VORWORT ZUR ERSTEN ENGLISCHEN
AUFLAGE.
Diese hier dargebotenen Vorlesungen sind auf Ver-
anlassung und Bestimmung der Ersten Präsidentschaft
der Kirche ausgearbeitet worden. Die Mehrzahl derselben
wurde vor der theologischen Klasse der Kirchenuniversität
gehalten; nach Schluß der Klassensitzungen wurden sie vor
anderen Vereinigungen innerhalb der Kirche, die sich mit
dem Studium der Theologie befaßten, fortgesetzt. Dem
von der Leitung der Kirche ausgesprochenen Wunsche, die
Vorlesungen möchten zum Gebrauch in den verschiedenen
Bildungsanstalten der Kirche gedruckt werden, nachkom-
mend, ist der Stoff wieder durchgesehen worden und wird
jetzt in der vorliegenden Form herausgegeben.
Im Hinblick auf etwaige Kritik und Fragen wegen der
Ungleichheit im Umfange mehrerer Vorlesungen, darf hier
zum voraus erklärt werden, daß jede der Ansprachen zwei
oder mehrere Klassensitzungen in Anspruch genommen
hat, und daß die jetzige Ordnung des Stoffes in getrennte
Vorlesungen mehr eine nachträgliche Zusammenstellung
als eine ursprüngliche Darbietung ist.
Der Verfasser ist zu Dank verpflichtet, und stattet
auch seinen herzlichen Dank ab dem von der Ersten Prä-
sidentschaft bestimmten Ausschuß, dessen unverdrossene
und fruchtbare Prüfung des Manuskripts, ehe die Vorle-
sungen gehalten wurden, dem Verfasser Vertrauen in den
voraussichtlichen Wert des Buches für Mitglieder der
Kirche eingeflößt hat. Der erwähnte Ausschuß bestand
aus den Ältesten Francis M. Lyman, Abraham H. Cannon
und Anthon H. Lund vom Kollegium der zwölf Apostel,
lY Vorwort.
George Reynolds, einem der Präsidenten des vorstehenden
Kollegiums der Siebziger, dem Ältesten John Nicholson
und Dr, Karl G. Maser.
Die Vorlesungen werden jetzt von der Kirche veröffent-
licht und mit ihnen geht die Hoffnung des Verfassers, daß
sie den vielen Forschern in der Schrift unter unserem Volke
und andern ernsten Untersuchern der Lehren und Gebräu-
che der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage
von Nutzen sein mögen.
James E. Talmage.
Salt Lake City, Utah, den 3. April 1899.
VORWORT ZUR ACHTEN ENGLISCHEN
AUFLAGE.
Diese Auflage des Buches ,,Die Glaubensartikel" unter-
scheidet sich nur wenig von der fünften. Zum größten Teil
sind dazu die gleichen Galvanoplatten verwendet worden,
wie zu jener Auflage, wenn auch in dieser etliche kleine
Neuerungen wie z. B. Zusätze zu den Anmerkungen und
Hinweisungen und andere geringfügige Änderungen ent-
halten sind. Die sechste Auflage war eine Ausgabe in
Taschenformat, die siebte Auflage, Oktavformat, wurde
in England herausgegeben.
James £. Talmage.
Salt Lake City, Utah, im Dezember 1912.
INHALT.
Vorlesung I.
Einleitung.
Die Wichtigkeit des theologischen Studiums. — Was ist Theologie? —
Der Umfang dieser Wissenschaft. — Theologie und Religion. — Die
Entstehung der „Glaubensartikel". — • Die maßgebenden Kirchen-
bücher. — Joseph Smith, der Prophet. — Seine Eltern und seine
.Jugend. — Sein Forschen nach Wahrheit und das Ergebnis. — Erstes
Gesicht. — Besuche des Engels. — Spätere Entwicklung, sein Mär-
tyrertum. — Glaub^vü^digkeit seiner Mission 1 — 31
Vorlesung II, Artikel 1.
Gott und die Gottheit.
Das Dasein Gottes. — Bezeugt durch allgemeine Zustimmung der Mensch-
heit. — Begründet durch Geschichte und Überlieferung. — Das
durch die menschliche Vernunft gewonnene Zeugnis. — Das Zeugnis
der unmittelbaren Offenbarung. Die Gottheit eine Dreiheit. Einlieit
der Gottheit. — Unbereclitigte Glaubenssätze widerlegt. — Die Per-
sönlichkeit eines jeden Mitglieds der Gottheit. — Einige der göttlichen
Eigenschaften. — Abgötterei imd Gottesleugnung. — Immaterialis-
mus (Unkörperlichkeitslehre), eine Art Gottesleugnung. — Gott in
der Natur 32 — 64
Vorlesung III, Artikel 2.
Die Übertretung und der Fall Adams.
Der freie Wille des Menschen vom Herrn anerkannt. — Verantwortlichkeit
des Menschen. — Sünde. — Sünden in Unwissenheit begangen. —
Strafe für Sünde, natürlich und notwendig. — Die Dauer der Strafe.
— Widerlegung der falschen Lehre von der endlosen Qual. — Satan,
sein erster Stand und sein Fall. — Unsere ersten Eltern in Eden. —
Die Versuchung und der Fall. — Adams weise Wahl. — Austreibung
aus dem Garten. — Der Baum des Lebens. — Die Folgen des Falles. —
Der Fall vorherbestimmt und notwendig. — Die gesegnete Erbschaft
der Sterblichkeit 65 — 90
VI Inhalt.
Vorlesung IV, Artikel 3.
Das Sühuopfer und die Seligkeit.
Das Wesen des Sühn op fers. — Versöhnung. — Ein stellvertretendes Opfer
— Freiwillig und durch Liebe veranlaßt. — Das Sühnopfer vorher-
verordnet und vorausgesagt. — Umfang der Versöhnung. — Allge-
meine Seligkeit. — Persönliche Seligkeit. — Seligkeit und Erhöhung.
— Stufen der Herrhchkeit. — Himmlische, irdische und unterir-
dische Herrlichkeit 91 — 117
Vorlesung V, Artikel 4.
Glaube und Buße.
Das Wesen des Glaubens. — Fürvs'arhalten, Glaube, und Kenntnis mit
einander verglichen. — Glaube bei den Teufeln. — Die Grundlage
des Glaubens. — Der Glaube ein Grundsatz der Macht. — Eine Be-
dingung des lebendigen Glaubens. — Der Glaube zur Seligkeit not-
wendig. — Eine Gabe Gottes. — Glauben und Werke. — Das Wesen
der Buße. — Bedingungen zur Erhaltung der Vergebung. — Buße
zur Seligkeit notwendig. — Buße eine Gabe Gottes. — Buße nicht
immer möglich. — Die Gefaliren des Hinausschiebens der Buße. —
Buße im Jenseits 118 — 146
Vorlesung VI, Artikel 4.
Die Taule.
Das Wesen der Verordnung. — Ihre Einsetzimg. — Die Taufe Adams. —
Der besondre Zweck der Taufe. — Würdige Täuflinge. — Die Kinder-
taufe. — Die Geschichte dieser ungesetzlichen Sitte. — Die Kinder-
taufe von der Bibel nicht unterstützt und durch andere Schriften
verboten. — Die Taufe zur Seligkeit notwendig. — Die Taufe Christi.
— Um alle Gerechtigkeit zu erfüllen 147 — 166
Vorlesung VII, Artikel 4.
Die Taufe, — Fortsetzung.
Die Wichtigkeit der richtigen Vollziehung dieser Verordnung. — Der Ur-
sprung des Worts „taufen", und sein erster Gebrauch. — Unter-
tauchung die einzig richtige Weise. — Das heilige Sinnbild der Ver-
ordnung wird in keiner anderen Form gewahrt. — Untertauchimg
die einzige in früheren Tagen befolgte Form. — Die Taufe durch
Untertauchung bei den Xephiten. — Die neuzeitliche Taufe. — Die
„Wiedertaufe" nicht eine besondere Verordnung. — Die in der
Schrift berichteten „Wiedertaufen" sind seltene Ausnahmefälle. — Die
Taufe für die Toten. — Christi Werk unter den Verstorbenen. — Die
Geister im Gefängnis. — Stellvertretendes Werk der Lebendigen für
die Toten. — Die himmlische Botschaft des Elia. — Die Tempel,
früher und jetzt 167 — 194
Inhalt. VII
Vorlesung VIII, Artikel 4.
Der Ileiliye Geist.
Der verheißene Tröster. — Der Heilige Geist ein Glied der Gottheit. —
Seine besondere Persönlichkeit. — Seine Mächte. — Sein Amt im
Dienste der Menschheit. — Wem gegeben. — Außergewöhnliche Fälle
seines zeitweiligen Besuches vor der Taufe. — - Die Verordnung der
Spendung. — Die Macht des Pricstertums erforderlich. — Die Gaben
des Geistes. — Das Auflegen der Hände ein Merkmal heiliger Ver-
ordnungen 195 — 209
Vorlesung IX, in Verbindung mit Artikel 4.
Das Sakrament des heiligen Abendmahls.
Bedeutung des Wortes „Sakrament". — Des Herrn Abendmahl. — Ein-
setzung der Verordnung unter den Juden. — Auch bei den Nephiten.
— Würdige Empfänger des Abendmahls. - — Der Zweck der Verordnung
und die damit verbundenen Verheißungen. — Die Sinnbilder der Ver-
ordnung. — Die Art und Weise der Segnung imd Austeilung. — Das
Passahfest und das Abendmahl. — Irrtümer hinsichtlich des Abend-
mahls 210—220
Vorlesung X, Artikel 5.
V'ollmacht im Amt.
Von Gott berufene Männer. — Beispiele aus der Schrift. — • Ordination
zum Amt. — Das bevollmächtigte Auflegen der Hände. — Der
Frevel des eigenmächtigen Amtierens ohne Vollmacht. — Beispiele
des göttlichen Zornes. — Wahre und falsche Lelirer. — Göttliche
Vollmacht in der gegenwärtigen Dispensation. — Die Wiederher-
stellung des aaronischen Priestertums durch Johannes den Täufer —
des melchizedekischen durch Petrus, Jakobus und Johannes. —Die
Vorordination von Männern zu besondern Berufungen. — Die Vor-
ordination Christi. — - Die Präexistenz der Geister. — Unsere früheste
Kindheit 221 — 240
Vorlesung XI, Artikel 6.
Die Kirche und ihre Ordnung.
Die Kirche in alter und neuer Zeit. — Die ursprüngliche Kirche.
— Der Abfall von der ursprünglichen Kirche. — Der große Abfall
war vorausgesagt. — Die Wiederherstellung der Kirche in der
Dispensation der Fülle der Zeiten. — Der Verwaltungsplan der wieder-
hergestellten Ivirche. — Ordnungen und Ämter im Priestertum. —
Das aaronische schließt das levi tische ein. — Die raelchizedekische
Ordnung. — Besondere Ämter im Priestertum. — Diener (Diakone),
Lehrer, Priester. — Älteste, Siebziger, Hohepriester. — Patriarchen
oder Evangelisten. — Apostel. — Die Erste Präsidentschaft. — Die
VIII Inhalt.
zwölf Apostel. — Das vorstehende Kollegium der Siebziger, — Die
vorstehende Bischofschaft. — Örtliche Gliederung, Pfähle und Ge-
meinden. — Die Pfahlpräsidentschaft. — Der hohe Rat. — Die
Bischofschaft der Gemeinde (Ward). — Helfer in der Verwaltung.
241—262
Vorlesung XII, Artikel 7.
Geistige Gaben.
Geistige Gaben ein Merkmal der Kirche. — Das Wesen dieser Gaben. —
Wunder. — Unvollständige Aufzählung der Gaben. — Zungen und
Auslegung der Zungen. — Heilung. — Gesichte und Träume. — Prophe-
zeiung. — Offenbarung. — Das Zeugnis der Wunder kein unfehlbarer
Führer. — Nachahmungen geistiger Gaben. — Wunder durch böse
Mächte. — Teufel wirken Wunder. — Geistige Gaben heutzu-
tage 263—287
Vorlesung XIII, Artikel 8.
Die Bibc!.
Das erste unsrer maßgebenden Kirchenwerke. — Der Name „Bibel". —
Das Alte Testament. — Sein Ursprung und sein Wachstum. — ■ Die
Sprache des Alten Testaments. — Die Septuaginta. — Die fünf
Bücher Mose. — Geschichtliche Bücher. — Poetische Bücher. — Die
Bücher der Propheten. — Die Apokryphen. — Das Neue Testament.
— Ursprung und Glaubwürdigkeit. — Einteilung der Bücher. — Die
ersten Übersetzungen der Bibel. — Neuere Übersetzungen. — Echt-
heit und Glaubwürdigkeit. — Das Zeugnis des Buches Mormon von
der Bibel 288—314
Vorlesung XIV., Artikel 8.
Das Buch Mormon.
Beschreibung und Ursprung. — Moronis Besuch bei Joseph Smith. — Das
inspirierte Titelblatt. — Das Ncphilische Volk. — Die Jarediten. —
Die alten Platten. — Mormons Abkürzung der Platten Nephis. —
Die Übersetzung der Urkunden, — Einteilung und Ordnung der
Bücher. — Echtheit des Buches Mormon, — Das Zeugnis der Zeugen.
— Erklärungsversuche für seinen Ursprung. — Die Spaulding-Ge-
schichte 315—338
Vorlesung XV, Artikel 8.
Das Buch Mormon, — Fortsetzung.
Glaubwürdigkeit des Buches Mormon. — Das Buch Mormon imd die Bibel,
— Durch das Hervorkommen des Buches Mormon erfüllte alte Pro-
phezeiung, — Die innere t^bereinstimmung des Buches, — Die darin
enthaltenen Prophezeiungen. — Äußeres Zeugnis. — Zeugnis der
Inhalt. IX
Altertumskunde über die frühere Besiedehing Amerikas. — Israeli-
tischer Ursprung der amerikanischen Ureinwohner. — Gemeinsamer
Ursprung aller eingeborenen „Rassen". — Die Sprache des Buches
Mormon mit der Sprache der Uramerikaner verglichen. — Der Über-
rest des Ägyptischen und des Hebräischen. — Das Zeugnis der For-
scher 339—360
Vorlesung XVI, Artikel 9.
Offenbarung in der V'ergangenheit, der Gegemvarl und der Zukunft.
Was ist Offenbarung? — Offenbarung und Inspiration. — Wie Gott mit
den Menschen verkehrt. — Offenbarer in alter Zeit, — • Christus, em
Offenbarer. — Die Lelire von fortdauernder Offenbarung. — Wohlbe-
gründet, schriftgemäß, vernünftig. — Angeblich biblisch begründete
Einwendungen und deren Widerlegung. — Neuzeitliche Offenbarung.
— Ohne Offenbarung kann keine wahre Kirche bestehen. — Weitere
Offenbarungen noch zu erwarten 370 — 391
Vorlesung XVII, Artikel 10.
Die Zerstreuung Israels.
Israel. — Kurze Geschichte des Volkes. — Die Zerstreuung vorausgesagt. —
Biblische Prophezeiungen. — Voraussagungen im Buch Mormon. —
Die Erfüllung dieser schrecklichen Prophezeiungen. — Das Schick-
sal des Reiches Israel. — Die Zerstreuung Judas. — Die verlorenen
Stämme 392 — i08
Vorlesung XVIII, Artikel 10.
Die Sammlung Israels.
Voraussagungen über die Sammlung. — Prophezeiungen in der Bibel und
in dem Buch Mormon. — Neue Offenbarungen inbezug auf die Samm-
lung. — Umfang und Zweck der Sammlung. — Israel ein auser-
wähltes Volk. — Alle Volker durch Israel gesegnet. — Die Wieder-
herstellung der zehn Stämme. — Zion soll erst gegründet werden.
— Die Sammlung geht jetzt vor sich 409 — 426
Vorlesung XIX, Artikel 10.
Zlon.
Zwei Versammlungsorte bezeichnet. — Jerusalem und das Neue Jerusalem.
— Die Bedeutung von „Zion". — Das Zion Henochs. — Des Herrn
Erklärung über ,,Zion". — Neuzeitliche Offenbarung über Zion. —
Die Gründung aufgehalten. — Der Mittelpunkt in Missouri. — Die
Gründung Zions in den letzten Tagen 427 — 439
X Inhalt.
Vorlesung XX, Artikel 10.
Die Regierung Christi auf Erden.
Das erste und das zweite Kommen Christi mit einander verglichen. — Vor-
aussagungen seiner Wiederliunft. — Die Zeichen beschrieben. — Neu-
zeithclie Offenbarung darüber. — Die genaue Zeit nicht bekannt. —
Christi Regienuig. — Das Reich Gottes. — Das Himmeheich. — Reich
rnid Kirche. — Das Tausendjährige Reich. — Satans Macht soll ver-
mindert werden 440 — 460
Vorlesung XXI, Artikel 10.
Erneuerung und Auferstehung.
Die Erde unter einem Fluch. — Die Erneuerung der Erde. — Die Erde
während des Tausendjähiigen Reiches imd nach demselben. — Der
Mangel an \\issenschaftlichen Beweisen. — Die Auferstehung des
Leibes. — Die Voraussagungen. — Zwei allgemeine Auferstehungen,
die erste und die letzte. — Die Auferstehung der Gerechten. — Und
die der Ungerechten. — Christi Auferstehung und die, die unmittelbar
darauf folgte. — Die Auferstehung zur Zeit des zweiten Kommens
Christi. - — Die Heiden in der ersten Auferstehung. — Die Auferste-
hung nach dem Tausendjährigen Reich 461 — 487
Vorlesung XXII, Artikel 11.
Religiöse Freiheit und Duldsamkeit.
Was ist Gottesverehnmg ? — Freiheit in der Verehrung Gottes, ein unver-
äußerliches Recht. — • Religiöse Unduldsamkeit ist sündhaft. - — Dulden
heißt nicht gutheißen. — Die Verantwortlichkeit des Menschen. —
Die Folgen seiner Taten. — Vorbereitete Stufen der HerrUchkeit. —
Die himmlische Herrlichkeit. — Die irdische. — Die unterirdische. —
Abstufungen innerhalb der verschiedenen Reiche. — Die Söhne des
Verderbens 488 — 509
Vorlesung XXIII, Artikel 12.
Unterwerfung unter die Landesgesetze.
Biblische Anerkennung der staatlichen Gewalt. — Von Cliristus und seinen
Aposteln gegebene Beispiele. — Apostolische Belehrungen. — Neu-
zeithche Offenbarung über die Pflichten den Landesgesetzen gegen-
über. — Das Volk Gottes ist notwendigerweise gesetzhaltend. — Die
Lehren der Kirche heutzutage 510 — 530
Inhalt. XI
Vorlesung XXIV, Artikel 13.
Praktische Religion.
Die Religion hat mit dem täglichen Leben zu tun. — Der Umfang unserer
Rehgion. — Die Wohltätigkeit zur Pfliclit gemacht. — Freiwillige
Opfer. — Das Fastopfer. — Der Zehnte. — Weihimg und Verwalter-
schaft. — Die Gütergemeinschaft. — Soziale Ordnung in der Kirche.
— Die Ehe. — Die himmlische Ehe. — Ungesetzlicher Verkehr der
Geschlechter. — Die Heiligkeit des Körpers 531 — 555
Anhang: Leitfaden zur Wiederholung der Vorlesungen in den Klas-
sen 557—574
Xamen- und Sachregister 575 — 584
DIE GLAUBENSARTIKEL
DER KIRCHE JESU CHRISTI DER HEILIGEN DER
LETZTEN TAGE.
1. Wir glauben an Gott den ewigen Vater und an seinen Sohn Jcsum
Christum und an den Heiligen Geist.
2. Wir glauben, daß alle Menschen für ihre eigenen Sünden gestraft
werden und nicht für Adams Übertretung.
3. Wir glauben, daß durch das Sühnopfer Christi die ganze Mensch-
heit selig werden kann diu-ch Befolgung der Gesetze und Verordnungen
des Evangeliums.
4. Wir glaubfn, daß die ersten Prinzipien und Verordnungen des
Evangeliums sind: 1. Glaube an den Herrn Jesum Christum, 2. Buße,
3. Taufe durch Untertauchung zur Vergebung der Sünden, 4. das Auflegen
der Hände für die Gabe des Heiligen Geistes.
5. V/ir glauben, daß ein Mann von Gott berufen sein muß durch
Offenbarung und duixh das Auflegen der Hände derer, welche die Voll-
macht dazu haben, das Evangelium zu predigen und in dessen Verord-
nungen zu amtieren.
6. Wir glauben an die gleiche Organisation, die in der ursprüng-
lichen Kirche bestand, nämlich: Apostel, Propheten, Hirten, Lelirer.
Evangelisten usw.
7. Wir glauben an die Gabe der Zungen, Prophezeiung, Offenbarung,
Gesichte, Heilung, Auslegung der Zungen usw.
8. Wir glauben an die Bibel als das Wort Gottes, soweit sie richtig
übersetzt ist; wir glauben auch an das Buch Mormon als das Wort Gottes.
9. Wir glauben alles, was Gott geoffenbart hat, alles, was er jetzt
offenbart, und wir glauben, daß er noch viele große und wichtige Dinge
offenbaren wird inbezug auf das Reich Gottes.
10. Wir glauben an die buchstäbliche Sammlung Israels imd an die
Wiederherstellung der zehn Stämme, daß Zion auf dem amerikanischen
Kontinent aufgebaut werden wird, daß Cliristus persönlich auf der Erde
regieren und daß die Erde erneuert werden und ihre paradiesische Herr-
Uchkcit erhalten wird.
11. Wir erheben Anspruch auf das Recht, den allmächtigen Gott zu
verehren nach den Eingebungen unsers Gewissens und gestatten allen
Menschen dasselbe Recht, mögen sie verehren wie, wo oder was sie wollen.
12. Wir glauben daran, Königen, Präsidenten, Herrschern und Magi-
straten untertänig zu sein, den Gesetzen zu gehorchen, sie zu ehren und zu
unterstützen.
13. Wir glauben daran, ehrlich, getreu, keusch, wohltätig und tugend-
haft zu sein und allen Menschen Gutes zu tun; in der Tat möchten wir
sagen, daß \\ir der Ermahnung Pauli folgen; „Wir glauben alles, wir hoffen
alles", wir haben vieles ertragen und hoffen fähig zu sein, alles zu ertragen.
Wo etwas Tugendhaftes, Liebenswürdiges oder von gutem Rufe oder
Lobenswertes ist, trachten wir nach diesen Dingen. — Joseph Smith.
VORLESUNGEN
ÜBER
DIE GLAUBENSARTIKEL
DER KIRCHE JESU CHRISTI DER HEILIGEN DER
LETZTEN TAGE.
Vorlesung I.
Einleitung.
1. Die Wichtigkeit des theologischen Studiums. —
In dem kurzen Zeitraum, der die Spanne des sterblichen
Lebens mißt, ist es dem Menschen unmöglich, irgend einen
beträchtlichen Teil des unermeßlichen Reiches der Erkennt-
nis zu erforschen. Daher ist es der Weisheit Pflicht, die
Fächer des Studiums auszuwählen, die versprechen am
wertvollsten zu sein. Alle Wahrheit ist kostbar — ja
unbezahlbar — an ihrem Platz; inbezug auf ihre Anwen-
dungsmöglichkeit jedoch sind einige Wahrheiten von un-
vergleichlich größerem Wert als andere. Eine Kenntnis
der Grundsätze des Handels ist für den Erfolg des Kauf-
manns notwendig; ein Vertrautsein mit den Gesetzen
der Seeschiffahrt wird von dem Seemann gefordert; Ver-
trautsein mit dem Verhältnis von Boden und Anpflan-
zung ist dem Landmann unentbehrlich; ein Verständ-
nis der tiefgehenden Grundsätze der Mathematik ist
dem Ingenieur und Astronomen nötig; in gleicher Weise
ist auch eine brauchbare Kenntnis von Gott notwendig
zur Seligkeit jeder menschlichen Seele, welche das Alter
2 Die Glaubensartikel, IVorl. L
der Urteils- und der Zurechnungsfähigkeit erreicht hat.
Der Wert theologischer Kenntnisse sollte deshalb nicht
unterschätzt werden. Es fragt sich, ob ihre Wichtigkeit
in irgend einer Weise überschätzt werden könnte.
2. Was ist Theologie? — Das Wort „Theologie" ist
griechischer Abstammung. Es kommt von „theos", was
Gott bedeutet, und ,, logos", eine Abhandlung oder Rede,
und bedeutet daher durch Abstammung, vergleichende
Wissenschaft von der Gottheit, oder die Wissenschaft,
die uns über Gott belehrt. Sie schließt auch das Ver-
hältnis von dem Allmächtigen zu seinen Geschöpfen in
sich ein. Das Wort ist von sehr altem Gebrauch und
kann bis auf heidnische Quellen zurückgeführt werden.
Plato und Aristoteles reden von der Theologie als von der
Lehre von der Gottheit und von göttlichen Dingen. Bündig
erklärt, die Theologie ist ,,jene geoffenbarte Wissenschaft,
die von dem Wesen und den Eigenschaften Gottes — sei-
nem Verhältnis zu uns — den Fügungen seiner Vorsehung
— seinem Willen inbezug auf unsere Handlungen — und
seinen Absichten inbezug auf unser Ende handelt."^)
3. Es wird von einigen als W^ahrheit gehalten, daß
theologische Erkenntnis kein geeigneter Gegenstand für
analytische und sonst wissenschaftliche Behandlung von
Seiten des INIenschen sei, und zwar deshalb nicht, weil ein
wahrer Begriff der Gottheit, mit dem die Theologie in-
sonderheit zu tun hat, auf Offenbarung aus göttlicher
Quelle gegründet sein müsse, wir also solche Kenntnis
nur bekommen können in dem Maße, wie sie gnädig gegeben
wird; und daß der Versuch kritischer Untersuchung der-
selben, wegen der fehlbaren Kräfte des menschlichen Urteils,
das Anwenden der gänzlich unzulänglichen Weisheit des
Menschen das Maß für das Tun Gottes sein würde. Viele
0 Siehe Lelire u. Bündn. „Fragen und Antworten", — erste Vor-
lesung über Glauben; Bucks Theologisches Wörterbuch, S. 582.
Einleit.] Theologie. 3
Wahrheiten sind der hilflosen menschlichen Vernunft
unbegreiflich, und es ist erklärt worden, theologische Tat-
sachen seien über den Verstand erhaben. Dieses ist inso-
fern wahr, als derselbe Einwand auch bei irgend einer
anderen Art von Wahrheit erhoben werden könnte; denn
alle Wahrheit, da sie ewig ist, ist über dem Verstand erha-
ben, in dem Sinne, daß sie dem Verstand zwar offenbar ist,
aber doch keine Schöpfung des Verstandes darstellt. Den-
noch sollen Wahrheiten durch die Ausübung der Vernunft
geschätzt und verglichen werden.
4. Der Umfang der Theologie. — Wer kann die Gren-
zen dieser Wissenschaft erforschen ? Sie hat mit der Gott-
heit, dem Ursprung der Erkenntnis, der Quelle der Weis-
heit, zu tun ; mit den Beweisen des Daseins eines allmäch-
tigen Wesens und anderer übernatürlichen Persönlichkei-
ten; mit den Zuständen, unter denen und mit den Mitteln,
wodurch göttliche Offenbarung erteilt wird ; mit den ewigen
Grundsätzen, die die Erschaffung der Welten regieren;
mit den Gesetzen der Natur in all ihren verschiedenen
Kundgebungen. Insonderheit ist die Theologie die Wissen-
schaft Gottes und der Religion. Sie sucht „die systema-
tische Darlegung der geoffenbarten Wahrheit, die Wissen-
schaft des christlichen Glaubens und Lebens" darzubieten.
Aber in einem allgemeineren Sinn hat die Theologie auch
mit anderen Wahrheiten zu tun, nicht nur mit denen, die
ausgesprochen geistig genannt werden können. Ihr Ge-
biet ist an Ausdehnung dem der Wahrheit gleich.
5. Die gewerblichen Bestrebungen, die der Mensch-
heit Nutzen bringen, die Künste, die erfreuen und ver-
edeln, die Kenntnisse die das Gedächtnis erweitern und
erhöhen, sind nur Bruchstücke des großen, doch noch uner-
schlossenen Gebietes der Wahrheit, die aus einer ewig
unerschöpflichen Quelle zur Erde gekommen ist. Das
umfassende Studium der Theologie würde daher alle be-
4 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.
kannten Wahrheiten in sich begreifen. Gott hat sich selbst
als den großen Lehrer eingesetzt.^) Durch persönliche
Kundgebungen oder durch die Amtierung der durch ihn er-
nannten Diener unterrichtet er seine sterblichen Kinder.
Der Herr machte Adam mit der Kunst der Landwirtschaft
bekannt,^) und lehrte sogar durch Beispiel die der Schnei-
derei ;3) Noah und Nephi gab er Belehrungen über die Kunst
des Schiffbaues,*) Lehi und Nephi wurden von ihm unter-
richtet in der Kunst der Seeschiffahrt,^) und zur Führung
auf ihren Reisen zu Wasser und zu Lande bereitete er für
sie den Liahona,^) einen durch eine Kraft, die wirksamer
als die des irdischen Magnetes ist, arbeitenden Kompaß;
überdies erhielt Mose Unterricht in der Baukunst.')
6. Theologie und Religion, obwohl eng verwandt, sind
in keiner Weise ein und dasselbe. Ein Mensch mag in theo-
logischer Lehre durch und durch bewandert sein und doch
Mangel leiden an religiösen und sogar an moralischen
Charakterzügen. Die Theologie kann als Lehre verghchen
werden, während die Religion das Leben darstellt. Ist die
Theologie die Regel, dann ist die Religion die Ausübung.
Eines soll die Ergänzung des andern sein. Theologische
Kenntnis sollte den religiösen Glauben und seine Betäti-
gung stärken. Der Begriff Theologie, wie er von den Hei-
ligen der letzten Tage angenommen wird, umfaßt den
ganzen Plan des Evangeliums. , .Theologie ist geordnetes
Wissen und stellt auf dem Gebiete des Verstandes das dar,
was Religion im Herzen und Leben des Menschen darstellt. ' ' ^)
') Siehe „Schlüssel zur Gottesgelehrtheit" von Parley P. Pratt,
erstes Kapitel.
') 1. Mose 2:8; Köstl. Perle, Moses 3:15.
') 1. Mose 3:21; Köstl. Perle, Moses 4:27.
*) 1. Mose 6:14; Buch Mormon 1. Nephi 17:8; 18:4.
') 1. Nephi 18:12, 21.
•) 1. Nephi 16:10, 16, 26 — 30; 18:12, 21; Ahna 37:38.
') 2. Mose 25, 26, 27.
•) W. E. Gladstone.
Einleit.] Theologie. 5
Die Erkenntnis mag nur mit dem Verstand zu tun ha-
ben, und wie erhaben ihr Sinn auch sein mag, so kann sie
doch verfehlen, auf das harte Herz zu wirken.
7. Die Glaubensartikel. — Die Glaubensansichten
und vorgeschriebenen Gebräuche der meisten religiösen
Gemeinschaften werden gewöhnlich in förmlichen Glaubens-
bekenntnissen erklärt. Die Heiligen der letzten Tage
stellen kein Glaubensbekenntnis als eine vollständige
Gesetzessammlung ihres Glaubens auf. Denn obwohl sie
dafür halten, daß die Gebote zur Erlangung des ewigen
Lebens unveränderlich sind, nehmen sie doch den Grund-
satz der fortdauernden Offenbarung als einen bezeichnen-
den Zug ihres Glaubens an. Als Joseph Smith jedoch um
eine bündige Darlegung unserer Hauptansichten über die
Religion gebeten wurde, verkündete er, der erste Prophet
der Kirche in der gegenwärtigen Dispensation, als eine
Glaubenserklärung die „Glaubensartikel der Kirche Jesu
Christi der Heiligen der letzten Tage". Sie enthalten die
wichtigeren und kennzeichnenden Stücke des Evangeliums,
wie es von dieser Kirche angenommen wird; sie sind jedoch
als eine Erklärung unseres Glaubens nicht vollständig,
denn in einem der Artikel wird gesagt, ,,Wir glauben
alles, was Gott geoffenbart hat, alles, was er jetzt offen-
bart, und wir glauben, daß er noch viele große und wichtige
Dinge offenbaren wird inbezug auf das Reich Gottes."
Seit ihrer ersten Veröffentlichung sind die Glaubensartikel
von dem Volke angenommen worden, i) und am 6. Oktober
1890 haben die zu einer Generalkonferenz versammelten
Heiligen die „Artikel" zum guten Teil als Führer im Glau-
ben und Leben wieder angenommen. Da diese Glaubens-
artikel die Haupt-Lehrsätze der Kirche in planmäßiger
Ordnung darstellen, bilden sie einen geeigneten Leitfaden
für unsere Untersuchung.
») Siehe Anmerkung 1.
6 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.
8. Die maßgebenden Kirchenbücher bilden unsre
geschriebene Richtschnur der Lehre. Sie sind aber in keiner
Weise unsere einzigen Quellen der Erkenntnis und Beleh-
rung über die Theologie der Kirche. Wir glauben, Gott
ist heute ebenso willig, den Menschen seine Absichten
und seinen Willen zu offenbaren, als er es je gewesen ist,
und daß er es auf auserwählte und bestimmte Wege
auch tut. Da die führenden Männer als Propheten und
Offenbarer und als im Besitz des heiligen Priestertums von
der Kirche anerkannt und angenommen werden, verlassen
wir uns auf die Belehrungen dieser lebenden Willensver-
künder Gottes, als von gleicher Rechtskräftigkeit wie die
Lehren des geschriebenen Wortes. Die durch die Stimme
der Kirche als maßgebende Führer im Glauben und in
der Lehre angenommenen geschriebenen Werke sind die
folgenden vier: die Bibel, das Buch Mormon, die Lehre und
Bündnisse und die Köstliche Perle. Andere Werke sind
von Beamten und Mitgliedern der Kirche herausgegeben
worden und werden noch herausgegeben werden ; viele von
ihnen werden von dem Volke und seiner geistlichen Obrig-
keit ohne Vorbehalt gutgeheißen. Die genannten vier
Werke sind jedoch die einzigen regelrecht eingesetzten
maßgebenden Bücher der Kirche. Von der in den recht-
mäßigen, maßgehenden Werken behandelten Lehre dürfen
die Glaubensartikel als ein guter, wenn auch notwen-
digerweise unvollständiger Auszug betrachtet werden.
Der Prophet Joseph Smith.
9. Joseph Smith, dessen Name den Glaubensartikeln
angefügt ist, war der Prophet, durch den der Herr in diesen
letzten Tagen das Evangelium auf Erden wiederhergestellt
hat, und zwar in Übereinstimmung mit Voraussagungen
in früheren Dispensationen. Die Frage der Glaubwürdig-
Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 7
keit der göttlichen Mission dieses Mannes ist ernsten Unter-
suchern der Lehren der Heiligen der letzten Tage äußerst
wichtig. Sind seine Behauptungen von einer von Gott
kommenden Berufung falsch, so kann auch der ganze Bau
nicht fest sein, da sie die Grundlage der Kirche in der
letzten Dispensation bilden. Ist er aber tatsächlich unter
den Händen himmlischer Persönlichkeiten ordiniert worden,
so braucht man nicht weiter nach der Ursache der außer-
ordentlichen Stärke und Entwicklungskraft der wieder-
hergestellten Kirche zu suchen. Die Umstände und die
Art und Weise des göttlichen Verfahrens mit Joseph Smith;
die wunderbare Entwicklung des durch diesen Propheten
der Neuzeit angefangenen Werkes; die durch seine Ver-
mittlung herbeigeführte Erfüllung vieler der erhabensten
alten Voraussagungen, und seine eigenen prophetischen
Äußerungen mit ihrer buchstäblichen Verwirklichung
werden noch als entscheidender Beweis der Gültigkeit
seiner Mission weithin anerkannt werden.^) Die erhabenen
Behauptungen, die für ihn und sein Lebenswerk gemacht
werden; der Ruf, der seinen Namen unter den meisten
gesitteten Völkern der Erde für Gutes oder Böses bekannt
gemacht hat und die Lebens- und Entfaltungskraft der reli-
giösen und sozialen Systeme, die ihren Ursprung als Ein-
richtungen des neunzehnten Jahrhunderts dem Wirken
dieses Mannes verdanken, geben ihm eine persönliche Be-
deutung, die wenigstens einer vorübergehenden Betrach-
tung wert ist.
10. Seine Eltern und seine Jugend. — Joseph Smith,
der dritte Sohn und das vierte Kind in einer Familie, die
deren zehn hatte, wurde am 23. Dezember 1805 zu Sharon,
Windsor County (Vermont) geboren. Er war der Sohn
von Joseph Smith und Lucy Smith geb. Mack, einem
») Siehe Anmerkung 3.
8 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.
würdigen Ehepaar, das zwar in Armut aber glücklich auf
seiner heimatlichen Scholle lebte, die eine Stätte des Flei-
ßes und der Genügsamkeit war. Als Joseph zehn Jahre
alt war, verließ die Familie Vermont und siedelte sich im
Staate New-York, erst zu Palmyra und später zu Man-
chester, Ontario County, an. Hier in Manchester hat der
zukünftige Prophet den größten Teil seiner Jugendzeit zu-
gebracht. Gleichwie seine Geschwister hatte er nur wenig
Schulunterricht genossen; und die einfachen Anfangs-
gründe, die er durch ernsten Fleiß hatte erwerben können,
mußte er seinen Eltern verdanken, die die Gewohnheit
hatten, einen Teil ihrer freien Zeit der Belehrung der
jüngeren Mitglieder der Familie zu widmen.
11. In ihren religiösen Ansichten neigte die Familie
der Presbyterianer-Kirche zu. Die Mutter und drei oder
vier der Kinder hatten sich dieser Sekte angeschlos-
sen. Aber Joseph, da er durch den Streit und die Uneinig-
keit, die damals zwischen den Kirchen entstanden waren,
unschlüßig war, bewahrte sich vor jeder sektiererischen
Mitgliedschaft, obwohl er einmal von dem Methodisten-
Glauben einen günstigen Eindruck bekommen hatte. Mit
Recht erwartete er, daß in der Kirche Christi Einigkeit
und Einklang seien. Statt dessen sah er unter den strei-
tenden Sekten nur Verwirrung. Als Joseph in seinem
fünfzehnten Lebensjahre stand, wurde die Gegend, wo
seine Eltern wohnten, von einem Sturm heftiger religiöser
Aufregung heimgesucht, der unter den Methodisten an-
fing und bald alle Sekten ergriff. Es gab Erweckungen und
langwierige Versammlungen, und der Kundgebungen
sektiererischen Wetteifers wurden es viele und verschie-
denartige. Diese Zustände trugen viel dazu bei, Not und
Trübsal des jungen Forschers nach Wahrheit zu verm.ehren.
12. Sein Forschen nach Wahrheit und das Ergebnis. —
Was Joseph nun unternahm, schildert er selbst mit folgen-
Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 9
den Worten: Inmitten dieses Wortkrieges und des
Meinungsgeschreies sagte ich oft zu mir selber: Was ist
hier zu tun ? Welche von all den Parteien ist die richtige ?
Oder sind sie alle zusammen falsch? Wenn irgend eine
von ihnen richtig ist, welche ist es, und wie kann ich es
ausfinden? Während ich mit den außerordentlichen
Schwierigkeiten kämpfte, die durch die Streitigkeiten
dieser Religionsparteien entstanden, las ich eines Tages
im ersten Kapitel des Jakobusbriefes den fünften Vers,
welcher lautet: ,,So aber jemand unter euch Weisheit
mangelt, der bitte Gott, der da gibt einfältig jedermann
und rückt's niemand auf, so wird sie ihm gegeben werden ."^)
Nie war eine Schriftstelle mit mehr Macht in das Herz
eines Menschen gedrungen, als diese zu dieser Zeit in das
meine drang. Sie schien mit voller Gewalt in jedes Gefühl
meines Herzens zu dringen. Ich überlegte sie wieder und
immer wieder, mit dem Bewußtsein, daß, wenn irgend eine
Person Weisheit von Gott nötig hätte, ich diese sicher-
lich sei, denn ich wußte nicht, wie ich handeln sollte; und
es sei denn, daß ich mehr Weisheit empfinge, als ich schon
besaß, ich es nie wissen würde; denn die Religionslehrer
der verschiedenen Sekten legten die gleiche Schriftstelle
auf so verschiedene Weise aus, daß alle Hoffnung und alles
Vertrauen, die Frage durch Berufung auf die Bibel zu
entscheiden, zerstört wurde. Endlich kam ich zu dem
Entschlüsse, daß ich entweder in Finsternis und Wirrwarr
bleiben oder aber tun müsse, was Jakobus vorschreibt,
nämlich „von Gott bitten". Ich faßte schließlich den
festen Vorsatz, von Gott zu bitten, denn ich glaubte, daß,
wenn er denen Weisheit gebe, welchen Weisheit mangelt,
und jedermann einfältiglich gebe und es niemand aufrücke,
ich es wagen dürfe. In Übereinstimmung mit diesem
meinem Entschluß, von Gott zu bitten, begab ich mich
') Jakobus 1:5.
10 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.
in einen Wald, um den Versuch zu machen. Es war am
Morgen eines herrlichen, klaren Tages, in den ersten Früh-
lingstagen des Jahres 1820. Zum erstenmal in meinem
Leben machte ich einen solchen Versuch, denn in all
meinen Ängsten hatte ich bis dahin noch nie gewagt,
laut zu beten.
Nachdem ich mich an den Ort zurück gezogen hatte,
den ich mir vorher dazu ausersehen, und mich umschaute
und fand, daß ich allein war, kniete ich nieder und fing an,
die Wünsche meines Herzens vor Gott zu bringen. Kaum
hatte ich das getan, so wurde ich plötzlich von einer Macht
ergriffen, die mich gänzlich übermannte, und die eine
so erstaunliche Einwirkung auf mich hatte, daß meine
Zunge gebunden war, und ich nicht sprechen konnte.
Dichte Finsternis umgab mich, und es schien eine Zeitlang,
als sei ich einer plötzlichen Vernichtung preisgegeben.
Aber ich strengte alle meine Kräfte an, um Gott anzurufen,
daß er mich aus der Gewalt dieses Feindes, der sich meiner
bemächtigt hatte, befreie. Grade in dem Augenblick, da
ich im Begriffe war, in Verzweiflung zu sinken, und der
Vernichtung anheimzufallen — nicht einer vermeintlichen
oder nur scheinbaren Vernichtung, sondern der Gewalt
eines wirklichen Wesens aus der unsichtbaren Welt, das
eine so erstaunliche Gewalt hatte, wie ich sie noch nie vor-
her in irgend einem Wesen verspürt hatte — grade in diesem
Augenblick großer Angst, sah ich unmittelbar über meinem
Haupt eine Lichtsäule, heller als die Sonne, die sich all-
mählich herniederließ, bis sie auf mir ruhte. Sobald sie
erschien, fand ich mich von dem Feinde, der mich gebun-
den gehalten hatte, befreit. Als nun das Licht auf mir
ruhte, sah ich zwei Gestalten, deren Herrhchkeit und Glanz
aller Beschreibung spottet, über mir in der Luft stehen.
Eine von ihnen sprach zu mir, mich mit meinem Namen
Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 11
nennend, und sagte (auf die andere deutend): „Dies ist
mein geliebter Sohn, höre ihn."^)
13. Als Antwort auf sein Gebet um Führung, zu
wissen welche von allen Sekten Recht hätte, wurde ihm
gesagt, sich keiner anzuschließen, denn ihre Glaubens-
bekenntnisse, die in den Augen Gottes ein Greuel sind,
und ihre Lehrer, die verderbt sind, weil sie sich dem
Herrn mit ihren Lippen nahen, während ihre Herzen ferne
von ihm sind, seien alle falsch; sie lehrten als Lehren die
Gebote der Menschen und hätten einen Schein der Gott-
seligkeit, aber deren Kraft verleugneten sie.
14. Eine solche Auskunft, wie sie in dieser beispiel-
losen Offenbarung erteilt wurde, war nicht in dem Herzen
des Jünglings verschlossen zu halten. Er zögerte nicht,
die glorreichen Wahrheiten mitzuteilen, und zwar zuerst
den Gliedern seiner Familie, die sein Zeugnis mit Ehr-
furcht empfingen, und dann den sektiererischen Geist-
lichen, die so fleißig gearbeitet hatten, um ihn zu ihren ver-
schiedenen Glaubensbekenntnissen zu bekehren. Zu sei-
nem Erstaunen begegneten die angeblichen Lehrer Christi
seinen Behauptungen mit der äußersten Verachtung und
erklärten, daß die Tage der Offenbarung von Gott längst
vorüber seien, und daß die Kundtuung, wenn er überhaupt
eine solche bekommen hätte, sicher vom Satan sei. Trotz-
dem bemühten sich die Geistlichon — und zwar mit einer
Einigkeit in der Absicht, die in einem seltsamen Wider-
spruch zu ihrer frühern gegenseitigen Feindschaft stand —
den jungen Mann zu verspotten und sein Zeugnis zu ent-
kräften. Die Nachbarschaft wurde aufgeregt. Heftige
und rachsüchtige Verfolgungen wurden gegen ihn und seine
Familie geführt. Es wurde sogar von einem angehenden
») Köstl. Perle, Auszüge aus der Geschichte des Propheten Joseph
Smith, S. 72—74.
12 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.
Meuchelmörder auf ihn geschossen. Doch durch alle diese
Fährnisse hindurch wurde er vor körperlicher Verletzung
bewahrt; und trotz des wachsenden Widerstandes blieb
er in seinem Zeugnis von dem himmlischen Besuch getreu-
lich standhaft. 1) In diesem Zustand der Prüfung blieb
er drei Jahre ohne weitere Offenbarung; beharrlich er-
wartete er sie, bekam aber zunächst das weitere Licht und
die vermehrten Unterweisungen, wonach er sich sehnte,
nicht. Er empfand seine eigene Schwachheit sehr stark
und war sich seiner menschlichen Unvollkommenheiten
bewußt. Seine Fehler eingestehend, flehte er den Herrn
um Hilfe an.
15. Besuche des Engels. — In der Nacht vom 21.
September 1823, als er um Vergebung seiner Sünden und
um Führung in seinen weiteren Handlungen bat, wurde
er mit einer anderen himmlischen Offenbarung gesegnet.
Es erschien in seinem Zimmer ein glänzendes Licht, in
dessen Mitte eine weiß gekleidete Person stand, deren
Antlitz von strahlender Reinheit und Lieblichkeit war.
Der himmlische Besucher stellte sich als Moroni, einen
von der Gegenwart Gottes ausgesandten Boten vor, und
fuhr dann fort, den Jüngling von einigen göttlichen Plänen
zu unterrichten, in denen Joseph eine höchst wichtige
Rolle spielen sollte. Der Engel sagte, daß durch Joseph
als das irdische Werkzeug, die wahre Kirche auf Erden
wiederhergestellt werden solle, und daß sein Name, —
von den Guten verehrt und von den Bösen geschmäht —
unter allen Völkern und Sprachen bekannt werden würde;
daß eine auf goldenen Platten gravierte Urkunde, die
eine Geschichte der Völker, die früher auf dem westlichen
Kontinent gewohnt hatten, und einen Bericht von dem
Wirken des Heilandes unter dem Volk dieses Landes ent-
') Siehe Anmerkung 2.
Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 13
halte, in einem nahen Hügel vergraben sei; daß zwei heilige,
als der Urim und Thummim bekannte Steine, durch deren
Gebrauch Männer in alten Zeiten Seher geworden waren,
auch mit den Platten vergraben seien, und daß Gott durch
diese Werkzeuge Joseph ermächtigen werde, die auf den
Platten gravierten Urkunden zu übersetzen.
16. Der Engel wiederholte dann mehrere von den in
den alten Schriften enthaltenen Prophezeiungen. Einige der
Anführungen wurden mit Abweichungen von unsern bib-
lischen Lesarten gegeben. Von den Worten Maleachis
wurde folgendes angeführt: „Denn siehe, es kommt ein
Tag, der brennen soll wie ein Ofen ; da werden alle die Stol-
zen, ja und alle, die Böses tun, brennen wie Stoppeln, denn
die, welche kommen, sollen sie verbrennen, sagt der Herr
der Heerscharen, daß ihnen weder Wurzel noch Zweig
bleiben soll."^) Und weiter: „Siehe, ich will euch das
Priestertum offenbaren durch die Hand des Propheten
Elia, ehe denn da komme der große und schreckliche Tag
des Herrn. Und er soll in die Herzen der Kinder die den
Vätern gemachten Verheißungen pflanzen, und die Herzen
der Kinder sollen sich zu den Vätern kehren. Wenn es
nicht so wäre, würde die ganze Erde bei seiner Wieder-
kunft völlig verwüstet werden. "2) Unter anderen Schriften
erwähnte Moroni die Prophezeiungen des Jesaja, über die
Wiederherstellung des zerstreuten Israels und die ver-
heißene Herrschaft der Gerechtigkeit auf Erden^) und sagte,
daß die Voraussagungen bald erfüllt werden würden;
ferner die Worte Petri zu den Juden, inbezug auf den Pro-
pheten, der, wie Mose sagte, erweckt werden sollte, und er-
klärte, daß dieser Prophet, Christus ist, und daß der Tag
') Vergleiche Maleachi 4:1 (3:19).
>) Vergleiche Maleachi 4:5, 6 (.S:23, 24).
') Siehe Jesaja 11.
14 Die Glaubensartike]. [Vorl. I.
nahe sei, wo alle, welche die Worte des Heilands verwerfen
werden, von dem Volke abgeschnitten werden sollten.^)
17. Nachdem er seine Botschaft überbracht hatte,
schied der Engel. Das Licht in dem Zimmer schien sich
um seinen Körper zusammenzuziehen und verschwand
mit ihm. Doch kehrte der himmlische Besucher während
der Nacht ein zweites und ein drittes Mal wieder, und
jedesmal wiederholte er die Belehrungen und fügte Er-
mahnungen hinzu, über die Erfordernisse und Warnungen
vor den Versuchungen, die den jugendlichen Seher über-
fallen würden. Am folgenden Tag erschien Moroni dem
Joseph wieder, wiederholte von neuem die Belehrungen und
Warnungen der vergangenen Nacht und gebot ihm, seinen
Vater von allem, was er gehört und gesehen hat, in Kennt-
nis zu setzen. Dies tat der Jüngling, und der Vater bezeugte
sofort, daß die Mitteilungen von Gott seien.
18. Bald begab sich Joseph nach dem ihm in dem
Gesicht geschilderten Hügel. Er erkannte den von dem
Engel gezeigten Ort, und mit einiger Mühe entblößte er
einen steinernen Kasten, der die Platten und die anderen
Dinge, wovon Moroni sprach, enthielt. Der himmlische
Bote stand ihm wieder zur Seite, verbot das Wegnehmen
des Inhalts zu dieser Zeit und sagte, daß vier Jahre ver-
gehen müßten, ehe die Platten in seine Hände gelegt
werden sollten, und daß es seine Pflicht sei, diesen Ort
alljährlich zu besuchen. Bei jedem dieser Besuche unter-
richtete der Engel den jungen Mann noch gründlicher über
das große für ihn bestimmte Werk.
19. Es ist nicht der Zweck dieser Vorlesung, das
Leben und das Werk Joseph Smiths in ihren Einzelheiten
zu betrachten. 2) Wegen der außerordentlichen Bedeu-
») Vergleiche Apostelgesch. 3:22, 23.
') Siehe Anmerkung 5.
Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 15
tung, die der Einführung der neuzeitlichen oder neuen
Dispensation der Vorsehung Gottes zukommt, ist den eröff-
nenden Szenen seiner von Gott bestimmten Mission so viel
Aufmerksamkeit gewidmet worden. Das Entfernen der
Platten von ihrem Jahrhunderte alten Ruheplatz, ihre
Übersetzung durch göttliche Macht und das Herausgeben
der Urkunde als das Buch Mormon, werden bei späterer
Gelegenheit Beachtung finden. Hier genügt es wohl zu
sagen, daß der alte Bericht übersetzt, das Buch Mormon
der Welt übergeben, und der Band als heiliger Führer von
den Heiligen der letzten Tage angenommen worden ist.
20. Spätere Entwicklungen, — das Märtyrertum. —
Mit der Zeit wurde die Kirche Jesu Christi der Heiligen der
letzten Tage organisiert. Das Priestertum wurde durch
die Ordination Joseph Smiths von denen, welche die Schlüs-
sel dieser Autorität in früheren Dispensationen hielten,
zurückgebracht. Von einer anfänglichen Mitgliedschaft
von nur sechs Personen, wuchs die Kirche, um noch zu
Lebzeiten des Propheten Joseph Tausende in sich zu ver-
einigen, und ihr Wachstum hat sich bis zur gegenwärtigen
Zeit mit außerordentlicher Schnelle und Beständigkeit fort-
gesetzt. Die von der alten Kirche innegehabten Kräfte
und Vollmachten wurden eine nach der andern durch diesen
Mann, der auserwählt und ordiniert war, der erste Älteste
der letzten Dispensation zu sein, wiederhergestellt. Mit
der Ausbreitung der Kirche nahm die Verfolgung zu, und
die Wirkung bösen Widerstandes erreichte am 27. Juni
1844 in dem grausamen Märtyrertum des Propheten und
seines Bruders Hyrum, des damaligen Patriarchen der
Kirche, den höchsten Grad. Die Ereignisse, die dazu
führten und die ihren Höhepunkt in dem niederträch-
tigen Mord dieser Männer zu Carthage (Illinois) erreichte,
sind Dinge der öffentlichen Geschichte. Genüge es zu
sagen, daß der Prophet und der Patriarch zum Zeugnis
16 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.
der Wahrheit, das sie so mutig angesichts unduldsamer
Verfolgung beinahe ein Viertel] ahrhundert lang behauptet
hatten, das heilige Siegel ihres Lebensbluts gaben. i)
21. Glaubwürdigkeit der Mission Joseph Smiths. —
Der Beweis der göttlichen Vollmacht zu dem von Joseph
gegründeten Werke und der Rechtfertigung der von dem
Mann und der für ihn gemachten Behauptungen kann fol-
gendermaßen zusammengefaßt werden:
1. Durch die durch seine Vermittlung geschehene
Wiederherstellung des Evangeliums und der Kirche auf
Erden sind alte Prophezeiungen erfüllt worden.
2. Durch unmittelbare Ordination und Einsetzung
unter den Händen derer, welche die Vollmacht in früheren
Dispensationen gehalten hatten, empfing er die Vollmacht,
in den verschiedenen Verordnungen des Evangeliums zu
amtieren.
3. Durch das Ergebnis seines Wirkens hat es sich
gezeigt, daß er im Besitz der Kraft der wahren Prophe-
zeiung und anderer geistigen Gaben war.
4. Seine Lehren sind sowohl wahr, als auch schrift-
gemäß. —
Jeder dieser Klassen von Beweisen wird im Laufe
unsres Studiums der Glaubensartikel Beachtung geschenkt
werden und jede wird ausführlich Erklärung finden;
eine genaue Betrachtung wird in ^esem Teil unsrer
Untersuchungen nicht angestrebt. Ein paar kurzgefaßte
Erläuterungen mögen aber am Platze sein.
22. 1. Die Erfüllung der Prophezeiung, die durch das
Lebenswerk Joseph Smiths zustandegebracht wurde,
zeigt sich zur Genüge. Durch sein prophetisches Gesicht
über die Dispensation der letzten Tage hatte Johannes
der Offenbarer verstanden und vorausgesagt, daß das
') Siehe Anmerkung 4.
Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 17
Evangelium vom Himmel gesandt und durch die unmittel-
bare Vermittlung eines Engels auf Erden wiederhergestellt
werden sollte: „Und ich sah einen Engel fliegen mitten
durch den Himmel, der hatte ein ewiges Evangelium zu
verkündigen denen, die auf Erden w'ohnen, und allen Heiden
und Geschlechtern und Sprachen und Völkern,"^) Es wird
behauptet, daß sich diese Voraussagung teilweise erfüllt
hat durch die Erscheinung des Engels Moroni zu Joseph
Smith, wie schon beschrieben, wodurch die Wiederher-
stellung des Evangeliums angekündigt und die baldige
Erfüllung andrer alter Prophezeiungen versprochen wurde;
und ein Bericht, teilweise beschrieben, daß er ,,die Fülle
des ewigen Evangeliums" enthalte, wurde seiner Sorgfalt
anvertraut, daß er ihn übersetze und er unter allen Völ-
kern, Geschlechtern und Sprachen veröffentlicht werde.
Der Rest des schicksalschweren Ausspruchs von Johannes,
betreffs des bevollmächtigten Rufes zur Buße und der
Ausführung von Gottes Gerichten, die auf die schreck-
lichen Szenen der letzten Tage vorbereiten, ist jetzt im
Begriffe, sich schnell und buchstäblich zu erfüllen.
23. Maleachi prophezeite, daß Elia, mit besonderer
Vollmacht ausgerüstet, kommen werde, um das Werk des
Zusammenarbeitens der Väter und Kinder zu eröffnen und
verkündigte diese Mission als eine notwendige Vorberei-
tung auf „den großen und schrecklichen Tag des Herrn. "2)
Der Engel Moroni bestätigte die Wahrheit und Wichtig-
keit dieser Voraussagung in einer nachdrücklichen Wieder-
holung.3) Joseph und sein Mitarbeiter in dem Werke,
Oliver Cowdery, bezeugen feierlich, daß sie in dem Tem.pel
zu Kirtland (Ohio) am 3. April 1836 von dem Propheten
Elia besucht wurden, bei welcher Gelegenheit der himm-
') Offenbarung .Johannes 14:6.
*) Maleachi 4:5, 6.
') Siehe Abschnitt 16.
18 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.
lische Bote erklärte, daß der Tag, von dem Maleachi ge-
sprochen hatte, völlig da sei. ,, Deshalb" fuhr er fort,
„sind die Schlüssel dieser Dispensation in eure Hände
übergeben worden, und durch dieses könnt ihr wissen,
daß der große und schreckliche Tag des Herrn nahe, ja
sogar vor der Türe ist."^) Das besondre Wesen dieser
Verbindung der Väter und der Kinder, worauf sowohl
Moroni als auch Maleachi großen Nachdruck gelegt hatte,
ist dahin erklärt worden, daß es aus dem Werke der stell-
vertretenden Verordnungen bestehe, und daß es in sich
schließe die Taufe für solche Toten, die ohne eine Erkennt-
nis des Evangeliums von der Erde geschieden sind. Unter
allen sich zum Christentum bekennenden Glaubensparteien
steht heute die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten
Tage allein mit dem Lehren dieser Lehre und in der Erfül-
lung ihrer Verordnungen.
24. Die alten Schriften sind voller Prophezeiungen
über die Wiederherstellung Israels in den letzten Tagen
und die Sammlung der ausersvählten Völker aus den
Nationen und Ländern, wohin sie als Strafe für ihre Ver-
kehrtheit und Sünde geführt oder getrieben worden sind.^)
Diesem Werk der Sammlung wird in den Voraussagungen
der alten Zeit eine so hervorragende Bedeutung und Wich-
tigkeit beigemessen, daß seit dem Auszug Israels aus Ägyp-
ten, die letzten Tage in der Heiligen Schrift geradezu als
eine Dispensation der Sammlung bezeichnet worden sind.
Die Wiederkehr der Stämme aus ihrer langen und weiten
Zerstreuung ist zum vorbereitenden Werk gemacht für die
Aufrichtung der vorausgesagten Herrschaft der Gerech-
tigkeit, mit Christus auf dem Thron der Welt. Die Voll-
endung der Rückkehr ist als ein sicherer Vorläufer des
Tausendjährigen Reiches angegeben. Jerusalem soll als
1) Lehre u. Bündn. 110:13 — 16.
') Siehe Vorlesungen über Artikel 10.
Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 19
die Stadt des großen Königs auf der östlichen Halbkugel
wiederhergestellt, Zion oder das Neue Jerusalem auf dem
"westlichen Kontinent aufgebaut, die zehn Stämme von
ihrem Versteck im Norden zurückgeführt und der Fluch
von Israel genommen werden.^) Von den ersten Tagen
seines Wirkens an lehrte Joseph Smith, daß die Lehre
von der Sammlung eine gegenwärtige Pflicht der Kirche
auferlege; dieser Teil des Wirkens der Heiligen der letzten
Tage ist einer seiner auffallendsten Züge. Joseph Smith
und Oliver Cowdery erklären, daß Mose, der als Israels
Führer in früheren Zeiten die Schlüssel der Vollmacht
hielt, die Vollmacht zur Ausführung dieses Werkes
durch sie auf die Kirche übertragen hat. Ihr Zeugnis
in der über die Offenbarung vom 3. April 1836 im
Kirtlandtempel gegebenen Beschreibung lautet wie folgt:
„Mose erschien und übergab uns die Schlüssel zur
Sammlung Israels von den vier Teilen der Erde, und der
Herbeiführung der zehn Stämme von den nördlichen
Ländern. "2) AlseinenBeweisfür den Ernst, mit dem dieses
Werk angefangen worden ist, und den darin schon gemach-
ten guten Fortschritt, betrachte man die Hundert-
tausende, die den Familien Israels angehören, die schon
in den Tälern der Felsengebirge um das jetzt errichtete
Haus des Herrn gesammelt sind und höre den Lobgesang
des auserwählten Samens unter den Völkern der Erde,
gesungen zur Begleitung wirksamer Taten: ,, Kommt,
laßt uns hinauf zum Berge des Herrn gehen und zum
Hause des Gottes Jakobs, daß er uns lehre seine Wege
und wir auf seiner Straße wandeln! Denn aus Zion wird
das Gesetz ausgehen und des Herrn Wort aus Jerusalem.^)
') Siehe Vorlesungen 17 — 20.
') Lehre u. Bündn. 110:11.
») Micha 4:1—2.
20 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.
25. Das Hervorkommen des Buches Mormon wird
von den Heiligen der letzten Tage als eine unmittelbare
Erfüllung alter Prophezeiung betrachtet.^) Als Jesaja die
Erniedrigung Israels, dem die Macht des Priestertums in
früheren Tagen übergeben worden war, prophezeite, ver-
kündigte er die Worte Gottes in folgender Weise: „Alsdann
sollst du erniedrigt werden und aus der Erde reden und aus
dem Staube mit deiner Rede murmeln, daß deine Stimme
sei wie eines Zauberers aus der Erde und deine Rede aus
dem Staube wispele."2) Das Buch Mormon ist in der Tat
die Stimme eines erniedrigten Volkes, das aus dem Staube
redet, denn das Buch wurde buchstäblich aus dem Staube
genommen. Das Buch gibt vor, die Geschichte nur von
einem kleinen Teil des Hauses Israel zu sein — sogar nur
einem Teil des Hauses Joseph — das sechshundert Jahre
vor der Zeit Christi durch eine wunderbare Macht nach dem
westlichen Kontinent geführt wurde. Über die Urkunde
Josephs und ihr Hervorkommen als ein Seitenstück zu dem
Zeugnis Judas, oder einem Teil der Bibel, sprach der Herr
durch den Propheten Hesekiel: ,,Du Menschenkind, nimm
dir ein Holz und schreibe darauf: Des Juda und der Kinder
Israel, seiner Zugetanen. Und nimm noch ein Holz und
schreibe darauf: Des Joseph, nämlich das Holz Ephraims,
und des ganzen Hauses Israel, seiner Zugetanen. Und tue
eines zum andern zusammen, daß ein Holz werde in deiner
Hand. So nun dein Volk zu dir wird sagen und sprechen:
Willst du uns nicht zeigen, was du damit meinst? so sprich
zu ihnen: So spricht der Herr, Herr: Siehe, ich will das
Holz Josephs, welches ist in Ephraims Hand, nehmen
samt seinen Zugetanen, den Stämmen Israels, und will
sie zu dem Holz Judas tun und ein Holz daraus machen.
') Siehe Vorlesungen „Das Buch Mormon", Artikel 8.
') Jesaja 29:4; Siehe auch Buch Mormon, 2. Ncphi 3:19.
Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 21
und sollen eins in meiner Hand sein."^) Die darauffolgen-
den Verse erklären, daß die Sammlung und Wiederher-
stellung Israels dem Vereinigtwerden der Zeugnisse von
Juda und Joseph gleich folgen würden. Die zwei Urkun-
den liegen der Welt vor — ein einheitliches Zeugnis von
dem ewigen Evangelium; und das Werk der Sammlung ist
in offensichtlichem Fortschritt begriffen.
26. Aus der Heiligen Schrift geht weiter hervor, daß
die Dispensation des Evangeliums in den letzten Tagen
eine des Wiederbringens und der Wiederherstellung sein
sollte — in Tat und Wahrheit ,,eine Dispensation der Fülle
der Zeiten." Paulus erklärt es als das Wohlgefallen des
Herrn, ,,daß es ausgeführt würde, da die Zeit erfüllet
war, auf daß alle Dinge zusammengefaßt würden in Chri-
sto, beides, das im Himmel und auf Erden ist, durch ihn. "2)
In einer Äußerung des Propheten Nephi, findet diese Vor-
aussagung ihr Seitenstück: ,,Alle Dinge, die den Menschen-
kindern früher geoffenbart wurden, sollen an dem Tag
wieder offenbar werden. "3) Und im Einklang mit diesem
steht die Lehre Petri: ,,So tut nun Buße und bekehret
euch, daß eure Sünden vertilgt werden ; auf daß da komme
die Zeit der Erquickung von dem Angesichte des Herrn,
wenn er senden wird den, der euch jetzt zuvor gepredigt
wird, Jesus Christus, welcher muß den Himmel einnehmen
bis auf die Zeit, da herwiedergebracht werde alles, was Gott
geredet hat durch den Mund aller seiner heiligen Propheten
von der Welt an."*) Nun kommt Joseph Smith mit der
Erklärung, daß ihm die Vollmacht gegeben worden ist,
diese, die Dispensation der Fülle, der Wiederherstellung
und des Wiederbringens zu eröffnen, und daß durch ihn
') Hesekiel 37:16—19.
«) Epheser 1:9, 10.
>) 2. Nephi 30:18.
•) Apostelgesch. 3:19 — 21.
22 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.
die Kirche mit allen in früheren Zeiten gehaltenen und
gebrauchten Schlüsseln und Kräften des Priestertums
ausgestattet worden ist. Der Kirche „ist die Kraft dieses
Priestertums zum letztenmal und für die letzten Tage ge-
geben, in welchen die Verkündigung der Fülle der Zeiten
ist. Welche Macht sie in Verbindung mit allen jenen hält,
die zu irgendeiner Zeit von Anfang der Schöpfung an,
eine Dispensation erhalten haben, "i) Der tatsächliche
Besitz dieser verbündeten und vereinigten Kräfte wird durch
das umfassende Werk der Kirche in der gegenwärtigen
Ausdehnung ihres Wirkungskreises hinlänglich bewiesen.
27. 2. Joseph Smiths Vollmacht wurde durch unmittel-
bare Vermittlung himmlischer Wesen auf ihn übertragen;
jedes dieser Wesen hatte dieselbe Macht früher einmal
auf Erden ausgeübt. Wir haben schon erwähnt wie der
Engel Moroni, der früher ein menschlicher Prophet unter
den Nephiten gewesen war, die Berufung auf Joseph Smith
übertrug, die Urkunde hervorzubringen, die er, Moroni,
mehr als vierzehnhundert Jahre zuvor in die Erde be-
graben hatte. Wir erfahren weiter, daß am 15. Mai 1829
unter der Hand Johannes des Täufers das niedere oder
aaronische Priestertum auf Joseph Smith und Oliver
Cowdery2) übertragen wurde. Auch dieser himmlische
Botschafter kam in unsterblichem Zustand und brachte
die besondre Ordnung des Priestertums, die die Schlüssel
des Dienens der Engel, der Lehre der Buße und der Taufe
zur Vergebung der Sünden in sich begreift. Es war dies
derselbe Johannes, der mit der Stimme eines Predigers
in der Wüste und als der unmittelbare Vorläufer des
Messias dieselbe Lehre verkündigt und dieselbe Verord-
nung in Judäa vollzogen hat. Bei der Uberbringung
1) Lehre u. Bündn. 112:30, 32.
») L. u. B. 13.
Einleit.) Der Prophet Joseph Smith. 23
seiner Botschaft erklärte Johannes der Täufer, daß er
amtiere unter der Leitung von Petrus, Jakobus und Jo-
hannes, den Aposteln des Herrn, in deren Händen die
Schlüssel des höheren oder melchizedekischen Priestertums
ruhen, die mit der Zeit auch gegeben werden sollen.
Etwa einen Monat später wurde dieses Versprechen er-
füllt, indem die erwähnten Apostel sich Joseph und Oli-
ver offenbarten und sie zu dem Apostelamt^) ordinierten,
welches Amt alle Ämter der höheren Ordnung des Priester-
tums in sich begreift und Vollmacht hat, in allen festge-
setzten Verordnungen des Evangeliums zu amtieren.
28. Einige Zeit nachdem die Kirche in gehöriger
Form organisiert worden war, wurde dann Vollmacht für
besondre Obliegenheiten gegeben. In jedem Falle war der
berufende Bote derjenige, dessen Recht es war, kraft
seines Auftrages, den er in den Tagen seiner Sterblichkeit
gehalten hatte, in dem betreffenden Werk zu amtieren.
So erteilte Mose, wie schon erwähnt, die Autorität, das
Werk der Sammlung Israels zu betreiben; und Elia, der
in einem eigentümlichen Verhältnis zu den Toten wie zu
den Lebenden stand, weil er den Tod nicht geschmeckt
hatte, übertrug die Vollmacht für den stellvertretenden
Dienst für die Verstorbenen. Diesen Berufungen durch
himmlische Autorität sollte die durch Elias gegebene Be-
rufung folgen. Elias erschien Joseph Smith und Oliver
Cowdery und „übertrug die Dispensation des Evangeliums
Abrahams" und sagte — wie dem Vater der Gläubigen
und seinen Nachkommen in alten Zeiten gesagt worden
war — daß in ihnen und ihrem Samen alle nachfolgenden
Geschlechter gesegnet werden sollten. 2)
29. Es ist also offenbar, daß die von der Kirche be-
treffs ihrer Vollmacht erhobenen Ansprüche inbezug auf
') Lehre u. Bündn. 17:12.
') L. u. B. 12.
24 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.
die Quelle der behaupteten Kräfte wohl begründet und
hinsichtlich der Mittel, wodurch sie wieder zur Erde ge-
bracht worden sind, mit sich selbst übereinstimmen.
Schrift und Offenbarung, alte und neue, unterstützen
als unabänderliches Gesetz den Grundsatz, daß niemand
eine Vollmacht auf einen anderen übertragen kann, die er
selbst nicht besitzt.
30. 3. Joseph Smith «ar selbst ein wahrer Prophet. —
Diese Behauptung, wenn völlig bestätigt, würde schon
an und für sich genügen als Beweis dafür, daß die Ansprüche
dieses Propheten der Neuzeit begründet sind; und die
Probe ist in ihrer Anwendung nicht schwierig. In den
Tagen des alten Israel war eine wirksame Weise vorge-
schrieben, um die Behauptung, ein Prophet zu sein, zu
prüfen, — ,,Wenn der Prophet redet in dem Namen des
Herrn, und es wird nichts daraus und es kommt nicht,
das ist das Wort, das der Herr nicht geredet hat; der Pro-
phet hats aus Vermessenheit geredet, darum scheue dich
nicht vor ihm."^) Umgekehrt, wenn die Worte des Prophe-
ten durch Erfüllung sich als wahr erweisen, so ist wenigstens
ein Wahrscheinlichkeitsbeweis für seine Echtheit vorhan-
den. Von den vielen von Joseph Smith geäußerten Voraus-
sagungen, die schon erfüllt worden sind oder die die be-
stimmte Zeit ihrer Erfüllung erwarten, werden ein paar
Anführungen unsrer jetzigen Absicht genügen.
31. Eine der ersten von ihm ausgesprochenen Pro-
phezeiungen, die zwar nicht seine eigene unabhängige
Äußerung, sondern die des Engels Moroni ist, die aber
dennoch der Welt durch Joseph Smith gegeben wurde,
hatte besondern Bezug auf das Buch Mormon, über wel-
ches der Engel sagte: „Die Kenntnis, die diese Urkunde
enthält, wird zu jeder Nation, jedem Geschlecht, jeder
') 5. Mose 18:22.
Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 25
Sprache und jedem Volke unter dem Himmel gelangen."^)
Diese Erklärung wurde vier Jahre vor dem Beginn der
Übersetzung und vierzehn Jahre bevor die Ältesten der
Kirche ihre Missionsarbeit in fremden Ländern anfingen,
gegeben. Seit jener Zeit ist das Buch Mormon in zwölf
fremde Sprachen übersetzt worden und in zehn davon
wird es gedruckt; und das Werk ist noch im Fortschritt
begriffen.
32. Im August 1842, während die Kirche in Illinois
noch Verfolgung litt, und als der westliche Teil des Konti-
nents wenig und nur als das Gebiet einer fremden Macht
bekannt war, prophezeite Joseph Smith, „daß die Heiligen
auch weiterhin viel Elend leiden und nach den Felsen-
gebirgen getrieben werden würden", und daß, obwohl viele,
die damals der Kirche noch Treue gelobten, abfallen, und
andere, getreu ihrem Zeugnis, einem Märtyrerschicksal
erliegen würden, einige leben würden um „zu helfen, An-
siedlungen zu gründen, Städte zu errichten, und diese wür-
den sehen, wie die Heiligen ein mächtiges Volk werden
mitten in den Felsengebirgen. "2) Die buchstäbliche Er-
füllung dieser 1842 geäußerten Prophezeiung — und es darf
hinzugefügt w'crden, durch eine 1831 vorherangezeigten^)
Voraussagung, die eine fünf, die andere sechszehn Jahre
vor der Übersiedlung der Kirche nach dem Westen —
wird in der öffentlichen Geschichte der Ansiedlung und
Entwicklung dieser einst so unfreundlichen Gegend be-
wiesen. Sogar der Skeptiker und der scharf hervortre-
tende Gegner der Kirche erkennen das Wunder der
Gründung eines mächtigen Staates in den Tälern der
Felsengebirge an.
') „Times and Seasons", Band II, No. 13.
») „Millenial Star", Band XIX, S. 630.
') Lehre u. Bündn. 49:24 — 25.
26 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.
33. Eine höchst merkwürdige Voraussagung über
nationale Angelegenheiten wurde am 25. Dezember 1832
von Joseph Smith ausgesprochen; bald darnach wurde
sie unter den Mitgliedern der Kirche verbreitet und von
den Ältesten gepredigt, aber erst 1851 ist sie im Druck
erschienen. 1) Die Offenbarung lautet auszugsweise wie
folgt: „Wahrlich, so spricht der Herr betreffs der Kriege,
die in Kürze geschehen werden, anfangend mit der Em-
pörung Süd-Karolinas, und die schließlich mit dem Tod
und Elend vieler Seelen enden werden : Die Tage werden
kommen, wo Krieg über alle Völker ausgegossen sein wird,
und es soll an jenem Ort anfangen. Denn siehe, die süd-
lichen Staaten werden gegen die nördlichen Staaten ent-
zweit sein, und die südlichen Staaten werden andere Na-
tionen anrufen, selbst die Nation Großbritannien,*** Und
es wird geschehen, daß nach vielen Tagen Sklaven, zum
Kriege gerüstet und geordnet, sich gegen ihre Herren
erheben werden." Jeder der die Geschichte der Vereinig-
ten Staaten studiert, ist mit den Tatsachen, die eine voll-
kommene Erfüllung dieser erstaunlichen Prophezeiung —
sogar bis zur kleinsten Einzelheit — bilden, bekannt. Im
Jahre 1861, mehr als 28 Jahre nachdem die obenerwähnte
Voraussagung berichtet wurde, und zehn Jahre nach ihrer
Veröffentlichung in England, brach der Bürgerkrieg aus;
er fing in Süd-Karolina an. Die entsetzlichen Berichte
jenes brudermörderischen Streites haben in trauriger Weise
die Voraussagung betreffs „des Todes und Elendes vieler
Seelen" bestätigt. Es ist wohl bekannt, daß Sklaven den
Süden verließen und in die Armeen des Nordens einge-
ordnet wurden, und daß die konföderierten Staaten um
die Hilfe Großbritanniens warben. Obwohl kein öffentliches
') Siehe Köstliche Perle, britische Ausgabe von 1851, und „The
MiUenial Star", Band XLIX, S. 396. Die Prophezeiung ist jetzt ein Teil
der Lehre und Bündnisse; siehe Abschnitt 87.
Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 27
Bündnis zwischen den südlichen Staaten und England
zustandekam, gewährte die britische Regierung dem Süden
mittelbare Hilfe und starke Begünstigung, und dies in
solch einer Weise, daß daraus ernste internationale Ver-
wicklungen entstanden. Schiffe wurden zum Vorteil der
konföderierten Staaten in britischen Seehäfen gebaut
und ausgerüstet; und die Folgen dieser Übertretung der
Gesetze der Neutralität kosteten Großbritannien die
Summe von 15^ Millionen Dollars, welche Summe beim
Genfer Vergleich zum Schlichten der ,, Alabama Ansprüche"
den Vereinigten Staaten gewährt wurden. Die konföde-
rierten Staaten sandten Bevollmächtigte nach Großbri-
tannien und Frankreich. Diese Beamten wurden von dem
britischen Dampfer, auf dem sie eingeschifft waren, von
Offizieren der Vereinigten Staaten gewaltsam entführt.
Diese Tat, welche die Vereinigten Staaten offenkundig
eingestehen mußten, drohte eine Zeitlang Krieg zwischen
den Vereinigten Staaten und Großbritannien herbeizu-
führen.
34. Die angeführte durch Joseph Smith gegebene
Offenbarung enthält noch andere Prophezeiungen, wovon
einige ihre Erfüllung noch erwarten.^) Die angeführten
Beweisstücke genügen aber um zu beweisen, daß Joseph
Smith ein hervorragender Mensch war wegen seiner Mit-
wirkung bei der Erfüllung von Prophezeiungen, die die
Vertreter Gottes in frühern Zeiten ausgesprochen hatten,
und daß ferner seine eigenen Ansprüche auf den Rang
eines Propheten durch und durch berechtigt sind. Aber
die Gabe der Prophezeiung, die diesem Elias der letzten
Tage so reichlich gegeben war, und die er so frei und doch
so unfehlbar ausübte, ist nur eine der vielen geistigen
Gaben, die ihn zusammen mit einer großen Anzahl andrer,
») Siehe Lehre u. Bündn. 87:5—7.
28 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.
die das Priestertum von ihm empfangen haben, auszeich-
neten. Die heiligen Schriften erklären, daß gewisse Zei-
chen die Kirche begleiten sollen ; unter ihnen die Gaben :
in Zungen zu reden, der Heilung der Kranken, der Er-
rettung von drohendem Tode, und Macht und Gewalt
über böse Geister.^) Die Ausübung dieser Mächte, deren
Ergebnis das ist, was man gemeinhin als Wunder bezeich-
net, ist in keiner Weise ein untrüglicher Beweis gött-
licher Vollmacht, denn viele wahre Propheten haben kei-
ne Wunder getan, dagegen ist es vorgekommen, daß
Menschen auf Antrieb böser Geister Wunder vollzogen
haben. 2) Jedoch ist der Besitz der durch die Vollziehung
von Wundern gezeigten Macht ein notwendiges und aus-
geprägtes Kennzeichen der Kirche; und wenn solche Taten
bei der Vollziehung heiliger Absichten vollbracht werden,
dienen sie als bestätigender Beweis göttlicher Vollmacht.
Bei dem Wirken Joseph Smiths und bei dem der Kirche
im allgemeinen dürfen wir deshalb erwarten, den be-
glaubigten Bericht von Wundern einschließlich der Kund-
tuung all der verheißenen Gaben des Geistes zu finden —
und wir finden ihn auch tatsächlich. Dieses Thema wird
aber bei einer anderen Gelegenheit einer näheren Betrach-
tung unterzogen. 3)
35. 4. Die Lehren, die Joseph Smith und die heu-
tige Kirche lehrt, sind wahr und schriftgemäß. Um diese
Behauptung zu beweisen, müssen wir die Hauptlehren
der Kirche in besonderer Reihenfolge untersuchen. Die
Glaubensartikel geben uns eine geeignete Übersicht über
viele Lehren, die zu dem Werk der letzten Tage gehören
und im Laufe der folgenden Vorlesungen werden wir mit
ihrem Studium beginnen.
») Markus 16:16—18; Lukas 10:19 usw.; Lehre u. Bündn. 87:65—72.
2) 2. Mose 7:11, 22; 8:7, 18; Offenbarung Joh. 13:13— 15; 16:13— 14.
') Siehe Vorlesung über Artikel 7.
Einleit.] Anmerkungen. 29
AnnierkungeD.
1. Die „Glaubensartikel" datieren vom 1. März 1841. Sie bilden einen
Teil eines Briefes, den der Prophet Joseph Smith an einen Herrn Went-
worth in Chicago schrieb. Die „Artikel" wurden in der Geschichte Joseph
Smiths gedruckt (Siehe „Millenial Star", Band XIX, S. 120; auch
„Times and Seasons", Band III, S. 709). Wie anderswo erklärt wird,
sind die „Artikel" als eine maßgebende Übersicht über ihre Lehren von der
Kirche in aller Form angenommen worden.
2. Joseph Smiths frühzeitige Verfoloung, — Über die "Verfolgung
in seinen jugendlichen Tagen, die von der Zeit der Erwähnung seines Ge-
sichtes von dem Vater und dem Sohn herrührte, schrieb der Prophet fol-
gendes: „Es hat mich damals, und seither oft, zum Nachdenken gebracht,
wie merkwürdig es war, daß ein unbekannter Jüngling, ein wenig über vier-
zehn Jahre alt, ein Jüngling, der zudem noch gezwungen war, seinen
kärglichen Lebensunterhalt durch tägliche Arbeit zu verdienen, als eine
Persönlichkeit erachtet wurde, die bedeutend genug war, um die Aufmerk-
samkeit der großen Männer der beliebtesten Sekten in solchem Maße auf
sich zu ziehen, daß ein Geist der hitzigsten Verfolgung und Verleumdung
in ihnen wach gerufen wurde. Aber sonderbar oder nicht, es war so, und dies
war oft die Ursache von schwerem Leid für mich. Nichtsdestoweniger ist
es eine Tatsache, daß ich ein Gesicht gehabt habe. Ich habe seither gedacht,
daß meine Gefühle denen des Apostels Paulus ähnlich waren, als er r.ich vor
dem König Agrippa verteidigte, und das Gesicht erzählte, das er gehabt
hatte, nämlich daß er ein Licht sah und eine Stimme hörte; al)er doch
glaubten ihm nur wenige. Einige sagten, er sei unehrlich, andere, er sei
rasend, und er wurde verspottet und verlästert; aber alles dieses zerstöite
die Wirklichkeit des Gesichtes nicht. Er hatte ein Gesicht gesehen und
wußte, daß er es gesehen hatte, und alle Verfolgungen unter dem Himmel
konnten es nicht anders machen.*** So war es mit mir. Ich hatte wirklich
ein Licht gesehen, und in der Mitte jenes Lichtes sah ich zwei Personen,
und sie hatten wirklich zu mir gesprochen, oder wenigstens eine derselben
hatte es getan; und obgleich ich verfolgt und gehaßt wurde, weil ich sagte,
daß ich ein Gesicht gesehen hatte, war es dennoch wahr; und während sie
mich verfolgten, verlästerten und fälschlich allerlei tJbels wider mich re-
deten, weil ich dieses sagte, wurde ich bewogen, in meinem Herzen zu sagen:
Warum mich verfolgen, weil ich die Wahrheit sage? Ich habe wirklich ein
Gesicht gesehen, und wer bin ich, daß ich Gott widerstehen kann ?' ' (Köst-
liche Perle: Auszüge aus der Geschichte Joseph Smiths, S. 75, 76).
3. Eine Huldiriung für den Propheten Joseph Smith: Während außer
der Kirche nur wenige Leute zum. Lobe dieses Propheten der Neuzeit viel
zu sagen haben, ist es doch bedeutsam, daß es von dieser Regel einige
ehrliche Ausnahmen gibt. Josiah Quincy, ein hervorragender Amerikaner,
wurde eine kurze Zeit vor dem Märtyrertum Joseph Smiths mit ihm
bekannt. Nachdem erschütternden Ereignis schrieb er: „Es ist gar nicht
unwahrscheinlich, daß irgend ein zukünftiges Schulbuch für den
Gebrauch noch ungeborener Geschlechter, eine Frage, enthalten könnte
wie diese: Welcher geschichtlich bekannte Amerikaner des neunzehnten
Jalu-hunderts hat auf das Schicksal seiner Landsleute den stärksten Ein-
fluß ausgeübt? Und es ist sehr wohl möglich, daß die Antwort auf
diese Frage lauten könnte: Joseph Smith der Mormonprophet, l^nd diese
Antwort, so vernunftwidrig sie den meisten Menschen heute scheint.
30 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.
kann ihrer Nachkommenschaft eine selbstverständliche Gewißheit werden.
Die Geschichte weist Überraschungen und Seltsamkeiten auf, die eben so
erstaunlich sind wie diese. Ein Mann, der in diesem Zeitalter des freien
Meinungsaustausches eine Religion gegründet hat, der als ein unmittelbar
von dem Allmächtigen gesandter Bote angenommen wurde und der heute
von Hunderttausenden als solcher anerkannt wird — bei solch einem
seltenen Menschen ist durch das Bewerfen seiner Erinnerung mit unange-
nehmen Ausdrücken nichts anzufangen. *** Die größten Lebensfragen,
die die Amerikaner heute bewegen, haben mit diesem Manne und mit dem
was er uns hinterlassen hat, zu tun. * * * Brennende Fragen sind es, die
diesem kühn anmaßenden Propheten, den ich zu Nauvoo besuchte, einen
hervorragenden Platz in der Geschichte dieses Landes geben müssen.
Joseph Smith, der ein inspirierter Lehrer zu sein behauptete, trat solchem
Mißgeschick, wie es wenigen Menschen auf erlegt wird ; nmtig entgegen, er ge-
noß eine kurze Zeit ein Wohlergehen, das wenige Menschen je erreichen,
und endlich, dreiundvierzig Tage nachdem ich ihn gesehen hatte, ging er
dem Märtyrertod mutig entgegen. Als er sich, um das Blutvergießen zu
verhüten, dem Gouverneur Ford gefangen gab, hatte der Prophet eine
Vorempfindung von dem ihm bevorstehenden Schicksal. „Ich gehe wie ein
Lamm zur Schlachtbank", soll er gesagt haben, „aber ich bin ruhig wie ein
Sommermorgen. Ich habe ein Gewissen frei von Unrecht, und werde
unschuldig sterben." „Figures of the Past", von Josiah Quincy, S. 376.
4. Das Siegel des Märtyrertums. — „Das stärkste Zeugnis der Auf-
richtigkeit, das ein Mensch seinen Mitmenschen geben kann — der höchste
Beweis, daß er in irgend einem angegebenen Fall, die Wahrheit gesprochen
hat — ist, daß er bis in den Tod darin beharrt und sein Zeugnis mit seinem
Blute besiegelt.*** So wichtig war ein solches Zeugnis in den Augen Pauli
geworden, daß er schrieb : „Denn wo ein Testament ist, da muß der Tod
geschehen des, der das Testament machte. Denn ein Testament wird fest
durch den Tod ; es hat noch nicht Kraft, wenn der noch lebt, der es gemacht
hat" (Hebräer 9:16 — 17). Im Lichte dieses Grundsatzes, und wenn man
die Wichtigkeit des großen Zeugnisses, das er der Welt gab, in Betracht
zieht, braucht man sich nicht darüber zu wundern, daß Joseph Smith auf-
gefordert wurde, das breite Siegel seines Märtyrertums seinem Lebenswerke
beizufügen. Hätte dieses gefehlt, so hätte womöglich über die Unvoll-
kommenheit seines Werkes geklagt werden können, jetzt aber nicht. Seine
Würde als Prophet wurde, dadurch daß er unter dem mörderischen Feuer
eines Pöbels zu Carthage, im Staate Illinois als Märtyrer fiel, zur vollkom-
menen Fülle gebracht." — Ältester B. H. Roberts in „A New Witness for
God", S. 477 — 478.
5. Joseph Smith, weitere Hinweise. — Zur Kenntnis seiner Lebens-
geschichte siehe „The Life of Joseph Smith, the Prophet" von Präsident
George Q. Cannon. Siehe auch „Divine Authority, or the Question: Was
Joseph Smith Sent of God?" eine Flugschrift von Apostel Orson Pratt;
„Joseph Smith's Prophetic Calling", Millcnial Star, Band XLII, S. 164,
187, 195, 227. „Letters from Elder Orson Spencer to Rev. Wm. Crowell;
No. 1"; „A New Witness for God". Ältester B. H. Roberts.
6. Joseph Smiths Abstammung. — .Joseph Smith war von niederer
Herkunft. Seine Eltern und ihre Vorfahren waren Arbeiter, aber ihr Cha-
rakter war gottesfürchtig imd ihr Name war imbefleckt. Gegen die Mitte
des siebzehnten Jahrhunderts wanderte Robert Smith, ein kühner Frei-
Einleit.] Anmerkungen. 31
bauer ans England, nach der neuen Welt, dem verheißenen Land aus.
Mit seiner Frau Mary siedelte er sich in Essex, Massachusetts an. Die
zahlreichen Nachkommen dieser ehrbaren Leute verheirateten sich mit den
standhaftesten und fleißigsten Familien Neu Englands. Samuel, der am
26. Januar 1666 geborene Sohn von Robert und Mary, verehelichte sich
am 25. Januar 1707 mit Rebekka Curtis. Ihr Sohn, der zweite Samuel,
wurde am 26. Januar 1714 geboren; er heiratete Priscilla Gould und war
der Vater des am 1. März 1744 geborenen Asael. Asael Smith nahm Mary
Duty zur Frau, und ihr Sohn Joseph wurde am 12. Juni 1771 geboren.
Am 24. Januar 1796 heiratete Joseph Lucy Mack zu Tunbridge, im Staate
Vermont. Sie war am 8. Juli 1776 geboren und war die Tochter von So-
lomon und Lydia Mack und die Enkeltochter von Ebenezer Mack." —
„Ihe Life of Joseph Smith, the Prophet" von George Q. Cannon, Kapitel
I. — Joseph, der Prophet, war der dritte Sohn und das vierte Kind von
Joseph und Lucy (Mack) Smith; er wurde am 23. Dezember 1805 zu Sharon
(Vermont) geboren.
7. Die maßflebenden Kirchenwerke. — Die Ribel und das Buch
Mormon, die boiden ersten maßgebenden Werke der Kirche, sollen in spä-
teren Vorlesungen einer nähern Betrachtung unterzogen werden. (Siehe
daselbst.) Das Buch der „Lehre und Bündnisse" ist eine Sammlung
neuer Offenbarungen, wie sie der Kirche in dieser Dispensation gegeben
worden sind. Die „Köstliche Perle" enthält die durch Joseph Smith ge-
olfenbarten Gesichte und Schriften Moses, das Buch Abrahams, eine von
Joseph Smith vorgenommene Übersetzung aus gewissen alten Papyrus-
rollen, und einige der Schriften Joseph Smiths.
8. Die Geschichte der «icderherjiestellten Kirche. — Weitere Aus-
kunft über das Lebenswerk Joseph Smiths, imd das Wachstum der durch
seine Vermittlung wiederhergestellten Kirche Jesu Christi, kann in „The
History of the Church of Jesus Christ of Latterday Saints" Salt Lake City,
Utah, gefunden werden. Eine kurze und bündige Übersicht über die Kir-
chengeschichtc, gibt auch „The Story of Mormonism" von James E. Tal-
mage. Liverpool; 1907; Salt Lake City, 1910. (Siehe auch ,,Ein Abriß
aus der Geschichte der Kirche Jesu Christi" von Missionar Alfred C.
Rees. — Der Übersetzer).
32 Die Glaubensartikel. (Vorl. II.
Vorlesung II.
Gott und die Gottheit.
Artikel 1. — Wir glauben an Gott den ewigen Vater und an seinen
Sohn Jesum Christum und an den Heiligen Geist.
1. Das Dasein Gottes. — Da der Glaube an Gott die
Grundlage aller religiösen Glaubensbekenntnisse und Ge-
bräuche bildet, und da Erkenntnis von den Eigenschaften
und von dem Charakter der Gottheit zur verständigen
Ausübung des Glaubens an sie notwendig ist, beansprucht
dieses Thema den ersten Platz in unserem Studium der
Lehren der Kirche.
2. Das Dasein Gottes ist kaum eine Frage der ver-
nünftigen Auseinandersetzung; es erfordert auch keine
Beweise durch die schwachen Vorführungen der mensch-
lichen Denkgesetze, denn die Tatsache vom Dasein Gottes
wird von der menschlichen Familie fast ohne Frage aner-
kannt, und das Bewußtsein der Abhängigkeit von einer
höchsten Macht ist den Menschen eine angeborene Eigen-
schaft. Die früheren Schriften haben nach keiner Rich-
tung hin den Sinn eines ursprünglichen Beweises des
Daseins Gottes, noch sollten sie Entgegnungen auf die
Angriffe und Trugschlüsse der Gottesleugnung sein; aus
dieser Tatsache dürfen wir folgern, daß die Irrtümer des
Zweifels sich erst in einer spätem Zeit, entwickelt haben.
Die allgemeine Zustimmung der Menschheit zu dem Dasein
Gottes ist zum mindesten eine stark bestätigende Wahr-
heit. Es lebt eine kindliche Leidenschaft in der mensch-
lichen Natur, die nach dem Himmel loht. Jedes Volk,
Art. 1.] Gott und die Gottheit. 33
jeder Volksstamm, jeder Mensch sehnt sich nach einem
Gegenstand der Verehrung. Es liegt in der Natur des
Menschen, anzubeten. Die Seele ist unzufrieden bis sie
einen Gott findet. Als die Menschen durch Übertretung
zum erstenmal in Finsternis inbezug auf den wahren und
lebendigen Gott gerieten, stellten sie sich selbst andere
Götter auf; und auf diese Weise entstanden die Greuel
des Götzendienstes. Und dennoch, so furchtbar diese
Gebräuche sind, so bezeugen sogar die abstoßendsten
Götzendienste das Dasein Gottes dadurch, daß sie des
Menschen ererbte Leidenschaft der Anbetung dartun.
Plutarch hat über alte Zustände einsichtsvoll bemerkt:
„Suchst du in der ganzen Welt, so kannst du wohl Städte
ohne Mauern, ohne Literatur, ohne Könige, ohne Geld
finden; aber niemand hat je eine Stadt ohne einen Gott,
ohne einen Tempel oder ohne Gebete gesehen." Diese
allgemeine Zustimmung zu einem Glauben an das Dasein
einer Gottheit ist ein Zeugnis von hohem Rang; und in
dieser Beziehung dürfen die Worte des Aristoteles ange-
wendet werden: „Was einigen Menschen als wahr er-
scheint, ist vielleicht möglich; was den meisten oder allen
weisen Menschen als wahr erscheint, ist sehr wohl möglich;
das, dem die meisten, ob weise oder unweise, zustimmen,
kommt der Wahrheit noch näher, aber das, dem die Men-
schen ganz allgemein beistimmen, hat die höchste Glaub-
würdigkeit für sich und kommt der bewiesenen Wahrheit
so nahe, daß es als lächerliche Vermessenheit und als
Eigendünkel, oder als unduldsamer Eigensinn und als
Halsstarrigkeit gelten würde, es zu verschreien."^)
3. Die Fülle der Beweise, auf die sich die Menschheit
in ihrer Überzeugung von dem Dasein eines allerhöchsten
Wesens stützt, kann zur geeigneten Betrachtung in die
folgenden drei Klassen eingeteilt werden:
») Siehe Anmerkungen 1, 2 und 3.
34 Die Glaubensartikel. [Vorl. II.
1. Der Beweis der Geschichte und der Überlieferung.
2. Der durch die Anwendung der menschlichen Ver-
nunft gegebene Beweis.
3. Der entscheidende Beweis der unmittelbaren Offen-
barung von Gott selbst.
4. 1. Geschichte und Überlieferung. — ^Die von den
Menschen geschriebene Geschichte und die Überlieferung,
wie sie vor der Zeit irgend eines noch vorhandenen Be-
richtes von Geschlecht zu Geschlecht übermittelt wurde,
beweisen die Wirklichkeit des Daseins der Gottheit und
des engverbundenen und persönlichen Umganges zwischen
Gott und den Menschen während der ersten Zeiten des
menschlichen Erdendaseins. Einer der ältesten bekannten
Berichte, die Bibel, bezeichnet Gott als den Schöpfer aller
Dinge^) und erklärt überdies, daß er sich unseren ersten
irdischen Eltern und auch vielen anderen heiligen Per-
sonen in den ersten Tagen der Welt offenbarte. Adam und
Eva hörten seine Stimme^) im Garten; und sogar nach
ihrer Übertretung fuhren sie fort, Gott anzurufen und ihm
Opfer darzubringen. Daraus geht klar hervor, daß sie
eine Erkenntnis von Gott mit sich aus dem Garten genom-
men hatten. Nach ihrer Austreibung hörten sie ,,die Stimme
des Herrn aus der Richtung gegen den Garten Eden",
obwohl sie ihn nicht sahen; und er gab ihnen Gebote, die
sie befolgten. Dann kam ein Engel zu Adam und der Hei-
lige Geist inspirierte den Menschen und gab Zeugnis von
dem Vater und dem Sohn. 3)
5. Kain und Abel erfuhren von Gott, sowohl durch
die Belehrungen ihrer Eltern als auch durch persönliche
Offenbarung. Nach der Annahme des Opfers Abels und der
Verwerfung des Opfers Kains, worauf dessen furchtbare
•) 1. Mose 1; siehe auch Köstl. Perle, Moses 2:1.
') 1. Mose 3:8; und Köstl. Perle, Moses 4:14.
») Köstl. Perle, Moses 5:6—9.
Art. 1.] Gott und die Gottheit. 35
Missetat eines Brudermords folgte, redete der Herr mit
Kain und dieser antwortete ihm.i) Infolgedessen muß
Kain in das Land, wohin er zog, um dort zu wohnen, eine
persönliche Kenntnis von Gott aus Eden mit sich genom-
men haben, 2) Adam erreichte das Alter von neunhundert
und dreißig Jahren, und ihm wurden viele Kinder geboren.
Diese unterrichtete er in der Furcht Gottes, und viele von
ihnen bekamen unmittelbare Offenbarung. Von der Nach-
kommenschaft Adams lebten Seth, Enos, Kenan, Maha-
laleel, Jared, Henoch, Methusalah und Lamech, der Vater
von Noah, während der Lebenszeit Adams; und jeder
stellte ein besonderes Geschlecht dar. Noah wurde
nur einhundertsechsundzwanzig Jahre nach dem Tode
Adams geboren, lebte überdies mit seinem Vater Lamech
beinahe sechshundert Jahre, und wurde ohne Zweifel
von ihm in den Überlieferungen betreffs der persönlichen
Kundtuungen Gottes, die Lamech aus dem Munde Adams
gehört hatte, unterrichtet. Auf dem Weg der unmittel-
baren Überlieferung durch Noah und seine Familie be-
stand eine Kenntnis von Gott nach der Sintflut weiter
fort. Noah stand in unmittelbarer Verbindung mit Gott^)
und lebte lang genug, um zehn Geschlechter seiner Nach-
kommen zu belehren. Darnach folgte Abraham, der sich
ebenfalls unmittelbarer Verbindung mit dem Schöpfer
erfreute,*) und nach ihm Isaak und Jakob oder Israel, unter
dessen Nachkommen der Herr durcli die Vermittlung Moses
große Wunder vollbrachte. Und hätte es auch keine geschrie-
benen Berichte gegeben, so hätte die Überlieferung die
Kenntnis von Gott dennoch bewahrt und weitergegeben.
') 1. Mose 4:9—16; Köstl. Perle, Moses 5:22;
') 1. Mose 4:16; Köstl. Perle, Moses 5:41.
») 1. Mose 6:13 und das folgende Kapitel.
*) 1. Mose 12 und die folgenden Kapitel.
36 Die Glaubensartikel. [Vorl. IL
6. Und wenn die Berichte von den frühesten persön-
lichen Verbindungen zwischen Gott und den Menschen
mit der Zeit dunkel und deshalb in ihrer Wirkung schwä-
cher geworden wären, so hätten sie eben nur vor anderen
auf späteren Offenbarungen der göttlichen Persönlichkeit
begründeten Überlieferungen weichen müssen. Nicht
allein von hinter dem Schleier des Feuers und dem Schirm
der Wolken^) tat sich der Herr Mose kund, sondern auch
durch unmittelbare Mitteilung von Angesicht zu Ange-
sicht, wodurch der erwählte Hohepriester seinen Gott
in „seiner Gestalt" schaute. 2) Dieser Bericht der unmittel-
baren Verbindung zwischen Mose und Gott, an der das
Volk auch teilweise, so weit sein Glaube und seine Rein-
heit es zugegeben haben, Teil genommen hatte,^) ist von
Israel durch alle Geschlechter der Vergangenheit bewahrt
worden. Und von Israel aus haben die Überlieferungen
von dem Dasein Gottes sich über die ganze Erde verbreitet,
so daß wir Spuren dieser uralten Erkenntnis selbst in den
fantastischsten und verkehrtesten Göttersagen der heid-
nischen Völker finden.
7. 2. Die menschliche Vernunft, wenn sie sich mit der
Beobachtung der Dinge der Natur befaßt, verkündigt mit
Kraft das Dasein Gottes. Der Verstand, der mit den ge-
schichtlichen Wahrheiten des Daseins Gottes und seiner
engen Verwandtschaft mit dem Menschen schon durch-
drungen ist, findet in der Natur auf jeder Seite bestäti-
gende Beweise ; und sogar dem, der das Zeugnis der Vergan-
genheit verwirft und sich anmaßt, sein eigenes Urteil über
den allgemeinen Glauben aller Zeitalter zu stellen, müssen
die mannigfaltigen Beweise eines Planes in der Natur
zusagen. Auf jeden Beobachter muß der Beweis der Ord-
') 2. Mose 3:4; 19:18; 4. Mose 12:5.
•) 4. Mose 12:8; siehe auch Köstl. Perle, Moses 1:1 — 2.
») 2. Mose 19:9, 11, 17—20.
Art. 1.] Gott und die Gottheit. 37
nung und der Planmäßigkeit in der Schöpfung, ebenso
wie die Abwesenheit der überflüssigen Dinge in der Natur,
einen Eindruck machen. Er beobachtet die regelmäßige
Wiederkehr von Tag und Nacht, wodurch für Menschen,
Tiere und Pflanzen abwechselnde Arbeits- und Ruhe-
zeiten gewährt werden, die Reihenfolge der Jahreszeiten,
von denen jede ihre längere Arbeits- und Erholungszeit
hat, die gegenseitige Abhängigkeit des Tier- und Pflanzen-
reichs, den Kreislauf des Wassers vom Meer zur Wolke,
und von der Wolke zur Erde, wodurch die Fruchtbarkeit
des Bodens erhalten wird. In dem Maße wie man in der
näheren Untersuchung der Dinge vorschreitet, findet man,
daß durch Studium und wissenschaftliche Erforschung,
diese Beweise vielfältig vermehrt werden. Der Mensch
mag die Gesetze, wodurch die Erde und die mit ihr verbun-
denen Welten in ihren Bahnen regiert, und Nebenplaneten
den Planeten, und die Planeten der Sonne untergeordnet
gehalten werden, kennen lernen; er mag die Wunder der
Anatomie der Tiere und Pflanzen, und auch den unüber-
trefflichen Innenbau seines eigenen Körpers schauen, und
mit solchen, mit jedem Schritt zunehmenden Berufungen
auf seine Vernunft, verwandelt sich sein Fragen nach der
Entstehung dieses Alls in Bewunderung des Schöpfers,
dessen Gegenwart und Kraft so mächtig verkündigt wer-
den: und der Beobachter wird zum Anbeter.
8. In der Natur findet man allerorten Beweise des
Gesetzes von Ursache und Wirkung; auf jeder Seite sieht
man die Verwendung von Mitteln, die dem Endzwecke
entsprechen. „Aber derartiges Einrichten", schreibt ein
nachdenklicher Schriftsteller, ,, deutet auf Erdenken zu
einem gewissen Zwecke an, und das Erdenken ist ein Be-
weis der Intelligenz, und die Intelligenz ist das Kennzei-
chen des Verstandes, und dieser intelligente Verstand,
38 Die Glaubensartikel. IVorl. IL
der das erstaunliche Weltall schuf, ist Gott."^) Aus der
Offenbarung des Entwurfs, das Dasein eines Schöpfers
anzuerkennen, zu sagen, daß es einen Urheber in einer
Welt voll intelligenten Erdenkens geben müsse, an einen
Einrichter zu glauben, wenn das Leben der Menschen von
den denkbar vollkommensten Einrichtungen unmittelbar
abhängig ist, ist nur die Annahme augenscheinlicher Wahr-
heiten, Diese Grundwahrheiten der Natur sollten keinen
Beweis erfordern; die Last des Beweises des Nichtseins
eines Gottes sollte dem auferlegt werden, der die feierliche
Wahrheit in Frage zieht. „Denn ein jeglich Haus wird
von jemand bereitet; der aber alles bereitet hat, das ist
Gott." So sprach der Apostel in alten Zeiten ;2) und so
klar die in diesen Worten ausgedrückte Wahrheit ist, gibt
es dennoch Menschen, die vorgeben, an dem Beweis der
Vernunft zu zweifeln; und diese verleugnen den Schöpfer
ihres eigenen Wesens. Ist es nicht sonderbar, daß hie und
da einer, der in dem von der Ameise beim Bauen ihres
Hauses gezeigten Einrichtungen, in der Baukunst der
Honigscheibe, und in den unzähligen Fällen des wohlge-
ordneten Instinkts unter den geringsten der lebenden
Dinge einen Beweis der Intelligenz findet, von welcher
der Mensch lernen und sich weise zeigen könnte, und
dennoch die Wirkung einer Intelligenz in der Erschaf-
fung der Welten und in der Bildung des Weltalls in Frage
zieht ?3)
9. Das angeborene Bewußtsein bezeugt dem Menschen
sein eigenes Sein; seine gewöhnlichen Kräfte der Beobach-
tung beweisen das Sein von andern seiner Art und auch
von unzähligen Ordnungen organisierter Wesen. Daraus
schließt er, daß etwas immer vorhanden gewesen sein
') Cassel's Bible Dictionary. S. 481.
') Paulus im Hebräerbrief, 3:4.
") Siehe Anmerkung 4.
Art. 1.] Gott und die Gottheit. 39
müsse, denn gäbe es eine Zeit, wo nichts dagewesen ist,
eine Zeitspanne des Nichts, so hätte das Sein nie anfangen
können, denn aus nichts kann nichts hervorkommen.
Das ewige Sein des Etwas ist dann eine Tatsache, die nicht
in Zweifel gezogen werden kann; und die Frage, die eine
Antwort heischt, lautet : Was ist dieses ewige Etwas — dieses
Sein ohne Anfang und ohne Ende? Der Ungläubige wird
vielleicht antworten: ,,Die Naturl Der Stoff hat ewiglich
bestanden und das Weltall ist nur eine Kundgebung des
Stoffes, der durch auf sie wirkende Kräfte gestaltet und
geordnet wurde." Dennoch ist die Natur nicht Gott. Aber
der Stoff ist weder lebendig noch tätig; noch ist Kraft
intelligent; Leben und unaufhörliche Tätigkeit sind aber
gerade die Kennzeichen erschaffener Dinge, und die Wir-
kungen einer Intelligenz sind überall vorhanden. Es ist
wahr, die Natur ist nicht Gott; und das eine mit dem an-
deren zu verwechseln, hieße den Bau für den Baumeister,
den Entwurf für den Entwerfenden, den Marmor für den
Bildhauer, und das Ding für die erschaffende Kraft halten.
Das geordnete Gefüge der Natur ist nur die Offenbarung
jener Ordnung, welche Zeugnis von einer lenkenden In-
telligenz gibt, und diese Intelligenz ist ewigen Wesens und
mit dem Sein selbst gleich ewig. Die Natur selbst ist eine
Erklärung eines höheren Wesens, dessen Willen und Ab-
sicht sie in all ihren mannigfaltigen Erscheinungen wieder-
spiegelt. Über der Natur, und erhabener als sie, regiert
der Gott der Natur.
10. Obwohl das Leben oder das „Sein" ewig ist, und
folglich für das Sein nie ein Anfang gewesen ist noch ein
Ende sein wird, muß, in einem gewissen Sinn, jede Stufe
der Gestaltung einen Anfang gehabt haben, und auf jeder
Sprosse des Seins, wie sie in allen den unzähligen Ord-
nungen und Klassen der erschaffenen Dinge geoffenbart
wird, muß es ein erstes gegeben haben, wie es auch ein
40 Die Glaubensartikel. [Vorl. IL
letztes geben wird; obwohl jedes Ende oder jede Vollen-
dung in der Natur nur der Anfang einer neuen Stufe in der
Entwicklung ist. Um eine mögliche Vorgangsfolge, durch
welche die Erde aus einem Wirrwar oder einer ungeord-
neten Vorschöpfungswelt in einen bewohnbaren Zustand
verwandelt worden ist, zu erläutern, wenn auch nicht zu
erklären, hat der menschliche Scharfsinn Theorien er-
dacht. Nach diesen Deutungsversuchen war diese Erd-
kugel einst ein glühender Ball, auf dem keine der unzäh-
ligen Lebensformen, die ihn jetzt bewohnen, hätte leben
können. Der Theoretiker muß deshalb einen Anfang im
irdischen Leben anerkennen, und ein solcher Anfang ist nur
durch die Annahme irgend einer erschaffenden Tat oder
einer Beitragung von außerhalb der Erde zu erklären.
Erkennt er die Herkunft des Lebens auf Erden von einer
anderen und älteren Himmelskugel an, so werden dadurch
die Grenzen seiner Forschung nach dem Anfang des leben-
den Seins nur ausgedehnt. Denn den Ursprung eines in un-
serem Garten wachsenden Rosenstocks damit zu erklären,
daß dieser als ein Sprößling eines anderswo wachsenden
Rosenstrauchs verpflanzt worden sei, wäre keine Er-
klärung auf die Frage nach dem Ursprung der Rosen.
Die Wissenschaft nimmt notwendigerweise einen Anfang
der lebenden Erscheinungen auf diesem Planeten an und
erkennt eine begrenzte Dauer der Erde in ihrem gegen-
wärtigen Lauf der fortschreitenden Veränderung; und
in dieser Hinsicht ist die Erde eine Darstellung der anderen
Himmelskörper im allgemeinen. Dann ist die Unendlich-
keit des Seins nicht gewisser als eine Andeutung auf einen
ewigen Regierer, als die unendliche Folge der Veränderung,
deren jede Stufe sowohl einen Anfang als auch ein Ende
hat. Die Entstehung der erschaffenen Dinge, der Anfang
eines geordneten Weltalls ist durch die Annahme der von
selbst entstandenen Veränderung in dem Urstoff, oder der
Art. 1.] Gott und die Gottheit. 41
zufälligen Wirkung ihrer Eigenschaften, äußerst unerklär-
lich.
11. Die menschliche Vernunft, die selbst in weni-
ger wichtigen Sachen dem Irren unterworfen ist, vermag
ihren Besitzer nicht von sich aus zu einer vollen Er-
kenntnis von Gott zu führen. Doch wird ihm ihre An-
wendung in seinem Forschen zur Seite stehen und seinen
ererbten Naturtrieb zu seinem Schöpfer stärken und be-
stätigen.^) ,,Die Toren sprechen in ihrem Herzen: Es ist
kein Gott. "2) In der Schrift wird das Wort Tor^) gebraucht,
um einen bösen Menschen zu bezeichnen, — einen, der
seine Weisheit durch einen langen Lauf seiner Missetaten
verloren, und auf diese Weise Finsternis statt Licht und
Unwissenheit statt Kenntnis in seine Seele eingeführt hat.
Durch einen solchen Lebenswandel wird der Geist ver-
derbt und unfähig, die feinern Beweisführungen der Natur
zu schätzen. Wer absichtlich sündigt, wird für die Stimme
der Vernunft in heiligen Dingen taub und verliert das Vor-
recht, mit seinem Schöpfer zu verkehren, wodurch er sich
des größten Mittels zur Erlangung der Erkenntnis von
Gott beraubt.
12. 3. Offenbarung gibt dem Menschen seine voll-
kommenste Erkenntnis von Gott. Wir brauchen uns weder
völlig auf die fehlbare eigene Urteilskraft noch auf das Zeug-
nis anderer zu verlassen, um eine Erkenntnis unseres himm-
lischen Vaters zu erhalten, wir können ihn für uns selbst
kennen lernen. Die Fälle, wo sich Gott in früheren oder
auch in späteren Zeiten seinen Propheten geoffenbart hat,
sind so zahlreich, daß es unmöglich ist, hier eine eingehende
Betrachtung zu unternehmen. Überdies werden wir bei
dem Studium des neunten Glaubensartikels Gelegenheit
•) Siehe Anmerkung 5.
') Psalm 14:1.
») Sprüclie 1:7; 10:21; 14:S
42 Die Glaubensartikel. [Vorl. II.
haben, viele solche Beispiele zu untersuchen. Hier muß
uns also eine kurze Erwähnung genügen. Als Ursache der
vielen Überlieferungen über das Dasein und die Persön-
lichkeit Gottes haben wir seine Offenbarungen zu Adam
und zu andern vorsintflutlichen Patriarchen, dann zu
Noah, Abraham, Isaak, Jakob und Mose schon angeführt.
Ein in den jüdischen Schriften nur kurz erwähntes Beispiel
ist dasjenige des Henoch, des Vaters Methusalahs. Von
ihm lesen wir, daß er in einem göttlichen Leben blieb.^)
Aus den ,, Schriften Moses", erfahren wir, daß sich der
Herr mit besonderer Freude diesem auserwählten Seher
offenbarte. 2) Den Verlauf der Vorgänge bis zur Zeit des
vorausbestimmten Wirkens Christi im Fleisch, den Plan
der Seligkeit durch das Sühnopfer des Eingebornen, und
die Ereignisse, die darauf folgen sollten, bis zum jüngsten
Gericht, tat Gott ihm kund.
13. Von Mose lesen wir, daß er eine Kundtuung er-
hielt von Gott, der zu ihm aus dem brennenden Busch
am Berg Horeb sprach und sagte: ,,Ich bin der Gott deines
Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott
Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürch-
tete sich, Gott anzuschauen. "3) In einer Wolke und mit
den schreckenerregenden Begleiterscheinungen von Don-
ner und Blitz erschien Gott dem Mose und dem versam-
melten Israel auf dem Berge Sinai. „Und der Herr sprach
zu ihm : Also sollst du den Kindern Israel sagen : Ihr habt
gesehen, daß ich mit euch vom Himmel geredet habe."*)
Von einer spätem Erscheinung lesen wir: ,,Da stiegen
Mose und Aaron, Nadab und Abihu und siebzig von den
Ältesten Israels hinauf und sahen den Gott Israels. Unter
') 1. Mose 5:18 — 24; siehe auch Judas 14.
») Köstl. Perle, Moses 6, 7.
") 2. Mose 3:6.
♦) 2. Mose 20:18—22.
Art. 1.] Gott und die Gottheit. 43
seinen Füßen war es wie ein schöner Saphir und wie die
Gestalt des Himmels, wenn es klar ist."^)
14. Während der Zeit Josuas und der Richter, bis
zu den Königen und Propheten, verkündigte der Herr
seine Gegenwart und seine Macht, Jesaja sah den Herrn
auf seinem Thron in der Mitte einer herrlichen Schar und
sprach: „Weh mir, ich vergehe 1 denn ich bin unreiner
Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen ;
denn ich habe den König, den Herrn Zebaoth, gesehen
mit meinen Augen. "2)
15. In einer spätem Zeit, als Christus aus dem Wasser
der Taufe hervorkam, wurde die Stimme des Vaters ge-
hört, wie sie erklärte: ,,Dies ist mein lieber Sohn, an dem
ich Wohlgefallen habe. "3) Und bei der Verklärung unseres
Herrn wiederholte dieselbe Stimme diese feierliche und
herrliche Anerkennung .4) Als Stephanus unter den Händen
seiner unmenschlichen und fanatischen Landsleute den
Märtyrertod erlitt, wurden die Himmel aufgetan, und er
sah „die Herrlichkeit Gottes und Jesum stehen zur Rech-
ten Gottes."^)
16. Das Buch Mormon ist voll von Fällen des Ver-
kehres zwischen Gott und seinem Volke, meistenteils ge-
schah es durch Gesichte und durch das Dienen der Engel,
aber auch durch unmittelbare Offenbarung seiner götthchen
Gegenwart. Wir lesen von einer Kolonie, die unter der
Leitung eines in dem Bericht als Jareds Bruder bekannten
Mannes den Turm zu Babel verließ und nach der west-
lichen Halbkugel wanderte. Bei der Vorbereitung der
Reise über das große Wasser, bat der Führer den Herrn,
>) 2. Mose 24:9—10.
») Jesaja 6:1 — 5.
») Matthäus3:16, 17; Markus 1:11.
*) Matthäus 17:1— 5; Lukas 9:35.
*) Apostelgesch. 7:54— 60.
44 Die Glaubensartikel. [Vorl. II.
gewisse Steine mit seinem Finger anzurühren, daß sie leuch-
tend würden, so daß die Reisenden Licht in ihren Schiffen
hätten. Der Herr erhörte diese Bitte, streckte seine Hand
aus und rührte die Steine an, wobei sein Finger sichtbar
wurde; der Mann war erstaunt zu sehen, daß der Finger
einem menschlichen Finger ähnlich war. Der Herr, der
an dem Glauben dieses Menschen Wohlgefallen hatte,
zeigte sich dem Bruder Jareds und führte ihm vor Augen,
daß der Mensch wirklich in dem Ebenbilde des Schöpfers
geformt ist.^) Nach seiner Auferstehung und Himmelfahrt
offenbarte sich Christus den auf der westlichen Halb-
kugel wohnenden Nephiten. Diesen Schafen der west-
lichen Herde zeugte er von seinem Auftrag, den er von
seinem Vater erhalten hatte, zeigte die Wunden in seinen
Händen und Füßen und in seiner Seite und diente der
gläubigen Volksmenge auf mancherlei Art und Weise.^)
17. In der gegenwärtigen Dispensation hat sich Gott
geoffenbart und offenbart sich seinem Volke noch. Wir
haben schon erwähnt wie Joseph Smith, während er noch
ein Jüngling war, durch seinen Glauben und seine auf-
richtige Absicht eine Offenbarung der Gegenwart Gottes
erhalten und das Vorrecht, sowohl den Vater als auch
seinen Sohn Christum zu schauen, genossen hat. 3) Sein
Zeugnis über das Dasein Gottes ist weder von der Über-
lieferung noch von erklügelter Schlußfolgerung abhängig.
Er erklärt der Welt, er wisse, daß Gott und Christus leben,
denn er habe ihre Gestalt gesehen und ihre Stimmen
gehört. Außer dieser Offenbarung erklären Joseph Smith
und sein Mitarbeiter Sidney Rigdon, daß sie am 16.
Februar 1832 den Sohn Gottes gesehen und in himmli-
schem Gesichte mit ihm gesprochen haben. In der Be-
') Buch Mormon, Ether 3.
') Buch Mormon, 3. Nephi 11 — 28.
») Siehe Seite 9—11.
Art. 1.] Gott und die Gottheit. 45
Schreibung dieser Offenbarung wird gesagt: „Als wir
über diese Dinge nachdachten, berührte der Herr die
Augen unsrer Verständnisse, sie wurden geöffnet und die
Klarheit des Herrn schien um uns. Wir schauten die Herr-
lichkeit des Sohnes zur rechten Hand des Vaters, und uns
wurde von seiner Fülle zuteil; und wir sahen die heiligen
Engel und die, welche vor seinem Thron verklärt waren
und Gott und das Lamm anbeten, die so ihn von Ewigkeit
zu Ewigkeit verehren. Und nun, nach den vielen Zeug-
nissen, die von ihm gegeben worden sind : dies ist das letzte
Zeugnis, welches wir von ihm geben, nämlich — daß er
lebt; denn wir sahen ihn."^)
18. Noch einmal, und zwar am 3. April 1836 im
Tempel zu Kirtland (Ohio), offenbarte sich der Herr
Joseph Smith und Oliver Cowdery, die über diese Bege-
benheit berichten: „Wir sahen den Herrn auf der Brust-
wehr der Kanzel vor uns stehen, und unter seinen Füßen
war ein Pflaster von lauterm Golde, in der Farbe wie Bern-
stein. Seine Augen waren wie eine Feuerflamme, die Haare
seines Hauptes waren weiß wie reiner Schnee, sein Antlitz
überleuchtete den Glanz der Sonne, und seine Stimme war
wie großes Wasserrauschen, ja die Stimme Jehovahs,
welche sprach: Ich bin der Erste und der Letzte; ich bin
der, der lebt, der, der erschlagen wurde ; ich bin euer Für-
sprecher bei dem Vater."^)
19. Dieses sind ein paar Zeugnisse, die die Tatsache
der unmittelbaren Offenbarung von Gott zu den Menschen
in alten und neuen Zeiten bestätigen. Das Vorrecht, mit
unserem Schöpfer in Verbindung zu stehen, ist nicht auf
einen einzelnen Menschen beschränkt. Wahrer Glaube,
aufrichtige Absicht, und Reinheit der Seele werden jedem.
') Lehre u. Bündn. 76:11-
») L. u. B. 110:1—4,
46 Die Glaubensartikel. [Vorl. II.
der die Gabe sucht, die Segnung der Gnade Gottes und
das Licht seiner Gegenwart gewährleisten.
20. Die Gottheit: die Dreiheit. — Drei Personen, die
den vorstehenden Rat des Weltalls bilden, haben sich den
Menschen geoffenbart: 1. Gott der ewige Vater; 2. sein
Sohn Jesus Christus; und 3. der Heihge Geist. Daß dieses
drei körperlich von einander getrennte und verschiedene
Wesen sind, wird durch die anerkannten Berichte des gött-
lichen Umganges mit den Menschen klar bewiesen. Bei
der schon erwähnten Taufe des Erlösers erkannte Jo-
hannes das Zeichen des Heiligen Geistes; vor sich sah
er Christus im Fleisch, an dem er soeben die heilige Ver-
ordnung vollzogen hatte; und er hörte die Stimme des
Vaters. 1) Die drei Personen der Gottheit waren anwesend,
und jede tat sich auf eine von den andern unterschiedene
Weise kund. Der Heiland verhieß seinen Jüngern, daß
der Tröster,^) welcher der Heilige Geist ist, ihnen von
seinem Vater gesandt werden solle. Hier werden wieder
die drei Mitglieder der Gottheit als unter sich verschiedene
erwähnt. Bei seinem Märtyrertum wurde Stephanus mit der
Kraft eines himmlischen Gesichtes gesegnet und ersah Jesus
zur Rechten Gottes stehen. 3) Als Joseph Smith in inbrün-
stigem Gebet den Herrn um Weisheit anflehte und ihn
um Leitung und Führung in seiner religiösen Bedrängnis
bat, sah er den Vater und den Sohn von einem Licht um-
geben, das den Glanz der Sonne überstrahlte. Einer von
diesen erklärte von dem andern, „Dieser ist mein lieber
Sohn, höre ihn,"*) Jedes Mitglied der Dreiheit wird Gott
genannt;^) zusammen bilden sie die Gottheit.
') Matthäus 3:16—17; Markus 1:9—11; Lukas 3:21—22.
») Johannes 14:26; 15:26.
') Apostelgesch. 7:55, 56.
*) Siehe Seite 10, 11.
') 1. Korinther 8:6; Johannesl:l — 14; Matthäus 4:10; 1. Timotheus
3:16; 1. Johannes 5:7; Mosiah 15:1 — 2.
Art. 1.] Gott und die Gottheit. 47
21. Einheit der Gottheit. — i) Die Gottheit ist in den
Eigenschaften, Kräften und Absichten ihrer Mitglieder
ein Vorbild der Einheit und Einigkeit. Während Jesus
auf Erden war,^) und auch als er sich seinen nephitischen
Dienern offenbarte,^) hat er von der Einigkeit zwischen
ihm und seinem Vater, und wiederum zwischen ihnen und
dem Heiligen Geist, wiederholt Zeugnis gegeben. Dieses
wird von einigen ausgelegt, als bedeute es, daß der Vater,
der Sohn und der Heilige Geist in Wesen und Person ein
und derselbe sei, und daß die Namen in Wirklichkeit
immer dieselbe Persönlichkeit, nur in verschiedenen Er-
scheinungen, vorstellen. Um das Irrtümliche dieser An-
sicht zu beweisen, mag vielleicht ein einziges Beispiel
genügen: Kurz bevor Christus verraten wurde, betete er
für seine Jünger, die Zwölfe und andere Gläubige, daß sie
in Einigkeit erhalten werden möchten,*) „daß sie eins
seien" wie der Vater und der Sohn eins sind. Es ist ver-
nunftwidrig zu glauben, daß Christus wünschte, seine
Anhänger möchten ihre Persönlichkeit verlieren und eine
Person werden, selbst wenn eine solche den Gesetzen der
Natur stracks zuwiderlaufende Veränderung überhaupt
möglich gewesen wäre. Christus wünschte, daß alle im
Herzen und im Geist und in Absicht eins sein sollten ; denn
solcher Art ist die Einheit zwischen ihm und seinem Vater,
und auch zwischen ihnen und dem Heiligen Geist.
22. Diese Einheit ist ein Vorbild der Vollkommenheit.
Der Sinn irgend eines Mitglieds der Dreiheit ist der Sinn
der anderen. Da alle drei mit dem Geiste der Reinheit
und Vollkommenheit begreifen, sind sie in ihrer Fähigkeit
zu begreifen und zu verstehen gleich. Und da sie von den
*) Siehe Anmerkung 11.
«) Johannes 10:30, 38; 17:11—22.
') 3. Nephi 11:27, 36: 28:10; siehe auch Alma 11:44.
') Johannes 17:11— 21.
48 Die Glaubensartikel. [Vorl. IL
gleichen Grundsätzen unfehlbarer Gerechtigkeit und
Unparteilichkeit geleitet werden, würden alle unter den-
selben Bedingungen und Umständen in gleicher Weise
handeln. Die Einheit der Gottheit, von der die Schrift
so reichlich zeugt, deutet weder eine rätselhafte Vereini-
gung der Substanz noch eine unnatürliche und deshalb
unmögliche Vermischung der Personen an. Vater, Sohn
und Heiliger Geist sind in Person und Gestalt eben so ge-
trennt als irgend drei Personen im Fleisch. Aber ihre
Einheit in Absicht und Wirken ist derart, daß ihre Ver-
ordnungen eins sind und ihr Wille, der Wille Gottes ist.
Einen zu sehen — heißt alle sehen. Darum sagte Christus,
als Philippus ihn dringend bat, ihnen den Vater zu zeigen :
„So lange bin ich bei euch, und du kennst mich nicht,
Philippus? Wer mich sieht, der sieht den Vater; wie
sprichst du denn: Zeige uns den Vater? Glaubet mir, daß
ich im Vater und der Vater in mir ist; wo nicht, so glaubet
mir doch um der Werke willen. "i)
23. Die Persönlichkeit eines jeden Mitglieds der Gott-
heit. — Aus den schon gegebenen Beweisen geht klar her-
vor, daß der Vater ein persönliches Wesen mit einer be-
stimmten Gestalt, mit Körperteilen und geistigen Leiden-
schaften ist. Jesus Christus, der, ehe er ins Fleisch kam,
im Geiste bei dem Vater^) war, und durch den die Welten
erschaffen wurden,^) lebte als Mensch unter den Menschen
und hatte alle körperlichen Eigenschaften eines Menschen.
Nach seiner Auferstehung erschien er in derselben Gestalt,*)
in dieser Gestalt fuhr er gen Himmel;^) und in dieser
Gestalt hat er sich auch den Nephiten und neuzeitlichen
0 Johannes 14:9, 11.
«) Johannes 17:5.
») Johannes 1:3; Hebräer 1:2; Epheser 3:9; Kolosser 1:16.
♦) Johannes 20:14, 15, 19, 20, 26, 27; 21:1—14; Matthäus 28:9;
Lukas 24: 15—31, 36 — 44.
') Apostelgesch. 1 : 9 — 11.
Art. 1| Gott und die Gottheit. 49
Propheten geoffenbart. Uns wird versichert, daß Christus
im ausdrücklichen Ebenbilde seines Vaters ist,i) nach wel-
chem Ebenbild auch der Mensch erschaffen worden ist. 2)
Daher wissen wir, daß sowohl der Vater als auch der Sohn
in Gestalt und Körperform ein vollkommener Mensch ist.
Beide besitzen einen fühlbaren Körper von unendlicher
Reinheit und Vollkommenheit und umgeben von erha-
bener Herrlichkeit; aber doch bestehen ihre Körper aus
Fleisch und Bein, 3)
24. Der Heilige Geist, auch der Geist, der Geist des
Herrn,^) der Geist Gottes,^) der Tröster®) und der Geist
der Wahrheit') genannt, hat nicht einen Körper von
Fleisch und Bein, sondern ist nur eine Person aus Geist. ^)
Aber doch wissen wir, daß sich der Geist in Menschengestalt
geoffenbart hat.^) In ihrem Umgang mit der Menschheit
wirken der Vater und der Sohn vermittels des Dienens des
Geistes,^") durch seine Vermittlung wird Erkenntnis mit-
geteilt,^!) und durch ihn werden die großen Werke der
Schöpfung fortgeführt. 12) j)er Heilige Geist, der Zeuge
des Vaters und des Sohnes, 1=^) erklärt den Menschen ihre
Eigenschaften und zeugt von den anderen Persönlich-
keiten der Gottheit. 1*)
0 Hebräer 1:3; Kolosser 1 :15; 2. Korinther 4:4.
') 1. Mose 1:26—27; Jakobus 3:8—9.
') Lehre u. Bündn. 30:22.
*) 1. Nephi 4:6; 11:8; Mosiah 13:5; Apostelgesch. 2:4; 8:29; 10:19;
Römer 8:10, 26; 1. Thessalonicher 5:19.
') Matthäus 3:16; 12:28; 1. Nephi 13:12.
") Johannes 14:16.
') Johannes 15:26; 16:13.
') Lehre u. Bündn. 130 : 22 ; auch die f ünfteVorlesung über Glauben : 2,3.
») 1. Nephi 11:11.
") Nehemia 19:30; Jesaja 42:1; Apostelgesch. 10:19; Alma 12:3;
Lehre u. Bündn. 105:36; 97:1.
") Johannes 16:13; 1. Nephi 10:19; Lehre u. Bündn. 35:13; 50:10.
'^) 1. Mose 1:2; Hiob 26:13; Psalm 104:30; Lehre u. Bündn. 29:31.
") Johannes 15:26; Apostelgesch. 5:32; 20:23; 1. Korinther 2:11;
12:3; 3. Nephi 11:32.
") Zu einer weiteren Erklärung des Heiligen Geistes, seiner Persön-
lichkeit und Eigenschaften, siehe Vorlesung VIH. 3
50 Die Glaubensartikel. [Vorl. II.
25. Einige der göttlichen Eigenschaften. — Gott ist
allgegenwärtig: Es gibt keinen Teil des Weltalls, sei er
auch noch so entfernt, in den er nicht hinein dringen kann.
Durch die Macht des Heiligen Geistes ist die Gottheit
zu allen Zeiten in unmittelbarer Verbindung mit allen
Dingen. Daher heißt es, daß Gott zur gleichen Zeit aller-
orten gegenwärtig ist. Es ist aber unvernünftig, zu glauben,
daß die wirkliche Person irgendeines Mitglieds der Gott-
heit an mehr als einem Ort zu einer Zeit sein könnte. Got-
tes Sinne sind von unendlicher Macht, sein Verstand von
unbegrenzter Fähigkeit, sein Auge kann allen Raum er-
forschen, und sein Ohr vernimmt jeden Laut; die Macht,
sich von einem Ort zum andern zu begeben, ist ihm un-
begrenzt, aber immerhin ist es klar, daß seine Person
zu einer Zeit an nicht mehr als einem Ort sein kann. Die
Persönlichkeit Gottes anerkennend, ist man gezwungen
die Tatsache seiner Körperlichkeit anzunehmen. In Wahr-
heit kann ein „unkörperhches Wesen", mit welchem sinn-
losen Ausdruck einige versucht haben, die Beschaffenheit
Gottes zu bezeichnen, nicht bestehen, denn selbst der
Ausdruck ist ein Widerspruch der Worte. Wenn Gott
eine Gestalt besitzt, muß diese Gestalt notwendigerweise
von bestimmtem Maß, und folglich von begrenzter Aus-
dehnung im Räume sein. Es ist Gott dann unmöglich,
mehr als den einen Raum von solchen Grenzen zu einer
Zeit einzunehmen ; und man braucht sich gar nicht darüber
zu wundern, wenn man aus der Schrift lernt, daß Gott
sich von Ort zu Ort bewegt. Wir lesen in Verbindung mit
dem Bericht über den Turmbau zu Babel: „Da fuhr der
Herr hernieder, daß er sähe die Stadt und den Turm, die
die Menschenkinder bauten. "i) Und wiederum, Gott er-
schien Abraham und erklärte, er sei „der allmächtige
') 1. Mose 11;
Art. 1.] Gott und die Gottheit. 51
Gott". Er sprach mit dem Patriarchen und machte
einen Bund mit ihm. Dann lesen wir: „Und er hörte auf,
mit ihm zu reden. Und Gott fuhr auf von Abraham. "i)
26. Gott ist allwissend. — Durch ihn ist der Urstoff
gestaltet und geordnet und der Lebenskraft die Richtung
gegeben worden. Er ist daher der Schöpfer aller erschaffe-
nen Dinge, und „Gott sind alle seine Werke bewußt von
der Welt her, "2) Da sie unbegrenzt sind, sind seine Macht
und Weisheit dem Menschen unbegreiflich. Da er selbst
ewig und vollkommen ist, kann seine Erkenntnis nicht
anders als unbegrenzt sein. Um sich selbst — ein endloses
Wesen — zu begreifen, muß er einen unendlichen Verstand
haben. Durch die Vermittlung seiner Engel und helfenden
Diener ist er in fortwährender Verbindung mit allen Teilen
des Weltalls und kann sie persönlich besuchen, wann es
ihm beliebt.
27. Gott ist allmächtig. — Er wird mit Recht der
Allmächtige genannt. In den Kräften, die die Elemente
der Erde beherrschen, die die Himmelskörper in ihren
Bahnen führen, ja auf allen Seiten kann man die Beweise
der göttlichen Allmacht wahrnehmen. Alle diese wirken
zusammen für das gemeine Wohl. Es kann keine Grenzen
der Macht Gottes geben. Was immer seine Weisheit für
angebracht hält, kann und wird er tun. Die Mittel, wo-
durch er wirkt, mögen an und für sich nicht von unend-
licher Fähigkeit sein, aber sie werden von einer unendlichen
Macht geleitet. Die Macht, alles zu vollbringen was er
tun will, ist der richtige Begriff von seiner Allmacht.
28. Gott ist gütig, wohlwollend und liebreich, zärtlich,
bedächtig und langmütig ; er hat Geduld mit den Schwach-
heiten seiner widerspenstigen Kinder. Er ist gerecht,
') 1. Mose 17:1, 22.
') Apostelgesch. 15:18; siehe auch Köstl. Perle, Moses 1:6, 35;
1. Nephi 9:6.
52 Die Glaubensartikel. [Vorl. II
doch im Gericht barmherzig^) und erzeigt allen die gleiche
Gnade. Und doch vereinigt er mit diesen sanfteren Eigen-
schaften eine Standhaftigkeit im Bestrafen des Un-
rechts, die beinahe ein Grimm ist. 2) Er ist eifrig^) für seine
eigene Macht und für die Verehrung, die ihm seine Kinder
darbringen, oder in anderen Worten, er ist eifrig für die
Prinzipien der Wahrheit und Reinheit, für die man nir-
gendwo höhere Beispiele findet als in seinen persönlichen
Eigenschaften. Dieses Wesen ist der Schöpfer unsres
Daseins, und wir dürfen uns ihm als unserm Vater nahen.
In dem Maße wie wir von ihm mehr erfahren, wird unser
Glaube an ihn wachsen.
29. Abgötterei und Gottesleugnung (Atheismus). —
Bei den zahlreichen Beweisen des Daseins Gottes, ein
Dasein, an das die Menschheit so allgemein glaubt, scheint
der Gottesleugner wenig Grund zu haben, worauf er seinen
Unglauben vernünftig gründen und aufrecht erhalten
könnte; und in Anbetracht der vielen Beweise des lieb-
reichen Wesens, der Eigenschaften und Gesinnung Gottes,
sollte wenig Neigung bestehen, sich an falsche und unwür-
dige Gegenstände der- Verehrung zu wenden. Dennoch
zeigt die Geschichte der Menschen, daß dem Theismus,
welcher die Lehre von dem Glauben an und der Aner-
kennung von Gott als dem rechtmäßigen Regierer ist,
durch viele verschiedene Arten von Gottesleugnung ent-
gegentreten wird;*) und auch, daß der Mensch geneigt
ist, seinem Ruhm, ein vernünftiges Geschöpf zu sein,
zu widersprechen und seine Anbetung vor Götzenal-
tären zu verrichten. Die Gottesleugnung ist jedenfalls
') S.Mose 4:31; 2. Chronik 30:9; 2. Mose 34:6; Nehemia 9:17,
31; Psalm 116:5; 103:8; 76:15: Jeremia 32:18; 2. Mose 20:6.
') 2. Mose 20:5; 5. Mose 7:21, 10:17; Psalm 7:11.
») 2. Mose 20:5: 24:14; 5. Mose 4:24; 6:14, 15; Josua 24:19, 20.
') 1. Siehe Anmerkung 6.
Art. 1.] Gott und die Gottheit. 53
eine Entwicklung späterer Zeiten, während die Abgötterei
sich als eine der ersten Sünden der Menschheit zeigte.
Sogar schon zur Zeit des Auszugs Israels aus Ägypten-
land hatte es der Herr für notwendig gehalten, durch
Gesetz zu gebieten, ,,Du sollst keine andern Götter neben
mir haben. "1) Doch während er diese Worte auf die stei-
nernen Tafeln schrieb, verbeugte sich sein Volk vor dem
goldenen Kalb, welches es nach dem Vorbild des ägypti-
schen Abgotts geformt hatte.
30. Es ist schon erklärt worden, daß der Mensch
einen Naturtrieb zur Verehrung besitzt, und daß er einen
Gegenstand für seine Anbetung fordert und finden wird.
Als der Mensch in die Finsternis fortwährender Übertre-
tung fiel und den Schöpfer seines Daseins, seiner Väter
Gott, vergaß, suchte er nach andern Göttern, Einige
sahen die Sonne als das Urbild des Allerhöchsten an, und
vor diesem Himmelskörper warfen sie sich im Anflehen
nieder. Andere wählten irdische Erscheinungen für ihre
Anbetung; sie bewunderten das Geheimnis des Feuers,
und als sie seine wohltätigen Wirkungen erkannten,
verehrten sie die Flamme. Einige sahen oder dachten, sie
hätten im Wasser das Sinnbild des Reinen und Guten und
verrichteten ihre Andachten an fließenden Strömen,
Andere, denen die Erhabenheit der emporragenden Berge
Ehrfurcht eingeflößt hatte, begaben sich nach diesen Tem-
peln der Natur, und anstatt den zu verehren, zu dessen
Ehre und durch dessen Macht dieser Altar aufgebaut
wurde, beteten sie den Altar an. Eine andere Klasse, die
von Ehrfurcht für das Sinnbildliche noch mehr durchdrun-
gen war, begehrte künstliche Gegenstände der Anbetung
für sich selbst zu erschaffen. Sie machten Götzenbilder
und beteten sie an; sie schnitzten seltsame Figuren aus
') 2, Mose 20:3.
54 Die Glaubensartikel. (Vorl. II.
Baumstämmen und meißelten sonderbare Gestalten aus
Stein, und vor diesen verbeugten sie sich.^)
,,Ist Gott den Völkern unbekannt,
so stellen sie sich Götzen auf."
31. Die Gebräuche der Abgötterei wurden mit der
Zeit in einigen ihrer Erscheinungen mit Riten der schauder-
haftesten Grausamkeit verbunden, wie die Sitte, Kinder
dem Moloch oder unter den Hindus, dem Ganges zu opfern,
und wie das allgemeine Gemetzel der Menschen unter
druidischer Tyrannei. Die Abgötter, die sich die Mensch-
heit aufgestellt hat, sind unbarmherzig, gefühllos und
grausam. 2)
32. Wie schon erwähnt, ist Atheismus die Ver-
leugnung des Daseins Gottes, in milderer Gestalt viel-
leicht auch nur die Nichtachtung der Gottheit. Aber
auch der vorgebliche Atheist oder Gottesleugner ist, wie
seine gläubigen Mitmenschen, der allgemeinen mensch-
lichen Neigung zur Verehrung unterworfen. Und obwohl
er sich weigert, den wahren und lebendigen Gott anzuer-
kennen, vergöttert er, bewußt oder unbewußt, irgendein
Gesetz, einen Gedanken, eine Leidenschaft der mensch-
lichen Seele, oder vielleicht irgendein körperliches Ge-
schöpf, und zu diesem wendet er sich, um in der Betrach-
tung des unwürdigen Gegenstandes einen Anschein des
Trostes zu suchen, den der Gläubige im reichlichen Über-
fluß vor dem Throne seines Vaters und Gottes findet.
Ich bezweifle sehr das Vorhandensein eines Mannes, der
durch und durch Atheist ist, der aufrichtig mit fester
Überzeugung das Dasein einer allweisen allerhöchsten
Macht in seinem Herzen leugnet. Der Begriff eines Gottes
ist ein wesentliches Merkmal der menschlichen Seele. Der
*) Siehe Anmerkung 7.
') Siehe Anmerkung 8.
Art. 1.] Gott und die Gottheit. 55
Philosoph anerkennt die Notwendigkeit eines solchen
Grundbegriffes in seinen Erklärungen des Seins. Er mag
sich von einer öffentlichen Anerkennung eines persönlichen
Gottes zurückhalten, doch nimmt er das Dasein einer
„regierenden Macht", eines „großen Unbekannten", des
„Unerkennbaren", des ,,Unbegrenzbaren", des „Unbe-
wußten" an. 0 Mensch des Wissens, obwohl nicht der Weis-
heit! Warum verweigerst du die Vorrechte, die das all-
mächtige und allwissende Wesen, dem du dein Leben
verdankest, und dessen Namen du dennoch nicht aner-
kennen willst, dir anbietet? Kein Sterblicher, der dessen
Vollkommenheiten und Macht betrachtet, kann sich ihm,
ausgenommen in heiliger Scheu und unaussprechlicher
Ehrfurcht, nahen. Wenn wir ihn nur als Schöpfer und
Gott betrachten, werden wir von diesem Gedanken zur
Demut vor ihm geleitet. Aber er hat uns das Vorrecht ge-
geben, sich ihm als seine Kinder zu nahen, und ihn mit
dem teuren Namen ,, Vater", anzurufen! Und selbst der
Gottesleugner fühlt in den ernstern Augenblicken seines
Lebens in eben so natürlicher Weise als sich seine Liebe
dem Vater, der ihm sterbliches Leben gab, zuwendet,
ein Sehnen nach dem geistigen Vater. Der Atheismus
von heute ist bei alledem nur eine Art Abgötterei.
33. Sektiererische Begriffe von der Gottheit. — Nach-
dem die Apostel mit ihrem Priestertum von der Erde ver-
trieben worden waren, Offenbarungen aufgehört hatten, und
die mit dem Fehlen der göttlichen Vollmacht verbundene
Finsternis sich auf die Erde herniedergesenkt hatte,
wich die übereinstimmende, einfache und glaubwürdige
Lehre von dem Wesen und den Eigenschaften Gottes, wie
sie Christus und seine Apostel gelehrt hatten. Dafür er-
schienen zahlreiche Meinungen und Lehrsätze der Menschen,
von denen viele in ihrem geheimnisvollen Wesen und in-
nerem Widerspruch höchst unbegreiflich sind. Im Jahre
56 Die Glaubensartikel. [Vorl. IL
325 berief Kaiser Konstantin ein Konzil nach Nizäa ein,
weil er eine Erklärung des christlichen Glaubens für nötig
hielt, die als maßgebend betrachtet werden, und die auch
dazu dienen könnte, der zunehmenden allgemeinen Un-
einigkeit und dem Zwist hinsichtlich des Wesens der Gott-
heit und anderer theologischen Fragen Einhalt zu gebieten.
Dieses Konzil verdammte einige der damals allgemeinen
Theorien, unter anderm auch die Theorie von Arius, die
eine getrennte Persönlichkeit für jedes Mitglied der Drei-
heit behauptete; es verkündete eine Glaubenslehre, die
jetzt als das nizäische Glaubensbekenntnis bekannt ist.
Die Erklärung dieser Lehre, die mutmaßlich von Athana-
sius verkündet wurde, lautet wie folgt: Wir verehren einen
Gott in der Dreieinigkeit und die Dreifaltigkeit in der
Einheit, indem wir weder die Personen vermischen noch
die Wiesen trennen. Denn es gibt eine Person des Vaters,
eine andere des Sohnes und eine andere des Heiligen Geistes.
Aber die Gottheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen
Geistes ist nur eine, die Herrlichkeit dieselbe, die Majestät
gleich ewig. Wie der Vater ist, so ist der Sohn und so ist
der Heilige Geist: der Vater unerschaffen, der Sohn un-
erschaffen und der Heilige Geist unerschaffen; der Vater
unbegreiflich, der Sohn unbegreiflich und der Heilige
Geist unbegreiflich; der Vater ewig, der Sohn ewig und der
Heilige Geist ewig. Und doch sind nicht drei Ewige, son-
dern ein Ewiger, wie auch nicht drei Unbegreifliche, noch
drei Unerschaffene sind, sondern ein Unerschaffener und
ein Unbegreiflicher. Ebenso ist der Vater allmächtig, der
Sohn allmächtig und der Heilige Geist allmächtig; und
doch sind nicht drei Allmächtige, sondern nur ein All-
mächtiger. Also der Vater ist Gott, der Sohn ist Gott,
und der Heilige Geist ist Gott; und doch sind nicht drei
Götter, sondern ein Gott. — Es würde schwer sein, mehr
Art. 1.] Anmerkungen. 57
Widersprüche zu ersinnen und in so wenig Worten auszu-
drücken, als wir sie hier beisammen finden.
34. Die englische Kirche lehrt die gegenwärtig ortho-
doxe Gottesvorstellung wie folgt: „Es ist nur ein lebendi-
ger und wahrer Gott, ewig, ohne Körper, Teile oder Leiden-
schaften; von unendlicher Macht, Weisheit und Güte."
Die in diesen Erklärungen des sektiererischen Glaubens be-
hauptete Unkörperlichkeit Gottes ist ganz in Widerspruch
mit den Schriften und wird, wie schon durch die erwähnten
Anführungen gezeigt worden ist, durch die Offenbarungen
der Person und der Eigenschaften Gottes gründlich
widerlegt.
35. Wir behaupten, daß das Leugnen der Körper-
lichkeit der Person Gottes auch das Leugnen Gottes
ist, denn ein Ding ohne Teile kann kein Ganzes sein, und
eine unkörperliche Persönlichkeit kann kein Dasein haben.^)
Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage wider-
spricht der Lehre von einem unbegreiflichen Gott olme
„Körper, Teile oder Leidenschaften", als einem Wesen, das
unmöglich ein Dasein haben kann, und behauptet ihren
Glauben an den wahren und lebendigen Gott der Schrift
und Offenbarung, und verkündigt ihre Treue zu ihm.
Anmerkunneu.
1. Der Glaube an einen Gott Ist natürlich. — ,,Die große und ur-
sprüngliche Wahrheit, daß es einen Gott gibt, hat unter den iMenschen fast
ohne Ausnahme und in allen Zeitaltern fortbestanden. Die Heilige Schrift,
die auf jedem Blatt von Gott berichtet, und die auf die Empfindungen der
Menschheit während einer Zeitspanne von ungefähr viertausend .Jahren
hinweist, nimmt daher diese Wahrheit als anerkannt an. Sogar in den
frühesten Zeitaltern der Welt findet man keinen ausdrücklicheren Beweis,
daß der theoretische oder grübelnde Gottesglaubcn irgendwelche Fürspre-
cher hatte; und obwohl es in einer späteren Zeit heißt: Die Toren sprechen
in ihrem Herzen: Es ist kein Gott, scheint das Gefühl mehr in ihren Herzen
als in ihrem Verstand zu bestehen, und hatte dabei solch einen schwachen
Einfluß auf das Denken anderer Menschen, daß die Verfasser der Schrift
') Siehe Anmerkung
58 Die Glaubensartikel. [Vorl. IL
es nicht für notwendig hielten, den Irrtum weder durch formelle Beweis-
führung noch durch Berufung auf wunderbare Wirkungen zu bekämpfen.
Die Vielgötterei, nicht die Gottesleugnung, war die allgemeine Sünde, und
deshalb war es nicht so sehr das Ziel der inspirierten Männer, das Sein des
einen Gottes als vielmehr das Nichtsein anderer Götter zu beweisen, seine
Autorität aufrecht zu erhalten und seine Gesetze in Kraft zu halten, „zur
Ausschließung aller anmaßenden Nebenbuhler.***"
„So klar, vollständig und unwiderleglich sind die Beweise des Daseins
Gottes, daß sie in allen Zeitaltern und unter allen Völkern allgemeinen
Glauben hervorgerufen haben. Die einzigen Ausnahmen bilden ein paar
wilde Völkerstämme einer tiefgesunkenen Rasse, unter denen der Begriff
von Gott mit jeder Spur der Zivilisation verschwunden ist, und einige
überspannte vorgebliche Pnilosophen, die behaupten, alles, was andere
glauben, zu bezweifeln und die selbst die Wahrheit ihrer eigenen Empfin-
dungen in Frage stellen; die allgemeine Zustimmung zu dem Dasein eines
Gottes könnte als Zeugnis von großem Wert dieser Beweisführung beige-
geben werden." — Cassel's Biblisches Wörterbuch, Artikel „Gott".
2. nie Wichtigkeit des Glaubens an Gott. — „Das Dasein eines allerhöch-
sten Wesens ist ohne Zweifel der erhabenste Gedanke, der je in den mensch-
lichen Sinn kommen kann, und selbst als wissenschaftliche Frage kann er
seinesgleichen nicht haben, denn er nimmt es auf sich, die Ursache aller
Ui Sachen, die große Urtatsache in der Philosophie, die letzte und erhabenste
Verallgemeinerung der wissenschaftlichen Wahrheit darzulegen. Doch
ist dieses noch die bescheidenste Forderung, die er unserem Studium dar-
bieten kann, denn er bildet den wahren Grund der Moral, der Tugend und
der Religion; er stützt den sozialen Bau und halt seine Teile zusammen;
er umfaßt die wichtige Frage der Unsterblichkeit des Menschen und seiner
Verantwortlichkeit zu der allerhöchsten Macht, und ist mit seinen schönsten
Hoffnungen und höchsten Genüssen unzertrennlich verbunden. Er ist
nicht allein eine als Grundlage dienende Wahrheit, sondern er ist der er-
habene Mittelpunkt aller anderen Wahrheiten. Von ihm strahlen alle an-
deren Wahrheiten der Wissenschaft, der Ethik und der Religion aus. Er
ist die Quelle, aus der sie alle entspringen, der Mittelpunkt, in den sie alle
zusammenlaufen und die eine erhabene Voraussetzung, von der sie alle
Zeugnis geben. An feierlicher Größe und wichtigen Folgen gibt es deshalb
nichts Gleichartiges." — Dasselbe.
3. Der Glaube an Gott, natürlich und notwendig. — Dr. Joseph Le
Conte, Professor der Geologie und der Naturgeschichte an der Universität
von Kalifornien und ein weltberühmter Gelehrter, hat sich wie folgt ge-
äußert: ,,Der Theismus, oder der Glaube an Gott oder an Götter, oder an
eine übernatürliche Wirkung irgendeiner Art, die die Erscheinungen um
uns beherrscht, ist der eherne Urgrund und die Grundbedingung aller
Religion, er ist daher allumfassend, notwendig undauf innerer Anschauung
beruhend. Ich werde deshalb nicht versuchen. Beweise für das, das hinter
allen Beweisen steht, zu erbringen, denn es ist schon gewisser, als irgend etwas
durch irgendeine Beweisführung gewiß gemacht werden kann. Der Grund
dieses Glaubens liegt in der Natur des Menschen selbst. Er ist der eigentliche
Kern und die Grundlage der Vernunft. Er, und er allein, gibt der Natur Sinn
und Bedeutung. Ohne ihn wäre weder Religion noch Wissenschaft noch
menschliches Leben möglich. Denn man beobachte, was das ausgeprägte
Kennzeichen des Menschen im Verhältnis zu der äußerlichen Natur ist. Dem
Art. 1.] Anmerkungen. 59
Tiere sind die Erscheinungen der Natur nur sinnliche Erscheinungen, der
Mensch aber schreitet, und zwar gerade in dem Maße in dem er seine mensch-
lichen Sinne gebraucht, unwillkürhch von den Erscheinungen zu ihren
Ursachen fort. Dies ist die Folge eines Naturgesetzes und daher unvermeid-
lich, aber der Vorgang des Fortschreitens ist bei den kultivierten und un-
kultivierten Rassen verschieden. Wenn eine Erscheinung, von der die
Ursache nicht sogleich erkannt wird, stattfindet, geht der unkultivierte
Mensch mit einem Schritt von den sinnlichen Erscheinungen zu dem Ur-
grund; während der kulti\ierte und besonders der wissenschaftlich gebildete
Mensch von der Erscheinung durch eine Kette von Ursachen zweiten
Grades zu der ersten schreitet. Dieses Gebiet der Ursachen zweiten Grades
und dieses allein, ist das Arbeitsfeld der Wissenschaft. Die Wissenschaft
könnte wohl bezeichnet werden als das Studium der Art und Weise der
Wirkung der Grundursache. Es ist deshalb klar, daß die Anerkennung der
Ursachen zweiten Grades den Begriff von dem Dasein Gottes nicht aus-
schließen kann. * * * Daher ist der Theismus notwendig und natürlich,
und deshalb auch allgemein. Wir könnten ihn, auch wenn wir wollten,
nicht los werden. Stoße ihn, wie es viele tun, durch die vordere Türe hinaus,
und er wird — vielleicht unerkannt — durch die hinter Tür zurückkommen.
Vertreibe ihn in seinen edleren Gestalten, wie er in der Schrift geoffenbart
wird, und er wird in seinen niedrigen Gestalten, vielleicht als Magnetismus,
Elektrizität oder Schwerkraft, oder irgend eine andere naturbeherrschende,
scheinbar wirksame Kraft, zu dir zurückkehren. In edler oder in niedriger
Gestalt wird er ein Gast des menschlichen Herzens werden. Deshalb
wiederhole ich: der Gottesglauben bedarf weder des Beweises noch kann
er bewiesen werden. Aber in dieser letzten Zeit ist eine starke Neigung vor-
handen, für den Gottesglauben (Theismus) die Gestalt des Pantheismus
(„Pantheismus = Ansicht, daß das Weltall Gott selbst sei". Weigand,
Deutsches Wörterbuch, Band II, Seite 363) anzunehmen, wodurch der
religiöse Glaube seiner ganzen Kraft über das menschliche Herz beraubt
■wird. Es wird daher notwendig sein, daß ich nicht das Dasein, sondern die
Persönlichkeit der Gottheit klarlege.*** Unter einer gewissen Klasse
kulti\-ierter Geister, und besonders unter den Wissenschaftern, wird ein
zunehmendes Gefühl zuweilen offen geäußert, zuweilen nur unklar empfun-
den, daß das, was wir Gott nennen, nur ein allumfassendes, alldurchdringen-
des, die Natur belebendes Prinzip sei — ein allgemeines Prinzip der Entwick-
lung — eine unbewußte, unpersönliche Lebenskraft, unter der das ganze
Weltall sich langsam entwickele. Diese Form des Theismus kann vielleicht
die Forderungen einer rein spekulativen Philosophie, aber nie die Sehnsucht
des menschlichen Herzens befriedigen.*** Die Beweisführung für die Per-
sönUchkeit Gottes ist gleichartig den Beweisen der intelligenten Einrich-
tung und des intelligenten Entwurfs oder von der Anordnung der Teile
zu einem gewissen und intelligenten Zweck abgeleitet. Es wird gewöhnlich
das Argument von dem Entwurf genannt. Die Kraft dieses Beweismittels
wird sofort von allen Menschen innerlich empfunden, und seine Wirkung
ist für jeden einfachen, ehrlichen, von übersinnlichen Spitzfindigkeiten
ungeplagten Menschen unwiderstehlich und überwältigend." — Prof.
Joseph Le Conte, in ,, Religion and Science", S. 12 — 14.
4, Gott in der Natur. — Sir Isaak Newton, einer der genauesten
wissenschaftlichen Arbeiter, äußerte sich in einem Brief an seinen Freund
Dr. Bentley im Jahre 1692 über das natürliche Weltall wie folgt: „Um
60 Die Glaubensartikel. [Vorl. IL
einen solchen Weltenbau mit all seinen Bewegungen zu erschaffen, war
eine Ursache erforderlich, die verstehen und mit einander vergleichen
konnte die Masse und Größe des Stoffes der Sonne und der andern Himmels-
körper und die von ihnen ausgehende Schwerlcraft, sodann die verschie-
denen Entfernungen der Hauptgestirne von der Sonne und die der unter-
geordneten Himmelskörper von Saturn, Jupiter und Erde, ferner die Ge-
schwindigkeit mit der sich diese Weltkörper um jene Stoffmassen der Zen-
tralgestirne drehen könnten. Und alles dies in solch großer Mannigfaltig-
keit von Himmelskörpern zu vergleichen und einzurichten, spricht dafür,
daß die Ursache weder blind noch zufällig sein konnte, sondern in der
Mechanik und Geometrie sehr bewandert war."
5. Natürliehe Hinweise auf ilas Dasein Gottes. — „Es ist vielleicht
nicht möglich, wenigstens nicht wahrscheinlich, daß Gott mit dem Mikros-
kop und Zergliederungsmesser, mit der Probierröhre oder Flasche und mit
dem Winkelmesser oder Fernrohr gefunden werden kann ; aber mit solchen
Werkzeugen kann der ernste Student nicht verfehlen, eine unsichtbare
Kraft, die doch eine Kraft ist, deren Schläge und Bewegungen unverkennbar
sind, zu erkennen. Die Ausdehnung unsres Sonnensystems schien dem
Menschen einst viel begrenzter zu sein als heute, und die Entdeckung des
entferntesten Planeten der Planetengruppen war nur die Folge der Wahr-
nehmung einer anziehenden Kraft, die nur diu-ch das Voraussetzen des
Daseins eines andern Planeten erklärt werden konnte. Der Astronom, der
die bekannten Himmelskörper in ihren Kreisbahnen verfolgte, konnte das
Ziehen fühlen, konnte den Faden, der sie von der engeren Bahn zog, sehen.
Als er Blatt für Blatt die Berechnungen aufhäufte, sah er den Neptun nicht,
aber das Dasein dieses Himmelskörpers wurde deutlich angezeigt, und durch
das Beachten der Andeutungen suchte und fand er ihn. Die Theorie allein
hätte ihn nie offenbaren können, obwohl die Theorie ohne ihn unvollkommen
und unzulänglich war; aber das verwirklichte, durch wissenschaftliche
Gedanken angetriebene Suchen führte zu der großen Vorführung. Und was
istdieganzeWissenschaftanders als Theorie, wenn sie mit dem praktischen
Einfluß des andächtigen Vertrauens auf die Hilfe einer allmächtigen, all-
wissenden Macht verglichen wird ? Schätze nicht gering deine wässenschaft-
liche Tätigkeit, das Zittern einer Nadel, das den magnetischen Einfluß
offenbart, den inneren Naturtrieb, der von einem Leben und einem Leben-
spendenden uns zuflüstert, die weit über die menschliche Kraft hinausreichen,
sie zu erklären oder zu begreifen! Wenn du unter der Himmelswöl-
bung sitzest, und in der tiefsten Stille der Nacht über die Unruhe und das
Sehnen, die die Seele nicht unbeachtet lassen können, nachsinnst, kehre
dich nach der von diesen Gefühlen angegebenen [lichtung, und mit dem
durchdringenden, räum- und zeitaufhebenden Fernglas des Gebets und
Glaubens, suche die Quelle dieser alles durchdringenden Kraft." — Der
Verfasser, in „The Baccalaureate Sermon", Utah University Quarterly,
September 1895.
6. Theismus (Gottescjlanbc), Atheismus (Gottesleugnung), usw. —
Nach dem üblichen Sprachgebrauch, bedeutet Theismus Glauben an Gott —
die Anerkennung des einen lebendigen und ewigen Wesens, welches sich
den Menschen geoffenbart hat. Der Deismus (Gottglaube ohne Offenbarung)
schließt einen angeblichen Glauben an Gott in sich, verleugnet aber die
Macht der Gottheit, sich zu offenbaren, und glaubt nicht an das Christen-
tum. Das Wort wird mit verschiedenen Bedeutungen angewendet, imter
Art. 1.] Anmerkungen. 61
denen die folgenden wichtig sind: 1. Der Glaube an Gott als ein intelligentes
und ewiges Wesen, aber die Verleugnung aller göttlichen Fürsorge; 2. der
Glaube an Gott und die Verleugnung eines weiteren Standes der Seele;
3. wie von Kant verkündigt wird, die Verleugnung eines persönlichen
Gottes, während der Glaube an eine unendliche Kraft behauptet wird, die
mit dem Stoff unzertrennlich verbunden ist, und die als die erste große
Ursache wirkt. Der Pantheismus (All-Gottglaube) betrachtet Geist und
Stoff als etwas, das alles Endliche und Unendliche in sich begreift und nennt
dieses allumfassende Sein, Gott. In seiner philosophischen Erscheinung
hat der Pantheismus „drei Stammformen mit Abweichungen: 1. der
,, Substanzpantheismus, der die Eigenschaften des Geistes und des Stof-
fes, des Gedankens und der Ausdehnung, dem allumfassenden Sein
zuschreibt (Lehre Spinozas); 2. der materialistische Pantheismus, der ihm
nur die Eigenschaften des Stoffes zuschreibt (Lehre von Strauß); 3. der
idealistische Pantheismus, welcher ihm nur das Dasein des Geistes zu-
schreibt (Lehre Hegels)." In seiner Lehre schließt der Pantheismus „die
auf den Lehrsatz, daß das ganze ungeheure, den Menschen und die Natur
einschließende Weltall, nur die immerwechselnde Offenbarung Gottes sei",
begründete Verehrung der Natur und der Menschheit, in sich. Der Po-
lytheismus ist die Lehre von der Mehrheit der Götter, die gewöhnlich als
Verkörperungen der Kräfte oder der Erscheinungen der Natur angesehen
werden. Der Monotheismus lehrt, daß es nur einen Gott gäbe. Atheismus
ist Gottesleugnung, oder Unglaube inbezug auf das Dasein Gottes. Der
dogmatische Atheismus verleugnet das Dasein Gottes, während es der
negative Atheismus unbeachtet läßt. Der Unglaube wird zuweilen als
gleichbedeutend mit Atheismus bezeichnet, obwohl das Wort eigentlich
eine schwächere Art des Glaubens bezeichnet, die sich in Zweifel und
Mißtrauen gegenüber religiösen Dingen, in Unglauben gegenüber der
Religion der Bibel, und natürlich in der Verwerfung der Lehren des Chris-
tentums äußert. Der Agnostizismus behauptet, daß Gott unbekannt
und unerkennbar sei, daß sein Dasein weder bewiesen noch widerlegt wer-
den könne; weder behauptet noch verleugnet er das Dasein eines persön-
lichen Gottes; er ist die Lelire: „Wir Wissens nicht." — Siehe Standard
Dictionary.
7. AbjjöUische Bräuche im alloemeinen. — Die Seele des Menschen,
wenn einmal der Verderbtheit hingegeben, ist sehr geneigt, von Gott und
seinen Gesetzen abzuweichen. „Daher", sagtBurder, „sind die Altäre und
Unholde des heidnischen Altertums und ihre überspannten Einbildungen
und abscheulichen Gelage entstanden. Deshalb finden wir bei den Baby-
loniern und Arabern die Anbetung der Himmelskörper, die frühsten Arten
der Abgötterei, bei den Kanaanitern und Syrern die Anbetung von Baal,
Thammus, Magog und der Astai^te, bei den Phöniziern das Opfern der
Kinder zur Ehre Molochs, bei den Ägyptern die den Tieren, Vögeln, In-
sekten, dem Lauch und den Zwiebeln erwiesenen göttlichen Verehrungen, bei
den Persern die dem Feuer dargebrachte religiöse Verehrung, und bei den
gebildeten Griechen in ihrem Glaubenssyslem, die Anerkennung von dreißig
tausend Göttern. Deshalb finden wir auch heutzutage bei den meisten
heidnischen Völkern die tödlichsten Arten von Aberglauben, die grau-
samsten und blutigsten Gebräuche und die abstoßendste Zügellosigkeit
und Untugend, welche in dem Namen der Religion ausgeübt werden." —
History of all Religions, S. 12.
62 Die Glaubensartikel. [Vorl. II.
8. Beispiele gräOllcher Abgötterei. — Die Verehrung des Götzen
Moloch wird gewöhnlich als ein Beispiel der grausamsten und verabscheu-
ungswürdigsten, den Menschen bekannten Abgöttereien angeführt. Moloch,
auch Molech, Malcham, Milkom, Baal-melech, usw. genannt, war ein Abgott
der Ammoniter und wird wegen seiner grausamen Vorschriften in der
Schrift erwähnt (3. Mose 18:21 ; 20:2—5; siehe auch 1. Könige 11 :5, 7, 33;
2. Könige 23:10, 13; Amos 5:26; Zephania 1:5; Jeremia 32:35). Keil imd
Delitzsch beschreiben den Abgott als „ein hohles messingenes heizbares
Standbild mit dem Kopf eines Stieres und mit ausgestreckten Armen, um
die Kinder, die geopfert werden sollten, entgegenzunehmen." Obwohl die
Verehrung dieses Abgottes nicht immer ein menschliches Opfer in sich
schloß, ist es dennoch sicher, daß solche fürchterliche Gebräuche für diesen
abscheulichen Schrein bezeichnend gewesen sind. Die obenerwähnten
Verfasser schreiben: „Von der Zeit des Ahas an, wurden Kinder zu Jeru-
salem in dem Tale Ben-Hinnom erschlagen und geopfert, in dem sie auf die
geheizten Arme gelegt und verbrannt wurden. (2. Könige 23:10; 16:3;
17:17; 21:6; Jeremia 32:35; Hesekiel 16:20 — 21; 20:31; vergleiche Psalm
106:37 — 38). Viele maßgebende Gelehrte erklären, daß diesem scheuß-
lichen Ungeheuer, schon lange vor der Zeit des Ahas Kinder geopfert wor-
den seien. „Das opfern lebender Opfer war vielleicht der Höhepunkt des
Greuels bei diesem Götzendienst. Es wird gesagt, daß Tophet, der Ort, wo
es zu sehen war, seinen Namen von dem Schlagen der Trommeln be-
kommen habe, die gerührt wurden, um das Schreien und Stöhnen derer, die
lebendig verbrannt wurden, zu übertönen. Derselbe Ort wurde auch das
Tal Hinnom genannt und die fürchterlichen mit ihm verbundenen Ge-
danken führten dazu, daß Tophet und Gehenna (,Tal Hinnom') als Namen
und Sinnbilder zukünftiger Qual angenommen wurden. Betreffs der oben-
erwähnten und anderer Tatsachen siehe „Der Pentateuch" von Keil und
Delitzsch, und Cassel's Bible Dictionary.
Nicht viel weniger fürchterlich waren die Gebräuche des absichtlichen
Selbstmords unter dem Wagen des Götzen Dschagannath, und das Er-
tränken der Kinder in dem heiligen Ganges, wie man es bei den Hindus
findet. Nach den Schriften Burders (History of all Religions) wurde das
schwere und scheußliche Götzenbild des Dschagannath an festlichen Tagen
gewöhnlich auf einen beweglichen, auf Rädern ruhenden Turm aufgesetzt;
so aufgestellt wiu-de es von begeisterten Verehrern durch die Straßen ge-
zogen. Als sich der Wagen fortbewegte, warfen sich einige der eifrigsten
Verehrer unter die Räder, daß sie zermalmt wurden ; und solche Taten wurden
„mit dem Freudengeschrei der ^lenge, als die annehmbarsten Opfer, be-
grüßt." Derselbe Verfasser beschreibt die Unsitte des Kinderopferns zur
Anbetung des heiligen Flusses, wie es in Indien früher Gewohnheit war, wie
folgt: „Die Menschen in einigen Teilen Indiens, besonders die Einwohner
von Orissa und der östlichen Teile Bengalens, opfern öfters ihre Kinder der
Göttin Gunga. Als Ursache für diesen Brauch wird angegeben: Wenn eine
Frau lange Zeit verheiratet ist vmd keine Kinder hat, ist es für den Mann
oder seine Frau, oder für alle beide üblich, der Göttin Gunga einen Eid
abzulegen, daß wenn sie sie mit Kindern segnen werde, werden sie ihr das
Erstgeborene opfern. Wenn sie nach diesem Eide Kinder haben, wird das
älteste bis zum richtigen Alter, das je nach den Umständen drei, vier, oder
mehr Jahre sein mag, erzogen. An einem besondern, für das Baden in irgend
einem Teil des Flusses bestimmten Tag, nehmen sie dann das Kind mit sich
Art. 1.] Anmerkungen. 63
und opfern es der Göttin; das Kind wird angespornt weiter und weiter in
das Wasser zu gehen, bis es von dem Strom mitgetrieben oder von seinen
unmenschlichen Eltern abgestoßen wird." — „History of all Religions."
S. 745—746.
Die Gebräuche des Druidentums unter den alten Britanniern bieten
ein anderes Beispiel dafür, wie die Religion entartet, wenn ihr die bevoll-
mächtigte Führung und das Licht der Offenbarung fehlt. Die Druiden
bekundeten eine Ehrfurcht vor der Eiche und vollzogen die meisten ihrer
seltsamen religiösen Bräuche in heiligen Hainen. Das Darbringen mensch-
licher Opfer bildete einen Bestandteil ihrer religiösen Verfassung. Von
ihren Tempeln stehen einige heute noch, z. B. Stonehenge on Salisbury
Plain, Wiltshire, und andere in Kent. Diese runden geschlossenen Räume,
die gegen den Himmel offen waren, wurden Schicksalsringe genannt; etwa
in der Mitte eines jeden stand ein Altar (dolmen), worauf die Opfer geopfert
wurden. Bei besonderen Gelegenheiten gehörte zu den furchtbaren Zere-
monien auch das Lebendigverbrennen vieler Menschen in großen Käfigen
von Flechtwerk.
9. Der Immaterialist (einer, der nur an einen unkörperlichen, wesen-
losen Gott glaubt D. Ü.) ist ein Gottesleugner. — In der Welt gibt es zwei Arten
von Gottesleugnern. Die eine verleugnet mit den bestimmtesten Worten
das Dasein Gottes; die andere verleugnet sein Dasein in Zeit oder Raum.
Eine spricht: „Es gibt keinen Gott"; die andere spricht: „Gott ist ebenso-
wenig hier und da, als er jetzt und dann ist." Der Ungläubige spricht:
„Gott ist nicht irgendwo." Der Immaterialist spricht: „Gott ist nirgend-
wo." Der Ungläubige spricht: „Es gibt keinen solchen Urstoff wie Gott."
Der Immaterialist spricht: „Es gibt wolil einen solchen Urstoff wie
Gott, aber er ist ohne Teile." Der Gottesleugner sagt: „Es gibt keine sol-
che Substanz wie Geist." Der Immaterialist sagt: „Ein Geist, obwohl er
lebt und wirkt, nimmt keinen Platz ein und füllt keinen Raum nach
der Art und Weise des Stoffes, nicht einmal so viel wie das allerklcinste
Sandkörnchen. Der Gottleugner versucht nicht seine Ungläubigkeit zu
verstecken; aber der Immaterialist, dessen erklärter Glaube mit jenem
auf dasselbe hinauskommt, versucht seinen Unglauben unter dem faden-
scheinigen Deckmantel einiger Worte zu verstecken. * * * Der Im-
materialist ist ein religiöser Gottleugner. Er unterscheidet sich von den
anderen Klassen der Gottleugner nur dadurch, daß er ein unteilbares, un-
ausgedehntes Nichts mit den Kräften eines Gottes bekleidet. Die eine
Klasse glaubt an keinen Gott ; die andere glaubt nifhts sei Gott, und betet
es als solchen an." — Orson Pratt, in einer Flugschrift, „Absurdities of
Immaterialism," S.U.
10. Der Atheismus ein verbännnisvoUer Glaube. — „Während der
Schreckensherrschaft wurden die Franzosen von der Nationalversammlung
für eine gottesleugnerische Nation erklärt; aber eine kurze Erfahrung
überzeugte sie, daß eine Nation von Gottesleugnern nicht lange bestehen
kann. Darauf verkündigte Robespierre im Konvent, ,daß der Glaube an
das Dasein Gottes notwendig sei für die Grundsätze der Tugend und Sitt-
lichkeit, auf denen die Republik gegründet war', und am 7. März erklärten
die Volksvertreter, die sich kurz zuvor vor der Göttin der Vernunft verbeugt
hatten, einstimmig, daß das französische Volk das Dasein des Allerhöchsten
und die Unsterblichkeit der Seele anerkennt." — „Historical Lights",
S, 280—281 , angeführt von Rev. Charles E. Zittle.
€4 Die Glaubensartikel. [Vorl. II.
11. Die üreihril (Trinität). — „ ,Mornionismus' erklärt seinen unein-
geschränkten Glauben an die Gottheit, als die den Vater, den Sohn und den
Heiligen Geist einschlieUendc heilige Dreiheit; auch daß jeder dieser drei
eine getrennti- iii;d einzflne Person ist, und daß der Vater, wie auch der
Sohn, Pine Person aus Geist mit einem unsterblichen Körper, und der Heilige
Geist eine Person aus Geist ist. Die Einheit der Gottheit wird in der buch-
stäblichen Fülle der biblischen Erklärung angenommen, daß nämlich die
drei in Absicht. Plan und Vorgehen einig, in all ihren hehren Eigenschaften
gleich, in ihrer heiligen Allwissenheit und Allmacht eins, jedoch in ihrer
Persönlichkeit so getrennt und verschieden sind, wie irgend drei Bewohner
der P>de. , Mormonismus' behauptet, daß die, die Einheit der Trinität er-
klärenden Schrittstellen diese Auffassung erlauben: ja, daß dies in der Tat
die natürliche Auslegung ist und daß dieser Begriff in Einklang mit der
Vernunft steht." — Deutsche Ausgabe von: „Philosophie in Mormonis-
mus (vom Verlasser)". S. 4.
Art. 2.] Die Übertretung. 65
Vorlesung III.
Die Übertretung und der Fall Adams.
Artikel 2. — Wir glauben, daß alle Menschen für ihre eigenen Sünden
gestraft werden und nicht für Adams Übertretung.
Übertretung und ihre Folgen.
1. Der freie Wille des Mensehen. — Die Kirche hält
dafür und lehrt als eine ausdrückliche Lehre der Schrift,
daß der Mensch unter den unveräußerlichen, von seinem
göttlichen Vater auf ihn gesiegelten Vorrechten, voll-
ständige Freiheit bekommen habe, das Gute oder das Böse
im Leben zu wählen, ganz wie er will. Dieses Vorrecht
kann nicht mit größerer Sorgfalt geachtet werden, als es
Gott selbst achtet. In seinem ganzen Umgang mit den
Menschen hat er das sterbliche Geschöpf immer frei
wählen und handeln lassen, ohne auch nur den Schein
des Zwanges oder der Hinderung, abgesehen von den Ein-
flüssen des väterlichen Rats und der liebendenAnweisung.^)
Zwar hat er Gebote gegeben und Gesetze aufgestellt, mit
denen Verheißungen von Segnungen für den Fall des Ge-
horsams, und von schrecklichen Strafen für den Fall der
Übertretung verbunden sind ; aber in ihrer Wahl sind die
Kinder Gottes ungehindert. In dieser Beziehung ist der
Mensch nur insofern weniger frei als die Engel oder die
Götter, als er sich selbst mit den Banden der Sünden ge-
fesselt und seine Willenskraft und die Macht seiner Seele
verloren hat. Der Mensch hat ebensoviel Freiheit, die
') Siehe Anmerkung 1.
Die Glaubensartikel.
[Vorl. III.
Gesetze der Gesundheit, die Forderungen der Natur und
die Gebote Gottes, sowohl in zeitlichen als auch in geistigen
Dingen, zu übertreten, als ihnen gegenüber Gehorsam zu
leisten. In dem einen Fall bringt er die sicheren Strafen
auf sich, die zu dem gebrochenen Gesetz gehören ; in dem
anderen erlangt er die besonderen Segnungen und die
vergrößerte Freiheit, die einen gesetzbeobachtenden Le-
benswandel begleiten. Gehorsam zu dem Gesetz ist die
Gewohnheit des freien Menschen; nur der Übertreter
fürchtet sich vor dem Gesetz, denn er bringt — nicht des
Gesetzes wegen, das ihn in seiner Freiheit geschützt hätte,
sondern wegen seiner Verwerfung des Gesetzes — Verlust
und Unfreiheit auf sich selbst.
2. Die vorherrschende Eigenschaft der Gerechtigkeit,
die als ein Teil des göttlichen Wesens anerkannt wird, ver-
bietet den Gedanken, daß dem Menschen Belohnung
seiner Rechtschaffenheit und Bestrafung seiner bösen
Taten verheißen oder angedroht werden sollte, wenn er
nicht die Kraft freier Handlungsweise besäße. Es ist
ebensowenig ein Teil des Planes Gottes, die Menschen zu
Werken der Rechtschaffenheit zu zwingen, als es seine
Absicht ist, es den bösen Mächten zuzulassen, seine Kin-
der zum sündigen zu nötigen. In den Tagen Edens wur-
den dem ersten Menschen Gebote und Gesetze gegeben ^)
mit einer Erklärung der Strafe, die einer Übertretung
des Gesetzes folgen würde. Gerechterweise hätte ihm
kein Gesetz gegeben werden können, wäre er nicht frei
gewesen, nach seinem eigenen Willen zu handeln. ,, Den-
noch magst du für dich selbst wählen, denn es ist dir ge-
geben; aber bedenke, daß ich es verbiete, "2) sprach Gott
der Herr zu Adam. Hinsichtlich seines Umganges mit
1) I.Mose 2:17; Köstl. Perle, Moses 2:27-
») KösU. Perle, Moses 3:17.
Art. 2.] Die Übertretung. 67
dem ersten Patriarchen des Menschengeschlechtes, hat
Gott in diesen Tagen erklärt: „Sehet, ich machte, daß er
seinen freien Willen haben sollte. "i)
3. Als die Brüder Kain und Abel dem Herrn ihre
Opfer darbrachten, wurde der ältere zornig, weil sein
Opfer verworfen wurde. Der Herr rechtete dann mit Kain
und versuchte, ihm zu lehren, daß er die Folgen seiner
Taten, ob gut oder böse, wie er wählen würde, tragen
müsse: ,,Wenn du fromm bist, so bist du angenehm; bist
du aber nicht fromm, so ruhet die Sünde vor der Tür. "2)
4. Eine Erkenntnis von Gut und Böse ist zum Fort-
schritt, den Gott seinen Kindern ermöglicht hat, notwen-
dig. Diese Erkenntnis kann tatsächlich am besten erlangt
werden durch Erfahrung mit den Gegensätzen des Guten
und des Bösen vor Augen; deshalb ist der Mensch unter
den Einfluß von guten und bösen Mächten, mit einer Er-
kenntnis der Zustände, die ihn umgeben, und mit dem
vom Himmel gegebenen Vorrecht für sich selbst zu
wählen, auf die Erde gestellt worden. Die Worte des Pro-
pheten Lehi über diesen Punkt sind besonders deutlich:
,, Daher gab Gott, der Herr, den Menschen die Macht, für
sich selbst zu handeln; aber das wäre unmöglich, es sei
denn, daß sie von dem einen oder dem andern angezogen
werden.*** Daher sind die Menschen frei nach dem Fleisch,
und alle Dinge, welche den Menschen nützlich sind, sind
ihnen gegeben. Und es ist ihnen frei gestellt, Freiheit und
ewiges Leben durch die große Vermittlung für alle Men-
schen zu wählen, oder Gefangenschaft und Tod, nach der
Gefangenschaft und Macht des Teufels; denn er trachtet
danach, daß alle Menschen elend werden, wie er selbst
ist."3)
') Lehre u. Bündn. 29:35.
') 1. Mose 4:7.
') 2. Nephi 2:16, 27; 10:23; siehe auch Alma 3:26; 12:31; 29:4, 5;
Helainan 14:30.
68
Die Glaubensartikel.
[Vorl. III.
5. Als Alma, ein andrer nephitischer Prophet, von
den Verstorbenen sprach, sagte er, sie wären dahin ge-
gangen, ,,um ihren Lohn nach ihren Werken zu empfangen,
gleichviel ob sie gut oder böse gewesen waren, und ewige
Glückseligkeit oder ewiges Elend zu ernten, nach dem
Geiste, welchem zu gehorchen es ihnen lüstete, gleichviel
ob gut oder böse. Denn jeder Mensch empfängt seinen
Lohn von dem, dem er gehorcht; und dies nach den Wor-
ten des Geistes der Weissagung."^)
6. Samuel, der bekehrte Lamanite, auf den der Geist
der Propheten gefallen war, ermahnte in folgender Weise
seine widerspenstigen Brüder: ,,Nun bedenket, bedenket
meine Brüder, daß die, welche umkommen, durch sich
selbst umkommen, und die, welche Sünde tun, gegen sich
selbst sündigen. Denn sehet, ihr seid frei; ihr dürft frei
handeln nach eurem Gefallen, denn Gott hat euch die
Erkenntnis gegeben und hat euch frei gemacht; er hat
euch befähigt, das Gute vom Bösen zu unterscheiden;
er hat euch gestattet, Leben oder Tod zu wählen. "2)
7. Als die Vorschläge für die Erschaffung und Be-
völkerung der Erde im Himmel besprochen wurden, trach-
tete Satan darnach, den freien Willen des Menschen zu
zerstören, indem er die Macht anstrebte, die Menschheit
zu zwingen, seinen Willen zu tun. Er versprach dem Vater,
durch ein solches Mittel die ganze Menschheit zu er-
lösen, sodaß nicht einer verloren gehen sollte.^) Dieser
Vorschlag wurde verworfen, und die ursprüngliche Absicht
des Vaters — überzeugende Einflüsse heilsamer Lehre
mit opferndem Beispiel auf die Bewohner der Erde anzu-
wenden, und sie dann frei wählen zu lassen — wurde an-
1) Alma 3:26—27.
') Helaman 14:30 — 31.
') Köstl. Perle. Moses 4:1; siehe auch Abraham 3:27-
Art. 2.] ' Die Übertretung. 69
genommen, wobei der eingeborene Sohn als das Haupt-
werkzeug für die Ausführung dieses Planes erwählt wurde.
8. Des Mensehen Verantwortlichkeit für seine eigenen
Taten ist eben so vollkommen wie seine Freiheit, für sich
selbst zu wählen. Die natürliche Folge guter Taten ist
die Glückseligkeit; die Folge der bösen ist das Elend; nach
unverbrüchlichen Gesetzen folgen diese in dem Leben
jedes Menschen. Es gibt einen von Gott vorherbestimm-
ten Plan des Gerichts,^) nach dem jeder Mensch, nicht allein
für seine Taten sondern auch für seine Worte und die
Gedanken seines Herzens, Rechenschaft ablegen muß.
„Ich sage euch aber, daß die Menschen müssen Rechen-
schaft geben am Jüngsten Gericht von einem jeglichen
unnützen Wort, das sie geredet haben. "2) Dieses sind die
Worte des Erlösers selbst. „Und denke keiner Arges in
seinem Herzen wider seinen Nächsten, und liebt nicht
falscheEide ! denn solches alles hasse ich, spricht derHerr."^)
Es wurde Johannes dem Offenbarer erlaubt, einige der
mit dem Jüngsten Gericht verbundenen Vorgänge im
Gesicht kennen zu lernen. Er sagt: ,,Und ich sah die To-
ten, beide, groß und klein, stehen vor Gott, und Bücher
wurden aufgetan. Und ein ander Buch ward aufgetan,
welches ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden
gerichtet nach der Schrift in den Büchern, nach ihren
Werken. Und das Meer gab die Toten, die darinnen waren,
und der Tod und die Hölle gaben die Toten, die darinnen
waren; und sie wurden gerichtet, ein jeglicher nach seinen
Werken."*)
9. Das Gericht Gottes folgt nicht immer den Taten
der Menschen auf dem Fuße nach. Gute Taten werden
») Matthäus 10: 15; 11:22; 2. Petrus 2:9; 3:7; 1. Johannes 4:17.
») Matthäus 12:36.
») Sacharja 8:17.
•) Offenbarung Joh. 20:12— 13.
70 Die Glaubensartikel. [Vorl. III.
vielleicht nicht sofort belohnt werden, und das Böse wird
selten auf der Stelle bestraft; dieses stimmt überein mit
der göttlichen Weisheit. Wäre es anders eingerichtet, so
würde die Probe des persönlichen Wesens und die Prüfung
des menschlichen Glaubens, wozu diese Probezeit der
Sterblichkeit hauptsächlich eingesetzt worden ist, be-
deutend geringer sein. Die Gewißheit unmittelbarer
Freude oder unmittelbaren Leids würde die menschlichen
Taten beinahe allgemein dahingehend bestimmen, daß
das eine erlangt und das andere vermieden werde. Des-
halb wird das Gericht verschoben, damit jeder seine
Natur im vollsten Maße beweisen kann; der gute Mensch
nimmt an Rechtschaffenheit zu, und der Übeltäter hat
vor dem großen und schrecklichen Tag Gelegenheit zur
Buße und Wiedergutmachung. In einzelnen Fällen ist
ein sofortiges Gericht zeitlicher Natur ausgeübt worden;
die äußerlichen Folgen weltlicher Segnungen für gute
Taten, ^) und Unheil für böse,^) folgten hier unmittelbar
den Handlungen. Ob eine derartige Vergeltung den An-
sprüchen der Gerechtigkeit ganz und gar Genüge leistet,
oder ob noch ein weiteres Gericht nach dieser Welt statt-
finden wird, macht nichts aus. Solche Handlungen sind
aber in der göttlichen Handhabung eine Ausnahme.
10. Es ist das Vorrecht Jesu Christi^) die Menschen-
kinder zu richten, und er wird es so tun, daß seinen eigenen
Absichten, die auch die Absichten seines Vaters sind, am
besten gedient wird. Johannes berichtet die Worte Christi :
„Denn der Vater richtet niemand; sondern alles Gericht
hat er dem Sohn gegeben, auf daß sie alle den Sohn ehren,
') Hiob 42:10—17.
') 4. Mose 12:1—2; 10—15; 15:32—36; 16; 21:4—6; I.Samuel
6:19; 2. Sam. 6:6— 7; Apostelgeschichte 5:1—11.
=) Johamies 5:22 — 27; Apostelgesch. 10:42; 17:31; Römer 2:16;
2. Korinther 5:10; 2. Timotheus 4:1, 8; Lehre u. Bündn. 133:2.
Art. 2.] Die Übertretung. 71
wie sie den Vater ehren. "^) Und als Petrus das Evange-
lium dem aufrichtigen Heiden Kornelius auslegte, erklärte
er betreffs Jesu Christi, ,,daß er ist verordnet von Gott
zum Richter der Lebendigen und der Toten. "2) Über das
furchtbare Schicksal der auf den jüngsten Tag zurück-
behaltenen Bösen, haben viele Propheten Zeugnis gege-
ben.3) Der vorstehende Richter dieses ehrwürdigen Ge-
richtshofes hat selbst eine so lebendige und genaue Schil-
derung*) gegeben, daß auch nicht der geringste Zweifel
bestehen kann, daß jede lebende Seele aufgefordert wer-
den wird, den Bericht anzuerkennen und die Folgen seiner
Handlungen anzunehmen. Die Worte des Herrn und
seiner Propheten sagen unzweifelhaft, daß es bei Gott
kein Ansehen der Person gibt,^) und daß ihm irgendeine
der Gerechtigkeit fremde Art von Gnade unbekannt ist.
Vor diesem Gericht brauchen sich nur die unbußfertigen
Bösen zu fürchten; den Rechtschaffenen ist es eine Zeit
des Frohlockens. ^)
11. Sünde. — Was ist das Wesen der Sünde? Auf
diese Frage erwidert der Apostel Johannes: ,,Wer Sünde
tut, der tut auch Unrecht, und die Sünde ist das Un-
recht."') In der ursprünglichen Sprache der biblischen
Urkunden kommen viele Wörter vor, von denen alle den
gleichen Gedanken des Widerstands gegenüber dem gött-
lichen Willen ausdrücken,^) und für welchen unser einziges
Wort Sünde angewandt wird. Da Gott die Verkörperung
der Reinheit und Vollkommenheit ist, ist solcher Wider-
') Johannes 5 : 22.
ä) Apostelgesch. 10:42.
=) Daniel 7:9; 1. Thessalonicher 1:7 — 8; 3. Nephi 26:3 — 5;Lelire u.
Bündn. 76:31—49, 103—106.
*) Matthäus 25:31 — 46; L. u. B. 1:9—12.
') Apostelgesch. 10:34 — 35; Römer2:ll;Epheser6:9; Kolosser 3:25.
«) 2. Tiraotheus 4:8.
') 1. Johannes 3:4.
') Siehe Anmerkung 2.
72 Die Glaubensartikel. [Vorl. III.
stand eine Empörung gegen die Grundsätze des Fort-
schritts, und ein Annehmen von Gewohnheiten, die zur
Erniedrigung führen. Sünde ist irgend ein Zustand, ob
in der Unterlassung der geforderten Dinge oder in der
Begehung verbotener Taten, der dazu beiträgt die Ent-
wicklung der menschlichen Seele zu vereiteln oder hint-
anzuhalten. Wie ein rechtschaffener Weg zum Leben
führt, so strebt die Sünde nach der Finsternis des zweiten
Todes hin. Die Sünde wurde durch den Erzfeind Satan
in die Welt eingeführt,^) dennoch geschieht es mit gött-
licher Erlaubnis, dai3 der Mensch mit der Sünde in Be-
rührung gebracht wird, wodurch er den Gegensatz zwi-
schen Gut und Böse kennen lernt,
12. Der sprachlichen Erklärung nach besteht die
Sünde in der Übertretung des Gesetzes, und in diesem
engen Sinn kann Sünde unabsichtlich oder in Unwissen-
heit begangen werden. Jedoch ist es aus der bibli-
schen Lehre von der menschlichen Verantwortlichkeit
und der unfehlbaren Gerechtigkeit Gottes klar, daß der
Mensch in seinen Übertretungen, wie auch in seinen
rechtschaffenen Taten nach seiner Fähigkeit, das Gesetz
zu begreifen, gerichtet werden wird. Auf den, der mit
einem höheren Gesetz nie bekannt geworden ist, sind die
Forderungen des Gesetzes in ihrer Fülle nicht anwendbar.
Für die in Unkenntnis begangenen Sünden, das heißt, für
Gesetze, die in Unwissenheit übertreten worden sind, ist
eine Versöhnung im Sühnopfer, das durch das Opfern
des Erlösers zustande gebracht wurde, bereitet worden.
Sünder dieser Art werden nicht verdammt.
13. Als Nephi den Ureinwohnern der westlichen
Halbkugel prophezeite, lehrte er sie diese Lehre: „Wo kein
Gesetz gegeben worden ist, da ist keine Strafe; und wo
') Köstl. Perle, Moses 4:4; 1. Mose 3.
Art. 2.] Die Übertretung. 73
keine Strafe ist, da ist keine Verdammung; und wo keine
Verdammung ist, da hat die Barmherzigkeit des Heiligen
von Israel des Sühnopfers wegen, Anspruch auf sie. Und
sie werden durch seine Macht befreit; denn das Sühnopfer
ist hinreichend für die Forderungen seiner Gerechtigkeit,
für alle, die kein Gesetz empfangen haben, daher sind sie
von dem schrecklichen Ungeheuer, dem Tode, der Hölle,
dem Teufel und dem Schwefel- und Feuerpfuhl, welches
endlose Qualen sind, befreit, und sie sind dem Gott wieder-
gegeben, welcher der Heilige von Israel ist, der ihnen den
Atem gegeben hat."^) Im Gegensatz zu dem Schicksal der
in dieser Weise freigesprochenen Sünder, fügt der Prophet
dann hinzu: ,,Aber wehe dem, der das Gesetz hat, der alle
Gebote Gottes empfangen hat gleich wie wir, und diesel-
ben übertritt, und die Tage seiner Prüfungszeit verschwen-
det, denn sein Zustand ist schrecklich. "2) pies steht in
strenger Übereinstimmung mit dem, was Paulus an die
Römer schreibt: „Welche ohne Gesetz gesündigt haben,
die werden auch ohne Gesetz verloren werden ; und welche
unter dem Gesetz gesündiget haben, die werden durchs
Gesetz verurteilt werden."^) Auch die neuzeitlichen heili-
gen Schriften sprechen sich in diesem Sinne aus. Der
heutigen Kirche wurde durch Offenbarung gesagt, daß
zu denen, die der Segnung der Erlösung teilhaftig werden
sollen, auch jene gehören ,,die ohne Gesetz gestorben sind."*)
Zu diesen werden die heidnischen Völker gehören, deren
Erlösung verheißen wurde mit dem Versprechen, daß
„die so kein Gesetz gekannt haben, werden an der ersten
Auferstehung teilhaben. "5)
') 2. Nephi 9:25—26.
') 2. Nephi 9:27.
') Rom. 2:12.
») Lehreu.Bündn. 76:72.
') L.u.B. 45:54.
74 Die Glaubensartikel. [Vorl. III.
14. Strafe für Sünde. — Wie die Belohnung für recht-
schaffene Taten diesen verdienstvollen Handlungen ent-
sprechend ist, so ist auch die vorgeschriebene Strafe dem
begangenen Unrecht angemessen. i) Die Strafe wird dem
Sünder auferlegt zu erzieherischen und bessernden Zwecken,
und zur Unterstützung der Gerechtigkeit. Gott ist weder
rachsüchtig, noch begierig, Leiden hervorzurufen; im Ge-
genteil, unser Vater kennt jede Pein und läßt solche nur
zu segnenden Zwecken anwenden. Die Barmherzigkeit
Gottes äußert sich sowohl in der vergeltenden Strafe, die
er erlaubt, als auch in den Segnungen des Friedens, die aus
seiner Hand kommen. Es lohnt sich kaum, über das ge-
naue Wesen des geistigen Leidens als Strafe für Sünde zu
grübeln. Ein Vergleich mit körperlichem Schmerz^) —
wie z. B. mit Feuersqualen in einem Schwefelpfuhl — soll
nur zeigen, daß der menschliche Sinn nicht imstande ist,
die Schwere dieser fürchterlichen Strafen zu begreifen. Die
Leiden, die dem furchtbaren Los der Verdammung folgen,
sind mehr zu fürchten als irgendwelche rein körperliche
Qual; die Sinne, der Geist, die ganze Seele ist verurteilt
zu leiden, und die Größe der Qual weiß kein Mensch.
15. Betrachten wir das Wort des Herrn betreffs derer,
deren Sünde unverzeihhch ist, deren Übertretung sie über
den gegenwärtigen Horizont einer möglichen Versöhnung
hinaus getragen hat; also derer, die in ihrer Bosheit so tief
gesunken sind, daß sie die Kraft und sogar den Wunsch
verloren haben, eine Besserung zu versuchen.-^) ,, Söhne
des Verderbens" ist die furchtbare Bezeichnung, unter der
sie bekannt sind. Diese sind es, die die Kraft Gottes, nach-
dem sie sie kennen gelernt haben, verleugnen; die, die ab-
') Lehre u. Bündn. 76:82—85; 82:21; 104:9; 63:17; 2. Nephi 1:13;
»:27; 28:23.
=) L.u.B. 76:36,44; Jakob6:10; Alma 12:16— 17; 3. Nephi 27: 11, 12.
=) Siehe L. u. B. 76:26, 32, 43.
Art. 2] Die Übertretung. 75
sichtlich und im Licht der Erkenntnis sündigen; die, die
ihr Herz dem Heihgen Geist öffnen, und dann durch dessen
Verleugnung den Herrn zu Spott und zur Schande hin-
stellen ; die einen Mord begehen, wordurcli sie unschuldiges
Blut vergießen;^) diese sind es, von denen der Heiland er-
klärte, es wäre besser für sie, daß sie nie geboren wären.-)
Diese sollen teilnehmen an der Strafe des Teufels und seiner
Engel — eine Strafe, so furchtbar, daß, obwohl einigen
ein vorübergehender Anblick dieses schrecklichen Bildes
gewährt wird,^) diese Kenntnis doch allen vorenthalten
wird, außer denen, die diesem schrecklichen Schicksal
übergeben werden. Diese Sünder sind die einzigen, über
die der zweite Tod Macht hat, ,,ja, wahrlich die einzigen,
welche in der eigens von Gott bestimmten Zeit nach der
Erduldung seines Grimms nicht erlöst werden sollen."*)
16. Die Dauer der Strafe. — Über die Dauer solcher
Strafe können wir versichert sein, daß sie der Sünde ge-
mäß abgestuft sein wird ; und daß die allgemeine Auslegung
biblischer Stellen, wonach jede Strafe für Missetaten un-
endlich wäre, ganz falsch ist.^) Groß wie die Wirkung dieses
Lebens auf das kommende, und furchtbar wie die Verant-
wortung für versäumte Gelegenheiten zur Buße ist, so
hält Gott dennoch die Macht in Händen, noch im Jenseits
zu vergeben. Und doch spricht die Schrift von ewiger und
endloser Strafe. Irgendeine von Gott verordnete Strafe
ist ewig, denn er ist ewig,®) Seine Strafordnung ist eine
solche der endlosen Strafe, denn sie wird immer als ein
für ungehorsame Geister bereiteter Ort oder Zustand be-
stehen; doch die Strafe wird in jedem Falle der bereit-
») Lehre u. Bündn. 132:27
') Johannes 17:12; 2. Thessalonicher 2:3; L. u. B. 76:32.
») L.U.B. 76:45— 48.
«) L.u.B. 76:38, 39.
') L. u. B. 19:6— 12; 76:36, 44.
•) L.u.B. 19:10 — 12.
76 Die Glaubensartikel. [Vorl. III.
willigen Buße und versuchten Genugtuung ein Ende haben.
Und Buße ist in der Geisterwelt nicht unmöglich.^) Doch
gibt es, wie schon erwähnt, einige Sünden die so furchtbar
sind, daß die sie begleitenden Strafen den Menschen nicht
bekannt gemacht sind;^) diese größten Strafen sind für
die „Söhne des Verderbens" vorbehalten.
17. Die falsche Lehre, daß die Strafe, mit der die
irrenden Seelen heimgesucht werden sollen, und daß jede
Verdammung der Sünde wegen von unendlicher Dauer
sei, ist eine der verderblichsten Folgen der unerleuchteten
Sektiererei. Wer Barmherzigkeit liebt und Gerechtigkeit
ehrt, erkennt sie sogleich als einen unbiblischen, unver-
nünftigen und abstoßenden Lehrsatz unbefugter und ir-
render Kirchen. Zwar steht in der Schrift, als Kennzei-
chen des für die Bösen bereiteten Gerichts, von ewigem
Brennen, ewiger Verdammung und der Rache des ewigen
Feuers ;3) aber in keinem Fall ist die Folgerung, daß der
Sünder den Zorn der verletzten Gerechtigkeit für immer
und ewig leiden müsse, gerechtfertigt. In einem jeden
Falle ist die Strafe, auch ohne diesen hinzugefügten höch-
sten Schrecken von der unendlichen Fortdauer, genügend
schwer. Der Gerechtigkeit muß Genüge getan werden,
aber wenn „der letzte Heller" bezahlt ist, werden die Ge-
fängnistüren geöffnet, und der Gefangene wird frei gelassen
werden. Aber das Gefängnis bleibt, und das Gesetz, das
die Strafe für Missetaten festsetzt, wird nicht aufgehoben
werden.
18. So vorherrschend waren die üblen Folgen der
trotz ihrer Unwahrheit und trotz ihres Widerspruches mit
der Schrift allgemein angenommenen Lehre von der end-
•) 1. Petrus 3:18—20; 4:6; Lehre u. Bündn. 76:73.
') L. u. B. 76:44.
») Matthäus 18:8; 25:41, 46; 2. Thessalonicher 1:9; Markus 3:29;
Judas 7.
Art. 2.1 Die Übertretung. 77
losen, für alle Sünder bestimmten Qual, daß ehe noch die
Kirche in der gegenwärtigen Dispensation formell orga-
nisiert wurde, Gott durch den Propheten Joseph Smith
über diese Sache eine Offenbarung gab, in welcher wir le-
sen: „Und sicherlich muß jeder Mensch Buße tun oder
leiden, denn ich, Gott, bin endlos. Deshalb nehme ich das
Urteil nicht zurück, welches ich fällen werde, sondern
Elend, Weinen, Wehklagen und Zähneklappen sollen
kommen, ja, für die, die zu meiner Linken sind. Dennoch
ist es nicht geschrieben, daß jene Qual kein Ende haben
sollte, sondern es ist geschrieben — endlose Qual. Wiede-
rum ist geschrieben — ewige Verdammung* * * ; denn ich
bin endlos, und die Strafe, die ich erteile, ist endlose Strafe,
denn Endlos ist mein Name; deshalb — ewige Strafe ist
Gottes Strafe; endlose Strafe ist Gottes Strafe. "i)
19. Satan. — Wir mußten schon wiederholt den Ur-
heber des Bösen unter den Menschen erwähnen. Dieser
ist Satan,2) der Widersacher oder Gegner des Herrn, das
Haupt aller bösen Geister, auch Teufel^), Beelzebub^)
oder der Teufel Obersten, Verderben,^) und Belial«) ge-
nannt. Wird über den Fall gesprochen, so werden die
sinnbildlichen Bezeichnungen Drache und Schlange'') auf
Satan angewendet. Aus dem geoffenbarten Wort^) erfahren
wir, daß Satan einmal ein Engel des Lichtes und damals
als Luzifer, ein Sohn des Morgens, bekannt war. Aber sein
zügelloser Ehrgeiz trieb ihn an, nach der Erlangung der
Herrlichkeit und der Macht des Vaters zu trachten, wes-
halb er den ungerechten Antrag stellte, die ganze Mensch-
') Offenbarung, gegeben im März 1830; Lehre u. Bündn.
•) Hiob 1:6—22; 2:1—7; Sacharja 3:1—2.
») Matthäus 4:5, 8, 11; 1. Petrus 5:8.
') Matthäus 12:24.
') L.u.B. 76:26.
•) 2. Korinther 6:15.
') Offenbarung Joh. 12:9; 20:2.
•) L.U.B. 76:25— 27.
78 Die Glaubensartikel. [Vorl. III.
heit durch Zwang zu erlösen. Da dieser Vorschlag nicht
angenommen wurde, führte Satan eine Empörung gegen
den Vater und den Sohn herbei und zog ein Drittel der
Scharen des Himmels in seinen gottlosen Bund.^) Diese
empörerischen Geister wurden von dem Himmel ausge-
stoßen, und seitdem haben sie, den Trieben ihrer bösen
Naturen folgend, versucht, die menschlichen Seelen in
ihren eigenen Zustand der Finsternis hineinzuziehen.
Diese sind der Teufel und seine Engel. Das Vorrecht des
freien Willens, aufrecht erhalten und gerechtfertigt durch
den furchtbaren Streit im Himmel, verhütet die Möglich-
keit der Anwendung des Zwanges in diesem teuflischen
Werk; aber die Kräfte dieser bösen Geister werden bei der
Versuchung und Überredung der Menschen bis zur äußer-
sten Grenze angewendet. Satan versuchte Eva, das Gesetz
Gottes zu übertreten ;2) er war es, der das Geheimnis des
Mordes dem Brudermörder Kain mitteilte. 3)
20. Über die Geister, die durch seine Machenschaften
verderbt worden sind, übt Satan seine Herrschaft aus.
Er ist der erste unter den hinausgeworfenen Engeln und der
Urheber des Verderbens derer, die in diesem Leben der
Sünde anheimfallen; er sucht durch die Versuchung zur
Sünde, die Menschheit in ihren guten Werken zu belästi-
gen und zu hindern; es kann dies auch durch Aufbürdung
einer Krankheit,*) ja selbst des Todes geschehen. Doch
in all diesem bösen Tun kann er nicht weiter gehen als die
Übertretungen des Betreffenden ihn gewähren lassen oder
die Weisheit Gottes es ihm erlaubt; und zu irgend einer
Zeit kann ihm von der höheren Macht Einhalt geboten
>) Lehre u. Bündn. 29:36 — 37; siehe auch Köstl. Perle Moses 4:3 — 7;
Abraham 3:27 — 28.
') 1. Mose 3:4—5; und Köstl. Perle, Moses 4:6—11.
') Köstl. Perle, Moses 5:29—33.
*) Lukas 13:16; Hiob 1.
Art. 2.] Der Fall Adams. 79
werden. Ja es mögen sogar die Maßnahmen seiner äußer-
sten Bosheit der Vollbringung göttlicher Absichten dienst-
bar gemacht werden. Die Schriften beweisen uns, daß
die Tage der Macht Satans schon gezählt sind^); sein
Schicksal ist schon beschlossen, und in der eigens vom
Herrn bestimmten Zeit soll er gänzlich überwältigt werden.
Während des Tausendjährigen Reiches soll er gebunden,
und nach diesen tausend Jahren des gesegneten Friedens,
eine kleine Zeit losgelassen werden; dann soll er völlig
besiegt und seine Macht über die Kinder Gottes gänzlich
zerstört werden.
Der Fall Adams.
21. Unsere ersten Eltern in Eden. — ^) Die krönende
Tat in dem großen Drama der Schöpfung war die Erschaf-
fung des Menschen in dem Ebenbild Gottes, seines geistigen
Vaters. 3) Zur Aufnahme des ersten Menschen hatte der
Schöpfer eine auserlesene Gegend besonders hergerichtet
und mit natürlichen Schönheiten, die das Herz des fürst-
lichen Besitzers zu erfreuen bestimmt waren, geschmückt.
„Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden^) gegen
Morgen und setzte den Menschen hinein, den er gemacht
hatte. "5) Bald nach der Ankunft des Menschen auf Erden
erklärte der Herr, es ist nicht gut, daß der Mensch allein
sei^), und schuf ihm eine Gefährtin oder Gehilfin. So
wurden Mann und Frau, Adam und seine Gattin Eva, in
den Garten gestellt. Ihnen wurde die Herrschaft ,,über
die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel
») Johannes 12:31; 16:11.
') Offenbarung Joh. 20:1— 10.
ä) Lies 1. Mose, Kapitel 2 und 3; Köstl. Perle, Moses 3 u. 4; Abraham
5:7—21.
«) 1. Mose 1:26; Köstl. Perle, Moses 2:27.
') Siehe Anmerkung 3.
•) 1. Mose 2:18, 19.
80 Die Glaubensartikel. [Vorl. III.
und Über alles Getier, das auf Erden kriecht" gegeben.^)
Mit dieser großen Macht waren gewisse besondere Gebote
verbunden, von welchen hinsichtlich der Wichtigkeit
,,seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und
machet sie euch Untertan"^) das erste war; das zweite, daß
sie sich des Essens, oder sogar der Berührung von einem
gewissen, mitten im Garten wachsenden Baume, dem Bau-
me der Erkenntnis des Guten und Bösen, enthalten sollten,
wogegen sie von allen andern Früchten reichlich genießen
durften. Die Worte Gottes betreffs dieses Gebotes und der
Straf e lauten : ,, Und ich, Gott der Herr, gebot dem Menschen
und sagte: Von allen Bäumen des Gartens darfst du reich-
lich essen. Aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten
und Bösen sollst du nicht essen, dennoch magst du für dich
selbst wählen, denn es ist dir gegeben; aber bedenke, daß
ich es verbiete, denn des Tages, da du davon issest, sollst
du sicher sterben. "3)
22. Die Versuchung, dieses Gebot zu übertreten,
kam bald. Satan stellte sich Eva in dem Garten vor und
Gefragte sie, durch den Mund der Schlange sprechend,
über die ihnen von Gott gegebenen Gebote betreffs des
Baumes der Erkenntnis des Guten und des Bösen. Eva ant-
wortete, ihnen sei bei Todesstrafe verboten worden, die
Frucht des Baumes auch nur anzurühren. Satan suchte
dann das Weib zu betrügen, widersprach dem Wort des
Herrn und behauptete, daß der Übertretung der göttlichen
Einschärfung nicht der Tod folgen würde, sondern daß
im Gegenteil, wenn sie das täten, was der Herr verboten
hat, sie und ihr Gemahl wie die Götter werden und wissen
würden was gut und was bös ist. Das Weib wurde durch
diese Vorspiegelung bezaubert; und da es sie gelüstete.
') 1. Mose 2:18; Köstl. Perle, Moses 3:18, 21—24.
») I.Mose 1:28; Köstl. Perle, Moses 2:28; Abraham 4:28.
>) Köstl. Perle, Moses 3:16 — 17; siehe auch I.Mose 2:16 — 11
Art. 2.] Der Fall Adams. 81
die von Satan geschilderten Vorteile zu erlangen, übertrat
sie das Gebot des Herrn und aß von der verbotenen Frucht.
Sie fürchtete sich vor dem Bösen nicht, denn es war ihr
unbekannt. Dann sagte sie Adam, was sie getan hatte,
und redete ihm zu, dasselbe zu tun.
23. Adam befand sich jetzt in einer Lage, in der er
gezwungen war, einer der Forderungen Gottes ungehor-
sam zu sein. Ihm und seiner Frau war es befohlen worden,
sich zu vermehren und die Erde zu füllen. Adam war noch
unsterbhch; die Strafe der Sterblichkeit war über Eva
gekommen, und in so ungleichem Zustande durften die
beiden nicht zusammen bleiben und hätten daher auch
nicht die göttliche Forderung erfüllen können. Anderseits,
gibt Adam der Forderung seiner Gattin nach, so müßte er
ein anderes Gebot übertreten. Mit Überlegung und Weis-
heit entschloß er sich, das erste und größere Gebot zu
halten ; und deshalb genoß auch er von der am Baume der
Erkenntnis des Guten und Bösen wachsenden Frucht und
zwar mit vollem Verständnis für das Wesen seiner Tat.
Die Tatsache, daß Adam in dieser Sache einsichtsvoll
und mit Überlegung gehandelt hat, wird durch die Schrift
bestätigt. In seinem Brief an Timotheus erklärt Paulus:
„Adam ward nicht verführt; das Weib aber ward verführt
und hat die Übertretung eingeführt."^) Als der Prophet
Lehi seinen Söhnen die Schrift auslegte, erklärte er:
,,Adam fiel, damit Menschen würden, und Menschen sind
da, daß sie sich erfreuen. "2)
24. Der Baum des Lebens. — In Eden gab es noch ei-
nen Baum von besondern Kräften; seine Frucht sicherte
Leben allen, die davon äßen. Während Adam und Eva
in unschuldiger Unsterblichkeit lebten, war ihnen dieser
») 1. Timotheus 2: 14
«) 2. Nephi 2:25.
82 Die Glaubensartikel. (Vorl. III.
Baum nicht verboten, denn die himmlische Frucht war
ihnen in ihrem sündlosen Zustand geeignete Speise. Jetzt
aber, nachdem sie übertreten hatten, jetzt da der göttliche
Ratschluß, der den Tod als ihr Los bestimmte, in Kraft
getreten war, war es nicht mehr angebracht, daß ihnen die
Frucht des Baumes des Lebens länger erreichbar sein
sollte. Sie wurden deshalb aus dem Garten getrieben,
und damit nicht der Mensch in einem schuldbeladenen
Zustand zurückkehre, bewachten Cherubim mit dem
flammenden Schwert den Weg. Durch die Übertretung
erlangten unsere ersten Eltern eine Erkenntnis, — die
durch Erfahrung gewonnene Erkenntnis des Guten und
des Bösen, — die sie in ihrem Zustand der ursprünglichen
Unschuld nicht besessen hatten. Die Folge des Falles
hätte nur von übler Wirkung sein können, wären die Ge-
fallenen ohne Buße und ohne Versöhnung sogleich wieder
in einen Zustand der Unsterblichkeit versetzt worden.
In der Verzweiflung, die dem Gewahrwerden der großen
über sie gekommenen Veränderung folgte, und in dem
Lichte der um einen solchen Preis erlangten Erkenntnis
von der Kraft der auf dem Baum des Lebens wachsenden
Frucht, wäre es für sie nur natürlich gewesen, die schein-
baren Vorteile eines unmittelbaren Entrinnens durch das
Essen der himmlischen Frucht zu benützen. Es war aus
Barmherzigkeit, daß ihnen die Gelegenheit dazu entzogen
wurde.
25. Des Schöpfers Worte über die Notwendigkeit der
Verbannung seiner ersten irdischen Kinder aus Eden sind
unmißverständlich: „Und Gott der Herr sprach: Siehe,
Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und
böse ist. Nun aber, daß er nicht ausstrecke seine Hand
und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und
lebe ewiglich ! Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten
Eden, daß er das Feld baute, davon er genommen ist; und
Art. 2.] Der Fall Adams. 83
trieb Adam aus und lagerte vor den Garten Eden die Che-
rubim mit dem bloßen, hauenden Schwert, zu bewahren
den Weg zu dem Baum des Lebens. "i)
26. Der nephitische Prophet Alma begriff was die
Folgen gewesen wären, wenn Adam und seine Gemahlin
von dem Baum des Lebens gegessen hätten; er sagt hie-
rüber: ,,Nun sehen wir, daß der Mensch wie Gott geworden
war, da er Gutes und Böses erkannte; um aber zu verhin-
dern, daß er seine Hand ausstrecke, und auch von dem
Baum des Lebens nehme und esse und ewig lebe, stellte
Gott der Herr Cherubim und das flammende Schwert
dahin, damit er nicht von der Frucht genießen sollte. Wir
sehen also, daß dem Menschen eine Frist gegönnt wurde,
um sich zu bekehren; ja, eine Prüfungszeit, eine Zeit, um
Buße zu tun und Gott zu dienen. Denn siehe, wenn Adam
sogleich seine Hand ausgestreckt und von dem Baum des
Lebens gegessen hätte, würde er nach den Worten Gottes
ewig gelebt und keine Frist zur Bekehrung gehabt haben ;
auch das Wort Gottes wäre nichtig und der große Er-
lösungsplan vereitelt gewesen. "2)
27. Die unmittelbare Folge des Falles war die Ein-
führung der Sterblichkeit mit all ihren Schwachheiten
an Stelle der Kräfte des ursprünglichen, unsterblichen
Zustands. Adam bekam alsbald die Folgen der Übertre-
tung zu spüren, denn anstatt der Schönheit und Frucht-
barkeit Edens fand er eine unfruchtbare und öde Erde
vor, mit einem kahlen Boden. Statt lieblicher und nütz-
licher Pflanzen schössen Dornen und Disteln auf; und unter
körperlicher Ermüdung und Leiden mußte er mühsam
arbeiten, um den Boden zu bebauen, damit er die not-
wendigen Speisen erhielt. Auf Eva fiel die Strafe körper-
licher Schwäche; die Schmerzen und Sorgen, die seitdem
') 1. Mose 3:22 — 24; Köstl. Perle, Moses 4:31.
») Buch Mormon, Alma 42:3 — 5.
84
Die Glaubensartikel.
(Vorl. III.
als das natürliche Los des Weibes angesehen werden,
kamen über sie, und sie wurde ihrem Manne Untertan.
Da sie das Gefühl ihrer früheren Unschuld verloren hatten,
schämten sie sich ihrer Nacktheit, und der Herr machte
ihnen Gewänder aus Fellen. Auf den Mann und das Weib
wurde die Strafe des geistigen Todes gelegt, denn an dem-
selben Tag wurden sie aus Eden verbannt und von der
Gegenwart des Herrn ausgeschlossen. Die Schlange, da
sie den Absichten Satans gedient hatte, wurde ein Gegen-
stand des göttlichen Mißfallens und verurteilt, für immer
in dem Staub zu kriechen und unter der Feindschaft zu
leiden, die gegen sie, nach dem göttlichen Ratschluß, in
die Herzen der Kinder Evas gepflanzt werden sollte.^)
28. Ein Sühnopfer war vorbereitet. — Gott ließ seine
jetzt sterblichen Kinder aber nicht ohne Hoffnung. Dem
Adam gab er andere Gebote und forderte ihn auf, Opfer
in dem Namen des eingeborenen Sohnes darzubringen
und verhieß ihm und all seinen Nachkommen Erlösung,
wenn sie sich den verordneten Bedingungen fügen würden.
Die Gelegenheit, durch die Überwindung des Bösen den
Lohn des Siegers zu empfangen, wurde unsren Eltern er-
klärt, und sie freuten sich darüber. Adam sprach: „Ge-
priesen sei der Name meines Gottes, denn wegen meiner
Übertretung wurden meine Augen geöffnet, und ich werde
in diesem Leben Freude haben und werde wieder im Fleisch
Gott schauen." Eva ward erfreut und erklärte: ,,Wäre
es nicht unsrer Übertretung wegen, so hätten wir nie
Samen erhalten und würden nie Gutes und Böses und die
Freude unsrer Erlösung und das ewige Leben, welches
Gott allen Gehorsamen gibt, gekannt haben. "2)
29. Der Fall ist nicht durch Zufall gekommen. — Es
wäre unvernünftig, zu glauben, Adams und Evas Übertre-
') Siehe Anmerkung 4.
») Köstl. Perle, Moses 5:10—11; siehe Anmerkung 6.
Art. 2] Der Fall Adams. 85
tung sei für den Herrn eine Überraschung gewesen.
Durch sein unbegrenztes Vorherwissen wußte Gott, was
die Folge der Versuchung Satans für Eva sein und was
Adam unter den gegebenen Umständen tun werde. Und
weiter ist es klar, daß der Fall als ein Mittel vorgesehen
war, durch das der Mensch sowohl mit Gutem als auch
mit Bösem in Berührung gebracht werden konnte. Dieses
sollte dazu führen, daß er aus seinem eigenen freien
Willen heraus, entweder das eine oder das andere wählen,
und in dieser Weise, durch die Erfahrungen einer sterb-
lichen Prüfungszeit, auf die in dem Plan seiner Erschaffung
vorgesehene Erhöhung vorbereitet werden könnte: ,,Denn
dieses ist mein Werk und meine Herrlichkeit — die Unsterb-
lichkeit und das ewige Leben des Menschen zu vollbrin-
gen,"i) sprach der Herr zu Mose. Es war die Absicht
Gottes, den von ihm im Himmel erzeugten Geistern, die
Mittel des persönlichen Strebens und die Gelegenheit,
nicht allein Seligkeit und Befreiung von dem geistigen
Tode sondern auch Erhöhung mit allen den Mächten des
ewigen Fortschritts und ewiger Vermehrung zu erlangen,
erreichbar zu machen. Deshalb war es notw^endig, daß
die geistigen Nachkommen Gottes die Wohnstätte ihrer
uranfänghchen Kindheit verlassen, in die Schule der Er-
fahrung der Sterblichkeit eintreten, mit dem Bösen in
Berührung kommen, ihm widerstreiten, und es entspre-
chend den verschiedenen Graden ihres Glaubens und ihrer
Kraft überwinden sollten. Adam und Eva hätten nie die
Eltern einer sterblichen Nachkommenschaft sein können,
wären sie selbst nicht sterblich geworden. Wie schon er-
wähnt, war die Sterblichkeit ein notwendiger Teil des
göttlichen Planes betreffs der Erde und der für sie bestimm-
ten Bewohner, und als ein Mittel, wodurch die Sterblich-
>) Köstl. Perle, Moses 1 : 39 ; siehe Anmerkung
86 Die Glaubensartikel. [Vorl. III.
keit eingeführt werden könnte, setzte Gott die Stammel-
tern des Menschengeschlechts vor ein Gesetz und wußte
sehr wohl, daß Übertretung folgen würde.
30. Durch ihren Anteil an dem großen Drama des
Falles erfüllte Eva die vorausgesehenen Absichten Gottes ;
dennoch war nicht dieses der Grund, weshalb sie von der
verbotenen Frucht genoß, sondern, weil sie von den Vor-
spiegelungen der Schlange, des bösen Feindes, betrogen
worden war, genoß sie mit der Absicht, das göttliche Gebot
zu übertreten. Und in dieser Hinsicht förderte auch
Satan, als er Eva versuchte, die Absichten des Schöpfers,
während es doch sein Vorhaben war, den Plan Gottes zu
vereiteln. Uns wird ausdrücklich erklärt : ,,Denn er kannte
den Willen Gottes nicht, weshalb er auch die Welt zu ver-
nichten suchte."^) Aber sein teuflisches Bestreben war
keineswegs der erste Schritt zum Verderben, sondern es
trug zu dem Plan der ewigen Erhöhung des Menschen
mit bei. Adams Anteil an diesem großen Ereignis war
von dem seiner Frau wesentlich verschieden; er wurde
nicht betrogen; im Gegenteil, mit Überlegung entschloß
er sich, so zu tun wie es Eva verlangte, damit er die
Absichten seines Schöpfers betreffs des Menschenge-
schlechts, dessen erster Patriarch zu sein er bestimmt
war, ausführen könne.
31. Sogar die Übertretungen der Menschen können
der Ausführung hoher Absichten dienstbar gemacht
werden. Wie später erklärt wird, wurde das Sühnopfer
Christi vor Grundlegung der Welt bestimmt,^) doch
sind Judas, der den Sohn Gottes verriet und die blutdür-
stigen Juden, die ihn kreuzigten, an dem furchtbaren
Verbrechen deshalb nicht weniger schuld.
1) Köstl. Perle, Moses 4:6.
') Siehe Vorlesung IV, Seite 91.
Art. 2.) Anmerkungen. 87
32. Es ist allgemeine Gewohnheit der Menschen ge-
worden, heftige Vorwürfe gegen die Stammeltern des Men-
schengeschlechts zu erheben und sich den — wie man
annimmt gesegneten — Zustand auszumalen, in dem wir
leben würden, wenn der Fall nicht eingetreten wäre. Statt
dessen haben unsre ersten Eltern Anspruch auf unsere
tiefste Dankbarkeit für die ihrer Nachkommenschaft
hinterlassene Erbschaft: die Mittel, auf dem Schlachtfeld
der Sterblichkeit, Herrlichkeit, Erhöhung und ewiges
Leben zu erlangen. Wäre diese Gelegenheit nicht gegeben
worden, so wären die Geister der Sprößlinge Gottes in
einem Zustand der unschuldigen Kindheit verblieben,
sündlos, aber nicht durch eigenes Verdienst; in vernei-
nendem Sinne erlöst, nicht von der Sünde, sondern von der
Gelegenheit mit der Sünde in Berührung zu kommen;
unfähig den Lohn des Sieges zu erlangen, weil von der
Teilnahme am Kampf zurückgehalten. Aber wie es jetzt
ist, sind sie Erben des Geburtsrechts der Nachkommen-
schaft Adams: der Sterblichkeit mit ihren unermeßhchen
Möglichkeiten und ihrer gottgegebenen Freiheit im Han-
deln. Von Vater Adam haben wir all die Leiden, denen
das Fleisch unterworfen ist, geerbt; aber sie sind notwen-
digerweise mit der Erkenntnis des Guten und des Bösen
verbunden, einer Erkenntnis, durch deren Anwendung
die Menschen sogar wie die Götter werden können. i)
Anmerkungen.
1. Der freie Wille ist dem Menschen von Gott gegeben. Das Folgende
ist ein Auszug aus einer von Präsident Brigham Young am 5. Juli 1855
gehaltenen Rede. (Siehe „Journal of Discourses", von diesem Tag und
„Millenial Star," Band XX, Seite 43). „Was ist die Grundlage der Rechte
des Menschen ? Mit der ausdrücklichen Absicht, daß der Mensch ein unab-
hängiges Wesen werden sollte, wie es Gott selbst ist, hat der Allmächtige ihn
•) Siehe Anmerkung 5.
88 Die Glaubensartikel. IVorl. III.
ins Leben gerufen und ihm persönliche Freiheit gegeben. Der Mensch ist
in dem Ebenbild seines Schöpfers, des großen Urbilds des Menschenge-
schlechts, erschaffen, und dieser hat ihm die Grundsätze der Ewigkeit ge-
geben, die Unsterblichkeit in ihn gepflanzt und ihm die Freiheit gelassen,
zu handeln, wie es ihn gut dünkt — für sich selbst zu wählen oder zu verwerfen,
ein Heiliger der letzten Tage zu sein oder ein Wesleyscher Methodist der
englischen Kirche, der ältesten Tochter der Mutterkirche, der alten Mutter
selbst oder ihrer Schwester, der griechischen Kirche, anzugehören, oder ein
Ungläubiger zu sein und sich zu keiner Kirche zu bekennen. Wenn das Reich
Gottes in Vollkommenheit auf der Erde gegründet und errichtet sein und
über alle Völker und Reiche die Oberherrschaft haben wird, wird es die
Menschen — gleichviel, was sie glauben, was sie bekennen, oder was sie
anbeten — in der Ausübimg all ihrer Rechte beschützen."
2. Das Wesen der Sünde. — Das englische Wort „sin", (und das deut-
sche Wort gleichen Ursprungs, Sünde) vereinigt in sich eine große Man-
nigfaltigkeit der in der ursprünlichen Sprache vorkommenden Ausdrücke,
von denen die buchstäblichen Übersetzungen einander sehr gleichen. So
kommen im Alten Testament unter andern die folgenden Ausdrücke vor:
settira (in Psalm 101:3), bedeutet „von dem Weg abweichen"; shegagab
(3. Mose 4:2; 4. Mose 15:27), „sich betreffs des Weges irren," avon „das
Krumme oder das Verkehrte;" avel, „sich von etwas abwenden." Im Neuen
Testament finden wir hemartie, „das Verfehlen eines Zieles;" parabasis^
„das Übertreten einer Linie"; parakos, „Ungehorsam zu einer Stimme";
paraptoma, „das Fallen vom Aufrechtstehn" ; agnoema, „Unwissenheit,
die nicht zu rechtfertigen ist"; bettema, „nur teilweise maßgebend"; ano-
mia, ,,Nichtbeobachtung des Gesetzes"; plemmeleia, „ein Mißklang". Die
obenangeführten Erläuterungen sind hauptsächlich von Müller und French
genommen. In all diesen Ausdrücken ist das Abweichen von dem Wege
Gottes, die durch den Widerstand gegenüber göttlichen Forderungen ver-
ursachte Trennung von seiner Gesellschaft, der vorherrschende Sinn. Die
Sünde wiu-de von außen eingeführt; sie war nicht ein natürliches Erzeugnis
dieser Erde. Der Same des Ungehorsams wurde von dem Erzfeind in
Evas Herz gepflanzt; jener Same schlug Wurzeln, und viele derartige
Früchte, die wir mit unbedachten Worten Unheil nennen, sind die Folge.
Um uns von diesen Dornen und Disteln der Sterblichkeit zu befreien, ist
ein Erlöser bereitet worden.
3. Eden. — In der hebräischen Sprache, aus der lonser Wort „Eden"
stammt, bedeutet dieser Ausdruck etwas besonders liebliches, einen Ort
des Angenehmen. Der Ort wird auch „der Garten des Herrn" genannt.
Ein besonderer Teil des Landes Eden wurde von dem Herrn als ein Garten
hergerichtet ; dieser lag ostwärts in Eden. Nach dem Fall wurden die Eltern des
Menschengeschlechts aus dem Garten getrieben, aber doch ist es vernünftig,
anzimehmen, daß sie nachher noch in dem Lande oder in der Gegend Edens
wohnten. Wir lesen, daß zu einer späteren Zeit, Kain, der erste Mörder,
„ging von dem Angesichte des Herrn und wohnte im Lande Nod, jenseit
Eden, gegen Morgen" (1. Mose 4:16). Obzwar die christlichen Gelehrten
keine übereinstimmende Ansichten über die geographische Lage Edens
haben, behaupten die meisten, es habe in Persien gelegen. Jedoch ist es
selbst den entschiedensten Vertretern dieser Ansicht unmöglich, irgend-
eine auffallende Ähnlichkeit zwischen dieser Gegend und der in der Bibel
beschriebenen nachzuweisen. In dieser Sache haben die Heiligen der letzten
f
Art. 2.] Anmerkungen. 89
Tage genauere Kenntnis, denn am 19. Mai 1838 wurde zu Spring Hill, Mo.,
durch Joseph Smith eine Offenbarung gegeben, in der jener Ort von dem
Herrn „Adam-ondi-Ahman" genannt wurde, „weil, wie er sagte, es der Platz
ist, auf den Adam kommen wird, sein Volk zu besuchen, oder, auf dem der
Alte der Tage sitzen wird, wie durch Daniel den Propheten gesprochen
wurde" (L. u. B. 116). Aus einer anderen Offenbarung (L. u. B. 107:52 — 53)
erfahren wir, daß Adam drei Jahre vor seinem Tod diejenigen seiner Söhne,
die als Hohepriester eingesetzt worden waren, mit den übrigen seiner recht-
schaffenen Nachkommen in das Tal Adam-ondi-Ahman zusammenrief,
und ihnen da seine patriarchalischen Segnungen gab. Das Ereignis wurde
durch besondere Kundtuungen von dem Herrn ausgezeichnet (Siehe L. u.
B. 117:8). In diesen Tagen hat der Herr den genauen Platz des Altars, auf
dem Adam nach seiner Austreibung aus dem Garten Opfer dargebracht
hat, gezeigt (Contributor, Band "VII, Seite 314). Es gibt keinen verbürgten
Bericht, daß das menschliche Geschlecht vor der Sintflut die östliche
Halbkugel bewohnt hätte. Die westliche Halbkugel, jetzt die Neue Welt
genannt, umfaßt in der Tat die ältesten der bewohnten Gebiete der Erde.
Der Westen, nicht der Osten, ist ,,die Wiege der Völker."
4. Die Schlange, da sie die besonderen Absichten Satans unterstützt
hatte, empfing, wie schon erwähnt, einen besondern Fluch von dem
Herrn. (Siehe 1. Mose 3:13— 15 und die Köstl. Perle, Moses 4:19—21).
Dieses Geschöpf wurde mit einem Leben der Erniedrigung bestraft. Sogar
vom Standpunkte der Anatomie aus ist die Schlange von erniedrigter
Gattung. Obwohl ein Wirbeltier und Glied der höchsten Unterklasse des
Tierreichs, fehlt es ihr sogar an äußeren Gliedmaßen und ihre Mittel
zur Fortbewegung sind von keiner höheren Ordnung als die des Wurms
und der Raupe. In der Heiligen Schrift wird die Schlange als ein Sinnbild
der Tücke, der Schlauheit, der List und der Gefahr angewandt.
5. Der Fall notwendig. — Präsident John Taylor bespricht in seiner
Abhandlung „Mediation and Atonement" (Vermittlung und Sühnopfer)
zunächst die Reihe der Geschehnisse, die zum Fall führten und sagt dann (auf
S. 135): „So ist es augenscheinlich, daß das Brechen irgendeines Gliedes
dieser großen Kette den allumfassenden Plan des Allmächtigen hinsichtlich
der Seligkeit und ewigen Erhöhung der Geister — die seine Söhne waren —
gestört hätte. — Denn die Erde war ja hauptsächlich für diese seine Söhne
erschaffen worden, damit diese durch Unterwerfung unter die Forderungen
des diese Dinge regierenden ewigen Grundsatzes und Gesetzes Körper er-
halten und damit diese mit dem Geist vereinigten Körper lebendige Seelen
werden könnten. Und daß dann diese Seelen, als Söhne Gottes, in seinem
Ebenbild erschaffen, durch das Sühnopfer und durch Gehorsam zum Evan-
gelium erhöht werden könnten zur Gottheit." — ,, Mediation and Atone-
ment", S. 135.
6. Wohltätige Folgen des Falles. — „Ehre deinen Vater und deine
Mutter. Dieses war eins der zehn besonderen Gebote, welche unter einem
mächtigen Aufwand an Kraft und Herrlichkeit Gottes dem Volk Israel auf
dem Berg Sinai gegeben wiu-den. In den vergangenen Jahrhunderten der
Finsternis scheint es für die christliche Welt seine Wichtigkeit verloren zu
haben. Sie scheint es nicht zu begreifen, daß auch unseren ersten Eltern
Ehre gebührt. Es ist ihr so lange gelehrt worden, daß Adam und Eva große
Übertreter gewesen seien, und sie hat getrauert über die Tatsache, daß
jene von der verbotenen Frucht genossen und den Tod in die Welt gebracht
90 Die Glaubensartikel. [Vorl. III.
haben. In dem Sündenfall des Menschen spielte der Zufall oder die
Überraschung so wenig eine Rolle wie in seiner Erscliaf fung. Wenn es Zufall
war, warum war denn Christus schon vor Grundlegung der Welt als ein
Sühnopfer für die Sünde ausersehen und vorbereitet worden um den Men-
schen den Weg zur Unsterblichkeit zu öffnen? Die Versöhnung Christi
wurde notwendig durch den Fall. (Siehe Apostelgesch. 5:31.) Ohne den
Fall hätte es kein gebrochenes Gesetz gegeben, und folglich nichts wofür
Buße getan werden könnte; und ohne das Sühnopter Cliristi könnte keine
Vergebung der Sünde sein. Das Buch Mormon macht diese Sache sehr klar:
Wenn nun Adam nicht gesündigt hätte, so würde er nicht gefallen sondern
in dem Garten Eden geblieben sein. Und alle erschaffenen Dinge hätten in
demselben Zustande bleiben müssen, in dem sie nach ihrer Erschaffung
waren, und sie hätten ewig so bleiben müssen und kein Ende gehabt. Und sie
würden keine Kinder gehabt haben. Sie wären in einem Zustand der Un-
schuld geblieben, ohne Freude zu empfinden, denn sie kannten kein Elend;
ohne Gutes zutun, denn sie hätten keine Sünde gekannt (2. Nephi2:22 — 23).
* * • Wir, die Kinder Adams, haben kein Recht Beschuldigungen gegen
den Patriarchen des Menschengeschlechts zu erheben. Vielmehr sollten
wir uns mit ihnen freuen, daß uns durch ihren Fall und durch die Versöh-
nung Jesu Christi der Weg des ewigen Lebens geöffnet worden ist." — „A
Compendium of the Doctrines of the Gospel." F. D. Richards und J. A.
Little, S. 3 — 4.
7. Der Fall vorhergewuDt. — „Mormonismus nimmt die Lehre vom
Sündenfall und den Bericht von der Übertretung in Eden an, wie er im er-
sten Buch Mose geschrieben ist, behauptet aber, daß niemand als Adam
selbst für seinen Ungehorsam zur Rechenschaft gezogen werden wird. Die
Menschheit im allgemeinen ist vollständig frei von der Verantwortlichkeit
für die Erbsünde, und jeder wird sich nur für seine eigenen Übertretungen
zu verantworten haben. Der Sündenfall war vorausgesehen — vorausbe-
stimmt, als ein Mittel, um die notwendigen Verhältnisse der Sterblichkeit
zu schaffen und somit war auch der Erlöser schon bestimmt, ehe denn die
Welt war. Die allgemeine Erlösung im Sinne der Befreiung von den Fojgen
des Sündenfalls wird allen zuteil, ohne daß sie diese suchen, dagegen die per-
sönliche Seligkeit oder eine Rettung vor den Folgen der persönlichen Sün-
den hat ein jeder selbst durch Glauben und gute Werke, durch die von
Christo gewirkte Erlösung, zu erlangen." — Der Verfasser, in „Philosophie
in Mormonismus". (Deutsche Ausgabe S. 6.) Improvement Era, Band IV,
S. 465—466.
Art. 3.] Das Sühnopfer. 91
Vorlesung IV.
Das Sühnopfer und die Seligkeit.
Artikel 3. Wir glauben, daß durch das Sühnopfer Christi die ganze
Menschheit sehg werden kann durch Befolgung der Gesetze und Verord-
nungen des EvangeUums.
Das Sühnopfer.
1. Das Sühnopfer Christi wird von allen sich zum
Christentum bekennenden Religionsgemeinschaften als
eine Hauptlehre verkündigt. Der Ausdruck „Sühnopfer"
ist so allgemein üblich, und der wesentliche Teil sei-
ner Bedeutung wird durchweg so anerkannt, daß Be-
griffserklärungen überflüssig erscheinen. Dennoch ist mit
dem Gebrauch des Wortes in theologischem Sinne eine
besondere Wichtigkeit verbunden. In die Lehre vom Sühn-
opfer eingeschlossen ist der Beweis der Göttlichkeit des
irdischen Wirkens Christi und der stellvertretenden Natur
seines Todes als ein vorherbestimmtes und freiwilliges
Opfer, bestimmt und wirksam als eine Versöhnung für die
Sünden der Menschheit, wodurch die Seligkeit erreichbar
wird.
2. Das Neue Testament, das von den Menschen mit
Recht als das Buch von der Mission Christi betrachtet
wird, ist ganz durchdrungen von der Lehre der Seligkeit
durch das vom Erlöser gebrachte Sühnopfer. Indes kommt
das Wort Sühnopfer (englisch „atonement") in der eng-
lischen Bibelübersetzung nur ein einzigesmal und in der
deutschen überhaupt nicht vor. Nach der Meinung der
meisten Bibelkenner wird zudem der Ausdruck in dem
92 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.
einzigen Fall des englischen Wortlautes falsch angewendet.
Dieser Fall findet sich in dem Brief des Apostels Paulus
an die Römer: „Sondern wir erfreuen uns auch in Gott
durch unsern Herrn Jesum Christum, durch welchen wir
nun das Sühnopfer empfangen haben." (Im deutschen
Text lautet die Stelle: „Sondern wir rühmen uns auch
Gottes durch unsern Herrn Jesus Christus, durch wel-
chen wir nun die Versöhnung empfangen haben." — Der
Übersetzer.)!) Die Randbemerkung gibt Versöhnung
(englisch ,, reconciliation") statt Sühnopfer (englisch „ato-
nement") und im vorhergehenden Vers wird ja auch eine
verwandte Form dieses Wortes gebraucht. Eine zusam-
menhängende, die volle Übereinstimmung zwischen dem
Englischen und dem Griechischen wahrende Übersetzung
würde die beiden Verse wie folgt lauten lassen (wie die Stelle
in der deutschen Lesart ja lautet): „Denn so wir Gott ver-
söhnt sind durch den Tod seines Sohnes, da wir noch
Feinde waren, viel mehr werden wir selig werden durch
sein Leben, so wir nun versöhnt sind. Nicht allein aber
das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unsern
Herrn Jesus Christus, durch welchen wir nun die Versöh-
nung empfangen haben. "2) Im Alten Testament kommt
das Wort Sühnopfer (atonement) wiederholt vor; mit be-
merkenswerter Häufigkeit im 2., 3, und 4, Mose, Der
Sinn, in dem es hier stets gebraucht wird, ist stets der
eines Opfers zur Sühne und gewöhnlich mit dem Tode
eines wohlgefälligen Opfers verbunden, wodurch eine Ver-
söhnung zwischen Gott und seinen Geschöpfen zustande
gebracht wird, ( — Diese Ausführungen berühren vornehm-
lich die englische Bibel, da das Wort „Sühnopfer" in der
deutschen nicht erscheint, sondern immer der Ausdruck
„Versöhnung" gebraucht wird. — Der Übersetzer,)
•) Römer 5:11,
") Römer 5:10—11,
Art. 3.] Das Sühnopfer. 93
3. Die Zusammensetzung des Wortes in seiner jet-
zigen Form deutet diese seine wahre Bedeutung an ; buch-
stäblich meint es Sühn-Opfer, ein Opfer, das sühnt, und
sühnen bedeutet ,, durch Genugtuung ausgleichen, durch
Genugtuung zufriedenstellen." ^) Und dies ist die Bedeu-
tung des errettenden Opfers des Erlösers, wodurch er die
Übertretung des Falles, durch den der Tod in die Welt
gekommen ist, gesühnt, und durch Aussöhnung mit Gott,
fähige und wirksame Mittel für des Menschen Wiederkehr
in einen Zustand der Unsterblichkeit bereitet hat.
4. Das Wesen des Sühnopfers. — Das von Jesus
Christus vollbrachte Sühnopfer ist eine notwendige Folge
der Übertretung Adams. Wie Gott durch sein unbeschränk-
tes Vorherwissen den Fall klar voraussah, ehe Adam auf
der Erde war, so auch bereitete des Vaters grenzenlose
Barmherzigkeit schon vor der Erschaffung der Welt einen
Erlöser für die Menschheit. Durch den Fall haben Adam
und Eva die Zustände der Sterblichkeit auf ihre Nach-
kommen vererbt; deshalb sind alle von irdischen Eltern
gebornen Wesen dem körperlichen Tod unterworfen. Die
Vollziehung der Verbannung aus der Gegenwart Gottes
war soviel wie ein geistiger Tod; und jene Strafe, mit der
unsre ersten Eltern an dem Tage ihrer Übertretung heim-
gesucht wurden, ist ebenfalls die gemeinsame Erbschaft
der Menschheit geworden. Da diese Strafe durch die Tat
eines einzelnen in die Welt kam, würde es offenbar unge-
recht sein, die Gesamtheit ewig, also ohne eine Gelegen-
heit zur Befreiung darunter leiden zu lassen. Deshalb
wurde das verheißene Opfer Jesu Christi als eine Sühne
für ein gebrochenes Gesetz verordnet, wodurch die Gerech-
tigkeit völlig' zufrieden gestellt werden konnte, und es der
Barmherzigkeit möglich wurde, ihren wohltätigen Einfluß
') Welgand, „Deutsches Wörterbuch", unter „sühnen".
94 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.
auf die Seelen der Menschenkinder auszuüben.^) Alle die
Einzelheiten des herrlichen Plans, durch den die Seligkeit
der Menschen gesichert wird, zu verstehen, mag dem mensch-
lichen Verstand nicht möglich sein ; aber sicherlich hat der
Mensch aus seinem erfolglosen Bemühen, die erste Ursache
der Erscheinungen der Natur zu ergründen, gelernt, daß
das Begriffsvermögen seines Verstandes begrenzt ist; und
er wird auch eingestehen, daß er seine Ansprüche, ein be-
obachtendes und vernünftiges Wesen zu sein, aufgeben
müßte, wollte er die Wirkung leugnen, weil er unfähig ist,
die Ursache zu erklären.
5. So einfach wie der Plan der Erlösung in seinen
allgemeinen Zügen ist, ist er doch in den Einzelheiten
dem begrenzten Verstand offenbar ein Geheimnis. Präsi-
dent John Taylor hat folgendes geschrieben: „In irgend
einer geheimnisvollen, unbegreiflichen Weise nahm Jesus
die Verantwortung auf sich, die eigentlich Adam obliegen
würde, aber die dennoch nur durch die Vermittlung von
Christus selbst und durch das Aufsichnehmen ihrer Trüb-
sale und ihrer Verantwortungen und das Tragen ihrer
Übertretungen oder Sünden vollbracht werden könnte.
In einer uns unbegreiflichen und unerklärlichen Weise
trug er die Last der Sünden der ganzen Welt, nicht allein
die Adams, sondern auch die seiner Nachkommenschaft.
Zur selben Zeit öffnete er das Himmelreich, nicht allein
allen Gläubigen und allen, die dem Gesetz Gottes gehor-
chen, sondern auch noch mehr als der Hälfte der Mensch-
heit, nämlich solchen, die sterben ehe sie die Jahre der
Reife erreichen, dazu auch den Heiden, die, da sie ohne
Gesetz gestorben sind, auch ohne Gesetz durch seine Ver-
mittlung auferstehen werden, und in dieser Weise, ihrer
') Siehe Anmerkung 1.
Art. 3.] Das Sühnopfer. 95
Fähigkeit, ihren Werken und ihrem Wert entsprechend,
an den Segnungen seines Sühnopfers teilnehmen werden. "i)
6. Aber wenn unser Begreifen des Plans der Erlösung
durch das stellvertretende Opfer Christi in all seinen Teilen
auch noch so unvollkommen ist, können wir ihn doch
nicht verwerfen, ohne ungläubig zu werden; denn dieser
Plan ist die Grundlage aller biblischen Lehre, das wirkliche
Wesen der Prophezeiung und der Offenbarung, die hervor-
ragendste der dem Menschen von Gott gegebenen Er-
klärungen.
7. Das Sühnopfer ein stellvertretendes Opfer. — Daß
das freiwillige Opfer eines einzelnen Wesens als ein Mittel
der Erlösung für den Rest der Menschheit wirken könnte,
ist für viele eine Sache des unfaßlichen Wunders. In die-
sem wie in andern Dingen, ist die Schrift nur durch den
Geist schriftgemäßer Auslegung erklärlich. Die heiligen
Schriften alter Zeiten, die Worte neuzeitlicher Propheten,
die Überlieferungen der Menschheit, die Gebräuche des
Opferns, und sogar die Greuel der heidnischen Abgötte-
reien schließen den Begriff eines stellvertretenden Sühn-
opfers in sich ein. Niemals hat Gott ein Opfer zurückge-
wiesen, das von jemand dargebracht wurde, der bevoll-
mächtigt war, es für jene zu tun, die aus irgend einem
Grunde nicht imstande waren, die verlangte Dienstleistung
selbst zu verrichten. Der Sündenbock^) und das Altar-
opfer^) des alten Israel, wenn mit Reue und Zerknirschung
geopfert, wurden zur Mäßigung der Sünden des Volkes
von dem Herrn angenommen. Es ist interessant zu be-
obachten, daß, obwohl die Zeremonien des Opferns einen
solch großen und notwendigen Teil der mosaischen Anforde-
rungen bildeten, diese Gebräuche doch schon längst vor
•) Präsident John Taylor, „Mediation and Atonement", S. 148-
') 3. Mose 16:20—22.
») 3. Mose 4.
96 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.
der Gründung Israels als ein abgesondertes Volk eingesetzt
worden waren ; denn, wie schon bemerkt, wurde das Altar-
opfer von Adam dargebracht. i) Das Sinnbild im Opfern
der Tiere, als Urbild des großen auf Golgatha folgenden
Opfers, wurde also am Anfang der menschlichen Ge-
schichte eingesetzt.
8. Die vielen Arten der durch das mosaische Gesetz
vorgeschriebenen Opfer unterscheiden sich deutlich als
zwei Klassen: blutige und unblutige. Nur Opfer der ersten
Art, d.h. solche, die den Tod einschlössen, wurden als Ver-
söhnung oder Sühnopfer für Sünde angenommen. Das
Opfer mußte rein, gesund und ohne Makel oder Fehl sein.
Und so konnte auch für das große Opfer, dessen Wirkungen
unbegrenzt sein sollten, nur ein unschuldiges Wesen an-
genommen werden. Da Christus das einzige sündlose
Wesen auf Erden und der Eingeborne des Vaters war,
und vor allem weil er schon in den Himmeln zu dieser
Mission ordiniert worden war, war es sein Vorrecht, der
Erlöser der Menschheit zu sein. Obwohl mit der Ausübung
dieses Vorrechts ein Opfer, dessen Größe der Mensch nicht
begreifen kann, verbunden war, brachte Christus das
Opfer dennoch gern und freiwillig. Bis ans Ende hatte
er die Macht, durch eine einfache Ausübung seiner gött-
lichen Kräfte, die Qualen, die ihm seine Verfolger bereite-
ten, zu beendigen. 2) In irgend einer Weise, mag diese Weise
uns auch unerklärhch sein, nahm Christus die Sünden der
Menschheit auf sich. Die Mittel mögen unsrem begrenzten
Verstand ein Geheimnis sein, die Wirkungen aber sind
unsre Erlösung.
9. Etwas von der Pein, die der Erlöser litt, als er unter
dieser Last der Schuld stöhnte, einer Schuld, die für ihn
als Urbild der Reinheit, an sich abstoßend gewesen sein
') Siehe Seite 84.
») Matthäus 26:53—54; Johannes 10:17—18.
Art. 3.] Das Sühnopfer. 97
muß, hat er uns in diesen Tagen durch die Worte des
Propheten erklärt: „Denn siehe, ich, dein Gott, habe diese
Dinge für alle gelitten, daß sie nicht leiden müßten, wenn
sie Buße tun; doch wenn sie ihre Sünden nicht bereuen,
so müssen sie leiden wie ich, welches Leiden mich, selbst
Gott, den größten von allen, der Schmerzen halber erzit-
tern machte, so daß ich aus jeder Pore bluten und im
Körper und Geiste leiden mußte und wünschte, daß ich
den bittern Kelch nicht zu trinken brauchte; dennoch
Ehre sei dem Vater, ich trank den Kelch und vollendete
meine Vorbereitungen für die Menschenkinder. "i) Weitere
Beispiele der Gültigkeit des stellvertretenden Dienstes
sind die Verordnungen der Taufe für die Toten,^) wie sie
in den apostolischen und jetzigen Zeiten gelehrt wurden,
und die Einsetzung anderer Tempelhandlungen^) in der
gegenwärtigen Dispensation.
10. Das Opfer Christi war freiwillig und der Liebe ent-
sprungen. — Beiläufig haben wir erwähnt, daß Christus
gern und freiwillig sein Leben zur Erlösung der Mensch-
heit gab. In dem großen Rat der Götter bot er sich selbst
als das sühnende Opfer an, das durch die vorhergesehene
Übertretung des ersten Menschen notwendig werden
würde. Der in diesem frühen Zeitpunkt seiner errettenden
Mission gezeigte und ausgeübte freie Wille wurde bis zum
letzten Augenblick der qualvollen Erfüllung des angenom-
menen Plans beibehalten. Zwar lebte er auf Erden als ein
Mensch, ein Mensch in allem was uns berührt in der Ehr-
erbietung, die wir für ihn als ein Beispiel des Göttlichen
im Menschen fühlen; doch müssen wir uns erinnern, daß
er, obwohl von einer sterblichen Mutter geboren, von einem
unsterblichen Vater gezeugt wurde. Daher besaß er sowohl
1) Lehre u. Bündn. 19:16—19.
') 1. Korinther 15:29. Siehe Vorlesungen VI und VII.
') L, u. B. 127:4—9; 128.
98 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.
die Fähigkeit, zu sterben wie die Macht, dem Tode Trotz
zu bieten. Er gab sein Leben; es wurde ihm nicht genom-
men. Achten wir auf den Sinn seiner eigenen Erklärung:
„Darum liebet mich mein Vater, daß ich mein Leben lasse,
auf daß ich's wiedernehme. Niemand nimmt es von mir,
sondern ich lasse es von mir selber. Ich habe Macht, es
zu lassen, und habe Macht, es wiederzunehmen. "i) Bei
einer andern Gelegenheit zeugte Jesus in folgender Weise
von sich selbst: ,,Denn wie der Vater das Leben hat in
ihm selber, also hat er dem Sohn gegeben, das Leben zu
haben in ihm selber; und hat ihm Macht gegeben, auch
das Gericht zu halten, darum daß er des Menschen Sohn
ist. "2) Und dann unter den tragischen Szenen des Verrats,
als Judas, der ein vorgeblicher Freund und Anhänger ge-
wesen war, ihn seinen Verfolgern mit einem verräterischen
Kuß übergab, als Petrus aus einer durch gerechten Eifer
angetriebenen Unvorsichtigkeit das Schwert zur Vertei-
digung des Meisters zog und gebrauchte, sprach der Meister :
,,Oder meinst du, daß ich nicht könnte meinen Vater bitten,
daß er mir zuschickte mehr denn zwölf Legionen Engel?
Wie würde aber die Schrift erfüllet ? Es muß also gehen. "^)
Und so fort bis zum Tode, bezeichnend durch den erster-
benden aber dennoch triumphierenden Ruf: ,,Es ist voll-
bracht!", hatte der ins Fleisch gekommene Gott die Macht
in sich, sich seinen Mördern zu unterwerfen oder, wenn
er es gewollt hätte, ihnen zu trotzen.
11. Der ihn durch all die Szenen seiner Mission, von der
Zeit seiner uranfänglichen Ordination an bis zu dem Augen-
blick der siegreichen Vollendung am Kreuz, inspirierende
und stützende Antrieb war zwiefach: einmal, der Wunsch,
in der Vollführung der Seligkeit der Menschheit seines
1) Johannes 10:17 — 18.
*) Johannes 5:26 — 27.
') Matthäus 26:53—54.
Art. 3.] Das Sühnopfer. 99
Vaters Willen zu tun; dann seine Liebe zu den Menschen,
um deren Wohlfahrt und Schicksal er sich angenommen
hatte. Weit entfernt von rachsüchtigen Gefühlen gegen-
über denen, die ihn — den Gesetzen Gottes und der Men-
schen zum Trotz — einem fluchbeladenen Tode überlie-
ferten, hatte er bis zum Ende Erbarmen mit ihnen. Noch
in der Stunde der äußersten Pein betete er laut : „Vater,
vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!"^) Nicht
geringer ist die Liebe des Vaters, der das Opfer des Sohnes
annahm und zugab, daß der, den er seinen Geliebten
nannte, litt, wie nur ein Gott leiden kann: ,,Also hat
Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn
gab, auf das alle, die an ihn glauben, nicht verloren wer-
den, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat
seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, daß er die Welt
richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde. "2)
Und weiter vernehmen wir die Lehre des Apostels, den Je-
sus so lieb hatte: „Daran ist erschienen die Liebe Gottes
gegen uns, daß Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat
in die Welt, daß wir durch ihn leben sollen l"^)
12. Das Sühnopfer vorherverordnet und vorausge-
sagt. — Wie schon bemerkt, wurde der Plan des Vaters,
einen Weg für die Erlösung der Menschheit zu eröffnen
und es dann allen Menschen zu überlassen, nach ihrer
eigenen Wahl zu handeln, von dem Rat im Himmel ange-
nommen und gleichzeitig Luzifers Zwangsplan verworfen.
Schon in jener weit entfernten Zeit wurde Christus
zum Vermittler für alle Menschen ordiniert; sogar , .wurde
ein Bündnis zwischen ihm und seinem Vater geschlossen,
wonach er es auf sich nahm, die Sünden der Welt auszu-
söhnen, und so wurde er, wie schon erwähnt, ein Lamm,
>) Lukas 23:34.
^) Johannes 3:16—17.
') 1. Johannes 4:9.
Die Glaubensartikel.
[Vorl. IV.
das zwar zuvor ersehen ist, ehe der Welt Grund gelegt
ward."^) Die Propheten der alten Zeiten, von denen manche
schon Hunderte von Jahren vor der Zeit des Kommens
Christi im Fleisch lebten, gaben Zeugnis von ihm und von
dem großen Werk, das zu tun er ordiniert worden war.
Diesen Männern Gottes war gestattet worden, in prophe-
tischen Gesichten viele von den mit der irdischen Mission
des Erlösers verbundenen Begebenheiten zu schauen, und
feierlich gaben sie Zeugnis von den Kundtuungen. In der
Tat: das Zeugnis Christi ist der Geist der Prophezeiung,
und ohne ihn kann niemand mit Recht beanspruchen,
ein Prophet zu sein. Adams Verzweiflung bei seiner Ver-
treibung aus Eden wandelte sich in Freude, als er durch
Offenbarung von dem Plan der Erlösung, die durch den
Sohn Gottes im Fleisch bewirkt werden sollte, erfuhr.^)
Dieselben Wahrheiten lehrte der gerechte Henoch, wie sie
ihm aus den Himmeln erklärt worden waren .^) Dieses
Zeugnis wurde auch von Mose*), Hiob^), David^), Sacharja'),
Jesaja^), und Mieha^) abgelegt. Die gleiche Erklärung
gab Johannes der Täufer dem Propheten des Höchsten,
den Jesus mehr als einen Propheten nannte;^") er war
es, der den Erlöser taufte, und der Zeugnis gab von den
Worten des Vaters betreffs der Mission des Sohnes und dem
sichtbaren Zeichen des Heiligen Geistes.
13. Sollten hinsichtlich der Anwendung solcher Pro-
phezeiungen irgendwelche Zweifel bestehen, so haben wir
1) Präsident John Taylor in „Mediation and Atonement", S. 97.
») Siehe Seite 84; Köstl. Perle, Moses 5:9—11.
') Köstl. Perle, Moses 6:51—68.
«) 5. Mose 18:15, 17—19.
') Hiob 19:25—27.
') Psalm 2:1—12.
') Sacharja 9:9; 12:10; 13:6.
") Jesaja 7:14; 9:6 — 7.
•) Micha 5:2.
») Matthäus 3:11.
Art. 3.] Das Sühnopler. 101
das entscheidende Zeugnis Christi, daß sie sich auf ihn be
ziehen. An jenem denkwürdigen Tage, der seiner Auf er"
stehung folgte, als er unerkannt mit zweien seiner Jünger
auf dem Wege nach Emmaus ging, lehrte er sie die Schrif-
ten, die über den Sohn Gottes geschrieben worden waren :
,,Und fing an von Mose und allen Propheten und legte
ihnen alle Schriften aus, die von ihm gesagt waren. "i)
Ein paar Stunden nachher erschien der Herr den elf
Aposteln zu Jerusalem. Er beeinflußte ihr Verständnis,
,,daß sie die Schrift verstanden, und sprach zu ihnen:
Also ist's geschrieben, und also mußte Christus leiden", 2)
und auf diese Weise bezeugte er, daß er einen vorher-
bestimmten Plan erfüllte. Petrus, einer der vertrautesten
irdischen Gefährten des Heilandes, spricht von ihm als
einem unschuldigen und unbefleckten Lamm, ,,das zwar
zuvor ersehen ist, ehe der Welt Grund gelegt ward."^)
In seinem Briefe an die Römer schildert Paulus Christus
als den einen, ,, welchen Gott hat vorgestellt zu einem Gna-
denstuhl durch den Glauben in seinem Blut, damit er die
Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, darbiete in dem, daß er
Sünde vergibt, welche bisher geblieben war unter gött-
licher Geduld."^) Dieses sind nur wenige von den biblischen
Beweisen für die Vorausbestimmung und die Vorordination
Christi. Die Schriften des Alten Testaments wie auch die
des Neuen^) sind voll von Beweisen für das große Werk
des Messias.
14. Die Propheten des Buches Mormon zeichnen sich
aus durch ihre vollständigen Zeugnisse über den Messias.
Der Reinheit seines Glaubens wegen wurde es Jareds
') Lukas 24:27.
') Lukas 24:45 — 46.
») 1. Petrus 1:19—20.
«) Römer 3:25.
') Siehe Römer 16:25, 26; Epheser 3:9—11; Kolosser 1 : 24— 26 ;
2. Timotheus 1:8 — 10; Titus 1:2, 3; Offenbarung Johannes 13:8.
102
Die Glaubensartikel.
[Vorl. IV.
Bruder erlaubt, zweiundzwanzig Jahrhunderte vor dem
Mittag der Zeit, den Erlöser der Menschheit zu schauen.
Es wurde ihm gezeigt, daß der Mensch nach dem Eben-
bilde Gottes erschaffen ist; und gleichzeitig erhielt er Be-
lehrungen über die Absicht Gottes, daß der Sohn Fleisch
annehmen und auf Erden wohnen werde. ^) Beachten wir
die persönliche Erklärung des vorordinierten Erlösers
diesem Propheten gegenüber: „Siehe, ich bin der, der von
der Gründung der Welt an bereitet war, um sein Volk
zu erlösen. Siehe, ich bin Jesus Christus; ich bin der Vater
und der Sohn. In mir soll das ganze Menschengeschlecht
erleuchtet werden, ja ewiglich, und zwar jene, die an mei-
nen Namen glauben werden, und sie sollen meine Söhne
und meine Töchter werden. "2)
15. Nephi berichtet die Prophezeiung seines Vaters
Lehi über das künftige Erscheinen des Sohnes im Fleisch,
über seine Taufe, seinen Tod und seine Auferstehung. Diese
prophetische Äußerung gibt die genaue Zeit der Geburt
des Heilandes an: sechshundert Jahre nach der Auswan-
derung Lehis aus Jerusalem. Die Mission Johannes des
Täufers wird geschildert, und sogar der Ort der Taufe wird
bezeichnet, 3) Kurz nach der Zeit des Gesichts Lehis
wurden dieselben Dinge durch den Geist dem Propheten
Nephi gezeigt, wie auch viele andre Dinge, wovon er einiges
geschrieben hat; aber es wurde ihm verboten, den größern
Teil davon zu schreiben, denn ein andrer, der Apostel
Johannes, war bestimmt worden, diesen in einem Buch,
das einen Teil der Bibel bilden sollte, darzulegen. Aber
aus einem Teil seines Berichtes erfahren wir, daß er die
Jungfrau Maria in Nazareth zuerst allein und dann gleich
darauf mit einem Kind auf dem Arm sah. Der Erklärer
>) Ether .3:13, 14; siehe auch 13:10, 11.
') Ether 3:14; lies auch 8:12.
») 1. Nephi 10:3—11.
Art 3.] Das Sühnopfer. 103
des Gesichtes belehrte ihn, daß das Kindlein das Lamm
Gottes, der Sohn des ewigen Vaters sei. Dann sah Nephi,
wie der Sohn unter den Menschenkindern wirkte, das
Wort verkündigte, die Kranken heilte und viele andre
Wunder vollbrachte. Er sah Johannes, den Propheten
der Wüste, vor ihm hergehen; er sah, wie der Heiland von
Johannes getauft wurde und wie der Heilige Geist mit
dem sichtbaren Zeichen einer Taube auf ihn herabkam.
Dann sah und prophezeite er, daß zwölf auserwählte Apo-
stel in den Dienst des Erlösers treten, daß der Sohn
ergriffen und von den Menschen verurteilt und end-
lich erschlagen werden würde. Die Zukunft, selbst die Zeit
nach der Kreuzigung mit prophetischem Blick durchdrin-
gend, schaute Nephi den Kampf der Welt gegen die Apostel
des Lammes und schließlich den Sieg der Sache Gottes. i)
16. Jakob, der Bruder Nephis, prophezeite seinen
Brüdern, daß Christus im Fleisch unter den Juden er-
scheinen und von ihnen gegeißelt und gekreuzigt werden
würde. 2) König Benjamin erhob seine Stimme zur Be-
kräftigung dieses Zeugnisses und verkündigte seinem
Volke die gerechte Herablassung Gottes.^) Dasselbe
erklärten auch Abinadi*), Alma^), Amulek^) und Samuel,
der lamanitische Prophet.') Die buchstäbliche Erfüllung
gibt einen unzweifelhaften Beweis von der Wahrheit dieser
Prophezeiungen. Die wunderbaren Zeichen, die die Geburt^)
und den Tod Christi andeuteten, wurden alle verwirklicht,^)
siehe auch 2. Nephi 2:3—21; 25:20—27;
') 1. Nephi 11:14—35;
siehe
26
:24.
«) 2. Nephi 6:8—10; 9
:5— 6.
») Mosiah 3:5—27; 4:1
—8.
*) Mosiah 15:6—9; 16.
=) Alma 7:9—14.
«) Alma 11:35—44.
') Helaman 14:2—8.
«) Heiamann 14:2—5; 21—27.
») 3. Nephi 1:5—21; 8:
3—25.
104 Die Glaubensartikel. (Vorl. IV.
und nach seinem Tod und seiner Himmelfahrt, als ihn
der Vater der Volksmenge ankündigte, offenbarte sich
der Heiland den Nephiten.^)
17. Die alten Schriften sind also deutlich in der Er-
klärung, daß Christus auf Erden erschien, um ein vorher-
bestimmtes Werk zu tun. Er lebte, litt und starb nach
einem Plan, der für die Erlösung der Kinder Adams, selbst
ehe die Welt war, in Gerechtigkeit entworfen wurde.
Ebenso wichtig und ausdrücklich ist das Wort der neuzeit-
lichen Offenbarung, wonach sich der Sohn als Alpha und
Omega, den Anfang und das Ende, den Fürsprecher der
Menschen bei dem Vater, den Heiland der Welt bezeichnet
hat. 2) Aus den vielen in der gegenwärtigen Dispensation
über Christus gegebenen Offenbarungen wollen wir nur
eine einzige betrachten: „Höret auf die Stimme des Herrn
eures Gottes, selbst Alpha und Omega, der Anfang und
das Ende, dessen Lauf eine ewige Runde ist, derselbe
heute, gestern und immerdar. Ich bin Jesus Christus,
der Sohn Gottes, der für die Sünden der Welt gekreuzigt
wurde; selbst für so viele als an seinen Namen glauben
wollen, daß sie die Söhne Gottes werden mögen, und
zwar eins mit mir, wie ich mit dem Vater eins bin und der
Vater mit mir eins ist, daß wir eins sein mögen". 2)
18. Die Ausdehnung des Sühnopfers ist unbegrenzt
und erstreckt sich in gleicher Weise auf alle Nachkommen
Adams. Selbst der Ungläubige und der Heide und das
Kind, wenn es stirbt ohne die Jahre des Verstandes erreicht
zu halaen, sind durch das Selbstopfer des Heilandes von allen
Folgen des Falles erlöst.*) Durch die Schrift wird es ent-
1) 3. Nephi 11:1—17.
') Siehe Lehre u. Bündn. 6:21; 14:9; 18:10—12; 19:1—2, 24; 21:9;
29:1; 33; 34:1—3; 35:1—2; 38:1—5; 39:1—3; 45:3—5; 46:13—14;
76:1—4. 19—24, 68; 93:1—6, 12—17, 38.
ä) L. u. B. 35:1. 2.
*) Siehe Anmerkung 2.
Art. 3.] Das Sühnopfer. 105
scheidend bewiesen, daß die Auferstehung des Körpers
einer der Siege ist, die Christus durch sein versöhnendes
Opfer errungen hat. Er selbst verkündigte diese ewige
Wahrheit: ,,Ich bin die Auferstehung und das Leben. "^)
Von allen Menschen ging er zuerst aus dem Grabe hervor
und ist ,,der Erstling geworden unter denen, die da schla-
fen."2) Die Schrift läßt nicht daran zweifeln, daß die Auf-
erstehung allgemein sein wird. Der Heiland verkündigte
seinen Jüngern den Anfang dieses Werkes der Befreiung
vom Tode mit den Worten: ,, Verwundert euch des
nicht. Denn es kommt die Stunde, in welcher alle, die in
den Gräbern sind, werden seine Stimme hören, und werden
hervorgehen, die da Gutes getan haben, zur Auferstehung
des Lebens, die aber Übles getan haben, zur Auferstehung
des Gerichts;"^) oder wie der letzte Teil dieser Erklärung
durch Inspiration in diesen' Tagen übersetzt worden ist :
„Die, so Gutes getan haben, in der Auferstehung der Ge-
rechten, und die, so Übles getan haben, in der Aufer-
stehung der Ungerechten."^)
19. Paulus spricht von der Lehre einer allgemeinen
Auferstehung als so gut bewiesen, daß selbst seine Verklä-
ger die Wahrheit anerkennen mußten, ,,daß zukünftig sei
die Auferstehung der Toten, der Gerechten und der Unge-
rechten."^) Bei einer andern Gelegenheit spricht er: „Denn
gleichwie sie in Adam alle sterben, also werden sie in Christo
alle lebendig gemacht werden."^) Ferner gibt Johannes
der Offenbarer Zeugnis von seinem Gesicht inbezug auf
die Zukunft: „Und ich sah die Toten, beide, groß und
1) Johannes 11:25.
ä) 1. Korinther 15:20; siehe Apostelgesch. 26:23.
») Johannes 5:28, 29.
♦) Lehre u. Bündn. 76:17.
') Apostelgesch. 24:15.
•) 1. Korinther 15:22.
106 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.
klein, stehen vor Gott. * * * Und das Meer gab die Toten,
die darinnen waren, und der Tod und die Hölle gaben die
Toten, die darinnen waren. "^) Es ist also klar, daß die
Wirkung des Sühnopfers, so weit sie den Sieg über den zeit-
lichen oder körperlichen Tod betrifft, das ganze Menschen-
geschlecht umfaßt. Ebenso klar ist es, daß die Befreiung
von Adams Erbschaft des geistigen Todes oder der Verban-
nung aus der Gegenwart Gottes ebenso allgemein sein
wird, so daß, wenn irgend ein Mensch seine Seligkeit ver-
löre, dieser Verlust ihm selber zuzuschreiben und in kei-
ner Weise von dem Fall Adams abhängig wäre.
Die Lehre, daß die Gabe der Erlösung durch Christus
allen Menschen frei steht, wurde von den Aposteln in alten
Zeiten ausdrücklich gelehrt. So spricht Paulus: „Wie
nun durch eines Sünde die Verdammnis über alle Menschen
gekommen ist, also ist auch durch eines Gerechtigkeit die
Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen gekommen ."2)
Und weiter: ,,Denn es ist *** ein Mittler zwischen Gott
und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus,
der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung. "3) Jo-
hannes sagte über das Opfer des Erlösers: „Und derselbe
ist die Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber
für die unsern, sondern auch für die der ganzen Welt."*)
20. Diese großen Wahrheiten wurden auch denNephi-
ten gelehrt. Der rechtschaffene König Benjamin predigte
von der „Versöhnung, die vor der Erschaffung der Welt
bereitet worden ist, für alle, die seit Adams Fall da waren,
die da sind und jemals da sein werden bis ans Ende der
Welt."^) In der Offenbarung der gegenwärtigen Zeit
') Offenbarung Johannes 20:12, 13.
') Römer 5:18.
=) 1. Timotheus 2:5, 6.
*) 1. Johannes 2:2.
') Mosiah 4:7.
Art. 3.] Das Sühnopfer. 107
lesen wir, daß Christus in die Welt gekommen war, um zu
leiden und zu sterben, „damit durch ihn alle errettet
werden können, die ihm der Vater in seine Gewalt gegeben
hat, und die durch ihn hervorgebracht werden."^)
21. Aber neben dieser allgemeinen Anwendung des
Sühnopfers, wodurch alle Menschen von den Folgen der
Übertretung Adams, sowohl hinsichtlich des körperhchen
Todes als auch hinsichtlich der Befleckung von der ererb-
ten Sünde, erlöst sind, gibt es eine besondere Anwendung
dieses großen Opfers als Mittel zur Aussöhnung der eigenen
Sünden durch den Glauben und die guten Werke des
Sünders. Diese doppelte Wirkung des Sühnopfers ist in dem
Glaubensartikel, der jetzt erörtert wird, enthalten. Durch
die erste Wirkung wird die Befreiung von den sonst furcht-
baren Folgen des Falles für alle Menschen in gleicher Weise
gesichert; dadurch wird ein Plan der allgemeinen Seligkeit
bereitet. Durch die zweite Wirkung wird der Weg zur
persönlichen Seligkeit geöffnet, auf dem der Mensch
die Vergebung seiner eigenen Sünden erlangen kann.
Da diese. Sünden die Folgen persönlicher Taten sind, ist
es nur gerecht, die Vergebung dafür von der persönlichen
Unterwerfung unter die vorgeschriebenen Verordnungen
— abhängig zu machen, — d. h. von der ,, Befolgung der
Gesetze und Verordnungen des Evangeliums".
22. Die allgemeine Wirkung des Sühnopfers, soweit
sie sich auf alle, die die Jahre der Verantwortlichkeit
und des Verstandes erreicht haben, erstreckt, ist durch
die schon angeführten Schriftstellen wohl schon genügend
klar gemacht worden. Ihrer Anwendung auf Kinder wer-
den wir jetzt unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Die
Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage lehrt als
eine auf die Vernunft, die Gerechtigkeit und die Schrift
') Lehre u. Bündn. 76:42.
108 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.
gegründete Lehre, daß alle Kinder in den Augen Gottes
unschuldig sind, daß erst, wenn sie das Alter der persön-
lichen Verantwortlichkeit erreichen, die Taufe für sie er-
forderhch und angebracht ist, kurz gesagt: daß sie durch
das Sühnopfer Christi erlöst w^orden sind. Bis zu einem
gewissen Grade werden die Kinder als die Erben der
guten und bösen Eigenschaften ihrer Eltern geboren; die
Wirkungen der Vererbung lassen sich in der Entwicklung
des Charakters leicht erkennen. Gute und böse Neigungen,
Segnungen und Flüche werden von Geschlecht zu Ge-
schlecht vererbt. Infolge dieser von Gott bestimmten
Verordnung, deren Gerechtigkeit durch die erhaltenen
Offenbarungen über den Stand der menschlichen Geister
in der Präexistenz klar geworden ist, sind die Kinder
Adams natürliche Erben der Drangsale der Sterblichkeit;
durch das Sühnopfer Christi sind aber alle von dem Fluch
dieses gefallenen Zustandes erlöst, die Schuld, die ihnen
als Erbschaft zukommt, wird für sie bezahlt, und so wer-
den sie frei gelassen. Kinder, die frei von Sünden sterben,
sind in den Augen Gottes ganz unschuldig, selbst wenn sie
Kinder von Übertretern sind. Im Buch Mormon lesen
wir: ,, Kleine Kinder können keine Buße tun, daher ist
es eine abscheuhche Bosheit, ihnen die reine Barmherzig-
keit vorzuenthalten, denn wegen seiner Barmherzigkeit
leben sie alle in ihm.* * * Denn sehet, alle kleinen Kinder
und auch solche, die kein Gesetz haben, leben in Christo;
denn die Macht der Erlösung kommt zu allen denen, die
kein Gesetz haben. "i)
23. In einem Brief an seinen Sohn Moroni drückt
der Prophet Mormon seine Überzeugung von der Un-
schuld der Kinder in folgenden Worten aus: ,,Höre auf
die Worte Christi, deines Erlösers, deines Herrn und deines
•) Moroni 8:19 — 22.
Art. 3.] Die Seligkeit. 109
Gottes 1 Siehe, ich kam in die Welt, nicht um die Gerechten,
sondern um die Sünder zur Buße zu rufen. Die Gesunden
brauchen keinen Arzt, aber die Kranken. Also kleine
Kinder sind gesund, denn sie können keine Sünde begehen;
daher ist der Fluch Adams von ihnen weggenommen in
mir, so daß er keine Macht über sie hat. * * * Siehe, ich
sage dir: Dieses sollst du lehren, Bekehrung und Taufe
derer, die verantwortlich und imstande sind, Sünden zu
begehen; ja lehre die Eltern, daß sie sich bekehren und
getauft werden und sich wie ihre kleinen Kinder demüti-
gen müssen, dann sollen sie alle mit denselben selig werden.
Und ihre kleinen Kinder brauchen weder Buße noch Taufe.
Siehe, die Taufe ist zur Bekehrung, damit die Gebote für
die Vergebung der Sünden erfüllt werden. Aber kleine
Kinder leben in Christo von Anbeginn der Welt.**^)
24. In einer durch den Propheten Joseph Smith in
diesem Zeitalter gegebenen Offenbarung hat der Herr
gesagt: „Doch sehet, ich sage euch, daß kleine Kinder
von der Gründung der Welt an durch meinen Eingebornen
erlöst worden sind; daher können sie nicht sündigen, denn
dem Satan ist keine Macht gegeben, kleine Kinder zu ver-
suchen, bis sie anfangen, vor mir verantwortlich zu wer-
den."2) Präsident John Taylor gibt Beispiele der Liebe
Christi für kleine Kinder und Beweise für den unschul-
digen Zustand, in dem diese im Himmel angesehen werden,
und sagt dann: „Ohne die Übertretung Adams hätten
jene Kinder nicht sein können ; durch das Sühnopfer wer-
den sie ohne irgendeine eigene Tat in einen Stand der
Seligkeit versetzt. Nach der Meinung der Statistiker
würde die Zahl derer, die ihre Seligkeit nur der Ver-
') Moroni 8:8—12.
») Lehre u. Bündn. 29:46, 47.
110 Die Glaubensartikel, [Vorl. IV.
mittlung und Versöhnung des Heilandes zuschreiben kön-
nen, mehr als die Hälfte der menschlichen Familie aus-
machen."^)
25. Die besondere oder persönliche Wirkung des
Sühnopfers macht es allen und jedem möglich, durch die
Vermittlung Christi, Lossprechung von der furchtbaren
Wirkung der persönlichen Sünden zu erlangen. Aber
diese errettende Vermittlung muß durch eigenes Bestre-
ben, wie es sich in dem Glauben, in der Buße und in den
nachfolgenden Werken der Rechtschaffenheit äußert,
angerufen werden. Die Gesetze, durch die persönliche
Seligkeit erreichbar ist, sind von Christus vorgeschrieben
worden; sein Vorrecht ist es, zu bestimmen, wie die Seg-
nungen seines eignen Opfers gehandhabt werden sollen.
Alle Menschen bedürfen der Vermittlung des Heilandes,
denn alle sind Übertreter. So lehrten die Apostel vor
alters : ,, Sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes,
den sie an Gott haben sollen. "2) Und weiter: ,,So wir
sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst,
und die Wahrheit ist nicht in uns. "3) Daß die Erlösung
von den Folgen persönlicher Sünden, — obwohl sie für
alle erhältlich ist, — dennoch von persönlicher Anstren-
gung abhängt, wird ebenso klar erläutert, wie die Wahr-
heit der bedingungslosen Erlösung von den Folgen des
Falles. Es ist ein Gericht für alle bestimmt, und alle wer-
den ,,nach ihren Werken" gerichtet werden. Der freie
Wille des Menschen befähigt ihn, zu wählen oder zu ver-
werfen, dem Pfad des Lebens oder der Straße, die zum Ver-
derben führt, zu folgen ; es ist nur gerecht, daß er für die
Ausübung seiner Freiheit verantwortlich gehalten wird,
und daß er die Folgen seiner Taten erntet.
') „Mediation and Atonement", S. 148; siehe Anmerkung 3.
') Römer 3:23.
') 1. Johannes 1:8.
Art. 3.] Die Seligkeit. 111
26. Daher die Gerechtigkeit der biblischen Lehre,
daß die Seligkeit dem Menschen nur durch Gehorsam
zukommt. „Er ist geworden allen, die ihm gehorsam
sind, eine Ursache zur ewigen Seligkeit,''^) sprach Paulus
von Christus. Und weiter: , .Welcher (Gott) geben wird
einem jeglichen nach seinen Werken: Preis und Ehre und
unvergängliches Wesen denen, die mit Geduld in guten
Werken trachten nach dem ewigen Leben; aber denen,
die da zänkisch sind und der Wahrheit nicht gehorchen,
gehorchen aber der Ungerechtigkeit, Ungnade und Zorn;
Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da
Böses tun, vornehmlich der Juden und auch der Griechen.
Preis aber und Ehre und Friede allen denen, die da Gutes
tun, vornehmlich den Juden und auch den Griechen. Denn
es ist kein Ansehen der Person vor Gott. "2) Diesem können
die Worte des auferstandenen Herrn angefügt werden:
,,Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden;
wer aber nicht glaubet, der wird verdammt werden."^)
27. Beachten wir sodann die Prophezeiungen, die
König Benjamin der nephitischen Volksmenge verkün-
digte: ,,Das Blut Christi versöhnt auch die Sünden derer,
die durch Adams Übertretung gefallen, und die gestorben
sind, ohne daß sie den Willen Gottes hinsichtlich ihrer
Person wußten, oder die unwißend gesündigt haben. Aber
wehe, wehe dem, der da weiß, daß er sich gegen Gott em-
pört, denn das Heil kommt zu keinem solchen, ausgenom-
men durch Reue und Glauben an den Herrn Jesum Chri-
stum."*) Aber wozu weitere Anführungen aus der Schrift,
wenn der ganze Sinn der Heiligen Schrift diese Lehre vertei-
digt? Ohne Christus kann kein Mensch selig werden;
») Hebräer 5:9.
•) Römer 2:6—11.
=) Markus 16:16.
*) Mosiah 3:11, 12.
112 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.
und die um den Preis der Leiden und des körperlichen
Todes Christi bereitete Seligkeit wird nur auf Grund ge-
wisser, deutlich bestimmter Bedingungen dargeboten;
diese sind in den Worten: „Befolgung der Gesetze und
Verordnungen des Evangeliums" kurz zusammengefaßt.
28. Seligkeit und Erhöhung. — Allen Menschen wird
irgendein Grad der Seligkeit zuteil werden, wenn sie das
Recht darauf nicht verwirkt haben. Erhöhung wird nur
denen gegeben, die sich durch rührige Arbeit Anspruch
auf die barmherzige Freigebigkeit Gottes, wodurch die
Erhöhung gegeben wird, erworben haben. Von den Er-
lösten werden nicht alle zu .den höheren Herrlichkeiten
zugelassen werden ; Belohnungen werden nicht unter Verlet-
zung der Gerechtigkeit gegeben; Strafen werden nicht
mit Nichtachtung der Ansprüche der Barmherzigkeit
ausgemessen werden. Niemand kann in irgendeine Stufe
der Herrlichkeiten eingehen, kurzum, keine Seele kann
erlöst werden, bis der Gerechtigkeit für das übertretene
Gesetz Genüge geleistet worden ist. Unser Glaube an
die allgemeine Anwendung des Sühnopfers sagt nicht,
daß die ganze Menschheit mit gleichen Gaben der Herr-
lichkeit und Macht errettet werden wird. Im Reich Gottes
sind viele vorbereitete Stufen der Erhöhung geschaffen
für die, die ihrer würdig sind ; in dem Hause unsers Vaters
sind viele Wohnungen, in welche nur die, die dafür bereit
sind, aufgenommen werden. Die alte sektiererische An-
sicht, daß es im Jenseits für die Seelen der Menschen nur
zwei Orte — den Himmel und die Hölle, mit derselben
Herrlichkeit in allen Teilen des einen und mit denselben
Schrecken in der ganzen Ausdehnung der andern, geben
werde, ist im Lichte der göttlichen Offenbarung gänzlich
unhaltbar. Durch das unmittelbare Wort des Herrn er-
fahren wir von verschiedenen Stufen der Herrlichkeit.
I
Art. 3.] Die Seligkeit. 113
29. Stufen der Herrlichkeit. — Die Offenbarungen
Gottes haben die folgenden Hauptreiche oder -stufen
der Herrhchkeit, wie sie durch Christus für die Menschen-
kinder bereitet worden sind, genau auseinandergesetzt:
I. Die himmlische Herrlichkeit.^) — Es gibt einige,
die sich bemüht haben, alle Gebote Gottes zu befolgen,
die das Zeugnis Christi angenommen und den Heiligen
Geist empfangen haben; es sind die, welche Böses über-
wunden haben durch gottselige Werke und deshalb zu
der höchsten Herrlichkeit berechtigt sind; diese gehören
der Kirche des Erstgeborenen an; ihnen hat der Vater
alle Dinge gegeben; sie werden zu Königen und Priestern
des Allerhöchsten nach der Ordnung Melchizedeks gemacht;
sie besitzen himmlische Körper, ,, deren Herrlichkeit die
Klarheit der Sonne ist, nämlich die Herrlichkeit Gottes,
selbst die höchste aller Herrlichkeiten, von deren Klar-
heit die Schrift sagt, ,,der Glanz der Sonne des Firmaments
sei ihr Ebenbild," sie werden in der Tat in die himmlische
Schar aufgenommen und mit himmlischer Herrlichkeit
gekrönt werden, und dadurch werden sie Götter.
II. Die irdische Herrlichkeit. ^) — Wir lesen von de-
nen, die die Herrlichkeit einer zweiten Stufe empfangen,
die von der höchsten Herrlichkeit ebenso verschieden ist
,,wie der Glanz des Mondes von dem Glanz der Sonne am
Firmament". Es sind die, die obwohl ehrlich, doch in
Dunkelheit waren. Durch Menschenlist verblendet und
unfähig, die höhern Gesetze Gottes zu empfangen und zu
befolgen, erwiesen sie sich „im Zeugnis Jesu nicht tapfer",
und deshalb sind sie nicht zu der Fülle der Herrlichkeit
berechtigt.
') Lehxe u. Bündn. 76:50-
') L. u. B. 76:71—80.
114 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.
III. Die unterirdische Herrlichkeit. — Wir erfahren
von einer noch niedrigem Stufe der Herrlichkeit, die von
den höhern Stufen ebenso verschieden ist, wie die Sterne
von den glänzendem Himmelskörpern. Diese wird denen
gegeben, die das Zeugnis Jesu nicht annahmen, aber doch
den Heiligen Geist nicht verleugneten ; die solch ein Leben
geführt haben, daß sie von den schwersten Strafen befreit
sind, deren Erlösung jedoch bis zur letzten Auferstehung
aufgeschoben wird. In der unterirdischen Welt sind unzäh-
lige Stufen der Herrlichkeit, vergleichbar mit der ver-
schiedenartigen Helle der Sterne.^) Doch werden alle,
die irgendeine Stufe der Herrlichkeit empfangen, endlich
erlöst werden, und auf sie wird Satan zuletzt keinen An-
spruch mehr haben. Diejenigen, denen es erlaubt wurde, sie
zu schauen, berichten uns, daß sogar die unterirdische Herr-
lichkeit „alle Vorstellungen übertrifft und daß kein Mensch
davon weiß, ausgenommen der, dem es Gott geoffenbart
hat. "2) Schließlich sind dann noch die da, die jedes An-
recht auf die unmittelbare Barmherzigkeit Gottes verloren
haben; ihrer Taten wegen werden sie zum ,, Verderben"
und seinen Engeln gezählt werden.^)
Anmerkungen.
1. Die Versöhnung bis zur Augenfälligkeit bewiesen. — „Es wird oft
gefragt: Wie ist es möglich, daß durch das Opfer eines Unschuldigen die
Seligkeit für die erworben werden kann, die unter der Gewalt des Todes
sind ? Beiläufig bemerkt, sollte es die Menschen nicht so sehr interessieren
wie dies möglich ist, als vielmehr — ob es eine Tatsache ist ?* * * Auf diese
Frage antworten das auf tausend jüdische Altäre gesprengte Blut und der
Rauch von Brand opfern, der auf lange Zeit die Himmel verdunkelte; ja, * * *
selbst die Götterlehre der heidnischen Völker hält den Gedanken eines
Sühnopfers, das für die Menschen dargebracht worden ist oder dargebracht
werden soll, fest. Fantastisch, entstellt, verworren, unter dem Schutt
>) Lehre u. Bündn. 76:81 — 86.
') Abschnitt 76:89—90.
») Siehe Seite 74, 75; auch Vorlesung XXII, Art. 11:26.
I
Art. 3.] Anmerkungen. 115
barbarischen Aberglaubens vergraben mag er sein, aber er ist da. So leicht
zu verfolgen, so deutlich zu erkennen ist dieser Zug der heidnischen Götter-
sagen, daß einige Scliriftsteller zu beweisen versucht haben, der Plan des
Evangeliiuns entstamme der heidnischen Mythologie. Wohingegen Tat-
sache ist, daß das Evangelium in den frühesten Zeitaltern verstanden und
weit imd breit verkündigt wurde; die Menschen behielten eine Kenntnis
jener Grundsätze oder von Teilen davon in ihrer Überlieferung bei, und
so entstellt sie jetzt auch sein mögen, so können doch Spuren davon noch
fast in allen Gott er lehren der Welt gefunden werden. Die Propheten des
jüdischen Volkes antworten bejahend auf jene Frage. Die Schriftsteller
des Neuen Testaments machen das Sühnopfer Christi zum Hauptgegen-
stand ihrer Reden und Briefe. Das Buch Mormon, als die Stimme eines
Volkes eines ganzen Erdteils, dessen Propheten und rechtschaffene Män-
ner Gott suchten und fanden, bezeugt dieselbe große Tatsache. Die Offen-
barungen Gottes, wie sie durch Joseph Smith gegeben wurden, sind ange-
füllt von Stellen, die diese Lehre bestätigen." Roberts, „Outlines of Eccle-
siastical History", Abschnitt VIII, 6.
2. Allgemeine und bedingungslose Erlösung von dem Fall. — „Wir
glauben, daß durch die Leiden, den Tod und das Sühnopfer Jesu Christi
die ganze Menschheit ohne Ausnahme, sowohl der Körper als auch der
Geist, von der endlosen Verbannvmg und dem ewigen Fluch, denen sie durch
Adams Übertretung unterworfen wurde, ganz und gar erlöst werden wird.
Wir glauben ferner, daß diese allgemeine Seligkeit und Erlösung des ganzen
Menschengeschlechts von der endlosen Strafe der Erbsünde ohne irgend-
welche Bedingung erreicht wird, d. h. von ihm wird nicht verlangt, daß
es glaube oder Buße tue oder sich taufen lasse, oder irgendetwas andres
tue, um von dieser Strafe erlöst zu werden. Ob es gläubig oder ungläubig
ist, ob es Buße tut oder verstockt bleibt, ob es getauft oder ungetauft ist,
ob es die Gebote hält oder sie übertritt, ob es rechtschaffen oder böse ist:
für seine körperliche und auch geistige Erlösung von der Strafe der Über-
tretung Adams wird es keinen Unterschied machen. Der rechtschaffenste
Mensch, der je auf Erden gelebt hat, und der größte Bösewicht des ganzen
Menschengeschlechts: beide wurden unter denselben Fluch getan, ohne
irgendeine eigene Übertretung oder Wahl, und in gleicher Weise werden
beide ohne irgendwelche Wahl oder Bedingungen ihrerseits von jenem
Fluch erlöst werden." — Apostel Orson Pratt in „Remarkable Visions",
3. Cluristus, der Urheber unserer Seligkeit. — Präsident John Taylor
spricht von dem Tode Christi als einem sühnenden Opfer und fügt hinzu:
„So wurde der Erlöser Herr der Lage, die Schuld ist bezahlt, die Erlösung
vollbracht, das Bündnis erfüllt, der Gerechtigkeit Genüge geleistet, der
Wille Gottes getan, und alle Gewalt — die Gewalt der Auferstehung, die
Gewalt der Erlösimg, die Gewalt der Seligkeit, die Gewalt, Gesetze zur
Ausführung und Vollbringxmg dieser Absicht zu geben — ist dem Sohn
Gottes übergeben.* * * Der Plan, die Einrichtung, der Vertrag, das Bünd-
nis wurde vor der Grundlegung der Welt gemacht, eingegangen und ange-
nommen; er wiu-de durch Opfer vorbildlich dargestellt und am Kreuz
ausgeführt und vollbracht. Deshalb, da er der Vermittler zwischen Gott
und den Menschen ist, wird er unumschränkter Machthaber und Führer
auf Erden imd im Himmel für Lebende und Tote, über Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft, soweit sie die mit dieser Erde oder den Himmeln
116 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.
in Zeit oder Ewigkeit verbundnen Menschen betrifft; der Fürst unserer
Seligkeit, der Apostel und Hohepriester tuisers Bekenntnisses, der Herr
und Spender alles Lebens." „Mediation and Atomnent", Präsident John
Taylor, S. 171.
4. Die Versöhnung durch Christus eingeführt. — „Der Apostel Paulus
faßt die Folgen des Todes und der Auferstehung Christi ziemlich lückenlos
zusammen: „Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten und der
Erstling geworden unter denen, die da schlafen. Sintemal durch einen
Menschen der Tod und durch einen Menschen die Auferstehung der Toten
kommt. Denn gleichwie sie in Adam alle sterben, also werden sie in Christo
alle lebendig gemacht werden" (1. Korinther 15:20 — 22). Mit andern
Worten: da der Tod diu-ch den Ungehorsam Adams über alle Menschen
gekommen ist, so müssen alle durch den Tod und die Auferstehung Christi
zu UnsterbUchkeit und ewigem Leben emporgehoben werden. Paulus
behauptete auch, daß der letzte Feind, der aufgehoben wird, der Tod ist
(Vers 26). Johannes der Offenbarer erklärt, er habe gesehen, daß der Tod
und die Hölle in den feurigen Pfuhl geworfen werden (Offenb. 20:14). Die
durch Jesum Christum zustande gebrachte Versöhnung bedeutet weiter,
daß er den Weg gebahnt hat für die Erlösung der Menschen von ihren
eigenen Sünden diu-ch Glauben an die Leiden, den Tod und die Auferste-
hung Christi. Der Apostel Paulus drückt dies deutlich aus: „Sie sind all-
zumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie an Gott haben sollten,
und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade dxu-ch die Erlösung,
so durch Jesum Christum geschehen ist, welchen Gott hat vorgestellt zu
seinem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut, damit er die Ge-
rechtigkeit, die vor ihm gilt, darbiete in dem, daß er Sünde vergibt, welche
bisher geblieben war imter göttlicher Geduld" (Römer 3:23 — 25). Diese
Stellen machen es augenscheinUch, daß die Erlösung vom Tode durch die
Leiden Christi für alle Menschen, sowohl für die Bösen als auch für die
Rechtschaffenen, für diese Erde und für alle ihre erschaffenen Dinge gilt.
Der ganze Sinn der Schrift versichert uns, daß, unbeschadet ihrer per-
sönlichen Taten, sie der Auferstehung von den Toten sicher sein können;
daß ihnen aber trotzdem nach ihren Werken, seien sie nun gut oder böse,
vergolten werden wird, und daß Erlösung von persönlichen Sünden nur
durch Befolgung der Gebote des Evangeliums und nur durch ein Leben
von guten Werken erworben werden kann. Da die Übertretung Adams
in ihren Folgen unbegrenzt ist, so können diese Folgen auch niu- durch
eine imbegrenzte Versöhnung abgewendet werden." — „Compendium"
F. D. Richards und J. A. Uttle, S. 8, 9.
5. Das Sütmopfer notwendig. — „In der göttlichen Einrichtung und
in dem vom Allmächtigen vorgeschlagenen Plan wurde vorgesehen, daß
der Mensch unter ein in sich offenkundig einfaches Gesetz gestellt
werden sollte; aber die Prüfung des Gesetzes war von den schwersten Folgen
begleitet. Das Halten jenes Gesetzes würde ewiges Leben verbürgen, und
die Strafe für die Übertretung des Gesetzes wäre der Tod.* • * Wäre das
Gesetz nicht gebrochen worden, so wäre der Mensch am Leben geblieben;
wäre aber der Mensch dann fähig gewesen, sein Geschlecht fortzupflanzen
und dadurch die Absichten Gottes zu erfüllen : Körper für die Geister, die
in der Geisterwelt erschaffen worden waren, zu bereiten? Und weiter:
Art. 3.] Anmerkungen. 117
Hätte dann das Bedürfnis nach einem Vermittler bestanden, der als Ver-
söhner für die Übertretung dieses Gesetzes handeln sollte, welches, wie es
den Umständen nach scheinen würde, bestimmt war, gebrochen zu werden,
oder hätte die ewige Vermehrung und Fortdauer des Menschengeschlechts
sich fortgesetzt, oder hätte die erhabene Erhöhung des Menschen zu der
Gottheit zustandegebracht werden können, ohne das versöhnende Sühn-
opfer des Sohnes Gottes?" — Mediation and Atonement", Präsident
John Taylor, S. 128, 129.
118 Die Glaubensartikel. [Vorl. V.
Vorlesung V.
Glaiibe und Buße.
Artikel 4. — Wir glauben, daß die ersten Prinzipien und Verord-
nungen des Evangeliums sind: 1. Glaube an den Herrn Jesum Christum,
2. Buße***.
Glaube.
1. Das Wesen des Glaubens. — Der vorherrschende
Sinn, in dem das Wort Glaube in allen heiligen Schriften ge-
braucht wird, ist der des vollen Vertrauens und der vollen
Zuversicht zu dem Dasein, den Absichten und den Worten
Gottes. Ein solches unbedingtes Vertrauen wird alle Zweifel
an den von Gott vollendeten oder verheißenen Dingen
vertreiben, selbst wenn sie den gewöhnlichen Sinnen der
Sterblichkeit weder augenfällig noch erklärlich sind.
Daher die von Paulus gegebene Erklärung über Glauben :
„Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das
man hofft, und nicht zweifeln an dem, das man nicht
sieht."^) Es ist klar, daß ein solches Gefühl der Zuver-
sicht bei verschiedenen Menschen in verschiedenen Graden
vorhanden sein kann. In der Tat kann sich der Glaube
offenbaren von dem schwachen Anfangszustand, der nicht
viel mehr als bloßes von Unschlüssigkeit und Furcht
kaum freies Fürvs^ahrhalten ist, bis zu der Kraft der hart-
näckigen Zuversicht, die dem Zweifel und der Vernünftelei
Trotz bietet.
2. Fürwahrhalten, Glaube und Kenntnis, obwohl eng
verwandt und oftmals als ein und dasselbe angesehen, sind in
') Hebräer 11:1
I
Art. 4.1 Glaube. 119
Wirklichkeit nicht gleichbedeutend. Die Worte Glaube
(engl, faith) und Fürwahrhalten (engl, belief) werden zu-
weilen als sinnverwandte Ausdrücke gebraucht, aber den-
noch hat jedes eine besondere und bestimmte Bedeutung
der (englischen) Sprache; obwohl es im früheren Englisch
dem Wesen nach keinen Unterschied zwischen ihnen
gab, und deshalb die Wörter in den alten Schriften wechsel-
weise gebraucht werden. Das bloße Fürwahrhalten mag
nur aus verstandesmäßiger Zustimmung bestehen, wäh-
rend der Glaube ein Vertrauen und eine Überzeugung
umfaßt, die zur Tätigkeit antreibt. Die Autorität der
(englischen) Wörterbücher rechtfertigt das Anerkennen
eines Unterschieds zwischen den zwei Wörtern, nach dem
gegenwärtigen Gebrauch im Englischen; und diese Auto-
rität erklärt Fürwahrhalten (eng. belief) als eine einfache
Zustimmung zur Wahrheit oder Wirklichkeit von irgend
etwas, schließt aber die sittliche Seite der Verantwortlich-
keit aus, welche der Glaube in sich begreift. Das Fürwahr-
halten ist in einem Sinne untätig — nur eine innerliche
Zustimmung oder Annahme; der Glaube ist tätig und be-
stimmt — ein Vertrauen und eine Zuversicht, die zu
Werken führen. Der Glaube an Christum begreift das in
sich, was wir von ihm für wahr halten, verbunden mit
Vertrauen auf ihn. Man kann keinen Glauben haben,
ohne etwas für wahr zu halten, dennoch kann man etwas
mit dem Munde bekennen und doch Mangel an Glauben
haben. Der Glaube ist das lebhaft anspornende, leben-
spendende Fürwahrhalten.
3. Sicher gibt es zwischen den beiden einen großen
Unterschied im Grade, selbst wenn keine wesentliche
Unterscheidung in der Art anerkannt wird. Wie nachher
erklärt werden wird, ist der Glaube an die Gottheit zur
Seligkeit notwendig ; er ist in der Tat eine errettende Kraft,
die ihren Besitzer auf den Weg der Gottseligkeit führt;
120
Die Glaubensartikel.
[Vorl. V.
ein bloßes Fürwahrhalten des Seins und der Eigen-
schaften der Gottheit ist sicher keine solche Kraft. Beach-
ten wir die Worte des Apostels Jakobus. i) In seinem all-
gemeinen Brief an die Heiligen tadelte er seine Brüder
wegen gewisser leerer Bekenntnisse. Dem Sinne nach
sagte er: „Ihr seid stolz und zufrieden auf euer Bekennt-
nis des Glaubens an Gott; ihr rühmt euch, daß ihr euch
von den Götzendienern und den Heiden unterscheidet,
weil ihr einen Gott anerkennt; ihr tut wohl, so zu beken-
nen und so zu glauben ; aber gedenket, andere tun dasselbe,
sogar die Teufel glauben, und zwar so fest, daß sie beim Ge-
danken an das Los, das der Glaube ihnen klar macht,
zittern. — Wie? glauben die Teufel an Christum? Ja,
ihr Glaube steigt bis zu einer gewissen Kenntnis, wer er
ist und was seinen vergangenen, gegenwärtigen und zu-
künftigen Teil in dem göttlichen Plan der menschlichen
Existenz und Seligkeit bildet. Erinnern wir uns des Falles
des von bösen Geistern besessenen Menschen im Lande
der Gadarener, eines Menschen, so schwer gepeinigt, daß er
allen, die sich ihm nahten, ein Schrecken war; er konnte
weder gezähmt noch gebunden werden; die Leute fürch-
teten sich, ihm nahe zu kommen. Als er jedoch Christus
sah, lief er zu ihm und betete ihn an, und der böse Geist
bat um Barmherzigkeit von selten jenes Rechtschaffenen,
den er ,, Jesu, du Sohn Gottes, des Allerhöchsten"^) nannte.
Wiederum: in der Synagoge zu Jerusalem flehte ein un-
sauberer Geist Christus an, seine Macht nicht anzuwenden,
und schrie aus Furcht und Seelenangst: „Ich weiß, wer du
bist: der Heilige Gottes. "3) Weiter wird uns berichtet,
daß dem Heiland eine Volksmenge aus Idumäa und von
Jerusalem und der Gegend von Tyrus und Sidon nach-
') Siehe Jakobus 2:19.
*) Siehe Markus 5:1—18; auch Matthäus 8:28—34.
») Siehe Markus 1:24.
Art. 4.] Glaube. 121
folgte, worunter sich viele befanden, die von bösen Gei-
stern besessen waren; als diese ihn sahen, fielen sie
anbetend nieder und riefen aus: ,,Du bist Gottes Sohn!"^)
Gab es je einen sterblichen Gläubigen, derein bestimmteres
Wissen von Gott und seinem Sohn bekannte, als diese
Nachfolger Satans? Der Böse kennt Gott und Christus;
er erinnert sich vielleicht noch ein wenig an den Stand, den
er einst als ein Sohn des Morgens^) eingenommen hatte;
doch mit all dieser Kenntnis ist er immer noch Satan.
Weder das Fürwahrhalten noch die höherstehende tat-
sächliche Kenntnis kann uns erretten; denn keins von
beiden ist Glauben. Das Fürwahrhalten mag ein Er-
zeugnis des Sinnes sein, der Glaube ist des Herzens; das
Fürwahrhalten ist auf Vernunft gegründet, der Glaube
meistenteils auf Empfindung.
4. Oft hören wir sagen, der Glaube sei unvollkommene
Kenntnis ; das erste verschwinde, wenn das zweite seinen
Platz einnehme; wir wandelten jetzt im Glauben, werden
aber eines Tages im Licht der sichern Kenntnis wandeln.
In einem Sinne ist dieses wahr, es darf aber nicht vergessen
werden, daß Kenntnis ebenso tot und unfruchtbar in guten
Werken sein kann, als glaubensloses Fürwahrhalten.
Das Bekennen der Teufel, daß Christus der Sohn Gottes
ist, war auf Kenntnis gegründet ; doch : die große Wahrheit,
die sie wußten, änderte ihre üblen Naturen nicht. Wie
verschieden war doch ihr Bekennen des Heilandes von
dem des Petrus, der auf des Meisters Frage: ,,Wer sagt
denn ihr, daß ich sei?", in fast denselben Worten wie
die unsaubern Geister, erwiderte: ,,Du bist Christus, des
lebendigen Gottes Sohn!"^) Der Glaube des Petrus hatte
schon seine lebendige Kraft gezeigt; er hatte Petrus veran-
') Markus 3:8—11.
») Lehre u. Bündn. 76:25—27.
») Matthäus 16:15 — 16; siehe auch Markus 8:29; Lukas 9:20.
122 Die Glaubensartikd. [Vorl. V.
laßt vieles, das ihm teuer war, zu verlassen, seinem Herrn
durch Verfolgung und Leiden nachzufolgen, und die Welt-
lichkeit mit all ihren Reizen gegen die aufopfernde Fröm-
migkeit, die sein Glaube so wünschenswert machte, zu ver-
tauschen. Seine Kenntnis von Gott als dem Vater und dem
Sohn als dem Erlöser war vielleicht nicht größer als die der
unsauberen Geister; aber wie diese Kenntnis ihnen nur eine
weitere Ursache der Verdammung war, war sie ihm ein
Mittel zur Seligkeit.
5. Der bloße Besitz der Kenntnis nützt uns
zunächst nichts. Eine Erläuterung mag wohl hier er-
laubt sein: Während einer Choieraseuche in einer
großen Stadt bewies ein wissenschaftlich gebildeter Fach-
mann durch chemische und mikroskopische Analysen
zu seiner eigenen Befriedigung, daß das Trinkwasser in-
fiziert war, und daß dadurch die Ansteckung verbreitet
wurde. Er verkündigte diese große Wahrheit in der
ganzen Stadt und warnte alle vor dem Gebrauch von un-
gekochtem Wasser. Obwohl unfähig, seine Untersuchungs-
verfahren zu begreifen und noch weniger imstande, diese
für sich selbst zu wiederholen, glaubten viele Leute an
seine warnenden Worte, befolgten seine Unterweisungen
und entgingen dem Tode, dem ihre sorglosen und ungläu-
bigen Mitmenschen erlagen. Ihr Glaube war ein erretten-
der Glaube. Die Wahrheit, durch die so viele Leben er-
halten wurden, war dem Manne selbst eine Sache des
Wissens. Er hatte unter dem Vergrößerungsglas die tod-
bringenden Keime in dem Wasser tatsächlich gesehen;
er hatte ihre Giftigkeit geprüft; er wußte wovon er sprach.
Dennoch: in einem vergeßlichen Augenblick trank er von
dem ungereinigten Wasser und starb bald darauf als ein
Opfer der Seuche. Obwohl seine Kenntnis vollkommen
war, hatte sie ihn nicht gerettet; andere hingegen, deren
Vertrauen nur das des Glaubens an die Wahrheit, die er
Art. 4.] Glaube. 123
erklärt hatte, war, entgingen der drohenden Vernichtung.
Wahrlich, er hatte Kenntnis, aber war erweise ? Die Kennt-
nis ist der Weisheit, was das Fürwahrhalten dem Glauben
ist; das eine, eine bloß gedachte Grundlehre, das andere
eine lebendige Anwendung. Nicht bloß in dem Besitz,
sondern in der richtigen Anwendung der Kenntnis und des
Wissens besteht die Weisheit. Über den Vergleich zwischen
bloßem gleichgültigem Fürwahrhalten und Glauben darf
das gesagt werden, was über Kenntnis und Weisheit ge-
sagt worden ist:
„Wissen und Weisheit, weit davon entfernt
eins zu sein, haben oft keine Verbindung; * * *
Wissen — eine Masse roh und nutzlos,
der Baustoff mit dem die Weisheit baut —
bis sie geglättet, und auf den Winkel geprüft,
in ihren Platz aufgestellt wird.
Belastet, den sie zu bereichern scheint."
6. Die Grundlage des Glaubens. — Im religiösen
Sinne verstehen wir, wie schon erwähnt, unter Glauben
ein lebendiges, inspirierendes Vertrauen auf Gott, und
eine Anerkennung seines Willens als unser Gesetz und
seiner Worte als unsern Führer im Leben. Glauben ^n
Gott ist nur möglich, wenn wir wissen oder wenigstens
annehmen, daß Gott lebt, und noch mehr, daß er ein Wesen
von würdigem Charakter und würdigen Eigenschaften
ist. Die Gründe, worauf der Mensch sein Bekenntnis oder
seine Kenntnis von dem Dasein Gottes baut, sind in
einer frühern Vorlesung untersucht worden ;^) dabei wur-
den auch einige der göttlichen Eigenschaften, wie sie durch
den Umgang Gottes mit den Menschen geoffenbart worden
sind, angegeben. Da eine Erkenntnis von den Eigen-
schaften Gottes zur Ausübung des Glaubens an ihn not-
wendig ist, mag eine Wiederholung der Hauptsachen in-
•) Vorlesung 2, Seite 32.
124 Die Glaubensartikel. [Vorl. V.
bezug auf den Charakter des Allerhöchsten hier am
Platze sein. Laßt uns die von dem Propheten Joseph
Smith dargebotene Übersicht der Tatsachen annehmen;
er gibt auf Grund der Schrift folgende Erklärung über
den Charaktern Gottes:
,,1. daß er Gott war ehe denn die Welt erschaffen
wurde, und zwar derselbe Gott, der er nach ihrer Erschaf-
fung war,
2. daß er gnädig und barmherzig, geduldig und voller
Güte ist, und daß er es war von Ewigkeit her und es sein
wird in Ewigkeit.
3. daß er sich nicht verändert, daß er derselbe ist von
Ewigkeit zu Ewigkeit, derselbe gestern, heute und immer-
dar, und daß sein Lauf eine ewige Runde ohne Verän-
derung ist.
4. daß er ein Gott der Wahrheit ist, und daß er nicht
lügen kann.
5. daß er die Person nicht ansieht, sondern in allerlei
Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.
6. daß er Liebe ist."^)
7. Eine Erkenntnis von diesen umfassenden Zügen
des göttlichen Wesens wird einen Menschen befähigen,
vernünftigen und verständigen Glauben an Gott auszu-
üben. Und auf eine solche Erkenntnis von dem Dasein
Gottes, der Würdigkeit seines Charakters und der Voll-
kommenheit seiner Eigenschaften, ist der Glaube des Men-
schen an ihn gegründet. Der Glaube kann also nicht ohne
irgendeine Kenntnis ausgeübt werden; doch zeigen sogar
die in geistiges Dunkel gehüllten Heiden einige Früchte
des Glaubens; sie haben wenigstens die Überzeugung,
die aus dem natürlichen Empfinden des Menschen über
») Lehre u. Bündn. Vorlesungen über Glauben, 3:13 — 18.
Art. 4.] Glaube. 125
eine allerhöchste Macht hervorgeht, welches Empfinden
als eine allgemeine Erbschaft der Menschheit beschrieben
worden ist. In jeder menschlichen Seele, sogar in der des
Wilden, wie begrenzt und unvollkommen seine Seele durch
ererbte Finsternis oder durch absichtliches Sündigen ge-
worden sein mag, ist irgendein Grund für den Glauben.
Jedes Kind Gottes wird mit der seiner Natur innewohnen-
den Fähigkeit, zu glauben, geboren; und in irgendeinem
Grade sehnen sich alle nach der Kraft und Hilfe, die der
Glaube allein geben kann. Wir werden noch vernehmen:
„Daß in allen Zeiten
jedes Menschenherz ist menschlich;
daß sogar in wilden Busen
gibt's Verlangen, Sehnen, Streben
nach dem Guten, das sie nicht fassen!
daß die Hände, schwach und hilflos
umhertastend in dem Dunkel,
Gottes starker Hand vertrauen,
die sie hebt empor und stärkt sie."')
Der Glaube des Heiden mag unvollkommen und
schwach sein, denn seine Fähigkeit, die Beweise, von denen
der Glaube an Gott abhängt, zu erkennen, ist wohl
klein. Während die ersten Einflüsterungen des Glaubens
an Gott die Folge der natürlichen Empfindung eines leisen
Widerhalls der Lobgesänge, die während des Standes
unsrer uranfänglichen Kindheit so allgemein waren, sein
mögen, wird die spätere Entwicklung zum größten Teil die
Folge vorurteilsfreier und gebetsvoller Untersuchung und
Forschung nach Wahrheit sein.
8. Aus zuverlässigem, richtig aufgefaßtem Beweis
entspringt der wahre Glaube; aus falschen Beweisgründen
kann nur entstellter und übel angebrachter Glauben ent-
stehen.2) Unsere Schlußfolgerungen hinsichtlich irgendeiner,
der Prüfung unterworfenen Frage, werden — wenn wir
') Longfellow.
») Siehe Anmerkung 1.
126 Die Glaubensartikel. [Vorl. V.
die behaupteten Tatsachen nicht selbst untersuchen
können — im großen und ganzen durch Zahl und Glaub-
würdigkeit der Zeugen bestimmt, und in beiden Fällen
durch Bedeutung und Art des erreichbaren Beweises. So
unwahrscheinlich uns nun eine Erklärung vorkommt:
wird uns ihre Wahrheit durch Zeugen, denen wir ver-
trauen, bestätigt, so werden wir sie wenigstens vorläufig
als wahr anerkennen. Wenn viele glaubwürdige Zeugen
bezeugen, und w^enn überdies sich uns Nebenbeweise durch
Tatsachen aus unserer persönlichen Kenntnis von selbst
aufdrängen, können wir die Erklärung als bewiesen betrach-
ten; obwohl es uns unmöglich wäre, sie auf Grund unsrer
persönlichen Kenntnis hin zu bestätigen, bis wir selber ge-
sehen und gehört haben, bis ein jeder von uns durch per-
sönliche Beobachtung, selbst ein zuständiger Zeuge gewor-
den ist. Ein Beispiel: von den Bürgern der Vereinigten
Staaten haben vielleicht verhältnismäßig wenige den Sitz
der Regierung besucht; die Massen wissen durch persön-
liche Anschauung nichts von dem Capitol, dem Haus des
Präsidenten und andern Gebäuden von allgemeiner Be-
deutung und nationaler Wichtigkeit; sehr wenige sind per-
sönlich mit dem Präsidenten, der dort wohnt, zusammen-
getroffen. Woher weiß irgend jemand aus dieser Volks-
menge, die nicht selbst gesehen hat, etwas von der Stadt
Washington, dem Capitol und dem Präsidenten ? Einzig und
allein durch das Zeugnis andrer. Es mag w^ohl unter seinen
Bekannten einen oder viele geben, die in der Hauptstadt
des Landes gewesen sind, und deren Erklärung er als wahr
annimmt; sicherlich hat er von denen, die es selbst wissen,
gehört oder gelesen. Dann hört er von Gesetzen, die dort
entworfen w^erden und von Erlassen, die von dem Haupt-
sitz des Reiches herkommen ; sein Forschen in der Schule,
sein Gebrauch von Landkarten und Büchern, und viele
andre Ereignisse vermehren die Beweise, die bald ent-
Art. 4.] Glaube. 127
scheidend werden. Seine Folgerungen vervielfachen und
entwickeln sich zu einer bestimmten Überzeugung. Er
erwirbt einen Glauben an das Dasein eines Mittelpunkts
der nationalen Regierung und eine Achtung vor den Ge-
setzen, die von ihr ausgehen.
9. Lasset uns noch eine Erläuterung anführen: Die
Astronomen sagen uns, die Erde sei von derselben Art
wie einige Sterne; sie sei ein Himmelskörper einer Plane-
tengruppe, die sich in konzentrischen Bahnen um die
Sonne drehe; und einige dieser Weltkörper seien um ein
vielfaches größer als unsere Erdkugel. Wir mögen in
der Art und Weise der Beobachtung und Berechnung der
Astronomen nicht bewandert und deshalb also unfähig
sein, die Wahrheit dieser Erklärungen selbst zu prüfen;
aber wir finden eine solche Masse von Beweisen, die von
dem vereinigten Zeugnis jener herrühren, auf deren Er-
kenntnis als wissenschaftlich wirkende Fachleute wir
Vertrauen gesetzt haben, daß wir die Schlußfolgerungen
als völlig bewiesen annehmen.
10. So auch betreffs des Daseins, der Würde und der
Eigenschaften Gottes : die Zeugnisse vieler heiligen Männer
in alter und neuer Zeit — Propheten, deren Glaubwürdig-
keit durch die Erfüllung ihrer Voraussagungen festgestellt
worden ist — sind in zusammengefaßter Erklärung dieser
feierlichen Wahrheiten zu uns gekommen, und auf jeder
Seite gibt auch die Natur bestätigendes Zeugnis. Solche
Beweise zu verwerfen ohne sie zu widerlegen, heißt nichts
andres als die am meisten anerkannten Verfahren des Unter-
suchens und Forschens, die den Menschen bekannt sind,
unbeachtet lassen. Die Entwicklung des Glaubens auf
Grund des Beweises wird in den Ereignissen eines gewissen
merkwürdigen Pfingstfests erläutert, bei welcher Gelegen-
heit Tausende von Juden von dem Vorurteil, Jesus sei
ein Betrüger, durchdrungen, das Zeugnis der Apostel
128 Die Glaubensartikel. [Vorl. V.
hörten und Augenzeugen der begleitenden Zeichen wurden ;
dreitausend von ihnen, von der Wahrheit überzeugt, wur-
den Jünger des Sohnes Gottes ; ihr Vorurteil machte einem
„Fürwahrhalten" Platz, und das ,, Fürwahrhalten" ent-
wickelte sich zum Glauben mit seinen begleitenden Werken.^)
Die Grundlage des Glaubens an Gott ist also ein aufrich-
tiges Fürwahrhalten oder eine Kenntnis von ihm, wie sie
durch Beweis und Zeugnis bestätigt und durch ernste,
gebetsvolle Forschung geprüft und bewiesen wird.
11. Der Glaube ein Grundsatz der Macht. — In seinem
weitesten Sinn ist der Glaube — die Zuversicht von Din-
gen auf die wir hoffen, und nicht zweifeln an den durch
unsere Sinne nicht erkennbaren Dingen — der Beweggrund,
der dieMenschen antreibt, zu entschließen und zu handeln.
Ohne seine Ausübung würden wir keine Bemühung, deren
Ergebnisse noch zukünftig sind, machen ; ohne den Glauben,
im Herbst ernten zu können, würde der Mensch im Früh-
ling nicht säen; noch würde er zu bauen versuchen, hätte
er kein Vertrauen, den Bau fertig zu bringen und sich da-
ran zu erfreuen ; hätte der Schüler keinen Glauben an die
Möglichkeit, seinen Studien nachzugehen, so würde er
seinen Lehrgang nicht antreten. Also wird uns der Glaube
zur Grundlage der Hoffnung, aus der all unser Tun und
Trachten, Streben und Vertrauen auf die Zukunft ent-
springt. Nimm dem Menschen den Glauben an die Mög-
lichkeit irgend eines erwünschten Erfolgs, und du beraubst
ihn des Ansporns, zu streben. Er würde seine Hand nicht
ausstrecken, zu greifen, wenn er nicht an die Möglichkeit
glaubte, das, wonach er sie ausstreckt, zu erlangen. Dieser
Grundsatz ist deshalb die antreibende Kraft, durch welche
die Menschen nach Vortrefflichkeit ringen, oftmals Unbe-
stand und Leiden erdulden, damit sie ihre Absichten zu-
') Siehe Apostelgesch. 2.
Art. 4.] Glaube. 129
Stande bringen. Der Glaube ist das Geheimnis des Strebens,
die Seele des Heldenmuts, die bewegende Kraft aller An-
strengungen.
12. Die Ausübung des Glaubens ist Gott wohlgefällig,
und dadurch kann seine Vermittlung erworben werden.
Durch Glauben folgten die Israeliten bei ihrem Auszug aus
Ägyptenland ihrem furchtlosen Führer in das Meeresbett,
und durch die schützenden Wirkungen Gottes, welche
dieser Glaube hervorrief, wurden sie gerettet, während die
Ägypter der Vertilgung entgegengingen.^) Mit vollem
Vertrauen auf die Unterweisungen und Verheißungen
Gottes, belagerten Josua und seine beherzten Nachfolger
Jericho; und vor dem Glauben der Belagerer fielen die
Mauern jener Sündenstadt, ohne die Anwendung der
Sturmböcke oder andrer Kriegsmaschinen.^) Durch die-
selbe Kraft erhielt Josua die Hilfe der leuchtenden Himmels-
körper bei der Besiegung der Amoriter.^) Paulus führt^)
auch Gideon,^) Barack,^) Simson,') Jephthah,^) David,')
SamueP") und die Propheten an, ,, welche haben durch
den Glauben Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit ge-
wirkt, Verheißungen erlangt, der Löwen Rachen ver-
stopft, des Feuers Kraft ausgelöscht, sind des Schwertes
Schärfe entronnen, sind kräftig geworden aus der
Schwachheit." Es war durch Glauben, daß Alma
und Amulek aus der Gefangenschaft befreit wurden,
als die Gefängnismauern, die sie früher eingeschlos-
») 2. Mose 14:22—29; Hebräer 11:29.
*) Josua 6:20; Hebräer 11:30.
») Josua 10:12.
') Hebräer 11:32 — 34; Lehre u. Bündn., erste Vorlesung über Glau-
ben Vers 20.
') Richter 6:11.
«) Richter 4:6.
') Richter 13:24.
«) Richter 11:1; 12:7.
') 1. Samuel 16:1, 13; 17:45.
") 1. Samuel 1:20; 12:20.
9
130 Die Glaubensartikel. [Vorl. V.
sen hatten, zerspaltet und niedergerissen wurden.^) Durch
Glauben wurden Nephi und Lehi,^) die Söhne Helamans,
sogar durch Feuer vor ihren lamanitischen Feinden ge-
schützt; doch wurden sie nicht verbrannt; und ein noch
größeres Werk wurde in den Herzen ihrer Verfolger zu-
stande gebracht, denn sie wurden erleuchtet und nahmen
das Zeugnis der Wahrheit an. Durch die Wirkung des
Glaubens können selbst die Meereswogen zur Ruhe ge-
bracht werden ;3) Bäume sind der Stimme dessen, der
durch Glauben gebietet, Untertan;^) Berge können zur
Vollbringung gerechter Absichten versetzt werden;^)
die Kranken können geheilt werden;^) böse Geister wer-
den ausgetrieben;') und die Toten können ins Leben
zurückgerufen werden.^) Alle Dinge werden durch den
Glauben bewirkt.^)
13. Es könnte aber eingewendet werden, der Glaube
an sich sei keine Quelle der Kraft, seine Wirkung sei viel-
mehr einer äußerlichen Vermittlung göttlicher Hilfe, die
der Glaube bloß erworben habe, zuzuschreiben. Und der
Zweifler wird hinzufügen, ein allwissender Gott, der wirk-
lich liebevoll und gütig wäre, würde von sich aus handeln
und nicht darauf warten, durch Glauben oder Gebet an-
gefleht zu werden. Die Heilige Schrift gibt eine ausrei-
chende Antwort hierauf, durch ihre vielen Beweise dafür.
') Alma 14:26 — 29; Lehre u. Bündn., Vorlesungen über Glauben
1:19.
*) Helaman 5:20 — 52; L. u. B., Vorlesungen über Glauben 1:19.
') Matthäus 8:23—27; Markus 4:36—41; Lukas 8:22—25; Matthäus
14:24—32; Markus 6:47—51; Johannes 6:17—21.
♦) Matthäus 21:17—21; Markus 11:12—13, 20—24; Buch Mormon,
Jakob 4:6.
') Matth. 17:20; Mark. 11:23—24; Ether 12:30; Jakob 4:6; L. u.
B., Vorlesungen über Glauben 1:19.
n Lukas 13:11; 14:2; 17:11; 22:50; Matth. 8:2, 5. 14, 16, etc.
') Matthäus 8:28; 17:18; Mark. 1:23.
») Lukas 7:11— 16; Job. 11:43 — 45; I.Könige 17:17—24.
•) Matthäus 17:20; Markus 9:23; Epheser 6:16; 1. Johannes 5:4.
Art. 4.] Glaube. 131
daß der Allmächtige gesetzmäßig wirkt, und daß verän-
derliches und launisches Handeln seinem Wesen fremd
ist. Wie immer die Gesetze des Himmels entworfen
sein mögen: ihre wohltätigen Wirkungen auf die
Menschheit sind von dem Glauben und dem Gehorsam
der sterblichen Wesen abhängig. Betrachten wir die
Besiegung Israels durch die Männer von Ai; ein Gesetz
der Rechtschaffenheit war übertreten und verworfene
Dinge waren in das Lager des Volkes Gottes eingeführt
worden; diese Übertretung machte dem Zufluß der
göttlichen Hilfe ein Ende, und erst als sich das Volk
wieder geheiligt hatte, wurde auch die Kraft wieder erneu-
ert.^) Bei der Verrichtung seiner Wunder unter den Men-
schen wurde Christus durch den Glauben oder den Mangel an
Glauben des Volkes beeinflußt und bis zu einem gewissen
Grade beherrscht. Der gewöhnliche Segen: ,,Dein Glaube
hat dir geholfen!", mit dem er die heilende Vermittlung
verkündete, ist Beweis dafür. Dann erfahren wir, daß er
in seinem eignen Lande kein mächtiges Werk tun konnte,
weil er durch den Unglauben des Volkes zurückgehalten
wurde. 2)
14. Eine Bedingung des lebendigen Glaubens. — Eine
notwendige Bedingung zur Ausübung eines lebendigen,
wachsenden, erhaltenden Glaubens an Gott ist das Bewußt-
sein, daß man wenigstens versucht, den Gesetzen Gottes,
wie man sie kennen gelernt hat, gemäß zu leben. Eine
Erkenntnis, daß man absichtlich und mutwillig gegen die
Wahrheit sündigt, wird einen der Aufrichtigkeit im Gebet
und Glauben berauben und einen seinem Vater sicher ent-
fremden. Man muß fühlen, daß die Richtung des Lebens-
laufs Gott angenehm ist, und daß man mit gehöriger Nach-
•) Josua 7 und 8.
») Matthäus 13:58; Markus 6:5—6.
132 Die Glaubensartikel. [Vorl. V.
sieht auf menschliche Schwachheit und menschlichen Fehl-
tritt, gewissermaßen von dem Herrn anerkannt wird, sonst
kann man sich nie mit Vertrauen dem Gnadenthron
nähern. Das Bewußtsein ernsten Strebens nach göttlichem
Wandeln und Verhalten ist an sich eine Kraft und stärkt
seinen Besitzer in der Aufopferung und unter der Ver-
folgung und erhält ihn in allen guten Werken. Es war
diese Erkenntnis der sichern Verbindung mit Gott, welche
die Heiligen in alten Zeiten befähigte, das zu ertragen,
was sie ertrugen, obwohl ihre Leiden schrecklich waren.
Über sie lesen wir, einige ,,sind zerschlagen und haben
keine Erlösung angenommen, auf daß sie die Auferstehung,
die besser ist, erlangten. Etliche haben Spott und Geißeln
erlitten, dazu Bande und Gefängnis; sie wurden gesteinigt,
zerhackt, zerstochen, durchs Schwert getötet; sie sind um-
hergegangen in Schafpelzen und Ziegenfellen, mit Mangel,
mit Trübsal, mit Ungemach (deren die Welt nicht wert
war), und sind im Elend umhergeirrt in den Wüsten, auf
den Bergen und in den Klüften und Löchern der Erde."^)
Wie in früheren Tagen, so sind auch in der Gegenwart die
Heiligen in all ihren Leiden durch die sichere Kenntnis
des göttlichen Wohlgefallens erhalten worden; und der
Glaube rechtschaffener Menschen ist durch das Bewußt-
sein ihrer guten Anstrengungen immer gewachsen.
15. Der Glaube zur Seligkeit notwendig. — Da Selig-
keit nur durch die Vermittlung und durch das Sühnopfer
Christi erreichbar ist, und da dieses auf persönliche Sünde
nur dann angewandt wird, wenn die Gesetze der Recht-
schaffenheit befolgt werden, so ist der Glaube an Jesum
Christum zur Seligkeit unerläßlich. Aber niemand kann
an Jesum Christum glauben und zur selben Zeit zweifeln
an dem Dasein und der Autorität weder des Vaters noch des
') Hebräer 11:35 — 38; siehe auch Lehre u. Bündn., Vorlesungen
über Glauben 6.
d
Art. 4.] Glaube. 133
Heiligen Geistes ; deshalb ist Glaube an die ganze Gottheit
zur Seligkeit notwendig. Paulus erklärt, daß es ohne Glau-
ben unmöglich ist, Gott zu gefallen, ,,denn wer zu Gott
kommen will, der muß glauben, daß er sei und denen, die
ihn suchen, ein Vergelter sein werde. "^) Die heiligen Schrif-
ten sind voll von Zusicherungen der Seligkeit für diejenigen,
die Glauben an Gott ausüben und die Forderungen, die
jener Glaube klar macht, befolgen. Die Worte Christi in
dieser Sache sind entscheidend : „Wer da glaubet und ge-
tauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt,
der wird verdammt werden ;"2) und weiter: „Wer an den
Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer dem Sohn
nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der
Zorn Gottes bleibt über ihm. "3) Nach seinem Tode lehrten
die Apostel ähnliche Lehren während der ganzen Zeit
ihres Wirkens.*) Eine natürliche Folge des festen Glau-
bens an die Gottheit ist ein wachsendesVertrauen auf die
heiligen Schriften, als das Wort Gottes und auf die Worte
und Werke seiner bevollmächtigten Diener, die als die
lebenden Mundstücke des Himmels sprechen,
16. Der Glaube eine Gabe Gottes. — Obwohl allen
erreichbar, die sich fleißig bemühen, ihn zu erlangen, ist
der Glaube dennoch eine göttliche Gabe und kann nur
von Gott erhalten werden.^) Wie es sich bei einer so un-
schätzbaren Perle geziemt, wird der Glaube nur denen
gegeben, die durch ihre Aufrichtigkeit zeigen, daß sie sei-
1) Hebräer 11:6.
>) Markus 16:16.
») Johannes 3:36. Siehe auch Johannes 3:15; 4:42; 5:24; 11:^;
Galater 2:20; Buch Mormon, 1. Nephi 10:6, 17; 2. Nephi 25:25; 26:8;
Enos 1:8; Mosiah 3:17; 3. Nephi 27:19; Helaman 5:9; Lehre u. Bündn.
45:8.
«) Apostelgesch. 2:38; 10:42; 16:31; Römer 10:9; Hebräer 3:19;
11:6; 1. Petrus 1:9; 1. Johannes 3:23; 5:14.
') Matthäus 16:17; .Johannes 6:44, 65; Epheser 2:8; 1. Korinther
12:9; Römer 12:3; Buch Mormon, Moroni 10:11.
134
Die Glaubensartikel.
[Vorl. V,
ner würdig sind, und die versprechen, sich an seine Vor-
schriften zu halten. Obwohl der Glaube als der erste
Grundsatz des Evangeliums Christi bezeichnet wird, und
obwohl er in der Tat die Grundlage aller Religion ist,
gehen dennoch Aufrichtigkeit der Gesinnung und Demut
der Seele, wodurch das Wort Gottes einen Eindruck auf
das Herz machen kann, selbst dem Glauben voran.^)
Kein Zwang ist notwendig, um Menschen zu einer Er-
kenntnis Gottes zu bringen ; doch sobald wir unsre Herzen
den Einflüssen der Rechtschaffenheit öffnen, wird uns
der zum ewigen Leben führende Glaube von unserm Vater
gegeben.
17. Glauben und Werke. — Der unstätige Glaube,
das heißt ein bloßes gleichgültiges Für wahrhalten, ver-
sagt als ein Mittel zur Seligkeit. Diese Wahrheit
wurde sowohl von Christus als auch von seinen Apos-
teln deutlich gelehrt. Die Kraft, mit der sie verkündigt
wurde, weist vielleicht auf die frühe Entwicklung einer
höchst verderblichen Lehre hin — die der Rechtfertigung
durch ,, Glauben allein". Der Heiland lehrte, daß Wer-
ke notwendig sind, wenn das Bekenntnis gültig und
der Glaube wirksam sein soll. Beachten wir seine
Worte: ,,Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr,
Herr! in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen
tun meines Vaters im Himmel. "2) „Wer meine Gebote
hat und hält sie, der ist es, der mich liebt. Wer mich aber
liebt, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich
werde ihn lieben und mich ihm offenbaren, "3) Die Beleh-
rungen des Apostels Jakobus sind besonders ausdrücklich :
,,Was hilft's, liebe Brüder, so jemand sagt, er habe den
Glauben, und hat doch die Werke nicht? Kann auch der
') Siehe Römer 10:17.
') Matthäus 7:21.
») Johannes 14:21,
Art. 4.] Glaube. 135
Glaube ihn selig machen? So aber ein Bruder oder eine
Schwester bloß wäre und Mangel hätte der täglichen Nah-
rung, und jemand unter euch spräche zu ihnen: Gott
berate euch, wärmet euch und sättiget euch! ihr gäbet
ihnen aber nicht, was des Leibes Notdurft ist: was hülfe
ihnen das? Also auch der Glaube, wenn er nicht Werke
hat, ist er tot an ihm selber. Aber es möchte jemand
sagen: Du hast den Glauben, und ich habe die Werke;
zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, so will ich dir
meinen Glauben zeigen aus meinen Werken. "i) Diesen
mögen die Worte Johannes hinzugefügt werden: ,,Und
an dem merken wir, daß wir ihn kennen, so wir seine Ge-
bote halten. Wer da sagt: Ich kenne ihn, — und hält seine
Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in solchem ist keine
Wahrheit. Wer aber sein Wort hält, in solchem ist wahr-
lich die Liebe Gottes vollkommen. Daran erkennen wir,
daß wir in ihm sind. "2)
18. Diesen Belehrungen können viele göttlich ein-
gegebene Aussprüche aus den nephitischen Schriften^)
und der modernen Offenbarung,*) hinzugefügt werden,
die alle die Notwendigkeit der Werke bestätigen und
die errettende Wirksamkeit des bloßen Fürwahrhaltens
leugnen. Aber trotz des deutlichen Wortes Gottes sind
sektiererische Lehren verbreitet worden, daß der Mensch
durch Glauben allein die Seligkeit erreichen könne, und daß
schon ein bloßes Bekennen des Glaubens dem Sünder die
Tore des Himmels öffne.^) Die angeführten heiligen Schrif-
ten und das dem Menschen angeborene Gefühl der Gerech-
tigkeit widerlegen diese unwahre Lehre gründlich.
1) Jakobus 2:14—18.
') 1. Johannes 2:3 — 5.
0 Siehe 1. Nephi 15:33; 2. Nephi 29:11; Mosiah 5:15; Ahna 7:27;
>:28; 37:32—34; 41:3—5.
*) Das ganze Buch der Lehre u. Bündn.
') Siehe Anmerkung 2.
136
Die Glaubensartikel.
[Vorl. V.
Buße.
19. Das Wesen der Buße. — Das Wort Buße wird in
der Schrift mit verschiedenen Bedeutungen gebraucht;
da Buße aber die Pflicht darstellt, die allen, welche Ver-
gebung für ihre Übertretung erhalten möchten, obliegt,
deutet es eine göttliche Trauer für Sünde an, die eine Bes-
serung des Lebens hervorruft und damit vereint:
1. ein Bewußtsein der Schuld;
2. ein Verlangen, den schädlichen Folgen der Sünde
zu entgehen, und
3. einen ernsten Entschluß, die Sünde zu lassen
und hinfort Gutes zu vollbringen. Buße ist eine Folge
der Zerknirschung der Seele. Diese Zerknirschung ent-
springt aus einer tiefen Empfindung der Demut, und
diese Empfindung ist wiederum von der Ausübung eines
standhaften Glaubens an Gott abhängig. Deshalb ist
Buße mit Recht der zweite Grundsatz des Evangeliums;
er ist mit dem Glauben eng verbunden und folgt ihm
unmittelbar nach. Sobald der Mensch Dasein und Au-
torität Gottes anerkannt hat, empfindet er eine Ach-
tung vor göttlichen Gesetzen und ein Bewußtsein seiner
eigenen Unwürdigkeit. Sein Wunsch, dem Vater, den er
so lange vernachläßigt hat, zu gefallen, wird ihn antreiben,
die Sünde zu meiden; und dieser Antrieb wird von dem
natürlichen und lobenswerten Verlangen des Sünders,
den schrecklichen Folgen seiner Widerspenstigkeit wenn
möglich zu entgehen, vermehrte Kraft erlangen. Mit dem
durch frische Überzeugung inspirierten Eifer wird eine
Gelegenheit, die Aufrichtigkeit seines neuentfalteten Glau-
bens durch Werke zu zeigen, begehrt, und er wird die Ver-
gebung seiner Sünden als die wünschenswerteste aller
Segnungen ansehen. Dann wird er lernen, daß diese Gabe
der Barmherzigkeit nur unter gewissen besondern Bedin-
Art. 4.] Buße. 137
gungen gegeben wird.^) Der erste Schritt der Sündenver-
gebung entgegen besteht darin, daß der Sünder seine
Sünden bekennt; der zweite, daß er andern, die gegen
ihn gesündigt haben, vergibt, und der dritte, daß er seine
Anerkennung des versöhnenden Opfers Christi zeigt, durch
das Halten der göttlichen Gesetze.
20. 1. Das Bekennen der Sünden ist notwendig, denn
sonst ist die Buße unvollkommen. Der Apostel Johannes
sagt uns : „So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verfüh-
ren wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. So
wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht,
daß er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller
Untugend. "2) Wir lesen auch : „Wer seine Missetat leugnet,
dem wird es nicht gelingen; wer sie aber bekennt und
läßt, der wird Barmherzigkeit erlangen. "3) Und in dieser
Dispensation hat der Herr den Heiligen gesagt: ,, Wahrlich,
ich sage euch, ich, der Herr, vergebe denen, die ihre Sünden
vor mir bekennen und Vergebung erflehen, wenn ihre
Sünde nicht zum Tode ist."*) Daß die Buße dieses Werk
des Bekennens in sich schließt, wird durch des Herrn eigne
Worte gezeigt: „Hierdurch könnt ihr wissen, ob einMensch
seine Sünden bereut: sehet er wird sie bekennen und ab-
legen, "s)
21. 2. Der Sünder muß bereit sein, andern zu vergeben,
wenn er selber Vergebung zu erlangen hofft. Sicher ist
seine Reue nur oberflächlich, wenn sein Herz nicht bis
zur Nachsicht und Milde gegenüber den Schwachheiten
seiner Mitmenschen erweicht wird. Als der Heiland seine
Zuhörer beten lehrte, unterwies er sie den Vater anzuflehen :
') Siehe Anmerkung .3.
») 1. Johannes 1 :8 — 9; siehe auch Psalm 32:5; 38:19; Buch Mormon,
Mosiah 26:29—30.
') Sprüche 28:13.
*) Lehre u. Bündn. 64:7.
') L. u.B. 58:43.
138 Die Glaubensartikel. [Vorl. V.
„Und vergib uns unsere Schulden, wie wir unsern Schuldi-
gern vergeben. "1) Er veranlaßte sie nicht, auf Vergebung
zu hoffen, wenn sie in ihrem Herzen einander nicht ver-
geben hätten: ,,Denn", sagte er, „so ihr den Menschen
ihre Fehler vergebet, so wird euch euer himmlischer Vater
auch vergeben. Wo ihr aber den Menschen ihre Fehler
nicht vergebet, so wird euch euer Vater eure Fehler auch
nicht vergeben. "2) Und Vergebung von Mensch zu Mensch
muß, um dem Herrn angenehm zu sein, unbegrenzt sein.
Auf die Frage des Petrus: ,,Herr, wie oft muß ich denn
meinem Bruder, der an mir sündiget, vergeben? Ist's
genug siebenmal?", erwiderte der Meister: „Ich sage dir:
Nicht siebenmal, sondern siebenzigmal siebenmall", womit
er unzweifelhaft lehren wollte, daß der Mensch immer
bereit sein müsse, zu vergeben. Bei einer andern Gelegen-
heit lehrte er die Jünger und sprach: ,,So dein Bruder
an dir sündigt, so strafe ihn; und so es ihn reut, vergib
ihm. Und wenn er siebenmal des Tages an dir sündigen
würde und siebenmal des Tages wiederkäme zu dir und
spräche: Es reut mich! so sollst du ihm vergeben."^)
22. Um die göttliche Absicht, den Menschen mit
dem Maß zu messen, mit dem sie ihren Mitmenschen
messen,^) weiter zu erläutern, erzählte der Heiland seinen
Jüngern das Gleichnis von dem König, dem einer seiner
Untertanen eine sehr große Summe Geldes, zehntausend
Pfund, schuldig war; als aber der Knecht sich demütigte
und um Barmherzigkeit bat, wurde das mitleidige Herz
des Königs gerührt, und er erließ seinem Knecht die
Schuld. Als dieser aus der Gegenwart des Königs ging,
begegnete er einem Mitknecht, der ihm eine geringe Summe
>) Matthäus 6:12; siehe auch Lukas 11:4.
-) Matthäus 6:14—15; Buch Mormon, 3. Nephi 13:14—15.
=) Lukas 17:3 — 4.
*) Matthäus 7:2; Markus 4:24; Lukas 6:38.
Art. 4. J Buße. 139
schuldig war; die ihm eben erst gezeigte Barmherzigkeit
vergessend, griff er seinen Genossen an und warf ihn ins
Gefängnis, bis er die Schuld bezahlt habe. Als nun der
König das hörte, ließ er den bösen Knecht vor sich bringen,
hielt ihm seine Undankbarkeit und Rücksichtslosigkeit
vor und überlieferte ihn den Peinigern.^) Der Herr wird
nicht auf die Bitten hören, noch eine Gabe eines solchen
Menschen annehmen, der Verbitterung gegen andre in
seinem Herzen hat: ,, Versöhne dich mit deinem Bruder,
und alsdann komm und opfre deine Gabe. "2) In seinem
geoffenbarten Wort an die Heiligen in diesen Tagen hat
der Herr besondern Nachdruck auf diese notwendige Be-
dingung gelegt: ,, Darum sage ich euch, daß ihr einander
vergeben sollet, denn wer seinem Bruder seine Übertre-
tungen nicht vergibt, derselbe steht gerichtet vor dem Herrn,
denn ihm verbleibt die größere Sünde"; und um allen
Zweifel betreffs der Personen, welchen der Mensch eigentlich
vergeben sollte, zu beseitigen, wird hinzugefügt: „Ich,
der Herr, werde vergeben wem ich vergeben will; von euch
aber wird gefordert, daß ihr allen Menschen vergebet. "3)
23. 3. Vertrauen auf das Sühnopfer Christi bildet die
dritte notwendige Bedingung der Sündenvergebung. Der
Name Jesus Christus ist der einzige Name unter dem Him-
mel, durch welchen die Menschen errettet werden können ;*)
und uns wird gelehrt, unsre Bitten an den Vater in dem
Namen des Sohnes darzubringen. Aus dem Munde eines
Engels empfing Adam diese Belehrung,^) und in demselben
Sinne wurden die Nephiten von dem Heiland persönlich
belehrt.^) Aber kein Mensch kann wahrhaftig Glauben an
1) Matthäus 18:23—35.
') Matthäus 5:23—24; 3. Nephi 12:23—24.
») Lehre u. Bündn. 64:9 — 10.
') Köstl. Perle, Moses 6:52.
<■) Köstl. Perle, Moses 5:6—8.
•) 3. Nephi 27:5—7.
140 Die Glaubensartikel. [Vorl. V.
Christum bekennen und sich gleichzeitig weigern, seine
Gebote zu befolgen; deshalb ist Gehorsam zur Vergebung
der Sünden notwendig; und der bußfertige Sünder wird
eifrig zu erfahren suchen, was von ihm weiter gefordert
wird.
24. Wenn Buße ihren Namen verdienen soll, muß sie
mehr sein als ein bloßes Eingeständnis der Fehler; sie
besteht nicht aus Wehklagen und weitschweifigen Sünden-
bekenntnissen, sondern aus dem aufrichtigen Bekennen
der Schuld, das von einem Abscheu vor der Sünde begleitet
ist und einem festen Entschluß, Genugtuung für die Ver-
gangenheit zu leisten und in der Zukunft besser zu tun.
Wenn ein solches Bekennen aufrichtig ist, wird es mit
jener göttlichen Traurigkeit bezeichnet, die, wie Paulus
gesprochen hat, ,, wirkt zur Seligkeit eine Reue, die nie-
mand gereut ; die Traurigkeit aber der Welt wirk t d en Tod , "i)
Weislich hat der Apostel Orson Pratt gesagt: „Für einen
Sünder hätte es keinen Zweck, seine Sünden vor Gott
zu bekennen, wenn er nicht entschlossen wäre, sie zu
meiden; es würde ihm nichts nützen, traurig zu sein,
weil er Unrecht getan hat, es sei denn, er beabsichtige,
nicht mehr Unrecht zu tun; es wäre für ihn Torheit vor
Gott, zu bekennen, er habe seinen Mitmenschen Schaden
zugefügt, wenn er nicht entschlossen wäre, alles, was in
seinen Kräften liegt, zu tun um Wiedererstattung zu lei-
sten. Also ist die Buße nicht allein ein Bekennen der Sün-
den mit einem traurigen, zerknirschten Herzen, sondern
ein fester, bestimmter Entschluß, sich von allem bösen
Wandel fern zu halten."
25. Buße zur Seligkeit notwendig. — Dieser Beweis
der Aufrichtigkeit, dieser Anfang eines bessern Lebens wird
von allen Bewerbern um Seligkeit gefordert. Zum Erlan-
') 2. Korinther 7:10.
Art. 4.] Buße. 141
gen göttlicher Barmherzigkeit ist Buße ebenso unentbehr-
lich wie Glaube; sie muß so umfassend sein wie die Sünde
ist. Wo findet man einen vollkommen sündlosen Men-
schen? Wohlweishch hat der Prediger der alten Zeiten
erklärt: „Denn es ist kein Mensch so gerecht auf Erden,
daß er Gutes tue und nicht sündige."^) Wer bedarf denn
keiner Vergebung? Wer ist von den Forderungen der
Buße frei? Gott hat denen, die aufrichtig Buße tun,
Vergebung verheißen ; solchen werden die Vorteile persön-
licher Seligkeit durch das Sühnopfer Christi zuteil. Mit
zusichernden Verheißungen der Vergebung ermahnt Je-
saja in folgender Weise zur Buße: „Suchet den Herrn,
solange er zu finden ist; rufet ihn an, solange er nahe ist.
Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter
seine Gedanken und bekehre sich zum Herrn, so wird er
sich sein erbarmen, und zu unserem Gott, denn bei ihm ist
viel Vergebung. "2)
26. Der Ruf zur Buße ist in jedem Zeitalter die Bürde
der von Gott erleuchteten Lehrer gewesen. Zu diesem
Zweck wurde die Stimme des Johannes in der Wüste gehört :
,,Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbeikommen. "3)
Und der Heiland folgte mit: „Tut Buße und glaubt an das
Evangelium!"*) denn ,,so ihr euch nicht bessert, werdet
ihr alle auch also umkommen."^) So auch verkündigten
die Apostel vor alters, daß Gott ,, gebietet allen Menschen
an allen Enden, Buße zu tun."^) Und in der gegenwärtigen
Dispensation ist das Wort gekommen, ,,Wir wissen, daß
') Prediger 7:20; siehe auch Römer 3:10; 1. Johannes 1:8.
') Jesaja 55:6 — 7; siehe auch Buch Mormon, 2. Nephi 9:24; Alma
5:31—36, 49—56; 9:12; Lehre u. Bündn. 1:32—33; 19:4; 20:29; 29:44;
133:16.
») Matthäus 3:2.
♦) Markus 1:15.
') Lukas 13:3.
•) Apostelgesch. 17:30.
142
Die Glaubensartikel.
[Vorl. V.
alle Menschen bereuen, an den Namen Jesu Christi glauben
* * * müssen, oder sie können nicht im Reiche Gottes
selig werden."^)
27. Buße eine Gabe Gottes. — Die Buße ist ein Mittel
zur Vergebung, und deshalb ist sie eine der großen Gaben
Gottes an die Menschen. Sie kann nicht durch gleich-
gültiges Bitten erlangt werden; sie ist nicht auf der
Straße zu finden; sie ist nicht von der Erde, sondern ein
Schatz des Himmels, und wird, obschon mit grenzenloser
Großherzigkeit doch mit Gewissenhaftigkeit denen ge-
geben, die gute Werke, welche die Gabe der Buße berech-
tigen, hervorgebracht haben. 2) Das heißt, alle, die sich
auf Buße vorbereiten, werden durch den demütigenden
und besänftigenden Einfluß des Heiligen Geistes zu dem
tatsächlichen Besitz dieser großen Gabe geführt werden.
Als Petrus von seinen Mitarbeitern der Gesetzesübertre-
tung beschuldigt wurde, weil er mit Heiden verkehrt
habe, erzählte er seinen Zuhörern von den göttlichen
Kundtuungen, die er eben erst empfangen hatte; sie
glaubten und erklärten: ,,So hat Gott auch den Heiden
Buße gegeben zum Leben l"^) In seinem Brief an die Rö-
mer, lehrt auch Paulus, daß Buße durch die Güte Gottes
komme.*)
28. Buße nicht immer möglich. Die Gabe der Buße
wird den Menschen gegeben, wenn sie sich vor dem Herrn
demütigen; sie ist das Zeugnis des Geistes in ihren Herzen;
hören sie nicht auf den Ermahner, so wird er sie wieder
verlassen, denn der Geist Gottes wird nicht immer mit den
Menschen rechten. 5) Je mehr die Sünde mit Absicht
') Lehre u. Bündn. 20:29.
») Matthäus 3:7 — 8; Apostelgesch. 26:20.
') Apostelgesch. 11:18.
•) Römer 2:4; siehe auch 2. Timotheus 2:25.
') 1. Mose 6:3; L. u. B. 1:33.
Art. 4.] Buße. 143
getan wird, desto schwieriger wird die Buße; es ist durch
Demut und Zerknirschung des Herzens, daß der Sünder»
seinen Glauben an Gott vermehren und die unschätzbare
Gabe der Buße von ihm empfangen kann. In dem Maße,
wie die Buße hinausgeschoben wird, wird die Fähigkeit,
zu bereuen, schwächer; Versäumnis einer Gelegenheit in
heiligen Dingen hat Verlust derselben zur Folge. Als der
Herr in den ersten Tagen der neu gegründeten Kirche
Joseph Smith Gebote gab, sagteer: „Denn ich, der Herr,
kann auch nicht mit dem geringsten Grade von Nachsicht
auf Sünde herabblicken ; dennoch soll der, der bereut und
die Gebote des Herrn befolgt, Vergebung finden ; von dem
aber, der nicht bereut, soll das Licht genommen werden,
das er schon gehabt hat, denn mein Geist wird nicht
immer mit den Menschen rechten, sagt der Herr der Heer-
scharen,"^)
29. Buße hier und im Jenseits. — Der nephitische
Prophet Alma beschrieb die Zeit des irdischen Daseins
als einen den Menschen zur Buße gegebenen Prüfungs-
stand ;2) dennoch erfahren wir aus den Schriften, daß
auch noch hinter dem Schleier der Sterblichkeit unter
gewissen Bedingungen Buße möglich ist. In der Zeit
zwischen seinem Tod und seiner Auferstehung pre-
digte Christus „den Geistern im Gefängnis, die vorzeiten
nicht glaubten, da Gott harrte und Geduld hatte zu den
Zeiten Noahs."^) Diese Geister besuchte der Sohn, und
ihnen predigte er das Evangelium, ,, damit sie nach dem
Gesetz der im Fleisch lebenden gerichtet werden möchten ;
die, welche das Zeugnis Jesu im Fleische nicht annahmen,
es aber später noch empfingen."^)
0 Lehre u. Bündn. 1 :31 — 33.
=) Alma 12:24; 34:32; 42:4.
') 1. Petrus 3:19—20.
*) L. u. B. 76:73—74.
Die Glaubensartikel.
[Vorl. V.
30. Doch ist keine Seele berechtigt, ihre Buße ange-
, sichts der Langmut und Barmherzigkeit Gottes zu ver-
schieben. Wir wissen nicht, unter welchen Bedingungen
Buße im Jenseits erreichbar sein wird, aber es ist vernunft-
widrig zu glauben, daß die Seele, welche die Gelegenheit
zur Buße in diesem Leben wissentlich verworfen hat, es
leicht finden werde, dort Buße zu tun. Den Tag der Buße
hinauszuschieben,^) heißt soviel wie uns absichtlich in die
Gewalt des Widersachers zu begeben. Gleich wie Amulek
die Volksmenge in alten Zeiten lehrte und ermahnte:
„Denn sehet, dieses Leben ist die Zeit, wo sich die Menschen
vorbereiten sollen, ihrem Gott zu begegnen,*** deshalb
bitte ich euch, den Tag euerer Bekehrung nicht bis ans
Ende hinauszuschieben.*** Wann diese furchtbare Be-
drängnis eintritt, dann könnt ihr nicht mehr sagen: Ich
will mich bekehren und mich zu meinem Gott wenden.
Nein, das könnt ihr nicht sagen, denn derselbe Geist, der
zu der Zeit, da ihr dieses Leben verlasset, in euern Kör-
pern wohnt, derselbe Geist wird in jener ewigen Welt die
Macht haben, in euern Körpern zu wohnen. Denn sehet,
wenn ihr den Tag eurer Bekehrung bis zum Tode hinaus-
geschoben habt, sehet, dann seid ihr dem Geiste des Teufels
untertänig geworden, der euch als sein Eigentum ver-
siegelt."^)
Anmerkungen.
1. Ein Beispiel von falschem Glauben. — „Als die Europäer ihre Er-
forschungen der neuen Welt anfingen, waren die Indianer, die ihnen be-
gegneten, über die Kraft und das Sprengvermögen des Schießpulvers sehr
erstaunt und stellten viele Fragen über seine Herstellungsweise. Da die
Europäer hier eine Gelegenheit erblickten, ihren Reichtum durch Betrug
zu vergrößern, zogen sie einen Vorteil aus der Unwissenheit der Wilden und
sagten den Indianern, es sei der Same einer in den Ländern, wo sie her
kamen, wachsenden Pflanze, und ohne Zweifel würde sie auch in ihrem
1) Alma 34:33.
») Alma 34:32-
Art. 4.] Anmerkungen. 145
Lande gedeihen. Natürlich glaubten die Indianer dieser Erklärung und
kauften den angeblichen Samen, wofür sie als Gegenwert eine große Menge
Gold gaben. In festem Glauben pflanzten sie den Samen sorgfältig und
warteten begierig, daß er aufgehe und eine Pflanze daraus entstehe; aber
es geschah nicht. An die Erklärung die ihnen die Europäer gaben, hatten
sie geglaubt, aber da diese Erklärungen falsch waren, und da deshalb das
Zeugnis, auf welches die Indianer ihren Glauben gegründet hatten, un-
richtig war, war ihr Glaube vergebens." — Orson Pratt.
2. Der sektiererische Lehrsatz der Rechtfertigung durch Glauben
allein hat seit den ersten Tagen des Christentums einen verderblichen
Einfluß ausgeübt. Der Gedanke, auf den diese verderbliche Lehre gegründet
wurde, war zuerst mit der Lelire einer unbedingten Vorherbestimmung ver-
bunden, wonach der Mensch schon zum Voraus entweder zur Vernichtung
oder zur gänzlich unverdienten Seligkeit bestimmt sei. Demgemäß lehrte
Luther: „Die treffliche, unfehlbare und einzige Vorbereitung für Gnade
ist die ewige Gnadenwahl und Vorherbestimmung Gottes." „Seit dem
Fall des Menschen ist freier Wille bloß ein eitler Ausdruck." „Ein Mensch,
der es sich erdenkt, Gnade zu erlangen wenn er alles tut, was er nur tun
kann, fügt Sünde zu Sünde, und ist doppelt schuldig." „Der Mensch, der
viele Werke tut, ist nicht gerechtfertigt; sondern der, der ohne Werke, viel
Glauben an Christus hat." (Für diese und andre Lehren der sogenannten
„Reformation" siehe D'Aubigne, „History of the Reformation", Band I,
S. 82, 83, 119, 122.) In Miller's „Church History" (Band IV, S. 514) lesen
wir: „Der Punkt, den der Reformator (Luther) in all seinen Werken, Kämp-
fen und Gefahren am tiefsten im Herzen hatte, war die Rechtfertigung
durch Glauben allein." In folgenden Worten äußert Melanchthon die Lehre
Luthers: „Die Rechtfertigung des Menschen vor Gott geht aus dem Glau-
ben allein hervor. Dieser Glaube kommt in das Menschenherz durch die
Gnade Gottes allein;" und weiter, „Da alle Dinge, die geschehen, nach der
göttlichen Vorherbestimmung geschehen, gibt es kein solches Ding wie
Freiheit in unserm Willen." (D'Aubigne, Band III, S. 340.) Zwar erklärte
sich Luther kräftig gegen und leugnete gewaltig die Verantwortung für
diese Ausschweif ungen, zu denen diese Lehre führte, dennoch war er selbst
nicht weniger kraftvoll im Verkündigen der Lehre. Beachten wir seine Worte :
„Ich, Doktor Martin Luther, unwürdiger Verkündiger des Evangeliums
unsres Herrn Jesus Christus, bekenne diesen Artikel, daß der Glaube allein
ohne Werke, vor Gott rechtfertige; und ich erkläre, daß er für immer be-
stehen und bleiben solle, trotz des Kaisers der Römer, des Kaisers der
Türken, des Kaisers der Perser — • trotz des Papstes und aller Kardinäle,
mit den Bischöfen, Priestern, Mönchen und Nonnen — trotz Königen,
Fürsten und Edelmännern und trotz aller Welt und selbst der Teufel;
und daß, wenn sie versuchen, gegen diese Wahrheit zu kämpfen, sie die
Feuer der Hölle auf ihre Häupter hernieder ziehen werden. Dieses ist das
wahre und heilige Evangelium, und die Erklärung von mir, Doktor Luther,
nach den Eingebungen des Heiligen Geistes." (D'Aubigne, Band I, Seite 70.)
Fletscher („End of Religions Controversies", S. 90) erläutert die ver-
derbte Ausschweifung, zu welcher diese schädliche Lehre führte, indem
er einen ihrer Anhänger beschuldigt, er habe gesagt, „Selbst Ehebruch und
Mord schaden den Gott wohlgefälligen Kindern nicht, sondern wirken eher
zu ihrem Wohl. Gott sieht keine Sünde in den Gläubigen, welche Sünde
sie auch immer begehen mögen. *** Es ist ein höchst verderblicher Fehler
10
146
Die Glaubensartikel.
[Vorl. V.
der Scholastiker, Sünden nach der Tat und nicht nach der Person zu unter-
scheiden. Obwohl ich die verurteile, die sagen, lasset uns sündigen, daß
Gnade reichlich vorhanden sei, soUen dennoch Ehebruch, Blutschande
und Mord mich im großen ganzen heiliger auf Erden und fröhlicher im
Himmel machen."
Eine Übersicht über die religiösen Streitfragen des Mittelalters,
einschließlich der Lehre Luthers imd andrer von den Gnadenmitteln ist
in Roberts „Outlines of Ecclesiastical History" enthalten (Teil 3, Abschnitt
11) auf die der Leser verwiesen sei. Die oben erwähnten Anführungen
sind darin einverleibt.
3. Vergebung wird nicht immer sogleich gewährt. — „Wegen der
Größe der begangenen Sünde, folgt auf Buße nicht immer Vergebung und
Wiederherstellung. Zum Beispiel: als Petrus zu den Juden, die Jesum er-
schlagen und sein Blut auf sich imd ihre Kinder genommen hatten, predigte,
sagte er nicht : „Tut Buße und lasset euch taufen zur Vergebung der Sün-
den;" sondern „So tut nun Buße \uid bekehret euch, daß eure Sünden ver-
tilgt werden; auf daß da komme die Zeit der Erqmckimg von dem Ange-
sicht des Herrn, wenn er senden wird den, der euch jetzt zuvor gepredigt
wird, Jesus Christus, welcher muß den Himmel einnehmen bis auf die
Zeit, da herwiedergebracht werde alles, was Gott geredet hat durch den
Mund aller seiner heiligen Propheten von der Welt an" (Apostelgesch.
3:19—21). Das heißt: tut Buße jetzt und glaubet an Jesus Christus, daß
ihr Vergebung empfangen möget, wenn der, den ihr erschlagen habt, in den
Tagen der Wiederherstellung aller Dinge wieder kommen und euch die
Bedingungen, unter welchen ihr gerettet werden könnt, vorschreiben wird."
— „Compendium", S. 28.
Art. 4.] Die Taufe. 147
Vorlesung VI.
Die Taufe.
Artikel 4. — Wir glauben, daß die ersten Prinzipien und Verord-
nungen des Evangeliums sind: • » * 3. Taufe durch Untertauchung zur
Vergebung der Sünden * * *.
1. Das Wesen der Taufe. — Den Heiligen der letzten
Tage ist die Wassertaufe das dritte Prinzip und die erste
wesentliche Verordnung des Evangeliums. Die Taufe
ist das zur Herde Christi führende Tor, die Pforte der
Kirche, die zur Einbürgerung in dem Reich Gottes ein-
gesetzte Verordnung. Nachdem der Bewerber um Zutritt
in die Kirche und das Reich Glauben an den Herrn Jesus
Christus erworben und bekannt und seine Sünden aufrich-
tig bereut hat, wird mit Recht von ihm gefordert, daß er
durch irgendeine äußere Verordnung, die durch Auto-
rität als Zeichen oder Sinnbild des neuen Bekenntnisses
vorgeschrieben worden ist, einen Beweis für diese geistige
Heiligung gebe. Die einführende Verordnung ist die Taufe
im Wasser, der die höhere Taufe mit dem Heiligen Geiste
folgen soll; und als eine Frucht dieser Tat des Gehorsams
wird Vergebung der Sünden gewährt.
2. Wie einfach sind die so eingesetzten Mittel zum
Eintritt in die Herde ! Sie sind sowohl dem Ärmsten und
Schwächsten als auch dem Reichen und Mächtigen erreich-
bar! Welches Sinnbild könnte gegeben werden, das
besser als die Taufe im Wasser eine Reinigung von Sünde
ausdrückt? Die Taufe ist das Zeichen des Bündnisses,
das zwischen dem bußfertigen Sünder und seinem Schöpfer
eingegangen wird, — daß der Sünder hernach versuchen
148 Die Glaubensartikel. [Vorl. VI.
will, die Gebote Gottes zu beachten. Betreffs dieser Tat-
sache hat der Prophet Alma das Volk in Gideon wie folgt
ermahnt und unterrichtet: „Ja, ich sage euch: Kommet
und fürchtet euch nicht, leget jede Sünde ab, die euch
leicht überkommt und zum Verderben führt; ja, kommet
hervor und zeigt euerm Gott, daß ihr willig seid, euch
von euren Sünden zu bekehren und in einen Bund mit
ihm zu treten, um seine Gebote zu halten ; und bezeuget
es ihm heute dadurch, daß ihr in das Wasser der Taufe
geht."i)
3. Der gedemütigte Sünder, der durch das Geben
der guten Gaben Gottes, des Glaubens und der Buße, von
seiner Übertretung überzeugt ist, wird irgendwelche
Mittel, sich von der in seinen Augen jetzt so abscheulichen
Befleckung zu reinigen, hocherfreut begrüßen; er wird
wie die von der Rede getroffene Volksmenge an Pfing-
sten ausrufen: ,,Was soll ich tun?" Durch die Heilige
Schrift oder durch den Mund der berufenen Diener des
Herrn kommt zu solchen die antwortende Stimme des
Geistes: ,,Tut Buße und lasse sich ein jeglicher taufen
auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sün-
den. "2) Da sie der Zerknirschung der Seele entspringt, ist
die Taufe mit Recht die erste Frucht der Buße genannt
worden. 3)
4. Die Einsetzung der Taufe erfolgte schon in der Zeit
der frühesten Geschichte des Menschengeschlechts. Nach
der Austreibung aus dem Garten Eden, als sich der Herr
Adam offenbarte, verhieß er dem Patriarchen des Menschen-
geschlechts: ,,Wenn du dich zu mir kehren, meiner Stimme
gehorchen, glauben und dich von allen deinen Übertre-
tungen bekehren und getauft werden willst, und zwar im
') Alma 7:15.
") Apostelgesch. 2:37 — 38.
») Moroni 8:25.
Art. 4.] Die Taufe. 149
Wasser, im Namen meines eingeborenen Sohnes, der voller
Gnade und Wahrheit ist, der Jesus Christus ist, der einzige
Name, der unter dem Himmel gegeben werden soll, durch
den Seligkeit auf die Kinder der Menschen kommen wird,
sollst du die Gabe des Heiligen Geistes empfangen und alle
Dinge in seinem Namen bitten; und was ihr auch immer
bitten werdet, das soll euch gegeben werden * * *, Und
es geschah, als der Herr mit unserm Vater Adam gesprochen
hatte, daß Adam zum Herrn schrie, und er wurde von dem
Geiste des Herrn aufgehoben und hinabgetragen in das
Wasser und unter das Wasser gelegt und wieder aus dem
Wasser hervorgebracht. Und so wurde er getauft; und der
Geist Gottes kam auf ihn herab, und so wurde er von dem
Geiste geboren und belebt in dem inneren Menschen. "i)
Henoch verkündigte die Lehre von der Buße und der Taufe
und taufte die Menschen, und so viele als diese Belehrungen
annahmen und sich den Forderungen des Evangeliums
unterwarfen, wurden in den Augen Gottes geheiligt und
heilig.
5. Der besondere Zweck der Taufe ist die Aufnahme
in die Kirche Christi und Vergebung der Sünden zu er-
langen. Bedarf es vieler Worte, um den Wert dieser von
Gott eingesetzten Verordnung zu beweisen? Welche
größere Gabe könnte den Menschen angeboten werden,
als ein bereitstehendes Mittel zur Erlangung der Verge-
bung für die Übertretung? Die Gerechtigkeit verbietet
allgemeines und bedingungsloses Vergeben begangener
Sünden, es sei denn durch Befolgung des verordneten
Gesetzes. Aber es sind einfache und wirksame Mittel vor-
gesehen worden, wodurch der bußfertige Sünder in ein
Bündnis mit Gott eintreten und dieses Bündnis siegeln
kann mit einem Zeichen, das Anerkennung im Himmel
>) Köstl. Perle, Moses 6:52—65.
150 Die Glaubensarükel. [Vorl. VI.
fordert, daß er bereit ist, sich den Gesetzen Gottes zu unter-
werfen. In dieser Weise bringt er sich in den Bereich der
Gnade, unter deren schützendem Einfluß er ewiges Leben
erlangen kann.
6. Die biblischen Beweise, daß die Taufe als ein
Mittel zur Vergebung der Sünden bestimmt ist, sind zahl-
reich. In den Tagen, die dem Wirken des Heilands im
Fleische unmittelbar vorausgingen, war Johannes der
Täufer der besondere Prediger dieser Lehre; und die Stimme
dieses Predigers in der Wüste, welche die Vergebung der
Sünden als die Frucht der Gott wohlgefälligen Taufe
verkündigte, erregte Jerusalem und widerhallte durch
ganz Judäa.^)
7. Als Saulus von Tarsus, ein eifriger Verfolger der
Anhänger Christi, auf eine weitere Ausübung eines irre
geführten Eifers bedacht, nach Damaskus reiste, empfing
er eine besondere Offenbarung der Macht Gottes und
wurde durch Zeichen und Wunder bekehrt. Er hörte und
antwortete auf die Stimme Christi und wurde dadurch
ein besondrer Zeuge seines Herrn. Doch sogar diese unge-
wöhnliche Kundgebung der göttlichen Güte war nicht
genügend . Durch die ihmgeof f enbarte Herrlichkeit erblindet,
gedemütigt und ernst gemacht, und der furchtbaren Tat-
sache bewußt, daß er seinen Erlöser verfolgt hatte, rief
er in Seelenangst aus, ,,Herr, was willst du, daß ich tun
soll?" Er wurde nach Damaskus gewiesen, um dort mehr
über den Willen Gottes inbezug auf seine Person zu erfah-
ren. Mit Freude empfing er den Boten des Herrn, den
frommen Ananias, der ihm diente, sodaß er sein Augenlicht
wieder bekam, und der ihn dann die Taufe als ein Mittel
zur Erlangung der Vergebung der Sünden lehrte.^)
') Markus 1:4; Lukas 3:3.
') Apostelgesch. 22:1 — 16.
Art. 4.] Die Taufe. 151
8. Saulus, — jetzt als Paulus bekannt, — darnach
ein Prediger der Gerechtigkeit und ein Apostel des Herrn
Jesu Christi, lehrte anderen denselben großen errettenden
Grundsatz, daß durch die Taufe im Wasser die Wieder-
geburt von der Sünde komme.^) In kraftvollen Worten
und von besonderen Beweisen göttlicher Kraft begleitet,
erklärte Petrus der bußfertigen Volksmenge dieselbe Lehre.
Im Innersten getroffen durch das Aufzählen alles dessen,
was sie dem Sohn Gottes angetan hatten, riefen sie aus:
„Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun?" Alsbald
kam die Antwort mit apostolischer Vollmacht: ,,Tut
Buße und lasse sich ein jeglicher taufen auf den Namen
Jesu Christi zur Vergebung der Sünden. "2)
9. Die Propheten des Buches Mormon gaben der
Herde Christi im Westen dasselbe Zeugnis. Denselben
Zweck verfolgten die Worte Nephis, des Sohnes Lehis, die
er an seine Brüder richtete: ,,Denn das Tor, durch das ihr
eingehen sollt, ist Reue und Taufe im Wasser, alsdann
kommt die Vergebung eurer Sünden durch Feuer und durch
den Heiligen Geist. "3) Wie schon angeführt, so lehrte
auch Alma das Volk in Gideon.*) Unmittelbar vor der
Ankunft Christi auf Erden ging Nephi, der Enkel Hela-
mans, unter seinem Volke umher und taufte zur Buße,
und „es wurden viele Sünden vergeben."^) Nephi ordi-
nierte Mitarbeiter zu dem Werke, ,, damit alle, die zu
ihnen kommen, im Wasser getauft würden; und dies als
Beweis und Zeugnis vor Gott und dem Volke, daß sie sich
bekehrt und eine Vergebung ihrer Sünden erhalten hät-
ten."^) Von Christus beauftragt, fügt Mormon sein eigenes
') Titus 3:5.
') Apostelgesch. 2:36 — 38; siehe auch 1. Petrus 3:21.
») 2. Nephi 31:17.
*) Alma 7:14 — 15; siehe Seite 148.
«) 3. Nephi 1:23.
•) 3. Nephi 7:24—26.
152 Die Glaubensartikel. [Vorl. VI.
Zeugnis hinzu und ermahnt das Volk, seine Sünden zu
meiden und sich zur Vergebung derselben taufen zu
lassen.^)
10. Neuzeitliche Offenbarung über die Taufe und
ihren Zweck zeigt, daß der Herr dieser Verordnung heute
die nämliche Wichtigkeit zuschreibt wie in frühern Zeiten.
Damit der Kirche in der gegenwärtigen Dispensation
keine Frage betreffs der Anwendung dieser Lehre entstehe,
ist zu unsrer Richtschnur das Prinzip von neuem erklärt,
das Gesetz wieder verordnet worden. Die Ältesten der
Kirche sind beauftragt, die Vergebung der Sünden, wie
sie durch die autorisierte Taufe zu erlangen ist, zu
predigen. 2)
11. Würdige Bewerber um die Taufe. — Da der Haupt-
zweck der Taufe die Aufnahme in die Kirche und die Ver-
gebung der Sünden ist, und da dieses nur durch Ausübung
des Glaubens an Gott und durch aufrichtige Reue vor ihm
geschieht, kann die Taufe gerechterweise nur von denen
gefordert werden, die fähig sind, Glauben auszuüben
und Buße zu tun.^) In einer im April 1830 durch den
Propheten Joseph der Kirche gegebenen Offenbarung er-
klärt der Herr ausdrücklich die Bedingungen, unter
denen Personen in die Kirche aufgenommen werden können :
„Alle, die sich vor Gott demütigen und wünschen, getauft
zu werden, und herzutreten mit zerknirschtem Herzen und
reumütigem Geist und vor der Kirche bezeugen, daß sie
wahrhaftig alle ihre Sünden bereut haben und wilhg sind,
den Namen Jesu Christi auf sich zu nehmen; die den
Entschluß fassen, ihm bis ans Ende zu dienen und wirk-
lich durch ihre Werke bezeugen, daß sie von dem Geiste
•) 3. Nephi 30:2.
«) Lehre u. Bündn. 19:31; 55:2; 68:27; 76:51—52; 84:27, 74.
') Siehe Anmerkung 1.
Art. 4.] Die Taufe. 153
Christi zur Vergebung ihrer Sünden erhalten haben —
sollen durch die Taufe in die Kirche aufgenommen werden."^)
12. Solche Bedingungen schließen alle aus, die das
Alter des Verstandes und der Verantwortlichkeit noch nicht
erreicht haben. Durch besondern Befehl hat es der Herr
der Kirche verboten, irgend j emand aufzunehmen, der dieses
Alter noch nicht erreicht hat.-) Durch Offenbarung hat
der Herr acht Jahre als das Alter bezeichnet, in welchem
Kinder in der Kirche rechtmäßig getauft werden können;
und von den Eltern wird gefordert, ihre Kinder auf die
Verordnungen der Kirche vorzubereiten, indem sie ihnen
die Lehren des Glaubens, der Buße, der Taufe und der
Gabe des Heiligen Geistes lehren. Vernachlässigen sie diese
Forderung, wird dies vom Herrn als auf den Häuptern der
Eltern ruhende Sünde betrachtet. 3)
13. Die Kindertaufe. — Die Heiligen der letzten
Tage treten dem Brauch der Kindertaufe scharf entgegen ;
sie glauben sogar, daß diese in den Augen Gottes ein Frevel
ist. Niemand, der dem Worte Gottes glaubt, kann ein
Kind als unrein ansehen. Ein solches unschuldiges Wesen
braucht keine Einführung in die Herde, denn es ist nie
von ihr entwichen, es braucht keine Vergebung der Sünden,
denn es ist sündlos; und sollte es sterben, ehe es von den
Sünden der Welt befleckt wird, so wird es ohne Taufe
wieder in die Gegenwart Gottes aufgenommen werden.
Doch gibt es viele, angeblich christliche Lehrer, welche
erklären, daß alle Kinder, da in einer bösen Welt geboren,
böse seien, und um vor Gott angenehm zu werden, müßten
sie in dem Wasser der Taufe gereinigt werden. Wie
furchtbar ist doch diese Lehre ! — Das Kind, auf welches der
Heiland zeigte als ein Beispiel der Nacheiferung selbst
•) Lehre u. Bündn. 20:3';
2) L. u. B. 20:71.
') L. u. B. 68:25—27.
154 Die Glaubensartikel. . (Vorl. VI.
derer, die das heilige Amt eines Apostels empfangen
hatten, — ^) des Herrn auserwähltes Vorbild des Him-
melreichs; die bevorzugten Geister, deren Engel für
immer in der Gegenwart des Vaters stehen und treu alles
berichten, was ihren heiligen Pfleglingen getan wird:^)
solche Seelen sollen verworfen und der Qual übergeben
werden, weil ihre irdischen Hüter es versäumten, sie
taufen zu lassen ! — Eine derartige Lehre zu verkündigen
ist Sünde.
14. Die Geschichte der Kindertaufe ist lehrreich, denn
sie wirft Licht auf den Ursprung dieses ungesetzlichen
Brauches. Es ist gewiß, daß die Taufe der kleinen Kinder,
(englisch pedobaptism, griechisch paidos, Kind, und
baptismos, Taufe), weder von dem Heiland noch von seinen
Aposteln gelehrt w^urde. Einige weisen auf den Fall hin,
wo Christus die kleinen Kinder segnete und jene tadelte,
die den Kleinen verbieten wollten, zu ihm zu kommen ;3)
sie sagen, es sei dies ein Beweis für die Kindertaufe; aber
wie Bischof Jeremy Taylor kurz und bündig erwidert hat:
„Aus dem Segnen der Kinder durch Christus zu schließen,
daß sie getauft werden sollten, beweist nur daß es an
beßren Beweisen mangelt; denn die Schlußfolgerung
müßte eigentlich lauten : Christus segnete die Kinder und
ließ sie so gehen; er taufte sie also nicht, und deshalb
sollen Kinder nicht getauft werden."
15. Es gibt keinen glaubwürdigen Bericht, daß die
Kindertaufe während der ersten zwei Jahrhunderte nach
Christo vollzogen wurde, und der Brauch wurde jedenfalls
nicht vor dem 5. Jahrhundert allgemein üblich; aber von
der letzterwähnten Zeit an bis zur Reformation, wurde
er von den meisten, sich zum Christentum bekennenden
') Matthäus 18:1—6.
') Matthäus 18:10.
') Matthäus 19:14; Markus 10:13; Lukas 18:15.
Art. 4.] Die Taufe. 155
Kirchen angenommen. Und sogar in jenem dunkeln Zeit-
alter erhoben viele religiösen Disputanten ihre Stimmen
gegen diesen ruchlosen Brauch.^) Zu Anfang des 16. Jahr-
hunderts war eine Sekte unter dem Namen Wiedertäufer
(englisch anabaptista, griechisch ana, wieder, und baptizo,
taufen) in Deutschland sehr bedeutend geworden. Wegen
ihres Widerstands gegen die Ausübung der Kindertaufe
unterschied sich diese Sekte von den andern, und von der
Forderung, daß alle Mitglieder, die in der Kindheit getauft
worden waren, wieder getauft werden sollten, stammt ihr
Name her. Diese Glaubensgenossenschaft, gewöhnlich
die Baptisten genannt, ist durch Innern Streit sehr zerteilt
worden; im allgemeinen aber haben die Baptisten eine
Einigkeit des Glaubens im Bekämpfen der Taufe verant-
wortungsfreier Kinder beibehalten.
16. Taufe und Beschneidung. — Einige Kinder-
täufer haben versucht, eine Verwandtschaft zwischen
der Taufe und der Beschneidung nachzuweisen. Für
diesen Standpunkt gibt es aber keine biblische Berech-
tigung. Die Beschneidung wurde als Zeichen des
Bündnisses zwischen Gott und seinem erwählten Die-
ner Abraham eingesetzt,^) ein Sinnbild, das von der
Nachkommenschaft Abrahams als ein Wahrzeichen an-
gesehen wurde für ihre Freiheit von der Abgötterei jener
Zeiten und für die göttliche Annahme ihres eigenen Volkes.
Aber nirgends ist die Beschneidung zum Mittel zur Verge-
bung der Sünden gemacht worden. Jene Vorschrift war
nur auf das männliche Geschlecht anwendbar; die Taufe
hingegen wird beiden Geschlechtern gespendet. Die Be-
schneidung war am achten Tag nach der Geburt zu voll-
ziehen, auch wenn der Tag auf einen Sabbath fiel.^)
•) Siehe Anmerkung 2.
') 1. Mose 17:1—14.
') Johannes 7:22—23.
156 Die Glaubensartikel. [Vorl. VI.
Unter der Leitung Cyprians, des Bischofes zu Karthago,
wurde im 3. Jahrhundert eine Bischofsversammlung ab-
gehalten, die feierlich entschied, daß es gefährlich und
infolgedessen nicht zu erlauben sei, die Taufe bis zum
achten Tage nach der Geburt zu verschieben.
17. Die Kindertaufe wird im Buch Mormon verboten.
Aus dieser Tatsache wissen wir, daß unter den Nephiten
Streitigkeiten über diesen Punkt entstanden sein müssen.
Da Mormon vom Herrn besondere Offenbarung über diese
Streitfrage bekommen hatte, schrieb er einen Brief darüber
an seinen Sohn Moroni, in welchem er den Brauch der
Kindertaufe verurteilt und erklärt, daß irgend jemand,
der vermutet, kleine Kinder bedürften der Taufe, in der
Galle der Bitterkeit und den Banden der Sünden sei,
die Barmherzigkeit Christi verleugne und die Versöhnung
durch ihn, und die Macht seiner Erlösung beiseite setze, ^)
18. Die Taufe zur Seligkeit notwendig. — Die meisten
Beweise inbezug auf den Zweck der Taufe bekunden mit
gleicher Kraft, daß die Taufe zur Seligkeit notwendig
ist. Denn insofern die Vergebung der Sünden einen be-
sondern Zweck der Taufe bildet — da keine Seele mit
unvergebenen Sünden in dem Reich Gottes selig werden
kann — ist es klar, daß die Taufe zur Seligkeit notwendig
ist. Seligkeit ist dem Menschen unter der Bedingung der
Befolgung der Gebote Gottes verheißen; und wie die
heiligen Schriften endgültig beweisen, ist die Taufe eines
der wichtigsten Gebote. Da Gott die Taufe verlangt,
muß der Zweck, wofür sie eingesetzt ist, notwendig sein,
denn unser himmlischer Vater geht nicht mit unnötigen
Formen um. Die Taufe wird von allen, welche die Jahre
der Verantwortlichkeit erreicht haben, verlangt, niemand
ist ausgenommen.
^) Moroni 8; lies das ganze Kapitel.
Art. 4.] Die Taufe. 157
19. Selbst Christus, ein Mensch ohne Sünde mitten
in einer sündhaften Welt, wurde, „um alle Gerechtigkeit zu
erfüllen" getauft ;i) denn solches war der Zweck, wie der
Heiland auch selbst dem unschlüssigen Priester erklärte,
der, obgleich er sehr eifrig für seine große Mission war,
dennoch Einwendungen machte, als ihm geboten wurde,
einen, den er als sündlos ansah, zu taufen. Jahrhunderte
vor diesem großen Ereignis, als Nephi unter dem Volke
in der westlichen Welt prophezeite, weissagte er von der
Taufe des Heilandes und erklärte vortrefflich, wie die
Gerechtigkeit dadurch erfüllt werden würde: ,,Wenn nun
das Lamm Gottes, welches heilig ist, nötig hatte, im Wasser
getauft zu werden, um alle Gerechtigkeit zu erfüllen, o,
wie viel mehr haben wir, die wir unheilig sind, nötig, ge-
tauft zu werden, und zwar im Wasser. "2)
20. Die Worte des Heilandes, welche er sprach als er
im Fleische wirkte, erklären, daß die Taufe zur Seligkeit
notwendig ist. Ein Oberster der Juden, Nikodemus, kam
zu Christus in der Nacht und bekannte sein Vertrauen
zu den Belehrungen Christi, den er als einen „Lehrer von
Gott gekommen" bezeichnete. Da Christus seinen Glauben
sah, lehrte er ihn eins der Hauptgesetze des Himmels und
sprach: ,,Es sei denn, daß jemand von neuem geboren
werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen." Eine
Frage von Nikodemus rief die wiederholte Erklärung des
Heilandes hervor: ,, Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es
sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist,
so kann er nicht in das Reich Gottes kommen."^) Es ist
gleichsam unbestreitbar, daß die hier zum Eintritt in das
Reich als notwendig bezeichnete Wassergeburt die Taufe
ist. Über die Stellung Christi zur Taufe erfahren wir weiter,
n Matthäus 3:15.
=) 2. Nephi 31:5—8
') Johannes 3:1 — 5.
158 Die Glaubensartikel. [Vorl. VI.
daß er die Verordnung von denen, die vorgaben, seine
Jünger zu werden, forderte.^) Als er in seinem auferstan-
denen Zustand den Elf erschien und ihnen seinen Ab-
schiedssegen und letzten Auftrag gab, befahl er ihnen:
„Damm gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie
im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen
Geistes ;"2) und über das, was der Taufe folgen sollte
lehrte er sie: „Wer da glaubet und getauft wird, der
wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird ver-
dammt werden. "3)
21. So deutlich auch der Geist dieser Belehrungen und
Verheißungen ist, so gibt es dennoch viele, welche, ob-
wohl sie vorgeben, die Lehre des Erlösers zu lehren, dem
Sinn seiner Belehrungen ausweichen und erklären, da Chris-
tus nur sagte ,,Wer aber nicht glaubet, der wird verdammt
werden", anstatt „Wer nicht getauft wird, wird verdammt
werden", sei die Taufe nach alledem nicht eine Hauptsache,
sondern bloß eine Füglichkeit oder eine einfache Genauig-
keit in dem Erlösungsplan. Es ist eine Verspottung des
Glaubens, vorzugeben an Christus zu glauben und sich dann
zu weigern, an seinem Gebot festzuhalten. An das Wort
Gottes zu glauben und nicht darnach zu handeln, heißt
nur unsere Schuld vergrößern; ein solches Verhalten
fügt nur eine Heuchelei zur andern. Sicher wird die volle
Strafe, die auf vorsätzlichen Unglauben gesetzt worden
ist, auf den angeblich Gläubigen fallen, der sich weigert,
dieselben Prinzipien, an die zu glauben er sich rühmt, zu
befolgen. Und was kann von der Aufrichtigkeit desjenigen
gesagt werden, der es ablehnt, die göttlichen Gebote zu
befolgen, weil keine besondern Strafen für den Fall des
Ungehorsams vorgesehen seien? Kann die Reue eines
') Johannes 4:1-
') Matthäus 28:1
») Markus 16:16,
Art. 4.] Die Taufe. 159
solchen aufrichtig sein, wenn er nur aus Furcht vor der
Strafe jetzt gehorsam ist? Jedoch sind in der Erklärung
dieses Prinzips die Worte des Herrn als Richtschnur für
die Heiligen in der gegenwärtigen Dispensation ausführ-
licher und genauer: „Und wer da glaubet und getauft
wird, der soll selig werden, doch wer nicht glaubet und nicht
getauft wird, der soll verdammt werden."^)
22. Dieselbe Lehre von der Notwendigkeit der Taufe
wurde von den Jüngern Christi verkündet; besonders
von denen, die mit ihm im Dienste unmittelbar verbunden
waren. Johannes der Täufer bezeugte, daß er berufen
worden war, mit Wasser zu taufen, 2) und inbezug auf die,
welche die Lehren des Johannes angenommen haben, er-
klärte der Heiland, daß diese, obwohl sie Zöllner waren,
den Rat Gottes erfüllten, während die Pharisäer und
Schriftgelehrten, die sich weigerten, sich taufen zii lassen,
„verachteten Gottes Rat wider sich selbst",^) wodurch sie
unzweifelhaft ihr Recht zur Seligkeit verloren haben.
Wie schon erwähnt, hatte der vorstehende Apostel, Petrus,
für die begierige Volksmenge, welche die Bedingungen der
Seligkeit zu wissen wünschte, nur eine Antwort: „Tut
Buße und lasse sich ein jeglicher taufen."^)
23. Des Heilandes demütige Unterwerfung unter den
Willen seines Vaters, indem er sich taufen ließ — obwohl
er ohne Sünde war — erklärt der Welt kräftiger als alle
Worte es tun können, daß niemand von dieser Bedingung
ausgenommen sein kann, und daß die Taufe zur Seligkeit
unbedingt notwendig ist. Kein Beweis des göttlichen Wohl-
wollens, keine Bescherung himmhscher Gaben erläßt dem
Menschen die Befolgung dieser und auch andrer Anfor-
») Lehre u. Bündn. 112:29.
') Johannes 1 :33.
") Lukas 7:30.
•) Apostelgesch. 2:38; siehe auch 1. Petrus 3:21.
160 Die Glaubensartikel. [Vorl. VI.
derungen des Evangeliums. Einige Erläuterungen dieser
Tatsache sind in Verbindung mit der Erklärung des Zwecks
der Taufe angeführt worden. Obwohl es Saulus von
Tarsus erlaubt wurde, die Stimme seines Erlösers zu hören,
konnte er nur durch das Tor der Taufe durch Wasser und
den Heiligen Geist in die Kirche Christi eingehen.^) Nach-
her predigte er die Taufe und erklärte, daß wir durch diese
Verordnung „Christum anziehen", W'Odurch wir Kinder
Gottes werden. Der Hauptmann Kornelius erlangte durch
seine Almosen und Gebete Wohlgefallen vor Gott; es kam
ein Engel zu ihm und wies ihn an, Petrus kommen zu lassen,
der ihm sagen würde, was er tun sollte. Der von dem
Herrn auf diese Mission vorbereitete Apostel trat in das
Haus des bußfertigen Heiden — obwohl er dadurch die
jüdische Sitte verletzte — und lehrte ihn und seine Familie
von Christo Jesu. Als Petrus noch sprach, fiel der Heilige
Geist auf seine Zuhörer, also daß sie durch die Gabe der
Zungen Zeugnis gaben und Gott priesen. 2) Dennoch be-
freite sie das Geschenk solcher großen Gaben in keiner
Weise von der Unterwerfung unter das Gesetz der Taufe;
Petrus befahl ihnen vielmehr, sich in dem Namen des
Herrn taufen zu lassen.
24. Die Diener Christi auf der westlichen Halbkugel
waren nicht weniger energisch im Verbreiten der Lehre
von der Taufe. Lehi^) und sein Sohn Nephi*) zeugten von
der Taufe des Heilandes und auch von der unbedingten
Notwendigkeit der Taufe durch Wasser und den Heiligen
Geist für alle, die nach der Seligkeit trachten. In treff-
licher Weise vergleicht Nephi Buße und Taufe durch
Wasser und Geist mit dem Tor, das zur Herde Gottes
•) Apostelgesch. 9:18; 22:1—16.
») Apostelgesch. 10:30 — 48.
») 1. Nephi 10:7—10.
*) 2. Nephi 31:4—14.
Art. 4.] Die Taufe. 161
führt. 1) Alma predigte die Taufe als zur Seligkeit un-
erläßlich und forderte das Volk auf, durch die Befolgung
dieses Prinzips dem Herrn zu bezeugen, daß es ein Bündnis
mit ihm mache, seine Gebote zu halten. Der zweite Alma,
der Sohn des ersten, verkündete die Taufe als ein Mittel
zur Seligkeit, und weihte Männer, die taufen sollten.^)
25. Während des letzten Jahrhunderts vor der Ge-
burt Christi wurde durch das Predigen des Glaubens, der
Buße und der Taufe das Werk Gottes unter den Lamaniten
angefangen. Ammon erklärte diese Lehre dem König
Lamoni und seinem Volke.^) Helaman predigte von der
Taufe;*) und wir lesen, daß sich während seines Wirkens
— weniger als ein halbes Jahrhundert vor dem Kommen
Christi auf Erden — tausende durch die Taufe der Kirche
anschlössen. Genau so predigten die Söhne Helamans,^)
und sein Enkel Nephi.^) Diese Taufen wurden in dem Na-
men des Messias, der kommen sollte, vollzogen; als aber
dieser seine Herde im Westen besuchte, ordnete er an,
daß sie in dem Namen des Vaters und des Sohnes und des
Heiligen Geistes getauft werden sollten; und er verlieh
zwölf erwählten Dienern die Vollmacht, in dieser Verord-
nung zu amtieren') und verhieß allen, die sein Gesetz er-
füllen würden — und zwar nur solchen — die Schätze des
Himmels.
26. Beweise dafür, daß der Heiland den getauften
Zustand als eine notwendige Bedingung der Mitgliedschaft
in seiner Kirche betrachtete, sind reichlich vorhanden;
und als er das Abendmahl unter den Nephiten einsetzte.
') 2. Nephi 31:17.
») Mosiah 18:8—17; Alma 5:61, 62; 9:27.
») Alma 19:35.
«) Alma 62:45.
') Helaman 5:14—19.
•) 3. Nepbi 1:23.
') 3. Nephi 11:22—25; 12:1—2.
162 Die Glaubensartikel. [Vorl. VI.
wies er seine Jünger an, es nur denen zu spenden, die
richtig getauft worden waren. ^) Weiter wird uns erklärt,
daß alle, die getauft wurden, wie es Christus angeordnet
hatte, die Kirche Christi genannt wurden.^) Der Ver-
heißung des Heilandes getreu, kam der Heilige Geist auf
alle, die durch seine ordinierte Autorität getauft wurden;
auf diese Weise wurde die höhere Taufe mit Feuer und dem
Heiligen Geist der Wassertaufe hinzugefügt,^) und viele
von ihnen bekamen wunderbare Kundgebungen des gött-
lichen Wohlgefallens und sahen und hörten unaussprech-
liche Dinge, die nicht geschrieben werden dürfen. Der
Glaube des Volkes zeigte sich in guten Werken,*) in Ge-
beten und im Fasten.^) Der Heiland anerkannte dies, in-
dem er nochmals erschien und sich diesmal den von ihm
zu dem Werke berufenen Jüngern offenbarte und ihnen die
frühern Verheißungen wiederholte inbezug auf alle, die
auf ihn getauft werden würden; diesem fügte er hinzu,
daß, wenn sie bis ans Ende ausharrten, sie am Tage des
Gerichts schuldlos gehalten werden sollten.^) Bei dieser
Gelegenheit wiederholte er den Befehl, durch dessen Be-
folgung Seligkeit verheißen wird: ,, Bekehret euch alle
ihr Enden der Erde; kommet zu mir und werdet getauft
in meinem Namen, damit ihr durch das Empfangen des
Heiligen Geistes geheiligt und am jüngsten Tage flecken-
los vor mir stehen möget."')
27. Beinahe 400 Jahre später hören wir dieselbe Ver-
kündigung von den Lippen Mormons.^) Und als sein Sohn
Moroni, der letzte Vertreter eines einst so mächtigen
') 3. Nephi 18:5, 11, 28—30.
') 3. Nephi 26:21.
«) 3. Nephi 26:17—18; 28:18; 4. Nephi 1:1.
♦) 3. Nephi 26:19—20.
') 3. Nephi 27:1—2.
n 3. Nephi 27:16.
') 3. Nephi 27:20.
») Mormon 7:8 — 10.
Art. 4.j Die Taufe. 163
Volkes, trauerte, weil seine Verwandtschaft vertilgt war,
gab er, was er zu jener Zeit sein letztes Zeugnis der Wahrheit
dieser Lehre wähnte;^) und als er dann wider Erwarten
am Leben blieb, wendete er sich wieder an das heilige
Thema, denn er schätzte den unberechenbaren Wert
der Lehre für alle und jeden, der seine Zeilen lesen
würde. In Worten, die als seine letzten angesehen werden
können, zeugte er von der Taufe durch Wasser und Geist,
als dem Weg zur Seligkeit. 2)
28. Und dieses große in alten Zeiten verkündigte
Prinzip bleibt auch heute unverändert; es ist Wahrheit und
ändert sich nicht. Die Ältesten der heutigen Kirche sind
beauftragt worden — in beinahe denselben Worten wie
die Apostel in alten Zeiten: „Gehet in alle Welt, predigt
das Evangelium aller Kreatur, und handelt nach der
Vollmacht, die ich euch gegeben habe, taufet in dem Na-
men des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes;
und wer da glaubet und getauft wird, der soll selig werden
und wer nicht glaubet, der soll verdammt werden. "3)
Und ferner hören wir das Wort des Herrn durch Joseph
den Propheten an die Ältesten der Kirche: ,, Darum, wie
ich zu meinen Aposteln sagte, wiederhole ich euch, daß
jede Seele, die an eure Worte glaubt und im Wasser zur
Vergebung der Sünden getauft wird, den Heiligen Geist
I empfangen soll," Doch ,, wahrlich, wahrlich, ich sage
euch, daß die, welche nicht an eure Worte glauben und nicht
getauft werden, im Wasser in meinem Namen zur Verge-
bung ihrer Sünden, damit sie den Heiligen Geist empfangen
möchten, verdammt werden und nicht in meines Vaters
Reich, wo der Vater und ich sind, kommen sollen."^) Mit
») Mormon 9:22—23,
») Moroni 6:1 — 4.
') Lehre u. Bündn, 68:8 — 9.
«) L. u. B. 84:64, 74; siehe auch 112:28—29.
164 Die Glaubensartikel. [Vorl. VI.
der Befolgung dieser Befehle haben dieÄltesten dieser Kirche
fortgefahren, das Evangelium unter den Nationen zu ver-
kündigen; und sie predigen, daß Glaube, Buße und Taufe
durch Wasser und durch den Heiligen Geist zur Seligkeit
notwendig sind.
29. Wir haben nun die unter den Juden, den Nephiten
und der Kirche Jesu Christi in diesem Zeitalter allgemeinen
Lehren betreffs der Taufe schon untersucht und gefunden,
daß die gelehrten Prinzipien immer dieselben sind. In
Wirklichkeit sind wir weiter zurück gegangen, selbst
zu der frühsten Geschichte des Menschengeschlechts und
haben gefunden, daß die Taufe als ein erlösendes Prinzip,
durch welches Vergebung und Seligkeit für Adam verheißen
wurden, verkündet ward. Niemand hat Ursache auf Selig-
keit zu hoffen, es sei denn durch Unterwerfung unter das
Gesetz Gottes, von welchem die Taufe ein notwendiger
Teil ist.
Anmerkungen.
1. Vorbereitung auf die Taufe. — Die Lehre, daß der Taufe eine wirlc-
same Vorbereitung vorangehen müsse, wenn sie gültig sein soll,
wurde in den Tagen Christi, und in der sogenannten apostolischen
und in der unmittelbar darauf folgenden Zeit allgemein gelehrt und ver-
standen. Aber nach und nach schwand dieser Glaube dahin, und die Taufe
wurde als eine äußere Form angesehen, deren Anwendung, wenn überhaupt,
nur wenig von der Wertschätzung und dem Begreifen ihres Zweckes seitens
des Täuflings abhänge. Wie im Text der Vorlesung erklärt wird, hat es
der Herr für weise gehalten, die Lehre in der gegenwärtigen Dispensation
von neuem zu erklären. Was den frühern Glauben betrifft, werden hier ein
paar Beweise angeführt:
„In den frühem Zeiten des Christentums wurden Männer und Frauen
auf das Bekennen des Glaubens an den Herrn Jesum Cliristum getauft." —
Canon Farrar.
„Aber da Christus ihnen gebietet, (Mark. 16:15 — 16) zu lehren, ehe
sie taufen, und da er wünscht, daß die Taufe nur den Gläubigen gestattet
werde, scheint es, als ob die Taufe nicht richtig vollzogen werde, es sei
denn, daß ihr der Glaube vorangehe." * * * In der apostolischen Zeit
„wird keiner gefunden, der getauft worden wäre, ohne ein vorhergehendes
Bekennen des Glaubens und der Buße." — Calvin.
Art. 4.] Anmerkungen. 165
„Ihr werdet nicht zuerst getauft, um erst dann zu beginnen, den Glauben
zu empfangen, und ein Verlangen zu haben; sondern wenn ihr getauft
werden wollt, macht ihr zuvor euren Willen dem Lehrer bekannt, und mit
eurem eigenen Munde macht ihr ein volles Bekenntnis eures Glaubens." —
Arnobius, ein Religionslehrer, der in der letzten Hälfte des 3. Jahrhunderts
schrieb.
„In der ursprünglichen Kirche ging die Belehrung der Taufe voran,
und dies geschah in Übereinstimmung mit der Anordnung Jesu Christi:
Gehet hin und lehret alle Völker, und taufet sie usw." — Saurin (ein fran-
zösischer Protestant, 1677 — 1730).
„In den ersten zwei Jahrhunderten wurde niemand getauft, der
nicht im Glauben unterrichtet, mit der Lehre Christi bekannt gemacht
und erklärt hatte, sich zu den Gläubigen zu bekennen; und dies wegen
jener Worte: Wer da glaubet und getauft wird!" — Salmassius (ein
französischer Schriftsteller, 1588 — 1653).
2. Geschichtliche Anmerkungen über die Kindertaufe. — „Das Taufen
kleiner Kinder war in den ersten zwei Jahrhunderten n. Chr. gänzlich un-
bekannt***. Der Brauch der Kindertaufe fing nicht vor dem 3. Jahrhundert
nach Christi Gebiu-t an. In den vorhergehenden Jahrhunderten erscheint
keine Spur von ihr und sie wurde ohne den Befehl Christi eingeführt." —
Curcellaeus.
„Es ist sicher, daß Christus die Kindertaufe nicht einsetzte. * * *
Wir können auch nicht beweisen, daß die Apostel die Kindertaufe einführten.
Aus Stellen, in denen die Taufe einer ganzen Familie erwähnt wird (wie in
Apostelgesch. 16:33; 1. Korinther 1 : 16), können wir keine solchen Schlüsse
ziehen, denn es müßte erst festgestellt werden, daß es in diesen Familien
Kinder gegeben hätte, die noch nicht alt genug waren, das Christentum
in einer verständigen Weise anzunehmen; denn das ist der einzige Punkt,
um den es sich dreht. * * * Da die Taufe mit einem bewußten Eintritt
in die Gemeinschaft der Christen sehr eng verknüpft war, waren Glauben
imd Taufe immer eng mit einander verbunden; demnach ist es höchst
wahrscheinlich, daß die Taufe nur vollzogen wurde, wo beide vor-
handen sein konnten, und ferner, daß der Brauch der Kindertaufe zu dieser
(der apostolischen) Zeit unbekannt war. * ♦ ♦ Daß erst in einer so späten
Zeit wie Irenäus (wenigstens nicht früher), eine Spur der Kindertaufe
erscheint, daß sie erst während des 3. Jahrhunderts als eine apostolische
Überlieferung erkannt wurde, ist eher ein Beweis gegen als für die Anerken-
nung ihres apostolischen Ursprungs." Johann Neander (ein deutscher
Theologe, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in hohem Ansehen
stand).
„Daher lasset sie kommen, wenn sie erwachsen sind, wenn sie verste-
hen können, wenn sie gelernt haben, wo sie hinkommen sollen. Lasset sie
Christen werden, wenn sie Christum erkennen können." — Tertullian (einer
der lateinischen „Kirchenväter"; er lebte von 150 bis 220 n. Chr.). Der
entschlossene Widerstand Tertullians gegen den Brauch der Kindertaufe
wird von Neander angeführt als „ein Beweis, daß sie damals nicht allgemein
als eine apostolische Verordnung betrachtet wurde; denn in diesem Falle,
hätte er es kaum gewagt, so entschieden dagegen zu reden."
Im ersten Teil des 16. Jahrhunderts erklärte Martin Luther: „Aus
den Heiligen Schriften kann nicht bewiesen werden, daß die Kindertaufe
von Christus eingesetzt, noch von den ersten Christen nach den Aposteln
angefangen wurde."
166 Die Glaubensartikel. [Vorl. VI.
„Unter „tekna" verstellt der Apostel nicht kleine Kinder sondern
Nachkommenschaft; in welcher Bedeutung das Wort in vielen Stellen des
neuen Testaments vorkommt (siehe unter andern Joh. 8:39). Deshalb
scheint es, daß die Beweise für die Taufe kleiner Kinder, die gewöhnlich
von dieser Stelle abgeleitet werden, kraftlos und untauglich sind." — Lim-
borch (ein geborner Holländer und ein Theologe von gutem Ruf; er lebte
1633—1712).
3. Die Taufe notwendin- — „Daß die durch das Evangelium vorge-
schriebene Taufe zur Seligkeit notwendig ist, wird in den heiligen Schriften
ausgiebig bewiesen. Als Christus, die höchste den Menschen bekannte
Autorität, mit Nikodemus sprach, erklärte er: „Wahrlich, wahrlich, ich
sage dir: Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist,
so kann er nicht in das Reich Gottes kommen" (Joh. 3:5). Und für so
wichtig hielt der Heiland die Taufe, daß, als er zu Johannes kam um ge-
tauft zu werden, und Johannes ihm wehrte, er ihm erwiderte: „Laß es
jetzt also sein! also gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen." (Matthäus
3:13 — 15.) Damit lehrte er den Johannes, daß der Mensch ohne die Taufe
eine Fülle der Gerechtigkeit, oder die Seligkeit, nicht empfangen könne.
Ohne Zweifel verstand der Prophet Nephi, der beinahe 600 Jahre vor der
Gebvu-t unsres Heilandes lebte, die Notwendigkeit der Taufe. Er sagte:
„Wenn nun das Lamm Gottes, welches heilig ist, nötig hat, im Wasser ge-
tauft zu werden, um alle Gerechtigkeit zu erfüllen, o, wie viel mehr haben
wir, die wir unheilig sind, nötig getauft zu werden, und zwar im Wasser?"
(2. Nephi 31:5). Der Prophet Mormon, der ungefähr 1000 Jahre nach
Nephi lebte, lehrte ebenfalls, wie notwendig es ist, daß man dem Beispiel
unseres Heilandes folge und getauft werde; und zwar zuerst im Wasser
(Mormon 7:10)." — Compendium, S. 32. Siehe auch Lehre u. Bündn. 5:16;
68:8; 76:51; 112:29; 128:12; Buch Mormon, 2. Nephi 31:11—17; Alma
5:62; 9:27; 3. Nephi 18:5; 28:18; Mormon 9:29; Moroni 6:1^; 8:4— 22.
Art. 4.] Die Form der Taufe. 167
Vorlesung VII.
Die Taufe. — Fortsetzung.
Artikel 4. — Wir glauben, daß die ersten Prinzipien und Verord-
nungen des Evangeliums sind: • • * 3. Taufe durch Untertauchung
zur Vergebung der Sünden * * *.
Die Form der Taufe,
1. Die Art und Weise der Vollziehung der Taufe ist
wichtig. — Bei unsrer Betrachtung des Zwecks und der
Notwendigkeit der Taufe ist viel von der Wichtigkeit,
die der Herr dieser einleitenden Verordnung beilegt, ge-
sprochen worden. Es ist natürlich, daß auch die Form der
Vollziehung dieser Verordnung genau vorgeschrieben sein
sollte. Viele christliche Sekten haben irgendeine fest-
stehende Aufnahmeordnung, in der das Wasser als ein
notwendiger Bestandteil gebraucht wird. Bei einigen
besteht die kirchliche Handlung nur darin, daß der Priester
mit dem benetzten Finger die Stirn des Täuflings berührt,
oder darin, daß er sein Gesicht mit Wasser begießt oder
besprengt, während andere die Untertauchung des ganzen
Körpers als erforderlich betrachten. Die Heiligen der
letzten Tage behaupten, daß es keine solche Doppelsin-
nigkeit betreffs der zulässigen Form der Taufe in der
Schrift gibt; und sie erklären kühn ihren Glauben, daß
die Untertauchung des Körpers durch einen dazu gehörig
bevollmächtigten Diener oder Stellvertreter des Heilan-
des, die einzig wahre Form ist. Die Gründe für diesen
Glauben mögen zusammen gefaßt werden, wie folgt:
168 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.
1. Die Herleitung und der frühere Gebrauch des
Wortes Taufe (englisch, baptism) und anderer Wörter
gleicher Abstammung bedeuten Untertauchung.
2. Das Sinnbild der Verordnung wird in keiner anderen
Form gewahrt.
3. Die heilige Schrift, das durch den Mund alter
und neuzeitlicher Propheten geo|fenbarte Wort Gottes,
schreibt Untertauchung als die wahre Form der Taufe vor.
2. 1. Das Wort „Taufe" (englisch baptism) stammt
wie von den Sprachforschern allgemein anerkannt wird,
von dem griechischen bapto, baptizo ab, und bedeutet
buchstäblich ein- oder untertauchen. (Taufen, * * * eigent-
lich Bewirkungswort zu tief, wie blenden zu blind, eigent-
lich ,, untertauchen", im Gotischen die Übersetzung des
griechischen ßamiQeiv (baptizein) „taufen" zu ^ameiv
(baptein) „tauchen", und vielleicht von den Goten zu den
übrigen Germanen gekommen, wofür spricht, daß die
Angelsachsen fulwian „taufen", fulwiht „Taufe" sagen.
Weigand, Deutsches Wörterbuch. — Der Übersetzer.)
Wie es bei jeder lebenden Sprache der Fall ist, können
Wörter in der Bedeutung großeÄnderung erfahren ; und eini-
ge Schriftsteller behaupten, daß der in Frage gezogene Aus-
druck ebenso anwendbar auf Begießung oder Besprengung
mit Wasser als auf wirkliche Untertauchung sein könne.
Es ist daher interessant, die allgemeine Bedeutung des
Wortes in den Tagen Christi zu erforschen; denn da es
der Heiland offenbar für unnötig hielt, bei seiner
Belehrung über die Taufe die Bedeutung des Wortes
in irgendeiner Weise näher zu bestimmen, oder sich
darüber weitläufig auszulassen, muß das Wort denen,
die seine Belehrungen empfingen, eine sehr genaue Bedeu-
tung ausgedrückt haben. Aus dem von den lateinischen
und griechischen Autoren^) gemachten Gebrauch des
') Siehe Anmerkung 1.
Art. 4.] Die Form der Taufe. 169
ursprünglichen Wortes ist es klar, daß sie eine wirkliche
Untertauchung im Wasser als die einzig richtige Bedeu-
tung verstanden. Die heutigen Griechen verstehen unter
einer Taufe ein Begräbnis im Wasser, und da sie sich zum
Christentum bekennen, üben sie heute noch Untertau-
chung als die einzig richtige Form der Taufe aus.^) Bei
dieser Art der Beweisführung sollte nicht vergessen
werden, daß sprachkundiger Beweis nicht immer ent-
scheidend ist. Lasset uns dann zu der Erwägung anderer
und stärkerer Gründe übergehen.
3. 2. Das Sinnbild der Taufhandlung wird nur in der
Untertauchung verwirklicht. Der Heiland verglich die
Taufe mit einer Geburt und erklärte sie für notwendig
für das ins Reich Gottes führende Leben. 2) Sicherlich kann
niemand sagen, daß eine einfache Besprengung mit Wasser
über Gesicht oder Kopf eine Geburt darstelle. Daß Chris-
tus als Lehrer der Menschheit so hervorragte, ist nicht
zuletzt seiner klaren, bestimmten und kraftvollen Sprache
zuzuschreiben. Seine Vergleiche sind immer stark, seine
Bilder immer ausdrucksvoll, seine Gleichnisse überzeugend,
und ein so unpassender Vergleich, wie er in einer solchen
falschen Vorstellung von der Geburt enthalten ist, würde
der Darstellungsweise des großen Lehrers durchaus wider-
sprechen.
4. Die Taufe ist auch sehr ausdrucksvoll mit einer
Auferstehung, die auf ein Begräbnis folgt, verglichen wor-
den; und in diesem Sinnbild des körperlichen Todes und
der Auferstehung seines Sohnes hat Gott versprochen,
Vergebung der Sünden zu geben. Als Paulus an die
Römer schrieb, sagte er : „Wisset ihr nicht, daß alle, die
wir in Jesum Christum getauft sind, die sind in seinen Tod
'j Siehe Anmerkung 2,
') Joiiannes 3:3 — 5.
170 Die Glaubensartikel. [Vorl. "VII.
getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe
in den Tod, auf daß, gleichwie Christus ist auf erweckt von
den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, also sollen
auch wir in einem neuen Leben wandeln. So wir aber
samt ihm gepflanzt werden zu gleichem Tode, so werden
wir auch seiner Auferstehung gleich sein. "i) Und wiede-
rum schreibt derselbe Apostel: ,, Indem ihr mit ihm be-
graben seid durch die Taufe; in welchem ihr auch seid
auferstanden durch den Glauben, den Gott wirkt, welcher
ihn auf erweckt hat von den Toten. "2) Unter allen Formen
der Taufe, versinnbildlicht Untertauchung allein eine
Geburt und kennzeichnet den Anfang eines neuen Lebens-
laufs, oder stellt den Todesschlummer im Grabe mit dem
nachfolgenden Sieg über den Tod dar.
5. 3. Biblisehe Ermächtigungen rechtfertigen keine
andere Form als Untertauchung. Christus selbst wurde
durch Untertauchung getauft. Wir lesen, daß er nach
der heiligen Handlung alsbald herauf stieg aus dem Was-
ser."3) Daß die Taufe des Heilandes seinem Vater ange-
nehm war, wird durch die der Verordnung unmittelbar
folgenden Kundgebungen — in dem Herabkommen des
Heiligen Geistes und in der Erklärung: „Dies ist mein
lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe", — reich-
lich bewiesen. Johannes, dem seines göttlichen Auftrags
wegen der Zuname der Täufer gegeben wurde, taufte im
Jordan;^) und bald darauf hören wir von ihm, daß er
zu Enon, nahe bei Salim, taufte, ,,denn es war viel Wasser
daselbst";^) hätte er durch Besprengung getauft, so hätte
ein kleines Quantum Wasser für eine große Volksmenge
genügt.
') Römer 6:3—5.
>) Kolosser 2:12.
») Matthäus 3:16—17; Markus 1:10-11
*) Markus 1 : 4 — 5.
•) Johannes 3:23.
Art. 4.) Die Form der Taufe. 171
6. Wir lesen, daß auf die ziemlich schnelle Bekehrung
des mohrenländischen Kämmerers der Königin Kandaze
die Taufe folgte. Als sie zusammen in des Mohren Wagen
fuhren, predigte Philippus ihm die Lehre Christi. Da er
den Worten seines göttlich erleuchteten Lehrers glaubte,
wünschte er getauft zu werden, und da Philippus einwilligte,
hieß der Kämmerer „den Wagen halten, und stiegen
hinab in das Wasser beide, Philippus und der Kämmerer,
und er taufte ihn . Da sie aber heraufstiegen aus dem Wasser,
rückte der Geist des Herrn Philippus hinweg, und der
Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße
fröhlich."!) Sicher geht aus diesem Bericht deutlich
hervor, daß die von Philippus vollzogene Taufe eine
Taufe durch Untertauchung war.
7. Die Weltgeschichte beweist, daß länger als zwei-
hundert Jahre n, Chr. Untertauchung die einzige von
vorgeblichen Christen allgemein ausgeübte Form der
Taufe war; und daß sogar erst am Ende des 13. Jahr-
hunderts andere Formen allgemein üblich wurden.^) Ver-
drehungen der durch Autorität eingesetzten Verordnungen
dürfen erwartet werden, sobald das Vollziehen von Verord-
nungen versucht wird, nachdem die dazu gehörende Voll-
macht weggenommen worden ist. Solche Verdrehungen
werden jedoch immer größer. Verunstaltungen, die von
den im Körperbau begründeten Leiden herrühren, ent-
wickeln sich nicht in einem Tage. Mit Recht suchen wir
daher die vollständigste Nachahmung der richtigen Form
der Taufe — wie auch irgend einer andern von Christus
eingesetzten Verordnung — aus der Zeit, die seinem
und der Apostel Wirken unmittelbar folgte. Als die
Finsternis des Unglaubens stärker wurde, als die von
») Apostelgesch. 8:26—39.
') Siehe Anmerkung 3.
172 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.
Christus gegebene Vollmacht mit seinen zu Tode ge-
marterten Dienern von der Erde genommen worden
war, tauchten viele Neuerungen auf, und die Würden-
träger der verschiedenen Kirchen wurden sich und ihren
Anhängern selbst ein Gesetz. Noch im Anfang des 3. Jahr-
hunderts entschied der Bischof von Karthago, daß gesund-
heitlich schwache Personen annehmbar durch Bespren-
gung getauft werden können ; und mit der in dieser Weise
gutgeheißenen Gesetzwidrigkeit geriet die richtige Form
der Taufe in Ungnade, und unberechtigte von Menschen
erdichtete Gebräuche nahmen ihre Stelle ein.
8. Die Taufe bei den Nephlten wurde nur durch
Untertauchung vollzogen. Es ist schon erklärt worden,
wie die Taufe unter diesem Volke von der Zeit Lehis an
bis zu der Zeit Moronis weit und breit gepredigt und ausge-
übt wurde. Als der Heiland seinem Volke auf der west-
lichen Halbkugel erschien, gab er ihm sehr ausdrückliche
Belehrungen über das Verfahren beim Vollziehen dieser
Verordnung. Hier sind seine Worte: ,, Wahrlich, ich sage
euch: wer durch eure Worte seine Sünden bereut und in
meinem Namen getauft zu werden wünscht, den sollt ihr
auf diese Weise taufen : sehet, ihr sollt hinabgehen und im
Wasser stehen, und in meinem Namen sollt ihr ihn oder sie
taufen. Und sehet, dies sind die Worte, die ihr sagen sollt,
indem ihr sie bei Namen nennt : Beauftragt von Jesus Christus
taufe ich dich im Namen des Vaters und des Sohnes und
des Heiligen Geistes. Amen. Und dann sollt ihr sie im
Wasser untertauchen und wieder aus dem Wasser heraus-
steigen."^)
9. Die neuzeitliche Taufe, wie sie durch Offenbarung
vorgeschrieben worden ist, richtet sich nach demselben
Vorbild. Die ersten Taufen in der gegenwärtigen Dispen-
•) 3. Nephi 11:23—27.
Art. 4.] Die Form der Taufe. 173
sation waren die, wo Joseph Smith und Oliver Cowdery
einander tauften nach den Unterweisungen des himmli-
schen Boten — der kein anderer war als Johannes der
Täufer aus einer früheren Dispensation, der Vorläufer des
Messias, von dem diese die Vollmacht, in dieser heiligen
Verordnung zu amtieren, empfangen hatten. Joseph
Smith beschreibt das Ereignis wie folgt: „Wir gingen dem-
gemäß und wurden getauft. Ich taufte ihn (Oliver Cow-
dery) zuerst und nachher taufte er mich. * * * Sogleich
nach unserm Hervorkommen aus dem Wasser, nachdem
wir getauft waren, empfingen wir große und herrliche
Segnungen."
10. In einer im April 1830 gegebenen Offenbarung
über die Kirchenverfassung setzte der Herr die genaue
Form der Taufe fest, und zwar so wie er es wünscht, daß
die Verordnung in der gegenwärtigen Dispensation voll-
zogen werde. Er sprach: ,,Die Taufe muß in der folgenden
Weise an allen, die Buße tun, vollzogen werden : Der Mann,
der von Gott berufen ist und von Jesus Christus Vollmacht
hat zu taufen soll mit der Person, die zur Taufe erschienen
ist, in das Wasser hinabsteigen und sagen, indem er ihn
oder sie beim Namen nennt : Beauftragt von Jesus Christus
taufe ich dich im Namen des Vaters und des Sohnes
und des Heiligen Geistes. Amen. Darauf soll er ihn oder
sie im Wasser untertauchen und wieder aus dem Wasser
herauskommen . "i)
11. Der Herr hätte die Worte zu dieser heiligen Hand-
lung nicht vorgeschrieben, wenn er ihren Gebrauch nicht
wünschte, und deshalb haben die Ältesten und Priester
der Kirche Jesu Christi der Heihgen der letzten Tage kein
Recht, die Form, die Gott gegeben hat, irgendwie umzu-
wandeln, sei es daß sie hinzufügen, auslassen oder abändern.
') Lehre u. Bündn. 20:72—74.
174 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.
Taufe und „Wiedertaufe".
12. Eine Wiederholung der Tauf Verordnung an ein und
demselben Menschen ist unter gewissen besondern Umstän-
den zulässig. So z. B., wenn einer, der durch die Taufe in die
Kirche aufgenommen worden ist, aus der Kirche austritt
oder ausgeschlossen wird und nachher bereut und seinen
Stand in der Kirche wieder zu erlangen wünscht, kann er
es nur durch die Taufe tun. Dennoch ist dies nur ein
Wiederholen der einführenden Verordnung, wie sie zuvor
vollzogen wurde. In der Kirche gibt es keine Verordnung
der „Wiedertaufe", die sich in Wesen, Form oder Zweck
von der anderen Taufe unterschiede; und deshalb ist bei
der Vollziehung der Taufe an einer Person, die früher
schon einmal getauft worden ist, die Form der Handlung
genau dieselbe wie bei der ersten Taufe. Die Ausdrücke,
„Ich taufe dich wieder", anstatt „ich taufe dich", und
das Hinzufügen von: ,,zur Erneuerung deiner Bündnisse",
oder „zur Vergebung deiner Sünden", — obwohl diese
schon von amtierenden Ältesten und Priestern der Kirche
gebraucht worden sind — sind nicht berechtigt. Die
eigene Vernunft vereinigt sich mit der Stimme der
Obrigkeit der Kirche, um irgendwelche unregelmäßige
Abweichung von der vom Herrn verordneten Weise zu
mißbilligen. Änderungen in den durch göttliche Vollmacht
gegebenen Zeremonien können nur durch göttliche Voll-
macht erfolgen, und als Richtschnur in diesen Dingen
müssen wir uns an diejenigen halten, welche die Schlüssel
der Macht in der Kirche besitzen.
13. Eine ,, Wiedertaufe", das ist eine Wiederholung
der einfachen Verordnung, wie sie zuerst vollzogen wurde,
kann unter besonderen Umständen, die diesen außerge-
wöhnlichen Schritt berechtigt erscheinen lassen, gestattet
sein. So war es z. B. in den ersten Tagen in Utah. Die
Mitglieder waren durch viele Trübsale, durch lange und
I
Art. 4.] Taufe und „Wiedertaufe". 175
mühsame Reisen, die in vielen Fällen ein längeres Hinaus-
schieben der Kirchenversammlungen und andrer religiösen
Bräuche zur Folge hatten, dorthin gekommen. Da wurde
von Präsident Young weislich vorgeschlagen, daß die
Mitglieder der Kirche das Zeugnis ihrer Treue zu der Sache
Gottes erneuern, indem jedes die Taufe nachsuche. Als
dann andre Gesellschaften von Einwandrern ankamen —
die dieselben langen Reisen und harten Erfahrungen mit
all ihren Begleiterscheinungen hinter sich hatten, und da
außerdem viele Personen von ausländischen noch unvoll-
ständig ausgebauten Gemeinden der Kirche ankamen,
alles Umstände die zur Folge hatten, daß der wirkliche
Stand der Mitglieder nicht leicht bewiesen werden konnte
— wurde auch diesen dieselbe Verordnung einer zweiten
Taufe zugelassen. Dennoch war nie beabsichtigt, diesen
Gebrauch zu verallgemeinern, geschweige denn, ihn zur
bleibenden Regel in der Kirche zu machen. Die Heiligen
der letzten Tage sind keine Wiedertäufer.
14. Fälle von ,, Wiedertaufen", die in der Schrift er-
wähnt werden, sind sehr selten; und in jedem Falle wird
leicht erkannt, daß besondere Umstände vorlagen, welche
die Handlung rechtfertigen. So lesen wir, daß Paulus ge-
wisse angebliche Jünger zu Ephesus taufte, obwohl sie
schon nach der Weise der Taufe des Johannes getauft
worden waren. ^) Aber offenbar und mit Recht vermutete
der Apostel in diesem Fall, daß die Taufe, von der diese
sprachen, von unbefugten Händen vollzogen worden war
— oder wenigstens ohne die gehörig vorbereitende Beleh-
rung der Täuflinge; denn als er die Wirksamkeit ihrer
Taufe prüfte durch die Frage: ,,Habt ihr den heiligen
Geist empfangen, da ihr gläubig wurdet?", gaben sie ihm
zur Antwort: „Wir haben auch nie gehört, ob ein heiliger
») Apostelgesch. 19:1— 6.
176
Die Glaubensartikel.
[Vorl. VII.
Geist sei." Erstaunt fragte er dann, „Worauf seid ihr denn
getauft?", und sie erwiderten ihm: „Auf die Taufe des
Johannes." Aber Paulus wußte so gut wie wir, daß Jo-
hannes die Taufe der Buße durch Wasser predigte und
immer erklärte, daß dies nur eine Vorbereitung auf die
höhere Taufe durch Feuer sei, die Christus bringen werde.
Deshalb, wegen der zweifelhaften Gültigkeit ihrer Taufe,
hatte Paulus die Taufe in dem Namen des Herrn Jesu
an diesen zwölf frommen Ephesern vollziehen lassen, und
als er hernach seine Hände auf sie legte, empfingen sie den
heiligen Geist.
15. Die Taufe, die Christus unter den Nephiten ein-
führte,^) war vielfach eine ,, Wiedertaufe", denn wie wir
schon bemerkt haben, wurde von der Zeit Lehis an, die
Lehre der Taufe unter dem Volke gelehrt und ausgeübt;
und sicher war Nephi der erste, dem der Heiland Vollmacht
gab, nach seinem Weggang zu taufen, zuvor selbst
getauft worden, denn er und seine Mitarbeiter im Dienste
des Herrn waren im Erklären der Notwendigkeit der Taufe
höchst eifrig gewesen. 2) Doch auch in diesem Falle war
jedenfalls viel Ungehörigkeit in der Weise und vielleicht
in dem Geist der Vollziehung der Verordnung aufgekom-
men; denn als der Heiland genaue Belehrungen über die
Form der Taufe gab, tadelte er sie wegen des Geistes der
Zwietracht und Uneinigkeit, der betreffs dieser Verord-
nung zuvor unter ihnen geherrscht hatte.^) Daher wurde
die Taufe dieses Volkes durch eine bevollmächtigte Hand-
lung in der von Gott verordneten Weise gültig gemacht.
16. Beiläufig wird unsere Aufmerksamkeit auf die
Tatsache gelenkt, daß in diesen Fällen der Wiedertaufe
unter den Nephiten, dieselbe Verordnung wie bei der
') 3. Nephi 11:21—28.
') 3. Nephi 7:23—26, usw.
») 3. Nephi 11:27—30.
Art. 4.] Taufe und „Wiedertaufe", 177
ersten Taufe stattgefunden hatte; und dieses durch aus-
drückliche Belehrung des Herrn in Verbindung mit einer
ergreifenden Warnung vor Uneinigkeit. Warum sollten
die Priester in diesen Tagen, die Form dahingehend zu
ändern suchen, daß sie dem Fall eines früher getauften
Täuflings angepaßt ist?
17. Wiederholte Taufen an derselben Person werden
von der Kirche nicht genehmigt. Es ist leicht, in den
Irrtum zu geraten, die Taufe, gleichviel wie oft wieder-
holt, biete ein bequemes Mittel, Vergebung der Sünden
zu erlangen. Ein solcher Glaube arbeitet mehr auf Ent-
schuldigung der Sünden hin, als auf ihre Verhütung,
weil es so bequem scheint, ihre schädlichen Wirkungen ab-
zuwenden. Weder das geschriebene Gesetz Gottes noch
die Belehrungen seiner lebenden Priesterschaft bezeichnen
die Taufe als ein Mittel zur Vergebung der Sünden für die,
welche schon in der Herde Christi sind. Solchen ist die
Vergebung aller Sünde — wenn sie nicht zum Tode ist —
auf das Bekennen und Bereuen mit voller Überzeugung
des Herzens verheißen ; von solchen ist eine Wiederholung
der Taufverordnung nicht verlangt worden, und würden
solche wiederholt getauft werden, so würde ihnen in keiner
Weise eine Vergebung der Sünden zuteil, es sei denn,
sie täten in größter Aufrichtigkeit Buße. Die Schwach-
heiten der Sterblichkeit und unsre Neigung zu sündigen
führen uns stets zu Übertretungen, aber wenn wir an den
Wassern der Taufe ein Bündnis mit dem Herrn machen
und nachher suchen, sein Gesetz zu halten, ist er barm-
herzig und verzeiht uns unsere kleinen Übertretungen
auf Grund unsrer aufrichtigen und wahrhaftigen Reue;
und ohne eine solche Reue würde uns die Taufe — auch
wenn sie noch so oft wiederholt würde — nicht helfen.
178 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.
Die Taufe für die Toten.
18. Die Taufe von jedermann verlangt. — Die allge-
meine Anwendung des Gesetzes der Taufe ist schon betont
und die Unterwerfung unter diese Verordnung ist als zur
Seligkeit notwendig erklärt worden. Diese Bedingung
erstreckt sich auf alle Menschen. Nirgends in der Schrift
ist in dieser Beziehung ein Unterschied zwischen
den Lebendigen und den Toten gemacht worden. Die
Toten sind diejenigen, die als Sterbliche auf Erden gelebt
haben; die Lebendigen sind Sterbliche, die noch durch
die bestimmte Veränderung, die wir Tod nennen, ge-
hen müssen. Alle sind Kinder desselben Vaters; durch
die gleiche unfehlbare Gerechtigkeit und dieselbe Vermitt-
lung der liebreichen Barmherzigkeit werden alle gerichtet
und belohnt oder bestraft werden. Das Sühnopfer Christi
ist nicht allein für die wenigen dargebracht worden, die
auf Erden lebten, als Christus im Fleische war, noch allein
für diejenigen, die nach seinem Tode in dieser Sterblich-
keit geboren werden sollten, sondern für alle vergangenen,
gegenwärtigen und zukünftigen Bewohner der Erde.
Christus ist vom Vater zum Richter verordnet worden,
sowohl der Lebendigen als auch der Toten. i) Er ist in glei-
cher Weise der Herr der Lebendigen und der Toten^) —
wie die Menschen von Lebendigen und Toten sprechen —
denn vor ihm werden sie alle in denselben Stand gesetzt
werden; es wird nur eine einzige Klasse geben, ,,denn sie
leben ihm alle". 3)
19. Das Evangelium vielen noch unbekannt. — Von
der großen Zahl der Menschen, die auf Erden gelebt haben,
haben nur wenige das Gesetz des Evangeliums gehört und
noch weniger haben es befolgt. In der Geschichte der Welt
') \postelgesch. 10:42; 2. Timotheus 4:1; 1. Petrus 4:5.
') Römer 14:9.
n Lukas 20:36, 38.
Art. 4.] Die Taufe für die Toten. 179
hat es lange Perioden geistiger Finsternis gegeben, wo das
Evangelium auf Erden nicht gepredigt wurde und kein
bevollmächtigter Vertreter des Herrn in den erlösenden
Verordnungen des Evangeliums amtierte. Solch einen Zu-
stand hat es aber nie gegeben, es sei denn infolge des Un-
glaubens und der Widerspenstigkeit der Menschen. Wenn
die Menschen die Perlen der Wahrheit beständig in den
Schmutz getreten und versucht haben, die Träger der
Kleinodien zu erschlagen und zu zerreißen, sind ihnen diese
Schätze des Himmels, nicht weniger aus Gerechtigkeit
als aus Barmherzigkeit, genommen und vorenthalten
worden, bis eine empfänglichere Nachkommenschaft er-
weckt werden konnte. Es könnte wohl gefragt werden:
Welche Vorsorgen sind in der göttlichen Einrichtung für
die mögliche Seligkeit derer, welche in dieser Weise die
Anforderungen des Wortes versäumt haben, und derer,
welche die Botschaft des Evangeliums nie gehört haben,
gemacht worden?
20. Nach gewissen Lehrsätzen, die unter vielen soge-
nannten christlichen Glaubens-Gemeinschaften während
der geistigen Nacht herrschten, und die heute noch eifrig
verkündet werden, soll endlose Strafe oder unermeßliche
Wonne, ohne Wechsel in Art und Grad, das Los jeder Seele
sein; und das Urteil soll dem Zustande der Seele zur Zeit
des körperlichen Todes angemessen sein. Ein sündiges
Leben werde daher durch Reue auf dem Sterbebett
gänzlich gesühnt, und einem ehrlichen Lebenslauf, wenn
nicht durch die Zeremonien der bestehenden Kirchen und
Sekten gutgeheißen, werden ohne Hoffnung auf Er-
lösung, die Qualen der Hölle folgen. Ein solcher Glaube
muß der schrecklichen Ketzerei gleichgestellt werden,
welche die Verdammung unschuldiger Kinder verkündigt,
die nicht durch die angemaßte menschliche Autorität
besprengt worden sind.
180 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.
21. Es ist eine Gotteslästerung, in dieser Weise der
göttlichen Natur Laune und Rachgier anzudichten.
Nach der Gerechtigkeit Gottes wird keine Seele unter
irgend einem Gesetze, das ihr nicht bekannt geworden
ist, verdammt werden. Allerdings ist ewige Strafe als das
Los der Bösen bestimmt worden, aber die wahre Bedeutung
dieses furchtbaren Ausdrucks hat der Herr selbst erklärt r^)
,, Ewige Strafe ist Gottes Strafe; endlose Strafe ist Gottes
Strafe", denn „Endlos" und „Ewig" sind unter seinem
Namen, und die Wörter beschreiben seine Eigenschaften.
Nach der Zeit, die das Bewirken der notwendigen Läute-
rung und die Befriedigung der Gerechtigkeit erfordert —
zu welchen Endzwecken allein die Strafe auferlegt wird —
wird keine Seele im Gefängnis gehalten, noch in der Qual
gelassen werden. Und keiner Seele wird erlaubt werden,
in irgendein Reich der Herrlichkeit einzugehen, zu dem
sie nicht durch ihren Gehorsam berechtigt ist.
22. Das Evangelium soll den Toten gepredigt werden.
— Es ist also klar, daß das Evangelium in der Geisterwelt
verkündigt werden muß. Daß ein solches Werk vorgesehen
ist, wird durch die Schrift hinreichend bewiesen. Als
Petrus die Mission seines Erlösers beschrieb, erklärte
er diese Wahrheit wie folgt: „Denn dazu ist auch den Toten
das Evangelium verkündigt, auf daß sie gerichtet werden
nach dem Menschen am Fleisch, aber im Geist Gott leben. "2)
Die Eröffnung dieses Werks unter den Toten geschah
durch Christus in der Zeit zwischen seinem Tode und seiner
Auferstehung. Als sein Leib im Grabe lag, diente sein
Geist den Geistern der Verstorbenen: ,,In demselben
ist er auch hingegangen und hat gepredigt den Geistern
im Gefängnis, die vorzeiten nicht glaubten, da Gott
•) Siehe Seite 7.5, 76; Lehre u. Bündn. 19:10 — 12.
') 1. Petrus 4:6.
I
Art. 4.] Die Taufe für die Toten. 181
harrte und Geduld hatte zu den Zeiten Nöahs, da man
die Arche zurüstete, in welcher wenige, das ist acht Seelen,
gerettet wurden durchs Wasser."^)
23. Andre Schriften vertreten auch den Standpunkt,
daß Christus in seinem entkörperten Zustand nicht
nach dem Ort, gewöhnlich Himmel genannt, oder dem
Wohnplatz seines Vaters ging, sondern daß er unter
den Toten, die seines Dienstes sehr bedürftig waren, wirkte.
Einer der Verbrecher, der an seiner Seite gekreuzigt wurde,
erwarb durch seine Demut von dem sterbenden Erlöser
das Versprechen: ,, Heute wirst du mit mir im Paradiese
sein. "2) Und drei Tage später erklärte der von den Toten
erstandene Heiland der trauernden Magdalena: ,,Ich bin
noch nicht aufgefahren zu meinem Vater. "3)
24. Da es für richtig erachtet wurde, daß das Evan-
gelium den zur Zeit Noahs ungehorsamen Geistern gebracht
werde, ist es vernünftig anzunehmen, daß die gleichen
Gelegenheiten auch andern, die zu verschiedenen Zeiten
das Wort verworfen haben, erreichbar gemacht werden
sollten . Denn derselbe Geist der Gleichgültigkeit und des Un-
gehorsams, der zu der Zeit Noahs charakteristisch war, war
zu jeder Zeit vorhanden.^) Und wenn ferner in dem Plane
Gottes Vorsorge getroffen wird, für die Erlösung der hart-
näckig ungehorsamen Menschen, die in der Tat die Wahr-
heit zurückgestoßen haben, können wir dann glauben, daß
die noch größere Anzahl der Geister, die das Evangelium
nie gehört haben, ewiglich in der Qual gelassen werde?
Nein ! Gott hat bestimmt, daß sogar die heidnischen Völker
und die, welche kein Gesetz kannten, erlöst werden sollen.^)
1) 1. Petrus 3:18—20.
») Lukas 23:39—43.
») Johannes 20:17.
*) Lukas 17:26.
=•) Lehre u. Bündn. 45:54.
182 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.
Die guten Gaben des Vaters sind nicht auf diesen irdi-
schen Wirkungskreis beschränkt, sondern sie werden in
Gerechtigkeit durch alle Ewigkeit hindurch gespendet
werden. Über alle, die in diesem Leben das Wort Gottes
venverfen, werden die hierfür vorgesehenen Strafen kom-
men; aber nachdem die Schuld bezahlt ist, werden die
Gefängnistüren geöffnet werden, und die Geister, einst
mit Leid eingeschlossen, jetzt gedemütigt und geläutert,
werden hervorkommen, um an der für ihre Klasse berei-
teten Herrlichkeit teilzunehmen.
25. Christi Werk unter den Toten wurde vorausgesagt.
— Jahrhunderte vor dem Kommen Christi im Fleische
erfreuten sich die Propheten der Erkenntnis, daß die Selig-
keit durch Christus sowohl den Toten als auch den Leben-
digen gebracht werden würde. Von der Strafe sprechend,
die über die Stolzen und Hochmütigen der Erde kommt,
erklärte Jesaja: „Daß sie versammelt werden als Gefangene
in die Grube und verschlossen werden im Kerker und nach
langer Zeit wieder heimgesucht werden."^) Von dem
Werk des kommenden Erlösers zeugt derselbe Prophet
wie folgt: Er soll ,, öffnen die Augen der Blinden, und die
Gefangenen aus dem Gefängnis führen, und die da sitzen
in der Finsternis, aus dem Kerker. "2) Und als David, gött-
lich erleuchtet, die Erlösung vom Grabe besang, rief er
aus: ,, Darum freuet sich mein Herz, und meine Ehre ist
fröhlich; auch mein Fleisch wird sicher liegen. Denn du
wirst meine Seele nicht dem Tode lassen und nicht zugeben,
daß dein Heiliger verwese. Du tust mir kund den Weg
zum Leben; vor dir ist Freude die Fülle und liebliches
Wesen zu deiner Rechten ewiglich. "3)
') Jesaja 24:22.
») Jesaja 42:6 — 1.
') Psalm 16:9—11.
Art. 4.] Die Taufe für die Toten. 183
26. Das Werk der Lebendigen für die Toten. — Die
Erlösung der Toten wird in strenger Übereinstimmung
mit dem Gesetz Gottes, das in Gerechtigkeit geschrieben
und in Barmherzigkeit entworfen wurde, zustande gebracht
werden. In gleicher Weise ist es irgend einem Geiste,
gleichviel ob im Fleisch oder entkörpert, unmöglich, die
Verheißung des ewigen Lebens zu erwerben, wenn er
nicht die Gesetze und Verordnungen des Evangeliums
befolgt. Und da die Taufe zur Seligkeit der Lebendigen
notwendig ist, ist sie auch zur Erlösung der Toten
unentbehrlich. Dieses wußten die Heihgen in frühern
Zeiten, und deshalb wurde die Lehre von der Taufe
für die Toten unter ihnen gelehrt. In einem an die
Heiligen zu Korinth geschriebenen Brief erklärte Paulus
die Grundsätze der Auferstehung, durch welche die
Leiber der Toten aus den Gräbern hervorgehen sollen.
„Der Erstling Christus; darnach die Christo angehören",
und als Beweis, daß diese Lehre von der Auferstehung in
dem Evangelium, wie sie es angenommen und bekannt
hatten, mit inbegriffen war, fragte der Apostel: ,,Was ma-
chen sonst, die sich taufen lassen über den Toten, so über-
haupt die Toten nicht auferstehen? Was lassen sie sich
taufen über den Toten ?"^) (In der englischen Bibel heißt
es ,,für die Toten" anstatt ,,über den Toten." Auch in
der von Van Ess 1859 ausgegebenen Übersetzung lautet
diese Stelle: ,,Was machen sonst die, welche um der Toten
willen sich taufen lassen, wenn die Toten überhaupt nicht
auferstehen? warum lassen sie sich um derselben willen
taufen?" Und in der von Dr. Joseph Franz von AUioli
aus der Vulgata übersetzten Schrift, lautet sie wie folgt:
„Was täten sonst die, welche um der Toten willen sich
taufen lassen, wenn es gewiß ist, daß die Toten nicht auf-
') 1. Korinther 15:29.
184 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.
erstehen ? Warum lassen sie sich für dieselben taufen ?" —
Der Übersetzer.) Diese Worte sind unzweideutig, und daß
sie ohne Erklärung oder Bemerkung angeführt werden,
läßt darauf schließen, daß die, an die der Brief geschrieben
wurde, das Prinzip der Taufe für die Toten verstanden
haben.
27. Die Notwendigkeit des stellvertretenden Dienstes,
des Werks der Lebendigen für die Toten, liegt darin, daß
die Kinder für ihre Vorfahren das tun, was diese nicht
selber tun können. Viel und verschieden sind die durch
Menschenweisheit entstandenen Auslegungen dieser deut-
lichen Worte Pauli. Aber der einfache und ernste
Forscher nach Wahrheit versteht ohne weiteres ihren
Sinn. Mit den Schlußsätzen des Alten Testaments ver-
kündigte Maleachi das große Werk, das während der
letzten Tage für die Toten getan werden soll: „Siehe,
ich will euch senden den Propheten Elia, ehe denn da
komme der große und schreckliche Tag des Herrn. Der soll
das Herz der Väter bekehren zu den Kindern und das Herz
der Kinder zu ihren Vätern, daß ich nicht komme und das
Erdreich mit dem Bann schlage. "i) Bei vielen Bibel-
forschern ist der Glaube vorherrschend, daß diese Prophe-
zeiung auf die Geburt und das Wirken Johannes des Täu-
fers Bezug habe,2) auf dem, wie von dem Engel vorausge-
sagt, der Geist und die Kraft des Elias in Wirklichkeit
ruhte und blieb ;3) aber wir besitzen keinen Bericht, daß
Elia dem Johannes diente; und überdies berechtigen die
Ergebnisse des Wirkens Johannes nicht zu der Schluß-
folgerung, daß in ihm die Prophezeiungen völlig verwirk-
licht worden seien.
0 Maleachi 4:5 — 6.
-) Matthäus 11:14; 17:11; Markus 9:11; Lukas 1:1';
') Lukas 1:17; Lehre u. Bündn. 27:7.
Art. 4.] Die Taufe für die Toten. 185
28. Die Erfüllung der Prophezeiung Maleachis muß
deshalb in eine spätere Zeit fallen. Am 21. September
1823 wurde Joseph Smith^) von einem himmlischen,
aus der Gegenwart Gottes gesandten Wesen besucht,
welches sich als Moroni vorstellte. Indem er den auser-
wählten Jüngling belehrte, führte dieser himmlische Bote
die schon erwähnte Prophezeiung Maleachis an; aber
seine Worte wichen von der gewöhnlichen Übersetzung
der Schrift etwas ab, und waren sicher ausdrucksvoller
als diese; die Wiedergabe dieser Stelle durch den Engel
lautet: ,,Denn siehe, der Tag kommt, der brennen soll
wie ein Ofen, und alle Stolzen, ja und alle, die Böses
tun, sollen brennen wie Stoppeln, denn die, welche kom-
men, sollen sie verbrennen, sagt der Herr der Heerscha-
ren, daß ihnen weder Wurzel noch Zweig bleiben soll.
Siehe, ich will euch das Priestertum offenbaren, durch
die Hand des Propheten Elia, ehedenn da kommt der
große und schreckliche Tag des Herrn. Und er soll in die
Herzen der Kinder die den Vätern gemachten Verheißun-
gen pflanzen, und die Herzen der Kinder sollen sich zu
ihren Vätern kehren; wenn es nicht so wäre, würde die
ganze Erde völlig verwüstet werden bei seiner Wieder-
kunft."2)
29. In einer am 3. April 1836 im Tempel zu Kirtland
Joseph Smith und Oliver Cowdery gegebenen glorreichen
Offenbarung, erschien ihnen Elia, der Prophet, der ohne
den Tod zu schmecken gen Himmel genommen wurde.
Er erklärte ihnen: „Sehet, die Zeit ist völlig da, von der
durch den Mund Maleachis gesprochen wurde, der zeugt,
daß ehe der große und schreckliche Tag des Herrn kommt,
er (Elia) gesandt werden soll, um die Herzen der Väter
zu den Kindern zu bekehren und die Kinder zu den Vä-
M Siehe Seite 12.
') Vergleiche mit Maleachi 4:1, 5 und 6.
186 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.
tern, damit das ganze Erdreich nicht mit dem Bann ge-
schlagen werde. Deshalb sind die Schlüssel dieser Dispen-
sation in eure Hände übergeben worden, und durch dieses
könnt ihr wissen, daß der große und schreckliche Tag des
Herrn nahe, ja sogar vor der Türe ist."^)
30. Der Väter und der Kinder gegenseitige Abhängig-
keit. — Eines der großen, der Lehre der Erlösung für die
Toten unterliegenden Prinzipien ist das der gegenseitigen
Abhängigkeit der Väter und der Kinder. Wie der Prophet
Joseph die Heiligen lehrte,^) würde, wenn es nicht um
die Einfügung eines verbindenden Glieds zwischen den
verstorbenen Vätern und den lebendigen Kindern wäre,
die Erde mit einem Fluch geschlagen werden. Der Plan
Gottes bestimmt, daß weder die Kinder noch die Väter
allein vollkommen werden können; und die notwendige
Verbindung wird durch die Taufe und die damit verbunde-
nen Verordnungen für die Toten bewirkt. Die Weise,
in der die Herzen der Kinder und die der Väter einander
nahegebracht werden, ist durch die erwähnten Anführungen
klar gemacht worden. Wenn die Kinder einsehen, daß sie
ohne die Hilfe ihrer Vorfahren die Vollkommenheit nicht
erreichen können, werden sicher ihre Herzen für die Er-
lösung ihrer Toten geöffnet, ihr Glaube entflammt, und die
Ausübung guter Werke für dieselben versucht werden.
Und die Verstorbenen werden, wenn sie von den unter
ihnen wirkenden Dienern des Evangeliums erfahren, daß
sie sich auf ihre Kinder als stellvertretende Erlöser verlas-
sen müssen, suchen, ihre noch sterbhchen Stellvertreter
in diesem Dienste der Liebe mit Glauben und Gebet zu
unterstützen.
31. Und somit wird die Liebe, die an sich eine Kraft
ist, stärker. Außer den Gemütsbewegungen, die in der
•) Lehre u. Bündn. 110:13 — 16.
') L. u. B. 128:18; siehe den ganzen Abschnitt und den Abschnitt 127.
Art. 4.] Die Taufe für die Toten. 187
Seele durch die Gegenwart des Göttlichen erregt werden,
gibt es wenige Gefühle, die stärker und reiner sind, als die
Liebe zur Verwandtschaft. Der Himmel würde nicht alles,
was wir wünschen, für uns sein, wäre die Familienliebe
dort unbekannt. 1) Die Liebe wird sich dort von ihrer
irdischen Urgestalt dadurch unterscheiden, daß sie tiefer,
stärker und reiner sein wird. Und in dieser Weise können
durch die Barmherzigkeit Gottes seine irrenden, sterb-
lichen Kinder, die auf Erden den Namen Christi auf sich
genommen haben, bis zu einem gewissen Grade Erlöser im
Hause ihrer Väter werden, und dies durch ein stellvertre-
tendes, in Demut dargebrachtes Wirken und Opfer, das,
wie in der Taufverordnung dargestellt, den Tod, das Be-
gräbnis und die Auferstehung des Erlösers versinnbildhcht.
32. Das Werk für die Toten ist zwiefach. — Das auf
Erden vollbrachte stellvertretende Werk wäre ohne Er-
gänzung und Gegenstück jenseits des Schleiers unvoll-
kommen. Ein Missionswerk ist auch dort im Fortschritt
begriffen, wodurch die Botschaft des Evangeliums den
dahingegangenen Geistern verkündigt wird, welche auf
diese Weise von dem auf Erden für sie vollbrachten Werk
in Kenntnis gesetzt werden. Welch herrliche Möglichkeiten
der Absichten Gottes erblicken wir jetzt! Welch eine
Verherrlichung der Barmherzigkeit Gottes durch solche
Beweise seiner Liebe! Wie oft sehen wir, anscheinend
trotz der Macht des Glaubens und der Segnungen des
Priestertums Gottes, Freunde und Geliebte, die wir zu
den Besten und Wertesten der Erde rechneten, von dem
Todespfeil dahin gestreckt! Doch wer von uns vermag
zu sagen, ob nicht die so abgerufenen Geister für das
Werk der Erlösung im Jenseits notwendig sind, wo sie
0 Siehe Anmerkung 4.
188 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.
vielleicht das Evangelium ihren Vorfahren verkündigen,
während andre aus derselben Familie zum gleichen Behuf
auf Erden amtieren?
33. So weit der göttliche Wille geoffenbart worden
ist, fordert er, daß die äußerlichen Verordnungen, wie
die Taufe im Wasser, das Auflegen der Hände für die
Gabe des Heiligen Geistes, und die folgenden höheren
Segnungen auf Erden durch einen befugten Stellvertreter
für die Verstorbenen verrichtet werden müssen. Der Er-
folg solcher Werke soll Gott überlassen werden. Man
soll aber nicht vermuten, daß durch diese Verordnungen
die Verstorbenen in irgendeiner Weise gezwungen seien,
diese Verpflichtung auf sich zu nehmen ; sie werden nicht
im geringsten in der Ausübung ihres freien Willens gehin-
dert. Nach ihrem Zustande der Demut oder der Feindselig-
keit gegen göttliche Dinge werden sie diese annehmen
oder verwerfen; aber wenn heilsame Aufklärung und Ein-
sicht ihnen ihren wahren Stand zeigt, wird ihnen das auf
Erden für sie vollbrachte Werk vom Nutzen sein.
Die Tempel.
34. Tempel oder andre heilige Stätten sind zum
Vollziehen dieser heiligen Verordnungen notwendig.
Immer wenn eine Organisation der Priesterschaft auf Erden
gewesen ist, so hat der Herr die Errichtung von solchen
zweckdienlichen Stätten, wo die heiligen Handlungen
seiner Kirche vollzogen werden können, gefordert. Und
insofern als das Volk dem Herrn damit ein Opfer bringt,
gehört es sich, daß ein solcher Bau das Resultat der größten
Bemühungen des Volkes ist. In jedem Zeitalter der Welt
ist das auserwählte Volk ein tempelbauendes Volk gewesen.
Kurz nach der Befreiung der Kinder Israel aus der ägyp-
tischen Knechtschaft verlangte der Herr von seinem
Art. 4.] Die Tempel. 189
Volk ein Heiligtum für seinen Namen, und gab dafür den
genauen Plan. Obwohl nur ein Zelt, wurde es doch sorg-
fältig ausgeführt und eingerichtet, denn die kostbarste
Habe des Volkes wurde zu dessen Errichtung verwendet.^)
Und der Herr nahm dieses Opfer seines wandernden Volkes
an, indem er sich darin offenbarte und seine Herrlichkeit
kundtat.2) Nachdem sich das Volk in dem verheißenen
Lande niedergelassen hatte, wurde der Stiftshütte ein
beständiger Ruheplatz angewiesen ;3) sie wurde des heiligen
Zweckes wegen hoch in Ehren gehalten, bis sie durch den
Tempel Salomos als des Herrn Heiligtum ersetzt wurde.
35. Dieser Tempel, eines der prachtvollsten Gebäude,
welches die Menschen zum geheiligten Dienste je errichte-
ten, wurde unter großartigen Feierlichkeiten eingeweiht;
aber seine Pracht war von kurzer Dauer, denn innerhalb
weniger als vierzig Jahren nach seiner Vollendung, nahm
seine Herrlichkeit ab, und schließlich fiel er den Flammen
zum Opfer. Nachdem die Juden aus ihrer Gefangenschaft
zurückkehrten, wurde der Tempel teilweise wieder herge-
stellt, und dank des freundlichen Einflusses von Cyrus und
Darius konnte der Tempel Serubabels eingeweiht werden.*)
Daß dem Herrn dieses Bestreben seines Volkes, seinem Na-
men ein Heiligtum zu erhalten, angenehm war, wird durch
den Geist, der die Diener des Tempels, darunter Sacharja,
Haggai und Maleachi, beeinflußte, völlig bewiesen. Der
Tempel bestand beinahe 500 Jahre; und nur wenige
Jahre vor der Geburt des Erlösers wurde seine Wieder-
aufbauung von dem verruchten Herodes dem Großen an-
gefangen, und der Ausdruck, „der Tempel Herodes", wur-
de geschichtlich.^) Zur Zeit der Kreuzigung Christi zerriß
^) 2. Mose 25; 35:22
') 2. Mose 40:34—38.
») Josua 18:1.
♦) 1. Könige 6:8.
') Esra 1; 3; 6.
190 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.
der Schleier dieses Tempels ;i) und im Jahre 70 n. Chr.
wurde die Zerstörung des Gebäudes durch Titus voll-
bracht.
36. Neuzeitliche Tempel. — Von jener Zeit an bis auf
die heutige sind auf der östlichen Halbkugel keine Tempel
mehr errichtet worden. Allerdings sind stattliche Gebäude
für Gottesdienste gebaut worden, aber ein mächtiger Bau
ist nicht notwendigerweise auch ein Tempel. Ein Tempel
ist mehr als eine Kirche, ein Versammlungshaus, ein
Tabernakel, oder eine Synagoge; er ist eine dem Herrn
durch Einweihung besonders bereitete und von ihm aner-
kannte Stätte für die Vollziehung der dem heiligen Priester-
tum zustehenden Verordnungen. Getreu den Merkmalen
des erwählten Volkes Gottes,^) sind die Heiligen der letzten
Tage von Anfang an ein tempelbauendes Volk gewesen.
Schon einige Monate nach der Gründung der Kirche in
der gegenwärtigen Dispensation sprach der Herr von einem
Tempel, der gebaut werden sollte. 3) Im Juli 1831 bezeich-
nete der Herr einen Ort in Independence, im Staate
Missouri, als den Platz eines zukünftigen Tempels;^) aber
dieser ist noch nicht gebaut worden, was auch mit dem
Tempel zu Far West der Fall ist, dessen Ecksteine am
4. Juli 1838 gelegt und am 26. April 1839 erneuert
wurden.
37. In der gegenwärtigen Dispensation sind schon 6
Tempel errichtet und eingeweiht und in j edem von ihnen hei-
lige Verordnungen vollzogen worden . Es sind dies die Tempel
zu Kirtland, Ohio, Nauvoo, Illinois, St. George, Logan,
Manti und Salzseestadt, Utah.^) Als die Heiligen vor dem
>) Matthäus 27:50.
=) Lehre u. Bündn. 124:39.
^) L. u. B. 36:8.
') L. u. B. 57:3.
') Die beiden Tempel in Canada und in Hawai sind hier nicht erwähnt,
weil sie noch nicht fertig sind. — Der tJbersetzer.
Art. 4.] Anmerkungen. 191
wütenden, gottlosen Pöbel nach dem Westen getrieben
wurden, sind die Tempel zu Kirtland und Nauvoo verlassen
worden, und der Nauvoo-Tempel wurde seitdem zerstört.
Die Utah-Tempel sind dem Dienste des Herrn noch er-
halten. Die Größe und Erhabenheit des in ihren heiligen
Räumen vollbrachten Werkes zeugen von der huldvollen
Anerkennung des Herrn, dem sie errichtet wurden, und
von der Fortdauer des göttlichen Wohlwollens ihnen und
dem Volke gegenüber. In diesen heiligen Räumen ist das
Werk für die Erlösung der Toten und die Begabung der
Lebendigen in ununterbrochenem Fortschreiten begriffen.
Anmerkunoen.
1. Gebrauch des Wortes „taufen" ia alten Zeiten. — Die folgenden
Beispiele zeigen die gewöhnliche Bedeutung, die mit dem griechischen
Wort, von dem unser Wort „taufen" (englisch baptize) herstammt, ver-
bunden ist.') In allen ist der Begriff des Untertauchens deutlich ausge-
drückt. — (Für diese und andere Beispiele siehe „Millenial Star", Band XXI,
S. 687—688.)
Polybius, ein Geschichtschreiber, der während des 2. Jahrhunderts
V. Chr. berühmt war, gebraucht die folgenden Ausdrücke. In der Beschrei-
bung einer Seeschlacht zwischen den Karthagern und den Römern an den
Ufern Siziliens, schreibt er: „Waren einige durch den Feind hart bedrängt,
zogen sie sich vermöge ihres schnellen Fahrens nach dem offenen Meer
in Sicherheit zurück; sie kehrten sich dann um und überfielen die von
ihren Verfolgern, die den Vorsprung hatten, gaben ihnen wiederholt Schläge
und tauften viele ihrer Schiffe". Buch I, Kap. 51.
Derselbe Schriftsteller schildert den Übergang der römischen Sol-
daten über den Fluß Trcbia wie folgt: „Als sie an dem Übergang des
Flusses Trebia, der wegen des gefallenen Regens sein gewöhnliches Bett
überstiegen hatte, ankamen, ging die Infanterie mit Schwierigkeiten hin-
durch, und wurde bis zur Brust getauft". Buch III, Kap. 72.
In der Besclireibung einer den römischen Schiffen zu Syracus wider-
fahrenen Katastrophe, erklärt Polybius: „Einige wurden umgestürzt,
aber die größere Zahl wurde, als ihr Bug von einer Höhe niedergeworfen
wurde, getauft und voll Meeres."
Strabo, der zur Zeit Christi lebte, gebrauchte das Wort „getauft"
im gleichen Sinne. In folgender Weise beschreibt er ein beim Angeln ge-
brauchtes Werkzeug: „Und sollte es ins Meer fallen, ist es nicht verloren.
') Das deutsche Wort „taufen" stammt natürlich nicht aus dem
Griechischen sondern ist eine Übersetzung des griechischen Wortes baptizo.
Siehe Vorlesung VII, Seite 168. — Der Übersetzer.
192 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.
denn es ist aus Eichen- und Kiefernholz zusammengesetzt; so daß, wenn
auch das Eichenholz durch sein Gewicht getauft wird, der andere Teil
schwimmt und leicht wieder erreichbar ist".
Über das Tragvermögen gewisser salzhaltiger Gewässer berichtet
Strabo: „Diese haben den Geschmacli von Salzwasser, aber auch eine andre
natürliche Beschaffenheit, denn sogar Leute, die nicht schwimmen
können, werden wohl in ihnen nicht getauft werden, sondern auf der
Oberfläche schwimmen wie Holz."
Von einem Salzbrunnen in Tatta, schreibt der nämliche Schriftsteller:
„So leicht bildet das Wasser eine Schicht auf allem, was darin getauft wird,
daß, wenn man einen Reifen von Binsen hineinläßt, man einen Kranz von
Salz herausziehen kann."
Über eine Art Pech von dem See Sirbonis erklärend, schreibt Strabo :
„Der Natur des Wassers wegen, — welches, wie wir erwähnten, derart ist,
daß Schwimmen unnötig ist, und wer darauf geht nicht getauft wird, —
schwimmt dieses auf der Oberfläche."
Als Dio Cassius über die Folgen eines heftigen Sturmes in der Nähe
von Rom berichtet, schreibt er: „Die Schiffe, die auf der Tiber waren
und die in der Nähe der Stadt imd bis zur Mündung des Flusses vor Anker
lagen, wurden getauft".
Derselbe Schriftsteller spricht von dem Schicksal einiger der Soldaten
Curios, die vor den Truppen Jubas flohen, wie folgt: „Nicht wenige von
diesen Flüchtlingen kamen um; einige wurden bei dem Versuch, die Falir-
zeuge zu besteigen, niedergeschlagen, und andere, sogar wenn sie in den
Booten waren, wurden durch ihr eigenes Gewicht getauft".
Inbezug auf das Schicksal der Byzantiner, welche der Belagerung zu
entfliehen versuchten, indem sie in See gingen, schreibt er: „Wegen der
ungewöhnlichen Gewalt des Windes, ^vu^den einige von diesen getauft".
2. Die Taufe bei den Griechen. — „Die eingebornen Griechen müssen
ihre Muttersprache besser verstehen, als die Fremden, und sie haben das
Wort taufen immer so verstanden als bedeute es untertauchen; und von
ihrer ersten Annahme des Christentums an bis auf diesen Tag, haben sie
deshalb immer durch Untertauchung getauft und taufen noch so". —
Robinson.
3. Die früheste Form der christlichen Taufe. — Die Geschichte bietet
genügend Beweise dafür, daß im ersten Jahrhundert nach dem Tode Christi,
die Taufe nur durch Untertauchung vollzogen wurde. Tertullian spricht
wie folgt von der zu seiner Zeit üblichen Taufhandlung: „Es macht nichts
aus ob man in einem Meer oder in einem Teich, in einem Fluß oder in einem
Becken, in einem See oder in einem Kanal gewaschen wird; auch gibt es
keinen Unterschied zwischen denen, die Johannes im Jordan untertauchte
und denen, die Petrus in der Tiber tauchte". * * • Wir werden eben im
Wasser untergetaucht."
Die folgenden sind nur wenige der beurkundeten Fälle (siehe „Milienial
Star", Band XXI, S. 769—770):
Justin der Märtyrer schildert die Handlung wie sie von ihm vollzogen
wurde. Zunächst beschreibt er die vorbereitende Prüfung des Täuflings
und dann fährt er fort: „Nach diesem werden sie von uns dahin geführt,
wo es Wasser gibt, und werden in der neuen Geburt geboren, mit der wir
selbst wiedergeboren worden sind. Denn auf den Namen Gottes, des Vaters
und Herrn über alles, und Jesu Christi, unsres Erlösers, und des HeiUgen
Art. 4.] Anmerkungen. 193
Geistes wird die Uiitertauchung im Wasser vollzogen, denn der Heiland
hat gesagt: es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann
er nicht in das Reich Gottes kommen".
Von den Bräuchen der früheren Christen sagt Bischof Bennet: ,,Sie
führten sie ins Wasser und legten sie im Wasser nieder, wie ein Mensch
in das Grab gelegt wird; und dann sagten sie jene Worte: Ich taufe (oder
wasche) dich in dem Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes;
dann brachten sie sie hervor und es wurden ihnen reine Gewänder angezogen.
Daher sind die Ausdrücke entstanden : in den Tod Christi getauft sein —
durch die Taufe mit ihm in den Tod begraben sein — mit Christo erstanden
sein — und den Herrn Jesum Christum anziehen — den alten Menschen
ablegen und den neuen anziehen.
„Daß die Apostel diejenigen, die sie tauften, untertauchten, läßt
sich nicht bezweifeln * * *. Und daß die alte Kirche ihrem Beispiel folgte,
wird durch unzählige Zeugnisse der Kirchenväter sehr klar bewiesen." —
Vo<>sius.
„Den Menschen, der getauft werden sollte, sozusagen im Wasser be-
graben und ihn wieder herausbringen, war ohne Zweifel das allgemeine Ver-
fahren in alten Zeiten". — Erzbischof Seeker.
,, Untertauchung war die übliche Form in der die Taufe in der frühern
Kirche vollzogen wurde * * *. Untertauchung war ohne Zweifel eine
allgemein befolgte Art und Weise, in der die Taufe vollzogen wurde, sie
■wurde auch nicht aufgegeben, als die Kindertaufe vorherrschte* * *. Nach
und nach nahm die Besprengung ihre Stelle ein, ohne daß die Untertau-
chung förmlich aufgegeben wurde". — Canon Farrar.
4. Die Väter und die Kinder. — ,,Man darf sagen, daß die in unsern
Tagen gegebene Offenbarung der Lehre von der Taufe für die Toten einen
Wendepunkt in der Geschichte des Menschengeschlechts bedeutet. Als
der Prophet Joseph Smith diese Offenbarung erhielt, war der Glaube unter
der Christenheit allgemein, daß bei dem Tode das Los der Seele unabänderlich
und für alle Ewigkeit bestimmt sei. Würde sie dann nicht mit unendlicher
Glückseligkeit belohnt, wäre unendliche Qual ihr Teil, ohne Möglichkeit
der Erlösung oder der Änderung. Es wurde allgemein geglaubt — welch
eine furchtbare, ja scheußliche Lehre, die zur göttlichen Gerechtigkeit in
krassem Widerspruch steht! — daß die heidnischen Völker, die ohne eine
Erkenntnis von dem wahren Gott und der diu-ch seinen Sohn Jesum Chri-
stum vollbrachten Erlösung sterben, auf ewig der Hölle übergeben werden
würden. Der Glaube über diesen Punkt wird erläutert durch die Antwort
eines gewissen Bischofs auf die Frage des Königs der Franken, der im Be-
griffe war, sich der Taufe durch die Hand des Bischofs zu unterziehen.
Der König war ein Heide, hatte sich aber entschlossen, die Form der Religion,
die damals als Christentum bezeichnet wurde, anzunehmen. Der Gedanke
liel ihm ein, wenn nun die Taufe zu seiner Seligkeit notwendig ist, was
aber dann aus seinen teuern Vorfahren, die als Heiden gestorben waren,
geworden sei. Dieser Gedanke verdichtete sich zu einer Frage, die er an den
Bischof stellte. Dieser Würdenträger, weniger schlau als viele seines Glau-
bens, sagte ihm offen, sie seien in die Hölle gekommen. Dann, bei Thor
<Donnergott) will ich mit ihnen dahin fahren ! sagte der König, und weigerte
sich daraufhin, die Taufe anzunehmen oder ein Christ zu werden." — George
Q. Cannon, „Life of Joseph Smith", Seite 510.
13
194
Die Glaubensartikel.
[Vorl. VII.
5. Tempel und heilioe Stätten. — „Als der Herr — entschlossen für sich
selbst eine Nation aus diesem Volke zu machen — Israel aus Ägyptenland
führte, forderte er das Volk auf, so bald es in sicherer Entfernung von
den imiherwohnenden Völkern war, eine Stiftshütte zu bauen, die manch-
mal ein Tempel genannt wird, in der er gewisse Verordnungen und Vor-
schriften für die Führung und Verehrung des Volkes einsetzen konnte.
Am Anfang der Wanderung des Volkes in der Wüste wurde diese Stiftshütte
tragbar gebaut, und zwar aus dem kostbarsten und besten dem Volke erlang-
baren Material; und einer der Stämme wurde eingesetzt, die Verwaltung
über sie und ihr Zubehör zu übernehmen. Dies ist immer die Absicht des
Herrn gewesen. Diese Stiftshütte diente dem Volke auf seiner Reise und
in dem verheißenen Lande, bis genügender Reichtum den Salomo instand-
setzte, auf dem Berge Morijah — seitdem der Berg Zion genannt — einen
prachtvollen Tempel zu bauen, wohin das ganze Israel alljährlich kam,
um zu verehren oder der Konferenz beizuwohnen. Der Herr hat uns ge-
sagt (Lehre u. Bündn. 124:39), daß seinem Volke immer geboten werde,
seinem heiligen Namen Tempel oder heilige Gebäude zu bauen. Dies
erklärt uns auch, warimi so viele Tempel auf dem Amerikanischen Kon-
tinent errichtet wurden (wie wir im Buch Mormon lesen). Es erklärt auch
warum der Prophet Joseph so früh das Anfangen eines Tempels in jedem
wichtigen Wohnort der Heiligen lehrte." — Compendium, F. D. Richards und
J. A. Little, S. 301—302. Schlage nach 2. Mose 25—28; 1. Könige 6—8;
Esra 6; 2. Nephi 5:16; imd vergleiche damit Jakob 1:17; 2:2 — 11; Mosiah
1:18; 2:6 — 7; Alma 16:13; 23:2; 26:29; Helaman 3:9; 10:8; Lehre u.
Bündn. 1:7— 9; 84: 3— 5, 31; 97: 10; 124:29—51, 55. Siehe auch „Temples"
J. M. Sjödahl, Salt Lake City, 1892. — Siehe „The House of the Lord,
a Study of Holy Sanctuaries, Ancient and Modern", von James E. Tal-
mage, 1912.
Art. 4.] Der Heilige Geist. 195
Vorlesung VIII.
Der Heilige Geist.
Artikel 4. — Wir glauben, daß die ersten Prinzipien und Verordnungen
des Evangeliums sind: * * * 4. das Auflegen der Hände für die Gabe des
Heiligen Geistes.
1. Der Heilige Geist verheißen. — Als Johannes der
Täufer in der Wüste Buße und die Taufe im Wasser verkün-
digte, verhieß er eine zweite höhere Taufe, die er als aus
Feuer und dem Heiligen Geist bestehend bezeichnete. Sie
sollte seiner Handlung folgen^) und von dem Mächtigern,
dessen Schuhe zu tragen sich Johannes für unwürdig hielt,
gespendet werden. Daß der Inhaber dieser höhern Voll-
macht kein andrer als Christus war, wird durch den feier-
lichen Bericht des Johannes bewiesen: „Siehe, das ist
Gottes Lamm * * *. Dieser ist's, von dem ich gesagt habe:
Nach mir kommt ein Mann, welcher vor mir gewesen ist
***. Und ich kannte ihn nicht; aber der mich sandte, zu
taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf welchen du
sehen wirst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben,
der ist's, der mit dem Heiligen Geist tauft. "2)
2. Als der Heiland dem Nikodemus^) die Notwendigkeit
der Taufe erklärte, blieb er nicht bei der Notwendigkeit
einer Wiedergeburt aus Wasser stehen, denn ohne den
belebenden Einfluß des Geistes ist diese unvollkommen;
aus Wasser und aus Geist geboren zu sein ist der not-
') Matthäus 3:2—3, 11; Markus 1:8; Lukas 3:16.
») Johannes 1:29 — 33.
-) Johannes 3:3 — 5. i
196 Die Glaubensartikel. [Vorl. VIII.
wendige Zustand dessen, der in das Reich kommen will.
Viele Stellen, die angeführt wurden, um Zweck und Not-
wendigkeit der Taufe zu beweisen, zeigen, daß die Taufe
durch Feuer und durch den Heiligen Geist mit der vor-
geschriebenen Verordnung der Untertauchung im Wasser
eng verbunden ist.
3. Die Unterweisungen Christi an seine Apostel ent-
halten "vsäederholte Verheißungen des Kommens des
„Trösters" und des ,, Geistes der Wahrheit" ;i) mit
diesen ausdrucksvollen Worten wird der Heilige Geist be-
zeichnet. Bei seiner letzten Zusammenkunft mit den Apo-
steln, kurz bevor er gen Himmel fuhr, wiederholte der
Herr diese Zusicherungen einer geistigen Taufe, die
bald darauf stattfinden sollte. 2) Die Erfüllung dieses
großen Versprechens wurde an der darauffolgenden
Pfingsten verwirklicht, als seine Apostel, als sie sich ver-
sammelt hatten, mit großer Macht von dem Himmel
ausgerüstet^) und mit dem Heiligen Geist erfüllt wurden,
so daß — wie der Geist ihnen Äußerung verlieh — sie in
fremden Zungen sprachen. Unter andern Kundgebungen
dieser himmlischen Gabe darf die Erscheinung von
Feuerflammen, welche gleich Zungen auf jedem ruhte,
erwähnt werden. Die in solch wunderbarer Weise an
ihnen erfüllte Verheißung wurde von den Aposteln denen
gegenüber wiederholt, die ihre Belehrung begehrten.
Als Petrus am selben Tage zu den Juden redete, erklärte er:
Unter der Bedingung der Gott angenehmen Buße und
Taufe „werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen
Geistes".^)
>) Johannes 14:16 — 17, 26; 15:26; 16:
") Apostelgesch. 1:5.
") Apostelgesch. 2:1 — 4.
*) Apostelgesch. 2:38.
Art. 4.] Der Heilige Geist. 197
4. Nicht weniger überzeugend sind die Beweise des
Buches Mormon von der Verweihing des Heiligen Geistes
auf denen, welche die Anforderungen zur Wassertaufe
befolgen. Nephi, der Sohn Lehis, zeugte feierlich von
dieser Wahrheit/) wie sie ihm durch die Stimme Gottes
bekannt gemacht wurde. Und die Worte des auferstandenen
Erlösers an die Nephiten kommen in unbestreitbarer
Deutlichkeit und mit zweifelloser Autorität und ver-
kündigen die Taufe durch Feuer und durch den Heiligen
Geist für alle, welche die vorbereitenden Forderungen
erfüllen. 2)
5. Den Heiligen in der Dispensation der Fülle der
Zeiten ist dieselbe große Verheißung gemacht worden.
,,Ich wiederhole euch", sprach der Herr, als er zu gewissen
Ältesten der Kirche redete, ,,daß jede Seele, die an eure
Worte glaubt und im Wasser zur Vergebung der Sünden
getauft wird, den Heiligen Geist empfangen soll. "3)
6. Persönlichkeit und Mächte des Heiligen Geistes. —
Der Heilige Geist ist mit dem Vater und dem Sohn in der
Gottheit verbunden. Im Licht der Offenbarung werden
wir über die besondere Persönlichkeit des Heiligen Geistes
belehrt. Er ist ein mit den Eigenschaften und Mächten
der Gottheit begabtes Wesen und nicht bloß ein Ding,
eine Kraft oder eine wesenlose Masse. Der Ausdruck „der
Heilige Geist" und dessen gewöhnliche sinnverwandte
Bezeichnungen ,, Geist Gottes",*) ,, Geist des Herrn", oder
einfach „Geist", 5) „Tröster"^) und ,, Geist der Wahrheit"^)
1) 2. Nephi 31:8, 12—14, 17.
-) 3. Nephi 11:36; 12:2.
=) Lehre u. Bündn. 84:64.
«) Matthäus 3:16; 12:28; 1. Nephi 13:12.
=) 1. Neplii 4:6; 11:8; Mosiah 13:5; Apostelgesch. 2:4; 8:29;
10:19; Römer 8:10, 26; 1. Thessalonicher 5:19.
«) Johannes 14:16—26; 15:26.
') Johannes 15:26; 16:13.
198 Die Glaubensartikel. [Vorl. VIII.
kommen in der Schrift mit offenbar verschiedenen Bedeu-
tungen vor; in einigen Fällen beziehen sie sich auf die
Person Gottes, den Heiligen Geist, und in andern Fällen
auf die Macht oder Autorität dieses großen Wesens. Der
Zusammenhang solcher Stellen wird zeigen, welche von
diesen Bedeutungen gemeint ist.
7. Ohne Zweifel besitzt der Heilige Geist persönliche
Kräfte und Empfindungen; diese Eigenschaften sind in
ihm vollkommen. So lehrt und leitet er,^) gibt Zeugnis
vom Vater und vom Sohn,^) tadelt wegen Sünde^) spricht,
befiehlt und beauftragt,*) vertritt den Sünder,^) wird
betrübt,^) erforscht und untersucht,') gibt ein 8) und weiß
alle Dinge.*) Dies sind nicht bloß bildliche Ausdrücke,
sondern deutliche Erklärungen der Eigenschaften und aus-
geprägte Kennzeichen dieser erhabenen Persönlichkeit.
Daß sich der Heilige Geist in der wahren Form und Gestalt
Gottes zeigen kann — in dessen Ebenbilde der Mensch
geschaffen ist — wird durch die wunderbare Unterredung
zwischen dem Geiste und Nephi gezeigt, wo er sich
diesem Propheten offenbarte, mit ihm von Angesicht zu
Angesicht sprach, ihn über sein Verlangen und seinen
Glauben befragte und in den Dingen Gottes unterrich-
tete. „Ich redete zu ihm", schreibt Nephi, „wie ein
Mensch redet; denn ich sah, daß er in der Gestalt eines
Menschen war; doch wußte ich, daß es der Geist des
Herrn war; und er redete mit mir, wie ein Mensch mit
0 Johannes 14:26; 16:13.
n Johannes 15:26.
') Johannes 16:8.
*) Apostelgesch. 10:19; 13:2; Offenbarung Joh. 2:7; 1. Nephi 4:6;
11:2—8.
^) Römer 8:26.
«) Epheser 4:30.
') 1. Korinther 2:4 — 10.
») Mosiah 3:19.
») Alma 7:13.
Art. 4.] Der Heilige Geist. 199
einem anderen redet". ^) Dennoch besitzt der Heilige Geist
nicht einen fühlbaren Körper von Fleisch und Bein, wie
der Vater und der Sohn, sondern er ist eine Persönlichkeit
aus Geist. 2)
8. Meistenteils entsteht die in unsern menschlichen
Begriffen über die Natur des Heiligen Geistes vorhandene
Verwirrung aus dem allgemeinen Fehler, daß wir unsre
Vorstellungen von seiner Person und von seinen Kräften
miteinander vermischen. Es ist klar, daß Ausdrücke wie
,,mit dem Heiligen Geiste erfüllt sein",^) und „daß der Geist
auf den Menschen komme" Bezug haben auf die Kräfte
und Einflüsse, die von Gott ausgehen und für ihn charakte-
ristisch sind, denn in dieser Weise kann der Heilige Geist
zu gleicher Zeit auf viele Menschen wirken, auch wenn sie
weit auseinander sind; die wirkliche Person des Heiligen
Geistes aber kann zu einer Zeit nur an einem Ort sein.
Doch lesen wir, daß der Vater und der Sohn in ihren
schöpferischen Taten und in ihrem Umgang mit der
Menschheit durch die Kraft des Heiligen Geistes wirken.^)
Der Heilige Geist darf als der Diener der Gottheit, der die
Entschlüsse des allerhöchsten Rates ausführt, angesehen
werden.
9. Bei der Ausführung dieser großen Absichten leitet
und beherrscht der Heilige Geist die vielen Kräfte der
Natur, von denen nur wenige — und vielleicht nur solche
einer niedrigem Ordnung, obwohl selbst die geringste
davon dem Menschen wunderbar erscheint — dem mensch-
lichen Verstand bis heute bekannt gemacht worden sind.
') 1. Nephi 11:11.
^) Lehre u. Bündn. 130:22.
') Lukas 1:15, 67; 4:1; Apostelgesch. 6:3; 13:9, Alma 36:24; L.
u. B. 107:56.
♦) 1. Mose 1:2; Nehemia 9:30; Hiob 26:13; Psalm 104:30; Jesaja
42:1; Apostelgesch. 10:19; 1. Nephi 10:19; Alma 12:3; L. u. B. 105:36;
97:1.
200 Die Glaubensartikel. [Vorl. VIII.
Schwerkraft, Schall, Hitze, Licht und die noch geheimnis-
vollere, scheinbar übernatürliche Kraft der Elektrizität
sind nur die gewöhnlichen Diener des Heiligen Geistes in
seiner Tätigkeit. Kein ernster Denker, kein aufrichtiger
Forscher glaubt, daß er schon alle im Stoff vorhandenen
und auf den Stoff wirkenden Kräfte kennen gelernt habe;
sogar die wahrgenommenen, ihm noch ganz unerklärlichen
Naturerscheinungen übertreffen an Zahl die, für die er
selbst nur eine teilweise Erklärung erdacht hat. Es gibt
Gott zur Verfügung stehende Kräfte und Mächte, mit
welchen verglichen sich Elektrizität, eine von den natür-
lichen Kräften, die vom Menschen in irgend einem Grade
wahrgenommen und am wenigsten verstanden wird, ver-
hält wie das Lastpferd zur Lokomotive, der Fußbote zum
Telegraph, das Floß zum Ozeandampfer. Der Mensch hat
kaum einen flüchtigen Blick auf das Triebwerk der
Schöpfung geworfen; und dennoch haben die wenigen
Kräfte, die er kennt, Wunder zustandegebracht, die wohl
unglaublich sein würden, wenn nicht ihre tatsächliche
Verwirklichung erfolgt wäre. Diese mächtigen und die
andern noch größeren Hilfskräfte, die dem Menschen noch
unbekannt sind, und viele andere, die dem gegenwärtigen
Zustande des menschlichen Verstandes unerkennbar
scheinen, bilden nicht den Heiligen Geist, sondern bloß
die Mittel, die bestimmt sind, den göttlichen Zwecken zu
dienen.
10. Noch feiner, mächtiger und geheimnisvoller als
irgendeine oder alle äußern Kräfte der Natur sind die
Kräfte, die auf selbstbewußte Lebewesen wirken — die
Mittel, wodurch Verstand, Herz und Seele des Menschen
beeinflußt werden können. In unsrer Unwissenheit über
die wahre Natur der elektrischen Energie reden wir von
ihr als von einer Flüssigkeit; und in ähnlicher Weise sind
die Kräfte, wodurch der Geist beherrscht wird, geistige
Art. 4.] Der Heilige Geist. 201
Flüssigkeiten genannt worden. Die wahre Natur dieser
höheren Kräfte ist uns unbekannt, denn die für unsern
schwachen menschUchen Verstand so notwendigen Be-
dingungen zum Vergleichen und in Einklang bringen,
fehlen uns; dennoch werden die Wirkungen von jedermann
gespürt. Wie das Leitungsnetz für einen elektrischen Strom
nur einen beschränkten Strom weiterleiten kann — das
Höchstmaß der Kraft wird durch den Widerstand des
Konduktors gebraucht — und wie einzelne Strom-
kreislinien von verschieden abgestufter Leistungsfähig-
keit Ströme von wei't verschiedener Stärke übermitteln
können, so sind auch menschliche Seelen inbezug auf
göttliche Kräfte verschieden aufnahmefähig. Aber wie das
Leitungsnetz gereinigt wird und die Hindernisse entfernt
werden, so vermindert sich auch der Widerstand gegen die
Energie, und die Kräfte tun sich in größrer Vollkommen-
heit kund. Durch ähnliche Reinigungsvorgänge können
unsere Geister der Lebenskraft, die ein Ausströmen von
dem Geiste Gottes ist, empfänglicher gemacht werden.
Deshalb wird uns gelehrt, durch Wort und Tat um einen
fortwährend zunehmenden Teil des Geistes zu beten, das
heißt, um die Kraft des Geistes, die ein Maß der Gnade
für uns ist.
11. Die Tätigkeit des Heiligen Geistes in seinem Dienst
unter den Menschen wird in der Schrift ausführlich be-
schrieben. Er ist ein vom Vater gesandter Lehrer;^) und
denen, die zu seiner Belehrung berechtigt sind, wird er
alle zum Fortschritt der Seele notwendigen Dinge offen-
baren. Durch die Einflüsse des Heiligen Geistes können die
Kräfte des menschlichen Verstandes belebt und vergrößert
werden, so daß vergangene Dinge wieder in Erinnerung
gebracht werden. Er wird allen, die ihm gehorchen, als
1) Johannes 14:26.
202 Die Glaubensartikel. [Vorl. VIII.
Führer in göttlichen Dingen dienen,^) und jedermann^) im
Verhältnis zu seiner Demut und seinem Gehorsam er-
leuchten ;3) er wird die Geheimnisse Gottes,*) wenn die so
geoffenbarte Kenntnis zu geistigem Wachstum dienen kann,
entfalten; er übermittelt den Menschen Kenntnis von
Gott;^) heiligt diejenigen, die durch Befolgung der For-
derungen des Evangeliums gereinigt worden sind;^) tut
alle Dinge kund') und gibt den Menschen Zeugnis von
dem Sein und der Unfehlbarkeit des Vaters und des
Sohnes.^)
12. Und nicht allein bringt der Heilige Geist die
Vergangenheit in Erinnerung und erklärt die Dinge der
Gegenwart, sondern seine Kraft äußert sich auch im
Prophezeien der zukünftigen Ereignisse: ,,Was zukünftig
ist, wird er erklären", erklärte der Heiland den Aposteln,
als er das Kommen des Trösters verhieß. Unter dem
Einflüsse des Heiligen Geistes weissagte Adam, der erste
Prophet dieser Erde, ,,was seinen Nachkommen bis auf
die letzte Generation widerfahren werde". ^)
13. Die Kraft des Heiligen Geistes ist also der Geist
der Prophezeiung und der Offenbarung; seine Aufgabe ist
die Erleuchtung des Verstandes, das Beleben des Denk-
vermögens und der Urteilskraft und die Heiligung der
Seele.
14. Wem wird der Heilige Geist gegeben? Nicht allen
ohne Unterschied! Der Erlöser erklärte den Aposteln vor
') Lehre u. Bündn. 45:57.
=) L. u. B. 84:45—47.
») L. u. B. 136:33.
«) 1. Nephi 10:19.
') L. u. B. 121:43.
«) Alma 13:12.
') L. u. B. 18:18.
») Johannes 15:26; Apostelgesch. 5:32; 20:23; 1. KorinUier 2:11
12:3; 3. Nephi 11:32.
») L. u. B. 107:56.
Art. 4.] Der Heilige Geist. 203
alters: „Und ich will den Vater bitten, und er soll euch
einen andern Tröster geben, daß er bei euch bleibe ewiglich :
den Geist der Wahrheit, welchen die Welt nicht kann
empfangen; denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. "^)
Es ist somit klar, daß der Bewerber gewisse Bedingun-
gen erfüllen muß, ehe der Heilige Geist gespendet
werden kann, d. h. ehe er ein Recht auf die Begleitung
und die Dienste des Geistes bekommen kann. Gott
verleiht den Gehorsamen den Heiligen Geist; und die
Verleihung dieser Gabe folgt dem Glauben, der Buße und
der Taufe im Wasser.
15. Die frühern Apostel verhießen nur denen, welche
die Taufe im Wasser zur Vergebung der Sünden erhalten
hatten, das Dienen des Heiligen Geistes ;2) Johannes der
Täufer gab die Zusicherung des Heiligen Geistes nur
denen, die zur Buße getauft waren.^) Der Fall, wo Paulus,
wahrscheinlich weil die erste Taufe ungenau und ohne
Vollmacht vollzogen worden war, die zwölf Jünger zu
Ephesus wiedertaufte,^) ehe er ihnen den Heiligen Geist
spendete, ist schon erwähnt worden. Wir lesen von einer
merkwürdigen Kundtuung dieser Macht unter dem Volk zu
Samarien,^) zu welchem Philippus hingegangen war und
den Herrn Jesum verkündigt hatte; die Leute nahmen
einmütig sein Zeugnis an und begehrten die Taufe. Dann
kamen Petrus und Johannes zu ihnen und durch ihre
Vermittlung kam der Heilige Geist auf die Neubekehrten,
wohingegen der Geist zuvor auf keinen gefallen war, obwohl
alle getauft gewesen waren.
16. Der Heilige Geist wohnt nicht in entweihten und
unwürdigen Körpern. Paulus macht die erhabene Er-
1) Johannes 14:16, 17.
=) Apostelgesch. 2:38.
») Matthäus 3:11; Markus 1:8.
') Apostelgesch. 19:1 — 7; siehe Seite 175.
') Apostelgesch. 8:5 — 8, 12, 14 — 17.
204 Die Glaubensartikel. [Vorl. VIII.
klärung, daß der Leib des Menschen, wenn er mit der
Kraft des Heiligen Geistes erfüllt ist, zum Tempel dieses
Geistes werde; und der Apostel nennt auch die Strafe,
die für das Verunreinigen eines solchen von einer so
heiligen Gegenwart geheiligten Baues vorgeschrieben ist.^)
Der Glaube an Gott führt zum Bereuen der Sünde, diesem
folgt die Taufe im Wasser zur Vergebung der Sünden, und
dieser dann die Spendung des Heiligen Geistes, durch
dessen Kraft Heiligung und die besondern Gaben Gottes
kommen.
17. Eine Ausnahme von der vorgeschriebenen Ordnung
zeigt sich bei dem frommen Heiden Kornelius, wo auf ihn
und seine Familie der Heilige Geist mit solcher Kraft
kam, daß sie zur Verherrlichung Gottes mit neuen Zungen
sprachen — und dies geschah vor ihrer Taufe. 2) Aber Grund
genug für diese Abweichung von der gewöhnlichen Regel
ist die Voreingenommenheit, die unter den Juden andern
Völkern gegenüber herrschte, und die den Apostel gehindert
oder gar von dem Wirken unter den Heiden gänzlich
zurückgehalten hätte, wenn der Befehl dazu nicht un-
mittelbar vom Herrn gekommen wäre. Wie es war, wurde
seine Tat von seinem eigenen Volke laut getadelt; aber er
entkräftete ihren Tadel, indem er erzählte, wie ihm
von Gott Belehrung wurde und erzählte von dem unleug-
baren Beweis des göttlichen Willens, wie er in dem Emp-
fangen des Heiligen Geistes von Kornelius und seiner
Familie vor der Taufe gezeigt wurde.
18. Auch in einem andern Sinne hat der Heilige Geist
oft durch ungetaufte Menschen zum Guten gewirkt. Ein
Teil dieses Geistes wird allen Menschen verliehen; denn,
wie schon bemerkt, ist der Heilige Geist die Kraft der
') 1. Korinther 3:16. Siehe auch 6:19; 2. Korinther 6:16; Lehre u.
Bündn. 9o:35.
^) Apostelgesch. 10.
Art. 4.] Der Heilige Geist. 205
Intelligenz, der weisen Führung, der Entwicklung und
des Lebens. Die Kundtuung der Kraft Gottes, wie sie
durch die Wirkungen des Geistes klar gemacht wird, sieht
man in den Siegen der veredelnden Kunst, in den Er-
findungen der wahren Wissenschaft, und in den Ereignissen
der Geschichte. Mit all diesem, glaubt vielleicht der
sinnliche Verstand, gebe sich Gott nicht unmittelbar ab.
Nicht eine Wahrheit ist jemals das Eigentum der Mensch-
heit geworden, es sei denn durch die Kraft des großen
Geistes, der lebt, damit er den Befehl des Vaters und des
Sohnes vollziehe. Und doch wird die wirkliche Gemein-
schaft des Heiligen Geistes, das von Gott gegebene Anrecht
auf seine Dienste, die heiligende Taufe mit Feuer als
ständiger Besitz nur dem gläubigen, bußfertigen, getauften
Bewerber um Seligkeit gegeben; und bei all diesen soll
diese Gabe bleiben, es sei denn, sie ginge durch Übertretung
verloren.
19. Das Spenden des Heiligen Geistes geschieht durch
einen mündlichen Segen, der auf den Täufling durch die
rechtmäßige Vollmacht desPriestertums ausgesprochen und
durch das Auflegen der Hände des amtierenden Mannes
oder der amtierenden Männer begleitet wird. Daß dies
die von den frühern Aposteln befolgte Weise war, wird
durch die jüdischen Schriften bewiesen; daß sie vor alters
von den Kirchenvätern ausgeübt wurde, beweist die
Geschichte; daß sie das anerkannte Verfahren unter den
Nephiten war, wird durch die Berichte im Buche Mormon
deutlich gezeigt; und für denselben Brauch in dieser
Dispensation ist die Ermächtigung unmittelbar vom
Himmel gekommen.
20. Von den im Neuen Testament berichteten
Fällen nennen wir die folgenden : Wie schon erwähnt,
erteilten Petrus und Johannes den Heiligen Geist
denen, die Philippus zu Samarien bekehrte, und die
206 Die Glaubensartikel. [Vorl. VIII
Verordnung wurde durch Gebet und das Auflegen der
Hände vollzogen. i) In derselben Weise verfuhr Paulus
mit den Ephesern, die er hatte taufen lassen: „Und da
Paulus die Hände auf sie legte, kam der Heilige Geist auf
sie, und sie redeten mit Zungen und weissagten. "2) Paulus
erwähnt diese Verordnung auch in seiner Ermahnung an
Timotheus, die in dieser Weise erteilte Gabe nicht zu
vernachlässigen.^) Und wo er die Hauptprinzipien und
-Verordnungen der Kirche Christi aufzählt, nennt er auch
das auf die Taufe folgende Händeauf legen.*)
21. In folgender Weise flehte Alma die Kraft des
Heiligen Geistes herab, um seiner Mitarbeiter willen:^)
,,Er legte seine Hände auf alle, die bei ihm waren; und als
er das tat, wurden sie mit dem Heiligen Geiste erfüllt."
Der Heiland gab den zwölf erwählten Nephiten Vollmacht,
indem er einem nach dem andern die Hand auflegte;^)
sie wurden in dieser Weise beauftragt, den Heiligen Geist
zu spenden.
22. In dieser Dispensation ist es der Priesterschaft zur
Pflicht gemacht worden, „solche, die durch die Taufe in
die Kirche gekommen sind, der Schrift gemäß zu kon-
firmieren, durch das Auflegen der Hände, zur Taufe mit
Feuer und dem Heiligen Geiste".'^) Der Herr hat ver-
sprochen, daß der Heilige Geist diesen autorisierten Hand-
lungen seiner Diener folgen soll.^) Die Zeremonie des
Auflegens der Hände für die Gabe des Heiligen Geistes
ist mit der Zeremonie der Konfirmation (Bestätigung) in
•) Apostelgesch. 8:14 — 17. Lies den Bericht über Simon den Zauberer
in diesem Kapitel.
«) Apostelgesch. 19:2^6.
') 2. Timotheus 1:6.
') Hebräer 6:1—2.
') Alma 31:36.
•) 3. Nephi 18:36—37.
') Lehre u. Bündn. 20:41, 43.
«) L. u. B. 35:6; 39:6, 23: 49:11—14.
Art. 4.] Der Heilige Geist. 207
der Kirche verbunden. Der in dem Namen Jesu Christi
und kraft seiner Vollmacht amtierende Älteste sagt:
„Empfange den Heiligen Geist", und ,,ich konfirmiere (oder
bestätige) dich als ein Mitglied der Kirche Jesu Christi der
Heiligen der letzten Tage''. Selbst diese Worte sind nicht
vorgeschrieben, aber ihre Bedeutung sollte bei der Zere-
monie ausgedrückt werden; und solchen Worten dürfen
noch andere des Segens und der Anrufung — wie es der
Geist des Herrn dem amtierenden Ältesten eingeben mag —
hinzugefügt werden. Diese Handlung macht die äußere
Form der zur Seligkeit so notwendigen Taufe — der
Geburt aus Wasser und Geist — vollständig.
23. Die Vollmacht, den Heiligen Geist in dieser Weise
zu spenden, gehört zum höhern oder melchizedekischen
Priestertum,!) die Wassertaufe hingegen darf von einem
Priester der aaronischen Ordnung vollzogen werden. 2)
Diese Ordnung der Vollmacht, wie sie durch Offen-
barung bekannt gemacht worden ist, erklärt, warum
Philippus wohl die Befugnis hatte, die Taufe der bekehr-
ten Samariter zu vollziehen, aber andre gesandt werden
mußten, und zwar solche, die das höhere Priestertum
trugen, um ihnen den Heiligen Geist zu erteilen.^)
24. Die Gaben des Geistes. — Wie schon erwähnt,
besteht das 'besondere Wirken des Heiligen Geistes darin,
den Sinn zu erleuchten und zu veredeln, die Seele zu
reinigen und zu heiligen, zu guten Werken anzuregen und
die Dinge Gottes zu offenbaren. Aber außer diesen all-
gemeinen Segnungen gibt es gewisse besondere Aus-
stattungen, die mit den Gaben des Heiligen Geistes in
Verbindung stehen. So spricht der Heiland: ,,Die Zeichen
aber, die da. folgen werden denen, die da glauben, sind die:
') Lehre u. Bündn. 20:38—^3.
^) L. u. B. 20:46, 50.
') Siehe Apostelgesch. 8:5—17.
208 Die Glaubensartikel. [Vorl. VIIL
in meinem Namen werden sie Teufel austreiben, mit neuen
Zungen reden, Schlangen vertreiben; und so sie etwas
Tödliches trinken, wird's ihnen nicht schaden; auf die
Kranken werden sie die Hände legen, so wird's besser mit
ihnen werden."^)
25. Diese Gaben des Geistes werden nach der Weisheit
Gottes zur Erhöhung seiner Kinder ausgeteilt. Paulus
schildert sie wie folgt: ,,Von den geistlichen Gaben aber
will ich euch, liebe Brüder, nicht verhalten. * * * Es sind
mancherlei Gaben; aber es ist ein Geist. * * * in einem
jeglichen erzeigen sich die Gaben des Geistes zum gemeinen
Nutzen. Einem wird gegeben durch den Geist, zu reden
von der Weisheit; dem andern wird gegeben, zu reden
von der Erkenntnis nach demselben Geist; einem andern
der Glaube in demselben Geist; einem andern die Gabe,
gesund zu machen in demselben Geist; einem andern,
Wunder zu tun; einem andern Weissagung; einem
andern, Geister zu unterscheiden ; einem andern mancher-
lei Sprachen; einem andern, die Sprachen auszulegen.
Dies aber alles wirkt derselbe eine Geist, und teilt einem
jeglichen seines zu, nach dem er will. "2) Niemand ist ohne
irgend eine Gabe des Geistes; ein Mensch kann verschiedene
Gaben besitzen.
AnmerkangeiL.
1. Wirkan«) des Heiligen Geistes auf das Indi\iduiiin. — Ein erleuchtetes
Wesen im Ebenbilde Gottes besitzt alle Glieder, Eigenschaften, Sinne xuid
Gefühle, ferner auch Weisheit, Liebe, Macht und Gaben, mit welchen Gott
selbst begabt ist. Aber der Mensch besitzt diese in ihrem Anfangszustande,
also nur in einem untergeordneten Sinne. In andern Worten : diese Eigen-
schaften sind im Entstehen und müssen allmählich entwickelt werden.
Sie sind einem Keime gleich, einer Knospe, welche sich allmählich zur
Blüte entwickelt imd dann durch den natürlichen Fortschritt die reife
Frucht nach ihrer eigenen Art hervorbringen. Die Gabe des Heiligen Geistes
paßt sich allen diesen Organen oder Eigenschaften an. Sie belebt alle
Verstandesfähigkeiten, vermehrt, vergrößert, erweitert und reinigt alle
natürlichen Gefühle und Neigungen, xmd macht sie durch die Gabe der
») Markus 16:17 — 18; Lehre u. Bündn. 84:65 — 73.
') 1. Korinther 12: 1 — 11 ; siehe auch Buch Mormon, Moroni 10:8 — 18.
Art. 4.] Anmerkungen. 209
Weisheit zu ihrem gesetzlichen Gebrauch geeignet. Sie belebt, entwickelt,
veredelt und vervollkommnet alle feinen Empfindungen, Freuden, Genüsse,
Verwandtschaftsgefühle und Neigungen unsres Wesens. Sie flößt Tugend,
Mildtätigkeit, Güte, Zärtlichkeit, Sanftmut und Liebe ein. Sie entwickelt
Schönheit der Person und der Gestalt. Sie führt zu Gesundheit und Kraft,
zu Leben und Geselligkeit. Sie entwickelt und belebt alle Fähigkeiten des
natürlichen und geistigen Menschen. Sie stärkt und belebt die Nerven.
Kurzum, sie ist Mark dem Beine, Freude dem Herzen, Licht dem Auge,
Musik dem Ohre, und Leben für das ganze Wesen." — Parley P. Pratt,
„Schlüssel zur Gottesgelehrtheit'*, S, 61. (1. deutsche Auflage.)
2. Das Aufleflen der Hände. — Aus den angeführten Schriftstellen
erhellt, daß das übliche Verfahren bei der Spendung des Heiligen Geistes
zum Teil in dem Auflegen der Hände von Bevollmächtigten bestand ( Apostel-
gesch. 8:17; 9:17; 19:2—6; Alma 31:36; 3. Nephi 18:36—37; Lehre u.
Bündn. 20:41). Dasselbe äußere Zeichen kennzeichnet auch andere bevoll-
mächtigte Handlungen, z. B. die Ordination zum Priestertum und das
Segnen der Kranken. Es ist wahrscheinlich, daß Paulus Bezug nahm auf
die Ordination des Timotheus, als er ihn ermahnte: „Laß nicht aus der
Acht die Gabe, die dir gegeben ist durch die Weissagung mit Handauflegung
der Ältesten" (1. Tim. 4:14). Und wieder, erwecke ,,die Gabe Gottes, die
in dir ist, durch die Auflegung meiner Hände" (2. Tim. 1:6). Die erste
Ordination zum Priestertum in den letzten Zeiten wurde durch das Auf-
legen der Hände von Johannes dem Täufer vollzogen (Lehre u. Bündn. 13).
Daß Christus zuweilen die Hände auf die Kranken legte, als er sie heilte,
steht fest (Mark. 6:5); und er gab seinen Aposteln eine Verheißung, daß
derh bevollmächtigten Auflegen der Hände Heilung folgen werde (Markus
16:15, 18). Dasselbe Versprechen ist in diesen Tagen wiederholt worden
(Lelire u. Bündn. 42 : 43 — 44). Trotz der Wichtigkeit, die diesem Zeichen
der Vollmacht beigemessen wird, ist dennoch das Auflegen der Hände
bei den vielen Sekten, die sich heutzutage zum Christentum bekennen, eine
Seltenheit.
3. Die Wirksamkeit des Heiligen Geistes. — Die Mittel, wodurch der
Heilige Geist wirkt, sind im wahren Sinne ebensowenig der Heilige Geist
in eigener Person als das Licht, die Hitze und die chemisch wirkende Kraft
der Sonne die Sonne selbst sind. Der Einfluß, der Geist oder die Kraft des
Heiligen Geistes ist eine Kraft der Erleuchtung und des Fortschritts, und
diese wird den Menschen im Verhältnis zu ihrer Empfänglichkeit und
Würdigkeit gegeben; aber das Anrecht auf die besondern Dienste des
dritten Mitglieds der Gottheit kann nur durch Befolgung der vorbereitenden
Forderungen des Evangeliums — Glaube, Buße und Taufe — erlangt
werden.
4. Art und Weise der Spendung des Heiligen Geistes. — Es sind Fragen
aufgetaucht über das genaue Verfahren bei der Konfirmation (Bestä-
tigung von Neugetauften) und der Spendung des Heiligen Geistes; be-
sonders darüber, ob es angebracht sei zu sagen: „Empfange den Heiligen
Geist" oder „Empfange die Gabe des Heiligen Geistes". Da die Gemeinschaft
mit dem Heiligen Geist all die geistigen Gnaden und Gaben — insoweit
sie vom Menschen verdient und ihm dienlich sind — in sich begreift,
lehrt die Kirche, daß amtierende Älteste bei dem Konfirmieren der Ge-
tauften die Form: „Empfange den Heiligen Geist" gebrauchen sollen.
14
210 Die Glaubensartikel. [Vorl. IX.
Vorlesung IX.
Das heilige Abendmahl.
In Verbindung mit Artikel 4.
1. Das Abendmahl. — Bei unserm Studium der
Prinzipien und Verordnungen des Evangeliums, wie
sie im 4. Glaubensartikel aufgezählt werden, beansprucht
das heilige Abendmahl^) mit Recht unsere Aufmerksam-
keit ; denn das Befolgen dieser Verordnung wird von allen
verlangt, die durch Unterwerfung unter die Forderungen
des Glaubens, der Buße und der Taufe im Wasser und
durch den Heiligen Geist Mitglieder der Kirche geworden
sind.
2. Die Einsetzung des Abendmahls unter den Juden. —
Das Abendmahl nahm seinen Ursprung am Vorabend des
Passahfestes, das der Kreuzigung des Heilandes unmittel-
bar voranging.-) Bei dieser feierhchen Gelegenheit waren
Christus und die Apostel in Jerusalem versammelt und
hielten die Feier in einem Saal ab, der auf seinen aus-
drücklichen Befehl bereitgestellt worden war. 3) Als Jude
scheint Christus den überkommenen Bräuchen seines
Volkes immer getreu gewesen zu sein. Gewiß hat er
diese Gedenkfeier mit den außergewöhnlichsten Gefühlen
angetreten — war es doch die letzte ihrer Art, welche
sowohl ein zukünftiges Opfer als auch die Gnade Gottes
in der Vergangenheit versinnbildlicht hat. Da er die
furchtbaren ihm unmittelbar bevorstehenden Erfah-
•) Siehe Anmerkungen 1 und 2.
') Siehe Anmerkung 3.
') Lukas 22:8—13.
Art. 4.] Das heilige Abendmahl. 211
rungen kannte, unterhielt er sich in Seelenqual mit
den Zwölfen am Passahtisch und prophezeite seinen
Verrat, der bald durch die Vermittlung eines, der
da mit ihm aß, vollbracht werden sollte. Da nahm
er das Brot, segnete es und gab es seinen Jüngern
und sprach: „Nehmet, esset, das ist mein Leib";i) „das
tut zu meinem Gedächtnis. "2) Nach diesem nahm er den
Kelch, segnete den Inhalt und teilte ihn unter seinen
Jüngern aus mit den Worten: „Trinket alle daraus; das
ist mein Blut des neuen Testaments, welches vergossen
wird für viele zur Vergebung der Sünden. "2) Es ist bedeut-
sam zu merken, daß der von Paulus*) über das Abendmahl
gegebene Bericht und seine Bedeutung den von den
Evangelisten berichteten Beschreibungen so ähnelt, daß
er beinahe gleichlautend ist. Die Bezeichnung des Sakra-
ments als des Herrn Abendmahl wird außer von Paulus
von keinem anderen biblischen Schriftsteller gebraucht.
3. Einsetzung des Abendmahls bei den Nephiten. —
Bei seinem Besuch unter den Nephiten, kurz nach seiner
Auferstehung, setzte Christus das Abendmahl unter diesem
Teil seiner Herde ein. Er bat die Jünger, die er erwählt
hatte, ihm Brot und Wein zu bringen; dann nahm er das
Brot, brach es, segnete es und gab es den Jüngern mit
dem Gebot, davon zu essen und es dann dem Volk
auszuteilen. Die Vollmacht, diese Verordnung zu voll-
ziehen, versprach er unter dem Volke zu lassen. „Darauf
sollt ihr immer achten," sagteer, ,,es so zu tun, wie ich es
getan habe. * * * Und dies sollt ihr tun zum Gedächtnis
meines Leibes, welchen ich euch gezeigt habe. Und es
soll dem Vater ein Zeugnis sein, daß ihr euch immer meiner
•) Matthäus 26:26.
*) Lukas 22:19; siehe auch Markus 14:22-
») Matthäus 26:27—28.
«) 1. Korinther 11:23—25.
212 Die Glaubensartikel. [Vorl. IX.
erinnert. Und wenn ihr immer meiner gedenket, so sollt
ihr meinen Geist bei euch haben. "^) Der Wein wurde in
derselben Reihenfolge erst den Jüngern, dann von ihnen
unter das Volk ausgeteilt. Dies sollte auch ein Teil der
bleibenden Ordnung unter dem Volke sein: „Und ihr sollt
es tun zum Gedächtnis meines Bluts, welches ich für euch
vergossen habe, um dem Vater ein Zeugnis zu geben, daß
ihr immer meiner gedenket." Dann folgte eine Wieder-
holung der großen Verheißung: „Und wenn ihr immer
meiner gedenket, soll mein Geist bei euch sein. "2)
4. Würdige Genießer des Abendmahls. — Die gött-
lichen Belehrungen über die Heiligkeit dieser Ver-
ordnung sind sehr ausführlich; und die daraus folgende
Notwendigkeit, gewissenhafte Sorgfalt zu üben, um dieses
Mahl nicht unwürdig zu genießen, ist klar. Als Paulus
an die Heiligen zu Korinth schrieb, warnte er feierlich
vor voreiligem oder unwürdigem Genießen des Abendmahls
und erklärte, daß diejenigen, die die heiligen Forderungen
übertreten, durch die Strafen der Krankheit und auch des
Todes heimgesucht werden. — ,,Denn so oft ihr von diesem
Brot esset und von diesem Kelch trinket, sollt ihr des
Herrn Tod verkündigen, bis daß er kommt. Welcher nun
unwürdig von diesem Brot isset oder von dem Kelch des
Herrn trinket, der ist schuldig an dem Leib und Blut des
Herrn. Der Mensch prüfe aber sich selbst, und also esse
er von diesem Brot und trinke von diesem Kelch. Denn
welcher unwürdig isset und trinket, der isset und trinket
sich selber zum Gericht, damit, daß er nicht unterscheidet
den Leib des Herrn. Darum sind auch viele Schwache
und Kranke unter euch, und ein gut Teil schlafen."^)
1) 3. Nephi 18:6—7.
') 3. Nephi 18:11.
») 1. Korinther 11:26—30.
Art. 4.] Das heilige Abendmahl. 213
5. Als Jesus die Nephiten belehrte, legte er großen
Nachdruck auf die Würdigkeit derer, welche das Abend-
mahl genossen; und überdies legte er große Verantwort-
lichkeit auf die Beamten der Kirche, deren Pflicht es war,
das Abendmahl auszuteilen, daß sie es keinem, den
sie als unwürdig kannten, erlauben sollten, an der
Verordnung teilzunehmen : ,,Nun sehet, dies ist das Gebot,
welches ich euch gebe, daß ihr wissentlich niemand ge-
statten sollt, von meinem Leib und Blut unwürdig zu
genießen, wenn ihr dieselben austeilet; denn wer von
meinem Leib und Blut unwwdig genießt, ißt und trinkt
seiner Seele Verdammnis. Wenn ihr daher wisset, daß ein
Mensch unwürdig ist, meinen Leib zu essen und mein Blut
zu trinken, so sollt ihr es ihm verbieten."^)
6. Das unmittelbare Wort des Herrn an die Heiligen
in dieser Dispensation unterweist sie, niemand, der über-
treten hat, zu gestatten, das Abendmahl zu genießen, bis
Versöhnung herbeigeführt worden ist. Dennoch ist es den
Heiligen geboten, weitgehende Langmut gegen ihre irrenden
Mitmenschen zu üben, sie nicht aus den Versammlungen
auszustoßen, aber doch das Abendmahl sorgfältig von
ihnen zurückzuhalten. 2) In unsrer Kirchenverfassung wird
die Verantwortlichkeit der Segnung und der Austeilung
des Abendmahls den örtlichen Kirchenbeamten auferlegt,
und es wird von dem Volke gefordert, sich würdig zu halten,
um die heiligen Sinnbilder genießen zu können.
7. Daß man das Abendmahl irgend jemand geben solle,
der nicht ein in voller Gemeinschaft stehendes Mit-
glied in der Kirche Christi ist: dafür fehlt in der Schrift
jede Berechtigung. Auf der östlichen Erdhälfte teilte
Christus das Abendmahl nur seinen Aposteln aus ; und wir
haben Bericht davon, daß sie es nur denen gaben, die den
•) 3. Nephi 18:28—29.
') Lehre u. Bündn. 46:4. Siehe auch 3. Nephi 18:30.
214 Die Glaubensartikel. [Vorl. IX.
Namen Christi angenommen hatten. Unter seiner west-
lichen Herde setzte Christus das Gesetz ein, daß nur die
tatsächlichen Mitglieder seiner Kirche davon genießen
sollten. Als der Heiland versprach, einen unter ihnen ein-
zusetzen, der mit Macht über das Abendmahl amtieren
könne, bestimmte er, daß der in dieser Weise Gewählte
es dem Volke seiner Kirche — allen, die glaubten und auf
seinen Namen getauft worden waren — austeilen sollte. i)
Und zwar nur diejenigen, die so getauft worden waren,
wurden die Kirche Christi genannt.^) Seine Belehrungen
an die Jünger betreffs des Abendmahls fortsetzend, sagte
der Heiland: ,,Dies sollt ihr immer tun denen, die sich be-
kehren und in meinem Namen getauft werden. "3)
8. Dasselbe Gesetz besteht heute noch: es sind die
Mitglieder der Kirche,^) die ermahnt werden, sich öfters
zu versammeln, um das Abendmahl zu genießen; und die
Kirche schließt keine Menschen von reifern Jahren in sich
ein, die nicht durch die Vollmacht des heiligen Priestertums
getauft worden sind.^)
9. Der Zweck des Abendmahls. — Aus den schon
erwähnten Schriftstellen geht klar hervor, daß das Abend-
mahl ausgeteilt wird zur Erinnerung an die Versöhnung
durch den Herrn Jesum, wie sie in seinem Leiden und
Sterben vollbracht wurde; es ist ein Zeugnis vor Gott,
daß wir des um unsertwillen dargebrachten Opfers seines
Sohnes eingedenk sind; und daß wir den Namen Christi
immer noch bekennen und entschlossen sind, uns stets zu
bestreben, seine Gebote zu halten, in der Hoffnung, da-
durch immer seinen Geist mit uns zu haben. Das würdige
') 3. Ncphi 18:5.
=>> 2. Nephi 26:21.
') 3. Nephi 18:11.
*) Lehre u. Bündn. 20:
') L. u. B. 20:37.
Art. 4.] Das heilige Abendmahl. 215
Genießen des Abendmahls darf dann angesehen werden
als ein Mittel zur Erneuerung unsrer Bündnisse mit dem
Herrn, zur Anerkennung der gegenseitigen Gemeinschaft
unter den Mitgliedern und zum feierlichen Zeugnis, daß wir
unsere Mitgliedschaft in der Kirche Christi behaupten und
bekennen. Das Abendmahl ist nicht eingesetzt worden
als ein besonderes Mittel, um Vergebung der Sünden zu
erhalten, noch zu irgend einem andern besondern Segen,
außer zu dem einer Erneurung der Gabe des Heiligen
Geistes, die jedoch alle nötigen Segnungen in sich begreift.
Wäre das Abendmahl zur Vergebung der Sünden eingesetzt
worden, so würde es sicherlich denen nicht entzogen, die
einer besondern Vergebung am meisten bedürfen; aber die
Teilnahme an dieser Verordnung ist auf diejenigen be-
schränkt, deren Gewissen frei ist von schwerem Unrecht,
also auf diejenigen, die vor dem Herrn angenehm sind,
ja auf diejenigen, die eine besondere Vergebung so
wenig notwendig haben, als sie Sterbliche nur haben
können.
10. Die Sinnbilder des Abendmahls. — Als Christus
das Abendmahl unter den Juden und unter den Nephiten
einsetzte, gebrauchte er Brot und Wein als die Wahrzeichen
seines Leibes und seines Blutes,^) und in dieser Dispen-
sation — der Dispensation der Fülle der Zeiten — hat er
seinen Willen geoffenbart, daß die Heiligen öfters zusammen
kommen sollen, um Brot und Wein in dieser erinnern-
den Verordnung zu genießen.^) Aber der Herr hat
auch gezeigt, daß anstatt Brot und Wein auch andere
Formen der Speise und des Tranks gebraucht werden
können. Kurz nach der Organisierung der Kirche in der
gegenwärtigen Dispensation war der Prophet im Begriff,
für das Abendmahl Wein zu kaufen, als ihm ein beson-
') Matthäus 26:27 — 29; Buch Mormon, 3. Nephi 18:1,8.
») Lehre u. Bündn. 20:75.
216 Die Glaubensartikel. [Vorl. IX.
derer Bote von Gott erschien und die folgenden Belehrungen
erteilte: „Denn siehe, ich sage euch, daß es nicht darauf
ankommt, was ihr esset oder was ihr trinket, wenn ihr
das Abendmahl genießt, so ihr es mit ungeteiltem Sinne
zu meiner Ehre tut, und euch vor dem Vater an meinen
Leib, der für euch zerschlagen ward, und an mein Blut,
welches für die Vergebung eurer Sünden vergossen ward,
erinnert. Darum gebe ich euch ein Gebot, daß ihr weder
Wein noch starkes Getränk von euren Feinden kaufen sollt,
und deswegen sollt ihr von keinem genießen, ausgenommen
es sei wiederum unter euch bereitet, selbst in diesem meines
Vaters Reich, welches auf Erden gegründet werden soll."^)
Auf Grund dieser Ermächtigung teilen die Heiligen der
letzten Tage bei ihrem Abendmahl lieber Wasser aus
statt Wein, gleichviel ob sie von dessen Reinheit überzeugt
sind oder nicht. Jedoch ist in den Gegenden des Kirchen-
gebiets, wo Weinberge sind, gewöhnlich Wein gebraucht
worden.
11. Die Art und Weise der Segnung und Austeilung
des Abendmahles. — Bei den Heiligen der letzten Tage
ist es gebräuchlich, in allen Gemeinden (Wards) oder
regelrecht organisierten Zweiggemeinden der Kirche jeden
Sabbath Abendmahls Versammlungen abzuhalten. Die
Vollmacht des Priesters der aaronischen Ordnung des
Priestertums ist zum Segnen der Wahrzeichen erforder-
lich; und natürlich hat auch jeder, der das höhere Priester-
tum trägt, die Vollmacht, in dieser Verordnung zu amtieren.
Das Brot soll zuerst in kleine Stücke gebrochen und in
passenden Behältern auf den Abendmahlstisch gestellt
werden ; und dann soll es der Älteste oder Priester gemäß
der Unterweisung des Herrn wie folgt segnen : „Er soll
knien mit der Gemeinde und den Vater im feierlichen Ge-
bet anrufen, indem er sagt:
') Lehre u. Bündn. 27:2 — 4.
Art. 4.] Das heilige Abendmahl. 217
„0 Gott, du ewiger Vater, wir bitten dich in dem Namen
deines Sohnes Jesu Christi, dieses Brot zu segnen und zu
heiligen den Seelen aller derer, welche davon genießen, daß
sie es essen mögen zum Gedächtnis des Leibes deines Sohnes^
und dir bezeugen, o Gott, du ewiger Vater, daß sie willens
sind, den Namen deines Sohnes auf sich zu nehmen und
jederzeit seiner zu gedenken und seine Gebote zu halten, die
er ihnen gegeben hat, daß sie seinen Geist immer mit sich
haben mögen. Amen"^)
12. Nachdem das Brot unter die Versammelten aus-
geteilt worden ist — an welchem Dienste die Lehrer und
Diener unter der Leitung des amtierenden Priesters teil-
nehmen dürfen — wird der Wein oder das Wasser in
folgender Weise geweiht:
„0 Gott, du ewiger Vater, wir bitten dich in dem Namen
deines Sohnes Jesu Christi, diesen Wein (oder dieses Wasser)
zu segnen und zu heiligen den Seelen aller derer, welche
davon trinken, daß sie es tun mögen zum Gedächtnis des
Blutes deines Sohnes, welches für sie vergossen wurde; damit
sie dir bezeugen mögen, o Gott, du ewiger Vater, daß sie seiner
allezeit gedenken, daß sein Geist mit ihnen sein möge. Amen.''^)
13. Die Deutlichkeit der Belehrungen, die der Herr
den Heiligen über diese Verordnung gab, läßt keinen
Streit zu wegen der Zeremonie; denn sicher kann nie-
mand fühlen, wenn er in diesen heiligen Dingen amtiert,
daß er die Autorität habe, die Formen, und sei es auch
nur durch ein Wort, zu ändern. Wenn je der Herr eine
Änderung in dieser Verordnung wünscht, so wird er es
ohne Zweifel auf dem von ihm eingesetzten Weg des
Priestertums bekanntmachen. Die Berichte der Nephiten
beweisen deutlich, daß die Weise der Segnung und Aus-
') Lehre u. Bündn. 20:76 — 77; vergleiche Buch Mormon, Moroni 4.
«) L. u. B. 20:78 — 79; vergleiche Buch Mormon, Moroni 5.
218 Die Glaubensartikel. [Vorl. IX.
teilung des Abendmahls, wie sie zu jener Zeit gehandhabt
wurden,^) dieselbe war wie die, welche zur Richtschnur
der Heiligen in der Dispensation der Fülle der Zeiten
geoffenbart worden ist.
Anmerkungen.
1. Der Ausdruck „Sakrament" (Gnadenmittel, Heilsspende) wird
gewöhnlicli in einem allgemeinen und in einem besondern Sinne gebraucht ;
seiner Abstammung nach bedeutet er etwas Heiliges oder eine heilige Zere-
monie, und mit dieser Bedeutung wird er von verschiedenen Sekten auf
einige Verordnungen ihrer Kirchen angewandt. So sprechen die Prote-
stanten von zwei Sakramenten: der Taufe und dem Abendmahl; die
Römisch- und Griechisch-Katholischen anerkennen sieben Sakramente
— die erwähnten zwei, dazu die Firmung (Einsegnung), die Ehe, die Priester-
weihe, die Buße und die letzte Ölung. Einige Gruppen innerhalb der
Griechischen Kirche sollen die Firmung und die letzte Ölung aus den sieben
Sakramenten ausschließen. Mit noch umfassenderer Bedeutung wird das
Wort auf irgendeine wunderbare oder geistliche Kundtuung angewandt; in
dieser Weise wird es von Bischof Jeremy Taylor gebraucht, wo er spricht:
„Gott sandte zuweilen eine Feuersäule und eine Wolkensäule *•• und das
Sakrament eines Regenbogens, um sein Volk durch seinen Teil des Kummers
zu führen." Insbesondere aber bedeutet das Wort Sakrament das Abend-
mahl des Herrn, und mit dieser Bedeutung allein kommt es in der Theologie
der Heiligen der letzten Tage vor. Die „Eucharistie"') und „heilige Kom-
munion" sind Ausdrücke, die in gewissen Kirchen als sinnverwandt mit
dem Sakrament des Herrn Abendmahls gebraucht werden. Von dem
Brauch, das Abendmahl, d. h. das Genießen des Abendmahls als Beweis
der Mitgliedschaft in den Kirchen anzusehen, und von der Regel, dieses
Vorrecht denen vorzuenthalten, die als der Mitgliedschaft unwürdig gehalten
werden, stammt der Ausdruck exkommunizieren, wie er auf Entziehung der
Gemeinschaft in der Kirche — buchstäblich bedeutend „aus der Kom-
munion (vom Abendmahl) ausstoßen" — angewandt wird.
2. Des Herrn Abendmahl. — Wie erwähnt, kommt diese Bezeichnung
des Sakraments nur einmal in der Bibel vor. In seinem ersten Brief an die
Korinther spricht Paulus von ,,des Herrn Abendmahl" (1. Kor. 11:20).
Wahrscheinlich wurde dieser Name gebraucht, weil die heilige Verordnung
zum erstenmal zur Zeit des Abendessens vollzogen wiu-de. Es muß daran
erinnert werden, daß unter den Juden das Deipnon, oder Abendessen, die
Hauptmahlzeit des Tages war, und in Wirklichkeit unserm Mittagessen
entsprach.
3. Das Passahfest und das Abendmahl. — Das Passahfest war das
Hauptfest der alljährlichen Feierlichkeiten der Juden, und sein Name rührte
von den Umständen bei seinem Urspnmg her. Als der Herr seine Hand aus-
streckte. Israel aus der ägj'ptischen Gefangenschaft zu befreien, tat er
') Moroni 4 und 5.
') Eucharistie = Danksagung, Abendmahlsfeier.
Art. 4.] Anmerkungen. 219
viele Wunder vor Pharao und seinem abgöttischen Haus. Als letzte der
zehn furchtbaren Plagen, denen die Ägypter unterlagen, wurde in einer
einzigen Nacht der Erstgeborene jeder Familie von dem Tode betroffen.
Einem vorhergehenden Befehl gemäß hatten die Israeliten die Pfosten
und Stürze ihrer Türeingänge mit dem Blut eines Lammes, das zu diesem
Zweck geschlachtet wurde, mit einem Büschel Ysop besprengt. Als der
Herr durch das Land zog, ging er an den so bezeichneten Häusern vorüber
(2. Mose 12:12 — 13), während in allen ägyptischen Häusern der Tod ein-
kehrte. So stammt der Name Passah (englisch Passover) von pasach,
vorübergehen, ab. Das Fleisch des Opferlammes wurde dann in der Eile
der Flucht gegessen. Um sie an ihre Befreiung aus der Knechtschaft zu erinnern,
verlangte der Herr von den Israeliten eine jährliche Feier dieses Ereignisses,
und die Gelegenheit wurde als das „Passahfest", auch „das Fest der un-
gesäuerten Brote" bekannt; dieser Name rührt von dem Befehl des
Herrn her, daß während der Feier kein Sauerteig In den Häusern des Volkes
gefunden werden sollte (2. Mose 12:15). Das Fest sollte Veranlassung
geben, die Kinder über das barmherzige Verfahren Gottes mit ihren Vor-
fahren zu belehren (2. Mose 12:26, 27). Aber außer seinem erinnernden
Zweck wurde das Passahfest dem Volke ein Vorbild des Opfers auf Golgatha.
Paulus sagt: „Denn wir haben auch ein Osterlamm, das ist Christus, für
uns geopfert" (1. Korinther 5:7). Als Sinnbild des künftigen versöhnenden
Todes Christi verlor das Passahfest teilweise seine Bedeutung durch die
Kreuzigung und wurde daher durch das Abendmahl aufgehoben. Es gibt viel-
leicht keine nähere Verwandtschaft zwischen den zwei Verordnungen als diese.
Sicher war das Abendmahl nicht dazu bestimmt, das Passahfest völlig zu
ersetzen, denn dieses wurde als ein immer wiederkehrendes Fest eingesetzt:
„Ihr sollt diesen Tag haben zum Gedächtnis und sollt ihn feiern dem Herrn
zum Fest, ihr xmd alle eure Nachkommen, zur ewigen Weise" (2. Mose 12: 14).
4. Irrtümer betreffs des Abendmahls und seiner Bedeutung und der
Weise der Austeilung nahmen in den sich zum Christentum bekennenden
Kirchen während der frühern Jahrhunderte des Christentums schnell zu.
Sobald die Kraft des Priestertums weg war, entstand viel Streit über die
Verordnung, und die Vollziehung des Abendmahls entartete. Religionslehrer
suchten die Meinung zu nähren, daß dieser natürlich einfachen imd er-
greifenden Verordnung viel Geheimnisvolles anhafte und daß alle, die nicht
in voller Gemeinschaft mit der Kirche seien, nicht allein von der Teilnahme
an der Verordnung ausgeschlossen werden sollten — was auch richtig war —
sondern auch von dem Vorrecht, den Dienst anzusehen, auf daß die rätsel-
hafte Feierlichkeit durch ihre unheilige Gegenwart nicht entweiht werde.
Dann entstand die Ketzerei der „Transsubstantiation",') die behauptete,
daß die Stoffe des Abendmahls bei der Zeremonie der Weihung ihren
natürlichen Charakter als einfaches Brot und Wein verlören, und in Wirk-
lichkeit Fleisch und Blut, tatsächlich Teile des gekreuzigten Leibes Christi,
würden. Beweisführungen gegen solche Lehren sind zwecklos. Dem folgte
die Verehrung der Sinnbilder durch das Volk; es wurde bei der Messe für
die Anbetung des Volkes erhoben, das Brot und den Wein als Teile des
Körpers Christi anzusehen. Später wurde der Brauch eingeführt, die
') Transsubstantiation = Verwandlung, Brotverwandlung, Abend-
mahlswunder.
220 Die Glaubensartikel. [Vorl. IX.
Hälfte des Abendmahls dem Volk vorzuenthalten. Durch die letzterwähnte
Neuerung wurde nur das Brot ausgeteilt, denn die kirchliche Lehre ging
dahin, daß beides, Leib imd Blut, in irgendeiner geheimnisvollen Weise
in einem „Element" dargestellt werde. Sicher ist, daß Christus seine
Apostel aufforderte, zu seinem Gedächtnis sowohl zu trinken als auch
zu essen.
5. Das Abendmahl nngetauften Kindern ausgeteilt. — Es sind
Fragen aufgetaucht, ob es richtig sei, Kindern, die das zur Taufe bestimmte
Alter noch nicht erreicht haben, das Abendmahl zu geben. Wie wir in
einer vorhergehenden Vorlesung angegeben haben (S. 153 — 156), sind
Kinder, die in der Kirche geboren werden, ohne die Taufe Mitglieder,
bis sie das Alter der Verantwortlichkeit erreicht haben. Wahrschein-
lich gibt es keine Übertretung des Gesetzes, wenn das Abendmahl unter
solchen unschuldigen Personen ausgeteilt wird, und da die lebenden Autori-
täten der Kirche diesen Brauch verordnet haben, ist die Frage betreffs
der Richtigkeit beantwortet. Dennoch sollen Kinder belehrt werden, daß,
nachdem sie durch die Taufe und die Konfirmation in der Kirche auf-
genommen worden sind, das Genießen des Abendmahls für sie einen großem
Wert hat, indem es eine Erneuerung der Bündnisse, die sie an den Gewässern
der Taufe machten, bezeichnet.
Art. 5.] Männer von Gott berufen. 221
Vorlesung X.
Vollmacht im Amt.
Artikel 5. — Wir glauben, daß ein Mann von Gott berufen sein muß
durch Offenbarung und durch das Auflegen der Hände derer, welche die
Vollmacht dazu haben, das Evangelium zu predigen und in dessen Ver-
ordnungen zu amtieren.
Männer von Gott berufen.
1. Biblische Beispiele. — Es entspricht ebensosehr den
Eingebungen des menschlichen Verstandes als dem Plane
der vollkommenen Organisation, welche die Kirche cha-
rakterisiert, daß alle, die in den Verordnungen des Evange-
liums amtieren, durch die Vollmacht des Himmels berufen
und zu ihren heiligen Pflichten beauftragt werden. Die
Schrift bestätigt durchaus diese Ansicht ; sie stellt uns eine
Reihe Männer vor, deren göttliche Berufung besonders
bezeugt wird, und deren mächtige Werke eine größere
Kraft als die des Menschen erkennen lassen. Anderseits
wird nicht ein einziges Beispiel berichtet, daß, wenn irgend
jemand sich selbst die Autorität, in heiligen Dingen zu
amtieren, angemaßt hat, Gott doch dessen Handlungen
anerkannt hätte.
2. Betrachten wir den Fall Noahs, der inmitten einer
bösen Welt „Gnade fand vor dem Herrn". i) Zu ihm
sprach der Herr und verkündete sein Mißfallen an den
bösen Einwohnern der Erde und das göttliche Vorhaben
betreffs der Flut; er unterwies ihn auch im Bauen und
Ausstatten der Arche. Daß Noah seinen verderbten Zeit-
1) 1. Mose 6:8.
222 Die Glaubensartikel, [Vorl. X.
genossen das Wort Gottes verkündigte, ist ersichtlich aus
des Petrus Erklärung über die Mission Christi in der
Geisterwelt — daß der Heiland das Evangelium verkün-
digte denen, die zu der Zeit der Geduld Gottes in den
Tagen Noahs ungehorsam gewesen waren, und die als
Folge davon in der Zwischenzeit die Entbehrungen eines
Gefängnisses erlitten hatten. i) Sicher kann niemand die
göttliche Quelle der Vollmacht Noahs in Frage ziehen,
noch die Gerechtigkeit der vergeltenden Strafe, die auf
das absichtliche Verwerfen seiner Belehrungen folgte,
denn seine Worte waren die Worte Gottes.
3. So war es auch mit Abraham, dem Vater der
Gläubigen. Der Herr berief ihn^) und machte ein Bündnis
mit ihm für all die Geschlechter seiner Nachkommen-
schaft. In gleicher Weise wurde Isaak^) ausgesondert;
ebenso Jakob,*) dem der Herr erschien, als er auf seinem
Kissen aus Steinen in der Wüste ruhte. Aus dem brennen-
den Busch kam die Stimme Gottes zu Mose^) und berief
und beauftragte diesen Mann, nach Ägypten zu gehen
und das Volk zu befreien, dessen Jammern mit solcher
Wirkung vor den Thron des Himmels gekommen war. Um
seinem Bruder in diesem großen Werk zu helfen wurde
Aaron^) berufen; und später wurden Aaron und seine
Söhne') aus der Mitte der Kinder Israel durch
göttlichen Befehl erwählt, um im Priesteramt tätig zu sein.
Als Mose^) sah, daß seine Tage gezählt waren, bat er den
Herrn, einen Nachfolger für sein heiliges Amt zu bestimmen ;
') 1. Petrus 3:19—20.
») 1. Mose 12—25; Köstl, Perle, Buch Abraham.
») 1. Mose 26:2—5.
«) 1. Mose 28:10—15.
') 2. Mose 3:2—10.
») 2. Mose 4:14 — 16, 27.
') 2. Mose 28:1.
•) 4. Mose 27:15—23.
Art. 5.] Männer von Gott berufen. 223
und durch besondern Befehl wurde Josua, der Sohn Nuns,
hierzu auserwählt.
4. Samuel, der solch ein großer Prophet in Israel
wurde und beauftragt war, Könige zu weihen, ihnen
zu befehlen und sie zu tadeln, Heere zu führen und dem
Volk als Mundstück Gottes zu dienen, wurde erwählt und
durch die Stimme des Herrn berufen, als er noch ein
Knabe war.^) Und derart war die Kraft, die diesem Rufe
folgte, daß das ganze Israel von ,,Dan bis gen Beer-Seba"
wußte, daß Samuel als ein Prophet Gottes eingesetzt
worden war. 2) Die Zeit erlaubt es nicht, die vielen andern
mächtigen Männer zu erwähnen, die ihre Kraft von Gott
erhielten und deren Geschichte die Ehre, mit welcher der
Herr seine auserwählten Diener ansieht, schildert. Man
denke nur an das himmlische Gesicht, durch das Jesaja
berufen und in den Pflichten seines prophetischen Amtes
unterwiesen wurde ;^) an Jeremia, zu welchem das Wort
des Herrn in den Tagen Josias kam;^) an den Propheten
Hesekiel, der die göttliche Botschaft zum erstenmal in dem
Lande der Chaldäer erhielt,^) und später bei andern Gelegen-
heiten: an Hosea^) und an alle andern Propheten bis auf
Sacharja^) und Maleachi.^)
5. Die Apostel des Herrn wurden in den Tagen seines
Wirkens durch seine eigene Stimme berufen; und sicher
ist die Vollmacht des Heilandes — da sie durch die mäch-
tigen Werke des durch Schmerzen und Todesqual voll-
brachten Sühnopfers und die bevollmächtigte Erklärung
des Vaters zur Zeit der Taufe Christi bestätigt wird —
•) 1. Samuel 3:4—14.
n 1. Samuel 3:20.
») Jesaja 1:1; 2:1; 6;
') Jeremia 1:2 — 10.
') Hesekiel 1:1.
•) Hosea 1:1.
') Sacharja 1:1.
*) Maleachi 1:1.
224 Die Glaubensartikel. [Vorl. X.
nicht zu bezweifeln. Petrus und sein Bruder Andreas wur-
den, als sie ihre Netze in das Meer warfen, mit der Anweisung
berufen: „Folget mir nach; ich will euch zu Menschen-
fischern machen l"i) und kurz nachdem wurden Jakobus
und Johannes, die Söhne des Zebedäus, in gleicher Weise
berufen. Und so auch mit all den erwählten Zwölfen, die
mit dem Meister wirkten; und den Elfen, die treu geblieben
waren, erschien er nach seiner Auferstehung und gab ihnen
besondere Aufträge für das Werk seines Reiches. 2) Christus
erklärt ausdrücklich, daß er seine Apostel erwählt und zu
ihren erhabenen Stellen ordiniert habe.^)
6. In der der irdischen Mission Christi unmittelbar
folgenden Zeit wurden die Diener des Evangeliums durch
unzweifelhafte Autorität ernannt und geweiht. Selbst
Saulus von Tarsus, nachher Paulus der Apostel, der durch
wunderbare Zeichen und Kundtuungen bekehrt wurde,^)
mußte für das Werk, das der Herr von ihm verlangte,
rechtmäßig beauftragt werden; es wird uns berichtet, daß
der Heilige Geist zu den Propheten und Lehrern der Kirche
zu Antiochien, als sie fasteten, in folgender Weise sprach:
,, Sondert mir aus Barnabas und Saulus zu dem Werke,
dazu ich sie berufen habe."^)
7. Eines Mannes Ordination zu einem Amte, wie sie
durch biblische Vorgänge gutgeheißen und durch unmittel-
bare Offenbarung des Willens Gottes festgesetzt worden
ist, soll durch die Gabe der Prophezeiung und das Auflegen
der Hände von denen, die die Autorität dazu haben, voll-
zogen werden. Unter Prophezeiung wird das Vorrecht,
Kundtuungen des göttlichen Willens zu empfangen und
■) Matthäus 4:18—20.
») Matthäus 28:19—20; Markus 16:15.
") Johannes 6:70; 15:16.
*) Apostelgesch. 9.
') Apostelgesch. 13:1—2.
Art. 5.] Männer von Gott berufen. 225
die Kraft, dieselben auszulegen, verstanden. Daß das
Auflegen der Hände als ein Teil der Zeremonie üblich ist,
wird in einigen der schon erwähnten Fälle erkannt; doch
berichtet die Schrift auch von vielen Ordinationen zu
Ämtern im Priestertum, ohne eine besondere Erklärung
betreffs des Auflegens der Hände oder überhaupt irgend-
welche Einzelheiten der Zeremonie anzugeben. Solche
Fälle berechtigen aber nicht zu der Folgerung, daß das
Auflegen der Hände wirklich nicht vollzogen wurde. Im
Lichte neuzeitlicher Offenbarung ist es klar, daß das Auf-
legen der Hände eine gewöhnliche Begleiterscheinung der
Ordination, wie es auch ein Teil der Zeremonie der kon-
firmierenden Segnungen^) und der Spendung des Heiligen
Geistes^) w^ar.
8. In dieser Weise kam das Priestertum von Adam
durch die Hände der Väter auf Noah herab ;3) Enos wurde
von Adam ordiniert, was auch der Fall war mit Mahala-
leel, Jared, Henoch und Methusalah. Lamech wurde
unter der Hand Seths ordiniert. Noah empfing seine
Vollmacht unter der Hand Methusalahs. So kann man
das Priestertum, wie es durch die Führung des Geistes
der Prophezeiung und unter der Hand des einen auf den
andern übertragen wurde, bis auf die Zeit Moses verfolgen.
Melchizedek, der diese Vollmacht auf Abraham übertrug,
hatte die seine von Noah durch die gerade Linie seiner
Väter empfangen. Esaias, ein Zeitgenosse Abrahams,
empfing seine Ordination von der Hand Gottes. Unter
der Hand Esaias ging das Priestertum auf Gad über,
dann durch dieselbe Vermittlung auf Jeremi, Elihu, Caleb
') 1. Mose 48:14 — 19. Vergleiche 2. Könige 5:11; Matthäus 8:15;
Markus 6:5; 16:15—18.
= ) Siehe Vorlesung VIII, Seite 195—209.
') Lehre u. Bündn. 107:40 — 52.
226 Die Glaubensartikel. [Vorl. X.
und Jethro, den Priester in Midian, von dem Mose ordiniert
wurde. ^) Josua, der Sohn Nuns, wurde, wie es Gott
befohlen hatte, durch das Auflegen der Hände von Mose
eingesetzt. 2)
9. Zur Zeit der Apostel machten es die Umstände
ratsam, in der Kirche besondere Beamte einzusetzen, die
für die Armen sorgen und die Verteilung der Vorräte über-
wachen sollten. Diese Männer wurden mit Sorgfalt aus-
gesucht und durch Gebet und das Auflegen der Hände
eingesetzt.^) In gleicher Weise wurde Timotheus ordiniert,
wie die ihm von Paulus gegebenen Ermahnungen bezeugen :
„Laß nicht außer der Acht die Gabe, die dir gegeben ist
durch die Weissagung mit Handauflegung der Ältesten",^)
und wiederum: „Erwecke die Gabe Gottes, die in dir ist,
durch die Auflegung meiner Hände. "^) Der Herr hat sich
durch feierliches Bündnis verpflichtet, die Handlungen
seiner autorisierten Diener anzuerkennen. Wem auch
immer die Ältesten nach der Taufe Verheißung geben, auf
den wird der Heilige Geist kommen.^) Was auch immer
die Priesterschaft auf Erden binden oder lösen wird, wird
in gleicher Weise im Himmel gebunden oder gelöst werden,')
die Kranken, auf welche die Ältesten ihre Hände legen,
sollen genesen; 8) und viele andere Zeichen sollen denen
folgen, die glauben. Und so eifrig ist der Herr auf die Macht,
in seinem Namen zu amtieren, bedacht, daß beim Jüngsten
Gericht alle, die seinen Dienern geholfen oder sie verfolgt
') Lehre u. Bündn. 84:6 — 14.
») 4. Mose 27:18; 5. Mose 34:9.
=) Apostelgesch. 6:1 — 6.
*) 1. Timotheus 4:14.
') 2. Timotheus 1:6.
•) Apostelgesch. 2:38; 3. Nephi 11:35; 12:2; Lehre u. Bündn. 84:64.
') Matthäus 16:19; Lehre u. Bündn. 1:8; 128:8 — 11.
') Marl£us 16:15—18.
Art. 5.] Männer von Gott berufen. 227
haben, so belohnt oder bestraft werden sollen, als hätten
sie diese Dinge Christus selbst angetan. i)
10. Unbefugtes Amtieren in priesterlichen Diensten
ist nicht allein ungültig, sondern auch sehr sündhaft. In sei-
nem Umgang mit der Menschheit hat Gott immer das unter
seiner Führung eingesetzte Priestertum anerkannt und
geehrt; er hat noch nie irgendwelche unbefugte Anmaßung
von Vollmacht geduldet. In dem Falle der Empörung
Korahs und seiner Gefährten gegen die Autorität des
Priestertums, wo sie das Recht, das Priesteramt zu ver-
walten, sich unrechtmäßigerweise selbst anmaßten, wird
eine furchtbare Belehrung gegeben. Wegen ihrer Sünde
suchte sie der Herr schnell heim und machte, daß sich die
Erde spaltete und sie mit ihrer ganzen Habe verschlang. 2)
11. Und bedenke die Strafe, die auf Mirjam, die
Schwester Moses und eine Prophetin unter dem Volke,
kam. 3) Sie und Aaron redeten wider Mose und sprachen:
,, Redet denn der Herr allein durch Mose? Redet er nicht
auch durch uns? Und der Herr hörte es."^) Er kam
sogleich in einer Wolke hernieder, stand an der Tür der
Stiftshütte, verwies ihnen ihre Anmaßung und recht-
fertigte die Vollmacht seines erwählten Dieners Mose. Als
sich die Wolke von der Stiftshütte verzog, sah man, daß
Mirjam vor Aussatz weiß war wie Schnee; und nach dem
Gesetz wurde sie aus dem Lager Israels ausgestoßen. Aber
auf das ernste Bitten Moses heilte der Herr das Weib, und
später wurde ihr erlaubt, zum Volke zurückzukehren.
12. Betrachten wir auch das Los Usas, des Israeliten,
den, weil er seine Hand ausstreckte, um die Bundeslade zu
') Matthäus 18:4—6; 25:31 — 46; Lehre u. Bündn. 75:19—22;
84:88—90.
*) 4. Mose 16.
') 2. Mose 15:21.
•) 4. Mose 12.
228 Die Glaubensartikel. [Vorl. X.
halten, durch den Zorn Gottes ein plötzlicher Tod traf.i)
Dieses tat Usa entgegen dem Gesetz, wonach niemand außer
den Priestern das heilige Zubehör der Lade anrühren
durfte; wir lesen, daß bei Todesstrafe nicht einmal die
berufenen Träger des Gefäßes seine heiligen Teile anrühren
durften. 2)
13. Denken wir dann an Saul, den König von Israel,
der von dem Lande berufen wurde, ein von Gott begünstig-
ter Fürst zu werden. Als die Philister zu Michmas gegen
Israel geordnet standen, harrte Saul Samuels,^) unter
dessen Hand er die königliche Salbung empfangen hatte,*)
und an den er sich in den Tagen seiner Demut um Führung
gewandt hatte; er bat, daß der Prophet komme und dem
Herrn um des Volkes willen Opfer darbringe. Aber Saul —
über die Verzögerung Samuels ungeduldig und vergessend,
daß, obwohl er den Thron einnahm, die Krone trug und
das Zepter führte, diese Amtsabzeichen seiner könighchen
Macht ihm keinerlei Vorrecht gaben, nicht einmal als
Türhüter in dem Hause Gottes zu amtieren — bereitete
das Brandopfer selbst; und wegen dieses Falles und auch
wegen anderer Fälle sündhafter Anmaßung wurde er von
Gott verworfen und ein andrer an seiner Stelle erwählt.
14. Ein treffendes Beispiel des göttlichen Eifers für
heilige Dienste ist die furchtbare Erfahrung Usias, des
Königs von Juda. Als er erst 16 Jahre alt war, wurde er
auf den Thron gesetzt, und solange er den Herrn
suchte, ließ ihm dieser alles sehr wohlgelingen, so daß sein
Name seinen Feinden ein Schrecken wurde. Aber der
König ließ in seinem Herzen Stolz aufkommen und gab
sich dem Wahn hin, er sei in seiner Eigenschaft als König
') 1. Chronik 13:10.
'■) 4. Mose 4:15.
') 1. Samuel 13:5—14.
•) 1. Samuel 10.
Art. 5.] Männer von Gott berufen, 229
der Höchste von allen. Er ging in den Tempel und ver-
suchte auf dem Altar zu räuchern. Über diese gottes-
lästerliche Tat empört, verboten es ihm Asarja, der Haupt-
priester des Tempels, und mit ihm achtzig Priester, die
zu dem König sprachen: ,,Es gebührt dir, Usia, nicht, zu
räuchern dem Herrn, sondern den Priestern, Aarons
Kindern, die zu räuchern geheiligt sind. Gehe heraus aus
dem Heiligtum, denn du vergreifst dich." Über diesen
Tadel und Verweis von seinen Untertanen — obwohl diese
Priester des lebendigen Gottes waren — wurde der
König sehr zornig, aber sogleich fiel die furchtbare Strafe
des Aussatzes auf ihn. Die Zeichen der schrecklichen
Krankheit erschienen an seiner Stirn; und jetzt, daß er
körperlich ein unreiner Mensch war, trug seine Gegenwart
noch mehr dazu bei, den heiligen Ort zu verunreinigen.
Und Asarja und seine Mitpriester stießen den König aus
dem Tempel; und er, ein heimgesuchtes Wesen, floh von
dem Hause des Herrn, um nie wieder jene heiligen Räume
zu betreten. Von seiner weitern Strafe lesen wir: ,,Also
war Usia, der König, aussätzig bis an seinen Tod und
wohnte in einem besondern Hause aussätzig; denn er
ward verstoßen vom Hause des Herrn. "i)
15. Eine kräftige Erläuterung der Nutzlosigkeit un-
befugter Handlungen oder der bloßen Form der heiligen
Verordnungen, wenn die Vollmacht fehlt, wird in dem
Neuen Testament in dem Bericht über die sieben Söhne
des Skevas gegeben. Diese, gemeinsam mit andern, hatten
die von Paulus gezeigte wunderbare Macht gesehen und
sich darüber gewundert; denn der Herr hatte Paulus in
seinem Apostelamt so gesegnet, daß, durch Berührung
mit Taschentüchern und Schürzen, die von ihm geschickt
worden waren, die Kranken geheilt und böse Geister
•) 2. Chronik 26.
230 Die Glaubensartikel. (Vorl. X.
ausgetrieben wurden. Die Söhne Skevas, die von dem
heiligen Geschichtsschreiber zu den Beschwörern und
umherziehenden Juden gerechnet wurden, suchten auch
einen bösen Geist auszutreiben: „Wir beschwören euch
bei dem Jesus, den Paulus predigt' ' , sagten sie ; aber der böse
Geist verspottete sie wegen ihres Mangels an Vollmacht,
und rief aus: ,,Jesum kenne ich wohl, und von Paulus
weiß ich wohl; wer seid ihr aber?" Dann sprang der
besessene Mensch, in dem der böse Geist war, auf sie und
überwältigte sie, so daß sie nackt und verwundet von dem
Hause flohen.^)
16. Wahre und falsche Lehrer. — Keine außer denen,
die in gehöriger Weise zu lehren ermächtigt sind, können
als wahre Ausleger des Wortes Gottes betrachtet werden.
Die Bemerkungen Pauli über die Hohenpriester sind in
gleicher Weise auf jedes Amt des Priestertums anwendbar:
,,Und niemand nimmt sich selbst die Ehre, sondern er
wird berufen von Gott gleichwie Aaron. "2) Und wie wir
schon bemerkt haben, wurde Aaron durch Mose, dem der
Herr seinen Willen in dieser Sache offenbarte, berufen.
Diese Befugnis, in dem Namen des Herrn zu amtieren, wird
nur denen gegeben, die von Gott auserwählt sind; sie ist
nicht durch bloßes Bitten zu erhalten, noch ist sie mit
Gold zu kaufen. Wir lesen von Simon dem Zauberer,
der die von den Aposteln innegehabte Macht begehrte,
daß er diesen Dienern Christi Geld anbot und sprach:
„Gebt mir auch die Macht, daß, so ich jemand die Hände
auflege, derselbe den heiligen Geist empfange." Aber mit
gerechtem Unwillen erwiderte ihm Petrus: „Daß du ver-
dammt werdest mit deinem Gelde, darum daß du meinst,
') Apostelgesch. 19:13 — 17.
■) Hebräer 5:4.
Art. 5.] Männer von Gott berufen. 231
Gottes Gabe werde durch Geld erlanget! Du wirst weder
Teil noch Anfall haben an diesem Wort; denn dein Herz
ist nicht rechtschaffen vor Gott.''^)
17. Den Aposteln vor alters war bekannt, daß sich
die Menschen das Vorrecht, in göttlichen Dingen zu am-
tieren, anmaßen werden, wodurch sie Diener Satans wür-
den. Als Paulus zu denversammelten Ältesten zu Ephesus
redete, prophezeite er diese argen Ereignisse und warnte
die Hirten der Herde, acht zu haben auf ihre Verwaltung. 2)
In einem Brief an Timotheus wiederholte der Apostel diese
Prophezeiung ; zum Fleiß im Predigen des Worts ermahnend
erklärte er: „Denn es wird eine Zeit sein, da sie die heilsame
Lehre nicht leiden werden; sondern nach ihren eigenen
Lüsten werden sie ihnen selbst Lehrer aufladen, nach dem
ihnen die Ohren jucken, und werden die Ohren von der
Wahrheit wenden und sich zu den Fabeln kehren."-'') Die
Erklärungen Petri betreffs derselben Sache sind nicht
weniger klar. Als er den Heiligen seiner Zeit schrieb,
erwähnte er die frühern falschen Propheten und fügte
hinzu: ,,Wie auch unter euch sein werden falsche Lehrer,
die neben einführen werden verderbliche Sekten und ver-
leugnen den Herrn, der sie erkauft hat. * * * Und viele
werden nachfolgen ihrem Verderben; um welcher willen
wird der Weg der Wahrheit verlästert werden."^)
18. Göttliche Vollmacht in der gegenwärtigen Dispen-
sation. — Die Heiligen der letzten Tage behaupten,
Vollmacht zu besitzen, in dem Namen Gottes zu amtieren,
und daß dieses Vorrecht unter den Händen derer, welche
dieselbe Macht in früheren Dispensationen hielten, in dieser
Zeit erteilt worden ist. Durch die Schrift kann gezeigt
') Apostelgesch. 8:18—24.
') Apostelgesch. 20:28—30
') 2. Timotheus 4:2—4.
♦) 2. Petrus 2:1—3.
232 Die Glaubensartikel. [Vorl. X.
werden, daß die Vollmacht des heiligen Priestertums
von der Erde genommen werden sollte, nachdem die alten
Apostel erschlagen sein würden; und daß diese notwendiger-
weise wieder vom Himmel geoffenbart werden mußte, ehe
die Kirche wieder gegründet werden konnte. Am 15. Mai
1829, als Joseph Smith und Oliver Cowdery im ernsten
Gebet waren, um Belehrung über die Taufe zur Vergebung
der Sünden zu erhalten, von der sie durch die Platten des
Buches Mormon Kenntnis erhalten hatten, kam ein Bote
in einer Lichtwolke vom Himmel hernieder. Er gab sich
als der Johannes, der in alten Zeiten der Täufer genannt
wurde, zu erkennen und sagte, er wirke unter der Leitung
von Petrus, Jakobus und Johannes, welche die Schlüssel
des höhern Priestertums hielten. Der Bote legte seine
Hände auf die beiden jungen Männer und stattete sie mit
Vollmacht aus, indem er sprach: „Auf euch, meine Mit-
knechte, übertrage ich im Namen des Messias das Priester-
tum Aarons, das die Schlüssel der Erscheinung von Engeln,
des Evangeliums der Buße und der Taufe durch Unter-
tauchung zur Vergebung der Sünden hält; und dieses soll
nie mehr von der Erde genommen werden, bis die Söhne
Levis dem Herrn wieder ein Opfer in Gerechtigkeit dar-
bringen."^)
19. Kurze Zeit nach diesem Ereignis erschienen Petrus,
Jakobus und Johannes dem Joseph und Oliver, ordi-
nierten sie zum höhern oder melchizedekischen Priester-
tum und übertrugen auf sie die Schlüssel des Apostelamts,
welches diese himmlischen Boten in der frühern Dispen-
sation innegehabt und ausgeübt hatten. Diese Ordnung
des Priestertums hat Vollmacht über alle Ämter der Kirche
und schließt in sich die Macht, die geistigen Dinge zu
') Köstl. Perle, Auszug aus der Geschichte Joseph Smiths, S. 87.
Lehre u. Bündn. 13.
Art. 5.] Vorordination und Präexistenz. 233
verwalten;^) infolgedessen wurden durch diesen Besuch
alle für die Gründung der Kirche notwendigen Vollmachten
und Kräfte auf Erden wiederhergestellt.
20. Niemand ist berechtigt, in irgendwelchen Ver-
ordnungen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten
Tage zu amtieren, es sei denn, er sei durch Bevollmächtigte
zu dieser Berufung ordiniert worden; es empfängt also
keiner das Priestertum, außer unter der Hand eines
Menschen, der dieses Priestertum selbst trägt; dieser muß
es vorher von andern Bevollmächtigten bekommen haben ;
und heute kann jeder Träger des Priestertums seine Voll-
macht zurückleiten bis zum Propheten Joseph, der, wie
schon erklärt, seine Ordination unter den Händen himm-
lischer, mit göttlicher Kraft angetaner Boten empfangen
hatte. Daß Männer, die auf Erden zur Vollmacht eines
Amtes von Gott berufen worden sind, zu solcher Berufung
erwählt worden sein können, sogar schon ehe sie sterbliche
Körper angenommen haben, geht aus der Heiligen Schrift
hervor. Diese Sache darf in vorliegendem Zusammenhang
wohl Aufmerksamkeit beanspruchen; ihre Betrachtung
führt uns zu folgendem Gegenstand.
Vorordination und Präexistenz.
21. Vorordination. — Während einer wunderbaren
Unterredung offenbarte der Herr dem Abraham viele Dinge,
die sterblichen Augen gewöhnlich vorenthalten werden.
Der Patriarch sagte: ,,Nun hatte der Herr mir, Abraham,
die Intelligenzen gezeigt, welche organisiert waren, ehe die
Welt war; und unter allen diesen waren viele der Edlen
und Großen. Und Gott sah diese Seelen, daß sie gut
waren, und er stand mitten unter ihnen und sagte: Diese
will ich zu meinen Herrschern machen; denn er stand
») Lehre u. Bündn. 107.
234 Die Glaubensartikel. [Vorl. X.
unter denen, die Geister waren, und er sah, daß sie gut
waren; und er sagte zu mir: „Abraham, du bist einer von
ihnen, du warst erwählt, ehe denn du geboren wurdest."^)
Dies ist einer der vielen Beweise aus den heiligen Schriften,
daß die Geister der Menschen schon vor ihrer irdischen
Prüfungszeit lebten : ein Zustand, in dem diese intelligenten
Wesen lebten und ihren freien Willen ausübten, ehe sie
fleischliche Körper angenommen hatten. Sicher sind also
die Naturen, Gemüter und Neigungen der Menschen dem
Vater ihrer Geister bekannt, selbst ehe diese in der
Sterblichkeit geboren werden; und er braucht nicht zu
warten, bis sie ihre Fähigkeiten auf Erden entwickeln und
beweisen, ehe sie zu besonderm Wirken in der Erfüllung
göttlicher Absichten berufen werden.
22. Beweise dafür, daß Christus — selbst vom Anfang
an — erwählt und ordiniert wurde der Erlöser der Welt
zu sein, sind zahlreich vorhanden. Wir lesen von seinem
vornehmsten Stand unter den Söhnen Gottes, indem er,
um den Willen Gottes zu erfüllen, sich selbst als Opfer
anbot.2) Er war es, ,,der zwar zuvor ersehen ist, ehe der
Welt Grund gelegt ward. "2)
23. Folgenderweise lehrte Paulus die Lehre von der
göttlichen Auserwählung und Vorherbestim.mung : „Denn
welche er zuvor ersehehen hat, die hat er auch verordnet,
daß sie gleich sein sollten dem Ebenbilde seines Sohnes ***.
Welche er aber verordnet hat, die hat er auch berufen."*)
Und wieder: ,,Gott hat sein Volk nicht verstoßen, welches
er zuvor ersehen hat. "5)
') KösU. Perle, Abraham 3:22 — 23; siehe auch Jeremia 1:4 — 5.
-) Siehe Seite 99.
') 1. Petrus 1:20.
*) Römer 8:29 — 30.
') Römer 11:2.
Art. 5.] Vorordination und Präexistenz. 235
24. Alma, der nephitische Prophet, sprach von den
Priestern, die nach der Ordnung des Sohnes ordiniert
worden waren, und fügte hinzu: ,, Dieses nun ist die Weise,
nach der sie geweiht wurden, da sie von Gründung der Welt
her, nach dem Vorherwissen Gottes, wegen ihres unüber-
trefflichen Glaubens und ihrer guten Werke, dazu berufen
und vorbereitet worden sind, da es ihnen überlassen wurde,
Gutes oder Böses zu wählen; daher, weil sie das Gute
gewählt und außerordentlich großen Glauben gezeigt
haben, sind sie mit einem heiligen Berufe berufen, ja, mit
dem heiligen Berufe, welcher mit und gemäß einer vor-
bereitenden Erlösung für solche bereitet war.''^)
25. Vorordination schließt keinen Zwang in sieh ein. —
Die Lehre unbedingter Prädestination (Vorherbestimmung),
welche die Aufhebung des freien Willens des Menschen zur
Folge hätte, ist mit verschiedenen Abänderungen von
vielen Sekten vertreten worden. Jedoch sind solche Lehren
sowohl durch den Buchstaben als auch durch den Geist
der Schrift ganz und gar unberechtigt. Das Vorherwissen
Gottes inbezug auf die Natur und die Fähigkeiten seiner
Kinder befähigt ihn, das Ende ihrer irdischen Laufbahn —
selbst von Anfang an — vorauszusehen: ,,Gott sind alle
seine Werke bewußt von der Welt her. "2) Viele Leute sind
veranlaßt worden, dieses Vorherwissen Gottes als eine
sichere Prädestination anzusehen, wodurch Seelen ent-
weder der Herrlichkeit oder der Verdammung — selbst
vor ihrer Geburt im Fleisch und ohne Rücksicht auf ihre
eigenen Verdienste oder Fehler — zugewiesen werden.
Diese ketzerische Lehre sucht der Gottheit jede Eigenschaft
der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeit und der reinen
Liebe zu rauben: sie macht den Vater launenhaft und
') Alma 13:3; auch 10, 11.
') Apostelgesch. 15:18.
236 Die Glaubensartikel. [Vorl. X.
selbstsüchtig, als ob er alle Dinge, ohne sich um die darauf
folgenden Leiden der Opfer seiner Ungerechtigkeit zu
kümmern, nur zu seiner eigenen Verherrlichung führe und
erschaffe. Wie furchtbar, wie widersinnig ist ein solcher
Begriff von Gott! Er leitet zu der vernunftwidrigen
Schlußfolgerung, daß die bloße Erkenntnis zukünftiger
Ereignisse als ein bestimmender Einfluß im Zustande-
bringen solcher Begebenheiten wirken müsse. Gottes Er-
kenntnis von der geistigen und menschlichen Natur macht
es ihm möglich, über die Taten irgendwelcher seiner
Kinder unter bekannten Zuständen mit Gewißheit zu
urteilen; aber sicher hat eine solche Erkenntnis keinen
bestimmenden Einfluß auf das Geschöpf.
26. Ohne Zweifel weiß Gott von einigen Geistern, daß sie
nur die Gelegenheit zur Wahl zwischen Gutem und Bösem
erwarten, um das Böse zu wählen und ihr eigenes Ver-
derben zu vollbringen; diese sind es, von denen Judas
spricht, ,,von denen vorzeiten geschrieben ist solches
Urteil". 1) Um das Schicksal solcher abzuwenden, müßte
ihnen der freie Wille genommen werden; sie können nur
durch Zwang erlöst werden; aber Zwang Avird durch die
Gesetze des Himmels verboten, und zwar sowohl für die
Seligkeit als auch für die Verdammung. Es gibt andere,
deren Redlichkeit und Treue in ihrem vormaligen Stand
bewiesen worden sind, der Vater weiß wie rückhaltlos ihnen
zu vertrauen ist; und viele von ihnen werden sogar in ihrer
irdischen Jugend zu besonderem und erhabenem Wirken
als auserwählte Diener des Allerhöchsten berufen.
27. Präexistenz der Geister. — Die schon angeführten
Tatsachen von der Vorordination erbringen den Beweis
dafür, daß die Geister der Menschen schon vor dieser
irdischen Prüfungszeit ein Dasein gehabt haben. Diese
') Judas 4.
Art. 5-1 Vorordination und Präexistenz. 237
Zeit des Vorherdaseins wird oftmals die Stufe der
„uranfänglichen Kindheit" oder „des ersten Standes"
genannt. Daß diese Geister als organisierte Intelligen-
zen während jenes uranfänglichen Standes gelebt und
ihren freien Willen ausgeübt haben, geht aus der Erklärung
des Herrn zu Abraham hervor: „Und die, die ihren ersten
Stand behalten, sollen mehr erhalten, und die, die ihren
ersten Stand nicht behalten, sollen keine Herrlichkeit in
dem gleichen Reiche mit denen haben, die ihren ersten
Stand behalten haben; und die, die ihren zweiten Stand
behalten, sollen Herrlichkeit auf ihren Häuptern vermehrt
empfangen, für immer und ewig."^)
28. Kein Christ bezweifelt die Präexistenz des Hei-
landes oder seinen Stand als ein Glied der Gottheit, ehe er
als der Sohn Marias auf die Erde kam. Die allgemeine Aus-
legung, die man den eröffnenden Worten des Evangeliums
Johannes gibt, bestätigt die Ansicht von der ur-
anfänglichen Gottheit Christi: ,,Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort."
Wir lesen weiter: ,,Und das Wort ward Fleisch und wohnte
unter uns. "2) Die Aussprüche des Erlösers selbst bestätigen
diese Wahrheit. Als seine Jünger mit seiner Lehre inbezug
auf sich selbst nicht in Übereinstimmung waren, sprach er:
„Wie, wenn ihr denn sehen werdet des Menschen Sohn
auffahren dahin, da er zuvor war?"^) Bei einer andern
Gelegenheit sagte er: „Ich bin vom Vater ausgegangen und
gekommen in die Welt; wiederum verlasse ich die Welt
und gehe zum Vater."*) Erfreut über diese deutliche
Erklärung, die den Glauben, den sie womöglich im Herzen
trugen, bestätigte, erwiderten seine Jünger: ,, Siehe, nun
') Köstl. Perle, Abraham 3:26.
-) Johannes 1:1, 14.
') Johannes 6:62.
*) Johannes 16:28.
238 Die Glaubensartikel. [Vorl. X.
redest du frei heraus und sagst kein Sprichwort. * * *
Darum glauben wir, daß du von Gott ausgegangen bist."^)
Den verderbten Juden, die sich ihrer Abstammung von
Abraham rühmten und ihre Sünden unter dem schützenden
Gewand des großen Patriarchen zu verbergen suchten,
sagte der Heiland: ,, Wahrlich, wahrlich, ich sage euch:
„Ehe denn Abraham ward, bin ich. "2) In einem feierlichen
Gebet an seinen Vater flehte der Sohn: ,,Und nun verkläre
mich du, Vater, bei dir selbst mit der Klarheit, die ich bei
dir hatte, ehe die Welt war."^) Doch wurde Christus als
ein Kind unter Menschen geboren; und wenn seine irdische
Geburt die Vereinigung eines schon vorher lebenden
unsterblichen Geistes mit einem sterblichen Körper war,
so darf man daraus mit Recht schließen, daß dieses auch
bei der Geburt eines jeden andern Mitglieds des Menschen-
geschlechts der Fall ist.
29. Wir sind aber nicht allein der bloßen Folgerung
auf Grund der Gleichartigkeit überlassen; die Schriften
lehren deutlich, daß die Geister der Menschen vor ihrer
irdischen Geburt Gott bekannt und gezählt waren. Als
Mose dem Volke Israel seinen Abschiedsegen erteilte,
sang er: „Gedenke der vorigen Zeit***. Da der Aller-
höchste die Völker zerteilte und zerstreute der Menschen
Kinder, da setzte er die Grenzen der Völker nach der Zahl
der Kinder Israel."^) Aus diesem erfahren wir, daß die
Erde den Völkern nach der Zahl der Kinder Israel zugeteilt
wurde; es ist daher augenscheinlich, daß diese Zahl vor dem
Dasein des israelitischen Volkes im Fleisch bekannt war;
') Johannes 16:29 — 30.
■) Johannes 8:58.
') Johannes 17:5. Siehe auch Buch Mormon, 2. Nephi 9:5; 25:12;
Mosiah 3:5; 13:33—34; 15:1.
*) 5. Mose 32:7, 8.
Art. 5.] Anmerkungen. 239
dieses wird durch die Annahme eines früheren Daseins, in
dem die Geister des zukünftigen Volkes bekannt waren,
am leichtesten erklärt.
30. Daher ist in der Zahl oder Ausdehnung der zeit-
lichen Schöpfungen Gottes kein Zufall möglich. i) Die
Bevölkerung der Erde ist nach der Zahl der Geister, die
bestimmt sind, auf dieser Erde fleischliche Körper anzu-
nehmen, festgesetzt; wenn diese in der von Gott verord-
neten Ordnung und Zeit alle hervorgekommen sind, dann,
und nicht eher soll das Ende kommen.
Anmerkitngen.
1. Geistige Schöpfungen. — Der Zustand der Präexistenz (Vorher-
dasein) ist nicht aUein menschlichen Seelen eigen, sondern alle Dinge der Erde
haben ein geistiges Wesen, von welchem der zeitliche Körper nur das Gegen-
stück bildet. Wir lesen von der Schöpfung: „Und allerlei Bäume auf dem
Felde waren noch nicht auf Erden, und allerlei Kraut auf dem Felde war
noch nicht gewachsen" (1. Jlose 2:5). Dieses wird in größerer Ausführlich-
keit in einer anderen Offenbarung an Mose dargetan; „Und nun siehe, ich
sage dir, daß diese die Geschlechter des Himmels und der Erde sind, da sie
erschaffen wurden an dem Tage, als ich, Gott der Herr, den Himmel und
die Erde machte, und jegliche Pflanze des Feldes, vordem sie in der Erde
war, und jegliches Kraut des Feldes, vordem es wuchs. Denn ich, der Herr,
erschuf alle Dinge, von denen ich gesprochen habe, geistig, vordem sie
irdisch auf der Oberfläche der Erde waren. * » * Und ich, Gott der Herr,
hatte alle die Menschenkinder erschaffen; und es war noch kein Mensch da,
die Erde zu bebauen, denn im Himmel erschuf ich sie ; und es war noch
kein Fleisch auf der Erde, noch im Wasser, noch in der Luft; aber ich, Gott
der Herr, sprach und es ging ein Nebel auf von der Erde und bewäßerte den
Erdboden. Und ich, Gott der Herr, machte den Menschen von dem Staube
der Erde, und blies den Odem des Lebens in seine Nase; und der Mensch
wurde eine lebendige Seele, das erste Fleisch auf der Erde, und auch der
erste Mensch; nichtsdestoweniger waren alle Dinge vorher erschaffen;
aber geistig waren sie erschaffen und gemacht nach meinem Wort." (Köstl.
Perle, Moses 3:4—7).
2. Vollmacht von Golt gegeben. — ,,Der weitgehendste Beweis, daß
Joseph Smith die Vollmacht und Kraft des heiligen Priestertums empfing,
liegt in der Tatsache, daß die Werke Johannes des Täufers und Jesu und
seiner Apostel wieder auf Erden unter seiner Leitung getan werden. Um
die Mächte dieses Priestertums zu bekommen, ist es notwendig, daß Männer
die Gesetze und Verordnungen des Evangeliums befolgen. Der Herr ist
') Siehe Anmerkung 1.
240 Die Glaubensartikel. [Vorl. X.
persönlich einigen Männern erschienen und hat ein Bündnis mit ihnen
gemacht wie mit Abraham (siehe 1. Mose 12:1 — 3; 13:14 — 17). Der Herr
hatte auch seine zwölf jüdischen Apostel persönlich berufen und bevoll-
mächtigt. So völlig waren sie bevollmächtigt, für ilin zu wirken und in
seinem Namen zu handeln, daß er ihnen sagte: „Wer euch aufnimmt, der
nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich
gesandt hat" (Matth. 10:40). Aber allgemeiner empfangen Männer das
Priestertum von den Proplieten und Aposteln Christi. Viele haben es unter
den Händen der Apostel der ersten Dispensation des Evangeliums empfangen.
Wer es in dieser Dispensation der letzten Tage bekommen hat, hat es von
Joseph Smith und Oliver Cowdery empfangen und infolgedessen auf einem
gesetzlichen Weg von Gott dem Vater und seinem Sohn Jesus Christus erhalten.
Wer dieses Priestertum bekommen hat, hat ein Bündnis mit Gott gemacht,
und er eins mit ihnen. Dies ist augenscheinlich die angenommene
Ansicht über diese Sache in der oben angeführten Stelle von Matthäus.
Diese Lehre wird in „Lehre und Bündnisse*' noch vollkommener erläutert:
„Und auch alle, die dieses Priestertum empfangen, empfangen mich, spricht
der Herr. Denn wer meine Diener empfängt, empfängt mich, und wer mich
empfängt, der empfängt meinen Vater; und wer meinen Vater empfängt,
der empfängt meines Vaters Reich; deshalb soll alles, was mein Vater hat,
ihm gegeben werden, und dies ist nach dem Eid und Bunde, der zum
Priestertum gehört" (Lehre u. Bündn. 84:35 — 39). — Compendium, F. D.
Richards und J. A. Little, S. 67.
3. „Gott sind alle seine Werke bewußt von der Welt her" (Apostel^
gesch. 15 : 18). Die Erkenntnis, die wir vom Anfang der Welt haben, stammt
im allgemeinen von der Geschichte über ihre Erscliaffung, wie wir sie
linden in der Bibel, im 1. Buch Mose und in der Köstliclien Perle in den Schrif-
ten Moses und Abrahams. * * * Diese Schriften machen es klar, daß der
Mensch, ehe er auf die Erde kam, in einem geistigen Zustand ein Dasein
hatte und auch ebenso augenscheinlich, daß er in jener Präexistenz (Vor-
herdascin) seinen freien Willen ausübte. * * * Gott mag Männer in ihrem
ersten Stand, oder geistigen Dasein, berufen und erwählt haben, aber ob
sie in diesem Leben diesen Beruf annehmen und ihn durch Buße und gute
Werke erfüllen werden, ist eine Sache, in der es ihr Vorrecht ist, ihren freien
Willen auszuüben. * * * Menschen übten ihren freien Willen aus in ihrem
ersten oder geistigen Stand, wie sie es in diesem irdischen tun. Daß der
Charakter ihrer Werke in jedem Stande ihr Schicksal in diesem gestaltete,
ist augenscheinlich." — Compendium, F. D. Richards und J. A. Little,
S. 138—140. Siehe auch: Apostelgesch. 2:23; Römer 8:29— .30; 11:2, 28;
Jesaja 48:12; 1. Glironik 29:1; Buch Mormon, Alma 13:3—7: Lehre u.
Bündn. 84:34, 99.
Art. 6.] Die Kirche in alter und neuer Zeit. 241
Vorlesung XL
Die Kirche und ihre Verfassungs-
ordnung.
Artikel 6. — Wir glauben an die gleiche Organisation, die in der ur-
sprünglichen Kirche bestand, nämlich: Apostel, Propheten, Hirten, Lehrer,
Evangelisten usw.
Die Kirche in alter und neuer Zeit.
1. Die ursprüngliche Kirche. — Im Verlauf seines
irdischen Wirkens gründete Christus seine Kirche auf
Erden und setzte in ihr die Beamten ein, die notwendig
waren, um die Absichten des Vaters auszuführen. Wie in
der letzten Vorlesung bemerkt, wurde jede so eingesetzte
Person mit Vollmacht von Gott ausgestattet, um in den
Verordnungen ihrer Berufung zu amtieren. Nach der
Himmelfahrt Christi wurde dieselbe Organisation weiter-
geführt, indem diejenigen, die Vollmacht hatten, andre
zu den verschiedenen Ämtern des Priestertums ordinierten.
In dieser Weise wurden der Kirche Apostel, Propheten,
Evangelisten, Hirten, i) Hohepriester,-) Siebziger,^) Äl-
teste,^) Bischöfe,^) Priester,^) Lehrer,') und Diener^)
gegeben.
») Epheser 4:11.
= ) Hebräer 5:1—5.
») Lukas 10:1—11.
•) Apostelgesch. 14:23; 15:6; 1. Petrus 5:1.
') 1. Timotheus 3:1; Titus 1:7.
') Offenbarung Joh. 1 : 6.
') Apostelgesch. 13:1.
*) 1. Timotheus 3:8 — 12.
242 Die Glaubensartikel. t'^'orl. XI.
2. Außer diesen besondern Ämtern im Priestertum gab
es noch andre Berufungen mehr zeitlicher Natur, zu denen
Männer ebenfalls durch Vollmacht eingesetzt wurden ; dies
war z. B. der Fall mit den sieben Männern von gutem
Gerücht, die in den Tagen der Apostel erwählt und be-
stimmt wurden, den Armen zu dienen, wodurch die Zwölf
mehrentlastetwurden und besser auf die besondern Pflichten
ihres Amtes achten konnten. i) Diese besondre Berufung
erklärt das Wesen der Helfer und Regierer,^) welche in der
Kirche bestimmt worden sind, um unter der Leitung der
regelmäßigen Beamten des Priestertums im Werk zu
helfen.
3. Die so eingesetzten Diener und die Mitglieder, unter
denen sie arbeiten, bilden die Kirche Christi, die in vor-
trefflicher Weise mit einem vollkommenen Leibe ver-
glichen worden ist; die Einzelnen stellen die Glieder dar,
wovon jedes seine besondere Verrichtung hat, dennoch
wirken alle zusammen für das Wohl des Ganzen. 3) Jedes
so festgesetzte Amt, jeder so beauftragte Beamte ist
zu der Entwicklung der Kirche und dem Vollbringen des
Werkes Gottes notwendig. Eine von Gott gegründete
Organisation schließt nichts Überflüssiges in sich : das Auge,
das Ohr, die Hand, der Fuß, jedes Glied des Körpers ist
zur Symmetrie und zur Vollkommenheit des körperlichen
Baues notwendig. In der Kirche kann kein Beamter einem
andern mit Recht sagen: ,,Ich bedarf dein nicht."*)
4. Das Vorhandensein dieser Beamten und noch mehr
ihr Wirken unter göttlicher Hilfe und Macht darf als
ein unterscheidendes Kennzeichen der Kirche in irgend-
einem Zeitalter der Welt angesehen werden und als eine
•) Apostelgesch. 6:1 — 6.
=) 1. Korinther 12:28.
=) 1. Korinther 12:12—27; Römer 12:4—5; Epheser 4:16.
•) 1. Korinther 12:21.
Art. 6.] Die Kirche in alter und neuer Zeit. 243
entscheidende Probe, wodurch die Richtigkeit oder
Falschheit irgendeiner Behauptung auf göttliche Vollmacht
festgesetzt werden kann. Das Evangelium Christi ist das
ewige Evangelium; seine Prinzipien, Gesetze und Verord-
nungen und auch die darauf gegründete Kirchenorgani-
sation müssen immer dieselben sein. In dem Suchen nach
der wahren Kirche muß man sich deshalb nach einer Or-
ganisation umsehen, die die in früheren Zeiten eingesetzten
Ämter, die Berufungen der Apostel, Propheten, Evange-
listen, Hohenpriester, Siebziger, Hirten, Bischöfe, Ältesten,
Priester, Lehrer und Diener — nicht Männer, die bloß diese
Namen tragen, sondern Diener, die ihre Behauptung als
Beamte im Dienste des Herrn durch die ihr Wirken beglei-
tenden Beweise der Macht und Autorität bestätigen
können — in sich begreift.
5. Der Abfall von der ursprünglichen Kirche. — Die
Frage: Sind diese Vollmachten und Kräfte samt den mit
ihnen verbundenen Gaben des Geistes von dem aposto-
lischen Zeitalter bis zu der Gegenwart unter den Menschen
geblieben; kurzum, ist eine Kirche Christi während dieser
langen Periode auf Erden gewesen? dürfte wohl in dem
Gemüt eines ernsten Forschers auftauchen. Als Antwort
erwäge man diese Tatsachen : Seit der dem Wirken der
alten Apostel unmittelbar folgenden Zeit und bis in das
gegenwärtige Jahrhundert^) hat keine Kirche behaup-
tet, unmittelbare Offenbarung von Gott zu erhalten;
die vorgeblichen Diener des Evangeliums haben sogar
in dem Sinne gelehrt, daß solche Gaben Gottes auf-
gehört hätten, daß die Tage der Wunder vorbei seien
und daß die Gegenwart für ihre führenden Gesetze
von der Vergangenheit gänzlich abhängig sei. Eine ohne
weiteres verständliche Erklärung der Geschichte zeigt,
') Dieses Buch wurde im Jahre 1890 verfaßt, also im neunzehnten
Jahrhundert. — Der Übersetzer.
244 Die Glaubensartikel. [Vorl. XI.
daß es eine große Abweichung von dem Wege der
Seligkeit, wie er von dem Heiland aufgestellt worden ist,
einen allgemeinen Abfall von der Kirche Christi, gegeben
hat.i) Kaum war die Kirche von dem Heiland, dessen
Namen sie trägt, organisiert, als sich schon die Mächte
der Finsternis zum Kampf gegen die organisierte Körper-
schaft aufgestellt hatten. Sogar schon in den Tagen Christi
wurde gegen die Jünger bitterlich Verfolgung geführt;
unter den Juden anfangend — und zuerst gegen den
Meister selbst und dann gegen seine wenigen ihm nahe-
stehenden Gefährten — umgab diese Flut der Widersetzung
jeden bekannten Anhänger des Heilandes, daß sogar der
Name Christ ein Epitheton des Hohns wurde.
6. Aber im ersten Viertel des vierten Jahrhunderts
änderte sich die Haltung des Heidentums dem Chri-
stentum gegenüber, und zwar durch die Bekehrung
Konstantins des Großen, unter dessen Schutz der Christen-
glaube in Gunst kam, ja sogar zur Staatsreligion erhoben
wurde. Was für ein Bekenntnis, was für eine Religion war
es aber nun geworden ! Seine Einfachheit war verschwun-
den ; ernste Hingebung und sich selbst opfernde Aufrichtig-
keit waren den Dienern der Kirche nicht mehr eigen;
diese vorgeblichen Anhänger des demütigen Propheten von
Nazareth, diese sich selbst so nennenden Gefährten des
sanftmütigen und niedern Jesu, diese sich laut verkünden-
den Freunde des „Mannes der Schmerzen" lebten in Ver-
hältnissen, die in sonderbarem Widerspruch zu dem Leben
ihres großen Vorbildes standen. Man trachtete nach den
Kirchenämtern wegen der sie begleitenden Auszeichnung
und Ehren und Reichtümer; die Diener des Evangeliums
ahmten das Wesen der weltlichen Behörden nach ; Bischöfe
') Siehe Anmerkungen 1 und 2. Siehe „The Great Apostacy, Consi-
dered in the Light of Scriptural and Secular History", von James E. Tal-
madge, Salt Lake City 1909.
Art. 6.] Die Kirche in alter und neuer Zeit. 245
strebten nach dem Pomp der Fürsten, Erzbischöfe lebten
wie Könige und Päpste wie Kaiser. Mit diesen unerlaubten
und unbiblischen Neugestaltungen kamen auch viele Ab-
änderungen in den Verordnungen der sogenannten Kirche
vor; die Verordnung der Taufe wurde verkehrt, das Abend-
mahl wurde verändert, der öffentliche Gottesdienst wurde
eine Schaustellung der Kunst; Menschen wurden heilig
gesprochen, Märtyrer wurden zu Gegenständen der An-
betung erhoben, Gotteslästerung nahm zu, indem Männer
ohne Vollmacht die Vorrechte Gottes auszuüben ver-
suchten und andere zu den Ämtern, die noch dazu geist-
lichegenannt wurden, beriefen. Zeiten der Finsternis kamen
über die Erde; die Macht Satans schien die allerhöchste zu
sein.
7. Für eine besondere Erwägung der Beweise eines
allgemeinen Abfalls von der Kirche Christi muß der
Studierende die Religionsgeschichte zu Rate ziehen.
Obwohl nur wenige dieser Schriftsteller die Tatsache
des Abfalls anerkennen, so weisen doch die geschicht-
lichen Ereignisse, die sie berichten, auf diese furcht-
bare Wahrheit hin. Seit den Tagen der Apostel bis beinahe
zum Schluß des zehnten Jahrhunderts können wir eine
sich immer ändernde Form der Kirchenorganisation wahr-
nehmen, bis diese in der letzterwähnten Zeit mit der von
dem Heiland gegründeten Kirche nur noch wenig Ähnlich-
keit hatte. Dieser Abfall wird von einigen Geschichts-
schreibern anerkannt, und wie wir später sehen werden,
wurde er durch bevollmächtigte Prophezeiung deutlich
vorausgesagt.
8. John Wesley, der Gründer einer bedeutenden Reli-
gionsgemeinschaft, lehrte, daß die kennzeichnenden Gaben
des Heiligen Geistes nicht mehr in der Kirche seien, denn
wegen der Unwürdigkeit vorgeblicher Christen — die er
sogar als Heiden mit einer toten Form der Gottesverehrung
246 Die Glaubensartikel. [Vorl. XI.
bezeichnete — seien sie weggenommen worden^.) In der
Homilie der anglikanischen Kirche lesen wir über die
„Gefahren der Abgötterei", daß Laien und Geistliche,
Gelehrte und Ungelehrte, Männer und Frauen und Kinder
aus jedem Alter, jeder Sekte und jedem Stand selbst der
ganzen Christenheit zugleich unter der abscheulichsten
Abgötterei begraben gewesen sind, und dies für eine Zeit
von achthundert Jahren oder mehr. — Doktor Milner, der
Verfasser eines erschöpfenden Werkes über die kirchliche
Geschichte, erkennt einen erbärmlichen Zustand der Kirche
in dem zehnten Jahrhundert an und findet in diesem
traurigen Stand eine Erfüllung biblischer Voraussagungen.
9. Dieser große Abfall wurde vorausgesagt. — Durch
sein unbegrenztes Vorherwissen sah Gott von Anfang an
diesen Abfall von der Wahrheit voraus, und durch göttliche
Eingebung äußerten die alten Propheten feierliche War-
nungen vor den kommenden Gefahren. SicherUch schaute
Jesaja die Zeit der geistigen Finsternis, als er verkündigte:
,,Das Land ist entheiligt von seinen Einwohnern; denn
sie übertreten das Gesetz und ändern die Gebote und
lassen fahren den ewigen Bund."-) Und wie ergreifend ist
die Verkündigung Jeremias: ,,Denn mein Volk tut eine
zwiefache Sünde: mich, die lebendige Quelle, verlassen
sie und machen sich hie und da ausgehauene Brunnen, die
doch löcherig sind und kein Wasser geben. "3)
10. Die schon angeführten*) Prophezeiungen der
Apostel betreffs der falschen Lehrer, die die Herde bald
beunruhigen würden, verkünden den dann schnell heran-
nahenden Abfall. Paulus warnte die Heiligen zu Thessalo-
1) John Wesleys Werke, VII, S. 26 — 27. Siehe Anmerkung 4, welche
der Vorlesung XII in Verbindung mit Artikel 7, „Geistige Gaben", Seite
284, folgt.
= ) Jesaja 24:5.
') Jereraia 2:13.
*) Siehe Seite 230, 231.
I
Art. 6.] Die Kirche in alter und neuer Zeit. 247
nich, daß sie sich nicht von denen täuschen lassen sollten,
die predigten, das zweite Kommen Christi sei nahe : „Denn",
schrieb der Apostel, ,,er kommt nicht, es sei denn, daß
zuvor der Abfall komme und offenbar werde der Mensch
der Sünde, das Kind des Verderbens, der da ist der Wider-
sacher und sich überhebt über alles, was Gott oder Gottes-
dienst heißt, also daß er sich setzt in den Tempel Gottes
als ein Gott und gibt sich aus, er sei Gott."i) Dieser
Abfall hat sogar zur Zeit der Apostel angefangen: ,,So
sind nun viele Widerchristen geworden", 2) schrieb Jo-
hannes. Und in dem Brief an die Galater erklärte Paulus,
,,daß etliche sind, die euch verwirren und wollen das Evan-
gelium Christi verkehren". =')
11. Nicht weniger entscheidend sind die in dem Buche
Mormon enthaltenen Prophezeiungen betreffs dieses großen
Abfalls. Nephi, der Sohn Lehis, prophezeite die Unter-
drückung der nordamerikanischen Indianer durch die
Heiden und erklärte, daß das Volk, abgewichen von
den Verordnungen des Hauses Gottes, zu dieser Zeit
in seinem Stolz erhoben sein würde; zwar würde es sich
viele Kirchen bauen, aber doch würde es in diesen mit Eifer-
sucht, Uneinigkeit, Haß und seine eigene Weisheit lehren
und die Macht und die Wunder Gottes verleugnen.*)
12. Wiederherstellung der Kirche. — Laut der schon
erwähnten Tatsachen ist es augenscheinlich, daß die Kirche
wirklich von der Erde vertrieben worden war. In den dem
Wirken Christi unmittelbar folgenden ersten zehn Jahr-
hunderten ging die Vollmacht des Priestertums unter den
Menschen verloren, und keine menschliche Macht konnte
') 2. Thessalonicher 2:3 — 4.
") 1. Johannes 2:18.
») Galater 1:7.
«) 2. Nephi 26:19—22; siehe auch 27:1; 28:3, 6; 29:3; 1. Nephi
13:5; 22:22—23.
248 Die Glaubensartikel. [Vorl. XL
sie wiederherstellen. Aber in seiner Barmherzigkeit sorgte
der Herr für die Wiederherstellung seiner Kirche in den
letzten Tagen, und zwar zum letztenmal. Die alten Pro-
pheten sahen diese Zeit der erneuerten Erleuchtung voraus
und sangen in freudigen Tönen von ihrem Kommen. i)
Es ist schon erklärt worden, daß der Herr durch Joseph
Smith, der zusammen mit Oliver Cowdery im Jahre 1829
unter der Hand Johannes des Täufers das aaronische
Priestertum und später unter den Händen der früheren
Apostel Petrus, Jakobus und Johannes das melchizedekische
Priestertum empfing, diese Wiederherstellung zustande-
gebracht hat. Kraft der so gegebenen Vollmacht ist die
Kirche mit ihrer ganzen früheren Vollkommenheit wieder
organisiert worden und die Menschheit erfreut sich wieder
der unschätzbaren Vorrechte auf den Rat Gottes. Die
Heiligen der letzten Tage verkündigen ihren hohen An-
spruch auf die wahre Kirchenorganisation, die der von
Christo unter den Juden eingesetzten Organisation in allen
wesentlichen Dingen gleich ist; dieses Volk der letzten
Tage behauptet, das Priestertum des Allmächtigen zu
besitzen, die Vollmacht, im Namen Gottes zu amtieren,
welche Vollmacht sowohl im Himmel als auch auf Erden
Anerkennung fordert. Wir wollen nun die Organisation
der Priesterschaft, wie sie heutzutage besteht, betrachten.
Der Verwaltungsplan der wiederhergestellten Kirche.
13. Ordnungen und Ämter im Priestertum. — Die
Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage anerkennt
zwei Ordnungen des Priestertums : die geringere, genannt
die aaronische, und die höhere, bekannt als die melchi-
zedekische Ordnung. Das aaronische Priestertum ist nach
') Daniel 2: 44 — 45; 7:27; Matthäus 24:14; Offenbarung Johannes
14:6—8.
Art. 6.] Organisation der Kirche. 249
Aaron genannt, der dem Propheten Mose als Wortführer
beigegeben wurde, um unter seiner Leitung in der Ausfüh-
rung der Absichten Gottes betreffs Israels zu amtieren. i)
Deshalb wird es zuweilen das geringere Priestertum
geheißen ; aber obwohl geringer, ist es weder niedrig noch
unbedeutend. Als Israel in der Wüste wanderte, wurden
Aaron und seine Söhne durch Prophezeigung berufen und
zu den Pflichten des Priesteramts eingesetzt.-)
14. Zu einer spätem Zeit der Geschichte Israels er-
wählte der Herr den Stamm Levi, um Aaron in den priester-
lichen Tätigkeiten zu helfen. Die besondere Pflicht der
Leviten war, das Geräte zu bewahren und den Dienst in
der Stiftshütte zu verrichten. Die in dieser Weise vom
j^errn erwählten Leviten sollten die Stelle der Erstgebornen
für alle Stämme einnehmen ; diese hatte der Herr für seinen
Dienst beansprucht von der Zeit der letzten furchtbaren
Plage in Ägypten an, als der Erstgeborene in jedem
ägyptischen Hause erschlagen wurde, während der älteste
in jedem israelitischen Hause geheiligt und erhalten wurde.^)
Der den Leviten so gegebene Auftrag wird zuweilen das
levüische Priestertum genannt;*) es sollte als eine Zugabe
zu dem Priestertum Aarons, aber nicht als die höchsten
priesterlichen Vollmachten in sich begreifend, angesehen
werden. Das aaronische Priestertum, wie es in dieser
Dispensation auf Erden wiederhergestellt wurde, schließt
die levitische Ordnung in sich ein.^) Dieses Priestertum
besitzt die Schlüssel der Erscheinung von Engeln, die
Vollmacht in den äußern Verordnungen, dem Buchstaben
des Evangeliums, zu amtieren;^) es umfaßt die Ämter des
>) 2. Mose 4:14—16.
-) 2. Mose 28:1.
») 4. Mose 3:12—1?), 39. 41—45, 50—51.
*) Hebräer 7:11.
^) Lehre u. Bündn. 107:1.
«) Lehre u. Bündn. 107:20.
250 Die Glaubensartikel. [Vorl. XI.
Dieners (Diakons), Lehrers und Priesters; die Schlüssel
des Präsidiums hält die Bischofschaft.
15. Das höhere oder melchizedekische Priestertum ist
nach dem König von Salem, einem großen Hohenpriester
Gottes, genannt;^) ,,vor seiner Zeit wurde es das heilige
Priestertum nach der Ordnung des Sohnes Gottes genannt;
aber aus Ehrfurcht vor dem Namen des höchsten Wesens,
und um seine zu häufige Wiederholung zu vermeiden,
nannte die Kirche in der alten Zeit jenes Priester-
tum nach Melchizedek."^) Dieses Priestertum hält das
Vorrecht des Präsidiums in allen Ämtern der Kirche;
seine besondern Aufgaben bestehen in der Verwaltung
geistiger Dinge, denn es umfaßt die Schlüssel zu allen
geistigen Segnungen der Kirche, das Vorrecht, „die Himme*
für sich offen zu haben, mit der allgemeinen Versammlung
und Kirche des Erstgebornen zu verkehren und sich der
Gemeinschaft und Gegenwart Gottes, des Vaters, und
Jesus, des Mittlers des neuen Bundes, zu erfreuen. "3) Die
besondern Ämter des melchizedekischen Priestertums sind
die eines Apostels, Patriarchen oder Evangelisten, Hoheur
priesters, Siebzigers und Ältesten. Götthche Offenbarung
hat die Pflichten jeder dieser Berufungen genau bestimmt;
und dieselbe hohe Autorität hat die Einsetzung präsi-
dierender Beamten angeordnet, die aus der Mitte derer
hervorgehen, oder von denen bestimmt werden, die zu den
verschiedenen Ämtern in den beiden Priestertümern or-
diniert worden sind.*)
16. Besondere Pflichten des Priestertums. — Das Amt
eines Dieners (Diakons) ist das erste oder niedrigste im
aaronischen Priestertum. Die Pflichten dieser Berufung
') 1. Mose 14:18; Hebräer 7:1— i:
') Lehre u. Bündn. 107:2 — 4.
») L. u. B. 107:8, 18—19.
') L. u. B. 107:21.
Art. 6.] Organisation der Kirche. 251
sind meistens zeitlicher Natur und betreffen die Be-
sorgungen für die Versammlungshäuser und die Bequem-
lichkeit der Zuhörer. Aber der Diener kann auch auf-
gefordert werden, dem Lehrer in allen Dingen in seiner
Arbeit zu helfen.^) Zwölf Diener bilden ein Kollegium;-)
über eine solche Körperschaft soll ein Präsident mit
Räten, die aus ihrer Zahl erwählt werden, präsidieren.
17. Die Lehrer sind örtliche Beamte, deren Tätigkeit
darin besteht, die Heiligen zu besuchen, sie auf ihre
Pflichten aufmerksam zu machen und durch ihr bestän-
diges Wirken die Kirche zu stärken. Sie sollen zusehen,
daß es keine Sünde in der Gemeinde gibt, daß die Mit-
glieder keine bösen Gefühle gegeneinander hegen, sondern
daß alle das Gesetz Gottes betreffs ihrer Kirchenpflichten
beachten. Wenn kein Priester oder höherer Beamter an-
wesend ist, dürfen sie die Leitung der Versammlung über-
nehmen. Werden sie in gehöriger Weise beauftragt, so
dürfen die Lehrer, ebenso wie die Diener, das Wort Gottes
predigen ; sie haben aber keine Vollmacht, in irgend welchen
geistigen Verordnungen, wie z. B. im Taufen, im Segnen
des Abendmahls oder im Auflegen der Hände selbständig
zu amtieren.^) Vierundzwanzig Lehrer bilden ein Kolle-
gium; aus einer solchen Körperschaft sollen ein Präsident
mit Räten erwählt werden.
18. Die Priester sind bestimmt, zu predigen, zu lehren,
die Schrift auszulegen, zu taufen, das Abendmahl zu
•) Lehre u. Bündn. 20:57; 107:85.
^) Kollegium (engl. Quorum). — Dieses Wort hat unter den
Heiligen der letzten Tage eine besondere Bedeutung gewonnen. Es be-
zeichnet nicht allein eine Mehrheit oder eine solche Zahl der Mitglieder
einer organisierten Körperscliaft, wie sie zum rechtmäßigen Handeln er-
forderlich ist, sondern die organisierte Körperscliaft selbst. Die Kirche
betrachtet ein Kollegium, „als einen Rat oder eine organisierte Körper-
schaft der Priesterschaft", zum Beispiel ein Kollegium der Ältesten, das
Kollegium der Zwölf Apostel usw. (Siehe Meyers Konversationslexikon.)
') L. u. B. 20:53—59; 107:86.
252 Die Glaubensartikel. [Vorl. XI.
segnen, und die Mitglieder in ihren Wohnungen zu besuchen
und sie zum Fleiß zu ermahnen. Wenn gehörig bevollmäch-
tigt darf der Priester Diener, Lehrer und andere Priester
ordinieren; und er darf aufgefordert werden, dem Ältesten
in seiner Arbeit zu helfen. Ein Kollegium der Priester
umfaßt achtundvierzig Mitglieder; einer solchen Organi-
sation soll ein Bischof vorstehen.
19. Die Ältesten sind bevollmächtigt, in allen und jeden
mit den Ämtern des niedern Priestertums verbundenen
Obliegenheiten zu amtieren; außerdem dürfen sie andere
Älteste ordinieren, Täuflinge, die richtig getauft worden
sind, als Mitglieder der Kirche konfirmieren (bestätigen)
und auf sie den Heiligen Geist übertragen. Diese Beamten
haben Vollmacht, Kinder in der Kirche zu segnen und
allen Versammlungen vorzustehen und sie zu leiten, wie
sie vom Heiligen Geist geführt werden. i) Der Älteste darf
an Stelle eines Hohenpriesters amtieren, wenn kein solcher
anwesend ist. Sechsundneunzig Älteste bilden ein Kolle-
gium; drei von diesen bilden dessen Präsidentschaft.^)
20. Die Siebziger sind reisende Prediger, ordiniert, um
das Evangelium unter den Völkern der Erde zu ver-
kündigen, „zuerst den Heiden und dann den Juden." In
diesem erhabenen Dienste sollen sie unter der Leitung der
Apostel wirken. 3) Ein vollständiges Kollegium besteht
aus siebzig Mitgliedern einschließlich sieben Präsidenten.
21. Die Hohenpriester, wenn sie in gehöriger Weise
angewiesen werden, sind ausgestattet mit Macht, in allen
Verordnungen und Segnungen der Kirche zu amtieren.
Wie die Siebziger können auch sie reisen und d^n Völkern
der Erde das Evangelium bringen, aber zu dieser Pflicht
sind sie nicht besonders berufen; ihre eigentliche Berufung
') Lelire u. Bündn. 20:38—45, 70; 107:11—12.
=) L. u. B. 107:89.
=) L. u. B. 107:34—35, 97—98.
Art. 6.] Organisation der Kirche. 253
ist die des ständigen Präsidiums. Die Hohenpriester irgend
eines Pfahles der Kirche dürfen zu einem Kollegium organi-
siert werden, und dies ohne eine Beschränkung der Zahl;
um einem solchen Kollegium vorzustehen, werden drei
der Mitglieder als Präsident mit Räten erwählt.^)
22. Die Patriarchen oder Evantjelistcn sind mit der be-
sondern Pflicht beauftragt, die Kirche zu segnen. Selbstver-
ständlich haben sie auch Autorität, in andern Verordnungen
zu amtieren. Es gibt einen Patriarchen der ganzen Kirche
mit allgemeiner Oberaufsicht über die ganze Körperschaft;
er hält die Schlüssel des patriarchalischen Amtes, und ihm
ist die Verheißung gegeben worden, ,,daß, wen er segnet,
der soll gesegnet sein, und wem immer er flucht, der soll
verflucht sein; das, was er auf Erden bindet, soll auch im
Himmel gebunden sein, und das, was er auf Erden lösen
wird, soll auch im Himmel gelöst sein."-)
23. Betreffs der patriarchalischen Vollmacht hat der
Herr gesagt: „Die Ordnung dieses Priestertums wurde
versiegelt, um von Vater auf Sohn herabgehändigt zu
werden und gehört rechtmäßig den buchstäblichen Nach-
kommen des auserwählten Samens, dem die Verheißungen
gemacht worden sind. Diese Ordnung wurde in den Tagen
Adams eingeführt und kam durch die Stammlinie * * *
herab. "3) Aber außer diesem Amt der allgemeinen pa-
triarchalischen Macht gibt es örtliche Patriarchen, die
in den Zweigen der Kirche eingesetzt werden; aber alle
sind dem Rat und der Führung des „Patriarchen der
Kirche" untergeordnet; doch besitzen sie in ihrem Gebiete
dieselben Vorrechte, die jenem für die ganze Kirche zu-
stehen. Es ist den zwölf Aposteln zur Pflicht gemacht
worden, in allen großen Zweigen der Kirche Evangelisten
») Lehre u. Bündn. 107:10; 124:134-
') L. u. B. 124:92—93.
') L. u. B. 107:40—57.
254 Die Glaubensartikel. [Vorl. XI.
oder Patriarchen zu ordinieren; die Wahl soll durch
Offenbarung erfolgen.^)
24. Die Apostel sind berufen, besondre Zeugen des
Namens Christi in der ganzen Welt zu sein;^) sie sind
bevollmächtigt, die Kirche aufzubauen und zu organisieren ;
und sie dürfen in allen und jeder heiligen Verordnung
amtieren. Sie sollen unter den Heiligen reisen und wo immer
sie hinkommen, die Angelegenheiten der Kirche regeln —
aber besonders da, wo es keine vollkommene örtliche
Organisation gibt. Sie sind ermächtigt, Patriarchen und
andere Beamten in dem Priestertum, wie. sie durch den
Geist Gottes geführt werden mögen, zu ordinieren. 3)
25. Präsidentschaften und Kollegien (Räte, Aus-
schüsse). — Das geoffenbarte Wort Gottes hat die Ein-
setzung von präsidierenden Beamten verordnet, ,,die aus
der Mitte derer hervorgehen, oder von denen bestimmt
werden, die zu den verschiedenen Ämtern in den beiden
Priestertümern ordiniert worden sind".*) Im Einklang
mit den vorherrschenden alle seine Werke kennzeichnenden
Grundsätzen der Ordnung hat der Herr verordnet, daß
die Träger seines Priestertums in Körperschaften vereinigt
werden sollen, um ihnen zu helfen, besser mit den Pflichten
ihres Amtes bekannt zu werden. Einige dieser Kollegien
sind allgemein in ihrem Umfang und ihrer Vollmacht;
andere sind örtlich in ihrer Befugnis. Alle bevollmächtigten
Kollegien und alle präsidierenden Beamten sollen durch
die Stimme derer, denen vorzustehen sie bestimmt worden
sind, in ihren verschiedenen Stellen bestätigt werden.
Also werden örtliche Beamte von den örtlichen Verbänden
bestätigt und die allgemeinen Vorgesetzten von der zu einer
>) Lehre u. Bündn. 107:39.
=) L. u. B. 107:23.
') L. u. B. 107:39, 58; 20:38 — 44.
•) L. u. B. 107:21.
Art. 6.] Organisation der Kirclie. 255
Hauptversammlung (Konferenz) versammelten Kirche.
Die Konferenzen der Kirche werden halbjährlich abge-
halten, bei welcher Gelegenheit die Namen aller Haupt-
beamten dem Volke zur Abstimmung vorgelegt werden.
In gleicher Weise werden die Vorgesetzten der Pfähle und
Bezirke bei den örtlichen Konferenzen, die zu diesen und
andern Zwecken abgehalten werden, durch Abstimmung
bestätigt. Und so wird in allen Organisationen der Kirche
der Grundsatz der allgemeinen Zustimmung beachtet.
26. Die Erste Präsidentschaft bildet das präsidierende
Kollegium der Kirche. Durch göttliche Anordnung wird
von den Mitgliedern der Hohenpriesterschaft ein Präsident
bestimmt, der der ganzen Kirche vorsteht. Er ist als
Präsident der Hohenpriesterschaft der Kirche, oder als der
vorstehende Hohepriester über die Hohepriesterschaft der
Kirche bekannt.^) Er ist berufen, „ein Seher, Offenbarer,
Übersetzer und Prophet zu sein, im Besitz aller Gaben
Gottes, die er (Gott) dem Haupt der Kirche verleiht". 2)
Sein Amt hat der Herr mit dem Amte des alten Mose, der
Israel als Gottes Sprachrohr diente, verglichen. In seinen
erhabenen Pflichten in der Kirche wird diesem vorstehenden
Hohenpriester von zwei anderen, die dasselbe Priestertum
tragen, geholfen, und diese drei Hohenpriester — wenn sie
in gehöriger Weise bestimmt und ordiniert worden sind,
und wenn sie durch das Vertrauen, den Glauben und das
Gebet der Kirche unterstützt werden — „bilden das
Kollegium der Präsidentschaft der Kirche".^)
27. Das Kollegium der zwölf Apostel. — Zwölf Männer,
die das Apostelamt tragen und in gehöriger Weise organi-
siert sind, bilden das Kollegium der Apostel. Diese hat der
') Lehre u. Bündn. 107:64 — 68.
=) L. u. B. 107:91—92.
') L. u. B. 107:22.
256 Die Glaubensartikel. [Vorl. XI.
Herr als die zwölf reisenden Räte bezeichnet ;i) sie bilden
den reisenden vorstehenden Hohen Rat, der unter der
Leitung der Ersten Präsidentschaft in allen Teilen der Welt
amtiert. Sie bilden ein Kollegium, dessen einstimmige
Entschlüsse an Macht und Geltung gleichbedeutend sind
mit den Entschlüssen der Ersten Präsidentschaft.^) Wenn
das Kollegium der Ersten Präsidentschaft durch den Tod
oder die Unfähigkeit des Präsidenten aufgelöst wird, geht
die leitende Vollmacht der Regierung sogleich auf das
Kollegium der zwölf Apostel, welches die Ernennung der
Präsidentschaft vornimmt, zurück. Es kann vorkommen,
und gegenwärtig ist es so, daß es Apostel gibt, die nicht
Mitglieder dieses Kollegiums der Zwölfe sind; aber diese
können keinen Platz in den Sitzungen des Kollegiums
beanspruchen.
28. Das vorstehende Kollegium der Siebziger. — Das
erste Kollegium der Siebziger bildet eine Körperschaft,
deren einstimmige Entschlüsse gleichbindend sind, wie die
Entschlüsse der zwölf Apostel. Viele solcher Kollegien der
Siebziger können in der Kirche notwendig werden; un-
gefähr 170 solcher Organisationen sind schon zustande
gebracht worden; jedem Kollegium stehen sieben Präsi-
denten vor. Aber die sieben Präsidenten des ersten Kolle-
giums der Siebziger präsidieren über alle andern Kollegien
und ihre Präsidenten.^)
29. Die vorstehende Bisehofsehaft, wie sie gegenwärtig
zusammengesetzt ist, besteht aus dem vorstehenden Bischof
der Kirche und seinen zwei Räten. Dieses Kollegium hält die
Oberaufsicht über die Pflichten andrer Bischöfe in der Kirche
und aller das aaronische Priestertum betreffenden Organi-
sationen. Der älteste lebende Vertreter unter den Söhnen
•) Lehre u. Bündn. 107:23, 33.
'•) L. u. B. 107:24.
») L. u. B. 107:25—26, 34, 93—97.
Art. 6.] Organisation der Kirche. 257
Aarons, wenn er in allen Hinsichten würdig und geeignet
ist, ist zu diesem Amt der Präsidentschaft berechtigt; er
muß von der Ersten Präsidentschaft der Kirche bestimmt
und ordiniert werden.^) Wird ein solcher buchstäblicher
Nachkomme Aarons gefunden und ordiniert, so darf er
ohne Räte wirken, nur wenn er im Verhör eines Präsi-
denten der Hohenpriesterschaft zu Gericht sitzt, dann
sollen ihm zwölf Hohepriester beigegeben werden. 2) Aber
wenn es an einem dazu geeigneten unmittelbaren Abkömm-
ling Aarons fehlt, darf ein Hoherpriester des melchizedeki-
schen Priestertums von der Ersten Präsidentschaft der
Kirche zu dem Amt des vorstehenden Bischofs berufen
und eingesetzt werden; zwei andre, als seine Räte richtig
ordinierte Hohepriester, sollen ihm helfen.^)
30. örtliche Organisationen der Priestersehalt. — Wo
die Heiligen ständig wohnhaft sind, werden ,, Pfähle Zions"
organisiert; jeder Pfahl umfaßt eine Anzahl Wards (Ge-
meinden) oder Zweiggemeinden. Über jeden Pfahl wird
eine Pfahlpräsidentschaft gesetzt, bestehend aus einem
Präsidenten und zwei Räten, die Hohepriester sind und in
gehöriger Weise erwählt und in dieses Amt eingesetzt
worden sind. In gerichtlichen Obliegenheiten wird der
Pfahlpräsidentschaft von dem Ständigen Hohen Rat, der
aus zwölf zu diesem Amte erwählten und ordinierten
Hohenpriestern besteht, geholfen. Diesem Rat steht die
Pfahlpräsidentschaft vor, und er bildet die höchste richter-
liche Behörde des Pfahles.
31. Die Präsidenten der Pfähle und die Bischöfe der
Gemeinden werden mit Recht als die Hirten der Herde
angesehen; ihre Pflichten sind ohne Zweifel den Pflichten
der Hirten in frühern Zeiten ähnlich. Wie schon be-
') Lehre u. Bündn. 68:18—20.
') L u. B. 107:82—83.
') L. u. B. 68:19.
258 Die Glaubensartikel. [Vorl. XI.
schrieben, sind die Hohenpriester und Ältesten in jedem
Pfahle in Kollegien organisiert, die Hohenpriester ohne
Beschränkung der Zahl; die Ältesten, je nachdem es ihre
Zahl erlaubt, bilden ein oder mehrere Kollegien, wovon
jedes aus sechsundneunzig Mitgliedern besteht. Es werden
auch Patriarchen eingesetzt, um in ihrem heiligen Amte
unter dem Volke des Pfahles zu wirken.
32. Eine Ward-Bisehofsehaft wird in jeder vollständig
organisierten Ward der Kirche eingesetzt. Diese Körper-
schaft besteht gewöhnlich aus drei Hohenpriestern, die
als Bischof und Räte eingesetzt werden. Wird aber ein
buchstäblicher Abkömmling Aarons zu der Bischofschaft
berufen, so ist es sein Recht — wie in dem Falle des
vorstehenden Bischofs erklärt wurde — ohne Räte zu
wirken. Der Bischof hat die Oberaufsicht über die Kol-
legien der niederen Priesterschaft in seiner Gemeinde ; auch
über die Träger des höhern Priestertums als Mitglieder
seiner Gemeinde; aber über die Kollegien der melchizedeki-
schen Priesterschaft, die als solche in seinem Gebiet
bestehen, hat er kein unmittelbares Präsidium. Als ein
vorstehender Hoherpriester präsidiert er mit Recht über
seine ganze Ward. Die Wardorganisation schließt in sich
die Kollegien der Priester, Lehrer und Diener — eins oder
mehrere von jedem, je nach ihrer zahlenmäßigen Größe.
33. Helfer in der Verwaltung. — Außer diesen ein-
gesetzten Behörden und Ämtern im Priestertum gibt es
eine Anzahl untergeordneter oder besonderer Organisa-
tionen, die unter dem Volke zu Erziehungs- und Wohl-
tätigkeitszwecken eingesetzt worden sind. Unter diesen
sind die folgenden von solcher Wichtigkeit, daß sie besondere
Erwähnung fordern.
1. Die Primarv ereine. — Diese sorgen für die mo-
ralische Belehrung und Erziehung der jungen Kinder.
Art. 6.] Organisation der Kirche. 259
2. Die Vereine zur gemeinsamen Fortbildung. — Diese
begreifen in sich nach den Geschlechtern getrennte
Organisationen und sind für die Ausbildung und Erziehung
der Jugend in Sachen von allgemeiner und religiöser
Bedeutung bestimmt. Unterricht wird erteilt in Theologie,
Literatur und Geschichte, Wissenschaft und Kunst, in
den Gesetzen der Gesundheit und in vielen andern Zweigen
nützlicher Kenntnis.
3. Die Sonntagschulen begreifen in sich abgestufte
Klassen zum Studium der heiligen Schriften und zur
Ausbildung in der Theologie, in moralischen und religiösen
Pflichten, und in der Ordnung der Kirche. Obwohl ur-
sprünglich für die Jugend bestimmt, stehen die Sonntag-
schulen nunmehr allen offen.
4. Die Kirchenschulen. — Diese Bildungsanstalten
sorgen sowohl für den weltlichen wie auch für den religiösen
Unterricht und erstrecken sich vom „Kindergarten" bis
zur Hochschule.
5. Die Religionsklassen. — In diesen wird klassen-
weise Unterricht in der Theologie und Religion erteilt; er
wird als Nachtrag und Ergänzung zu den gänzlich weltlichen
Belehrungen der religionsfreien Schulen geboten.
6. Die Frauenhilfsvereine. — Diese bestehen aus
Frauen, deren freiwillig auf sich genommene Pflichten
die Sorge für die Armen und die Linderung der Leiden
der Kranken umfassen.
34. Die meisten dieser Hilfsorganisationen sind in
jeder Ward (Gemeinde) vorhanden. Sie werden alle,
mit Ausnahme der Kirch chenschulen, die gewöhnlich
zu den Pfahleinrichtungen oder solchen von allgemei-
nerer Bedeutung zählen, zu der vollständigen Ausrü-
stung irgend einer Ward als notwendig betrachtet.
Beamte werden bestimmt, den verschiedenen Organi-
sationen in jeder Ward vorzustehen; und obwohl solche
260 Die Glaubensartikel. [Vorl. XI.
Beamten in einem allgemeinen Sinn den örtlichen Vor-
gesetzten in der Priesterschaft untertänig sind, halten
sie sich für die genaue Unterweisung in Plan und Art
ihrer besondern Tätigkeit an die Pfahl- und Haupt-
vorstände der besondern Organisationen. Dem Grund-
satz der gemeinsamen Zustimmung gemäß, der die Kirche
im allgemeinen kennzeichnet, werden die Beamten der
Hilfsverbände — obwohl sie von den eingesetzten Behörden
der Priesterschaft oder wenigstens mit ihrer Zustimmung
ernannt werden — durch die Stimme der Mitglieder in
der Orts- oder Hauptvereinigung, in der sie zu dienen
bestimmt sind, eingesetzt und aufrecht erhalten.
Anmerkungen.
1. Entartnng der Gottesverehrung mit dem Abfall verbunden. — Daß
die Formen der Verehrung verkehrt wurden, während sich viele heidnische
Einflüsse und Bräuche einschlichen, als das Priestertum nach der aposto-
lischen Zeit von der Erde verschwand, darf nach den Berichten der Ge-
schichte vernunftgemäß angenommen werden. Mosheim, ein berühmter
Fachmann der kirchlichen Geschichte, hat betreffs der heidnischen Ein-
führungen während des vierten Jahrhunderts folgendes zu sagen : „Mit nur
geringen Veränderungen führten die christlichen Bischöfe jene Gebräuche
und Verordnungen, mit welchen die Griechen, Römer und andre Völker
früher ihre Frömmigkeit und Verehrung ihren Abgöttern kund getan hatten,
in die christliche Verehrung ein. Denn sie vermuteten, das Volk werde
das Christentum eher annehmen, wenn es sähe, daß die von seinen Vätern
überkommenen Gebräuche noch unverändert unter den Christen blieben,
und daß Christus und die Märtyrer in derselben Weise verehrt würden wie
früher seine Götter. Selbstverständlich gab es zu diesen Zeiten wenig
Unterschied zwischen der öffentlichen Verehrung der Christen und der der
Griechen und Römer. Gleicherweise waren vorhanden: prachtvolle Ge-
wänder, Bischofsmützen, Stirnreifen, Wachskerzen, Bischofsstäbe, Festzüge
und Bittgänge, Bilder, Bildsäulen, goldene und silberne Vasen, und unzählige
andere Dinge."
Über die Form der vorgeblich christlichen Verehrung im fünften
Jahrhundert spricht derselbe Gewährsmann: „Überall nahm die öffentliche
Verehrung eine eher für die Schau und die Befriedigung des Auges ein-
gerichtete Form an. Um die Ehrfurcht des Volkes vor der geistlichen
Ordnxmg zu vermehren, wurden die priesterliclien Gewänder mit verschiede-
nen Verzierungen versehen.*** An einigen Orten wurde bestimmt, das Lob
Gottes solle Tag und Nacht ständig gesungen werden; die Sänger folgten
Art. 6.] Anmerkungen. 261
einander ohne Unterbrechung; als ob der Allerhöchste Gefallen an dem
Getöse und dem Lärm und an den Schmeicheleien der Menschen hätte.
Die Pracht der Tempel kannte keine Grenzen. Herrliche Bildsäulen wuiden
darin aufgestellt; * * * das Bild der Jungfrau Maria mit dem Kinde auf
ihrem Arm nahm dabei den hervorragendsten Platz ein."
2. Der frühe Anfang des Abfalls. — Orson Pratt, ein Apostel des
gegenwärtigen Zeitalters, hat über den frühen Abfall von den allein gültigen
Bräuchen der Kirche folgendes geschrieben: ,,Der große Abfall der christ-
lichen Kirche fing im ersten Jahrhundert an, während noch göttlich er-
leuchtete Apostel und Propheten in ihrer Mitte waren ; deshalb zählte Paulus
kurz vor seinem Märtyrertum eine große Zahl auf, ,die sich gestoßen und
am Glauben Schiffbruch gelitten haben' ; und die sich haben , umgewandt zu
unnützem Geschwätz*; die gelehrt haben, ,die Auferstehung sei schon
geschehen', und ,acht hätten auf die Fabeln und Geschlechtsregister, die
kein Ende haben' ; und die da haben .die Seuche der Fragen und Wortkriege,
aus welchen entspringt Neid, Hader. Lästerung, böser Argwohn, Schulge-
zänke solcher Menschen, die zerrüttete Sinne haben und derWahrheit beraubt
sind, die da meinen, Gottseligkeit sei ein Gewerbe'. Dieser Abfall war so
allgemein geworden, daß Paulus dem Timotheus erklärte: ,daß sich von
ihm gewandt haben alle, die in Asien sind' ; weiter sagt er: ,In meiner ersten
Verantwortung stand mir niemand bei, sondern sie verließen mich alle';
und er erklärt zudem, daß ,es sind viele freche und unnütze Schwätzer und
Verführer', die .lehren, das nicht taugt, um schändlichen Gewinns willen'.
Jedenfalls gaben diese Abgefallenen vor, selu- rechtschaffen zu sein, denn
der Apostel spricht: ,Sie sagen, sie erkennen Gott; aber mit den Werken
verleugnen sie es, sintemal sie es sind, an welchen Gott Greuel hat, und
gehorchen nicht und sind zu allem guten Werk untüchtig.*"
3. Das Gesetz des Priesterlums. — Daß die Macht des Priestertums im
Geist der Geduld und Liebe und nicht im Widerstand gegen den freien
Willen der Menschen ausgeübt werden sollte, geht aus vielen Schriften,
und auch aus folgender, klar hervor: „Siehe, viele sind berufen, aber
wenige sind auserwählt. Und warum sind sie nicht auserwählt ? Weil ihre
Herzen so sehr auf die Dinge dieser Welt gerichtet sind, um die Ehre der
Menschen zu erlangen, daß sie diese eine Aufgabe nicht lernen: Daß die
Rechte des Priestertums mit den Mächten des Himmels unzertrennlich ver-
bunden sind, und daß die Mächte des Himmels nicht anders kontrolliert
noch gebraucht werden können, als nur durch die Prinzipien der Rechtschaffen-
heit. Daß sie uns übertragen werden können, ist wahr, doch wenn wir es
unternehmen, unsre Sünden zuzudecken, oder unsrer Eitelkeit oder unsrem
Ehrgeiz zu fröhnen, oder Einfluß, Herrschaft oder Zwang über die Seelen
der Menschen in irgendwelchem Grade von Ungerechtigkeit auszuüben,
siehe, dann werden sich die Himmel entziehen, der Geist des Herrn ist
betrübt, und wenn er gewichen ist.amen zum Priestertum oder der Vollmacht
jenes Mannes. Siehe, ehe er es gewahr wird, ist er sich selbst überlassen,
gegen den Stachel zu stoßen, die Heiligen zu verfolgen und gegen Gott zu
streiten. Wir haben durch traurige Erfahrung gelernt, daß es in der Natur
und Neigung beinahe aller Menschen liegt, sobald als sie ein wenig Autorität
empfangen, wie sie vermuten, sie sogleich anfangen, ungerechte Herrschaft
auszuüben. Folglich sind viele berufen und nur wenige auserwählt. Keine
Macht und kein Einfluß können oder sollten kraft des Priestertums auf
andre Weise unterhalten werden, als nur durch Überredung, Langmütigkeit,
262 Die. Glaubensartikel. [Vorl. XI.
Sanftmut, Demut und durch unverstellte Liebe, durch Güte und wahre
Erkenntnis, welche die Seele viel entwickeln, ohne Heuchelei und ohne
Arglist, zuweilen mit Schärfe zurechtweisend, wenn vom Heiligen Geiste
getrieben, nachher aber mit einer Kundgebung von größerer Liebe gegenüber
dem, der zurechtgewiesen wurde, damit er dich nicht als seinen Feind be-
trachten möge, und damit er wisse, daß deine Treue stärker ist als die Bande
des Todes. Laß dein Inneres mit Barmherzigkeit gegen alle Menschen
erfüllt sein und gegen den Haushalt des Glaubens, und laß Tugend unab-
lässig deine Gedanken umgeben; dann wird dein Vertrauen in der Gegenwart
Gottes stark sein, und die Lehre des Priestertums wird auf deiner Seele
ruhen wie der Tau des Himmels. Der Heilige Geist soll dein immerwährender
Begleiter sein, und dein Szepter ein unwandelbares, von Rechtschaffenheit
und Wahrheit, und deine Herrschaft eine unvergängliche Herrschaft,
und es soll dir ohne Zwang für immer und ewig zukommen." — Lehre u.
Bündn. 121:34 — 46.
Art. 7.J Geistige Gaben. 263
Vorlesung XII.
Geistige Gaben.
Artikel 7. — Wir glauben an die Gabe der Zungen, Prophezeiung,
Offenbarung, Gesichte, Heilung, Auslegung der Zungen usw.
1. Geistige Gaben ein Merkmal der Kirche. — Es ist
schon bewiesen worden, daß jeder, der mit Recht in den
Verordnungen des Evangeliums amtieren will, durch die
Kraft und Vollmacht des Himmels zu seinen erhabenen
Pf hebten beauftragt werden muß. Wenn so von Gott
ausgestattet, werden diesen Dienern Beweise des Wohl-
wollens des Meisters nicht fehlen; denn es ist für den
Umgang Gottes mit seinem Volke stets bezeichnend
gewesen, daß er seine Kraft kundtut durch die Bescherung
einer Fülle von veredelnden Gnaden, welche mit Recht
Gaben des Geistes genannt werden. Diese werden manch-
mal in einer von der gewöhnlichen Ordnung der Dinge
so verschiedenen Weise gezeigt, daß sie als wunderbar und
übernatürhch bezeichnet werden. In dieser Weise hatte sich
der Herr in den früheren Zeiten der Geschichte bekannt
gemacht ; und von den Tagen Adams an bis zur Gegenwart
sind die Propheten Gottes im allgemeinen mit solcher Kraft
ausgestattet gewesen. Wenn je das Priestertum durch
eine organisierte Kirche auf Erden gewirkt hat, sind die
Mitglieder der Herde durch den Besitz dieser Gnaden in
der Kirche in ihrem Glauben gestärkt und auf andere
verwandte Art und Weise gesegnet worden. Wir können
das Dasein dieser geistigen Kräfte als ein ausgeprägtes
Merkmal der wahren Kirche ansehen. Wo sie nicht sind,
da wirkt auch das Priestertum Gottes nicht.
264 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.
2. ]\Iormon^) erklärt feierlich, daß die Tage der Wunder
für die Kirche nicht vorbei seien, solange es noch einen
Menschen auf Erden gäbe, der gerettet werden soll.
„Denn", sagt er, ,, durch Glauben werden Wunder getan,
und durch Glauben erscheinen Engel und dienen den
Menschen; daher wehe den Menschenkindern, wenn diese
Dinge aufgehört haben! denn es ist Unglaubens halber,
und alles ist vergebens." Und Moroni, an der Schwelle
des Grabes stehend, legt ein freies Zeugnis ab, daß die
Gaben und Gnaden des Geistes nie aufhören werden,
solange die Welt steht, außer infolge menschlichen Un-
glaubens.2)
3. Man vernehme die Worte dieses Propheten, die er
an diejenigen richtet, „die die Offenbarungen Gottes
leugnen und sagen: Sie haben aufgehört, und es gibt jetzt
weder Offenbarungen noch Prophezeiungen, weder geistige
Gaben noch die Gabe der Heilung, weder die Gabe in
mancherlei Sprachen zu reden noch dieselben auszulegen.
Sehet, ich sage euch: Wer diese Dinge leugnet, kennt nicht
das Evangelium Christi; ja, er hat die Schriften nicht
gelesen oder nicht verstanden. Denn lesen wir nicht, daß
Gott derselbe ist, gestern, heute, morgen und immerdar,
und daß in ihm kein Wandel noch Schatten der Veränder-
lichkeit ist? Nun, wenn ihr euch einen wandelbaren Gott
vorgestellt habt, in welchem Schatten der Veränderlichkeit
sind, dann habt ihr euch einen Gott vorgestellt, der kein
Gott der Wunder ist. Aber sehet, ich will euch einen Gott
der Wunder zeigen, den Gott Abrahams, den Gott Isaaks
und den Gott Jakobs; und es ist derselbe Gott, der Himmel
und Erde erschaffen hat und alle Dinge, die darinnen
enthalten sind."^)
') Moroni 7:35 — 37.
>) Moroni 10:19; 23 — ^27.
•) Mormon 9:7 — 11.
Art. 7.] Geistige Gaben. 265
4. Das Wesen der geistigen Gaben. — Die hier er-
wähnten Gaben sind hauptsächUch Ausstattungen der
Kraft und Vollmacht, durch welche die Absichten Gottes
ausgeführt werden, zuweilen mit begleitenden Umständen,,
die übernatürlich zu sein scheinen. Durch solche können
die Kranken geheilt und böse Einflüsse und die Geister
der Finsternis überwunden werden. Obwohl demütig und
schwach, können die Heiligen in neuen und fremden Zungen
ihre Zeugnisse verkünden und auch sonstwie das Lob
Gottes aussprechen; andre können diese Worte auslegen.
Der schwache menschliche Verstand kann durch die himm-
lische Einwirkung von geistigem Gesicht und gesegneten
Träumen belebt werden. Unmittelbare Verbindung mit
der Quelle aller Weisheit kann hergestellt und die Offen-
barungen des göttlichen Willens können erhalten werden.
5. Diese Gaben sind vom Herrn denen verheißen, die
an seinen Namen glauben^); sie sollen dem Gehorsam
zu den Anforderungen des Evangeliums folgen. Den
Gläubigen sollen sie zur Ermutigung und als Antrieb zu
höhrer Gemeinschaft mit dem Geiste dienen.*) Sie werden
nicht als Zeichen gegeben, um fleischliche Neugier oder
eine krankhafte Sucht nach dem Wunderbaren zu befrie-
digen. Durch Kundtuungen des Wunderbaren sind
Menschen zu dem Lichte geführt worden ; aber Ereignisse
in ihrem Leben zeigen, daß es entweder solche sind, die
auch in irgendeiner anderen Weise die Wahrheit gefunden
hätten, oder die Zeichen haben nur oberflächlich auf sie
gewirkt, und sobald das Ungewöhnliche des neuen Gefühls
sich erschöpft hat, wandern sie wieder in die Finsternis,
der sie für eine Zeit entronnen waren. Wunder sind ur-
sprünglich nicht dazu bestimmt, die Macht Gottes zu
beweisen — auf alle Fälle sind sie nicht dazu notwendig;
») Markus 16:16; Lehre u. Bündn. 84:64—73.
») Matthäus 12:38—39; 16:1 — 4; Markus 8: 11— 12; Lukas 11 : 16— 30.
266 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.
die einfachem Begebenheiten, die gewöhnlichem Werke
der Erschaffung tun das. Aber zu dem Herzen, welches
durch das Zeugnis der Wahrheit schon erweicht und
gereinigt worden, zu dem Gemüt, welches durch die Kraft
des Geistes erleuchtet worden und sich des gehorsamen
Dienstes in den Forderungen des Evangeliums bewußt ist,
kommt die Stimme der Wunder mit der erfreuenden Kunde
von dem unwandelbaren, ja vermehrten Wohlgefallen eines
liebenden Vaters, mit neuen und reichlicheren Beweisen der
Großherzigkeit eines allbarmherzigen Gottes.^)
6. Doch selbst dem Ungläubigen sollte das Zeugnis
der Wunder — wenigstens als Beweismittel, das die
Untersuchung der Kraft, durch welche diese Taten Zu-
standekommen, begünstigt — einleuchten; in solchen
Fällen sind die Wunder wie ,,eine laute Stimme zu denen,
die schwer hören". Der Zweck der geistigen Gaben in der
Kirche wird in einer Offenbarung des Herrn durch Joseph
Smith ausführlich dargelegt: ,, Darum hütet euch, auf daß
ihr nicht verführt werdet; und damit das nicht geschehe,
strebet ernstlich nach den besten Gaben, und bedenket
stets, weshalb sie gegeben werden ; denn wahrlich, ich sage
euch, daß sie zum Wohl derer gegeben werden, welche
mich lieben und alle meine Gebote halten, und für die,
die sich bemühen, so zu handeln; daß alle gesegnet werden
mögen, die nach mir forschen und von mir bitten, und die
es nicht tun um eines Zeichens willen, damit sie ihre eigenen
Begierden befriedigen."-)
7. Wunder werden gewöhnlich als übernatürliche
Begebenheiten angesehen, die im Gegensatz zu den Natur-
gesetzen stattfinden. Eine solche Vorstellung ist offenbar
irrtümlich, denn die Gesetze der Natur sind unverbrüch-
') Siehe Anmerkung 6.
') Lehre u. Bündn. 46:8-
Art. 7.] Geistige Gaben. 267
lieh. Dennoch, da das menschliche Verständnis für diese
Gesetze bestenfalls unvollkommen ist, können Vorfälle,
die mit dem natürlichen Gesetz streng im Einklang stehen,
als ihm widersprechend erscheinen. Die ganze Natur ist auf
Planmäßigkeit und Ordnung gegründet; aber wie die
Gesetze der Menschen, so sind auch die Gesetze der Natur
abgestuft. Die Anwendung eines höhern Gesetzes in irgend
einem besondern Fall zerstört nicht die Wirksamkeit noch
die Gültigkeit eines niederen ; das niedere Gesetz ist nachher
ebenso anwendbar auf den Fall, wofür es entworfen wur-
de, als zuvor. Zum Beispiel : die menschliche Gesellschaft
hat ein Gesetz eingeführt, das irgendeinem Menschen bei
schweren Strafen verbietet, das Eigentum eines andern weg-
zunehmen, doch manchmal enteignen die Vollstrecker des
Gesetzes zwangsweise das Eigentum ihrer Mitmenschen,
wenn gegen sie ein Urteil vorliegt; und solche Taten
werden getan, um der Gerechtigkeit Genüge zu leisten —
nicht um sie zu verletzen. Jehovah gebot: „Du sollst nicht
töten", und die Menschheit hat das Gesetz wieder in Kraft
gesetzt, und Strafen für die Übertretung desselben vor-
geschrieben. Die heilige Geschichte bezeugt aber, daß der
Gesetzgeber selbst in gewissen Fällen seinen Dienern direkt
geboten hat, die Gerechtigkeit zu rechtfertigen durch das
Nehmen menschlichen Lebens, Der Richter, der das
Todesurteil über einen überführten Mörder ausspricht, und
der Henker, der diesen furchtbaren Auftrag ausführt,
handeln nicht in Widerspruch zu dem Gesetz „Du sollst
nicht töten", sondern geradezu in Unterstützung dieses
Gebotes.
8. Mit einigen Prinzipien, wodurch die Kräfte der
Natur wirken, sind wir gewissermaßen bekannt und bei
ihrer Betrachtung staunen wir nicht mehr, obwohl tieferes
Nachdenken zeigen kann, daß selbst der gewöhnlichste
Vorfall wunderbar und sonderbar ist. Aber irgend eine
268 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.
außergewöhnliche Begebenheit wird als wunderbar, über-
natürlich, oder gar unnatürlich erklärt, und wir werden
mehr oder weniger von Ehrfurcht ergriffen.^) Als der
Prophet Elisa verursachte, daß die Axt aut dem Fluß
schwamm, 2) zog er durch die Ausübung der Vollmacht
des Priestertums eine der Schwerkraft überlegene Kraft
zu Hilfe. Ohne Zweifel war das Eisen schwerer als das
Wasser; doch durch die Wirkung jener höhern Kraft wurde
es gestützt, es hing, oder es wurde auf eine andre Weise,
wie von einer menschlichen Hand, auf der Oberfläche
gehalten, oder als ob es durch anhängende Schwimmer
genügende Schwimmkraft bekommen hätte.
9. Der Wein besteht gewöhnlich etwa zu vier Fünfteln
aus Wasser; der Rest ist eine Verschiedenheit chemischer
Zusammensetzungen, deren Grundstoffe in der Luft und
im Erdboden reichlich vorhanden sind. Die gewöhnliche
Weise — was wir die natürliche Weise nennen — wodurch
diese Elemente in die richtige Zusammensetzung gebracht
werden, ist, die Traube zu pflanzen und die Rebe zu pflegen,
bis die Frucht soweit ist, ihren Saft der Weinpresse zu
geben. Aber durch die Ausübung einer nicht gänzlich in der
menschlichen Macht stehenden Kraft, rief der Heiland bei
der Hochzeit zu Kana^) diese Stoffe zusammen, und
brachte eine chemische Verwandlung in den Wasserkrügen
zustande, deren Ergebnis reiner Wein war. So auch als
die Volksmengen gespeist wurden: das Brot und die
Fische vermehrten sich unter seiner priesterlichen Hand
und seinem bevollmächtigten Segen an Gehalt, als ob die
Zeiten von Jahren für ihren Wuchs — nach der von uns
als natürlich angesehenen Ordnung — verbracht worden
wären. Bei der Heilung der Aussätzigen, der Gicht-
') Siehe Anmerkung 1.
') 2. Könige 6:5—7.
=) Johannes 2:1 — 11.
Art. 7.] Geistige Gaben. 269
brüchigen, und der Gebrechlichen wurden die zerrütteten
Körperteile wieder in ihren normalen und gesunden Zu-
stand gebracht; die in den Zellengeweben als Gift wir-
kenden Unreinheiten wurden entfernt durch schnellere und
wirksamere Mittel als die, welche von der Wirkung der
Drogen und Arzneien abhängig sind.
10. Kein ernster Beobachter, kein urteilsfähiges Gemüt
kann das Vorhandensein von Intelligenzen und Organismen,
welche die menschlichen Sinne nicht wahrnehmen, be-
zweifeln. Diese Welt scheint nur die zeitliche Verkörperung
von geistigen Dingen zu sein. Der Schöpfer hat uns gesagt,
er habe alle Dinge geistig geschaffen, ehe sie zeitlich
gemacht wurden.^) Die Blumen, die auf Erden blühen und
verwelken, sind vielleicht dort oben durch unvergängliche
Blüten von überirdischer Schönheit und erquickendem Duft
dargestellt. Der Mensch ist in dem Ebenbilde Gottes
gestaltet worden; sein Geist, obwohl durch schädliche
Gewohnheiten verdunkelt und geschwächt, ist dennoch
ein zwar gefallenes Urbild unsterblichen Denkens und
göttlicher Vernunft. Und obwohl der Raum, der in Denken,
Verlangen und Tun das Menschliche von dem Göttlichen
trennt, so weit ist als der Raum zwischen Meer und
Himmel — denn so hoch wie die Sterne über der Erde sind,
so sind die Wege Gottes höher denn die der Menschen —
können wir doch eine strenge Ähnlichkeit zwischen dem
Geistigen und dem Zeitlichen wahrnehmen. Als die Augen
des Dieners des Elisa geöffnet wurden, sah er die Heer-
scharen der himmlischen Streiter, die die Berge um Dothan
deckten — Fußsoldaten, Reiter und Kriegswagen, die
zum Kampf gegen die Syrer gerüstet waren. 2) Dürfen wir
nicht glauben, daß als Israel Jericho umringte,^) der Fürst
') Siehe Anmerkung 1, Seite 239.
') 2. Könige 6:13—18.
') Josua 6.
270 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.
Über das Heer des Herrn^) und sein himmliches Gefolge
da waren, und daß die Mauern umgestürzt wurden von
den Kräften dieser Engel, die durch den Glauben und
Gehorsam des menschlichen Heeres unterstützt wurden?
11. Einige der neuesten und größten Errungenschaften
der Menschen in der Benutzung der Kräfte der Natur sind
den Zuständen der geistigen Wirkung sehr ähnlich. Auf
eine Entfernung von hundert Meilen das Ticken einer Uhr
zu zählen; in gewöhnlichem Ton zu sprechen und über
das ganze weite Land gehört zu werden ; von einer Halb-
kugel aus zu funken und auf der andern verstanden zu
werden, obwohl die Meere zwischen ihnen rollen und
brausen; den Blitz in unsere Häuser zu bringen und ihn
als Feuer und Fackel dienen zu lassen ; — sind dieses nicht
Wunder? Ihre Möghchkeit wäre vor ihrer wirklichen
Vollendung nicht für glaubhaft gehalten worden. Der Präsi-
dent der Republik, auf dem Regierungsstuhl in der Haupt-
stadt des Reiches sitzend, spricht mit allen Teilen, selbst
mit dem fernsten Punkt dieses großen Landes; und wenn
die Batterien und Drähte in Ordnung und die Beamten
zuverlässig sind, wird er über jede wichtige Bewegung im
Lande genau unterrichtet. Durch eine Ordnung des gegen-
seitigen Verkehrs, die in ihrer Wirkung und Anwendung
erstaunlich vollkommen ist, sind die Kugeln des Weltalls
in gleicher Weise tatsächlich miteinander verbunden. Diese
und unzählige andere Wunder der Schöpfung werden in
strenger Übereinstimmung mit den Gesetzen der Natur,
welche die Gesetze Gottes sind, vollbracht. Nun aber
müssen wir zurückkommen zu einer weiteren Betrachtung
der besondern Kundgebungen der geistigen Gaben in der
Kirche.
') Josua 5:13—14.
Art. 7.] Geistige Gaben. 271
12. Eine vollständige Aufzählung der Gaben des Geistes
kann von dem Menschen nicht gemacht werden, so unzählig,
so weitreichend sind des Vaters Gaben für seine Kinder.
Jedoch sind die gewöhnlichem dieser geistigen Kund-
gebungen von göttlich erleuchteten Verfassern der Heiligen
Schrift und durch das sichere Wort der Offenbarung genau
angegeben worden. Paulus an die Heiligen zu Korinth,i)
und Moroni,^) seinen letzten Mahnruf an die Lamaniten
schreibend, und die Stimme des Herrn an das Volk seiner
Kirche in dieser Dispensation^) bezeichnen viele der großen
Gaben des Geistes. Aus diesen Schriften erfahren wir, daß
jeder Mensch irgend eine Gabe von Gott empfangen hat;
aber bei der großen Mannigfaltigkeit der Gaben bekommen
nicht alle Menschen die gleichen. ,, Einigen ist es gegeben
durch den Heiligen Geist dieVerschiedenheit der Spendungen
zu erkennen, * * * Und wiederum ist es einigen gegeben,
durch den Heiligen Geist die Verschiedenheiten der
Wirkungen zu erkennen, ob sie von Gott sind, daß die
Kundgebungen des Geistes jedermann gegeben werden
mögen, daraus Nutzen zu ziehen. Und abermals sage ich
euch: einigen ist durch den Geist des Herrn das Wort der
Weisheit gegeben worden ; andern das Wort der Erkenntnis,
damit alle belehrt werden können, selbst weise zu werden
und Erkenntnis zu erlangen. Ja, einigen ist es gegeben,
daß sie Glauben haben, geheilt zu werden, und andern der
Glaube, zuheilen; oder einigen ist es gegeben, Wunder zu
tun, andern zu prophezeien, andern Geister zu unter-
scheiden; einigen wiederum in fremden Zungen zu reden,
und andern dagegen die Zungen auszulegen; alle diese
Gaben aber kommen von Gott zu Nutz und Frommen
der Menschenkinder."*)
') 1. Korinther 12:4—11.
») Moroni 10:7—19.
=) Letire u. Bündn. 46:8—29.
*) L. u. B. 46:11—26; siehe auch 1. Korinther 12:4—11.
272 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.
13. Die Gabe der Zungen und der Auslegung der
Zungen. — Die Gabe der Zungen bildete eine der ersten
wunderbaren Kundtuungen des Heiligen Geistes bei den
alten Aposteln. Sie wurde vom Heiland mit eingeschlossen,
als er die besonderen Zeichen erwähnte, die bestimmt
waren, den Gläubigen zu folgen. „In meinem Namen",
sagte er, „werden sie mit neuen Zungen reden. "^) Die
schnelle Erfüllung dieser Verheißung durch die Apostel
selbst wurde am folgenden Pfingstfest verwirklicht, als sie
— da sie sich an einem Ort versammelt hatten — mit dem
Heiligen Geist erfüllt wurden und anfingen in fremden
Zungen zu reden.-) Als die Tür des Evangeliums den
Heiden zuerst geöffnet wurde, erfreuten sich die Bekehrten
des Heiligen Geistes, der auf sie gefallen war, und der
ihnen Äußerung in Zungen gab. 3) Diese und andere Gaben
taten sich auch unter gewissen Jüngern zu Ephesus*) kund,
als sie den Heiligen Geist empfingen. In unserer Zeit wird
diese Gabe, die den Heiligen wieder verheißen worden ist,
öfters ausgeübt. Ihre Hauptanwendung liegt mehr im
Aussprechen von Lob als im Unterricht und Predigen;
dies stimmt überein mit der Lehre Pauli: „Denn der mit
Zungen redet, der redet nicht den Menschen, sondern
Gott."^) Eine außergewöhnhche Kundgebung dieser Gabe
erfolgte bei der schon erwähnten Bekehrung der Juden an
Pfingsten, als die Apostel zur Volksmenge sprachen und
von all den verschiedenen Anwesenden verstanden wurden ;
denn jeder Zuhörer vernahm ihre Belehrungen in seiner
eigenen Sprache.^) Aber diese besondere Gabe stand hier
mit höheren Ausstattungen der Kraft in Verbindung; die
•) Markus 16:17, 18.
-) Apostelgesch. 2:4.
') Apostelgesch. 10:46.
*) Apostelgesch. 19:6.
') 1. Korinther 14:2.
'> Apostelgesch. 2:6 — 12.
Art. 7] Geistige Gaben. 273
Gelegenheit war eine des Unterrichts, der Ermahnung und
der Prophezeiung. Die Gabe der Auslegung der Zungen
kann derjenige, der mit Zungen redet, besitzen, obwohl es
allgemeiner ist, daß die zwei Gaben von zwei verschiedenen
Personen ausgeübt werden.
14. Die Gabe der Heilung wurde zur Zeit des Heilandes
und seiner Apostel allgemein ausgeübt; fürwahr, die
Heilungen bildeten bei weitem den größten Teil der damals
vollbrachten Wunder. Durch bevollmächtigtes Wirken
wurden den Blinden die Augen geöffnet, die Stummen
redeten, die Tauben hörten, die Lahmen hüpften vor
Freude, leidende Menschen, durch Gebrechlichkeiten ge-
beugt, wurden wieder aufgerichtet und genaßen zur
Jugendkraft, die Gichtbrüchigen wurden gesund gemacht,
Aussätzige wurden gereinigt, Hinfälligkeit wurde ver-
bannt und Fieber gestillt. In dieser Dispensation der Fülle
der Zeiten besitzt die Kirche diese Kraft und sie äußert
sich unter den Heiligen öfters. Tausende von Empfängern
derselben können Zeugnis geben von der Erfüllung der
Verheißung des Herrn, daß, wenn seine Diener die Hände
auf die Kranken legen, diese genesen werden.^)
15. Die übliche Art und Weise der Segnung der
Kranken besteht im Auflegen der Hände derer, welche die
erforderliche Vollmacht des Priestertums besitzen; dies
stimmt überein mit den Unterweisungen des Heilands in
frühern Tagen^) und entspricht auch der göttlichen Offen-
barung in unsrer Zeit. 3) Diesem Teil der Verordnung geht
gewöhnlich eine Salbung mit zuvor geweihtem Öl voran.
Die Heiligen der letzten Tage bekennen sich zu dem Rat,
den Jakobus vor alters gab:*) ,,Ist jemand krank, der rufe
') Markus 16:17, 18; siehe auch Lehre u. Bündn. 84:68.
') Siehe ') und auch Jakobus 5:14—15.
») L. u. B. 42:43^44.
*) Jakobus 5:14 — 15.
274 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.
ZU sich die Ältesten von der Gemeinde und lasse sie über
sich beten und salben mit Öl in dem Namen des Herrn.
Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen,
und der Herr wird ihn aufrichten; und so er hat Sünden
getan, werden sie ihm vergeben sein."
16. Obwohl die Vollmacht, die Kranken zu segnen,
den Ältesten der Kirche ganz allgemein gehört, besitzen
einige diese Gabe in einem außergewöhnlichen Maße, denn
sie haben sie als eine besondre Gabe des Geistes empfangen.
Eine andre Gabe, mit dieser verwandt, ist die Kraft, den
Glauben auszuüben, geheilt zu werden,^) die sich in ver-
schiedenen Graden äußert. Nicht immer folgen den
Segnungen der Ältesten unmittelbare Heilungen ; es mag
erlaubt werden, daß die Kranken im Körper leiden —
womöglich um göttliche Absichten zu verwirkHchen ;2)
und in der vom Herrn bestimmten Zeit müssen seine Kinder
den körperlichen Tod durchmachen. Aber man befolge
den Rat Gottes bei der Segnung der Kranken: wenn sie
dann genesen, leben sie dem Herrn; ferner wird die ver-
sichernde Verheißung hinzugefügt, daß die, welche unter
solchen Umständen sterben, dem Herrn sterben. 3)
17. Gesichte und Träume waren in jeder Dispensation
des Priestertums ein Mittel der Verbindung zwischen Gott
und seinen Kindern. Im allgemeinen werden Gesichte
den wachen Sinnen geoffenbart, während Träume im
Schlaf gegeben werden. Im Gesicht aber kann derart auf
die Sinne gewirkt werden, daß der Mensch fast bewußtlos
wird oder wenigstens gewöhnliche Vorkommnisse vergißt,
während er die himmlische Kundgebung wahrnehmen
kann. In früheren Dispensationen teilte der Herr die
1) Lehre u. Bündn. 46:19- 42:48 — 51 ; siehe auch Apostelgesch. 14:9;
Matthäus 8:10; 9:28—29.
*) Denken wir z. B. an Hiob.
») L. u. B. 42:44 — 16.
Art. 7.] Geistige Gaben. 275
Ereignisse der Zukunft selbst bis auf das letzte Geschlecht
durch Träume und Gesichte häufig mit, und offenbarte sie
so oftmals seinen Propheten. Von den unzähligen Fällen
wollen wir nur einige wenige anführen. Betrachten wir
den Fall mit Henoch,^) mit dem der Herr von Angesicht
zu Angesicht sprach und ihm das Schicksal der mensch-
lichen Familie bis zu und nach dem zweiten Kommen des
Heilandes zeigte. — Wegen seiner Rechtschaffenheit wurde
der Bruder Jareds^) von Gott so gesegnet, daß ihm alle
Einwohner der Erde, sowohl die, die schon gelebt hatten,
als auch die, die folgen sollten, gezeigt wurden. Dem
Propheten Mose wurde der Wille Gottes mit der sichtbaren
Kundgebung von Feuer bekannt gemacht. 3) Durch
Träume bekam Lehi seine Unterweisungen, Jerusalem zu
verlassen;*) und bei vielen spätem Gelegenheiten stand
der Herr durch Gesichte und Träume mit diesem Patri-
archen der westlichen Welt in Verbindung. Die Propheten
des Alten Testaments wurden im allgemeinen ebenso
begünstigt; z. B. Jakob, der Vater des ganzen Israels ;5)
Hiob der Mann der Geduld in Trübsal;^) Jeremia,')
Hesekiel,8) Daniel,^) Habakuk,!») Sacharja.^i)
18. Die Dispensation Christi und seiner Apostel war
durch gleiche Kundgebungen gekennzeichnet. Die Geburt
Johannes des Täufers wurde seinem Vater vorausgesagt,
') Köstl. Perle, Moses 6:27—39.
') Ether 3.
') 2. Moses 3:2.
«) 2. Nephi 2:2—4.
') 1. Mose 46:2.
•) Hiob 4:12—21.
') Jeremia 1:11 — 16.
') Hesekiel 1; 2:9—10; 3:22—23; 8; 27:1—10 usw.
») Daniel 7 und 8.
'•) Habakuk 2:2—3.
") Sacharja 1:8—11, 18—21; 2:1—2; 4; 5; 6:1—8.
276 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.
während er priesterliche Verrichtungen vollzog.^) Joseph,
mit der Jungfrau Maria verlobt, bekam durch den Besuch
eines Engels^) die Kunde von Christus, der noch geboren
werden sollte; und bei späteren Gelegenheiten bekam er
Warnungen und Unterweisungen in Träumen betreffs der
Wohlfahrt des heiligen Kindes.^) Als die Weisen von ihrer
Wallfahrt der Verehrung zurückkehrten, wurden sie durch
Träume vor den hinterlistigen Absichten des Herodes
gewarnt.^) In einem Gesichte wurde dem Saulus von
Tarsus der Bote gezeigt, den ihm der Herr entgegenzu-
schicken beabsichtigte, um in den Verordnungen des
Priestertums zu amtieren,^) und andere Gesichte folgten
ihm.^) Durch ein Gesicht wurde Petrus auf das Wirken
unter den Heiden vorbereitet;') und Johannes wurde in
dieser Hinsicht von Gott so begünstigt, daß das ganze
Buch der Offenbarung von diesem Bericht angefüllt ist.
19. Die meisten in den Schriften berichteten Gesichte
und Träume sind dem auserwählten Volke durch das
dienende Priestertum gegeben worden ; es gibt aber außer-
gewöhnliche Fälle solcher Kundgebungen an einige, die
zu der Zeit noch nicht in die Herde eingetreten waren.
Dies war z. B, der Fall mit Saulus und Kornelius; aber in
diesen Fällen bereiteten die göttlichen Kundgebungen die
Bekehrung unmittelbar vor. Träume von besondrer Be-
deutung wurden Pharaoh,^) Nebukadnezar^) und andern
gegeben ; aber es bedurfte einer höheren Macht als die ihrige,
um sie auszulegen; und Joseph und Daniel wurden berufen,
') Lukas 1:5 — 22.
") Matthäus 1:20.
») Matthäus 2:13, 19, 22.
-) Matthäus 2:12.
') Apostelgesch. 9:12.
•) Apostelgesch. 16:9; 18:9—10; 22:17—21.
') Apostelgesch. 10:10—16; 11:5—10.
*) 1. Mose 41 ; siehe andere Fälle in 1. Mose 41.
•) Daniel 2.
Art. 7.] Geistige Gaben. 277
diesen Dienst zu versehen. Der dem Soldaten der Midianiter
gegebene Traum und die Deutung von seinem Gefährten,^)
die den Sieg Gideons anzeigte, waren wahre Kund-
gebungen, ebenso auch der Traum der Frau des Pilatus,^)
wodurch sie die Unschuld des verklagten Christus erfuhr.
20. Die Gabe der Prophezeiung macht ihren Besitzer
zu einem Propheten — buchstäblich zu einem, der für
einen andern redet; besonders aber zu einem, der für Gott
redet. 3) Sie wird von Paulus als eine der begehrens-
wertesten geistigen Gaben bezeichnet, und ihr Hervorragen
über die Gabe der Zungen behandelt er ausführlich.*)
Prophezeien heißt: das Wort Gottes und die Erklärung
seines Willens empfangen und dem Volke verkündigen.
Die Funktion der Voraussagung, die oft als das einzige
Wesentliche der Prophezeiung angesehen wird, ist nur eines
der vielen Merkmale dieser von Gott gegebenen Macht.
Der Prophet kann sich ebensoviel mit der Vergangen-
heit abgeben, als mit der Gegenwart oder der Zukunft;
er kann seine Gabe ausüben sowohl in der Belehrung durch
das Licht und die Erfahrung vergangener Ereignisse als
auch im Voraussagen von Ereignissen. Die Propheten
Gottes haben bei ihm immer in besondrer Gunst gestanden,
da sie stets bevorrechtet waren, seinen Willen und seine
Absichten zu erfahren, sogar wurde die Verheißung
gegeben, daß der Herr nichts tun werde, es sei denn, er
offenbare seine verborgenen Absichten seinen Dienern,
den Propheten.^) Also stehen auserwählte Mundstücke als
Vermittler zwischen Gott und den Menschen und ver-
wenden sich für oder gegen sie.^)
') Richter 7:13—14.
') Matthäus 27:19.
') Siehe Anmerliung 2.
«) 1. Korinther 14:1—9.
') Arnos 3:7.
') 1. Könige 18:36—37; Römer 11:2—3; Jakobus 5:16 — 18; Offen-
barung Joh. 11:6.
278 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.
21. Es ist keine besondre Ordination zum Priestertum
notwendig, damit ein Mensch die Gabe der Prophezeiung
empfange. Träger der melchizedekischen Ordnung, Adam,
Noah, Mose und viele andre waren wahrlich Propheten,
aber ebenso waren es auch viele, die nur die aaronischen
Verrichtungen allein ausübten, wie z. B. die meisten
Priester des Alten Testaments nach der Zeit Moses, und
dann Johannes der Täufer. i) Die Dienste der Prophetinnen
Mirjam^) und Debora^) zeigen, daß auch Frauen diese
Gabe besitzen können. Zur Zeit Samuels wurden die
Propheten zu einer besondern Ordnung organisiert, zur
Förderung des Studiums und der Fortbildung.*)
22. In der gegenwärtigen Dispensation erfreut man sich
dieser gr.oßen Gabe in einer Fülle, der Fülle irgend einer
vorhergehenden Zeit gleich. Der Wille des Herrn inbezug
auf die gegenwärtigen Pflichten wird seinem Volke durch
den Mund der Propheten bekannt gemacht, und Ereignisse
von großer Wichtigkeit werden vorausgesagt.^) Die bloße
Tatsache, daß die Kirche heute da ist und stetig zunimmt,
ist ein unbestreitbares Zeugnis der Macht und Zuverlässig-
keit neuzeitlicher Prophezeiung. Die Heiligen der letzten
Tage bilden eine Körperschaft, die Hunderttausende zählt,
die Zeugnis geben von den Wirkungen dieser einen großen
Gabe Gottes.
23. Offenbarung ist der Weg, auf dem der Wille Gottes
den Menschen unmittelbar und in seiner Fülle erklärt wird.
Unter Umständen, die den Absichten Gottes am besten
passen, im Schlafe durch Träume oder durch Gesichte in
wachendem Zustand, durch Stimmen ohne sichtbare Er-
') Matthäus 11:8—10.
■) 2. Mose 15:20.
') Richter 4:4.
') Siehe Anmerkung 3.
^) Lehre u. Bündn. 1:4;
Art. 7.] Geistige Gaben. 279
scheinungen oder durch die tatsächliche sichtbare Offen-
barung der Gegenwart des Heiligen macht Gott sein
Vorhaben bekannt und beauftragt seine auserwählten
Gefäße, die so mitgeteilten heiligen Botschaften weiter-
zugeben. Unter dem Einfluß der Erleuchtung oder ihrer
mächtigern Kundgebung, der Offenbarung, wird das Gemüt
des Menschen erleuchtet und seine Kraft zum Vollbringen
von Wundern im Werk des menschlichen Fortschritts
geweckt; mit einem Funken von dem himmlischen Altar
berührt, nährt er das heilige Feuer in seiner Seele und teilt
es andern mit, je nachdem er dazu geleitet wird. Dies ist
der Weg, auf dem der Wille Gottes übermittelt wird. Die
Worte desjenigen, der durch Offenbarung in ihrer höchsten
Form spricht, sind nicht seine eigenen ; sie sind die Worte
Gottes selbst; das menschliche Sprachrohr ist nur der
vertraute Ubermittler dieser himmlischen Botschaften.
Mit dem bevollmächtigten ,,So spricht der Herr!" übergibt
der Offenbarer die seiner Sorge anvertraute Last.
24. Wenn der Herr seinen Dienern Offenbarung gibt,
verfährt er streng nach den Grundsätzen der Ordnung
und der Angemessenheit. Obwohl es das Vorrecht jedes
Menschen ist, so zu leben, daß er diese Gabe in den An-
gelegenheiten seiner besondern Berufung verdient, sollen
nur diejenigen, die zu den Ämtern der Präsidentschaft
berufen und ordiniert werden. Offenbarer für das ganze
Volk sein. Inbezug auf den Präsidenten der Kirche —
damals als folgende Offenbarung gegeben wurde, war es
der Prophet Joseph Smith — sagte der Herr zu den
Ältesten der Kirche: ,,Und das sollt ihr für bestimmt
wissen: wenn er in mir verbleibt, ist kein anderer für
euch berufen, Gebote und Offenbarungen zu empfangen,
bis er hinweggenommen wird, * * * Und das soll ein Gesetz
unter euch sein, daß ihr nicht die Lehren von irgend
jemand, der zu euch kommen wird, als Offenbarung und
280 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.
Gebote aufnehmt; und ich gebe es euch, damit ihr nicht
betrogen werdet, und damit ihr wissen möget, daß sie
nicht von mir sind,"^)
25. Das Zeugnis der Wunder. — Die Verheißung des
Heilandes in früheren Tagen^) sowohl als in der gegen-
wärtigen Dispensation^) geht ausdrücklich dahin, daß
gewisse Gaben des Geistes den Gläubigen als Zeichen der
göttlichen Gunst folgen sollen. Der Besitz und die Aus-
übung solcher Gaben können somit als wesentliche Merk-
male der Kirche Christi betrachtet werden.*) Trotzdem
sind wir nicht berechtigt, das Zeugnis der Wunder als
unfehlbaren Beweis der Vollmacht vom Himmel an-
zusehen, denn die heiligen Schriften bestätigen zur Genüge,
daß auch geistige Mächte niederer Art Wunder gewirkt
haben und fortfahren werden es zu tun, so daß viele,
denen es an Einsicht mangelt, getäuscht werden. Wenn
Wunder als ein untrüglicher Beweis der göttlichen Macht
angenommen werden, haben die Zauberer Ägyptenlands
durch die Wunder, die sie in ihrer Widersetzlichkeit gegen
den zur Befreiung Israels verordneten Plan vollbrachten,
ebensoviel Anspruch auf unsere Beachtung wie Mose.^) In
einem Gesicht sah Johannes der Offenbarer eine böse Macht
große Wunder wirken — sogar Feuer vom Himmel fallen
lassend — wodurch viele verleitet wurden.^) Wiederum
sah er drei unsaubere Geister, die, wie er wußte, „Geister
der Teufel" waren, „die taten Zeichen".')
26. In Verbindung mit vorstehendem betrachte man
die Voraussagimg des Heilandes: „Denn es werden
falsche Christi und falsche Propheten aufstehen und
') Lehre u. Bündn. 43:3, 5 — 6.
») Markus 16:17—18.
') L. u. B. 84:65—75.
♦) Siehe Anmerkungen 4 und 5.
») 2. Mose 7 bis 9.
M Offenbarung Joh. 13:11—18.
') Offenbanmg Joh. 16:13—14.
Art. 7.] Geistige Gaben, 281
große Zeichen und Wunder tun, daß verführet werden
in den Irrtum (wo es möglich wäre) auch die Auserwähl-
ten."^) Die Unzulänglichkeit der Wunder als Beweis
der Rechtschaffenheit wird in einer Äußerung Jesu Christi
über die Ereignisse des großen Gerichts erklärt: „Es
werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr!
haben wir nicht in deinem Namen geweissagt, haben wir
nicht in deinem Namen Teufel ausgetrieben, haben wir
nicht in deinem Namen viele Taten getan? Dann werde
ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt;
weichet alle von mir, ihr Übeltäter !"2) Die Juden, an die
diese Belehrungen gerichtet waren, wußten, daß Wunder
auch durch böse Mächte gewirkt werden konnten, denn
sie beschuldigten Christus, er tue seine Wunder durch die
Macht Beelzebubs, der Teufel Obersten. 3)
27. Wäre das Vollbringen von Wundern ein sicheres
Kennzeichen des heiligen Priestertums, so müßten wir das
Zeugnis wunderbarer Kundgebungen in Verbindung mit
dem Werke jedes Propheten und jedes bevollmächtigten
Dieners des Herrn erwarten. Doch finden wir bei Sacharja,
Maleachi und andern Propheten der alten Zeit keinen
Bericht über Wunder, im Gegenteil, von Johannes dem
Täufer, den Christus für mehr als einen Propheten erklärte^)
wurde deutlich gesagt, daß er keine Wunder tat;^) nichts-
destoweniger heißt es, daß die ungläubigen Juden durch
Verwerfung der Lehre Johannes des Täufers den Rat
Gottes wider ihre eigenen Seelen verachteten.*) Um als
Zeugnis der Wahrheit gelten zu können, müssen Wunder
im Namen Christi und zu seiner Ehre, zur Förderung des
») Matthäus 24:24.
*) Matthäus 7:22—23.
') Matthäus 12:22—30; Markus 3:22; Lukas 11:15.
*) Matthäus 11:9.
») Johannes 10:41.
•) Lukas 7:30.
282 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.
Plans der Seligkeit vollbracht werden. Wie erklärt wurde,
werden sie nicht gegeben, um die Neugierigen und Lüsternen
zu befriedigen, auch nicht als ein Mittel um den, der sie voll-
bracht hat, berühmt zu machen. Diese Gaben des wahren
Geistes werden zur Unterstützung der Botschaft vom
Himmel und zur Bestätigung der mit Vollmacht gespro-
chenen Worte gegeben.
28. Nachahmungen geistiger Gaben. — Die schon an-
geführten Beweise wunderbarer Taten durch andre Mächte
als die von Gott, und die Voraussagungen in der Schrift
betreffs solcher trügerischen Kundgebungen in den letzten
Tagen sollten uns eine Warnung vor falschen Nach-
ahmungen der Gaben des Heiligen Geistes sein. Satan hat
gezeigt, daß er ein vollendeter Meister in der Nachahmung
ist; die beklagenswertesten seiner Siege sind seinem Vor-
spiegeln des Guten zuzuschreiben, wodurch die Einsichts-
losen in seine Knechtschaft gerieten. Wir wollen nicht
durch den Gedanken irregeleitet werden, daß irgendeine
Tat, deren unmittelbare Folge wohltuend zu sein scheint,
notwendigerweise an ständigem Glück fruchtbar sei. Es
kann sogar den finstern Endzwecken des Erzfeindes dienen,
sein Spiel mit dem menschlichen Gefühl für Gutes, bis zur
Heilung des Körpers und dem anscheinenden Widerstand
gegen den Tod zu treiben.
29. Der Wiederherstellung des Priestertums auf Erden
in diesem Zeitalter der Welt folgte ein außergewöhnlich
schnelles Zunehmen der Irrlehren des Spiritismus,^) wo-
durch viele verleitet worden sind, ihr Vertrauen auf Satans
Gegenstück der ewigen Kraft Gottes zu setzen. Die Ent-
wicklung der Gabe der Heilung in der Kirche heutzutage
wird von Heilungen durch Glauben und ihren unzähligen
Abänderungen in einem Grade nachgeahmt, der mit dem
') Spiritismus = Geisterglaube, oder besser: Geisterschwindel, Tisch-
klojpferei usw. — D. tJ.
Art. 7.] Geistige Gaben. ' 283
Grade vergleichbar ist, in dem die Zauberer die Wunder
Moses nachahmten. Für den, dem wunderbare Zeichen
allein genügen, wird das Nachgeahmte ebenso genügen
wie das Echte. Die Seele aber, die das Wunder seinem
wahren Wesen nach nur als einen Teil des Planes Christi
ansieht, das nur dann als bestimmtes Unterscheidungs-
zeichen von Wert ist, wenn es mit vielen andern Merkmalen
der Kirche verbunden ist, wird nicht getäuscht werden.
30. Geistige Gaben in der Kirche heutzutage. — Die
Heiligen der letzten Tage behaupten, innerhalb der Kirche
alle Zeichen zu besitzen, die den Gläubigen verheißen
wurden. Sie verweisen auf die nicht in Frage zu stellenden
Zeugnisse Tausender, die mit unmittelbaren und persön-
lichen Kundgebungen himmlischer Kraft gesegnet worden
sind; auf die einst Blinden und Tauben, Lahmen und
körperlich Schwachen, die durch ihren Glauben und das
Amtieren der Priesterschaft von ihren Gebrechlichkeiten
befreit worden sind ; auf Unzählige, die in ihnen natürlich
fremden Zungen ihren Zeugnissen Ausdruck verliehen
haben, oder die durch eine merkwürdige Gewandtheit in
fremden Sprachen den Besitz dieser Gabe bewiesen haben,
wenn eine solche zu der Erfüllung ihrer Pflichten als
Prediger des Wortes Gottes notwendig war; auf viele
andre, die sich des Verkehrs mit himmlischen Wesen
erfreut haben ; auf noch andre, die in Worten, welche eine
schleunige Bestätigung in ihrer buchstäblichen Erfüllung
gefunden, prophezeit haben; und auf die Kirche selbst,
deren Wachstum geleitet worden ist durch die Stimme
ihres göttlichen Führers, wie es durch die Gabe der Offen-
barung bekannt gemacht wurde.^)
*) Siehe Anmerkung 7.
284 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.
Anmerknngen.
1. Ein scheinbares Wunder. — Vor mehreren Jahren besuchte ein
bekannter deutscher Gelehrter, Herr Werner Siemens, die PjTamide zu
Gizeh, und von zwei arabischen Führern begleitet, stieg er auf ihren Gipfel.
Er bemerkte, daß die Luft- und Witterungsverhältnisse für elektrische
Kundgebvmgen sehr günstig waren. Er befestigte einen großen Messingknopf
an einer leeren Kürbisflasche in den Händen eines der Araber, dann
stellte er seine Fingerknöchel in eine kurze Entfernung von dem Knopfe
und zog eine Reihe leuchtender Funken davon, die natürlicherweise von
dem krachenden, dem elektrischen Entladen eigentümlichen Knallen
begleitet wiu-den. Die Führer sahen diese Äußerung übernatürlicher Kräfte
mit Erstaunen und Schrecken an, die den Höhepunkt erreichten, als ihr
Meister seinen Stab über seinen Kopf streckte und der Stock von schönem
St. Elmsfeuer überdeckt wurde. Dieser Anblick war mehr, als die aber-
gläubischen Beduinen ertragen konnten; sie zitterten vor einem Zauberer,
der mit Blitz und Feuer spielen konnte wie mit einem Spielzeug, und der
den Donner im kleinen in seiner Rocktasche trug; so flohen sie mit gefähr-
licher Überstürzung die Treppen hinunter und verschwanden bald in der
Wüste.
2. Der Ausdruck „Prophet" erscheint in der englischen Bibel als die
Übersetzung einer Zahl alter Ausdrücke, von welchen nabhi (hebräisch)
„sprudeln wie ein Bnmnen" bedeutet, der gewöhnlichste ist. Ein andres
der m-sprünglichen Wörter ist rheo (griechisch), es bedeutet „fließen",
und durch Abstammung, „heraussprechen", „äußern", „erklären".
Ein Prophet ist also ein Mensch, dem die Worte einer höheren Autorität
entströmen. Von Aaron wird gesprochen als von einem Propheten oder
Wortführer unter Mose (2. Mose 7:1); aber in dem gewöhnlichen Sinn ist
der Prophet der Vertreter Gottes. Mit der Berufimg eines Propheten ist
die eines Sehers sehr eng verbunden; zwar vor der Zeit Samuels war die
allgemeine Benennung des Orakels Gottes „Seher": „Denn die man jetzt
Propheten heißt, die hieß man vorzeiten Seher" (1. Samuel 9:9). Dem
Seher wiu-de erlaubt, die Gesichte Gottes zu sehen; dem Propheten, die
in dieser Weise erfahrenen Wahrheiten zu verkünden ; die zwei Berufungen
wurden gewöhnlich in demselben Mann vereinigt. Mit dem Propheten und
dem Seher stand der Herr gewölinlich in Träumen und Gesichten in Ver-
bindung; aber eine Ausnahme von dieser Regel wurde bei Mose gemacht,
der so getreu und so groß in allen guten Dingen war, daß der Herr die
gewöhnhchen Mittel ablegte und sich seinem Diener von Angesicht zu
Angesicht offenbarte. (4. Mose 12:6 — 8.)
3. Die Propheten organisiert. — Das Prophetenamt bestand unter den
Menschen schon in den frühsten Zeiten der Geschichte. Adam war ein
Prophet (Lehre u. Bündn. 107:53 — 56); ebenso Henoch (Judas 14; Köstl.
Perle, Moses 6:26 — 27), Noah (1. Mose 6, 7; Köstl. Perle, Moses 8:19,
23—24; 2. Petrus 2:5), Abraham (1. Mose 20:7); Mose (5. Mose 34:10),
und eine große Zahl andrer, die zu gleicher imd spätrer Zeit amtierten.
Samuel, der vor den Augen des ganzen Israels als ein Prophet des Herrn
eingesetzt wurde (1. Samuel 3:19—20), organisierte die Propheten in
einen Verein zum aUgemeinen Unterricht und gemeinsamer Erbauung.
Er gründete Schulen für die Propheten, theologische Bildungsanstalten,
wo Männer in den Dingen heiliger Ämter ausgebildet wurden; die Schüler
Art. 7.] Anmerkungen. 285
wurden gewöhnlich „die Kinder der Propheten" genannt (1. Könige 20:35;
2. Könige 2:3, 5, 7; 4:1. 38; 9:1). Solche Schulen wurden zu Rama (1. Sa-
muel 19:19—24), Bethel (2. Könige 2:3), Jericho (2. Könige 2:5), Gilgal
(2. Könige 4:38) eingerichtet. Die Mitglieder scheinen wie ein Verein
zusammen gelebt zu haben (2. Könige 6:1 — 4). In der gegenwärtigen
Dispensation wurde eine ähnliche Organisation unter der Leitung des
Propheten Joseph Smith zustande gebracht; diese bekam ebenfalls den
Namen „die Schule der Propheten".
4. Die Abnahme geistiger Gaben in frühem Tagen wird von vielen
maßgebenden Schriftstellern der Kirchengeschichte und der christlichen
Lehre anerkannt. Als ein Beispiel dieser Art Zeugnisse von dem Schwinden
geistiger Gaben in der abgefallenen Kirche, dürfen die folgenden Worte
John Wesleys angeführt werden: „Es scheint nicht, daß diese außerordent-
lichen Gaben des Heiligen Geistes länger als 200 oder 300 Jahre in der
Kirche allgemein gewesen sind. Wir hören selten von ihnen nach jener
verderbenbringenden Zeit, als Kaiser Konstantin sich einen Christen nannte,
um aus eitler Einfcildmig die christliche Sache dadurch zu fördern, und Reich-
tum, Macht und Ehre auf die Christen im allgemeinen und auf die christUche
Geistlichkeit im besondern häufte. Von diesei Zeit an hörten sie fast gänzUch
auf; sehr wenige derartige Fälle wurden gefunden. Die Ursache dafür bestand
nicht, wie angenommen worden ist, darin, daß es für sie keine Veranlassung
mehr gegeben habe, weil die ganze Welt christUch geworden war. Dies ist
ein erbärmlicher Irrtum ; nicht der zwanzigste Teil waren damals dem Namen
nach Christen. Die walu-e Ursache dafür war, daß die Liebe in vielen — in
fast allen sogenannten Christen — erkaltet war. Die Christen hatten nicht
mehr von dem Geiste Christi als die übrigen Heiden. Des Menschen Sohn,
käme er dazu, seine Kirche zu untersuchen, würde Glauben auf der Erde
kaum finden können. Dies war der wahre Grund, warum die außerordent-
lichen Gaben des Heiligen Geistes nicht länger in der christlichen Kirche
zu finden waren: weil die Christen wieder Heiden geworden waren, und
nur noch eine tote Form hatten." — Wesley's Works, VII, 89; 26 — 27.
5. Sektiererische Ansichten von der Fortdauer oder Abnahme der
geistigen Gaben. — „Protestantische Schriftsteller bestehen darauf, das
Zeitalter der Wunder sei mit dem 4. oder 5. Jahrhundert zu Ende gegangen,
imd nach dieser Zeit dürften die außerordentlichen Gaben des Heiligen
Geistes nicht mehr erwartet werden. Anderseits behaupten die katholischen
Schriftsteller, die Kraft, Wunder zu vollziehen, habe in der Kirche fort-
bestanden, doch jene geistigen Kundgebungen, die sie nach dem 4. und
5. Jahrhundert beschreiben, haben einen Anstrich von Erdichtung seitens
der Priester und kindischer Gläubigkeit von selten des Volkes; oder auch
das, was man als wunderbar vorbringt, entspricht nicht der Kraft und
Würde jener geistigen Kundgebungen, von denen Zeuge zu sein, die ur-
sprüngliche Kirche gewohnt war. Die dem Gebeine und andern heiligen
Überresten der MärtjTer und Heiligen zugeschriebenen Kräfte und Wunder
sind kindisch im Vergleich zu den Heilungen durch das Salben mit öl und
das Auflegen der Hände; im Vergleich mit Zungenreden, Auslegungen
der Zungen, Prophezeiungen, Offenbarimgen, Austreibimg von Teufeln im
Namen Jesu Christi, ganz zu schweigen von den Gaben des Glaubens, der
Weisheit, der Erkenntnis, der Unterscheidung von Geistern usw., die in
den Tagen der Apostel in der K'rche allgemein waren (1. Korinther 12:8-10).
Es gibt weder in der Schrift noch in der Vernunft etwas, das uns ver-
286 Die Glaubensarükel. [Vorl. XII.
anlassen könnte zu glauben, diese Gaben sollten aufhören. Dennoch wird
von den heutigen Christen eingewendet — um das Fehlen dieser geistigen
Gaben unter ihnen zu erklären — diese außerordentlichen Gaben des
Heiligen Geistes seien nur bestimmt gewesen, die Verkündigung des Evan-
geliums während der ersten Jahrhunderte zu begleiten, bis die Kirche ohne
sie vonvärts kommen könnte, und dann sollten sie abgeschafft werden. Es
genügt, hierüber zu bemerken, daß dies ganz und gar auf menschlicher
Annahme beruht und keine Berechtigung durch die Schrift oder richtige
Vernunft findet; es beweist, daß die Menschen die Religion Jesu Christi
so weit geändert hatten, daß sie zur Form der Gottseligkeit wurde, ohne
ihre Kraft zu besitzen." — Ältester B. H. Roberts, „Outlines of Ecclesiastical
History", part II, soc. V. 6 — 8.
6. Wunder eine Hilfe zu geistioem Wachstum. — Über die Äußerung
Pauli betreff des Aufhörens gewisser geistiger Gaben (1. Korinther 13)
schreibt der Apostel Orson Pratt u. a. was folgt: „Die Kirche in ihrem
kämpfenden imd unvollkommenen Zustand im Vergleich mit ihrem sieg-
reichen unvergänglichen und vollkommenen Zustand wird (in dem 11. Vers)
durch die zwei sehr verschiedenen Stände der Kindheit und der Mannheit
dargestellt. ,Da ich ein Kind war,' sagt Paulus, ,da redete ich wie ein Kind
und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein
Mann ward, tat ich ab, was kindisch war.' In den verschiedenen Stufen der
Ausbildung von der Kindheit bis zur Mannheit werden gewisse unentbehr-
liche Regeln und Risse und genaue Werkzeuge für den Gebrauch und den
Nutzen des Schülers angewandt, daß er sich eine richtige Kenntnis von den
Wissenschaften aneigne, und in seinen Studien vollständig unterrichtet
werde. Nachdem die Grundsätze einmal erlernt sind, imd der Schüler in
jedem Fach der Ausbildung vollkommen tinterrichtet worden ist, kann er
viele seiner Landkarten, seiner Tafeln, seiner Weltkugeln, seiner Bücher,
seiner Skizzen usw. entbehren, denn wie kindische Dinge, sind sie nicht län-
ger notwendig; solange seine Ausbildung noch nicht vollständig war, waren
sie nützUch, um die erwünschte Kenntnis zu geben, aber nun, da sie ihren
Zweck erfüllt haben, braucht er ihre Hilfe nicht mehr. * * * So ist es auch
in der Kirche inbezug auf geistige Gaben. Solange sie in diesem Daseins-
zustande ist, wird sie als ein Kind dargestellt; Prophezeiung, Offen-
barungen, Zungenreden imd andere geistige Gaben sind die Mittel zur
Ausbildung. Ebensowenig als der Chemiker in seinen Forschungen voll-
ständig imterrichtet werden könnte, wenn ihm die zu seinen Versuchen
notwendigen Vorrichtungen entzogen wären, kann das Kind, oder die
Kirche, ohne die Hilfe dieser Gaben als Mittel in ihrer Ausbildung vervoU-
komnmet werden. Wie der Chemiker sein Laboratorium zu Experimenten
braucht, solange es imentdeckte Wahrheiten inbezug auf die Grundstoffe
und Zusammensetzungen unserer Erdkugel gibt, so braucht auch die Kirche
das große Laboratoriimi der geistigen Kenntnis — nämlich Offenbarung
und Prophezeiung — solange ihr Wissen Stückwerk ist. * * * Gleichwie
ein Mensch als Kind wie ein Kind redet, wie ein Kind versteht und kindische
Anschläge hat, also ist auch das Wissen der Kirche auf dieser Stufe des
Daseins Stückwerk; aber wie ein Kind, wenn es zum Manne wird, das
Kindische abtut, also wird auch die Kirche, wie sie durch die Hilfe sol-
cher kindischer Dinge wie ,das Stückwerk Weissagung', ,das Stückwerk
Wissen' und ,das Stückwerk Erkenntnis' zu einem vollkommenen Menschen
in Christo wird, diese Dinge ablegen ; das Stückwerk soll dann aufgehoben
Art. 7.] Anmerkungen. 287
werden oder sich mit der größeren Fülle der Erkenntnis, die dort herrscht,
verschmelzen. ' — „Divine Authenticity of the Book of Mormon", 1, 15.
Aber keine dieser Gaben wird abgeschafft werden, solange Grund für
ihre Ausübung fortbesteht. Daß dies die Überzeugung des Apostels Orson
Pratt war, dessen Worte oben angeführt werden, geht aus den folgenden
Äußerungen desselben Meisters klar hervor: „Das Quälen diu-ch Teufel,
die Verwirrung der Zungen, tödliche Gifte und Krankheit sind alles Flüche,
die durch die Bosheit der Menschen in die Welt gekommen sind. Die
Segnungen des Evangeliums sind gegeben, um diesen Flüchen entgegen-
zuwirken. Deshalb, solange diese Flüche fortbestehen, sind auch die
verheißenen Zeichen (Markus 16:16 — 18; Lehre u. Bündn. 84:65 — 72)
notwendig, um die üblen Folgen jener zu verhindern. Hätte Jesus nicht
beabsichtigt, daß die Segnungen inbezug auf die Zeit so weitreichend und
unbegrenzt wie die Flüche selbst sein sollten, so hätte er in seinem Worte
etwas in diesem Sinne angedeutet. Aber wenn er eine allumfassende Ver-
heißung gewisser Kräfte macht, um es in der ganzen Welt jedem Men-
schen, der an das Evangelium glaubt, zu ermöglichen, gewisse Flüche, die
der Bosheit wegen auf die Menschen vererbt worden sind, zu überwinden,
wäre es die reinste Art von Unglauben, die verheißene Segnung für unnötig
zu halten, solange als die Flüche unter den Menschen so reichlich vor-
handen sind.
7. Neuzeitliehe Kundgebungen. — Die amtlich und beiläufig heraus-
gegebenen Werke der Kirche sind voll von Fällen der wimderbaren Kund-
gebungen während der gegenwärtigen Dispensation. Eine ganze Anzahl
beglaubigter Berichte von solchen Fällen finden sich in Orson Pratt „Divine
Authenticity of the Book of Mormon", Kapitel V; B. H. Roberts „A New
Witness for God", Kapitel 18.
i
288 Die Glaubensarükel. [Vorl. XIII.
Vorlesung XIII.
Die Bibel.
Artikel 8. Wir glauben an die Bibel als das Wort Gottes, soweit sie
richtig übersetzt ist ***.
1. Unsere Anerkennung der Bibel. — Die Kirclie
Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage anerkennt die
Bibel als das erste und hervorragendste ihrer maßgebenden
Lehrbücher und stellt sie unter den Büchern, die als ihre
geschriebenen Führer in Sachen des Glaubens und der
Lehre erklärt worden sind, an die vornehmste Stelle. Die
Ehrerbietung und die Heiligkeit, womit die Heiligen der
letzten Tage die Bibel betrachten, gleichen dem Bekenntnis
der christlichen Glaubensgemeinschaften im allgemeinen.
Sie unterscheiden sich von diesen nur dadurch, daß sie
noch gewisse andere Schriften als maßgebend und heilig
anerkennen, die jedoch mit der Bibel im Einklang stehen
und ihre Tatsachen und Lehren unterstützen und bekräf-
tigen. Es gilt daher auch nicht, eine besondere „Mormonen-
Behandlung" der Bibel darzustellen. Die geschichtlichen
und sonstigen Begebenheiten, auf denen der allgemeine
Christenglaube an die Bibel beruht, werden von den Heiligen
der letzten Tage ebenso vorbehaltlos angenommen, wie
von den Mitgliedern irgend einer andern Glaubensgemein-
schaft, und in der Buchstäblichkeit der Auslegung übertrifft
diese Kirche wahrscheinlich alle andern.
2. Nichtsdestoweniger macht die Kirche einen Vor-
behalt für den Fall einer fehlerhaften Übersetzung, die
als eine Folge menschlicher Unfähigkeit entstehen kann.
Art. 8.] Die Bibel. 289
Aber selbst mit dieser Vorsichtsmaßregel stehen wir nicht
allein, denn bibelkundige Gelehrte geben allgemein das
Vorhandensein solcher Fehler — von denen manche ganz
augenscheinlich sind — zu. Die Heiligen der letzten Tage
glauben, daß die Urschriften das Wort Gottes an die Men-
schen darstellen; und soweit diese Urschriften richtig
übersetzt worden sind, werden die Übersetzungen als
gleichberechtigt und -verpflichtend betrachtet. — Indessen
beansprucht z. B. die Englische Bibel nur eine durch
menschhche Weisheit zustandegekommene Übersetzung
zu sein; zu ihrer Bearbeitung wurden die gelehrtesten
Männer herangezogen — und doch ist bis heute keine ein-
zige Ausgabe veröffentlicht worden, in der selbst der Un-
gelehrte keine Irrtümer wahrzunehmen vermochte. Ein
unparteiischer Untersucher hat jedoch mehr Veranlassung,
sich über die verhältnismäßig geringe Anzahl der Irrtümer
zu wundern, als darüber, daß Fehler überhaupt vorkom-
men.
3. Eine absolut zuverlässige Übersetzung der Bibel
gibt es nicht und kann es nicht geben, es sei denn, sie
werde durch die Gabe der Übersetzung — als eine Gabe
des Heiligen Geistes — zustandegebracht. Der Übersetzer
muß den Geist des Propheten besitzen, wenn er die Worte
des Propheten in eine andere Sprache übertragen will, und
menschliche Weisheit führt nicht zu diesem Besitz. Lesen
wir daher die Bibel mit Ehrerbietung und mit andächtiger
Sorgfalt, stets nach dem Lichte des Geistes suchend, damit
wir unterscheiden können zwischen der göttlichen Wahr-
heit und den menschlichen Fehlern.
4. Der Name ,, Bibel". — • Im gegenwärtigen Sprach-
gebrauch bezeichnet das Wort ,, Bibel" die Sammlung
heiliger Schriften, die auch als die jüdischen Schriften
bekannt sind, und die einen Bericht von dem Verkehr und
dem Umgang Gottes mit der menschlichen Familie geben,
19
290 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.
einen Bericht, der sich mit Ausnahme der vorsintflut-
lichen Ereignisse ganz auf die östliche Hälfte der Erde be-
schränkt. Das Wort „Bibel", obschon in der Form eine
Einzahl, ist die deutsche Wiedergabe einer griechischen
Mehrzahl, ,,Biblia", was buchstäblich ,,die Bücher" be-
deutet. Der Gebrauch des Wortes kam wahrscheinlich
im vierten Jahrhundert n. Chr. auf, wo Chrysostomus^)
diesen Ausdruck zur Bezeichnung der urkundlichen Bü-
cher gebrauchte, die damals von den griechischen Christen
als maßgebend anerkannt wurden. Zu beachten ist, daß
bei allen ursprünglichen Anwendungen des Wortes „Bibel"
der Begriff einer Sammlung von Büchern vorherrschte.
Die heiligen Schriften, so wie sie heute uns vorliegen,
wurden aus den einzelnen Schriften vieler, zeitlich weit
von einander getrennter Verfasser zusammengestellt.
Aus der auffallenden gegenseitigen Übereinstimmung, sowie
aus der Einheitlichkeit des Geistes, der in allen diesen
Schöpfungen waltet, läßt sich mancher kräftige Beweis
für ihre Echtheit anführen.
5. Das Wort „Biblia" wurde also im Griechischen
mit einer besondern Bedeutung ausgestattet, indem es
die „Bücher" bezeichnete, oder richtiger gesagt die ,, hei-
ligen Bücher", um so die heiligen Schriften von allen an-
dern Schriften zu unterscheiden. Bald wurde der Ausdruck
auch in der lateinischen Sprache geläufig, worin er anfangs
in seinem besondern, richtigen Sinne gebraucht wurde.
Durch den Gebrauch im Lateinischen kam es aber dazu,
— möglicherweise im dreizehnten Jahrhundert — ■, daß
das Wort mehr und mehr als ein Hauptwort in der Einzahl
— „das Buch" betrachtet wurde. Diese Abweichung
von der Bedeutung der Mehrzahl, welche mit dem Aus-
druck in der griechischen Ursprache unauflöslich verknüpft
') Siehe Anmerkung 1.
Art. 8.] Die Bibel. 291
war, führte zu dem allgemeinen Irrtum, daß die Bibel von
Anfang an ein einheitliches, fertiges Buch gewesen sei.
Daher stoßen wir auch öfters auf die vermeintliche Ablei-
tung des Wortes aus dem griechischen „Biblos" (Einzahl)
— ,,das Buch" bedeutend — was aber nach dem Urteil
der meisten Autoritäten auf einer überlieferten falschen
Auffassung beruht. Man könnte denken, die Herkunft
eines Wortes sei nur von geringer Bedeutung, jedoch ge-
rade in diesem Fall muß die ursprüngliche Form und die
erste Anwendung eines uns heute so geläufigen Titels, wie
derjenige der Heiligen Schrift, von lehrreichem Interesse
sein, nicht zuletzt deshalb, weil dadurch ein gewisses Licht
auf die Zusammenstellung des Buches in seine gegenwärtige
Form fällt.
6. Es ist augenscheinlich, daß der Name , »Bibel"
kein biblischer Ausdruck ist; seine Anwendung, um damit
die jüdischen Schriften zu bezeichnen, steht völlig außer-
halb dieser Schriften selbst. Nach seiner frühesten An-
wendung, welche in die nachapostolische Zeit fällt, sollten
damit alle, oder doch die meisten der alt- und neutesta-
mentlichen Bücher bezeichnet werden. Vor der Zeit
Christi waren die Bücher des Alten Testaments unter
keinem zusammenfassenden Namen bekannt. Man unter-
schied sie in gewisse Gruppen wie:
1. den Pentateuch oder die fünf Bücher Mose,
2. die Propheten, und
3. die Hagiographa, welche alle die heiligen Urkunden
umfaßte, die in den andern Gruppen nicht ent-
halten waren.
Wir können nun die einzelnen Teile der Bibel besser
betrachten , wenn wir die Hauptgruppen getrennt behandeln .
Durch das irdische Wirken des Heilandes ist eine sehr
natürliche Zweiteilung der biblischen Urkunden zustande-
gekommen. Die geschriebenen Erzeugnisse des vorchrist-
292 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.
lichen Zeitalters wurden unter dem Namen „Der Alte
Bund" bekannt, diejenigen aus den Tagen des Heilandes
und den unmittelbar darauffolgenden Jahren unter der
Bezeichnung „Der Neue Bund''.^) Der Ausdruck „Testa-
ment" kam erst nach und nach in Gebrauch, bis sich die
Titel „Altes" - und „Neues Testament" schließlich allge-
mein einbürgerten.
Das Alte Testament.
7. Seine Entstehung und sein Wachstum. Zur Zeit
des irdischen Wirkens unsers Herrn und Meisters waren
die Juden im Besitze gewisser Schriften, welche sie als
bindende Richtschnur des Glaubens und der Lehre betrach-
teten. Hinsichtlich der Echtheit dieser Werke kann wohl
jeder Zweifel als ausgeschlossen gelten, denn sie wurden
sowohl von Christus als auch von den Aposteln häufig
angeführt und dabei als „Die Schrift" bezeichnet.^) Der
Heiland besonders verweist auf dieselben unter ihren an-
erkannten Gruppenbezeichnungen „Das Gesetz Moses",
„Die Propheten" und „Die Psalmen". 3) Von den Büchern,
die zur Zeit Christi vom Volk als heilig anerkannt
wurden, wird manchmal auch gesprochen als von den
jüdischen Kirchengesetzbüchern (dem Kanon). Der heut-
zutage allgemein gebräuchliche Ausdruck „Kanon" deutet
nicht nur auf bloß glaubwürdige oder bindende, ja nicht
einmal auf lediglich inspirierte Bücher hin, sondern auf
solche Bücher, die als bevollmächtigte, verpflichtende
Führer in Sachen des Glaubensbekenntnisses und der
Lebensführung anerkannt wurden.
') 1. Korinther 11:25; siehe auch Jereinia 31:31.
») Johannes 5:39; Apostelgesch. 17:11.
») Lukas 24:44.
Art. 8.] Das alte Testament. 293
Der Ausdruck ist in seiner Ableitung lehrreich. Das
griechische Original „Kanon" bezeichnete eine straff-
gespannte Meßschnur, daher auch die Bedeutung als eines
anerkannten Maßstabes, einer festen Regel, eines Prüf-
steines, sowohl in moralischen wie in materiellen Ange-
legenheiten.
8. Über die Entstehung der jüdischen Kirchengesetz-
bücher lesen wir, daß Mose den ersten Teil davon —
das Gesetz — schrieb. Er vertraute ihn der Obhut der
Priester und der Leviten an mit dem Gebot, ihn in der
Bundeslade^) aufzubewahren als ein Zeugnis gegen Israel,
für den Fall der Übertretung. In der Voraussicht, daß
eines Tages ein König über Israel herrschen würde, ordnete
Mose dann weiter an, daß sich der Herrscher eine Abschrift
des Gesetzes zu seiner persönlichen Richtschnur anfertigen
lassen sollte. 2) Josua, der Nachfolger Moses, ebenfalls
ein Führer und Gesetzgeber des Volkes, schrieb weiteres
über den Verkehr Gottes mit den Menschen und über
göttliche Vorschriften nieder. Seine Schrift fügte er offen-
bar dem von Mose niedergeschriebenen Gesetz an.^) Etwa
drei und ein halbes Jahrhundert nach Mose, als die Theo-
kratie (Gottesregierung) der Monarchie Platz gemacht
hatte, schrieb Samuel, der bewährte Prophet des Herrn,
von dieser Änderung ,,in ein Buch und legte es vor den
Herrn". Wir sehen, wie auf diese Weise das Gesetz Moses
durch die nachfolgenden maßgebenden Urkunden erweitert
wurde. Auch geht aus den Schriften des Propheten Jesaja
hervor, daß das Volk Zutritt zu dem „Buche des Herrn"
hatte, ermahnte doch der Prophet die Israeliten, darin
') 5. Mose 31:9, 24 — 26.
») 5. Mose 17:18.
') Josua 24:26.
♦) 1. Samuel 10:25.
294 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.
ZU lesen und zu forschen!^) Es ist also augenscheinlich,
daß das Volk zur Zeit des Propheten Jesaja in Sachen des
Glaubens und des Lebens eine geschriebene Richtschnur
besaß.
9. Nahezu vierhundert Jahre später, (im Jahre 640 —
630 V. Chr.) als der gerechte König Josia den Thron Judas
— eines Bruchstückes des zerteilten Israels — einnahm,
fand der Hohepriester Hilkia, der Vater des Propheten
Jeremia, im Tempel ,,das Buch der Gesetze des Herrn",^)
welches von den Königen gelesen wurde. ^) In den Tagen
Esras — im fünften Jahrhundert v. Chr. — erlaubte sodann
ein Erlaß des Königs Cyrus dem gefangenen Volk Juda —
dem Überbleibsel des einst so mächtigen und geeinigten
Israels — nach Jerusalem zurückzukehren,*) um dort den
Tempel des Herrn wieder aufzubauen und zwar in Über-
einstimmung mit dem in den Händen Esras sich befind-
lichen Gesetz des Herrn.^) Daraus dürfen wir schließen,
daß das geschriebene Gesetz damals bekannt war. Esra
ist es auch, dem allgemein das Verdienst zugeschrieben
wird, die Bücher des Alten Testamentes, soweit sie zu
seiner Zeit schon abgeschlossen vorlagen, zusammengestellt
zu haben, wobei er ihnen seine eigenen Schriften anfügte.^)
Bei dieser Arbeit waren ihm wahrscheinlich Nehemia und
die Mitglieder der Großen Synagoge — ein Rat von 120
jüdischen Gelehrten — behilflich.') Von dem Buche
Nehemia, das eine Fortsetzung des von Esra angefangenen
geschichtlichen Berichtes darstellt, wird angenommen.
») Jesaja 34:16,
=>) 2. Chronik 34:14—15; siehe auch 5. Mose 31:26,
») 2. Könige 22.
*) Esra 1:1—3.
') Siehe Esra 7:12—14.
") Das Buch Esra,
') Diese geschichtliche Mitteilung wird in gewissen Büchern der
Apokryphen gemacht, siehe 2. Buch Esra.
Art. 8.1 Das alte Testament. 295
daß es von dem Propheten, dessen Namen es trägt, wenig-
stens teilweise noch zu Lebzeiten Esras geschrieben wurde.
Ein Jahrhundert später fügte sodann noch Maleachi,
der letzte bedeutende Prophet vor der Eröffnung der Dispen-
sation Christi, seinen Bericht hinzu und vollendete und be-
schloß die Reihe der vorchristlichen Kirchenbücher mit
einer prophetischen Verheißung des Messias, der einen
neuen und ewigen Bund aufrichten werde, ^)
10. So ist es offenbar, daß sich das Alte Testament
durch die sich folgenden Schriften von bevollmächtigten
und inspirierten Schreibern von Mose bis auf Maleachi ver-
größerte und daß seine Sammlung ein natürlicher und fort-
schreitender Vorgang war, wobei jeder neue Zusatz mit
den vorherigen Schriften zusammen aufbewahrt, oder,
wie die Schrift es nennt, ,,vor den Herrn gelegt"
wurde. Ohne Zweifel waren den Juden noch viele andere
Bücher bekannt, die in unserm gegenwärtigen Alten Te-
stament gar nicht enthalten sind : Hinweisungen auf solche
finden sich in der Heiligen Schrift selbst genügend, um
zu beweisen, daß manche dieser außerkanonischen Ur-
kunden als sehr glaubwürdig und echt anerkannt wur-
den. Hierüber soll aber in Verbindung mit den Apokry-
phen noch etwas gesagt werden. Die in den Jüngern Bü-
chern zahlreich enthaltenen Hinweise auf die altern, sowie
die vielen Anführungen des Alten Testamentes im Neuen,
beweisen die anerkannte kirchengesetzliche Gültigkeit der
alttestamentlichen Bücher. Etwa zweihundertunddreißig
Anführungen oder direkte Hinweise sind vermerkt worden,
ohne die vielen Hunderte von weniger direkten Anspie-
lungen,
11. Die Sprache des Alten Testamentes. — Es ist
höchst wahrscheinlich, man kann vielleicht sagen fest-
') Maleachi
296 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.
stehend, daß beinahe alle Bücher des Alten Testamentes
ursprünglich in hebräischer Sprache geschrieben wurden.
Es gibt zwar Gelehrte, welche Anhaltspunkte dafür ge-
funden haben wollen, daß kleine Teile der Bücher Esra,
Daniel und Jeremia in der chaldäischen Sprache geschrie-
ben worden sind, aber das Vorherrschen des Hebräischen
als Sprache der Urschriften hat dem Alten Testament
seine allgemeine Bezeichnung als der „hebräische" oder
„jüdische" Schriftkanon gegeben. Von dem Pentateuch
sind zwei Übertragungen anerkannt worden : die eigentlich
hebräische und die samaritische;^) diese, mit den ältesten
Schriftzeichen des Hebräischen, wurde von den Samaritern
aufbewahrt, die bekanntlich mit den Juden in fortwäh-
render Feindschaft lebten.
12. Die Septuaginta. Wenn wir die „Peschito" oder älteste
syrische Übertragung des Alten Testamentes als von ge-
ringerer Wichtigkeit übergehen, erkennen wir als die
erste bedeutende Übersetzung des hebräischen Kanons
die, die unter dem Namen Septuaginta bekannt ist. 2) Es
ist dies jene griechische Übertragung des Alten Testaments,
die auf Veranlassung eines ägyptischen Herrschers — wahr-
scheinlich Ptolemäus Philadelphus — etwa ums Jahr 286
V. Chr. zustandekam. Der Name Septuaginta deutet auf
die Zahl siebzig hin. Es wird gesagt, diese Bezeichnung
sei auf den Umstand zurückzuführen, daß die Übersetzung
von 72 Ältesten — rund 70 — besorgt worden sei; andere
Überlieferungen wollen den Grund darin sehen, daß die
Arbeit einen Zeitraum von siebzig oder zweiundsiebzig
Tagen beanspruchte; wieder andere führen den Namen
darauf zurück, daß diese Übersetzung die Genehmigung
und Bestätigung des jüdischen Kirchenrates, des Sanhe-
') Siehe Anmerkung 2.
*) Siehe Anmerkung 3.
Art. 8.] Das alte Testament. 297
drins, welcher sich aus 72 Mitgliedern zusammensetzte,
erhalten habe. Sicher ist, daß die Septuaginta, die manch-
mal auch mit der Ziffer LXX bezeichnet wird, zur Zeit des
irdischen Wirkens Christi unter den Juden die gebräuch-
lichste Übersetzung war und vom Heiland und seinen
Aposteln bei ihren Hinweisen auf die alttestamentlichen
Bücher benutzt wurde. Die Septuaginta wird als die
zuverlässigste der alten Übersetzungen betrachtet und
ist in unserer Zeit von der griechischkatholischen und von
andern Kirchen des Ostens angenommen worden. Es ist
erwiesen, daß das Alte Testament seit ungefähr dreihundert
Jahren vor Christo in der hebräischen und in der griechi-
schen Sprache im Gebrauch war. Diese Verdoppelung
hat sich als wirksamer Schutz gegen Veränderungen des
Wortlautes erwiesen.
13. Die gegenwärtige Sammlung anerkennt neun-
unddreißig Bücher des Alten Testamentes. Ursprünghch
erschienen diese als zweiundzwanzig zusammengefaßte
Bücher, entsprechend den zweiundzwanzig Buchstaben
des hebräischen Alphabets. Die neununddreißig Bücher,
wie sie heute uns vorliegen, können sachgemäß in folgende
Gruppen eingeteilt werden:
1. Der Pentateuch oder die Gesetzbücher ... 5
2. Die geschichtlichen Bücher 12
3. Die poetischen Bücher 5
4. Die Bücher der Propheten 17
14. 1, Die „Gesetzbücher". — Die ersten fünf Bü-
cher der Bibel erscheinen unter dem Sammelnamen
,,Der Pentateuch", (pente = fünf, teuxos — Buch). Sie
waren den alten Juden als die ,,Thorah" oder als ,, Das Gesetz"
bekannt. Ihre Verfasserschaft wird von der Überlieferung
dem Propheten Mose zugeschrieben,^) daher auch der an-
») Esra 6:18; 7:6; Nehemia 8:1; Johannes
298 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.
dere, allgemein gebräuchliche Name „Die fünf Bücher
Mose". Sie geben, wenn auch nur in abgekürzter Form,
die Geschichte der Menschheit von der Schöpfung bis zur
Sintflut und von Noah bis auf Israel wieder, dann einen
ausführlichen Bericht von dem auserwählten Volk während
seiner ägyptischen Knechtschaft und weiter von der vier
Jahrzehnte dauernden Wanderung des Volkes in der Wüste
bis zu seiner Lagerung an den fernen Ufern des Jordans.
15. 2. Die geschichtlichen Bücher, zwölf an der Zahl,
umfassen die folgenden: Josua, Richter, Ruth, 1. und 2.
Samuel, 1. und 2. Könige, 1. und 2. Chronik, Esra, Nehe-
mia und Esther. Sie berichten über die Geschichte der
Israeliten, wie diese in das Land der Verheißung einzogen,
und ihre daran anschließende Laufbahn durch drei be-
stimmte Zeitabschnitte hindurch während ihres Bestehens
als ein Volk: 1. als eine Nation unter der Gottesherrschaft
(Theokratie), mit einer Behörde von Richtern, alle Teile
des Volkes durch die Bande der Religion und Blutsver-
wandtschaft zusammengehalten, 2. als eine Monarchie,
zunächst ein geeinigtes Reich, später eine Nation, die in
sich selbst uneins wurde, 3. als ein teilweise unterjochtes
und besiegtes Volk, dessen Unabhängigkeit nach dem Gut-
dünken seiner Besieger beschränkt wurde.
16. 3. Die fünf poetischen Bücher. Das Buch Hiob,
die Psalmen, die Sprüche Salomos, der Prediger Salomo,
das Hohelied Salomos. — Häufig wird von ihnen auch als
von den ,, Lehrbüchern" gesprochen. Die griechische Be-
zeichnung „Hagiographa" (Hagios=heilig, grapha=etwas
Geschriebenes) ist heute noch im Gebrauch.^) Diese Bücher
») Wie schon erwähnt versteht man unter der Bezeichnung Hagio-
grapha — heilige Schriften — allgemein die fünf poetischen Bücher des
Alten Testaments. Einige Gelehrte dehnen diese Liste jedoch auf alle Bücher
aus, die im Talmud als Hagiographa genannt werden, nämhch: Buth, Chro-
nik, Esra, Nehemia, Esther, Hiob, Psalmen, Sprüche, Prediger, Hohes Lied
Salomos, Klagelieder des Jeremias und Daniel.
Art. 8.] Das alte Testament. 299
stammen aus weit auseinanderliegenden Zeitaltern. Ihr
enger Zusammenhang in der Bibel ist wahrscheinlich
darauf zurückzuführen, daß sie allgemein als Wegleitung
für die Gottesdienste und Andachten in den jüdischen
Kirchen dienten.
17. 4. Die prophetischen Bücher umfassen die fünf
größern Werke der Propheten Jesaja, Jeremia (mit seinen
Klageliedern), Hesekiel und Daniel, die gewöhnlich als
die Bücher der ,, großen Propheten" bekannt sind. Dazu
kommen die zwölf kleineren Schriften der Propheten
Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Haba-
kuk, Zephania, Haggai, Sacharja und Maleachi — der
sogenannten ,, kleinen Propheten". In diesen propheti-
schen Büchern haben wir das gewichtige Wort des Herrn
an sein Volk in der Zeit vor, während und nach der Ge-
fangenschaft und in ermutigenden, tröstenden, warnenden,
und strafenden Worten, je nachdem es der Zustand des
Volkes verlangte.!)
18. Die Apokryphen. Die Apokryphen umschließen
eine Anzahl Bücher, deren kirchliche Rechtsgültigkeit
zweifelhaft ist, obschon sie zu Zeiten hoch geschätzt wur-
den. So sind sie z.B. der Septuaginta beigegeben worden
und eine Zeitlang wurde ihnen von den alexandrinischen
Juden Anerkennung gezollt. Wegen ihrer zweifelhaften
Herkunft wurde ihnen jedoch nie allgemeine Anerkennung
zuteil. Im Neuen Testament werden sie auch nirgends
angeführt. Die Bezeichnung „apokryphisch" (= geheim,
verschwiegen) wurde zuerst von Hieronymus auf diese
Bücher angewandt, „denn" sagte er, ,,die Kirche liest sie
als Muster für das tägliche Leben und als eine Unterwei-
sung in Sitte und Gebrauch, aber sie benützt sie nicht, um
damit irgend einen Lehrsatz zu begründen". Die römisch-
') Siehe Anmerkung 4.
300 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII,
katholische Kirche erklärt, die Apokryphen als heilige
Schrift anzuerkennen, da das Konzil von Trient (1546)
einen dahingehenden Beschluß gefaßt hat; dessen unge-
achtet dürfte aber auch unter den Autoritäten dieser
Kirche noch immer ein gewisser Zweifel hinsichtlich der
kirchlichen Rechtsgültigkeit dieser Bücher bestehen. In
der Kirchenverfassung der Englischen Kirche lautet der
sechste Artikel inbezug auf die rechtgläubigen Ansichten
der Kirche über Bedeutung und Zweck der Heiligen Schrift
— nachdem zuerst die als kanonisch betrachteten Bücher
des Alten Testaments aufgezählt werden — wie folgt : „Und
die andern Bücher — wie auch Hieronymus sagt — werden
von der Kirche gelesen als Muster für das tägliche Leben
und als Unterweisung in Sitte und Gebrauch, aber sie
werden nicht benützt, um damit irgendeine Lehre zu ver-
teidigen; zu diesen Büchern zählen die folgenden: das
dritte Buch Esra, das vierte Buch Esra, das Buch Tobias,
das Buch Judith, Stücke zu Esther, die Weisheit Salomos,
das Buch Jesus, (des Sohnes Sirachs), das Buch Baruchs
des Propheten, der Gesang der drei Männer im Feuerofen,
die Geschichte von Susanna und Daniel, vom Drachen zu
Babel, das Gebet Manasses, das erste Buch der Makka-
bäer, das zweite Buch der Makkabäer."
Das Neue Testament.
19. Seine Entstehung und seine Echtheit. Seit der
letzten Hälfte des vierten Jahrhunderts unserer gegen-
wärtigen Zeitrechnung ist kaum eine einzige gewichtige
Frage hinsichtlich der Echtheit der Bücher des Neuen
Testamentes, so wie wir sie heutzutage haben, aufgeworfen
worden. Seit dieser Zeit ist das Neue Testament bis auf
den heutigen Tag von allen erklärten Christen als eine
Sammlung unzweifelhafter heiliger Schriften angenom-
Art. 8.] Das neue Testament. 301
men worden, i) Im vierten Jahrhundert waren von den
Büchern des Neuen Testamentes, wie wir es heute besitzen,
mehrere Verzeichnisse im Umlauf. Von diesen seien er-
wähnt: die Verzeichnisse des Athanasius, des Epiphanias,
des Hieronymus, des Rufinus und des Augustinus von
Hippo und die von dem dritten Konzil zu Karthago be-
kannt gegebene Liste. Diesen könnten noch vier andere
hinzugefügt werden, welche sich von ihnen dadurch unter-
scheiden, daß sie in drei Fällen die Offenbarung Johannes,
und in einem Fall den Hebräerbrief weglassen.
20. Die Fülle der Beweise für die Bildung des Neuen
Testaments ist eine Folge der Christen Verfolgungen jener
Zeit. Die Unterdrückungsmaßnahmen des römischen
Kaisers Diokletian zu Beginn des vierten Jahrhunderts
waren nicht allein gegen die Christen persönlich und als
eine Sekte gerichtet, sondern gleichermaßen auch gegen
ihre Schriften, welche der fanatische und grausame Herr-
scher zu vernichten suchte. Es wurde dabei den Personen,
welche die heiligen Bücher, die ihrer Obhut anvertraut
worden waren, den Römern auslieferten, eine etwas mildere
Behandlung zugesichert, und es waren nicht wenige, die
diese Gelegenheit benützten, um ihr Leben zu retten. Als
später die Härte der Verfolgung nachließ, suchten die
Gemeinden jene Mitglieder zur Rechenschaft zu ziehen, die
durch Herausgabe der heiligen Schriften bewiesen hatten,
daß sie in ihrer Treue zum Glauben schwach geworden
waren; diese wurden alle als Verräter mit dem Kirchen-
banne belegt. Da viele der Bücher, die auf die erwähnte
Weise unter Androhung der Todesstrafe ausgeliefert wor-
den waren, nicht allgemein als heilig anerkannt wurden,
war zunächst die wichtigste Frage die, darüber zu ent-
scheiden, gerade welche Bücher von so allgemein aner-
') Siehe die Anmerkungen 5 und 6.
302 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.
kannter Heiligkeit waren, daß ihre Auslieferung einen
Menschen zum Verräter machte. i) Wir finden daher auch,
daß Eusebius die Bücher der messianischen und aposto-
lischen Zeit in zwei Gruppen teilte: 1. in solche von aner-
kannter kirchlicher Gesetzeskraft, nämlich die Evangelien,
die Briefe des Paulus, die Apostelgeschichte, den ersten
Johannes- und den ersten Petrusbrief und wahrscheinlich
auch die Offenbarung des Johannes; 2, in solcne von be-
strittener Echtheit und Verpflichtung, nämlich den Brief
des Jakobus, den zweiten Petrusbrief, den zweiten und den
dritten Brief des Johannes, und den Brief des Judas. Diesen
beiden Gruppen fügte er eine dritte an, welche die Bücher
umfaßte, deren Unechtheit allgemein zugegeben wurde. 2)
21. Wie schon erwähnt, gibt das von Anathasius
etwa um die Mitte des vierten Jahrhunderts veröffent-
lichte Verzeichnis die Zusammensetzung des Neuen
Testaments, wie wir es heute haben. Zu jener Zeit scheinen
alle Zweifel an der Richtigkeit dieser Zusammenfassung
aufgehört zu haben. Wir bemerken deshalb auch die all-
gemeine Anerkennung des Neuen Testaments seitens
aller Bekenner des Christentums, sowohl in Rom, wie auch
in Ägypten, Afrika, Syrien, Kleinasien und Gallien. Das
Zeugnis des Origenes, der im dritten Jahrhundert in hohem
Ansehen stand, sowie das des Tertullians, der im zweiten
Jahrhundert lebte, wurde von nachfolgenden Schriftstellern
geprüft und endgültig als zugunsten der Echtheit der Evan-
gelien und der apostolischen Schriften erklärt. Jedes Buch
wurde auf seinen eigenen Wert hin geprüft und alle durch
allgemeine Zustimmung als für die Kirche verpflichtend
und bindend angenommen.
•) Siehe Tregelle's „Historie Evidence of the Origin
Books of the New Testament, S. 12.
*) Siehe Eusebius „Kirchengeschichte" III, 25.
Art. 8.] Das neue Testament. 303
22. Sollte es je nötig sein, noch weiter zurückzugehen,
so können wir auch das Zeugnis des Irenaeus, in der Kir-
chengeschichte als Bischof von Lyon besonders hervorge-
hoben, anführen. Er lebte in der letzten Hälfte des zweiten
Jahrhunderts und ist als ein Schüler des Polykarpus be-
kannt, der mit dem Apostel Johannes persönlich befreun-
det war. Seine umfangreichen Schriften bestätigen die
Echtheit der meisten neutestamentlichen Bücher und er-
klären genau ihre Herkunft und Verfasserschaft, wie sie
heute noch anerkannt werden. Diesem Zeugnis kann man
das der Heiligen in Gallien anfügen, die an ihre Leidens-
genossen in Asien schrieben und dabei viele Anführungen
aus den Evangelien, aus den Briefen der Apostel und aus
der Offenbarung des Johannes machen,^) ferner die Er-
klärungen des Bischofs Miletus von Sardes, welcher den
Osten bereiste, um zu entscheiden, welches die kanoni-
schen Bücher seien, namentlich hinsichtlich des Alten
Testamentes, 2) weiter das ernste Bekenntnis des Justinus,
des Märtyrers, welcher durch seine gründlichen und ge-
lehrten Forschungen zur Annahme des Christentums ge-
führt wurde und für seine Überzeugung den Märtyrer-
tod erlitt. Außer diesen persönlichen Zeugnissen haben wir
solche von kirchlichen Konzilien und amtlichen Körper-
schaften, von denen die Frage der Echtheit geprüft und
entschieden wurde. In dieser Beziehung sei erwähnt das
Konzil von Nicäa, 325 n. Chr,, das Konzil von Laodizea,
363 n. Chr., das Konzil von Hippo, 393 n. Chr., das dritte
und sechste Konzil von Carthago, 397 und 419 n. Chr,
23. Seit dem zuletzt genannten Zeitpunkt hat kein
Streit mehr über die Echtheit des Neuen Testamentes
viel Aufmerksamkeit beansprucht. Ohne Zweifel ist die
•) Siehe Eusebius, Buch IV,
=) Eusebius IV, 26.
304 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.
Gegenwart bereits ein zu später Zeitpunkt und die trennende
Entfernung zu groß geworden, um die Wiederaufnahme der
Frage zu unterstützen. Das Neue Testament muß als das
angenommen werden, was es zu sein behauptet. Mögen
vielleicht auch viele kostbare Teile desselben unterdrückt
worden oder verloren gegangen sein und anderseits sich
einige Verfälschungen des heiligen Wortlautes eingeschli-
chen haben oder Irrtümer und Fehler durch die Nachlässig-
keit und Unfähigkeit der Menschen entstanden sein, —
das Buch als Ganzes muß als echt und glaubwürdig und
als ein notwendiger Bestandteil der Heiligen Schrift aner-
kannt werden. 1)
24. Die Einteilung des Neuen Testaments. Das Neue
Testament enthält 27 Bücher, welche gruppiert werden
können
1. in 5 geschichtliche,
2. in 21 belehrende und
3. in 1 prophetisches Buch.
25. 1. Die geschichtliehen Bücher umfassen die vier
Evangelien und die Apostelgeschichte. Von den Verfassern
dieser Werke wird gesprochen als von den Evangelisten
Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Dem Lukas wird
auch die Abfassung der Apostelgeschichte zugeschrieben.
26. 2. Zu den belehrenden (Lehr-) Büchern zäh-
len die Briefe der Apostel. Wir können sie einteilen
1. in die Briefe des Apostels Paulus, a) seine Briefe über
Gesetz und Evangelium, an die Römer, Korinther, Galater,
Epheser, Philipper, Kolosser und Thessalonicher und an
die Hebräer, b) seine seelsorgersichen Schreiben an Timo-
theus, Titus und Philemon; 2, in die allgemeinen Briefe
der Apostel Petrus, Johannes, Jakobus und Judas.
») Vergl. Johannes 5:39.
I
Art. 8.] Die Bibel als ein Ganzes. 305
27. 3. Die prophetischen Werke bestehen aus der
Offenbarung des Johannes, die auch als die Apolcalypse
bekannt ist.
Die Bibel als ein Ganzes.
28. Die ersten Übersetzungen der Bibel. Im Laufe der
Zeit sind viele Übersetzungen des Alten- und des zusammen-
gefaßten Alten und Neuen Testamentes erschienen. Den
hebräischen Wortlaut mit der samari tischen Verdoppelung
des Pentateuchs, sowie die griechische Übersetzung oder
die Septuaginta (LXX) haben wir bereits erwähnt. Durch-
gesehene und verbesserte Übertragungen wetteiferten
zum Beginn der christlichen Zeitrechnung mit der Sep-
tuaginta. Dann erschien je eine Ausgabe von Theodosius,
Aquilla und Symmachus. Eine der ersten Übersetzungen
ins Lateinische war die sogenannte „Italienische Über-
setzung", die wahrscheinlich im zweiten Jahrhundert
n. Chr. entstand. Sie wurde später verbessert und ergänzt
und ist seitdem als die „Vulgata" bekannt. Von der Kir-
che Roms wird sie heute noch als die maßgebende Lesart
anerkannt. Sie enthält das Alte und das Neue Testament.
29. Neuere Übersetzungen in englischer Sprache sind
seit Beginn des 13. Jahrhunderts mehrere veröffentlicht
worden, einige unvollständig, andere als vollständig abge-
schlossene Ausgaben. Etwa ums Jahr 1380 legte Wycliffe
«ine aus der Vulgata übertragene englische Übersetzung
des Neuen Testamentes vor, das Alte Testament kam später
hinzu. Ungefähr im Jahre 1525 erschien Tyndales Über-
setzung des Neuen Testaments, sie ist nachher in Cover-
dales Bibel aufgenommen worden, welche im Jahre 1535
gedruckt wurde und welche die erste Übersetzung der gan-
zen Bibel darstellte; Matthews Bibel stammt aus dem
Jahre 1537; Tavaners Bibel aus 1539 und Cranmers Große
Bibel aus dem gleichen Jahre. Im Jahre 1560 erschien
die Genfer Bibel, 1568 die Bischofs Bibel, die erste
20
306 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIIL
englische, die in Kapitel und Verse eingeteilt war. Im Jahre
1611 kam die sogenannte maßgebende englische Bibelüber-
setzung heraus — die „King James (König Jakobs)"
Übersetzung. Es ist dies eine neue, auf Veranlassung des
Königs Jakob von 47 Gelehrten besorgte Übertragung des
Alten und Neuen Testaments aus dem Hebräischen und
Griechischen. Sie hat alle frühern englischen Ausgaben
überflüssig gemacht und ist die heutzutage bei den englisch
sprechenden Protestanten gebräuchlichste Übersetzung.
Aber selbst dieser jüngsten und angeblich besten Bibel-
übersetzung konnten viele und gewichtige Fehler nachge-
wiesen werden. Im Jahre 1885 erschien deshalb eine durch-
gesehene und verbesserte Auflage, die jedoch noch nicht
allgemeine Anerkennung gefunden hat.
30. Die Echtheit und Glaubwürdigkeit der Bibel. Wie
interessant und lehrreich diese geschichtlichen und lite-
rarischen Angaben über die jüdischen Schriften auch
immer sein mögen : sie sind der Frage der Glaubwürdigkeit
der Bücher untergeordnet. Gerade weil wir diese, zusam-
men mit der übrigen christlichen Welt, als das Wort Gottes
hinnehmen, geziemt es uns, nach der Glaubwürdigkeit der
Werke zu forschen, die in so großem Maße die Grundlage
unseres Glaubens bilden. Alle von der Bibel selbst geliefer-
ten Beweise, ihre Sprache, ihre geschichtlichen Angaben,
ihr Zusammenhang und die gegenseitige Übereinstimmung
ihres Inhaltes, unterstützen vereint ihren Anspruch auf
Glaubwürdigkeit als die tatsächlichen Werke der Verfasser,
denen die einzelnen Bücher zugeschrieben werden. In
einer großen Zahl von Fällen kann der biblische Bericht
leicht mit der zeitgenößischen Weltgeschichte verglichen
werden, namentlich auf dem Gebiete der Lebensbeschrei-
bung und Abstammungsgeschichte. In allen diesen Fällen
läßt sich genaue Übereinstimmung feststellen.^) Weitere
*) Siehe Anmerkung 7.
Art.S.J Die Bibel als ein Ganzes. 307
Beweisgründe liegen in dem Persönlichen, wie es von jedem
Schreiber beibehalten und gepflegt wird und sich in einer
bemerkenswerten Mannigfaltigkeit der Schreibweise äußert,
während anderseits eine sich über das Ganze erstreckende
Einheitlichkeit des Geistes die durch alle Zeiten der Ver-
mehrung der Urkunden erhaltene Mitwirkung eines füh-
renden Einflusses offenbar erscheinen läßt. Dieser über-
ragende Einfluß kann nichts Geringeres sein als das Licht
der Inspiration, welche auf alle wirkte, die als Werkzeuge
in der Hand Gottes das Buch der Bücher schrieben. Tra-
dition, zeitgenössische Weltgeschichte, literarische Zerglie-
derung und neben und über allem der Prüfstein andächtiger
Untersuchung und wahrheitssuchender Erforschung ver-
einigen sich, um die Glaubwürdigkeit, Wahrheit und Echt-
heit dieses wunderbaren Buches zu beweisen, welches den
Weg zeigt, der die Menschen in die Gegenwart Gottes zu-
rückführt.
31. Das Zeugnis des Buches Mormon für die Bibel.
Wie im achten Glaubensartikel, welchen wir eben behan-
deln, erklärt wird, anerkennen die Heiligen der letzten
Tage das Buch Mormon als einen Band heiliger Schriften,
welcher ebenso wie die Bibel das Wort Gottes enthält.
Das Buch Mormon selbst werden wir in der nächsten Vor-
lesung eingehend behandeln. Es mag jedoch nicht unange-
bracht sein, schon hier auf die Beweise aufmerksam zu
machen, welches dieses Buch für die Glaubwürdigkeit der
Bibel und ihrer allgemeinen Vollständigkeit in ihrer jet-
zigen Gestalt liefert. Nach dem Bericht des Buches Mor-
mon verließ der Prophet Lehi mit seiner Familie und eini-
gen andern auf Befehl Gottes die Stadt Jerusalem — etwa
ums Jahr 600 v. Chr. im ersten Jahre der Regierung des
Königs Zedekia. Bevor die Ausw^anderer ihrem Heimat-
land für immer Lebewohl sagten, sicherten sie sich gewisse
urkundliche Berichte, die auf Messingplatten eingraviert
308 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.
waren. Unter diesen Urkunden befand sich eine Ge-
schichte der Juden, sowie einige der heiligen Schriften,
die damals als gesetzmäßig betrachtet wurden.
32. Lehi prüfte die Urkunden, welche auf den Messing-
platten eingraviert waren: „Und er sah, daß sie die fünf
Bücher Mose enthielten, welche einen Bericht von der
Erschaffung der Welt, sowie auch von Adam und Eva,
unsern ersten Eltern , gaben ;* * * ebenfalls die Weissagungen
der heiligen Propheten, vom Anfang an bis zum Beginn
der Regierung Zedekias; und auch viele Prophezeiungen,
welche aus dem Munde Jeremias gekommen waren. "^)
Dieser direkte Hinweis auf den Pentateuch und gewisse
jüdische Propheten ist wertvoll als ein von außen kommen-
der Beweis für die Echtheit und Glaubwürdigkeit jener
Teile der biblischen Urkunden.
33. Nephi, der Sohn Lehis, erfuhr in einem Gesicht
etwas von den künftigen Absichten Gottes hinsichtlich
der menschlichen Familie. Er sah, wie ein Buch von
großem Werte, welches das Wort Gottes und die Bündnisse
des Herrn mit Israel enthielt, von den Juden auf die
Heiden kam. 2) Es wird weiter erzählt, daß die Kolonie
Lehis, welche, wie wir sehen werden, über die großen Ge-
wässer nach der westlichen Halbkugel kam, wo sie sich
niederließ und später zu einem großen mächtigen Volk
wurde, gewohnt war, die auf den Platten eingegrabenen
heiligen Berichte zu lesen und daß darüber hinaus ihre Schrei-
ber lange Anführungen aus ihnen ihren eigenen Berichten
ein verleibten. 3) Soviel über die Anerkennung, welche das
Buch Mormon der Bibel zollt, oder wenigstens jenem Teil
der jüdischen Schriften, der zu der Zeit, als Lehis auswan-
dernde Kolonie, während der Amtstätigkeit Jeremias,
Jerusalem verließ, fertiggestellt war.
') 1. Ncphi 5:10—13.
•) Siehe 1. Nephi 13:21—23.
») 1. Nephi 20—21; 2. Nephi 7—8; 12—24.
Art. 8.] Anmerkungen. 309
34. Aber diese Stimme aus der westlichen Welt schweigt
auch nicht hinsichtlich d er neutestamentlichen Schriften. In
prophetischen Gesichten sahen viele der nephitischen Leh-
rer das irdische Wirken Christi in der Mitte der Zeiten
voraus und überlieferten uns so Prophezeiungen über die
Hauptereignisse des Lebens und des Sterbens Christi mit
überraschender Treue in vielen Einzelheiten. Ein solches
Zeugnis wird uns überliefert von Nephi^), von Benjamin,^)
der zugleich Prophet und König war, von Abinadi,^) von
Samuel,*) dem bekehrten Lamaniten und manchen andern.
Als Ergänzung dieser und vieler sonstiger Prophezeiungen
über die Mission Christi, welche alle mit dem neutestament-
lichen Bericht über ihre Erfüllung übereinstimmen, gibt
uns das Buch Mormon noch einen Bericht über die Tätig-
keit des auferstandenen Erlösers unter dem nephitischen
Volk, während welcher er bei ihnen seine Kirche gründete
nach dem im Neuen Testament aufgezeichneten Muster;
darüber hinaus gab er ihnen viele Belehrungen, die mit
denen, welche er den Juden im Osten gab, beinahe wört-
lich übereinstimmen.^)
Anmerkungen.
1. Johannes Chrysostomus, einer der griechischen „Kirchenväter",
stand in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts in hohem Ansehen;
er war Patriarch von Konstantinopel, wurde jedoch kurz vor seinem im
Jahre 407 eingetretenen Tod abgesetzt und verbannt. Seine Anwendung
des Ausdruckes „Biblia" zur Bezeichnung des Schrift-Kanons *) gehört
1) 1. Nephi 10:4—5; 11— 13. Kapitel; 14. Kapitel; 2. Nephi 9:5;
10:3; 25:26; 26:24.
') Mosiah, 3. Kap. 4:3.
») Mosiah Kapitel 13—16.
*) Helaman 14:12.
') 3. Nephi 9. — 26. Kapitel; vergl. im Neuen Testament mit Mat-
thäus 5. — 7. Kapitel, im Alten Testament mit Jesaja Kapitel 54 und
Maleachi, Kapitel 3 und 4.
*) „Kanon" = die Bücher, die die inspirierte Heilige Sclvift bilden
und die bei Festsetzung der Glaubenslehren als Richtschnur dienen, weil
man ihnen einen höhern Ursprung und eine vollgültige Beweiskraft beilegt.
D.U.
310 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.
zu den frühesten dieser Art, die noch aufgefunden \\-urden. Er ermahnte
sein Volk, sich die Reichtümer der inspirierten Schrift zu eigen zu machen,
mit folgenden Worten: ,, Höret, ich bitte euch, alle die ihr noch im sterb-
lichen Leben seid, kauft BibUa, das Heilmittel für die Seele." — Von
den Judenchristen sagte er: „Sie haben die Biblia, aber wir haben die
Schätze der Biblia, sie haben die Buchstaben, wir aber haben die Buchstaben
und das Verständnis." —
2. Die samarilisehe Absrhriit des Pentateuchs. — In seinen wert-
vollen Vorlesungen über biblische Themen macht der Älteste David McKenzie
unter Hinweis auf die Schriften Hornes folgende Bemerkungen: „Neun-
hundert und siebzig Jahre vor Christi Geburt wurde das Reich Israel in
z^^ei Königreiche geteilt. Beide behielten das gleiche Gesetzbuch bei. Die
z^vischen ihnen herrschende Eifersucht ließ weder eine Veränderung noch
eine Vermehrung des Gesetzes zu. Nachdem Israel nach Assyrien wegge-
führt worden war, ergriffen andere Völker Besitz von Samarien. Sie er-
hielten den Pentateuch (2. Könige 17:26 — 28). Die Sprache war hebräisch
oder phönizisch, wogegen die jüdischen Abschriften in die chaldäische ge-
ändert wurden, Verfälschungen oder Veränderungen erwiesen sich so als
unausführbar, weshalb auch der Wortlaut beinahe ein und derselbe blieb."
3. Übersetzunaen der Bibel oder von Teilen derselben. — Die Sep-
tuaiiinla: — „Verschiedene Ansichten wurden geäußert, um den Namen
„Septuaginta" zu erklären. Einigesagen, Ptolemäus Philadelphus habe von
Eleasar, dem Hohenpriester, eine Abschrift der hebräischen Schrift gefor-
dert, dazu von jedem Stamm sechs gelehrte, für die Übersetzung ins Grie-
chische zuständige Juden, (zusammen also zweiundsiebzig). Diese wurden
auf der Insel Pharos eingesperrt imd dort vollendeten sie in zweiundsiebzig
Tagen ihr Werk. Währenddem sie es zum Niederschreiben vorsagten, schrieb
es Demetrius Phalerus, der Hauptbibliothekar des Königs, ab. Diese Er-
klärung wird jedoch heute nur mehr als eine Fabel betrachtet. — Andere
geben an, diese gleichen L'bersetzer hätten, nachdem jeder für sich in eine
Zelle eingeschlossen worden war, je eine Übersetzung niedergeschrieben
und so außerordentlich hätten ihre Arbeiten in Wort und Geist überein-
gestimmt, daß darin ein Beweis für die Inspiration durch den heiligen Geist
erblickt worden sei. — Diese Ansicht ist ebenfalls als zu überspannt abge-
lehnt worden. Es ist gut möglich, daß zweiundsiebzig Verfasser mit der
Übersetzung beschäftigt waren, doch ist es wahrscheinlicher, daß sie ihren
Kamen „Septuaginta" dem umstand verdankt, daß der jüdische Sanhedrin,
der aus zweiundsiebzig Personen bestand, sie genehmigte. — Einige halten
dafür, daß sie zu verschiedenen Zeiten ausgeführt worden sei. Hörne be-
zeichnet es als höchst wahrscheinlich, daß diese Übersetzung während der
gemeinsamen Regierung des Ptolemäus Lagus und seines Sohnes Phila-
delphus etwa ums Jahr 285 oder 286 vor Christi Geburt zustande kam. — "
Die Vuljjata. — ,,Es gab eine sehr alte Übersetzimg der Bibel
aus der Septuaginta ins Lateinische, von wem und wann ist unbekannt. Sie
war zu der Zeit des Hieronymus allgemein im Gebrauch und wurde die
Itala oder die Italienische Übei-setzung genannt. Etwa gegen das Ende des
\ierten Jalirhunderts begann Hieronymus eine neue Übersetzung aus dem
hebräischen Text ins Lateinische, die er Stück für Stück fertigstellte. Sie
fand schließlich die Genehmigung des Papstes Gregor I. und ist seit dem
siebten .Jahrhundert immer im Gebrauch gewesen. Die gegenwärtige Vul-
gata, von dem Konzil zu Trient im 16. Jahrhundert als maßgebend erklärt.
Art. 8.] Anmerkungen. 311
ist die alte italienische Übersetzung, durchgesehen und verbessert durch
die Richtigstellungen von Hieronymus und andern; sie ist die einzige von
der römischen Kirche zugelassene."
Die bereehlijite Übersetzung (in englischer Sprache). — „Da an der
Hampton-Court-Konfercnz im Jahre 1603 gegen die „Bishops Bible" ge-
wisse Einwendungen erhoben wTjrden, ordnete König Jakob I. eine neue
Übersetzung an. Zu diesem Zweck wurden siebenundvierzig Personen, die
wegen ihrer Frömmigkeit und biblischen Gelehrsamkeit bekannt waren,
gewählt und in sechs Ausschüsse vereinigt, von denen je zwei in Oxford,
Cambridge und Westminster zusammentraten. Jedem Ausschuß wurde ein
bestimmter Teil der Heiligen Schrift übertragen. Sie begannen ihre Arbeit
im Jahre 1607 und das Ganze wurde vollendet und dem Druck übergeben
im Jahre 1611. Dies wird die „Authorized English Version", (Berechtigte
Englische Übersetzung) genannt und ist die, die sich heute im Gebrauch
befindet." — „Analysis of Scripture History" von Pinnock, S. 3, 5, (6.
Ausgabe).
4. Die prophetischen Bücher des Alten Testamentes sind mit wenig
oder gar keiner Rücksicht auf ihre Zeitfolge angeordnet. Nach dem Um-
fang der einzelnen Bücher hat man eben die gröfJten zuerst genommen.
Nach der Zeit ihrer Entstehung würde sich wahrscheinlich folgende Reihen-
folge ergeben : Jona, Joel, Amos, Hosea, Jesaja, Micha, Nahum, Zephania, — •
alle diese Propheten vor der Gefangenschaft — dann folgen Jeremia, Haba-
kuk, Hesekiel und Daniel, die während der Gefangenschaft, und schließ-
lich Haggai, Sacharja und Maleachi, die nach der Rückkehr der Juden
aus der Gefangenschaft schrieben.
5. Handsehriltliehe Abschriften des Neuen Testaments. Drei neu-
testamentliche handschriftliche Abschriften, die heute noch vorhanden sind,
werden als echt betrachtet. Sie sind bekannt als die „Vatikanische" (heute
in Rom), die „Alexandrinische" (in London) und die „Sinaitische" (jetzt
In der Bibliothek zu St. Petersburg). Die letzte, die sinaitische, wird als
die älteste der vorhandenen Abschriften des Neuen Testamentes angesehen.
Die Urschrift wurde im Jahre 1859 im Archiv eines Klosters auf dem Berge
Sinai endeckt, daher der Name. Aufgefunden wurde sie von Tischendorf
und befindet sich jetzt in einer Bibliothek zu St. Petersburg.
6. Über die, Echtheit von Teilen des Neuen Testaments. — Als Ent-
gegnung auf die Einwendungen von Ivritikern wegen der Echtheit und
Rechtsgültigkeit gewisser Bücher des Neuen Testaments kann die nach-
stehende Reihe von Zeugnissen betrachtet werden. Die Auszüge werden
hier dargeboten, wie sie von dem Ältesten David McKenzie zusammen-
getragen und von ihm in seinen lehrreichen Vorlesungen über die Bibel
benutzt worden sind.
I. Die vier Evangelien.
1. Matthäus. — Papias, Bischof von Hierapolis, war ein Zuhörer des
Apostels Johannes. Hinsichtlich des Matthäus-Evangeliums führt ihn
Eusebius an und läßt ihn sagen: „Matthäus stellte die heiligen Worte in
hebräischer Sprache zusammen und jeder legte sie aus so gut et konnte."
<Eusebius, Kirchengeschichte, III., 39.)
2, Markus. — Auch von dem Evangelium des Markus sagt Papias:
„Markus schrieb, nachdem er der Ausleger des Petrus geworden war, alles,
wessen er sich erinnerte, genau nieder, ohne jedoch die Reihenfolge einzu-
312 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.
halten, weder von dem, was Christus gesprochen, noch von dem, was er
getan hatte. Denn er hörte den Herrn nicht selbst, sondern er begleitete
später den Apostel Petrus, der seine Belehrungen den Bedürfnissen seiner
Zuhörer anpaßte, aber nicht die Absicht hatte, einen zusammenhängenden
Bericht der Weissagungen oder Reden des Herrn zu geben." — (Bischof
Lightfoots Translations in der „Contemporary Review", August 1875.)
3. Lakas. — Innere Übereinstimmung der beiden Werke zeigt, daß
das Evangelium Lukas imd die Apostelgeschichte von dem gleichen Ver
fasser herrühren. Paulus spricht von Lukas als von einem Arzt. Dr. Hobart
veröffentlichte im Jahre 1882 in London eine Abhandlung über „die Medi-
zinische Sprache des Evangelisten Lukas" und hebt das häufige Vorkommen
von medizinischen Ausdrücken in den Schriften Lukas hervor, die sich in
allen Teilen des dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte finden. —
Selbst M. Renan macht ein ähnliches Zugeständnis; er sagt nämlich: „Ein
Punkt ist außer allem Zweifel: die Tatsache, daß die Apostelgeschichte von
demselben Verfasser stammt wie das dritte Evangelium und daß sie eine
Fortsetzung dieses Evangeliums ist. Niemand braucht sich bei dem Be-
weis für diese Behauptung aufzuhalten, denn sie wurde niemals ernstlich
bestritten. Die Vorrede am Anfang der beiden Werke, die Widmung der-
selben an Theophilus, die vollendete Ähnlichkeit in der Schreibart und den
Gedanken liefern für diesen Punkt genügende Belege." „Eine zweite Be-
hauptung geht dahin, daß der Verfasser der Apostelgeschichte ein Jünger
des Apostels Paulus war, der diesen auf einem beträchtlichen Teil seiner
Reisen begleitete." (M. Renan, „Die Apostel", siehe die Vorrede.)
4. Johannes. — ,,Irenäus, ums Jahr 177 n. Chr. Bischof von Lyon, ein
Schüler des Polycarp, der im Jahre 155 oder 156 den Märtyrertod erlitt, er-
zählt in einem Briefe an einen Mitschüler von dem, was er Polycarp hatte
sagen hören über seinen Umgang mit Johannes und mit den übrigen, die
den Herrn gesehen hatten, sowie über den Herrn selbst, seine Wunder-
taten und seine Lehren. Alles dies erzählt er in Übereinstimmung mit den
Heiligen Scliriften." (Eusebius, Kirchengeschichte V, 20.) Daß Irenäus
mit den „Heiligen Schriften" Matthäus, Markus, Lukas und Johannes
meinte, geht aus dem Wortlaut hervor. Abgesehen davon macht er mit
Nachdruck geltend, „nicht nur, daß bloß die vier Evangelien von Anbeginn
weitergegeben wurden, sondern, daß es auch nach dem Wesen der Dinge
nicht mehr und nicht weniger als \ier geben konnte. Es gibt vier Teile der
Erde und vier Hauptwinde und die Kirche muß deshalb, da sie auf der Erde
aufgerichtet und ihr ebenbürtig zu sein bestimmt ist, auf vier Evangelien
gestützt sein wie auf vier Säulen." — (Contemporary Review, August 1876,
Seite 413.) — (Die von Irenäus aufgestellte, erzwungene Ähnlichkeit z^n-
schen den vier Evangelien und den vier Winden usw. entbehrt natürlich
jeder Begründung und seine Anwendung erscheint buchstäblich albern und
widersinnig. Nichtsdestoweniger liefert die Tatsache, daß er sie anführt,
einen Beweis dafür, daß die vier Evangelien in seinen Tagen anerkannt
wurden. — J. E. T.)
//. Die Paulinischen Briefe.
Die folgenden Auszüge aus den Kritiken von Tübinger Sachverstän-
digen über die paulinischen Briefe sind lehrreich.
DeWette sagt, in seiner Einführung zu den „Büchern des Neuen
Testamentes", (123, a): „Die Briefe des Paulus tragen das Kennzeichen
Art. 8.] Anmerkungen. 313
seines mächtigen Geistes. Die meisten von ilinen sind, was ilire Echtlieit
anlangt, über jeden Widerspruch erhaben; sie bilden den festen Kern der
Bücher des Neuen Testamentes."
Baur sagt in seinem „Apostel Paulus" (1,8): „Nicht nur ist niemals
ein Verdacht hinsichtlich der Echtheit dieser Briefe laut geworden, sondern
sie tragen auch so unbestreitbar das Siegel paulinischen Ursprungs, daß
man nicht verstehen kann, aus welchem Grunde Kritiker jemals irgendeine
Einwendung dagegen erheben könnten."
Weizsäker schreibt (Apostol. Zeitalter, 1866, S. 190): „Die Briefe
an die Galatcr imd Korinther stammen ohne Zweifel von der Hand des
Apostels; auch der Brief an die Römer stammt unbestreitbar von seiner
Hand." Holtzmann sagt, („Einleitung ins Neue Testament" S. 224): „Diese
vier Briefe sind die ,,Paulina Homologoumena" (Bücher, die allgemein aner-
kannt werden) in der neuzeitlichen Anerkennung des Wortes. Mit Bezug
auf sie können wir den von Paley gegenüber den Freidenkern seiner Zeit
erbrachten Beweis der Echtheit betrachten."
M. Renan drückt sich in den „Evangelien" (S. 40, 41) wie folgt aus:
„Die Briefe des Apostels Paulus haben einen unvergleichlichen Vorteil in
dieser Geschichte — nämlich ihre unbedingte Echtheit." — Von den Briefen
an die Korinther, Galater und Römer spricht Renan als „unbestreitbar
und unbestritten" und fügt hinzu: — „Die strengsten Kritiker, wie zum
Beispiel Christ. Baur, anerkennen sie ohne jeden Vorbehalt." —
7. Altertumskundllc-he Beweise, die die Bibel bestätigen. — Prof. A. H.
Sayce, Magister, faßt seine lehrreichen Abhandlungen über das Zeugnis
der alten Baudenkmäler wie folgt zusammen : „Die kritischen Einwendungen
gegen die Wahrheit des Alten Testamentes, einst der Rüstkammer der
griechischen und lateinischen Schriftsteller entnommen, können nie wieder
erhoben werden. Sie sind ein für allemal angegriffen und geschlagen worden.
Die Entgegnung auf sie ist von den Papyrus, Ziegeln und Steinen, von
den Gräbern des alten Ägyptens, den Wällen Babylons und den zerfalle-
nen Palästen der assyrischen Könige gekommen." —
8. Vcrlorengefiangene heilige Schriften. — Diejenigen, die die Lehre
von fortlaufender Offenbarung zwischen Gott und seiner Kirche mit der
Begründung bekämpfen, daß die Bibel als eine Sammlung heiliger Schriften
vollständig sei, und daß angebliche Offenbarungen, die in derselben nicht
gefunden werden, deshalb unecht sein müssen, können mit Nutzen Kenntnis
nehmen von den vielen Büchern, die in der Bibel nicht enthalten sind,
obschon sie in dieser erwähnt werden, und zwar allgemein in solcher Weise,
daß kein Zweifel darüber bestehen kann, daß sie als kirchengesetzlich be-
trachtet wurden. Von diesen außerbiblischen Schriften seien die folgenden
genannt; einige von ihnen sind heute noch vorhanden, werden aber zu den
apokryphischen gezählt, die meisten dagegen sind heute unbekannt. Wir lesen
von dem „Buch des Bundes" (2. Mose 24:7); „Buch von den Kriegen des
Herrn" (4. Mose 21:14); „Buch des Frommen" (Josua 10:13); „Buch der
Rechte" (1. Samuel 10:25); „Buch Henoch" (Judas 14); „Chronik von
Salomo" (1. Könige 11:41); „Geschichten des Propheten Nathan" und
„Geschichten Gads, des Schauers" (1. Chronik 29:29); „Prophezeiungen des
Ahias von Silo" und die „Gesichte Jeddis, des Schauers" (2. Chronik 9:29);
„Geschichten Semajas, des Propheten" (2. Chronik 12:15); „Historie des
Propheten Iddo" (2. Chronik 13:22); „Geschichten Jehus" (2. Chronik 20
:34); die „Taten des Usias, geschrieben von dem Propheten Jesaja, dem
314 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.
Sohne Amoz" (2. Chronik 26:22); „Geschichten der Schauer" (2. Chronik
33:19); ein verlorengegangener Brief des Apostels Paulus an die Konrinther
<1. Korinther 5:9); ein verlorengegangener Brief an die Epheser (Epheser
3:3); ein verlorengegangener Brief an die Kolosser, geschrieben aus Lao-
dizea (Kolosser 4:16); ein verlorengegangener Brief des Apostels Judas
<Jud. 3); die „Reden von den Geschichten", die in Imkas 1:1 erwähnt sind.
IJibelübersetzunflen. — „Übersetzungen der Bibel wurden sofort nötig,
als das Hebräische aufhörte, lebende Sprache zu sein, und die Juden in der
griechischen Welt zerstreut waren, noch mehr, als das Christentum zu den
Völkern nichtgriechischer Zunge drang. * * * Für die Erforschung der
Urgestalt aller Teile der Bibel kommen nur die erstem in Betracht, so die
griechische Übersetzung des Alten Testaments, welche unter dem Namen
Septuaginta weltberühmt geworden ist, und die chaldäische (Targum);
so in Bezug auf das Alte und Neue Testament die syrischen Übersetzungen,
besonders die erst nach 200 entstandene Peschito; ferner die lateinischen,
deren ältere Gestalt, gewöhnlich Itala genannt, in das 2. Jahrhundert
hinaufreicht, während die spätere, die sogen. Vulgata, erst von Hieronymus
herrührt. Auch ägyptische, äthiopische, arabische, persische, armenische,
gotische, georgische, slawonische Übersetzungen entstanden; einige der-
selben sind schon mehr oder weniger mittelbare, d. h. von Septuaginta,
Peschito, Itala oder Vulgata abhängige Übersetzungen. Letzteres gilt
namentlich von den mancherlei Versuchen des mittelalterlichen Abend-
landes. * * * Ohne einheitliche Aufsicht seitens der kirchlichen Behörden
erschienen die deutschen Bibeln an den verschiedensten Orten, jede mit
ihren eigentümlichen Druckfehlern und sonstigen Änderungen, wie solche
teils die Errungenschaften der Wissenschaft, teils die fortschi-eitende
Veränderung der deutschen Sprache für das Verständnis in Kirche,
Schule und Haus nötig zu machen schienen. Die Geschichte der deut-
schen Bibelübersetzung Luthers von 1517—34 gab der Hamburger Haupt-
pastor J. M. Goeze aus dem Nachlaß von J. G. Palm heraus (Halle
1772). Bis 1581 wird diese Geschichte geführt von G. W. Panzer (Nürn-
berg 1783). Weitere Beiträge lieferten Heinr. Schott (,, Geschichte der
deutschen Bibelübersetzung", Leipzig 1835), G. W. Hopf („Würdigung
der Lutherschen Bibelverdeutschung mit Rücksicht auf ältere und neuere
Übersetzungen", Nürnberg 1847) und Wilib. Grimm (,, Kurzgefaßte Ge-
schichte der lutherischen Bibelübersetzung bis zur Gegenwart", Jena 1884).
Den ersten Anstoß zu einer gründlichen Revision des Textes auf Grund
der gewonnenen Einsicht in seine Geschichte gab der Stuttgarter Kirchentag
1857; die maßgebenden Grundsätze stellte 1863 die Eisenacher Konferenz
fest, und 1865 — 68 wurde das Neue Testament in drei Lesungen durch den
Germanisten G. K. Fromman und zehn sachkundige Theologen in der
Weise behandelt, daß die Auswahl unter den Varianten mit Rücksicht
auf den Grundtext erfolgte, die wenigen Stellen aber, an deren Verbesserung
nach dem Grundtext man sich heranzutreten getraute, möglichst aus dem
Sprachschatz der Lutherbibel erneuert wurden. In demselben Jahre, als
die Cansteinsche Anstalt erstmalig das revidierte Neue Testament heraus-
gab (1870), erklärte sich die Konferenz für die Ausdehnung der Revision
auch auf das Alte Testament; 1883 erschien die ,,Probebiber', die revidierte
Bibel Halle 1892. * * * Auch die Katholiken folgten dem gegebenen Beispiel.
Die neuerdings gebrauchtesten Übersetzungen sind die von Leander van Eß
(1807 u. ö.) und die autorisierte Übersetzimg von Allioli (Nürnberg 1830 — 34
u. ö.,6Bde.). („Meyers Konversationslexikon unter Bibelübersetzungen.")
D.U.
Art. 8. 1 Das Buch Mormon.
Vorlesung XIV.
Das Buch Mormon.
Artikel 8. — * * * Wir glauben auch an das Buch Mormon als das Wort
Gottes.
Beschreibung und Herkunft.
1. Was ist das Buch Mormon? — Die Ansprüche, die
für das Buch Mormon gemacht werden, gehen dahin, daß
es ein göttlich inspirierter Bericht ist, verfaßt von den
Propheten der alten Völker, die das amerikanische Fest-
land jahrhundertelang vor und nach Christi Geburt be-
wohnten. Dieser Bericht ist in unserm Zeitalter durch die
Gabe und auf besondern Auftrag Gottes übersetzt worden.
Der berufene und inspirierte Übersetzer dieser heiligen
Schrift, durch dessen Mitwirkung sie der Welt in einer
lebenden Sprache übergeben wurde, ist Joseph Smith,
dessen erstes Bekanntwerden mit den Platten schon in der
ersten Vorlesung erwähnt wurde. ^) Wie dort erklärt wird,
erhielt Joseph Smith am 21. September 1823 als Antwort
auf sein inbrünstiges Gebet den Besuch eines Engels,
welcher sich als der Engel Moroni vorstellte. Nachfolgende
Offenbarungen ließen ihn als den letzten einer langen
Reihe von Propheten erkennen, deren übersetzte Schriften
das jetzige Buch Mormon darstellen. Er war es, der die
alten Berichte abgeschlossen und der Erde zur Aufbewah-
rung anvertraut hatte; und durch seine Vermittlung
kamen sie auch in die Hände des Propheten der Neuzeit,
dessen Ubersetzungswerk heute vor uns liegt.
') Siehe Seite 12 und 20.
316 Die Glaubensarükel, [Vorl. XIV.
2. Bei seinem ersten Besuch offenbarte der Engel
Moroni dem Propheten Joseph Smith das Vorhandensein
eines Berichtes, der auf goldenen Platten eingraviert am
Abhang eines Hügels in der Nähe von Josephs Heim ver-
graben liege. Dieser Hügel, der dem einen der alten Völker
als Cumorah, dem andern als Ramah bekannt war, liegt
nahe bei Palmyra, in der Grafschaft Wayne im Staate
New-York. In einem Gesicht wurde Joseph der genaue
Ort, an dem sich die Platten befanden, gezeigt, sodaß er
ihn am darauffolgenden Tage leicht aufzufinden vermochte.
Josephs Erzählung von der Kundmachung der Platten
durch Moroni lautet wie folgt:
„Er sagte, es ist ein Buch aufbewahrt, auf goldenen
Platten geschrieben, welches einen Bericht gibt, von den
früheren Einwohnern dieses Landes und dem Ursprung,
von dem sie gekommen sind. Er sagte auch, daß die Fülle
des ewigen Evangeliums darin enthalten ist, wie es von
dem Heiland den ehemaligen Einwohnern gegeben wurde.
Auch, daß zwei Steine in silbernen Bogen — und diese
Steine an ein Brustschild befestigt, bildeten das, was als
der Urim und Thummim bekannt ist — mit den Platten
aufbewahrt sind, und daß es der Besitz und Gebrauch dieser
Steine gewesen ist, was in alten oder früheren Zeiten Seher
machte ; und daß Gott sie für den Zweck der Übersetzung
"des Buches bereitet hat."^)
3. Joseph fand an der bezeichneten Stelle des Hügels
Cumorah einen großen Stein; unter diesem befand sich
ein Kasten, ebenfalls aus Stein. Mit Hilfe eines Hebeisens
hob er den Deckel des Kastens und gewahrte sodann die
Platten und die Brustplatte mit dem Urim und Thummim,
wie sie der Engel beschrieben hatte. Als er den Inhalt des
Kastens herausnehmen wollte, erschien ihm Moroni wie-
*) Siehe Köstliche Perle, Seite 78.
Art. 8.] Das Buch Mormon. 317
derum und verbot ihm, die heiligen Sachen zu dieser Zeit
zu sich zu nehmen. Vier Jahre, sagte er, müßten vergehen,
ehe sie seiner Obhut anvertraut werden könnten. In-
zwischen solle Joseph diesen Ort alljährlich aufsuchen.
Der jugendliche Offenbarer tat dieses und erhielt jedesmal
weitere Belehrungen über den urkundlichen Bericht und
die Absichten Gottes mit demselben. Am 22. September
1827 empfing Joseph von dem Engel Moroni die Platten
und den Urim und Thummim nebst der Brustplatte. Er
wurde angewiesen, dieselben mit großer Sorgfalt zu ver-
wahren, wobei ihm verheißen wurde, daß die Platten un-
beschädigt in seinen Händen erhalten werden würden,
wenn er zu ihrem Schutze alle seine Kräfte einsetze. Nach
Vollendung der tjbersetzungsarbeit werde Moroni ihn
wieder besuchen und die Platten in Empfang nehmen.
4. Der Grund für die Mahnung des Engels zur Sorg-
falt bei der Aufbewahrung der Platten sollte bald offenbar
werden. Dreimal wurde Joseph angefallen, als er sich mit
den heiligen Urkunden auf der kurzen Wanderung nach
Hause befand. Göttliche Hilfe setzte ihn jedoch instand,
seinen Angreifern zu widerstehen, sodaß er schließlich mit
den unbeschädigten Platten und den übrigen Sachen sein
Heim erreichte. Diese Überfälle bildeten jedoch nur den
Anfang einer ebenso unbarmherzigen wie hartnäckigen
Verfolgung, die von der Macht des Bösen gegen ihn geführt
wurde, solange er im Besitze der Platten war. Die Neuig-
keit, daß er goldene Platten besitze, verbreitete sich rasch
und zahlreiche und heftige Versuche wurden unternom-
men, um ihm diese zu entreißen; sie wurden ihm jedoch er-
halten. Langsam und unter vielen Hindernissen, wie sie
einerseits die Verfolgung und anderseits seine Armut —
diese nötigte ihn für seinen Unterhalt mit eigenen Händen
zu arbeiten und ließ ihm für die übertragene Arbeit wenig
318 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIV.
freie Zeit — mit sich brachten, fuhr Joseph mit der Überset-
zung fort, und im Jahre 1830 wurde das Buch Mormon zum
erstenmal veröffentlicht.
5. Das Titelblatt des Buches Mormon. — Die beste
Antwort auf die Frage: Was ist das Buch Mormon? gibt
uns das Titelblatt des Buches. Wir lesen da: „Dieses Buch
ist eine Abkürzung der Urkunde des Volkes Nephi und auch
der Lamaniten an die Lamaniten, einen Überrest vom Hause
Israel, und auch an die Juden und Heiden — Geschrieben
auf Befehl und durch den Geist der Weissagung und Offen-
barung — Geschrieben und versiegelt und für den Herrn
aufbewahrt, damit diese Urkunden nicht verloren gehen,
sondern durch die Gabe und Macht Gottes ans Licht
kommen sollten, um verdolmetscht zu werden. Von Mo-
ronis Hand versiegelt und für den Herrn aufbewahrt, um
durch die Heiden zur rechten Zeit hervorzukommen, die
Übersetzung derselben aber durch die Gabe Gottes.
Ebenfalls ein abgekürzter Bericht dem Buche
Ether entnommen, welches eine Urkunde des Volkes Jared
ist, das zu der Zeit zerstreut wurde, als der Herr die Spra-
chen der Völker verwirrte, während sie einen Turm bauten,
um gen Himmel zu steigen. Die Bestimmung dieser Ur-
kunde ist es, dem Überrest des Hauses Israel zu zeigen,
welch große Dinge der Herr für ihre Väter getan hat; daß
sie die Bündnisse des Herrn erkennen mögen, damit
sie nicht auf ewig verstoßen seien und um die Juden und
Heiden zu überzeugen, daß Jesus der Christus, der ewige
Gott ist, der sich allen Völkern offenbart.
Sollten nun Fehler hierin vorkommen, rühren sie von
Menschen her. Daher verdammet nicht die Werke Gottes,
auf daß ihr ohne Makel vor dem Richterstuhl Christi
befunden werdet."
Dieses mit dem Titel vereinigte Vorwort ist eine Über-
setzung von dem letzten Blatte des Buches und wurde
Art. 8.] Das Buch Mormon, 319
wahrscheinlich von Moroni geschrieben, der, wie schon
erwähnt wurde, das Buch in früheren Tagen versiegelte
und verbarg.^)
6. Die Hauptteile des Buches. — Aus dem Titelblatt
ist ersichtlich, daß wir es im Buch Mormon mit zwei großen
Völkern zu tun haben, welche in Amerika als die Nach-
kommen kleiner, auf göttliches Geheiß aus Asien hinüber-
gekommener Kolonien blühten und gediehen. Diese kön-
nen wir sachgemäß als die Nephiten und die Jarediten
behandeln.
7. Das Nephitische Volk war zeitlich genommen das
spätere und inbezug auf den Umfang und die Vollständig-
keit seiner Urkunden auch das wichtigere der beiden. Die
Vorfahren dieses Volkes wurden im Jahre 600 v. Chr. von
Lehi, einem jüdischen Propheten aus dem Stamm Manasse,
von Jerusalem weggeführt. Seine eigentliche Familie
umfaßte, als sie die Stadt verließ, seine Frau Sariah und
seine Söhne Laman, Lemuel, Sam und Nephi. Im späteren
Verlauf der Geschichte werden auch Töchter erwähnt,
aber es wird nicht gesagt, ob irgendwelche von diesen
schon vor dem Auszug aus Jerusalem geboren wurden.
Außer seiner eigenen Familie gehörten zu Lehis Kolonie
noch Zoram und Ishmael; der letzte ist ein Israelite aus
dem Stamme Ephraim. Ishmael und seine Familie schlös-
sen sich Lehi in der Wüste an und seine Nachkommen
wurden dem Volk, von welchem wir sprechen, zugezählt.
Die Kolonie reiste zunächst ungefähr in der Richtung nach
Südosten, indem sie sich nahe der Küste des Roten Meeres
hielt; dann änderte sie ihren Lauf und zog nach Osten
durch die Halbinsel Arabien. Dort an der Küste des Ara-
bischen Meeres baute sie ein Schiff, rüstete es aus und
vertraute sich darin der göttlichen Obhut zur Überfahrt
') Siehe Anmerkung 1.
320 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIV.
Über die See an. Ihre Reise brachte sie weiter ostwärts,
über den Indischen Ozean und schließlich über den süd-
lichen Stillen Ozean an die Westküste Südamerikas, wo
sie — möglicherweise in der Nähe der heutigen Stadt
Valparaiso in Chile — landete (590 v. Chr.).
8. Die Leute siedelten sich an in dem Lande, das für
sie das Land der Verheißung war. Viele Kinder wurden
ihnen geboren und im Laufe weniger Generationen hatte
eine zahlreiche Nachkommenschaft von dem Lande Besitz
genommen. Nach Lehis Tod kam es zu einer Spaltung,
dergestalt, daß sich ein Teil des Volkes Nephi — der recht-
mäßigerweise zum Prophetenamt bestimmt war — zu sei-
nem Führer erkor, während die übrigen Laman, den älte-
sten Sohn Lehis, zu ihrem Führer ausriefen. Von da an
war das geteilte Volk als die Nephiten und die Lamaniten
bekannt. Zu Zeiten unterhielten sie ziemlich freundliche
Beziehungen zu einander, im allgemeinen aber bekämpften
sie sich, denn die Lamaniten bekundeten gegen ihre nephi-
tischen Verwandten unversöhnlichen Haß und Feindschaft.
Die Nephiten machten Fortschritte in den Künsten der
Zivilisation, bauten große Städte und errichteten blühende
Gemeinwesen ; doch fielen sie oft in Übertretungen, und
der Herr züchtigte sie, indem er ihren Feinden gestattete,
sie zu besiegen. Mit der Zeit breiteten sie sich nach Nor-
den aus und besiedelten den nördlichen Teil Südamerikas;
später überschritten sie den Isthmus und dehnten ihr Ge-
biet auf den südlichen, zentralen und östlichen Teil der
heutigen Vereinigten Staaten von Nordamerika aus. Die
Lamaniten fielen, während sie an Zahl zunahmen, unter
den Fluch der Finsternis. Sie wurden dunkel an Haut-
farbe und niedrig an Geist, vergaßen den Gott ihrer Väter,
führten ein wildes Nomadenleben und kamen in jenen ge-
fallenen Zustand hinunter, in welchem die amerikanischen
Indianer — ihre buchstäblichen Nachkommen — von de-
Art. 8.] Das Buch Mormon. 321
nen gefunden wurden, die den westlichen Erdteil in einer
viel spätem Zeit entdeckten.
9. Die letzten Kämpfe zwischen Nephiten und
Lamaniten spielten sich ab in der Nähe des Hügels Cumorah,
im heutigen Staate New- York; ums Jahr 400 n. Chr.
führten sie zur völligen Vernichtung der Nephiten. Der
letzte dieses Volkes war Moroni; er wanderte von Ort zu
Ort, um sich in Sicherheit zu bringen und erwartete täglich
den Tod von den siegreichen Lamaniten, die die gänzliche
Ausrottung ihrer weißen Blutsverwandten beschlossen
hatten. Moroni schrieb den Schlußteil des Buches Mormon,
verbarg die Urkunden in dem Hügel Cumorah und starb
bald darauf. Es war dies derselbe Moroni, der in dieser
Dispensation als ein auferstandenes Wesen die Berichte
dem Propheten Joseph Smith übergab.
10. Die Jarediten. Von den zwei Völkern, deren
Geschichte das Buch Mormon erzählt, war das erste nach
der Zeitfolge das Volk Jareds, welches seinem Führer vom
Turm zu Babel aus der Sprachen Verwirrung hinweg folgte.
Seine Geschichte wurde von Ether auf 24 goldene Platten
geschrieben. Ether war der letzte ihrer Propheten; er sah
voraus, daß das Volk seiner Bosheit wegen vernichtet
werden würde, weshalb er die geschichtlichen Platten ver-
barg. Sie wurden später, im Jahre 123 v. Chr., von einer
Expedition, welche der nephitische König Limhi ausgesandt
hatte, aufgefunden. Der auf diesen Platten enthaltene
Bericht wurde nachher von Mormon abgekürzt und in zu-
sammengezogener Form dem Buch Mormon beigegeben.
Er erscheint in der neuzeitlichen Übersetzung als das
Buch Ether.
11. Der erste und größte Prophet der Jarediten wird
in dem Bericht, den wir besitzen, nicht mit Namen genannt;
er ist nur als der Bruder Jareds bekannt. Von dem Volke
selbst erfahren wir, daß inmitten der Verwirrung Babylons
21
322
Die Glaubensartikel.
[Vorl. XIV.
Jared und sein Bruder den Herrn anflehten, er möge sie
vor dem drohenden Fluch erretten. Ihr Gebet wurde er-
hört. Der Herr führte sie mit einer zahlreichen Gesellschaft,
als sie von der Befleckung des Götzendienstes frei war,
von ihren bisherigen Heimstätten fort und versprach ihnen,
daß er sie in ein Land bringen wolle, welches vor allen
Ländern auserwählt sei. Der Verlauf ihrer Wanderung ist
nicht genau angegeben. Wir lesen nur, daß sie den
Ozean erreichten, dort acht Schiffe bauten und sich darin
auf das große Wasser begaben. Diese Fahrzeuge waren
klein und innen dunkel, der Herr machte jedoch gewisse
Steine leuchtend, welche den eingeschlossenen Reisenden
Licht gaben. Nach einer Reise von 344 Tagen landete
die Kolonie an der westlichen Küste Nordamerikas, wahr-
scheinlich an einer Stelle, die südlich des Golfes von Kali-
fornien und nördlich vom Isthmus von Panama liegt.
12. Hier wurden sie ein blühendes Volk; da sie
sich aber mit der Zeit Innern Streitigkeiten hingaben,
spalteten sie sich in Parteien, welche einander bekämpften,
bis schheßlich das ganze Volk vernichtet ward. Diese Zer-
störung, welche in der Nähe des Hügels Ramah — der
nachher den Nephiten als der Hügel Cumorah bekannt war
— ihren Abschluß fand, fiel wahrscheinlich in die Zeit,
als Lehi in Südamerika landete — etwa ums Jahr 590 v.
Chr. — Der letzte Vertreter dieses unglücklichen Geschlechts
war Coriantumr, ihr früherer König, von dem der Prophet
Ether geweissagt hatte, daß er alle seine Untertanen über-
leben werde, um zu sehen, wie ein anderes Volk von dem
Land Besitz ergreifen werde. Diese Prophezeiung ging
in Erfüllung, denn der König des ausgerotteten Volkes kam
auf seiner einsamen Wanderung in eine Gegend, welche
von dem Volke Mulek bewohnt wurde, einem Volk, von dem
hier als von der dritten ausgewanderten Kolonie gesprochen
werden soll.
Art. 8.] Das Buch Mormon. 323
13. Von Mulek wird uns gesagt, daß er ein Sohn
Zedekias, des Königs von Juda, war und ein Kind noch,
als seine Brüder einen gewaltsamen Tod und sein Vater
grausame Qualen unter dem König von Babylon
erlitten.^) Elf Jahre nach Lehis Abreise von Jerusalem
wurde noch eine Kolonie von der Stadt weggeführt, unter
welcher sich auch Mulek befand. Sein Name ist auch auf
das Volk übergegangen — vielleicht wegen seines anerkann-
ten Rechts auf die Führerschaft vermöge seiner Abstam-
mung. Der Bericht des Buches Mormon über Mulek und
sein Volk ist spärlich. Wir erfahren jedoch, daß die Kolonie
über die Gewässer gebracht wurde zu einer Landungsstelle
auf dem nördlichen Teil des Festlandes. Die Nachkommen
dieser Kolonie wurden unter Mosiah von den Nephiten
entdeckt. Sie waren zahlreich geworden ; da sie aber keine
heiligen Schriften zu ihrer Richtschnur hatten, waren sie
in einen Zustand geistiger Verfinsterung geraten. Sie
schlössen sich den Nephiten an, und ihre Geschichte ist
mit derjenigen dieses größern Volkes verschmolzen. 2) Die
Nephiten nannten Nordamerika das „Land Mulek".
Die alten Platten und die neuzeitliche Übersetzung.
14. Die Platten des Buches Mormon, wie sie von dem
Engel Moroni dem Propheten Joseph Smith übergeben
wurden, waren nach der Beschreibung des Propheten der
Neuzeit von Gold und einheitlich in der Form — ungefähr
18 cm in der Breite und 20 cm in der Länge, in der Dicke
etwas geringer als ein gewöhnliches Blatt Zinn. Sie wurden
durch drei Ringe zusammengehalten, welche an einer
Seite des Buches durch die Blätter liefen. Insgesamt
bildeten sie ein Buch ungefähr 15 cm dick; jedoch wurde
1) Siehe 2. Könige 25 : 7.
') Omni 1 : 12—19.
324 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIV.
nicht alles übersetzt, weil ein Teil versiegelt war. Auf bei-
den Seiten der Platten waren schöne kleine Schriftzeichen
eingegraben, welche von solchen, die sie prüften, als seltenes
Kunstwerk bezeichnet wurden und das Aussehen alter
Herkunft hatten.
15. Im Titelblatt des Buches Mormon sind dreierlei
Platten erwähnt, nämlich:
I. Die Platten Nephis, von denen gezeigt werden wird,
daß zwei Klassen vorhanden waren:
a) die größern Platten,
b) die kleinern Platten.
II. Die Platten Mormons, welche eine Abkürzung der
Platten Nephis enthielten, mit Beigaben von Mor-
mon und seinem Sohne Moroni.
III. Die Platten Ethers, welche, wie wir gesehen haben,
die Geschichte der Jarediten enthielten.
Außer diesen dreien kann noch eine andere Sorte von
Platten angeführt werden, die in dem Buch Mormon er-
wähnt ist, nämlich:
IV. Die Messingplatten Labans, welche von dem Volke
Lehis aus Jerusalem mitgebracht wurden ; sie enthiel-
ten die Stammbäume und die jüdischen Schriften,
von welchen in den nephitischen Urkunden viele Aus-
züge erscheinen.
Wir haben nun eingehend die Platten Nephis und die
Abkürzung Mormons zu betrachten.
16. Die Platten Nephis werden so genannt, weil Nephi
der Sohn Lehis, diese Platten anlegte und den Bericht be-
gann. Diese Platten waren zwiefacher Art^) und können
unterschieden werden als die „größern" und die „klei-
nern Platten". Nephi begann seine Arbeit als Geschichts-
») 1. Nephi 9; 19:1—5; 2. Nephi 5:30; Jakob 1:1 — 1; Worte
Mormons 1 : 3 — 7.
Art. 8.] Das Buch Mormon, 325
Schreiber indem er einen geschichtlichen Bericht von sei-
nem Volk von der Zeit an, da sein Vater Lehi die Stadt
Jerusalem verließ, auf die goldenen Platten eingravierte.
Dieser Bericht erzählt die Geschichte ihrer Wanderungen,
ihres Gedeihens und ihrer Trübsale und der Regierungen
ihrer Könige und die der Kriege und Zwistigkeiten des
Volkes. Der Bericht trägt den Charakter einer Weltge-
schichte. Diese Platten wurden von einem Geschichts-
schreiber an den andern weitergegeben durch alle Ge-
schlechter des nephitischen Volkes hindurch, so daß der
Bericht zu der Zeit, da Mormon ihn abkürzte, einen Zeit-
raum von ungefähr 1000 Jahren umfaßte, er fängt an mit
dem Jahre 600 v. Chr., da Lehi von Jerusalem auszog.
Obschon diese Platten den Namen ihres Verfertigers
tragen — der zugleich auch der erste Schreiber war — ,
so ist doch jeder gesonderte Bestandteil unter dem Namen
seines eigenen Verfassers bekannt, so daß der ganze Be-
richt aus vielen getrennten Büchern zusammengesetzt ist.
17. Auf Befehl des Herrn verfertigte der Prophet
Nephi noch andere Platten, worauf er insbesondere die
religiöse Geschichte seines Volkes aufzeichnete, und nur
solche Fälle anders gearteter Ereignisse anführte, wie sie
zum richtigen Verständnis der Erzählung notwendig schie-
nen. , »Dennoch habe ich vom Herrn ein Gebot erhalten",
sagt Nephi, ,, diese Tafeln für einen besondern Zweck zu
machen, um einen Bericht von dem Wirken meines Volkes
zu schreiben. "1) Der Zweck dieser doppelten geschichtli-
chen Berichterstattung war Nephi unbekannt, es war ihm
genug, daß der Herr die Arbeit verlangte; es wird noch ge-
zeigt werden, daß sie einem weisen Zweck diente.
18. Mormons Abkürzung. Im Laufe der Zeit gelangten
die Urkunden, die im gleichen Verhältnis wie die Geschichte
») 1. Nephi 9:,^.
326 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIV.
des Volkes gewachsen waren, in die Hände Mormons.^) Er
unternahm es, von den umfangreichen Werken eine Ab-
kürzung auf Platten niederzuschreiben, welche er mit
eigener Hand verfertigt hatte. 2) Auf diese Weise ist ein
mehr bündiger und in Stil, Sprache und Behandlung des
Stoffes mehr einheitlicher Bericht zustandegekommen, als es
wahrscheinlich der Fall gewesen wäre bei den verschiedenen
Schriften der vielen Verfasser, die zu der großen Geschichte
während ihres tausendjährigen Wachstums beigetragen
haben. Mormon anerkennt und bezeugt die Inspiration
Gottes, welche ihn veranlaßte, diese große Arbeit zu unter-
nehmen.^) Bei der Abfassung dieser gekürzten Geschichte
wahrte Mormon die Teilung des Berichtes in verschiedenen
Büchern, nach der Anordnung der Originalurkunden; so
finden wir die Bücher Nephis, das Buch Alma, das Buch
Helaman usw. vor, obschon die Sprache jedenfalls diejenige
Mormons ist, ausgenommen die wörtlichen Anführungen
aus den Platten Nephis, die in der Tat zahlreich sind.
19. Als Mormon im Verlaufe seiner Abkürzung die
Zeit des Königs Benjamin erreichte, machte der betref-
fende Bericht auf Nephis kleinern Platten einen tiefen
Eindruck auf ihn, — der Bericht von dem Umgang Gottes
mit den Menschen während eines Zeitraumes von etwa vier
Jahrhunderten, d. h. von der Zeit des Auszuges Lehis
aus Jerusalem bis zu dem König Benjamin. Diese Schil-
derung, die so viele Prophezeiungen über die Mission
des Heilandes enthielt, wurde von Mormon mit mehr
als gewöhnlicher Anteilnahme betrachtet. Er versuchte
nicht, bloß einen Auszug davon zu machen, sondern er
schloß die Originale in seine eigene Abkürzung der größern
Platten mit ein und machte so aus den zwei Büchern ein
') Worte Mormons 1:11; Mormon 1 : 1-
') 3. Nephi 5:8—11.
») 3. Nephi 5 : 14—19.
Art, 8.] Das Buch Mormon. 327
Buch. Der von Mormon zusammengestellte Bericht ent-
hielt somit eine doppelte Schilderung über die Nachkom-
menschaft Lehis für die Dauer der ersten vier Jahrhunderte
ihrer Geschichte: die kurze weltliche Geschichte, als
Auszug aus den größern Platten und den vollständigen
Wortlaut der kleinern Platten. Mit ernsten Worten und mit
einem Nachdruck, welchen spätere Geschehnisse als be-
gründet erwiesen, zeugt Mormon von der verborgenen
Weisheit des göttlichen Planes dieser Verdoppelung:
,, Dieses tue ich zu einem weisen Zwecke, denn so flüstert
es mir der Geist des Herrn zu, welcher in mir ist. Ich weiß
zwar nicht alle Dinge, aber der Herr weiß alles was da
kommt; daher wirkt er in mir, nach seinem Willen zu
tun."i)
20. Des Herrn Absicht. Der Zweck, den der Herr im
Auge hatte, als er die von Mormon und auch von Nephi'^)
bezeugte Verfertigung und Erhaltung der kleinern Platten
anordnete, ist durch gewisse Umstände in dieser Dispen-
sation, welche mit der Übersetzung des Werkes zusammen-
hängen, offenbar geworden. Als der Prophet Joseph Smith
die Übersetzung des ersten Teiles der Schriften Mormons
fertiggestellt hatte, wurde ihm das Manuskript auf unrechte
Art abgewonnen, und zwar durch Martin Harris, dem er
sich in gewissem Grade für die finanzielle Hilfe bei der
Veröffentlichung des Buches verpflichtet fühlte. Dieses
Manuskript, im ganzen 116 Seiten, erhielt Joseph niemals
wieder zurück. Es fiel durch die dunklen Machenschaften
der bösen Macht in die Hände der Feinde, welche unver-
züglich einen niederträchtigen Plan entwarfen, um Joseph
Smith lächerlich zu machen und die Absichten Gottes zu
vereiteln. Dieses schändliche Vorhaben zielte dahin, zu
warten bis Joseph den abhandengekommenen Teil
') Worte Mormons 1 : 7.
») 1. Nephi 9:5.
328 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIV.
nochmals übersetzt hätte, worauf das Manuskript, welches
inzwischen so geändert wurde, daß es genau das Gegen-
teil des wahren Berichtes sagte, hervorgebracht werden
sollte als Beweis dafür, daß Joseph Smith unfähig sei, ein
und dieselbe Stelle zweimal gleichlautend zu übersetzen;
die Weisheit des Herrn ließ jedoch den bösen Plan zuschan-
den werden.
21. Nachdem Gott den Propheten gezüchtigt hatte,
indem er ihm die Gabe der Übersetzung eine Zeitlang ent-
zog, wie auch die heiligen Urkunden — dies wegen der
Unachtsamkeit, mit welcher er die Schriften in unheilige
Hände gelangen ließ — , war der Herr seinem reumütigen
Diener wieder gnädig und offenbarte ihm die Absichten
seiner Feinde.^) Zur gleichen Zeit zeigte er ihm, wie alle
diese bösen Machenschaften zunichte gemacht werden
sollten. Joseph wurde zu diesem Zwecke angewiesen, die
nochmalige Übersetzung desjenigen Teiles der Abkürzung
Mormons, der gestohlen worden war, zu unterlassen.
Statt dessen sollte er den Bericht über dieselben Ereignisse
von den Platten Nephis übersetzen — von jenen kleinern
Platten, welche Mormon seiner eigenen Abkürzung ein-
verleibt hatte. Die auf diese Weise gewonnene Überset-
zung wurde deshalb als der Bericht Nephis veröffentlicht
und nicht als die Schrift Mormons; von den Teilen, von de-
nen das gestohlene Manuskript genommen war, wurde
somit keine zweite Übersetzung angefertigt.
22. Die Übersetzung des Buches Mormon kam durch
die Macht Gottes zustande, wie sie sich in der Erteilung der
Gabe der Offenbarung kund gibt. Das Buch will nicht
von der Weisheit und Gelehrsamkeit der Menschen
abhängig sein; sein Übersetzer war nicht gelehrt in der
Sprachforschung, seine Befähigung war vielmehr von einer
') Lehre u. Bündn., Abschnitt 10.
Art. 8.] Das Buch Mormon. 329
sehr verschiedenen und weit wirksamem Art. Mit den
Platten erhielt Joseph von dem Engel Moroni noch andere
heilige Kostbarkeiten einschließlich einer Brustplatte,
welcher der Urim und Thummim^) beigegeben war — die
Nephiten nannten ihn den „Ausleger" — , und mit seiner
Hilfe war er imstande, die alten Urkunden in eine neu-
zeitUche Sprache zu übertragen. Die Einzelheiten der Über-
setzung sind nicht verbürgt berichtet worden, mit Aus-
nahme der Feststellung, daß der Übersetzer mit Hilfe der
Instrumente die eingegrabenen Schriftzeichen prüfte und
dann dem Schreiber die englischen Sätze diktierte,-
23. Joseph begann seine Arbeit, indem er geduldig
eine Anzahl Schriftzeichen abschrieb und dann einigen so
vorbereiteten Seiten die Übersetzung beifügte. Martin
Harris, der erste Gehilfe des Propheten bei dieser Arbeit,
erhielt die Erlaubnis, einige dieser Abschriften zu sich zu
nehmen zu dem Zweck, dieselben einigen Männern zur
Prüfung zu unterbreiten, welche auf dem Gebiet der alten
Sprachen bewandert waren. Er legte eine Anzahl Blätter
dem Professor Charles Anthon von der „Columbia-Univer-
sität" vor, welcher nach sorgfältiger Prüfung bezeugte,
daß die Schriftzeichen im allgemeinen von altägyptischer
Art seien und daß die entsprechende Übersetzung richtig
scheine. Als er hörte, wie die alten Urkunden in den Be-
sitz Joseph Smiths gelangten, ersuchte der Professor
Herrn Harris, ihm das Buch mit den Urschriften zur Prü-
fung zu überbringen; als er dann erfuhr, daß ein Teil des
Buches versiegelt ist, bemerkte er: ,,Ich kann ein versie-
geltes Buch nicht lesen!" So erfüllte dieser Mann unbe-
wußt die Prophezeiung Jesajas inbezug auf das Hervor-
kommen des Buches: ,,Daß euch aller Propheten Gesichte
') Lehre u. Bündn. 10: 1; H: 1; 130: 8—9; Mosiah 8: 13—19;
Ether 3: 23— 28.
330
Die Glaubensartikel.
[Vorl. XIV.
sein werden wie die Worte eines versiegelten Buches,
welches man gäbe einem, der lesen kann, und spräche:
Lies doch das! und er spräche: Ich kann nicht, denn es
ist versiegelt.!) Ein anderer Sprachforscher, Dr. Mitchell
von New-York, gab, nachdem er die Schriftzeichen ge-
prüft hatte, über sie ein Zeugnis, das in allen wesentlichen
Punkten mit dem des Professors Anthon übereinstimmt.
24. Die Zusammensetzung des Buches Mormon. Das Buch
Mormon umfaßt fünfzehn verschiedene Teile, sogenannte
Bücher, die nach den Namen ihrer Hauptverfasser unter-
schieden werden. Von diesen sind die ersten sechs Bücher
wortgetreue Übersetzungen von entsprechenden Teilen
der kleinern Platten Nephis, nämlich; das 1. und 2. Buch
Nephi, die Bücher Jakob, Enos, Jarom und Omni. Der
Hauptteil des Buches — vom Buch Mosiah bis Mormon,
Kapitel 7 — ist die Übersetzung von Mormons Abkürzung
der größern Platten Nephis. Zwischen den Büchern Ja-
rom und Mosiah erscheinen die ,, Worte Mormons" und ver-
binden den Bericht Nephis, wie er auf den kleinern Platten
verzeichnet ist mit Mormons Auszug aus den größern
Platten für den nachfolgenden Zeitraum. Die Worte Mor-
mons können als eine kurze Erklärung der vorangehenden
Teile und als Vorwort für die nachfolgenden angesehen
werden. Der letzte Teil des Buches Mormon, vom Beginn
des 8. Kapitels Mormon bis zum Schluß ist in der Sprache
Moronis, des Sohnes Mormons geschrieben, der zunächst
den Bericht seines Vaters fertigstellte und dann einen Aus-
zug aus Platten anfügte, welche die Urkunden der Jare-
diten enthielten; dieser Auszug erscheint als das Buch
Ether.2)
25. Als Moroni schrieb, stand er allein als der
einzige überlebende Vertreter seines Volkes. Der letzte
») Jesaja 29: 11.
») Siehe Seite 321.
Art. 8.] Das Buch Mormon. 331
der fürchterlichen Kriege zwischen den Nephiten und den
Lamaniten hatte die völlige Vernichtung des nephitischen
Volkes zur Folge. Moroni glaubte, sein Auszug aus
dem Buche Ether werde seine letzte literarische Arbeit
sein, als er aber bei der Beendigung dieses Unternehmens
wunderbarerweise noch am Leben war, fügte er die Teile
an, die als das Buch Moroni bekannt sind; es sind dies
Angaben über die Zeremonien der Ordination, der Taufe,
der Austeilung des heiligen Abendmahles usw. und gewisse
Äußerungen und Briefe seines Vaters.
Die Echtheit des Buches Mormon.
26. Dem ernsthaften Prüfer des Buches Mormon wird
es bei seiner Untersuchung am meisten um die Zuverläßig-
keit des erhabenen Berichtes zu tun sein. Dieses Thema
kann von zwei Gesichtspunkten aus betrachtet werden und
zwar
1. von dem der Echtheit des Buches Mormon, d. h.
von dem Erbringen des Beweises, daß das Buch das ist,
was es vorgibt zu sein — eine wirkliche Übersetzung alter
Urkunden und
2. von der Glaubwürdigkeit der Urschriften, wie sie
von Innern und äußern Beweisen gezeigt wird.
27. DieEehtheit des Buches Mormon wird einem jeden
offenbar werden, der die Umstände seines Hervorkommens
einer vorurteilsfreien Prüfung unterzieht. Die vielen so-
genannten Theorien über seinen Ursprung sind im allge-
meinen zu unhaltbar und zu albern, als daß sie eine ernst-
liche Beachtung verdienten. Torheiten, wie sie von
vorurteilsvollen Gegnern des Werkes Gottes vorgebracht
werden, um das Buch Mormon als das Produkt eines
einzelnen Verfassers hinzustellen, oder als ein von Men-
schen abgekartetes, betrügerisches Werk, oder in irgend-
332 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIV.
einer Weise als eine Zusammenstellung der Neuzeit, finden
ihre Widerlegung in sich selbst. i) Die Heiligkeit der Platten
verbot ihre Schaustellung zum Befriedigen persönlicher
Neugierde, jedoch wurden sie von einer Anzahl ehrenhafter
Männer geprüft, und diese Zeugen haben der Welt ihr
feierliches Zeugnis inbezug auf die von ihnen festgestellten
Tatsachen gegeben. Im Juni 1829 gingen die Prophezei-
ungen betreffs der drei Zeugen, welche das im Buch
Mormon enthaltene Wort Gottes bestätigen sollten,^) in
Erfüllung. Durch die Kundgebung der göttlichen Macht
wurde die Echtheit der Urkunden drei Männern kundgetan,
und ihr Zeugnis ist allen Ausgaben des Buches beigegeben.
28. Die Aussage der drei Zeugen. Allen Völkern, Ge-
schlechtern, Sprachen und Leuten, zu denen dieses Werk
gelangen wird, sei kundgetan, daß wir durch die Gnade
Gottes, des Vaters und unsers Herrn Jesu Christi die Tafeln,
die diese Urkunde enthalten, gesehen haben. Dieselbe
ist eine Urkunde des Volkes Nephi und auch ihrer Brüder,
der Lamaniten, wie auch des Volkes Jared, die von dem
Turm, von welchem geredet worden ist, kamen, und wir
wissen, daß sie durch Gottes Gabe und Macht übersetzt
worden sind, denn seine Stimme hat es uns erklärt; daher
wissen wir mit Bestimmtheit, daß das Werk wahr ist. Wir
bezeugen, daß wir die Gravierungen, die auf den Platten
sind, gesehen haben, und durch Gottes, nicht durch mensch-
liche Macht, sind sie uns gezeigt worden. Wir erklären mit
ernsthaften Worten, daß ein Engel Gottes vom Himmel
herniederkam, die Platten brachte, und sie vor unsern Au-
gen niederlegte, so daß wir sie mit den Gravierungen darauf
gesehen und betrachtet haben. Wir wissen, daß wir dieses
allein durch die Gnade Gottes, des Vaters, und unsres Herrn
•) Siehe Anmerkung 2.
') 2. Nephi 11:3; 27:12—13. Ether 5:3 — i; siehe auch Lehre u.
Bündn. 5:11— 15; 17:1— 9.
Art. 8.] Das Buch Mormon. 333
Jesu Christi sahen und bezeugen, daß diese Dinge wahr
sind. Es ist wunderbar in unsern Augen, doch befahl uns
die Stimme des Herrn, daß wir darüber zeugen sollten.
Um daher den Befehlen Gottes zu gehorchen, geben wir
Zeugnis von diesen Dingen. Wir wissen auch, wenn wir in
Christo getreu sind, so werden wir unsere Gewänder von
dem Blute aller Menschen rein waschen und ohne Makel
vor dem Richterstuhl Christi stehen und werden ewig mit
ihm in dem Himmel wohnen. Ehre sei dem Vater und dem
Sohne, und dem Heiligen Geiste, welches ein Gott ist.
Oliver Cowdery,
David Whitmer,
Martin Harris.
29. Dieses Zeugnis ist von keinem der Zeugen, deren
Namen die Unterschriften nennen,^) je widerrufen oder auch
nur abgeändert worden, obschon sie alle der Kirche den
Rücken kehrten und gegenüber Joseph Smith Gefühle
hegten, die sich beinahe bis zum Haß steigerten. Bis
ans Ende ihrer Tage hielten sie ihre feierliche Erklärung
von dem Besuche eines Engels und von dem Zeugnis, das
in ihre Herzen gepflanzt worden war, aufrecht. Kurz
nachdem die drei Männer die Platten in Augenschein ge-
nommen hatten, wurde weitern acht Personen erlaubt,
die altertümlichen Berichte zu sehen und mit ihren Händen
anzufassen. Auch damit ging eine Prophezeiung in Erfül-
lung, denn es wurde schon vor alters gesagt, daß Gott
neben den dreien ,,noch mehr Zeugen senden werde^)"
deren Zeugnis dem der drei angefügt werden sollte. Vermut-
lich war es im Juli 1829 als Joseph die Platten den acht
Männern, deren Namen der nachstehenden Erklärung
beigegeben sind, zeigte.
') Siehe Anmerkung 3.
•) 2. Nephi 11:3.
334 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIV.
30. Die Aussage der acht Zeugen. Allen Völkern,
Geschlechtern, Sprachen und Leuten, zu denen dieses
Werk gelangen wird, sei kundgetan, daß Joseph Smith
jun., der Übersetzer dieses Werkes, uns die Platten, von
denen gesprochen worden ist, und welche wie Gold aussa-
hen, gezeigt hat. Soviele Platten wie genannter Smith über-
setzte, haben wir mit unsern Händen angefaßt, und auch die
Gravierungen darauf gesehen; alle diese haben ein alter-
tümliches Aussehen und sind sonderbar gearbeitet. Und
dieses bezeugen wir mit ernsthaften Worten, daß genannter
Smith sie uns gezeigt hat, denn wir haben dieselben ge-
sehen und angefaßt und wissen mit Sicherheit, daß genann-
ter Smith die Platten hat, von denen wir geredet haben.
Wir geben der Welt unsere Namen, um ihr als Zeugnis
von dem, was wir gesehen haben, zu dienen. Wir lügen
nicht und rufen Gott zum Zeugen an.
Christian Whitmer, Hiram Page,
Jakob Whitmer, Joseph Smith sen.,
Peter Whitmer jun., Hyrum Smith,
John Whitmer, Samuel H. Smith.
31. Drei dieser acht Zeugen starben außerhalb
der Kirche, jedoch wurde von keinem bekannt, daß
er jemals sein Zeugnis von dem Buch Mormon ver-
leugnet hätte. ^) Hier sind also Beweise verschiedener
Art für die Echtheit des Buches. Gelehrte Sprachkun-
dige bezeichnen die Schriftzeichen als echt. Elf Män-
ner von ehrenhaftem Rufe beschwören feierlich, daß sie
die Platten gesehen haben. Und die Natur des Buches
selbst unterstützt die Behauptung, daß es nichts mehr
und nichts weniger ist, als die Übersetzung alter Urkunden
und Berichte. 2)
') Siehe Anmerkung 4.
') Siehe Anmerkung 5.
Art. 8.] Anmerkungen. 335
Anmerkungen.
1. Das Titelblatt des Buches Mormon. — „Ich wünsche hier zu er-
wähnen, daß das Titelblatt des Buches Mormon eine wörtliche Übersetzung
der linken Seite des allerletzten Blattes der Sammlung von Büchern oder
Platten ist, wovon die Urkunden übersetzt worden sind — die Sprache des
Ganzen verläuft wie alles hebräisch geschriebene im allgemeinen verläuft —
und daß die genannte Titelseite in keiner Weise eine Zusammenstellung
der Neuzeit ist, weder von mir noch von irgend einem andern Menschen,
der in dieser Dispensation lebt oder gelebt hat." Joseph Smith.
2. Theorien über den Ursprunji des Buches Mormon. — Die Spanl-
dinfl-Gesehlchte. — Der wahre Bericht von der Herkunft des Buches Mor-
mon wurde von der Öffentlichkeit im allgemeinen verworfen; diese über-
nahm damit die Verantwortlichkeit, den Ursprung des Buches in irgend
einer andern vernünftigen Weise zu erklären. Viele haltlose Meinungen
und Vermutungen, die zumeist auf der unglaubwürdigen Annahme beruhen,
das Buch sei das Werk eines einzelnen Verfassers, wurden vorgebracht.
Von diesen ist die berühmteste und in der Tat die einzige, die lange genug
in öffentlicher Gunst verblieb, um besprochen zu werden, die sogenannte
„Spaulding Story". — Salomon Spaulding, ein Geistlicher von Amity,
Pennsylvanien, schrieb einen Roman, dem kein anderer Titel als die„Manus-
cript Story" verliehen worden war. Zwanzig Jahre nach dem Tode des
Verfassers machte ein von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten
Tage Abgefallener, ein gewisser Hurlburt, bekannt, Spauldings Roman
gleiche dem Buch Mormon; er sprach zugleich seine Überzeugung aus, daß
das von Joseph Smith der Welt übergebene Buch nichts anderes sei, als
der abgeänderte und erweiterte Roman Spauldings. Das Spauldingsche
Manuskript war eine Zeitlang verloren und beim Fehlen eines gegenteiligen
Beweises melirten sich die Erzählungen von der Ähnlichkeit der beiden
Werke. Aber ein glücklicher Zufall brachte das verlorene Manuskript im
Jahre 1884 wieder ans Tageslicht. Präsident James H. Fairchild von der
Oberlin-Universität in Ohio und sein literarischer Freund, ein Herr Rice,
fanden die Urschrift beim Durchsuchen einer Sammlung alter Schriften,
die Herr Rice käuflich erworben hatte. Die Herren stellten einen sorgfäl-
tigen Vergleich zwischen dem Manuskript und dem Buche Mormon an.
Lediglich von dem Wunsche beseelt, der Wahrheit zu dienen, veröffentlich-
ten sie das Ergebnis. Präsident James H. Fairchild ließ am 5. Februar
1885 im „New- York Observer" einen Artikel erscheinen, in welchem er sagt:
„Die Theorie, daß das Buch Mormon aus dem sagenhaften Manu-
skript von Salomon Spaulding entstanden sei, muß jedenfalls aufgegeben
werden***. Herr Rice, ich selbst und andere verglichen es (das Spaulding-
sche Manuskript) mit dem Buche Mormon und entdeckten keine Ähnlich-
keit zwischen den beiden***. Es muß eine andere Erklärung des Buches
Mormon gefunden werden, falls eine solche verlangt wird." —
Das Manuskript wurde der Bibliothek der Oberlin-Universität ein-
verleibt, wo es sich heute noch befindet. Noch immer wird aber das Mär-
chen von dem „gefundenen Manuskript", wie Spauldings Geschichte
später genannt wurde, gelegentlich in den Dienst der hitzigen „Mormonen"-
Gegner gez^vungen, und zwar von Leuten, von denen wir gutmütigerweise
annelimen wollen, daß sie die von Präsident Fairchild ans Licht gebrachte
.336
Die Glaubensartikel.
[Vorl. XIV.
Tatsache nicht kennen. Ein Brief neuern Datums, den derselbe Herr als
Antwort auf eine diesbezügliche Anfrage geschrieben hat, wurde am 3.
November 1898 im „Millennial Star", Liverpool, veröffentlicht; er lautet:
ObcrUn CoUege, Ohio,
17. Oktober 1895.
J. R. Hindley, Esq.
Werter Herr!
Wir haben in unserer Bibliothek die Urschrift von Salomon Spaulding,
die fraglos echt ist.
Ich fand sie im Jahre 1884 im Besitz von Herrn L. L. Rice, in Honolulu
auf den Hawai - Inseln. Er war früher Staatsdrucker in Columbus, Ohio,
und vorher Herausgeber einer Zeitung in Painesville. Sein Vorgänger
besuchte Frau Spaulding und erhielt von ihr das Manuskript. Es lag
vierzig oder mehr Jahre imter seinen alten Schriften und kam beim
Suchen nach Dokumenten über Antisklavcrei zum Vorschein.
Diese Urschrift ist von verschiedenen Männern aus Conneaut, O.,
unterschrieben, denen sie Spaulding vorgelesen hatte und diese wußten,
daß sie die seine war. Niemand, der sie sieht, wird ihre Echtheit in Frage
stellen. Das Manuskript wurde wenigstens zweimal abgedruckt — einmal
von den Mormonen in Salt Lake City und einmal von den josephitischen
Mormonen in Iowa. Die Mormonen in Utah erhielten die Abschrift von
Herrn Rice in Honolulu und die Josephiten bekamen sie, nachdem sie in
meinen Besitz gelangt war.
Die Urschrift ist nicht das Original des Buches Mormon.
Ihr ergebener
Jas. H. Fairchüd.
Gedruckte Exemplare des ,, Gefundenen Manuskripts" sind erhält-
lich und jeder Beteiligte kann selbst prüfen. Für weitere Mitteilimgen ver-
weisen wir auf „The Myth of the Manuscript found" vom Ältesten George
Reynolds in Salt Lake City; Whitney's „History of Utah", Band I, S.
46 — 56 ; George Reynolds Einleitung zu der Geschichte, wie sie von der
„Deseret News" im Jahre 1886 in der Salzsecstadt veröffentlicht wurde,
sowie auf die Geschichte selbst. Siehe ferner drei Artikel von Präsident
Joseph E. Smith in der „Improvement Era", Band III, Seite 241, 377,
451. —
3. Die drei Zeagen. — Oliver Cowdery, geboren zu Wells, Rutland
Co., Vermont, im Oktober 1805, getauft am 15. Mai 1829, starb am 3. März
1850 zu Richmond, Mo.
David Whitmer, geboren bei Harrisburg, Fa. am 7. Januar 1805, ge-
tauft im Juni 1829, von der Kirche ausgeschlossen am 13. April 1838, starb
zu Richmond am 25. Januar 1888.
Martin Harris, geboren in Easttown, Saratoga Co. New- York, am
18. Mai 1783, wurde im Jahre 1830 getauft, zog nach Utah im August 1870
und starb zu Clarkstown, Cache Co. Utah, am 10. Juli 1875.
4. Die acht Zeugen. — Ciiristian Wliitmer, geboren am 18. Januar
1798, getauft am 11. April 1830, starb in voller Gemeinschaft mit der
Kirche zu Clay County, Missouri, am 27. November 1835. — Er war Peter
Whitmers ältester Sohn.
Art. 8] Anmerkungen. 337
Jakob Whitmer, Peter Whitmers z%veiter Sohn, geboren am 27. Ja-
nuar 1800 in Pennsylvania, am 11. April 1830 getauft, starb am 21. April
1856 nachdem er sich vorher von der Kirche zurückgezogen hatte.
Peter Whitmer jim., geboren am 27. Januar 1809, war Peter Whit-
mers fünfter Sohn; er wurde getauft im Juni 1829 und starb am 22. Sep-
tember 1836 als ein treues Mitglied der Kirche, in oder bei Liberty, Clay
County, Missouri.
John Whitmer, Peter Whitmers dritter Sohn, wurde am 27. August
1802 geboren, im Juni 1829 getauft, am 10. März 1838 von der Kirche aus-
geschlossen und starb in Far West, Missouri, am 11. Juli 1878.
Dyrum Page, geboren im Jahre 1800, zu Vermont, wurde am 11.
April 1830 getauft, zog sich im Jahre 1838 von der Kirche zurück und starb
am 12. August 1852 zu Ray County, Missouri.
Joseph Smith sen., der Vater des Propheten, wurde am 12. Juli
1771 in Topsfield, Essex Co., Mass. geboren, am 6. April 1830 getauft, und
am 18. Dezember 1838 zum Patriarchen der Kirche ordiniert. Er starb in
voller Gemeinschaft mit der Kirche in Nauvoo, Dl., am 14. September 1840.
Hyrum Smith, Joseph Smiths sen., zweiter Sohn, geboren am 9.
Februar 1800 zu Tunbridge, Vermont, wurde im Juni 1829 getauft, am 7.
November 1837 in die Erste Präsidentschaft der Kirche gewählt, am 19.
Januar 1841 zum Patriarchen der Kirche berufen, und erlitt mit seinem
Bruder, dem Propheten, am 27. Juni 1844 zu Carthage, 111., den Märlyrer-
tod.
Samuel Harrison Smith, wurde am 13. März 1808 als Joseph Smiths
sen., vierter Sohn zu Tunbridge, Vermt. geboren, am 15. Mai 1829 getauft;
er starb am 30. Juli 1844.
5. Die Übereinstimmung des Buches Mormon mit andern entspre-
chenden Wahrheiten. — „Wenn man den geschichtlichen Teil des Buches
mit dem wenigen, was aus andern Quellen über die Geschichte des alten
Amerika bekannt wurde, vergleicht, wird man viele Beweise für die Wahr-
heit des Buches Mormon finden. Dagegen wird man unter all den Über-
resten des Altertums nicht eine Tatsache entdecken, die den geschichtlichen
Wahrheiten des Buches Mormon entgegensteht. Wird der prophetische
Teil dieses wunderbaren Buches mit den prophetischen Angaben der Bibel
verglichen, so wird man darin \iple Beweise für die Wahrheit des Buches
Mormon finden. Obschon das Buch Mormon viele Prophezeiungen über
die Ereignisse der letzten Tage enthält, über die uns die Bibel nichts wissen
läßt, so findet sich doch in der Bibel nichts, das dem Buch Mormon auch
mu- im geringsten widerspricht. Vergleicht man den lehrhaften Teil des
Buches Mormon mit den Lehren der Bibel, so wird sich dieselbe vollkommene
Übereinstimmung wie bei den prophetischen Teilen der beiden Bücher her-
ausstellen. Obschon viele Punkte der Lehre Christi im Buch Mormon weit
klarer und bestimmter behandelt werden als in der Bibel, und obschon jenes
Buch viele geoffenbarte Dinge enthält inbezug auf die verschiedenen Lehren,
die wir aus der Bibel nie hätten voll und ganz erfahren können, so ist doch
in den beiden heiligen Büchern nicht der kleinste Bruchteil einer Lehre
enthalten, der sich widersprechen, oder der nicht mit den andern über-
einstimmen würde. Werden die verschiedenen Bücher, die zusammenge-
stellt das Buch Mormon ausmachen, sorgfältig mit einander verglichen,
22
338 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIV.
so wird weder in Geschichte noch in Prophezeiung noch in Lehre irgend
ein Widerspruch gefunden werden Icönnen. Vergleichen wir die geschicht-
lichen, prophetischen und lehrhaften Teile des Buches Mormon mit den
großen Wahrheiten aus Wissenschaft und Natur, so \sird sich auch hier
kein Widerspruch, keine Torheit und nichts Unvernünftiges finden. Es
besteht somit zwischen den im Buch Mormon geoffenbarten großen Wahr-
heiten und allen andern bekannten Wahrheiten, seien sie nun religiös, ge-
schichtlich oder %\issenschaftlich, die vollkommenste Ubercinstimmmig."
Apostel Orson Pratt in „Der göttliche Ursprung des Buches Mormon".
Seite 56. —
Art. 8.] Das Buch Mormon. 339
Vorlesung XV.
Das Buch Mormon (Fortsetzung).
Artikel 8. — • * * Wir glauben auch an das Buch Mormon als das
Wort Gottes.
Die Echtheit des Buches Mormon.
1. Seine göttliche Herkunft bildet den wichtigsten
Teil unserer Betrachtung über das Buch Mormon. Dieses
Thema ist für jeden ernsthaften Sucher nach den Wegen
Gottes, für jeden aufrichtigen Wahrheitssucher von le-
bendigem Interesse. Als ein Buch, das behauptet eine
neue Heilige Schrift zu sein — soweit die gegenwärtige
Dispensation in Betracht kommt — , ein Buch, das Pro-
phezeiungen und Offenbarungen enthalten will, die bisher
in der Theologie nicht anerkannt waren, ein Buch, das der
Welt von einem vergangenen Volke eine Botschaft bringt,
geschrieben auf göttlichen Befehl und durch den Geist der
Prophezeiung und Offenbarung, als solches ist das Buch
Mormon berechtigt, gründlichste und unparteiischste Prü-
fung zu erwarten. Mehr als das: nicht allein verdient das
Buch Mormon eine derartige Beachtung, sondern es be-
ansprucht und fordert dieselbe; denn sicherlich kann nie-
mand, der vorgibt auch nur den gewöhnlichsten Glauben
an die Macht und Autorität Gottes zu haben, mit Gleich-
gültigkeit die Verkündung einer neuen Offenbarung ent-
gegennehmen, die das Siegel der göttlichen Autorität auf-
weist. Die Frage der göttlichen Herkunft des Buches
Mormon ist deshalb eine Frage, die die ganze Welt angeht.
340 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.
2. Die Heiligen der letzten Tage gründen ihren Glau-
ben an die Echtheit und Glaubwürdigkeit des Buches auf
folgende Beweise:
I. Die allgemeine Übereinstimmung des Buches Mormon
mit der Bibel.
II, Die Erfüllungen alter Prophezeiungen, die durch das
Hervorkommen des Buches Mormon verwirklicht
worden sind.
III. Die strenge Einheitlichkeit und Übereinstimmung
des Buches Mormon mit sich selbst.
IV. Die offenkundige Wahrheit der darin enthaltenen
Prophezeiungen .
Diesen Beweisen können noch gewisse von außen
kommende angefügt werden, als da sind:
V. Die starken bestätigenden Beweise, welche die neu-
zeitlichen Entdeckungen auf dem Gebiete der Alter-
tumsforschung und Völkerkunde geliefert haben.
I. Das Buch Mormon und die Bibel.
3. Die nephitischen und jüdischen Schriften stimmen
in allen Punkten der Überlieferung, der Geschichte, der
Lehre und der Prophezeiung, welche die beiden Berichte
gemeinsam behandeln, überein. Diese beiden Bände von
Heiligen Schriften wurden auf zwei entgegengesetzten
Erdhälften unter Bedingungen und Verhältnissen erstellt,
die sehr verschieden waren; und doch besteht zwischen
beiden eine überraschende Harmonie, wodurch die
göttliche Inspiration in beiden Werken bestätigt wird.
Das Buch Mormon enthält eine Anzahl Anführungen
aus den jüdischen Schriften — wovon eine Abschrift
als ein Teil des auf die Platten Labans eingravierten
Berichtes, soweit als er fertiggestellt war zur Zeit des Aus-
zuges Lehis aus Jerusalem, nach dem westlichen Erd-
Art. 8.] Das Buch Mormon. 341
teil hinübergenommen wurde. In solchen Fällen besteht
kein wesentlicher Unterschied zwischen dem Wortlaut
der Bibel und dem des Buches Mormon ausgenommen da,
wo die Wahrscheinlichkeit eines Irrtums in der Übersetzung
vorliegt, was gewöhnlich aus den Widersprüchen und dem
Mangel an Klarheit des biblischen Textes hervorgeht.
Es gibt indessen zahlreiche kleinere Verschiedenheiten
in den entsprechenden Teilen der beiden Bände, und in
solchen Fällen ergibt eine Prüfung meist eine überlegene
Klarheit und Deutlichkeit der nephitischen Schrift.
4. Bei einer sorgfältigen Vergleichung von Prophe-
zeiungen der Bibel mit entsprechenden des Buches Mormon,
wie z. B. über die Geburt, das irdische Wirken, den
Kreuzestod und das zweite Kommen Christi, oder solche,
die sich auf die Zerstreuung und die darauffolgende Samm-
lung Israels, oder auf die Gründung Zions und die Wieder-
erbauung Jerusalems in den letzten Tagen beziehen, wird
man feststellen können, daß der eine Bericht den andern
bestätigt. Gewiß, es ist wahr: in dem einen Buch finden
sich viele Prophezeiungen, die in den andern nicht enthalten
sind, aber in keinem Falle ließe sich zwischen beiden ein
Widerspruch oder eine Unvereinbarkeit feststellen. Die
gleiche Übereinstimmung ist zwischen den lehrhaften
Teilen der beiden Schriftbände beobachtet worden.
5. Über die Übereinstimmung des Buches Mormon
mit der Bibel und über andere Vergleichsmaßstäbe hat der
Apostel Orson Pratt folgende kräftige und wahre Worte
geschrieben: „Wenn die Wunder des einen Buches mit
denen des andern verglichen werden, so kann an den Wun-
dern, die das Buch Mormon berichtet, nichts gefunden wer-
den, was schwerer zu glauben wäre, als das, was die Bibel
über Wunder berichtet. Vergleichen wir die prophetischen,
die geschichtlichen und die lehrhaften Teile des Buches
Mormon mit den Wahrheiten aus der Natur und der Wis-
342 Die Glaubensartikel. IVorl. XV.
senschaft, so finden wir keine Widersprüche, keine Sinn-
losigkeiten und nichts Unvernünftiges. Die vollständigste
Harmonie besteht deshalb zwischen den im Buch Mor-
mon geoffenbarten großen Wahrheiten und allen andern
bekannten Wahrheiten seien sie nun religiös, geschichtlich
oder wissenschaftlich. "1)
IL Alte Prophezeiungen über das
Buch Mormon.
6. Durch das Hervorkommen des Buches Mormon
sind alte Prophezeiungen buchstäblich erfüllt worden.
Einer der frühesten prophetischen Aussprüche, die sich
unmittelbar auf dieses Thema beziehen, ist der des vor-
sintflutlichen Propheten Henoch, dem der Herr seine
Pläne für alle kommenden Zeiten offenbarte. Als Henoch
im Verlaufe seines Gesichts die nach der Himmelfahrt
Christi einsetzende Verderbtheit der Menschen mitansehen
mußte, schrie er zu Gott: ,, Wirst du nicht wieder auf die
Erde kommen?" Und der Herr sagte zu Henoch: „So
wahr ich lebe, werde ich in den letzten Tagen kommen.***
Und der Tag soll kommen, daß die Erde ruhen soll, aber vor
jenem Tage sollen die Himmel verfinstert werden, und ein
Schleier der Finsternis soll die Erde bedecken; und die
Himmel sollen beben, und auch die Erde; und große Trüb-
sale sollen unter den Menschenkindern sein; aber mein
Volk werde ich erhalten. Und Gerechtigkeit will ich herab-
senden aus dem Himmel, und Wahrheit will ich aus der
Erde hervorsenden, um von meinem Eingeborenen Zeugnis
zu geben.*** Gerechtigkeit und Wahrheit will ich die Erde
überschwemmen lassen wie eine Flut, um meine Auserwähl-
^) „Divine Authenticity of the Book of Mormon".
Orson Pratts Werke, S. 236 (Utah-Ausg. 1891).
Art. 8.] Das Buch Mormon. 343
ten von den vier Teilen der Erde zu sammeln, an einen
Ort, den ich bereiten werde.^)
Die Heiligen der letzten Tage betrachten das Hervor-
kommen des Buches Mormon zusammen mit der Wieder-
herstellung des Priestertums durch das unmittelbare Mit-
wirken himmlischer Boten als eine Erfüllung dieser und
ähnlicher Prophezeiungen, die in der Bibel enthalten sind.
7. Biblisehe Prophezeiungen und ihre Erfüllung. David,
der seine Psalmen über tausend Jahre vor der „Mitte der
Zeiten" sang, bezeugt, ,,daß Treue aus der Erde wachse
und Gerechtigkeit vom Himmel schaue. "2) Gleiches wird
von Jesaja^) gesagt, Hesekiel*) sah in einem Gesicht das
Zusammenkommen des Holzes Juda und des Holzes Joseph,
womit, wie die Heiligen der letzten Tage betonen, die Bibel
und das Buch Mormon gemeint sind. Diese eben erwähnte
Stelle lautet in den Worten Hesekiels wie folgt: „Und des
Herrn Wort geschah zu mir und sprach: Du Menschen-
kind, nimm dir ein Holz und schreibe darauf: Des Juda
und der Kinder Israel, seine Zugetanen. Und nimm noch
ein Holz und schreibe darauf: Des Joseph, nämlich das
Holz Ephraims, und des "ganzen Hauses Israel, seiner Zu-
getanen. Und tue eines zum andern zusammen, daß es
ein Holz werde in deiner Hand."
8. Wenn wir uns erinnern, wie in alten Zeiten Bücher
angefertigt wurden, indem man auf lange Pergament-
streifen schrieb und sie auf einen Stab oder ein Holz auf-
wickelte, so wird der Gebrauch des Wortes ,,Holz" für
„Buch" sofort einleuchten. 5) Zur Zeit dieser Prophezeiung
waren die Israeliten in zwei Völker geteilt, von denen das
0 Köstliche Perle, Moses 7:59—62.
») Psalm 85:11—12.
') Jesaja 45:8.
') Hesekiel 37, besonders die Verse 15 — 20.
') Siehe auch den entsprechenden Gebrauch des Wortes
Jeremia, Kapitel 36.
344 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.
eine als das Volk Juda, das andere als das Volk Israel
oder Ephraim bekannt war. Darüber, daß hier auf die
Urkunden Judas und Josephs Bezug genommen wird, kann
nur ein geringer Zweifel bestehen.^) Die nephitische Na-
tion umfaßte nun, wie wir gesehen haben, die Nachkom-
men Lehis vom Stamm Manasse, sodann diejenigen Ish-
maels, eines Ephraimiten und endlich diejenigen Zorams,
dessen Abstammung nicht näher bezeichnet wird. Die
Nephiten waren also Nachkommen vom Stamme Josephs
und ihre Urkunden, oder ihr ,,Holz", sind durch das Buch
Mormon ebenso wahrhaftig dargestellt, wie das „Holz
Juda" durch die Bibel.
9. Daß das Hervorkommen des Buches Mormon un-
mittelbar durch die Macht Gottes bewirkt werden sollte,
geht aus der Erklärung hervor, welche der Herr über das
Gesicht Hesekiels gibt. Er sagt darin : „Siehe, ich will das
Holz Josephs nehm.en, *** und will sie zu dem Holz Judas
tun". 2) Aus der Vorhersagung eines Ereignisses, das un-
mittelbar darauf folgen sollte, nämlich der Sammlung der
israelitischen Stämme aus den Völkern, unter die sie zer-
streut worden waren, 3) ist sodann klar ersichtlich, daß
diese Vereinigung der beiden urkundlichen Berichte ein
Merkmal der letzten Tage sein sollte. Ein Vergleich
mit andern Prophezeiungen über die Sammlung Israels
wird zweifelsfrei ergeben, daß dieses große Ereignis in den
letzten Tagen als eine Vorbereitung auf das zweite Kommen
Christi stattfinden muß.^)
10. Wenden wir uns nun wieder den Schriften Jesajas
zu, so finden wir, daß der Prophet die Drohungen des
1) Vergl. Lehis Prophezeiung seinem Sohne Joseph gegenüber, 2.
Nephi 3:12.
') Heseliiel 37:19.
') Vers 21.
*) Siehe Vorlesung XVIII „Die Sammlung Israels" in Verbindung mit
Artikel 10.
Art. 8.] Das Buch Mormon. 345
Herrn gegen Ariel, oder Jerusalem, „die Stadt des Lagers
David" verkündigt. Ariel sollte geängstigt, traurig und
voll Jammer werden. Der Prophet bezieht sich aber dann
auf ein Volk, das von den Juden, die Jerusalem bewohnten,
verschieden ist, denn er stellt mit diesem einen Vergleich
an, indem er sagt: „Und es soll dir ergehen wie Ariel."
Über das Schicksal, das diesem andern Volk bestimmt war,
lesen wir: „Alsdann sollst du erniedrigt werden und aus
der Erde reden und aus dem Staube mit deiner Rede mur-
meln, daß deine Stimme sei wie eines Zauberers aus der
Erde und deine Rede aus dem Staube wisple."^)
11. Über die Erfüllung dieser und der damit ver-
bundenen Prophezeiungen hat ein Apostel dieser Tage
geschrieben: „Diese Vorhersagung Jesajas konnte sich
nicht auf Ariel, d.h. Jerusalem, beziehen, denn ihre Worte
sind nicht „aus dem Staube" oder aus „der Erde" gekom-
men, sondern sie bezieht sich auf die Überbleibsel Josephs,
die in Amerika vor mehr als 1400 Jahren vernichtet wur-
den. Das Buch Mormon beschreibt ihren Untergang und
er war in der Tat groß und schrecklich. Bei der Kreuzigung
Christi wurde „die Menge der Tyrannen" wie Jesaja prophe-
zeite, „wie wehende Spreu", und es geschah dies, wie er
weiter vorhersagte, „plötzlich und unversehens". Dieses
Überbleibsel Josephs wurde in seinem Jammer und seiner
Zerstörung wie Ariel. Wie die römische Armee Ariel be-
lagerte und Not und Verzweiflung über sie brachte, so
brachten die sich bekämpfenden Völker des alten Amerika
die schrecklichste Zerstörung über einander. Deshalb
konnte der Herr, als er von diesem Ereignis sprach.
0 Jesaja 29:4; lies Vers 1 — 6.
346 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.
mit der größten Berechtigung erklären: „Er soll mir
sein wie Ariel" .1)
12. Jesajas genaue Vorhersagung, daß das so ernied-
rigte Volk „aus der Erde reden" und seine Sprache „aus
dem Staube murmeln" sollte, wurde buchstäblich erfüllt
in der Art und Weise, wie das Buch Mormon hervorgekom-
men ist. Dessen Originale wurden aus der Erde genommen
und die Stimme der urkundlichen Berichte ist gleich jener,
die aus dem Staube spricht. Als Fortsetzung derselben
Prophezeiung lesen wir: „Daß euch aller Propheten
Gesichte sein werden wie die Worte eines versiegelten
Buches, welches man gäbe einem, der lesen kann, und sprä-
che : Lies doch das ! Und er spräche : Ich kann nicht, denn
es ist versiegelt; — oder gleich als wenn mans gäbe dem,
der nicht lesen kann, und spräche: ,,nun lies doch dasl
und er spräche: Ich kann nicht lesen". 2) Wir behaupten,
daß diese Prophezeiung ihre Erfüllung gefunden hat, als
die von den Platten genommene Abschrift — die „Worte
des Buches", nicht das Buch selbst — dem gelehrten
Professor Anthon vorgelegt wurde, dessen Antwort sich
beinahe wörtlich mit dem prophetischen Wortlaut deckt^)
und ferner dadurch, daß das Buch selbst dem ungelehrten
Jüngling Joseph Smith übergeben wurde.
III. Übereinstimmung von Stil und Stoff
im Buche Mormon.
13. Die Zusammensetzung und die innere Überein-
stimmung des Buches Mormon unterstützen den Glauben
an seine göttliche Herkunft. Die einzelnen Teile weisen
') Orson Pratt, „Divine Authenticity of the Book of Mormon",
S. 293/94, Utah-Ausg. 1891.
Für Einzelheiten über die Erfüllung eines Teiles der Prophezeiung
wird auf 3. Nephi, Kapitel 8 — 9 verwiesen.
=) Jesaja 29:11—12.
') Siehe Seite 329.
Art. 8.] Das Buch Mormon. 347
das Merkmal auf, daß sie zu verschiedenen Zeiten und unter
außerordentlich verschiedenartigen Umständen geschrie-
ben wurden. Die Schreibweise in den Bestandteilen des
Buches stimmt überein mit den Zeiten und Umständen
ihrer Entstehung und Abfassung. Die Teile, die von den
Platten übersetzt wurden, welche Mormons Abkürzung
darstellen, enthalten zahlreiche Einschaltungen, Erklä-
rungen und Erläuterungen dieses Verfassers. In den sechs
Büchern jedoch, die, wie schon besprochen wurde, den
wörtlichen Bericht von den kleinen Platten Nephis aus-
machen, sind keine solche Einschaltungen enthalten.
Das Buch stimmt in allen Teilen genau mit sich selbst
überein. Keine Widersprüche, keine Unvereinbarkeiten
haben sich feststellen lassen.
14. Eine bemerkenswerte Verschiedenheit der Sehreib-
weise kennzeichnet die verschiedenen Teile. ) Was über
die verschiedenen Arten von Platten, die die eigenthchen
Urkunden des Buches Mormon bilden, gesagt w^urde,
zeigt, daß das Buch die zusammengestellten Schriften
einer langen Reihe von inspirierten Schreibern darstellt,
die sich über einen Zeitraum von tausend Jahren erstrecken
— die frühere Zeit des Volkes Jared nicht mitgerechnet.
Einheitlichkeit der Schreibweise kann unter solchen Um-
ständen nicht erwartet werden; ja, es wäre für das Buch
geradezu fatal gewesen, wenn sie sich hätte feststellen
lassen.
IV. Das Buch Mormon wird durch die
Erfüllung der darin enthaltenen Prophe-
zeiungen bestätigt.
15. Das Buch Mormon enthält zahlreiche und bedeu-
tungsvolle Prophezeiungen. Zu den entscheidensten Be-
weisen für die Göttlichkeit des Buches gehören die, welche
') Siehe Anmerkung 1.
348 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.
uns die offenkundige Wahrheit seiner Prophezeiungen
liefert. Prophezeiungen lassen sich am besten im Lichte
ihrer eigenen Erfüllung prüfen. Die im Buche Mormon
enthaltenen Vorhersagungen können eingeteilt werden:
1. in Prophezeiungen für die Zeit, über welche sich
das Buch selbst erstreckt, deren Erfüllung im Buche be-
richtet wird, und
2. in solche, die über diese Zeit hinausgehen.
16. Prophezeiungen der erstgenannten Art, d. h. solche,
deren Erfüllung noch im Buche Mormon selbst berichtet
wird, sind als Beweismittel für die Göttlichkeit des Werkes
von geringem Wert, denn wäre das Buch nach einem ab-
gekarteten menschlichen Plane geschrieben worden, so
hätte sowohl Vorhersagung wie Erfüllung mit gleicher
Sorgfalt und gleichem Scharfsinn vorgesehen werden
können. Dennoch wird dem forschenden und gewissen-
haften Leser die Echtheit des Buches offenkundig
sein. Auch müssen die Berichte von der buchstäb-
lichen Erfüllung der zahlreichen und verschiedenartigen
Prophezeiungen über das damals noch zukünftige Schick-
sal des Volkes, die Einzelheiten der Geburt und des Todes
Christi und seiner Erscheinung in auferstandenem Zu-
stande vermöge ihrer Genauigkeit und Übereinstimmung
mächtig für die Inspiration und Göttlichkeit der Urkunden
sprechen,
17. Prophezeiungen anderer Art, nämlich solche, die
sich auf eine Zeit beziehen, die für den Schreiber noch
in der fernsten Zukunft lag, finden sich viele und ausführ-
liche. Manche von ihnen haben besondern Bezug auf die
letzten Tage, — die Dispensation der Fülle der Zeiten —
und von diesen sind schon mehrere buchstäblich in Erfül-
lung gegangen, andere sind in der Verwirklichung begriffen,
während wieder andere ihre Erfüllung erwarten unter
Umständen und Zuständen, denen wir uns mit raschen
Art. 8.] Das Buch Mormon. 349
Schritten nähern. Zu den bemerkenswertesten Vorhersa-
gungen des Buches Mormon, hinsichtlich der letzten Dis-
pensation, gehören jene, die sein eigenes Hervorkommen
und die Wirkung seiner Veröffentlichung auf die Mensch-
heit betreffen. Die biblische Prophezeiung Hesekiels
von dem Zusammenlegen der „Hölzer" oder Urkunden
Judas und Ephraims hat bereits Erwähnung gefunden.
Betrachten wir nun jene Verheißung, die dem nach Ägypten
verkauften Joseph zuteil wurde, wie sie von Lehi seinem
Sohne Joseph gegenüber wiederholt wurde, — eine Weis-
sagung, welche die Prophezeiung über das Buch mit der-
jenigen des Sehers verknüpft, durch dessen Vermittlung
das Wunder zustande gebracht werden soll: ,,Aber einen
Seher will ich aus der Frucht deiner Lenden erwecken ; und
ihm werde ich Macht geben, mein Wort auf die Nach-
kommen deiner Lenden zu bringen ; nicht bloß um mein
Wort unter sie zu bringen, sagt der Herr, sondern die
Macht, sie von der Wahrheit meines Wortes, welches
schon unter ihnen sein wird, zu überzeugen. Daher
werden deine Nachkommen und auch die Nachkommen
Judas schreiben, und was von deinen Nachkommen
und von den Nachkommen Judas geschrieben ist, soll
zusammen wachsen, um die falschen Lehren zuschanden
zu machen, um Streitigkeiten zu beseitigen, um den
Frieden unter deiner Nachkommenschaft zu gründen
und sie in den letzten Tagen zur Erkenntnis ihrer
Väter und meiner Bündnisse zu führen, spricht der Herr.
Und aus Schwachheit soll er stark gemacht werden an dem
Tage, wo mein Werk unter meinem ganzen Volke beginnen
wird, um dich, o Haus Israel, wieder herzustellen, spricht
der Herr."i)
Wie diese prophetischen Äußerungen durch das Her-
») 2. Nephi 3:11—13.
350 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.
vorkommen des Buches Mormon durch Joseph Smith
buchstäblich in Erfüllung gegangen sind, liegt klar zu Tage.
18. Dem Propheten Nephi zeigte der Herr die Wirkung
der neuen Veröffentlichung und erklärte, daß in den Tagen
der Sammlung Israels, — also offenbar in den Tagen der
Fülle der Zeiten, wie uns die jüdischen Schriften bezeugen
— die Worte der Nephiten der Welt gegeben werden sollten
und „fortzischen werden bis an die Enden der Erde, als
ein Panier" für das Haus Israel; daß dann die Heiden,
ihre Verpflichtung gegenüber den Juden, von denen sie
doch die Bibel erhielten — die Bibel, an die sie großen
Glauben zu haben vorgaben — vergessend, diesen Teil
des Bundesvolkes schmähen und verfolgen und die neue
heilige Schrift verwerfen werden mit den Worten: ,,Eine
Bibel, eine Bibel, wir haben 6ine Bibel und es kann keine
andere Bibel mehr geben. "i) Ist das nicht der Kern der
sinnlosen Einwendungen, die die ungläubige Welt gegen
das Buch Mormon vorbringt, daß nämlich das Buch null
und nichtig sein müsse, weil neue Offenbarungen nicht
mehr erwartet werden dürfen?
19. In alter Zeit waren nun zwei Zeugen erforderlich,
um die Wahrheit irgend einer Behauptung zu begründen
und darum sagt der Herr von dem zwiefachen Bericht,
welcher von ihm zeugen solle: „Weshalb murret ihr, weil
ihr mehr von meinem Worte erhalten sollt? Wisset ihr
nicht, daß das Zeugnis zweier Völker euch ein Beweis ist,
daß ich Gott bin, daß ich mich eines Volkes sowohl wie des
andern erinnere ? Daher rede ich dieselben Worte, zu einer
Nation sowohl, wie zu der andern. Und wenn die zwei
Nationen zusammengehen werden, dann wird das Zeugnis
beider Nationen auch zusammengehen. "2)
>) 2. Nephi 29 : 3 ; lies das ganze Kapitel.
«) Vers 8.
Art. 8.] Das Buch Mormon. 351
20. Mit diesen Weissagungen von dem vereinten Zeug-
nis der jüdischen und nephitischen Schriften ist eine andere
Prophezeiung verbunden, deren Erfüllung von den Heiligen
der letzten Tage heute mit Sehnsucht erwartet wird:
weitere heilige Schriften werden verheißen. Beachten
wir das folgende Wort Gottes: „Daher, weil ihr eine Bibel
habt, braucht ihr nicht zu vermuten, daß sie alle meine
Worte enthalte, noch braucht ihr zu glauben, daß ich nicht
noch mehr habe schreiben lassen, *** denn sehet, ich werde
zu den Juden reden, und sie werden es schreiben, und ich
werde auch zu den Nephiten sprechen, und sie werden es
auch schreiben ; und ich werde auch zu den anderen Stäm-
men des Hauses Israel, die ich hinweggeführt habe, reden,
und sie werden es schreiben; und ich werde zu allen Völ-
kern der Erde reden, und sie werden es schreiben. Und es
wird geschehen, daß die Juden die Worte der Nephiten
haben; und die Nephiten werden die Worte der Juden
haben; und die Nephiten und die Juden werden die Worte
der verlorenen Stämme Israels haben ; und die verlorenen
Stämme Israels werden die Worte der Nephiten und der
Juden haben. "^)
V. Bestätigende Beweise für das Buch
Mormon, die durch Entdeckungen der Neuzeit
zutage gefördert wurden.
21. Die Archäologie und Ethnologie Amerikas liefern
uns wertvolle bestätigende Beweise zur Unterstützung der
Angaben des Buches Mormon. Diese Wissenschaften sind
zugegebenermaßen außerstande, den Ursprung der einge-
borenen amerikanischen Menschenrassen in irgendwie ent-
scheidender Weise zu erklären. Doch haben Forschungen
auf diesen Gebieten einige Ergebnisse gezeitigt, die ziem-
1) Verse 10, 12 und 13.
352 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.
lieh ausschlaggebend sind, und mit den wichtigsten davon
steht der Bericht des Buches Mormon im allgemeinen im
Einklang. Zu den hervorragendsten Entdeckungen hin-
sichtlich Amerikas gehören die folgenden:
I. Amerika war schon in sehr alter Zeit, jedenfalls bald
nach dem Bau des Turmes zu Babel bewohnt.
II. Dieser Erdteil wurde von verschiedenen, aufeinander
folgenden Völkern, und zwar von wenigstens zwei
Klassen oder Rassen in weit auseinander liegenden
Zeiträumen bevölkert.
III. Die Ureinwohner Amerikas kamen aus dem Osten,
wahrscheinlich von Asien her ; die spätere Rasse, d. h.
diejenige der zweiten Periode sind, wenn nicht selbst
Israeliten, doch mit diesen nahe verwandt gewesen.
IV. Die heute noch lebenden eingeborenen Rassen
Amerikas sind alle desselben Ursprungs.
22. Aus dem bereits gegebenen Überblick über seinen
geschichtlichen Teil geht hervor, daß diese Entdeckungen
von dem Buche Mormon voll und ganz bestätigt werden.
Es wird darin gesagt:
I. Daß Amerika von den Jarediten bevölkert wurde,
welche geradeswegs von dem Turmbau zu Babel kamen.
II. Daß die Jarediten das Land etwa 1850 Jahre lang
bewohnten und daß sie sich während dieser Zeit über einen
großen Teil Nord- und Südamerikas ausdehnten; daß
ungefähr zur Zeit ihrer Ausrottung (etwa 590 Jahre vor
Christi Geburt) Lehi mit seiner Kolonie nach dem west-
lichen Erdteil kam, wo sich diese zu den beiden großen
Völkern der Nephiten und Lamaniten entwickelte, von de-
nen das Volk Nephi ums Jahr 385 n. Chr. — nahezu 1000
Jahre nach Lehis Ankunft — ausgerottet wurde, während
das Volk Lamans in verwahrlostem Zustande fortbestand
und heutzutage als die Indianerstämme bekannt ist.
Art. 8.] Das Buch Mormon. 353
III. Daß Lehi, Ishmael und Zoram, die Stammväter
derNephiten und derLamaniten, ganz unzweifelhaft Israe-
liten waren, Lehi von dem Stamme Manasse und Ishmael
vom Stamme Ephraim, und daß die Kolonie unmittelbar
von Jerusalem — von Asien — her kam.
IV. Daß die noch lebenden indianischen Stämme
sämtlich unmittelbare Nachkommen Lehis und seiner
Kolonie sind, und daß sie deshalb von Männern abstammen,
die alle aus dem Hause Israel sind.
Prüfen wir nun die Beweise für diese Punkte, die uns
die Forscher liefern — von denen die meisten nichts vom
Buche Mormon wußten und von denen kein einziger
dieses Buch als echt anerkannte. i)
23. I. Über die sehr weit zurückliegende Zeit, in wel-
cher Amerika bevölkert wurde. Eine anerkannte Autorität
auf dem Gebiete der amerikanischen Altertumsforschung
gibt folgende Beweise und Schlußfolgerungen: „Eine der
Künste, die den Erbauern des Turmes zu Babel bekannt
waren, ist die Verfertigung von Ziegelsteinen. Diese Kunst
war auch dem Volke bekannt, das die Bauwerke hier im
Westen errichtete. Die Kenntnis des Kupfers war dem
Volke, das die Ebene von Shinear bewohnte, eigen, denn
Noah muß sie vermittelt haben, weil er noch 150 (350)
Jahre lang nach der Sintflut unter ihnen lebte. Kupfer
war auch den vorsintflutlichen Menschen bekannt. Ferner
kannten die Ersteller der Bauwerke auf dem westlichen
') Bemerkung: Anerkennung. Viele der hier folgenden Anführungen,
wie sie in Verbindung mit den, das Buch Mormon unterstützenden außer-
biblischen Beweisen erwähnt werden, sind von Verfassern aus unserm
Volke gesammelt worden, so besonders vom Ältesten George Reynolds
(wir verweisen auf seine Vorlesungen, die da, wo aus ihnen Anführungen
gebraucht werden, namentlich aufgeführt sind); siehe auch eine Reihe von
Aufsätzen unter der Überschrift „American Antiquities" im „Millenial
Star" Liverpool, Bd. 21, von Moses Thatcher (siehe auch eine Folge von
Aufsätzen über „The Di\ine CTrigin of the Book of Mormon im „Contributor",
Salt Lake City) und vom Ältesten Edwin F. Parry (1. Traktat „Ein Prophet
der letzten Tage"), Liverpool 1898.
23
354 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.
Erdteil das Kupfer. Eisen war den vorsintflutlichen Men-
schen bekannt. Es war auch den Ureinwohnern Amerikas
bekannt. Offenbar hatten sie aber nur wenig Eisen, denn
nur an sehr wenigen Stellen ist es an ihren Gebäuden
wahrgenommen worden. Gerade hieraus ziehen wir den
Schluß, daß sie kurz nach der Zerstreuung der Völker
in dieses Land kamen. "i)
24. In seiner ,, Antwort auf die amtliche Anfrage hin-
sichtlich der Ureinwohner Amerikas" zieht Lowry inbezug
auf die Bevölkerung des westlichen Erdteiles den Schluß,
„daß die erste Niederlassung kurz nach der Verwirrung
der Sprachen beim Turmbau zu Babel erfolgt sei. "2)
25. Professor Watermann zu Boston sagt von den
Vorfahren der amerikanischen Indianer: ,,Wann und wo-
her kamen sie? Albert Galatin, einer der gründlichsten
Sprachforscher unserer Zeit folgert, daß, soweit die Sprache
einen Schluß zuläßt, die Einwanderung nicht lange nach
der Zerstreuung der menschlichen Familie erfolgt sein
müsse. "3)
26. Pritchard bemerkt über die Ureinwohner
Amerikas: „Der Anfang ihrer Existenz als eine getrennte,
abgesonderte Rasse muß jedenfalls in jene Zeit zurück-
verlegt werden, in der sich die Bewohner der alten Welt
in verschiedene Völker teilten, und jeder Teil der mensch-
lichen Familie seine Ursprache und -Eigenart erhielt."*)
27. Ixtilxochitl, ein eingeborener mexikanischer Ver-
fasser, ,, bestimmt als Zeitpunkt der ersten Einwanderung
in Amerika etwa das Jahr 2000 vor Christi Geburt; dies
') Priest, „American Antiquities", 1834, S. 219.
=) Schoolcraft's „Ethmological Researches"' (Völkerkundliche Unter-
suchungen), Band III (1853).
') Auszug aus einem Vortrag von Prof. Watermann, gehalten in
Bristol, England, 1849, angeführt von Edwin 'F. Parry in seinem Traktat
„A Prophet of Latter Days" (Liverpool 1898).
*) Pritchard ,, National History of Man" (London, 1845).
Art. 8.] Das Buch Mormon. 355
steht durchaus im Einklang mit dem im Buch Mormon
angegebenen, denn in diesem wird bestimmt erklärt, daß
die Einwanderung zur Zeit der Zerstreung erfolgt ist, als
Gott in seinem Zorn die Menschen über die ganze Erde
zerstreute. "1) ,,Auf die Anführungen Ixtilxochitls hin-
weisend, wird gesagt, daß zwischen der Schöpfung und der
Sintflut ein Zeitraum von 1716 Jahren liege. Moses setzt
ihn auf 1656 Jahre fest; es besteht also ein Unterschied
von nur 60 Jahren. 2) Sie stimmen genau überein in der
Zahl der Ellen, mit welcher angegeben wird, wie hoch das
Wasser die höchsten Berge überflutete. Eine solche Über-
einstimmung kann nur zu einer Schlußfolgerung führen:
Die beiden Berichte haben denselben Ursprung."^)
28. Professor Short führt von Clavigero folgendes an :
,,Die Chiapanesen sind die ersten Ansiedler der neuen
Welt gewesen — wenn wir ihren Überlieferungen Glauben
schenken dürfen. Sie sagen, Votan, der Enkel des ehrwür-
digen alten Mannes, der die große Arche baute, um sich
und seine Familie vor der großen Flut zu retten, sei mit ei-
nepi von jenen, die es unternahmen, jenes große Bauwerk
zu errichten, welches in den Himmel reichen sollte, auf
den ausdrücklichen Befehl des Herrn, dieses Land zu be-
völkern, hierher gekommen. Sie sagen ferner, das erste
Volk sei von Norden her gekommen und habe sich ge-
trennt, als es bei Soconusco anlangte, von wo einige nach
Nikaragua gegangen, währenddem die andern in Chiapas
verblieben seien. "^)
29. II. Über die in alter Zeit erfolgte Besiedlung Ame-
rikas durch verschiedene Völker. Hervorragende Kenner
') Moses Thatcher, „Contributor", Bd. II, S.227, Salt Lake Cy. 1881.
^) Siehe Anmerkung 2.
") Moses Thatcher „Contributor", Bd. IL, S. 228.
*) John T. Short, ,, North Americans of Antiquity" (Das Nordamerika
des Altertums), Seite 204, (Harper Bros. New- York), 2. Aufl. 1888, siehe
auch „Contributor", (Salt Lake City, Bd. II, S. 259).
356 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.
amerikanischer Altertümer haben erklärt, zwei ganz be-
stimmte Klassen der Menschheit — von einigen werden
sie als besondere Rassen bezeichnet — hätten in früherer
Zeit den westlichen Erdteil bevölkert. Professor F. W.
Putnam^) geht noch weiter und behauptet, die eine dieser
alten Rassen habe sich von Norden, die andere von Süden
her ausgebreitet. Dieses stimmt wiederum mit dem Buch
Mormon überein, das die Besitzergreifung des amerikani-
schen Landes durch die Jarediten und später durch die
Nephiten schildert, von welchen die ersten sich zunächst
in Nordamerika, die letzten dagegen in Südamerika nieder-
ließen. H. C. Walsh erzählt in einem Aufsatz „Copan,
a city of the dead"^) überschrieben viele interessante
Einzelheiten von den Ausgrabungen und andern Nach-
forschungen, welche Gordon mit Hilfe der Peabody-Ex-
pedition vorgenommen hat und fügt hinzu: ,, Alles dies
weist auf aufeinanderfolgende Perioden der Besiedlung
hin, für die übrigens noch andere Beweise vorliegen. "3)
30. III. Über die Annahme, daß wenigstens ein Teil
der Ureinwohner Amerikas aus dem Osten, jedenfalls v^
Asien her, kam, und israelitischer Herkunft war. Bestä-
tigende Beweise für die Annahme, daß die Ureinwohner
Amerikas von den Völkern der östlichen Halbkugel ab-
stammen, finden sich in der Übereinstimmung oder Ähn-
lichkeit der Berichte und Überlieferungen beider Welt-
teile und zwar inbezug auf die Schöpfung, die Sintflut,
und andere große Ereignisse der Menschheitsgeschichte.
Boturini*), der von den meisten Schreibern, die über die
0 Putnam ,,Prehistorie Remains in the Ohio Valley" Centm-y Ma-
gazine, März 1890.
') Siehe Harper's Weekly (New- York), Oktober 1897, Artikel von
Henry C. Walsh.
') Sielie Anmerkung 3.
*) Chevalier Boturini: er verwandte mehrere Jahre auf die Erfor-
schung der Altertümer Mexikos und Zentralamerikas und sammelte viele
wertvolle Urkunden, von denen ihm allerdings die meisten von den Spaniern
geraubt wurden ; er veröffentlichte 1746 ein Werk über seine Untersuchungen.
Art, 8.] Das Buch Mormon. 357
amerikanischen Altertümer geschrieben haben, angeführt
wird, sagt: ,,Es gibt kein heidnisches Volk, das mit solcher
Bestimmtheit die großen Ereignisse der Urzeit berichtet,
wie die Indianer es tun. Sie geben uns einen Bericht von
der Erschaffung der Welt, der Sintflut,^) der Verwir-
rung der Sprachen beim Turmbau zu Babel, und von allen
andern Geschehnissen der alten Welt, dazu von den großen
Wanderungen, die ihr Volk in Asien zurücklegte und be-
zeichnen die einzelnen Jahre derselben. In den sieben
Conejos (Kaninchen) erzählen sie uns von der großen
Finsternis, die beim Tode unseres Herrn Jesu eintrat".
31. Ähnliche Beweise einer gemeinsamen Quelle
der Überlieferungen des Ostens und des Westens hinsicht-
lich der großen Geschehnisse der Urzeit liefern uns die
Schriften des bereits erwähnten Prof. Short, ferner die
Werke Baldwins,^) Clavigeros,^) Kingsboroughs,*) Saha-
guns,^) Prescotts,^) Schoolcrafts,') Squires,^) Adairs^)
und anderer. 1°)
32. Professor Short fügt sein Zeugnis über die Beweise
hinzu, daß die Ureinwohner Amerikas ihren Ursprung
in der alten Welt haben, gibt aber zu, nicht imstande zu
sein, zu entscheiden, wann und woher sie nach diesem Erd-
teil kamen. 11) Der bereits angeführte Prof. Waterman
sagt: „Dieses Volk konnte nicht in Afrika erschaffen wor-
den sein, denn dessen Bewohner sind denjenigen Amerikas
') Siehe Anmerkung 4.
^) Baldwin „Ancient America" (Harper Bros., New-York 1871).
') Clavigero, angeführt von Prof. Short in „North Americans of
Antiquity".
*) Lord Kingsborough, „Mexican Antiquities" (1830 — 37).
^) Bernardo de Sahagun, „Historia Universal de Nueva Espana."
») W. H. Prescott, „Conquest of Mexico" (s. S. 463 — 464).
') Schoolcraft, „Ethnological Researches" (1851) Bd. I.
*) Squiers, „Antiquities of the State of New- York" 1851.
•) Adair. „History of the American Indians", London 1775.
'») Siehe Bancrafts, „Native Races" etc. Bd. Ill und V; Donnelly's
„Atlantis" p. 391 (1882).
") John P. Short, North Americans of Antiquity (1888).
358 Die Glaubensarükel. [Vorl. XV.
ganz unähnlich, auch nicht in Europa, wo überhaupt
kein Urvolk war, das sich mit dem amerikanischen verglei-
chen ließe; man kann beim Suchen nach der Herkunft der
alten Amerikaner nur nach Asien ausschauen."^)
33. Es ist festgestellt worden, daß die Stämme der
Ureinwohner Amerikas die Gewohnheit hatten, unter ge-
wissen Umständen die Verordnung der Beschneidung,^)
der Taufe und der Tieropferung^) zu vollziehen. Ein spa-
nischer Schriftsteller namens Herera, der vor etwa drei-
hundert Jahren lebte, führt aus, daß bei den Ureinwoh-
nern Yukatans die Taufe unter einem Namen bekannt
war, der soviel bedeutete wie „von neuem geboren
werden."^)
34. Eine so bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen
den Völkern der alten und denen der neuen Welt läßt
sich aber nicht nur bei den Sitten, den Gebräuchen und
den Überlieferungen inbezug auf die vorchristliche Zeit
feststellen. Lange vor der Ankunft der christlichen Ent-
decker Amerikas im späten Mittelalter waren viele Über-
lieferungen und gewisse Erzählungen über den vorherbe-
stimmten Christus und seinen erlösenden Tod unter den
Rassen der Eingeborenen im Umlauf. Tatsächlich fanden
auch die katholischen Priester, als sie mit den Spaniern
zuerst nach Mexiko kamen, bereits eine Erkenntnis von
Christus und der Gottheit vor, die so sehr den Lehren der
rechtgläubigen Christenheit entsprach, daß die Priester —
unfähig eine andere Erklärung dafür zu finden — die Theo-
rie aufbrachten, der Satan habe den Eingeborenen dieses
Landes eine Nachahmung des Evangeliums gebracht, um
') Auszug aus einem Vortrag von Prof. Watermann, gehalten zu
Bristol, England 1849, angeführt in einem Traktat von Edwin F. Parry,
„A Prophet of Latter Days", Liverpool 1898.
*) Lord Kingsborough.
') Donnelly's Atlantis, S. 144.
*) Tractat, „A Prophet of Latter Days" von Edwin F. Parry, S. 106.
Art. 8.] Das Buch Mormon. 359
das Volk damit zu betrügen. Eine andere Theorie ging
dahin, der Apostel Thomas habe den westlichen Erdteil
besucht und hier das Evangelium Jesu Christi gepredigt.^)
35. Lord Kingsborough bezieht sich in seinem umfas-
senden und grundlegenden Werk auf ein Manuskript von
Las Casas, einem spanischen Bischof, von Chiapa, eine
Handschrift, die im Kloster von St. Dominik aufbewahrt
wird. Der Bischof erwähnt darin, daß bei den Eingeborenen
von Yukatan eine sehr genaue Erkenntnis von der Gott-
heit festgestellt worden sei. Einer der Missionare des
Bischofs schrieb, „er habe einen Häuptling getroffen,
der ihm sagte, sie glaubten an einen Gott, der im Himmel
wohnt, sogar an Vater, Sohn und Heiligen Geist. Der
Vater werde Yeona, der Sohn — von einer Jungfrau,
namens Chibirias geboren — Bahab und der Heilige Geist
Euach genannt. Bahab, der Sohn, sei von Eupuro, der ihn
geißelte und ihm eine Dornenkrone aufs Haupt drückte,
mit ausgestreckten Armen auf einen Holzbalken genagelt
worden. Der auf diese Weise getötete sei aber nach drei
Tagen ins Leben zurückgekommen, und gen Himmel ge-
fahren, wo er bei dem Vater wohne. Unmittelbar darauf
sei Euach, als Kaufmann verkleidet, mit vielen kostbaren
Dingen erschienen, um jeden, der es wollte, reichlich mit
göttlichen Gaben und Kräften zu füllen. "2)
36. Rosales bestätigt, daß die Chileaner eine Über-
lieferung haben, wonach ihre Vorväter von einer wunder-
baren Persönlichkeit, voller Gnade und Macht, besucht
worden seien, einem Manne, der viele Wunder unter ihnen
getan und sie von dem Schöpfer aller Dinge, der inmitten
verherrlichter Scharen im Himmel wohne, unterrichtet
1) Siehe Präsident John Taylor's „Mediation und Atonement"
S. 201.
*) Kingsborough's ,.Antlqultis of Mexico".
360 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.
habe.i) Prescott nimmt auf die Tatsache Bezug, daß die
den Spanier Cortez begleitenden Katholiken gefunden
haben, daß bei den Eingeborenen von Mexiko und Zentral-
amerika das Kreuz allgemein bekannt war. Außer diesem
Zeichen eines gewissen Glaubens an Christus beobachteten
die Reisenden mit Erstaunen eine Zeremonie, die mit dem
Abendmahl große Ähnlichkeit hatte. Sie sahen wie die
Priester der Azteken einen Kuchen bücken aus Mehl, das sie
mit Blut vermengten, ihn segneten und unter das Volk
verteilten, das ihn „unter Zeichen der Demütigung und
Trauer aß und dabei erklärte, es sei das Fleisch
Gottes".2)
37. Die Mexikaner anerkennen in Quetzalcoatl einen
Gott. Der überlieferte Bericht von seinem Leben und Ster-
ben ist der Geschichte Christi so ähnlich, sagt Präsident
Taylor, „daß wir zu keinem andern Schluß kommen kön-
nen, als daß Quetzalcoatl und Jesus Christus ein und die-
selbe Person sind. "3) Lord Kingsborough spricht von einem
Bilde, das den Quetzalcoatl darstellt ,,in der Haltung einer
gekreuzigten Person, mit Nägelmalen in Händen und
Füßen, ohne jedoch tatsächlich an einem Kreuze zu han-
gen". Der gleiche Forscher sagt weiter: „Die 73. Platte des
Borgian Manuskripts ist die bemerkenswerteste von allen.
Auf ihr wird Quetzalcoatl nicht nur als ein auf einem Kreuz
in griechischer Form Gekreuzigter dargestellt, sondern
auch seine Grablegung und sein Hinuntersteigen in die
Hölle ist in einer sehr merkwürdigen Art und Weise abge-
bildet." Und weiter: ,,Die Mexikaner glauben, Quetzal-
coatl habe menschliche Natur auf sich genommen, habe
teilgehabt an all den Schwachheiten der Menschen, sei
1) Rosales ,. History of Chile" siehe Präs. Taylors, „Mediation und
Atonement", S. 202.
^) Prescott „Conquest of Mexico", S. 465.
^) „Mediation and Atonement", S. 201 ; siehe Anmerkung 5.
Art. 8.] Das Buch Mormon. 361
auch nicht vor Leid, Schmerz und vor dem Tod bewahrt
geblieben, welches er aber alles freiwillig erduldete, um da-
mit die Sünden der Menschen zu sühnen. "i)
38. Die Quelle dieser Erkenntnis von Christus und der
Gottheit — die zu finden den katholischen Einwanderern
viel Kopfzerbrechens machte und sie veranlaßte, weit
daneben treffende unhaltbare Theorien aufzustellen —
liegt für den Kenner des Buches Mormon klar zu Tage.
Wir erfahren aus dieser heiligen Schrift, daß die Vorfahren
der eingeborenen amerikanischen Rassen Jahrhunderte
lang vor der Geburt Christi im Lichte unmittelbarer Offen-
barung lebten, welches durch berufene Propheten zu ihnen
kam und ihnen die Pläne Gottes inbezug auf die Erlösung
der Menschheit offenbarte und daß darüber hinaus der
auferstandene Heiland selbst ihnen diente und seine Kirche
mit all ihren wesentlichen Verordnungen unter ihnen
gründete. Das Volk ist in einen Zustand geistigen Verfalls
geraten; viele seiner Überlieferungen sind arg verzerrt
und entstellt durch Vermischung mit Aberglauben und
menschlichen Einbildungen — aber der Ursprung ihrer
Erkenntnis ist klar als göttlich zu erkennen.
39. IV. Über den gemeinsamen Ursprung der eingebo-
renen Rassen Amerikas. Daß die vielen Stämme und Zweige
der Indianer und anderer „eingeborener Rassen" Amerikas
eine gemeinsame Abstammung besitzen, wird allgemein zu-
gegeben. Diese Überzeugung gründet sich auf die offen-
kundige und nahe Verwandtschaft in Sprache, Über-
lieferung und Sitte. ,, Lewis H. Morgan findet einen
Beweis für die gemeinsame Abstammung der Ureinwohner
Amerikas in ihrer ,, Blutsverwandtschaft und Verschwä-
gerung". Er sagt: ,,Die indianischen Völker vom atlan-
tischen Ozean bis in die Felsengebirge und vom Eismeer
') Lord Kingsborough „Antiquities of Mexiko" ; siehe die Anführungen
von Präsident John Taylor, „Mediation und Atonement", S. 202.
362 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.
bis zum Golf von Mexiko — mit Ausnahme der Eskimo
— befolgen die gleiche Ordnung. In ihrer allgemeinen
Form wie in ihren Einzelheiten ist sie ausgearbeitet
und verschiedenartig, aber wenn auch bei verschie-
denen Stämmen Abw^eichungen von der Einheitlichkeit
der Grundform vorkommen, so sind doch die wesentlichen
Bestandteile überall dieselben. Diese Einheit in den wich-
tigen Merkmalen eines eigenartigen Systems zeigt, daß sie
jedem Stamme aus gemeinsamer Urquelle überliefert ist.
Dies liefert uns den bis jetzt stärksten Beweis für die Ein-
heit des Ursprunges der indianischen Völker innerhalb
der genannten Länder."^)
40. Baldwin führt ferner Bradfords Zusammenstellung
der Schlußfolgerungen hinsichtlich der Herkunft und der
Kennzeichen der alten Amerikaner an, worunter wir er-
wähnt finden: ,,Daß sie alle eines Ursprungs sind. Zweige
derselben Rasse, mit gleichen Sitten und Gebräuchen. "2)
Adair schreibt: ,,Alle die verschiedenen indianischen Völ-
kerstämme scheinen einer Abstammung zusein" und führt
zur Unterstützung dieser Schlußfolgerung eine ganze
Anzahl von Beweisen an für die Übereinstimmung in Spra-
che, Sitten und Gebräuchen, religiösen Verordnungen,
Handhabung der Gerichtsbarkeit usw.^)
41. Die geschriebene Sprache der Ureinwohner Ame-
rikas. Diesen weltlichen oder außerbiblischen Beweisen für
die Glaubwürdigkeit des Buches Mormon könnte noch die
Tatsache angefügt werden, daß die Urkunden auch mit
den jüngsten Entdeckungen inbezug auf die geschriebene
Sprache dieser Völker im Einklang stehen. Der Prophet
Nephi erwähnt, daß er seinen Bericht auf den Platten in
') \ Baldwin's „Ancient America", S. 56; siehe die Anführungen von
') / Schlußfolgerungen hinsichtlich der Eigentümlichkeiten der Ein-
geborenen Amerikas von Bradford (im gleichen Werk).
') Adair's „Historj' of the American Indians", London, 1775.
Art. 8.] Das Buch Mormon, 363
der „Sprache der Ägypter"^) abgefaßt habe, und es wird
uns außerdem gesagt, daß auch die Messingplatten Labans
in der gleichen Sprache beschrieben waren. 2) Mormon,
der die umfangreichen Schriften seiner Vorgänger abkürzte
und die Platten anfertigte, von denen die neuzeitliche
Übersetzung genommen ist, benutzte ebenfalls ägyptische
Schriftzeichen, Sein Sohn Moroni, der den Bericht voll-
endete, stellt diese Tatsache fest. Moroni nahm indessen
zwischen den zu seiner Zeit beschriebenen Platten und den
altern einen gewissen Unterschied in der Sprache wahr;
er schrieb diese Veränderung dem natürlichen Einfluß der
Zeit zu und spricht von seinem eigenen Bericht wie auch
von demjenigen seines Vaters Mormon als in ,, verbesser-
tem Ägyptisch geschrieben, "3)
41. Beachten wir nun das Zeugnis des Dr. Le Plon-
geon gelegentlich der Bekanntgabe seiner Entdeckung
eines heiligen Alphabetes bei den Mayas in Zentralamerika,
von dem er erklärt, daß es eigentlich sei wie das ägyptische
Alphabet. Er stellt fest, daß der Aufbau der heiligen
Sprache der Mayas mit dem des Ägyptischen große Ähn-
lichkeit hat und gibt kühn seiner Überzeugung Ausdruck,
daß die beiden Völker ihre geschriebene Sprache aus ein
und derselben Quelle ableiten.*) Eine andere maßgebende
Persönlichkeit sagt: ,,Der Altertumsforscher muß diese
Tatsache ins Auge fassen und festhalten angesichts der
Beweise für das Vorhandensein zweier großer Zweige der
Hieroglyphensprache, die beide eine starke Ähnlichkeit
mit der ägyptischen zeigen und von ihnen unterschieden
sind durch völlig amerikanische Schriftzeichen, "^)
') 1. Nephi 1:2.
') Mosiah 1:4.
») Mormon 9:32.
*) Dr. August Le Plongeon, in „Review of Reviews" Juli 1895.
') „ Quarterly Review" Oktober 1836, gekürzt ersciiienen im „Millenial
Star" Bd. 21, S. 467.
364 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.
43. Das Ägyptische ist aber nicht die einzige östliche
Sprache, die auf den Überresten amerikanischer Alter-
tümer gefunden wird. Das Hebräische erscheint in dieser
Verbindung mit wenigstens ebensolcher Bedeutung. Daß
die hebräische Sprache von den Nachkommen Lehis be-
nutzt wurde, ist insofern sehr natürlich, als diese aus dem
Hause Israel stammten und geradeswegs von Jerusalem
nach dem westlichen Erdteil kamen. Daß die Fähigkeit, in
dieser Sprache zu lesen und zu schreiben, bei den Nephiten
bis zur Zeit ihrer Ausrottung vorhanden war, geht klar
hervor aus der Feststellung Moronis inbezug auf die beim
Beschreiben der Platten benutzte Sprache: „Nun sehet,
wir haben diese Urkunden nach unserer Kenntnis in den
Hieroglyphen geschrieben, welche unter uns die verbesser-
ten ägyptischen genannt werden, die uns überliefert und
von uns nach unserer Sprachweise verändert worden sind.
Wären unsere Platten hinreichend groß gewesen, so hätten
wir in hebräischer Schrift geschrieben, aber das Hebräische
ist auch von uns verändert worden. "i)
44. Die folgenden Fälle sind einer lehrreichen Zu-
sammenstellung entnommen, die Ältester George Rey-
nolds^) verfaßt hat. Verschiedene ältere spanische Schrift-
steller behaupten, die Eingeborenen gewisser Teile des
Landes hätten ein verdorbenes Hebräisch gesprochen.
Las Casas bestätigt dies hinsichtlich der Bewohner der
Insel Haiti. Lafitu schrieb eine geschichthche Abhandlung,
worin er den Standpunkt vertritt, die Caribbee- Sprache
sei ganz und gar hebräisch. Isaak Nasci, ein gelehrter
Jude von Surinam, sagt von der Sprache des Volkes von
Guyana, „daß alle ihre Hauptwörter hebräisch seien."
Spanische Geschichtsschreiber verzeichnen die frühen
Entdeckungen von hebräischen Schriftzeichen auf dem
1) Mormon 9:32—33.
») Reynolds Vorlesung „Die Sprache des Buches Mormon".
Art. 8.] Das Buch Mormon. 365
westlichen Festland. Malventa sagt, die Spanier hätten
Grabsteine der Eingeborenen von St. Michael ausgegraben,
die verschiedene alte hebräische Inschriften trugen.
45. Bei all diesem Geschriebenen sind Schriftzeichen
und Sprache der alten Form des Hebräischen ähnlich und
zeigen keine jener Selbstlaute, und Endungsbuchstaben,
die nach der Rückkehr der Juden aus der babylonischen
Gefangenschaft in das Hebräische des östlichen Erdteils
eingeführt wurden. Dies steht im Einklang mit der Tat-
sache, daß Lehi und seine Begleiter Jerusalem kurz vor
der Wegführung des Volkes in die Gefangenschaft und somit
auch vor der Einführung jener Änderungen der geschrie-
benen Sprache verließen.
46. Noch ein anderer Prüfstein. Der Leser des Buches
Mormon möge sich aber mit solchen Beweisen der gött-
lichen Glaubwürdigkeit dieses Buches wie sie hier angeführt
wurden, nicht zufrieden geben. Es ist ein sichereres und wirk-
sameres Mittel verheißen worden, um sich von der Wahrheit
oder Falschheit dieses wunderbaren Berichtes zu überzeu-
gen. Wie andere heilige Schriften, muß auch das Buch
Mormon durch den Geist der Schrift verstanden werden,
und dieser ist nur als eine Gabe von Gott erhältlich. Aber
diese Gabe, unschätzbar wie sie ist, ist allen denen verheißen,
welche nach ihr trachten. Wir wollen daher allen und je-
dem den Rat Moronis, des letzten Mitarbeiters an diesem
Buche, empfehlen, des vereinsamten Schreibers, der das
Buch versiegelte und später als ein Engel die heiligen
Urkunden wieder hervorbrachte:
„Und wenn ihr diese Dinge empfangen werdet, wollte
ich euch ermahnen, daß ihr Gott, den ewigen Vater, im Na-
men Christi fraget, ob diese Dinge nicht wahr sind; und
wenn ihr mit einem aufrichtigen Herzen fragen werdet,
mit festem Vorsatze, mit Glauben an Christum, so wird
366 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.
er euch die Wahrheit derselben durch die Macht des Hei-
ligen Geistes offenbaren. Und durch die Macht des Heiligen
Geistes könnt ihr die Wahrheit von allen Dingen wissen. "i)
Anmerkungen.
1. Die Verschiedenheit der sprachlichen Sehreibweise im Buch Mor-
mon. — „Zwischen der sprachlichen Schreibweise Nephis und einiger
früherer Propheten und derjenigen Mormons und Moronis besteht ein aus-
geprägter Unterschied. Mormon und sein Sohn schrieben In unmittelbarer
Form und gebrauchten weniger Worte, um ihre Gedanken auszudrücken,
als es bei den frühern Schreibern der Fall war. Ihre Art zu schreiben ist
wohl für die meisten Leser angenehmer und gefälliger. Enos, der Sohn
Jakobs, hat ebenso seine ganz besondere Schreibart. Bemerkenswert ist
auch die andere Tatsache, daß da, wo in der Abkürzung Mormons Original-
berichte oder — Abhandlungen, wie z. B. der Bericht Limhls, die Predigten
Almas, Amuleks usw. und die Briefe Helamans und anderer eingeschaltet
werden, Worte und Ausdrücke gebraucht werden, die sonst nirgends im
Buch Mormon vorkommen. Die Verschiedenheit der Schreibweise, des
Ausdruckes und Wortschatzes ist ein sehr erfreuliches, zufälliges Zeichen
für die Wahrheit der für das Buch Mormon gemachten Behauptungen,
daß es eine Zusammenstellung der Werke von vielen Schreibern ist." —
Aus „Vorlesungen über das Buch Mormon" vom Ältesten George Rey-
nolds. —
2. Die mexikanische Zeitbestimmung der Sintflut. — Von dem Zeit-
pimkt der Sintflut, den der mexikanische Verfasser Ixtilxochitl angibt,
sagt Ältester George Reynolds: „Es besteht eine bemerkenswerte Über-
einstimmung ZNVischen der Ausgabe dieses Schriftstellers und dem ersten
Buch Mose. In der Zeit vom Sündenlall bis zur Flut besteht ein Unterschied
von nur 60, vielleicht auch von mu- 5 Jahren, wenn die folgende Feststellung
des Buches der Lehre und Bündnisse hinsichthch Henochs die Zeitrechnung
verlängert: „Und er sah den Herrn und wandelte mit ihm und war stets
vor seinem Angesicht; und er wandelte mit Gott 365 Jahre und war 430
Jahre alt, als er von der Erde hinweggeführt wurde" (L. u. B. 107:49).
Die gleiche Angabe findet sich in der Köstlichen Perle, Moses 7:67. —
„Vorlesungen über äußere Beweise für das Buch Mormon" vom Ältesten
George Reynolds.
3. Alte Zivilisation in Amerika. — „Es kann kein Zweifel darüber
bestehen, daß in diesem Lande (Zentral-Amerika imd Mexiko) einst eine
Zivilisation blühte, die höher entwickelt war, als irgend eine von den
spanischen Eroberern bei ihrer Ankunft vorgefundene. Bei weitem die
bedeutendste Arbeit unter den Überresten der alten Mayas-Zivilisation ist
von dem Peabody-Museum der Havard-Universität geleistet worden in
einer Reihe von Expeditionen nach der begrabenen Stadt, die heute den
Namen Copan (in spanisch Honduras) führt. In einem schönen Tal, nahe dem
») Moroni 10:4 — 5.
Art. 8.] Anmerkungen. 367
Grenzgebiet von Guatemala, liegt, umgeben von jäh aufsteigenden Bergen,
bewässert von einem, sich durch diese hindurch vsandenden Fluß, die alters-
graue Stadt, versunken in den Schlaf der Jahrhunderte. Die Ruinen von
Copan, obschon in einem vorgeschrittenem Zustande des Verfalls als die-
jenigen der Maya-Städte Yucatans, haben mit diesen eine allgemeine Ähn-
lichkeit in der Gestaltung der Bauwerke und in der Bildhauerarbeit, wäh-
rend die Schriftzeichen der Inschriften im wesentlichen die gleichen sind.
Es scheint daher, daß Copan eine Stadt der Mayas war; trifft dies zu, so
muß es eine ihrer ältesten Ansiedlungen gewesen sein, die in Verfall geriet,
lange bevor die Städte Yucatans ihre Blüte erreichten. Die Zivilisation
der Mayas war von derjenigen der Azteken oder mexikanischen völlig ver-
schieden; sie war eine ältere imd auch viel höher entwickelte Zivilisation."
— Henry C. Walsh in seinem Artikel „Copan, die Totenstadt", Harpers
Weekly, Oktober 1897.
Baldwin faßt die von Bradford veröffentlichten Schlußfolgerimgen
inbezug auf die alten Bewohner Nordamerikas in seinem wertvollen Werk
„Ancient America" folgendermaßen zusammen:
„sie hatten alle den gleichen Ursprung, waren Abkömmlinge der-
selbe Rasse, und hatten gleiche Sitten und Gebräuche;"
„sie waren zahlreich und nahmen einen großen Teil des Landes ein;"
„sie hatten eine bedeutende Höhe der Zi^^lisation erreicht, lebten
in großen Gemeinwesen beisammen und bewohnten ausgedehnte Städte;"
„sie kannten den Gebrauch verschiedener Metalle wie Blei, Kupfer,
Gold und Silber und verstanden wahrscheinlich auch die Kimst, sie zu ver-
arbeiten;"
„sie betrieben die Bildhauerkunst in Stein und benutzten dieses
Material manchmal zum Errichten ihrer Bauten;"
„sie hatten Kenntnis von der Wölbung ziu-ücktretender Treppen,
von der Töpferkunst, der geschmackvollen Anfertigung von Urnen und
Gerätschaften nach den Grundsätzen chemischer Zusammensetzung, und
von der Kunst des Ziegelbrennens;"
„sie beuteten Salzquellen aus und bereiteten Salz;"
„sie waren ein ackerbautreibendes Volk und lebten unter dem Ein-
fluß und Schutz regelrechter Verwaltungsformen;"
,,sie hatten ein bestimmtes Religionssystem und eine Götterlehre,
verknüpft mit der Astronomie, die zusammen mit ihrer Schwesterwissen-
schaft, der Geometrie, in den Händen der Priester ruhte;"
„sie waren in der Kunst des Festungsbaues bewandert;"
„der Zeitpunkt ihrer ersten Ansiedlung in den Vereinigten Staaten
von Nordamerika liegt sehr weit ziu-ück und die einzigen Andeutungen
über ihre Herkunft, die aus der Lage ihrer zerfallenen Bauwerke entnom-
men werden können, weisen auf Mexiko hin." — Baldwin, „Ancient America"
Seite 56.
4. Amerikanische tHjerlieternugen über die Sintflut. — Don Francisco
Munoz de la Vega, der Bischof jener Diözese (Chiapas) bezeugt in der
Vorrede zu seiner „Diocesan Constitutions", daß ein altes Manuskript
der frühern Indianer jener Provinz, welche die Kunst des Schreibens ge-
lernt hatten, sich in seinem Archiv befinde, eine alte Urkunde, welche die
fortgesetzte Überlieferung beibehält, daß der Vater und Gründer ihres
Volkes Teponaliuale genannt wurde, was „Herr des ausgehöhlten Stückes
Holz" bedeutet, daß dieser bei dem Bau der großen Mauer zugegen war
368 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.
(so nannten sie den Turm zu Babel) und mit eigenen Augen die Verwirrung
der Sprachen sah, nach welchem Ereignis ihm Gott, der Schöpfer, befahl,
in diese fernen Länder zu gehen und sie unter die Menschheit zu verteilen."
— Lord Kingsborough, „Mexican Antiquities", Band VIII, Seite 25.
„In der Geschichte der Toltecs wird gesagt, daß dieses Zeitalter und
die erste Welt, wie sie sie nannten, 1716 Jahre dauerte; daß die Menschen
durch schreckliche Regengüsse und Blitze vom Himmel vernichtet wurden
und sogar das ganze Land, oime irgendwelche Ausnahme, selbst die höchsten
Berge 15 cubits (caxtolmolatli) vom Wasser bedeckt und überschwemmt
wurden; hier fügten sie nun des weitern Fabeln darüber an, \sic sich das
Menschengeschlecht von den wenigen, die der Zerstörung in einem „Toptli-
petlocali" entgangen waren, vermehrte, daß dieses Wort etwa eine Bedeu-
tung hatte wie „verschlossener Kasten" und wie dann, nachdem die Men-
schen sich vermehrt hatten, sie einen selu- hohen „Zacuali" errichteten,
der heute ein Turm von sehr großer Höhe sei, um sich in demselben in Sicher-
heit zu bringen, wenn auch die zweite Welt (Zeit) zerstört werden sollte.
Ilire Sprachen wurden aber unversehens verwirrt, sie waren nicht mehr
imstande, einander zu verstehen und gingen nach verschiedenen Teilen
der Erde auseinander." — Siehe das oben angeführte Buch von Kings-
borough, Band IX, Seite 321.
Von den Überlieferungen Amerikas sind die mexikanischen die wich-
tigsten, denn sie scheinen endgültig bestimmt worden zu sein durch sym-
bolische und gedächtniskünstlerische Malereien, bevor irgendeine Fühlung-
nahme mit den Europäern bestand. Nach diesen Überlieferungen war der
Noah der mexikanischen Sintflut Coxox, von andern auch Teocipactli
oder Tezpi genannt. Er hatte sich mit seiner Gattin Xochiquetzal in einer
Barke, nach andern Lesarten auf einem Floß aus Zypressenholz (Cypressus
disticha), gerettet. Malereien, welche die Flut von Coxcox darstellen, sind
bei den Azteken, Mizteken, Zopoteken, Tlascalteken und Mechoacanesen
entdeckt worden. Die Überlieferung der letztern ist noch genauer in Über-
einstimmung mit der Geschichte, wie wir sie im ersten Buch Mose und aus
chaldäischen Quellen haben. Sie erzählt, wie Tezpi sich in einem geräumigen
Schiffe einschiffte, zusammen mit seiner Gattin, seinen Kindern und ver-
schiedenen Tieren und mit Korn, welches zur Ernährung der Menschen
nötig war. Als der große Gott Tezcatlipoca beschloß, daß die Wasser zu-
rückgehen sollten, sandte Tezpi einen Geier aus der Arche hinaus. Der
Vogel, der sich von Leichnamen und Überresten aller Art ernährte, mit
denen die Erde bedeckt war, kehrte nicht zurück. Tezpi sandte andere
Vögel aus, von denen nur der Kolibri zurückkam, mit einem belaubten
Zweig im Schnabel. Als dann Tezpi sah, daß das Land anfing, bewohnbar
zu werden, verheß er seine Barke auf dem Berge Colhuacan." — Donnelly's
„Atlantis", Seite 99.
„Die ÜberUeferung von einer „Flut" war der ausgemachte Glaube,
in der einen oder andern Form, der am meisten zivilisierten Völker der
alten Welt, sowie der Ureinwohner der neuen. Die Azteken verbanden
damit einige besondere Umstände von mehr willkürlichem Charakter,
die den Berichten des Ostens gleichen. Sie glaubten, daß zwei Personen
die Flut überlebten, ein Mann namens Coxcox, und seine Gattin. Ihre
Köpfe werden in alten Malereien dargestellt zusammen mit einem Boot,
am Fuße eines Berges im Wasser schwimmend. Eine Taube ist ebenfalls
darauf abgebildet mit einem hieroglyphischen Sinnbild der Sprache im
Art. 8.] Anmerkungen. 369
Schnabel, das sie den Kindern des Coxcox, die stumm geboren sind, über-
gibt. Das benaciibarte Volk Michoacan, das die gleiche Hochebene in den
Anden bewohnte, hatte eine noch weitergehende Überlieferung, nämlich
die, daß ein Schiff, in welchem Tezpi, ihr Noah, entkam, mit verschiedenen
Arten von Tieren und Vögeln gefüllt war. Nach einiger Zeit wurde ein
Geier ausgesandt, der sich jedoch von den toten Körpern der Riesen nährte,
die auf der Erde lagen als die Wasser zurückgingen. Der kleine Kolibri,
„Huitzitzilin", wurde dann hinausgeschickt, und kehrte mit einem Zweig
im Schnabel zurück. Die Gleichartigkeit dieser Berichte mit den hebräi-
schen und chaldäischen Erzählungen ist in die Augen springend." Pres-
cott, „Conquest of Mexico", Seite 463, 464. —
5. Mexikanische Überlieferungen vom Heiland. „Die Geschichte des
Lebens des mexikanischen Gottes Quetzalcoatl ist derjenigen des Heilandes
sehr ähnlich, so sehr, daß wir tatsächlich zu keinem andern Schluß kommen
können, als daß Quetzalcoatl und Christus ein und dasselbe Wesen sind.
Die Geschichte des ersten ist jedoch aus den unreinen lamanitischen Quellen
zu uns heruntergekommen, wodurch die ursprünglichen Ereignisse und die
Lehren des Heilandes arg entstellt und verzerrt wurden. Von diesem Gott
sagt Humboldt: „Wie überraschend wirkt es, zu finden, daß die Mexikaner,
die doch, wie es scheint, mit der Lehre von der Seelenwanderung nicht be-
kannt waren, an die Fleischwerdung des einzigen Sohnes des allerhöchsten
Gottes-Tomacateuctii - glauben! Bei der mexikanischen Götterlehre, die
von keinem andern Sohn Gottes als nur von Quetzalcoatl spricht — ge-
boren von Chimelman, der Jungfrau von Tula (ohne menschliches Zutun
allein durch den Odem Gottes, worin wohl sein Wort und sein Wille ver-
sinnbildlicht wird, daß es Chimelman von einem himmlischen Boten ver-
kündigt wurde, welchen Gott sandte, ihm mitzuteilen, daß sie einen Sohn
gebären werde — muß angenommen werden, daß dieser Sohn Quetzalcoatl
ist, der einzige Sohn, von dem überhaupt gesprochen vsird. Andere Au-
toren könnten angeführt werden, um zu zeigen, daß die Mexikaner glaubten,
dieser Quetzalcoatl sei sowohl Gott als Mensch, ferner daß er vor seiner
Fleischwerdung von Ewigkeit her gewesen sei, daß er der Schöpfer der
Welt und der Menschen sei, vom Himmel herabstieg, um die Welt durch die
Erduldung des Leidens zu erlösen und zu bessern und daß er schließlich
als König von Tula für die Sünden der Menschen gekreuzigt wurde usw.,
wie dies in den Überlieferungen von Yucatan klar zum Ausdruck kommt
und auch in den mexikanischen Malereien rätselhaft dargestellt wird." —
Präsident John Taylor, „Mediation and Atonement", S. 201.
6. Überreste der hebräischen Sprache bei den Indianerstämmen. —
„Es wird behauptet, daß solche Überbleibsel in den religiösen Liedern und
Zeremonien vieler Stämme oft vorkommen. Eine ganze Anzahl Ver-
fasser, die die Stämme Nordamerikas besuchten oder unter ihnen wohn-
ten, geben an, die Worte Yehovah, Yah, Ale, und Halleluja bestimmt ge-
hört zu haben. Lact und Escarbotus versichern, daß sie die südamerika-
nischen Indianer das heilige Wort Halleluja oft wiederholen hörten." —
George Reynolds, „Language of the Book of Mormon".
370
Die Glaubensartikel.
[Vorl. XVI.
Vorlesung XVI.
Offenbarung in der Vergangenheit, der
Gegenwart und der Zukunft.
Artikel 9. — Wir glauben alles, was Gott geoffenbart hat, alles, was
er jetzt offenbart, und wir glauben, daß er noch viel große und wich-
tige Dinge offenbaren wird inbezug auf das Reich Gottes.
1. Was ist Offenbarung? — In theologischem Sinne
bedeutet der Ausdruck „Offenbarung" die Bekanntma-
chung göttlicher Wahrheit durch himmlische Vermittlung.
Das griechische Wort „Apocalypsis", das unserm Wort
„Offenbarung" entspricht, drückt das Aufdecken oder
Enthüllen dessen aus, das ganz oder teilweise verborgen
war, oder auch das Wegziehen eines Schleiers. Mit der
verdeutschten Form des griechischen Ausdruckes „Apo-
kalypse" wird manchmal jene besondere, dem Apostel
Johannes auf der Insel Patmos zuteil gewordene Offenba-
rung bezeichnet, die das letzte Buch in unserm heutigen
Neuen Testament bildet. Göttliche Offenbarung kann,
wie aus zahlreichen Beispielen aus der Schrift erhellt, im
Enthüllen oder Erklären göttlicher Eigenschaften be-
stehen, oder auch in einer Bekanntmachung des göttlichen
Willens in menschlichen Angelegenheiten.
2. Manchmal wird dem Worte Inspiration eine Be-
deutung beigelegt, die der der Offenbarung gleichkommt,
obschon Inspiration durch seinen Ursprung und seine erste
Anwendung eine ganz bestimmte eigene Bedeutung besaß.
Inspirieren heißt wörtlich , .durch den Geist beleben".
Ein Mensch ist inspiriert, wenn er unter dem Einfluß einer
Art. 9.] Offenbarung. 371
andern als seiner eigenen Kraft steht. Göttliche Inspi-
ration kann man als eine leisere und weniger umfassende
Kundgebung des himmlischen Einflusses auf einen Men-
schen betrachten, als es bei einer Offenbarung der Fall ist.
Der Unterschied zwischen den beiden besteht mithin mehr
in einer Verschiedenheit des Grades, als in einer solchen
des Wesens und der Natur der Sache. Bei keinem der bei-
den leitenden Vorgänge nimmt der Herr dem Menschen
seine Handlungsfreiheit oder seine Persönlichkeit, i) Dies
erhellt namentlich aus den bemerkenswerten Eigenheiten
der Schreibweise, die für die verschiedenen Bücher der
Heiligen Schrift bezeichnend sind. Bei der Erteilung einer
Offenbarung wird jedoch auf dem menschlichen Empfänger
der gottgegebenen Botschaft ein mehr unmittelbarer Ein-
fluß ausgeübt, als bei der schwächern, deshalb aber nicht
weniger göttlichen Wirkung der Inspiration.
3. Die Unmittelbarkeit und Klarheit, mit der Gott
mit den Menschen in Verbindung treten kann, richtet sich
nach der Reinheit und allgemeinen Befähigung der betref-
fenden Person. Der eine ist vielleicht nur für die Inspi-
ration in ihrer niedern und einfachem Form empfänglich,
der andere dagegen kann für diese Kraft so sehr empfind-
lich und empfänglich sein, daß er unmittelbare Offenba-
rungen zu empfangen vermag, wobei sich dann dieser
höhere Einfluß selbst wiederum in verschiedenen Graden
und in völligerer oder geringerer Enthüllung der göttlichen
Persönlichkeit kundgibt. Beachten wir, was der Herr
zu Aaron und Mirjam sagte, als sie sich einer unehrerbie-
tigen Haltung gegenüber Mose, dem erwählten Offenbarer,
schuldig machten: ,,Da kam der Herr hernieder in
der Wolkensäule und trat in der Hütte Tür und rief
Aaron und Mirjam; und die gingen beide hinaus. Und
•) Siehe Anmerkung 1 und 3.
372 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI.
er sprach: Höret meine Worte: Ist jemand unter euch ein
Prophet des Herrn, dem will ich mich kundmachen in einem
Gesicht oder will mit ihm reden in einem Traum. Aber
nicht also mein Knecht Mose, der in meinem ganzen Hause
treu ist. Mündlich rede ich mit ihm, und er sieht den Herrn
in seiner Gestalt, nicht durch dunkle Worte oder Gleich-
nisse."i)
4. Wir haben gesehen, daß zu den ausschlaggebend-
sten Beweisen des Daseins eines höchsten Wesens der-
jenige gehört, den uns die unmittelbare Offenbarung von
Gott selbst liefert, und daß ferner eine gewisse Erkenntnis
von den Eigenschaften und der Persönlichkeit Gottes nötig
ist, um einen wirksamen Glauben an ihn ausüben zu
können. Wir können ein Wesen, dessen Dasein für uns
nur eine Sache der Ungewißheit und bloßen Vermutung
ist, nur unzulänglich verehren. Sollen wir unserm Schöpfer
unbedingt vertrauen und ihn lieben, so müssen wir zuvor
etwas von ihm wissen. Zwar wird der Schleier der Sterb-
lichkeit mit seinem ganzen undurchdringlichen Dunkel
das Licht der göttlichen Gegenwart vor dem sündenbe-
deckten Menschenherzen verschließen ; der trennende Vor-
hang kann indessen weggezogen werden, sodaß das himm-
lische Licht die Seele des Rechtschaffenen erleuchtet.
Das lauschende Ohr, harmonisch gestimmt auf die Töne
der himmlischen Musik, hat die Stimme Gottes, die seine
Persönlichkeit und seinen Willen verkündigt, gehört, —
das von dem Staube oder der Verblendung der Sünde ge-
reinigte Auge, lauter und einfältig in seinem Suchen nach
Wahrheit, hat die Hand Gottes sichtbarlich wahrgenom-
men, — der durch Ergebung in den göttlichen Willen und
durch Demut gehörig gereinigten Seele sind die Pläne
Gottes geoffenbart worden.
i) 4. Mose 12:5—8.
Art. 9.] Offenbarung. 373
5. Offenbarung ist das Mittel, wodurch Gott mit den
Menschen verkehrt. Wir kennen keine Zeit, in der ein
bevollmächtigter Diener Gottes auf Erden gewesen wäre,
ohne daß ihm der Herr seinen Willen inbezug auf das Volk
kundgemacht hätte. Es wurde schon gezeigt, daß kein
Mensch von sich aus, d. h. auf Grund seiner eigenen Veran-
lassung, die Ehre und Würde des geistlichen Amtes auf
sich nehmen kann. Ein bevollmächtigter Diener des Evan-
geliums muß ,,von Gott berufen sein durch Offenbarung
und durch das Auflegen der Hände derer, die göttliche
Vollmacht dazu haben" und diejenigen, die „göttliche
Vollmacht dazu haben" müssen auf gleiche Weise dazu
berufen worden sein. Ist der Erwählte in dieser Weise
beauftragt worden, so spricht er, wenn er das Evangelium
predigt und in dessen Verordnungen amtiert, kraft einer
höhern Machtbefugnis als seiner eigenen, und er kann so
für das Volk zum Propheten werden. Der Herr hat seine
auf diese Weise auserkorenen Diener jederzeit anerkannt
und geehrt; er hat ihr Amt im Verhältnis zu ihrer eigenen
Würdigkeit erweitert, indem er sie zu lebendigen Orakeln
seines Willens machte. Diese Wahrheit hat für alle Dis-
pensationen des Werks Gottes Geltung gehabt.
6. Es ist das Vorrecht des heiligen Priestertums, mit
den Himmeln in Verbindung zu treten und unmittelbar
den Willen Gottes kennen zu lernen. Diese Verbindung
kann durch Traum oder Gesicht, durch den Besuch von
Engeln, oder durch die höhere Gabe des Umgangs mit dem
Herrn von Angesicht zu Angesicht Zustandekommen. i)
Die inspirierten Aussprüche von Männern, welche sprechen,
getrieben vom heiligen Geist, werden für das Volk zur
„Heiligen Schrift". 2) Gott hat verheißen, daß er insbe-
sondere das Mittel der Offenbarung anerkennen werde,
') Siehe Seite 41 — 45 und Vorlesung XII.
») Lehre u. Bündn. 68:4.
374 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI.
um seinen Willen und seine Absichten der Menschheit
kund zu tun. „Denn der Herr, Herr tut nichts, er offenbare
denn sein Geheimnis den Propheten, seinen Knechten, "i)
Nicht alle Menschen können die Stellung eines besondern
Propheten erlangen: „Das Geheimnis des Herrn ist unter
denen, die ihn fürchten ; und seinen Bund läßt er sie wissen. "^j
Solche Männer sind Offenbarer der Wahrheit, bevorrech-
tigte Ratgeber und Freunde Gottes. 3)
7. Offenbarung in früherer Zeit. Dem großen Patriar-
chen Adam, dem die Schlüssel der ersten Dispensation
übergeben worden waren, offenbarte Gott seinen Willen
und gab ihm Gebote.^) Adam verkehrte in dem Zustande
kindlicher Unschuld, in dem er vor dem Sündenfall lebte,
unmittelbar mit Gott. Der Mensch wurde jedoch infolge
seiner Übertretung aus dem Garten Eden vertrieben. Er
nahm aber eine gewisse Erinnerung an seinen frühern
glücklichen Zustand mit sich, so z.. B. eine persönliche
Gewißheit von dem Dasein und den Eigenschaften seines
Schöpfers. Während er unter der vorausgesagten und an
ihm erfüllten Strafe im Schweiße seines Angesichtes die
Erde bebaute, um sein tägliches Brot zu gewinnen, fuhr
er fort, den Herrn anzurufen. Eines Tages, als Adam und
seine Gattin Eva beteten und arbeiteten, „hörten sie die
Stimme des Herrn, aus der Richtung gegen den Garten
Eden, zu ihnen sprechend, und sie sahen ihn nicht, denn
sie waren von seiner Gegenwart ausgeschlossen, und er gab
ihnen Gebote."^)
8. Die Patriarchen, die nach Adam kamen, wurden in
verschiedenem Grade mit der Gabe der Offenbarung ge-
M Arnos 3:7; siehe auch 1. Nepiai 22:2.
') Psalm 25:14.
') Johannes 15:14 — 15.
') 1. Mose 2:15—20; Köstl. Perle, Moses 3:16, 17.
*) Köstl. Perle, Moses 5:4 — 5; siehe auch Lehre u. Bündn., Vorlesung
über- Glauben 2:19—25.
Art. 8.] OfTenbarung. 375
segnet. Henoch, der siebte in absteigender Linie, wurde
in besonderm Maße damit ausgestattet. Wir erfahren
aus dem Alten Testament daß Henoch „in einem gött-
lichen Leben blieb" und daß ihn Gott, als er ein Alter
von 365 Jahren erreicht hatte, zu sich nahm, ,,und er ward
nicht mehr gesehen",^) Aus dem Neuen Testament^)
erfahren wir etwas mehr über sein Wirken und in der
„Köstlichen Perle" wird uns von dem Verkehr des Herrn
mit diesem auserwählten Seher ein noch vollständigerer
Bericht gegeben. =^) Nicht nur der Plan der Erlösung wurde
ihm geoffenbart, sondern auch die. zukünftige Geschichte
der Menschheit bis hinunter zur „Mitte der Zeiten" und von
da an über das Tausendjährige Reich zum Jüngsten Ge-
richt. — Dem Noah offenbarte Gott seine Absichten
über die drohende Sintflut. Durch seine prophetische
Stimme wurde das Volk gewarnt und zur Buße gerufen.
Es verwarf und verachtete die mahnende Botschaft und
kam infolgedessen in seinen Sünden um. — Mit Abraham
richtete der Herr seinen Bund auf und offenhalte ihm den
Verlauf der Schöpfungsereignisse.^) Der Bund mit Abra-
ham wurde auch auf Isaak und Jakob bestätigt.
9. Durch Offenbarung wurde Mose von Gott beauf-
tragt, Israel aus der Knechtschaft zu führen. Aus dem
brennenden Busch erging die Stimme des Herrn an den
auserwählten Mann: „Ich bin der Gott deines Vaters,
der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. "5)
Während all der bewegten Auftritte zwischen Mose und
Pharao setzte der Herr seine Offenbarungen an seinen
Diener fort und dieser erschien im Glänze dieser göttlichen
Begabung dem heidnischen König gegenüber als wahrhaf-
1) 1. Mose 5:18—24.
») Judas 14.
') Köstl. Perle, Moses Kap. 6 und 7.
*) 1. Mose, Kapitel 17 und 18; Köstl. Perle, Buch Abrahams.
') 2. Mose 3:2—6.
376 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI.
tiger Gott.i) Und auch während der vierzigjährigen be-
schwerhchen Wanderung durch die Wüste hörte der Herr
nicht auf, seinen auserwählten Diener anzuerkennen. —
So können wir der Spur der Offenbarer folgen — Männern,
die, jeder zu seiner Zeit, als Vermittler zwischen Gott und
dem Volke standen, aus der göttlichen Quelle Belehrun-
gen erhielten und sie an das Volk weitergaben — von
Mose zu Josua, dann durch die Reihe der Richter auf
David und Salomo bis hinunter auf Johannes den Täufer,
den unmittelbaren Vorläufer des Messias.
10. Christus war selbst ein Offenbarer. — Ungeachtet
seiner persönlichen Autorität, und obgleich er schon zu-
vor ein Gott gewesen und es immer noch war, erklärte
Christus doch, — als er als Mensch unter den Menschen
lebte, — daß sein Werk das eines größern, das Werk dessen
ist, der ihn gesandt hat, und von dem er Belehrungen
und Gebote empfängt. Beachten wir seine Worte „Denn
ich habe nicht von mir selber geredet; sondern der Vater,
der mich gesandt hat, der hat mir ein Gebot gegeben,
was ich tun und reden soll. Und ich weiß, daß sein Gebot
ist das ewige Leben. Darum, was ich rede, das rede ich
also, wie mir der Vater gesagt hat. "2) Ferner: „Ich kann
nichts von mir selber tun. Wie ich höre, so richte ich, und
mein Gericht ist recht; denn ich suche nicht meinen Willen,
sondern des Vaters Willen, der mich gesandt hat."^) Und
nochmals: „Die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich
nicht von mir selbst. Der Vater aber, der in mir wohnt,
der tut die Werke;*** und also tue ich, wie mir der Vater
geboten hat."*)
') 2. Mose 4:16; 7:1.
') Johannes 12:49 — 50.
") Johannes 5:30.
•) Johannes 14:10, 31.
Art. 9.] Offenbarung. 377
11. Auch die Apostel, denen nach dem Scheiden ihres
Herrn und Meisters die Verantwortung für die Kirche
zufiel, blickten zum Himmel um Beistand und Leitung.
Von dort erwarteten und erhielten sie das Wort der Offen-
barung, das sie in ihrem hohen Amt leiten und führen
sollte. Paulus schrieb an die Korinther: „Uns aber hat es
Gott geoffenbart durch seinen Geist; denn der Geist er-
forscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit. Denn
welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, ohne der Geist
des Menschen, der in ihm ist? Also auch weiß niemand,
was in Gott ist, ohne der Geist Gottes. Wir aber haben
nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist
aus Gott, daß wir wissen können, was uns von Gott ge-
geben ist."i)
12. Der Apostel Johannes erklärte ebenfalls, daß das
Buch, das in besonderm Sinne als die ,, Offenbarung" be-
kannt ist, nicht durch seine eigene Weisheit zustandekam,
sondern, daß sie ist ,,die Offenbarung Jesu Christi, die ihm
Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in der
Kürze geschehen soll; und er hat sie gedeutet und gesandt
durch seinen Engel zu seinem Knecht Johannes. "2) ^.^
13. Fortdauernde Offenbarung ist notwendig. Die
Tatsache, daß Gott von Adams Zeiten an bis auf Johannes
den Offenbarer die Angelegenheiten seines Volkes in per-
sönlicher Gemeinschaft mit seinen Dienern leitete, ist aus
den heiligen Schriften klar und deutlich ersichtlich. Als
das geschriebene Wort — die aufgezeichneten Offenbarun-
gen, die zuvorgegeben worden waren — mit der Zeit zunahm,
wurde es für das Volk zum Gesetz, aber zu keiner Zeit
wurde dies als genügend erachtet. Während die Offen-
barungen der Vergangenheit als Führer für das Volk stets
') 1. Korinther 2 : 10—12.
») Offenbarung Joh. 1:1.
378 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI.
unentbehrlich gewesen sind — indem sie den Plan und die
Absichten Gottes für besondere Verhältnisse vor Augen
führten — können sie doch nicht allgemein und unmittel-
bar auf die Verhältnisse nachfolgender Zeiten angewandt
werden. Viele der geoffenbarten Gesetze sind von all-
gemeiner Geltung für alle Menschen zu allen Zeiten, so
z.B. die Gebote „Du sollst nicht stehlen" — „Du sollst nicht
töten" — „Du sollst nicht falsches Zeugnis reden" und andere
Vorschriften, die sich auf die Pflichten des Menschen ge-
genüber seinen Mitmenschen beziehen, Gebote, von denen
die meisten so offenkundig gerecht sind, daß sie von dem
menschlichen Gewissen ohne weiteres gebilligt werden,
auch ohne den direkten göttlichen Befehl hierzu. Andere
Gesetze mögen in ihrer Anwendung gleichartig sein, leiten
jedoch ihre Gültigkeit als göttliche Verordnungen von der
Tatsache ab, daß sie von maßgebender Stelle als solche
besonders eingesetzt wurden. Als ein Beispiel dieser Art
kann das Gebot über die Heiligung des Sonntags betrachtet
werden, oder die Notwendigkeit der Taufe als ein Mittel
zur Vergebung der Sünden, oder die Verordnungen des
Händeauflegens, des Abendmahles usw. Dazu wurden uns
dann noch Offenbarungen andrer Art überliefert, und
zwar solche, die gegeben worden sind, um den Umständen
besonderer Zeiten gerecht zu werden. Diese können als
besondere, den Verhältnissen entsprechende Offenbarun-
gen angesehen werden, z. B. das Gebot an Noah : eine
Arche zu bauen und das Volk zu warnen; das Gebot an
Abraham : sein Heimatland zu verlassen und nach einem
fremden Lande zu ziehen ; der Befehl an Mose — und durch
ihn an das ganze Volk Israel — inbezug auf den Auszug
aus Ägypten; die dem Propheten Lehi gewordene Offen-
barung, worin ihm geboten wurde, mit seiner Familie die
Stadt Jerusalem zu verlassen ; die Offenbarung, die ihrer
Reise durch die Wüste die Richtung wies, den Bau eines
Art. 9.] Offenbarung. 379
Schiffes veranlaßte und sie schließlich über das große
Wasser nach einem andern Erdteil führte.
14. Es ist nicht nur vernunftwidrig, sondern es wider-
spricht auch ganz und gar unserer Vorstellung von der
unveränderlichen Gerechtigkeit Gottes, zu glauben, er
werde in der einen Dispensation seine Kirche mit fortlau-
fenden Offenbarungen seines Willens segnen und in der
andern die Kirche, die doch seinen Namen trägt, sich selbst
überlassen, um so gut es eben gehen mag, nach den
Gesetzen eines vergangenen Zeitalters zu leben. Wohl
ist es wahr, daß infolge eines Abfalles die Vollmacht des
Priestertums eine Zeitlang von der Erde weggenommen
wurde, sodaß sich das Volk in einem Zustand geistiger
Finsternis befand, und ihm die Fenster des Himmels ver-
schlossen waren, aber in solchen Zeiten hat Gott keine
der irdischen Kirchen als die seine anerkannt. Und kein
Prophet hat alsdann mit Vollmacht erklärt: ,,So spricht
der Herr!"
15. Zur Unterstützung der Lehre, daß fortlaufende
Offenbarung, die den jeweiligen Zeitumständen angepaßt
ist, ein Kennzeichen darstellt für den Umgang Gottes mit
seinem Volk, können wir die Tatsache anführen, daß
Gesetze gegeben worden sind, welche aufgehoben wurden,
sobald eine höhere Stufe des göttlichen Planes erreicht
war. So war z. B. das Gesetz Mose^) für das Volk Israel
streng verbindlich während der Zeit vom Auszug aus
Ägypten bis zur Geburt Christi, aber seine Aufhebung
wurde von dem Heiland selbst verkündigt^) und dafür ein
höheres Gesetz, als das der ,, fleischlichen Gebote", das
„der Übertretung wegen eingeführt worden war", gegeben.
16. Aus den angeführten Schriftstellen und zahlrei-
chen andern Versicherungen der Heiligen Schrift geht
') 2. Mose 21 ; 3. Mose
') Matthäus 5: 17 — 48.
380 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI.
klar hervor, daß fortwährende Offenbarung stets ein
Merkmal der wahren Kirche gewesen ist. Es ist ebenso
klar, daß für die Kirche, in einem organisierten Zustand
auf der Erde, auch heute Offenbarung unentbehrlich ist.
Wenn ein Mensch von Gott berufen sein muß „durch Offen-
barung",i) damit er mit Vollmacht das Evangelium ver-
kündigen und in dessen Verordnungen amtieren kann,
so ist offenkundig, daß beim Fehlen direkter Offenbarung,
die Kirche ohne bevollmächtigte Diener bleiben und in-
folgedessen absterben würde. Die Propheten und Patriar-
chen vor alters, die Richter und die Priester und jeder
bevollmächtigte Diener von Adam an bis zu Maleachi
wurden durch unmittelbare Offenbarung, wie sie sich
durch das besondere Wort Prophezeiung kundtat, berufen.
Dies war genau so der Fall mit Johannes dem Täufer,^)
mit Christus^) selbst, mit seinen Aposteln und den unter-
geordneten Beamten*) der Kirche, solange eine von Gott
anerkannte Organisation auf Erden verblieb. Ohne die
Gabe fortlaufender Offenbarung kann es keine bevoll-
mächtigte Amtstätigkeit auf Erden geben und ohne
rechtmäßig beauftragte Beamte kann keine Kirche Christi
bestehen.
17. Offenbarung ist für die Kirche unentbehrlich,
nicht allein zur richtigen Berufung und Einsetzung ihrer
Diener, sondern auch zur Anweisung und Leitung dieser
Diener in ihrer Amtstätigkeit: die Grundsätze der Er-
lösung mit Vollmacht zu lehren, das Volk zu ermahnen,
zu ermutigen und wenn nötig zu tadeln und ihm durch
Prophezeiungen den Willen Gottes inbezug auf seine
Kirche für die Gegenwart und die Zukunft zu verkündigen.
') Siehe Vorlesung X, Seite 221.
^) Lukas 1:13—18.
') Johannes 15: Apostelgeschichte 1:12 — 26.
*) Apostelgeschichte 20:28; 1. Timotheus 4:14; Titus 1:5.
Art. 9.] Offenbarung. 381
Die Verheißung der Seligkeit ist weder durch Zeit noch
durch Ort noch durch Person begrenzt. So lehrte wenig-
stens Petrus am Pfingsttage, als er der Menge verkündigte,
daß auch sie zu dieser Segnung berufen sei: „Denn euer
und eurer Kinder ist diese Verheißung" sprach er, „und
aller, die ferne sind, welche Gott, unser Herr, herzurufen
wird."^) Die Seligkeit mit allen Gaben Gottes war yor
alters sowohl für die Juden wie für die Griechen, ,,es ist
aller zumal ein Herr, reich über alle, die ihn anrufen. "2)
18. Einwendungen angeblieh aus der Heiligen Schrift.
Die Gegner der Lehre von der fortlaufenden Offenbarung
führen unter grober Verdrehung der Bedeutung gewisse
Schriftstellen an, um damit ihre Ketzerei zu unter-
stützen. Zu diesen Stellen gehören die nachstehend an-
geführten. Die Worte des Offenbarers Johannes, mit
denen er sein Buch beschließt, lauten: ,,Ich bezeuge allen,
die da hören die Worte der Weissagung in diesem Buch:
So jemand dazusetzet, so wird Gott zusetzen auf ihn die
Plagen, die in diesem Buche geschrieben stehen. Und so je-
mand davontut von den Worten des Buchs dieser Weis-
sagung, so wird Gott abtun sein Teil vom Holz des Lebens
und von der heiligen Stadt, davon in diesem Buch
geschrieben ist."^)
Diese Stelle auf die Bibel anzuwenden, so wie diese
späterhin zusammengestellt wurde, ist völlig ungerecht-
fertigt, denn als Johannes dies niederschrieb, wußte er
sicherlich nichts davon, daß sein Buch dereinst den Schluß-
teil einer Zusammenstellung bilden würde, wie wir
sie heute in unserer Bibel besitzen. Johannes hatte
seine eigenen Worte im Auge, die ihm durch Offen-
barung gegeben worden und die infolgedessen heilig
*) Apostelgeschichte 2:39.
2) Römer 10:12; Galater3:28; Kolosser 3:11.
') Offenbarung Joh. 22:18 — 19; Lehre u. Bünndn. Abscbn. 20:35.
382 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI.
waren; diese zu verändern, sei es durch Weglassung oder
Hinzufügung, würde gleichbedeutend sein mit dem Ab-
ändern des Wortes Gottes. Irgend einen andern Teil des
Wortes Gottes abzuändern wäre eine genau so große Sünde.
Aber auch hiervon abgesehen, ist in dieser Schriftstelle
nicht das geringste davon gesagt, daß der Herr nicht auch
voH dem darin geoffenbarten Wort wegnehmen oder dazu
tun dürfe; gesagt wird nur, daß kein Mensch den Bericht
ungestraft ändern könne.
19. Ein ähnliches Verbot, das göttliche Wort abzu-
ändern, wurde von Mose^) ausgesprochen, und zwar 1500
Jahre früher als Johannes das erwähnte niederschrieb,
aber ebenfalls mit einer ähnlich beschränkten Geltung.
Ein anderer Einwand gegen die Möglichkeit der Offenbarung
in unsern Tagen, gründet sich angeblich auf das Wort
des Paulus von den Schriften, die uns unterweisen können
zur Seligkeit, 2) das er an Timotheus schrieb: „Denn alle
Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur
Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtig-
keit, daß ein Mensch Gottes sei vollkommen, zu allem
guten Werk geschickt. "3) In der gleichen Absicht wird
auch des Paulus Bemerkung gegenüber den Ältesten zu
Ephesus angeführt. Die Stelle lautet: ,,Ihr wisset, ***wie
ich nichts verhalten habe, das da nützlich ist, daß ichs
euch nicht verkündigt hätte und euch gelehrt öffentlich
und sonderlich, *** denn ich habe euch nichts verhalten,
daß ich nicht verkündigt hätte all den Rat Gottes."*)
Es wird gesagt, daß wenn die Heilige Schrift, die er kannte,
genügt, um Timotheus zur „Seligkeit zu unterweisen
und einen Menschen Gottes vollkommen zu allen guten
') 5. Mose 4:2; 12:32.
') 2. Timotheus 3:15.
») 2. Timotheus 3:16— 17.
♦) Apostelgesch. 20:18 — 27.
I
Art. 9.] Offenbarung. 383
Werken geschicktzu machen", dann genüge dieselbe Heilige
Schrift auch für alle andern Menschen bis an der Zeiten
Ende. Desgleichen: Wenn die den Ältesten der Ephe-
ser verkündigte Lehre „all den Rat Gottes" darstellt,
so sei kein weiterer Rat mehr zu erwarten. Als Antwort
hierauf genügt es wohl, zu sagen, daß die Gegner
beständiger Offenbarungen, welche ihren schriftwidrigen
Standpunkt mit der erzwungenen Auslegung solcher
Stellen verteidigen möchten, — wollten sie ihre eigene
Lehre selbst befolgen — gezwungen wären, alle nach diesen
Aussprüchen Pauli von den Aposteln noch gegebenen
Offenbarungen — einschließlich der Offenbarung Johannes
— zu verwerfen.
20. Ebenso albern ist die Behauptung : Christi letztes
Wort am Kreuz ,,es ist vollbracht" bedeute das Ende
aller Offenbarung. Wir sehen gerade denselben Jesus,
wie er nachher als auferstandener Herr sich selbst seinen
Aposteln offenbart und ihnen weitere Offenbarungen
verheißt,^) und ihnen verspricht, sie zu begleiten bis an das
Ende der Welt. 2) Aber auch davon abgesehen: Wären die
Worte des Gekreuzigten mit dieser Absicht gesprochen
worden, so müßten die Apostel, die ihr Leben lang durch
Offenbarung lehrten, als Betrüger betrachtet werden.
21. Um den Bannfluch zu rechtfertigen, mit dem die
Gegner heutiger Offenbarung die zu verfolgen suchen,
die an den fortdauernden Zufluß des Wortes Gottes an
seine Kirche glauben, wird auch die nachstehende Prophe-
zeiung des Sacharja angeführt. „Zu der Zeit, spricht der
Herr Zebaoth, will ich der Götzen Namen ausrotten aus
dem Lande, daß man ihrer nicht mehr gedenken soll;
dazu will ich auch die Propheten und unreinen Geister
aus dem Lande treiben; daß es also gehen soll: wenn je-
') Lukas 24:49.
») Matthäus 28:20; siehe auch Markus 16:20.
384 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI.
mand weiter weissagt, sollen sein Vater und seine Mutter,
die ihn gezeuget haben, zu ihm sagen : Du sollst nicht leben,
denn du redest Falsches im Namen des Herrn ; und werden
also Vater und Mutter, die ihn gezeuget haben, ihn zer-
stechen wenn er weissaget. Denn es soll zu der Zeit ge-
schehen, daß die Propheten mit Schanden bestehen mit
ihren Gesichten, wenn sie weissagen, "i)
Die Zeit, von der hier gesprochen wird, scheint noch
in der Zukunft zu liegen; soviel aber ist sicher, daß die
„Götzen" und die , »unreinen Geister" noch Einfluß haben,
und ferner ist Tatsache, daß die hier erwähnten „Pro-
pheten" falsche sind, angedeutet durch Sacharjas Gleich-
stellung mit den Götzen und unreinen Geistern.
22. Derartige Versuche, wie sie unter Verdrehung der
Bedeutung der angeführten Schriftstellen unternommen
werden, um der Lehre von der fortlaufenden Offenbarung
entgegenzutreten, erweisen sich als jämmerlich und erfolglos.
Sie tragen ihre Widerlegung an der eigenen Stirn und lassen
die Wahrheit unberührt : daß nämlich der Glaube an neu-
zeitliche Offenbarung durchaus vernünftig und streng
schriftgemäß ist. 2)
23. Neuzeitliche Offenbarung. Im Lichte unserer Er-
kenntnis von der Beständigkeit fortlaufender Offenbarung
als einem wesentlichen Merkmal der Kirche, ist es ebenso
vernünftig, heute nach neuen Offenbarungen auszuschauen,
wie an das Vorhandensein dieser Gabe in alten Zeiten
zu glauben. „Wo keine Weissagung ist, wird das Volk
wild und wüst"^) wurde vor alters erklärt und gewiß ist
es am Platze in „Weissagung" auch Offenbarung einzu-
schließen, denn diese letzte Gabe wird oft durch Träume
und Weissagung bezeichnet. Dennoch sind die sogenannten
') Sacharja 13:2 — 4.
") Siehe Anmerkung 2.
») Sprüche 29:18.
Art. 9.] Offenbarung. 385
christlichen Sekten trotz der ausgiebigsten und deut-
lichsten Beweise und Zeugnisse aus der Heiligen Schrift
einig in der Behauptung, daß mit den Aposteln, oder sogar
schon vorher, die Offenbarungen aufgehört hätten, daß
weitere Gemeinschaft mit den Himmeln unnötig, und etwas
derartiges zu erwarten, schriftwidrig sei. Indem die sonst
uneinigen Sekten des Tages diesen Standpunkt vertreten,
befinden sie sich auf dem gleichen Wege wie die Ungläu-
bigen früherer Zeiten. Die abtrünnigen Juden verwarfen
den Heiland, weil er mit neuen Offenbarungen zu ihnen
kam. Hatten sie nicht Mose und die Propheten als Füh-
rer? Wen brauchten sie sonst noch? Sie prahlten öffent-
lich: „Wir sind Moses Jünger" und fügten hinzu ,,Wir
wissen, daß Gott mit Mose geredet hat; von wannen
aber dieser ist, wissen wir nicht. "i)
24. Die Heilige Schrift, weit davon entfernt, ein
Aufhören der Offenbarungen für die letzten Tage vorherzu-
sagen, erklärt im Gegenteil die Fortdauer dieser Gabe
unter dem Volk des Herrn. Johannes der Offenbarer sah
voraus, daß in den letzten Tagen das Evangelium durch
einen Engel wiedergebracht werden sollte: ,,Und ich sah
einen Engel fliegen, mitten durch den Himmel, der hatte
ein ewiges Evangelium zu verkünden denen, die auf Erden
wohnen, und allen Heiden und Geschlechtern und Spra-
chen und Völkern". 2) Er wußte außerdem, daß man in den
letzten Tagen die Stimme Gottes vernehmen sollte, wie
sie das Volk des Herrn aus Babylon nach einem Ort der
Sicherheit ruft: ,,Und ich hörte eine andere Stimme vom
Himmel, die sprach: Gehet aus von ihr, mein Volk, daß
ihr nicht teilhaftig werdet ihrer Sünden, auf daß ihr
nicht empfanget von ihren Plagen. "3)
>) Johannes 9:28 — 29.
«) Offenb. Joh. 14:6.
») Offenb. Joh. 18:4.
25
386 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV I.
25. Das Buch Mormon ist nicht weniger deutlich in sei-
ner Feststellung, daß in den letzten Tagen unmittelbare
Offenbarung als eine Segnung auf der Kirche ruhen werde.
Es sei nur auf die durch Ether den Jarediten gegebene Pro-
phezeiung hingewiesen ; aus ihrem Zusammenhang geht her-
vor, daß unter der Zeit, von der gesprochen wird, die letzte
Dispensation zu verstehen ist. ,,An dem Tage, da sie
(die Heiden) ihren Glauben an mich bewähren werden,
so wie Jareds Bruder es getan hat, sagt der Herr, so daß
sie in mir geheiligt werden, dann werde ich ihnen die Dinge
verkündigen, welche Jareds Bruder sah, ja sogar ihnen alle
Offenbarungen enthüllen, sagt Jesus Christus, der Sohn
Gottes, der Vater der Himmel und der Erde und aller Dinge,
die darin enthalten sind. *** Wer aber diese Dinge glaubt,
welche ich geredet habe, dem will ich die Offenbarungen
meines Geistes verleihen, und er soll erkennen und Zeug-
nis davon geben. "i)
26. Lehi führt anläßlich der Belehrung seiner Söhne
eine Prophezeiung Josephs, des Sohnes Jakobs an, die uns
in der Zusammenstellung von Büchern, welche wir als
die Bibel kennen, nicht berichtet wird. Sie hat insbeson-
dere Bezug auf das Werk Josephs, des Propheten unserer
Tage. „Ja, Joseph sagte wirklich: So spricht der Herr zu
mir: Einen auserwählten Seher will ich aus der Frucht
deiner Lenden erwecken; und er soll unter der Frucht
deiner Lenden hoch geschätzt werden. Und ihm werde
ich Befehl geben, daß er ein Werk für die Frucht deiner
Lenden, seine Brüder, tue, welches einen großen Wert
für sie haben wird, um sie zu der Erkenntnis der Bündnisse
zu bringen, die ich mit deinen Vätern gemacht habe". 2)
27. Nephi, der Sohn Lehis, sprach durch Prophezeiung
von den letzten Tagen, wo viele Heiden ein Zeugnis
') Ether 4:7, 11.
») 2. Nephi 3:7.
Art. 9.] Offenbarung. 387
von Jesus Christus erhalten würden, mit vielen Zeichen und
wunderbaren Kundgebungen — „und daß er sich durch die
Macht des Heiligen Geistes allen denen, welche an ihn
glauben, offenbart, ja, allen Nationen, Sprachen und Völ-
kern, indem er mächtige Wahrzeichen, Zeichen und Wun-
der unter den Menschenkindern verrichtet, ihrem Glauben
gemäß. Aber sehet, ich prophezeie euch über die letzten
Tage, über die Tage, an welchen Gott, der Herr, diese
Dinge auf die Menschenkinder bringen wird."^)
28. Der gleiche Prophet erteilt den Ungläubigen der
letzten Tage einen scharfen Verweis und sagt das Hervor-
kommen weiterer heiliger Schriften voraus: „Und es wird
geschehen, daß Gott, der Herr, unter euch die Worte eines
Buches bringen wird, und es werden die Worte derer sein,
die geschlummert haben. Und das Buch wird versiegelt
sein, und in dem Buch wird eine Offenbarung von Gott,
von Anfang bis zum Ende der Welt sein. "2)
29. Als der Heiland zu den Nephiten redete, wieder-
holte er die Prophezeiungen Maleachis inbezug auf die
Offenbarung, die vor dem zweiten Kommen Christi durch
den Propheten Elia gegeben werden sollte: ,, Siehe, ich will
euch senden den Propheten Elia, ehe denn da komme der
große und schreckliche Tag des Herrn. Der soll das Herz
der Väter bekehren zu den Kindern und das Herz der Kin-
der zu ihren Vätern, daß ich nicht komme und das Erd-
reich mit dem Bann schlage". 3)
30. Durch Offenbarungen in unseren Tagen hat der
Herr seine frühern Verheißungen bestätigt und erfüllt
und hat insbesondere jene getadelt, die seinen Mund ver-
schließen und sein Volk ihm entfremden möchten.
i) 2. Nephi 26:13—14.
«) 2. Nephi 27:6—7.
') 3. Nephi 25:5 — 6; siehe auch Maleachi 4:5 — 6; Seite 13, 184 — 186
dieses Buches, und für die Erfüllung Lehre u. Bündn. 110:13.
388 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI.
Heute vernehmen wir seine Stimme: ,,***um der
Welt zu beweisen, daß die Heilige Schrift wahr ist, und daß
Gott auch in diesem Zeitalter und Geschlechte Menschen
mit seinem Geiste erfüllt und sie, ebenso wie früher, zu
seinem heiligen Werke beruft; und dadurch zeigt, daß
er gestern, heute und in alle Ewigkeit derselbe Gott ist."i)
31. Offenbarungen in der Zukunft. Es ist angesichts
der dargelegten Tatsache, daß Offenbarungen von Gott zu
den Menschen stets ein Kennzeichen der Kirche Christi
gewesen sind und auch immer sein werden, nur vernünftig,
daß wir mit Vertrauen das Kommen weiterer Botschaften
vom Himmel erwarten, selbst bis zum Ende der mensch-
lichen Prüfungszeit auf Erden. Die Kirche ist heute eben-
sosehr auf den Felsen der Offenbarung gegründet und wird
es auch in Zukunft sein, wie es zu der Zeit der Fall war,
als Christus dem Apostel Petrus jene prophetische Seg-
nung erteilte, die ihn befähigte, von der Götthchkeit
seines Herrn und Meisters zu zeugen. 2) Gegenwärtige
Offenbarung sagt noch eben so klar, wie die früherer Tage,
zukünftige Kundgebungen Gottes voraus, die auf diesem
Wege erfolgen sollen. 3) Der Band heiliger Schriften ist
noch nicht abgeschlossen, viele Zeilen, viele Vorschriften
sollen noch hinzugetan werden — Offenbarungen, die alles
was bis jetzt überliefert wurde, an Bedeutung und glor-
reicher Fülle überragen sollen, werden der Kirche noch
gegeben und der Welt verkündigt werden.
32. Was für einen Schatten einer Rechtfertigung oder
einen Schein einer Übereinstimmung kann der Mensch für
sichin Anspruch nehmen, wenn er die Macht und die Absicht
>) Lehre u. Bündn. 20:11—12; siehe auch l.rll; 11:25; 20:26—28;
35:8; 42:61; 50:35; 59:4; 70:3, und das ganze Buch als Beweis für die
Fortdauer der Offenbarung an die Kirche heutzutage.
=) Matthäus 16:16—19; Markus 8:27—30; Lukas 9:18—20; Johan-
nes 6:69.
') L. u. B. 20:35; 35:8 und die vorhin angeführten Stellen aus L.u. B.
Art. 9.] Anmerkungen. 389
Gottes, sich selbst und seinen Willen heutzutage ebenso
wie früher zu offenbaren, leugnet? Auf jedem menschli-
chen Wissens- und Tätigkeitsgebiet, in allem und jedem,
worin er sich selbst zu verherrlichen sucht, ist der Mensch
stolz auf die erreichten Möglichkeiten der Erweiterung
und des Wachstums, nur in der göttlichen Wissenschaft,
der Theologie, hält er den Fortschritt für unmöglich und
Verbesserung für verboten. Gegen solches ketzerisches
und gotteslästerliches Leugnen göttlicher Vorrechte und
Macht verkündet der Herr seinen Beschluß mit Worten
von schrecklicher Bedeutung: „Wehe dem, der da sagen
wird : Wir haben das Wort Gottes erhalten und wir brauchen
nichts mehr von demselben, denn wir haben genug."^)
,, Verleugne nicht den Geist der Offenbarung, noch den
Geist der Weissagung, denn wehe dem, der diese Dinge
verleugnet. "2)
Anmerkungen.
1. Freiheit bei der Inspiration. — Über die Freiheit des Handelns
bei den unter dem Einfluß der Inspiration stehenden Menschen hat Faussett
folgendes zu sagen: „Inspiration nimmt den Schreibern ihre Eigenart nicht,
ebensowenig wie die inspirierten Lehrer der ursprünglichen Kirche beim
Prophezeien bloß mechanische Werkzeuge waren (1. Kor. 14:32). „Wo
der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit!" (2. Korinter 3:17). Ihr Wille
wurde eins mit dem Willen Gottes, sein Geist wirkte auf ihren Geist, sodaß
ihre Persönlichkeit in dem Bereiche seiner Inspiration vollen Spielraum
hatte. Soweit es sich um religiöse Wahrheiten handelt, sind die gesammelten
heiligen Schriften alle einheitlich, dagegen ist bei andern Dingen ihre Ab-
fassung handgreiflich ebenso verschieden und mannigfaltig wie die Verfasser
selbst. Die Verschiedenartigkeit ist menschlich, die Einheitlichkeit göttlich.
Wären die vier Evangelisten bloß Maschinen gewesen, welche die gleichen
Ereignisse in derselben Reihenfolge mit denselben Worten erzählten, so
hätten sie aufgehört, von einander unabhängige Zeugen zu sein. Gerade
ihre Verschiedenartigkeit, (d. h. ihre scheinbare Verschiedenheit) widerlegt
eine geheime gegenseitige Abmachung. *** Die geringen Abweichungen in
1) 2. Nephi 28:29,30; siehe auch 29:6—12.
=) Lehre u. Bündn. 11:25.
390 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV I.
den zehn Geboten zwischen 2. Mose 20 und ihrer Wiederholung in 5. Mose 5,
ebenso in Psalm 18 gegenüber 2. Samuel 22, ferner in Psalm 14 gegenüber
Psalm 53 und in den Anführungen des Alten Testaments von denen im
Neuen (Anführungen, die manchmal der Septuaginta entnommen sind, welche
von dem Hebräischen abweicht) beweisen die geistgezeugte Unabhängig-
keit der heiligen Schreiber, die unter göttlicher Leitung und Genehmigung
bei verschiedenen Gelegenheiten und unter verschiedenen Gesichtspunkten
die gleichen Wahrheiten darstellten, wovon einer den andern ergänzte."
Bible Cyclopedia. A. R. Faussett, Seite 308.
2. Die Lehre von keiner weitern Olfenbarunn Ist neu und falsch. —
„Die Geschichte des Volkes Gottes zeigt vom frühesten Beginn an, daß
fortwährende Offenbarung der einzige Weg war, auf dem die Menschen
alle ihre Pflichten oder den Willen Gottes erfahren konnten. Niemals
waren die Heiligen Gottes der Meinung, daß die den vergangenen Geschlech-
tern erteilten Offenbarungen genügten, um sie in jede gegenwärtige Pflicht
einzuweihen. Eine Lehre, die neue Offenbarungen verwirft, ist eine neue
Lehre, im zweiten Jahrhundert nach Christus vom Teufel und seinen Hel-
fershelfern erfunden. Es ist dies eine Lehre, die zu allem, was die Heiligen
aller Zeiten glaubten und wessen sie sich erfreuten, in krassem Wider-
spruch steht. Nun kann aber eine Lelire, die viertausend Jahre alt ist, nur
von göttlicher Autorität abgeschafft und eine neue dafür eingesetzt werden.
Was somit die Lehre von der Notwendigkeit fortlaufender Offenbarung an-
belangt, so ist dies eine Lehre, an welche die Heiligen stets geglaiibt haben;
es sollte von niemand verlangt werden, die Notwendigkeit der Fortsetzung
einer solchen Lehre zu beweisen. Wäre es eine neue, der Welt bisher völlig
unbekannte Lehre, so würde es erforderlich sein, ihre göttliche Herkunft
zu beweisen. Da es sich aber nur um die Fortsetzung einer alten Lehre
handelt, die bereits vor Tausenden von Jahren eingeführt wurde, und an
die zu glauben und sich ihrer zu erfreuen die Heiligen niemals aufgehört
haben, käme es der größten Anmaßung gleich, diese Lehre in unserm späten
Zeitalter in Frage zu stellen. Es scheint daher fast überflüssig, die Not-
wendigkeit ihrer Fortsetzung beweisen zu wollen. Dagegen haben alle
Menschen das Recht, die Verleugner neuer Offenbarungen der letzten sieb-
zehnhundert Jahre alle ziu" Rechenschaft zu ziehen, und sie aufzufordern,
ihre gewichtigen Gründe und Beweisstücke für das Brechen der so lang
bestehenden Ordnung des Himmels und für die Einführung einer neuen,
von der alten so ganz verschiedenen Lehre vorzulegen- Wenn sie wünschen,
daß man ihrer neuen Lehre glauben soll, so mögen sie uns zunächst beweisen,
daß sie göttlichen Ursprungs ist; andernfalls sind alle Menschen berechtigt,
sie zu verwerfen und bei der alten Lehre zu bleiben." — Orson Pratt, „Di-
vine Authenticity of the Book of Mormon", I (2), Seite 15, 16.
3. Inspiration ein sicherer Führer. — Inspiration ist erklärt worden
als „die wirkende Kraft des Heiligen Geistes, in welchem Grade oder auf
welche Weise sie auch tätig sei; eine Kraft, von der geleitet die göttlich
berufenen Diener durch das Wort des Mundes seinen Willen feierlich ver-
kündigt, oder die verschiedenen Teile der Bibel geschrieben haben". Unter
„vollkommener Inspiration" verstehen wir, daß diese Kraft so vollständig
und restlos angewandt wurde, daß dadurch die Lehren der heiligen Schreiber
im buchstäblichen Sinne zu den Lehren Gottes wurden, die von ihm aus-
gingen, tatsächlich seinem Sinn Ausdruck verliehen und die Genehmigung
göttlicher Autorität aufwiesen. Unter wörtlicher (wortgemäßer) Inspi-
Art. 9.] Anmerkungen. 391
ration verstehen wir, daß diese Kraft niclit damit erschöpft war, den Schrei-
bern die Dinge der Heiligen Schrift einzuflüstern, und es dann ihnen zu
überlassen, das auf übernatürlichem Wege erhaltene in ihrer eigenen Form
und auf eine ausschließlich menschliche Art weiterzugeben, sondern daß
ihnen auch Beistand geleistet wurde und sie geleitet und geführt wurden
auch in der Weitergabe der erhaltenen Wahrheit. *** Wenn die Lehre von
,, vollkommener" und ,, wörtlicher" Inspiration den Mißverständnissen und
dem Mißverstehen entzogen wird, das ihr so oft entgegengebracht wird,
so können von keinem Standpunkt aus Einwendungen gegen sie erhoben
werden. Sie stimmt dann mit jenen Schlußfolgerungen überein, zu denen
die neuzeitlichen Gelehrten inbezug auf das Wort Gottes gekommen sind;
denn das Gefasel der ,, höhern Kritik" ist wenig mehr als die Grillen lau-
nischer, eigenmächtiger Einfälle, und es ist sehr zu bedauern, daß sie mit
einer gänzlich unverdienten Achtung beehrt und so schnell den wertvollen
und kostbaren Ergebnissen der echten Kritik an die Seite gestellt wurden.
Diese letztern Ergebnisse weisen in mehrfacher Hinsicht auf die vollkom-
mene Inspiration hin, nur muß die Lehre selbst richtig, d. h. dahingehend
verstanden werden, daß sie nur auf den allein haltbaren und vernunftge-
mäßen Grund anwendbar ist, auf den die Autorität der kanonischen Schrif-
ten sicher gestellt werden kann." — Casells Bible Dictionary, S. 559, 561.
4. ,,Ist es unvernünftig oder unphilosophisch, auf diese Weise mehr
Licht und Erkenntnis zu erwarten? Sollte Beligion die einzige Abteilung
menschlichen Denkens und Schaffens sein, in welcher ein Fortschritt un-
möglich ist? Was würde man von einem Chemiker, einem Astronomen,
einem Geologen sagen, der erklärte, es sei keine weitere Entdeckung auf
diesen Gebieten der Wissenschaft möglich und die Studenten brauchten
nur die Bücher der frühern Gelehrten zu studieren und nur längst bekannte
Grundsätze anzuwenden, denn Neues könnte nicht mehr entdeckt werden.
Ist nicht die Haupttriebfeder zur Forschung und Untersuchung die Über-
zeugung, daß es für Erkenntnis und Weisheit kein Ende gibt? Nach der
Lehre des ,,Morraonismus" kommt alle Weisheit von Gott, und Intelligenz
ist der Glanz seiner Herrlichkeit; somit hat der Mensch bei weitem noch
nicht alles gelernt, was von ihm und seinen Wegen zu lernen ist. Wir halten
dafür, daß die Lehre von der Notwendigkeit fortwährender Offenbarung
ebenso philosophisch und wissenschaftlich wie biblisch ist." — Der Verfasser
von „Philosophie in Mormonismus", S. 8.
392 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI I.
Vorlesung XVII.
Die Zerstreuung Israels.
Artikel 10. — "Wir glauben an die buchstäbliche Versammlung Israels
und an die Wiederherstellung der zehn Stämme* * *.
1. Israel. Unter dem Namen Israel verstand man ur-
sprünglich einen Menschen, dem der Herr eine Bitte er-
füllen mußte, — einen ,, Kämpfer Gottes", einen, der mit
Gott gerungen hatte, einen ,, Fürst Gottes". Dies sind einige
der gebräuchlichsten Übertragungen ins Deutsche. Der
Name erscheint in der Heiligen Schrift zuerst als ein Titel,
den der Herr dem Patriarchen Jakob gab, als dieser in
seiner Entschlossenheit, sich von dem himmlischen Be-
sucher in der Wüste eine Segnung zu sichern, siegreich
blieb. Darauf erhielt Jakob die Verheißung: „Du sollst
nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast
mit Gott und mit Menschen gekämpft und bist obgelegen."^)
Wir lesen dann weiter : „Und Gott erschien Jakob abermals,
nachdem er aus Mesopotamien gekommen war, und seg-
nete ihn und sprach zu ihm: Du heißt Jakob; aber du
sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel sollst du
heißen. Und also heißt man ihn Israel. "2)
2. Indessen erfuhr die zugleich als Name und als Titel
zusammengefaßte Bezeichnung, die unter so feierlichen
Umständen erteilt worden war, bald eine weitergehende
Anwendung, und im Laufe der Zeiten wurde sie zur Bezeich-
nung der gesamten Nachkommenschaft Abrahams durch
') 1. Mose 32:29 (28).
») 1. Mose 35:9—10.
Art. 10.] Die Zerstreuung Israels. 393
Isaak und Jakob/) mit denen der Herr einen Bund gemacht
hatte, daß durch sie und ihre Nachkommen alle Völker der
Erde gesegnet werden sollten.^) Der Name eines einzelnen
Patriarchen wurde so zum Namen eines ganzen Volkes,
dessen zwölf Stämme sich des Titels „Israeliten" oder
„Kinder Israel" erfreuten. Unter diesem Namen waren
sie in den dunklen Tagen der ägyptischen Knechtschaft
bekannt,^) dann während der vier Jahrzehnte ihres Aus-
zuges und ihrer Wanderung nach dem verheißenen Land*)
und weiterhin, während der Zeit ihres Bestehens als ein
mächtiges Volk unter der Regierung der Richter und noch
später als eine geeinigte Nation unter Saul, David und
Salomo, die zusammen hundertundzwanzig Jahre lang
regierten.^)
3. Nach dem Tode Salomos — etwa ums Jahr 975
vor Christus — wurde das Königreich geteilt. Der Stamm
Juda und ein Teil des Stammes Benjamin anerkannten
Rehabeam, den Sohn und Nachfolger Salomos, als ihren
König, während der übrige Teil des Volkes, gewöhnlich
die zehn Stämme genannt, sich gegen Rehabeam empörte
und so den Zusammenhang mit dem Hause Davids zerriß.
Diese zehn Stämme wählten sich Jerobeam zu ihrem König.
Die unter Jerobeam vereinigten Stämme behielten den
Namen „Reich Israel" bei, wenngleich sie auch unter der
Bezeichnung Ephraim^) bekannt waren (nach dem vornehm-
sten ihrer Stämme). Dagegen wurden Rehabeam und seine
Untertanen das „Reich Juda" geheißen. Etwa zweihundert-
fünfzig Jahre lang bestanden diese beiden Reiche getrennt
') 1. Samuel 25:1; Jesaja 48:1; Römer 9:4; 11:1.
^) 1. Mose 12:1—3; 17:1—8; 26:3 — 4; 28:13—15.
') 2. Mose 1:1, 7; 9:6—7; 12:3 usw.
*) 2. Mose 12:35, 40; 13:19; 15:1; 35:20, 30; 3. Mose 1:2; 4. Mose
20:1, 19, 24 usw.
') Siehe die vielen Anmerkungen im Buch der Richter, im 1 . und 2.
Samuel und in 1. und 2. Könige.
«) Jesaja 11:13; 17:3; Hesckiel 37:16—22; Hosea 4:17.
394 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVII.
nebeneinander. Später (721 v. Chr.) wurde die Unab-
hängigkeit des Reiches Israels vernichtet und das Volk
selbst von den Assyrern unter Salmanasser in die Gefangen-
schaft geführt. Das Reich Juda bestand über ein Jahr-
hundert länger, es wurde ihm aber dann von Nebukad-
nezar, der es in die babylonische Gefangenschaft führte,
ein Ende gemacht. Ungefähr siebzig Jahre verblieb das
Volk in der Gefangenschaft — eine Tatsache, die mit einer
Prophezeiung des Propheten Jeremia^) im Einklang stand.
Endlich erweichte der Herr die Herzen der regierenden
Könige, und unter dem Perserkönig Cyrus begann das
Werk der Befreiung. Den Hebräern wurde gestattet,
nach Judäa zurückzukehren und in Jerusalem den Tempel
des Herrn wieder aufzubauen.
4. Das Volk, alsdann gewöhnlich Hebräer oder
Juden genannt,^) behielt als seinen nationalen Namen die
Bezeichnung Israel bei, obschon es kaum noch zwei voll-
ständige Stämme von den zwölfen umfaßte. Der Name
Israel, der auf diese Weise von dem Überrest eines einst
mächtigen Volkes mit lobenswertem Stolze weitergeführt
wurde, wurde später in bildlichem Sinne auf die Auser-
wählten Gottes angewandt, die in der Kirche Christi ver-
einigt waren^) und in diesem Sinne wird er noch heute ge-
braucht. Das Volk Israel, wie wir ihm in der Geschichte
zuerst begegnen, war ein geeinigtes Volk. Damit wir die
tatsächliche Bedeutung der Sammlung verstehen, auf die
sich der zehnte Glaubensartikel bezieht, müssen wir
zuerst die Wegführung und die Zerstreuung betrachten,
der das Volk unterworfen wurde. Die heiligen Schriften
enthalten eine Fülle von Prophezeiungen über diese Zer-
streuung Israels. Bibel und Weltgeschichte geben vereint
Zeugnis von der Erfüllung dieser Prophezeiungen.
') Jeremia 25:11—12; 29:10.
') Siehe Anmerkungen 1 und 2.
») Römer 9:6; Galater 6:16.
Art. 10.] Die Zerstreuung Israels. 395
5. Die Zerstreuung Israels vorhergesagt. Es ist gesagt
worden, daß „wenn eine vollständige Geschichte des
Hauses Israel geschrieben werden sollte, würde es eine
Geschichte der Weltgeschichte sein, d. h. der Schlüssel
zu der Weltgeschichte der letzten zwanzig Jahrhunderte."^)
Die Berechtigung dieser starken Behauptung findet
man in der Tatsache, daß die Israeliten so völlig unter
die verschiedenen Völker zerstreut worden sind, daß
diesem Volke in dem Aufschwung und in der Entwicklung
beinahe jedes großen Teiles der menschlichen Familie
ein wichtiger Platz zukommt. Dieses Werk der Zerstreuung
ging schrittweise vor sich und erstreckte sich über einen
Zeitraum von Jahrtausenden. Von den ersten Propheten
des auserwählten Volkes wurde sie vorausgesehen; die
geistigen Führer jeder Generation — sowohl vor, wie
auch unmittelbar nach der messianischen Zeit — sagten
die Zerstreuung des Volkes als unausbleibliche Folge
seiner wachsenden Verderbtheit voraus, oder sie bezogen
sich auf die Erfüllung früherer Prophezeiungen der Zer-
streuung, die damals schon eine Tatsache war und
sagten eine weitere, vollständigere Wegführung des Vol-
kes voraus.
6. Biblische Prophezeiungen. Während der müh-
seligen Wanderung des Volkes Israel von Ägypten, wo sie
wie im Hause der Knechtschaft gelebt hatten, nach Ka-
naan, dem Lande der Verheißung, gab ihm der Herr eine
Reihe von Gesetzen und setzte zu seiner Regierung in
zeitlichen wie in geistigen Angelegenheiten gewisse Ver-
ordnungen ein. Er stellte ihnen Segnungen vor Augen,
die die unbewaffnete menschliche Fassungskraft über-
stiegen, machte sie aber von ihrem Gehorsam zu den Ge-
setzen der Rechtschaffenheit und von der Ergebenheit
1) Compendium S. 85 (Ausgabe von 1884).
396 Die Glaubensarükel. [Vorl. XVII.
gegenüber Jehovah als ihrem Gott und König abhängig.
Im Gegensatz zu diesem Bild gesegneten Gedeihens
schilderte der Herr mit erschreckender Deutlichkeit und
herzzerreißenden Einzelheiten den Zustand elender Ver-
worfenheit und schwerer Leiden, der über sie kommen
würde, falls sie den Pfad der Tugend verlassen und die
sündhaften Gewohnheiten der heidnischen Völker anneh-
men sollten, mit denen sie es zu tun bekommen würden.
Die dunkelsten Teile dieses gräßlichen Bildes waren die-
jenigen, in denen der drohende nationale Zusammenbruch
und die Zerstreuung des Volkes unter solche, die Gott
nicht kannten, geschildert wurde. Dieses größte Unglück
sollte sie aber erst treffen, nachdem sich die weniger harten
Züchtigungen als erfolglos erwiesen hätten.^)
7. Als die auf den Auszug aus Ägypten folgende Wan-
derung ihrem Ende entgegenging und die Israeliten sich
anschickten, den Jordan zu überschreiten und das ver-
heißene Land in Besitz zu nehmen, als Mose, der Patriarch,
Gesetzgeber und Prophet, den Berg Nebo bestieg, von wo
aus er das schöne Land erblicken und dann sterben sollte,
wiederholte er die Schilderung der einander gegenüber-
gestellten Segnungen und Flüche, welche die Vertrags-
bedingungen für den Bund Gottes mit dem Volke darstellten.
„Der Herr wird dich vor deinen Feinden schlagen",^)
wurde ihnen gesagt, und weiter: „Der Herr wird dich und
deinen König, den du über dich gesetzt hast, treiben unter
ein Volk, das du nicht kennst, noch deine Väter; und wirst
daselbst dienen andern Göttern: Holz und Steinen. Und
wirst ein Scheusal und ein Sprichwort und Spott sein
unter allen- Völkern, dahin dich der Herr getrieben
hat."3) Und noch weiter: ,,Der Herr wird ein Volk über
1) Lies die verhängnisvollen Prophezeiungen in 3. Mose 26:14 — 33.
») 5. Mose 28:25.
») Verse 36 — 37.
Art. 10.] Die Zerstreuung Israels. 397
dich schicken von ferne, von der Welt Ende, wie ein Adler
fliegt, dessen Sprache du nicht verstehst, ein freches Volk,
das nicht ansieht die Person des Alten noch schont der
Jünglinge. 1) * * * Denn der Herr wird dich zerstreuen
unter alle Völker von einem Ende der Welt bis ans andere;
und wirst daselbst andern Göttern dienen, die du nicht
kennst noch deine Väter: Holz und Steinen. "2)
8. Aus dem weitern Bericht der Heiligen Schrift
geht hervor, daß sich Israel für das Böse entschied,
dadurch der Segnungen verlustig ging, und sich den Fluch
zuzog. Als der Sohn des sündigen Jerobeams todkrank
war, schickte der heimgesuchte König sein Weib verkleidet
zu Ahia, dem blinden Propheten in Israel, um ihn über das
dem Kinde bevorstehende Schicksal zu befragen. Der Pro-
phet, über die körperliche Blindheit seines hohen Alters
hinaussehend, sagte den Tod des Kindes und den Sturz
des Hauses Jerobeam voraus, und erklärte ferner: „Und
der Herr wird Israel schlagen, gleich wie das Rohr im Was-
ser bewegt wird, und wird Israel ausreißen aus diesem
guten Lande, das er ihren Vätern gegeben hat, und wird
sie zerstreuen, jenseit des Stromes, darum daß sie ihre
Ascherabilder gemacht haben, den Herrn zu erzürnen. "3)
9. Durch Jesaja rechtfertigt der Herr sein Gericht
über das Volk, indem er das Volk mit einem unfruchtbaren
Weinberg vergleicht,*) der trotz schützendem Hag und
bester Pflege statt edlen Trauben nur Herlinge hervor-
brachte und deshalb zu nichts besserm taugte, als
verwüstet zu werden. „Darum", fährt der Herr fort,
,,wird mein Volk müssen weggeführt werden unversehens".*)
Aber noch mehr Trübsale sollten folgen, vor denen das Volk
') Verse 49—50.
») Vers 64.
') 1. Könige 14:15.
*) Jesaja 5:1 — 7.
') Vers 13.
398 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVII.
gewarnt wurde, damit es sich nicht gänzlich von dem Gott
seiner Väter abwende. „Was wollt ihr tun am Tage der
Heimsuchung und des Unglücks, das von ferne kommt?
Zu wem wollt ihr fliehen um Hilfe ?"i) Der Prophet lenkt
die Aufmerksamkeit seines irrenden Volkes auf die Tat-
sache, daß seine Trübsale von dem Herrn kommen : ,,Wer
hat Jakob übergeben zu plündern und Israel den Räubern ?
Hat's nicht der Herr getan, an dem wir gesündigt haben,
und sie wollten auf seinen Wegen nicht wandeln und ge-
horchten seinem Gesetz nicht? Darum hat er über sie
ausgeschüttet den Grimm seines Zorns und eine Kriegs-
macht."2)
10. Nach der Wegführung Ephraims, oder wie die
besondere Bezeichnung lautet, des Reiches Israel, bedurfte
aber das Volk Juda noch weitere Ermahnungen und
Drohungen. Jeremia brachte ihnen das traurige Los
ihrer Brüder in Erinnerung^) und schließlich sagte der
Herr infolge ihrer andauernden und zunehmenden Ver-
derbtheit: ,,ünd will euch von meinem Angesichte weg-
werfen, wie ich weggeworfen habe alle eure Brüder, den
ganzen Samen Ephraims."*) Ihr Land sollte verwüstet
werden, alle Städte Judas der Plünderung^) anheimfallen
und das Volk unter alle Nationen der Erde zerstreut
werden.^) Auch andere Propheten'^) offenbarten des Herrn
Wort, das Wort seines Zornes und ernster Mahnung.
,, Ich will*** das Haus Israel unter allen Heiden sichten
lassen, gleichwie man mit einem Sieb sichtet;" und
1) Jesaja 10:3.
n Jesaja 42:24—25.
=) Jeremia 7:12.
♦) Jeremia 7:15.
') Jeremia 9:11; 10:22.
•) Jeremia 35:17.
') Hesekiel 20:23; 22:15; 34:6; 36:19; Arnos 7:17; 9:9; Micha 3:12.
Art. 10.] Die Zerstreuung Israels. 399
weiter:^) „Ich will sie unter die Völker säen, daß sie mein
gedenken in fernen Landen. "2)
11. Prophezeiungen im Buch Mormon. Die Urkun-
den, die von jenem Teil des Hauses Israel geführt wurden,
der ums Jahr 600 vor Christus Jerusalem verließ und
seinen Weg nach der westlichen Halbkugel nahm, enthalten
viele Hinweise auf die Zerstreuung, die bereits stattgefun-
den hatte, und auf jene Fortsetzung der Zerstreuung, die
für die Schreiber des Buches Mormon noch in der Zukunft
lag. Im Verlauf ihrer Reise an die Küste verkündigte
Lehi, als er sich mit seiner Familie und andern Be-
gleitern im Tale Lemuel an den Ufern des Roten Meeres
lagerte, was er durch Offenbarung über den ,, zukünftigen
Abfall der Juden im Unglauben", über die Kreuzigung
des Heilandes und über ,,die Zerstreuung jener über die
ganze Erde" erfahren hatte. 3) Er vergleicht Israel mit
einem Ölbaum,^) dessen Zweige abgehauen und zerstreut
werden sollten und anerkennt den Auszug seiner Kolonie
und ihre Reise in die weite Ferne als einen Teil der all-
gemeinen Zerstreuung. 5) Nephi, der Sohn Lehis, sah
ebenfalls die Zerstreuung des Bundesvolkes Gottes voraus
und fügte sein Zeugnis hierüber dem seines Vaters an.^)
Er sah ferner, daß die Nachkommenschaft seiner Brüder,
die in der Folge als die Lamaniten bekannt waren, ihres
Unglaubens wegen gezüchtigt, von den Heiden unterjocht
und vor ihnen zerstreut werden sollte.') Das prophetische
Gesicht zeigte ihm außerdem das Hervorkommen heiliger
Urkunden — andere als die damals bekannten — ,,um die
') Arnos 9:9.
*) Sacharja 10:9.
") 1. Nephi 10:11—12.
♦) Vers 12; 15:12—13; siehe auch Jakob Kap. 4 und 5.
') 1. Nephi 10:13.
') 1. Nephi 14:14.
') 1. Nephi 13:11—14.
400 Die GlaubensarükeL [Vorl. XVII.
Heiden und das Überbleibsel der Nachkommen meiner
Brüder^) und auch die Juden, welche über den ganzen
Erdkreis zerstreut waren, zu überzeugen". 2)
12. Nach ihrer Ankunft im verheißenen Land erhielt
die von Lehi geführte Kolonie weitere Belehrungen über
die Zerstreuung Israels. Der von Xephi angeführte Pro-
phet Zenos^) hatte den Unglauben des Volkes Israels vor-
hergesagt, als dessen Folge diese Bundeskinder Gottes
„im Fleische wandeln und umkommen und von allen
Völkern gehaßt und verspottet werde^ sollten".*) Die
Brüder Nephis, die dieser Lehre ungläubig gegenüber-
standen, fragten, ob die Dinge, von denen er gesprochen
hatte, in geistigem Sinne oder mehr buchstäblich eintreffen
werden. Sie wurden belehrt, ,,daß das Haus Israel früher
oder später über die ganze Erde, unter alle Völker zerstreut
werden wird"; und weiter, unter Hinweis auf die damals
schon zustandegekommene Zerstreuung „der größte Teil
aller Stänmae ist weggeführt, und sie sind hie und da auf
den Inseln des Meeres zerstreut worden".^) Hiezu sagt
dann Xephi auf dem Wege der Offenbarung über die noch
kommende weitere Zerstreuung, daß den Heiden Macht
gegeben werden würde über das Volk Israel, ,,und durch
sie soU unsere Nachkommenschaft zerstreut werden."^)
Obgleich zwischen ihrer Heimat und dem Lande, zu
dem sie auf so wunderbare Weise geführt worden waren,
€in Ozean lag, erfuhren doch die Kinder Lehis durch Offen-
barung aus dem Munde Jakobs, Nephis Bruder, von der
Gefangennahme der Juden, die sie in Jerusalem zurück-
^i Jener Teil der Nachkommenschaft Lehis, der späterhin als die
niten bekannt war.
') 1. Nephi 13:39.
'• Siehe Anm erkling 3.
'j 1. Nephi 19:12—14.
•) 1. Nephi 22:1— i.
') 1. Nephi 22:7.
Art. lO.j Die Zerstreuung Israels. 401
gelassen hatten. i) Nephi erzählte ihnen dann mehr von
den Trübsalen, die ihrer Vaterstadt^) drohten und von
einer weitern Zerstreuung ihrer jüdischen Verwandten."^)
13. Die Lamaniten, ein Teil der Kolonie Lehis, sollten
ebenfalls vertrieben und zerstreut werden. Als Zeugnis
hierfür können wir die Worte Samuels, eines Propheten
dieses gedemütigten Volkes, anführen.^) Nephi, der dritte
Prophet dieses Namens, ein Enkel Helamans, betont mit
Nachdruck die Zerstreuung seines Volkes und erklärt,
,, deine Wohnplätze sollen öde werden. "5) Jesus selbst
verweist, als er nach seiner Auferstehung unter diesem Teil
seiner Herde auf der westlichen Halbkugel wirkte, ernstlich
auf das Überbleibsel des auserwählten Samens, ,,das
seines Unglaubens wegen auf der Erde zerstreut werden
wird." 6)
14. Aus diesen Hinweisungen geht klar hervor, daß die
Begleiter Lehis, einschließlich seiner eigenen Familie, und
Zorams') zusammen mit Ihsmael^) und dessen Familie, von
denen die mächtigen Völker der Nephiten — die ihrer Un-
treue wegen ausgerottet wurden — und der Lamaniten —
die, gegenwärtig als die amerikanischen Indianer bekannt,
bis auf den heutigen Tag ein trübseliges Dasein führten —
abstammen, durch Offenbarung Kenntnis erhielten von
der Zerstreuung ihrer früheren Mitbürger in Palästina und
von ihrem eigenen sichern Schicksal, das als Folge ihres
Ungehorsams gegen die Gesetze Gottes über sie herein-
brechen würde. Wir haben gesagt, die Versetzung Lehis
n 2. Nephi 6:8.
^) 2. Nephi 25:14 — 15.
») Vers 15.
'-) Helaman 15:12.
<■) 3. Nephi 10:7.
'=) 3. Nephi 16:4.
') 1. Nephi 4:20—26, 30—37.
«) 1. Nephi 7:2—6, 19, 22; 16:7.
402 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVII.
und seiner Begleiter von der östlichen nach der westlichen
Halbkugel war selbst ein Teil der allgemeinen Zerstreuung.
Man sollte sich hierbei daran erinnern, daß noch eine
andere jüdische Kolonie, die etwa elf Jahre nach dem Weg-
gang Lehis von Jerusalem aufbrach nach der westlichen
Halbkugel hinüberkam. Diese zweite Kolonie wurde von
Mulek geführt, einem Sohne Zedekias, des letzten Königs
von Juda; sie verließ Jerusalem unmittelbar nach der
Eroberung der Stadt durch Nebukadnezar, etwa im Jahre
588 vor Christi Geburt. i)
15. Die Erfüllung dieser Prophezeiungen. Die heiligen
Schriften, wie auch andere, für die der Anspruch auf
direkte Offenbarung nicht erhoben wird, berichten die
buchstäbliche Erfüllung dieser Prophezeiungen von der
Vertreibung des Hauses Israel. Die Teilung des Reiches
in die beiden getrennten Königreiche Juda und Israel
führte zum Zusammenbruch beider. In dem Maße, wie
die Außerachtlassung der Gesetze ihrer Vorväter im
Volke zunahm, wurde ihren Feinden erlaubt, über sie zu
triumphieren. Nach vielen kleinern Verlusten in ver-
schiedenen Kriegen wurde dem Reich Israel etwa ums Jahr
721 vor Christus von den Assyrern eine überwältigende
Niederlage beigebracht. Wir lesen, daß Salmanasser,
König von Assyrien, Samaria, die dritte und letzte
Hauptstadt des Landes,^) belagerte und daß nach drei
Jahren die Stadt von Sargon, dem Nachfolger Salma-
nassers, genommen wurde. Das Volk Israel wurde in die
Gefangenschaft weggeführt und unter die Städte der
») Omni 1 : 14—19 ; Mosiah 25 : 2 — 4 ; Alma 22 : 30—32 ; Helaman 6:10;
8:21; Seite 323.
') Die erste Hauptstadt des Reiches Israel war Sichern (1. Könige
12:25); später wurde Thirza die Hauptstadt; sie war wegen ihrer Schönheit
berühmt (1. Könige 14:17; 15:33; 16:8, 17, 23. Hohes Lied Salomos 6:4)
und schließlich wurde Samaria die Residenz (1. Könige 16:24).
Art. 10.] Die Zerstreuung Israels. 403
Meder verteilt. i) So wurde erfüllt, was Ahia dem Weibe
Jerobeams vorhergesagt hatte: „Israel wird zerstreut
werden, jenseit des Stromes", 2) — wahrscheinlich war es
der Euphrat — und von dieser Zeit an sind die zehn Stämme
der Weltgeschichte vollständig verlorengegangen.
16. Das traurige Ende des Reiches Israel äußerte
seine Wirkung auf das Volk Juda in einer teilweisen Er-
weckung für das Gefühl ihres eigenen drohenden Schick-
sales. Hiskia regierte 29 Jahre lang als König und erwies
sich als eine glänzende Ausnahme gegenüber einer Reihe
von schlechten Herrschern, die ihm vorausgegangen waren.
Von ihm wird uns gesagt, daß, ,,er tat, was dem Herrn
wohlgefiel". ^) Während seiner Regierung fielen die Assyrer
unter Sanherib in das Land, aber die Hilfe des Herrn wurde
dem Volke wenigstens bis zu einem gewissen Grade wieder
gewährt und Hiskia rief seine Untertanen zum Vertrauen
auf den Herrn auf, ermahnte sie, Mut zu fassen und den
assyrischen König samt seinen Herrscharen nicht zu fürch-
ten; „denn", sagte dieser rechtschaffene Fürst, „es ist
ein Größerer mit uns als mit ihm. Mit ihm ist ein fleisch-
licher Arm, mit uns aber ist der Herr, unser Gott, daß er
uns helfe, und führe unsern Streit."*) Das assyrische
Heer wurde auf wunderbare Weise vernichtet.^) Hiskia
starb jedoch, undManasse folgte ihm auf den Thron. Dieser
König tat was dem Herrn übel gefiel^) und die Verderbt-
heit des Volkes dauerte mehr als ein halbes Jahrhun-
dert an, lediglich durch die gute Regierung eines recht-
schaffenen Königs Namens Josia unterbrochen.'')
') 2. Könige 17:5—6; 18:9—11.
») 1. Könige 14:15.
') 2. Könige 18:1—3; 2. Chronik 29:1— 11.
«) 2. Clironik 32:7—8.
s) 2. Chronik 32:21—22.
•) 2. Chronik 33:1—10; 2. Könige 21:1—9.
') 2. Könige 22:1, 2; 2. Chronik 34:1, 2.
404 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVII.
17. Als Zedekia den Thron innehatte, belagerte
Nebukadnezar, der König von Babylon, Jerusalem,^)
nahm die Stadt ums Jahr 588 v. Chr., führte bald
nachher das Volk gefangen nach Babylon und machte
auf diese Weise dem Reich Juda tatsächlich ein Ende.
Das Volk wurde unter die Städte Asiens verteilt und seufzte
beinahe siebzig^) Jahre unter den Wechselfällen der Ge-
fangenschaft, bis ihnen der Perserkönig Cyrus, der sich
die Babylonier unterworfen hatte, die Erlaubnis zur Rück-
kehr nach Jerusalem gab. Ein großer Teil der Juden be-
nutzte diese Gelegenheit; es blieben aber auch viele im
Lande ihrer Gefangenschaft zurück. Die, die zurückkehr-
ten und ernstlich bestrebt waren, sich auf dem Boden ihrer
frühern Macht wieder aufzurichten, wurden aber niemals
wieder ein wirklich unabhängiges Volk. Sie wurden von
Syrien und Ägypten angegriffen, und später wurden sie
dem römischen Reich tributpflichtig, in welcher Abhängig-
keit sie sich auch befanden, als Christus unter ihnen wirkte.
18. Indes fehlte der Prophezeiung des Jeremia immer
noch die restlose Erfüllung. Die Zeit erwies jedoch, daß
nicht ein Wort unerfüllt bleiben sollte. ,,Das ganze Juda
ist rein weggeführet",^) so lautete die Prophezeiung. Eine
aufrührerische Bewegung mußte den römischen Landes-
herren den Scheingrund abgeben für eine schreckliche
Züchtigung, die mit der Zerstörung Jerusalems, im Jahre
71 n. Chr. ihren Höhepunkt erreichte. Nach sechsmona-
tiger Belagerung unter Titus, dem Sohne des Kaisers
Vespasianus, fiel die Stadt in die Hände der Feinde. Der
berühmte Geschichtsschreiber Josephus, dem wir unser
Wissen von den Einzelheiten des Kampfes verdanken,
war zu dieser Zeit selbst ein Bewohner Galiläas und wurde
1) 2. Könige 25:1—3; 2. Chronik 36:17.
») Siehe Seite 393—395.
") Jeremia 13:19.
Art. 10. Die Zerstreuung Israels. 405
mit andern Juden gefangen nach Rom weggeführt. Aus
seinem Bericht erfahren wir, daß mehr als eine Million
Juden durch die Hungersnot, die die Belagerung mit sich
brachte, ihr Leben verloren. Eine größere Zahl wurde als
Sklaven verkauft und ungezählte Scharen wurden in die
Verbannung getrieben. Die Stadt wurde vollständig zer-
stört und der Tempelplatz beim Suchen nach Schätzen
von den Römern umgepflügt: so buchstäblich wurden die
Worte Christi erfüllt: ,,Es wird hier nicht ein Stein auf
dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde. "^)
19. Seit der Zerstörung Jerusalems und der Ausrot-
tung ihres Staates sind die Juden als ruhelose Wanderer
über die Erde gegangen, ausgestoßen von den Nationen,
ein Volk ohne Land, eine Nation ohne Heimat. Die Pro-
phezeiung, die Amos vor alters ausgesprochen hatte,
erfüllte sich ebenfalls buchstäblich : in der Tat, die Juden
mußten sich sichten lassen unter den Völkern „gleichwie
man mit einem Sieb sichtet''.^) Vergessen wir jedoch nicht,
daß in Verbindung mit diesen Vorhersagungen das Ver-
sprechen gegeben wurde: ,, Kein Körnlein soll auf die Erde
fallen".
20. Die verlorenen Stämme. Es wurde schon erwähnt,
daß bei der Trennung der Israeliten nach dem Tode Sa-
lomos zehn Stämme sich als ein unabhängiges Königreich
einrichteten. Dieses Reich, das Reich Israel, ging für die
Weltgeschichte mit der assyrischen Gefangenschaft etwa
im Jahre 721 v. Chr. zu Ende. Das Volk wurde nach
Assyrien weggeführt und verschwand später so völlig
von dem Schauplatz der Geschichte, daß man jetzt von
ihm als von den ,, Verlorenen Stämmen" spricht. Sie schei-
nen Assyrien verlassen zu haben, und wenn uns auch über
ihr schließliches Schicksal und ihren gegenwärtigen Aufent-
') Matthäus 24:1 — 2; siehe auch Lukas 19:44.
") Amos 9:9.
406 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVII.
haltsort bestimmte Mitteilungen fehlen, so sind doch zahl-
reiche Beweise dafür vorhanden, daß ihre Wanderung sie
nordwärts führte. i) Des Herrn Wort durch Jeremia hat
verheißen, daß dieses Volk wiedergebracht werden soll
,,aus dem Lande der Mitternacht". 2) Und eine ähnliche
Erklärung ist durch göttliche Offenbarung im Laufe der
gegenwärtigen Dispensation erfolgt, 2)
21. In den Büchern Esra, die zwar nicht alle zu den
kirchengesetzlichen Schriften der Bibel gezählt werden,
sondern als apokryphisch bekannt sind, finden wir Hin-
weise auf die nordwärts gerichtete Wanderung der zehn
Stämme, eine Wanderung, die sie gemäß einem vorgefaßten
Plane unternahmen, um den Heiden zu entrinnen ,,in eine
ferne Gegend, wo noch kein Geschlecht der Menschen
wohnte, auf daß sie daselbst ihr Gesetz halten könnten,
das sie in ihrem Lande nicht hatten halten können."*)
Der gleiche Verfasser teilt uns auch mit, daß sie über ein
und ein halbes Jahr nach den nördlichen Ländern zogen,
er sagt uns aber auch, daß viele im Lande ihrer Ge-
fangenschaft zurückblieben.
22. Während ' der auferstandene Christus unter den
Nephiten auf der westlichen Halbkugel wirkte, erwähnte
er besonders die ,, andern Stämme aus dem Hause Israel,
die der Vater aus ihrem Lande weggeführt hatte". ^) Ferner
sprach er von ihnen als von den ,, andern Schafen, die nicht
aus diesem Stalle sind, noch aus dem Land Jerusalem,
noch aus der Umgegend, wo er gelehrt habe",^) Christus
') Jeremia 3:12.
") Jeremia 16:15; 23:8; 31:8.
') Lehre u. Bündn. 133:26 — 27.
*) 2. Esra 13; siehe Anmerkung 4.
6) 3. Xephi 15:15.
•) 3. Nephi 16:1.
Art. 10.] Anmerkungen. 407
verkündigte ein Gebot seines Vaters, wonach er sich auch
diesen andern Schafen offenbaren sollte. Der jetzige
Aufenthaltsort der verlorenen Stämme ist nicht genau ge-
offenbart worden.
Anmerkungen.
1. Hebräer. — „Sem wird der Vater aller Kinder von Eber" genannt,
wie Harn der Vater Kanaans genannt wird. Die Hebräer und Kanaaniter
kamen oft mit einander in Berührung und zeigten die jeweiligen Eigen-
schaften der Semiten und Hamiten. Der Ausdruck „Hebräer" wird so
abgeleitet von „Eber" (I.Mose 10:21, verglichen mit 4. Mose 24:24).
Bible Cyclopedia von Faussett.
Der Verfasser des Artikels „Hebräer" in Cassells biblischem Wörter-
buch bezweifelt die Beweise, die für die Ableitung des Wortes Hebräer
von „Eber" oder „Heber" vorgebracht werden und sagt: „Alles was wir
mit Bestimmtheit bestätigen können, ist, daß der Ausdruck auf Abraham
und die Nachkommen Jakobs im allgemeinen angewandt wird. Die mit
dem Wort verbundene Bedeutung, zusammen mit seinem dunkeln Ursprung
genügt als Erklärung für die mannigfachen darüber angestellten Vermu-
tungen und Betrachtungen. Es mag noch hinzugefügt werden, daß einige
Gelehrte den Namen ,, Hebräer" ein wenig geändert auch auf den Denk-
mälern Ägyptens gefunden haben. Wenn diese Beobachtung erwiesen ist,
wird sie auch deshalb von Wert sein, weil damit gezeigt werden kann, daß
wenn die Ägypter Joseph einen Hebräer nannten, sie die von ihnen all-
gemein angenommene Bezeichnung gebraucht haben." —
2. Juden. — Der Ausdruck bedeutet eigentlich ein „Mann aus Juda",
oder ein „Nachkomme Judas". Das Wort wurde dann aber auch auf alle
angewandt, die sonst als Hebräer bezeichnet wurden. Es scheint erst lange
nach der Empörung Jerobeams und der zehn Stämme in Gebrauch gekom-
men zu sein. Solange das Königreich Juda bestand, wurde es natür-
lich zur Bezeichnung der Bürger dieses Reiches gebraucht (2. Könige 16:6,
25 : 25), jedoch kommt es in diesem Sinne nur selten vor. Nach der Gefangen-
schaft nahm es die erweiterte Bedeutung an, die es heute hat. Es ist von
den Übriggebliebenen sämtlicher Stämme angenommen worden und war
der eine Name unter dem die Nachkommen Jakobs in der ganzen alten
Welt bekannt waren; sicherlich war er weit bekannter als der Ausdruck
„Hebräer". Er erscheint in den Büchern Esras, Nchemias, Daniels, Esthers
usw., findet sich in den Apokryphen und allgemein auch bei Josephus und
im Neuen Testament." — Cassells Biblisches Wörterbuch.
„Unter der Gottesherrschaft waren sie als die „Hebräer" bekannt,
unter der Monarchie als die „Israeliten", und unter der Fremdherrschaft als
die „Juden". Ihre heutigen Vertreter nennen sich selbst Hebräer in Rasse
und Sprache, Israeliten in Religion und Juden im Sinne beider." — Standard
Dictionary.
3. Zenos. — „Ein hebräischer Prophet, der oft von den nephitischen
Dienern Gottes angeführt wird. Alles was uns von seiner persönlichen
Geschichte gesagt wird, ist, daß er erschlagen wurde, weil er von dem, was
Gott ihm geoffenbart hatte, mutig Zeugnis gab. Daß er ein Mann war, den
408 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVII.
der Herr in außergewöhnlicher Weise mit dem Geist der Prophezeiung
gesegnet hatte, ersieht man aus dem wunderbaren und fast unvergleich-
lichen Gleichnis von dem Weinberg, das von Jakob (Jakob, Kapitel 5)
ausführlich \^iedergegeben wird. Seine Prophezeiimgen werden ferner ange-
führt von Nephi (1. Nephi 19:10, 12, 16.), Alma (Alma 33:3, 13—15),
Amulek (Alma 34:7), Samuel, dem Lamaniten (Helaman 15:11), und
Mormon (3. Nephi 10:16). — Wörterbuch des Buches Mormon, vom
Ältesten George Reynolds.
4. Die Wanderuna der verlorenen Stämme. — Esra, dessen Bücher
— wie in der Vorlesung bereits gesagt wurde — zu den Apokryphen gezählt
werden, beschreibt ein Gesicht in dessen Verlaufe die zehn Stämme folgen-
dermaßen erv^ähnt werden : ,,Dies sind die zehn Stämme, welche weggeführt
wurden aus ihrem I>ande in den Tagen Hoseas, welchen Salmanasser,
König der Assyrer. als Gefangenen weggeführt hat, und brachte sie über
den Fluß und führte sie in ein andres Land. Sie selber aber haben sich diesen
Rat gegeben, daß sie die Menge der Völker verließen, und in eine ferne
Gegend wanderten, wo noch kein Geschlecht der ^Menschen wohnte, auf
daß sie daselbst ihr Gesetz halten könnten, das sie in ihrem Lande nicht
hatten halten können. Sie gingen aber durch den engen Weg des Flusses
Euphrat hinein, denn es machte ihnen der Höchste ein Zeichen, und ließ
das Wasser des Flusses still stehen, bis daß sie hinüber waren. Denn durch
diese Gegend war ein langer Weg von einem und einem halben Jahre, und
sie hieß Askari Kararavin. Und sie wohnten daselbst bis zu den letzten
Tagen, und wenn sie jetzt wieder kommen wollen, wird der Höchste das
Wasser des Flusses stillstehen lassen, daß sie herüber können." — 2. Esra
13:40 — 47.—
Über die Wanderung der zehn Stämme nach Norden sagt Ältester
George Rej-nolds in seinem kleinen W^erk „Sind wir von Israel?": „Sie
beschlossen, nach einem Lande zu ziehen, wo noch „kein Geschlecht der
Menschen wolmte", auf daß sie von allen verunreinigenden Einflüßen rein
würden. Dieses Land war nur im Norden zu finden. Das südliche Asien
war bereits der Sitz einer verhältnismäßig alten Zivilisation. Im nördlichen
Afrika blühte Ägypten, und das südliche Europa füllte sich zusehends mit
den künftigen Herrschern der Welt. Sie hatten daher keine andere Wahl,
als sich nach Norden zu wenden. Jedoch war der erste Teil ihrer Reise nicht
nordwärts gerichtet. Nach dem Bericht Esras scheinen sie zunächst die
Richtung nach ihrer alten Heimat eingeschlagen zu haben; es ist ja auch
möglich, daß sie ursprünglich mit der Absicht aufbrachen, dorthin zurück
zu kehren, — möglich auch, daß sie, um die Assyrer zu täuschen, Kanaan
zu zogen, und als sie den Euphrat überschritten hatten und außer Gefahr
seitens der medischen und persischen Horden waren, ihre Richtung änderten
imd ihre Wanderung in der Richtung des Polarsternes fortsetzten. Esra
stellt fest, daß sie den Euphrat an einer schmalen Stelle überschritten, und
daß der Herr die Wasser ziu^ückhielt, bis sie auf dem jenseitigen Ufer waren.
Diese Stelle am Euphrat mußte sich notwendigenveise in seinem obern
Teil befinden, denn weiter südlich wäre es für ihre Zwecke zu weit entfernt
gewesen. Der obere Lauf des Euphrats liegt zwischen hohen Bergen. In
der Nähe des Dorfes Pastash stürzt der Fluß durch eine Schlucht melir
als 1000 Fuß hoch hinunter und so enge treten hier die Ufer zusammen,
daß sie den Fluß überbrücken. Kurz nachher betritt der Fluß die Ebene
Mesopotamiens. Wie genau entspricht dieser Teil des Flusses dem von Esra
beschriebenen engen Weg, auf dem die Israeliten den Fluß überschritten!"
Art. 10.] Die Sammlung Israels. 409
Vorlesung XVIII.
Die Sammlung Israels.
Art. 10. — Wir glauben an die buchstäbliche Sammlung Israels
und an die Wiederherstellung der zehn Stämme * * *.
1. Die Sammlung vorhergesagt. — So schrecklich
auch die infolge seiner Verstocktheit und seiner Sünden
über das Haus Israel beschlossene Züchtigung war, die zur
Auflösung des Reiches und seiner tatsächhchen Verstoßung
aus der Gunst des Herrn führte, — so furchtbar die Dro-
hungen desjenigen, dem es gefallen hatte, die Israeliten
sein Volk zu heißen — während all der Leiden und Ent-
behrungen die sie als Verstoßene hinnehmen mußten unter
den fremden Völkern, die nie aufgehört haben, sie zu ver-
folgen, zu verhöhnen und schimpflich zu behandeln, als ihr
bloßer Name schon ein Spottname und Sprichwort war, —
stets sind sie aufrecht erhalten worden durch das bestimmte
Wort der göttlichen Verheißung, daß ein Tag glorreicher
Erlösung und segensreicher Wiederherstellung ihrer warte.
Mit den Flüchen, unter denen sie stöhnten und sich ver-
zehrten, waren Zusicherungen von Segnungen verbunden.
Aus dem Herzen des Volkes wie aus der Seele ihres mäch-
tigen Königs ist am Tage seiner allerdings verdienten
Leiden ein Gesang tränenvoller Freude emporgestiegen:
„Du wirst meine Seele nicht in der Hölle lassen".^) — Die
Leiden Israels sind nur eine notwendige Züchtigung durch
einen betrübten, aber immer liebenden Vater gewesen.
») Psalm 16:10; Apostelgesch. 2:27.
410 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVIII.
der mit diesen wirksamen Mitteln eine Reinigung seiner
sündenbefleckten Kinder beabsichtigte. Diese seine Ab-
sicht hatte er ihnen, als er sie so heimsuchte, freimütig
kund getan, und in seinen Strafen haben sie seine Liebe ge-
sehen: „Denn welchen der Herr lieb hat, den züchtigt er",^)
und „wohl dem, den du, Herr, züchtigst". 2)
2. Ob auch von den Menschen geschlagen und verfolgt,
und später zum großen Teil für die übrige Welt verloren,
so ist Israel doch nie seinem Vater verlorengegangen.
Er weiß, wohin sie geführt oder vertrieben worden sind.
Noch schlägt sein Herz für sie in väterlicher Liebe. Sicher-
lich wird er sie zu seiner Zeit und auf vorherbestimmte
Weise hervorbringen in einen Zustand göttlicher Gunst
und Macht, wie es seinem auserwählten Bundesvolk zu-
kommt. Trotz ihrer Sünden und der Trübsale, die sie über
sich selber bringen würden, hat der Herr gesagt: „Auch wenn
sie schon in der Feinde Land sind, habe ich sie gleichwohl
nicht verworfen und ekelt mich ihrer nicht also, daß es
mit ihnen aus sein sollte und mein Bund mit ihnen sollte
nicht mehr gelten; denn ich bin der Herr, ihr Gott. "3) —
So vollständig wie die Zerstreuung, so vollständig soll
auch die Sammlung Israels werden.
3. Biblische Prophezeiungen über die Sammlung
Israels. Wir haben einige der biblischen Prophezeiungen
der Zerstreuung Israels geprüft; in allen Fällen war mit
dem Fluch die Segnung etwaiger Wiederherstellung ver-
knüpft. Unter den ersten Prophezeiungen dieser Art
hören wir, wie der Herr erklärt: ,,Wenn du, Israel, dich
bekehrest zu dem Herrn, deinem Gott, daß du seiner
Stimme gehorchest, du und deine Kinder, von ganzem
') Hebräer 12:6.
*) Psalm 94:12; siehe auch Sprüche 3:12; Jakobus 1:12; Offen-
barung Joh. 3:19.
= ) 3. Mose 26:44; siehe auch 5. Mose 4:27 — 31.
Art. 10.] Die Sammlung Israels. 411
Herzen und von ganzer Seele, in allem, was ich dir heute
gebiete, so wird der Herr, dein Gott, dein Gefängnis wen-
den und sich deiner erbarmen und wird dich wieder ver-
sammeln aus allen Völkern, dahin dich der Herr, dein Gott,
verstreuet hat. Wenn du bis an der Himmel Ende ver-
stoßen wärest, so wird dich doch der Herr, dein Gott, von
dort sammeln und dich von dort holen und wird dich in
das Land bringen, das deine Väter besessen haben, und
wirst es einnehmen, und er wird dir Gutes tun und dich
mehren über deine Väter. "i)
4. Nehemia bittet unter Fasten und Gebet, der Herr
möge sich seiner Verheißung der Wiederherstellung er-
innern, wenn sich das Volk wieder der Rechtschaffenheit
zuwende. 2) Jesaja spricht in bestimmten Worten von der
sichern Rückkehr und Wiedervereinigung des zerstreuten
Israels und sagt: „Und der Herr wird zu der Zeit zum an-
dernmal seine Hand ausstrecken, daß er das übrige seines
Volkes erwerbe, so übriggeblieben ist von Assur, Ägypten,
Pathros, Mohrenland, Elam, Sinear, Hamath und von den
Inseln des Meeres, und wird ein Panier unter die Heiden
aufwerfen und zusammenbringen die Verjagten Israels
und die Zerstreueten aus Juda zuhauf führen von den vier
Enden des Erdreiches.**^)
5. Die Wiederherstellung soll vollständig werden:
ein einiges Reich soll entstehen, nicht mehr zwei geteilte
Königreiche in gegenseitiger Feindschaft, denn „der Neid
wider Ephraim wird aufhören, und die Feinde Judas wer-
den ausgerottet werden, daß Ephraim nicht neide den Juda
und Juda nicht sei wider Ephraim.***) — Mit den Worten
eines liebenden Vaters spricht der Herr von seinem Um-
1) 5. Mose 30:2—5.
') Nehemia 1:9.
») Jesaja 11:11—12.
*) Vers 13; siehe auch Hesekiel 37:21.
412 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVIII.
gang mit Israel und verklärt dessen Betrübnis mit Verhei-
ßungen : „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen ;
aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.
Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein
wenig vor dir verborgen; aber mit ewiger Gnade will ich
mich dein erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser."^)
6. Jeremia gibt eine erschreckende Aufzählung der Sün-
den des Volkes und der Strafen, die ihnen auf dem Fuße
folgen würden und verkündet dann den Willen und die
Absicht Gottes inbezug auf die darauffolgende Erlösung:
,, Darum siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, daß
man nicht mehr sagen wird : So wahr der Herr lebt, der die
Kinder Israel aus Ägyptenland geführet hat! sondern:
So wahr der Herr lebt, der die Kinder Israel geführt hat
aus dem Lande der Mitternacht und aus allen Ländern,
dahin er sie verstoßen hatte! Denn ich will sie wieder-
bringen in das Land, das ich ihren Vätern gegeben habe.
Siehe, ich will viel Fischer aussenden, spricht der Herr,
die sollen sie fischen ; und darnach will ich viel Jäger aus-
senden, die sollen sie fangen auf allen Bergen und auf
allen Hügeln und in allen Steinritzen."^)*** Und weiter:
„Siehe, ich will sie aus dem Lande der Mitternacht bringen
und will sie sammeln aus den Enden der Erde * * * Höret,
ihr Heiden, des Herrn Wort und verkündigts fern in die
Inseln und sprecht: Der Israel zerstreuet hat, der wirds
auch wieder sammeln und wird sie hüten wie ein Hirte
seine Herde. Denn der Herr wird Jakob erlösen und von
der Hand des Mächtigen erretten. Und sie werden kom-
men und auf der Höhe zu Zion jauchzen und werden zu
den Gaben des Herrn laufen. "3)
») Jesaja 54:7 — 8.
») Jeremia 16:12—16.
») Jeremia 31:7 — 8, 10-
Art. 10.] Die Sammlung Israels. 413
7. „Abtrünnige Israel", „Verstockte Juda" sind die
Worte, mit denen der Herr seine treulosen Kinder tadelt;
dann befiehlt er dem Propheten und spricht: ,,Gehe hin
und rufe diese Worte gegen die Mitternacht und sprich:
„Kehre wieder, du abtrünnige Israel, spricht der Herr,
so will ich mein Antlitz nicht gegen euch verstellen. Denn
ich bin barmherzig, spricht der Herr, und will nicht ewig-
lich zürnen. Allein erkenne deine Missetat, daß du wider
den Herrn, deinen Gott, gesündigt hast und bist hin und
wieder gelaufen zu den fremden Göttern unter allen grünen
Bäumen und habt meiner Stimme nicht gehorcht, spricht
der Herr. Bekehret euch, ihr abtrünnigen Kinder, spricht
der Herr; denn ich will euch mir vertrauen und will euch
holen, einen aus einer Stadt und zwei aus einem Geschlecht,
und will euch bringen gen Zion und will euch Hirten geben
nach meinem Herzen, die euch weiden sollen mit Lehre
und Weisheit. Und es soll geschehen, wenn ihr gewachsen
seid und euer viel geworden sind im Lande, so soll man,
spricht der Herr, zur selben Zeit nicht mehr sagen von der
Bundeslade des Herrn, auch ihrer nicht mehr gedenken
noch davon predigen noch nach ihr fragen, und sie wird
nicht wieder gemacht werden; sondern zur selben Zeit
wird man Jerusalem heißen ,Des Herrn Thron', und wer-
den sich dahin sammeln alle Heiden um des Namens des
Herrn willen zu Jerusalem und werden nicht mehr wandeln
nach den Gedanken ihres bösen Herzens. Zu der Zeit wird
das Haus Juda gehen zum Haus Israel, und sie werden
miteinander kommen von Mitternacht in das Land, das
ich euern Vätern zum Erbe gegeben habe."^)
8. Dem Propheten Hesekiel offenbarte der Herr
ebenfalls den Plan der Wiederherstellung Israels: ,,So
spricht der Herr, Herr : Siehe, ich will die Kinder Israel
•) Jeremia 3:12—18; siehe auch 23:8; 29:13, 14; 30:3; 32:37.
414 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVIII.
holen aus den Heiden, dahin sie gezogen sind, und will
sie allenthalben sammeln und will sie wieder in ihr Land
bringen und will ein Volk aus ihnen machen im Lande auf
den Bergen Israels, und sie sollen allesamt einen König
haben und sollen nicht mehr zwei Völker noch in zwei
Königreiche geteilt sein."i)
9. Daß die Wiedererrichtung des Reiches Israel von
Dauer sein soll, geht klar aus den durch Amos gegebenen
Offenbarungen hervor, in denen wir lesen, daß der Herr
sagt: „Denn ich will das Gefängnis meines Volkes Israel
wenden, daß sie sollen die wüsten Städte bauen und be-
wohnen, Weinberge pflanzen und Wein davon trinken,
Gärten machen und Früchte daraus essen. Denn ich will
sie in ihr Land pflanzen, daß sie nicht mehr aus ihrem
Land ausgerottet werden, das ich ihnen gegeben habe,
spricht der Herr, dein Gott. "2)
10. Als passenden Abschluß unserer Auswahl bibli-
scher Prophezeiungen lassen wir die Worte Jesu Christi
folgen, die er gesprochen, als er noch unter den Menschen
wohnte: ,,Und er wird senden seine Engel mit hellen Po-
saunen, und sie werden sammeln seine Auserwählten von
den vier Winden, von einem Ende des Himmels zu dem
andern. "3)
11. Prophezeiungen in dem Buch Mormon. — Die
Sammlung Israels nahm die Aufmerksamkeit vieler Prophe-
ten in Anspruch, deren Lehren im Buch Mormon verzeich-
net sind. Mit diesem Buch sind uns auch eine ganze Anzahl
unmittelbarer Offenbarungen über diese Sache erhalten
geblieben. Wir haben Lehis Gespräch im Tale Lemuel
bereits angeführt, worin dieser Patriarch und Prophet
das Haus Israel mit einem Ölbaum vergleicht, dessen
') Hesekiel37:21— 22;sieheauchll:17;20:34— 42;28:25;34:11,31.
«) Amos 9:14 — 15.
') Matthäus 24:31.
I
Art. 10.] Die Sammlung Israels. 415
Zweige abgehauen und zerstreut werden sollten. Nun
können wir auch seine Prophezeiungen inbezug auf das
Wiedereinpflanzen der Zweige hinzufügen. Er lehrte,
daß „nachdem Israel zerstreut sein werde, sollte es wieder
zusammengeführt werden ; oder endlich, nachdem die Hei-
den das Evangelium in Vollkommenheit empfangen
hätten, dann sollten die natürlichen Zweige des Ölbaums
oder der Rest des Hauses Israel eingepfropft werden, oder
zu der Erkenntnis des wahren Messias, ihres Herrn und Er-
lösers, gelangen. "1)
12. Nephi führt die Worte des Propheten Zenos-)
an und betont nachdrücklich, daß Israel, wenn es durch
Leiden gereinigt ist, wieder vor den Herrn in Gunst kommen
sollte, und daß sie dann von den vier Enden der Erde ge-
sammelt und auf den Inseln des Meeres in Erinnerung ge-
bracht werden sollen. 3) Jakob, der Bruder Nephis, bezeugte
die Wahrheit der Prophezeiungen des Zenos und bezeich-
nete die Zeit der Sammlung als ein Merkmal der letzten
Tage. Seine Worte lauten: ,,An dem Tage, da der Herr
seine Hand wieder ausstrecken wird, zum zweitenmal
sein Volk zu erlangen, wird es die Zeit sein, ja selbst das
letztemal, wann die Diener des Herrn in seiner Macht aus-
gehen werden, um seinen Weinberg zu pflegen und zu be-
schneiden, und nach diesem kommt das Ende bald."^)
13. Eine der umfassendsten Prophezeiungen über
die Wiederbringung der Juden ist die folgende von Nephi:
„Die Juden sollen unter alle Völker zerstreut, und Babylon
soll zerstört werden; und die Juden werden durch andere
Nationen zerstreut werden. Und nachdem dies geschehen
ist, und Gott, der Herr, sie durch andere Völker gezüchtigt
») Siehe Anmerkung 3, Seite 407.
') 1. Nephi 10:14; siehe auch Jakob 5.
') l.Nephil9:16; siehe auch 1. Nephi 22: 11, 12, 25; 2. Nephi 6: 8— 11.
«) Jakob 6:2.
416 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVIII.
hat, durch viele Geschlechter ja selbst von Geschlecht zu
Geschlecht, bis sie überzeugt sein werden, an Christum,
den Sohn Gottes, und an die Versöhnung zu glauben,
welche für alle Menschen unendlich ist; wenn nun der Tag
kommen wird, da sie an Christum glauben werden, und den
Vater in seinem Namen mit aufrichtigem Herzen und rei-
nen Händen anbeten und auf keinen andern Messias warten
wollen, dann, zu der Zeit, wird der Tag kommen, daß es
notwendig sein wird, daß sie allen diesen Dingen glauben.
Dann wird der Herr zum zweitenmal seine Hand ausstreck-
ken, um sein Volk von dem verlorenen und gefallenen
Zustande zu retten, und wird beginnen ein wunderbares
Werk und ein Wunder unter den Menschenkindern aufzu-
richten."i)
14. Nephi erläuterte die Worte Jesajas, die Leiden
und den darauffolgenden Triumph des Volkes Israel be-
treffend, nennt dann die Bedingungen, unter welchen ihre
Sammlung zustande kommen sollte, und sagt von Gott:
„Daß er durch den Mund seiner heiligen Propheten zu den
Juden geredet hat, selbst von Anfang an, von Geschlecht
zu Geschlecht, bis die Zeit kommt, wo sie der wahren
Kirche und Flerde Gottes wiedergegeben werden sollen,
wo sie in das Land ihrer Erbschaft vereinigt und zurück-
geführt werden und in alle ihnen verheißenen Länder ein-
gesetzt werden sollen. "2)
15. Aus diesen und vielen andern Schriftstellen ist
klar ersichtlich, daß die Zeit der Rückkehr der Juden be-
stimmt wird durch ihre Anerkennung Christi als ihren
Herrn. Wann diese Zeit kommt, sollen sie in das Land
ihrer Väter versammelt werden, und die Heiden sind dazu
ausersehen, einen großen und ehrenvollen Anteil an dem
») 2. Nephi 25:15—17.
») 2. Nephi 9:2: siehe auch 1. Nephi 15:19; 19:13—16; 2. Nephi
25:16, 17, 20; 3. Nephi 5:21—26; 21:26—29; 29:1—8; Mormon 5:14.
Art. 10.] Die Sammlung Israels. 417
Werke der Sammlung zu nehmen. So bezeugen uns die
Worte Nephis: „Aber sehet, so spricht Gott, der Herr:
Wann der Tag kommt, daß sie an mich glauben werden,
daß ich der Christus bin, dann habe ich mit ihren Vätern
einen Bund gemacht, daß sie im Fleische auf der Erde
in den Ländern ihres Erbteils wieder eingesetzt werden
sollen. Und es wird sich begeben, daß sie nach ihrer langen
Zerstreuung wieder versammelt und von den Inseln der
See und den vier Teilen der Erde zurückgeführt werden;
und die Völker der Heiden werden in meinen Augen groß
sein, spricht Gott, dieweil sie dieselben in die Länder ihres
Erbteils zurückführen. Ja, die Könige der Heiden sollen
ihre Pflegeväter sein und deren Königinnen ihre Pflege-
mütter; die Versprechungen des Herrn an die Heiden sind
groß, denn er hat geredet, und wer kann es widerlegen ?"i)
16. Die Unterstützung, welche die Heiden den Juden
und dem Überbleibsel des Hauses Israel bei ihren Vorbe-
reitungen angedeihen lassen werden, wird von verschie-
denen Propheten des Buches Mormon bestätigt. Darüber
hinaus werden die Segnungen, welche sie auf diese Weise
erlangen können, im einzelnen beschrieben.^) Eine einzige
Anführung muß für unsern augenblicklichen Zweck ge-
nügen. Es ist die Erklärung des auferstandenen Herrn
während seiner kurzen Wirksamkeit unter den Nephiten:
„Aber wenn sie sich bekehren, auf meine Worte hören,
und ihre Herzen nicht Verstecken wollen, dann will ich
meine Kirche unter ihnen gründen, und sie sollen in den
Bund aufgenommen und unter diese, die Überbleibsel
Jakobs, gerechnet werden, denen ich dieses Land als Erb-
teil gegeben habe ; und sie sollen meinem Volke, dem Über-
bleibsel Jakobs, und auch allen, die vom Hause Israel
>) 2. Nephi 10:7—9; 30:7; siehe auch Jesaja 49:23; 3. Nephi
5:26; 20:29.
') 2. Nephi 21:21—27; Ether 13:8—10.
27
418 _ Die Glaubensartikel. [Vorl. XVIII.
kommen werden, helfen, eine Stadt zu bauen, welche das
Neue Jerusalem genannt werden soll; und dann sollen sie
meinem Volke, welches im ganzen Lande zerstreut ist, hel-
fen, sich ins Neue Jerusalem zu versammeln. Dann wird die
Macht des Himmels unter sie herabkommen, und ich werde
auch in ihrer Mitte sein. An dem Tage, wann dieses Evan-
gelium unter dem Überbleibsel dieses Volkes gepredigt
wird, soll das Werk des Vaters beginnen. Wahrlich, ich
sage euch: An jenem Tage wird das Werk unter allen
Zerstreuten meines Volkes anfangen, ja selbst unter den
verlorenen Stämmen, welche der Vater, aus Jerusalem
hinweggeführt hat. Ja, das Werk des Vaters wird unter
allen Zerstreuten meines Volkes anfangen, um den Weg
zu bereiten, auf welchen sie zu mir gelangen, und damit
sie den Vater in meinem Namen anrufen können. Ja, und
dann, mit dem Vater, soll das Werk unter allen Nationen
anfangen, um den Weg zu bereiten, wodurch sein Volk
zum Land seines Erbteils heimgeführt werden soll,"^)
17. Neuzeitliehe Offenbarungen über die Sammlung
Israels. Für die genaue, buchstäbliche Erfüllung der
Prophezeiungen hinsichtlich der Zerstreuung Israels haben
wir ausgiebige Beweise gefunden. Die Prophezeiungen
über die Sammlung sind bis jetzt nur teilweise erfüllt
worden. Zwar hat das Werk der Zusammenbringung
einen guten Anfang genommen und ist heute in stetem
Fortschritt begriffen; seine Vollendung aber liegt noch
in der Zukunft. Es ist daher zu verstehen, wenn man auch
in neuzeitlichen heiligen Schriften nach Offenbarungen
und Prophezeiungen über diese Sache ausschaut, gerade
wie in heiligen Schriften früherer Zeiten. Der Herr
hat in dieser Dispensation zu den Ältesten seiner Kirche
gesprochen, dabei den Zweck der Sammlung des Volkes,
») 3. Nephi 21:22—28.
Art. 10.] Die Sammlung Israels. 419
„wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel"!) erklärt
und hinzugefügt: „Und ihr seid berufen, die Sammlung
meiner Auserwählten zustande zu bringen, denn meine
Auserwählten hören meine Stimme und verhärten ihre
Herzen nicht; deshalb ist die Verordnung vom Vater aus-
gegangen, daß sie in einem Platze auf die Oberfläche dieses
Landes versammelt werden sollten, um ihre Herzen vor-
zubereiten, und in allen Dingen vorbereitet zu sein, auf den
Tag, wann Trübsale und Zerstörung auf die Gottlosen ge-
sandt werden soll."^)
18. Hören wir weiter, wie der Herr dem Volk seiner
Kirche nicht allein die Sammlung vorhersagt, sondern
ihm auch bekannt gibt, daß die Stunde der Sammlung
gekommen sei. „Darum bereite dich, bereite dich, o mein
Volk, heilige dich, versammle dich, o du Volk meiner
Kirche * * *. Ja wahrlich, wiederum sage ich euch, daß
die Zeit gekommen ist, da die Stimme des Herrn an euch
ergeht, von Babylon auszugehen; sammelt euch aus den
Völkern, von den vier Winden von einem Ende des Him-
mels bis zu dem andern. "3)
19. Umfang und Zweck der Sammlung. Einige der
bereits angeführten Prophezeiungen beziehen sich beson-
ders auf die Wiederherstellung der zehn Stämme, andere
weisen auf die Rückkehr des Volkes Juda nach dem Lande
ihres Erbteiles hin, wieder andere haben Bezug auf die
Wiederaufrichtung Israels im allgemeinen, ohne besondere
Stämme oder andere Teile zu erwähnen, währenddem
endlich viele Stellen in den Offenbarungen unserer Zeit
von der Sammlung der Heiligen handeln, die sich der
•) Offenbarung, gegeben im Jahre 1830; Lehre u. Bündn. Abschn.
29:2; siehe auch Abschnitt 10:65; 43:24.
') L. u. B. 29:7—8; siehe auch 31:8; 33:6; 38:31; 133:7; 45:25;
77:14; 84:2.
=) L. u. B. 133:4— 7.
420 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVIII.
wiederhergestellten Kirche Jesu Christi angeschlossen
haben. Der Plan der Sammlung umfaßt augenscheinlich:
1. Die Rückkehr der Juden nach Jerusalem,
2. Die Wiederherstellung der zehn Stämme,
3. Das Sammeln des Volkes Israel aus den Völkern
der Erde nach dem Lande Zion.
20. Diese Dreiteilung haben wir nur der Bequem-
lichkeit halber vorgenommen, sie hat keinen Bezug auf die
Reihenfolge, in welcher das Werk vollbracht werden soll.
Der zuletzt genannte Teil stellt das heutige große Werk
der Kirche dar, obschon damit auch die Beihilfe bei der
Wiederherstellung der verlorenen Stämme verknüpft ist.
Durch die im Kirtland-Tempel gegebene Offenbarung ist
uns bekannt geworden, daß der Auftrag und die Vollmacht
zu diesem Werk feierlich der Kirche übertragen worden
sind. Und durch wen anders sollte diese Vollmacht wohl
gebracht werden als durch den, der sie durch göttlichen Auf-
trag in einer früheren Dispensation des geeinigten Israels
erhalten hatte? Mose, welcher der Hauptvertreter des
Volkes Israels war, als der Herr seine Hand zum erstenmal
ausstreckte, um sein Volk in das Land seines Erbteils
zu führen, ist persönlich gekommen und hat der Kirche
der letzten Tage die Vollmacht übertragen, dieses Werk
auszuführen, nun da der Herr „seine Hand abermals aus-
streckt" um sein Volk zu befreien.
21. Joseph Smith und Oliver Cowdery, von denen
jeder rechtmäßig zum Apostelamt ordiniert worden war,
zeugen von der ihnen gewordenen Kundgebung mit fol-
genden Worten: ,, Nachdem dieses Gesicht geschlossen war,
wurden uns die Himmel wieder geöffnet: Mose erschien,
und übergab uns die Schlüssel zur Sammlung Israels
von den vier Teilen der Erde, und der Herbeiführung der
b
Art. 10.] Die Sammlung Israels. ■ 421
zehn Stämme von den Nordländern. "i) Die Wichtigkeit
dieses Werkes, das so von der Kirche verlangt wird, ist in
einer spätem Offenbarung nachdrücklich hervorgehoben
worden, wobei der Herr folgendes Gebot gab: „Sendet die
Ältesten meiner Kirche aus zu den Völkern, welche ferne
wohnen, auf die Inseln des Meeres; schicket sie nach frem-
den Ländern, fordert alle Völker auf, zuerst die Heiden,
und alsdann die Juden. Und sehet, dies soll ihr Ruf und die
Stimme des Herrn an alle Völker sein : Gehet hin nach dem
Lande Zion. * * * Lasset darum die, die unter den Hei-
den sind, nach Zion fliehen, und die aus Juda, nach Jeru-
salem zu den Bergen des Hauses des Herrn. Gehet aus
von den Völkern, selbst aus Babylon, aus der Mitte der
Gottlosigkeit, welches das geistige Babylon ist."^)
22. Der letzte Satz der eben angeführten Stelle be-
zeichnet den Zweck, wozu das Werk der Sammlung der
Heiligen aus den Völkern der Erde angeordnet ist. Der
Herr möchte, daß sein Volk sich von den Sünden der Welt
trennt und das geistige Babylon verläßt, damit sie die Wege
Gottes kennen lernen und ihm umso besser dienen können.
Johannes der Offenbarer sah in einem Gesicht das Schick-
sal der sündigen Welt voraus, als er auf der Insel Patmos
in der Verbannung lebte. Ein Engel kam vom Himmel,
„und er schrie aus Macht mit großer Stimme und sprach:
Sie ist gefallen, sie ist gefallen, Babylon, die große, und
eine Behausung der Teufel geworden und ein Behältnis
aller unreinen Geister und ein Behältnis aller unreinen und
verhaßten Vögel. * * * Und ich hörte eine andere Stimme
vom Himmel, die sprach: Gehet aus von ihr, mein Volk,
daß ihr nicht teilhaftig werdet ihrer Sünden, auf daß ihr
') Lehre u. Bündn. 110:11.
') L. u. B. 133:8— 9, 12—14.
422 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVIII.
nicht empfanget etwas von ihren Plagen I Denn ihre Sün-
den reichen bis in den Himmel, und Gott denkt an ihren
Frevel."!)
23. Der Glauben der Heiligen der letzten Tage lehrt,
daß an dem Tage des gerechten Zornes des Herrn, in Zion
Sicherheit sein wird. Die Wichtigkeit, welche die Heiligen
der letzten Tage dem Werke der Sammlung beimessen,
und die Treue, mit der sie der Pflicht gerecht zu werden
suchen, die ihnen durch göttliche Vollmacht auferlegt
wurde, nämlich die Welt vor den drohenden Gefahren,
wie sie in dem Gesicht des Offenbarers geschildert werden,
zu warnen, wird zur Genüge bewiesen durch die große
Ausdehnung ihrer Missionsarbeit, wie sie gegenwärtig
von diesem Volke betrieben wird. 2)
24. Israel ein auserwähltes Volk. Es ist augenschein-
lich, daß der Herr auf sein Volk Israel seine besten Seg-
nungen beschlossen hat. 3) Mit Abraham, dem großen
Stammvater dieses Volkes, trat Gott in einen Bund und
sagte: „Und ich will dich zum großen Volk machen und will
dich segnen und dir einen großen Namen machen, und
sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen und
verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet
werden alle Geschlechter auf Erden. "^) Dies sollte ein
ewiger Bund sein.^) Er wurde auf Isaak^) bestätigt und
später auch auf Jakob'), der Israel genannt wurde. Die
Verheißung einer zahlreichen Nachkommenschaft, unter
welcher viele vom königlichen Rang sein würden, ist
buchstäblich in Erfüllung gegangen. Nicht weniger sicher
') Offenbarung Job. 18:2, 4 — 5.
') Siehe Anmerkung 1.
') Siehe Anmerkung 2.
*) 1. Mose 12:1 — 3; siehe auch Galater 3:14, 16.
') 1. Mose 17:6—8.
«) 1. Mose 26:3 — t.
') 1. Mose 35:11—12.
Art. 10.] Die Sammlung Israels. 423
ist die Verwirklichung des zweiten Teiles der Verheißung,
daß nämlich in und durch Abrahams Nachkommenschaft
alle Völker der Erde gesegnet werden sollen. Denn infolge
einer weltweiten Zerstreuung haben sich die Kinder Is-
rael mit den Völkern der Erde vermischt und das Blut
des auserwählten Samens hat sich mit dem aller Völker
vermengt.^) Heute nun, am Tag der Sammlung, da der
Herr sein Volk wieder zusammenbringt, um es zu ehren
und zu segnen, mehr als die Welt zu geben vermag, nimmt
jedes Volk mit dem Blute Israels in den Adern seiner
Glieder an den Segnungen teil.
25. Es gibt jedoch noch einen schlagenderen Beweis
für die Segnungen, die durch das Haus Israel allen Völ-
kern zugute gekommen sind. Ist nicht der im Fleisch ge-
borene Erlöser aus dem Stamm Abrahams hervorgegangen ?
Sicherlich erstrecken sich die Segnungen dieser göttlichen
Geburt nicht nur auf die Völker und Familien der Erde
im großen und ganzen, sondern auf jeden einzelnen Sterb-
lichen im besondern.
26. Die Wiederherstellung der zehn Stämme. Aus
den behandelten Schriftstellen geht klar hervor, daß wenn
auch viele, die zu den zehn Stämmen gehörten, unter die
Völker der Erde zerstreut wurden, doch eine, die Beibe-
haltung des ursprünglichen Namens rechtfertigende Zahl
als ein Ganzes weggeführt wurde, die an einem bestimmten
Orte fortbestehen, wo sie der Herr verborgen hält. Ihnen
zu dienen, besuchte sie Christus nach seinem bereits er-
wähnten Besuch bei den Nephiten.^) Ihre Rückkehr bildet
einen sehr wesentlichen Teil der Sammlung, die für die
Dispensation der Fülle der Zeiten kennzeichnend ist.
') Siehe Anmerkung 3.
») Seite 406, 407.
424 Die Glaubensartikel. [Vori. XVIII.
27. Den bereits angeführten Schriftstellen, die sich
auf ihre Rückkehr beziehen, sollte die nachstehende an-
gefügt werden. Von diesem Bestandteil des Werkes Gottes
in den letzten Tagen wird uns gesagt: „Und die, die in den
nördlichen Ländern sind, werden vor dem Herrn in Er-
innerung kommen, und ihre Propheten werden seine Stimme
hören, und sie werden sich nicht länger zurückhalten,
werden die Felsen schlagen, und das Eis wird vor ihrer
Gegenwart herabfließen. Und ein Weg wird in der Mitte
der großen Tiefe gebahnt werden. Ihre Feinde werden ih-
nen zur Beute werden, und in der unfruchtbaren Wüste
werden Quellen lebendigen Wassers entstehen, und die
ausgetrocknete Erde wird nicht länger ein durstiges Land
sein. Und sie werden ihre reichen Schätze meinen Dienern,
den Kindern Ephraims, hervorbringen. Und die Grenzen
der ewigen Hügel werden vor ihrer Gegenwart zittern.
Und alsdann werden sie niederfallen und mit Herrlichkeit
gekrönt werden, nämlich in Zion, durch die Hände der
Diener des Herrn, nämlich der Kinder Ephraims; und sie
sollen mit ewigen Freudengesängen erfüllt werden. Sehet,
dies ist der Segen des ewigen Gottes auf die Stämme Israels
und die größere Segnung auf das Haupt Ephraims und
seiner Genossen. "i)
28. Bei der ausdrücklichen und wiederholten Erklä-
rung, daß die zehn Stämme bei ihrer Rückkehr aus dem
Norden nach Zion geführt werden sollen, um dort Segnun-
gen aus den Händen einiger der Kinder Ephraims zu emp-
fangen, die also notwendigerweise zuvor selbst dort ver-
sammelt werden müssen, ist es klar, daß zuerst Zion ge-
baut werden muß. In unserer nächsten Vorlesung wenden
wir nun unsere Aufmerksamkeit der Gründung Zions zu.
») Lehre u. Bündn. 133:26 — 34.
Art. 10.] Anmerkungen. 425
Anmerkungen.
1. Die Sammlung nunmehr Im Fortscbreiten begriffen. — Die Heiligen
der letzten Tage errichten in den Tälern der Felsengebirge Pfähle Zions
und bringen auf diese Weise die Prophezeiungen der alten Propheten in
Erfüllung. Jesaja hat geschrieben: „Es wird zur letzten Zeit der Berg,
da des Herrn Haus ist, fest stehen, höher denn alle Berge, und über alle
Hügel erhaben werden, und werden alle Heiden dazu laufen und viele Völker
hingehen und sagen: Kommt, laßt uns auf den Berg des Herrn gehen, zum
Hause des Gottes Jakobs, daß er uns lehre seine Wege und wir wandeln
auf seinen Steigen! Denn von Zion wird das Gesetz ausgehen, und des
Herrn Wort von Jerusalem" (Jes. 2:2 — 3). Es ist bemerkenswert, wie genau
die Heiligen der letzten Tage die Ausdrücke in dieser Prophezeiung erfüllen:
1. Sie bauen auf den Höhen der Berge Tempel des Herrn, sodaß das Haus
des Herrn tatsächlich da ist, wo Jesaja es gesehen hat. — 2. Die Heiligen,
die in diesem Werke tätig sind, sind Leute, die fast aus allen Völkern unter
dem Himmel sich sammelten, sodaß „alle Völker fliehen zu dem Hause
des Herrn", auf den Gipfeln der Berge. — 3. Die Menschen, die in fernen
Ländern das Evangelium annehmen, sagen voller Freude zu ihren Ver-
wandten und Freunden: „Kommt, laßt uns auf den Berg des Herrn gehen,
zum Hause des Gottes Jakobs, daß er uns lehre seine Wege und wir wandeln
auf seinen Steigen!" — Robert's „Outlines of Ecclessiastical History",
Seite 409. —
2. Israel ein auservvähltes Volk. — Die dem Patriarchen Abraham
gegebene Verheißung, daß er zu einem großen Volke werden solle, hat darin
ihre Erfüllung gefunden, daß sein auserwählter .Same 1500 Jahre lang das
Land Palästina als solches besessen hat. Sie wird von neuem in Erfüllung
gehen, wenn sie dereinst für immer als ein Volk in jenem Lande wohnen
werden. Die Geschichte der östlichen Erdhälfte während der 2000 Jahre
zwischen der Berufung Abrahams und der Zerstörung Jerusalems durch
die Römer ist Zeuge dafür, daß jedes Reich, welches gegen Israel kämpfte,
oder das dieses Volk in irgend einer Weise unterdrückte, von dem Schau-
platz der Geschichte verschwand. Die Zeit wird das gleiche allgemeine
Ergebnis für den Zeitraimi von der Zerstörung Jerusalems bis zum Tausend-
jährigen Reich kundtun. Der Prophet Jesaja spricht von der Zeit, da der
Herr Israel wieder gnädig sein werde und sagt: „Siehe, sie sollen zu Spott
imd Schanden werden alle, die dir gram sind; sie sollen werden wie nichts;
imd die Leute, die mit dir hadern, sollen umkommen." — ,,Und ich will deine
Schinder speisen mit ihrem eigenen Fleisch, und sie sollen von ihrem eigenen
Blut wie von süßem Wein trunken werden." — „Siehe, ich nehme den
Taumelkelch von deiner Hand samt den Hefen des Kelches meines Grimms;
du sollst ihn nicht mehr trinken, sondern ich will ihn deinen Schindern in
die Hand geben, die zu deiner Seele sprachen: Bücke dich, daß wir drüber-
hin gehen, und mache deinen Rücken zur Erde und wie eine Gasse, daß
man drüberhin laufe." — (Jes. 41:11; 49:26; 51:22, 23.) — „A Compen-
dium of the Doctrines of the Gospel" von den Ältesten Franklin D. Richards
und James A. Little, Seite 246—247.
3. Israel unter den verschiedenen Völkern. — ,,Wenn wir bedenken,
daß 32 Jahrhunderte vergangen sind, seitdem die Feinde Israels die Israe-
liten im Lande Kanaan unterdrückten, daß diese während eines Drittels
der Zeit, während der sie als ein Volk dieses Land inne hatten, mehr oder
426 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVIII.
weniger in der Knechtschalt ilirer Feinde lebten, daß siebenhundert Jahre
vor dem Kommen Christi die zeiin Stämme über das westliche Asien zer-
streut wurden, und daß wir keinen Bericht haben, wonach bis heute irgend
welche von ihnen in das Land ihrer Väter zurückgekehrt wären, daß nahezu
sechshundert Jahre vor Christus die babylonische Gefangenschaft erfolgte
und daß gemäß dem Buch Esther nur ein kleiner Teil der Juden zurück-
kehrte, währenddem die meisten auf die 127 Pro%inzen des persischen
Reiches verteilt wurden, daß Asien der Bienenkorb war, von welchem jene
Nomadeustämme ausschwärmten, die Europa überrannten, daß bei der
Zerstörung Jerusalems durch die Römer die Juden über die ganze damals be-
kannte Welt zerstreut wurden; wenn wir uns dies alles vor Augen halten,
dann dürfen wir wohl die Frage stellen: „Stellt Israel heute nicht einen
großen Teil der menschlichen Familie dar?" — ,, Compendium", von den
Ältesten F. D. Richards und James A. Little, S. 90.
Art. 10.] Zion. 427
Vorlesung XIX.
Zion.
Artikel 10. — Wir glauben, * * * daß Zion auf dem amerikanischen
Kontinent aufgebaut werden wird * * *.
1. Zwei Sammelplätze. — Von den Stellen, die wir
in Verbindung mit der Zerstreuung und der darauffolgenden
Wiedervereinigung Israels angeführt haben, beziehen sich
einige auf Jerusalem, das wieder aufgerichtet wird, andere
auf Zion, das erbaut werden soll. Gewiß, der zuletzt ge-
nannte Name wird in vielen Fällen als ein gleichbedeutendes
Wort für Jerusalem gebraucht und zwar der Tatsache we-
gen, daß ein gewisser Hügel innerhalb des alten Jerusalems
im besondern Sinne als ,,Zion" oder „Berg Zion" bekannt
war; der Name eines Teiles wird ja oft bildlich gebraucht,
wenn man das Ganze zu bezeichnen wünscht. Je-
doch wird in andern Stellen die besondere, bestimmte
Bedeutung für jeden einzelnen der beiden Ausdrücke
klar hervorgehoben. Der Prophet Micha, der im siebten
Jahrhundert vor der Geburt Christi im Volke wirkte ,,voll
Kraft und Geistes des Herrn, voll Rechts und Stärke"^)
sagte die Zerstörung Jerusalems und des damit verbunde-
nen Zions voraus, wonach Jerusalem „zum Steinhaufen
werden" und Zion „wie ein Acker gepflügt" werden sollte.^)
Dann verkündigt er einen neuen Zustand, der in den letz-
ten Tagen bestehen soll, zu einer Zeit da ,,ein anderer
Berg, darauf des Herrn Haus ist" erstehen werde und dieser
') Micha 3:8.
^) Micha 3:12; siehe auch Seite 404, 405 in diesem Buch.
428 Die Glaubensarükel. IVorl. XIX.
wird Zion genannt.^) Die beiden Plätze werden in der
Offenbarung gesondert erwähnt: „Denn aus Zion wird
das Gesetz ausgehen und des Herrn Wort aus Jerusalem". 2)
2. Joel fügt diesem sein eigenes Zeugnis an inbezug
auf die zwei Orte, von denen aus der Herr sein Volk re-
gieren wird: ,,Und der Herr wird aus Zion brüllen und aus
Jerusalem seine Stimme lassen hören". ^) Zephania stimmt
über den Triumph Israels einen Gesang an und wendet
sich an die Töchter der beiden: „Jauchze, du Tochter
Zion ! Rufe, Israel ! Freue dich und sei fröhlich von ganzem
Herzen, du Tochter Jerusalem!"^) Dann prophezeit der
Prophet für jeden der beiden Plätze besonders: „Zur
selben Zeit wird man sprechen zu Jerusalem: Fürchte
dich nicht! und zu Zion: Laß deine Hände nicht laß wer-
den!"^) Der Prophet Sacharja verzeichnet den Willen
Gottes mit folgenden Worten: „Und der Herr wird Zion
wieder trösten und wird Jerusalem wieder erwählen."')
3. Wann das Volk des Hauses Jakob bereit sein
wird, den Erlöser als ihren rechtmäßigen König zu emp-
fangen, wann die zerstreuten Schafe Israels durch Leiden
und Trübsale demütig genug geworden sind, ihrem Hirten
zu folgen, dann in der Tat wird er kommen, um unter ihnen
zu regieren. Dann wird ein buchstäbliches Königreich
aufgerichtet werden, weit wie die Welt, mit dem König
der Könige auf dem Thron und die zwei Hauptstädte des
mächtigen Reiches werden Jerusalem auf der östlichen
und Zion auf der westlichen Halbkugel sein. Jesaja spricht
von der Herrlichkeit des Reiches Christi in den letzten
Tagen und schreibt je gesondert Zion und Jerusalem die
') Micha 4:1.
») Micha 4:2; Jesaja 2:2—3.
») Joel 4:16.
«) Zephanja 3:14.
») Vers 16.
•) Sacharja 1:17; siehe auch 2:7 — 12.
Art. 10.] Zion. 429
Segnungen des Triumphes zu:^) „Zion, du Predigerin,
steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Predigerin,
hebe deine Stimme auf mit Macht, hebe auf und fürchte dich
nicht; sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gottl"^)
4. Der Name Zion wird mit verschiedener, ganz be-
stimmter Bedeutung gebraucht. Seiner Herkunft nach
bedeutet das Wort ,,Zion", oder wie die Griechen schreiben,
„Sion" wahrscheinlich „leuchtend", „glorreich", „hell",
„klar", „sonnig". Diese mehr allgemeine Bedeutung ist
jedoch verloren gegangen zu Gunsten einer tiefern, leben-
digem, die sich das Wort als ein Name oder Titel erworben
hat. Wie schon erwähnt, wurde ein besonderer Hügel
innerhalb Jerusalems Zion genannt. Als David seinen
Sieg über die Jebusiter errang, gewann er die ,,Burg Zion"
und nannte sie Davids Stadt.^) Zion war also der Name
eines Ortes und ist wie folgt angewendet worden :
1. auf den Hügel oder Berg Zion selbst, und durch Er-
weiterung der Bedeutung auch auf Jerusalem.
2. auf den Ort ,,für den Berg des Hauses des Herrn",
das nach Michas Prophezeiung in den letzten Tagen
erbaut werden soll, unterschieden von Jerusalem.
Diesen können wir eine weitere Anwendung des Namens
beifügen, wie sie uns durch moderne Offenbarung bekannt
geworden ist:
3. auf die heilige Stadt, die Henoch, der siebte von Adam,
gegründet hat; diese wurde von ihm Zion genannt,*)
4. Noch ein anderer Gebrauch des Ausdruckes ist zu be-
achten, ein mehr bildlicher, wonach die Kirche Gottes
ebenfalls Zion genannt wird, das nach des Herrn
eigener Auslegung die „Reinen im Herzen" bedeutet.^)
•) Jesaja 4:3 — 4.
») Jesaja 40:9.
») 2 Samuel 5:6 — 7; siehe auch 1. Könige 2:10 und 8:1.
•) KösU. Perle, Moses 7: 18—21.
') Lehre u. Bündn. 97:21.
430 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIX.
5. Jerusalem. Als passende Einführung in unsere
Untersuchung über das Neue Zion, das, wie wir sehen
werden, auf dem westlichen Kontinent noch erbaut werden
soll, können wir kurz die Geschichte und das Schicksal
Jerusalems,^) des Zions der östlichen Halbkugel, betrachten.
Von dem Wort Jerusalem wird allgemein angenommen,
daß es seiner Abstammung entsprechend die ,,Ansiedlung"
oder die „Stadt des Friedens" bedeute. Wir begegnen ihm
zum erstenmal als Salem, dem Wohnort Melchizedeks,
des Hohenpriesters und Königs, dem Abraham im neun-
zehnten Jahrhundert vor Christus seinen Zehnten bezahlte. 2)
Eine direkte Feststellung der Gleichheit Salems und
Jerusalems finden wir bei Josephus.^) Wie schon erwähnt,
wurde die Stadt durch David den Jebusitern entrissen,*)
etwa im Jahre 1048 vor Christus. Während der Regie-
rungszeit Davids und Salomos erwarb die Stadt als Haupt-
stadt des ungeteilten Israels großen Ruhm wegen ihres
Reichtums, ihrer Schönheit und ihrer Macht. Ihre Haupt-
sehenswürdigkeit war der wundervolle Tempel Salomos,
der den Berg Moriah krönte.^) Nach der Teilung des Rei-
ches blieb Jerusalem die Hauptstadt des kleinern König-
reiches Juda.
6. Von den vielen Wechselfällen, die ihr das Kriegs-
schicksal beschieden hat,®) seien nur die folgenden er-
wähnt: Die Zerstörung der Stadt und die Wegführung
ihrer J^inwohner in die Sklaverei durch Nebukadnezar
in den Jahren 588 und 585 vor Christus;') ihre Wiederer-
') Siehe Anmerkung 1.
«) I.Mose 14:18—20.
") Ant. of the Jecos I. Kap. X.
•) 2. Samuel 5:6 — 7.
») 1. Könige 5 — 8; 2. Chronik 2—7.
') l.Königel4:25;2. Königel4:13— 14;25;2.Chronikl2:2— 5;36:14
bis 21 ; Jeremia 39 : 5 — 8.
») Jeremia 52:12—15.
I
Art. 10.] Zion. 431
bauung nach Beendigung der babylonischen Gefangen-
schaft^) (etwa 515 vor Christi Geburt); ihre endgültige
Vernichtung bei der Ausrottung des jüdischen Reiches
durch die Römer, 70 — 71 nach Christus. Nach ihrer Bedeu-
tung und in der Liebe der Juden war die Stadt tatsächlich
das Herz Judäas, und in der Verehrung der Christen ist
sie stets mit Heiligkeit bekleidet gewesen. In der irdischen
Mission des Erlösers nahm sie einen wichtigen Platz ein
und war der Schauplatz seines Todes, seiner Auferstehung
und seiner Himmelfahrt. Des Heilandes Achtung für die
Hauptstadt seines Volkes steht außer Zweifel. Er verbot,
daß irgend jemand bei ihr schwören sollte „denn sie ist
des großen Königs Stadt"^) und ihrer Sünden wegen weinte
er über sie wie ein Vater über ein verirrtes Kind. 3)
7. Aber wie groß auch Jerusalems Vergangenheit war,
größer noch wird ihre Zukunft sein. Von neuem soll sie
zum Sitz des Königs werden, des Königs der Könige, und
ewige Herrlichkeit ist ihm zugesichert.
8. Das Zion der letzten Tage; das Neue Jerusalem.
Die biblischen Erklärungen hinsichtlich des Zions der
letzten Tage, zum Unterschied von dem alten oder wieder-
erbauten Jerusalem des Ostens, schweigen sich über die
geographische Lage dieser zweiten und modernen Haupt-
stadt des Reiches Christi aus. Indessen erfahren wir aus
der Bibel doch einiges über die Bodenbeschaffenheit des
Landstriches, worauf Zion gebaut werden soll. So be-
schreibt Micha, nachdem er die Verwüstung des Berges
Zion und Jerusalems im allgemeinen vorhersagt, im
Gegensatz hierzu das neue Zion, wo das Haus des Herrn
in den letzten Tagen erbaut werden wird. Seine Worte
lauten: „In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf
') Esra 1 — 3; Nehemia 2.
») Matthäus 5: 35; siehe auch Psalm 48:2; 87:3.
=) Matthäus 23:37; Lukas 13:34.
432 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIX.
des Herrn Haus ist, fest stehen, höher denn alle Berge,
und über die Hügel erhaben sein, und die Völker werden
dazu laufen, und viele Heiden werden gehen und sagen:
Kommt, laßt uns hinauf zum Berge des Herrn gehen und
zum Hause des Gottes Jakobs, daß er uns lehre seine
Wege und wir auf seiner Straße wandeln ! Denn aus Zion
wird das Gesetz ausgehen und des Herrn Wort aus Jeru-
salem."i)
Die Prophezeiung Jesajas spricht sich über den ge-
birgigen Charakter des Landes des neuzeitlichen Zions^)
ebenso klar aus, und weiterhin versichert uns dieser Pro-
phet, daß nur rechtschaffene Menschen imstande sein
werden, inmitten der stolzen Pracht dieses neuen Wohn-
ortes zu leben und von diesem selbst sagt er: „Der
wird in der Höhe wohnen, und Felsen werden seine Feste
und Schutz sein," und fügt hinzu, daß das Land in weiter
Ferne liege.^) In einer andern Stelle nennt er einen Sam-
melpunkt „jenseit der Wasser des Mohrenlands" und „auf
den Bergen", wo der Herr „ein Panier aufwerfen wird"
für die Welt.*)
10. Die Lehren des Buches Morpion und die Offen-
barungen der gegenwärtigen Dispensation über das Zion
der letzten Tage stimmen zwar mit dem biblischen Bericht
in der allgemeinen Schilderung der Lage und der Herr-
lichkeit der Stadt überein, aber doch sind sie ausführlicher
hinsichtlich ihrer geographischen Lage. In diesen Schrif-
ten werden die Namen Zion und Neues Jerusalem für
«in und dasselbe gebraucht, die letzte Bezeichnung zu
Ehren des östlichen Jerusalems, Johannes der Offen-
barer sah in einem Gesicht ein Neues Jerusalem als Kenn-
M Micha 4:1—2.
') Jesaja 2:2 — 3.
») Jesaja 33:15—17.
') Jesaja 18:1 — 3.
►
Art. 10.] Zion. 433
zeichen der letzten Tage.^) Ether, ein Prophet der Jaredi-
ten, — ein Volk das jahrhundertelang Teile Nordamerikas
bewohnte, ehe Lehi und seine Begleiter dorthin kamen^) —
sagte die Gründung des Neuen Jerusalems auf dem ame-
rikanischen Kontinent voraus und betonte den Unterschied
zwischen dieser Stadt und dem alten Jerusalem.
11. Moroni, ein nephitischer Prophet, sagt in seiner
Abkürzung der Schriften Ethers von diesem, daß er hin-
sichtlich des Landes Nordamerika sah, „daß es der Ort
des Neuen Jerusalem wäre, welches vom Himmel herab-
kommen und das Heiligtum des Herrn sein würde. Sehet,
Ether sah die Tage Christi und sprach von einem
Neuen Jerusalems auf diesem Lande; und er sprach auch
von dem Hause Israel und über das Jerusalem, von
welchem Lehi kommen würde : nachdem es zerstört wäre,
sollte es wieder dem Herrn als eine heilige Stadt erbaut
werden ; deshalb konnte es nicht ein Neues Jerusalem sein,
denn es war vor alten Zeiten gewesen, aber es sollte wieder
aufgebaut und eine heilige Stadt des Herrn werden; und
es sollte dem Hause Israel erbaut werden. Und daß ein
Neues Jerusalem in diesem Lande aufgebaut werden sollte,
für die Überbleibsel der Nachkommen Josephs, für welches
ein Vorbild gewesen ist. Denn so wie Joseph seinen Vater
nach Ägyptenland hinabbrachte, und er dort starb, so hat
der Herr einen Überrest der Nachkommen Josephs vom
Lande Jerusalem geführt, damit er ihnen gnädig sein
möchte, und sie nicht umkämen, gleich wie er dem Vater
Josephs gnädig gewesen war, damit er nicht umkäme.
Daher sollen die Überbleibsel des Hauses Josephs auf
dieses Land gebaut werden, und es soll ein Land ihres
Eigentums sein; und sie sollen dem Herrn eine heilige
') Offenbarung Joh. 21:2.
=) Siehe Seite 321.
434 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIX.
Stadt bauen, ebenso wie das alte Jerusalem; und sie
sollen nicht mehr verwirrt werden bis das Ende kommt,
wann die Erde vergehen wird."^)
12. Jesus Christus besuchte die Nephiten in Amerika
bald nach seiner Auferstehung und sagte im Verlaufe
seiner Belehrungen: ,,Und siehe, dieses Volk will ich in
diesem Lande gründen, bis der Bund, welchen ich mit
euerm Vater Jakob gemacht habe, erfüllt sein wird, und es
soll ein Neues Jerusalem werden. Und die Mächte des Him-
mels sollen mitten unter diesem Volke sein. Ja ich will selber
mitten unter euch sein. "2) — Weiter prophezeit unser
Heiland — wie wir schon in der vorhergehenden Vorlesung
auseinandergesetzt haben^) — daß die Heiden, wenn sie
ihre Sünden bereuen und ihre Herzen nicht verstocken,
in diesen Bund mit eingeschlossen werden und die Erlaub-
nis erhalten sollen, bei dem Aufbau des Neuen Jerusalems
mitzuwirken.*)
13. Ether, der Jaredite, und Johannes, der Offenbarer,
die durch sechs Jahrhunderte von einander getrennt und
auf entgegengesetzten Erdhälften prophezeiten, sahen
das Neue Jerusalem vom Himmel herabkommen, ,, bereitet",
sagt der jüdische Prophet, „als eine geschmückte Braut
ihrem Manne". 5) Wir haben schon von dem Zion Henochs
gesprochen, 6) einer Stadt, einst auf dem nordamerikani-
schen Festlande gelegen, deren Bewohner so rechtschaffen
waren, daß auch sie Zion genannt wurden, „denn sie waren
eines Herzens und eines Sinnes."") — Sie wurden mit
ihrem patriarchalischen Führer von der Erde entrückt.
») Buch Mormon, Ether 13:3 — 8.
») 3. Nephi 20:22.
•) Siehe Seite 417, 418.
*) 3. Nephi 21:22—24.
>) Offenbarung Joh. 21:2.
') Seite 429.
') KösU. Perle, Moses 7:18,
Art. 10.] Zion. 435
wie wir lesen: „Und es geschah, daß Zion nicht mehr war,
denn Gott nahm es in seinen eigenen Busen auf; und von
da an ging die Sage aus: Zion ist geflohen."^) Vor diesem
Ereignis jedoch hatte der Herr Henoch die göttlichen
Absichten hinsichtlich des Menschengeschlechts bis zum
Ende der Zeiten kundgetan. Große Ereignisse sollen die
letzten Tage kennzeichnen. Die Auserwählten werden von
den vier Teilen der Erde gesammelt werden, nach einem
Ort, der für sie bereitet ist. Der Tempel des Herrn wird
dort erbaut und der Ort soll „Zion, ein Neues Jerusalem"
genannt werden. Alsdann sollen Henoch und sein Volk
zur Erde zurückkehren und die versammelten Auserwähl-
ten an dem heiligen Ort treffen.
14. Wir haben gesehen, daß die Anwendung der
Namen Zion und Neues Jerusalem wechselseitig ist; des
weitern, daß sowohl rechtschaffene Menschen wie auch
heilige Orte Zion genannt werden. Denn nach dem beson-
dern Wort des Herrn bedeutet Zion für ihn die „Reinen
im Herzen. "2) Die Kirche lehrt, daß das Zion, wie es Jo-
hannes und der Prophet Ether vom Himmel herabkommen
sahen, die Rückkehr des erhöhten Henoch und seines
gerechten Volkes darstellt und daß das Zion oder das
Volk Henoch und das Zion der Neuzeit oder die auf dem
westlichen Kontinent versammelten Heiligen ein Volk
werden sollen.
15. Daß Zion auf dem westlichen Erdteil erbaut
werden soll, kommt in den Prophezeiungen des Buches
Mormon deutlich zum Ausdruck. Der genaue Ort jedoch
ist erst nach der Wiederherstellung des Priestertums in der
gegenwärtigen Dispensation geoffenbart worden. Im Jahre
1831 gebot der Herr den Ältesten seiner Kirche: , .Ziehet
») KösU. Perle, Moses 7:69; Lehre u. Bündn. 38:4; 45:11—12;
84:99—100.
*) L. u. B. 97:21; Köstl. Perle, Moses 7:18; auch L. u. B. 84:100.
436 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIX.
aus von den östlichen Ländern, versammelt euch, ihr Äl-
testen meiner Kirche, gehet hin in die westlichen Länder,
fordert die Bewohner zur Buße auf, und insofern als sie be-
reuen, errichtet meinem Namen Gemeinden; und mit einem
Herz und Sinn sammelt eure Reichtümer zusammen, um
euch ein Erbteil zu kaufen, das euch späterhin noch ge-
zeigt werden soll. Es soll ein Neues Jerusalem genannt
werden, ein Land des Friedens, eine Zufluchtstätte und
eine Stadt der Sicherheit für die Heiligen des Allerhöch-
sten Gottes; die Herrlichkeit des Herrn wird dort sein
und der Schrecken des Herrn wird auch dort sein, so daß
die Bösen nicht hinkommen werden, und es soll Zion ge-
nannt werden. "1)
16. Spätere Offenbarungen riefen die Ältesten der
Kirche nach dem westlichen Missouri^) zusammen und be-
zeichneten diesen Bezirk als das Land, das für die Samm-
lung der Heiligen erwählt und gesegnet sei.^) „Deshalb
ist es das Land der Verheißung und der Ort für die Stadt
Zion".*) Die Stadt Independence wird als der Zentral-
punkt genannt, der Platz für den Tempel bezeichnet und
den Heiligen der Rat gegeben, dort Land anzukaufen,
„daß sie es für ein ewiges Erbteil erlangen möchten".^)
Der so bestimmte Tempelplatz wurde am 3. August 1831
von dem Propheten Joseph Smith und seinen Mitverbun-
denen im Priestertum feierlich geweiht.^) Die ganze Um-
gegend wurde ebenfalls geweiht, damit sie ein Sammelplatz
für das Volk Gottes sein möge.
17. Dies ist also der Glaube der Heiligen der letzten
Tage und so lauten die Lehren der Kirche. Der Plan für
>) Lehre u. Bündn. 45:64 — 67; lies ferner die Verse 68 — 71.
») L. u. B. 52:2 — 3; siehe Anmerkung 2.
») L. u. B. 57:1— 2.
') Vers 2.
<■) Vers 4, 5.
*) Siehe Anmerkung 3.
Art. 10.] Zion. 437
den Aufbau Zions ist noch nicht vollendet worden. Den
Heiligen wurde nicht gestattet, das Land, das ihnen als
ewiges Besitztum verheißen worden war, sofort in Besitz
zu nehmen. Wie zwischen der Zeit, wo der Herr vor alters
dem Volke Israel das Land Kanaan als Erbteil verheißen hat
und ihrem Einzug in das gelobte Land, Jahre verstrichen,
— Jahre arbeitsamer und mühevoller Vorarbeitung des
Volkes auf die Zeit der Erfüllung — so wird auch in diesen
letzten Tagen die göttliche Absicht und der göttliche Plan
noch zurückgehalten, damit sich das Volk heilige für die
große Gabe und für die größere Verantwortlichkeit, die
damit verknüpft ist. Inzwischen sammeln sich die, die
aufrichtigen Herzens sind, in den Tälern der Felsengebir-
ge; und hier auf den Höhen der Berge, ,, höher denn alle
Berge", sind Tempel errichtet worden und alle Nationen
fliehen nach diesem Lande. Jedoch wird Zion dereinst
auf dem auserwählten Platz erbauet werden, „sie soll nicht
aus ihrem Platz gecückt werden" und die Reinen im Herzen
werden sicherlich zurückkehren „mit Gesängen ewiger
Freude", um die öden Plätze Zions aufzubauen. i)
18. Das gesammelte Israel kann jedoch nicht auf
einen einzigen ,, Zentralpunkt", oder auf die unmittelbar
angrenzende Gegend beschränkt werden. Weitere Sammel-
orte sind bestimmt worden und werden noch bestimmt
werden, und diese werden „Pfähle Zions" genannt. 2) In
den von den Heiligen bewohnten Gegenden sind viele
Pfähle Zions gegründet worden, welche zu dauernden
Niederlassungen ausersehen sind, und dorthin werden die,
die aus den Würdigen bestimmt werden, gehen, ihr Erb-
teil zu empfangen. Zion soll gezüchtigt werden, doch
>) Lehre u. Bündn. 101:17—18; siehe auch 101:43, 74, 75; 103:1,
11, 13, 15; 105:1, 2, 9, 13, 16, 34; 109:47; 136:18.
») L. u B. 101:21; siehe Seite 257.
438 Die Glaubensartikel. fVorl. XIX.
nur für eine kleine Zeit,^) und dann wird die Zeit ihrer
Erlösung kommen.
19. Diese Zeit wird von Gott festgesetzt werden; sie
wird aber doch auch mitbestimmt durch die Glaubens-
treue seines Volkes. Des Volkes Leichtfertigkeit veranlaßte
den Herrn, zuzuwarten, denn er sagt: „Deshalb, infolge der
Übertretung meines Volkes, ist es ratsam, daß meine Äl-
testen auf die Erlösung Zions eine kleine Zeit warten
sollen. "2) Und weiter: ,,Zion soll in meiner eigens bestimm-
ten Zeit erlöst werden. "3) Aber die Zeit der Segnungen
des Herrn für sein Volk hängt von diesem ab. Schon im
Jahre 1834 erhielt die Kirche die folgenden Worte des
Herrn: ,, Wahrlich, ich sage euch, wäre es nicht der Über-
tretungen meines Volkes wegen, *** so könnten sie selbst
jetzt schon erlöst sein."*)
Anmerkungen.
1. Jerusalem. — Die Stadt hat zu verschiedenen Zeiten verschiedene
Namen geführt; selbst in der Bibel hat sie verschdedene Bezeichnungen.
Salem (1. Mose 14:18), hieß sie vielleicht zu der Zeit Melchizedeks und in
Psalm 76:2 wird sie bestimmt so genannt. Jesaja (29:1, 7), nennt sie Ariel.
— Jebus, oder Jebusi, die Stadt der Jebusiter, war ihr Name in den Tagen
Josuas und der Bichter (Josua 15:8; 18:16, 28; Bichter 19:10, 11).
Dieser Name blieb bis zur Zeit Davids in Gebrauch (1. Chron. 11:4, 5).
Einige glaubten, Jerusalem sei selbst eine verschlechterte Form von Jebus-
Salem, doch ist dies eine Annahme, die von den Tatsachen nicht unter-
stützt wird. Jerusalem wird auch „Die Stadt Davids" genannt, ferner
„Die Stadt Judas", „Die Heilige Stadt", „Die Stadt Gottes ', (2. Könige
14:20; 2. Chron. 25:28; Nehemia 11:18; Psalm 87:3). Heutzutage wird
sie in den meisten Ländern des Ostens „el Kuds" d. i. „Die Heilige" ge-
heißen. Keine Stadt der Welt hat je ehrendere Titel erhalten; selbst unser
Heiland nannte sie „Die Stadt des großen Königs". — Biblisches Wörter-
buch, Cassell und Co. , Seite 600.
1) Lehre u. Bündn. 100:13.
*) L. u. B. 105:9; auch 136:31.
») L. u. B. 136:18.
*) L. u. B. 105:1—2.
Art. 10.] Anmerkungen. 439
2. Die Gründung Zions in Missouri. „*** Eine als die Colesville-
Gemeinde bekannte Vereinigung von Heiligen, die frülier in Colesville,
Broom County, New- York, gewohnt hatten, langten in Missouri an, und
da sie Auftrag erhalten hatten, Land rings um Zion zu kaufen, sicherten
sie sich ein Stück Land in einer fruchtbaren Prärie, etwa 10 — 12 Meilen
westlich von Independense, nicht weit von der heutigen Stadt Kansas
entfernt. Am 2. August (1831), am Vorabend der Weihung des Tempel-
platzes, wurde in der Niederlassung der Colesville-Heiligen der erste Balken
eines Hauses für die Gründung Zions gelegt. Der Balken wurde von zwölf
Männern getragen, zu Ehren der zwölf Stämme Israels, und Ältester Rig-
don segnete und weihte das Land Zion für die Sammlung der Heiligen." —
„Outlines of Ecclesiastical History", von B. H. Roberts, Seite 352. —
3. Der Tempelplatz in Independence, Jackson County, Missouri. —
„Folgt man der Straße westwärts des Court-House, eine schwache halbe
Meile, so gelangt man auf den Gipfel einer die Umgebung belierrschenden
Höhe, deren Abhang nach Süden und Westen jäh abfällt, nach Norden
und Osten jedoch nur ganz allmählich. *** Dies ist der Tempelplatz. Hier
war es, wo am 3. August 1831 Joseph Smith, Sidney Rigdon, Edward
Partridge, W. W. Phelps, Oliver Cowdery, Martin Harris, .Joseph Coe imd
eine andere Person, deren Namen ich nicht erfahren konnte, (im ganzen
waren es nämlich acht) — Männer an denen der Herr sein Wohlgefallen
hatte — zusammen kamen, um diesen Ort als den Tempelplatz in Zion zu
weihen. Der 78. Psalm wurde gelesen; alsdann weihte der Prophet Joseph
den Ort, an dem ein Tempel erbaut werden soll, auf dem die Herrlichkeit
Gottes ruhen wird. Ja, der große Gott hat es so beschlossen und gesagt:
„Denn wahrlich, dieses Geschlecht soll nicht gänzlich vergehen bis dem
Herrn ein Haus gebaut werden ^vird, und eine Wolke soll darauf ruhen,
welche selbst die Herrlichkeit Gottes sein soll, die das Haus erfüllen wird.
*** Und die Söhne Moses und auch die Söhne Aarons, sollen eine angenehme
Gabe und ein Opfer darbringen im Hause des Herrn, welches Haus dem
Herrn in diesem Geschlecht auf dem geheiligten Platz, den ich bestimmt
habe, gebaut werden wird." — (Lehre und Bündnisse 84:5, 31). Ältester B.
H. Roberts, „Missouri Persecutions". — Siehe „The House of the Lord",
von James E. Talmage, Kap. 5.
440 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.
Vorlesung XX.
Die Regierung Christi auf Erden.
Artikel 10. — „Wir glauben, *** daß Christus persönlich auf der Erde
regieren wird ***.
1. Das erste und das zweite Kommen Christi. — Die Ge-
burt Christi im Fleisch, sein dreiunddreißigjähriges Leben
unter Sterblichen, seine Amtstätigkeit und sein Leben und
Sterben werden ganz allgemein als erhärtete geschichtliche
Tatsachen anerkannt. Nicht allein die Urkunden und die
Schriften, die von der Christenheit als heilig und inspiriert
betrachtet werden, zeugen von diesen Tatsachen, sondern
auch die von Menschen verfaßte Geschichte, die im Gegen-
satz zu jener die Weltgeschichte genannt wird, stimmt im
allgemeinen mit dem biblischen Bericht überein. Selbst
die, die die Lehre von der Göttlichkeit Jesu Christi ver-
werfen, und solche, die ihn als Erlöser ablehnen, anerkennen
die geschichtliche Tatsache seines wunderbaren Lebens
und geben den unberechenbaren Einfluß seiner Lehre und
seines Beispiels auf die menschliche Familie zu.
2. In der ,, Mitte der Zeiten" wurde Christus auf dieser
Erde geboren, in niedrigen Verhältnissen, in der Tat im
Verborgenen für alle, ausgenommen für jene getreuen
Gläubigen, die des zu erwartenden Ereignisses harrten.
Sein Kommen war von Anbeginn des menschlichen Da-
seins durch all die Jahrhunderte hindurch verkündigt
worden. Jeder Prophet Gottes hatte Zeugnis gegeben
von den großen Ereignissen, die seine Geburt kennzeich-
nen sollten; jedes mit seiner Geburt, seinem Leben und
Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 441
Sterben, seiner siegreichen Auferstehung und schließlichen
Herrlichkeit als König, Herr und Gott verknüpfte wichtige
Ereignis war vorhergesagt worden; selbst Einzelheiten
und nähere Umstände wurden mit großer Genauigkeit
geschildert. Juda und Israel waren ermahnt worden,
sich auf das Kommen des Gesalbten^) vorzubereiten und
doch — als er zu den Seinen kam, nahmen sie ihn nicht
auf! Verfolgt und verhöhnt schritt er den dornigen Pfad
der Pfhcht, ,,ein Mensch, vertraut mit Kummer und Leid"
und schließlich, verdammt von seinem Volk, das nach der
Gewalt einer fremden Macht schrie, um seinen teuflischen
Plan zur Vernichtung seines Herrn auszuführen, erlitt er
den Tod eines Verbrechers.
3. Menschlichem Ermessen mußte es scheinen, als
ob die göttliche Mission Jesu Christi zunichte gemacht,
sein Werk vereitelt und die Macht der Finsternis siegreich
geblieben sei. Blind, taub und verhärteten Herzens waren
die, die sich sträubten, den Zweck der Mission Jesu Christi
zu hören, zu sehen und zu begreifen. Ähnlich verfinstert
sind die, welche die prophetischen Beweise seines zweiten
Kommens verwerfen, die, die versäumen, die Zeichen der
Zeit zu beachten und zu lesen, obschon sie erklären, daß
dieses schreckliche und zugleich herrliche Ereignis nahe
bevorsteht. Christus hat sowohl vor wie nach seinem Tode
sein bestimmtes Wiedererscheinen auf der Erde prophezeit,
und heute harren seine getreuen Nachfolger der Zeit
der herrlichen Erfüllung. Die Flammenzeichen der Zeit
stehen am Himmel und von neuem ertönt der inspirierte
Ruf in seiner ganzen Gewichtigkeit: „Tut Buße, denn das
Himmelreich ist nahe herbeigekommen!"
4. Das zweite Kommen Christi vorhergesagt. — Die
Zeichen seiner Wiederkunft beschrieben. — Biblische Pro-
>) Siehe Anmerkung 1.
442 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.
phezeiungen. — Die Propheten des Alten Bundes und des
Buches Mormon, die in der vorchristlichen Zeit lehrten
und schrieben, hatten über das zweite Kommen Christi
wenig zu sagen; wenig in der Tat, wenn man es mit den
zahlreichen und ausführlichen Prophezeiungen über sein
erstes Kommen vergleicht. Als sie am Horizont der
Zukunft spähten und mit prophetischer Kraft die Geschichte
der himmlischen Sphäre lasen, ward ihr Auge von der
Pracht der Mittagssonne geblendet und nur wenig sahen
sie von dem herrlichen jenseitigen Licht, dessen Größe
und Glanz durch die Nebel der zeitlichen Entfernung ver-
schleiert waren. Einige wenige jedoch schauten seine
Strahlen und zeugten davon, wie wir aus den nachstehen-
den Schriftstellen ersehen können: ,, Unser Gott kommt
und schweiget nicht. Freßend Feuer geht vor ihm her und
um ihn her ein großes Wetter."^) Diese verzehrenden und
stürmischen Umstände waren keine Begleiterscheinungen
bei der Geburt des Kindes von Bethlehem.
5. Jesaja ruft aus: „Saget den verzagten Herzen:
Seid getrost, fürchtet euch nicht! Sehet, euer Gott, der
kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird
euch helfen. "2) Abgesehen davon, daß diese Zustände
bei dem ersten Kommen Christi nicht vorhanden waren,
zeigt auch der Zusammenhang der Worte des Propheten,
daß er dabei die letzten Tage im Auge hatte, die Zeit der
Wiederherstellung, den Tag der ,, Erlösten des Herrn"
und des Triumphes Zions.^) Ferner sagt Jesaja: ,,Denn
siehe, der Herr, Herr kommt gewaltig, und sein Arm wird
herrschen. Siehe, sein Lohn ist bei ihm, und seine Vergel-
tung ist vor ihm."^)
>) Psalm 50:3.
=) Jesaja 35:4.
') Verse 5 — 10.
♦) Jesaja 40:10.
Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 443
6. Der Prophet Henoch, der zwanzig Jahrhunderte
vor denen lebte, deren Worte oben angeführt sind, sprach
mit großer Kraft über denselben Gegenstand. Seine Be-
lehrungen erscheinen in der Bibel nicht unter seinem eige-
nen Namen, obschon Judas, ein neutestamenthcher Ver-
fasser, sie anführt. 1) Aus dem Buch Moses in der , .Köst-
lichen Perle" erfahren wir über die dem Propheten Henoch
gegebenen Offenbarungen folgendes: „Und der Herr sagte
zu Henoch : so wahr ich lebe, ebenso werde ich in den letz-
ten Tagen kommen; in den Tagen der Gottlosigkeit und
Rache, um den Eid zu erfüllen, den ich dir inbetreff der
Kinder Noahs gegeben habe. "2)
7. Jesus belehrte seine Jünger, daß seine Mission im
Fleische nur von kurzer Dauer sein könne, daß er jedoch
nochmals zur Erde kommen werde. Wir sehen, wie ihn
die Jünger in folgender Weise fragten: ,,Sage uns, wann
wird das geschehen? Und welches wird das Zeichen sein
deiner Zukunft und des Endes der Welt?"^) In seiner Ant-
wort auf diese Frage zählte der Herr viele von den Zeichen
der letzten Tage auf; als das letzte und größte davon er-
wähnte er das folgende: ,,Und es wird gepredigt werden
das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zu einem
Zeugnis über alle Völker, und dann wird das Ende kom-
men."^) Mit großer Deutlichkeit sprach er von der Verderbt-
heit, in welcher die Menschheit beharrt hatte, selbst bis an
den Vorabend der Sintflut und bis auf den Tag der schreck-
lichen Zerstörung der Städte Sodom und Gomorra und
fügte dann hinzu: „Auf diese Weise wirds auch gehen an
dem Tag, wenn des Menschen Sohn soll offenbart werden."^)
') Judas 14—15.
") Köstl. Perle, Moses 7:
=) Matthäus 24:3.
') Vers 14.
') Lukas 17:26—30.
444 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.
8. Eine weitere Prophezeiung unseres Herrn über sein
zweites Kommen lautet wie folgt. Seine Aufzählung der
Zeichen, durch die das Herannahen des Ereignisses erkannt
werden kann, ist so bedeutungsvoll, daß wir die Beschrei-
bung im Wortlaut lesen sollten: ,,Sie (die Jünger) fragten
ihn aber und sprachen: Meister, wann soll das werden?
und welches ist das Zeichen, wann das geschehen wird?
Er aber sprach: Sehet zu, lasset euch nicht verführen.
Denn viele werden kommen in meinem Namen und sagen,
ich sei es, und: die Zeit ist herbeigekommen. Folget
ihnen nicht nach ! Wenn ihr aber hören werdet von Kriegen
und Empörungen, so entsetzet euch nicht. Denn solches
muß zuvor geschehen; aber das Ende ist noch nicht so bald
da. Da sprach er zu ihnen: Ein Volk wird sich erheben
wider das andere und ein Reich wider das andere, und es
werden geschehen große Erdbeben hin und wieder, teure
Zeit und Pestilenz; auch werden Schrecknisse und große
Zeichen vom Himmel geschehen. Aber vor diesem allem
werden sie die Hände an euch legen und euch verfolgen
und werden euch überantworten in ihre Schulen und Ge-
fängnisse und vor Könige und Fürsten ziehen um meines
Namens willen. Das wird aber euch widerfahren zu einem
Zeugnis. So nehmet nun zu Herzen, daß ihr nicht sorget,
wie ihr euch verantworten sollt. Denn ich will euch Mund
und Weisheit geben, welcher nicht sollen widersprechen
können noch widerstehen alle eure Widersacher. Ihr wer-
det aber überantwortet werden von den Eltern, Brüdern,
Gefreunden und Freunden; und sie werden euer etliche
töten. Und ihr werdet gehaßt sein von jedermann um mei-
nes Namens willen. *** Und es werden Zeichen geschehen
an Sonne und Mond und Sternen ; und auf Erden wird den
Leuten bange sein, und sie werden zagen, und das Meer
und die Wasserwogen werden brausen, und die Menschen
werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der
ä
Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 445
Dinge, die kommen sollen auf Erden ; denn auch der Him-
mel Kräfte werden sich bewegen. Und alsdann werden sie
sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke mit großer
Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu ge-
schehen, so sehet auf und erhebet eure Häupter, darum
daß sich eure Erlösung naht."^)
9. Ferner sagt der Herr mit warnender Stimme: „Wer
sich aber mein und meiner Worte schämt unter diesem
ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, des wird sich
auch des Menschen Sohn schämen, wenn er kommen wird
in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen En-
geln."2)
10. Als die Jünger bei der Himmelfahrt Christi stan-
den und zum Himmel hinaufsahen, wo eine Wolke ihren
auferstandenen Herrn verborgen hatte, bemerkten sie
zwei himmlische Boten, die zu ihnen sagten: „Ihr Männer
von Galiläa, was stehet ihr und seht gen Himmel? Dieser
Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel,
wird kommen, wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel fah-
ren."3) — Paulus belehrte die Gemeinden über das zweite
Kommen Christi und schilderte die Herrlichkeit seiner
Wiederkunft.^) Das gleiche taten auch die andern Apostel.^)
11. Unter den im Buche Mormon enthaltenen Prophe-
zeiungen über denselben Gegenstand finden wir Christi
eigene Belehrungen zu einer Zeit, als er in auferstandenem
Zustand unter den Nephiten wirkte. Er erklärte der ver-
sammelten Menge viele Dinge ,, sogar von Anfang an bis
zu der Zeit, wo er in seiner Herrlichkeit kommen werde." 6)
») Lukas 21:7 — 28; siehe auch Markus 13:14 — 26, Offenbarung Joh.
6:12—17.
») Markus 8:38.
') Apostelgeschichte 1:11.
') 1. Thessalonicher 4:16; 2. Thessal. 1 : 7 — 8; Hebräer 9:28.
M I.Petrus 4:13; 1. Johannes 2:28; 3:2.
•) 3. Nephi 26:3.
446 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.
Als er den drei Jüngern ihren Herzenswunsch erfüllte,
nämlich, daß sie im Fleische erhalten bleiben sollten, um
ihr Lehramt fortzusetzen, sagte er zu ihnen: „Denn ihr
sollt * * * leben, um alle Werke des Vaters mit den Men-
schenkindern zu sehen, selbst bis alle Dinge nach dem
Willen des Vaters erfüllt sein werden, wenn ich in meiner
Herrlichkeit komme, mit den Kräften des Himmels. "i)
12. Das Wort der neuzeitlichen Offenbarung über
die sichere Wiederkunft des Erlösers lautet nicht weniger
bestimmt. Dienern des Herrn, die einen besondern Auftrag
erhalten hatten, wurden Belehrungen gegeben in folgen-
dem Sinne: „Darum seid getreu, betet ohne Unterlaß,
habt eure Lampen geschmückt und angezündet und Öl mit
euch,2) damit ihr bereit seiet, wenn der Bräutigam
kommt. Denn siehe, wahrlich, wahrlich, ich sage euch:
Ich komme schnell. "3) Ferner wurde die folgende Offenba-
rung gegeben ; „Du bist berufen * * * deine Stimme lang und
laut wie mit einem Posaunenschall zu erheben und einem
verkehrten und verstockten Geschlecht Buße zuzurufen,
damit der Weg des Herrn für seine Ankunft bereitet werde.
Denn siehe, wahrlich, wahrlich, ich sage dir, die Zeit ist
nahe herbeigekommen, wann ich in einer Wolke mit Macht
und großer Herrlichkeit erscheinen werde. "^)
13. In einer Offenbarung, gegeben am 7. März 1831
an das Volk der Kirche, spricht der Herr von den Zeichen
seiner Wiederkunft und ermahnt zum Fleiß und zur
Wachsamkeit. Beachten wir seine Worte: ,,Ihr sehet die
Feigenbäume mit euern Augen, und wenn sie anfangen
auszuschlagen und ihre Blätter noch zart sind, saget ihr,
daß der Sommer nahe bei der Hand ist. Gerade so soll es an
1) 3. Nephi 28:7; siehe auch Vers 8.
») Eine Anspielung auf das Gleichnis von den zehn Jungfrauen ; siehe
Matth. 25:1— 13.
=) Lehre u. Bündn. 33:17 — 18.
*) L. u. B. 34:6—7.
Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 447
jenem Tage sein, wann sie alle diese Dinge sehen werden;
dann sollen sie wissen, daß die Stunde nahe ist. Und es
soll geschehen, daß wer mich fürchtet, auf den großen
Tag des Herrn warten wird, nämlich auf die Zeichen der
Ankunft des Menschensohnes. Und sie sollen Zeichen und
Wunder sehen, welche sich oben am Himmel und unten
auf der Erde kundtun werden, und sie sollen Blut, Feuer und
Rauchdampf erblicken. Ja, ehe der Tag des Herrn kommt,
wird die Sonne verfinstert werden, der Mond wird sich
in Blut verwandeln und Sterne werden vom Himmel
fallen. Zu der Zeit soll der Überrest an diesem Ort ver-
sammelt werden; und dann mögen sie mich erwarten, denn
siehe, ich werde kommen und man wird mich in den Wol-
ken des Himmels sehen, angetan mit Macht und Herrlich-
keit, mit allen heiligen Engeln. Wer mich aber nicht er-
wartet, der soll abgeschnitten werden. "i)
14. Das ganz bestimmte Merkmal der neuzeitlichen
Offenbarungen über das zweite Kommen unseres Herrn
ist die nachdrücklich betonte und oft wiederholte Ver-
sicherung, daß das Ereignis nahe vor der Tür stehe.^) Der
Warnungsruf lautet: ,, Bereitet euch, bereitet euch auf
das was da kommen soll, denn der Herr ist nahe!" An
Stelle des Rufes eines einzelnen Mannes in der Wüste zu
Judäa hört man heute die Stimme von Tausenden, die mit
Vollmacht die Völker warnen und sie auffordern, Buße
zu tun und zu ihrer Sicherheit nach Zion zu fliehen. Die
Blätter des Feigenbaumes schlagen aus; die Zeichen am
Himmel und auf Erden mehren sich: sicherlich ist der
große und schreckliche Tag des Herrn nahe!
15. Die genaue Zeit des zweiten Kommens Christi ist
den Menschen nicht bekanntgegeben worden, aber indem
>) Lehre u. Bündn. 45:37 — 44; siehe auch Verse 74 und 75.
*) Siehe die zahlreichen Hinweisungen in Verbindung mit L.
Abscim. 1.
448 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.
wir die Zeichen der Zeit verstehen lernen, die Entwick-
lung des Werkes Gottes unter den Völkern der Erde
verfolgen, und die rasche Erfüllung der bezeichnenden
Prophezeiungen beobachten, können wir die fortschrei-
tende Klarheit des herannahenden Ereignisses wahr-
nehmen, ,,aber die Stunde und den Tag weiß kein
Mensch, auch nicht die Engel im Himmel, noch sollen
sie es wissen, bis daß er kommt. "i) Sein Kommen wird
eine Überraschung sein für alle, die seine Warnungen ver-
worfen und es unterlassen haben, zu wachen. Für die
Bösen wird das Kommen des Tages des Herrn sein wie
„ein Dieb in der Nacht". 2) ,, Darum wachet; denn ihr wisset
weder Tag noch Stunde, in welcher des Menschen Sohn
kommen wird. "3)
16. Die Regierung Christi. — Das Reich Gottes. Wir ha-
ben gesehen, daß dem Wort heiliger Propheten gemäß, alter
wie neuzeitlicher, Christus im buchstäblichen Sinne des
Wortes kommen und sich so in den letzten Tagen in Person
kundtun wird. Er wird unter seinen Heiligen wohnen:
,,Ja, ich will selbst mitten unter euch sein",^) erklärte er
dem Volk auf dem amerikanischen Kontinent, als er ihm
versprach, es in dem Lande des Neuen Jerusalems aufrichten
zu wollen. Ähnliche Versicherungen wurden durch die
Propheten des Ostens^) gegeben. Während dieses zukünf-
tigen Wirkens unter seinen versammelten Heiligen wird
Christus zugleich ihr Gott und ihr König sein. Seine Re-
gierung soll eine vollkommene Theokratie werden; die
Gesetze der Gerechtigkeit sind dann das Gesetzbuch und
') Lehre u. Bündn. 49:7.
») 2. Petrus 3:10; 1. Thessalonischer 5:2.
') Matthäus 25:13; siehe auch 24:42, 44; Markus 13:33, 35; Lukas
12:40.
♦) 3. Nephi 20:22; siehe auch 21:25.
') Hesekiel 37:26—27; Sacharja 2:10—11; 8:3; 2. Korinther 6:16.
Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 449
die Aufsicht wird von einer Autorität ausgeübt, die nicht
bestritten wird, weil sie unbestreitbar ist.
17. Die Heiligen Schriften sind angefüllt mit Darle-
gungen, daß der Herr dereinst über sein Volk regieren
wird. Zu diesem Ende sang Mose vor den Scharen Israels
nach ihrem wunderbaren Durchgang durch das Rote Meer:
„Der Herr wird König sein immer und ewig".i) Und von
dem Psalmisten ertönt das Echo: ,,Der Herr ist König
immer und ewig". 2) Jeremia nennt ihn einen „ewigen
König, vor dessen Zorn die Erde bebt und dessen Dro-
hungen die Heiden nicht ertragen können. "3) Nebukad-
nezar, durch sein trauriges Schicksal gedemütigt, freute
sich, den König des Himmels ehren zu dürfen und rief aus :
„Und sein Reich, ist ein ewiges Reich, und seine Herr-
schaft währet für und für".*)
18. Selbst das auserwählte Volk Israel war nicht
immer willig, Gott als seinen König anzuerkennen. Er-
innern wir uns, wie sie den gesalbten Propheten und Rich-
ter Samuel zurückwiesen, weil er ,,zu alt" sei — eine
armselige Ausrede, denn der ,,älte Mann" wirkte noch
mit Macht unter ihnen 35 Jahre über diesen Zeitpunkt
hinaus — und wie sie nach einem König riefen, der über sie
herrschen solle, daß sie wären wie andere Völker.*) Beach-
ten wir sodann die eindrucksvollen Worte, mit denen der
Herr das Gebet Samuels beantwortet und ferner, mit wel-
cher Betrübnis er dem Wunsche des Volkes willfahrt:
„Gehorche der Stimme des Volks in allem, was sie zu dir
gesagt haben; denn sie haben nicht dich, sondern mich
verworfen, daß ich nicht soll König über sie sein."^) Aber
') 2. Mose 15:18.
=) Psalm 10:16; siehe auch 29:10; 145:13; 146:10.
») Jeremia 10:10.
') Daniel 3:33; siehe 4:31.
') 1. Samuel 8:5.
•) Vers 7; siehe auch 10:19; Hosea 13:10 — 11.
450 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.
der Herr wird nicht für immer von seinem Volke verwor-
fen werden. Zu der bestimmten Zeit wird er mit Macht
und großer Herrlichkeit kommen und seine rechtmäßige
Stellung als bevollmächtigter König der Erde einnehmen.
19. Daniel legte den Traum Nebukadnezars aus und
sprach von den vielen Königreichen und Teilen von
Königreichen, die entstehen sollten und fügte hinzu:
„Aber zur Zeit solcher Königreiche wird der Gott des Him-
mels ein Königreich aufrichten, das nimmermehr zerstöret
wird ; und sein Königreich wird auf kein ander Volk kom-
men. Es wird alle diese Königreiche zermalmen und ver-
stören; aber es wird ewiglich bleiben. "i) Über den Umfang
des zu gründenden Königreiches erklärte der gleiche Pro-
phet: „Aber das Reich, Gewalt und Macht unter dem
ganzen Himmel wird dem heiligen Volk des Höchsten ge-
geben werden, des Reich ewig ist, und alle Gewalt wird
ihm dienen und gehorchen. "2)
20. Micha spricht von der Wiederherstellung Judas
und Israels in den letzten Tagen und prophezeit: „Der
Herr wird König über sie sein auf dem Berge Zion von nun
an bis in Ewigkeit. "3) In seiner Verkündigung zu Maria
sagt der Engel von dem noch nicht geborenen Christus:
„Er wird ein König sein über das Haus Jakob ewiglich,
und seines Königreichs wird kein Ende sein."^) In seinem
Gesicht auf der Insel Patmos sah der Offenbarer Johannes
die glorreiche Vollendung und allgemeine Anerkennung
dieses ewigen Königs: ,,Und der siebte Engel posaunte:
und es wurden große Stimmen im Himmel, die sprachen:
Es sind die Reiche der Welt unseres Herrn und seines
Christus geworden, und er wird regieren von Ewigkeit zu
M Daniel 2:44.
') Daniel 7:27.
') Micha 4:7; siehe auch Jesaja 24:23.
*) Lukas 1:33.
Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 451
Ewigkeit."^) — Auch die neuzeitlichen Offenbarungen
sind reich an Beweisen für die herannahende Herrlichkeit
der Gerechtigkeit mit Christus als König. So lesen wir:
,,Der Herr aber wird über seine Heiligen Macht haben
und wird in ihrer Mitte regieren. "2) — „Denn in der von
mir bestimmten Zeit werde ich über die Erde im Gerichte
kommen, mein Volk aber wird erlöst werden und mit mir
auf Erden regieren."^)
21. Das Reich Gottes und die Kirche. — Im Evan-
gelium Matthäus erscheint häufig der Ausdruck „das
Himmelreich", währenddem in den Büchern der andern
Evangelisten und in den apostolischen Briefen der Aus-
druck „das Reich Gottes", ,,das Reich Christi" oder einfach
„das Reich" vorkommt. Es ist klar, daß diese verschie-
denen Ausdrücke unterschiedslos gebraucht werden kön-
nen, ohne daß dadurch die wahre Bedeutung beeinträch-
tigt würde. Der Ausdruck „Reich" wird jedoch in mehr
als in einem Sinn gebraucht. Eine sorgfältige Beachtung
des jeweiligen Zusammenhangs im Text kann notwendig
werden, wenn man die Absicht des Verfassers richtig ver-
stehen will. Die zwei häufigsten Anwendungen sind:
1. ein Ausdruck, der gleichbedeutend ist mit „die Kirche",
und der sich auf die Nachfolger Christi bezieht, ohne Un-
terscheidung hinsichtlich ihrer geistigen oder zeitlichen
Organisation, 2. die Bezeichnung des buchstäblichen Kö-
nigreiches, über das Christus in den letzten Tagen auf Er-
den regieren wird.
22. Wenn wir das Reich in dem letzten und mehr all-
gemeinen Sinne betrachten, so muß die Kirche als ein Teil
desselben angesehen werden. Sie ist in der Tat ein wich-
tiger Bestandteil davon, denn sie ist der Keim, aus dem sich
1) Offenbarung Joh. 11:15.
2) Lehren. Bündn. 1:36.
=) L. u. B. 43:29; 84:119.
452 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.
das Reich entwickelt, und das eigentliche Herz der voll-
endeten Organisation. Die Kirche hat bestanden, und
besteht auch heute, in organisierter Form ohne das Reich
als eine sichtbar vorhandene Macht mit irdischer Maght-
befugnis in der Welt; das Reich Gottes jedoch kann ohne
die Kirche nicht aufrecht erhalten bleiben.
23. In den neuzeitlichen Offenbarungen werden die
Ausdrücke ,, Reich Gottes" und ,, Himmelreich" manchmal
in bestimmtem, besonderm Sinne gebraucht, wobei die
erste Bezeichnung auf die Kirche und die andere auf das
tatsächliche Königreich angewandt wird, welches alle
jetzt bestehenden nationalen Reiche überschatten und in
sich vereinigen wird. In diesem Sinne ist das Reich Gottes
in diesen letzten Tagen bereits aufgerichtet worden. Sein
Anfang in und für diese gegenwärtige Dispensation bestand
darin, daß die Kirche auf ihrer bleibenden und auf der
Grundlage der letzten Tage errichtet worden ist. Dies
stimmt überein mit unserer Ansicht von der Kirche als
lebenswichtiger Teil des Reiches im allgemeinen. Die
Kräfte und die Vollmachten, die der Kirche übergeben
worden sind, sind somit die Schlüssel des Reiches. Diese
Bedeutung kommt auch in der folgenden Offenbarung
an die Kirche klar zum Ausdruck: „Die Schlüssel des
Himmelreichs sind Menschen auf Erden übergeben worden,
und von da soll das Evangelium bis an die Enden der Erde
ausgehen, wie der Stein, der ohne Hände^) vom Berge
losgerißen wurde, herabrollen wird, bis er die ganze Erde
erfüllt hat. * * * Rufet den Herrn an, daß sein Reich über
die Erde ausgehen möge, und daß deren Bewohner es em-
pfangen und auf den künftigen Tag vorbereitet werden, wo
des Menschen Sohn vom Himmel herniederkommen wird,
angetan mit dem Glanz seiner Herrlichkeit, um dem Reiche
') Hinweis auf die Auslegung, die Daniel dem Traiune Nebukadnezars
gab; siehe Daniel 2:34, 44.
Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 453
Gottes, das auf Erden errichtet ist, entgegenzukommen.
Darum möge das Reich Gottes ausgehen, daß das Himmel-
reich komme, und du, o Gott, im Himmel wie auch auf Er-
den verherrlichet werdest, und deine Feinde dir Untertan
gemacht werden ; denn dein ist die Ehre, Macht und Herr-
lichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen."^)
24. Bei seiner glorreichen Wiederkunft wird Christus
von den Scharen der Gerechten begleitet werden, die schon
vorher von der Erde abgeschieden sind. Und die Heiligen,
die dann noch auf Erden leben werden, sollen verwandelt
und aufgehoben werden, ihm zu begegnen und mit ihm
herabzusteigen als Teilnehmer an seiner Herrlichkeit. 2)
Ferner werden mit ihm kommen Henoch und seine Ge-
meinde der Reinen im Herzen. 3) Dann wird eine Ver-
einigung zustande kommen mit dem Reich Gottes, oder
mit dem Teil des Himmelreichs, der zuvor als Kirche
Jesu Christi auf Erden gegründet worden war. So wird
das Reich auf Erden eins sein mit dem des Himmels. Als-
dann wird des Herrn eigenes Gebet, das er allen denen, die
zu Gott beten, als Muster gab, völlig verwirklicht wer-
den: „Dein Reich komme, dein Wille geschehe auf
Erden wie im Himmel."*)
25. Die oft besprochene Frage: Ist das Reich Gottes
schon auf Erden, oder sollen wir auf seine Errichtung war-
ten bis zur Zeit des zweiten Kommens Christi, des Königs?
kann bejaht oder auch verneint werden, je nach dem Sinn,
in welchem der Ausdruck „Reich" aufgefaßt wird. Das
Reich Gottes, das gleichbedeutend ist mit der Kirche
Christi, ist sicherlich schon aufgerichtet worden. Seine
Geschichte ist diejenige der Kirche in den letzten Tagen,
') Lehre u. Bündn. 65:2, 5 — 6.
») L. u. B. 88:91—98.
') Siehe Seite 429, 434, 435.
•) Matthäus 6:10; Lukas 11:2.
454 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.
seine Beamten haben einen göttlichen Auftrag, ihre Voll-
macht ist die des heiligen Priestertums. Sie nehmen für
sich eine Vollmacht in Anspruch, die geistig ist, gleichzeitig
ist sie aber auch zeitlich : soweit es sich um die Mitglieder
der kirchlichen Körperschaft handelt, d. h. der Kirche
oder des Reiches Gottes, wie man es nennen mag; sie ver-
suchen nicht, und beanspruchen auch nicht, die Rechte
bestehender weltlicher Regierungen einzuschränken, an-
zugreifen, oder ihnen in irgend einer Weise entgegenzu-
treten, geschweige denn, Nationen zu unterdrücken oder
eine Nebenregierung und ein ihnen eifersüchtiges System
der weltlichen Herrschaft und Aufsicht einzusetzen. Das
Himmelreich, das die Kirche in sich schließt, und das alle
Nationen umfaßt, wird mit Macht und großer Herrlichkeit
aufgerichtet werden, wenn der triumphierende König
mit seinem himmlischen Gefolge erscheint, um persönlich
zu regieren auf der Erde, die er mit dem Opfer seines ei-
genen Lebens erlöst hat,
26. Wie wir gesehen haben, umfaßt das Himmelreich
mehr als die Kirche. Den ehrbaren und rechtschaffenen
unter den Menschen wird Schutz gewährt werden und ferner
alle die Vorrechte des Bürgerrechts unter dem vollkommenen
Regierungssystem, das von Jesus Christus selbst gehand-
habt werden wird ; und zwar wird dies ihr glückliches Los
sein, ob sie nun tatsächlich Mitglieder der Kirche sind oder
nicht, Gesetzesübertreter und Menschen mit unreinen
Herzen werden ihrer Sünde gemäß von den Gerichten der
Zerstörung betroffen werden. Diejenigen aber, die in
Übereinstimmung mit der Wahrheit leben, wie sie sie an-
zunehmen und zu begreifen fähig waren, werden sich der
vollkommensten Freiheit erfreuen, unter dem gütigen,
wohltuenden und heilsamen Einfluß einer vollkommenen
Regierung. Die besondern Vorrechte und Segnungen, die
mit der Kirche verknüpft sind, das Recht, das Priestertum
Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 455
ZU halten, und es auszuüben mit seinen unbegrenzten
Möglichkeiten und ewigen Mächten, werden wie heute so
auch dereinst nur für diejenigen sein, die in den Bund
eintreten und einen Teil der Kirche des Erlösers aus-
machen werden.
27. Das Millennium. (Das Tausendjährige Reich.) In
Verbindung mit den biblischen Angaben über die Regie-
rung Christi auf Erden wird oft ein Zeitraum von tausend
Jahren erwähnt. Wenn wir diese auch nicht als eine Zeit-
grenze für das Bestehen seines Königreiches ansehen kön-
nen, oder als einen Maßstab für die Dauer seiner Herrschaft
und Macht auf Erden, so sind wir doch zu dem Glauben
berechtigt, daß die tausend Jahre, die unmittelbar auf
die Gründung des Reiches folgen, in ganz besonderer
Weise gekennzeichnet werden sollen, sodaß sie sowohl von
der vorhergehenden als auch von der nachfolgenden Zeit
bestimmt unterschieden werden. Die Sammlung Israels
und die Gründung eines irdischen Zions sollen als Vorbe-
reitungen seines zweiten Kommens erfolgen. Seine An-
kunft soll gekennzeichnet werden durch eine vorausgehende
Vernichtung der Bösen und die Eröffnung eines Zeitalters
des Friedens. Johannes der Offenbarer sah die Seelen der
Märtyrer und anderer gerechter Menschen, wie sie in Macht
und Herrlichkeit mit Christus lebten und regierten tausend
Jahre. 1) Zu Beginn dieses Zeitalters soll Satan ge-
bunden werden, „daß er nicht mehr verführen sollte die
Heiden, bis daß vollendet würden tausend Jahre. "2) Ein
gewisser Teil der Toten soll nicht wieder lebendig werden
bis daß die tausend Jahre vorüber sind,^) währenddem die
Gerechten „Priester Gottes und Christi sein und mit ihm
regieren werden tausend Jahre."*) Unter den ältesten
1) Offenbarung Joh. 20:4; siehe auch Vers 6.
») Offenbarung Joh. 20:2—3.
=■) Vers 5.
♦) Vers 6.
456 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.
Offenbarungen über das Millennium findet sich diejenige,
die dem Henoch gegeben wurde: „Und es geschah, daß
Henoch den Tag der Wiederkunft des Menschensohnes in
den letzten Tagen sah, um für die Dauer von eintausend
Jahren in Gerechtigkeit auf der Erde zu wohnen, "i)
28. Es ist klar, daß es sich beim Millennium um einen
ganz bestimmten Zeitraum handelt, dessen Anfang und
dessen Ende wichtige Ereignisse aufweisen und durch des-
sen ganzen Verlauf ein Zustand ungewöhnlicher Segnungen
herrschen wird. Es wird ein sabbatliches Zeitalter sein^) —
eintausend Jahre des Friedens. Die Feindschaft zwischen
Mensch und Tier soll aufhören, die Wildheit und das Gift
der tierischen Schöpfung weggenommen werden^) und die
Liebe soll die Herrschaft führen.^) Ein ganz neuer Zustand
der Dinge wird geschaffen werden, wie es der Herr in sei-
nem Wort an Jesaja angekündigt hat: „Denn siehe, ich
will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen,
daß man der vorigen nicht mehr gedenken wird noch
sie zu Herzen nehmen".^)
29. Über den Zustand des Friedens, des Gedeihens
und der Dauer des menschlichen Lebens, welcher diesem
Zeitraum eigen sein wird, lesen wir: „Es sollen nicht mehr
dasein Kinder, die nur etliche Tage leben, oder Alte, die
ihre Jahre nicht erfüllen; sondern die Knaben sollen hun-
dert Jahre alt sterben und die Sünder hundert Jahre alt
verflucht werden. Sie werden Häuser bauen und bewoh-
nen; sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte
essen. Sie sollen nicht bauen, was ein andrer bewohne,
und nicht pflanzen, was ein andrer esse. Denn die Tage
') Köstl. Perle, Moses 7:65.
') Siehe Anmerkung 2.
') Jesaja 11:9; 65:25.
*) Siehe Anmerkung 3 und 4.
') Jesaja 65:17.
Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 457
meines Volkes werden sein wie die Tage eines Baumes;
und das Werk ihrer Hände wird alt werden bei meinen
Auserwählten. Sie sollen nicht umsonst arbeiten noch
unzeitige Geburt gebären ; denn sie sind der Same der Ge-
segneten des Herrn und ihre Nachkommen mit ihnen.
Und es soll geschehen, ehe sie rufen, will ich antworten;
wenn sie noch reden, will ich hören. Wolf und Lamm sollen
weiden zugleich, der Löwe wird Stroh essen wie ein Rind,
und die Schlange soll Erde essen. Sie werden nicht schaden
noch verderben auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht
der Herr."^)
30. Daß auch heute wiederum die Stimme des Herrn
zu hören ist, welche die gleichen prophetischen Wahr-
heiten verkündigt, geht aus den, der Kirche in der jetzigen
Dispensation gegebenen Offenbarungen hervor, in denen
das Millennium erwähnt wird. 2) Im Jahre 1831 richtete
der Herr sein Wort an die Ältesten seiner Kirche und sagte:
„Denn das große Tausendjährige Reich, von dem ich durch
den Mund meiner Diener gesprochen habe, wird kommen.
Und Satan wird gebunden werden, darnach wird er wieder
frei werden und eine kleine Weile wieder Gewalt haben,
dann aber kommt das Ende der Erde. "3) Bei einer andern
Gelegenheit wurden die folgenden Worte gesprochen :
„Denn ich will mich mit Macht und großer Herrlichkeit
vom Himmel mit allen meinen Heerscharen offenbaren
und in Gerechtigkeit mit den Menschen auf Erden tausend
Jahre wohnen, und die Gottlosen sollen nicht bestehen. ***
Und wiederum, wahrlich, wahrlich, ich sage euch,
wenn die tausend Jahre beendigt sind und die Menschen
wieder anfangen werden, Gott zu leugnen, dann werde ich
') Jesaja 65:20—25.
') Lehre u. Bündn. 63:49—51.
») L. u. B. 43:30—31.
458 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.
die Erde nur eine kurze Zeit verschonen: das Ende
wird kommen. "1)
31. Das Millennium soll also den Ereignissen voran-
gehen, die in der biblischen Ausdrucksweise als das „Ende
der Welt" dargestellt sind. Während jenes Zeitalters
werden alle Verhältnisse und Zustände der Gerechtigkeit
zugeneigt sein. Die Macht Satans wird zurückgehalten
werden und die Menschen, bis zu einem gewissen Grad
von der Versuchung erlöst, werden eifrig im Dienste ihres re-
gierenden Herrn wirken. Aber trotzdem wird die Sünde
nicht gänzlich ausgeschaltet, noch wird der Tod endgültig
verbannt sein, obschon die Kinder leben werden bis sie ihre
Reife im Fleisch erreicht haben, und dann „in einem Augen-
blick" in den Zustand der Unsterblichkeit verwandelt
werden mögen. 2) Sterbliche und unsterbliche Wesen
werden die Erde bewohnen und die Gemeinschaft mit den
himmlischen Mächten wird allgemein sein. Die Heiligen
der letzten Tage glauben, daß sie während dieses Zeitalters
das Vorrecht genießen dürfen, das stellvertretende Werk
für die Toten fortzuführen, das einen so wichtigen und aus-
geprägten Bestandteil ihrer Pflichten darstellt,^) und daß
ferner die Leichtigkeit des unmittelbaren Verkehrs mit den
himmlischen Mächten sie instand setzen wird, dieser Liebes-
arbeit ohne Hindernis obzuliegen. Sind diese tausend
Jahre vorüber, dann wird Satan seine Macht wieder be-
anspruchen und die, die alsdann nicht zu den Reinen im
Herzen zählen, werden seinem Einfluß erliegen. Aber die
auf solche Weise von dem „Fürsten, der in der Luft herr-
schet" wiedererlangte Freiheit wird nur von kurzer Dauer
sein. Rasch wird sein endgültiges Schicksal über ihn
hereinbrechen und mit ihm werden alle diejenigen, die sein
') Lehre u. Bündn. 29:11, 22—23.
') L. u. B. 63:50—51.
») Siehe Seite 178—191.
Art. 10.] Anmerkungen. 459
eigen sind, der Strafe verfallen, welche endlos ist. Dann
wird die Erde in ihren himmlischen Zustand übergehen
und zu einem geeigneten Wohnplatz für die verherrlich-
ten Söhne und Töchter unseres Gottes werden.
Anmerkungen.
1. Der Gesalbte. — Der offizielle Name des Erlösers der Menschheit
ist „Christus", während „Jesus", oder auf hebräisch Josua, „Heiland",
sein natürlicher Name ist. Christus heißt „der Gesalbte ', von ,,chrio",
salben. In früheren Dispensationen wurden Priester, Könige und Propheten
in der Weise in ihr Amt eingesetzt, daß ihr Haupt mit geheiligtem Öl ge-
salbt wurde. Die Verordnung wurde von dem anerkannten Diener Jehovahs
ausgeführt und war ein äußeres Zeichen dafür, daß ihre Einsetzung in das
Amt direkt auf Gott selbst zurückzuführen war, als der Quelle aller Voll-
macht, da er, wenigstens im alten Bund, in besonderer Weise auch der
Herrscher über sein Volk war. Das öl, das bei der Weihung der Priester
und bei der Salbung des Tabernakels und heiliger Gefäße verwendet wurde,
war eine besondere Zubereitung aus Myrrhen, Zimt, Kalmus, und Kassia
(2. Moses 30:23 — 25). — Den Juden wurde unter Todesstrafe ver-
boten, diese Zubereitung für den Körper zu gebrauchen, oder sie auch nur
nachzumachen. Sie war ohne Zweifel dazu bestimmt, die Gaben und Kräfte
des Heiligen Geistes zu versinnbildlichen." — Cassels Biblisches Wörter-
buch, Seite 257.
2. Das siebt© Jahrtausend. — „Wie bei den Israeliten jedes siebte
Jahr ein Freijalir war, so soll auch das siebte Jahrtausend der Welt ein
Sabbattag sein." — Faussetts Bible Cyclopedia, Seite 685. — „Darum ist
noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes" — oder wie es in andern
Übersetzungen für „Ruhe" heißt: das „Halten eines Sabbattages." —
Hebräer 4:9.
3. Der Friede des Tausendjährigen Reichs. — „Die Wölfe werden bei
den Lämmern wohnen und die Parder bei den Böcken liegen. Ein kleiner
Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben.
Kühe und Bären werden auf der Weide gehen, daß ihre Jungen bei einander
liegen; und Löwen werden Stroh essen wie die Ochsen. Und ein Säugling
wird seine Lust haben am Loch der Otter, und ein Entwöhnter wird seine
Hand stecken in die Höhle des Basilisken. Man wird nirgend Schaden tim
noch verderben auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land ist voll
Erkenntnis des Herrn, wie Wasser das Meer bedeckt." — (Jesaja 11:6 — 9;
siehe auch 65:25.)
460 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.
4, Die Erde vor, nährend und nach dem Tausendjährigen Reich. —
Von drei verschiedenen Zuständen der Erde vrird in den heiligen Schriften
gesprochen: dem gegenwärtigen, in welchem jedes und alles was zu ihr
gehört durch eine Veränderung gehen muß, die wir Tod nennen, dann der
Zustfind der Erde im Tausendjährigen Reich, in welchem sie geheiligt sein
wird als ein Wohnplatz reinerer Intelligenzen, von denen ein Teil sterblich
imd ein Teil unsterblich sein wird, imd schließlich der himmlische Zustand,
von dem im 21. und 22. Kapitel der Offenbarung Johannes gesprochen
wird, und der ein Zustand des ewigen Lebens sein \\-ird." — „Compendium",
von den .\ltesten F. D. Richards imd James A. I.ittle, S. 202.
Die Erneuerung der Erde. 461
Vorlesung XXI.
Erneuerung und Auferstehung.
Artikel 10. — Wir glauben * * * daß die Erde erneuert werden und
ihre paradiesische Herrlichkeit erhalten wird.
Die Erneuerung der Erde.
1. Die Erde unter dem Fluch. Die gesegneten Zustände,
die auf der Erde herrschen und unter welchen die Menschen
während des tausendjährigen Zeitraumes leben werden,
sind so verschieden von allem, was uns die Weltgeschichte
lehrt und was uns unsere tägliche Erfahrung bestätigt,
daß sie die Kraft des menschlichen Begreifens beinahe
übersteigen. Eine sich über die ganze Erde erstreckende
Herrschaft der Gerechtigkeit ist dem gefallenen Menschen-
geschlecht bis auf den heutigen Tag unbekannt geblieben.
— So ausgeprägt ist der weltweite Fluch gewesen, so groß
die Macht des Versuchers, so erbittert der selbstsüchtige,
gottlose Kampf zwischen Mensch und Mensch und zwischen
Volk und Volk, so allgemein die Feindschaft der tie-
rischen Schöpfung, sowohl unter sich wie gegenüber dem
Wesen, welches, obschon in einem gefallenen Zustande,
doch immer noch kraft göttlichen Auftrages das Recht zur
Herrschaft über das Tierreich inne hatte, so ergiebig war
der Erdboden im Hervorbringen von Dornen, Disteln
und giftigem Unkraut, daß uns die Schilderung des Gar-
tens Eden wie eine Geschichte aus einer andern Welt
anmutet, aus einer Sphäre, die auf einer viel höhern Da-
seinsstufe steht, gar nicht zu vergleichen mit unserm trau-
rigen Zustande. Und doch erfahren wir, daß Eden in der
462 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.
Tat ein charakteristisches Merkmal unseres eigenen Pla-
neten war und daß die Erde dazu bestimmt ist, ein himm-
lischer Wohnplatz zu werden — geeignet zum Aufent-
haltsort für die höchsten Intelligenzen. Bei all seiner
Pracht stellt das Millennium doch nur eine weiter vorge-
schrittene Stufe der Vorbereitung dar, durch welche die
Erde und ihre Bewohner der vorherbestimmten Vollkom-
menheit entgegengehen.
2. Die Erneuerung der Erde. Der Ausdruck „Erneu-
erung" (Wiedergeburt) (aus dem Griechischen, „palin-
genesia" übersetzt, was soviel bedeutet wie „eine neue
Geburt" oder genauer „einer, der nochmals geboren wird"),
erscheint im Neuen Testament zweimal,^) während andere
Ausdrücke von gleicher Bedeutung in vielen Stellen vor-
kommen. Immerhin werden diese Ausdrücke gewöhnlich
auf die Erneuerung der Seele des Menschen durch die
geistige Geburt angewandt, durch welche die Seligkeit
erreichbar wird. Zwar läßt die Art und Weise, wie der Herr
die Bezeichnung anwendet, wo er von der zukünftigen
Herrlichkeit spricht, die er seinen Aposteln zusichert, die
Möglichkeit offen, daß damit die Verjüngung der ganzen
Erde mit ihren Bewohnern und deren Einrichtungen in
Verbindung mit dem Tausendjährigen Reich gemeint ist:
— ,, Wahrlich, ich sage euch: Ihr, die ihr mir seid nachge-
folgt, werdet in der Wiedergeburt, da des Menschen Sohn
wird sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit, auch sitzen
auf zwölf Stühlen und richten die zwölf Geschlechter
Israels". 2)
3. Eine Zeit der Wiederherstellung wurde vorherge-
sagt. Beachten wir die Worte des Apostels Petrus an
das Volk, das in der Halle Salomons zusammengekommen
war und sich über die wunderbare Heilung des lahmen
') Matthäus 19:28; Titus 3:5.
') Matthäus 19:28.
Art. 10.] Die Erneuerung der Erde. 463
Bettlers am schönen Tor verwunderte: „So tut nun Buße
und bekehret euch, daß eure Sünden vertilgt werden; auf
daß da komme die Zeit der Erquickung von dem Ange-
sichte des Herrn, wenn er senden wird den, der euch jetzt
zuvor gepredigt wird, Jesus Christus, welcher muß den Him-
mel einnehmen bis auf die Zeit, da herwiedergebracht
werde alles, was Gott geredet hat durch den Mund aller
seiner heiligen Propheten von der Welt an."^)
4. Daß der Übergang zu einem der Vollkommenheit
näher stehenden Stand der Dinge sowohl für die ganze
Natur wie für das Menschengeschlecht vorgesehen ist,
geht aus den Belehrungen des Apostels Paulus hervor,
wie sie uns in seinem Briefe an die Römer überliefert wer-
den: „Denn auch die Kreatur frei werden wird von dem
Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit
der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß alle Kreatur
sehnet sich mit uns und ängstet sich noch immerdar.
Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir haben
des Geistes Erstlinge, sehnen uns auch bei uns selbst nach
der Kindschaft und warten auf unsers Leibes Erlösung. "2)
5. Das Werk der Erneuerung hat bereits angefangen.
Als notwendiges vorhergehendes Ereignis, durch das der
Fluch, der sonst die Erde treffen würde, verhütet werden
kann, sollte der Prophet Elia mit den Schlüsseln und der
Vollmacht zu einem großen Werke zur Erde kommen.
Von diesem Ereignis sagte der Herr, als es noch in der Zu-
kunft lag: „Siehe, ich will euch senden den Propheten
Eha, ehe denn da komme der große und schreckliche
Tag des Herrn. Der soll das Herz der Väter bekehren
zu den Kindern und das Herz der Kinder zu ihren Vätern,
daß ich nicht komme und das Erdreich mit dem Bann
schlage. "3)
») Apostelgeschichte 3:19 — 23.
») Römer 8:21—23.
') Maleachi 4 : 5 — 6 ; siehe auch 3. Nephi 25.
464 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.
6. Die Heiligen der letzten Tage erklären mit ernsten
Worten, daß diese Prophezeiung darin ihre buchstäbliche
Erfüllung gefunden hat, daß am 3. April 1836 der Prophet
Elia in dem eben eingeweihten Tempel zu Kirtland (Ohio)
den Propheten Joseph Smith und Oliver Cowdery besuchte,
seine Mission, wie sie von Maleachi vorhergesagt ist, be-
kanntgab und die Schlüssel zu diesem Werke der letzten
Dispensation der Kirche übertrug, damit das Werk der
Wiederherstellung in Angriff genommen werden könne
und außerdem zum Zeichen, „daß der große und schreck-
liche Tag des Herrn nahe ist, ja selbst vor der Türe steht. "^)
Dieser Prozeß der Erneuerung wird sich über das ganze
Tausendjährige Reich erstrecken. Die menschliche Gesell-
schaft wird gereinigt werden, die Völker werden im Frieden
leben, Kriege sollen aufhören und die Wildheit der Tiere soll
weggenommen werden. Die Erde, die bis zu einem gewissen
Grade dem Fluche des Falles entronnen sein wird, wird
dem Landmann unbegrenzte Ernten darbringen ; der ganze
Planet soll erlöst werden.
7. Die letzten Stufen dieser Erneuerung der Natur
werden erst erreicht werden, nachdem das Millennium
seinen gesegneten Verlauf genommen hat. Der Offenbarer
Johannes beschreibt die Ereignisse, die nach Vollendung
der tausend Jahre eintreten werden und sagt dabei : „Und
ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der
erste Himmel und die erste Erde vergingen, und das Meer
ist nicht mehr. *** Und ich hörte eine große Stimme von
dem Stuhl, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den
Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden
sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott
sein ; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen
und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Ge-
0 Lehre u. Bündn. 110:14 — 16; siehe auch Seite 185, 186 dieses
Buches.
Art. 10.] Die Erneuerung der Erde. 465
schrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist
vergangen."^) — Eine ähnliche Prophezeiung stammt von
Ether, dem Jarediten, der sechshundert Jahre vor Christi
Geburt lebte. „Und es wird ein neuer Himmel und eine
neue Erde sein, und diese werden den alten gleich sein,
nur daß die alten vergangen und alle Dinge neu geworden
sind. "2) Dieses Ereignis soll, wie aus dem Zusammenhang
hervorgeht, auf die Szenen des Millenniums folgen.
8. In unserm Zeitalter sprach der Herr im Jahre 1830:
„Wenn die tausend Jahre beendigt sind und die Menschen
wiederum anfangen werden, Gott zu leugnen, dann werde
ich die Erde nur eine kurze Zeit verschonen: Das Ende
wird kommen, und Himmel und Erde werden verzehrt
werden und vergehen, und es wird ein neuer Himmel und
eine neue Erde sein. Denn alle alten Dinge werden ver-
gehen, und alle Dinge sollen neu werden, selbst der Himmel
und die Erde und die ganze Fülle derselben, Menschen
und Tiere, die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres.
Und nicht ein Haar, noch Stäubchen soll verloren gehen,
denn es ist das Werk meiner Hand".^)
9. In Übereinstimmung mit den heiligen Schriften
muß die Erde eine dem Tod ähnliche Veränderung durch-
machen und dann erneuert werden, in einer Weise, die man
mit einer Auferstehung vergleichen kann. Hinweise auf
das Schmelzen der Elemente durch Feuer und auf das
Verbrennen und Vergehen der Erde, wie sie in vielen von
uns schon angeführten Schriftstellen vorkommen, deuten
auf den Tod hin; die neue Erde, in Wirklichkeit der er-
neuerte oder wiederhergestellte Planet, der daraus ent-
stehen soll, läßt sich mit einem auferstandenen Lebewesen
vergleichen. Diese Veränderung ist auch mit einer Ver-
•) Offenbarung Job. 21:1, 3 — i.
') Bucb Mormon, Ether 18:9.
') Lehre u. Bündn. 29:22 — 25.
466 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXL
klärungi) verglichen worden. Jedes erschaffene Ding
wurde zu einem gewissen Zweck gemacht und jedes Ding,
das das Maß seiner Erschaffung erfüllt, soll höher steigen
auf der Stufenleiter des Fortschritts, sei es nun ein Atom
oder eine Welt, ein Tierchen oder ein Mensch — der ein
unmittelbarer und buchstäblicher Sprößling der Gottheit
ist. Da wo der Herr von den Graden der Herrlichkeit spricht,
die für seine Schöpfungen vorgesehen sind, und von den
Gesetzen der Erneuerung und Heiligung — in einer
Offenbarung vom Jahre 1832 — spricht er deutlich von
dem herannahenden Tod und der darauffolgenden Wieder-
belebung der Erde. Seine Worte lauten: ,,Und wiederum,
wahrlich ich sage euch: Die Erde hält das Gesetz eines
himmlischen Reiches, denn sie erfüllt den Zweck ihrer
Erschaffung und übertritt das Gesetz nicht. Deshalb
wird sie geheiligt werden: ja, obgleich sie sterben wird,
so wird sie doch wieder belebt werden und in der Macht
bleiben, durch welche sie belebt wurde, und die Gerechten
werden sie ererben. "2)
10. Im Verlaufe des Millenniums wird die Erde, wäh-
rend sie sich auf ihre völlige Veränderung vorbereitet,
sowohl von sterblichen wie von unsterblichen Wesen be-
wohnt werden. Wenn jedoch die Erneuerung vollendet
ist, werden ihre Bewohner auch dem Tod nicht mehr
unterworfen sein. Dann wird der Erlöser „das Reich vor
den Vater bringen und es ihm makellos übergeben und
sagen: „Ich habe überwunden. "3) Bevor aber der Sieg
auf diese Weise errungen und der Triumph gesichert ist,
müssen die Feinde der Gerechtigkeit besiegt werden; der
letzte Feind, den es zu überwinden gilt, ist der Tod. So
spricht der Apostel Paulus: ,, Darnach das Ende, wenn er
•) Lehre u. Bündn. 63:20 — 21.
•) L. u. B. 88:25—26.
') L. u. B. 76:107.
Art. 10.] Die Erneuerung der Erde. 467
das Reich Gott und dem Vater überantworten wird, wenn
er aufheben wird alle Herrschaft und alle Obrigkeit und
Gewalt. Er muß aber herrschen, bis daß er alle seine
Feinde unter seine Füße lege. Der letzte Feind, der auf-
gehoben wird, ist der Tod. Denn er hat ihm alles unter
seine Füße getan. Wenn er aber sagt, daß es alles Untertan
sei, ists offenbar, daß ausgenommen ist, der ihm alles
untergetan hat. Wenn aber alles ihm Untertan sein wird,
alsdann wird auch der Sohn selbst Untertan sein dem,
der ihm alles untergetan hat, auf daß Gott sei alles in
allem. "^)
11. Die folgende bruchstückartige Beschreibung der
Erde in ihrem unsterblichen Zustand ist vom Propheten
Joseph Smith in dieser Dispensation gegeben worden:
„Diese Erde wird in ihrem verklärten und unsterblichen
Zustande wie ein Kristall gemacht werden und ihren
Bewohnern ein Urim und Thummin sein,^) wodurch alle
Dinge, welche zu einem geringern Reiche gehören, oder
alle Reiche einer niederem Ordnung, denen, welche darauf
wohnen, offenbar sein werden ; und diese Erde wird Christi
sein. "3)
12. Mangel an wissenschaftliehen Beweisen. Es
sind Versuche gemacht worden, eine Übereinstimmung
zu zeigen zwischen den Lehren der Wissenschaft, inbezug
auf die Bestimmung der Erde, und den biblischen Pro-
phezeiungen hinsichtlich der vorgesehenen Erneuerung
unseres Planeten, durch die er zu einem geeigneten Wohn-
platz für unsterbliche Wesen werden wird. Ohne auf die
Einzelheiten dieser angeblich gegenseitigen Unterstüt-
zung zwischen der Wissenschaft und dem geoffenbarten
Wort einzugehen, möge es genügen, festzustellen, daß
') 1. Korinther 15:24 — 28.
») Siehe Seite 329.
') Lehre u. Bündn. 130:9.
468 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.
dieser sogenannte Beweis unzulänglich ist, und daß sich
die Wissenschaft über den vorliegenden Gegenstand in
Wirklichkeit ausschweigt. Der Geologe betrachtet diese
Erde als einen Körper, der sich in einem Prozeß fortwäh-
render Veränderung befindet, und dessen Oberfläche aus
einer ungleichartigen Masse fragmentarischen Materials
besteht. Er liest in ihrer Geschichte, die er auf ihren ver-
steinerten Blättern aufgezeichnet findet, die Geschichte
vergangener Entwicklungen durch viele aufeinander
folgende Stufen des Fortschritts hindurch, von denen jede
den Erdball zum Wohnsitz des Menschen geeigneter macht.
Er ist Augenzeuge der Arbeit der aufbauenden und der
zerstörenden Kräfte, die jetzt am Werke sind: Länder-
massen, die der verflachenden Wirkung von Wasser und
Luft nachgeben, und die durch ihren Abbau das Material
liefern für andere Gebilde, die jetzt erst in der Entstehung
begriffen sind. Er beobachtet, wie dies alles die allgemeine
Wirkung hat, die Oberfläche der Erde durch das Ernie-
drigen der Berge und das Erhöhen der Täler auszugleichen.
Auf der andern Seite sieht er vulkanische Kräfte an der
Arbeit, wie sie die Ungleichheiten der Ebene durch heftige
Ausbrüche und durch Erhöhungen der Erdrinde zu steigern
suchen. Er gibt seine Unfähigkeit zu, aus den Beobach-
tungen der Gegenwart und aus seinen Schlußfolgerungen
inbezug auf die Vergangenheit der Erde auch nur ihre
wahrscheinliche Zukunft voraussagen zu können. Seine
Anstrengungen, den Ursprung der Erde darzulegen, oder
ihre Bestimmung festzusetzen, sind so erfolglos gewesen,
daß er den Versuch, diese Fragen zu lösen, aufgegeben hat.
Die aufsehenerregende Äußerung eines maßgebenden
Fachmannes dieser Wissenschaft ist in unserer Zeit sprich-
wörtlich geworden: ,,Die Geologie bietet uns keine Spuren
eines Anfangs und keine Aussichten auf ein Ende."^)
') James Hutton.
Art. 10.] Die Erneuerung der Erde. 469
13. Der Astronom, der die verschiedenen Verhält-
nisse und Zustände anderer Welten erforscht, mag nach
dem Gesetz der Ähnlichkeit oder Gleichförmigkeit ver-
suchen, das vermutliche Schicksal unserer eigenen Welt
zu erfahren. Mit einem großartig verbesserten Sehvermö-
gen späht er in den Raum und erblickt innerhalb der Pla-
netengruppe, zu der unsere Erde gehört, Sphären, die eine
große Vielgestaltigkeit der Entwicklung zeigen — einige noch
in ihrem feurigen Zustande, die zu einem Wohnplatz für
Wesen unserer Art ungeeignet erscheinen, andere in einem
Zustand, der der Erde ziemlich ähnlich ist, andere wieder,
die scheinbar alt und leblos sind. Von den mächtigen Pla-
netengruppen jenseits der verhältnismäßig kleinen Gesell-
schaft, die unter der Herrschaft unserer Sonne steht, weiß er
nichts als etwa das Dasein solcher Zentralgestirne. Nirgends
aber hat er eine himmlische Welt entdeckt. Können wir
auch nur annehmen, sterbliche Augen vermöchten etwas
derartiges wahrzunehmen, selbst wenn es innerhalb der
Grenzen ihres Sehvermögens läge, Grenzen, die nur von
der räumlichen Entfernung gezogen werden?
14. Die Worte des Dichters lauten:
Nicht denke, daß dem Himmel
Zuschauer fehlten,
und daß es Gott
an Lob und Preis gebräche,
wenn keine Menschen wären.
Millionen geistger Wesen
wandeln auf Erden,
ungesehen wenn wir wachen,
ungesehen wenn wir schlafen.
Wenn dieser Gedanke auf Wahrheit beruht — was die
christliche Seele kaum bezweifeln wird — können wir
ebensowohl an das Dasein andrer Welten glauben, als
an solche, deren Gebilde so grob sind, daß sie für unser
geschwächtes Auge sichtbar sind. Ich wiederhole: Hin-
470 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.
sichtlich des geoffenbarten Wortes über die Erneuerung
der Erde und die Erlangung einer himmlischen Herrlich-
keit seitens unseres Planeten, hat uns die Wissenschaft
nichts zu bieten, weder als Zustimmung noch als Wider-
spruch. Laßt uns aber deswegen die Wissenschaft nicht
verkleinern oder die Arbeit ihrer Anhänger herabsetzen.
Keiner weiß besser, wie viel wir nicht wissen, als der wahre
Wissenschafter.
Die Auferstehung des Körpers.
15. Die Auferstehung von den Toten. Eng verknüpft
und in Übereinstimmung mit der vorherbestimmten Ver-
jüngung der Erde, wodurch der Planet von seinem gegen-
wärtigen traurigen und gefallenen Zustand in den Stand
der verherrlichten Vollkommenheit übergehen wird, ist die
Auferstehung der Körper aller jener Lebewesen, die auf
der Erde ihr Dasein gehabt haben. Die Kirche Jesu Christi
der Heiligen der letzten Tage lehrt die Lehre von der buch-
stäblichen Auferstehung, die tatsächliche Wiedervereini-
gung der abgeschiedenen Geister mit dem fleischlichen
Körper, mit dem sie während ihrer irdischen Prüfungs-
zeit angetan waren. Die Kirche glaubt ferner an eine Ver-
wandlung von der Sterblichkeit in die Unsterblichkeit
bei einigen, die zur Zeit des großen Übergangs noch im
Fleische leben, und die wegen ihrer persönlichen Gerechtig-
keit von dem Todesschlummer im Grabe verschont werden.
Mit solchen Lehren unterscheidet sich die Kirche indessen
nicht wesentlich von den meisten christlichen Sekten,
ausgenommen vielleicht in der Buchstäblichkeit der kör-
perlichen Auferstehung, wie sie sie lehrt, und in ihrem Glau-
ben hinsichtlich der Natur des Auferstehungszustandes.
Die Bibel ist angefüllt mit Beweisen von der Wiederbele-
bung der Toten. Die menschliche Erkenntnis von der
Art. 10.] Die Auferstehung des Körpers. 471
Auferstehung beruht jedoch ganz und gar auf Offenbarung.
Daher haben heidnische Völker von einem tatsächlichen
Hervorkommen der Toten zu neuem Leben keine Kennt-
nis.^)
16. Wenn wir die Lehre von einer Auferstehung an-
nehmen, müssen wir uns gänzlich vom Glauben leiten
lassen. Glaube wird jedoch von vielen Offenbarungen
unterstützt, die in unzweideutiger und sicherer Art und
Weise gegeben wurden. Die Wissenschaft, das Ergebnis
der menschlichen Forschung, vermag uns nicht irgend ei-
nen Beweis für ein solches Ereignis in der Geschichte der
lebenden Dinge zu liefern, und die Menschen haben vergeb-
lich versucht, in der Natur etwas gleichartiges zu finden.
Gewiß, es sind Vergleiche angestellt worden, Bilder wurden
gebraucht, und Ähnlichkeiten in diesen Dienst gezwungen,
um in der Natur gewisse Gegenstände zu zeigen, oder Ähn-
lichkeiten mit der unsterblich machenden Veränderung,
der die christliche Seele mit unerschütterlichem Vertrauen
entgegensieht. Aber alle solche Sprachgebilde und Verglei-
che sind fehlerhaft und unvollkommen in ihrer Anwendung
und unwahr in ihrer angeblichen Gleichartigkeit.
17. Die Wiederkehr des Frühlings nach dem tod-
ähnlichen Schlummer des Winters, das Verwandeln der
krabbelnden Raupe in die leichenähnliche Larve, und das
darauffolgende Hervorkommen des beschwingten Schmet-
terlings, das Entstehen eines lebendigen Vogels aus der
grabähnlichen Absonderung im Ei — diese und andere
natürliche Entwicklungsvorgänge sind zum erläutern
der Auferstehung gebraucht worden. Jede derselben
ist fehlerhaft und unvollständig; denn in keinem solchen
Falle der Wiedererweckung war ein tatsächlicher Tod ein-
getreten. Wenn der Baum abgestorben ist, wird er sein
») Siehe Anmerkung 1.
472 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXL
Blätterdach auch mit der Rückkehr des Frühlings nicht
wieder erhalten; ist die Puppe in der Larve gestorben,
oder der Lebenskeim im Ei getötet, so wird kein Schmetter-
ling oder Vogel daraus hervorgehen. Wenn wir solchen
bildlichen Erläuterungen nachhängen, ohne die äußerste
Vorsicht walten zu lassen, so sind wir leicht geneigt, den
Gedanken zu hegen, der zur Auferstehung bestimmte
Körper sei nicht wirklich tot, und deshalb sei die Wieder-
belebung, die darauffolgen soll, nicht das, als was es das
geoffenbarte Wort Gottes erklärt. Die Beobachtung zeigt,
daß die Trennung des Geistes von dem Körper, denselben
als eine leblose Masse zurückläßt, die nicht länger imstande
ist, dem physischen und chemischen Auflösungsprozeß zu
widerstehen. Der Körper, verlassen von seinem unsterb-
lichen Bewohner, ist buchstäblich tot. Er löst sich in seine
natürlichen Bestandteile auf und der Stoff, aus dem er
besteht, tritt von neuem in den allgemeinen Kreislauf der
Materie ein. Jedoch, die Auferstehung von den Toten ist
eine feststehende Tatsache! Der Glaube derer, die in das
Wort der geoffenbarten Wahrheit ihr Vertrauen setzen,
wird gerechtfertigt^) und der göttliche Beschluß voll und
ganz in die Tat umgesetzt werden.
18. Prophezeiungen über die Auferstehung. Die
schließliche Überwindung des Todes ist von den Prophe-
ten in den vergangenen Dispensationen der Weltgeschichte
vorhergesehen und vorhergesagt worden. Einige von ihnen
zeugten im besondern von Christi Sieg über das Grab,
andere haben mehr bei der Auferstehung im allgemeinen
verweilt. Hiob, der Mann der Geduld in Trübsalen, sang
selbst in seinen Schmerzen mit freudiger Stimme: „Aber
ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und er wird mich hernach
aus der Erde auf erwecken. Und werde darnach mit dieser
•) Siehe Anmerkung 2.
Art. 10.] Die Auferstehung des Körpers. 473
meiner Haut umgeben werden und werde in meinem Fleisch
Gott sehen. "1) —Henoch, dem der Herr seinen Erlösungs-
plan für die Menschheit kundtat, sah die Auferstehung
Christi, das Hervorkommen der Gerechten mit ihm und die
darauffolgende Auferstehung aller Menschen im Geiste
voraus. 2)
19. Nephi bezeugte seinen Brüdern, daß der Tod des
Erlösers eine vorherbestimmte Notwendigkeit ist, vorher-
bestimmt, damit die Auferstehung von den Toten für die
Menschheit zustandegebracht werde. Seine Worte lauten :
„Ebenso wie der Tod über alle Menschen ergangen ist,
um den barmherzigen Zweck des großen Schöpfers zu er-
füllen, so ist es notwendig, daß eine Kraft der Auferste-
hung sei, und die Auferstehung muß infolge des Falles der
Menschen kommen, und der Fall ist durch Übertretung
gekommen; und weil die Menschen gefallen sind, wurden
sie von dem Angesichte des Herrn verstoßen.*** Und der
geistige Tod, von dem ich geredet habe, welcher gei-
stige Tod die Hölle ist, wird seine Toten auch herausgeben ;
also müssen Tod und Hölle ihre Toten herausgeben, und
die Hölle ihre gefangenen Geister, und das Grab seine ge-
fangenen Körper; und die Körper und Geister der Menschen
werden wieder zusammen hergestellt werden durch die
Macht der Auferstehung des Heiligen von Israel. 0 wie groß
ist der Plan unseres Gottes! Denn anderseits muß das
Paradies Gottes die Geister der Gerechten, und das Grab
die Körper der Gerechten herausgeben; und Geist und
Körper werden wieder zusammen hergestellt, und alle
Menschen werden unverweslich und unsterblich sein und
sind lebendige Seelen, welche dieselbe Erkenntnis haben
») Hiob 19:25—26; siehe auch Jesaja 26:19; Hesekiel 37:11—14;
Hosea 13:14.
=) Köstliche Perle, Moses 7:56 — 57.
474 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.
wie wir im Fleische, nur daß unsere Erkenntnis alsdann
vollkommen sein wird."^)
20. Samuel, der lamanitische Prophet prophezeite
die Geburt, die Amtstätigkeit, den Tod und die Aufer-
stehung des Heilandes und erklärte die sich daraus erge-
bende Auferstehung der Menschheit: „Denn sehet, er muß
gewiß sterben, damit Seligkeit komme, ja, es geziemt ihm
und es tut not, daß er sterbe, um die Auferstehung der
Toten zu bewirken, daß dadurch die Menschen in die
Gegenwart des Herrn gebracht werden. Ja, sehet, dieser
Tod bringt die Auferstehung zuwege und erlöst die ganze
Menschheit vom ersten Tode — von jenem geistigen Tode;
denn das ganze Menschengeschlecht, da es durch Adams
Fall von dem Angesichte des Herrn verstoßen wurde, wird
sowohl in zeitlichen als in geistigen Dingen als tot ange-
sehen. Aber sehet, die Auferstehung Christi erlöst die
Menschen, ja, die ganze Menschheit, und bringt sie zurück
in die Gegenwart des Herrn. "2)
21. Das Neue Testament liefert uns ausgiebige Be-
weise dafür, daß die Lehre von der Auferstehung während
der Zeit der irdischen Mission Christi und der darauffol-
genden apostolischen Zeit ganz allgemein verstanden
wurde. 3) Der Meister selbst verkündigte diese Lehre. In
seiner Antwort an die scheinheiligen Sadduzäer*) sagte
er: „Habt ihr aber nicht gelesen von der Toten Aufer-
stehung, was euch gesagt ist von Gott, da er spricht: .Ich
bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott
Jakobs?' Gott aber ist nicht ein Gott der Toten, sondern
1) 2. Nephi 9:6, 12—13.
*) Helaman 14:15 — 17; siehe auch Mosiah 15:20 — 24 und Alma
40:2, 16.
') Matthäus 14:1—2; Johannes 11:24.
*) Siehe Anmerkung 3.
Art. 10.] Die Auferstehung des Körpers. 475
der Lebendigen."^) — Zu den Juden, die ihm seiner Taten
und seiner Lehre wegen nach dem Leben trachteten, sprach
er: , .Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort
hört und glaubet dem, der mich gesandt hat, der hat das
ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er
ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. Wahrlich,
wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist
schon jetzt, daß die Toten werden die Stimme des Sohnes
Gottes hören ; und die sie hören werden, die werden leben. "2)
22. Daß Christus den Zweck seines herannahenden
Martyriums und der Auferstehung, die darauf folgen sollte,
durchaus begriffen hatte, geht zur Genüge aus seinen eige-
nen Äußerungen hervor, die er tat, als er noch im Fleische
lebte. Zu Nikodemus sagte er : ,,Und wie Mose in der Wüste
eine Schlange erhöhet hat, also muß des Menschen Sohn er-
höhet werden, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht ver-
loren werden, sondern das ewige Leben haben, "^) Und der
Maria, die den Tod ihres Bruders Lazarus beweinte, er-
klärte er: ,,Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer
an mich glaubet, der wird leben, ob er gleich stürbe."*) —
Von seiner eigenen Auferstehung prophezeite er häufig
und bezeichnete dabei die Zeit, wo er im Grabe ruhen
werde. ^)
23. Zwei allgemeine Auferstehungen werden in den
heiligen Schriften erwähnt ; sie können als die erste und die
letzte oder als die Auferstehung der Gerechten und die
Auferstehung der Ungerechten bezeichnet werden. Die
erste wurde durch die Auferstehung Christi eröffnet; un-
mittelbar auf diese folgend, kamen viele der verstorbenen
Heiligen aus ihren Gräbern hervor. Eine Fortsetzung hier-
') Matthäus 22:31 — 32; siehe auch Lukas 14:14.
») Johannes 5:24 — 25; siehe auch Vers 21, und 11:23 — ^25.
') Johannes 3:14 — 15.
*) Johannes 11:25.
') Matthäus 12:40; 16:21; 17:23; 20:19.
476 Die Glaubensartikel, [Vorl. XXI.
von ist jetzt im Gange^) und wird in allgemeiner Weise in
Verbindung mit der Wiederkunft Christi erfolgen, wird
also den Beginn des Tausendjährigen Reiches kennzeich-
nen. Die letzte Auferstehung wird bis zum Ende des
Tausendjährigen Friedens aufgeschoben werden und in
Verbindung mit dem jüngsten Gericht zustande kommen.
24. Die erste Auferstehung. Die Auferstehung Christi
und die, die unmittelbar darauf folgte. Die Tatsachen von
der Auferstehung Christi von den Toten werden durch eine
solche Reihe von Beweisen aus den heiligen Schriften be-
zeugt, daß kein Zweifel an ihrer Wirklichkeit in dem Ge-
müte irgend eines an die inspirierten Urkunden Gläubi-
gen Platz finden kann. Zu den Frauen, die in der Frühe
zur Gruft kamen, sagte der Engel, der den Stein von dem
Eingang des Grabes gewälzt hatte: ,,Er ist nicht hier,
denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat."^) Nachher
zeigte sich der Herr^) während der vierzig Tage, die zwi-
schen seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt lagen,
vielen.*)
Bald nach der Himmelfahrt tat er sich den Nephiten
auf der westlichen Erdhälfte kund, wie bereits früher in
einem andern Zusammenhang erwähnt wurde.^) Wie wir
sehen werden, hörten auch die Apostel nicht auf, von der
Wirklichkeit der Auferstehung ihres Herrn zu zeugen;
dabei unterließen sie es nicht, auch die zukünftige Auf-
erstehungen zu verkündigen.
1) Bemerke die Tatsache, daß Moroni, der letzte nephitische Prophet,
der im ersten Viertel des fünften Jahrhunderts nach Christus starb, als
ein auferstandenes Wesen im Jahre 1823 dem Propheten Joseph Smith
erschien (siehe Seite 12 — 14).
^) Matthäus 28:6.
3) Matthäus 28:9, 16; Markus 16:14; Lukas 24:13— 31; 34; Johannes
20:14—17, 19; 26; 21:1 — 4; 1. Korinther 15:5— 8.
*) Luk. 24:49 — 51; Apostelgeschichte 1 : 1 — 11.
') Siehe Seite 44.
Art. lO.J Die Auferstehung des Körpers. 477
25. Christus, der „Erstling unter denen, die da schla-
fen,"^) war der erste Mensch, der mit einem unsterblich
gemachten Körper aus dem Grabe hervorkommen sollte;
wir lesen aber, daß bald nachher viele von den Heiligen
aus ihren Gräbern gingen : „Und die Gräber taten sich auf,
und standen auf viele Leiber der Heiligen, die da schliefen,
und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung
und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen."^)
26. Alma, der nephitische Prophet, dessen Schriften
beinahe ein Jahrhundert vor der Geburt Christi entstanden
sind, verstand klar, daß vor der Auferstehung Christi keine
Auferstehung stattfinden würde, denn er sagte: ,, Siehe,
ich sage dir: Es wird keine Auferstehung sein: oder, um
mit andern Worten zu reden, dieses Sterbliche zieht kein
Unsterbliches an, diese Verwesung keine Unverweslich-
keit bis nach der Erscheinung Christi. "2) — Außerdem sah
er eine allgemeine Auferstehung voraus, die, wie aus dem
Zusammenhang der eben angeführten Schriftstelle deutlich
hervorgeht,*) in Verbindung mit der Auferstehung Jesu
Christi von den Toten erfolgen sollte. Inspirierte Männer
unter den Nephiten sprachen von dem Tod und der Auf-
erstehung Christi^) sogar während der Zeit seines tatsäch-
lichen Wirkens im Fleisch, und ihre Lehren fanden eine
rasche Bestätigung durch das Erscheinen des auferstan-
denen Herrn unter ihnen, ^) wie es von ihren früheren Pro-
pheten vorhergesagt worden war.')
n 1. Korinther 15: 20. 23, siehe auch Apostelgescliichte 26: 23; Kolosser
1:18; Offenbarung Joh. 1:5.
2) Matthäus 27:52—53.
') Alma 40:2.
*) Alma 40:16.
6) 3. Nephi 6:20.
«) 3. Nephi 11.
») 1. Nephi 12:6; 2. Nephi 26:1, 9. Alma 16:20; 3. Nephi 11:12.
478 Die Glaubensartikel. (Vorl. XXI.
27. In diesen letzten Tagen hat sich der Herr wiede-
rum kundgetan und die Tatsache seines Todes und seiner
Auferstehung verkündigt: „Denn sehet, der Herr, euer
Erlöser, erlitt den Tod im Fleische; deshalb erduldete
er den Schmerz aller Menschen, daß alle Buße tun und zu
ihm kommen möchten. Und er ist wieder von den Toten
auferstanden, daß er unter den Bedingungen der Buße
alle Menschen zu sich bringen möchte."^)
28. Die Auferstehung zur Zeit des zweiten Kommens
Christi. Wir sehen, daß unmittelbar nachdem Christus
die Erde verlassen hatte, die Apostel, denen nunmehr die
direkte Verantwortlichkeit für die Kirche zufiel, die Lehre
von einer zukünftigen und allgemeinen Auferstehung pre-
digten. Dieser Punkt scheint überhaupt ein wesentlicher
Bestandteil ihrer Belehrungen gewesen zu sein, denn er
war der besondere Vorwand für die Beschwerde der Sad-
duzäer, welche die Apostel sogar noch innerhalb der ge-
heiligten Grenzen des Tempels verfolgten, und die es „ver-
droß, daß sie das Volk lehrten und verkündigten an Jesu
die Auferstehung von den Toten". 2) Paulus erregte Är-
gernis mit dem Eifer, mit dem er die zukünftige Aufer-
stehung predigte; ein Beispiel hierfür ist sein Streit mit ge-
wissen Philosophen aus der Schule der Epikurer und
Stoiker, in dessen Verlauf einige von ihnen sagten: „Was
will dieser Lotterbube sagen? Etliche aber: Es siebet, als
wolle er neue Götter verkündigen. (Das machte, er hatte
das Evangelium Jesu Christi und von der Auferstehung
ihnen verkündigt.)"^) — Die Besprechung wurde auf dem
Areopag oder Marshügel fortgesetzt, wo Paulus das Evan-
gelium von dem wahren und lebendigen Gott einschließlicti
») Lehre u. Bündn. 18:11 — 12.
') Apostelgeschichte 4:2; siehe auch Matthäus 22:23,
Apostelgeschichte 23 : 8.
') Apostelgeschichte 17:18.
Art. 10.] Die Auferstehung des Körpers. 479
der Lehre von der Auferstehung predigte. „Da sie hörten die
Auferstehung der Toten, da hatten etliche ihren Spott, et-
liche aber sprachen : Wir wollen dich davon weiter hören. "^)
— Die gleiche Wahrheit verkündigte er auch dem Felix,
dem Landpfleger von Judäa,^) und als er in Ketten ge-
schlagen vor dem König Agrippa stand, fragte er, als hätte
er es mit der schwersten Beschuldigung zu tun: ,, Warum
wird das für unglaublich bei euch geachtet, daß Gott Tote
auferweckt?"^)
29. Die Auferstehung scheint ein Lieblingsthema
des Apostels Paulus gewesen zu sein. In seinen Briefen
an die Heiligen räumt er ihr einen hervorragenden Platz
ein.^) Von ihm lernen wir denn auch, daß bei der Aufer-
stehung eine gewisse Reihenfolge eingehalten werden
soll: „Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten
und der Erstling geworden unter denen, die da schlafen.
Sintemal durch einen Menschen der Tod und durch einen
Menschen die Auferstehung der Toten kommt. Denn gleich-
wie sie in Adam alle sterben, also werden sie in Christo
alle lebendig gemacht werden. Ein jeglicher aber in seiner
Ordnung: Der Erstling Christus; darnach die Christo
angehören, wenn er kommen wird."°)
30. Es wird ausdrücklich festgestellt, daß zur Zeit
der herrlichen Wiederkunft Christi viele Gräber ihre Toten
herausgeben werden, und die Gerechten, die im Grabe
ruhen, werden mit vielen, die dann noch nicht gestorben
sind, aufgehoben werden, dem Herrn entgegen. Paulus
schreibt an die Thessalonicher : „Also wird Gott auch, die
da entschlafen sind, durch Jesum mit ihm führen.***
') Vers 32.
*) Apostelgeschichte 24:15.
') Apostelgeschichte 26:8.
*) Römer 6:5; 8:11; 1. Korinther 15; 2. Kor. 4:14; Philipper 3 : 21 ;
Kolosser3:4; 1. Thessalonicher 4:14; Hebräer 6:2.
^) 1. Korinther 15:20 — 23; studiere das ganze Kapitel!
480 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.
Denn er selbst, der Herr, wird mit einem Feldgeschrei und
der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes
herniederkommen vom Himmel, und die Toten in Christo
werden auferstehen zuerst. Darnach wir, die wir leben und
überbleiben, werden zugleich mit ihnen hingerückt werden
in den Wolken dem Herrn entgegen in der Luft."i)
31. Zu den drei nephitischen Jüngern, welche um die
gleiche Segnung baten wie Johannes, der geliebte Apostel,
sprach Christus: „Und ihr werdet nie die Schmerzen des
Todes erleiden, aber wenn ich in meiner Herrlichkeit
komme, sollt ihr in einem Augenblick von der Sterblich-
keit zu der Unsterblichkeit verwandelt werden. "2)
32. Auf dem Wege der Offenbarung spricht der Herr
in diesen letzten Tagen: ,,Denn siehe, ich werde kommen
und man wird mich in den Wolken des Himmels sehen,
angetan mit Macht und Herrlichkeit, mit allen heiligen
Engeln ; wer mich aber nicht erwartet, der soll abgeschnit-
ten werden. Aber ehe der Arm des Herrn herabkommen soll,
wird ein Engel seine Posaune erschallen lassen, und die
Heiligen, die entschlafen gewesen sind, werden hervor-
kommen, mir entgegen in den Wolken! "3) Von den vielen
Zeichen und Wundern, welche das glorreiche Kommen des
Herrn kennzeichnen werden, sind uns folgende teilweise
geschildert: „Und das Angesicht des Herrn wird entschlei-
ert sein; und die Heiligen, welche auf der Erde und am
Leben sind, werden verwandelt und aufgehoben werden,
ihm zu begegnen. Und diejenigen, welche in ihren Gräbern
geschlummert haben, werden hervorkommen, denn ihre
Gräber werden geöffnet, und sie werden auch aufgehoben
werden, ihm in der Mitte der Säule des Himmels zu begeg-
nen: Sie sind in Christo, die ersten Früchte — diejenigen.
') 1. Thessalonicher4:14 — 17.
') 3. Nephi 28:8.
') Lehre u. Bündn. 45:44 — 45.
Art. 10.] Die Auferstehung des Körpers. 481
die mit ihm zuerst herniedersteigen werden und die,
die auf der Erde und in ihren Gräbern sind, die zuerst
aufgehoben werden, ihm zu begegnen. "i)
33. Dieses sind einige jener Herrlichkeiten, die mit
der ersten Auferstehung verbunden sind, an welcher nur
die Gerechten teilhaben werden. Die Gemeinde der Ge-
rechten wird aber auch alle jene umfassen, welche treu in
Übereinstimmung mit den Gesetzen Gottes gelebt haben,
soweit sie ihnen bekannt geworden waren, dazu Kinder,
die in ihrer Unschuld gestorben sind und ferner selbst jene
Gerechte aus den heidnischen Völkern, die mehr oder we-
niger in Dunkelheit gelebt, obschon sie nach Licht getrach-
tet haben, und in Unwissenheit gestorben sind.^) Diese
Lehre ist durch moderne Offenbarung erklärt worden : „Der
Heiden Völker sollen dann erlöset werden, und die, so kein
Gesetz gekannt haben, werden an der ersten Auferstehung
teilhaben. "3) — Das Millennium soll also mit einer glorrei-
chen Befreiung der Gerechten von der Macht des Todes eröff-
net werden. Von dieser Gemeinde der Erlösten steht ge-
schrieben: „Selig ist der und heilig, der teilhat an der ersten
Auferstehung. Über solche hat der andere Tod keine Macht;
sondern sie werden Priester Gottes und Christi sein und mit
ihm regieren tausend Jahre. "^)
34. Die letzte Auferstehung. — ,,Die andern Toten
aber wurden nicht wieder lebendig, bis daß tausend Jahre
vollendet wurden."^) — So spricht der Offenbarer Johannes,
nachdem er die herrrlichen Segnungen der Gerechten be-
schrieben hatte, die an der ersten Auferstehung teilhaben.
Die Unwürdigen werden vor das Gericht zur Verurteilung
') Lehre u. Bündn. 88:95 — 98.
') Siehe Anmerkung 4.
») L. u. B. 45:54; siehe auch Hesekiel 36:23-24; 37:28; 39:7, 21, 23.
*) Offenbarung Joh. 20:6.
') Offenbarung Joh. 20:5.
482 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.
gerufen werden, wenn die erneuerte Welt zur Übergabe
an den Vater bereit ist.^)
35. Der Unterschied zwischen denen, die einen ge-
sicherten Anteil an der ersten Auferstehung haben werden
und denen, deren Los es ist, auf das jüngste Gericht zu
warten, ist groß und wird in den heiligen Schriften nirgends
abgeschwächt. Es ist uns gesagt worden, daß es uns ge-
ziemt, den Verlust unserer Lieben, die wir durch den Tod
verloren haben, zu beweinen, „und hauptsächlich derer, die
keine Hoffnung auf eine glorreiche Auferstehung haben. "2)
Heutzutage kann man die Stimme des Allmächtigen als
ernste Warnung vernehmen : ,, Höret, denn siehe, der große
Tag des Herrn ist nahe zur Hand. Denn der Tag kommt,
an dem der Herr seine Stimme von dem Himmel ertönen
lassen wird; die Himmel werden beben und die Erde wird
zittern, ja die Posaune Gottes wird lang und laut erschallen
und zu den schlummerndem Völkern rufen: Ihr Heiligen,
stehet auf und lebet; ihr Sünder aber wartet und schlum-
mert, bis daß ich wiederum rufen werde l"^)
36. Das Gesicht von der Schlußszene beschreibt
Johannes, der Offenbarer, wie folgt: „Und ich sah die
Toten, beide, groß und klein, stehen vor Gott, und Bücher
wurden aufgetan. Und ein ander Buch ward aufgetan,
welches ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden
gerichtet nach der Schrift in den Büchern, nach ihren
Werken."-*) Diese Stufe kennzeichnet die Vollendung des
Auferstehungswerkes. Wie die heiligen Schriften ent-
scheidend beweisen, wird die Auferstehung allgemein sein;
wohl ist es wahr, daß die Toten in einer gewissen Reihen-
folge hervorkommen, je nach dem sie für die erste oder
1) Siehe Anmerkung 5.
') Lehre u. Bündn. 42:45.
=) 1,. u. B. 43:17—18.
') Offenbarung Joh. 20:12 — 13.
Art. 10.) Die Auferstehung des Körpers. 483
letzte Auferstehung vorbereitet sind, aber jeder einzelne,
der im Fleisch gewohnt hat, wird seinen Körper wieder
erlangen und in ihm gerichtet werden.
37. In seiner Schilderung der buchstäblichen und all-
gemeinen Auferstehung ist das Buch Mormon klar und
bestimmt: „Nun gibt es einen Tod, welcher ein zeitlicher
Tod genannt wird; und der Tod Christi wird die Bande
dieses zeitlichen Todes lösen, daß alle von diesem zeitlichen
Tode auferstehen werden. Geist und Körper sollen in ihrer
vollkommenen Form wieder vereinigt werden ; Glieder so-
wohl als auch Gelenke werden in gehöriger Form wiederher-
gestellt werden, ebenso wie wir zu dieser Zeit sind; und wir
werden dahin gelangen mit demselben Bewußtsein, welches
wir jetzt haben, und mit klarer Erinnerung aller unsrer
Schuld vor Gott zu stehen. Diese Wiederherstellung wird
mit allen stattfinden, mit Alten und Jungen, mit Leib-
eigenen und Freien, mit Mann und Weib, mit dem Bösen
und mit dem Rechtschaffenen; und nicht ein Haar ihres
Hauptes soll von ihnen verloren gehen, sondern alle Dinge
werden in ihrer vollkommenen Form wiederhergestellt
werden, so wie es jetzt oder im Körper ist, und werden ge-
bracht und vor den Richterstuhl Christi, den Sohn, und
Gott, den Vater, und den Heiligen Geist gestellt werden,
welches ein ewiger Gott ist, um nach ihren Werken gerichtet
zu werden, ob sie gut oder böse gewesen sind. Sehet, jetzt
habe ich euch vom Tode des sterblichen Körpers und auch
von seiner Auferstehung geredet. Ich sage euch, daß
diese sterblichen Körper zu unsterblichen Körpern erhoben
werden, das heißt, vom Tode, selbst vom ersten Tode
zum Leben. "1)
38. Beachten wir auch die folgenden, dem Buche
Mormon entnommenen Worte: „Und durch die Erlösung,
0 Alma 11:42 — 45.
484 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.
die durch Jesum Christum zustande gebracht wurde, sind
die Menschen wieder vor das Angesicht des Herrn zurück-
gebracht; ja, dadurch sind sie alle erlöst worden, weil der
Tod Christi die Auferstehung bewirkt, welches eine
Erlösung von einem endlosen Todesschlafe zuwegebringt,
aus welchem Schlafe alle Menschen durch die Macht Gottes
erweckt werden sollen, wenn die Posaune erschallen wird;
und dann, befreit und erlöst von diesen ewigen Todes-
banden, welches ein zeitlicher Tod ist, sollen sie, groß
und klein, hervorkommen und vor seinen Schranken
stehen. Nach diesem kommt das Gericht des Heiligen
über sie; und dann kommt die Zeit, wann der, welcher
unrein ist, hinfort unrein bleiben wird, wann der Recht-
schaffene hinfort rechtschaffen, der Glückliche hinfort
glücklich, und der Unglückliche hinfort unglücklich blei-
ben wird."^)
39. Soweit hat das Wort der geoffenbarten Wahr-
heit unsere Erkenntnis von der Bestimmung der Kinder
Gottes erweitert. Über die Erneuerung der Erde und das
jüngste Gericht über die Gerechten und Ungerechten
hinaus wissen wir wenig mehr, als daß ein Plan des ewigen
Fortschritts vorgesehen ist.
Anmerkungen.
1. Die Unwissenheit der Heiden inbezug auf eine Auferstehiuifl. —
In Verbindung mit der Feststellung, daß menschliches Wissen von der
Auferstehung auf Offenbarung zurückzuführen ist, dürfte folgendes von
Interesse sein: „Was immer heidnische Philosophen über die Unsterblich-
keit der menschlichen Seele vermutet haben mögen, und dabei selbst zu-
geben, daß diese Tatsache das Ergebnis eigenen Nachdenkens darstellt und
nicht im geringsten der Überlieferung zuzuschreiben ist, — so ist doch soviel
sicher, daß sie nie bis zu der Lehre von einer körperlichen Auferstehung
durchgedrvmgen sind. Plinius zählt die Dinge auf, die zu tun nicht einmal
in der Macht Gottes lägen, und nennt dann diese zwei besonders: Die
Ausstattung der sterblichen Seele mit Unsterblichkeit und das Zurück-
rufen des Verstorbenen aus dem Grabe (II C, VII). Einer ähnlichen
1) Mormon 9:13—14.
Art. lO.J Anmerkungen. 485
Ansicht gibtÄschylus in den „Eumeniden" (Seite 647, 648) Ausdruck. Das
Letzte, das sie diu-ch ihr Nachdenken und Grübeln erreichten, war eine
Vorstellung von der möglichen Fortdauer des Lebens über das Grab hinaus
in irgendwelchen neuen Formen und Verhältnissen. Dies war aber auch
alles. Die Auferstehung im biblischen Sinne des Wortes haben sie sich nie-
mals ausgedacht." — Gasseis Biblisches Wörterbuch, Seite 936.
2. Allgemeiner Glaube an die Aulersl^hunjj. — „Dieses noch in der
Zukimft liegende große Ereignis ist — ähnlich der Lehre von der Aufer-
stehung Christi — so durch und durch eine Grundwahrheit, daß es nie eine
Zeit gegeben hat, in der es nicht einen Artikel des christlichen Glaubens-
bekenntnisses gebildet hätte. Der einzige Unterschied z\vischen den alten
Bekenntnissen und imsern eigenen ist der, daß in diesen gesagt wird: die
„Auferstehung des liörpers", während es in jenen stets heißt „Auferstehung
des Fleisches". — Als Grund für die alte Ausdrucksweise gibt Jerome an,
daß, da es auch geistige Körper gibt, einige vielleicht geneigt wären,
eine Auferstehimg des Körpers anzunehmen, in einem Sinne, der die wirk-
liche Auferstehung des Fleisches leugnen würde." — Cassels Biblisches
Wörterbuch, Seite 935.
3. Die Sadrtuzäer werden, wo sie im Neuen Testament erwähnt sind,
gewöhnlich als Gegner der Pharisäer hingestellt. Diese beiden Klassen
bildeten zur Zeit Christi die einflußreichsten Sekten unter den Juden. Sie
wichen in vielen grundlegenden Dingen des Glaubens und Lebens von einan-
der ab, so z. B. in der Präexistenz der Geister, der Wirklichkeit geistiger
Strafe und zukünftiger Vergeltung für die Sünde, der Notwendigkeit der
Selbstverleugnung im persönlichen Leben, der Unsterblichkeit der Seele
und der Auferstehung von den Toten. Dieses alles wiu-de von den Phari-
säern bejaht, von den Sadduzäern dagegen verneint. Josephus sagt: „Die
Lehre der Sadduzäer geht dahin, daß Seele und Körper zusammen zugrimde
gehen. Das Gesetz ist alles, um das sie sich bekümmern." Diese Sekte be-
stand hauptsächlich aus aristokratischen Mitgliedern. Die Sadduzäer sind
hier besonders erwähnt worden, wegen ihres entschiedenen Widerspruchs
gegen die Lehre von der Auferstehung, die sie durch anmaßende Voraus-
setzungen zu bekämpfen oder durch lächerlich machen herabzusetzen ver-
suchten. — Cassels Biblisches Wörterbuch enthält folgendes: ,,Im Evange-
lium Johannes werden die Sadduzäer nie erwähnt; die einzige Gelegenheit,
bei der im Evangelium Lukas und Markus von ihnen gesprochen wird, ist die,
worauf sich auch Matthäus bezieht, als sie versuchten, die Lehre von der
Auferstehung lächerUch zu machen, indem sie den Herrn um seine Meinung
fragten, welchem Manne eine Frau in der zukünftigen Welt angehören
würde, die schon in dieser Welt verschiedenen andern angetraut gewesen
sei. (Matth. 22:23— 32; Mark. 12:18— 27; Lukas 20:27— 38.) Ihre Frage
ging von der Annahme aus, daß das levitische Gesetz, wie es von Mose
eingeführt wurde (5. Mose 25:5 — 6) darauf hindeute, daß der jüdische Ge-
setzgeber keine Auferstehung von den Toten im Auge hatte. Die Antwort
imseres Herrn und Meisters klärte diese Frage auf, bestätigte die Aufer-
stehung von den Toten und bejahte das Vorhandensein von Engeln, das
die Sadduzäer ebenfalls verneinten. (Matth. 22:30; Markus 12:25; Lukas
20:35 — 36.) Gleichzeitig führte er den göttlichen Ausspruch an: „Ich bin
der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs" (2. Mose 3:6,
15, 16), und zog als Schlußfolgerung daraus einen Beweis, nicht nur für
die Unsterblichkeit, sondern ebensosehr auch für die Auferstehung. Die
486 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.
angeführten Worte müssen von unserm Herrn und Meister dahin gedeutet
worden sein, daß die Patriarchen, als Beteiligte im Bund, immer noch
in einem Zustande bewußter Verbindung mit Gott standen.
4. Die Heiden in der ei-sten Auferstetiung. — Die Feststellung, daß
die verstorbenen Heiden an der ersten Auferstehung teilhaben sollen, wird
durch die Heilige Sclirift und durch etwas Nachdenken über den Grundsatz
wirklicher Gerechtiglieit, wonach die Menschen gerichtet werden sollen,
unterstützt. Der Mensch wird für unschuldig oder schuldig genommen je
nach seinen Taten, wie sie im Lichte des Gesetzes, imter welchem er zu
leben hatte, sich darstellen. Es ist mit unserer Vorstellung von einem ge-
rechten Gott unvereinbar, zu glauben, daß er imstande sein könnte, irgend
einen Menschen zu verdammen wegen der Nichterfüllung eines Gesetzes,
von dem er keine Kenntnis hatte. Trotzdem werden die Gesetze der Kirche
selbst im Falle derer, die in Finsternis und Unwissenheit gesündigt haben,
nicht ausgeschaltet, doch ist es vernünftig zu glauben, daß der Plan der
Erlösung solchen niedrigen Seelen eine Gelegenheit bieten werde, die Ge-
setze Gottes kennen zu lernen. Sicherlich wird dann, in dem Maße, in dem
sie diese Gesetze kennen lernen, Gehorsam von ihnen verlangt werden,
wenn sie nicht bestraft werden wollen. Achten wir besonders auf die fol-
genden Stellen, welche im Ansciüuß an den Text der Vorlesung gegeben
werden: „Wenn kein Gesetz gegen die Sünden der Menschen wäre, was
könnte die Gerechtigkeit oder die Barmherzigkeit tun, da sie keinen An-
spruch auf die Kreatur haben würde?" (Alma 42:21).
„Daher hat er ein Gesetz gegeben, aber wo kein Gesetz gegeben worden
ist, da ist auch keine Strafe; und wo keine Strafe ist, da ist auh keine Ver-
dammung ; und wenn keine Verdammung ist, dann hat die Barmherzigkeit
des Heiligen von Israel wegen der Versöhnimg auf sie Anspruch. Und sie
werden durch seine Macht befreit" (2. Nephi 9:25).
„Und überdem sage ich euch, daß die Zeit kommen wird, wo die Er-
kenntnis eines Heilands durch alle Nationen, Völker, Geschlechter und
Sprachen verbreitet sein wird. Sehet nun, wann jene Zeit kommt, dann
wird niemand, ausgenommen kleine Kinder, oime Tadel vor Gott befunden
werden, imd das nur durch Reue und Glauben an den Namen Gottes, des
allmächtigen Herrn." — (Mosiah 3:20 und 21; siehe auch Helaman 15:
14—15.)
5. Der Zwischenzostand der Seele. — Das Paradies. — Der Zustand
der Geister der Menschen zwischen dem Tod und der Auferstehung ist ein
Gegenstand von großem Interesse, über den viel gesprochen und geschrieben
worden ist. Die heiligen Schriften beweisen, daß der Mensch zur Zeit
seines letzten Gerichts vor den Schranken Gottes stehen wird, angetan mit
einem auferstandenen Körper, und zwar oime Rücksicht auf seinen Zustand
der Reinheit oder der Schuld. Wälu-enddem die entkörperten Geister auf
die Zeit ihres Hervorkommens warten, befinden sie sich in einem Zwischen-
stand der Glückseligkeit, der Ruhe, oder auch des Leidens und der peini-
genden Ungewißheit, je nach den Werken ihrer Sterblichkeit. Der
Prophet Alma sagt: „Was nun den Zustand der Seele zwischen dem Tode
und der Auferstehung anbelangt, siehe ein Engel hat es mir kundgetan, daß
die Geister aller Menschen, sobald sie diesen sterblichen Körper verlassen
haben, ja, die Geister aller Menschen, seien sie gut oder böse, zu dem Gott,
der ilinen das Leben gegeben hat, heimgeführt werden. Dann wird es ge-
schehen, daß die Geister der Rechtschaffenen in einen Ort der Glücksehg-
Art. 10.] Anmerkungen. 487
keit aufgenommen werden, welcher Paradies genannt wird, in einen Ort
der Ruhe und des Friedens, wo sie von ihren Beschwerden und allen ihren
Leiden und Sorgen ausruhen werden. Dann werden die Geister der Bösen,
welche schlecht sind, in die äußerste Finsternis hinausgeworfen werden
— denn diese haben keinen Teil vom Geist des Herrn, weil sie lieber
böse als gute Werke wählten; dalier ist der Geist des Teufels bei ihnen ein-
gedrungen und hat von ihrem Hause Besitz genommen — da wird Weinen,
Wehklagen und Zähneknirschen sein; und dies ihrer eigenen Bosheit halber,
da sie nach dem Willen des Teufels gefangen gehalten werden. Dies ist
nun der Zustand der Geister der Bösen, ja, ein Zustand der Finsternis in
schrecklicher, fürchterlicher Erwartung des Feuereifers des göttlichen
Zornes über sie. Und so verbleiben sie in diesem Zustand bis zum Tag ihrer
Auferstehung, sowie auch anderseits die Rechtschaffenen bis dahin das
Paradies bewohnen werden" (Alma 40:11 — 14).
Hinweise auf das Paradies als einen Ort, wo die gerechten Geister der
Auferstehung harren, finden sich auch in 2. Nephi 9:13, auch bei einem
spätem Propheten gleichen Namens (4. Nephi 14) und in Moroni 10:34.
Erwähnungen im Neuen Testament bezeugen dasselbe (Lukas 23:43;
2. Korinther 12:4; Offenbarung 2:7). Das Paradies ist also nicht der Ort
der letzten Herrlichkeit; für diese war der Schacher, der mit Christus
starb, gewiß nicht vorbereitet, doch können wir anderseits nicht an der Er-
füllung der Verheißung unseres Herrn und Meisters zweifeln, daß der reuige
Verbrecher an jenem Tage mit ihm im Paradiese sein sollte und außerdem
beweist die Äußerung des auferstandenen Heilandes der Maria Magdalena
gegenüber, — drei Tage später — daß er bis zu dieser Zeit noch nicht auf-
gefahren war „zu seinem Vater und euerm Vater", daß er vielmehr die
Zwischenzeit im Paradies verbJ-acht hatte.
Das Wort Paradies bedeutet durch seine Ableitung (über das Grie-
chische aus dem Persischen) soviel wie einen Lustplatz.
488 Die- Glaubensartikel. [Vorl. XXII.
Vorlesung XXII.
Religiöse Freiheit und Duldsamkeit.
Artikel 11. — Wir erheben Anspruch auf das Recht, den Allmäch-
tigen Gott zu verehren nach den Eingebungen unseres Gewissens und ge-
statten allen Menschen dasselbe Recht, mögen sie verehren wie, wo oder
was sie wollen.
1. Das Recht des Mensehen auf Freiheit in der Ver-
ehrung. — Die Heiligen der letzten Tage verkünden ihr
vorbehaltloses Einstehen für die Grundsätze der religiösen
Freiheit und Duldsamkeit. Die Freiheit, Gott zu verehren
nach den Eingebungen des Gewissens, beanspruchen sie
als ein angeborenes, unveräußerliches Recht der Mensch-
heit. Die inspirierten Urheber der Verfassungsurkunde
unserer (der amerikanischen) nationalen Unabhängigkeit
erklären es als selbstverständliche Wahrheit, daß das all-
gemeine Geburtsrecht der Menschheit jedem Menschen
das Recht auf Leben, Freiheit und Streben nach Glück
gibt. Glück ist aber etwas fremdes, Freiheit ein leeres
Wort, und das Leben nur eine Enttäuschung für den, dem
das Recht auf Freiheit in der Anbetung verweigert wird.
Niemand, der für die Gottheit ein Gefühl der Ehrfurcht
empfindet, und der ein Gefühl für die Pflicht gegenüber
dieser göttlichen Macht hat, kann glücklich sein, wenn
er in der Ausübung der höchsten Pflichten seines Daseins
eingeschränkt wird. Könnte ein Mensch, selbst wenn er
in einem Palaste wohnte, umgeben von allen Bequem-
lichkeiten des Lebens und jedweder Erleichterung für
geistige Genüsse, glücklich sein, wenn er von der Ver-
bindung mit dem Wesen, das er am meisten liebt, abge-
Art. 11.] Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 489
schnitten wäre? Wer seinen göttlichen Vater kennen ge-
lernt hat, dem ist Freiheit in der Verehrung teurer als das
Leben selbst.
2. Was ist Verehrung? (Englisch „Worship"). Die
Ableitung dieses Ausdruckes legt uns die Antwort in den
Mund. Das Wort kommt als buchstäblicher Abkömmling
eines angelsächsischen Wortpaares zu uns, Weorth
(würdig) und scipe, die alte Form von ship, = Stand, oder
Zustand und drückt den Gedanken eines „würdigen
Standes" aus. — Die Verehrung, deren einer fähig ist,
hängt ab von seinem Begriff von der Würdigkeit des Ge-
genstandes seiner Verehrung. Eines Menschen Fähigkeit,
zu verehren, ist ein Maßstab für seinen Begriff von der
Gottheit. Je völliger die Bekanntschaft, desto inniger die
Verbindung zwischen dem Verehrer und seiner Gottheit,
desto vollkommener und aufrichtiger auch seine Ehrer-
bietung. Wenn wir von einem Menschen sagen — bildhch
gesprochen — er sei ein Verehrer des Wahren, Guten und
Schönen, so bezeugen wir damit, daß er einen tiefern und
vollständigem Begriff von dem Wert des Gegenstandes
seiner Bewunderung besitzt, als ein andrer, den sein Ge-
wissen nicht dazu führt, diese veredelnden Eigenschaften
zu verehren.
3. Der Mensch wird also Gott verehren nach seinen
Vorstellungen von den göttlichen Eigenschaften und Kräf-
ten. Diese Vorstellungen nähern sich den richtigen ent-
sprechend dem geistigen Licht, das er empfangen hat.
Wahre Verehrung ist da unmöglich, wo keine Liebe oder
Ehrfurcht für die betreffende Person oder Sache vorhanden
ist. Diese Verehrung mag auf einer falschen Grundlage
beruhen, die Anbetung eine Art Götzendienst und der Ge-
genstand der Verehrung in Wirklichkeit unwürdig sein,
von dem Andächtigen selbst muß jedoch gesagt werden,
daß er verehrt, wenn ihm das Gewissen sein Idol mit den
490 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXII.
Eigenschaften der Verehrung ausstattet. Wir haben von
„wahrer Verehrung" gesprochen. Dieser Ausdruck ist
eigentlich ein Pleonasmus. Verehrung ist, wie schon be-
tont wurde, die tiefempfundene Bewunderung, die als
Folge einer aufrichtigen Vorstellung von der Würdigkeit
des verehrten Gegenstandes dargebracht wird. Irgend
eine Kundgebung der Verehrung, die einem niedrigeren
Grund als diesem entspricht, ist nur ein Zerrbild der Ver-
ehrung. Man nenne das meinetwegen , »falsche Verehrung",
aber man vergesse nicht, daß Verehrung naturnotwendig
wahr ist. Der Ausdruck erfordert kein Eigenschaftswort,
um seine Bedeutung zu erweitern oder seine Echtheit zu
bezeugen. Verehrung ist keine Formsache, ebensowenig wie
das Gebet. Sie besteht weder in Haltung noch in Gebärde,
weder in Zeremonien noch in äußerlichen Glaubensbe-
kenntnissen. Die tiefste Verehrung kann ohne irgendeine
der künstlichen Beigaben des zeremoniellen Kirchendienstes
dargebracht werden : der Stein in der Wüste wird dann zum
Altar, die Gipfel der ewigen Berge zu Tempelzinnen, das
weite Himmelsgewölbe zum erhabensten Dom.
4. Der Mensch ist in seinem Herzen ein niedrigeres
Muster dessen, was er verehrt. Der Wilde, der keinen
größern Triumph kennt, als den blutigen Sieg über den
Feind, der Gewalttätigkeit und körperliche Kraft als die
wünschenswertesten Eigenschaften seiner Rasse betrachtet,
und der Vergeltung und Rache für die süßesten Genüsse
des Lebens hält, wird sicherlich auch seiner Gottheit solche
Eigenschaften zuschreiben und seine tiefste Verehrung
durch Opfern von Blut darbringen. Alle die empörenden
Unsitten des heidnischen Götzendienstes lassen sich auf
verkehrte und teuflische Begriffe von der menschlichen
Größe zurückführen. Diese falschen Vorstellungen spie-
geln sich wieder in den selbstverfertigten, scheußlichen,
teuflisch anmutenden Götzen. Auf der andern Seite wird
Art. 11.1 Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 491
der Mensch, dessen erleuchtete Seele den Einfluß der reinen
unbefleckten Liebe empfangen hat, seinem Gott die Eigen-
schaften der Milde, Güte und Zuneigung beilegen und in
seinem Herzen sagen: ,,Gott ist Liebe". Nur der, der ein
richtiges Verständnis für die Herrlichkeit und Verantwort-
lichkeit der Elternschaft erworben hat, kann mit Einsicht
die Anrede des Sohnes im Gebet nachsprechen: ,, Unser
Vater". Erkenntnis ist deshalb zur Verehrung notwendig.
In Unwissenheit kann der Mensch Gott nicht richtig dienen.
Je größer seine Erkenntnis von der göttlichen Persönlich-
keit ist, desto völliger und wahrer wird auch seine Ver-
ehrung sein. Er vermag den Vater und den, welchen er
gesandt hat, Jesum Christum, zu erkennen und diese Er-
kenntnis ist dem Menschen Bürgschaft für das ewige Leben.
5. Verehrung ist freiwillige Huldigung der Seele. Ein
Mensch mag unter äußerm Zwang oder aus Heuchelei in
unaufrichtiger Weise alle äußerlichen Zeremonien einer
feststehenden Form der Verehrung mitmachen, er mag
die Worte vorgeschriebener Gebete sprechen, seine Lippen
mögen ein Glaubensbekenntnis hersagen und doch sind
seine Bemühungen unter diesen Umständen nur eine Ver-
höhnung der Verehrung, und ihr zu fröhnen ist Sünde.
Unser Vater wünscht weder widerwillige Huldigung noch
erzwungenes Lob. Die äußere Form der Verehrung ist
dem Herrn nur angenehm, wenn sie von einer einsichts-
vollen Ergebenheit erfüllt ist, und sie ist nur von Nutzen
als Hilfe für die geistige Hingebung, welche zur Gemein-
schaft mit der Gottheit führt. Das gesprochene Gebet ist
nur leerer Schall, wenn es weniger ist als das Inhaltsver-
zeichnis zu dem Buch der aufrichtigen Wünsche der Seele.
Mitteilungen an den Gnadenthron müssen den Stempel
der Aufrichtigkeit tragen, wenn sie ihren hohen Bestim-
mungsort erreichen sollen, — Die am meisten zu wünschende
Form der Verehrung ist die, die auf dem rückhaltlosen Ge-
492 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXII.
horsam gegenüber den Gesetzen Gottes, so wie der Ver-
ehrende ihren Zweck erkannt hat, beruht.
6. Religiöse Unduldsamkeit. Die Kirche hält dafür,
daß das Recht, nach den Eingebungen des Gewissens zu
verehren, dem Menschen von einer Autorität übertragen
wurde, die höher ist als irgend eine auf Erden, und daß
deshalb keine irdische Macht berechtigt ist, der Ausübung
dieses Rechts entgegenzutreten. Die Heiligen der letzten
Tage erkennen die verfassungsmäßigen Vorkehrungen,
durch welche die religiöse Freiheit innerhalb unseres eige-
nen (des amerikanischen) Volkes öffentlich geschützt wird,
und wonach ,, niemals ein Gesetz erlassen werden darf in-
bezug auf die Gründung einer Religion oder die freie Aus-
übung derselben",^) als inspiriert an. Sie glauben ferner
vertrauensvoll, daß mit der zunehmenden Aufklärung in
der Welt eine ähnliche Bürgschaft für jedes Volk erreicht
werden wird.
Unduldsamkeit ist für jeden wahren Fortschritt in
jedem Zeitalter das größte Hindernis gewesen. Unter dem
schwarzen Mantel eines verkehrten, mißleiteten Eifers für
die Religion haben christliche Völker — prahlend mit ihrer
Zivilisation — und angebliche Diener des Evangeliums
die Blätter der Weltgeschichte mit Berichten von ruchlosen
Taten der Verfolgung befleckt, die den Himmel weinen
machen könnten. In dieser Hinsicht sollte die sogenannte
Christenheit ihr Haupt in Scham und Schande selbst
vor der Duldsamkeit der heidnischen Völker verbergen.
Rom, obschon anmaßend und übermütig und als die Herrin
der Welt sich ausgebend, verbürgte den besiegten Na-
tionen das Recht der freien Verehrung, und verlangte von
ihnen nur, daß sie sich in der Ausübung dieser Freiheit
der Belästigung anderer oder unter sich enthalten sollten.
') Verfassung der Vereinigten Staaten von Nordamerika, I. Amen-
dement.
Art. 11.] Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 493
7. Als jedoch das Evangelium Jesu Christi auf die
Erde gegeben worden war, fingen seine ergebenen Anhän-
ger sogleich — und später seine mehr anmaßenden doch
weniger aufrichtigen Verfechter — an, sich als so
heilig und vortrefflich zu betrachten, daß alle, die
einen andern Glauben und ein andres Bekenntnis als
sie hatten, der Beachtung völlig unwürdig gehalten wurden.
Ja, selbst lange vor der Ankunft des Lehrers der Liebe,
wähnte sich Israel im Bewußtsein des göttlich begünstigten
Bundes, unter dem sie blühten und gediehen, so sicher auf
hoher Stufe stehend, daß alle, die nicht zum auserwählten
Samen gehörten, als unwürdig betrachtet wurden. In seiner
Amtstätigkeit unter den Juden sah Christus mit mitlei-
dender Betrübnis die geistigen und intellektuellen Ketten
der damaligen Zeit und verkündigte das erlösende Wort :
„Die Wahrheit wird euch frei machen I"^) Hierüber er-
zürnten sich diese selbstgerechten Kinder des Bundes und
erklärten prahlend: ,,Wir sind Abrahams Samen, sind nie-
mals jemandes Knechte gewesen; wie sprichst du denn:
Ihr sollt frei werden ?" Darauf tadelte sie der Herr ihrer
Scheinheiligkeit wegen und sagte: „Ich weiß wohl, daß
ihr Abrahams Kinder seid, aber ihr sucht mich zu töten,
denn meine Rede fängt nicht bei euch. "2)
8. Man braucht sich eigentlich nicht sehr zu wundern
über die Tatsache, daß die ersten Christen in ihrem Eifer
für den neuen Glauben, auf den sie getauft, und nachdem
sie eben erst von abgöttischen Sitten und heidnischem
Aberglauben bekehrt worden waren, sich über die übrige
Menschheit, die noch im Dunkeln saß, erhaben wähnten.
Selbst Johannes, heute als der Apostel der Liebe bekannt,
vom Heiland jedoch zusammen mit seinem Bruder Jakobus
i) Johannes 8:32.
') Johannes 8 : 32 — 45 ; siehe auch Matthäus 3 : 9.
494 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXII.
mit dem Beinamen Bnehargem, das heißt Donnerskinder,i)
belegt, war unduldsam und empfindlieh gegenüber denen,
die nicht den gleichen Weg gingen wie er. Mehr als einmal
mußte er von seinem Herrn und Meister zurecht gewiesen
werden. Beachten wir z.B. den folgenden Vorfall: „Jo-
hannes aber antwortete ihm und sprach: Meister, wir
sahen einen, der trieb Teufel in deinem Namen aus, welcher
uns nicht nachfolget; und wir verbotens ihm, darum daß
er uns nicht nachfolgt. Jesus aber sprach: Ihr sollts ihm
nicht verbieten. Denn es ist niemand, der eine Tat tue
in meinem Namen und möge bald übel von mir reden.
Wer nicht wider uns ist, der ist für uns. Wer aber euch
tränkt mit einem Becher Wassers in meinem Namen,
darum daß ihr Christo angehört, wahrlich, ich sage euch:
Es wird ihm nicht unvergolten bleiben. "2) — Und noch-
mals, während die Apostel Jakobus und Johannes mit dem
Herrn durch Samaria reisten, entrüsteten sie sich über die
Gleichgültigkeit, welche die Samariter ihrem Meister ge-
genüber an den Tag legten. Sie baten um die Erlaubnis,
Feuer vom Himmel fallen lassen zu dürfen, welches die
Ungläubigen verzehren sollte. Ihr rachsüchtiger Wunsch
wurde jedoch vom Herrn sofort getadelt mit den Worten:
„Wisset ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid ? Des
Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen
zu verderben, sondern zu erhalten."^)
9. Unduldsamkeit ist schriftwidrig. Die Lehren unseres
Herrn und Meisters atmen den Geist der Nachsicht und Liebe
selbst seinen Feinden gegenüber. Auch wenn er sie nicht gut-
heißen konnte, so duldete er doch die Gebräuche der Heiden
bei ihrem Götzendienst, die Samariter mit ihrem Gemisch
von jüdischen und heidnischen Sitten und Gebräuchen,
») Markus 3:17.
') Markus 9:38 — 41 ; siehe auch Lukas 9:49 — 50 und vergleiche damit
4. Mose 11:27—29.
') Lukas 9:51 — 56; siehe auch Johannes 3:17 und 12:47.
Art. 11.] Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 495
die üppigen Sadduzäer und die gesetzesgebundenen Pha-
risäer. Haß wurde nicht begünstigt, selbst gegenüber
seinen Feinden nicht. Seine Belehrungen lauten: „Liebet
eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die
euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und ver-
folgen; auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel;
denn er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über
die Guten und läßtregnen über Gerechte und Ungerechte. "i)
— Den Zwölfen wurde geboten, jedes Haus, worin sie um
Obdach baten, mit ihren Segnungen zu bedenken. Gewiß,
wenn das Volk sie und ihre Botschaft verwarf, mußte die
Vergeltung dafür folgen, aber diese Heimsuchung infolge
des Fluches wurde als ein göttliches Vorrecht für den Tag
des Gerichts aufbehalten. In seinem Gleichnis von dem
Unkraut unter dem Weizen lehrte Christus dieselbe
Nachsicht. Die voreiligen Diener wollten das Unkraut
unverzüglich ausrotten, es wurde ihnen jedoch verboten,
damit sie nicht auch den Weizen ausrissen, und sie wur-
den auf die Ernte vertröstet, zu welcher Zeit eine Tren-
nung vorgenommen werden würde. 2)
10. Trotz dem vorherrschenden Geiste der Liebe und
der Duldsamkeit, der die Lehren des Heilandes und seiner
Apostel durchdringt, sind Versuche gemacht worden, aus
den heiligen Schriften Rechtfertigungen der Unduldsam-
keit und Verfolgung herzuleiten.^) Den scharfen Worten,
die Paulus an die Galater richtet, ist eine Bedeutung bei-
gelegt worden, die dem Geist, durch den jene hervorge-
rufen wurden, völlig fremd ist. Paulus warnt einfach die
Heiligen vor falschen Lehrern und sagt: „Wie wir jetzt
gesagt haben, so sagen wir auch abermals: So jemand
euch Evangelium anders prediget, denn das ihr empfangen
') Matthäus 5:44 — 45.
») Matthäus 13:24—30.
•) Siehe Anmerkung 1.
496 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXII.
habt, der sei verflucht."^) — Mit einer solchen Äußerung
suchen sich selbsternannte Diener Christi, die, wenn man
die ganze Wahrheit betrachten wollte, vielleicht selbst
Lehren predigen, die den Vorschriften des Apostels zuwider-
laufen, zu rechtfertigen; dabei vergessen sie aber, daß
„Rache und Vergeltung des Herrn sind. "2)
11. Die Absicht, von der sich Johannes leiten ließ,
als er der auserwählten Frau einen Rat erteilte, ist eben-
falls entstellt worden, und seine Belehrungen zu einem
Schlupfwinkel für Verfolger und Scheinheilige gemacht
worden. Der Apostel warnt sie vor den Dienern des Anti-
christen, die eifrig ihre Ketzereien ausstreuten, und
schreibt dann: ,,So jemand zu euch kommt und bringt
diese Lehre nicht, den nehmet nicht ins Haus, und grüßet
ihn auch nicht. Denn wer ihn grüßt, der macht sich teil-
haftig seiner bösen Werke. "3) — Keine gerechte Auslegung
kann diese Worte so darstellen, als ob damit Unduldsam-
keit, Verfolgung und Haß gutgeheißen würden.
12. Die wahre Meinung des Apostels ist mit Klarheit
und Deutlichkeit von einem berühmten Schriftsteller un-
serer Tage auseinandergesetzt worden, der „die engherzige
Unduldsamkeit eines unwissenden Dogmatismus" beklagt
und dann sagt: ,, Der Apostel der Liebe hätte das Beste
seiner eigenen Lehre Lügen strafen müssen, hätte er be-
wußterweise eine grimmige Unduldsamkeit freisprechen,
ja sogar anspornen wollen. *** Doch unterstützt dieser
zufällige Ausspruch in dem kurzen Briefe des Johannes
diese groben Verdrehungen durchaus nicht. Was Johan-
nes wirklich meint und wirklich sagt, ist etwas ganz anderes.
Falsche Lehrer trieben ihr Unwesen, die unter dem Vorwand,
sie seien Christen, dem Wesen Christi alles raubten, was
1) Galater 1:9; auch Vers 8.
») 5. Mose 32:35; Psalm 94:1; Römer 12:19; Hebräer 10:30.
') 2. Johannes 10—11.
Art. 11.] Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 497
ihm seine Wirksamkeit zur Erlösung und seine Bedeutung
hinsichtlich der Fleischwerdung gab. Diese falschen Lehrer
reisten wie andere christliche Missionare von Stadt zu
Stadt und bei dem Fehlen von öffentlichen Herbergen
wurden sie in die Häuser der zum Christentum bekehrten
aufgenommen. Die gläubige Frau, an die Johannes schreibt,
wird gewarnt, daß, wenn sie ihre Gastfreundschaft diesen
gefährlichen Sendboten anbietet, welche die Hauptwahr-
heit des Christentums zerstörten, sie damit eine öffentliche
Unterstützung derselben zum Ausdruck bringt, und daß
sie, indem sie dies tut, und ihnen ihre besten Wünsche
darbietet, einen unmittelbaren Anteil hat an dem Unheil,
das jene anrichten. Das ist gesunder Menschenverstand.
Von Lieblosigkeit ist nicht das geringste dabei. Niemand
ist verpflichtet, die Verbreitung von Lehren, die er als
irrtümlich inbezug auf den wichtigsten Punkt seines eigenen
Glaubens betrachtet, zu fördern. Noch viel weniger wäre
das recht gewesen in einer Zeit, in der die christlichen
Gemeinden so schwach und so klein waren. Aber dies so
auszulegen, wie es zu allen Zeiten mehr oder weniger aus-
gelegt worden ist — es in eine Art Befehl zu verkehren,
die kleinen Unterschiede in religiösen Meinungen aufzu-
bauschen und die zu verfolgen, deren Ansichten von den
unsrigen abweichen — also unsere Meinung zu dem ent-
scheidenden Prüfstein der Ketzerei zu machen und mit
Cornelius -a- Lapide zu sagen: ,, dieser Vers verdammt
alle Unterhaltungen, allen Verkehr und allen Umgang mit
Ketzern" — das heißt die Schrift im Lichte der Parteilich-
keit und geistigen Selbstgerechtigkeit auslegen, anstatt
sie im Lichte heiliger Liebe zu lesen. "^)
13. Duldsamkeit heißt nicht Billigung. Die mensch-
liche Schwachheit, in Gedanken und Taten von einer
1) Canon Farrar „Die ersten Tage der Christenheit" S. 587, 588.
32
498 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXII.
Übertreibung in die andere zu fallen, findet nirgends
schlagendere Beispiele, als sie der Umgang des Menschen
mit seinem Nebenmenschen in Sachen der Religion dar-
bietet. Auf der einen Seite ist er schnell geneigt, den
Glauben der andern nicht nur als geringer als seinen eige-
nen, sondern auch als seiner Achtung durchaus unwürdig
zu betrachten. Auf der andern Seite geht er soweit, zu
glauben, daß alle Sekten in ihren Behauptungen und Leh-
ren gleichermaßen gerechtfertigt sind, und daß es deshalb
in Religionssachen keine bestimmte Ordnung gäbe. Für
den Heiligen der letzten Tage ist es in keiner Weise unver-
einbar, kühn seine Überzeugung zu verkünden, daß seine
eigene Kirche, die vom Herrn angenommene, die einzige,
zur Bezeichnung ,,die Kirche Jesu Christi" berechtigte
und die alleinige Inhaberin des ewigen Priestertums in
diesem Zeitalter ist, und doch anderseits Andersgläubigen
bereitwillig freundliche Behandlung zuteil werden zu lassen
und die Aufrichtigkeit der Gesinnung anzuerkennen bei
jeder Seele oder Sekte, die aufrichtig und ehrlich Christum
bekennt, oder die auch nur eine Achtung vor der Wahrheit
hat und den aufrichtigen Wunsch kundgibt, in Überein-
stimmung mit dem empfangenen Licht zu handeln. Meine
Treue zu der Kirche meiner Wahl ist gegründet auf die
Überzeugung von der Gültigkeit und Echtheit ihres An-
spruches auf Unterscheidung als die eine und einzige
Kirche, die das gottgegebene Vorrecht der Autorität inne
hat; nichtsdestoweniger halte ich auch die andern, die
Sekten, für aufrichtig, bis sie mir das Gegenteil bewei-
sen, und ich bin bereit, sie in ihren Rechten zu ver-
teidigen.
14. Joseph Smith, der erste Prophet der letzten Dis-
pensation, erklärte einst, als er gewisse Brüder wegen ihrer
Unduldsamkeit gegen den von andern Gemeinschaften ge-
hegten Glauben zurechtwies, daß selbst Götzenanbeter in
Art. 11.] Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 499
ihrer Verehrung geschützt werden sollten; es sei zwar gege-
benenfalls die ausdrückliche Pflicht jedes Christen, seine Be-
mühungen der Erleuchtung solcher verdunkelter Gemüter
zuzuwenden, jedoch wäre er nicht gerechtfertigt, wollte er
selbst dem Heiden das Recht auf Anbetung gewaltsam ent-
ziehen. In den heiligen Augen Gottes ist Götzendienst eine
der abscheulichsten Sünden und doch ist er duldsam gegen-
über dem, der ihn nicht kennt und der dem angeborenen In-
stinkt nach Verehrung dadurch folgt, daß er seine Huldi-
gung einem Baum oder einem Stein darbringt. Schrecklich
wie die Sünde der götzendienerischen Verehrung für den
ist, der Licht empfangen hat, so mag sie doch für den
Wilden die aufrichtigste Anbetung darstellen, deren er
fähig ist. Dazu hat auch, wie wir schon in einer früheren
Vorlesung^) auseinandergesetzt haben, die Stimme des
Ewigen erklärt, daß die Heiden, die kein Gesetz kannten,
an der ersten Auferstehung teilhaben sollen.
15. Welche Rechtfertigung kann der Mensch für seine
Unduldsamkeit gegenüber seinen Mitmenschen finden,
wenn Gott, der über jede Sünde betrübt ist, eine so ausge-
prägte Nachsicht übt ? Die freie Wahl der menschlichen
Seele ist selbst der Gottheit heilig:
„0 wisse, jede Seel' ist frei,
zu wählen zwischen Tod und Leben;
daß jeder ungezwungen sei,
hat freien Willen Gott gegeben.
Zwar segnet Gott, der Herr, mit Licht,
mit Liebe, Weisheit deine Pfade,
zur Wahrheit zwingen will er nicht,
so unerschöpflich seine Gnade."
16. Der Mensch ist für seine Handlungen streng ver-
antwortlich. Die unbeschränkte Freisinnigkeit und Duld-
') Siehe Seite 73.
500 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXII.
samkeit, mit der die Kirche Jesu Christi der Heiligen der
letzten Tage andere Glaubensbekenntnisse betrachtet,
und die Lehre der Kirche von der Gewißheit der schließ-
lichen Erlösung aller Menschen — mit Ausnahme der we-
nigen, die so tief gefallen sind, daß sie die unverzeihliche
Sünde begangen haben und dadurch Söhne des Verderbens
geworden sind, — könnte die irrtümliche Schlußfolgerung
nahe legen, wir glaubten, daß alle so erlösten zu gleichen
Mächten, gleichen Vorrechten, und gleichen Herrlichkeiten
in den Himmel unseres Vaters zugelassen würden. Weit
davon entfernt verkündet die Kirche die Lehre von vielen
verschiedenartigen Graden der Herrlichkeit, welche die
Erlösten in genauer Übereinstimmung mit ihren persön-
lichen Verdiensten einnehmen werden.^) Wir glauben an
keinen allgemeinen Plan einer summarischen Vergebung
oder Belohnung, wodurch Sünder großen und kleinen
Grades von den Früchten ihrer Taten losgesprochen
werden, während die Gerechten den Himmel als gemein-
samen Wohnplatz erlangen sollen, wobei alle im gleichem
Maße verherrlicht werden. Wie schon erwähnt, sollen
die Heiden, deren Sünden solche der Unwissenheit sind,
mit den Gerechten an der ersten Auferstehung hervor-
kommen; dies meint aber nicht, daß diese Kinder der
niedern Rassen dieselbe Herrlichkeit erlangen sollen, die
für die Starken, Tapfern und Getreuen in der Sache
Gottes auf Erden vorgesehen ist.
17. Unser Zustand in der künftigen Welt wird genau
die Folge des Lebens sein, das wir in diesem Prüfungs-
zustand geführt haben, wie wir ja auch im Lichte der ge-
offenbarten Wahrheit über unsere Präexistenz erfahren
haben,2) daß unser jetziger Zustand von der Treue bestimmt
wurde, mit welcher wir unsern ersten Stand behielten.
■) Siehe Seite 112—114.
'-) Siehe Seite 233— 238.
Art. ll.[ Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 501
Die heiligen Schriften erklären zu wiederholten Malen,
daß der Mensch die natürlichen Früchte seiner Taten im
Fleische ernten werde, mögen diese nun gut oder bös sein.
Nach der wirkungsvollen Sprache, in welcher der Vater
seine schwachen Kinder ermutigt und warnt, wird ein
jeder nach seinen Werken belohnt oder bestraft werden. i)
In der Ewigkeit wird der Mensch sich erfreuen oder auch
Ekel empfinden an den „Früchten seiner eigenen Hand-
lungen",
18. Grade der Herrlichkeit. In den Lehren Christi
wird angedeutet, daß die Vorrechte und Herrlichkeiten
des Himmels den verschiedenartigen Fähigkeiten oder
der Würdigkeit entsprechend abgestuft sind. Zu seinen
Jüngern sprach er: ,,In meines Vaters Hause sind viele
Wohnungen. Wenns nicht so wäre, so wollte ich zu euch
sagen : Ich gehe hin,. euch die Stätte zu bereiten. Und wenn
ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, so will ich wieder-
kommen und euch zu mir nehmen, auf daß ihr seid, wo
ich bin. "2)
19. Dieser Ausspruch wird von Paulus ergänzt, der
von den abgestuften Herrlichkeiten der Auferstehung wie
folgt spricht: ,,Und es sind himmhsche Körper und ir-
dische Körper; aber eine andere Herrlichkeit haben die
himmlischen und eine andere die irdischen. Eine andere
Klarheit hat die Sonne, eine andere Klarheit hat der Mond,
und eine andere Klarheit haben die Sterne; denn ein Stern
übertrifft den andern an Klarheit. Also auch die
Auferstehung der Toten. "3)
20. Eine umfassendere Kenntnis dieser Sache ist uns
in der gegenwärtigen Dispensation zuteil geworden. Aus
») Hiob 34:11; Psalm 62:13; Jeremia 17:10; 32:19; Matthäus
16:27; Römer 2:6—12; 14:12; 1. Korinther 3:8; 2. Korinther 5:10;
Offenbarung Job. 2:23; 20:12; 22:12.
') Johannes 14:1 — 3.
') 1. Korinther 15:40—42.
502 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXII.
einer im Jahre 1832 gegebenen Offenbarung^) erfahren
wir folgendes : Drei große Reiche oder Herrlichkeiten sind
als zukünftige Wohnplätze des Menschengeschlechts fest-
gesetzt. Sie werden bezeichnet als „das himmlische", „das
irdische" und „das unterirdische" Reich. Weit unter dem
letzten und niedrigsten derselben ist der für die Söhne
des Verderbens vorbereitete Stand der ewigen Strafe.
21. Die himmlische Herrlichkeit ist für die vorge-
sehen, die die höchsten Ehren des Himmels verdienen.
In der angeführten Offenbarung lesen wir von ihnen:
„Es sind die, welche das Zeugnis Jesu annahmen, an seinen
Namen glaubten und nach der Art seiner Grablegung
getauft, nämlich in seinem Namen im Wasser begraben
wurden, und zwar dem von ihm gegebenen Gebot ge-
mäß, daß sie durch das Halten der Gebote von allen ihren
Sünden gewaschen und gereinigt werden und den Heiligen
Geist empfangen mögen durch das Auflegen der Hände
von einem, der zu diesem Amt ordiniert und gesiegelt
worden ist. Es sind die, welche durch Glauben überwinden
und durch den Heiligen Geist der Verheißung versiegelt
worden sind, welchen der Vater ausgießt über die, so recht-
schaffen und treu sind. Sie sind die, welche die Kirche
des Erstgebornen ausmachen. Sie sind die, in deren
Hände der Vater alle Dinge gegeben hat. Sie sind die,
welche Priester und Könige sind, die von seiner Fülle und
Herrlichkeit erhalten haben und Priester des Allerhöch-
sten sind nach der Ordnung Melchizedeks, welche Ord-
nung wiederum nach der Ordnung Henochs war, nach der
Ordnung des eingebornen Sohnes. Darum, wie auch ge-
schrieben steht, sind sie Götter, nämlich die Söhne
Gottes; darum gehören ihnen alle Dinge, ob Leben oder
Tod; die Dinge, der Gegenwart oder der Zukunft.
') Lehre u. Bündn., Abschn.
Art. 11.] Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 503
— Alles gehört ihnen und sie sind Christi und Christus
ist Gottes. * * * Diese werden immer und ewiglich in
der Gegenwart Gottes und seines Christi wohnen.
Sie sind die, welche er mit sich bringen wird, wann
er kommen wird in den Wolken des Himmels, um auf
Erden über sein Volk zu regieren. Sie sind die, welche
an der ersten Auferstehung teilhaben werden ; sie sind die,
welche an der Auferstehung der Gerechten hervorkommen
werden. *** Sie sind die, welche rechtschaff ene Menschen
waren, vollkommen gemacht durch Jesum Christum, den
Vermittler des neuen Bundes, durch ihn, welcher diese
vollkommene Sühne durch das Vergießen seines Blutes
zustandegebracht hat. Sie sind die, deren Körper himm-
lisch sind, deren Herrlichkeit die Klarheit der Sonne ist,
nämlich die Herrlichkeit Gottes, selbst die höchste aller
Herrlichkeiten, von deren Klarheit die Schrift sagt: der
Glanz der Sonne des Firmaments sei ihr Ebenbild."^)
22. Die irdische Herrlichkeit. Diese, die nächst nie-
drige Stufe, wird vielen zuteil werden, deren Werke nicht
die höchsten Belohnungen verdienen. Wir lesen von
ihnen: ,,Das sind die, welche die irdische Herrlichkeit
besitzen, welche von der Herrlichkeit der Kirche des Erst-
gebornen, die die Fülle des Vaters empfangen hat, in eben
dem Grade verschieden ist, wie der Glanz des Mondes von
dem Glanz der Sonne im Firmament verschieden ist. Siehe,
dazu gehören die, welche ohne Gesetz gestorben sind, und
ebenfalls die Geister der Menschen, die im Gefängnis be-
halten wurden und zu welchen der Sohn hinabstieg und
ihnen das Evangelium predigte, damit sie nach dem Ge-
setze der im Fleisch lebenden gerichtet werden möchten ;
die, welche das Zeugnis Jesu im Fleische nicht annahmen,
es aber später noch empfingen. Das sind die, welche ehr-
') Lehre u. Bündn. 76:51—70.
504
Die Glaubensartikel.
[Vorl. XXII.
bare Leute auf Erden waren, aber durch Menschenlist ver-
blendet wurden. Sie sind die, welche von seiner Herrlich-
keit empfangen, aber nicht von seiner Fülle. Sie sind die,
welche die Gegenwart des Sohnes, aber nicht die Fülle
des Vaters empfangen; deshalb sind sie irdische Körper,'
nicht aber himmlische und sind in Herrlichkeit verschie-
den, wie der Mond von der Sonne verschieden ist-. Sie
sind die, welche im Zeugnis Jesu nicht tapfer gewesen sind,
darum werden sie nicht die Krone über das Reich unseres
Gottes erhalten. "1) —
23. Die unterirdische Herrlichkeit. Die Offenbarung
fährt fort: „Und wiederum schauten wir und sahen die
Herrlichkeit der unterirdischen Welt, welche Klarheit
geringer ist in dem Grade, wie die Klarheit der Sterne von
der Herrlichkeit des Mondes im Firmamente verschieden
ist. Sie sind die, welche weder das Evangelium Christi
noch das Zeugnis Jesu annahmen. Sie sind die, welche
den Heiligen Geist nicht leugnen. Sie sind die, welche zur
Hölle hinunter geworfen sind, und die nicht aus der Macht
des Teufels erlöst werden als bis zur letzten Auferstehung,
bis der Herr, nämlich Christus, das Lamm, sein Werk
beendet haben wird. "2) — Wir erfahren weiter, daß die
Glieder dieses Reiches unter sich wieder abgestuft sein
sollen, indem sie die unerleuchteten unter den verschie-
denen sich widersprechenden Sekten und Parteien der Men-
schen und Sünder aller Arten umfassen, deren Vergehen
nicht ganz verderbender Natur sind. „Und die Herrlichkeit
derer der unterirdischen Klarheit ist eine besondere, wie
es auch die Klarheit der Sterne ist, denn gleichwie ein
Stern von dem andern an Klarheit verschieden ist, so ist
in der unterirdischen Welt einer von dem andern an Klar-
heit verschieden, denn sie sind die, welche von Paulo, von
0 Lehre u. Bund. 76:71—79.
») L. u. B. 76:81—86.
Art. 11.] Religiöse Freilieit und Duldsamlceit. 505
Apollo und von Kephas sind. Sie sind die, welche sagen,
einige gehören dem, andere jenem an, — einige Christo,,
einige Johannes, einige Moses, einige Elias, einige Isaias,
einige dem Jesaja und andere dem Henoch — die aber
weder das Evangelium noch das Zeugnis Jesu noch das der
Propheten noch den ewigen Bund annahmen, "i) — Offen-
bar wird ein beträchtlicher Teil der menschlichen Familie
die Herrlichkeiten, die über das unterirdische Reich hin-
ausgehen, nicht erreichen, denn es wird uns gesagt:
„Aber siehe, wir sahen die Klarheit und die Bewohner
der unterirdischen Welt und daß sie zahllos waren wie
die Sterne am Firmament oder wie der Sand am Meeres-
ufer."2) Es sind die, welche nicht gänzlich verworfen
werden; ein jedes ihrer Verdienste wird berücksichtigt
werden: „Denn sie sollen gerichtet werden nach ihren
Werken, und jeder Mensch wird seinen eigenen Werken
gemäß seinen eigenen Platz empfangen in den Wohnungen,
die bereitet sind. Und sie werden auch Diener des Allerhöch-
sten sein, aber wo Gott und Christus sind, dahin können
sie nie kommen durch Welten ohne Ende. "3)
24. Die Reiche in ihren Beziehungen zu einander.
Die drei Reiche von sehr verschiedenartiger Herrlichkeit
sind für sich selbst wieder nach einem geordneten
Plan der Abstufung organisiert. Wir haben gesehen, daß
das unterirdische Reich eine Unmenge von Unterabtei-
lungen umfaßt; es wird uns gesagt, daß dies auch bei dem
himmlischen Reich der Fall ist,*) und wir dürfen hieraus
ferner den Schluß ziehen, daß auch im irdischen Reich
ein ähnlicher Zustand besteht. Auf diese Weise ist für
die zahllose Verschiedenheit der Verdienste und der Wür-
>) Verse 98—101.
>) Vers 109.
') Lehre u. Bündn. 76:111—112.
') L. u. B. 131:1; siehe auch 2. Korinther 12:1 — 4.
506
Die Glaubensartikel.
[Vorl. XXII.
digkeit der Menschen eine Unendlichkeit von abgestuften
Herrlichkeiten vorgesehen. Das himmlische Reich wird
vorzugsweise beehrt werden durch die Gegenwart des
Vaters und des Sohnes. i) Dem irdischen Reich wird ge-
dient werden durch das nächst höhere, aber ohne eine Fülle
der Herrlichkeit. Das unterirdische ward durch die Dienst-
leistungen des irdischen verwaltet werden, durch „Engel,
welche bestimmtsind, vermittelnde Geister für sie zu sein. "2)
25. Obschon uns direkte Offenbarungen fehlen, wo-
durch allein eine sichere Kenntnis von der Sache erworben
werden könnte, ist es doch vernünftig, zu glauben, daß
in Übereinstimmung mit dem göttlichen Plan des ewigen
Fortschrittes das Fortschreiten von Stufe zu Stufe inner-
halb irgendeines Reiches und auch von Reich zu Reich
vorgesehen ist. Wenn aber die Inhaber einer niedrigeren
Herrlichkeit befähigt werden, vorwärts zu schreiten, so
werden sicherlich auch die Intelligenzen der höhern Klassen
in ihrem Fortschritt nicht aufgehalten sein ; daraus können
wir schließen, daß die Reiche unseres Gottes stets durch
Abstufungen und Grade gekennzeichnet sein werden. Die
Ewigkeit ist fortschreitend. Vollkommenheit ist nur ein
verhältnismäßiger Begriff; der wesentliche Bestandteil in
Gottes lebendigen Zwecken ist die damit verbundene
Macht der ewigen Vermehrung und des ewigen Fortschritts.
26. Die Söhne des Verderbens. — Wir hören dann noch
von einer andern Klasse von Seelen, deren Sünden solcher-
art sind, daß es für sie gegenwärtig nicht möglich ist
— Erlösung zu erlangen. Diese werden Söhne des
Verderbens genannt, Kinder des gefallenen Engels, der
einst ein Sohn des Morgens war, nun aber als Luzifer
oder Verderben bekannt ist. 3) Es sind dies diejenigen.
') Lehre u. Bündn. 76:
») L. u. B. 76:86, 88.
') L. u. B. 76:25—27.
Art. 11.] Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 507
welche die Wahrheit mit Füßen getreten haben im
vollen Licht ihrer Erkenntnis; solche, die, nachdem sie
ein Zeugnis von Christus haben und durch den Heiligen
Geist begabt worden sind, dann diesen verleugnen und die
Macht Gottes verhöhnen, den Herrn wiederum kreuzigen
und ihn zur offenen Schande ausstellen. Diese, die unver-
zeihliche Sünde, kann nur von denen begangen werden,
welche die Erkenntnis und die heilige Überzeugung von
der Wahrheit erhalten haben, gegen weiche sie sich alsdann
empören. Ihre Sünde ist mit dem Verrat Luzifers vergleich-
bar, durch welchen er die Macht und Herrlichkeit seines
Gottes an sich zu reißen suchte. Über diese und ihr schreck-
liches Los hat der Allmächtige gesprochen: ,,Ich sage,
es wäre besser für sie, wenn sie nie geboren worden wären ;
denn sie sind Schalen des Zornes, verurteilt, den Zorn
Gottes in Ewigkeit zu dulden, in Gemeinschaft mit dem
Teufel und seinen Engeln, von denen ich gesagt habe, daß
für sie keine Vergebung ist, weder in dieser noch in der zu-
künftigen Welt. * * * Sie aber werden in die ewige
Strafe hinweggehen, welche eine Strafe ohne Ende ist,
eine ewig dauernde Strafe, zu regieren mit dem Teufel
und seinen Engeln, wo ihr Wurm nicht stirbt noch das
Feuer erlischt, worin ihre Qual besteht. Ihr Ende noch
ihren Ort noch ihre Pein weiß kein Mensch, weder
war es geoffenbart noch ist es noch wird es den Menschen
geoffenbart werden, ausgenommen denen, die daran teil-
haben: Dessenungeachtet aber zeige ich, der Herr, sie
vielen im Gesicht, aber ich entrücke sie ihnen sogleich
wieder; darum verstehen sie das Ende, die Weite, die Höhe,
die Tiefe und das Elend derselben nicht, auch kein andrer
Mensch, ausgenommen, wer zu dieser Verdammnis be-
stimmt ist."^)
•) Lehre u. Bündn. 76:31 — 48; siehe auch Hebräer 6:4 — 6; Alma
39:6 und für weitere Himveisungen siehe Seite 74 u. 75 dieses Buches.
508 Die Glaubensarükel. [Vorl. XXII.
27. Die Lehren der Kirche, wie sie das Verhältnis der
irdischen Prüfungszeit zu dem zukünftigen Stand erläutern
und die persönliche Verantwortlichkeit und Handlungs-
freiheit des Menschen auseinandersetzen, sind gewiß klar
und deutlich genug. Die Kirche betont, daß, angesichts
der schrecklichen Verantwortung, unter der er als unbe-
schränkter Leiter seines Geschickes steht, jeder Mensch
frei sein muß und auch frei ist, in allen Dingen zu wählen :
von dem Leben, das zu der himmlischen Heimat zurück-
führt, bis zu der Laufbahn, die im Elend des Verderbens
endet. Freiheit in der Verehrung oder in der Verweige-
rung der Verehrung ist ein gottgegebenes Recht.
Anmerkungen.
1. Unduldsamkeit in der heutigen Christenheit. — „Es muß ausge-
sprochen werden — obschon ich es nur mit tiefster Betrübnis sage, — daß
die Icalte Ausscliließlichkeit der Pharisäer, die verbitternde Unnatibarkeit
imd der Hochmut selbstgefälliger Theologen und die anmaßende Unfehl-
barkeit halbgebildeter Frömmler stets der Fluch des Christentums gewesen
sind." „Sie haben dem Wort Gottes menschlichen Sinn gegeben, ja, be-
sonders menscMichen Sinn dem weitherzigsten Wort Gottes. Dann suchten
sie diesen dem Menschen unter Androhung von Feuer und Fluch, von Tod
und Verbannung, aufzuzwingen. Und so luden sie die schreckliche Schuld
auf sich, der Menschheit die Religion in einer falschen abstoßenden Weise
dargeboten zu haben. Soll der theologische Haß auch weiterhin der ge-
rechten Verachtung der Welt Nahrung geben? Ist dieser Haß — Haß
in seiner bittersten, grausamsten Form — etwa als die gesetzmäßige, selbst-
verständliche Frucht der Religion der Liebe zu betrachten? Sollen religiöse
Meinungen und Anschauungen denn nie von dem Geist des Friedens ge-
tragen sein? Sollen religiöse Fragen denn immer die stärkste Abneigung
imd die schrecklichste Zerklüftung hervorrufen? Soll die Welt für alle
Zeiten in ihrer Meinung bestärkt werden, daß theologische Parteigänger
weniger wahrhaftig, weniger offenherzig, weniger hochgesinnt, weniger
ehrenhaft sind, als selbst die Parteigänger in politischen und sozialen An-
gelegenheiten, die doch keinen Anspruch auf die Pflicht zvir Liebe erheben ?
Sollen die sogenannten religiösen „Kämpen" für immer sein was sie heute
sind: die rücksichtslosesten, unbilligsten und widerwärtigsten Streiter?
Nun wohl, sie können es bleiben! Aber mit viel weniger Schaden für die
Sache der Religion, wenn sie auf den Luxus verzichten „die Schrift für
ihre eigenen Zwecke auszulegen und zu mißbrauchen!" — Canon Farrar,
„The Early Days of Christianity", Seite 584 — 585.
Art. 11.] . Anmerkungen, 509
2. Duldsamkeit. „Mormonismus" erlaubt keine Bedingungen oder
Beschränkungen, sondern jeder Bewohner der Erde, zu dem Erlösung
kommen soll, muß den Gesetzen und Verordnungen des Evangeliums Folge
leisten. Es wird kein Unterschied gemacht zwischen zivilisierten und heid-
nischen Nationen, zwischen Leuten von höherer und niederer Bildung, oder
zwischen Lebendigen und Toten. Kein menschliches Wesen, das die Jahre
der Selbstverantwortlichkeit im Fleische erreicht hat, kann Erlösung im
Beiche Gottes erwarten, bis es den Geboten Christi, des Erlösers der Welt,
Folge geleistet hat. Aber während sich „INIormonismus" so bestimmt und
entschieden zeigt, so ist er doch nicht ausschließend. Er behauptet nicht,
daß alle, welche unterlassen haben, das Evangelium des ewigen Lebens an-
zunehmen und ihm zu gehorchen, für ewig verdammt werden. Trotz
ihrer kühnen Erklärung, die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten
Tage sei die einzige Trägerin des heiligen Priestertums, lehrt und verlangt
die Kirche doch die größte Duldsamkeit für alle Personen und Gemeinschaf-
ten, die vorgeben, Gerechtigkeit zu üben, denn jedermann wird für das Gute,
das er tut, nach dem Maße seiner geistigen Erkenntnis belohnt. Und wegen
solch hoher Lehren, bei so großer Duldsamkeit, wurde diese Kirche der
Unverträglichkeit beschuldigt! Doch sollte dabei nicht außer acht gelassen
werden, daß Duldsamkeit nicht Übereinstimmung bedeutet. Ich kann mit
allen meiner Seele zu Gebot stehenden Kräften glauben, daß ich recht habe
und mein Nachbar sich inbezug auf irgend eine Sache im Irrtum befindet,
und doch gibt mir diese Überzeugung noch nicht das geringste Becht, ihn
in der Ausübung seines freien Willens zu hindern. Die einzigen Grenzen
der Freiheit einer Person sind da, wo die Freiheit eines andern beginnt oder
die Bechte des Volkes in Betracht kommen. Gott selbst hält die Freiheit
der menschUchen Seele heilig und unverletzlich. „Mormonismus" besteht
darauf, daß kein Mensch und auch keine Nation das Becht hat, irgend
jemand, und sei er ein Heide, gewaltsam zu verhindern, seinen Gott anzu-
beten. Obgleich Götzendienst von den frühesten Zeiten an, von dem Bann
göttlicher Ungnade getroffen worden ist, so kann er doch in dem finstem
Sinn die aufrichtigste Ehrfurcht darstellen, deren die Person fähig ist;
diese sollte besser belehrt, aber nie gezwungen werden. Diese Lehre läßt
Gnade unter Zurücksetzung der Gerechtigkeit nicht zu, sondern jedes
Vergehen, wie auch jede Unterlassungssünde, wird seine Wunde oder
Narbe hinterlassen. In der ewigen Zukunft wird für jede Seele ein ihrem
Verdienste und geistigen Bildungsgrad angemessener Platz getunden werden."
„Philosophie in .Mormonismus', von James E. Talmage", Seite 12 und 13.
510 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIII.
Vorlesung XXIII.
Gehorsam
gegenüber den Landesgesetzen.
Artikel 12. — Wir glauben daran, Königen, Präsidenten, Herrschern
und Magistraten untertänig zu sein, den Gesetzen zu geliorclien, sie zu eliren
und zu unterstützen.
1. Es ist nur vernünftig, von einem Volke, das sich
zu dem Evangelium Jesu Christi bekennt, und das die
Mitgliedschaft in der einzig anerkannten und göttlich be-
vollmächtigten Kirche beansprucht, es ist nur vernünftig,
sagen wir, von diesen Leuten zu erwarten, daß sie die Tu-
genden, die ihnen ihre Vorschriften einschärfen, auch in
die Tat umsetzen. Gewiß, wir werden selbst bei denen,
die die weitgehendsten und berechtigsten Ansprüche auf
Rechtgläubigkeit machen, vergebens nach Vollkommen-
heit ausschauen; aber wir haben das Recht, in ihrem Glau-
bensbekenntnis genügende Forderungen hinsichtlich einer
allgemein gutgeheißenen Lebensweise zu erwarten, und in
ihrem Leben ernste und aufrichtige Bemühungen, um eine
praktische Verwirklichung ihres Bekenntnisses zu sehen.
Religion, wenn sie von Nutzen und überhaupt der Annahme
wert sein soll, muß auf das Leben und auf die zeitlichen
Angelegenheiten ihrer Anhänger von heilsamem Einfluß
sein. Neben andern Tugenden sollte die Kirche in ihren
Lehren besonders ein gesetzunterstützendes Verhalten
betonen, und die Leute sollten die Wirkungen solcher
Vorschriften in ihrer Vortrefflichkeit, als Bürger des Volkes
und als Persönlichkeiten in dem Gemeinwesen, in dem sie
wohnen, zeigen.
Art. 12.] Gehorsam gegenüber den Landesgesetzen. 511
2. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten
Tage hat nachdrücldiche Erklärungen über ihren Glauben
und ihre Vorschriften hinsichtlich der Pflichten ihrer Mit-
glieder den Landes-Gesetzen gegenüber herausgegeben,
und sie verteidigt ihren Standpunkt in dieser Sache auf
Grund besonderer Offenbarungen aus alter und neuer Zeit.
Überdies vertraut dieses Volk darauf, daß, wenn dereinst
die wahre Geschichte seiner Entstehung und seines Fort-
schritts als festgefügte Körperschaft religiöser Verehrer
geschrieben wird, auch die Treue und die patriotische
Ergebenheit der Mitglieder dem Vaterlande gegenüber von
der Welt im allgemeinen, ebenso gerechtfertigt und ge-
priesen werden, wie heute schon ihre Tugenden von den
wenigen vorurteilsfreien Untersuchern, die in aufrichtiger
Absicht die Geschichte dieser eigenartigen Organisation
studiert haben, anerkannt werden.
3. Gehorsam gegenüber der Autorität durch die Heilige
Schrift eingeschärft. Im patriarchalischen Zeitalter, als
das Familienoberhaupt tatsächlich die richterliche und
königliche Macht über seinen Haushalt inne hatte, wurden
die Autorität und die Rechte der Familie geachtet. Be-
trachten wir z. B. den Fall mit der Hagar, die die zweite
Frau Abrahams und die Dienstmagd Sarais war. Eifer-
sucht und andere böse Gefühle waren zwischen Hagar und
ihrer Herrin Sarai, der altern Gattin des Patriarchen, ent-
standen. Abraham hörte der Klage Sarais zu, anerkannte
deren Autorität über Hagar, die, obschon auch Abrahams
Frau, immer noch die Magd Sarais war, und sagte: „Siehe,
deine Magd ist unter deiner Gewalt, tue mit ihr, wie dirs
gefällt." — Als dann Sarai hart mit ihr verfuhr, floh Hagar
in die Wüste, wo ihr ein Engel des Herrn erschien und sie
mit folgenden Worten anredete: ,, Hagar, Sarais Magd,
wo kommst du her, und wo willst du hin ? Sie sprach : Ich
bin von meiner Frau Sarai geflohen. Und der Engel des
512 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIII.
Herrn sprach zu ihr : Kehre wieder um zu deiner Frau und
demütige dich unter ihre Hand."^) — Man beachte hier,
wie der himmlische Botschafter die Autorität Sarais über
die ihr unterstellte Magd anerkannte, obschon dieser die
Ehre dfes Frauenstandes in der Familie zuteil geworden
war.
4. Die bereitwillige Unterwerfung Isaaks unter den
Willen seines Vaters, die bis zum Opfern seines Lebens^)
auf dem Altar des Blutopfers ging, ist ein Beweis für die
Heiligkeit, mit der die Autorität des Familienoberhauptes
betrachtet wurde. Es könnte scheinen, und es wurde ja
auch tatsächlich behauptet, die Forderung, die der Herr
als Prüfstein des Glaubens an Abraham stellte, das Leben
seines Sohnes als Opfer darzubringen, sei eine Verletzung
bereits bestehender Gesetze gewesen, und widerspreche
daher einer gleichmäßigen, beständigen Regierung, Diese
Behauptung nimmt sich armselig aus, wenn man bedenkt,
daß das patriarchalische Oberhaupt die unbedingte Auto-
rität über die Glieder seines Haushaltes inne hatte, eine
Machtbefugnis, die sich sogar auf das Urteil über Leben
und Tod erstreckte. 3)
5. In den Tagen des Auszuges aus Ägypten, als Israel
eine theokratische Regierungsform hatte, gab der Herr
als Richtschnur für sein auserwähltes Volk verschiedene
Gesetze und Gebote. Eines derselben lautet: ,,Den Göt-
tern sollst du nicht fluchen, und den Obersten in deinem
Volk sollst du nicht lästern."*) — Nach göttlicher An-
leitung wurden Richter gewählt, die die Machtbefugnis
in Israel ausübten. Als Mose später die Gebote Gottes
wiederholte, befahl er dem Volk: „Richter und Amtleute
1) 1. Mose 16:1—9.
=) 1. Mose 22:1—10.
=) Siehe 1. Mose 38:24.
*) 2. Mose 22:27 (28); das Wort „Göttern" in dieser Stelle wurde von
«inigen tJbcrsetzern auch mit „Richtern" übersetzt.
Art. 12.] Gehorsam gegenüber den Landesgesetzen. 513
sollst du dir setzen in allen deinen Toren, die dir der Herr,
dein Gott, geben wird unter deinen Stämmen, daß sie das
Volk richten mit rechtem Gericht. "i)
6. Als das Volk der unmittelbaren Aufsicht Gottes
müde war und nach einem König verlangte, entsprach der
Herr diesem Wunsche und stattete den neuen Herrscher
vermittels einer heiligen Salbung^) mit Autorität aus,
David anerkannte, obschon er selbst bereits zum Nachfol-
ger Sauls gesalbt worden war, die Heiligkeit der Person
des Königs und machte sich bittere Vorwürfe, weil er bei
einer Gelegenheit den Mantel des Monarchen verstümmelt
hatte. Gewiß, Saul trachtete damals dem David nach dem
Leben und dieser suchte lediglich ein Mittel, um zu zeigen,
daß er nicht die Absicht habe, seinen königlichen Feind
zu töten, aber dennoch lesen wir: „Aber darnach schlug
ihm sein Herz, daß er den Zipfel Sauls hatte abgeschnitten,
und er sprach zu seinen Männern : Das lasse der Herr ferne
von mir sein, daß ich das tun sollte und meine Hand legen
an meinen Herrn, den Gesalbten des Herrn; denn er ist
der Gesalbte des Herrn. "^)
7. Beachten wir ferner die folgenden Ermahnungen
des Alten Testamentes: „Mein Kind, fürchte den Herrn
und den König I"'^) — „Halte das Wort des Königs und den
Eid Gottes!"^) — , .Fluche dem König nicht in deinem
Herzen!"^)
8. Das Beispiel Christi und seiner Apostel. — In seinem
irdischen Wirken anerkannte unser Heiland stets die be-
stehende weltliche Macht; obschon diese Regierungsge-
walt durch grausame Eroberung erlangt worden war und
>) 5. Mose 16:18; siehe auch 1:16; 1. Chronik 23:4; 26:29.
») 1. Samuel 8:6 — 7, 22; 9:15—16; 10:1.
') 1. Samuel 24:10; siehe auch 26:9—12, 16.
*) Sprüche 24:21.
*) Prediger 8:2.
«) Prediger 10:20.
33
514 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIII.
in ungerechter Weise ausgeübt wurde. Als der Steuer-
erheber die von einem fremden König verlangte Steuer
forderte, veranlaßte Christus — obgleich er persönlich
gegen die Ungerechtigkeit des Verlangens Einspruch erhob
— doch die Entrichtung der Abgabe; ja, er rief sogar einen
wunderbaren Umstand zu Hilfe, wodurch das Geld be-
zahlt werden konnte. An Petrus stellte er die Frage:
,,Was dünkt dich, Simon? Von wem nehmen die Könige
auf Erden den Zoll oder Zins ? Von ihren Kindern oder von
den Fremden ? — Da sprach zu ihm Petrus : Von den Frem-
den. Jesus sprach zu ihm: So sind die Kinder frei. Auf
daß aber wir sie nicht ärgern, so gehe hin an das Meer und
wirf den Angel, und den ersten Fisch, der herauffährt, den
nimm; und wenn du seinen Mund auftust, wirst du einen
Stater finden; den nimm und gib ihnen für mich und
dich."i)
9. Auf Betreiben gewisser niederträchtiger Pharisäer
wurde ein verräterischer Plan geschmiedet, um Christus
als einen Empörer gegen die regierende Gewalt hinzustellen.
Sie suchten ihn mit der heuchlerischen Frage: „Meister * * *
ists recht, daß man dem Kaiser Zins gebe?" zu fangen.
Seine Antwort war eine unzweideutige Bestätigung der
Unterwerfung unter die Landesgesetze. Er erwiderte
nämhch seinen Ausfragern: ,, Weiset mir die Zinsmünze!
Und sie reichten ihm einen Groschen dar. Und er sprach
zu ihnen: Wes ist das Bild und die Überschrift? Sie spra-
chen zu ihm: Des Kaisers. Da sprach er zu ihnen: So
gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was
Gottes ist!"2)
10. In all den ernsten und tragischen Umständen
seines Verhörs und seiner Verurteilung beobachtete Chri-
stus ein gesetzmäßiges Verhalten, selbst gegenüber dem
») Matthäus 17:24—27.
') Matthäus 22:15—21; auch Markus 12:13—17; Lukas 20:20—25.
Art. 12.] Gehorsam gegenüber den Landesgesetzen. 515
Hohenpriester und dem Hohen Rat, die seinen Tod be-
schlossen hatten. Diese Beamten, so unwürdig sie auch
waren, hatten nichtsdestoweniger eine gewisse Macht-
befugnis und verfügten immer noch über eine gewisse
Gerichtsbarkeit, sowohl in weltlichen als auch in
geistlichen Angelegenheiten. Als er vor Kaiphas stand,
beladen mit Schimpf und Schande und beschuldigt von
falschen Zeugen, bewahrte er ein würdevolles Schweigen.
Die Frage des Hohenpriesters ,, Antwortest du nichts zu
dem, was diese wider dich zeugen?" würdigte er keiner
Antwort. — Dann fuhr aber der Hohepriester fort: „Ich
beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, daß du uns
sagest, ob du seiest Christus, der Sohn Gottes. "i) Auf
diese feierliche, mit amtlicher Autorität ausgesprochene Be-
schwörung gab der Heiland unverzüglich eine Antwort
und anerkannte auf diese Weise das Amt des Hohenprie-
sters, so unwürdig der Mann auch war.
11. Eine ähnliche Achtung vor dem Amt des Hohen-
priesters legte Paulus an den Tag, als er als Gefangener
vor dem Gerichtshof stand. Seine Ausführungen miß-
fielen dem Hohenpriester, der denen, die nahe bei Paulus
standen, sofort den Befehl gab, ihn auf den Mund zu schla-
gen.2) Dies erzürnte den Apostel und er rief: „Gott wird
dich schlagen, du getünchte Wand! Sitzest du, mich zu
richten nach dem Gesetz, und heißest mich schlagen wider
das Gesetz? Die aber umherstanden, sprachen: Schiltst
du den Hohenpriester Gottes? Und Paulus sprach: Liebe
Brüder, ich wußte es nicht, daß er der Hohepriester ist.
Denn es steht geschrieben: Dem Obersten deines Volkes
sollst du nicht fluchen. "3)
') Matth. 26:57— 64; Markus 14:55—62.
') Siehe Anmerkung 1.
•) Apostelgeschichte 23:1 — 5.
516 Die Glaubensartikel. [Vorl.XXIIl.
12. Die Lehren der Apostel. — Paulus schreibt an Titus,
den er auf Kreta zurückgelassen hatte, um über die dortige
Gemeinde zu wachen, warnt ihn vor den Schwachheiten
seiner Herde und ermahnt ihn, diese zu einem ordent-
lichen, gesetzentsprechenden Leben anzuhalten: „Erin-
nere sie, daß sie den Fürsten und der Obrigkeit Untertan
und gehorsam seien, zu allem guten Werk bereit seien. "i)
In einer andern Stelle betont Paulus mit Nachdruck die
Pflicht der Heiligen gegenüber der staatlichen Gewalt,
da diese Machtbefugnis von Gott eingesetzt sei. Er er-
läutert die Notwendigkeit einer weltlichen Regierung und
das Bedürfnis für Beamte mit Vollmacht, deren Macht nur
von Übeltätern gefürchtet werden müsse. Er bezeichnet
die staatlichen Beamten als Diener Gottes und rechtfer-
tigt die Steuererhebung des Staates mit einer Ermahnung
an die Heiligen, ihre bezüglichen Abgaben zu entrichten.
13. Seine Worte, die an die Gemeinde zu Rom ge-
richtet sind, lauten wie folgt: ,, Jedermann sei Untertan
der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine
Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist
von Gott verordnet. Wer sich nun der Obrigkeit wider-
setzet, der widerstrebet Gottes Ordnung; die aber wider-
streben, werden über sich ein Urteil empfangen. Denn die
Gewaltigen sind nicht den guten Werken, sondern den
bösen zu fürchten. Willst du dich aber nicht fürchten vor
der Obrigkeit, so tue Gutes, so wirst du Lob von ihr haben.
Denn sie ist Gottes Dienerin dir zugut. Tust du aber Böses,
so fürchte dich ; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst :
sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe über den,
der Böses tut. Darum ists not, Untertan zu sein, nicht
allein um der Strafe willen, sondern auch um des Gewissens
willen. Derhalben müßt ihr auch Schoß geben; denn sie
1) Titus 3:1.
Art. 12.] Gehorsam gegenüber den Landesgesetzen. 517
sind Gottes Diener, die solchen Schutz sollen handhaben.
So gebet nun jedermann, was ihr schuldig seid : Schoß, dem
der Schoß gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht,
dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt."^)
14. In einem Brief an Timotheus lehrt Paulus, daß
in die Gebete der Heiligen die Könige und die staatlichen
Obrigkeiten eingeschlossen werden sollten und fügt hinzu,
diese Fürbitte sei Gott wohlgefällig, — „So ermahne ich
nun, daß man vor allen Dingen zuerst tue Bitte, Gebet, Für-
bitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige
und für alle Obrigkeit, auf daß wir ein ruhiges und stilles
Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit.
Denn solches ist gut und angenehm vor Gott, unserm
Heiland."2)
15. Die Pflicht des bereitwilligen Gehorsams gegen-
über der Autorität wird in den Briefen an die Epheser
und Kolosser eingehend behandelt, wobei Vergleiche mit
dem gesellschaftlichen und häuslichen Leben angestellt
werden. Den Frauen wird gelehrt, ihren Männern Unter-
tan zu sein, denn „der Mann ist des Weibes Haupt, gleich-
wie auch Christus das Haupt ist der Gemeinde." — Jedoch
ist diese Pflicht in der Familie eine gegenseitige, weshalb
die Männer über die Art und Weise, in der diese Macht-
befugnis ausgeübt werden sollte, belehrt werden. Kinder
sollen ihren Eltern gehorchen, indessen werden die Eltern
davor gewarnt, ihre Kinder zu beleidigen oder ihnen An-
stoß zu geben. — Den Knechten wird gesagt, ihren Herren
willige und ernsthafte Dienste zu leisten und in allen Dingen
die höhere Autorität anzuerkennen. — Den Herren wird
ihre Pflicht gegenüber ihren Dienern eingeschärft und
gesagt, von Drohungen und harter Behandlung ab-
') Römer 13:1—7.
2) 1. Timotheus 2:1-
518 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIII.
zusehen und sich immer daran zu erinnern, daß sie der-
einst vor einem Herrn, der größer ist als sie. Rede und Ant-
wort stehen müssen. i)
16. Da wo Petrus von der Heiligkeit spricht, mit der
die staatliche Gewalt angesehen werden sollte,^) ist er nicht
weniger eindringlich als Paulus. Er ermahnt die Heiligen
mit folgenden Worten: ,,Seid Untertan aller menschlichen
Ordnung um des Herrn willen, es sei dem Könige, als dem
Obersten, oder den Hauptleuten, als die von ihm gesandt
sind zur Rache über die Übeltäter und zu Lobe den From-
men. Denn das ist der Wille Gottes, daß ihr mit Wohltun
verstopfet die Unwissenheit der törichten Menschen, als
die Freien und nicht, als hättet ihr die Freiheit zum Deckel
der Bosheit, sondern als die Knechte Gottes. Tut Ehre
jedermann, habt die Brüder lieb; fürchtet Gott, ehret den
König!"»)
17. Diese allgemeinen Regeln inbezug auf die Unter-
werfung unter die Autorität wendet er in ähnlicher Weise
wie Paulus auf die Verhältnisse des häuslichen Lebens an.
Diener sollten gehorsam sein, selbst wenn ihre Herren
streng und hart sind : ,,Denn das ist Gnade, so jemand
um des Gewissens willen zu Gott das Übel verträgt und
leidet das Unrecht. Denn was ist das für ein Ruhm, so ihr
um Missetat willen Streiche leidet ? Aber wenn ihr um Wohl-
tat willen leidet und erduldet, das ist Gnade bei Gott."^)
— Desgleichen sollten die Frauen, auch wenn ihre Männer
eines andern Glaubens seien, sich nicht selbst rühmen und
der Autorität Trotz bieten, sondern Untertan sein und ed-
lere und wirkungsvollere Mittel anwenden, um die, deren
Namen sie tragen, zu beeinflussen.^) Er weist auf das Ge-
') Epheser 5:22—23; 6:1—9; Kolosser 3:18—22; 4:1.
') Siehe Anmerkung 2.
3) 1. Petrus 2:13—17.
*) Verse 19—20.
«) 1. Petrus 3:1—7.
Art. 12.] Gehorsam gegenüber den Landesgesetzen. 519
rieht hin, das über alle kommen werde und nennt als ge-
eignete Wesen für die Verdammnis „allermeist aber die,
so da wandeln nach dem Fleisch in der unreinen Lust, und
die Herrschaft verachten, frech, eigensinnig, nicht er-
zittern, die Majestäten zu lästern. "i)
18. Es bestanden ohne Zweifel triftige Gründe für
diese deutlichen und wiederholten Ratschläge gegen den
Geist der Empörung, mit denen die Apostel vor alters
die Kirche zu leiten und zu kräftigen suchten. Die Heiligen
freuten sich über das Zeugnis von der Wahrheit, das in
ihren Herzen Wurzel gefaßt hatte — über jene Wahrheit,
die sie frei machen sollte — und es wäre für sie nur natür-
lich gewesen, alle andern für geringer zu achten, als sich
selbst und sich gegen die Macht der Menschen aufzulehnen
zu Gunsten ihrer Ergebenheit gegenüber einer höhern
Macht. Es lag beständig die Gefahr nahe, daß ihr Eifer
sie zu anmaßenden Handlungen verleiten könnte, die
dann einen Vorwand wenn nicht einen Grund abgeben
könnten für die Angriffe ihrer Verfolger, von denen sie
sogleich als Gesetzesübertreter und Anstifter von Empö-
rungen hingestellt worden wären. Selbst eine nur wider-
willige Ergebenheit in die bürgerliche Machtbefugnis
wäre, angesichts des Argwohnes, mit dem die neue Sekte
von ihren heidnischen Zeitgenossen betrachtet wurde, für
sie schließlich nur unklug gewesen. Deshalb ließen ihre
inspirierten Führer ihre Stimme erschallen und gaben
zeitgemäße Ratschläge zur Demut und Ergebung. — Es
gab aber damals, wie übrigens zu jeder Zeit, gewichtigere
Gründe als politische, für die Unterwerfung unter die ein-
gesetzten Gewalten: diese Forderung ist ebensosehr das
Gesetz Gottes wie das der Menschen. Regierungen sind
für das menschliche Dasein notwendig, sie werden aner-
1) 2. Petrus 2:10.
520 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXII I.
kannt, ja sogar gegeben von dem Herrn, und sein Volk
ist verpflichtet, sie zu unterstützen. —
19. Das Buch Mormon enthält hinsichtlich der Pflich-
ten des Volkes, den Landesgesetzen gegenüber gehorsam
zu sein, ausgiebige Belehrungen. Da jedoch die staatliche
und die kirchliche Autorität gewöhnlich vereinigt, der
König oder der Hauptrichter also zugleich auch Hoher-
priester war, finden sich verhältnismäßig wenig Ermah-
nungen zur Unterstützung der staatlichen Autorität in
dem Sinne einer Unterscheidung derselben vom Priester-
tum. Von der Zeit Nephis, dem Sohne Lehis, bis zum Tode
Mosiahs, d. h. während einer Periode von annähernd fünf-
hundert Jahren, w^urden die Nephiten in ununterbrochener
Reihenfolge von Königen regiert. Während der übrigen
Zeit ihrer beurkundeten Geschichte — mehr denn fünf-
hundert Jahre — regierten Richter das Volk, die von die-
sem selbst gewählt wurden. Unter beiden Regierungs-
formen wurden die staatlichen Gesetze streng eingehalten,
die Macht des Staates ergänzt und verstärkt durch die
der Kirche. Die Heiligkeit, mit der die Gesetze betrachtet
wurden, wird durch das Urteil veranschaulicht, das Alma
über Nehor, einen Mörder und Verteidiger des Aufruhrs
und Paffentruges, fällte: „Du bist verurteilt zu sterben",
sagte der Richter, ,,nach dem Gesetze, welches uns von
Mosiah, unserm letzten König gegeben worden ist; diese
Gesetze sind von diesem Volke angenommen worden,
darum muß sich dies Volk an das Gesetz halten."^)
20. Neuzeitliche Offenbarung verlangt von den Hei-
ligen in der gegenwärtigen Dispensation strikte Unter-
werfung unter die staatlichen Gesetze. In einer Mitteilung
an die Kirche, datiert vom 1. August 1831, sagt der Herr:
„Niemand breche die Gesetze des Landes, denn der, wel-
Art. 12.] Gehorsam gegenüber den Landesgesetzen. 521
eher die Gebote Gottes hält, braucht die Gesetze des Lan-
des nicht zu brechen. Darum seid der Obrigkeit untrrtan,
die Gewalt über euch hat, bis der regieren wird, dessen
Recht es ist, zu regieren, und er alle seine Feinde unter
seine Füße getan haben wird."^) — Zu einem spätem Zeit-
punkt, nämlich am 6. August 1833, erhob der Herr in dieser
Sache nochmals seine Stimme und sprach: „Und nun,
wahrlich, ich sage euch, inbezug auf die Landesgesetze:
Es ist mein Wille, daß mein Volk acht haben soll, alles zu
tun, was ich ihm gebiete. Das Gesetz des Landes, das der
Verfassung gemäß ist, und in der Aufrechterhaltung von
Rechten und Privilegien das Prinzip der Freiheit unter-
stützt, gehört allen Menschen an und ist vor mir gerecht-
fertigt. Deshalb rechtfertige ich, der Herr, euch und eure
Brüder meiner Kirche jenem Gesetze, welches das verfas-
sungsmäßige Gesetz des Landes ist, freundlich gesinnt zu
sein. "2)
21. Die folgende Frage ist oft an die Kirche und an
einzelne Mitglieder gerichtet worden: Angenommen, die
von Menschen aufgestellten Gesetze würden den Geboten
des geoffenbarten Wort Gottes widersprechen, welcher
dieser beiden Autoritäten wären dann die Mitglieder
zum Gehorsam verpflichtet? Hierauf kann die Ant-
wort mit den Worten Christi gegeben werden : Es ist Pflicht
des Volkes, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und
Gott, was Gottes ist. Das Himmelreich als eine irdische
Macht mit einem regierenden König, der eine unmittelbare
und persönliche Machtbefugnis in zeitlichen Dingen ausübt,
ist bis heute noch nicht auf Erden aufgerichtet worden;
die Gemeinden der Kirche und deren Mitglieder sind den
verschiedenen Regierungen unterworfen, in deren Macht-
bereich sie sich befinden. — Heute, bei der verhältnismäßig
■) Lehre u. Bündn. 58:21—22.
') L. u. B. 98:4—6.
522 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIII.
großen Erleuchtung und Freiheit, ist wenig Grund dafür
vorhanden, irgend einen direkten Zusammenstoß mit den
Rechten der privaten Verehrung und des persönhchen
Gottesdienstes zu befürchten. Bei zivilisierten Völkern wird
den Bürgern gestattet, zu beten und dieses Recht wird
durch ein gewissermaßen allgemeines Gesetz der Mensch-
heit geschützt. Keine ernstlich bestrebte Seele ist von der
Verbindung mit ihrem Gott abgeschnitten, und auf diesem
offenstehenden Weg kann Hilfe vor den bedrückenden
Gesetzen und Linderung der Not von der Macht erbeten
werden, welche die Völker überwacht.
22. Im Vertrauen darauf, daß die Macht der Vorse-
hung zu Gunsten religiöser Freiheit wirken wird, sollten
sich die Heiligen den Gesetzen ihres Landes fügen. Dessen-
ungeachtet sollten sie als Bürger und Untertanen ihrer
verschiedenen Regierungen in jeder angebrachten Weise
dafür eintreten, daß ihnen und allen Menschen das kost-
bare Gut persönlicher Freiheit in religiösen Angelegen-
heiten gesichert wird. Es wird nicht von ihnen verlangt,
daß sie den ungesetzhchen Druck gesetzloser Verfolger,
oder die Folgen ungerechter Gesetzgebung, ohne Wider-
spruch hinnehmen und dulden ; aber ihr Widerspruch soll auf
gesetzliche und maßvolle Weise geltend gemacht werden.
— Die Heiligen der letzten Tage haben der Welt eine prak-
tische Darlegung jener Lehre gegeben, daß es besser sei,
Böses zu erdulden, als durch rein menschliche Empörung
gegenüber ungerechter Autorität Unrecht zu tun. Wenn
durch eine derartige Unterwerfung unter die Gesetze des
Landes und im Falle daß diese Gesetze ungerecht und der
menschlichen Freiheit zuwider sind, die Heiligen verhindert
werden, das ihnen von Gott aufgetragene Werk zu tun,
so werden sie für die Unmöglichkeit, nach dem höhern
Gesetz zu handeln, nicht verantwortlich gemacht. Das uns
gegebene Wort des Herrn erläutert unmißverständlich die
Art. 12. J Gehorsam gegenüber den Landesgesetzen. 523
Pflicht und die Stellung des Volkes in einem solchen Wider-
streit: „Wahrlich, wahrlich ich sage euch: wenn ich
irgend welchen der Menschensöhne ein Gebot gebe, in
meinem Namen ein Werk zu tun, und jene Menschensöhne
gehen daran mit all ihrer Kraft und allem, was sie haben,
jenes Werk auszurichten und lassen in ihrem Fleiß nicht
nach, und ihre Feinde kommen über sie und hindern sie
an der Ausführung jenes Werkes, sehet, dann geziemt es
mir, jenes Werk nicht mehr von jenen Menschensöhnen zu
verlangen, sondern ihre Opfer anzunehmen ; und die Gott-
losigkeit und Übertretung meiner heiligen Gesetze und
Gebote will ich an denen heimsuchen, welche mein Werk
hinderten bis ins dritte und vierte Glied, solange sie
mich hassen und nicht Buße tun, spricht Gott, der Herr".^)
23. Ein Beispiel einer derartigen Ausschaltung des
göttlichen Gesetzes ist die Maßnahme der Kirche hinsicht-
lich der Vielehe. Diese Einrichtung war auf Grund einer
direkten Offenbarung^) ins Leben gerufen worden. Viele
von denen, die sie befolgten, fühlten, daß ihnen von Gott
befohlen wurde, so zu handeln. In den ersten zehn Jahren
nach Einführung der Vielehe als kirchliche Verordnung
in Utah, wurde kein Gesetz erlassen, das dieser Sitte wider-
sprach. Zu Anfang des Jahres 1862 wurden jedoch bundes-
staatliche Gesetzentwürfe ausgearbeitet, welche die Ver-
ordnung für ungesetzlich erklärten und auf ihre Befolgung
Strafen setzte. Die Kirche vertrat den Standpunkt, daß
diese Erlaße verfassungswidrig und deshalb ungültig seien,
zumal weil sie jenen Vorbehalt in der Verfassungsurkunde
des Landes verletzten, welcher der Regierung das Recht
verweigert, Gesetze über die Einrichtung religiöser Gemein-
schaften oder zum Verbot der freien Ausübung der Religion
i) Lelire u. Bündn. 124:49 — 50; siehe Anmerkung 3.
=) L. u. B. 132.
524 Die Glaubensartikel [Vorl. XXIII.
ZU erlassen.^) Wiederholte Berufungen wurden eingelegt,
sodaß die Sache bis an die letzte Instanz, den Bundes-
gerichtshof, gelangte und schließlich wurde die endgültige
Entscheidung dahin ausgesprochen, daß die Gesetze gegen
die Vielehe verfassungsgemäß seien und daher zu Recht
beständen. Die Kirche ließ daraufhin durch ihren ersten
Beamten die Ausführung der Vielehe einstellen und gab
diese Maßnahme der Mitwelt bekannt, indem sie gleich-
zeitig in feierlicher Weise die Veranwortung für diese Än-
derung dem Staat auferlegte, durch dessen Gesetze die
Verzichtleistung erzwungen worden war. Diese Maßnahme
ist durch eine ausdrückliche Willenserklärung der zu einer
Konferenz versammelten Kirche gutgeheißen und bestätigt
worden. 2)
24. Was die Kirche heute lehrt. Vielleicht kann man
keine bessere Zusammenfassung der Lehren der Kirche
Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage über ihr Verhält-
nis zur staatlichen Macht und die den Gesetzen des Landes
gebührende Achtung geben, als das entsprechende von
Joseph Smith verfaßte Glaubensbekenntnis, das dem Buch
der Lehre und Bündnisse einverleibt wurde — einem der
maßgebenden Kirchenbücher, die durch Abstimmung
von der Kirche als ihre anerkannten Führer in Glau-
ben und Lehre und Lebensführung angenommen wurden. 3)
Es lautet wie folgt:
Über Regierungen und Gesetze im allgemeinen.
1. Wir glauben, daß Regierungen von Gott zum Nut-
zen der Menschheit eingerichtet worden sind, und daß er
die Menschen für ihre Handlungen inbezug auf dieselben
') Artikel I der „Amendments to the Constitution of the United
Slates."
-) Siehe Anmerkung 4.
') Lehre u. Bündn. 134.
Art. 12.] Regierungen und Gesetze im allgemeinen. 525
verantwortlich hält, sei es im Geben von Gesetzen oder
in der Ausführung derselben zum Nutz und Frommen und
zur Sicherheit der Gesellschaft.
2. Wir glauben, daß keine Regierung in Frieden
bestehen kann, wenn nicht Gesetze gegeben und un-
antastbar gehalten werden, die jeder Person Gewissens-
freiheit, Eigentumsrechte und Schutz des Lebens zu-
sichern.
3. Wir glauben, daß alle Regierungen notwendiger-
weise Zivilbeamter und Magistrate bedürfen, um ihre
Gesetze zu vollziehen, und daß solche, die das Gesetz
in Unparteilichkeit und Gerechtigkeit ausüben, gesucht
und durch die Stimme des Volks (wenn in einer Republik)
oder durch den Willen des Souverains aufrecht erhalten
werden sollten.
4. Wir glauben, daß die Religion von Gott eingesetzt
ist und daß die Menschen ihm, und ihm allein, für ihre
Ausübung verantwortlich sind, es sei denn, ihre reli-
giösen Meinungen treiben sie an, in die Rechte und Frei-
heiten andrer einzugreifen . Ferner glauben wir, daß mensch-
liche Gesetze kein Recht haben in der Vorschreibung von
Kultusbestimmungen, um die Gewissensfreiheit zu be-
schränken; und daß Magistrate Verbrechen in Schranken
halten, doch nie das Gewissen einschränken, die Schul-
digen bestrafen, doch nie die Freiheit des Geistes unter-
drücken sollten.
5. Wir glauben, daß alle Menschen verpflichtet sind,
die entsprechenden Regierungen, unter denen si»^ leben,
zu unterstützen, wenn sie in ihren angeborenen und
unveräußerlichen Rechten durch die Gesetze solcher Re-
gierungen beschützt werden; daß Aufstand und Empö-
rung solcher beschützter Bürger ihren Vergehen gemäß be-
straft werden sollten ; und daß alle Regierungen ein Recht
haben, solche Gesetze zu erlassen, welche nach ihrem
526 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIII.
Urteil am besten geeignet sind, das öffentliche Interesse
zu sichern, gleichzeitig jedoch die Freiheit des Gewissens
heilig zu halten.
6. Wir glauben, daß jedermann in seiner Stellung
geachtet werden sollte, Beamte und Magistrate als solche,
da sie zum Schutz der Unschuldigen und zur Bestrafung
der Schuldigen eingesetzt worden sind ; und daß alle Men-
schen den Gesetzen Achtung und Unterwerfung schuldig
sind, da sonst Friede und Eintracht durch Anarchie und
Schreckensherrschaft verdrängt werden würden. Mensch-
liche Gesetze sind zu dem ausdrücklichen Zweck eingesetzt,
unsere Interessen als Individuen und Nationen zu regulieren,
zwischen Mensch und Mensch, und göttliche Gesetze sind
vom Himmel gegeben, Regeln über unsere geistlichen Ange-
legenheiten für Glauben und Verehrung vorzuschreiben,
für deren Beobachtung der Mensch seinem Schöpfer ver-
antwortlich ist.
7. Wir glauben, daß Gesetzgeber, Staaten und Re-
gierungen ein Recht haben und verpflichtet sind, Gesetze
zum Schutz aller Bürger in der freien Ausübung ihres re-
ligiösen Glaubens zu erlassen ; doch glauben wir nicht, daß
sie, in Gerechtigkeit, ein Recht haben, Bürger dieses Vor-
rechts zu berauben oder sie in ihren Meinungen zu beschrän-
ken, solange sie den Gesetzen des Landes Achtung und
Aufmerksamkeit zeigen und solange ihre religiösen Mei-
nungen Aufruhr und Empörung nicht rechtfertigen.
8. Wir glauben, daß das Begehen von Verbrechen
nach ihrer Natur bestraft werden sollte; daß ISIord, Hoch-
verrat, Raub, Diebstahl und die Störung des allgemeinen
Friedens in jeder Beziehung nach ihrer Kriminalität und
ihrer Tendenz, Böses unter den Menschen anzustiften,
von den Regierungen, wo die Vergehen ausgeübt wurden,
bestraft werden sollten; und daß alle für die öffentliche
Art. 12.] Regierungen und Gesetze im allgemeinen. 527
Ruhe und Sicherheit nach ihren Fähigkeiten mitwirken
sollten, sodaß Übertreter guter Gesetze bestraft werden.
9. Wir glauben, daß es nicht recht ist, religiöse Ein-
flüße mit Regierungen zu verbinden, wodurch eine reli-
giöse Gesellschaft begünstigt, während eine andere in ihren
geistlichen Rechten beschränkt wird, und ihren Mitglie-
dern die persönlichen Rechte als Bürger versagt werden.
10. Wir glauben, daß alle religiösen Gesellschaften
ein Recht haben, ihre Mitglieder für unpassendes Betragen
nach den Regeln und Vorschriften solcher Gesellschaften
zur Rechenschaft zu ziehen, vorausgesetzt, daß solche
Handlungen nur das religiöse Gemeinschaftsrecht be-
rühren; doch glauben wir nicht, daß irgendeine
religiöse Gesellschaft Autorität hat, Leute zu verhören,
wo es sich um Eigentum oder Leben handelt, oder
von ihnen die Güter dieser Welt zu nehmen, oder sie in
Leibes- oder Lebensgefahr zu setzen, oder körperliche Be-
strafung zu erteilen; sie können sie nur von ihrer Kirche
ausschließen, und ihnen ihre Gemeinschaft entziehen.
IL Wir glauben, daß Menschen die Zivilgesetze um
Abhülfe anrufen sollen für alles Unrecht und für alle Be-
schwerden, womit persönliche Mißhandlung aufgebürdet
oder das Recht von Eigentum und Ruf verletzt wird, so-
fern solche Gesetze existieren, die dieselben beschützen
werden ; ferner glauben wir, daß alle Menschen gerechtfer-
tigt sind, sich selbst, ihre Freunde, und deren Eigentum
und die Regierung, gegen ungesetzliche Anfälle und Ein-
griffe aller Personen zu verteidigen, namentlich in Zeiten
der Not, in denen plötzliche Abhilfe von den Gesetzen
nicht erwartet noch Hilfe gewährt werden kann.
12. Wir glauben, daß es gerecht ist, das Evangelium
den Nationen der Erde zu predigen und die Rechtschaffe-
nen zu warnen, sich von den Verderbtheiten der Welt zu
retten; doch halten wir es nicht für recht, uns mit Leib-
528 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIII.
eigenen einzulassen, weder ihnen das Evangelium zu pre-
digen, noch sie zu taufen, gegen den Wunsch und Willen
ihrer Herren, noch sie zu behelligen, oder sie im gering-
sten zu beeinflußen oder zu veranlassen mit ihrer Lage in
diesem Leben unzufrieden zu sein, und dabei das Leben
von Menschen zu gefährden; wir glauben, daß solches
Einmischen ungesetzlich und ungerecht ist und dem
Frieden jeder Regierung, welche menschliche Wesen in
Leibeigenschaft zu halten erlaubt, gefährlich ist."
Anmerkungen.
1. Pauli und Christi Verliöhnung. — Siehe Apostelgeschichte 23:1 — 5.
,,Der Apostel hatte kaum den ersten Satz seiner Verteidigungsrede gespro-
chen, alsAnanias in schändlicher Ungesetzlichkeit den Gerichtsdienern befahl,
ihn auf den Mund zu schlagen. Empört durch eine so offenkimdige Ver-
höhnung, eine so unwürdige Schmähung, flammte das natürliche, chole-
rische Temperament des Apostels Paulus zu jenem plötzlichen Zorn auf,
der zwar beherrscht werden sollte, den wir jedoch bei einem wahrhaft edlen
Charakter nur ungern vermissen möchten. Kein Charakter kann voll-
kommen sein, der nicht — obschon an und für sich durchaus großmütig
und versöhnlich — einen tiefsitzenden Unwillen und das Gefühl gerechten
Zornes gegenüber unerträglichem Unrecht hegt und pflegt. „Gott wird
dich schlagen, du getünchte Wand!" rief er aus auf den brennenden Schlag
hin, „Sitzest du, mich zu richten nach dem Gesetz, und heißest mich schlagen
wider das Gesetz?" — Die Sprache ist ihrer Heftigkeit wegen als unange-
bracht kritisiert worden; man verglich sie zu ihrem Nachteil mit der von
Christus bei seinem Verhör vor dem Gericht seiner Feinde an den Tag ge-
legten Sanftmut (Johannes 18:19 — 23). „Wo", fragt Jerome, „ist jene
Geduld des Heilandes, der — wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt,
ohne den Mund zu öffnen — den Schlagenden so milde fragt: „Habe ich
übel geredet, so beweise es, daß es böse sei; habe ich aber recht geredet,
was schlägst du mich?" Wir verkleinern den Apostel nicht, wir verkünden
nur die Herrlichkeit Gottes, der, im Fleische leidend, siegreich Unrecht
und Fehler der Menschen beherrscht. Es ist jedoch nicht nötig, den Leser
daran zu erinnern, daß Christus nicht nur ein- oder zweimal seinen gerechten
Zorn walten ließ, und Scheinliciligkeit und Unverschämtheit mit einem
Schlag seines heiligen Ingiimms niederschlug, — Die Umstehenden scheinen
über die Unerschrockenheit des Apostels bestürzt gewesen zu sein, denn
sie sagten zu ihm : „Schiltst du den Hohenpriester Gottes ?" — Die Erregung
Pauli hatte sich in dem einen Ausbruch Luft gemacht; auf der Stelle ent-
schuldigte er sich mit ausgesuchter Höflichkeit und Selbstbeherrschung.
„Liebe Brüder" sagte er, „ich wußte es nicht, daß er der Hohepriester
Art. 12.] Anmerkungen. 529
ist" und fügte hinzu, daß wenn er es gewußt hätte, würde er ihn nicht
mit dem Schimpfnamen „getünchte Wand" angesprochen haben, denn
er achtete die Vorsclirift der Heiligen Schrift und handelte darnach : „Dem
Obersten deines Volks sollst du nicht fluchen." — Farrar, „The Life and
Work of St. Paul", Seite 539—540.
2. Die Belehrungen des Petrus hinsichtlich der Unterwerfung unter
die Landesgesetze. — Eine besondere Pflicht der Christen jener Tage be-
stand darin, den staatlichen Regierungen in allen gesetzmäßigen Dingen die
schuldige Achtung zu erweisen. Wohl kann es Gelegenheit geben — keiner
wußte dies besser als der Apostel, der selbst ein würdiges Beispiel von Un-
gehorsam gegenüber unberechtigtem Verlangen hinterlassen hat (Apostelge-
schichte 4:19, 31; 5:28 — 32, 39 — 42) — daß wir Gott mehr gehorchen
müssen als den Menschen. Solche Fälle bilden jedoch im gewöhnlichen
Verlauf des Lebens die Ausnahme. In der Regel, und als Ganzes betrachtet,
befindet sich auch das menschliche Gesetz auf der Seite der göttlichen Ord-
nung und es hat deshalb — von wem es auch gehandhabt werden möge —
Anspruch auf Gehorsam und Nachachtung. So sehr bediu"ften die Christen
jener Tage dieser Ermahnung, daß diese gleich nachdrücklich von Johannes
(Johannes 19:11) wie auch von Petrus und Paulus selbst erhoben wurde.
Nötiger als je war sie in einer Zeit, in welcher in Judäa gefährliche Empö-
rungen ihrem Höhepunkt zutrieben, in einer Zeit, in welcher die Herzen
der Juden in der ganzen Welt entbrannten in flammenden Zorn und Haß
über die Greueltaten eines tyrannischen Götzendienstes, in einer Zeit, da
die Christen beschuldigt wurden, daß sie „den ganzen Erdkreis erregten"
(Apostelgeschichte 17:6), in einer Zeit, da irgend ein armer, den Qualen
des Märtyrertodes verfallener Christensklave leicht hätte der Erregung
seiner Seele Luft verschaffen können, durch einen Ausbruch apokalyptischer
Androhung plötzlicher Strafgerichte wegen der Verbrechen des finstern
Babylons, in einer Zeit, in welcher die Heiden in ihrer müden Verachtung
irgendeine Prophezeiung über den letzten Weltenbrand willkürlich als eine
aufrührerische und mordbrennerische Drohung auslegen konnten und in der
schon die Christen Roms die Marter aus eben demselben Grunde der Ver-
folgung durch Nero erduldeten. — Unterwerfung war deshalb die Haupt-
pflicht für alle, die den Heiden keinen Anstoß geben wollten und die die
Kirche davor zu retten wünschten, daß sie von irgendeinem Ausbruch des
Unwillens verschlungen wurde, welcher selbst den vernünftigen und duld-
samen Heiden gegenüber als eine politische Notwendigkeit gerechtfertigt
werden konnte. — Deshalb „Seid Untertan," sagt der Apostel, „aller
menschlichen Ordnung um des Herrn willen, es sei dem Könige, als dem
Obersten (der Name König wurde von den Kaisern in den Provinzen häufig
geführt), oder den Hauptleuten, als die von ihm gesandt sind zur Rache
über die Übeltäter und zu Lobe den Frommen. Denn das ist der Wille
Gottes, daß ihr mit Wohltun verstopfet die Unwissenheit der törichten
Menschen, als die Freien, und nicht, als hättet ihr die Freiheit zum Deckel
der Bosheit, sondern als die Knechte Gottes. Tut Ehre jedermann, habt
die Brüder lieb, fürchtet Gott, ehret den König!" (Siehe 1. Petrus 2:13 — 17).
Farrar, „Early Days of Christianity", S. 89 — 90.
3. Das Gesetz Gottes und das Gesetz der Mensehen. — Die Lehre der
Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage über die Pflicht ihrer
Mitglieder zum Gehorsam gegenüber den Gesetzen des Landes, in dem sie
leben, ist umfassender und bestinunter als die vieler andrer christlicher
34
530 Die Glaubensartikel. [Vorl.XXlII.
Sekten. Im Januar 1899 veröffentlichte eine Vereinigung der freien evan-
gelischen Kirchen Englands offiziell eine „allgemeine Darlegung des Glau-
bens in Form eines neuen Katechismus". Bei Behandlung des Verhält-
nisses zwischen Kirche und Staat erscheinen die folgenden Fragen und
Antw orten :
36. Frage: „Was ist eine freie Kirche?"
Antwort: „Eine Kirche, die einzig und allein Christus als ihr Haupt
anerkennt und die deshalb ihr Recht ausübt, ihre Gesetze ohne Be-
schränkung oder Kontrolle durch den Staat auszulegen und handzu-
haben."
37. Frage: „Was ist die Pflicht der Kirche gegenüber dem Staat? '
Antwort: „Alle Gesetze des Landes zu halten, ausgenommen solche,
die den Lehren Christi zuwiderlaufen."
Nach dem Bericht, des mit der Herausgabe des Werkes beauftragten
Ausschußes, „stellt der Katechismus direkt oder indirekt das Glaubens-
bekenntnis von nicht weniger, wahrscheinlich aber mehr als 60 Millionen
bewußten Christen in allen Teilen der Welt dar." —
4. Das Aufhören der mehrfachen Ehe. — Die offizielle Maßnahme,
mit der die Verordnvmg der mehrfachen Ehe unter den Heiligen der letzten
Tage abgeschafft wurde, bestand darin, daß die zu einer Konferenz versam-
melte Kirche eine von dem Präsidenten der Kirche erlassene Kundmachung
annahm. Die Sprache der Urkunde kennzeichnet den gesetzachtenden
Charakter des Volkes und der Kirche, wie besonders aus folgendem Satz
erhellt: „Da vom Kongreß Gesetze erlassen worden sind, welche die mehr-
fache Ehe verbieten, Gesetze, die von dem obersten Gerichtshof als verfas-
svmgsgemäß erklärt wurden, tue ich, Präs. Wilford Woodruff, hiermit meinen
Willen kund, mich diesen Gesetzen zu unterwerfen und bei den Mitgliedern
der Kirche, welcher ich vorstehe, meinen Einfluß dahin geltend zu machen,
daß auch sie das gleiche tun." — Im Laufe einer Predigt, die immittelbar
auf die Verkündigung des Manifestes folgte, sagte Präsident Woodruff
von der getroffenen Maßnahme: „Ich habe meine Pflicht getan und die
Nation, von welcher wir einen Teil bilden, muß verantwortlich sein für das,
was hinsichtUch dieses Prinzipes (nämlich der Vielehe) getan worden ist." —
I
Art. 13.] Praktische Religion. 531
Vorlesung XXIV.
Praktische Religion.
Artikel 13. — Wir glauben daran, ehrlich, getreu, keusch, wohl-
tätig und tugendhaft zu sein und allen Menschen Gutes zu tun ; in der Tat
möchten wir sagen, daß wir der Ermahnung Pauli folgen : Wir glauben alles,
wir hoffen alles; wir haben ^^eles ertragen und hoffen fähig zu sein, alles
zu ertragen. Wo etwas Tugendhaftes, Liebenswürdiges oder von gutem
Rufe oder Lobenswertes ist, trachten ^ir nach diesen Dingen.
1. Religion des täglichen Lebens. — In diesem Glau-
bensartikel erklären die Heiligen der letzten Tage ihr Be-
kenntnis zu einer Religion der Tat, zu einer Religion, die
nicht nur im Bekenntnis zu geistigen Dingen besteht, nicht
bloß im Glauben an ein Jenseits oder an die Erbsünde, an
einen zukünftigen Himmel oder eine zukünftige Hölle,
sondern vor allem in der treuen Erfüllung der täglichen
Pflichten, wobei Selbstachtung, Liebe zu den Mitmenschen
und Ergebung in den Willen Gottes die leitenden Grund-
sätze sind. Religion ohne Moral, Ansprucherhebung auf
Frömmigkeit ohne Nächstenliebe, Mitgliedschaft in der
Kirche ohne eine entsprechende Verantwortlichkeit des
einzelnen hinsichtlich seines Lebenswandels, sind weiter
nichts als „tönendes Erz und klingende Schellen", —
Lärm ohne Musik, leere Worte ohne den Geist des Gebets.
— ,,Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott,
dem Vater, ist der : die Waisen und Witwen in ihrer Trübsal
besuchen und sich von der Welt unbefleckt erhalten. "i) —
Ehrlichkeit der Gesinnung, Lauterkeit des Charakters,
persönliche Reinheit, unbedingte Freiheit des Gewissens,
') Jakobus 1:27.
532 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.
Bereitwilligkeit, allen Menschen, selbst dem Feind, reines
Wohlwollen entgegenzubringen — dieses sind einige
Früchte, woran die Religion Christi erkannt werden kann,
und die an Wichtigkeit und Wert das Verkündigen bloßer
Lehrsätze und das Vortragen bloßer Theorien weit hinter
sich lassen. — Aber auch Erkenntriis von Dingen, die über
das Zeitliche hinausgehen, und Belehrungen in geistigen
Angelegenheiten — Belehrungen, die nicht auf dem Sande
schwacher menschlicher Hypothesen sondern auf göttlicher
Offenbarung beruhen — kennzeichnen die wahre Kirche. —
2. Die Reichhaltigkeit unsres Glaubens muß jedem auf-
fallen, der die von der Kirche gelehrten Grundsätze ernst-
lich untersucht, und noch mehr dem, der vorurteilsfrei
ihre Wirkung auf den Lebenswandel beobachtet, wel-
cher den Heiligen der letzten Tage eigen ist. Inner-
halb der Kirche gibt es Raum für alle Wahrheiten —
für irgend etwas, das lobenswert, tugendhaft, liebenswert
oder von gutem Rufe ist. Die Freiheit und Weitherzigkeit,
mit der die Kirche andere Glaubensbekenntnisse betrach-
tet, die Ernsthaftigkeit ihrer Lehre, daß Gott kein Anseher
der Person ist, sondern daß er alle Menschen nach ihren
Taten richten wird, — die Breite und Tiefe ihrer Begriffe
von dem Zustand der Unsterblichkeit und den Graden ewi-
ger Herrlichkeit, die die Aufrichtigen aller Völker, Geschlech-
ter und Kirchen erwartet, gleichviel ob heidnisch oder christ-
lich, ob erleuchtet oder verdunkelt, alles dies ist schon in
frühern Vorlesungen behandelt worden. Wir haben weiter
gesehen, daß sein Glaube dieses Volk vorwärts bringt,
sogar über die Grenze aller bis jetzt geoffenbarten Wahr-
heit hinaus, und daß er es lehrt, mit unerschütterlichem
Vertrauen weitern' Offenbarungen entgegenzusehen, —
vermehrten Wahrheiten, — Herrlichkeiten, größer, als sie
je geoffenbart worden sind — Ewigkeiten der Macht, Herr-
schaft und des Fortschritts, — zu hoch für die jetzige
Art. 13.] Praktische Religion. 533
Fassungskraft des menschlichen Geistes und für die Emp-
fänglichkeit der Seele. — Wir glauben an einen Gott, der
selbst vorwärts schreitet, dessen Majestät Intelligenz ist,
dessen Vollkommenheit in ewigem Fortschritt besteht,
dessen fortschreitendes unaufhörliches Werk der Schöp-
fung zwar ,, beendigt ist, aber doch für immer von neuem
beginnt",^) — an ein Wesen, das seinen erhöhten Stand
erreicht hat auf einem Wege, auf dem jetzt seine Kinder
vorwärts schreiten dürfen, — an ein Wesen, dessen Herr-
lichkeit es ist, ihr Erbteil mit ihnen zu teilen. — Ungeachtet
des Widerspruches aller anderen Sekten und angesichts der
direkten Beschuldigung der Gotteslästerung verkündet
die Kirche die ewige Wahrheit: Wie der Mensch jetzt ist,
so war einst Gott, und wie Gott jetzt ist, so kann der Mensch
einmal werden". Mit einer solchen Zukunft vor sich kann
der Mensch wohl sein Herz dem Strom der Offenbarung
aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft öffnen und
in der Tat sollten wir imstande sein, von jedem erleuchteten
Kind Gottes zu sagen: ,,Es verträgt alles, es glaubt alles,
es hofft alles, es duldet alles. "2) — Bei der Behandlung der
im vorliegenden Artikel niedergelegten Glaubenserklärung
ergeben sich als dazu gehörend viele Themen über Or-
ganisation, Vorschriften, Gebote und Gebräuche der Kir-
che. Von diesen wollen wir die folgenden einer nähern
Betrachtung unterziehen.
3. Wohltätigkeit. Wohltätigkeit gründet sich auf
die Liebe zum Mitmenschen. Sie umfaßt, obwohl sie diese
weit übertrifft, Mildtätigkeit in dem Sinne, in dem
dieses Wort heute gebraucht wird. — Von dem göttlichen
Lehrer wurde sie gleich nach der Liebe zu Gott genannt.
Einmal kamen gewisse Pharisäer zu Christus und versuchten
ihn mit Fragen über die Lehre, in der Hoffnung, ihn in
») Bryant.
") 1. Korinther 13:7.
534 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.
Widersprüche verstricken zu können, um ihn dann als
Übertreter des Gesetzes zu brandmarken. — Ihr Sprecher
war ein Schriftgelehrter, und nun beachte man seine
Frage und die Antwort des Heilandes: ,, Meister, wel-
ches ist das vornehmste Gebot im Gesetz? Jesus aber
sprach zu ihm: Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von
ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Ge-
müte. Dies ist das vornehmste und größte Gebot. Das an-
dere aber ist ihm gleich : Du sollst deinen Nächsten lieben
als dich selbst. — In diesen zwei Geboten hanget das ganze
Gesetz und die Propheten. "i) — Diese zwei Gebote, von
welchen hier als vom ersten und zweiten gesprochen wird,
sind so eng mit einander verknüpft, daß sie tatsächlich
nur eines sind, und zwar dies eine: ,,Du sollst lieben". Wer
eines von beiden hält, hält beide, denn ohne Liebe für un-
sern Nächsten ist es unmöglich, Gott zu gefallen. Daher
schrieb Johannes, der Apostel der Liebe: ,,Ihr Lieben,
lasset uns untereinander liebhaben ; denn die Liebe ist von
Gott, und wer liebhat, der ist von Gott geboren und
kennt Gott. Wer nicht liebhat, der kennt Gott nicht, denn
Gott ist die Liebe. * * * So jemand spricht: Ich liebe
Gott, und hasset seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn
wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er
Gott lieben, den er nicht sieht? Und dies Gebot haben wir
von ihm, daß, wer Gott liebt, daß der auch seinen Bruder
liebe, "2) —
4. Aber vielleicht finden sich die ergreifendsten und
erhabensten apostolischen Worte über die erlösende
Liebe in dem Briefe des Apostels Paulus an die Korinther.^)
In der englischen Bibelübersetzung wird die Tugend, die
allen wunderbaren Gaben des Geistes überlegen ist, und
0 Matthäus 22:36 — 40; siehe auch Lukas 10:25—27.
») 1. Johannes 4:7—8, 20—21.
=) 1. Korinther 13; siehe auch Alma 34:28 — 29; Mosiah 4:16 — 24.
Art. 13.] Praktische Religion. 535
die weiter bestehen wird, auch wenn alle andern schon ver-
gangen sein werden, als ,, Mildtätigkeit" bezeichnet, das ur-
sprüngliche Wort bedeutet jedoch (wie Lutherübersetzt hat)
„Liebe". Sicherlich dachte auch Paulus an etwas Größeres
und Erhabeneres als bloß an das Almosengeben, wie ja aus
seiner Ausdrucksweise klar ersichtlich ist: ,,Und wenn
ich alle meine Habe den Armen gäbe, * * * und hätte
der Liebe nicht, so wäre mirs nichts nütze. "i) — Mag ein
Mensch auch mit Engelzungen reden, mag er die Macht
haben, zu prophezeien, — die größte der gewöhnlichen
Gaben — mag er in der Erkenntnis bewandert sein und alle
Geheimnisse verstehen, mag sein Glaube ihn befähigen.
Berge zu versetzen, und mag er alles, was er hat, selbst sein
Leben dahingehen — ohne Liebe wäre es nichts. — Mild-
tätigkeit, oder Almosengeben, auch wenn es aus dem auf-
richtigsten Grunde, frei von jedem Wunsch nach Lob und
jeder Hoffnung auf Vergeltung geschieht, ist doch nur eine
schwache Kundgebung jener Liebe, wodurch dem Menschen
sein Nächster so lieb wird, wie er selbst, jener Liebe die
langmütig ist, die andere nicht neidet, die den Eigennutz
und die Selbstsucht unterdrückt, und die sich der Wahr-
heit erfreut. Wenn das „Vollkommene" kommt, sollen
die Gaben, die als Bruchstücke gegeben worden sind,
abgelöst werden : das Vollkommene wird dann das Unvoll-
kommene ersetzen. Die Kraft der Heilung wird dann auf-
hören, denn Krankheiten wird es nicht mehr geben, —
Zungen und Auslegung von Zungen werden überflüssig
sein, weil man nur noch eine einzige, reine Sprache sprechen
wird, — das Austreiben der Teufel und die Kraft gegen
tödliches Gift werden nicht länger mehr nötig sein, denn
die Zustände im Himmel werden sie überflüssig machen.
Die Liebe aber, die reine göttliche Liebe, wird nie entbehr-
1) 1. Korinther 13:
536 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.
lieh werden, — inmitten der verherrlichten Scharen wird
sie thronen, angetan mit all der Herrlichkeit und Pracht
ihrer himmlischen Heimat. "i) — Will der Mensch das ewige
Leben erlangen, so darf er die Pflicht zur Liebe nicht ver-
nachlässigen, denn die ,, Liebe ist des Gesetzes Erfüllung."^)
5. Wohltätigkeit von der Kirche geübt. — Die Kirche
von heute kann auf eine erstaunliche, schon geleistete
und noch im Fortschritt begriffene Arbeit im Dienste der
Wohltätigkeit hinweisen. Eines der herrlichsten Denk-
mäler ihres Werkes stellt die Missionsarbeit dar, die stets
ein bezeichnender Grundzug ihres Wesens war. Aus keinem
andern Grunde als aus reiner Liebe zur Menschheit und aus
dem Wunsche, die Gebote Gottes in dieser Hinsicht zu
erfüllen, sendet die Kirche Jahr für Jahr Hunderte von
Missionaren aus, um der Welt das Evangelium vom ewigen
Leben zu verkündigen. Unzählige dieser Getreuen werden
verspottet, verhöhnt und beschimpft von solchen, denen
sie zu nützen suchten und nicht wenige besiegelten als
Märtyrer ihr Werk und ihr Zeugnis mit ihrem Leben. —
Die Mildtätigkeit, die sich im Spenden äußerer Güter
offenbart, wird von der Kirche nicht vernachlässigt. In
der Tat wird diese Form der Wohltätigkeit jedem Heiligen
der letzten Tage als eine heilige Pflicht eingeschärft. Wäh-
rend vom Einzelnen verlangt wird, daß er von seiner
Habe, seinen persönlichen Verhältnissen entsprechend,
den Bedürftigen mitteilt, hat sich innerhalb der Kirche
ein Wohltätigkeitsplan ausgebildet, von dem einzelne
Züge unsere besondere Beachtung verdienen.
6. Freiwillige Gaben. Es ist für die Kirche und für
das Volk Gottes stets bezeichnend gewesen, daß sie es
auf sich nahmen, für die Armen zu sorgen, wenn solche
unter ihnen waren. Zu diesem Zwecke, und um einen
») Orson Pratt, „Divine Authenticity of the Book of Mormon 1, 15 — 16.
') Römer 13:10; siehe auch Galater 5:14; 1. Petrus 4:8.
Art. 13.] Praktische Religion. 537
Geist der Freigebigkeit, Freundlichkeit und Wohltätig-
keit zu pflegen, sind von denen, die erklären, nach den
Gesetzen Gottes leben zu wollen, freiwillige Gaben und
Geschenke erbeten worden. Heute wird in der Kirche bei
der Versorgung der Armen nach einem geordneten Plan
verfahren. So besteht fast in allen Gemeinden eine Ver-
einigung der Frauen, bekannt als der „Frauenhilfsverein".^)
Es gehört zu seiner Arbeit, aus dem Gemeinwesen und von
den Kirchenmitgliedern im allgemeinen Beiträge in Geld
und anderm Gut, besonders aber in Dingen des täglichen
Lebens einzusammeln und unter der Leitung der örtlichen
Beamten, des Priestertums, an die Bedürftigen zu vertei-
len. Der Frauenhilfs verein arbeitet ebenfalls nach einem
bestimmten Plan, wonach er die Häuser der Betrübten
und Bekümmerten regelmäßig besucht, im Haushalt, in
der Kinder- und Krankenpflege hilfreich beispringt, in
Todesfällen und sonstigen Heimsuchungen Trost und
Unterstützung bringt, und überhaupt in jeder möglichen
Weise, Not und Leid zu lindern versucht. Die segensreiche
Tätigkeit dieses Hilfsvereins hat die Bewunderung vieler
gewonnen, die sonst keine Verbindung mit der Kirche
haben wollen. Die Arbeitsweise und Methode der Frauen-
hilfsvereine werden jetzt auch von andern Wohltätigkeits-
vereinen befolgt und in den Vereinigten Staaten von Nord-
amerika hat sich diese Organisation nationale Würde und
Rang erworben. —
7. Die Fastopfer bilden noch einen allgemeinern Plan
der Wohltätigkeit. Die Kirche lehrt die Wirksamkeit
des anhaltenden Gebets und des regelmäßigen Fastens
als ein Mittel, jene Demut zu erlangen, die dazu dienlich
ist, das göttliche Wohlgefallen zu gewinnen. Einen monat-
lichen Fasttag hat die Kirche festgesetzt. Viele Jahre
') Siehe Seite 259
538 Die Glaubensartikel. (Vorl. XXIV.
hindurch war es der erste Donnerstag des Monats. Später
wurde, in der Absicht, ein allgemeineres Besuchen der
Fastversammlung herbeizuführen, eine vorteilhafte Ände-
rung getroffen, und heute wird der erste Sonntag im Monat
diesem Zweck geweiht. Von den Heiligen wird erwartet,
daß sie ihre Aufrichtigkeit im Fasten kundtun, indem sie
an diesem Tage ein Opfer zum Nutzen der Armen geben,
und auf Grund allgemeiner Einwilligung wird wenigstens
der Gegenwert ge\\1inscht, der durch das Ausfallen der
Mahlzeiten der fastenden Familien entsteht. Diese Fast-
opfer können in Geld, in Lebensmitteln oder in andern sonst
nützlichen Waren und Gegenständen bestehen. Sie wer-
den von der Bischofschaft oder deren Vertretern entgegen-
genommen und von diesen unter die würdigen Armen der
Ward oder der Gemeinde verteilt. Auf diesem und auf
zahlreichen andern Wegen teilen die Heiligen von ihrem
Hab und Gut den Bedürftigen mit, eingedenk dessen, daß
die Armen unter ihnen die Armen des Herrn sein können,
und daß, unbekümmert um die Würdigkeit des Empfän-
gers, Not und Elend gelindert werden müssen. Das Volk
glaubt, daß die Harmonie seines Gebets zu einem Miß-
klang wird, wenn die Klagen der Armen sein Flehen vor
den Thron des Allerhöchsten begleiten. —
8. Der Zehnte. — Die Kirche anerkennt auch heute
die Lehre vom Bezahlen des Zehnten — eine Lehre, die
inbezug auf ihre allgemeinen Verordnungen derjenigen, die
vor alters gelehrt und befolgt wurde, ähnlich ist. Bevor
wir das Verfahren, das heute in dieser Sache geübt wird,
einer nähern Betrachtung unterziehen, wollen wir die frü-
here Weise des Zehntenzahlens kurz streifen. Der Zehnte
ist, wie dies schon der Name sagt, der zehnte Teil und es
scheint, als ob in frühern Zeiten dieser Teil des persönlichen
Besitzes als eine Schuld dem Herrn gegenüber angesehen
wurde. Die Einführung des Zehnten läßt sich weiter als
Art. 13.] Praktische Religion. 539
bis in die mosaische Dispensation zurückverfolgen, denn
wir finden, daß sowohl Abraham wie auch Jakob ihren
Zehnten bezahlt haben. Als Abraham aus siegreicher
Schlacht heimkehrte, ging ihm Melchizedek, der König
von Salem und ,, Priester Gottes des Höchsten," ent-
gegen, und Abraham, dessen priesterliche Autorität aner-
kennend, gab ihm „den Zehnten von allem". i) — Jakob
leistete dem Herrn ein freiwilliges Gelübde, daß er ihm
den Zehnten geben wolle von allem, was in seinen Besitz
gelangen werde. 2)
9. Die mosaischen Vorschriften hinsichtlich der For-
derung des Zehnten sind klar und unmißverständlich:
„Alle Zehnten im Lande, von Samen des Landes und von
Früchten der Bäume, sind des Herrn und sollen dem Herrn
heilig sein. * * * Und alle Zehnten von Rindern und Scha-
fen, von allem, was unter dem Hirtenstabe geht, das ist
ein heiliger Zehnt dem Herrn. "2) — Der Zehnte war zu
bezahlen wie er gerade kam, d. h. ohne das Gute oder das
Schlechte auszusuchen. Unter gewissen Umständen konnte
man jedoch seinen Zehnten wieder einlösen, indem man den
Gegenwert dafür in anderer Form bezahlte, nur mußte
man in solchen Fällen ein Fünftel des Zehnten hinzugeben.
Von allem Eigentum in Israel mußte den Leviten der Zehnte
übergeben werden ; er bildete ihr Erbteil als Anerkennung
ihres Dienstes und ihrer Arbeit in der Stiftshütte. Die
Leviten ihrerseits mußten von dem, was sie erhielten, auch
den Zehnten geben, und dieser Zehnte vom Zehnten war
an die Priester*) abzuführen. Weiter wurde ein Zehnten
von den Israeliten verlangt zur Verwendung an ihren be-
stimmten Festtagen.^) — Es ist augenscheinlich, daß,
') 1. Mose 14:18 — 20; siehe auch Hebräer 7:1 — 3, 5; und Alma
13:13—16.
0 1. Mose 28:22.
») 3. Mose 27:30—34.
«) 4. Mose 18:21—28.
') 5. Mose 12:5—17; 14:22—23.
540 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.
wenn auch für die Vernachlässigung des Zehntengesetzes
keine bestimmte Strafe berichtet wird, doch die genaue
Befolgung dieses Gebots als eine heilige Pflicht betrachtet
wurde. — Im Verlaufe der Reformation die von Hiskia
durchgeführt wurde, bekundete das Volk seine Buße und
bezahlte sofort seinen Zehnten ;^) und so reichlich gaben sie,
daß schließlich großer Überfluß vorhanden war. Als
Hiskia dies gewahrte, fragte er nach der Herkunft dieser
Fülle : „Und Asarja, der Priester, der Vornehmste im Hause
Zadok, sprach zu ihm: Seit der Zeit, da man angefangen
hat, die Hebe zu bringen ins Haus des Herrn, haben wir
gegessen und sind satt geworden, und ist noch viel übrig-
geblieben; denn der Herr hat sein Volk gesegnet, darum
ist dieser Haufe übriggeblieben. "2) — Auch Nehemia ließ es
sich angelegen sein, das Bezahlen des Zehnten bei seinem
Volke zu regeln, 3) und sowohl Arnos*) wie Maleachi^) ta-
delte das Volk wegen der Vernachläßigung dieser Pflicht.
Durch den zuletzt genannten Propheten klagte der Herr
sein Volk an, daß es ihn betrogen habe, verhieß ihm aber
auch unvergleichliche Segnungen, wenn es zum Gehorsam
zurückkehre: — ,,Ists recht, daß ein Mensch Gott täuscht,
wie ihr mich täuschet? So sprecht ihr: , Womit täuschen
wir dich?' Am Zehnten und Hebopfer! Darum seid ihr
auch verflucht, daß euch alles unter den Händen zerrinnt,
denn ihr täuscht mich allesamt. Bringet aber die Zehnten
ganz in mein Kornhaus, auf daß in meinem Hause Speise
sei, und prüfet mich hierin, spricht der Herr Zebaoth, ob
ich euch nicht des Himmels Fenster auf tun werde und Segen
herabschütten die Fülle. "^) — Als der Heiland nach seiner
») 2. Chronik 31:5—6.
') 2. Chronik 31:10.
') Nehemia 10:37 (38); 12:44.
*) Arnos 4:4.
-) Maleachi 3:10.
') Maleachi 3:8 — 10; siehe auch 3. Nephi 24:7-
Art. 13.1 Praktische Religion. 541
Auferstehung die Nephiten besuchte, erzählte er ihnen von
den Worten Maleachis und wiederholte den angeführten
Ausspruch des jüdischen Propheten. i) Dagegen waren die
Pharisäer zur Zeit Christi beim Zehntengeben übertrieben
peinlich und kleinlich und vernachlässigten darüber „die
wichtigern Dinge des Gesetzes", und deshalb wurden sie
von unserm Herrn und Meister nachdrücklich zurechtge-
wiesen. 2)
10. In der gegenwärtigen Dispensation ist dem Ge-
setz des Zehnten ein sehr wichtiger Platz eingeräumt
worden. Besondere Segnungen sind für ein getreuliches
Halten dieses Gebots verheißen. Die Gegenwart ist vom
Herrn ,,Ein Opfertag und ein Tag für den Zehnten seines
Volkes" genannt worden, „denn wer den Zehnten gibt,
wird nicht zerstört werden". 3) — Seine Forderung in
dieser Sache an das Volk hat der Herr deutlich auseinan-
dergesetzt in einer Offenbarung, gegeben durch den Pro-
pheten Joseph Smith am 8. Juli 1838.*)
11. Weihung und Verwaltersehaft. — Das Gesetz des
Zehnten, wie es heute von der Kirche gelehrt und aner-
kanntermaßen auch befolgt wird, ist trotz allem doch nur
ein niedrigeres Gesetz. Der Herr gab es wegen der mensch-
lichen Schwachheit, der Selbstsucht, des Geizes und der
Gewinnsucht, welche die Heiligen daran hinderten, die
höhern Grundsätze, wonach sie nach dem Willen des Herrn
eigentlich leben sollten, zu befolgen. Zur Bezahlung des
Zehnten wurden besondere Forderungen erst durch eine
Offenbarung vom Jahre 1838 aufgestellt; schon sieben
Jahre vorher war die Stimme des Herrn inbezug auf
Weihung und Verwaltersehaft^) gehört worden, wonach
») 3. Nephi 24:7—10.
') Matthäus 23:23; Lukas 11:42.
') Lehre u. Bündn. 64 : 23 — 24 ; siehe auch 85 :
') L. u. B. 119.
») L. u. B. 42:71.
542 Die Glaubensartikel [Vorl. XXIV.
ein jeder all sein Hab und Gut, zusammen mit seiner Zeit,
seinen Talenten und körperlichen und geistigen Gaben
in den Dienst des Herrn stellen sollte, damit sie da gebraucht
werden könnten, wo es gerade nottat. Indessen war auch
dies nichts neues. Der gegenwärtigen Dispensation ist
das Gesetz der Weihung lediglich als eine Wiederverord-
nung gegeben worden. Es wurde schon im Altertum aner-
kannt und mit Segen befolgt. i) Aber selbst zu der Zeit
der Apostel war die Lehre von der Weihung des Eigentums
und des gemeinsamen Eigentumsrechtes etwas altes. Schon
34 Jahrhunderte vor dieser Zeit lebten der Patriarch He-
noch und sein Volk nach diesem Grundsatz, und zwar
mit solchem Erfolg, daß ,,der Herr kam und unter seinem
Volk wohnte. * * * Und der Herr nannte sein Volk Zion,
weil sie eines Herzens und eines Sinnes waren, und es
waren keine Armen unter ihnen. "2) — In jedem der ange-
führten Fälle — sowohl bei dem Volk von Henoch als auch
in der ersten Zeit des christlichen Zeitalters, — erfahren
wir von der Einigkeit in Zweck und Absicht und der da-
raus für das Volk, das in dieser Gesellschaftsordnung
lebte, entsprungenen Macht: ,,sie waren eines Herzens und
eines Sinnes". — Durch die so erlangte geistige Kraft
waren die Apostel imstande, viele mächtige Taten zu
vollbringen^) und von Henoch und seinem Volke lesen
wir, daß der Herr sie zu sich nahm.*)
12. Das Volk, von dem uns das Buch Mormon berichtet,
erreichte ebenfatls diesen gesegneten Stand der Gleichheit,
und zwar mit demselben Ergebnis. Die Jünger, die Chri-
stus persönlich berufen hatte, lehrten mit Macht; „und
sie hatten alle Dinge gemeinsam untereinander, und jeder-
') Apostelgeschichte 4:32, 34 — 35; siehe auch 2:44 — 46.
') Köstl. Perle, Moses 7:16 — 18.
*) Apostelgeschichte 2:43.
*) Siehe Seite 434, 435,
Art. 13.] Praktische Religion. 543
mann handelte rechtschaffen mit seinem Nächsten. "i) —
Weiter lesen wir von einer allgemeinen Bekehrung des
Volkes, wodurch dieses den Zustand eines idealen Friedens
erlangte. „Und es gab keine Zwistigkeiten und Streitig-
keiten unter ihnen. * * * Sie hatten alle Dinge unterei-
nander in Gemeinschaft; daher gab es weder Reiche noch
Arme, weder Sklaven noch Freie, sondern sie waren alle
frei gemacht und Teilnehmer der himmlischen Gabe. "2) —
Sie waren dermaßen gesegnet, daß der Prophet von ihnen
sagte: „Und gewiß konnte es kein glücklicheres Volk unter
allen von Gott erschaffenen Völkern geben. "3) Nachdem
aber dieser glückliche Zustand nahezu zwei Jahrhunderte
geherrscht hatte, gab das Volk leider dem Stolz und Hoch-
mut Raum; einige ergaben sich der Gewohnheit, kostbare
Schmucksachen zu tragen; dann weigerten sie sich, ihr
Hab und Gut weiterhin in Gemeinschaft zu haben, und als-
bald entstanden verschiedene Klassen unter ihnen; es
bildeten sich gegenseitig widersprechende Sekten, und
nun ging es auf der Bahn des Verderbens mit schnellen
Schritten bergab, bis es schließlich zur völligen Ausrottung
des nephitischen Volkes kam.*)
13. Vervvalterschaft in der Kirche heutzutage. — Der
Kirche ist auch in diesen Tagen ein Plan der Vereinigung
und Gemeinsamkeit geoffenbart worden. Dieser Plan ist
bekannt als die ,, Ordnung Henochs"^) oder die ,, Vereinigte
Ordnung"^) und gründet sich auf das Gesetz der Weihung.
Wie schon erwähnt, zeigte es sich in den ersten Tagen der
neuzeitlichen Kirche, daß das Volk im allgemeinen nicht
imstande war, dieses Gesetz in seiner Vollkommenheit
1) 3. Nephi 26:19,
2) 4. Nephi 1:2—3.
') Vers 16.
') Vers 24 ff.
') Lehre u. Bündn. 78.
«) L. u. B. 104:48.
544 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.
ZU halten. Infolgedessen wurde das niederere Gesetz des
Zehnten gegeben. Die Heiligen erwarten aber voll Ver-
trauen den Tag, da sie nicht nur ein Zehntel ihres Vermö-
gens, sondern alles, was sie haben und alles was sie sind,
dem Dienste ihres Gottes weihen können, den Tag, da
keiner von dem „Meinigen" und dem ,,Deinigen" sprechen
wird, sondern alle Dinge werden allen gemeinsam und dem
Herrn gehören.
14. In dieser Erwartung hängen sie jedoch keinem
unbestimmten, haltlosen Traum von einer Gütergemein-
schaft nach, die die persönliche Verantwortlichkeit unter-
gräbt oder es dem Müßiggänger gestattet, auf Kosten des
Arbeitsamen und Haushälterischen zu schmarotzen. Es
ist vielmehr ein ruhiges, festes Vertrauen darauf, daß nach
der von Gott gutgeheißenen Gesellschaftsordnung jeder
über die seiner Sorgfalt anvertrauten Pfunde ein Haus-
halter sein wird — zwar in völliger Handlungsfreiheit,
aber doch auch mit dem bestimmten Bewußtsein, daß man
von ihm Rechenschaft über seine Verwalterschaft fordern
wird. Soweit der Plan dieser zukünftigen Organisation
schon geoffenbart ist, ist vorgesehen, daß jede Person, die
an dieser Ordnung teilnimmt, alles was sie besitzt, sei es
wenig oder viel, dem Herrn weiht und der Kirche über
ihr Eigentum einen Kaufbrief gibt mit einem Bunde, der
nicht gebrochen werden kann.^) Die Person, die auf diese
Weise alles was sie hat, hingegeben hat, soll zu einem Ver-
walter gemacht werden über einen Teil des Kircheneigen-
tums, und zwar im Verhältnis zu ihrer Fähigkeit, dieses
Gut in Gebrauch zu nehmen.
Die verschiedenen Stufen und Grade der Beschäf-
tigung werden auch weiterhin bestehen; es wird
Arbeiter geben, deren Fähigkeit sie am besten zu all-*
') Lehre u. Bündn. 42:
Art. 13.] Praktische Religion. 545
gemeinen Verrichtungen geeignet erscheinen läßt, dazu
Leiter und Vorsteher, die bewiesen haben, daß sie fähig
sind, zu leiten und anzuordnen. Es wird Menschen
geben, die der Sache Gottes am besten mit der Feder
und andere, die ihr am besten mit dem Pflug dienen kön-
nen; Ingenieure und Mechaniker, Handwerker und Künst-
ler, Landwirte und Gelehrte, Lehrer, Professoren und
Schriftsteller usw., sie alle werden, soweit sich dieser
Grundsatz verwirklichen läßt, auf dem Gebiete ihrer Wahl
arbeiten, aber von jedem wird verlangt werden, daß er
arbeitet und zwar an dem Ort und auf eine solche Art und
Weise, daß er mit seiner Arbeit der Allgemeinheit die
größten Dienste leistet. Seine Verwalterschaft wird ihm
durch eine geschriebene Urkunde verbrieft, und solange
er seiner Pflicht getreulich nachkommt, kann sie ihm nie-
mand nehmen. 1)
Von dem Ertrag seiner Arbeit behält jeder soviel,
wie er für seinen eigenen Unterhalt und den seiner
Familie braucht; der Überschuß wird an die Kirche
abgegeben und ist für allgemeine und öffentliche Zwecke
und zur Unterstützung solcher bestimmt, die etwa unver-
schuldet in Not geraten sollten. 2) Über einen weitern Ver-
wendungszweck lesen wir: ,,Alle Kinder haben Anspruch
auf ihre Eltern für ihren Unterhalt, bis sie ihre Mündigkeit
erreicht haben; und nachher haben sie Anspruch auf die
Kirche, oder in andern Worten, auf das Vorratshaus des
Herrn, wenn ihre Eltern nicht die Mittel haben, ihnen Erb-
teile zu geben. Und das Vorratshaus soll durch die freiwilli-
gen Gaben der Kirche erhalten werden, und Witwen und die
Waisen sowie auch die Armen sollen unterstützt werden."^)
1) I^ehre u. Bündn. 51:
») L. u. B. 42:32—35.
-) L. u. B. 83:4—6.
546 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.
Irgendein getreuer Verwalter, der weitere Mittel für
den Fortschritt seines Werkes benötigt, kann diese aus der
allgemeinen Schatzkammer beanspruchen, er wird aber
seinerseits wieder für die Verwendung derselben, d. h. für
seine Verwalterschaft verantwortlich gemacht werden.^)
Allen sollen die gleichen Rechte gesichert sein. Der Herr
sagt: „Und ihr sollt gleich sein, oder in andern Worten,
ihr sollt gleiche Ansprüche auf das Eigentum haben, zum
Nutzen der Handhabung der Angelegenheiten eurer Ver-
waltungen, jedermann nach seinen Bedürfnissen, insofern
als seine Ansprüche gerecht sind. Und dies alles zum Nut-
zen der Kirche des lebendigen Gottes, daß jedermann seine
Talente vermehren und weitere Talente gewinnen möge,
ja selbst hundertfältig in das Vorratshaus des Herrn zu
legen, daß es das allgemeine Eigentum der ganzen Kirche
werde. "^) —
15. Handlungsfreiheit wird einem jeden zugesichert
werden; erweist sich einer als ungetreu, so wird mit ihm
nach den vorgeschriebenen Bestimmungen der Kirchen-
ordnung verfahren werden. Eine entsprechende Macht-
befugnis der Selbstverwaltung wird von den verschiedenen
Pfählen oder andern Teilen der Kirche ausgeübt werden,
von welchen jeder unabhängige Vollmacht über sein eigenes
Vorratshaus und seine Verwaltungsgeschäfte besitzen
wird;3) jedoch werden auch diese alle wieder dem Haupt-
vorstand der Kirche unterstellt sein. Unter einer solchen
Ordnung, wie sie hier nur kurz erläutert werden konnte,
wird nur der Faule und Müßiggänger zu leiden haben,
und dieser wird den Folgen seiner Trägheit und Nachlässig-
keit sicher nicht entgehen. Über ihn hat der Allmächtige
bereits einen Beschluß erlassen. Wir lesen in den Offenba-
') Lehre u. Bündn. 104:70—77.
') L. u. B. 82:17—18.
») L. u. B. 51:10—13, 18.
Art. 13.] Praktische Religion. 547
rungen: ,,Du sollst nicht träge sein, denn wer da träge ist,
soll nicht des Arbeiters Brot essen noch dessen Gewand
tragen. "1) — „Jedermann soll in allen Dingen fleißig sein;
und der Müßiggänger soll keinen Platz in der Kirche haben,
es sei denn, er tue Buße und bessere sich. "2) — „Und die
Einwohner Zions sollen auch ihrer Arbeiten gedenken,
insofern als sie bestimmt sind, zu arbeiten, in aller Treue;
denn der Müßiggänger soll vor dem Herrn in Erwähnung
gebracht werden. "3)
16. Die gesellschaftliche Ordnung der Heiligen. An-
gesichts der heute herrschenden Zustände sozialer Unruhe,
der lauten Proteste gegen die bestehenden Verhältnisse,
die zu einer mehr und mehr ungleichmäßigem Verteilung
des Reichtums führen — durch die zunehmende Verar-
mung der Armen werden die Reichen immer reicher; die
Hand der Unterdrückung lastet schwer, sehr schwerer auf
den Massen, woraus die Unzufriedenheit mit den Regie-
rungen und das nur halb gedämpfte Feuer des Anarchis-
mus entstanden ist, das sich fast in jedem Volk erkennen
läßt, — können wir da nicht Trost und Hoffnung finden in
den göttlichen Verheißungen eines bessern Planes, der
ohne Zwang und Gewalt eine natürliche Gleichberechtigung
erstrebt, dem Reichtum die Waffe der Herrschaft nimmt,
den Bedrückten und Armen aufhilft*) und jedem Menschen
eine Gelegenheit geben will, in jenem Bereich, der ihm an-
gemessen ist, zu leben und zu arbeiten ? — Auch von der
Tyrannei des Reichtums werden die Menschen — wie von
jeder andern Form der Unterdrückung — durch die Wahr-
heit befreit werden. Um an dieser Freiheit teilnehmen zu
können, muß die Menschheit die Selbstsucht unterdrücken,
die einer der mächtigsten Feinde der Göttlichkeit ist.
1) Lehre u. Bündn. 42:42; siehe auch 60:13; 75:3.
») L. u. B. 75:29.
=) L. u. B. 68:30; siehe auch 88:124.
') L. u. B. 42:39.
548 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.
17. Die Kirche lehrt heute die Notwendigkeit einer
mit den Gesetzen des Landes übereinstimmenden Gesell-
schaftsordnung. Sie lehrt ferner die Heilighaltung der
Einrichtung und des Bundes der Ehe, als notwendig für
die Erhaltung der Gesellschaft, die Erfüllung der göttlichen
Gesetze hinsichtlich der Fortdauer der menschlichen Fa-
milie und die Wichtigkeit strengster persönlicher Reinheit.
18. Die Ehe. — Die heiligen Schriften enthalten zahl-
reiche und ausführliche Belehrungen über die Notwendig-
keit der Ehe. Der Herr sagte: ,,Es ist nicht gut, daß der
Mensch allein sei. "i) — Diese weitgreifende und bedeutungs-
volle Erklärung wurde unmittelbar nachdem Adam in
den Garten Eden versetzt worden war, gegeben, Eva
wurde ihm beigegeben und der Mensch anerkannte die
Notwendigkeit einer dauernden Verbindung der Geschlech-
ter in der Ehe mit den Worten: „Darum wird ein Mann
Vater und Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen,
und sie werden sein ein Fleisch. "2) — Keines der Geschlech-
ter ist für sich selbst ein vollständiges Ebenbild Gottes. —
Über die Erschaffung des menschlichen Geschlechtes
lesen wir: „Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde,
zum Bilde Gottes schuf er ihn ; und schuf sie einen Mann und
ein Weib. "3) — Der Zweck dieser zwiefachen Erschaffung
wird im nächsten Vers der heiligen Geschichte erklärt:
„Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar
und mehret euch und füllet die Erde."^) — Ein solches
Gebot wäre sinnlos und nichtssagend gewesen, wäre es
nur einem Geschlecht gegeben worden, denn nur durch
die Vereinigung beider Geschlechter ist die Fortpflanzung
der Art möglich. Wie unbedeutend würde uns die Herr-
') 1. Mose 2:18.
') Vers 24.
') 1. Mose 1:27; siehe auch 5:2.
*) 1. Mose 1:28; siehe auch 9:1, 7; 3. Mose 26:5
Art. 13.] Praktische ReUgion. 549
lichkeit und Majestät des Menschen erscheinen ohne die
Macht zur Erhaltung seiner Art 1 Wie wenig kann von einer
einzelnen Person in der engbegrenzten Spanne eines ver-
gänglichen Daseins vollbracht werden!
19. Wie erhaben die Errungenschaften eines wahr-
haft großen Mannes auch immer sein mögen, — - der Höhe-
punkt seines Erbes liegt in der Möglichkeit, Sprößlinge
seines eigenen Wesens zu hinterlassen, die möglicherweise
den Triumph ihres Vorfahren fortsetzen können ; und wenn
dies schon bei uns Sterblichen inbezug auf die Dinge dieser
Erde wahr ist, wie über alle Begriffe erhaben muß dann die
Macht ewiger Vermehrung sein, wie sie sich uns im Lichte
der geoffenbarten Wahrheit über den endlosen Fortschritt
des künftigen Standes zeigt. Wahrlich, es zeugt von der
Weisheit des Apostels, wenn er spricht: ,,Doch ist weder
der Mann ohne das Weib, noch das Weib ohne den Mann
in dem Herrn. "i)
20. Die Heiligen der letzten Tage nehmen die Lehre
an, daß die Ehe ehrlich^) gehalten werden soll. Sie fordern,
daß alle in die Ehe eintreten, die nicht durch körperliche
oder durch sonst irgendeine Unfähigkeit verhindert sind,
die geheiligte Verantwortlichkeit des Ehestandes auf sich
zu nehmen. Sie betrachten es als das Geburtsrecht eines
jeden würdigen Mannes, bevorrechtet und verpflichtet
zu sein, an der Spitze einer Familie zu stehen, der Vater
einer Nachkommenschaft zu werden, die vermöge der
Segnungen Gottes vielleicht niemals erlöschen kann.
Ebenso stark betonen sie das Recht jeder würdigen Frau,
Gattin und Mutter in der Familie der Menschheit zu sein.
Trotz der Einfachheit, Vernünftigkeit und Natürlichkeit
dieser Grundsätze sind nun unter der Menschheit falsche
Lehrer aufgestanden, die die abscheuliche Lehre verkün-
») 1. Korinther 11:11.
') Hebräer 13:4.
550 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.
digten, die Ehe sei bloß eine fleischliche Notwendigkeit,
die dem Menschen noch als eine Eigentümlichkeit
seiner gefallenen Natur anhafte und ferner, daß Ehelosig-
keit das Kennzeichen eines erhabenem Standes sei und den
reinen Augen Gottes wohlgefälliger erscheine. Von diesen
falschen Lehrern hat der Herr in diesen Tagen gesagt: „Wer
die Ehe verbietet, ist nicht von Gott berufen, denn die Ehe
ist von Gott für den Menschen eingesetzt, * * * auf daß
die Erde den Zweck ihrer Erschaffung erfüllen möchte
und mit dem Maß des Menschen erfüllet werde, laut seiner
Erschaffung, ehe die Welt gemacht war."i)
21. Die himmlische Ehe. — Die Ehe, wie sie von den
Heiligen der letzten Tage betrachtet wird, ist von Gott
eingesetzt worden und zu einer ewigen Verbindung der
Geschlechter bestimmt. Diesem Volk ist sie nicht bloß ein
vorübergehender Vertrag, der nur auf Erden in Kraft
bleiben soll, während der Dauer des sterblichen Daseins
der Parteien, sondern eine ernste, feierliche Vereinbarung,
die sich über das Grab hinaus erstreckt. Durch die voll-
kommene Verordnung der Eheschließung, wie sie die
Kirche vorschreibt, werden Mann und Frau unter Bund
und Pflichten gegenseitiger Treue gestellt, nicht bloß „bis
der Tod euch scheidet", sondern „für Zeit und alle Ewig-
keit". Ein Vertrag, der so weit reicht wie dieser, der sich
nicht nur auf Zeit, sondern auch in das Gebiet des Jenseits
hinüber erstreckt, erfordert zu seiner Giltigkeit eine Voll-
macht, die höher ist als eine irdische. Eine solche Voll-
macht stellt das heilige Priestertum dar, das ewig ist, weil
Gott es gegeben hat. Irgend eine Kraft, die geringer ist
als diese — mag sie für dieses Leben vielleicht auch von
Wirkung sein — ist sicherlich null und nichtig inbezug
auf den Zustand der menschlichen Seele jenseit des Grabes.
1) Lehre u Bündn. 49:15—17.
Art. 13.] Praktische Religion. 551
So hat denn auch der Herr gesprochen : „Alle Bündnisse,
Verträge, Verpflichtungen, Verbindlichkeiten, Eide, Ge-
lübde, Handlungen, Verbindungen, Vereinigungen oder
Erwartungen, die nicht durch den Heiligen Geist der Ver-
heißunggemacht und eingegangen und für beides, sowohl für
die Zeit wie auch für alle Ewigkeit, versiegelt sind, durch
einen der dazu gesalbt ist, und zwar am Allerheiligsten , durch
Offenbarung und Gebot, durch Vermittlung meines Ge-
salbten, den ich bestimmt habe, auf Erden diese Macht
zu halten, * * * haben keine Gültigkeit, Kraft oder Wirk-
samkeit in und nach der Auferstehung von den Toten;
denn alle Verträge, welche nicht auf diese Weise gemacht
werden, haben ein Ende, wenn die Menschen tot sind."^) —
Hinsichtlich der Anwendung des Grundsatzes ,, irdische
Vollmacht für irdische Dinge und himmlische Vollmacht
für die Dinge jenseit des Grabes" auf die geheiligten Verbin-
dungen der Ehe, fährt die Offenbarung fort : „Deshalb, wenn
ein Mann ein Weib in der Welt heiratet, und er heiratet
sie nicht durch mich, oder durch mein Wort, und er macht
mit ihr ein Bündnis, solange er in der Welt ist, und sie mit
ihm, so hat ihr Bund und ihre Ehe keine Gültigkeit, wenn
sie tot und aus der Welt sind ; deshalb sind sie durch kein
Gesetz gebunden, sobald sie aus der Welt sind. Darum,
wenn sie aus der Welt sind, werden sie weder heiraten noch
in die Ehe gegeben, sondern sie sind bestimmt zu Engeln
im Himmel, welche Engel amtierende Diener sind, um de-
nen zu dienen, die einer weit größern, einer unübertreff-
lichen und einer ewigen Herrlichkeit würdig sind. Denn
diese Engel blieben nicht in meinem Gesetz, deshalb können
sie nicht erhöht werden, sondern sie bleiben getrennt und
ledig, ohne Erhöhung in ihrem erlösten Zustande bis in
') Lehre u. Bündn. 132:7.
552 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.
alle Ewigkeit, und sie sind von da an nicht Götter, sondern
Engel Gottes für immer und ewig."i) —
22. Diese Ordnung des heiligen Ehestandes, die Bünd-
nisse für Zeit und Ewigkeit umfaßt, ist im besondern als
„himmlische Ehe" bekannt, denn sie ist die Ordnung der
Ehe, die in der himmlischen Welt besteht. Zu der heiligen
Verordnung der himmlischen Ehe werden nur solche Mit-
glieder der Kirche zugelassen, die sich als würdige Teil-
nehmer an den Segnungen des Hauses Gottes erwiesen
haben; denn diese Verordnung, vereint mit andern, die für
alle Ewigkeit gültig sein sollen, muß in Tempeln vollzogen
werden, die für diesen heiligen Dienst erbaut und geweiht
worden sind. 2) Werden solchen Eltern Kinder geboren,
so sind sie auf natürliche Weise Erben des Priestertums, —
„Bundeskinder" — wie sie genannt werden. Es bedarf
keiner förmlichen Adoption oder Siegelung, um ihnen ihren
Platz unter der Nachkommenschaft der Verheißung zu
sichern. Die Kirche genehmigt aber auch Eheschließungen,
die lediglich für diese Erdenzeit geschlossen werden und be-
stätigt sie durch das Priestertum — dies für solche, die nicht
in die Tempel des Herrn zugelassen werden, oder die frei-
willig die niedrigere oder zeitliche Verordnung der Ehe
vorziehen.
23. Die ungesetzliche Vereinigung der Geschlechter
zählt der Herr zu den abscheulichsten Sünden. Die Kirche
betrachtet auch heute persönliche Reinheit in geschlecht-
licher Hinsicht als eine unerläßliche Bedingung der Mit-
gliedschaft. Die Belehrungen des nephitischen Propheten
Alma über die Größe der Vergehen gegen Tugend und Sit-
tenreinheit werden von den Heiligen der letzten Tage ohne
jeden Vorbehalt angenommen; sie lauten wie folgt: „Weißt
du nicht, mein Sohn, daß dies in den Augen des Herrn
') Lehre u. Bündn. 132:15 — 17.
■') L. u. B. 124:30 — 40.
Art. 13.] Praktische Religion. 553
ein Greuel ist, ja, greulicher, als alle andern Sünden, es sei
denn das Vergießen unschuldigen Blutes oder die Ver-
leugnung des Heiligen Geistes I"^) Das Gebot „Du sollst
nicht ehebrechen", das einst unter Donner und Blitz auf
dem Berge Sinai von Gottes eigenem Finger geschrieben
wurde, ist in diesen letzten Tagen als eine ganz besondere
Ermahnung erneuert und für den Übertreter die Strafe
des Ausschlusses vorgeschrieben worden.^) Darüber
hinaus betrachtet der Herr das geringste Streben nach
geschlechtlicher Sünde als unvereinbar mit dem Be-
kenntnis derer, die den heiligen Geist erhalten haben;
hat er doch erklärt : „Wer ein Weib ansieht, sie zu begehren,
oder wenn irgend jemand in seinem Herzen Ehebruch
treibt, der soll den Geist nicht behalten, sondern den
Glauben verleugnen". 3)
24. Die Heiligkeit des Körpers. — Die Kirche empfiehlt
ihren Mitgliedern, ein jeder möge seinen Körper als ,, Tempel
Gottes"^) betrachten, dem daher seine Reinheit und
Heiligkeit erhalten bleiben müsse. Es wird jedem gelehrt,
daß der Geist des Herrn nicht in unreinen Tempeln wohnt,
und daß infolgedessen von jedem einzelnen verlangt wird,
in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Gesundheit,
die einen Teil der Gesetze Gottes darstellen, zu leben.
Als besondere Richtschnur für seine Heiligen hat der Herr
seinem Volke ein ,,Wort der Weisheit"^) geoffenbart. Darin
wird ihnen geraten, nur gesunde Speisen zu essen, sich
starker und heißer Getränke und jeder Art von Reiz-
mitteln und berauschender und betäubender Stoffe
zu enthalten. Fleisch nur sparsam zu genießen, und
in jeder Hinsicht einen gesunden körperlichen Zustand
') Alma 39:5.
•) Lehre u. Bündn. 42:24, 80—83; 63:16—17.
') L. u. B. 63:16; siehe auch 42:23.
') 1. Korinther 3: 16; siehe auch 6: 19; 2. Korinther 6:16; L.u.B. 93:35.
*) L. u. B. 89; der ganze Abschnitt ist zu lesen!
554 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.
ZU unterhalten. Unter der Bedingung des Gehorsams
zu diesen Ratschlägen ist den Heiligen versprochen
worden, daß alle, ,,die sich dieser Reden erinnern und sie
halten und in Gehorsam zu den Greboten wandeln, Gesund-
heit empfangen sollen in ihrem Nabel, und Mark in ihren
Knochen. Und sollen Weisheit und große Schätze der Er-
kenntnis finden, ja selbst verborgene Schätze. Und sie
sollen rennen und nicht müde werden, laufen und nicht
schwach werden. Und ich, der Herr, gebe ihnen eine Ver-
heißung, daß der zerstörende Engel an ihnen, wie einst an
den Kindern Israel vorübergehen, und sie nicht erschlagen
soll."i) —
Anmerkungen.
1. Liebe ist des Gesetzes Erfüllung. — ,,Der Apostel Petrus sagt:
„Vor allen Dingen aber habt untereinander eine inbrünstige Liebe" (1.
Petr. 4:8>. Vor allen Dingen! — Und Johannes geht noch weiter: „Gott ist
Liebe" (1. Johannes 4:8). Sie werden sich auch des tiefen Ausspruches
Pauli erinnern: „Liebe ist des Gesetzes Erfüllung" (Römer 13:10, Galater
5:14). Haben Sie wohl je darüber nachgedacht, was er damit eigentlich
meinte? In jenen Tagen bahnten sich die Menschen den Weg zum Himmel
durch das Halten der zehn Gebote und der hundertzehn andern Gebote,
die sie aus ihnen abgeleitet hatten. Cliristus sagte, ich will euch einen ein-
fachem Weg zeigen. Wenn ihr dieses eine tut, werdet ihr jene hun-
dertzehn andern Dinge tun, ohne jemals daran zu denken. — Wenn Sie
Liebe haben, werden Sie unbewußt das ganze Gesetz erfüllen. * * • Neh-
men Sie irgend eines der zehn Gebote. — „Du sollst keine andern Götter
neben mir haben!" Wenn ein Mensch Gott liebt, werden Sie dann wünschen,
ihm dieses zu sagen ? Die Liebe ist die Erfüllung dieses Gesetzes. — „Miß-
brauche seinen Namen nicht." — Würde er auch nur im Traum daran
denken, jemals seinen Namen zu mißbrauchen, wenn er ihn lieb hätte? —
„Gedenke des Sabbattages, daß du ihn heiligest". — Würde ein solcher
Mensch nicht froh sein, von sieben Tagen einen zu haben, den er inniger
dem Gegenstand seiner Zuneigung weihen könnte? Die Liebe wird alle diese
Gesetze gegenüber Gott erfüllen. — Und dasselbe wäre der Fall, wenn der
Mensch die Menschen lieben würde. Sicherlich dächten Sie dann nie daran,
ihm zu sagen, er solle Vater und Mutter ehren; er könnte ja nicht anders! —
Es wäre widersinnig, ihm zu sagen, er solle nicht töten, und Sie würden ihn
geradezu verhöhnen, wenn Sie ihm sagten, er solle nicht stehlen — wie
>) Lehre u. Bündn. 89:18—21.
Art. 13.] Anmerkungen, 555
könnte er die bestehlen, die er liebt! Es wäre auch überflüssig, ihn zu bitten,
gegenüber seinem Nächsten nicht falsches Zeugnis zu geben. Wenn er ihn
lieb hätte, würde dies das letzte sein, das er täte. — Sie würden ihn auch
niemals ermahnen, nicht zu begehren was seines Nächsten ist. Er wollte
viel lieber, daß dies er an seiner Stelle besäße. In dieser Weise ist „Liebe
des Gesetzes Erfüllung". Drummond, „Das Größte in der Welt". —
2. Des Menschen Verhältnis zu Gott. — „Mormonismus" lehrt auch
die tatsächliche und wirkliche Verwandtschaft wie Vater und Kind zwischen
dem Schöpfer und dem Menschen — nicht im bildlichen Sinne, in welchem
z. B. eine Maschine das Kind ihres Verfertigers genannt werden kann, —
nicht die Stellung einer Ware zum Fabrikanten, sondern eine Verbindung,
wie zwischen Vater und Sprößling. Die Behauptung mag wohl kühn er-
scheinen, daß des Menschen Geist als Abkömmling Gottes, und der irdische,
doch auch im Ebenbild Gottes geschaffene Körper, sogar in dem gefallenen
Zustand, immer noch Eigenschaften, Neigungen und Kräfte besitzt, welche,
wenn auch noch unentwickelt, doch auf seine mehr als königliche Abstam-
mung hinweisen und auch so ausgebildet werden können, um ihn schon
in dieser Sterblichkeit in einem gewissen Maße Gott ähnlich zu machen.
,,Aber , Mormonismus' geht noch weiter: In übereinstünmung mit dem
unverletzlichen Gesetz der organischen Natur, daß Gleiches Gleiches her-
vorbringt, und daß die Vermehrung und die Fortpflanzung der Arten nach
dem Grundsatz ,, Jedes in seiner Art" erfolgen muß, wonach das Kind den
frühem Zustand seiner Eltern erreichen kann, so ist auch der Mensch in
seiner Sterblichkeit ein Gott im Keimzustand. Wie weit in der Zukimft es
auch sein mag und wie\iele Ewgkeiten darüber hingehen mögen, bevor ein
sterblicher Mensch den Rang und die Heihgkeit der Gottheit erreichen
kann, so trägt der Menscli doch eine solche Möglichkeit in sich, vsie eine
kriechende Raupe oder die scheinbar tote Puppe, wenn sie nicht zerstört
wird, die Gewißheit hat, ein herrlicher SchmetterUng zu werden.
,, .Mormonismus' erklärt, daß die Natur sowohl auf Erden wie im Him-
mel nach planmäßiger Entwicklung höher strebt ! Ja, der ewige Vater selbst
ist im Fortschritt begriffen, obgleich seine Vollkommenheit so vollständig
ist, daß sie für Menschen unbegreifUcii ist, so besitzt sie doch die Eigenschaft,
wahrer Vollkommenheit, sich e%vig zu erweitern. Wenn daher in der fernen
Zukunft, jenseit des Horizonts der Ewigkeiten, ein Mensch zum göttlichen
Stand gelangt, so wird damit nicht gesagt, daß er dann dem Gott, den wir
anbeten, gleich sein wird, noch ^^^^d er je die Geister, welche ihm voraus
sind, überholen. Wenn man dieses behaupten wollte, so wäre das so\nel als
zu sagen, es gäbe nach einer gewissen Stufe keinen Fortschritt mehr und
Fortschritt wäre die Eigenschaft niederer Geschöpfe imd geringerer Zwecke.
Wir glauben, daß es mehr als tönendes Erz oder klingende Schellen
bedeutet, wenn Christus seine Nachfolger ermahnt: Darum sollt ihr voll-
kommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist." — „Phi-
losophie in Mormonismus"; der Verfasser, (Seite 5 f.).
I
Anhang.
Vorbemerkung. Im Hinblick auf den ausdrücklichen Wunsch der
obersten Kirchenbehörden — auf deren Anordnung hin das vorliegende
Werk veröffentlicht wird — daß die „Vorlesungen über die Glaubensartikel"
als Textbuch und Nachschlagewerk in den verschiedenen theologischen
Organisationen der Kirche Verwendung finden möchten, sei hiermit den
Klassen eine Reihe von Fragen und Aufgaben für die Wiederholung an die
Hand gegeben.
Vorlesung I.
Einleitung.
1. Was versteht man unter Theologie? (Erläutere 1. die Ableitung des
Wortes, 2. den Umfang dieser Wissenschaft.)
2. Vergleiche Theologie mit Religion.
3. Erläutere die „Glaubensartikel". (Zeige 1. die nähern Umstände
ihrer Entstehung, 2. ihre Wiederannahme durch die Kirche, 3. ihre not-
wendige UnVollständigkeit als eine Darstellung unseres Glaubens.)
4. Nenne die maßgebenden Lehrbücher (Standardwerke) der Kirche.
5. Stelle die hauptsächlichsten Ereignisse und Umstände fest, die
mit Joseph Smiths Elternhaus, Geburt und Jugend verknüpft sind.
6. Beschreibe die Umstände bei Josephs andächtigem Forschen nach
Wahrheit.
7. Beschreibe das erste Gesicht.
8. Welcher Hauptbestandteil der sektiererischen Lehre hinsichtlich
der Persönlichkeit Gottes und seines Sohnes Jesus Christus wurde durch
diese Erscheinung widerlegt?
9. Wie wurde Josephs Bericht über sein Gesicht von den damaligen
Sektenpredigern aufgenommen ?
10. Beschreibe den Besuch Moronis bei Joseph Smith. (Nenne 1. das
Datum, 2. die wichtigsten Botschaften, die der Engel brachte.)
11. Beschreibe die Wiederlierstcllung der Kirche in der gegenwärtigen
Dispensation durch die Tätigkeit Joseph Smiths.
12. Erzähle die nähern Umstände des Märtyrertodes Josephs und
Hyrums. (L. u. B. Abschn. 135.)
13. Zeige die Wichtigkeit der göttlichen Berufung Josephs im Hin-
bUck auf die Ansprüche der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten
Tage.
558 Die Glaubensartikel.
14. Zähle die Beweise göttlicher Autorität in dem von Joseph Smith
vollbrachten Werlc auf.
15. Führe Beispiele dafür an, wie in seinem Werk alte Prophezeiungen
in Erfüllung gingen.
16. Zeige die göttliche Quelle von Josephs Smiths Vollmacht im
Priestertum.
17. Zeige die Berechtigung der Behauptung, daß er ein wahrer Prophet
Gottes war. (Erwähne 1. den Prüfstein, den der Herr zur Erkennung seiner
Propheten gegeben hat, 2. nenne Fälle wichtiger Prophezeiungen Josephs
Smiths, die bereits in Erfüllung gegangen sind.)
Vorlesung II, Artikel 1.
Gott und die Gottheit.
1. Zeige, daß die Ausübung des Glaubens abhängig ist von einer
Kenntnis des Daseins Gottes.
2. Wiederhole, was du über den allgemeinen Glauben der Menschheit
an das Dasein Gottes weißt.
3. Zähle die Tatsachen auf, worauf sich unser Glauben an das Dasein
eines Gottes gründet.
4. Nenne entsprechende Tatsachen aus der menschlichen Geschichte
und Überlieferung.
5. Zeige, wie man durch Anwendung der Vernunft zu der gleichen
Schlußfolgerung kommt.
6. Gib Beweise von göttlicher Offenbarung. (1. Fälle aus der Bibel,
2. aus dem Buch Mormon, 3. Beispiele aus neuzeitlicher Offenbarung.)
7. Zeige, daß die Gottheit eine Dreieinigkeit ist.
8. Was verstehst du unter den biblischen Erklärungen, daß die Gott-
heit „eins" ist?
9. Gib Beweise von der Persönlichkeit eines jeden Gliedes der Gott-
heit (führe Schriftstellen an).
10. Zähle die wichtigsten göttlichen Eigenschaften, wie sie in der
Schrift bezeugt werden, auf.
11. Erläutere: 1. Götzendienst, 2. Atheismus (Gottesleugnung),
3. Theismus (Gottesglauben) in ihren verschiedenen Formen.
12. Zeige, daß der Glaube an Gott für das menschliche Gemüt na-
türlich und notwendig ist. (Siehe Seite 58 — 63.)
13. In welchem Sinne unterstützt der Götzendienst der heidnischen
Völker den Glauben an das Dasein eines Gottes?
14. Zeige die enge Verbindung zwischen Atheismus und Imma-
terialismus.
Vorlesung III, Artikel 2.
Die Übertretung.
1. Führe aus den heiligen Schriften die hauptsächlichsten Beweise an
für den freien Willen des Menschen. (Nenne Tatsachen aus jedem einzelnen
kirchlichen Lehrbuch.)
Rückblick. 559
2. Zeige, daß es nur gerecht ist, den Menschen angesichts seines
Rechtes auf freie Wahl auch für seine Handlungen verantwortlich zu halten.
3. Was ist „Sünde" ? (Vergleiche absichtliche Sünde mit solcher, die
in Unwissenheit begangen wird; 7eige an Hand der Schrift, wie nach dem
göttUchen Plan mit diesen beiden Klassen verfahren wird).
4. Zeige, daß die Bestrafung der Sünde von Gott eingesetzt wor-
den ist.
5. Gib einen kurzen Abriß über die Lehre der Heiligen Schrift von
der Dauer der Strafe im Jenseits.
6. Führe aus der Heiligen Schrift Beweise an für die Persönlichkeit
des Satans. (1. seine frühere Stellung im Himmel, 2. sein Titel vor seinem
Fall, 3. seine Ausstoßung aus dem Himmel, 4. seine jetzige Widersetzlich-
keit gegen die Pläne Gottes, 5. sein vorhergesagtes Schicksal.)
Der Sündßnfall.
7. Beschreibe den Zustand und die Verhältnisse unserer ersten Eltern
im Garten Eden.
8. Welche wichtigen Gebote wurden ihnen vom Herrn gegeben?
9. Gib den Bericht der Heiligen Schrift über die Versuchung Evas
durch den Satan.
10. Zeige, daß Adam Natur und Folgen seiner Handlung wohl
verstand, als er von der verbotenen Frucht nahm.
11. Was ist bekannt über den Baum des Lebens im Garten Eden?
12. Zeige, daß nach der Übertretung unserer ersten Eltern ihre Ver-
bannung aus dem Garten Eden notwendig war.
13. Welches war die unmittelbare Folge des Sündenfalles?
14. Führe aus den heiligen Schriften Beweise an, daß der Fall not-
wendig und vorherbestimmt war.
15. Zeige, daß dieses irdische Dasein mit seiner Sterblichkeit ein
segensreiches Erbe für das Menschengeschlecht ist.
16. Gib eine Darstellung der Lehre von einem Sühnopfer, wie sie un-
serm Vater Adam nach dem Sündenfall verkündigt wurde.
17. Beschreibe die Freude Adams und Evas, als sie die Folgen des
Falles kennen lernten und von der vorgesehenen Erlösung Kenntnis er-
hielten.
Vorlesung IV, Artikel 3.
Erlösung und Seligkeit.
1. Erläutere „Sühnopfer, Sühne" in ihrer biblischen Anwendung.
2. Stelle fest, was du über die Natur des Sühnopfers weißt.
3. Zeige, daß das Sühnopfer eine notwendige Folge des Sündenfalles
war.
4. Was ist mit dem „stellvertretenden Opfer" gemeint?
5. Zeige, daß das Sühnopfer Christi 1. stellvertretend, 2. freiwillig
und 3. aus Liebe zu der Menschheit gebracht wurde.
6. Führe aus der Heiligen Schrift Beweise an (aus jedem kirchlichen
Lehrbuch) daß das Sühnopfer vorherbestimmt und vorhergesagt war.
560 Die Glaubensartikel.
7. Zeige 1. den allgemeinen, 2. den persönlichen Nutzen des Sühn-
opfers.
8. Erläutere 1. „Seligkeit", 2. Erhöhung.
9. Nenne die Grade der Herrlichkeit, wie sie von Gott geoffenbart
wurden.
10. Gib aus den heiligen Schriften eine zusammenfassende Beschrei-
bung: 1. des himmlischen Reiches, 2. der irdischen, 3. der unterirdischen
Herrlichkeit.
Vorlesung V, Artikel 4.
Glaube.
1. Erläutere die Natur des Glaubens.
2. Erkläre die Ausdrücke „glauben", ,, für wahr halten", „erkennen".
3. Nenne Beispiele aus den heiligen Schriften von einem Glauben an
Christum, welcher keine errettende (seligrnachende) Kraft hatte.
4. Was hältst du für die notwendige Grundlage des Glaubens?
5. Gib die Zusammenstellung Joseph Smiths von Tatsachen inbezug
auf den Charakter und die Eigenschaften Gottes.
6. Zeige, wie ans falschen Voraussetzungen ein irregeleiteter Glaube
entstehen kann.
7. Was ist gemeint mit der Feststellung, daß der Glaube ein Prinzip
der Macht ist? (Führe Fälle aus den heiligen Schriften an.)
8. Beweise, daß Glauben zur Seligkeit notwendig ist.
9. Zeige an Hand der Schrift, daß der Glaube eine Gabe Gottes ist.
10. Zeige, daß der Glaube, um wirksam zu sein, von guten Werken
begleitet sein muß.
Buße.
11. Was ist mit wahrer Buße gemeint?
12. Beschreibe die Bedingungen und Umstände, unter denen Verge-
bung der Sünden verheißen ist.
13. Beweise, daß Buße zur Seligkeit notwendig ist.
14. Zeige, daß Buße eine Gabe Gottes ist.
15. Wie kann man diese Gabe verlieren oder verwirken?
16. Was für Tatsachen sprechen dafür, daß Buße auch im Jenseits
möglich ist?
17. Gib eine Zusammenfassung der Belehrungen Amuleks über die
Gefahr des Aufschiebens der Buße.
Vorlesung VI und VII; Artikel 4.
Taufe.
1. Erzähle, was dir über die frühesten Offenbanmgen Gottes hin-
sichtlich der Taufe bekannt ist.
2. Welches ist der besondere Zweck der Taufe? (Führe Beweise an:
1. aus der Bibel, 2. aus dem Buch Mormon, 3. aus den neuzeitüchen Offen-
banmgen.)
Rückblick. 561
3. Wer ist \A-ürdig getauft zu werden?
4. Zeige, daß die Kindertaufe schriftwidrig ist: 1. daß die Bibel
diese Unsitte nicht unterstützt, 2. daß das Buch Mormon sowie die neuen
Offenbarungen sie verbieten.
5. Gib einen kurzen Bericht über die geschichtliche Entstehung der
Kindertaufe.
6. Erkläre „Pädobaptisten" (Anhänger der Kindertaufe) und „Ana-
baptisten" (Wiedertäufer).
7. Beweise mit Tatsachen aus der Schrift, daß die Taufe zur Seligkeit
notwendig ist: 1. aus der Bibel, 2. aus dem Buch Mormon, 3. aus der Lehre
und Bündnisse.
8. Warum war die Taufe Christi notwendig?
9. Gib eine Zusammenfassung der Gründe, weshalb die Heiligen der
letzten Tage glauben, daß Untertauchung die einzig richtige Form der
Taufe ist.
10. Zeige, welche Beweise hierfür die Ableitung und der frühere
Gebrauch des griechischen Wortes „Baptisma" liefern.
11. Zeige, wie das der Taufe zu Grunde liegende Sinnbild am besten
diuch Untertauchung gewahrt wird.
12. Nenne Tatsachen aus der Schrift und der Weltgeschichte zmn
Beweise dafür, daß Untertauchung die einzige vom Herrn anerkannte
Form der Taufe ist.
13. Wiederhole die geoffenbarte Formel für die Taufe: 1. bei den
Nephiten, 2. in der jetzigen Dispensation.
14. Unter welchen Umständen kann die Taufe an ein und derselben
Person wiederholt vollzogen werden?
15. Gib Beispiele von derartig wiederholten Taufen, die in den heiligen
Schriften erw'ähnt werden, sowie solche, die in der jetzigen Dispensation
genehmigt wurden, imd erläutere gleichzeitig, wann ausnahmsweise solche
Wiederholungen der Taufe vorkommen können.
16. Zeige, daß ein öfteres Wiederholen der Taufe an ein und demselben
Mitglied nicht wichtig ist.
17. Zeige die Notwendigkeit der Taufe für die Toten.
18. Welche Beweise haben wir dafür, daß das Evangelium auch den
Toten gepredigt wird?
19. Führe aus der Heiligen Schrift Prophezeiungen über das Wirken
Christi unter den Toten an.
20. Beweise, daß das stellvertretende Werk der Lebenden für die
Toten für diese letzten Tage vorhergesagt wiu-de.
21. Zeige, daß die Vollmacht zu dieser Arbeit der Kirche bereits
gegeben worden ist.
22. Erläutere die doppelte Natur dieses stellvertretenden Werkes
für die Toten.
23. Was ist ein Tempel?
24. Gib einen kurzen Bericht über die Tempel aus früherer Zeit,
die vom Herrn angenommen wurden.
25. Beschreibe das Werk des Tempelbaues, das in dieser Dispensation
von der Kirche schon vollbracht worden ist.
562 Die Glaubensarükel.
Vorlesung VIII, Artikel 4.
Der HeiUge Geist.
1. Führe hinsichtlich der Sendung des Heiligen Geistes biblische
Verheißungen an.
2. Gib hierzu andere Beweise aus den heiligen Schriften: 1. aus dem
Buch Mormon, 2. aus den Offenbarungen der Neuzeit, und zeige an Hand
derselben, daß der Heilige Geist solchen zuteil werden soll, die auf die
richtige Art und Weise getauft worden sind.
3. Nenne die hauptsächlichsten Namen und Titel unter denen der
Heilige Geist in der Sclirift erscheint.
4. Welches ist die besondere Mission des Heiligen Geistes als ein
GUed der Gottheit?
5. Beweise aus der Schrift, daß der Heilige Geist eine Person ist.
6. Beschreibe die Tätiglieit des Heiligen Geistes in seinem Wirken
unter den Menschen.
7. Wem ist der Heilige Geist versprochen?
8. Nenne Fälle aus der Wirksamkeit des Heiligen Geistes bei auf-
richtigen Gläubigen, die noch nicht getauft waren ; erkläre solche Ausnahmen.
9. Beschreibe die Verordnung der Erteilung des Heiligen Geistes an
solchen, die getauft worden sind.
10. Zeige, daß bevollmächtigtes Händeauflegen in früheren Zeiten ein
vsichtiger Bestandteil dieser Verordnung war.
11. Welchem Priestertum ist die Vollmacht, den Heiligen Geist zu
spenden, vorbehalten? Beweise dieses aus der Schrift.
12. Zeige, daß das Auflegen der Hände von solchen, die göttliche
Vollmacht dazu haben, auch für andere Verordnungen der Kirche bezeich-
nend ist.
13. Was versteht man unter den Gaben des Geistes?
Vorlesung IX; in Verbindung mit Artikel 4.
Das Abendmahl.
1. Erkläre de'n Ausdruck „Sakrament" in seinem allgemeinen und
besondern Gebrauch.
2. Beschreibe die Einsetzung des heiUgen Abendmahles 1. bei den
Juden, 2. bei den Nephiten.
3. Wer ist ein würdiger Empfänger des heiligen Abendmahles?
4. Führe aus der HeiUgen Schrift Warnungen an: 1. vor dem imwür-
digen Genuß des heiligen Abendmahles, 2. vor der Verabreichung des
Abendmahles an Un\%-ürdige.
5. Welches ist der Zweck des heiligen Abendmahles?
6. Was verabreichte Jesus Christus als Sinnbilder seines Fleisches
und Blutes?
7. In%viefern ist die Kirche heute gerechtfertigt, wenn sie unter ge-
wissen Umständen Wasser anstatt Wein verabreicht?
8. Wiederhole die vorgeschriebenen Gebete für die Segnung (1. des
Brotes, 2. des Weines oder Wassers).
Rückblick. 563
9, Welcher Grad im Pricstertum ist zur Segnung des heiligen Abend-
mahles erforderlich?
10. Welche Verwandtschaft besteht zwischen dem heiligen Abendmalil
und dem jüdischen Passah?
Vorlesung X, Artikel 5.
Vollmacht im geistlichen Amt.
1. Führe aus der Heiligen Schrift Beispiele an, wie Männer durch
Offenbarung oder durch persönliche Mitwirkung Gottes von Gott berufen
wurden: 1. vor der „Mitte der Zeiten", 2. in den Tagen Christi, 3. in der
apostolischen Zeit, 4. in der Dispensation der Fülle der Zeiten.
2. Wie wird das Priestertum übertragen?
3. Nenne die bedeutendsten Träger des Priestertums von Adam
bis auf Mose.
4. Führe Fälle an, woraus hervorgeht, daß Gott eigenmächtige Hand-
lungen und solche ohne Autorität nicht anerkennt. Beschreibe namentlich
die besondern Umstände in folgenden Fällen: 1. Korah und seine Rotte,
2. Miriam und Aaron, 3. Usa, 4. Usia, 5. die Söhne Skevas.
5. Führe aus der Heiligen Schrift Prophezeiungen an dafür, daß
falsche Lehrer aufstehen werden.
G. Beweise das Vorhandensein des Priestertums in der heutigen
Kirche.
7. Gib einen Bericht über die Wiederbringung 1. des aaronischen,
2. des melchizedekischen Priestertums.
Vorherbestimmunfi und Präexistenz.
8. Auf welche Weise wurde die Tatsache einer Vorordination dem
Abraham kundgemacht.
9. Gib aus der Schrift Beweise dafür, daß Christus zum voraus zum
Erlöser der Welt bestimmt war.
' 10. Führe andere Schriftstellen an, die die Lehre von der Vorherbe-
stimmung unterstützen: ]. aus dem Neuen Testament, 2. aus dem Buch
Mormon.
11. Zeige, daß Vorordination den freien Willen des Menschen nicht
hemmt.
12. Führe aus den heiligen Schriften Beweise an für das Vorherdasein
(Präexistenz) der Geister.
Vorlesung XI, Artikel 6.
Die Organisation und Verwaltung der Kirche.
1. Was ist die Kirche ? (Unterstütze deine Erläuterungen mit Schrift-
stellenV
2. Was versteht man unter der „ursprünglichen Kirche".
3. Welche Beweise hast du dafür, daß ein allgemeiner Abfall von der
ursprünglichen Kirche stattgefunden hat?
564 Die Glaubensartikel.
4. Beweise aus den heiligen Schriften, daß dieser Abfall vorhergesagt
worden war. Führe Tatsachen an: 1. aus dem Alten, 2. aus dem Neuen
Testament, 3. aus dem Buch Mormon.
5. 'Zeige, daß auch die Wiederherstellung der Kirche vorhergesagt war.
6. Was versteht man unter „Priestertum".
7. Nenne die Haupteinteilungen des Priestertums, wie sie geoffen-
bart wurden.
8. Welche Verwandtschaft besteht zwischen dem aaronischen und
dem le^'itischen Priestertum?
9. Nenne die besondern Ämter im aaronischen Priestertum der
Reihe nach mit einer Erläuterung der besondern Pflichten und der Vollmacht
jedes einzelnen Amtes.
10. Nenne die besondern Ämter im melchizedekischen Priestertum
und beschreibe die Vollmacht und die Pflichten jedes einzelnen.
11. Beschreibe die Zusammensetzung und Vollmacht eines jeden der
folgenden präsidierenden Kollegien: 1. die Erste Präsidentschaft, 2. das
Kollegium der zwölf Apostel, 3. das präsidierende Kollegium der Siebziger,
4. die präsidierende Bischofschaft.
12. Erkläre, was man unter ,, Zweiggemeinde", „Ward", „Pfahl"
versteht, so wie diese Bezeichnungen auf einzelne Teile der Kirche ange-
wandt werden.
13. Erläutere die Zusammensetzung, die Vollmacht und die beson-
dern Pflichten: 1. der Pfahlpräsidentschaft, 2. des stehenden Hohen Rates,
3. der Bischofschaft einer Ward, 4. einer Gemeindepräsidentschaft, 5. der
Präsidentschaft einer Zv.eiggemcinde.
14. Welche Stufe im Priestertum müssen die Glieder der unter 3.
genannten präsidierenden Behörde innehaben?
15. Erkläre die Bezeichnung ,, Kollegium" ( Quorum) in dem besondern
Sinne, in welchem sie bei den Heiligen der letzten Tage gebraucht wird.
16. Was ist ein Patriarch ? 1. Erkläre in Verbindung damit den Titel
„Evangelist". 2. Zeige wie sich die Nachfolgeschaft im Amte des präsi-
dierenden Patriarchen von den andern Ämtern und Berufungen unter-
scheidet (Siehe auch Stern 1918, Seite 357 f).
17. Nenne die Hilfsvereinigungen, die als „Hilfe der Verwaltung"
innerhalb der Kirche bestehen.
18. Erläutere die besondern Aufgaben einer jeden von ihnen (wie sie
auf Seite 258 u. 259 aufgezählt sind).
19. Zeige wie das Prinzip der allgemeinen Zustimmung bei Beru-
fungen zu Ämtern innerhalb der Kirche durchgeführt wird.
Vorlesung XII; Artikel 7.
Geistige Gaben.
1. Zeige, daß das Vorhandensein von geistigen Gaben für das Priester-
tum stets charakteristisch gewesen ist.
2. Gib aus der Schrift Beweise dafür, daß solche Gaben in der Kirche
immer zu finden sein werden.
3. Was ist ein „Wunder" ?
4. Warimi werden Wunder manchmal als übernatürliche Gescheh-
nisse bezeichnet?
Rückblick. 565
5. Zu welchem Zwecke tun sich in der Kirche geistige Gaben kund ?
6. Zeige, daß wunderbare Kundgebungen keine unfehlbaren Kenn-
zeichen für die Tätigkeit des Priestertumes sind.
7. Nenne die in der Schrift einzeln aufgeführten geistigen Gaben.
8. Beschreibe die übliche Kundgebung, die jeder der folgenden Gaben
charakteristisch ist, und führe für jede einzelne entsprechende Scliriftstellen
an: 1. die Gabe der Zungen und der Auslegung der Zungen, 2. die Gabe
der Heilung und die Gabe durch Glauben geheilt zu werden, 3. Gesichte,
4 Träume, 5. Prophezeiung, 6. Offenbarung.
9. Führe aus der Schrift die Verheißungen an, daß denen, die da
glauben, gewisse Zeichen und Gaben folgen werden.
10. Führe Beispiele an, in denen Wunder auch von bösen Mächten
zustandegebracht worden sind.
11. Führe die Prophezeiungen des Offenbarers Johannes an, inbezug
auf solche Nachahmungen der geistigen Gaben, wie sie für das Werk des
Herrn in den letzten Tagen kennzeichnend sein sollen.
12. Was sagte Christus über Zeichen und Wunder, welche von bösen
Menschen vollbracht werden?
13. Welche Beweise sind dir dafür bekannt, daß auch in der heutigen
Kirche geistige Gaben vorhanden sind?
Vorlesung XIII; Artikel 8.
Die Bibel.
1. Welche Stellung nimmt die Bibel unter den maßgebenden Lehr-
büchern der Kirche ein?
2. Welche Vorbehalte macht die Kirche inbezug auf die neuzeitlichen
Übersetzungen der Bibel bei der Annahme derselben als das unveränderte
Wort Gottes?
3. Erkläre den Namen „Bibel": 1. Zeige die Ableitung des Wortes,
2. seine jetzige Anwendung.
4. Zeige, daß die Einteilung der Bibel in das Alte und das neue Testa-
ment natürlich und sinngemäß ist.
5. Erkläre den Ausdruck „Schrift-Kanon" wie er auf die Bibel ange-
wandt wird.
6. Erläutere mit Hinweisungen auf Schriftstellen das Wachstum des
Alten Testamentes von INIose bis auf Maleachi.
7. Was ist dir bekannt über die Sprache, in welcher das Alte Testa-
ment ursprünglich geschrieben wurde?
8. Was ist die Septuaginta ? (1. erläutere die Bedeutung des Aus-
druckes, 2. beschreibe die Entstehung des Buches.)
9. Nenne die Einteilung der Büclier des Alten Testamentes in seiner
gegenwärtigen Gestalt.
10. Welche Klassen der alttestamentlichen Bücher wurden in den
Tagen des Heilandes anerkannt?
11. Was ist der Pentateuch? (Gib 1. eine Erklärung des Ausdruckes,
2. zähle die Bücher auf, welche er umfaßt, 3. wiederhole, was du über die
Verfasser derselben zu sagen weißt, 4. gib einen Bericht über die Abschrif-
ten oder Übersetzungen, welche davon im Besitze der alten Juden und
der Samariter waren.)
566 Die Glaubensartikel.
12. Xenne die geschichtlichen Bücher der Reihenfolge nach.
13. Nenne die poetischen Bücher (Erkläre in Verbindung damit den
Ausdruck „Hagiographa").
14. Nenne die Bücher der Propheten (1. nach der Reihenfolge, wie
sie in der heutigen Bibelausgabe erscheinen, 2. nach der Zeit ihrer Ent-
stehung).
15. Was versteht man unter den „Apokrj'phen".
16. Was ist das Neue Testament?
17. Nenne aus der geschichtlichen Erforschung die hauptsächhchsten
Beweise für die Echtheit des Neuen Testamentes.
18. Nenne Namen und Anordnung der Bücher des Neuen Testamentes.
19. Was ist die Vulgata?
20. Nenne die ^^^chtigsten neuzeitlichen Übersetzungen der Bibel.
21. Nenne die Tatsachen, die den Glauben an die Echtheit und Glaub-
würdigkeit der Bibel unterstützen.
22. Lege die hauptsächlichsten Beweise aus dem Buch Mormon dar,
welche für die Glaubwürdigkeit und die Echtheit der Bibel sprechen.
23. Nenne die wichtigen Schlußfolgerungen hinsichtlich der Echtheit
der Heiligen Schrift, zu welclien die Bibel- Gelehrten gekommen sind.
24. Gib die hauptsäcliliclasten biblischen Hinweisungen auf solche
heilige Schriften, die in der Bibel selbst nicht enthalten sind.
Vorlesung XIV, Artikel 8.
Das Buch Mormoa.
1. Was ist das Buch Mormon?
2. Wie erhielt die Welt Kenntnis von diesen alten Urkunden?
3. Was ist dem Titelblatt des Buches Mormon zu entnehmen inbezug
auf die Nationen und Völker, deren Geschichte das Buch erzählt?
4. Welches war nach dem Buche Mormon die erste Nation, die sich
auf dem amerilianischen Festlande niederließ?
5. Gib einen Bericht über Lehis Kolonie und ilu-e Wanderung von
Jerusalem nach Amerika; stelle fest: 1. den götthchen Auftrag an I-ehi, sein
Vaterland zu verlassen, 2. den Zeitpunkt dieses Ereignisses, 3. die Richtung
und den Verlauf ihrer Wanderung durch Asien, 4. die Reise über den stillen
Ozean und 5. die Gegend, wo in Amerika die Landung erfolgte.
6. Beschreibe die Entstehung der Nepliiten und der Lamaniten.
7. Wer waren die Jareditcn? (1. Warum wurden sie so genannt?
2. wann und wie sie nach Amerika ausgewandert sind; 3. kurze Darstellung
ihrer Geschichte.)
8. Wie kam es dazu, daß der jareditische Bericht den nepliitischen
Berichten einverleibt wurde?
9. Was ist von Mulek und seinem Volke bekannt?
10. Nenne die verschiedenen Platten auf die im Buch Mormon hin-
gewiesen wird: 1. im Titelblatt des Buclies, 2. im Buche selbst.
11. Erwäline was von den Platten Nephis bekannt ist: 1. ihre Ent-
stehung, 2. die „größern" Platten, zum Unterschied von den „kleinern",
3. auf welche Weise die Berichte sich vergrößerten.
12. Was versteht man unter Mormons Abkürzung der Platten Nephis ?
Rückblick. 567
13. Welche der Platten Nephis hat Mormon seiner eigenen Abkür-
zung einverleibt?
14. Welchen großen Zweck verfolgte der Herr mit der Verdoppelung
eines Teiles der Urkunden?
15. Beschreibe die nähern Umstände, die dazu führten, daß Joseph
Smith in den Besitz der Platten gelangte. (1. die erste Mitteilung, die er
über das Vorliandensein der Platten erhielt; 2. erzähle was sich zugetragen
hat als er sie zum erstenmal erblickte; 3. die vierjährige Prüfungs- und
Vorbereitungszeit; 5. die Erlangung der Platten.)
16. Welche andere heilige Gegenstände waren außer den Platten
vergraben ?
17. Was ist der Urim und Thummim?
18. Welchen Dienst leisteten diese Instrumente bei der Übersetzung ?
19. Beschreibe die Umstände, welche mit der Übersetzung und Ver-
öffentlichung des Werkes zusammenhängen. (1. Die Schwierigkeiten,
welche der Arbeit bereitet wurden, 2. das Datum der Veröffentlichung des
Buches.)
20. Welches Zeugnis gab der Gelehrte über die Schriftzeichen eines
Teiles der Urkunden?
21. Fasse die Tatsachen, welche für die Echtheit des Buches Mormon
sprechen, zusammen. (Zeige den Unterschied zwischen den Begriffen
„Echtheit" und „Glaubwürdigkeit".)
22. Wer waren die drei Männer, welche die Echtheit des Buches
Mormon bezeugten? Gib einen Überblick über ihr Zeugnis.
23. Nenne die acht Zeugen. Was bezeugen sie?
24. Was versteht man unter der sogenannten „ Spaulding-Erzählung"
über die Entstehung des Buches Mormon? Zeige wie albern diese Er-
klärung über den Ursprung des Buches ist.
25. Erläutere die Anordnung der verschiedenen Teile des Buches
Mormon.
Vorlesung XV, Artikel 8.
Die Echtheit des Buches Mormon.
1. Zähle die Beweise für die Echtheit des Buches Mormon auf.
2. Zeige, daß sich Bibel und Buch Mormon in den Dingen, die sie
gemeinsam behandeln, gegenseitig bestätigen.
3. Erläutere, wie durch das Hervorkommen des Buches Mormon
alte Prophezeiungen in Erfüllung gegangen sind: 1. Prophezeiungen aus
der Köstlichen Perle, 2. alttestamentliche Prophezeiungen, namentlich
solche von Jesaja und Hesekiel.
4. Gib eine Darlegung von dem, was du über die innere Übereinstim-
mung der Schreibweise mit dem Inhalt des Buches Mormon weißt.
5. Gib Beispiele aus dem Buch Mormon von Prophezeiungen, deren
Erfüllung darin selbst berichtet wird.
6. Erwähne Prophezeiungen aus dem Buche Mormon, deren Erfüllung
sich nach dem Abschluß dieser Urkunden zugetragen hat.
7. Was weißt du von Prophezeiungen aus dem Buche Mormon, die
noch ihrer Erfüllung harren?
568 Die Glaubensartikel.
8. Stelle die hauptsächlichsten Ergebnisse der gegenwärtigen For-
schungen und Untersuchungen zusammen, mit denen sich das Bucli
Mormon im Einlilang befindet.
9. Erwähne Tatsachen, die dafür sprechen, daß Amerika schon in
sehr früher Zeit bewohnt war. (1. führe die Schlußfolgenmgen der Forscher
an; 2. vergleiche sie mit dem Berichte des Buches Mormon.)
10. Gib die hauptsächlichsten Beweise für die aufeinander folgende
Besiedelung Amerikas durch zwei verschiedene Völker in früher Zeit und
bestätige deine Ausführungen mit dem Bericht des Buches Mormon.
11. Wiederliole die wichtigsten Sclilußfolgerimgen der wissenschaft-
lichen Forscher hinsichtlich des asiatischen Ursprunges der Ureinwohner
Amerikas.
12. Fasse die Beweise, welche für iliren israelitischen Ursprung spre-
chen, zusammen.
13. Gib eine allgemeine Darlegung der Überlieferungen der ameri-
kanischen Eingeborenen inbezug auf 1. die Sündflut, 2. die Göttlicl.keit
Christi und auf seine Kreuzigung.
14. Zeige die Ähnlichkeit z\\-isclien gewissen religiösen Zeremonien,
die sowohl von den Juden wie auch von den amerikanischen Eingeborenen
befolgt werden.
13. Welche Beweise haben ^^■ir — neben dem Buch Mormon — dafüi-,
daß alle amerikanischen „Rassen" einen gemeinsamen Ursprung haben?
16. Bestätige die vorstehenden Schlußfolgerungen (11 — 15) mit den
Berichten des Buches Mormon.
17. Was ist bekannt von den imter den Nephiten gebräuchlichen
Schriftsprachen? Welche Sprache wiu-de auf den Platten Nephis und den
Platten Mormons angewandt ?
18. Welche anderen Tatsaclien — abgesehen vom Buch Mormon —
sprechen dafür, daß den Ureinwohnern Amerikas die ägyptische Sprache
bekannt war?
19. Gib Tatsaclien über die Erhaltung von Überresten der hebräischen
Sprache unter den eingeborenen Stämmen Amerikas.
20. Welchen Prüfstein für die Echtlieit des Buches Mormon gibt der
letzte Schreiber des Buches?
Vorlesung XVI; Artikel 9.
Offenbarung in der Vergangenheit, der Gegemvart und der Zukunft.
1. W^as ist Offenbarung ? — Vergleiche Offenbarung mit Inspiration.
2. Zeige, daß Offenbarung die von Gott gewählte Form ist, um durch
das Priestertum mit dem Menschengeschlechte in Verbindimg zu treten.
3. Was ist belsannt von den Offenbarungen Gottes: 1. an Adam,
2. an Henoch, 3. an Noah, 4. an Abraham, 5. an Isaak, 6. an Jakob,
7. an Mose?
4. Nenne Beispiele göttliclier Offenbarung an andere alttestament-
liche Propheten.
5. Zeige, daß auch Christus ein Offenbarer war, als er unter den
Menschen lebte.
6. Nenne aus der Heiligen Schrift Tatsachen, die beweisen, daß den
Aposteln vor alters Offenbarungen gegeben ^^'urden.
Rückblick. 569
7. Zeige, daß die Lelire von der Notwendigkeit fortlaufender Offen-
barung vernunftgemäß ist.
8. Zeige, daß sie schriitgemäß ist.
9. Zeige, daß fortlaufende Offenbarung stets ein Kennzeichen für die
Tätigkeit des Priestertums gewesen ist.
10. Nenne die hauptsächlichsten, angeblich der Heiligen Schrift ent-
nommenen Einwendungen gegen die Lehre von der Notwendigkeit fort-
laufender Offenbarung. Zeige wie unbiblisch diese Einwendungen sind.
11. Nenne besondere Schriftstellen, welche voraussagen, daß Offen-
bai^ung ein Kennzeichen für die wahre Kirche in der letzten Dispensation
sein werde. (1. aus der Bibel, 2. aus dem Buche Mormon.)
12. Nenne solche Stellen aus den neuzeitlichen Offenbarungen,
Fülire an, was der Herr verheißen hat, als er in dieser letzten Dispensation
die ununterbrochene Fortdauer der Offenbarung für die Kirche bestätigt
hat,
13. Zeige, wie vernünftig es ist, noch zukünftige Offenbarungen zu
erwarten.
14. Zeige, daß die Lehre von dem Aufhören weiterer Offenbarung
verhältnismäßig neu und auch schriftwidrig ist.
1.5. Zeige, daß die Inspiration den Menschen seiner Handlungsfreiheit
und seiner Persönlichkeit nicht beraubt.
Vorlesung XVII; Artikel 10,
Die Zerstreuung Israels.
1. Erkläre den Namen „Israer*. (1. Der Ursprung des Wortes, 2. die
Erteilung dieses Titels an Jakob, 3. seine Anwendung als eine Bezeichnung
der Nachkommenschaft Jakobs, 4. als ein Name für das eine Königreich
nach Trennung der Nation, 5. als ein Sammelname für das auserwählte
Volk Gottes.)
2. Gib eine allgemeine Übersicht über die Geschichte der Israeliten
von dem Zeitpunkt an, da Jakob den Namen Israel erhielt, bis zur Zeit
ihres ersten Königs.
3. Gib einen tJberblick über die Geschichte Israels als eine geeinte
Nation unter der Herrschaft von Königen.
4. Stelle die nähern Umstände fest, unter denen sich die Teilung
der Nation vollzog.
5. Erzähle kurz die Geschichte des Reiches Juda nach der Teilung
des Volkes.
6. Desgleichen die Geschichte des Reiches Israel. Unter welchem
andern Namen ist dieser Teil des Volkes auch noch bekannt?
7. Erkläre die Bezeichnungen „Hebräer" und „Juden".
U, Zeige, daß die Zerstreuung Israels von ihren Propheten schon in
sehr früher Zeit vorausgesagt wurde.
9. Unter welchen Umständen sollte die Zerstreuung eintreten?
10. Führe an, was das Buch ?.Iormon über die Zerstreuung Israels
vorhersagt. Erwähne besonders die Prophezeiung des Zenos. Wer war
Zenos ?
570 Die Glaubensartikel.
11. Nenne geschichtliche Tatsachen über die Erfüllung dieser Pro-
phezeiungen der Zerstreuung, soweit wie es das Reich Juda anlangt. Wel-
chen Anteil hatte Nebukadnezar an dem Werke der Zerstreuung? Zu
welcher Zeit trat sie ein ? Gib einen Bericht über die babylonische Gefan-
genschaft. Auf welclie Weise trug Titus sein Teil zur Zerstreuung Judas bei ?
13. Zähle geschichtliche Tatsachen auf inbezug auf die Erfüllung von
Prophezeiungen über die Zerstreuung Israels. In welcher Weise trugen
Salmanasser und Sanherib zur Zerstreuung bei? Zu welcher Zeit? Zeige
wie buchstäblich die Prophezeiung Ahias in Erfüllung ging.
14. Erläutere den Ausdruck „Die verlorenen zehn Stämme".
15. Was ist von der Wanderung der verlorenen Stämme bekannt?
Vorlesung XVIII; Artikel 11.
Die Sammlung Israels.
1. Führe biblische Verheißimgen an von der Sammlung Israels,
die mit denen von seiner Zerstreuung verbunden sind, namentlich solche:
1. von Mose, 2. von Nehemia, 3. von Jesaja, 4. von Jeremia, 5. von
Hesekiel, 6. von Arnos.
2. Gib die Prophezeiungen des Buches Mormon hinsichtlich der
Sammlimg Israels \\ieder, besonders diejenigen: 1. von Lehi, 2. von sei-
nem Sohne Nephi, 3. von Christus im Laufe seines Wirkens unter den
Nephiten.
3. Führe aus den neuzeitlichen Of f enbarunge a diejenigen über die
Sammlung Israels an.
4. Was schließt der Plan der Sammlung Israels in den letzten Tagen
in sich?
5. Zeige, daß die Vollmacht zur Durchführung des Werkes der Samm-
lung der Kirche in dieser Dispensation erteilt worden ist.
6. Welches ist der Zweck der Sammlung?
7. Gib einen Bericht von dem Werke der Sammlung, wie es gegen-
wärtig im Fortschreiten begriffen ist.
8. In welcher Hinsicht ist das Volk Israel ein auserwähltes Volk?
9. Zeige, wie durch die Zerstreuung Israels die dem Abraham gegebene
Verheißung, daß durch seine Nachkommen alle Völker der Erde gesegnet
werden sollen, in Erfüllung gegangen ist.
10. Nenne eine andere Tatsache aus der Erfüllung dieser Prophe-
zeiung, und zwar eine solche, die sich auf die irdische Abstammimg Christi
gründet.
11. Führe aus der Heiligen Schrift Prophezeiungen an, welche auf
die Wiederherstellung der zehn Stänmne Bezug haben.
12. Zeige, daß die Gründung Zions der Wiederbringung der zehn
Stämme vorangehen muß.
Vorlesung XIX; Artikel 10.
Zion.
1. Zeige aus den heiligen Schriften, daß für die letzte Dispensation
zwei Sammelplätze eingerichtet werden sollen.
2. Erläutere „Zion". (1. Die Bedeutung des Ausdruckes, 2. seine ver-
schiedenen Anwendungen.)
Rückblick. 571
3. Gib eine Übersicht der Geschichte Jerusalems von ilirer ersten
Erwähnung in der Schrift bis zu ihrer Zerstörung durch die Römer.
4. Führe aus den heiligen Schriften Verheißungen an, welche sich auf
die zukünftige Herrlichkeit Zions beziehen.
5. Erläutere die Anwendung des Ausdruckes „Neues Jerusalem".
6. Beweise aus dem Buche Mormon und aus den neuzeitliclien Offen-
barungen, daß das Zion auf dem westlichen Festlande und das Neue Je-
rusalem ein und dasselbe sind.
7. Führe an, daß Christus den Nephiten vorhergesagt hat, daß das
Neue Jerusalem auf der westlichen Halbkugel erbaut werden soll.
8. Erwähne was Ether, der Jaredite, hinsichtlich der Gründung des
Neuen Jerusalems propliezeite.
9. Was versteht man unter dem Zion Henochs? (1. Gib einen Über-
blick über die Geschichte dieses Volkes; 2. Führe die Verheißungen über die
Rückkehr Henochs und seines Volkes an.)
10. Was ist durch nei^eitliche Offenbarungen inbezug auf die geo-
graphische Lage Zions oder des Neuen Jerusalems bekannt geworden?
11. Was versteht man unter „Pfählen Zions"?
12. Unter welchen Zuständen gilt die Zeit für die Erlösung Zions für
gekommen ?
Vorlesung XX; Artikel 10.
Die Regierung Christi auf Erden.
1. Vergleiche die Verhältnisse beim ersten Kommen Christi mit den
vorausgesagten Zuständen bei seiner Wiederkunft.
2. Führe die Prophezeiungen der heiligen Schriften inbezug auf das
zweite Kommen Christi an mit den, dieses Ereignis verkündenden Zeichen
und Begleiterscheinungen. (1. aus der Bibel, 2. aus dem Buch Mormon,
3. aus neuzeitlichen Offenbarungen.)
3. Aus welchen Tatsachen kann man schließen, daß die vorherge-
sagte Wiederkunft Christi nahe bevorsteht?
4. Was weiß man von dem Zeitpunkt seines zweiten Kommens?
5. Zeige aus den heiligen Schriften, daß Christus als Herrscher auf
Erden regieren wird.
6. Gib eine Darlegung des Verhältnisses zwischen dem Reiche Gottes
und der Kirche Jesu Christi.
7. Zeige, in welchem bestimmten, ausdrücklichen Sinne in den neu-
zeitlichen Offenbarungen vom Reich Gottes und vom Himmelreich ge-
sprochen wird.
8. Was wird bei der Aufrichtung des Gottesreiches auf Erden die
Lage der aufrichtigen und ehrenhaften Menschen sein, die dann noch nicht
Mitglieder der Kirche Jesu Christi sind?
9. Was ist das Millenium (das Tausendjährige Reich) ?
10. Führe aus den heiligen Schriften Beweise an für deinen Glauben
an Zustände und Verhältnisse, wie sie während des Tausendjährigen Reiches
auf Erden herrschen sollen.
11. In welcher Lage wird sich Satan während und nach dem
Tausendjährigen Reich befinden?
572 Die Glaubensartikel.
Vorlesung XXI; Artikel 10.
Erneuerung und Auferstehung.
1. Erläutere die Feststellung, daß die Erde unter einem Fluche ist.
2. Was ist mit der vorhergesagten Erneuerung der Erde gemeint?
3. Wann wrd diese Veränderung vollendet sein?
4. Was ist über den zukünftigen Zustand der Erde in ihrem erneuerten
Stand bekannt?
5. Welche Stellung nimmt die Wissenschaft ein inbezug auf die Er-
neuenmg der Erde?
6. Was ist mit der Aulerstehimg des Körpers gemeint?
7. Was lehrt die Kirche hinsichtlich der Buchstäblich keit der Auf-
erstehung ?
8. Auf was gründet sich unser Glaube an die Auferstehung?
9. Führe Tatsachen aus den heiligen Schriften an, welche den Glauben
an die Auferstehung unterstützen. (1. aus dem Alten Testament, 2. aus dem
Neuen Testament, 3. aus dem Buch Mormon, 4. aus neuzeitlichen Offen-
barungen.)
10. Nenne die in der Schrift erwähnten allgemeinen Aulerstehungen.
11. Wie wurde die erste Auferstehung eingeleitet imd eröffnet?
12. Gib einen Bericht von der Auferstehung der Gerechten, die un-
mittelbar nach der Auferstehung Christi stattfand.
13. Führe die Prophezeiungen des Buches Mormon an über die Auf-
erstehung Christi und die der Gerechten, die unmittelbar nach ihm aufer-
standen sind.
14. Gib einen Auszug aus den Lehren der alten Apostel hinsichtlich
der Auferstehung anläßlich des zweiten Kommens Christi.
13. Führe über dieselbe Sache neuzeitliche Offenbarungen an.
16. Vergleiche die in den heiligen Schriften enthaltenen Beschrei-
bungen der ersten Auferstehung oder der Auferstehung der Gerechten mit
den Beschreibungen der zweiten oder der Auferstehung der Ungerechten.
Iß. Zeige, daß die Auferstehung allgemein sein wird und sich sowohl
auf die Rechtschaffenen wie auf die Bösen erstreckt.
17. Was wird das Schicksal der Heiden sein in der Auferstehung?
Bekräftige deine Antwort mit Stellen aus den heiligen Schriften.
18. Was ist bekannt von dem Zustand der Seele z\vischen dem Tod
und der Auferstehung?
19. Erläutere „Paradies". Zeige, daß das Paradies nicht der Ort der
endaültiaen Herrlichkeit ist.
Vorlesung XXII; Artikel 11.
Religiöse Freilieit und Duldsamkeit.
1. Was ist Gottesdienst? was Gottesverehrung?
2. Zeige, daß die Fähigkeit des Menschen, Gott richtig zu dienen,
ein Maßstab ist für seine Erkenntnis von den Eigenschaften und Kräften
Gottes.
3. Zeige, daß ein Gottesdienst, um gültig zu sein, aus dem freien
Willen des Menschen hervorgehen muß.
Rückblick. 573.
4. Erläutere das Recht des Menschen auf persönliche Freiheit des
Menschen in seiner Gottesverehrung.
5. Bespreche die Unduldsamkeit in religiösen Dingen, die die frühern
und auch noch die neueren Zeiten kennzeichnet.
0. Zeige, daß Unduldsamkeit schriftw-idrig ist.
7. Zeige, daß Duldsamkeit nicht notwendigerweise gleichbedeutend
sein muß mit Anerkennung oder Annahme einer Lehre.
ö. Zeige, daß der Mensch, nachdem er frei wählen kann, gerechter-
weise auch für seine Handlungen verantwortlich gemacht \vird.
9. Erkläre die Bedeutung des Ausspruches Christi „in meines Vaters
Hause sind viele Wohnungen".
10. Wieviele Reiche oder Grade der Herrlichkeit werden in dem
geoffenbarten Worte Gottes genannt?
11. Welche Menschen sind der himmlischen Herrlichkeit würdig?
12. Für welche Menschen ist die irdische Herrlichkeit vorgesehen?
13. Wer wird in die unterirdische Herrlichkeit eingehen müssen?
14. Was ist bekannt über die Abstufungen der Herrlichkeit innerhalb
eines jeden der drei Reiche?
15. Wer sind die Söhne des Verderbens? Was ist über ihr Schicksal
bekannt ?
Vorlesung XXIII; Artikel 12.
Gehorsam gegenüber den Gesetzen des Landes.
1. Was lehrt die Kirche über die Pflichten ihrer Mitglieder gegenüber
den Gesetzen des Staates?
2. Führe aus dem Alten Testament Fälle an, worin göttliche Ermah-
nungen »md Genehmigung hinsichtlich weltlicher Gesetze zu Tage treten. —
3. Erwähne solche Beispiele aus dem Leben des Heilandes.
4. Was lehrten die Apostel vor alters hinsichtlich der Beobachtung
der Landesgesetze durch die Mitglieder der Kirche?
a. Führe aus den neuzeitlichen Offenbarungen das Wort des Herrn
an inbezug auf die Stellung der Kirchenmitglieder zu den weltlichen Re-
gierungen, unter welchen sie leben.
6. Was sagt der Herr hinsichtlich seines Gerichtes über die, die von
ihren Feinden an der genauen Befolgung seiner Gebote verhindert werden?
7. Führe ein Beispiel aus diesen Tagen an, wie die Kirche unter
dem Druck des staatlichen Gesetzes von der Befolgung eines göttlichen
Gebotes abgesehen hat.
8. Zeige, daß Gott die weltliche Autorität, als für die Regierung der
Menschheit notwendig, anerkennt, und daß deshalb den Beamten des Staates
Gehorsam geleistet werden soll.
9. Fasse die von Joseph Smith verfaßten und von der Kirche ange-
nommenen Erklärungen inbezug auf die Pflichten der Mitglieder gegenüber
den Landesgesetzen zusammen.
Vorlesung XXIV; Artikel 13.
Praktische Religion.
1. Wiederhole des Apostels Jakobus Erklärung eines reinen Gottes-
dienstes.
2. Zeige, daß Religion keine theologische Formsache ist, sondern die
praktische Anwendung erkannter Rechtsgrundsätze.
574 Die Glaubensartikel.
3. Was lehrt die Kirche über die Verwandtschaft des Menschen mit
Gott?
4. Zeige, daß Wohltätigkeit von der Heiligen Schrift eingeschärft
wird. (Nenne 1. Fälle aus den Lehren des Heilandes, 2. solche von den
Aposteln, 3. solche aus neuzeitlichen Offenbarungen.)
5. Nenne die von der Kirche heutzutage für wohltätige Zwecke vor-
gesehenen Mittel und Wege.
6. Erläutere den heutigen Kirchenplan; 1. für freiwillige Opfer, 2. für
Fastopfer als eine Form der ersten.
7. Bespreche die Vorteile der Beobachtung eines Fasttages und der
Spendung von Fastopfern durch die Kirchenmitglieder.
8. Was ist der „Zehnte".
9. Führe biblische Autoritäten an für das Halten des Gesetzes des
Zehnten in alter Zeit.
10. Erwähne die Forderungen, die durch neuzeitliche Offenbarung
für den Zehnten des Volkes in unserer Zeit erhoben worden sind.
11. Was ist gemeint mit Weihung und Verwalterschaft?
12. Nenne Beispiele aus der Heiligen Schrift, wo das Volk Gottes in
vereinigter Ordnung gelebt hat. (Führe Stellen an: 1. aus der Bibel, 2. aus
dem Buch Mormon, 3. aus der Köstlichen Perle.)
13. Erläutere die vereinigte Ordnung oder die Ordnung Henochs,
wie sie die neuzeitlichen Offenbarungen für die Kirche vorsehen.
14. Zeige, daß auch in der vereinigten Ordnung die persönliche Frei-
heit des Einzelnen gewahrt bleibt.
15. Führe Fälle aus den heiligen Schriften an, worin der Herr die
Trägen tadelt.
16. Was lehrt die Kirche über die Schicklichkeit und die Notwendigkeit
der Ehe?
17. Was sagen die Offenbarungen des Herrn über die, welche die
Ehe verbieten?
18. Was versteht man unter „Himmlischer (Ewiger) Ehe" ?
19. Zeige, daß die Vollmacht des Priestertums notwendig ist, um einen
Bund zu schließen, welcher noch nach dem Tod der Vertragsparteien
Gültigkeit haben soll.
20. Was lehrt die Kirche über die Größe der Sünde der ungesetz-
lichen Vereinigung der Geschlechter ? Führe in Verbindung damit die dies-
bezüglichen Erklärungen des Propheten Alma an.
21. Stelle die in der Offenbarung, genannt das „Wort der Weisheit",
getroffene Vorsorge fest.
NAMEN- UND SACHVERZEICHNIS.
(Die Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)
Aaron. Die buchstäblichen Nach-
kommen des 257.
Aaronische Priestertum. Das 248 f;
in dieser Dispensation wieder-
hergestellt 22, 232.
Abendmahl 210; Irrtümer hinsichtlich
des — s 219; würdige Genießer des
— s 212, 220; Sinnbilder des — s
215; Einsetzung des — s bei den
Juden 210 f und bei den Nephiten
211 ; Segnung und Austeilung des
— s 216 f; der Ausdruck Sakra-
ment 218; das Passahfest und
das — 218; Zweck des — s 214.
Abfall von der ursprünglichen Kirche.
Der 243; Entartung der Gottes-
verehrung mit dem - — verbunden
260; der frühe Beginn des — s 261 ;
der — vorausgesagt 246.
Abgötterei und Gottesleugnung 52.
Abgöttische Bräuche im allgemeinen
61.
Abnalime der geistigen Gaben in
früheren Tagen 285.
Adam zuerst unsterblich 81 ; — s An-
teil am Sündenfall 81, 86; der Fall
— s 79.
Ägyptische Sprache unter den Ur-
einwohnern Amerikas 363.
Allgegenwart Gottes 50.
Allgemeine Auferstehungen. Zwei 475.
Allgemeine Seligkeit 107.
Allmacht Gottes 51.
Allwissenheit Gottes 51.
Alten amerikanischen Völker. Über-
lieferungen der 353 ff, 367 ; Sprache
der 362, 364, 369.
Alte Prophezeiungen inbezug auf das
Buch Mormon 342.
Alte Testament. Das 292; Ursprung
und allmähliches Wachstum 292 ff ;
die lu-sprüngliche Sprache des-
selben 295; die Gesetzbücher
oder der Pentateuch 297; die ge-
schichtliclien Bücher 298, die
prophetischen Bücher 299, 311;
die fünf poetischen Bücher 298;
die Septuaginta 296.
Alte Zivilisation in Amerika 366.
Ältesten. Die 252; Kollegium der —
252.
Amerikas allmähliche Besiedelung
353 ff.
Amerikanische Indianer (Lamaniten)
361 ; — Überlieferungen über die
Sintflut 367.
Amerikanische Völker 355 f; die Ur-
einwohner asiatischen Ursprungs
356; gemeinsamer Ursprung aller
— n — 361 ; israelitischer Ursprung
der — n — 356.
Amt. Das geistliche 248; Vollmacht
zum — 221, 239; Ordination zum
— 224.
Amtsgehilfen 226, 258.
Amtsverrichtungen, mit Vollmacht
221, ohne Vollmacht 227.
Anerkennung der Bibel. Unsere 288.
Apokryphische Bücher 299.
Apostelamt 254; das Kollegium der
Zwölfe 255.
Archäologische Beweise für die Bibel
313; — und Ehtnologische Beweise
für das Buch Mormon 351.
Art und Weise der Taufe 167.
Atheismus und Götzendienst 52; Er-
klärung des — 54; — ein verhäng-
nisvoller Glaube 63; — und Im-
576
Namen- und Sachverzeichnis.
materialismus 63.
Atheismus und Theismus 52, 60.
Auferstehung des Körpers 470; die
— eröffnet 475; die erste — 476;
— von den Toten 470; die Heiden
in der ersten — 486; die letzte —
481 ; die — Christi und die, die
unmittelbar darauf folgte 476;
allgemeiner Glaube an die — 485 ;
die — vorhergesagt 472; die —
beim zweiten Kommen Christi
478; die Unwissenheit der Heiden
inbezug auf die — 484 ; Mangel an
wissenschaftlichen Beweisen über
die — 467.
Auferstehungen. Zwei allgemeine (die
der Gerechten und der Ungerech-
ten) 475.
Aufhören der Vielehe. Das 523, 530.
Auflegung der Hände beim Vollzug
von Verordnungen 209, 225.
Auserwähltes Volk (Israel) 422, 425.
.Auslegung der Zungen. Gabe der 272.
Äußerliche Beweise für das Buch
Mormon 351 ff.
Autorität in der gegenwärtigen Dis-
pensation. Göttliche 231 ; — in
der Amtstätigkeit 221.
Autorität staatlicher Gesetze 510.
Baum der Erkenntnis des Guten und
des Bösen 80.
Baum des Lebens 81.
Beamte. Präsidierende 250.
Bekennen der Sünde ist notwendig
137.
Beschneidung und Taufe 155.
Besitzergreifung und Bevölkerung
Amerikas. Frühe 353.
Beweise aus der Altertumskunde für
die Bibel 313.
Beweise aus der Altertums- und
Völkerkunde für das Buch Mor-
mon 351.
Beweise für das Buch Mormon durch
Entdeckungen der Neuzeit zutage
gefördert 351.
Beweise unterstützen den Glauben;
zuverlässige — 125.
Bewerber um die Taufe. Würdige 152.
Bibel. Die 288 ; das erste maßgebende
Kirchenbuch 6, 31; der Name
der — 289; unsre Anerkennung
der — 288; Glaubwürdigkeit und
Echtheit der — 306; Zeugnis des
Buches Mormon für die — 307;
Übertragungen und Übersetzun-
gen der — 305, 310, 314.
Bischof. Der präsidierende 256 f ; der
— einer Gemeinde 258.
Bischofschaft der ganzen Kirche.
Die präsidierende 256; — der Ge-
meinde 258.
Buch Mormon 315; Glaubwürdigkeit
des — es — 331, 339; bibhsche
Prophezeihungen inbezug auf das
343 ; das Hervorkommen des
— es — 20 ; das verglichen mit
der Bibel 307, 340; Zusammen-
setzung und Einteilung des — es —
330; die innere Übereinstimmung
des — es — 346 ; im enthaltene
Prophezeihungen 347; Hauptteile
des — es — 319; äußere Beweise
für das — 351; Echtheit der
Platten des — es — 12, 324; Pro-
phezeihungen über das 342 ;
Spaulding Geschichte über das —
— 335 ; das Zeugnis von Augenzeu-
gen über das 332 ff ; Theorien
über das — 335; Titelblatt des
— es— 318; Übersetzungen des
—es— 15, 328 f.
Bündnisse (Ehe) für Zeit und Ewig-
keit 550.
Bürgerkrieg von Joseph Smith vor-
hergesagt 26.
Buße zur Seligkeit notwendig 140;
— eine Gabe Gottes 142; — hier
und im Jenseits 76, 143; das
Wesen der — 136; — nicht immer
möglich 142; — nicht hinaus-
schieben 144.
Christus der Gesalbte 459; Sühn-
opfer Christi, siehe daselbst;
Kirche Christi 451 ; das erste
Kommen Christi 440; sein zweites
Kommen 441 ; die Zeit seines
zweiten Kommens 445; Christi
Mission in der Geisterwelt 180;
die Regierung Christi auf Erden
Namen- und Sachverzeichnis.
577
440; die Auferstehung Christi 476;
— der Urheber unsrer Seeligkeit
115.
Dasein Gottes. Das 32.
Dauer der Strafe 75.
Diakons (Diener). Das Amt eines 250.
Dispensation der Sammlung 18; —
der Fülle der Zeiten 21.
Dreieinigkeit. Die 46, 64.
Druidische Opferungen 63.
Duldsamkeit. Religiöse Freiheit und
488, 492, 498, 508 f; — heißt
nicht Billigung und Annahme
497 f.
Echtheit und Glaubwürdigkeit der
Bibel 306; — und — von Teilen
des Neuen Testaments 311 ; - — und
— des Buches Älormon 331, 339.
Eden. Der Garten 79, 88.
Ehe. Die 548; himmlische — 550;
Aufhören der Vielehe 523, 530.
Eigenschaften Gottes 50, 124.
Eingestehen der Sünde notwendig,
um Vergebung zu erlangen 137.
Einheit (Einigkeit) der Gottheit 47;
— ein Vorbild der Vollkommen-
heit 47.
Einsetzung ins geistliche Amt 224;
— des Abendmahles bei den
Juden 210, bei den Nephiten 211 ;
— der Taufe 148.
Elia überträgt die Vollmacht für die
Ausführung des stellvertretenden
Werkes für die Toten 17 f, 23,
185.
Elias überträgt die Dispensation des
Evangeliums Abrahams 23.
Englischen Kirche von der Gottheit.
Die Lehre der 57.
Entartung der Gottesverehrung mit
dem Abfall verbunden 260.
Erde vor, während und nach dem
Tausendjährigen Reich. Die 460;
Erneuerung der — 462; die —
unter dem Fluch 461.
Erhöhung und Seligkeit 112.
Erkenntnis mit Glauben verglichen
119.
Erlösung von dem Fall. Allgemeine
luid bedingungslose 115; siehe
auch Sühnopfer Christi.
Erneuerung der Erde 462; — und
Auferstehung 461.
Erste Präsidentschaft 255.
Ethnologie und Archäologie unter-
stützen die Echtheit des Buches
Mormon 351.
Eva 79; — s Versuchung 80.
Evangelisten oder Patriarchen 253.
Evangelium soll den Toten gepredigt
werden. Das 180; — wiederher-
gestellt 6 ff, 17; — vielen noch
unbekannt 179.
Ewige Bündnisse 551.
Fairchild, James H. über die Spaul-
ding- Geschichte 336.
Fall, siehe „Sündenfall".
Falsche Lehrer früher angekündigt
230 f.
Fastopfer 537.
Fasttags. Einhaltung des 537.
Fehlende, in der Bibel erwähnte
heilige Schriften 313.
Folge des Falles. Die unmittelbare
83, 89.
Form der Taufe 167 f.
Fortbildungsvereine 259.
Fortlaufenden Offenbarungen. Die
Lelu-e von — 377, 390; Einwen-
dungen gegen diese Lehre angeb-
lich biblisch 381.
Frauenhilfsvereine 259.
Freier Wille des INIenschen 65, 87.
Freiheit in der Verehrung 488.
Freiwillige Opfer 536.
Friede des Tausendjährigen Reiches.
Der 459.
Frühere Besitzergreifung und Be-
völkerung Amerikas 353.
Fürwahrhalten, Glauben, Erkenntnis
118 f.
Gabe der Heiligung 273, — der Pro-
phezeihung 277, ■ — der Offenba-
rung 278, — der Zungen und der
Auslegung der Zungen 272, —
der Gesichte und der Träiune
274 f.
Gabe Gottes. Der Glaube eine —
37
578
Namen- und Sachverzeichnis.
133; Buße eine — 142.
Gaben des Geistes. Die 207, 263;
— kennzeichnend für die Kirche
263; Abnahme der — dem Abfall
eigen 285; — bestehen in der
heutigen Kirche 283; unvollstän-
dige Aufzählung einzelner — 271,
283; Nachahmung der — 282;
neuzeitliche Kundgebungen der —
287; das Wesen der — 265.
Garten Eden 79, 88.
Gebote unter den Reliquen der alten
Amerikaner aufgefunden. Die
zehn 358, 364.
Gehorsam den Gesetzen des Landes
gegenüber 510.
Geist. Heiliger, siehe der „Heilige
Geist".
Geistige Schöpfung 239.
Geistlichen Amt. Vollmacht im 221 ;
Ordination zum 224.
Gemeinde-Bischofschaft 258.
Gemeindeorganisation und die Beam-
ten derselben 257, 259.
Genugtuung für begangene Sünden
140.
Gericht folgt nicht immer sofort 69 f ;
—Sache Christi 70.
Gesalbte (Christus). Der 459.
Geschichte und Überlieferung unter-
stützen die Beweise des Daseins
Gottes 34 ff; — der wiederher-
gestellten Kirche 31.
Geschichtsbücher des Alten Testa-
ments 298, des Neuen Testaments
304.
Geschlechter. Ungesetzliche Ver-
einigung der 552.
Geschriebene Sprache der alten Ame-
rikaner 362.
Gesetze des Landes. Unterwerfung
unter die 510—530; — Priester-
tums 261.
Gesichte und Träume 274 f.
Glauben an Gott natürlich 57 und
notwendig 58.
Glauben 118; eine Voraussetzung und
Bedingung des — s 131; — ver-
glichen mit Erkenntnis und mit
Fürwahrhalten 118 f; — not-
wendig zur Seligkeit 32; Grund-
lage des — s 123 f; — eine Gabe
Gottes 133; die Lehre von der
Rechtfertigung durch — allein
134, 145; das Wesen des — s 118
Beispiele von irregeleitetem —
144; — ein Machtprinzlep 128
— ohne Werke unvollständig 134
145; — von Tatsachen unter
stützt 125 f; Reichhaltigkeit uns
res Glaubens 532.
Glaube, Erkenntnis, Fürwahrhalten
118 f.
Glaubensartikel. Die 5; Entstehung
der — 5, 29; — von neuem be-
stätigt 5.
Glaubensbekenntnis. Das nizäische
56.
Glaubwürdigkeit und Echtheit der
Bibel 306, des Buches Mormon
331, 339, der göttlichen Mission
Joseph Smiths 7, 16.
Glieder der Gottheit. Persönlich-
keit der 48.
Gott berufen. Männer von 221; des
Menschen Verhältnis zu — 555.
Gottesglaubens. Die Arten des 33 f,
60 f.
Gottes Eigenschaften 50, 124; Glau-
ben an Gott natürlich 32, 57 und
notwendig 33, 58; Wichtigkeit des
Glaubens an Gott 58; Dasein —
32; Beweise dafür aus Geschichte
und Überlieferung 34, 60; Be-
weise der Vernunft 36; die Offen-
barung als Beweis 41 ; Beweise der
Natur 37 ; natürliche Anzeichen für
das Dasein — 37; Persönlichkeit
— 48.
Gottesleugnung. Abgötterei und 52.
Gottheit. Die Persönlichkeit eines
jeden Ghedes der 48; die — eine
Dreieinigkeit 46; Einheit (Einig-
keit) der — 47; die sektierer-
ischen Ansichten von der — 55.
Göttlicher Ursprung des Buches
Mormon 339.
Gott und die Gottheit 33.
Götzendienst. Beispiele von schreck-
lichem 54.
Götzendienst und Gottesleugnung 52.
Grade der Herrlichkeit 113, 501, 505.
Namen- und Sachverzeichnis.
579
Griechen. Die Taufe bei den 192.
Grundsatz der gemeinsamen Zu-
stimmung 260.
Hagiographa 291, 298.
Händeauflegen beim Vollzug von
Verordnungen 209, 224.
Hebräer 407.
Hebräische Sprache bei den Nacli-
kömmüngen der amerikanischen
Ureinwohner. Überreste der — n —
364, 369.
Heiden in der ersten Auferstehung
486.
Heiden in Unwissenheit 484.
Heilige Geist. Der 195; Übertragung
des — n — es 205 ff, 209; seine
Wirkung auf die Menschen 208,
209; Ausnahme bei der Verlei-
hung des — n — es 204; Gaben des
— n — es, siehe daselbst; die Tätig-
keit des — n — es 201 ; Persönlich-
keit und Mächte des — n — es 49,
197; der versprochen 195;
biblische Namen des — n — es 49;
wem der erteilt wird 203 ff.
Heiligkeit des menschlichen Körpers
553.
Heiligung. Gabe der 273.
Helfer in der Kirchenverwaltung 226,
258.
Henochs. Die Ordnung 542, 543, das
Zion — 429.
Herrlichkeit. Grade der 113, 501,
505; himmhsche — 113, 502;
irdische — 113, 503; unterirdische
— 114, 504.
Himmelreich. Das 451.
Himmliche Ehe. Die 550.
Himmhche Herrlichkeit 113, 502.
Hirten 257.
Hohenpriesters. Das Amt eines 252;
das Kollegium derselben 252; der
präsidierende Hohepriester 255.
Hohen Priestertums. Der Präsident
des 253, 255.
Hohe Rat. Der stehende (stationäre)
257 ; der reisende (das Kolle-
gium der zwölf Apostel) 254.
Höheres Priestertum, siehe Melchize-
dekisches Priestertum.
Huldi^ng für den Propheten Joseph
Smith. Eine 29.
Immaterialismus und Atheismus 63.
Indianer (amerikanische, Lamaniten)
352, 361.
Individuelle Seligkeit 107—110.
Inspiration und Offenbarung 370,
390; — ein sicherer Führer.
Irdische Herrlichkeit 113, 503.
Israel 392; — ein auserwähltes Volk
422, 425; Zerstreuung — s 392 ff,
397; — unter den verschie-
denen Völkern 397 f, 402, 408,
425; Sammlung — s 409; Samm-
lung — s nunmehr im Fortschreiten
begriffen 21, 419, 425.
Jahrtausend. Das siebte 459.
Jarediten 321.
Jerusalem. Das neue - — 431 ; Ge-
schichte — s 430, 431, 438.
Johannes der Täufer überträgt das
aaronische Priestertum 22, 232.
Joseph Smith. Der Prophet 6; Gött-
lichkeit der Mission — s 16; — s
Vollmacht 22; — s Gesicht 10 f;
— s Eltern und Jugend 7, 30; —
besucht von Moroni 12. 315; —
verfolgt 11 f, 29; — ein wahrer
Prophet 7, 24; eine Huldigung für
den Propheten — 29; Märtyrer-
tum — s 15, 30; Hinweisungen
auf das Leben — s 30 f; — s For-
schen nach Wahrheit 8 f, erstes
lautes Gebet 10.
Juda. Das Königreich 393.
Juden 407; das Abendmahl bei den
— - 210.
Kenntnis von Gott notwendig 1.
Kinder in den Augen Gottes un-
schuldig 107 — 110.
Kindertaufe 108 f, 153, 154, 156;
Geschichte der — 154, 165; —
im Buch Mormon verboten 156.
Kinder und Väter von einander ab-
hängig 186, 193.
Kirche Christi. Die 451.
Kirche. Der Abfall von der ursprüng-
lichen 243, vorhergesagt 246;
580
Namen- und Sachverzeichnis.
die ursprüngliche — 241. '
Kirche der letzten Tage. Die 241,
248.
Kirche Englands von der Gottheit.
Die Lehre der 57.
Kirchenbücher. Die maßgebenden 6.
lürchenorganisation 248 ; Wieder-
herstellung der — 247.
Kirchenschulen 259.
Kirche und Reich Gottes 451.
Klassen. Religions— 259.
Kollegium 251.
Kollegien. Organisierte (251 ff) : Leh-
rer 251, Diakone 251, Priester
252, Älteste 252, Siebziger 252,
Hohenpriester 253; — der Ersten
Präsidentschaft 255; — der zwölf
Apostel 254, 255.
Kommen Ciiristi. Das erste und das
zweite 440; Zeit des zweiten
— s— 445.
Körpers. Heiligkeit des menschlichen
553.
Lamaniten 318, 320, 352.
Landesgesetzen. Gehorsam gegen-
über den 510.
Lebens. Der Baum des 81.
Lehrbücher des Neuen Testaments
304.
Lehrer (Grad im aaronischen Priester-
tum) 251.
Lehrern gewarnt. Vor falschen 231.
Letzte Auferstehung 481.
Levitisches Priestertum 249.
Liebe. Nächstenliebe und Wohl-
tätigkeit 535, 554, 555. ^
Luther, Martin über Rechtfertigung
durch Glauben allein 145.
Macht. Der Glaube ein Grundsatz
der 128.
Männer von Gott berufen 221.
Martin Luther über Rechtfertigimg
durch Glauben allein 145. --«i
Märtyrertod Joseph Smiths 15, 30.
Mayas. Die heilige Sprache der 363.
Jlelchizedekisches Priestertum 248,
250; dessen Wiederherstellung 23,
232.
^lenschen. Freier Wille des — 65, 87 ;
Verantwortlichkeit des — 69, 499f.
Mexikanische Überlieferungen vom
Heiland 369; — von der Sintflut
366.
Mildtätigkeit und Liebe 535, 554,
555.
Millennium 455, 459.
Moloch. Schreckliche Verehrung des
62.
Mormon. Das Buch, siehe „Buch
Mormon".
Moroni besucht Joseph Smith. Der
Engel 12—14, 315.
Mose überträgt auf .Joseph Smith
seine Vollmacht 19, 23, 420.
Nachahmimg geistiger Gaben 282.
Nachfolgerecht im patriarchalischen
Amt 253.
Name „Bibel". Der 289.
Natur. Gott in der 59.
Natürliche Beweise für das Dasein
Gottes 37, 59, 60.
Natürlichkeit des Glaubens an Gott
58.
Nephiten 318 — 320, 352; Taufe bei
den — 172 (176); das Abendmahl
bei den — eingesetzt 211; die —
von Christus besucht 172, 311.
Neues Jerusalem (Zion) 431.
Neue Testament. Das 300; Echtheit
und Entstehung des — n — s 300;
Einteilung des — n — s 304; die
belehrenden Bücher des — n — s
304; die geschichtlichen Bücher
des — n — s 304; die propheti-
schen Bücher des — n — s 305.
Neuzeitliche Offenbarungen 384.
Nizäer. Die Sekte der 56.
Notwendigkeit des Glaubens an
Gott 58.
Offenbarung 370; — Johannes 377;
— für die Kirche unentbehrlich
380; in früherer Zeit 374; fort-
dauernde — 377, 390; angeblich
biblisch begründete Einwendun-
gen gegen die Lelire der fort-
dauernden Offenbarung 381 ; Gabe
der — 278 ; — das Mittel, wodurch
Gott mit den Menschen verkehrt
Niunen- und Sachverzeichnis
581
43, 373; — und Inspiration 370,
390; neuzeitliche — 44, 384; —
in der Zukunft 388; — unter-
stützt den Glauben an Gott 41.
Opfer. Fast — 537; freiwillige —
536; — und Zehnten 538.
Ordination zum geistlichen Amt 224.
Ordnung Henochs 543; — en und
Ämter im Priestertum 248, (253);
gesellschaftliche Ordnung der Hei-
ligen 547.
Organisationen der Priesterschaft.
Örtliche 257, 259.
Paradies 486.
Passahfest und Abendmahl 218.
Patriarchalichen Amt. Nachfolge-
recht im 253.
Patriarchen oder Evangelisten 253.
Ordnung der ■ — 253.
Pentateuch 291, 297; die samari-
tische Abschrift des — s 310.
Persönlichkeiten der Gottheit 48; —
des HeiUgen Geistes 49, 197.
Persönliche Seligkeit 107, 110.
Petrus, Jakobus und Johannes über-
tragen das melchizedekische Prie-
stertum 232.
Pfähle Zions 257.
Pfahlpräsidentschaft 257.
Pflichten des Priestertums. Beson-
dere 250.
Platten des Buches Mormon 12, 323;
— Nephis 324; — Mormons 324;
— Eters 324, Messingplatten La-
bans 324.
Poetische Bücher des Alten Testa-
mentes 298.
Präexistens der Geister 236.
Praktische Religion 531.
Präsidentschaft. Die Erste 255; —
im Priestertum 254; — des
Pfahles 257; — en und Kollegien
254; — des Hohen Priestertums
255; — ten und Kollegien 254.
Präsidierende Bischofschaft 256.
Präsidierendes Kollegium der Sieb-
ziger 256.
Priester (Grad im aaronischen Prie-
stertum) 251.
Priestertum. Aaronisches 248; Or-
ganisation des — s innerhalb der
Gemeinde 257; Levitisches —
249; Melchizedekisches — 248;
Kollegien ( Quorums) des — s 251 ;
die Ordnung des — s 248; die
Wiederbringung des — s 248; be-
sondere Pflichten im — 250.
Primär- Vereine 258.
Prophet. Anwendung und Gebrauch
des Ausdruckes 284.
Prophetenschule 284.
Propheten vor alters organisiert 284.
Prophetische Bücher, des Alten Te-
staments 299; des Neuen Testa-
ments 305.
Prophezeiung inbezug auf das Buch
Mormon 342; bibliche — über das
Buch Mormon 373; Gabe der —
277.
Prüfstein. Ein guter 365.
Quoriun (siehe Kollegium); beson-
derer Gebrauch dieses Ausdruckes
251.
Rassen Amerikas. Gemeinsamer Ur-
sprung der 361.
Rat. Der reisende Hohe 256; der
stehende (stationäre) — 257.
Räte : der Ersten Präsidentschaft 255,
der präsidierenden Bischofschaft
256, der Pfahlpräsidentschaft 257,
der Ward-Bischofschaft 258, der
verschiedenen Kollegien ( Quorums
251 ff.
Rechtfertigung durch Glauben allein
134, 145.
Regierung Christi auf Erden. Die
410, 448.
Regierungen. Gehorsam gegenüber
den weltlichen 510 — 530; — und
Gesetze im allgemeinen 524 ff.
Reich Gottes 448 und Kirche Christi
451; — Israel 393, — 451, —
Christi 451, das Tausendjährige —
455, — Juda 353.
Reichhaltigkeit unsres Glaubens 532.
Reise der zehn Stämme 408.
Religion. Praktische 531 ; Religion
des täglichen Lebens 531.
Religionsklassen 259.
582
Namen- und Sachverzeichnis.
Religion. Theologie und 4.
Religiöse Freiheit und Duldsamkeit
488, 509 ; — Unduldsamkeit 492 f,
508.
Saduzäer 485.
Sammlung Israels 409; Umfang und
Zweck der — 419; Neuzeitliche
Offenbarungen über die — 418;
zwei Sammelplätze vorgesehen 427 ;
— findet gegenwärtig statt 425;
— vorausgesagt 409 ff.
Satan 68, 77, 458; — s Macht be-
schränkt 78 f.
Seele. Zwischenzustand der 486.
Sekte der Nizäer 56.
Sektiererische Ansichten von der
Gottheit 55; von der Fort-
dauer oder Abnahme der geistigen
Gaben 285.
Seligkeit. Allgemeine 107, persönliche
— 107, 110; — und Erhöhmig 112.
Septuaginta. Die 296, 310.
Siebziger. Die 252 ; Kollegium der —
252, 256.
Siegel des Märtyrertodes. Das 30.
Sintflut. Mexikanische Zeitbestim-
mung der 366.
Smith, Joseph, siehe „Joseph
Smith"..
Söhne des Verderbens. Die 74, 76,
506.
Sonntagschulen. Die 259.
Spaulding-Erzählung und Buch Mor-
mon 335.
Sprache der Ureinwohner Amerikas.
Die 362, 364, 369; — in der die
Platten des Buches ^lormon ver-
faßt sind 362; die Ursprache des
alten Testaments 295.
Sühnopfer Christi. Das 91 ; Bedeu-
tung des Wortes — 91 ; Antrieb
zur Vollbringung des — s — 98 f;
unmittelbare Folge des Sünden-
falles 83, 93; Vertrauen auf
das — notwendig zur Seligkeit
116 f, 139; Umfang des — 104;
— vorherbestimmt und vorher-
gesagt 84, 99; allgemeine Wir-
kung des — 107; die besondere
oder persönliche Wirkung des
— sllO; das Wesen des — s 93; die
Stellvertrung des — s — bewiesen
mit Zeugnissen 114; — ein stell-
vertretendes Opfer 95; — war
freiwillig 96 f.
Sünde 71; das Wesen der — 71, 88;
Begehen von — 72; — in Un-
wissenheit begangen 72 f ; Ver-
gebung für — 140; Strafe für —
74; unverzeihliche — 74.
Sündenbekenntnis notwendig zur Er-
langung von Vergebung 137.
Sündenfall. Der 65, 79; vorherbe-
stimmt und notwendig 84, 89 f;
unnüttelbare Folgen des — s 83, 89.
Schlange. Verfluchung der 84, 89.
Schöpfung. Geistige 239.
Schreibweise im Buch Mormon 366.
Schriften, die in der Bibel zwar er-
wähnt, heute jedoch unauffind-
bar sind. Heilige 313.
Schriftsprache der Ureinwohner Ame-
rikas 362 ff.
Schulen der Kirche 258; Sonntagschu-
len 259; Schule der Propheten 284.
Staatlichen Gesetzen. Gehorsam ge-
genüber den 510, 530.
Stammeltern. Vorwürfe gegen die
87 ; — haben Anspruch auf Dank-
barkeit 87; Zustand wenn unsere
— nicht gesündigt hätten 87.
Stämme Israels. Die zehn verlorenen
393, 405, 408.
„Standard Werke" (maßgebende
Lehrbücher) der Kirche 6, 31.
Stellvertretende Natur des Sühn-
opfers 95, 97, 114.
Strafe für Sünde 74 ; die Dauer der —
75; ,, endlose", ,, ewige" — 75, 77.
Stufen der Herrlichkeit 113, 501.
Tatsachen, die den Glauben an einen
Gott unterstützen 123 ff.
Taufe. Die 147, 168; — bei den Grie-
chen 192, bei den Nephiten 172, bei
den ersten Christen 192; — zur
Seligkeit notwendig 156, 106; —
und Beschneidung 155; die Ein-
setzung der — 148;die — in unserer
Zeit 172; würdige Bewerber um
Namen- und Sachverzeichnis.
583
die Taufe 152, 164; — für die
Toten 178; die Kindertaufe 109,
153, 154, 156; Bedeutung und
erste Anwendung des Wortes 154,
168, 191 ; die Form der Taufe 167,
170; das Wesen der — 147; Vor-
bereitung auf die — 152, 164;
Zweclc der — 149, 157; die „Wie-
dertaufe" 174; wiederliolte — an
ein und demselben Mitglied 177 : —
von jedermann verlangt 156, 178;
das Sinnbild der — 169.
Tausendjähriges Reich (Millennium)
455, 459; die Erde vor, während
und nach dem Tausendjährigen
Reich 460.
Tempel. Alte und neuzeitliche 188 ff,
194; — Platz in Independence
439.
Testament. Das Alte und das Neue —
siehe „Altes" und „Neues" Te-
stament.
Theismus, Atheismus usw. 60 f.
Theologie 2; der Umfang der — 3 f ;
Wichtigkeit des Studiums der —
1; — und Religion 4; theologische
Walirheiten mit andern verglichen
3 f.
Theorien über die Herkunft und den
Ursprung des Buches Mormon
335.
Titelblatt des Buches Mormon 318,
335.
Toten. Taufe für die 178; die Mission
Christi unter den — 143, 181 ; den
— soll das Evangelium gepredigt
werden 180; das stellvertretende
Werk für die — 183, 187. Die
Auferstehung von den — 470.
lYadition und Geschichte unterstüt-
zen den Glauben an einen Gott 34.
Traditionen inbezug auf den Heiland.
Mexikanische 369; — der Urein-
wohner Amerikas bestätigen das
Buch Mormon 367 — 369.
Träume und Gesichte 274.
Übereinstimmung des Buches Mor-
mon mit andern Wahrheiten 337,
346.
Überlieferungen der Nachkommen
der Ureinwohner Amerikas 367;
mexikanische — vom Heiland 369.
Überheferungen und Geschichte unter-
stützen den Glauben an einen
Gott 34 f.
Übersetzung des Buches Mormon 328.
Übersetzungen des alten Testamentes
296; — der Bibel 296, 305, 314.
Übertretung 65.
Unbefugtes Amtieren 227.
Unduldsamkeit. Religiöse 492 f, 508.
Ungesetzliche Vereinigung der Ge-
schlechter 552.
Unkörperlichkeitslehre und Gottes-
leugnung 57.
Unkörperliches Wesen kann nicht
bestehen 50, 57.
Unschuld der Kinder 107 — 109.
Unterirdische Herrlichkeit 114, 504.
Untertauchung die richtige Form der
Taufe 167 f.
Unterwerfung unter die Gesetze des
Landes 510.
Unverzeihliche Sünde 74.
Urim und Thummim 13.
Ursprüngliche Kirche 241 ; Abfall
von der — n — 243.
Ursprung des Buches Mormon. Theo-
rien über den — 335 ; Göttlicher —
339.
Vätei* und Kinder auf einander an-
gewiesen 186, 193.
Vater und Sohn in Gestalt und Kör-
perform vollkommene Menschen
49.
Verantwortlichkeit des Menschen 69.
Verderbens. Söhne des 74, 506.
Verehrung 489; Freiheit in der —
488 f.
Verein. Frauenhilfs — 259; Fort-
bildungs — 259.
Vereine zur gemeinsamen Fortbil-
dung 259.
Vereinigte Ordnung 543.
Vereinigung der Geschlechter. Un-
gesetzliche 552.
Verfluchung der Schlange 89.
Verfolgung Joseph Smiths 12, 29.
Vergeben. Andern ihre Fehler 137.
Vergebung der Sünden wird nicht
584
Namen- und Sachverzeichnis.
immer sogleich gewährt 146.
Vermißte, aber in der Bibel erwähnte
heilige Schriften 313.
Vernunft unterstützt den Glauben
an einen Gott. Die 36.
Versöhnung bewiesen 114; — durch
Christus eingeführt 116.
Versuchung. Evas 80.
Verwalterschaft und Weihung 543.
Verwaltung. Helfer in der 258.
Verwaltungsplan der wiederherge-
stellten Kirche 248.
Vielehe. Das Aufhören der 523, 530.
Vollmacht in der jetzigen Dispen-
sation. Göttliche 231 ; — im
geistlichen Amt 221 ; — von
Gott gegeben 239.
Von Gott berufen. Männer 221.
Vorordination (Vorherbestimmung)
233 ; — bedeutet nicht Zwang 235.
Vorordination und Präexistenz 233.
Vulgata. Die 310.
Wahl. Freie 67.
Wanderung der verlorenen zehn
Stämme 408.
Ward-Bischofscliaft 258.
Weihung und Verwalterschaft 541 ff.
Werke. Die maßgebenden Kirchen-
( Standard-Werke) 6, 31.
Wichtigkeit des Glaubens an Gott.
Die 58; — des Studiums 1.
Wiederherstellung der Kirche. Die
15, 247; — der zehn Stämme 423;
— des Evangeliums 6 ff, 17 ; —
des Priestertums 248; — Jeru-
salems 19.
Wiederholungen in den Unterrichts-
klassen. Übungen für die 557.
Wiederkunft Christi 441 ff.
Wiedertaufe 174; Fälle von Wieder-
taufen in der Schrift erwähnt 175;
Wiederholte Taufen an denselben
Personen 177.
Wille des Menschen. Der freie 65, 87.
Wirkungen des Sündenfalles 83, 89.
Wohltätigkeit 533 ff.
Wort der Weisheit 553.
Wunder 28, 266; — eine Hilfe im
geistigen Wachstum 286; ein
Zeugnis, das sich auf ein — grün-
det, nicht unfehlbar 28, 281; —
von bösen Mächten vollbracht
281 ; ein scheinbares — 284.
Zehn Gebote unter den Reliquen der
Ureinwohner Amerikas gefunden.
Die 358, 364.
Zehn Stämme. Die Wanderung der
verlorenen 19, 408; Wiederher-
stellung der — 423.
Zehnten 538; das Gesetz des — n 541.
Zeit des zweiten Kommens Christi.
Die genaue 447 f.
Zenos 407.
Zeugen für das Buch Mormon 332;
Zeugnisse von dreien 332 f, 336;
das Zeugnis der acht Zeugen 334,
337; Bemerkungen über die —
336 f.
Zeugnis, das sich auf Wunder gründet,
nicht unfehlbar. Ein 280 f.
Zeugnis des Buches Mormon für die
Bibel 307 ; — der Wunder 280.
Zion 427 ; der Name — 429 ; Gründung
— s in Missouri 19, 439; — He-
nochs 429 ; — , das neue Jerusalem
431.
Zivilisation in Amerika. Alte — 366.
Zukünftige Offenbarungen sind noch
zu erwarten 388, 390 f.
Zungen. Gabe der 272; Auslegung
der — 272.
Zwang zu Werken der Rechtschaffen-
heit 66, zum sündigen 66, 68, 78.
Zweck der Taufe 149.
Zwischenzustand der Seele (Paradies)
486.
Zwölfe 255.
Harold B Lee Library
IIIIIIIHIIIII)
3 1197 00137 2595
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