  unser  Herr,  herzurufen 
wird."^)  Die  Seligkeit  mit  allen  Gaben  Gottes  war  yor 
alters  sowohl  für  die  Juden  wie  für  die  Griechen,  ,,es  ist 
aller  zumal  ein  Herr,  reich  über  alle,  die  ihn  anrufen. "2) 

18.  Einwendungen  angeblieh  aus  der  Heiligen  Schrift. 
Die  Gegner  der  Lehre  von  der  fortlaufenden  Offenbarung 
führen  unter  grober  Verdrehung  der  Bedeutung  gewisse 
Schriftstellen  an,  um  damit  ihre  Ketzerei  zu  unter- 
stützen. Zu  diesen  Stellen  gehören  die  nachstehend  an- 
geführten. Die  Worte  des  Offenbarers  Johannes,  mit 
denen  er  sein  Buch  beschließt,  lauten:  ,,Ich  bezeuge  allen, 
die  da  hören  die  Worte  der  Weissagung  in  diesem  Buch: 
So  jemand  dazusetzet,  so  wird  Gott  zusetzen  auf  ihn  die 
Plagen,  die  in  diesem  Buche  geschrieben  stehen.  Und  so  je- 
mand davontut  von  den  Worten  des  Buchs  dieser  Weis- 
sagung, so  wird  Gott  abtun  sein  Teil  vom  Holz  des  Lebens 
und  von  der  heiligen  Stadt,  davon  in  diesem  Buch 
geschrieben  ist."^) 

Diese  Stelle  auf  die  Bibel  anzuwenden,  so  wie  diese 
späterhin  zusammengestellt  wurde,  ist  völlig  ungerecht- 
fertigt, denn  als  Johannes  dies  niederschrieb,  wußte  er 
sicherlich  nichts  davon,  daß  sein  Buch  dereinst  den  Schluß- 
teil einer  Zusammenstellung  bilden  würde,  wie  wir 
sie  heute  in  unserer  Bibel  besitzen.  Johannes  hatte 
seine  eigenen  Worte  im  Auge,  die  ihm  durch  Offen- 
barung   gegeben   worden    und    die    infolgedessen    heilig 


*)  Apostelgeschichte  2:39. 

2)  Römer  10:12;  Galater3:28;  Kolosser  3:11. 

')  Offenbarung  Joh.  22:18 — 19;  Lehre  u.  Bünndn.  Abscbn.  20:35. 


382  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVI. 

waren;  diese  zu  verändern,  sei  es  durch  Weglassung  oder 
Hinzufügung,  würde  gleichbedeutend  sein  mit  dem  Ab- 
ändern des  Wortes  Gottes.  Irgend  einen  andern  Teil  des 
Wortes  Gottes  abzuändern  wäre  eine  genau  so  große  Sünde. 
Aber  auch  hiervon  abgesehen,  ist  in  dieser  Schriftstelle 
nicht  das  geringste  davon  gesagt,  daß  der  Herr  nicht  auch 
voH  dem  darin  geoffenbarten  Wort  wegnehmen  oder  dazu 
tun  dürfe;  gesagt  wird  nur,  daß  kein  Mensch  den  Bericht 
ungestraft  ändern  könne. 

19.  Ein  ähnliches  Verbot,  das  göttliche  Wort  abzu- 
ändern, wurde  von  Mose^)  ausgesprochen,  und  zwar  1500 
Jahre  früher  als  Johannes  das  erwähnte  niederschrieb, 
aber  ebenfalls  mit  einer  ähnlich  beschränkten  Geltung. 
Ein  anderer  Einwand  gegen  die  Möglichkeit  der  Offenbarung 
in  unsern  Tagen,  gründet  sich  angeblich  auf  das  Wort 
des  Paulus  von  den  Schriften,  die  uns  unterweisen  können 
zur  Seligkeit, 2)  das  er  an  Timotheus  schrieb:  „Denn  alle 
Schrift,  von  Gott  eingegeben,  ist  nütze  zur  Lehre,  zur 
Strafe,  zur  Besserung,  zur  Züchtigung  in  der  Gerechtig- 
keit, daß  ein  Mensch  Gottes  sei  vollkommen,  zu  allem 
guten  Werk  geschickt. "3)  In  der  gleichen  Absicht  wird 
auch  des  Paulus  Bemerkung  gegenüber  den  Ältesten  zu 
Ephesus  angeführt.  Die  Stelle  lautet:  ,,Ihr  wisset,  ***wie 
ich  nichts  verhalten  habe,  das  da  nützlich  ist,  daß  ichs 
euch  nicht  verkündigt  hätte  und  euch  gelehrt  öffentlich 
und  sonderlich,  ***  denn  ich  habe  euch  nichts  verhalten, 
daß  ich  nicht  verkündigt  hätte  all  den  Rat  Gottes."*) 
Es  wird  gesagt,  daß  wenn  die  Heilige  Schrift,  die  er  kannte, 
genügt,  um  Timotheus  zur  „Seligkeit  zu  unterweisen 
und  einen  Menschen  Gottes  vollkommen  zu  allen  guten 


')  5.  Mose  4:2;  12:32. 
')  2.  Timotheus  3:15. 
»)  2.  Timotheus  3:16— 17. 
♦)  Apostelgesch.  20:18 — 27. 


I 


Art.  9.]  Offenbarung.  383 

Werken  geschicktzu  machen",  dann  genüge  dieselbe  Heilige 
Schrift  auch  für  alle  andern  Menschen  bis  an  der  Zeiten 
Ende.  Desgleichen:  Wenn  die  den  Ältesten  der  Ephe- 
ser  verkündigte  Lehre  „all  den  Rat  Gottes"  darstellt, 
so  sei  kein  weiterer  Rat  mehr  zu  erwarten.  Als  Antwort 
hierauf  genügt  es  wohl,  zu  sagen,  daß  die  Gegner 
beständiger  Offenbarungen,  welche  ihren  schriftwidrigen 
Standpunkt  mit  der  erzwungenen  Auslegung  solcher 
Stellen  verteidigen  möchten,  —  wollten  sie  ihre  eigene 
Lehre  selbst  befolgen  —  gezwungen  wären,  alle  nach  diesen 
Aussprüchen  Pauli  von  den  Aposteln  noch  gegebenen 
Offenbarungen  —  einschließlich  der  Offenbarung  Johannes 
—  zu  verwerfen. 

20.  Ebenso  albern  ist  die  Behauptung :  Christi  letztes 
Wort  am  Kreuz  ,,es  ist  vollbracht"  bedeute  das  Ende 
aller  Offenbarung.  Wir  sehen  gerade  denselben  Jesus, 
wie  er  nachher  als  auferstandener  Herr  sich  selbst  seinen 
Aposteln  offenbart  und  ihnen  weitere  Offenbarungen 
verheißt,^)  und  ihnen  verspricht,  sie  zu  begleiten  bis  an  das 
Ende  der  Welt. 2)  Aber  auch  davon  abgesehen:  Wären  die 
Worte  des  Gekreuzigten  mit  dieser  Absicht  gesprochen 
worden,  so  müßten  die  Apostel,  die  ihr  Leben  lang  durch 
Offenbarung  lehrten,  als  Betrüger  betrachtet  werden. 

21.  Um  den  Bannfluch  zu  rechtfertigen,  mit  dem  die 
Gegner  heutiger  Offenbarung  die  zu  verfolgen  suchen, 
die  an  den  fortdauernden  Zufluß  des  Wortes  Gottes  an 
seine  Kirche  glauben,  wird  auch  die  nachstehende  Prophe- 
zeiung des  Sacharja  angeführt.  „Zu  der  Zeit,  spricht  der 
Herr  Zebaoth,  will  ich  der  Götzen  Namen  ausrotten  aus 
dem  Lande,  daß  man  ihrer  nicht  mehr  gedenken  soll; 
dazu  will  ich  auch  die  Propheten  und  unreinen  Geister 
aus  dem  Lande  treiben;  daß  es  also  gehen  soll:  wenn  je- 


')  Lukas  24:49. 

»)  Matthäus  28:20;  siehe  auch  Markus  16:20. 


384  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVI. 

mand  weiter  weissagt,  sollen  sein  Vater  und  seine  Mutter, 
die  ihn  gezeuget  haben,  zu  ihm  sagen :  Du  sollst  nicht  leben, 
denn  du  redest  Falsches  im  Namen  des  Herrn ;  und  werden 
also  Vater  und  Mutter,  die  ihn  gezeuget  haben,  ihn  zer- 
stechen wenn  er  weissaget.  Denn  es  soll  zu  der  Zeit  ge- 
schehen, daß  die  Propheten  mit  Schanden  bestehen  mit 
ihren  Gesichten,  wenn  sie  weissagen, "i) 

Die  Zeit,  von  der  hier  gesprochen  wird,  scheint  noch 
in  der  Zukunft  zu  liegen;  soviel  aber  ist  sicher,  daß  die 
„Götzen"  und  die  , »unreinen  Geister"  noch  Einfluß  haben, 
und  ferner  ist  Tatsache,  daß  die  hier  erwähnten  „Pro- 
pheten" falsche  sind,  angedeutet  durch  Sacharjas  Gleich- 
stellung mit  den  Götzen  und  unreinen  Geistern. 

22.  Derartige  Versuche,  wie  sie  unter  Verdrehung  der 
Bedeutung  der  angeführten  Schriftstellen  unternommen 
werden,  um  der  Lehre  von  der  fortlaufenden  Offenbarung 
entgegenzutreten,  erweisen  sich  als  jämmerlich  und  erfolglos. 
Sie  tragen  ihre  Widerlegung  an  der  eigenen  Stirn  und  lassen 
die  Wahrheit  unberührt :  daß  nämlich  der  Glaube  an  neu- 
zeitliche Offenbarung  durchaus  vernünftig  und  streng 
schriftgemäß  ist. 2) 

23.  Neuzeitliche  Offenbarung.  Im  Lichte  unserer  Er- 
kenntnis von  der  Beständigkeit  fortlaufender  Offenbarung 
als  einem  wesentlichen  Merkmal  der  Kirche,  ist  es  ebenso 
vernünftig,  heute  nach  neuen  Offenbarungen  auszuschauen, 
wie  an  das  Vorhandensein  dieser  Gabe  in  alten  Zeiten 
zu  glauben.  „Wo  keine  Weissagung  ist,  wird  das  Volk 
wild  und  wüst"^)  wurde  vor  alters  erklärt  und  gewiß  ist 
es  am  Platze  in  „Weissagung"  auch  Offenbarung  einzu- 
schließen, denn  diese  letzte  Gabe  wird  oft  durch  Träume 
und  Weissagung  bezeichnet.  Dennoch  sind  die  sogenannten 


')  Sacharja  13:2 — 4. 
")  Siehe  Anmerkung  2. 
»)  Sprüche  29:18. 


Art.  9.]  Offenbarung.  385 

christlichen  Sekten  trotz  der  ausgiebigsten  und  deut- 
lichsten Beweise  und  Zeugnisse  aus  der  Heiligen  Schrift 
einig  in  der  Behauptung,  daß  mit  den  Aposteln,  oder  sogar 
schon  vorher,  die  Offenbarungen  aufgehört  hätten,  daß 
weitere  Gemeinschaft  mit  den  Himmeln  unnötig,  und  etwas 
derartiges  zu  erwarten,  schriftwidrig  sei.  Indem  die  sonst 
uneinigen  Sekten  des  Tages  diesen  Standpunkt  vertreten, 
befinden  sie  sich  auf  dem  gleichen  Wege  wie  die  Ungläu- 
bigen früherer  Zeiten.  Die  abtrünnigen  Juden  verwarfen 
den  Heiland,  weil  er  mit  neuen  Offenbarungen  zu  ihnen 
kam.  Hatten  sie  nicht  Mose  und  die  Propheten  als  Füh- 
rer? Wen  brauchten  sie  sonst  noch?  Sie  prahlten  öffent- 
lich: „Wir  sind  Moses  Jünger"  und  fügten  hinzu  ,,Wir 
wissen,  daß  Gott  mit  Mose  geredet  hat;  von  wannen 
aber  dieser  ist,  wissen  wir  nicht. "i) 

24.  Die  Heilige  Schrift,  weit  davon  entfernt,  ein 
Aufhören  der  Offenbarungen  für  die  letzten  Tage  vorherzu- 
sagen, erklärt  im  Gegenteil  die  Fortdauer  dieser  Gabe 
unter  dem  Volk  des  Herrn.  Johannes  der  Offenbarer  sah 
voraus,  daß  in  den  letzten  Tagen  das  Evangelium  durch 
einen  Engel  wiedergebracht  werden  sollte:  ,,Und  ich  sah 
einen  Engel  fliegen,  mitten  durch  den  Himmel,  der  hatte 
ein  ewiges  Evangelium  zu  verkünden  denen,  die  auf  Erden 
wohnen,  und  allen  Heiden  und  Geschlechtern  und  Spra- 
chen und  Völkern". 2)  Er  wußte  außerdem,  daß  man  in  den 
letzten  Tagen  die  Stimme  Gottes  vernehmen  sollte,  wie 
sie  das  Volk  des  Herrn  aus  Babylon  nach  einem  Ort  der 
Sicherheit  ruft:  ,,Und  ich  hörte  eine  andere  Stimme  vom 
Himmel,  die  sprach:  Gehet  aus  von  ihr,  mein  Volk,  daß 
ihr  nicht  teilhaftig  werdet  ihrer  Sünden,  auf  daß  ihr 
nicht  empfanget  von  ihren  Plagen. "3) 


>)  Johannes  9:28 — 29. 
«)  Offenb.  Joh.  14:6. 
»)  Offenb.  Joh.  18:4. 

25 


386  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XV  I. 

25.  Das  Buch  Mormon  ist  nicht  weniger  deutlich  in  sei- 
ner Feststellung,  daß  in  den  letzten  Tagen  unmittelbare 
Offenbarung  als  eine  Segnung  auf  der  Kirche  ruhen  werde. 
Es  sei  nur  auf  die  durch  Ether  den  Jarediten  gegebene  Pro- 
phezeiung hingewiesen ;  aus  ihrem  Zusammenhang  geht  her- 
vor, daß  unter  der  Zeit,  von  der  gesprochen  wird,  die  letzte 
Dispensation  zu  verstehen  ist.  ,,An  dem  Tage,  da  sie 
(die  Heiden)  ihren  Glauben  an  mich  bewähren  werden, 
so  wie  Jareds  Bruder  es  getan  hat,  sagt  der  Herr,  so  daß 
sie  in  mir  geheiligt  werden,  dann  werde  ich  ihnen  die  Dinge 
verkündigen,  welche  Jareds  Bruder  sah,  ja  sogar  ihnen  alle 
Offenbarungen  enthüllen,  sagt  Jesus  Christus,  der  Sohn 
Gottes,  der  Vater  der  Himmel  und  der  Erde  und  aller  Dinge, 
die  darin  enthalten  sind.  ***  Wer  aber  diese  Dinge  glaubt, 
welche  ich  geredet  habe,  dem  will  ich  die  Offenbarungen 
meines  Geistes  verleihen,  und  er  soll  erkennen  und  Zeug- 
nis davon  geben. "i) 

26.  Lehi  führt  anläßlich  der  Belehrung  seiner  Söhne 
eine  Prophezeiung  Josephs,  des  Sohnes  Jakobs  an,  die  uns 
in  der  Zusammenstellung  von  Büchern,  welche  wir  als 
die  Bibel  kennen,  nicht  berichtet  wird.  Sie  hat  insbeson- 
dere Bezug  auf  das  Werk  Josephs,  des  Propheten  unserer 
Tage.  „Ja,  Joseph  sagte  wirklich:  So  spricht  der  Herr  zu 
mir:  Einen  auserwählten  Seher  will  ich  aus  der  Frucht 
deiner  Lenden  erwecken;  und  er  soll  unter  der  Frucht 
deiner  Lenden  hoch  geschätzt  werden.  Und  ihm  werde 
ich  Befehl  geben,  daß  er  ein  Werk  für  die  Frucht  deiner 
Lenden,  seine  Brüder,  tue,  welches  einen  großen  Wert 
für  sie  haben  wird,  um  sie  zu  der  Erkenntnis  der  Bündnisse 
zu  bringen,  die  ich  mit  deinen  Vätern  gemacht  habe". 2) 

27.  Nephi,  der  Sohn  Lehis,  sprach  durch  Prophezeiung 
von    den    letzten   Tagen,   wo   viele   Heiden   ein   Zeugnis 


')  Ether  4:7,  11. 
»)  2.  Nephi  3:7. 


Art.  9.]  Offenbarung.  387 

von  Jesus  Christus  erhalten  würden,  mit  vielen  Zeichen  und 
wunderbaren  Kundgebungen  —  „und  daß  er  sich  durch  die 
Macht  des  Heiligen  Geistes  allen  denen,  welche  an  ihn 
glauben,  offenbart,  ja,  allen  Nationen,  Sprachen  und  Völ- 
kern, indem  er  mächtige  Wahrzeichen,  Zeichen  und  Wun- 
der unter  den  Menschenkindern  verrichtet,  ihrem  Glauben 
gemäß.  Aber  sehet,  ich  prophezeie  euch  über  die  letzten 
Tage,  über  die  Tage,  an  welchen  Gott,  der  Herr,  diese 
Dinge  auf  die  Menschenkinder  bringen  wird."^) 

28.  Der  gleiche  Prophet  erteilt  den  Ungläubigen  der 
letzten  Tage  einen  scharfen  Verweis  und  sagt  das  Hervor- 
kommen weiterer  heiliger  Schriften  voraus:  „Und  es  wird 
geschehen,  daß  Gott,  der  Herr,  unter  euch  die  Worte  eines 
Buches  bringen  wird,  und  es  werden  die  Worte  derer  sein, 
die  geschlummert  haben.  Und  das  Buch  wird  versiegelt 
sein,  und  in  dem  Buch  wird  eine  Offenbarung  von  Gott, 
von  Anfang  bis  zum  Ende  der  Welt  sein. "2) 

29.  Als  der  Heiland  zu  den  Nephiten  redete,  wieder- 
holte er  die  Prophezeiungen  Maleachis  inbezug  auf  die 
Offenbarung,  die  vor  dem  zweiten  Kommen  Christi  durch 
den  Propheten  Elia  gegeben  werden  sollte:  ,, Siehe,  ich  will 
euch  senden  den  Propheten  Elia,  ehe  denn  da  komme  der 
große  und  schreckliche  Tag  des  Herrn.  Der  soll  das  Herz 
der  Väter  bekehren  zu  den  Kindern  und  das  Herz  der  Kin- 
der zu  ihren  Vätern,  daß  ich  nicht  komme  und  das  Erd- 
reich mit  dem  Bann  schlage". 3) 

30.  Durch  Offenbarungen  in  unseren  Tagen  hat  der 
Herr  seine  frühern  Verheißungen  bestätigt  und  erfüllt 
und  hat  insbesondere  jene  getadelt,  die  seinen  Mund  ver- 
schließen   und    sein    Volk    ihm    entfremden    möchten. 


i)  2.  Nephi  26:13—14. 
«)  2.  Nephi  27:6—7. 

')  3.  Nephi  25:5 — 6;  siehe  auch  Maleachi  4:5 — 6;  Seite  13,  184 — 186 
dieses  Buches,  und  für  die  Erfüllung  Lehre  u.  Bündn.  110:13. 


388  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVI. 

Heute  vernehmen  wir  seine  Stimme:  ,,***um  der 
Welt  zu  beweisen,  daß  die  Heilige  Schrift  wahr  ist,  und  daß 
Gott  auch  in  diesem  Zeitalter  und  Geschlechte  Menschen 
mit  seinem  Geiste  erfüllt  und  sie,  ebenso  wie  früher,  zu 
seinem  heiligen  Werke  beruft;  und  dadurch  zeigt,  daß 
er  gestern,  heute  und  in  alle  Ewigkeit  derselbe  Gott  ist."i) 

31.  Offenbarungen  in  der  Zukunft.  Es  ist  angesichts 
der  dargelegten  Tatsache,  daß  Offenbarungen  von  Gott  zu 
den  Menschen  stets  ein  Kennzeichen  der  Kirche  Christi 
gewesen  sind  und  auch  immer  sein  werden,  nur  vernünftig, 
daß  wir  mit  Vertrauen  das  Kommen  weiterer  Botschaften 
vom  Himmel  erwarten,  selbst  bis  zum  Ende  der  mensch- 
lichen Prüfungszeit  auf  Erden.  Die  Kirche  ist  heute  eben- 
sosehr auf  den  Felsen  der  Offenbarung  gegründet  und  wird 
es  auch  in  Zukunft  sein,  wie  es  zu  der  Zeit  der  Fall  war, 
als  Christus  dem  Apostel  Petrus  jene  prophetische  Seg- 
nung erteilte,  die  ihn  befähigte,  von  der  Götthchkeit 
seines  Herrn  und  Meisters  zu  zeugen. 2)  Gegenwärtige 
Offenbarung  sagt  noch  eben  so  klar,  wie  die  früherer  Tage, 
zukünftige  Kundgebungen  Gottes  voraus,  die  auf  diesem 
Wege  erfolgen  sollen. 3)  Der  Band  heiliger  Schriften  ist 
noch  nicht  abgeschlossen,  viele  Zeilen,  viele  Vorschriften 
sollen  noch  hinzugetan  werden  —  Offenbarungen,  die  alles 
was  bis  jetzt  überliefert  wurde,  an  Bedeutung  und  glor- 
reicher Fülle  überragen  sollen,  werden  der  Kirche  noch 
gegeben  und  der  Welt  verkündigt  werden. 

32.  Was  für  einen  Schatten  einer  Rechtfertigung  oder 
einen  Schein  einer  Übereinstimmung  kann  der  Mensch  für 
sichin  Anspruch  nehmen,  wenn  er  die  Macht  und  die  Absicht 


>)  Lehre  u.  Bündn.  20:11—12;  siehe  auch  l.rll;  11:25;  20:26—28; 
35:8;  42:61;  50:35;  59:4;  70:3,  und  das  ganze  Buch  als  Beweis  für  die 
Fortdauer  der  Offenbarung  an  die  Kirche  heutzutage. 

=)  Matthäus  16:16—19;  Markus  8:27—30;  Lukas  9:18—20;  Johan- 
nes 6:69. 

')  L.  u.  B.  20:35;  35:8  und  die  vorhin  angeführten  Stellen  aus  L.u.  B. 


Art.  9.]  Anmerkungen.  389 

Gottes,  sich  selbst  und  seinen  Willen  heutzutage  ebenso 
wie  früher  zu  offenbaren,  leugnet?  Auf  jedem  menschli- 
chen Wissens-  und  Tätigkeitsgebiet,  in  allem  und  jedem, 
worin  er  sich  selbst  zu  verherrlichen  sucht,  ist  der  Mensch 
stolz  auf  die  erreichten  Möglichkeiten  der  Erweiterung 
und  des  Wachstums,  nur  in  der  göttlichen  Wissenschaft, 
der  Theologie,  hält  er  den  Fortschritt  für  unmöglich  und 
Verbesserung  für  verboten.  Gegen  solches  ketzerisches 
und  gotteslästerliches  Leugnen  göttlicher  Vorrechte  und 
Macht  verkündet  der  Herr  seinen  Beschluß  mit  Worten 
von  schrecklicher  Bedeutung:  „Wehe  dem,  der  da  sagen 
wird :  Wir  haben  das  Wort  Gottes  erhalten  und  wir  brauchen 
nichts  mehr  von  demselben,  denn  wir  haben  genug."^) 
,, Verleugne  nicht  den  Geist  der  Offenbarung,  noch  den 
Geist  der  Weissagung,  denn  wehe  dem,  der  diese  Dinge 
verleugnet. "2) 


Anmerkungen. 


1.  Freiheit  bei  der  Inspiration.  —  Über  die  Freiheit  des  Handelns 
bei  den  unter  dem  Einfluß  der  Inspiration  stehenden  Menschen  hat  Faussett 
folgendes  zu  sagen:  „Inspiration  nimmt  den  Schreibern  ihre  Eigenart  nicht, 
ebensowenig  wie  die  inspirierten  Lehrer  der  ursprünglichen  Kirche  beim 
Prophezeien  bloß  mechanische  Werkzeuge  waren  (1.  Kor.  14:32).  „Wo 
der  Geist  des  Herrn  ist,  da  ist  Freiheit!"  (2.  Korinter  3:17).  Ihr  Wille 
wurde  eins  mit  dem  Willen  Gottes,  sein  Geist  wirkte  auf  ihren  Geist,  sodaß 
ihre  Persönlichkeit  in  dem  Bereiche  seiner  Inspiration  vollen  Spielraum 
hatte.  Soweit  es  sich  um  religiöse  Wahrheiten  handelt,  sind  die  gesammelten 
heiligen  Schriften  alle  einheitlich,  dagegen  ist  bei  andern  Dingen  ihre  Ab- 
fassung handgreiflich  ebenso  verschieden  und  mannigfaltig  wie  die  Verfasser 
selbst.  Die  Verschiedenartigkeit  ist  menschlich,  die  Einheitlichkeit  göttlich. 
Wären  die  vier  Evangelisten  bloß  Maschinen  gewesen,  welche  die  gleichen 
Ereignisse  in  derselben  Reihenfolge  mit  denselben  Worten  erzählten,  so 
hätten  sie  aufgehört,  von  einander  unabhängige  Zeugen  zu  sein.  Gerade 
ihre  Verschiedenartigkeit,  (d.  h.  ihre  scheinbare  Verschiedenheit)  widerlegt 
eine  geheime  gegenseitige  Abmachung.  ***  Die  geringen  Abweichungen  in 


1)  2.  Nephi  28:29,30;   siehe  auch  29:6—12. 
=)  Lehre  u.  Bündn.  11:25. 


390  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XV I. 

den  zehn  Geboten  zwischen  2.  Mose  20  und  ihrer  Wiederholung  in  5.  Mose  5, 
ebenso  in  Psalm  18  gegenüber  2.  Samuel  22,  ferner  in  Psalm  14  gegenüber 
Psalm  53  und  in  den  Anführungen  des  Alten  Testaments  von  denen  im 
Neuen  (Anführungen,  die  manchmal  der  Septuaginta  entnommen  sind,  welche 
von  dem  Hebräischen  abweicht)  beweisen  die  geistgezeugte  Unabhängig- 
keit der  heiligen  Schreiber,  die  unter  göttlicher  Leitung  und  Genehmigung 
bei  verschiedenen  Gelegenheiten  und  unter  verschiedenen  Gesichtspunkten 
die  gleichen  Wahrheiten  darstellten,  wovon  einer  den  andern  ergänzte." 
Bible  Cyclopedia.    A.  R.  Faussett,    Seite  308. 

2.  Die  Lehre  von  keiner  weitern  Olfenbarunn  Ist  neu  und  falsch.  — 
„Die  Geschichte  des  Volkes  Gottes  zeigt  vom  frühesten  Beginn  an,  daß 
fortwährende  Offenbarung  der  einzige  Weg  war,  auf  dem  die  Menschen 
alle  ihre  Pflichten  oder  den  Willen  Gottes  erfahren  konnten.  Niemals 
waren  die  Heiligen  Gottes  der  Meinung,  daß  die  den  vergangenen  Geschlech- 
tern erteilten  Offenbarungen  genügten,  um  sie  in  jede  gegenwärtige  Pflicht 
einzuweihen.  Eine  Lehre,  die  neue  Offenbarungen  verwirft,  ist  eine  neue 
Lehre,  im  zweiten  Jahrhundert  nach  Christus  vom  Teufel  und  seinen  Hel- 
fershelfern erfunden.  Es  ist  dies  eine  Lehre,  die  zu  allem,  was  die  Heiligen 
aller  Zeiten  glaubten  und  wessen  sie  sich  erfreuten,  in  krassem  Wider- 
spruch steht.  Nun  kann  aber  eine  Lelire,  die  viertausend  Jahre  alt  ist,  nur 
von  göttlicher  Autorität  abgeschafft  und  eine  neue  dafür  eingesetzt  werden. 
Was  somit  die  Lehre  von  der  Notwendigkeit  fortlaufender  Offenbarung  an- 
belangt, so  ist  dies  eine  Lehre,  an  welche  die  Heiligen  stets  geglaiibt  haben; 
es  sollte  von  niemand  verlangt  werden,  die  Notwendigkeit  der  Fortsetzung 
einer  solchen  Lehre  zu  beweisen.  Wäre  es  eine  neue,  der  Welt  bisher  völlig 
unbekannte  Lehre,  so  würde  es  erforderlich  sein,  ihre  göttliche  Herkunft 
zu  beweisen.  Da  es  sich  aber  nur  um  die  Fortsetzung  einer  alten  Lehre 
handelt,  die  bereits  vor  Tausenden  von  Jahren  eingeführt  wurde,  und  an 
die  zu  glauben  und  sich  ihrer  zu  erfreuen  die  Heiligen  niemals  aufgehört 
haben,  käme  es  der  größten  Anmaßung  gleich,  diese  Lehre  in  unserm  späten 
Zeitalter  in  Frage  zu  stellen.  Es  scheint  daher  fast  überflüssig,  die  Not- 
wendigkeit ihrer  Fortsetzung  beweisen  zu  wollen.  Dagegen  haben  alle 
Menschen  das  Recht,  die  Verleugner  neuer  Offenbarungen  der  letzten  sieb- 
zehnhundert Jahre  alle  ziu"  Rechenschaft  zu  ziehen,  und  sie  aufzufordern, 
ihre  gewichtigen  Gründe  und  Beweisstücke  für  das  Brechen  der  so  lang 
bestehenden  Ordnung  des  Himmels  und  für  die  Einführung  einer  neuen, 
von  der  alten  so  ganz  verschiedenen  Lehre  vorzulegen-  Wenn  sie  wünschen, 
daß  man  ihrer  neuen  Lehre  glauben  soll,  so  mögen  sie  uns  zunächst  beweisen, 
daß  sie  göttlichen  Ursprungs  ist;  andernfalls  sind  alle  Menschen  berechtigt, 
sie  zu  verwerfen  und  bei  der  alten  Lehre  zu  bleiben."  —  Orson  Pratt,  „Di- 
vine Authenticity  of  the  Book  of  Mormon",  I  (2),  Seite  15,  16. 

3.  Inspiration  ein  sicherer  Führer.  —  Inspiration  ist  erklärt  worden 
als  „die  wirkende  Kraft  des  Heiligen  Geistes,  in  welchem  Grade  oder  auf 
welche  Weise  sie  auch  tätig  sei;  eine  Kraft,  von  der  geleitet  die  göttlich 
berufenen  Diener  durch  das  Wort  des  Mundes  seinen  Willen  feierlich  ver- 
kündigt, oder  die  verschiedenen  Teile  der  Bibel  geschrieben  haben".  Unter 
„vollkommener  Inspiration"  verstehen  wir,  daß  diese  Kraft  so  vollständig 
und  restlos  angewandt  wurde,  daß  dadurch  die  Lehren  der  heiligen  Schreiber 
im  buchstäblichen  Sinne  zu  den  Lehren  Gottes  wurden,  die  von  ihm  aus- 
gingen, tatsächlich  seinem  Sinn  Ausdruck  verliehen  und  die  Genehmigung 
göttlicher  Autorität  aufwiesen.     Unter  wörtlicher  (wortgemäßer)    Inspi- 


Art.  9.]  Anmerkungen.  391 

ration  verstehen  wir,  daß  diese  Kraft  niclit  damit  erschöpft  war,  den  Schrei- 
bern die  Dinge  der  Heiligen  Schrift  einzuflüstern,  und  es  dann  ihnen  zu 
überlassen,  das  auf  übernatürlichem  Wege  erhaltene  in  ihrer  eigenen  Form 
und  auf  eine  ausschließlich  menschliche  Art  weiterzugeben,  sondern  daß 
ihnen  auch  Beistand  geleistet  wurde  und  sie  geleitet  und  geführt  wurden 
auch  in  der  Weitergabe  der  erhaltenen  Wahrheit.  ***  Wenn  die  Lehre  von 
,, vollkommener"  und  ,, wörtlicher"  Inspiration  den  Mißverständnissen  und 
dem  Mißverstehen  entzogen  wird,  das  ihr  so  oft  entgegengebracht  wird, 
so  können  von  keinem  Standpunkt  aus  Einwendungen  gegen  sie  erhoben 
werden.  Sie  stimmt  dann  mit  jenen  Schlußfolgerungen  überein,  zu  denen 
die  neuzeitlichen  Gelehrten  inbezug  auf  das  Wort  Gottes  gekommen  sind; 
denn  das  Gefasel  der  ,, höhern  Kritik"  ist  wenig  mehr  als  die  Grillen  lau- 
nischer, eigenmächtiger  Einfälle,  und  es  ist  sehr  zu  bedauern,  daß  sie  mit 
einer  gänzlich  unverdienten  Achtung  beehrt  und  so  schnell  den  wertvollen 
und  kostbaren  Ergebnissen  der  echten  Kritik  an  die  Seite  gestellt  wurden. 
Diese  letztern  Ergebnisse  weisen  in  mehrfacher  Hinsicht  auf  die  vollkom- 
mene Inspiration  hin,  nur  muß  die  Lehre  selbst  richtig,  d.  h.  dahingehend 
verstanden  werden,  daß  sie  nur  auf  den  allein  haltbaren  und  vernunftge- 
mäßen Grund  anwendbar  ist,  auf  den  die  Autorität  der  kanonischen  Schrif- 
ten sicher  gestellt  werden  kann."  —  Casells  Bible  Dictionary,  S.  559,  561. 
4.  ,,Ist  es  unvernünftig  oder  unphilosophisch,  auf  diese  Weise  mehr 
Licht  und  Erkenntnis  zu  erwarten?  Sollte  Beligion  die  einzige  Abteilung 
menschlichen  Denkens  und  Schaffens  sein,  in  welcher  ein  Fortschritt  un- 
möglich ist?  Was  würde  man  von  einem  Chemiker,  einem  Astronomen, 
einem  Geologen  sagen,  der  erklärte,  es  sei  keine  weitere  Entdeckung  auf 
diesen  Gebieten  der  Wissenschaft  möglich  und  die  Studenten  brauchten 
nur  die  Bücher  der  frühern  Gelehrten  zu  studieren  und  nur  längst  bekannte 
Grundsätze  anzuwenden,  denn  Neues  könnte  nicht  mehr  entdeckt  werden. 
Ist  nicht  die  Haupttriebfeder  zur  Forschung  und  Untersuchung  die  Über- 
zeugung, daß  es  für  Erkenntnis  und  Weisheit  kein  Ende  gibt?  Nach  der 
Lehre  des  ,,Morraonismus"  kommt  alle  Weisheit  von  Gott,  und  Intelligenz 
ist  der  Glanz  seiner  Herrlichkeit;  somit  hat  der  Mensch  bei  weitem  noch 
nicht  alles  gelernt,  was  von  ihm  und  seinen  Wegen  zu  lernen  ist.  Wir  halten 
dafür,  daß  die  Lehre  von  der  Notwendigkeit  fortwährender  Offenbarung 
ebenso  philosophisch  und  wissenschaftlich  wie  biblisch  ist."  —  Der  Verfasser 
von  „Philosophie  in  Mormonismus",  S.  8. 


392  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVI I. 


Vorlesung  XVII. 
Die  Zerstreuung  Israels. 

Artikel  10.  —  "Wir  glauben  an  die  buchstäbliche  Versammlung  Israels 
und  an  die  Wiederherstellung  der  zehn  Stämme*  *  *. 

1.  Israel.  Unter  dem  Namen  Israel  verstand  man  ur- 
sprünglich einen  Menschen,  dem  der  Herr  eine  Bitte  er- 
füllen mußte,  —  einen  ,, Kämpfer  Gottes",  einen,  der  mit 
Gott  gerungen  hatte,  einen  ,, Fürst  Gottes".  Dies  sind  einige 
der  gebräuchlichsten  Übertragungen  ins  Deutsche.  Der 
Name  erscheint  in  der  Heiligen  Schrift  zuerst  als  ein  Titel, 
den  der  Herr  dem  Patriarchen  Jakob  gab,  als  dieser  in 
seiner  Entschlossenheit,  sich  von  dem  himmlischen  Be- 
sucher in  der  Wüste  eine  Segnung  zu  sichern,  siegreich 
blieb.  Darauf  erhielt  Jakob  die  Verheißung:  „Du  sollst 
nicht  mehr  Jakob  heißen,  sondern  Israel;  denn  du  hast 
mit  Gott  und  mit  Menschen  gekämpft  und  bist  obgelegen."^) 
Wir  lesen  dann  weiter :  „Und  Gott  erschien  Jakob  abermals, 
nachdem  er  aus  Mesopotamien  gekommen  war,  und  seg- 
nete ihn  und  sprach  zu  ihm:  Du  heißt  Jakob;  aber  du 
sollst  nicht  mehr  Jakob  heißen,  sondern  Israel  sollst  du 
heißen.  Und  also  heißt  man  ihn  Israel. "2) 

2.  Indessen  erfuhr  die  zugleich  als  Name  und  als  Titel 
zusammengefaßte  Bezeichnung,  die  unter  so  feierlichen 
Umständen  erteilt  worden  war,  bald  eine  weitergehende 
Anwendung,  und  im  Laufe  der  Zeiten  wurde  sie  zur  Bezeich- 
nung der  gesamten  Nachkommenschaft  Abrahams  durch 


')  1.  Mose  32:29  (28). 
»)  1.  Mose  35:9—10. 


Art.  10.]  Die  Zerstreuung   Israels.  393 

Isaak  und  Jakob/)  mit  denen  der  Herr  einen  Bund  gemacht 
hatte,  daß  durch  sie  und  ihre  Nachkommen  alle  Völker  der 
Erde  gesegnet  werden  sollten.^)  Der  Name  eines  einzelnen 
Patriarchen  wurde  so  zum  Namen  eines  ganzen  Volkes, 
dessen  zwölf  Stämme  sich  des  Titels  „Israeliten"  oder 
„Kinder  Israel"  erfreuten.  Unter  diesem  Namen  waren 
sie  in  den  dunklen  Tagen  der  ägyptischen  Knechtschaft 
bekannt,^)  dann  während  der  vier  Jahrzehnte  ihres  Aus- 
zuges und  ihrer  Wanderung  nach  dem  verheißenen  Land*) 
und  weiterhin,  während  der  Zeit  ihres  Bestehens  als  ein 
mächtiges  Volk  unter  der  Regierung  der  Richter  und  noch 
später  als  eine  geeinigte  Nation  unter  Saul,  David  und 
Salomo,  die  zusammen  hundertundzwanzig  Jahre  lang 
regierten.^) 

3.  Nach  dem  Tode  Salomos  —  etwa  ums  Jahr  975 
vor  Christus  —  wurde  das  Königreich  geteilt.  Der  Stamm 
Juda  und  ein  Teil  des  Stammes  Benjamin  anerkannten 
Rehabeam,  den  Sohn  und  Nachfolger  Salomos,  als  ihren 
König,  während  der  übrige  Teil  des  Volkes,  gewöhnlich 
die  zehn  Stämme  genannt,  sich  gegen  Rehabeam  empörte 
und  so  den  Zusammenhang  mit  dem  Hause  Davids  zerriß. 
Diese  zehn  Stämme  wählten  sich  Jerobeam  zu  ihrem  König. 
Die  unter  Jerobeam  vereinigten  Stämme  behielten  den 
Namen  „Reich  Israel"  bei,  wenngleich  sie  auch  unter  der 
Bezeichnung  Ephraim^)  bekannt  waren  (nach  dem  vornehm- 
sten ihrer  Stämme).  Dagegen  wurden  Rehabeam  und  seine 
Untertanen  das  „Reich  Juda"  geheißen.  Etwa  zweihundert- 
fünfzig Jahre  lang  bestanden  diese  beiden  Reiche  getrennt 


')  1.  Samuel  25:1;  Jesaja  48:1;  Römer  9:4;  11:1. 

^)  1.  Mose  12:1—3;  17:1—8;  26:3 — 4;  28:13—15. 

')  2.  Mose  1:1,  7;  9:6—7;  12:3  usw. 

*)  2.  Mose  12:35,  40;  13:19;  15:1;  35:20,  30;  3.  Mose  1:2;  4.  Mose 
20:1,  19,  24  usw. 

')  Siehe  die  vielen  Anmerkungen  im  Buch  der  Richter,  im  1 .  und  2. 
Samuel  und  in  1.  und  2.  Könige. 

«)  Jesaja  11:13;  17:3;  Hesckiel  37:16—22;  Hosea  4:17. 


394  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVII. 

nebeneinander.  Später  (721  v.  Chr.)  wurde  die  Unab- 
hängigkeit des  Reiches  Israels  vernichtet  und  das  Volk 
selbst  von  den  Assyrern  unter  Salmanasser  in  die  Gefangen- 
schaft geführt.  Das  Reich  Juda  bestand  über  ein  Jahr- 
hundert länger,  es  wurde  ihm  aber  dann  von  Nebukad- 
nezar,  der  es  in  die  babylonische  Gefangenschaft  führte, 
ein  Ende  gemacht.  Ungefähr  siebzig  Jahre  verblieb  das 
Volk  in  der  Gefangenschaft  —  eine  Tatsache,  die  mit  einer 
Prophezeiung  des  Propheten  Jeremia^)  im  Einklang  stand. 
Endlich  erweichte  der  Herr  die  Herzen  der  regierenden 
Könige,  und  unter  dem  Perserkönig  Cyrus  begann  das 
Werk  der  Befreiung.  Den  Hebräern  wurde  gestattet, 
nach  Judäa  zurückzukehren  und  in  Jerusalem  den  Tempel 
des    Herrn    wieder    aufzubauen. 

4.  Das  Volk,  alsdann  gewöhnlich  Hebräer  oder 
Juden  genannt,^)  behielt  als  seinen  nationalen  Namen  die 
Bezeichnung  Israel  bei,  obschon  es  kaum  noch  zwei  voll- 
ständige Stämme  von  den  zwölfen  umfaßte.  Der  Name 
Israel,  der  auf  diese  Weise  von  dem  Überrest  eines  einst 
mächtigen  Volkes  mit  lobenswertem  Stolze  weitergeführt 
wurde,  wurde  später  in  bildlichem  Sinne  auf  die  Auser- 
wählten Gottes  angewandt,  die  in  der  Kirche  Christi  ver- 
einigt waren^)  und  in  diesem  Sinne  wird  er  noch  heute  ge- 
braucht. Das  Volk  Israel,  wie  wir  ihm  in  der  Geschichte 
zuerst  begegnen,  war  ein  geeinigtes  Volk.  Damit  wir  die 
tatsächliche  Bedeutung  der  Sammlung  verstehen,  auf  die 
sich  der  zehnte  Glaubensartikel  bezieht,  müssen  wir 
zuerst  die  Wegführung  und  die  Zerstreuung  betrachten, 
der  das  Volk  unterworfen  wurde.  Die  heiligen  Schriften 
enthalten  eine  Fülle  von  Prophezeiungen  über  diese  Zer- 
streuung Israels.  Bibel  und  Weltgeschichte  geben  vereint 
Zeugnis  von  der  Erfüllung  dieser  Prophezeiungen. 

')  Jeremia  25:11—12;  29:10. 
')  Siehe  Anmerkungen  1  und  2. 
»)  Römer  9:6;  Galater  6:16. 


Art.  10.]  Die  Zerstreuung   Israels.  395 

5.  Die  Zerstreuung  Israels  vorhergesagt.  Es  ist  gesagt 
worden,  daß  „wenn  eine  vollständige  Geschichte  des 
Hauses  Israel  geschrieben  werden  sollte,  würde  es  eine 
Geschichte  der  Weltgeschichte  sein,  d.  h.  der  Schlüssel 
zu  der  Weltgeschichte  der  letzten  zwanzig  Jahrhunderte."^) 
Die  Berechtigung  dieser  starken  Behauptung  findet 
man  in  der  Tatsache,  daß  die  Israeliten  so  völlig  unter 
die  verschiedenen  Völker  zerstreut  worden  sind,  daß 
diesem  Volke  in  dem  Aufschwung  und  in  der  Entwicklung 
beinahe  jedes  großen  Teiles  der  menschlichen  Familie 
ein  wichtiger  Platz  zukommt.  Dieses  Werk  der  Zerstreuung 
ging  schrittweise  vor  sich  und  erstreckte  sich  über  einen 
Zeitraum  von  Jahrtausenden.  Von  den  ersten  Propheten 
des  auserwählten  Volkes  wurde  sie  vorausgesehen;  die 
geistigen  Führer  jeder  Generation  —  sowohl  vor,  wie 
auch  unmittelbar  nach  der  messianischen  Zeit  —  sagten 
die  Zerstreuung  des  Volkes  als  unausbleibliche  Folge 
seiner  wachsenden  Verderbtheit  voraus,  oder  sie  bezogen 
sich  auf  die  Erfüllung  früherer  Prophezeiungen  der  Zer- 
streuung, die  damals  schon  eine  Tatsache  war  und 
sagten  eine  weitere,  vollständigere  Wegführung  des  Vol- 
kes voraus. 

6.  Biblische  Prophezeiungen.  Während  der  müh- 
seligen Wanderung  des  Volkes  Israel  von  Ägypten,  wo  sie 
wie  im  Hause  der  Knechtschaft  gelebt  hatten,  nach  Ka- 
naan, dem  Lande  der  Verheißung,  gab  ihm  der  Herr  eine 
Reihe  von  Gesetzen  und  setzte  zu  seiner  Regierung  in 
zeitlichen  wie  in  geistigen  Angelegenheiten  gewisse  Ver- 
ordnungen ein.  Er  stellte  ihnen  Segnungen  vor  Augen, 
die  die  unbewaffnete  menschliche  Fassungskraft  über- 
stiegen, machte  sie  aber  von  ihrem  Gehorsam  zu  den  Ge- 
setzen  der  Rechtschaffenheit  und  von  der  Ergebenheit 


1)  Compendium  S.  85  (Ausgabe  von  1884). 


396  Die  Glaubensarükel.  [Vorl.  XVII. 

gegenüber  Jehovah  als  ihrem  Gott  und  König  abhängig. 
Im  Gegensatz  zu  diesem  Bild  gesegneten  Gedeihens 
schilderte  der  Herr  mit  erschreckender  Deutlichkeit  und 
herzzerreißenden  Einzelheiten  den  Zustand  elender  Ver- 
worfenheit und  schwerer  Leiden,  der  über  sie  kommen 
würde,  falls  sie  den  Pfad  der  Tugend  verlassen  und  die 
sündhaften  Gewohnheiten  der  heidnischen  Völker  anneh- 
men sollten,  mit  denen  sie  es  zu  tun  bekommen  würden. 
Die  dunkelsten  Teile  dieses  gräßlichen  Bildes  waren  die- 
jenigen, in  denen  der  drohende  nationale  Zusammenbruch 
und  die  Zerstreuung  des  Volkes  unter  solche,  die  Gott 
nicht  kannten,  geschildert  wurde.  Dieses  größte  Unglück 
sollte  sie  aber  erst  treffen,  nachdem  sich  die  weniger  harten 
Züchtigungen  als  erfolglos  erwiesen  hätten.^) 

7.  Als  die  auf  den  Auszug  aus  Ägypten  folgende  Wan- 
derung ihrem  Ende  entgegenging  und  die  Israeliten  sich 
anschickten,  den  Jordan  zu  überschreiten  und  das  ver- 
heißene Land  in  Besitz  zu  nehmen,  als  Mose,  der  Patriarch, 
Gesetzgeber  und  Prophet,  den  Berg  Nebo  bestieg,  von  wo 
aus  er  das  schöne  Land  erblicken  und  dann  sterben  sollte, 
wiederholte  er  die  Schilderung  der  einander  gegenüber- 
gestellten Segnungen  und  Flüche,  welche  die  Vertrags- 
bedingungen für  den  Bund  Gottes  mit  dem  Volke  darstellten. 
„Der  Herr  wird  dich  vor  deinen  Feinden  schlagen",^) 
wurde  ihnen  gesagt,  und  weiter:  „Der  Herr  wird  dich  und 
deinen  König,  den  du  über  dich  gesetzt  hast,  treiben  unter 
ein  Volk,  das  du  nicht  kennst,  noch  deine  Väter;  und  wirst 
daselbst  dienen  andern  Göttern:  Holz  und  Steinen.  Und 
wirst  ein  Scheusal  und  ein  Sprichwort  und  Spott  sein 
unter  allen-  Völkern,  dahin  dich  der  Herr  getrieben 
hat."3)   Und  noch  weiter:  ,,Der  Herr  wird  ein  Volk  über 


1)  Lies  die  verhängnisvollen  Prophezeiungen  in  3.  Mose  26:14 — 33. 
»)  5.  Mose  28:25. 
»)  Verse  36 — 37. 


Art.  10.]  Die  Zerstreuung   Israels.  397 

dich  schicken  von  ferne,  von  der  Welt  Ende,  wie  ein  Adler 
fliegt,  dessen  Sprache  du  nicht  verstehst,  ein  freches  Volk, 
das  nicht  ansieht  die  Person  des  Alten  noch  schont  der 
Jünglinge. 1)  *  *  *  Denn  der  Herr  wird  dich  zerstreuen 
unter  alle  Völker  von  einem  Ende  der  Welt  bis  ans  andere; 
und  wirst  daselbst  andern  Göttern  dienen,  die  du  nicht 
kennst  noch  deine  Väter:  Holz  und  Steinen. "2) 

8.  Aus  dem  weitern  Bericht  der  Heiligen  Schrift 
geht  hervor,  daß  sich  Israel  für  das  Böse  entschied, 
dadurch  der  Segnungen  verlustig  ging,  und  sich  den  Fluch 
zuzog.  Als  der  Sohn  des  sündigen  Jerobeams  todkrank 
war,  schickte  der  heimgesuchte  König  sein  Weib  verkleidet 
zu  Ahia,  dem  blinden  Propheten  in  Israel,  um  ihn  über  das 
dem  Kinde  bevorstehende  Schicksal  zu  befragen.  Der  Pro- 
phet, über  die  körperliche  Blindheit  seines  hohen  Alters 
hinaussehend,  sagte  den  Tod  des  Kindes  und  den  Sturz 
des  Hauses  Jerobeam  voraus,  und  erklärte  ferner:  „Und 
der  Herr  wird  Israel  schlagen,  gleich  wie  das  Rohr  im  Was- 
ser bewegt  wird,  und  wird  Israel  ausreißen  aus  diesem 
guten  Lande,  das  er  ihren  Vätern  gegeben  hat,  und  wird 
sie  zerstreuen,  jenseit  des  Stromes,  darum  daß  sie  ihre 
Ascherabilder  gemacht  haben,  den  Herrn  zu  erzürnen. "3) 

9.  Durch  Jesaja  rechtfertigt  der  Herr  sein  Gericht 
über  das  Volk,  indem  er  das  Volk  mit  einem  unfruchtbaren 
Weinberg  vergleicht,*)  der  trotz  schützendem  Hag  und 
bester  Pflege  statt  edlen  Trauben  nur  Herlinge  hervor- 
brachte und  deshalb  zu  nichts  besserm  taugte,  als 
verwüstet  zu  werden.  „Darum",  fährt  der  Herr  fort, 
,,wird  mein  Volk  müssen  weggeführt  werden  unversehens".*) 
Aber  noch  mehr  Trübsale  sollten  folgen,  vor  denen  das  Volk 


')  Verse  49—50. 
»)  Vers  64. 
')  1.  Könige  14:15. 
*)  Jesaja  5:1 — 7. 
')  Vers  13. 


398  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVII. 

gewarnt  wurde,  damit  es  sich  nicht  gänzlich  von  dem  Gott 
seiner  Väter  abwende.  „Was  wollt  ihr  tun  am  Tage  der 
Heimsuchung  und  des  Unglücks,  das  von  ferne  kommt? 
Zu  wem  wollt  ihr  fliehen  um  Hilfe  ?"i)  Der  Prophet  lenkt 
die  Aufmerksamkeit  seines  irrenden  Volkes  auf  die  Tat- 
sache, daß  seine  Trübsale  von  dem  Herrn  kommen :  ,,Wer 
hat  Jakob  übergeben  zu  plündern  und  Israel  den  Räubern  ? 
Hat's  nicht  der  Herr  getan,  an  dem  wir  gesündigt  haben, 
und  sie  wollten  auf  seinen  Wegen  nicht  wandeln  und  ge- 
horchten seinem  Gesetz  nicht?  Darum  hat  er  über  sie 
ausgeschüttet  den  Grimm  seines  Zorns  und  eine  Kriegs- 
macht."2) 

10.  Nach  der  Wegführung  Ephraims,  oder  wie  die 
besondere  Bezeichnung  lautet,  des  Reiches  Israel,  bedurfte 
aber  das  Volk  Juda  noch  weitere  Ermahnungen  und 
Drohungen.  Jeremia  brachte  ihnen  das  traurige  Los 
ihrer  Brüder  in  Erinnerung^)  und  schließlich  sagte  der 
Herr  infolge  ihrer  andauernden  und  zunehmenden  Ver- 
derbtheit: ,,ünd  will  euch  von  meinem  Angesichte  weg- 
werfen, wie  ich  weggeworfen  habe  alle  eure  Brüder,  den 
ganzen  Samen  Ephraims."*)  Ihr  Land  sollte  verwüstet 
werden,  alle  Städte  Judas  der  Plünderung^)  anheimfallen 
und  das  Volk  unter  alle  Nationen  der  Erde  zerstreut 
werden.^)  Auch  andere  Propheten'^)  offenbarten  des  Herrn 
Wort,  das  Wort  seines  Zornes  und  ernster  Mahnung. 
,, Ich  will***  das  Haus  Israel  unter  allen  Heiden  sichten 
lassen,   gleichwie    man    mit    einem    Sieb    sichtet;"    und 


1)  Jesaja  10:3. 

n  Jesaja  42:24—25. 

=)  Jeremia  7:12. 

♦)  Jeremia  7:15. 

')  Jeremia  9:11;   10:22. 

•)  Jeremia  35:17. 

')  Hesekiel  20:23;  22:15;  34:6;  36:19;  Arnos  7:17;  9:9;  Micha  3:12. 


Art.  10.]  Die  Zerstreuung  Israels.  399 

weiter:^)  „Ich  will  sie  unter  die  Völker  säen,  daß  sie  mein 
gedenken  in  fernen  Landen. "2) 

11.  Prophezeiungen  im  Buch  Mormon.  Die  Urkun- 
den, die  von  jenem  Teil  des  Hauses  Israel  geführt  wurden, 
der  ums  Jahr  600  vor  Christus  Jerusalem  verließ  und 
seinen  Weg  nach  der  westlichen  Halbkugel  nahm,  enthalten 
viele  Hinweise  auf  die  Zerstreuung,  die  bereits  stattgefun- 
den hatte,  und  auf  jene  Fortsetzung  der  Zerstreuung,  die 
für  die  Schreiber  des  Buches  Mormon  noch  in  der  Zukunft 
lag.  Im  Verlauf  ihrer  Reise  an  die  Küste  verkündigte 
Lehi,  als  er  sich  mit  seiner  Familie  und  andern  Be- 
gleitern im  Tale  Lemuel  an  den  Ufern  des  Roten  Meeres 
lagerte,  was  er  durch  Offenbarung  über  den  ,, zukünftigen 
Abfall  der  Juden  im  Unglauben",  über  die  Kreuzigung 
des  Heilandes  und  über  ,,die  Zerstreuung  jener  über  die 
ganze  Erde"  erfahren  hatte. 3)  Er  vergleicht  Israel  mit 
einem  Ölbaum,^)  dessen  Zweige  abgehauen  und  zerstreut 
werden  sollten  und  anerkennt  den  Auszug  seiner  Kolonie 
und  ihre  Reise  in  die  weite  Ferne  als  einen  Teil  der  all- 
gemeinen Zerstreuung. 5)  Nephi,  der  Sohn  Lehis,  sah 
ebenfalls  die  Zerstreuung  des  Bundesvolkes  Gottes  voraus 
und  fügte  sein  Zeugnis  hierüber  dem  seines  Vaters  an.^) 
Er  sah  ferner,  daß  die  Nachkommenschaft  seiner  Brüder, 
die  in  der  Folge  als  die  Lamaniten  bekannt  waren,  ihres 
Unglaubens  wegen  gezüchtigt,  von  den  Heiden  unterjocht 
und  vor  ihnen  zerstreut  werden  sollte.')  Das  prophetische 
Gesicht  zeigte  ihm  außerdem  das  Hervorkommen  heiliger 
Urkunden  —  andere  als  die  damals  bekannten  —  ,,um  die 


')  Arnos  9:9. 

*)  Sacharja  10:9. 

")  1.  Nephi  10:11—12. 

♦)  Vers  12;  15:12—13;  siehe  auch  Jakob  Kap.  4  und  5. 

')  1.  Nephi  10:13. 

')  1.  Nephi  14:14. 

')  1.  Nephi  13:11—14. 


400  Die  GlaubensarükeL  [Vorl.  XVII. 

Heiden  und  das  Überbleibsel  der  Nachkommen  meiner 
Brüder^)  und  auch  die  Juden,  welche  über  den  ganzen 
Erdkreis  zerstreut  waren,  zu  überzeugen". 2) 

12.  Nach  ihrer  Ankunft  im  verheißenen  Land  erhielt 
die  von  Lehi  geführte  Kolonie  weitere  Belehrungen  über 
die  Zerstreuung  Israels.  Der  von  Xephi  angeführte  Pro- 
phet Zenos^)  hatte  den  Unglauben  des  Volkes  Israels  vor- 
hergesagt, als  dessen  Folge  diese  Bundeskinder  Gottes 
„im  Fleische  wandeln  und  umkommen  und  von  allen 
Völkern  gehaßt  und  verspottet  werde^  sollten".*)  Die 
Brüder  Nephis,  die  dieser  Lehre  ungläubig  gegenüber- 
standen, fragten,  ob  die  Dinge,  von  denen  er  gesprochen 
hatte,  in  geistigem  Sinne  oder  mehr  buchstäblich  eintreffen 
werden.  Sie  wurden  belehrt,  ,,daß  das  Haus  Israel  früher 
oder  später  über  die  ganze  Erde,  unter  alle  Völker  zerstreut 
werden  wird";  und  weiter,  unter  Hinweis  auf  die  damals 
schon  zustandegekommene  Zerstreuung  „der  größte  Teil 
aller  Stänmae  ist  weggeführt,  und  sie  sind  hie  und  da  auf 
den  Inseln  des  Meeres  zerstreut  worden".^)  Hiezu  sagt 
dann  Xephi  auf  dem  Wege  der  Offenbarung  über  die  noch 
kommende  weitere  Zerstreuung,  daß  den  Heiden  Macht 
gegeben  werden  würde  über  das  Volk  Israel,  ,,und  durch 
sie  soU  unsere  Nachkommenschaft  zerstreut  werden."^) 
Obgleich  zwischen  ihrer  Heimat  und  dem  Lande,  zu 
dem  sie  auf  so  wunderbare  Weise  geführt  worden  waren, 
€in  Ozean  lag,  erfuhren  doch  die  Kinder  Lehis  durch  Offen- 
barung aus  dem  Munde  Jakobs,  Nephis  Bruder,  von  der 
Gefangennahme  der  Juden,  die  sie  in  Jerusalem  zurück- 


^i  Jener  Teil  der  Nachkommenschaft  Lehis,    der    späterhin  als  die 

niten  bekannt  war. 

')  1.  Nephi  13:39. 

'•  Siehe  Anm  erkling  3. 

'j  1.  Nephi  19:12—14. 

•)  1.  Nephi  22:1— i. 

')  1.  Nephi  22:7. 


Art.  lO.j  Die  Zerstreuung  Israels.  401 

gelassen  hatten. i)  Nephi  erzählte  ihnen  dann  mehr  von 
den  Trübsalen,  die  ihrer  Vaterstadt^)  drohten  und  von 
einer  weitern  Zerstreuung  ihrer  jüdischen  Verwandten."^) 

13.  Die  Lamaniten,  ein  Teil  der  Kolonie  Lehis,  sollten 
ebenfalls  vertrieben  und  zerstreut  werden.  Als  Zeugnis 
hierfür  können  wir  die  Worte  Samuels,  eines  Propheten 
dieses  gedemütigten  Volkes,  anführen.^)  Nephi,  der  dritte 
Prophet  dieses  Namens,  ein  Enkel  Helamans,  betont  mit 
Nachdruck  die  Zerstreuung  seines  Volkes  und  erklärt, 
,, deine  Wohnplätze  sollen  öde  werden. "5)  Jesus  selbst 
verweist,  als  er  nach  seiner  Auferstehung  unter  diesem  Teil 
seiner  Herde  auf  der  westlichen  Halbkugel  wirkte,  ernstlich 
auf  das  Überbleibsel  des  auserwählten  Samens,  ,,das 
seines  Unglaubens  wegen  auf  der  Erde  zerstreut  werden 
wird."  6) 

14.  Aus  diesen  Hinweisungen  geht  klar  hervor,  daß  die 
Begleiter  Lehis,  einschließlich  seiner  eigenen  Familie,  und 
Zorams')  zusammen  mit  Ihsmael^)  und  dessen  Familie,  von 
denen  die  mächtigen  Völker  der  Nephiten  —  die  ihrer  Un- 
treue wegen  ausgerottet  wurden  —  und  der  Lamaniten  — 
die,  gegenwärtig  als  die  amerikanischen  Indianer  bekannt, 
bis  auf  den  heutigen  Tag  ein  trübseliges  Dasein  führten  — 
abstammen,  durch  Offenbarung  Kenntnis  erhielten  von 
der  Zerstreuung  ihrer  früheren  Mitbürger  in  Palästina  und 
von  ihrem  eigenen  sichern  Schicksal,  das  als  Folge  ihres 
Ungehorsams  gegen  die  Gesetze  Gottes  über  sie  herein- 
brechen würde.   Wir  haben  gesagt,  die  Versetzung  Lehis 


n  2.  Nephi  6:8. 

^)  2.  Nephi  25:14 — 15. 

»)  Vers  15. 

'-)  Helaman  15:12. 

<■)  3.  Nephi  10:7. 

'=)  3.  Nephi  16:4. 

')  1.  Nephi  4:20—26,  30—37. 

«)  1.  Nephi  7:2—6,  19,  22;  16:7. 


402  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVII. 

und  seiner  Begleiter  von  der  östlichen  nach  der  westlichen 
Halbkugel  war  selbst  ein  Teil  der  allgemeinen  Zerstreuung. 
Man  sollte  sich  hierbei  daran  erinnern,  daß  noch  eine 
andere  jüdische  Kolonie,  die  etwa  elf  Jahre  nach  dem  Weg- 
gang Lehis  von  Jerusalem  aufbrach  nach  der  westlichen 
Halbkugel  hinüberkam.  Diese  zweite  Kolonie  wurde  von 
Mulek  geführt,  einem  Sohne  Zedekias,  des  letzten  Königs 
von  Juda;  sie  verließ  Jerusalem  unmittelbar  nach  der 
Eroberung  der  Stadt  durch  Nebukadnezar,  etwa  im  Jahre 
588  vor  Christi  Geburt. i) 

15.  Die  Erfüllung  dieser  Prophezeiungen.  Die  heiligen 
Schriften,  wie  auch  andere,  für  die  der  Anspruch  auf 
direkte  Offenbarung  nicht  erhoben  wird,  berichten  die 
buchstäbliche  Erfüllung  dieser  Prophezeiungen  von  der 
Vertreibung  des  Hauses  Israel.  Die  Teilung  des  Reiches 
in  die  beiden  getrennten  Königreiche  Juda  und  Israel 
führte  zum  Zusammenbruch  beider.  In  dem  Maße,  wie 
die  Außerachtlassung  der  Gesetze  ihrer  Vorväter  im 
Volke  zunahm,  wurde  ihren  Feinden  erlaubt,  über  sie  zu 
triumphieren.  Nach  vielen  kleinern  Verlusten  in  ver- 
schiedenen Kriegen  wurde  dem  Reich  Israel  etwa  ums  Jahr 
721  vor  Christus  von  den  Assyrern  eine  überwältigende 
Niederlage  beigebracht.  Wir  lesen,  daß  Salmanasser, 
König  von  Assyrien,  Samaria,  die  dritte  und  letzte 
Hauptstadt  des  Landes,^)  belagerte  und  daß  nach  drei 
Jahren  die  Stadt  von  Sargon,  dem  Nachfolger  Salma- 
nassers,  genommen  wurde.  Das  Volk  Israel  wurde  in  die 
Gefangenschaft  weggeführt    und    unter  die    Städte   der 


»)  Omni  1 :  14—19 ;  Mosiah  25 : 2 — 4 ;  Alma  22 :  30—32 ;  Helaman  6:10; 
8:21;  Seite  323. 

')  Die  erste  Hauptstadt  des  Reiches  Israel  war  Sichern  (1.  Könige 
12:25);  später  wurde  Thirza  die  Hauptstadt;  sie  war  wegen  ihrer  Schönheit 
berühmt  (1.  Könige  14:17;  15:33;  16:8,  17,  23.  Hohes  Lied  Salomos  6:4) 
und  schließlich  wurde  Samaria  die  Residenz  (1.  Könige  16:24). 


Art.  10.]  Die  Zerstreuung  Israels.  403 

Meder  verteilt. i)  So  wurde  erfüllt,  was  Ahia  dem  Weibe 
Jerobeams  vorhergesagt  hatte:  „Israel  wird  zerstreut 
werden,  jenseit  des  Stromes", 2)  —  wahrscheinlich  war  es 
der  Euphrat  —  und  von  dieser  Zeit  an  sind  die  zehn  Stämme 
der  Weltgeschichte  vollständig  verlorengegangen. 

16.  Das  traurige  Ende  des  Reiches  Israel  äußerte 
seine  Wirkung  auf  das  Volk  Juda  in  einer  teilweisen  Er- 
weckung für  das  Gefühl  ihres  eigenen  drohenden  Schick- 
sales. Hiskia  regierte  29  Jahre  lang  als  König  und  erwies 
sich  als  eine  glänzende  Ausnahme  gegenüber  einer  Reihe 
von  schlechten  Herrschern,  die  ihm  vorausgegangen  waren. 
Von  ihm  wird  uns  gesagt,  daß,  ,,er  tat,  was  dem  Herrn 
wohlgefiel". ^)  Während  seiner  Regierung  fielen  die  Assyrer 
unter  Sanherib  in  das  Land,  aber  die  Hilfe  des  Herrn  wurde 
dem  Volke  wenigstens  bis  zu  einem  gewissen  Grade  wieder 
gewährt  und  Hiskia  rief  seine  Untertanen  zum  Vertrauen 
auf  den  Herrn  auf,  ermahnte  sie,  Mut  zu  fassen  und  den 
assyrischen  König  samt  seinen  Herrscharen  nicht  zu  fürch- 
ten; „denn",  sagte  dieser  rechtschaffene  Fürst,  „es  ist 
ein  Größerer  mit  uns  als  mit  ihm.  Mit  ihm  ist  ein  fleisch- 
licher Arm,  mit  uns  aber  ist  der  Herr,  unser  Gott,  daß  er 
uns  helfe,  und  führe  unsern  Streit."*)  Das  assyrische 
Heer  wurde  auf  wunderbare  Weise  vernichtet.^)  Hiskia 
starb  jedoch,  undManasse  folgte  ihm  auf  den  Thron.  Dieser 
König  tat  was  dem  Herrn  übel  gefiel^)  und  die  Verderbt- 
heit des  Volkes  dauerte  mehr  als  ein  halbes  Jahrhun- 
dert an,  lediglich  durch  die  gute  Regierung  eines  recht- 
schaffenen Königs  Namens  Josia  unterbrochen.'') 


')  2.  Könige  17:5—6;  18:9—11. 

»)  1.  Könige  14:15. 

')  2.  Könige  18:1—3;  2.  Chronik  29:1— 11. 

«)  2.  Clironik  32:7—8. 

s)  2.  Chronik  32:21—22. 

•)  2.  Chronik  33:1—10;  2.  Könige  21:1—9. 

')  2.  Könige  22:1,  2;  2.  Chronik  34:1,  2. 


404  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVII. 

17.  Als  Zedekia  den  Thron  innehatte,  belagerte 
Nebukadnezar,  der  König  von  Babylon,  Jerusalem,^) 
nahm  die  Stadt  ums  Jahr  588  v.  Chr.,  führte  bald 
nachher  das  Volk  gefangen  nach  Babylon  und  machte 
auf  diese  Weise  dem  Reich  Juda  tatsächlich  ein  Ende. 
Das  Volk  wurde  unter  die  Städte  Asiens  verteilt  und  seufzte 
beinahe  siebzig^)  Jahre  unter  den  Wechselfällen  der  Ge- 
fangenschaft, bis  ihnen  der  Perserkönig  Cyrus,  der  sich 
die  Babylonier  unterworfen  hatte,  die  Erlaubnis  zur  Rück- 
kehr nach  Jerusalem  gab.  Ein  großer  Teil  der  Juden  be- 
nutzte diese  Gelegenheit;  es  blieben  aber  auch  viele  im 
Lande  ihrer  Gefangenschaft  zurück.  Die,  die  zurückkehr- 
ten und  ernstlich  bestrebt  waren,  sich  auf  dem  Boden  ihrer 
frühern  Macht  wieder  aufzurichten,  wurden  aber  niemals 
wieder  ein  wirklich  unabhängiges  Volk.  Sie  wurden  von 
Syrien  und  Ägypten  angegriffen,  und  später  wurden  sie 
dem  römischen  Reich  tributpflichtig,  in  welcher  Abhängig- 
keit sie  sich  auch  befanden,  als  Christus  unter  ihnen  wirkte. 

18.  Indes  fehlte  der  Prophezeiung  des  Jeremia  immer 
noch  die  restlose  Erfüllung.  Die  Zeit  erwies  jedoch,  daß 
nicht  ein  Wort  unerfüllt  bleiben  sollte.  ,,Das  ganze  Juda 
ist  rein  weggeführet",^)  so  lautete  die  Prophezeiung.  Eine 
aufrührerische  Bewegung  mußte  den  römischen  Landes- 
herren den  Scheingrund  abgeben  für  eine  schreckliche 
Züchtigung,  die  mit  der  Zerstörung  Jerusalems,  im  Jahre 
71  n.  Chr.  ihren  Höhepunkt  erreichte.  Nach  sechsmona- 
tiger Belagerung  unter  Titus,  dem  Sohne  des  Kaisers 
Vespasianus,  fiel  die  Stadt  in  die  Hände  der  Feinde.  Der 
berühmte  Geschichtsschreiber  Josephus,  dem  wir  unser 
Wissen  von  den  Einzelheiten  des  Kampfes  verdanken, 
war  zu  dieser  Zeit  selbst  ein  Bewohner  Galiläas  und  wurde 


1)  2.  Könige  25:1—3;  2.  Chronik  36:17. 
»)  Siehe  Seite  393—395. 
")  Jeremia  13:19. 


Art.  10.  Die  Zerstreuung   Israels.  405 

mit  andern  Juden  gefangen  nach  Rom  weggeführt.  Aus 
seinem  Bericht  erfahren  wir,  daß  mehr  als  eine  Million 
Juden  durch  die  Hungersnot,  die  die  Belagerung  mit  sich 
brachte,  ihr  Leben  verloren.  Eine  größere  Zahl  wurde  als 
Sklaven  verkauft  und  ungezählte  Scharen  wurden  in  die 
Verbannung  getrieben.  Die  Stadt  wurde  vollständig  zer- 
stört und  der  Tempelplatz  beim  Suchen  nach  Schätzen 
von  den  Römern  umgepflügt:  so  buchstäblich  wurden  die 
Worte  Christi  erfüllt:  ,,Es  wird  hier  nicht  ein  Stein  auf 
dem  andern  bleiben,  der  nicht  zerbrochen  werde. "^) 

19.  Seit  der  Zerstörung  Jerusalems  und  der  Ausrot- 
tung ihres  Staates  sind  die  Juden  als  ruhelose  Wanderer 
über  die  Erde  gegangen,  ausgestoßen  von  den  Nationen, 
ein  Volk  ohne  Land,  eine  Nation  ohne  Heimat.  Die  Pro- 
phezeiung, die  Amos  vor  alters  ausgesprochen  hatte, 
erfüllte  sich  ebenfalls  buchstäblich :  in  der  Tat,  die  Juden 
mußten  sich  sichten  lassen  unter  den  Völkern  „gleichwie 
man  mit  einem  Sieb  sichtet''.^)  Vergessen  wir  jedoch  nicht, 
daß  in  Verbindung  mit  diesen  Vorhersagungen  das  Ver- 
sprechen gegeben  wurde:  ,, Kein  Körnlein  soll  auf  die  Erde 
fallen". 

20.  Die  verlorenen  Stämme.  Es  wurde  schon  erwähnt, 
daß  bei  der  Trennung  der  Israeliten  nach  dem  Tode  Sa- 
lomos  zehn  Stämme  sich  als  ein  unabhängiges  Königreich 
einrichteten.  Dieses  Reich,  das  Reich  Israel,  ging  für  die 
Weltgeschichte  mit  der  assyrischen  Gefangenschaft  etwa 
im  Jahre  721  v.  Chr.  zu  Ende.  Das  Volk  wurde  nach 
Assyrien  weggeführt  und  verschwand  später  so  völlig 
von  dem  Schauplatz  der  Geschichte,  daß  man  jetzt  von 
ihm  als  von  den  ,, Verlorenen  Stämmen"  spricht.  Sie  schei- 
nen Assyrien  verlassen  zu  haben,  und  wenn  uns  auch  über 
ihr  schließliches  Schicksal  und  ihren  gegenwärtigen  Aufent- 


')  Matthäus  24:1 — 2;  siehe  auch  Lukas  19:44. 
")  Amos  9:9. 


406  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVII. 

haltsort  bestimmte  Mitteilungen  fehlen,  so  sind  doch  zahl- 
reiche Beweise  dafür  vorhanden,  daß  ihre  Wanderung  sie 
nordwärts  führte. i)  Des  Herrn  Wort  durch  Jeremia  hat 
verheißen,  daß  dieses  Volk  wiedergebracht  werden  soll 
,,aus  dem  Lande  der  Mitternacht". 2)  Und  eine  ähnliche 
Erklärung  ist  durch  göttliche  Offenbarung  im  Laufe  der 
gegenwärtigen  Dispensation  erfolgt, 2) 

21.  In  den  Büchern  Esra,  die  zwar  nicht  alle  zu  den 
kirchengesetzlichen  Schriften  der  Bibel  gezählt  werden, 
sondern  als  apokryphisch  bekannt  sind,  finden  wir  Hin- 
weise auf  die  nordwärts  gerichtete  Wanderung  der  zehn 
Stämme,  eine  Wanderung,  die  sie  gemäß  einem  vorgefaßten 
Plane  unternahmen,  um  den  Heiden  zu  entrinnen  ,,in  eine 
ferne  Gegend,  wo  noch  kein  Geschlecht  der  Menschen 
wohnte,  auf  daß  sie  daselbst  ihr  Gesetz  halten  könnten, 
das  sie  in  ihrem  Lande  nicht  hatten  halten  können."*) 
Der  gleiche  Verfasser  teilt  uns  auch  mit,  daß  sie  über  ein 
und  ein  halbes  Jahr  nach  den  nördlichen  Ländern  zogen, 
er  sagt  uns  aber  auch,  daß  viele  im  Lande  ihrer  Ge- 
fangenschaft zurückblieben. 

22.  Während  '  der  auferstandene  Christus  unter  den 
Nephiten  auf  der  westlichen  Halbkugel  wirkte,  erwähnte 
er  besonders  die  ,, andern  Stämme  aus  dem  Hause  Israel, 
die  der  Vater  aus  ihrem  Lande  weggeführt  hatte". ^)  Ferner 
sprach  er  von  ihnen  als  von  den  ,, andern  Schafen,  die  nicht 
aus  diesem  Stalle  sind,  noch  aus  dem  Land  Jerusalem, 
noch  aus  der  Umgegend,  wo  er  gelehrt  habe",^)   Christus 


')  Jeremia  3:12. 

")  Jeremia  16:15;  23:8;  31:8. 

')  Lehre  u.  Bündn.  133:26 — 27. 

*)  2.  Esra  13;  siehe  Anmerkung  4. 

6)  3.  Xephi  15:15. 

•)  3.  Nephi  16:1. 


Art.  10.]  Anmerkungen.  407 

verkündigte  ein  Gebot  seines  Vaters,  wonach  er  sich  auch 
diesen  andern  Schafen  offenbaren  sollte.  Der  jetzige 
Aufenthaltsort  der  verlorenen  Stämme  ist  nicht  genau  ge- 
offenbart worden. 


Anmerkungen. 

1.  Hebräer.  —  „Sem  wird  der  Vater  aller  Kinder  von  Eber"  genannt, 
wie  Harn  der  Vater  Kanaans  genannt  wird.  Die  Hebräer  und  Kanaaniter 
kamen  oft  mit  einander  in  Berührung  und  zeigten  die  jeweiligen  Eigen- 
schaften der  Semiten  und  Hamiten.  Der  Ausdruck  „Hebräer"  wird  so 
abgeleitet  von  „Eber"  (I.Mose  10:21,  verglichen  mit  4.  Mose  24:24). 
Bible  Cyclopedia  von  Faussett. 

Der  Verfasser  des  Artikels  „Hebräer"  in  Cassells  biblischem  Wörter- 
buch bezweifelt  die  Beweise,  die  für  die  Ableitung  des  Wortes  Hebräer 
von  „Eber"  oder  „Heber"  vorgebracht  werden  und  sagt:  „Alles  was  wir 
mit  Bestimmtheit  bestätigen  können,  ist,  daß  der  Ausdruck  auf  Abraham 
und  die  Nachkommen  Jakobs  im  allgemeinen  angewandt  wird.  Die  mit 
dem  Wort  verbundene  Bedeutung,  zusammen  mit  seinem  dunkeln  Ursprung 
genügt  als  Erklärung  für  die  mannigfachen  darüber  angestellten  Vermu- 
tungen und  Betrachtungen.  Es  mag  noch  hinzugefügt  werden,  daß  einige 
Gelehrte  den  Namen  ,, Hebräer"  ein  wenig  geändert  auch  auf  den  Denk- 
mälern Ägyptens  gefunden  haben.  Wenn  diese  Beobachtung  erwiesen  ist, 
wird  sie  auch  deshalb  von  Wert  sein,  weil  damit  gezeigt  werden  kann,  daß 
wenn  die  Ägypter  Joseph  einen  Hebräer  nannten,  sie  die  von  ihnen  all- 
gemein angenommene  Bezeichnung  gebraucht  haben."  — 

2.  Juden.  —  Der  Ausdruck  bedeutet  eigentlich  ein  „Mann  aus  Juda", 
oder  ein  „Nachkomme  Judas".  Das  Wort  wurde  dann  aber  auch  auf  alle 
angewandt,  die  sonst  als  Hebräer  bezeichnet  wurden.  Es  scheint  erst  lange 
nach  der  Empörung  Jerobeams  und  der  zehn  Stämme  in  Gebrauch  gekom- 
men zu  sein.  Solange  das  Königreich  Juda  bestand,  wurde  es  natür- 
lich zur  Bezeichnung  der  Bürger  dieses  Reiches  gebraucht  (2.  Könige  16:6, 
25 :  25),  jedoch  kommt  es  in  diesem  Sinne  nur  selten  vor.  Nach  der  Gefangen- 
schaft nahm  es  die  erweiterte  Bedeutung  an,  die  es  heute  hat.  Es  ist  von 
den  Übriggebliebenen  sämtlicher  Stämme  angenommen  worden  und  war 
der  eine  Name  unter  dem  die  Nachkommen  Jakobs  in  der  ganzen  alten 
Welt  bekannt  waren;  sicherlich  war  er  weit  bekannter  als  der  Ausdruck 
„Hebräer".  Er  erscheint  in  den  Büchern  Esras,  Nchemias,  Daniels,  Esthers 
usw.,  findet  sich  in  den  Apokryphen  und  allgemein  auch  bei  Josephus  und 
im  Neuen  Testament."  —  Cassells  Biblisches  Wörterbuch. 

„Unter  der  Gottesherrschaft  waren  sie  als  die  „Hebräer"  bekannt, 
unter  der  Monarchie  als  die  „Israeliten",  und  unter  der  Fremdherrschaft  als 
die  „Juden".  Ihre  heutigen  Vertreter  nennen  sich  selbst  Hebräer  in  Rasse 
und  Sprache,  Israeliten  in  Religion  und  Juden  im  Sinne  beider."  —  Standard 
Dictionary. 

3.  Zenos.  —  „Ein  hebräischer  Prophet,  der  oft  von  den  nephitischen 
Dienern  Gottes  angeführt  wird.  Alles  was  uns  von  seiner  persönlichen 
Geschichte  gesagt  wird,  ist,  daß  er  erschlagen  wurde,  weil  er  von  dem,  was 
Gott  ihm  geoffenbart  hatte,  mutig  Zeugnis  gab.   Daß  er  ein  Mann  war,  den 


408  Die   Glaubensartikel.  [Vorl.  XVII. 

der  Herr  in  außergewöhnlicher  Weise  mit  dem  Geist  der  Prophezeiung 
gesegnet  hatte,  ersieht  man  aus  dem  wunderbaren  und  fast  unvergleich- 
lichen Gleichnis  von  dem  Weinberg,  das  von  Jakob  (Jakob,  Kapitel  5) 
ausführlich  \^iedergegeben  wird.  Seine  Prophezeiimgen  werden  ferner  ange- 
führt von  Nephi  (1.  Nephi  19:10,  12,  16.),  Alma  (Alma  33:3,  13—15), 
Amulek  (Alma  34:7),  Samuel,  dem  Lamaniten  (Helaman  15:11),  und 
Mormon  (3.  Nephi  10:16).  —  Wörterbuch  des  Buches  Mormon,  vom 
Ältesten  George  Reynolds. 

4.  Die  Wanderuna  der  verlorenen  Stämme.  —  Esra,  dessen  Bücher 
—  wie  in  der  Vorlesung  bereits  gesagt  wurde  —  zu  den  Apokryphen  gezählt 
werden,  beschreibt  ein  Gesicht  in  dessen  Verlaufe  die  zehn  Stämme  folgen- 
dermaßen erv^ähnt  werden  :  ,,Dies  sind  die  zehn  Stämme,  welche  weggeführt 
wurden  aus  ihrem  I>ande  in  den  Tagen  Hoseas,  welchen  Salmanasser, 
König  der  Assyrer.  als  Gefangenen  weggeführt  hat,  und  brachte  sie  über 
den  Fluß  und  führte  sie  in  ein  andres  Land.  Sie  selber  aber  haben  sich  diesen 
Rat  gegeben,  daß  sie  die  Menge  der  Völker  verließen,  und  in  eine  ferne 
Gegend  wanderten,  wo  noch  kein  Geschlecht  der  ^Menschen  wohnte,  auf 
daß  sie  daselbst  ihr  Gesetz  halten  könnten,  das  sie  in  ihrem  Lande  nicht 
hatten  halten  können.  Sie  gingen  aber  durch  den  engen  Weg  des  Flusses 
Euphrat  hinein,  denn  es  machte  ihnen  der  Höchste  ein  Zeichen,  und  ließ 
das  Wasser  des  Flusses  still  stehen,  bis  daß  sie  hinüber  waren.  Denn  durch 
diese  Gegend  war  ein  langer  Weg  von  einem  und  einem  halben  Jahre,  und 
sie  hieß  Askari  Kararavin.  Und  sie  wohnten  daselbst  bis  zu  den  letzten 
Tagen,  und  wenn  sie  jetzt  wieder  kommen  wollen,  wird  der  Höchste  das 
Wasser  des  Flusses  stillstehen  lassen,  daß  sie  herüber  können."  —  2.  Esra 
13:40 — 47.— 

Über  die  Wanderung  der  zehn  Stämme  nach  Norden  sagt  Ältester 
George  Rej-nolds  in  seinem  kleinen  W^erk  „Sind  wir  von  Israel?":  „Sie 
beschlossen,  nach  einem  Lande  zu  ziehen,  wo  noch  „kein  Geschlecht  der 
Menschen  wolmte",  auf  daß  sie  von  allen  verunreinigenden  Einflüßen  rein 
würden.  Dieses  Land  war  nur  im  Norden  zu  finden.  Das  südliche  Asien 
war  bereits  der  Sitz  einer  verhältnismäßig  alten  Zivilisation.  Im  nördlichen 
Afrika  blühte  Ägypten,  und  das  südliche  Europa  füllte  sich  zusehends  mit 
den  künftigen  Herrschern  der  Welt.  Sie  hatten  daher  keine  andere  Wahl, 
als  sich  nach  Norden  zu  wenden.  Jedoch  war  der  erste  Teil  ihrer  Reise  nicht 
nordwärts  gerichtet.  Nach  dem  Bericht  Esras  scheinen  sie  zunächst  die 
Richtung  nach  ihrer  alten  Heimat  eingeschlagen  zu  haben;  es  ist  ja  auch 
möglich,  daß  sie  ursprünglich  mit  der  Absicht  aufbrachen,  dorthin  zurück 
zu  kehren,  —  möglich  auch,  daß  sie,  um  die  Assyrer  zu  täuschen,  Kanaan 
zu  zogen,  und  als  sie  den  Euphrat  überschritten  hatten  und  außer  Gefahr 
seitens  der  medischen  und  persischen  Horden  waren,  ihre  Richtung  änderten 
imd  ihre  Wanderung  in  der  Richtung  des  Polarsternes  fortsetzten.  Esra 
stellt  fest,  daß  sie  den  Euphrat  an  einer  schmalen  Stelle  überschritten,  und 
daß  der  Herr  die  Wasser  ziu^ückhielt,  bis  sie  auf  dem  jenseitigen  Ufer  waren. 
Diese  Stelle  am  Euphrat  mußte  sich  notwendigenveise  in  seinem  obern 
Teil  befinden,  denn  weiter  südlich  wäre  es  für  ihre  Zwecke  zu  weit  entfernt 
gewesen.  Der  obere  Lauf  des  Euphrats  liegt  zwischen  hohen  Bergen.  In 
der  Nähe  des  Dorfes  Pastash  stürzt  der  Fluß  durch  eine  Schlucht  melir 
als  1000  Fuß  hoch  hinunter  und  so  enge  treten  hier  die  Ufer  zusammen, 
daß  sie  den  Fluß  überbrücken.  Kurz  nachher  betritt  der  Fluß  die  Ebene 
Mesopotamiens.  Wie  genau  entspricht  dieser  Teil  des  Flusses  dem  von  Esra 
beschriebenen  engen  Weg,  auf  dem  die  Israeliten  den  Fluß  überschritten!" 


Art.  10.]  Die   Sammlung  Israels.  409 


Vorlesung  XVIII. 
Die  Sammlung  Israels. 

Art.  10.  —  Wir  glauben  an  die  buchstäbliche  Sammlung  Israels 
und  an  die  Wiederherstellung  der  zehn  Stämme  *  *  *. 

1.  Die  Sammlung  vorhergesagt.  —  So  schrecklich 
auch  die  infolge  seiner  Verstocktheit  und  seiner  Sünden 
über  das  Haus  Israel  beschlossene  Züchtigung  war,  die  zur 
Auflösung  des  Reiches  und  seiner  tatsächhchen  Verstoßung 
aus  der  Gunst  des  Herrn  führte,  —  so  furchtbar  die  Dro- 
hungen desjenigen,  dem  es  gefallen  hatte,  die  Israeliten 
sein  Volk  zu  heißen  —  während  all  der  Leiden  und  Ent- 
behrungen die  sie  als  Verstoßene  hinnehmen  mußten  unter 
den  fremden  Völkern,  die  nie  aufgehört  haben,  sie  zu  ver- 
folgen, zu  verhöhnen  und  schimpflich  zu  behandeln,  als  ihr 
bloßer  Name  schon  ein  Spottname  und  Sprichwort  war,  — 
stets  sind  sie  aufrecht  erhalten  worden  durch  das  bestimmte 
Wort  der  göttlichen  Verheißung,  daß  ein  Tag  glorreicher 
Erlösung  und  segensreicher  Wiederherstellung  ihrer  warte. 
Mit  den  Flüchen,  unter  denen  sie  stöhnten  und  sich  ver- 
zehrten, waren  Zusicherungen  von  Segnungen  verbunden. 
Aus  dem  Herzen  des  Volkes  wie  aus  der  Seele  ihres  mäch- 
tigen Königs  ist  am  Tage  seiner  allerdings  verdienten 
Leiden  ein  Gesang  tränenvoller  Freude  emporgestiegen: 
„Du  wirst  meine  Seele  nicht  in  der  Hölle  lassen".^)  —  Die 
Leiden  Israels  sind  nur  eine  notwendige  Züchtigung  durch 
einen  betrübten,   aber  immer  liebenden   Vater  gewesen. 


»)  Psalm  16:10;  Apostelgesch.  2:27. 


410  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVIII. 

der  mit  diesen  wirksamen  Mitteln  eine  Reinigung  seiner 
sündenbefleckten  Kinder  beabsichtigte.  Diese  seine  Ab- 
sicht hatte  er  ihnen,  als  er  sie  so  heimsuchte,  freimütig 
kund  getan,  und  in  seinen  Strafen  haben  sie  seine  Liebe  ge- 
sehen: „Denn  welchen  der  Herr  lieb  hat,  den  züchtigt  er",^) 
und  „wohl  dem,  den  du,  Herr,  züchtigst". 2) 

2.  Ob  auch  von  den  Menschen  geschlagen  und  verfolgt, 
und  später  zum  großen  Teil  für  die  übrige  Welt  verloren, 
so  ist  Israel  doch  nie  seinem  Vater  verlorengegangen. 
Er  weiß,  wohin  sie  geführt  oder  vertrieben  worden  sind. 
Noch  schlägt  sein  Herz  für  sie  in  väterlicher  Liebe.  Sicher- 
lich wird  er  sie  zu  seiner  Zeit  und  auf  vorherbestimmte 
Weise  hervorbringen  in  einen  Zustand  göttlicher  Gunst 
und  Macht,  wie  es  seinem  auserwählten  Bundesvolk  zu- 
kommt. Trotz  ihrer  Sünden  und  der  Trübsale,  die  sie  über 
sich  selber  bringen  würden,  hat  der  Herr  gesagt:  „Auch  wenn 
sie  schon  in  der  Feinde  Land  sind,  habe  ich  sie  gleichwohl 
nicht  verworfen  und  ekelt  mich  ihrer  nicht  also,  daß  es 
mit  ihnen  aus  sein  sollte  und  mein  Bund  mit  ihnen  sollte 
nicht  mehr  gelten;  denn  ich  bin  der  Herr,  ihr  Gott. "3)  — 
So  vollständig  wie  die  Zerstreuung,  so  vollständig  soll 
auch  die  Sammlung  Israels  werden. 

3.  Biblische  Prophezeiungen  über  die  Sammlung 
Israels.  Wir  haben  einige  der  biblischen  Prophezeiungen 
der  Zerstreuung  Israels  geprüft;  in  allen  Fällen  war  mit 
dem  Fluch  die  Segnung  etwaiger  Wiederherstellung  ver- 
knüpft. Unter  den  ersten  Prophezeiungen  dieser  Art 
hören  wir,  wie  der  Herr  erklärt:  ,,Wenn  du,  Israel,  dich 
bekehrest  zu  dem  Herrn,  deinem  Gott,  daß  du  seiner 
Stimme  gehorchest,  du  und  deine  Kinder,  von  ganzem 


')  Hebräer  12:6. 

*)  Psalm  94:12;    siehe  auch  Sprüche  3:12;    Jakobus    1:12;    Offen- 
barung Joh.  3:19. 

=  )  3.  Mose  26:44;  siehe  auch  5.  Mose  4:27 — 31. 


Art.  10.]  Die  Sammlung  Israels.  411 

Herzen  und  von  ganzer  Seele,  in  allem,  was  ich  dir  heute 
gebiete,  so  wird  der  Herr,  dein  Gott,  dein  Gefängnis  wen- 
den und  sich  deiner  erbarmen  und  wird  dich  wieder  ver- 
sammeln aus  allen  Völkern,  dahin  dich  der  Herr,  dein  Gott, 
verstreuet  hat.  Wenn  du  bis  an  der  Himmel  Ende  ver- 
stoßen wärest,  so  wird  dich  doch  der  Herr,  dein  Gott,  von 
dort  sammeln  und  dich  von  dort  holen  und  wird  dich  in 
das  Land  bringen,  das  deine  Väter  besessen  haben,  und 
wirst  es  einnehmen,  und  er  wird  dir  Gutes  tun  und  dich 
mehren  über  deine  Väter. "i) 

4.  Nehemia  bittet  unter  Fasten  und  Gebet,  der  Herr 
möge  sich  seiner  Verheißung  der  Wiederherstellung  er- 
innern, wenn  sich  das  Volk  wieder  der  Rechtschaffenheit 
zuwende. 2)  Jesaja  spricht  in  bestimmten  Worten  von  der 
sichern  Rückkehr  und  Wiedervereinigung  des  zerstreuten 
Israels  und  sagt:  „Und  der  Herr  wird  zu  der  Zeit  zum  an- 
dernmal  seine  Hand  ausstrecken,  daß  er  das  übrige  seines 
Volkes  erwerbe,  so  übriggeblieben  ist  von  Assur,  Ägypten, 
Pathros,  Mohrenland,  Elam,  Sinear,  Hamath  und  von  den 
Inseln  des  Meeres,  und  wird  ein  Panier  unter  die  Heiden 
aufwerfen  und  zusammenbringen  die  Verjagten  Israels 
und  die  Zerstreueten  aus  Juda  zuhauf  führen  von  den  vier 
Enden  des  Erdreiches.**^) 

5.  Die  Wiederherstellung  soll  vollständig  werden: 
ein  einiges  Reich  soll  entstehen,  nicht  mehr  zwei  geteilte 
Königreiche  in  gegenseitiger  Feindschaft,  denn  „der  Neid 
wider  Ephraim  wird  aufhören,  und  die  Feinde  Judas  wer- 
den ausgerottet  werden,  daß  Ephraim  nicht  neide  den  Juda 
und  Juda  nicht  sei  wider  Ephraim.***)  —  Mit  den  Worten 
eines  liebenden  Vaters  spricht  der  Herr  von  seinem  Um- 

1)  5.  Mose  30:2—5. 

')  Nehemia  1:9. 

»)  Jesaja  11:11—12. 

*)  Vers  13;  siehe  auch  Hesekiel  37:21. 


412  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVIII. 

gang  mit  Israel  und  verklärt  dessen  Betrübnis  mit  Verhei- 
ßungen :  „Ich  habe  dich  einen  kleinen  Augenblick  verlassen ; 
aber  mit  großer  Barmherzigkeit  will  ich  dich  sammeln. 
Ich  habe  mein  Angesicht  im  Augenblick  des  Zorns  ein 
wenig  vor  dir  verborgen;  aber  mit  ewiger  Gnade  will  ich 
mich  dein  erbarmen,  spricht  der  Herr,  dein  Erlöser."^) 

6.  Jeremia  gibt  eine  erschreckende  Aufzählung  der  Sün- 
den des  Volkes  und  der  Strafen,  die  ihnen  auf  dem  Fuße 
folgen  würden  und  verkündet  dann  den  Willen  und  die 
Absicht  Gottes  inbezug  auf  die  darauffolgende  Erlösung: 
,, Darum  siehe,  es  kommt  die  Zeit,  spricht  der  Herr,  daß 
man  nicht  mehr  sagen  wird :  So  wahr  der  Herr  lebt,  der  die 
Kinder  Israel  aus  Ägyptenland  geführet  hat!  sondern: 
So  wahr  der  Herr  lebt,  der  die  Kinder  Israel  geführt  hat 
aus  dem  Lande  der  Mitternacht  und  aus  allen  Ländern, 
dahin  er  sie  verstoßen  hatte!  Denn  ich  will  sie  wieder- 
bringen in  das  Land,  das  ich  ihren  Vätern  gegeben  habe. 
Siehe,  ich  will  viel  Fischer  aussenden,  spricht  der  Herr, 
die  sollen  sie  fischen ;  und  darnach  will  ich  viel  Jäger  aus- 
senden, die  sollen  sie  fangen  auf  allen  Bergen  und  auf 
allen  Hügeln  und  in  allen  Steinritzen."^)***  Und  weiter: 
„Siehe,  ich  will  sie  aus  dem  Lande  der  Mitternacht  bringen 
und  will  sie  sammeln  aus  den  Enden  der  Erde  *  *  *  Höret, 
ihr  Heiden,  des  Herrn  Wort  und  verkündigts  fern  in  die 
Inseln  und  sprecht:  Der  Israel  zerstreuet  hat,  der  wirds 
auch  wieder  sammeln  und  wird  sie  hüten  wie  ein  Hirte 
seine  Herde.  Denn  der  Herr  wird  Jakob  erlösen  und  von 
der  Hand  des  Mächtigen  erretten.  Und  sie  werden  kom- 
men und  auf  der  Höhe  zu  Zion  jauchzen  und  werden  zu 
den  Gaben  des  Herrn  laufen. "3) 


»)  Jesaja  54:7 — 8. 
»)  Jeremia  16:12—16. 
»)  Jeremia  31:7 — 8,  10- 


Art.  10.]  Die   Sammlung  Israels.  413 

7.  „Abtrünnige  Israel",  „Verstockte  Juda"  sind  die 
Worte,  mit  denen  der  Herr  seine  treulosen  Kinder  tadelt; 
dann  befiehlt  er  dem  Propheten  und  spricht:  ,,Gehe  hin 
und  rufe  diese  Worte  gegen  die  Mitternacht  und  sprich: 
„Kehre  wieder,  du  abtrünnige  Israel,  spricht  der  Herr, 
so  will  ich  mein  Antlitz  nicht  gegen  euch  verstellen.  Denn 
ich  bin  barmherzig,  spricht  der  Herr,  und  will  nicht  ewig- 
lich zürnen.  Allein  erkenne  deine  Missetat,  daß  du  wider 
den  Herrn,  deinen  Gott,  gesündigt  hast  und  bist  hin  und 
wieder  gelaufen  zu  den  fremden  Göttern  unter  allen  grünen 
Bäumen  und  habt  meiner  Stimme  nicht  gehorcht,  spricht 
der  Herr.  Bekehret  euch,  ihr  abtrünnigen  Kinder,  spricht 
der  Herr;  denn  ich  will  euch  mir  vertrauen  und  will  euch 
holen,  einen  aus  einer  Stadt  und  zwei  aus  einem  Geschlecht, 
und  will  euch  bringen  gen  Zion  und  will  euch  Hirten  geben 
nach  meinem  Herzen,  die  euch  weiden  sollen  mit  Lehre 
und  Weisheit.  Und  es  soll  geschehen,  wenn  ihr  gewachsen 
seid  und  euer  viel  geworden  sind  im  Lande,  so  soll  man, 
spricht  der  Herr,  zur  selben  Zeit  nicht  mehr  sagen  von  der 
Bundeslade  des  Herrn,  auch  ihrer  nicht  mehr  gedenken 
noch  davon  predigen  noch  nach  ihr  fragen,  und  sie  wird 
nicht  wieder  gemacht  werden;  sondern  zur  selben  Zeit 
wird  man  Jerusalem  heißen  ,Des  Herrn  Thron',  und  wer- 
den sich  dahin  sammeln  alle  Heiden  um  des  Namens  des 
Herrn  willen  zu  Jerusalem  und  werden  nicht  mehr  wandeln 
nach  den  Gedanken  ihres  bösen  Herzens.  Zu  der  Zeit  wird 
das  Haus  Juda  gehen  zum  Haus  Israel,  und  sie  werden 
miteinander  kommen  von  Mitternacht  in  das  Land,  das 
ich  euern  Vätern  zum  Erbe  gegeben  habe."^) 

8.  Dem  Propheten  Hesekiel  offenbarte  der  Herr 
ebenfalls  den  Plan  der  Wiederherstellung  Israels:  ,,So 
spricht  der  Herr,  Herr :  Siehe,  ich  will  die  Kinder  Israel 

•)  Jeremia  3:12—18;  siehe  auch  23:8;  29:13,  14;  30:3;  32:37. 


414  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVIII. 

holen  aus  den  Heiden,  dahin  sie  gezogen  sind,  und  will 
sie  allenthalben  sammeln  und  will  sie  wieder  in  ihr  Land 
bringen  und  will  ein  Volk  aus  ihnen  machen  im  Lande  auf 
den  Bergen  Israels,  und  sie  sollen  allesamt  einen  König 
haben  und  sollen  nicht  mehr  zwei  Völker  noch  in  zwei 
Königreiche  geteilt  sein."i) 

9.  Daß  die  Wiedererrichtung  des  Reiches  Israel  von 
Dauer  sein  soll,  geht  klar  aus  den  durch  Amos  gegebenen 
Offenbarungen  hervor,  in  denen  wir  lesen,  daß  der  Herr 
sagt:  „Denn  ich  will  das  Gefängnis  meines  Volkes  Israel 
wenden,  daß  sie  sollen  die  wüsten  Städte  bauen  und  be- 
wohnen, Weinberge  pflanzen  und  Wein  davon  trinken, 
Gärten  machen  und  Früchte  daraus  essen.  Denn  ich  will 
sie  in  ihr  Land  pflanzen,  daß  sie  nicht  mehr  aus  ihrem 
Land  ausgerottet  werden,  das  ich  ihnen  gegeben  habe, 
spricht  der  Herr,  dein  Gott. "2) 

10.  Als  passenden  Abschluß  unserer  Auswahl  bibli- 
scher Prophezeiungen  lassen  wir  die  Worte  Jesu  Christi 
folgen,  die  er  gesprochen,  als  er  noch  unter  den  Menschen 
wohnte:  ,,Und  er  wird  senden  seine  Engel  mit  hellen  Po- 
saunen, und  sie  werden  sammeln  seine  Auserwählten  von 
den  vier  Winden,  von  einem  Ende  des  Himmels  zu  dem 
andern. "3) 

11.  Prophezeiungen  in  dem  Buch  Mormon.  —  Die 
Sammlung  Israels  nahm  die  Aufmerksamkeit  vieler  Prophe- 
ten in  Anspruch,  deren  Lehren  im  Buch  Mormon  verzeich- 
net sind.  Mit  diesem  Buch  sind  uns  auch  eine  ganze  Anzahl 
unmittelbarer  Offenbarungen  über  diese  Sache  erhalten 
geblieben.  Wir  haben  Lehis  Gespräch  im  Tale  Lemuel 
bereits  angeführt,  worin  dieser  Patriarch  und  Prophet 
das  Haus   Israel  mit  einem  Ölbaum   vergleicht,   dessen 


')  Hesekiel37:21— 22;sieheauchll:17;20:34— 42;28:25;34:11,31. 
«)  Amos  9:14 — 15. 
')  Matthäus  24:31. 


I 


Art.  10.]  Die  Sammlung  Israels.  415 

Zweige  abgehauen  und  zerstreut  werden  sollten.  Nun 
können  wir  auch  seine  Prophezeiungen  inbezug  auf  das 
Wiedereinpflanzen  der  Zweige  hinzufügen.  Er  lehrte, 
daß  „nachdem  Israel  zerstreut  sein  werde,  sollte  es  wieder 
zusammengeführt  werden ;  oder  endlich,  nachdem  die  Hei- 
den das  Evangelium  in  Vollkommenheit  empfangen 
hätten,  dann  sollten  die  natürlichen  Zweige  des  Ölbaums 
oder  der  Rest  des  Hauses  Israel  eingepfropft  werden,  oder 
zu  der  Erkenntnis  des  wahren  Messias,  ihres  Herrn  und  Er- 
lösers, gelangen.  "1) 

12.  Nephi  führt  die  Worte  des  Propheten  Zenos-) 
an  und  betont  nachdrücklich,  daß  Israel,  wenn  es  durch 
Leiden  gereinigt  ist,  wieder  vor  den  Herrn  in  Gunst  kommen 
sollte,  und  daß  sie  dann  von  den  vier  Enden  der  Erde  ge- 
sammelt und  auf  den  Inseln  des  Meeres  in  Erinnerung  ge- 
bracht werden  sollen. 3)  Jakob,  der  Bruder  Nephis,  bezeugte 
die  Wahrheit  der  Prophezeiungen  des  Zenos  und  bezeich- 
nete die  Zeit  der  Sammlung  als  ein  Merkmal  der  letzten 
Tage.  Seine  Worte  lauten:  ,,An  dem  Tage,  da  der  Herr 
seine  Hand  wieder  ausstrecken  wird,  zum  zweitenmal 
sein  Volk  zu  erlangen,  wird  es  die  Zeit  sein,  ja  selbst  das 
letztemal,  wann  die  Diener  des  Herrn  in  seiner  Macht  aus- 
gehen werden,  um  seinen  Weinberg  zu  pflegen  und  zu  be- 
schneiden, und  nach  diesem  kommt  das  Ende  bald."^) 

13.  Eine  der  umfassendsten  Prophezeiungen  über 
die  Wiederbringung  der  Juden  ist  die  folgende  von  Nephi: 
„Die  Juden  sollen  unter  alle  Völker  zerstreut,  und  Babylon 
soll  zerstört  werden;  und  die  Juden  werden  durch  andere 
Nationen  zerstreut  werden.  Und  nachdem  dies  geschehen 
ist,  und  Gott,  der  Herr,  sie  durch  andere  Völker  gezüchtigt 


»)  Siehe  Anmerkung  3,   Seite  407. 

')  1.  Nephi  10:14;  siehe  auch  Jakob  5. 

')  l.Nephil9:16;  siehe  auch  1.  Nephi  22: 11,  12,  25;  2.  Nephi  6: 8— 11. 

«)  Jakob  6:2. 


416  Die   Glaubensartikel.  [Vorl.  XVIII. 

hat,  durch  viele  Geschlechter  ja  selbst  von  Geschlecht  zu 
Geschlecht,  bis  sie  überzeugt  sein  werden,  an  Christum, 
den  Sohn  Gottes,  und  an  die  Versöhnung  zu  glauben, 
welche  für  alle  Menschen  unendlich  ist;  wenn  nun  der  Tag 
kommen  wird,  da  sie  an  Christum  glauben  werden,  und  den 
Vater  in  seinem  Namen  mit  aufrichtigem  Herzen  und  rei- 
nen Händen  anbeten  und  auf  keinen  andern  Messias  warten 
wollen,  dann,  zu  der  Zeit,  wird  der  Tag  kommen,  daß  es 
notwendig  sein  wird,  daß  sie  allen  diesen  Dingen  glauben. 
Dann  wird  der  Herr  zum  zweitenmal  seine  Hand  ausstreck- 
ken,  um  sein  Volk  von  dem  verlorenen  und  gefallenen 
Zustande  zu  retten,  und  wird  beginnen  ein  wunderbares 
Werk  und  ein  Wunder  unter  den  Menschenkindern  aufzu- 
richten."i) 

14.  Nephi  erläuterte  die  Worte  Jesajas,  die  Leiden 
und  den  darauffolgenden  Triumph  des  Volkes  Israel  be- 
treffend, nennt  dann  die  Bedingungen,  unter  welchen  ihre 
Sammlung  zustande  kommen  sollte,  und  sagt  von  Gott: 
„Daß  er  durch  den  Mund  seiner  heiligen  Propheten  zu  den 
Juden  geredet  hat,  selbst  von  Anfang  an,  von  Geschlecht 
zu  Geschlecht,  bis  die  Zeit  kommt,  wo  sie  der  wahren 
Kirche  und  Flerde  Gottes  wiedergegeben  werden  sollen, 
wo  sie  in  das  Land  ihrer  Erbschaft  vereinigt  und  zurück- 
geführt werden  und  in  alle  ihnen  verheißenen  Länder  ein- 
gesetzt werden  sollen. "2) 

15.  Aus  diesen  und  vielen  andern  Schriftstellen  ist 
klar  ersichtlich,  daß  die  Zeit  der  Rückkehr  der  Juden  be- 
stimmt wird  durch  ihre  Anerkennung  Christi  als  ihren 
Herrn.  Wann  diese  Zeit  kommt,  sollen  sie  in  das  Land 
ihrer  Väter  versammelt  werden,  und  die  Heiden  sind  dazu 
ausersehen,  einen  großen  und  ehrenvollen  Anteil  an  dem 


»)  2.  Nephi  25:15—17. 

»)  2.  Nephi  9:2:    siehe    auch    1.  Nephi  15:19;    19:13—16;  2.  Nephi 
25:16,  17,  20;  3.  Nephi  5:21—26;  21:26—29;  29:1—8;  Mormon  5:14. 


Art.  10.]  Die   Sammlung  Israels.  417 

Werke  der  Sammlung  zu  nehmen.  So  bezeugen  uns  die 
Worte  Nephis:  „Aber  sehet,  so  spricht  Gott,  der  Herr: 
Wann  der  Tag  kommt,  daß  sie  an  mich  glauben  werden, 
daß  ich  der  Christus  bin,  dann  habe  ich  mit  ihren  Vätern 
einen  Bund  gemacht,  daß  sie  im  Fleische  auf  der  Erde 
in  den  Ländern  ihres  Erbteils  wieder  eingesetzt  werden 
sollen.  Und  es  wird  sich  begeben,  daß  sie  nach  ihrer  langen 
Zerstreuung  wieder  versammelt  und  von  den  Inseln  der 
See  und  den  vier  Teilen  der  Erde  zurückgeführt  werden; 
und  die  Völker  der  Heiden  werden  in  meinen  Augen  groß 
sein,  spricht  Gott,  dieweil  sie  dieselben  in  die  Länder  ihres 
Erbteils  zurückführen.  Ja,  die  Könige  der  Heiden  sollen 
ihre  Pflegeväter  sein  und  deren  Königinnen  ihre  Pflege- 
mütter; die  Versprechungen  des  Herrn  an  die  Heiden  sind 
groß,  denn  er  hat  geredet,  und  wer  kann  es  widerlegen  ?"i) 
16.  Die  Unterstützung,  welche  die  Heiden  den  Juden 
und  dem  Überbleibsel  des  Hauses  Israel  bei  ihren  Vorbe- 
reitungen angedeihen  lassen  werden,  wird  von  verschie- 
denen Propheten  des  Buches  Mormon  bestätigt.  Darüber 
hinaus  werden  die  Segnungen,  welche  sie  auf  diese  Weise 
erlangen  können,  im  einzelnen  beschrieben.^)  Eine  einzige 
Anführung  muß  für  unsern  augenblicklichen  Zweck  ge- 
nügen. Es  ist  die  Erklärung  des  auferstandenen  Herrn 
während  seiner  kurzen  Wirksamkeit  unter  den  Nephiten: 
„Aber  wenn  sie  sich  bekehren,  auf  meine  Worte  hören, 
und  ihre  Herzen  nicht  Verstecken  wollen,  dann  will  ich 
meine  Kirche  unter  ihnen  gründen,  und  sie  sollen  in  den 
Bund  aufgenommen  und  unter  diese,  die  Überbleibsel 
Jakobs,  gerechnet  werden,  denen  ich  dieses  Land  als  Erb- 
teil gegeben  habe ;  und  sie  sollen  meinem  Volke,  dem  Über- 
bleibsel Jakobs,  und  auch  allen,  die  vom  Hause  Israel 


>)  2.  Nephi    10:7—9;    30:7;    siehe    auch    Jesaja    49:23;    3.  Nephi 
5:26;  20:29. 

')  2.  Nephi  21:21—27;  Ether  13:8—10. 

27 


418  _  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVIII. 

kommen  werden,  helfen,  eine  Stadt  zu  bauen,  welche  das 
Neue  Jerusalem  genannt  werden  soll;  und  dann  sollen  sie 
meinem  Volke,  welches  im  ganzen  Lande  zerstreut  ist,  hel- 
fen, sich  ins  Neue  Jerusalem  zu  versammeln.  Dann  wird  die 
Macht  des  Himmels  unter  sie  herabkommen,  und  ich  werde 
auch  in  ihrer  Mitte  sein.  An  dem  Tage,  wann  dieses  Evan- 
gelium unter  dem  Überbleibsel  dieses  Volkes  gepredigt 
wird,  soll  das  Werk  des  Vaters  beginnen.  Wahrlich,  ich 
sage  euch:  An  jenem  Tage  wird  das  Werk  unter  allen 
Zerstreuten  meines  Volkes  anfangen,  ja  selbst  unter  den 
verlorenen  Stämmen,  welche  der  Vater,  aus  Jerusalem 
hinweggeführt  hat.  Ja,  das  Werk  des  Vaters  wird  unter 
allen  Zerstreuten  meines  Volkes  anfangen,  um  den  Weg 
zu  bereiten,  auf  welchen  sie  zu  mir  gelangen,  und  damit 
sie  den  Vater  in  meinem  Namen  anrufen  können.  Ja,  und 
dann,  mit  dem  Vater,  soll  das  Werk  unter  allen  Nationen 
anfangen,  um  den  Weg  zu  bereiten,  wodurch  sein  Volk 
zum  Land  seines  Erbteils  heimgeführt  werden  soll,"^) 

17.  Neuzeitliehe  Offenbarungen  über  die  Sammlung 
Israels.  Für  die  genaue,  buchstäbliche  Erfüllung  der 
Prophezeiungen  hinsichtlich  der  Zerstreuung  Israels  haben 
wir  ausgiebige  Beweise  gefunden.  Die  Prophezeiungen 
über  die  Sammlung  sind  bis  jetzt  nur  teilweise  erfüllt 
worden.  Zwar  hat  das  Werk  der  Zusammenbringung 
einen  guten  Anfang  genommen  und  ist  heute  in  stetem 
Fortschritt  begriffen;  seine  Vollendung  aber  liegt  noch 
in  der  Zukunft.  Es  ist  daher  zu  verstehen,  wenn  man  auch 
in  neuzeitlichen  heiligen  Schriften  nach  Offenbarungen 
und  Prophezeiungen  über  diese  Sache  ausschaut,  gerade 
wie  in  heiligen  Schriften  früherer  Zeiten.  Der  Herr 
hat  in  dieser  Dispensation  zu  den  Ältesten  seiner  Kirche 
gesprochen,  dabei  den  Zweck  der  Sammlung  des  Volkes, 


»)  3.  Nephi  21:22—28. 


Art.  10.]  Die  Sammlung  Israels.  419 

„wie  eine  Henne  ihre  Küchlein  unter  ihre  Flügel"!)  erklärt 
und  hinzugefügt:  „Und  ihr  seid  berufen,  die  Sammlung 
meiner  Auserwählten  zustande  zu  bringen,  denn  meine 
Auserwählten  hören  meine  Stimme  und  verhärten  ihre 
Herzen  nicht;  deshalb  ist  die  Verordnung  vom  Vater  aus- 
gegangen, daß  sie  in  einem  Platze  auf  die  Oberfläche  dieses 
Landes  versammelt  werden  sollten,  um  ihre  Herzen  vor- 
zubereiten, und  in  allen  Dingen  vorbereitet  zu  sein,  auf  den 
Tag,  wann  Trübsale  und  Zerstörung  auf  die  Gottlosen  ge- 
sandt werden  soll."^) 

18.  Hören  wir  weiter,  wie  der  Herr  dem  Volk  seiner 
Kirche  nicht  allein  die  Sammlung  vorhersagt,  sondern 
ihm  auch  bekannt  gibt,  daß  die  Stunde  der  Sammlung 
gekommen  sei.  „Darum  bereite  dich,  bereite  dich,  o  mein 
Volk,  heilige  dich,  versammle  dich,  o  du  Volk  meiner 
Kirche  *  *  *.  Ja  wahrlich,  wiederum  sage  ich  euch,  daß 
die  Zeit  gekommen  ist,  da  die  Stimme  des  Herrn  an  euch 
ergeht,  von  Babylon  auszugehen;  sammelt  euch  aus  den 
Völkern,  von  den  vier  Winden  von  einem  Ende  des  Him- 
mels bis  zu  dem  andern. "3) 

19.  Umfang  und  Zweck  der  Sammlung.  Einige  der 
bereits  angeführten  Prophezeiungen  beziehen  sich  beson- 
ders auf  die  Wiederherstellung  der  zehn  Stämme,  andere 
weisen  auf  die  Rückkehr  des  Volkes  Juda  nach  dem  Lande 
ihres  Erbteiles  hin,  wieder  andere  haben  Bezug  auf  die 
Wiederaufrichtung  Israels  im  allgemeinen,  ohne  besondere 
Stämme  oder  andere  Teile  zu  erwähnen,  währenddem 
endlich  viele  Stellen  in  den  Offenbarungen  unserer  Zeit 
von  der  Sammlung  der  Heiligen  handeln,  die  sich  der 


•)  Offenbarung,  gegeben  im  Jahre  1830;  Lehre  u.  Bündn.  Abschn. 
29:2;  siehe  auch  Abschnitt  10:65;  43:24. 

')  L.  u.  B.  29:7—8;  siehe  auch  31:8;  33:6;  38:31;  133:7;  45:25; 
77:14;  84:2. 

=)  L.  u.  B.  133:4— 7. 


420  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVIII. 

wiederhergestellten    Kirche    Jesu    Christi    angeschlossen 
haben.   Der  Plan  der  Sammlung  umfaßt  augenscheinlich: 

1.  Die  Rückkehr  der  Juden  nach  Jerusalem, 

2.  Die  Wiederherstellung  der  zehn   Stämme, 

3.  Das  Sammeln  des  Volkes  Israel  aus  den  Völkern 
der  Erde  nach  dem  Lande  Zion. 

20.  Diese  Dreiteilung  haben  wir  nur  der  Bequem- 
lichkeit halber  vorgenommen,  sie  hat  keinen  Bezug  auf  die 
Reihenfolge,  in  welcher  das  Werk  vollbracht  werden  soll. 
Der  zuletzt  genannte  Teil  stellt  das  heutige  große  Werk 
der  Kirche  dar,  obschon  damit  auch  die  Beihilfe  bei  der 
Wiederherstellung  der  verlorenen  Stämme  verknüpft  ist. 
Durch  die  im  Kirtland-Tempel  gegebene  Offenbarung  ist 
uns  bekannt  geworden,  daß  der  Auftrag  und  die  Vollmacht 
zu  diesem  Werk  feierlich  der  Kirche  übertragen  worden 
sind.  Und  durch  wen  anders  sollte  diese  Vollmacht  wohl 
gebracht  werden  als  durch  den,  der  sie  durch  göttlichen  Auf- 
trag in  einer  früheren  Dispensation  des  geeinigten  Israels 
erhalten  hatte?  Mose,  welcher  der  Hauptvertreter  des 
Volkes  Israels  war,  als  der  Herr  seine  Hand  zum  erstenmal 
ausstreckte,  um  sein  Volk  in  das  Land  seines  Erbteils 
zu  führen,  ist  persönlich  gekommen  und  hat  der  Kirche 
der  letzten  Tage  die  Vollmacht  übertragen,  dieses  Werk 
auszuführen,  nun  da  der  Herr  „seine  Hand  abermals  aus- 
streckt" um  sein  Volk  zu  befreien. 

21.  Joseph  Smith  und  Oliver  Cowdery,  von  denen 
jeder  rechtmäßig  zum  Apostelamt  ordiniert  worden  war, 
zeugen  von  der  ihnen  gewordenen  Kundgebung  mit  fol- 
genden Worten:  ,, Nachdem  dieses  Gesicht  geschlossen  war, 
wurden  uns  die  Himmel  wieder  geöffnet:  Mose  erschien, 
und  übergab  uns  die  Schlüssel  zur  Sammlung  Israels 
von  den  vier  Teilen  der  Erde,  und  der  Herbeiführung  der 


b 


Art.  10.]  Die  Sammlung  Israels.  ■  421 

zehn  Stämme  von  den  Nordländern. "i)  Die  Wichtigkeit 
dieses  Werkes,  das  so  von  der  Kirche  verlangt  wird,  ist  in 
einer  spätem  Offenbarung  nachdrücklich  hervorgehoben 
worden,  wobei  der  Herr  folgendes  Gebot  gab:  „Sendet  die 
Ältesten  meiner  Kirche  aus  zu  den  Völkern,  welche  ferne 
wohnen,  auf  die  Inseln  des  Meeres;  schicket  sie  nach  frem- 
den Ländern,  fordert  alle  Völker  auf,  zuerst  die  Heiden, 
und  alsdann  die  Juden.  Und  sehet,  dies  soll  ihr  Ruf  und  die 
Stimme  des  Herrn  an  alle  Völker  sein :  Gehet  hin  nach  dem 
Lande  Zion.  *  *  *  Lasset  darum  die,  die  unter  den  Hei- 
den sind,  nach  Zion  fliehen,  und  die  aus  Juda,  nach  Jeru- 
salem zu  den  Bergen  des  Hauses  des  Herrn.  Gehet  aus 
von  den  Völkern,  selbst  aus  Babylon,  aus  der  Mitte  der 
Gottlosigkeit,  welches  das  geistige  Babylon  ist."^) 

22.  Der  letzte  Satz  der  eben  angeführten  Stelle  be- 
zeichnet den  Zweck,  wozu  das  Werk  der  Sammlung  der 
Heiligen  aus  den  Völkern  der  Erde  angeordnet  ist.  Der 
Herr  möchte,  daß  sein  Volk  sich  von  den  Sünden  der  Welt 
trennt  und  das  geistige  Babylon  verläßt,  damit  sie  die  Wege 
Gottes  kennen  lernen  und  ihm  umso  besser  dienen  können. 
Johannes  der  Offenbarer  sah  in  einem  Gesicht  das  Schick- 
sal der  sündigen  Welt  voraus,  als  er  auf  der  Insel  Patmos 
in  der  Verbannung  lebte.  Ein  Engel  kam  vom  Himmel, 
„und  er  schrie  aus  Macht  mit  großer  Stimme  und  sprach: 
Sie  ist  gefallen,  sie  ist  gefallen,  Babylon,  die  große,  und 
eine  Behausung  der  Teufel  geworden  und  ein  Behältnis 
aller  unreinen  Geister  und  ein  Behältnis  aller  unreinen  und 
verhaßten  Vögel.  *  *  *  Und  ich  hörte  eine  andere  Stimme 
vom  Himmel,  die  sprach:  Gehet  aus  von  ihr,  mein  Volk, 
daß  ihr  nicht  teilhaftig  werdet  ihrer  Sünden,  auf  daß  ihr 


')  Lehre  u.  Bündn.  110:11. 
')  L.  u.  B.  133:8— 9,  12—14. 


422  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVIII. 

nicht  empfanget  etwas  von  ihren  Plagen  I  Denn  ihre  Sün- 
den reichen  bis  in  den  Himmel,  und  Gott  denkt  an  ihren 
Frevel."!) 

23.  Der  Glauben  der  Heiligen  der  letzten  Tage  lehrt, 
daß  an  dem  Tage  des  gerechten  Zornes  des  Herrn,  in  Zion 
Sicherheit  sein  wird.  Die  Wichtigkeit,  welche  die  Heiligen 
der  letzten  Tage  dem  Werke  der  Sammlung  beimessen, 
und  die  Treue,  mit  der  sie  der  Pflicht  gerecht  zu  werden 
suchen,  die  ihnen  durch  göttliche  Vollmacht  auferlegt 
wurde,  nämlich  die  Welt  vor  den  drohenden  Gefahren, 
wie  sie  in  dem  Gesicht  des  Offenbarers  geschildert  werden, 
zu  warnen,  wird  zur  Genüge  bewiesen  durch  die  große 
Ausdehnung  ihrer  Missionsarbeit,  wie  sie  gegenwärtig 
von  diesem  Volke  betrieben  wird. 2) 

24.  Israel  ein  auserwähltes  Volk.  Es  ist  augenschein- 
lich, daß  der  Herr  auf  sein  Volk  Israel  seine  besten  Seg- 
nungen beschlossen  hat. 3)  Mit  Abraham,  dem  großen 
Stammvater  dieses  Volkes,  trat  Gott  in  einen  Bund  und 
sagte:  „Und  ich  will  dich  zum  großen  Volk  machen  und  will 
dich  segnen  und  dir  einen  großen  Namen  machen,  und 
sollst  ein  Segen  sein.  Ich  will  segnen,  die  dich  segnen  und 
verfluchen,  die  dich  verfluchen;  und  in  dir  sollen  gesegnet 
werden  alle  Geschlechter  auf  Erden. "^)  Dies  sollte  ein 
ewiger  Bund  sein.^)  Er  wurde  auf  Isaak^)  bestätigt  und 
später  auch  auf  Jakob'),  der  Israel  genannt  wurde.  Die 
Verheißung  einer  zahlreichen  Nachkommenschaft,  unter 
welcher  viele  vom  königlichen  Rang  sein  würden,  ist 
buchstäblich  in  Erfüllung  gegangen.  Nicht  weniger  sicher 


')  Offenbarung  Job.  18:2,  4 — 5. 

')  Siehe  Anmerkung  1. 

')  Siehe  Anmerkung  2. 

*)  1.  Mose  12:1 — 3;  siehe  auch  Galater  3:14,  16. 

')  1.  Mose  17:6—8. 

«)  1.  Mose  26:3 — t. 

')  1.  Mose  35:11—12. 


Art.  10.]  Die  Sammlung  Israels.  423 

ist  die  Verwirklichung  des  zweiten  Teiles  der  Verheißung, 
daß  nämlich  in  und  durch  Abrahams  Nachkommenschaft 
alle  Völker  der  Erde  gesegnet  werden  sollen.  Denn  infolge 
einer  weltweiten  Zerstreuung  haben  sich  die  Kinder  Is- 
rael mit  den  Völkern  der  Erde  vermischt  und  das  Blut 
des  auserwählten  Samens  hat  sich  mit  dem  aller  Völker 
vermengt.^)  Heute  nun,  am  Tag  der  Sammlung,  da  der 
Herr  sein  Volk  wieder  zusammenbringt,  um  es  zu  ehren 
und  zu  segnen,  mehr  als  die  Welt  zu  geben  vermag,  nimmt 
jedes  Volk  mit  dem  Blute  Israels  in  den  Adern  seiner 
Glieder  an  den  Segnungen  teil. 

25.  Es  gibt  jedoch  noch  einen  schlagenderen  Beweis 
für  die  Segnungen,  die  durch  das  Haus  Israel  allen  Völ- 
kern zugute  gekommen  sind.  Ist  nicht  der  im  Fleisch  ge- 
borene Erlöser  aus  dem  Stamm  Abrahams  hervorgegangen  ? 
Sicherlich  erstrecken  sich  die  Segnungen  dieser  göttlichen 
Geburt  nicht  nur  auf  die  Völker  und  Familien  der  Erde 
im  großen  und  ganzen,  sondern  auf  jeden  einzelnen  Sterb- 
lichen im  besondern. 

26.  Die   Wiederherstellung    der   zehn    Stämme.     Aus 

den  behandelten  Schriftstellen  geht  klar  hervor,  daß  wenn 
auch  viele,  die  zu  den  zehn  Stämmen  gehörten,  unter  die 
Völker  der  Erde  zerstreut  wurden,  doch  eine,  die  Beibe- 
haltung des  ursprünglichen  Namens  rechtfertigende  Zahl 
als  ein  Ganzes  weggeführt  wurde,  die  an  einem  bestimmten 
Orte  fortbestehen,  wo  sie  der  Herr  verborgen  hält.  Ihnen 
zu  dienen,  besuchte  sie  Christus  nach  seinem  bereits  er- 
wähnten Besuch  bei  den  Nephiten.^)  Ihre  Rückkehr  bildet 
einen  sehr  wesentlichen  Teil  der  Sammlung,  die  für  die 
Dispensation  der  Fülle  der  Zeiten  kennzeichnend  ist. 


')  Siehe  Anmerkung  3. 
»)  Seite  406,  407. 


424  Die  Glaubensartikel.  [Vori.  XVIII. 

27.  Den  bereits  angeführten  Schriftstellen,  die  sich 
auf  ihre  Rückkehr  beziehen,  sollte  die  nachstehende  an- 
gefügt werden.  Von  diesem  Bestandteil  des  Werkes  Gottes 
in  den  letzten  Tagen  wird  uns  gesagt:  „Und  die,  die  in  den 
nördlichen  Ländern  sind,  werden  vor  dem  Herrn  in  Er- 
innerung kommen,  und  ihre  Propheten  werden  seine  Stimme 
hören,  und  sie  werden  sich  nicht  länger  zurückhalten, 
werden  die  Felsen  schlagen,  und  das  Eis  wird  vor  ihrer 
Gegenwart  herabfließen.  Und  ein  Weg  wird  in  der  Mitte 
der  großen  Tiefe  gebahnt  werden.  Ihre  Feinde  werden  ih- 
nen zur  Beute  werden,  und  in  der  unfruchtbaren  Wüste 
werden  Quellen  lebendigen  Wassers  entstehen,  und  die 
ausgetrocknete  Erde  wird  nicht  länger  ein  durstiges  Land 
sein.  Und  sie  werden  ihre  reichen  Schätze  meinen  Dienern, 
den  Kindern  Ephraims,  hervorbringen.  Und  die  Grenzen 
der  ewigen  Hügel  werden  vor  ihrer  Gegenwart  zittern. 
Und  alsdann  werden  sie  niederfallen  und  mit  Herrlichkeit 
gekrönt  werden,  nämlich  in  Zion,  durch  die  Hände  der 
Diener  des  Herrn,  nämlich  der  Kinder  Ephraims;  und  sie 
sollen  mit  ewigen  Freudengesängen  erfüllt  werden.  Sehet, 
dies  ist  der  Segen  des  ewigen  Gottes  auf  die  Stämme  Israels 
und  die  größere  Segnung  auf  das  Haupt  Ephraims  und 
seiner  Genossen. "i) 

28.  Bei  der  ausdrücklichen  und  wiederholten  Erklä- 
rung, daß  die  zehn  Stämme  bei  ihrer  Rückkehr  aus  dem 
Norden  nach  Zion  geführt  werden  sollen,  um  dort  Segnun- 
gen aus  den  Händen  einiger  der  Kinder  Ephraims  zu  emp- 
fangen, die  also  notwendigerweise  zuvor  selbst  dort  ver- 
sammelt werden  müssen,  ist  es  klar,  daß  zuerst  Zion  ge- 
baut werden  muß.  In  unserer  nächsten  Vorlesung  wenden 
wir  nun  unsere  Aufmerksamkeit  der  Gründung  Zions  zu. 


»)  Lehre  u.  Bündn.  133:26 — 34. 


Art.  10.]  Anmerkungen.  425 

Anmerkungen. 

1.  Die  Sammlung  nunmehr  Im  Fortscbreiten  begriffen.  —  Die  Heiligen 
der  letzten  Tage  errichten  in  den  Tälern  der  Felsengebirge  Pfähle  Zions 
und  bringen  auf  diese  Weise  die  Prophezeiungen  der  alten  Propheten  in 
Erfüllung.  Jesaja  hat  geschrieben:  „Es  wird  zur  letzten  Zeit  der  Berg, 
da  des  Herrn  Haus  ist,  fest  stehen,  höher  denn  alle  Berge,  und  über  alle 
Hügel  erhaben  werden,  und  werden  alle  Heiden  dazu  laufen  und  viele  Völker 
hingehen  und  sagen:  Kommt,  laßt  uns  auf  den  Berg  des  Herrn  gehen,  zum 
Hause  des  Gottes  Jakobs,  daß  er  uns  lehre  seine  Wege  und  wir  wandeln 
auf  seinen  Steigen!  Denn  von  Zion  wird  das  Gesetz  ausgehen,  und  des 
Herrn  Wort  von  Jerusalem"  (Jes.  2:2 — 3).  Es  ist  bemerkenswert,  wie  genau 
die  Heiligen  der  letzten  Tage  die  Ausdrücke  in  dieser  Prophezeiung  erfüllen: 
1.  Sie  bauen  auf  den  Höhen  der  Berge  Tempel  des  Herrn,  sodaß  das  Haus 
des  Herrn  tatsächlich  da  ist,  wo  Jesaja  es  gesehen  hat.  —  2.  Die  Heiligen, 
die  in  diesem  Werke  tätig  sind,  sind  Leute,  die  fast  aus  allen  Völkern  unter 
dem  Himmel  sich  sammelten,  sodaß  „alle  Völker  fliehen  zu  dem  Hause 
des  Herrn",  auf  den  Gipfeln  der  Berge.  —  3.  Die  Menschen,  die  in  fernen 
Ländern  das  Evangelium  annehmen,  sagen  voller  Freude  zu  ihren  Ver- 
wandten und  Freunden:  „Kommt,  laßt  uns  auf  den  Berg  des  Herrn  gehen, 
zum  Hause  des  Gottes  Jakobs,  daß  er  uns  lehre  seine  Wege  und  wir  wandeln 
auf  seinen  Steigen!"  —  Robert's  „Outlines  of  Ecclessiastical  History", 
Seite  409.  — 

2.  Israel  ein  auservvähltes  Volk.  —  Die  dem  Patriarchen  Abraham 
gegebene  Verheißung,  daß  er  zu  einem  großen  Volke  werden  solle,  hat  darin 
ihre  Erfüllung  gefunden,  daß  sein  auserwählter  .Same  1500  Jahre  lang  das 
Land  Palästina  als  solches  besessen  hat.  Sie  wird  von  neuem  in  Erfüllung 
gehen,  wenn  sie  dereinst  für  immer  als  ein  Volk  in  jenem  Lande  wohnen 
werden.  Die  Geschichte  der  östlichen  Erdhälfte  während  der  2000  Jahre 
zwischen  der  Berufung  Abrahams  und  der  Zerstörung  Jerusalems  durch 
die  Römer  ist  Zeuge  dafür,  daß  jedes  Reich,  welches  gegen  Israel  kämpfte, 
oder  das  dieses  Volk  in  irgend  einer  Weise  unterdrückte,  von  dem  Schau- 
platz der  Geschichte  verschwand.  Die  Zeit  wird  das  gleiche  allgemeine 
Ergebnis  für  den  Zeitraimi  von  der  Zerstörung  Jerusalems  bis  zum  Tausend- 
jährigen Reich  kundtun.  Der  Prophet  Jesaja  spricht  von  der  Zeit,  da  der 
Herr  Israel  wieder  gnädig  sein  werde  und  sagt:  „Siehe,  sie  sollen  zu  Spott 
imd  Schanden  werden  alle,  die  dir  gram  sind;  sie  sollen  werden  wie  nichts; 
imd  die  Leute,  die  mit  dir  hadern,  sollen  umkommen."  —  ,,Und  ich  will  deine 
Schinder  speisen  mit  ihrem  eigenen  Fleisch,  und  sie  sollen  von  ihrem  eigenen 
Blut  wie  von  süßem  Wein  trunken  werden."  —  „Siehe,  ich  nehme  den 
Taumelkelch  von  deiner  Hand  samt  den  Hefen  des  Kelches  meines  Grimms; 
du  sollst  ihn  nicht  mehr  trinken,  sondern  ich  will  ihn  deinen  Schindern  in 
die  Hand  geben,  die  zu  deiner  Seele  sprachen:  Bücke  dich,  daß  wir  drüber- 
hin  gehen,  und  mache  deinen  Rücken  zur  Erde  und  wie  eine  Gasse,  daß 
man  drüberhin  laufe."  —  (Jes.  41:11;  49:26;  51:22,  23.)  —  „A  Compen- 
dium of  the  Doctrines  of  the  Gospel"  von  den  Ältesten  Franklin  D.  Richards 
und  James  A.  Little,  Seite  246—247. 

3.  Israel  unter  den  verschiedenen  Völkern.  —  ,,Wenn  wir  bedenken, 
daß  32  Jahrhunderte  vergangen  sind,  seitdem  die  Feinde  Israels  die  Israe- 
liten im  Lande  Kanaan  unterdrückten,  daß  diese  während  eines  Drittels 
der  Zeit,  während  der  sie  als  ein  Volk  dieses  Land  inne  hatten,  mehr  oder 


426  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XVIII. 

weniger  in  der  Knechtschalt  ilirer  Feinde  lebten,  daß  siebenhundert  Jahre 
vor  dem  Kommen  Christi  die  zeiin  Stämme  über  das  westliche  Asien  zer- 
streut wurden,  und  daß  wir  keinen  Bericht  haben,  wonach  bis  heute  irgend 
welche  von  ihnen  in  das  Land  ihrer  Väter  zurückgekehrt  wären,  daß  nahezu 
sechshundert  Jahre  vor  Christus  die  babylonische  Gefangenschaft  erfolgte 
und  daß  gemäß  dem  Buch  Esther  nur  ein  kleiner  Teil  der  Juden  zurück- 
kehrte, währenddem  die  meisten  auf  die  127  Pro%inzen  des  persischen 
Reiches  verteilt  wurden,  daß  Asien  der  Bienenkorb  war,  von  welchem  jene 
Nomadeustämme  ausschwärmten,  die  Europa  überrannten,  daß  bei  der 
Zerstörung  Jerusalems  durch  die  Römer  die  Juden  über  die  ganze  damals  be- 
kannte Welt  zerstreut  wurden;  wenn  wir  uns  dies  alles  vor  Augen  halten, 
dann  dürfen  wir  wohl  die  Frage  stellen:  „Stellt  Israel  heute  nicht  einen 
großen  Teil  der  menschlichen  Familie  dar?"  —  ,, Compendium",  von  den 
Ältesten  F.  D.  Richards  und  James  A.  Little,  S.  90. 


Art.  10.]  Zion.  427 


Vorlesung  XIX. 


Zion. 

Artikel  10.  —  Wir  glauben,  *  *  *  daß  Zion  auf  dem  amerikanischen 
Kontinent  aufgebaut  werden  wird  *  *  *. 

1.  Zwei  Sammelplätze.  —  Von  den  Stellen,  die  wir 
in  Verbindung  mit  der  Zerstreuung  und  der  darauffolgenden 
Wiedervereinigung  Israels  angeführt  haben,  beziehen  sich 
einige  auf  Jerusalem,  das  wieder  aufgerichtet  wird,  andere 
auf  Zion,  das  erbaut  werden  soll.  Gewiß,  der  zuletzt  ge- 
nannte Name  wird  in  vielen  Fällen  als  ein  gleichbedeutendes 
Wort  für  Jerusalem  gebraucht  und  zwar  der  Tatsache  we- 
gen, daß  ein  gewisser  Hügel  innerhalb  des  alten  Jerusalems 
im  besondern  Sinne  als  ,,Zion"  oder  „Berg  Zion"  bekannt 
war;  der  Name  eines  Teiles  wird  ja  oft  bildlich  gebraucht, 
wenn  man  das  Ganze  zu  bezeichnen  wünscht.  Je- 
doch wird  in  andern  Stellen  die  besondere,  bestimmte 
Bedeutung  für  jeden  einzelnen  der  beiden  Ausdrücke 
klar  hervorgehoben.  Der  Prophet  Micha,  der  im  siebten 
Jahrhundert  vor  der  Geburt  Christi  im  Volke  wirkte  ,,voll 
Kraft  und  Geistes  des  Herrn,  voll  Rechts  und  Stärke"^) 
sagte  die  Zerstörung  Jerusalems  und  des  damit  verbunde- 
nen Zions  voraus,  wonach  Jerusalem  „zum  Steinhaufen 
werden"  und  Zion  „wie  ein  Acker  gepflügt"  werden  sollte.^) 
Dann  verkündigt  er  einen  neuen  Zustand,  der  in  den  letz- 
ten Tagen  bestehen  soll,  zu  einer  Zeit  da  ,,ein  anderer 
Berg,  darauf  des  Herrn  Haus  ist"  erstehen  werde  und  dieser 


')  Micha  3:8. 

^)  Micha  3:12;  siehe  auch  Seite  404,  405  in  diesem  Buch. 


428  Die  Glaubensarükel.  IVorl.  XIX. 

wird  Zion  genannt.^)  Die  beiden  Plätze  werden  in  der 
Offenbarung  gesondert  erwähnt:  „Denn  aus  Zion  wird 
das  Gesetz  ausgehen  und  des  Herrn  Wort  aus  Jerusalem". 2) 

2.  Joel  fügt  diesem  sein  eigenes  Zeugnis  an  inbezug 
auf  die  zwei  Orte,  von  denen  aus  der  Herr  sein  Volk  re- 
gieren wird:  ,,Und  der  Herr  wird  aus  Zion  brüllen  und  aus 
Jerusalem  seine  Stimme  lassen  hören". ^)  Zephania  stimmt 
über  den  Triumph  Israels  einen  Gesang  an  und  wendet 
sich  an  die  Töchter  der  beiden:  „Jauchze,  du  Tochter 
Zion !  Rufe,  Israel !  Freue  dich  und  sei  fröhlich  von  ganzem 
Herzen,  du  Tochter  Jerusalem!"^)  Dann  prophezeit  der 
Prophet  für  jeden  der  beiden  Plätze  besonders:  „Zur 
selben  Zeit  wird  man  sprechen  zu  Jerusalem:  Fürchte 
dich  nicht!  und  zu  Zion:  Laß  deine  Hände  nicht  laß  wer- 
den!"^) Der  Prophet  Sacharja  verzeichnet  den  Willen 
Gottes  mit  folgenden  Worten:  „Und  der  Herr  wird  Zion 
wieder  trösten  und  wird  Jerusalem  wieder  erwählen."') 

3.  Wann  das  Volk  des  Hauses  Jakob  bereit  sein 
wird,  den  Erlöser  als  ihren  rechtmäßigen  König  zu  emp- 
fangen, wann  die  zerstreuten  Schafe  Israels  durch  Leiden 
und  Trübsale  demütig  genug  geworden  sind,  ihrem  Hirten 
zu  folgen,  dann  in  der  Tat  wird  er  kommen,  um  unter  ihnen 
zu  regieren.  Dann  wird  ein  buchstäbliches  Königreich 
aufgerichtet  werden,  weit  wie  die  Welt,  mit  dem  König 
der  Könige  auf  dem  Thron  und  die  zwei  Hauptstädte  des 
mächtigen  Reiches  werden  Jerusalem  auf  der  östlichen 
und  Zion  auf  der  westlichen  Halbkugel  sein.  Jesaja  spricht 
von  der  Herrlichkeit  des  Reiches  Christi  in  den  letzten 
Tagen  und  schreibt  je  gesondert  Zion  und  Jerusalem  die 


')  Micha  4:1. 

»)  Micha  4:2;  Jesaja  2:2—3. 

»)  Joel  4:16. 

«)  Zephanja  3:14. 

»)  Vers  16. 

•)  Sacharja  1:17;  siehe  auch  2:7 — 12. 


Art.  10.]  Zion.  429 

Segnungen  des  Triumphes  zu:^)  „Zion,  du  Predigerin, 
steig  auf  einen  hohen  Berg;  Jerusalem,  du  Predigerin, 
hebe  deine  Stimme  auf  mit  Macht,  hebe  auf  und  fürchte  dich 
nicht;  sage  den  Städten  Judas:  Siehe,  da  ist  euer  Gottl"^) 
4.  Der  Name  Zion  wird  mit  verschiedener,  ganz  be- 
stimmter Bedeutung  gebraucht.  Seiner  Herkunft  nach 
bedeutet  das  Wort  ,,Zion",  oder  wie  die  Griechen  schreiben, 
„Sion"  wahrscheinlich  „leuchtend",  „glorreich",  „hell", 
„klar",  „sonnig".  Diese  mehr  allgemeine  Bedeutung  ist 
jedoch  verloren  gegangen  zu  Gunsten  einer  tiefern,  leben- 
digem, die  sich  das  Wort  als  ein  Name  oder  Titel  erworben 
hat.  Wie  schon  erwähnt,  wurde  ein  besonderer  Hügel 
innerhalb  Jerusalems  Zion  genannt.  Als  David  seinen 
Sieg  über  die  Jebusiter  errang,  gewann  er  die  ,,Burg  Zion" 
und  nannte  sie  Davids  Stadt.^)  Zion  war  also  der  Name 
eines  Ortes  und  ist  wie  folgt  angewendet  worden : 

1.  auf  den  Hügel  oder  Berg  Zion  selbst,  und  durch  Er- 
weiterung der  Bedeutung  auch  auf  Jerusalem. 

2.  auf  den  Ort  ,,für  den  Berg  des  Hauses  des  Herrn", 
das  nach  Michas  Prophezeiung  in  den  letzten  Tagen 
erbaut   werden   soll,    unterschieden   von    Jerusalem. 

Diesen  können  wir  eine  weitere  Anwendung  des  Namens 
beifügen,  wie  sie  uns  durch  moderne  Offenbarung  bekannt 
geworden  ist: 

3.  auf  die  heilige  Stadt,  die  Henoch,  der  siebte  von  Adam, 
gegründet  hat;  diese  wurde  von  ihm  Zion  genannt,*) 

4.  Noch  ein  anderer  Gebrauch  des  Ausdruckes  ist  zu  be- 
achten, ein  mehr  bildlicher,  wonach  die  Kirche  Gottes 
ebenfalls  Zion  genannt  wird,  das  nach  des  Herrn 
eigener  Auslegung  die  „Reinen  im  Herzen"  bedeutet.^) 


•)  Jesaja  4:3 — 4. 

»)  Jesaja  40:9. 

»)  2  Samuel  5:6 — 7;  siehe  auch  1.  Könige  2:10  und  8:1. 

•)  KösU.  Perle,  Moses  7:  18—21. 

')  Lehre  u.  Bündn.  97:21. 


430  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIX. 

5.  Jerusalem.  Als  passende  Einführung  in  unsere 
Untersuchung  über  das  Neue  Zion,  das,  wie  wir  sehen 
werden,  auf  dem  westlichen  Kontinent  noch  erbaut  werden 
soll,  können  wir  kurz  die  Geschichte  und  das  Schicksal 
Jerusalems,^)  des  Zions  der  östlichen  Halbkugel,  betrachten. 
Von  dem  Wort  Jerusalem  wird  allgemein  angenommen, 
daß  es  seiner  Abstammung  entsprechend  die  ,,Ansiedlung" 
oder  die  „Stadt  des  Friedens"  bedeute.  Wir  begegnen  ihm 
zum  erstenmal  als  Salem,  dem  Wohnort  Melchizedeks, 
des  Hohenpriesters  und  Königs,  dem  Abraham  im  neun- 
zehnten Jahrhundert  vor  Christus  seinen  Zehnten  bezahlte. 2) 
Eine  direkte  Feststellung  der  Gleichheit  Salems  und 
Jerusalems  finden  wir  bei  Josephus.^)  Wie  schon  erwähnt, 
wurde  die  Stadt  durch  David  den  Jebusitern  entrissen,*) 
etwa  im  Jahre  1048  vor  Christus.  Während  der  Regie- 
rungszeit Davids  und  Salomos  erwarb  die  Stadt  als  Haupt- 
stadt des  ungeteilten  Israels  großen  Ruhm  wegen  ihres 
Reichtums,  ihrer  Schönheit  und  ihrer  Macht.  Ihre  Haupt- 
sehenswürdigkeit war  der  wundervolle  Tempel  Salomos, 
der  den  Berg  Moriah  krönte.^)  Nach  der  Teilung  des  Rei- 
ches blieb  Jerusalem  die  Hauptstadt  des  kleinern  König- 
reiches Juda. 

6.  Von  den  vielen  Wechselfällen,  die  ihr  das  Kriegs- 
schicksal beschieden  hat,®)  seien  nur  die  folgenden  er- 
wähnt: Die  Zerstörung  der  Stadt  und  die  Wegführung 
ihrer  J^inwohner  in  die  Sklaverei  durch  Nebukadnezar 
in  den  Jahren  588  und  585  vor  Christus;')  ihre  Wiederer- 


')  Siehe  Anmerkung  1. 
«)  I.Mose  14:18—20. 
")  Ant.  of  the  Jecos  I.  Kap.  X. 
•)  2.  Samuel  5:6 — 7. 
»)  1.  Könige  5 — 8;  2.  Chronik  2—7. 

')  l.Königel4:25;2.  Königel4:13— 14;25;2.Chronikl2:2— 5;36:14 
bis  21 ;  Jeremia  39 : 5 — 8. 

»)  Jeremia  52:12—15. 


I 


Art.  10.]  Zion.  431 

bauung  nach  Beendigung  der  babylonischen  Gefangen- 
schaft^) (etwa  515  vor  Christi  Geburt);  ihre  endgültige 
Vernichtung  bei  der  Ausrottung  des  jüdischen  Reiches 
durch  die  Römer,  70 — 71  nach  Christus.  Nach  ihrer  Bedeu- 
tung und  in  der  Liebe  der  Juden  war  die  Stadt  tatsächlich 
das  Herz  Judäas,  und  in  der  Verehrung  der  Christen  ist 
sie  stets  mit  Heiligkeit  bekleidet  gewesen.  In  der  irdischen 
Mission  des  Erlösers  nahm  sie  einen  wichtigen  Platz  ein 
und  war  der  Schauplatz  seines  Todes,  seiner  Auferstehung 
und  seiner  Himmelfahrt.  Des  Heilandes  Achtung  für  die 
Hauptstadt  seines  Volkes  steht  außer  Zweifel.  Er  verbot, 
daß  irgend  jemand  bei  ihr  schwören  sollte  „denn  sie  ist 
des  großen  Königs  Stadt"^)  und  ihrer  Sünden  wegen  weinte 
er  über  sie  wie  ein  Vater  über  ein  verirrtes  Kind. 3) 

7.  Aber  wie  groß  auch  Jerusalems  Vergangenheit  war, 
größer  noch  wird  ihre  Zukunft  sein.  Von  neuem  soll  sie 
zum  Sitz  des  Königs  werden,  des  Königs  der  Könige,  und 
ewige  Herrlichkeit  ist  ihm  zugesichert. 

8.  Das  Zion  der  letzten  Tage;  das  Neue  Jerusalem. 
Die  biblischen  Erklärungen  hinsichtlich  des  Zions  der 
letzten  Tage,  zum  Unterschied  von  dem  alten  oder  wieder- 
erbauten Jerusalem  des  Ostens,  schweigen  sich  über  die 
geographische  Lage  dieser  zweiten  und  modernen  Haupt- 
stadt des  Reiches  Christi  aus.  Indessen  erfahren  wir  aus 
der  Bibel  doch  einiges  über  die  Bodenbeschaffenheit  des 
Landstriches,  worauf  Zion  gebaut  werden  soll.  So  be- 
schreibt Micha,  nachdem  er  die  Verwüstung  des  Berges 
Zion  und  Jerusalems  im  allgemeinen  vorhersagt,  im 
Gegensatz  hierzu  das  neue  Zion,  wo  das  Haus  des  Herrn 
in  den  letzten  Tagen  erbaut  werden  wird.  Seine  Worte 
lauten:  „In  den  letzten  Tagen  aber  wird  der  Berg,  darauf 


')  Esra  1 — 3;  Nehemia  2. 

»)  Matthäus  5: 35;  siehe  auch  Psalm  48:2;  87:3. 

=)  Matthäus  23:37;  Lukas  13:34. 


432  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIX. 

des  Herrn  Haus  ist,  fest  stehen,  höher  denn  alle  Berge, 
und  über  die  Hügel  erhaben  sein,  und  die  Völker  werden 
dazu  laufen,  und  viele  Heiden  werden  gehen  und  sagen: 
Kommt,  laßt  uns  hinauf  zum  Berge  des  Herrn  gehen  und 
zum  Hause  des  Gottes  Jakobs,  daß  er  uns  lehre  seine 
Wege  und  wir  auf  seiner  Straße  wandeln !  Denn  aus  Zion 
wird  das  Gesetz  ausgehen  und  des  Herrn  Wort  aus  Jeru- 
salem."i) 

Die  Prophezeiung  Jesajas  spricht  sich  über  den  ge- 
birgigen Charakter  des  Landes  des  neuzeitlichen  Zions^) 
ebenso  klar  aus,  und  weiterhin  versichert  uns  dieser  Pro- 
phet, daß  nur  rechtschaffene  Menschen  imstande  sein 
werden,  inmitten  der  stolzen  Pracht  dieses  neuen  Wohn- 
ortes zu  leben  und  von  diesem  selbst  sagt  er:  „Der 
wird  in  der  Höhe  wohnen,  und  Felsen  werden  seine  Feste 
und  Schutz  sein,"  und  fügt  hinzu,  daß  das  Land  in  weiter 
Ferne  liege.^)  In  einer  andern  Stelle  nennt  er  einen  Sam- 
melpunkt „jenseit  der  Wasser  des  Mohrenlands"  und  „auf 
den  Bergen",  wo  der  Herr  „ein  Panier  aufwerfen  wird" 
für  die  Welt.*) 

10.  Die  Lehren  des  Buches  Morpion  und  die  Offen- 
barungen der  gegenwärtigen  Dispensation  über  das  Zion 
der  letzten  Tage  stimmen  zwar  mit  dem  biblischen  Bericht 
in  der  allgemeinen  Schilderung  der  Lage  und  der  Herr- 
lichkeit der  Stadt  überein,  aber  doch  sind  sie  ausführlicher 
hinsichtlich  ihrer  geographischen  Lage.  In  diesen  Schrif- 
ten werden  die  Namen  Zion  und  Neues  Jerusalem  für 
«in  und  dasselbe  gebraucht,  die  letzte  Bezeichnung  zu 
Ehren  des  östlichen  Jerusalems,  Johannes  der  Offen- 
barer sah  in  einem  Gesicht  ein  Neues  Jerusalem  als  Kenn- 


M  Micha  4:1—2. 
')  Jesaja  2:2 — 3. 
»)  Jesaja  33:15—17. 
')  Jesaja  18:1 — 3. 


► 


Art.  10.]  Zion.  433 

zeichen  der  letzten  Tage.^)  Ether,  ein  Prophet  der  Jaredi- 
ten,  —  ein  Volk  das  jahrhundertelang  Teile  Nordamerikas 
bewohnte,  ehe  Lehi  und  seine  Begleiter  dorthin  kamen^)  — 
sagte  die  Gründung  des  Neuen  Jerusalems  auf  dem  ame- 
rikanischen Kontinent  voraus  und  betonte  den  Unterschied 
zwischen  dieser  Stadt  und  dem  alten  Jerusalem. 

11.  Moroni,  ein  nephitischer  Prophet,  sagt  in  seiner 
Abkürzung  der  Schriften  Ethers  von  diesem,  daß  er  hin- 
sichtlich des  Landes  Nordamerika  sah,  „daß  es  der  Ort 
des  Neuen  Jerusalem  wäre,  welches  vom  Himmel  herab- 
kommen und  das  Heiligtum  des  Herrn  sein  würde.  Sehet, 
Ether  sah  die  Tage  Christi  und  sprach  von  einem 
Neuen  Jerusalems  auf  diesem  Lande;  und  er  sprach  auch 
von  dem  Hause  Israel  und  über  das  Jerusalem,  von 
welchem  Lehi  kommen  würde :  nachdem  es  zerstört  wäre, 
sollte  es  wieder  dem  Herrn  als  eine  heilige  Stadt  erbaut 
werden ;  deshalb  konnte  es  nicht  ein  Neues  Jerusalem  sein, 
denn  es  war  vor  alten  Zeiten  gewesen,  aber  es  sollte  wieder 
aufgebaut  und  eine  heilige  Stadt  des  Herrn  werden;  und 
es  sollte  dem  Hause  Israel  erbaut  werden.  Und  daß  ein 
Neues  Jerusalem  in  diesem  Lande  aufgebaut  werden  sollte, 
für  die  Überbleibsel  der  Nachkommen  Josephs,  für  welches 
ein  Vorbild  gewesen  ist.  Denn  so  wie  Joseph  seinen  Vater 
nach  Ägyptenland  hinabbrachte,  und  er  dort  starb,  so  hat 
der  Herr  einen  Überrest  der  Nachkommen  Josephs  vom 
Lande  Jerusalem  geführt,  damit  er  ihnen  gnädig  sein 
möchte,  und  sie  nicht  umkämen,  gleich  wie  er  dem  Vater 
Josephs  gnädig  gewesen  war,  damit  er  nicht  umkäme. 
Daher  sollen  die  Überbleibsel  des  Hauses  Josephs  auf 
dieses  Land  gebaut  werden,  und  es  soll  ein  Land  ihres 
Eigentums  sein;  und  sie  sollen  dem  Herrn  eine  heilige 


')  Offenbarung  Joh.  21:2. 
=)  Siehe  Seite  321. 


434  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIX. 

Stadt  bauen,  ebenso  wie  das  alte  Jerusalem;  und  sie 
sollen  nicht  mehr  verwirrt  werden  bis  das  Ende  kommt, 
wann  die  Erde  vergehen  wird."^) 

12.  Jesus  Christus  besuchte  die  Nephiten  in  Amerika 
bald  nach  seiner  Auferstehung  und  sagte  im  Verlaufe 
seiner  Belehrungen:  ,,Und  siehe,  dieses  Volk  will  ich  in 
diesem  Lande  gründen,  bis  der  Bund,  welchen  ich  mit 
euerm  Vater  Jakob  gemacht  habe,  erfüllt  sein  wird,  und  es 
soll  ein  Neues  Jerusalem  werden.  Und  die  Mächte  des  Him- 
mels sollen  mitten  unter  diesem  Volke  sein.  Ja  ich  will  selber 
mitten  unter  euch  sein. "2)  —  Weiter  prophezeit  unser 
Heiland  —  wie  wir  schon  in  der  vorhergehenden  Vorlesung 
auseinandergesetzt  haben^)  —  daß  die  Heiden,  wenn  sie 
ihre  Sünden  bereuen  und  ihre  Herzen  nicht  verstocken, 
in  diesen  Bund  mit  eingeschlossen  werden  und  die  Erlaub- 
nis erhalten  sollen,  bei  dem  Aufbau  des  Neuen  Jerusalems 
mitzuwirken.*) 

13.  Ether,  der  Jaredite,  und  Johannes,  der  Offenbarer, 
die  durch  sechs  Jahrhunderte  von  einander  getrennt  und 
auf  entgegengesetzten  Erdhälften  prophezeiten,  sahen 
das  Neue  Jerusalem  vom  Himmel  herabkommen, ,, bereitet", 
sagt  der  jüdische  Prophet,  „als  eine  geschmückte  Braut 
ihrem  Manne". 5)  Wir  haben  schon  von  dem  Zion  Henochs 
gesprochen, 6)  einer  Stadt,  einst  auf  dem  nordamerikani- 
schen Festlande  gelegen,  deren  Bewohner  so  rechtschaffen 
waren,  daß  auch  sie  Zion  genannt  wurden,  „denn  sie  waren 
eines  Herzens  und  eines  Sinnes."")  —  Sie  wurden  mit 
ihrem  patriarchalischen  Führer  von  der  Erde  entrückt. 


»)  Buch  Mormon,  Ether  13:3 — 8. 

»)  3.  Nephi  20:22. 

•)  Siehe  Seite  417,  418. 

*)  3.  Nephi  21:22—24. 

>)  Offenbarung  Joh.  21:2. 

')  Seite  429. 

')  KösU.  Perle,  Moses  7:18, 


Art.  10.]  Zion.  435 

wie  wir  lesen:  „Und  es  geschah,  daß  Zion  nicht  mehr  war, 
denn  Gott  nahm  es  in  seinen  eigenen  Busen  auf;  und  von 
da  an  ging  die  Sage  aus:  Zion  ist  geflohen."^)  Vor  diesem 
Ereignis  jedoch  hatte  der  Herr  Henoch  die  göttlichen 
Absichten  hinsichtlich  des  Menschengeschlechts  bis  zum 
Ende  der  Zeiten  kundgetan.  Große  Ereignisse  sollen  die 
letzten  Tage  kennzeichnen.  Die  Auserwählten  werden  von 
den  vier  Teilen  der  Erde  gesammelt  werden,  nach  einem 
Ort,  der  für  sie  bereitet  ist.  Der  Tempel  des  Herrn  wird 
dort  erbaut  und  der  Ort  soll  „Zion,  ein  Neues  Jerusalem" 
genannt  werden.  Alsdann  sollen  Henoch  und  sein  Volk 
zur  Erde  zurückkehren  und  die  versammelten  Auserwähl- 
ten an  dem  heiligen  Ort  treffen. 

14.  Wir  haben  gesehen,  daß  die  Anwendung  der 
Namen  Zion  und  Neues  Jerusalem  wechselseitig  ist;  des 
weitern,  daß  sowohl  rechtschaffene  Menschen  wie  auch 
heilige  Orte  Zion  genannt  werden.  Denn  nach  dem  beson- 
dern Wort  des  Herrn  bedeutet  Zion  für  ihn  die  „Reinen 
im  Herzen. "2)  Die  Kirche  lehrt,  daß  das  Zion,  wie  es  Jo- 
hannes und  der  Prophet  Ether  vom  Himmel  herabkommen 
sahen,  die  Rückkehr  des  erhöhten  Henoch  und  seines 
gerechten  Volkes  darstellt  und  daß  das  Zion  oder  das 
Volk  Henoch  und  das  Zion  der  Neuzeit  oder  die  auf  dem 
westlichen  Kontinent  versammelten  Heiligen  ein  Volk 
werden  sollen. 

15.  Daß  Zion  auf  dem  westlichen  Erdteil  erbaut 
werden  soll,  kommt  in  den  Prophezeiungen  des  Buches 
Mormon  deutlich  zum  Ausdruck.  Der  genaue  Ort  jedoch 
ist  erst  nach  der  Wiederherstellung  des  Priestertums  in  der 
gegenwärtigen  Dispensation  geoffenbart  worden.  Im  Jahre 
1831  gebot  der  Herr  den  Ältesten  seiner  Kirche:  , .Ziehet 


»)  KösU.    Perle,    Moses    7:69;    Lehre   u.    Bündn.   38:4;    45:11—12; 
84:99—100. 

*)  L.  u.  B.  97:21;  Köstl.  Perle,  Moses  7:18;  auch  L.  u.  B.  84:100. 


436  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XIX. 

aus  von  den  östlichen  Ländern,  versammelt  euch,  ihr  Äl- 
testen meiner  Kirche,  gehet  hin  in  die  westlichen  Länder, 
fordert  die  Bewohner  zur  Buße  auf,  und  insofern  als  sie  be- 
reuen, errichtet  meinem  Namen  Gemeinden;  und  mit  einem 
Herz  und  Sinn  sammelt  eure  Reichtümer  zusammen,  um 
euch  ein  Erbteil  zu  kaufen,  das  euch  späterhin  noch  ge- 
zeigt werden  soll.  Es  soll  ein  Neues  Jerusalem  genannt 
werden,  ein  Land  des  Friedens,  eine  Zufluchtstätte  und 
eine  Stadt  der  Sicherheit  für  die  Heiligen  des  Allerhöch- 
sten Gottes;  die  Herrlichkeit  des  Herrn  wird  dort  sein 
und  der  Schrecken  des  Herrn  wird  auch  dort  sein,  so  daß 
die  Bösen  nicht  hinkommen  werden,  und  es  soll  Zion  ge- 
nannt werden. "1) 

16.  Spätere  Offenbarungen  riefen  die  Ältesten  der 
Kirche  nach  dem  westlichen  Missouri^)  zusammen  und  be- 
zeichneten diesen  Bezirk  als  das  Land,  das  für  die  Samm- 
lung der  Heiligen  erwählt  und  gesegnet  sei.^)  „Deshalb 
ist  es  das  Land  der  Verheißung  und  der  Ort  für  die  Stadt 
Zion".*)  Die  Stadt  Independence  wird  als  der  Zentral- 
punkt genannt,  der  Platz  für  den  Tempel  bezeichnet  und 
den  Heiligen  der  Rat  gegeben,  dort  Land  anzukaufen, 
„daß  sie  es  für  ein  ewiges  Erbteil  erlangen  möchten".^) 
Der  so  bestimmte  Tempelplatz  wurde  am  3.  August  1831 
von  dem  Propheten  Joseph  Smith  und  seinen  Mitverbun- 
denen  im  Priestertum  feierlich  geweiht.^)  Die  ganze  Um- 
gegend wurde  ebenfalls  geweiht,  damit  sie  ein  Sammelplatz 
für  das  Volk  Gottes  sein  möge. 

17.  Dies  ist  also  der  Glaube  der  Heiligen  der  letzten 
Tage  und  so  lauten  die  Lehren  der  Kirche.   Der  Plan  für 


>)  Lehre  u.  Bündn.  45:64 — 67;  lies  ferner  die  Verse  68 — 71. 

»)  L.  u.  B.  52:2 — 3;  siehe  Anmerkung  2. 

»)  L.  u.  B.  57:1— 2. 

')  Vers  2. 

<■)  Vers  4,  5. 

*)  Siehe  Anmerkung  3. 


Art.  10.]  Zion.  437 

den  Aufbau  Zions  ist  noch  nicht  vollendet  worden.  Den 
Heiligen  wurde  nicht  gestattet,  das  Land,  das  ihnen  als 
ewiges  Besitztum  verheißen  worden  war,  sofort  in  Besitz 
zu  nehmen.  Wie  zwischen  der  Zeit,  wo  der  Herr  vor  alters 
dem  Volke  Israel  das  Land  Kanaan  als  Erbteil  verheißen  hat 
und  ihrem  Einzug  in  das  gelobte  Land,  Jahre  verstrichen, 
—  Jahre  arbeitsamer  und  mühevoller  Vorarbeitung  des 
Volkes  auf  die  Zeit  der  Erfüllung  —  so  wird  auch  in  diesen 
letzten  Tagen  die  göttliche  Absicht  und  der  göttliche  Plan 
noch  zurückgehalten,  damit  sich  das  Volk  heilige  für  die 
große  Gabe  und  für  die  größere  Verantwortlichkeit,  die 
damit  verknüpft  ist.  Inzwischen  sammeln  sich  die,  die 
aufrichtigen  Herzens  sind,  in  den  Tälern  der  Felsengebir- 
ge; und  hier  auf  den  Höhen  der  Berge,  ,, höher  denn  alle 
Berge",  sind  Tempel  errichtet  worden  und  alle  Nationen 
fliehen  nach  diesem  Lande.  Jedoch  wird  Zion  dereinst 
auf  dem  auserwählten  Platz  erbauet  werden,  „sie  soll  nicht 
aus  ihrem  Platz  gecückt  werden"  und  die  Reinen  im  Herzen 
werden  sicherlich  zurückkehren  „mit  Gesängen  ewiger 
Freude",  um  die  öden  Plätze  Zions  aufzubauen. i) 

18.  Das  gesammelte  Israel  kann  jedoch  nicht  auf 
einen  einzigen  ,, Zentralpunkt",  oder  auf  die  unmittelbar 
angrenzende  Gegend  beschränkt  werden.  Weitere  Sammel- 
orte sind  bestimmt  worden  und  werden  noch  bestimmt 
werden,  und  diese  werden  „Pfähle  Zions"  genannt. 2)  In 
den  von  den  Heiligen  bewohnten  Gegenden  sind  viele 
Pfähle  Zions  gegründet  worden,  welche  zu  dauernden 
Niederlassungen  ausersehen  sind,  und  dorthin  werden  die, 
die  aus  den  Würdigen  bestimmt  werden,  gehen,  ihr  Erb- 
teil  zu  empfangen.    Zion   soll  gezüchtigt  werden,   doch 


>)  Lehre  u.  Bündn.  101:17—18;    siehe  auch  101:43,  74,  75;  103:1, 
11,  13,  15;  105:1,  2,  9,  13,  16,  34;  109:47;  136:18. 
»)  L.  u  B.  101:21;  siehe  Seite  257. 


438  Die  Glaubensartikel.  fVorl.  XIX. 

nur  für  eine  kleine  Zeit,^)  und  dann  wird  die  Zeit  ihrer 
Erlösung  kommen. 

19.  Diese  Zeit  wird  von  Gott  festgesetzt  werden;  sie 
wird  aber  doch  auch  mitbestimmt  durch  die  Glaubens- 
treue seines  Volkes.  Des  Volkes  Leichtfertigkeit  veranlaßte 
den  Herrn,  zuzuwarten,  denn  er  sagt:  „Deshalb,  infolge  der 
Übertretung  meines  Volkes,  ist  es  ratsam,  daß  meine  Äl- 
testen auf  die  Erlösung  Zions  eine  kleine  Zeit  warten 
sollen. "2)  Und  weiter:  ,,Zion  soll  in  meiner  eigens  bestimm- 
ten Zeit  erlöst  werden. "3)  Aber  die  Zeit  der  Segnungen 
des  Herrn  für  sein  Volk  hängt  von  diesem  ab.  Schon  im 
Jahre  1834  erhielt  die  Kirche  die  folgenden  Worte  des 
Herrn:  ,, Wahrlich,  ich  sage  euch,  wäre  es  nicht  der  Über- 
tretungen meines  Volkes  wegen,  ***  so  könnten  sie  selbst 
jetzt  schon  erlöst  sein."*) 


Anmerkungen. 

1.  Jerusalem.  —  Die  Stadt  hat  zu  verschiedenen  Zeiten  verschiedene 
Namen  geführt;  selbst  in  der  Bibel  hat  sie  verschdedene  Bezeichnungen. 
Salem  (1.  Mose  14:18),  hieß  sie  vielleicht  zu  der  Zeit  Melchizedeks  und  in 
Psalm  76:2  wird  sie  bestimmt  so  genannt.  Jesaja  (29:1,  7),  nennt  sie  Ariel. 
—  Jebus,  oder  Jebusi,  die  Stadt  der  Jebusiter,  war  ihr  Name  in  den  Tagen 
Josuas  und  der  Bichter  (Josua  15:8;  18:16,  28;  Bichter  19:10,  11). 
Dieser  Name  blieb  bis  zur  Zeit  Davids  in  Gebrauch  (1.  Chron.  11:4,  5). 
Einige  glaubten,  Jerusalem  sei  selbst  eine  verschlechterte  Form  von  Jebus- 
Salem,  doch  ist  dies  eine  Annahme,  die  von  den  Tatsachen  nicht  unter- 
stützt wird.  Jerusalem  wird  auch  „Die  Stadt  Davids"  genannt,  ferner 
„Die  Stadt  Judas",  „Die  Heilige  Stadt",  „Die  Stadt  Gottes  ',  (2.  Könige 
14:20;  2.  Chron.  25:28;  Nehemia  11:18;  Psalm  87:3).  Heutzutage  wird 
sie  in  den  meisten  Ländern  des  Ostens  „el  Kuds"  d.  i.  „Die  Heilige"  ge- 
heißen. Keine  Stadt  der  Welt  hat  je  ehrendere  Titel  erhalten;  selbst  unser 
Heiland  nannte  sie  „Die  Stadt  des  großen  Königs".  —  Biblisches  Wörter- 
buch, Cassell  und  Co.  ,   Seite  600. 


1)  Lehre  u.  Bündn.  100:13. 
*)  L.  u.  B.  105:9;  auch  136:31. 
»)  L.  u.  B.  136:18. 
*)  L.  u.  B.  105:1—2. 


Art.  10.]  Anmerkungen.  439 

2.  Die  Gründung  Zions  in  Missouri.  „***  Eine  als  die  Colesville- 
Gemeinde  bekannte  Vereinigung  von  Heiligen,  die  frülier  in  Colesville, 
Broom  County,  New- York,  gewohnt  hatten,  langten  in  Missouri  an,  und 
da  sie  Auftrag  erhalten  hatten,  Land  rings  um  Zion  zu  kaufen,  sicherten 
sie  sich  ein  Stück  Land  in  einer  fruchtbaren  Prärie,  etwa  10 — 12  Meilen 
westlich  von  Independense,  nicht  weit  von  der  heutigen  Stadt  Kansas 
entfernt.  Am  2.  August  (1831),  am  Vorabend  der  Weihung  des  Tempel- 
platzes, wurde  in  der  Niederlassung  der  Colesville-Heiligen  der  erste  Balken 
eines  Hauses  für  die  Gründung  Zions  gelegt.  Der  Balken  wurde  von  zwölf 
Männern  getragen,  zu  Ehren  der  zwölf  Stämme  Israels,  und  Ältester  Rig- 
don  segnete  und  weihte  das  Land  Zion  für  die  Sammlung  der  Heiligen."  — 
„Outlines  of  Ecclesiastical  History",  von  B.  H.  Roberts,  Seite  352.  — 

3.  Der  Tempelplatz  in  Independence,  Jackson  County,  Missouri.  — 
„Folgt  man  der  Straße  westwärts  des  Court-House,  eine  schwache  halbe 
Meile,  so  gelangt  man  auf  den  Gipfel  einer  die  Umgebung  belierrschenden 
Höhe,  deren  Abhang  nach  Süden  und  Westen  jäh  abfällt,  nach  Norden 
und  Osten  jedoch  nur  ganz  allmählich.  ***  Dies  ist  der  Tempelplatz.  Hier 
war  es,  wo  am  3.  August  1831  Joseph  Smith,  Sidney  Rigdon,  Edward 
Partridge,  W.  W.  Phelps,  Oliver  Cowdery,  Martin  Harris,  .Joseph  Coe  imd 
eine  andere  Person,  deren  Namen  ich  nicht  erfahren  konnte,  (im  ganzen 
waren  es  nämlich  acht)  —  Männer  an  denen  der  Herr  sein  Wohlgefallen 
hatte  —  zusammen  kamen,  um  diesen  Ort  als  den  Tempelplatz  in  Zion  zu 
weihen.  Der  78.  Psalm  wurde  gelesen;  alsdann  weihte  der  Prophet  Joseph 
den  Ort,  an  dem  ein  Tempel  erbaut  werden  soll,  auf  dem  die  Herrlichkeit 
Gottes  ruhen  wird.  Ja,  der  große  Gott  hat  es  so  beschlossen  und  gesagt: 
„Denn  wahrlich,  dieses  Geschlecht  soll  nicht  gänzlich  vergehen  bis  dem 
Herrn  ein  Haus  gebaut  werden  ^vird,  und  eine  Wolke  soll  darauf  ruhen, 
welche  selbst  die  Herrlichkeit  Gottes  sein  soll,  die  das  Haus  erfüllen  wird. 
***  Und  die  Söhne  Moses  und  auch  die  Söhne  Aarons,  sollen  eine  angenehme 
Gabe  und  ein  Opfer  darbringen  im  Hause  des  Herrn,  welches  Haus  dem 
Herrn  in  diesem  Geschlecht  auf  dem  geheiligten  Platz,  den  ich  bestimmt 
habe,  gebaut  werden  wird."  —  (Lehre  und  Bündnisse  84:5,  31).  Ältester  B. 
H.  Roberts,  „Missouri  Persecutions".  —  Siehe  „The  House  of  the  Lord", 
von  James  E.  Talmage,  Kap.  5. 


440  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XX. 


Vorlesung  XX. 
Die  Regierung  Christi  auf  Erden. 

Artikel  10.  —  „Wir  glauben,  ***  daß  Christus  persönlich  auf  der  Erde 
regieren  wird  ***. 

1.  Das  erste  und  das  zweite  Kommen  Christi.  —  Die  Ge- 
burt Christi  im  Fleisch,  sein  dreiunddreißigjähriges  Leben 
unter  Sterblichen,  seine  Amtstätigkeit  und  sein  Leben  und 
Sterben  werden  ganz  allgemein  als  erhärtete  geschichtliche 
Tatsachen  anerkannt.  Nicht  allein  die  Urkunden  und  die 
Schriften,  die  von  der  Christenheit  als  heilig  und  inspiriert 
betrachtet  werden,  zeugen  von  diesen  Tatsachen,  sondern 
auch  die  von  Menschen  verfaßte  Geschichte,  die  im  Gegen- 
satz zu  jener  die  Weltgeschichte  genannt  wird,  stimmt  im 
allgemeinen  mit  dem  biblischen  Bericht  überein.  Selbst 
die,  die  die  Lehre  von  der  Göttlichkeit  Jesu  Christi  ver- 
werfen, und  solche,  die  ihn  als  Erlöser  ablehnen,  anerkennen 
die  geschichtliche  Tatsache  seines  wunderbaren  Lebens 
und  geben  den  unberechenbaren  Einfluß  seiner  Lehre  und 
seines  Beispiels  auf  die  menschliche  Familie  zu. 

2.  In  der  ,, Mitte  der  Zeiten"  wurde  Christus  auf  dieser 
Erde  geboren,  in  niedrigen  Verhältnissen,  in  der  Tat  im 
Verborgenen  für  alle,  ausgenommen  für  jene  getreuen 
Gläubigen,  die  des  zu  erwartenden  Ereignisses  harrten. 
Sein  Kommen  war  von  Anbeginn  des  menschlichen  Da- 
seins durch  all  die  Jahrhunderte  hindurch  verkündigt 
worden.  Jeder  Prophet  Gottes  hatte  Zeugnis  gegeben 
von  den  großen  Ereignissen,  die  seine  Geburt  kennzeich- 
nen sollten;  jedes  mit  seiner  Geburt,  seinem  Leben  und 


Art.  10.]  Die  Regierung  Christi  auf  Erden.  441 

Sterben,  seiner  siegreichen  Auferstehung  und  schließlichen 
Herrlichkeit  als  König,  Herr  und  Gott  verknüpfte  wichtige 
Ereignis  war  vorhergesagt  worden;  selbst  Einzelheiten 
und  nähere  Umstände  wurden  mit  großer  Genauigkeit 
geschildert.  Juda  und  Israel  waren  ermahnt  worden, 
sich  auf  das  Kommen  des  Gesalbten^)  vorzubereiten  und 
doch  —  als  er  zu  den  Seinen  kam,  nahmen  sie  ihn  nicht 
auf!  Verfolgt  und  verhöhnt  schritt  er  den  dornigen  Pfad 
der  Pfhcht,  ,,ein  Mensch,  vertraut  mit  Kummer  und  Leid" 
und  schließlich,  verdammt  von  seinem  Volk,  das  nach  der 
Gewalt  einer  fremden  Macht  schrie,  um  seinen  teuflischen 
Plan  zur  Vernichtung  seines  Herrn  auszuführen,  erlitt  er 
den  Tod  eines  Verbrechers. 

3.  Menschlichem  Ermessen  mußte  es  scheinen,  als 
ob  die  göttliche  Mission  Jesu  Christi  zunichte  gemacht, 
sein  Werk  vereitelt  und  die  Macht  der  Finsternis  siegreich 
geblieben  sei.  Blind,  taub  und  verhärteten  Herzens  waren 
die,  die  sich  sträubten,  den  Zweck  der  Mission  Jesu  Christi 
zu  hören,  zu  sehen  und  zu  begreifen.  Ähnlich  verfinstert 
sind  die,  welche  die  prophetischen  Beweise  seines  zweiten 
Kommens  verwerfen,  die,  die  versäumen,  die  Zeichen  der 
Zeit  zu  beachten  und  zu  lesen,  obschon  sie  erklären,  daß 
dieses  schreckliche  und  zugleich  herrliche  Ereignis  nahe 
bevorsteht.  Christus  hat  sowohl  vor  wie  nach  seinem  Tode 
sein  bestimmtes  Wiedererscheinen  auf  der  Erde  prophezeit, 
und  heute  harren  seine  getreuen  Nachfolger  der  Zeit 
der  herrlichen  Erfüllung.  Die  Flammenzeichen  der  Zeit 
stehen  am  Himmel  und  von  neuem  ertönt  der  inspirierte 
Ruf  in  seiner  ganzen  Gewichtigkeit:  „Tut  Buße,  denn  das 
Himmelreich  ist  nahe  herbeigekommen!" 

4.  Das  zweite  Kommen  Christi  vorhergesagt.  —  Die 
Zeichen  seiner  Wiederkunft  beschrieben.  —  Biblische  Pro- 


>)  Siehe  Anmerkung  1. 


442  Die   Glaubensartikel.  [Vorl.  XX. 

phezeiungen.  —  Die  Propheten  des  Alten  Bundes  und  des 
Buches  Mormon,  die  in  der  vorchristlichen  Zeit  lehrten 
und  schrieben,  hatten  über  das  zweite  Kommen  Christi 
wenig  zu  sagen;  wenig  in  der  Tat,  wenn  man  es  mit  den 
zahlreichen  und  ausführlichen  Prophezeiungen  über  sein 
erstes  Kommen  vergleicht.  Als  sie  am  Horizont  der 
Zukunft  spähten  und  mit  prophetischer  Kraft  die  Geschichte 
der  himmlischen  Sphäre  lasen,  ward  ihr  Auge  von  der 
Pracht  der  Mittagssonne  geblendet  und  nur  wenig  sahen 
sie  von  dem  herrlichen  jenseitigen  Licht,  dessen  Größe 
und  Glanz  durch  die  Nebel  der  zeitlichen  Entfernung  ver- 
schleiert waren.  Einige  wenige  jedoch  schauten  seine 
Strahlen  und  zeugten  davon,  wie  wir  aus  den  nachstehen- 
den Schriftstellen  ersehen  können:  ,, Unser  Gott  kommt 
und  schweiget  nicht.  Freßend  Feuer  geht  vor  ihm  her  und 
um  ihn  her  ein  großes  Wetter."^)  Diese  verzehrenden  und 
stürmischen  Umstände  waren  keine  Begleiterscheinungen 
bei  der  Geburt  des  Kindes  von  Bethlehem. 

5.  Jesaja  ruft  aus:  „Saget  den  verzagten  Herzen: 
Seid  getrost,  fürchtet  euch  nicht!  Sehet,  euer  Gott,  der 
kommt  zur  Rache;  Gott,  der  da  vergilt,  kommt  und  wird 
euch  helfen. "2)  Abgesehen  davon,  daß  diese  Zustände 
bei  dem  ersten  Kommen  Christi  nicht  vorhanden  waren, 
zeigt  auch  der  Zusammenhang  der  Worte  des  Propheten, 
daß  er  dabei  die  letzten  Tage  im  Auge  hatte,  die  Zeit  der 
Wiederherstellung,  den  Tag  der  ,, Erlösten  des  Herrn" 
und  des  Triumphes  Zions.^)  Ferner  sagt  Jesaja:  ,,Denn 
siehe,  der  Herr,  Herr  kommt  gewaltig,  und  sein  Arm  wird 
herrschen.  Siehe,  sein  Lohn  ist  bei  ihm,  und  seine  Vergel- 
tung ist  vor  ihm."^) 


>)  Psalm  50:3. 
=)  Jesaja  35:4. 
')  Verse  5 — 10. 
♦)  Jesaja  40:10. 


Art.  10.]  Die  Regierung  Christi  auf  Erden.  443 

6.  Der  Prophet  Henoch,  der  zwanzig  Jahrhunderte 
vor  denen  lebte,  deren  Worte  oben  angeführt  sind,  sprach 
mit  großer  Kraft  über  denselben  Gegenstand.  Seine  Be- 
lehrungen erscheinen  in  der  Bibel  nicht  unter  seinem  eige- 
nen Namen,  obschon  Judas,  ein  neutestamenthcher  Ver- 
fasser, sie  anführt. 1)  Aus  dem  Buch  Moses  in  der  , .Köst- 
lichen Perle"  erfahren  wir  über  die  dem  Propheten  Henoch 
gegebenen  Offenbarungen  folgendes:  „Und  der  Herr  sagte 
zu  Henoch :  so  wahr  ich  lebe,  ebenso  werde  ich  in  den  letz- 
ten Tagen  kommen;  in  den  Tagen  der  Gottlosigkeit  und 
Rache,  um  den  Eid  zu  erfüllen,  den  ich  dir  inbetreff  der 
Kinder  Noahs  gegeben  habe. "2) 

7.  Jesus  belehrte  seine  Jünger,  daß  seine  Mission  im 
Fleische  nur  von  kurzer  Dauer  sein  könne,  daß  er  jedoch 
nochmals  zur  Erde  kommen  werde.  Wir  sehen,  wie  ihn 
die  Jünger  in  folgender  Weise  fragten:  ,,Sage  uns,  wann 
wird  das  geschehen?  Und  welches  wird  das  Zeichen  sein 
deiner  Zukunft  und  des  Endes  der  Welt?"^)  In  seiner  Ant- 
wort auf  diese  Frage  zählte  der  Herr  viele  von  den  Zeichen 
der  letzten  Tage  auf;  als  das  letzte  und  größte  davon  er- 
wähnte er  das  folgende:  ,,Und  es  wird  gepredigt  werden 
das  Evangelium  vom  Reich  in  der  ganzen  Welt  zu  einem 
Zeugnis  über  alle  Völker,  und  dann  wird  das  Ende  kom- 
men."^) Mit  großer  Deutlichkeit  sprach  er  von  der  Verderbt- 
heit, in  welcher  die  Menschheit  beharrt  hatte,  selbst  bis  an 
den  Vorabend  der  Sintflut  und  bis  auf  den  Tag  der  schreck- 
lichen Zerstörung  der  Städte  Sodom  und  Gomorra  und 
fügte  dann  hinzu:  „Auf  diese  Weise  wirds  auch  gehen  an 
dem  Tag,  wenn  des  Menschen  Sohn  soll  offenbart  werden."^) 


')  Judas  14—15. 

")  Köstl.  Perle,  Moses  7: 

=)  Matthäus  24:3. 

')  Vers  14. 

')  Lukas  17:26—30. 


444  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XX. 

8.  Eine  weitere  Prophezeiung  unseres  Herrn  über  sein 
zweites  Kommen  lautet  wie  folgt.  Seine  Aufzählung  der 
Zeichen,  durch  die  das  Herannahen  des  Ereignisses  erkannt 
werden  kann,  ist  so  bedeutungsvoll,  daß  wir  die  Beschrei- 
bung im  Wortlaut  lesen  sollten:  ,,Sie  (die  Jünger)  fragten 
ihn  aber  und  sprachen:  Meister,  wann  soll  das  werden? 
und  welches  ist  das  Zeichen,  wann  das  geschehen  wird? 
Er  aber  sprach:  Sehet  zu,  lasset  euch  nicht  verführen. 
Denn  viele  werden  kommen  in  meinem  Namen  und  sagen, 
ich  sei  es,  und:  die  Zeit  ist  herbeigekommen.  Folget 
ihnen  nicht  nach !  Wenn  ihr  aber  hören  werdet  von  Kriegen 
und  Empörungen,  so  entsetzet  euch  nicht.  Denn  solches 
muß  zuvor  geschehen;  aber  das  Ende  ist  noch  nicht  so  bald 
da.  Da  sprach  er  zu  ihnen:  Ein  Volk  wird  sich  erheben 
wider  das  andere  und  ein  Reich  wider  das  andere,  und  es 
werden  geschehen  große  Erdbeben  hin  und  wieder,  teure 
Zeit  und  Pestilenz;  auch  werden  Schrecknisse  und  große 
Zeichen  vom  Himmel  geschehen.  Aber  vor  diesem  allem 
werden  sie  die  Hände  an  euch  legen  und  euch  verfolgen 
und  werden  euch  überantworten  in  ihre  Schulen  und  Ge- 
fängnisse und  vor  Könige  und  Fürsten  ziehen  um  meines 
Namens  willen.  Das  wird  aber  euch  widerfahren  zu  einem 
Zeugnis.  So  nehmet  nun  zu  Herzen,  daß  ihr  nicht  sorget, 
wie  ihr  euch  verantworten  sollt.  Denn  ich  will  euch  Mund 
und  Weisheit  geben,  welcher  nicht  sollen  widersprechen 
können  noch  widerstehen  alle  eure  Widersacher.  Ihr  wer- 
det aber  überantwortet  werden  von  den  Eltern,  Brüdern, 
Gefreunden  und  Freunden;  und  sie  werden  euer  etliche 
töten.  Und  ihr  werdet  gehaßt  sein  von  jedermann  um  mei- 
nes Namens  willen.  ***  Und  es  werden  Zeichen  geschehen 
an  Sonne  und  Mond  und  Sternen ;  und  auf  Erden  wird  den 
Leuten  bange  sein,  und  sie  werden  zagen,  und  das  Meer 
und  die  Wasserwogen  werden  brausen,  und  die  Menschen 
werden  verschmachten  vor  Furcht  und  vor  Warten  der 


ä 


Art.  10.]  Die  Regierung  Christi  auf  Erden.  445 

Dinge,  die  kommen  sollen  auf  Erden ;  denn  auch  der  Him- 
mel Kräfte  werden  sich  bewegen.  Und  alsdann  werden  sie 
sehen  des  Menschen  Sohn  kommen  in  der  Wolke  mit  großer 
Kraft  und  Herrlichkeit.  Wenn  aber  dieses  anfängt  zu  ge- 
schehen, so  sehet  auf  und  erhebet  eure  Häupter,  darum 
daß  sich  eure  Erlösung  naht."^) 

9.  Ferner  sagt  der  Herr  mit  warnender  Stimme:  „Wer 
sich  aber  mein  und  meiner  Worte  schämt  unter  diesem 
ehebrecherischen  und  sündigen  Geschlecht,  des  wird  sich 
auch  des  Menschen  Sohn  schämen,  wenn  er  kommen  wird 
in  der  Herrlichkeit  seines  Vaters  mit  den  heiligen  En- 
geln."2) 

10.  Als  die  Jünger  bei  der  Himmelfahrt  Christi  stan- 
den und  zum  Himmel  hinaufsahen,  wo  eine  Wolke  ihren 
auferstandenen  Herrn  verborgen  hatte,  bemerkten  sie 
zwei  himmlische  Boten,  die  zu  ihnen  sagten:  „Ihr  Männer 
von  Galiläa,  was  stehet  ihr  und  seht  gen  Himmel?  Dieser 
Jesus,  welcher  von  euch  ist  aufgenommen  gen  Himmel, 
wird  kommen,  wie  ihr  ihn  gesehen  habt  gen  Himmel  fah- 
ren."3)  —  Paulus  belehrte  die  Gemeinden  über  das  zweite 
Kommen  Christi  und  schilderte  die  Herrlichkeit  seiner 
Wiederkunft.^)  Das  gleiche  taten  auch  die  andern  Apostel.^) 

11.  Unter  den  im  Buche  Mormon  enthaltenen  Prophe- 
zeiungen über  denselben  Gegenstand  finden  wir  Christi 
eigene  Belehrungen  zu  einer  Zeit,  als  er  in  auferstandenem 
Zustand  unter  den  Nephiten  wirkte.  Er  erklärte  der  ver- 
sammelten Menge  viele  Dinge  ,, sogar  von  Anfang  an  bis 
zu  der  Zeit,  wo  er  in  seiner  Herrlichkeit  kommen  werde."  6) 


»)  Lukas  21:7 — 28;  siehe  auch  Markus  13:14 — 26,  Offenbarung  Joh. 
6:12—17. 

»)  Markus  8:38. 

')  Apostelgeschichte  1:11. 

')  1.  Thessalonicher   4:16;    2.  Thessal.  1 : 7 — 8;    Hebräer   9:28. 

M  I.Petrus  4:13;  1.  Johannes  2:28;  3:2. 

•)  3.  Nephi  26:3. 


446  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XX. 

Als  er  den  drei  Jüngern  ihren  Herzenswunsch  erfüllte, 
nämlich,  daß  sie  im  Fleische  erhalten  bleiben  sollten,  um 
ihr  Lehramt  fortzusetzen,  sagte  er  zu  ihnen:  „Denn  ihr 
sollt  *  *  *  leben,  um  alle  Werke  des  Vaters  mit  den  Men- 
schenkindern zu  sehen,  selbst  bis  alle  Dinge  nach  dem 
Willen  des  Vaters  erfüllt  sein  werden,  wenn  ich  in  meiner 
Herrlichkeit   komme,   mit   den  Kräften  des  Himmels. "i) 

12.  Das  Wort  der  neuzeitlichen  Offenbarung  über 
die  sichere  Wiederkunft  des  Erlösers  lautet  nicht  weniger 
bestimmt.  Dienern  des  Herrn,  die  einen  besondern  Auftrag 
erhalten  hatten,  wurden  Belehrungen  gegeben  in  folgen- 
dem Sinne:  „Darum  seid  getreu,  betet  ohne  Unterlaß, 
habt  eure  Lampen  geschmückt  und  angezündet  und  Öl  mit 
euch,2)  damit  ihr  bereit  seiet,  wenn  der  Bräutigam 
kommt.  Denn  siehe,  wahrlich,  wahrlich,  ich  sage  euch: 
Ich  komme  schnell. "3)  Ferner  wurde  die  folgende  Offenba- 
rung gegeben ;  „Du  bist  berufen  *  *  *  deine  Stimme  lang  und 
laut  wie  mit  einem  Posaunenschall  zu  erheben  und  einem 
verkehrten  und  verstockten  Geschlecht  Buße  zuzurufen, 
damit  der  Weg  des  Herrn  für  seine  Ankunft  bereitet  werde. 
Denn  siehe,  wahrlich,  wahrlich,  ich  sage  dir,  die  Zeit  ist 
nahe  herbeigekommen,  wann  ich  in  einer  Wolke  mit  Macht 
und  großer  Herrlichkeit  erscheinen  werde. "^) 

13.  In  einer  Offenbarung,  gegeben  am  7.  März  1831 
an  das  Volk  der  Kirche,  spricht  der  Herr  von  den  Zeichen 
seiner  Wiederkunft  und  ermahnt  zum  Fleiß  und  zur 
Wachsamkeit.  Beachten  wir  seine  Worte:  ,,Ihr  sehet  die 
Feigenbäume  mit  euern  Augen,  und  wenn  sie  anfangen 
auszuschlagen  und  ihre  Blätter  noch  zart  sind,  saget  ihr, 
daß  der  Sommer  nahe  bei  der  Hand  ist.  Gerade  so  soll  es  an 


1)  3.  Nephi  28:7;  siehe  auch  Vers  8. 

»)  Eine  Anspielung  auf  das  Gleichnis  von  den  zehn  Jungfrauen ;  siehe 
Matth.  25:1— 13. 

=)  Lehre  u.  Bündn.  33:17 — 18. 
*)  L.  u.  B.  34:6—7. 


Art.  10.]  Die  Regierung  Christi  auf  Erden.  447 

jenem  Tage  sein,  wann  sie  alle  diese  Dinge  sehen  werden; 
dann  sollen  sie  wissen,  daß  die  Stunde  nahe  ist.  Und  es 
soll  geschehen,  daß  wer  mich  fürchtet,  auf  den  großen 
Tag  des  Herrn  warten  wird,  nämlich  auf  die  Zeichen  der 
Ankunft  des  Menschensohnes.  Und  sie  sollen  Zeichen  und 
Wunder  sehen,  welche  sich  oben  am  Himmel  und  unten 
auf  der  Erde  kundtun  werden,  und  sie  sollen  Blut,  Feuer  und 
Rauchdampf  erblicken.  Ja,  ehe  der  Tag  des  Herrn  kommt, 
wird  die  Sonne  verfinstert  werden,  der  Mond  wird  sich 
in  Blut  verwandeln  und  Sterne  werden  vom  Himmel 
fallen.  Zu  der  Zeit  soll  der  Überrest  an  diesem  Ort  ver- 
sammelt werden;  und  dann  mögen  sie  mich  erwarten,  denn 
siehe,  ich  werde  kommen  und  man  wird  mich  in  den  Wol- 
ken des  Himmels  sehen,  angetan  mit  Macht  und  Herrlich- 
keit, mit  allen  heiligen  Engeln.  Wer  mich  aber  nicht  er- 
wartet, der  soll  abgeschnitten  werden. "i) 

14.  Das  ganz  bestimmte  Merkmal  der  neuzeitlichen 
Offenbarungen  über  das  zweite  Kommen  unseres  Herrn 
ist  die  nachdrücklich  betonte  und  oft  wiederholte  Ver- 
sicherung, daß  das  Ereignis  nahe  vor  der  Tür  stehe.^)  Der 
Warnungsruf  lautet:  ,, Bereitet  euch,  bereitet  euch  auf 
das  was  da  kommen  soll,  denn  der  Herr  ist  nahe!"  An 
Stelle  des  Rufes  eines  einzelnen  Mannes  in  der  Wüste  zu 
Judäa  hört  man  heute  die  Stimme  von  Tausenden,  die  mit 
Vollmacht  die  Völker  warnen  und  sie  auffordern,  Buße 
zu  tun  und  zu  ihrer  Sicherheit  nach  Zion  zu  fliehen.  Die 
Blätter  des  Feigenbaumes  schlagen  aus;  die  Zeichen  am 
Himmel  und  auf  Erden  mehren  sich:  sicherlich  ist  der 
große  und  schreckliche  Tag  des  Herrn  nahe! 

15.  Die  genaue  Zeit  des  zweiten  Kommens  Christi  ist 
den  Menschen  nicht  bekanntgegeben  worden,  aber  indem 


>)  Lehre  u.  Bündn.  45:37 — 44;  siehe  auch  Verse  74  und  75. 
*)  Siehe   die   zahlreichen  Hinweisungen  in  Verbindung  mit  L. 
Abscim.  1. 


448  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XX. 

wir  die  Zeichen  der  Zeit  verstehen  lernen,  die  Entwick- 
lung des  Werkes  Gottes  unter  den  Völkern  der  Erde 
verfolgen,  und  die  rasche  Erfüllung  der  bezeichnenden 
Prophezeiungen  beobachten,  können  wir  die  fortschrei- 
tende Klarheit  des  herannahenden  Ereignisses  wahr- 
nehmen, ,,aber  die  Stunde  und  den  Tag  weiß  kein 
Mensch,  auch  nicht  die  Engel  im  Himmel,  noch  sollen 
sie  es  wissen,  bis  daß  er  kommt. "i)  Sein  Kommen  wird 
eine  Überraschung  sein  für  alle,  die  seine  Warnungen  ver- 
worfen und  es  unterlassen  haben,  zu  wachen.  Für  die 
Bösen  wird  das  Kommen  des  Tages  des  Herrn  sein  wie 
„ein  Dieb  in  der  Nacht". 2)  ,, Darum  wachet;  denn  ihr  wisset 
weder  Tag  noch  Stunde,  in  welcher  des  Menschen  Sohn 
kommen  wird. "3) 

16.  Die  Regierung  Christi. — Das  Reich  Gottes.  Wir  ha- 
ben gesehen,  daß  dem  Wort  heiliger  Propheten  gemäß,  alter 
wie  neuzeitlicher,  Christus  im  buchstäblichen  Sinne  des 
Wortes  kommen  und  sich  so  in  den  letzten  Tagen  in  Person 
kundtun  wird.  Er  wird  unter  seinen  Heiligen  wohnen: 
,,Ja,  ich  will  selbst  mitten  unter  euch  sein",^)  erklärte  er 
dem  Volk  auf  dem  amerikanischen  Kontinent,  als  er  ihm 
versprach,  es  in  dem  Lande  des  Neuen  Jerusalems  aufrichten 
zu  wollen.  Ähnliche  Versicherungen  wurden  durch  die 
Propheten  des  Ostens^)  gegeben.  Während  dieses  zukünf- 
tigen Wirkens  unter  seinen  versammelten  Heiligen  wird 
Christus  zugleich  ihr  Gott  und  ihr  König  sein.  Seine  Re- 
gierung soll  eine  vollkommene  Theokratie  werden;  die 
Gesetze  der  Gerechtigkeit  sind  dann  das  Gesetzbuch  und 


')  Lehre  u.  Bündn.  49:7. 
»)  2.  Petrus  3:10;  1.  Thessalonischer  5:2. 

')  Matthäus  25:13;  siehe  auch  24:42,  44;  Markus  13:33,   35;  Lukas 
12:40. 

♦)  3.  Nephi  20:22;  siehe  auch  21:25. 

')  Hesekiel  37:26—27;   Sacharja  2:10—11;  8:3;  2.  Korinther  6:16. 


Art.  10.]  Die  Regierung  Christi  auf  Erden.  449 

die  Aufsicht  wird  von  einer  Autorität  ausgeübt,  die  nicht 
bestritten  wird,  weil  sie  unbestreitbar  ist. 

17.  Die  Heiligen  Schriften  sind  angefüllt  mit  Darle- 
gungen, daß  der  Herr  dereinst  über  sein  Volk  regieren 
wird.  Zu  diesem  Ende  sang  Mose  vor  den  Scharen  Israels 
nach  ihrem  wunderbaren  Durchgang  durch  das  Rote  Meer: 
„Der  Herr  wird  König  sein  immer  und  ewig".i)  Und  von 
dem  Psalmisten  ertönt  das  Echo:  ,,Der  Herr  ist  König 
immer  und  ewig". 2)  Jeremia  nennt  ihn  einen  „ewigen 
König,  vor  dessen  Zorn  die  Erde  bebt  und  dessen  Dro- 
hungen die  Heiden  nicht  ertragen  können. "3)  Nebukad- 
nezar,  durch  sein  trauriges  Schicksal  gedemütigt,  freute 
sich,  den  König  des  Himmels  ehren  zu  dürfen  und  rief  aus : 
„Und  sein  Reich,  ist  ein  ewiges  Reich,  und  seine  Herr- 
schaft währet  für  und  für".*) 

18.  Selbst  das  auserwählte  Volk  Israel  war  nicht 
immer  willig,  Gott  als  seinen  König  anzuerkennen.  Er- 
innern wir  uns,  wie  sie  den  gesalbten  Propheten  und  Rich- 
ter Samuel  zurückwiesen,  weil  er  ,,zu  alt"  sei  —  eine 
armselige  Ausrede,  denn  der  ,,älte  Mann"  wirkte  noch 
mit  Macht  unter  ihnen  35  Jahre  über  diesen  Zeitpunkt 
hinaus  —  und  wie  sie  nach  einem  König  riefen,  der  über  sie 
herrschen  solle,  daß  sie  wären  wie  andere  Völker.*)  Beach- 
ten wir  sodann  die  eindrucksvollen  Worte,  mit  denen  der 
Herr  das  Gebet  Samuels  beantwortet  und  ferner,  mit  wel- 
cher Betrübnis  er  dem  Wunsche  des  Volkes  willfahrt: 
„Gehorche  der  Stimme  des  Volks  in  allem,  was  sie  zu  dir 
gesagt  haben;  denn  sie  haben  nicht  dich,  sondern  mich 
verworfen,  daß  ich  nicht  soll  König  über  sie  sein."^)  Aber 


')  2.  Mose  15:18. 

=)  Psalm  10:16;  siehe  auch  29:10;  145:13;  146:10. 

»)  Jeremia  10:10. 

')  Daniel  3:33;  siehe  4:31. 

')  1.  Samuel  8:5. 

•)  Vers  7;  siehe  auch  10:19;  Hosea  13:10 — 11. 


450  Die   Glaubensartikel.  [Vorl.  XX. 

der  Herr  wird  nicht  für  immer  von  seinem  Volke  verwor- 
fen werden.  Zu  der  bestimmten  Zeit  wird  er  mit  Macht 
und  großer  Herrlichkeit  kommen  und  seine  rechtmäßige 
Stellung  als  bevollmächtigter  König  der  Erde  einnehmen. 

19.  Daniel  legte  den  Traum  Nebukadnezars  aus  und 
sprach  von  den  vielen  Königreichen  und  Teilen  von 
Königreichen,  die  entstehen  sollten  und  fügte  hinzu: 
„Aber  zur  Zeit  solcher  Königreiche  wird  der  Gott  des  Him- 
mels ein  Königreich  aufrichten,  das  nimmermehr  zerstöret 
wird ;  und  sein  Königreich  wird  auf  kein  ander  Volk  kom- 
men. Es  wird  alle  diese  Königreiche  zermalmen  und  ver- 
stören;  aber  es  wird  ewiglich  bleiben. "i)  Über  den  Umfang 
des  zu  gründenden  Königreiches  erklärte  der  gleiche  Pro- 
phet: „Aber  das  Reich,  Gewalt  und  Macht  unter  dem 
ganzen  Himmel  wird  dem  heiligen  Volk  des  Höchsten  ge- 
geben werden,  des  Reich  ewig  ist,  und  alle  Gewalt  wird 
ihm  dienen  und  gehorchen. "2) 

20.  Micha  spricht  von  der  Wiederherstellung  Judas 
und  Israels  in  den  letzten  Tagen  und  prophezeit:  „Der 
Herr  wird  König  über  sie  sein  auf  dem  Berge  Zion  von  nun 
an  bis  in  Ewigkeit. "3)  In  seiner  Verkündigung  zu  Maria 
sagt  der  Engel  von  dem  noch  nicht  geborenen  Christus: 
„Er  wird  ein  König  sein  über  das  Haus  Jakob  ewiglich, 
und  seines  Königreichs  wird  kein  Ende  sein."^)  In  seinem 
Gesicht  auf  der  Insel  Patmos  sah  der  Offenbarer  Johannes 
die  glorreiche  Vollendung  und  allgemeine  Anerkennung 
dieses  ewigen  Königs:  ,,Und  der  siebte  Engel  posaunte: 
und  es  wurden  große  Stimmen  im  Himmel,  die  sprachen: 
Es  sind  die  Reiche  der  Welt  unseres  Herrn  und  seines 
Christus  geworden,  und  er  wird  regieren  von  Ewigkeit  zu 


M  Daniel  2:44. 

')  Daniel  7:27. 

')  Micha  4:7;  siehe  auch  Jesaja  24:23. 

*)  Lukas  1:33. 


Art.  10.]  Die  Regierung  Christi  auf  Erden.  451 

Ewigkeit."^)  —  Auch  die  neuzeitlichen  Offenbarungen 
sind  reich  an  Beweisen  für  die  herannahende  Herrlichkeit 
der  Gerechtigkeit  mit  Christus  als  König.  So  lesen  wir: 
,,Der  Herr  aber  wird  über  seine  Heiligen  Macht  haben 
und  wird  in  ihrer  Mitte  regieren. "2)  —  „Denn  in  der  von 
mir  bestimmten  Zeit  werde  ich  über  die  Erde  im  Gerichte 
kommen,  mein  Volk  aber  wird  erlöst  werden  und  mit  mir 
auf  Erden  regieren."^) 

21.  Das  Reich  Gottes  und  die  Kirche.  —  Im  Evan- 
gelium Matthäus  erscheint  häufig  der  Ausdruck  „das 
Himmelreich",  währenddem  in  den  Büchern  der  andern 
Evangelisten  und  in  den  apostolischen  Briefen  der  Aus- 
druck „das  Reich  Gottes",  ,,das  Reich  Christi"  oder  einfach 
„das  Reich"  vorkommt.  Es  ist  klar,  daß  diese  verschie- 
denen Ausdrücke  unterschiedslos  gebraucht  werden  kön- 
nen, ohne  daß  dadurch  die  wahre  Bedeutung  beeinträch- 
tigt würde.  Der  Ausdruck  „Reich"  wird  jedoch  in  mehr 
als  in  einem  Sinn  gebraucht.  Eine  sorgfältige  Beachtung 
des  jeweiligen  Zusammenhangs  im  Text  kann  notwendig 
werden,  wenn  man  die  Absicht  des  Verfassers  richtig  ver- 
stehen will.  Die  zwei  häufigsten  Anwendungen  sind: 
1.  ein  Ausdruck,  der  gleichbedeutend  ist  mit  „die  Kirche", 
und  der  sich  auf  die  Nachfolger  Christi  bezieht,  ohne  Un- 
terscheidung hinsichtlich  ihrer  geistigen  oder  zeitlichen 
Organisation,  2.  die  Bezeichnung  des  buchstäblichen  Kö- 
nigreiches, über  das  Christus  in  den  letzten  Tagen  auf  Er- 
den regieren  wird. 

22.  Wenn  wir  das  Reich  in  dem  letzten  und  mehr  all- 
gemeinen Sinne  betrachten,  so  muß  die  Kirche  als  ein  Teil 
desselben  angesehen  werden.  Sie  ist  in  der  Tat  ein  wich- 
tiger Bestandteil  davon,  denn  sie  ist  der  Keim,  aus  dem  sich 


1)  Offenbarung  Joh.  11:15. 

2)  Lehren.  Bündn.  1:36. 
=)  L.  u.  B.  43:29;  84:119. 


452  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XX. 

das  Reich  entwickelt,  und  das  eigentliche  Herz  der  voll- 
endeten Organisation.  Die  Kirche  hat  bestanden,  und 
besteht  auch  heute,  in  organisierter  Form  ohne  das  Reich 
als  eine  sichtbar  vorhandene  Macht  mit  irdischer  Maght- 
befugnis  in  der  Welt;  das  Reich  Gottes  jedoch  kann  ohne 
die  Kirche  nicht  aufrecht  erhalten  bleiben. 

23.  In  den  neuzeitlichen  Offenbarungen  werden  die 
Ausdrücke  ,, Reich  Gottes"  und  ,, Himmelreich"  manchmal 
in  bestimmtem,  besonderm  Sinne  gebraucht,  wobei  die 
erste  Bezeichnung  auf  die  Kirche  und  die  andere  auf  das 
tatsächliche  Königreich  angewandt  wird,  welches  alle 
jetzt  bestehenden  nationalen  Reiche  überschatten  und  in 
sich  vereinigen  wird.  In  diesem  Sinne  ist  das  Reich  Gottes 
in  diesen  letzten  Tagen  bereits  aufgerichtet  worden.  Sein 
Anfang  in  und  für  diese  gegenwärtige  Dispensation  bestand 
darin,  daß  die  Kirche  auf  ihrer  bleibenden  und  auf  der 
Grundlage  der  letzten  Tage  errichtet  worden  ist.  Dies 
stimmt  überein  mit  unserer  Ansicht  von  der  Kirche  als 
lebenswichtiger  Teil  des  Reiches  im  allgemeinen.  Die 
Kräfte  und  die  Vollmachten,  die  der  Kirche  übergeben 
worden  sind,  sind  somit  die  Schlüssel  des  Reiches.  Diese 
Bedeutung  kommt  auch  in  der  folgenden  Offenbarung 
an  die  Kirche  klar  zum  Ausdruck:  „Die  Schlüssel  des 
Himmelreichs  sind  Menschen  auf  Erden  übergeben  worden, 
und  von  da  soll  das  Evangelium  bis  an  die  Enden  der  Erde 
ausgehen,  wie  der  Stein,  der  ohne  Hände^)  vom  Berge 
losgerißen  wurde,  herabrollen  wird,  bis  er  die  ganze  Erde 
erfüllt  hat.  *  *  *  Rufet  den  Herrn  an,  daß  sein  Reich  über 
die  Erde  ausgehen  möge,  und  daß  deren  Bewohner  es  em- 
pfangen und  auf  den  künftigen  Tag  vorbereitet  werden,  wo 
des  Menschen  Sohn  vom  Himmel  herniederkommen  wird, 
angetan  mit  dem  Glanz  seiner  Herrlichkeit,  um  dem  Reiche 


')  Hinweis  auf  die  Auslegung,  die  Daniel  dem  Traiune  Nebukadnezars 
gab;  siehe  Daniel  2:34,  44. 


Art.  10.]  Die  Regierung  Christi  auf  Erden.  453 

Gottes,  das  auf  Erden  errichtet  ist,  entgegenzukommen. 
Darum  möge  das  Reich  Gottes  ausgehen,  daß  das  Himmel- 
reich komme,  und  du,  o  Gott,  im  Himmel  wie  auch  auf  Er- 
den verherrlichet  werdest,  und  deine  Feinde  dir  Untertan 
gemacht  werden ;  denn  dein  ist  die  Ehre,  Macht  und  Herr- 
lichkeit von  Ewigkeit  zu  Ewigkeit.    Amen."^) 

24.  Bei  seiner  glorreichen  Wiederkunft  wird  Christus 
von  den  Scharen  der  Gerechten  begleitet  werden,  die  schon 
vorher  von  der  Erde  abgeschieden  sind.  Und  die  Heiligen, 
die  dann  noch  auf  Erden  leben  werden,  sollen  verwandelt 
und  aufgehoben  werden,  ihm  zu  begegnen  und  mit  ihm 
herabzusteigen  als  Teilnehmer  an  seiner  Herrlichkeit. 2) 
Ferner  werden  mit  ihm  kommen  Henoch  und  seine  Ge- 
meinde der  Reinen  im  Herzen. 3)  Dann  wird  eine  Ver- 
einigung zustande  kommen  mit  dem  Reich  Gottes,  oder 
mit  dem  Teil  des  Himmelreichs,  der  zuvor  als  Kirche 
Jesu  Christi  auf  Erden  gegründet  worden  war.  So  wird 
das  Reich  auf  Erden  eins  sein  mit  dem  des  Himmels.  Als- 
dann wird  des  Herrn  eigenes  Gebet,  das  er  allen  denen,  die 
zu  Gott  beten,  als  Muster  gab,  völlig  verwirklicht  wer- 
den: „Dein  Reich  komme,  dein  Wille  geschehe  auf 
Erden  wie  im  Himmel."*) 

25.  Die  oft  besprochene  Frage:  Ist  das  Reich  Gottes 
schon  auf  Erden,  oder  sollen  wir  auf  seine  Errichtung  war- 
ten bis  zur  Zeit  des  zweiten  Kommens  Christi,  des  Königs? 
kann  bejaht  oder  auch  verneint  werden,  je  nach  dem  Sinn, 
in  welchem  der  Ausdruck  „Reich"  aufgefaßt  wird.  Das 
Reich  Gottes,  das  gleichbedeutend  ist  mit  der  Kirche 
Christi,  ist  sicherlich  schon  aufgerichtet  worden.  Seine 
Geschichte  ist  diejenige  der  Kirche  in  den  letzten  Tagen, 


')  Lehre  u.  Bündn.  65:2,  5 — 6. 
»)  L.  u.  B.  88:91—98. 
')  Siehe  Seite  429,  434,  435. 
•)  Matthäus  6:10;  Lukas  11:2. 


454  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XX. 

seine  Beamten  haben  einen  göttlichen  Auftrag,  ihre  Voll- 
macht ist  die  des  heiligen  Priestertums.  Sie  nehmen  für 
sich  eine  Vollmacht  in  Anspruch,  die  geistig  ist,  gleichzeitig 
ist  sie  aber  auch  zeitlich :  soweit  es  sich  um  die  Mitglieder 
der  kirchlichen  Körperschaft  handelt,  d.  h.  der  Kirche 
oder  des  Reiches  Gottes,  wie  man  es  nennen  mag;  sie  ver- 
suchen nicht,  und  beanspruchen  auch  nicht,  die  Rechte 
bestehender  weltlicher  Regierungen  einzuschränken,  an- 
zugreifen, oder  ihnen  in  irgend  einer  Weise  entgegenzu- 
treten, geschweige  denn,  Nationen  zu  unterdrücken  oder 
eine  Nebenregierung  und  ein  ihnen  eifersüchtiges  System 
der  weltlichen  Herrschaft  und  Aufsicht  einzusetzen.  Das 
Himmelreich,  das  die  Kirche  in  sich  schließt,  und  das  alle 
Nationen  umfaßt,  wird  mit  Macht  und  großer  Herrlichkeit 
aufgerichtet  werden,  wenn  der  triumphierende  König 
mit  seinem  himmlischen  Gefolge  erscheint,  um  persönlich 
zu  regieren  auf  der  Erde,  die  er  mit  dem  Opfer  seines  ei- 
genen Lebens  erlöst  hat, 

26.  Wie  wir  gesehen  haben,  umfaßt  das  Himmelreich 
mehr  als  die  Kirche.  Den  ehrbaren  und  rechtschaffenen 
unter  den  Menschen  wird  Schutz  gewährt  werden  und  ferner 
alle  die  Vorrechte  des  Bürgerrechts  unter  dem  vollkommenen 
Regierungssystem,  das  von  Jesus  Christus  selbst  gehand- 
habt werden  wird ;  und  zwar  wird  dies  ihr  glückliches  Los 
sein,  ob  sie  nun  tatsächlich  Mitglieder  der  Kirche  sind  oder 
nicht,  Gesetzesübertreter  und  Menschen  mit  unreinen 
Herzen  werden  ihrer  Sünde  gemäß  von  den  Gerichten  der 
Zerstörung  betroffen  werden.  Diejenigen  aber,  die  in 
Übereinstimmung  mit  der  Wahrheit  leben,  wie  sie  sie  an- 
zunehmen und  zu  begreifen  fähig  waren,  werden  sich  der 
vollkommensten  Freiheit  erfreuen,  unter  dem  gütigen, 
wohltuenden  und  heilsamen  Einfluß  einer  vollkommenen 
Regierung.  Die  besondern  Vorrechte  und  Segnungen,  die 
mit  der  Kirche  verknüpft  sind,  das  Recht,  das  Priestertum 


Art.  10.]  Die  Regierung  Christi  auf  Erden.  455 

ZU  halten,  und  es  auszuüben  mit  seinen  unbegrenzten 
Möglichkeiten  und  ewigen  Mächten,  werden  wie  heute  so 
auch  dereinst  nur  für  diejenigen  sein,  die  in  den  Bund 
eintreten  und  einen  Teil  der  Kirche  des  Erlösers  aus- 
machen werden. 

27.  Das  Millennium.  (Das  Tausendjährige  Reich.)  In 
Verbindung  mit  den  biblischen  Angaben  über  die  Regie- 
rung Christi  auf  Erden  wird  oft  ein  Zeitraum  von  tausend 
Jahren  erwähnt.  Wenn  wir  diese  auch  nicht  als  eine  Zeit- 
grenze für  das  Bestehen  seines  Königreiches  ansehen  kön- 
nen, oder  als  einen  Maßstab  für  die  Dauer  seiner  Herrschaft 
und  Macht  auf  Erden,  so  sind  wir  doch  zu  dem  Glauben 
berechtigt,  daß  die  tausend  Jahre,  die  unmittelbar  auf 
die  Gründung  des  Reiches  folgen,  in  ganz  besonderer 
Weise  gekennzeichnet  werden  sollen,  sodaß  sie  sowohl  von 
der  vorhergehenden  als  auch  von  der  nachfolgenden  Zeit 
bestimmt  unterschieden  werden.  Die  Sammlung  Israels 
und  die  Gründung  eines  irdischen  Zions  sollen  als  Vorbe- 
reitungen seines  zweiten  Kommens  erfolgen.  Seine  An- 
kunft soll  gekennzeichnet  werden  durch  eine  vorausgehende 
Vernichtung  der  Bösen  und  die  Eröffnung  eines  Zeitalters 
des  Friedens.  Johannes  der  Offenbarer  sah  die  Seelen  der 
Märtyrer  und  anderer  gerechter  Menschen,  wie  sie  in  Macht 
und  Herrlichkeit  mit  Christus  lebten  und  regierten  tausend 
Jahre. 1)  Zu  Beginn  dieses  Zeitalters  soll  Satan  ge- 
bunden werden,  „daß  er  nicht  mehr  verführen  sollte  die 
Heiden,  bis  daß  vollendet  würden  tausend  Jahre. "2)  Ein 
gewisser  Teil  der  Toten  soll  nicht  wieder  lebendig  werden 
bis  daß  die  tausend  Jahre  vorüber  sind,^)  währenddem  die 
Gerechten  „Priester  Gottes  und  Christi  sein  und  mit  ihm 
regieren  werden   tausend   Jahre."*)    Unter  den   ältesten 

1)  Offenbarung  Joh.  20:4;  siehe  auch  Vers  6. 
»)  Offenbarung  Joh.  20:2—3. 
=■)  Vers  5. 
♦)  Vers  6. 


456  Die   Glaubensartikel.  [Vorl.  XX. 

Offenbarungen  über  das  Millennium  findet  sich  diejenige, 
die  dem  Henoch  gegeben  wurde:  „Und  es  geschah,  daß 
Henoch  den  Tag  der  Wiederkunft  des  Menschensohnes  in 
den  letzten  Tagen  sah,  um  für  die  Dauer  von  eintausend 
Jahren  in  Gerechtigkeit  auf  der  Erde  zu  wohnen, "i) 

28.  Es  ist  klar,  daß  es  sich  beim  Millennium  um  einen 
ganz  bestimmten  Zeitraum  handelt,  dessen  Anfang  und 
dessen  Ende  wichtige  Ereignisse  aufweisen  und  durch  des- 
sen ganzen  Verlauf  ein  Zustand  ungewöhnlicher  Segnungen 
herrschen  wird.  Es  wird  ein  sabbatliches  Zeitalter  sein^)  — 
eintausend  Jahre  des  Friedens.  Die  Feindschaft  zwischen 
Mensch  und  Tier  soll  aufhören,  die  Wildheit  und  das  Gift 
der  tierischen  Schöpfung  weggenommen  werden^)  und  die 
Liebe  soll  die  Herrschaft  führen.^)  Ein  ganz  neuer  Zustand 
der  Dinge  wird  geschaffen  werden,  wie  es  der  Herr  in  sei- 
nem Wort  an  Jesaja  angekündigt  hat:  „Denn  siehe,  ich 
will  einen  neuen  Himmel  und  eine  neue  Erde  schaffen, 
daß  man  der  vorigen  nicht  mehr  gedenken  wird  noch 
sie  zu  Herzen  nehmen".^) 

29.  Über  den  Zustand  des  Friedens,  des  Gedeihens 
und  der  Dauer  des  menschlichen  Lebens,  welcher  diesem 
Zeitraum  eigen  sein  wird,  lesen  wir:  „Es  sollen  nicht  mehr 
dasein  Kinder,  die  nur  etliche  Tage  leben,  oder  Alte,  die 
ihre  Jahre  nicht  erfüllen;  sondern  die  Knaben  sollen  hun- 
dert Jahre  alt  sterben  und  die  Sünder  hundert  Jahre  alt 
verflucht  werden.  Sie  werden  Häuser  bauen  und  bewoh- 
nen; sie  werden  Weinberge  pflanzen  und  ihre  Früchte 
essen.  Sie  sollen  nicht  bauen,  was  ein  andrer  bewohne, 
und  nicht  pflanzen,  was  ein  andrer  esse.    Denn  die  Tage 


')  Köstl.  Perle,  Moses  7:65. 

')  Siehe  Anmerkung  2. 

')  Jesaja  11:9;  65:25. 

*)  Siehe  Anmerkung  3  und  4. 

')  Jesaja  65:17. 


Art.  10.]  Die  Regierung  Christi  auf  Erden.  457 

meines  Volkes  werden  sein  wie  die  Tage  eines  Baumes; 
und  das  Werk  ihrer  Hände  wird  alt  werden  bei  meinen 
Auserwählten.  Sie  sollen  nicht  umsonst  arbeiten  noch 
unzeitige  Geburt  gebären ;  denn  sie  sind  der  Same  der  Ge- 
segneten des  Herrn  und  ihre  Nachkommen  mit  ihnen. 
Und  es  soll  geschehen,  ehe  sie  rufen,  will  ich  antworten; 
wenn  sie  noch  reden,  will  ich  hören.  Wolf  und  Lamm  sollen 
weiden  zugleich,  der  Löwe  wird  Stroh  essen  wie  ein  Rind, 
und  die  Schlange  soll  Erde  essen.  Sie  werden  nicht  schaden 
noch  verderben  auf  meinem  ganzen  heiligen  Berge,  spricht 
der  Herr."^) 

30.  Daß  auch  heute  wiederum  die  Stimme  des  Herrn 
zu  hören  ist,  welche  die  gleichen  prophetischen  Wahr- 
heiten verkündigt,  geht  aus  den,  der  Kirche  in  der  jetzigen 
Dispensation  gegebenen  Offenbarungen  hervor,  in  denen 
das  Millennium  erwähnt  wird. 2)  Im  Jahre  1831  richtete 
der  Herr  sein  Wort  an  die  Ältesten  seiner  Kirche  und  sagte: 
„Denn  das  große  Tausendjährige  Reich,  von  dem  ich  durch 
den  Mund  meiner  Diener  gesprochen  habe,  wird  kommen. 
Und  Satan  wird  gebunden  werden,  darnach  wird  er  wieder 
frei  werden  und  eine  kleine  Weile  wieder  Gewalt  haben, 
dann  aber  kommt  das  Ende  der  Erde. "3)  Bei  einer  andern 
Gelegenheit  wurden  die  folgenden  Worte  gesprochen : 
„Denn  ich  will  mich  mit  Macht  und  großer  Herrlichkeit 
vom  Himmel  mit  allen  meinen  Heerscharen  offenbaren 
und  in  Gerechtigkeit  mit  den  Menschen  auf  Erden  tausend 
Jahre  wohnen,  und  die  Gottlosen  sollen  nicht  bestehen.  *** 
Und  wiederum,  wahrlich,  wahrlich,  ich  sage  euch, 
wenn  die  tausend  Jahre  beendigt  sind  und  die  Menschen 
wieder  anfangen  werden,  Gott  zu  leugnen,  dann  werde  ich 


')  Jesaja  65:20—25. 

')  Lehre  u.  Bündn.  63:49—51. 

»)  L.  u.  B.  43:30—31. 


458  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XX. 

die   Erde   nur   eine   kurze   Zeit   verschonen:    das    Ende 
wird  kommen. "1) 

31.  Das  Millennium  soll  also  den  Ereignissen  voran- 
gehen, die  in  der  biblischen  Ausdrucksweise  als  das  „Ende 
der  Welt"  dargestellt  sind.  Während  jenes  Zeitalters 
werden  alle  Verhältnisse  und  Zustände  der  Gerechtigkeit 
zugeneigt  sein.  Die  Macht  Satans  wird  zurückgehalten 
werden  und  die  Menschen,  bis  zu  einem  gewissen  Grad 
von  der  Versuchung  erlöst,  werden  eifrig  im  Dienste  ihres  re- 
gierenden Herrn  wirken.  Aber  trotzdem  wird  die  Sünde 
nicht  gänzlich  ausgeschaltet,  noch  wird  der  Tod  endgültig 
verbannt  sein,  obschon  die  Kinder  leben  werden  bis  sie  ihre 
Reife  im  Fleisch  erreicht  haben,  und  dann  „in  einem  Augen- 
blick" in  den  Zustand  der  Unsterblichkeit  verwandelt 
werden  mögen. 2)  Sterbliche  und  unsterbliche  Wesen 
werden  die  Erde  bewohnen  und  die  Gemeinschaft  mit  den 
himmlischen  Mächten  wird  allgemein  sein.  Die  Heiligen 
der  letzten  Tage  glauben,  daß  sie  während  dieses  Zeitalters 
das  Vorrecht  genießen  dürfen,  das  stellvertretende  Werk 
für  die  Toten  fortzuführen,  das  einen  so  wichtigen  und  aus- 
geprägten Bestandteil  ihrer  Pflichten  darstellt,^)  und  daß 
ferner  die  Leichtigkeit  des  unmittelbaren  Verkehrs  mit  den 
himmlischen  Mächten  sie  instand  setzen  wird,  dieser  Liebes- 
arbeit ohne  Hindernis  obzuliegen.  Sind  diese  tausend 
Jahre  vorüber,  dann  wird  Satan  seine  Macht  wieder  be- 
anspruchen und  die,  die  alsdann  nicht  zu  den  Reinen  im 
Herzen  zählen,  werden  seinem  Einfluß  erliegen.  Aber  die 
auf  solche  Weise  von  dem  „Fürsten,  der  in  der  Luft  herr- 
schet" wiedererlangte  Freiheit  wird  nur  von  kurzer  Dauer 
sein.  Rasch  wird  sein  endgültiges  Schicksal  über  ihn 
hereinbrechen  und  mit  ihm  werden  alle  diejenigen,  die  sein 


')  Lehre  u.  Bündn.  29:11,  22—23. 
')  L.  u.  B.  63:50—51. 
»)  Siehe  Seite  178—191. 


Art.  10.]  Anmerkungen.  459 

eigen  sind,  der  Strafe  verfallen,  welche  endlos  ist.  Dann 
wird  die  Erde  in  ihren  himmlischen  Zustand  übergehen 
und  zu  einem  geeigneten  Wohnplatz  für  die  verherrlich- 
ten Söhne  und  Töchter  unseres  Gottes  werden. 


Anmerkungen. 

1.  Der  Gesalbte.  —  Der  offizielle  Name  des  Erlösers  der  Menschheit 
ist  „Christus",  während  „Jesus",  oder  auf  hebräisch  Josua,  „Heiland", 
sein  natürlicher  Name  ist.  Christus  heißt  „der  Gesalbte  ',  von  ,,chrio", 
salben.  In  früheren  Dispensationen  wurden  Priester,  Könige  und  Propheten 
in  der  Weise  in  ihr  Amt  eingesetzt,  daß  ihr  Haupt  mit  geheiligtem  Öl  ge- 
salbt wurde.  Die  Verordnung  wurde  von  dem  anerkannten  Diener  Jehovahs 
ausgeführt  und  war  ein  äußeres  Zeichen  dafür,  daß  ihre  Einsetzung  in  das 
Amt  direkt  auf  Gott  selbst  zurückzuführen  war,  als  der  Quelle  aller  Voll- 
macht, da  er,  wenigstens  im  alten  Bund,  in  besonderer  Weise  auch  der 
Herrscher  über  sein  Volk  war.  Das  öl,  das  bei  der  Weihung  der  Priester 
und  bei  der  Salbung  des  Tabernakels  und  heiliger  Gefäße  verwendet  wurde, 
war  eine  besondere  Zubereitung  aus  Myrrhen,  Zimt,  Kalmus,  und  Kassia 
(2.  Moses  30:23 — 25).  —  Den  Juden  wurde  unter  Todesstrafe  ver- 
boten, diese  Zubereitung  für  den  Körper  zu  gebrauchen,  oder  sie  auch  nur 
nachzumachen.  Sie  war  ohne  Zweifel  dazu  bestimmt,  die  Gaben  und  Kräfte 
des  Heiligen  Geistes  zu  versinnbildlichen."  —  Cassels  Biblisches  Wörter- 
buch, Seite  257. 

2.  Das  siebt©  Jahrtausend.  —  „Wie  bei  den  Israeliten  jedes  siebte 
Jahr  ein  Freijalir  war,  so  soll  auch  das  siebte  Jahrtausend  der  Welt  ein 
Sabbattag  sein."  —  Faussetts  Bible  Cyclopedia,  Seite  685.  —  „Darum  ist 
noch  eine  Ruhe  vorhanden  dem  Volke  Gottes"  —  oder  wie  es  in  andern 
Übersetzungen  für  „Ruhe"  heißt:  das  „Halten  eines  Sabbattages."  — 
Hebräer  4:9. 

3.  Der  Friede  des  Tausendjährigen  Reichs.  —  „Die  Wölfe  werden  bei 
den  Lämmern  wohnen  und  die  Parder  bei  den  Böcken  liegen.  Ein  kleiner 
Knabe  wird  Kälber  und  junge  Löwen  und  Mastvieh  miteinander  treiben. 
Kühe  und  Bären  werden  auf  der  Weide  gehen,  daß  ihre  Jungen  bei  einander 
liegen;  und  Löwen  werden  Stroh  essen  wie  die  Ochsen.  Und  ein  Säugling 
wird  seine  Lust  haben  am  Loch  der  Otter,  und  ein  Entwöhnter  wird  seine 
Hand  stecken  in  die  Höhle  des  Basilisken.  Man  wird  nirgend  Schaden  tim 
noch  verderben  auf  meinem  ganzen  heiligen  Berge;  denn  das  Land  ist  voll 
Erkenntnis  des  Herrn,  wie  Wasser  das  Meer  bedeckt."  —  (Jesaja  11:6 — 9; 
siehe  auch  65:25.) 


460  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XX. 

4,  Die  Erde  vor,  nährend  und  nach   dem  Tausendjährigen  Reich.  — 

Von  drei  verschiedenen  Zuständen  der  Erde  vrird  in  den  heiligen  Schriften 
gesprochen:  dem  gegenwärtigen,  in  welchem  jedes  und  alles  was  zu  ihr 
gehört  durch  eine  Veränderung  gehen  muß,  die  wir  Tod  nennen,  dann  der 
Zustfind  der  Erde  im  Tausendjährigen  Reich,  in  welchem  sie  geheiligt  sein 
wird  als  ein  Wohnplatz  reinerer  Intelligenzen,  von  denen  ein  Teil  sterblich 
imd  ein  Teil  unsterblich  sein  wird,  imd  schließlich  der  himmlische  Zustand, 
von  dem  im  21.  und  22.  Kapitel  der  Offenbarung  Johannes  gesprochen 
wird,  und  der  ein  Zustand  des  ewigen  Lebens  sein  \\-ird."  —  „Compendium", 
von  den  .\ltesten  F.  D.  Richards  imd  James  A.  I.ittle,  S.  202. 


Die  Erneuerung  der  Erde.  461 


Vorlesung  XXI. 
Erneuerung  und  Auferstehung. 

Artikel  10.  —  Wir  glauben  *  *  *  daß  die  Erde  erneuert  werden  und 
ihre  paradiesische  Herrlichkeit  erhalten  wird. 

Die  Erneuerung  der  Erde. 

1.  Die  Erde  unter  dem  Fluch.  Die  gesegneten  Zustände, 
die  auf  der  Erde  herrschen  und  unter  welchen  die  Menschen 
während  des  tausendjährigen  Zeitraumes  leben  werden, 
sind  so  verschieden  von  allem,  was  uns  die  Weltgeschichte 
lehrt  und  was  uns  unsere  tägliche  Erfahrung  bestätigt, 
daß  sie  die  Kraft  des  menschlichen  Begreifens  beinahe 
übersteigen.  Eine  sich  über  die  ganze  Erde  erstreckende 
Herrschaft  der  Gerechtigkeit  ist  dem  gefallenen  Menschen- 
geschlecht bis  auf  den  heutigen  Tag  unbekannt  geblieben. 
—  So  ausgeprägt  ist  der  weltweite  Fluch  gewesen,  so  groß 
die  Macht  des  Versuchers,  so  erbittert  der  selbstsüchtige, 
gottlose  Kampf  zwischen  Mensch  und  Mensch  und  zwischen 
Volk  und  Volk,  so  allgemein  die  Feindschaft  der  tie- 
rischen Schöpfung,  sowohl  unter  sich  wie  gegenüber  dem 
Wesen,  welches,  obschon  in  einem  gefallenen  Zustande, 
doch  immer  noch  kraft  göttlichen  Auftrages  das  Recht  zur 
Herrschaft  über  das  Tierreich  inne  hatte,  so  ergiebig  war 
der  Erdboden  im  Hervorbringen  von  Dornen,  Disteln 
und  giftigem  Unkraut,  daß  uns  die  Schilderung  des  Gar- 
tens Eden  wie  eine  Geschichte  aus  einer  andern  Welt 
anmutet,  aus  einer  Sphäre,  die  auf  einer  viel  höhern  Da- 
seinsstufe steht,  gar  nicht  zu  vergleichen  mit  unserm  trau- 
rigen Zustande.   Und  doch  erfahren  wir,  daß  Eden  in  der 


462  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXI. 

Tat  ein  charakteristisches  Merkmal  unseres  eigenen  Pla- 
neten war  und  daß  die  Erde  dazu  bestimmt  ist,  ein  himm- 
lischer Wohnplatz  zu  werden  —  geeignet  zum  Aufent- 
haltsort für  die  höchsten  Intelligenzen.  Bei  all  seiner 
Pracht  stellt  das  Millennium  doch  nur  eine  weiter  vorge- 
schrittene Stufe  der  Vorbereitung  dar,  durch  welche  die 
Erde  und  ihre  Bewohner  der  vorherbestimmten  Vollkom- 
menheit entgegengehen. 

2.  Die  Erneuerung  der  Erde.  Der  Ausdruck  „Erneu- 
erung" (Wiedergeburt)  (aus  dem  Griechischen,  „palin- 
genesia"  übersetzt,  was  soviel  bedeutet  wie  „eine  neue 
Geburt"  oder  genauer  „einer,  der  nochmals  geboren  wird"), 
erscheint  im  Neuen  Testament  zweimal,^)  während  andere 
Ausdrücke  von  gleicher  Bedeutung  in  vielen  Stellen  vor- 
kommen. Immerhin  werden  diese  Ausdrücke  gewöhnlich 
auf  die  Erneuerung  der  Seele  des  Menschen  durch  die 
geistige  Geburt  angewandt,  durch  welche  die  Seligkeit 
erreichbar  wird.  Zwar  läßt  die  Art  und  Weise,  wie  der  Herr 
die  Bezeichnung  anwendet,  wo  er  von  der  zukünftigen 
Herrlichkeit  spricht,  die  er  seinen  Aposteln  zusichert,  die 
Möglichkeit  offen,  daß  damit  die  Verjüngung  der  ganzen 
Erde  mit  ihren  Bewohnern  und  deren  Einrichtungen  in 
Verbindung  mit  dem  Tausendjährigen  Reich  gemeint  ist: 
—  ,, Wahrlich,  ich  sage  euch:  Ihr,  die  ihr  mir  seid  nachge- 
folgt, werdet  in  der  Wiedergeburt,  da  des  Menschen  Sohn 
wird  sitzen  auf  dem  Stuhl  seiner  Herrlichkeit,  auch  sitzen 
auf  zwölf  Stühlen  und  richten  die  zwölf  Geschlechter 
Israels". 2) 

3.  Eine  Zeit  der  Wiederherstellung  wurde  vorherge- 
sagt. Beachten  wir  die  Worte  des  Apostels  Petrus  an 
das  Volk,  das  in  der  Halle  Salomons  zusammengekommen 
war  und  sich  über  die  wunderbare  Heilung  des  lahmen 

')  Matthäus  19:28;  Titus  3:5. 
')  Matthäus  19:28. 


Art.  10.]  Die  Erneuerung  der  Erde.  463 

Bettlers  am  schönen  Tor  verwunderte:  „So  tut  nun  Buße 
und  bekehret  euch,  daß  eure  Sünden  vertilgt  werden;  auf 
daß  da  komme  die  Zeit  der  Erquickung  von  dem  Ange- 
sichte des  Herrn,  wenn  er  senden  wird  den,  der  euch  jetzt 
zuvor  gepredigt  wird,  Jesus  Christus,  welcher  muß  den  Him- 
mel einnehmen  bis  auf  die  Zeit,  da  herwiedergebracht 
werde  alles,  was  Gott  geredet  hat  durch  den  Mund  aller 
seiner  heiligen  Propheten  von  der  Welt  an."^) 

4.  Daß  der  Übergang  zu  einem  der  Vollkommenheit 
näher  stehenden  Stand  der  Dinge  sowohl  für  die  ganze 
Natur  wie  für  das  Menschengeschlecht  vorgesehen  ist, 
geht  aus  den  Belehrungen  des  Apostels  Paulus  hervor, 
wie  sie  uns  in  seinem  Briefe  an  die  Römer  überliefert  wer- 
den: „Denn  auch  die  Kreatur  frei  werden  wird  von  dem 
Dienst  des  vergänglichen  Wesens  zu  der  herrlichen  Freiheit 
der  Kinder  Gottes.  Denn  wir  wissen,  daß  alle  Kreatur 
sehnet  sich  mit  uns  und  ängstet  sich  noch  immerdar. 
Nicht  allein  aber  sie,  sondern  auch  wir  selbst,  die  wir  haben 
des  Geistes  Erstlinge,  sehnen  uns  auch  bei  uns  selbst  nach 
der  Kindschaft  und  warten  auf  unsers  Leibes  Erlösung. "2) 

5.  Das  Werk  der  Erneuerung  hat  bereits  angefangen. 
Als  notwendiges  vorhergehendes  Ereignis,  durch  das  der 
Fluch,  der  sonst  die  Erde  treffen  würde,  verhütet  werden 
kann,  sollte  der  Prophet  Elia  mit  den  Schlüsseln  und  der 
Vollmacht  zu  einem  großen  Werke  zur  Erde  kommen. 
Von  diesem  Ereignis  sagte  der  Herr,  als  es  noch  in  der  Zu- 
kunft lag:  „Siehe,  ich  will  euch  senden  den  Propheten 
Eha,  ehe  denn  da  komme  der  große  und  schreckliche 
Tag  des  Herrn.  Der  soll  das  Herz  der  Väter  bekehren 
zu  den  Kindern  und  das  Herz  der  Kinder  zu  ihren  Vätern, 
daß  ich  nicht  komme  und  das  Erdreich  mit  dem  Bann 
schlage.  "3) 

»)  Apostelgeschichte  3:19 — 23. 

»)  Römer  8:21—23. 

')  Maleachi  4 : 5 — 6 ;  siehe  auch  3.  Nephi  25. 


464  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXI. 

6.  Die  Heiligen  der  letzten  Tage  erklären  mit  ernsten 
Worten,  daß  diese  Prophezeiung  darin  ihre  buchstäbliche 
Erfüllung  gefunden  hat,  daß  am  3.  April  1836  der  Prophet 
Elia  in  dem  eben  eingeweihten  Tempel  zu  Kirtland  (Ohio) 
den  Propheten  Joseph  Smith  und  Oliver  Cowdery  besuchte, 
seine  Mission,  wie  sie  von  Maleachi  vorhergesagt  ist,  be- 
kanntgab und  die  Schlüssel  zu  diesem  Werke  der  letzten 
Dispensation  der  Kirche  übertrug,  damit  das  Werk  der 
Wiederherstellung  in  Angriff  genommen  werden  könne 
und  außerdem  zum  Zeichen,  „daß  der  große  und  schreck- 
liche Tag  des  Herrn  nahe  ist,  ja  selbst  vor  der  Türe  steht. "^) 
Dieser  Prozeß  der  Erneuerung  wird  sich  über  das  ganze 
Tausendjährige  Reich  erstrecken.  Die  menschliche  Gesell- 
schaft wird  gereinigt  werden,  die  Völker  werden  im  Frieden 
leben,  Kriege  sollen  aufhören  und  die  Wildheit  der  Tiere  soll 
weggenommen  werden.  Die  Erde,  die  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  dem  Fluche  des  Falles  entronnen  sein  wird,  wird 
dem  Landmann  unbegrenzte  Ernten  darbringen ;  der  ganze 
Planet  soll  erlöst  werden. 

7.  Die  letzten  Stufen  dieser  Erneuerung  der  Natur 
werden  erst  erreicht  werden,  nachdem  das  Millennium 
seinen  gesegneten  Verlauf  genommen  hat.  Der  Offenbarer 
Johannes  beschreibt  die  Ereignisse,  die  nach  Vollendung 
der  tausend  Jahre  eintreten  werden  und  sagt  dabei :  „Und 
ich  sah  einen  neuen  Himmel  und  eine  neue  Erde;  denn  der 
erste  Himmel  und  die  erste  Erde  vergingen,  und  das  Meer 
ist  nicht  mehr.  ***  Und  ich  hörte  eine  große  Stimme  von 
dem  Stuhl,  die  sprach:  Siehe  da,  die  Hütte  Gottes  bei  den 
Menschen!  Und  er  wird  bei  ihnen  wohnen,  und  sie  werden 
sein  Volk  sein,  und  er  selbst,  Gott  mit  ihnen,  wird  ihr  Gott 
sein ;  und  Gott  wird  abwischen  alle  Tränen  von  ihren  Augen 
und  der  Tod  wird  nicht  mehr  sein,  noch  Leid   noch  Ge- 


0  Lehre  u.   Bündn.   110:14 — 16;    siehe  auch    Seite  185,  186  dieses 
Buches. 


Art.  10.]  Die  Erneuerung  der  Erde.  465 

schrei  noch  Schmerz  wird  mehr  sein;  denn  das  Erste  ist 
vergangen."^)  —  Eine  ähnliche  Prophezeiung  stammt  von 
Ether,  dem  Jarediten,  der  sechshundert  Jahre  vor  Christi 
Geburt  lebte.  „Und  es  wird  ein  neuer  Himmel  und  eine 
neue  Erde  sein,  und  diese  werden  den  alten  gleich  sein, 
nur  daß  die  alten  vergangen  und  alle  Dinge  neu  geworden 
sind. "2)  Dieses  Ereignis  soll,  wie  aus  dem  Zusammenhang 
hervorgeht,  auf  die  Szenen  des  Millenniums  folgen. 

8.  In  unserm  Zeitalter  sprach  der  Herr  im  Jahre  1830: 
„Wenn  die  tausend  Jahre  beendigt  sind  und  die  Menschen 
wiederum  anfangen  werden,  Gott  zu  leugnen,  dann  werde 
ich  die  Erde  nur  eine  kurze  Zeit  verschonen:  Das  Ende 
wird  kommen,  und  Himmel  und  Erde  werden  verzehrt 
werden  und  vergehen,  und  es  wird  ein  neuer  Himmel  und 
eine  neue  Erde  sein.  Denn  alle  alten  Dinge  werden  ver- 
gehen, und  alle  Dinge  sollen  neu  werden,  selbst  der  Himmel 
und  die  Erde  und  die  ganze  Fülle  derselben,  Menschen 
und  Tiere,  die  Vögel  des  Himmels  und  die  Fische  des  Meeres. 
Und  nicht  ein  Haar,  noch  Stäubchen  soll  verloren  gehen, 
denn  es  ist  das  Werk  meiner  Hand".^) 

9.  In  Übereinstimmung  mit  den  heiligen  Schriften 
muß  die  Erde  eine  dem  Tod  ähnliche  Veränderung  durch- 
machen und  dann  erneuert  werden,  in  einer  Weise,  die  man 
mit  einer  Auferstehung  vergleichen  kann.  Hinweise  auf 
das  Schmelzen  der  Elemente  durch  Feuer  und  auf  das 
Verbrennen  und  Vergehen  der  Erde,  wie  sie  in  vielen  von 
uns  schon  angeführten  Schriftstellen  vorkommen,  deuten 
auf  den  Tod  hin;  die  neue  Erde,  in  Wirklichkeit  der  er- 
neuerte oder  wiederhergestellte  Planet,  der  daraus  ent- 
stehen soll,  läßt  sich  mit  einem  auferstandenen  Lebewesen 
vergleichen.    Diese  Veränderung  ist  auch  mit  einer  Ver- 


•)  Offenbarung  Job.  21:1,  3 — i. 
')  Bucb  Mormon,  Ether  18:9. 
')  Lehre  u.  Bündn.  29:22 — 25. 


466  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXL 

klärungi)  verglichen  worden.  Jedes  erschaffene  Ding 
wurde  zu  einem  gewissen  Zweck  gemacht  und  jedes  Ding, 
das  das  Maß  seiner  Erschaffung  erfüllt,  soll  höher  steigen 
auf  der  Stufenleiter  des  Fortschritts,  sei  es  nun  ein  Atom 
oder  eine  Welt,  ein  Tierchen  oder  ein  Mensch  —  der  ein 
unmittelbarer  und  buchstäblicher  Sprößling  der  Gottheit 
ist.  Da  wo  der  Herr  von  den  Graden  der  Herrlichkeit  spricht, 
die  für  seine  Schöpfungen  vorgesehen  sind,  und  von  den 
Gesetzen  der  Erneuerung  und  Heiligung  —  in  einer 
Offenbarung  vom  Jahre  1832  —  spricht  er  deutlich  von 
dem  herannahenden  Tod  und  der  darauffolgenden  Wieder- 
belebung der  Erde.  Seine  Worte  lauten:  ,,Und  wiederum, 
wahrlich  ich  sage  euch:  Die  Erde  hält  das  Gesetz  eines 
himmlischen  Reiches,  denn  sie  erfüllt  den  Zweck  ihrer 
Erschaffung  und  übertritt  das  Gesetz  nicht.  Deshalb 
wird  sie  geheiligt  werden:  ja,  obgleich  sie  sterben  wird, 
so  wird  sie  doch  wieder  belebt  werden  und  in  der  Macht 
bleiben,  durch  welche  sie  belebt  wurde,  und  die  Gerechten 
werden  sie  ererben. "2) 

10.  Im  Verlaufe  des  Millenniums  wird  die  Erde,  wäh- 
rend sie  sich  auf  ihre  völlige  Veränderung  vorbereitet, 
sowohl  von  sterblichen  wie  von  unsterblichen  Wesen  be- 
wohnt werden.  Wenn  jedoch  die  Erneuerung  vollendet 
ist,  werden  ihre  Bewohner  auch  dem  Tod  nicht  mehr 
unterworfen  sein.  Dann  wird  der  Erlöser  „das  Reich  vor 
den  Vater  bringen  und  es  ihm  makellos  übergeben  und 
sagen:  „Ich  habe  überwunden. "3)  Bevor  aber  der  Sieg 
auf  diese  Weise  errungen  und  der  Triumph  gesichert  ist, 
müssen  die  Feinde  der  Gerechtigkeit  besiegt  werden;  der 
letzte  Feind,  den  es  zu  überwinden  gilt,  ist  der  Tod.  So 
spricht  der  Apostel  Paulus:  ,, Darnach  das  Ende,  wenn  er 


•)  Lehre  u.  Bündn.  63:20 — 21. 
•)  L.  u.  B.  88:25—26. 
')  L.  u.  B.  76:107. 


Art.  10.]  Die  Erneuerung  der  Erde.  467 

das  Reich  Gott  und  dem  Vater  überantworten  wird,  wenn 
er  aufheben  wird  alle  Herrschaft  und  alle  Obrigkeit  und 
Gewalt.  Er  muß  aber  herrschen,  bis  daß  er  alle  seine 
Feinde  unter  seine  Füße  lege.  Der  letzte  Feind,  der  auf- 
gehoben wird,  ist  der  Tod.  Denn  er  hat  ihm  alles  unter 
seine  Füße  getan.  Wenn  er  aber  sagt,  daß  es  alles  Untertan 
sei,  ists  offenbar,  daß  ausgenommen  ist,  der  ihm  alles 
untergetan  hat.  Wenn  aber  alles  ihm  Untertan  sein  wird, 
alsdann  wird  auch  der  Sohn  selbst  Untertan  sein  dem, 
der  ihm  alles  untergetan  hat,  auf  daß  Gott  sei  alles  in 
allem.  "^) 

11.  Die  folgende  bruchstückartige  Beschreibung  der 
Erde  in  ihrem  unsterblichen  Zustand  ist  vom  Propheten 
Joseph  Smith  in  dieser  Dispensation  gegeben  worden: 
„Diese  Erde  wird  in  ihrem  verklärten  und  unsterblichen 
Zustande  wie  ein  Kristall  gemacht  werden  und  ihren 
Bewohnern  ein  Urim  und  Thummin  sein,^)  wodurch  alle 
Dinge,  welche  zu  einem  geringern  Reiche  gehören,  oder 
alle  Reiche  einer  niederem  Ordnung,  denen,  welche  darauf 
wohnen,  offenbar  sein  werden ;  und  diese  Erde  wird  Christi 
sein. "3) 

12.  Mangel  an  wissenschaftliehen  Beweisen.  Es 
sind  Versuche  gemacht  worden,  eine  Übereinstimmung 
zu  zeigen  zwischen  den  Lehren  der  Wissenschaft,  inbezug 
auf  die  Bestimmung  der  Erde,  und  den  biblischen  Pro- 
phezeiungen hinsichtlich  der  vorgesehenen  Erneuerung 
unseres  Planeten,  durch  die  er  zu  einem  geeigneten  Wohn- 
platz für  unsterbliche  Wesen  werden  wird.  Ohne  auf  die 
Einzelheiten  dieser  angeblich  gegenseitigen  Unterstüt- 
zung zwischen  der  Wissenschaft  und  dem  geoffenbarten 
Wort  einzugehen,   möge  es  genügen,   festzustellen,   daß 


')  1.  Korinther  15:24 — 28. 

»)  Siehe  Seite  329. 

')  Lehre  u.  Bündn.  130:9. 


468  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXI. 

dieser  sogenannte  Beweis  unzulänglich  ist,  und  daß  sich 
die  Wissenschaft  über  den  vorliegenden  Gegenstand  in 
Wirklichkeit  ausschweigt.  Der  Geologe  betrachtet  diese 
Erde  als  einen  Körper,  der  sich  in  einem  Prozeß  fortwäh- 
render Veränderung  befindet,  und  dessen  Oberfläche  aus 
einer  ungleichartigen  Masse  fragmentarischen  Materials 
besteht.  Er  liest  in  ihrer  Geschichte,  die  er  auf  ihren  ver- 
steinerten Blättern  aufgezeichnet  findet,  die  Geschichte 
vergangener  Entwicklungen  durch  viele  aufeinander 
folgende  Stufen  des  Fortschritts  hindurch,  von  denen  jede 
den  Erdball  zum  Wohnsitz  des  Menschen  geeigneter  macht. 
Er  ist  Augenzeuge  der  Arbeit  der  aufbauenden  und  der 
zerstörenden  Kräfte,  die  jetzt  am  Werke  sind:  Länder- 
massen, die  der  verflachenden  Wirkung  von  Wasser  und 
Luft  nachgeben,  und  die  durch  ihren  Abbau  das  Material 
liefern  für  andere  Gebilde,  die  jetzt  erst  in  der  Entstehung 
begriffen  sind.  Er  beobachtet,  wie  dies  alles  die  allgemeine 
Wirkung  hat,  die  Oberfläche  der  Erde  durch  das  Ernie- 
drigen der  Berge  und  das  Erhöhen  der  Täler  auszugleichen. 
Auf  der  andern  Seite  sieht  er  vulkanische  Kräfte  an  der 
Arbeit,  wie  sie  die  Ungleichheiten  der  Ebene  durch  heftige 
Ausbrüche  und  durch  Erhöhungen  der  Erdrinde  zu  steigern 
suchen.  Er  gibt  seine  Unfähigkeit  zu,  aus  den  Beobach- 
tungen der  Gegenwart  und  aus  seinen  Schlußfolgerungen 
inbezug  auf  die  Vergangenheit  der  Erde  auch  nur  ihre 
wahrscheinliche  Zukunft  voraussagen  zu  können.  Seine 
Anstrengungen,  den  Ursprung  der  Erde  darzulegen,  oder 
ihre  Bestimmung  festzusetzen,  sind  so  erfolglos  gewesen, 
daß  er  den  Versuch,  diese  Fragen  zu  lösen,  aufgegeben  hat. 
Die  aufsehenerregende  Äußerung  eines  maßgebenden 
Fachmannes  dieser  Wissenschaft  ist  in  unserer  Zeit  sprich- 
wörtlich geworden:  ,,Die  Geologie  bietet  uns  keine  Spuren 
eines  Anfangs  und  keine  Aussichten  auf  ein  Ende."^) 

')  James  Hutton. 


Art.  10.]  Die  Erneuerung  der  Erde.  469 

13.  Der  Astronom,  der  die  verschiedenen  Verhält- 
nisse und  Zustände  anderer  Welten  erforscht,  mag  nach 
dem  Gesetz  der  Ähnlichkeit  oder  Gleichförmigkeit  ver- 
suchen, das  vermutliche  Schicksal  unserer  eigenen  Welt 
zu  erfahren.  Mit  einem  großartig  verbesserten  Sehvermö- 
gen späht  er  in  den  Raum  und  erblickt  innerhalb  der  Pla- 
netengruppe, zu  der  unsere  Erde  gehört,  Sphären,  die  eine 
große  Vielgestaltigkeit  der  Entwicklung  zeigen — einige  noch 
in  ihrem  feurigen  Zustande,  die  zu  einem  Wohnplatz  für 
Wesen  unserer  Art  ungeeignet  erscheinen,  andere  in  einem 
Zustand,  der  der  Erde  ziemlich  ähnlich  ist,  andere  wieder, 
die  scheinbar  alt  und  leblos  sind.  Von  den  mächtigen  Pla- 
netengruppen jenseits  der  verhältnismäßig  kleinen  Gesell- 
schaft, die  unter  der  Herrschaft  unserer  Sonne  steht,  weiß  er 
nichts  als  etwa  das  Dasein  solcher  Zentralgestirne.  Nirgends 
aber  hat  er  eine  himmlische  Welt  entdeckt.  Können  wir 
auch  nur  annehmen,  sterbliche  Augen  vermöchten  etwas 
derartiges  wahrzunehmen,  selbst  wenn  es  innerhalb  der 
Grenzen  ihres  Sehvermögens  läge,  Grenzen,  die  nur  von 
der  räumlichen  Entfernung  gezogen  werden? 

14.  Die  Worte  des  Dichters  lauten: 

Nicht  denke,  daß  dem  Himmel 

Zuschauer  fehlten, 

und  daß  es  Gott 

an  Lob  und  Preis  gebräche, 

wenn  keine  Menschen  wären. 

Millionen  geistger  Wesen 

wandeln  auf  Erden, 

ungesehen  wenn  wir  wachen, 

ungesehen  wenn  wir  schlafen. 
Wenn  dieser  Gedanke  auf  Wahrheit  beruht  —  was  die 
christliche  Seele  kaum  bezweifeln  wird  —  können  wir 
ebensowohl  an  das  Dasein  andrer  Welten  glauben,  als 
an  solche,  deren  Gebilde  so  grob  sind,  daß  sie  für  unser 
geschwächtes  Auge  sichtbar  sind.    Ich  wiederhole:  Hin- 


470  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXI. 

sichtlich  des  geoffenbarten  Wortes  über  die  Erneuerung 
der  Erde  und  die  Erlangung  einer  himmlischen  Herrlich- 
keit seitens  unseres  Planeten,  hat  uns  die  Wissenschaft 
nichts  zu  bieten,  weder  als  Zustimmung  noch  als  Wider- 
spruch. Laßt  uns  aber  deswegen  die  Wissenschaft  nicht 
verkleinern  oder  die  Arbeit  ihrer  Anhänger  herabsetzen. 
Keiner  weiß  besser,  wie  viel  wir  nicht  wissen,  als  der  wahre 
Wissenschafter. 


Die  Auferstehung  des  Körpers. 

15.  Die  Auferstehung  von  den  Toten.  Eng  verknüpft 
und  in  Übereinstimmung  mit  der  vorherbestimmten  Ver- 
jüngung der  Erde,  wodurch  der  Planet  von  seinem  gegen- 
wärtigen traurigen  und  gefallenen  Zustand  in  den  Stand 
der  verherrlichten  Vollkommenheit  übergehen  wird,  ist  die 
Auferstehung  der  Körper  aller  jener  Lebewesen,  die  auf 
der  Erde  ihr  Dasein  gehabt  haben.  Die  Kirche  Jesu  Christi 
der  Heiligen  der  letzten  Tage  lehrt  die  Lehre  von  der  buch- 
stäblichen Auferstehung,  die  tatsächliche  Wiedervereini- 
gung der  abgeschiedenen  Geister  mit  dem  fleischlichen 
Körper,  mit  dem  sie  während  ihrer  irdischen  Prüfungs- 
zeit angetan  waren.  Die  Kirche  glaubt  ferner  an  eine  Ver- 
wandlung von  der  Sterblichkeit  in  die  Unsterblichkeit 
bei  einigen,  die  zur  Zeit  des  großen  Übergangs  noch  im 
Fleische  leben,  und  die  wegen  ihrer  persönlichen  Gerechtig- 
keit von  dem  Todesschlummer  im  Grabe  verschont  werden. 
Mit  solchen  Lehren  unterscheidet  sich  die  Kirche  indessen 
nicht  wesentlich  von  den  meisten  christlichen  Sekten, 
ausgenommen  vielleicht  in  der  Buchstäblichkeit  der  kör- 
perlichen Auferstehung,  wie  sie  sie  lehrt,  und  in  ihrem  Glau- 
ben hinsichtlich  der  Natur  des  Auferstehungszustandes. 
Die  Bibel  ist  angefüllt  mit  Beweisen  von  der  Wiederbele- 
bung der  Toten.    Die  menschliche  Erkenntnis  von  der 


Art.  10.]  Die  Auferstehung  des  Körpers.  471 

Auferstehung  beruht  jedoch  ganz  und  gar  auf  Offenbarung. 
Daher  haben  heidnische  Völker  von  einem  tatsächlichen 
Hervorkommen  der  Toten  zu  neuem  Leben  keine  Kennt- 
nis.^) 

16.  Wenn  wir  die  Lehre  von  einer  Auferstehung  an- 
nehmen, müssen  wir  uns  gänzlich  vom  Glauben  leiten 
lassen.  Glaube  wird  jedoch  von  vielen  Offenbarungen 
unterstützt,  die  in  unzweideutiger  und  sicherer  Art  und 
Weise  gegeben  wurden.  Die  Wissenschaft,  das  Ergebnis 
der  menschlichen  Forschung,  vermag  uns  nicht  irgend  ei- 
nen Beweis  für  ein  solches  Ereignis  in  der  Geschichte  der 
lebenden  Dinge  zu  liefern,  und  die  Menschen  haben  vergeb- 
lich versucht,  in  der  Natur  etwas  gleichartiges  zu  finden. 
Gewiß,  es  sind  Vergleiche  angestellt  worden,  Bilder  wurden 
gebraucht,  und  Ähnlichkeiten  in  diesen  Dienst  gezwungen, 
um  in  der  Natur  gewisse  Gegenstände  zu  zeigen,  oder  Ähn- 
lichkeiten mit  der  unsterblich  machenden  Veränderung, 
der  die  christliche  Seele  mit  unerschütterlichem  Vertrauen 
entgegensieht.  Aber  alle  solche  Sprachgebilde  und  Verglei- 
che sind  fehlerhaft  und  unvollkommen  in  ihrer  Anwendung 
und  unwahr  in  ihrer  angeblichen  Gleichartigkeit. 

17.  Die  Wiederkehr  des  Frühlings  nach  dem  tod- 
ähnlichen Schlummer  des  Winters,  das  Verwandeln  der 
krabbelnden  Raupe  in  die  leichenähnliche  Larve,  und  das 
darauffolgende  Hervorkommen  des  beschwingten  Schmet- 
terlings, das  Entstehen  eines  lebendigen  Vogels  aus  der 
grabähnlichen  Absonderung  im  Ei  —  diese  und  andere 
natürliche  Entwicklungsvorgänge  sind  zum  erläutern 
der  Auferstehung  gebraucht  worden.  Jede  derselben 
ist  fehlerhaft  und  unvollständig;  denn  in  keinem  solchen 
Falle  der  Wiedererweckung  war  ein  tatsächlicher  Tod  ein- 
getreten.   Wenn  der  Baum  abgestorben  ist,  wird  er  sein 


»)  Siehe  Anmerkung  1. 


472  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXL 

Blätterdach  auch  mit  der  Rückkehr  des  Frühlings  nicht 
wieder  erhalten;  ist  die  Puppe  in  der  Larve  gestorben, 
oder  der  Lebenskeim  im  Ei  getötet,  so  wird  kein  Schmetter- 
ling oder  Vogel  daraus  hervorgehen.  Wenn  wir  solchen 
bildlichen  Erläuterungen  nachhängen,  ohne  die  äußerste 
Vorsicht  walten  zu  lassen,  so  sind  wir  leicht  geneigt,  den 
Gedanken  zu  hegen,  der  zur  Auferstehung  bestimmte 
Körper  sei  nicht  wirklich  tot,  und  deshalb  sei  die  Wieder- 
belebung, die  darauffolgen  soll,  nicht  das,  als  was  es  das 
geoffenbarte  Wort  Gottes  erklärt.  Die  Beobachtung  zeigt, 
daß  die  Trennung  des  Geistes  von  dem  Körper,  denselben 
als  eine  leblose  Masse  zurückläßt,  die  nicht  länger  imstande 
ist,  dem  physischen  und  chemischen  Auflösungsprozeß  zu 
widerstehen.  Der  Körper,  verlassen  von  seinem  unsterb- 
lichen Bewohner,  ist  buchstäblich  tot.  Er  löst  sich  in  seine 
natürlichen  Bestandteile  auf  und  der  Stoff,  aus  dem  er 
besteht,  tritt  von  neuem  in  den  allgemeinen  Kreislauf  der 
Materie  ein.  Jedoch,  die  Auferstehung  von  den  Toten  ist 
eine  feststehende  Tatsache!  Der  Glaube  derer,  die  in  das 
Wort  der  geoffenbarten  Wahrheit  ihr  Vertrauen  setzen, 
wird  gerechtfertigt^)  und  der  göttliche  Beschluß  voll  und 
ganz  in  die  Tat  umgesetzt  werden. 

18.  Prophezeiungen    über     die    Auferstehung.      Die 

schließliche  Überwindung  des  Todes  ist  von  den  Prophe- 
ten in  den  vergangenen  Dispensationen  der  Weltgeschichte 
vorhergesehen  und  vorhergesagt  worden.  Einige  von  ihnen 
zeugten  im  besondern  von  Christi  Sieg  über  das  Grab, 
andere  haben  mehr  bei  der  Auferstehung  im  allgemeinen 
verweilt.  Hiob,  der  Mann  der  Geduld  in  Trübsalen,  sang 
selbst  in  seinen  Schmerzen  mit  freudiger  Stimme:  „Aber 
ich  weiß,  daß  mein  Erlöser  lebt,  und  er  wird  mich  hernach 
aus  der  Erde  auf  erwecken.  Und  werde  darnach  mit  dieser 

•)  Siehe  Anmerkung  2. 


Art.  10.]  Die  Auferstehung  des  Körpers.  473 

meiner  Haut  umgeben  werden  und  werde  in  meinem  Fleisch 
Gott  sehen. "1)  —Henoch,  dem  der  Herr  seinen  Erlösungs- 
plan für  die  Menschheit  kundtat,  sah  die  Auferstehung 
Christi,  das  Hervorkommen  der  Gerechten  mit  ihm  und  die 
darauffolgende  Auferstehung  aller  Menschen  im  Geiste 
voraus. 2) 

19.  Nephi  bezeugte  seinen  Brüdern,  daß  der  Tod  des 
Erlösers  eine  vorherbestimmte  Notwendigkeit  ist,  vorher- 
bestimmt, damit  die  Auferstehung  von  den  Toten  für  die 
Menschheit  zustandegebracht  werde.  Seine  Worte  lauten : 
„Ebenso  wie  der  Tod  über  alle  Menschen  ergangen  ist, 
um  den  barmherzigen  Zweck  des  großen  Schöpfers  zu  er- 
füllen, so  ist  es  notwendig,  daß  eine  Kraft  der  Auferste- 
hung sei,  und  die  Auferstehung  muß  infolge  des  Falles  der 
Menschen  kommen,  und  der  Fall  ist  durch  Übertretung 
gekommen;  und  weil  die  Menschen  gefallen  sind,  wurden 
sie  von  dem  Angesichte  des  Herrn  verstoßen.***  Und  der 
geistige  Tod,  von  dem  ich  geredet  habe,  welcher  gei- 
stige Tod  die  Hölle  ist,  wird  seine  Toten  auch  herausgeben ; 
also  müssen  Tod  und  Hölle  ihre  Toten  herausgeben,  und 
die  Hölle  ihre  gefangenen  Geister,  und  das  Grab  seine  ge- 
fangenen Körper;  und  die  Körper  und  Geister  der  Menschen 
werden  wieder  zusammen  hergestellt  werden  durch  die 
Macht  der  Auferstehung  des  Heiligen  von  Israel.  0  wie  groß 
ist  der  Plan  unseres  Gottes!  Denn  anderseits  muß  das 
Paradies  Gottes  die  Geister  der  Gerechten,  und  das  Grab 
die  Körper  der  Gerechten  herausgeben;  und  Geist  und 
Körper  werden  wieder  zusammen  hergestellt,  und  alle 
Menschen  werden  unverweslich  und  unsterblich  sein  und 
sind  lebendige  Seelen,  welche  dieselbe  Erkenntnis  haben 


»)  Hiob  19:25—26;   siehe  auch    Jesaja  26:19;   Hesekiel  37:11—14; 
Hosea  13:14. 

=)  Köstliche  Perle,  Moses  7:56 — 57. 


474  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXI. 

wie  wir  im  Fleische,  nur  daß  unsere  Erkenntnis  alsdann 
vollkommen  sein  wird."^) 

20.  Samuel,  der  lamanitische  Prophet  prophezeite 
die  Geburt,  die  Amtstätigkeit,  den  Tod  und  die  Aufer- 
stehung des  Heilandes  und  erklärte  die  sich  daraus  erge- 
bende Auferstehung  der  Menschheit:  „Denn  sehet,  er  muß 
gewiß  sterben,  damit  Seligkeit  komme,  ja,  es  geziemt  ihm 
und  es  tut  not,  daß  er  sterbe,  um  die  Auferstehung  der 
Toten  zu  bewirken,  daß  dadurch  die  Menschen  in  die 
Gegenwart  des  Herrn  gebracht  werden.  Ja,  sehet,  dieser 
Tod  bringt  die  Auferstehung  zuwege  und  erlöst  die  ganze 
Menschheit  vom  ersten  Tode  —  von  jenem  geistigen  Tode; 
denn  das  ganze  Menschengeschlecht,  da  es  durch  Adams 
Fall  von  dem  Angesichte  des  Herrn  verstoßen  wurde,  wird 
sowohl  in  zeitlichen  als  in  geistigen  Dingen  als  tot  ange- 
sehen. Aber  sehet,  die  Auferstehung  Christi  erlöst  die 
Menschen,  ja,  die  ganze  Menschheit,  und  bringt  sie  zurück 
in  die  Gegenwart  des  Herrn. "2) 

21.  Das  Neue  Testament  liefert  uns  ausgiebige  Be- 
weise dafür,  daß  die  Lehre  von  der  Auferstehung  während 
der  Zeit  der  irdischen  Mission  Christi  und  der  darauffol- 
genden apostolischen  Zeit  ganz  allgemein  verstanden 
wurde. 3)  Der  Meister  selbst  verkündigte  diese  Lehre.  In 
seiner  Antwort  an  die  scheinheiligen  Sadduzäer*)  sagte 
er:  „Habt  ihr  aber  nicht  gelesen  von  der  Toten  Aufer- 
stehung, was  euch  gesagt  ist  von  Gott,  da  er  spricht:  .Ich 
bin  der  Gott  Abrahams  und  der  Gott  Isaaks  und  der  Gott 
Jakobs?'    Gott  aber  ist  nicht  ein  Gott  der  Toten,  sondern 


1)  2.  Nephi  9:6,  12—13. 

*)  Helaman   14:15 — 17;    siehe   auch    Mosiah    15:20 — 24    und    Alma 
40:2,  16. 

')  Matthäus  14:1—2;  Johannes  11:24. 
*)  Siehe  Anmerkung  3. 


Art.  10.]  Die  Auferstehung  des  Körpers.  475 

der  Lebendigen."^)  —  Zu  den  Juden,  die  ihm  seiner  Taten 
und  seiner  Lehre  wegen  nach  dem  Leben  trachteten,  sprach 
er:  , .Wahrlich,  wahrlich,  ich  sage  euch:  Wer  mein  Wort 
hört  und  glaubet  dem,  der  mich  gesandt  hat,  der  hat  das 
ewige  Leben  und  kommt  nicht  in  das  Gericht,  sondern  er 
ist  vom  Tode  zum  Leben  hindurchgedrungen.  Wahrlich, 
wahrlich,  ich  sage  euch:  Es  kommt  die  Stunde  und  ist 
schon  jetzt,  daß  die  Toten  werden  die  Stimme  des  Sohnes 
Gottes  hören ;  und  die  sie  hören  werden,  die  werden  leben. "2) 

22.  Daß  Christus  den  Zweck  seines  herannahenden 
Martyriums  und  der  Auferstehung,  die  darauf  folgen  sollte, 
durchaus  begriffen  hatte,  geht  zur  Genüge  aus  seinen  eige- 
nen Äußerungen  hervor,  die  er  tat,  als  er  noch  im  Fleische 
lebte.  Zu  Nikodemus  sagte  er :  ,,Und  wie  Mose  in  der  Wüste 
eine  Schlange  erhöhet  hat,  also  muß  des  Menschen  Sohn  er- 
höhet werden,  auf  daß  alle,  die  an  ihn  glauben,  nicht  ver- 
loren werden,  sondern  das  ewige  Leben  haben, "^)  Und  der 
Maria,  die  den  Tod  ihres  Bruders  Lazarus  beweinte,  er- 
klärte er:  ,,Ich  bin  die  Auferstehung  und  das  Leben.  Wer 
an  mich  glaubet,  der  wird  leben,  ob  er  gleich  stürbe."*)  — 
Von  seiner  eigenen  Auferstehung  prophezeite  er  häufig 
und  bezeichnete  dabei  die  Zeit,  wo  er  im  Grabe  ruhen 
werde. ^) 

23.  Zwei  allgemeine  Auferstehungen  werden  in  den 
heiligen  Schriften  erwähnt ;  sie  können  als  die  erste  und  die 
letzte  oder  als  die  Auferstehung  der  Gerechten  und  die 
Auferstehung  der  Ungerechten  bezeichnet  werden.  Die 
erste  wurde  durch  die  Auferstehung  Christi  eröffnet;  un- 
mittelbar auf  diese  folgend,  kamen  viele  der  verstorbenen 
Heiligen  aus  ihren  Gräbern  hervor.  Eine  Fortsetzung  hier- 


')  Matthäus  22:31 — 32;  siehe  auch  Lukas  14:14. 

»)  Johannes  5:24 — 25;  siehe  auch  Vers  21,  und  11:23 — ^25. 

')  Johannes  3:14 — 15. 

*)  Johannes  11:25. 

')  Matthäus  12:40;  16:21;  17:23;  20:19. 


476  Die  Glaubensartikel,  [Vorl.  XXI. 

von  ist  jetzt  im  Gange^)  und  wird  in  allgemeiner  Weise  in 
Verbindung  mit  der  Wiederkunft  Christi  erfolgen,  wird 
also  den  Beginn  des  Tausendjährigen  Reiches  kennzeich- 
nen. Die  letzte  Auferstehung  wird  bis  zum  Ende  des 
Tausendjährigen  Friedens  aufgeschoben  werden  und  in 
Verbindung  mit  dem  jüngsten  Gericht  zustande  kommen. 

24.  Die  erste  Auferstehung.  Die  Auferstehung  Christi 
und  die,  die  unmittelbar  darauf  folgte.  Die  Tatsachen  von 
der  Auferstehung  Christi  von  den  Toten  werden  durch  eine 
solche  Reihe  von  Beweisen  aus  den  heiligen  Schriften  be- 
zeugt, daß  kein  Zweifel  an  ihrer  Wirklichkeit  in  dem  Ge- 
müte  irgend  eines  an  die  inspirierten  Urkunden  Gläubi- 
gen Platz  finden  kann.  Zu  den  Frauen,  die  in  der  Frühe 
zur  Gruft  kamen,  sagte  der  Engel,  der  den  Stein  von  dem 
Eingang  des  Grabes  gewälzt  hatte:  ,,Er  ist  nicht  hier, 
denn  er  ist  auferstanden,  wie  er  gesagt  hat."^)  Nachher 
zeigte  sich  der  Herr^)  während  der  vierzig  Tage,  die  zwi- 
schen seiner  Auferstehung  und  seiner  Himmelfahrt  lagen, 
vielen.*) 

Bald  nach  der  Himmelfahrt  tat  er  sich  den  Nephiten 
auf  der  westlichen  Erdhälfte  kund,  wie  bereits  früher  in 
einem  andern  Zusammenhang  erwähnt  wurde.^)  Wie  wir 
sehen  werden,  hörten  auch  die  Apostel  nicht  auf,  von  der 
Wirklichkeit  der  Auferstehung  ihres  Herrn  zu  zeugen; 
dabei  unterließen  sie  es  nicht,  auch  die  zukünftige  Auf- 
erstehungen zu  verkündigen. 


1)  Bemerke  die  Tatsache,  daß  Moroni,  der  letzte  nephitische  Prophet, 
der  im  ersten  Viertel  des  fünften  Jahrhunderts  nach  Christus  starb,  als 
ein  auferstandenes  Wesen  im  Jahre  1823  dem  Propheten  Joseph  Smith 
erschien  (siehe  Seite  12 — 14). 

^)  Matthäus  28:6. 

3)  Matthäus  28:9, 16;  Markus  16:14;  Lukas  24:13— 31;  34;  Johannes 
20:14—17,   19;   26;  21:1 — 4;   1.  Korinther  15:5— 8. 

*)  Luk.  24:49 — 51;  Apostelgeschichte  1 : 1 — 11. 

')  Siehe  Seite  44. 


Art.  lO.J  Die  Auferstehung  des  Körpers.  477 

25.  Christus,  der  „Erstling  unter  denen,  die  da  schla- 
fen,"^) war  der  erste  Mensch,  der  mit  einem  unsterblich 
gemachten  Körper  aus  dem  Grabe  hervorkommen  sollte; 
wir  lesen  aber,  daß  bald  nachher  viele  von  den  Heiligen 
aus  ihren  Gräbern  gingen :  „Und  die  Gräber  taten  sich  auf, 
und  standen  auf  viele  Leiber  der  Heiligen,  die  da  schliefen, 
und  gingen  aus  den  Gräbern  nach  seiner  Auferstehung 
und  kamen  in  die  heilige  Stadt  und  erschienen  vielen."^) 

26.  Alma,  der  nephitische  Prophet,  dessen  Schriften 
beinahe  ein  Jahrhundert  vor  der  Geburt  Christi  entstanden 
sind,  verstand  klar,  daß  vor  der  Auferstehung  Christi  keine 
Auferstehung  stattfinden  würde,  denn  er  sagte:  ,, Siehe, 
ich  sage  dir:  Es  wird  keine  Auferstehung  sein:  oder,  um 
mit  andern  Worten  zu  reden,  dieses  Sterbliche  zieht  kein 
Unsterbliches  an,  diese  Verwesung  keine  Unverweslich- 
keit bis  nach  der  Erscheinung  Christi. "2)  —  Außerdem  sah 
er  eine  allgemeine  Auferstehung  voraus,  die,  wie  aus  dem 
Zusammenhang  der  eben  angeführten  Schriftstelle  deutlich 
hervorgeht,*)  in  Verbindung  mit  der  Auferstehung  Jesu 
Christi  von  den  Toten  erfolgen  sollte.  Inspirierte  Männer 
unter  den  Nephiten  sprachen  von  dem  Tod  und  der  Auf- 
erstehung Christi^)  sogar  während  der  Zeit  seines  tatsäch- 
lichen Wirkens  im  Fleisch,  und  ihre  Lehren  fanden  eine 
rasche  Bestätigung  durch  das  Erscheinen  des  auferstan- 
denen Herrn  unter  ihnen, ^)  wie  es  von  ihren  früheren  Pro- 
pheten vorhergesagt  worden  war.') 


n  1.  Korinther  15: 20. 23,  siehe  auch  Apostelgescliichte  26: 23;  Kolosser 
1:18;  Offenbarung  Joh.  1:5. 
2)  Matthäus  27:52—53. 
')  Alma  40:2. 
*)  Alma  40:16. 
6)  3.  Nephi  6:20. 
«)  3.  Nephi  11. 
»)  1.  Nephi  12:6;  2.  Nephi  26:1,  9.    Alma  16:20;  3.  Nephi  11:12. 


478  Die  Glaubensartikel.  (Vorl.  XXI. 

27.  In  diesen  letzten  Tagen  hat  sich  der  Herr  wiede- 
rum kundgetan  und  die  Tatsache  seines  Todes  und  seiner 
Auferstehung  verkündigt:  „Denn  sehet,  der  Herr,  euer 
Erlöser,  erlitt  den  Tod  im  Fleische;  deshalb  erduldete 
er  den  Schmerz  aller  Menschen,  daß  alle  Buße  tun  und  zu 
ihm  kommen  möchten.  Und  er  ist  wieder  von  den  Toten 
auferstanden,  daß  er  unter  den  Bedingungen  der  Buße 
alle  Menschen  zu  sich  bringen  möchte."^) 

28.  Die  Auferstehung  zur  Zeit  des  zweiten  Kommens 
Christi.  Wir  sehen,  daß  unmittelbar  nachdem  Christus 
die  Erde  verlassen  hatte,  die  Apostel,  denen  nunmehr  die 
direkte  Verantwortlichkeit  für  die  Kirche  zufiel,  die  Lehre 
von  einer  zukünftigen  und  allgemeinen  Auferstehung  pre- 
digten. Dieser  Punkt  scheint  überhaupt  ein  wesentlicher 
Bestandteil  ihrer  Belehrungen  gewesen  zu  sein,  denn  er 
war  der  besondere  Vorwand  für  die  Beschwerde  der  Sad- 
duzäer,  welche  die  Apostel  sogar  noch  innerhalb  der  ge- 
heiligten Grenzen  des  Tempels  verfolgten,  und  die  es  „ver- 
droß, daß  sie  das  Volk  lehrten  und  verkündigten  an  Jesu 
die  Auferstehung  von  den  Toten". 2)  Paulus  erregte  Är- 
gernis mit  dem  Eifer,  mit  dem  er  die  zukünftige  Aufer- 
stehung predigte;  ein  Beispiel  hierfür  ist  sein  Streit  mit  ge- 
wissen Philosophen  aus  der  Schule  der  Epikurer  und 
Stoiker,  in  dessen  Verlauf  einige  von  ihnen  sagten:  „Was 
will  dieser  Lotterbube  sagen?  Etliche  aber:  Es  siebet,  als 
wolle  er  neue  Götter  verkündigen.  (Das  machte,  er  hatte 
das  Evangelium  Jesu  Christi  und  von  der  Auferstehung 
ihnen  verkündigt.)"^)  —  Die  Besprechung  wurde  auf  dem 
Areopag  oder  Marshügel  fortgesetzt,  wo  Paulus  das  Evan- 
gelium von  dem  wahren  und  lebendigen  Gott  einschließlicti 


»)  Lehre  u.  Bündn.  18:11 — 12. 

')  Apostelgeschichte  4:2;    siehe    auch  Matthäus  22:23, 
Apostelgeschichte  23 : 8. 

')  Apostelgeschichte  17:18. 


Art.  10.]  Die  Auferstehung  des  Körpers.  479 

der  Lehre  von  der  Auferstehung  predigte.  „Da  sie  hörten  die 
Auferstehung  der  Toten,  da  hatten  etliche  ihren  Spott,  et- 
liche aber  sprachen :  Wir  wollen  dich  davon  weiter  hören. "^) 
—  Die  gleiche  Wahrheit  verkündigte  er  auch  dem  Felix, 
dem  Landpfleger  von  Judäa,^)  und  als  er  in  Ketten  ge- 
schlagen vor  dem  König  Agrippa  stand,  fragte  er,  als  hätte 
er  es  mit  der  schwersten  Beschuldigung  zu  tun:  ,, Warum 
wird  das  für  unglaublich  bei  euch  geachtet,  daß  Gott  Tote 
auferweckt?"^) 

29.  Die  Auferstehung  scheint  ein  Lieblingsthema 
des  Apostels  Paulus  gewesen  zu  sein.  In  seinen  Briefen 
an  die  Heiligen  räumt  er  ihr  einen  hervorragenden  Platz 
ein.^)  Von  ihm  lernen  wir  denn  auch,  daß  bei  der  Aufer- 
stehung eine  gewisse  Reihenfolge  eingehalten  werden 
soll:  „Nun  aber  ist  Christus  auferstanden  von  den  Toten 
und  der  Erstling  geworden  unter  denen,  die  da  schlafen. 
Sintemal  durch  einen  Menschen  der  Tod  und  durch  einen 
Menschen  die  Auferstehung  der  Toten  kommt.  Denn  gleich- 
wie sie  in  Adam  alle  sterben,  also  werden  sie  in  Christo 
alle  lebendig  gemacht  werden.  Ein  jeglicher  aber  in  seiner 
Ordnung:  Der  Erstling  Christus;  darnach  die  Christo 
angehören,  wenn  er  kommen  wird."°) 

30.  Es  wird  ausdrücklich  festgestellt,  daß  zur  Zeit 
der  herrlichen  Wiederkunft  Christi  viele  Gräber  ihre  Toten 
herausgeben  werden,  und  die  Gerechten,  die  im  Grabe 
ruhen,  werden  mit  vielen,  die  dann  noch  nicht  gestorben 
sind,  aufgehoben  werden,  dem  Herrn  entgegen.  Paulus 
schreibt  an  die  Thessalonicher :  „Also  wird  Gott  auch,  die 
da  entschlafen  sind,  durch  Jesum  mit  ihm  führen.*** 


')  Vers  32. 

*)  Apostelgeschichte  24:15. 
')  Apostelgeschichte  26:8. 

*)  Römer  6:5;  8:11;  1.  Korinther  15;  2.  Kor.  4:14;  Philipper  3 : 21 ; 
Kolosser3:4;  1.  Thessalonicher 4:14;  Hebräer  6:2. 

^)  1.  Korinther  15:20 — 23;  studiere  das  ganze  Kapitel! 


480  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXI. 

Denn  er  selbst,  der  Herr,  wird  mit  einem  Feldgeschrei  und 
der  Stimme  des  Erzengels  und  mit  der  Posaune  Gottes 
herniederkommen  vom  Himmel,  und  die  Toten  in  Christo 
werden  auferstehen  zuerst.  Darnach  wir,  die  wir  leben  und 
überbleiben,  werden  zugleich  mit  ihnen  hingerückt  werden 
in  den  Wolken  dem  Herrn  entgegen  in  der  Luft."i) 

31.  Zu  den  drei  nephitischen  Jüngern,  welche  um  die 
gleiche  Segnung  baten  wie  Johannes,  der  geliebte  Apostel, 
sprach  Christus:  „Und  ihr  werdet  nie  die  Schmerzen  des 
Todes  erleiden,  aber  wenn  ich  in  meiner  Herrlichkeit 
komme,  sollt  ihr  in  einem  Augenblick  von  der  Sterblich- 
keit zu  der  Unsterblichkeit  verwandelt  werden. "2) 

32.  Auf  dem  Wege  der  Offenbarung  spricht  der  Herr 
in  diesen  letzten  Tagen:  ,,Denn  siehe,  ich  werde  kommen 
und  man  wird  mich  in  den  Wolken  des  Himmels  sehen, 
angetan  mit  Macht  und  Herrlichkeit,  mit  allen  heiligen 
Engeln ;  wer  mich  aber  nicht  erwartet,  der  soll  abgeschnit- 
ten werden.  Aber  ehe  der  Arm  des  Herrn  herabkommen  soll, 
wird  ein  Engel  seine  Posaune  erschallen  lassen,  und  die 
Heiligen,  die  entschlafen  gewesen  sind,  werden  hervor- 
kommen, mir  entgegen  in  den  Wolken! "3)  Von  den  vielen 
Zeichen  und  Wundern,  welche  das  glorreiche  Kommen  des 
Herrn  kennzeichnen  werden,  sind  uns  folgende  teilweise 
geschildert:  „Und  das  Angesicht  des  Herrn  wird  entschlei- 
ert sein;  und  die  Heiligen,  welche  auf  der  Erde  und  am 
Leben  sind,  werden  verwandelt  und  aufgehoben  werden, 
ihm  zu  begegnen.  Und  diejenigen,  welche  in  ihren  Gräbern 
geschlummert  haben,  werden  hervorkommen,  denn  ihre 
Gräber  werden  geöffnet,  und  sie  werden  auch  aufgehoben 
werden,  ihm  in  der  Mitte  der  Säule  des  Himmels  zu  begeg- 
nen: Sie  sind  in  Christo,  die  ersten  Früchte  —  diejenigen. 


')  1.  Thessalonicher4:14 — 17. 

')  3.  Nephi  28:8. 

')  Lehre  u.  Bündn.  45:44 — 45. 


Art.  10.]  Die  Auferstehung  des  Körpers.  481 

die  mit  ihm  zuerst  herniedersteigen  werden  und  die, 
die  auf  der  Erde  und  in  ihren  Gräbern  sind,  die  zuerst 
aufgehoben  werden,  ihm  zu  begegnen. "i) 

33.  Dieses  sind  einige  jener  Herrlichkeiten,  die  mit 
der  ersten  Auferstehung  verbunden  sind,  an  welcher  nur 
die  Gerechten  teilhaben  werden.  Die  Gemeinde  der  Ge- 
rechten wird  aber  auch  alle  jene  umfassen,  welche  treu  in 
Übereinstimmung  mit  den  Gesetzen  Gottes  gelebt  haben, 
soweit  sie  ihnen  bekannt  geworden  waren,  dazu  Kinder, 
die  in  ihrer  Unschuld  gestorben  sind  und  ferner  selbst  jene 
Gerechte  aus  den  heidnischen  Völkern,  die  mehr  oder  we- 
niger in  Dunkelheit  gelebt,  obschon  sie  nach  Licht  getrach- 
tet haben,  und  in  Unwissenheit  gestorben  sind.^)  Diese 
Lehre  ist  durch  moderne  Offenbarung  erklärt  worden :  „Der 
Heiden  Völker  sollen  dann  erlöset  werden,  und  die,  so  kein 
Gesetz  gekannt  haben,  werden  an  der  ersten  Auferstehung 
teilhaben. "3)  —  Das  Millennium  soll  also  mit  einer  glorrei- 
chen Befreiung  der  Gerechten  von  der  Macht  des  Todes  eröff- 
net werden.  Von  dieser  Gemeinde  der  Erlösten  steht  ge- 
schrieben: „Selig  ist  der  und  heilig,  der  teilhat  an  der  ersten 
Auferstehung.  Über  solche  hat  der  andere  Tod  keine  Macht; 
sondern  sie  werden  Priester  Gottes  und  Christi  sein  und  mit 
ihm  regieren  tausend  Jahre. "^) 

34.  Die  letzte  Auferstehung.  —  ,,Die  andern  Toten 
aber  wurden  nicht  wieder  lebendig,  bis  daß  tausend  Jahre 
vollendet  wurden."^)  —  So  spricht  der  Offenbarer  Johannes, 
nachdem  er  die  herrrlichen  Segnungen  der  Gerechten  be- 
schrieben hatte,  die  an  der  ersten  Auferstehung  teilhaben. 
Die  Unwürdigen  werden  vor  das  Gericht  zur  Verurteilung 


')  Lehre  u.  Bündn.  88:95 — 98. 

')  Siehe  Anmerkung  4. 

»)  L.  u.  B.  45:54;  siehe  auch  Hesekiel  36:23-24;  37:28;  39:7,  21,  23. 

*)  Offenbarung  Joh.  20:6. 

')  Offenbarung  Joh.  20:5. 


482  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXI. 

gerufen  werden,  wenn  die  erneuerte  Welt  zur  Übergabe 
an  den  Vater  bereit  ist.^) 

35.  Der  Unterschied  zwischen  denen,  die  einen  ge- 
sicherten Anteil  an  der  ersten  Auferstehung  haben  werden 
und  denen,  deren  Los  es  ist,  auf  das  jüngste  Gericht  zu 
warten,  ist  groß  und  wird  in  den  heiligen  Schriften  nirgends 
abgeschwächt.  Es  ist  uns  gesagt  worden,  daß  es  uns  ge- 
ziemt, den  Verlust  unserer  Lieben,  die  wir  durch  den  Tod 
verloren  haben,  zu  beweinen,  „und  hauptsächlich  derer,  die 
keine  Hoffnung  auf  eine  glorreiche  Auferstehung  haben. "2) 
Heutzutage  kann  man  die  Stimme  des  Allmächtigen  als 
ernste  Warnung  vernehmen :  ,, Höret,  denn  siehe,  der  große 
Tag  des  Herrn  ist  nahe  zur  Hand.  Denn  der  Tag  kommt, 
an  dem  der  Herr  seine  Stimme  von  dem  Himmel  ertönen 
lassen  wird;  die  Himmel  werden  beben  und  die  Erde  wird 
zittern,  ja  die  Posaune  Gottes  wird  lang  und  laut  erschallen 
und  zu  den  schlummerndem  Völkern  rufen:  Ihr  Heiligen, 
stehet  auf  und  lebet;  ihr  Sünder  aber  wartet  und  schlum- 
mert, bis  daß  ich  wiederum  rufen  werde  l"^) 

36.  Das  Gesicht  von  der  Schlußszene  beschreibt 
Johannes,  der  Offenbarer,  wie  folgt:  „Und  ich  sah  die 
Toten,  beide,  groß  und  klein,  stehen  vor  Gott,  und  Bücher 
wurden  aufgetan.  Und  ein  ander  Buch  ward  aufgetan, 
welches  ist  das  Buch  des  Lebens.  Und  die  Toten  wurden 
gerichtet  nach  der  Schrift  in  den  Büchern,  nach  ihren 
Werken."-*)  Diese  Stufe  kennzeichnet  die  Vollendung  des 
Auferstehungswerkes.  Wie  die  heiligen  Schriften  ent- 
scheidend beweisen,  wird  die  Auferstehung  allgemein  sein; 
wohl  ist  es  wahr,  daß  die  Toten  in  einer  gewissen  Reihen- 
folge hervorkommen,  je  nach  dem  sie  für  die  erste  oder 


1)  Siehe  Anmerkung  5. 

')  Lehre  u.  Bündn.  42:45. 

=)  1,.  u.  B.  43:17—18. 

')  Offenbarung  Joh.  20:12 — 13. 


Art.  10.)  Die  Auferstehung  des  Körpers.  483 

letzte  Auferstehung  vorbereitet  sind,  aber  jeder  einzelne, 
der  im  Fleisch  gewohnt  hat,  wird  seinen  Körper  wieder 
erlangen  und  in  ihm  gerichtet  werden. 

37.  In  seiner  Schilderung  der  buchstäblichen  und  all- 
gemeinen Auferstehung  ist  das  Buch  Mormon  klar  und 
bestimmt:  „Nun  gibt  es  einen  Tod,  welcher  ein  zeitlicher 
Tod  genannt  wird;  und  der  Tod  Christi  wird  die  Bande 
dieses  zeitlichen  Todes  lösen,  daß  alle  von  diesem  zeitlichen 
Tode  auferstehen  werden.  Geist  und  Körper  sollen  in  ihrer 
vollkommenen  Form  wieder  vereinigt  werden ;  Glieder  so- 
wohl als  auch  Gelenke  werden  in  gehöriger  Form  wiederher- 
gestellt werden,  ebenso  wie  wir  zu  dieser  Zeit  sind;  und  wir 
werden  dahin  gelangen  mit  demselben  Bewußtsein,  welches 
wir  jetzt  haben,  und  mit  klarer  Erinnerung  aller  unsrer 
Schuld  vor  Gott  zu  stehen.  Diese  Wiederherstellung  wird 
mit  allen  stattfinden,  mit  Alten  und  Jungen,  mit  Leib- 
eigenen und  Freien,  mit  Mann  und  Weib,  mit  dem  Bösen 
und  mit  dem  Rechtschaffenen;  und  nicht  ein  Haar  ihres 
Hauptes  soll  von  ihnen  verloren  gehen,  sondern  alle  Dinge 
werden  in  ihrer  vollkommenen  Form  wiederhergestellt 
werden,  so  wie  es  jetzt  oder  im  Körper  ist,  und  werden  ge- 
bracht und  vor  den  Richterstuhl  Christi,  den  Sohn,  und 
Gott,  den  Vater,  und  den  Heiligen  Geist  gestellt  werden, 
welches  ein  ewiger  Gott  ist,  um  nach  ihren  Werken  gerichtet 
zu  werden,  ob  sie  gut  oder  böse  gewesen  sind.  Sehet,  jetzt 
habe  ich  euch  vom  Tode  des  sterblichen  Körpers  und  auch 
von  seiner  Auferstehung  geredet.  Ich  sage  euch,  daß 
diese  sterblichen  Körper  zu  unsterblichen  Körpern  erhoben 
werden,  das  heißt,  vom  Tode,  selbst  vom  ersten  Tode 
zum  Leben. "1) 

38.  Beachten  wir  auch  die  folgenden,  dem  Buche 
Mormon  entnommenen  Worte:  „Und  durch  die  Erlösung, 


0  Alma  11:42 — 45. 


484  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXI. 

die  durch  Jesum  Christum  zustande  gebracht  wurde,  sind 
die  Menschen  wieder  vor  das  Angesicht  des  Herrn  zurück- 
gebracht; ja,  dadurch  sind  sie  alle  erlöst  worden,  weil  der 
Tod  Christi  die  Auferstehung  bewirkt,  welches  eine 
Erlösung  von  einem  endlosen  Todesschlafe  zuwegebringt, 
aus  welchem  Schlafe  alle  Menschen  durch  die  Macht  Gottes 
erweckt  werden  sollen,  wenn  die  Posaune  erschallen  wird; 
und  dann,  befreit  und  erlöst  von  diesen  ewigen  Todes- 
banden, welches  ein  zeitlicher  Tod  ist,  sollen  sie,  groß 
und  klein,  hervorkommen  und  vor  seinen  Schranken 
stehen.  Nach  diesem  kommt  das  Gericht  des  Heiligen 
über  sie;  und  dann  kommt  die  Zeit,  wann  der,  welcher 
unrein  ist,  hinfort  unrein  bleiben  wird,  wann  der  Recht- 
schaffene hinfort  rechtschaffen,  der  Glückliche  hinfort 
glücklich,  und  der  Unglückliche  hinfort  unglücklich  blei- 
ben wird."^) 

39.  Soweit  hat  das  Wort  der  geoffenbarten  Wahr- 
heit unsere  Erkenntnis  von  der  Bestimmung  der  Kinder 
Gottes  erweitert.  Über  die  Erneuerung  der  Erde  und  das 
jüngste  Gericht  über  die  Gerechten  und  Ungerechten 
hinaus  wissen  wir  wenig  mehr,  als  daß  ein  Plan  des  ewigen 
Fortschritts  vorgesehen  ist. 


Anmerkungen. 


1.  Die  Unwissenheit  der  Heiden  inbezug  auf  eine  Auferstehiuifl.  — 

In  Verbindung  mit  der  Feststellung,  daß  menschliches  Wissen  von  der 
Auferstehung  auf  Offenbarung  zurückzuführen  ist,  dürfte  folgendes  von 
Interesse  sein:  „Was  immer  heidnische  Philosophen  über  die  Unsterblich- 
keit der  menschlichen  Seele  vermutet  haben  mögen,  und  dabei  selbst  zu- 
geben, daß  diese  Tatsache  das  Ergebnis  eigenen  Nachdenkens  darstellt  und 
nicht  im  geringsten  der  Überlieferung  zuzuschreiben  ist,  —  so  ist  doch  soviel 
sicher,  daß  sie  nie  bis  zu  der  Lehre  von  einer  körperlichen  Auferstehung 
durchgedrvmgen  sind.  Plinius  zählt  die  Dinge  auf,  die  zu  tun  nicht  einmal 
in  der  Macht  Gottes  lägen,  und  nennt  dann  diese  zwei  besonders:  Die 
Ausstattung  der  sterblichen  Seele  mit  Unsterblichkeit  und  das  Zurück- 
rufen des  Verstorbenen  aus  dem   Grabe    (II  C,  VII).       Einer  ähnlichen 


1)  Mormon  9:13—14. 


Art.  lO.J  Anmerkungen.  485 

Ansicht  gibtÄschylus  in  den  „Eumeniden"  (Seite  647,  648)  Ausdruck.  Das 
Letzte,  das  sie  diu-ch  ihr  Nachdenken  und  Grübeln  erreichten,  war  eine 
Vorstellung  von  der  möglichen  Fortdauer  des  Lebens  über  das  Grab  hinaus 
in  irgendwelchen  neuen  Formen  und  Verhältnissen.  Dies  war  aber  auch 
alles.  Die  Auferstehung  im  biblischen  Sinne  des  Wortes  haben  sie  sich  nie- 
mals ausgedacht."  —  Gasseis  Biblisches  Wörterbuch,  Seite  936. 

2.  Allgemeiner  Glaube  an  die  Aulersl^hunjj.  — „Dieses  noch  in  der 
Zukimft  liegende  große  Ereignis  ist  —  ähnlich  der  Lehre  von  der  Aufer- 
stehung Christi  —  so  durch  und  durch  eine  Grundwahrheit,  daß  es  nie  eine 
Zeit  gegeben  hat,  in  der  es  nicht  einen  Artikel  des  christlichen  Glaubens- 
bekenntnisses gebildet  hätte.  Der  einzige  Unterschied  z\vischen  den  alten 
Bekenntnissen  und  imsern  eigenen  ist  der,  daß  in  diesen  gesagt  wird:  die 
„Auferstehung  des  liörpers",  während  es  in  jenen  stets  heißt  „Auferstehung 
des  Fleisches".  —  Als  Grund  für  die  alte  Ausdrucksweise  gibt  Jerome  an, 
daß,  da  es  auch  geistige  Körper  gibt,  einige  vielleicht  geneigt  wären, 
eine  Auferstehimg  des  Körpers  anzunehmen,  in  einem  Sinne,  der  die  wirk- 
liche Auferstehung  des  Fleisches  leugnen  würde."  —  Cassels  Biblisches 
Wörterbuch,   Seite  935. 

3.  Die  Sadrtuzäer  werden,  wo  sie  im  Neuen  Testament  erwähnt  sind, 
gewöhnlich  als  Gegner  der  Pharisäer  hingestellt.  Diese  beiden  Klassen 
bildeten  zur  Zeit  Christi  die  einflußreichsten  Sekten  unter  den  Juden.  Sie 
wichen  in  vielen  grundlegenden  Dingen  des  Glaubens  und  Lebens  von  einan- 
der ab,  so  z.  B.  in  der  Präexistenz  der  Geister,  der  Wirklichkeit  geistiger 
Strafe  und  zukünftiger  Vergeltung  für  die  Sünde,  der  Notwendigkeit  der 
Selbstverleugnung  im  persönlichen  Leben,  der  Unsterblichkeit  der  Seele 
und  der  Auferstehung  von  den  Toten.  Dieses  alles  wiu-de  von  den  Phari- 
säern bejaht,  von  den  Sadduzäern  dagegen  verneint.  Josephus  sagt:  „Die 
Lehre  der  Sadduzäer  geht  dahin,  daß  Seele  und  Körper  zusammen  zugrimde 
gehen.  Das  Gesetz  ist  alles,  um  das  sie  sich  bekümmern."  Diese  Sekte  be- 
stand hauptsächlich  aus  aristokratischen  Mitgliedern.  Die  Sadduzäer  sind 
hier  besonders  erwähnt  worden,  wegen  ihres  entschiedenen  Widerspruchs 
gegen  die  Lehre  von  der  Auferstehung,  die  sie  durch  anmaßende  Voraus- 
setzungen zu  bekämpfen  oder  durch  lächerlich  machen  herabzusetzen  ver- 
suchten. —  Cassels  Biblisches  Wörterbuch  enthält  folgendes:  ,,Im  Evange- 
lium Johannes  werden  die  Sadduzäer  nie  erwähnt;  die  einzige  Gelegenheit, 
bei  der  im  Evangelium  Lukas  und  Markus  von  ihnen  gesprochen  wird,  ist  die, 
worauf  sich  auch  Matthäus  bezieht,  als  sie  versuchten,  die  Lehre  von  der 
Auferstehung  lächerUch  zu  machen,  indem  sie  den  Herrn  um  seine  Meinung 
fragten,  welchem  Manne  eine  Frau  in  der  zukünftigen  Welt  angehören 
würde,  die  schon  in  dieser  Welt  verschiedenen  andern  angetraut  gewesen 
sei.  (Matth.  22:23— 32;  Mark.  12:18— 27;  Lukas  20:27— 38.)  Ihre  Frage 
ging  von  der  Annahme  aus,  daß  das  levitische  Gesetz,  wie  es  von  Mose 
eingeführt  wurde  (5.  Mose  25:5 — 6)  darauf  hindeute,  daß  der  jüdische  Ge- 
setzgeber keine  Auferstehung  von  den  Toten  im  Auge  hatte.  Die  Antwort 
imseres  Herrn  und  Meisters  klärte  diese  Frage  auf,  bestätigte  die  Aufer- 
stehung von  den  Toten  und  bejahte  das  Vorhandensein  von  Engeln,  das 
die  Sadduzäer  ebenfalls  verneinten.  (Matth.  22:30;  Markus  12:25;  Lukas 
20:35 — 36.)  Gleichzeitig  führte  er  den  göttlichen  Ausspruch  an:  „Ich  bin 
der  Gott  Abrahams,  der  Gott  Isaaks  und  der  Gott  Jakobs"  (2.  Mose  3:6, 
15,  16),  und  zog  als  Schlußfolgerung  daraus  einen  Beweis,  nicht  nur  für 
die  Unsterblichkeit,    sondern  ebensosehr  auch  für  die  Auferstehung.    Die 


486  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXI. 

angeführten  Worte  müssen  von  unserm  Herrn  und  Meister  dahin  gedeutet 
worden  sein,  daß  die  Patriarchen,  als  Beteiligte  im  Bund,  immer  noch 
in  einem  Zustande  bewußter  Verbindung  mit  Gott  standen. 

4.  Die  Heiden  in  der  ei-sten  Auferstetiung.  —  Die  Feststellung,  daß 
die  verstorbenen  Heiden  an  der  ersten  Auferstehung  teilhaben  sollen,  wird 
durch  die  Heilige  Sclirift  und  durch  etwas  Nachdenken  über  den  Grundsatz 
wirklicher  Gerechtiglieit,  wonach  die  Menschen  gerichtet  werden  sollen, 
unterstützt.  Der  Mensch  wird  für  unschuldig  oder  schuldig  genommen  je 
nach  seinen  Taten,  wie  sie  im  Lichte  des  Gesetzes,  imter  welchem  er  zu 
leben  hatte,  sich  darstellen.  Es  ist  mit  unserer  Vorstellung  von  einem  ge- 
rechten Gott  unvereinbar,  zu  glauben,  daß  er  imstande  sein  könnte,  irgend 
einen  Menschen  zu  verdammen  wegen  der  Nichterfüllung  eines  Gesetzes, 
von  dem  er  keine  Kenntnis  hatte.  Trotzdem  werden  die  Gesetze  der  Kirche 
selbst  im  Falle  derer,  die  in  Finsternis  und  Unwissenheit  gesündigt  haben, 
nicht  ausgeschaltet,  doch  ist  es  vernünftig  zu  glauben,  daß  der  Plan  der 
Erlösung  solchen  niedrigen  Seelen  eine  Gelegenheit  bieten  werde,  die  Ge- 
setze Gottes  kennen  zu  lernen.  Sicherlich  wird  dann,  in  dem  Maße,  in  dem 
sie  diese  Gesetze  kennen  lernen,  Gehorsam  von  ihnen  verlangt  werden, 
wenn  sie  nicht  bestraft  werden  wollen.  Achten  wir  besonders  auf  die  fol- 
genden Stellen,  welche  im  Ansciüuß  an  den  Text  der  Vorlesung  gegeben 
werden:  „Wenn  kein  Gesetz  gegen  die  Sünden  der  Menschen  wäre,  was 
könnte  die  Gerechtigkeit  oder  die  Barmherzigkeit  tun,  da  sie  keinen  An- 
spruch auf  die  Kreatur  haben  würde?"  (Alma  42:21). 

„Daher  hat  er  ein  Gesetz  gegeben,  aber  wo  kein  Gesetz  gegeben  worden 
ist,  da  ist  auch  keine  Strafe;  und  wo  keine  Strafe  ist,  da  ist  auh  keine  Ver- 
dammung ;  und  wenn  keine  Verdammung  ist,  dann  hat  die  Barmherzigkeit 
des  Heiligen  von  Israel  wegen  der  Versöhnimg  auf  sie  Anspruch.  Und  sie 
werden  durch  seine  Macht  befreit"   (2.  Nephi  9:25). 

„Und  überdem  sage  ich  euch,  daß  die  Zeit  kommen  wird,  wo  die  Er- 
kenntnis eines  Heilands  durch  alle  Nationen,  Völker,  Geschlechter  und 
Sprachen  verbreitet  sein  wird.  Sehet  nun,  wann  jene  Zeit  kommt,  dann 
wird  niemand,  ausgenommen  kleine  Kinder,  oime  Tadel  vor  Gott  befunden 
werden,  imd  das  nur  durch  Reue  und  Glauben  an  den  Namen  Gottes,  des 
allmächtigen  Herrn."  —  (Mosiah  3:20  und  21;  siehe  auch  Helaman  15: 
14—15.) 

5.  Der  Zwischenzostand  der  Seele.  —  Das  Paradies.  —  Der  Zustand 
der  Geister  der  Menschen  zwischen  dem  Tod  und  der  Auferstehung  ist  ein 
Gegenstand  von  großem  Interesse,  über  den  viel  gesprochen  und  geschrieben 
worden  ist.  Die  heiligen  Schriften  beweisen,  daß  der  Mensch  zur  Zeit 
seines  letzten  Gerichts  vor  den  Schranken  Gottes  stehen  wird,  angetan  mit 
einem  auferstandenen  Körper,  und  zwar  oime  Rücksicht  auf  seinen  Zustand 
der  Reinheit  oder  der  Schuld.  Wälu-enddem  die  entkörperten  Geister  auf 
die  Zeit  ihres  Hervorkommens  warten,  befinden  sie  sich  in  einem  Zwischen- 
stand der  Glückseligkeit,  der  Ruhe,  oder  auch  des  Leidens  und  der  peini- 
genden Ungewißheit,  je  nach  den  Werken  ihrer  Sterblichkeit.  Der 
Prophet  Alma  sagt:  „Was  nun  den  Zustand  der  Seele  zwischen  dem  Tode 
und  der  Auferstehung  anbelangt,  siehe  ein  Engel  hat  es  mir  kundgetan,  daß 
die  Geister  aller  Menschen,  sobald  sie  diesen  sterblichen  Körper  verlassen 
haben,  ja,  die  Geister  aller  Menschen,  seien  sie  gut  oder  böse,  zu  dem  Gott, 
der  ilinen  das  Leben  gegeben  hat,  heimgeführt  werden.  Dann  wird  es  ge- 
schehen, daß  die  Geister  der  Rechtschaffenen  in  einen  Ort  der  Glücksehg- 


Art.  10.]  Anmerkungen.  487 

keit  aufgenommen  werden,  welcher  Paradies  genannt  wird,  in  einen  Ort 
der  Ruhe  und  des  Friedens,  wo  sie  von  ihren  Beschwerden  und  allen  ihren 
Leiden  und  Sorgen  ausruhen  werden.  Dann  werden  die  Geister  der  Bösen, 
welche  schlecht  sind,  in  die  äußerste  Finsternis  hinausgeworfen  werden 
—  denn  diese  haben  keinen  Teil  vom  Geist  des  Herrn,  weil  sie  lieber 
böse  als  gute  Werke  wählten;  dalier  ist  der  Geist  des  Teufels  bei  ihnen  ein- 
gedrungen und  hat  von  ihrem  Hause  Besitz  genommen  —  da  wird  Weinen, 
Wehklagen  und  Zähneknirschen  sein;  und  dies  ihrer  eigenen  Bosheit  halber, 
da  sie  nach  dem  Willen  des  Teufels  gefangen  gehalten  werden.  Dies  ist 
nun  der  Zustand  der  Geister  der  Bösen,  ja,  ein  Zustand  der  Finsternis  in 
schrecklicher,  fürchterlicher  Erwartung  des  Feuereifers  des  göttlichen 
Zornes  über  sie.  Und  so  verbleiben  sie  in  diesem  Zustand  bis  zum  Tag  ihrer 
Auferstehung,  sowie  auch  anderseits  die  Rechtschaffenen  bis  dahin  das 
Paradies  bewohnen  werden"  (Alma  40:11 — 14). 

Hinweise  auf  das  Paradies  als  einen  Ort,  wo  die  gerechten  Geister  der 
Auferstehung  harren,  finden  sich  auch  in  2.  Nephi  9:13,  auch  bei  einem 
spätem  Propheten  gleichen  Namens  (4.  Nephi  14)  und  in  Moroni  10:34. 
Erwähnungen  im  Neuen  Testament  bezeugen  dasselbe  (Lukas  23:43; 
2.  Korinther  12:4;  Offenbarung  2:7).  Das  Paradies  ist  also  nicht  der  Ort 
der  letzten  Herrlichkeit;  für  diese  war  der  Schacher,  der  mit  Christus 
starb,  gewiß  nicht  vorbereitet,  doch  können  wir  anderseits  nicht  an  der  Er- 
füllung der  Verheißung  unseres  Herrn  und  Meisters  zweifeln,  daß  der  reuige 
Verbrecher  an  jenem  Tage  mit  ihm  im  Paradiese  sein  sollte  und  außerdem 
beweist  die  Äußerung  des  auferstandenen  Heilandes  der  Maria  Magdalena 
gegenüber,  —  drei  Tage  später  —  daß  er  bis  zu  dieser  Zeit  noch  nicht  auf- 
gefahren war  „zu  seinem  Vater  und  euerm  Vater",  daß  er  vielmehr  die 
Zwischenzeit  im  Paradies  verbJ-acht  hatte. 

Das  Wort  Paradies  bedeutet  durch  seine  Ableitung  (über  das  Grie- 
chische aus  dem  Persischen)  soviel  wie  einen  Lustplatz. 


488  Die-  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXII. 


Vorlesung  XXII. 


Religiöse  Freiheit  und  Duldsamkeit. 

Artikel  11.  —  Wir  erheben  Anspruch  auf  das  Recht,  den  Allmäch- 
tigen Gott  zu  verehren  nach  den  Eingebungen  unseres  Gewissens  und  ge- 
statten allen  Menschen  dasselbe  Recht,  mögen  sie  verehren  wie,  wo  oder 
was  sie  wollen. 

1.  Das  Recht  des  Mensehen  auf  Freiheit  in  der  Ver- 
ehrung. —  Die  Heiligen  der  letzten  Tage  verkünden  ihr 
vorbehaltloses  Einstehen  für  die  Grundsätze  der  religiösen 
Freiheit  und  Duldsamkeit.  Die  Freiheit,  Gott  zu  verehren 
nach  den  Eingebungen  des  Gewissens,  beanspruchen  sie 
als  ein  angeborenes,  unveräußerliches  Recht  der  Mensch- 
heit. Die  inspirierten  Urheber  der  Verfassungsurkunde 
unserer  (der  amerikanischen)  nationalen  Unabhängigkeit 
erklären  es  als  selbstverständliche  Wahrheit,  daß  das  all- 
gemeine Geburtsrecht  der  Menschheit  jedem  Menschen 
das  Recht  auf  Leben,  Freiheit  und  Streben  nach  Glück 
gibt.  Glück  ist  aber  etwas  fremdes,  Freiheit  ein  leeres 
Wort,  und  das  Leben  nur  eine  Enttäuschung  für  den,  dem 
das  Recht  auf  Freiheit  in  der  Anbetung  verweigert  wird. 
Niemand,  der  für  die  Gottheit  ein  Gefühl  der  Ehrfurcht 
empfindet,  und  der  ein  Gefühl  für  die  Pflicht  gegenüber 
dieser  göttlichen  Macht  hat,  kann  glücklich  sein,  wenn 
er  in  der  Ausübung  der  höchsten  Pflichten  seines  Daseins 
eingeschränkt  wird.  Könnte  ein  Mensch,  selbst  wenn  er 
in  einem  Palaste  wohnte,  umgeben  von  allen  Bequem- 
lichkeiten des  Lebens  und  jedweder  Erleichterung  für 
geistige  Genüsse,  glücklich  sein,  wenn  er  von  der  Ver- 
bindung mit  dem  Wesen,  das  er  am  meisten  liebt,  abge- 


Art.  11.]  Religiöse  Freiheit  und  Duldsamkeit.  489 

schnitten  wäre?  Wer  seinen  göttlichen  Vater  kennen  ge- 
lernt hat,  dem  ist  Freiheit  in  der  Verehrung  teurer  als  das 
Leben  selbst. 

2.  Was  ist  Verehrung?  (Englisch  „Worship").  Die 
Ableitung  dieses  Ausdruckes  legt  uns  die  Antwort  in  den 
Mund.  Das  Wort  kommt  als  buchstäblicher  Abkömmling 
eines  angelsächsischen  Wortpaares  zu  uns,  Weorth 
(würdig)  und  scipe,  die  alte  Form  von  ship,  =  Stand,  oder 
Zustand  und  drückt  den  Gedanken  eines  „würdigen 
Standes"  aus.  —  Die  Verehrung,  deren  einer  fähig  ist, 
hängt  ab  von  seinem  Begriff  von  der  Würdigkeit  des  Ge- 
genstandes seiner  Verehrung.  Eines  Menschen  Fähigkeit, 
zu  verehren,  ist  ein  Maßstab  für  seinen  Begriff  von  der 
Gottheit.  Je  völliger  die  Bekanntschaft,  desto  inniger  die 
Verbindung  zwischen  dem  Verehrer  und  seiner  Gottheit, 
desto  vollkommener  und  aufrichtiger  auch  seine  Ehrer- 
bietung. Wenn  wir  von  einem  Menschen  sagen  —  bildhch 
gesprochen  —  er  sei  ein  Verehrer  des  Wahren,  Guten  und 
Schönen,  so  bezeugen  wir  damit,  daß  er  einen  tiefern  und 
vollständigem  Begriff  von  dem  Wert  des  Gegenstandes 
seiner  Bewunderung  besitzt,  als  ein  andrer,  den  sein  Ge- 
wissen nicht  dazu  führt,  diese  veredelnden  Eigenschaften 
zu  verehren. 

3.  Der  Mensch  wird  also  Gott  verehren  nach  seinen 
Vorstellungen  von  den  göttlichen  Eigenschaften  und  Kräf- 
ten. Diese  Vorstellungen  nähern  sich  den  richtigen  ent- 
sprechend dem  geistigen  Licht,  das  er  empfangen  hat. 
Wahre  Verehrung  ist  da  unmöglich,  wo  keine  Liebe  oder 
Ehrfurcht  für  die  betreffende  Person  oder  Sache  vorhanden 
ist.  Diese  Verehrung  mag  auf  einer  falschen  Grundlage 
beruhen,  die  Anbetung  eine  Art  Götzendienst  und  der  Ge- 
genstand der  Verehrung  in  Wirklichkeit  unwürdig  sein, 
von  dem  Andächtigen  selbst  muß  jedoch  gesagt  werden, 
daß  er  verehrt,  wenn  ihm  das  Gewissen  sein  Idol  mit  den 


490  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXII. 

Eigenschaften  der  Verehrung  ausstattet.  Wir  haben  von 
„wahrer  Verehrung"  gesprochen.  Dieser  Ausdruck  ist 
eigentlich  ein  Pleonasmus.  Verehrung  ist,  wie  schon  be- 
tont wurde,  die  tiefempfundene  Bewunderung,  die  als 
Folge  einer  aufrichtigen  Vorstellung  von  der  Würdigkeit 
des  verehrten  Gegenstandes  dargebracht  wird.  Irgend 
eine  Kundgebung  der  Verehrung,  die  einem  niedrigeren 
Grund  als  diesem  entspricht,  ist  nur  ein  Zerrbild  der  Ver- 
ehrung. Man  nenne  das  meinetwegen  , »falsche  Verehrung", 
aber  man  vergesse  nicht,  daß  Verehrung  naturnotwendig 
wahr  ist.  Der  Ausdruck  erfordert  kein  Eigenschaftswort, 
um  seine  Bedeutung  zu  erweitern  oder  seine  Echtheit  zu 
bezeugen.  Verehrung  ist  keine  Formsache,  ebensowenig  wie 
das  Gebet.  Sie  besteht  weder  in  Haltung  noch  in  Gebärde, 
weder  in  Zeremonien  noch  in  äußerlichen  Glaubensbe- 
kenntnissen. Die  tiefste  Verehrung  kann  ohne  irgendeine 
der  künstlichen  Beigaben  des  zeremoniellen  Kirchendienstes 
dargebracht  werden :  der  Stein  in  der  Wüste  wird  dann  zum 
Altar,  die  Gipfel  der  ewigen  Berge  zu  Tempelzinnen,  das 
weite  Himmelsgewölbe  zum  erhabensten  Dom. 

4.  Der  Mensch  ist  in  seinem  Herzen  ein  niedrigeres 
Muster  dessen,  was  er  verehrt.  Der  Wilde,  der  keinen 
größern  Triumph  kennt,  als  den  blutigen  Sieg  über  den 
Feind,  der  Gewalttätigkeit  und  körperliche  Kraft  als  die 
wünschenswertesten  Eigenschaften  seiner  Rasse  betrachtet, 
und  der  Vergeltung  und  Rache  für  die  süßesten  Genüsse 
des  Lebens  hält,  wird  sicherlich  auch  seiner  Gottheit  solche 
Eigenschaften  zuschreiben  und  seine  tiefste  Verehrung 
durch  Opfern  von  Blut  darbringen.  Alle  die  empörenden 
Unsitten  des  heidnischen  Götzendienstes  lassen  sich  auf 
verkehrte  und  teuflische  Begriffe  von  der  menschlichen 
Größe  zurückführen.  Diese  falschen  Vorstellungen  spie- 
geln sich  wieder  in  den  selbstverfertigten,  scheußlichen, 
teuflisch  anmutenden  Götzen.   Auf  der  andern  Seite  wird 


Art.  11.1  Religiöse  Freiheit  und  Duldsamkeit.  491 

der  Mensch,  dessen  erleuchtete  Seele  den  Einfluß  der  reinen 
unbefleckten  Liebe  empfangen  hat,  seinem  Gott  die  Eigen- 
schaften der  Milde,  Güte  und  Zuneigung  beilegen  und  in 
seinem  Herzen  sagen:  ,,Gott  ist  Liebe".  Nur  der,  der  ein 
richtiges  Verständnis  für  die  Herrlichkeit  und  Verantwort- 
lichkeit der  Elternschaft  erworben  hat,  kann  mit  Einsicht 
die  Anrede  des  Sohnes  im  Gebet  nachsprechen:  ,, Unser 
Vater".  Erkenntnis  ist  deshalb  zur  Verehrung  notwendig. 
In  Unwissenheit  kann  der  Mensch  Gott  nicht  richtig  dienen. 
Je  größer  seine  Erkenntnis  von  der  göttlichen  Persönlich- 
keit ist,  desto  völliger  und  wahrer  wird  auch  seine  Ver- 
ehrung sein.  Er  vermag  den  Vater  und  den,  welchen  er 
gesandt  hat,  Jesum  Christum,  zu  erkennen  und  diese  Er- 
kenntnis ist  dem  Menschen  Bürgschaft  für  das  ewige  Leben. 
5.  Verehrung  ist  freiwillige  Huldigung  der  Seele.  Ein 
Mensch  mag  unter  äußerm  Zwang  oder  aus  Heuchelei  in 
unaufrichtiger  Weise  alle  äußerlichen  Zeremonien  einer 
feststehenden  Form  der  Verehrung  mitmachen,  er  mag 
die  Worte  vorgeschriebener  Gebete  sprechen,  seine  Lippen 
mögen  ein  Glaubensbekenntnis  hersagen  und  doch  sind 
seine  Bemühungen  unter  diesen  Umständen  nur  eine  Ver- 
höhnung der  Verehrung,  und  ihr  zu  fröhnen  ist  Sünde. 
Unser  Vater  wünscht  weder  widerwillige  Huldigung  noch 
erzwungenes  Lob.  Die  äußere  Form  der  Verehrung  ist 
dem  Herrn  nur  angenehm,  wenn  sie  von  einer  einsichts- 
vollen Ergebenheit  erfüllt  ist,  und  sie  ist  nur  von  Nutzen 
als  Hilfe  für  die  geistige  Hingebung,  welche  zur  Gemein- 
schaft mit  der  Gottheit  führt.  Das  gesprochene  Gebet  ist 
nur  leerer  Schall,  wenn  es  weniger  ist  als  das  Inhaltsver- 
zeichnis zu  dem  Buch  der  aufrichtigen  Wünsche  der  Seele. 
Mitteilungen  an  den  Gnadenthron  müssen  den  Stempel 
der  Aufrichtigkeit  tragen,  wenn  sie  ihren  hohen  Bestim- 
mungsort erreichen  sollen,  — Die  am  meisten  zu  wünschende 
Form  der  Verehrung  ist  die,  die  auf  dem  rückhaltlosen  Ge- 


492  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXII. 

horsam  gegenüber  den  Gesetzen  Gottes,  so  wie  der  Ver- 
ehrende ihren  Zweck  erkannt  hat,  beruht. 

6.  Religiöse  Unduldsamkeit.  Die  Kirche  hält  dafür, 
daß  das  Recht,  nach  den  Eingebungen  des  Gewissens  zu 
verehren,  dem  Menschen  von  einer  Autorität  übertragen 
wurde,  die  höher  ist  als  irgend  eine  auf  Erden,  und  daß 
deshalb  keine  irdische  Macht  berechtigt  ist,  der  Ausübung 
dieses  Rechts  entgegenzutreten.  Die  Heiligen  der  letzten 
Tage  erkennen  die  verfassungsmäßigen  Vorkehrungen, 
durch  welche  die  religiöse  Freiheit  innerhalb  unseres  eige- 
nen (des  amerikanischen)  Volkes  öffentlich  geschützt  wird, 
und  wonach  ,, niemals  ein  Gesetz  erlassen  werden  darf  in- 
bezug  auf  die  Gründung  einer  Religion  oder  die  freie  Aus- 
übung derselben",^)  als  inspiriert  an.  Sie  glauben  ferner 
vertrauensvoll,  daß  mit  der  zunehmenden  Aufklärung  in 
der  Welt  eine  ähnliche  Bürgschaft  für  jedes  Volk  erreicht 
werden  wird. 

Unduldsamkeit  ist  für  jeden  wahren  Fortschritt  in 
jedem  Zeitalter  das  größte  Hindernis  gewesen.  Unter  dem 
schwarzen  Mantel  eines  verkehrten,  mißleiteten  Eifers  für 
die  Religion  haben  christliche  Völker  —  prahlend  mit  ihrer 
Zivilisation  —  und  angebliche  Diener  des  Evangeliums 
die  Blätter  der  Weltgeschichte  mit  Berichten  von  ruchlosen 
Taten  der  Verfolgung  befleckt,  die  den  Himmel  weinen 
machen  könnten.  In  dieser  Hinsicht  sollte  die  sogenannte 
Christenheit  ihr  Haupt  in  Scham  und  Schande  selbst 
vor  der  Duldsamkeit  der  heidnischen  Völker  verbergen. 
Rom,  obschon  anmaßend  und  übermütig  und  als  die  Herrin 
der  Welt  sich  ausgebend,  verbürgte  den  besiegten  Na- 
tionen das  Recht  der  freien  Verehrung,  und  verlangte  von 
ihnen  nur,  daß  sie  sich  in  der  Ausübung  dieser  Freiheit 
der  Belästigung  anderer  oder  unter  sich  enthalten  sollten. 


')  Verfassung  der  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika,  I.  Amen- 
dement. 


Art.  11.]  Religiöse  Freiheit  und  Duldsamkeit.  493 

7.  Als  jedoch  das  Evangelium  Jesu  Christi  auf  die 
Erde  gegeben  worden  war,  fingen  seine  ergebenen  Anhän- 
ger sogleich  —  und  später  seine  mehr  anmaßenden  doch 
weniger  aufrichtigen  Verfechter  —  an,  sich  als  so 
heilig  und  vortrefflich  zu  betrachten,  daß  alle,  die 
einen  andern  Glauben  und  ein  andres  Bekenntnis  als 
sie  hatten,  der  Beachtung  völlig  unwürdig  gehalten  wurden. 
Ja,  selbst  lange  vor  der  Ankunft  des  Lehrers  der  Liebe, 
wähnte  sich  Israel  im  Bewußtsein  des  göttlich  begünstigten 
Bundes,  unter  dem  sie  blühten  und  gediehen,  so  sicher  auf 
hoher  Stufe  stehend,  daß  alle,  die  nicht  zum  auserwählten 
Samen  gehörten,  als  unwürdig  betrachtet  wurden.  In  seiner 
Amtstätigkeit  unter  den  Juden  sah  Christus  mit  mitlei- 
dender Betrübnis  die  geistigen  und  intellektuellen  Ketten 
der  damaligen  Zeit  und  verkündigte  das  erlösende  Wort : 
„Die  Wahrheit  wird  euch  frei  machen  I"^)  Hierüber  er- 
zürnten sich  diese  selbstgerechten  Kinder  des  Bundes  und 
erklärten  prahlend:  ,,Wir  sind  Abrahams  Samen,  sind  nie- 
mals jemandes  Knechte  gewesen;  wie  sprichst  du  denn: 
Ihr  sollt  frei  werden  ?"  Darauf  tadelte  sie  der  Herr  ihrer 
Scheinheiligkeit  wegen  und  sagte:  „Ich  weiß  wohl,  daß 
ihr  Abrahams  Kinder  seid,  aber  ihr  sucht  mich  zu  töten, 
denn  meine  Rede  fängt  nicht  bei  euch. "2) 

8.  Man  braucht  sich  eigentlich  nicht  sehr  zu  wundern 
über  die  Tatsache,  daß  die  ersten  Christen  in  ihrem  Eifer 
für  den  neuen  Glauben,  auf  den  sie  getauft,  und  nachdem 
sie  eben  erst  von  abgöttischen  Sitten  und  heidnischem 
Aberglauben  bekehrt  worden  waren,  sich  über  die  übrige 
Menschheit,  die  noch  im  Dunkeln  saß,  erhaben  wähnten. 
Selbst  Johannes,  heute  als  der  Apostel  der  Liebe  bekannt, 
vom  Heiland  jedoch  zusammen  mit  seinem  Bruder  Jakobus 


i)  Johannes  8:32. 

')  Johannes  8 :  32 — 45 ;  siehe  auch  Matthäus  3 : 9. 


494  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXII. 

mit  dem  Beinamen  Bnehargem,  das  heißt  Donnerskinder,i) 
belegt,  war  unduldsam  und  empfindlieh  gegenüber  denen, 
die  nicht  den  gleichen  Weg  gingen  wie  er.  Mehr  als  einmal 
mußte  er  von  seinem  Herrn  und  Meister  zurecht  gewiesen 
werden.  Beachten  wir  z.B.  den  folgenden  Vorfall:  „Jo- 
hannes aber  antwortete  ihm  und  sprach:  Meister,  wir 
sahen  einen,  der  trieb  Teufel  in  deinem  Namen  aus,  welcher 
uns  nicht  nachfolget;  und  wir  verbotens  ihm,  darum  daß 
er  uns  nicht  nachfolgt.  Jesus  aber  sprach:  Ihr  sollts  ihm 
nicht  verbieten.  Denn  es  ist  niemand,  der  eine  Tat  tue 
in  meinem  Namen  und  möge  bald  übel  von  mir  reden. 
Wer  nicht  wider  uns  ist,  der  ist  für  uns.  Wer  aber  euch 
tränkt  mit  einem  Becher  Wassers  in  meinem  Namen, 
darum  daß  ihr  Christo  angehört,  wahrlich,  ich  sage  euch: 
Es  wird  ihm  nicht  unvergolten  bleiben. "2)  —  Und  noch- 
mals, während  die  Apostel  Jakobus  und  Johannes  mit  dem 
Herrn  durch  Samaria  reisten,  entrüsteten  sie  sich  über  die 
Gleichgültigkeit,  welche  die  Samariter  ihrem  Meister  ge- 
genüber an  den  Tag  legten.  Sie  baten  um  die  Erlaubnis, 
Feuer  vom  Himmel  fallen  lassen  zu  dürfen,  welches  die 
Ungläubigen  verzehren  sollte.  Ihr  rachsüchtiger  Wunsch 
wurde  jedoch  vom  Herrn  sofort  getadelt  mit  den  Worten: 
„Wisset  ihr  nicht,  welches  Geistes  Kinder  ihr  seid  ?  Des 
Menschen  Sohn  ist  nicht  gekommen,  der  Menschen  Seelen 
zu  verderben,  sondern  zu  erhalten."^) 

9.  Unduldsamkeit  ist  schriftwidrig.  Die  Lehren  unseres 
Herrn  und  Meisters  atmen  den  Geist  der  Nachsicht  und  Liebe 
selbst  seinen  Feinden  gegenüber.  Auch  wenn  er  sie  nicht  gut- 
heißen konnte,  so  duldete  er  doch  die  Gebräuche  der  Heiden 
bei  ihrem  Götzendienst,  die  Samariter  mit  ihrem  Gemisch 
von  jüdischen  und  heidnischen  Sitten  und  Gebräuchen, 

»)  Markus  3:17. 

')  Markus  9:38 — 41 ;  siehe  auch  Lukas  9:49 — 50  und  vergleiche  damit 
4.  Mose  11:27—29. 

')  Lukas  9:51 — 56;  siehe  auch  Johannes  3:17  und  12:47. 


Art.  11.]  Religiöse  Freiheit  und  Duldsamkeit.  495 

die  üppigen  Sadduzäer  und  die  gesetzesgebundenen  Pha- 
risäer. Haß  wurde  nicht  begünstigt,  selbst  gegenüber 
seinen  Feinden  nicht.  Seine  Belehrungen  lauten:  „Liebet 
eure  Feinde;  segnet,  die  euch  fluchen;  tut  wohl  denen,  die 
euch  hassen;  bittet  für  die,  so  euch  beleidigen  und  ver- 
folgen; auf  daß  ihr  Kinder  seid  eures  Vaters  im  Himmel; 
denn  er  läßt  seine  Sonne  aufgehen  über  die  Bösen  und  über 
die  Guten  und  läßtregnen  über  Gerechte  und  Ungerechte. "i) 
—  Den  Zwölfen  wurde  geboten,  jedes  Haus,  worin  sie  um 
Obdach  baten,  mit  ihren  Segnungen  zu  bedenken.  Gewiß, 
wenn  das  Volk  sie  und  ihre  Botschaft  verwarf,  mußte  die 
Vergeltung  dafür  folgen,  aber  diese  Heimsuchung  infolge 
des  Fluches  wurde  als  ein  göttliches  Vorrecht  für  den  Tag 
des  Gerichts  aufbehalten.  In  seinem  Gleichnis  von  dem 
Unkraut  unter  dem  Weizen  lehrte  Christus  dieselbe 
Nachsicht.  Die  voreiligen  Diener  wollten  das  Unkraut 
unverzüglich  ausrotten,  es  wurde  ihnen  jedoch  verboten, 
damit  sie  nicht  auch  den  Weizen  ausrissen,  und  sie  wur- 
den auf  die  Ernte  vertröstet,  zu  welcher  Zeit  eine  Tren- 
nung vorgenommen  werden  würde. 2) 

10.  Trotz  dem  vorherrschenden  Geiste  der  Liebe  und 
der  Duldsamkeit,  der  die  Lehren  des  Heilandes  und  seiner 
Apostel  durchdringt,  sind  Versuche  gemacht  worden,  aus 
den  heiligen  Schriften  Rechtfertigungen  der  Unduldsam- 
keit und  Verfolgung  herzuleiten.^)  Den  scharfen  Worten, 
die  Paulus  an  die  Galater  richtet,  ist  eine  Bedeutung  bei- 
gelegt worden,  die  dem  Geist,  durch  den  jene  hervorge- 
rufen wurden,  völlig  fremd  ist.  Paulus  warnt  einfach  die 
Heiligen  vor  falschen  Lehrern  und  sagt:  „Wie  wir  jetzt 
gesagt  haben,  so  sagen  wir  auch  abermals:  So  jemand 
euch  Evangelium  anders  prediget,  denn  das  ihr  empfangen 


')  Matthäus  5:44 — 45. 
»)  Matthäus  13:24—30. 
•)  Siehe  Anmerkung  1. 


496  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXII. 

habt,  der  sei  verflucht."^)  —  Mit  einer  solchen  Äußerung 
suchen  sich  selbsternannte  Diener  Christi,  die,  wenn  man 
die  ganze  Wahrheit  betrachten  wollte,  vielleicht  selbst 
Lehren  predigen,  die  den  Vorschriften  des  Apostels  zuwider- 
laufen, zu  rechtfertigen;  dabei  vergessen  sie  aber,  daß 
„Rache  und  Vergeltung  des  Herrn  sind. "2) 

11.  Die  Absicht,  von  der  sich  Johannes  leiten  ließ, 
als  er  der  auserwählten  Frau  einen  Rat  erteilte,  ist  eben- 
falls entstellt  worden,  und  seine  Belehrungen  zu  einem 
Schlupfwinkel  für  Verfolger  und  Scheinheilige  gemacht 
worden.  Der  Apostel  warnt  sie  vor  den  Dienern  des  Anti- 
christen, die  eifrig  ihre  Ketzereien  ausstreuten,  und 
schreibt  dann:  ,,So  jemand  zu  euch  kommt  und  bringt 
diese  Lehre  nicht,  den  nehmet  nicht  ins  Haus,  und  grüßet 
ihn  auch  nicht.  Denn  wer  ihn  grüßt,  der  macht  sich  teil- 
haftig seiner  bösen  Werke. "3)  —  Keine  gerechte  Auslegung 
kann  diese  Worte  so  darstellen,  als  ob  damit  Unduldsam- 
keit, Verfolgung  und  Haß  gutgeheißen  würden. 

12.  Die  wahre  Meinung  des  Apostels  ist  mit  Klarheit 
und  Deutlichkeit  von  einem  berühmten  Schriftsteller  un- 
serer Tage  auseinandergesetzt  worden,  der  „die  engherzige 
Unduldsamkeit  eines  unwissenden  Dogmatismus"  beklagt 
und  dann  sagt:  ,, Der  Apostel  der  Liebe  hätte  das  Beste 
seiner  eigenen  Lehre  Lügen  strafen  müssen,  hätte  er  be- 
wußterweise eine  grimmige  Unduldsamkeit  freisprechen, 
ja  sogar  anspornen  wollen.  ***  Doch  unterstützt  dieser 
zufällige  Ausspruch  in  dem  kurzen  Briefe  des  Johannes 
diese  groben  Verdrehungen  durchaus  nicht.  Was  Johan- 
nes wirklich  meint  und  wirklich  sagt,  ist  etwas  ganz  anderes. 
Falsche  Lehrer  trieben  ihr  Unwesen,  die  unter  dem  Vorwand, 
sie  seien  Christen,  dem  Wesen  Christi  alles  raubten,  was 


1)  Galater  1:9;  auch  Vers  8. 

»)  5.  Mose  32:35;  Psalm  94:1;  Römer  12:19;  Hebräer  10:30. 

')  2.  Johannes  10—11. 


Art.  11.]  Religiöse  Freiheit  und  Duldsamkeit.  497 

ihm  seine  Wirksamkeit  zur  Erlösung  und  seine  Bedeutung 
hinsichtlich  der  Fleischwerdung  gab.  Diese  falschen  Lehrer 
reisten  wie  andere  christliche  Missionare  von  Stadt  zu 
Stadt  und  bei  dem  Fehlen  von  öffentlichen  Herbergen 
wurden  sie  in  die  Häuser  der  zum  Christentum  bekehrten 
aufgenommen.  Die  gläubige  Frau,  an  die  Johannes  schreibt, 
wird  gewarnt,  daß,  wenn  sie  ihre  Gastfreundschaft  diesen 
gefährlichen  Sendboten  anbietet,  welche  die  Hauptwahr- 
heit des  Christentums  zerstörten,  sie  damit  eine  öffentliche 
Unterstützung  derselben  zum  Ausdruck  bringt,  und  daß 
sie,  indem  sie  dies  tut,  und  ihnen  ihre  besten  Wünsche 
darbietet,  einen  unmittelbaren  Anteil  hat  an  dem  Unheil, 
das  jene  anrichten.  Das  ist  gesunder  Menschenverstand. 
Von  Lieblosigkeit  ist  nicht  das  geringste  dabei.  Niemand 
ist  verpflichtet,  die  Verbreitung  von  Lehren,  die  er  als 
irrtümlich  inbezug  auf  den  wichtigsten  Punkt  seines  eigenen 
Glaubens  betrachtet,  zu  fördern.  Noch  viel  weniger  wäre 
das  recht  gewesen  in  einer  Zeit,  in  der  die  christlichen 
Gemeinden  so  schwach  und  so  klein  waren.  Aber  dies  so 
auszulegen,  wie  es  zu  allen  Zeiten  mehr  oder  weniger  aus- 
gelegt worden  ist  —  es  in  eine  Art  Befehl  zu  verkehren, 
die  kleinen  Unterschiede  in  religiösen  Meinungen  aufzu- 
bauschen und  die  zu  verfolgen,  deren  Ansichten  von  den 
unsrigen  abweichen  —  also  unsere  Meinung  zu  dem  ent- 
scheidenden Prüfstein  der  Ketzerei  zu  machen  und  mit 
Cornelius  -a-  Lapide  zu  sagen:  ,, dieser  Vers  verdammt 
alle  Unterhaltungen,  allen  Verkehr  und  allen  Umgang  mit 
Ketzern"  —  das  heißt  die  Schrift  im  Lichte  der  Parteilich- 
keit und  geistigen  Selbstgerechtigkeit  auslegen,  anstatt 
sie  im  Lichte  heiliger  Liebe  zu  lesen. "^) 

13.  Duldsamkeit  heißt  nicht  Billigung.    Die  mensch- 
liche  Schwachheit,  in    Gedanken   und   Taten   von   einer 


1)  Canon  Farrar  „Die  ersten  Tage  der  Christenheit"  S.  587,  588. 

32 


498  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXII. 

Übertreibung  in  die  andere  zu  fallen,  findet  nirgends 
schlagendere  Beispiele,  als  sie  der  Umgang  des  Menschen 
mit  seinem  Nebenmenschen  in  Sachen  der  Religion  dar- 
bietet. Auf  der  einen  Seite  ist  er  schnell  geneigt,  den 
Glauben  der  andern  nicht  nur  als  geringer  als  seinen  eige- 
nen, sondern  auch  als  seiner  Achtung  durchaus  unwürdig 
zu  betrachten.  Auf  der  andern  Seite  geht  er  soweit,  zu 
glauben,  daß  alle  Sekten  in  ihren  Behauptungen  und  Leh- 
ren gleichermaßen  gerechtfertigt  sind,  und  daß  es  deshalb 
in  Religionssachen  keine  bestimmte  Ordnung  gäbe.  Für 
den  Heiligen  der  letzten  Tage  ist  es  in  keiner  Weise  unver- 
einbar, kühn  seine  Überzeugung  zu  verkünden,  daß  seine 
eigene  Kirche,  die  vom  Herrn  angenommene,  die  einzige, 
zur  Bezeichnung  ,,die  Kirche  Jesu  Christi"  berechtigte 
und  die  alleinige  Inhaberin  des  ewigen  Priestertums  in 
diesem  Zeitalter  ist,  und  doch  anderseits  Andersgläubigen 
bereitwillig  freundliche  Behandlung  zuteil  werden  zu  lassen 
und  die  Aufrichtigkeit  der  Gesinnung  anzuerkennen  bei 
jeder  Seele  oder  Sekte,  die  aufrichtig  und  ehrlich  Christum 
bekennt,  oder  die  auch  nur  eine  Achtung  vor  der  Wahrheit 
hat  und  den  aufrichtigen  Wunsch  kundgibt,  in  Überein- 
stimmung mit  dem  empfangenen  Licht  zu  handeln.  Meine 
Treue  zu  der  Kirche  meiner  Wahl  ist  gegründet  auf  die 
Überzeugung  von  der  Gültigkeit  und  Echtheit  ihres  An- 
spruches auf  Unterscheidung  als  die  eine  und  einzige 
Kirche,  die  das  gottgegebene  Vorrecht  der  Autorität  inne 
hat;  nichtsdestoweniger  halte  ich  auch  die  andern,  die 
Sekten,  für  aufrichtig,  bis  sie  mir  das  Gegenteil  bewei- 
sen, und  ich  bin  bereit,  sie  in  ihren  Rechten  zu  ver- 
teidigen. 

14.  Joseph  Smith,  der  erste  Prophet  der  letzten  Dis- 
pensation, erklärte  einst,  als  er  gewisse  Brüder  wegen  ihrer 
Unduldsamkeit  gegen  den  von  andern  Gemeinschaften  ge- 
hegten Glauben  zurechtwies,  daß  selbst  Götzenanbeter  in 


Art.  11.]  Religiöse  Freiheit  und  Duldsamkeit.  499 

ihrer  Verehrung  geschützt  werden  sollten;  es  sei  zwar  gege- 
benenfalls die  ausdrückliche  Pflicht  jedes  Christen,  seine  Be- 
mühungen der  Erleuchtung  solcher  verdunkelter  Gemüter 
zuzuwenden,  jedoch  wäre  er  nicht  gerechtfertigt,  wollte  er 
selbst  dem  Heiden  das  Recht  auf  Anbetung  gewaltsam  ent- 
ziehen. In  den  heiligen  Augen  Gottes  ist  Götzendienst  eine 
der  abscheulichsten  Sünden  und  doch  ist  er  duldsam  gegen- 
über dem,  der  ihn  nicht  kennt  und  der  dem  angeborenen  In- 
stinkt nach  Verehrung  dadurch  folgt,  daß  er  seine  Huldi- 
gung einem  Baum  oder  einem  Stein  darbringt.  Schrecklich 
wie  die  Sünde  der  götzendienerischen  Verehrung  für  den 
ist,  der  Licht  empfangen  hat,  so  mag  sie  doch  für  den 
Wilden  die  aufrichtigste  Anbetung  darstellen,  deren  er 
fähig  ist.  Dazu  hat  auch,  wie  wir  schon  in  einer  früheren 
Vorlesung^)  auseinandergesetzt  haben,  die  Stimme  des 
Ewigen  erklärt,  daß  die  Heiden,  die  kein  Gesetz  kannten, 
an  der  ersten  Auferstehung  teilhaben  sollen. 

15.  Welche  Rechtfertigung  kann  der  Mensch  für  seine 
Unduldsamkeit  gegenüber  seinen  Mitmenschen  finden, 
wenn  Gott,  der  über  jede  Sünde  betrübt  ist,  eine  so  ausge- 
prägte Nachsicht  übt  ?  Die  freie  Wahl  der  menschlichen 
Seele  ist  selbst  der  Gottheit  heilig: 

„0  wisse,  jede  Seel'  ist  frei, 

zu  wählen  zwischen  Tod  und  Leben; 

daß  jeder  ungezwungen  sei, 

hat  freien  Willen  Gott  gegeben. 

Zwar  segnet  Gott,  der  Herr,  mit  Licht, 

mit  Liebe,  Weisheit  deine  Pfade, 

zur  Wahrheit  zwingen  will  er  nicht, 

so  unerschöpflich  seine  Gnade." 

16.  Der  Mensch  ist  für  seine  Handlungen  streng  ver- 
antwortlich.  Die  unbeschränkte  Freisinnigkeit  und  Duld- 


')   Siehe  Seite  73. 


500  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXII. 

samkeit,  mit  der  die  Kirche  Jesu  Christi  der  Heiligen  der 
letzten  Tage  andere  Glaubensbekenntnisse  betrachtet, 
und  die  Lehre  der  Kirche  von  der  Gewißheit  der  schließ- 
lichen Erlösung  aller  Menschen  —  mit  Ausnahme  der  we- 
nigen, die  so  tief  gefallen  sind,  daß  sie  die  unverzeihliche 
Sünde  begangen  haben  und  dadurch  Söhne  des  Verderbens 
geworden  sind,  —  könnte  die  irrtümliche  Schlußfolgerung 
nahe  legen,  wir  glaubten,  daß  alle  so  erlösten  zu  gleichen 
Mächten,  gleichen  Vorrechten,  und  gleichen  Herrlichkeiten 
in  den  Himmel  unseres  Vaters  zugelassen  würden.  Weit 
davon  entfernt  verkündet  die  Kirche  die  Lehre  von  vielen 
verschiedenartigen  Graden  der  Herrlichkeit,  welche  die 
Erlösten  in  genauer  Übereinstimmung  mit  ihren  persön- 
lichen Verdiensten  einnehmen  werden.^)  Wir  glauben  an 
keinen  allgemeinen  Plan  einer  summarischen  Vergebung 
oder  Belohnung,  wodurch  Sünder  großen  und  kleinen 
Grades  von  den  Früchten  ihrer  Taten  losgesprochen 
werden,  während  die  Gerechten  den  Himmel  als  gemein- 
samen Wohnplatz  erlangen  sollen,  wobei  alle  im  gleichem 
Maße  verherrlicht  werden.  Wie  schon  erwähnt,  sollen 
die  Heiden,  deren  Sünden  solche  der  Unwissenheit  sind, 
mit  den  Gerechten  an  der  ersten  Auferstehung  hervor- 
kommen; dies  meint  aber  nicht,  daß  diese  Kinder  der 
niedern  Rassen  dieselbe  Herrlichkeit  erlangen  sollen,  die 
für  die  Starken,  Tapfern  und  Getreuen  in  der  Sache 
Gottes  auf  Erden  vorgesehen  ist. 

17.  Unser  Zustand  in  der  künftigen  Welt  wird  genau 
die  Folge  des  Lebens  sein,  das  wir  in  diesem  Prüfungs- 
zustand geführt  haben,  wie  wir  ja  auch  im  Lichte  der  ge- 
offenbarten Wahrheit  über  unsere  Präexistenz  erfahren 
haben,2)  daß  unser  jetziger  Zustand  von  der  Treue  bestimmt 
wurde,  mit  welcher  wir  unsern  ersten   Stand  behielten. 


■)  Siehe  Seite  112—114. 
'-)  Siehe  Seite  233— 238. 


Art.  ll.[  Religiöse  Freiheit  und  Duldsamkeit.  501 

Die  heiligen  Schriften  erklären  zu  wiederholten  Malen, 
daß  der  Mensch  die  natürlichen  Früchte  seiner  Taten  im 
Fleische  ernten  werde,  mögen  diese  nun  gut  oder  bös  sein. 
Nach  der  wirkungsvollen  Sprache,  in  welcher  der  Vater 
seine  schwachen  Kinder  ermutigt  und  warnt,  wird  ein 
jeder  nach  seinen  Werken  belohnt  oder  bestraft  werden. i) 
In  der  Ewigkeit  wird  der  Mensch  sich  erfreuen  oder  auch 
Ekel  empfinden  an  den  „Früchten  seiner  eigenen  Hand- 
lungen", 

18.  Grade  der  Herrlichkeit.  In  den  Lehren  Christi 
wird  angedeutet,  daß  die  Vorrechte  und  Herrlichkeiten 
des  Himmels  den  verschiedenartigen  Fähigkeiten  oder 
der  Würdigkeit  entsprechend  abgestuft  sind.  Zu  seinen 
Jüngern  sprach  er:  ,,In  meines  Vaters  Hause  sind  viele 
Wohnungen.  Wenns  nicht  so  wäre,  so  wollte  ich  zu  euch 
sagen :  Ich  gehe  hin,. euch  die  Stätte  zu  bereiten.  Und  wenn 
ich  hingehe,  euch  die  Stätte  zu  bereiten,  so  will  ich  wieder- 
kommen und  euch  zu  mir  nehmen,  auf  daß  ihr  seid,  wo 
ich  bin. "2) 

19.  Dieser  Ausspruch  wird  von  Paulus  ergänzt,  der 
von  den  abgestuften  Herrlichkeiten  der  Auferstehung  wie 
folgt  spricht:  ,,Und  es  sind  himmhsche  Körper  und  ir- 
dische Körper;  aber  eine  andere  Herrlichkeit  haben  die 
himmlischen  und  eine  andere  die  irdischen.  Eine  andere 
Klarheit  hat  die  Sonne,  eine  andere  Klarheit  hat  der  Mond, 
und  eine  andere  Klarheit  haben  die  Sterne;  denn  ein  Stern 
übertrifft  den  andern  an  Klarheit.  Also  auch  die 
Auferstehung  der  Toten. "3) 

20.  Eine  umfassendere  Kenntnis  dieser  Sache  ist  uns 
in  der  gegenwärtigen  Dispensation  zuteil  geworden.    Aus 

»)  Hiob  34:11;  Psalm  62:13;  Jeremia  17:10;  32:19;  Matthäus 
16:27;  Römer  2:6—12;  14:12;  1.  Korinther  3:8;  2.  Korinther  5:10; 
Offenbarung  Job.  2:23;  20:12;  22:12. 

')  Johannes  14:1 — 3. 

')  1.  Korinther  15:40—42. 


502  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXII. 

einer  im  Jahre  1832  gegebenen  Offenbarung^)  erfahren 
wir  folgendes :  Drei  große  Reiche  oder  Herrlichkeiten  sind 
als  zukünftige  Wohnplätze  des  Menschengeschlechts  fest- 
gesetzt. Sie  werden  bezeichnet  als  „das  himmlische",  „das 
irdische"  und  „das  unterirdische"  Reich.  Weit  unter  dem 
letzten  und  niedrigsten  derselben  ist  der  für  die  Söhne 
des  Verderbens  vorbereitete  Stand  der  ewigen  Strafe. 

21.  Die  himmlische  Herrlichkeit  ist  für  die  vorge- 
sehen, die  die  höchsten  Ehren  des  Himmels  verdienen. 
In  der  angeführten  Offenbarung  lesen  wir  von  ihnen: 
„Es  sind  die,  welche  das  Zeugnis  Jesu  annahmen,  an  seinen 
Namen  glaubten  und  nach  der  Art  seiner  Grablegung 
getauft,  nämlich  in  seinem  Namen  im  Wasser  begraben 
wurden,  und  zwar  dem  von  ihm  gegebenen  Gebot  ge- 
mäß, daß  sie  durch  das  Halten  der  Gebote  von  allen  ihren 
Sünden  gewaschen  und  gereinigt  werden  und  den  Heiligen 
Geist  empfangen  mögen  durch  das  Auflegen  der  Hände 
von  einem,  der  zu  diesem  Amt  ordiniert  und  gesiegelt 
worden  ist.  Es  sind  die,  welche  durch  Glauben  überwinden 
und  durch  den  Heiligen  Geist  der  Verheißung  versiegelt 
worden  sind,  welchen  der  Vater  ausgießt  über  die,  so  recht- 
schaffen und  treu  sind.  Sie  sind  die,  welche  die  Kirche 
des  Erstgebornen  ausmachen.  Sie  sind  die,  in  deren 
Hände  der  Vater  alle  Dinge  gegeben  hat.  Sie  sind  die, 
welche  Priester  und  Könige  sind,  die  von  seiner  Fülle  und 
Herrlichkeit  erhalten  haben  und  Priester  des  Allerhöch- 
sten sind  nach  der  Ordnung  Melchizedeks,  welche  Ord- 
nung wiederum  nach  der  Ordnung  Henochs  war,  nach  der 
Ordnung  des  eingebornen  Sohnes.  Darum,  wie  auch  ge- 
schrieben steht,  sind  sie  Götter,  nämlich  die  Söhne 
Gottes;  darum  gehören  ihnen  alle  Dinge,  ob  Leben  oder 
Tod;    die    Dinge,    der    Gegenwart    oder    der    Zukunft. 


')  Lehre  u.  Bündn.,  Abschn. 


Art.  11.]  Religiöse  Freiheit  und  Duldsamkeit.  503 

—  Alles  gehört  ihnen  und  sie  sind  Christi  und  Christus 
ist  Gottes.  *  *  *  Diese  werden  immer  und  ewiglich  in 
der  Gegenwart  Gottes  und  seines  Christi  wohnen. 
Sie  sind  die,  welche  er  mit  sich  bringen  wird,  wann 
er  kommen  wird  in  den  Wolken  des  Himmels,  um  auf 
Erden  über  sein  Volk  zu  regieren.  Sie  sind  die,  welche 
an  der  ersten  Auferstehung  teilhaben  werden ;  sie  sind  die, 
welche  an  der  Auferstehung  der  Gerechten  hervorkommen 
werden.  ***  Sie  sind  die,  welche  rechtschaff  ene  Menschen 
waren,  vollkommen  gemacht  durch  Jesum  Christum,  den 
Vermittler  des  neuen  Bundes,  durch  ihn,  welcher  diese 
vollkommene  Sühne  durch  das  Vergießen  seines  Blutes 
zustandegebracht  hat.  Sie  sind  die,  deren  Körper  himm- 
lisch sind,  deren  Herrlichkeit  die  Klarheit  der  Sonne  ist, 
nämlich  die  Herrlichkeit  Gottes,  selbst  die  höchste  aller 
Herrlichkeiten,  von  deren  Klarheit  die  Schrift  sagt:  der 
Glanz  der  Sonne  des  Firmaments  sei  ihr  Ebenbild."^) 

22.  Die  irdische  Herrlichkeit.  Diese,  die  nächst  nie- 
drige Stufe,  wird  vielen  zuteil  werden,  deren  Werke  nicht 
die  höchsten  Belohnungen  verdienen.  Wir  lesen  von 
ihnen:  ,,Das  sind  die,  welche  die  irdische  Herrlichkeit 
besitzen,  welche  von  der  Herrlichkeit  der  Kirche  des  Erst- 
gebornen, die  die  Fülle  des  Vaters  empfangen  hat,  in  eben 
dem  Grade  verschieden  ist,  wie  der  Glanz  des  Mondes  von 
dem  Glanz  der  Sonne  im  Firmament  verschieden  ist.  Siehe, 
dazu  gehören  die,  welche  ohne  Gesetz  gestorben  sind,  und 
ebenfalls  die  Geister  der  Menschen,  die  im  Gefängnis  be- 
halten wurden  und  zu  welchen  der  Sohn  hinabstieg  und 
ihnen  das  Evangelium  predigte,  damit  sie  nach  dem  Ge- 
setze der  im  Fleisch  lebenden  gerichtet  werden  möchten ; 
die,  welche  das  Zeugnis  Jesu  im  Fleische  nicht  annahmen, 
es  aber  später  noch  empfingen.    Das  sind  die,  welche  ehr- 


')  Lehre  u.  Bündn.  76:51—70. 


504 


Die  Glaubensartikel. 


[Vorl.  XXII. 


bare  Leute  auf  Erden  waren,  aber  durch  Menschenlist  ver- 
blendet wurden.  Sie  sind  die,  welche  von  seiner  Herrlich- 
keit empfangen,  aber  nicht  von  seiner  Fülle.  Sie  sind  die, 
welche  die  Gegenwart  des  Sohnes,  aber  nicht  die  Fülle 
des  Vaters  empfangen;  deshalb  sind  sie  irdische  Körper,' 
nicht  aber  himmlische  und  sind  in  Herrlichkeit  verschie- 
den, wie  der  Mond  von  der  Sonne  verschieden  ist-.  Sie 
sind  die,  welche  im  Zeugnis  Jesu  nicht  tapfer  gewesen  sind, 
darum  werden  sie  nicht  die  Krone  über  das  Reich  unseres 
Gottes  erhalten. "1)  — 

23.  Die  unterirdische  Herrlichkeit.  Die  Offenbarung 
fährt  fort:  „Und  wiederum  schauten  wir  und  sahen  die 
Herrlichkeit  der  unterirdischen  Welt,  welche  Klarheit 
geringer  ist  in  dem  Grade,  wie  die  Klarheit  der  Sterne  von 
der  Herrlichkeit  des  Mondes  im  Firmamente  verschieden 
ist.  Sie  sind  die,  welche  weder  das  Evangelium  Christi 
noch  das  Zeugnis  Jesu  annahmen.  Sie  sind  die,  welche 
den  Heiligen  Geist  nicht  leugnen.  Sie  sind  die,  welche  zur 
Hölle  hinunter  geworfen  sind,  und  die  nicht  aus  der  Macht 
des  Teufels  erlöst  werden  als  bis  zur  letzten  Auferstehung, 
bis  der  Herr,  nämlich  Christus,  das  Lamm,  sein  Werk 
beendet  haben  wird. "2)  —  Wir  erfahren  weiter,  daß  die 
Glieder  dieses  Reiches  unter  sich  wieder  abgestuft  sein 
sollen,  indem  sie  die  unerleuchteten  unter  den  verschie- 
denen sich  widersprechenden  Sekten  und  Parteien  der  Men- 
schen und  Sünder  aller  Arten  umfassen,  deren  Vergehen 
nicht  ganz  verderbender  Natur  sind.  „Und  die  Herrlichkeit 
derer  der  unterirdischen  Klarheit  ist  eine  besondere,  wie 
es  auch  die  Klarheit  der  Sterne  ist,  denn  gleichwie  ein 
Stern  von  dem  andern  an  Klarheit  verschieden  ist,  so  ist 
in  der  unterirdischen  Welt  einer  von  dem  andern  an  Klar- 
heit verschieden,  denn  sie  sind  die,  welche  von  Paulo,  von 


0  Lehre  u.  Bund.  76:71—79. 
»)  L.  u.  B.  76:81—86. 


Art.  11.]  Religiöse  Freilieit  und  Duldsamlceit.  505 

Apollo  und  von  Kephas  sind.  Sie  sind  die,  welche  sagen, 
einige  gehören  dem,  andere  jenem  an,  —  einige  Christo,, 
einige  Johannes,  einige  Moses,  einige  Elias,  einige  Isaias, 
einige  dem  Jesaja  und  andere  dem  Henoch  —  die  aber 
weder  das  Evangelium  noch  das  Zeugnis  Jesu  noch  das  der 
Propheten  noch  den  ewigen  Bund  annahmen, "i)  —  Offen- 
bar wird  ein  beträchtlicher  Teil  der  menschlichen  Familie 
die  Herrlichkeiten,  die  über  das  unterirdische  Reich  hin- 
ausgehen, nicht  erreichen,  denn  es  wird  uns  gesagt: 
„Aber  siehe,  wir  sahen  die  Klarheit  und  die  Bewohner 
der  unterirdischen  Welt  und  daß  sie  zahllos  waren  wie 
die  Sterne  am  Firmament  oder  wie  der  Sand  am  Meeres- 
ufer."2)  Es  sind  die,  welche  nicht  gänzlich  verworfen 
werden;  ein  jedes  ihrer  Verdienste  wird  berücksichtigt 
werden:  „Denn  sie  sollen  gerichtet  werden  nach  ihren 
Werken,  und  jeder  Mensch  wird  seinen  eigenen  Werken 
gemäß  seinen  eigenen  Platz  empfangen  in  den  Wohnungen, 
die  bereitet  sind.  Und  sie  werden  auch  Diener  des  Allerhöch- 
sten sein,  aber  wo  Gott  und  Christus  sind,  dahin  können 
sie  nie  kommen  durch  Welten  ohne  Ende. "3) 

24.  Die   Reiche   in  ihren  Beziehungen  zu   einander. 

Die  drei  Reiche  von  sehr  verschiedenartiger  Herrlichkeit 
sind  für  sich  selbst  wieder  nach  einem  geordneten 
Plan  der  Abstufung  organisiert.  Wir  haben  gesehen,  daß 
das  unterirdische  Reich  eine  Unmenge  von  Unterabtei- 
lungen umfaßt;  es  wird  uns  gesagt,  daß  dies  auch  bei  dem 
himmlischen  Reich  der  Fall  ist,*)  und  wir  dürfen  hieraus 
ferner  den  Schluß  ziehen,  daß  auch  im  irdischen  Reich 
ein  ähnlicher  Zustand  besteht.  Auf  diese  Weise  ist  für 
die  zahllose  Verschiedenheit  der  Verdienste  und  der  Wür- 


>)  Verse  98—101. 

>)  Vers  109. 

')  Lehre  u.  Bündn.  76:111—112. 

')  L.  u.  B.  131:1;  siehe  auch  2.  Korinther  12:1 — 4. 


506 


Die  Glaubensartikel. 


[Vorl.  XXII. 


digkeit  der  Menschen  eine  Unendlichkeit  von  abgestuften 
Herrlichkeiten  vorgesehen.  Das  himmlische  Reich  wird 
vorzugsweise  beehrt  werden  durch  die  Gegenwart  des 
Vaters  und  des  Sohnes. i)  Dem  irdischen  Reich  wird  ge- 
dient werden  durch  das  nächst  höhere,  aber  ohne  eine  Fülle 
der  Herrlichkeit.  Das  unterirdische  ward  durch  die  Dienst- 
leistungen des  irdischen  verwaltet  werden,  durch  „Engel, 
welche  bestimmtsind,  vermittelnde  Geister  für  sie  zu  sein.  "2) 

25.  Obschon  uns  direkte  Offenbarungen  fehlen,  wo- 
durch allein  eine  sichere  Kenntnis  von  der  Sache  erworben 
werden  könnte,  ist  es  doch  vernünftig,  zu  glauben,  daß 
in  Übereinstimmung  mit  dem  göttlichen  Plan  des  ewigen 
Fortschrittes  das  Fortschreiten  von  Stufe  zu  Stufe  inner- 
halb irgendeines  Reiches  und  auch  von  Reich  zu  Reich 
vorgesehen  ist.  Wenn  aber  die  Inhaber  einer  niedrigeren 
Herrlichkeit  befähigt  werden,  vorwärts  zu  schreiten,  so 
werden  sicherlich  auch  die  Intelligenzen  der  höhern  Klassen 
in  ihrem  Fortschritt  nicht  aufgehalten  sein ;  daraus  können 
wir  schließen,  daß  die  Reiche  unseres  Gottes  stets  durch 
Abstufungen  und  Grade  gekennzeichnet  sein  werden.  Die 
Ewigkeit  ist  fortschreitend.  Vollkommenheit  ist  nur  ein 
verhältnismäßiger  Begriff;  der  wesentliche  Bestandteil  in 
Gottes  lebendigen  Zwecken  ist  die  damit  verbundene 
Macht  der  ewigen  Vermehrung  und  des  ewigen  Fortschritts. 

26.  Die  Söhne  des  Verderbens.  —  Wir  hören  dann  noch 
von  einer  andern  Klasse  von  Seelen,  deren  Sünden  solcher- 
art sind,  daß  es  für  sie  gegenwärtig  nicht  möglich  ist 
—  Erlösung  zu  erlangen.  Diese  werden  Söhne  des 
Verderbens  genannt,  Kinder  des  gefallenen  Engels,  der 
einst  ein  Sohn  des  Morgens  war,  nun  aber  als  Luzifer 
oder  Verderben   bekannt  ist. 3)    Es   sind  dies  diejenigen. 


')  Lehre  u.  Bündn.  76: 
»)  L.  u.  B.  76:86,  88. 
')  L.  u.  B.  76:25—27. 


Art.  11.]  Religiöse  Freiheit  und  Duldsamkeit.  507 

welche  die  Wahrheit  mit  Füßen  getreten  haben  im 
vollen  Licht  ihrer  Erkenntnis;  solche,  die,  nachdem  sie 
ein  Zeugnis  von  Christus  haben  und  durch  den  Heiligen 
Geist  begabt  worden  sind,  dann  diesen  verleugnen  und  die 
Macht  Gottes  verhöhnen,  den  Herrn  wiederum  kreuzigen 
und  ihn  zur  offenen  Schande  ausstellen.  Diese,  die  unver- 
zeihliche Sünde,  kann  nur  von  denen  begangen  werden, 
welche  die  Erkenntnis  und  die  heilige  Überzeugung  von 
der  Wahrheit  erhalten  haben,  gegen  weiche  sie  sich  alsdann 
empören.  Ihre  Sünde  ist  mit  dem  Verrat  Luzifers  vergleich- 
bar, durch  welchen  er  die  Macht  und  Herrlichkeit  seines 
Gottes  an  sich  zu  reißen  suchte.  Über  diese  und  ihr  schreck- 
liches Los  hat  der  Allmächtige  gesprochen:  ,,Ich  sage, 
es  wäre  besser  für  sie,  wenn  sie  nie  geboren  worden  wären ; 
denn  sie  sind  Schalen  des  Zornes,  verurteilt,  den  Zorn 
Gottes  in  Ewigkeit  zu  dulden,  in  Gemeinschaft  mit  dem 
Teufel  und  seinen  Engeln,  von  denen  ich  gesagt  habe,  daß 
für  sie  keine  Vergebung  ist,  weder  in  dieser  noch  in  der  zu- 
künftigen Welt.  *  *  *  Sie  aber  werden  in  die  ewige 
Strafe  hinweggehen,  welche  eine  Strafe  ohne  Ende  ist, 
eine  ewig  dauernde  Strafe,  zu  regieren  mit  dem  Teufel 
und  seinen  Engeln,  wo  ihr  Wurm  nicht  stirbt  noch  das 
Feuer  erlischt,  worin  ihre  Qual  besteht.  Ihr  Ende  noch 
ihren  Ort  noch  ihre  Pein  weiß  kein  Mensch,  weder 
war  es  geoffenbart  noch  ist  es  noch  wird  es  den  Menschen 
geoffenbart  werden,  ausgenommen  denen,  die  daran  teil- 
haben: Dessenungeachtet  aber  zeige  ich,  der  Herr,  sie 
vielen  im  Gesicht,  aber  ich  entrücke  sie  ihnen  sogleich 
wieder;  darum  verstehen  sie  das  Ende,  die  Weite,  die  Höhe, 
die  Tiefe  und  das  Elend  derselben  nicht,  auch  kein  andrer 
Mensch,  ausgenommen,  wer  zu  dieser  Verdammnis  be- 
stimmt ist."^) 

•)  Lehre  u.   Bündn.  76:31 — 48;  siehe  auch  Hebräer  6:4 — 6;  Alma 
39:6  und  für  weitere  Himveisungen  siehe  Seite  74  u.  75  dieses  Buches. 


508  Die  Glaubensarükel.  [Vorl.  XXII. 

27.  Die  Lehren  der  Kirche,  wie  sie  das  Verhältnis  der 
irdischen  Prüfungszeit  zu  dem  zukünftigen  Stand  erläutern 
und  die  persönliche  Verantwortlichkeit  und  Handlungs- 
freiheit des  Menschen  auseinandersetzen,  sind  gewiß  klar 
und  deutlich  genug.  Die  Kirche  betont,  daß,  angesichts 
der  schrecklichen  Verantwortung,  unter  der  er  als  unbe- 
schränkter Leiter  seines  Geschickes  steht,  jeder  Mensch 
frei  sein  muß  und  auch  frei  ist,  in  allen  Dingen  zu  wählen : 
von  dem  Leben,  das  zu  der  himmlischen  Heimat  zurück- 
führt, bis  zu  der  Laufbahn,  die  im  Elend  des  Verderbens 
endet.  Freiheit  in  der  Verehrung  oder  in  der  Verweige- 
rung der  Verehrung  ist  ein  gottgegebenes  Recht. 


Anmerkungen. 


1.  Unduldsamkeit  in  der  heutigen  Christenheit.  —  „Es  muß  ausge- 
sprochen werden  —  obschon  ich  es  nur  mit  tiefster  Betrübnis  sage,  —  daß 
die  Icalte  Ausscliließlichkeit  der  Pharisäer,  die  verbitternde  Unnatibarkeit 
imd  der  Hochmut  selbstgefälliger  Theologen  und  die  anmaßende  Unfehl- 
barkeit halbgebildeter  Frömmler  stets  der  Fluch  des  Christentums  gewesen 
sind."  „Sie  haben  dem  Wort  Gottes  menschlichen  Sinn  gegeben,  ja,  be- 
sonders menscMichen  Sinn  dem  weitherzigsten  Wort  Gottes.  Dann  suchten 
sie  diesen  dem  Menschen  unter  Androhung  von  Feuer  und  Fluch,  von  Tod 
und  Verbannung,  aufzuzwingen.  Und  so  luden  sie  die  schreckliche  Schuld 
auf  sich,  der  Menschheit  die  Religion  in  einer  falschen  abstoßenden  Weise 
dargeboten  zu  haben.  Soll  der  theologische  Haß  auch  weiterhin  der  ge- 
rechten Verachtung  der  Welt  Nahrung  geben?  Ist  dieser  Haß  —  Haß 
in  seiner  bittersten,  grausamsten  Form  —  etwa  als  die  gesetzmäßige,  selbst- 
verständliche Frucht  der  Religion  der  Liebe  zu  betrachten?  Sollen  religiöse 
Meinungen  und  Anschauungen  denn  nie  von  dem  Geist  des  Friedens  ge- 
tragen sein?  Sollen  religiöse  Fragen  denn  immer  die  stärkste  Abneigung 
imd  die  schrecklichste  Zerklüftung  hervorrufen?  Soll  die  Welt  für  alle 
Zeiten  in  ihrer  Meinung  bestärkt  werden,  daß  theologische  Parteigänger 
weniger  wahrhaftig,  weniger  offenherzig,  weniger  hochgesinnt,  weniger 
ehrenhaft  sind,  als  selbst  die  Parteigänger  in  politischen  und  sozialen  An- 
gelegenheiten, die  doch  keinen  Anspruch  auf  die  Pflicht  zvir  Liebe  erheben  ? 
Sollen  die  sogenannten  religiösen  „Kämpen"  für  immer  sein  was  sie  heute 
sind:  die  rücksichtslosesten,  unbilligsten  und  widerwärtigsten  Streiter? 
Nun  wohl,  sie  können  es  bleiben!  Aber  mit  viel  weniger  Schaden  für  die 
Sache  der  Religion,  wenn  sie  auf  den  Luxus  verzichten  „die  Schrift  für 
ihre  eigenen  Zwecke  auszulegen  und  zu  mißbrauchen!"  —  Canon  Farrar, 
„The  Early  Days  of  Christianity",  Seite  584  —  585. 


Art.  11.]  .    Anmerkungen,  509 

2.  Duldsamkeit.  „Mormonismus"  erlaubt  keine  Bedingungen  oder 
Beschränkungen,  sondern  jeder  Bewohner  der  Erde,  zu  dem  Erlösung 
kommen  soll,  muß  den  Gesetzen  und  Verordnungen  des  Evangeliums  Folge 
leisten.  Es  wird  kein  Unterschied  gemacht  zwischen  zivilisierten  und  heid- 
nischen Nationen,  zwischen  Leuten  von  höherer  und  niederer  Bildung,  oder 
zwischen  Lebendigen  und  Toten.  Kein  menschliches  Wesen,  das  die  Jahre 
der  Selbstverantwortlichkeit  im  Fleische  erreicht  hat,  kann  Erlösung  im 
Beiche  Gottes  erwarten,  bis  es  den  Geboten  Christi,  des  Erlösers  der  Welt, 
Folge  geleistet  hat.  Aber  während  sich  „INIormonismus"  so  bestimmt  und 
entschieden  zeigt,  so  ist  er  doch  nicht  ausschließend.  Er  behauptet  nicht, 
daß  alle,  welche  unterlassen  haben,  das  Evangelium  des  ewigen  Lebens  an- 
zunehmen und  ihm  zu  gehorchen,  für  ewig  verdammt  werden.  Trotz 
ihrer  kühnen  Erklärung,  die  Kirche  Jesu  Christi  der  Heiligen  der  letzten 
Tage  sei  die  einzige  Trägerin  des  heiligen  Priestertums,  lehrt  und  verlangt 
die  Kirche  doch  die  größte  Duldsamkeit  für  alle  Personen  und  Gemeinschaf- 
ten, die  vorgeben,  Gerechtigkeit  zu  üben,  denn  jedermann  wird  für  das  Gute, 
das  er  tut,  nach  dem  Maße  seiner  geistigen  Erkenntnis  belohnt.  Und  wegen 
solch  hoher  Lehren,  bei  so  großer  Duldsamkeit,  wurde  diese  Kirche  der 
Unverträglichkeit  beschuldigt!  Doch  sollte  dabei  nicht  außer  acht  gelassen 
werden,  daß  Duldsamkeit  nicht  Übereinstimmung  bedeutet.  Ich  kann  mit 
allen  meiner  Seele  zu  Gebot  stehenden  Kräften  glauben,  daß  ich  recht  habe 
und  mein  Nachbar  sich  inbezug  auf  irgend  eine  Sache  im  Irrtum  befindet, 
und  doch  gibt  mir  diese  Überzeugung  noch  nicht  das  geringste  Becht,  ihn 
in  der  Ausübung  seines  freien  Willens  zu  hindern.  Die  einzigen  Grenzen 
der  Freiheit  einer  Person  sind  da,  wo  die  Freiheit  eines  andern  beginnt  oder 
die  Bechte  des  Volkes  in  Betracht  kommen.  Gott  selbst  hält  die  Freiheit 
der  menschUchen  Seele  heilig  und  unverletzlich.  „Mormonismus"  besteht 
darauf,  daß  kein  Mensch  und  auch  keine  Nation  das  Becht  hat,  irgend 
jemand,  und  sei  er  ein  Heide,  gewaltsam  zu  verhindern,  seinen  Gott  anzu- 
beten. Obgleich  Götzendienst  von  den  frühesten  Zeiten  an,  von  dem  Bann 
göttlicher  Ungnade  getroffen  worden  ist,  so  kann  er  doch  in  dem  finstem 
Sinn  die  aufrichtigste  Ehrfurcht  darstellen,  deren  die  Person  fähig  ist; 
diese  sollte  besser  belehrt,  aber  nie  gezwungen  werden.  Diese  Lehre  läßt 
Gnade  unter  Zurücksetzung  der  Gerechtigkeit  nicht  zu,  sondern  jedes 
Vergehen,  wie  auch  jede  Unterlassungssünde,  wird  seine  Wunde  oder 
Narbe  hinterlassen.  In  der  ewigen  Zukunft  wird  für  jede  Seele  ein  ihrem 
Verdienste  und  geistigen  Bildungsgrad  angemessener  Platz  getunden  werden." 
„Philosophie  in  .Mormonismus',  von  James  E.  Talmage",  Seite  12  und  13. 


510  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXIII. 


Vorlesung  XXIII. 

Gehorsam 
gegenüber  den  Landesgesetzen. 

Artikel  12.  —  Wir  glauben  daran,  Königen,  Präsidenten,  Herrschern 
und  Magistraten  untertänig  zu  sein,  den  Gesetzen  zu  geliorclien,  sie  zu  eliren 
und  zu  unterstützen. 

1.  Es  ist  nur  vernünftig,  von  einem  Volke,  das  sich 
zu  dem  Evangelium  Jesu  Christi  bekennt,  und  das  die 
Mitgliedschaft  in  der  einzig  anerkannten  und  göttlich  be- 
vollmächtigten Kirche  beansprucht,  es  ist  nur  vernünftig, 
sagen  wir,  von  diesen  Leuten  zu  erwarten,  daß  sie  die  Tu- 
genden, die  ihnen  ihre  Vorschriften  einschärfen,  auch  in 
die  Tat  umsetzen.  Gewiß,  wir  werden  selbst  bei  denen, 
die  die  weitgehendsten  und  berechtigsten  Ansprüche  auf 
Rechtgläubigkeit  machen,  vergebens  nach  Vollkommen- 
heit ausschauen;  aber  wir  haben  das  Recht,  in  ihrem  Glau- 
bensbekenntnis genügende  Forderungen  hinsichtlich  einer 
allgemein  gutgeheißenen  Lebensweise  zu  erwarten,  und  in 
ihrem  Leben  ernste  und  aufrichtige  Bemühungen,  um  eine 
praktische  Verwirklichung  ihres  Bekenntnisses  zu  sehen. 
Religion,  wenn  sie  von  Nutzen  und  überhaupt  der  Annahme 
wert  sein  soll,  muß  auf  das  Leben  und  auf  die  zeitlichen 
Angelegenheiten  ihrer  Anhänger  von  heilsamem  Einfluß 
sein.  Neben  andern  Tugenden  sollte  die  Kirche  in  ihren 
Lehren  besonders  ein  gesetzunterstützendes  Verhalten 
betonen,  und  die  Leute  sollten  die  Wirkungen  solcher 
Vorschriften  in  ihrer  Vortrefflichkeit,  als  Bürger  des  Volkes 
und  als  Persönlichkeiten  in  dem  Gemeinwesen,  in  dem  sie 
wohnen,  zeigen. 


Art.  12.]         Gehorsam  gegenüber  den  Landesgesetzen.  511 

2.  Die  Kirche  Jesu  Christi  der  Heiligen  der  letzten 
Tage  hat  nachdrücldiche  Erklärungen  über  ihren  Glauben 
und  ihre  Vorschriften  hinsichtlich  der  Pflichten  ihrer  Mit- 
glieder den  Landes-Gesetzen  gegenüber  herausgegeben, 
und  sie  verteidigt  ihren  Standpunkt  in  dieser  Sache  auf 
Grund  besonderer  Offenbarungen  aus  alter  und  neuer  Zeit. 
Überdies  vertraut  dieses  Volk  darauf,  daß,  wenn  dereinst 
die  wahre  Geschichte  seiner  Entstehung  und  seines  Fort- 
schritts als  festgefügte  Körperschaft  religiöser  Verehrer 
geschrieben  wird,  auch  die  Treue  und  die  patriotische 
Ergebenheit  der  Mitglieder  dem  Vaterlande  gegenüber  von 
der  Welt  im  allgemeinen,  ebenso  gerechtfertigt  und  ge- 
priesen werden,  wie  heute  schon  ihre  Tugenden  von  den 
wenigen  vorurteilsfreien  Untersuchern,  die  in  aufrichtiger 
Absicht  die  Geschichte  dieser  eigenartigen  Organisation 
studiert  haben,   anerkannt  werden. 

3.  Gehorsam  gegenüber  der  Autorität  durch  die  Heilige 
Schrift  eingeschärft.  Im  patriarchalischen  Zeitalter,  als 
das  Familienoberhaupt  tatsächlich  die  richterliche  und 
königliche  Macht  über  seinen  Haushalt  inne  hatte,  wurden 
die  Autorität  und  die  Rechte  der  Familie  geachtet.  Be- 
trachten wir  z.  B.  den  Fall  mit  der  Hagar,  die  die  zweite 
Frau  Abrahams  und  die  Dienstmagd  Sarais  war.  Eifer- 
sucht und  andere  böse  Gefühle  waren  zwischen  Hagar  und 
ihrer  Herrin  Sarai,  der  altern  Gattin  des  Patriarchen,  ent- 
standen. Abraham  hörte  der  Klage  Sarais  zu,  anerkannte 
deren  Autorität  über  Hagar,  die,  obschon  auch  Abrahams 
Frau,  immer  noch  die  Magd  Sarais  war,  und  sagte:  „Siehe, 
deine  Magd  ist  unter  deiner  Gewalt,  tue  mit  ihr,  wie  dirs 
gefällt."  —  Als  dann  Sarai  hart  mit  ihr  verfuhr,  floh  Hagar 
in  die  Wüste,  wo  ihr  ein  Engel  des  Herrn  erschien  und  sie 
mit  folgenden  Worten  anredete:  ,, Hagar,  Sarais  Magd, 
wo  kommst  du  her,  und  wo  willst  du  hin  ?  Sie  sprach :  Ich 
bin  von  meiner  Frau  Sarai  geflohen.    Und  der  Engel  des 


512  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXIII. 

Herrn  sprach  zu  ihr :  Kehre  wieder  um  zu  deiner  Frau  und 
demütige  dich  unter  ihre  Hand."^)  —  Man  beachte  hier, 
wie  der  himmlische  Botschafter  die  Autorität  Sarais  über 
die  ihr  unterstellte  Magd  anerkannte,  obschon  dieser  die 
Ehre  dfes  Frauenstandes  in  der  Familie  zuteil  geworden 
war. 

4.  Die  bereitwillige  Unterwerfung  Isaaks  unter  den 
Willen  seines  Vaters,  die  bis  zum  Opfern  seines  Lebens^) 
auf  dem  Altar  des  Blutopfers  ging,  ist  ein  Beweis  für  die 
Heiligkeit,  mit  der  die  Autorität  des  Familienoberhauptes 
betrachtet  wurde.  Es  könnte  scheinen,  und  es  wurde  ja 
auch  tatsächlich  behauptet,  die  Forderung,  die  der  Herr 
als  Prüfstein  des  Glaubens  an  Abraham  stellte,  das  Leben 
seines  Sohnes  als  Opfer  darzubringen,  sei  eine  Verletzung 
bereits  bestehender  Gesetze  gewesen,  und  widerspreche 
daher  einer  gleichmäßigen,  beständigen  Regierung,  Diese 
Behauptung  nimmt  sich  armselig  aus,  wenn  man  bedenkt, 
daß  das  patriarchalische  Oberhaupt  die  unbedingte  Auto- 
rität über  die  Glieder  seines  Haushaltes  inne  hatte,  eine 
Machtbefugnis,  die  sich  sogar  auf  das  Urteil  über  Leben 
und  Tod  erstreckte. 3) 

5.  In  den  Tagen  des  Auszuges  aus  Ägypten,  als  Israel 
eine  theokratische  Regierungsform  hatte,  gab  der  Herr 
als  Richtschnur  für  sein  auserwähltes  Volk  verschiedene 
Gesetze  und  Gebote.  Eines  derselben  lautet:  ,,Den  Göt- 
tern sollst  du  nicht  fluchen,  und  den  Obersten  in  deinem 
Volk  sollst  du  nicht  lästern."*)  —  Nach  göttlicher  An- 
leitung wurden  Richter  gewählt,  die  die  Machtbefugnis 
in  Israel  ausübten.  Als  Mose  später  die  Gebote  Gottes 
wiederholte,  befahl  er  dem  Volk:  „Richter  und  Amtleute 


1)  1.  Mose  16:1—9. 
=)  1.  Mose  22:1—10. 
=)  Siehe  1.  Mose  38:24. 

*)  2.  Mose  22:27  (28);  das  Wort  „Göttern"  in  dieser  Stelle  wurde  von 
«inigen  tJbcrsetzern  auch  mit  „Richtern"  übersetzt. 


Art.  12.]         Gehorsam  gegenüber  den  Landesgesetzen.  513 

sollst  du  dir  setzen  in  allen  deinen  Toren,  die  dir  der  Herr, 
dein  Gott,  geben  wird  unter  deinen  Stämmen,  daß  sie  das 
Volk  richten  mit  rechtem  Gericht. "i) 

6.  Als  das  Volk  der  unmittelbaren  Aufsicht  Gottes 
müde  war  und  nach  einem  König  verlangte,  entsprach  der 
Herr  diesem  Wunsche  und  stattete  den  neuen  Herrscher 
vermittels  einer  heiligen  Salbung^)  mit  Autorität  aus, 
David  anerkannte,  obschon  er  selbst  bereits  zum  Nachfol- 
ger Sauls  gesalbt  worden  war,  die  Heiligkeit  der  Person 
des  Königs  und  machte  sich  bittere  Vorwürfe,  weil  er  bei 
einer  Gelegenheit  den  Mantel  des  Monarchen  verstümmelt 
hatte.  Gewiß,  Saul  trachtete  damals  dem  David  nach  dem 
Leben  und  dieser  suchte  lediglich  ein  Mittel,  um  zu  zeigen, 
daß  er  nicht  die  Absicht  habe,  seinen  königlichen  Feind 
zu  töten,  aber  dennoch  lesen  wir:  „Aber  darnach  schlug 
ihm  sein  Herz,  daß  er  den  Zipfel  Sauls  hatte  abgeschnitten, 
und  er  sprach  zu  seinen  Männern :  Das  lasse  der  Herr  ferne 
von  mir  sein,  daß  ich  das  tun  sollte  und  meine  Hand  legen 
an  meinen  Herrn,  den  Gesalbten  des  Herrn;  denn  er  ist 
der  Gesalbte  des  Herrn. "^) 

7.  Beachten  wir  ferner  die  folgenden  Ermahnungen 
des  Alten  Testamentes:  „Mein  Kind,  fürchte  den  Herrn 
und  den  König  I"'^)  —  „Halte  das  Wort  des  Königs  und  den 
Eid  Gottes!"^)  —  , .Fluche  dem  König  nicht  in  deinem 
Herzen!"^) 

8.  Das  Beispiel  Christi  und  seiner  Apostel.  —  In  seinem 
irdischen  Wirken  anerkannte  unser  Heiland  stets  die  be- 
stehende weltliche  Macht;  obschon  diese  Regierungsge- 
walt durch  grausame  Eroberung  erlangt  worden  war  und 


>)  5.  Mose  16:18;  siehe  auch  1:16;  1.  Chronik  23:4;  26:29. 

»)  1.  Samuel  8:6 — 7,  22;  9:15—16;  10:1. 

')  1.  Samuel  24:10;  siehe  auch  26:9—12,  16. 

*)  Sprüche  24:21. 

*)  Prediger  8:2. 

«)  Prediger  10:20. 

33 


514  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXIII. 

in  ungerechter  Weise  ausgeübt  wurde.  Als  der  Steuer- 
erheber die  von  einem  fremden  König  verlangte  Steuer 
forderte,  veranlaßte  Christus  —  obgleich  er  persönlich 
gegen  die  Ungerechtigkeit  des  Verlangens  Einspruch  erhob 
—  doch  die  Entrichtung  der  Abgabe;  ja,  er  rief  sogar  einen 
wunderbaren  Umstand  zu  Hilfe,  wodurch  das  Geld  be- 
zahlt werden  konnte.  An  Petrus  stellte  er  die  Frage: 
,,Was  dünkt  dich,  Simon?  Von  wem  nehmen  die  Könige 
auf  Erden  den  Zoll  oder  Zins  ?  Von  ihren  Kindern  oder  von 
den  Fremden  ?  —  Da  sprach  zu  ihm  Petrus :  Von  den  Frem- 
den. Jesus  sprach  zu  ihm:  So  sind  die  Kinder  frei.  Auf 
daß  aber  wir  sie  nicht  ärgern,  so  gehe  hin  an  das  Meer  und 
wirf  den  Angel,  und  den  ersten  Fisch,  der  herauffährt,  den 
nimm;  und  wenn  du  seinen  Mund  auftust,  wirst  du  einen 
Stater  finden;  den  nimm  und  gib  ihnen  für  mich  und 
dich."i) 

9.  Auf  Betreiben  gewisser  niederträchtiger  Pharisäer 
wurde  ein  verräterischer  Plan  geschmiedet,  um  Christus 
als  einen  Empörer  gegen  die  regierende  Gewalt  hinzustellen. 
Sie  suchten  ihn  mit  der  heuchlerischen  Frage:  „Meister  *  *  * 
ists  recht,  daß  man  dem  Kaiser  Zins  gebe?"  zu  fangen. 
Seine  Antwort  war  eine  unzweideutige  Bestätigung  der 
Unterwerfung  unter  die  Landesgesetze.  Er  erwiderte 
nämhch  seinen  Ausfragern:  ,, Weiset  mir  die  Zinsmünze! 
Und  sie  reichten  ihm  einen  Groschen  dar.  Und  er  sprach 
zu  ihnen:  Wes  ist  das  Bild  und  die  Überschrift?  Sie  spra- 
chen zu  ihm:  Des  Kaisers.  Da  sprach  er  zu  ihnen:  So 
gebet  dem  Kaiser,  was  des  Kaisers  ist,  und  Gott,  was 
Gottes  ist!"2) 

10.  In  all  den  ernsten  und  tragischen  Umständen 
seines  Verhörs  und  seiner  Verurteilung  beobachtete  Chri- 
stus ein  gesetzmäßiges  Verhalten,  selbst  gegenüber  dem 

»)  Matthäus  17:24—27. 

')  Matthäus  22:15—21;    auch  Markus  12:13—17;   Lukas  20:20—25. 


Art.  12.]         Gehorsam  gegenüber  den  Landesgesetzen.  515 

Hohenpriester  und  dem  Hohen  Rat,  die  seinen  Tod  be- 
schlossen hatten.  Diese  Beamten,  so  unwürdig  sie  auch 
waren,  hatten  nichtsdestoweniger  eine  gewisse  Macht- 
befugnis und  verfügten  immer  noch  über  eine  gewisse 
Gerichtsbarkeit,  sowohl  in  weltlichen  als  auch  in 
geistlichen  Angelegenheiten.  Als  er  vor  Kaiphas  stand, 
beladen  mit  Schimpf  und  Schande  und  beschuldigt  von 
falschen  Zeugen,  bewahrte  er  ein  würdevolles  Schweigen. 
Die  Frage  des  Hohenpriesters  ,, Antwortest  du  nichts  zu 
dem,  was  diese  wider  dich  zeugen?"  würdigte  er  keiner 
Antwort.  —  Dann  fuhr  aber  der  Hohepriester  fort:  „Ich 
beschwöre  dich  bei  dem  lebendigen  Gott,  daß  du  uns 
sagest,  ob  du  seiest  Christus,  der  Sohn  Gottes. "i)  Auf 
diese  feierliche,  mit  amtlicher  Autorität  ausgesprochene  Be- 
schwörung gab  der  Heiland  unverzüglich  eine  Antwort 
und  anerkannte  auf  diese  Weise  das  Amt  des  Hohenprie- 
sters, so  unwürdig  der  Mann  auch  war. 

11.  Eine  ähnliche  Achtung  vor  dem  Amt  des  Hohen- 
priesters legte  Paulus  an  den  Tag,  als  er  als  Gefangener 
vor  dem  Gerichtshof  stand.  Seine  Ausführungen  miß- 
fielen dem  Hohenpriester,  der  denen,  die  nahe  bei  Paulus 
standen,  sofort  den  Befehl  gab,  ihn  auf  den  Mund  zu  schla- 
gen.2)  Dies  erzürnte  den  Apostel  und  er  rief:  „Gott  wird 
dich  schlagen,  du  getünchte  Wand!  Sitzest  du,  mich  zu 
richten  nach  dem  Gesetz,  und  heißest  mich  schlagen  wider 
das  Gesetz?  Die  aber  umherstanden,  sprachen:  Schiltst 
du  den  Hohenpriester  Gottes?  Und  Paulus  sprach:  Liebe 
Brüder,  ich  wußte  es  nicht,  daß  er  der  Hohepriester  ist. 
Denn  es  steht  geschrieben:  Dem  Obersten  deines  Volkes 
sollst  du  nicht  fluchen. "3) 


')  Matth.  26:57— 64;  Markus  14:55—62. 

')  Siehe  Anmerkung  1. 

•)  Apostelgeschichte  23:1 — 5. 


516  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.XXIIl. 

12.  Die  Lehren  der  Apostel.  —  Paulus  schreibt  an  Titus, 
den  er  auf  Kreta  zurückgelassen  hatte,  um  über  die  dortige 
Gemeinde  zu  wachen,  warnt  ihn  vor  den  Schwachheiten 
seiner  Herde  und  ermahnt  ihn,  diese  zu  einem  ordent- 
lichen, gesetzentsprechenden  Leben  anzuhalten:  „Erin- 
nere sie,  daß  sie  den  Fürsten  und  der  Obrigkeit  Untertan 
und  gehorsam  seien,  zu  allem  guten  Werk  bereit  seien. "i) 
In  einer  andern  Stelle  betont  Paulus  mit  Nachdruck  die 
Pflicht  der  Heiligen  gegenüber  der  staatlichen  Gewalt, 
da  diese  Machtbefugnis  von  Gott  eingesetzt  sei.  Er  er- 
läutert die  Notwendigkeit  einer  weltlichen  Regierung  und 
das  Bedürfnis  für  Beamte  mit  Vollmacht,  deren  Macht  nur 
von  Übeltätern  gefürchtet  werden  müsse.  Er  bezeichnet 
die  staatlichen  Beamten  als  Diener  Gottes  und  rechtfer- 
tigt die  Steuererhebung  des  Staates  mit  einer  Ermahnung 
an  die  Heiligen,  ihre  bezüglichen  Abgaben  zu  entrichten. 

13.  Seine  Worte,  die  an  die  Gemeinde  zu  Rom  ge- 
richtet sind,  lauten  wie  folgt:  ,, Jedermann  sei  Untertan 
der  Obrigkeit,  die  Gewalt  über  ihn  hat.  Denn  es  ist  keine 
Obrigkeit  ohne  von  Gott;  wo  aber  Obrigkeit  ist,  die  ist 
von  Gott  verordnet.  Wer  sich  nun  der  Obrigkeit  wider- 
setzet, der  widerstrebet  Gottes  Ordnung;  die  aber  wider- 
streben, werden  über  sich  ein  Urteil  empfangen.  Denn  die 
Gewaltigen  sind  nicht  den  guten  Werken,  sondern  den 
bösen  zu  fürchten.  Willst  du  dich  aber  nicht  fürchten  vor 
der  Obrigkeit,  so  tue  Gutes,  so  wirst  du  Lob  von  ihr  haben. 
Denn  sie  ist  Gottes  Dienerin  dir  zugut.  Tust  du  aber  Böses, 
so  fürchte  dich ;  denn  sie  trägt  das  Schwert  nicht  umsonst : 
sie  ist  Gottes  Dienerin,  eine  Rächerin  zur  Strafe  über  den, 
der  Böses  tut.  Darum  ists  not,  Untertan  zu  sein,  nicht 
allein  um  der  Strafe  willen,  sondern  auch  um  des  Gewissens 
willen.   Derhalben  müßt  ihr  auch  Schoß  geben;  denn  sie 


1)  Titus  3:1. 


Art.  12.]         Gehorsam  gegenüber  den  Landesgesetzen.  517 

sind  Gottes  Diener,  die  solchen  Schutz  sollen  handhaben. 
So  gebet  nun  jedermann,  was  ihr  schuldig  seid :  Schoß,  dem 
der  Schoß  gebührt;  Zoll,  dem  der  Zoll  gebührt;  Furcht, 
dem  die  Furcht  gebührt;  Ehre,  dem  die  Ehre  gebührt."^) 

14.  In  einem  Brief  an  Timotheus  lehrt  Paulus,  daß 
in  die  Gebete  der  Heiligen  die  Könige  und  die  staatlichen 
Obrigkeiten  eingeschlossen  werden  sollten  und  fügt  hinzu, 
diese  Fürbitte  sei  Gott  wohlgefällig,  —  „So  ermahne  ich 
nun,  daß  man  vor  allen  Dingen  zuerst  tue  Bitte,  Gebet,  Für- 
bitte und  Danksagung  für  alle  Menschen,  für  die  Könige 
und  für  alle  Obrigkeit,  auf  daß  wir  ein  ruhiges  und  stilles 
Leben  führen  mögen  in  aller  Gottseligkeit  und  Ehrbarkeit. 
Denn  solches  ist  gut  und  angenehm  vor  Gott,  unserm 
Heiland."2) 

15.  Die  Pflicht  des  bereitwilligen  Gehorsams  gegen- 
über der  Autorität  wird  in  den  Briefen  an  die  Epheser 
und  Kolosser  eingehend  behandelt,  wobei  Vergleiche  mit 
dem  gesellschaftlichen  und  häuslichen  Leben  angestellt 
werden.  Den  Frauen  wird  gelehrt,  ihren  Männern  Unter- 
tan zu  sein,  denn  „der  Mann  ist  des  Weibes  Haupt,  gleich- 
wie auch  Christus  das  Haupt  ist  der  Gemeinde."  —  Jedoch 
ist  diese  Pflicht  in  der  Familie  eine  gegenseitige,  weshalb 
die  Männer  über  die  Art  und  Weise,  in  der  diese  Macht- 
befugnis ausgeübt  werden  sollte,  belehrt  werden.  Kinder 
sollen  ihren  Eltern  gehorchen,  indessen  werden  die  Eltern 
davor  gewarnt,  ihre  Kinder  zu  beleidigen  oder  ihnen  An- 
stoß zu  geben.  — Den  Knechten  wird  gesagt,  ihren  Herren 
willige  und  ernsthafte  Dienste  zu  leisten  und  in  allen  Dingen 
die  höhere  Autorität  anzuerkennen.  —  Den  Herren  wird 
ihre  Pflicht  gegenüber  ihren  Dienern  eingeschärft  und 
gesagt,    von    Drohungen    und    harter    Behandlung    ab- 


')  Römer  13:1—7. 
2)  1.  Timotheus  2:1- 


518  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXIII. 

zusehen  und  sich  immer  daran  zu  erinnern,  daß  sie  der- 
einst vor  einem  Herrn,  der  größer  ist  als  sie.  Rede  und  Ant- 
wort stehen  müssen. i) 

16.  Da  wo  Petrus  von  der  Heiligkeit  spricht,  mit  der 
die  staatliche  Gewalt  angesehen  werden  sollte,^)  ist  er  nicht 
weniger  eindringlich  als  Paulus.  Er  ermahnt  die  Heiligen 
mit  folgenden  Worten:  ,,Seid  Untertan  aller  menschlichen 
Ordnung  um  des  Herrn  willen,  es  sei  dem  Könige,  als  dem 
Obersten,  oder  den  Hauptleuten,  als  die  von  ihm  gesandt 
sind  zur  Rache  über  die  Übeltäter  und  zu  Lobe  den  From- 
men. Denn  das  ist  der  Wille  Gottes,  daß  ihr  mit  Wohltun 
verstopfet  die  Unwissenheit  der  törichten  Menschen,  als 
die  Freien  und  nicht,  als  hättet  ihr  die  Freiheit  zum  Deckel 
der  Bosheit,  sondern  als  die  Knechte  Gottes.  Tut  Ehre 
jedermann,  habt  die  Brüder  lieb;  fürchtet  Gott,  ehret  den 
König!"») 

17.  Diese  allgemeinen  Regeln  inbezug  auf  die  Unter- 
werfung unter  die  Autorität  wendet  er  in  ähnlicher  Weise 
wie  Paulus  auf  die  Verhältnisse  des  häuslichen  Lebens  an. 
Diener  sollten  gehorsam  sein,  selbst  wenn  ihre  Herren 
streng  und  hart  sind :  ,,Denn  das  ist  Gnade,  so  jemand 
um  des  Gewissens  willen  zu  Gott  das  Übel  verträgt  und 
leidet  das  Unrecht.  Denn  was  ist  das  für  ein  Ruhm,  so  ihr 
um  Missetat  willen  Streiche  leidet  ?  Aber  wenn  ihr  um  Wohl- 
tat willen  leidet  und  erduldet,  das  ist  Gnade  bei  Gott."^) 
—  Desgleichen  sollten  die  Frauen,  auch  wenn  ihre  Männer 
eines  andern  Glaubens  seien,  sich  nicht  selbst  rühmen  und 
der  Autorität  Trotz  bieten,  sondern  Untertan  sein  und  ed- 
lere und  wirkungsvollere  Mittel  anwenden,  um  die,  deren 
Namen  sie  tragen,  zu  beeinflussen.^)  Er  weist  auf  das  Ge- 

')  Epheser  5:22—23;  6:1—9;  Kolosser    3:18—22;  4:1. 
')  Siehe  Anmerkung  2. 
3)  1.  Petrus  2:13—17. 
*)  Verse  19—20. 
«)  1.  Petrus  3:1—7. 


Art.  12.]         Gehorsam  gegenüber  den  Landesgesetzen.  519 

rieht  hin,  das  über  alle  kommen  werde  und  nennt  als  ge- 
eignete Wesen  für  die  Verdammnis  „allermeist  aber  die, 
so  da  wandeln  nach  dem  Fleisch  in  der  unreinen  Lust,  und 
die  Herrschaft  verachten,  frech,  eigensinnig,  nicht  er- 
zittern, die  Majestäten  zu  lästern. "i) 

18.  Es  bestanden  ohne  Zweifel  triftige  Gründe  für 
diese  deutlichen  und  wiederholten  Ratschläge  gegen  den 
Geist  der  Empörung,  mit  denen  die  Apostel  vor  alters 
die  Kirche  zu  leiten  und  zu  kräftigen  suchten.  Die  Heiligen 
freuten  sich  über  das  Zeugnis  von  der  Wahrheit,  das  in 
ihren  Herzen  Wurzel  gefaßt  hatte  —  über  jene  Wahrheit, 
die  sie  frei  machen  sollte  —  und  es  wäre  für  sie  nur  natür- 
lich gewesen,  alle  andern  für  geringer  zu  achten,  als  sich 
selbst  und  sich  gegen  die  Macht  der  Menschen  aufzulehnen 
zu  Gunsten  ihrer  Ergebenheit  gegenüber  einer  höhern 
Macht.  Es  lag  beständig  die  Gefahr  nahe,  daß  ihr  Eifer 
sie  zu  anmaßenden  Handlungen  verleiten  könnte,  die 
dann  einen  Vorwand  wenn  nicht  einen  Grund  abgeben 
könnten  für  die  Angriffe  ihrer  Verfolger,  von  denen  sie 
sogleich  als  Gesetzesübertreter  und  Anstifter  von  Empö- 
rungen hingestellt  worden  wären.  Selbst  eine  nur  wider- 
willige Ergebenheit  in  die  bürgerliche  Machtbefugnis 
wäre,  angesichts  des  Argwohnes,  mit  dem  die  neue  Sekte 
von  ihren  heidnischen  Zeitgenossen  betrachtet  wurde,  für 
sie  schließlich  nur  unklug  gewesen.  Deshalb  ließen  ihre 
inspirierten  Führer  ihre  Stimme  erschallen  und  gaben 
zeitgemäße  Ratschläge  zur  Demut  und  Ergebung.  —  Es 
gab  aber  damals,  wie  übrigens  zu  jeder  Zeit,  gewichtigere 
Gründe  als  politische,  für  die  Unterwerfung  unter  die  ein- 
gesetzten Gewalten:  diese  Forderung  ist  ebensosehr  das 
Gesetz  Gottes  wie  das  der  Menschen.  Regierungen  sind 
für  das  menschliche  Dasein  notwendig,  sie  werden  aner- 


1)  2.  Petrus  2:10. 


520  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXII  I. 

kannt,  ja  sogar  gegeben  von  dem  Herrn,  und  sein  Volk 
ist  verpflichtet,  sie  zu  unterstützen.  — 

19.  Das  Buch  Mormon  enthält  hinsichtlich  der  Pflich- 
ten des  Volkes,  den  Landesgesetzen  gegenüber  gehorsam 
zu  sein,  ausgiebige  Belehrungen.  Da  jedoch  die  staatliche 
und  die  kirchliche  Autorität  gewöhnlich  vereinigt,  der 
König  oder  der  Hauptrichter  also  zugleich  auch  Hoher- 
priester  war,  finden  sich  verhältnismäßig  wenig  Ermah- 
nungen zur  Unterstützung  der  staatlichen  Autorität  in 
dem  Sinne  einer  Unterscheidung  derselben  vom  Priester- 
tum.  Von  der  Zeit  Nephis,  dem  Sohne  Lehis,  bis  zum  Tode 
Mosiahs,  d.  h.  während  einer  Periode  von  annähernd  fünf- 
hundert Jahren,  w^urden  die  Nephiten  in  ununterbrochener 
Reihenfolge  von  Königen  regiert.  Während  der  übrigen 
Zeit  ihrer  beurkundeten  Geschichte  —  mehr  denn  fünf- 
hundert Jahre  —  regierten  Richter  das  Volk,  die  von  die- 
sem selbst  gewählt  wurden.  Unter  beiden  Regierungs- 
formen wurden  die  staatlichen  Gesetze  streng  eingehalten, 
die  Macht  des  Staates  ergänzt  und  verstärkt  durch  die 
der  Kirche.  Die  Heiligkeit,  mit  der  die  Gesetze  betrachtet 
wurden,  wird  durch  das  Urteil  veranschaulicht,  das  Alma 
über  Nehor,  einen  Mörder  und  Verteidiger  des  Aufruhrs 
und  Paffentruges,  fällte:  „Du  bist  verurteilt  zu  sterben", 
sagte  der  Richter,  ,,nach  dem  Gesetze,  welches  uns  von 
Mosiah,  unserm  letzten  König  gegeben  worden  ist;  diese 
Gesetze  sind  von  diesem  Volke  angenommen  worden, 
darum  muß  sich  dies  Volk  an  das  Gesetz  halten."^) 

20.  Neuzeitliche  Offenbarung  verlangt  von  den  Hei- 
ligen in  der  gegenwärtigen  Dispensation  strikte  Unter- 
werfung unter  die  staatlichen  Gesetze.  In  einer  Mitteilung 
an  die  Kirche,  datiert  vom  1.  August  1831,  sagt  der  Herr: 
„Niemand  breche  die  Gesetze  des  Landes,  denn  der,  wel- 


Art.  12.]        Gehorsam  gegenüber  den  Landesgesetzen.  521 

eher  die  Gebote  Gottes  hält,  braucht  die  Gesetze  des  Lan- 
des nicht  zu  brechen.  Darum  seid  der  Obrigkeit  untrrtan, 
die  Gewalt  über  euch  hat,  bis  der  regieren  wird,  dessen 
Recht  es  ist,  zu  regieren,  und  er  alle  seine  Feinde  unter 
seine  Füße  getan  haben  wird."^)  —  Zu  einem  spätem  Zeit- 
punkt, nämlich  am  6.  August  1833,  erhob  der  Herr  in  dieser 
Sache  nochmals  seine  Stimme  und  sprach:  „Und  nun, 
wahrlich,  ich  sage  euch,  inbezug  auf  die  Landesgesetze: 
Es  ist  mein  Wille,  daß  mein  Volk  acht  haben  soll,  alles  zu 
tun,  was  ich  ihm  gebiete.  Das  Gesetz  des  Landes,  das  der 
Verfassung  gemäß  ist,  und  in  der  Aufrechterhaltung  von 
Rechten  und  Privilegien  das  Prinzip  der  Freiheit  unter- 
stützt, gehört  allen  Menschen  an  und  ist  vor  mir  gerecht- 
fertigt. Deshalb  rechtfertige  ich,  der  Herr,  euch  und  eure 
Brüder  meiner  Kirche  jenem  Gesetze,  welches  das  verfas- 
sungsmäßige Gesetz  des  Landes  ist,  freundlich  gesinnt  zu 
sein. "2) 

21.  Die  folgende  Frage  ist  oft  an  die  Kirche  und  an 
einzelne  Mitglieder  gerichtet  worden:  Angenommen,  die 
von  Menschen  aufgestellten  Gesetze  würden  den  Geboten 
des  geoffenbarten  Wort  Gottes  widersprechen,  welcher 
dieser  beiden  Autoritäten  wären  dann  die  Mitglieder 
zum  Gehorsam  verpflichtet?  Hierauf  kann  die  Ant- 
wort mit  den  Worten  Christi  gegeben  werden :  Es  ist  Pflicht 
des  Volkes,  dem  Kaiser  zu  geben,  was  des  Kaisers  ist,  und 
Gott,  was  Gottes  ist.  Das  Himmelreich  als  eine  irdische 
Macht  mit  einem  regierenden  König,  der  eine  unmittelbare 
und  persönliche  Machtbefugnis  in  zeitlichen  Dingen  ausübt, 
ist  bis  heute  noch  nicht  auf  Erden  aufgerichtet  worden; 
die  Gemeinden  der  Kirche  und  deren  Mitglieder  sind  den 
verschiedenen  Regierungen  unterworfen,  in  deren  Macht- 
bereich sie  sich  befinden.  —  Heute,  bei  der  verhältnismäßig 


■)  Lehre  u.  Bündn.  58:21—22. 
')  L.  u.  B.  98:4—6. 


522  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXIII. 

großen  Erleuchtung  und  Freiheit,  ist  wenig  Grund  dafür 
vorhanden,  irgend  einen  direkten  Zusammenstoß  mit  den 
Rechten  der  privaten  Verehrung  und  des  persönhchen 
Gottesdienstes  zu  befürchten.  Bei  zivilisierten  Völkern  wird 
den  Bürgern  gestattet,  zu  beten  und  dieses  Recht  wird 
durch  ein  gewissermaßen  allgemeines  Gesetz  der  Mensch- 
heit geschützt.  Keine  ernstlich  bestrebte  Seele  ist  von  der 
Verbindung  mit  ihrem  Gott  abgeschnitten,  und  auf  diesem 
offenstehenden  Weg  kann  Hilfe  vor  den  bedrückenden 
Gesetzen  und  Linderung  der  Not  von  der  Macht  erbeten 
werden,  welche  die  Völker  überwacht. 

22.  Im  Vertrauen  darauf,  daß  die  Macht  der  Vorse- 
hung zu  Gunsten  religiöser  Freiheit  wirken  wird,  sollten 
sich  die  Heiligen  den  Gesetzen  ihres  Landes  fügen.  Dessen- 
ungeachtet sollten  sie  als  Bürger  und  Untertanen  ihrer 
verschiedenen  Regierungen  in  jeder  angebrachten  Weise 
dafür  eintreten,  daß  ihnen  und  allen  Menschen  das  kost- 
bare Gut  persönlicher  Freiheit  in  religiösen  Angelegen- 
heiten gesichert  wird.  Es  wird  nicht  von  ihnen  verlangt, 
daß  sie  den  ungesetzhchen  Druck  gesetzloser  Verfolger, 
oder  die  Folgen  ungerechter  Gesetzgebung,  ohne  Wider- 
spruch hinnehmen  und  dulden ;  aber  ihr  Widerspruch  soll  auf 
gesetzliche  und  maßvolle  Weise  geltend  gemacht  werden. 
—  Die  Heiligen  der  letzten  Tage  haben  der  Welt  eine  prak- 
tische Darlegung  jener  Lehre  gegeben,  daß  es  besser  sei, 
Böses  zu  erdulden,  als  durch  rein  menschliche  Empörung 
gegenüber  ungerechter  Autorität  Unrecht  zu  tun.  Wenn 
durch  eine  derartige  Unterwerfung  unter  die  Gesetze  des 
Landes  und  im  Falle  daß  diese  Gesetze  ungerecht  und  der 
menschlichen  Freiheit  zuwider  sind,  die  Heiligen  verhindert 
werden,  das  ihnen  von  Gott  aufgetragene  Werk  zu  tun, 
so  werden  sie  für  die  Unmöglichkeit,  nach  dem  höhern 
Gesetz  zu  handeln,  nicht  verantwortlich  gemacht.  Das  uns 
gegebene  Wort  des  Herrn  erläutert  unmißverständlich  die 


Art.  12.  J        Gehorsam  gegenüber  den  Landesgesetzen.  523 

Pflicht  und  die  Stellung  des  Volkes  in  einem  solchen  Wider- 
streit: „Wahrlich,  wahrlich  ich  sage  euch:  wenn  ich 
irgend  welchen  der  Menschensöhne  ein  Gebot  gebe,  in 
meinem  Namen  ein  Werk  zu  tun,  und  jene  Menschensöhne 
gehen  daran  mit  all  ihrer  Kraft  und  allem,  was  sie  haben, 
jenes  Werk  auszurichten  und  lassen  in  ihrem  Fleiß  nicht 
nach,  und  ihre  Feinde  kommen  über  sie  und  hindern  sie 
an  der  Ausführung  jenes  Werkes,  sehet,  dann  geziemt  es 
mir,  jenes  Werk  nicht  mehr  von  jenen  Menschensöhnen  zu 
verlangen,  sondern  ihre  Opfer  anzunehmen ;  und  die  Gott- 
losigkeit und  Übertretung  meiner  heiligen  Gesetze  und 
Gebote  will  ich  an  denen  heimsuchen,  welche  mein  Werk 
hinderten  bis  ins  dritte  und  vierte  Glied,  solange  sie 
mich  hassen  und  nicht  Buße  tun,  spricht  Gott,  der  Herr".^) 

23.  Ein  Beispiel  einer  derartigen  Ausschaltung  des 
göttlichen  Gesetzes  ist  die  Maßnahme  der  Kirche  hinsicht- 
lich der  Vielehe.  Diese  Einrichtung  war  auf  Grund  einer 
direkten  Offenbarung^)  ins  Leben  gerufen  worden.  Viele 
von  denen,  die  sie  befolgten,  fühlten,  daß  ihnen  von  Gott 
befohlen  wurde,  so  zu  handeln.  In  den  ersten  zehn  Jahren 
nach  Einführung  der  Vielehe  als  kirchliche  Verordnung 
in  Utah,  wurde  kein  Gesetz  erlassen,  das  dieser  Sitte  wider- 
sprach. Zu  Anfang  des  Jahres  1862  wurden  jedoch  bundes- 
staatliche Gesetzentwürfe  ausgearbeitet,  welche  die  Ver- 
ordnung für  ungesetzlich  erklärten  und  auf  ihre  Befolgung 
Strafen  setzte.  Die  Kirche  vertrat  den  Standpunkt,  daß 
diese  Erlaße  verfassungswidrig  und  deshalb  ungültig  seien, 
zumal  weil  sie  jenen  Vorbehalt  in  der  Verfassungsurkunde 
des  Landes  verletzten,  welcher  der  Regierung  das  Recht 
verweigert,  Gesetze  über  die  Einrichtung  religiöser  Gemein- 
schaften oder  zum  Verbot  der  freien  Ausübung  der  Religion 


i)  Lelire  u.  Bündn.  124:49 — 50;  siehe  Anmerkung  3. 
=)  L.  u.  B.  132. 


524  Die  Glaubensartikel  [Vorl.  XXIII. 

ZU  erlassen.^)  Wiederholte  Berufungen  wurden  eingelegt, 
sodaß  die  Sache  bis  an  die  letzte  Instanz,  den  Bundes- 
gerichtshof, gelangte  und  schließlich  wurde  die  endgültige 
Entscheidung  dahin  ausgesprochen,  daß  die  Gesetze  gegen 
die  Vielehe  verfassungsgemäß  seien  und  daher  zu  Recht 
beständen.  Die  Kirche  ließ  daraufhin  durch  ihren  ersten 
Beamten  die  Ausführung  der  Vielehe  einstellen  und  gab 
diese  Maßnahme  der  Mitwelt  bekannt,  indem  sie  gleich- 
zeitig in  feierlicher  Weise  die  Veranwortung  für  diese  Än- 
derung dem  Staat  auferlegte,  durch  dessen  Gesetze  die 
Verzichtleistung  erzwungen  worden  war.  Diese  Maßnahme 
ist  durch  eine  ausdrückliche  Willenserklärung  der  zu  einer 
Konferenz  versammelten  Kirche  gutgeheißen  und  bestätigt 
worden. 2) 

24.  Was  die  Kirche  heute  lehrt.  Vielleicht  kann  man 
keine  bessere  Zusammenfassung  der  Lehren  der  Kirche 
Jesu  Christi  der  Heiligen  der  letzten  Tage  über  ihr  Verhält- 
nis zur  staatlichen  Macht  und  die  den  Gesetzen  des  Landes 
gebührende  Achtung  geben,  als  das  entsprechende  von 
Joseph  Smith  verfaßte  Glaubensbekenntnis,  das  dem  Buch 
der  Lehre  und  Bündnisse  einverleibt  wurde  —  einem  der 
maßgebenden  Kirchenbücher,  die  durch  Abstimmung 
von  der  Kirche  als  ihre  anerkannten  Führer  in  Glau- 
ben und  Lehre  und  Lebensführung  angenommen  wurden. 3) 
Es  lautet  wie  folgt: 

Über  Regierungen  und  Gesetze  im  allgemeinen. 

1.  Wir  glauben,  daß  Regierungen  von  Gott  zum  Nut- 
zen der  Menschheit  eingerichtet  worden  sind,  und  daß  er 
die  Menschen  für  ihre  Handlungen  inbezug  auf  dieselben 


')  Artikel  I  der  „Amendments  to  the  Constitution  of  the  United 
Slates." 

-)   Siehe  Anmerkung  4. 
')  Lehre  u.  Bündn.  134. 


Art.  12.]        Regierungen  und  Gesetze  im  allgemeinen.  525 

verantwortlich  hält,  sei  es  im  Geben  von  Gesetzen  oder 
in  der  Ausführung  derselben  zum  Nutz  und  Frommen  und 
zur  Sicherheit  der  Gesellschaft. 

2.  Wir  glauben,  daß  keine  Regierung  in  Frieden 
bestehen  kann,  wenn  nicht  Gesetze  gegeben  und  un- 
antastbar gehalten  werden,  die  jeder  Person  Gewissens- 
freiheit, Eigentumsrechte  und  Schutz  des  Lebens  zu- 
sichern. 

3.  Wir  glauben,  daß  alle  Regierungen  notwendiger- 
weise Zivilbeamter  und  Magistrate  bedürfen,  um  ihre 
Gesetze  zu  vollziehen,  und  daß  solche,  die  das  Gesetz 
in  Unparteilichkeit  und  Gerechtigkeit  ausüben,  gesucht 
und  durch  die  Stimme  des  Volks  (wenn  in  einer  Republik) 
oder  durch  den  Willen  des  Souverains  aufrecht  erhalten 
werden  sollten. 

4.  Wir  glauben,  daß  die  Religion  von  Gott  eingesetzt 
ist  und  daß  die  Menschen  ihm,  und  ihm  allein,  für  ihre 
Ausübung  verantwortlich  sind,  es  sei  denn,  ihre  reli- 
giösen Meinungen  treiben  sie  an,  in  die  Rechte  und  Frei- 
heiten andrer  einzugreifen .  Ferner  glauben  wir,  daß  mensch- 
liche Gesetze  kein  Recht  haben  in  der  Vorschreibung  von 
Kultusbestimmungen,  um  die  Gewissensfreiheit  zu  be- 
schränken; und  daß  Magistrate  Verbrechen  in  Schranken 
halten,  doch  nie  das  Gewissen  einschränken,  die  Schul- 
digen bestrafen,  doch  nie  die  Freiheit  des  Geistes  unter- 
drücken sollten. 

5.  Wir  glauben,  daß  alle  Menschen  verpflichtet  sind, 
die  entsprechenden  Regierungen,  unter  denen  si»^  leben, 
zu  unterstützen,  wenn  sie  in  ihren  angeborenen  und 
unveräußerlichen  Rechten  durch  die  Gesetze  solcher  Re- 
gierungen beschützt  werden;  daß  Aufstand  und  Empö- 
rung solcher  beschützter  Bürger  ihren  Vergehen  gemäß  be- 
straft werden  sollten ;  und  daß  alle  Regierungen  ein  Recht 
haben,   solche  Gesetze  zu   erlassen,   welche  nach  ihrem 


526  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXIII. 

Urteil  am  besten  geeignet  sind,  das  öffentliche  Interesse 
zu  sichern,  gleichzeitig  jedoch  die  Freiheit  des  Gewissens 
heilig  zu  halten. 

6.  Wir  glauben,  daß  jedermann  in  seiner  Stellung 
geachtet  werden  sollte,  Beamte  und  Magistrate  als  solche, 
da  sie  zum  Schutz  der  Unschuldigen  und  zur  Bestrafung 
der  Schuldigen  eingesetzt  worden  sind ;  und  daß  alle  Men- 
schen den  Gesetzen  Achtung  und  Unterwerfung  schuldig 
sind,  da  sonst  Friede  und  Eintracht  durch  Anarchie  und 
Schreckensherrschaft  verdrängt  werden  würden.  Mensch- 
liche Gesetze  sind  zu  dem  ausdrücklichen  Zweck  eingesetzt, 
unsere  Interessen  als  Individuen  und  Nationen  zu  regulieren, 
zwischen  Mensch  und  Mensch,  und  göttliche  Gesetze  sind 
vom  Himmel  gegeben,  Regeln  über  unsere  geistlichen  Ange- 
legenheiten für  Glauben  und  Verehrung  vorzuschreiben, 
für  deren  Beobachtung  der  Mensch  seinem  Schöpfer  ver- 
antwortlich ist. 

7.  Wir  glauben,  daß  Gesetzgeber,  Staaten  und  Re- 
gierungen ein  Recht  haben  und  verpflichtet  sind,  Gesetze 
zum  Schutz  aller  Bürger  in  der  freien  Ausübung  ihres  re- 
ligiösen Glaubens  zu  erlassen ;  doch  glauben  wir  nicht,  daß 
sie,  in  Gerechtigkeit,  ein  Recht  haben,  Bürger  dieses  Vor- 
rechts zu  berauben  oder  sie  in  ihren  Meinungen  zu  beschrän- 
ken, solange  sie  den  Gesetzen  des  Landes  Achtung  und 
Aufmerksamkeit  zeigen  und  solange  ihre  religiösen  Mei- 
nungen Aufruhr  und  Empörung  nicht  rechtfertigen. 

8.  Wir  glauben,  daß  das  Begehen  von  Verbrechen 
nach  ihrer  Natur  bestraft  werden  sollte;  daß  ISIord,  Hoch- 
verrat, Raub,  Diebstahl  und  die  Störung  des  allgemeinen 
Friedens  in  jeder  Beziehung  nach  ihrer  Kriminalität  und 
ihrer  Tendenz,  Böses  unter  den  Menschen  anzustiften, 
von  den  Regierungen,  wo  die  Vergehen  ausgeübt  wurden, 
bestraft  werden  sollten;  und  daß  alle  für  die  öffentliche 


Art.  12.]       Regierungen  und  Gesetze  im  allgemeinen.  527 

Ruhe  und  Sicherheit  nach  ihren  Fähigkeiten  mitwirken 
sollten,  sodaß  Übertreter  guter  Gesetze  bestraft  werden. 

9.  Wir  glauben,  daß  es  nicht  recht  ist,  religiöse  Ein- 
flüße  mit  Regierungen  zu  verbinden,  wodurch  eine  reli- 
giöse Gesellschaft  begünstigt,  während  eine  andere  in  ihren 
geistlichen  Rechten  beschränkt  wird,  und  ihren  Mitglie- 
dern die  persönlichen  Rechte  als  Bürger  versagt  werden. 

10.  Wir  glauben,  daß  alle  religiösen  Gesellschaften 
ein  Recht  haben,  ihre  Mitglieder  für  unpassendes  Betragen 
nach  den  Regeln  und  Vorschriften  solcher  Gesellschaften 
zur  Rechenschaft  zu  ziehen,  vorausgesetzt,  daß  solche 
Handlungen  nur  das  religiöse  Gemeinschaftsrecht  be- 
rühren; doch  glauben  wir  nicht,  daß  irgendeine 
religiöse  Gesellschaft  Autorität  hat,  Leute  zu  verhören, 
wo  es  sich  um  Eigentum  oder  Leben  handelt,  oder 
von  ihnen  die  Güter  dieser  Welt  zu  nehmen,  oder  sie  in 
Leibes-  oder  Lebensgefahr  zu  setzen,  oder  körperliche  Be- 
strafung zu  erteilen;  sie  können  sie  nur  von  ihrer  Kirche 
ausschließen,  und  ihnen  ihre  Gemeinschaft  entziehen. 

IL  Wir  glauben,  daß  Menschen  die  Zivilgesetze  um 
Abhülfe  anrufen  sollen  für  alles  Unrecht  und  für  alle  Be- 
schwerden, womit  persönliche  Mißhandlung  aufgebürdet 
oder  das  Recht  von  Eigentum  und  Ruf  verletzt  wird,  so- 
fern solche  Gesetze  existieren,  die  dieselben  beschützen 
werden ;  ferner  glauben  wir,  daß  alle  Menschen  gerechtfer- 
tigt sind,  sich  selbst,  ihre  Freunde,  und  deren  Eigentum 
und  die  Regierung,  gegen  ungesetzliche  Anfälle  und  Ein- 
griffe aller  Personen  zu  verteidigen,  namentlich  in  Zeiten 
der  Not,  in  denen  plötzliche  Abhilfe  von  den  Gesetzen 
nicht  erwartet  noch  Hilfe  gewährt  werden  kann. 

12.  Wir  glauben,  daß  es  gerecht  ist,  das  Evangelium 
den  Nationen  der  Erde  zu  predigen  und  die  Rechtschaffe- 
nen zu  warnen,  sich  von  den  Verderbtheiten  der  Welt  zu 
retten;  doch  halten  wir  es  nicht  für  recht,  uns  mit  Leib- 


528  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXIII. 

eigenen  einzulassen,  weder  ihnen  das  Evangelium  zu  pre- 
digen, noch  sie  zu  taufen,  gegen  den  Wunsch  und  Willen 
ihrer  Herren,  noch  sie  zu  behelligen,  oder  sie  im  gering- 
sten zu  beeinflußen  oder  zu  veranlassen  mit  ihrer  Lage  in 
diesem  Leben  unzufrieden  zu  sein,  und  dabei  das  Leben 
von  Menschen  zu  gefährden;  wir  glauben,  daß  solches 
Einmischen  ungesetzlich  und  ungerecht  ist  und  dem 
Frieden  jeder  Regierung,  welche  menschliche  Wesen  in 
Leibeigenschaft  zu  halten  erlaubt,  gefährlich  ist." 


Anmerkungen. 

1.  Pauli  und  Christi  Verliöhnung.  —  Siehe  Apostelgeschichte  23:1 — 5. 
,,Der  Apostel  hatte  kaum  den  ersten  Satz  seiner  Verteidigungsrede  gespro- 
chen, alsAnanias  in  schändlicher  Ungesetzlichkeit  den  Gerichtsdienern  befahl, 
ihn  auf  den  Mund  zu  schlagen.  Empört  durch  eine  so  offenkimdige  Ver- 
höhnung, eine  so  unwürdige  Schmähung,  flammte  das  natürliche,  chole- 
rische Temperament  des  Apostels  Paulus  zu  jenem  plötzlichen  Zorn  auf, 
der  zwar  beherrscht  werden  sollte,  den  wir  jedoch  bei  einem  wahrhaft  edlen 
Charakter  nur  ungern  vermissen  möchten.  Kein  Charakter  kann  voll- 
kommen sein,  der  nicht  —  obschon  an  und  für  sich  durchaus  großmütig 
und  versöhnlich  —  einen  tiefsitzenden  Unwillen  und  das  Gefühl  gerechten 
Zornes  gegenüber  unerträglichem  Unrecht  hegt  und  pflegt.  „Gott  wird 
dich  schlagen,  du  getünchte  Wand!"  rief  er  aus  auf  den  brennenden  Schlag 
hin,  „Sitzest  du,  mich  zu  richten  nach  dem  Gesetz,  und  heißest  mich  schlagen 
wider  das  Gesetz?"  —  Die  Sprache  ist  ihrer  Heftigkeit  wegen  als  unange- 
bracht kritisiert  worden;  man  verglich  sie  zu  ihrem  Nachteil  mit  der  von 
Christus  bei  seinem  Verhör  vor  dem  Gericht  seiner  Feinde  an  den  Tag  ge- 
legten Sanftmut  (Johannes  18:19 — 23).  „Wo",  fragt  Jerome,  „ist  jene 
Geduld  des  Heilandes,  der  —  wie  ein  Lamm  zur  Schlachtbank  geführt, 
ohne  den  Mund  zu  öffnen  —  den  Schlagenden  so  milde  fragt:  „Habe  ich 
übel  geredet,  so  beweise  es,  daß  es  böse  sei;  habe  ich  aber  recht  geredet, 
was  schlägst  du  mich?"  Wir  verkleinern  den  Apostel  nicht,  wir  verkünden 
nur  die  Herrlichkeit  Gottes,  der,  im  Fleische  leidend,  siegreich  Unrecht 
und  Fehler  der  Menschen  beherrscht.  Es  ist  jedoch  nicht  nötig,  den  Leser 
daran  zu  erinnern,  daß  Christus  nicht  nur  ein-  oder  zweimal  seinen  gerechten 
Zorn  walten  ließ,  und  Scheinliciligkeit  und  Unverschämtheit  mit  einem 
Schlag  seines  heiligen  Ingiimms  niederschlug,  —  Die  Umstehenden  scheinen 
über  die  Unerschrockenheit  des  Apostels  bestürzt  gewesen  zu  sein,  denn 
sie  sagten  zu  ihm :  „Schiltst  du  den  Hohenpriester  Gottes  ?"  —  Die  Erregung 
Pauli  hatte  sich  in  dem  einen  Ausbruch  Luft  gemacht;  auf  der  Stelle  ent- 
schuldigte er  sich  mit  ausgesuchter  Höflichkeit  und  Selbstbeherrschung. 
„Liebe  Brüder"  sagte  er,  „ich  wußte  es  nicht,  daß  er  der  Hohepriester 


Art.  12.]  Anmerkungen.  529 

ist"  und  fügte  hinzu,  daß  wenn  er  es  gewußt  hätte,  würde  er  ihn  nicht 
mit  dem  Schimpfnamen  „getünchte  Wand"  angesprochen  haben,  denn 
er  achtete  die  Vorsclirift  der  Heiligen  Schrift  und  handelte  darnach :  „Dem 
Obersten  deines  Volks  sollst  du  nicht  fluchen."  —  Farrar,  „The  Life  and 
Work  of  St.  Paul",   Seite  539—540. 

2.  Die  Belehrungen  des  Petrus  hinsichtlich  der  Unterwerfung  unter 
die  Landesgesetze.  —  Eine  besondere  Pflicht  der  Christen  jener  Tage  be- 
stand darin,  den  staatlichen  Regierungen  in  allen  gesetzmäßigen  Dingen  die 
schuldige  Achtung  zu  erweisen.  Wohl  kann  es  Gelegenheit  geben  —  keiner 
wußte  dies  besser  als  der  Apostel,  der  selbst  ein  würdiges  Beispiel  von  Un- 
gehorsam gegenüber  unberechtigtem  Verlangen  hinterlassen  hat  (Apostelge- 
schichte 4:19,  31;  5:28 — 32,  39 — 42)  — daß  wir  Gott  mehr  gehorchen 
müssen  als  den  Menschen.  Solche  Fälle  bilden  jedoch  im  gewöhnlichen 
Verlauf  des  Lebens  die  Ausnahme.  In  der  Regel,  und  als  Ganzes  betrachtet, 
befindet  sich  auch  das  menschliche  Gesetz  auf  der  Seite  der  göttlichen  Ord- 
nung und  es  hat  deshalb  —  von  wem  es  auch  gehandhabt  werden  möge  — 
Anspruch  auf  Gehorsam  und  Nachachtung.  So  sehr  bediu"ften  die  Christen 
jener  Tage  dieser  Ermahnung,  daß  diese  gleich  nachdrücklich  von  Johannes 
(Johannes  19:11)  wie  auch  von  Petrus  und  Paulus  selbst  erhoben  wurde. 
Nötiger  als  je  war  sie  in  einer  Zeit,  in  welcher  in  Judäa  gefährliche  Empö- 
rungen ihrem  Höhepunkt  zutrieben,  in  einer  Zeit,  in  welcher  die  Herzen 
der  Juden  in  der  ganzen  Welt  entbrannten  in  flammenden  Zorn  und  Haß 
über  die  Greueltaten  eines  tyrannischen  Götzendienstes,  in  einer  Zeit,  da 
die  Christen  beschuldigt  wurden,  daß  sie  „den  ganzen  Erdkreis  erregten" 
(Apostelgeschichte  17:6),  in  einer  Zeit,  da  irgend  ein  armer,  den  Qualen 
des  Märtyrertodes  verfallener  Christensklave  leicht  hätte  der  Erregung 
seiner  Seele  Luft  verschaffen  können,  durch  einen  Ausbruch  apokalyptischer 
Androhung  plötzlicher  Strafgerichte  wegen  der  Verbrechen  des  finstern 
Babylons,  in  einer  Zeit,  in  welcher  die  Heiden  in  ihrer  müden  Verachtung 
irgendeine  Prophezeiung  über  den  letzten  Weltenbrand  willkürlich  als  eine 
aufrührerische  und  mordbrennerische  Drohung  auslegen  konnten  und  in  der 
schon  die  Christen  Roms  die  Marter  aus  eben  demselben  Grunde  der  Ver- 
folgung durch  Nero  erduldeten.  —  Unterwerfung  war  deshalb  die  Haupt- 
pflicht für  alle,  die  den  Heiden  keinen  Anstoß  geben  wollten  und  die  die 
Kirche  davor  zu  retten  wünschten,  daß  sie  von  irgendeinem  Ausbruch  des 
Unwillens  verschlungen  wurde,  welcher  selbst  den  vernünftigen  und  duld- 
samen Heiden  gegenüber  als  eine  politische  Notwendigkeit  gerechtfertigt 
werden  konnte.  —  Deshalb  „Seid  Untertan,"  sagt  der  Apostel,  „aller 
menschlichen  Ordnung  um  des  Herrn  willen,  es  sei  dem  Könige,  als  dem 
Obersten  (der  Name  König  wurde  von  den  Kaisern  in  den  Provinzen  häufig 
geführt),  oder  den  Hauptleuten,  als  die  von  ihm  gesandt  sind  zur  Rache 
über  die  Übeltäter  und  zu  Lobe  den  Frommen.  Denn  das  ist  der  Wille 
Gottes,  daß  ihr  mit  Wohltun  verstopfet  die  Unwissenheit  der  törichten 
Menschen,  als  die  Freien,  und  nicht,  als  hättet  ihr  die  Freiheit  zum  Deckel 
der  Bosheit,  sondern  als  die  Knechte  Gottes.  Tut  Ehre  jedermann,  habt 
die  Brüder  lieb,  fürchtet  Gott,  ehret  den  König!"  (Siehe  1.  Petrus  2:13 — 17). 
Farrar,  „Early  Days  of  Christianity",  S.  89 — 90. 

3.  Das  Gesetz  Gottes  und  das  Gesetz  der  Mensehen.  —  Die  Lehre  der 
Kirche  Jesu  Christi  der  Heiligen  der  letzten  Tage  über  die  Pflicht  ihrer 
Mitglieder  zum  Gehorsam  gegenüber  den  Gesetzen  des  Landes,  in  dem  sie 
leben,  ist  umfassender  und  bestinunter  als  die  vieler  andrer  christlicher 

34 


530  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.XXlII. 

Sekten.  Im  Januar  1899  veröffentlichte  eine  Vereinigung  der  freien  evan- 
gelischen Kirchen  Englands  offiziell  eine  „allgemeine  Darlegung  des  Glau- 
bens in  Form  eines  neuen  Katechismus".  Bei  Behandlung  des  Verhält- 
nisses zwischen  Kirche  und  Staat  erscheinen  die  folgenden  Fragen  und 
Antw  orten : 

36.  Frage:  „Was  ist  eine  freie  Kirche?" 

Antwort:  „Eine Kirche,  die  einzig  und  allein  Christus  als  ihr  Haupt 
anerkennt  und  die  deshalb  ihr  Recht  ausübt,  ihre  Gesetze  ohne  Be- 
schränkung oder  Kontrolle  durch  den  Staat  auszulegen  und  handzu- 
haben." 

37.  Frage:  „Was  ist  die  Pflicht  der  Kirche  gegenüber  dem  Staat?  ' 
Antwort:  „Alle  Gesetze  des  Landes  zu  halten,  ausgenommen  solche, 

die  den  Lehren  Christi  zuwiderlaufen." 

Nach  dem  Bericht,  des  mit  der  Herausgabe  des  Werkes  beauftragten 
Ausschußes,  „stellt  der  Katechismus  direkt  oder  indirekt  das  Glaubens- 
bekenntnis von  nicht  weniger,  wahrscheinlich  aber  mehr  als  60  Millionen 
bewußten  Christen  in  allen  Teilen  der  Welt  dar."  — 

4.  Das  Aufhören  der  mehrfachen  Ehe.  —  Die  offizielle  Maßnahme, 
mit  der  die  Verordnvmg  der  mehrfachen  Ehe  unter  den  Heiligen  der  letzten 
Tage  abgeschafft  wurde,  bestand  darin,  daß  die  zu  einer  Konferenz  versam- 
melte Kirche  eine  von  dem  Präsidenten  der  Kirche  erlassene  Kundmachung 
annahm.  Die  Sprache  der  Urkunde  kennzeichnet  den  gesetzachtenden 
Charakter  des  Volkes  und  der  Kirche,  wie  besonders  aus  folgendem  Satz 
erhellt:  „Da  vom  Kongreß  Gesetze  erlassen  worden  sind,  welche  die  mehr- 
fache Ehe  verbieten,  Gesetze,  die  von  dem  obersten  Gerichtshof  als  verfas- 
svmgsgemäß  erklärt  wurden,  tue  ich,  Präs.  Wilford  Woodruff,  hiermit  meinen 
Willen  kund,  mich  diesen  Gesetzen  zu  unterwerfen  und  bei  den  Mitgliedern 
der  Kirche,  welcher  ich  vorstehe,  meinen  Einfluß  dahin  geltend  zu  machen, 
daß  auch  sie  das  gleiche  tun."  —  Im  Laufe  einer  Predigt,  die  immittelbar 
auf  die  Verkündigung  des  Manifestes  folgte,  sagte  Präsident  Woodruff 
von  der  getroffenen  Maßnahme:  „Ich  habe  meine  Pflicht  getan  und  die 
Nation,  von  welcher  wir  einen  Teil  bilden,  muß  verantwortlich  sein  für  das, 
was  hinsichtUch  dieses  Prinzipes  (nämlich  der  Vielehe)  getan  worden  ist."  — 


I 


Art.  13.]  Praktische  Religion.  531 


Vorlesung  XXIV. 
Praktische  Religion. 

Artikel  13.  —  Wir  glauben  daran,  ehrlich,  getreu,  keusch,  wohl- 
tätig und  tugendhaft  zu  sein  und  allen  Menschen  Gutes  zu  tun ;  in  der  Tat 
möchten  wir  sagen,  daß  wir  der  Ermahnung  Pauli  folgen :  Wir  glauben  alles, 
wir  hoffen  alles;  wir  haben  ^^eles  ertragen  und  hoffen  fähig  zu  sein,  alles 
zu  ertragen.  Wo  etwas  Tugendhaftes,  Liebenswürdiges  oder  von  gutem 
Rufe  oder  Lobenswertes  ist,  trachten  ^ir  nach  diesen  Dingen. 

1.  Religion  des  täglichen  Lebens.  —  In  diesem  Glau- 
bensartikel erklären  die  Heiligen  der  letzten  Tage  ihr  Be- 
kenntnis zu  einer  Religion  der  Tat,  zu  einer  Religion,  die 
nicht  nur  im  Bekenntnis  zu  geistigen  Dingen  besteht,  nicht 
bloß  im  Glauben  an  ein  Jenseits  oder  an  die  Erbsünde,  an 
einen  zukünftigen  Himmel  oder  eine  zukünftige  Hölle, 
sondern  vor  allem  in  der  treuen  Erfüllung  der  täglichen 
Pflichten,  wobei  Selbstachtung,  Liebe  zu  den  Mitmenschen 
und  Ergebung  in  den  Willen  Gottes  die  leitenden  Grund- 
sätze sind.  Religion  ohne  Moral,  Ansprucherhebung  auf 
Frömmigkeit  ohne  Nächstenliebe,  Mitgliedschaft  in  der 
Kirche  ohne  eine  entsprechende  Verantwortlichkeit  des 
einzelnen  hinsichtlich  seines  Lebenswandels,  sind  weiter 
nichts  als  „tönendes  Erz  und  klingende  Schellen",  — 
Lärm  ohne  Musik,  leere  Worte  ohne  den  Geist  des  Gebets. 
—  ,,Ein  reiner  und  unbefleckter  Gottesdienst  vor  Gott, 
dem  Vater,  ist  der :  die  Waisen  und  Witwen  in  ihrer  Trübsal 
besuchen  und  sich  von  der  Welt  unbefleckt  erhalten. "i)  — 
Ehrlichkeit  der  Gesinnung,  Lauterkeit  des  Charakters, 
persönliche  Reinheit,  unbedingte  Freiheit  des  Gewissens, 


')    Jakobus  1:27. 


532  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXIV. 

Bereitwilligkeit,  allen  Menschen,  selbst  dem  Feind,  reines 
Wohlwollen  entgegenzubringen  —  dieses  sind  einige 
Früchte,  woran  die  Religion  Christi  erkannt  werden  kann, 
und  die  an  Wichtigkeit  und  Wert  das  Verkündigen  bloßer 
Lehrsätze  und  das  Vortragen  bloßer  Theorien  weit  hinter 
sich  lassen.  —  Aber  auch  Erkenntriis  von  Dingen,  die  über 
das  Zeitliche  hinausgehen,  und  Belehrungen  in  geistigen 
Angelegenheiten  —  Belehrungen,  die  nicht  auf  dem  Sande 
schwacher  menschlicher  Hypothesen  sondern  auf  göttlicher 
Offenbarung  beruhen  —  kennzeichnen  die  wahre  Kirche. — 
2.  Die  Reichhaltigkeit  unsres  Glaubens  muß  jedem  auf- 
fallen, der  die  von  der  Kirche  gelehrten  Grundsätze  ernst- 
lich untersucht,  und  noch  mehr  dem,  der  vorurteilsfrei 
ihre  Wirkung  auf  den  Lebenswandel  beobachtet,  wel- 
cher den  Heiligen  der  letzten  Tage  eigen  ist.  Inner- 
halb der  Kirche  gibt  es  Raum  für  alle  Wahrheiten  — 
für  irgend  etwas,  das  lobenswert,  tugendhaft,  liebenswert 
oder  von  gutem  Rufe  ist.  Die  Freiheit  und  Weitherzigkeit, 
mit  der  die  Kirche  andere  Glaubensbekenntnisse  betrach- 
tet, die  Ernsthaftigkeit  ihrer  Lehre,  daß  Gott  kein  Anseher 
der  Person  ist,  sondern  daß  er  alle  Menschen  nach  ihren 
Taten  richten  wird,  —  die  Breite  und  Tiefe  ihrer  Begriffe 
von  dem  Zustand  der  Unsterblichkeit  und  den  Graden  ewi- 
ger Herrlichkeit,  die  die  Aufrichtigen  aller  Völker,  Geschlech- 
ter und  Kirchen  erwartet,  gleichviel  ob  heidnisch  oder  christ- 
lich, ob  erleuchtet  oder  verdunkelt,  alles  dies  ist  schon  in 
frühern  Vorlesungen  behandelt  worden.  Wir  haben  weiter 
gesehen,  daß  sein  Glaube  dieses  Volk  vorwärts  bringt, 
sogar  über  die  Grenze  aller  bis  jetzt  geoffenbarten  Wahr- 
heit hinaus,  und  daß  er  es  lehrt,  mit  unerschütterlichem 
Vertrauen  weitern'  Offenbarungen  entgegenzusehen,  — 
vermehrten  Wahrheiten,  —  Herrlichkeiten,  größer,  als  sie 
je  geoffenbart  worden  sind  —  Ewigkeiten  der  Macht,  Herr- 
schaft und  des  Fortschritts,  —  zu  hoch  für  die  jetzige 


Art.  13.]  Praktische  Religion.  533 

Fassungskraft  des  menschlichen  Geistes  und  für  die  Emp- 
fänglichkeit der  Seele.  —  Wir  glauben  an  einen  Gott,  der 
selbst  vorwärts  schreitet,  dessen  Majestät  Intelligenz  ist, 
dessen  Vollkommenheit  in  ewigem  Fortschritt  besteht, 
dessen  fortschreitendes  unaufhörliches  Werk  der  Schöp- 
fung zwar  ,, beendigt  ist,  aber  doch  für  immer  von  neuem 
beginnt",^)  —  an  ein  Wesen,  das  seinen  erhöhten  Stand 
erreicht  hat  auf  einem  Wege,  auf  dem  jetzt  seine  Kinder 
vorwärts  schreiten  dürfen,  —  an  ein  Wesen,  dessen  Herr- 
lichkeit es  ist,  ihr  Erbteil  mit  ihnen  zu  teilen.  —  Ungeachtet 
des  Widerspruches  aller  anderen  Sekten  und  angesichts  der 
direkten  Beschuldigung  der  Gotteslästerung  verkündet 
die  Kirche  die  ewige  Wahrheit:  Wie  der  Mensch  jetzt  ist, 
so  war  einst  Gott,  und  wie  Gott  jetzt  ist,  so  kann  der  Mensch 
einmal  werden".  Mit  einer  solchen  Zukunft  vor  sich  kann 
der  Mensch  wohl  sein  Herz  dem  Strom  der  Offenbarung 
aus  Vergangenheit,  Gegenwart  und  Zukunft  öffnen  und 
in  der  Tat  sollten  wir  imstande  sein,  von  jedem  erleuchteten 
Kind  Gottes  zu  sagen:  ,,Es  verträgt  alles,  es  glaubt  alles, 
es  hofft  alles,  es  duldet  alles. "2)  —  Bei  der  Behandlung  der 
im  vorliegenden  Artikel  niedergelegten  Glaubenserklärung 
ergeben  sich  als  dazu  gehörend  viele  Themen  über  Or- 
ganisation, Vorschriften,  Gebote  und  Gebräuche  der  Kir- 
che. Von  diesen  wollen  wir  die  folgenden  einer  nähern 
Betrachtung  unterziehen. 

3.  Wohltätigkeit.  Wohltätigkeit  gründet  sich  auf 
die  Liebe  zum  Mitmenschen.  Sie  umfaßt,  obwohl  sie  diese 
weit  übertrifft,  Mildtätigkeit  in  dem  Sinne,  in  dem 
dieses  Wort  heute  gebraucht  wird.  — Von  dem  göttlichen 
Lehrer  wurde  sie  gleich  nach  der  Liebe  zu  Gott  genannt. 
Einmal  kamen  gewisse  Pharisäer  zu  Christus  und  versuchten 
ihn  mit  Fragen  über  die  Lehre,  in  der  Hoffnung,  ihn  in 


»)  Bryant. 

")  1.  Korinther  13:7. 


534  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXIV. 

Widersprüche  verstricken  zu  können,  um  ihn  dann  als 
Übertreter  des  Gesetzes  zu  brandmarken.  —  Ihr  Sprecher 
war  ein  Schriftgelehrter,  und  nun  beachte  man  seine 
Frage  und  die  Antwort  des  Heilandes:  ,, Meister,  wel- 
ches ist  das  vornehmste  Gebot  im  Gesetz?  Jesus  aber 
sprach  zu  ihm:  Du  sollst  lieben  Gott,  deinen  Herrn,  von 
ganzem  Herzen,  von  ganzer  Seele  und  von  ganzem  Ge- 
müte.  Dies  ist  das  vornehmste  und  größte  Gebot.  Das  an- 
dere aber  ist  ihm  gleich :  Du  sollst  deinen  Nächsten  lieben 
als  dich  selbst.  —  In  diesen  zwei  Geboten  hanget  das  ganze 
Gesetz  und  die  Propheten. "i)  —  Diese  zwei  Gebote,  von 
welchen  hier  als  vom  ersten  und  zweiten  gesprochen  wird, 
sind  so  eng  mit  einander  verknüpft,  daß  sie  tatsächlich 
nur  eines  sind,  und  zwar  dies  eine:  ,,Du  sollst  lieben".  Wer 
eines  von  beiden  hält,  hält  beide,  denn  ohne  Liebe  für  un- 
sern  Nächsten  ist  es  unmöglich,  Gott  zu  gefallen.  Daher 
schrieb  Johannes,  der  Apostel  der  Liebe:  ,,Ihr  Lieben, 
lasset  uns  untereinander  liebhaben ;  denn  die  Liebe  ist  von 
Gott,  und  wer  liebhat,  der  ist  von  Gott  geboren  und 
kennt  Gott.  Wer  nicht  liebhat,  der  kennt  Gott  nicht,  denn 
Gott  ist  die  Liebe.  *  *  *  So  jemand  spricht:  Ich  liebe 
Gott,  und  hasset  seinen  Bruder,  der  ist  ein  Lügner.  Denn 
wer  seinen  Bruder  nicht  liebt,  den  er  sieht,  wie  kann  er 
Gott  lieben,  den  er  nicht  sieht?  Und  dies  Gebot  haben  wir 
von  ihm,  daß,  wer  Gott  liebt,  daß  der  auch  seinen  Bruder 
liebe, "2)  — 

4.  Aber  vielleicht  finden  sich  die  ergreifendsten  und 
erhabensten  apostolischen  Worte  über  die  erlösende 
Liebe  in  dem  Briefe  des  Apostels  Paulus  an  die  Korinther.^) 
In  der  englischen  Bibelübersetzung  wird  die  Tugend,  die 
allen  wunderbaren  Gaben  des  Geistes  überlegen  ist,  und 


0  Matthäus  22:36 — 40;  siehe  auch  Lukas  10:25—27. 

»)  1.  Johannes  4:7—8,  20—21. 

=)  1.  Korinther  13;  siehe  auch  Alma  34:28 — 29;  Mosiah  4:16 — 24. 


Art.  13.]  Praktische  Religion.  535 

die  weiter  bestehen  wird,  auch  wenn  alle  andern  schon  ver- 
gangen sein  werden,  als  ,, Mildtätigkeit"  bezeichnet,  das  ur- 
sprüngliche Wort  bedeutet  jedoch  (wie  Lutherübersetzt  hat) 
„Liebe".  Sicherlich  dachte  auch  Paulus  an  etwas  Größeres 
und  Erhabeneres  als  bloß  an  das  Almosengeben,  wie  ja  aus 
seiner  Ausdrucksweise  klar  ersichtlich  ist:  ,,Und  wenn 
ich  alle  meine  Habe  den  Armen  gäbe,  *  *  *  und  hätte 
der  Liebe  nicht,  so  wäre  mirs  nichts  nütze. "i)  —  Mag  ein 
Mensch  auch  mit  Engelzungen  reden,  mag  er  die  Macht 
haben,  zu  prophezeien,  —  die  größte  der  gewöhnlichen 
Gaben  —  mag  er  in  der  Erkenntnis  bewandert  sein  und  alle 
Geheimnisse  verstehen,  mag  sein  Glaube  ihn  befähigen. 
Berge  zu  versetzen,  und  mag  er  alles,  was  er  hat,  selbst  sein 
Leben  dahingehen  —  ohne  Liebe  wäre  es  nichts.  —  Mild- 
tätigkeit, oder  Almosengeben,  auch  wenn  es  aus  dem  auf- 
richtigsten Grunde,  frei  von  jedem  Wunsch  nach  Lob  und 
jeder  Hoffnung  auf  Vergeltung  geschieht,  ist  doch  nur  eine 
schwache  Kundgebung  jener  Liebe,  wodurch  dem  Menschen 
sein  Nächster  so  lieb  wird,  wie  er  selbst,  jener  Liebe  die 
langmütig  ist,  die  andere  nicht  neidet,  die  den  Eigennutz 
und  die  Selbstsucht  unterdrückt,  und  die  sich  der  Wahr- 
heit erfreut.  Wenn  das  „Vollkommene"  kommt,  sollen 
die  Gaben,  die  als  Bruchstücke  gegeben  worden  sind, 
abgelöst  werden :  das  Vollkommene  wird  dann  das  Unvoll- 
kommene ersetzen.  Die  Kraft  der  Heilung  wird  dann  auf- 
hören, denn  Krankheiten  wird  es  nicht  mehr  geben,  — 
Zungen  und  Auslegung  von  Zungen  werden  überflüssig 
sein,  weil  man  nur  noch  eine  einzige,  reine  Sprache  sprechen 
wird,  —  das  Austreiben  der  Teufel  und  die  Kraft  gegen 
tödliches  Gift  werden  nicht  länger  mehr  nötig  sein,  denn 
die  Zustände  im  Himmel  werden  sie  überflüssig  machen. 
Die  Liebe  aber,  die  reine  göttliche  Liebe,  wird  nie  entbehr- 


1)  1.  Korinther  13: 


536  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXIV. 

lieh  werden,  —  inmitten  der  verherrlichten  Scharen  wird 
sie  thronen,  angetan  mit  all  der  Herrlichkeit  und  Pracht 
ihrer  himmlischen  Heimat. "i)  —  Will  der  Mensch  das  ewige 
Leben  erlangen,  so  darf  er  die  Pflicht  zur  Liebe  nicht  ver- 
nachlässigen, denn  die  ,, Liebe  ist  des  Gesetzes  Erfüllung."^) 

5.  Wohltätigkeit  von  der  Kirche  geübt.  —  Die  Kirche 
von  heute  kann  auf  eine  erstaunliche,  schon  geleistete 
und  noch  im  Fortschritt  begriffene  Arbeit  im  Dienste  der 
Wohltätigkeit  hinweisen.  Eines  der  herrlichsten  Denk- 
mäler ihres  Werkes  stellt  die  Missionsarbeit  dar,  die  stets 
ein  bezeichnender  Grundzug  ihres  Wesens  war.  Aus  keinem 
andern  Grunde  als  aus  reiner  Liebe  zur  Menschheit  und  aus 
dem  Wunsche,  die  Gebote  Gottes  in  dieser  Hinsicht  zu 
erfüllen,  sendet  die  Kirche  Jahr  für  Jahr  Hunderte  von 
Missionaren  aus,  um  der  Welt  das  Evangelium  vom  ewigen 
Leben  zu  verkündigen.  Unzählige  dieser  Getreuen  werden 
verspottet,  verhöhnt  und  beschimpft  von  solchen,  denen 
sie  zu  nützen  suchten  und  nicht  wenige  besiegelten  als 
Märtyrer  ihr  Werk  und  ihr  Zeugnis  mit  ihrem  Leben.  — 
Die  Mildtätigkeit,  die  sich  im  Spenden  äußerer  Güter 
offenbart,  wird  von  der  Kirche  nicht  vernachlässigt.  In 
der  Tat  wird  diese  Form  der  Wohltätigkeit  jedem  Heiligen 
der  letzten  Tage  als  eine  heilige  Pflicht  eingeschärft.  Wäh- 
rend vom  Einzelnen  verlangt  wird,  daß  er  von  seiner 
Habe,  seinen  persönlichen  Verhältnissen  entsprechend, 
den  Bedürftigen  mitteilt,  hat  sich  innerhalb  der  Kirche 
ein  Wohltätigkeitsplan  ausgebildet,  von  dem  einzelne 
Züge  unsere  besondere  Beachtung  verdienen. 

6.  Freiwillige  Gaben.  Es  ist  für  die  Kirche  und  für 
das  Volk  Gottes  stets  bezeichnend  gewesen,  daß  sie  es 
auf  sich  nahmen,  für  die  Armen  zu  sorgen,  wenn  solche 
unter  ihnen  waren.    Zu  diesem  Zwecke,  und  um  einen 

»)  Orson  Pratt,  „Divine  Authenticity  of  the  Book  of  Mormon  1, 15 — 16. 
')  Römer  13:10;  siehe  auch  Galater  5:14;  1.  Petrus  4:8. 


Art.  13.]  Praktische  Religion.  537 

Geist  der  Freigebigkeit,  Freundlichkeit  und  Wohltätig- 
keit zu  pflegen,  sind  von  denen,  die  erklären,  nach  den 
Gesetzen  Gottes  leben  zu  wollen,  freiwillige  Gaben  und 
Geschenke  erbeten  worden.  Heute  wird  in  der  Kirche  bei 
der  Versorgung  der  Armen  nach  einem  geordneten  Plan 
verfahren.  So  besteht  fast  in  allen  Gemeinden  eine  Ver- 
einigung der  Frauen,  bekannt  als  der  „Frauenhilfsverein".^) 
Es  gehört  zu  seiner  Arbeit,  aus  dem  Gemeinwesen  und  von 
den  Kirchenmitgliedern  im  allgemeinen  Beiträge  in  Geld 
und  anderm  Gut,  besonders  aber  in  Dingen  des  täglichen 
Lebens  einzusammeln  und  unter  der  Leitung  der  örtlichen 
Beamten,  des  Priestertums,  an  die  Bedürftigen  zu  vertei- 
len. Der  Frauenhilfs verein  arbeitet  ebenfalls  nach  einem 
bestimmten  Plan,  wonach  er  die  Häuser  der  Betrübten 
und  Bekümmerten  regelmäßig  besucht,  im  Haushalt,  in 
der  Kinder-  und  Krankenpflege  hilfreich  beispringt,  in 
Todesfällen  und  sonstigen  Heimsuchungen  Trost  und 
Unterstützung  bringt,  und  überhaupt  in  jeder  möglichen 
Weise,  Not  und  Leid  zu  lindern  versucht.  Die  segensreiche 
Tätigkeit  dieses  Hilfsvereins  hat  die  Bewunderung  vieler 
gewonnen,  die  sonst  keine  Verbindung  mit  der  Kirche 
haben  wollen.  Die  Arbeitsweise  und  Methode  der  Frauen- 
hilfsvereine  werden  jetzt  auch  von  andern  Wohltätigkeits- 
vereinen befolgt  und  in  den  Vereinigten  Staaten  von  Nord- 
amerika hat  sich  diese  Organisation  nationale  Würde  und 
Rang  erworben.  — 

7.  Die  Fastopfer  bilden  noch  einen  allgemeinern  Plan 
der  Wohltätigkeit.  Die  Kirche  lehrt  die  Wirksamkeit 
des  anhaltenden  Gebets  und  des  regelmäßigen  Fastens 
als  ein  Mittel,  jene  Demut  zu  erlangen,  die  dazu  dienlich 
ist,  das  göttliche  Wohlgefallen  zu  gewinnen.  Einen  monat- 
lichen Fasttag  hat  die  Kirche  festgesetzt.    Viele   Jahre 


')  Siehe  Seite  259 


538  Die  Glaubensartikel.  (Vorl.  XXIV. 

hindurch  war  es  der  erste  Donnerstag  des  Monats.  Später 
wurde,  in  der  Absicht,  ein  allgemeineres  Besuchen  der 
Fastversammlung  herbeizuführen,  eine  vorteilhafte  Ände- 
rung getroffen,  und  heute  wird  der  erste  Sonntag  im  Monat 
diesem  Zweck  geweiht.  Von  den  Heiligen  wird  erwartet, 
daß  sie  ihre  Aufrichtigkeit  im  Fasten  kundtun,  indem  sie 
an  diesem  Tage  ein  Opfer  zum  Nutzen  der  Armen  geben, 
und  auf  Grund  allgemeiner  Einwilligung  wird  wenigstens 
der  Gegenwert  ge\\1inscht,  der  durch  das  Ausfallen  der 
Mahlzeiten  der  fastenden  Familien  entsteht.  Diese  Fast- 
opfer können  in  Geld,  in  Lebensmitteln  oder  in  andern  sonst 
nützlichen  Waren  und  Gegenständen  bestehen.  Sie  wer- 
den von  der  Bischofschaft  oder  deren  Vertretern  entgegen- 
genommen und  von  diesen  unter  die  würdigen  Armen  der 
Ward  oder  der  Gemeinde  verteilt.  Auf  diesem  und  auf 
zahlreichen  andern  Wegen  teilen  die  Heiligen  von  ihrem 
Hab  und  Gut  den  Bedürftigen  mit,  eingedenk  dessen,  daß 
die  Armen  unter  ihnen  die  Armen  des  Herrn  sein  können, 
und  daß,  unbekümmert  um  die  Würdigkeit  des  Empfän- 
gers, Not  und  Elend  gelindert  werden  müssen.  Das  Volk 
glaubt,  daß  die  Harmonie  seines  Gebets  zu  einem  Miß- 
klang wird,  wenn  die  Klagen  der  Armen  sein  Flehen  vor 
den  Thron  des  Allerhöchsten  begleiten.  — 

8.  Der  Zehnte.  —  Die  Kirche  anerkennt  auch  heute 
die  Lehre  vom  Bezahlen  des  Zehnten  —  eine  Lehre,  die 
inbezug  auf  ihre  allgemeinen  Verordnungen  derjenigen,  die 
vor  alters  gelehrt  und  befolgt  wurde,  ähnlich  ist.  Bevor 
wir  das  Verfahren,  das  heute  in  dieser  Sache  geübt  wird, 
einer  nähern  Betrachtung  unterziehen,  wollen  wir  die  frü- 
here Weise  des  Zehntenzahlens  kurz  streifen.  Der  Zehnte 
ist,  wie  dies  schon  der  Name  sagt,  der  zehnte  Teil  und  es 
scheint,  als  ob  in  frühern  Zeiten  dieser  Teil  des  persönlichen 
Besitzes  als  eine  Schuld  dem  Herrn  gegenüber  angesehen 
wurde.    Die  Einführung  des  Zehnten  läßt  sich  weiter  als 


Art.  13.]  Praktische  Religion.  539 

bis  in  die  mosaische  Dispensation  zurückverfolgen,  denn 
wir  finden,  daß  sowohl  Abraham  wie  auch  Jakob  ihren 
Zehnten  bezahlt  haben.  Als  Abraham  aus  siegreicher 
Schlacht  heimkehrte,  ging  ihm  Melchizedek,  der  König 
von  Salem  und  ,, Priester  Gottes  des  Höchsten,"  ent- 
gegen, und  Abraham,  dessen  priesterliche  Autorität  aner- 
kennend, gab  ihm  „den  Zehnten  von  allem". i)  —  Jakob 
leistete  dem  Herrn  ein  freiwilliges  Gelübde,  daß  er  ihm 
den  Zehnten  geben  wolle  von  allem,  was  in  seinen  Besitz 
gelangen  werde. 2) 

9.  Die  mosaischen  Vorschriften  hinsichtlich  der  For- 
derung des  Zehnten  sind  klar  und  unmißverständlich: 
„Alle  Zehnten  im  Lande,  von  Samen  des  Landes  und  von 
Früchten  der  Bäume,  sind  des  Herrn  und  sollen  dem  Herrn 
heilig  sein.  *  *  *  Und  alle  Zehnten  von  Rindern  und  Scha- 
fen, von  allem,  was  unter  dem  Hirtenstabe  geht,  das  ist 
ein  heiliger  Zehnt  dem  Herrn. "2)  —  Der  Zehnte  war  zu 
bezahlen  wie  er  gerade  kam,  d.  h.  ohne  das  Gute  oder  das 
Schlechte  auszusuchen.  Unter  gewissen  Umständen  konnte 
man  jedoch  seinen  Zehnten  wieder  einlösen,  indem  man  den 
Gegenwert  dafür  in  anderer  Form  bezahlte,  nur  mußte 
man  in  solchen  Fällen  ein  Fünftel  des  Zehnten  hinzugeben. 
Von  allem  Eigentum  in  Israel  mußte  den  Leviten  der  Zehnte 
übergeben  werden ;  er  bildete  ihr  Erbteil  als  Anerkennung 
ihres  Dienstes  und  ihrer  Arbeit  in  der  Stiftshütte.  Die 
Leviten  ihrerseits  mußten  von  dem,  was  sie  erhielten,  auch 
den  Zehnten  geben,  und  dieser  Zehnte  vom  Zehnten  war 
an  die  Priester*)  abzuführen.  Weiter  wurde  ein  Zehnten 
von  den  Israeliten  verlangt  zur  Verwendung  an  ihren  be- 
stimmten  Festtagen.^)   —   Es   ist   augenscheinlich,   daß, 

')  1.  Mose  14:18 — 20;  siehe  auch  Hebräer  7:1 — 3,  5;  und  Alma 
13:13—16. 

0  1.  Mose  28:22. 

»)  3.  Mose  27:30—34. 

«)  4.  Mose  18:21—28. 

')  5.  Mose  12:5—17;  14:22—23. 


540  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXIV. 

wenn  auch  für  die  Vernachlässigung  des  Zehntengesetzes 
keine  bestimmte  Strafe  berichtet  wird,  doch  die  genaue 
Befolgung  dieses  Gebots  als  eine  heilige  Pflicht  betrachtet 
wurde.  —  Im  Verlaufe  der  Reformation  die  von  Hiskia 
durchgeführt  wurde,  bekundete  das  Volk  seine  Buße  und 
bezahlte  sofort  seinen  Zehnten  ;^)  und  so  reichlich  gaben  sie, 
daß  schließlich  großer  Überfluß  vorhanden  war.  Als 
Hiskia  dies  gewahrte,  fragte  er  nach  der  Herkunft  dieser 
Fülle :  „Und  Asarja,  der  Priester,  der  Vornehmste  im  Hause 
Zadok,  sprach  zu  ihm:  Seit  der  Zeit,  da  man  angefangen 
hat,  die  Hebe  zu  bringen  ins  Haus  des  Herrn,  haben  wir 
gegessen  und  sind  satt  geworden,  und  ist  noch  viel  übrig- 
geblieben; denn  der  Herr  hat  sein  Volk  gesegnet,  darum 
ist  dieser  Haufe  übriggeblieben. "2)  —  Auch  Nehemia  ließ  es 
sich  angelegen  sein,  das  Bezahlen  des  Zehnten  bei  seinem 
Volke  zu  regeln, 3)  und  sowohl  Arnos*)  wie  Maleachi^)  ta- 
delte das  Volk  wegen  der  Vernachläßigung  dieser  Pflicht. 
Durch  den  zuletzt  genannten  Propheten  klagte  der  Herr 
sein  Volk  an,  daß  es  ihn  betrogen  habe,  verhieß  ihm  aber 
auch  unvergleichliche  Segnungen,  wenn  es  zum  Gehorsam 
zurückkehre:  —  ,,Ists  recht,  daß  ein  Mensch  Gott  täuscht, 
wie  ihr  mich  täuschet?  So  sprecht  ihr:  , Womit  täuschen 
wir  dich?'  Am  Zehnten  und  Hebopfer!  Darum  seid  ihr 
auch  verflucht,  daß  euch  alles  unter  den  Händen  zerrinnt, 
denn  ihr  täuscht  mich  allesamt.  Bringet  aber  die  Zehnten 
ganz  in  mein  Kornhaus,  auf  daß  in  meinem  Hause  Speise 
sei,  und  prüfet  mich  hierin,  spricht  der  Herr  Zebaoth,  ob 
ich  euch  nicht  des  Himmels  Fenster  auf  tun  werde  und  Segen 
herabschütten  die  Fülle. "^)  —  Als  der  Heiland  nach  seiner 


»)  2.  Chronik  31:5—6. 

')  2.  Chronik  31:10. 

')  Nehemia  10:37  (38);  12:44. 

*)  Arnos  4:4. 

-)  Maleachi  3:10. 

')  Maleachi  3:8 — 10;  siehe  auch  3.  Nephi  24:7- 


Art.  13.1  Praktische  Religion.  541 

Auferstehung  die  Nephiten  besuchte,  erzählte  er  ihnen  von 
den  Worten  Maleachis  und  wiederholte  den  angeführten 
Ausspruch  des  jüdischen  Propheten. i)  Dagegen  waren  die 
Pharisäer  zur  Zeit  Christi  beim  Zehntengeben  übertrieben 
peinlich  und  kleinlich  und  vernachlässigten  darüber  „die 
wichtigern  Dinge  des  Gesetzes",  und  deshalb  wurden  sie 
von  unserm  Herrn  und  Meister  nachdrücklich  zurechtge- 
wiesen. 2) 

10.  In  der  gegenwärtigen  Dispensation  ist  dem  Ge- 
setz des  Zehnten  ein  sehr  wichtiger  Platz  eingeräumt 
worden.  Besondere  Segnungen  sind  für  ein  getreuliches 
Halten  dieses  Gebots  verheißen.  Die  Gegenwart  ist  vom 
Herrn  ,,Ein  Opfertag  und  ein  Tag  für  den  Zehnten  seines 
Volkes"  genannt  worden,  „denn  wer  den  Zehnten  gibt, 
wird  nicht  zerstört  werden". 3)  —  Seine  Forderung  in 
dieser  Sache  an  das  Volk  hat  der  Herr  deutlich  auseinan- 
dergesetzt in  einer  Offenbarung,  gegeben  durch  den  Pro- 
pheten Joseph  Smith  am  8.  Juli  1838.*) 

11.  Weihung  und  Verwaltersehaft.  —  Das  Gesetz  des 
Zehnten,  wie  es  heute  von  der  Kirche  gelehrt  und  aner- 
kanntermaßen auch  befolgt  wird,  ist  trotz  allem  doch  nur 
ein  niedrigeres  Gesetz.  Der  Herr  gab  es  wegen  der  mensch- 
lichen Schwachheit,  der  Selbstsucht,  des  Geizes  und  der 
Gewinnsucht,  welche  die  Heiligen  daran  hinderten,  die 
höhern  Grundsätze,  wonach  sie  nach  dem  Willen  des  Herrn 
eigentlich  leben  sollten,  zu  befolgen.  Zur  Bezahlung  des 
Zehnten  wurden  besondere  Forderungen  erst  durch  eine 
Offenbarung  vom  Jahre  1838  aufgestellt;  schon  sieben 
Jahre  vorher  war  die  Stimme  des  Herrn  inbezug  auf 
Weihung  und  Verwaltersehaft^)  gehört  worden,  wonach 


»)  3.  Nephi  24:7—10. 

')  Matthäus  23:23;  Lukas  11:42. 

')  Lehre  u.  Bündn.  64 :  23 — 24 ;  siehe  auch  85 : 

')  L.  u.  B.  119. 

»)  L.  u.  B.  42:71. 


542  Die  Glaubensartikel  [Vorl.  XXIV. 

ein  jeder  all  sein  Hab  und  Gut,  zusammen  mit  seiner  Zeit, 
seinen  Talenten  und  körperlichen  und  geistigen  Gaben 
in  den  Dienst  des  Herrn  stellen  sollte,  damit  sie  da  gebraucht 
werden  könnten,  wo  es  gerade  nottat.  Indessen  war  auch 
dies  nichts  neues.  Der  gegenwärtigen  Dispensation  ist 
das  Gesetz  der  Weihung  lediglich  als  eine  Wiederverord- 
nung gegeben  worden.  Es  wurde  schon  im  Altertum  aner- 
kannt und  mit  Segen  befolgt. i)  Aber  selbst  zu  der  Zeit 
der  Apostel  war  die  Lehre  von  der  Weihung  des  Eigentums 
und  des  gemeinsamen  Eigentumsrechtes  etwas  altes.  Schon 
34  Jahrhunderte  vor  dieser  Zeit  lebten  der  Patriarch  He- 
noch und  sein  Volk  nach  diesem  Grundsatz,  und  zwar 
mit  solchem  Erfolg,  daß  ,,der  Herr  kam  und  unter  seinem 
Volk  wohnte.  *  *  *  Und  der  Herr  nannte  sein  Volk  Zion, 
weil  sie  eines  Herzens  und  eines  Sinnes  waren,  und  es 
waren  keine  Armen  unter  ihnen. "2)  —  In  jedem  der  ange- 
führten Fälle  —  sowohl  bei  dem  Volk  von  Henoch  als  auch 
in  der  ersten  Zeit  des  christlichen  Zeitalters,  —  erfahren 
wir  von  der  Einigkeit  in  Zweck  und  Absicht  und  der  da- 
raus für  das  Volk,  das  in  dieser  Gesellschaftsordnung 
lebte,  entsprungenen  Macht:  ,,sie  waren  eines  Herzens  und 
eines  Sinnes".  —  Durch  die  so  erlangte  geistige  Kraft 
waren  die  Apostel  imstande,  viele  mächtige  Taten  zu 
vollbringen^)  und  von  Henoch  und  seinem  Volke  lesen 
wir,  daß  der  Herr  sie  zu  sich  nahm.*) 

12.  Das  Volk,  von  dem  uns  das  Buch  Mormon  berichtet, 
erreichte  ebenfatls  diesen  gesegneten  Stand  der  Gleichheit, 
und  zwar  mit  demselben  Ergebnis.  Die  Jünger,  die  Chri- 
stus persönlich  berufen  hatte,  lehrten  mit  Macht;  „und 
sie  hatten  alle  Dinge  gemeinsam  untereinander,  und  jeder- 


')  Apostelgeschichte  4:32,  34 — 35;  siehe  auch  2:44 — 46. 
')  Köstl.  Perle,  Moses  7:16 — 18. 
*)  Apostelgeschichte  2:43. 
*)  Siehe  Seite  434,  435, 


Art.  13.]  Praktische  Religion.  543 

mann  handelte  rechtschaffen  mit  seinem  Nächsten. "i)  — 
Weiter  lesen  wir  von  einer  allgemeinen  Bekehrung  des 
Volkes,  wodurch  dieses  den  Zustand  eines  idealen  Friedens 
erlangte.  „Und  es  gab  keine  Zwistigkeiten  und  Streitig- 
keiten unter  ihnen.  *  *  *  Sie  hatten  alle  Dinge  unterei- 
nander in  Gemeinschaft;  daher  gab  es  weder  Reiche  noch 
Arme,  weder  Sklaven  noch  Freie,  sondern  sie  waren  alle 
frei  gemacht  und  Teilnehmer  der  himmlischen  Gabe. "2)  — 
Sie  waren  dermaßen  gesegnet,  daß  der  Prophet  von  ihnen 
sagte:  „Und  gewiß  konnte  es  kein  glücklicheres  Volk  unter 
allen  von  Gott  erschaffenen  Völkern  geben. "3)  Nachdem 
aber  dieser  glückliche  Zustand  nahezu  zwei  Jahrhunderte 
geherrscht  hatte,  gab  das  Volk  leider  dem  Stolz  und  Hoch- 
mut Raum;  einige  ergaben  sich  der  Gewohnheit,  kostbare 
Schmucksachen  zu  tragen;  dann  weigerten  sie  sich,  ihr 
Hab  und  Gut  weiterhin  in  Gemeinschaft  zu  haben,  und  als- 
bald entstanden  verschiedene  Klassen  unter  ihnen;  es 
bildeten  sich  gegenseitig  widersprechende  Sekten,  und 
nun  ging  es  auf  der  Bahn  des  Verderbens  mit  schnellen 
Schritten  bergab,  bis  es  schließlich  zur  völligen  Ausrottung 
des  nephitischen  Volkes  kam.*) 

13.  Vervvalterschaft  in  der  Kirche  heutzutage.  —  Der 
Kirche  ist  auch  in  diesen  Tagen  ein  Plan  der  Vereinigung 
und  Gemeinsamkeit  geoffenbart  worden.  Dieser  Plan  ist 
bekannt  als  die  ,, Ordnung  Henochs"^)  oder  die  ,, Vereinigte 
Ordnung"^)  und  gründet  sich  auf  das  Gesetz  der  Weihung. 
Wie  schon  erwähnt,  zeigte  es  sich  in  den  ersten  Tagen  der 
neuzeitlichen  Kirche,  daß  das  Volk  im  allgemeinen  nicht 
imstande  war,   dieses    Gesetz   in   seiner  Vollkommenheit 


1)  3.  Nephi  26:19, 

2)  4.  Nephi  1:2—3. 
')  Vers  16. 

')  Vers  24  ff. 

')  Lehre  u.  Bündn.  78. 

«)  L.  u.  B.  104:48. 


544  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXIV. 

ZU  halten.  Infolgedessen  wurde  das  niederere  Gesetz  des 
Zehnten  gegeben.  Die  Heiligen  erwarten  aber  voll  Ver- 
trauen den  Tag,  da  sie  nicht  nur  ein  Zehntel  ihres  Vermö- 
gens, sondern  alles,  was  sie  haben  und  alles  was  sie  sind, 
dem  Dienste  ihres  Gottes  weihen  können,  den  Tag,  da 
keiner  von  dem  „Meinigen"  und  dem  ,,Deinigen"  sprechen 
wird,  sondern  alle  Dinge  werden  allen  gemeinsam  und  dem 
Herrn  gehören. 

14.  In  dieser  Erwartung  hängen  sie  jedoch  keinem 
unbestimmten,  haltlosen  Traum  von  einer  Gütergemein- 
schaft nach,  die  die  persönliche  Verantwortlichkeit  unter- 
gräbt oder  es  dem  Müßiggänger  gestattet,  auf  Kosten  des 
Arbeitsamen  und  Haushälterischen  zu  schmarotzen.  Es 
ist  vielmehr  ein  ruhiges,  festes  Vertrauen  darauf,  daß  nach 
der  von  Gott  gutgeheißenen  Gesellschaftsordnung  jeder 
über  die  seiner  Sorgfalt  anvertrauten  Pfunde  ein  Haus- 
halter sein  wird  —  zwar  in  völliger  Handlungsfreiheit, 
aber  doch  auch  mit  dem  bestimmten  Bewußtsein,  daß  man 
von  ihm  Rechenschaft  über  seine  Verwalterschaft  fordern 
wird.  Soweit  der  Plan  dieser  zukünftigen  Organisation 
schon  geoffenbart  ist,  ist  vorgesehen,  daß  jede  Person,  die 
an  dieser  Ordnung  teilnimmt,  alles  was  sie  besitzt,  sei  es 
wenig  oder  viel,  dem  Herrn  weiht  und  der  Kirche  über 
ihr  Eigentum  einen  Kaufbrief  gibt  mit  einem  Bunde,  der 
nicht  gebrochen  werden  kann.^)  Die  Person,  die  auf  diese 
Weise  alles  was  sie  hat,  hingegeben  hat,  soll  zu  einem  Ver- 
walter gemacht  werden  über  einen  Teil  des  Kircheneigen- 
tums, und  zwar  im  Verhältnis  zu  ihrer  Fähigkeit,  dieses 
Gut  in  Gebrauch  zu  nehmen. 

Die  verschiedenen  Stufen  und  Grade  der  Beschäf- 
tigung werden  auch  weiterhin  bestehen;  es  wird 
Arbeiter  geben,   deren  Fähigkeit   sie  am  besten   zu   all-* 


')  Lehre  u.  Bündn.  42: 


Art.  13.]  Praktische  Religion.  545 

gemeinen  Verrichtungen  geeignet  erscheinen  läßt,  dazu 
Leiter  und  Vorsteher,  die  bewiesen  haben,  daß  sie  fähig 
sind,  zu  leiten  und  anzuordnen.  Es  wird  Menschen 
geben,  die  der  Sache  Gottes  am  besten  mit  der  Feder 
und  andere,  die  ihr  am  besten  mit  dem  Pflug  dienen  kön- 
nen; Ingenieure  und  Mechaniker,  Handwerker  und  Künst- 
ler, Landwirte  und  Gelehrte,  Lehrer,  Professoren  und 
Schriftsteller  usw.,  sie  alle  werden,  soweit  sich  dieser 
Grundsatz  verwirklichen  läßt,  auf  dem  Gebiete  ihrer  Wahl 
arbeiten,  aber  von  jedem  wird  verlangt  werden,  daß  er 
arbeitet  und  zwar  an  dem  Ort  und  auf  eine  solche  Art  und 
Weise,  daß  er  mit  seiner  Arbeit  der  Allgemeinheit  die 
größten  Dienste  leistet.  Seine  Verwalterschaft  wird  ihm 
durch  eine  geschriebene  Urkunde  verbrieft,  und  solange 
er  seiner  Pflicht  getreulich  nachkommt,  kann  sie  ihm  nie- 
mand nehmen. 1) 

Von  dem  Ertrag  seiner  Arbeit  behält  jeder  soviel, 
wie  er  für  seinen  eigenen  Unterhalt  und  den  seiner 
Familie  braucht;  der  Überschuß  wird  an  die  Kirche 
abgegeben  und  ist  für  allgemeine  und  öffentliche  Zwecke 
und  zur  Unterstützung  solcher  bestimmt,  die  etwa  unver- 
schuldet in  Not  geraten  sollten. 2)  Über  einen  weitern  Ver- 
wendungszweck lesen  wir:  ,,Alle  Kinder  haben  Anspruch 
auf  ihre  Eltern  für  ihren  Unterhalt,  bis  sie  ihre  Mündigkeit 
erreicht  haben;  und  nachher  haben  sie  Anspruch  auf  die 
Kirche,  oder  in  andern  Worten,  auf  das  Vorratshaus  des 
Herrn,  wenn  ihre  Eltern  nicht  die  Mittel  haben,  ihnen  Erb- 
teile zu  geben.  Und  das  Vorratshaus  soll  durch  die  freiwilli- 
gen Gaben  der  Kirche  erhalten  werden,  und  Witwen  und  die 
Waisen  sowie  auch  die  Armen  sollen  unterstützt  werden."^) 


1)  I^ehre  u.  Bündn.  51: 
»)  L.  u.  B.  42:32—35. 
-)  L.  u.  B.  83:4—6. 


546  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXIV. 

Irgendein  getreuer  Verwalter,  der  weitere  Mittel  für 
den  Fortschritt  seines  Werkes  benötigt,  kann  diese  aus  der 
allgemeinen  Schatzkammer  beanspruchen,  er  wird  aber 
seinerseits  wieder  für  die  Verwendung  derselben,  d.  h.  für 
seine  Verwalterschaft  verantwortlich  gemacht  werden.^) 
Allen  sollen  die  gleichen  Rechte  gesichert  sein.  Der  Herr 
sagt:  „Und  ihr  sollt  gleich  sein,  oder  in  andern  Worten, 
ihr  sollt  gleiche  Ansprüche  auf  das  Eigentum  haben,  zum 
Nutzen  der  Handhabung  der  Angelegenheiten  eurer  Ver- 
waltungen, jedermann  nach  seinen  Bedürfnissen,  insofern 
als  seine  Ansprüche  gerecht  sind.  Und  dies  alles  zum  Nut- 
zen der  Kirche  des  lebendigen  Gottes,  daß  jedermann  seine 
Talente  vermehren  und  weitere  Talente  gewinnen  möge, 
ja  selbst  hundertfältig  in  das  Vorratshaus  des  Herrn  zu 
legen,  daß  es  das  allgemeine  Eigentum  der  ganzen  Kirche 
werde.  "^)  — 

15.  Handlungsfreiheit  wird  einem  jeden  zugesichert 
werden;  erweist  sich  einer  als  ungetreu,  so  wird  mit  ihm 
nach  den  vorgeschriebenen  Bestimmungen  der  Kirchen- 
ordnung verfahren  werden.  Eine  entsprechende  Macht- 
befugnis der  Selbstverwaltung  wird  von  den  verschiedenen 
Pfählen  oder  andern  Teilen  der  Kirche  ausgeübt  werden, 
von  welchen  jeder  unabhängige  Vollmacht  über  sein  eigenes 
Vorratshaus  und  seine  Verwaltungsgeschäfte  besitzen 
wird;3)  jedoch  werden  auch  diese  alle  wieder  dem  Haupt- 
vorstand der  Kirche  unterstellt  sein.  Unter  einer  solchen 
Ordnung,  wie  sie  hier  nur  kurz  erläutert  werden  konnte, 
wird  nur  der  Faule  und  Müßiggänger  zu  leiden  haben, 
und  dieser  wird  den  Folgen  seiner  Trägheit  und  Nachlässig- 
keit sicher  nicht  entgehen.  Über  ihn  hat  der  Allmächtige 
bereits  einen  Beschluß  erlassen.  Wir  lesen  in  den  Offenba- 


')  Lehre  u.  Bündn.  104:70—77. 
')  L.  u.  B.  82:17—18. 
»)  L.  u.  B.  51:10—13,  18. 


Art.  13.]  Praktische  Religion.  547 

rungen:  ,,Du  sollst  nicht  träge  sein,  denn  wer  da  träge  ist, 
soll  nicht  des  Arbeiters  Brot  essen  noch  dessen  Gewand 
tragen. "1)  —  „Jedermann  soll  in  allen  Dingen  fleißig  sein; 
und  der  Müßiggänger  soll  keinen  Platz  in  der  Kirche  haben, 
es  sei  denn,  er  tue  Buße  und  bessere  sich. "2)  —  „Und  die 
Einwohner  Zions  sollen  auch  ihrer  Arbeiten  gedenken, 
insofern  als  sie  bestimmt  sind,  zu  arbeiten,  in  aller  Treue; 
denn  der  Müßiggänger  soll  vor  dem  Herrn  in  Erwähnung 
gebracht  werden. "3) 

16.  Die  gesellschaftliche  Ordnung  der  Heiligen.  An- 
gesichts der  heute  herrschenden  Zustände  sozialer  Unruhe, 
der  lauten  Proteste  gegen  die  bestehenden  Verhältnisse, 
die  zu  einer  mehr  und  mehr  ungleichmäßigem  Verteilung 
des  Reichtums  führen  —  durch  die  zunehmende  Verar- 
mung der  Armen  werden  die  Reichen  immer  reicher;  die 
Hand  der  Unterdrückung  lastet  schwer,  sehr  schwerer  auf 
den  Massen,  woraus  die  Unzufriedenheit  mit  den  Regie- 
rungen und  das  nur  halb  gedämpfte  Feuer  des  Anarchis- 
mus entstanden  ist,  das  sich  fast  in  jedem  Volk  erkennen 
läßt,  —  können  wir  da  nicht  Trost  und  Hoffnung  finden  in 
den  göttlichen  Verheißungen  eines  bessern  Planes,  der 
ohne  Zwang  und  Gewalt  eine  natürliche  Gleichberechtigung 
erstrebt,  dem  Reichtum  die  Waffe  der  Herrschaft  nimmt, 
den  Bedrückten  und  Armen  aufhilft*)  und  jedem  Menschen 
eine  Gelegenheit  geben  will,  in  jenem  Bereich,  der  ihm  an- 
gemessen ist,  zu  leben  und  zu  arbeiten  ?  —  Auch  von  der 
Tyrannei  des  Reichtums  werden  die  Menschen  —  wie  von 
jeder  andern  Form  der  Unterdrückung  —  durch  die  Wahr- 
heit befreit  werden.  Um  an  dieser  Freiheit  teilnehmen  zu 
können,  muß  die  Menschheit  die  Selbstsucht  unterdrücken, 
die  einer  der  mächtigsten  Feinde  der  Göttlichkeit  ist. 

1)  Lehre  u.  Bündn.  42:42;  siehe  auch  60:13;  75:3. 

»)  L.  u.  B.  75:29. 

=)  L.  u.  B.  68:30;  siehe  auch  88:124. 

')  L.  u.  B.  42:39. 


548  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXIV. 

17.  Die  Kirche  lehrt  heute  die  Notwendigkeit  einer 
mit  den  Gesetzen  des  Landes  übereinstimmenden  Gesell- 
schaftsordnung. Sie  lehrt  ferner  die  Heilighaltung  der 
Einrichtung  und  des  Bundes  der  Ehe,  als  notwendig  für 
die  Erhaltung  der  Gesellschaft,  die  Erfüllung  der  göttlichen 
Gesetze  hinsichtlich  der  Fortdauer  der  menschlichen  Fa- 
milie und  die  Wichtigkeit  strengster  persönlicher  Reinheit. 

18.  Die  Ehe.  —  Die  heiligen  Schriften  enthalten  zahl- 
reiche und  ausführliche  Belehrungen  über  die  Notwendig- 
keit der  Ehe.  Der  Herr  sagte:  ,,Es  ist  nicht  gut,  daß  der 
Mensch  allein  sei. "i)  —  Diese  weitgreifende  und  bedeutungs- 
volle Erklärung  wurde  unmittelbar  nachdem  Adam  in 
den  Garten  Eden  versetzt  worden  war,  gegeben,  Eva 
wurde  ihm  beigegeben  und  der  Mensch  anerkannte  die 
Notwendigkeit  einer  dauernden  Verbindung  der  Geschlech- 
ter in  der  Ehe  mit  den  Worten:  „Darum  wird  ein  Mann 
Vater  und  Mutter  verlassen  und  an  seinem  Weibe  hangen, 
und  sie  werden  sein  ein  Fleisch. "2)  —  Keines  der  Geschlech- 
ter ist  für  sich  selbst  ein  vollständiges  Ebenbild  Gottes.  — 
Über  die  Erschaffung  des  menschlichen  Geschlechtes 
lesen  wir:  „Und  Gott  schuf  den  Menschen  ihm  zum  Bilde, 
zum  Bilde  Gottes  schuf  er  ihn ;  und  schuf  sie  einen  Mann  und 
ein  Weib. "3)  —  Der  Zweck  dieser  zwiefachen  Erschaffung 
wird  im  nächsten  Vers  der  heiligen  Geschichte  erklärt: 
„Und  Gott  segnete  sie  und  sprach  zu  ihnen:  Seid  fruchtbar 
und  mehret  euch  und  füllet  die  Erde."^)  —  Ein  solches 
Gebot  wäre  sinnlos  und  nichtssagend  gewesen,  wäre  es 
nur  einem  Geschlecht  gegeben  worden,  denn  nur  durch 
die  Vereinigung  beider  Geschlechter  ist  die  Fortpflanzung 
der  Art  möglich.    Wie  unbedeutend  würde  uns  die  Herr- 


')  1.  Mose  2:18. 

')  Vers  24. 

')  1.  Mose  1:27;  siehe  auch  5:2. 

*)  1.  Mose  1:28;  siehe  auch  9:1,  7;  3.  Mose  26:5 


Art.  13.]  Praktische  ReUgion.  549 

lichkeit  und  Majestät  des  Menschen  erscheinen  ohne  die 
Macht  zur  Erhaltung  seiner  Art  1  Wie  wenig  kann  von  einer 
einzelnen  Person  in  der  engbegrenzten  Spanne  eines  ver- 
gänglichen Daseins  vollbracht  werden! 

19.  Wie  erhaben  die  Errungenschaften  eines  wahr- 
haft großen  Mannes  auch  immer  sein  mögen,  — -  der  Höhe- 
punkt seines  Erbes  liegt  in  der  Möglichkeit,  Sprößlinge 
seines  eigenen  Wesens  zu  hinterlassen,  die  möglicherweise 
den  Triumph  ihres  Vorfahren  fortsetzen  können ;  und  wenn 
dies  schon  bei  uns  Sterblichen  inbezug  auf  die  Dinge  dieser 
Erde  wahr  ist,  wie  über  alle  Begriffe  erhaben  muß  dann  die 
Macht  ewiger  Vermehrung  sein,  wie  sie  sich  uns  im  Lichte 
der  geoffenbarten  Wahrheit  über  den  endlosen  Fortschritt 
des  künftigen  Standes  zeigt.  Wahrlich,  es  zeugt  von  der 
Weisheit  des  Apostels,  wenn  er  spricht:  ,,Doch  ist  weder 
der  Mann  ohne  das  Weib,  noch  das  Weib  ohne  den  Mann 
in  dem  Herrn. "i) 

20.  Die  Heiligen  der  letzten  Tage  nehmen  die  Lehre 
an,  daß  die  Ehe  ehrlich^)  gehalten  werden  soll.  Sie  fordern, 
daß  alle  in  die  Ehe  eintreten,  die  nicht  durch  körperliche 
oder  durch  sonst  irgendeine  Unfähigkeit  verhindert  sind, 
die  geheiligte  Verantwortlichkeit  des  Ehestandes  auf  sich 
zu  nehmen.  Sie  betrachten  es  als  das  Geburtsrecht  eines 
jeden  würdigen  Mannes,  bevorrechtet  und  verpflichtet 
zu  sein,  an  der  Spitze  einer  Familie  zu  stehen,  der  Vater 
einer  Nachkommenschaft  zu  werden,  die  vermöge  der 
Segnungen  Gottes  vielleicht  niemals  erlöschen  kann. 
Ebenso  stark  betonen  sie  das  Recht  jeder  würdigen  Frau, 
Gattin  und  Mutter  in  der  Familie  der  Menschheit  zu  sein. 
Trotz  der  Einfachheit,  Vernünftigkeit  und  Natürlichkeit 
dieser  Grundsätze  sind  nun  unter  der  Menschheit  falsche 
Lehrer  aufgestanden,  die  die  abscheuliche  Lehre  verkün- 


»)  1.  Korinther  11:11. 
')  Hebräer  13:4. 


550  Die   Glaubensartikel.  [Vorl.  XXIV. 

digten,  die  Ehe  sei  bloß  eine  fleischliche  Notwendigkeit, 
die  dem  Menschen  noch  als  eine  Eigentümlichkeit 
seiner  gefallenen  Natur  anhafte  und  ferner,  daß  Ehelosig- 
keit das  Kennzeichen  eines  erhabenem  Standes  sei  und  den 
reinen  Augen  Gottes  wohlgefälliger  erscheine.  Von  diesen 
falschen  Lehrern  hat  der  Herr  in  diesen  Tagen  gesagt:  „Wer 
die  Ehe  verbietet,  ist  nicht  von  Gott  berufen,  denn  die  Ehe 
ist  von  Gott  für  den  Menschen  eingesetzt,  *  *  *  auf  daß 
die  Erde  den  Zweck  ihrer  Erschaffung  erfüllen  möchte 
und  mit  dem  Maß  des  Menschen  erfüllet  werde,  laut  seiner 
Erschaffung,  ehe  die  Welt  gemacht  war."i) 

21.  Die  himmlische  Ehe.  —  Die  Ehe,  wie  sie  von  den 

Heiligen  der  letzten  Tage  betrachtet  wird,  ist  von  Gott 
eingesetzt  worden  und  zu  einer  ewigen  Verbindung  der 
Geschlechter  bestimmt.  Diesem  Volk  ist  sie  nicht  bloß  ein 
vorübergehender  Vertrag,  der  nur  auf  Erden  in  Kraft 
bleiben  soll,  während  der  Dauer  des  sterblichen  Daseins 
der  Parteien,  sondern  eine  ernste,  feierliche  Vereinbarung, 
die  sich  über  das  Grab  hinaus  erstreckt.  Durch  die  voll- 
kommene Verordnung  der  Eheschließung,  wie  sie  die 
Kirche  vorschreibt,  werden  Mann  und  Frau  unter  Bund 
und  Pflichten  gegenseitiger  Treue  gestellt,  nicht  bloß  „bis 
der  Tod  euch  scheidet",  sondern  „für  Zeit  und  alle  Ewig- 
keit". Ein  Vertrag,  der  so  weit  reicht  wie  dieser,  der  sich 
nicht  nur  auf  Zeit,  sondern  auch  in  das  Gebiet  des  Jenseits 
hinüber  erstreckt,  erfordert  zu  seiner  Giltigkeit  eine  Voll- 
macht, die  höher  ist  als  eine  irdische.  Eine  solche  Voll- 
macht stellt  das  heilige  Priestertum  dar,  das  ewig  ist,  weil 
Gott  es  gegeben  hat.  Irgend  eine  Kraft,  die  geringer  ist 
als  diese  —  mag  sie  für  dieses  Leben  vielleicht  auch  von 
Wirkung  sein  —  ist  sicherlich  null  und  nichtig  inbezug 
auf  den  Zustand  der  menschlichen  Seele  jenseit  des  Grabes. 


1)  Lehre  u    Bündn.  49:15—17. 


Art.  13.]  Praktische  Religion.  551 

So  hat  denn  auch  der  Herr  gesprochen :  „Alle  Bündnisse, 
Verträge,  Verpflichtungen,  Verbindlichkeiten,  Eide,  Ge- 
lübde, Handlungen,  Verbindungen,  Vereinigungen  oder 
Erwartungen,  die  nicht  durch  den  Heiligen  Geist  der  Ver- 
heißunggemacht und  eingegangen  und  für  beides,  sowohl  für 
die  Zeit  wie  auch  für  alle  Ewigkeit,  versiegelt  sind,  durch 
einen  der  dazu  gesalbt  ist,  und  zwar  am  Allerheiligsten ,  durch 
Offenbarung  und  Gebot,  durch  Vermittlung  meines  Ge- 
salbten, den  ich  bestimmt  habe,  auf  Erden  diese  Macht 
zu  halten,  *  *  *  haben  keine  Gültigkeit,  Kraft  oder  Wirk- 
samkeit in  und  nach  der  Auferstehung  von  den  Toten; 
denn  alle  Verträge,  welche  nicht  auf  diese  Weise  gemacht 
werden,  haben  ein  Ende,  wenn  die  Menschen  tot  sind."^)  — 
Hinsichtlich  der  Anwendung  des  Grundsatzes  ,, irdische 
Vollmacht  für  irdische  Dinge  und  himmlische  Vollmacht 
für  die  Dinge  jenseit  des  Grabes"  auf  die  geheiligten  Verbin- 
dungen der  Ehe,  fährt  die  Offenbarung  fort :  „Deshalb,  wenn 
ein  Mann  ein  Weib  in  der  Welt  heiratet,  und  er  heiratet 
sie  nicht  durch  mich,  oder  durch  mein  Wort,  und  er  macht 
mit  ihr  ein  Bündnis,  solange  er  in  der  Welt  ist,  und  sie  mit 
ihm,  so  hat  ihr  Bund  und  ihre  Ehe  keine  Gültigkeit,  wenn 
sie  tot  und  aus  der  Welt  sind ;  deshalb  sind  sie  durch  kein 
Gesetz  gebunden,  sobald  sie  aus  der  Welt  sind.  Darum, 
wenn  sie  aus  der  Welt  sind,  werden  sie  weder  heiraten  noch 
in  die  Ehe  gegeben,  sondern  sie  sind  bestimmt  zu  Engeln 
im  Himmel,  welche  Engel  amtierende  Diener  sind,  um  de- 
nen zu  dienen,  die  einer  weit  größern,  einer  unübertreff- 
lichen und  einer  ewigen  Herrlichkeit  würdig  sind.  Denn 
diese  Engel  blieben  nicht  in  meinem  Gesetz,  deshalb  können 
sie  nicht  erhöht  werden,  sondern  sie  bleiben  getrennt  und 
ledig,  ohne  Erhöhung  in  ihrem  erlösten  Zustande  bis  in 


')  Lehre  u.  Bündn.  132:7. 


552  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXIV. 

alle  Ewigkeit,  und  sie  sind  von  da  an  nicht  Götter,  sondern 
Engel  Gottes  für  immer  und  ewig."i)  — 

22.  Diese  Ordnung  des  heiligen  Ehestandes,  die  Bünd- 
nisse für  Zeit  und  Ewigkeit  umfaßt,  ist  im  besondern  als 
„himmlische  Ehe"  bekannt,  denn  sie  ist  die  Ordnung  der 
Ehe,  die  in  der  himmlischen  Welt  besteht.  Zu  der  heiligen 
Verordnung  der  himmlischen  Ehe  werden  nur  solche  Mit- 
glieder der  Kirche  zugelassen,  die  sich  als  würdige  Teil- 
nehmer an  den  Segnungen  des  Hauses  Gottes  erwiesen 
haben;  denn  diese  Verordnung,  vereint  mit  andern,  die  für 
alle  Ewigkeit  gültig  sein  sollen,  muß  in  Tempeln  vollzogen 
werden,  die  für  diesen  heiligen  Dienst  erbaut  und  geweiht 
worden  sind. 2)  Werden  solchen  Eltern  Kinder  geboren, 
so  sind  sie  auf  natürliche  Weise  Erben  des  Priestertums,  — 
„Bundeskinder"  —  wie  sie  genannt  werden.  Es  bedarf 
keiner  förmlichen  Adoption  oder  Siegelung,  um  ihnen  ihren 
Platz  unter  der  Nachkommenschaft  der  Verheißung  zu 
sichern.  Die  Kirche  genehmigt  aber  auch  Eheschließungen, 
die  lediglich  für  diese  Erdenzeit  geschlossen  werden  und  be- 
stätigt sie  durch  das  Priestertum  —  dies  für  solche,  die  nicht 
in  die  Tempel  des  Herrn  zugelassen  werden,  oder  die  frei- 
willig die  niedrigere  oder  zeitliche  Verordnung  der  Ehe 
vorziehen. 

23.  Die  ungesetzliche  Vereinigung  der  Geschlechter 
zählt  der  Herr  zu  den  abscheulichsten  Sünden.  Die  Kirche 
betrachtet  auch  heute  persönliche  Reinheit  in  geschlecht- 
licher Hinsicht  als  eine  unerläßliche  Bedingung  der  Mit- 
gliedschaft. Die  Belehrungen  des  nephitischen  Propheten 
Alma  über  die  Größe  der  Vergehen  gegen  Tugend  und  Sit- 
tenreinheit werden  von  den  Heiligen  der  letzten  Tage  ohne 
jeden  Vorbehalt  angenommen;  sie  lauten  wie  folgt:  „Weißt 
du  nicht,  mein  Sohn,  daß  dies  in  den  Augen  des  Herrn 


')  Lehre  u.  Bündn.  132:15 — 17. 
■')  L.  u.  B.  124:30 — 40. 


Art.  13.]  Praktische  Religion.  553 

ein  Greuel  ist,  ja,  greulicher,  als  alle  andern  Sünden,  es  sei 
denn  das  Vergießen  unschuldigen  Blutes  oder  die  Ver- 
leugnung des  Heiligen  Geistes  I"^)  Das  Gebot  „Du  sollst 
nicht  ehebrechen",  das  einst  unter  Donner  und  Blitz  auf 
dem  Berge  Sinai  von  Gottes  eigenem  Finger  geschrieben 
wurde,  ist  in  diesen  letzten  Tagen  als  eine  ganz  besondere 
Ermahnung  erneuert  und  für  den  Übertreter  die  Strafe 
des  Ausschlusses  vorgeschrieben  worden.^)  Darüber 
hinaus  betrachtet  der  Herr  das  geringste  Streben  nach 
geschlechtlicher  Sünde  als  unvereinbar  mit  dem  Be- 
kenntnis derer,  die  den  heiligen  Geist  erhalten  haben; 
hat  er  doch  erklärt :  „Wer  ein  Weib  ansieht,  sie  zu  begehren, 
oder  wenn  irgend  jemand  in  seinem  Herzen  Ehebruch 
treibt,  der  soll  den  Geist  nicht  behalten,  sondern  den 
Glauben  verleugnen". 3) 

24.  Die  Heiligkeit  des  Körpers.  —  Die  Kirche  empfiehlt 
ihren  Mitgliedern,  ein  jeder  möge  seinen  Körper  als ,, Tempel 
Gottes"^)  betrachten,  dem  daher  seine  Reinheit  und 
Heiligkeit  erhalten  bleiben  müsse.  Es  wird  jedem  gelehrt, 
daß  der  Geist  des  Herrn  nicht  in  unreinen  Tempeln  wohnt, 
und  daß  infolgedessen  von  jedem  einzelnen  verlangt  wird, 
in  Übereinstimmung  mit  den  Gesetzen  der  Gesundheit, 
die  einen  Teil  der  Gesetze  Gottes  darstellen,  zu  leben. 
Als  besondere  Richtschnur  für  seine  Heiligen  hat  der  Herr 
seinem  Volke  ein  ,,Wort  der  Weisheit"^)  geoffenbart.  Darin 
wird  ihnen  geraten,  nur  gesunde  Speisen  zu  essen,  sich 
starker  und  heißer  Getränke  und  jeder  Art  von  Reiz- 
mitteln und  berauschender  und  betäubender  Stoffe 
zu  enthalten.  Fleisch  nur  sparsam  zu  genießen,  und 
in  jeder  Hinsicht   einen   gesunden  körperlichen  Zustand 

')  Alma  39:5. 

•)  Lehre  u.  Bündn.  42:24,  80—83;   63:16—17. 

')  L.  u.  B.  63:16;  siehe  auch  42:23. 

')  1.  Korinther  3: 16;  siehe  auch  6: 19;  2.  Korinther  6:16;  L.u.B.  93:35. 

*)  L.  u.  B.  89;  der  ganze  Abschnitt  ist  zu  lesen! 


554  Die  Glaubensartikel.  [Vorl.  XXIV. 

ZU  unterhalten.  Unter  der  Bedingung  des  Gehorsams 
zu  diesen  Ratschlägen  ist  den  Heiligen  versprochen 
worden,  daß  alle,  ,,die  sich  dieser  Reden  erinnern  und  sie 
halten  und  in  Gehorsam  zu  den  Greboten  wandeln,  Gesund- 
heit empfangen  sollen  in  ihrem  Nabel,  und  Mark  in  ihren 
Knochen.  Und  sollen  Weisheit  und  große  Schätze  der  Er- 
kenntnis finden,  ja  selbst  verborgene  Schätze.  Und  sie 
sollen  rennen  und  nicht  müde  werden,  laufen  und  nicht 
schwach  werden.  Und  ich,  der  Herr,  gebe  ihnen  eine  Ver- 
heißung, daß  der  zerstörende  Engel  an  ihnen,  wie  einst  an 
den  Kindern  Israel  vorübergehen,  und  sie  nicht  erschlagen 
soll."i)  — 


Anmerkungen. 


1.  Liebe  ist  des  Gesetzes  Erfüllung.  —  ,,Der  Apostel  Petrus  sagt: 
„Vor  allen  Dingen  aber  habt  untereinander  eine  inbrünstige  Liebe"  (1. 
Petr.  4:8>.  Vor  allen  Dingen!  —  Und  Johannes  geht  noch  weiter:  „Gott  ist 
Liebe"  (1.  Johannes  4:8).  Sie  werden  sich  auch  des  tiefen  Ausspruches 
Pauli  erinnern:  „Liebe  ist  des  Gesetzes  Erfüllung"  (Römer  13:10,  Galater 
5:14).  Haben  Sie  wohl  je  darüber  nachgedacht,  was  er  damit  eigentlich 
meinte?  In  jenen  Tagen  bahnten  sich  die  Menschen  den  Weg  zum  Himmel 
durch  das  Halten  der  zehn  Gebote  und  der  hundertzehn  andern  Gebote, 
die  sie  aus  ihnen  abgeleitet  hatten.  Cliristus  sagte,  ich  will  euch  einen  ein- 
fachem Weg  zeigen.  Wenn  ihr  dieses  eine  tut,  werdet  ihr  jene  hun- 
dertzehn andern  Dinge  tun,  ohne  jemals  daran  zu  denken.  —  Wenn  Sie 
Liebe  haben,  werden  Sie  unbewußt  das  ganze  Gesetz  erfüllen.  *  *  •  Neh- 
men Sie  irgend  eines  der  zehn  Gebote.  —  „Du  sollst  keine  andern  Götter 
neben  mir  haben!"  Wenn  ein  Mensch  Gott  liebt,  werden  Sie  dann  wünschen, 
ihm  dieses  zu  sagen  ?  Die  Liebe  ist  die  Erfüllung  dieses  Gesetzes.  —  „Miß- 
brauche seinen  Namen  nicht."  —  Würde  er  auch  nur  im  Traum  daran 
denken,  jemals  seinen  Namen  zu  mißbrauchen,  wenn  er  ihn  lieb  hätte?  — 
„Gedenke  des  Sabbattages,  daß  du  ihn  heiligest".  —  Würde  ein  solcher 
Mensch  nicht  froh  sein,  von  sieben  Tagen  einen  zu  haben,  den  er  inniger 
dem  Gegenstand  seiner  Zuneigung  weihen  könnte?  Die  Liebe  wird  alle  diese 
Gesetze  gegenüber  Gott  erfüllen.  —  Und  dasselbe  wäre  der  Fall,  wenn  der 
Mensch  die  Menschen  lieben  würde.  Sicherlich  dächten  Sie  dann  nie  daran, 
ihm  zu  sagen,  er  solle  Vater  und  Mutter  ehren;  er  könnte  ja  nicht  anders!  — 
Es  wäre  widersinnig,  ihm  zu  sagen,  er  solle  nicht  töten,  und  Sie  würden  ihn 
geradezu  verhöhnen,  wenn   Sie  ihm  sagten,  er  solle  nicht  stehlen  —  wie 


>)  Lehre  u.  Bündn.  89:18—21. 


Art.  13.]  Anmerkungen,  555 

könnte  er  die  bestehlen,  die  er  liebt!  Es  wäre  auch  überflüssig,  ihn  zu  bitten, 
gegenüber  seinem  Nächsten  nicht  falsches  Zeugnis  zu  geben.  Wenn  er  ihn 
lieb  hätte,  würde  dies  das  letzte  sein,  das  er  täte.  —  Sie  würden  ihn  auch 
niemals  ermahnen,  nicht  zu  begehren  was  seines  Nächsten  ist.  Er  wollte 
viel  lieber,  daß  dies  er  an  seiner  Stelle  besäße.  In  dieser  Weise  ist  „Liebe 
des  Gesetzes  Erfüllung".    Drummond,  „Das  Größte  in  der  Welt". — 

2.  Des  Menschen  Verhältnis  zu  Gott.  —  „Mormonismus"  lehrt  auch 
die  tatsächliche  und  wirkliche  Verwandtschaft  wie  Vater  und  Kind  zwischen 
dem  Schöpfer  und  dem  Menschen  —  nicht  im  bildlichen  Sinne,  in  welchem 
z.  B.  eine  Maschine  das  Kind  ihres  Verfertigers  genannt  werden  kann,  — 
nicht  die  Stellung  einer  Ware  zum  Fabrikanten,  sondern  eine  Verbindung, 
wie  zwischen  Vater  und  Sprößling.  Die  Behauptung  mag  wohl  kühn  er- 
scheinen, daß  des  Menschen  Geist  als  Abkömmling  Gottes,  und  der  irdische, 
doch  auch  im  Ebenbild  Gottes  geschaffene  Körper,  sogar  in  dem  gefallenen 
Zustand,  immer  noch  Eigenschaften,  Neigungen  und  Kräfte  besitzt,  welche, 
wenn  auch  noch  unentwickelt,  doch  auf  seine  mehr  als  königliche  Abstam- 
mung hinweisen  und  auch  so  ausgebildet  werden  können,  um  ihn  schon 
in  dieser  Sterblichkeit  in  einem  gewissen  Maße  Gott  ähnlich  zu  machen. 

,,Aber  , Mormonismus'  geht  noch  weiter:  In  übereinstünmung  mit  dem 
unverletzlichen  Gesetz  der  organischen  Natur,  daß  Gleiches  Gleiches  her- 
vorbringt, und  daß  die  Vermehrung  und  die  Fortpflanzung  der  Arten  nach 
dem  Grundsatz  ,,  Jedes  in  seiner  Art"  erfolgen  muß,  wonach  das  Kind  den 
frühem  Zustand  seiner  Eltern  erreichen  kann,  so  ist  auch  der  Mensch  in 
seiner  Sterblichkeit  ein  Gott  im  Keimzustand.  Wie  weit  in  der  Zukimft  es 
auch  sein  mag  und  wie\iele  Ewgkeiten  darüber  hingehen  mögen,  bevor  ein 
sterblicher  Mensch  den  Rang  und  die  Heihgkeit  der  Gottheit  erreichen 
kann,  so  trägt  der  Menscli  doch  eine  solche  Möglichkeit  in  sich,  vsie  eine 
kriechende  Raupe  oder  die  scheinbar  tote  Puppe,  wenn  sie  nicht  zerstört 
wird,  die  Gewißheit  hat,  ein  herrlicher  SchmetterUng  zu  werden. 

,,  .Mormonismus'  erklärt,  daß  die  Natur  sowohl  auf  Erden  wie  im  Him- 
mel nach  planmäßiger  Entwicklung  höher  strebt !  Ja,  der  ewige  Vater  selbst 
ist  im  Fortschritt  begriffen,  obgleich  seine  Vollkommenheit  so  vollständig 
ist,  daß  sie  für  Menschen  unbegreifUcii  ist,  so  besitzt  sie  doch  die  Eigenschaft, 
wahrer  Vollkommenheit,  sich  e%vig  zu  erweitern.  Wenn  daher  in  der  fernen 
Zukunft,  jenseit  des  Horizonts  der  Ewigkeiten,  ein  Mensch  zum  göttlichen 
Stand  gelangt,  so  wird  damit  nicht  gesagt,  daß  er  dann  dem  Gott,  den  wir 
anbeten,  gleich  sein  wird,  noch  ^^^^d  er  je  die  Geister,  welche  ihm  voraus 
sind,  überholen.  Wenn  man  dieses  behaupten  wollte,  so  wäre  das  so\nel  als 
zu  sagen,  es  gäbe  nach  einer  gewissen  Stufe  keinen  Fortschritt  mehr  und 
Fortschritt  wäre  die  Eigenschaft  niederer  Geschöpfe  imd  geringerer  Zwecke. 
Wir  glauben,  daß  es  mehr  als  tönendes  Erz  oder  klingende  Schellen 
bedeutet,  wenn  Christus  seine  Nachfolger  ermahnt:  Darum  sollt  ihr  voll- 
kommen sein,  gleichwie  euer  Vater  im  Himmel  vollkommen  ist."  —  „Phi- 
losophie in  Mormonismus";  der  Verfasser,  (Seite  5  f.). 


I 


Anhang. 


Vorbemerkung.  Im  Hinblick  auf  den  ausdrücklichen  Wunsch  der 
obersten  Kirchenbehörden  —  auf  deren  Anordnung  hin  das  vorliegende 
Werk  veröffentlicht  wird  —  daß  die  „Vorlesungen  über  die  Glaubensartikel" 
als  Textbuch  und  Nachschlagewerk  in  den  verschiedenen  theologischen 
Organisationen  der  Kirche  Verwendung  finden  möchten,  sei  hiermit  den 
Klassen  eine  Reihe  von  Fragen  und  Aufgaben  für  die  Wiederholung  an  die 
Hand  gegeben. 

Vorlesung  I. 

Einleitung. 

1.  Was  versteht  man  unter  Theologie?  (Erläutere  1.  die  Ableitung  des 
Wortes,  2.  den  Umfang  dieser  Wissenschaft.) 

2.  Vergleiche  Theologie  mit  Religion. 

3.  Erläutere  die  „Glaubensartikel".  (Zeige  1.  die  nähern  Umstände 
ihrer  Entstehung,  2.  ihre  Wiederannahme  durch  die  Kirche,  3.  ihre  not- 
wendige UnVollständigkeit  als  eine  Darstellung  unseres  Glaubens.) 

4.  Nenne  die  maßgebenden  Lehrbücher  (Standardwerke)  der  Kirche. 

5.  Stelle  die  hauptsächlichsten  Ereignisse  und  Umstände  fest,  die 
mit  Joseph  Smiths  Elternhaus,  Geburt  und  Jugend  verknüpft  sind. 

6.  Beschreibe  die  Umstände  bei  Josephs  andächtigem  Forschen  nach 
Wahrheit. 

7.  Beschreibe  das  erste  Gesicht. 

8.  Welcher  Hauptbestandteil  der  sektiererischen  Lehre  hinsichtlich 
der  Persönlichkeit  Gottes  und  seines  Sohnes  Jesus  Christus  wurde  durch 
diese  Erscheinung  widerlegt? 

9.  Wie  wurde  Josephs  Bericht  über  sein  Gesicht  von  den  damaligen 
Sektenpredigern  aufgenommen  ? 

10.  Beschreibe  den  Besuch  Moronis  bei  Joseph  Smith.  (Nenne  1.  das 
Datum,  2.  die  wichtigsten  Botschaften,  die  der  Engel  brachte.) 

11.  Beschreibe  die  Wiederlierstcllung  der  Kirche  in  der  gegenwärtigen 
Dispensation  durch  die  Tätigkeit  Joseph  Smiths. 

12.  Erzähle  die  nähern  Umstände  des  Märtyrertodes  Josephs  und 
Hyrums.  (L.  u.  B.  Abschn.  135.) 

13.  Zeige  die  Wichtigkeit  der  göttlichen  Berufung  Josephs  im  Hin- 
bUck  auf  die  Ansprüche  der  Kirche  Jesu  Christi  der  Heiligen  der  letzten 
Tage. 


558  Die  Glaubensartikel. 

14.  Zähle  die  Beweise  göttlicher  Autorität  in  dem  von  Joseph  Smith 
vollbrachten  Werlc  auf. 

15.  Führe  Beispiele  dafür  an,  wie  in  seinem  Werk  alte  Prophezeiungen 
in  Erfüllung  gingen. 

16.  Zeige  die  göttliche  Quelle  von  Josephs  Smiths  Vollmacht  im 
Priestertum. 

17.  Zeige  die  Berechtigung  der  Behauptung,  daß  er  ein  wahrer  Prophet 
Gottes  war.  (Erwähne  1.  den  Prüfstein,  den  der  Herr  zur  Erkennung  seiner 
Propheten  gegeben  hat,  2.  nenne  Fälle  wichtiger  Prophezeiungen  Josephs 
Smiths,  die  bereits  in  Erfüllung  gegangen  sind.) 


Vorlesung  II,  Artikel  1. 
Gott  und  die  Gottheit. 

1.  Zeige,   daß  die  Ausübung  des   Glaubens  abhängig  ist  von  einer 
Kenntnis  des  Daseins  Gottes. 

2.  Wiederhole,  was  du  über  den  allgemeinen  Glauben  der  Menschheit 
an  das  Dasein  Gottes  weißt. 

3.  Zähle  die  Tatsachen  auf,  worauf  sich  unser  Glauben  an  das  Dasein 
eines  Gottes  gründet. 

4.  Nenne  entsprechende  Tatsachen  aus  der  menschlichen  Geschichte 
und  Überlieferung. 

5.  Zeige,  wie  man  durch  Anwendung  der  Vernunft  zu  der  gleichen 
Schlußfolgerung  kommt. 

6.  Gib  Beweise  von  göttlicher  Offenbarung.  (1.  Fälle  aus  der  Bibel, 

2.  aus  dem  Buch  Mormon,  3.  Beispiele  aus  neuzeitlicher  Offenbarung.) 

7.  Zeige,  daß  die  Gottheit  eine  Dreieinigkeit  ist. 

8.  Was  verstehst  du  unter  den  biblischen  Erklärungen,  daß  die  Gott- 
heit „eins"  ist? 

9.  Gib  Beweise  von  der  Persönlichkeit  eines  jeden  Gliedes  der  Gott- 
heit (führe  Schriftstellen  an). 

10.  Zähle  die  wichtigsten  göttlichen  Eigenschaften,  wie  sie  in  der 
Schrift  bezeugt  werden,  auf. 

11.  Erläutere:    1.     Götzendienst,     2.    Atheismus    (Gottesleugnung), 

3.  Theismus  (Gottesglauben)  in  ihren  verschiedenen  Formen. 

12.  Zeige,  daß  der  Glaube  an  Gott  für  das  menschliche  Gemüt  na- 
türlich und  notwendig  ist.    (Siehe  Seite  58 — 63.) 

13.  In  welchem  Sinne  unterstützt  der  Götzendienst  der  heidnischen 
Völker  den  Glauben  an  das  Dasein  eines  Gottes? 

14.  Zeige    die    enge   Verbindung    zwischen    Atheismus    und    Imma- 
terialismus. 


Vorlesung  III,  Artikel  2. 
Die  Übertretung. 

1.  Führe  aus  den  heiligen  Schriften  die  hauptsächlichsten  Beweise  an 
für  den  freien  Willen  des  Menschen.  (Nenne  Tatsachen  aus  jedem  einzelnen 
kirchlichen  Lehrbuch.) 


Rückblick.  559 

2.  Zeige,  daß  es  nur  gerecht  ist,  den  Menschen  angesichts  seines 
Rechtes  auf  freie  Wahl  auch  für  seine  Handlungen  verantwortlich  zu  halten. 

3.  Was  ist  „Sünde"  ?  (Vergleiche  absichtliche  Sünde  mit  solcher,  die 
in  Unwissenheit  begangen  wird;  7eige  an  Hand  der  Schrift,  wie  nach  dem 
göttUchen  Plan  mit  diesen  beiden  Klassen  verfahren  wird). 

4.  Zeige,  daß  die  Bestrafung  der  Sünde  von  Gott  eingesetzt  wor- 
den ist. 

5.  Gib  einen  kurzen  Abriß  über  die  Lehre  der  Heiligen  Schrift  von 
der  Dauer  der  Strafe  im   Jenseits. 

6.  Führe  aus  der  Heiligen  Schrift  Beweise  an  für  die  Persönlichkeit 
des  Satans.  (1.  seine  frühere  Stellung  im  Himmel,  2.  sein  Titel  vor  seinem 
Fall,  3.  seine  Ausstoßung  aus  dem  Himmel,  4.  seine  jetzige  Widersetzlich- 
keit gegen  die  Pläne  Gottes,  5.  sein  vorhergesagtes  Schicksal.) 


Der  Sündßnfall. 

7.  Beschreibe  den  Zustand  und  die  Verhältnisse  unserer  ersten  Eltern 
im  Garten  Eden. 

8.  Welche   wichtigen    Gebote   wurden   ihnen   vom   Herrn   gegeben? 

9.  Gib  den  Bericht  der  Heiligen  Schrift  über  die  Versuchung  Evas 
durch  den  Satan. 

10.  Zeige,  daß  Adam  Natur  und  Folgen  seiner  Handlung  wohl 
verstand,  als  er  von  der  verbotenen  Frucht  nahm. 

11.  Was  ist  bekannt  über  den  Baum  des  Lebens  im  Garten  Eden? 

12.  Zeige,  daß  nach  der  Übertretung  unserer  ersten  Eltern  ihre  Ver- 
bannung aus  dem  Garten  Eden  notwendig  war. 

13.  Welches  war  die  unmittelbare  Folge  des  Sündenfalles? 

14.  Führe  aus  den  heiligen  Schriften  Beweise  an,  daß  der  Fall  not- 
wendig und  vorherbestimmt  war. 

15.  Zeige,  daß  dieses  irdische  Dasein  mit  seiner  Sterblichkeit  ein 
segensreiches  Erbe  für  das  Menschengeschlecht  ist. 

16.  Gib  eine  Darstellung  der  Lehre  von  einem  Sühnopfer,  wie  sie  un- 
serm  Vater  Adam  nach  dem  Sündenfall  verkündigt  wurde. 

17.  Beschreibe  die  Freude  Adams  und  Evas,  als  sie  die  Folgen  des 
Falles  kennen  lernten  und  von  der  vorgesehenen  Erlösung  Kenntnis  er- 
hielten. 


Vorlesung  IV,  Artikel  3. 

Erlösung  und  Seligkeit. 

1.  Erläutere   „Sühnopfer,    Sühne"   in   ihrer  biblischen   Anwendung. 

2.  Stelle  fest,  was  du  über  die  Natur  des  Sühnopfers  weißt. 

3.  Zeige,  daß  das  Sühnopfer  eine  notwendige  Folge  des  Sündenfalles 
war. 

4.  Was  ist  mit  dem  „stellvertretenden  Opfer"  gemeint? 

5.  Zeige,  daß  das   Sühnopfer  Christi  1.  stellvertretend,  2.  freiwillig 
und  3.  aus  Liebe  zu  der  Menschheit  gebracht  wurde. 

6.  Führe  aus  der  Heiligen  Schrift  Beweise  an  (aus  jedem  kirchlichen 
Lehrbuch)  daß  das  Sühnopfer  vorherbestimmt  und  vorhergesagt  war. 


560  Die  Glaubensartikel. 

7.  Zeige  1.  den  allgemeinen,  2.  den  persönlichen  Nutzen  des  Sühn- 
opfers. 

8.  Erläutere  1.  „Seligkeit",  2.  Erhöhung. 

9.  Nenne  die  Grade  der  Herrlichkeit,  wie  sie  von  Gott  geoffenbart 
wurden. 

10.  Gib  aus  den  heiligen  Schriften  eine  zusammenfassende  Beschrei- 
bung: 1.  des  himmlischen  Reiches,  2.  der  irdischen,  3.  der  unterirdischen 
Herrlichkeit. 


Vorlesung  V,  Artikel  4. 
Glaube. 

1.  Erläutere  die  Natur  des  Glaubens. 

2.  Erkläre  die  Ausdrücke  „glauben",  ,, für  wahr  halten",  „erkennen". 

3.  Nenne  Beispiele  aus  den  heiligen  Schriften  von  einem  Glauben  an 
Christum,  welcher  keine  errettende  (seligrnachende)  Kraft  hatte. 

4.  Was  hältst  du  für  die  notwendige  Grundlage  des  Glaubens? 

5.  Gib  die  Zusammenstellung  Joseph  Smiths  von  Tatsachen  inbezug 
auf  den  Charakter  und  die  Eigenschaften  Gottes. 

6.  Zeige,  wie  ans  falschen  Voraussetzungen  ein  irregeleiteter  Glaube 
entstehen  kann. 

7.  Was  ist  gemeint  mit  der  Feststellung,  daß  der  Glaube  ein  Prinzip 
der  Macht  ist?    (Führe  Fälle  aus  den  heiligen  Schriften  an.) 

8.  Beweise,  daß  Glauben  zur  Seligkeit  notwendig  ist. 

9.  Zeige  an  Hand  der  Schrift,  daß  der  Glaube  eine  Gabe  Gottes  ist. 

10.  Zeige,  daß  der  Glaube,  um  wirksam  zu  sein,  von  guten  Werken 
begleitet  sein  muß. 

Buße. 

11.  Was  ist  mit  wahrer  Buße  gemeint? 

12.  Beschreibe  die  Bedingungen  und  Umstände,  unter  denen  Verge- 
bung der  Sünden  verheißen  ist. 

13.  Beweise,  daß  Buße  zur  Seligkeit  notwendig  ist. 

14.  Zeige,  daß  Buße  eine  Gabe  Gottes  ist. 

15.  Wie  kann  man  diese  Gabe  verlieren  oder  verwirken? 

16.  Was  für  Tatsachen  sprechen  dafür,  daß  Buße  auch  im  Jenseits 
möglich  ist? 

17.  Gib  eine  Zusammenfassung  der  Belehrungen  Amuleks  über  die 
Gefahr  des  Aufschiebens  der  Buße. 


Vorlesung  VI  und  VII;  Artikel  4. 
Taufe. 

1.  Erzähle,  was  dir  über  die  frühesten  Offenbanmgen  Gottes  hin- 
sichtlich der  Taufe  bekannt  ist. 

2.  Welches  ist  der  besondere  Zweck  der  Taufe?  (Führe  Beweise  an: 
1.  aus  der  Bibel,  2.  aus  dem  Buch  Mormon,  3.  aus  den  neuzeitüchen  Offen- 
banmgen.) 


Rückblick.  561 

3.  Wer  ist  \A-ürdig  getauft  zu  werden? 

4.  Zeige,  daß  die  Kindertaufe  schriftwidrig  ist:  1.  daß  die  Bibel 
diese  Unsitte  nicht  unterstützt,  2.  daß  das  Buch  Mormon  sowie  die  neuen 
Offenbarungen  sie  verbieten. 

5.  Gib  einen  kurzen  Bericht  über  die  geschichtliche  Entstehung  der 
Kindertaufe. 

6.  Erkläre  „Pädobaptisten"  (Anhänger  der  Kindertaufe)  und  „Ana- 
baptisten" (Wiedertäufer). 

7.  Beweise  mit  Tatsachen  aus  der  Schrift,  daß  die  Taufe  zur  Seligkeit 
notwendig  ist:  1.  aus  der  Bibel,  2.  aus  dem  Buch  Mormon,  3.  aus  der  Lehre 
und  Bündnisse. 

8.  Warum  war  die  Taufe  Christi  notwendig? 

9.  Gib  eine  Zusammenfassung  der  Gründe,  weshalb  die  Heiligen  der 
letzten  Tage  glauben,  daß  Untertauchung  die  einzig  richtige  Form  der 
Taufe  ist. 

10.  Zeige,  welche  Beweise  hierfür  die  Ableitung  und  der  frühere 
Gebrauch  des  griechischen  Wortes  „Baptisma"  liefern. 

11.  Zeige,  wie  das  der  Taufe  zu  Grunde  liegende  Sinnbild  am  besten 
diuch    Untertauchung    gewahrt    wird. 

12.  Nenne  Tatsachen  aus  der  Schrift  und  der  Weltgeschichte  zmn 
Beweise  dafür,  daß  Untertauchung  die  einzige  vom  Herrn  anerkannte 
Form  der  Taufe  ist. 

13.  Wiederhole  die  geoffenbarte  Formel  für  die  Taufe:  1.  bei  den 
Nephiten,  2.  in  der  jetzigen  Dispensation. 

14.  Unter  welchen  Umständen  kann  die  Taufe  an  ein  und  derselben 
Person  wiederholt  vollzogen  werden? 

15.  Gib  Beispiele  von  derartig  wiederholten  Taufen,  die  in  den  heiligen 
Schriften  erw'ähnt  werden,  sowie  solche,  die  in  der  jetzigen  Dispensation 
genehmigt  wurden,  imd  erläutere  gleichzeitig,  wann  ausnahmsweise  solche 
Wiederholungen  der  Taufe  vorkommen  können. 

16.  Zeige,  daß  ein  öfteres  Wiederholen  der  Taufe  an  ein  und  demselben 
Mitglied  nicht  wichtig  ist. 

17.  Zeige  die  Notwendigkeit  der  Taufe  für  die  Toten. 

18.  Welche  Beweise  haben  wir  dafür,  daß  das  Evangelium  auch  den 
Toten  gepredigt  wird? 

19.  Führe  aus  der  Heiligen  Schrift  Prophezeiungen  über  das  Wirken 
Christi  unter  den  Toten  an. 

20.  Beweise,  daß  das  stellvertretende  Werk  der  Lebenden  für  die 
Toten  für  diese  letzten  Tage  vorhergesagt  wiu-de. 

21.  Zeige,  daß  die  Vollmacht  zu  dieser  Arbeit  der  Kirche  bereits 
gegeben  worden  ist. 

22.  Erläutere  die  doppelte  Natur  dieses  stellvertretenden  Werkes 
für  die  Toten. 

23.  Was  ist  ein  Tempel? 

24.  Gib  einen  kurzen  Bericht  über  die  Tempel  aus  früherer  Zeit, 
die  vom  Herrn  angenommen  wurden. 

25.  Beschreibe  das  Werk  des  Tempelbaues,  das  in  dieser  Dispensation 
von  der  Kirche  schon  vollbracht  worden  ist. 


562  Die  Glaubensarükel. 

Vorlesung  VIII,  Artikel  4. 
Der  HeiUge  Geist. 

1.  Führe  hinsichtlich  der  Sendung  des  Heiligen  Geistes  biblische 
Verheißungen  an. 

2.  Gib  hierzu  andere  Beweise  aus  den  heiligen  Schriften:  1.  aus  dem 
Buch  Mormon,  2.  aus  den  Offenbarungen  der  Neuzeit,  und  zeige  an  Hand 
derselben,  daß  der  Heilige  Geist  solchen  zuteil  werden  soll,  die  auf  die 
richtige  Art  und  Weise  getauft  worden  sind. 

3.  Nenne  die  hauptsächlichsten  Namen  und  Titel  unter  denen  der 
Heilige  Geist  in  der  Sclirift  erscheint. 

4.  Welches  ist  die  besondere  Mission  des  Heiligen  Geistes  als  ein 
GUed  der  Gottheit? 

5.  Beweise  aus  der  Schrift,  daß  der  Heilige  Geist  eine  Person  ist. 

6.  Beschreibe  die  Tätiglieit  des  Heiligen  Geistes  in  seinem  Wirken 
unter  den  Menschen. 

7.  Wem  ist  der  Heilige  Geist  versprochen? 

8.  Nenne  Fälle  aus  der  Wirksamkeit  des  Heiligen  Geistes  bei  auf- 
richtigen Gläubigen,  die  noch  nicht  getauft  waren ;  erkläre  solche  Ausnahmen. 

9.  Beschreibe  die  Verordnung  der  Erteilung  des  Heiligen  Geistes  an 
solchen,  die  getauft  worden  sind. 

10.  Zeige,  daß  bevollmächtigtes  Händeauflegen  in  früheren  Zeiten  ein 
vsichtiger  Bestandteil  dieser  Verordnung  war. 

11.  Welchem  Priestertum  ist  die  Vollmacht,  den  Heiligen  Geist  zu 
spenden,  vorbehalten?    Beweise  dieses  aus  der  Schrift. 

12.  Zeige,  daß  das  Auflegen  der  Hände  von  solchen,  die  göttliche 
Vollmacht  dazu  haben,  auch  für  andere  Verordnungen  der  Kirche  bezeich- 
nend ist. 

13.  Was  versteht  man  unter  den  Gaben  des  Geistes? 


Vorlesung  IX;  in  Verbindung  mit  Artikel  4. 
Das  Abendmahl. 

1.  Erkläre  de'n  Ausdruck  „Sakrament"  in  seinem  allgemeinen  und 
besondern  Gebrauch. 

2.  Beschreibe  die  Einsetzung  des  heiUgen  Abendmahles  1.  bei  den 
Juden,  2.  bei  den  Nephiten. 

3.  Wer  ist  ein  würdiger  Empfänger  des  heiligen  Abendmahles? 

4.  Führe  aus  der  HeiUgen  Schrift  Warnungen  an:  1.  vor  dem  imwür- 
digen  Genuß  des  heiligen  Abendmahles,  2.  vor  der  Verabreichung  des 
Abendmahles  an  Un\%-ürdige. 

5.  Welches  ist  der  Zweck  des  heiligen  Abendmahles? 

6.  Was  verabreichte  Jesus  Christus  als  Sinnbilder  seines  Fleisches 
und  Blutes? 

7.  In%viefern  ist  die  Kirche  heute  gerechtfertigt,  wenn  sie  unter  ge- 
wissen Umständen  Wasser  anstatt  Wein  verabreicht? 

8.  Wiederhole  die  vorgeschriebenen  Gebete  für  die  Segnung  (1.  des 
Brotes,  2.  des  Weines  oder  Wassers). 


Rückblick.  563 

9,  Welcher  Grad  im  Pricstertum  ist  zur  Segnung  des  heiligen  Abend- 
mahles erforderlich? 

10.  Welche  Verwandtschaft  besteht  zwischen  dem  heiligen  Abendmalil 
und  dem  jüdischen  Passah? 


Vorlesung  X,  Artikel  5. 
Vollmacht  im  geistlichen  Amt. 

1.  Führe  aus  der  Heiligen  Schrift  Beispiele  an,  wie  Männer  durch 
Offenbarung  oder  durch  persönliche  Mitwirkung  Gottes  von  Gott  berufen 
wurden:  1.  vor  der  „Mitte  der  Zeiten",  2.  in  den  Tagen  Christi,  3.  in  der 
apostolischen  Zeit,  4.  in  der  Dispensation  der  Fülle  der  Zeiten. 

2.  Wie  wird  das  Priestertum  übertragen? 

3.  Nenne  die  bedeutendsten  Träger  des  Priestertums  von  Adam 
bis  auf  Mose. 

4.  Führe  Fälle  an,  woraus  hervorgeht,  daß  Gott  eigenmächtige  Hand- 
lungen und  solche  ohne  Autorität  nicht  anerkennt.  Beschreibe  namentlich 
die  besondern  Umstände  in  folgenden  Fällen:  1.  Korah  und  seine  Rotte, 
2.  Miriam  und  Aaron,  3.  Usa,  4.  Usia,  5.  die  Söhne  Skevas. 

5.  Führe  aus  der  Heiligen  Schrift  Prophezeiungen  an  dafür,  daß 
falsche  Lehrer  aufstehen  werden. 

G.  Beweise  das  Vorhandensein  des  Priestertums  in  der  heutigen 
Kirche. 

7.  Gib  einen  Bericht  über  die  Wiederbringung  1.  des  aaronischen, 
2.  des  melchizedekischen  Priestertums. 

Vorherbestimmunfi  und  Präexistenz. 

8.  Auf  welche  Weise  wurde  die  Tatsache  einer  Vorordination  dem 
Abraham  kundgemacht. 

9.  Gib  aus  der  Schrift  Beweise  dafür,  daß  Christus  zum  voraus  zum 
Erlöser  der  Welt  bestimmt  war. 

'  10.  Führe  andere  Schriftstellen  an,  die  die  Lehre  von  der  Vorherbe- 
stimmung unterstützen:  ].  aus  dem  Neuen  Testament,  2.  aus  dem  Buch 
Mormon. 

11.  Zeige,  daß  Vorordination  den  freien  Willen  des  Menschen  nicht 
hemmt. 

12.  Führe  aus  den  heiligen  Schriften  Beweise  an  für  das  Vorherdasein 
(Präexistenz)  der  Geister. 


Vorlesung  XI,  Artikel  6. 
Die  Organisation  und  Verwaltung  der  Kirche. 

1.  Was  ist  die  Kirche  ?  (Unterstütze  deine  Erläuterungen  mit  Schrift- 
stellenV 

2.  Was  versteht  man  unter  der  „ursprünglichen  Kirche". 

3.  Welche  Beweise  hast  du  dafür,  daß  ein  allgemeiner  Abfall  von  der 
ursprünglichen    Kirche    stattgefunden    hat? 


564  Die  Glaubensartikel. 

4.  Beweise  aus  den  heiligen  Schriften,  daß  dieser  Abfall  vorhergesagt 
worden  war.  Führe  Tatsachen  an:  1.  aus  dem  Alten,  2.  aus  dem  Neuen 
Testament,  3.  aus  dem  Buch  Mormon. 

5.  'Zeige,  daß  auch  die  Wiederherstellung  der  Kirche  vorhergesagt  war. 

6.  Was  versteht  man  unter  „Priestertum". 

7.  Nenne  die  Haupteinteilungen  des  Priestertums,  wie  sie  geoffen- 
bart wurden. 

8.  Welche  Verwandtschaft  besteht  zwischen  dem  aaronischen  und 
dem  le^'itischen  Priestertum? 

9.  Nenne  die  besondern  Ämter  im  aaronischen  Priestertum  der 
Reihe  nach  mit  einer  Erläuterung  der  besondern  Pflichten  und  der  Vollmacht 
jedes  einzelnen  Amtes. 

10.  Nenne  die  besondern  Ämter  im  melchizedekischen  Priestertum 
und  beschreibe  die  Vollmacht  und  die  Pflichten  jedes  einzelnen. 

11.  Beschreibe  die  Zusammensetzung  und  Vollmacht  eines  jeden  der 
folgenden  präsidierenden  Kollegien:  1.  die  Erste  Präsidentschaft,  2.  das 
Kollegium  der  zwölf  Apostel,  3.  das  präsidierende  Kollegium  der  Siebziger, 
4.  die  präsidierende  Bischofschaft. 

12.  Erkläre,  was  man  unter  ,, Zweiggemeinde",  „Ward",  „Pfahl" 
versteht,  so  wie  diese  Bezeichnungen  auf  einzelne  Teile  der  Kirche  ange- 
wandt werden. 

13.  Erläutere  die  Zusammensetzung,  die  Vollmacht  und  die  beson- 
dern Pflichten:  1.  der  Pfahlpräsidentschaft,  2.  des  stehenden  Hohen  Rates, 
3.  der  Bischofschaft  einer  Ward,  4.  einer  Gemeindepräsidentschaft,  5.  der 
Präsidentschaft  einer  Zv.eiggemcinde. 

14.  Welche  Stufe  im  Priestertum  müssen  die  Glieder  der  unter  3. 
genannten   präsidierenden   Behörde   innehaben? 

15.  Erkläre  die  Bezeichnung ,, Kollegium"  (  Quorum)  in  dem  besondern 
Sinne,  in  welchem  sie  bei  den  Heiligen  der  letzten  Tage  gebraucht  wird. 

16.  Was  ist  ein  Patriarch  ?  1.  Erkläre  in  Verbindung  damit  den  Titel 
„Evangelist".  2.  Zeige  wie  sich  die  Nachfolgeschaft  im  Amte  des  präsi- 
dierenden Patriarchen  von  den  andern  Ämtern  und  Berufungen  unter- 
scheidet (Siehe  auch  Stern  1918,  Seite  357  f). 

17.  Nenne  die  Hilfsvereinigungen,  die  als  „Hilfe  der  Verwaltung" 
innerhalb  der  Kirche  bestehen. 

18.  Erläutere  die  besondern  Aufgaben  einer  jeden  von  ihnen  (wie  sie 
auf   Seite  258  u.  259   aufgezählt  sind). 

19.  Zeige  wie  das  Prinzip  der  allgemeinen  Zustimmung  bei  Beru- 
fungen zu  Ämtern  innerhalb  der  Kirche  durchgeführt  wird. 


Vorlesung  XII;  Artikel  7. 
Geistige  Gaben. 

1.  Zeige,  daß  das  Vorhandensein  von  geistigen  Gaben  für  das  Priester- 
tum stets  charakteristisch  gewesen  ist. 

2.  Gib  aus  der  Schrift  Beweise  dafür,  daß  solche  Gaben  in  der  Kirche 
immer  zu  finden  sein  werden. 

3.  Was  ist  ein  „Wunder"  ? 

4.  Warimi  werden  Wunder  manchmal  als  übernatürliche   Gescheh- 
nisse bezeichnet? 


Rückblick.  565 

5.  Zu  welchem  Zwecke  tun  sich  in  der  Kirche  geistige  Gaben  kund  ? 

6.  Zeige,  daß  wunderbare  Kundgebungen  keine  unfehlbaren  Kenn- 
zeichen für  die  Tätigkeit  des  Priestertumes  sind. 

7.  Nenne  die  in  der   Schrift  einzeln  aufgeführten  geistigen   Gaben. 

8.  Beschreibe  die  übliche  Kundgebung,  die  jeder  der  folgenden  Gaben 
charakteristisch  ist,  und  führe  für  jede  einzelne  entsprechende  Scliriftstellen 
an:  1.  die  Gabe  der  Zungen  und  der  Auslegung  der  Zungen,  2.  die  Gabe 
der  Heilung  und  die  Gabe  durch  Glauben  geheilt  zu  werden,  3.  Gesichte, 
4  Träume,  5.  Prophezeiung,  6.  Offenbarung. 

9.  Führe  aus  der  Schrift  die  Verheißungen  an,  daß  denen,  die  da 
glauben,  gewisse  Zeichen  und  Gaben  folgen  werden. 

10.  Führe  Beispiele  an,  in  denen  Wunder  auch  von  bösen  Mächten 
zustandegebracht  worden  sind. 

11.  Führe  die  Prophezeiungen  des  Offenbarers  Johannes  an,  inbezug 
auf  solche  Nachahmungen  der  geistigen  Gaben,  wie  sie  für  das  Werk  des 
Herrn  in  den  letzten  Tagen  kennzeichnend  sein  sollen. 

12.  Was  sagte  Christus  über  Zeichen  und  Wunder,  welche  von  bösen 
Menschen  vollbracht  werden? 

13.  Welche  Beweise  sind  dir  dafür  bekannt,  daß  auch  in  der  heutigen 
Kirche  geistige    Gaben    vorhanden   sind? 


Vorlesung  XIII;  Artikel  8. 
Die  Bibel. 

1.  Welche  Stellung  nimmt  die  Bibel  unter  den  maßgebenden  Lehr- 
büchern der  Kirche  ein? 

2.  Welche  Vorbehalte  macht  die  Kirche  inbezug  auf  die  neuzeitlichen 
Übersetzungen  der  Bibel  bei  der  Annahme  derselben  als  das  unveränderte 
Wort  Gottes? 

3.  Erkläre  den  Namen  „Bibel":  1.  Zeige  die  Ableitung  des  Wortes, 
2.  seine  jetzige  Anwendung. 

4.  Zeige,  daß  die  Einteilung  der  Bibel  in  das  Alte  und  das  neue  Testa- 
ment natürlich  und  sinngemäß  ist. 

5.  Erkläre  den  Ausdruck  „Schrift-Kanon"  wie  er  auf  die  Bibel  ange- 
wandt wird. 

6.  Erläutere  mit  Hinweisungen  auf  Schriftstellen  das  Wachstum  des 
Alten  Testamentes  von  INIose  bis  auf  Maleachi. 

7.  Was  ist  dir  bekannt  über  die  Sprache,  in  welcher  das  Alte  Testa- 
ment ursprünglich  geschrieben  wurde? 

8.  Was  ist  die  Septuaginta  ?  (1.  erläutere  die  Bedeutung  des  Aus- 
druckes, 2.  beschreibe  die  Entstehung  des  Buches.) 

9.  Nenne  die  Einteilung  der  Büclier  des  Alten  Testamentes  in  seiner 
gegenwärtigen  Gestalt. 

10.  Welche  Klassen  der  alttestamentlichen  Bücher  wurden  in  den 
Tagen  des  Heilandes  anerkannt? 

11.  Was  ist  der  Pentateuch?  (Gib  1.  eine  Erklärung  des  Ausdruckes, 
2.  zähle  die  Bücher  auf,  welche  er  umfaßt,  3.  wiederhole,  was  du  über  die 
Verfasser  derselben  zu  sagen  weißt,  4.  gib  einen  Bericht  über  die  Abschrif- 
ten oder  Übersetzungen,  welche  davon  im  Besitze  der  alten  Juden  und 
der  Samariter  waren.) 


566  Die  Glaubensartikel. 

12.  Xenne  die  geschichtlichen  Bücher  der  Reihenfolge  nach. 

13.  Nenne  die  poetischen  Bücher  (Erkläre  in  Verbindung  damit  den 
Ausdruck  „Hagiographa"). 

14.  Nenne  die  Bücher  der  Propheten  (1.  nach  der  Reihenfolge,  wie 
sie  in  der  heutigen  Bibelausgabe  erscheinen,  2.  nach  der  Zeit  ihrer  Ent- 
stehung). 

15.  Was  versteht  man  unter  den  „Apokrj'phen". 

16.  Was  ist  das  Neue  Testament? 

17.  Nenne  aus  der  geschichtlichen  Erforschung  die  hauptsächhchsten 
Beweise  für  die  Echtheit  des  Neuen  Testamentes. 

18.  Nenne  Namen  und  Anordnung  der  Bücher  des  Neuen  Testamentes. 

19.  Was  ist  die  Vulgata? 

20.  Nenne   die  ^^^chtigsten   neuzeitlichen  Übersetzungen   der  Bibel. 

21.  Nenne  die  Tatsachen,  die  den  Glauben  an  die  Echtheit  und  Glaub- 
würdigkeit der  Bibel  unterstützen. 

22.  Lege  die  hauptsächlichsten  Beweise  aus  dem  Buch  Mormon  dar, 
welche  für  die  Glaubwürdigkeit  und  die  Echtheit  der  Bibel  sprechen. 

23.  Nenne  die  wichtigen  Schlußfolgerungen  hinsichtlich  der  Echtheit 
der  Heiligen  Schrift,  zu  welclien  die  Bibel- Gelehrten  gekommen  sind. 

24.  Gib  die  hauptsäcliliclasten  biblischen  Hinweisungen  auf  solche 
heilige  Schriften,  die  in  der  Bibel  selbst  nicht  enthalten  sind. 


Vorlesung  XIV,  Artikel  8. 
Das  Buch  Mormoa. 

1.  Was  ist  das  Buch  Mormon? 

2.  Wie  erhielt  die  Welt  Kenntnis  von  diesen  alten  Urkunden? 

3.  Was  ist  dem  Titelblatt  des  Buches  Mormon  zu  entnehmen  inbezug 
auf  die  Nationen  und  Völker,  deren  Geschichte  das  Buch  erzählt? 

4.  Welches  war  nach  dem  Buche  Mormon  die  erste  Nation,  die  sich 
auf  dem  amerilianischen  Festlande  niederließ? 

5.  Gib  einen  Bericht  über  Lehis  Kolonie  und  ilu-e  Wanderung  von 
Jerusalem  nach  Amerika;  stelle  fest:  1.  den  götthchen  Auftrag  an  I-ehi,  sein 
Vaterland  zu  verlassen,  2.  den  Zeitpunkt  dieses  Ereignisses,  3.  die  Richtung 
und  den  Verlauf  ihrer  Wanderung  durch  Asien,  4.  die  Reise  über  den  stillen 
Ozean  und  5.  die  Gegend,  wo  in  Amerika  die  Landung  erfolgte. 

6.  Beschreibe    die    Entstehung    der    Nepliiten    und    der    Lamaniten. 

7.  Wer  waren  die   Jareditcn?   (1.  Warum  wurden  sie   so  genannt? 

2.  wann  und  wie  sie  nach  Amerika  ausgewandert  sind;  3.  kurze  Darstellung 
ihrer  Geschichte.) 

8.  Wie  kam  es  dazu,  daß  der  jareditische  Bericht  den  nepliitischen 
Berichten  einverleibt  wurde? 

9.  Was  ist  von  Mulek  und  seinem  Volke  bekannt? 

10.  Nenne  die  verschiedenen  Platten  auf  die  im  Buch  Mormon  hin- 
gewiesen wird:  1.  im  Titelblatt  des  Buclies,  2.  im  Buche  selbst. 

11.  Erwäline  was  von  den  Platten  Nephis  bekannt  ist:  1.  ihre  Ent- 
stehung, 2.  die  „größern"  Platten,  zum  Unterschied  von  den  „kleinern", 

3.  auf  welche  Weise  die  Berichte  sich  vergrößerten. 

12.  Was  versteht  man  unter  Mormons  Abkürzung  der  Platten  Nephis  ? 


Rückblick.  567 

13.  Welche  der  Platten  Nephis  hat  Mormon  seiner  eigenen  Abkür- 
zung einverleibt? 

14.  Welchen  großen  Zweck  verfolgte  der  Herr  mit  der  Verdoppelung 
eines  Teiles  der  Urkunden? 

15.  Beschreibe  die  nähern  Umstände,  die  dazu  führten,  daß  Joseph 
Smith  in  den  Besitz  der  Platten  gelangte.  (1.  die  erste  Mitteilung,  die  er 
über  das  Vorliandensein  der  Platten  erhielt;  2.  erzähle  was  sich  zugetragen 
hat  als  er  sie  zum  erstenmal  erblickte;  3.  die  vierjährige  Prüfungs-  und 
Vorbereitungszeit;  5.  die  Erlangung  der  Platten.) 

16.  Welche  andere  heilige  Gegenstände  waren  außer  den  Platten 
vergraben  ? 

17.  Was  ist  der  Urim  und  Thummim? 

18.  Welchen  Dienst  leisteten  diese  Instrumente  bei  der  Übersetzung  ? 

19.  Beschreibe  die  Umstände,  welche  mit  der  Übersetzung  und  Ver- 
öffentlichung des  Werkes  zusammenhängen.  (1.  Die  Schwierigkeiten, 
welche  der  Arbeit  bereitet  wurden,  2.  das  Datum  der  Veröffentlichung  des 
Buches.) 

20.  Welches  Zeugnis  gab  der  Gelehrte  über  die  Schriftzeichen  eines 
Teiles  der  Urkunden? 

21.  Fasse  die  Tatsachen,  welche  für  die  Echtheit  des  Buches  Mormon 
sprechen,  zusammen.  (Zeige  den  Unterschied  zwischen  den  Begriffen 
„Echtheit"  und  „Glaubwürdigkeit".) 

22.  Wer  waren  die  drei  Männer,  welche  die  Echtheit  des  Buches 
Mormon  bezeugten?    Gib  einen  Überblick  über  ihr  Zeugnis. 

23.  Nenne  die  acht  Zeugen.    Was  bezeugen  sie? 

24.  Was  versteht  man  unter  der  sogenannten  „  Spaulding-Erzählung" 
über  die  Entstehung  des  Buches  Mormon?  Zeige  wie  albern  diese  Er- 
klärung über  den  Ursprung  des  Buches  ist. 

25.  Erläutere  die  Anordnung  der  verschiedenen  Teile  des  Buches 
Mormon. 


Vorlesung  XV,  Artikel  8. 
Die  Echtheit  des  Buches  Mormon. 

1.  Zähle  die  Beweise  für  die  Echtheit  des  Buches  Mormon  auf. 

2.  Zeige,  daß  sich  Bibel  und  Buch  Mormon  in  den  Dingen,  die  sie 
gemeinsam  behandeln,  gegenseitig  bestätigen. 

3.  Erläutere,  wie  durch  das  Hervorkommen  des  Buches  Mormon 
alte  Prophezeiungen  in  Erfüllung  gegangen  sind:  1.  Prophezeiungen  aus 
der  Köstlichen  Perle,  2.  alttestamentliche  Prophezeiungen,  namentlich 
solche  von  Jesaja  und  Hesekiel. 

4.  Gib  eine  Darlegung  von  dem,  was  du  über  die  innere  Übereinstim- 
mung der  Schreibweise  mit  dem  Inhalt  des  Buches  Mormon  weißt. 

5.  Gib  Beispiele  aus  dem  Buch  Mormon  von  Prophezeiungen,  deren 
Erfüllung  darin  selbst  berichtet  wird. 

6.  Erwähne  Prophezeiungen  aus  dem  Buche  Mormon,  deren  Erfüllung 
sich  nach  dem  Abschluß  dieser  Urkunden  zugetragen  hat. 

7.  Was  weißt  du  von  Prophezeiungen  aus  dem  Buche  Mormon,  die 
noch  ihrer  Erfüllung  harren? 


568  Die  Glaubensartikel. 

8.  Stelle  die  hauptsächlichsten  Ergebnisse  der  gegenwärtigen  For- 
schungen und  Untersuchungen  zusammen,  mit  denen  sich  das  Bucli 
Mormon  im  Einlilang  befindet. 

9.  Erwähne  Tatsachen,  die  dafür  sprechen,  daß  Amerika  schon  in 
sehr  früher  Zeit  bewohnt  war.  (1.  führe  die  Schlußfolgenmgen  der  Forscher 
an;  2.  vergleiche  sie  mit  dem  Berichte  des  Buches  Mormon.) 

10.  Gib  die  hauptsächlichsten  Beweise  für  die  aufeinander  folgende 
Besiedelung  Amerikas  durch  zwei  verschiedene  Völker  in  früher  Zeit  und 
bestätige  deine  Ausführungen  mit  dem  Bericht  des  Buches  Mormon. 

11.  Wiederliole  die  wichtigsten  Sclilußfolgerimgen  der  wissenschaft- 
lichen Forscher  hinsichtlich  des  asiatischen  Ursprunges  der  Ureinwohner 
Amerikas. 

12.  Fasse  die  Beweise,  welche  für  iliren  israelitischen  Ursprung  spre- 
chen, zusammen. 

13.  Gib  eine  allgemeine  Darlegung  der  Überlieferungen  der  ameri- 
kanischen Eingeborenen  inbezug  auf  1.  die  Sündflut,  2.  die  Göttlicl.keit 
Christi  und  auf  seine  Kreuzigung. 

14.  Zeige  die  Ähnlichkeit  z\\-isclien  gewissen  religiösen  Zeremonien, 
die  sowohl  von  den  Juden  wie  auch  von  den  amerikanischen  Eingeborenen 
befolgt  werden. 

13.  Welche  Beweise  haben  ^^■ir  —  neben  dem  Buch  Mormon  —  dafüi-, 
daß  alle  amerikanischen  „Rassen"  einen  gemeinsamen  Ursprung  haben? 

16.  Bestätige  die  vorstehenden  Schlußfolgerungen  (11 — 15)  mit  den 
Berichten  des  Buches  Mormon. 

17.  Was  ist  bekannt  von  den  imter  den  Nephiten  gebräuchlichen 
Schriftsprachen?  Welche  Sprache  wiu-de  auf  den  Platten  Nephis  und  den 
Platten  Mormons  angewandt  ? 

18.  Welche  anderen  Tatsaclien  —  abgesehen  vom  Buch  Mormon  — 
sprechen  dafür,  daß  den  Ureinwohnern  Amerikas  die  ägyptische  Sprache 
bekannt  war? 

19.  Gib  Tatsaclien  über  die  Erhaltung  von  Überresten  der  hebräischen 
Sprache  unter  den  eingeborenen  Stämmen  Amerikas. 

20.  Welchen  Prüfstein  für  die  Echtlieit  des  Buches  Mormon  gibt  der 
letzte  Schreiber  des  Buches? 


Vorlesung  XVI;  Artikel  9. 
Offenbarung  in  der  Vergangenheit,  der  Gegemvart  und  der  Zukunft. 

1.  W^as  ist  Offenbarung  ?  —  Vergleiche  Offenbarung  mit   Inspiration. 

2.  Zeige,  daß  Offenbarung  die  von  Gott  gewählte  Form  ist,  um  durch 
das  Priestertum  mit  dem  Menschengeschlechte  in  Verbindimg  zu  treten. 

3.  Was  ist  belsannt  von  den  Offenbarungen  Gottes:  1.  an  Adam, 
2.  an  Henoch,  3.  an  Noah,  4.  an  Abraham,  5.  an  Isaak,  6.  an  Jakob, 
7.  an  Mose? 

4.  Nenne  Beispiele  göttliclier  Offenbarung  an  andere  alttestament- 
liche  Propheten. 

5.  Zeige,  daß  auch  Christus  ein  Offenbarer  war,  als  er  unter  den 
Menschen  lebte. 

6.  Nenne  aus  der  Heiligen  Schrift  Tatsachen,  die  beweisen,  daß  den 
Aposteln  vor  alters  Offenbarungen  gegeben  ^^'urden. 


Rückblick.  569 

7.  Zeige,  daß  die  Lelire  von  der  Notwendigkeit  fortlaufender  Offen- 
barung vernunftgemäß  ist. 

8.  Zeige,  daß  sie  schriitgemäß  ist. 

9.  Zeige,  daß  fortlaufende  Offenbarung  stets  ein  Kennzeichen  für  die 
Tätigkeit  des  Priestertums  gewesen  ist. 

10.  Nenne  die  hauptsächlichsten,  angeblich  der  Heiligen  Schrift  ent- 
nommenen Einwendungen  gegen  die  Lehre  von  der  Notwendigkeit  fort- 
laufender Offenbarung.  Zeige  wie  unbiblisch  diese  Einwendungen  sind. 

11.  Nenne  besondere  Schriftstellen,  welche  voraussagen,  daß  Offen- 
bai^ung  ein  Kennzeichen  für  die  wahre  Kirche  in  der  letzten  Dispensation 
sein  werde.    (1.  aus  der  Bibel,  2.  aus  dem  Buche  Mormon.) 

12.  Nenne  solche  Stellen  aus  den  neuzeitlichen  Offenbarungen, 
Fülire  an,  was  der  Herr  verheißen  hat,  als  er  in  dieser  letzten  Dispensation 
die  ununterbrochene  Fortdauer  der  Offenbarung  für  die  Kirche  bestätigt 
hat, 

13.  Zeige,  wie  vernünftig  es  ist,  noch  zukünftige  Offenbarungen  zu 
erwarten. 

14.  Zeige,  daß  die  Lehre  von  dem  Aufhören  weiterer  Offenbarung 
verhältnismäßig  neu  und   auch  schriftwidrig  ist. 

1.5.  Zeige,  daß  die  Inspiration  den  Menschen  seiner  Handlungsfreiheit 
und  seiner  Persönlichkeit  nicht  beraubt. 


Vorlesung  XVII;  Artikel  10, 
Die  Zerstreuung  Israels. 

1.  Erkläre  den  Namen  „Israer*.  (1.  Der  Ursprung  des  Wortes,  2.  die 
Erteilung  dieses  Titels  an  Jakob,  3.  seine  Anwendung  als  eine  Bezeichnung 
der  Nachkommenschaft  Jakobs,  4.  als  ein  Name  für  das  eine  Königreich 
nach  Trennung  der  Nation,  5.  als  ein  Sammelname  für  das  auserwählte 
Volk  Gottes.) 

2.  Gib  eine  allgemeine  Übersicht  über  die  Geschichte  der  Israeliten 
von  dem  Zeitpunkt  an,  da  Jakob  den  Namen  Israel  erhielt,  bis  zur  Zeit 
ihres    ersten    Königs. 

3.  Gib  einen  tJberblick  über  die  Geschichte  Israels  als  eine  geeinte 
Nation  unter  der  Herrschaft  von  Königen. 

4.  Stelle  die  nähern  Umstände  fest,  unter  denen  sich  die  Teilung 
der  Nation  vollzog. 

5.  Erzähle  kurz  die  Geschichte  des  Reiches  Juda  nach  der  Teilung 
des  Volkes. 

6.  Desgleichen  die  Geschichte  des  Reiches  Israel.  Unter  welchem 
andern  Namen  ist  dieser  Teil  des  Volkes  auch  noch  bekannt? 

7.  Erkläre  die  Bezeichnungen  „Hebräer"  und  „Juden". 

U,  Zeige,  daß  die  Zerstreuung  Israels  von  ihren  Propheten  schon  in 
sehr  früher  Zeit  vorausgesagt  wurde. 

9.  Unter  welchen   Umständen  sollte  die  Zerstreuung  eintreten? 

10.  Führe  an,  was  das  Buch  ?.Iormon  über  die  Zerstreuung  Israels 
vorhersagt.  Erwähne  besonders  die  Prophezeiung  des  Zenos.  Wer  war 
Zenos  ? 


570  Die  Glaubensartikel. 

11.  Nenne  geschichtliche  Tatsachen  über  die  Erfüllung  dieser  Pro- 
phezeiungen der  Zerstreuung,  soweit  wie  es  das  Reich  Juda  anlangt.  Wel- 
chen Anteil  hatte  Nebukadnezar  an  dem  Werke  der  Zerstreuung?  Zu 
welcher  Zeit  trat  sie  ein  ?  Gib  einen  Bericht  über  die  babylonische  Gefan- 
genschaft. Auf  welclie  Weise  trug  Titus  sein  Teil  zur  Zerstreuung  Judas  bei  ? 

13.  Zähle  geschichtliche  Tatsachen  auf  inbezug  auf  die  Erfüllung  von 
Prophezeiungen  über  die  Zerstreuung  Israels.  In  welcher  Weise  trugen 
Salmanasser  und  Sanherib  zur  Zerstreuung  bei?  Zu  welcher  Zeit?  Zeige 
wie  buchstäblich  die  Prophezeiung  Ahias  in  Erfüllung  ging. 

14.  Erläutere  den  Ausdruck  „Die  verlorenen  zehn  Stämme". 

15.  Was  ist  von  der  Wanderung  der  verlorenen  Stämme  bekannt? 

Vorlesung  XVIII;  Artikel  11. 

Die  Sammlung  Israels. 

1.  Führe  biblische  Verheißimgen  an  von  der  Sammlung  Israels, 
die  mit  denen  von  seiner  Zerstreuung  verbunden  sind,  namentlich  solche: 
1.  von  Mose,  2.  von  Nehemia,  3.  von  Jesaja,  4.  von  Jeremia,  5.  von 
Hesekiel,  6.  von  Arnos. 

2.  Gib  die  Prophezeiungen  des  Buches  Mormon  hinsichtlich  der 
Sammlimg  Israels  \\ieder,  besonders  diejenigen:  1.  von  Lehi,  2.  von  sei- 
nem Sohne  Nephi,  3.  von  Christus  im  Laufe  seines  Wirkens  unter  den 
Nephiten. 

3.  Führe  aus  den  neuzeitlichen  Of f enbarunge a  diejenigen  über  die 
Sammlung  Israels  an. 

4.  Was  schließt  der  Plan  der  Sammlung  Israels  in  den  letzten  Tagen 
in  sich? 

5.  Zeige,  daß  die  Vollmacht  zur  Durchführung  des  Werkes  der  Samm- 
lung der  Kirche  in  dieser  Dispensation  erteilt  worden  ist. 

6.  Welches  ist  der  Zweck  der  Sammlung? 

7.  Gib  einen  Bericht  von  dem  Werke  der  Sammlung,  wie  es  gegen- 
wärtig im  Fortschreiten  begriffen  ist. 

8.  In  welcher  Hinsicht   ist    das  Volk  Israel  ein  auserwähltes  Volk? 

9.  Zeige,  wie  durch  die  Zerstreuung  Israels  die  dem  Abraham  gegebene 
Verheißung,  daß  durch  seine  Nachkommen  alle  Völker  der  Erde  gesegnet 
werden  sollen,  in  Erfüllung  gegangen  ist. 

10.  Nenne  eine  andere  Tatsache  aus  der  Erfüllung  dieser  Prophe- 
zeiung, und  zwar  eine  solche,  die  sich  auf  die  irdische  Abstammimg  Christi 
gründet. 

11.  Führe  aus  der  Heiligen  Schrift  Prophezeiungen  an,  welche  auf 
die  Wiederherstellung  der  zehn  Stänmne  Bezug  haben. 

12.  Zeige,  daß  die  Gründung  Zions  der  Wiederbringung  der  zehn 
Stämme  vorangehen  muß. 

Vorlesung  XIX;  Artikel  10. 
Zion. 

1.  Zeige  aus  den  heiligen  Schriften,  daß  für  die  letzte  Dispensation 
zwei  Sammelplätze  eingerichtet  werden  sollen. 

2.  Erläutere  „Zion".  (1.  Die  Bedeutung  des  Ausdruckes,  2.  seine  ver- 
schiedenen Anwendungen.) 


Rückblick.  571 

3.  Gib  eine  Übersicht  der  Geschichte  Jerusalems  von  ilirer  ersten 
Erwähnung  in  der  Schrift  bis  zu  ihrer  Zerstörung  durch  die  Römer. 

4.  Führe  aus  den  heiligen  Schriften  Verheißungen  an,  welche  sich  auf 
die  zukünftige  Herrlichkeit  Zions  beziehen. 

5.  Erläutere   die   Anwendung   des   Ausdruckes    „Neues    Jerusalem". 

6.  Beweise  aus  dem  Buche  Mormon  und  aus  den  neuzeitliclien  Offen- 
barungen, daß  das  Zion  auf  dem  westlichen  Festlande  und  das  Neue  Je- 
rusalem ein  und  dasselbe  sind. 

7.  Führe  an,  daß  Christus  den  Nephiten  vorhergesagt  hat,  daß  das 
Neue  Jerusalem  auf  der  westlichen  Halbkugel  erbaut  werden  soll. 

8.  Erwähne  was  Ether,  der  Jaredite,  hinsichtlich  der  Gründung  des 
Neuen  Jerusalems  propliezeite. 

9.  Was  versteht  man  unter  dem  Zion  Henochs?  (1.  Gib  einen  Über- 
blick über  die  Geschichte  dieses  Volkes;  2.  Führe  die  Verheißungen  über  die 
Rückkehr  Henochs  und  seines  Volkes  an.) 

10.  Was  ist  durch  nei^eitliche  Offenbarungen  inbezug  auf  die  geo- 
graphische  Lage   Zions  oder  des  Neuen    Jerusalems  bekannt  geworden? 

11.  Was  versteht  man  unter  „Pfählen  Zions"? 

12.  Unter  welchen  Zuständen  gilt  die  Zeit  für  die  Erlösung  Zions  für 
gekommen  ? 


Vorlesung  XX;  Artikel  10. 
Die  Regierung  Christi  auf  Erden. 

1.  Vergleiche  die  Verhältnisse  beim  ersten  Kommen  Christi  mit  den 
vorausgesagten  Zuständen  bei  seiner  Wiederkunft. 

2.  Führe  die  Prophezeiungen  der  heiligen  Schriften  inbezug  auf  das 
zweite  Kommen  Christi  an  mit  den,  dieses  Ereignis  verkündenden  Zeichen 
und  Begleiterscheinungen.  (1.  aus  der  Bibel,  2.  aus  dem  Buch  Mormon, 
3.  aus  neuzeitlichen  Offenbarungen.) 

3.  Aus  welchen  Tatsachen  kann  man  schließen,  daß  die  vorherge- 
sagte Wiederkunft  Christi  nahe  bevorsteht? 

4.  Was  weiß  man  von  dem  Zeitpunkt  seines  zweiten  Kommens? 

5.  Zeige  aus  den  heiligen  Schriften,  daß  Christus  als  Herrscher  auf 
Erden  regieren  wird. 

6.  Gib  eine  Darlegung  des  Verhältnisses  zwischen  dem  Reiche  Gottes 
und  der  Kirche  Jesu  Christi. 

7.  Zeige,  in  welchem  bestimmten,  ausdrücklichen  Sinne  in  den  neu- 
zeitlichen Offenbarungen  vom  Reich  Gottes  und  vom  Himmelreich  ge- 
sprochen wird. 

8.  Was  wird  bei  der  Aufrichtung  des  Gottesreiches  auf  Erden  die 
Lage  der  aufrichtigen  und  ehrenhaften  Menschen  sein,  die  dann  noch  nicht 
Mitglieder  der  Kirche  Jesu  Christi  sind? 

9.  Was  ist  das  Millenium  (das  Tausendjährige  Reich)  ? 

10.  Führe  aus  den  heiligen  Schriften  Beweise  an  für  deinen  Glauben 
an  Zustände  und  Verhältnisse,  wie  sie  während  des  Tausendjährigen  Reiches 
auf  Erden  herrschen  sollen. 

11.  In  welcher  Lage  wird  sich  Satan  während  und  nach  dem 
Tausendjährigen  Reich  befinden? 


572  Die  Glaubensartikel. 

Vorlesung  XXI;  Artikel  10. 
Erneuerung  und  Auferstehung. 

1.  Erläutere  die  Feststellung,  daß  die  Erde  unter  einem  Fluche  ist. 

2.  Was  ist  mit  der  vorhergesagten  Erneuerung  der  Erde  gemeint? 

3.  Wann  wrd  diese  Veränderung  vollendet  sein? 

4.  Was  ist  über  den  zukünftigen  Zustand  der  Erde  in  ihrem  erneuerten 
Stand  bekannt? 

5.  Welche  Stellung  nimmt  die  Wissenschaft  ein  inbezug  auf  die  Er- 
neuenmg  der  Erde? 

6.  Was  ist  mit  der  Aulerstehimg  des  Körpers  gemeint? 

7.  Was  lehrt  die  Kirche  hinsichtlich  der  Buchstäblich keit  der  Auf- 
erstehung ? 

8.  Auf  was  gründet  sich  unser  Glaube  an  die  Auferstehung? 

9.  Führe  Tatsachen  aus  den  heiligen  Schriften  an,  welche  den  Glauben 
an  die  Auferstehung  unterstützen.  (1.  aus  dem  Alten  Testament,  2.  aus  dem 
Neuen  Testament,  3.  aus  dem  Buch  Mormon,  4.  aus  neuzeitlichen  Offen- 
barungen.) 

10.  Nenne  die  in  der  Schrift  erwähnten  allgemeinen  Aulerstehungen. 

11.  Wie  wurde  die  erste  Auferstehung  eingeleitet  imd  eröffnet? 

12.  Gib  einen  Bericht  von  der  Auferstehung  der  Gerechten,  die  un- 
mittelbar nach  der  Auferstehung  Christi  stattfand. 

13.  Führe  die  Prophezeiungen  des  Buches  Mormon  an  über  die  Auf- 
erstehung Christi  und  die  der  Gerechten,  die  unmittelbar  nach  ihm  aufer- 
standen sind. 

14.  Gib  einen  Auszug  aus  den  Lehren  der  alten  Apostel  hinsichtlich 
der  Auferstehung  anläßlich  des  zweiten  Kommens  Christi. 

13.  Führe  über  dieselbe   Sache  neuzeitliche  Offenbarungen  an. 

16.  Vergleiche  die  in  den  heiligen  Schriften  enthaltenen  Beschrei- 
bungen der  ersten  Auferstehung  oder  der  Auferstehung  der  Gerechten  mit 
den  Beschreibungen  der  zweiten  oder  der  Auferstehung  der  Ungerechten. 

Iß.  Zeige,  daß  die  Auferstehung  allgemein  sein  wird  und  sich  sowohl 
auf  die  Rechtschaffenen  wie  auf  die  Bösen  erstreckt. 

17.  Was  wird  das  Schicksal  der  Heiden  sein  in  der  Auferstehung? 
Bekräftige  deine  Antwort  mit  Stellen  aus  den  heiligen  Schriften. 

18.  Was  ist  bekannt  von  dem  Zustand  der  Seele  z\vischen  dem  Tod 
und    der    Auferstehung? 

19.  Erläutere  „Paradies".  Zeige,  daß  das  Paradies  nicht  der  Ort  der 
endaültiaen  Herrlichkeit  ist. 


Vorlesung  XXII;  Artikel  11. 
Religiöse  Freilieit  und  Duldsamkeit. 

1.  Was  ist  Gottesdienst?  was  Gottesverehrung? 

2.  Zeige,  daß  die  Fähigkeit  des  Menschen,  Gott  richtig  zu  dienen, 
ein  Maßstab  ist  für  seine  Erkenntnis  von  den  Eigenschaften  und  Kräften 
Gottes. 

3.  Zeige,  daß  ein  Gottesdienst,  um  gültig  zu  sein,  aus  dem  freien 
Willen  des  Menschen  hervorgehen  muß. 


Rückblick.  573. 

4.  Erläutere  das  Recht  des  Menschen  auf  persönliche  Freiheit  des 
Menschen  in  seiner  Gottesverehrung. 

5.  Bespreche  die  Unduldsamkeit  in  religiösen  Dingen,  die  die  frühern 
und  auch  noch  die  neueren  Zeiten  kennzeichnet. 

0.  Zeige,  daß  Unduldsamkeit  schriftw-idrig  ist. 

7.  Zeige,  daß  Duldsamkeit  nicht  notwendigerweise  gleichbedeutend 
sein  muß  mit  Anerkennung  oder  Annahme  einer  Lehre. 

ö.  Zeige,  daß  der  Mensch,  nachdem  er  frei  wählen  kann,  gerechter- 
weise auch  für  seine  Handlungen  verantwortlich  gemacht  \vird. 

9.  Erkläre  die  Bedeutung  des  Ausspruches  Christi  „in  meines  Vaters 
Hause   sind    viele   Wohnungen". 

10.  Wieviele  Reiche  oder  Grade  der  Herrlichkeit  werden  in  dem 
geoffenbarten  Worte  Gottes  genannt? 

11.  Welche   Menschen   sind   der   himmlischen    Herrlichkeit   würdig? 

12.  Für  welche  Menschen  ist  die  irdische  Herrlichkeit  vorgesehen? 

13.  Wer  wird  in  die  unterirdische  Herrlichkeit  eingehen  müssen? 

14.  Was  ist  bekannt  über  die  Abstufungen  der  Herrlichkeit  innerhalb 
eines  jeden  der  drei  Reiche? 

15.  Wer  sind  die  Söhne  des  Verderbens?  Was  ist  über  ihr  Schicksal 
bekannt  ? 

Vorlesung  XXIII;  Artikel  12. 
Gehorsam  gegenüber  den  Gesetzen  des  Landes. 

1.  Was  lehrt  die  Kirche  über  die  Pflichten  ihrer  Mitglieder  gegenüber 
den  Gesetzen  des  Staates? 

2.  Führe  aus  dem  Alten  Testament  Fälle  an,  worin  göttliche  Ermah- 
nungen »md  Genehmigung  hinsichtlich  weltlicher  Gesetze  zu  Tage  treten.  — 

3.  Erwähne  solche  Beispiele  aus  dem  Leben  des  Heilandes. 

4.  Was  lehrten  die  Apostel  vor  alters  hinsichtlich  der  Beobachtung 
der  Landesgesetze  durch  die  Mitglieder  der  Kirche? 

a.  Führe  aus  den  neuzeitlichen  Offenbarungen  das  Wort  des  Herrn 
an  inbezug  auf  die  Stellung  der  Kirchenmitglieder  zu  den  weltlichen  Re- 
gierungen, unter  welchen  sie  leben. 

6.  Was  sagt  der  Herr  hinsichtlich  seines  Gerichtes  über  die,  die  von 
ihren  Feinden  an  der  genauen  Befolgung  seiner  Gebote  verhindert  werden? 

7.  Führe  ein  Beispiel  aus  diesen  Tagen  an,  wie  die  Kirche  unter 
dem  Druck  des  staatlichen  Gesetzes  von  der  Befolgung  eines  göttlichen 
Gebotes  abgesehen  hat. 

8.  Zeige,  daß  Gott  die  weltliche  Autorität,  als  für  die  Regierung  der 
Menschheit  notwendig,  anerkennt,  und  daß  deshalb  den  Beamten  des  Staates 
Gehorsam  geleistet  werden  soll. 

9.  Fasse  die  von  Joseph  Smith  verfaßten  und  von  der  Kirche  ange- 
nommenen Erklärungen  inbezug  auf  die  Pflichten  der  Mitglieder  gegenüber 
den  Landesgesetzen  zusammen. 

Vorlesung  XXIV;  Artikel  13. 
Praktische  Religion. 

1.  Wiederhole  des  Apostels  Jakobus  Erklärung  eines  reinen  Gottes- 
dienstes. 

2.  Zeige,  daß  Religion  keine  theologische  Formsache  ist,  sondern  die 
praktische  Anwendung  erkannter  Rechtsgrundsätze. 


574  Die  Glaubensartikel. 

3.  Was  lehrt  die  Kirche  über  die  Verwandtschaft  des  Menschen  mit 
Gott? 

4.  Zeige,  daß  Wohltätigkeit  von  der  Heiligen  Schrift  eingeschärft 
wird.  (Nenne  1.  Fälle  aus  den  Lehren  des  Heilandes,  2.  solche  von  den 
Aposteln,  3.  solche  aus  neuzeitlichen  Offenbarungen.) 

5.  Nenne  die  von  der  Kirche  heutzutage  für  wohltätige  Zwecke  vor- 
gesehenen Mittel  und  Wege. 

6.  Erläutere  den  heutigen  Kirchenplan;  1.  für  freiwillige  Opfer,  2.  für 
Fastopfer  als  eine  Form  der  ersten. 

7.  Bespreche  die  Vorteile  der  Beobachtung  eines  Fasttages  und  der 
Spendung  von  Fastopfern  durch  die  Kirchenmitglieder. 

8.  Was  ist  der  „Zehnte". 

9.  Führe  biblische  Autoritäten  an  für  das  Halten  des  Gesetzes  des 
Zehnten  in  alter  Zeit. 

10.  Erwähne  die  Forderungen,  die  durch  neuzeitliche  Offenbarung 
für  den  Zehnten  des  Volkes  in  unserer  Zeit  erhoben  worden  sind. 

11.  Was  ist  gemeint  mit  Weihung  und  Verwalterschaft? 

12.  Nenne  Beispiele  aus  der  Heiligen  Schrift,  wo  das  Volk  Gottes  in 
vereinigter  Ordnung  gelebt  hat.  (Führe  Stellen  an:  1.  aus  der  Bibel,  2.  aus 
dem  Buch  Mormon,  3.  aus  der  Köstlichen  Perle.) 

13.  Erläutere  die  vereinigte  Ordnung  oder  die  Ordnung  Henochs, 
wie  sie  die  neuzeitlichen  Offenbarungen  für  die  Kirche  vorsehen. 

14.  Zeige,  daß  auch  in  der  vereinigten  Ordnung  die  persönliche  Frei- 
heit des  Einzelnen  gewahrt  bleibt. 

15.  Führe  Fälle  aus  den  heiligen  Schriften  an,  worin  der  Herr  die 
Trägen  tadelt. 

16.  Was  lehrt  die  Kirche  über  die  Schicklichkeit  und  die  Notwendigkeit 
der  Ehe? 

17.  Was  sagen  die  Offenbarungen  des  Herrn  über  die,  welche  die 
Ehe  verbieten? 

18.  Was  versteht  man  unter  „Himmlischer  (Ewiger)  Ehe"  ? 

19.  Zeige,  daß  die  Vollmacht  des  Priestertums  notwendig  ist,  um  einen 
Bund  zu  schließen,  welcher  noch  nach  dem  Tod  der  Vertragsparteien 
Gültigkeit  haben  soll. 

20.  Was  lehrt  die  Kirche  über  die  Größe  der  Sünde  der  ungesetz- 
lichen Vereinigung  der  Geschlechter  ?  Führe  in  Verbindung  damit  die  dies- 
bezüglichen Erklärungen  des  Propheten  Alma  an. 

21.  Stelle  die  in  der  Offenbarung,  genannt  das  „Wort  der  Weisheit", 
getroffene  Vorsorge  fest. 


NAMEN-  UND  SACHVERZEICHNIS. 

(Die  Ziffern  bedeuten  die   Seitenzahlen.) 


Aaron.  Die  buchstäblichen  Nach- 
kommen des  257. 

Aaronische  Priestertum.  Das  248  f; 
in  dieser  Dispensation  wieder- 
hergestellt 22,  232. 

Abendmahl  210;  Irrtümer  hinsichtlich 
des  — s  219;  würdige  Genießer  des 
— s  212,  220;  Sinnbilder  des  — s 
215;  Einsetzung  des  — s  bei  den 
Juden  210  f  und  bei  den  Nephiten 
211 ;  Segnung  und  Austeilung  des 
— s  216 f;  der  Ausdruck  Sakra- 
ment 218;  das  Passahfest  und 
das  —  218;   Zweck  des  — s  214. 

Abfall  von  der  ursprünglichen  Kirche. 
Der  243;  Entartung  der  Gottes- 
verehrung mit  dem  - —  verbunden 
260;  der  frühe  Beginn  des  — s  261 ; 
der  —  vorausgesagt  246. 

Abgötterei    und    Gottesleugnung   52. 

Abgöttische  Bräuche  im  allgemeinen 
61. 

Abnalime  der  geistigen  Gaben  in 
früheren  Tagen  285. 

Adam  zuerst  unsterblich  81 ;  — s  An- 
teil am  Sündenfall  81,  86;  der  Fall 
— s  79. 

Ägyptische  Sprache  unter  den  Ur- 
einwohnern Amerikas  363. 

Allgegenwart  Gottes  50. 

Allgemeine  Auferstehungen.  Zwei  475. 

Allgemeine   Seligkeit  107. 

Allmacht   Gottes  51. 

Allwissenheit  Gottes  51. 

Alten  amerikanischen  Völker.  Über- 
lieferungen der  353  ff,  367 ;  Sprache 
der 362,  364,  369. 

Alte  Prophezeiungen  inbezug  auf  das 
Buch  Mormon  342. 


Alte  Testament.  Das  292;  Ursprung 
und  allmähliches  Wachstum  292  ff ; 
die  lu-sprüngliche  Sprache  des- 
selben 295;  die  Gesetzbücher 
oder  der  Pentateuch  297;  die  ge- 
schichtliclien  Bücher  298,  die 
prophetischen  Bücher  299,  311; 
die  fünf  poetischen  Bücher  298; 
die  Septuaginta  296. 

Alte  Zivilisation  in  Amerika  366. 

Ältesten.  Die  252;  Kollegium  der  — 
252. 

Amerikas  allmähliche  Besiedelung 
353  ff. 

Amerikanische  Indianer  (Lamaniten) 
361 ;  —  Überlieferungen  über  die 
Sintflut  367. 

Amerikanische  Völker  355  f;  die  Ur- 
einwohner asiatischen  Ursprungs 
356;  gemeinsamer  Ursprung  aller 
— n —  361 ;  israelitischer  Ursprung 
der  — n —  356. 

Amt.  Das  geistliche  248;  Vollmacht 
zum  —  221,  239;  Ordination  zum 
—  224. 

Amtsgehilfen  226,  258. 

Amtsverrichtungen,  mit  Vollmacht 
221,  ohne  Vollmacht  227. 

Anerkennung  der  Bibel.    Unsere  288. 

Apokryphische  Bücher  299. 

Apostelamt  254;  das  Kollegium  der 
Zwölfe  255. 

Archäologische  Beweise  für  die  Bibel 

313;  —  und  Ehtnologische  Beweise 
für  das  Buch  Mormon  351. 

Art  und  Weise  der  Taufe  167. 

Atheismus  und  Götzendienst  52;  Er- 
klärung des  —  54;  —  ein  verhäng- 
nisvoller Glaube  63;  —  und  Im- 


576 


Namen-  und  Sachverzeichnis. 


materialismus  63. 
Atheismus  und  Theismus  52,  60. 
Auferstehung   des   Körpers   470;   die 

—  eröffnet  475;  die  erste  —  476; 

—  von  den  Toten  470;  die  Heiden 
in  der  ersten  —  486;  die  letzte  — 
481 ;  die  —  Christi  und  die,  die 
unmittelbar  darauf  folgte  476; 
allgemeiner  Glaube  an  die  —  485 ; 
die  —  vorhergesagt  472;  die  — 
beim  zweiten  Kommen  Christi 
478;  die  Unwissenheit  der  Heiden 
inbezug  auf  die  —  484 ;  Mangel  an 
wissenschaftlichen  Beweisen  über 
die  —  467. 

Auferstehungen.  Zwei  allgemeine  (die 
der  Gerechten  und  der  Ungerech- 
ten) 475. 

Aufhören  der  Vielehe.    Das  523,  530. 

Auflegung  der  Hände  beim  Vollzug 
von   Verordnungen  209,  225. 

Auserwähltes  Volk  (Israel)  422,  425. 

.Auslegung  der  Zungen.    Gabe  der  272. 

Äußerliche  Beweise  für  das  Buch 
Mormon  351  ff. 

Autorität  in  der  gegenwärtigen  Dis- 
pensation. Göttliche  231 ;  —  in 
der   Amtstätigkeit  221. 

Autorität  staatlicher  Gesetze  510. 

Baum  der  Erkenntnis  des  Guten  und 

des  Bösen  80. 
Baum  des  Lebens  81. 
Beamte.    Präsidierende  250. 
Bekennen   der    Sünde   ist   notwendig 

137. 
Beschneidung  und  Taufe  155. 
Besitzergreifung     und     Bevölkerung 

Amerikas.    Frühe  353. 
Beweise  aus  der  Altertumskunde  für 

die  Bibel  313. 
Beweise     aus     der     Altertums-     und 

Völkerkunde  für  das  Buch   Mor- 
mon 351. 
Beweise  für  das  Buch  Mormon  durch 

Entdeckungen  der  Neuzeit  zutage 

gefördert  351. 
Beweise   unterstützen   den   Glauben; 

zuverlässige  —  125. 
Bewerber  um  die  Taufe.  Würdige  152. 
Bibel.   Die  288 ;  das  erste  maßgebende 


Kirchenbuch  6,  31;  der  Name 
der  —  289;  unsre  Anerkennung 
der  —  288;  Glaubwürdigkeit  und 
Echtheit  der  —  306;  Zeugnis  des 
Buches  Mormon  für  die  —  307; 
Übertragungen  und  Übersetzun- 
gen der  —  305,  310,  314. 
Bischof.    Der  präsidierende  256  f ;  der 

—  einer  Gemeinde  258. 
Bischofschaft     der     ganzen     Kirche. 

Die  präsidierende  256;  —  der  Ge- 
meinde 258. 
Buch  Mormon  315;  Glaubwürdigkeit 
des    — es —    331,    339;    bibhsche 
Prophezeihungen  inbezug  auf  das 

343 ;  das  Hervorkommen  des 

— es —  20 ;  das verglichen  mit 

der  Bibel  307,  340;  Zusammen- 
setzung und  Einteilung  des  — es — 
330;  die  innere  Übereinstimmung 

des  — es —  346 ;  im enthaltene 

Prophezeihungen  347;  Hauptteile 
des  — es —  319;  äußere  Beweise 
für  das  —  351;  Echtheit  der 
Platten  des  — es —  12,  324;  Pro- 
phezeihungen über  das 342 ; 

Spaulding  Geschichte  über  das  — 

—  335 ;  das  Zeugnis  von  Augenzeu- 
gen über  das 332  ff ;  Theorien 

über  das  —  335;  Titelblatt  des 
— es—  318;  Übersetzungen  des 
—es—  15,  328  f. 

Bündnisse  (Ehe)  für  Zeit  und  Ewig- 
keit 550. 

Bürgerkrieg  von  Joseph  Smith  vor- 
hergesagt 26. 

Buße   zur    Seligkeit   notwendig   140; 

—  eine  Gabe  Gottes  142;  —  hier 
und  im  Jenseits  76,  143;  das 
Wesen  der  —  136;  —  nicht  immer 
möglich  142;  —  nicht  hinaus- 
schieben 144. 

Christus  der  Gesalbte  459;  Sühn- 
opfer Christi,  siehe  daselbst; 
Kirche  Christi  451 ;  das  erste 
Kommen  Christi  440;  sein  zweites 
Kommen  441 ;  die  Zeit  seines 
zweiten  Kommens  445;  Christi 
Mission  in  der  Geisterwelt  180; 
die   Regierung  Christi  auf  Erden 


Namen-  und  Sachverzeichnis. 


577 


440;  die  Auferstehung  Christi  476; 

—  der  Urheber  unsrer  Seeligkeit 
115. 

Dasein  Gottes.    Das  32. 

Dauer  der  Strafe  75. 

Diakons  (Diener).  Das  Amt  eines  250. 

Dispensation   der   Sammlung  18;  — 

der  Fülle  der  Zeiten  21. 
Dreieinigkeit.    Die  46,  64. 
Druidische  Opferungen  63. 
Duldsamkeit.    Religiöse  Freiheit  und 

488,    492,    498,    508   f;    —   heißt 

nicht  Billigung     und     Annahme 

497  f. 

Echtheit  und  Glaubwürdigkeit  der 
Bibel  306;  — und —  von  Teilen 
des  Neuen  Testaments  311 ;  - — und 

—  des  Buches  Älormon  331,  339. 
Eden.  Der  Garten  79,  88. 

Ehe.    Die  548;   himmlische  —  550; 

Aufhören    der    Vielehe    523,    530. 
Eigenschaften  Gottes  50,  124. 
Eingestehen    der    Sünde    notwendig, 

um   Vergebung   zu   erlangen   137. 
Einheit  (Einigkeit)  der  Gottheit  47; 

—  ein  Vorbild  der  Vollkommen- 
heit 47. 

Einsetzung   ins   geistliche   Amt   224; 

—  des     Abendmahles     bei     den 
Juden  210,  bei  den  Nephiten  211 ; 

—  der  Taufe  148. 

Elia  überträgt  die  Vollmacht  für  die 

Ausführung  des  stellvertretenden 

Werkes   für    die    Toten    17  f,    23, 

185. 
Elias  überträgt  die  Dispensation  des 

Evangeliums  Abrahams  23. 
Englischen  Kirche  von  der  Gottheit. 

Die   Lehre  der  57. 
Entartung  der   Gottesverehrung  mit 

dem  Abfall  verbunden  260. 
Erde    vor,    während   und   nach   dem 

Tausendjährigen  Reich.    Die  460; 

Erneuerung   der   —  462;    die   — 

unter  dem  Fluch  461. 
Erhöhung  und  Seligkeit  112. 
Erkenntnis    mit    Glauben    verglichen 

119. 
Erlösung  von  dem  Fall.    Allgemeine 


luid  bedingungslose  115;  siehe 
auch  Sühnopfer  Christi. 

Erneuerung  der  Erde  462;  —  und 
Auferstehung  461. 

Erste  Präsidentschaft  255. 

Ethnologie  und  Archäologie  unter- 
stützen die  Echtheit  des  Buches 
Mormon  351. 

Eva  79;  — s  Versuchung  80. 

Evangelisten    oder    Patriarchen   253. 

Evangelium  soll  den  Toten  gepredigt 
werden.  Das  180;  —  wiederher- 
gestellt 6  ff,  17;  —  vielen  noch 
unbekannt  179. 

Ewige  Bündnisse  551. 

Fairchild,  James  H.  über  die  Spaul- 
ding- Geschichte  336. 

Fall,  siehe  „Sündenfall". 

Falsche  Lehrer  früher  angekündigt 
230  f. 

Fastopfer  537. 

Fasttags.     Einhaltung    des    537. 

Fehlende,  in  der  Bibel  erwähnte 
heilige    Schriften    313. 

Folge  des  Falles.  Die  unmittelbare 
83,  89. 

Form  der  Taufe  167  f. 

Fortbildungsvereine  259. 

Fortlaufenden  Offenbarungen.  Die 
Lelu-e  von  —  377,  390;  Einwen- 
dungen gegen  diese  Lehre  angeb- 
lich biblisch  381. 

Frauenhilfsvereine  259. 

Freier   Wille   des    INIenschen    65,    87. 

Freiheit  in  der  Verehrung  488. 

Freiwillige  Opfer  536. 

Friede  des  Tausendjährigen  Reiches. 
Der  459. 

Frühere  Besitzergreifung  und  Be- 
völkerung Amerikas  353. 

Fürwahrhalten,  Glauben,  Erkenntnis 
118  f. 

Gabe  der  Heiligung  273,  —  der  Pro- 
phezeihung  277,  ■ —  der  Offenba- 
rung 278,  —  der  Zungen  und  der 
Auslegung  der  Zungen  272,  — 
der  Gesichte  und  der  Träiune 
274  f. 

Gabe  Gottes.  Der  Glaube  eine  — 
37 


578 


Namen-  und  Sachverzeichnis. 


133;  Buße  eine  —  142. 

Gaben  des  Geistes.  Die  207,  263; 
—  kennzeichnend  für  die  Kirche 
263;  Abnahme  der  —  dem  Abfall 
eigen  285;  —  bestehen  in  der 
heutigen  Kirche  283;  unvollstän- 
dige Aufzählung  einzelner  —  271, 
283;  Nachahmung  der  —  282; 
neuzeitliche  Kundgebungen  der  — 
287;  das  Wesen  der  —  265. 

Garten  Eden  79,  88. 

Gebote  unter  den  Reliquen  der  alten 
Amerikaner  aufgefunden.  Die 
zehn  358,  364. 

Gehorsam  den  Gesetzen  des  Landes 
gegenüber  510. 

Geist.  Heiliger,  siehe  der  „Heilige 
Geist". 

Geistige  Schöpfung  239. 

Geistlichen  Amt.  Vollmacht  im  221 ; 
Ordination  zum 224. 

Gemeinde-Bischofschaft  258. 

Gemeindeorganisation  und  die  Beam- 
ten derselben  257,  259. 

Genugtuung  für  begangene  Sünden 
140. 

Gericht  folgt  nicht  immer  sofort  69  f ; 
—Sache  Christi  70. 

Gesalbte   (Christus).     Der   459. 

Geschichte  und  Überlieferung  unter- 
stützen die  Beweise  des  Daseins 
Gottes  34  ff;  —  der  wiederher- 
gestellten Kirche  31. 

Geschichtsbücher  des  Alten  Testa- 
ments 298,  des  Neuen  Testaments 
304. 

Geschlechter.      Ungesetzliche     Ver- 
einigung der  552. 

Geschriebene  Sprache  der  alten  Ame- 
rikaner 362. 

Gesetze  des  Landes.  Unterwerfung 
unter  die  510—530;  —  Priester- 
tums  261. 

Gesichte  und  Träume  274  f. 

Glauben  an  Gott  natürlich  57  und 
notwendig  58. 

Glauben  118;  eine  Voraussetzung  und 
Bedingung  des  — s  131;  —  ver- 
glichen mit  Erkenntnis  und  mit 
Fürwahrhalten  118  f;  —  not- 
wendig zur  Seligkeit  32;   Grund- 


lage des  — s  123  f;  —  eine  Gabe 
Gottes  133;  die  Lehre  von  der 
Rechtfertigung  durch  —  allein 
134,  145;  das  Wesen  des  — s  118 
Beispiele  von  irregeleitetem  — 
144;    —    ein    Machtprinzlep    128 

—  ohne  Werke  unvollständig  134 
145;  —  von  Tatsachen  unter 
stützt  125  f;  Reichhaltigkeit  uns 
res  Glaubens  532. 

Glaube,  Erkenntnis,  Fürwahrhalten 
118  f. 

Glaubensartikel.  Die  5;  Entstehung 
der  —  5,  29;  —  von  neuem  be- 
stätigt 5. 

Glaubensbekenntnis.  Das  nizäische 
56. 

Glaubwürdigkeit  und  Echtheit  der 
Bibel  306,  des  Buches  Mormon 
331,  339,  der  göttlichen  Mission 
Joseph  Smiths  7,  16. 

Glieder  der  Gottheit.  Persönlich- 
keit der  48. 

Gott  berufen.  Männer  von  221;  des 
Menschen   Verhältnis   zu  —  555. 

Gottesglaubens.  Die  Arten  des  33  f, 
60  f. 

Gottes  Eigenschaften  50,  124;  Glau- 
ben an  Gott  natürlich  32,  57  und 
notwendig  33,  58;  Wichtigkeit  des 
Glaubens  an  Gott  58;  Dasein  — 
32;  Beweise  dafür  aus  Geschichte 
und  Überlieferung  34,  60;  Be- 
weise der  Vernunft  36;  die  Offen- 
barung als  Beweis  41 ;  Beweise  der 
Natur  37 ;  natürliche  Anzeichen  für 
das  Dasein  —  37;  Persönlichkeit 

—  48. 

Gottesleugnung.    Abgötterei  und  52. 

Gottheit.  Die  Persönlichkeit  eines 
jeden  Ghedes  der  48;  die  —  eine 
Dreieinigkeit  46;  Einheit  (Einig- 
keit) der  —  47;  die  sektierer- 
ischen Ansichten  von  der  —  55. 

Göttlicher  Ursprung  des  Buches 
Mormon  339. 

Gott  und  die  Gottheit  33. 

Götzendienst.  Beispiele  von  schreck- 
lichem 54. 

Götzendienst  und  Gottesleugnung  52. 

Grade  der  Herrlichkeit  113,  501,  505. 


Namen-  und   Sachverzeichnis. 


579 


Griechen.    Die  Taufe  bei  den  192. 
Grundsatz     der     gemeinsamen     Zu- 
stimmung 260. 

Hagiographa  291,  298. 

Händeauflegen  beim  Vollzug  von 
Verordnungen  209,  224. 

Hebräer  407. 

Hebräische  Sprache  bei  den  Nacli- 
kömmüngen  der  amerikanischen 
Ureinwohner.  Überreste  der  — n — 
364,  369. 

Heiden  in  der  ersten  Auferstehung 
486. 

Heiden  in  Unwissenheit  484. 

Heilige  Geist.  Der  195;  Übertragung 
des  — n — es  205  ff,  209;  seine 
Wirkung  auf  die  Menschen  208, 
209;  Ausnahme  bei  der  Verlei- 
hung des  — n — es  204;  Gaben  des 
— n — es,  siehe  daselbst;  die  Tätig- 
keit des  — n — es  201 ;  Persönlich- 
keit und  Mächte  des  — n — es  49, 

197;    der versprochen  195; 

biblische  Namen  des  — n — es  49; 
wem  der erteilt  wird  203  ff. 

Heiligkeit  des  menschlichen  Körpers 
553. 

Heiligung.    Gabe  der  273. 

Helfer  in  der  Kirchenverwaltung  226, 
258. 

Henochs.  Die  Ordnung  542,  543,  das 
Zion  —  429. 

Herrlichkeit.  Grade  der  113,  501, 
505;  himmhsche  —  113,  502; 
irdische  —  113,  503;  unterirdische 
—  114,  504. 

Himmelreich.    Das  451. 

Himmliche  Ehe.    Die  550. 

Himmhche  Herrlichkeit  113,  502. 

Hirten  257. 

Hohenpriesters.  Das  Amt  eines  252; 
das  Kollegium  derselben  252;  der 
präsidierende    Hohepriester   255. 

Hohen  Priestertums.  Der  Präsident 
des  253,  255. 

Hohe  Rat.  Der  stehende  (stationäre) 
257 ;  der  reisende (das  Kolle- 
gium der  zwölf  Apostel)  254. 

Höheres  Priestertum,  siehe  Melchize- 
dekisches  Priestertum. 


Huldi^ng  für  den  Propheten  Joseph 
Smith.    Eine  29. 

Immaterialismus  und  Atheismus  63. 

Indianer  (amerikanische,  Lamaniten) 
352,  361. 

Individuelle  Seligkeit  107—110. 

Inspiration  und  Offenbarung  370, 
390;  —  ein  sicherer  Führer. 

Irdische  Herrlichkeit  113,  503. 

Israel  392;  —  ein  auserwähltes  Volk 
422,  425;  Zerstreuung  — s  392  ff, 
397;  —  unter  den  verschie- 
denen Völkern  397  f,  402,  408, 
425;  Sammlung  — s  409;  Samm- 
lung — s  nunmehr  im  Fortschreiten 
begriffen  21,  419,  425. 

Jahrtausend.    Das  siebte  459. 

Jarediten  321. 

Jerusalem.  Das  neue  - —  431 ;  Ge- 
schichte — s  430,  431,  438. 

Johannes  der  Täufer  überträgt  das 
aaronische    Priestertum    22,    232. 

Joseph  Smith.  Der  Prophet  6;  Gött- 
lichkeit der  Mission  — s  16;  — s 
Vollmacht  22;  — s  Gesicht  10  f; 
— s  Eltern  und  Jugend  7,  30;  — 
besucht  von  Moroni  12.  315;  — 
verfolgt  11  f,  29;  —  ein  wahrer 
Prophet  7,  24;  eine  Huldigung  für 
den  Propheten  —  29;  Märtyrer- 
tum  — s  15,  30;  Hinweisungen 
auf  das  Leben — s  30  f;  — s  For- 
schen nach  Wahrheit  8  f,  erstes 
lautes  Gebet  10. 

Juda.    Das  Königreich  393. 

Juden  407;  das  Abendmahl  bei  den 
— -  210. 

Kenntnis  von  Gott  notwendig  1. 

Kinder  in  den  Augen  Gottes  un- 
schuldig 107 — 110. 

Kindertaufe  108  f,  153,  154,  156; 
Geschichte  der  —  154,  165;  — 
im   Buch   Mormon   verboten   156. 

Kinder  und  Väter  von  einander  ab- 
hängig 186,  193. 

Kirche  Christi.    Die  451. 

Kirche.  Der  Abfall  von  der  ursprüng- 
lichen    243,     vorhergesagt     246; 


580 


Namen-  und   Sachverzeichnis. 


die  ursprüngliche  —  241.    ' 

Kirche  der  letzten  Tage.  Die  241, 
248. 

Kirche  Englands  von  der  Gottheit. 
Die  Lehre  der  57. 

Kirchenbücher.    Die  maßgebenden  6. 

lürchenorganisation  248 ;  Wieder- 
herstellung der  —  247. 

Kirchenschulen  259. 

Kirche  und  Reich   Gottes  451. 

Klassen.     Religions—  259. 

Kollegium  251. 

Kollegien.  Organisierte  (251  ff) :  Leh- 
rer 251,  Diakone  251,  Priester 
252,  Älteste  252,  Siebziger  252, 
Hohenpriester  253;  —  der  Ersten 
Präsidentschaft  255;  —  der  zwölf 
Apostel  254,  255. 

Kommen  Ciiristi.  Das  erste  und  das 
zweite  440;  Zeit  des  zweiten 
— s—  445. 

Körpers.  Heiligkeit  des  menschlichen 
553. 

Lamaniten  318,  320,  352. 

Landesgesetzen.  Gehorsam  gegen- 
über den  510. 

Lebens.    Der  Baum  des  81. 

Lehrbücher  des  Neuen  Testaments 
304. 

Lehrer  (Grad  im  aaronischen  Priester- 
tum)  251. 

Lehrern  gewarnt.    Vor  falschen  231. 

Letzte  Auferstehung  481. 

Levitisches  Priestertum  249. 

Liebe.  Nächstenliebe  und  Wohl- 
tätigkeit 535,  554,  555.  ^ 

Luther,  Martin  über  Rechtfertigung 
durch   Glauben  allein  145. 

Macht.     Der    Glaube   ein    Grundsatz 

der  128. 
Männer  von  Gott  berufen  221. 
Martin    Luther   über   Rechtfertigimg 

durch  Glauben  allein  145.  --«i 
Märtyrertod  Joseph  Smiths  15,  30. 
Mayas.  Die  heilige  Sprache  der  363. 
Jlelchizedekisches    Priestertum    248, 

250;  dessen  Wiederherstellung  23, 

232. 
^lenschen.   Freier  Wille  des  —  65,  87 ; 


Verantwortlichkeit  des  —  69,  499f. 
Mexikanische    Überlieferungen    vom 

Heiland  369;  —  von  der  Sintflut 

366. 
Mildtätigkeit    und    Liebe    535,    554, 

555. 
Millennium  455,  459. 
Moloch.    Schreckliche  Verehrung  des 

62. 
Mormon.     Das    Buch,    siehe    „Buch 

Mormon". 
Moroni  besucht  Joseph   Smith.    Der 

Engel  12—14,  315. 
Mose    überträgt    auf    .Joseph    Smith 

seine  Vollmacht  19,  23,  420. 

Nachahmimg    geistiger    Gaben    282. 

Nachfolgerecht  im  patriarchalischen 
Amt  253. 

Name  „Bibel".    Der  289. 

Natur.    Gott  in  der  59. 

Natürliche  Beweise  für  das  Dasein 
Gottes  37,  59,  60. 

Natürlichkeit  des  Glaubens  an  Gott 
58. 

Nephiten  318 — 320,  352;  Taufe  bei 
den  —  172  (176);  das  Abendmahl 
bei  den  —  eingesetzt  211;  die  — 
von    Christus    besucht    172,    311. 

Neues  Jerusalem  (Zion)  431. 

Neue  Testament.  Das  300;  Echtheit 
und  Entstehung  des  — n — s  300; 
Einteilung  des  — n — s  304;  die 
belehrenden  Bücher  des  — n — s 
304;  die  geschichtlichen  Bücher 
des  — n — s  304;  die  propheti- 
schen Bücher  des  — n — s  305. 

Neuzeitliche    Offenbarungen    384. 

Nizäer.    Die  Sekte  der  56. 

Notwendigkeit  des  Glaubens  an 
Gott  58. 

Offenbarung  370;  —  Johannes  377; 
—  für  die  Kirche  unentbehrlich 
380;  in  früherer  Zeit  374;  fort- 
dauernde —  377,  390;  angeblich 
biblisch  begründete  Einwendun- 
gen gegen  die  Lelire  der  fort- 
dauernden Offenbarung  381 ;  Gabe 
der  —  278 ;  —  das  Mittel,  wodurch 
Gott  mit  den  Menschen  verkehrt 


Niunen-  und  Sachverzeichnis 


581 


43,  373;  —  und  Inspiration  370, 
390;  neuzeitliche  —  44,  384;  — 
in  der  Zukunft  388;  —  unter- 
stützt den   Glauben  an    Gott  41. 

Opfer.  Fast —  537;  freiwillige  — 
536;  —  und  Zehnten  538. 

Ordination  zum  geistlichen  Amt  224. 

Ordnung  Henochs  543;  — en  und 
Ämter  im  Priestertum  248,  (253); 
gesellschaftliche  Ordnung  der  Hei- 
ligen 547. 

Organisationen  der  Priesterschaft. 
Örtliche  257,  259. 

Paradies  486. 

Passahfest  und  Abendmahl  218. 

Patriarchalichen  Amt.  Nachfolge- 
recht im  253. 

Patriarchen  oder  Evangelisten  253. 
Ordnung  der  ■ —  253. 

Pentateuch  291,  297;  die  samari- 
tische  Abschrift  des  — s  310. 

Persönlichkeiten  der  Gottheit  48;  — 
des    HeiUgen    Geistes    49,    197. 

Persönliche  Seligkeit  107,  110. 

Petrus,  Jakobus  und  Johannes  über- 
tragen das  melchizedekische  Prie- 
stertum 232. 

Pfähle  Zions  257. 

Pfahlpräsidentschaft  257. 

Pflichten  des  Priestertums.  Beson- 
dere 250. 

Platten  des  Buches  Mormon  12,  323; 

—  Nephis  324;  —  Mormons  324; 

—  Eters  324,  Messingplatten  La- 
bans 324. 

Poetische  Bücher  des  Alten  Testa- 
mentes 298. 

Präexistens  der  Geister  236. 

Praktische  Religion  531. 

Präsidentschaft.  Die  Erste  255;  — 
im  Priestertum  254;  —  des 
Pfahles  257;  — en  und  Kollegien 
254;  —  des  Hohen  Priestertums 
255;  — ten  und  Kollegien  254. 

Präsidierende  Bischofschaft  256. 

Präsidierendes  Kollegium  der  Sieb- 
ziger 256. 

Priester  (Grad  im  aaronischen  Prie- 
stertum) 251. 

Priestertum.     Aaronisches   248;     Or- 


ganisation des  — s  innerhalb  der 
Gemeinde  257;  Levitisches  — 
249;  Melchizedekisches  —  248; 
Kollegien  (  Quorums)  des  — s  251 ; 
die  Ordnung  des  — s  248;  die 
Wiederbringung  des  — s  248;  be- 
sondere Pflichten  im  —  250. 

Primär- Vereine  258. 

Prophet.  Anwendung  und  Gebrauch 
des  Ausdruckes  284. 

Prophetenschule  284. 

Propheten  vor  alters  organisiert  284. 

Prophetische  Bücher,  des  Alten  Te- 
staments 299;  des  Neuen  Testa- 
ments 305. 

Prophezeiung  inbezug  auf  das  Buch 
Mormon  342;  bibliche  —  über  das 
Buch  Mormon  373;  Gabe  der  — 
277. 

Prüfstein.    Ein  guter  365. 

Quoriun  (siehe  Kollegium);  beson- 
derer Gebrauch  dieses  Ausdruckes 
251. 

Rassen  Amerikas.  Gemeinsamer  Ur- 
sprung der  361. 

Rat.  Der  reisende  Hohe  256;  der 
stehende  (stationäre)  —  257. 

Räte :  der  Ersten  Präsidentschaft  255, 
der  präsidierenden  Bischofschaft 
256,  der  Pfahlpräsidentschaft  257, 
der  Ward-Bischofschaft  258,  der 
verschiedenen  Kollegien  (  Quorums 
251  ff. 

Rechtfertigung  durch  Glauben  allein 
134,  145. 

Regierung  Christi  auf  Erden.  Die 
410,  448. 

Regierungen.  Gehorsam  gegenüber 
den  weltlichen  510 — 530;  —  und 

Gesetze  im  allgemeinen  524  ff. 

Reich  Gottes  448  und  Kirche  Christi 
451;  —  Israel  393,  —  451,  — 
Christi  451,  das  Tausendjährige  — 
455,  —  Juda  353. 

Reichhaltigkeit  unsres  Glaubens  532. 

Reise  der  zehn  Stämme  408. 

Religion.  Praktische  531 ;  Religion 
des  täglichen   Lebens   531. 

Religionsklassen  259. 


582 


Namen-  und   Sachverzeichnis. 


Religion.    Theologie  und  4. 
Religiöse   Freiheit  und   Duldsamkeit 

488,  509 ;  —  Unduldsamkeit  492  f, 

508. 

Saduzäer  485. 

Sammlung  Israels  409;  Umfang  und 
Zweck  der  —  419;  Neuzeitliche 
Offenbarungen  über  die  — 418; 
zwei  Sammelplätze  vorgesehen  427 ; 

—  findet   gegenwärtig  statt  425; 

—  vorausgesagt  409  ff. 

Satan  68,  77,  458;  — s  Macht  be- 
schränkt 78  f. 

Seele.    Zwischenzustand  der  486. 

Sekte  der  Nizäer  56. 

Sektiererische  Ansichten  von  der 
Gottheit  55; von  der  Fort- 
dauer oder  Abnahme  der  geistigen 
Gaben  285. 

Seligkeit.  Allgemeine  107,  persönliche 

—  107, 110;  —  und  Erhöhmig  112. 
Septuaginta.    Die  296,  310. 
Siebziger.   Die  252 ;  Kollegium  der  — 

252,  256. 

Siegel    des    Märtyrertodes.     Das    30. 

Sintflut.  Mexikanische  Zeitbestim- 
mung der  366. 

Smith,  Joseph,  siehe  „Joseph 
Smith".. 

Söhne  des  Verderbens.  Die  74,  76, 
506. 

Sonntagschulen.    Die  259. 

Spaulding-Erzählung  und  Buch  Mor- 
mon 335. 

Sprache  der  Ureinwohner  Amerikas. 
Die  362,  364,  369;  —  in  der  die 
Platten  des  Buches  ^lormon  ver- 
faßt sind  362;  die  Ursprache  des 
alten  Testaments  295. 

Sühnopfer  Christi.  Das  91 ;  Bedeu- 
tung des  Wortes  —  91 ;  Antrieb 
zur  Vollbringung  des  — s —  98  f; 
unmittelbare  Folge  des  Sünden- 
falles 83,  93;  Vertrauen  auf 
das  —  notwendig  zur  Seligkeit 
116  f,  139;   Umfang  des  —  104; 

—  vorherbestimmt  und  vorher- 
gesagt 84,  99;  allgemeine  Wir- 
kung des  —  107;  die  besondere 
oder     persönliche     Wirkung     des 


— sllO;  das  Wesen  des — s  93;  die 
Stellvertrung  des  — s —  bewiesen 
mit  Zeugnissen  114;  —  ein  stell- 
vertretendes Opfer  95;  —  war 
freiwillig  96  f. 

Sünde  71;  das  Wesen  der  —  71,  88; 
Begehen  von  —  72;  —  in  Un- 
wissenheit begangen  72  f ;  Ver- 
gebung für  —  140;  Strafe  für  — 
74;  unverzeihliche  —  74. 

Sündenbekenntnis  notwendig  zur  Er- 
langung   von    Vergebung    137. 

Sündenfall.  Der  65,  79;  vorherbe- 
stimmt und  notwendig  84,  89  f; 
unnüttelbare  Folgen  des  — s  83, 89. 

Schlange.    Verfluchung  der  84,  89. 

Schöpfung.    Geistige  239. 

Schreibweise  im  Buch  Mormon  366. 

Schriften,  die  in  der  Bibel  zwar  er- 
wähnt, heute  jedoch  unauffind- 
bar sind.    Heilige  313. 

Schriftsprache  der  Ureinwohner  Ame- 
rikas 362  ff. 

Schulen  der  Kirche  258;  Sonntagschu- 
len 259;  Schule  der  Propheten  284. 

Staatlichen  Gesetzen.  Gehorsam  ge- 
genüber den  510,  530. 

Stammeltern.  Vorwürfe  gegen  die 
87 ;  —  haben  Anspruch  auf  Dank- 
barkeit 87;  Zustand  wenn  unsere 
—  nicht  gesündigt  hätten  87. 

Stämme  Israels.  Die  zehn  verlorenen 
393,  405,  408. 

„Standard    Werke"    (maßgebende 
Lehrbücher)  der  Kirche  6,  31. 

Stellvertretende  Natur  des  Sühn- 
opfers 95,  97,  114. 

Strafe  für  Sünde  74 ;  die  Dauer  der  — 
75;  ,, endlose",  ,, ewige"  —  75,  77. 

Stufen  der  Herrlichkeit  113,  501. 

Tatsachen,  die  den  Glauben  an  einen 
Gott   unterstützen   123  ff. 

Taufe.  Die  147,  168;  —  bei  den  Grie- 
chen 192,  bei  den  Nephiten  172,  bei 
den  ersten  Christen  192;  —  zur 
Seligkeit  notwendig  156,  106;  — 
und  Beschneidung  155;  die  Ein- 
setzung der —  148;die — in  unserer 
Zeit  172;   würdige   Bewerber   um 


Namen-  und  Sachverzeichnis. 


583 


die  Taufe  152,  164;  —  für  die 
Toten  178;  die  Kindertaufe  109, 
153,  154,  156;  Bedeutung  und 
erste  Anwendung  des  Wortes  154, 
168,  191 ;  die  Form  der  Taufe  167, 
170;  das  Wesen  der  —  147;  Vor- 
bereitung auf  die  —  152,  164; 
Zweclc  der  —  149,  157;  die  „Wie- 
dertaufe" 174;  wiederliolte  —  an 
ein  und  demselben  Mitglied  177 :  — 
von  jedermann  verlangt  156,  178; 
das  Sinnbild  der  —  169. 

Tausendjähriges  Reich  (Millennium) 
455,  459;  die  Erde  vor,  während 
und  nach  dem  Tausendjährigen 
Reich  460. 

Tempel.  Alte  und  neuzeitliche  188  ff, 
194;  —  Platz  in  Independence 
439. 

Testament.  Das  Alte  und  das  Neue  — 
siehe  „Altes"  und  „Neues"  Te- 
stament. 

Theismus,   Atheismus  usw.  60  f. 

Theologie  2;  der  Umfang  der  —  3  f ; 
Wichtigkeit  des  Studiums  der  — 
1; —  und  Religion  4;  theologische 
Walirheiten  mit  andern  verglichen 
3  f. 

Theorien  über  die  Herkunft  und  den 
Ursprung  des  Buches  Mormon 
335. 

Titelblatt  des  Buches  Mormon  318, 
335. 

Toten.  Taufe  für  die  178;  die  Mission 
Christi  unter  den  —  143,  181 ;  den 
—  soll  das  Evangelium  gepredigt 
werden  180;  das  stellvertretende 
Werk  für  die  —  183,  187.  Die 
Auferstehung  von  den  —  470. 

lYadition  und  Geschichte  unterstüt- 
zen den  Glauben  an  einen  Gott  34. 

Traditionen  inbezug  auf  den  Heiland. 
Mexikanische  369;  —  der  Urein- 
wohner Amerikas  bestätigen  das 
Buch  Mormon  367 — 369. 

Träume  und  Gesichte  274. 

Übereinstimmung  des  Buches  Mor- 
mon mit  andern  Wahrheiten  337, 
346. 

Überlieferungen     der     Nachkommen 


der  Ureinwohner  Amerikas  367; 
mexikanische  —  vom  Heiland  369. 

Überheferungen  und  Geschichte  unter- 
stützen den  Glauben  an  einen 
Gott  34  f. 

Übersetzung  des  Buches  Mormon  328. 

Übersetzungen  des  alten  Testamentes 
296;  —  der  Bibel  296,  305,  314. 

Übertretung  65. 

Unbefugtes  Amtieren  227. 

Unduldsamkeit.    Religiöse  492  f,  508. 

Ungesetzliche  Vereinigung  der  Ge- 
schlechter 552. 

Unkörperlichkeitslehre  und  Gottes- 
leugnung  57. 

Unkörperliches  Wesen  kann  nicht 
bestehen  50,  57. 

Unschuld  der   Kinder  107 — 109. 

Unterirdische  Herrlichkeit    114,    504. 

Untertauchung  die  richtige  Form  der 
Taufe  167  f. 

Unterwerfung  unter  die  Gesetze  des 
Landes  510. 

Unverzeihliche  Sünde  74. 

Urim  und  Thummim  13. 

Ursprüngliche  Kirche  241 ;  Abfall 
von  der  — n —  243. 

Ursprung  des  Buches  Mormon.  Theo- 
rien über  den —  335 ;  Göttlicher  — 
339. 

Vätei*  und  Kinder  auf  einander  an- 
gewiesen  186,   193. 

Vater  und  Sohn  in  Gestalt  und  Kör- 
perform vollkommene  Menschen 
49. 

Verantwortlichkeit  des  Menschen  69. 

Verderbens.    Söhne  des  74,  506. 

Verehrung  489;  Freiheit  in  der  — 
488  f. 

Verein.  Frauenhilfs —  259;  Fort- 
bildungs —  259. 

Vereine  zur  gemeinsamen  Fortbil- 
dung 259. 

Vereinigte  Ordnung  543. 

Vereinigung  der  Geschlechter.  Un- 
gesetzliche 552. 

Verfluchung  der   Schlange  89. 

Verfolgung  Joseph   Smiths  12,  29. 

Vergeben.    Andern  ihre   Fehler   137. 

Vergebung    der    Sünden    wird    nicht 


584 


Namen-  und  Sachverzeichnis. 


immer   sogleich   gewährt    146. 

Vermißte,  aber  in  der  Bibel  erwähnte 
heilige    Schriften    313. 

Vernunft  unterstützt  den  Glauben 
an  einen  Gott.    Die  36. 

Versöhnung  bewiesen  114;  —  durch 
Christus  eingeführt  116. 

Versuchung.    Evas  80. 

Verwalterschaft    und    Weihung    543. 

Verwaltung.    Helfer  in  der  258. 

Verwaltungsplan  der  wiederherge- 
stellten Kirche  248. 

Vielehe.    Das  Aufhören  der  523,  530. 

Vollmacht  in  der  jetzigen  Dispen- 
sation. Göttliche  231 ;  —  im 
geistlichen  Amt  221 ;  —  von 
Gott  gegeben  239. 

Von    Gott  berufen.    Männer  221. 

Vorordination    (Vorherbestimmung) 
233 ;  —  bedeutet  nicht  Zwang  235. 

Vorordination   und   Präexistenz  233. 

Vulgata.    Die  310. 

Wahl.    Freie  67. 

Wanderung  der  verlorenen  zehn 
Stämme  408. 

Ward-Bischofscliaft  258. 

Weihung  und  Verwalterschaft  541  ff. 

Werke.  Die  maßgebenden  Kirchen- 
( Standard-Werke)  6,  31. 

Wichtigkeit  des  Glaubens  an  Gott. 
Die  58;  —  des  Studiums  1. 

Wiederherstellung  der  Kirche.  Die 
15,  247;  —  der  zehn  Stämme  423; 
— des  Evangeliums  6  ff,  17 ;  — 
des  Priestertums  248;  —  Jeru- 
salems 19. 

Wiederholungen  in  den  Unterrichts- 
klassen.    Übungen    für    die    557. 

Wiederkunft  Christi  441  ff. 

Wiedertaufe  174;  Fälle  von  Wieder- 
taufen in  der  Schrift  erwähnt  175; 
Wiederholte  Taufen  an  denselben 
Personen  177. 

Wille  des  Menschen.   Der  freie  65,  87. 


Wirkungen  des  Sündenfalles  83,   89. 

Wohltätigkeit  533  ff. 

Wort  der  Weisheit  553. 

Wunder  28,  266;  —  eine  Hilfe  im 
geistigen  Wachstum  286;  ein 
Zeugnis,  das  sich  auf  ein  —  grün- 
det, nicht  unfehlbar  28,  281;  — 
von  bösen  Mächten  vollbracht 
281 ;  ein  scheinbares  —  284. 

Zehn  Gebote  unter  den  Reliquen  der 
Ureinwohner  Amerikas  gefunden. 
Die  358,  364. 

Zehn  Stämme.  Die  Wanderung  der 
verlorenen  19,  408;  Wiederher- 
stellung der  —  423. 

Zehnten  538;  das  Gesetz  des  — n  541. 

Zeit  des  zweiten  Kommens  Christi. 
Die  genaue  447  f. 

Zenos  407. 

Zeugen  für  das  Buch  Mormon  332; 
Zeugnisse  von  dreien  332  f,  336; 
das  Zeugnis  der  acht  Zeugen  334, 
337;  Bemerkungen  über  die  — 
336  f. 

Zeugnis,  das  sich  auf  Wunder  gründet, 
nicht  unfehlbar.    Ein  280  f. 

Zeugnis  des  Buches  Mormon  für  die 
Bibel  307 ;  —  der  Wunder  280. 

Zion  427 ;  der  Name  —  429 ;  Gründung 
— s  in  Missouri  19,  439;  —  He- 
nochs  429 ;  — ,  das  neue  Jerusalem 
431. 

Zivilisation  in  Amerika.    Alte  —  366. 

Zukünftige  Offenbarungen  sind  noch 
zu  erwarten  388,  390  f. 

Zungen.  Gabe  der  272;  Auslegung 
der  —  272. 

Zwang  zu  Werken  der  Rechtschaffen- 
heit 66,  zum  sündigen  66,  68,  78. 

Zweck  der  Taufe  149. 

Zwischenzustand  der  Seele  (Paradies) 
486. 

Zwölfe  255. 


Harold  B  Lee  Library 

IIIIIIIHIIIII) 

3  1197  00137  2595 

Utah  Bookbinding  Co.  SLC,  UT  6/27/06  21